Skip to main content

Full text of "Allgemeines statsrecht [!]"

See other formats


Google 


This  is  a  digital  copy  of  a  book  that  was  prcscrvod  for  gcncrations  on  library  shclvcs  bcforc  it  was  carcfully  scannod  by  Google  as  pari  of  a  projcct 

to  make  the  world's  books  discoverablc  online. 

It  has  survived  long  enough  for  the  Copyright  to  expire  and  the  book  to  enter  the  public  domain.  A  public  domain  book  is  one  that  was  never  subject 

to  Copyright  or  whose  legal  Copyright  term  has  expired.  Whether  a  book  is  in  the  public  domain  may  vary  country  to  country.  Public  domain  books 

are  our  gateways  to  the  past,  representing  a  wealth  of  history,  cultuie  and  knowledge  that's  often  difficult  to  discover. 

Marks,  notations  and  other  maiginalia  present  in  the  original  volume  will  appear  in  this  flle  -  a  reminder  of  this  book's  long  journcy  from  the 

publisher  to  a  library  and  finally  to  you. 

Usage  guidelines 

Google  is  proud  to  partner  with  libraries  to  digitize  public  domain  materials  and  make  them  widely  accessible.  Public  domain  books  belong  to  the 
public  and  we  are  merely  their  custodians.  Nevertheless,  this  work  is  expensive,  so  in  order  to  keep  providing  this  resource,  we  have  taken  Steps  to 
prcvcnt  abuse  by  commercial  parties,  including  placing  lechnical  restrictions  on  automated  querying. 
We  also  ask  that  you: 

+  Make  non-commercial  use  ofthefiles  We  designed  Google  Book  Search  for  use  by  individuals,  and  we  request  that  you  use  these  files  for 
personal,  non-commercial  purposes. 

+  Refrain  fivm  automated  querying  Do  not  send  automated  queries  of  any  sort  to  Google's  System:  If  you  are  conducting  research  on  machinc 
translation,  optical  character  recognition  or  other  areas  where  access  to  a  laige  amount  of  text  is  helpful,  please  contact  us.  We  encouragc  the 
use  of  public  domain  materials  for  these  purposes  and  may  be  able  to  help. 

+  Maintain  attributionTht  GoogXt  "watermark"  you  see  on  each  flle  is essential  for  informingpcoplcabout  this  projcct  and  hclping  them  lind 
additional  materials  through  Google  Book  Search.  Please  do  not  remove  it. 

+  Keep  it  legal  Whatever  your  use,  remember  that  you  are  lesponsible  for  ensuring  that  what  you  are  doing  is  legal.  Do  not  assume  that  just 
because  we  believe  a  book  is  in  the  public  domain  for  users  in  the  United  States,  that  the  work  is  also  in  the  public  domain  for  users  in  other 
countries.  Whether  a  book  is  still  in  Copyright  varies  from  country  to  country,  and  we  can'l  offer  guidance  on  whether  any  speciflc  use  of 
any  speciflc  book  is  allowed.  Please  do  not  assume  that  a  book's  appearance  in  Google  Book  Search  mcans  it  can  bc  used  in  any  manner 
anywhere  in  the  world.  Copyright  infringement  liabili^  can  be  quite  severe. 

Äbout  Google  Book  Search 

Google's  mission  is  to  organizc  the  world's  Information  and  to  make  it  univcrsally  accessible  and  uscful.   Google  Book  Search  hclps  rcadcrs 
discover  the  world's  books  while  hclping  authors  and  publishers  rcach  ncw  audicnccs.  You  can  search  through  the  füll  icxi  of  ihis  book  on  the  web 

at|http: //books.  google  .com/l 


Google 


IJber  dieses  Buch 

Dies  ist  ein  digitales  Exemplar  eines  Buches,  das  seit  Generationen  in  den  Realen  der  Bibliotheken  aufbewahrt  wurde,  bevor  es  von  Google  im 
Rahmen  eines  Projekts,  mit  dem  die  Bücher  dieser  Welt  online  verfugbar  gemacht  werden  sollen,  sorgfältig  gescannt  wurde. 
Das  Buch  hat  das  Uiheberrecht  überdauert  und  kann  nun  öffentlich  zugänglich  gemacht  werden.  Ein  öffentlich  zugängliches  Buch  ist  ein  Buch, 
das  niemals  Urheberrechten  unterlag  oder  bei  dem  die  Schutzfrist  des  Urheberrechts  abgelaufen  ist.  Ob  ein  Buch  öffentlich  zugänglich  ist,  kann 
von  Land  zu  Land  unterschiedlich  sein.  Öffentlich  zugängliche  Bücher  sind  unser  Tor  zur  Vergangenheit  und  stellen  ein  geschichtliches,  kulturelles 
und  wissenschaftliches  Vermögen  dar,  das  häufig  nur  schwierig  zu  entdecken  ist. 

Gebrauchsspuren,  Anmerkungen  und  andere  Randbemerkungen,  die  im  Originalband  enthalten  sind,  finden  sich  auch  in  dieser  Datei  -  eine  Erin- 
nerung an  die  lange  Reise,  die  das  Buch  vom  Verleger  zu  einer  Bibliothek  und  weiter  zu  Ihnen  hinter  sich  gebracht  hat. 

Nu  tzungsrichtlinien 

Google  ist  stolz,  mit  Bibliotheken  in  Partnerschaft  lieber  Zusammenarbeit  öffentlich  zugängliches  Material  zu  digitalisieren  und  einer  breiten  Masse 
zugänglich  zu  machen.     Öffentlich  zugängliche  Bücher  gehören  der  Öffentlichkeit,  und  wir  sind  nur  ihre  Hüter.     Nie htsdesto trotz  ist  diese 
Arbeit  kostspielig.  Um  diese  Ressource  weiterhin  zur  Verfügung  stellen  zu  können,  haben  wir  Schritte  unternommen,  um  den  Missbrauch  durch 
kommerzielle  Parteien  zu  veihindem.  Dazu  gehören  technische  Einschränkungen  für  automatisierte  Abfragen. 
Wir  bitten  Sie  um  Einhaltung  folgender  Richtlinien: 

+  Nutzung  der  Dateien  zu  nichtkommerziellen  Zwecken  Wir  haben  Google  Buchsuche  Tür  Endanwender  konzipiert  und  möchten,  dass  Sie  diese 
Dateien  nur  für  persönliche,  nichtkommerzielle  Zwecke  verwenden. 

+  Keine  automatisierten  Abfragen  Senden  Sie  keine  automatisierten  Abfragen  irgendwelcher  Art  an  das  Google-System.  Wenn  Sie  Recherchen 
über  maschinelle  Übersetzung,  optische  Zeichenerkennung  oder  andere  Bereiche  durchführen,  in  denen  der  Zugang  zu  Text  in  großen  Mengen 
nützlich  ist,  wenden  Sie  sich  bitte  an  uns.  Wir  fördern  die  Nutzung  des  öffentlich  zugänglichen  Materials  fürdieseZwecke  und  können  Ihnen 
unter  Umständen  helfen. 

+  Beibehaltung  von  Google-MarkenelementenDas  "Wasserzeichen"  von  Google,  das  Sie  in  jeder  Datei  finden,  ist  wichtig  zur  Information  über 
dieses  Projekt  und  hilft  den  Anwendern  weiteres  Material  über  Google  Buchsuche  zu  finden.  Bitte  entfernen  Sie  das  Wasserzeichen  nicht. 

+  Bewegen  Sie  sich  innerhalb  der  Legalität  Unabhängig  von  Ihrem  Verwendungszweck  müssen  Sie  sich  Ihrer  Verantwortung  bewusst  sein, 
sicherzustellen,  dass  Ihre  Nutzung  legal  ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  ein  Buch,  das  nach  unserem  Dafürhalten  für  Nutzer  in  den  USA 
öffentlich  zugänglich  ist,  auch  für  Nutzer  in  anderen  Ländern  öffentlich  zugänglich  ist.  Ob  ein  Buch  noch  dem  Urheberrecht  unterliegt,  ist 
von  Land  zu  Land  verschieden.  Wir  können  keine  Beratung  leisten,  ob  eine  bestimmte  Nutzung  eines  bestimmten  Buches  gesetzlich  zulässig 
ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  das  Erscheinen  eines  Buchs  in  Google  Buchsuche  bedeutet,  dass  es  in  jeder  Form  und  überall  auf  der 
Welt  verwendet  werden  kann.  Eine  Urheberrechtsverletzung  kann  schwerwiegende  Folgen  haben. 

Über  Google  Buchsuche 

Das  Ziel  von  Google  besteht  darin,  die  weltweiten  Informationen  zu  organisieren  und  allgemein  nutzbar  und  zugänglich  zu  machen.  Google 
Buchsuche  hilft  Lesern  dabei,  die  Bücher  dieser  Welt  zu  entdecken,  und  unterstützt  Autoren  und  Verleger  dabei,  neue  Zielgruppcn  zu  erreichen. 
Den  gesamten  Buchtext  können  Sie  im  Internet  unter|http:  //books  .  google  .coiril  durchsuchen. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


I 


Professor  Karl  ^einrid?  Rau 

Or    THl    UHIVItIBITT    O»    HllOIl-BIlia 

PRESENTCD    TO    THE 
UNIVERSITY     OF     MIOHIOAN 

Xnx.  pijilo  parsons 

O«    OlTMOIT 


Google 


^/7^-=3;-^ 


TC 
233 


M,Googlc 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


BLUNTSCHLIS 

AlLGEMEINB 

STATSRECHT. 

ZWEITER  BAHD. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


n,g,t,7.dt,'G00gIc 


/ony 


ilLGEMEINES  i^^>\ 

STATSRECHT. 


BLUKTSCHLt 


DKITIE  mGEAKBEITETE  ADFUGE. 


ZVEHEB  BAID. 


MÜNCHEN. 
LIIEEAKISCE-ASTI8II8CHE  ANSIAIT 

DXK  1.  0.  COTTABCHSH  BÜCHBAmiLintGt 

1863. 

n,g,t,7.dt,  Google 


Buchdrutknci  d«r  J.  G.  CottMcbea  BuctalModladg  iD  StUtgort  tmd  Augtburg. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


Inhall. 

Seohatea  BnoL 

Die  SouTerttnetit  nnd  du  SutMiberlMiipt. 


C«p.            I.    Der  Begriff  der  SouTeränetät j    .    .    .  1 

Cft|i.           IL    Slklas(Hiverä]ie{ät  und  Regenten sonveTiliieUlt      ...  & 

Cap.         IIL           I.    Inhalt  der  StatasouTerinetlt      ......  11 

C«p.         IV.         IL    Die  Fflr«tenM)iveranet£t 21 

Cap.  V.    Du*  StatMberbanpt 

I.    Eatatehangsfonn«»  in  d«r  Monarcbie     ...  23 

Cap.         VL         11.    Da«  Erbrecht  inabcHUkdere 30 

Cap.        VIL    Persönliche  ErrocdemiaM  der  F&hi^kelt  »r  Thron* 

folge .    .     .  '  40 

Cap.      Vlll.        IIL    EntatehnDgaformen  in  der  Repnblik  .....  15 
Cap.         IX.    ürbergang  der  Verpfliehtnng  det  Regenien  auf  den 

Kachfolger 50 

Cap.           X.        IT.    BegrttDdong  der  Begentachaft   .    .    .'.'.'.  H 

Cap.        XI.         V.    VerlvM  der  Hemchaft 59 

Cap.        SIL        VL    Rechte.de*  SUMobcrh4apta. 

-    A.  Hajealllireubt« 63 

Cap.      Sin.                  B.  UnerratwartlkkUt  and'  Verantwortlich- 
keit       n 

Cäp.      XIV.                  C.  Begfiernogarec^ta.     -StFllTartratiiig    nach  . 

JkOHan     ,-..;..■...;.. 83 

Gap.       XV,    D.  Regiemngareehte.    InMre  flvwalt 

'  1.  Amt»-,  3.  ^RiilKrtielt      .    .     .  '.    i  '■.■.'■'■.  -i»! 

Gap.     XVL          3.  Hiliiir-,  4.  PoHMttuAait  ......    .    ;..  .»J 


,iP<.jM,Googlc 


TI  Isbalt. 

Seile 

Cop.     XVII.           5.  Die  Jiulitholicit 101 

Cop.  XVIII.  6.  Die  FiBaDztiobeit.   7.  Die  ObrraDrsicbt  8.  Die 

Sonce  t&T  die  ColtiirverbtU Inisse 106 

C«p.  ZIX.  9.  FormFD  der  AaBttbnng.  TeroHnnng  nnd  Bef«hl  110 
Cap.       XX.          10;  Ke  Ananshmsfewalt  der  Bcgiening.  Stattnolfa- 

rtcht lia 


Siebentes  Bach. 

Der  SlaltdifDst  and  das  tigentlii-he  Reghnriit. 

Cap.        I.     Die  Arten  nnd  die  rcclitlkhe  Vator  dei  Suitdienslea  .  1?U 

Cap.      II.    AoBteUnng  der  Sraudlener 125 

Cup.      III.    Rechte  und  Verpflichlnngen  der  SlklsbearoteD       .     .    .  132 

Cap.     IV.    Ende  de*  StaUdieostes 145 

Cap.       V.    Dae  SlaleminialeTlnro 153 

Cap.     VL    Vom  Slatarathe 163 

Cap.    VII.    Die  MUittifewalL  Dbb  (lebende  Heer  QDd  di«Uiidwehr.  167 
C«p.  VIIL    Die  Polizei. 

1.  Daa  Wesen  der  Poliie) 175 

Cap.     IX.       3.  Die  Qliedernng  und  die  Hooptl^inctloncn  der  Pnliiei* 

gewait    .     .     .     .   ' 183 

A(dites  iaxiL 

Vom  Gericht. 

Cap.     I.    Die  Natnr  und  die  Arten  de«  Oerkhis  . 200 

Cap.    II.    Oemdosame  Onindailze  für  die  RechlipOege      ....  306 

Cap.  KI.    Organiuition  der  Civüreclilspacge      ........  217 

Cap.  rv.    INe  Slralrecbttpfl^ 231 

Cap.    V.    Die  Oreniender  Gerichtsbarkeit.  Verwäliungsttreitiglteiten  240 

Nennte«  Bit^ 

Von  der  CaUarpfiegc  de«  StaU. 

Cap.    .    I.    VcrbAMnUx  de«  filott«  itir  Bcligion .    .  3>9 

Ckp,       n.         I.  DerSchnU  der  individvrileD  JteligionalVeibeit.  Be- 

kenntBiaafrelheit 369 

Cip.     IIL    IHe  rechtlichen  Sdinakm  der  Bekennbiiaifreibeit    .    .  279    . 

C«p.    IV.       n.  Von  der  8tai«r«ll(IOB .382 


iM,Coo<^le 


InhalL.  VII 

Mie 

Csp.       V:      III.  TerUllDiai  des  Statt  lor  Kin;i>e 2S9 

Cap.     Tl.            Reckte  des  modernen  Suis  mit  BuDg  auf  die  Kirche  SOS 

Cap.    VII.            Ton  dem  Aufaichtsredite  inabcflOBdere      ....  818 

CapL  VIII.    Der  SUt  im  Verhiltnifs  zvr  Wiwnwchaft  und  KaDBt  .  335 

Csp.     IXT    Der  Stat  und  die  VolkasdioJa .  313 

Cap.       X.    Die  Bernra-,  tecbniacbea  und  gelebrleD  Scbulen   .    .    .  ^3 

Cap.      XL    Die  UnivenitUeu 359 

Cap.    XII.     Die  Aliademie 370 

Zehntes  Snch. 

Die  Wirlbsclianspflegp. 

Cap.  I.  Art  and  SichtuDgen  der  WirttiBcbaflgpfl^e  ....  376 
Cop.       11.        L  FioejiziiobeiL 

Ä.  üoinittelbarM  Stattgnt 376 

Cap.      III.                 B.  Die  Regalien 384 

Cap.      IV.                 C.  Das  Recbt  auf  Gebübren  and  Ckfülle  ...  396 

Cap.    ""  V.                D.  Dae  Slenemcbt 402. 

Cap.      VI.                E.  Der  Suiecredit \    .  413 

Cap.    TU.       II.  Die  Volke wirthschaJIspflege. 

A.  Allgemeine  Aostalten 419 

Cap.  VIII.                 B.  Beeondere  AnEtelten 429 

EUftes  jBncb. 

Von  der  Oemeinde. 

Cap.     I.     Hietorische  Eioleilnng 447 

Cap.    II.     Die  reebtUebe  Natur  der  QetneiDde 466 

Cap.  III.     OrganismuB  der  Landgemeinde                    461 

Cap.  IV.    Organisation  der  Sladtgemelnde 468 

Cap.    T.     OemeindcbanD  und  Gemeinde verm&geo 481 

ZirSlftes  Bnoh. 

Freiheitarecbte. 

Cap.  I.  Daa  Recbt  d«r  Freibeit  nnd  die  Arten  derselben  .  .  .'  486 
Cap.       IL        I.  Individnell«  Freibedtarechte. 

A.  Schatz  der  Existeni ,  ....  493 

Cap.      in.                 B.  Der  IVele  Oebraath  dis  Körpers      ....  498 

Cap.      IV.                 C.  Freibeit  der  HeiDnngainazemng.  Preazfreibeit  &06 


n,g,t,7'jM,COO<^IC 


Vm  Inhalt.-. 

Edle 
Cap.      V.  D.  Schnti  dM  HaufrMeu  «nd  dn  CkIri  Vtr. 

kehra 515 

Cftp.     Tl.       n.  Ffflitiacbe  FKibdtntcht«. 

A.  Ton  der  Rwblagleiohbrit UO 

Qtp.    TIL                 B.  Recht  m  Prtitionni  nnd  BMchwerdcn      .    .  (27 

Ckp.  TUL                 e.  Das  Trreiiureetit »31 

C^i.     IX.                D.  Die  ToHuversatnmlungFn M5 

Cap.       X.                E.  Das  Recht  des  Widenlandts Ml 


n,g,t,7rJi-,G00glc 


Die    Souveränetöt    (Stalshoheit)    und    da 
Statsoberliaupt. 


Erstes  CapiteL 

Der  Begriff  der  Soiiveräoelät  (StaUholieit). 

Der  Name  und  der  Begriff  der  SoaverAneUU  ist  zanächet 
romanischen  Ursprungs.  SourerftnAIAt  (supremitas  in  dem 
Latein  des  Hittelaltere)  bedeutet  oberste  Statsgewalt, 
höchste  Statsmacht  (Buprema  poteslas),  und  SoarerAn 
wird  genannt,  wem  dieselbe  zu  setbatAndigem  Rechte  zusteht. 
Beitdem  Bodin  diesen  BegrifT  zuerst  in  dem  Geiste  des 
frsntfisischen  KCnigthums'zn  einem  Grundbegriff*  des  Slals- 
recbtB  erhoben  und  wissenschailhch  au^ebildet  hat,  hat 
derselbe  einen  sehr  grosEen  £influsz,uuf  die  Statslehre  und 
die  Statspraxis  getkbt. 

Von  den  meisten  Publicisten  der  letzten  Jahrhunderte 
wurde  die  Souveränetat  in  absolutem  Sinne  verstanden, 
als  völlig  unabhängige  und  unbegränzt  herrschende 
Statsgewalt.  In  dieser  ÄufTassung  stimmte  Ludwig  XIV.  von 
Frankreich  mit  dem  französischen  Convente  von  1793  völlig 
Uberein.  Beide  sagten  von  sich :  wir  sind  der  Stat  und  der 
■luDiMhlt.  iSgeowtDnSlaUracM.    II.  1 


iM,Coo<^lc 


2  Seelules  Bach.    Die  SouveräaeUt  und  du  Statsoberbaupt. 

Stat  ist  allDiächlig.  ■  Beide  mit  Unrecht  Der  moderne  Re* 
l>r&sentativ8tat  weisz  nichts  von  einer  absoluten  Statsgewalt 
und  eine  absolute  Uuabhängigkeit  gibt  es  überall  nicht  auf 
Erden.  Weder  die  politische  Freiheit  noch  das  Recht  der 
Übrigen  Organe  und  Bestandtheile  des  Stetes  vertragen  sich 
mit  einer  solchen  schrankenlosen  SouveränetAt ,  und  wo 
immer  Menseben  versucht  haben  dieselbe  zu  Oben ,  da  bat 
auch  die  Geschichte  solche  Anmaszung  verurtheilt.  Selbst 
dem  State  als  einem  Ganzen  kommt  solche  Allmacht  nicht 
zu;  denn  auch  er  ist  nach  aussen  durch  das  Recht  der  Qb> 
rigen  Staten  und  nach  innen  durch  die  eigene  Natur  und 
durch  das  Recht  seiner  Glieder  und  der  Indiriduen  in  ihm 
beschränkt.' 

Die  deutsche  Sprache  hat  keinen  völlig  entsprechenden 
Ausdruck.  Die  „Obergewalt"  oder  wie  die  filtere  Stets- 
sprache in  der  Schweiz  lautete  »der  höchste  und  gröszte 
Gewalt" '  bezeichnet  nur  die  Autorität  nach  Innen,  nicht 
zugleich  die  Selbstfiiidigkeit  nach  Äuszen.  Das  Wort  „Slats- 
hoheit"  umfaszt  beides,  aber  vorzugsweise  im  ninblick  auf 
die  Wurde.  Doch  gewährt  dasselbe  den  Vortbeil ,  dass  sich 
weniger  als  an  den  Namen  Souverfinetfit  die  falsche  Vor- 
stellung des  Absoluten  anknüpfen  läszL 

Die  Souverftnetfit,  Stetehoheit  bedeutet  Unabhängig* 
keit,  Machtfülle,  Ueberordnung  und  Einheit  der Stets- 
gewalL    Die  wesentlichen  Erfordernisse  derselben  sind  also: 

■  Tkim ,  faiBt.  de  ta  Riroi.  Cranc.  11 ,  p.  200  von  der  Aneicbt  der  Ja- 
cobiiter:  ^Die  Nation  kann  nie  aar  ihi'«  BefugmiBz  venicbien:  Alles  tu 
Ibun  und  Alles  tn  wollen  zu  Jeder  Zeil;  diese  Befagniai  licyriliidet  ihre 
Allniacbt  (sa  toutepiiiasance),  nnd  dieae  ist  unveräugzerlicli.  Die  Na- 
tion bat  sidi  daher  Ludwig  XIV.  nicht  verptlichteu  Itunnen.' 

'  Hannoverische  Erkl&rung  von  1814  bei  Hormayr  Lebensbilder 
I,  8.  111:  „lu  dem  Begriffe  der  So uTertnelüts rechte  liegt  keine  Idee  der 
Despotie.  Der  Köuig  von  Qposzbritannien  ist  anlftngbar  ebenso  eouverin 
als  jeder  andere  FUrst  in  Europa,  und  die  Freiheiten  seines  Volks  befesti- 
gen seinen  Thron,  anstatt  ibn  tu  untergraben." 

'  Blamer  Rechtsgeacb.  der  Scbweiier  Demokratien  II.  14a  lil. 


iM,Coo<^lc 


Ereln  Gapltel.    Der  B^riff  d«r  SonverftnetU  (SlaUhohelt).  ^ 

1.  Unabhängigkeit  der  Statsgewalt.  Zwar  iiieht  in 
Rbiolatem,  aber  in  dem  relatäreB  Sinne,  dan  dieselbe  nicht 
äner  anderen  JjfiieDlIicben  Gewalt  untergeordnet  oder 
naterthfioig  sa,  aiao  weder  einein  ftvoKlea  State,  noch 
einer  Behörde  oder  einem  Körper  im  State.  Die  relative 
Beschrfinkung  aber,  sei  es  durch  das  .Völkerreclit  oder  das 
Bundesrecht,  sei  es  dui-ch  die  erforderliche  Znstiniuiung  an- 
derer Behörden  oder  repHtsentativer  Körper,  ist  nicht  damit 
im  Widerspruch. 

2.  Fülle  statlicher  Hoheit  und  Macht.  Zwar  hat 
mao  frDher  wohl  auch  von  „soureränen  Gerichtshöfen"  (cours 
soirveraines)  gesprochen,  von  denen  es  keine  Berufung  mehr 
gab  an  eine  höhere  Instanz.  Aber  dieser  Sprachgebrauch, 
welcher  auf  ein  einzelnes  Merkmal  der  SouverftDet&t  einen 
eineeiligen  Nachdruck  legt,  ist  nicht  zn  billigen.  WOrde 
jeder  Beamtung  im  State,  insofern  es  von  ihr  keine  Berufung 
an  eine  vorgesetzte  Behörde  gibt,  Souveränetät  zugeschrie- 
ben ,  so  wfirde  damit  dieser  Begriff  seiner  intensiven  Kraft 
beraubt  und  in  eine  Menge  unzusanmienhftngender  Souve- 
rfinetätstheile  zersplitterL 

3.  Ferner  ist  die  souverAne  Mticht  ihrer  Natur  nach  die 
oberste  im  State.  Es  kann  somit  keine  andere  statliche 
Gewalt  in  dem  Statsorganismus  ihr  tibergeordnet  sein. 
Die  französischen  Seigneurs  des  Mittelalters  hörten  anf  „Sou- 
veräne" zu  sein,  als  sie  in  den  wesentlichen  Beziehungen 
statlicher  Selbständigkeit  und  Hoheit  dem  Könige,  ihrem  ' 
Leheneherro ,  sich  wieder  unterordnen  niuszten.  Die  deutschen 
KurfÖrsten  konnten  seit  dem  XIV.  Jahrhundert  Souverftnetftt 
in  ihren  Ländern  behaupten,  weil  sie  in  Wahrheit  die  oberstä 
Statsmacht  in  denselben  eu  eigenem  Rechte  besaszen.' 

*  Die  fru>tt«iwhe  Bezelchnang  der  Landeshoheit  der  tlcaUehen  Reicbs- 
niraten  und  RefchsstildtB  in  dem  Eotwiirfb  dee  weitphäliechen  FhedenB: 
„que  u>at  les  prince«  et  B>tst«  eeront  maiateniiB  dans  toaa  lee  autres  droits 
de  aoMtwrat'tvM ,  qni  lenr  appartienDanl"  war  damals  fllr  Deutschland  neu. 


iM,Coo<^lc 


4  StcbalV  Bacb.    Die  SotivetineUlt  nod  du  SlaUob«rIiaopt. 

4.  Da  der  Stat  eio  organiscbfir  Körper  ist,  so  ist  Ein- 
heit der  SouverftuetAt  ein  Erforderniaz  seiner  Wohlfahrt.^ 
Die  Spaltung  der  Souveranetftt  fuhrt  in  ihrer  Consequoiz 
zur  Ivähmung  oder  Auflösung  des  States^  und  ist  daher  mit 
der  Gesundheit  des  States  nicht  vertr^lich. 

Aamerkiingen.  T.  Roiieseau,  deasen  Lehre  von  der  rraiiiüel- 
«eh«!!  RevolatiOD  tn  die  Thst  über»etzt  wurde,  gründete  die  SouveT&neUl 
wif  den  nbllgemeineu  Willen"  (1&  voIodU  gin^sle)  und  aabatituirte 
BO  irrtfaümlicli  der  snprema  jtolftlai  die  saprema  vobailat-  Aq»-  dietem 
Orunde  erklärt  er,  im  Widerspruch  mit  der  Uescliichte,  die  Souveränetät 
far  an veräuazerlicb,  denn  „wohl  lasse  sich  die  Macht,  nicht  sb«r 
der  Wille  UberlrtLgen."  Conir.  aoc,  ll.  1.  Dieser  erat«  OraDdimhiun, 
welcher  daa  Recht  ala  Willkür  Taazt  und  in  demselben  nur  das  Prodact 
des  Willens,  nicbt  aach  dessen  noihwendige  Vorbedinguag  und  Schranke 
erkennt,  welcher  vou  dem  „Sollen"  nichts  weii>z,  war  ungemein  Truchl- 
bar  an  neuen  IrrthÜmem.  Der  Witte  ist  eine  Entfaltung  und  Aeusierang 
das  menschlichen  Qaistes  und  Geraüthes,  nicht  aber  wie  die  Souvcränetat 
eine  Recb tsins Ei tution  des  States.  Der  Wille  kann  wohl  die  Aus- 
übung des  Rechtes  beseelen,  auch  wohl  Veränderungen  iu  der  Rechts- 
ordnung hervorbringen,  aber  er  isl  für  sich  keinliecht.  Der  Wille  de« 
Sonverüna  seilt  die  SouTeränetäl  voraus,  oicbl  urogekebri  diese  Jenen. 

%     Der  Oedanke,   dasi   die  Souveränetäl  die  Quelle   des  SUiles  and 
der  Rechtsordnung   und  demgemaaz   der   Souverän   über   dem   State  sei, 
ist  unlogisch.    SCstamacht  und  Stalshoheit  lasaeu  sich  nur  denken,  wenn    < 
man  den  Slat  voraus  denkt.    Die  SouverHnetät  ist  daJier  ein  stalarechl- 
licher,  nicht  ein  Uberslatarechtliclier  Begriff. 


und  die  Abaicbt  weiterer  Lockerung  dea  Reichtverbandes  in  dem  Worte 
ficlitlich  dsi^egi;  aber  dem  Wesen  nach  hatten  schon  lange  vorher  die 
meisten  deutschen  Länder  in  der  Tliat  wenn  ancli  nur  eine  unvollkommene 
Souveranetät  erlangt. 

"  Imman.  Herrm.  Fichte,  Beiträge  tur  StaUlehr«,  1846,  geht 
nber  zu  weit,  wenn  er  die  Sonveränetat  geradezu  ala  „Einheit  der  Re- 
gierung" erklärt.  Die  Machlfülle  und  Hoheit  ist  immerhin  der  wesent- 
liche Inhalt  der  SouveräDetäl. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


Ziveitn  Capild.    StBtaMUveranellt  und  RfgenteneoiiveritDelfit. 

Zweites  GapltdL 

fitatsaouverauetät  (Volkuonveränel&t)  und  Rrgeiiteiisoui 


Wem  kommt  die  Souver&netttt  zu?  Die  Parteien  sind 
gendgt  auf  diese  Frage  in  ganz  Terschiedeuem  Sinne  zu  . 
antworten,  und  auch  die  Wissenschalt  liat  mancherlei  Schwie- 
rigkeiten aus  dem  Wege  zu  rAumen  und  Vonirtheile  zu 
ftberwinden,  bis  ea  ihr  gelingt^  zu  einer  einfachen  und 
wahren  Lösung  hindurch  zu  dringen. 

1.  Eine  besonders  seit  Rousseau  und  der  französische» 
Revolution  s«hr  verbreitete  Meinung  antwortet:  Dem  Volke 
und  bekennt  sich  fUr  das  Princip  der  sogenannten  Volks- 
soureränetät. 

Da  fragt  sich  aber  voraus:  Was  versteht  sie  unter  dem 
„Volk"?  Die  einen  verstehen  darunter  lediglich  die  Snmme 
der  lodividaen,  die  zum  ^Kate  sich  zusammen  finden,  d.  h. 
sie  lösen  im  Gedanken  den  St«t  in  seine  Atome  auf  und 
sprechen  der  unorganischen  Masse  oder  der  Mehrheit  dieser 
Individuen  die  höchste  Gewalt  zu.  Diese  äusserste  radicale 
Meinung  ist  Offenbar  im  Widerspruch  mit  der  Existenz  des 
States,  welche  die  Grundlage  der  Souveränetät  ist.  Siq  ist 
daher  mit  gar  keiner  Statsverfassung  vereinbar,  auch  nicht 
mit  der  absoluten  Demokratie,  welche  sie  zu  begründen 
vorgibt;  denn  auch  da  übt  wohl  die  geordnete  Volksver- 
sammlung (Landsgemeinde),  nicht  aber  die  atomisirte  Menge 
die  Statsgewalt  aus. 

Die  andern  denken  dabei  an  die  gesammte  gleiche 
StatsbUrgerschaft,  welche  in  Oeuieinden  versammelt 
ihren  Willen  ausspricht,  d.  h.  sie  denken  an  die  Souveräne- 
tät  des  Demos  in  der  Demokratie.  Beschränkt  auf  diese 
Statsform  hat  das  Princip  einer  so  verstandenen  Volks- 
souveränetät  einen  Sinn  und  eine  Wahrheit;  es  ist  dann  mit 
Demokratie   sogar  wörtlich  gleichbedeutend.     Schon  Rlr  die 


n,g,t,7.dt,G00gIc 


6  Sedulci  Bneh.    Die  Souverttnelät  nDd  du  StatMberfaanpL 

ReprftseDtatirdemokraüe  aber  verliert  der  Satz  grossen  Theils 
seine  Anwendunj^,  weil  in  der  regtelniftszigen  Thatigkeit  die 
oberste'  Macht  nicht  von  der  But^erschaft  unmittelbar,  son- 
dern nur  mittelbar  von  den  Repräsentanten  derselben 
ausgeübt  wird.  Gans  unvereinbar  ist  derselbe  mit  allen 
findern  Statsformen ,  denen  sie  die  sonderbare  ZumuUiung 
macht,  dasz  das  Statshaupt  sich  dem  niedrigsten  StetsbUrger 
gleich  stelle,  und  die  Regierenden  sich  als  Minderheit  der 
Hehrheit  der  R^ierten  unterordnen.  Sie  weist  im  Stats- 
körper  den  Füszen  die  Stellung  des  Kopfe«  an  und  diesem 
den  Platz  der  FQsze. 

Zuweilen  werden  auch  die  beiden  Meinungen  nicht 
scharf  unterschieden,  sondern  gehen  in  einander  Über.  Die 
eine  ist  anarchisch,  die  andere  ist  absolut  demokratisch. 
Dennoch  behaupten  ihre  Vertheidiger  gewöhnlich  die  All- 
gemeingUltigkeit  derselben.  Das  aber  ist  gerade  das 
Oeflthrliche  dieser  Theorie,  das«  ihre  Anerkennung  den  voll- 
slAndigen  Umsturz  aller  andern  Statsfbrmen,  mit  einziger 
Ausnahme  der  unmittelbaren  Demokratie,  nnd  die  Umwand- 
lung jener  in  diese  im  Princip  voraussetzt  und  fordert. 

Dieselbe  ist  daher  wohl  schon  von  ganz  entgegenge- 
/setzlen  Parteien'   verfochten   worden,   aber  immer  nur  von 

'  Wir  erionern  bier  totbus  an  die  Theorie  iIm  Jeauileugenerals  Lai- 
nei  und  der  Jesaiteo  Bellarrnin  und  Hari&ii&,  welche,  in  der  Ab- 
licht die  Oberheirlichlceit  der  Kirche  über  den  Siat  in  begründen,  und 
auch  die  Könige  dem  Pnpale,  der  allein  von  Gott  «eine  Qewalt  emprange, 
nicht  wie  Jene  von  der  Menge  dea  Tolkea,  zn  anlerwerfen,  die  Volka- 
aouvcränetll  in  Schutx  nahmen.  Vergl.  darüber  L.  Ranke'B  hi«(.  pulit. 
ZeilMhr.  II,  8.  606  ff.  Eintlaeareicher  aber  war  in  neuerer  Zeit  die  Aua- 
ruhrUDg  dieser  Lehre  durch  RouBBesn.  iCr  nenut  das  ans  alten  Eiu- 
celnen  gebildete  Volk  den  Souverän.  Nach  ihm  ist  jedes  Individuum 
ingleich  ein  Theilhaber  der  SanverttneiHt  und  hinwieder  ein  Unlertban 
des  Sonverün»,  und  da  er  die  Sonveränetät  fiir  den  allgemeinen  Willen 
nnd  dicaen  für  nnverüuszerlich  erklärt,  »o  kommt  er  conseqnent  in  dem 
8aUe,  dasi  die  Hehrheit  jederzeit  berechtigt  sei,  der  b-siehenden  Obrig- 
keit den  Oehorsam  aurzuktindigen,  diese  tu  enlsetMn  and  die  Verfassung 
beliebig  la  Kndem.     Indem  sie  das  thut,    übt   sie  nach  Rousseau  nnr 


iM,Coo<^lc 


ZWdtn'CBpllel.    StMHODVflräneUt  nnd  Regenten rouveräiieUlt.         ^ 

soioben,  wenn  andera  mit  Bewuszinein,  welche  mit  der  be- 
stehenden StBtsordnui^  oder  Statsregieninp  nnzurrieden  die- 
selbe  zu  untet-graben  abd-xu  staraflo  strebten.  In  der  Hand 
der  französischen  Rerolation  war  dieselbe  daher  atidi  eine 
Itirchtbare  Waffe  der  Zerstörung.  Schon  die  Nationalver- 
SBintnlang  in  ihrer  Kriegserklärung  tooi  20.  April  1792  ver- 
b&ndete  die  Rousseau'edie  Theorie  offidell:  „Ohne  Zweifel 
bat  die  fVanzfiaische  Nation  laut  erklärt,  dasz  die  Souverän 
netat  nur  dem  Volke  zugehört,  welches  in  dar  Ausübung 
seines  höchsten  Willens  dnrch  die  Rechte  der  folgenden 
Geschlechter  beschränkt,  keine  unwiderruriiche  Macht 
abertragen  kann;  sie  hat  ofifen  aberkannt,  dasz  kein  Her- 
kommen, kein  gesetzlicher  Ausspruch,  keine  Willenserkltt' 
rang,  kein  Vertn^  eine  Gesellschaft  von  Menschen 
einer  Autorität  unterwerfen  kann,  so  dasz  sie  nicht  mehr 
das  Recht  hätte,  dieselbe  zurückzunehmen.  Jede  Nation  hat 
allein  die  Macht,  sich  ihre  Gesetze  zu  geben,  und  das  unr 
veränsserliche  Recht,  dieselben  zu  ändern.  Dieses  Recht 
gebohrt  entweder  gar  keiner  oder  allen  mit  vollem  Fuge." 
Der  nachherige  Conreiit  enthUUte  die  weitem  Consequenzen 
dieses  Princips  nach  der  Zerstörung  des  Königthums.  "* 

Aber  auch  in  unsem  Tagen  haben  wir  wieder  die  that- 
s&chliche  Verkündigung  de^  nämlichen  Grundsatzes  auf  dem 
Stadthaiue  zu  Paris  erlebt.  Durch  einen  solchen  soureränen 
Act  der  aufgeregten  Pariser  Bevölkerung  wurde  im  Februar 
1848  die  constjtuüonelle  Monarchie  abgoschafTt,  die  Republik 

,Acte  ihreräouver&Detät"  ans,  and  vorder  leibhafleo  Manirestation 
eioes  so  geiDMerten  Volkawilleaa  verschwindet  aueh  die  abgeleitete 
Aoiorilit  der  Stell verlretuDg  des  Tolkn  in  den  Nn tionalverssitira- 
lungen  in  Nichta.  Das  Volk  aber  kann,  wie  Rousaean  loeiat,  «ich  selber 
oicfat  binden  weder  durdt  Verfassung  nocli  durch  Geselae,  dann  diese 
nnd  nnr  AeiuiemngeD  seines  Willen«,  die  so  lange  gelten  als  dieser 
Wille  selbst  sie  aufrecht  erhallen  will.  —  DaS£  mit  dieser  Lehre  die 
Fwtdaner  der  Recblsordnong  nicht  besteben  kann ,  and  solche  Freiheit 
idine  Bestand  und  ohne  Trene  Ist,  bedarf  keines  weitem  Beweises. 


iM,Coo<^lc 


g  8Mha>M  Buih.    Dfc  Soaveriwl«!  Bnd  dm  SUttobtrhmpL 

procluniirt  und  die  Dictatur  eines  improvisirtoa  R«gieru»g«- 
ausschusses  eingeaeUt.  In  einer  ron  Lftmartine  «eiber 
redtgirten  ofüciellen  Eundmacbunif  heint  es  wörtlich:  „Je- 
der Pninxoce,  der  da«  UaiineAslter  erreicht  hat,  ist  ßtats- 
bUrger,  jeder  BOt^er  ist  Wfihler.  Jeder  Wähler  iat 
Sourerän.  Das  Recht  ist  gleich  und' ea  ist  ein  absolutes 
tür  Alle.  Es  kann  kein  Bürger  zum  andern  sageu :  Du  bist 
in  höherem  Musze  Sourei-än  als  ich.  ErwOget  Eure  Uacht, 
bereitet  Euch  dieselbe  ausKuabeo  und  seid  würdig,  in  deu 
Besitz  Elnrer  Herrschaft  einzotreten."^ 

2.  Zwar  wohlgemeint  aber  unbeflnedigend  sind  die  Ver- 
suche einzeln«!-  franKösischer  Slatsniänner,  dem  rerderblicben 
Begriffe  jener  Volkssouverftnetät ,  welcher  entweder  alles 
Statsrecht  Huflöst,  nni  die  Ststslioheit  zu  begründen,  oder 
alle  Slaten  in  Demoki-alien  verwandelt,  den  einer  SouverA- 
netüt  bald  der  Vernunft  bald  der  Gerechtigkeit  ent- 
gegenzusetzen. '*  Durch  HinweisuTig  auf  jene  oder  diese 
gedachte  man  dem  Miszbrauche  zu  begegnen,  welcheu  das. 

*  LamaHint,  hisloire  de  la  r^olntion  de  1848.  II,  p.  149. 
■  Z.  B.  Royer-Üollard  in  der  Rede  vom  27.  U&i  1830:  „Ea  gibt 
v.wei  Elemente  in  der  OeaellKliBfl:  das  eiue  ein  miterielles,  d.  b.  da« 
Individnnm,  «eine  Kraft  und  sein  Wille  (ist  deou  das  Individiiiira, 
seine  Kraft  und  eein  Wille  niHLeriell?  Und  iat  iiicbt  aucli  hier  wieder  der 
alte  Irrthnni  wahrnehmbar,  daai  vom  Individuum  ans  daa  StaUrecht  be- 
alimmt  werde?);  daa  andere  ein  morHliachea.  d.  fa.  das  Recht,  welebea 
-  ana  den  berechtigleo  Verhattoiaaen  hervorg«hL  Wollen  Sie  die  üeaell- 
»chaft  aus  dem  materiellen  Elemente  ableiten?  Die  Mehrheit  der  Indi- 
vidneii,  die  Hehrheit  der  Willeil  aoll  der  Sourerün  »ein.  Da«  iat  die 
Tolksfonveräneiftt,  Wenn  mit  Willeo  oder  gegen  ihren  Willen  diese 
Uinde  und  gcwaltoane  SonverKnetät  in  die  Hand  eines  Eiotelnen  oder 
einer  Clasae  ütiergeht,  ohne  ihren  Charakter  tn  indem,  so  wird  ai«  iwar 
in  einer  woiaaren  und  gemiszigleren  Macht,  aber  aie  bleibt  immerhio 
rohe  KraR.  Das  iat  die  Wuriel  der  abeolaten  Macht  und  der  Privilegien. 
Wollen  aie  im  Gegeiitheil  die  OesollKhaft  auf  daa  moralische  BUement, 
d.h.  dasRarht  b«grtlnden?  Dann  ist  die  Gerechtigkeit  der  Soavertn, 
weil  die  öerechtigheit  die  Regel  de«  Rechts  ist.  Die  freien  Verfassnogen 
liabeii  den  Zweck,  die  rohe  Kraft  y.n  entthronen  nnd  die  Gerechtigkeil 
zur  Herracliafl  zn  erheben." 


iM,Coo<^lc 


Zw^tn  CkpHe).    SteMoaverümUt  ant)  RtgenteiwoaTeriDetät.         9 

Volk  TOM  der  SouvörSnetftt  machen  möchte.  All^n  iHese 
Vorstellung  Übersieht,  daaz  das  Recht  nur  der  Person,  dttfi 
fltatliohe  Hobeilarecht  nur  einer  etatlichen  Persönlich- 
keit sukooimM  nnd  vx)o  dieser  nach  Grundsätzen '  der  Ver- 
nunft und  Gerechtigkeit  ausgeübt  werden  kann.  Dem  Irr- 
Anm,  der  in  der  absoluten  Demokratie  die  alleinige  Grund' 
form  des  States  erkennt,  tritt  hier  der  Irrthum  derldeokratie 
ailgegen,  in  der  wohlgemeinten  Abeicht,  die  Volksmehrheit 
(tnrch  die  Herrschaft  der  Idee  zu  leiten.  Aber  es  bleibt 
dieser  Widersprach  erfo^los,  wdl  die  Macht  der  Pel^önlich- 
k^l  slftrker  ist  als  alle  Fiction. 

3.  Eine  andere  Meinung  nennt  die  als  Einheit  ge- 
dadite,  zwar  noch  nicht  oder  nicht  zureichend  organisirte, 
aber  der  Organisation  üfthige  Nation  mit  ihren  Instincten, 
Ütrer  Sprache,  ihren  Gefühlen,  ihren  socialen  Gegensätaen 
das  Volk  und  spricht  der  Nation  das  Recht  zu,  den  Stat 
heliebig  umzubilden. 

Wir  haben  in  der  „Nation"  die  Anlage  aur  Volks- 
bildung, d.  t.  zum  State  anerkannt  (Buch  II.  Cep.  2)  und 
Dinssen  daher  zugestehen,  dasz  damit  mittelbar  auch  die 
Anlage  «nr  Ausbildung  der  Statshoheit  anerkannt  ist.  Aber 
nicht  mehr  als  die  ursprüngliche  Kraft,  noch  nicht  ihre 
Bethfitigniig,  die  leere  Möglichkeit,  noch  nicht  ihre  Verwirk- 
lichung. 

Die  Volkssouveränetftt  in  diesem  Sinne,  oder  wie  sie 
nach  dem  deutschen  Sprachgebrauch  richtiger  genannt  wUrde 
die  Nationalsouverünetät  ist  demnach  ein  unreifer,  unent- 
wickelter, Torstatlicher  Gedanke,  der  erst  die  Statenbildtmg 
abwarten  musz,  nm  dann  in  statlicher  Gestalt  wirklich  zu 
werden. 

4.  Han^kann  aber  nnd  man  musz  sogar  das  Volk  in 
«tätlichem  Sinne  verstehen,  als  die  geordnete  Gesamnit- 
heit  in  Haupt  und  Gliedern,  die  wir  als  die  lebendige 
Seele  der  Statspersönlichkeil  anerkennen. 


iM,Coo<^lc 


10        BtAtM»  Bnth.    Die  SonventMtit  nnd  das  3tataoberbMipt.  . 

Inwiefern  der  Stot  als  Person  erscheint,  insofera 
kommt  ihm  ohne  Zweifel  Uoabhftngigkeit,  UftchtfUlte,  höehate 
Autorität,  Einheit  d.  h.  SourerflnelAt  zu.  Der  Stftt  als  Person 
ist  sourerftn.  Deszhalb  nennen  wir  diese  SouverAnetät 
Statssouveränetät 

6ie  ist  nicht  vor  dem  State,  noch  auszer  dem  State,  noch' 
Aber  dem  State,  sie  ist  die  Macht .  und  Hoheit  des  States 
selbst.  Sie  ist  das  Recht  des  Ganzen  und  so  gewisz  das 
Ganze  m&chüger  ist,  als  ii^nd  ein  Theil  des  Ganzen,  so 
gewisz  ist  auch  die  SouverftnetAt  des  ganzen  States  der  Sou- 
veränetat  eines  einzelnen  GUedes  im  State  Uberl^en. 

Wäre  nicht  die  Sprache  durch  die  ParteikAmpre  ver- 
wirrt, so  könntet)  wir  diese  Statssouverflnetat  schicklicher- 
weise VoIkssouTerftnetät  heiszen ,  indem  wir  unter  Volk 
nicht  eine  aufgelöste  Menge  ron  Individuen,  sondern  die 
pcjHtisch  gegliederte  Geeammtheit  verstehen,  in  welcher  das 
Haupt  die  oberste  und  jedes  einzelne  Glied  die  seiner  Natur 
gemOsze  Stellung  und  Aufgabe  bat.  In  diesem  Sinne  haben, 
französische  Publicisteo  —  nach  dem  entgegengesetzten 
Sprachgebrauch  der  Franzosen  und  der  Deutschen  —  diese 
SouverftnetAt  auch  wohl  „Souverainetä  de  la  nation"  ge^ 
nannt  *  GegenwArtig  aber  wäre  jene  Bezeichnung  den 
heftigelen  Miszverständnissen    au^esetzt,    und  daher  habeu 

*  Stüve,  SeadschreibeD  TODl84a:  „DenSfttz,  dux  dem  Volke,  d«r 
Nation:  Souveränelät  zaatehen  inüMe.  wird  Niemand  beslreiten,  sobald 
man  die  wahre  Qeaaminthelt  der  Nation  ia  ihrer  verfaBsangsmäszt- 
gen  Geatalluiig,  aleo  Ffirat  und  Volk,  als  das  Sabjeet  der  Souverä- 
BtVItt  betrackwt.  Maclil  man  aber  den  Anapruch,  duz  oicbi  das  Qaose 
einer  »olcbea  festgegliederlen  Ordnung,  aondem  ii^nd  ein  einzelner  Theil, 
«ei  ea  der  Fürat,  der  da  ruft:  Ich  bin  der  8lat,  oder  das  Parlament,  weU 
cbea  den  König  entfernt  oder  wohl  gar  die  bloaze  Henge  der  Individuen 
im  Lande  da«  Volk  aiiBmachen,  ao  iat  der  Begriff  in  alch  unwahr  und 
jede  Folgerung  au«  dem  Unwahren  fiilirt  zum  Verderben."  Sinnondi, 
tlndtM  I,  p.  88  imteracheidet  ebenso  icbarf  iwiscLen  der  „gouverBiucie 
da  penple,"  die  er  verwirft,  und  der  „Miiveraineli  de  la  nation,"  die  er 
anerkennt. 


iM,CoO<^lL' 


ZweitM  ChpHd.    StttasmiTerilMtllt  tni  R^enteBaonveriiacUt.      1 1 

«ir   den    unTerftngliehen    Ausdruck    Statuouverftnetfit   ge-  - 
v&hlt. 

Dieae  Btatssouveränetät  zeigt  sich  nach  Aussen  UDd  im 
Innern,  dort  als  Selbständigkeit  nod  Unabhängigkeit  eines 
jeden  Einselstates  im  Verh&ltnisE  zu  den  uidern  Einsel- 
staten ,  beriehnngsweise  aucli  des  Weltstates  gegent)ber  der 
Kirche,  hier  als  geset^^beude  Macht  des  ganzen  geordneten 
VdkskOrpers. 

In  diesem  Sinne  pflegen  euch  die  Engländer  ihrem  Par- 
lamente, an  dessen  Spitze  der  König  steht,  und  welches  das 
geeammte  Tolk  darstellt,  Souverftnetat  luzuschrüben.^  Es 
ist  das  aber  nit^t  etwa  eine  EigenthUmliebkeit  des  eng- 
lischen Statsrechts,  sondern  eine  Grundansicht  der  modernen 
'  BeprfigenlatiTrerfossang  Überhaupt,  welche  den  Fürsten  zwar 
ids  Haupt,  aber  gerade  deszhalb  auch  als  ein  Glied  des 
Volkes  betrachtet  und  welche  die  höchste,  auch  thatsfich- 
liehe  Austtbuug  der  Souveränetfit,  die  Gesetzgebung  nicht 
dem  Haupte  allein  zugesteht,  sondern  nur  dem  Haupte  in 
Verbindung  mit  dem  repräsentativen  Körper,  d.  h.  nur  dem 
ganzen  Statskßrper.  Die  patrimoniale  Statslehre,  welche 
den  Stat  wie  ein  Eigenthum  des  Fürsten  ansieht  und  daher 
nur  dem  Fürsten  Souverftnetät  zuschreibt  und  die  absolu- 
tistische S(at«lehr«,  welche  den  Stat  mit  dem  Fürsten  identi- 
fieirt  und  daher  die  Statssouveränet&t  als  FurstensourerftuetAt 
faszt,  verkennen  beide,  dasz  alle  Macht  des  Fürsten  wesent- 
lich   nur    coßcentrirte    und    zusammengefaszte   Volksmacht 

*  Dlewr  Gedanke  ist  ber«ila  in  einer  Bede  des  KÖDJgs  Heiorieb  Vlll. 
*on  England  im  PariameDt  anageaprochen:  „Oleicherwrise  vernehmen  wir 
von  den  Ricblem,  daai  aoaere  königliche  Würde  nie  erhabener  siebt,  als 
während  der  FarlainentSTeraainnilnngen ,  wo  wir  als  Hnnpt  and  ihr  als 
OKeder  dermaszen  in  einem  politiachen  Körper  verhandea  und  vereinigt 
aiad,  d«Bz  nnMrer  eigenen  Feracm  nnd  dem  geaemmlen  Parlament  für 
gcaeliehen  und  aogelbsn  gilt,  waa  auch  nnr  dem  geringalen  Hilgltede 
de«  Haiiaea  widerTährL"  John  Kuaaell,  QeacJiicbte  der  engliacheo 
Verfaaaang  elc  3. 


iM,Googlc 


IS        SflolutM  B«b.    Die  SovreräiicUt  nnd  Am  SUlmberbuipt. 

ist  und  dasz  das  Vulk  nnd  der  ätat  als  Rechtewesön 
bleibt,  weun  gleicli  Fürsten  fiiUeD  und  Dynastien  junter' 
g:ehen. ' 

5.  Ausser  dieser  dem  ganzen  State-  oder  Volkskörper 
sdbet  inwobnenden  SnuverttnetAt  gibt  es  aber  nocli  inner- 
halb des  Stated  eine  Souveräne  tat  des  obersten 
Gliedes,  des  Hauptes,  die  Regenten-  oder,  da  sie 
in   der  Monarchie   am    klarsten    bervortriU,  die  Fürsten- 

*  Zöpfl  (Grundsätze  dea  gemeiDen  deutseben  StatsrecbiB.  gg.  51— 5ti) 
verwirft  nicht  blosz  für  die  deutschen  Stuten  euch  diese  Blatsaoiiverä' 
netftt  und  behauptet,  die  Honerchle  könne  überhaupt  nur  die  FSrateD- 
«ouveränelat,  wie  die  Republik  nur  die  VolkesouiKränetAt  snerhennen. 
Das  rumische  Stetsrecht^  welches  die  majestas  papuli  Komeni  eowolil  io 
der  republikanischen  als  in  der  kaiserlichen  Periode  prociamirte  nnd  die 
lex  immer  sts  volnnlaa  populi  Romani  BufTaaile  und  welche«  hinwieder 
ZOT  Zeit  der  Republik  denConauln  ein  regium  iraperium  ui)d  dem  Senate 
die  ganze  oberste  VemaltnugB-  und  Steuerhoheit  (doch  gewiaz  ein  Slüdf 
Regie rnngasouverftnelät)  beilegte,  .bleibt  bei  dieser  Annahme  ebenao  unei-- 
klSrt,  wie  daa  englleche  Statareeht,  welches  die  Souveränetit  des  Parla- 
ments and  des  engliMhen  State  (Volks)- in  Harmouie  bringt  mit  der 
Souverinetat  des  Königs.  Dasz  vülkerrecb tlich  auch  die  deulscjieu 
Staten  (ganz  abgesehen  von  den  Fürsten)  als  sonverane  Personen  gelten, 
kann  nicht  bestnilen  werden.  Wer  aber  eine  Person  ist  im  Verhältnisi 
(0  andern  fitsten,  wird  anch  eine  Person  sein  im  Verhältiiiu  lu  den  In- 
dividuen im  State  und  zu  de»  VVärdetHigern  des  States.  Die  Gesetze 
Bind  auch  in  Ileulschlsnd  St&tsgesetze,  und  die  Statsschnldcn  werden 
such  in  Deutschland  von  den  filretlichen  Schulden  unterschieden;  d.  h. 
auch  das  deutiche  Slatsreeht  kann  sich  —  trotz  aller  Reroiniscenzen  an 
die  frühere  patrimouiale  oder  absolute  Fit  rate  ngewolt  —  vor  der  nun  so. 
ziemlich  in  der  ganzen  civiliairten  Welt  durchgedrungenen  Einsicht  nicht 
veracblieszen ,  dasz  das  Volk  doch  noch  etwas  anderes  und  höheres  be- 
deute als  die  Geaammtheit  der  Öeborchenden  und  dasz'  der  SCat  eine 
Existenz,  eine  Hoheit  nnd  HachtfUlle  habe,  die  nicht  ganz  von  der  Hoheit 
und  Hacfatfillle  der  FflnEen  aufgezehrt  werde.  Ich  gebe  ZöpÜ  zu,  dasz 
man  dureb  die  nueacblieezliche  Behauptung  der  Fürsten eoaverltnetat  nicht 
logisch  genöthigt  wird,  dieselbe  als  schrankenlos  anfinftissen;  aber  die 
neuere  Geschichte  lut  unwiderl^licb  bewiesen,  dasi  die  Ueberepaanung 
der  nirsUichen  Gewalt  nnd  die  HisMchtung  der  Vollureeble  in  den  deut- 
schen Ländern  ebenso  wie  in  den  romanischen  LäDdem  in  dem  Princip 
der  ausscbliesz lieben  FürsteitsouverftnelBt  jederzeit  eine  gc(%brliebe  Unler- 
siützniig  gefunden  hat. 


iM,Coo<^lc 


Zw«ttM  CsplM.    autaaonterknetit  nod  R^entaiMOBvarlMUU.       |.t 

souveränetät  Im  Verh&lbiiaz  eu  allen  nodem  einselnen 
Uliedern  des  Statsoi^anismus  und  den  einzelnen  StatebUi^rn 
kommt  dem  Oberhaupte  der  Nation  wieder  die  oberste  Macht 
nod  Stellnng  zn.  80  wird  auch  in  dem'  englischen  Stals- 
recht  der  König  in  besonderem  Sinne  der  Souver&n 
genannt,  und  so  in  jedem  monarchischen  State  dem  Mon- 
archen ab  solchem  hinwieder  Souverftnetät  beigelegt. 

Zwischen  jener  StatssouTerfinetät  nnd  dieser  FHrsten- 
souverfinetfit  ist  kein  Widerspruch.  Die  Souveränetät  wird 
nicht  dadurch  gespalten,  und  e(wa  di«  eine  Hälfte  dem  Volke, 
(He  andere  dem  Forsten '  augetheilt.  Das  Verh&ltnisz  der- 
selben ist  nicht  das  zweier  eifersüchtigen  Mächte,  die  sich 
um  die  Herrschaft  streiten.  In  beiden  ist  Einheit  und  Fülle 
der  Macht;  aber  es  versteht  sich  von  selbst,  dasz  hinwieder 
das  Ganze,  in  welchem  das  Haupt  selbst  seiner  obersten 
Stellung  im  Körper  gemfisz  inbegriffen  ist,  auch  dem 
Haupte  für  sich  allein  übergeordnet  ist.  Das  ganze  Volk 
(der  6lat)  gibt  das  Gesetz,  aber  innerhalb  dessen  Schranken 
bewegt  sich  das  Haupt  mit  voller  Freiheit  in  der  Ausübung 
der  ihm  zugehörigen  obersten  Macht.  Die  Statssouveränetät 
ist  vorzüglich  die  des  Gesetzes,  die  FUrstensouverfinetfit  die 
der  Regierung.  Wo  jene  ruht,  da  ist  diese  wirksam. 
Ein  wirklicher  Conflict  ist  nicht  leicht,  im  Princip  überall 
nicht  möglich,  denn  er  würde  den  Conflict  des  Oberhauptes 
tUr  sich  allein  mit  dem  Oberhaupte  in  Verbindung  mit  den 
übrigen  Gliedern  des  States,  also  einen  Conflict  der  näm- 
lichen Person  mit  sich  selber  voraussetzen. 

Während  somit  zwischen  der  demokratischen  Volkssou- 
veränetät  und  der  Fürstensouveränetät  kein  wahrer  Friede 
denkbar  ist,  sondern  nothwendjg  die  eine  die  andere  unter- 
werfen und  aufheben  musz,  so  ist  dagegen  zwischen  der 
Statssouveränetftt  und  der  Furstensouverftnetfit  die  nSniliche 
Harmonie  wie  zwischen  dem  ganzen  Menschen  und  seinem 
Kopf. 


iM,Coo<^lc 


14        SeehrtM  Bach.    Die  SonTerioetU  and  du  StatMbarbaupl. 

Annierkting.  Zawdien  veretalit  man  noter  d«-  VQlks*oaTeriUi«Uit 
nicht  die  obertte  Uschi  der  Volkamehrheit,  sondern  Dur  den  Oedsnken, 
dasi  eine  StaUform  oder  Regierungs weise,  welche  mit  der  SziMeni  und 
Wohlfahrt  der  Mehrheit  de«  Volkea  unverträgHeh  Bei,  aach  anhalt- 
bar  »ei,  oder  daai  die  StaUibnn  und  Regiernng  fdr  4u  Tg(h  da  hI. 
Dlfeer  Qedanke  let  nleht  zu  heatreiten,  aber  er  iat  !■  jener  Beieichnung 
durchaua  falsch  aasgedrückt 

Will  man  ferner  den  SaU,  dasz  alle  StatsgewaU  uraprttfflä  von 
dem  Willen  dqr  Votki— trlieit  abgeleitet  sei,  Air  T«lkMoiiVerii)etlK 
heiszen,  to  isi  wtnr  iniugeben,  dasi  viel«  eiat*irerfaesangen,  wie  ins- 
hesonder«  iie  ttemobra tischen ,  aber  aodi  einiehie  HoDarcbien,  t.  B.  den 
romte^  und  das  franiMsdM  Eaieerftnni,  nach  der  Lehre  dea  römiacben 
■M  des  franxMlaehHt  SOrtnvehts  auf  etoem  Willensaet  der  Tolkamehr. 
beit  berafacB.  I*  AcNr  Weise  erkUlren  mehrere  tdiweiieriecbe-Varlhssaii- 
gen,  nMit  dast  das  Volk  eouverin  sei,  wohl  eber,  dau  „die  SonverK- 
netit  auf  der  Gesammlheit  des  Volkes  beruhe  und  von  dem  groeien 
Rathe  ausgeflbt  werde."  Z.  B.  ZBrcher  Verfassung  von  1831  g.  1. 
Aber  aQch  dieser  8ate  hat  keineswegs  filr  alle  Steten  Geltung,  und  der 
Ausdruck  SnuTerinetttt,  der  ein  fortdauerndes  Recht  bedentet,  ktmn  nur 
nneigentltch  auf  solche  geschieh I liehe  Vorgänge  angewendet  werden. 

Durchane  verwernich  endlich  nnd  selbst  mit  dem  demokratischen 
Statsrecht  unvereinbar  tat  der  Sinn,  der  oft  schon  practisch  dem  Worte 
Volkssouveränetit  beigelegt  wurde,  dasi  das  Volk  im  Gegensatie  zur 
Regierung  odei  gar  Jede  gereizte  und  mSchtige  Volksmaese  berecbligt 
sei,  die  R^ierang  nach  Willkür  zu  verjagen  und  die  Verfassung  lU 
brechen. 


Drittes  Gapitel 

I.    Inhalt  der  StatssonverUnelftt. 

1.  Dfts  etatlicb  geordnete  Volk,  der  Stat,  hat  vorerst 
ein  ßecht  auf  Anerkennuii^  und  Achtung  sdner  Würde 
und  Hoheit,  oder  wie  die  Römer  sie  genannt  haben,  seiner 
Majestät.'    Jede  schwere  Verletzung  der  Ehre,  Macht  und 

'  Ckm  de  Orttore  II,  89:  „roajesUs  est  ampüLudo  ac  dignitas  eivi- 
latis.  la  eam  minnlt,  qui  exercilnm  bostibos  poputi  Romanl  tradldit' 
Parlit.  orat.  c.  30  —  „ininuit  is,  qui  per  vim  muttitudinie  rem  ad  sedl- 
Uonem  vocavU."    .iMdor  ad  Herennium  11,  13  — :  .minuit  qtil  ea  lolUt 


n,g,t,7.dt',C00gIc 


DritM  OkpiM.    I.  latitlt  aer  StatMOOverkBetiit  15 

selbst  der  Ordonng  des  rOmiseben  States  galt  daher  deu 
fUtmeni  aia  ein  crimen  laeeae  msjestatis. 

%.  Die  UnabhftDgigkeit  des  State«  tod  fremden  Sia- 
ten  ist  ferner  eine  nothwend^e  Bigensebaft  und  Wirkung 
seiner  SoaTerttoetOi.  Wenn  ein  Slat  genöthigt  wird  die 
statliche  Ueberordnung  eines  andern  States  anzuerkennen, 
so  verliert  er  seine  Souverftnetät  und  unterwirft  sieh  der 
Sonrerfinet&t  des  letztem.^ 

Indessen  zerstört  nicht  jede  Unterordnung  ränes  States 
die  Souverfinet&t  desselben  völlig ,  da  die  Abhängigkeit, 
weleke  mit  derselben  verbunden  wird,  nicht  eine  absolute 
ist  und  in  manchen  Verhältnissen  die  ursprOi^licbe  Unab- 
b&ngigkeit  und  Selbetftodigkeit  wieder  vortritt.  In  zusammen 
gesetzten  Staten,  Statenbttnden ,  Bundesstaten  und  Slatent 
reichen  haben  die  Einzelstaten ,  obwohl  sie  in  gewissen 
Beziehungoi  dem  Ganzen  untergeordnet  sind,  dennoch  als 
Stftton  noch  eine  relative,  zwar  nicht  dem  Inhalte  aber 
dem  Umfange  nach  beschrankte  Bonver&netftt.  So  spricht 
man  in  der  Schweiz  von  der  Cantonalsouveränetät  für 
den  Bereich  der  Cantonalangelegenheiten  im  O^eosatae  zu 
der  Bundessouveränetät  fUr  die  Bundessaebeu.  Aehn- 
üch  ist  in  Nordamerika  und  im  deutschen  Bunde  zwischen 
der  Souveränetat  der  Einzelstaten  und  der  des  Bundes- 
kOrpers  zu  unterscheiden.       ' 

Von  einer  relativen  SoaverOnet&t  des  dem  Gesanunt- 
state  (B«ich  oder  Bund)  untergeordneten  Einzelstates  läezt 
sich  indessen  nur  da  noch  reden,  wo  dieser  noch  fdr  sich 
als  Stat  organisirt  ist,  d.  h.  alle  wesentlichen  Oi^ne  (ge- 
setzgebender Körper,  Regierung  u.  s.  f.)  noch  in  sich  und 

ez  qnlbiu  dvilatia  aitiplitado  eonaiat  —  qui  amplititdineiii  dvitalia  delri- 
memo  Bdfldt.''    V^l.  BfinteeH  AaUqnit  rom.  IV,  18,  3.  46. 

'  Die  Rflnier  warm  daher  gewohnt,  in  ihre  FriedesMchlUaae  mit 
Daterworfeneo  StaCen  die  Fonael  aarianehnen :  „impwiam  m^ealatemqite 
popnli  Roaaal  GOueersaUi  sine  dolo  malo."  Cicero  pro  Balbo.  IS.  U- 
«te*  38,  11. 


iM,CoO<^lL' 


1«        S«eb«tM  Bncb.    Die  8auT«riMtJU  und  du  äteUoberbaupt 

damit  auch  ein  ihm  üg:euthumliche8  Statsleben  hat  und 
selbfltkräftig  Übt,  aber  nicht  da  mehr,  wo  er  in  das  Verhttlt- 
niaz  eines  bloflzen  TheiU  —  einer  Pronnz  —  des,  gröszeren 
Gänsen  gebracht  worden  ist  Wie  in  allen  relativen  Ter- 
hältnissen,  so  gibt  es  auch  hier  einen  kaum  bemerkbare 
Uebergang  von  einem  zum  andern. 

Nach  Auszen  wird  die  Statssouveränetät  in  uusrer  Zeit 
gewöhnlich  durch  das  Statsbaupt  repräteotirt ,  nicht  durch 
den  geset^ebenden  KOrper,  aber  mehr  aus  QrUnden  der 
Zweckmfiszigkeit ,  als  aus  Recht^rQnden. 

3.  Im  Innern  äuszert  sieb  die  Souver&netftt  vorerst  in ' 
dem  Rechte  des  Volks,  die  Formen  seines  statlich^n 
Daseins  selbständig  zu  bestimmen,  nöthigenfalls  zu 
ändern.  Man  nennt  diese  Befugnisz  auch  wohl  die  consti- 
tuirende  Gewalt  des  Volkes.^  Was  einem  Theile  des 
Volkes,  der  bloszen  Volksmebrbeit  ohne  die  Regierung  nicht 
zugestanden  werden  kann,  gebtlhrt  d^egen  unzweifelhaft 
dem  gesammten  Volke  in  seiner  statlichen  Ordnung.  Der 
einzelne  Unt«rthan  darf  sich  den  Anordnungen  des  Volks 
nicht  widersetzen,  selbst  wenn  seine  politischen  Rechte  durch 
dieselben  verletzt  würden;  denn  der  obersten  Statsmacht  musx 
das  Individuum  sich  auf  dem  Gebiete  des  öA'entlichen  Rech- 
tes unterordnen,  soll  der  Stat  seine  Einheit,  Zusaiumenhang 
und  Ordnung  bewahren. 

>  Allerdings   ist   es    für  die  sittliche   und   die  rechtliche 

'  Washington  Abschied^rede  von  1769:  nOie  Grundlage  unsera 
politischen  Systempa  iit  das  auerkanDte  Recht  dea  Volkes,  aeioe  Ver- 
fMauDg  in  cunetiiaireu  uod  lu  üudem.  Aber  bis  dasi  dieselbe  umge- 
wandelt oder  abgeändert  iat  durch  einen  offenbaren  Act  des  Natlonal- 
willena,  musi  die  Verfoaaung  von  jedem  Bärger  verbindlich  und  heilig 
geachtet  «erden.  Das  Recht  and  die  Uachl  dea  Tolkea  eine  Verflusung 
Ctnznrühren,  achliesit  die  Idee  in  sich,  dasz  jeder  Einzelne  aioh  derjeni- 
gen anterwerfen  musi,  die  eii^^übrt  ist.  Jede  Opposition  gefen  die 
Ausführung  der  Gesetze,  jede  Verbindung  die  darauf  ausgeht,  die  TbUig- 
keil  der  besteheoden  Regierung  tu  behindern  oder  aurznhallen,  Iat  in 
direclem  Widerspruch  mit  dem  aufgeslellleu  Princip." 


iM,Coo<^lc 


DriUH  Cttpllel.    1.  Ihlialt  der  SlaluouveriEnrtit.  t7 

Reurtheilung  nicht  gleichgültig,  ob  die  Aendening  auf  lievn 
Wege  der  Reform  oder  der  Revolution  rollzogen  werde. 
"Die  Reform  setzt  roraus:  1)  dam  die  Araderang  durch  den 
nach  der  Verfusnng  befugten  Organismus,  io  den  Reprft- 
sentativverfttsenngen  somit  durch  den  StatskOrper,  welcher 
die  gesammte  Nation  darstellt,  eingeMhrt  werde,  d.  h.  auch 
formell  rechtmftBzig  sei;  3)  dasz  anch  bei  der  Umge- 
staltui^  des  Itechts  der  Geist  des  Rechts  geachtet,  somit 
das  abzuändernde  und  aufzuhebende  Recht  nur  insoweit  als 
e«  wirklich  reraltet  und  unpassend  geworden  ist,  beseitigt, 
das  neue  nur  inaofero  es  reif  und  in  den  neuen  Lebensrer- 
hSltnissen  b^rUndet  erscheint,  hervorgebracht  werde. 

Wird  entweder  die  Form  ■  der  Verfassung  miszachtet, 
oder  in  dem  Inhalte  der  Aenderung  das  Princip  des  Rechts 
verletzt,  so  ist  ein  solcher  Act  nicht  mehr  Reform,  sondern 
Revolution. 

Das  Recht  der  Reform  ist  eine  itothwendige  Aeusze- 
rung  der  Lebenskraft  des  8tats.  Dieses  Recht  bestreiten 
heiszt  die  Entwicklung  des  Volks  läugnen  und  die  Revolutltm 
veranlassen. 

Die  radicale  Statslehre  behauptet  aber  auch  ein  Recht 
des  Volks  zur  Revolution.  Aber  schon  der  BegrilT  des 
Statsrecht»  steht  dieser  Annahme  entgegen,  denn  die  Revo- 
lution ist  entweder  ein  gewaltsamer  Bruch  der  Statsver- 
Ibssnng  oder  eine  Verletzung  des  Rechtsprinclpe.  Deflzhalb 
bIdA  Revolutionen  in  der  Regel  keine  Rechtshandlungen, 
wenn  sie  auch  mächtige  Naturerscheinungen  sind,  die  auch 
das  Cf^Dtliche  Recht  ftndem.  Wo  die  entfesselten  Natur- 
krarte,  welche  in  der  Kation  leidenschaftlich  erregt  sind, 
mit  vulkanischer  Gewalt  die  Revolution  hervorrufen  und  be- 
stimmen, da  ist  die  r^elmOszige  Wirksamkeit  des  Statsreehts 
gestört  Diesen  Ereignissen  gegenüber  ist  das  Statsrecht  ohn- 
mächtig. Es  ist  nicht  im  Stande,  die  Revolution  in  den  Be- 
reich seiner  Normen  und  Gesetze  zu  ziehen.  Es  ist  yroh\ 
lliintuchU,  illEMicItiM  SIturachL   II.  2 

n,g,t,7rJM,COO<^IC 


18         Sechste«  Buch.     Die  SoaveifineUt  und  du  StaUobcrbiupl. 

eioe  grosze  Aufgabe  der  Politik,  die  aiiegebrocheae  Rerola- 
tion  eo  buld  als  uitiglicit  wieder  in  die  geregelten  Bahnen 
der  R«form  imd  der  Statsordiuing  Qtterzu leiten.  War  das 
Kecht  zu  schwach,  sie  zu  binden)  oder  dJe  R«form  zu  träge, 
ihr  zuvorzukommeD ,  so  vermt^ii  beide  jetzt  nicht  mehr  sie 
tu  regeln. 

Von  einem  Rechte  zur -Revolution  kann  daher  nur  ganz 
ausnahmsweise  und  nur  in  dem  Sinne  gesprochen  wer- 
den, wie  von  einem  Motbrechte  des  Volks,  seine  Bxi> 
stenz  zu  retten  oder  seine  notbwendige  Entwicklung  zu  ver- 
wirklichen, wenn  die  W^e  der  Reform  verschloaeen  sind. 
Die  Verfassung  ist  doch  nur  die  ftuszere  Organisation  des 
Volks.  Wird  durch  sie  der  Stat  selbst  in  die  Gefahr  des 
Unlei^ngs  versetzt  und  das  Leben  des  Volks  gelähmt  oder 
werden  die  vitalen  Interessen  der  öffentlichen  Wohlfahrt  be- 
<lrobt,  dann  wird  das  Hothrecht  einer  lebensGOhigen  und 
lebenskräftigen  Natur  begründet,  sich  Luft  zu  machen  und 
die  nothwendig  gewordene  Wandlung  zu  vollziehen;  „Die 
Noth  kennt  kein  Gebot."  * 

4.  Ebenso  liegt  in  der  Statssouver&netät  die  Befbgnisz, 
die  erforderlichen  Gesetze  zu  geben.  Die  gesetzgebende 
Gewalt  im  engern  Sinne  wie  die  coustituirende  ist  ein  Ausßusz 
der  Statssouveränetät  und  zugleich  ihre  regelmftszige 
Offenbaruug. 

6.  Ausserdem  aber  beruht  im  Princip  auch  alle  andere 

'  Niebubr,  ein  StBUmsnn,  dessen  Neigungeo  so  enUchiedHi  con- 
»ervRliv  waien,  daaz  der  Ausbruch  der  franiöeischen  JoliravolDtlon  von 
1S30  fboi  das  Herz  gebrochen,  inszert  über  diese  Frage  (Oeecb.  du  Zeit- 
alters der  Rerol.  I.  S.  211);  „Wer  den  Sali  ,NoÜi  kennt  kein  Gebot" 
verkennt,  redet  dem  abscheulichsten  das  Wort.  Wenn  ein  Volk  mit 
Ftiuen  getreten  wird  und  anfs  Blut  Kemiszhandelt  ohne  Hoffnung  anf 
BeMemng,  wie  die  Orieelien  unter  den  Türken,  wo  kein  Weib  ihrer  Ehre 
sicbej-  war,  «o  keine  Spur  von  Recht  bei  den  Tyrannen  lu  erlangen  ist; 
da  ist  die  hi>cbsie  Noth  und  da  iat  Einpärang  gegen  die  Unterdrücker  so 
rechimöszig  wie  irgend  etwas.  Wer  da  die  KechUnftszigkeil  des  Auf- 
stondes  verkennt,  der  ma»  ein  elender  Heuscb  sein." 


iM,Coo<^lc 


OriUea  Opfut.    L  Inball  der  StatMouvcrinelit.  ]9 

8tB.t«geivKlt  aof  ihr,  wembaJb  denn  aueh  die  VerAnenng 
and  die  GeaetEgebtiog  alle  andern  Aeuszeningen  der  Stats- 
bobeit  und  Macht  begrttnzen  und  ordnen.  Aber  wfthrend 
ne  in  der  Conatituirung  and  Qeeetzgebuug  actir  erscheint, 
verhftlt  sie  eich  hier  in  der  Regel  ruhend.  In  der  Mon- 
archie insbesondere  finden  wir  vielmehr  die  dem  täglichen 
und  verftoderlichen  BedQrfnisB  des  State«  gewidmete  Thfttig- 
Iteit  der  Übrigen  Statagewalten  in  der  SouTerOnetfit  des 
Monarchen  coneentrirL  Des  Volk  iu  seiner  Oesammtheit 
rnht,  sein  Haupt  handelt  hier,  sei  es  unmittelbar  Dir  sie, 
sei  es  durch  die  Vermittlung  der  mannichfultigen  Aemter 
und  Behörden,  die  ron  ihm  abgeleitet  sind. 

Wenn  aber  das  Oi^an,  welches  die  regelmOszige  Action 
zu  besorgen  liat,  unfähig  oder  untauglich  dazu  wird,  wenn 
insbesondere  der  Thron  erledigt  wird  und  fttr  keine  Nach- 
folge durch,  die  Verfassung  gesorgt  ist,  so  wird  die  Soure* 
rftnetAt  des  Stats  selbst  wieder  wirksam,  um  diesen  Hangel 
Bo  beseitigen  und  den  Thron  neu  zu  besetzen. 

6.  Unverantwortlichkeit  Vor  einem  höhern  ßtsnd- 
punkte  zwar  gibt  es  keine  Unverantwortlichkeit  der  Men- 
schen für  ihre  Handlungen  oder  Unterlassuugen.  Und  in 
der  Tbat  nicht  blosz  das  ewjge  Oericlit  Gottes  über  die  Welt 
schlieszt  den  Gedanken  einer  Unverantwortlichkeit  auch  der 
Völker  aus. '  Auch  auf  der  Erde  in  den  Schicksalen  und 
leiden  der  Völker  wird  diese  Verantwortlichkeit  nicht  selten 
sehmeralich  empfunden.  Aber  es  ist  unmt^lich,  innerhalb 
eines  States  ein  Gericht  zu  bestellen,   vor  welchem  die 

'  Robespierre  h&i  im  Jskobiuerciob  (Fcbrnar  1793)  du  Q^entliell 
Teribditeo:  „Ich  habe  iomltten  der  Terfolgaogen  und  ohoe  DnterittttRUDg 
bebsaplet,  dasi  das  Volb  nieniale  aorecht  habe;  ich  habe  dieae  Wahr- 
heil  in  eiopr  Zeir  zu  verkünden  gesagt,  &Ib  el«  aoeh  nicht  anerkanal 
war;  der  Lauf  der  Keroinlion  hat  dicMlbe  entwickelL"  Aber  da«  rran- 
ifimsehe  Volk  hat  die  icbweren  Folgen  seiner  Verirrungen  mit  grosiem 
and  nachhaltigem  Unglück  bätiea  nOaaen,  and  die  Qeschichte  hat  über 
dauelbe  ein  ernstes  Strafgericht  gehalleu. 


iM,Coo<^lc 


30        SechatM  Bnch.    Dfe  SoDverfaietiit  und  dia  Statmberkaapt. 

Gesainmtheit  des  Volkes  selbst,  oder  seine  8(ellvertretang 
hIs  Inhaber  «1er  obersten  Statemacht  zur  Rechenschaft  ge- 
z<^en  werden  kann.  Würde  das  vflrsucht,  so  wAFeinsofem 
wenigstens  der  Stat  selbst  dem  Gerichte  unterthODig ,  und 
60  das  Glied  übet-  den  Körper,  der  Theil  Ober  das  Gänse 
geordnet. 

Wurde  aber  ein  Stat  für  die  Ausübung  seiner  Stats- 
soureränetät  einem  andern  State  verantwortlich  sein,  so 
wäre  seine  Souverftuetät  eben  deszbalb  eine  beschrankte, 
lind  der  Oberhoheit  des  richtenden  Stats  untergeordnete. 

Nur  durch  Ausbildung  des  Völkerrechts,  beziehungs- 
weise einer  hObem  statlichen  Weltordnung,  vor  wel- 
cher die  einzelnen  souver&nen  Staten  sich  beugen  mUszten 
als  einem  Gesammtreiche,  könnte  die  statliche  Verantwort- 
lichkeit der  Einzelstaten  auch  rechtlich  organisirt  werden. 
Vielleicht  ist  es  der  Zukunft  vorbehalten,  diese  Idee  zu  ver- 
wirklichen. In  der  Gegenwart  kann  sie  nur  als  Idee  geahnt, 
oder  erkannt  werden;  aber  zum  realen  Rechte  ist  dieselbe  - 
noch  nicht  geworden. 

AnmerkuDg.  Die  conetituirenden  Versamml  ungeu  der 
iieiteni  Zeit  haben  nacb  dem  Vorgänge  der  franiöaiseheD  Nationalver- 
aammluDg  tod  1769  gewöbnlicb  nicht  da«  Princip  der  StataaouverSnetkt, 
sondern  du  der  VolkuonTerttnetät  im  Itouaseau'sclieit  Sinne  lu  dem 
Urnndgedanken  ihrer  Politik  erhobeu.  Ruiiaaesu  aelber  gebt  indesaen  noch 
weiter,  indem  er  keiner  i-epräsentativen  VerBemmlnng  die  ^'olle  Souverü- 
netül  beilegt,  sondern  deii  Volkamauen  verslattet,  in  Jedem  Moment  aaeh 
diese  ibrem  Willen  zu  unterwerfen  und  durch  uDmitlelbare  Aale  «inin- 
greifen.  Auch  die  Consequenz  seiner  Doetrin  igt  jedeamal  in  roher  Ge- 
stalt ueben  und  auszer  jejien  conatituirenden  Veraammluiigeu,  dem  rutben 
Schweife  der  Komel«n  afanlicb,  au  dem  poliliacheu  HorizonI«  aicbthar 
geworden,  oH  tarn  Schrecken  jener  „gonverttneD"  Körper  selbst,  welche 
■die  chBOtiachen  Hauen  um  sie  her  enttttndet  halteu. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


Vierte*  Ckpitel.    II.  Die  PUnteMouveriin«Ut.  31 

Viertes  GapiteL 

11.  tNe  FflrBtBDSODTeräDetRt. 

Die  Bweite  dem  8tat«oberhaupte  FUr  sich  allein  zu- 
koRiDiende  Sourerftoetftt  findet  sich  in  dem  modernen  State- 
rotste  DDr  noch  in  der  Monarchie  anerkannt.  Nur  der 
Monarch,  nicht  auch  der  Präsident  der  Republik,  obwohl 
auch  dieser  Souveränetdterechte  ausübt,  hat  nach  demsel- 
ben einen  persönlichen  Anspruch,  als  Souverän  geachtet 
zu  werden. 

Daa  alte  Statsrecht  der  römischen  Republik  ging  wei- 
ter. Auch,  den  Consuln,  die  sich  in  die  alte  königliche 
Gewalt  getheilt  hatten,  und  spAter  auch  dem  Senate  wurde 
, Majestät"  zugeschrieben.  Die  neueren  Republiken  aber 
sind  eirersfichtiger  aur  die  ausschliessliche  Volkshoheit,  und 
betrachten  die  republikanischen  Häupter  der  Statsregierung 
lediglich  als  Mandatare  des  soureränen  Volkes,  auf  welche 
die  demselben  inwohnende  Majestät  nicht  zu  selbständigem 
Rechte  übertragen  sei.' 

Zuweilen  meint  man,  die  FUr8l>ensouveränetät  finde  sicli 
nur  in  der  Erbmonarehie  und  die  Wahlmonarchie 
schliesze  dieselbe  aus.  Diese  Meinung  verwechselt  das  Wesen 
der  ftarstlichen  Macht,  die  als  solche  eine  souveräne  ist,  mit 
der  Frage,  wie  dieselbe  im  einzelnen  Falle  bestellt  werde. 
Auch  ein  Wablfllrst  hat  die  ot>erste  Statsmacbt  zu  selbstän- 
digem Rechte  nicht  minder  als  der  Erbftirst.  Die  altrömi- 
schen Kaiser  und  die  deutschen  Kaiser  im  Mittelalter  waren 

'  RtMUtrau  (Conlr.  bot.  11.2)  begründet  die  Unzuläsaigkelt  einer  Re- 
KenteorauTerftnem  atwrdem  damil,  daez  der  „Allgemeine  Wille"  um- 
dem  gaoMD  VoU  cualeheD  könne;  ein  Theil  des  Volkes  dagegen  könne 
nur  einen  besonderen  Willen  auazerii.,  nur  jenes  daher  Gesetze,  dieser 
hf'icksleDs  Deckte  erlsasen.  Das  ist  aber  eben  der  Irrlhiim ,  dasz  die 
böchsle  Statsmacbt  nur  in  der  Oesetzgebnng  und  nicht  anch  in  der  Ke- 
gieriing  offenbar  werde. 


iM,Coo<^lc 


23        SMbslet  Buch.    Die  SoaveriDeiU  und  da«  BUlMberhoupt. 

sicherlich  Sourerftne,  obwohl  WahlfUrsten:  und  der  englische 
KOnig  Wilhelm  von  Omnieo  war  es  nicht  minder,  als 
seine  Nachfolger,  ungeachtet  mit  ihm  eine  neue  D^oaeÜe 
auf  den  Thron  beruTen  wurde. 

DegegTO  kann  die  Wiitenschaft  eine  ursprüngliche 
(originäre)  PtirstenaouTeranetat  von  einer  abgeleiteten 
(derivativen)  unterscheiden,  wfihrend  eine  solche  Unterschei- 
dung auf  die  StatasouTer&aetftt  keine  Anwendung  leidet,  diese 
vielmehr  immer  eine  ursprüngliche  ist  Die  erstere  ist  die, 
welche  dem  Fdraten  ursprunglich  inwohnt,  kraft  des  seiner 
Person  ungebornen  oder  von  ihr  selbständig  ei^nlfeDen 
Rechtes.  Von  der  Art  ist  die  Souverftnetät  des  ErMnrsten, 
die  des  Eroberers  und  die  eines  Forsten,  der  wie  Karl  der 
Grosse  oder  Friedrich  Wilhelm  I.  von  Preuszen  die  Krone 
sich  selber  auf  das  Haupt  setzt  Auch  diejenige  der  deut- 
schen Wahlkaiser,  welche  ihre  SouverSnetfit  nicht  von  den 
Kurfürsten  sondern  von  Gott  ableiteten,  mnsz  als  eine  ori- 
ginäre au^efaszt  werden. 

Die  letztei-e  dagegen  wird  als  eine  von  dem  Volke  oder 
den  Wählern  Übertragene  und  abgeleitete  betrachtet. 
80  wurde  nach  dem  römischen  Statsrecht  die  kaiserliche 
Macht  selbst  von  dem  römischen  Volke  verliehen.^  Von  der 
Art  ist  auch  die  neuere  Wahlmonarchie  gewöhnlich. 

Den  näheren  Inhalt  der  FUrstensouveränetät  zu  be- 
stimmen ist  die  Aufgabe  der  folgenden  Erörterung  Über  die 
Rechte  des  Statsoberbauptes. 

'  üben  Bach  IV.  C.  17  8.  3*7. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


Fünfie«  Cbpilel.    RnUldiungefornien  in  der  Uanarchi«.  23 

Fttnftes  Gapitejl 

Dae  Rtat»ot>«rhaupt. 

1.   EnUlehunmform«»  In  der  Monirchlc. 

Für  die  Bildung  des  Statsoberhauptes  keimt  die  Ge- 
schichte mancherlei  verscliiedene  Formen: 

1.  Die  Wahl.  Sie  war  die  Regel  dea  rOmischen 
Statsrechtes ,  im  Mittelalter  (ür  die  geistlichen  Herrschaf- 
ten, der  Aebte,  Bischöfe  and  selbst  des  Papstes,  in  Ungarn, 
in  Polen,  in  Venedig,  dessen  Ik^e  ein  lebenslänglicher 
Fürst  war,  im  deutschen  Kaiserreiche. 

2.  Das  Erbrecht.  Dieses  ist  zur  regelmtlszigen  Form 
der  neuem  Monarchie  geworden,  wie  es  sich  im  spätem 
Hittelalter  in  den  dynastischen  Familien  der  einzelnen  euro' 
pOischen  ßtelen  allmählich  fester  gestaltet  hat 

3.  Aus  Erbrecht  und  Kur  gemischt  war  das  System 
Karthago*s  und  der  altem  germanischen  Völker.* 

4.  Die  Einsetzung  des  Nachfolgers  durch  den  Regen- 
ten kam  in  Rom  in  der  Form  einer  statsrechtlichen  Adop- 
tion vor'  und  war  auch  eine  vorübergehende  Institution 
Peters  des  Groszen  in  Rnsziand. 

5.  FUr  abhängige  Staten  auch  Bezeichnung  und 
Verleihung  durch  den  Oberherrn,  wie  unter  den  KHro- 
Ungern  und  in  den  ersten  Jahrhunderten  des  deutarhen 
Reiches  fUr  einzelne  Volkerstämme,  in  unsern  ^iten  noch 
durch  Napoleon  und  in  dem  türkischen  Reiche. 

'  Vgl.  oben  Bach  IV.  Cap.  ib. 

*  Kaiser  Oalba,  all  er  den  Piso  luni  ThrODfolger  adoptirte:  «Au- 
gaMua  in  domo  anecessorem  quaesivit,  egu  in  repabliea.  Neqne  enim  liic 
nt  in  celeria  gentiboa,  yDa«  regTiaottir,  errta  dominorum  domtu,  et  Wien 
aervi:  aed  iraperalaraa  Ca  tiominibas,  qui  nee  totam  tiervilnteni  paii  poa- 
snDt  nee  totam  libertal«iii.>'  Taeüi  Hist  I.  16,  16.  MathioottH  zu  Uv.  I 
bemerlit,  die  Ntchkommen  der  rämiaehei)  Kaiser  aeien  der  Hehrzahl  nacli 
•clJecht,  die  AdoplivDBcbrolger  dagegen  gut  ausgerallen. 


n,g,t,7rJM,COO<^le 


24        Sedwt««  Buch.     Die  SoiiveräDeUkt  utid  <!•>  StttMWbtupt. 

6.  Zuweilen  nameDtlich  im  Zusanimenliang  mit  der 
UrOndiing  und  Anerkenouog  neuer  Staten  ist  auch  durch 
Stttteverträge  eiu  01>erhaupt  neu  beateilt  worden. 

7.  Eine  nicht  normale,  aber  in  Zeiten  der  Revolution, 
dea  Krieges  oder  überhaupt  groszer  Krisen  und  Gebhren 
keinesweijs  seltene  Form  ist  die  der  Selbsterhebung,' 
welche,  wenn  sie  nicht  zugleich  moralisch  gerechtfertigt* 
erscheint,  «Is  Usurpation  bezeichnet  wird. 

6.  Einsetzung  durch  fremde  UeberniachL 
Ueber  den  Werth  dieser  verschiedenen  Formen  und  vor- 
züglich Über  die  VorzHglichkeit  der  Erblichkeit  vor  der  Wahl 
oder  umgekehrt  dieser  vor  jener  haben  die  Ansichten  der 
Statsmänner  und  die  Meinungen  der  Volker  vielfach  ge- 
wechselt Zu  Gunsten  der  Wahl  wird  voraus  geltend  ge- 
macht deaz  nur  sie,  nicht  Oaeh  die  Erblichkeit  die  Gewähr 
gebe  tUr  die  individuelle  Tüchtigkeit  und  Fähigkeit 
des  Regenten;  und  allerdings  kann  nicht  bestritten  werden, 
dasz  eine  freie  Abwägung  und  Würdigung  der  persönlichen 
Eigenschaften  des  Regenten  das  Princip  der  Wahl,  dag^en 
nicht  ebenso  von  Einflusz  ist,  wenn  das  verfaesungsmAszige 
starre  Erbrecht  die  Folge  bestimmt.  Ueberdem  ofikobart 
sich  In  der  Wahl  die  freie  Zuneigung  und  Unterordnung 
'  der  Regierten  im  Verhältnisz  zu  dem  WahlfUrsten.  Die 
Alten  sprachen  sich  denn  auch  eher  nir  das  Princip  der 
Wahl  aus.  > 

'  Vgl.  unt«ii  Csp.  11. 

'  Fried  rieb  der  Oroaie  im,  Aatini4ch.  6:  ,l£fl  scheint  mir  im  All- 
gemeinen ,  daii  eiD  Privatmann  nur  unter  der  VoreusBedang  ohne  Ver- 
brechen mm  Königlbiim  aurateigeu  kann,  weun  er  entweder  iu  einem 
Lwide  mit  Wafairaraten  geboren  iat,  oder  wenn  er  «ein  Vklerland  ttefreiL" 

'  Ciem  de  Rep.  IL  11  für  die  Wahl:  „Novoi  ille  populua  (Eoma- 
nt»)  Tidit  id.,  quod  fugit  LteedBenoniuni  Lfcnrgum,  qai  regem  tion 
deligendum  dnxit  sed  iiabendam,  qimliscnnque  ia  Torel,  qai  modo  eawt 
Herenli*  atlrpe  gMeralua.  Noatri  illi  etiaro  inm  agrealea  viderant,  vlrtu- 
lem  ei  «apientiam  regalem  non  progeniem  qnaeri  oportere."  Auch 
Aristoteles   Pol.  II.  8  gibt   dem    ana  Wahl    und    erbrecbtiicher 


nigiti/cdtvCöC^Ic 


FUnRM  Capltel.    I.  EntatehnogafoniMn  in  der  Hoiwrelrie.         2S 

Dagegen  hat  in  der  neuem  Theorie  und  Praxis  dus 
Ihineip  des  Erbrechte  umgekehrt  ziemlich  allgemeiDe  Auf- 
nahme QDd  Anei^ennung  geAinden. '  Gegen  die  Wahl- 
uionBrchie  wird  hsuptsAchlich  angeftlhrt: 

1.  dftsz  es  foctisch  sehr  zweifelhaft  sei,  ol>  die  Wahl 
wirklich  den  Würdigst«!  erhebe,  und  zwar  nicht  bloss  des 
Irrthnma  w^en,  ron  welchem  die  Einsicht  der  Wühler  nicht 
IVei  ist  —  dieser  Uangel  könnte  nur  wenig  in  Betracht 
kommen,  da  wir  ohnehin  in  menschlichen  Dingen  nicht  Voll- 
kommenheit erwarten  —  scmdem  weil  die  Krftfle,  Interesfen 
und  Leidenschaften  der  Hftcbtigen  nnd  der  Parteien  im  Lande 
in  einem  Momente,  wo  die  höchste  Statsmacht  als  Preis 
winkt,  streitend  auf  den  Kampfplatz  treten  und  die  Freiheit 
der  Wahl  hftuSg  hemmen,  beschränken  oder  aufheben,  die 
Wahl  somit  nur  zum  Schein  wird,  und  die  Macht  den  Ans- 
schlag  gibt.  Die  römische  Kaisei^eschicfate  ist  reich  an  Be- 
legen fllr  dieses  Bedenken. 

%.  Die  Cte&hr,  dasz  a^;ar  zwiespältige  Wahlen  zu  Stande 
kommen  und  die  Wohlfahrt  des  Landes  durch  den  Krieg 
zweier  Gegenhflupter  zerstört  werde.  Dt«  Erinnerung  an  das 
deutsche  Reich  führt  uns  eine  Reihe  solcher  innern  Kftmpfe 
vor  Augen.  Indessen  kann  die  Ausbildung  eines  wohlgeord- 
neten Wahlsystems,  wie  auch  die  Erfahrungen  im  deutschen 
Reiche  gezeigt  haben,  diese  Gefahr  mindern,  und  nicht  ohne 
(iirund  macht  Sismondi  auf  die  geschichtliche  ErfVihrung  auf- 
merksam, dasz  zwar  in  den  Wahlreichen  die  innerii  Kriege 
über  die  Thronfolge  häufiger  seien,  dasz  die  Erbfolgekriege 
aber  in  den  Brbreichen  hartnäckiger  geführt  werden,  länger 
dauern  und  das  Land  mehr  ruintren.  • 


Rücksicht  geniiwhlen  8jtl«n)  der  Kbrthagcr  dm  Vorlag  vor  dem  rein 
crbmhüiehen  der  lAkedftmoaier. 

'  Dnter  den  nenem  hat  anntahmaweiae  SUm<mäi  in  Mineii  ^^tnde« 
■nr  lea  Conatil.  die  VorSAge  der  Wablmtmarchie  Terfoehteii. 

'  Siamondi  a.  ft.  O.  S.  114  If.  vergleicht  doa  deutsche  Reich  eeit 


n,g,t,7.dt,G00gIc 


36        ScchiteB  Buch.    IMe  SoaverÜaetU  nnd  daa  SiatoolwrlMiapt. 

3.  Dasz  wecheeliHle  Wuhleo  „ein  Reich  mit  Kftnigs- 
httueern,  zwieträchtigeo  und  habsQchtigen,  erfüllen."^  Dieser 
Nachtheil  wird  schWer  auf  dem  Frieden  und  der  Ruhe  einer 
lebensreifen  oder  gar  einer  Ferdorbenen  Mation  lasten ,  vrie 
die  Goachicfate  des  altrOmischen  Eaiserreicha  beweist.  In 
einem  jugendlich  aufstrebenden  Volke  aber  äuszert  sich  der 
Widerstreit  solcher  Fürstenhäuser  eher  eüs  belebender  Wett- 
eifer in  Förderung  der  nationalen  Ehre,  Wohl&hrt  und  Frei- 
heit, wie  ebenso  die  altere  römische  Oeechichte  in  den 
Zeiten  des  Königthums  und  der  käniglicben  Magistraturen 
während  der  ersten  Jahrhunderte  der  Republik  bezeugt. 

4.  Der  Schaden  eines  Zwischenreiches,  in  welchem 
der  alte  König  nicht  mehr  da  ist  und  ein  neuer  noch  nicht 
gewählt  ist.  Läszt  eich  auch  dafür  sorgen,  dasz  dasselbe 
nur  kurze  Zeit  dauert  —  die  katholische  Kirche  hat  in  den 
Ordnungen  des  päpstlichen  Conclave  einen  Versuch  der  Art 
gemacht  —  oder  lassen  sich  auch  bei  Erwählung  des  Nach- 
folgers bei  Lebzeiten  des  Voi^ängers  die  Fälle  des  Zwischen- 
reichs rermindern,  so  läszt  sich  das  Uebel  doch  nicht  gane 
vermeiden.  Auf  der  andern  Seite  aber,  können  die  Gegner 
des  Erbrechts  auf  ein  gröszeres  mit  diesem  verbundenes 
Uebel ,  das  ebensowenig  zu  vermeiden  ist  und  länger  dauert, 

1002  (dem  AuMterb«]  der  sächsi sehen  Otlone)  big  1520  (der  eiitichlede- 
nen  ErblierrschafC  OFelerreiche)  als  Wahlreich  mit  dem  fra  nzöBiflchen 
Köoigreicii  seit  996  (Folge  des  Sobue«  von  Hugo  Capet)  bia  in  dem  näro- 
licheD  Scbluszinomenl  als  Erbreicfa,  und  bereclioet,  daai  in  Deutschland 
von  2fi  Walilen  11  bestrillen  wareii  und  Bürgerkriege  »nr  Folge  hatten, 
dasi  aber  diese  häuHg  von  den  P&pslen  erregten  Erj^e  luaammeii  nur 
(inen  Zeitream  von  i3  Jahren  erfüllten,  in  welchem  freilich  dai  lange 
Zwisclienreich  vod  12&6  bia  1273  nicht  mitgCMbll  wird,  weil  sich  die 
Gegenkänige  nicht  bekriegten.  Wälirend  dieser  Periode  hatte  Fraukreicb 
23  Könige,  und  nur  selten  kam  es  Über  die  Erbfolge  zum  Stt«ite.  Den- 
noch daaerten  die  mit  den  tingländem  geftihrleD  Brbfolgekri^e  23  Jalire, 
und  es  kamen  noch  26  Krieg^ahre  für  Frankreich  im  Interesse  der  Suc- 
ceHioDsanaprüche  der  königlichen  Dynastie  in  Neapel  «od  Heiland  bintu. 
■  Dahlmann,  Politik.  1.  <B.  83.  Er  bewhrlDkt  diese  Folge  auf  in- 
ländische Wahlen     Sie  paait  absr  auch  tuif  sndkndisclie. 


iM,Coo<^le 


FanflM  Capltel.    I.  EataMmngaronneii  Id  der  Honrcbf«.         37 

aaf  die  Zeiten  der  Re^entBchaft  hinweisen,  in  welchen 
der  unmündige  Thronfolger  nicht  zur  Herrschaft  gelangt, 
und  statt  seiner  Andere  in  seinem  Namen  atter  nicht  immer 
fllr  ihn  regieren.* 

5.  Die  State  Furcht,  dasz  der  WahlfHret  das  Streben 
balw,  die  Herrschaft  auch  auf  seine  Familie  zu  ▼ererben 
und  die  bestandige  Gefahr,  dasz  die  Verfassung  der  Wahl- 
monarchie durch  den  Monarchen  selbst  in  ihrem  Wesen 
bedroht  werde.  Dieselbe  ist  gewöhnlich  um  so  grösser,  je 
ftthiger  der  WahlfOrst  ist  die  Kegierung  zu  leiten,  und  je 
energischer  er  die  oberste  Macht  handhabt.  ^ 

Za  Gunsten  der  Erbmonarchie  lAszt  sich  anfuhren: 
1.  Die  Dynastie  nod  das  Volk,  das  Haupt  und  der 
KArper  sind  b^e  nicht  durch  die  Dauer  eines  Menschen- 
lebens beschrankt,  sondern  setzen  ihr  Leben  in  ununter- 
brochenem Zusammenhang  durch  Jahrhunderte  fbrt.  Die 
Stätigkeit  und  gewissermasKen  die  Unsterblichkeit  des  Volks 
ist  euch  zur  Eigenschaft  ihres  politischen  Gentrnms  erhoben, 
otod  es  gewinnt  dadurch  hinwieder  der  8tat  an  Dauerhaf- 
tigk^t  und  innerer  Harmonie.  Der  ErbfUrst  erscheint  eher 
als  eine  selbständige  Macht 

%  Weil  so  der  ErbfUrst  als  höchster  Ausdruck  der  Volks- 
macht sanimt  seiner  Familie  verwachsen  ist  mit  dem  Dasein 

*  Die  franuisiwhe  Oetchidite  ist  sehr  reir.h  tui  derartigeD  Erüahran- 
gen.     Vgl.  auch  Siemondj  ■.  o.  0.  8.  218. 

'*  Zu  weit  Aber  gehl  Dsbltnann,  wenn  er  gegen  die  Wahlmonsrchie 
anfOhrt:  „Eine  VerraNDiig  könne  nicht  gnt  sein,  deren  natürlicher  Feind 
jtAtr  König  al*  FamilicBTBter  aei."  Der  Hang,  daa  Erworbene  auch  tm 
behaupten  nnd  anf  Kioe  Nachkommen  fortiapllaaien  und  »0  die  Errnn- 
g«nschart  in  ein  Erbgnt  m  verwandeln,  narzelt  Hltercfjngg  tief  in  der 
mmachliehen  Natur;  atier  die  Pflichten  und  Sorgen  de»  Velers  laasen  «ich 
dennocb  mit  denen  dea  Königs  wohl  verriuigen,  ohne  dnez  jener  anr 
Feindachafl  gegen  eine  Verraasnng  genc^igt  wird,  welche  auch  dem 
8uhne,  wenn  er  würdig  erfunden  wird,  nnd  diesem  leichter  als  andern 
den  Weg  zur  Krone  ölfnuL  Uie  Begriindnng  Dttlilmniio«  würde  auch  auf 
die  Erblichkeit  der  Aemler  pssMn,  beweist  tomii  lu  viel. 


n,g,t,7rJM,COOglC 


iß        Soehstes  Buch.     Die  SoaTer&aatäl  und  du  SlaUobcrbsupt. 

d^s  Volks,  80  sind  die  natQrlicben  Iiitereseen  der  l>y[iaatie 
ziigläch  zu  Volksinteressen  geworden,  und  es  ist  die  Sicher- 
heit und  Wohlfahrt  der  Dj'nastie  unauflöslich  verbunden  Diit 
der  dttuemden  Sicherheit  und  Wohlfahrt  des  Volks.  Der 
lürbfUrst  kann,  wenn  er  nicht  an  seinem  agenen  Blute  sün- 
digt, nie  zu  sich  sagen:  ,Apr^  moi  led^luge,"  wozu  s(^;ar 
ein  bedeutendes  ludiviäunm,  welches  den  Stat  regiert,  wenn 
sein  Ehi^z  oder  seine  Genuszsucht  gereizt  wird ,  zum  Un- 
heil des  States  sich  eher  verleiten  Ifiszt 

3.  ZwisoJien  der  Dynastie  und  dem  Volke  bildet  sich 
so  ein  festes  durch  gemeinsame  Schicksale  und  die  Hecht 
der  Geschichte  verst&rktee  Piet&tsrerhöltnisz.  Sie  fUhlen 
sich  verbunden  wie  das  Haupt  und  die  Glieder  eines  Kör- 
pers. Das  Volk  ist  stolz  darauf  in  der  Hoheit  und  Ehre  des 
firbfUrsten  die  Verk&perung  seiner  politischen  Einhdt  zu 
erkennen.  Die'  ansdauemde  und  aufopfernde  Kraft  seiner 
Treue  an  das  angestammte  Fürstenhaus  entwickelt  sich,  die 
persönliche  Liebe  wird  lebendig  und  diese  moralische  Er- 
hebung der  Seele  spannt  und  steigert  die  Anlagen  des  Na- 
tionalcharakters  und  stählt  seine  Thatkrafl. 

4.  Der  ErbfUrst  wird  eher  Uasz  halten  in  seinen  Be- 
gehren und  in  der  ganzen  Regierungsweise.  Nicht  zu  neuem 
Erwerben  ist  er  gereizt,  ihm  liegt  die  Erhaltung  n^er, 
lind  solche  Rucksicht  ermäszigt  die  Leidenschaften  und  for- 
dert zu  ruhiger  Sorge  auf,  bei  welcher  auch  der  Stat  in  der 
Regel  am  besten  gedeiht. 

5.  Die  Existenz  des  ErbfUrsten  hanimt  aber  auch  den 
Ehrgeiz  und  die  Herrschsucht  der  Andern.  Auch 
der  kühnste  Aufschwung  eines  durch  Macht  oder  Verdienst 
ausgezeichneten  Untertbans  findet  in  der  Dynastie  eine 
Schranke,  die  er  nicht  überschreiten  kann.  Auch  die  Lei- 
denschaften und  der  Wettstreit  der  Parteifllhrer  wei-den  durch 
den  ruliig  auf  dem  Gipfel  des  politischen  Lebens  thronen- 
den  Herrscher   vor  dem  Aeiiszersten    zurückgehalten ,   und 


iM,Coo<^le 


FünHM  C^tel.     1.  Enutcliniigaronnen  tn  der  Nonaraliie.         S9 

es  geiingi  ihnen  weniger,  den  Stal  aus  seinen  Fu^n  «n 
heben.    . 

Selten  wird  indessen  die  AbwAgung  der  GrDnde  nnd 
QegengrQnde  darüber  entscheiden,  ob  die  Erb-  oder  die 
Wahlhemchaft  zum  Statsprincip  erhoben  werde.  Den  Aus- 
schlag geben  regelmfiszif;  die  rorhandenen  historischen 
lind  die  Machtverhältnisse,  and  gewisz  inuaz  dem  be- 
stehenden Rechte  als  solchem  ein  sehr  grosser  Werth 
beigelegt  werden,  welcher  fUr  sich  schon  die  Wage  zntn 
Sinken  bringt " 

Die  Geschichte  zeigt  uns  wenig  Beispiele,  in  welchen 
rlie  Erbherrschaft  in  eine  Wahlherrschsft  umgewandelt  wurde, 
es  wäre  denn  vorübergehend  durch  Verdrängung  der  nlten 
und  Berufung  einer  neuen  Dynastie ,  öfter  ron  umgekehrter 
Richtnng,  nach  welcher  es  glückliche^  WahlfUrsten  gelungen, 
ihr  Berrscherrecht  auf  ihre  Nachkommen  fortzupflanzen. 
Ebenso  weiss  die  Geacbichte  von  glücklichen  und  von  un- 
glQcklichen  Wahl  -  und  Erbreichen  zu  erzählen.  Die  Erfolge, 
je  nachdem  in  einer  Nation  auf  das  tüchtige  Individuum 
oder  auf  die  edle  Rasse'''  der  Nachdruck  gelegt  wurde, 
waren  in  verschiedenen  Zeiten  sehr  verschieden.  Wenn  der 
Charakter  des  Volks  entartet  ist,  so  wird  auch  die  Wahl 
gerade  die  Schlimmsten  zur  Herrschaft  erheben  —  die  Qe* 
schichte  des  römischen  Kaiserreichs  zeugt  warnend  dafür  — : 
aber  auch  Dynastien  sind  dem  Gesetze  des  organischen  Le- 

"  Auch  Sismondi  erkeanl  wiederholt  du  M,  „denn  jede  ErvchUt- 
lernog  der  StAlaordonng,  die  nicLl  zur  Nothwendigkeil  geworden,  iat  ein 
farehtbuei  Debel.»    B.  280. 

"  Der  OlMbe  des  Volke«  an  deo  Werth  der  AbalamronDg  nnd  an 
die  Deberiieferang  aadi  der  HerracbereigeaKboTteD  dnrcb  die  TennitlluDg 
6ra  Bloies  nod  der  königlichen  Enlebnng  iat  jeden&lla  ein  Fundament 
der  Sicherheit  der  Erbmonarohie.  Daaz  derselbe  Mgar  in  Frankreich  ntdil 
eretorben,  bewdat  die  Wahl  Ludwig  Napoleona.  Wo  aber  wie  dort 
mehrere  Djraatien  In  Betracht  koninen,  acheint  wenn  Qberhaapt  noch 
Monarchie,  die  Wahlmonarchle  den  Voreng  an  verdienen.  {Ich  laaae 
dieae  TOr  dem  3.  Oee.  18&1  geachriebene  Stelle  nnverjtndert  »leben.] 


n,g,t,7rJM,COOglC 


30        Sechstes  Bnek.    Die  Souverflaetit  and  des  SWaoberhsopl. 

Lebens  .unterwoi'feo ,  und  wenn  sie  im  Alter  ihre  EriUte  ver- 
lieren  wie  die  Merowinger  in  dem  Frankenreich,  oder  wenn 
ihr  Ftunilieogeiat  mit  dau  Geiste  des  Volks  in  dauemd  bäad- 
lichui  Widerspruch  gerätb  wie  zwjscbeo  d*B  Sbnrte  und 
England,  oder  wenn  eine  tiefe  SpaMoiag  zwischen  ihnen  eio- 
gerissen  ist,  wie  zwiedies  den  altern  BonrboDeB  nnd'fVaak- 
reich,  die  Füratra  der  Particularstatea  wie  in  Italien  dem 
Einh^tvdning  der  ganzen  Ni^en  keine  Befriedigung  gewfth- 
■ca  and  sich  auf  fremde  Gewalt  stützen,  so  drängen  die  Et^ 
e^nisse  mit  unwiderstehlicher  Gewalt  zur  Beseitigung  solcher 
D^rnastien  und  zur  Herstellung  «nes  harmonischen  Verhält- 
nisses des  neuen  Fürsten  mit  dem  Volke. 


Sechates  Gapitel 

II,   Dm  Erbrecht  Intbewndere. 

Das  ausgebildete  moderne  Staterecht  ist  durch  seine 
ßlTentliche  Natur  darauf  hingewiesen  auch  die  erblich  geord- 
nete Thronfolge  voraus  aus  dem  öffentlichen  Gesichtspunkt 
zu  betrachten;  und  insofern  unterscheidet  sich  die  stats- 
rechtliche  Folge  durchaus  von  der  privatrechtiichen  8uc> 
cessinn.  Auf  der  andern  Seite  aber,  da  auch  jene  innerhalb 
einer  bestimmten  Familie  vor  sich  geht,  steht  sie  in  Ver- 
bindung mit  dem  Familienerbrechle  und  erinnert  immerhin 
an  privatrechtliche  Verhältnisse  und  Ordnungen. 

1.  Die  Nothwendigkeit ,  die  Erbfolge  zum  voraus  ver- 
fassnngsmfiszig  zu  regeln,  tritt  hier  in  dem  Lichte  des  Stats- 
interesses  besondei's  klar  hervor.'  Regel  ist  somit,  wie  freilich 

'  In  dem  frühen)  Hitteklter  wKr  das  Erbrecht  keineewega  so  gtvaa 
bestimmt,  daher  waren  auch  die  Sttnipfe  verschiedener  ErbprILiwtdeiitea 
hkullger. 


nigiti/cdtvCoC^Ic 


ScehUM  Cftpilei.    U.  Dm  Erbrecht  InabcMJndere.  ^1 

im  detilscheo  Priratrechte  auch,  nicht  aber  im  römischen 
Rechte,  die  geeetzliche  Familienerhfolge,  im  Gegen- 
satze zu  einer  auf  verftnderlicher  Willensbeatimmung  beruhen- 
deo.  Auch  dariu  stimmt  die  Thronfolge  mit  dem  Charakter 
der  deutschen  Stammgutseuccesaion  Uberein,  dass  der  Naoh< 
fojger  sein  Recht  keineswegs  von  dem  unmittelbaren  Vor- 
gänger ableitet,  noch  lediglich  als  Stellrertreter  und  Forl- 
setser  der  Persönlichkeit  des  Erblassers  gitt^  sondern  dass 
er  aus  selhstftndigem  Rechte  iu  das  Königthum  ein- 
tritt und  dieses  fortsetzt.  Die  ganze  Dynastie,  innerhalb 
welcher  die  Folge  genauer  regulirt  ist,  erscheint  so  in  un- 
iioterbrochenem  Zusaramenbaoge  als  ein  Körper,  aus  welchem 
nach  bestimmter  Ordnung  das  Statsoberhaupt  immer  wieder , 
hervoigebt,  so  oft  du  Tod  den  jetzigen  Honarchen  dahin- 
raOl.  Es  gibt  kein  Zwischenreich.  „Der  König  stirbt 
nicht"  Es  bedarf  sooiit  keiner  Antrittserklttrung 
und  die  Krone  gebt  von  Rechtswegen  sofort  über.  '* 

2.  Der  Thronfolger  hat  demnach  ein  bestimmtes  An- 
recht auf  die  Folge,  welches  ihm  nicht  willkürlich  von  dem 
herrschenden  König  entzogen  werden  kann:  ein  Anrecht, 
welches  nicht  erst  mit  dem  Tode  des  letztem  zu  einem  wirk- 
lichen Rechte  wird,  sondeni  schon  vorher  als  ein  festes 
Recht  der  Anwartschaft  (jus  deTolutionis)  einen  Werth 
und  eine  reale  Bedeutung  und  Anspruch  auf  Schutz  und 
Anerkennung  hat. 

In  Europa  hat  zwar  das  Lebenssystem  auf  die  Ausbil- 
dung dieser  Grundsätze  eingewirkt,  aber  offenbar  folgen 
dieselben  ebenso  bestimmt  aus  dem  öffentlichen  Charakter 
der  Thronfolge  —  d.  h.  aus  dem  Statsinteresse.    Sie  werden 

*  ßbenao  dM  fnnzJMtclie  flprOdiwort:  „le  roi  ne  meartJamuB,"  aod 
die  Redensart  ,1«  rol  aat  mort,  vlve  le  roi."  Vgl.  Loyael  Inst  Cont. 
1.  3.  Eb  Ist  du  gaiiE  dat  nämliche  Princip,  welchM  in  deotscheD  Pri- 
*«tarl>reriit  dureli  da«  Sprichwort  bezeiofauet  wird :  „Der  Todte  erbt  den 
l<efaemlig«D/  „le  mort  saiait  1«  vif ,"  QDd  ebenao  d<n  vninineibaren  Ueber- 
gaag  der  Qewera  (saiain«)  tur  Fulge  hat. 


,iP<.-jM,Cooglc 


33        SecliHu  Bueb.    Die  flouTorJUieiät  und  du  SUttMberUaupr. 

daher  von  dem  Untergänge  des  Lebensvesene  nicht  iiiit- 
betroffen. 

3.  Das  Recht  der  Thronfolge  vf'u-i  in  dem  moder- 
nen Ststssyetem  durch  die  StBLsverraaeung:'  besümmt, 
wovon  es  einen  wichtigen  Theil  bildet 

Da  dasselbe  somit  nicht  auf  dem  individuellen  Willen 
des  regierenden  Fürsten  beruht,  so  kann  auch  in  der  reprä- 
sentativen Verfassung  nicht  durch  Testament,  noch  durch 
Ehevertrag,  noch  selbst  durch  Hausgesetz  der  dynasti- 
schen Familie  eine  mit  der  Statsverfessung  im  Widerspmch 
stehende  Aenderung  in  derselben  herbeigeAlhrt  werden. 

Während  des  Mittelalters,  so  lange  noch  die  Landes- 
,  lioheit  einem  Privatvermtigen  fibnUch  b^iandelt  und  Oflbnt- 
liches  und  Privatreoht  vielfach  vermischt  wurden,  galten 
daröber  andere  Ansichten,  die  theilweise  noch  als  Ueber- 
lieferungen  der  Vorzeit  in  das  moderne  Btatsrecht  hinüber 
ragen ,  aber  offenbar  nun  im  Verschwinden  begriffen  sind. ' 

'  ADSDBhms weise  lutm  auch  im  deulscheii  Reiche  du  Recht  iq  teiUreD 
vor;  so  iodem  falschen  Statut  für  Oesterreicb  von  1156:  „Duz  Aastriae 
donandi  et  dtfulattdi  terra«  saa«  cuicunque  voluerit  habere  debeC  potftUi- 
ttm  lAfram,  si  qnod  aümti,  tiiu  ktred^tu  lAerii  deoederet,  neo  in  boc  p«r 
imperium  debet  aeqiutlit«r  iDipediri."  Zöpfl,  deotache  Eeebtageachiehte 
].  S.  148.  In  SU  agedehnte  rem  Haaze  liamea  aber  die  Erbvertrige 
besonders  bIb  Erbve rbrüderu ng-en  TOr,  durch  weiche  ein  vertrag«- 
mtuzigea  Thron folgerechi  auch  für  eine  fremde  Dynastie  begründet  wurde. 
Für  die  Reichalehen  wurde  indessen  zu  ihrer  Gültigkeit  li)  die  Zn- 
stimmuDg  aller  derer  gefordert,  deren  Anwarlschaft  auf  die  Thronfolge 
dadurch  ben  ach  theil  igt  werden  könnte;  b)  die  Bestätigung  des  Kaisers 
und  c)  auch  da  schon  cnwelten  der  Landstftnde,  welches  letclere  Erfordcr- 
nlsi  den  öffentlichen  Churaktor  der  Thronfolge  in  der  That  «i  wahren 
geeignet  war.  WsblcapHulation  Leopoids  L  v.  16&8,  Art.  VI.  S.  5: 
„Wie  wir  dann  »nch  die  vor  diesem  unter  ihnen  (den  ChurfQraten)  den 
Reicbsoonsiitutionibus  gemttai  gemachten  sniones  gleicher  gestalt,  luvär- 
derat  aber  die  unter  Churfliraten,  Fürsten  und  St&odeD  autgerichlateii 
ErbverbrüderuDgen  biemit  conftrmiren  nnd  approbiren."  Wahlcapitu- 
lation  Carls  VI.  von  1711  Art.  1.  $.  Q.  Vgl.  ZacharU,  deutachu 
Riats-  und  Bundesredit  «.  7i.  Zöpfl,  deuteebes  Statsredit  $.  211  ff. 
Urkunde  für  Brannaehweig-Lüneburg  von  1&74:  „Aner  Slote  stede 


iM,Coo<^lc 


Sedulct  Cipitel.    U.  Dw  Erbrecht  in>b«ODd«re.  WA 

4.  Dagegen  folgt  aus  der  statarechtlichen  Bedeutung 
des  Rechtes  zur  ThroDfolge,  dasz  nach  dem  entwickelten 
System  des  ReprOsenfiUivstatee  Aehderungen  in  demselben 
auf  don  nttmlichen  Wege  faerbeigefOhrt  werden  können,  wie 
AenderuDgen  in  der  Verbssong,  d.  b.  durch  «nen  Act  des 
gesarnnten  ReprflsentatiTkörpera.  Die  ZuBtimmung  der 
übrigen  betheiligten  Glieder  der  Dynastie,  ausser  dem  Hon* 
urehen,  ist  dabei  fteilich  wauschenswerth,  aber,  wenn  sie 
nicht  durch  die  Verftissung  selber  gefordert  wird ,  nicht  mehr 
DOthwendig,  so  wenig  als  die  Zustimmung  anderer  politisch 
Berechtigter  zur  Umgestaltung  ihrer  ^litischen  Rechte  durch 
neue  Gesetze.  * 

Die  Aenderung  kann  sich  auf  die  Thronfolgeord- 
nung  im  Allgemeinen  beziehen,  und  «n  neues  System 
der  Erbfolge' einführen. <  Oder  es  kann  ein  einzelnes 
Individuum  von  der  Thronfolge  ausgeschlossen  werden, 

Linde  *Dd  Lade  der  Her«cop  lo  Branseliwig  en  ahall  he  olch  verkopeo 
Doeh  vertaten  um  Willen  vnd  Talbord  sifiier  Broderen  vnd  der  Hknsoop 
*i>d  Sude  in  der  Heneop  lo  Brnnaehwlg.*' 

•  Pflr  Engluid  sind  du  ]f,Bgat  «nerksunte  S&Ue.  Vgl.  BUekitonf, 
Coinn.  L  3,  3:  „Et  aleht  nniwelfelhaft  in  der  Macht  der  gesetigebenden 
QewaH  dicaeg  Könipricha,  dea  Königa  und  der  beldra  HUaaer  dee  Parik- 
maDU,  von  dem  erblichen  R«chte  abiugehEn,  and  danh  beaondere  Ord- 
■iiiiig«n,  BoachrUnksn^n  und  Voraorgm  den  unmittelbaren  Tbron(blg«r 
aaaiiuchlieaien  und  dia  FV>lge  aaf  eine  andere  Petwoa  Oberantragen.* 
Schwediache  Verf.  von  180d,  Art  1:  „Da«  achwedische  Rekh  aoll  ein 
Erbreich  mit  der  Sncceaaionaonlnnng  ffir  die  mttnnlicben  Nachkonmen 
einea  verstorbenen  KOnlga  aein,  welche  die  9üUide  dea  Reiche  feitatellen 
werden."  Spaniaehe  TerT.  von  1837,  Art.  54:  „Die  Peraonen,  welehe 
in  regieren  nntthig  atnd,  oder  etwaa  gethan  haben,  »eaihalb  af«  vefdie* 
nen,  Ihr  Beeht  an  die  Krone  za  verlieron,  aind  damh  ein  Oeeeti  von  der 
ThfODibIge  anaanaohlietzen.'  ZApfl,  d.  fitatareeht  g.  315  vertritt  hier 
nodi  die  Uiara  privatrecbtiiehe  Analcht,  daai  den  Agnaten  ein  Job  qnae-- 
aitMB  anf  dia  Thronfolge  laatebe. 

'•  Von  der  Art  war  die  pragniatlache  Sanetlon  dea  itaterreichl- 
eehen  K^aerhsnaca  von  1T14  flir  manche  KronlKnder,  ebenao  die  Fat- 
dinandaTIL  von  Spanlan  Ton  1830,  lettlera  fMlIeh  ein  rinMltigw  Act 
dea  KOnlga. 

Bluataclill.  allgetiK 


iM,Coo<^lc 


34         8«efa«lM  Bncb.     Uia  SoureräMtit  und  öm  StarMberlikupt. 

oder  eine  ganze  Linie  l>i«her  beEechtig:ter  Personen.  " 
Oder  ea  kann  ein  Indiriduuni,  oder  ein  Geseblecht 
nea  berafen  werden.' 

6.  In  d«D  Reeitle  edt  Erbfolge  igt  ein  Vontug  des  mftnn- 
lichen  Geeebleehtes   Tor   den   Fmnen    nberall   anerkannt, 
jedoch  in  Terschiedenoi  Staten  in  verschiedenem  Umthng. 
n)  Naeh  dem  fransOeischen  System,  wdehes  mit  den 
OriHtdsätaen  des  rÖmiBohen  Statsrechts  QbereinsÜmmt, 
und   noch  in  Bohweden,  Belgien  und  Preussen 
gilt,  werden   die  Frauen   absolut  von  der  'HironMge 
ansgesefaloesen.  ^ 
b)  Nach  dem  in  Deutschland  Torberrschendea  STSteme 
werden  die  Frauen  zwar  durch  den  gansen  Hanns- 
Stamm  aosgescbloesrai.    Wenn  aber  der  Hannsstamm 
eriischt,  so  gebt  die  Thronfolge  aucb  anf  die  nächste 
Frau  aber,  ia  dem  Sinne,  dass  Ton  da  an  wieder  der  neue 
Mannsslamm  den  Vorzug  erhält.  *   Ebenso  in  Holland.  *<> 

*  So  die  StUki'U  f d  Eugluid ,  die  Nechkommea  Qut&vs  IV.  in  Schwa- 
den lind  die  ältere  Linie  d^r  Bonrbonen  in  Fruikreidi.  Eine  Mhr  all« 
geeetzlkhe  BeBtimmDrig  in  der  Irx  BajMortontm  II.  10;  „8i  quia  fllin* 
Dmii«  Im»  «aperbna  Tel  ttalhie  fuerit,  nt  patrem  ssam  debonestare  vo- 
iDorlt  per  conailiuni  mBUgnornni ,  vnl  per  fbrliam  et  regnum  que  suferre 
ab  eo,  dam  adhnc  paler  ^jaa  poleet  jadieio  oonlendere,  in  exereitu  am* 

balare,  popnlnm  jodieare seiat  ae  lUe  fllina  oootra  legen  fecUaa  et 

da  bendltate  petria  ml  ae  eaee  dqectDin.''  Landfrieden  Priedrieka  11. 
»M  laSS  c.  11. 

^  In  dieeer  Weiae  kann  auch  in  uiuerer  Zeit  die  Form  der  Adop- 
tion den  Uefeergang  erlelehtera,  wie  daa  in  Schweden  sn  Onnalao  de« 
Maraehiüla  Bernadotte  in  Jahr  1810  geaehehen  iat. 

■  Xm  Sdita,  62,  6:  „De  terra  vero  aaliea  anlla  portiO  kandiiatia 
nnlleri  veabU:  aad  ad  Tirilen  aezoin  tota  terrae  haereditaa  pcrTeBiat," 
Dat  arsprflnglich  fDr  das  PriTairecht  aaageaproeheoe  Prioaip  worde  amih 
anf  daa  8Uts«cht  angewendeL  Schwedtiehe  Verl  tod  1800  Art  1  und 
M.    Belgiiche  Verf.  von  1830  Art.  60.    Pranaaiacke  von  18S0  ArUM. 

•  Bayerisohe  Verf.  von  1818  II.  S-  *>  S-  Wartenbergiaehp 
Ton.]817  U.  S.»n.  10.  Oeaterreieh,  pragcnatiaaba  Sanotlis  tm  ITM, 
tn  Ffrig«  welcher  daa  Haw  Lotbrlage«  den  Bababai^ani  wwetdlne. 

"  Verf.  von  1816  Art.  14—10. 


n,g,t,7rJM,COO<^IC 


ScdutcB  Caidiel.    II.  IIm  Erbneht  iiiabcModen.  35 

f)  Das  englische  System,  wornach  diePrauen  nur  von 
d^'  mtowfichen  Gliedem  der  nAduten  Parcntel  ausge- 
schlossen werden ,  aber  den  Mtnaem  ans  tener  ateba^ 
den  Parentelen  vorgehen.  Eine  Folge  dieses  Systems 
ist  der  öftere  Wechsel  der  Regentenhftuser.  u  Das- 
selbe ist  nun  auch  in  Spanien  und  Portugal  aner- 
kannt >* 

6.  IMe  Einheit  des  States  erfordert  die  Untheilbarkeit 
des  Reiches.  Daher  kßnnen  nicht  mehrere  Pers(»ten  sngleidi 
den  Thron  ra'ben.  Wo  das  Reich  wie  eine  gewöhnliche 
Erbschaft  nnter  mehrere  Erben  getbeilt  wurde,  wie  das  in 
der  flrftnkischen  Monarchie  und  in  manchen  Staten  des  Hit- 
lelallers  geschah,  war  das  noch  ein  Ansfluss  priTstrecbtlioher 
Vorstellungen  tod  der  Statsherrschaft.  ■* 

7.  Das  Erbrecht  auf  die  Thronfolge  setet  die  Cteburt 
aus  einer  wahren  und  echten  Ehe  voraus.  Dttebeliohe 
Kinder  sind  somit  ausgeschlossen ,  ebenso  die  Kinder  aus  einer 
morganatischen  Ehe,  d.h.  einer  Ehe,  bei  deren  Eingehung 
TertragsmOazig  besümmt  wurde,  dasz  die  Kinder  dem  Stande 
des  Vaters  nicht  folgen  sollen.  '*  Nach  dem  oben  (4)  erör- 
terten Omndaatz  kann  freilich  durch  ein  Statsgrundgesetz 
auch  ein  solches  Kind  ausnahmsweise  für  N-bAhig  erklärt 
werden,  nicht  aber  durch  eine  blosze  zun&chst  nur  prirat- 
rechtlich  wirkende  Legitimation. 

8.  Viele    neuere    Verfassungen    fordern    Dberdem    die 

■>  Blaekston«  1.  3,  2.  So  ging  die Thronlblge  innsrludb  der  hü- 
ten iwei  Jabrlianderl«  anf  die  BfaiMT  OranleD,  Brannichwaif  und 
HannoTer  nnd  g«lit  nan  auf  da*  Hana  Eoburg  fib«r. 

"  Spanische  Verl  «od  1837  ArL  M.  Portogiesiaebe  tod  IftM 
Art.  87. 

••  Tgl.  oben  Buch  IV.  Cap.  IB,  8.  333. 

**  II.  Pmd.  W.  Die  AuMchllesiang  der  Kinder  aua  norganaUMber 
Ehe  kann  frdlldi  eine  bMcbrinkte  teln,  ledigllefa  n  Onniten  gewteter 
Pmofien,  M  da«,  wenn  dIeM  w^hUen,  aoeh  jene  wieder  gBecaattoae- 
nUff  werden.  Bin  BdapM  in  Baden.  Tgl.  ZQpf],  deotacbw  Bttti- 
ntlA  S.  23& 


iM,Coo<^lc 


36        Secbsle«  Biicli.    Die  Soamanetitt  und  das  SiatMberkaDpl. 

Geburt  ansein»  ebenbürtigen  Ehe.  Als  ebenbürtig  gilt 
dann  nur  die  Ehe  zwischen  Gliedern  sonveräner  oder 
souverän  gewesener  Hfiuser,^  denen  nach  deutschem 
Statsrecbt  auch  die  Qeschlechter  der  uediatisirten  deutschen 
Stand  esherren  beigeordnet  werden.  Df^^eii  wird  im 
Sinne  einzelner  neuen  Hausgesetze,  die  hier  theilw^se  noch 
engere  Begriffe  haben  als  selbst  das  Mittelalter,  die  Ehe  mit 
den  Gliedern  anderer  Geschlechter,  selbst  wenn  diese  nach 
der  LaodesTerfaMung  zu  dem  hoben  oder  Pairsadel  des  Reichs 
gehören,  nicht  iUr  ebenbürtig  gehalten.'* 

Diese  Beschränkung  der  Ehe  ist  romehmlich  dem  deut- 
schen Stalarechte  "  eigenthomlich,  welches  aus  dem  Privat- 
rechte den  keineswegs  glücklichen  an  die  Gegensätze  der 
Kasten  erinnernden  Begriff  der  Hiazheirath  entlehnt  und 
in  engem  Sinne  auf  das  System  der  Thronfolge  übergetragen 
hat.  Statsiechtliche  Gründe  für  dieselbe,  die  im  Sinne  der 
modernen  Entwicklung  alldn  massgebend  e&n  ktlnnen,  gibt 
es  nicht.   Sie  ist  daher  eher  als  eüi  Rest  einer  veralteten 

"  Die  Nspoleonifche  Familie  gehört  nicht  minder  in  dieven,  all  die 
beiden  BoarbonlKhen  Linien  von  Frankreich. 

"  Bayerische  Verf.  U.  S.  3.  Hannover  v.  18M  6-  12-  Hau»- 
ge»etz  V.  1836  „Als  ebenbQrlig  werden  diejenigen  Ehen  betrachtet,  welche 
Mitglieder  des  Hanaes  entweder  unter  aich  abschliesien  oder  mit  Mitglie- 
dern eines  andern  soDTeränen  Hanaea  oder  aber  mit  ebenbürtigen  Hitglle^ 
dem  aolcher  HfiDger,  welche  lanl  Art  14  der  BnndeMcte  den  Sonveränen 
ebenbHrtig  sind." 

>*  Wahlcapitulation  EarlsTII.  von  1742  Art  22  $.  4  vom  Kaiaer: 
,noch  auch  den  aua  nnat reitig  notoriaoher  Uisiheirath  eneugten 
Kindern  einea  Standes  des  Reicha  od«r  atii  aolchem  Hause  entaprawenen 
Herren  in  Verkleinenuig  dea  Hanaes,  die  väterlichen  Titel,  Ehren  nnd 
Würden  beilegen  viel  weniger  dieselben  tarn  Kachtheil  der  wahren  Erb- 
folger and  ohne  deren  beaondere  Einwilligung  fBr  ebenbQrtig 
und  sacceaajonsfthig  erklären,  aach  dergleichen  vorhin  bereita gew^ehen, 
solches  dir  nail  und  nichtig  ansehen  ond  achten. "  Vgl.  Zaeharfi,  d. 
8t.  n.  B.  R.  I.  66.  Zöpfl,  8t.  K.  g.  706— ZtS.  fichwediaohe  Thron- 
ancMHknuordDang  von  1816.  Vgl.  Schubert  Verf.  IE.  S.  889.  Dem 
engliaeben  Statarecht  war  dieses  Erfbrdemiss  vor  der  ThronbesteiguDg 
dea  Hanse«  Hannover  anbekannl. 


nigiti/cdtvCoC^lL' 


Scchalei  CApJlel.    II.  Du  lirbrcclit  itiabetoDdere.  ^7 

Anschauungsweise,  nicht  als  eine  nothwendige  Bestimmung 
des  jetzigen  States  zu  betrachten. 

9.  Dagegen  rechtfertigt  es  sich  in  der  That  aus  Grflnden 
der  Statsehre  und  Wohlfahrt,  wenn  für  eine  Ehe,  durch 
welche  das  Successionsrecht  auf  den  Thron  fortgepflanzt,  wird, 
die  Genehmigung  des  Statsoberhauptes  oder  des  Re- 
prSsentativkOrpers  gefordert  wini.  Diesen  kommt  es 
zu,  die  Warde  und  die  Interessen  des  Stetes  in  vollem  Masze 
auch  hier  zu  wahren.  Wenn  aber  das  geschehen  ist,  so  ist 
schwer  zu  begreifen ,  weszhalb  denn  die  Freiheit  des  fQrst- 
lichen  Individuums  noch  durch  herkömmliche  Vorurtheile 
Ober  die  eueschlieszliche  Reinheit  des  Blutes  weiter  beschränkt 
werden  sollte.  Manche  neuere  Verfbesnngen  enthalten  daher 
auch  derartige  Vorschriften.  "^ 

10.  Die  Erbfolge-Ordnung  ist  in  neuerer  Zeit  regel- 
Difiszig  auf  die  Grundsätze  der  Primogeniturordnung 

■*  Fttr  England  Stotat  von  1762.  Tgl.  Dahlmanns  Politik  1. 
8.  87.  6ay«rn  Verf.  II.  g.  3;  „Zar  SDctseMionafählgkeH  wird  eine  recht- 
iniluige  Qel>art  ans  einer  el>enbffr|]g«n  mit  Bewilllguag  det  Königs 
geacfalosseiMn  Ehe  erfordert."  Spanjaehe  Terf.  v.  1837  Art.  49:  „Bevor 
der  König  eine  Vermüfalnng  eingabt,  wird  er  die  Corlea  davon  benach- 
richtigen nnd  ihrer  Qenehnaigung  sind  die  Stipulationen  und  Ehecontnicte 
unterworfen,  die  den  Gegeoptand  einea  Geaetzee  ausmachen.  Dasselbe  Ist 
in  Bezug  auf  die  Blhe  des  unmittelbaren  Tlironerben  lu  beobachten.  Weder 
der  König  uoch  eein  unmitlel barer  Thronfolger  dürfen  eine  Vermählung 
mit  Personen  eingehen,  welche  das  Gesetz  von  der  Thronfolge  auescblleszt. 
Portugiesische  Verf.  von  1826  Art  90:  „Die  TermlÜilung  der  Prin- 
aeaain,  vermuthlicheo  ThronerUn,  wird  immer  mit  EinwllligDng  des  Kb- 
niga  nnd  nie  mit  einem  Fremden  vor  aich  gehen.  Wenn  der  König  — 
schon  aufgehört  hfttle  tu  let>en,  so  wird  aie  nicht  ohne  Einwtlliguug  der 
allgemeinen  Cortea  ins  Werk  gesetzt  Werden  können.  Ihr  Gemahl  wird 
keinen  Theil  aa  der  Hegiemng  nehmen  nnd  den  Hamen  König  erst  dann 
tragen,  wenn  die  Königin  ihm  einen  Sohn  oder  eine  Tochter  geboren  bat." 
Schwediache  Verf.  von  1809  g.  M:  „Kein  Prins  des  königlichen  Hauses, 
er  sei  Kronprinz,  Erbfiirst  oder  Fürst,  darf  aich  ohne  Wiesen  nnd  Bin- 
willigung  dea  Königs  vermählen.  Oescbiebt  es  dennoch ,  so  hat  «r  das 
Erbrecht  lam  Reiche  sowohl  för  sich  als  fUr  seine  Kinder  und  Nach- 
kommen verwirkt." 


iM,Coo<^lc 


38        Sechste«  Bach.    Die  SonTerinatKt  and  du  SUUoberhaupI. 

gebaut,  d,  h.  es  succedirt  der  erstgeborene  Sohn  de«  rer* 
storbenen  Monarchen,  oder  wenn  dieser  reratorben  wftre, 
der  erstgebonie  Enkel  von  demselben,  mit  Ansschlieszung 
selbst  des  zweitgebomeD  Sohns:  und  in  derselben  Weise 
geht  je  die  erstgeborene  Linie  (Parentel)  allen  andern 
Linien  und  in  jener  das  erstgeborene  Glied  allen  an- 
dern Qliedem  ror;  diesz  nicht  blosz  in  der  Nachkommen- 
schaft, sondern  ebenso  unter  den  SeitenverwandteD.  '*  Die 
Verwandtschaft  wird  nach  dem'Verh&ltnisz  zu  dem  letzten 
Regenten  gemessen,  ungeachtet  das  Erbrecht  keinesw^^s 
Ton  dessen  Willen  abhängig  ist,  und  nicht  nach  dem  Ver- 
h&ltnisz  zu  dem  ersten  Inhaber  des  Thrones,  roo  welchem 
immerbin  das  Successionsrecht  hergeleitet  wird.  Der  Unter- 
schied dieser  beiden  BerecTinungsweisen  wird,  da  klar,  wo 
der  ganze  Hannsstamm  ausgestorben  ist  und  die  Sucoession 
nun  auf  die  Cognaten  abergeht.  ^ 

In  Deutschland  wurde  das  Recht  der  Erstgeburt  su- 
erst  in   den  EurfÜrstenthQmem  eingeführt.     Dann   gii^  es 

'•  Z.  R  : 

^  Der  Enkel  A  _/Yv,  ^V  »«•''"•w'dcnOheimg 

n      L    v- rhtderToohter        ;&iÖB-       Y*""* '''*^«t"'''>''>"^ 
»D    yi-i    "^annddemSohneEgi'     ^      A-      üji  ■M,,f  »chlle»«  h 
jQ         c  vor.  A.    ^X.  und  1,  und  h  Mhliesit 

j-X  i  aoe. 

"  BekBDntermagHD  war  die  Fnge,  ob  die  dem  letzten  Beg«ni«n  lu- 
nächct  »tehcDd«  Erbtochter  oder  die  früher  darch  den  Yortag  de« 
UannwUmnu  aDagetcUotwne  und  dem  ersten  R^enten  niher  verwandte 
RegredienterblD  nnd  deren  Nschkommen  den  Vorzog  haben ,  bd  Ver- 
•nUuang  des  Aawterbenq  de«  Habebargitchen  ManncatammB  in  Oealer- 
r<doh  Ton  groaier  pracll«cher  Bodeotnng.  Sie  wnrde  aber  zu  Oansten  der 
erstoni  bcäntworteL  Ebeneo  Bajeriiche  Verf.  IL  f.  5.  Aach  1d  dar 
CognatenraeMaeton  wird  ttbrigeu«  meistenB  nicht  nach  dem  rÖmiaeheD 
OraiHltaUderQr«dnKhe,BODdern  nachdem  dentaebrecbtliehen  der 
nähern  Parentelen  und  innerhalb  dleeer  de«  nkehaten  Grade«  «ue- 
eedirt,  ao  daaz  z.  B. 


rmn-n-.;GoOg\i^ 


ScelMtaa  Capilel.     11.  Dbh  Erbrecht  Inabeaondere.  39 

«ueb  auf  andere  deutsche  L&nder  Ober.  *'  Vordem  erregte 
das  swtifelbefte  Erbrecht  itast  Überall  fiflere  und  rerdcrb- 
liche  Streitigkeiten. 

11.  Die  8tat8revhtliche  Verlaaseoschaft  des  re- 
giereoden  Fdtsten  ist  Dunmehr  genau  eu  sondern  ron  seiner 
pri ratrechtlichen  Erbschaft.  Zu  jener  gehören  vorniu 
alle  dem  Stalsoberiiaopte  als  solchem  zustehenden  Öffent- 
lichen Rechte,  dann  aber  audi  alles  Vemri^n,  wel- 
ches nach  der  Verfassung  oder  durch  Hausgesetz  oder  in 
Folge  besonderer  Stiftung  oder  letstwilliger  Verordnung  der 
Statsverlassenschaft   zugewiesen    worden    ist, '^'     Die   Privat- 


# 


^  \  die  QnMinkhle  f,  als  der  Parentel  A  zugeliorig,  der  TmiU  g 

•^^  S  In  der  Parentel  B  lorgebt. 


,i 


Zwdftllitft  iat  et  aber,  ob,  weoa  Parentel  nod  Grad  gleich  rind,  die 
kltweFraa  durch  den  jOngercD  Maaa  auageaeUoefen,  oder  In  dlMem  F*U 
keilte  Eäckiicht  aof  das  Qeachlecht  genoaimeii  wird.  Die  entet«  A«^ 
bHong  gilt  in  Englud  (Blecket.  I.  3,  2),  die  ktttere  in  uencbaB  deaV 
•ehec  Steten.  Bayer.  Verf.  II.  K.  Wnrtemb.  J.  7.  Tgl.  Zacharli, 
D.  St-R.  S-  73. 

"  Obldeoe  Bulle  von  1366  VIL  %.  %.  „Praeteoti  Iqe  perpeluU 
lenporibna  Talilare  dewmimBa,  ut  poetqnam  lideni  Prlnctpet  Blectoree 
•ecnlaree,  et  toram  quilibet  esee  deeierit,  jue  vox  et  poteelaa  eleettoaie 
hajnemodl  ad  filintn  eaum  primogenitam,  tegilirnnm,  lalcnm,  fllo  «aro 
Doo  extante,  ad  ejeaden  primogenlti  Slinm  aimlUter  Uieam,  iibere,  et 
riae  eoDtredtclione  cajtupiam  devolvatnr.  $.  -3.  81  vero  primogeoitua  hqjiu- 
modi,  abeqne  hMredibni  maKolia,  legitiraii,  laida  ab  bec  luce  uigraret, 
firtnte  praeaentie  Imperfalii  edieti,  jna  i-os  etpoleatM  eleetkmia  pTaedictae 
ad  Mnloram  fntrem  lalenin  per  Temn  palemalem  lioeam  deecendenteai 
et  deinoepe  ad  illioa  primogenitum  laicum  derolTatar."  In  Bayern  warde 
die  Primogenitur  durch  Benog  Albreebt  den  Weisen  1606  eingcfttliil, 
Bacbdeni  lange  zvvor  Kaiaer  Ludwig  Tergebllch  dcb  für  die  Untheilbar* 
keii  nnd  Einhalt  dea  Landea  bemiht  bntl«. 

"  Aneftlbrliehe  BeetlmmiiDgen  der  Art  in  der  bayariicben  Tarf. 
IIL  J.  %:  nZn   dem '  iinverauBierliehen  Slalagutc,   welchee  Im  Falle  einer 


iM,Coo<^lc 


40        Sechstes  Bneh.    Die  Sonverbietit  nnd  du  SUtMlxiteapt. 

rerlsmeoaehBft  wird  aus  dem  reinen  PriratTermÄgen  de« 
Forsten  gebildet  Die  erstere  ffilU  dem  Regieningnat^folger 
an  nach  den  statsrechtlichen  Besünimungen  Ober  die  Thron- 
folge. Die  SuecessiOD  in  die  letztere  wird  durcb  die  Regeln 
dea  Priraterbiechts  nonnirt.  Der  Thronfolger  ist  somit  nicht 
nothwendig  Privelerbe,  noch  weniger  dieser  euch  Thronfol- 
ger, und  die  ^ira^Ifiubiger  des  Erblassers  haben  auf  die 
Statsverlassenschaft  keinen  Anspruch. 


Siebentes  CapiteL 

Perafinliche  EribrdemiBse  der  F&higkeit  inr  Tbron  folge. 

1.    Während    des    Mittelalters    abten    die    Grandsitze 
des  Lehenrechtes    in   den   meisten   Staten  auch  auf  die 

SondernDg  dca  SUtsTenDägena  tod  der  Privatverlastenachklt  In  du  In- 
ventar der  letilerD  nicht  gebmcht  werden  darf,  gebüren:  1)  Alle  Arehive 
flod  RegUtrataren;  %)  alle  <WentliclieD  AnstklUn  und  OebUnde  nüt  Ihrem 
ZnfebÖTi  8)  alle«  QeeehQU,  Mnnltion,  alle  HUiiirmagaclDe  nnd  wu  inr 
Landeawehr  n&thig  iet;  i)  eile  Eli n rieh tangen  der  Hofcapellen  nnd  Hof- 
Kmter  mit  allen  Uobillen ,  welche  der  Anfiiicht  der  Horstftbe  und  Hofinteu- 
dantan  anTertrant,  nnd  imn  Behuf  oder  lum  Olante  des  Hofes  bestimnit 
alnd;  5)  alles  wu  anr  EinrichMog  oder  tnr  Zierde  der  Ba^idenien  und 
Lutaebläeaer  dient;  6)  der  Hanasehati,  nnd  was  von  dem  Erbla*aer  mit 
deomlben  bereits  yereinlgt  worden  ist;  7)  alle  SammlnDgen  tSr  Kttute 
nnd  Wiasensebaften ,  als:  Bibliotheken,  phrsikaliache,  Naturalien-  nud 
Hflnicablnete,  Antiqnitttt«o,  Statuen,  Sternwarten  mit  ihren  IsitmueDten, 
Qem&lde-  und  Enpfersticbwmmlungen  undsonetigeQegenstäDde,  die  lain 
ölbntlidMii  Qebranehe  oder  snr  Befördening  der  Ellnste  nnd  Wissen- 
Mbaften  bestimmt  sind;  6)  alle  vorbandeaen  Torrtttbe  an  baarem  Qelde 
and  Capitalien  in  den  Stttscsseen  oder  an  Nataralien  bei  den  Aemtern, 
.ssmint  allen  Anssütnden  an  StaUgeKlIen ;  9)  alles  waa  ans  Mitteln  de* 
Stats  erworben  wurde."  Und  nach  i.  2  werden  anofa  die  «nenen  Er- 
werbungen aus  PriTattileln  an  nnbeweglichen  OStem"  in  dem  Statsver- 
nagen  gesogen,  „wenn  der  erste  Erwerber  wttbrend  seines  Lebens  nicht 
darüber  TertOgt  hat." 


iM,C00<^lL' 


SitbcDtea  CipiWi.    Pereän).  Erfi>rd«raUw  d.  Fäbigkeit  i.  Throofolg«.       41 

SuecessioD  in  die  FQratenthUmer  einen  Einflusz  aus.  In  den 
weltlichen  FQntenthQmern  waren  daher,  wie  nach  dem  Lon- 
gobardischen  Lebensechte  mit  Bezug  auf  die  Lehen ,  *  Geist- 
liche nnd  Mönche  von  der  Folge  au^eschloseen.  Die  Ab- 
hfingigkeit  dee  katholischen  Klerus  von  dem  pfipstlichen 
Stahle,  und  der  specifisch  weltliche  Charaicter  des  States 
begrOnden  aach  (Ur  die  moderne  dtatsverfassung  die  Regel, 
dasE  zur  Thronfolge  weltlicher  Stand  erfbrdert  wird,  Geist- 
liche somit  nur  dann  ffthig  zu  derselben  werden,  wenn  sie 
den .  geistlichen  Stand  in  einer  von  dem  State  anerkannten 
Form  aufgegeben  haben.''  Es  versteht  sich,  dasz  die  güst- 
licbeo  FUrstenthUmer  hier  eine  Ausnahme  machen. 

Auf  Protestanten  findet  diese  Ausschlieszung  keine 
Anwendnng,  da  der  Gegensatz  zwischen  Geistlichen  und 
Laien  hier  nicht  so  ausgebildet  ist  und  Uebergänge  aus  dem 
kirchliehen  Berufe  und  Amte  in  die  weltlichen  kein  Hinder- 
nis» erleiden. 

2.  In  manchen  neuern  Staten  wird  für  die  Thronfolge- 
fähigkeit ein  bestimmtes  religiöses  Bekenntnifz  er- 
fordert, und  ein  abweichender  Glaube  als  Ausschlieszungs- 
gnmd  betrachtet. 

Im  Mittelalter,  welches  auf  die  Einheit  des  Glaubens 
und  die  gegenseitige  unauflösliche  Verbindung  der  weltlichen 
und  der  religiösen  Ordnung  den  entschiedensten  Nachdruck 
legte,  verstand  sich  das  von  selbst.  Selbst  der  Kaiser 
konnte  in  den  Kirchenbann  gesetzt  werden  und  in  Folge 
davon  das  Reich  verlieren,  „wenn  er  an  dem  Glauben  zwei- 
felte."'   In  dem  modernen  Stet,  dessen  Ordnung  von  dem 

'  11.  Fead.  M  %.  6:  „Qai  clerlcus  emcitur,  kot  votam  religiODis  m- 
aantit,  lioc  ipso  feudam  araittit."  Qoldene  Bulle  in  der  Cap.  6.  Not«  31 
mitgrMbeilten  Stelle. 

'  Ob  du  nach  Eircl  cnr«cht  iiiUsilg  «ei,  iat  eine  andere  Frage,  Aenn 
Beeatwortaug  iudeMon  aaf  das  SUtareclit  nicht  nothwendig  maaxgebend 
•rirkL 

'  .Sachsenip.  III.  67,  S-  1-    .nDeii  Keiser  oe  mat  de  paves  nocb 


iM,Coo<^lc 


42        6«cbite«  Buch.    Die  SooTeritnelU  ud  da»  Stfttaobcrhwipt. 

kirchlicbeo  Verbände  mehr  abgelöst  worden,  und  in  welchem 
die  Ausübung  politischer  Rechte  nicht  ebenso  abhfiogig  ist 
Ton  dem  individuellen  Glaubensbekenntnin,  ist  dieses  Gi^ 
fordernisz  nicht  mehr  als  Regel  anzusehen;  obwohl  es  inn 
merhin  auch  für  den  Stat  ein  Uebel  ist,  wenn  das  Stals- 
oberhaupt  persönlich  einem  andern  Glauben  zugethan  ist, 
als  den  das  Volk  bekennt,*  denn  theils  wird  die  Pietät  und 
das  Vertrauen  des  Volks  zu  dem  Könige  durch  den  Gegen- 
satz des  religiösen  Glaubens  erschwert,  theils  ist  Gefohr  da, 
dasz  ein  glaubenseißngerFttrst  seine  Macht  miszbranche,  um 
die  religiösen  Interessen  des  Volkes  zu  stören  und  in  hem- 
men statt  zu  fördern.  Der  jetzigen  Rechtsentwicklung  in 
den  christlichen  Staten  erscheint  efl  indessen  noch  immer 
gemftsz,  wenn  die  christliche  Religion  fUr  das  Statsober- 
haupt  vorausgesetzt  wird.' 

Das  englische  Statsrecht  geht  weiter,  indem  es  Eng- 
land für  ein  „protestantisches  Königreich"  erklSrt,  ,des- 
sen  Wohlfehrt  nicht  bestehen  könne,  wenn  es  von  einem 
pftpstlichen  Fürsten  regiert  werde,"  und  daher  alle  Per- 
sonen, „weiche  die  päpstliche  Religion  bekennen  oder  mit 
einem  Papisten  verheirathet  sind"  für  unfähig  erkennt,  die 
Krone  zu    erhalten.*     Ebenso   wird    in   Schweden'   das 

iieman  baaueu  seder  der  tiet  dat  he  gevrkt  is,  ane  umme  dre  BaLe;  of  he 
an'ine  gelOTen  tvifelt,  oder  aiu  echte  wif  let,  oder  ^l«a  bas  Koaloret." 
III.  M  S.  1. 

*  FUr  die  dentacheD  SlaCen  »t  ea  aeit  dem  Wealph&llachen  Frieden 
anerkauaUr  Orandsatz,  daaz  die  Terachiedenheit  der  chrisUichen  Cod- 
fessiou  keiae  AasBchlieasuDg  von  der  Thronfolge  nach  sich  zieht. 

■  Aasdrflchlich  fordert  die  WDrtembergiache  Terf.  S.  5:  „dan 
der  König  sich  in  einer  der  christlicheti  Kirchen  bekennen"  mUase,  wo- 
durch sowohl  ofhnkondtge  Sectirer  ata  Nichtdiristen  anageschlossen  wer- 
den.   Tgl.  R.  Mohl,  Würt.  Slatsr.  I.  a  148. 

■  Erklftraug  der  ßechte  von  1689  and  Acte  Ton  ITOT.  Dte  Ade  Aber 
die  EiTianclpation  der  Katholiken  von  1629  Köderte  daran  nfchta, 

'  Qmndgesetz  tod  1773  Art  1 :  „Die  Einigkdt  in  der  Kellgion  nnd 
in  dem  rechten  OoUe»lieust  ist  die  kr&fUgsIe  Orundmaiier  an  einem  löb- 
lichen,  eintrUcfatigen  and  wahrhanen  Regimente." 


nigiti/cdtvCoC^Ic 


8i«bnile«  Capllet.    Fenönl.  BrfordwDiMe  d.  Ftthigkelt  i.  Thrcnilblgc.        43 

„Augsburgische'' Bekenntni8z  von  dem  KODige  gerorderL  Auch 
die  neue  griechische  Verfaseung  schreibt  vor  (Art,  40)  dass 
der  ITironfoIger  die  Religion  der  ^orthodoxen  christlicheo 
Kirche  dee  Orients"  bekennen  mlisse,  und  in  Rusziand 
gilt  fUr  die  Glieder  des  Kaiserhauses  das  nämliche  Erfor- 
dernisz  der  griechischen  Confession. 

3.  Damit  die  Thronfolge  zur  Anwendung  komme,  ist 
femer  vorauszusetzen,  dasz  nicht  die  Person  des  Naobfol- 
gers  an  Hfingeln  leide,  welche  dieselbe  zur  B^erung 
absolut  untauglich  machen.  Das  ftitere  Statsrecbt  legte 
darauf  mit  Recht  einen  Werth,  und  ein  innerer  Grund,  wess- 
halb  in  unserer  Zeit  derartige  MAngel  unberücksichtigt  blei- 
ben sollen,  besteht  nicht  Vielmehr  ist  es  unlogisch,  wenn 
das  moderne  Statsrecbt  das  Suocessionsrecht  aufhebt,  inso- 
fern solche  Mängel  vorhanden  sind ,  weiche  eine  gedeihliche 
Regierung  nur  erschweren,  aber  fortbestehen  Ifiszt,  wenn  die 
Regierung  durch  das  von  ihnen  behaftete  Individuum  geradezu 
unmöglich  ist.  Das  Auskunftsmittel  der  Reichsverwesung 
hilft  nicht  aus,  da  diese  immerhin  fUr  den  Stat  manche 
Uebel  und  Gefahren  nach  sich  zieht  und  ihrer  Natur  nach 
Dicht  ftkr  dauernde  und  absolute,  sondern  für  vorubei^ehende 
und  relative  Uniähigkeit  des  Regenten  die  nöthige  Ei^änzung 
gewährt.  Wohl  aber  liegt  es  im  öfTentlichen  Interesse,  all- 
niligen  Streitigkeiten  darQber  rechtzeitig  vorzubeugen  und 
daher  im  einzelnen  Fall  zum  voraus  durch  einen  Act  der 
gesetzgebenden  Gewalt  solche  ofTenbar  untaugliche 
Personen  von  der  Thronfolge  auszuschlieszen. 
Als  solche  Mängel  kommen  in  Betracht: 
a)  körperliche.  Der  Sacbsenspi^el  schlieszt  Zwitter, 
Zwerge  und  Krüppel  auch  von  dem  Erbe  zu  Landrecht  aus, 
ebenso  den  Aussätzigen:^  noch  viel  eher  daher  von  dem 

*  SKehs.  L«ndr.  I.  i  S-  1-  n^PP^  «Itril«  ande  iippe  dva^  nt  ir- 
■tlrft  woder  lui  noch  erra  noch  opp«  kroppdIdiiL  De  ineBdMke  mui  at 
TDtfeit  weder  )en  noch  «rve." 


iM,Coo<^lc 


44        Secliald  Buch.    Ue  Soaveriiietltt  und  du  SlnCaoberhaupl. 

FUrstenthum.  Die  Krankheit  dts  Aussatzes,  als  ein  heilbares 
Uebel ,  kaan  jedeiifallB  nicht  mehr  ale  ÄusscMieszungsgrund 
gelten:  aber  mit  der  Würde  des  States  ist  es  sicher  nicht 
vereinbar,  dasz  die  h&chste  Ehre  und  Macht  einem  Menschen 
zustehe,  welcher  an  einem  der  übrigen  genannten  Mangel 
leidet. 

Strenger  noch  waren  die  Bestimmungen  des  Lehensrechtes, 
welches  auch  Stumm-  oder  Taub-  oder  Blindgeborene  Ton 
der  Lebeosfolge  ausschlosz.  ^  Dasz  dieselben  keine  bindende 
Autorität  mehr  haben,  seitdem  der  Stat  seines  feudalen  Cha- 
rakters entkleidet  ist,  kann  nicht  bestritten  werden.  Nur 
die  Analogie  der  Verhältnisse  wirkt  noch  fort,  und  ähnliche 
Gründe  konnten  auch  das  neuere  Verfassungsrecht  zu  ähn- 
lichen Anordnungen  bestimmen.  "> 

b)  Geistige  Mängel  Blödsinn  und  Wahnsinn  schlieszen 
nach  der  goldenen  Bulle  von  13S6  aas.  '■  Diese  Beschrän- 
kung war  freilich  zunächst  für  die  Eurländer  ausgesprochen, 
aber  offenbar  nicht  in  der  Absicht,  am  dieser  willen  einen 
besondem  Recbtsgnindsatz  einzufllhren,    sondern  vielmehr 

■  Sücks.  Lsndr.  1.  i  J.  1:  »Wrl  ok  ein  kint  geboren,  atnin  oder 
bandelos  oder  voteloa  oder  bliat,  dat  \»  wol  erve  to  Iftotrechte  nnde  nicht 
len  erve."  Nach  Loogobard.  Lebenrechte  war  die  Frage  bettritCea:  U. 
Feud.36:  „llutua  et  surdiu  coecue  claudns  vel  aliter  iroperfectns,  etjamai 
sie  oMne  fkierit,  totum  fendam  paternum  retinebit  Obertos  et  Gerardna 
«L  multi  bIM.  Quidam  (amen  dlcnnt,  eum  qui  talis  natna  est,  feudotn 
retinera  non  passe."  Vgl.  darüber  Tabor  in  der  Zeilscbr.  für  deutsches 
Kecht  von  Beseler  u.  e.  f.  lü.  S.  362,  die  Stelle  der  Goldenen  Bulle 
anten  in  Note  11.  Kurpfäliiache  Verordnaug  von  1374:  „bei  einem 
unserer  Erben,  der  der  elleste  sy  and  bj  gutem  WiieD  und  Sinnen  sy ,  und 
on  BBIiirlicIier  Qebreeten  einer  Glider  sy." 

■°  Das  wärtembergische  Uauagesetz  von  1808  schlosa  unheilbar 
Blinde  aus.  Die  VerfasBung  aber  $.  11 — 13  und  das  erneuerte  Hausgeaetz 
von  1SS8  nahmen  die  Besehrinkung  nicht  wieder  auf. 

"  Goldene  Bulle  XXr.  $.  3.  „Primogenitu«  filias  succedat,  ribique 
soll  Jus  et  dominium  compeiAt,  nisi  forsilan  mente  eaptns,  latnus,  seu 
allerios  fiuiicMi  et  noiabili*  defectos  existat,  piopter  quem  non  deberet 
seu  posset  hominibus  priocipari.' 


iM,Coo<^lc 


AchMR  Cttpllcl.    Jll.  EDUtehnngatormen  Sii  der  Repablik.         45 

eiD  hergebrachtes  allgemeines  Priiicip,  welches  ebenso  fllr 
andere  Lfinder  pasete ,  in  seiner  Anwendung  auf  jene  zu 
bekr&ftigen.  Um  indessen  dos  Erbrecht  vor  Erörterung  und 
Streit  zu  sichern,  ziehen  auch  in  dieeem  Falle  einzelne 
neuere  Verfassungen  die  Aushülfe  durch  Reiohsverwesung 
der  Ausschlieszung  von  der  Thronfolge  ror:  ob  das  aber  im 
Interesse  der  Monarchie  und  der  Nation  liege,  darf  billig 
bezweifelt  werden. " 

c)  Moralische  UnwUrdigkeit.  ■>  Damit  diese  die 
Aosscblieszung  bewirke,  wird  aber  im  Sinn  des  neuem  Rechte 
ein  da«  Successlonsrecbt  des  schuldigen  Thronfolgers  aafhe- 
bender  Act  der  Geeet^ebung  dem  Anfall  des  Erbrechtes 
vorhergehen  müssen. 


Achtes  GapiteL 

III.  Entatebangafonneii  in  der  Republik. 

1.  Die  Regierung  berufen,  den  täglich  wechselnden  Be- 
ddrftiissen  des  States  ihre  Sorge  zu  widmen,  und  durch  die 
That  je  nach  umständen  lebendig  einzugreifen ,  bedarf  Iheils 
der  Einheit  des  Willens  fQr  ihre  Plane  und  Anordnungen, 
theils  fortgesetzter,  nie  ermüdender  Thätigkeit.  Bei- 
des ist  weder  durch  Tolksrersammlnngen  noch  dureh  re- 
präsentative Kammern  irgend  ^enOgeod  zu  erreichen.     In 

"  Der  Oeffthr  von  ThronfolgeatreitigkeitBii  ksoo  leiebt  doreh  d«n 
Enlaebeid  der  Gesetzgebung  vorgebeagt  werden,  nicht  ao  der  gröiMra 
Qefabr  einer  ein  vull««  vielMcbt  hobea  Uentchcnklter  fortdauernden  Ter- 
we«DDg.  Dahlmkon  Politik  I.  S.  88:  ,Eiiie  AuHchliesiaog  der  Art 
wtlrde  JedanblU  tom  r^eranden  KAnige  n»di  g«h»lMnem  FemilieDrUlte 
ond  mit  dessen  Znatimmung  (?)  aiug«lien  mfisaen ,  und  nur  in  dem  Falle 
antreten  ditrfen,  wenn  aoiier  dein  Slataministeriom  die  SUtodeverurnnv- 
Inng  die  Richtigkeit  der  TbKtaMba  anerkannt  hat** 

"  htx  Bajitear.  II.  10  obm  Cap.  6  Note  6. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


46        SMhit«!  Buch.     Die  SoaveriMUU  nnd  das  SlalMbcrhaupt. 

der  neuem  Republik  ist  daher  die  RegieruDgsgewalt  gewöhn- 
lich entweder  in  üner  nur  wenig  zahlreichen  Behörde^ 
oder  geradezu  in  einem  eineigen  Chef  des  Stats  ooDom^ 
trirt.  Das  erstere  System  ist  —  vrean  auch  nicht  Überall  — 
in  der  Schweiz,  ■  das  letztere  in  Amerika  herkfimmlicb. ' 
In  beiden  tritt  ein  monarchisches  Element  sichtbar  her- 
vor, ausgebildeter  und  entschiedener  aber  in  dem  letztem. 
FUr  grOszere  Staten  ist  dai:iselbe  unentbehrlich.  Als  Frank- 
reich 1795  einem  Directoriam  von  5  Mi^liedera  die  „toII- 
siehende  Gewalt"  anvertraut  hatte,  wurden  die  innern  Oe- 
breohen  einer  derartigen  Collegialregierung  bald  so  lebhaft 
empftinden,  dasz  die  Individualherrschaft  des  ersten  Consuls 
um  jener  Fulte  willen  um  so  ruhmvoller  und  heileamei  er- 
schien: und  auch  im  Jahr  1848  machte  die  neu  erstandene 
Republik  nar  in  kürzerer  Zeit  die  nämliche  Erfohrung  wie- 
derum.  Nur  das  Individuum  vermag  der  Action  die  nöthige 
Energie,  dem  Regierungssystem  die  erforderliche  Einheit, 
der  Phantasie,  der  Achtung  und  dem  Vertrauen  des  Volkes 
einen  lebendigen  Atisdruck  und  Anhalt  und  der  politischen 
Verantwortlichkeit  einen  realen  Sinn  zu  verschaffen.  Das 
Collegium  lähmt  und  spaltet  die  Regieningsmacbt,  schwächt 
und  mindert  schon  durch  seine  äussere  Erscheinung  den 
Glauben  des  Volkes  an  die  Obrigkeit  und  die  Verehrung 
für  dieselbe  —  und  macht  die  Verantwortlichkeit  zu  einer 
getheilten  und  illusorischen.  In  kleineren ,  weniger  bewegten 
Republiken  werden  diese  Mängel  nicht  ebenso.  fUhlbar,  und 

'  In  dem  Bund«  der  BaDdearalh,  in  den  Kantonen  die  R^erunga- 
eolle^en.  Frfiber  batlen  aber  die  LandammBoner  in  den  Undern, 
die  Bargcrmeiater  nnd  Schultheissen  in  den  Stidten  ood  der 
echweiteriache  Landammann  nach  der  HediMioniverfaMnng  Im 
Band«  eine  herTorra^nde  Stellnng  als  indivldnelle  StBodeshiiapter. 
DI*  neuere  Genfer  Verftaaanng  nnd  die  Neigung  sn  dem  EHreetorialiTBlMa, 
die  lieb  In  nnaern  Tagen  knndglbt,  eind  Antelehen  nir  eine  neue  Indl- 
vldoelle  Concentntion  der  Reglerangegewalt 

*  Vgl.  darOber  Story,  Comm.  lU.  36  5- MS. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


Achte«  Capilel.    iU-  Bnl»l«liuiigift>nneD  in  iler  Republik.         47 

dB  atrAubt  sich  das  republikanische  Geftlhl  lebhafter  gegen 
die  individnelle  Aoszeichnntig  eines  Regierungsbanptes.  Da- 
her wird  da  wohl  das  System  der  Collegialregiernng 
roTgezogen.  Durchaas  fehlerhaft  aber  ist  eine  Einrichtung 
desselben,  welche  die  Parteispaltnngen  nnd  Gegensatze,  die 
in  dem  repräsentativen  EOrper  der  gesetzgebenden  Gewalt 
ihre  natorliche  BerecbUgang  haben,  each  in  die  Regiernng 
versetct,  und  so  die  nCthige  Harmonie  und  Einheit  in  dieser 
zerstört.  ■ 

i.  Als  R^el  tÜT  die  Bestellung  der  Regierung  gilt  die 
Wahl.  Muss  das  Volk  darauf  Terzichten,  selbst  zu  regieren, 
so  will  es  durch  die  ttäe  Ernennung  des  R^enten  einen 
mittelbaren  Eänflusz  auf  die  Richtung  des  Regiments  ftnszern 
nnd  zDgleieh  seine  Macht  und  sein  Vertrauen  offenbaren. 

Es  ist  schon  oft  bemerkt  worden ,  die  Völker  seien  un- 
fiüiig  selber  zu  regieren,  aber  nicht  unfähig  einen  Regenten 
xa  wählen.  Das  Volk  wird  selten  einen  mittelmfisrigen, 
noch  seltener  einen  schlechten  Menschen  zu  seinem  obersten 
Magistrate  wählen.  Es  kann  sich  undankbar,  es  kann  sich 
aoch  feindselig  erweisen  gegen  hervorragende  politische 
Mftnner,  seine  Gunst  ist  nicht  frei  TOn  Laune.  Aber  es  hat 
einen  natnrlichen  Instinct  fbr  persönliche  Grösze  und  ein 
offenes  Auge  für  die  Eigenschaften,  die  den  Reg^enten  aus- 
zeiehnen  sollen.  Der  kleinliche  Neid  gegen  eine  ausgezeich- 
nete PenrthilichkMt  ist  ihm  fremd  und  die  Intrigue  stört  es 
niofat    Es  liebt  den  Ruhm  nnd  den  Glanz  und  fUhlt  sich 


'  Nach  dem  Wahlayiteni ,  <1m  In  d«r  Scbweii  herrscht,  bt  «oleh«r 
Zwiespalt  In  der  Beglorang  acbwer  zu  Tenneid«ii.  WArde  den  PrUldeiiten 
der  Collegien  ein  Torschlsgarecbt  ffir  die  Wahlen  der  Uitglieder  oder  ein 
Toto  gegen  dliharmoniKhe  ErneDDUiig«ii  ingcaianden,  »o  wftre  für  eine 
rdattve  Eiolieit  auch  da  gesorgt.  Ein  inoerllcli  twiMpftItigea  RegiernDgt- 
cotlegiaat  In  der  Repnbtlk  ist  noch  weniger  in  ertragen,  &]b  ein  ans  hind- 
tkke«  Slmenta))  innrnmengeaetttea  HinisteriaBi  In  derHoDarchie,  denn 
dtaNB  Oidet  in  dem  Honaroken  wieder  die  Elnbeil,  welche  dort  anr  ift 
der  BeluMe  nlbet  geeaeht  werden  mnai. 


.n,g,t,7.dt,'C00gIc 


48:        S«clMlci  Bacb.    Die  Soa««tinelä(  und  du  StatMberhkapt. 

selber  in  seinen  Ersten  geelirt.  Es  ist  hienach  nöoh  eher 
geeignet,  einen  guten  und  seiner  würdigen  Regenten  zu 
w&hlen  ala  den  gesetzgebenden  Eörpen  richtig  zu  besetzen.  * 

Dahec  ist  fUr  die  Republik  die  unmittelbare  Volks^ 
wähl  wie  sie  in  Rom  sich  w&hrend  Jahrhunderten  so  ror- 
trefflich  bewfthrt  hat,  und  in  der  Schweiz  in  den  uomit- 
telbaren  Demokratien  ebenßiUs  zum  Yortheil  und  zur  Shre 
dieser  Länder  geübt  worden  ist,  dnrohans  nicht  su  rerwer- 
fen,  und  der  Wahl  durch  den  gesetzgebenden  KOrper, 
welche  nun  in  den  schweizerischen  ReprflaentatiTkaDtonen 
regelmfiszig  und  ebenso  in  dem  Bande  angeordnet  ist,  eher 
TOrzuäeheo.  Diese  Verschiedenheit  der  Wahlordnung  steht 
übrigens  in  Beziehung  zu  der  Frage  der  Indiridual-  oder 
CoJlegialre^rung.  Eine  besondere  Geecb&ftskenntnisz  in 
einzelnen  Zweigen,  im  Finanzwesen  oder  in  der  Verwaltung 
weiss  freilich  der  repräsentative  Körper  bessw  zu  würdigen 
und  die  tauglichsten  Personen  dafUr  eher  zu  Snden;  wo  da- 
her diese  einen  Bestandtheil  der  Collegialregierung  bilden, 
wie  in  der  Schweiz,  da  läszt  sich  die  Wahl  derselben  nidit 
dem  Volke  selbst  anvertrauen.  Aber  wo  znnfichst  das  ganze 
R^erungssjstem  in  einem  oder  zwei  Individuen  als  Stats- 
häuptern  concentrirt  wird ,  da  ist  die  unmittelbare  Volkswahl 
vorzüglicher.  ^ 

In  Nordamerika  gelangte  man  fllr  die  Wahl  des 
Präsidenten  zu  ünem  gemischten  Sjstem.  Dem  Oonvente 
wollte  man  die  Wahl  nicht  überlassen,  um  den  Intrigueo 
in  demselben  hier  keine  Macht  zu  geben,  den  Präsidenten 
nicht  zu  sehr  von  der  Uajoritftt  desselben  abhängig  zu  machen 
and   dem  Volke  einen  wirksamen  Einflusz  auch    auf  das 


*  Stenondt,  Etodea  I.  J.  271. 

*  Vgl.  Mch  oben  Bacb  IT.  Cap.  8  8.  m  Die  beiderlei  RBekakhtea 
könnleo  so  geeJoigt  werden,  da»  du  Volk  die  Wahl  der  Standaebinpler, 
uDd  auf  deren  Vorschlag  die  Groaien-RlUhe  die  dar  ttbrigen  Regicrnng«- 
glteder  erblellaE. 


iM,Coo<^lc 


AaklM  C*pilel.    III.  EiiUUlmngsrumiMi  in  der  RupoMib.         49 

Begieningsaystam  zu  verschefTen.  Auf  der  andern  Seite  ab^ 
seheote  man  die  Gefahr  des  TumulteB  uad  fieberhafter  Anf- 
regang  unter  dem  Vqilke,  wenn  dieses  uomittelbar  die  Wahl 
selbst  TomehiBe,  und  erwartete  grOszere  Eingeht  von  Aus- 
KhOasen  des  Volkes,  die  als  Wahlmänner  Aingiren.  Daher 
liesz  man  je  im  einzelnen  Falle  innerhalb  der  Mnselstaten 
von  diesen  besondere  Wahlmänner  bezeichneti,  welche  in 
gehamer  Abstimmung  ihre  Stimme  abgeben  sollen,  und 
vostattete  dann  dem  Hause  der  Repräsentanten  nur  den 
Entsobeid,  wenn  dieser  nicht  schmi  diirch  die  Hauptwahl 
gegeben  sondern  mehrere  Personen  al«  wUrdig  neben  einan- 
der gestellt  waren.  • 

3.  Die  Stateinteressen  machen  eine  s tätig  fortwir- 
kende Regierung  wQnsehenswerth,  damit  die  Tradition  der 
Politik  und  der  Geschäfte  erhalten  bleibe,  auch  weitreichende 
Plane  und  dauernde  Unternehmungen  ins  Werk  gesetzt  werden 
können,  der  Anker  der  Sicherheit  und  des  Vertraneos  in  den 
Gemüthern  festen  Halt  bekonmie.  Aber  ein  auf  Lebensseit 
gewählter  Regent  ist  ein  Monarch ,  und  der  Fortbestand  der 
Republik  ist  unmöglich  ohne  eine  kurze  Amtsdauer  der 
Statshäupter.  Eine  Ver^nigong  der  beiden  ent^gengesetz- 
ten  Anforderungen  länt  sich  mi  finden,  daaz  das  Amt  zwar 
snf  kurze  Zeit  verliehen  wird,  das  gewählte  Individuum 
ab^  wieder  wählbar  ist. ' 

Diesem  Systeme  huldigen  denn  auch  die  meisten  neuern 

*  Di«  aDsrQ lirlichen  BeslimiDungen  in  (l«r  Verfassung  von  1787.  IL 
V  2.  u.  3  und  die  Zustitzarlilie]  von  1604.  Vgl.  Story,  Comra,  III.  36, 
S.  206,  207. 

'  Washington,  Brief  vom  38.  April  1788:  „Uh  kann  in  keiner 
Beziehung  ein  Interesse  darin  seilen,  nns  der  Dienste  eioea  Uannes  iii 
brranben,  »elelier  in  einer  groezen  Krise  vielleicht  gsiiK  atigemetn  als  der 
Fähigste  erkannt  wird,  dem  Stale  seine  Dienste  lu  leisten."  Juffcrson 
dagegen  fürchtete,  die  WiederwählbarlAit  werde  prsclisch  dsbio  fuhren, 
dasi  der  eisinal  gewühlt«  Präsident  immer  wieder  gewühlt  werde.  Die 
Erfisbntiig  in  Nordamerika  «eiber  hat  diese  Beflirclitung  widerlegt.  Vgl. 
Story  III.  36  $.301. 

Bluntichli,  •ilgenelnesStiUrecht.    II.  4 


n,g,t,7rJM,COOglC 


so        Scdutes  Blich.     Die  8ciav«r&n«tit  aad  du  Stitsoberhaupi. 

Republiken.  Nur  die  ftenzösisohe  Verftiseung  von  1846,  Art.  45, 
verbot  die  Wiederwahl  des  Prflaidenten  der  Kepablilt  fUr 
die  nfichste  Amtsperiode  von  4  Jahren.  Es  war  das  aber 
ein  oflfenbaret  Zeichen,  dasz  die  Verfasser  der  neuen  repu- 
blikanischen Verfusnng  kein  Vertrauen  anf  die  repnbllka* 
nisehe  Gesinnung  der  französischen  Nation  hatten,  und  die- 
selbe vor  dem  RUekfell  in  die  Monarchie  mit  Ängstlicher 
Sorge  zn  bewahren  suchten,  ohne  Erfolg,  wie  sich  in  Bälde 
gezeigt  hat. 

4.  Die  person  lichen  Erfordernisse  fUr  das  Statsbaupt 
oder  die  Mitglieder  der  Regierung  machen  hier  geringere 
Schwierigkeit  als  in  der  Erbmonarchie.  Die  ^ie  Wahl  gibt 
die  Möglichkeit,  die  individuelle  Fähigkeit  und  Tochtigkeit 
nach  den  Umstanden  cü  würdigen   und   zu    berOcksichÜgen. 

GewAbnlieh  wird  indessen  verlangt: 

a)  volles  StatsbUrgerrechl  der  zu  W&hlendeii ,  zu- 
#dlen  sogar  angeborenes  Buigerrecbt  derselben,  damit 
der  Denkungsweise  oder  dem  Einflüsse  das  Auslandes  jede 
Aussicht  auf  Regierung  der  Republik  versdilosaeo  werde.  * 

b)  Ein  gereiftes  Alter* 


Neuntes  GapiteL 

Debergkiig  der  Terpdlchtang  des  R^ealen  anr  den  Nacltfolgvr. 

Der  Nachfolger  setzt  nicht  die  Person  des  Vorgängers, 
wohl  aber  das  Amt,  die  statlicbe  Institutioir  der  Regierung 
fort.  Daraus  folgt  als  leitendes  Princip:  Bloss  pereön* 
liehe    Verpflichtungen,   die   der   Vorgänger  Ubemommen, 

'  Nordainerik.  Verf.  It.  f  &.     Tgl.  8tory  III.  86  $.  V». 
•  Id  Nordamerikk  rSr  den  Pntmdenlen  U  Jabn,  >.  k.  0.;in  dar 
Sehweit  ofl  nnr  du  Alter  Am  VoIlilUtrlgknt. 


iM,Coo<^lc 


Neunte«  UapiM.    Uebergaog  der  VerpUiohiiing  des  Regenten  tic.      51 

geheD  nicht  von  Rechte»  wegm  auf  den  Nachfolger  aber; 
wohl    aber   amtlich    begründete  Tevpffiektungen.     Des 
Leben  des  States  und  des  Statsoberhauptes  dauert  tbti,  ween 
fehoo  das  Individuum  stirbt ' 
Im  Einzelnen  folgt  daraus: 

a)  die  R«chtsgOltigkeit  der  ron  dem  Regenten  eriaBse- 
neo  Verordnungen,  der  von  ihm  auag^angenen  Anstellungen, 
and  der  reo  ihm  amtlich  abgeschlossenen  Vertrige' erlischt 
nicht  mit  seinem  Tode,  sondern  dauert  ohne  Unterbrediiing 
fcrt.» 

b)  Ganz  dasselbe  gilt  auch  von  den  Anwartschaften, 
welche  der  Regent  ünem  Dritten ,  sei  es  in  Beaug  asf  eia 
L^en,  eine  PfrUnde  oder  ein  Amt,  ertheilt  hat,  vorau^^- 
setzt,  desz  dieselbe  bei  Lebteiten  des  Rennten  einen  be- 
stimmten, wenn  auch  erst  in  der  Zukunft  sü  realisirenden 
Reebtsanspruch  gab.  Wenn  dagegen  der  Sinn  nur  der 
war,  dem  Dritten  eine  Hoffnung  und  eine  wahrscheinlich« 
Aussiebt  auf  das  Lehen  oder  das  Amt  an  eroffnen,  so  kenn 
eine  derartige  Yerpflicbtung  auf  den  Nachfolger  nicht  Über- 
gehen, weil  der  Vo^ftnger  selbst  nicht  juristisch  verpfliclitet 
war.  Hoffhungen  sind  keine  Rechte  und  Anssichten  keine 
Forderungen.  ^    Wohl    mag    die  Rücksicht    Htif  die   Pielflt 

'  Die  frDture  Theorie  daritber  litt  taanpCaaclilich  an  der  Vennengung 
der  podttaehen  PriDcfplen  der  Folg«  mit  priT&irechtliehen  OmndaitMn  dee 
Brbreebta.  RiobUg  achoa  itsMM  ComII.  I.  cons.  37.  Lib.  U.  Codi.  US: 
.Jniperftlor  mori  dod  polest,  sed  ipa«  dignUM,  officium  impet«lorU  est 
immOTt&le;  qusc  faciLinl  itaque  rege«,  nomine  nou  sdo  sed  rcgni  f.  e.  gentia 
suse,  ills  obligunt  grnlein  et  prineipem  ejus  socceMorem,  nisi  Uedcrent 
bet*  Ipsnm  regnoni',  qula  regni  tuteU  est  commisM,  non  dil^>i4atio.* 
Tgl.  ZacbariK,  D.  St.  $.  76. 

*  Sehreibeii  dea  Kaisers  Fraoi  IL  an  die  KurfttnleD  von  179ft: 
„Hsii  tberltsit  hierixi  einem  Jeden,  die  wdlansaefaeoden  Folgen  *m  W 
rcchneD,  welche  uothwendig  in  ganz  Dealecbland  entstellen  wfirden,  weun 
je  dieHeionng  herrscheud  werden  m\]te,  dasi  der  Nachfolger  in  d«r  R»- 
glKnng  an  die  Handlungen  seiner  Vorrahren,  die  sie  in  ihrer  B^entebaft  als 
rrgiereNde  Flinten  vor^enomnen  haben,  der  Regel  nach  iiichl  gebnnden  sei." 

'  So  llsxt  dch  dar  früher«  Streit  der  Pnbliaistea  leicht  l&sen.    Vgl. 


iM,C00<^lL' 


.52        Smlivtea  Bnch.     Die  SouvcräneUtt  nnd  <Ihs  SIstM^twiIiKapl. 

gegen  die  Wunsche  des  Vorgängers  und  auf  das  moraliache 
Uebel  einer  von  dem  Stateoberhaiipte  verschuldeten  Tftti- 
scbiing  eines  andern  den  Kachfolger  beetimmen,  aach  die 
80  angeregte  Erwartung  zu  erfllllen  und  ihn  darwi  abhatte», 
seinen  eigenen  Wünschen  den  Vorzug  zn  geben.  Aber  das 
ist  nicht  etn  Gebot  dei:<  Statsrechts,  sondern  eine  Maxime 
weiser  Politik. 

c)  Leidet  die  Verfügung  des  Vorgängers  aber  an  einer 
formellen  Nichtigkeit,  z.  B.  weil  die  ftlr  Atntshandluir~ 
gen  ntithige  Couli-usiguatuT  der  Minister  fehlt,  oder  weil  da« 
Statsheupt  nach  der  Verfassung  zu  solcherlei  Handhingen 
überall  nicht  befugt  war,  '  sn  ist  der  Nachfolger  in  keiner 
Weise  zur  Anerkennung  derselben  verpöichtet.  In  diesem 
Falle  ist  schon  bei  Lebzeiten  des  Vorfehren  kein  wirkliches, 
Hondern  nur  ein  Scbeinrecht  vorhanden,  welches  durch  die 
Macht  der  Per.son  des  Kegenten,  nicht  durch  das  Amt  des- 
selben geschntzt  Af'ird. 

Dagegen  können  wir  von  dem  unbefangenen  Stand- 
punkte  des  allgemeinen  Statsrechts  nicht  zugeben,  dasK 
auch  rn.ateriell  ungerechte  Handhingen  des  Vorfahren, 
oder  solche,  welche  die  Interessen  der  Statswohlfohrt  rer-  , 
letzen,  somit  schädlich  sind,  ohne  weiteres  von  dem 
Nachfolger  als  unverbindlich  angesehen  werden  dttrfen.  Tra- 
gen dieselben  einmal  den  äuszern  Stempel  des  Rechts  an 
sich,  und  sind  sie  iiisoft-rn  als  formelles  Recht  zu  achten, 
so  kann  der  Tod  des  Regenten  ihnen  die.eeii  Charakter  nicht 

V.  Kainpli,  Erorleranir^D  der  VerUindliclikfU  des  welllichen  Keidunr- 
Rteii  aus  den  Handlungen  «eineb  Vorfahreo,  1800.  Uuiz  pWHend  itl  lUi- 
Bwtirnniiiiigdvr  Bayeriscben  VerCiiMUiiit  III.  $.  5:  „ÄnwurUcbaAecr  auf 
kUnftiKt'  dt^KiiHi«  Iieinlalleadc  Qiiter,  Renten  und  Kecbia,  können  eb«k- 
Mwenig  alB  aut'  Aemler  und  Würden  ertbeilt  werden." 

'  In  der  Altenburgpr  VerfaMung  J.  14  iat  der  Sau  auigesprochm 
„Die  R«geoteDh  and  langen  -lea  VorTabrurs  sind  von  dem  Landesoachfolger 
kninerkennen  nnd  la  *ertreleu.  »ofeiii  lie  ohne  U»b* reell rei Hing  der  ler- 
fMSinigfmÜMigeu  und  hausgeBet/.lichrii  Ueriigiiiai  nnternomroen  wnntpn." 


iM,Coo<^lc 


NeiiiilM  Oipilcl^.    Uebergaug  der  Verptlwbtung  iles  H«getiteti  ek'.      53 

iiebiuen,  denu  jener  AlHiigcl  wii-d  «liicliirch  nicht  gröezer  alü 
er  aovor  war. 

d)  Immerhin  liegt  »ber  ein  wichtiges  Corrfectiv  in  dem 
Gedanken,  dutiz  aus  dein  obigen  Princip  keineswegs  die 
Unabänderlichkeit  der  Rechtsverhältnisse  folgt,  welche 
der  Vorgänger  begründet  hat.  Der  Uebergang  der  Re^e- 
mng  von  einem  Individuum  »uf  das  andere  unterbricht  und 
stört  die  bestehende  Rechtskraft  nicht.  Aber  zu  einer  Aen- 
derung  ist  der  Nachfolger  gerade  so  befVigt,  wie  der  Vor- 
gänger selbst,  denn  der  Stat  und  seine  Tortschreitende 
Entwicklung  kennen  keine  sich  ewig  gleich  bleibenden 
Rechtsverhältuisse.  Die  Aenderung  musz  aber  theils  tit 
rechtmässiger  Form  ^  vollzogen  werden,  theils  mHsseii 
dabei  wohlerworbene  Rechte'  geschont  und  geachtet 
werden. 

e)  Nosze  Privtschulden  gehen  keinesw^s  auf  den 
Regierungsn&chfolger  als  solchen  über,  sonderu  nnranTden 
Privaterben  nach  den  Grundsätzen  des  Privatrechts.  Das 
gilt  auch  dann,  wenn  dieselben  zwar  mit  Bezug  auf  das 
Stammgnt  der  Krone,  aber  nicht  in  der  Eigenschall  des 
Landesherm  von  diesem  contrahirt  worden  sind.  Nur  wenn , 
jenes  durch  die  Verwendung  bereichert  worden  ist,  so  be- 
wirkt, wie  bei  Fideicommisz-  oder  Ijehengntern ,  die  Billig- 
keit, welche  nicht  zugesteht,  dasz  die  Bereicherung  auf 
Unkosten  des  Privaten  stattfinde,  die  Verpflichtung,  die 
Schuld  bis  auf  den  Betrag  des  vorhandenen  Melirwerthes 
des  Stammguts  zu  bezahlen. 

'  Wer.n  somit  der  Vorfebr  z.  B,  aiif  kÖDiglich«  Rechte  verrossunga- 
mätzlg  Terzicblet  hat,  K>  kann  der  Nachfolger  diese  auch  dann  uicbt  ein- 
seitig' wiedi^rberstelkii,  wenn  sotclie  l^r  die  filaUnohlfohrt  eraprieaEljch 
sind,  sondern  es  bedarf  dacu  in  der  Repräsentativ' Verfassung  der  Hitwir- 
üung  der  Rnmnieru.     Vgl.  auch  Zöpfl,  O.  6L  $.  236. 

•  Vgl.  ol)eii  Blich  V.  Cai..  16  8.  49J  f. 


'    n,g,t,7rJM,GOOglC 


54        SccIiBlH  Bncb.    IHe  SoUTcrSoeilkt  und  d«B  Slalioberfaaapt 

Zehntes  GapiteL 

IV.  B^rüiidung  der  RegentscbafC. 

1.  Die  Minderjährigkeit  des  Thronfolgera  hindert 
in  der  Erbmonarchie  den  Anfall  der  R^erungsredite  nieht, 
aber  nur  der  Volljährige  kann  dieselben  selbständig 
euaUben.  Die  Minderjährigkeit  macht  daher  eine  SteUrer- 
tretung,  d.  h.  die  Regentschaft  nOthig. 

Die  Uebel ,  welche  mit  jeder  Regentschaft  für  den  Stut 
Twbunden  sind,  haben  schon  frühzeitig  bewirkt,  dast  die 
Grftnzen  der  Minderjährigkeit,  ungeachtet  die  Regierung 
nicht  zu  den  leicht  und  bald  zu  erwerbenden  Künsten  ge- 
hört, eoger  gezc^en  worden  sind,  als  in  dem  Priratrecht. 
Die  Gefahr,  welche  aus  der  noch  unentwickelten  Jugend  des 
Regenten  für  den  Stat  erwächst,  erschien  geringer  als  die 
^oer  fortdauernden,  mit  dem  monarchischen  Princip  schwer 
zu  versöhnenden  Regentschaft  Die  goldene  Bulle  hat  so 
tat  die  deutscticn  EurfUrsteo  das  Alter  von  18  Jahren  *  als 
das  Alter  der  etatsrechtlichen  Volljährigkeit  der  Fürsten  fest- 
gesetzt, während  in  dem  deutschen  Privatrechte  dieselbe 
erst  mit  21 ,  oder  nach  römischem  Rechte  mit  UA  Jahren 
erlaagt  wird.  Auch  in  den  neueren  Staten  darf  das  Alter 
VC«  18  Jahren  als  Regel  angesehen  werden.  In  den  deut- 
schen Staten  ist  dieselbe  nun  mit  seltenen  Ausnahmen  an- 
erkannt,^ ebenso  in  England,  den  Niederlanden,  in 
Belgien  u.  s.  f.  Nach  der  schwedischen  Verbssung 
von  1809,  Art.  93,  darf  der  EOnig  von  da  an  nur  dem 
Stateratbe,    dem  höchsten  Tribunal,    den  Hofgerichten  und 


'  TU.  S-4:  „Quam  (legidmam  aelatem)  in  princip«  electore  decom  et  ' 
ooto  Mn»  completoa  ceDSeri  rolamui  et  •tatuima*  perpetuo  haberi.   Qdbiii 
dam  atlig«rit,  JuB  vocem  el  poteBlatem  et  omnia  ab  Ipois  depeadentla  totor 
i]We  sibi  lolaKlcr  eam  officio  tenaatar  protinuB  BMignare,' 

'  Zacliariä,  D.  SU  8.  79. 


n,g,t,7rJM,COOglC 


ÜMiDle«  C^ile).    IV.  Bcgrilndunfl:  d«r  HegeDtacbifl.  ,5,^ 

Collegien  beiwohnen,  aber  noch  nicht  an  Beschlüssen  llieil 
nehmen.  Die  Vormundschaft  hört  erst  auf,  wenn  er  auch 
du  AJter  der  priratrecbüichen  Volljährigkeit  erreicht  hat. 
Im  Gegensatse  dazu  hat  die  spanische  Verfassung  von  1837, 
Art  66,  die  Minderjährigkeit  sogar  auf  das  Älter  von  14  Jahren 
beschränkt. ' 

2.  Das  mittelalterliche  Statsrecht  hatte  die  Neigung,  die 
StellTertretUDg  des  minderjährigen  Thronfolgers  aus  dem 
Gesichtspunkte  der  persönlichen  Vormundschaft  zu 
behandeln.  Dem  modernen  Statsrecht  aber  ward  die  Auf- 
gabe, schärfer  zu  trennen,  und  die  pi-ivalrechtliche  Vor- 
mundschaft, welche  durch  die  So^e  fUr  das  Individuum 
bestimmt  wird,  von  der  statsrechtlichen  Regentschaft, 
welche  in  dem  BedUrfnisz  des  Stats  nach  dner  Regierung 
ihren  Grund  hat,  vollständig  zu  unterscheiden.  '  Es  ist  daher 
Nlfisäg,  daaz  andere  Personen  VormOnder  des  minderjähri- 
gen Fürsten,  und  andere Keiobsverweser  fUr  d^welben  sind; 
jenen  kommt  die  Verwaltung  seines  PrivatvermOgens ,  diesen 
die  AusQlwng  der  R^erung  zu. 

Es  ist  demnach  nicht  zu  billigen,  wenn  auch  gegen- 
wärtig noch  behauptet  wird,  die  Regeln  des  Privatreahtes 
Über  die  Bestellung  der  Vormundschaft  (z.  B.  durch  Testa- 
ment, oder  Gesetz,  oder  obrigkeitliche  Anordnung)  kommen 
da  jederzeit  zur  Anwendung,  wo  nicht  das  positive  Stats- 
reebt  etwas  Anderes  bestimmt  habe.  Die  Uebertragung  der 
priratreehtlichen  Normen  auf  das  Otlbntliche  Gebiet  versteht 

*  Die  VtrfoMnng  von  1013,  J.  186,  forikrt«  docL  ein  Alter  *cm  IS 
Jahren.  In  Frankreich  begrandete  »eit  Karl  V  (1S74)  «choa  der  Antritt 
«le*  Ulen  Jahre«  die  Valljtthrigkeil  des  Könige.  Schaffner,-  fraoiü«. 
Bechiegesch.  II.  S.  307. 

'  l£rklimBg.H*ntievi:re  iu  der  Bundeaveitammiuiig  \on  1839:  „Uie 
vannniidtcbafUkhc  Regieraog  über  einwi  MMverABen  Stat  littzl  ticL 
nisllt  mit  der  rormandachafUiciieu  Verwaltung  dea  Vemttgeu  einf« 
PrivftUung*  kDf  eiae  Linie  Meilen."  Sa  iai  datier  auch  gernilieit,  den 
Anadmek  Vorm  and  nchnft  filr  jwie  i.n  vermeiden. 


iM,Coo<^lc 


56        Seehates  Baeii.    Dl«  8on>ertitieUU  und  du  SUtlKberiiBupl. 

■ich  iHrgflode  mehr  ron  aelbal    Vielmehr  tnosz  umgekehrt 
gesagt   werden :     Tue  RcgentBchsIt    kann    nor   durch    einen 
statsrechtlichen  Act  begrQndet  werden,  wenn  nicht  aas- 
nahmaweise  das  positive  Statsrecht  noch  auf  die  privatrecht-  ' 
lieben  Formen  dw  Begründung  verweiat. 

Die  neueren  Grundgesetze  enthalten  in  dieser  Beziehung 
oft  genauere  Bestimmungen.  Nach  den  einen  wird  die  Re- 
gentschaft ein  flir  allemal  nach  bestimmter  Ordnung  uor- 
mirt.  '  Nach  den  andern  wird  im  einzelnen  Falle  eine 
Regentschaft  ernannt.  Dem  Statsrechte  der  constitutionellen 
Erbmonarchie  entspricht  es  dann  am  genauesten,  wenn  die 
Ernennung  weder  dem  Monarchen  fUr  sich  allein,  noch  den 
Kammern  fUr  sich'  überlassen,  sondern  durch  ein  Gesetz 
des  gesetxgebeodeu  Eürpers  vollzogen  wird.  ^  Ist  bei  Leb- 
Seiten  des  regierenden  Monarchen  dieses  Gesetz  nicht  er- 
lassen, so  ist,  wie  das  in  den  Niederlanden  vorgeschrie- 
ben ist,  den  nächsten  Anverwandten  des  mindetjttbrigen 
Nachfolgers  mindestens  ein  berathendes  Votum  zu  gestatten. 

3.  Die  Minderjährigkeit  ist  aber  nicht  der  einzige  Grund, 

*  Nach  der  bayer.  V«rf.  II.  $.  10  „kann  der  Honaivh  unler  den 
vol^ibrigeo  Priniea  dea  Hauses  den  ßdchaverweBer  für  die  Zeit  der 
Hinderjfthrigfaeit  sdnea  Nacbfbigers  wählen.  Hat  er  das  nicht  gethan,  so 
gebührt  die  RwchavernesuDg  dem  volljährigen  Agnaten,  neluher  osch  der 
Erbfolgeordnung  der  nächste  isL"  Hsch  der  spantecheu  VerfaMnug 
von  1837,  Art.  57,  kommt  die  Regentschaft  dem  Vater  oder  der  Hntter, 
oder  dem  Nficbstberecbtigten  zur  Thronfolge  zu.  Die  portugiesische 
von  1826,  §.  92,  beielchnet  den  nächsten  Verwandten  des  Königs  zum 
Regenten,  und  fordert  für  jenen  ausdrücklich  die  Tolljäfarigkeit  von  25 
Jahren.  In  Prensceo  $.  56  u.  67  gelangt  erst  der  nlehste  fähige  Agnat 
znr  Regentscban:  subsidiär  wählen  die  Kammern. 

*  Nach  der  belgischen  Verfastung,  $.  61,  setzen  die  verdaigt«» 
Kammern  die  Regenlschaft  ein.  Aehnlich  ernennen  in  Schweden,  Terf. 
von  1808  Art.  93,  die  Beichsat&nde  einen  oder  mehrere  „Vormäpder." 

'  So  in  England  und  in  den  Niederlanden:  Verf.  %.  36.  ElMnso 
In  Frankreich.  Vgl.  die  Abhandlung  von  R.  v.  Hohl,  Slatarccfat, 
Vdlkerr.  u.  Politik.  T.  8.  144  und  P5zl,  An.  Regentsciiaft  im  D.  8tsU- 
würterbach. 


iM,Coo<^le 


'ZeliHtes  Capilvl.    IV.  Begründung  der  It^etiiadian.  57 

wdeber  eine  RegeDtachaft  DÖthig  macht.  Wenn  uuch  nach 
dein  Regierungsantiitt  eine  persönliche  Unfähigkeit  des  Hon- 
srehen  sich  zeigt,  die  Regierung'  anszuUben,  und  dieselbe 
nicht  so  umfassend  und  dauernd  ist,  um  deu- Uebergang  der 
Thronfolge  selbst  zu  rechtfertigen ,  so  bedarf  es  wieder  dei- 
Begentschaft.     Dahin  gehören: 

a)  körperliche  Gebrechen,  z.B.  Taubheit,  Blind- 
lieit,  StuDimheit  und  schwere  Krankheit; 

b]  Wahnsinn  und  ftbnliche  Geistes- oder  Gemüths- 
krankheit,  z.B.  Blödsinn,  ein  hoher  Grad  von  Trübsinn; 

e)  lange  Abwesenheit  oder  Gefangenschaft: 

d)  grobe  Verletzung  der  Regentenpflicht,  z.  B. 
Tyrannei,  gewaltsame  Uiszuchtung  der  Verfassung,  offenbare 
und  genieiDverderbliche  Miszregierung; 

e)  Privatverbrecheu,  welche  die  moralische  Ehre 
des  R-^enteii  verdunkeln; 

f)  Un  Würdigkeit  des  Benehuiens  und  Lebens,  welche 
dem  Fürsten  die  ölTentliche  Achtung  völlig  raubt,  und  ihn 
moralisch 2ur  FortfQhrung  der  Regierung  untauglich  macht." 

Die  Anerkennung  besonders  der  drei  zuletzt  genannten 
moraliacfaen  Gründe  fUr  Bestellung  einer  Regentschaft  hat 
flreilicb,  insofern  nicht  wie  in  den  zusammengesetzten  Sta- 
ten  durch  die  höhere  Ordnung  der  Reichs-  oder  Bundesver- 
ftusang  fUr  Bewahrung  der  Rechtsordnung  in  den  Einzel- 
staten  gesorgt  ist,  sowohl  principielle  als  fbctische  Schwie- 
rigkeiten: Jenes,  weil  die  Eörperschalt,  welche  darüber  zu 
erkennen  hi»t,  in  gewissem  Sinne  über  die  Person  des  Mon- 
archen zu  Gericht  sitzt,  freilich  nur  in  der  negativen  Weise, 
.  dass  sie  ihm  die  Regierung  des  Stats  nicht  länger  zugesteht;  * 

*  Eine  Reibe  von  Beispielen  aus  deuuclieii  Staten  werden  bei  Elü- 
ber,  DentscheeBuiideaKcht,  g.  24  Hole  b  angeführt.  Id  dem  alten  d«ut- 
«cheii  Reich  war  indeasen  tiir  die  Beurtheilung  solcher  Fälle  besser  gesorgt, 
rrttber  durch  die  kaiserlichen  Reichs-  und  Hofgerichle,  später  durch 
die  PrltniDg  and  das  Erkenntnisz  dtt  ßeichsversammlang. 

'   Bei    Berathung  de«  badisclieti    Entwurfs  des  Regen tscliBrisgcecizce 


iM,Coo<^lc 


58        Sechales  Buch.     Die  8oa*er&n«tiit  ui)d  dai  Stalaoberhaupt. 

dieses,  weil  gerade  ein  schlechter  Regent  seine  Macht  Dicht 
leicht  ohne  Kampf  fbhren  lassen,  soodern  eher  benutsen 
wird,  seine  politischen  Gegner,  die  eich  fUr  eine  Regati- 
schaA  erklären  wurden,  zu  verfolgen  und  zu  unterdi-Ucken. 
Daher  bestreiten  manche  Publicislen  ">  fOr  das  neuere  Statt- 
recht die  Zulfi^igkeit  einer  Regen tschaftsemennung  aus 
diesen  Gründen,  und  lassen  dieselbe  nur  in  den  drei  erst 
genannten  Fällen  zu,  die  immerbin,  weil  sie  sich  mehr  an 
die  ihateftchliche  Erscheinung  halten,  als  eine  moralische 
Reurtheilung  nOthig  machen,  leichter  festzustellen  sind.  Gibt 
es  aber  kein  legitimes  Mittel,  die  letzteren  Fälle  zu  barock- 
sichtigeD  und  für  Abhttife  zu  sollen,  so  wird  der  Stat  der 
noch  schlimmeren  Gefahr  einer  revolulionfiren  Lösung  der 
Frage  ausgesetzt.  Wir  werden  im  Verfolge,  wenn  von  der 
UnVerantwortlichkeit  des  Honarchen  die  Rede  sein  wird, 
darauf  zurückkommen. 

4.  In  republikanischen  Staaten  ist  das  BedUrfnisz 
einer  Regentschaft  seltener,  indem  der  häufigste  Fall,  die 
Hindeij&hrigkeit,  Überall  nicht  eintritt.  Ueberdem  ist,  wenn 
sich  später  eine  Verhinderung  des  Statschefs  ergibt,  regel- 
mOfizig  durch  das  Amt  des  Viceprasiden ten  fOr  die 
Fortsetzung  der  Regierung  gesorgt  ■<  Dagegen  kann  ähnHdi, 
wie  in  der  Wahlmonarchie,  hier  eher,  wenn  der  Prisident 
und  Vicepräsident  sterben  oder  ihre  Amiadauer  ansgelaufen, 
und  der  Nachfolger  noch  nicht  gewählt  ist,  das  Bedttrflaisz 
einer  Ziwischenregierung  (interregnum)  eintreten. 

wurde  der  Antrag  gestellt,  dui  eine  &ui  den  Kftininem  gewftblte  Jury 
einen  einatiniDiigeD  W&hrsprucb  bilde,  welcher  dem  Eobcbeld  der 
FCamnieni  zu  Gründe  Hege.  , 

'*  Z.  B.  Z*cbsrU,  D.  StAterecht,  §.  60. 

"  )4ordBnerihani8che  TerfaMung  11.  1.     Story  III.' 36,  $.306. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


Bim«  Capitel.     V.  Yeriutl  der  Uernciiari.  50 

Eilftes  GapiteL 

T.  Terliut  der  Serrscbaft. 

1.  Entsagang,  Abdaakuqg.  Sie  beruht  auf  dem 
freien  Willeo  des  Regeotes,  auf  die  Regierungsrechte  zu 
verzichten,  und  die  damit  verbundenen  Pflichten  von  sich 
abzawftlsen.  Ein  Amtszwang,  welcher  denselben  auch  wider 
Willen  festhielte,  wAre  unnatürlich,  schon  um  der  groszea 
moralischen  Verantwortlichkeit  willen,  welcher  die  Kräfte 
eines  Individuums  nicht  gewachsen  sein  können,  und  ver- 
derblich für  den  Stat,  dem  mit  erzwungener  R^ierungs- 
thAÜgkeit  nichts  geholfen  sein  kann. ' 

Die  Entsagung  kann  indessen  in  der  Erbmonarchie  eine 
unbedingte  sein,  in  dem  Sinne,  dasz  die  Thronfolge  eben 
so  eintritt  und  fortgeht,  wie  wenn  der  Monarch  gestorben 
wfire,  oder  eine  bedingte,  d.  h.  lediglich  zu  Gunsten  des 
bestimmten  Nachfolgers  wirkende,  so  daez,  nach  dem  Ab- 
sterben des  letztem,  der  abdankende  Fürst  neuerdings  znr 
Thronfolge  berufen  wird. 

5.  Der  ausdrücklichen  Entaagiing  steht  die  stillschwei- 
gende gleich,  welche  aus  den  Verhältnissen  geschlossen 
werden  kann,  obschon  die  Herstellung  dieses  Ereignisses 
leicht  dem  Zweifel  und  Streit  ausgesetzt  ist.  Sie  darf  ge- 
folgert werden,  wenn  der  Monarch  dauernd  das  Land  ver- 
lässt,  das  er  zu  regieren  hat,  oder  sich  dauernd  allen  Re- 
gieruugspflichten  und  Geschäften  entzieht.  Dieses  Argument 
wurde  in  der  englischen  Revolution  von  1688  auch  von 
der  entschieden  dynastisch  gesinnten  Partei  in  dem  Eng- 
lischen Parlamente  anerkannt.  Ebenso  kann  die  Verftusze- 
rung  des  Statsgebietes  von  Seite  des  Monarchen  interpretirt 

*  Eine  AnBn&hme  kummt  daher  aacb  nor  in  kleinen  Republiken ,  die 
einer  GemriudeveriraJtung  ähnlich  xind,  vor,  wie  in  einzelnen  Bergkan- 
tonen  der  Schweiz. 


iM,Coo<^lc 


60         Seubales  Buelk     Uie  Souverftnetät  und  daii  Slalsvbcrliaupl. 

werdeu,  ganz  abgeseheu  von  der  Frage,  ob  dieselbe  gültig 
sei  oder  uicbt. 

3.  Der  Eintritt  einer  absoluten  Unfäliigkeit,  Re- 
gent zu  sein,  nach  den  Bestimmungen  der  StatsVerfbasuDg, 
z.  B.  nach  der  englischen  der  Uebertritt  desselben  in  die 
katholische  Kirche.  Mendie  neuere  Vei-ftissungen  begtiQgen 
sich,  auch  in  solchen  Fällen,  wie  in  denen  relativer  Cnfä- 
higkeit,    die  Bestellung  einer  tleichsvenveeung  anzuordnen. 

4.  Die  Entsetzung,  in  der  Republik  auch  gegen- 
wärtig noch  anerkannt,  nach  dem  Statsrechte  des  Mittel- 
alters auch  in  Monarchien  häufig  get)bt,  wird  von  dem  State- 
rechte der  modernen  Monarchie  gewölinlich  nicht  mehr 
gestattet. '' 

&.  Die  Entthronung,  sei  es  a)  durch  das  Hacht- 
gebot  eines  Eroberers  oder  eines  übermächtigen  fremden 
States,  oder  b)  in  Folge  einer  Innern  Revolution,  welche 
den  Monarchen  oder  die  Monarchie  stUrzt,  oder  c)  durch 
Usurpation  eines  Individuums,  welches  sich  der  Stats- 
gewalt  bemächtigt.  Die  Geschichte  kennt  eine  grosze  Zahl 
von  Beispielen  der  Art  aus  alter  und  neuer  Zeit. 

Zunächst  ergibt  sich  in  allen  diesen  Fällen  nur  eine 
t'actische  Zerstörung  der  bisherigen  Herrschaft,  nicht  eine 
rechtliche  Erledigung  des  Thrones.  Verzichtet  der  Mon- 
arch nicht  auf  sein  Recht,  so  wird  der  Zwiespalt  zwischen 
seinem  Rechte  und  den  foctischen  Verhältnissen  sichtbar, 
und  dem  Könige  de  jure  steht  ein  KOnig  oder  eine  Regie- 
gung  de  facto  feindlich  entgegen:  eine  Spaltung  des  idealen 
Rechte  und  der  realen  Macht,  welche  jederzeit  fllr  den  Sttif, 
dessen  Existenz  die  Vereinigung  beider  erfordert,  ein  schweres 
Leiden  und  auf  die  Dauer  uiierti-äglieh  ist. 

Der  illegitime  Herrscher  wird,  so  weit  seine  wirk- 
liche Macht  reicht,  von  den  Unterthaiien  Gehorsam  fordern; 

'  Näher  wird  davon  C'B|>.  13  gchandelL 


Eillte»  Capilel.    V.  Verlusl  der  Herreebirt.  61 

umJ  da  die  Wohlfishrt  und  die  Rechtsardnung  in  dem  State 
ohne  tioe  factische  Regierung  nicht  bestehen  kOnoen,  so 
wird  er  denselben  auch  önden.  Der  einzelne  Unterthan  kann 
den  Kampf  mit  der  überwiegenden  6tatsgewalt  nicht  auf- 
aebmen  und  bestehen,  und  die  fkbrigen  Organe  des  Stat«, 
die  Polizei ,  das  Heer,  die  Berichte  werden  jede  Auflehnung 
der  Individaen  oder  «nzelner  Clasaui  der  Bevölkerung  un- 
terdrOcken  und  bestrafen.  Der  legitime  Herrscher  aber 
bat  die  Macht  nicht,  die  ihm  treuen  Bitrger  zu  schätzen, 
und  kann  daher  auch  nicht  fordern,  dasz  sie  fUr  seine 
B^chtsansprOche ,  die  er  selber  nicht  aufrecht  zti  halten 
rermag,  sich  binopfem.  >  Aber  eben  so  wenig  kann  ihm 
zugemnthet  werden,  auf  dieaelbe  für  die  Zukunft  zu  Ter- 
zichten;  und  ihn  dazu  z»  nöthigen,  in  ähnlicher  Weise  wie 
die  UnterUlanen,  dazu  fehlt  der  bctisohen  Regierung  hin- 
wieder die  Macht. 

Hier  l>egegnen  wir  dem  groszen  Einflusz,  welchen  auf 
dem  Gebiete  des  Statsrechts  der  Besitz  auf  die  Heohtsbil- 
dang  äussert.  Mao  darf  zwar  nicht  so  weit  gehe»,  schon 
<lem  Besitz  an  und  fllr  sich  die  Bedeutung  des  Riccbto  zu- 
zugestehen, das  hiesze  Zerstörung  des  Rechtsbegriflä ,  dem 
die  reale  Unterlage  zwar  nothwendig,  aber  die  sittliche 
Eägeusobaft  nicht  minder  unentbehrlich  ist  Auch  im  Ver- 
hältnisz  zu  den  Unterthanen  kann  der  Usurpator  nicht  sofort 
wie  er  die  Macht  ergriffen  hat,  als  legitimer  Herrscher 
angesehen  werden.  Erst  wenn  die  Repräsentation  des  Volkes 
und  die  übrigen  Organe  des  States,  insbesondere  die  Gerichte, 
denselben  als  Regenten  anerkannt  haben,  dann  ist  für 
die  einzelnen  StatsbUrger  die  Unterordnung  unter  den 

•  Unter  Heforick  Vit.  woMe  im  Jabr  1494  eiue  englieche  Pvia- 
iDcntMcte  erlaesFi),  durch  welolie  ausdrücklich  uolcrsagl  ivurde,  jemuiden 
gerichtlich  wegen  Verrathi  oder  eines  andero  Terg«beiia  za  verfolgen  und 
tn  beatrftfen,  weil  er  einem  Könige  de  faclo  seine  Dieastpflicht  geldatet 
hkbe.    Sie  findet  eich  in  dem  itook  or  Rights  von  Kdgar  Taylor  S.  136. 


iM,Coo<^lc 


f)2        SeehatM  Bnob.    Die  SoBTerKiKiKt  and  du  Stsl »Oberhaupt. 

ftictüchen  Herrseher  audi  mr  RMfitepfficht  geworden ,  nnd 
kann  jeiMr  in  diesem  VerhäUnisz  das  Recht  eines  legithnen 
Ragmtcn  ansprechen. 

Der  entthronte  Herrscher  aber  rcrliert  sein  Redit  dur(^ 
Verjährung,  sobald  er  durch  die  VerhAltnisse  genODi^ 
wird,  den  Kampf  um  die  Herstdiong  der  Herrschaft  entxa- 
geben,  d.  b.  wenn  einerseite  im  eigenfm  Lande  jeder  &cti- 
sfibe  Widerstand  angehört  hat  und  ancb  die  Aussteht  den- 
selben SU  emenem  verschwunden  ist,  und  anderseits  die 
UAglicbkeit,  von  auszeo  her  durah  vOlkerrethtlicbe  ESowir- 
kuog  oder  Krieg  die  Wiedereinsetzung  zu  vollri^en,  zer- 
■tfirt  ist  Ersteres  ist  geschehen,  wenn  die  ganze  Kation 
sieh  dem  neoeo  Herrscher  unterworfen  hat.  Letzteres  wenn 
die  aoswftrtigen  Uttchte  diesen  ihrerseits  aaerkannt  haben, 
and  jenen  somit  Torhindem,  sein  Recht  voo  ihrem  Oebtet 
aas  mit  Eriegsgewalt  zu  erneuern.  * 

e.  Die  ReiebsTerwesong,  Regentscbatt  erKscht, 
wen)  der  Grund,  um  dessen  willen  sie  bestellt  wurde,  auf- 
bArt,  somit  wenn  der  mindeijäbrige  Uonardi  stirbt,  und  der 
Throsfidger  cur  Regierang  beßthigt  ist,  oder  wenn  jener 
volljährig  wird.  Ist  es  zweifeihnfl,  ob  der  Orund  an^hOrt 
habe,  so  wird  darüber  in  der  nämlichen  Form  entschieden 
werden  müssen,  welche  verbssungsmfiszig  zur  Bestellung 
der  Regentschaft  erfordert  wird.  ^ 

*  Tgl.  oben  Einleitung  Cnp.  9  8.  31  r.  und  Zöpfl,  3iat«rec)it  II. 
|.  30B.  Er  legt  mit  Redit  aaf  die  AnerlienDangr  der  OrosiniicbW  daeii 
W«rthi  aber  wenn  einmal  ein  neuer  Herracbcr  vod  dentelben  «MriimnBt 
worden  und  fO  auch  Völkerrecht! Ich  legitimirt  Ut,  m  Iftait  ■ich  das  nun 
wirklich«  Recht  nicht  wieder  durch  spätere  Weigerung  fernerer  Aner- 
kennung illegitim  machen,  wie  ZOpfl  mit  Einweisung  «af  den  F^Il  Na- 
poleon des  Eralen  behaaptet  Diese  spätere  Weigerung  kann  die  Bedeu- 
tUDg  einer  Tjjlkerrechtliehen  Entthronung  haben,  ond  iat  dann 
neue  Reehtsbildung  nicht  Rückbildang  in  frilhere  Zttsiliode,  Han  kann 
die  Qeschichle  nicht  nachtritglich  ungeschehen  machen.  Gerade  die  Ka- 
poleonische Qeschichte  macht  das  klar. 

'  Zacbaritt,  Deatsehea  BiuidMi«cht  $.  83. 


n,g,t,7.dt,G00gIc 


Zwnlflea  Ckpttd.  VI.  Keehte  d««  SlatM>b(rb«upti.  A.  HoJwUiarfchl«.      63 

Zwölftes  GapiteL 

VI.  Rechte  des  Siairaberhnu|i(««. 
A.  IJaJrstiUr«hlo 

1.  Der  MoDsreh  als  SouTerAn  )st  zagleich  gewissermssM» 
die  Personification  der  Hoheit  und  Wurde  d«»  MUs. 
DemgeDOn  hat  er  das  Recht  der  Majest&t,  welches  bnoh 
da  gilt,  wo  der  Titel  „Majestät"  den  FSrsten  fehlt. 

Der  lltel  HajeeUtt  gebührt  naefa  der  nenero  statUchen 
Courtoiiie  Dar  drai  Kaisern  und  den  Königen,  mcbt  aber 
andern  Fürsten,  audi  wenn  dieselben  eouveiftne  Landeahei^ 
reo  sind.  ZtuMt  hat  die  römische  Statssprache  das  Kaiser- 
tbnm  dsmit  beehrt '  Von  da  ging  der  Sprachgebrauch  auf 
dir  fr&nkiscbe  Monarchie'  ttber,  und  durch  deren  Ver- 
mittlung auch  auf  die  deutschen  Kaiser.^  Im  spätem 
Mittelalter  gabra  auch  die  Könige  dem  Kaiser  diesen  Utel, 
erhielten  denselben  aber  nicht  von  der  kaiserlichen  Kanzlei 
znrUck.  *     Erst  seit    dem   westphäliscben  Frieden   wurde   es 

*.  IMa  KBiser  wurden  laweilen  so  nngeradet,  branchtao  aber  auch  von 
weh  aelber  den  Aa«drack  gumtra  msjeslsa,"  Vgl.  c.  17  C.  de  omni  agro 
deaerto:  „aub  caDonis  solutione,  quem  nottrat  majntotii  auctorils«  per 
annoa  ajugnlos  Kivendum  e»«e  praeaeripait." 

'  Karl  der  Qroece  bedienle  sich  dea  Titele  schon ,  bevor  er  die  Kaiser- 
knuiB  anf  adn  Haupt  gecetit  hatte,  und  noch  frU her  sprach  Tfaeodorich 
derOroaze  bIs  König  von  ItaJleo  von  seiner  ^regia  ronjestaa."  Vgl.  PTef- 
fiDger:  riMariui  Illustr.  1.  IV.  9. 

'  Es  iat  daher  ein  Irrthum,  weon  Droysen  (Befreiungskriege  I. 
8.  23j  meint,  Karl  V.  habe  sich  zuerat  HejesUt  heiszen  taasea.  Dieser 
Kaiser  hielt  iwar  alreoge  auf  der  Gliketle,  nud  so  mochte  auch  dieser 
Titel  unter  ihm  so  regelmäaiigerem  Gebrauche  kommen.  Aber  fortw&h- 
r«nd  hatten  aneh  die  frühem  Eaieer  den  Titel  der  H^estät  erhalten  und  ' 
lon  aich  gebrancht.  Eine  Reibe  von  BeJapielen  sind  gesammelt  bei  Pfef- 
finger  a,  a,  0.,  z.  B.  Friedrich  II.  im  Jahr  1213;  „praesens  privllegiom 
Mtfülatit  WMtraa  aorea  bulla  Jossimns  communiri" 

'  Noch  bei  den  Regenabarger  Verhandlungeu  erhob  die  kaiaerliehe 
Kanilei  Einsprache  dagegen,  daaz  dem  Könige  von  Frankrdoh  def  Tilal 


iM,Coo<^lc 


^1        8«cbil«s  Buch.    Die  SonveräDelät  nod  du  StaUoberhanpl. 

üblich,  auch  von  Reichs  wegen  die  Könige  als  MajestAten 
zu  beehren,  und  auch  die  Kurfürsten  fingen  nun  an,  die 
n&mliche  Auszeiclinung  zu  begehren.  ^ 

Der  Titel  kann  auch  für  sich  allein,  ohne  die  eigent- 
lichen HtyestAtsrechte ,  vorkommen.  In  diesem  Sinne  gebührt 
derselbe  regelmfiszig  der  Gemahlin  des  Königs,  imd  kann 
auch  von  dem  Könige,  welcher  auf  die  Herrschaft  versiehtet, 
somit  aufgehört  hat,  Sonvertn  zu  sein,  als  Zechen  der 
höchstei)  Ehre  beibehalten  werden. 

Unabhttngig  von  dem  Titel  ist  daa  Recht  der  llaje- 
stät.  Eine  Verletzung  der  höchsten  statlicben  Ehre  des 
Honar^en  wird  daher  als  ein  eigenthQmlichea  Terbrecben, 
als  nUajestfttsbeleidignng"  (crimen  laeeae  majestatis)  behao- 
delt,  und  mit  schwererer  Sbvfe  belegt,  als  wenn  irgend  die 
Ehre  eines  andern  Individuums  verletzt  wird.  ^ 

Das  republikanische  Statsrecht  der  neuem  Zeit  hat 
ftlr  seine  Regierungshftupter  sowohl  das  Recht  der  Majestttt 

Uajeetät  von  dem  Reiche  beigelegt,  werde;  „HielteD  sie  d*vor,  dMi  das 
Wort  „Dignitaa"  oder  „Königliehe  Würde"  zu  behalten;  als  weiln  ea  «tao 
im  RämiBcbeD  Keich  herkomnien  and  solcbes  prttdicat;  DigDitae  gebraucht 
würde,  wenn  aneh  nnr  ein  Füret  des  Reicha  allein  an  einen  Eönig  «uhrieb«, 
und  wOrde  derowegeu  hierdurch  eine  EinfOlirang  und  sonderlichen  denen 
nnwetenden  Fürsten  ein  Präjudiz  ^r^achet,  «o  man  niemals  vorhero  hülle 
tliiin,  Ja  mich  keines  Eöniges  Gesandten  gestatten  wollen,  seinem  Eünig 
dag  Prftdicat  Majestät  za  geben,  weiln  sonsten  niemand  anders  als  dem 
Römischen  Kayser  and  dem  R«gi  Romanorum  solch  Prüdicatnm  H^MMtil 
gegeben  würde.*  Indeisen  liesz  sich  damals  schon  die  Urhrhelt  in  den 
Füratenratlie  bestimmen,  den  Königen  von  Frankreich  und  von 
Spanien  diesen  Titel  miugeslehen,  die  Kurf&rsten  aber  bezogen  sich 
auf  den  Bnischeid  des  Kaisers. 

^  Als  der  Kurfürst  von  Brandenburg  1686  in  der  Vollmacht  seiner 
Gesandten  die  Formel:  „mit  unserem  Churfarstliehen  Majestät  Insiegel" 
'  brwiclite,  machte  das  Kurmainzische  DirMtorjum  erst  Einwendungen,  Uees 
sich  dann  aber  bestimmen,  dieselbe  anzuerkennea.  Vgl.  Pfeffinger 
a.  «.  0. 

*  Die  Gesetze  und  die  Jurisprudenz  der  Römer  haben  diesen  Begriff 
in  ansgedebnlem  Umffang   und    mit  gmezer  Hftrte  in   das  Strarreehl  cin- 


iM,Coo<^lc 


ZwSinet  OipiM.    A.  Hi^Utorechlc  6S 

au^^eben,  als  den  Titel  nie  in  Anspruch  ^nommen.  IHis 
sllrOmische  dagegen  dehnte  jenes,  wenn  auch  nicht  diesen, 
auf  die  Magistrate  ans.  '• 

2.  Dem  Monarchen  wird  Unverletzlichkeit  znge- 
ttcbrieben,  und  seine  Person  als  geheiligt  erkiftrt  Aach 
diese  Vorstölhing  ist  zuerst  in  dem  römischen  Rechte  naher 
bestimmt  worden.  Um  die  Volkstribunen  sicher  zu  stellen, 
wurden  dieselben  fdr  lacrosancU  erkl&rt,  d.  h.  wer  dieselben 
verletzte,  dessen  Leib  und  Ont  war  den  OOttet-ti  TerfaUen." 
Mit  der  tribuniciscben  Gewalt  ging  diese  Eigenschaft  auf  die 
römischen  Kaiser  (tber,  und  als  das  Christenthnm  eingeführt 
ward,  bekam  der  B^pifT  der  Heiligung  eine  kirchliche 
Färbung. 

In  den  katholischen  Ländern  sind  die  beiden  Vorstel- 
Inngen  noch  lebendig;  in  protesfandschen  dagegen  wird  iif 
»euerer  Zeit  die  Btatlicbe  Cnverletzlichkef  t  wohl  fest- 
gehalten, nicht  aber  auch  die  kirchliche  Heiligung." 

3.  Dem  Monarchen  kommen  die  Reich sinsignien 
zu,  als  sichtbare  Symbole  seiner  Wurde  und  Macht.  Dahin 
gehören :     die   Erone,    als   Sinnbild    der  MajestAt,  '*'    das 

'  />3r  Carmiia  de  mf^paiBte:  ^Praelor  «jai  ei  hae  \c^t  quaeret,  de  eo 
i|ii«eritO,  qui  iaterccsiianem  aualulerit,  aat  magialratal,  qoo  minua  mii- 
nere  aao  fuagatur,  impedimento  taeih." 

'  VgL  LivJuiIlI.  55:  „Ipsia  trlbunis,  ut  MieroMnwtt  videreiitur  (ciOu 
ral  prope  jam  memoria  aboleveral],  relatU  quibiiadkro  ex  loagDO  intervallo 
wremoiilia,  renovaruDt:  et  qnum  reDgione  itmMalß*  eos,  tarn  lege  etiam 
feeeraut,  faDdendo:  Dl  qui  IriboniB  plebia,  aedilibua,  jodicibas,  deceoi' 
viria  nocuiMet,  ejn»  Caput  Jvoi  mrrum  esset:  Amilia  ad  aedem  Cereria, 
UIkH,  Liberaeque  venDBi  iret." 

>  Bayeriache  Verf.  vod  1818  II.  $.  1:  „Seine  Person  ist  heilig  und 
nnverktelicb.-  Spanische  Verf.  von  1837  S.  U:  «Die  Person  de«  Kö- 
nigs ist  heilig  und  unverleUbar.  und  hat  keine  VeranlwurllicLkelL" 
Oeslerreichische  von  1849$.  li:  „Der  Kaiser  ist  gebeiligl,  uaverlets- 
lleh  und  anferantwortlich."  Dagegen  Niederländiaehe  v9d  1648  J.  53: 
»Der  König  ist  nnverletrlioli."  PreusiiachB  von  18601,43:  ,DiePww)n 
des  Königs  ist  an  verletzlich." 

"  Der  denUch . ri^ lache  Kaiser  vereinigte  drei  Krooen,  die  deutsche 
Bluiitichll.  (lliieinelnM  SUttredil.    H.  .5 


iM,Coo<^lc 


66        Sechstes  Boch.     Die  SoaverünetSt  iiii<]  das  SUtsoberhaupt. 

Schwert,  als  Züchen  der  Gewalt,  die  das  Recht,  scbUlzt 
niid  das  Unrecht  etruft,  '■  der  Ring  der  königlichen  Würde 
und  der  GlanbenstrcMe, "  der  Scepter,  als  Symbol  der 
Gerechtigkeit,  der  Weisheit  und  der  Gnade.  "  Ueberdeui 
haben  die  einzelnen  Reiche  auch  ihre  besondern  Ineig- 
nien.  So  wnrde  dem  deutschen  Kaiser  ein  goldener  Reichs* 
apTel  bei  der  Krönung  gereicht,  zum  Zeichen  der  Herrschaft 
ober  die  Erde,  und  der  zweiköpfige  Adler  könnte  als 
Symbol  der  inneren  Gegensätze  gedeutet  werden,  welche  in 
dem  deutschen  Reiche  zu  Einem  Körper  verbanden  waren, 
eo  waren  die  Lilien  das  Symbol  der  französischen  Könige, 
die  Löwen  das  der  engtischen.  Zuweilen  wählten  die  rer- 
schiedenen  Könige  auch  verschiedene  tusignien. 

4.  Der  Glanz  des  Königthums  wird  ferner  diirch  den 

(von  Aadieo),  die  loDftoberdische  und  liic  römische.  Das  Kreuz  auf  der 
Krone  ileulele  auf  die  Eigenacüafl  desaeltwi'i  als  Schinoherr  und  Olied  der 
chrisUirhrn  Kircbe.    Vgl.  rfeffingera  Vlirisriua  I.  8  §.  2  f. 

■^  Die  Formel  bei  der  Kröonng  dtn  denlaeben  Kaisers:  „Accipe  gla- 
diam.  Eato  nemor,  de  quo  Paalmiaia  proplietavit,  dic«Ds:  Acciogere  gla- 
dk>  tno  SQper  feDPur  üinm,  Potenliasime  etc.  ut  in  hoo  vlm  aequitatis 
ezerceas,  per  euodeai  molem  iniquilatia  poMnüseime  destmas,  sanctsm 
Del  ecdeaism  ejiisque  Odeles  propugnea  aiqne  prategaa,  neque  mluDB  suti 
Ode  rotms  (|uam  ChriatiHni  nominis  hoslea  extersa  atque  dispergas,  viduaa 
atqae  pupllloi  cletnenler  adJuTca  sique  defendas,  desolnla  reaUiuraia  con- 
aerves,  nlciacaria  injDsla,  conserves  l>ene  dispotila;  quateons  boc  sgendo 
virtutum  tilumpliator  gloriosus,  juatitiae  cultor  t^r^os,  cum  mundi 
aalvatore,  et^ai  lypum  gtria,  in  nomine  ejus  aine  floe  regoare  merearla, 
qui  cum  patre  el  apiriln  aanclo  viiilet  regnat  Deaa,  in  eecula  aeculorum, 

"  Kränungafbrniel  des  deutschen  Ksisera:  ,Accip«  regia«  dignitatia 
aoDiiliim  et  per  hunc  Calbolicae  fldei  ccgnotce  aignaculum  et  liodie  ordl- 
naris  Caput  H  princeps  rrgni  et  popali  Ita  peraeverabis  autor  et  atsbililor 
ChriatiaDitatia  et  Chriatianae  Sdei  äert  iil  felix  in  opere  ctiin  r^e  rcguro 
glorieria  per  aevam:  Cai  est  honor  et  gloria,  per  inflniia,  secn>a  bccuIo- 

"  Die  Formel:  „aecipe  vlrgain  virtntis  atque  verltatis,  qua  intelligia 
mnlcere  pioa  et  lerrere  reprobos,  errantiboa  viam  pnndere,  Ispaiaqne  ma- 
nnm  purHgere,  disperdasqne  superboa  et  relevea  hnmiles  —  dlligas  Juati- 
tiam  et  odlo  habeas  iniquilatem." 


iM,Coo<^lc 


Zwölflu  Cipttel.    A.  H^ctUtsnchte.  67 

Hofstat,  und  die  Ehrerbietung,  die  dem  Statsoberhaiipte 
zukommt,  durch  ein  ausgebildetes  Cerenioniel  dargestellt. 
Auf  die  Ordnung  des  erstem  hat  die  fränkische  Einrichtung 
der  vier  HoJBmter,  welche  während  des  Miltelalters  an  allen 
Höfen  der  Fürsten  nachgebildet  wurde,  groezen  Eiiiflusz  ge> 
flbt.  Das  letztere  ist  theilweise  noch  durch  Formen  und  Vor- 
stellungen beslimmt,  welche  dem  bjsantinischen  Kaiser- 
reich entlehnt  sind.  Da  aber  in  diesem  das  Princip  der 
rtvoTnten  Hoimrehie  hfmcjrte  vui  m  uwaabe»  Boi^iDgen 
mich  theokratische  Anschauungen  einwirkten,  wie  sie  dem 
Orient  eigen  waren,  so  wird  zuweilen  hier  ein  Widerspruch 
fühlbar  mit  der  menschlichfreieren  Natur  des  tnodernen  States. 

5.  Die  Warde  der  Uonarchie  bedingt  und  erheischt  auch 
den  Glans  und  Reichthum  des  äuszern  Lebens.  Beschei- 
dener und  anspruchsloser  ist  der  Charakter  des  republika- 
nischen Regiments,  aber  auch  in  der  Republik  ist  es  weder 
würdig  noch  nützlich,  wenn  die  obersten  Magistrate  von 
Nahrungssorgen  gedrQckt  und  ein  kärgliches  Leben  zu  fuh- 
ren gen&thigt  sind ,  so  dssz  dieselben  von  reiche»  und  selbst 
vnu  wohlhabenden  Privatpersonen  verdunkelt  und  überragt 
werden.  Wo  vollends,  wie  in  der  Monarchie  die  äussere 
Ehre  der  Nation  in  einem  Individuum  und  seiner  Familie 
dauerud  concentrirt  und  in  das  hellste  Licht  gestellt  wird,  da 
ist  Reichlhum  des  Monarchen  ein  nothwendiges  Erfordernisz. 

Dieser  Reichthum  soll  so  grosz  sein,  dass  der  Monarch 
nicht  nur  den  fUr  seine  statliche  Mission  noüiwendigen  Auf- 
wand betrüben  kann,  sondern  auch  im  Stande  ist,  in  weitem 
Umfonge  freie  Wohlthätigkeit  zu  üben  und  die  BlUthen  der 
Wissenschaft,  der  Kunst  und  der  Gewerbe  in  seinem  Lande 
durch  Unterstützung  und  Anerkennung  des  Talentes  zu  schön- 
ster Entfaltung  zu  fördern.  „Ein  Fürst  gleicht,"  wie  Friedrich 
der  Grosze  "  sagt,  „gewissermossen  dem  Himmel,    welcher 


iM,Googlc 


08        äechBles  BiMfa.     Die  Soaveriuetät  and  das  StaUoberhaupt. 

täglich  seinen  Thau  und  seinen  Regen  aiisgtesst  un'H  imtner 
einen  unerschöpflichen  Schatz  hat  die  Erde  aii  befruchten." 
Auch'  der  Lnxüs  der  Fürsten,  wenn  das  rechte  Masz  gehalteb 
wird  und  nicht  in  Äusecbwfäfaiig  und'  Geschmacklosigkeit 
ausartet,  oder  unedel  wird,  ist  als  eine  Wohltliat  fUr  das 
Land  zu  betrachten,  nicht  als  ein  Cebel.  Der  Rdchthum 
des  EOnigs  ist,  wie  kein  andere!*  Privatreichthum,  wie  er 
selber,  Toraoe  den  öffentlichen  Interessen  geweiht 
Sein  Haushalt  unterscheidet  eich  dadurch  im  Princip  von  der 
Oekonomie  eines  Privaten.  '^ 

In  dem  ifiniischPn  Reiche  wurde  des  Aerar  der  Republik 
nuch  und  nach  Von  der  Begehrlichkeit  des  kaiserlichen  Fia* 
cus  verechlnngeo  n»d  das  Statsvermögen  wie  alles  Stats- 
re^ht  dem  Kaiser  allein  zugeschrieben.  In  den  mittelalter- 
lichen Steten  des  romanischen  und  germanischen  Kuropa's 
besaszen  die  Fürsten  weite  Domänen  und  hatten  feste  Rechte 
auf  Cfientliche  Einkünfle,  zugleich  aber  die  Pflicht,  die 
regelniA£sigen  Kosten  der  Regierung  und  RechtspQege  ans 
ihrem  Vermögen  zu  bestreiten.  In  der  neuem  Zeit  kamen 
sorgfältigere  Unterscheidungen  auf: 

a)  das  eigentliche  Stats veruiOgen,  nicht  mehr  dem 
Honarchen  allein,  sondern  dem  ganzen  State  zugehörig, 
nimmt  alle  öffentlichen  Einkünfte  in  sich  auf  und  ist 
bestimmt,  ebenso  alle  Ausgaben  und  Verwendungen  des 
States  zu  tragen; 

b)  das   fUr   den    königlichen  Haushalt  insbesondere 

"  Friedrich  der  Grosze,  so  aparmm  er  war,  erksnotedocb  sehr 
wohl  daa  Bedürfnii;i  de«  königlichen  LaiuB  für  einen  grotien  Slat.  Er 
erinnert  dabei  (im  AnlimacbiBvrJ)  an  Phidin«,  dessen  Slaliie  der  Atheae 
dem  Vollie  Dicht  geüej,  als  sie  noch  cu  ebener  Erde  neben  einer  andtsrn 
Suiue  derselbea  gestellt  war,  dann  aber  allgemeine  Bewandening  und 
den  enlachiedeneu  Vorzog  erwarb,  als  sie  auf  ihren  hohen  Slandpnnkt 
erhoben  worden  war,  nnd  bemerkt  et>enso  wahr  als  schön,  dasz  es  andi 
Tiir  den  Stat  eine  „Optik  der  groszen  VerhältniMe"  gebe,  die  beachtet 
werden  niUsse. 


iM,Coo<^lc  ^ 


ZwölftM  CapiM.    A.  HajralätBi'eebte.  6*> 

bestimmte  Vermögen,  die  sogenannte  Civil  liste,  deren 
laufende  Einntthoien  der  freien  Verwendung  des  Mon- 
archen anhdmrallen ; 
c)  das  reTne  Privatveraittgen  des  Forsten. 
Das  Institiit  der  Civilliste  wurde  zuerst  in  England  ein- 
gefllhrt,  eiifbngs  durch  einzelne  Parlamentaacte ,  spater  als 
bleibende  Einrichtung,  <*  frUhär  noch  theilweise  mit  andern 
herkömmlichen  öffentlichen  Einnahmen  und  Belastungen  der 
Eroii6  vermischt,  in  neuerer  Zeit  vollständig  davon  ausge- 
achieden.  In  unsei^  Jahrhundert  wurde  denn  diese  Sonde- 
rong  in  den  mebten  State«  mit  constitutionell-monarchischer 
VerfiassuDg  vollzogen.  Es  ist  nicht  zu  verkennen ,  dasz  zwar 
durch  dieselbe  das  königliche  Einkommen  abhängiger  von 
der  Kustimmnng  der  Volksvertretung  geworden  ist  als  zuvor, 
so  lange  noch  Statsvermögen  und  Krongut  mehr  vermischt 
waren;  aber  auf  der  andern  Seite  haben  in  Folge  dieser 
Umwandlung  auch  die  Honarchen  gewonnen  durch  grt>9zere 
Sicherhdt  der  regelmfiszigen  Zahlungen,  durch  Befreiung 
von  mancherlei  wechselnden  und  nicht  selten  auch  plötzlich 
steigenden  Lasten,  durch  klarere  üebersichtlichkeit  und  Ord- 
nung des  Haushaltes,  und  das  Volk  durch  erhöhten  Einflnsz 
anf  die  eigentliche  Statsökonomie ,  Entfernung  der  Gefahren 
eines  Terschwenderisohen  Hofes  und  Erschwerung  des  Stim- 
menkaufe, auszerdem  beide  durch  die  erleichterte  Möglich- 
keit, die  Grösze  der  Civilliste  den  veränderten  Bedürfnissen 
der  Zeit  anzupassen. " 

Unvereinbar  ist  die  Civilliste  freilich  mit  dem  Patrimo- 
nialstat,  welcher  umgekehrt  den  Stat  selbst  wie  ein  Pri- 
vatgut der  fürstlichen  Dynastie  betrachtet,  aber  keineswegs 

■*  Zneral  nach  der  glorreicheD  KeTOlution  ron  1668  bei  der  Thron- 
erhebong  Wilhelms  III.  nnd  Maria*.  Vgl.  über  die  GeBchichle  der  engl. 
a*llliate  Tli.  Erah.  Kay,  Terf-Oeach.  Englands  1.  Cap.  4. 

■^  81e7«9  Werken,  M3:  „Bin  Amtsgebalt  von  30  Hill  Jonen  ist  der 
Freilieit  sehr  zuwider  nnd  nach  meiner  Heinnng  sehr  aiilimonarchiacb." 


iM,Coo<^lc 


Kt        SiilbaleB  Btwh.    Die  SoaverineUll  und  da«  Siatrotierhaupt. 

mit  eiiieni  energischen  -und  vollniftehtigen  Königthtnn,  wie 
der  moderne  Stiit  es  kennt.  Des  Haupt  empfängt  seine 
Nahning  auch  ron  den  Ot^anen  des  Leibes;  weszhalb  sollte 
es  daher  für  das  Btatshaopt,  welches  durch  seine  Herrsdiaft 
dem  ganzen  Körper  dient,  anstöszig  sein,  seine  Ausstattung 
und  seinen  Unterhalt  von  diesem  zu  bekommen? 

Die  Civilliste  besteht  gewöhnlich  ans  einer  fixen  jähr- 
lichen Rente  und  ausserdem  in  dem  Genüsse  der  I^IAste, 
SehlOsser,  Sammlungen,  Kleinodien  u.  s.  f.,  welchefUr  die 
Familie  und  den  Hör  des  Königs  besUoimt  sind.  In  Eng- 
land 1^  wird  die  Grösze  der  Rente  je  bei  dem  Regierungs- 
antritt des  Königs  fUr  dessen  Regierungsperiode  durch  ein 
Parlament^esetz  bestimmt:  ein  System,  weldies  sur  Zeit 
der  Restauration  in  Frankreich  >*  angenommen  wurde  und 
in  die  Verüftssungen  von  Belgien  $.43,  der  Niederlande 
$.  27  und  andere  übergegangen  ist.  Id  den  deutschen 
Staten  wird  dieselbe  entweder  durch  bleibende  Verfassnngs- 
bestimmungen  oder  Gesetze  ein  für  allemal  festgesetzt,  oder 
besteht  in  den  Einkünfte  der  besondem  fUr  diesen  Zweck 
ausgeschiedenen  Erondomanen.  ^  Die  spanische  Verfas- 
sung  dagegen  %.  49  und  die  portugiesische  S.  27  stellen 
es  lediglich  dem  Ermessen  der  Cortes  allein,  anheim,  die 
Cirilliste  bei  dem  Regieniugsantritle  des  Königs  zu  bestim- 
men und  in  Griechenland  §.  357  kann  je  nach  10  Jahren 
dieselbe  gesetzlich  neu  geordnet  werden.    In  Norwegen 

"  Blaekstone  Comm.  I.  8,  9. 

"  Verfaranng  tod  1815  $.  33  und  von  1630  g.  19. 

"  Bayerisches  VerfMBungsgeMtz  von  1834.  Preusiisebes  Qeseu 
von  1820  Verf.  $.  S9.  Die  friiberbit  geltende  Voisiellnng  eines  prirni- 
rechüichen  Kainmerif utee  ist  für  die  oeaere  StalsentwickJung  vttlii^ 
unhaltbar  gewordeo.  Beachtnog  aber  Tsrdient  bei  der  AnsmittelnDg  der 
CiTiDisle,  dati  die  deatacben  Fltrslan  reiche  Sammerg^ter  aii  dea  Slot 
Übergeben  und  sebon  dea^alb  einen  geccchien  Anspruch  anf  eine  eltren- 
lulle  Dotation  haben.  Vgl.  Zaeharift,  deutachM  StaUrecht  $.  210. 
OeBterreichiechc  Verf.  S.  36. 


iM,Coo<^lc 


Zwöinet  CaiHlel.    A.  HajMUtKrrchtr.  7I 

(Verf.  S.  75)  darf  der  Storthing  sogar  jährlich  die  Civilliste 
festaetzen.  ><  Der  Wurde  der  Krone  ist  es  jedenfalls  nicht 
sutrfigUch ,  wenn  die  Äusstattui^  de»elben  tam  Gegenstand 
öfterer  VerbandluDgen  der  Kammer  und  so  zur  Zielscheibe 
der  Parteileidoiscfaaft,  des  Neides  und  des  Unverstandes  ge- 
macht wi|d. 

Wo  die  Civilliite  gehörig  ausgeschieden  ist  von  dein 
übrigen  Statsrennögen ,  da  wird  darch  einen  U^erschuss 
der  jährlichen  Einnahmen  dee  Statsvermögens  über  die  Aus- 
gaben dieses,  nicht  aber  jene  bereichert.  Der  Vorschusz 
dagegen  der  Einkünfte  der  Civilliste  über  die  Angaben 
derselben  vermehrt  das  Privatvermögen  Jcs  Monarchen, 
wenn  nicht  besondere  Gründe  im  Wege  stehen. 

Die  Apanagen  der  Prinzen  und  ihrer  Familien  werden 
besser  getrennt  von  der  Civilliste  als  in  dieselbe  eingeschlos- 
sen. Die  Stellung  des  Monarchen  ist  einzig  im  Staate  und  . 
darf  daher  auch  nicht  abhängig  gemacht  werden  von  der 
Zahl  und  den  Bedürfnissen  der  Prinzen,  und  es  haben  diese 
zunächst  blosz  einen  Anspruch  auf  standesmäszigen  Unter- 
halt, nach  Maszgabe  des  Stamm  Vermögens  der  Krone,  welcher 
mehr  nach  den  Grundsätzen  des  Privatrechts  als  des  Stals- 
rechts  zu  normiren  ist,  während  das  Recht  des  Monarchen 
selbst  vorherrschend  von  stalsrechtlicher  Natur  ist.  Die  Ehre 
der  Dynastie  und  die  Würde  des  States  sind  freilich  auch 
in  diesem  Verhältnisse  au  berücksichtigen,  aber  sie  haben 
hier  doch  nur  eine  nutei^eordnete  Bedeutung.  Das  System 
der  Apanagen  ist  in  Europa  aufgekommen,  seitdem  der 
statsrechtlicbe  Gesichtspunkt  der  Einheit  der  Landesregie- 
rung die  Untheilbarheit  des  Stafsgehietes  und  zugleich  mit 
diesem  den  Anfall  des  Domänen-  und  des  Erongutes  an  den 
einen  Nachfolger  in  dem  FUrstenthum  zur  Folge  hatte.  Die 

"  DkhliaBpn,  Polit.  1.  S.  95  beiait  dM  nicht  nll  Uoreeht  .einen 
•ebimpflicbeit  ZiulaiMl  de«  ersten  Hauswesens  im  Reiobe,  dm  iiein  Pri- 
vsln!BnD  ertragen  würde." 


iM,Coo<^lc 


72        Sechstel  Blieb.     [Ne  SouvcrftoeUl  nud  du  Stabuberliaupt. 

früheren  mehr  priVatrechtlichen  ErhansprUche  Her  Qbrigeo 
ADverwATidten  de«  Honarchen  warden  daher  zurilckgewieaen, 
'  iind  diese  tnatat&a  sich  fttr  den  Verlust  ihres  Erbrechtes  mit 
äner  Abfindung  begnügen,  wie  sie  den  ökonomischen 
Krftnen  des  Eammeif  Utes  und  den  IjebeDSbed&rfnissen  der 
Ap«nagirten  gemfisz  schien  und  ziemlich  Trei  von  dem  re- 
gierenden Fürsten  selbst  bestimmt  wunJe.^  In  dem  neueren 
Statsrechte  werden  die  Apanagen  regelniftszig  durch  da« 
Gesetz  bestimmt. 


Dreizehntes  GapiteL 

B-  H^eatklntdite.    Davenatwortllchkell  aad  VeraDtnrortticlibeK. 

1,  Die  Frage  der  Verantwortlichkeit  des  Statsober- 
hauptee  wurde  zu  verechiedenen  Zeiten  und  unter  Terschie- 
denen  Völkern  verschieden  beantwortet  Das  römische 
Statsrecht,  auch  während  der  Republik,  huldigte  dem  Princip 
der  ünreraDtwortlichkeit  der  obersten  Magistrate,  so 
weit  ihr  politischer  Amtskreis  reichte.  Die  altem  germa- 
nischen Völker  im  Gegensatze  hielten  den  Grundsatz  der 
Verantwortlichkeit  selbst  ihrer  Könige  für  natürlicher. 
In  unserer  Zeit  bekennen  sich  die  monarchisch  regierten 
Staten  durchweg  —  mit  Ausnahme  der  Napoleonischen  Ver- 
fussung  —  zu  dem  ersteren  Princip,  suchen  aber  factisch  die 

"  Ooldeüe  Bulle  XXV.  S- 5-  „Q,m  (der  BrMgcborene)  tamen  apad 
nliM  fratraa  et  Borores  cleutentem  et  pium  exhibebit  cootiauo,  juxt«  daiani 
BJbl  a  Deo  gnliam  et  juxta  aanm  bene  piacitum  et  ipsins  patrimanii  fa- 
eultatca."  Der  Auadmck  apanagnmt  erklärt  sich  aus  dem  mittelalterlichen 
Wort  apaiMre,  d.  b.  panera  et  cibum  porrigere.  Verschieden  davun  war 
dna  aog.  paragnun  oder  heuer -partaghait  (Vgl.  Da  Gange  u.  d.  W,), 
weldtea  in  einer  Abflodung  in  Heheitsreehten  nnd  Liegcnseharien  bestanct, 
(oniit  BQf  einet  nnvollaijliidigen  DarubrUlirnng  des  Princips  dvr  eiuheii- 
lichen  Thronfolge  bernbte. 


iM,C00<^lL' 


UreiicbDte«  Capttel.    B.  HsJesUUai'^te.    ÜBv«raatworÜfcbk«l(  etc.       73 

UnreraDtwortlichkeit  der  Könige  durch  die  Verantwortlichkeit 
ihrer  Minieter  au  beechrfinkeii ,  ohne  die  sie  nicht  au  handeln 
venn^m.  Die  Bepubliken  umgekehrt  stehen  au  dem  letz- 
teren Onindsatae.  Betrachten  wir  die  leitenden  Gedanken 
und  ihre  fhitwicklnnp  nfilier. 

2.  Die  Römer  liebten  eine  energische  Gewalt.  Vor  d^m 
Hisshfauefae  derselben  snchten  sie  sich  wfthrend  der  Republik 
theils  durch  kurze  Amtsdauer  und  öftere  Neuwahl,  theils 
durch  TheiluBg  der  Gewalt  unter  awei  oder  mehrere  Inhaber 
derselben  zu  schützen:  aber  sie  (Urchteten,  dasz  die  Kraft 
des  Amtes  gelähmt  und  seine  Hoheit  und  Würde  verletzt 
werden  könnte,  wenn  der  Tr&ger  derselben  während  seiner 
Amtsperiode  verantwortlich  gemacht  würde,  und  es  schien 
ihnen  unnatürlich,  dasz  der  höchste  Magistrat  der  Jurisdiction 
eines  ihm  gleichen  oder  niedrigeren  Magistrates  unterworfen 
werde.  Es  wurde  daher  ala  ein  Bruch  des  beigebrachten 
Rechtes  angesehen,  als  Tiberius  Grachns  zuerst  auf  Absetzung 
seines  Collegen  im  Tribunal  des  M.  Octaviua  antrug  und 
dieselbe  durchsetzte, '  und  noch  Cicero  verkündete  von  den 
Consuln  den  Satz:  Nemini  parento.^  Selbst  wegen  ihrer 
Provincialregierung  konnten  die  Magistrale  erst,  nachdem 
ihre  Amisdauer  vollendet  war,  belangt  werden.  Die  Unver- 
antworllichkeit  des  römischen  Kaisers  aber  deckte  auch  seine 
Diener,  wenn  er  sie  nicht  selber  zur  Verantwortung  zog.  ^ 
Der  Ea).ser  selbst  hatte  zwar  die  moralische  Verpflichtung, 
Recht  und  Gesetz  zu  achten:'  aber  wenn  er  ausnahmsweise 
Ikber  ihre  Schranken  hinausging,  so  gab  es  kein  statsrecht- 
licbes  noch  gerichtliches  Mittel,    iiin  zur  Rechenschaft  zu 

'  RubiiioB  l'Dtntuch.  I.  S.  33. 

>  Dr  Lrgib.  III.  3. 

'  Obm  Bach  IV.  Cip.  17.  Now  9. 

•  Taeibu,  Anna],  ni.  20:  „PneclpäuBServios  TulHai  uiioUn-  Jegum 
fiiit  4nw  etiam  ngw  obtcmperarem,"  e.  4.  C  de  Le^rib  Imp  Throdontii 
H  Fo/rNtmiaiHuj  „Digoa  vox  est  m^ealate  regnantia  legibna  Blligatam 
se  priitcipeiD  proflteri;  ad«o  de  anctorilale  juris  noatra  pcndctBi 


1  Cj(.)i.)t^lc 


74        S«eh«tet  Buch.    Die  Souverinetftt  und  du  SlaUnberhaupL 

zieheo;    und    insofern    konnte    man   aageo,    dex   Eaiwr  s^ 
nieht  durcli  die  Gesetze  gebunden. ' 

3.  Eline  von  Grund  aus  rerschiedene  Ansicht  find^  tucli 
dagegeti  in  dem  germanischen  Hittelalter  hOuflg.  Die  In- 
teressen der  ßegierungsnaacht  und  Hoheit  schieoeu  den  ger- 
manischen Völkern  nicht  von  solcher  Bedeutung,  um  ihnen 
die  Ruckeichten  der  Gerechtigkeit  aul^aopfern,*  und  obwohl 

'  IJtpiaPVi,  L.  31.  D.  de  Legibus:  „PiineepB  kgibna  solatua  tat; 
AagusUi  aulem  hon  est,  PriDCJpe«  lamen  eadem  illi  privilegU  tribnuul, 
qime  ipsl  babenl"  Jf.  Atilonha  phil. :  nNento  nid  solus  Dens  Judex  prin- 
cipis  esse  poteat. 

'  Gregor  von  Tonn  III.  30  von  den  Oothen:  „Sumseniiit  Oothi 
lienc  dereelabilem  consueladiDero  (der  Bischof  ist  ein  Ronaoe  und  in  den 
B^riffen  des  römischen  Rechts  erzogfn),  ut  «i  quis  eia  de  regibna  non 
piscuisaet,  gladio  emn  adpelerent,  el  qui  libnisaet  aniino^  haue  aibi  •U' 
tuerent  regem,"  Dem  Bohwediachen  König OlofSchoosiliÖnig  erklärte 
der  Lagmaon  Tborgnj  in  dem  Öffentlichen  Dinge  zu  Dpsala  in  G^enw&rt 
des  uorweglEchen  Gesandten :  „Dieser  König-,  der  jetzt  da  iat,  will  nicht, 
dssz  Einer  wsge  zu  ihm  zu  reden,  als  was  ihm  selbst  wohlgrflUlig  in 
hören  ist,  nnd  d«s  betreibt  «r  mit  siler  Hitie.  Seine  Stenerlftnder  aber 
l&stt  er  durch  Sorglosigkeit  sich  aus  den  Hilnden  gehen,  und  dennoch 
will  er  Norwegen  beherrschen,  was  kein  König  vor  ihm  begehrte,  daher 
Mancher  in  Unruhe  leben  musz.  Deezhalb  wollen  wir  Banerii,  daaz  Du 
König  Olof  mit  Norwegens  Könige  Friede  schlieazest  nnd  ihm  deine  Tochter 
lugegnrd  cur  Frau  gehest.  Willst  Du  die  Ostländer  wieder  gewinnen, 
die  Deine  Verwandten  nnd  Voreltern  gehabt  haben,  so  folgen  wir  Dir 
Alle.  Willst  Du  aber  unser  Begehren  nicht  erfüllen,  so  werden  wir  Dich 
Sberfallea  nnd  Dich  tödten  und  nicht  langer  UnrHeden  und  Unreoht  dul- 
den. Denn  so  haben  es  unsere  Voreltern  gemacht:  sie  stürzten  Dinf  Kö- 
nige in  einen  Brunnen  bei  Hulathing,  die  so  von  Hochmutb  erfUllt  waren, 
wie  Du  gegen  uns."  Vgl.  Wild«,  Strafrecht  der  Germanen  S.  31.  Weitere 
NachweisuDgen  bei  C.  Maurer,  Beitr.  lar  B«cbtsgeschicble  des  Nordens 
1.  8.  13.  L^es  Lsniecenee«  in  Portugal  v.  J.  1153  Art.  22:  ^Und  der 
Frocuralor  des  Königs  Lorenzo  Veoegas  hat  gefragt:  Wollt  ihr,  dasi  der 
Herr  König  zu  den  Oartes  des  Königs  von  lieon  gehen  und  ihm  oder  iigend 
einer  sudern  Person  «uszer  dem  Herrn  Papst,  welcher  ihn  zum  König 
erhoben  hat,  Tribut  zahlen  soll?  Und  alle  haben  sich  erhoben  und  mit 
d«i  bktsien  Sofawertem  gegen  ded  Himmel  gerichtet  gesprochen  :  Wir  sind 
[r«i,  unser  König  ist  frei,  unsere  Hände  haben  uns  befreit,  und  der  Herr 
König,  welcher  solche  Dinge  zugestanden  bal)en  sollte,  soll  sterben,  und 
wenn  er  noch  König  seyn  sollte,  nicht  mehr  über  uns  regieren.   Und  der 


iM,Coo<^lc 


DrelidmlM  Capltel.    B.  HsjetUtarwhlf.    Unveraalwortlicbkrit  etc.      75 

aaeh  sie  in  der  Regel  nur  dem  höheren  Rictiter  verstette- 
ten,  über  die  ihm  untei^eordneten  Pereonea  dna  Gericht  zu 
b^;eD,  80  lieezen  siejloch,  wenn  der  höhere  Richter  selber 
das  Recht  und  den  Frieden  bttu:h,  ihn  vor  seinem  Stellver- 
treter zur  Verantwortung  ziehen. 

Es  war  eine  Idee  des  Mitlelatters,   dass  der  Kaiser* 

Herr  KOnig  mtt  der  Krone  Mif  don.Hanpt  erhob  ticb  ftbenD«]a  nnd  «procb 
anf  Bhnlfche  Weiee  mit  eiitblMZlem  Schwerte  in  Allen:  ibr  wjszt,  nie 
viel  Scblachlen  ich  ffir  ear«  Freiheit  ausgekämpft  habe,  ihr  Myd  davon 
Zengeo,  mein  Arm  und  dieveg  Schwert  ainil  Zengen,  wenn  Jemand  aolche 
Dinge  mgettanden  haben  sollte,  to  aoll  er  alerben,  UDd  weno  ea  mein 
Sobii  and  Enkel  w&re,  eo  aoll  er  nicht  r^ereo.  Und  alle  Slttode  haben 
gesprochea;  ein  gulea  Wort,  sie  sollen  sterben,  nnd  wenn  der  König  eio 
solcher  gewesen  ist;  dasz  er  zu  dner  fremden  Oberherrschaft  seine  Ein> 
willigang  gibt,  so  soll  er  nicht  regieren.  Und  wledemm  sprach  der  König : 
so  aoll  ee  geBchebeii."  Schobert,  Verf.  11.  S.  133.  Noch  im  Jahr  1641 
erfcUrten  die  drei  Stitnde  von  P<trttigal  bei  der  Erhebung  des  Hanats  Urfr- 
gania  auf  den  Thron:  „Es  ist  auch  nach  dem  nntürlichen  nnd  mensch- 
lichen Rechte,  selbst  wenn  die  Slftade  der  Königreiche  alle  ihre  Antoritilt 
nnd  Gewalt  den  Königen  Hbertregen  und  bewilligt  bklten,  um  fie  sn  re- 
gieren, dast  diesE  nichUdestoweniger  doch  nur  unter  der  stillschweigenden 
Bedingung  gnc heben  sein  würde,  sie  mit  Oerecbtigkeit  in-  leiten  und  zu 
beherrschen,  nicht  aber  mit  GcMraJtthKtlgkeit.  Daraus  folgt,  daai  wenn 
die  Unierlbanen  von  ihren  Sonverinen  lyranniaeb  behandelt  worden  sind, 
es  auch  in  ihrerOewalt  steht,  ihnen  die  Krane  zu  nehmen."  Schubert, 
Terf.ll.  S.  139.  Aasisen  von  Jeruaalem  R  C.  26:  Bien  saehies  ftitl 
h'mI  mit  $eigtwr  de  hire  lort:  c&r  se  il  le  fkiseitdonc  ui  avereitit  desoue 
tni  nol  hoine  qni  droit  denst  f^re  ne  dire,  puisqae  le  aire  majme  ce  fauce 
por  ftire  lort." 

*  Carla  diTisionie  imperii  a.  817  e.  10:  ,31  aulem  —  evenerlt,  nt 
•liqnis  illorum  propter  enpiditatem  remm  terreoarnm,  gnae  ePt  radiz  om- 
niom  maJomm,  ant  divisor  aat  opreaaor  Ecelesiarum  ant  panpenim  exU- 
lerit,  sut  lyrannidem,  in  qua  omnis  crudelitaa  ceoelsiit,  eiercuerit,  primo 
•eeandum  Domini  praeceptnm  par  Odeles  legatoe  aemel  bis  et  ter  de  saa 
emendaiione  commoneatur;  al  si  hia  renisua  fnerit,  arceseiius  b  fratre  oo- 
t»m  allero  (ratre  paterno  et  fratemo  amore  mouealnr  et  castigeiar.  £(  si 
hanc  aalnbrem  admonitionem  penilns  apreverit,  commani  omninm  senien- 
(ia  qaid  de  illo  agendum  si  decernatur,  nt  qnero  salnbrii  aromonitio  a 
nefandi*  actlbas  revoeare  oon  potait,  MtperMii  pMentia  commamaque 
I  MulenÜa  cneroeat.'  Sachaenspiegel  III.  56  g.  1:  ^Over  der 
)  lif  nnde  ir  geeunt  ne  mut  neman  lichtere  ein,  wau  de  Koning* 


iM,Coo<^lc 


76        Stcbstei  Bach.    Die  Soui-erineUit  und  dtia  SlaUoberhanpt. 

berufen  sei,  auch  über  die  Fürsten  Gericht  zu  halten,  eine 
Idee,  welche  indessen  nur  innerhalb  des  deutech-römischen 
Reiches  practisch  wurde ,  indem  di$  Übrigen  christlichen 
Könige  und  Forsten  die  Weltherrschaft  des  Kaisers  nur  im 
Titel  und  Rang,  nicht  in  der  Wirklichkeit  anerkannten. 
Wurde  auch  später  die  Entsetzung  eines  ReichsfDraten  dem 
freien  Urtheile  des  kaiserlichen  Gerichtes  nicht  mehr  Über- 
Jussen,  sondern  von  der  Zustimmung  des  Reichstages  abhän- 
gig gemacht,  so  blieb  doch  die  Zuläszigkeit  derselben  bis 
zur  AutlösuDg  des  deutschen  Reiches  anerkannt.^ 

Sogar  der  Kaiser,  ungeachtet  seine  höchste  Uacht  von 
Gott  abgeleitet  wurde,  war  nicht  unverantwortlich.  In  ge- 
wöhnlichen Klagen,  die  ihm  nicht  an  die  Herrschaft  gehen, 
wird    er  Tor  dem  Pfalzgrafen    vom  Rhein    belangt. '    Die 

ReirhMbwbied  Friedrichs  IL  von  1235  c  24:  Wenn  die  Klage  den 
Kttnlen  ui  ihren  Leih,  ihre  Ehre,  an  ihr  Recht,  m  ihr  Erbe  oder  ihr 
L«ben  gehl,  so  richiet  der  Rwsw'selbet.  Kach  dem  Schwftbenepiegel 
0.  1Ü6  kann  er  indessen,  wenn  er  nuszer  Landes  fährt,  dem  PratEgrafen 
vom  Rl>dn  „den  gewall  geben,  daz  er  an  ainer  stat  richter  sl  Aber  der  fürsten 
lip."  Die  Beispiele  sind  euch  nicht  gellen  in  der  deutschen  Qesehichle, 
daaz  die  Keichcaeht  über  Fürsten  auagcsprochen  aitd  Tollioxeii  warde. 

•  WahlcapitulBtiOD  Karl a  VI.  v.  1711  Art.  XX.  ,Wlr  «ollen  und 
wollen  auch  in  Acht  und  Oberaditsachea  darauf  haltcD,  dasz  niemand 
Charfilrst,  Färat  oder  Stand  —  ohne  rechtmügzig  und  genügsame  Ursach 
ancb  ungehört  und  ohne  Torwissen  Ftaib  nnd  Bewilligung  des  Heil.  Reich* 
CbnrTürsten,  Fürsten  und  Stände  in  die  Acht  oder  Oberacht  gethan  werde." 
—  «Wann  es  dann  (nach  der  gerichtlichen  Verhandlung  in  Reichsbofrath 
oder  Kammergerichi)  zuin  Schlnsi  der  Sachen  kommt,  so  eollen  die  er- 
gangene Acta  auf  öffentlichen  ßeiehstag  gebracht,  durch  gewisse  biCTHi 
ahsonderlich  vereidigte  Sitnd  ans  allen  drei  Reiehscol legten  In  gltäcber 
Anzahl  der  Religionen  ej»mtnir(  und  ttberlegt,  deren  Outachten  an  ge- 
■anible  Churfürsten,  Fürsten  nnd  Slftnde  referirt,  von  denen  der  endliche 
3chlnsE  gefuit  und  dns.sJao  Tergiicbene  Urthell,  nacfademe  es  von  Uns 
und  unserem  Commissario  gleichfolle  approbirt,  in  Unserem  Nahmen  publi- 
cirt  werden." 

•  Sachsenspiegel  lli  KlS-3:  -Heget  man  over  den.richtere,  he 
»al  antwerden  vor  dem  scnltbeiten,  wen  die  scnllbeile  is  richter  einer 
scult;  als  ie  die  palenigreve  over  den  keyser.  nnde  die  burchgreve  over   - 
den  marcgreven."     Vgl.  |.  W. 


iM,Coo<^lc 


Dreizehntes  Caf^tel.    B.  H^esUtarecbte.    UnTeranlwortllchkeit  etc.       77 

EurnirBt«n  aber  sind  berechtigt,  ihn  durch'  Urtheil  selbst  des 
Reiches  zu  entsetzen.  ^^  Erst  in  den  letzten  Jahrhunderten, 
als  die  Grundsätze  des  römischen  Rechte  mehr  in  Aufnahme 
gekommen  waren,  Und  die  moderne  Ansicht  von  derSoure- 
rtnet&t  verbreitet  wurde,  bestritten  die  Juristen  ein  solches 
Entsetznngsrecht  der  Fürsten  gegenüber  dem  Reichsoberhaupt. 

4.  Für  das  neuere  Recht  ist  zu  nnterscheidien  die  pri- 
.vstrechtliche,  die  straTrehtliche  und  die  politische 
Verantwortlichkeit  oder  Unverantwortlichkeit  des  Monarchen. 

Auf  dem  Gebiete  des  Privatrechts  hat  sogar  das 
römische  'Recht,  welches  eine  absolute  Madit  des  Kaisers 
proclaniirte,  dennoch  fllr  Verantwortlichkeit  desselben  gie- 
'  sorgt.  Der  Kaiser  iu  Person  freilich  konnte  nicht  gericht- 
lich verklagt  werden,  auch  nicht  in  seiner  Eigenschaft  als 
Privatscbuldner,  aber  insofern  der  Kaiser  auch  Privatperson 
-war  und  in  privatrechüiehen  VenhOgensbeziehuDgbn  stand, 
wurde  statt  seiner  sein  Venn^gen  als  eine  juristische  Person, 
als  Fiscus  den  andern  Privatpersonen  gleich  b^andelt.  In 
dieser  Form  konnten  auch  die  Privatpersonen  den  Schutz 
der  Gerichte  ansprechen  und  zwar  sowohl  gegen  den  Fiscus 

■*  SaehaenapUgel  III.  H  ^  i  „De  boning  sol  hebiwn  vrenkfsch 
reoht  tranne  he  gekoren  ie:  von  Bvelker  bord  he  ok  sl,  wanne  alse  de 
«ranke  siuen  lif  nicht  verwerken  oa  mach,  he  ne  nerde  in  der  hanthaften 
dal  gevangen,  oder  ime  ne  si  sin  Trenkiach  rechl  verdelt,  also  ne  mach 
deroe  koninge  oeman  an  sin  lif  sprekcn,  ime  ne  si  dal  rike 
vore  mit  ordel«D  verdelt."  Seh wabenapiegel  c  1Ü5  (Wacker- 
nagel):  «Dem  kiinige  mac  nieman  an  den  lip  gesprechen,  im  werde  daz 
riehe  t  widerleilet  mit  der  filrBLeu  nrteile.,  üiHr  des  kUniges  lip  ande 
Bber  Bin  fire  mac  niemen  urteil  spre<:hen  wan  die  füraten,  nnde  krieget 
er  mit  lemande  vmbe  gnot  oder  nmbe  andera  tht  das  des  riehes  Ist,  da 
Bfillen  über  sprechen  Itirsten  onde  graven  nnde  viita  nnde  des  riches  diens^ 
man."  Pfef  finge  r,  I.  9,  i.  führt  eine  AenszBrnng  des  ErEbischofs  Rut- 
hard  von  Maini  an.,  ale  es  sich  nm  die  EntaetEnng  Heinriche  IV.  handelt«: 
„Quousque  trepidamus,  o  socii?  Nonne  officil  nostrl  est.  Regem  consecrare? 
Conseci-aium  investire?  qnod  ergo  principum  decrcio  impendei«  licet,  eorun- 
dcm  auloritate  tollere  non  licet?  Qnetn  meritnm  invesciTimus, 
i]aare  non  dlvestiamns?"    Die  Entsetzung  König  Weiisels  ist  bekanii 


iM,Coo<^lc 


78        Sechst««  Bnob.    Die  8onT«r«i]etit  und  dag  Stalioberbiapt. 

aU  StatsvermOgeii  als  gegen  das  PriTatvmnOg«i  des  Kaisers, 
welches  die  Rechte  and  die  Pftiehten  des  Fiaeus  hatte.*' 

Das  neuere  Statorecht  bat  keinen  Grund,  die  prirat- 
rechtUche  Klage  gegen  das  Statsoberhaupt  in  sl&rkereni 
Hasise  zu  hemmen ,  als  das  rOmische  Recht  es  gethan.  Nur 
daran  ist  festzuhalten,  daaz  es  unschicklich  und  der  Würde 
des  Monarchen  zuwider  wftre,  würde  derselbe  persönlich 
vinr  dem  ihm  untergeordneten  Richter  als  Beklagter  belangt. 
In  dieser  Beziehung  ist  das  Recht  des  Mittelalters  durch  die  . 
Ausbildung  der  SouTerttnetOt  antiqairt.  Dagegen  kann  dbo 
Civilliste  des  Forsten  oder  seine  Prirateasse  als  ju- 
rietisclie  Person  nm  so  anbedsotlicher  belangt  werden, 
als  auch  gegen  di«  Ststscasse,  den  Fiscus  iui  neueren 
Sinn ,  die  PrivaÜiIage  nicht  gehindert  ist.  '^ 

Id  dieser  Beziehung  steht  das  englische  Recht  hinter  der 
(teutschen  Rechtsentwicklnng  zurfick,  indem  dasselbe  zwar 
auch  factiech  in  PriTatstreittgkeiten  g^;en  den  KCnlg  den 
UntertJianen  Schutz  gewftbrt,  aber  in  der  unpassenden  Form 
der  Gnade,  nicht  des  Rechts.  ■" 

"  L.  6.  $.  1  de  jnre  flici  Vlptanui:  „QandcQiique  privi]egii  6aco  com- 
pelit,  hoc  idem    el  C^eevta  rftlio  et  Augaetae  habere  aolet."    Aaf  der 
einen  Seite  genoai  der  Fiacna  freilich  wichtige  Privilegien,  auf  der  andern   * 
aber  erklirt  JfotiMtJniw  L  11  dejore  fisci:    „Noa  piilo  delia^nere  enm, 
qui  ID  dnbiU  quacftlonlbu«  contra  fisnini  t»ä\e  reeponderit." 

"  In  Bayern  nnrde  daa  richtige  Princip  schon  In  den  Landesfrel- 
faeiten  von  1507  anerkannt  Rndhart,  Qesch.  der  LandsUnde  II.  S.21. 
R.  Hohl,  Statareeht  von  Wartember^  I.  S.  178.  Prensiisches  Land- 
recht H.  18  |.  17:  „El«cblMngelegenheit«D,  welche  die  Personen-  Und 
Fanilieureidtle  des  Lnndesfaerrn  und  seines  Hanse«  betreffen ,  werden  nach 
den  Haasverfkaanngen  und  Verträgen  bestimmt,  g.  18,  Andere  Privat- 
bandloDgen  and  Qeschftfle  derselben  sind  nach  den  Qeaetzen  des  Landea 
zu  baurtheUen."  Oesierreichlsches  Oeeetzbnah  g.  30:  HAncb  solche 
ReehisgeBchftfie,  die  daa  Oberhaupt  des  Suts  betreihn,  aber  «uf  dessen 
Privateigenthum  oder  auf  die  in  dem  bürgerlichen  Rechte  gegründeten 
ErwerbuDgsarten  «ich  beliehen,  sind  von  den  OerichlsbehiinleD  nach  den 
Oesetieo  «u  beunbailen." 

"  Blackatone,  I.  7  $.  1:  „Wenn  Jenuind  in  E^geuthiimssachen  ein 


iM,CoO<^lL' 


DniidiDlM  Ckpitcl.     B.  M^eaUUrecfal«.    Unr«nDlwonlicfckeil  etc.      79 

6.  In  dem  StFuTrechte  verhält  es  Bieh  anden.  Da 
hilft  der  Ausweg  nicht,  statt  des  KOiiigs  den  Fibcus  oder  die 
Cirilliste  zur  Bechensiduift  zu  ziehen;  denn  diese  können 
kein  Verbrechen  begehen,  and  der  Verfolgung  des  Stats- 
oberhauptes  wegen  eines  Verbrechens  selbst  steht  Iheils  der 
Umstand  im  W^e,  dasz  die  Gerichte  dem  KOnig  iint^- 
nicht  Qbei^eordnet  sind ,  theils  die  Ehre  der  Krone  nnd  das 
StatBinteresse ,  welche  den  Scaudal  eines  Criminalproceesee 
g^en  den  Monarchen  und  die  damit  verbundene  Gefahr  ftlr 
die  ölfentlicbe  Ruhe  nicht  ertre^^.  Es  erscheint  als  ein 
geringeres  Uebel,  wenn  ein  einzelnes  Verbrechen  des  Sou- 
verftuB  ungeahndet  bleibt,  als  wenn  durch  das  Strafverfahren 
die  Rechtsordnung  und  der  Friede  des  gesammten  States 
erschüttert  wUrde.  Das  neuere  monarchische  Statsrecht  hält 
daher  hier  an  dem  Grundsätze  der  Unverantwortlich- 
keit  fest" 

6.  Die  Unverantwortlicbkeit  des  Monarchen  in 
Regierungsangelegenheiten  ist  ebenso  zu  einem  all- 
gemein anerkannten  Princip  des  heutigen  Statsrechts  erhoben 
worden,*'  aber  immerhin  mit  anderer  Begründung  und  in 
anderer  Form  als  in  dem  alten  ROmerreirhe. 

Vorerst  ist  der  römische  Grundsatz,  das  der  Honarch 
nicht  durch  die  Gesetze  gebunden  sei,  entschieden  aufgegeben, 
und  das  entg^engesetzte  Princip,  dasz  der  Monarch  die  Ver- 
fassnng   und    die  Gesetze    zu   achten   verpflichtet 

R«chlibegehren  gegea  den  König  hU.  ao  mnsz  er  bei  dem  Ksnikibor 
sein  Gesach  anbringen,  w«  ihm  der  KuiiJer  Recht  als  Gnade  gewUirt, 
nfcbl  «1b  ZwangBpdkht."  Blaekatone  beruft  aicb  auf  daa  venneinltirhe 
N«lnrmbt,  wie  ea  Pnfendorf  dantellt,  wornach  der  Unterthan  den 
SonTerKn  nicht  anhalten  könne,  ihm  «eine  Schnld^hdt  tu  thnn,  obwohl 
kdn  weiser  FBrat  sieh  wdgeni  werde,  eine  eingegangene  Vertragtpflieht 
«I  erfUllen.    Der  Innere  Widerapmeh  dieses  Salzes  springt  in  die  Augra. 

'*  Blachgtone  Comm.  I.  7  J.  1. 

■*  Siehe  die  oben  Cap.  12  Note  9  angeführten  Stellen,  in  denen  gt- 
wohnlich  der  On Verantwortlichkeit  des  Eöniga  noch  «nsdritcklich  ge- 
dacht ist. 


iM,Coo<^lc 


80        SscbMM  Bnch.    Die  Sonveräiieltt  und  dM  StntwberlMitpt. 

sei,  in  der  modettieti  iiioht  Diehr  absoluten  Monarchie  all- 
^emeiu  anerkennt.  In  dieser  Begebung  hat  die  germanische 
Vorstellung,  idasz  das  Statsob^rhaupt,  als  an  der  SpiUe  der 
ReGfat8ordniu>g  stehend,  von  derselben  gehalten  werde  nod 
dasz  seine  Macht  selber  auf  dem  Rechte  beruhe,  daher  auch 
das  Recht  wahren  müsse, "  über  die  römische  der  absoluten 
Herrschergewalt  den  Sieg  erlangt.  Diese  Verpflichtung  wird 
von  defn  Monarchen  feierlich  anerkennt  und  gewöhnli^  in 
dein  VerrassuDgS'  und  Erönungseid  vor  Gott  und  den 
Menschen  öS^tUch  beschworen.  ''   Je  weniger  es  rechtliche 

"  Bracton  bei  BlaclialODe  ■.  a.  0.:  „R«x  deJMt  eue  Bub  iFge,  qni» 
lex  ftcit  Ttgera,"  und  „Nihil  enitn  aliad  pntest  rex,  nisi  id  soluro  quod 
de  jare  polest."  SUtiil  12  und  13  Will.  m.  c  %  BUckstoaa  I.  6. 
Maximilian  L  von  Bajeni,  Browhnuiiget)  an  Miaen  Sohn  bei  Adler  eit- 
ler III.  S.  616:  „Nihil  Principi  ItbniJ,  Dial  qaod  Uttt.  Ipaiufl  est  perpetiio 
habere  pro  oculis  nou  mlum  quaDlnm  sit  commisaum  »ed  eliain  quattMU 
pmnwuiR  Bii." 

"  Auch  dieaer  Gid,  deiti  Am  blome  fiintliche,  weon  such  wenig«!- 
fticrlicbe  Tereprecheo  dem  Wesen  oarh  gleich  zu  achten  iat.  ging  aOB 
dem  railteialterlicbeu  SlsUlebeii  in  das  moderne  über.  Alter  Krönangseid 
Eduards  IV,  von  England:  „Ceo  *st  le  serement  qne  le  roy  jnrre  a  Boun 
coronement:  qne  il  gardera  et  maintenera  lez  droits  et  lei  franehiaeE  de 
sejnt  esglira  —  et  quil  gardera  toutei  sez  (errez,  booonres  et  digiiilM 
droilurelx  et  franbs  del  coron  dn  roialme  d'Englelerre  en  toul  maner  den- 

lierle  aani  null  nener  danieniiBement, et  qail  grauntera  a  tcnnr« 

lex  leyes  et  cuotomex  dn  roialme  et  a  sonn  polar  lei  ihco  garder  et  afllr- 
■ntr  (jae  lex  gentez  du  peoble  avont  fbitez  et  esliet,  et  lea  raalneys  leys 
et  ciistnmee  de  tout  onslera."  Neuer  Eid  bei  Blackatone:  Wollt  ihr 
feierlich  veraprechen  und  schwören,  das  Volk  dieses  Käuj([reich9  England  . 
and  die  dazu  gehörigen  Herrschafleu,  gemäss  den  in  dem  Parlament  feal- 
geaetzien  Statuten,  und  nach  den  Oesetzen  und  üebungeu  dieMs  Reiohe« 
XD  regieren?  Ick  verspreche  ea  feierlich,  so  zn  tbun."  —  Die  spUei« 
Eidesformel  für  die  deutscheu  Kaiser  lautete :  Vis  sanctam  fidem  caCholicam 
et  aposlolicam  teuere  et  operibua  Justis  servare?  Vis  sanctis  ecdesiis  ecele^ 
«iarumque  ministris  Adelia  eaae  Intor  et  defeiMor?  Vis  r^Dom  tibi  a  Deo 
commissum ,  secundum  jusUtiam  praedeceasoram  tuomm  regere  et  elHtat- 
citer  defendere?  Vis  jura  regni  et  imperii,  bona  ^usdem  injuste  dispersa 
recuperare  et  conaervare  et  fideliter  in  usus  regul  et  imperii  dispensare? 
Vis  pauperum  et  divitum,  viduarum  et  orphanornm  spertiis  esse  judex  et 
pins  defensor?  Vis  sanctissimo  in  Christo  pairi  sc  domino,  Romauo  pontifici 


iM,Coo<^lc 


DreiKbaLu  Ccpilei.    B.  U^Mtätsrechte.    UaTCra  Dl  wörtlich  keit  elc.  '   gl 

MiUd  i^bt,  den  König  zur  Beachtung  des  bestehenden 
Rechts  zu  nOthigeo,  desto  nöthiger  und  heilsamer  erscheint 
diese  Einrichtung,  welche  in  seinem  Gewissen  du  Gefühl 
der  Pflicht  durch  ernste  Mahnung  belebt  und  stärkt. 

7.  Englische  Publicisten  haben,  uui  die  Unvenuitwort- 
licbkeit  des  Könige  neben  der  Verpflichtung  desselben  auf 
Verfassung,  Gesetze  und  Uebungen  zu  begründen,  zu  der 
Fiction  Ihre  Zuflucht  genommen :  „Der  König  kann  nicht 
Unrecht  thun."  In  ähnHcber  Weise,  wie  die  katholische 
Kirche  dem  Papste  Unfehlbarkeit  zuschreibt,  legt  die  eng- 
lische Statstheorie  dem  Könige  „Vollkommenheit"  bei.  Die 
Reinheit  des  königlichen  Amtes  und  die  Vollkommenheit 
der  monarchischen  Idee  wird  auf  den  leibhaften  König  über- 
getragen; und  da^  Parlament  hat  oft  schon  Ui^lieder,  welche 
die  Reden  oder  Handlungen  des  Königs  selbst  zu  tadeln 
wagten,  zur  Strafe  in  den  Thurm  geschickt.'^ 

Dieser  gauxs  Gedanke  ist  indessen  weit  eher  ideokra- 
tisch  als  monarchisch.  Die  innere  Unwahrheit  desselben 
kann  durdi  keine  Phrase  Terdeckt  werden.  Das  Zeugnisz 
der  Geschichte  und  die  Erkenntnisz  der  menschlichen  Natur 

et  Bsnetoa  ecdeelae  debilam  fidera  reTerenler  eihibere?"  Der  Kaiser  be- 
Mitwortet  alle  Fragen  mit  Tolo  und  BcbwSrC  am  ScMusse;  „Omniti  pro- 
minft  in  qnaDtnm  divlno  nillaa  faero  adjntorio  Gdditer  adlmplebo,  licnie 
pMB  adijavet  et  sancta  Dei  Evaagelia.«  Bayer.  Verf.  X.  J,  1:  „Bei  dem 
Regierungaantritt  achwört  der  KöDlg  —  folgenden  Eid :  nl<=h  schwäre  nach 
der  Terßwsnng  und  den  Oesetaen  dee  Reichs  zu  frieren,  to  wahr  ralr 
Gott  helh  und  sein  hcUigea  Evangelimn."  Niederlündiaehe  S- &9-  Ba)- 
rische  S- 80.  Griechische  $.  86.  Oasterreichische  «.  13:  „Der 
Baiser  beschwört  bei  der  Krönung  die  Verfassung."  Preuszische  §.54: 
„Der  König  leistet  in  Qegenwart  der  Kammern  das  eidlicha  Qelobnisz, 
die  Terfassung  des  Königreichs  fest  nnd  nnrerbrilchlich  zn  hatten  und 
in  UebereiDetiramuDg  mit  derselben  nnd  den  Oasetzen  zn  regieren." 

»  Blackstone,  Comm.  I.  7  $.  1  und  2  geht  so  weit  za  sagen:  „Der 
König  ist  ni^t  hlos  unObig  unrecht  zu  thun,  sondern  sogar  unfähig  un- 
recht %a  deoken."  Diese  Theorie  ist  Übrigens  in  England  erst  in  den 
lattteo  Jahrhunderten  anfgekommen.  Der  alte  „mirror  of  Jnstices"  noch 
spricht  von  „Unreehl,  daa  der  König  gethan." 

Blunlschll.  «llgemeineiSuUrK-M.    II.  6 


iM,Coo<^lc 


B2        SecliBt«8  Blich.    DI«  SonTeriUieUtt  ond  Am  SUtsoberh&upt.  . 

erklftren  sich  allzu  laut  dagegen,  als  dasz  derselbe  irgend 
Glauben  finden  konnte.  Das  Statsrecht  darf  aber  dem  ge- 
sandeu  Meoschenversland  k^ne  Zumuthung  machen ,  wache 
derselbe  fbr  absurd  hftlt,  und  nicht  Ober  solche  Nebelbilder 
dauernde  Institutionen  aufbauen.  Nur  wenn  der  Efinig 
Überall  nicht  handeln  darf,  kann  er  auch  nicht  Unrecht 
thtin.'  Wenn  er  selber  willenlos  und  zum  bloszen  idealen 
Syrntmle  wird,  dessen  sich  andere  bedienen,  um  in  seinem 
Namen  nach  ihrem  Willen  zu  thun ,  wenn  er  genOthigt  wird, 
die  GeRlhle  seines  Henens  und  die  Gedanken  seines  Geistes 
zu  yerschlieszen ,  wenn  es  ihm  rersagt  wird,  fDr  die  Wohl- 
fahrt seines  Volkes  zu  soi^en,  wenn  er  jeder  menschlichen 
Autorität  und  Willensbethfttigung  entkleidet  wird,  nur  dann 
ist  er  auch  vor  Miszgriffen  und  Fehltritten  gesichert  Dtoo 
aber  ist  auch  die  individuelle,  Macht  des  Eönigthums  ver- 
nichtet. So  wenig  ist  daher  jenes  Princip  monarchisch,  dasz 
gerade  die  consequente  Durchfllhning  desselben  das  Wesen 
der  monarchischen  Statsform,  die  „Individuslregierung'* 
zersMiren  müszte. '»  Die  Wahrheit  ist:  „Der  König  soll 
kein  Unrecht  thun:"  aber  eine  unwahre  und  sowohl  des 
Königs  als  des  Volkes  unwürdige  und  schädliche  Fiction  ist 
es  zu  behaupten:  „Der  König  kann  nicht  Unrecht  thun." 
8,  Die  wahren  Gründe  der  UnrerantwfH-tlichkeit  des  Kö- 
nigs können  nicht  in  der  Unfehlbarkeit  desselben,  sondern 
nur  einmal  darin  gesucht  werden,  dasz  es  in  der  Ordnung 
des  modernen  States  kein  Gericht  gibt,  welches  über  dem 
Monarchen  steht,  und  (Urs  zweite  darin,  daaz  die  Sicberiieit 
und  die  Ruhe  des  States  durch  einen  Procesz  gegen  den 
König  gefährlicher  erschüttert  wUrde  als  durch  einzelne  un- 
rechtmäszige  und  politisdi  schädliche  Handlungen  desMlben. 
Gäbe  es  tin  hohes  völkerrechtliches  Gericht,  welches, 

<*  Stahl.  Das  DionarchiBche  Princip  S.  9:  Dfe  „RrhabeDheft,  die 
dem  König  hier  eingeränint  wird,  ist  nar  die  Erhabenheit  dee  Knopfts 
um  Kirehlharme,  nm  den  kein  Mensch  rieh  kflmmert.' 


iM,Coo<^lc 


DreJMtaDteB  Gapitcl.     B.  UsjMlälancht«.    Uaver&ntwurllichkeit  eic.       83 

aber  dem  Einzelstate  stehend ,  die  Principien  der  Gerechtig- 
keit auch  in  den  höchsten  R^ionen  menschlicher  Macht  bu 
schätzen  rennfichte,  ohne  den  Stat  in  die  Anarchie  und  die 
gegfraHauBoa  Part^lUünpfe  zu  stürzen,  so  könnte,  wie  das 
in  dffln  römis^-deutMhen  Reiche  des  ICttdalters  vorbildtieh 
geschehen  ist,  der  Grundsatz  der  UnverantwortliehkeU  oboe 
Gefahr  und  Schaden  aurgegeben  werden;  und  es  wäre  das 
allerdings  ein  Fortschritt  in  der  menschliehen  Rechtsentwick- 
lung, welcher  zugläch  die  indiTidoelle  Macht  der  Monarchie 
st&rken  wUrde;  denn  es  ist  in  der  Natur  jeder  Verantwort- 
lichkeit, zwar  den  Miszbrauch  der  persönlichen  Kräfte  zu 
bedrohen,  aber  zugleich  die  freie  und  selbständige  Enlfal- 
tang  derselben  anzuregen.  Der  unverantwortliche  König  ron 
England  läszt  sich  regelmftszig  durch  die  Mehrheit  der  Volks- 
vertreter im  Parlament  zu  der  Wahl  seiner  Minister  bestim- 
men. Der  rerantwtn-tliche  Präsident  von  Nordamerika  w6hlt 
dieselben  nach  völlig  freiem  und  eigenem  Ermessen;  und 
selbst  in  Prankreich  bat  der  Terentwortliche  Präsident  man- 
ches waf^  dßrfen  und  gewagt,  wovor  der  unverantwortliche 
König  sich  gescheut  bfttte.  ™ 

Die  Unverantwortlichkeit  des  Monarchen  ist  somit  nicht 
ein  ideales  Grfordernisz  des  mooarchischen  Princips  — 
vor  Gott  und  vor  der  Weltgeschichte  gibt  es  keine 
Un Verantwortlichkeit''"  so  wenig  des  Königs  als  der 

"  Sehr  bestimmt  hat  sich  anch  Louis  NspoleoD  in  der  ProcUmatioD 
vom  14.  Jan.  18S3  gegen  das  Priticip  der  Ud Verantwortlichkeit  dee  State- 
hanptes  erkütrt:  „tfcrii-e  en  Ifite  d'nne  c  harte  que  ce  ehefest  Irreeponsable, 
c'est  mentlr  an  «entiment  publique^,. c'est  voQloir  itablir  une  fielion  quf  sMt 
troij  tbi« ivBDODie an  bruitdearivolutiona."  Aberdaaealgei^iil^eUtePriD- 
c<p  bat  doch  auch  in  Frankreich  noch  keine  organiache  Gestalt  gewonnen. 

*'  Sogar  dem  Zerrbilde  der  historischen  Veran  t  wörtlich  Lei  t,  der  oft 
knrasichtigen  und  anmasiiichen  Censnr  der  Tagesmeinung,  die  Shake- 
speare so  anfibertreffUeh  dorcb  König  Heinrich  V.  (Act  IV,  Sc  1)  schil- 
dern Itsil,  entgehen  die  IHchtigsteii  der  Erde  nicht: 

„Nur  anf  den  Ebnlgl  Legen  wir  dem  Eäuig 
Leib,  Seele,  Schulden,  bange  Weiber,  Kinder 


n,g,t,A"JM,GOOglC 


84        Sechtt^B  Buch.    Die  Soaverinettt  and  ilns  StBtMbeiiisiipl. 

Volker  und  Ststen  —  sondern  nur  ein  geringeres  Dehel 
'&!«  eine'Verantworttichkeit,  welche  bei  uiueren  zur  Zeit 
noch  hOchBt  mangelhaften  völkerrechtlichen  Zost&nden  nicht 
richtig  orgeniairt  und  praotiAch  geUbt  werden  könnte.  Sie 
i«t  äberd«n  keine  absolute,  denn  die  ofl^nbare  TTiBonei 
berechtigt  zum  Widerstand  und  in  der  Revolution  li^t  auch 
ein  Gericht  der  Volksgescfaicbte. 

9.  Dem  Grundsatz  der  Unverantvrortlichkeit  der  Könige 
hat  das  moderne  Btatsrecht  ganz  im  Q^^neatz  zu  dem  rö- 
mischen Statsrecht  den  der  Verantwortlichkeit  sMner 
Räthe  und  Minister  beschränkend  zsr  Seite  gestellt, 
-'r  Wirkliche  Regiemogshandlungen  kann  der  constitutio- 
nelle  R^^ent  —  in  der  Regel  wenigstens  —  nur  mit  Hülfe 
eines  Ministers  ausüben.  Daher  wird  dieser  fUr  die  VerUne- 
sungS'  und  OesetzmAazigkeit  des  Regierungsactes  rerant- 
wortlich  erklärt,  und  so  mittelbar  auch  der  König  verhindert 
Unrecht  zu  thun,  weil  es  ihm  schwer  falten  wird,  eineo 
Hinisler  zu  finden,  der  geneigt  ist,  die  Verantwortlichkeit 
solchen  Unrechtes  auf  seinen  eigenen  Schultern  zu  tragen. 
In  der  Tliat  eine  merkwürdige  Erfindung  des  neuern  Rech- 
tes, welche  eben  in  der  Zeit  Beißtll  fand,  als  das  Altere 
germanische  Princip  der  Verantwortlichkeit  der  Könige  vor 
dem  aufsteigenden  Glänze  der  Souveränetälsidee  erblich. 
Durch  dieselbe  wird  eine  wichtige,  obwohl  nicht  fttr  alle 
Fälle  ausreichende  Garantie  dafUr  geleistet,  dasz  die  könig- 
liehe  Macht  nicht  schrankenlos  Ober  die  königliche  Pflicht 
*  wegschreite.  In  gewöhnlichen  Fällen  und  Zeiten  wird  schon 
der  Gedanke  an  diese  Verantwortlichkeit  der  Minister  anch 
den  Forsten  und  die  Hofpartei  vor  widerrechtlichen  Zumn- 
thungen  und  Versuchen  ziirtkckhalten,  und  die  Minister  zur 

Und  Sflikden  auf,  —  wir  mfiMen  alles  Mig«ii. 
O  harter  SUuidl  Der  ärOeie  Zwilhn^brader, 
Dem  Odem  Jede«  Narren  antertbaa, 
Deax  Sinn  nicht«  wetin-  fiihlt  alR  tigne  Pein." 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


Dreizebntea  Capitd.    B.  U(yeaUUr«chte.    Unvenatworllichkeit  etc.       85 

Vorei^t  nnd  zur  Schonung  der  beeteheiiden  VerhSltnisse 
mahnen.  Die  moralische  Kraft  dieses  Grundsatzes  hat  daher 
«ine  weit  gröszere  Anwendung,  als  die  immerhin  selteneii 
upd  schwierigeu  Verantwortungsprocesse  vermutben  lassen. 
Auf  der  andern  Seite  aber  darf  nicht  übersehen  werden ,  theils 
dasz  diese  mittelbare  Beschrftnkung  des  Monarchen  nicht  in 
allen  Fällen,  namentlich  dann  nicht  hilft,  wenn  der  EOoig 
dennoch  ohne  die  verantwortlichen  Minister  handelt  tind  seine 
Handlungen  Anerkennung  finden,'''^  theils  dasz  durch  die- 
'  selbe  die  Macht  und  der  Einfliisz  der  Minister  auch  im  Ver- 
hältuisz  zum  Regenten  so  sehr  gehoben  wird,  dasz  leicht  — 
wie  das  in  einzelnen  Staten  geschehen  ist  —  der  Schwer- 
punkt der  Regierung  von  dem  Eöuigthum  weg  und  auf  das 
Ministerium  ubei^ebt. " 

10.  In  den  modernen  Republiken  ist  der  Grundsatz,  ' 
dasz  aueb  die  Häupter  und  Mitglieder  der  Regierung 
verantwortlich  seien,  allgemein  anerkannt. 

In  Civilsachen  können  dieselben  ohne  Bedenken  auch 
persönlich  von  den  gewohnten  Gerichten  belangt  werden, 
und  selbst  wegen  gemeiner  Verbrechen  sind  sie  dem  re- 
gelmAszigen  Proceszverfahren  unterworfen.  Insofern  sie  als 
Privatpersonen  Schuldner  geworden  sind  oder  ein  Vergehen 
verübt    haben,    werden    sie    gleich    andern    Privatpersonen 

"  S«br  iulerewuit  lind  dfe  TerhtiDdlungen  des  ft'BDEÖaischen  Gonv«iiie 
über  die  Verantwortlichkoit  oder  ünTennttrorllicbkeit  des  KttDiga,  nmA 
den  EreignisBen  vom  10.  Aa^iut  1793  nnd  nkchdem  es  olleotwr  geworden, 
dftsi  der  König  m  eeiaer  Bettung  mit  der  BevoJution  feindlichen  K&chten 
sich  verbündet  habe.  Den  Entscbeid  gab  freilich  die  rohe  Oewftit  der  er- 
raten Tolkeleidenichen,  uad  zugleich  mit  dem  König  wurde  du  besiegte 
Königtham  Temichtet  Der  Churflirst  Hazimlli«n  I.  von  Bayern  hat 
iu  seinen  Ennabnung«n  sehr  gnt  herrorgehoben ,  wie  wenig  die  Terant- 
wortllcbkeit  da  Minister  nnd  Fürsten  wahrbalt  decke:  „Ex  minigtronim 
delictis  pablicnm  dedecus  et  cnipse  nonen  ad  prindpem  redit,  qni  si  pro- 
hibeu«  possit,  nedelinquant,  delieta  qnae  non  arcet  probare  immo  ali- 
quando  jnbere  craditnr." 

»  Vgl.  oben  Buch  IT.  Cap.  21  S.  357  und  unten  Buch  VII,  Cap.  5.  u.  6. 


iM,Coo<^lc 


gfi        Secbste«  Bach.    Die  SoavertneUt  nnd  dai  SUileoberhaapt. 

bebuidelt:  die  Würde  des  Amtes  deckt  sie  nicht.  Wenn  aber 
die  Verantwortlichkeit  aur  ihre  amtliche  Stellung  und 
Amtliche  Priicht  Beztig  hat,  dann  bedarf  es  auch  in  der 
Republik,  damit  nicht  die  natUrUchen  HBcbtrerbAltoisse  vet- 
Schoben  werden,  einer  eigenthomlichen  Befaandlnng.  Wor- 
den auch  in  solchen  Sachen .  die  ordentlichen  Gerichte  ein- 
schreiten, 80  würde  die  Justiz  unvermeidlich  das  practieche 
üebergewicht  Ober  die  Regierung  erlangen,  und  die  öffent- 
liche Ordnung  wäre  verkehrt.  Auch  sind  die  ordentlichen 
Gerichte  wenig  ßihig,  eine  Gerichtebark^t  zu  Oben,  mit 
welcher  politische  Erwfigungen  und  Rücksichten  enge  rer- 
floehten  sind.  ^* 

Ans  diesen  GrDnden  werden  nach  den  schweizerischen 
Verfassungen  die  Regierungen  fUr  ihre  Amtsführung  meistens 
den  groszen  Räthen'''^  verantwortlich  erklärt,  die  Inhaber 
der  R^erungagewalt  somit  der  höchsten  Gesetzgebungsmaoht, 
in  Nordamerika  der  Präsident  und  die  Übrigen  Beamten  auf 
Klage  der  Repräsentanten kammer  dem  Senate.'^ 

"  Vgl  unten  BnoU  VII.  Cap.  6. 

>*  Z.  B.  Züricher  Verf.  S- 14:  „W^en  Verletznng  der  VeifusQDg, 
QeteUe  oder  Amtspfli«hteD  erlftsit  der  groaie  Rkth  an  den  Regieniugusth 
und  du  Obergericht  HaJinungen  für  die  Zukunft,  oder  setit  die  Hilglie- 
der  dieser  Behörden  vor  dem  grosEeo  Rath  in  Anklageelend."  Buudesverf. 
S.  74,  14. 

"  BDndegverf.  I.  3:  „Der  Senat  soll  alleiu  die  Macht  haben,  Aber 
SulMDklagen  tu  richten."  II.  4:  „Der  Prft^dent,  der  Vioepritaident  nai 
aUe  bOrgerlicbCD  Beamten  der  Tereinigten  Staten  Hlien  vom  Amte  ent- 
fallt werdeu  auf  eine  Anklage  und  Debernihriing  vor  dem  Senat  wegen 
Hocbver^lha ,  Bestechung  oder  anderer  hoben  Yerbreaben  und  Vergeben." 
Vgl.  Storj  III.  10  S.  102  ff.  Vgl.  FranzttB.  Verf.  v.  1848  §.  66:  „Der 
PrKaident  der  Republik,  die  HiniBter,  die  Agenten  und  Bewahrar  der 
öfl^tliohen  Anloritttt  «iad,  jeder  w>  weit  es  ihn  beuiirt,  tär  alle  Hand- 
lungen der  Regierung  und  Verwaltung  verantwortlich.'  S-  91:  „läo  ober- 
ster Oeriobtahof  entsch^et,  ohne  weitere  Appellation  and  Recnra  anf 
OMMtion ,  ttber  die  durch  die  National veraammlung  gegen  den  Prticidaiten 
der  Repnblik  oder  die  Hinister  geführten  Anklageacle."  $.  92:  „Dar  oberale 
Oerichuhof  beateht  aua  5  tUcbtem  und  36  Qeachwornen." 


n,g,t,7rJM,COOglC 


VierzebnluCa|iilel.  CRcgierDugiirwIite.  Slellrertretuug  nacb  Annen.    87 

Vierzehntes  CapiteL 

C.    Regieraogsrechte.    8t«llTerlr«(ung  nach  Anazen, 

1.  Nach  Auszen  ist  das  Haupt  äen  States  nun  regej- 
mfiszig  der  Stellvertreter  seiner  Ehre,  seines  Rech- 
tes and  seiner  Hachr.  Das  monarchische  und  das  re- 
publikanische Statsrecht  unserer  Zeit  stioiuien  hier  in  der 
Hauptsache  uberein ;  nur  ist  in  jenem  die  Macht  des  Regen- 
ten TOllstAndiger  anerkannt  als  in  diesem. ' 

Ihm  kommt  es  daher  voraus  zu,  den  ofBciellen  Vei-kehr 
der  Staten  unter  einander  zn  vennitteln,  d.  h.  Gesandte 
BD  fremde  Staten  zu  senden  und  zu  beglaubigen,  und  Ge- 
sandte solcher  bei  sich  zu  empfangen  und  anzuerkennen. 
In  der  erstereo  Beziehung  bedarf  zwar  der  constitutionelle 
König  sowohl  zu  der  Ernennung  seiner  Gesandten  als  zu 
ihrer  Instraction  der  Mitwirkung  des  Ministers;  aber  daraus 
folgt  weder,  dasz  fUr  dieselben  das  persönliche  Vertrauen 
des  Monarchen  entbehrlich  sei,  wenn  sie  das  der  Minister 
besitzen,  noch  dasz  der  erstere  verhindert  werde,  persönlich 
mit  seinen  Gesandten  zu  verkehren.  Vielmehr  ist  auch  in 
der  constitutionellen  Monarchie  an  dem  Grundsata  fest  zu  hal- 
ten, dasz  der  Monarch  nicht  gehemmt  werden  darf,  von 
sich  aus  —  und  auch  ohne  Vorwissen  und  Mitwirkung  der 
Minister  —  die  Zustände  fr«  zu  prüfen  und  sich  Über  die 
Verhältnisse  zu  unterrichten,  und  dasz  er  nur  zu  wirk- 
lichen Statsacten  der  Zustimmung  der  Minister  bedarf. 
Eine  Verhandlung  mit  einem  fremden  Stat  kann  gültig  nicht 
ohne  die  Minister  gefllbrt  und  geleitet,   Beriehte  aber  Über 

'  BlHckitoue  1.  7,  1.  Frftmüsiiche  VerC.  v.  1814  $.  U.  Sjia- 
BiBcha  voD  1837,  S-A1-  Portugieeiache  vod  1626  S- 'i'^.  6-8.  Nie- 
derUndlache  S.  SS.  Belgiache  S- 66.  Preuszische  f  18.  Kord- 
amerikBuiacli«  11.2,2.  Schweiafrieche  Bnndcaverfoaauug  $.  W,  8. 
FraniAeiache  von  1846  S-  ».  60.  von  1853  g.  G. 


iM,Coo<^lc 


SS        SecbstM  Bndi.    Die  SonverttDetftt  and  doB  SlAlaoberhaapt. 

die  Verh&ltnisse  des  fremden  Hofes  und  States  kfiDDen  wohl 
aucfa  nnmUteitbar  tind  «usschliegzlich  ftlr  den  Monareben 
bestimmt  werden. 

Auszer  ihm  darf  Niemand  im  Lande  einen  fremden  Ge- 
sandten anerkennen  noch  ein  solcher,  ohne  accreditirt  zu  sein, 
die  Verrichtungen  eines  Gesandten  üben.  Der  höhere  8taten- 
rerkehr  gebt  nur  durch  die  Häupter  der  Staten  selbst  und 
ihre  unmittelbaren  Bevollmächtigten  vor  sich;  und  nur  in 
untergeordneten,  durch  Vertrage,  Herkommen  oder  Gesetz 
gebilligten  Fällen  des  Geschäftsverkehrs  in  Privat--  und  Poli- 
zeisachen kommen  Ausnahmen  vor',  in  denen  auch  niedere 
Behörden  verschiedener  Staten,  zumal  an  denGrftnzen,  mit 
einander  verkehren.  In  jedem  Momente  aber  ist  das  Stats- 
haupt  berechtigt,  auch  in  solchen  Dingen  die  Vertretung  des 
eignen  States  an  sich  zu  ziehen  und  jenen  Verkehr  zu  hem- 
men. Vor  dem  höhern  Recht  verschwindet  dann  das  niedere. 
2.  Der  König  hat  das  Recht,  Krieg  zu  erklären  und 
Frieden  zu  schlieszen.  Beide  sind  in  Form  und  in  Inhalt, 
Handlungen  der  nationalen  Politik,  deren  oberste  Leitung 
in  dem  Regenten  concentrirt  ist.  Eine  Partei  oder  eine  Hee- 
resabtbeilung  kann  ohne  Ermächtigung  desselben  Feindselig- 
keilen verüben,  aber  nicht  einen  Krieg  beginnen,  *  die  Waffen 

'  Pomponiut  in  L.  118  de  Verb.  Signif.:  „hoste»  sunt  quibus  bellani 
pnbiiee  populua  Romsnui  decrevit',  c8eteri  latruDcnli  vel  praedone*  appel- 
lantar."  fiu^  GrotiM  de  jore  belli  «c  pocU  III.  8.  BUckstone  L  7,  3. 
FrRniöaisohe  Verf.  v.  181B.  S-  1*-  'O"  1852  S-  «•  Miederländi- 
ache  $.  66:  „Der  König  erklärt  den  Krieg.  £r  gibt  dsvon  uomittelbare 
Kenatnisz  den  beiden  Eammeni.''  Belgische  J.  66.  Spanische 
wo  1887  S.  47,  4.  Freusxieebe  %.  48.  Eigen thUmlioh  ist  die  Bwtim- 
mting  der  ecbwedischen  Verfasanng  $.  13:  „Will  der  König  Krieg  au- 
fbogen oder  Frieden  scblieaEeo,  so  raft  er  einen  BuszerordeDtlichen  8taU- 
nttk  tOd  dem  Stattminiater,  St&tsittthen,  Hofkansler  nnd  sAmnitliehen 
SMtMecreUren  inaammen,  stellt  ihnen  die  Ursachen  und  Umstände,  die 
hierbei  znr  Ueberlegung  kommen,  vor,  nnd  frftgt  sie  hierüber  nach  ihrer 
Heinang,  die  jeder  fSr  sich ,  mit  der  VersntwortUcbkeit,  welche  Art.  107 
bratimmt,  zn  Frolokoll  Bbsugeben  hat.    Der  König  besitst  hi«raar  die 


iM,Coo<^lc 


Tiera«bntes  Capil«!.  C.  R«peruDg«red»t«.  SMUvertretDSgufich  Atiueii.    80 

niederlegen,  alter  nicht  Frieden  schlieszen.  Den  EamtneiD 
einen  unmittelbaren  Antheil  an  diesen  Beschlüssen  verschaf- 
fbn,  wflre  theitweise  Verlegung  der  Regierung  in  den  ge- 
setzgebenden Körper  und  wtlrde,  wenigstens  in  dem  alten 
Europa,  die  höchsten  Interessen  des  States,  der  das  thäte, 
in  schwere  Gefahr  bringen.  Die  Verhandlung  in  den  Kam- 
mern könnte  leicht  dem  Feinde  nützen  and  wUrde  nur  selten 
der  Heimat  Trommen.  Wo  es  sich  um  Thaten  des  Moments 
handelt,  da  ist  sowohl  stille  Ueberlegung  und  ruh^e  PrQ- 
tung  der  Verhältnisse  nnd  AuBsiebten,  als  Einheit  des  Wil- 
lens und  rasche  Durchführung  der  ge&szten  EnIsohlUase 
nöthig,  und  beides  ist  der  schwerfälligen  und  zugleich  ron 
Parteien  bew^ten  Kammerverhandlung  nicht  mOglich. 

Freilich  ist  diese  Macht  des  Monarchen  eine  grosze,  und 
es  ist  zuzugeben,  dasz  die  mittelbaren  Hülfsmittel,  welche 
den  Kammern  zu  Gebote  stehen ,  um  die  drückenden  Folgen 
eines  rielleicht  ungerecliten  oder  unTerständigen  Krieges  ab- 
zuwenden, wenn  der  Krieg  ausgebrochen  ist,  selten  ganz 
helfen.  Die  Anklage  und  Verurtheiinng  der  Minister  kann  die 
Opfer  an  Menschenleben,  Vermögen  und  Ruhe,  welche,  dw 
verderbliche  Krieg  ver^chhiugen,  nicht  ersetzen:  und  die  Ver- 
weigerung ron  Subsidien  ist,  wenn  einmal  die  Ehre  und  das 
Wohl  des  States  bei  der  Kri^sfUhrung  betheiligt  ist,  eine 
moralische  Unmöglichkeit,  und  würde  auch  diesz  nicht  ge- 
achtet, dem  Heere  gegenüber  factisch  nicht  durchzuzetzen. 
Wohl  aber  ist  der  mittelbare  Einflusz  dieser  controlirenden 
Rechte  der  Kammern  nicht  gering,  und  der  Gedanke  daran 
fordert  die  Regierung  zu  erhöhter  Vorsicht  auf;  und  die 
o^nbare  Stimmung  der  Kammern  gibt  auch  den  Ministern 
eine  zuweilen  erwünschte  Gelegenheit,  durch  ihren  Rück- 
tritt eine  nöthige  Wendung  der  Politik  zu  erleichtem. 

Der  Friede    indessen  ist    nicht    blosz  Beendigung  des 

r  für  des 


n,g,t,7.dt;C00gIc 


90        Soehatce  Buch.    Ke  8outerftn«Uit  und  du  StaUoberhftupt. 

Krieges,  sondern  häufig  auch  Begründung  einer  neueo  blei- 
benden Ordnung;  daher  kommen,  soweit  der  Friedeneschliuz 
derartige  Bestimmungen  enthält,  folglich  auch  ein  Stat»- 
vertrag  ist,  die  fUr  solche  geltenden  BeGchrSnkungen  zur 
Anwendung. 

Das  republikanische  Statsrecht  hat  eine  Scheu  davor, 
eine  60  unbeschränkte  Macht  in  die  Hand  der  Bedräng  su 
geben.  Die  Bundesverfassung  Nordamerika's  tfaeilt  daher 
das  Recht  der  Kriegserklärung  dem  Congreese  zu,  aber  das 
Recht  Friedensvertr^e  abzuschlieszen  dem  Präsidenten  mit 
Zustimmung  des  Senates.  Die  Gründer  dieser  EiurichtUDg 
haben  erwogen,  dasz  wohl  der  Kh^,  nicht  aber  der  Frie- 
den der  republikanischen  Verfassung  gefahrlich,  und  dasz 
es  rathsam  sei,  den  Enischlusz  zum  Kriege  zu  erschweren,  den 
Abschlusz  des  Friedens  aber  zu  erldchtem.^  Nach  der  schwei- 
zerischen Bunde8verfbs6ting(§.  74. 6)  ist  nur  die  Bundesversamm- 
lung zu  „Eri^erklärungen  und  Friedensschlüssen"  befugt.  * 

3.  Ebenso  hat  das  Statsoberhaupl  das  Recht,  ausschliesz- 
liehe  Bündnisse  und  Statsverträge  mit  auswärtigen 
Staten  gültig  abzuschlieszen.'  In  der  Monarchie,  wo  dieses 
Recht  in  weitestem  Umfange  anerkannt  und  geübt  wird, 
gilt  indessen  thcils  die  allgemeine  Beschränkung,  dasz  Be- 
stimmungen derselben,  welche  in  den  Bereich  der  I^ndes- 
geset^ebung  gehören,  auf  eine  für  die  Statsangehfirigen 
verbindliche  Wwse  nur  auf  dem  Wege  der  Geselagebung  ein- 
gefUhrt  werden  können ,  th^ls  «nd  in  einzelnen  Verfassungui 
noch  besondere  Modificationen  ausdrücklich  vorgeschrieben.  ^ 

'  VerfkSBDDg  I.  8.  und  IL  2.    Story  111.  21  $.  164  IT. 

*  Vgl.  ffBDK.  Verfeaeung  von  1848  |.  63  and  54. 

*  Vgl.  darüNr  oben  Buch  V.  Cap.  »  8.  460.    Bisokatone,  I.  7,  1. 

*  Oben  Bach  V.  Cap.  9.  8.  4«1.  Sohwediacbe  Verf.  |.  12:  «Der 
König  hat  du  Recht,  mit  fremden  Hücfaten  Unierbandlungeo  und  Bünd- 
■ilaee  eiDiagehen,  nacbdem  er  den  Stataminisler  filr  die  aaewärtigen  An- 
gelegenheilen  und  den  Hofbmtler  daraber  gehört  hsU"  MlederUndJ. 
seile  %.  57:  ,Uer  König  ecblieeit  nnd  beaUitigl  Friedeiia-  und  alle  uiderii 


iM,Coo<^lc 


PantohntM  Capitel.     D.  R^ieningarecbte.    1.  AmUbokeil.       -VI 

Fttnfsehntes  Capitel. 

D.    RegkruDgarechte.    Innere  Gewalt. 

1.  Amt»-.  S.  Bircnhoheir.  , 

Die  Regierungamacht  ist  nicht  eine  blnsze  Änsammlunii; 
einzelner  Befugnisse  sondern  eine  centrale  Fülle  von  stat- 
lieber  Hacht,  welche  dem  Lichte   vei^leichbar,   das  seine 

Vwtrige  mit  den  fremdeD  Webten.  Er  theilt  den  Inhalt  dieser  Verträge 
den  beiden  KKminerD  der  OeDeralatsten  mit,  «o  weit  er  aie  ftlr  dos  In- 
t«nMe  nnd  die  Sicherheit  des  States  zulftselg  erschteL  Terlrttge,  welclfe 
mit  der  Abtretung  oder  Vertuteehang  eine«  Thdlea  dea  Grundgebi«tea  in 
Europa  oder  in  andern  Welttheilen  verbnnden  eind ,  oder  einige  andere 
Beatiminnngen  oder  Veränderungen  enlhallen,  welche  geaetzliche  Rechte 
betreffen,  werden  von  dem  Könige  nicht  eher  beelttligt,  als  bis  die  Gene- 
ralataleu  diese  Bestimmungen  oder  Veränderungen  geneliniigt  batwu." 
Belgische  (.  «8:  ,Der  König  schlleszt  Bündnisse,  Friedens-  ond  Han- 
delsTerträge.  Sobald  das  Interesse  and  die  Sicherheit  des  Slates  es  er' 
lanben,  setzt  er  die  Kammern  davon  in  Kenntnis^  und  fligi  die  nöthigen 
Uitlheil ungell  bei.  Die  HandelsTerlräge,  sowie  diejenigen,  welche  den 
Slat  belasten,  oder  einzelne  Belgier  verpflichten,  haben  nur  Kraft,  wenn 
■le  die  Zaatimmniig  der  Kammern  erhalten."  Spanische  Terf.  von 
1637  S-  48:  .Der  König  musz  durch  ein  ipecielles  Gesetz  aotorisirt  wer« 
den:  1)  am  irgend  einen  Theil  des  spsnischen  Gebietes  zu  veränsiem, 
abzutreten  oder  zu  Tertanaeben ;  2)  um  Tremde  Truppen  im  Reiche  mau- 
laasen;  3)  OlfcnsiT-AlUanttractate,  besondere  Handels  vertrüge  ond  solche, 
worin  Snbsidien  ao  eine  fremde  Hacht  festgesetzt  werden,  zu  ratlBciren." 
PortDgiesische  von  1826,  Befugnisse  (des  Königs)  sind:  —  7)  Allianz-, 
OIhnaiv-,  Defensiv-,  Subsidlen-,  Handelsverträge  in  scblieszen,  sie  nach 
deren  Absehlieecoog  aur  Kenntnisi  der  allgemeineu  Cortes  au  bringen, 
wenn  das  Interesse  and  das  Wohl  des  Slates  es  gestatten.  Im  Falle  die 
zu  Friedensceiten  geschlossenen  Vertrltge  eine  Abtretung  oder  Anetauschnng 
vom  Gebiete  dea  Königreichs  oder  von  Besitzungen,  worauf  das  Königreich 
Anspruch  hätte,  veranlaszten,  so  sollen  dlesell^en  nicht  raiifidrt  werden, 
ohne  dass  die  allgemeinen  Cortes  sie  bestätigt  hätten.  Oesterreichtsche 
von  1849  S-  17:  n^er  Kaiser  schlieszt  mit  fremden  Machten  Verträge. 
Bealimmnngeo  in  solchen  Verträgen,  welche  dem  Reiche  neue  lasten  an f- 
l^n,  bedürfen  der  Zustimmung  des  Reichstages."  Preustisehe  g.  48: 
nLelitere  (die  Verträge  mit  fremden  Regierungen)  bedürfen  zu  ihrer 
Gültigkeit  der  Zustimmung  der  Kammern,  sofern  es  Handelsverträge  sind 
tider  wenn  dadurch  d«n  State  Laalen  oder  einaelnen  StatsbUrgem  Ver- 
pflichtungen auferlegt  werden;* 


iM,Coo<^le 


92'        Seehftw  Buch.    JM  SouverüneUt  and  du  SUtfloberhftn]>t. 

Slrahlen  überallhin  eDtsendet,  in  verscliiedenen  EUchtmigen 
in  besondern  Befugnissen  ausströmt.  Ib  der  Honarcbie  ist 
diese  Einheit  und  Fülle  der  Mtcbt  in  einem  IndiTiduum 
cnncentrirt.  Dem  Monarchen  gebührt  roraue  ein  Anth^I  an 
der  Gesetzgebung,  auazer  der  Initiative  auch  ausschliesz- 
lich  die  Sanction,  durch  welche  erst  dem  Gesetze  der  Stem- 
pel der  Blatlichen  Geltung  verliehen  wird.  Dazu  verkün- 
det er  als  Regent  die  sanctionirten  Gesetze:  und  es  wird  so 
in  ihm  die  Harmonie  und  Einheit  des  Statsorganismus  sicht- 
bat dargestellt.  Die  Sanction  ertheilt  oder  verweigert  er  als 
Haupt  des  geMtzgebenden  Körpers.  Die  Verkü  nd  ung 
(Promulgation)  befielt  er  als  Inhaber  der  Regierungs- 
gewalt, in  der  Absicht,  für  die  Durchfllhrung  und  Anerken- 
nung der  Gesetze  zu  sorgen. '  In  der  Republik,  welche  die 
SancÜon  der  Gesetze,  wie  in  Nordamerika,  in  ein  bloszes  be- 
schränktes Veto  umgewandelt  oder  der  Regierung  ganz  entzogen 
imd  nur  die  Initiative  gelassen  hat,  wird  doch  regelmfiszig, 
wie  in  der  Schweiz,  die  Promulgation  dieser  zugewiesen,' 

Im  Übrigen  ist  die  Macht  d«6  Regelten  im  Innern  keines- 
wegs eine  blosz  vollziehende,'  sondern  vielmehr  eine 
selbstAndig  ordnende,  befehlende,  schützende,  sorgende  und 
Verwaltende.  Die  Interessen  der  öSentlichen  Wohlfahrt  und 
die  Handhabung  des  Rechts  sind  nach  den  Bedurfhissen  des 
wechselnden  Lebens  vornehmlich  ihm  und  seiner  Leitung 
anvertraut:  und  das  Gesetz  zieht  nur  gewisse  Schranken, 
innerhalb  welcher  sich  die  täglich  wirksame  Regierungsge- 
walt bewegen  musz,  und  bezeichnet  auch  wohl  die  princi- 
pielten  Richtangen,  welche  bei  ihren  Entschlüssen  und  An- 
ordnungen einzuhalten  sind.  Diese  selbst  aber  werden  von 
dem  Regenten  mit  freiem  Willen  und  je  nach  den 
Umständen  bestimmt. 

■  Vgl.  oben  Buch  V.  Cap.  11  8.  468. 

'  Skh«  oben  *.  &.  O.  8,  460  und  schwell.  Bmideeverf.  §.  9U.  4,  &. 

*  Buch  V.  Cftp.  2. 


iM,Coo<^lc 


FBDfoehnlM  CapIlPl.    D.  ItegieniDgarechle.    3.  Ehrenbcriiefl.      Q^ 
Im  Besondern  ist  berrorzuheben ; 

1.  Die  Amtahoheit 

Die  Moaarchic  iet  die  Quelle  aller  übrigen  Amts- 
gewalt im  State.  Alle  Statsämter  werden  von  dem 
Monarchen  besetzt,  und  sind  ihm  untei^eordiiet.  Dieses 
Princip,  welches  der  Einheit  des  Statsorganiamus  zur  festen 
Stutze  geworden  ist,  hat  erst  in  der  modernen  Monarchie 
wieder  volle  Anerkennung  gefunden;'  in  ihm  wird  auch 
der  Gedanke  bewährt,  dasz  alle  amtliche  Gewalt  von  oben 
stufenweise  abgeleitet  sei. 

Auch  der  constitutionelle  Monarch  übt  hier  einen  grossen 
personlichen  Einflusz  aus  auf  die  öffentlichen  Angelegen- 
heiten. Je  hoher  das  Amt,  und  je  näher  dem  Monarchen, 
desto  entschiedener  wird  sich  sein  eigener  Wille  Geltung 
verschaffen.  Die  Minister  insbesondere,  deren  er  bedarf 
zu  Helfern  und  zu  Organen  seiner  Regierung,  ernennt  und 
entlSszt  er  völlig  frei.  Freilich  wird  ein  weiser  Monarch 
nicht  seine  Laune  walten  und  sich  nicht  durch  blosze  per- 
sönliche Zuneigung  und  Abneigung  in  seiner  Wahl  bestim- 
men lassen,  er  wird  dabei  da«  Öffentliche  Interesse  voraus 
erwägen  und  so  denn  auch  auf  die  Harmonie  mit  den  Kam- 
mern einen  sehr  hohen  Werth  legen;  aber  es  besteht  fllr 
den  Monarchen  keine  Rechtspflicht,  seine  Minister  je  nach 
den  Wünschen  der  Eammermehrheiten  zu  wählen  oder  zu 
entlassen.  Die  Politik  wird  ihn  wohl  bestimmen,  nur  solche 
Ministet  zu  wählen  oder  zu  behalten,  welche  auch  das  Ver- 
trauen  der  gegenwärtigen   oder  der  künftigen  Kammer   zu 

*  Tgl.  oben  Bach  IV.  Cap.  22  8.  364.  Monltiquieu  Esprit  des  Loia 
n.  4.  BlftckBtooe  I.  7,  4.  Spauinche  Terf.  von  1826  §.  75,  3. 
Oesterreiehiscbe  vod  1849  g.  10:  „Der  Kaiwr  ernennt  nnd  entlftazt 
die  llliiiat«r,  b«aetst  die  Aemter  In  allen  Zweigen  dea  Statadienale»  nnil 
verlellit  den  Adel,  Orden  nnd  AuaieichDungen."  Preaaziache  J.  47: 
„Der  Eönig  beaetzt  alle  Stellen  Im  Heere,  aowie  in  den  abrigen  Zweigen 
dea  StstadfenitM,  eofem  nicht  daa  Qeaetz  ein  anderea  Terordnet.*  Die 
Belgiacfae  J.  66  benshrilnkt  den  Sinflaai  des  Eöniga  mehr. 


n,g,t,7.dt,'C00gIc 


C|4        SechBlN  Buch.     Die  SanTenneUtl  nnd  daa  Slat«>ber)iii)pi. 

erwerben  wissen,  denn  das  entschiedene  liGsstnmeD  der 
Kammer  schw&cht  die  Autoritftt  der  Regierung;  und  lähmt, 
ihre  Macht.  Aber  die  W»hl  selbst  steht  dem  Honarchen  frei.' 
Die  Zustimnmng  eines  bisherigen  Ministers  zu  der  Ernen- 
nung des  Nachfolgers  ist  kein  absolutes  Erfordernim  ihrer 
Gültigkeit;  der  Monarch  kann,  wea»  dieselbe  mweigert 
wUrde,  durch  den  neu  enuumten  Minister,  selbst  die  Ernen- 
nung contras^wren  lasten.  Seine  Freiheit  darf  hier  nicht 
gfibeaaat  werden,  und  es  soi^t  das  constitutione! le  Statsrecht 
nor  dafür,  dasz  auch  för  diesen  Regierungsact  eine  Person 
yerantwortlich  sei. 

Bei  Besetzung  der  übrigen  Statsämter  Ist  er  an  die 
Mitwirkung  der  Minister  gebunden;  freilich  wieder 
nicht  so,  dasz  er  einfach  die  Vorschläge  derselben  zu  er- 
warten und  gutzuheiszen  hat,  sondern  so,  dasz  ihm  unbe- 
nommen ist,  die  Initiative  zu  ergreifen,  selber  taugliche 
Mftnner  in  Vorschlag  zu  bringen  und  die  Vorschläge  der 
Minister  zu  verwerfen.  Dieses  wichtige  Attribut  der  mo- 
narchischen Gewalt  mit  Einsicht  auszuüben  und  die  rechten 
Mftnner  zu  den  Aemtern  zu  finden  und  zu  berufen,  war 
von  jeher  eine  Eigenschaft  ausgezeichneter  Forsten,  und 
kaum  gewährt  eine  andere  BefUgnisz  denselben  eine  hfihere 
Befriedigung  und  nachhaltigeren  Einflusz  auf  das  Öffentliche 
Wohl. 

Aehnlich  ist  das  Ernennungsrecht  des  Präsidenten  der 
Vereinigten  Staten  normirt:  nur  ist  derselbe  bei  der  Be- 
setzung einiger  besonders  wichtiger  Aemter  an  äen  Rath 
und  die  Zustimmung  des  Senats  gebunden ,  und  kann  der 
Congresz  die  Wahl  niederer  Beamten  auch  an  den  Präsiden- 
ten allein  oder  an  Gerichtshöfe  oder  den  Chef  eines  Depar- 
tements übertragen.  ^    Noch  beschränkter  ist  das  Wahlrecht 

*  Oben  Badi  IV.  Cap.  22  S.  963  nnd  noten  Bnch  VII.  Cap.  &. 

*  BnndWTcrf.  von  HordtunerikA  IL  3:  ,Er  ernennt  and  bestellt  mit 
Kalh  und  EinwUligao;  de«  SeokU  Oeiandt«,  «ödere  JMfcDÜinhe  HIaitter 


n,g,t,7rJM,COOglC 


FBnfiehnles  Capitel.    D.  Rcgierungtrechte.    U.  Ebn-nhoheiL       95 

der  schweizerischen  Regierungen,  indem  eine  grosse  Zahl 
von  Stellen  entweder  von  dem  repräsentativen  Körper  oder 
durch  Volkswabl  besetst  werden.  ESne  bedenkliche  Folge 
des  letzteren  Systems  aber  ist  es,  dass  die  Sarmoaie  der 
RegiernngsOTgane  teieht  durch  widerstrebende  ParteieiaflUase 
gestört  und  nicht  selten  die  Kraft  der  Regierung  durch  die 
Opptisition  der  Beamten  gelähmt  wird,  deren  sich- jene  be- 
dienen sollte,  ihre  Beschlüsse  ins  Leben  zu  führen. 

I.  Die  QirenhohfU. 

StBtliche  Würden  und  Ehren  wie  der  Adel,  Orden. 
Rang,  Titel  und  ähnliche  Auszeichnungen  werden  wieder 
in  der  Regel  von  dem  ßtatsoberhaupte  verliehen.  ^  Es  ist 
ein  schönes  Vorzugsrecht  der  Könige,  das  persönliche  Ver- 
dienst anzusuchen  und  zu  ehren.  Ein  Fürst,  der  diese 
schwere  Kunst  zu  Üben  versteht^  wird  die  mpraliscben  Kräfte 
in  seinem  Volke  vielseitig  anregen,  stärken  und  auf  die 
öffentliche  Wohlfahrt  hinlenken:  und  er  wird  zugleich  die 
göttliche  Gerechtigkeit  nachahmen,  weiche  die  Tugend  be- 
lohnt Leider  ist  aber  der  Miszbrauch,  welcher  zumal  in 
den  letzten  zwei  Jahrhunderten  mit  diesem  Rechte  getrieben 
wurde,  noch  in  so  frischer  Erinnerung  und  zum  Theil  sind 
kindische,  zum  Theil  ärgerliche  Gewohnheiten  und  Vorurtheile 
auch  in  den  höchsten  Kreisen  der  Gesellschaft  noch  so  mäch- 
tig, dasK  selbst  dem  vernünftigen  Gebrauche  desselben  ein 

und  OobboIb,  dJe  Richter  d«a  Obergeiichta  und  alle  übrigen  Beamten  der 
VanJo.  Statea,  deren  Ernennang  nicht  in  dicaer  Verfauung  oder  durch 
ein  QeaeU  bestimmt  wird.  Der  Congresz  kaon  aber  durch  ein  Decret  die 
ErDennnug  solcher  niedern  Beamten,  als  ihm  gutdünkt,  dem  Präsidenten 
allein  oder  den  QericbtshöfeD  oder  den  Chelb  der  Departements  anftingen." 
Franilts.  Verf.  von  1846  $.  64:  „Die  Hinisler  ernennt  und  entläszt  der 
Prttident  frei,  höhere  Beamte  im  Ministerraihe,  niedere  auf  Vorschlag  des 
belreihnden  Hinisters."    Tgl.  auch  $.  6A. 

'  Blaclistone  1.7,4.  Rnsoel.  Verf.  von  Engl.  Cap.  34.  Schwe- 
dische Terf.  %  37.  Holländische  S-  ^i  64.  Portugiesische 
«.  75,  10.    Prenszische  S.  &0. 


iM,Coo<^lc 


96        Sediales  Buch.    Uie  8ouver&n«iat  uDd  dte  Si«Uoberl)au|il. 

weitrerbreitetes  HisztraueD  ioi  Wege  steht.  Ee  ist  auf  dem 
europ&ischeti  CoDtinent  an  ein^eo  Orten  «ogar  dahin  ge- 
kommen, deez  die  Ehre,  die  das  Stateoberhaupt  dem  Borger 
gewährt,  in  den  Augen  Vieler  wie  ein  Zeichen  der  Schmach 
erscheint,  und  die  Auezedcbnung  als  ein  Zeugnisz  seiner 
Schald  aufgefaSBt  wird.  Unserer  Zeit  mit  ihren  materiellen 
Neigungen  thut  eine  Reinigung  und  Wiederbelebung  dieses 
Rechtes,  nicht  dessen  Zerstörung  noth. " 

'  Dbe  hat  Kapoleon  bd  der  GiilDdnDg  eeiaer  Ehrenlegion  wohl  ein- 
gesetieo,  imd  es  ist  ein  merkwürdigea  Zeugniss  Ar  den  Gruadgedanhen 
dereelben,  dasi  die  Inetilution  selbst  in  der  republikaDischea  Terfuflung 
von  1848  S- 108  dem  neugereizten  Hanse  gegen  den  Adel  gegenüber-  fesl- 
gebalten  wurde.  Freilich  wird  anch  der  persönJicben  Eitelkeit  ein  Spiel- 
raum eröffnet  und  ein  Söder  geboten;  aber  so  lange  diese  nicht  bus  der 
menschlicheD  Natur  auBgerotl«t  und  der  Antheil,  den  sie  aacb  an  guten 
und  heilsanien  Thateo  hat,  nicht  ausgeschieden  noch  entbehrt  werden 
kann,  wird  es  geraUiener  sein,  derselben  ein  verdiensl liehe«  Ziel  lu  eröff- 
nen, als  in  rigoristischem  Eifer  den  Qlanz' der  Ehre  zu  verwerfen,  weil 
sich  ^n  Stück  Eitelkeit  in  ihm  spiegeln  meg.  Napoleon  üusierte  auf 
St.  Helena  (_lat  Caut  U^moir.  T.  S.  39}  über  die  Orden:  «Die  allgewo)-- 
denen  und  verdorbenen  Nationen  können  nicht  wie  die  tugendhaften  Völker 
des  Alterthums  regiert  werden.  Für  einen  der  hentsulage  Alle«  dem  • 
öffentlichen  Wohle  opfert,  gibt  es  Tausende  und  Millionen,  die  nur  ihre 
lalereesen  kennen,  ihre  Genüsse,  ihr  eitles  Behagen.  Jeder  Arbdter  musx 
den  Stoff  zu  behandeln  verstehen,  der  ibro  zur  Hand  ist;  du  ist  das 
Geheinaisz  der  Wiederbelebung  der  monarcbiscben  Formen,  der  Rückkehr 
der  Titel,  Kreuze,  Orden.  Auf  dei*  Stufe  der  CivUlsation,  auf  welcher 
wir  zur  2Seit  stehen,  sind  sie  geeignet,  bei  der  Menge  Achtung  zu  wecken 
nnd  zugleich  dem  Beehrten  Selbstacbinng  zu  empfehlen."  Es  gibt  schwer- 
lich, die  Chinesen  ausgenommen,  ein  Volk,  das  mehr  auf  Titeln  hält, 
als  des  deutsche,  nnd  dennoch  ist  es  den  Vertretern  desselben  in  Frank- 
nirt  im  Jahr  1B48  eingefallen,  die  Titel  ohne  Amt  absohaffen  lo  wollen. 
So  grosze  Sprünge  machen  zuweilen  die  Völker  von  einem  Extrem  ins 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


■M        SechrtM  BK«h.    Die  SoartrftDetat  lud  (Im  SlUMtbnhaupt. 

«in  zwieüacher  Eid  und  eine  zwie&che  Verpflichtung  in  das 
Gewiseen  des  Heere«  leicht  ZwiMpaJt  bringt,  die  Disdplin 
lockert  and  die  Armee  big  zur  Auflösung  oder  zum  8elb«t- 
mord  in  innerem  Parteikampfe  reizen  und  treiben  kava. 
Durchaus  verderblich,  weil  der  Natur  und  BestiauMm^  des 
Bterta  widerqrreebend,  ist  jedenfails,  duaelbo  sa  einem  be- 
raUiendai  Körper  ■  «i  machen,  weldier  ent  Ae  VerfitaMBge- 
mAazigkeit  der  «tueloen  Befehle  zu  ffOltoi  and  nur,  wenn 
es  «ich  davon  uberzeagt,  zu  gehofeben  habe;  doppelt  Ter- 
derblich  in  einer  Zeit,  welche  dtr  Sophistik  und  Kritik  einen 
80  freien  Spielraum  eröffnet  bat,  wie  die  aosrige.  Der  mi- 
lil&riselie  Gehorsam  uad  die  persöaliche  Treue  gegen  das 
Oberhaupt  ist  und  Ueibt  die  Regel,  auch  da,  wo  der  Ver> 
fiuMingfcid  Torgewltrieben  ist:  und  nuir  in  aaeiersten  und 
wahren  Notbailen  eiaeis  offenkundigen  und  tjraanisohen 
Miszbrauchs  der  Uilitärgewalt  von  Seite  des  Fürsten  wird 
sich  die  Verweigerung  des  Gehorsams  von  Seite  des  Heeres 
rechtferfigen  Ivwen.  Ist  aber  der  Geist  dec  Heeres  gesund 
und  tut  Recht  und  Freiheit  im  Grossen  emp&oglich,  so  wird 
tin  solcher  Miszimueh  aueh  da  nicht  leiofat  mt^iüoh  «an, 
wo  ida«sdbe  nur  dem  Könige,  nicht  auch  der  Verfassui^ 
geschworen  hat;  und  ist  das  Heer  ron  Verehrung  und  Liebe 
au  seinem  Kriegsherrn  er^ltllt,  so  wird  auch  der  Verfassunga- 
eid.  dasselbe  schwerlich  bestimmen,  gegen  seioe  Befehle 
Widerspruch  zu  erheben ,  auch  wenn  er  einea  Bruch   der 


Ar  die  Naiion,  dM  OeteM  und  den  König.  Wemt  teh  Ua  öakia  den 
B«reliJ  erhalten  hüUa,  meiae  Kanonm  gegea  da*  Volk  so  riehtea,  ao  iweill« 
ich  nicht,  daaa  die  Gewohnheit,  daa  Vorortheil,  die  Eniekaag,  der  Name 
dea  KoDig«  mirfi  betlimmt  btltea,  la  gthon^en;  aber  aaebdem  kh  den 
Natioaaleid  einmal  gelcdatet,  wire  daa  vorbei  geweaan  and  ich  lilUle  nur 
aaf  dl«  Natkm  geaebes.* 

*  flogar  die  repabllkauiadM  TerftaaDDg  Nr  Frankreich  ron  1M8 
g.  IM  erkaont  die  SUae  an:  ,INe  Mhntllebe  Haebt  lat  weaeotlicb  ann 
Oahoman  'orrdichtet  Kein  bewaihetaa  Oorp«  darf  Benthachlaguneen 
balten.«    Vgl.  Verf.  ran  Portugal  f  1». 


iM,Coo<^lc 


OBpMeL    a.  Hllilir-,  4.  FoUm 

VerfHMiDK  Ar  nötbig  bftlt.    Der  EOnigMid  «cbUtate  Jakob  H. 
rem  Engksd  so  wenig .  vor  dem  Abfall  seiner  Truppen  als . 
der  firmnOmfte  Tofaemagseid  die  DiraetCHialn^ening  vor 
itm  Staus  &mA  Kap^eoa.    Der  Geist  ist  somit  anch  hier 
«itseheittend ,  sieht  die  Vntm.. 

Ana  diesen  Betraehtui^D  felgt:  Im  Zweirel  ist  der  Ver> 
-fitsmtigseid  des  Beeres  nur  w  su  erkUs«a,  dua  dusdbe 
sehwOrt,  seiner  natOrliebeo  Bestimmung  gem&se,  die  Verfcs- 
sniig  wie  die  Rechtsordnung  und  Freiheit  Überhaupt  lusehülaeii 
und  nicht  seinerseits  zu  verletzen,  nicht  aber  so,  dasz  der 
Odiorsam  gef^en  den  Kriegsherrn ,  welcher  die  Orandlage  der 
Uililfirveritassang  ist,  durch  statsreehtlicbe  Erörterungen  und 
Berathungen  über  die  VerAiBsungsmaszigkeit  einedner  Berehle 
gelockert  und  der  Zwiespalt  in  dem  Heere  legitimirt  werde. 
Die  Venmtwortlidikeit  tür  die  VerBusangsmAssigkeit  des  Be- 
fehle Mtgt  der  Hinister,  oder  der  oommandirende  General, 
nicht  der  gehorchende  Officier  und  Soldat.  Nur  wenn  eine 
Verftssung  jenem  Eide  eine  andere  und  eingreifendere  Be> 
deutung  aasdriteklich  gegeben  und  so  die  Gefohr  der  mili- 
tttrischen  Unordnung  fUr  geringer  eritlftrt  hat  als  die  des 
Hiszbranchs  der  Hiiit&rgewalt,  ist  eine  andere  Äuslegnng 
gerechtfertigt  * 

Gut  ist  es,  wenn  der  Monardi  nicht  bloss  formell  an  der 

'  Eine  dgenlhUnlicbe  Beaüminuiif  eolhlilt  die  aehwediiehe  V«r- 
ru»ang  S'36:  .Alle  vom  Könige  Bosgehenden  Expeditionen  und  Befebl«', 
welche  du  Kriegscommando  betreffen,  Mlleo,  um  gBltig  xo  «ein,  von  dem 
Vortragenden  eoninaignirt  werden,  weleber  TcnotworlUch  iel,  dwi  lie 
■it  dem  darttber  gerührten  Proteeoll  Obereinatimmfln.  Sollte  der  Vor- 
tr^eode  Irgend  findeD,  de»  der  Bewhloei  dee  Kfrniga  gegen  die  Hegte- 
roi^tfonn  atrdte,  ea  hat  er  darüber  Im  StatoraÜte  Toratellangen  au 
■wdMn.  Baalekt  der  König  dMinodt  dannf,  daw  ein  aolcher  Beaehlwa 
aofg^ivtigt  werden  aoU,  ao  i«t  ea  des  Vortragenden  Reckt  und  Pflicht, 
taine  OonliMignatnr  dein  la  TerwaigerT),  und  ala  Folge  hievou  sein  Amt 
niedennlegen ,  welcbea  er  niobt  eher  larflcknehoMn  darf,  ak  bia  die 
Reieiiaatlnde  aeln  Verhalten  geprüft  nnd  gebilligt  haben.  Inswiaoben  sollen 
■ein  Sold  and  EInkttnfte  Ihm  verbleiben.* 


iM,C00<^lL' 


100      SeehBleä  Baeh.  '  IHe  SonvwlneWt  nitd  das  Slitioberiwapt. 

Spitze  des-HeerM,  sondern  io'pereOnlicher  Beziehang  za 
demselben  steht.  Freilich  kommt  liier  »nf  die  Individuiililftt 
Alles  an.  Friedrich  IL  sprach  dm  Satz  aus:  „Ein  grostar 
Fdrst  masz  die  Ldtung  seiner  Truppen  selber  bbemehm«). ' 
Sein  Heer  ist  seine  Residenz,  sein  Interesse,  seine  PBioht, 
seäD  Ruhm.  Alles  bestimmt  ihn  dain,''^  und  demgemitez 
handelte  er  als  KOoig.  ^n  Fürst  aber,  der  keine  Feldherm- 
gaben besitzt,  bandelt  sehr  verkehrt,  wenn  er  in  Person 
den  Feldherm  spielt  Er  stUrzt  sich,  die  Armee  und  den 
Stat  ins  Unglück. 

Uisztrauen  gegep  die  Regierungsgewalt  ist  ein  Kenn- 
züchen  der  modernen  Republik.  Sie  kann  sich  der  Besorg- 
ntsz  nicht  erwehren,  dasz  ein  Hagistrat,  welcher  Über  die 
Armee  frei  rerfltgt,  die  Militärmacht  benutzen  könnte,  um 
sich  monarchische  Gewalt  anzumaszen  und  sich  zum  Herr- 
scher im  State  auizoschwingen.  Es  gilt  das  vorzDglich  von 
den  Republiken,  welchen  ein  Prtisident  vorsteht  In  Nord- 
amerika bat  sich  daher  der  Congresz  selbst  nicht  bloss  die 
Milizotganisation,  sondern  auch  das  Recht  vorbehalten,  die 
Hiliz  zu  versammeln  und  Au&tttnde  zu  unterdrücken,  und 
dem  Präsidenten  ist  nur  der  Oberbefehl  über  die  kleine  stän- 
dige Armee  und  die  Flotte  des  Bundesstales ,  über  die  Hiliz 
der  Eänzelstaten  aber  blosz  dann  überlassen,  wenn  dieselbe 
auf  Befehl  des  Congresses  versammelt  ist*  In  Frankreich 
durfte  der  Prflsident  zwar  Ober  die  bewaßtaete  Hacht  verfü- 
gen aber  nicht  das  Obercommando  in  Person  ausüben.  ^   I>er 

*  Im  AntImaehikTell  12,  Viel  in  weit  aber  gin;  HiKbiaTell  lelbat  Im 
Faretoi  14;  «Ein  FQrit  «oll  kein  endem  Ziel,  kdne  anderCD  Oedaokcn 
hkben,  er  eoll  nichU  enderca  zu  «einem  Hindwerk  macbeii  all  den  Kritf 
und  KriegakDiMI."  Der  FSnt  iat  in  erster  Linie  Rrgent  nnd  StatamuiB, 
«Bt  in  (weiter  Fddberr.  Qawlcbtiger  nnd  wahrer  Ist,  was  Vellejaa 
Patercnlns  (Hi«t.  1)  dem  Sclpio  Afrieanus  naehrUhmt:  „Semper  aat 
belli  ant  pacis  serrft  arlltras,  aemper  Inter  arma  ac  atndia  Tersatns  ant 
corpus  perkalii  Mt  antra  nin  ditclplinia  ezercuiL" 
_.  •  Verfewinng  L  8.  11,  5. 
-  "»rtrfeajw'g  ™o  »8*8  J-  50. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


StebnufanlM  Capitd.    ft.  Die  JmliikrfieiL  iOl 

•ehveizeriache  Bandesrath  darf  nar,  weon  die  Bundea- 
TereammluDg  nicht  anwesend   ist,   Tnippeo  aufbieten,    upd 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


102 '    Sechst«*  Buch.    IN«  Souv«räDeWt  und  daa  8tetn>berh«Dpt. 

persönlich  kam ,  da  konnte  «r  Mtber  zu  Oerioht«  sHzeD  und 
ila  erbleichte  tot  ihm  jede  »ndere  Oerichtsgewalt. ' 

Daa  ist  im  modernen  State  seit  den  letateo  Jahritun- 
derten  anders  geworden.  Alle  eigentlielie  riohterli^e  Fnoo- 
tion  ist  der  persönlieben  Thfttig^fceit  und  selbst  dem 
Einflüsse  des  Kftnigs  en  tzogen  and  an  Richter  ober- 
tragen worden,  welche  zwar  von  ihm  ihr  Amt  ableiten  und 
in  seinem  Namen  das  Recht  handhaben,  aber  selbständig 
nicht  nach  seinem  Ermessen  und  Auftrag  handeln.  Der  Satz 
des  neuem  Statsrechls:  ,;A11e  Gerichtsbarkeit  geht 
vom  König  aus"*  hat  somit  heute  einen  ganz  andern  viel 
beschränkteren  Sinn  als  in  froheren  Zeiten.  Aber  sinnlos, 
wie  Manche  meinen,  ist  er  nicht.  Dem  Begriflc  der  Honar- 
chie  widerstreitet  es,  dasz  ii^nd  eine  Amtsgewalt  im  State 
sei,  welche  dem  Monarchen  nicht  untergeordnet  wfire.  Die 
materielle  Abhängigkeit  der  Gerichte  in  Verwaltung  der 
Rechtspflege  f^ifich  ist  aufgegeben,  und  soll  es  sein,  weil 
hier  die  festen  Normen  des  Rechts  den  Richter  binden  und 
leiten ;  und  der  Kinflusz  oder  die  Theilnahme  des  Bfonarchen 
selbst  würde  eher  die  Unbefangenheit  und  Unparteilichkeit 
des  Gerichtes  trttben  als  aufrecht  halten.    Seine  Macht  ist 

■  Sache^Dspiegel  IlL  26,  $.  1:  „Die  koninc  U  gemoie  richlere 
over  al."  in.  53.  J.  2:  „Den  koning  küset  mfin  lo  ricblere  over  egta, 
unde  len  unde  OT«r  jewelkea  mannes  lif.  Die  keiwr  nach  «ver  in  allen 
landen  nicht  sin,  unde  al  ungerichte  nicht  richleu  to  aller  tiet,  dar  umme 
llet  he  den  vonien  gr«f«cap  unde  den  greren  •ealUielldam."  III.  60$.%: 
.  «In  Bvelke  «tat  de«  rike«  de  koning  kamt  binnen  deme  rika,  der  is  ime 
ledich  monte  (UQnie)  nnda  toln  (Zoll)  nnde  dat  gerichle."  Vir  i«t  es 
wahrecbeinliefa,  da«i  dieser  Gedanke  de«  HiUdalten  in  —  vielleicht  spi- 
terer  —  Zakanft  nochmale  aufleben  wird.  Die  Kelaeridee  iat*obne  ihn 
nnvollstäiidig.  Soll  der  Kaiser  den  WelltVieden  schirmen  und  das  Unrecht 
auch  der  Hii<^htjgen  betigeu  nnd  bessern,  so  musi  er  selbst  xn  Gericht 
«Uten  können.     Indessen  unsere  Zeil  fst  dafür  olclit  reif. 

*  Blackstone  I.  7,  3.  FranE&sische  Tetf.  191S  |.»7,  tmISSI 
S-  7.  Bayeriache  VJII.  J.  1.  In  der  preusiiseben  nnd  «aterret 
chischeu  von  1819  ist  deraelbe  nickt  »nfgenommen.  Diese  beatimmt 
S.  100:  ,AUe  Gerichts  barkeil  gebt  vom  Reiche  um." 


iM,Coo<^lc 


SMiuiMhBlM  Cspilel.    i.  Di«  JuiizlMriicK.  lOS 

SO  groM  tmd  gÜaiMtd ,  dasz  die  Gerechtigkeit  von  ihr  rer- 
dnnkfllt  nwl  rttMbobeH  sa  werden  ntrchten  diusb.  .  ^ber 
die  Ableitung  alier  ricilterlielien  AntsgewaU  ron 
detnOberiMtspte  des  Stats  und  die  formelle  Unterord- 
nung der  Dieter  ui>ter  dasaelbe  wird  aoch  in  der  consti- 
fatioaelltn  Honarcbie  fortwtUirend  aoerkaont  ■ 

Im  Binaelnea  ftnnert  «ich  die  Juatixbobeit  dea  Uonar- 
cben  nooh  in  feigenden  Riebtongen  wirkaatn: 

a)  In  dem  Rechte  allgemeine  regl«mentari8che 
Voraehriften  an  erlaasea,  innerbalb  dw  Schranken 
der  VerfeMung  und  Oeeetigebung,  die  auch  die  Ge- 
richte zn  befolgen  haben. 

b)  In  dem  Rechte  die  Richter  n  ernennen  und  ihnen 
die  Amtsgewalt  zu  rerleilien.  Verschieden  von  der 
Stdlang  der  Richter  iet  die  der  Urtheiler,  Schöffen, 
Geachwomen,  w^he  keine  Amisgewalt  üben,  sondern 
nur  das  Recht  im  einzelnen  Falle  finden  und  weisen. 
Daher  ist  es  aoch  weder  nAIhig  und  ttberdev  aus  Grttn- 
den  einer  unbehngenen  Rechtspflf^  anch  nicht  gut, 
dnsz  dieselben  Ton  der  Stetsgewalt  bestellt  weiden. 

c)  In  der  Form  der  gerichtlichen  Erkenntnisse,  welche 
«im  Mamen  des  Königs  rerkOndet  und  rollzc^en  wer- 
den, worin  die  Idee,  dasz  die  statticbe  Gerechtigkeit 
Ton  dem  Könige  geschirmt  werde,  reranschaulicht 
wird.« 

d)  In  dem  Rechte  zur  Visitation  über  die  Gerichte,  den 

■  Dia  BDkwediBciie  VerftMong  von  160B  ft.  17,  21  IWzt  NRiahin«- 
weioe  dea  König  in  Person  an  dem  bbchiten  Trilninftl  t bei  1  nehmen. 

*  FMoailBehe  Verf.  §.  OB:  „Die  richleriidie  Gcwmli  wird  im  Ha- 
mca  dcaKODiga  danh  unabMngig«,  k«lner  andern  AntoriüU  ala  der  dn 
OeMtiea  aMarworfaoe  Oeriehta  aMgrtiU.  Dte  Urtheile  werden  Im  Nesaa 
de*  Kitaiga  «Dtgafertlgt  and  TolUlnckt.«  Bentham  acblügt  iw,  di« 
Fkraal:  ^  par  te  rol"  mHuwamkin  hi  „de  par  la  jutttioe.*  Aber  freai. 
halb  Mike  »lebt  Aiä  Oarccbügkett  in  dem  Könige  penoaifcirt  crsebairiea 
dfirfenT 


iM,CoO<^lL' 


104      SMhetcs  Bncb.    Die  8ony«r«Detät  nnd  du  StelMberhaopt. 

Gcscli&nsgang,  die  Handhabung  der  Ordnung,  die  Pro- 
tokuUe  und  Acten  und  deren  Verwaltung,  welche  denn 
Justizministerium  und  seinen  Organen  aukommt.  Dahin 
gehiirt  auch  die  Befugniaz,  sich  stalistiacbiQ  Bo-ichte 
Über  die  GeschOftstbfttigkeit  geben  eu  lassen. 

e)  In  dem  Rechte  SU  gerichtlicher  Verfolgung  we- 
gen Verbrechen  Auftrag  ui  geb«i,  weldie  in  Fällen, 
wo  die  Sicherheit  und  die  Pt4itik  des  States  bethriligt 
ist,  ohne  Schaden  dem  Einflüsse  audi  der  Regierung 
nicht  Töllig;  ettliogen  werden  darf.    £in  Qbermfissiger 

.Eifer  der  Statsanwälte,  in  deren  Gesiditskreise  höhere 
Statsrücksichten  nicht  Platz  finden,  kann  hier  eben  so 
schädlich  wirken  als  ein  zu  laxes  oder  furchtsames 
Verhalten  derselben,  und  dasCorrectiv  fUr  beide  Feh- 
ler kann  nur  in  dem  EinSuese  der  obersten  8tat^:e- 
waU  selbst,  welche  alle  Verhältnisse  freier  überblickt, 
ge^mden  werden. 

f)  In  dem  Rechte,  eine  strafrichterliche  Untersuchung 
niederxusclilagen  (jus  aboliendi), ^  welches  zu  be> 
schränken  immerhin  im  Interesse  der  Gerechtigkeit 
liegt. 

g)  In  dem  Rechte,  die  Strafe  zu  mildern  und  dem 
Begnadigungsrechte.*  Es  ist  in  der  Tbat  ein 
hoher  Vorzug  der  Uonarcliie,  dasz  in  ihr  auch  die 
Onade,  wie  sie  einer  edeln  Henschenbrust  entquillt,  die 
miTermeidlichen  Härten  des  kalten  Rechts  zu  mildem 
und  das  starre  Gesetz  mit  den  mannichfaltig  wechseln- 
den Bedürfnissen   des  Lebens   zu  rersöbnen   trachtet. 

*  Prcmsiiche  Verf.  %.  49:  ^Dtr  Kfinig  kum  beroite  eiD^«il«(e 
DnleriDcbangcD  nar  aaf  Qmnd  eioea  bvSoodeni  OcMtM*  niederKhbgMi.i' 
Dagagcn  ba7«rUch«TIU.  f.4:  .Der  Kitnig  kutn  In  k«iiiHn  Falle  ii««») 
CUM  mUdflge  StrcitMche  oder  angefutgen«  UnterNcbnng  benirtan,*' 

*  BIsckitooe  IV.  31,  2.  6cbwedi*ck«.  Verf.  f.  3JL  HollJlBdi- 
•eb<  |.  66.  Ümy^Tiitbt  III.  S-  *■  Belgiaobe  S-  '^8-  Spaniiabe 
S.  47,  3.    Preuaiiacbe  S.  49-    Franzöiifche  von  18&a  $.  6. 


iM,Coo<^le 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


IM     Secfaitea  Buh.    Dm  fai«ar«aetlt  und  du  aMnbcrhaupt. 

Ancfa  dar  AetS&tQnadc  ist  Ubrigeiu  ein  Act  mit  Rechts- 
wirkang  woi  bedwf  dmitet  in  der  comUtutionelteo  Hon* 
ardda  der  Contrasigaatur  d^  Minister. 

h)  lo  dtm  BestfttiguDgsrechte  bei  TodeeurtheileD, 
welche  ohne  die  persönliche  Gutheiszang  des  UMiarchen 
nicht  voltfltreckt  irenlen  dßrfen;*  eine  unverwerflicbe 
Garantie  fllr  das  Leben  der  Büiger. 

i)  In  der  Anordnung  und  deoi  Befehle  zur  Execu- 
tion  der  Strafbrtheile. 

k)  In  dem  Buchte,  Beschwerden  über  verweigerte  oder 
rerzögerte  BeditspAe^  anzanehmen  und  Fßrde- 
rungsbefehle  (promotorisles)  und  sogenaunte  Jfan- 
data  de  admini$tranda  jvttitia  KU  erlassen,  und  die  Hin- 
dernisse, welche  der  Handhabung  der  Rechtspflege  ent- 
gegenstehen, wegzuräumen. 

1]  In  dem  Rechte,  Moratorien  (induciae  moratoriae)  zu 
ertheilen.  Ein  liedeaklicher  Eingriff  in  das  Priratrecht, 
aber  in  seltenen  AuimahmslWlen  bei  gn>ecer  Laiidesnoth 
doch  unentbehrlieh ,  sollen  die  Schuldner  nicht  ohne 
Nutzen  dem  Andränge  gewissenloser  Ol&ubiger  geopfert 
werden.  Das  Institut  ist  aus  dem  rOmiseboD  Recht 
überliefert,  und  wurde  unter  der  ft-aheren  deutschen 
ReichsverfaseuDg  als  ein  kaiserliches  Reserratrecht  be- 
trachtet, dann  auch  von  den  LaBdeshermi  und  nicht 
ganz  selten  miszbrfiuehlich  geQbt.  Nothwendig  ist  e» 
aber,  dasz  dieser  allerdings  nicht  völlig  zu  entbehrende 
theilweise  Reehtsstillstand  (Justitium)  nur  mit  grosaer 
Vorsicht  und  nur  in  wahrer  Noth  rerstattet  werde;  da- 
Iier  bedarf  es  schützender  Formen,  deren  Beachtung 
auch  das  Ermessen  des  Statsoberhauptes,  oder  selbst 

«n)m  «e  latfi  pibernantto  serrsre  pothM  <)«■«  perdera  ^wcodenJo  »ä 

CZiKIBB." 

*  Duaribe  htiigt  bUtorivch  mit  der  Toratelhinf  des  NilMAltart  bu- 
n  du  BiQtgerlebt  du  speciAadi  känf^liehu  Sertekt  mL 


iM,Coo<^le 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


10t      Sedutct  Baek.    Die  SouTCrKiMiil  und  4u  SiMMbertiaapt. 


Acktsalmtes  C^iiUL 


6.    Ke  Flnanihoheft.    7.    Die  OberanMcbt.    8.    Die  Sorge  fSr  die 
CultarverbUlniBCc. 

a.  Die  Pln*nihotaetl. 

Die  Sorge  fQr  Bestreitdng  der  StaiibedtrfnisM ,  und  tm 
dieaem  Behuf  die  Verwaltenf  des  fitatsvermOgena ,  der  Be- 
log A&t  StatwinkOnAe,  die  Verweaduiig  derselben  (Qr.  die 
Oflbntlicben  Bedorftusse,  der  VoraDscblag  uod  die  StateteGli- 
BUDg  ist  wieder  so  cwganiiirt,  da»  der  Regent  hd  der  S^ttc 
dieser  geMUHiteii  Verwaltung  steht.  In  dieser  fiem^Hing 
unterscheidet  sich  die  Republik  wenig  ron  der  Monarchie. 
Auch  jene  erkennt  das  Bedürfnisz-etner  einheitlich  geregel- 
ten und  au^ebildeten  Verwaltung,  und  ist,  wo  es  sich  um 
diese  handelt,  nicht  so  eifersüchtig  als  wo  die  eigentliche 
Begiming  ihre  AutorittU  tu  fiuuem  sucht 

7.  Pu  ObenufticbUredtt. 

Das  Recht  zur  Oberaufsicht  unterscheidet  sich  von  den 
Übrigen  Regierungsrechteu,  dasz  in  ihm  das  befehlende,  ord- 
nende  und  schirmende,  d.  b.  das  eigentliche  Regieningsele- 
ment  nur  mittelbar  in  zweiter  Linie,  in  erster  dagegen  nur 
die  receptire  Eigenscban  der  Kenntnisznahme  von  den 
bestehenden  Zuständen  offenbar  wird.  Die  Oberaufsicht  er- 
streckt sich  daher  auch  über  den  Oi^nismus  und  die  Thli- 
tigkeit  der  StatsbehOrden  und  Beamten  hinaus  auf  Verhält- 
nisse und  Personen,  welche  wesentlich  selbständig  und  tod 
der  Anordnung  des  States  unabhtegig  sind. 

Im  Allgemeinen  ist  die  Statsgewalt  berechtigt,  von  allen 

(V«rf.  1L3)  doch  dM  Seebt  der  Strafmildernng  qnd  Begokdigiiag, 
»uter  im  Fall  der  Anklage  gegen  die  Slatavcrwaltnag;  ebenso  der  fran- 
s&iiache  Priaideot  (Verf.  t-  &fi)i  oielit  aber  die  aeliweiicnachen  Ee- 
(ienwrn- 


iM,CoO<^lL' 


AaUackatei  CkpHel.    7..DM  ObemiAiebtMeelit.  lOV 

Eracheinangen  EeuntBisz  lu  nehmeo,  welche  in  dem  Stats- 
gebiete  achtber  werden,  inaofern  die  Interessen  oder  das 
Recht  des  States  durch  dieselben  belroflfen  werden.  Die 
Rc^eniDg  musx  dafUr  gleichsam  ihr  Auge  olTen  haben, 
damit  sie  rechtzeitig  venuilaszt  werde,  die  angemesseneD 
Uaszregeln  einzuleiten  und  anzuordnen,  um  Schaden  von 
dem  State  abzuwenden  und  die  Wohlfahrt  desselben  zu 
ntrdem. 

Das  Institut  der  königlichen  Sendboten  in  der  frftn- 
kischen  Monarchie  und  die  statistischen  Bureaus  in 
unsem  Tagen  sind  Einrichtungen,  welche  zur  Ausübung 
dieses  Rechts  dienen;  auch  die  erstere  d.  h.  Absendung  von 
Regieningsoommissecien  in  die  verschiedenen  Provinzen  und 
Er^se,  um  sich  auszerhalb  der  gewöhnlichen  bureaukra- 
tiacfaen  Ordnung  durch  persönliche  Anschauung  von  den 
Zustanden  zu  unterrichteu,  darf  dem  modernen  Slat  nicht 
fremd  bleiben.  Freilich  soll  sieb  der  Stat  davnr  httten,  in 
die  Geheimnisse  des  Privat-  und  Familienlebens  sich  einzii- 
drftngen,  und  die  persönliche  Freiheit  durch  eine  unwürdige 
und  belfistigende  Aufpasserei  und  Spionerei  zu  stören  und 
zu  beängstigen ;  auch  darf  der  Stat  nicht  unerlaubte  Mittel 
wählen,  um  die  Aufschlüsse  zu  erhalten  deren  er  bedarf, 
und  das  Aufsichtsrecht,  das  ihm  zusteht,  nicht  zu  tiuer  Be- 
vormundung steigern,  die  ihm  nicht  zukommt 

Im.  Besondem  ist  hervorzuheben  die  Oberaufsicht  über 
die  Gemeinden,  Cor  porationen,  Actiengesetlschaf- 
ten  und  Stiftungen;  die  Zustimmung  zu  deren  Entstehung 
ist  DÖthig,  wo  öHentliche  Interessen  betheiligt  sind,  aber 
entbehrlich,  wo  die  Verbindung  der  Individuen  und  die 
Sunung  ein  rein  privatrechtliches  Dasein  hat,  ohne  Bezug  auf 
die  Statsordnung  oder  den  Öffentlichen  Credit ' 


'  Das  riimisehe  Rächt  der  Eaiwneit  beaehriokt  in  diesen  Dingen  di« 
Freiheit  de«  Privfttlebena  mehr  ab  du  Interesee  de«  8Mm  H  erfiHdtrt. 


iM,Coo<^lc 


1 10      SecbtMi  S<Mb.    Die  SoaveräiteUt  t»d  im  etetaatortwiipt. 

fl.  Dit  S«ii|«  (St  die  CBHcrreiMNiriiM,' 

Dahin  gehört  die  Beziehung  des  States  zur  Erziehung^ 
die  Sorge  fUr  die  Sehsle  bbcI  MfestSdie  ffildongmiMtsIten, 
sar  Wi— CMBCh^ft  and  Kunst,  deren  Wesen  zwar  nicht  Ttim 
State  heatimmt  wird,  deren  mächtigen  Eiiiflusz  auf  die  ÖfTent- 
liche  Wohlfahrt  der  Stat  aber  za.  überwachen  und  in  dieser 
Beziehung  auf  den  rechten  Bahnen  zu  erhalten  Recht  und 
Pflicht  der  Regierung  ist. 

Aber  auch  das  Verhftitnisz  des  States  zur  Kirche  ge- 
hört hierher,  der  grfiszten  und  innerlich  selbständigsten  Ge- 
meinschaft in  und  neben  dem  State. 

Das  neunte  Buch  ist  diesen  Beziehungen  gewidmet. 


Neonzelmtes  Gapitd. 

9.    Fortnen  der  Anaäbnng.    Terordaaiig  Dwl  Befehl. 

Durch  die  bisher  genannten  Rechte  wird  der  Inhalt  der 
Regierungsgewalt  keineswegs  erschöpft  Jene  sind  einzelne 
AufißUsse  der  MachtfUlIe,  welche  in  dieser  als  einör  uner- 
schöpflichen Quelle  je  nach  dem  Bedürfnisse  des  States  fort- 
sprudelt,  und  wenn  dasselbe  es  erheischt,  auch  iti  neuer 
Richtung  ausströmt. 

Formell  wird  die  Regierungsgewelt  ausgeübt: 

a)  durch    Erlassung  von    allgemeinen    Verordnungen 
ijxu  edicendi); 

b)  durch  Erlassung  von  Anordnungen,  Befehlen  und 
Verboten  im  einzelnen  Fall  (jus  jubendi). 

Von  den  ersteren  war  schon  oben  die  Rede.'  In  dem 
letzteren  Recht  äuszert  sich  auch    formell    das  eigentliche 

■  fiaeb  V.  Cep.  & 

n,g,t,7.dt,'C00gIc 


IfcwMlwlM  CapiUl.    ».  Vormn  dnr  Avfttbu^.    TcrodMUig  «Ic.    Jfl 

Wesen  der  RegieruofjsgewalL  Es  ist'  isine  knnkhsfte  uud 
•ehwflchliehe  Vorstellung  unserer  Zeit,  welche  in  der  R«^gie< 
rang  our  eioe  Verwaltung  sehen  will  and  die  entschei- 
dende Kraft  de«  statlicben  Befehli  in  einen  Tagen  ond 
aofawaokenden  Einfluis  nnd  Rath  der  Regierung  ah- 
sehwichen  mAcbte.  Soweit  der  Stat  in  •einem  Rechte  ist^ 
darf  und  soll  die  Regierung  nicht- blon  wttnschen,  ermabnea, 
empli^len,  aoudern  das  ErfCHrderliche  bestimmt  aMrJafai 
und  ihren  Anordnungen  auch  den  Vollzug  amhem.*  HielMr 
gehören  Befehle,  Aufträge,  Reacrit)te,  Coneeesio- 
nen,  Banne,  Verbote  u.  &  K 

Beachrbikt  ist  die  Regieruiig  in  der  Ausybnng  dieses 
AnordnnDgsreeUcs.daich  die  bestehende  Verfassung,  Ge- 
setzgebuHg  oad  Rechtsordnung  Überhaupt,  innerhalb 
welcbcr  sie  sieb  bewegen  mnra,  die  sie  nicht  Terletzen  darf. 
Vermlasat  wird  sie  an  ihrer  Anordnung  durch  das  BedOrf- 
ikz  der  OOfeiitlicben  W<A](hhrt,  und  besümmt  zu  dem  Inhalt 
derselben  darch  die  Rfieksieht  anf  die  TaugUcbkeit  der  ei^ 
lanbten  Mittel  zu  dessen  Befriedigntg. 

Jene  Beschränkung  Idszt  eich  mit  Bezug  auf  die  Regie- 
rungsgewalt  leichter,  auch  äuszerlich  eher  festhalten,  als  ge- 
genüber der  Gesetzgebung.  Insbesondere  sind  dieOerichte 
innerhalb  ihrer  eigenen  Competenz  nicht  gebunden ,  bei  Ent- 
scheidung von  Processen,  Verordnungen  oder  Befehlen  der 
Regierung,  welche,  sei  es  formell,  sei  es  in  ihrem  Inhalte, 
widerrechtlich  sind,  als  rechtsgültig  anzusehen  und  ihr  Ur- 
theil  darauf  zu  begründen.    Vielmehr  sollen  sie,  soweit  ihre 

■  WasbiogtoD,  vqd  Natur  jeder  wl)lkttrli«li«D  SiaUgewalt  abge- 
Deigl,  hat  dcpDoch  dieaea  BadUrfoiBi  wohl  geftlhlt  nnd  acharf  bezeichnet 
Brief  vom  3t.  Oet  1788:  „Sie  reden  davao,  wir  wlleu  nnseni  EinflaaE 
Hstbeo,  nn  die  gogenwirtigm  UDrutatn  in  lla*Mebn»atts  zu  beaehwieh< 
tigen.  Ich  weiai  nicht,  wo  dteter  Knflaai  in  anden  ist,  and  wenn  «r 
möglich  Wim,  wtra  ar  denn  fBr  «>  arge  Unordanng  ein  paawndee  Heil- 
mittel? Einrinai  Jat  keineswegs  Regierung.-  Vgl.  Story  III.  37. 
f.  IM. 


iM,Coo<^le 


112      ScchMM  Bacb.    Djc  SoiiTerinellU  and  da«  SUtaobeHiMpL 

Competenz  reioht,  lÜe  beatebeode  ReobtsordDong  auch  wider 
den  Willen  der  Regierung  Mbtitun.  Auf  der  andern  .Seite 
aber  dorfen  »ch  die  Gericbte  ebenso  wenig  zu  Aubichts- 
and  Oontrolbehörden  Über  die  R^emngsbeMhlUsM  eigen- 
mfichtig  erbeben,  noch  sind  gegen  jede  YerordBoug  oder 
jeden  Befehl  der  Regierung,  deren  Form  oder  Inhalt  einem 
Gesetze  zuwiderlauft,  [»tHMWualiache  Rechlemittel  zuläaaig. 
Eine  Berufung  von  den  Verfltgnngen  der  Regierung  an  die 
Oerichte  ist  somit  io  der  Regel  nicht  gestattet.) 

Die  untern  Regierungabehörden  dagegen  sind  in 
der  R^el  rerpflicbtet,  auch  die  dem  Inhalte  nach  wider> 
rechtlichen  Verfügungen  der  ihnen  TOrgesetzten  Regierung 
innerhalb  ihres  AmtBkreisea  zu  befolgen,  denn  jene  haben 
keine  von  dieser  unabhängige  Stellung,  sondern  sind  ihr 
voUst&nd^  unte^eordnet.  Ans  diesem  Grunde  haben  denn 
auch  ^e  nicht  die  Verautwortliohkeit  für  solche  Beschlüsse 
zu  tragen,  sondern  nur  die  Regierung  selbst,  besiebungs- 
weise  das  Hiniaterium ,  von  welchem  dieselben  ausgeben.  * 

Ausnahmen  von  diesen  Regeln  können  durch  die  Ver- 
fassung oder  das  Gesetz  für  einzelne  Fälle   begrQndet  sein. 


Zwanzigstee  GapiteL 

10-   Die  AusDBlimigewalt  der  R^emng.    Stalsnot  brecht. 

Der  Stat  ist  ein  Wesen  von  so  hoher  Art,  dasz  die  Er> 
Haltung  seiner  Existenz,  fUr  welche  zu  sorgen  die  erste 
Pflicht  der  Regierung  ist,  im  Mothfbll  auch  eine  wirkliche 
Verletzung  des  individuellen  Rechtes  und  der  bestehenden 

'  Die  genaoere  ErörteniDg  dieaer  Frag«!  wird  nater  Bacb  VIII. 
Csp.  B.  folgen. 

'  Tgl.  Doch  Buch  TU.  C.  3. 


iM,Coo<^lc 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


114      Sechste«  Bacb.    Die  SoQverftneUt  nnd  das  Stataaberbaapt. 

Weder  Honarehien  noch  Republiken  ■  sind  davor  sicher, 
nie  in  solche  Noth  zu  kommen.  Dadurch  dasz  fbr  die  Aus- 
nahm^ewalt  in  der  Ver&seung  nicht' oder  ungenügend  ge> 
sorgt  wird  —  und'  in  manchen  Staten  hat  die  Furcht  vor 
Mtszbrauch  zu  der  Nichtanerkennung  derselben  verleitet  — 
wird  die  Noth  selber  dem  State  nicht  erspart-,  die  Mittel 
aber  ihr  zu  b^^nen  sind  erschwert.  Energische  Stats- 
männer,  welche  die  Regierung  des  States  leiten,  werden 
freilich   auch    unter   dieser  Voraussetzung   das   Naturgesetz 

'  Macliiavtlli  la  Livlns  I.  34:  „Republiken,  welcbe  in  dringender 
Oefabr  nicht  xur  dictaioriscIieD  oder  einer  ttbnlichen  0«wBlt  ibre  ZDflucbt 
nebmen,  werden  bei  Ereignissen  von  grosier  Bedealang  m  Grnnde  gehen. 
Die  römische  Diciatnr,  so  lange  sie  der  Verfossnng  gemttsi  gegeben  und 
»lebt  mit  Gewalt  genommen  warde,  war  der  Stadt  immer  beilsam. "  Die 
extreme  Politik  —  nnd  bierin  baben  die  revolutiODÜie  nnd  die  despotisebe 
grogie  Arbnliclikeit  mit  einsniler  —  war  Im  Interesse  nicht  blos£  des 
States  sondern  ihrer  Psr leihe mclian  von  jeber  eifrig  in  der  Benutzung 
nnd  in  abennüSEiger  Anadebnung  dieses  Rechtes;  wie  denn  überhaupt  die 
roenschliclie  Leidenscliaft  durch  die  Schranken  des  Rechts  mir  schwer 
zurückgehalten  wird.  Hirabeau  bat  die  Allgewalt  der  französischen 
Nationalversammlung  mit-  Hinweisung  auf  jenes  Nothrecht  vertbeidigt 
(Tbiers,  Revul,  franc  I.  150)  in  jener  merkwürdigen  Entgegnung  an 
Haury:  „Man  Tragt,  seit  wann  die  Abgeordneten  des  Volkes  mr  Natio- 
nalversammlung geworden  sind?  Ich  antworte:  An  dem  Tage,  als  sie  deo 
Zutritt  zu  ihren  Sitzungen  von  Soldaten  versperrt  fanden  nnd  an  dem 
erste»  Orte,  wo  sie  sich  versammeln  konnten,  zusammen  kamen,  und 
schwuren  eher  lu  sterben  als  die  Rechte  der  Nation  sa  verrathen  und 
nnfaugeben.  Unsere  Vollmachten,  von  welcher  Art  sie  vorher  sein  moch- 
ten, haben  an  diesem  Tage  ihre  Natur  verändert.  Wie  anch  die  von  uns 
geübte  Macht  beschaffen  ist,  unsere  Anstrengnngen ,  unsere  Arbeiten  haben 
dieselbe  legitimirt,  und  die  Zustimmung  der  ganien  NaIJon  hat  sie  ge- 
heiligL  Ihr  erinnert  Euch  alle  an  das  Wort  jene«  grosien  Römers,  wel- 
cher die  l^alen  Formen  verletzt  hatte,  uro  das  Vaterland  sn  retten. 
Heine  Herren ,  ich  schwäre,  dasz  Ihr  Frankreich  gerettet  hsbt.*'  Hit  ähn- 
lichen Gründen  wurde  frelücli  anch  die  Einsetzung  eines  Comil^  du  Soivt 
)MUw(Wohlfahrt8ausschuss)  nnseligen  Andenkens  vertfaeidigl.  Und 
Napoleon  I.  hat  ebenso  obschon  mit  besserem  Rechte,  seine  Usurpation 
vom  18.  Brnmaire  begründet  Insofern  der  Grund  wahr  ist,  ist  er  anch 
Hecht,  wenn  er  bloszer  Vorwand  nnd  Lüge  ist,  dann  ist  er  unrecht,  lat 
Com,  Mm.  IV.  S.  302. 


iM,Coo<^lc 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


116      SechalM  Bucb.    Die  Soaveriinelät  and  das  StatKberbsupt. 

köODea.  Die  Praxis  der  Statsmanner  und  der  Uinister  hat 
sich  indessen  durch  diese  Beschränkung  nicht  von  weitern 
hothwendig  erscheinenden  Haszregelo  zur  Rettung  des  Stats 
abhalten  lassen. 

Wo  es  an  besondem  Vorschriften  fehlt,  ist  anzunehmen, 
dasK  der  Entscheid  darüber  dem  Statsoberhaupt  zustehe, 
freilich  in  der  constitutionellen  Monarchie  unter  Verantwort- 
lichkeit des  contrasignirenden  Ministers,  scbicklicherweise 
auch  nach  Vernehmung  des  Statsrathes.  Dem  Statsoberhaupt 
und  nicht  dem  repräsentativen  Körper,  welcher  theils  in  der 
Noth  vielleicht  nicht  einmal  anwesend  ist,  theils  nicht  den 
Beruf  und  die  Fähigkeit  hat,  dringende  momentane  Bedürf- 
nisse zu  beurtheilen  und  die  geeigueten  Mittel  fUr  ihre  Be- 
fi-iedigung  zu  bestimmen.  Den  Kammern  aber  gebührt  auch 
hier  die  Controle  Über  die  Ausübung  dieses  immerhin  bedenk- 
lichen Rechtes,  welches  leichter  als  ii^end  ein  regelmfisziges 
Recht  der  Regierung  zu  Gewaltthat  und  Unterdrückung,  die 
durch  keine  Noth  erfordert  wird,  miezbraucht  werden  kann, 
und  in  neuester  Zeit  —  vorzüglich  in  Deutachland  —  misz- 
braucht  worden  ist. 

3.  So  lange  die  verfassungsmäszigen  und  gesetzlichen 
Mittel  der  Statsgewall  ausreichen,  um  der  Noth  zu  wider- 
stehen und  trotz  der  Noth  den  Stat  und  die  öffentliche  Ord- 
nung zu  wahren,  so  lange  wird  keine  Ausnahm^ewalt  be- 
gründet. In  demselben  Verhfiltnisz,  in  welchem  die  drohen- 
den Gefahren  der  Zukunft  vorhergesehen  und  fUr  gesetz- 
liche Hülfe  gesorgt  wird,  verengert  sich  der  Bereich  des 
Nothrechts.  Wo  das  Recht  der  Regierung,  ausnahmsweise 
provisorische  Gesetze  zu  erlassen,  in  der  Verfassung  aner- 
kannt ist,  wie  i.  B.  in  Preuezen,  da  ist  dasselbe  keine  An- 
wendung des  Statsnoth rechts  im  engern  Sinne  mehr,  son- 
dern eine  vorher  bestimmte  und  durch  die  übrige  Verfassung 
und  Gesetzgebung  begränzte  gesetzgeberische  Competenz  des 
Statshaupts. 


iM,Coo<^lc 


ZwBBiigitc«  Okptel.    10.  AiiaDabiii«g«walt  d«r  E^eroDg.      It7 

4.  Wenn  nicht  für  NothfttUe  eine  betondere  Magistratur, 
wie  die  römiscbe  Dietatur  geordnet  ist,  bo  versteht  es  eich, 
dasz  dieselbe  Diir  ron  dem  Statsoberhaiipte  selbst,  nicht 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


118     Secbalu  Bucti.    Die  SoaverftselSt  und  da«,  ät&tsoberliuipt. 

b)  Die  zu  treffenden  Hasir^ela  dUrfen  nicht  härter, 
die  damit  verbundene  Verietzung  oder  Beschränkung 
bestehender  Rechte  insbesondere  nicht  gröszer  sein, 
als  der  zu  erreichende  Zweck  es  durchaus  erfordert. 

b)  Dieselben  dOrfen  euch  nicht  länger  dauern,  als  die 
Abwendung  der  Noth  es  erheischt.  In  manchen  Staten 
ist  daher  die  dictatoriscbe  Gewalt  durch  besümmte 
kurze  Zeitperioden  b^rftnzt  worden,  um  so  der  Ge&hr, 
dftsz  die  Auanahoi^ewalt  bleibend  und  deshalb  zum 
Despotismus  werde,  zu  begegnen. 

c)  Wo  blosz  provisorische  Maszr^eln  ausreichen,  sind 
keine  definitiven  zu  rerfl^^en,  und  immer  musz  der 
regelmfiszigen  Gesetzgebung  das  Recht  rorbehalten 
sein,  auch  jene  zu  tlberwacfaen  und  für  möglichst  bal- 
dige und  völlige  Herstellung  des  gewohnten  Rechtszu- 
Standes  zu  sorgen.  Das  gilt  ganz  vorzüglich  von  pro- 
visorischen allgemeinen  Verordnungen,  weldie  während 
des  Nothstandes  eingeführt  werden. 

d)  Niemals  darf  die  Ansnahmsgewalt  bis  zur  Aufhebung 
der  Verantwortlichkeit  der  leitenden  Uinister  auch 
fDr  die  Ausnahmsverfllgungen  nusgedehnt  werden,  denn 
das  wäre  keine  Maszregel  wider  die  Noth,  sondern 
die  Ausbeutung  der  Noth  im  Interesse  der  Willkür. 
Im  Gegentheil  je  eingreifender  das  Nothrecht  geabt 
wird ,  desto  gröszer  wird  auch  die  Pflicht  der  handeln- 
den Personen ,  für  die  Nothwendigkeit  ihrer  Maszregeln 
Rechenschaft  zu  geben ,  und  die  Verantwortliclikeit 
derselben  zu  tragen. 

e)  In  der  R^et  darf  auf  solchem  Wege  auch  kein  neues 
dauerndes  Recht  geschaffen,  sondern  es  soll  nur 
die  Verletzung  des  vorhandenen  Rechts  aus  Noth 
entschuldigt  werden.  „Rechte  zu  verletzen  kann  wohl 
die  Noth  gebieterisch  erbeischen,  nie  aber  das  Unrech  t 
formell  (und   dauernd)   an  die  Stelle  des  Rechts 

n,g,t,7rJM,COO<^IC 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


Der  Statedienst  und  das  eigentliche  Regiment 
ErateB  GapiteL 

Die  Arten  und  die  recLtlicbe  Natur  des  SlaUdieiiates. 

1.-  Die  Ausbildnng  des  Begrißb  des  Statsdienstes 
gehört  vorzugsweiBe  der.  neueren  Statsentwickluug  an.  Im 
HiUelalter  war  derselbe  dnrcb  eine  unpassende  Beimischung 
privatrecbtlicher,  später  auch  abmluter  Vorstellungen  riel* 
&oh  getrUbL  l>er  Auedruck  Statedienst  bezeiehoet  gut  die 
beiden  Haiipttigenschaften  desselben,  nämlich  die  BegrUn- 
dang  desselben  durch  einen  besondern  Auftrag  der 
Statsgewalt,  sodann  die  Art  desselben  als  eines  dem- 
State  geweihten  öffentlichen  Dienstes.  Nur  wer  jenen 
Auftrag  empfangen  und  solche  Functionen  fQr  den  Stat  ni 
üben  hat,  ist  Statsdiener  (fonetionnaire  public). 

Ausgeschlossen  sind  somit  die  Mitglieder  der  gesetz- 
gebenden Kammern,  der  Provlncialslände,  die  Geschworenen, 
in  der  Reget  auch  Gemeindebeamte,  Adrocaten,  blosze  Pri* 
Tatdiener  des  Honarchen,  bei  genauer  Sonderung  der  Kirche 
vom  Stat  auch  die  Diener  der  Kirche,  Bischöfe,  Pfarrer 
u.  8.  f.,  sei  es  weil  diese  Personen  niclit  von  der  Statsgewalt 
ihren   Auftrag  erbalten    haben,    auch   wenn  sie  öffentliche 


n,g,t,7rJM,C00glc  ■ 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


i'iH    Siebeotes  Biuli.    Der  StatwUenet  QBd  du  eigeaüidie  Ee^iatcnt. 

Die  eigientliehen  Statebeamten  sind  entweder  Regie- 
riiDgs-  oder  Juslizbeamte.  Die  erstem  haben  wirkliebe 
B«gierung8funclionen  ausniUben  (imperium)  und  sind  auf 
der  einen  Seite  eben  darum  innerhalb  ihrer  Amtasphäre  mit 
der  Macht  ausgerüstet,  was  sie  fUr  zweekmaazig  und  erfor* 
derlieb  hallen  im  öffentlichen  Interesse  anzuordnen,  zu  be- 
fehlen und  ihren  Befehlen  Folge  za  Terschaßbn,  auf  der  an- 
dern Seite  aber  auch  im  Einselnen  hinwieder  dem  höheren 
Auftrage  ihrer  Vorgesetzten  anterworfen  und  von  diesen  ab- 
hängig. Die  Justizbeamteii  dagegen  haben  nicht  die  Macht, 
mit  freiem  Willen  zu  bestimmen,  was  ihden  das  Oflfentlicbe 
Interesse  zu  erfordern  scheint,  sondern  nur  die,  das  erkannte 
beatebende  Recht  aussusprechen  und  nach  festen  Reohtsregela 
zu  handhaben  (jurisdictio),  aber  bei  dieser  'Hitltigkeit  ww- 
den  sie  lediglich  durch  ihr  eigenes  Wissen  und  Gewissen, 
und  nicht  durch  einzelne  Auftrüge  der  Statsregierung  ge- 
bunden und  bestimmt  Im  normalen  Zustande  sind  vorzugs- 
weise die  entern  zu  liberaler,, die  letztem  zu  OHiserratiTM' 
'nifttigkeit  berufen. 

3.  Von  beiden  Arten  der  Statsbeamten  tind  die  Stats- 
angestellten  und  die  Anjtsgehülfen  zu  unterscheiden. 
Sie  sind  zwar  auch  Slatsdiener,  aber  sie  haben  kein  eigent- 
liches Amt,  daher  auch  weder  eine  Amtsgewalt  noch  eine 
selbstttudige  AmtsspbAre,  sondern  sind  lediglich  Gebtllfen 
der  ihnen  vorgesetzten  Beamten  und  von  diesen  abh&ngig; 
z.  B.  Kanzellisten,  Aufbeher  in  OfitotUchen  Anstalten,  Fioan's- 
gt^Ulfen  u.  s.  f.  Zu  dem  Bange  von  Statsdieoero  sind  sie 
erhoben,  weil  sie  immw  noch  eine  organische  Thfitigkeit 
im  öffentlichen  Dienste  und  insofern  eine,  wenn  auch  niedere 
geistige  Function  ausQben.  Wenn  auch  diese  zurücktritt, 
und  die  blosz  mechani'sche  Dienstleistung  als  Hauptsache 
erscheint,^   so  hört  auch  die  Eigenschaft  eines  Statsdieners 

*  Anf  dleten  OegenutE  hit  Schmittbenner.,  StsUncht  S.  603 
mit   Recht   anfbierkMin   gemncbt.     Wenn   er   aber   die   SUt*angeateUua 


iM,Coo<^lc 


Bralas  Caidte).    ArMn  und  rcdtlidie  N«tw  du  StaMÜenite*.     123 

aur,  uogeac^tet  dieselbe  von  dem  State  benutzt  and  gefor- 
dert-wird.  Lakaien,  Portiers,  Pedellen,  Waibel,  Geiiobts- 
diener,  Gensdannen  geboren  zu  dies«'  letzteren  Clasae, 
walrhe    man    fbirlich    Statnhedi nn  tn    nentiAii    kann.     Thr 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


124    Bi«b«ntM  Bach.    Der  6taUdi«att  aii4  du  elgcntlieh«  Regiment. 

Die  Begründang  desselben  gesebi^t  im  öfitentlicben  In- 
teresse durch  einen  in  Form  nnd  Inbalt  Horm  gebenden 
WiWencact  des  State,  das  Anstellungadeoret.*  Uan 
b«t  wohl  diesen  Act  ein  Specialgesetz  genannt,  ein 
Ansdriiek,  welcher  iodessen  besser  reraiied«!  wird,  da  er 
in  der  Regel  nicht  durch  den  geaetssgebenden  Körper,  'son- 
dern in  Monarchien  durch  den  Honarchen,  in  Republiken 
auch  etwa  durch  die  Volkswahl  geübt  wird.  Dieser  Aet  ist 
selbst  in  dem  immerhin  seltenen  Fälle,  wo  demseU^eji  eine 
Unterhandlung  und  ein  wirklicher  Vertrag,  z.  B.  mit  eioem 
Ausltader,  dessen  Dienet«  ein  Stat  zu  erwerben  wUnaeht, 
rorhergeht ,  wesentlich  ein  einseitiger  Willensact  der 
(tbergeordneten  Stategewalt,  und  nie  kuin  aus  jenem 
Vertrage  eine  Cüvilklage  auf  wirkliche  Anstellung  gegeb«i 
ond  das  Decret  etwa  durch  gerichtHchen  Zwang  dem  State 
abgedrungen  werden.  Vielmehr  berechtigt  Mich  dann  ein 
solcher  Vertrag  nur  zu  einer  Entcohädigungsforderung  von 
ganz  privatrechtlichem  Inhalt,  wenn  das  Ansteiloogsdecwt 
'7on  dem  State  nicht  vollzogen  werden  sollte. 

*  Oftiiner,  der  SUitsdienst  aus  dem  GeaicIitBpankt  de«  Rechts.  Lands- 
batlSOS.  —  Zachsria,  D.  St.  136.  Scbmittlieuner,  Suiincht  8. 506 
verwirft  swar  jene  legistiacbe  Auffarauiig  maocber  oeueren  Jurielen,  die 
sonderbar  genug  dss  römiBcbe  Prjtairechl  fUr  uns  sc^ar  in  cinpin  Ver- 
hültnisse  als  maizgebeod  ansalien,  wo  die  Kömer  aelbsl  in  ilirem  State 
nie  daran  gedacht,  dasselbe  anzuwenden;  aber  er  behauptet  doch,  der 
Statsdieust  werde  durch  Vertrag,  nur  heioeu  obUgali>ri»elK:i  eingegangen. 
Dieser  Vertrag  nanilich  ngehr  der  Bestallung  als  causn  [iraecedens  vornn, 
wie  der  Investitur  bei  dem  Lehen  der  Lehensverlrag, "  Aber  diese  An- 
sicht ist  ebenfeUs  irrig.  Vorhergehende  Verträge  der  Art  bomnen  in 
der  Wirklichkeit  tuir  aus  nah  ms  weise  vor,  denn  die  Amtngv,  ob. jemand 
ein  Amt  aunehmen  wurde,  und  die  Zusage  desselben  bewirkt  noch  keinen 
Vertrag.  Ein  solcher  Vertrag  müszte  BomiC  fingirt  werden,  und  dsfiir 
gibt  es  keinen  Grund,  Wo  er  aber  ausnahmsweise  vorkommt,  da  wirkt 
er  auch  nar  priTBl-  nicht  Btalsrechtlieb ,  gebort  also  nicht  hieher.  Die 
Annahme  der  Anstellung,  welche  dieser  nachlblgt,  und  die  Ablehnung 
dei-selben  sind  twar  freilich  WiHeiisacLe  des  Individaums,  welches  das 
Amt  tibernimmt  oder  anaacblägu  Aber  sie  Andern  den  obrigkeitlichen 
Charakter  des  Decretes  nicht. 


n,g,t,7.dt,'C00gle 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


12A    Siebentes  Bach.    Der  6tal«diener  und  das  eigcnUicIie  Regiment. 

individuell.  Die  Erblichkeit  der  Ansprüche  auf  daie  Amt  ge- 
vrährt  EOmit  keine  Garantie  fltr  die  Tüchtigkeit  des  Beamten, 
und  versperrt  zum  Schaden  des  Stalea  anderen  ßlhigen  In- 
dividuen den  Weg  zu  Öffentlicher  Wirksamkeit. 

Nur  ganz  ansnahmsweiee  kommen  daher  in  dem  neuem 
State  noch  Erhfimter,  und  gewöhnlich  nur  da  vor,  wo  mit 
denselben  keine  Functionen  der  Statsgewelt,  sondern  nur 
Ehrenrechte  verbunden  sind,  wie  die  ErbhofBmter 

2.  In  den  republikaniseben  fitaten  sowohl  des  AHerthnms 
als  Ihdiwelte  anch  der  neuern  Zeit,  wie  TorzQglirh  in  der 
Schweiz,  ist  ein  entgegengesetztes  System,  der  Ernennung 
auf  bestimmte  ZeitTrist,  meistens  von  wenig  Jahren, 
herrschend  geworden,  zuwülen  mit,  zuweilen  auch  ohne  die 
MOglidikrit  der  Ernenerungswahlen.  FUr  Gemeindeämter, 
welche  in  der  Regel  keine  höhere  Ausbildung  erfordern, 
und  nur  selten  alle  Kräfte  eines  Menschenlebens  absorbiren, 
ist  dieses  System  wohl  zu  billigen.  Für  Statsämter  aber, 
welche  eine  jahrelange  Berurabildung  erheischen  —  wie  das 
in  unsem  neuem  künstlichen  Lebensverhältnissen  unumgäng- 
lich nöthig  geworden  ist  —  ist  dasselbe  mit  grossen  Nacli- 
theilen  verbunden.  Es  befördert  nämlich,  indem  es  dem 
Ehi^eize  Einzelner  und  den  Parteiumtrieben  Vieler  einen 
willkommenen  Spielraum  eröffnet,  ungemein  den  Wechsel 
der  Beamten,  untei^rftbt  so  die  Sicherheit  zahlreicher,  dem 
State  geweihter  Existenzen,  und  damit  die  Ruhe  des  States 
selbst,  und  hindert  und  stört  vielfach  die  nachhaltige  und 
dauerhafte  Wirksamkeit  der  Aemter.  Diese  Nachtheile  wer- 
'  den  durch  den  Vortheil,  unfähige  oder  solche  Beamte,  welche 
das  Vertrauen  verloren  haben,  leichter  zu  entfernen  und 
durch  Männer  zu  ersetzen,  von  welchen  bessere  Dienste  ge- 
hofft werden,  sicher  nicht  aufgewogen.  Weniger  bedenklich 
ist  dieses  System  indessen  in  einer  Aristokratie,  welche  von 
Natur  zur  Stätigkeit  und  Häszigung  geneigt  ist,  als  in  einer 
Demokratie,    welche   ohnehin    den    Wechsel   liebt,    gerade 

,        n,g,t,7rJM,COO<^le 


Zweites  Cnpilel.    Anilfllang  der  Sislcdkiwr.  127 

daniDi  aber- auch  eine  natürliche  Neigung  hat,    die  Aemter 
nur  auf  kurze  Zeit  2u  besetzen.    Für  diese  kommt  die  Oe- 

Aik>    Ktn.ii       Aaev    Aar  Btat    Ala  TÜannta    naxBilA    Aar.  ant,neu,£.inW. 


rmn-n-.;GoOg\c 


128    Siebentes  Buch.    Der  Stattdiener  an«!  du  «geittlkihe  RrgiiDent. 

werden,  welche  die  StatsprOfung  bestanden  haben.  Dieses 
System  hat  oBen6ar  grosse  unverkennbare  Vorsage  vor  deoi 
in  den  meisten  ftodern  Stat«i  noch  gelteadea  Systeme, 
welches  bei  Anstellangen  nicht  an  die  Liste  dar  geproflea 
Candidalen  gebunden  ist.  Einmal  nftmlich  gibt  es  »ne  er> 
höhte  Gewahr  für  gründliche  Vorbildung  und  Berufstachtig- 
keit,  und  Uberdem  wehrt  es  in  erheblichem  Uase  den  un- 
gebührlichen EUnflUssen  des  Farteispiela  und  der  Hofintrigue. 
Es  sichert  die  Laufbahn  des  Talentes,  und  entfernt  zudring- 
liche und  unwiitsende  Bewerber.  Nur  darf  dieses  System 
nicht  in  pedantischer  Weise  behandelt  werden  y  und  sind  audi 
die  nöthigen  Ausnahmen  offen  su  lassen,  nicht  bloez  fUr 
Ausländer,  deren  Fähigkeit  auch  ohne  Statsprüfong  auf 
enderm  W^e  offenbar  geworden  ist,  sondern  auch  für  aus* 
gezeichnete  Inländer.  Gerade  die  am  meisten  b^^bten  Heu* 
sehen  gehen  oft  einen  eigeuthllmlichen  Lebensweg,  und  da 
wäre  es  eine  Tborheit,  würde  der  Stat  ihrer  Dienste  ent- 
behren müssen,  weil  sie  nicht  auf  den  gebahnten  Wegen 
voi^egangen  sind,  sondern  in  schwierigeren  Verhöltnissen 
ihre  Fähigkeiten  bewahrt  haben.  Es  gilt  das  vorzüglich  flir 
die  Aemter,  die  eine  erhöhte  statsmännische  pder 
wissenschaftliche  Befähigung  erfordern,  wie  Minister 
und  Statsräthe  oder  Professoren  an  Universitäten.  Für  solche 
Ausnahmefälle  läszt  sich  indessen  leicht  sorgen,  ohne  die 
Regel  irgend  zu  gefährden  oder  zu  schwächen. 

Ein  anderer  Uebelstand,  der  sich  in  Deutschlaud  an 
das  im  Uebrigen  treffliche  System  angehängt  und  die  Früchte 
desselben  vielfach  zerstört  bat,  begeht  darin,  dasz  die  vste 
Anstellung  sowohl  der  Aspiranten  auf  den  Statsdienst  als 
das  Vorrücken  der  Statsdiener  zu  sehr  nach  mathematisohen 
Rucksichten  des  Dienstalters  bestimmt  wird,  und  die  aus- 
gezeichnete Qualität  zu  wenig  in  Betracht  kommt.  Gute 
Köpfe  werden  oft  durch  vieljährige  fabrikähnliche  Beschäf- 
tigung mit  untergeordneten  Diensten  abgemattet,  und  wenn 

■     n,g,t,7rJM,COO<^IC 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


130    SiebenlM  Ba«h.    Der  ßtatcdfcMt  und  dM  rig«DtlieLe  R^ment. 

sondern    nur  practiscbe  Hebung,   und   intbewodere   blosse 
SchreäberdieiMte  gefordert 

-  Weniger  fest  und  wohlgeordnet  sind  die  AwtcdluBgs^ 
verhMtniBse  in  endern  Steten.  Insbesondere  ist  es  ein  Man- 
gel sowohl  mancher  oonetitutioneller  Uonarchien,  als  mancher 
Republiken,  dasz  häußg  noch  die  Aeoiter  nach  bloszen  Par- 
tei rUcksichten  an  die  politischen  Freunde  und  0«nstlHig« 
der  jeweiligen  Minister  oder  der  einSosHeichen  Parlohftup- 
ter  vergeben  werden,*  aoeh  wenn  dieselben  das  Fech,  iu 
dem  sie  arbeiten  sollen,  weder  etudirt  noch  sieb  darin  geobt 
beben,  mit  Hintansetzung  tüchtigerer  IndiTidnen.  Jede  Re^ 
giening,  zumal  in  Zeiten  bewegter  pc^itischer  Edrapfe,  wird 
swar  die  politische  Oesinnnng  der  Oandidaten  bei  Aattellnn* 
gen  k^neswegs  ausser  Aeht  setaen  dUrfen,  will  sie  nicbt 
sich  selber  rerwundeii  und  schwftcheii,  aber  wo  die  Pariai- 
gunst  oder  Ungunst  allein  oder  Tomehoilich  entsoheidet,  da 
wird  der  Statsdienst  selbst  Teraachlfissigt,  und  der  Zwevh 
tler  StatseJnrichtungen  den  Schwankungen  und  Leidenw^f* 
ten  der  Parteien  preisgegeben. 

Für  Richterftniter  hat  das  BedUrAiisz  in  den  meisten 
Staten  richtige  Grundsätze  wenigstens  in  Uebung  gebracht. 
Hier  ist  denn  euch  eine  juristische  Vorbildung  ein  so  oBIm- 
bares  Errordernisz  bei  dem  Zustande  des  modernen  Rechts, 
dasz  dasselbe  weniger  als  bei  eigentlichen  Regierungsstellen 
▼erkannt  worden  ist 

5.  Da  die  indiridtielle  Tüchtigkeit  die  Haupteigenechaft 
ist,  welche  von  den  Beamten  Terlengt  worden  musz,  diese 
aber  nicht  durch  eine   bestimmte  Abstammung  bedingt  ist, 


*  Auch  in  England  werden  oft  nnrdbige  Leate  darcli  das  Stellen- 
patroDBt  einflaezreicher  ParlamenUgl Jeder  in  die  Aemter  gebracht  Dm 
SelligaTerniiMiit  Tmniadert  wohl  die  Oesdilfte  der  Regierung  aber  nicht 
dM  bfimlcmüi  von  KsoatnlMen  and-FühigIctflw,  nm  die  noeli  bkibem 
den  aeMhifte  richUg  m  erledigm.  Vgl.  Qneist,  Engl.  Verf..  n.  Vem.. 
BMht.  Bd.  II 


iM,Coo<^lc 


Zmdta  C^ltcL    AmUllug  dw  Sloltdlener.  131 

«0  ist  ea  ak  ein  FortodiriU  d««  oeuerra  SlaU»  fettzuhalten, 
dftn  der  Weg,  za  den  Aemtem  zu  gelangen,  allen  Stata- 
■UQrgeru  offen,  und  niobt  mehr  einzelnen,  iDisbesondere 
adeligen  oder  patriciBcben  Claeeeu,  aueechUeszlich  oder 
TOrzagaweise  augAoglich  üt.  ^ 

6.  Dem  deutschen  Systeme  eigenthQmlich  ist  die  Ver- 
wendung der  Statsamtscandidaten  zu  freiwilliger  Aushülfe 
als  Practicanten ,  Referendare,  Auscultatoren  in  den  Regie- 
rungsbureaus und  bei  den  Gerichtsbehörden,  welche  man 
das  Moriciat  genannt  hat.  Sie  folgt  auf  die  theoretische 
StatsprUfung,  und  banntet  eowohl  die  practische  Prüfung 
als  die  wirkliche  Anstellung  vor.  Die  Aspiranten  auf  den 
Statsdienst  erlangen  auf  solche  Weise  practische  Kenntnisse 
und  Fertigkeit,  und  ihi-e  Brauchbarkeit  fUr  de«  Amt  wird 
weiter  erprobt.  Ein  zu  steifes  Festhalten  an  solch  ttuszerer 
Stufenordnung,  und  ein  pedantisches  Schreiberwesen,  welches 
sich  an  diese  anschmiegt,  fltrdem  zwar  wieder  das  Uebel  der 
Bureaukratie,  *  können  aber,  ohne  die  Vorzüge  des  No- 
yiciates  aufzugeben,  wohl  Tumieden  werden. 

7.  Die  Frage,  wann  die  Anstellung  beginnt,  Ist  zwar 
schon  mehrfach  bestritten  worden.  Elrinnert  man  sich  über 
daran,  daez  dieselbe  ihrem  Wesen  nach  ein  eins^tiger  Act 
der  Statsgewalt  ist,  welche  ein  Individuum  mit  dem  Amte 
betraut,  so  wird  man  unbedenklich  antworten:  Der  Uoment, 
in  welchem  dieser  Willensact  als  vollendet  ofifenbar  wird, 
d.  h.  die  zu  Protokoll  genommene  und  unterzeich- 
nete Ernennung  oder  Wahl  ist  als  Anfang  der  Amts- 
dauer zu  betrachten,  und  von  da  an  hat  der  Beamte  nicht 
allein  auf  seine  privatrechtliche  Besoldung,  sondern  auch 

*  Bftyeritob«  Verfaasiing  IV.  $.  4.  and  S-  K:  nJeder  Bayer  ohne 
Uoterechied  kann  lu  sllen  Civil-,  Uilitir-  und  Kirchenfimtera  oder  Pftfln- 
den  gelftngen.-    Franidslache  ron  1816.  S-  3.    PrcDBiiecbe  $.  4. 

*  Uartin  Luther  Mhon  hat  dasaelbe  wohl  erkannt.  Er  helsit  die 
-BnreaBkralen  „Leale  die  nur  ein«  Handthiernng,  einHaodwerk  aaa  der 
Obrigkeit  n 


iM,C00<^lL' 


!l~3Q    SiebCDtec  B«c1i.    Dar  6t*tidieiMt  und  dap  «;eM)lcbe  Regiment 

■Bsf  cüe  Uebertnigung  der  mit  geiiiein  Anie  TerbondeDeti 
-statsrechtlicheB  Betagmaati,  wo  e«  jener  Qberhenpt  noeik 
bedarf,  eio  Recht  Die  Mittheilung  des  Decrete  an  des- 
Mlben,  80  wie  die  spitere  Einvrdsung  und  Einkteidting  i« 
das  Amt  sind  nur  Wirkungen  dei-  vollendeten  Anstellung, 
•und  niclrt  die  Vo]J«ndnBg  dieser.  * 


Brittos  GapiteL 

Kachle  und  TerpflMtituogen  der  Sutsbeamten. 

1.  Der  Beamte  hat  rorerst  ein  Recht,  die  mit  seinem 
Amte  vetbtmdene»  OfTeut]ichen  Functionen  auszuüben.  Die 
nmtliche  ErmSchtJgung ,  diese  Befugnisse  auszuüben,  heiszt 
seane  Gompetenz. 

Dieses  wicihtig^e  R«cht  ist  von  rein  statsrechtlicher 
Natur.  Daher  ist  dasselbe  ancli  mit  der  Verpflichtung, 
innerhalb  dieser  die  erfbrderlichen  Functionen  auszuüben, 
unauflöslich  rerbunden,  so  dasz  es  nicht  von  der  Willkür 
des  Beamten  aUiftngt,  ob  et  von  seinem  Rechte  Gebrauch 

^  Tgl.  trüber  Aai  8t««ft  cwiscbcD  dem  PrlMdenten  Jefferson  nnfl 
den  oberalea  OeridiUbofe  tod  »ordsmerika  bei  Story  IIL  33.  |.  IVL 
Jener  behauptete:  erst  die  Zustellang  d^  EmeDDiuifenrkande  an  den 
Beamten,  nicht  schon  die  Bestellung  verleihe  diesem  das  RecliL  Dieser 
risgegtD  bewies  siiarefarüch ,  dssz  der  Anstellungaael  der  Zastellnng  der 
[Trkmde  «nd  der  A »nähme  Torfaei^ehe,  «nd  in  sich  alle  BediDgangen  der 
Wirksamkeit  enthalte,  so  dsBE  der  anslelleiulen  Regierung  von  da  an  uloht 
mehr  das  Recht  zustehe,  die  Anstellung  uDgeechehen  zu  machwi.  Zs- 
f  bA>rift,  D.  6L  S-  136  besdiriUikt  die  Wirkung  der  Aiwlelluug  BDf  die 
-privBtrcchtliehen  Folgen.  Indewec  ist  diese  Beschränkung  meder  ntttJiig 
noch  riehtig,  denn  eben  als  Stnlsnct  (nicht  als  Prii'stveiitrsg)  nirfct  echo« 
'die  beurkundete  Ernennnng,  nnd  die  Versehiebnng  der  Amtapfliditen  in 
Anatttwng  dea  Amt«  bis  cur  Einkleidung  widerspricht  der  früheren  OOltlg- 
kät  des  Rechtes  such  mit  Bezug  auf  die  Einweisung  in  d&s  Amt  ksineawega. 


iM,Coo<^le 


DriHM  (kpHaL    Baehlc  ntd  TerpOSafatupeu  der  SulsbMBtax     IX) 

iMfWin  wolle  Oder  niehL  Dtus^e  ist  ihv  lüobt  vi  be- 
Mabiger  Diapoaitton,  sooden  un  {^ftnüicfaen  DieMte  Ub«^ 
kugtm.  Abs  demidfaen  Gni»de  hat  koin  Beamter  dem  Slaie 
gegenüber  ein  dauerndes,  in  seiner  Person  begründetes. Eecht 
wtt  den  Umfug-  d«r  AmtscompcCenB,  noch  urf  die  Furm 
•eine*  «Antlifdien  äeachtftetfaatigkfit.  Vielmete  nl  er  in 
Wdeh  Beaebangen  tbeala  de«  OrdMisgeit  der  Oeaet^ebong, 
dorcK  wekcbe  äacb  gegea  seineD  Willen  Cpoipetetis  and 
CtesehAfMbrm  geändert  werde»  kömMn,  theils  den  Voraebrif- 
tea  actner  vorgetefatoi  Oberbdfirrie  unterworftn.  Bs  können 
ikm  daher  «nch  aese,  zd  sernem  Amte  gcJiörige  Dtevsßei- 
•tauge«  au^etngen  werden,  ofane  dasz, er  sich  sokfaem  Auf- 
trage mbüeheB  darf.  Daa  Aaut  iat  in  «einer  gwtzen  Existenz 
md  Art  abhängig  von  dem  State,  and  in  Folge  daroa  daa 
Amtarecht  oad  die  Anitipfficht  de«  Beamte»  nicht  minder. 

%.  Das  Beebt  auf  uoen  dem  Amte  gemisEen  Titel  und 
Rang  steht  zwar  der  Person  des  Beamten  an,  aber  auch 
dieae«  Redit  benäht  auf  poütiaehen  UotiTen ,  ond  bat  keinen 
priTatmelitlicben  Charakter. 

Eine  Aenderung  tod  binden  auf  dem  Wege  der  Oeseta* 
gebong  iat  daher  wieder  nicht  als  ein  EiogrilT  in  das  Privat- 
reebt  m  rerwerfen,  amtdcni  vollktHnmen  znltadg.  Dagegen 
kann  der  Rang  and  Titel  aoeh  Über  die  Dauer  des  Amtes 
Unaos  Docbwirireii,  md  so  cd  einen  Priratrechte  eines 
aosaer  Fonetion  tretenden  Beamten  werden. 

3.  DosRMAt  finfErsata  derAoBlagen,  die  der  Beamte 
im  Interesse  de?  Statscfienstes  gemacht,  und  des  Schadens,' 
&BO  er  im  öfttontlichen  Dienste  eriittm  hat,  ist  eine  rein  pri- 
valreebtliehe  Wirkung  soiner  St^ung,  nnd  steht  besol- 
dete» and  nnbeeoldeten  Beamten  gleichmisaig  au. 

4.  Daaa  der  Beamte  auch  fUr  «eine  Dieastldstang  selbst 
•ine  Vefgutong  an  tardem  habe,  reratebt  sieh  nicht  eben 
«0  von  selbst  Vielmehr  hängt  es  Ton  dem  State  ab,  imit 
den  einen   Aemtem   eine  Besoldung  zu  verbinden,    and 


iM,Coo<^lc 


131    Sfabentw  Bnch.    Der  Statadfenst  und  da*  «igeutlielie  ReghimL 

andere  anbesoldet  zu  liusen.  Im  entem  Falle  nimmt  das 
Recht  dee  Beamten,  weil  auf  Oeldleietung  von  Seite  der 
Statscawe  gerichtet,  wieder  einen  priTatrechtlkhei  Charak- 
ter an. 

Han  kann  indessen  in  der  Bawldung  iwei  ElemeMe 
unterscbeideD ,  und  in  Btanebeä  deutschen  Steten  findet  sidi 
diese  Untersehsidun^  gesetzlich  anerkannt  nnd  normirt  ia 
dem  Gtegensatze  des  Standes-  und  des  Dienstgeha]t«8. 
Der  eretere  nämlich  beniht  auf  dem  Bedttrftiisse  eines  dem 
Stande  eines  Beamten  gemfiszen  Unterhalts,  woßlr.der 
Stat  autnal  in  den  Fftllen,  wo  er  die  Ertine  tincs  ganaen 
BemfslebeBs  fördert ,  würdig  zu  soi^n  eben  so  wohl  «iae 
dringende  Veranlassung  als  ein  Interesse  bat  Der  letalere 
dagegen  ^Ondet  sich  auf  den  mit  der  wirklichen  AusHbusg 
de»  Amtes  KusanuneabfingeiKten  Dienstaufwand  und  die 
Repr&sentation8ko8ten.>  Dieser  Unterichied  witA  fUr 
den  Fall  wichtig,  wenn  Beamte  aus  dem  «etiren  Dieaala 
in  den  Ruhestand  treten.  Dauert  nämlidb  das  Redit  auf 
den  Standesgehalt  fort,  so  hOren  dagegen  nun  die  AnsprOebe 
auf  den  Dienstgebalt  auf.  Jener  ist  somit  in  bAberm  Uasze 
privatrechtlich ,  dieser  enger  mit  dem  Amte  ubd  den  öfliont- 
licben  FnncUonen  in  demselben  Torbonden-  Wo  an  un2Mloet 
Functiouen  Sportein  und  Qebohren  gdcnQpft  sind,  die; 
aU  besondere  Emolumente  den  Beamten  sufttlleB,  da  babeb 
diese  jederzeit  den  formellea  Charakter  des  Dfenstgehaites^ 
auch  wo  sie  melaiell  mitbereebnet  sind,  tut  des  Lebens- 
unterhalt des  Beamten  su  sm^n.  Da  aber  dem  State  das' 
Recht  nnTericUmmert  verbleiben  mosz,  deriet  Faüctioaen 
lediglich  aas  dem  Gtaeichtsponkte  des  flfitentlicben  iDtereeeea 
zu  bestimmen,  io  musz  hierin  der  Oesetagebuaf  freiere  Hand 
in  der  Festsetzung  und  Abänderung  solefabr  Gebühre«  ge- 
lassen werden;  und  nur  die  BiUigkeitsrUcksicbten  tretui  ain^ 

'  Oöoncr  m.  >.  0.  S.  144.  Beilage  IX.  inr  bajerlachen  Tertl- 
S.  11^». 

■    n,g,t,7rJM,COO<^IC 


Drittel  Gä|»iM.    Recht«  und  VtrpUkhtiiiigHi  der  SUtabmmten.    ]8J» 

tim  die  CtcMtsgebaog  a«  eraer  *Bgemea>en«o  Brböbuag'der 
Sxen  BeGOMong  zu  beTregM,  wenn  eine  tief  tiiigreir«od« 
Venmademig  4et  Sportelbeug«  angeordnet  wird.  Ein  Pri- 
vklrecbt  auf  eise  genau  entspFWhebde '  E^tsebädigoiig  tUr 
«oMiBD  Veriust  Uiut  sich  Dicht  darchsetzen. 

a.  Ans  der  printevektlicben  Natur  der  Besoldupg  er- 
gibt nch  das  Reotit  des  Beamten,  insofern  er  ohoe  sein« 
VersoimidaBg  des  Amt  abzutreten  genOUügt  wird,  für  die 
neeb  nickt  at^elaafene  Amteaeit  äocn  Ruhegehalt,  Pen- 
sion, n  rordern.  A]s  OraocBege  dieser  Focdeniiig  iBt  der 
Standeegehelt  amueehen,  oder  wo  nieht  «tm.  Voraus  eine 
derartig«  Ausscheidung  getrolTen  ist,  die  BesoId«i^  a^bat, 
jedeck  mit  euem  den  nun  wegffalleodea  Di«istTerricJj^ngen 
md  Reprisen  tationskosten  mtsprediendeB  Absog.  ^weck' 
nAMig  ist  es,  «eon  das  Qeseta  gmauäre  BetfiiDioungeB 
Qber  die  OrCeae  und  die  BediagUDgen  solcher  PenaiDuen 
SM»  vorianB  anordDet;  denn  wenn  anoh  im  Allgemeinen  das  . 
ftedtt  anf  Penuon  in  tnanohen  F6ll6o  sob«>a  aus  den  An* 
stellnngfTerii&ltaissen  JUgt,  00  ist  docA  das  Vmz  deraelbe» 
ohne  gesetslicha  Nomi  im  fineelaen  schwer  zu  bestinuneo, 
und  eine  gerade  hier  mit  mancberl«  MBebtbejlen  verbua- 
dene  Willkttr  Imom  zn  TsrmeideiL  Ein  aa^edehntes  Pen- 
«onensfstem  kann  zwar  au  einer  schweren  Last  fUr  die  Stata- 
casae  werdwi,  welehe  durah  dasselbe  zu  L^sUagen  verpflichtet 
wird,  Ar  weleh«  der  6tat  keine  eot^reehendeaGegenlelstua« 
gCK  anefar  emjoifaBgt.  Aber  so  wenig  bei  uD«em  Zust&ndeo 
BaaoldiiBgen  eatbehtt  werden  kÖnBOn  fi>r  diejeiugeo  Stat^- 
Amter,  weldM)  als  Bemf  ausgeübt  werden,  so  wenig  und 
aM  des  BAnUicben  Grttnden  ist  ein  entsprechendes  PeaaiooeD* 
^atekn  m  Yermeidea.  Im  Verb&ltnist  zii  andern  £rwwb». 
zweigen  des  HaMicJs,  der  FabiikaUoa,  4er  bUrgerlkbcn 
äewerbe  Obcrfaaupt  ist  die  «komwueche  Sieberstelluag  des 
Beamten  und  seiner  Familie,  eiaige  seltme  F&Ue  aitsgenomr 
uen,   «ine  besehrttakte  und  ineieteos  auir  nothdürftige,   ifW 

n,g,t,7rJM,C00<^lL' 


43$    fltabeiiM  Bacli.    Der  Slsladtoirt  and  du  cfemtllHM  BegtaMlL 

doeh  begehrt  d«r  Met  geirMidici  gMaasre  Opfer  sad  geiati* 
gei«  B)M(H^  von  seiDea  Beamten ,  and  erfardett  dfe  Tlitt' 
ttgkelt  dieMT  bMMre  CMetMgsben  and  Ai^eMes,  «b  du« 
bfti^rHetie  Leben  im  4er  Regel  von  den  UiaHerB  dM  litim* 
strie  verlangt  Es  M  daber  Pflioht  de&  SM«,  die  Exulan 
derer,  weMte  ihm  ikr  hdtai  itiäinta^  vor  Noifa  und  un- 
würdigem MkBg«)  ra  bcwftlmni,  wtd  das  irt  ohna  ein  billig«* 
PenElkneBsyetein  nicht  nOglictL  Dem  Volk«  aber  wird  die 
Last  d<mA  beasere  Dicoste  d«-  aotiirett  dtalacKener  vergolten^ 
tind  dos  ;o>6sEei«  Uebel  dw  Bevtechliclikeit  and  ErpreMnagf 
welche«  dem  Mang^  steh  ankttagt,  Ib  teinem  Ursprung 
äberwulidMn. 

A»f  die  MntcriaaHnw  WiUwe  inid  die  Simiai  de«  ▼ev 
Btc/iiytnen  Statodiener  die  Sorge  anatadehnen,  d«an  i«t  d«r 
etat  rethtiieh  nicfat  rerpfliditei,  d«in  das  Amt  ist  höduMns 
Bor  Lebenszeit  vergeboit  md  die  Beaoldnng  dafür  daher  ancb 
nieht  erblieh.  Ab«r  in  maocben  Ststan  bectnU  die  heilsaaa 
Einrichtuifg,  dtos  auch  dafir  eine  Öffentlich  I^nnonieBMi 
gegrandet  ist,  weloira  vMKUglicb  aoa  AbxUgen  von  deai 
Gehftlle  der  Beamten  genährt  wird^  and  fUr  deren  Hiater- 
lassene  nach  besllinmt«i  Verbttltninen  PenaiancB  beaahlt 

6.  IHe  Pflichten  des  Beamten  folge*  grfitieotbeil» 
sehMi  aas  Minen  ReiAiten;  oberdem  der  Gehoraam,  den 
er  seinen  Vorgeeetaten  schuldet,  die  Tr«a«,  dia  er  deaa 
Oberhaupte  dn  Statea  and  dem  Lande  oad  Volke  tridraet, 
und  das  GeheimniszT  daser  m  hcacbten  hat,  ans  aeiacr 
StelldDg  ia  dem  StalsovganiMnus.  Dar  Dienst-  and  Amt«> 
eid ,  äet  gewobnlieb  von  Ihm  gefordert  wird,  bcf^adet  nicM 
eist  diese  Verp^ktung,  tondem  legi  dieaalbe  ilvn  afikes 
and  bekrilMgt  M&  Er  ist  auch  keine  Be£ngtnig  der  Aoa»* 
pfHcht,  DOch  eine  VerttndcniBg  Ihres  Umtaages. 

Die  Art  des  O^oroaaw  wird  dardi  die  bfoaJcje  Natur 
des  einxelnen  Amtes  niher  baMiaiaat.  Sie  ist  eine  ander* 
bei  Regierungs-,    ein«  andere  bei  JosÜabeanten ,   weil  die 

n,g,t,7rJM,C00<^lL' 


JMMw  C^Md.    HnbM  nfed  T«rp«*^>M«M  dv  SwtrtiMlia.     187 

UateroiifarfBf  jctMar  kMeriM^  de«  Ae^ermisaliereletaM  atRm* 
gOT  aoob  a^  AUftigigkat  in  naUriei^lw  HkniclU  geficbt«! 
M,  bei  ite  Jtiatii  dsge^M  nwtemU«  8«ibBliD(fieMi  dM 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


lU    ShbMtM  Buch.    Dtr  StatoMnat  uad  iu  tif^tUBtbt  B«gMaMt. 

aosgedHmi,  dan  er  darch  bAheten  Befehl  angehalten  wer* 
den  ksBn,  Aia  obersten  Prinoipien  der  Religioa  nmi  der 
SiUlidtkeit  «i  tvAetxen  oder  aii  eiBCm  Verbrechen  Thrit 
OH  nebaien.  Jena  au  Terletaen,  oder  dieses  su  begebe»^ 
kann  iriemals  Angabe  de«  Statte  nnd  der  amtlichen  Fnne- 
ttnnen  sein.  Von  dem  Statsdicner  darf  niofat  reriangt 
werden,  was  der  Mensch  zu  verwefgeni  dnroh  gMtlicbea 
Oebot  oder  der  Borger  dureti  das  Strafgeseta  des  States 
selbst  Terpflichtet  ist. 

c)  Der  blosse  gesetzwidrige  oder  a n ger ech te 
Inhalt  einer  Verfllgiing  aber  berechtigt  den  subalternen 
Beamten  keineswegs  eum  Ungehorsam^,  sondern  wieder  nor 
daan,  die  ihm  nOthig  sefaeinenden  Vorsttillangen  der  Oh«^ 
behörde  Torzntraffen.  Der  Beamte  darf  voraassetzen,  das« 
diese  nkht  habe  dem  Gesetz  oder  der  Gerechtigkeit  zuwider 
handln  wollen.  Es  Ist  mOglich,  dasz  ne  die  3ache  selbst 
nie  nach  ^altca  Seiten  geprOft,  die  sohAdliehen  Folgen  riner 
GesetHesTerletssng  nberseben,  ml^ieh  dasz  die  bescheidne 
oder  freiniOlhige  AnfklOrnng  darüber  eine  Aendenmg  de« 
Anftrsges  zur  Folge  habe.  Der  Beamte  darf  nieM  versttv- 
men ,  aoeh  seine  OberbebOrde  wie  den  Stat  selbst  ror  einem 
HisagriffB  ni  bewahret,  den  jene  sputet  bereuen  wQrde, 
wenn  er  das  dnrdi  seine  Beriehterstattung  zu  erreichem  Ter- 
roag.  Hilft  aber  diese  nicht,  nnd  beharrt  die  ror^MeUbe 
Behnrd«  anf  ihrer  Instruction ,  dann  ist  Gehorsam  Pflicht  des 
Unterbeamten.  Dann  aber-  hat  die  VerantwOTtUchkeit  dafür 
nloht  dieser,  sondMn  jene  allein  za  tragen.  Die  entgegen- 
gMetate  Annahmtf  wttrde  die  Einheit  der  Statsregieniag 
auflösen  und  ihre  Macht  lähmen,  nnd  so  für  die  Ststsord* 
nung  weit  rerderblichere  Folgen  haben,  als  eine  einzelne 
Oesetzwidrigkeit,  fUr  welche  die  berehlende  Behörde  ver- 
aatwortlich  ist.  > 

*  Dieter  OrundMlx  ist  auch  In  einzelnen  VerfswiiDgen  au«drQcklkb 
ttugeepreotkcn ;   b.  B.  ftr  HknBo*ep  M10,  $■  161:  «hi  feMrigtr  Fonn 


iM,C00<^lL' 


IMtlH  OapiM.    RMhta  uDd  VerpikhlmgeB  dee  Bimtibrnmim.     f  tt 

Die  Verf»s*nDg''8wi<irigkeit:  der  AdftrAge'  tst'zu* 
nfichst,  wo  Dicht  bewadan'  Vonehriften  AusDafameo  snord* 
nen,'  g«nB  ebenso  zu  bebandeln:  mid  such  hier  darf  nicht 
tagegeben  wenlen,  da«e  die  Unterbeliörte  iforeh  ifareii 
Widentebd  gegen  die  AnSrdnang  i>Hrer  Obern  (Ke  Tcrüt»» 
MOgsrotteBge  Uotan)rdn»ag  in  State  Bclhct  eiir  Anarchie  u*h 
kriire  nod  verderbe,  weil  sie  rermeiat,  die  Verfügung  jener 
•tehe  in  eivem  Widerspruch  mh  einer  «innlnen  VeribMong»* 
beathnnang. 

7.  Der  Oeisi  der  Treue  reklrt  weiter  aU  die  Pflicht 
4m  OehorMins.  Dieee  wird  eWQilt,  weiut  der  Beamte  die 
«riiaitenen  AafMlge  in  Form  nnd  Inhalt  vollsieht.  Jene  aber 
bindet  und  hält  ihn  in  seinem  Übrigen,  fVelen  Wirken.  Wenn 
glcieh  dieTreiie  nicht  siekr  wie  rorin^  in  der  mitCelslter* 
Meten  LehensTerfawtiBg  alt  das  vQrheprachende  LebeMprfaieip 
der  Stattordnnng  betracbfet  werden  kann,  Tialmehr  in  dem 
nodernen  Slaie  tbeils  dnrch  die  Öeaete^iing  die  Befag- 
Bisse  der  Aetnter  »ektttfer  bestimmt  sind,  theils  die  poüliscbe 
Tbttligkeit  des  Beamten  weniger-  von  der  persOnlichea  Vep* 
bindut^  niit  den  ObcMianpte  des  States  als  vielmehr  ran 
4mm  BedOrfbissen  des  States  itwmi  Abstosz  und  ihre  Rieft- 
taog  empfingt,  so  ist  doch  die  Treue  auch  in  den  ntodemea 
Statsleben    kein  reralleter   und    kein   entbehrlicher  BegTiiT. 

frlwwme  BcMile  rorgcMUMr  BebiMMi  befMieir  ate  (dia  BtuBten)  vom 
der  Venotwonnag  und  abwtragsD  diewtbe  m  d«D  BefehleiHlen ,"  niid 
vokHelninfeB  J.  IM  nrrf  iwi  AHeBttBr«:  $.37  ^rad«Mi:  „EHe  Ver- 
Mt«wi4licblHtt  Ar  J«l«  gMetsfridrife  VerfBgaDg  baftet  saikfaM  ■ufdcoi'' 
jMifCD,  TOKweldMiB  ■)«  MNgfgaBgem  tat;  Bifchle  «Iner  bölMTn  BririM« 
iatkn  mlcfae  nur,  wenn  tie  In  gvbOrign-  Form  tm  den  conpeienlen' 
(Hwm  nnsgcgkagea  «lad,  wodvrofa  dMin  diMer  reniBtwortlieh  •rird.'", 
tt&naer  a.  a.  O.  |.  79  «cfaelnt  die  „gkria  obaecjaü**  nicht  ttaden  cn  Ter- 
Mete»,  DbnDbl  er  aUM»»!»  hi  4er  Begrftadanft  niebt  f^OckMch  4n  9e^ 
aartcii  »r'.llaMUM''  nacU;  denn  die  VarpWehWnf  anr  Rtiowetiatiew 
gegen  nngeieohle  Aafti«ge  ertennt  er  sn,  -aadlMeehrftRkt^iiefa  die  PAUbt 
4«  fleborMve  hi  iMinelkv  »oä  mtlttMitt  BmUkntig.  S.  2M.  Der 
Aofdrndi  Gönners  hat  Ubrigeih  ehten  mtmcMw-han  Betgeecfcwdt.  ' 


iM,Coo<^lc 


t4#    9i<hwt»l  BMk    Der  «WMftMf  u»d  dM  eigentlMie  Kn§imtaL 

B»  beruht  ooeh  auf  ihr  des  nioM}iMbe  ZMaMsieMhan^  und 
die  Barwoiiie  dea  BflftBtanwgaDMBtu  grOesflnUieH*. 

Der  Boainte,  wedcäer  in.  räamiiaea  und  wlgeEr  i»  wie)H 
ligta  BeiiehuDgen  eioe  ändert  politiache  UeWneugwig  bat 
all  wme  Obern  «nd  diese  unter  UduUbide«  «ufsi^cltt,  t«» 
letat  nter  die  Traue  siebt  Kboü  mm  dieaem  Onutde.  Aber 
vcMk  er  «ob  mit  df«  daaeritden  G^r^ndprlncipiäI^ 
woreol  die  SUitarcgienrag  berabt,  im  WiderafirMCb  be&Mtet 
und  als  Feind  jener  bandelt,  wenn  er  z.  B.  in  der  Me— rthie 
sich  als  Repoblikatiev  eriilftrt  und  fUr  die  Eieftlbrang  der 
Republik  erbatet,  oder  umeekehtt  io  der  n^wblik  lü» 
Beamter  fDs  ^e  Uonuebie  wirkt,  dana  Terktit  uad  faridrt 
er  ditfi  Band  der  Treue,  dea  ilw  ab  ein  Glied  «inee  einbcafc* 
liehen  BtatBbrgaDieraus  mit  dierea  rcrhindet.  Ebeeeo  yrtm» 
der  RegiemNgibeamle^ajsteaiatiieher,  d. h.  oonaeqvtol 
auf  Stiin  oder  Lftbaiaag  der  Regltfruiig  gericUeler  Opp»> 
sitlon  Theii  ninswt,  M  i«t  dtte  ein  Treubrach,  den  keine 
Regierung  dulden  kann,  wenn  aie  oidH  an  inuerm  Zwie^ 
spaH  Bu  Grintde  gehen  will.  >  Die  «^stematisclM  Peiodacbafl 
von  R^erui^BheaBttw  gegen  die  Lfciter  der  Regierung  (das 
l£nisterium)  i«t,  auch  wenn  imEinaelnen  keia  Di^eborsaia 
rerliegt,    Aanoanng   des   TreuterhftltDtssee   uad    ftthri    znc 

'  Wathington  (in  der  Vorrede  Guizot«  in  seinein  Leben,  I.  c 
JXllL):  m6o  luge  ieh  dt»  Ehre  haben  tnrd«,  die  Menü kihM  Angiricgni- 
heiten  mi  leiten,  werde  ich  nie  »it  Wiaeen  «n  irgead  eine  wiohtigs  Stell» 
eiMti  Henn  eeUen,  dewea  politieche  Maxime  mit  dea  a)l|enieiiicB  An« 
ekhtem  der  Kepcnmg  in  WideMprveli  (twL  One  irttre  Meine«  BraahteM 
peUiMkerflelMtMrd."  Wi«  lebhaft  aacb  daHt>c4*  SWtaäaii«  das  lihW 
enpfMden  haben,  welchea  dem  Siata  natreM  Beuate  beveltca,  aeigt  fri- 
fmde  leideneeheftliefae  Aetuiernng  Am  Mhrielera  Stci»  (Leben  dc«selbeQi 
von  Peria  II,  8,  Ml):  .Der  FrediäeU  uad  VerwiUerQnr  >"  ^r  etiMaiaaff 
bMtMdcra  dea  grüaaten  Tküi«  der  MentHcbati  Beaatea  wird  aieu  andam 
ea4g«feagawiitt  werde»  htaaea ,  ala  dareb  «ehr  atren([a  Maeatcgda ,  ptöt»«. 
Uebs  EaUettungea,  Verbartuafen,  Varbanaangea  aaeb  kleinen  Orten  der 
Mflaacb«  M)  Sieb  bcMftbao  aelriKlirhe  IMauagea  ua  «trhrtMan  oder  4ia 


iM,Coo<^lc 


JMtt«  (UptUl    Kwhn  und  T«i7flletititiign  d«r  Stit^Mntes.    m 

-ATHtnhle.  Kieht  Ae  abwW«lwiid«  und  eedbst  nicht  ^e  fMitd' 
-liehe  fiennnung  ist  «hi  '^«nitrBoh,  denn  diese  kann  das 
iiMÜTidaBin  Iti  «Ich  Ter»eMi«aieB-  nnd  ieimodh  In  amtKcber 
Stellung  seine  Pflicht  in  weiteatem  Umfanf  io  guten  Treaei 
«rfbllen,  aber  die  arnttlebe  Bethfttigun^  solcher  Gesinnung 
ist  es,  dann  daM  kann  weder  die  n&thige  Harmonie  der 
J9tat0gevalt  aoeh  ihre  fiidwrhelt  besteben.  Ist  aber  det 
Gegensatz  twiaohen  der  Ueberaengang  des  Regierung^eam- 
4en  und  dem  Stateprindp  oder  der  polttisf^en  Richtung  der 
Regi«*ung  so  schroff  und  unversöhnlich  geworden ,  dssz  Jener 
«ich  durch  sein  Gewissen  gedrungen  ftiblt,  seine  Feindschaft 
dnreh  Wort  und  Thet  zu  ttuszem,  und  nicht  mehr  in  Treueo 
diesem  State -zu  dienen  und  seinen  Obern  sich  unterzuord- 
nen Termag,  dann  kann  er  diesem  innem  Conffict  der 
Uebersengung  und  der  Amtstreu«  als  ein  ehrlicher  Mann 
schwerlich  anders  entgehen,  als  indem  er  aof  ein  Amt  re- 
«i^rt,  in  welchem  er  die  Treue  nicht  halten  kann.  Selb^ 
•tftadiger  in  '<Ge«er  Hiiisiobt  sind  die  Jastiztteaniten  gestellt, 
weil  ihpe  Amtsflthmng  iticht  politisch  und  oit^  abb&ngig 
ist  ron  dem  Willen  der  Regierung. 

Eine  fernere  Wirkung  der  IVenTerbindaT^  der  Beamten 
nberhaupt  ist  es,  dlisse  dieselben  ohne  die  Kustimmang  des 
Statsoberhauptes  nicht  zngleiei)  einem  fremden  State  die- 
ne», noch  Orden,  Pennonen  und  ahnliehe  Ausmicjinnngen, 
wdehe  auf  eine  engere  Besiebung  zu  einem  auswärtigen 
Forsten  oder  Lande  seMkeven  lassen,  annehmen  darf. 

S.  Das  Dienstgeheinnise,  die  Antsverseh  wi«- 
genheit,  zu  welchen  die  Beamten  regelmfiscig  verj^chtfft 
sind,  ist  nicht  absolut  zu  rerstehen,  sondern  nur  insoweit 
xn  beachten,  als  durch  Uittbeilung  von  ThatMcben,  sn  deren 
Kenntnisv  der  Beamte  in  seiner  amtlichen  Stellung  gelang 
'  ist,  dem  State  oder  den  Individuen  Schaden  zugefügt  würd'e, 
«der  als  nicht  eioe  höhere  Verpflichtung  dieselbe  näthig 
nraeht.    Eine  pedantische  Ansdehnung  des  Geheinnisses  Uher 


iM,Coo<^lc 


%^    .^ebCHtM.Bacb.    D«r  Sutadlenat  uDd  du  eigentUe&e  R(«iiM«L 

diesen  Bertiitih  odet  gfcr  einö  bAsttillige  Aiubeutuog  dersel- 
beo ,  uiD  rttttmamtf-  ^^^  gcaetswfdrige  HBodlnngen  au  ver- 
iMtgen  und  >e*«e  £rivoie  Auaplaudcrei  sind  die  eolgegen- 
ge«etaten  Klippea,  die  zu  Termeiden  siod. 

9:  Das  Intereaee  ati  der  Bew&liniDB  der  öfTeutUcheB 
Ordnung  begründet  dae  Recht  des  Btatm  gegen  BäMote, 
wfllcke  ibre  Pflicht  veinaifhlfttsigt  oder  verletzt  habe», 
«tiizueohr^ten,  Kod  die  nOthigen  Zwangsmittel  oder  Blra^ 
fen  wi  verhftBgoi.  In  dieser  Beziehung  wird  swischen  dea 
eigentlichen  Amtsverbrecben,  welche  der  strafgericht- 
lichea  Verfolgung  und  Bestrafung  anterliegeo,  und  andern 
AmtipfliChtverletzungen,  welche  dem  OiBcipUnar* 
-ferfahren  a&heim  fallen,  unterschieden.  Für  jene  ist  der 
Standpunkt  der  öffentlichen  Gerechtigkeit  entwheidend ,  für 
diese  die  BQckeioht  auf  die  Slatswohlfahrt  Qberwi^eud.  Der 
allgemeine  Gegeasats  von  Gericht  und  Poliztigewalt  kommt 
hier  zur  besonderii  Anwendung.  Di«  erstern  werden  nach 
den  Nonnen  der  geaieinen  Strafgesetze  und  in  den  Formen 
d«8  gewohnten  Strafptocessee  beurtheili  Nur  in  zwei  Be- 
ziehungen hat  die  Rüchaicht  auf  die  loteresseD  des  States 
Terschiddene  Uodificationen  hervorgerufea ;  einmal  insofern 
die  strafamtlicbe  Verfolgung  eines  Amtsverbrecbena  an  die 
Vorbedingung  einer  Anordnung  oder  Znlassuag  einer  höberea 
RegieruBgsatelle  oder  einer  eigens  dafllr  ermA^^igten  Stats- 
bebürde  gekaUpft  ist,  also  nicht  durch  die  gewöhnjicfaen 
Gerichtsstelien  tod  Amtewegea  eingeleitet  werden  darf,  und 
zvreiteBs  indem  fOr  die  BeurUi^lung  der  Beamten  besondere 
Geriditshöfe  angewiesen  sind.  * 


'  Bay«Tiaabea  Ediel  ttbw  die  VerbUtniiM  der  SUtodiener  $.  1«. 
Die  preHBEiaclien  Verordnnogcn  vom  10.  nod  11.  JiUdb  1849  uuter- 
•eheiden  iwiechen  AralaTerbrecfani  and  bloaien  Dienst r nrgehen ,  und  eot-, 
halten  SDiführliche  Torschrin«n  über  das  DJ  sei  plinar  verfahren  in  den 
FUlen  der  letttea  GaUnng'.  Die  entere  beiieht  aick  auf  die  Dienatrergehen 
dw  RtchUr,  dis  iwelte  regelt  daa  Verfahren  gegen  die  nkfatrichteriictea 


iM,Coo<^le 


DriMf  C»fiui.    Bechle  ii*d  VcrpfliebtnngaD  der  Sm^mmäm.    üg 

Dh6  DiMi|iliBarTerfli)iren  Jet  ausged^tMer  baö  bftU  adeb 
io  den  FAllen  die  -Orännog  d«»  Amt«»  ävfrccht,  vro  dar 
fibnfriehter  keiMit  lniint<A«aden  Orund  finden  kann,  io 
dem  Beamten  des  Vflrbrceher  zu  erktanen.  Sin  fKis{K»' 
(dktadflsUrtbcil.dMvribett  befreit  somit  den  Beamten  kein«»- 
wegs  von  dev  QtAitt  einer  disoiplinariselien  Abadwig'  setnet 
äea  ötEentfiehen  Bedarfnisaen  und  Fflicbtea  de«  Ante«  wider- 
•predbenden  Benehmene.  Das  DiMipliBarrerfahren  erstreckt 
•ich  auf  alle,  auch  auf  dJe  geriogateii  Dtenstvei^efa&a,  und 
jede  TeraachUissigunf  det  Amiepflicbt.  Ja  sogftr  das  Privat- 
benehmen  des  Bcamlen  aueieriialb  des  Amte«  ist  demaetbeu 
insorern  luterworfea,  als  dasselbe  auf  die  Ehre  and  das 
Vertraaen,  deren  der  Beamte  lun  dea  Amtes  wUleo  bedarf, 
^•en  nacblbei}igen  Binflusz  äuszert.^ 

DieStrafmittel  des  DiscipliiMrweges  siikl  eotireder  UoM« 
eiafiiche  Ordnungsstrafen,  wiedie  Warnung,  der  Verr 
weis,  eine  ttescbi'änkte  Geldbusie  oder  Strafen,  welche 
die  Einstellung  (Suspensioa)  im  Amte,  die  Ver- 
setzQBg  des  Beamten  auf  eine  andere  Stelle,  unfreie 
willige  Versetzung  in  den  Hubestand  oder  die  Ent- 
lassung zur  Folge  haben.  Zli  den  ersteren  sind  s^on  die 
Torgesetslen  Befa^rdeb  gewöhnlich  o^nttchtigt,  ohne  ein 
eigentliches  processualisches  Verfahren,  die  letxlern  dc^egen 
trefl^  anch  die  Rechte  des  Beamten  so  schwer,  dass  zum 
Schutze  desselben  vor  willkürlicher  und  ungerechter  Verfol- 
gut^  proceeauakieche  Rechtsmittel  unerlä&zlich  sind.  In  man- 
chen Staten  kann  die  Strafe  der  Entlassung  sogar  nur  von 
den  gewöhnlichen  Gerichten  und  nur  die  der  Suspension 
oder  Versetzung  und  Pensionirung  auch  von  hOhern  Aufsichts- 
Beamten.  Tgl.  Dollmann  Artikel  Amteverbrechen  und  Amtaiergelien 
in  Bluntachll'B  DeDtschem  SlaUwörterbach. 

'  Preusziicbe  YerordnuDg  von  1819  S-  1-  n^u  diesen  Pflicbten 
(des  BeAiuieD)  gehört,  duz  der  Beamte  sieb  durcb  sein  Verbalten  in  nod 
■niier  dem  Amt«  der  Achtung,  des  Anaebene  und  des  Vertrauens  würdig 
bewaise,  die  sein  Beruf  erfordert." 


n,g,t,7rJM,COOglC 


141    «MMtw  Bacb.    D«r  Swiadlmnt  tmi  du  cigentlidie  RrgfaDmit. 

bebOrd«n  verhttngit  weni«B.  AUefa  die  «um  cMiiwlaha  0)01- 
-peteiiE  der  Qerichta,  wetcibe  »rar  weU  benfea  uad 
ftlhig  simd,  die  Terbrwberiwhs  Thal  etoM  Beamtan  wie 
«ines  Bürgers  ui  ettermeo  und  lu  beurtheilea,  abar  Immar 
in  ä«n  Ang^fcgten  Toraus  den  Meosdwn,  imt  nrtxalwr 
«aob  den  Beenten  Mbtn ,  ond  eascer  StMtde  sind ,  aocdi  die 
stattreobtUehen  Bedürfnisse  des  Amtes  in  Sirar  Tcd)««  HiCht 
iiml  die  Terderbliehen  Wiriiung«»,  welche  ein  nugeMiri)^ 
BenehnsD  eine«  Beunleii  fUr  die  Binhmt  bimI  HsMnMrie  der 
StatogeweH  hat,  in  ihrem  vollen  Umhng  m  utiertliek«« 
und  zo  ermeeaen,  fsl;  keüieewege  in  billige«.  Wo  älegehtt 
Bngeoii4net  Ist,  de  hat  das  loteiesee  des  jeveil^ien  Beemteas 
(tber  daa'  dee  bleibenden  Amtee  «od  des  States,  und  in 
Wahrheit  da«  Privatrecht  über  des  Statsrecht  4ea  Sieg 
«rfoehten.  Nor  einem  GerioUshofe,  ivdober  «dien  ia  seiner 
ZasamneNaetzung  Garantie  dafOr  darbietet,  dasa  o- awsfc 
die  flUtsrechtiichen  Momente,  die  hier  in  Betracht  ItomoneB, 
zu  wOfdigen  wisse,  kann  ohne  Schaden  iQr  den  Stat  eine 
ansechties^icbe  Competenz  fDr  solche  Fftlle  eingerannt  wer> 
den.  Gibt  es  einen  solchen  nicht,  se  masE  den  höheni  Auf- 
sit^lsbehOpdea  das  Recht  verbläben ,  uawQrdige  oder  untaug- 
liche Beamte  nötbigenfalls  aus  dem  Amte  eu  entfettien.  ■ 

'  Frcnsciaobe  VemrAwng  vom  ll.JuUu»18«9  S-20:  .XUe  Dieoftb' 
QDÜaMung  musz  inebesoudere  dann  eifolj(en,  wenn  der  JleBmte  die  Pflicht 
der  Treue  verletzt,  oder  den  Uuth,  den  sein  Beraf  erfordert,  nicht 
tiethätigt,  oder  ileh  eioer  feindseligen  Pftrteiaahne  g^gen  dl« 
ä«AtaregieraBg  sehttMig  gonscbt  bat." 


n,g,t,7'.dt,'G00gIc 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


]46    Siebente  Bacb.     Der  Slaladieiift  und  itt  elgnitlkhe  R^nwnt 

dagegen  schon  die  Annahme  eines  Amtes  Büigerpflicht  ist, 
da  ist  es  aucli  die  Fortsetzung  des  Dienstes  wenigstens 
während  einer  bestimmten  Zeitperiode.'' 

Die  Resignation  bewirl^t  indessen  nicht  ohne  weiters  die 
Anftöflung  der  Amtspflicht  Der  Beamte  darf  dos  Amt  nicht 
nach  Willltür  verlassen,  das  wäre  Deaertion.  Sie  ist  nur 
ein  zureichender  Grund,  um  die  Statsgewalt,  welche  das 
Amt  verliehen  hat,  zn  bewegen,  dasselbe  dem  Beamten 
wieder  abzunehmen.  Erst  die  Entlassung  also  von  Seite 
des  States  befreit  denselben  von  der  Amtspflicht;  und  im- 
merhin verbleibt  der  Oberbehörde  das  Recht,  nach  dem 
Öffentlichen  Bedürfnisse  den  Moment  der  Entlassung  näher 
zu  bestimmen. 

Die  Entlassung  in  Folge  einfacher  Resignation  des  Be- 
amten hebt  die  aus  dem  Amte  hervorgehenden  Rechte,  so- 
wohl die  politischen  als  die  privatrechtlichen,  anf. 

3.  Anders,  wenn  der  Btatsdiener  berechtigt  ist,  die 
Qniescirung,  Inruhestandsetzu  ng,  zu  verlangen.  In 
diesem  Falle  gehen  wohl  die  eigentlichen  politischen  Amts- 
befugnisse (tu-  ihn  verloren,  nicht  aber  wieder  die  persön- 
lichen Ehrenvorznge,  als  Titel  und  Rang,  noch  die  Ansprüche 
auf  Besoldung.  Gewöhnlich  wii-d  das  Mass  der  Pension, 
aufweiche  derselbe  einen  Ansprucli  hat,  je  nach  den  Dienst- 
und den  Lebensjahren  stufenweise  bestimmt.  Jenes  Recht 
wird  begründet  theils  durcli  hohes  Alter  (in  Deutschland  oft 
70,  in  Belgien  65  Jahre),  verbiuiden  mit  langem  Dienstalter 
(30 — tO  Jahre),  theils  dui-cli  früher  eintretende  Dienstunfithig- 
keit,  z.  B.  wegen  Krankheit.  Dasselbe  versteht  sicii  indessen 
nur  dann  von  selbst,  wenn  durch  den  Statsdienst  selbst 
das  Gebrechen  herbeigeführt  »orden,  welches  den  Beamten 

'  Z.  B.  nach  englisclicm  Rielil  wird  der  SherilT  (scire-gerelh),  der 
dM  Amt  ein  Jalir  lang  verwaltet  hat.  för  die  drei  näcliaten  Jahre  von 
der  Verpflichrung  frei,  dauelbe  zu  (iberinhmen.  Blsckslone,  Comm. 
I.  9,  1. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


viertes  Capiul.    Ende  des  Sl«lsdicnU«a.  ii^ 

iinl&hig  maeht,  denn  unter  dieser  Voraussetzung  ist  der  StiM 
aus  allgemeinen  RechtsgrUnden  verpflichtet,  den  Schaden 
zu  vergüten,  welcheu  sein  Beauftragter  in  Folge  der  Aus- 
übung seiner  aufgetragenen  Pflicht  erlitten  hat.  ^ 

4.  Die  Frage,  o)>  und  in  welchen  Fällen  ein  Beamter 
gegen  seinen  Willen  aus  dem  Amte  entlassen  wer- 
den könne,  ist  in  verschiedenen  Steten  in  neuerer  Zeit  ver- 
schieden beantwortet  worden.  In  Deutschland  wurde 
schon  zur  Zeit  des  deutschen  Reiches  unter  dem  Einflüsse 
der  gelehrten  Juristen  die  privatreohtliche  Seite  in  dem 
Amte  zu  Gunsten  der  persönlichen  Siclierstellung  der  Beam- 
leu  mit  grofizeni  Nachdrucke  hervoi^hoben.  Das  Amt  galt 
als  ein  in  der  Regel  auf  Lebenszeit  verliehenes  Recht,  wel- 
ches von  der  Statsgewalt  nicht  aus  Gutfinden  dem  Beamten 
entzogen  werden  dttrfe.  Nur  durch  gerichtliches  Urtheil  sollte 
derselbe  w^en  Verletzung  seiner  Dienstpflicht  entsetzt  werden 
dürfen.^  Es  fehlte  zwar  nicht  ganz  an  Stimmen,  welche 
darauf  hinwiesen,  dasz  auch  eine  ehieuvolle  Entlassung  zu- 
weilen aus  StatsgrUnden  zu  rechtfertigen  sei,  aber  gegen 
Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  wenigstens  breitete  sich  die 
erstere  Meinung  immer  mehr  ans,  und  es  wurde  dieser 
Grundsatz  auch  in  manchen  neneru  Verfassungen  wie  ein 
Fortschritt  der  Freiheit  und  eine  wichtige  Garantie  gegen 
RegierungswillkUr  prociamirt,  ibeils  in  Deutschland,  theils 
in  neuerer  Zeit  auch  in  der  Schweiz,  obwohl  da  die  mei- 
sten Aemter  nur  periodisch  vergeben  werden.  , 

In  England   dagegen    hielt   das  politische  Parteileben 

*  B«i  Zacbariä  D.  St.  S.  142  sind  eiuige  BeslimniuiigeD  in  denl- 
echen  Landern  lusaiunieugealellt.  Ueber  Belgien  vergl.  OeMt»  vom 
31.  Ja).  1844 

*  Für  der  Reidisborraüi  wurde  e«  in  der  Walilcnpilnlalion  von 
1792  anadiilcklicli  nnageappochen  S-  10:  ,Aiicli  iolt  kein  Jteichaiiofralli 
•einer  Stelle  anders  als  uadi  vorhergeganfener  recblliefaer  Coffitllion  nnd 
daianr  erfolgleni  Spruclie  Reehlens  eouettl  werden."  Vergl.  ancli  den 
Refchadeputnlions-Hauptsclilusi  von  1803,  $.  591. 


iM,CöO<^lL' 


148    Siebentes  Bucli.    Der  StaUdieoal  und  du  eigentliche  RegEment. 

schon  (las  Üewiisztsein  wach,  dasz  das  Amt  vornebinlich  um 
des  States  und  iiklit  um  des  Individuums  willen  gegeben 
sei,  und  es  wurde  nnigeketirt  alles  Gewicht  auf  die  politi- 
sche Hedeutung  des  Amtes  gelegt,  daher  der  Örundsatz  fest- 
gebalteo,  dasz  das  Stataoberhaupt  wie  das  Amt  zu  geben, 
so  auch  zu  nehmen  berechtigt  und  in  der  Freiheit  dieser 
Befngnisz  nicht  zu  beschränken  sei.  Nur  zu  Gunsten  der 
Unabhängigkdt  der  Richter  wurde  eine  Ausnahme  tod  die- 
sem  Princip  eingefltbrt.  Unter  Wilhelm  III.  wurde  zuerst 
bestimmt,  dasz  die  Ilichter.des  gemeinen  Rechts  nicht  wie 
n-Uher  „durante  bene  placito"  sondern  „quamdiu  buie  ges- 
serint,"  d.  h.  auf  Wohlverhalten  ernannt  seien,  aber  auch 
ihre  Entfernung  wegen  Nicht  wohl  verhalten  dem  immerhin 
statlicben  Ermessen  des  Königs  und  des  Parlaments  vor- 
behalten.^ Auch  das  nordamerikanische  Statsrecht  be- 
ruht auf  diesen  Grundsätzen.  Eben  so  waren  in  Frank* 
reich  die  Regierungsbeamten  von  alter  Zeil  her  willkürlich 
entlaszbar,  und  nur  fQr  die  Richter  die  Unabeetzbarkeit 
schon  in  dem  sechzehnten  Jahrhundert  zur  Regel  erhoben.* 

In  dem  deutschen  Sjstem  ist  zwar,  eine  Uebertreibung 
der  privat  rechtlichen  ROcksichlen  unverkennbar,  aber  wenn 
dasselbe  davon  entkleidet  und  der  etatsrechtliche  Gesichts- 
punkt nach  Gebuhl-  beachtet  wird,  so  hat  es  vor  dem  will- 
kürlicheren System  anderer  constitutioneller  Staten  nicht 
btosz  den  Vorzug,  dasz  es  die  Privatexistenz  des  Statsdieners 
sichert,  sondern  ebenso  den,  dasz  es  auch  die  Ruhe  des 
Statsorganismus  vor  Partei  Umtrieben  und  launischer  Gunst 
oder  Ungunst  schützt. 

Allerdings  musz  als  Grundprincip  anerkannt  werden, 
dasz  das  Amt  für  den  Stat  da  ist,  und  dasz  geradeso  wie 

'  Slalut  13,  Will.  ni.  eh.  3.  Uuter  Üeorg  III.  wurde  »ucU  die 
fhlbere  Brlöecliang  det  Kicktersmles  durch  den  Tod  des  Königs  auf- 
geboben. 

*  Vergi.  Siorj-  III.  36,  S.  MS. 


n,g,t,7.dt,'G00glc 


Viertn  Oripil«).    Bude  d«8  8taUdien«t«8.     .  |49 

der  Stut  die  Aeuiter  in  seinem  Interesse  bestellt  und  über- 
gibt, er  aucb  berechtigt  sein  muss,  »mb  Gründen  der 
Statswohlfahrt  einem  Beamten  das  Amt  zu  entziehen 
nnd  einer  andern  Person  eu  Übertragen.  Der  Nutni-  der 
8ache  nach  steht  dieses  Recht  eunftchst  der  nämlichen 
Person  zu,  welche  das  Amt  zu  besetzen  hat,  somit  im 
Zweifel  dem  Statsoberhaupt. ''  Dasselbe  musz  auoli  in  den 
Staten  anerkannt  werden,  in  welchen  die  Alisetziing  nnr 
dnrch  die  Gericht«  ansgesprochen  werden  kann ,  soweit 
nämlich  der  Entzug  des  Amtes  rein  politische  und  nicht 
nueh  privatrechtliche  Folgen  hat.  •* 

Diese  Regel  erleidet  indessen  BescbrAnknngen .  theits 
im  Interesse  einer  von  der  Regierung  unabhängigen  Rechts- 
pflege, Iheils  im  Interesse  der  piivatrechtlichen  Ansprüche 
der  Beamten  anf  eine  gesicherte  Stellung.  In  der  erstem 
Beziehung  wird  in  den  Steten,  weldie  auf  eine  freie  nnd 
selbständige  Rechtspflege  einen  Werth  legen,  in  neuerer  Zeit 
meistens  derGnmdsatz  anerkannt,  dasz  Richtergegen  ihren 
Willen  durch  die  Regierang  weder  entlassen ,  noch  anders- 
wohin vensetet,  noch  anders  als  mit  Belaseung  ihres  vollen 
Gehaita  in  den  Ruhestand  gelegt  werden  dürfen,  sondern 
es  dafUr  entweder  wie  in  England  eines" Parlamentsbeschlus- 
«es,  oder  wie  in  Deutschland  eines  gerichtlichen  ürtheils 
bedürfe.  * 

'  Es  ist  incon»eqnent ,  n-eon  In  Mordameriks  da«  Keclit  der  Abveiznng 
von  Beamten  dem  Pr&aidenten  allrin  nnch  in  den  Fällen  Uberlsssen  wor- 
den iat,  wo  die  Anstellung  nur  der  Uitwirkang  des  Senala  bernlil.  Gesell 
von  1789,  Story  111.  37,  §.  119. 

'  Zacbariä  g.  144  Indessen  giebt  ee  Staten,  welciie  diesen  Grnnd- 
satz  verkennen  und  ao  weil  gehen,  das  Reclit  des  Beatnlen  auf  seine  Am  tS' 
üerngniBse  als  ein  während  einer  gewissen  /.cit  üt>erali  nicht  ans  offen t- 
licben  Gründen  entiiehbares  aarznfbseen. 

*  Bnyerischc  Verf.  VIII.  §.  3:  „Die  Richter  können  nur  durch 
einen  Kechlsspmch  von  iliren  Stellen  mit  Verlust  des  damil  verbundenen 
GehnUes  entlassen  mler  dersi-lben  enlselzl  werden."  Belgische  $.  100: 
„t>erRichlei'  werde  nnf  Lebenszeil  ernannt.    Ein  Richter  kann  nur  durch 


iM,Coo<^lc 


150    Biebent«  Buch.    D«r  6lataili«u(  uud  des  eigeBtlkbe  Regiment. 

In  der  zwmten  Beziehung  sind  verscliiedene  Fälle  zn 
unterscheiden.  Das  Motiv  nämlich  tat  Entfernung  eines 
Beaiiiteu  kann :  '  . 

a)  in  einem  Verbrechen  «leseelben  liegen,  woraus  seine 
moralische  Unwnrdigk  ei  t  fltr  das  Amt  offenbar  wird; 

b)  in  der  erfahruDgemSszig  hei^estellten  moralischen 
Uiitauglichkeit  desselben,  indem  es  ihm  an  dem 
nüthigen  Fleisze  oder  an  dem  Mathe  gebricht,  dessen 
das  Amt  bedarf,  ohne  dasz  er  wirkliebe  Verbrechen 
begangen  hat; 

c)  in  der  geistigen  Unfähigkeit  desselben,  die  Auf- 
gabe des  Amtes  zu  vorstehen  und  die  errorderlichen 
Functionen  auf  eine  ftlr  den  Stat  nittzlicbe  Weise  zu 
vollziehen,  z.B.  weil  er  das  GedAchtnisz  verloren  hat, 
blödsinnig  geworden  ist  u.  dgl; 

d)  in  äussern  anszer  der  Person  des  Beamten  liegenden 
Verhältnissen,  welche  seine  Wirksamkeit  im  Amte 
lahmen  oder  ihn  des  erforderlichen  Vertrauens  berau- 
ben; ein  Fall,  der  in  Zeiten  aufgeregter  Ijeidenschafteii 
oder  bei  Verwicklungen  mit  auswärtigen  Mächten  — 
ich  erinnere  an  die  Entlassung  des  Ministers  Stein 
HU8  Rikcksichten  auf  den  Kaiser  Napoleon  I.  —  selbst 
bei  einem  Beamten   cinti-eten   kann,  der  seine  Pflicht 

rJDeii  UrlheilMpriiuh  seines  Amtea  beraubt  oder  Tür  eine  Zeil  lang  enl- 
»etat  werde».  Die  Verietziin^  Pinea  Richters  kaDD  nur  iu  Folge  einer 
neuen  Ernennung  und  mit  Bdner  Eiewrliigung  statUlnden."  Spanische 
S.66.  Portngle»ischeS  130-123.  Oestarreichische  von  1849  §.  10t ; 
„Kein  vom  Sial«  bestellter  Richter  darf  nacli  seiner  definitiven  Beaiellung, 
uasier  durch  richterlichen  Spruch,  von  seinem  Amte  zeitweilig  entrenit 
iider  eullaswn,  noch  auch  ohne  sein  Ansuchen  an  einen  andern  Dienslort 
überwiesen  oder  in  den  Ruhestand  versetzt  werden.  Diese  lotztei«  Be- 
sUmmnng  TindeC  Jcdocli  aiiT  Tersettungen  in  den  Ruheatand,  welche  wegen 
eingetretener  Dienst uulauglichkeit  nnch  den  Vorscliririen  des  Oesetzes  er- 
folgen, sowie  anf  jene  Veränderungen  im  Richlerpersonnle,  welche  durch 
Aendernng  in  der  EinrlchtUDg  der  Gerichle  nothweudig  werden,  keine 
Anwendung."    PreusEiscIie  J.  87. 


iM,,Coo<^le 


Tj«rlc8  Capitel.    Eode  des  Slalnlieastes.  151 

vollständig  erfüllt  liat,  vielleicht  gerade  desziialb,  weil 
er  es  gethnn. 

In  allen  diesen  Fttllen  musz  der  Stet  ein  IJittel  haben, 
durch  Entfernung  des  Beamten  sich  selber  vor  JiCTentlichem 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


152    Siebenles  Buch.     Der  SUtadieust  uod  das  dgentlicbe  lUgimenL 

Fällen  sprechen  (illgemeiue  Bechtsgründe  daflir,  dasz  die 
hohem  OberaiirsichlsbehOrdeii  die  Sachlage  prllfen  and  das 
Nöthige  einleiten,  und  da  wo  die  Anstellung  ron  dem  Stats- 
oberbaupte  anseht,  jedenfalls  nicht  ohne  Giithcisznng  und 
Befehl  des  Ststsoberhatiptes  die  EotfeniTing  aosgesprochen 
werde. 

Eine  blosz  willkürliche  Entfernung  nach  Gutdftnken  der 
Begierung  oline  Motive  und  ohne  dem  Beamten  die  Gelqjen- 
heit  XU  verschaffen  seine  Interessen  zu  wahren ,  wird  zwar 
noch  in  manchen  neuern  Steten  geUbt,  widerspiicht  aber 
den  Erfordernissen  eiues  wohlgeordneten  Beamtenwesena. 

5.  Eine  blosz  vorübergehende  Einstellung,  Sus- 
pension des  Beamten  kann  zur  Strafe  verhängt  oder  nur 
als  einstweilige  Maszregel  durch  ein  öffentliches  Be- 
dUrfnisz  gerechtferügt  werden.  In  jenem  Falle  kenn  diese 
Strafe  in  Folge  des  Strafverfahrens  durch  das  Gericht  oder 
in  Folge  des  Uisciplinerveifahreus  durch  die  compelente  Ober- 
aufsichtsbehürde  susgesprochen  werden.  Sie  liemint  die  amt- 
liche Wirküanikeit  des  Beamten,  und  zieht  gewöhnlich  auch 
den  Verlust  der  Besoldung  fUr  die  Zwischenzeit  oder  wenig- 
stens eines  Tbeils  der  Besoldung  nach  sich. 

Als  provisorische  Ifaszregel  kann  dieselbe  schon  durch 
das  Gesetz  zum  Voraus  fUr  gewisse  Fälle  angeordnet  sein, 
z.  lt.  als  Folge  der  Versetzung  in  den  Auklagezustond  wefi^en 
eines  Verbrechens.  Sie  kann  aber  auch  aus  andern  Gründen 
im  einzelnen  Falle  durch  die  OberaufMcht  getroiTen  werden, 
namentlich  auch  da,  wo  das  Institut  der  Quiescirung  nicht 
anerkannt  .ist,  um  einen  verhaszt  gewordenen  Beamten  einst- 
weilen der  gegen  ihn  erraten  Leidenschaft  zu  entziehen. 
Wo  dieselbe  nicht  als  Strafe  au  betnn)hten  ist,  da  dürfen 
die  privat  rechtlichen  Ansprüche  des  Beamten  demselben  such 
nicht  entzogen  werden.  Freilich  folgt  daraus  nicht,  dasz  er 
das  B«cht  auf  vollen  Gehalt  bellMshalte,  denn  nur  ein  Theil 
desselben  bat  einen  privatrechlÜehen  Grund,  wohl  al>er,  dasz 


iM,CoO<^lL' 


Paiiflea  CftpiUl.     Dm  StalaminiBterium.  ]53 

du  Recht  unf  den  Standesgehett  ihm  unverselirt  bleibe. 
Auch  wenn  er  während  dw  Uiitersnchtuig  wegen  einea  Ver- 
brechens 8iispendirt  worden  ist,  dauert  vcM-läufig  dieser  An- 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


154    Siebenlea  Bueb,    Der  SlaUdkMl  und  da«  eigeutticlie  Regiment. 

Ministern  iat  eine  Bedingung  der  Wirken mlieit  der  Regierung. 
Deszhftlb  hat  der  König  die  f^ie  Wahl  der  Hinister  und  ee 
daif  ihm  keine  Peraon  als  Minister  angedrungen  werden, 
zu  der  er  kein  Vertrauen  fassen  kann.  Deszhalb  kann  aber 
aach  Niemand  genöthigt  werden,  Minister  zu  werden  oder 
zu  bleiben,  wenn  er  seinerseits  kein  Vertrauen  zu  dem  Stats- 
haupt  haf.  Das  wechselseitige  Vertrauen  braucht  Obrigea* 
keine  bmiliftre  Intimität,  keine  persOBÜehe  Fnoisdachafl  zu 
sein.  "Es  genitgt  das  poUtiacbe  Vertrsuen  des  Königs,  dasz 
diese  Minister  im  gegenwärtigen  Moment  sich  ztt  der  Lei- 
tung der  8tat«sngeleg«nheiten  eignen  und  der  Minister,  dasz 
der  König  sie  in  ihrer  Handlungsweise  gewähren  lasse  und 
ihnen  seine  UnterstUtznng  nicht  vorenthalte. 

%  Die  Eintheilung  der  Geschäfte  je  nach  ihrer  Art  und 
Richtung  kann  rerechicden  bestimmt  werden.  Gut  aber  ist 
es,  wenn  jeder  umfassende  Geschäßskreis  in  einem  Minister 
seine  Vereinigung  nnd  Oberleitung  findet,  denn  jeder  er- 
fordert die  Hingebung  und  die  Geisteskraft  eines  ganzen 
Mannes.    Die  regelmäszigen  Departemente  sind : 

a)  das  Aeuezere,  wohin  alle  diplomatischen  Verhand- 
lungen mit  und  alle  Beziehungen  zu  fremden  Staten  in  Buu- 
desstaten  und  Statenbünden  Uberdem  auch  die  organischen 
Verhältnisse  zu  dem  Bundeskörper  und  zu  den  verbündeten 
Staten  gehören; 

b)  das  Innere,  den  ganzen  Innern  Organismus  und 
a)1e  Regierungsthatigkeit  nach  Innen  umfassend,  so  weit 
nicht  einzelne,  besonders  wichtige  Geschäftszweige  eigene 
Ministerien  erfordern; 

c)  das  Kriegsministerium  für  die  militärischen  Ein- 
richtungen und  Functionen  des  States; 

.    d)  das  Polizetministerium  fUr  die  Handhabung  der 
Polizeigewalt  des  States,  zuweilen  auch  mit  dem  Justizmini- 
.   sterium  verbunden,  zuweilen  als  eine  blosze  Unterabtbeilung 
des  Ministeriums  des  Innern  behandelt: 


iM,Coo^lc 


FAnrui  Oipit«].    Dm  Stetraüublertnm,  155 

e)  dBS  Justizministerititn    fttr  den  Antheil  an  der 
Eleehtspflege,  welcher  dein  Statsobei-haupte  rerblieben  isl; 

f)  das   Finanzniiniaterium    fUr  die   Ausübung   der 
Ftnanzhoheit  und  die  Finanzrerwaltung ; 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


156    Siebenl««  Bucli.    Der  StstfdimRt  und  du  eigrendiihe  tUgiment. 

Macht  gewissermaszeii  ersetzt  und  dadurch  auTh^bt.  Sie 
darf  weder  den  nnmittelbareii  Verkehr  des  Königs  mit  den 
einzelnen  Hinistern  unterbrechen  und  hemmen,  noch  den- 
selben verhindern,  einen  einzelnen  Minister  zu  entlassen, 
olme  deszhalb  das  ganze  Ministerium  umzugestalten. 

An  der  Spitze  des  Gesammtministeriums  steht  der  Mi- 
nisterpräsident. Der  practische  Sinn  der  Engländer  zieht 
es  vor,  das  Präsidium  mehr  aus  Tormellen  Motiven  mit 
einer  Person  zu  besetzen ,  die  sich  eher  durch  ihre  sociale 
Stellung,  Auszeren  Rang  und  Autorität  auszeichnet,  während 
andere  Nationen  häufig  den  wirklichen  Chef  der  Regierungs- 
politik mit  dieser  Stellung  betrauen.  Das  erstere  System 
hat  den  doppelten  Vorzug,  dasz  es  auf  der  einen  Seite  die 
Eifersucht  des  Honarchen  weniger  reizt,  und  dasz  es  auf  der 
andern  den  leitenden  Minister  den  Pfeilen  seiner  politischen 
Gegner  weniger  bloez  stellt,  ohne  die  reale  Macht  desselben 
zu  schwächen.'  Aber  das  letztere  System  sichert  in  höhe- 
rem Grade  die  Einheit  und  Enei^e  innerhalb  des  Ministe- 
riums und  entspricht  mehr  der  Wahrheit  der  Verhältnisse. 

4.  Der  Hinister  bringt  seine  Vorschläge  an  den  König 
zur  Sanction,  und  contrasignirt  die  Verftlgung,  welche 
der  König  anordnet.  Dem  Statsoberhaupt  steht  das  Recht 
zu,  den  Vorschlag  fiei  zu  prüfen,  zu  diesem  Zwecke  auch 
Rath  einzuholen,  wo  er  es  fUr  gut  findet,  und  nach  eigenem 
Ermessen  entwe<ler  zu  genehmigen  oder  abzulehnen. 
Die  Ablehnung  in  einzelnen  Fällen  ist  noch  nicht  ein  Grund 
für  den  Minister  zurOck   zu   treten.     An   «nd   fUr  sich  liegt 

'  Friedriah  der  GrosEe  spracli  eich  darüber  im  Antimacliiavell 
0.  22.  80  ans:  ,l.c  Hoi  quj  a  aeaez  de  «anld,  des  organes  eii  nieme  lerne 
Lisaez  \igoureux  et  aesez  d^ies  poiir  soutenir  k  [ifnible  Ira-ail  du  Caliiiiet, 
manque  h  son  devoir  s'il  se  donne  im  premier  mlnistre;  maia  je  craiB 
qa'nff  l'iinc«,  qui  n'a  pae  aea  doos  de  la  naiure,  te  nuiaque  b,  liii-uenH! 
et  h  Bon  peuple,  s'il  n'emploie  pas  luut  ce  qii'il  a  de  raiBou  k.  cboieir 
im  liumme  sage  qui  porle  le  Tardeau  dont  le  poide  seroil  Irop  fort  (lunr 
wn  niattre." 


n,g,t,7rJM,COOglC 


PUnftcB  Capilel.     Das  SutHniDialerium. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


158    Siebentes  Bneb.'  Der  Slatsdiecut  uod  du  eigmtticlie  R^mcnt. 

5.  Jeder  wirkliehe  Regierungsact,  den  dss  Stots- 
oberhaupt  erlfiszt,  bedarf  zu  seiner  rormellen  Gültigkeit  der 
Contraaignatnr  dee  betreffenden  Minislera.  In  Folge  der- 
selben hat  er  denn  die  Verantwortlichkeit  dafQr  sa  über- 
nehmen, and  es  dient  ihm  in  keiner  Weise  zur  Entschuldi- 
gung, wenn  er  sich  nnf  den  Willen  des  Oberhauptes  beruft. 
Er  dsrf  sich  nieht  hinter  dieses  AUchlen,  sondern  bat  die 
Maszregel ,  so  weit  ihre  Verantwortlichkeit  zur  Sprache  kommt, 
als  seine  eigene  zu  vertreten,  so  weit  sie  aber  der  for- 
mellen Autorität  bedarf  und  wohlthfitig  wirkt,  als  Hand- 
Unig  des  Oberhauptes  darzustellen. 

Die  Verantwortlichkeit  des  Ministers  hat  värschiedene 
Formen: 

«;)  vorder  öffentlichen  Meinung,  die,  besonders  wo 
die  Presse  fl^i  ist,  den  Minister  mit  tausend  Augen  scharf 
beobachtet.  Jeder  seiner  Schritte  ist  der  Kritik,  hftuflg  einer 
bittern  und  feindlichen  angesetzt  Die  Un  Verantwortlichkeit 
des  Statshauptes  deckt  ihn  nicht;  und  es  hilft  ihm  nichts, 
wenn  der  Fürst  erklärt,  der  Hinister  habe  in  seinem  Geiste 
und  nach  seinen  Befehlen  gehandelt. 

b)  Vor  den  Kammern,  welche  den  Beschwerden 
Ober  die  Regierung  einen  legalen  Ausdruck  zu  geben,  und 
diese  auch  an  den  Monarchen  zu  bringen  berechtigt  und  be- 
rufen sind.  Ihnen  steht  es  zu,  den  Ministem  gegenüber  auch 
ihr  Misztrauen  auszusprechen. 

gegebenen  Fall  vorschlägt,  damit  die  Königio  ebenso  deutlich  wisse  woii« 
sie  ihre  königliche  Sanction  ertbeilt  Zweitens,  nachdem  sie  einmal  ihre 
Sanctron  in  einer  HMU-ege)  gegeben,  darf  diese  nidit  ivillkürlich  von 
dem  Hinialer  Bbg«indcrt  oder  modiflciri  werden.  Eine  solche  Hendlong 
mÜBite  sie  als  einen  Mangel  an  Aufrichtigkeit  g^en  die  Krone  beti'achten 
lind  Bufort  kraft  ihres  verfassungsmässigen  Rechts  einen  solchen  Hinialer 
entlassen.  Sie  erwartet  von  dem  was  zwischen  dem  ersten  Lord  der 
Schatzkammer  und  dem  Hinisler  des  AuBwftrtigen  vorgeht,  ehe  man  auf 
diewn  Verkehr  wichtige  Entscheidungen  basirt,  in  Kenntnisi  gesetzt  in 
werden,  ferner  die  auswärtigen  Depeschen  und  die  Bntwüi-fe  der  Ant- 
worten darauf  bei  goter  Z«t  vorgelegt  tn  erhalten." 


n,g,t,irJM,GOOglC 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


IgO    Siebentes  Bach.    Der  SlatodiettRt  aoA  dy  eigentiiche  Begimenl. 

Ck)nUi)ente  aber,  die  noch  nicht  zu  einer  featen  und  siehern 
Ruhe  gelangt  sind,  wo  auch  die  demokratischen  Elemente 
eine  grilszere  Gewalt  haben,  kann  es  noch  öfter  Pflicht  der 
Minister  sein,  einstweilen  noch  auszuharren  ,  obwohl  sich  ^ne 
Majorität  gegen  sie  erklärt  bai  Aaf  die  Itauer  aber  ist  es 
auch  da  nicht  möglich. 

Der  normale  Zustand  nämlich  ist  der,  dssz  Männer 
als  Minister  die  Geschäfte  leiten,  welche  zugleich  das  Ver- 
trauen der  Krone  und  beider  Kammern  besitzen. 

c)  Auf  eine  Statsklage  vor  dem  Statsgericht.  In 
den  einen  Staten  steht  jene  jeder  Kammer  fUr  sich  allein, 
in  andern  der  einen  Volkskammer,  in  andern  nur  beideo' 
KaniDiern  vereint  zu.  Untw  der  letzten  Voraussetznng  wird 
die  Wirksamkeit  der  Klage  sehr  beschränkt.  Ebenso  ver- 
schieden ist  die  Frage  beantwortet,  wem  das  Gericht  in 
solchen  Klagen  gebühre,  ob  dem  Oberhause  oder  einem 
besondern  Statsgerichtsbof.  * 

6.  Die  politische  Verantwortlichkeit  der  Minister  iat 
eine  andere  als  die  juristische.  Wo  jene  au^ebildet  ist, 
da  ist  auch  wegen  Miszregierung  eine  Klage  zulässig. 
Diese  dagegen  rechtfertigt  nur  dann  eine  Ehige,  wenn  der 
Minister  die  bestehende  Rechtsordnung  (Verfassung  oder  Ge- 
setze) verletzt  und  ein  Veilchen  vei-tibt  bat  Jene  tritt  in 
alleu  Fällen  ein,  wo  der  Minister  sich  unfähig  zeigt,  die 
Regierung  in  einer  fUr  die  Statswoblfabrt  dienlichen  Weise 
zu  fuhren,  auch  wenn  er  unzweckinäszig  bandelt,  diese 
nur  wenn  er  Unrecht  tbut 

[n  Schweden  ist  auf  diese  zwiefache  Beziehung  der 
Verantwortlichkeit  in  dem  Organismus  selbst  Rücksicht  ge- 
nommen. Die  Klage  wird  in  beiden  Richtungen  von  dem 
Bureau  der  Stände  eingeleitet.  Aber  wegen  Miszregierung 
gebt  die  Beschwerde  an  die  Stände,  wegen  eines  Verfassiings- 

■  Oben  Buch  V.  Cap.  11   iiimI  Csp.  12. 

n,g,t,7rJM,GOOglC 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


1S2      Siebente  Bach.    Der  SUbtdiCDst  oad  ^m  dgenficlie  Regiment. 

die  poliUsche  Strafe  der  Entietzung  und  der  Amtaunfft- 
liigkeit  aaszuBprechen ,  und  weao  dne  weitere  Criminal- 
atr&te  nothwendig  erscbeiDt,  die  fernere  Verurtheilung  dem 
gewOholicbeD  Geschwomengerichte  oberlAut, 

In  Frankreich  war  die  Elage  der  DeputirteDkaminer 
TOI  der  I^rskammer  besehiAnkt  anf  Statavergebeo, 
diese  aber  durch  eu  dehnbare  Begridbbeetiminungea  weit 
gesug  aiiggedehnt,  dasa  auch  bloaze  Uiszr^^ierung  darip 
Platz  fand.  Ale  Elagegrttnde  wurden  bezeichnet  der  V  er- 
rat h  (Lrahison),  alle  Augriffe  auf  die  Sicherheit  des  KOnip 
und  des  State,  so  wie  der  Constitution  umfassend;  die  Er* 
pressung  (concussion) ,  wohin  unrechtmAszige  Erhebung 
'  von  Steuern  uud  GtebUhren,  Bestochung  und  Unterschlagung 
öffentlicher  Gelder  gez<^en  wurde,  und  die  Veruntreuung 
(pr^TsricaüOD),  worunter  Jede  andere  Gasetzeererletznngf 
Oewaltmissbrauch  und  jede  Gefährdung  der  Statsinteressen 
verstanden  ward.^ 

In  Deutschland'  wird  der  juristische  Gesichlspankt  vor- 
züglich herrorgehoben^  und  das  politische  Uoment  bis  jetzt 
noch  zu  wenig  beachtet,  weszhalb  denu  audi  gewöhnlich  ein 
bloszer  Statsgerichtshof,  und  nicht  ein  politiacher  Körper  den 
Procesz  zu  leiten  und  das  Urtheil  auszusprechen  berufen  wird. 

7.  Damit  die  Verantwortlichkeit  der  Minister  nicht  zum 
Scheine  nur  bestehe,  wird  regelmäsiig  in  den  neuern  Ver- 
fassungen das  Recht  des  Konarcheo,  eine  Untersuchung 
niederzuschlagen  oder  nach  der  Verurtheilung  zu  be- 
gnadigen, beschrankt  oder  aufgehoben.  ■" 


*  Vgl.  Kanter  in  Hitlerfflsieri  Zeftachrlft  ßr  aechttwiaKuachaft 
VII.  8.  99.   VIII.  ß.  199.  IX.  ß.  MO  ff.    Verftu»iu»g  too  Portog«!  J.  103. 

'  Preusiitclie  Verf.  %.  61:  „Die  Miniitar  hiHmen  dnrch  BeuUnn 
einer  Kammer  vegeo  dea  Terbrecherti  dw  Ter/kMUBgiverletaacig,  der 
Beateehanf  und  dea  Verrathes  angeklagt  werdea.  Ueber  aolehe  Anklage 
entackeidet  der  oberate  Qerichiabof  der  Monarchie  in  Tereinigtcn  SeDaten." 

••  In   England  fllalnt    tod    1690.     BeJgiache   Verf.   S-  89:    ,1a 


iM,CoO<^lL' 


SMhstM  C^td.    Vom  StaUormllie.  ]63 

SediBtes  CapiteL 

Vom  StAUrotbe. 

1.  Die  Inetitution  eines  etatarathea  ist  in  nnsern 
Tagen  oft  für  entbehrlich  erkUlrt  wordea.  Die  Eammeni, 
sagt  man,  sind  noo  dafUr  da,  die  Geeetse  zu  berathen,  und 
in  dem  Gesammtministerium  können  auch  die  wichägeren 
YeroräauDgen  Terbandelt  werden.  Alle  Qtnigen  OesdtOße 
des  StatST^es  aber  können  eben  so  gut  an  die  einzelnen 
Departements  der  Uinister  vertheilt  werden. 

Wahr,  ist  es,  dasz  diese  Institution  in  der  absoluten 
Honarcbie  noch  wichüger  ist  als  in  der  constitutionellen,  in- 
dem sie  dort  die  Functionen  der  Kammern  grosientheils  mit 
nberaebmen  musa.  Sie  ist  aber  auch,  wo  es  Kammern  fQr 
die  Gesetzgebung  gibt,  nichts  wraiiger  als  UberflBssig.  Zn- 
n&chst  nicht  fUr  die  Gesetzgebung  selbsL  Naturgemftsz  g^en 
die  GesetzesvorsdiUige,  welche  an  die  Kammer  gelMBcht 
werden,  Ton  der  Regierung  aus;  und  das  ganze  Gelingen 
des  gesetzgeberischen  Werkes  hängt  vorsOglicb  von  der  Taug- 
lichkeit  des  Regierungsentwurfes  ab.  Diesen  rorzube- 
ratben  und  zu  begutachten  ist  nun  die  erste  Hauptauf- 
gabe des  Stateratbea.  Die  Minister  können  wohl  den  Impuls 
geben,  die  Richtung  bezeichnen,  die  Arbeiten  leiten,  aber 
es  bedarf  zu  ruhiger  und  gründlicher  Erwftgung  eines  nicht, 
wie  die  Hinister  es  sind,  von  den  drängenden  und  aufregen- 
den Anforderungen  der  Politik  und  des  activen  Dienste« 
getriebenen  und  eingenommenen,  sondern  eines  zu  ruhiger 
Prüfung  gestimmten  Körpers,  in  welchem  die  umlbseendste 

kdnmi  Fftlle  ktnn  der  EödI^  dnrcb  efnen  rattndlicben  oder  MhrifLliclicn 
Befehl  efn«)  Ifiniiter  der  TeiMtwortllchkeit  eutciekeD."  $.&!:  «DerKöni^ 
kwn  einen  Hlniiln,  der  dnreh  den  Cuaetioniliof  Tcmrilieilt  iit,  nnr  nor 
das  Terlnngen  tod  etner  der  beiden  Keinincm  begindlgen.'  Porlngie- 
•  iicbe  T.  1816.  «.  105. 


iM,Coo<^lc 


IM    SiebeDlM  Bueli.    Uw  Slatidienst  umI  du  elgentliclie  Re^maDt. 

Geschfiftekenntnisz ,  n*eier  tJeberblick  über  die  Gesetzgebung 
nild  das  Herkommen,  EiDsicbt  in  die  BedUrrnisee  des  States 
und  eine  gesicherte,  dem  Parteigetriebe  entrückte  Lebens- 
stellung sie))  beisammen  finden.  Diese  Aufgabe  zu  erfüllen, 
sind  die  Kammern  weder  fbhig  noch  berufen ;  den  Hinistern 
selber  fehlt  es  dazu  an  der  Ruhe,  und  einem  eigens  dazii 
berufenen  CoUegium  von  Experten,  das  Vorbereitend  wohl 
groBze  Dienste  leisten  kann,  an  der  Einsieht  fn  den  Zusam- 
menhang mit  den  übrigen  Verhaltnissen  und  Gewohnheiten 
des  States.  Auch  ist  es  gut,  wenn  die  —  oft  doch  nur 
vorübergehenden  Minister  —  in  dem  festen  Statsrathe 
eine  Scbrauke  finden ,  die  ihrem  Eigenwillen  zwar  gelegent- 
lich unbequem  sein  mag,  aber  für  die  Wohlfahrt  des 
daaemden  Statee  eine  nicht  verwerfliche  Gewähr'  gibt. ' 

Der  Statsrath  ist  somit  ein  Institut  ftlr  freies  Nach- 
denken fUr  die  weise  Deberlegung  um  den  KOnig  her, 
wie  die  Kammern  die  Interessen  und  Meinungen  des  Volkes 
zu  Tcrtreten  haben.  Napoleon  nannte  ihn  ,ea  pens^e  en 
d^lib^ration"  wie  die  Minister:  „sa  pens^e  en  ex^cution." 

2.  Dem  Statsrathe  kommt  auch  gewöhnlich  die  Be- 
rathang und  Begutachtung  der  allgemeinen  Verord- 
nungen zu,  welche  von  der  Regierung  erlassen  werden, 
und  in  dies»  Beziehung,  wo  die  Kammern  nicht  mitwirken, 
ersetzt  er  gewissermaszen  auch  die  Functionen,  welche  bä 
der  Gesetzgebung  diesen  zustehen,  um  so  weniger  ist  seine 
Thfitigkeit  hier  entbehrlich.  Dem  Monarchen  musz  auf  Vor- 
schlag des  Ministers  der  Entscheid  bleiben,  aber  nachdem 
er  den  Statsrath  vernommen  hat,  wird  er  sich  mit  grOszerer 
Sicherheit  nun  entscheiden. 

■  Ranter  in  Hittecnaier'e  ZeilMliiirt  XIV.  6.  300  niftclit  daraaf 
«ufmerkMin ,  dMi  dicfe  »orgfUtig«  und  ■Ulle  Prttfnng  dardi  erblirene 
OMobäftB-  und  Statamlnner,  beMndera  ia  den  alten  Siaten  EnrOfMi'i, 
deren  Recht  and  Caltnr  ao  »ctiirer  In  «llen  Bexiebnngen  lu  Oberaebcn  iat, 
uDentbebrlich  kI. 


iM,Coo<^lc 


Seiftet  Capile].    T««  SUlaratha.  J65 

3.  Zaveüeo  wird  der  filatsnlh  uieh  T«rDOininen,  wenn 
Bahr  eingreifende  Etatsehloaee,  ittmentlicb  im  Interesse  der 
Stfttasieherheit,   lu   fassen  sind.    Uebereilnn^  kann    in 

-  soleben  Zeilen  ebee  so  gai&hriidi  »ein,  als  Venflgernng. 
Nur  der  practisdte  Tact  des  St&tsomnnes  kaon  des  rechten 
Moment  und  die  richtige  Form  finden  ^  aber  es  darf  wohl 
als  ein  sllgemeiner  Grundsatz  herrorgehoben  werden,  dass 
Beschlösse,  durch  welche  die  gewöhnliche  Gesetzgebung  und 
Ordnung  ausnahmsweise  suspendirt  wird,  und  lur  Kettung 
des  States  eine  ansEerordentllche  Gewalt  in  Wirksamheit 
treten  soll,  der  reifen  Yorberathung  des  Statsrathes  bedßrfiui. 
Dasz  das  nöthige  GebeimnisK  gewahrt  bleibe  und  nicht  etwa 
einzelDe  Mitglieder  des  Statsratbes  selbst  die  Tielteicht  noUi* 
wendige  Masuegel  vereiteln  können,  dafUr  lAsKt  tich  gar 
wohl  sollen.  Der  Monarch  darf  auch  nicht  so  die  Zustim- 
mung des  Statsrathes  gebunden  sein,  denn  die  Kraft  der 
R^erungsgewalt  erträgt  solche  Fesseln  nicht,  aber  hören 
soll  er  den  Ralh  der  erfahrensten  MftDoer,  bevor  er  den 
nnwiderrutlichen  Befehl  gibt 

4.  Oft  ist  dem  Statsrathe  auch  der  oberste  Entscheid 
in  sogenannten  Verwaltungsstreitigkeiten  ^  zugewie- 
sen, z.  B.  bei  Fragen  der  Expropriation,  ob  die  Abtretung 
nothwendig  sei,  oder  in  dem  Steuerwesen,  ob  gewisse  Classen 
oder  Objecte  steuerpflichtig  seien;  und  ebenso  die  oberste 
Prflfung  und  der  Entscheid  in  PriTatTerhSltnissen,  tkber 
welche  eine  besondere  Aufsicht  des  States  vorbehalten 
und  fUr  welche  die  Genehmigung  des  States  erforderlich 
ist,  a.  B.  betreffend  die  Bildung  von  Actiengesellschaften, 
Genehmigung  oder  Aufhebung  OflbntJicher  Corporationen, 
Ertbeilung  von  Privilegien  u.  dgl. 

5.  Endlich  wird  dem  Statsrathe  schicklicher  Weise  eine 
Contrele  eingeräumt  Ober  die  Thfttigkeit  der  Minister.   Es 

*  DftTOn  nnltn  Bach  TUl.  Csy.  9. 


166    Siebentes  Bacli.    Der  Statadfenit  nnd  du  rigcntliehe  Hegimeut. 

ist  theils  fUr  den  Honarchen  rem  hoher  prkctischcr  Bedeu- 
bing,  theils  für  die  Statebüi^r  eine  widitige  Garantie  ihrer 
Rechte  und  Interessen,  dam  eine  hohe  atatsmänniscbe  Be- 
hörde da  8^,  Tor  welcher  anch  die  Mininter  aber  ihre  Hand- 
Inngsweiae  Rechenschaft  geben  und  Rede  stehen  müssen  ober 
die  Beschwerden,  die  wider  aie  erhoben  werden.  Hanehe 
Uebelstinde,  die  sonst  leicht  verbeimlicht  werden,  kommen 
so  zn  Tage  und  können  geheilt  werden  ohne  alle  Gehhr 
fnr  die  öffentliche  Autorität;  und  zu  mancher  Verbesserung 
fUr  die  Zukunft  kann  von  da  aus  der  Impuls  gegeben 
werden.' 

6.  IMe  In^tuüon  des  Statsrattia  ist  in  Europa  s^r  alt, ' 
wenn  auch  die  Befugnisse  und  die  Zusammenseteting  des- 
selben in    Terschiedenen   8taten    und   Ländern   Tersehieden   - 
bestimmt  wurden.'    In  ihm  soll   die   höchste   Einsicht 

•  Aach  Goeist  Engl.  Verf.-  n.  Terwal tangsrecht  Bd.  11.  8.  822  hebt 
mit  Nachdruck  die  Toniige  einer  R^erang  mit  Stmtsreth  vor  der  Csbl- 
nctsregionuig  ohne  8t(ilR«th  herror. 

'  Ueber  die  Anwcheidang  des  frantOsisehen  Conseil  da  Boi,  Couseil 
d'Etat  aus  dem  Parlament  iu  Frenkreich  vergl.  Sch&ffner  Recbtsgeach.  II. 
S.  325  ff.  Napoleon  l^le  einen  grosxen  Werlh  auf  seine  SchOpfuog 
eine«  Slatsratbee.  Bei  La*  Com  Himoir.  de  SL  Biltae  I.  8.  3tt  iunert 
er  sieh  darüber:  ,I>er  Statsrath  war  bn  AllgemeiDea  ans  wohl  nnier* 
richteten  Hinnem  und  tüchtigen  Arbeitern  gebildet,  von  gnlem  Rufe. 
DerKsiser  verwendete  die  Slatsrttthe  auch  individaell  fUr  Alles  and 
mit  Torlhell.  la  ihrer  Verbiadnng  waren  aie  sein  wirklicher  Batb, 
Min  Gedanke  in  dem  Sladiam  der  Deberlcgang,  wie  die  Minister  sein 
Gedanke  in  der  Handlang.  Im  Slatsrathe  wurden  die  Oeaetie  Torbcreitety 
welche  der  Kaiser  dem  gtMtigebenden  Körper  vonchlng,  wodurch  er  la 
einem  wesentlichen  EJemenle  anch  der  Oeseligehangsmacht  warde.  Dort 
wurden  die  kaiserlichen  Deorete  redlglrt,  seine  Verordnungen  Über  dte 
öSentliehe  Verwaltung;  da  wurden  die  Projecle  der  Hinister  geprüft, 
erörtert  and  verbessert.  Der  Statarath  nahm  die  Berufung  sn  urd  ent- 
schied in  oberster  Instant  In  alten  Verwaltungstreltigkelteo ,  und  erhob 
steh  hier  luweileu  Ober  alle  andern  GerlchlshOfb,  sogar  über  den  Casia- 
tkMshof.  Da  wurden  die  Beschwerden  g^en  die  Minister  geprüft,  sogar 
die  Berufung  Ton  dem  Kaiser  anf  den  besser  nnterrichleten  Kaiser,  So 
wurde  der  Statsratb,  jedenwit  von  dem  Kaiser  telbet  prisldirl  und  oft 
in  offenon  Widersprach  gegen  die  Hinfster  oder-  ihre  UaodlHngen  oder 


iM,Coo<^lc 


fliebeolu  Cifdtel.    Da*  stehende  äeer  nnd  die  Landwehr.       167 

des  States  rereinigt  werden.  Ee  ist  der  prnfende  und 
rathende  Verstand  des  Statshanptes.  Derselbe  darf 
dahw  nidit  als  eäne  blosze  Belohnung  fOr  langfr  AmtsthA- 
tigkeit,  nicht-tüs  eine  Sineknre  des  Dienstalters  behandelt 
werden.  In  ihm  mQssen  statsni&nniseher  Geist  nnd  Charak- 
ter, amhsBend«  Rechiskunde  nnd  praktische  GesehtttlsreiM 
«dnen  ehrenrollenl^sta  and  eine  wttrdige 'Wiricsainkeit  finden. 
Die  Minister  dorfian  auch  nicht  das  Uebergewicht  in  dem 
Statsrathe  beben;  ihre  actire  Geachftftsleitung  und  seine 
wesentlich  controlirenden  Functionen  sind  innerlich  rerschie- 
den  und  wo  das  Oi^n  fDr  jene  das  Organ  fQr  diese  be- 
herrscht, da  .wird  dieses  unbrauchbar.  In  dem  Statsrathe 
Mllea  die  Minister  mitreden  nnd  mitberathen ,  aber  besser 
ist,  weim  ^e  nur  eine  begutachtende,  nicht  eine  entschei- 
dende Stimme  in  demselben  haben.  ^ 


Siebentes  CapiteL 

Die  NiliUrgewalt.    Daj  atehende  Heer  and  die  Lantlwebr. 

1.  Die  Militfirgewalt  des  States  ist  unter  allen  die 
gewaltigste,  weil  ganz  und  gar  auf  Offenbarung  der  äussern 
Macht  des  States  gerichtet  ond  dieser  Bestimmung  gemOsz 
organisirt.  In  dem  Heere  ist  daher  rine  strengere  Disciplin 
und  voller,  unbedingter  Gehorsam  in  ganz  anderem  Sinne 
aothwendig,  als  in  irgend  einer  andern  Sph&re  des  Stats- 
lebens.    Denn  die  Süssere  Macht  beruht  grOsztentheils  auf 

DnterlMVDngen  refurmlrend ,  in  dem  natOrlichea  Znflucbtaort  der  ttiterea- 
•en  oder  Penoaen,  welche  rieh  dnrch  eine  hohe  Aalorillt  verletit  fnhlten. 
Dnd  wer  dn  SiUnngen  dewelboi  beigewohnt  hat,  der  wdaa,  mit  welchem 
Eifer  die  Sache  der  Bürger  dort  vertheidigt  ward." 

*  HapoleoBlaehe  Verf.  t.  18^  $.  53:  ^Lea  mlnlalrea  ont  i«ng, 
ateooe  et  voiz  dilib£r»tive  \a  coneeil  d'Etat." 


iM,Coo<^lc 


Mg    Sicbcntw  Bach.    D«r  SWidicMt  and  du  dgwUkhfl  £c«t«nt. 

physischen  und  mecbaniecbeD  Gesetzen,  uoä  dies« 
verlangen  ungeheoiBite  Bewegneg  der  Hiltel  der  Giciralt, 
bis  das  Ziel  erreiobt  ist  Wurde  hier  dem  iDdiTidaelleo 
Willen  der  OKciere  und  Soldaten  eine  trtie  Enttrickelung 
gcstaUet,  ee  würde  mit  der  Einb^t  des  Heere«  ai^eh  die 
KrafV  desselbeD  lu  Grande  gdien  und  die  gaase  BestinHnqog 
desselben  wOre  TerfeblL  Die  Eriegsmadit  de»  States  ist 
seine  StArke  und  der  Beruf  des  Erlegen  ein  TOisugs- 
wüse  statlicber,  und  daher  edler  und  ehieuvidler.  Biese 
Eriegsoascht  muM  ziiiii  Angriffe  und  xur  Vertbeidi- 
gung  gerOatet  seio;  und  es  ist  eine  sonderbare  BebaaptuDg 
Uaucher, '  dasz  ,mr  der  Verüiödigangslorie^  den  .conslitu-' 
tiooellen  System  ausage."  Sogar  wena  der  Krieg  nur  als 
ein  grosaer  Rechtsstreit  der  Staten  aogeseban  wird,  so  ist; 
fUr  den  Stat  der  Angriff  unter  UnutlMiden  so  Dötbtg,  als. 
fOr  den  rechtlichen  Privatmann  in  dem  bQrgerlicben  Rechts- 
streit  die  Klage.  Sc^r  der  Eroberungskrieg  ist  nicht  immer 
verwerflich,  wenn  schon  die  Ausbildung  des  Völkerrechts 
und  die  fortschreitende  CiTilisatioo  die  Zulässigkeit  desselben 
seltener  gemacht  hat. 

2.  Das  Hittelalter  kannte  die  stehenden  Heere  nicht. 
Aber  nicht  blosz  der  Absolutismus,  auch  das  BedOrfhisi  des 
modernes  States,  stets  gerOstet  «i  »ein,  haben  dieselben 
'ins  Leben  gerufen.  Der  Krieg  ist  seither  humaner,  die  kriege- 
risebe  Ausbildung  roUkommener  («(worden,  und  sdbst  dia 
militärische  Tugend  bat  in  den  siebenden  Heer«i  csb^ 
höheren  Ausdruck  geftandeo. 

Die  Gröste  des  stehenden  Heeres  hAogt  Tornebnlieh 
Too  dem  Verbältnisse  des  States  ku  sdnen  Nachbarn  «ad 
seiner  L^e  ab,  bei  weitem  mehr  als  von  der  inneni  Btats- 
rerfassung.  Es  ist  zwar  begreülicb,  wenn  StatsmOnner  in 
einem  ReprtsentatiTslale,  sogar  abgesehen  von  der  grosien 

*  Rotteek  In  d«r  FortMUunf  voq  Aratina  SlatoraelU  d«r  «nut 
Honardiie  IL  8   1S1. 


nigiti/cdtvCöC^Ic 


aMwntM  Ct^Ml.    Dm  tt«!»«]«  Hht  vafl  die  Uiidwckr.      |<t9- 

StoaerJMt,  wekke  lahlreiche  Heere  nOtbig  nweheo,  nidit 
frfiBB  BeaorgsüM  da«  Wa^atlmm  des  Heerea  bescbten,  denn 
e«  kftiin  dawelbe  ia  der  H«Bd  öoeB  lloBarebeB,  welcher 
deo  in  der  ReprfiaeBtktiT-V«rfusang  liegaidetf  Schranken 
Mine«  Wilteos  widerttrebt,  TieHetelit  iniairi»(*aoht  werden, 
wn  dieeelben  gew^lMm  zu  dsrchbrechen  and  ein  alwc^tes 
Regiment  au  uDtenÜUien;  «nd  ee  ist  nicht  lu  tadeln,  wenn 
dieeelbwi  ekte  übemfiraige  VermebniBg  des  Beeret  so  tu^ 
bindern  Sueben.  ^  Aber  den  letztes  Snteebeid  kasa  doch 
nur  das  BadUrfttiaa  der  Btataticberkelt  sdbet  geben,  und 
dieeM  i«t  mcht  von  der  innern  Verihsdangsform  abkftsijpg. 
Um  am  di«  OrdnuDg  im  Innera  tufreeht  lu  halten,  dahr 
genügt  seboa  ein  kleüaes  stobendea  Heer,  wenn  die  Regie- 
nuig  auch  tiar  einige  Vorsicbt  und-  Eowgie  hat.  Aber  wenn 
die  GrAnaen  nach  Auazea  feindlichen  Angriffen  bkMagestellt, 
die  iatemationaleD  VeriiUtDiMe  schwierig  und  gelfthriich 
geworden  tind  und  die  Nachbarn  starke  Blebende  Ameen 
SB  ihrer  Verfügung  haben,  «o  nuai  der  Bist  audt  in  sich 
so  gerostet  sein,  dasi  er  dieaea  GeMiren  begegne,  und 
dafür  reicht  ein  bloates  Landwehrsyateni  nicht  ans,  snadeni- 
e«  ntasa  der  besseren  Heereskraft  des  Feändtis  eine  nicht 
geringere  eigene  Hecht  entgegeogeaetit  werden  könnep,  wenn 
der  Stat  seine  Ezi^enz  and  e«oe  Ehre  behaupten  solk'^ 

3.  Ia  dem  modM-nen  Statsrceht  wird  die  Pflicht. der 
Barger,  den  State  Hilitftrdienate  ni  leisten,  zieOilieh. 
allgemein  anerkannt  and  auch  auf  das  stehende  Heer,  er- 
streckt, nicht  bloss  ^.nt  die  Landwehr  besogen.  Thatsftcb^cb 
finden  sieh  übrigens  fUr  die  Offieierrtellen  genog  freiwillige 

'  Lord  Jobn  Euasel  macht  togu-  Ki  EogUnd  auf  dieM  Qcbhr 
naebdrflcklich  aatoerkum  xfx  Mioer  Oeackichta  der  eagüacben  Verhwang. 
C«p.  33. 

■  Friedricfa  der  Qkmm  ia  Kinem  Ewai  aar  let  fonow  dn  gtmver- 
nement:  «Le  nombre  dee  troupe«  qa'nu  äut  ealretient,  doil  ätre  en  pro- 
portioB  des  troopea  qn'oot  •«•  eoimni»;  il  IWit  qn'U  ••  tron*«  eu  mtme 
force  OB  k  pkas  fiüble  risqa«  de  •■coonber." 


iM,CoO<^lL' 


]70    siebente«  Buch.    Der  SMUdtenal  and  dae  eigentlldi«  Regiment. 

Bewerber  und  die  DieDitpflicht  trifft  toa«»  die  Soldaten. 
Nach  ftitemi  deQtsehem  Reebte  bestand  diese  IMenstpfliebt 
nnr  Ar  das  Vdksheer  mr  Verth^dlgoDg  des  Landes  und  in 
wirfclidien  Volkskriegen;  das  Gefolge  aber,  welches  mit 
seinem  Kriegsberm  auszc^  auf  Alienteaer  lind  Eroberung, 
sdiaarte  eich  freiwillig  um  ihn ;  und  im  Mittelalter  war  der 
eigentliche  Kriegsdienst  mit  dem  L^ensbesitx  rerbundeo. 
Die  ersten  atmenden  Truppen  aber  waren  wieder  geworben. 
Die  Analogie  des  Oltem  Rechts  scheiDt  daher  fUr  das 
stehende  Heer  freien  Willen,  Itlr  die  Landwehr 
dagegen  Dienstpflicht  zu  fordern.  Damit  stimmt  aac-h 
die  Natur  des  stehenden  Heeres  uberein,  welche  den  MilitAr- 
staad  cum  Lebens-bernfe  whebt,  somit  in  den  IndiTiduen, 
welche  sich  demselben  widmen,  besondere  Neigung  und 
Fftbigkeit  mehr  dafQr  als  fUr  einm  andern  Beruf  rorans- 
setst,  und  an  sie  auch  höhere  Anforderungen  stellt  als  an 
die  übrigen  BQrger.  Eän  Statsswang,  welcher  das  Indiri- 
duam  ohne  Noth  ans  seinen  Stodim  und  ans  seinen  Berufs» 
und  bUrgwUehen  Veriiftltnissen  hinaus  reiszt,  erscheint  denn 
von  da  aas  als  ein  Eingriff  in  die  indiriduelle  Freiheit, 
welcher  dnreb  das  BedQrfnisz  des  States  selten  hinreichend 
gereehtfbrtigt  wird.  Die  Werbung  des  stehenden  Heeres 
hat  dagegen  kmoe  statsrechtlicben  Bedenken  gegen  sich  und 
schafft  auch  eine  tüchtige  Armee,  welche  von  Berufspflioht  er- 
älllt  ist.  *    Wenn  aber  die  freiwillige  Werbung  nicht  genttgen 

*  Stahl,  Slalalehre  IT.- S.  4U  tagt:  ,Der  Werbeconiracl  habe  ftwaa 
Unsltl liehe«,  Indesi  er  LebeoMafbpfernDf  and  Lebeoebenif  mm  Gegen- 
•tond  de«  Santa  Hache.*  Allein  jader  Bemt  bwnht  Hnftebot  anf  iu- 
dlTidneller  Anlage  nnd  WiDensbeatlraraang,  und  der  Sold  Ut 
doch  nar  da«  nothwmdige  Aequlvalent  filr  die  Bemraleiatang,  welcher 
wie  bei  den  Acmteni  von  dem  State  beatimmt  wird.  Wer  sich  anwerbe» 
Ihait,  erklkrt  nnr,  daai  er  Willens  aei,  al«  Soldat  dem  State  bemhmiMig 
fQ  dienen.  Darin  liegt  nicht«  TJusittlicfaes.  Aach  beiengt  die  Geachiehte, 
daas  geworbene  nod  »t^r  fremde  Trappen,  die  Schweiter  voraoe, 
die  Itriegerlaehe  Tugend  bis  inr  heldenmünigsten  Anftiprening  enlhltet 
haben,  und   schon   mancher  fflr  friedliche  Arbelt  anbranchbare  Barvche 


iM,Coo<^lc 


SMmiiIm  Capftd.    Du  •t<A«ade  Hmt  uod  di«  Lomiwiabr.      17] 

mlll«,  wtü  sidi  nicht  00  viele  IndiTidaen  flndeu,  welche 
NeJgBDg  zQin  Soldateobenife  haben,  dann,  allerdings  mu«z 
hn  Nothlbll  aelUt  dareh  Ewai^  für  den  Dieml  gescwgl 
werden.  Des  »t  aber  kanm  bei  einer  andern  als  bei-  eiaer 
onkri^eriMben,  durch  ßenUise  entnerrten  Nation  denkbar^ 
nnd  ehie  solche  darf  eich  denn  atidi  nicht  beklagen,  ireön: 
auf  ibie  Kosten  aogar  fremde  Truppen  geworben  werden, 
Ist  ne  nicht  hrifHg  genng  aus  ihrer  eigenen  Mitte  eine 
starke  Macht  berrorzubringen,  so  Terdient  sie  es,,  wenn  sie, 
nnfthig  sich  in  st^Olcen,  mit  ihrem  Getde  nnd  selbst  mit 
ein«n  Tbeil  ihrer  Fretheilen  die  Behaglichkeit  und  den 
Frieden  erkaufen  mnaa,  die  ftlr  sie  das  theaerste  Gut  sind.'' 
In  den  meisten  nenero  Staten  —  England,  Holland' 
nnd  Nordamerika  vertreten  noeh  das  richtige  Princip  — 
aber  ist  noch  fUr  das  stehende  Heer  das  System  dw  sll> 
gemeinen  Dienstpflicht  der  HilitArrerfsssang  zaOronde 
gelegt;  in  den  ehten,  z.  B.  in  Frankreich  nnd  in  den 
meisten  deutsoben  Staten  freiKcb  »o,  dasz  dem  Indivi- 
donm,  weldies  bei  der  Anshebnng,  Conscription 
durch  das  Loos  betroffen  wird-,  das  Reebt  offen  bleibt,  durch 
einen  tauglichen  Stellvertreter  sich  ersetzen  z»  lassen,' 

iat  ilnrch  die  Strenge  nud  dl«  Mionllebkcit  dM  Krippfbernf«  tu  einem 
tflditigen  HeDKbeii  geworden.  In  jeden  krUtigen  Volke  gibt  es  Elemente, 
die  nnr  Kr  d«n  SttkUlentland  taugen. 

^  Diber  den  Oegenatt«  von  neticnwieD  Trappen,  fremden  Sold'  nnd 
fremdem  HttlfttnippeB  vgl,  NachiaT.  im  FArsten  C.  12  und  13.  Fried- 
rieb  11.  eben  da:  „Dia  beelcn  Trappen,  die  ein  Stat  haben  kann,  »Ind 
die  nationalen. "    Indeasen  daa  iat  nnr  bedingt  wahr. 

*  HoUlBdiache  Terfamflg  $.  ITT:  Dai  Tragen  dar  Wafen  zar 
Handhatmng  der  Dnabhlnglgkett  nnd  zur  Vertkeidigong  aelne*  Orand- 
gebteta  tdHbt  eine  der  eraten  Ftfiehlen  aller  Bewotmer."  f.  178.  „Der 
König  sorgt  dafBr,  daai  la  allM  Zaiteo  eine  klnreiohende  Land*  nnd 
Seemaobt  anteriwlten  werde,  angeworben  ans  Freiwilligen,  aeien  rie  BIb' 
getxnve  oder  AniUnder." 

)  Franiüa.  Verf.  v.  1S48  «.  101:  nieder  Frannoae  IM,  mU  Ana- 
nakme  dar  dareh  daa  Oaaets  baatimmtaii  FUle,  aum  Krf^idlenata  and 
inm   Dlenale  In  der   Nationelgarde   verpfltchtet    Die  Vergflnatiguag  für 


iM,C00<^lL' 


173    SicbMtM  Buch.    Str  SUtsdieMl  «nd  d«!  eigADÜicke  Bcfiment. 

io  utdern,  wie  io  Preaaseo  so,  dara  die  INeot^Aicbt  als 
eine  unabv^bare  BOi^erpfliebt  strenge  durehg^Uhrt  wird." 
Die  letztere  AuadehniiDg  der  DieDstpflicht  oiag  io  Miüttr- 
9iaten,  welche  noch  durch  das  BeddiMu  ihreft  WacbaIhHDia 
auf  Erobemog  angewieaeo  sind,  oiet  ihre  Henaehaft  tax 
mit  fortwfehreiMler  ADatreogung  aller  ErtOe  bfehaspten  köo- 
Den,  Bednrfhisa  sein.  Zu  dem  NormalsaataDde  des  Denexn, 
auch  die  iudiTiduelle  Freiheit  in  Tollem  Umfange  wüfdigeiH 
den  Slats  patzi  dieselbe  nicht. 

4.  Die  Landwehr  iat  Air  die  Vertheidigung  dea 
Landes  und  seines  Friedeaa  bestimmt;  daher  nicht  anners 
halb  der  Laodeagrioieo  za  rerwenden.  *  E^e  aasgedebste, 
wohl  oi^ionisirte  and  toehtig  geschulte  Landwehr  bAlt  den 
iDftonlichen  Gei^  des  Volkea  wacb,  und  steigert  die  StäriM 
des  Stats  mit  ungleich  geringern  Kosten  aU  ein  stehendes 
Heer  von  gleieber  Zahl  erfordern  wDrde.  Üeberdem  bttigt 
öe  fQr  Ordnung  und  Freiheit  zugleich,  denn  iiwleni  dieselbe 
in  dem  Volke  selbst  wunselt  und  mit  demselb«)  Tert>uDdeB 
bleibt,  kann  sie  nicht  aur  Dnterdrttekung  der  wahren  Frei- 
heit misibraucht  werden,  and  da  sie  durch  den  militftriacbeo 

Jeden  Bürger,  iich  von  der  pereönlicbeu  AbleistoDg  des  Kriegsdleaatet  la 
'  hefMleii,  wird  ditrek  du  Reeralin)tigige*eU  geregelt  werden." 

•  In  eincB  Zeitungsarlikcl  spraeb  «ich  18iS  Louti  Napaleon  «ebr 
entaehieden  ffir  dieses  preustJiche  und  g^en  da*  frvtHMiadi«  SyMeoi  tu. 
Mir  tcheint,  du  pretuiUebe  and  das  trmatoüetk»  SyaUn  Md«B  beide  iD 
Uebertreibing,  jeiteg  Indem  M  soch  für  du  ilcheade  Bear  ■■  parste- 
HekM-  DinaUaiM^ag  niMhigt,  dtesee,  iuitta  m  die  allgemeiae  Bttrgerpaiebt 
der  Landwehr  loakMfca  UasL 

'  !■  dnielaen  SUtan  wird  dl«  l«iidwclw  «a*h  ■&  auwArttgen  Krie- 
ges verwcndeL  Ihr«  BatMrlicha  BealJmHiuig  iat  du  abw  lüeht.  Ein* 
Minifthmaweiae  TerwudKng  dar  Art  aoUlt  daher  «idit  too  den  bleasen 
\iUlig  wlUkärllcbeD  Behhle  der  BogieniBg  ahb&ngai.  Di«  spaHlach« 
TsrfiiaauDg  von  1837  beeUnnt  ia  (.  77:  .Der  Küaig  kam  in  Fall  d«r 
Noth  über  die  NalioualmlliMn  verngra  Innerhalb  Ihrer  ftoviu,  ria  J^ 
doch  nicht  ohne  ZaatimKiaag  der  Oortei  auaaerbalb  dwwlben  Terwandtn." 
BeJgiaehe  Verf.  $.  123:  .Di«  lM>UMMh«DC  der  Bttrga^wde  hana  n« 
fcraft  daes  Oeactica  aUttfinden." 


iM,Coo<^lc 


StebeotesC^iIteL    Dma  atdwnde  Hwr  und  die  Undmiir       ]73 

Getiorsun  gehalten  und  geleitet  wird  und  von  den  Stats- 
oberbftBpte  abb&Dgig  ist,  so  dient  sie  daza,  aoeh  den  Aat- 
fltaiid  und  die  Anarchie  im  Lande  zu  bewältigen.  *" 

Von  dem  siebenden  Heer  unterscheidet  sie  sich  dedorcb, 
dasa  sie  den  Krieg  nicht  als  Lebensberuf  betreibt;  —  der 
Laadwehnnami  bleibt  im  Qbrigeii  s^nem  borgerlichen  Be- 
roftdcräae  getreu ;  —  tod  dem  blossen  Landsturme  dadurch, 
dasz  sie  auf  militiriscbel  Ausbildung  einen  groezieii  Weith 
legt,  and  daher  audi  Torzogsweise  aus  den  jDngeren  vnä 
fähigerai  Classen  der  BeTOlkerong  herrorgeht  Wunscbens- 
werth  ist  es,  dasz  sie  mit  dem  stehenden  Heere  in  einer 
organischen  Verbindtmg  steht,*'  so  dass  sie  gewisser- 
maszen  am  jenes  wie  die  Schale  um  den  Kern  MCh  anschliesit, 
Ton  seinem  Geiste  erftlllt  wiAl  und  hinwieder  jenes  vor  Ent- 
fremdung und  E%indechaft  gegen  den  BOrgerstancI  wahrt  Wo 
dagegen  die  Landwehr  'unabhängig  von  der  Regierung  ge- 
stellt, von  dem  stehenden  Heere  vOllig  getrennt,  diesem  in 
der  Idee  entgegen  gesetzt  wird  als  Volksheer  und  Na- 
tionalgarde dtna  KOnigsheer  und  den  Soldtruppen, 

'*  Slein  an  Gn«iMn«u  (Sleina  Leben  voa  Perti  II.  S.  353):  „Ira 
Frieden  iit  die  Hilis  eine  Vorbereitungtanatalt  tnm  Heer,  indem  fle  die 
Kenntni«!  d«r  kriegcriiehea  Fertigkalen  und  den  kriegcriaeken  Oeiat  in 
<1er  ganzen  Nation  erb&lt,  woza  zugleich  Enielmng  durch  Verbreitung 
von  OruodeätECn  und  dnrcb  Unterriebt  in  gymnastiBclien  Uebungen  mil- 
-wirfcen  mnox.  In  Krieg  dient  rie  dem  Heer  als  Reserre  und  DepoL 
Hierdnrck  wird  der  Hdgaug  der  gewariMtreibeaden  und  winniKlian' 
liehen  Stände  lu  nnknegeriftchen  und  feigen  Oewnuangeu  und  der  Trennung 
der  verschiedenen  Stände  ron  einander  und  ihrem  LoAreisien  von  dem 
Stat  entgegengewirkt  and  in  allen  das  OeflIhI  der  Pflicht,  fUr  dessen  Er- 
haltung (ein  Leben  aaftao|rf^m,  belebt  Eine  Folge  riner  tolcben  Eln- 
richlnng  iat  die  Allgemeinheit  der  Tej^chtang  tu  Kri^tdienaten,  die 
■ich  anf  jeden  Stand  der  bürgerlichen  Gesellschaft  ausdehnt.  Durch  aie 
wird  ea  möglich  einen  hochherzigen  kriegerischen  Kational Charakter  tu 
bilden,  langwierige  «ntfeml«  Broberangakriege  tu  fahren,  nnd  eineo 
Nationalkrkg  einem  übermächtigen  feindlichan  Asfull  entgegeDsaMtaco." 

"  Prenas.  Terf.  $.  S5:  nDas  Heer  begreift  alle  Ablheilnngen  des 
stehenden  Heeres  und  der  Landwehr.  Im  Falle  des  lErieg«»  kann  der 
König  nach  Kangabe  des  Oeaetiet  den  Landsturm  aafbletan.* 


iM,Coo<^.lc 


174    Kebante«  B«cb.    Der  BttUiimH  usd  Am  «iK«iilltcbc  Begimcnt 

da  iat  gerade  da,  wo  der  8t«t  aeine  Stbke  lu  suchen  bat, 
Zwiespalt  nnä  Sehv&ehe,  und  die  beiden  Heere,  di«  wi« 
die  beiden  Anne  des  Leibe«  sich  unknMUKn  sollten,  hem- 
men sich  wechselseitig,  wie  wenn  der  Unke  Arm  den  rech- 
ten zurückhält. 

Die  Landwehr  kann  wieder  nach  Stufen  und  Clameu 
geordnet  sein,  die  jüngere  Mannschaft,  weniger  durch  Fami- 
lienpflichten beschrftokt,  bewe^cher  und  kriegslustiger  zu 
einem  erstui  Aufgebote  rersammelt  werden ,  die  reifere  Hsnu- 
echafb  mehr  als  xweites  Aufgebot  und  Reserve  dienen. 

5.  Der  Landsturm  ist  ein  Institut  fUr  NothfUle.  Er 
gehOrt  nicht  zu  dem  ^gentlicben  Heere,  und  hat  nur  geringe 
technische  Bildang.  Er  umfaszt  die  geaammte  männliche 
BeTölkeruDg,  welche  nicht  schon  in  dem  stehenden  Heere 
und  in  der  Landwehr  dient  und  doch  noch  krfiftig  genug  Ist, 
die  Wafitjn  zur  Vertheidigung  dea  States  zu  Alhren.  Unter 
kräftigen  Bergvölkern  haben  auch  die  Weiber  schon  oft 
tbeilgenommen  an  dem  Landsturm  und  den  Ifttnoero  muthig 
zur  Seite  gestanden.  Das  aber  ist  doch  Ausnahme^  und  in 
der  Regel  wird  auch  diese  Dienstpflicht  auf  die  männliche 
Bevölkerung  beschränkt. 

Die  Organisation  des  Landsturms  muss  wieder  den  Zu- 
sammenhang mit  der  gesammten  Kriegsmacht  des  States 
bewahren  und  ist  daher  von  dem  Statsoberhaupte  abhängig. 
Im  Einzelnen  kann  sie  nach  der  grosseren  oder  geringeren 
EriegstUchtigkeit  geordnet  sein.  Zum  Angriff  und  zu  mili- 
tärisdien  Manövern  untauglich,  kann  derselbe  zur  Verthei- 
digung einzelner  Pässe  und  zur  Beunruhigung  und  V^ol- 
gnng  des  bereits  erschatterten  Feindes  gute  Dienste  leisten. 

6-  Das  Heer  darf  nicht  selbst  den  Zweck  bestimmen, 
flir  welchen  es  zu  den  Waffen  grtift,  die  Uilitärgewalt  in 
der  Reget  nicht  von  sich  aus  in  die  hargerlichen  Verhält- 
nisse eingreifen.  Vielmehr  wird  dasselbe  durch  den  Befehl 
des  Statsobeihauptes  in  Bewegung  versetzt,   und   empfängt 


iM,Coo<^lc 


AebtH  Capitel.    Dia  Poliaei.    1.  Dm  WeMO  dcrMibwi.         ]?$ 

von  ihm  den  Impuls  und  die  Richtung  fUr  seine  Thattin.  In 
uaterfeordBeteB  Beniehiingea  xum  8cbut&e  der  öBeotUefae» 
Hube  werden  sane  Abtheilungen  von  den  CiTÜbehOrdeii  um 
Hülfe  requirirL'i 


Achtes  Capitel. 


1.    Dm  W«a«i  «er  PtUiei. 

Erst  al}nifthlich  gelingt  es,  den  modernen  BegritT  der 
Polizei  ins  Klare  zu  bringen.  Die  statsrechtüchen  Theorien, 
welche  gegenwärtig  noch  am  meisten  verbreitet  sind,  leiden 
nn  bedenklichen  Mängeln  und  in  vielen  Beziehungen  noch 
schlimmer  steht  es  mit  der  Praxis.  Bald  wird  der  Polizei 
ein  ZI)  beshrftnkter  Spielraum  der  Thfttigkeit  angewiesen, 
nnd  sie  verhält  sich  unthätig  und  gleichgOllig,  wo  sie  wohl- 
thatig  einzugreifen  und.fUr  die  ÖfTentliche  Wohlfahrt  zu  sor- 
gen den  natürlichen  Beruf  hat.  Bald  hinwieder  breitet  sie 
ihre  Gewalt  unmOszig  auf  Verhaltnisse  aus,  über  welche  ihr 
keinerlei  Bevormundung  gebührt,  und  hemmt  oder  belästigt 
ohne  Grund  die  Freiheit  der  Individuen  in  Lebenskreisen, 
wo  sie  nichts  zu  befehlen  hat. 

"  Oesterreich.  T«rf.  von  1849  S-  11<:  nlm  loDCni  kran  die  be- 
waCner«  Ibcbt  nir  kber  ADfTurderung  d«r  CiTUbebAnleii  nnd  in  deD  g«- 
MUlicb  bwÜnmlM  Flltlea  uod  Formen  eintofarelUn."  FreuBsiicfa« 
f.  36:  „Die  bewaffnete  Hachl  kann  zur  Ud (erdrück nag  innerer  ünraben 
und  znr  ÄuBfUhrnng  der  OeHtie  nar  in  den  vom  Oeielie  bestimmten 
nilen  nnd  Formen  nnd  anf  ReqniBilion  der  CtTfIbebörde  Terwendet  wer- 
dM.  In  lauterar  Beilebnog  hat  d»s  OeMti  die  Ananabmen  eq  bcatÜDnaeB." 
Franiüaiflche  von  1648.  {.  lOS:  „Die  öKenlliche  Macht,  welche  lar 
AufrecbtbaltoDg  der  Ordnung  im  Innern  verwendet  wiitl,  handelt  nur 
anf  AnfTordcrong  der  eingeeetiten  Behörden ,  indem  eie  den  dnrcb  die 
l^telaiive  Oewalt  bestimmten  Anordunngen  Folge  leiatet." 


iM,Coo<^lc 


176    SiebanlM  Boclt.    Der  Statwümit  aad  d««  «tgentlidM  Segimeiil. 

Ihr  Beraf  i*t  oicbt  *a  strafen,  soDdem  lu  mh^bb;  nad 
desDoch,  obwohl  die  ftffentlicfae  Woblhhrt  das  Ziel  aller  ihrer 
HaDdloBgen  ist,  wird  sie 'oft  tob  dem  HlMMoeo,  nidtt 
selten  von  dem  Hasse  derer  begleitet,  fDr  deren  Wohl  ne 
tbätig  sein  soll.  Sie  sollte  ihrer  Beetimmung  nach  die  popu- 
lärste der  Statdgewalteo  sein,  und  wir  erfohren  es  l^lich, 
dasz  sie  die  unpojmlttrste  unter  allen  ist.  Woher  dieser  son- 
derbare Widerspruch?  Wir  köfloen  uns  auch  nicht  mit  der 
Ausflucht  trösten,  dasz  es  doch  rorzOglich  die  schlediten 
Leute  seien,  welche  vor  der  Polizei  eine  gerechte  Scheu 
haben.  Es  ist  nicht  immer  so.  Nicht  unwahr  hat  Goethe 
dem  Hephislopbeles  das  Wort  in  den  Mund  gelegt: 
Ich  w«Ui  mich  trefflicb  mit  der  Polizei, 
Doch  mit  dem  Blutbann  Khlecht  midi  »bio finden. 

Auch  unter  den  ruhigen,  friedlichen  Leuten  findet  man  bttufig 
eine  Aengstlichkeit  vor  der  Polizei  und  eine  Abneigung  gegen 
jede  Berührung  mit  derselben,  die  nicht  in  dem  bösen  Ge- 
wissen  ihren  Grund  hat.  Die  auflallende  Erscheinung  ver- 
langt eine  andwe  Erklärung. 

In  dem  alt-römischen  State  war  die  Polizei  groezartig 
und  mächtig  oi^nisirt,  und  wir  finden  dort  keine  Spur  dieses 
Hasses.  Die  edelsten  Uänner  der  Republik  suchten  in  der 
Uebung  der  Polizeigewatt  ilire  Elire.  Die  Aedilit&t  war  vor- 
zugsweise eine  polizeiliche  Magistratur,  und  sie  war  die  Pforte 
zu  den  höchsten  Aemtem  der  römischen  Republik.  Die  Cen- 
sur  war  der  höchste  Preis  des  Ehrgeizes  Air  den  moralischen 
Adel  und  ihr  war  die  SitteDpoliaei  anvertraut.  Die  Stat«- 
polizei  aber  wurde  von  den  Häuptern  der  Stadt,  von  den 
Consuln  verwaltet.  Die  Polizei  war  damals  nicht  als  Eine 
in  sich  verbundene  Institution  organisirt,  sie  war  an  verschie- 
dene Hagistrate  vertlieilt;  aber  schon  die  Theile  der  Polizei- 
gewalt gaben  dem  Magistrate  hohe  Ehre  und  Macht  zugleich. 
Die  Vergleichung  dieser  Zustände  mit  den  heutigen  hat  etwas 
Beschämendes  fur  den  modernen  StaL 


iM,Coo<^lc 


A«liM  CmfiM.    Die  BdUhL    1.  Dm  Wmh  ätmOm.         fTI 

b  den  gennjÜMdwa  Afittd*lter  kg  die  PoUnigewalt 
flnl  gan  danaedcr;  and  das  ist  jedenfiirila  ein  HBoptgrund, 
weezhalb  die  neue  Zeit  sieb  hier  bw  Mhr  wdttfer^  lutd  nicbl 
ebne  bdüfe  fiebwatdoin^  sureefat  fiadot.  Bm  ttbera«  wich- 
tig« Morsliaehe  SHattient,  dtr  ei^aiitliohe  Kern  aünr  wah- 
nn  PoliMi,  «ar  iia  Uittdalter  dem  Btate  eDtaegea.  Die 
Kirche  h—iftditigte  Mrti,  «t>n  dem  religiöaen  atandpunkts 
MM,  der  ganaSB  nomQsdMn  Swte  de«  öStniilit^en  Lebens. 
Der  Stat  trat  in  Aeaec  Hinsieht  sartak  und  ttberlieaz  ihr 
TOfftw  alle  wttliclM  Zneht.  UebcnioR  begünstigte  der  Oba- 
nkler  das  HUteialters  die  Selbsttedigkeit  der  cinaelDeB  6«- 
noasenw^aften ,  der  Fuiilien  ind  IndiTiduea  in  Qegensstse 
2«  den  latereaecn  der  Gesaoimlfaell  mit  solcher  Voiüebe ,  dasz 
«iae  ei»-  md  dar^grdfende  Statsgewalt,  wie  sie  ßtr  die 
Plriiaeieia  I^)eB8bedfi>fiDiKist,  Dnmftglich  gedeihen  konnte. 
Bei  jedem  fi^ritk  itiasz  sie  aaf  unllbereteigliehe  Recfate- 
«tbrankew  and  Tor  der  WiUk&r  der  Individaefi  muezie  die 
WiUkQr  da  fitatagenalt  aidi  best&odig  nirUekiiehen. 

GegtD  Ende  des  JfittelaUers  kam  dagegen  eine  Reaction: 
tiad  man  gerieth  bald  in  dnen  catgagengesetzten  Fehler. 
Dtf  wieder  starker  gewoidsiu  8tat  fing  an ,  in  der  Absiebt, 
die  Völker  glttcklieh  zu  naofaen,  sieb  in  alle  auc^  die  ihrer 
Katar  nach  individneilen  VeriiAitnIsse  der  Bürger  einaumi- 
aobeiL  E»  kam  ein  Sjstem  auf  der  allgemeinen  Be-  - 
Tormundung  und  der  Tielregiererei,  welches  die 
biracheeiMe  wie  Kinder  behanddie  und.  die  bOigerliche 
Srcibd*  anf  aUen  Seitan  dlnengte.  Von  Stats  wegen  wnrde 
Alks  geotdaet  mid  bdohleo,  der  Glaube ,  die  Sitte,  die  Nab- 
rang, die  Kfeidmg,  dia  Wobouag,  die  Bent&weise,  der 
Handel  and  Wandel.  Diese  Bewegung,  die  Drsprttnglieb 
webl  ^t  gOBtint,  aber  siAledit  gedtcfat  war,  dann  aber 
aacb  der  Imsaoralit&t  anf  Saite  derer,  weiche  «Mw  Gewalt 
ttblen,  Vorsefauh  kislate  und  m  nnaÜbligeB  HinbräDcbeo 
fttfarte,  rief  wieder  ihres  Gegensata  hervor,  und  tou  Neuem 

Blant*chli,  allgameineB  staurecht    U.  12 

n,g,t,7rJM,COO<^le 


17$     StckMtM  Buob.    Dtr  SuMimM  and  dM.dgMitUcW  hviitMnL 

Bucbte  man  A&e  Polüei  jeäe  die  Wofal&brt  tSrctcmde  Hadit 
abmspreohen  und  sie'  anf  die  HaodlMbinig  der  öOeBtticben 
and  P^ratneberheH  eümuchrftoken. 

Aas  dieses  Schwaalcuiigen  in  das  rabige  organisob« 
Gleichgewicht  ni  kommen  ond  die  Polisa  vou  llteuen  süt 
dem  Oeista  der  Moral  and  dar  £hre:cu  Mebea  nnd  an 
reieddn ,  dne  ist  die  Mafliche  Aul^gabe  der  Zuloiaft. 

Zu  diceem  Behuf  ist  vor  allen  Diagan  die  Idee  der  P»> 
lizei.xu  erkennen  und  dann  was  ihr  nic^t  angabört  auaaa- 
sebfiiden,  was  ihr  KikonnnI,  so  gewttbren.  Wie  aofaoa  der 
Naaie  Polizei  deutlich  datauf  hinweist,  ist  ria  eine  gana 
specifisdie  atatliche  nad  obrigkeitliche  Gewalt.  Die 
obrigkeitliehe  Horge  fttr  die  öffentliche  Sicher- 
heit and  Wohlfahrt  in  ihren  UgUchen  BedQrfhissen,  die 
Sorge  als  befehlende  und  rerbietende  als  eingrei- 
fend wirksame  Stat^ewalt  ist  die  Ao^g^te  nnd  da« 
Wesen  der  Polisei.  Ihre  Wirluamkeit  ist  daher  wie  keine 
andere  DnaUflssig  thOtig,  immer  bereit,  das  NOthige  anao- 
ordnen.  Sie  darf  nie  schlafen,  nie  feiera.  Wurde  öe  ftiem 
könneo,  so  wftre  das  ein  Zeichen,  dasz  es  am  gemeia- 
samoi  Leben  fehlt  Wo  ein  CO^ntliches  BedOrftaisz  sich  regt, 
da  musz  sie  bei  der  Hand  sein  and  von  sich  aus  helfen. 
Sie  hat  einen  eigenen  Willen  und  settt  ihn  selbstindig 
ohne  Zögerang  durch.  Sie  ist  in  gan«  besoodefem  Sinne 
Gewalt. 

Es  ist  ein  TergebBches  BemCthen,  die  einseJnen  Bieh- 
tangen  der  polizeilichen  Tbfttigkeit  geoan  abstecken  and  die 
Art  dMselben  mit  miontioser  Sorgfldt  zum  roraw  be«tiinmes 
nnd  ordnen  zu  wollen.  Die  PoUzei  gebt  Ton  dem  Geolnun 
des  States  aus  nach  allen  Richtungen  der  Peripherie,  nnd 
kana  den  maaaichflaltigen  Anregungen  des  Lebens  nur  g»> 
nDgen,  wmn  sie  mit  innerer  i<Veiheit  thot,  was  der  Moment 
nnd  die  ESgenthfimlidikeit  jedes  einzelnen  Falles,  auch  des 
oidit  Torhergesehenea  fordest.    Ihre  Aeunemngen  sind  so 


iM,CoO<^lL' 


AcbtM  Ckpitd.    Die  Folixd.    1.  Du  Wckd  deradben.         179 

reichhaltig  und  verschiedenartig,  wie  die  Erscheinongen  des 
Lebens,  anf  welche  sie  sich  beziehen.' 

ESne  gewisse  Willkür,  ä.  h.  die  freie  Wahl  der  in 
jedem  Augenblick  geeigneten  Mittel  ^u  dem  gewOnschten 
Zweck,  ist  daher  Ton  dem  Wesen  der  Polizei  anzertrennlich. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


t80    SiebanM  Buch.    D«r  St&UdieBct  aad  das  eige&tllck«  Regiment. 

der  Beschwerde  je  an  eine  obere  Imtssz  und  die  Be* 
achränkuug  der  Polizeigewalt  «elbst  diu^  ein  Poliseigeaetz- 
bucb.  Dm  eratere  wird  üherdem  durch  die  alleBthalben 
sidttbue  Sdieu  der  eberu  PoliaeÜBstaiweii,  die  AutociUU  d« 
untern  sa  gefährden,  w«aan  sie  den  klagenden  nrivBipersoncB 
Recht  geben ,  gewottolieh  sehr  ersdiweit,  und  daa  letztere 
kuin  zwar  fOi  die  gewObbliefaen  FAUe,  oamentlieh  fUr  ge- 
wöhnliche FttUe  der  Unordnung  und  Polizeiübertretang,  die 
Palizeäb«amteo  an  ein  ricbtiges  Uaez  gew(>lm«n  und  vor 
Uebettreibung  ihrer  ZlchUgangsgewalt  rerfaßten.,  aber  dn- 
möglicb  Btureidtende  Hülfe  gewätn«n  und  leidit  in  den  ent> 
gegengesetzten  Fetter  zu  enger  Besebrfinkung  der  fr^en 
Bewegung  auch  der  Poliseigewalt  ▼erblleo. 

Hier  liegt  eis  auffalleoder  Ifangel  in  der  Ausbildung 
des  modernea  Statsrechts.  Mir  scheint,  es  ist  hier  der  Ort, 
eine  rOmisehe  InsÜbitioa  wieder  aufian^men  und  nad)zu> 
bilden.  I>er  römiacbc  Grundsatz,  der  Intercession  anee 
Magistrats  yrm  gleicher  oder  höherer  Gewalt,  oder  der  dazu 
eigens  ernäcbtigt  ist  —  wie  die  römischen  Volkstribunen 
es  wareo  —  pasat  für  die  Organisation  der  Polizeigewalt 
vortrefflich.  Eben  wo  rasches  durofagrtifendes  Handeln  nOth^ 
ist,  da  musz  auch  Cur  eise  ebenso  rasche  und  plötzliche  Hem* 
mung  verkehrten  Handelns  gesorgt  werden :  und  das  geschieht 
niebt  geaugead  durch  den  Instanxenzug  an  eine  höhere  und 
oft  fwne  Stelle,  sondem  besser  dureh  de«  Veto  oder  Mego 
einer  gleichen  und  daher  gewöhnlich  nahen  Beamtung. 

Dann  aber  ist  die  Zulfissigkeit  einer  relativen  Willkttr 
nur  da  zu  rechtfertigen,  wenn  ihr  eine  strenge  Verant- 
wortlichkeit dessen,  der  sie  übt,  als  Gegengewicht  zur 
Seite  steht.  Je  gröszer  das  Masz  der  bewilligten  'Willkür 
ist,  UB)  so  owhr  mnsz  aueh  der  Ernst  der  VerantworÜichkeit 
Stetgen.  Das  bedarf  aber  einer  ganz  andern  Organisation, 
als  wir  in  dem  heutigen  Instanzenziig  haben.  Es  mUsseu 
fUr    b^de    entgegengeeetzte    Bedurifaisse    und    Richtungen 

n,g,t,7rJM,COO<^IC 


AditM  Ctpftel.    IMe  PoliMJ.    1.  Du  Wesen  derwlbm.         181 

sogleich  Garantien  geschaffen  werden,  ftlr  die  nöthige  Freiheit 
der  Polizei,  Alles  zu  thun,  wae  das  Statswohl  im  Augen- 
blick fordert,  und  für  das  Recht  der  Bürger,  g^en  Misz- 
braiich  dieser  Gewalt  geschützt  zu  werden.  Wer  jene  Ge* 
walt  wenn  aach  noeh  so  einschneidend  Übt,  mosz  «icher  sein, 
einen  Richter  seiner  That  m  finden,  der  dieselbe  nicht  mit 
dem  Hassstab«  des  Qvilrichten,  sondern  mit  der  ntfthigen 
BerUcftmchtJgHiig  der  politischen  Kator  und  Au^be  zn  be- 
ortbcrilen  versteht.  Und  wenn  er  dieselbe  wirUieh  tnhiz- 
braucht,  so  musc  er  auch  In  seiner  Person  die  Uebel  des 
Hissbraachs  eroetlieh  erfahren,  indem  er  weder  der  Ent* 
Schädigung  an  den  verletzten  Privaten  noch  der  Busze  entgeht. 

Wichtiger  aber  noch ,  und  diesen  Einrichtungen  erst  die 
rechte  SrfUllaog  gewtüuend,  ist  die  persönliche  tJmge- 
stahong  und  Hebong  der  Polisei.  Auch  hier  ist  das  rOmische 
8latsrc(.-ht  ein  Vorbild  fdr  spätere  Zelten.  Soll  die  Polizei 
wieder  eine  grosze  moralische  Macht  dee  Stetes  wer- 
den, SD  ist  das  Wichtigete  dieses^  dasi  die  durefa  ihren  imk 
raliscTien  Charakter  angesehensten  Uänner  vorzugsweise  fUr 
diese  statliche  Function  bemfeu  und  gewonnen  werden.  Von 
Friedrieb  Robner,  der  eine  verbesserte  Oifaoisation  der 
Polizei  fUr  das  dringendste  StatsbedUrfnisz  unserer  Zdt  w- 
klfirt  hat,  wurde  die  Idee  ausgesprochen,  dasz  die  Stiftung 
grosoer,  den  Charakter  und  die  Thatkraft  ganzer 
Manner  concentrirender  Orden,  deren  Hitglieder,  ohne 
bureaukreüsche  Beamte  zu  sein,  mit  durchgreifender  Gewalt 
ausgestattet  werden  und  deren  organisirte  Verbindung  die 
Verentwortüehkeit  mir  Wahrheit  mache,  das  geeignetste 
Mittet  sä,  jenes  Bedflrfhisz  zn  befriedigen. 

In  dem  Institute  der  englisehen  Friedensrichter 
ist  auch  für  den  moderoeH  Stat  eine  Eärperacbaft  aogeaa- 
hener,  unabhängiger  und  gebildeter  Männer  dargestellt,  wel- 
chen ein  Theil  der  öQlentlichen  Polizeigewalt  anvertraut  ist. 


iM,Coo<^lc 


lg]    SiebenlM  Bncfa.    Der  SUUdiout  nnd  du  eigMtlkb«  RagimenL      - 

NdUtAB  GapiteL 

Die  Ollederang  und  die  Hanplfunciianeo  der  Polizei^walt. 

In  dem  Begriffs  der  Polizei  losaeu  sich  wohl  swei  Haupt- 
riohtuDgen  dereelbsii  unteisoheideu,  die  ^e  negative, 
welche  den  drofaendeD  Schaden  abwendet  und  die  Hioder- 
niase  der  fireien  Bewegung  entfernt,  die  andere  poaitire, 
weLohe  das  Gemeiowobl  fßrdert  Die  erstwe  conserri- 
rende  hat  man  dann  Sicherheits-,  die  zweite  produc- 
tive    Wohlfahrtspolizei  *    genannt.     Aber    im    Leben 

■  Ea  )8t  eine  wunderliche  GrilJe  dnzelner  Pablidaten,  welche  in  dem 
Stute  nur  die  RecfatBordnang  sekea,  die  „Wohlfobrtapoliiel"  und  d»- 
mit  gerade  dh  practUeli  wlcliiig«te  und  wohlthUigaU  8«ite  der  Polizei 
in  verwerfen.  Aretio  i.  B.  CpoBtitutiooellet  StaUreokt  II.  S.  178  mdnte 
wirklich:  „Die  WofairahrUpolizei  tei  ein  offenbarer  Eiogriff  in  die  Frei* 
heit  der  SlatabUi^er."  Fast  komisch  ist  aber  seine  Ausdlbrung,  daat 
Recht  und  Wohlfahrt  (Juatltia  et  saluB  publica)  «ich  g^nadUf  aafliebeti 
mnd  wideraprMben ,  als  ob  die  Bewahrung  dea  RechUa  Dothwendig  lam 
üntei^aog  der  Wohltbhrt,  und  die  Förderang  der  Wobifiihrt  zur  Zer* 
■törung  des  Rechtes  fähren  müszle.  Wttre  dem  so,  dann  wäre  es  doch 
schwerlich  der  Hübe  werth,  das  Recht,  wie  Aretin  es  that,  tum  alleini- 
gen Statsaweek  la  erhcban,  and  den  8t«t  so  zu  daer  Zwangaustalt  in 
machen ,  deren  Bewohner  auf  gemeiuMme  Wohlfohrt  wie  die  Terdtaimten 
in  Dante's  Hölle  auf  jede  Seligkeit  verzichten  müsiten.  Er  bemerkt 
darütver:  „Will  man  aber  behaupten,  die  Rechts hcrrschaft  und  die  Wohl- 
fahrt wlM  der  Statszweck,  so  nimmt  man  zwei  Zwecke  an,  die  Dberdaa 
einander  geradezu  aufheben.  Die  Benht^errschtft  vom  State  verlangen, 
heiazt  ihn  verpflichten,  die  Rechte  jedes  Einzelnen  zu  schützen  und  zu 
achten;  die  Wohlfahrt  von  ihm  verlangen,  heiszt  ihn  aufTordern,  ^ie 
Rechte  der  Binseinen  sn  verletzen  (?),  weil  die  Xiltd ,  wodareh  die  Ordne, 
die  Macht,  der  Kobm,  der  Wohlstand  einer  Naüon  befi>rdert  werden  aoJl, 
in  der  Regel  von  der  Art  sind  (7),  dasz  jene  Rechte  dadurch  beeinträch- 
tigt werden.  Wer  also  beides  zugleich  begehrt,  überlftszt  der  Regiemng 
zwischen  zwei  Auftrügen  die  Wahl  (?),  and  musi  sich  darein  ergeben, 
dam  sie  den  gUnzendena  und  inhattvoUem  vorcieltt.''  Nicht  data  dla 
PoUsei  rur  d««  gemeine  WoU  sorgt,  ist  flir  die  Freiheit  geOhrlich  noch 
flir  das  Recht  bedrohiich,  aondem  wenn  de  diese  Sorge  angeschickt 
nnd  nnrechtmiazig  ansUbt.  Tgl.  da«  Hauptwerk  von  R.  Hohl: 
.Die  Polizeiwissenscbaft.''    Hohl  ist  indessen  I.  S.  10  im  Begriffe  geneigt, 


iM,Coo<^lc 


MiMlii  OuftM.    BMpMMMttoMii  der  PoHM^gn-ilt  ]8S 

«Jwidea  «ch  diue  bcidiD  fonnellan  HiehtaDgen  nicht,  aon^ 
(taro  lugleieh  aacfa  beid«»  ßelten  hm  wirict  die  Idite 
polia^HcK«  TbaägkeÜ  In  sdu-  ri«len  Fftllui  raiobt  Kbmi 
die  WegMMnBong  von  Hindeniiwea  hin,  am  der  Bewegung 
des  Lebens  Lull  so  TersehsCMi.  Indem  die  PoUzd  daa  Diel»- 
geoindH  verfelgt  and  die  Strawen  reiaigi,  Kidert  sie  engleiek 
den  fmieo  Teriiek-.  A1>er  in  andern  Fil)en  rerbindet  sie  mit 
den  negMliren  Mnuaregeln  a«ch  die  postttre«.  Bei  Endemien 
soi^  sie  nicht  blosz  fnr  Absperrung  der  Kranken ,  sonder« 
zugleich  fUr  die  nßthige  HUlfeleistung.  Es  ist  ehte  fehler- 
hafte BescfarAnkung  der  modernen  PoHsei,  besonders  in 
mcaalisohen  Beiäehangea ,  dass  sie  nar  dem  Uebel  hemmend 
In  den  Weg  tritt  und  sb  wenig  für  die  Forderung  des  Guten 
thitig  ist  Der  Organiswu  der  PolisN  darf  daher  nicht  nach 
dieser  CntoseheidnDg  gespalten  werden,  damit  nicht,  was 
sich  wediselweise  bedingt  und  anterstfltst,  durch  die  ^«1- 
tUBg  anwirlvam  weide. 

Femer  ist  es  bot  eine  ftmMUe  Unterseheidang,  wenn 
die  Polizei  in  eine  pr&rentire,  weiche  dem  drohenden 
Schaden'  dar  Znkanft  surorEukommen  und  ihn  durch  ihre 
Ihsaregeta  f^wohalten  saeiw,  nnd  in  eine  repressir«  ein- 
geUteilt  wird ,  welche  die  bereits  eit^etretene  Verletzung  der 
Reobtssioberbeit  kd  beseitigen  oder  den  ToriiandeneD  Schaden 
zu  bessern  unternehme. 

Dnrefa  diese  £intbeihnig  wird  freilieh  nar  die  conservi- 
i«ade  Beite  der  Polizei  betrofltan , .  die  produolir  fordernde 
aber  nar  mittalbar  bwuhrt  lasofem  ist  dieeetbe  somit  an- 
genagond.  Ameh  ist  es  ein  iwnr  Terbreltatar  aber  graber 
Inrthmn,  daai  das  Wesen  aller  Polizei  in   der  PrtTention 


Aw  JPoliari  DV  da  DcgsIfTen  Zweck  „dn-  BewHig«i|r  alter  Blndn« 
UM"  zaaaicihreibni ,  ,w«lc))«  du  allKittgaD  erlMbtcn  KatwleklBBC  d«r 
MeaBchcnkrftfte"  im  Wege  iteben.  Im  Eiaidiicn  betpricht  er  aber  doch 
«Im  B^ka  Ton  AMialtm,  wd<te  aw  «iBatlteiM  Wohl  pMlttv  ßrdem. 
Die  neaere  BcarbelUiBg  dw  PotUdrtcUa  M  toi  ZlMmerttaan. 


iM,Coo<^lc 


ist    Slebentn  Baeh.    Dw  8l— UMit  nd  du  dguOiifa  Iteglmeiit 

bc^.  Wem  die  PaHaä  flkr  die  fiMoadheii  dea  VcriiM 
sorgl,  iadem  «ie  Buinpfe  trtdan  legt,  in  4am  -SHdlen  rii» 
Mg«!!  Ommii  and  Winkel  bcMiligt,  grottt  firtie  nites  u» 
legt,  die  Litft  reönigt,  BisBaCB  e»idit«t,  M  kummt  siA  fmä» 
lieh  indireet  aneh  muMdter  £MnklMit  zaror  und  iMVirkt 
sudi  wofal,  dsai  «olc^,  wass  aie  tvoizdan  «raeheimn,  we> 
niger  Ytrwüätxmg  aarlchten.  Du  Wesen  liegt  aber  laer 
weder  in  der  PrttreBtioa  noch  in  der  Eepreoioa,  Madent  io 
positiver  Förderang  des  oornielen  G-esandheits- 
»ustandes. 

Am  besten  wird  die  Po1dk<  nach  den  vencfaled«ieii 
Hauptst>bAren  des  Lebens,  in  denca  ibre  WirksniBkeit 
mätkig  wird,  eingetheilt  nod  orgmiatrt. '^  Die  Tersoliiedcnsn 
BedUrtisisse  dieser  Bphaieo  erfordern  gewfifanbcb  ancb  be- 
seadere  Kenntnisse,  AnslalleB  «od  eigeaAämtiche  Beband- 
lungsweiee.  -  Nnr  jdnrf  man  sieh  diese  Kreise  nicht  als  völlig 
abgeschlossen  Torstellen  und  nicht  vergessan,  daatdie  Qegen* 
stAnd«,  aaf  welefae  die  Potiasi  sieb  beeieben  tnas,  durch 
solt^  Eintheilong  nielit  TOHstttadig  nmfaaat  werden  kAnnan^ 
wenn  nicht  ein  weitgreifieoder  Vorbehalt  gemacW  wird,  in 
deni  sich  die  rariae  «aosanini  ägurae  nur  Jfoth  uiierbriagaa 
lassen. 

Unser»  Aufbasnag  vom  State  eolsprieht  fi^eode  QÜe- 
derung  dieser  Hauptsphftrea. 

L  Höbe  Polizei,  fitätspoliaei  im  engem  StoH.  Ich 
Temtdie  darnntBr  die  Sorge  fDr  die  Existenz  und  Sicher* 
h«it  des  Statas  selbat,  lo  seinem  Ituem.  In  ihr  tritt  der 
politisob«  ObaiiaUer  der  Poliaei  am  bestimHdesteB.berror. 
Was  immpr  den  LendesAieden  zu  ersohuttero  droht,  fordert 
ihre  Thätigkeit  heraus.  In  den  meisten  Fallen  werden  die 
gawjMinUdiea,  von  dem  Oeaetae  vorausgesebenen  oder 
innerhalb  der  bestehenden  Rechtsordnung  sich   bewegenden 

'  Hohl  hmt  mä»  W«k  mtt  Reoht  uefa  ««Mm  PiiMip  b«qi4mc  Vgl. 
auch  K.  BiAtaf  Bluter  tir  admin.  Praxis.  18H.  ».  X 


iM,Coo<^le 


■iniliiiiliWi  «ad  ihfmitßkmmaBXumrtMhtn.  bi  «iMiIMniM*- 
Üdnn  -SmUUIm  aber  erb^t  och  di»  hohe  PoHaei  m  dar 
Aannbmsgevalt,  weloh«  die  BaUluif  das  0Mt  vw  «Um 
wdcta  Rltakmdiien  Jdt  in  Auge  hwrt^  uad  n  dieam 
Z#ec^  die  voll»  etutiBSbe  Ifaehi  «nttUM. 

II.  IndividaftlpoliBsi;  d.  L  dla  flnigs  für  die  £xt> 
Stent  lad  Sich«rheit  des  BeoM«  der  IndiTJditea.  Da- 
tM  gcMrt: 

1.  Zkie  6orge  Ibr  die  firsfikraa«  der  BeriHkerao^ 
(Nahrungeftolisei).  Die  praoliathea  RMner  hatraehtefam 
dtoMlbe  al»  oae  der  wioktigstao  TbUigteiH»  der  bObern 
liaglMlKte.  Die  ple^ejiuhea  ond  die  ournlie«heB  A» 
dilen  rnndet«  üwe  hödwie  AufaMricMmkalt  darmf^  dtu 
«  bi  Bfm  aie  an'kinreidModen  OetnaidertnrilheD  Sohle.,  aad 
•fiftterUti  war  ee  dieat  florge,  weMi*  die  Keiwr  mit  Eraet 
MriBfaoi'  tmA  dorob  waMe  sie  £e  VidltaBMateD  ia  Bott 
fBr  «ob  goaMaBD. 

Dos  Privatintereae«  and  dar  Pritat/Ieiez  irarden 
(MUA  das  Meiste  aad  Beste  thua;  und  die  «Igeoüicbe 
Statswirthschaft  Iwt  die  Aurgab«,  durcb  ibre  wirlb- 
saballbefceD  Masaregdn  deai  tMwl  saronukoaisaeit  iisd  das- 
•elba  m  Hodera.  Aber  beides  reicht  nicht  inuaer  so,  di« 
Notli  ahaawrmdia  oder  z»  btotbgeD. 

INe  KoUi  kana  ao  gross  «erdsQ,  dasi  nar  oocfa  die 
dorobgreifende  Poliseigewalt  des  States  ibr  waiger- 
manen  zu  begegsen  renaag;  snd  da  ist  es  Aui^abe  des 
etatsB,  mit  seiasr  Maebt  Hulfa  su  ssbaftai.  DsStr  aasz  er 
im  Varöae  mtt  der  Statsifirtbsofaeft  nad  der  PrivaUhAtig- 
keft  aitA  voraorgbch  i«steo  nad   der  steigewlei]  Noth   nit 

■  TMttm  AnuL  t  ton  A«gu««ni:  „raUiUM  daoi«,  f€fttkmm  «•■ 
TOM,  ennctofl  dnlcedin«  otii  pdlexiL"  Thim  Ri^al.  bsn«.  U.  )13; 
,L'«neienne  polioe  «vait  ningi  le  aoin  des  sabeialkacM  au  rang  de  «es 
kltrilMiUoDi,  coinm«  od  derobjMls  qai  inttoMsientle  pliu  U  tranquillite 


iM,Coo<^lc 


Ue    SfebMtw  B*uk.     Dar  St^taUnat  n»d  dM  aignUMw  Kegiment. 

oswieUiRar  Sorge  begegBM.  I!ii»6tne  Mittoi  amd:  EanUAlm^ 
und  BegüiMtigniig  der  fröen  B&nfiihr  «itttier  BeUlideraBg 
oder  Brschw«rang  der  Aus&ihr  von  LefacDsattttria  in  Seitau' 
der  TheueruD^,  £rwert>  nad  VeiweiuhBig  von  SMiroreUlMa., 
Beschrftnkung  Qbermiangw  Oonsnmtioo,  sontit  sie  im  B»- 
reidie  der  Statogewnlt-  liegt  u.  a.  f.  > 

-  Aber  ench  dem  gewöhnlichen  t^icfaeo  Verlcefar  gegen- 
flber  darf  die  Polizei  nicht  mUszig  sein.  Wenn  der  W ucker 
mit  der  Xelirui^  dea  Volke«  ein  bAsee  Sjnei  treibt,  und  den 
Haagel  de«  Volkes  beantst,  am  die  gewoholiofaen  Lebeas-' 
nütlei  kftnatlicfa  zu  TtHtlienen),  so  darf  sie  nieht  die  fMweo 
vor-  der  gereohteo  Klage  dea  Volkes  versohlieszen,  sood^B 
sott  dam  Wueher  eteu^m,  welober  fiecMeaartig  neh  Qbar 
dea  Veikwhr  vnrtweitet  uwl'die  dem  Volke  anentb^wIMiaa - 
Sille  an  aich  saugt  Der  Slat  aaai  dafür  sor^a,  desi  di« 
BfeaecheD  neben  eiaander  beateben  kOmien  tnd  nicht  ctte 
Freiheit  und  das  Recht  Einzelner  zur  Untretheit  und  «am 
Cnreefat  Ar  die  Menge  rerk^rt  werde. 

%.  Die  8orge  für  die  leibtlckeGcsondheit  des  Volks. 
(Oeaundheitspolizei.)    Dahin  geMlren: 

a)  Die  AoMcbt  ober  Aersta,  Wundärzte,  Apottaa- 
ker.  Hebammen,  welche  nur  ftlr  fttbig  erkannte  Persooea 
zur  AnsQbung  solchen  Berufes  zal&szt,  und  PAiaekar  oad 
Q«aokaalber  ferne  halt  Auch  hier,  wie  fn  allen  Dingen 
des  vielgeetaltigea  Lebens,  ist  iodessen  im  Binsdnen  mit 
freier  BerUcteicfaügung  der  Umrttodezu  rerflihren,  und  «nd 
den  gewrAhDliehen  Regeln  auch  die  etfoiderlieheR  Aaanalimeo 
e^lAazend  anzureibcD.  In  den  meisten  neuem  Staken  werden 
auch  eigene  Uedieinalbeamte  bestellt,  tlmls  «ir  Ver- 
waltung der  Oesundheitspolizei ,  theils  zur  Ausübung  der 
Arzneikvnde  selbst  in  Fällen,  bei  welchen  der  Stat  näher 
betheiligt  ist. 


Mohl  I.  s.  HU  ff. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


IfnniM  C^itol.    BMpttateUoBCO  der  PoUuiBMnll.  (ST 

b)  Die  OflBBnBichea  MMwoggln  nir  Abwehr  oAerBiD* 
grftBSDiig  von  anttteckeodflD  Krankheiten,  s,  B.  Cod* 
tumaz-  und  QaRrantaiDeaiistalten,  Vorachriflen  abtr  Sdiat»* 
poekeointiAiBg.  TAe  groasartigste  Eänrißhlung  dar  Art  ist 
wohl  die  Oetemidiiache  MilitiigrftBBe  gegen  die  Tnrket 

o)  Die  Ueberwacbung  dsrUftrkte  mit  Lcbenemitteln, 
und  die  BeaehrtbilEUDg  des  Verkehr»  mit  oareifen  und  nn- 
gaaunden  Nahmngainitteln^  daa  Baitiiäs  mit  GiftrioA«  r.  &  f. 
.  d>  Die  OffentUctten  AoetaJten  fQr  Heilnag  utid  Pflege 
knuiker  Penonen,  soweit  die  Familienaorge  siebt'  auaveieht, 
Spitftler,  Irreohftn»er,OebaraDStalteD,  öffentliohe 
Bäder,  Rettungaanatalten  fQr  verunglaekte  Penonea. 

e)  An  die  Senge  f>r  die  Getandheit  der  Hensdtea  r«hen 
sieh  an  die  Anatalten  und  Masaregeln,  um  die  OeBundbeit 
des  Vieba  rot  Seochen  s«  bewiAreo. 

3.  Die  Sicherheitspolizei.    Dahin  sind  au  reehneo; 

a)  Die  Sorge  fllr  Offentlicbe  Wacbea.  Die  Inatitute 
der  Oendarmerie,  der  EoMtabler,  der  SofaatiaiinB«,  der 
Nachtwftohter  u.  s.  fd  dienen  der  Polnei  fbeiUeb  nach  ver- 
whiedeDen  Richtungeti ,  wie  denn  überhaupt  daa  lu  der  Eigen- 
tbomliehkeit  dea  Poliaeiwetens  gehfirt,  daai  die  einaelnra 
Zweige  ihrer  Th&ligkeil  in  wecbselseiliger  Besiehnng  aa 
einaadw  stehen. 

b)  Die  Todtenschan  und  die  Aufaiobt  über  daa  Be- 
grfibnisz.    (Leidwnbüaaer,  KirchbOfe,  Gräften.) 

c)  Die  Fenerpolicei,  welche  darch  Voradiriften  ftkr 
Anlage  von  Feuerstellen  und  BeaafNchtigBng  dertelben 
die  künftige  Feuersgefahr  zu  Termindem,  durch  LOsoh- 
anstalten  ilie  eingetretene  zu  bewttltigea,  durch  ärttadnng 
von  Aftseoaranzen   den  Bmodsohaden  za  ersetsen  strebt. 

d)  Die  Sorge  für  die  Recbtaaieherheit  dar  Privaten 
(Sicherheitspolizei. im  engern  Sinne). 

In  dieaer  Beziehung  Icommt  voizOglich  das  Verholtniu 
der  PoUsai  txa  iastiz  in  Betracht.   Ihre  beiderMitigea  (üebiete 


iM,CoO<^lL' 


188    SicbcBtu  Bwib.    Der  StatsdkMt  nJ  da«  eigutÜeU  B^naevt. 

bomhiea  sidi  hier,  und  die  £Mlnaea  «lud  in  «inelnen 
FaUbd  Dar  mit  Hübe  xs  fioden.  Itamo^  sind  dieselbeD 
MiageMhMden ,  «ad  Bollmi  es  «eÜL 

Aufgabe  der  Poiixei  i»t  nicbt  die  Terwaltanf  nnd 
Handhatung  der  G«cecfatigkeit,  mmtian  die  Sorg« 
far  die  Rahe  nad  Sieherfaeil  Die  Ptdizei  schUtit  gegen 
die  th^siehliehe  Verleteuog  derselben,  bc^ftmpft  dm  ge- 
wslteMCB  Broeh  des  Bfendicfaep  Friedcna,  «nd  reitiägt  die 
Feiade  der  Reehtorardtiiing,  welcbe  dieMibe  mit  Hirca  An- 
grifln  bedroben  and  die  gemeine  SioherhiMt  stßren.  Dia 
reehtliche  Beurtfaeiluug  aber  der  Sekald,  der  Spruch  Ul>er 
daa  itrettige  Beehl;,  die  Verartheilong  der  Vertrecher  ist 
niefat  ihrei  Amts,  und  wohin  der  Arm  der  Gerechtigkeit  zu 
reiobca  die  Macht  hat,  da  äebt  sich  die  Pt^ui  Korück  od» 
verhält  sich  nur  hülfreieh  oad  ualentUtsEetid  zu  jeaer,  nieht 
aber  aU  cnocurrirende  Gewalt  handelad. 

Aasaerbalb  dieses  Bereiches  aber  greift  cie,  wo  es  noth 
ÜiQt,  mit  Maeht  eia,  jeden  Wideratand  brechend.  Zu  Aetnm 
Behuf  wurde  in  den  meialen  Staieo  der  Polsei  ein  beaehrlnk' 
tes  Zflehtigungsreeht  xiigeetaDden  nod  ein  ZUcMgung»- 
recht  ther  als  ein  Strairedit,  datm  die  Straie  wird  tot  alledi 
am  der  Gerechtigkeit  willen  verhängt,  die  Zttdttigung  aber 
Tomehmlich  um  der  Öffentlichen  Sicherheit,  der  ^ndhabaag 
de«  Anatandes,  derDtscipliD  willen.  Wird  der  PoHaeigewalt 
jedes  Recht  em  Zuehtigong  abg*i|MOchtii ,  oder  wird  die 
AosQbong  dersalbeD  an  rerwiekelte  Prooeadionnen  geboaden, 
•o  entsteht  dieOefafar,  dass  ihre  Uaclit  ODwirksam  oder  die 
Ausübung  derselbai  sckwerfälüg  werde,  was  beides  in 
Widersprach  ist  nü  der  ganzen  -An^ptbe  dar  FDliaei.  la 
neiMrer  Zeit  habaa  aber  maaohe  Staten  nach  dem  Verbilde 
TOn  Frankreich  aoge&BgeD,  auck  die  Ahndung  von  Po- 
lizeiubertretungen  den  PcdizctbehOrdeti  wegznndimen 
and  an  die  Gerichte  so  übergeben.  Mao  erwirbt  dadurch 
eine  grOszere  Garantie  gegen  MiwbtaMch  der  PolisedgevaK, 


nigiti/cdtvCoC^Ic 


Ktnntf»  C^lel.    HanptfinwtiQocn  der  PottadgewalL  tS9 

aber  «dl  diewlbe  nicht  dadarch  gdftkmt  werden,  so  ist  et 
doppelt  nOtbif;,  sowohl  dio  BtfogBÖaz  der  Potisei,  inicrhalb 
der  gesetzlichen  Schranken,  PoKzeistrafen  ■nzodrohen,  auf- 
recht zu  kalten ,  als  die  Oerichto  zu  rerpäicbten ,  dasz  sie 
tfe  gnettlich  cotnpeteDteu  I^liEeircrordDUBgen  nnd  Befehle 
nicht  aat  dem  Standpnnkle  der  Zwet^mftszigkeit'  prttfen, 
sondern  daraof  die  Strafbarbelt  gründen. 

Aber  aneh  in  den  SMeo,  wo  die  BestraAin^  der  P(4iset- 
Qbertretnngea  flbeAftspt  den  Gerichten  rorbeheltea  iat,  wird 
doch  der  Po^ej  als  EzecnÜTmittel  ein  Reobt  sn  geving- 
fbgigCB  Ordnnngn-  und  UngehorBamsstrafon  zttgcstanden. 

Auf  ihrem  eigenen  G^iete  ist  die  Pofisei  tob  den 
Gerichten  dnrebaus  unabhängig,  wie  diese  auf  dem  ihrigen 
Ton  jener.  E^n  Reotn-srerftüirai  von  jener  an  diese  ist  da- 
her onstatthaft,  u»d  (Ue  gerichtliehe  Verantvrortlid^eit  der 
PoiiaübehOrden  ist  in  der  Hauptsache  nach  den  nftnlichen 
GnndsälaeB  sn  reguHren,  wie  die  der  ftbrigen  Beamten. 
Da  indessen  die  Polizei,  wenn  riß  je  n^cb  Umständen  tusch 
nnd  energisch  (ür  die  8idter1>eit  sorgen  «»11,  einer  gewissen 
Willkär,  welche  Dach  freien  Ennessen  das  Nötbige  beschliesat, 
unuingttngfich  bedarf,  so  sind  allerdings  die  Bedenken  grosK, 
dasz  sie.  diese  Stellung  miszbraudie.  und  die  Freiheit  nnd 
das  Recht  aneh  der  Indiridnea  zu  leicht  hintansetze  and  ver- 
letze. Eine  rerscbärfte,  wenn  auch  nicht  gerichlliebe  Ver- 
antworttkhk^t,  welche  (He  PoKzeigewalt  nicht  Uhrat,  und 
ihre  Handlungen  auch  aus  dem  polizeilichen  Standpunkte 
benrtbeilt,  ober  zugleich  jeden  Miszbrancfa  und  jede  Inhuroa- 
nitU  streng  rügt,  wttre  daher  eine  wohItbM%ere  und  pno 
tieehere  ESnrichtnng  als  eis  nmlsssendes  Polizeigesetzbndi, 
weldies  äea  Detail  des  Lebens  nnd  seiner  Bedbrfsisse  doch 
nicht  zum  voraas  objeetir  aa  r^eln  vermag. 

Soweit  aber  die  Polizei  nur  die  Stra%«icbtsbarkeit  zo 
nnterstutsen  berudBn  ist,  die  sogenannte  gerichtliche  Po- 
liaei  (police  ^wdictotre)  ist  durchaus  den  Gerichten  nnler* 

n,g,t,7rJM,C00<^lc 


IM    SiebMitw  Bwch.    Der  etitodiaut  ond  dsi  etgentUdte  fiegiment. 

nicht  nrttengeordaet,  aod  hat  die  Aaftrftge  eiitfaeh  m  roll- 
■idiMt,  wekb«  die  Oericfale  ihr  erttieilea. 

III.    Die  Culturpolizei. 

Wir  notenobeiden  sehr  beitimint  die  Cultar,  deren 
Charakter  Pflege  nnd  die  CuUnrpoliKei,  deren  Charakter 
Qewalt-ist,  in  ders^ben  Weise,  wie  wir  die  Statswirtb- 
Schaft  Ton  der  Wirthscteftapolizei  Dateracbeöden.  IMe  Poliaa 
erstreckt  rieh  Qber  i^e  Geriete  des  OftnilieheD  Lebens,  alao 
auch  8ttf  die  Caltnr-  and  die  WirthKlMflaverhttltDiiM,  über 
immer  nur  unter  der  Voranneiirang,  dasE  du  öf!entlidie 
Bedürfnin  die  Uefatang  der  Gewalt  erheischt,  rnid  »icfat  Über 
dietei  BedtiWsz  hinaue.  Wo  es  aber  der  befehlenden  oder 
▼erbieieBdea  Ctewalt  bedarf,  da  ist  ihr  aaefa  die  Pflege 
untergeordnet,  und  keineswegs  die  Poliaei  ein  abhängiges 
AnbUtgsel  der  Piege.  Wo  die  Pfl^e  von  sich  aus  den  Be- 
dUrhissen  Befriedigung  rerscbafft,  da  bedarf  es  fteilioh  der 
CaltnrpcdiMi  nicht;  ee  ist  aber  eine  %upta»fgsbe  dieser, 
darüber  m  wachen,  dasz  die  Pfl^e  ihre  Pflicht  nicht  rer> 
nachliscige -,  and  wo  jene  einschietten  niuss,  wird  sie  wiedw 
die  Beihulfe  der  Pfl^e  ansprechen.  Darauf  beruht  der 
organische  Znsammenbang  der  verschiedeaen  Organe  and 
ENiactioneD  der  Statsgewalt 

Einzelne  Unterarten  der  Cnlturpoltzei  sind: 

a)  Die  Sorge  tat  die  sittliche  Wohlfahrt  des  Volks. 
(Sittliehkeitspolisei,  Oeneur  iiu  rOmiseheli  Sinn  des 
WwtsO 

In  höherea  Grade  ist  es  der  Beruf  der  Eirebe,  der 
moraiiseben  Seile  des  menschlichen  Geaammtlebens  ihre  Auf- 
merksanikedt  und  So^e  zuzuwenden,  als  es  die  Pflicht  des 
States  ist,  die  moralische  C^esnndheät  des  Volkes  durah  sein« 
Polizei  zu  fSrdern.  IHe  Wirksamkeit  der  Eirehe  ist  dann 
auch  auf  dieeem  Ctobiete  unmittdbarer  und  fruchtbarer  als 
die  des  Males  sein  kutn.  Wenn  die  Kirche,  ihrer  ITission 
treuj  die  Religiosität  weckt  und  lebendig  erbftlt,  wenn  sie 


iM,Coo<^lc 


den  ■ensehea  wiriclieh  mü  6k>U  Tflr»OhBt  und  einigt,  m  er* 
gient  ncfa  die  mn«nebOpfb^e  Qaelle  der  ntüieheo  Kivft 
ttod  adoigoDg   üAwv  da«  Volk.    Der  Stet  hftt  keine  ]l«cM 

aber  dg»  Qe^TiaHn   and   «iiw  tiiMMohthant  fia^fatimwtung  gftf. 

mag  der  etat  oidit  wa  arfluteii.,  oöek  in  tteMern.  Sein 
eifentliehea  Oetnet  tat  die  ttuaeere  EnebeiBaiig ;  er  kalm 
äabt»  mir  DiitMbw  auf  die  sMliebeD  Zustande  du  Volkes 
BiDfiiMB  UMern.  Erat  wem  die  innere  GeiinBung  «ch  in 
tnaaorop  Haodlimeen  oder  Unterlaania^en  c^nbart,  ward 
«ie  flkr  dem  8tat  OsEbar,  ond  gelangt  in  den  Bereich  B^ott 
Madit.  Die  Kirche  awg  mit  reiigifisan  lütteln  wider  die 
Meeo  Gedanken  streiten  and  gute  EataoblUase  berrorrnfeii, 
der  Stet  hat  nur  mit  den  bOaen  Tfaalen  au  sckaffen,  und  die 
ioawm  Hindeniiaae  and  Gefahren  aa  beseitigen  oder  au 
mindern  f  welche  die  Reinheit  der  guten  Sitten  bedrohen. 
Audi  tner  ist  Vielregiererei  und  unwürdige  BeronniinduBg^ 
die  eäne,  gleichgoltige  Vemacblässiging  die  andere  Klippe, 
iwiscAien  denen  der  Statsmann  hindurch  steuern  mute. 

Die  rOnaiscbe  Censur  beruhte  auf  einer  edlen  und 
um  fassenden  Auflassung  der  atatUchen  SittonpOHaei.  Die 
OeneOTen  waren  berechtigt,  jede  offenbare,  das  ttffeatliche 
Sitttiehkeit^efllhl  verletaende  Handlung  m  Mgen.  Sie  ban- 
delten aber  nicht  präventiv,  soadem  griffen  in  Interesse  der 
guten  Sitten  und  ateisteBS  mit  sichenn  Taote  —  die  Wahl 
der  Oaasoren  aus  dea  gcacMetsten  nad  verdientesten  Stata- 
mAnnem  gewftbrte  daAtr  feste  Bürgschaft  —  erst  ein,  wenn 
die  Cnntte  sieb  dtweh  Thaten  getussert  hatte,  aber  det  ge* 
riebtliehen  VMfclgung,  weil  keine  ägentlkhe  Bechtsverletzaiig 
vorlag,  entsogen  war.  Auch  die  hoehgestelltea  Mftnn«r  waren 
nieht  zu  hoch,  um  vor  den  Ehreautrafien  dar  Cenforen  sich 
sicber  au  Alhlen,  wenn  sie  die  guten  Sitten  <^a  verlötet 
hatten. 

Wahrend  des  Mittelalters  war  fUr  dieae  Dinge  doreb 
die  Oeator  der  Eirohe  ebeafiüls  in  uaaftuaciider  Weise  gesorgt. 


iM,CoO<^lL' 


193    SiebMtw  Back.    Dw  StaMlnM  an«  da«  ^IfnOk^  a^iment 

In  onsenr  Zeit  aber,  ia  welobcr  Ae  Uaebt  ier  Ente 
aiwr  dla  Gemütfaev  geinger  nad  beMkrtoUcr  gnrofdeii, 
MDpAndvt  der  Stat  kier  «ine  LOoke  m  #«b  öftattiobai  Kn- 
riehtgngm,  wdebe  er  Aach  dtucb  die  gewölwlMie«  PoUaei- 
bnmtea  dorokeas  meht  i«  eifftkna»  rermag:  Es  gibfe-ge* 
wisse  Seiten  der  poUadliduB  nt&ügkflk,  wehHw  nne  BMmH 
4er  Gesinnung  and  ein  eoidies  Msae  OtfeBflieher  HoakacUtng 
tmd  freier  Aatorilfit  in  der  Penoii  dfee  Haudehiden  venma» 
aetaen,  wie  fieBeibea  von  des  regeteoaügfta  Beanteo  wedee 
gefordert  Koek  erwertet  werden  dürfan.  Da*  Set  geraöe  da« 
Otostc  der  rOniachefl  O^Miaation  der  Poliaci,  ilasz  dieM 
Aidj^ben  des  BDgeeebwiaten  omI  edelfton  Hftnnerti  Ubor- 
ti&gen  worden.  In  daa  modernen  Stete  abw,  deeeen 
aehwAofaste  Saite  die  Poliad  ist,  änden  sieh  keioe  deiwrii|peB 
iMtitatioaeai;  TieloMbr  rent  die  klcinUche  and  hftufig  reri 
leteende  Belrnbimg  der  poüseilieben  OeseUfle  aar  Mi»< 
«cbtBDg  oad  Eur  Abaeigtiiig  gegta  die  Pcdixei,  und  beide 
wendea  weh  dann  gegen  die  geeeBMote  Regi^nng  a»d  dm 
Stat,  welcher  groeaen  dassen  nur  in  der  Gestalt  dieser 
Üst^eo  and  drtckenden  PoKzeigewalt  ««ehefait. 

Diesen  Uebektttadca  lOsst  ai«^  niefat  anden  aia  datcb 
efaie  beiBere  Organsatioa  der  Poliaei  begegnen,  und  daJtlr 
worden  siek  Mch  in  deoi  modemea  Skate  die  läeawnte  voU- 
Caden,  wurde  ntaa  Uar  über  den  pedantischen  Oenobtakieis 
der  blfieaen  Rnreadcratie  hiawegsaaeben  wagen,  and  die 
freie  Th&tigkeit  geachteter  PriTatuibiDtr  in  Aasptach  neh- 
men'. Gerade,  den  ansgcsacbneton  Cloaee»  and  In^Tiduen, 
de»  Adel  ia  der  Nation  in  aigentiicfaen  p^«fiflli^;ieGhen 
Veretande,  kämie  hier  ein  Fdd  fruohtbaeer  ond  ^uienrntler 
Wirksamkeit  erOflhet  werden ,  and  Selbst  dem  jetxigen  Spiele 
der  ErwachaeneB ,  den  (Hdea,  könnte  hier  ein  ernstes  Ziel 
gesetzt  und  manche  auch  Dir  H&nner  passende  Au%abe 
damit  Tert>UDdea  werden. 

Verbttltoisanässig  darfüg  ersf^eiDt,  was,  at^esebes  tob 


iM,Coo<^le 


Heanlea  OtpRd.    HanptrttBctfcm«ii  der  Pirilz«lgMralt  i<^ 

4er  Maülcben  AuTaicht  Ober  die  Kirebe  selbst  und 
aber  die  religiOeeo  VerbiDdungen  oder  über  die  Ersiehuiig»- 
aoBtalteii  —  von  deneo  int  IXten  Bache  nAber  die  Rede 
«eio  wird  —  die  moderne  CMftenpoHzei  en  SÜDrichtungen 
berrorgebttieht  hat    Am  erheblichsten  sind: 

o)  Ae  Tormondschafts-  ond   Oesindepolizei/ zur 
UntwslatniDg    der    bttusllchea    Zoebt    und    der    Fa- 
milienrahe,    wo   das    Priratrecbt    und    die    gewohnte 
Vormundschanspflege   nic^t  ensreichen ,   and    ein   ge-  ~ 
riehüioher   Schutz    angeeignet    oder    unwirksam    er- 
seb^ut; 
ß)  die  Aarmcht  Ober  gewisse  PriTatanstalten,  welche 
entwed«-  wie  die  Schenlcen  fUr  geistige  Oetrtnhe,  die 
Sebanbuden,  die  Leihbibliotheken,  in  ihrer  Ausartung 
lacht  die  Unsittlichkeit  begDastigen,  oder  wie  die  Bpiel- 
hfiuser  oder  die  Bordelle   mm   Dienste  derselben  ge- 
gründet sind; 
;-)  die  PresBpoliaei.* 
b)  Die  Soi^  fbr  das  gesellschaftliche  Leben  des 
Volkes,  fllr  seine  Erheiterung  und  seinen  persönlichen 
Verkehr.    (Aedilität,  Gesellschnftspolizei.)' 

Je  wichtiger  in  dem  modernen  Leben  das  freie  gesell- 
acbafUiobe  Zoeammentreten  der  Gesinnungs-  oder  Zweck- 
Genossen  und  je  mannichfaltiger  und  reicher  die  Formen 
'geworden  nnd,  welche  der  gesellige  McL-scbengelst  erfunden 
"bat,  um  diese  Triebe  zu  befriedigen ,  mit  desto  mehr  8org- 
iblt  wird  auch  hier  die  wichtige  Stellung  des  States  zu  diesen 
Verbindungen  und  Erscheinungen  zo  bestimmen  sein.  Die 
PriTaien  gehen  dabei  von  dem  Princip  ihrer  Freiheit  aus; 
die  Polisei  musz^  indem  sie  diese  Regel  anerkennt,  zugleich 
das  Recht  der  Gesammtheit  handhaben,  wo  die  öffentliche 
Wohlftihrt  es  erfordert,  und   auch   hier  bald  die  nöttiigen 

*  TgL  Bnch  XIL  C»p.  2. 
Blukltcbll,  lUganeliiMSUlsrecht.    II.  13 

n,g,t,7rJM,COOglC 


194    SlebMitM  Boeli.    Dtr  SUtadiuiat  und  das  eigentlkb«  B^ment 

SchraDken  dieser  ii^ifaeit  featMlwin,  bald  ihre  EkitwioLe- 
luDg  pOfiitiT  fördern.* 

DieSocge  für  die  Erheiterung  desVolki  ist  eine  der 
wohlthitigaten  und  dankbarsten  sagleidi.  In  dem  „paaesQ 
et  circenses"  der  ROmer  sind  zwei  ber«cbtigte  and  giowp 
Wunsche  des  Volkes  ansgesproehen,  und  es  i«t  eine  des 
Stetsmannes  wonlige  Au^be,  beitle  zu  befried^Mk  Die 
moderne  Polizei,  welche  bei  Theatern,  Festliclütcäteo  und 
Belustigungen  ihre  At^merksamkeit  iost  nur  in  oefatirer 
BJchtung  zeigt,  beschrankend  and  hemoiead,  was  uDgebUhr- 
lich  zu  werden  oder  Gefahr  zu  bringen  droht,  dagegen  die 
positive  Seite,  die  Belebung,  Hebung  und  Veredlung  der 
Volksgenosse  wenig  beachtet,  steht  in  dieser  Besiehung  weit 
hinter  der  antiken  Polizei  zurUck.  Die  statakundigen  ROmer 
legten  gerade  darauf  den  grossen  Wertb,  und  die  Krischen 
Grossen  wetteiferten  unter  einander  in  der  V«raos<Bltang 
groszer  Festspiele.  Der  Weg  zu  den  höchsten  Statswürden 
der  Tötnischen  Republik  führte  durch  das  Amt  der  Aedilen 
hindurch,  welche  für  das  Brod  und  die  Spide  an  sorgen 
hatten. 

c)  Wir  dürfen  wohl  auch  die  UnterstUtzunga-  und 
Armenpolizei  bieiier  rechnen. 

In  dieser .  Beziehung  ktunrnt  es  vor  allem  darauf  an, 
die  eigentlichen  Armeq  von  den  ausnahmswtise  Unter- 
stützungsbedürftigen zu  trennen,  und  hinwieder  unter 
den  Armen  die  von  Natur  Armen  von  den  verschulde- 
ten Armen  soigfKltig  zu  unterscheiden.  Die  Vermengnng 
der  ganz  verschiedenen  Verhältnisse  hat  Uieils  die  Heilkraft, 
deren  dieaelben  bedürfen,  oft  sehr  geschwächt,  theils  das 
vorhandene  Uebel  h&ufig  vermehrt.  Wir  müssen  daher 
unterscheiden : 

u)  Die  oft  zahlreichen  Classen  äee  Bevölkerui^,  welch« 

*  Siehe  nntoD  Bach  XU.  Ctp.  8. 

rmn-n-.;GoOg\Q 


»«ante«  Capilel.    B«iptAiiMlk»«B  d*r  PoUieigvwalr.  J95 

auSDahoisweüe  io  Fftllea  der  Koth,  wie  insbeMndere  wenn 
eine  ungewOhBlidie  Tliearang  der  LebeosmiUel  eiBtritt  (Hud* 
gennotfa),  oder  wena  durch  eioeo  grofizen  Brand  oder  Kriega- 
QDgioek  die  regelmftsügen  NabrnngsqnaDeD  plöblich  ver- 
siegen und  unbrauchbar  werden ,  oder  wenn  eine  momeotane 
Stockung  der  Gewerbe  die  Nachfrage  nach  Arbeit  und  die 
Möglichkeit  des  Verdienstes  hindert,  der  Unterstütsung 
bedürftig  werden.  Von  solcher  IToth  werden  gar  viele 
FamilieD  und  Individuen  betroffen,  welche  durchaus  nicht 
Bu  den  Armen  gehOren.  6ie  könn«)  zwar,  lo  lange  jene 
sie  niederdrückt,  sich  selber  nicht  vollständig  helfen,  sie 
bedUrfien  non  fl-emder  BeihUlfe,  nm  nicht  unterzugehen,  aber 
wenn  nur  die  Noth  wieder  vorobergezogen  ist,  so  macht 
sich  auch  ihre  natürliche  Fähigkeit,  mit  eigenen  Kräften  für 
ihren  Lebensuntertialt  zu  sorgen,  wieder  geltend,  und  ver- 
flchafit  ihnen  von  neuem  ein  sdbständiges  Dascän.  Hier  ist 
es  nun  Überaus  wichtig,  dasz  die  mcn^sche  Spannkraft 
dieser  Classen  nicht  etwa  dardi  die  DnterstQtzung  von  Seite 
des  Stats  geschwächt,  sondern  int  G^;entheil  eher  gesteigert 
werde.  Die  Regel  der  Selbsthulfe  darf  nicht  durch  die 
Ausnahme  der  Unters  tu  tzungsbedOrftigkeit  ver- 
drängt, niebt  die  letztere  zur  Regel  erhoben  werden.  Eben 
aus  diesem  Grunde  dürfen  die  in  solcher  Noth  Unterstützungs- 
bedürftigen nicht  in  die  Glasse  der  wirklichen  Armen  ge- 
setzt, nicht  diesen  gleich  behanddt  werden.  Auch  das  Ehr- 
gefühl derselben  darf  durch  solche  Gleicbstelhing  nicht  ge- 
kränkt werden,  denn  es  ist  ein  starker  Hebel  der  moralischen 
und  physischen  Kraft,  der  mit  den  UDhen  der  Noth  ringt, 
und  viele  Schwierigkeiten  überwindet. 

Insofern  nun  die  Privatanstrengung,  die  hier  vor- 
aus in  Anspruch  genommen  werden  musz,  nicht  ausreicht, 
M  ist  es  Aufgabe  der  Statswirthschaft,  niditder  Polizei, 
solchem  Uebel  zuvorzukommen,  und  dasselbe  zu  mildem, 
dem  das  Uebd  selbst  liegt  in  den  Wirthschaftsverhältnissen, 

n,g,t,7rJM,COO<^IC 


196    SiebcotM  BiMih.    Der  SUUdiaitt  nod  daa  dpnükfte  R^meal. 

und  kBDD  daher  nur  von  da  ans  geheilt  -werdeo.  Aber 
auweileo  aind  die  Mittel,  über  welche  die  Statswirthschaft 
jr&rtügen  kano,  nDgenQgeod,  wenn  nicht  die  energischer^ 
f  oltzeigewalt  ihr  su  Hülfe  kommt,  und  dann  allerdings 
«oU  auch  diese  jener  bolfr^che  Hand  reichen,  damit  der 
grosse  Statezweck,  die  Elrhaltung  der  Bewohner,  erreicht 
werde. 

,9)  Die  Ton  Natur  Armen,  welche  der  öffentlichen 
HUlte  bedürfen,  weil  es  ihnen  an  der  Fähigkeit  gebricht, 
eicb  selber  zu  helfui,  and  auch  keine  Familie  sie  mit  ihrer 
Sorge  schützt.  Das  aind  die  armen  familienlosen  Waisen 
und.  unehelichen  Kinder,  deren  natürliche  Kräfte  noch 
unentwickelt  sind,  die  alten  Leute,  deren  Thatkraft  er- 
storben ist,  die  Kranken  und  die  Gebrechlichen.  Diese 
Armen  sind  es  vorzugsweise,  welche  die  Religion  und  Uoral 
der  Fürsorge  auch  des  States  empfehlen.  Im  Mittelaltn- 
nahm  sich  die  Kirche  ihrer  heuptsächlich  an,  und  sie  darf 
es  auch  in  unserer  Zeit  nicht  unterlassen,  christliche  Wohl- 
thtttjgkeit  selbst  zu  Oben  und  zu  empfehlen.  Aber  es  ist 
nun  meistens  das  Armenwesen  auch  statlich  organisirt,  und 
der  Stat  darf  diese  Pflicht  eben  so  wenig  Ternachlflseij^en, 
denn  auch  seine  Bestimmung  ist  es,  wo  das  Familienleboi 
solche  natürliche  Bedürfnisse  der  scbutzbedUrftigen  Individuen 
nicht  befriedigt,  seinen  obervormundschaßlichen  Schulz  und 
seine  Pflege  zu  üben.  Die  wesentliche  ThftÜgkeit  des  State« 
ist  aber  hier,  wie  bei  der  eigentlichen  Oberrommndschaft 
und  bei  der  Erziehung  nicht  eine  Uebung  der  Gewalt, 
sondern  die  Pflege:  und  wir  müssen  daher  die  Armen- 
pflege von  der  Armenpolizei  wieder  unterscheiden.  Nur 
wo  jene  nicht  hilft  und  daher  ein  BedUrfnisz  nach  obrigkeitr 
lichem  Gebot  rege  wird,  tritt  diese  auch  hier  ein.  Subsidi&r 
erscheint  die  Armenpolizei,  wenn  die  Armenpflege  zu  schwach 
oder  zu  lässig  ist,  ihre  Pflicht  zu  üben. 

Uebrigens    li^t   es   nahe    und    entspricht  einer   guten 

n,g,t,7rJM,C00<^lL' 


NoaalM  Cttpilcl.    HkQpIftuetloBMi  djer  FolUcigeirdt.  ]97 

Orgauidstioo  des  ArmeDwesens' durchaus,  dato  die  Mchate 
Soi^e  der  Gemeinde  überlassen  «ird,  und  nur  ergAazend 
nnd  beaafbicbt%eDd  die  Polisei  des  States  lunEOtritb.'  Deun 
die  Gemeitide  ist  üt  gewissem  Sinne  die  Erweilerubg  dei* 
FaDiiHe,  der  mittlere  Kreis,  der  zwischen  der  Familie  und 
dem  State  die  Individuen  mit  seiner  Sorge  umfaszt.'  Die 
Oem^nde  ist  auch  eher  alt  der  Stat  im  Strade,  die.'iodivi- 
daellen  BedUifeisse  der  in  ibr  lebeitden  und  ta  ihr  gehörigen 
Annen  mi  keon«i  und  za  würdigen,  und  die  Mittel  %iner 
angemesseneD  VenorgODg  und  Pflege  zu  finden  dnd  .  in 
benätsen.  ■        . 

;•)  Die  ««rschuldeten  Armen,  weldie  zwar  die  ii'«' 
LOrliehen  KriAe  besiUen,  um  sich  selber,  zu  schätzen  und 
durchzubringen,  die  aber  aus  Liederlichkeit,  Arbeitsscheti, 
yersohwendniig  io  Armuth-  gerathen  sind,  uad  <rhne  Hülfe 
Teiderben  «Dazten.  Oegeofibcf  diesen  hat  nun  roraugewnse 
die  statliehe  Polizei  d^  Beruf  einzuschreiteuj  und  zwar 
ktiaeswega  nur  zur  PJl^e,  -sondern   vomte  zur  EuebL' 

*  Auf  dieaeD  whdiiUgeD  Doteradilcd  bat  an«ta  Nkpoleon  In  Minen 
OMprfiobeH  mit  Las  Caae«  (V.  S.  W)  «nteerkMin  gemacbt;  „Le  noeod 
ds  cette  grande  alhira  nt  loot  entier  dun»  Ja  atricte  Separation  da  pamrt 
qni  «HniDande  le  reipeet  d'avee  ]e  mmdianl  qni  doit  exciter  la  colire; 
or,  DO*  Invera  reUgienx  mtient  ar  bien  eea  denx  elaae«*  qn'Ila  antibleot 
fiatTe  de  ]«  tutadieUA  u  miriU,  aoe  e»pbet  de  Tertn,  qn'ilala  pr*vo(|iient 
en  lui  priaentant  da«  r^compeiiaea  eilcalea:  aa  fiiit  lea  mCBdiana  ■ont-ila 
plaa  ni  nMiiiiti  qne  ift  motnti  au  prtit  pitd,  tellemeDl  que  dana  la  DOmeD- 
cUtiire  ae  IroaTeat  Ics  MOtnn  nmdiam."  Die  engliaehe  Armeataie 
wnide  unter  d<r  Königio  Eliaabeth  (narat  nur  fBr  Lahsie,  GcbraeUfche, 
Alte  nnd  Blinde  eiagenilirt  Dann  aber  ßag  man  an,  aneh  die,  welche 
arbdlen  können,  aber  keioe  Arbeit  fiDdea,  alio  die  QntcratQtEDDgsbedürf- 
ligeu  im  obigen  Sinne,  nnd  die  llederlicheD  Armen,  welche  nicht  arbdien 
w4dteo,  ans  dMU  Ertrag  dieeer  Tax«  la  nnUratUtUn ,  aad.  indem  man 
K  die  drei  verachiedeBfn  Clateen  TermiMhUr,  ateigerle  iBan  dai  Uebel  ina 
ünertriigliche.  Viel  beaaer  ift  das  Anneoweaen  in  Dentechland  nnd 
)D  der  Schwell  geardnet,  obwohl  aach  da  die  in  der  Matnr  der  Din|^ 
Hegenden  ünteradteldnogen  nicht  M  voUslIndig  beacblet  werd«n,  alü*  ca 


iM,Coo<^lc 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


^a..i«,UM  de.  AmMWMem  durch««.,  d.te  die  i^fch.« 

dxe  G«„e,.de  i..  1„  ^„,^  «.„,  ,.,  Envei.en,»«  „^ 
F.a,.l,e,  d«  mUJlere  Krei.,  der  .wl.cbe„  der  Fmilte  m« 
dem  Stete  die  Individuen  mit  .einer  8o,«e  umt.^  Die 
Gemeinde  i.l  .nch  eher  .1.  der  St..  i„  Stode,  die  fndivi- 
dnelleo  BedoriUM,  der  in  ihr  tebeaden  und  .„  ibrgehWgeu 
Armen  >n  kennen  nnd  .u  »orfigen,  „„d  die  Mittel  einer 
•ngeiiie«enen  Veraorgnng  »nd  Pflege  >n  linden  und  .n 
benotsen. 

r)  Die  virachuldeteo  Armen,  welche  »war  dfe-ß»- 
torbcbeo  Krfifte  beMUeo,  uin  «oh  selber  zu  aehutzen  uml 
durchzubriogen,  die  aber  aus  Liederlichkeit,  Arbeiteacbeu, 
Verschweodan^  in  Arthaih  gerathen  sind,  uttd  «tine  Httl/J 
▼erderben  nQaBte«.  Gegenüber  diesen  hat  Dun  roimigsweiae 
die  atatliche  Polizei  des  Beruf  einzuwhreitcn^  und  swar 
kwDeswegs  nar  zur  Pfl^e,    sondeni    Tor«ifl  aor  Zucht ' 

*  Ant  dieMD  wiahtigm  UntarKibIed  hat  siieb  Napoleon  In  seinm 
aasprScbeB  mit  Lu  Caws  (V.  S.  SBJ  »nänerkM»    gemaclit:   ,U  noend. 
d«  oetle  gmnde  allhire  rat  tont  entier  dans  la  atrict«  siparmtion  du  fMwor« 
qni  MMnmand«  le  rMpect  davec  ie   mrndiant    qui   doit   eiciter  la    colfer«^ 
or^   DOS  iraTcre  relip'eiix  taUtut  ir  U«u  er»  denz:  t:l*M«  qu'Ile  a«nbl«nx 
Mre  de  Ja  oHodidtä  nn  mfriW,  nne  «apiee  d«  vwlo ,  qn'ila  la  pf»vo.iue,^^^ 
en  lui  priaentant  dM  i^compenae«  cäestei:  an    toit  l«"  maadiao»  sont-il^ 
plu»  ni  moin«  qne  det  moinet  au  pftit  pitä,   telleuieot  q«o  dan»  la  nom^i^^ 
clature  ae  (ronTent  Je«  modtn  mrndiant.''     Die    eng-l'»che  ArmenÄu^ 
wnrde  nnlar  der  Kttaigrn  Eliaabetk  laant  onr  fBr  I-»»»"»«,  ÖebrMhliefa^ 
Alte  nnd  BJinde  eingeführt.    Dann  aber  Sag  man  •"  ,  ••'«»•  die,   welel»^ 
arbeilen  iönnen,  aber  keine  ArUit  floden,  alao  die  OoteratattungebedU^  j.__ 
tigen  im  obigen  Sinne,  und  die  liederlichen  Armen,    welche  nicht  arbeit^^ 
wcrfleo,  aoa  dem  Erl«e   d leeer  Taxe  le   ont»" «»»*'' '  "»*  '"dem  0»^^. 
•o  die  drei  Tenchiadevn  Cla»en  Termiachte,  Seifert«  «*o  da«  ÜebeJ  i^^ 
OnerträgUche.     Viel   beaaer  lal  daa  Armenweaea  ip   Deutschland    ^^^ 
fn  der  Schweiz  geordnet,  obwohl  auch  da  die  In  der  Katar  der  Din„. 
liegenden  Cnteracheldnngen  nichl  so  vallatlndls  beacbtel  w«rd«n  ,   «i,-  ^*' 


iM,Cooglc 


198    SicbentM  Bo«h.    Dar  8Utadl«iMt  nnd  das  «Igentlich«  KegimenL 

Fttr  Mlche  Anne  sind  daher  die  Arbeits-  aDd  Gor-' 
rectlonshauser  wohl  ftm  Platze,  und  ea  Ut  nOthig, 
^Mz  in  diesen  strenge  Zucht  geübt  werde.  Das  aber 
l»t  nietit  melir  Sache  der  Oeoieinde,  sondern  in  ronüg- 
1i<^in  Stnae  Sa<^  des  Btates  und  seiner  poUz^lichen 
Gewalt. 

IT.  Die  Stats-  und  Volk swirthschafts pol iiei. 
Sie  unterscheidet  sich  als  die  obrigkeiUidie  Gewalt  von 
der  ihr  untergeordneten,  ab«  In  den  regelmtszigea  Fttllea 
ausrrachenden  Stats-  und  Volkswirtlisefaaftsptiege  in  ftholicher 
Weise,  wie  sich  die  Culturpolizei  von  der  CiiHur  unterseheiöei. 
Wo  das  Bedorftaisz  der  Gewalt  rege  wird,  de  nur  ist  die 
Poliz^  thfttig,  im  Qbrigen  gnaugt  die  Wirlhediaftspflege. 
Hieher  gebflren: 

a)  D^e  WasserpoÜEei,  welche  durch  Regelnnig  der 
StrOme  Tmd  FlUsse,  iind  durdt  Anlegung  von  Detoben  oder 
Dämmen  vor  Ueberschwemmung  Guter  und  Menschen  ver- 
botet, die  Benuteung  der  Offentliclten  Ciewässer  in  Wasser- 
werken, Wiesen  Wässerung,  zur  Schifffahrt,  Flösaung  u.  s.  f. 
im  allgemeinen  Interesse  wahrt  und  den  UisEbrauch  hemmt, 
durch  Errichtung  von  Seehäfen  und  I^euchttharmen  die 
Sicherheit  der  Schiffe  begünstigt 

b)  Die  Wege-  und  Straszenpolizei,  durch  welche 
fdr  Anlegung,  Unterhaltung  and  Sicherheit  von  Wegen, 
Straszen ,  Eisenbabneo,  Brücken  u.  s.  f.  gesorgt  wird. 
Die  Herstellui^  einer  Brücke  zu  gebieten,  ist  Sache  der 
Polisei,  sie  awedcmäscig  auBznfUhren,  Au%abe  der  Wlrtb- 
schaft. 

c)  Die  Sorge  für  öffentliche  Brunnen  und  für  Qffent- 
liehe  Plfttze  und  selbst  die  Soi^  für  den  Sebmuck 
solcher  Plätze  und  Anlagen,  durch  Anpflanzungen,  Denk- 
mäler und  öffentliche  Gebäude,  durch  schöne  und  würdige 
Ausstattung  und  Eleinhaltung.  Auch  die  Aufsicht  über  Privat- 
bauten gehört  hieber,   soweit  die  allgemeine  Sicherheit  nnd 


iM,Coo<^lc 


IfftontM  Capltel.    HanptßiDetlODfln  d«r  Poliidgewalt  199 

der  Offeatliche  Anataod  es  rechtfertigt;  sie  darf  aber  nicht 
aasarten  in  eine  Beronnundung  dea  freien  Prirateigenthumfl 
und  Privat^eschmacks. 

d)  Die  volkswirthschaftlicbe  Polizei,  von  wel- 
cher im  Vten  Boche  im  Zusammenhang  mit  der  Wirth- 
8chaft8pfl^;e  gebandelt  wird. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


:X(|te0  ißndi. 

Vom    Gericht    , 
.    Erstes  Gapit^ 

Die  Nktnr  und  die  Arten  des  Gericbli. 

Alles  Gericht  setzt  voraus,  dasz  etwas  zu  richten  sei, 
d.  h.  dasz  eine  Verletzung  der  Rechtsordnung  ge- 
schehen sei.  Die  Verletzung  wird  durch  das  Giericht  besei- 
tigt und  damit  die  Majestät  des  Rechts  geoffenbart.  Alle 
Rechtspflege  ist  Bewährung  der  staÜichen  Gerechtigheit.  * 

In  dem  Richten  lassen  sich  zwei  wesentlich  rerschiedene 
Fanctiooeo  unterscheiden: 

1)  die  Erkenntnisz  des  Rechts,  oder  wie  man  das 
im  Mitlelalter  au^edrtlckt  bat,  das  Finden  des  Rechts, 
das  Urtheil, 

2)  die  Handhabnng  des  Rechts,  das  Richten  im 
eigentlichen  Sinn. 

Es  ist  wahr,  dasz  die  Findung  des  Urtheils  an  und  fQr 
sich  nicht  ein  Act  der  statlichen  Macht,  sondern  zunftchst 
entweder  ein  Ausdruck  des  Rechtsgeruhls  oder  eine  lo- 
gische Function  des  juristisch  gebildeten  Verstandes  ist, 

•  Tgl.  8t»bl,  SlilalebK  II.  ß.  436. 

n,g,t,7rJM,GOOglC 


Eralea  Cai^tel.    Die  N&lar  nnd  die  AHea  des  Geriekts.        3ßi 

iitid  insofern  Ifiezt  sie  ^cb  uüt  dec  TbäljiglEeit'VtHi  'KuMtrer- 
■Und^en  ood  Experten  in  andern  Gebieten  dee  Lebens  and 
der-  Wiasenecbaft  vergidcben.  Aber  es  ist  damhaas  irrige 
das  Geriebt  selbst  aus. diesem  Gesichtspunkte  zu  betrachten 
and  demselben  den  Charakter  einer  obrigkeitHchea  Gewalt 
abzosprechen. '  Die  Rechtsflodung  ist  die  DOtbweodige  Vor- 
aiis8etzuj)g,'die  Unterlage  der  Rechtsbandhabung,*  die^e  aber 
offenbar  das  Wesen  de»  Geridits  und  ron  durchaus  8tat> 
lieber  Natur.  -Die  erster«  kann  daher  wobl  Friratper-, 
««nea  anrertraut  und  Oberiassen  werden,  die  letztere 
dagegen  '  mnsz  obrigkeitlidieD  Uagistraien  rorbebaUen 
bleibep.  Und  da  «cb  jene  so  dieser  dienend  rerbfilt,  so  ist 
auch  sie  iranerhin  obrigkeitlicb  zu  l&i.ten. 

Die  Wiederherstellung  des  gestörten  und  rer- 
letztea  PriTatrechts  ist  die  Aufgabe  der  Cirilrecbts- 
pflege.  Durob  diese  Qbt  der  etat  seine  Pflicht  ans,  den 
Privatpersonen  den  Genusz  der  ihnea.  angebCrigen  Privat' 
rechte  zu  gewähren,  und  die  eingetretene  fieeintrOchtiguBg 
derselben  aubuhebeiii  Dieser  -Zweck  wird  erräcbt,  tbeils 
dnreb  Beseitigung  des  Priratuorechtes,'  tbeils- durch 
Ersatz  des  Sehadeas^  mit  Einem  Worte  durch  ein&cbe 
Wiederherstellung  des  PriTatrechts.- 

In  der  R^el  genügt  zur  Erreichung  dieses  Zwecks  das 
blosse  Erkenninisz  und  der  statlicbe  Ausspruch  des-  wirk- 
lichen Rechts;  daher  ist  hier  das  gerichtliche  Urtheil  von 
ganz  besonderer  fOr  sich  schob  entsch^dehder' Bedeutung. 
Kur  ausnahmsweise,  wenn  dasselbe  von  den  Betheiliglen 
nicht  beachtet  wird,  tritt  der  statlicbe  Zwang  ein,  der 
ein  Ausflusz  der  Geriditsbarkeit  ist,  und  daher  von  dem 
Gerichte  anch  dann  angeordnet  wird,  und  abhängig  bleibt, 
wenn  zur  Ausübung  desselben  die  Hitwirkung  der  Polizei- 
mittel  erüMderlich  sind. 

)  HeiaDD;  -ron  Rotteek  io  Aretin't  coDatitot.  StuUrccht  U.  S.  20S. 

n,g,t,7rJM,COO<^IC 


a09  Aehtea  Bncb.    Tom  Gericht. 

Da  daa  Priratrecht  zunächst  nicht  StatsangelegeDhoH 
ist,  sondern  den  PriTatpersonen  als  solchen,  nicht  in  ihrer 
Eigenschaft  als  Unterthanen  zakommt,  so  kann  es  auch  nicht 
der  Beruf  des  States  sein,  wo  immer  einzelne  Verletznngra 
desselben  rorkommen  mOgen,  amtlich  einzuschreiten  und  ron 
sich  aus  die  Wiederhefstellung  des  gestörten  Rechtes  ema- 
ordnen.  Eine  derartige  Beronnundang  des  Priratrerkefirs 
wäre  mit  der  Freiheit  und  der  SelbstÄndigkelt  der  Privaten 
durchaus  unTertrfiglich.  Diese  sind  vielmehr  Tollkommen 
berechtigt,  ihre  Interessen  selber  zu  vertreten  nnd  sich  sel- 
ber zu  helfen.  Nur  wenn  die  Selbsthdlfe  nicht  anders 
geilbt  werden  könnte,  als  so  dasz  wer  sein  Recht  i)egehrt 
und  geltend  machen-  will,  in  die  rt«ie  Rechtssphftre  des  An- 
dern eingreifen ,  und  wdl  dieser  Jenes  Recht  anzaerkennen 
sich  weigert.  Zwang  Üben  mUszte,  ist  dieselbe  in  dem  mo- 
dernen State  untersagt,  weil  durch  solchen  Streit  die  öffent- 
liche Rnhe  und  der  Landesfrieden  leicht  gestört  werden 
könnte.  Dann  bedarf  es  zur  Wiederherstellung  des  streiti- 
gen Rechts  der  gerichtlichen,  nach  sichern  Regeln  und 
iu  wohlgeordneten  Formen  den  Streit  aus  unparteiischem 
Standpunkte  entscheidenden  Hülfe. »  Die  Civilgerichtsbarkeit 
entwickelt  demzufolge  ihre  Thätigkeit  nur  auf  Begehren, 
d.  b.  zunKchst  aaf  die  Klage  der  betheiligten  Privaten. 

IMe  Strafrechtspflege  dagegen  setzt  eine  so  erhebKche 

*  Edietum  DM  Mmei  in  L.  7  »d  legem  JuliMn  de  vi  privaU:  „Tu 
viro  pulM  «MB  solam,  si  bomln»  vulnerenlar?  Ti«  est  et  tiinc,  qnotiea 
qnis  id,  quod  deberi  sibi  pulst,  noti  per  judicem  repoacit;  non  puto  autem 
neu  vcveemidiM  nee  dignltatl  tnM  eon*eiiire,  quidqnHD  non  Jnre  fteere. 
(taisquie  Igitnr  probaty«  mihi  fatrlt.  nm  allan  deWtoria  bod  ab  ipM 
Bibi  tradilain  alne  nllo  jndtc«  twoere  possidere,  eamqne  aibl  jna  in  eam 
rem  dixisse.  Jus  crediti  doq  habebit."  Die  germanischen  Völker  Ter- 
statteten  annng:lieh  der  Selbathfitfe  eine  viel  freiere  Bewegang;  und  erst 
nach  vielen  Jahrhunderten  gdang  ea  dem  laogSBai  aofgeheadan  8tat^ 
bewnsziaein,  da«  Sc Ibftpfindangs recht  derQUabiger  in  engere  Schranlien 
EU  bannen.  Vgl.  Wilda'a  Abhandlung  in  der  ZeltaclinTt  fUr  deutache« 
Recht  Bd.  I. 


iM,Coo<^lc 


BntM  Ckpitel.    I^  N*tar  acd  dh  Artin  da  Gericht«.        90S^ 

Stitning  dar  RetbtMirdBUDg'  väirnns,'  w«)e&e  mcht  bioa  die 
reehUichen  Interessen  eines  IndividoDDit,  aoBderq  am  ikre» 
gefährlichen  nnd  reehtswidrigen  Charakten  willen 
die  öffentliche  Rechtssicherheit,  somit  den  Stat 
selbst  verletet.  Jene  Erschütterung  mtd  Verietzang  des 
bestehenden  Reehts  kann  «war  sich  ebenfalts  auf  PriVat- 
rechte  bezieben,  aber  sie  f&llt  io  diesem  Falte  in  den  Be- 
r^eh  der  Strafreeht^tfiege,  wenn  sie  mit  einer  Gesinnang 
und  in  einer  Form  verAbt  wird,  dnrcb  welche  nigkich 
der  Öffentliche  Friede  Tsrietzt  oder  gebrocten  wird. 
Jütt  Strafrecht^ege  konmt  daher  ihrer  Malnr  naeh  aas 
OffenÜichen  Gründen  zor  Anweadong,  und  ist  im  wnten 
Sinne  dn  Tbeil  des  Offentlieben  Rechts.  <  Die  einladie 
Wiederfaerstellni^  genOgt  daher  hier  niclit.  Bestkutioa  und 
Schadeosenafz  sind  freiücb  audi  da  eribrdfrlich,  aber  diese 
sind,  insofern  sie  sich  anf  die  priratrechtlidieD  Verhältnisse 
besehen ,  inrnier  ein  wesentlich  ciTÜrecbtücher  Bestandtheal, 
welcher  seines  Znsammenbanges  wegen  mit  dem  Vergehen 
ond  um  seiner  meist  untergeordneten  Bedeatnug  willen  wohl 
glüchzütig  von  dem  Strafgerichte  geordnet  werden  kann,  aber 
eben  ao  wohl  unter  Umständen  von  dem  Strafprocesse  auszu- 
scheiden und  der  gewöhnlichen Civilrechtspflege  zuzuweisen  ist. 
Der  Charakter  der  Strafrecbtspflege  li^t  vielmehr  iq 
der  Verhängung  der  Strafe  des  Schuldigen.  Die  tiefere  Ver- 
letzung des  States  selbst  erfbrdert,  dasz  die  Ofi&ntliche  Ge- 
rechtigkeit den  Verbrecher  mif  starkem  Arme  erfasse  und 
durch  BestmfiiDg  desselben,  ihre  Übergeordnete  Macht  be- 
während und  die  Sicherheit  des  Öffentlichen  Friedens  neu 
stärkend ,  die  Schuld  tilge.  Schuld  und  Strafe  bedingen  sich, 
nnd  nur  das  Gleichgewicht  beider  rermag  die  Hoheit  und 
Heiligkeit  der  Rechtsordnung  selbst  zn  otfenbcwen  und  her* 
Kustellen.  Die  Besserung  des  Schuldigen  und  die  Abschreckung 

*  Vgl.  obeo  EiDleitnng  Cap.  3,  S.  6. 

n,g,t,7rJM,GOOglC 


30i  AeliUtt  Buch.    Tom  Gericht. 

Aad«er  vor  ttfanUcbea  VerietEaagen  äoi  Zwfcoke,  welche 
ftooh'  enrogm  and  gefitidert  werden  sollen,  aber  der  prin- 
dpele  Gtencbtapuukt  ist  die  Strafe  seibat,  als  ein  Gebot  i^nd 
eine  Aensserung  der  Gerecht^eiL' 

Ans  diesem  Grunde  hat  daher  die  Strafe  einra  öffent- 
lichen Obarakter:  tiad  es  ist  ein  Fortschritt  der  neoeren 
Rechtsbildilng,  das«  die  ttitem  Privatetrafen  ans  Vergehen, 
wie  das  römische  uad  das  dentsche  Recht  sie  gekannt  haben, 
abgeacfaafft  worden  und  die-  öffentlichen  Strafen  an 
ihre  Stelle  getreten  sind.  Femer  wldovpricbt  es  der  Idee 
der  Stiaftecbtspfl^;»,  dasz  die  Anwetldui^  der  Strafe  in  die 
Witikttr  der  TerletsleQ  PriTatperWn  gelegt  wird,  ihr  Eintre- 
teii  soinit  von  der  Klage  cBeser  aMtftngL  Die  Yerfolguqg 
und  Bestisfang  de*  Verbrechers  ist  eine  öffentliche  Ange^ 
legenheit,  und  es.  mnaz  dabor  von  Statswegen  dafür  geswgi 
sein.  Das  ältet«  germanische  Recht  liess  auch  hier  der 
Selbstrache  und  dem  Fehdereeht  ^iea  Lauf,  und 
erhob  a|)ftter,  sdulem  die  Aasbildung  der  frfinkiseben  Honar- 
ebie-  dieselbe   um    der  öffentlichen  Ruhe  mehr   beadirflnkt 


'  SUbl,  StataMtre  II.  S.  (16:  .E*  tat  du  ewige  6e*eU  der  Gei«eh< 
tigkeit,  4a*z  auf  du  Böm  —  Nmit  im  SUte  du  Verbrechen  —  die  Strafe 
iblge  gnabwcndbar,  das  bekundet  jede*  UDbefangene  Bewaaitaein.  Aber 
die  ficbwlerlgkeit  fDr  da«  aaMinanderaetieDdE  Denken  igt  du:  Wie  kann 
chw  WtoderberatcllaDg  der  varletitMi  OHtnoog  darin  liegen,  du>  den 
Terletaor  ein  Uebel  mgefUgt  werde,  wu  die  ätrafe  oolftagbar  iat?  —  Ea 
iat  durch  die  Strafe  an  dem  DebelUiäler  auf  reale  Weise  bekundet,  dua 
die  eiitliche  Ordnung  der  Herr  iat  So  maat  du  BOae  aelbal,  Indem  ee 
tu  Boden  gtdrfidit  wird,  aar  Vcrberrlidinng  der  aittiiehen  Kadit  dienen. 
Die  Strafe  de«  6(a(a  Iat  daram  keineawege  Backe.  Die  Raoke  aacht  du 
Leiden  dea  Vertettera  um  des  Leidens  willen,  daa  paraöoliche  Empfinden 
an  ihm  in  weiden.  Der  Siat  aber  atr«ft  den  Terletier  nicht,  damit  er 
leide,  aondem  er  lüait  ihn  leiden,  damit  er  geetraft  ad.  Dl«  Eoehe  bat 
«noh  keine  ärinae  ala  die  Luat  am  Ldden,  während  die  StraTe  nnlcr 
äner  Nothwendigkeit  ateht  in  Haaa  wie  in  Eintritt«  —  Nicht  du  Böae 
wird  geatraft,  die  Bechtaordnnng  schützt  die  Schledilen  wie  die  Guten 
in  ihrer  Exialens,  aber  die  böae  Tbat,  welche  du  Recht  eine«  andern 
widerreehilieh  angrein. 


iM,Coo<^le 


Erste«  CapiteL :  Die  Hatur  imd  die  Arten  dn  Gericht!.        205 

hatte,  die  Nothwendigkeit  der  Priratklage  zur  Regel.  Das 
englische  Strafrecht  ist  zum  Theil  heute  noch  auf  diese  An- 
sicht gebaut.  Aber  auf  dem  Continente  ist  doch  seit  Jahr- 
liunderten,  anfänglich  durch  den  Einflusz  auch  der  Kirche 
der  riehtigere  Grundsatz  aurgekommen  und  allmfihlich  durch- 
gedrungen, die  Regel  der  Verfolgung  von  Anitawegen, 
'sei  es  in  Form  des  Inqnisitions-  oder  des  AnklageTerfiihrens. 
'Ausnahmen  müssen  freilich  vorbehalten  werden,  aus  Grün- 
den der  RetAt,  wie  z.  B.  in  dem  Falle  des  Ehebruchs,  oder 
wo  das  Privatinteresse  dem  öRfentlichen  die  Wage  hält,  wie 
t>ei  Injurienhftndeln  oder  wenn  Gefahr  ist,  daaz  die  Stats- 
anwfiUe  ihr  auaschliesziiches  Etagerecht  aus  politischen 
nucksichten  miszbrfinchlich  ungeübt  lassen. 

Der  Unterschied  der  Civil-  und  der  Strafirechtspflege 
liat  denn  auch  hftuflg  eine  Sonderung  der  Organe  nach  sich 
gez<^:eR,  welche  jene  und  diese  verwalten.  In  der  That 
ist  die  Thätigkeit  beider  so  verschieden,  dasz  in  den  han- 
delnden Personen  verschiedene  Eigenschaften  wirksam  sein 
müssen.  Der  Civilprocess  ist  ein  durchaus  anderer  als  der 
Strafproeess*,  und  während  der  Civilrichter  die  Gabe  besitzen 
müsz,  verwickelte  Privatverhältnisse  mit  feinem  Blicke  and 
soi^amem  Scharfsinne  zu  entwirren  und  äuszerlich  zurecht- 
zulegen, mnsz  das  Strafgericht  den  moralischen  Seelen- 
zustand  des  Angeschuldigten  zu  ergründen  suchen  und  vor- 
züglich die  individuelle  Schuld  und  ihre  Grösze  erkennen. 
Dort  bewegen  steh  die  Parteien,  die  nur  ihre  eigene  Sache 
vertreten,  mit  gröszerer  Freiheit  innerhalb  der  zulässigen 
Recbtsformen ,  und  der  Richter  leitet  und  entscheidet  ihren 
Streit  mit  unbefangenem  heiterem  Geiste ;  hier  aber  herrscht 
der  Ernst  und  die  Strenge  der  verletzten  Gerechtigkeit  vor 
und  die  Verhandlungen  sowohl  als  die  Beurtheilung  nehmen 
«ach  die  GemUlhskrfifte  der  Richter  und  Urtheiler  in  er- 
höhtem Grade  in  gespannten  Anspruch. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


906  Acht»  Bach.    Vom  Gericht. 

Zweites  Gapitel 

Gemeinuine  GmodsKUe  Tdr  die  Reehtipfle^ 

1.  Die  Sonderung  des  Genclüs  tob  dem  Eegimente 
in  der  VerfeasuDg  de«  Statt  ist  kl»  ein  Hsuptgrandaatz  des 
neuera  Statei  nuo  nemlicb  Bllgemtio  anerkannt: '  die  Son- 
denmg  nicfat  die  abM^ule  Trennung,  denn  in  dem  Stats- 
oberhaupte  einigt  iich  mit  der  rollen  Regierungamacbt  die 
formelle  Spitae  der  Gencht^»rkeit  ale  in  einem  gem^o- 
samen  Oentnun.  ESne  Folg«  dieser  Sonderang  ist  die  inner- 
liche Selbständigkeit  der  Gerichte  in  der  Aostibung  der 
Gerichtsbarheit,  und  ihre  Unabhängigkeit  von  Aem  Ein- 
flusae  der  Regierung.  ^  Sie  stoüiche  Gerechtigkeit  zu  hand- 
haben ist  der  ernste  und  edle  Berur  des  Richters,  nicht  das 
Zweckmässige  und  nützliche  anzuordnen.  Jenen  Beruf  kann 
er  aber  nur  dann  wUrd^  Üben,  wenn  er  die  festen  Gesetze 
des  Rechts  als  die  einüge  Richtschnur  seiner  Thdtigkeit  he* 
trachtet  und  nicht  dem  Drange  der  Umstände  und  dem 
Wechsel  der  Parteistimmungen  folgt.  Vor  seinen  Stuhle 
soll  Jeder,  der  HächÜge  wie  der  Schwache,  der  Arme  wie 
der  Reiche,  nicht  Gunst  oder  Ungunst,  sondern  unparteiisches  . 
Recht  finden;  daher  mUssen  anch  die  Wünsche  der  R^e- 
rung  hier  sieh  bescheiden  und  darf  ihre  Uacht  nicht  störend 
eingreifon  in  die  ruhig  gemessene  Erforschung  des  wirk- 
liehen  Rechts. 

<  Vgl.  ober.  Buch  V.  ftp.  2,  8.  «8  und  Bach  VI.  Cap.  17. 

*  Bäuerliche  Verf.  VIII.  S-  3:  .Die  Oericble  «ind  inaerhalb  der 
Or&nEen  ihrer  am dicben  Befu^iai  nnabhttngi^,  nod  die  Richter  köonen 
not  darcb  einen  Bechlupruch  von  ihren  Stellen  mit  Verlnit  des  damit 
verbundenen  Qebaltea  entlsBset)  oder  denelben  entaetit  werden."  Verf. 
TO«  Portugal  S.  118:  „Die  geriehüiche  Gewalt  iat  KnabUngig."  i.  123: 
„Die  Bichter  köonen  ihr  Amt  aar  dnrch  ein  Urtheil  verlieren."  Oesterr. 
Verf.  TOR  1849  J.  99:  „Die  richterliche  Gewalt  wird  oclbslondig  von  den 
Qirkhleu  geUbt"  %.  101:  „Rechtspflege  und  Terwaltang  sollen  getrennt 
nnd  von  einander  unabhängig  gestellt  werden.*    Preuaiiache  |.  86. 


iM,Coo<^le 


Zweite«  Capitel.    OmmUmm  Griudaitu  Wr  die  Rvchtopd^e.    M7 

Eineli>e  aus  j«n«ni  Gruodprincip  abgeleitete  Regeln  sipd 
folgende: 

a)  NiemaDd  darf,  wenn  er  sieb  in  •eineiu  Becbte  verletsk 
fühlt,  SD  der  Betretung  und  Vecfolgaog  des  Rechts- 
weges  gehindert  wenleD."  Der  Reditwebats  des  Btales 
imisz  allen  offen  stehen:  auch  den  Niedrigsten,  .ond  aueb 
-den  Fremden.  Es  gibt  im  Sinne  des  neuem  Bedrts  keine 
Reebtlotigkeit  dw  Individuen  nehr,  wie  das  Altertbum 
sie  den  Fremden  (bostcs)  gegenüber,  und  das  deutsde 
Mittelalter  als  Strafe  äer  Friedensbrecher  angenomraeD 
bat  Auch  wer  unwürdig  erscheint,  seine  Sache  selber  xu 
fuhren,  soll  doch  die  Möglichkeit  eines  sein  Recht  wahren- 
de* Vertreters  haben.  Und  es  uemt  dem  State  dafür  za 
sOKgen,  dasB  auch  den  Armen  der  Weg  lu  ihren  Rechte 
»  gelangen ,  nicht  durch  Kosten  und  Fomien  mittelbar  rer> 
achlosaen.    sondern  vielmehr  dorch  BebleUung  der  nOthigen 

*  UndUgs-AbMdiicd  *od  H»DDOT*r  r.  1630  bei  Zacbkrik  D.  St. 
R.  S-  ^-  »dsBi  die  lielw  Jaslii  «iHnn  Jeden  ohne  Reepect  Bchleonig  mit- 
gelheilt,  kdnen  zor  Ungebühr  eafgebsllen,  niemand  mit  Exlnyucinl* 
Decrcten,  lUndMen,  Reecripten  oder  wie  e*  MMMlen  »«bmen  haben  mUgl«, 
b«icbw«ret,  «ondem  derJaatii  ihr  ■( racher  Lanf  geJaaaen  —  und 
darin  rechUicii  cognoaciret  und  procediret  werdeo,  da  entg^en  die  Mtsz- 
bräoehe  allenlbBiben  abgcscbaffel,  nnd  den  ABaeesoren  keineswega  ver- 
MaMet  aein  soll,  unter  einigen ,  nnd  viel  weniger  dem  Pritezt,  daax  du 
bleresae  principl«  mit  antcriaafe  —  sich  abMatktn  und  anfaUnden."  Da» 
deutsche  Suicrecht  de«  Kaiserreichs  sorgledafDr,  dasi  auch  in  slaiBrechl- 
lichen  Streitigkeiten  der  ReichsstÜnde  der  Becbtaweg  Siels  offen  bleibe. 
Wahlcapitolallon  Art  ZIX.  $.  4:  .Und  ob  ancb  einiger  ühorntrst, 
Fürst  oder  ande^r  filaud  (die  freie  nnmittelbare  Reicbsritlerscbftrt  mit 
aiag«acbloascn)  seiner  Regalien ,  Inmedietftt,  Freiheiten,  Rechten  and  Oe* 
rechtigkeilen  halber,  dasa  aielhm  geachwJtehet,  gescbinUart,  geoavunen, 
entiogea,  bekfiniDtert  und  bedmcket  worden,  mitsaiBeDi  Oegeniheila  und 
Widerwärtigen  zu  gebfibrlicfaea  Sechlcn  homaMB,  osd  Ihn  fürfordura 
wolle,  daiaelbe  aollen  und  wollen  Wir,  wie  alle  andere  ordentlich 
Bchwebenden  Reehtrertigangen,  nicht  verhladern,  aoadem 
TMmehr  berordetcn  und  aar  Endachaft  basdileunigcn."  Sohutz  gegen 
Rechtaverweigerung  der  Laudeagericbte  («wUtrlen  die  kaiaer- 
Irchen  Gerichte. 


iM,Coo<^lc 


209  A«litM  Bach.    Ton  Oericht 

Vertretung  -ron  AoitAwegen  offen  erhalten  werde.  Auf  der 
andem  Seite  ist  der  Stat  -aber  reraolaazt,  der  Chikane  pro- 
cesunehtiger  Uenacben  uad  der  Gtofahr  vea  Sebnden,  welche 
fttr  die  Parteien  aus  dem  Proeesae  »elbst  erwaohaen  kann, 
durch  seine  Anordnungen,  z.  B.  aber  Can^onast^ung,  zn 
begegnen. 

b^  {Niemand  darf  seinem  ordentlichen  Richter 
entzogen  werden.*  Dos  germanische  Antlelalter,  in  allen  . 
Dingen  zunächst  aof  die  stftndnehen  VerhAltnisse  Werth 
legend,  drückte  diesen  Orundsatz  noch  bestimmt«'  ao  aus: 
Jeder  soll  vor  seinen  Genossen  beurtheilt  werden."  So 
iirtbeilten  ober  die  Forsten  in  den  alten  Reichsgerichten  nur 
Forsten,  Über  die  Vasallen  in  Leheossaehen  ihre  Mitrasallen, 
Ober  scbOffenbar  freie  Leute  ihre  Standesgenossen.  Die  Bar- 
ger konnten  nur  tob  Ihrem  atAdÜsdien  Gerichte  t>elangt  wer- 
den ,  und  selbst  die  hofhOrigen  Bauern  worden  in  der  R^d 
nur  vor  deren  V<^tei  und  dem  Hofgerichte  belangt,  in  wel- 
chem ihre  Hofgenosseu  urtheilten.*  Das  neaCre  Recht  bat 
diese  Sonderstellung  der  Stände  aufgelöst,  und  wie  die  Rechts- 
grundsfitze,  sowohl  in  dem  Straf-  als  in  dem  Privatrechte, 
gleichmfiszig  auf  alle  Ciassen  der  BerOlkerung,  so  auch  die 
Gerichtacompetenz  über  alle  zugleich  erstreckt.  Diese  Um- 
gestaltung ist  eine  höhere  Phase  der  Rechtsentwicklui^ 
welche  auf  Gldehheit  des  Rechts  in  diesem  Sinne  mit  Recht 
einen  Werth  legt.  Als  Regel  musz  die  Ausdehnung  der* 
selben  Gerichtsbarkeit  auf  alle  Individuen  im  State  daher 

*  HolllincliBche  Verf.  g.  ISO:  „Niemiiid  kann  gtgtn  seinen  Willen 
den  Richter  entiogen  werden,  welchen  das  Qesetz  ihm  znerkennt" 

*  EngÜBclifl  Hagnit  Chmrta  Ton  1%\6:  „Comites  «(  buronea  non 
amercientor  nisi  per  parea  anoa.**  Manirr,  Etnblisseroent  et  cont.  de 
Normandie  p.  TU:  „Chasenii  doit  estre  ^ugiei  par  sea  pera." 

*  8&cbaetiapiegel  11'.  12.  $.  2.  ^Scepeobare  lade  malen  wol  orttel 
vinden  ovbt  jewelken  man.  It  ne  mnt  wer  nppe  ae  nenian  ordel  vioden, 
dat  in  an  ir  litt  oder  an  ir  ere  oder  an  ir  erve  ga,  he  ne  sl  In  evenbnr- 
dich.    Vgl.  oben. 


n,g,t,7rJM,COOglC 


Zweites  Capllel.     ÜemelDMiM  GrundiilUze  tlir  die  RecbiBpllege.    209 

festgehalten  werden.  Aber  diese  Regel  wird  in  unserer  Zeit 
wobl  Doch  zit  abetrect  und  rO^keichtalos  durchgeführt,  und 
ea  werden  die  erforderlichen  Auanahmeu  xu  wenig  beachtet. 


iM,Googlc 


210  Achtes  Bocb.     Von  GerlcItL 

rerhiiidert  sind  in  einem  Palte  dss  Recht  m  handhaben, 
oder  weil  der  Zusaunivenhang  einer  weit  Tcreweiglen  Unter- 
suchnng  eine  Concentration  derselben  bei  einem  Gerichtehofe 
erfordert,  sei  ee,  weil  der  Slat  selbst  in  einen  Nothstaind 
versetzt  ist,  welcher  die  regelottiseige  Entfaltung  der  Rechts- 
pflege unmöglich  macht,  iin<l  um  der  Gefahr  fUr  die  ge- 
saumite  Rechteordiiung  willen  eine  ungewöhnliche  und  rasche 
Strenge  der  Gerechtigkeit  erheischt.  In  den  Fällen  der  ersten 
Art  kann  und  soll  das  ausnahmsweise  fUr  competeol  erklärte 
Gericht  mit  Bezug  auf  seine  Stellung,  Beftignisse  und  Recht«- 
formen  den  oi-denrlichen  Gerithttn  gleich  nrganisirtsein,  nnd 
ganz  die  nAmlicben  Garantien  für  eine  gute  Rechtspflege 
darbieten  wie  jene,  so  dasz  die  Ausnahme  nur  eine  ftuszer- 
liehe  und  unwesentliche  ist.  Die  Fälle  der  zweiten  Art  aber 
machen  eine  stärkere  Abweichung  nOthig.  In  Zeiten  des 
Kriegs  oder  Aufruhrs  kann  die  Verkündigung  des  Stand- 
rechtes  um  der  Existenz  des  States  willen  ein  Oßfentliches 
BedUrfnisz  sein,  und  ea  ktfnnen  die  dann  zumalgeordneten 
Militärgerichte  oder  andere  Ausnahmsgerichte  er- 
mächtigt werden,  Verletzungen  der  gebotenen  Ordnung,  die 
in  normalen  Zeiten  nicht  strafbar  wären,  zu  bestn^ra,  oder 
weit  härter  zu  bestrafen  als  sie  es  sonst  wurden.  Auch  iu 
dem  Vei-fahren  können  eine  Menge  von  formellen  Rechts- 
mitteln, die  in  der  Regel  den  Richter  vor  Uebereilung,  und 
die  Partei  vor  Unrecht  schützen,  beseiügt,  und  eine  sofortige 
unaufschiebbare  Verhandlung  und  ßeurtheilung  geboten  wer- 
den. Diese  Ausnahme  darf  aber  nur  dann  und  nur  so  lange 
zugelassen  werden,  als  wirkliche  Noth  des  State«  da  ist, 
und  auch  iu  diesen  Fällen  darf  untet  keinen  Umständen 
das  Wesen  der  statlichen  Gerechtigkeit  miszachtet  werden. 
Demgeniäsz  ist  unbedingt  daran  festzuhalten,  dasz  Niemand 
verurtheilt  werde,  dem  nicht  Gelegenheit  geboten  worden 
sich  zu  vertbeidigen,  dasz  das  Urtheil  jederzeit  als  Uvtheil 
gefunden,  nicht  als  Willensact  beschlossen,  daher  auch  die 

n,g,t,7rJM,COO<^IC    . 


ZweliM  CRpiiel.    GemciDasme  Orundaitte  (Ir  die  RerhUpO^e.    31 1 

Rechlärorm  des  Gerichts  gewnhrt  werde,  endlicli  dasz  nur 
wirkliche  Reclilsverletztingen ,  unter  keinen  Umsl&nclen  aber 
bloezer  Verdacht,  beetraft  werden. ' 

2.  Die  Oeffentlichkeit  der  Rechtspflege  verstand  sich 
'  in  der  alten  Zeit,  in  welcher  das  ganze  (SfTentliche  Leben 
weit  mehr  als  in  unserer  Zeit  im  Freien  Tor  sich  ging,  ganz 
von  selbsL  Ant  oflfenem  Merkte  saszeu  die  rOmiecben  Prä- 
toren auf  dem  Tribunal,  unter  einer  Linde  oder  Eiche  unter 
dem  offenen  Himmel  hegten  die  deiitsdien  Richter  das  Ge- 
richt. Nur  so  lange  der  Tag  leuchtete,  durfte  die  Gerech- 
tigkeit verwaltet  werden.  Auch  die  Basiliken  der  bj'zantj* 
machen  Epoche  blieben  unverschlossen. 

Die  Aenderung  in  dem  neueren  Europa,  wetdte  die 
Gerichtssäle  verschlosz,  und  die  Heimlichkeit  des  Verfahrens 
cinftlhrte,  kam  wAhrend  des  XV.  und  XVIten  Jahrhunderts 
allmfihlich  auf.  Mancherlei  GrUnde  wirkten  zusammen,  um 
dieselbe  hervorzubringen:    voraus   das  aus  der  kirohlicheo 

'  Di«  Wulh  dvr  Revolution  and  die  LekleDsciMtft  eincrluer  Despoten 
Laben  wohl  auch  diese  8chi-ankrii  überschritleD.  De«  ist  aber  aicbt  mehr 
Justiz,  sondero  Jiisiiiroord,  und  euch  dann,  wenn  derselbe  durch  ein 
Sutsgeseli  tegitlmirt  worden  ist.  Es  gibt -ewige  Prindpien  des  Recht«, 
die  in  ändern  Itein  Gesetzgeber  die  Uschi  bai.  Danton  hat  verancht, 
die  Nolhwendigk«il  des  RevoIntiooslribuDsIs  la  rn;h I fertigen ;  man  Icann 
aber  seine  Gründe  nicht  höi-eo,  ohne  einen  Schauder  Über  die  furchtbare 
Veriirung  eines  so  roüchligeu  Geistee  zn  eropflndeD:  ,11  les  (le«  lots  ei- 
traordinairee)  foal  arbitraires ,  paiw  qu'il  eat  impossibJe  de  In  rendre  prt- 
cises;  parce-qae,  H  trrribln  qu'ell«  »oient,  elleg  eeronl  priffräblft  encore 
aus  Mnaimu  jioptdairf  qiii  oujourd'hui,  comme  eu  seplemlire,  aeraient 
Ts  snite  des  lenienrs  de  la  jnslice.  Ea  tempa  calme  la  socJ£t£  aime  inlenx 
loisaer  ichapperle  coupable  que  frapper  rinnooent,  paroeque  le  coupaUe 
etl  peu  dangereu^t;  mafs  Jk  mesure  qu'il  le  devieot  davantage,  eil«  lend 
[Invantage  aussi  Jk  le  saiair;  et  lorsqu'il  devieut  si  dangereux  qu'il  pour- 
rart  la  hire  p*rlr  ou  du  moins  qu'elle  le  croii  aioai,  eile  frappe  Uml  et 
fm  miU  »r$  souppmi,  et  prtiSre  alors  atleindre  uu  innocent  que  laisser 
«eliapper  on  coupable.  Teile  eat  la  diclalure,  c'eat  4  dire  rodio»  vielrKtr 
dam  In  meHUi  mmac^n."  Thlera,  hiaioire  de  la  r*Tol.  franj.  H.  320, 
318.  Üeber  die  (Vühem  „Juatiicominiswoiien"  in  Frankrei<di  vgl.  Scliäff- 
ner,  Bechtagaach.  II.  8.  431. 


iM,Coo<^lc 


212  Achl«e  -Buch.     Ton»  Oericbl. 

Zucht  der  Gewissen  auf  die  statliche  Gerichtaburkeit  Ober' 
ge(rag:eae  Princip  der  Iiiquisitioo,  welche  im  Sti-afprocesz  die 
Seele  des  Verbrechers  wie  ein  scheues  Wild  in  ihren  ge- 
heimsten Schlupfwinkeln  atifauchte,  und  durcli  lieimliche 
Nachstellung  leichter  zu  erjagen  hoffte;  sodann  die  Einfüh- 
rung einer  gelehrten,  aus  den  schriftlichen  Quellen  des  rö- 
mistihen  Rechts  schöpfenden  Jurisprudenz,  welche  im  Civil- 
procesz  vorzuglich  von  dem  Leben  abzusehen ,  und  auf  da« 
Studium  schriftlicher  Aclen  all  ihren  Fleisz  und  ihre  Auf- 
merksamkeit zu  verwenden  mehr  und  mehr  sich  gewöhnte, 
ferner  die  Erschlaflung  der  politischen  Theilnahiiie  des  Vol- 
kes an  den  öffentlichen  Verhandlungen  und  endlich  die  zu- 
nehmende gewaltsame  und  absolutistische  Richtung  der  Zeil. 
Erst  in  der  neuern  Zeit  ist  das  Streben  nach  Oeffent- 
liclikeit  der  Rechtspflege  wieder  stärker  geworden,  nun  aber, 
eben  um  der  frühem  Erfahrungen  willen,  weniger  unbefan- 
gen und  zugleich  bewuszter  als  vor  Alters.  Die  Oeffentlicli- 
keit  ist  in  Wahrheit  ein  Erfoi-dernisz  einer  wohl  organisirten 
Reehtapllege.  ^  Es  ist  nicht  die  Aufgabe  des  States,  die  Ge- 
wissen zu  erforschen,  und  gleichsam  das  unsichtbare  Leben 
der  unsterblichen  Seele  zu  ergründen.  Er  hat  es  auch  mit 
der  Schuld  nur  insofern  zu  thun,  als  dieselbe  sich  in  Auszer- 
lich  wahrnehmbaren  Handlungen  kund  gegeben,  und  die 
leibliche  Rechtsordnung  des  States  äuszerlich  verletzt  hat. 
Daher  darf  er  nicht  ihre  Geheimnisse  zu  ei^ründen  suchen, 
sich  nicht  anmaszen,  das  göttliche  Gericht  auf  der  Erde  zu 
üben.  Darum  bedarf  die  Öffentliche  irdische  Gerechtigkeit 
auch  des  hellen  Tageslichtes.  Nur  was  vor  diesem  offenbar 
wird,  fällt  in  ihren  Bereich.* 

•  Holiftiidiaclie  Verf.  %.  155:  „Die  GencltlMilzongea  aiud  öffeal- 
tich,  mii  dem  Vorbehalle,  die  Schliesiuug  im  lnl«re«»e  dei'  ötFenlliclieii 
Ordnnug  imd  SiUticbkeit  ii&eh  dem  Qewtie  fesUaalelleii."  Belgische 
$.  96.    PieuazJBche  %.  »3. 

*  Keuerb&cli,  Beti-MbtODgen  Über  Oefienllichkelt  aiid  Uiiiidlichlieit 
S.  90:  „Sli^e  die  Gerechligkeil  sellMt  leibhaft  Tom  HimiDel  auf  die  Er^« 


rmn-n-.;G00g\c 


Zweites  Capilel.     Oemt^intame  Onindaftlze  für  die  Rechtepllege.     213 

Die  Oeffentlichkeit  ist  denn  aber  in  verschiedenem  Sinne 
zti  Tassen.  Die  oline  Vergleich  wichtigere  BedeiUnng  dersel* 
ben  bezieht,  sich  anf  die  Betheiligten  selbst,  und  ihr  Ver- 
hfiltnisK  zum  Gericht.  Im  Ctvilprocesz  haben  so  die  beiden 
Parteien  ein  Recht  darauf,  im  'Strarprocesz  auch  der  Ange- 
scholdigte,  dasz  ihnen  durch  den  Proceszgang  Gelegenheit 
verachafit  werde,  die  Klage,  Erwiederungen,  Zeugenatissagen, 
Beweismittel  rollständig  zn  erfahren  Und  zu  prüfen,  hinwie- 
der sich  darüber  gegen  das  Gericht  mit  voller  Offenheit  nnd 
mit  freier  Benutzung  der  auch  zu  ihren  Gunsten  sprechen- 
den fluszem  Kennzeichen  der  Wahrheit  auszusprechen,  und 
ebenso  das  Urtheil  und  die  £n (scheid nng^grOnde  desselben 
,zn  vernehmen.  Jedes  Hemmnisz,  welches  solcher  Oelfent- 
Hehkeit  bereitet  wird,  ist  ein  Schatten,  welcher  die  Reinheit 
der  menschlichen  Gerechtigkeit  Irttbt  nnd  verdunkelt.  Auf 
ihr  beruht  denn  auch  voinehmlich  das  Vertrauen  der  Be- 
theiligten, mittelbar  des  Volkes,  auf  die  Wahrhaftigkeit  und 
Redlichkeit  derselben. 

Minder  erheblich  ist  die  OefTentlichkeit  im  zweiten  Sinne, 
welche  sich  anf  die  nur  indirect  bei  der  Verwaltung  der 
Rechtspflege  interessirte  Übrige  Menge,  das  Publicum  bezieht, 
minder  erheblieh,  aber  schon  darum  nicht  zu  verschmähen, 
weil  in  ihr  theils  eine  Garantie  liegt  fUr  Bewahrung  der 
OefTenllichkeit  in  erstem  Sinne,  theils  eine  mittelbare  Con- 
trole  der  öifeDtlichen  Meinung    Ober   die  Handhabung   der 

lierab,  um  tu  eigener  Persoo  dos  Richte ramt  in  verwalten,  80  müezte  sie, 
um  Bick  als  Oerecbligbeit  m  belmiiden,  ötTentlich  tn  vollem  TageelJcbt 
auf  dem  RicbtersUible  siiien,  und  dürfte  —  node  aie  euch  nicht  für  gut, 
die  Binde  vor  ihren  eigenen  Augen  za  Jüpfen  —  nenigalene  nicht  ge- 
statten, d«8£  den  Angen  der  Kcchlaeuclienden,  oder  wer  sonat  vor  ihr  lu 
eraclieiiien  Lael  hätte,  auf  irgend  eine  An  gewehrt  wUrde,  Sie  in  ihrem 
ganien  Tbno  und  Handeln  anfrnerluam  lu  beobnchten.  Nähme  ihr  auch 
die  Terborgenheil  nichts  von  ihrem  innern  Wesen,  so  entzöge  sie  ihr 
wenigstens  viel  oder  nllea  in  der  Ueinung;  bedürfte  sie  gleich  nicht  der 
OefTentlichkeit ,  um  gerecht  lu  sein,  so  bedOrfle  sie  derseltfen  gleich woiil 
lim  oichl,  selbst  wo  si«  nur  gerecht  ist,  iingei-echl  x<i  scheinen." 


n,g,t,7rJM,COOglC 


214  Achte«  Bucli.    Vom  Oeriolit. 

Rachtepflege  im  Allgemeinen.  In  hOhei-em  Grade  iet  sie  es  fur 
die  Strafrechtspflege,  weil  die  öfTenllichen  Interessen  bei  dieser 
stärker  lietheiligt  sind,  in  geringerem  fUr  die  Civilrechtopflege, 
welche  zunächst  nur  die  Parteien  seihst  angeht,  das  Publi- 
cum nur  wenig  berührt.  FUr  die  letztere  sind  daher  audi 
desto  eher  Auenahmen  zu  gestatten,  wo  die  Veröffentlichung 
den  Parteien  ohne  Noth  Schaden  zniHgen  könnte,  oder  die  ■ 
gute  Sitte  durch  die  öffentliche  Verhandlung  gefährdet  wurde. 
Aber  selbst  (ür  die  erstere  ist  die  Zulassung  des'gesamniten 
Publicums  kein  absolutes  Gesetz,  obwohl  Beschrünkungen 
nicht  leicht  zu  gestatten  siud.  Es  ist  wahr,  dasz  besonders 
auf  dem  Continent,  wo  flie  OeffentUchkeit  noch  als  ein  neu 
errungenes  Gut  erscheint,  dieselbe  noch  zuweilen  zu  Partei' 
demonstrationen  nüszbraucbt  wird,  welche  die  Würde  dar 
Gerechtigkeit  verletzen,  die  Urtheiler  auch  gelegentlich  ein- 
schdchtem,  und  den  Ernst  der  Strafgerichtsbarkeit  paraljsi- 
ren.  Das  ist  aber  nicht  ein  Gebrechen  der  Oeffentlichkeit 
selbst.  Der  Fehler  liegt  hier  meistens  in  der  Schwäche  der 
leitenden  Richter,  und  in  den  unklaren  Vorstellungen  ron 
ihrer  Stellung  und  ihren  Befugnissen.  Wenn  diese  ein  leben- 
diges Bewusztsein  haben  von  der  Hoheit  ihres  Berufes,  und 
wenn  sie  es  verstehen,  die  Gei-echtigkeit,  welche  zu  vertretep 
sie  die  Pflicht  haben,  mit  Energie  gegen  jede  Anfechtung 
der  Rechtsordnung  selbst  von  Seite  der  Parteien  oder  ihrer 
Anwälte,  und  gegen  jedes  Miszverstftndnise  und  jede  un- 
gebührliche Miszachtung  des  Publicums  energisch  zu  schützen, 
so  .wird  ein  derartiger  Miszbrauch  bald  aufhören. 

bie  OeffentUchkeit  der  Gerjchtsberathung  dagegen, 
in  einzelneil  Ländern  ausnulimsweise  eingeführt,  ist  durch- 
aus nicht  zweckmäszig.  Die  gerichtlichen  Handlungen  sollen 
alle  klar  ans  Licht  treten,  aber  anders  verhält  es  sich  mit 
der  Ueberleguug,  welche  jenen  vorausgeht.  Man  bedenkt 
sich  besser,  unbefangener  und  freier  im  Stillen;  man  ver- 
bessert auch  eine  irrige  Meinung  lieber  und  ist  empßinglicher 


iM,Coo<^lc 


ZxrtiUt  Opit«l.    a«itMiiuune  Grnnditttze  für  die  Rechlspflegc.    215 

ntr  die  G^engritnde  Anderer,  wenn  man  jene  noch  nicht 
öSieiillich  tcund  gegeben  hat,  so  lange  noch  die  Berathung 
in  engeroi  Kreise  verBchloseen  bleibt. 

3.  Nahe  verwandt  niit  der  Oeffentlichkeit  ist  das  Princip 
der  Mundlioiikeit.  Ihr  Werth  liegt  in  der  Unmittel- 
barkeit nnd  Lebendigkeit  des  Verkehrs  zwischen  den 
Parteien  und  dem  Gerichte.  Durch  diese  Eigenschaften  aber 
wird  die  wahre  Erkenutniez  der  Sachlage,  das  Vertrauen  in 
eine  gere'shte  Beurtheilung  und  die  Achte  Volksthllmlichkeit 
der  Jnsliz  wesentlich  gefördert.  Die  Schrift  ist  doch  nur 
ein  unToIlkommenes  Bild  der  lebendigen  Erscheinung.  Eine 
Menge  von  Eindi-ücken ,  welche  das  unmittelbare  Anschauen 
und  Anhören  des  Richters  und  der  Parteien  erbszt  und  in 
sich  anfnimmt,  rerschwindet  spurlos  in  der  Schrift.  Wird 
der  Verkehr  zwischen  dem  Gericht  und  den  Parteien  durch 
die  todte  Schrift  vermittelt,  so  steigen  in  der  Seele  dieser 
Zweifel  anf,  ob  jenes  auch  den  vollen  wahren  Sinn  richtig 
erkenne,  ob  ni<^t  die  Täuschungen  einer  gewandten  nnd 
nicht  erröthenden  Feder  irre  leiten,  sogar  ob  das  Gericht 
sich  die  Muhe  nehme,  mit  Sorgfalt  zu  prüfen.  Das  Misz- 
Imuen  stellt  sich  ein,  und  die  ErAthruog  zeigt,  dasz  es  nicht 
ganz  selten  b^ründet  ist.  Dann  kommt  es  auch  durch  eine 
gelehrt  scheinende  Handwerksferligkeit,  die  in  der  Schrift 
eine  Stitlze  und  einen  Spielraum  fUr  ihr  Gewerbe  Undet, 
dahin,  dasz  Richter  und  Partei  sieh  gegenseitig  nicht  einmal 
mehr  verstehen.  Wir  haben  die  Merkwürdigkeit  erlebt,  dasz 
das  Recht  selbst  zuletzt  für  die  eine  völlig  unverständliche 
Grösze  wurde,  welche  doch  dieses  Recht  in  ihren  Handlun- 
gen und  in  ihren  Verhältnissen  beachten  sollten.  Es  kam 
so  weit,  dasz  die  Parteien  selbst  nur  das  Resultat  des  Pro- 
oesses  nnd  die  Eostensnote  in  einer  Sprache  erfuhren,  die  sie 
begriffen,  die  ganze  Verhandlung  aber  und  die  GruudsAtse, 
nach  welchen  geurtheilt  wurde,  ihnen  soger  dann  ein  voll- 
kommenes Gtehetmnisz  blieben,    wenn  sie  die  ausführlichen 


iM,Coo<^lc 


216  AchtM  Buch.    Vom  Qeririit. 

Acten  zu  leseu  bekamen,  so  daez  e&  scbieo,  als  ob  nur  jene 
Dinge  die  Part^  angingen ,  diese  aber  bloez  eine  geistreiche 
Schulntiung  ihrer  Anwälte  und  der  Richter  seien,  ohne  In- 
teresse ftlr  die  Partei,  wie  wenn  die  Rechtsordnung  nur  fUr 
die  Gelehrten ,  nicht  fUr  das  ganze  Volk  Geltung  hätte.  Es 
ist  fVeilich  eine  nothwendige  Folge  unserer  Cultur,  dasz  die 
Rechtskunde  nicht  mehr  gl^chmftszig  aber  alle  verbreitet 
ist,  wie  in  der  einfachen  Jugendzeit  der  VAlker;  die  Rechts- 
wissenschaft wird  nur  durch  ernste  Studien  errangt  und 
nur  durah  einen  fortgesetzten  juristischen  Beruf  wach  ei-hal- 
ten;  sie  ist  nicht  jedermann  erreichbar,  nicht  ein  allgemeines 
Gut.  Aber  es  ist  eiue  nicht  abweisbare  Anforderung  an  die 
wissenschaßlich  geleitete  Rechtspflege,  dasz  dieselbe  die 
Gründe  ihrer  Handlungsweise  und  die  Rechtsgedanken, 
welche  ihre  Entscheidung  bestimmen,  dem  einziehen  Meu- 
schenverstand  klar  zu  machen  wisse.  Vor  jenen  Abwegen 
schützt  denn  auch  die  Hilndlichkeit  des  Verfahrens,  eben 
weil  es  auf  dem  unmittelbaren  und  lebendigen  Verkehr  der 
Parteien  und  des  Gerichts  beruht. 

Die  Mündlichkeit  ist  demnach  ein  Grundzug  eines  gaten 
Proceszverfahrens ,  und  ein  allgemeines  auf  alle  Arten  des 
Gerichtes  passendes  Erfordeinisz.  Indessen  tliut  auch  hier 
eine  pedeuitische  Einseitigkeit  nicht  gut.  Die  Schrift  hat  hin- 
wieder eigenthUil) liehe  Vorzüge,  welche  einzelne  M&ngel  der 
mündlichen  Rede  zu  ergänzen  geeignet  sind.  Sie  fixirt  das 
Wort,  das  leicht  Überhört  oder  vergessen  wird ,  und  sie  kann 
mit  ruhiger  Ueberleguug  iixiren,  was  der  bew^te  und 
eilende  Mund,  vielleicht  seiner  selber  nicht  mächtig,  lalsch 
ausdrucken  könnte.  Bei  den  oft  sehr  verwickelten  Verhält- 
nissen unsers  jetzigen  Lebens,  in  dem  die  Schrift  als  Bil- 
dungs-  und  Ausilrucksnioment  eine  bedeuteude  Stellung  hat, 
i»t  sie  nicht  ohne  Schaden  völlig  zu  verbannen,  und  so  nitisz 
denn  wenigstens  als  Ausnahme  von  jener  Regel  und  zu 
beschrankender  Modilikation  derselben  auch  der  Schrift  der 


iM,Coo<^lc 


Zweites  ChpKel.    OeroeiiiBnmc  GrnodsKtie  fBr  di«  RmhUpQq^.'  317 

ihr  gebOhrende  ^ntheil  belasaen  und  die  wohUhfttigen  Eigen- 
schaften dereelben  anerkannt  und  benutzt  werden,  wie  e.  B. 
bei  der  genauen  ond  bleibenden  ConsHtitirung  des  Strat' 
objectee  im  Civil-,  bei  dem  zwar  zu  beschränkeiideo  Voi^ 
verßibren  im  Criniinalprooesz. 

4.  Einer  bewunten  Hechteentwiokliing  entspricht  end- 
lieb der  GrundMlz,  den  aucb  manehe  neuere  VerfaMungen 
au^eaproclien  haben,  da»  dem  Rechtesprucfa  die  Ent- 
seheidnngsgrilnde  beigefügt  werden  sollen.'*'  Das  Ge- 
ridit  wird  dadurch  genOthigt,  sich  selber,  den  Parteien  nod 
dem  Volke  RechenKhaft  xa  geben  üb«-  die  Gruodafttze  der 
Oerechtigkeil,  welche  e«  handhaben  soll,  und  es  liegt  daher 
in  dieser  Bestimmung  wieder  ein  Schutz  gegen  bloaze  Will- 
kttr  nnd  Laune. 


Drittes  CapiteL 

Org«niMiioii  der  Civjlreehlapllege, 

1.  Die  Trennung  der  sogenannten  rreiwilligeu  Ge- 
riclitebarkeit  von  der  stieiiigeo  ist  in  den  einen  Staten 
in  neuerer  Zeit  dui-chgeHthrt  worden,  in  andern  mit  dieser 
noch  verbunden.  Die  eigentliche  Tliätigkeit  des  Gerichtes 
ist  offenbar  nicht  die,  Rechtsverhältnisse  zu  begrUiideu, 
sondern  die,  die  verletzte  Rechtsordnung  herzustellen. 
Es  '  li^t  daher  die  Mitwirkung  des  Gerichts  bei  dem 
Abschlüsse    von   Rechtsgeschäften    zuo&chst  auszerhalb  des 

<*  BftyeriBche  Verf.  VIII.  %.  2:  „Alle  Qerlcblselelleii  «Ind  verban- 
dm,  ihren  Urtfaeiien  Bittacheid nngagrilnde  bdmfDgeii."  HollSndltche 
S.  156:  „Alle  (IrlheilujH-Uche  mÜHeu  die  Orliude,  worauf  »ie  beruhen, 
iiud  in  SlrafHIIen  die  Artikel  der  Geaeiie,  nach  welolien  die  Verurlbei- 
laog  erfolgt  ist.  kiifUhren,  miil  bei  oHtneo  Thüren  geapruclien  werden." 
Belgische  S-  «■ 


ii:,Coo<^lc 


218  Achte*  Bncb.    Tom  Oeriehl. 

gerichtlichen  Bereiches,  und  schni)  deesbelb  ist  es  rathsatn, 
die  Gerichte  nicht  mit  Oeschfiften  211  Qberladen,  wolche  ihnen 
fremdurtig  sind.  Soweit  jene  Mitwirknn^bloszaiis  formeUen 
Granden  erfordert  wird ,  theils  nm  die  EUchtsgeschfifto  unter 
die  Controle  und  den  Schutz  der  Oeffentlichkeit  »1 
stellen,  wie  z.  B.  bei  VeriluBzening  und  Verpfandung  von 
Grundstücken,  theils  um  den  Rechtshandlungen  dieOlauh- 
wHrdigkeit  zu  sichern,  wie  si.  B.  bei  Wechselprotesten 
oder  Beglaubigung  von  Unterschriften,  kann  leicht  und  besser 
tür  diese  Zwecke  so  gesorgt  werden,  dasz  besoodere  Büt 
öffentlicher  Glaubwürdigkeit  ausgeritstete  BerufemAnner  be- 
stellt werden,  die  nicht  als  eigentliche  Beamte,  weil  t^ne 
Amtsgewalt,  xu  betrachten  sind,  sondern  dem  PriTatvericehr 
dienen.  Das  Institut  der  Notare  und  das  der  Mäkler  sind 
ron  der  Art.  Die  Aufsicht  Ober  deren  Thfttigkeit  zum 
Schutze  guter  Ordnung  gebflbrt  denn  allerdings  den  Gerich- 
ten, sie  nimmt  aber  verhaltniszmäszig  wenig  Keit  in  An- 
spruch. Wo  dagegen  die  Hitwirkung  des  Gerichtes  den 
Zweck  hut,  die  Rechtsverhältnisse  zu  prUfen,  und  darauf 
Bedacht  zu  nehmen,  dusz  nicht  bestehende  Rechte  beein- 
trächtigt werden  und  Widerspruche  oder  die  Veranlassung 
zu  Streit  zu  heben,  da  nähert  sich  die  freiwillige  Gerichts- 
barkeit so  sehr  der  streitigen  itii,  dasz  dieselbe  gewisser- 
maszen  anhangsweise  den  Gerichten  verbleiben  muaz.  Denn 
auch  sie  wird  zur  Handhabung  und  Befestigimg  der  Rechts- 
ordnung geübt.  Die  Prüfung  und  Genehmigung  von  Letb- 
zuchtsverlrägen ,  fideicommissarischeii  Stiftungen  n.  dgl.  m^ 
hIs  Beisj)iel  erwähnt  werden. 

%  Da  die  Civil rechtspflege  im  Interesse  und  auf  Ver- 
Itingen  der  streitenden  Parteien  geubt  wird,  so  ist  die  Zu- 
lüssigkeit  der  Schiedsgerichte  ein  derselben  natilrlicher 
Grundsatz.  Auch  hat  der  Stut  keinerlei  Interesse  zu  wün- 
schen,'dasz  die  Streitigkeiten  der  Privaten  zu  seiner  Cogni- 
tion gelangen,  vielmehr  ist  jede  friedliche  Erledigung,  welche 


iM,Coo<^lc 


Oriltea  Cspitel.    OrgauiMtion  der  aTlIrMbiapA^c  319 

seine  Thätigkeit  nicht  in  Ansprueb  ninaait,  Air  ihn  ein  Ge- 
wion.  Zu  einer  Eiferaueht  «ier  Gerichte  auf  die  Sohieda- 
t^erichte  ist  demmtch  keinerlei  Grund  vorhanden.  Im  Gegen- 
theil  der  Stat  hat  ein  Interesse,  die  Anwendung  des  schieda- 
gerichtlichen  Verfahrens  seifierseits  zu  nntersttitzen. ' 

Wird  aber  das  schiedsrichterliche  Urtheil  von  der  unter- 
liegenden Partei  nicht  befolgt,  so  steht  den  Privatnrtheilern 
allerdings  Icein  Mittel  der  Execution  2U  Geb(He,  und  die  sie- 
gende Partei  wird  immerhin  genöthigt  sein,  den  Schnti  der 
ordentlichen  Gerichte  anzurufen,  da  nur  diesen  die  obrig- 
keitliche Macht  der  Rechtspfl^e  Eukomoit.  Da«  Urtheil  des 
Schiedsgerichts  ist  daruni  doch  nicht  überflüssig  und  bedeu- 
tungslos. Ist  das  Schiedsgericht  gehörig  bestellt  und  von 
der  Partei  ermächtigt  "worden ,  und  hat  dasselbe  ein  Urtheil 
erlassen,  dessen  Form  klar  ist  und  dessen  Inhalt  nicht  die 
Grundsätze  des  guten  Glaubens  (der  bona  fides)  offenbar 
verletEt,  so  wird  das  Gerieht  eben  auf  Grundlage  jenes  Ur- 
theils,  das  den  Rechtsstreit  der  Parteien  erledigt,  seinen 
Schulz  gew&hren  und  keineswegs  den  Procesz  wieder  von 
Anfang  an  binnen  lassen.^ 

3.  Verwandt  mit  der  Anerkennung  und  der  Begünsti- 
gung der  Schiedsgerichte  ist  die  Institution  der  friedens- 
richterlicben  Vermittlung,  -welche  in 'der  Regel  dem 

'  Vlfiamu,  L.  3,  S-  1  d«  receptia  qui  arbitiium  recepernnt;  „Temet«) 
Deniiuem  Praetor  cogat  firüitriam  i-eeipere,  qiioDiam  beec  res  Über»  el 
«oIdU  est  et  extra  aecesaiutem  joHsdivtionis  pocil»,  illameB,  nbi  semfl 
qaia  \o  ee  reeeperlt  arbitriam,  ail  eoram  et  airillciliidiDein  suam  haue  rem 
perlioere  Praetor-pnUt,  DOn  lanliim  quod  studet,  litea  flniri,  verum  quo- 
niam   nan   deberent   decipi,  qnieiim   quasi   vinmi   boniim  disccplatoreni 

'  BnäMi,  l:  19  pr.  de  rec.:  „Qaalem  aulem  Bententiam  dleat  arbiter, 
ad  Praetorem  imm  peritoere  Labeo  ail,  duromodo  dicat,  qaod  ipan  vldetur. 
%.  1.  Dicere  anlem  aentcnliam  exislimamue  eam  ,  ijui  ee  mente  quid  pro- 
uantiat,  iit  seenDdain  id  discedere  cos  a  lote  raintroversia  velit,  8ed  si 
de  plaribus  rebna  lit  arbitrium  receptnm,  nisi  omne«  conlroveraiaB  ßnie- 
rit,  DOn  videtar  dkste  aentcntia,  aed  adhuc  erit  a  Praetore  cogendaa." 


iM,Coo<^lc 


^0  Achtes  BqcIi.    Vom  Oerichl. 

^ericlitlkheu  Verftihren  Toranegehen  und  zuerst  einen  Ver- 
such machen  soll,  et>  nicht  der  Streit  in  Minne  zn  schlichten 
sei,  bevor  der  ei^ntlichc  Rechtsweg  betreten  wird:  eine  lo- 
fltittition,  welche  wohl  orgenisirt,  sehr  wohlthätig  wirkt.  Ee 
ist  ein  wahres  Sprichwort,  daszein  magerer  Vergleich  besser 
sei  als  ein  fetter  Procesz,  nnd  wenn  man  euch  Ni^nandea 
zwingen  darf,  von  setoem  wirklichen  Rechte  auch  nur  ein 
Jota  nachzulassen,  so  darf  man  doch,  ohne  seinem  Recht« 
zu  nahe  zu  treten,  jeden  zur  Prüfung  aunbrdem  nnd  m 
einem  Versuche  einladen,  ob  nicht  eine  friedliche  Ver- 
ständigung noch  möglich  sei.  Gelingt  dieselbe,  so  ge- 
schieht, auch  wenn  das  Resultat  derselben  mit  dem  durch 
einen  weitschichtigen  Proceez  mit  juristischer  Lupe  zu  er- 
gründenden Rechtsurtheil  nicht  völlig  fibereinstimmen  sollte, 
keinem  Unrecht;  und  es  werden  den  Parteien  alle  die  Sor- 
gen, Kosten  und  Hiszstimmungen ,  die  den  Procesz  als  noth- 
wendige  Uebel  begleiten,  erspart,  die  Rechtsordnung  auf 
(Hedliche  Weise  sofort  wieder  hergestellt  und  die  öfl^ntlichen 
Gerichte  des  Stats  nicht  weiter  bel&stigt. 

Wird  die  Vermittlung  den  ordentiichcn  Gerichten 
selbst  zugewiesen ,  so  haben  diese  zwar  den  Vortheil  einer 
genaueren  Erkenntnisz  der  Sachlage,  die  ihnen  durch  das 
t^t)ceaETflrfahren  klarer  enthüllt  wii-d,  und  zugleich  einer 
gründlicheren  Einsicht  in  die  Natur  des  streitigen  Elechtes 
für  sich.  Aber  dieser  Vortheil  wird  durch  andere  Nachtheile 
dieser  Einrichtung  überwogen;  denn  ein  Theil  der  durch 
eine  vorausgehende  friedensricbterlicbe  Vermittlung  vermie- 
denen Uebel  und  gewöhnlich  sogar  der  gröszte  Theil  dieser 
Uebel  ist  dann  schon  eingetreten.  Äuszerdem  aber  p^egen 
die  Parteien  durch  die  Verhandlungen  des  Processes  nicht 
friedlicher  gestimmt  zu  werden,  sondern  je  mehr  der  Ver- 
drusz  sich  während  desselben  ansammelt  nnd  je  höher  die 
Kosten  steigen ,  desto  weniger  haben  sie  ein  offenes  Ohr  für 
den   Ve^leich,   es   wäre   denn  dasz   die   Erschöpfung   ihrer 


n,g,t,7rJi',C00glc 


Uritlea  Capil«!.    Organisation  der  avilivcblspllege.  321 

erihaUelen  Er&fte  sie  saoi  Nachgebeo  bestimaite,  eiii  GeinUths- 
«Island,  der  sicher  nicht  aU  eine  normale  Grundlage  eines 
gerechten  und  wohlthtttigen  Vergleiches  betrachtet  werden 
kann.  Endlich  ist  es  nicht  die  eigentliche  Aufgabe  des  Rich- 
ters, die  Ausgleichung  bu  betreiben,  sondern  Recht  zu  spre- 
chen, und  wenn  er  jene  mit  Nachdruck  versucht,  riskirt  er 
das  Vertrauen  der  Parteien  in  seine  Gerechtigkeit  tu  ver- 
lieren. 

Die  Anordnung  besonderer  Friedensrichter,  die 
nicht  Recht  zwischen  den  Parteien  zu  sprechen  sondern  den 
Frieden  su  vemiittelii  den  Beruf  haben,  wie  sie  in  Frank- 
reich eingeführt  und  dann  vorzüglich  in  der  Schweiz, 
auch  in  einzelneu  Lftndem  von  Deutschland  und  in  Por- 
tugal' nachgebildet  worden  ist,  verdient  daher  eine  allge- 
meine Anerkennung  und  eine  noch  sorgfältigere  Ausbildung. 
Von  grossem  ESnflusz  ist  es  auf  eine  gedeihliche  Wirksam- 
keit der  Friedensrichler,  wenn  »e  nicht  als  eigentliche  be- 
soldete Beamte,  nicht  blosz  als  die  unterste  Classe  der  ge- 
richtlichen BeamtenordnuDg  angesehen  und  behandelt  werden, 
sondern  in  höherem  Masze  als  Vertrauens-  und  Friedens- 
mOnner  des  Volks,  so  dass  angesehene  Hfinner  des  Landes, 
welche  nicht  gesonnen  sind  dem  eigentlichoi  Stalsdienste 
sieh  zQ  widmen  und  in  diesem  emporzusteigen,  sondern 
durch  ihre  Lebenserfahrung  und  ihre  sociale  Stellung  in 
weiten  Kreisen  erhöhte  Achtung  und  Vertrauen  genieszen, 
gerne  solche  Stellen  tkbemehmeD  und  in  ihnen  wirken.  Selbst 
der  Aristokratie  des  Landes  kann  hier  ein  durchaus  wUrdiger 
und  zugleich  populärer  Wirkungskreis  eröffnet  werden,  in 
welchem  sie  in  freier  Weise  ihre  moralische  Autorität  zur 
Befestigung  des  Friedens  und  des  Reehtes  ausüben  kann. 

4.  Der  Organismus  der  Civilgerichte  ist  in  verschiedenen 

'  Verf.  g.  128:  „Wenn  man  nicht  iiivor  i>ewieseii  bat,  ilaez  man  daa 
Vergleicbamittel  verflachl  li»t,  kaoD  man  ancli  keioeu  Prooe»  ajifangen." 
%.  139. 


iM,Coo<^lc 


23S  Acbles  Baeb.     Vom  Öerichl. 

Zeiten  nnd  unter  Terscliiedenen  Völkern  aehr  verschieden 
geordnet  worden.  Den  despotischen  Staten,  besonders  Asiens, 
ist  das  System  von  Einzelrichtern  eigen,  welche  im  Na- 
men und  mit  Vollmacht  des  Herrschers  Utr  sich  allein  zu 
Gericht  silzen  und  Recht  sprechen.  Dieses  System  hat  zwar 
den  einon  Vorzog,  dasz  der  mächtige  Richter  jeden  Streit 
unverzQglich  entscheidet;  abes  es  ist  in  ihm  so  viel  Gewalt 
coiicentrirt,  dasz  sie  die  eigentliche  Natur  der  Rechtspflege 
Qberall  rerdorben  und  die  WillkQr  an  die  Stelle  der  Ge- 
rechtigkeit gesetzt  hat  *  In  den  freieren  europäischen  Sta- 
ten  ist  daher  diese  Form  mit  Recht  verworfen  oder  derselben 
wenigstens  nur  eine  beschrankte  und  durch  Rechtsmittel  er- 
mftszigte  Anwendung  gestattet 

Auf  dem  europäischen  Contiiiente  ist  seit  dem  XVten 
Jahrhunderte  das  System  der  Richtercollegien  zum  herr* 
sehenden  geworden,  welche  zugleich  die  Rechtsordnung  hand- 
haben und  das  Urtbeil  sprechen.  Je  nach  der  besondero  Natur 
und  Geschichte  der  einzelnen  Stuten  werden  dieselben  in 
gröszerer  oder  geringerer  Anzahl  von  Mitgliedern  von  dem- 
Statsoberhaupte  ernannt  oder  in  R«pnbliken  auch  von  deu 
Oerichlsgenossen  gewälilt.  In  den  einen  sitzen  nur  rechts- 
gelehrte Richter,  in  den.  andern  sind  diese  mit  ungelehrten 
Rittent,  Bürgern  oder  Bauern  gemischt  Gewöhnlich  aber 
liaben  alle  diese  Richter  den  Chai-akter  von  Jnstizbe- 
n  m  t  e  n. 

Im  Vergleich  mit  dem  Institute  der  Einzelrichier  haben 
diese  CoUeg^en  jedenfalls  grosze  Vorzüge.  Es  ist  weit  gröszere 
Garantie  vorhanden,  dasz  dieselben  nicht  nach  Willktlr,  son- 
dern nach  Recht^rnndsätzen  sprechen,  wäl  sich  die  Uit* 
glieder  wechselseitig  controliren  und  ihre  Einsicht  ergfiuzen. 
Sie  werden  daher  audi  bei  den  Parteien  mehr  Vertrauen 
finden.  Es  ist  unverkennbar,  dasz  in  diesen  Collegien  sich 
irbaeb,  OefTeuUlclilteit 


MjCoo<^lc 


Drittes  Copitel.    OrganfMiion  d«r  CivUrvcbispflege  323 

ein  Gemeingeist  ausgebildet  bat,  welcher  durch  die  wissen- 
schaftliche ßerufebildung,  und  die  fortgesetzie  gemeinssme 
Th&ügkelt  in  Verwaltung  der  Rechtspflege  gehoben  worden 
ist  Der  Elicbterstand  des  neuern  Europs's  bat  ein  lebhaftes 
Gefühl  von  Richlerebre,  welebe  die  eiDMlnen  Glieder  des- 
selben moralisch  stftrkt  und  tot  Abwegen  schOlzt.  —  Eis  ist 
das  ein  so^;fftltig  zu  bewahrendes  E^bgot  ans  froherer  Zeil. 
Dessen  ungeaebtet  leidet  diese  nodeme  Einrichtung  an 
mancherlei  äebrecben,  welche  zu  der  Frage  reizen,  oh  die* 
selbe  triebt  einer  durehgieUknden  Reform  bedflrfe.  Die  bei' 
den  innerlich  verschiedenen  Functionen  jedes  Gerichtes,  dus 
Drtheileu  und  des  Richten  im  engem  Sinn  sind,  nach  ihr 
beide  den  nftmtiehen  Personen  zugleich  anvertraut,  während 
jene  Versdtiedenheit  doch  eine  Ausscheidung  auch  in  den 
Oi^nen  EU  fordern  scheint.  Die  sämmtlichen  Richter,  die 
zu^ekh  Urtheiler  sind,  heben  den  Charakter  von  Beamten, 
während  nur  die  Eigenschaft  der  Rechlsbandhabuiig  eine 
obrigkeitliche  ist  und  daher  ein  Amt  voraussetzt,  die 
andere  Thfitigkeit  dagegen,  die  Urtheilslindung,  keinerlei 
Hachtftuszenilig  ist,  somit  auch  von  Privatpersonen  wohl 
geObt  werden  kann.  Werden  jene  Richtercollegieo  ausscbliesz- 
lieh  aus  Rechtsgelehrten  besettit,  so  entsteht  die  Gefohr,  dasz 
das  gelehrte  Recht  dem  Volk  unverstandlich  und  der  Zu- 
sammenhang mit  der  nie  versiegenden  Recbtsquelle  des  fort- 
schreitenden Lebens  und  seines  Verkehrs  abgebrochen  werde. 
Und  werden  dieselben,  um  die  volksthUmliche  und  gemein* 
verständliche  Seite  der  Rechtsentwicklung  znr  Anerkennung 
zu  bringen,  ans  Rechtsgelehrten  und  ungelehrten  Richtern 
gemischt,  so  macht  diese  Mischung  eineu  unorganischen  Ein- 
druck', und  es  lebrt  die  Erfahrung,,  dasz  gerade  die  unge- 
lehrten Richter,  welche  die  SuperioritÄt  der  gelehrten  Juristen 
fortwährend  empfinden,  durch  die  falsche  Gleichstellung  mit 
Jenen  gereizt  werden,  es  jenen  nicht  blosz  nachzumachen, 
sondern    dieselben    an    Formalismus    zu    aberbieten, 

D„:,iP<.-jM,CoO<^lc 


224-  Achte«  Bncb.    Vom  Oericbt. 

damit  sie  doch  auch  in  den  Ruf  von  Juristen  kODimen.  Die 
Halbheit  und  Schiefheit  der  Stellung  unterstützt  nicht,  son- 
dern geßthrdet  daher  eher  die  Rücksicht  auf  das  materielle 
Recht.  Endlich  sind  auch  bei  solcher  beamtenmfiszigen  Zu- 
BammensetzuDg  der  Richtercollegien  die  Recusationen  der 
Richter  schwieriger  und  beschränkter.  Dadurch  aber  wird 
eda  Heuptgrundsats  der  CivilreditspAege ,  auf  welchen  die 
Römer  den  gröszten  Nachdruck  gelegt  haben,  nicht  so  be- 
rücksichtigt, wie  er  ee  verdiente,  der  Grundratz  n&mlich, 
dasz  nur  der  urtheilen  soll,  zu  welchem  beide  Parteien  Ver- 
trauen haben,  daaz  er  gerecht  urtheile.^ 

5.  Ea  ist  daher  wohl  zu  beachten,  daee  die  Völker, 
welche  für  eine  gesunde  Gerichts ver&ssung  vorzüglich  be- 
gabt erscheinen,  auszer  jenem  Unterschied  in  den  richter- 
.  liehen  Functionen  auch  in  dem  Organismus  eine  demselben 
entsprechende  Scheidung  der  Organe  gekannt  haben  und 
tbeilweise  noch,  besitzen. 

a)  Die  alten  Römer  trennten  geradezu  das  Veribhren 
in  zwei.Theile.  Das  eine  fand  in  jure  vor  dem  Hagistrate 
statt,  der  von  dem  römischen  Volke  erwOhlt  war,  das  Recht 
zu  handhaben  (jurisdictio) ,  das  andere  ging  in  judicio  vor 
dem  Urtheiler  vor  sich,  der  von  dem  Hagistrate  als  Privat- 
mann den  Auftrag  bekam,  zu  urthdlen.  Der  Hagistrat  war 
immer  nur  Einer  und  süne  Hacht  zwar  grosz,  aber  durch  die 
Sitte,  die  herkömmlichen  Edicte,  durch  die  kurxe  Amtsdauer, 
durch  die  Hacht  der  andern  Hagistrate  und  dnrch  jene  Tren- 
nung des  Verfahrens  in  den  Schrcmken  des  Rechts  gehalten. 
IMe  Urtheiler  waren  zuweilen  mehrere,  in  dem  Centumviral* 
gericht  sogar  ein  zahlrdches  Collegium,  in  den  meisten  Fällen 
aber  aiich  nur  ein  einzelner  Haan.  Es  ist  nicht  richüg,'wenn 

^  Cietro  pro  Oueotio  c.  43:  „NemlDem  volaemnl  majores  noitri  non 
modo  de  existimatiODe  cujusqoam,  eed  ne  pecaniaria  quidem  de  re  ml- 
Dima  esse  Jndicem,  niti  fut  t'nln*  odoTMi^o*  etmwniutt.  De  Oratore  il. 
70.     Vattriiu  Mmhh.  II.  8.  2. 


iM,Coo<^lc 


Drittes  Cspitel.    OrgMiiutioR  ä»  CiTlIrecbtspIlege.  j25 

man  dem  Magietrate  den  Entscheid  Über  die  Rechtsfrage, 
dem  Judex  den  über  di«  Thatfrage  zuschreibt.  Der  Judex 
hatte  nicht  blosz  das  Beweisrerfahren  zu  leiten  und  seine 
Uebeneugung  Über  die  streitige  Thatsache  auszusprechen, 
sondern  er  erOrlerte  auch  den  Rechtsstreit,  und  sprach 
das  Rech.tsurthei]  aus.  Von  diesem  gilt  der  römische 
Rechtesatz :  res  judicata  jus  fbcit  iuter  partes.  Daher  bedurfte 
auch  er  des  Ralhes  der  Reehtsgelehrten,  die  er  in 
schwierigen  Fällen  befragte,  und  welche  sowohl  ihm  als  dem 
Magistrate,  der  auch  nicht  nothwendig  ein  gelehrter  Jurist 
war,  willfährig  beistandeo,  an  deren  Meinung  aber  weder 
der  eine  noch  der  andere  gebunden  war.  Der  Magistrat  aber  ' 
sprach  die  Gnindsälze,  nach  welchen  er  das  Recht  hand- 
haben werde,  zuvor  im  Allgemeinen  in  seinem  Edicte  aus 
und  ertheille  dann  dem  Urtheiler  eine  diesen  beschrftnkeade 
und  maszgebende  auf  den  einzelnen  Streit  angepasste 
Instruction,,  welche  derselbe  bei  der  Verhandlung  und 
Beurtheilung  beachten  muszte> 

Nur  aus  dieser  Trennung  des  Verfkhrens  erklärt  es  sich, 
wie  in  der  Weltstadt  Rom  ein  einzig«  Pr&lor  während  Jahr- 
hunderten geuQgea  konnte,  um  die  ganze  Masse  ihrer  bür- 
gerlichen Processe  zu  leiten  —  eine  Krscheioung,  die  nur 
darin  ihre  Parallele  findet,  dasz  in  England  auch  XJI  Ober- 
richter  der  Hasse  ron  Processen  des  Königreiche ,  welche  zu 
ihrer  Cognition  kommen,  gewachsen  sind. 

Diese  römische  Einrichtung  wUrde  indessen  zu  unseren 
modernen  Zust&nden  nicht  mehr  passen.  Unsere  Rechtscultur 
macht  es  durchaus  nöthig,  dasz  die  Hagistrate,  welche 
das  Recht  handhaben  sollen,  wissenschaftlich  gebil- 
dete Juristen  seien  und  nicht  blosz  zu  Anfang,  sondern 
während  des  ganzen  ProceszTerfahrens  alle  Ver- 
handlungen leiten.  Vei^eblich  würden  sich  bei  uns 
Hagistrate  und  Urtheiler  nach  einem  Consilium  von  Juristen 
umsehen,  welche  ihnen  freie  Beihülfe  leisteten. 

Blunucbll,  lUgemeines  SUtirecbt.    II.  15 

n,g,t,7rJM,COOglC 


336  AcbtM  Buch.    Vom  Oerkbl. 

b)  Auch  daa  germanische  Mittelalter  unterschied' 
überall  zwischen  dem  Richter,  welcher  ale  Obrigkeit  den 
Proceaä  leitete,  und  den  Urtheilern  (Schöffen),  welche  als 
Privatpersoneu  und  Genossen  der  Parteien  das  Urtheil  fan- 
den, und  auf  Befragen  des  Richters  aussprachen.  Auch  da 
war  keine  Trennung  des  Rechts  und  der  Thatfrage.  Die 
Verhandlung  lezog  eich  auf  beide  zugleich,  und  die  Urth«iler 
fanden  das  Recht.*  Der  Einflusz  des  Richters  war  aber 
riel  geringer,  als  der  def>  rOmiscben  Magistrats.  £r  halte 
keine  Rechtsvorschriften,  keine  Instructionen  zu  geben,  son- 
dern  bvechrltnkte   sich    liurchaus  auf  die   formelle  Proce«z> 

'  ieitnng  un<i  die  Fragenstellung  an  die  Urtheiler.  Die  Antwort 
dieser  war  eine  freie  Aeuszerung  ihrer  RechtsUberzeugung, 
ihres  Wissens  und  Gewiseens,  und  zuweilen  verlieszen  die 
Schaffen  den  Ring  des  gehegten  Gerichfes,  woselbst  der  fm- 
gende  Richter  znrtlckblieb,  um  sich  unter  einander  im  Ab- 
stnml  desto  freier  und  ungestörter  über  das  Urtheii  zu  be- 
denken. Wie  bei  den  Römern  aber  war  die  Theilnahme  an 
der  JustizUbung  durch  Urtheil  eine  Böi^erpllicht ,  welche  vor- 
züglich auf  den  angesehenen  und  wohlhabenden  Classen  der 
Bevölkerung  ruht«,  unter  den  Rönoem  immerhin  aristokra- 
tischer, bei  den  Germanen  mehr  nach  dem  demokratischen 
Grundsatz  der  Gleichheit  mit  den  Parteien  näher  bestimmt 

c)  Die  englische  Einrichtung  der  Gescbworuen- 
gerichte  auch  für  Civilprocesse,  welche  in  Nordamerika 
noch  eine  allgemeinere  Anerkennung  und  fortschreitende 
Anwendung  findet,'  unterscheidet  wieder  zwischen  den 
Richtern,  als  Statsbeainteu ,  und  den  Geschwornen 
als  Privatmännern.  Die  Einrichtung  hat  sich  aus  der  Altern 
germanischen  Oerichtaverfossung,    aber  in  eigen  thümlicher 

'  Eine  eigen  ihö  in  liehe  Altwetdiung  «clieint  in  dem  scli  wedischen 
Gcgentaize  der  iirllieileiiden  Richter  und  der  zeugenden  Nämud 
■iu   liegen.     Vgl,   Dr.  Scliljler   in   Uillermaiera  Zeitschr.  V.   8.  42«. 

'  Auch  in  Portugol  Verf.  %.  118. 


iM,Coo<^lc 


Dritte»  Cttpllel-.     Or^nltation  der  CivilreclilBpllegc.  227 

Weise  Bchtm  sehr  früh  "  ausgebildet.  Niclit  h\oax  die  Leituug 
des  ProeeBBganges,  sondern  auch  die  Offenbarnng  und 
Vertretniig  der  Rech tegrundeätze,  die  Jurispru- 
denz im  vollsten  Sinne  des  Wortes  ist  nun  aber  in  dem 
Richter  concentrirt;  und  ofifeuliar  eolspricht  diese  Ordnung, 
welche  gewissermaszen  die  ganze  Autorität  des  Rechts 
in  den  durch  ihre  Ausbildung,  ihren  Lebensbcruf  und  ihre 
Stellung  dazu  romigsweise  geeigneten  und  belUhigten  Ha- 
gistraten TSieiiiigt,  tfadls  den  CulturbedUrriiiasen  unserer 
Zeit,  theils  der  wahren  Idee  von  der  Gerichtsbarkeil. 

Man  hat  sich  auf  dem  europäischen  Conlinent  daran 
gewohnt,  bei  dieser  Geschwornenverfassung  vorzugsweise  auf 
die  Oeschwornen  zu  sehen.  Die  Stellung  und  Hallung  der 
Richter  ist  aber  viel  eiiithiszreicher  und  entscheidender  fttr 
den  Gang  des  Verfahrens  als  die  Theilnuhnie  der  Geschwor- 
nen.  Die  Autorit&t  der  Richter  hält  das  Ganze  zusammen 
und  leitet  fortwährend  die  Geschworneo.  Da  es  nur  sehr 
wenige  Richter  gibt  und  ihre  fluszere  Stellung  eine  erhabene 
ist,  so  gelangen  nur  solche  wissenschafllich  gebildete  Mäimer 
EU  der  Würde,  welche  schon  vorher  durch  ihre  Gerich tspraxis 
als  Anwälte  einen  ausgezeichneten  Namen  und  eine  unge- 
wöhnliche Geschäftskunde  erworben  haben.  Sie  leiten  zwar 
als  Einzelrich  t«r  die  Assisen,  wenn  auch  nicht  ohne  Bei- 
hülfe, aber  da  sie  hinwieder  Mitglieder  des  nämlichen  Ge- 
richtshofes sind,  der  als  Appellationsgericht  urtheilt,  so  sind 
sie  unter  sich  in  steter  Verbindung,  theileu  sich  wechselseitig 
ihre  Erfahrungen  und  Entscheidungen  mit,  und  halten  so 
gemeinsam  die  Einheit  und  Gleichheit  der  Rechts- 
ühung  iii  dem  ganzen  Königreiche  fest.    Es  darf  nach  eng- 

'  Kach  Biener  (in  MiHerra.  ZeiUchr.  XIX.  S.  165)  ist  die  Jury  im 
Civilprocesi  zuerst  zwisclieti  1164  und  1176  an  die  Stelle  dea  gerichtlichen 
Zweikampfs  gftrwlen.  Vgl.  Blackstone  111.  23;  HniquardBen  inMit- 
lermaier's  Krit.  Zeitaelir.  für  Qeaetzg.  des  Anal.  Bd.  XXI.;  dag^eu 
A.  Orelli  In  Scbautterg'e  ZeiUclir.  lUr  Züricli.  Keilit. 

n,g,t,7rJM,COO<^IC 


238  Arbt«a  Bnch.    Vom  Geriebt. 

tischen  Gesetzen  mir  der  Richter  die  Asaiaeit  in  der  Oral- 
echaft  leiten,  welcher  niciit  iu  derselben  geboren  noch  wohn- 
haft ist.  So  erscheinen  denn  die  Rjchter  von  2^it  zu  Zeit  in 
den  Orufschaften  als  Vertreter  der  statlichen  Gerechtigkeit, 
mit  all  dem  würdevollen  Glanee  des  Stats,  und  mit  der  hohen 
Autorität  geistiger  Ueberlegenheit  und  cbarabtervoller  Un> 
parteil  ich  keil  auagerQstet;  und  die  Geschwornen  wie  <lie 
Parteien  horchen  mit  Vertrauen  und  Ehrfbrcht  auf  ihre  Rede. 
Hut  so  die  Jurisprudenz  in  den  richterlichen  Magistraten 
ein  mächtiges  Oi^an  geAinden,  so  gewähren  die  wechselnden 
Geschwornen  aus  dem  Volke,  indem  sie  die  mehr  tbatsfich- 
liche  Streitfrage  beiirtheilen,  den  Parteien  die  Garantie,  daez 
aber  ihre  Interessen  nicht  entschieden  werde,  ohne  die  Mei- 
nung derer  zu  hören,  die  ihres  Gleichet)  und  mit  solchen 
Verhältnissen  auch  im  täglichen  Leben  vertraut  sind.  l>asz 
die  Geschwornen  unparteiisch  seien,  dafUr  läszt  siCb  bei 
der  reichen  Auswahl  viel  leichter  sorgen,  als  wo  feste  Ge- 
richtscollegien  urtheilen ,  und  dafUr  wird  auch  durch  die  man- 
nichfalügen  Verwerfungsniittel  (challences)  gesorgt,  welche 
sowohl  gegen  eine  ganze  Geschwornenliste  als  gegen  einzelne 
Geschworne  verstattet  sind.  Dasz  dieselben  fähig  seien,  deo 
Streit  zu  verstehen  und  zu  beurtheilen,  dafür  liegt  tbeils 
in  der  richterlichen  Leitung,  Iheils  in  der  Lebenser&hrung 
der  Geschwornen  hinreichende  Büi^schaft.  Sind  besondere 
Sachkenntnisse  erforderlich,  so  wird  durch  die  Modification 
der  Specialjury  geholfen.  Die  englische  Jurisprudenz  bat 
bekanntlich  zwar  einen  herkömmlichen  Hang  zam  Forma* 
lismus,  aber  dasz  die  englische  Rechtspflege  trotzdem 
national  und  verständlich  geblieben  ist,  verdankt  man 
vorzüglich  der  Theilnahme  von  Geschwornen.  und  jener  in 
neuester  Zeit  übrigens  bedeutend  ermäszigte  Formalismus 
ist  keine  Folge  dieser  Mitwirkung  von  Privatmännern.  Die 
Engländer  sehen  daher  in  den  Geschwornen  eine  der  rühm- 
vollsten   und   festesten  Säulen  auch  ihrer  Pnvatfreiheit   und 


iM,Coo<^lc 


Drillea  C«pil«l,    Or^nlsalioD  der  CivilrtclilPpflegp.  239 

ihres  PriTatrechtB.  Von  den  Schöffen  des  Mitfelalters  nnter- 
Bcheideii  sie  sich  Iheils  dadurch,  dasz  sie  nicht  ständig  sind, 
eben  deszholb  in  fortwahrender  Verbindung  mit  dem  Privat- 
leben bleiben,  und  nicht  zu  einem  Collegium  von  Beamten 
werden,  theils  durch  den  Gegensatz  zwischen  Rechts-  und 
Tliatfrage,  indem  die  Geschwornen  ihr  Verdict  nur  über 
diese  erlassen,»  während  die  Schöffen  gerade  auch  das 
Rechtsurtheil  fällten. 

In  Deutschland  ist  zur  Zeit  noch  die  Meinung  rerbreitel^ 
dasz  das  Geschwornen! nstitut  deszhalb  fßr  unsere  Cirilrechts- 
pflege  unbrauchbar  wäre,  weil  die  wissenschaftliche  Erkennt- 
nisz  unseres  Priratrechtes  nur  dem  möglich  sei,  weichet* 
durch  die  Schule  der  römischen  und  germanischen  Jurispru- 
denz hindurch  gegangen  ist.  Allein  gerade  die  Ausscheidung 
der  Rechts-  und  der  Thatfrage,  wie  sie  in  England  geUbt 
wird,  und  die  Hinweisung  auf  die  gelehrte  Autorität  des 
Richters  mit  Bezug  auf  jene  hebt  die  scheinbare  Schwierig- 
keit vollständig.  Sicher  ist  es  fUr  die  englischen  oder  nord- 
iimerikanischen  Richter  eine  schwerere  Aufgabe,  sich  in  den 
Quellen  ihres  nationalen  Rechtes  zurecht  zu  finden,  und  das 
ganze  bestehende  sehr  verwickelte  Rechtssystem  zu  Über- 
sehen, als  es  ntr  uns  ist,  mit  dem  Systeme  des  gemeinen 
römischen,  deutschen  und  Particularrecbtes  vertraut  zu  wer- 
den, und  man  hnt  nie  gehört,  dasz  jene  Richter  durch  die 
Geschwornen  an  der  Erfüllung  ihrer  Aufgabe  gehindert 
worden  seien. 

6.  Das  ältere  römische  Recht  wuszte  so  wenig  von 
mehreren  Instanzen  im  Civilprocesz  als  das  ältere  deutsche 
Recht.  Die  neuere  Zeit  dagegen  betrachtet  die  wiederholte 
Prüfung  und  Entscheidung  des  Rechtsstreits  durch  ein  höher 
gestelltes  Appellationsgericht  als  ein  Palladium  des 
guten    Rechte.      In    Deutschland   wird    sogar    auf    drei 

•  Verf.  von  Portugal  %.  119:  „Die  Oeschwornen  sprechen  über  de» 
Tbatbeatond,  und  die  Richter  wenden  da«  Gweiz  (nur  dieK8?)  an." 


iM,Coo<^lc 


230  AclilPB  Bueli.     Von)  Qericbl. 

Instanzen  ein  verfassiingetnfissiges  Gewicht  gelegt'**  Die 
ßiellung  der  früheren  Reichsgerichte  und  ihr  Verhältnis! 
zu  den  Unter-  und  Obei^erichten  der  einzelnen  Territorien 
erklärt  historisch  diese  Einrichtung,  und  man  kann  ea  be- 
greifen ,  da«z  bei  der  schriftlichen  Form  der  Proceszverhand- 
liing  die  Uehelstande  derselben  weniger  empfunden  wurden. 
Innere,  in  der  Natur  der  Rechtapfl^e  liegende  Gründe  dafllr 
worden  sie  schwerlich  rechtfertigen.  Wird  daß  Princip  der 
Hündlichkeit  durchgeführt,  so  ist  auch  hierin  eine  durch* 
greifende  Aendening  nCthig.  " 

In  der  Anordnung  zweier  Instanzen  dagegen,  einer 
untern  und  einer  obem,  wird  mit  Recht  eine  der  wirksamsten  ' 
Garantien  fßr  eine  gute  Rechtspflege  erkannt  Nicht  nur 
gewährt  die  Möglichkeit  einer  erneuerten  Prüfung  durch  das 
hoher  gestellte  Obei^ericht,  welches  den  schon  in  erster  In- 
stanz aus  dem  Rohen  verarbeiteten  Procesz  nochnials  und 
nun  bequemer  prüft,  eine  verstärkte  Sicherheit  fUr  ein  rich- 
tiges Endurtheil,  und  daher  auch  den  Parteien  grösseres 
Verlrwien  in  die  Gute  der  Rechtspflege,  sondern  es  wirkt 
schon  das  Bewuszisetn  dieser  Möglichkeit  auf  die  Glieder  de& 
Uiitergerichts  wohlthätig  ein,  so  dasz  sie  weniger  willkürlich 
und  weniger  nachlässig  verfahren,  als  wenn  sie  rermeinen, 
in  höchster  Macht  Vollkommenheit  ihren  Spruch  zu  Ihun.  Dana 
aber  niusz  in  grOszern  Staten,    in  welchen  Ein  Obergericht 

'"  Vgl.  Zachnriä,  D  Sl.  R.  II.  §.171.  Noch  die  Wiener  ScLIdbi- 
acle  vom  Jabi-  1820  fordert  drei  Instanzeit  ia  Art.  12. 

"  Vg'l.  G.  Geib:  Die  Rerorm  des  dculaclien  Keclitalebens.  S.  85.  Br 
maebl  mit  Recht  darauf  aufmerksam,  dsaz  unter  Jener  Voraneseiauiig 
auch  die  Acieoversfodun^  an  die  Spruchcoll^en  der  Facultftten  auf- 
böreu  müsse,  daai  aber  die  wohltbaiige  Einwirkuug  dieser  auf  die  prac- 
tiache  Juriaprudeai  ia  anderer  Form,  voraüglicb  durch  Keclitsgu (achten 
and  UechUlfelf hrnng ,  fortdauern  käiine,  uuil  einen  erhöhten  Aufschwung 
verdiene.  In  der  Thal  wllre  eine  stärkere  Betheiligung  der  rechtsgekbrten 
Hitgiieder  der  Uniterailaten  bei  der  gerichtlichen  Praxis  für  die  Lebendig- 
keit der  wiaaenschaftlicben  Doctrin  und  fiir  die  WiManschaftlichkeit  der 
Praxia  gleich  förderlich. 


iM,Coo<^lc 


Viertes  Caiutel.     Die  StrcfreoblapHege.  231 

Rlr  die  Menge  der  appellablen  Pmcesse  nicht  ausreicbeu  kuiin, 
durch  einen  Caseationeliof  fnr  die  Einheit  des  Rechts 
und  seiner  Formen  noch  besonders  gesorgt  werden. 

Wo  die  OescbworDenrerfeBsnng  auch  fUr  den  Civilpro- 
cesz  besteht,  da  wird  l^eilich  die  Appellation  noch  weit  mehr 
zu  beschrftnken  und  vorzugsweise  nur  auf  den  Rechtsstreit, 
nicht  auch  anf  die  Thatfrage  zu  beziehen  sein.  Dasz  aber 
dnnDzumal  Ein  Obei^ericht  (Xlr  Hlles  genüge,  beweist  wieder 
das  Beispiel  von  England. 


Viertes  CapiteL 

Die  Slrarrechlspllege. 

1.  Während  des  Mittelalters  linden  wir  fast  allenthalben 
in  dem  romanischen  und  germanischen  Europa  eine  drei- 
Tache  Absturiing  der  Gerichtsbarkeit,  deren  Unter- 
lage in  der  ursprunglichen  Landes-  und  Volksei ntheilung  der 
deutschen  Völker  zu  erkennen  ist.  Den  Oauen ,  Huntari 
^Oentenen)  nnd  Weilern  (Gemeinden)  entsprach  schon  in 
ältester  Zeit  eine  dreifache  Gliederung  der  Kri^s-  und  Ge- 
richtsTerfassung.  Später  unterschied  man  ebenso  in  Frank- 
reich die  Jurisdiction  haute,  moyenne  et  hatte,  in  Deutschland 
die  hohe  und  niedere  (auch  mittlere)  Vogtei  und  die 
grandherrlicbe  oder  Markgerichtsbai- keit  Diese 
AltaCufung  der  Gerichte  stellt  wieder  in  Verbindung  mit  einer 
dreifachen  Unterscheidung  straft)arer  Rechtsverletzungen,  und 
der  verschiedenen  Bestimmung  der  gerichtlichen  Competen- 
zen.  Die  eigentlichen  Friedensbruche,  welche  den  Frie- 
den so  von  Grund  aus  zu  erschüttern  oder  vielmehr  zu 
brechen  schienen,  dasz  der  Friedebrecher  verdiente,  auszer 
den  Schutz  des  Friedens    und   des  Eleclits  gesetzt  und  wie 


iM,Coo»^lc 


232  Acutes  Bach.    Vom  OeHebl. 

ein  Feind  verfolgt  und  getödtet  zu  werden,  die  Verbrechen, 
die  an  den  Leib  nnd  das  Leben  gingen,  geborten  zur  ßeur- 
theilnng  ond  Beetr»füng  en  die  höchaten  Gericht«,  denen 
unmittelbar  von  dem  Könige  der  Blut  bann  verlieben 
war.  Frevel  und  Diebstahl  dagegen,  welche  zwar  die 
Brecbtsordnung  auch  ernstlich  verletzten,  aber  nicht  so  bra- 
chen ,  daez  nnr  die  Vernichtung  dea  Verbrechers  den  Bruoh 
sühnen  konnte,  welche  daher  mit  einer  die  Existenz  scho- 
nenden Körper-  oder  Geldstrafe  (au  Haut  und  Haar)  hin- 
reichend  gebUszt  wurden,  kamen  an  die  Centgeriehtsbarkeit, 
d.  h.  die  (mittlere)  Vogtei  im  gewöhnlichen  Sinne.  Das 
war  die  regelmtlezige  Strafgerichtsbarkeit  jener  Zeit.  Ein- 
fache Ungeblihr  und  Unordnung  endtich  von  blosz  localer 
Erheblichkeit  wurde  in  den  Localgerichten  der  Gnind- 
herren ,  oder  wo  sich  noch  freie  Markgenossenschaften  er- 
halten hatten,  auch  in  den  Gemeindegerichten  gerügt  und 
gebUszt 

Diese  Eintheilvmg  hat  eine  bleibende  Bedeutnnt;,  ob- 
wohl sie  fiir  unsere  jetzige  Rechtsentwicklung  einiger  Mo- 
dificalionen  bedarf.  Wir  unterscheiden  noch  zwischen  Ver- 
brechen, welche  vor  die  Schwurgerichte,  Vergehen, 
welche  vor  die  mittleren  Collegialgerichte  und  Police!- 
Übertretungen,  welche  vor  die  untersten  Polieeigerichta 
zur  Beurtheilung  und  l^trefung  kommen.  Aber  aus  beson- 
dern Gründen  werden  zuweilen  einzelne  Arten  von  Vergehen 
bald  den  Schwurgerichten,  bald  den  Policeigeriohten  zu- 
gewiesen; die  einen,  weil  man  eine  vermehrte  Garantie  tttr 
eine  sorgfältige  und  unbefangene  RechlspOege  zu  erhalten 
sucht,  die  endern,  weil  sie  wegen  ihrer  Geringfügigkeit  schick- 
lich den  bloszen  Unordnungen  ähnlich  behandelt  werden. 

Der  Gegensatz  aber  der  Vergehe«  (delicta,  misdemea- 
nours)  und  der  Verbrechen  (crimina)  dem  gemeinen  Ge- 
tbhle  der  Völker  schon  wahrnehmbar,  hält  sich  innerhalb 
des  eigentlichen  Gebietes  der  Strafgerichtsbaikeit,  und  musz 


iM,Coo<^le 


Vieri««  Ca|tir«l. '  Die  6(r«rrMhtq>flege.  233 

auch  JD  der  Oi^HoisaUon  der  Rechtspfl^e  Beachtung  linden. 
Beide  gehören  insofern  susamtnen,  als  durch  beide  die  öffent- 
liche Rechtsordnung  selbst  in  ihren  festen  Verhfiltoissen  ver- 
letzt nnd  erschüttert  wird.  Sie  sind  nicht  bloszes  ClTil- 
itn recht,  das  durch  einfache'WtederhersteDung  gut  gemacht 
werden  kann,  nicht  blosze  PolizeiQbertretang,  son- 
dern die  Uajestfit  der  Gerechtigkeit  selbst  ist  verletzt,  nnd 
diese  mnsz  sich  in  der  Bestrafung  des  Schuldigen  negreich 
bewähren.  Aber  sie  unterscheiden  sich  hinwieder  von  ein- 
ander wie  das  gemeine  und  das  besondere.  Das  Verbrechen 
ist  in  gewissem  Betracht  ein  qualificirtes  Verguhen, 
qncüificirt, 

a)  weil  die  verbreclieriscbe  Handlung  erschütternd  auf 
den  ganzen  Staat,  nicht  bloss  auf  einzelne  Theile  desael- 
beu  einwirkt  (der  Hochrerrath  z.  B.  ist  ein  Verbrechen,  die 
einfiiche  WiderSetzung  gegen  die  Amtsgewalt  kann  als  bloszes 
Vei^eben  behandelt  werden);  oder  b)  weil  die  auszei^ewOlin- 
liche  Gefährlichkeit  und  die  sittliche  Verworfenheit 
in  der  Art  der  verbrecherischen  Handlung  sich  in  ausgezeich- 
netem Grade  kundgibt  (der  Raub,  der  Diebstahl  mit  Ein- 
bruch, nnd  die  Nothzucht  z.  B.  sind  Verbrechen,  dei;  gewöhn- 
liche Diebstahl  dagegen,  die  Miszhandlung  ohne  schwere 
Folgen,  der  Betrug  können  wohl  in  der  Regel  als  Vergehen 
bebandelt  werden,  ebenso  alle  «trafbaren  Handlungen  aus 
bloeser  Fahrlfissigkeit) ;  c)  zuweilen  auch,  weil  des  Masz  der 
Sdifidigung  einen  ungewöhnlichen  Grad  erreicht,  wie  ja  auch 
im  Naturleben  das  Wasser,  wenn  es  auf  einen  gewissen  Grad 
erhitzt  wird,  sich  in  Dampf  verwandelt  (z.  B,  Diebstähle,  die 
einen  hohen  Betrag  erreichen,  werden  zu  VerbrecheoJ.  Die 
genauere  Ausscheidung  freilich  hflngt  immerhin  ab  von  der 
besondem  historischen  .Entwicklung  und  Geseb^ebung  des 
nationalen  StrafVechts.  Gewisse  Strafarten,  wie  die  Lebeus- 
und  Leibesstrafen,  die  Ketten-,  die  Zuchthausstrafe  passen 
daher  nur  fllr  Verbrechen,    und  sind  lUr  Vergehen  nicht 

n,g,t,7rJM,COOglC 


231  Aohtea  BdcIi.    Vt>m  Oericfat. 

tinwendbar,   und  häufig  werden  nnr  jene  von  den  Assisen, 
diese  auch  von  untem  Gerichten  beurtheilL  ■ 

%  Der  Idee  der  Straf^i-ichtsbarkeeit  entspricht  die  Ver- 
fttlgung  und  Anklage  von  Amis  wegen  durch  eine  öffent- 
liche Behörde,  die  Statsanwaltechafl.  Nicht  das  Privat- 
interesse, noch  der,  wenn  auch  gerechte,  Unwille  des  Ver- 
letzten darf  in  dem  Vordergrunde  erscheinen,  sondern  die 
statliche  Gerechtigkeit  soll  hier  schon  ihre  reine  Macht  in 
ilffenti  ichein  Interesse  ofTenbareii.  Der  Stnifprocesz  ist  niclit 
ein  Streit  zweier  Parteien,  die  sich  auf  gleichem  Boden  mit 
gleichen  Waffen  entgegentreten,  sondern  eine  Entfaltung  der 
verletzten  Gerechtigkeit,  welche  den  Verletzer  zur  Rechen- 
schaft zieht.  Der  Statsanwalt  hat  daher  auch  nicht  einseitig 
den  Standpunkt  der  Partei  festaulialten,  keineswegs  nur  die 
Momente  des  Verdachts  und  der  Schuld  hervorzuhehen,  aoo- 
dern  auch  die  Gründe  fllr  die  Unschuld  oder  fUr  die  Milde- 
rung der  Schuld  zu  erwägen  und  zu  berücksichtigen.  Er 
soll  unparteiisch  handeln,  wie  der  Richter;  und  nur  insofern 
ist  seine  Stellung  eine  woniger  unhefhngene  als  die  des 
Richters,  als  fr  vorzugsweise  mit  der  Anklage  beauftragt, 
im  Namen  der  Gerechtigkeit  vorerst  den  Streit  mit  dem 
Angeklagten  zu  fühi-en  genöthigt  ist.  Aus  diesem  Grunde 
ist  es  denn  auch  besser,  die  Stutaanwaltschail  als  ein  beson- 
deres, von  dem  eigenthchen  Gerichte  getrenntes  Organ  zu 
constituiren,  als  wie  das  wohl  im  Mittelalter  hier  and  da 
(geschehen  ist,  einzelnen  Richtern  selbst  die  Öffentliche  An- 
klage zu  übertragen. 

'  Ueber  die  Zulbssigkeit  und  deu  SIdd  des  O^fenMties  wurde  früher 
in  Deiiiecblaiid  viel  gestritten,  und  maacUe  Juristen  lieben  in  der  Ver- 
sweiriung,  ein  inneres  PHncip  desselben  la  fliiden,  diesen  lediglich  euf 
die  Verschiedenheit  der  Strarandi-ohungen  gebaut,  wie  denn  Überhaupt  die 
deoloclie  Jurisprudenz  lange  iäeit  den  BegrilT  des  Verbrechens  gelbst  auf 
die  geselzlielie  Slrarandrobuiig  begründet  lisL  Indessen  ist  diese,  wie  die 
Strare,  offenbar  Folge,  nicht  Orund,  so  wie  der  Verbrechen  und  Vergeben 
selbst,  so  «nch  ilnrs  Unterschiede«. 


iM,Coo<^lc 


Vierte«  Capltet.     Buile  de«  SlaUdienalea.  335 

Einzelne  Ketuic  zu  der  Eiiifl^hrung  der  tMatsanwaUscIiKft 
Inseen  sicli  in  mnnAhen  iniuelallerliclien  Einrichtungeii  ent- 
decken, SA  in  den  Nachg&ngem  und  NRclirichteni 
einzelner  deutscher  Reichestftdte, ''  in  den  KronvOgten 
( Kronofogdar)  von  Schweden,^  welche  auch  bei  der  Vor- 
untersuchung des  Richters  Ihätig  sind,  in  den  franzAsi- 
schen  procureuri  c/u  rot,  welche  urs^rOnglich  gerichtliche 
Vertreter  der  königlichen  Domanialinteressen,  den  i-ömischen 
advoceti  üsci  ähnlich,  dann  auch  in  den  Fällen  als  öffent- 
liche Ankläger  fuugivten,'  in  denen  es  an  eineoi  Priratkläger 
fehlte.  Das  Verdienst  aber,  dieses  wiclitige  Institut  au^ebildet 
zu  haben,  gehört  Frankreich  an.  Napoleon  schnf  das 
Amt  der  Oeneralprocnratoren,  welche  als  öffentlichü 
Ankläger  mit  dem  Justizniinisteriuni  verbunden,  und  denen 
^□e  Anzahl  von  Generaladvocaten  antei^eordnet  wurden, 

3.  Bei  weitem  allgemeiner  als  im  Civilprocesz,  wenig- 
stens tfli-  die  höhere  Strafrechls pflege,  ist  das  englische. 
Institut  der  Schwurgerichte  (Jury)  Über  Amerika, 
swlann  nach  Frankreich  und  manche  romanische  Län- 
der, in  neuester  Zeit  auch  über  Deutschland  verbreitet 
worden.  Bei  der  Ueberpflanzung  auf  fremden  Boden  hat 
dasselbe  indessen  vielfach  gelitten,  und  es  wird  noch  eine 
geraume  Zeit  andauern ,  bis  es  Überall,  wo  es  uufgenooiniea 
wurde,  zu  einem  gesunden,  den  nationalen  Verhältnissen 
und  den  BedHrlnifsen  einer  gerechten  Justiz  geniäszen 
Wachslhume  heran  genüft.  sein  wird. 

Die  EigenthUmlichkeit  des  Schwurgerichts  besteht  vor- 
nehmlich in  zwei  Dingen:  1)  in  der  Trennung  des  Urtheils 
in  zwei  Theile,  in  ein  Urlheil  Über  die  Thatftage,  die 
davon  unlösbare  rechtliche  Frage  der  Schuld  oder  Nichlschuld 
inbegriffen,  und  in  ein  Unheil  Über  die  Rechtsfrage,  d.h. 

*  Vgl,  Bluntscbli  ZürcheriMbe  Rwhiagcachicfat«  1.  8.  Wfi. 
'  Ziem«z«n  in  Uiliermaier«  ZeiUcbrin  Xll.  B.  331. 
'  Schnffner,  fraiiE.  Rwbtsgeechicbie  II.  8.  433  ff. 


,t,7rJM,C00glc 


236  Achtel  Buch.    Vom  0«ricliL 

die  AnwenduDf^  des  Strafgesetzes  und  'die  Bestjmmuiig  der 
Strafe;  2)  in  der  entsprechenden  Ausscheidung  in  dem  Oi^* 
nisuius  des  Gerichts  in  der  Art,  dasz  Über  die  Tbatfrage  M&u- 
ner  aus  dem  Volke  durcb  ihren  Wahrspruch  urtheilen, 
die  nicht  gerade  rechtskundig  «ein  müssen,  und  dase  auch  keine 
ständigen  Schöffen,  sondern  fUr  die  einzelnen  Gerichtssitzungen 
wechselnde  Geschworne  bezeichnet  werden,  das  Urtheit 
über  die  Rechtsfrage  dagegen  den  Richtern  als  rechts- 
kundigen und  stAndigen  Beamten  zugetheilt  wird. 

Der  gedahliche  Erfolg  dieser  Einrichtung  hängt  wieder 
Tornehntlich  davon  ab,  dasz  die  Richter,  welche  das  Ver- 
fahren leiten,  ihre  geistige  Ueberlegenheit  durch  die  Art 
dieser  Leitung  bewahren,  und  nicht  etwa,  wie  man  sich  das 
wohl  vorstellt,  blosz  in  formeller  Passivität  verharren,  und 
so  die  Handhabung  der  Gerechtigkeit  zum  Spiel  der  Advn- 
caten  und  zum  Tummelplatz  der  Partei leidenschaft  herab- 
würdigen lassen.  Nicht  das  ist  das  Princip  des  Gesohwornen- 
Verfahrens,  dasz  rechtsunknndige  Männer  besser  zu  urÜieilen 
verstehen  als  rechtskundige,  sondern  das,  dasz  nur  der 
wegen  eines  Vei^ehens  eine  Strafe  erleiden  soll,  dessen 
Schuld  dem  schlichten  Verstand  und  dem  natürlichen  Recht«- 
gefQhl  gewissenhafter  Hänner  aus  dem  Volk  klar  geworden 
ist.  Dem  Richter  ziemt  daher  die  Reclitsbelehrung,  und  ihm 
kommt  auch  die  Aufk^chlhaltnng  der  Würde  der  Gerechüg- 
krät  zu.  Der  moralische  Einflusz,  den  er  in  so  reiner  Stel* 
lung  ausübt,  darf  nicht  Ternachlässigt  werden ;  er  gibt  dem 
ganzen  Verfahren  seinen  ernsten  Halt 

Ausserdem  ist  die  Art,  wie  die  Geschwornenlisten  ge- 
bildet werden,  von  höchster  Bedeutung.  Mit  Recht  scheint 
mir  von  Andern  hervorgehoben  zu  werden,  dasz  nicht  genug 
zwischen  allgemeinen  und  speciellen  Schwurgerichten' 

*  Pinlieiro  über  das  liulilat  der  QeaehwomeD  in  MUtermaiera 
Zeilechr.  Vlll.  8.  387  ff.  1d  andFro  Beziehungen  dagegen  kann  ich  seine 
Anaichles  oichl  theiJeii. 


iM,Coo<^lc 


Vi«rlM  Cspitel.    Die  StrafrMlitapflege.  237 

imterscbieden  werde,  obwohl  die  Keime  auch  dieser  Unter- 
scheidung in  dem  englischen  Verfahren  sichtbar  sind.  Unter 
altgemeinen  Schwurgerichten  sind  die  zu  verstehen,  bei  n-el- 
chen  die  Urtheüer  keiner  besondern  ausgez^chneten  Kennt- 
nisse bedarfen ,  um  zu  einer  sichern  eigenen  Meinung  zu 
gelangen  und  ein  wahrhaftes  Urtlieil  zu  fällen.  Die  meisten 
Strafprocesse  gehören  tn  dieser  Gattung.  Die  speciellen 
Schwurgerichte  aber  sind  dann  ein  BedUrthisz,  wenn  die, 
Beurthetlung  der  Thatfrage  und  der  Schuld  ohne  besondere 
Kenntnisse  nicht  oder  nur  schwer  uit^lich  isL  Für  die 
erstere  reicht  die  gewöhnliche  Lebenserfahrung  verständiger 
M&nner,  wie  sie  sich  in  den  mittlem  Volkselassen  regel- 
mSszig  vorfinden,  vollkommen  aus;  besondere  K^intulsse 
aber,  wie  sie  fllr  die  letztern  erforderlich  sind,  können  nur 
durch  besondere  Berufsbildung  erlangt  werden ;  daher  sollten 
in  solchen  Fällen  die  Geschwomen  auch  nur  aus  den  Krei- 
sen genommen  werden,  welche  diese  besitzen.  Es  gilt  das 
sogar  von  den  Processen,  bei  denen  Viele  die  Wahrheit 
dieser  Bemerkung  am  wenigsten  zuzugestehen  geneigt  sind, 
von  den  Preszprocessen.  Während  einfache  Bürger  und 
Bauern  vollkommen  im  Stande  sind,  aus  den  voi^eleglen 
Thutsachen,  den  Angaben  der  Zeugen  und  dem  Verhalten 
des  Angeklagten  ein  sicheres  Urtheil  sich  zu  bilden,  ob 
dieser  gestohlen  oder  einen  Todtschl^  verUbt  habe;  sind 
dieselben  der  Aufgabe ,  über  Erzeugnisse  der  Literatur 
und  die  Wendungen  der  Sprache  richtig  zu  urtheilen,  in 
der  Regel  nicht  gewachsen  und  nicht  flLhig,  wenn  der 
Angriff  der  Rechtsordnung  nicht  sehr  plump  ist,  die 
feinen,  die  Spur  des  Vergehens  verwischenden  Wendungen 
und  Ränke  eines  geschickten  Vertheidigers  zu  durchschauen. 
&e  werden  leicht  irre  in  ihrem  Urtheil,  leicht  von  künst- 
lich hervorgerufenen  Eindrücken  miszleitet.  Sie  haben 
nicht  die  wissenschaftliche  Sicherheit  in  sich,  die  allein 
vor  Abwegen,    sei   es   vor  zu    übertriebener  Strenge,    sei 


iM,Coo<^lc 


238  Aektn  IfaNh.     Vom  Scrtcbt. 

es  vor  falscher  Nachsicht  und  blosser  Willkdr,  zu  bewahren 
vermag. 

In  den  meisten  Staten  wird  dem  Loose  ein  Spieimnoi 
eröffnet  bei  der  Bezeichnung  der  Geschwomen,  und  mit 
vollem  Recht.  Ka  können  kaum  in  anderer  Weise  die  bei- 
den entg^engesetzten  Klippen  umgangen  werden,  welche 
da«  Instibit  zu  verßllschen  droben,  nämlich  ein  Überwiegen- 
der Ginflusz  der  Regierung  einerseits,  welcher  die  abhäi^- 
gen  Gesohworneu  am  so  eher  zo  einem  Werkzeuge  der 
Gewalt  zu  machen  droht,  als  sie  nicht  wie  die  Richter 
fhirch  die  Standesehre  und  die  Wissenschaft  gehalten  werden, 
und  andererseits  die  Volkswahl,  die  geeignet  ist,  die  Ge 
schwornen  zii  Dienern  der  politischen  Parteien  zu  erniedri- 
gen, und  die  Reinheit  der  Rechtspfl^e  durch  Parteilichkeit 

-  zu  beflecken.''  Die  gerechten  AnsprAche  des  Artgeklagten, 
dasz  er  von  Geschwornen  beurtheilt  werde,  wdche  sein 
Vertrauen  verdienen,  werden  in  genügendem  Uaaze  durch 
das  Recusfttionsrecht  befriedigt. 

Desto  nöthiger  aber  ist  es,  in  zu  fordernden  Eigenschaf- 
ten der  Geschwornen  ein  Gegengewicht  für  den  Zufall  des 
Looses  zu  snchen.  Eine  erhöhte  Selbständigkeit,  wie  sie 
ohne  einen  soliden  Haushalt  von  der  Mehrheit  der  Menschen 

.  nicht  erwartet  werden  hann ,  und  eine  reife  Lebenserfahrung, 
wie  sie  in  der  Regel  nur  mit  dem  männlichen  Alter  und 
im  Familien-  und  Berufsleben  gewonnen  wird,  sind  die 
nothwendigen  Grundbedingungen  ihrer  Tauglichkeit  zn  wahr* 
hafter  und  gerechter  Beurtheilung  der  Augeklagten.  Das  ist 
aber  vor  allen  Dingen  nüthig,  stets  im  Auge  zu  behalten, 
dasz  auch  das  Schwurgericht  eine  Anstalt  der  Gerech- 
tigkeit, und  nicht  .ein  Organ  der  Politik  sei. 

Ein  diesem  Princip  durchaus  widerstreitender  Irrthum 
ist    die    sogenannte    „Allmacht"    der    Geschwornen,    die 

*  keiidud  in  Hitlermaiera  Z«iUcbr.  XIX.  S.  173  7.,  198.  Cher- 
bnllez  ebeDda  S.  305  IT.;  dAgt-gfii  Pinheiro  a.  «.  O. 


iM,Cop<^lc 


Vlttttt  Capilel.    Die  StranmhbpUcg«.  239 

Meinni^i  daaz  die  Geschwornen  über  dem  GeseU  und  deui 
Reebt  atehen,  und  dieses  nuch  Willkür  beugen  oder  darren 
dOrfen.  Die  ganze  Justiz  hat  lediglich  die  Auf^be^  die  be- 
stehende Rechtsordnung  zur  Anerkennung  zu  bringen,  und 
die  O^echtigkeit  zu  verwalten.  Der  Eid  der  Geschwornen 
legt  ihnen  diese  Pflicht  ans  Herz,  und  ohne  Gewissenhaftig- 
keit gibt  es  aherhaupt  kein  wahres  Gericht.  Für  die  Praxis 
uicht  niiiuler  bedenklich  ist  ferner  die  durch  das  franzö- 
sische Verfahren  unterstotzle  Meinung,  dasz  die  Gesdiwor- 
oen  keinerlei  Beweisref^eln  zu  beachten,  sondern  nur  dem 
nnklareo  GefUhl  zu  folgen  haben.  Zwar  besteht  allerdings 
ein  Vorsug  des  Geschwornenverfahrens  darin,  dasz  der  ab- 
slraete  Pedantismus  der  altern  strengen  Beweistheorie,  w^be 
die  gelehrten  Richtercollegien  band,  durch  das  freiere  Urthetl 
der  Geschwornen  durchbrochen  worden  i^t,  und  überall  lehrt 
die  Erfahrung,  dasz  die  Schuldigen  dem  scharfen  Blicke  der 
Oeechwomen  weniger  leicht  entgehen,  und  häufiger  verur- 
theilt  werden,  als  diesz  frUherhin  geschehen  ist  Aber  in 
dem  Vaterlande  des  Gtescliworneniostituts,  in  England  und 
Amerika,  hat  noch  Niemand  es  fUr  überflussig  gehalten, 
daez  auch  der  Beweis  nach  juristischen  Grundsätzen  geregelt 
werde,  m.  a.  W.,  dasz  man  sich  selber  über  die  Gründe  der 
Schuldigerklärung  ins  Klare  zu  setzen  habe.  Dort  wird  viel- 
mehr die  Lehre  vom  Beweise  (eridence)  mit  groszer  Sorg- 
falt festgehalten,  und  die  Aufgabe  des  Richters  ist  es,  auch 
in  dieser  Beziehung  die  Crescbwomen  auf  diese  Grründe  auf- 
merksam zu  machen.  Der  Richter  kann  von  sich  aus  uicht 
freisprechen  noch  verurUieilen.  Niemand  soll  verur- 
tbeilt  werden,  dessen  Schuld  nicht  auch  dem  ein- 
fachen Verstände  derGeschwornen  klar  zu  macheu 
ist,  das  ist  ja  der  leitende  Gedanke  des  Schwui^erichts. 
Aber  kein  innerer  Grund  hindert  den  Richter,  der  berufen 
ist,  die  Gerechtigkeit  zu  rerwalteu,  seine  wissenschaftlich 
begründete  Ansicht   den  Geschwornen   zu   ihrer   sorgfltltigen 


iM,Coo<^lc 


240  Achtes  Bncb.    Vom  Otrieht 

Ueberlegung  vorzutragen,  und  einen  richtigen  Wahrsprucli 
durch  weise  Anleitung  vorzubereiten.  Die  Scheu  vor  einem 
UDgebUhrlichen  Eiiiflusz  des  Richters  auf  den  Gntecheid,  der 
wir  auf  dem  Gontinent  vielfach  begegnen,  ist  der  TUohtig- 
-heit  des  Instituts  nichts  weniger  als  erspriesElicU ,  uod  es 
entspricht  weder  der  Wui-de  noch  der  Wahrheit  der  Gerech- 
tigkeit, wenn  dasselbe  möglichst  von  dem  Einflüsse  der 
rechtskundigen  Richter  abgelöst  und  die  zügellose  WilikUr 
der  Gescfaworn^i  zum  Princip  desselben  erholten  wird.  ' 

In  zwei  Besiehungen  ausser  dem  früher  schon  erwfthn- 
ten  Institute  der  Statsanwaltschaft  ist  das  Schwurgericht  seit 
s^ner  Verpflanzung  nach  Europa  verbessert  worden.  Fun 
erste  durch Beseitigong  der  englischen  Anklagejury  C;^rond 
jvry)  und  durch  UeberweiBung  der  vorläufigen  Erkennung 
der  Anklage  an  einen  Anklageseoat,  der  aus  rechts- 
gelehrten  Richtern  besteht.  Sodann  Überhaupt  darin,  dass 
mehr  und  mehr  das  Princip  der  Verfolgung  und  Bestrafung 
des  Verbrechers  von  Statswegen  durchgeführt  wurde,  im 
Gegensatz  zu  dem  engtischen  Verfahren,  welches  noch  zu 
sehr  von  privatrechtlichen  Rücksichten  durchzogen  ist 


Fünftes  CapiteL 

Die  QreDien  der  QerldiUibkrkeit.    Terwftltiingsstreitigkdlen. 

Der  neuere  8tat  I^t  auf  die  Sondernng  der  R^enings- 
gewalt  von  dem  Gerichte  und  der  Unabhängigkeit  dieses 
von  jener  einen  hohen  Werth.  Um  so  wichtiger  wird  es 
daher  das  Gebiet,    in  welchem  jene  frei  wirkt,    von  dem 


'  Out«  Bemerkung«!)  darilber  bei  Geih:  Reform  des  deutschen  Recbts- 
lebeos.    S.  135  ff. 


iM,Googlc 


Fünftes  CftpiM.    Orenien  der  0«fichuUrkeii.  S4t 

Gebiete  der  Jdsüz  nach  schorfeii  Principien  objectiv  aiissu- 
flcheiden.  Dieses  Bedilrfnisz  wurde  weder  in  dem  antiken 
State,  der  mit  dem  iniperium  die  jurisdictio  anauflOalich 
Terband,  nocii  in  dem  Mittelalter,  welches  die  Regierung 
wie  ein  Gericht  behandelte,  so  lebhaft  empfunden.  Jene 
Ausscheidung  ist  indessen  nicht  so  leicht,  und  es  gibt  aller- 
dings einzelne  Partien,  in  welchen  die  genaue  Oränzbestim- 
oiupg  leicht  Zweifel  erregt,  und  daher  auch  \gd  den  einen 
die  Linie  so,  von  den  andern  anders  gezogen  wird.  Auch 
die  verschiedene  wisseuschaftliehe  und  Rerufsrichtung,  welcher 
die  Grilnzscheider  angeboren,  ist  von  Einflusz' auf  ihre  An* 
sichten,  nnd  nicht  ganz  leicht  werden  sich  die  H&nner  der 
Jnstiz  mit  denen  der  Regierung  verstiindigen.  Die  erstem 
sind  gewohnt,  in  ihrer  Betrachtungsweise  von  dem  Rechts- 
gebiete des  Indiriduums  auszugehen,  und  jeden  wirk- 
lichen oder  vermeintlichen  Eingriff  in  dieses  als  eine  Recht»- 
Verletzung  zu  behandeln,  gegen  welche  dem  Einzelnen  der 
Rechtsschutz  des  Gerichtes  gewährt  werden  müsse.  Die 
letztern,  im  Gegensatze  zu  jenen,  stellen  sich  auf  die  Seile 
des  States  und  seines  Rechtes,  alles  das  zu  thun,  was 
die  Öffentliche  Wohlfahrt  erfordert,  und  sind  geneigt,  indem 
Widerapruch  des  Einzelnen  und  iu  der  Anrufung  des  gericht- 
lichen Schutzes  eine  Miszachtung  der  statlicben  Hoheit  und 
ein  unzulässiges  Hemmnisz  der  statlichen  Macht  zu  erken- 
nen. Die  ei-stern  lieben  es,  in  der  Regel  jede  Streitig- 
keit Ober  Recht  als  eine  Justizsache  zu  betrachten, 
und  nur  einzelne  AusnahmsfäUe  dem  Entscheide  der 
Verwaltungsstellen  zuzugestehen.  '  Sie  übersehen  dabei,  dasz 
es  nicht  von  der  Willkür  des  Individuums  abhängen  darf, 
dnreh  Bestreitung  der  Regternngsrechte  dieselben   in  ihrer 

'  Di«ae  Aoeu'ht  ist  Id  der  Zürcher  Verfsssiiiig  §- 10  aiifgesprocbeo : 
„Die  Berufiiisi,  Streitiges  zu  entscheiden,  koninU  susschliesxlicb  dea  or- 
dfullicben  Oericlileo  lu.     Vorbeballen  —  was  die  Verfassung  binsiclitlich 
,  der  Sir^iiigkeil«u  im  VerwaltuDgRfache  feetselzi." 

16 


iM,Coo<^lc 


242     -  AcbtM  Bach.    Vom  Gericht. 

Anwendung  zn  lieinoien,  und  die  Grftnzen  ihrer  Wirksaoi- 
keit  zu  verengen,  und  dasz  das  Gebiet  der  Regierung, 
gleichviel  ob  der  Streit,  in  dasselbe  hineingetragen  wird  oder 
nicht,  ein  eben  so  normales  ist,  als  das  der  Justiz.  Die 
letztem  sind  geneigt,  schon  darum,  weil  eine  Regierungs- 
behörde gehandelt  hat,  oder  der  8tat  bei  einem  Streite  be- 
theiligt ist,  den  Verwaltungsstellen  das  ausachlieszliche  Recht 
des  Entscheides  vorzubehalten,  und  auch  da  nur  in  Aus- 
nabmsfällen  die  Justiz  anzuerkennen.  E»  handelt  sich 
aber  auf  beiden  Seiten  nicht  um  Ausnahmen,  sondern 
um  Regelgebiete,  und  das  Princip  für  beiderlei  objeclive 
Gebiete  kann  nur  erkannt  werden,  wenn  man  auf  den 
Grundgedanken  der  Sonderung  in  dem  Organismus  des 
States  zurückgeht,  und  die  wesentlich  verschiedene  Natur 
der  Regierung  und  des  Gerichtee  selbst  sich  vei^egenwfirtigt 
Das  leitende  Princip  der  Regierung  ist  offenbar  Erhal- 
tung und  Förderung  der  öfrentlichen  Wohlfahrt, 
das  des  Cierichtes  Verwaltung  der  statlichen  Gerech- 
tigkeit Ober  die  Individuen  im  State  (die  Privat- 
personen). Die  erstere  geht  in  allen  ihren  Entschlieszun- 
gen  und  Anordnungen  immer  vom  State  aus.  Das  letztere 
schützt  die  Privaten  in  ihrer  individuellen  Rechtsspharc 
(CivilrechtspQege),  und  Ittszt  das  Individuum,  das  Unrecht 
verübt  hat,  die  strafende  Gerechtigkeit  des  States  empfinden. 
Es  hat  daher  immer  eine  wesentliche  Beziehung  auf  die 
Privatpersonen.  Dieser  G^ensatz  lAszt  sich  auch  so 
ausdrücken:  die  Rechteverhältnisse  des  States  gehören  der 
Regierungsepbäre,  die  der  Privatperson  als  solcher  der 
Rechtspflege  zu.  In  jenen  darf  das  Moment  der  öffentlichen 
Wohlfuhrt  nie  übersehen  werden;  dae  hergebrachte  Recht 
iet  in  der  R^el  nur  eine  Vorbedingung  und  Schranke, 
nicht  der  Geist  der  Regierungsthfttigkeit.  '    Diese  dürfen 

'  Vgl.  Rtnhl,  RiaUkhre  II.  8.  448. 


FUurtea  üspitel.    ärenzen  der  QeriditabBrkeU.  ^|3  - 

nur  em  dem  Standpunkt  der  Gerechtigkeit  beut-tlieilt  wer- 
den, eiue  Beimischung  der  Rücksicht  auf  die  OfTentlicho 
Wohlfahrt  wäre  hier  Verderben,  Das  aber  ist  die  Verschieden- 
heil in  derNdlur  des  eigentlichen  Statsrechts  auf  der  einen 
■lud  des  Privat-  nud  Strafrechts  auf  der  andern  Seite.' 

Die  nfihere  Anwendung  dieser  Gnrndsälxe  ergibt  sich 
in  folgeodem: 

1.  Die  Hoheitsrechle  des  States  selbst  sind  nicht 
der  gerichtlichen  Competenz  »nterworfeu,  der  ßlreit  darOber 
ist  vielmehr,  insofem  er  Überall  zulässig  ist,  auf  dem  Ver- 
waltungswege zu  erledigen.  Die  Poli^eigewalt,  die  Militär- 
gewalt u.  s.  f.  sind  innerhalb  der  Sphäre  ihrer  amtlichen 
Th&ligkeit  durchaus  unabhängig  von  den  Gerichten,  und 
diese  haben  nicht  Über  sie  dieselbe  Hoheit,  wie  ttber  die 
Individuen.  Die  Regierung  darf  daher  bei  der  Ausübung 
ihrer  Functionen  nicht  durch  die  Macht  der  Gerichte  ge- 
hemmt werden.  Ob  ihre  Anordnungen  gerecht  und  noth- 
wendig  seien,  ob  sie  competent  und  riclitig  handle,  darüber 
hat  sie  ebenso  selbständig  zu  entscheiden,  wie  die  Gerichte 
in  ihrer  SphiU«.  Würde  die  Bestreitung  eines  Imlividuums 
das  andern,  und  polizeiliche  Vorkehrungen,  militärische 
Haszregeln  auf  dem  Wege  des  gerichtlichen  Procesaes  auf- 
heben, beziehungsweise  auf  Verbesserung  antragen  können, 
so  würde  die  Autorität  der  Regierung  der  der  Gerichte  auch 
in  dem  eigensten  Gebiete  jener  untei^eordnet,  und  die 
nothwendige  Macht  derselben  und  den  Erfolg  ihrer  Masz- 
regeln  untergraben. 

a]  Von  jenex  Regel  gibt  es  indessen  eine  wichtige  Aus- 
nahme. Die  Frage  nämlich,  ob  ein  Gericht  und  welches 
Gericht  competeut  sei,  einen  Streit  zu  entscheiden,  ist 
augenscheinlich  auch  eine  rein  statsrechtliclie,  nicht 
^ne  [trivatreclitliche,  denn  ihre  Entscheidung  beruht  auf  der 

*  Siebe  die  AnmerUaiig  am  Sclilasz  des  Caplleb. 

n,g,ti7rJM,'*J».)i.)t^lL' 


244  AchlM  BAcli.    Vom  Qerlelit. 

Verfassung  des  Stets.  Aber  die  Selbständigkeit  der  Gerichte, 
ohne  welche  die  Verwaltung  der  Gerechtigkeit  undenkbar 
ist,  erfordert  es,  dasz  dieselben  auch  unabhängig  von  den 
Einwirkungen  der  Regierung  den  Kreis  der  ihnen  zugehöri- 
gen AuitasphAre  festsetzen,  und  ihre  Macht  in  derselben  be> 
haupten.  Jede  der  beiden  Gewalten  steht  darin  der  andern 
gleich ,  dasz  sie  ihr  Gebiet  nach  eigener  Erkenntnisz  ab- 
gränzt. 

Daher  sind  denn  auch  in  einzelnen  Fällen  Conflicte 
möglich  über  die  Competenz.  Die  Regierung  kann  ihrer- 
'  seits  überzeugt  sein,  dasz  sie  im  einzelnen  Falle  von  Stats- 
wegen  das  Nötbige  frei  zu  ordnen ,  itnd  auch  den  Streit,  der 
sich  erhoben  hat,  von  sich  aus  zu  erledigen  befugt  sei;  und 
das  Gericht  kann  seinerseits  die  Ueberzeugung  haben,  dasz 
dieser  Streitfall  nur  auf  dem  Wege  des  Processes  zu  beur- 
theilen  sei:  positive  Competenzcouflictej  oder  um- 
gekehrt, Regierungsbehörde  und  Gerichtsstelle  können  in 
einem  Specialfalle  die  eigene  Competenz  verneinen,  and  je 
der  andern  die  Erledigung  zuweisen:  negative  Compe- 
tenzconflicte. 

In  solchen  Conflicten  hat  keine  der  beiden  Gewalten 
eine  höhere  Autorität  als  die  andere,  denn  jede  von  beiden 
hat  die  oberste  auf  ihrem  Gebiete  und  nur  auf  ihrem  Ge- 
biete. Hier  aber  streiten  sie  sich  selber  über  die  Gränzen 
ihres  Gebietes.  Für  die  verfassungsniftszige  Entscheidung 
solcher  Conflicte  bedarf  es  daher  auch  eines  besondern 
Organes  in  dem  State,  welches  von  dem  bOchste»  und 
unbefangenen  Standpunkt  aus  den  Zweifel  löst  Die  Stellung 
des  Gesetzgebers  eignet  sich,  wenn  der  Entscheid  nicht  in 
massgebenden  Regeln  für  die  Zukunft  liegt,  darum  nich£, 
weil  er  in  der  R^el  einzelne  practische  Bedürfnisse  des 
Moments  nicht  zu  befriedigen  hat,  und  grosze  Versammlun- 
gen nicht  fähig  sind,  derartige  häutig  sehr  verwickelte  Rechts- 
fragen im  einzelnen  Falle  zu  untersuchen  und  zu  beiirtheilen. 


iM,Coo<^lc 


Fnnftea  Cftpitel.    Grenzen  der  Qericbfsbarkeil.  245 

Due  Statflolierhanpt,  in  welchem  alle  Statsgewalt  in  der 
Spitze  ihre  Vereinigung  und  ihre  Einheit  findet,  ist  zwar 
durchaus  geeignet  und  berufen,  auch  diesen  Conflict  zu 
lOsen;  aber  würde  es  auch  da  von  den  Ministern  berathen 
werden,  und  ihrer  Mitwirkung  bedürfen,  so  wäre,  da  diese 
selbst  der  Regieningssphftre  angehören,  der  Entscheid  doch 
wieder  in  die  Hand  der  dnen  streitenden  Gewalt  gelegt. 
und  es  wäre  bei  solchem  Uebergewichte  dieser  Seite  die 
Selbstfindigkeit  der  Gerichte  und  die  Unbefangenheit  der 
Losung  des  Conflictes  ein  leere«  Wort.  Die  Schwierigkeit 
kann  daher  nur  so  wahrhaft  überwunden  werden,  dasz  der 
Entscheid  dem  Statsoberhaupt  nach  dem  Gutachten,  sei  es 
des  Statsrathes  —  ohne  die  Minister,  —  welcher  durch 
seine  hohe  Brikhning  und  seine  der  Bew^ung  der  täglichen 
Regiorungssorgen  entrückte  Stellung  Garantie  fUr  einen  rich- 
tigen Entscheid  in  sich  ti-figt,  sei  es  einer  besondem,  aus 
Statsmännern  und  Juristen  gemischten  Behörde, 
zugewiesen  wird.  ■• 

b)  Dagegen  ist  es  nur  eine  scheinbare  Ausnahme  von 
jenem  Satze,  wenn  der  Piscus  genOthigt  ist,  seine  Rechte 
vor  den  Gerichten  zu  verfolgen,  denn  der  Fiecus  ist  die 
privatrechtliche,  nicht  die  öffentliche  Seite  des  States. 
Ais  Fiscus  ist  der  Stat  ein  bloszes  Individuum,  eine  Juri- 
stische Privatperson,  den  andern  gleich,  und  somit  wie  diese 
den  Gerichten  als  Verwaltern  der  Gerechtigkeit  unter-  nicht 
uebengeordnet 

'  FrQher  war  n  der  Slatsrnth  in  Praiikreich ,  der  über  Contücte 
enUcbied.  Die  f ran  i.  Terf.  y.  1848,  g.  1S9,  ordnet  einen  aus  Hitgüe- 
dern  des  Cassation shofa  and  des  Slataraths  gcinischleii  Gerichlehof  an. 
Die  belgincbe  Verf.  g.  106  liberweiel  die  ConÜicIe  dem  Cascalionsbor 
inr  Enteeheidang.  In  Bayern  entscheidet  der  oberste  Qericlitsbof  in 
einem  aus  4  Uilgliedern  dieses  und  3  hoberu  VerwaltnugatieaniteD  ge- 
bildeten Senat  (Gesetz  von  1850);  nach  der  preusiisclien  Verf.  §.  96  ein 
Gerich  tebof.  Die  Öeterreidilsche  Verf.  von  1849  §■  102  will  eine  (be- 
eondere)  „Behörde." 


iM,Coo<^le 


34G  Acht«!  Buch.     Vom  Q«richt. 

Mirht  jede  Vermt^ensrordeniiig  des  States  aber  tet  eine 
fiscalische.  Die  Sleiieni  vonius,  welche  der  Stat  von  den 
Unterthaneii  erhebt,  betreffen  zwur  dae  PrivatvermAgen  der- 
selben, und  haben  im  Cregeiisatze  zu  den  gewöhnliohen  poli- 
tischen  Rechten  einen  pecunifiren  Werth  und  Geball.  Aber 
der  Stat  legt  die  Stenem  auf,  nicht  als  ein  Privvtglftubiger, 
sondern  indem  er  seine  rein  stutlJche  Hoheit  über  die  Pri- 
vaten utisUbt.  Er  steht  diesen  hier  nicht  als  dn  Gleicher, 
sondern  als  eine  höhere  Macht  gegenüber,  der  die  Individuen 
unterthan  sind,  mit  welcher  sie  nicht  als  Partei  mit  der 
Partei  streiten  können.  Die  Fragen  somit,  ob  äne  Steuer 
rechtn^äszig  befohlen  worden  sei,  ob  gewisse  Claasen  von 
Personen  steuerpflichtig  seien  oder  nicht,  ob  bei  dem  An- 
sätze der  Steuer  diese  oder  jene  VermögensstUcke  iu  Berech- 
nung zu  bringen  seien,  sind  keine  Justiznachen ,  sondern 
von  der  Statsgewult,  welche  die  Macht  der  Beeteurung  übt, 
zu  entscheiden.  £s  kann  zwar  zu  höherem  Schulze  der 
Privaten,  duez  nicht  ein  willkürlicher  und  ungerechter  Misz- 
brauch  von  dem  Besteurungsrechte  geuiacht  werde,  dafUr 
gesorgt  werden,  dtisz  bei  der  Anlage  der  Steueni  und  bei 
dem  Entscheide  über  die  Grösze  der  geforderten  Steuerbe- 
Ir^e  die  Mitwirkung  einer  Jury  oder  von  Experten  aus  dem 
Volke  erfordert  werde.  Um  deszwillen  wird  aber  die  Frage 
nicht  zur  Justizsaclie. 

In  einer  Beziehung  indessen  kann  niglich  auch  die 
(jieuerfrage  als  Justizsache  erklärt  und  behandelt  wenlen. 
Wenn  nämlich  das  Princip  der  Steuer  und  die  Grundsätze 
ihrer  Erhebung  nicht  bestritten  werden,  wenn  das  Hohelts- 
i-echt  des  Slates  Überall  nicht  in  Frage  stellt,  sondern  nur 
darüber  Widerspruch  erhoben  wird,  dasz  die  thatsüch liehen 
Voninsselzungen  im  einzelnen  Fülle  in  der  Person  des  Steuer- 
l'tlielitjgen  wirklich  vorhanden  seien,  welche  der  Steuerfor- 
dirung  als  prl  vatrechlHche  Unterlage  zu  Grunde  lie- 
gen, z.  H.  wenn  das  Individuum,  von  welchem  eine  Steuer 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


FäntU»  Ca^le).    GreuieD  der.  Gerieblsbarkeit.  247 

verlaiigt  wird,  behauptet,  ee  besitze  die  VermÖgenssMti-kc 
nicht,  auf  welche  die  Steuer  verlegt  worden,  oder  es  habe 
ihoht  so  viel  Vermögen,  als  bei  der  Ansetzung  der  Steuer 
angeiHimmen  worden, >  so  ist  es  offenbar,  daez  hier  eine 
priTatrechtliche  Frage  zur  Beurtheilung  kommt,  und  dem- 
gemäsz  haben  denn  auch,  wenn  auf  die  Natur  der  Dinge 
geachtet  wird,  die  Genclite  darüber  zu  urU>eilen.  Auch  auf 
dieser  Seite  kann,  damit  nicht  hinwieder  die  Stellung  der 
Privaten  uiiszbraucht  werde,  um  sich  der  Steuer  zu  entzie- 
hen, die  der  Stat  krafl  höherer  Autorität  auTerlegt,  ein 
eigeuthUmliches,  die  Ansprüche  des  Slates  sichelndes  Ver- 
fuhren vei^esi-hrieben  werden;  aber  die  Frage  selbst,  fUr 
deren  Beurtlieilung  kein  statsrechtliches  Moment  zur  Sprache 
kommt,  ist  darum  doch  eine  Justizsache. 

e)  Aticli  die  Verfügungen  der  Polizei  beziehen  sich 
häufig  auf  das  Privstrecht  und  be^chrtinken  de»  freien 
Gebrauch  desselben  in  mannichfacher  Hinsicht.  Inwiefern 
hiebei  die  Polizei  den  Gesetzen  gemOsz  verfahren  sei,  ob 
sie  die  vorgeschriebenen  Formen  des  Verfahrens  beobachtet 
habe,  ob  der  Inhalt  ihrer  Verfügung  noihwendig  und  gerecht 
sei,  das  Alles  wird  um  jener  Beziehung  willen  nicht  zur  < 
Justizfrage;  und  den  Gerichten  kann  der  Entscheid  darüber 
nicht  zustehen,    da  es  sich   hier  wieder,  nur  um  Ausübung 

'  Die  Bestimm niig  dM  preiiszJscIieD  Lkndreclils  Tbl.  II.  'fit.  14, 
|:  78;  „lieber  die  Verbindlichkeit  zur  Entricbtnug  atlgemeiiier  ADlngen, 
denen  sllmmtliche  Einwohner  de«  Sleto,  oder  alle  Milglieder  einer  ge- 
wlMen  ClMse  d>;Me]beii  ukuh  der  bestehenden  l^iideaverfaasuug  uiiter- 
trorfeb  Bind,  ihidet  kein  ProeesE  stau,"  imdg.^S:  „Beliaoptet  aber  Jemand 
au*  besoDdem  Oräuden  die  Befreioiig  von  einer  solchen  Abgabe,  oder 
lehaiipiet  er  in  der  Beatinininiig  seines  Anibeila  bber  die  Gebühr  belastet 
«I  seiu,  M)  snll  er  darOber  rechtlich  grliörl  werden"  —  verdient  keinen 
Tadel.  In  dieiier  Beiiebung  »cheiut  mir  Stahl  (Statal.  11,  S.  4S6),  der 
sonst  in  dieser  t^hre  gesundere  Orundsiltie  verlheidigt,  als  viele  Juristen, 
die  RtfffernngagewaU  la  selir  auszudehnen,  und  auch  manche  neuere 
ßteuergeseUe  in  rerschiedeneu  Sluten  die  in  der  Natur  liegende  ScbranUe 
nicht  sorgfallig  geuag  zu  achten. 


,iP<.-jM,Cog<^lc, 


348  Aehice  Bsch.     Vom  Gericht. 

der  polixeiliehtin  Stabhoheit  handelt.  Wenn  dag^eo  die 
privatrechtliche  Unterlage  des  Polizeibefehle  selber  streitig 
Ut,  z.  B.  die  Poliset  befiehlt  eioeni  Individuotn  als  Hausbe- 
sitzer eine  feaer^eRlhrliche  Einriebtang  su  «ttferiien,  oder 
(Ur  gehörigen  WaBserabUnsz  zu  sorgen,  und  das  IndividuDu 
bestreitet  seine  Verpflichtung,  nicht  weil  in  solchen  Dinges 
der  Untertban  der  Polizei  nicht  zu  geliorchen  habe,  sondern 
weil  er  nicht  KausbesiUer  sei,  so  hat  diese  Frage  wieder 
eine  rein  privatrechtliche  Natur  und  ist  als  Justizsache  zu 
behandeln.  * 

*  ZacharU,  I).  RliiiBreelit  (erste  Anfinge)  II.  S.  175  macbl  nncli 
Pfeiffer«  und  Hittermaiei's  Vorgang  das  Gericht  aucb  zum  Wächter 
der  fornieileD  Geee timäszigkeit  der  poliieilicheo  Verfügatig,  und 
behauptet,  „ee  könne  (aus  dieaen  iiud  den  obigen  GrtUiden)  die  Kegie- 
rnngssHche  mr  Jiiatizsache  werden."  Diete  Sprachwendung  läszt 
den  Irrtliiini  in  der  AiifTaaeting  deullicli  erkennen.  Es  kann  durch  die 
poailive  Gesetzgebung  was  Keglvruiigsiache  ist,  als  JuslizsAche  erklärt 
»ei'deii.  Es  liauij  auch  die  Praxis  die  Natur  beider  in  einzeioen  FUien 
verkeniieu  nnd  lerweclieeln,  aber  wsa  KegieruagSMche  ist,  daa  kaoii  ge- 
rade weil  es  das  ist,  nicht  durch  eine  innere  Umwandlung  der  Natur  zur 
JiislizsNche  werden.  Wohl  künnen  beide  mit  einander  in  Beziehung 
Bteheu,  wie  in  den  obigen  Ueiapieleu,  aber  do  war  rem  Anfang  an  wie 
im  weitem  Vertauf  der  Dinge  die  eine  Frage  eine  Regierung«-  die  andere 
eine  Jnstizaauhe.  In  der  zweiten  Anfinge  II.  S.  tOl  ist  der  Ausdruck, 
aber  nicht  der  Sinn  verbessert.  Wenn  Znchariä  einwirft,  ich  gebe  keine 
Eul scheid ongsnurni  tiber  die  Collision  zwischen  ölTeutlichem  und  Prival- 
rechl,  sondern  verweise  nur  auf  das  Conilictverfahren,  so  beruht  dieser 
Einwand  auf  einem  Uiszveraländnisz.  Die  Lösung  der  Scliwierigkeit  wird 
immer  dadurch  vollzogen ,  dasz  man  im  einzelnen  Fall  das  Element  des 
öSeiilltcfaen  KecbIS  von  dem  privatrechtlichen  sorgfältig  aondert,  and  jen«s 
als  VerwaltuugBsache,  die«es  als  Justizsacbe  behandelt  Die  Zweifel  dar- 
über müssen  aber,  wenn  Verwaltung  nnd  Justii  verechledene  Ansicliteu 
haben,  durch  ein  Verfahren  erledigt  werden,  dessen  Autoriläl  sich  beide' 
Zweige  fügen,  nnd  das  ist  duR  Conilictverfahren.  Datz  das  ofTentlicbe 
Keclii  aber  dem  Privalreclit  übergeordnrl  sei,  so  daez  wo  jenes  uicht 
neben  diesem  bestehen  kann,  dieses  weichen  und  sieh  modiiciren  musz, 
versieht  sieh  aus  dem  Verhüllnisz  des  Slales  zu  den  Privaieii  von  solbsl. 
Wenn  aber  die  Beslrafnng-von  Polizeiüberlrelungeii  den  Gerichten  zuge- 
wiesen ist,  dann  ist  es  natürlich  such  Sache  der  Gerichti-,  die  Reeht- 
mdszigkeil  (Gesetz niäszig heil)  von  Pulizeiverorduuiigeii  oder  Pol iiei befehlen 


n,g,t,7.dt,'G00glc 


PünAes  Capltttl.    QrenzeD  der  Qerkhubarkdi.  249 

d)  Ebenso  besieht  sich  die  Expropriation  wieder  auf 
das  PdralvormOgen;  und  auch  diese  Frage  ist,  soweit  sie 
aar  der  Ausübung  eines  statlicben  Hobeitsrechtes  beruht, 
eine  R^erungsfrage ,  und  nur  die  damit  in  Zusammenhang 
stehende  Enl»ohädigung8frage  eine  Justizsache. ' 

2.  Sind  statliche  Hoheitsreehte  an  Priratper- 
soneu  SU  eigenem  Rechte  rerlieheo  worden,  so  haben  sie 
dadurch  die  Reinheit  ihrer  »tätlichen  Natur  verloren,  und 
sind  zu  einem  Bestandtheile  der  individuellen  Reohtssphttre 
geworden.  Es  ist  daher  natürlich,  dasz  ein  Rechtsstr^t 
Bwiaeheo  dieser  Privatperson  und  einer  andern  Qber  den 
Umfang  ihres  Rechtes  als  Justizsache  behandelt  wird. 
Dahin  gehören  vor  allen  die  mancherlei  Gerechtigkei- 
ten and  Gerechtsame,  welche  aus  der  Regalität  ab- 
geleitet und  zu  Privatrecht  dem  State  verliehen  worden  sind  \ 
ferner  ausnahmsweise  Befreiungen  von  der  gewohnten 
Herrsi^aft  des  Öfifenttichen  Rechts,  die  von  dem  State  ein- 
aelneu  Privaten  sagestanden  worden  sind,  Immunitäten, 
SteucrfreiheiL 

Das  Lehenssystem  des  Mittelalters  liesz,  (Iberhaupt  ü&sat' 
liehet  und  Privatrecht  mischend ,  derlei  Enfäufisierungen  von 
Hobeitsrechten  an  Privaten  in  weit  man nichfal tigerer  An- 
wendung zu.  Die  neuere  Zeit,  scharfer  trennend,  zieht  auch 
hier  die  Gestaltung  reiner  Privatrechte  vor,  sn  dasz  alle 
hoheitlichen  Elemente  in  der  Hand  des  States  selbst  znrUck- 
bl^ben,  und  nie  Privaten  auch  im  Individualbesitze  solcher 
sind.  Es  ist  daher  der  Kreis  der  practischen  Anwendung 
jenes  Satzes  bedeutend  verengert  worden. 

3.  Wie  das  Gebiet  des  eigentlichen  Statsrechts  nicht  der 
Justiz  der  Gerichte  unterworfen  ist,  sondern  von  der  Stats- 
r^ierung  beherrscht  wird,   so  ist  dag^en  das   gesamnite 

xD  {triirvn,  und  nur  wenn  ein  Rechl^ebot  ül>ertr«(«ii  isl,  die  Stntv  aas- 
iiupreclieij.     - 

'  Vgl.  oben  Buch  h   Csp.  21    8.  122  ff. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


260  AchtM  Bacb.    Vom  Oerichi. 

Gebiet  «lee  Priratrechtes  ebenso  die  natürliche  Amts- 
sphfire  der  Justiz.'*  Auf  dieeeui  (Gebiete  darf  nor  der  Ge- 
rechtigkeit, und  nicht  dem  Willen  des  Sfats  die  Eatschet- 
dung  in  streitigen  Fftlien  überlassen  werden,  denn  diraes 
Gebiet  gehört  als  solches  nicht  dem  State,  soudern  de»  Pri- 
vaten an,  un<)  es  ist  nur  die  Aufgabe  des  States,  sie  in  deui 
Genüsse  ihres  Rechtes  zu  schützen. 

Ein  Verhitlluisz,  in  welchem  die  reine  Natur  des  Privat- 
rei'htes  unzweideutig  rorliegt  und  wo  dennoch  Bedenken  ent- 
stehen,  bedarf  näherer  Erwägung.  Alle  En  tschädigunge* 
nnsprOche  nämlich,  welche  ein  Individtiuiii  an  ein  andere« 
oder  an  den  Fiscus  stellt,  sind,  man  mag  auf  ihre  subjeclive 
Resieliung  oder  auf  ihren  Inhalt  sehen,  reine  Privat- 
forderungen,  und  gehören  somit  als  solche  immer  zur 
Itenrtheiluiig  an  das  Civilgericht.  Ob  die  Forderung  gut 
oder  schlecht  begründet '  sei ,  das  ist  wohl  fUr  das  Urtheil 
alter  nicht  für  die  Frage  der  Competenz  von  Erheblichkeit. 
Wie  aber  nnn,  wenn  der  Fiscus  mit  einer  EntsehOdigunga- 
klage  belangt  wird,  weil  der  Stat  eine  iinrechtmäszige  Steuer 
whoben  habe,  oder  weil  die  Polizei  willkürlich  den  Qewerbs- 
betrieb  eines  Privaten  gehemmt  und  ihm  so  Schaden  zuge- 
fügt habe;  oder  wenn  ein  Individuum  mit  einer  Eutschfidi- 
gungsklage  belangt  wird,  weil  es  als  Beamter  dem  Klüger 
Unrecht  getban  und  eeme  Interessen  verletzt  habe?  Wiixl 
nicht  durch  Bewahrung  der  ctvilrechtlichen  Competenz  mittel- 
bar die  Competenz  der  Regierung  gefährdet,  uud  auf  einem 
Umwege  wieder,  was  als  Ausübung  Öffentlicher  Functionen 
jener  entzogen  niid  dieser  vorbehalten  worden,  dem  Ekit- 
acheide  jener  zugeführt?  Es  ist  nicht  zu  läugnen,  daaz  auf 
solchem  Wege  versucht  werden  kann,  die  naturgemäsze 
Competenzausscheiduug  zu  verrücken,  und  manche  Juristen 

*  BeJgiaclic  Verf.  §.  93:  „Die  Slreitiglceiten ,  welche  bUi^erliclie 
Itechle  zHm  Qegeustntid  haben .  gehöreo  ausscbllesilich  vor  die  Tribiinele.* 
liolläiidische  g.  148. 


n,g,t,7.dt;C00glc 


FünfleB  Capitel.    Oretii«n  der  Oerichttbarkeil.  251 

siftd  auch  geneigt,  diese  Vereuehe  zu  Qunsten  der  Privnten 
SU  uDtersttttsen  und  die  gerichfliehe  Couipelenz  bei  solcher 
Gel^eaheit  möglichst  auszudehnen.  Auf  der  andern  Seite 
ist  aber  euch  öfter  schon  durch  gesetzliche  Beetinimungen 
oder  durch  das  Conflictverfbhren  die  CiTilgericbtsbarkeit  iu 
Fällen  gehemmt  worden,  wo  sie  nach  der  Natur  d&t  Dinge 
competent  war. 

Nur  die  Beziehung,  in  welche  hier  reines  PriTutreciit 
zu  reinem  öfTentlichem  Rechte  gesetzt  wird,  der  Caueal- 
zusummenhang ,  in  welchem  eie  zu  einander  stehen,  kann 
einige  Scliwierigkeit  erzeugen.  Dieselbe  ist  aber  leicht  zu 
lOseii,  wenn  man  einrucli  dem  Grundsätze  treu  verjährt,  dasx 
ftber  jenes  dem  Civilgerichto ,  Über  dieses  den  Regierunge- 
stellen  der  Entscheid  gebührt.  Der  mit  einer  S^huldforde- 
rung  belaugte  Elscus  mnsz  immer  vor  dem  Civilgerichte 
Rede  stehen,  auch  wenn  er  in  keiner  Beziehung  Schuldner 
des  Klägers  ist,  ebenso  jeder  PriTalraann,  auch  wenn  er 
zugleich  Beamter  ist.  Wenn  es  dann  aus  den  Verhandlungen 
des  Processes  klar  wii-d  —  was  in  solchen  Fällen  gewöhnlich 
leicht  ersichtlich  ist  —  dasz  eine  Verletzung  des  Privat- 
rechtes  des  Klägers  überall  nicht  rurli^e,  weil  die  Regie- 
ning  (»der  der  Beamte  nur  die  dem  State  zustehende  H^r- 
Schaft  (Amtsgewalt)  Itber  die  Einwohner  ausgeübt  habe,  so 
wird  die  Klage  sofort  abzuweisen  sein.  Wenn  aber  dem 
Civilrichter  das Gegentheil  klar  wird,  dasz  der  Beamte  auszer- 
halb  seiner  amtlichen  Competenz  gehandelt  und  somit  aus 
Dolus  oder  Culpa  die  Privatsphäre  des  Klägers  verletzt  habe, 
so  ist  er  befugt  und  verpflichtet,  den  Kläger  in  seinem  ge- 
störten Privatrechte  zu  schützen  und  ihm  die  gebührende 
Entschädigung  zuzusprechen.  Indem  der  llichter  so  urtheilt, 
nrtheilt  er  immer  nur  über  Givilrecht  und  von  civilrecbt- 
liebem  Standpunkte  aus.  Möglich  ist  es  indessen,  dasz  die 
Beurtheilung  der  Frage,  ob  ein  Civilunrecht  da  sei,  in 
■  Cktndict    gertith    mit    dem    Entscheid    Über    die    Frage,    ob 


iM,Coo<^lc 


352  Achte«  Buch.    Tora  Oericbt. 

orfentliches  Recht  ausgeübt  werden  sei;  and  da  masz 
es,  wenn  erst  ein  solcher  Coiiflict  entstanden  ist,  auch  der 
Regierang  zustehen,  ihre  Competenz  in  dieser  Reg^iernngs- 
sache  eu  handhaben  und  zu  vertreten,  wie  dem  Gerichte  die 
seinige  in  der  Justizsache.  Dann  kann  ein  solcher  Streit, 
der  nicht  uiehr  zwischen  den  Parteien  jenes  Processes,  80n< 
dem  nun  zwischen  Regierung  und  Gericht  geführt  wird,  auf 
dem  Wege  des  Confliutrerfahrens  ausgetragen  werden.  Die 
principieDe  Erledigung  desselben  aber  ist  wieder  einfVicb. 
Die  definitive  Entscheidung  über  jene  Regierungsfrage  ge- 
bührt natürlich ,  wenn  nicht  in  bestimmten  Fällen  zu  beson- 
ders wirksamer  Abwehr  von  Amtsmiszbrauch  das  Gesetz 
eine  Ausnahme  anordnet,  der  Verwaltung,  und  das  Gericht, 
welchem  dieselbe  nun  als  Voraussetzung  dient  für  die  Beur- 
theilung  des  Civilanspruchs,  uiusz  sich  an  jene  Entscheidung 
hHltcn. 

4.  In  der  Regel  stehen  die  statlichen  Rechte  deOt  State 
zu.  Es  gibt  aber  auch  politische  Rechte,  welche  den 
Indiriduen  zukommen,  und  sogar  solche,  welche  nicht 
zugleich  öffentliche  Pflichten,  sondern  Rechte  sind,  welche 
der  freien  Benutzung  der  Individuen  anheimfallen.  Es  liegt 
somit  hier  eine  stufenweise  Annäherung  an  das  Privat- 
recht vor. 

Von  der  erstem  Art  sind  z.  B.  die  Pfürsrechte,  die 
Rechte  der  einzelnen  Abgeordneten  der  Kammer,  die  Milit&r- 
dienstpflicht,  die  Verpflichtung,  ein  Amt  zu  Übernehmen,  von 
der  letztem  die  Stimmrechte  der  Urwähler,  die  Wählbarkeit 
zu  öffijntlicben  Aemtern,  das  Recht  eine  Zeitung  zu  redigi- 
ren,  das  Recht  an  politischen  Vereinen  theilzunehmen  n.  dgl. 
Je  mehr  in  diesen  Rechten  der  rein  politische  Charakter 
vorherrscht,  desto  strenger  wird  an  dem  Princip  festzuhalten 
sein,  dasz  dieselt>en  in  den  Bereich  der  eigentlichen  Stats- 
gewalt  gehören.  Wenn  sie  aber  den  Privatrechten  näher 
gerQckt  sind,  so  täszt  sich  begreifen,  und  es  können  selbst  ' 


n,g,t,7.dt,G00gIc 


Füntlea  Onpltel.    Granz«!!  <ler  OericliUbarkelt.  253 

politische  Gründe  z.  B.  im  Interesse  der  Wahlfreiheit  oder 
der  Preszfreiheit  es  vrüoschensTrerth  machen,  dasü  dieselben 
unter  den  Schutz  der  Gerichte  gestellt  werden. 

5.  Ferner  gibt  es  mancherlei  Institutionen  und  Rechte 
TOD  gemischter  Natur,  welche  gewissennaezen  mit  dem 
einen  Fusz  auf  privatrechtlichem  Boden  stehen,  mit  dem 
uidem  das  Gtebiet  des  Statsrechts  betreten.  Da  hat  denn 
eäoe  genaue  Ausscheidung  der  R^erungs-  und  der  Gericbts- 
sphfire  Schwierigkeiten. 

Es  gilt  das  vorzüglich: 

a)  von  den  Gemeinden,  und  seitdem  dieselben  mehr 
»Is  in  altern  Z^ten  zu  Öffentlichen  Instituten  geworden  sind, 
in  höherem  Masze  noch  von  andern  Öffentlichen  Corpo- 
ration en  und  Genossenschaften.  Wenn  Vermögens- 
rechte, EHgenthum,  Forderungen,  Schulden  Gegenstand  eines 
Rechtsstreits  der  Gemeinde,  sei  es  mit  Individuen  oder  mit 
dem  State,  sind,  so  haben  dieselben  gleich  andern  Privaten 
auf  gerichtlichen  Schutz  Anspruch,  denn  dann  ist  offenbar 
ihr  Privatrecht  in  Frage.  Dagegen  ist  schon  die  frae  Dis- 
position ttber  das  Gemeindevermögen,  weil  dasselbe  für  Öffent- 
liche Zwecke  bestimmt  ist,  nicht  ebenso  eine  reine  Privat- 
angelegenheit, sondern  es  kommen  die  Rücksichten  der 
öfl^nttichen  Wohlfahrt  mit  in  Betracht,  und  ee  dehnt  sich 
die  Aufsicht  der  Regierungegewalt  ordnend  und  in  manchen 
Fällen  entscheidend  darauf  ans.  So  sind  Streitigkeiten  der 
Gemeinden  unter  einander  über  den  Umfang  des  Gemeinde- 
banns, tiber  die  Gränzen  ihrer  Polizeigewalt  auf  dem  Ver- 
waltungswege zu  erledigen ,  Streitigkeiten  derselben  über 
die  Unterhaltungspflicht  von  Brücken  oder  Wegen,  soweit 
nicht  die  Abgrenzung  des  Gebietes  als  maszgebend  erscheint, 
der  Civiljuetiz  unterworfen.  Streitigkeiten  zwischen  der  Mehr- 
heit und  Minderheit  einer  Gemeinde  oder  Corporation  über 
die  Gültigkeit  von  Beschlüssen  sind,  soweit  die  Statsauf- 
sieht  reicht,  Verwaltung»-,  soweit  dieselben  sieb  innerhalb 


iM,Coo<^lc 


251  Aehtei  Buch.     Vom  Qeiiclit. 

der  freien  Priratephäre  bewegen,  Justizsaqhe.  Die  Oi^äni- 
sadoa  endlich  und  die  Begründung  und  Auflösung  der  öffent- 
lichen Corporstionen  and  sog&r  von  reinen  Privtttcorporatio- 
nen  und  Genossenschaften,  inBOfern  öffentliche  Intereasen, 
wie  z.  B.  bei  Actiengesellschaften  die  RttclcBicht  «uf  diQ 
Sicherheit  des  Credits,  in  Berücksichtigung  kommen,  wm 
f^ilich  bei  den  letztem  nur  auenahmeweise  der  Fall  ist, 
fallen  wieder  in  den  Bereieh  dw  Venraltungscompetenz, 
welche  alleia  jene  Bocksichten  zu  würdigen  im  Stande  ist. 
b)  Die  Standesverhttltnisae  ferner  haben  eine  privat- 
rechtliche  und  eine  öffentliche  Seite.  Die  Fragen  freilich 
Uher  eheliche  oder  uneheliche  Geburt,  Paternität, 
Verwandtschaft,  Über  Art  und  Grad  derselboi  sind  reine 
Justizsache,  weil  reiu  privatrechtlioli.  Die  Frage  über  In- 
digenat,  State  burger  recht  und  G  e  mein  de  bürge  r- 
recht  aber  gehört  vorzugsweise  dem  Öffentlichen  Rechte  an, 
und  es  ist  daher  riphtiger,  wenn  sie  nicht  als  blosze  Folge 
der  Frage  Über  die  eheliche  Geburt  erscheint,  als  Verwaltuugs- 
sache  zu  bebandeln.'  Wenn  die  ^verschiedenen  Stftnde,  in 
die  sich  das  Volk  theilt,  noch  eine  hauptsächlich  privatrecht- 
liche Bedeutung  haben  —  in  dem  Mittelalter  war  das  in 
höherem  Hasze  der  Fall  als  gegenwärtig  — ,  so  sind  Streit- 
fragen, ob  dn  Individuum  diesem  oder  einem  anderen  Stande 
angehöre,  Justizsache,  wie  denn  auch  die  Ueberlieferung 
früherer  Zeiten  die  gerichtliche  Cooipetenz  hier  noch  viel- 
foch  bewahrt  hat.  Wo  dagegen  die  .Beziehung  der  Stände 
zu  der  Statsverfassung  und  dem  Ciebiete  des  öffentlichen 
Rechtes  wichtiger  geworden  ist,  da  sind  auch  solche  Strei- 
tigkeiten nach  der  Natur  der  Dinge  eher  als  Verwsltungs- 
sacbe   zu    behandeln.     Ersteres   gilt  z.   B.   von   der  Qualität 

'  So  iD  »eutBcltlsnd  gewöhnlich.  Db^^pd  Belgische  Verf.  $.93: 
„Die  Streitigkeiten,  welche  slntsbürgerliche  Recbttt  zum  Gegenstarul  babeo, 
gehören  vor  die  TribiinHie,  mit  Vorbrliall  der  durcb  das  Qe«elz  beBlimm- 
tcD  Ausnahmen." 


it,Coogle 


PßnfteB  Capltel.    Qreaien  der  Gerichtsbarkeit.  355 

eines  Kaufmanns,  letzteres  aber  von  der  des  Adels,  insofern 
dieser  zu  einer  politischen  Institntion  geworden  und  nicht 
zu  einer  bloszen  Reniiniscenz  verblichen  ist,  die  nur  anf 
persfinliche  Stellung  in  der  PrtTatgesellachaft  einigen  Ein- 
flusz  hat. 

c)  Die  Gewerbshefugnisse  beziehen  sich  auf  die 
Ausübung  eines  Privatberufes  und  den  Privaterwerb,  und 
haben  somit  einen  priratrechtlichen  Gehalt.  Aber  soweit 
dieselben  hinwieder  nach  Gründen  des  Gemeinwohls  ver- 
liehen und  geordnet  werden,  bleibt  auch  darüber  der  Ent- 
scheid der  Verwaltung  vorbehalten. 

d)  Das  Vormu II dschaf tsrecht  endlich  hat  wieder 
eine  Doppelnatur.  Zunächst  dem  Fumilieo-  und  daher  deui 
Privatrechte  zugehörig,  ei-scheint  doch  die  Vormundschaft 
auch  aU  eine  Oiientliche  Pflicht,  und  bei  den  wichtigsten 
.Fragen,  z,  ß,  der  Ernennung  und  Entlassung  von  VormOn- 
dern,  der  obrigkeitlichen  Erlaubnisz  zu  gewiseea  Rechtsge- 
schäften, der  Anleitung  fUr  Stellung  der  Rechntmg,  der  regel- 
mfiszigen  Auföicht  und  Controle  dei;  Verwaltung  handelt  es 
sich  doch  nicht  um  einfache  Handhabung  der  Gerech- 
tigkeit, snudem  um  Öffentliche  Sorge,  welche  inner- 
halb der  Schranken   des  Rechts   durch  Gründe   der   Zweck- 

'  m&szigkeit  und  Nützlichkeit  geleitet  wird  und  daher  die 
Natur  der  Regierungssorge  hat.  Es  beruht  daher  auf  guten 
Gründen,  wenn  diese  Seite  in  neuerer  Zeit  an  Vormund- 
scbaflsbehörden  obertragen  wird,  die  dem  Organismus  der 
Regierung  augehören, 

5.  Der  Gegensatz  der  strafrccli tlichen  Gerichts- 
barkeit und  der  sichernden  Zucht  der  Polizeigewalt 
wurde  oben  ■<>  schon  erörtert.  Die  nähere  Begrftnzung  h^der 
Gebiete  wird  in  neuerer  Zeit  gewöhnlich  durch  das  Straf- 
gesetz bestimmt. 

'•  Bach  VU.  Cap.  9. 

D„:,iP<.-jM,G00glc 


256  Achte*  Buch.    Vom  Gericht, 

6.  Die  Erörterung  und  Entscbeidnng  administrativer 
Streitfr^eo  setzt  gewöhnlich  ein  dem  gerichtlichen  Proeesse 
ähnliches  Verbhren  roreus.  Man  hat  daher  dafür  den  AuB- 
druck  AdmlDistratiTJustiz  aut^obracht.  IMe  Wahl  des- 
selben  ist  aber  nicht  glücklich;  er  erinnert  nur  x\i  sehr  an  daa 
hölzerne  Eisen.  Die  Justiz  als  solche  ist  nicht  Adminiatration, 
weil  sie  Handhabung  der  Gerechtigkeit  ist.  Eher  Ifiszt  sich 
dagegen  von  Administrativ  verfahren  und  von  Ver- 
waltungainstanzen  reden,  welchen  der  Entscheid  Über 
solche  Streitigkeiten  gebührt.  Als  oberste  Instanz  in  solchen 
Sechen  ist  nach  dem  Vorbilde  Frankreichs  oft  der  Stats- 
rath  competent.  Indessen  ist  es  weder  nOthig  noch  rätb- 
lich, dasz  diesfe  Instanz  in  minder  erheblichen  Fällen  zum 
Entscheide  berufen  werde.  Vielmehr  erheischt  gerade  das 
Citfentliche  Interesse,  das  hier  nie  auszer  Acht  gelassen  wer- 
den  darf,  daez  durch  untere  den  Betheiligten  näher  liegende 
Instanzen  der  Streit  erledigt  werde. 

Ein  Recht  auf  OehOr  hat  auch  bei  diesem  Verfahren 
jeder  Betheiligte,  und  die  Oeffentlidikeit  und  Mündlichkeit 
leistet  anch  da  gute  Uienste,  wenn  sie  in  der  rechten  Weise 
geUbl  wird.  Indessen  kann  das  öffentliche  Wohl  in  manchen 
Fällen  Beschränkung  derselben  erfordern.  Das  ist  eben  der 
Hauptunterschied ,  dasz  Administrativstreiügkeiten  nicht  sus- 
schlieszlich  nach  Recbtsgrunds&tzen,  sondern  zugleich  mit 
Berücksichtigung  der  Zweckmässigkeit  und  der  öiTentlichen 
Wohlfahrt  entschieden  werden  müssen,  und  dieser  Unterschied 
übt  auf  das  ganze  Verfahren  seinen  Einflusz  ans. 

In  unserer  Zeit  ist  der  Kampf  der  Meinungen  in  dieser 
Beziehung  noch  nicht  zn  vollem  Abschlüsse  gelangt.  In 
Frankreich  kam  der  Gegensatz  zwischen  der  gerichtlichen 
und  der  VerwaKungscompetenz  während  der  Revolution  von 
1789  zuerst  principiell  zur  Erörterung.  Die  frtlher  geübte 
Einmischung  der  gerichtlichen  Parlamente  in  die  Verwal- 
tungssphäre wurde  damals  um  so  störender  empfunden,  als 


n,g,t,7.dt,G00gIc 


PünfiM  Capiiel.    OrenxfD  der  Orrjeb («barkell.  257 

der  StftI  im  Begriflb  war,  sich  selbst  von  Grund  aus  uro- 
zngestalten,  die  Öffentliche  Wohlfahrt  zum  höchsten  Rechts- 
princip  zu  erheben  und  die  ganze  hergebrachte  Rechtsord- 
nung zu  brechen.  Der  gerichtlichen  Anmasznng  folgte  daher 
eine  rttcksichtlose  und  übertriebene  ZurDckweisung  von  dem 
Slandpunkte  der  Revolution.  Gesetzlich  wurde  im  Jahr  1790 
verordnet:  „Die  Richter  dürfen  auf  keine  Weise  die  Hand- 
lungen der  Verwaltung  stören  noch  die  Administratoren 
wegen  ihrer  Dienstverrichtungen  vor  sich  laden."  Von  da 
aus  wurden  dann  immer  mehr  Streitigkeiten,  auch  wahre 
Juslizsaehen  der  gerichtlichen  Competenz  entzogen  und  als 
Verwaltungssache  erklart.  Napoleon,  durch  die  Hemmnisse 
der  Justiz,  wo  er  durchgreifen  wollte,  leicht  gereizt,  begün- 
stigte diese  Richtung,  und  so  wurde  hinwieder  das  Gebiet 
der  Verwaltungssphfire  ungebührlich  erstreckL  In  Deutsch- 
land dagegen  förderte  die  Autorität  der  vorzugsweise  civi- 
listisch gebildeten  Jurisprudena,  soweit  sie  auf  Gesetzgebung 
ond  Praxis  wirkte,  die  entgegengesetzte  Richtung,  und  sie 
wui-de  in  diesem  Streben  durch  die  Interessen  der  persön- 
lichen Freiheit  und  Rechtssicherheit,  welche  in  dem  gericht- 
lichen Verbhren  bessere  Garantien  sahen,  unterstützt.  Das 
ITebennasz  in  dieser  Richtung  rief  dann  aber  in  einzelnen 
Gebietstheilen ,  wo  die  Statsgewalt  ihre  Rechte  doch  nicht 
aufzugeben  genöthigt  werden  konnte,  einen  um  so  willkür- 
licheren Gegendruck  hervor,  der  die  Früchte  jenes  Strebens 
wieder  groszentheils  zerstörte. 

Anmerkung.  In  der  Auabilduug  dea  Verwaltaogarecbta  u(  die 
fraiiiösiscbe  Praxi«  and  Wiseenachart  der  deulachen  nocb  aberlegen.  So 
weit  ta  e\a  Terwaltungsrecbt  gibt,  ao  weit  kann  and  aotl  dnaaelbe  anch  in 
Streitigkeiten  darch  die  VerwaltungabehÖrdeD ,  die  in  so  fern  la  Verwal- 
lungagericbteii  wei'den,  wenn  ee  nicht  —  was  an  aicli  zweckmäiziger  ist 
—  besondere  VerwaltaDgagerieblahitfe  git>l,  gebondhabt  werden. 
Der  Einzelne,  der  in  seineoi  öffeatlicben  Recht«  gekränkt  wird,  bat  eJD 
Recht  aof  Slalsschatz,  wie  der  Private,  der  in  aeineni  Privatrechte  ver- 
letit  worden  iat;  und  in  sehr  vielen  Fällen  wird  die  einfttcbe  Aner- 
kennung seine«  Rechta  zu  dirsem  Scbalze  geoUgeu,  ühnlicb  wie  im 
atunliehli.  allgamaineiStaUracht.    M.  17 


iM,Coo<^lc 


258  Achtel  Bncb.     Vom  Oeriebt. 

CivilpTOce».  So  weit  Mimme  ich  Regelibergar  bei,  weno  er  (kriti- 
sche Zeitachrid  17.  6.  60)  lUraaf  aufmerksam  macht,  dMi  such  die  Ter- 
wallung  unterscheiden  mUeee  zwischeD  deo  Dingen,  wo  sie  das  Zweck- 
mfiszige  wählen  dUrfe  nnd  denen,  wo  sie  das  Rechtmästige  anerkenDen 
müsse.  Aber  Ich  bin  noch  der  Heinang,  dasi  die  sogar  im  PriTst-  und 
Strafredit  etwas  fsnatiscbe  JuristeDmaxiine :  äst  jusLitta  et  pereat  mUDdna 
nimmermehr  auf  dem  Gebiete  den  öffentlichen  Rechts  die  Bedeutung 
haben  dürft;  flat  justitia  perpat  respublica;  denn  slles  öffentliche  Recht, 
was  Einzelnen  snkommt,  ist  Torans  um  des  States  willen  ond  bdcJirttiM 
in  zweiter  Linie  um  der  Individuen  willen  vorhanden,  darf  also  niaouU 
zum  Verderben  des  Stjites  behauptet  und  geltend  gemacht  werden.  In 
den  VerwattuDgBgerichtfihöfen  wird  daher  sehr  oft  die  blofize  Anwendnag 
einea  Gesetzes  das  Urtheil  beetimmen ,  nber  in  manchen  andern  Fällen 
wird  die  Rltcksieht  auf  das  öffentliche  Wofal  gar  nicht  entbehrt  werden 
können  und  etwas  offenbar  statsz  weck  widriges  auch  nicht  uls  Slatare^ ' 
geschützt  werden  dürfen.  Im  Uebrlgen  beruht  die  Formulirnng  des 
[Tnterschieds,  welche  Regelsberger  vorschlägt:  Leben sverhältiiiss«,  welche 
zwar  ein  Zusammensein  vaa  Karuclien  znr  VorauMettung  haben,  aber 
Dicht  nothwendig  die  Terbinduug  cum  Siat  nnd  andere  Lebensverhält- 
nisse, in  denen  der  politische  Tertiaitd  das  gestalleade  Element  ist,  auf 
demselben  Oriindgedanken ,  wie  die  obige  Theorie;  denn  die  erstem  sind 
VcrUltnisae  von  Privaten,  die  letztem  VerbUtnlHe  des  State. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


260  HeuDtes  Bucli.    Caltiirpflpge. 

und  anvertraut,  aber  die  Religion  blieb  ßtatsreligion. 
Jeder  Stat  hatte  seine  beaondern  Götter,  wie  seine  eigen- 
thümlichen  Einrichtungen  und  Gesetze,  und  nm  die  Götter 
der  andern  Staten  kümmerte  er  Bicb  wenig.  In  jedem 
State  war  es  Bürgerpflicht,  die  StatsgÖtter  in  der  rorge- 
schriebenen  Weise  zu  verehren.  Nichtachtung  derselben  galt 
als  Auflehnung  gegen  die  Majestftt  des  Btatos,  und  war 
ein  Statsverbrechen.  Die  von  den  Römern  besiegten  Völker 
wurden  genOthigt,  den  Göttern  der  Sieger  zu  huldigen;  aber 
ihre  nationalen  Götter  wurden  ihnen  nicht  genommen,  so 
wenig  als  manche  andere  nationale  Einrichtungen.  In  dem 
groszen  Römerreiche  häuften  sich  die  Religionen  wie  die 
Völker,  neben  einander  und  einander  duldend.  Aber  die 
Duldung  war  zunächst  nicht  fUr  die  Individuen,  sondern 
für  die  Nationen  gewährt.  Und  über  allen  Göttern  erhaben 
thronte  der  Capitolinische  Jupiter. 

Erst  Christus  brachte  eine  gründliche  Umgestaltung  dieser 
Vorstellungen.  Christus  lehrte  nicht  eine  Religion,  wie  sie 
das  römische  Reich  oder  der  jüdische  Stat  vorgeschrieben 
hatten.  Er  war  kein  Priester  und  Verkündiger  einer  State- 
religion;  er  hatte  auch  weder  Auftrag  noch  Vollmacht  vcm 
dem  State.  „Ich  komme  von  Gott;  ich  bin  nicht  von  mir 
selbst  gekommen,  sondern  er  hat  mich  gesandt. "  „Wie 
mich  mein  Vater  gelehret  hat,  so  rede  ich."  60  unmittelbar 
war  er  sich  seiner  göttlichen  Mission,  seiner  Einheit  mit 
Gott  bewuBzt,  und  so  Gottes  voll  war  sein  Geist,  dasz  er, 
wie  kein  anderer  Prophet  es  gewagt,  getrost  sagen  konnte, 
nicht  wie  die  andern :  „Der  Herr  spricht,"  sondern:  „Wahr- 
lich, ich  sage  euch"  ete.:  „Ich  bin  die  Wahrheit  und  daa 
Lehen."  Dieser  Gkitt  aber,  von  dem  seine  Seele  erfüllt 
war  vollkommen,  ganz  und  gar,  war  nicht  mehr  ein  Na- 
tionalgott,  wie  auch  der  alte  Jehovab  der  Juden  gewesen. 
Christus  verehrte  in  dem  Einen  Gott,  zu  dem  er  betete,  den 
allmächtigen  Schöpfer  der  Welt,  den  Vater  aller  Menschen. 

n,g,t,7rJM,COO<^IC 


Eratea  Capitel.     VeihiltnUt  dea  Slates  zur  Religion.  261 

Die  christliche  Religion  iat  somit  unabhängig 
von  dem  State  tind  im  Widerspruch  mit  dem  bestehen- 
den State  als  Offenbarung  eines  göttlichen  Individuums 
in  die  Welt  gekommen,  und  sie  hat,  obwohl  miszachtet  und 
verfolgt  von  dem  State,  die  Oemüther  ihrer  ersten  BelieDner 
ergriffen  und  ihr  Reich  ausgebreitet.  Der  Stifter  selbst  war 
„weil  er  Qott  gelottert  habe,"  als  ein  Statsrerbrecher  Ton 
dem  judischen  Senate  verurtheilt  und  hingerichtet  worden. 
Viele  seiner  Jünger  und  Nachfolger  bflszten  mit  dem  Leben 
ihren  Widerspruch  gegen  die  herrschende  Statsreligion,  und 
starben  ftlr  die  Wahrheit  ihres  Glanbers  den  irdischen  Tod, 
Toller  Zuversicht  des  ewigen  Lebens  ihrer  Seele. 

Aus  diesen  Erlebnissen  muszten  zwei  Pundamentslsfitze 
von  groszer  Tragkraft  den  Christen  offenbar  werden:  1)  Die 
Religion  ist,  wie  nicht  das  Product  des  States,  so  auch 
in  ihrem  Wesen  von  dem  State  unabhängig.  2)  Die  Re- 
ligion erfüllt  das  Individuum  mit  göttlichem  Geiste,  und 
verbindet  die  unsterbliche  Seele  mit  Gott.  Sie  ist  daher 
aberall  kein  Verbftitnisz  des  menschlichen  Rechts,  sondern 
gehört  wesentlich  dem  ewigen  und  geistigen  Reiche  an, 
von  dem  Christus  gesagt:  „Es  ist  nicht  von  dieser  Welt." 

Der  erstere  negative  Satz  fand  früher  allgemeines  Ver- 
stfindnisz  und  Anerkennung,  als  der  zweite  positive.  Die 
christliche  Kirche  war  seit  ihrem  Bestände  immer  geneigt, 
die  Unabhängigkeit  der  Religion  von  dem  Willen  und  dem 
Gebote  des  States  zu  behaupten  und  zu  vertreten.  Sie  er- 
kannte darin  auszer  der  göttlichen  Wahrheit  auch  den  festen 
Grund  ihrer  eigenen  Selbständigkeit  dem  State  g^en- 
über.  Wenn  es  daher  auch  später  noch  „Statsreligionen' 
gab,  ßo  hatte  das  Wort  doch  einen  andern  Sinn  bekommen. 
Sie  war  keine  statliche,-  keine  nationale  Religion 
mehr.  Sie  leitete  auch  ihre  Wahrheit  und  Geltung  nicht 
von  dem  Gesetze  des  States  ab,  sondern  suchte  und  fand 
ihr«  innere  Begründung  in  einer  Offenbarung,  die  in  keiner 

n,g,t,7rJM,COO<^IC 


362  Neuntes  Buch.    CuUiirpflege. 

Beziehung  iii  dem  Reiche  der  Statemacht  lag  noch  liegen 
konnte,  Statsreligion  konnte  demgemäsz  nur  noch  bedeuten, 
die  von  dem  State  ala  wahr  erkannte -und  anerkannte 
Religion,  die  Religion,  deren  Gebot  der  Stat' selbst 
sich  unterwarf.  Nicht  weil  der  Stat  sie  gutg^etszen 
hatte,  galt  sie,  sie  bedurfte  der  statlichen  Autorität  nicht, 
sondern  umgekehrt,  der  Stat  gehorchte  der.  g&ttUcheD  Auto- 
rität, indem  er  sie  auch  als  seine  Religion  bekanute. 

Nicht  zu  allen  Zeiten  ebenso  gUnstig  war  die  Kirche 
deoi  zweiten  Satze,  auf  dem  das  Princip  der  sogenanuteo 
individuellen  Gewissensfreiheit  ruht.  Vielmehr  wenn 
das  individuelle  Bewusztsein  in  Glaubenssacben  zu  Zwiespalt 
kam  mit  ihrem  gemeinsamen  Bekeuntnisz ,  so  nahm  sie 
nicht  selten  das  Schwert  des  States  zu  Hülfe,  und  versuchte 
alle  Qualen  und  Leiden  der  statlichen  Strafgerichtsbarkeit, 
um  auch  die  unsterbUche  Seele  nach  ihrem  Willen  zu  zwin- 
gen. Dem  State  verstattete  sie  nicht  Herrschaft  zu  üben 
Über  ihren  Glauben,  aber  sie  selber  übte  wahi-end  Jahrhun- 
derten mit  Mitteln  der  Statsgewalt  Herrschaft  Über  den 
Glauben  der  Individuen.  Es  bedurfte  groszer  Erfahrungen 
und  Kämpfe,  bis  Stat  und  Kirche  sich  endlich  davon  Ober- 
zeugten,  dasz  ein  solches  Verfahren  dem  Grundprincip  des 
Christenthums  zuwider  sei. 

Herrschaft  kann  somit  der  Stat  gar  keine  anspre- 
chen ,  soweit  das  geistige  Gebiet  der  Religion  reicht.  Aber 
damit  allein  ist  das  Rechts verhältnisz  des  States  zur  Religion 
noch  nicht  bestimmt.  Vielmehr  ist  dieses  nach  zwei  Seiten 
hin  noch  näher  zu  erw&gen  und  zwei  Hauptfragen  zu 
beantworten : 

I.  Wie  ist  das  rechtliche  Verhftltnisz  des  States  zu  dem 
religiösen  Leben  der  Individuen? 

IL  Wie  ist  sein  Verhältnisz  zu  dem  Dasein  und  Leben 
der   religiösen  Gemeinschaften,    Kirchen  und  Secten. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


ZweiU»  Capitel.     I.  SdiDts  der  iodirlduellen  Religioosfreiheit.    263 

ZweiteB  Capital 

I.  Der  Schulz  der  individuellen  Religionsfrei  heil.     ßekenDtntsz  frei  heil. 

1.  D«8  religiöae  Leben  der  Seele  ist  wie  alles  innere, 
Geictes-  und  OemtitbBlebeu  des  Menschen  dem  menschlichen 
Rechte  entzogen  oiid  der  Herrschaft  des  States  nicht  itnter- 
Dian.  Die  Unabhftogigkeit  desselben  vom  State  versteht 
sieh  aebon  deszhalb  von  selbst,  weil  dieser  nicht  in  die  Seele 
hineinsiebt,  nocli  eine  Macht  bat  Itber  ihre  Gedanken  und 
Gefltble.  Sein  Gebiet  ist  ein  sichtbares,  seine  Ordnung  eine 
leibliche.  Das  religiöse  Leben  des  Individniims  kenn  in 
den  Bereich  des  menschlichen  Rechtes  erst  dann  kommen, 
wenn  es  sich  finsserlich  kund  gibt.  Die  religiöse 
Freiheit  oder  die  GewissensTreiheit  ist  somit  nicht  ein 
Erzeugnisz  der  menschlichen  Rechtsentwickelung,  und  wenn 
wir  auf  das  Wesen  sehen ,  überall  kein  (menschlicher) 
Recbtsbegriff.  Sie  ist  von  Gott  in  die  menschliche  Seele 
gepflanzt,  und  Gott  hat  sich  vorbehalten  auf  nnsichtbaren 
Wegen  die  Seele  zu  ei^ reifen  und  zu  erfllllen ,  und  so  auch 
ihr  unsKbtbare  Wege  ni  sich  erOfAiet.  Die  Freiheit,  die  er 
ihr  gegeben  und  vor  der  Gewalt  des  States  durch  Unsicht- 
bark«lt  geschützt  hat,  gehört  zn  dem  ewigen  Reiche,  In 
dem  nicht  der  irdische  Stet,  sondern  Gott  selber  herrscht. 
Dieselbe  in  Ehrfurcht  anzuerkennen  und  gewähren  zu 
lassen  ist  daher  Pflicht  des  States,  dem  es  klar  sein 
musz,  dasz  er  hier  an  die  Grflnzen  seiner  Hecht  gekom- 
men ist. 

2.  Ist  so  die  individuelle  Glaubensfreiheit  eine 
sittliche,  auszerhalb  des  Statsbweiches  wurselnde,  so  er- 
scheint dagegen  die  Freiheit  des  Bekenntnisses  auch 
Auszerlicb,  und  wird  so  wenigstens  erfaszber  für  das 
menschliche  Recht  Sie  ißt  voraus  eiae  Folge  der  erstem, 
ond  folglich  wie  jene  auch  aantchst  von  dem  State  einfbch 


iM,Coo<^lc 


264  Nenalcfl  BdcL.    Cullorpflrge. 

anzuerkeniieo.  In  der  Tbat  iOszt  sich  gegen  den  Satz,  den 
Vinet  mit  so  groszem  Brnet  und  Nachdruck  ausgesprochen 
hat,  nichts  einwenden:  „Die  freimttthige  Offenbarung  der 
religiösen  Ueberzeugung  ist  ein  Recht,  weil  eine  Pflicht."  ' 
Aber  weil  and  insofern  das  Bekeontnisz  sich  änszerlich  kund 
gibt,  so  findet  es  in  dem  Dasein  der  ftuszem  Recblew4niii^ 
theils  Schutz,  theils  Schranken,  die  es  beachten  musa,  und 
wird  BD  die  ursprünglich  unendliche  Freiheit  derselben  durch 
das  Recht  geschützt  und  begränst,  ihr  B^riff-um 
dieser  Begränsung  willen  auch  zum  Rechtsbegriff. 

3.  Des  statlichen  Schutzes  bedarf  die  Bekenntnisz' 
f^iheit  des  Individuums,  weil  dieses  ohne  denselben  awar 
die  Freiheit  zu  glauben  hfttte,  aber  an  der  Ofi^nbamng 
und  Bekundung  seinee  Glaubens  gehindert  werden  kOonte. 
Wegr&umung  jedes  Zwanges  und  Beh Inder nng 
jeder  Verfolgung  des  Individuums  um  seines  Bekennt- 
nisses willen  izt  daher  eine  Sorge  des  States.^  Sie  äussert 
sich  in  folgenden  Anwendungen : 

'  Fünfl  „EsBfti  Bur  la  manifeslotion  des  eoavfctiona  r^igieoaM."  p.  190: 
,Li«  francbe  maolfesUtion  d«s  couvictions  rili^euaea  etl  im  ärott  pnis- 
qn'elle  est  «in  dwoir,"  and  anderwärts:  „Qott  ist  die  Wahrheit.  Der 
Mensch  soll  wahr  sein  und  wahr  sein  dürfen."  Schon  Tertnltisn  bei 
Böhringer  Kirche  Christi  I.  S.  286:  „Wer  die  Wahrheit  erkannt  Ut, 
kann  nicht  anders,  er  rauai  ihr  anhangea."  Eüd  ebenso  aafi4chtiger  ala 
beredter  Vertreter  der  Bekenn tniszfretbeit  ist  der  Amerikaner  ChaDuing, 
mit  dem  Tinet  in  dea  Grundsnsichten  —  beide  gehen  vom  Individuum 
aus  —  merkwürdig  abereinstimmt,  obwohl  dieser  voq  jenem  erst  in  sei- 
nem ap&terD  Aller  die  Kunde  bekommen  hat. 

*  Vinet  verwirft  io  der  Tendeua,  das  religiöse  Bekenntniss  völlig 
frei  and  nnabhängig  von  dem  State  zn  stellen,  selbst  den  Schutz  des 
States.  Er  flirchtet,  dasz  ans  dem  Schutze  die  Verfoigang  bervor- 
gehe,  ^ede  geschätzte  Religion,"  sagt  er,  ^vrird  verfolgen,  und  sie  wird 
e«  ihun  fUr  ein  Jot«  von  Theolt^e,  fSr  ein  Atom  von  Philooophie.  Ba 
gibt  aber  nichts  entaetzlicberee  aof  der  Welt  als  die  Tyrannei  des  dc^- 
Diatischen  Eifers. "  Aber  wer  kann  denn  des  Individuum  vor  dieser  Ver- 
folgung der  kirchlich  gereizten  Mftchle  bewahren  als  der  Stat,  welcher 
die  Individnelle  BekenntoisifMheit  ala  solche  in  teipen  Schutz  nimmt? 


iM,Coo<^lc 


Zweites  Capilel.    1.  Schats  (l«r  JadlvidnelleD  RdlgpionsrrfiheU.    3(5 

a)  Der  8tat  selbst  darf  keinen  Zwang  Oben,  um  das 
iDdiridimm  zn  einem  Bekenntnisse  zu  nöthigen,  welches  mit 
dem  Glauben  desselben  im  Widerspruch  ist,  somit  von  diesem 
Individuum  doch  nur  eJDe  Lttge  oder  Heuchelei  wfire. 

Dem  ganzen  christlichen  Mittelalter  war  dieses  Prineip 
fremd.  Hit  Feiier  und  Schwert  wurde  der  Glaube  verbrei- 
tet, und  wurden  die  Besiegten  gezwungen,  sich  zu  der  Re- 
ligion  der  Sieger  zn  bekennen.  War  das  Bekenntnis^  sudi 
anibi^  nur  auf  den  Uppen,  ni<At  in  den  Herzen,  so  hofften 
die  glaubeoseifHgeti  Sieger  doch,  dasz  die  Macht  der  von 
ihnen  geglaubten  Wahrheit  später  auch  die  Seele  der  Be- 
ai^ten  einnehme,  und  so  auch  iUr  sie  zu  voller  Wahrheit 
werde;  und  allerdings  hinderte  die  anreioe  Form  der  ersten 
Nßthigung  zum  Christenlhnm  nicht,  dasE  dieses  feste  Wur* 
zeln  schlug,  und  nach  und  nach  mit  seinem  eigenen  Geiste 
die  bekehrten  Völker  befruchtete. 

Jener  Zwang  aber  war  weder  dem  Geiste  des  Christen- 
thums  gemfisz  —  Christns  hatte  jede  Ouszere  Gewalt  vw 
mieden,  und  auch  seinen  JOngem  untersagt  —  noch  in 
Harmonie  mit  dem  wahren  Rechte  des  States.  In  unserer 
Zeit  ist  der  reinere  Grundsatz  nun  zu  allgemeiner  Aner- 
kennung gelangt. " 

'  Frenazisches  Undreoht  II.  11,  S-  i— 4:  ,JedaD  EUnwohoer  im 
8U(e  Bt«ht  fUr  seiae  Person  TollkommeDe  Glaubene-  ond  OewlweDsfreilnit 
in.  Die  BtgTiO»  der  Einwohner  das  State  Ton  Oott  ond  gottiicben 
INngm,  der  Qlanbe  nnd  der  ioDere  Oolteadienst  hönnen  kfio  Gegenstond 
von  ZwMg^esetien  min.  NieniADd  i«t  »dinldlg  ober  aeine  EVivAtmeionu- 
gen  In  ReligioDaaachen  Torsehrifleo  vom  State  aninDebiBen.''  Vgl.  prenezi- 
•chea  Ge>eu  vom  30.  Hftrz  1847.  Bajerieches  Keligionaediet  g.  2:  „Er 
(der  BlnwtAner  dea  Reielies)  darf  in  Oegeoat^idttn  des  Qlaabeas  und 
OewUaena  keinem  Zwang  unterworfen,  auch  darf  Hiem&oden ,  in  walcher 
Rell^on  er  sich  bekennen  mag,  die  elofhefae  HanBandaoht  unlenagt  wer- 
den."  FrkBiasische  Karl«  von  1814  J.  6:  „Jeder  bekennt  (profsMe) 
f^e  BellgioD  mit  gleiclier  Freiheit  nnd  geoieast  für  teine  Ootteaverehrang 
den  nlmllebesi  Scbotz."  Belgische  g.  IS:  „Keiner  in  geswungen  auf 
irgend  eine  Weiae  an  den  Handlungen  und  Feierlichkeiten  eines  Gotlea- 
dienates  Tbeil  ta  nehmen,   oder  die  Ruhetage  derselben  la  beobaefattn." 


iM,C00<^lL' 


306  HMiilce  Baeb.    CiiltDrpflrge. 

Der  Stat  darf  daher  keine  Gesetse  erlasäen,  durch 
welche  geboten  wird,  einen  beatininiten  Glauben  »a  beken- 
nen, keinen  Kircheobeewb ,  keine  Beichte  befehlui.  AI) 
diese  Freiheit  setzt  indessen  ruilndige  Indiridnen  voraus,  die 
ihrer  fähig  siod.  Die  Frage  der  religiOeeu  Erziehung  der 
Kinder  kann  daher  ron  diesem  Princip  alleiii  ans  noch  nidit 
genügend  beantwortet  werden.  In  der  Regel  freilioh  handeln 
hier  die  Eltern  fUr  das  Kind  naefa  ihrer  individuellen  Be- 
kenntniszfreiheit;  aber  wenn  die  Eltern  aberalt  nicht  oder 
oS^nbar  schlecht  fUr  dss  Kind  soi^en,  so  kann  im  Inter- 
esse des  Kindes  unter  UmetAnden  eine  obervormund- 
schaTtliche  Soi^e  des  States  er^nzend  eintoeten,  und 
dafllr  sorgen,  dasz  das  von  den  Eltern  TerDftchl&saigle  Kind 
eine  religiöse  Enüehnng  erhalle.  * 

Holland  idcbe  $.  164:  „Jeder  bekannt  seine  religiaseo  Ueinungen  mit  voll- 
kommener Freiheit. "  Oesterreicliieclie  Oriindrecble  von  1849  $.  1: 
„D(e  volle  Qlanbenafivibeit  und  das  Recht  der  httoslicben  Ausübung  des  Rc- 
ItgkrosbekenntBiswRiHJedennttnn  geiväbrleielet.'  PreusKiache$.12.— 
Id  dem  romauischeu  SUdeo  Biiropa's  ist  das  Princip  indessea  noch  nicht 
durchgedrungen,  wie  Iheils  das  Stillschweigen  darüber,  theils  die  Art 
beweist,  wie  demaelben  eine  kümmerliche  niid  slBckweise  Anerkennnng 
zaTheilwird.  Portugiesische  Verfassung  von  1836  $.  6:  „Die  rOmtoeb- 
katholisch- apostolische  Religion  wird  fortwährend  die  Religion  des  König- 
reiche sein,  alte  übrigen  Religionen  sind  den  Fremden  mit  h&usllchem 
Golteadiensl«  gestattet,  ohne  aaszerliahe  Zeichen  and  Tempel." 
Abar  aarftlleitder  ist,  daai  noch  im  Jahr  1818  der  schwelseriscba 
Band  es  nicht  w»gte,  den  Urnndsatt  allgemein  Rninerkannen.  Der 
$.  W  sagt  nar:  „Die  frvla  AneAbiing  dca  Gollcsdknstaa  Ist  den  aner- 
kaunlan  christlichen  Confeseionen  im  gsnien  Umfange  -der  Eid- 
genoeseDsehaft  gewährleistet"  In  elnielnen  CantoDalTarfkssuDgen  ßndet 
sieh  die  vollere  Anerkennniig  \-or. 

*  Das  gilt  I.  B.  aoah  ton  dsr  Frage  der  sogenannten  Zwangstaafe. 
Jndenkinder  sind  gewisi  nicht  g^gen  den  Willen  der  Sliero  an  taafeo, 
aber  wenn  et  in  einem  cfaristliehcn  State  Bllem  gibt,  die  insierlich  selber 
als  Uhrieten  gelten ,  aber  aus  Liederliobkeit  and  Frivolität  voni^eu ,  ihre 
Kinder  niolit  tanfen  in  lassen,  nnd  ihnen  gar  keine  religiöse  Erxisbatng 
xtt  geben,  so  hat  die  Obervormundeuhart  wohl  guten  Omnd,  so  v«r- 
wahrlosle  Kinder  aoeh  vor  ihren  Bltem  nnd  die  wahre  Freibwt  jener 
durch  eine  sorgfältigere  Erstehung  su  schfitEcn. 


nigiti/cdt/CoC^Ic 


Zweites  Capilel.     I.  Scbalz  der  iudividnellen  Religion  «frei  bril.     267 

I))  Er  darf  nicht  dulden,  daes  die  Kirche  fiiissern 
Zwang  Qbe,  um  sii  einem  Bekenntnisse  oder  zu  einer 
gotle8dieQ£Üichen  Handlung  zu  nötliigen.  Die  Kirche  Treilicb 
mag  ihrerseits  ihr  BekennliiLsz  featstellen  und  mit  allen 
geistigen  und  moralischen  Mitteln,  die  ihr  zustehen,  dahin 
wirken,  dasz  dieses  Bekenntnisz  in  allen  ihren  Gliedern 
lebendig  erhalten  bleibe.  Zu  diesem  Behuf  steht  ihr  auch 
«in  Recht  der  Kirchenzucht  zu;  und  der  Slat  kann  es 
ihr  nicht  in  der  Regel  wehren,  dasz  sie  Individuen,  welche 
ihr  gemeinsames  Bekenntnisz  verwerfen,  aus  ihrer  GemeiD- 
Schaft  ausschliesze  (excomniunicire). 

Verfährt  sie  dabei  zu  engherzig  und  undnidsam,  so 
wird  das  ihr  eigener  Schade  sein.  Aber  wenn  sie  von  ihrem 
Rechte  Miszbraucb  macht,  um  die  Statsautoriltlt  zu  beleidi- 
gen, die  büi^rliche  Rechtsordnung  zu  verletzen  und  Un- 
fiieden  zu  stiften,  dünn  wird  der  S(at  gerechte  Ursache 
haben,  auch  solchem  Miszbrauch  entgegen  zu  treten. 

c)  lu  dem  byzantinischen  Reiche  und  während  des  ganzen 
Mittelalters  äberall  galt  Häresie  als  ein  strafbares  Verbre- 
chen. Die  „Ketzer"  wurden  nicht  etwa  nur  von  der  Kirchen- 
gemeinschaft  ausgeschlossen,  sondern  in  Folge  ihres  hart- 
nackigen Beharrens  auf  der  Irrlehre  am  Vermögen  bestraft.' 
Die  ganze  Härte  der  Strafgerichtsbarkeit  wurde  aber  erst 
gegeu    die   Ketzer  gerichtet, "    seitdem .  im   Mittelalter    die 

*  6ctK>n  ConBtkntin  d.  Qroaze,  d«r  du  erate  Tolerauiedict  er- 
Immh  hat  (313)  uod  geneigt  wsr,  Chrieteolbum  nnd  Heidenthnm  nebcu 
eiiModtr  zu  dulden,  behandeile  doch  die  Ketter  darch  Aaa  Geeeti  vom 
Jahr  336  c.  1.  C.  de  baereticie  mit  UuguDsl:  HHaereticoa  dOu  aolnm  bis 
privilegiis  alienoe  esae  volaoiua,  *ed  advereii  nuueribue  constringl  et  sab- 
jid."  Seit  Tbeodoeia«  wurden  die  Oeaetie  gegen  die  Ketier  atrengei'. 
Mit  Verfflögenavertaet  worden  aie  Slataverbrechei'  von  den  folgenden  Kai- 
aem  alle  Ketaer  (.haeretionm  dicimns,  quicuoqae  caiiiolicae  ecdesiae  et 
orthodoiae  et  sanelae  ßdei  noitrae  uan  eat"  c.  12.  C.  h.  t.),  die  Uanicbäer 
sogar  mit  der  Todesstrafe  bedroht,  und  nur  ausnalimsweise  Duldung 
veralatlet. 

'   lunocenz  111.  in  u.  10  D.  Greg.  IX.  v.:    „Quam   euim   »eePDduu 


iM,C00<^lL' 


2W  NennteB  Bnch.    CnltarpHf^. 

pSpstliche  Autorität  ihren  Höbepankt  erreicht  hatte.  Die 
Todesstrafe  dui-ch  Verbrennung  wurde  nun  zu  der  r^elmftszi- 
gen  Ketzerstrafe.  Das  aufrichtige  Bekenutnisz  des  von  dem  In- 
dividuum fQr  wahr  gehaltenen  Glaubens  wurde  somit,  wenn 
es  nicht  mit  dem  allgemeinen  Glauben  zusammenstimmte,  als 
schwerstes  Verbrechen  behandelt,  und  ron  der  grausamsten 
Strafe  befreite  nur  die  Verläugnung  der  indiTiduellen  Wahr- 
heit. Selbst  nach  der  Eleformation ,  welche  das  Princip  der 
Gewissensfreiheit  zuerst  wieder  mit  Kraft  behauptet, '   und 

li^ttinu  aanetioriN  reis  laesne  owjcstatia  pnoUU  emplte  bon»  oonBteentar 
eonim  ßliia  enis  viu  Mtlammodo  ex  miBerieardiaconserTBU;  qumto  megia 
abemntea  in  üde  domini  Dei  fllium  Jesum  oOendunt  —  pceletitsUeo 
debeat  diatrictioDe  praecidi  et  bonis  tempornlibiia  epoli'ari,  cum  longe  eit 
grsvins  aetemsm  quam  lemporftlem  laeilere  majesUtetn"  and  in  c  13.  eod.; 
„Uoueantnr  antem  et  indacaatar  et  si  neeesee  fuerit  per  cenaortiiD  ecelcH, 
oompelluntur  leculare«  poleslatei  quibiiMnnque  AingaDtnr  officlia,  at  aicut 
reputari  cupiiint  et  haberi  fidelea,  ita  pro  dereosione  lldei  praeatent  publice 
Juratuentum,  qaod  de  terria  anae  jurisdictionia  aubJeeUa  untTeraos  hae- 
Ktlcos  ab  eoclealft  denotatoe  bona  fide  pro  viribua  exlerminare  atodebunt." 
Sacliaenapiegel  IL  13.  4.  7:  „Svelk  h«rsien  man  oder  wif  augelo- 
vich  ia  unde  mit  lovele  umme  gat  oder  mit  vorgiftoisae,  unde  des  ver- 
wuoneD  wirt,  den  buI  man  appehort  berDen." 

'  Lalher,  Troctat  von  der  Beicht:  „Denn  in  dem  Oewiasen  will 
Gott  allein  aein  und  sein  Wort  allein  regieren  laaaen;  da  eoll  frei- 
bell  aein  von  allen  Uenachengeeetzen.  —  Zu  dem  Olanben  kann 
ond  aoll  man  Niemand  zwiiigeo,  sondern  Jedermann  vorballeu  daa  Evan- 
gelium and  vermahnen  mm  Olauben,  docb  den  freien  Willen  laasen  tu 
folgen  oder  nicbt  zu  folgen.  Ea  aollen  alle  Sscrament«  frei  aein  Jeder- 
mann. Wer  nicht  getauft  adn  will,  der  lasz  ee  anateben.  Wer  nLchi 
will  daa  Saeraroent  empfltngcn,  bat  aein  wohl  Uftcht."  —  Dnd  in  der 
Schrift  von  der  welrlichen  Obrigkeit:  „Daa  weltJich  Regiment  hat  Qeaeti, 
die  aicb  nicbt  weiter  eratrecken,  denn  Ober  Leib  und  Qnt  und  waa 
Anszerlich  ial  auf  Erden.  Denn  Über  die  Seele  will  und  kann  Gott 
Niemand  laaaen  regieren ,  denn  sich  seibat  allein.  Damm  ob  weltlich  Ge> 
walt  alch  vermiszt  den  Seelen  Qeaeti  zn  geben,  da  greift  sie  Gott  in  aein 
Regiment  und  verfahrt  nod  verderbt  nur  die  Seelen.  Gott  allein  erkennt 
nnr  die  Henen,  darnm  iat  ea  unmöglich  nnd  nmaonat  Jemanden  >n  ge- 
bieten oder  mit  Gewalt  zu  twingen,  «O  oder  so  zn  glanben.  Well  et 
denn  Jeglichem  auf  aein  Gewiasen  liegt,  wie  er  glaubt  oder  nicht  glaubt, 
and  damit  der  welUiolmi  Gewalt  kein  Abbruch  geecbiefat,  aoll  sie  auch 


iM,Coo<^lc 


Zvreitee  Capitel.     I.  Schati  der  luaividnell«!)  Keligionsfrcll^eil.    269 

deren  Ftlhrer  von  dem  individuelleD  Glauben  und  der  in* 
dividuellen  Erkenntnisz  ans  den  Kampf  gegen  die  herge- 
brachte Autorität  der  Etrche  untu-nODimen  hatten,  wurde 
dasselbe  doch  wieder  auch  in  protestantischen  L&idern  ver- 
kannt. Noch  in  den  letzten  Jahrzehnten  des  XVIIten  Jahr- 
hunderts und  in  das  XVlIIte  hinein  erneuerte  Ludwig  XIV., 
der  Beschützer  der  Wissenschaft  und  der  scb&nen  Litteratur, 
in  dem  feingebildeten  und  geistreichen  Frankreich  die  Ver- 
folgungen der  Protestanten  mit  grausamer  Heftigkrät,  und 
wurden  in  dem  freien  England  hinwieder  die  Papisten  zu 
Sklaven  gunacht  inmitten  einer  Nadon  von  fVeiei)  H&nn'ern.  ^ 
IMe  sogenannte  Duldungsacle  von  1689,  welche  die  dissen- 
tirenden  Protestanten  von  den  Sü^en  der  Hftresie  befreite, 
wurde  als  ein  groszer  Fortschritt  angesehen,  und  doch  nahm 
sie  noch  die  Papisten  ausdrücklich  aus. 

Den  Mordamerikanern  gebührt  in  erster  Linie  das 

Eofriedeii  sein  und  ihres  Dingea  warten,  und  lassen  glaaben  so  oder  so, 
wie  man  kann  und  will,  und  Niemanden  mit  Gewalt  dringeo.  Dcdd  es 
ist  ein  frei  Werk  um  den  Olauben,  dazu  man  Niemand  kann  zwingen." 
Der  Kirchenvater  Athanasius,  der  anch  die  Bitterkeilen  der  Verfolgung 
gekostet,  tiatte  schon  ähnlich  gesagt  (Böhringer  I.  II.  S.  61):  „So  macht 
der  Teufel,  wenn  er  keine  Wahrheit  hst,  seinen  Angriff  mit  dem  Beil 
und  der  Axt,  und  zersprengt  die  ThUren  derjenigen,  welcbe  ihn  auf- 
nehmen; der  Heiland  aber  IbC  sanfEmilthig  und  spricht:  „wenn  mir  Je- 
mand nachfolgen  will,"  und  braucht  keine  Gewalt ,  sondern  klopft  viel- 
mehr sn.  Denn  nicht  mit  Schwertern  nnd  Spieazen  noch  durch  Soldaten 
wird  die  Wahrheit  verkündet,  sondern  durch  Ueberzeugnng  und  Rath. 
Was  ist  aber  dort  für  eine  Ueberzeugnng,  wo  Furcht  vor  dem  Kaiser  ist, 
oder  was  ist  dort  für  ein  Rath,  wenn  der  Widerspr«chende  am  EInde' 
rerbnuint  oder  getödt«t  wird."  Die  verfolgten  Gläubigen  erkannten  diese 
Wahrheit,  die  (riumphirenden  achteten  sie  nicht  ^)enso  ihren  Gegnern 
gt^enttber,  nnd  der  8t«t  zog  bald  im  Dienste  der  einen  bald  der  andern 
•ein  Schwert.     Tgl.  unten  die  Anmerkung. 

■  Rnesell,  engl.  Terf.  c.  13.  Der  König  Wilhelm  UI.  that  alle« 
Hflglicbe,  nm  das  Prineip  der  Glsnbensfreiheit  in  wdlerem  Umfang  inr 
Anerkennungsnbringen,  aber  es  wardnroh  Jakob  II,,  der  es  irtr  Wieder- 
herstellnng  des  Katbolidsmus  ansbeuten  wollte,  in  den  Augen  der  Bog- 
Ifinder  ventäcbtig  geworden. 


iM,Coo<^lc 


270  N«nnt«s  Bild).    Cullnrpficge. 

Verdienst,  Kuerat  die  Religionsfreiheit  als  ein  Stattprincip 
der  neuen  !^t  ausgesprochen  tu  haben.  Als  der  fromme 
Calvinist  Roger  Williams  fQr  die  Colonie  Providence 
zuerst  1636  den  Orundeats  gesetzlich  einführte,  dasz  keinerlei 
Zwang  in  Olaubenssachen  geübt  werden  dürfe,  war  da« 
gegenüber  der  damaligen  Intoleranz  auch  der  Übrigen  Co- 
lonien  eine  seltsame  Neuerung,  und  nur  versuchsweise 
wnrde  das  Statut  1648  von  der  Krone  bestätigt.  Dem  Bei- 
spiele folgte  der  katholische  Lord  Baltimore  für  Maryland 
164S,  iodeni  er  nur  Glauben  an  Christus  forderte,  aber  von 
dem  Gegensätze  der  christlichen  Ck)nfessionen  absah.  End- 
lich begnügte  sich  der  Qu&cker  William  Penn  für  Penn- 
sylvanien  mit  dem  Glauben  an  Einen  Gott,  den  Sdiöpfer 
nnd  Regierer  der  Welt,  1682. 

Es  dauerte  noch  mehr  als  ein  Jahrbnadert,  bis  das  neue 
Princtp  in  weiterem  Umfange  anerkannt  wurde.  Erst  die 
neue  Weltperiode  seit  1740  mit  ihrer  philosophischen  Bil- 
dung wagte  den  Fortschritt  aus  der  mittelalterlichen  Gebun- 
denheit. Friedrich  der  Grosze  von  Preuszen  war  der 
erste  König,  der  dasselbe  energisch  verkündete  und  hand- 
habte. Es  war  ein  groszes  Wort,  dtis  er  aussprach:  „In 
den  Preuszischen  Landeu  kann  ein  Jeder  noch  seiner  Fa^oii 
selig  werden."*  Seit  dieser  Zeit  brach  sich  das  anerkannte 
Princtp  Bahn,  langsam  freilich,  und  nicht  ohne  wiederholte 


*  Schon  im  Anliotachiavelt  sckrieb  Friedrich  arhrach&ii:  „HaiDlenir 
le  gouvemement  civil  «vec  viguear  ei  laiwei-  k  chacDii  la  liljerif  de  con' 
Mnence;  äire  toiijunrs  Roi  et  ne  jamai$  fairt'lt  PrMrt,  est  le  sAr  moieu 
de  pr^Mrver  ton  Etat  des  lemp^tes  qne  l'eeprit  liograetique  <tce  Thtelo- 
giena  cherche  «ouvent  i.  exciler."  Und  in  dem  Versuch  über  die  Ver- 
TMannf sformeii ;  „Si  Tod  remonte  k  l'wigine  de  ta  social^,  il  eat  tont  k 
feit  Evident,  que  le  eoaveraiD  n'a  aucun  droit  aar  la  fa^n  de  penaer  des 
eitoyNia.  Ne  fandrail'il  paa  Su-e  eii  d^oience  pour  ee  TigDrer  qa«  de* 
iKMnmes  ont  dit  k  im  homme  leur  «emblable:  uous  voua  älevona  BQ  dee- 
aoa  de  nons,  parca  que  nous  aimODa  TeaclaTage  et  dods  vods  donnou  la 
puissance  de  diriger  nos  peuaies  k  votre  volODlä?" 


iM,Coo<^lc 


Zweit««  Capliet.    (.  ScIibU  dsr  iedtridMllMi  Rrtigiwwfwthgit.     §71 

Ver<1unkelung  zu  erfcbren.  ">  Der  Stat  Sag  an  einnmehen, 
dssz  seine  QewsH  odsBbraadkt  «efd«  hn  Dienste  der  kiroh- 
Uehen  Verfttlgnngssuabt,  und  dasz  rielmehr  es  seine  Pflicht 
•ri,  die  religiOM  Freiheit  des  IndiTiduiims  vor  derselben 
Bti  schütM»'.  Die  Häresie,  als  eine  Krankheit  der  Seele, 
waide  ans  dem  Verzeichnisz  der  strafbaren  Vergehen  aus- 
gestrichen. 

d)  Der  Anstritt  «as  einer  Kirchengeineilwchaft  und 
der  Uebertritt  in  eine  andere  Kirche  oder  Berte  wird 
femer  von  dem  State  nicht  mit  Strafe  bedroht,  Bondem 
atich  hier  die  individuelle  Gewissensfreiheit  geschätzt.  Auch 
das  sind  nothwendtge  Folgen  des  Qnindprindps. 

Unsere  Zdt  ist  lndesseR  noch  nicht  zu  einer  vollen 
ruh^n  Anerkennnng  derselben  gelaiigL  Wenn  auch  das 
Gezetz  nun  die  Freiheit  einfach  schirmt,  so  wird  doch  die 
Öffentliche  Meinung  noch  viel  zu  leidenschaftlieh  von  dem 
Uebertritle  einzelner  Individuen  efficirt.  Es  ist  das  an  ^- 
chen,  dasz  das  Gesetz  des  Slates  dem  Volksgeiste  hier 
vorangeschritten  ist  Die  einen  preisen  und  die  aadwn 
hassen  den  Convertiten.  Die  einen  erwarten  von  dem  Glao- 
benseifer  desselben  grosze  Wirkungen,  nnd  rfihmen  seine 
Wahrheitsliebe,  die  andern  sehen  in  ihm  einen  Treulosen. 
und  vermnthen  eigennatzigeBew^grande  seiner  That.  Nur 
Wenige  beurtheilen  ihn  unbebngen.  Dennoch  wurde  die 
Wabriieit  in  demaelben  Hasze  gewinnen  nnd  die  Möglichkeit 
einer  unehrlichen  nnd  immoralischeii  Aenderong  des  Be- 
kenntnisses sich  vermindern,  wenn  die  öffentliche  Heinong 
sich  za  der  Unbefkngenheit  des  Gesetzes  zu  erheben  ver- 
mochte. Wttrde  man  das  Bekenntnisz  der  individ'ucll  er- 
kanotra    und    bekannten   Wahriieit    niolit    mehr   als  'etwas 

"*  Dem  Tokranzedicte  des  Esiaerg  JoH«ph[Bl.  foiglen  ooeh  wäfarend 
seiner  RegieniDg  die  härtesten  TerordnungeD  gfgtn  AnderagläDbige.  Vg), 
Wllda,  Aber  OeirisseDsfreibeit  in  der  Zeilschrift  fflr  dcDtBchee 
R«oht  Zf.  a  181  r. 


,iP<.jM,Cooglc 


278  NeuDle*  Baeb.    Oyltuidcgc. 

Ungewöhnliches  und  Besonderes  ansefaen,  so  wurde  der 
Uebertritt  wedtfl-  m  t>«eonderem  Verdienst  ang^rechnel., 
noch  als  eine  schwane  That  verdsniint  werden.  Wie  im 
Grossen  die  Terschiedenen  Beligionea  and  Confessionen 
«neu  Sinn  und  eine  Berechtigung  haben,  so  unterseheidet 
sich  auch  der  Zag  der  IndiWduen  im  Kleinen,  und  inner- 
halb der  gröszern  gleichgesinnten  Hassen  offenbaren  sich 
einzelne  indiTlduelle  Abweichungen ,  welche  oaturgetnllsz 
zum  Anachluaz  an  andere  Terner  gelegene  Massen  gravi> 
tiren.  Durch  solche  UebertriUe  der  IndividuN]  wird  das 
Verhftlbüsz  ini  Groszen  nicht  leicht  geändert;  erst  wenn 
die  Massen  selber  in  Fluei  kommen,  tritt  eine  Aenderuog 
in  den  Kirchen  ein.  Auch  die  Kirche  bat  daher  keinen  Grund 
von  dem  Uebertritt  Einzelner  viel  zu  hoffen  oder  viel  zu 
fttrcbten. 

Als  unstatthafte  Strafe  sind  auch  alle  bürgerlichen 
Nacfatheile  zu  betrachten,  welche  mit  dem  Uebertiitte 
Twbunden  werden,  z.  B.  die  Beschränkung  in  der  Wahl  des 
Aufenthalts,  oder  in  der  Ausübung  eines  Berufs  u.  dgL 
Wenn  aber  im  Allgemeinen  schon*  einzelne  büigerliche  Rechte 
anders  geordnet  oder  beschränkt  sind  mit  Bezug  auf  die 
Bekenner  einer  bestimmten  Religion,  so- versteht  es  sich  in 
der  Regel,  dasz  das  übergelretene  Individuum  nun  auch  in 
bdi^erlicher  Beziehung  nicht  mehr  als  ein  Genoase  seiner 
früheren  Gonfessionsverwatidten  behandelt,  sondern  den  neuen 
Coofessionsgenossen  gleich  geachtet  wird.  Der  Jude,  dessen 
bürgerliches  Recht  beschränkt  war,  tritt  zum  Christen  ge- 
worden  aus  diesen  Schranken  hinaus.  Aber  im  umgekehrten 
Falle  wttrde  auch  den  zum  Juden  gewordenen  Christen  das 
Judenrecbt  zukommea.  Katholische  Ehegatten,  welche  pro- 
testantisch werden,  fallen  unter  das  Scheidungsrecht  der 
Protestanten,  und  umgekehrt  die  Ehe  von  Protestanten, 
welche  katholisch  werden,  wird  unauflöslich.  Es  ist  wahr» 
der  Uebertritt  kann  lediglich  um  solcher  Wirkungen  willen 


iM,Coo<^lc 


2w«iles  CftplIaL    1.  Sehnte  d«r  indiTidnelleD  RelJgionsfVeibeit.    273 

rollsc^n  werden."  Das  ist  aber  ein  gemetnsaraes  Uebel 
aller  moralisdien  Freiheit,  dasz  sie  aiieh  aus  unedlen  Moti- 
ven iniszbraucht  werden  kann,  und  eine  Beschränkung  der- 
selben, es  wttre  denn,  dasz  offenbarer  Hohn  und  Scandal 
TorlAge,  um  dieser  Gefbhr  wijlen  keineswegs  zu  rechtfertigen. 

Ebenso  ist  es  nicht  Beschränkung  der  individuellen 
Gewissensfreiheit,  wenn  der  Stat  ans  allgemeinen  QrDnden 
seiner  eigenen  Wohlhbrt  die  Ansttbang  politischer  Rechte 
voll  dem  Erfordernisz  eines  bestimmten  Glaubensbe- 
kenntnisses abhängig  macht.  Denn  auf  dem  Gebiete  des 
politischen  Rechts  herrscht  der  Stat,  nicht  das  Individuum, 
und  da  musz  jenem  der  Entscheid  Über  die  Frage  frei  stehen, 
ob  er  einer  Statsreligion  bedürfe,  und  inwiefern  diese  auf 
die  organische  Gestaltung  des  States  selbst  von  Eintlusz  sei. ''' 

c)  Die  Freihei t  ferner  der  Hausandacht  und  des 
häuslichen  Gottemlienstes  wider  Anfechtung  auch  des 
Pßbels  zu  schützen,  ist  eine  Statspflicht,  welche  auf  dem 
ohigen  Grundprincipe  ruht,  und  keineswegs  eine  Gunst, 
welche  der  Stat  willkürlich  gewährt  oder  versagt.  Indessen 
folgt  aus  der  individuellen  Gewissensfreiheit  nur  die  Frei- 
heit der  Familie  —  diese  allerdings  in  dem  weiten  Sinne 
des  freundlichen  Zusammenhangs  nicht  blosz  der  Ehe-  und 
Blutsverwandten  eines  Hauses,  sondern  auch  der  Haus- 
flreunde  und  Dienstboten  —  in  der  ruhigen  Abgeschlossen- 
heit der  Privatwohncng  Gott  nach  ihrer  Weise  zu  verehren.  " 

"  Ich  höre,  dttsi  in  Bsyero,  wo  katholische  und  protealBu tische. 
StrWIiDga  1d  verschiedeoen  Zuchlhäosem  untergebracht  waren  ^  »chm 
mehr  als  einmai  der  Uebertrilt  aaa  einer  Confession  zu  der  andern  er- 
lilArt  worden  »ei,  lediglich  nm  während  des  Transports  die  Oelegenheit 
znr  Fincbt  zu  erhaacban. 

"  Davon  nnten  Cap.  4. 

"  Westphüliacher  Frieden  von  1648.  V.  g.  34.  FreUicIi  nnr  »r 
katholische  Unter[banen  proleatantiacher  Fürsten,  und  fUr  proleetanliache 
Untertlianen  liatliol lache r  Landesherren:  „Patlenler  lolirmlw  ei  anuettnlUi 
libera  dtmi  drvotitMi  rao«,  sioe  inquinitione  ant  tarbatione  privatim  va- 
eart,  lu  vklnia  vero  abi  et  qaotita  volueriot,  pnblico  Religio) 
aSIalireebt    11.  18 


iM,Coo<^lc 


274  Nentilas  Bscii.    CDlIupScge. 

Wenn  der  Caltus  öffentlich  oder  gemeinsam  roD  einer 
Über  die  Grttnaen  der  Familie  hinauereichenden  Oenoasen- 
schaft.  begangen  wird,  so  entscbeidet  nicht  mehr  das  Ver- 
hftltnisz  des  Stats  zn  den  Individuen,  sondern  e»  niacbeB 
sich  schon  die  Rücksichten  auf  des  OSenÜicbe  Leben  und 
die  Gesamoitheit  geltend. 

Anch  die  ungehinderte  Theünahme  eines  Individiiuais 
an  dem  Öffentlichen  Gottesdienste  seiner  Confeestno  in  frem- 
dem Lande  gehört  hieher. " 

A  nmerkuugp.  Das  OegeutUeil  Aw  BekenDlDiexfreiheit,  d«i-  Be- 
keniilniezz weng,  wurde  bekanntlich  zuerat  von  dem  heüigren  Augii- 
«tiiius  pi-iDcijit«!!  zu  rechtfertigen  geeacLt,  und  es  hat  denn  aaeh  aeioe 
L«bre  aar  melir  ala  ein  Jabriauaend  den  mfiehtigttiui  Binlluas  auf  die 
Qealalinng  des  positiven  Reclila  und  die'  Praxis  geübt.  Ea  ist  daher  um 
so  weniger  überllUssig,  Beine  Begründung  zn  prüfen  and  ihre  Hänge! 
darzaJegt^n,  je  neuer  und  unaicberer  noch  die  Anerkeniiung  des  Grund- 
Mlzea  voller  Freiheit  ist.  Im  Kampfe  wider  die  DonatialCD,  die  aU 
Verfolgte  wieder  die  GewiesenefreiheiC  anriefen  und  verherrlichten,  be- 
hauptete Augusiin  <■  das  Recht  und  die  Ptlicht  des  Slates  zu  Zwangs- 
maszregtln,  um   den    verderblichen  Irrthum  auEZurolten.     Anch  er  ateht 


vel  liberos  suoa'  exteris  suae  Religion!*  acholls  aut  prlrfttis  domi 
praeceptoribus  insiniendm  cominiUere  non  probibeantur."  Da«  preassi- 
Bche  Landrecht  dehnt  auch  diese  Freiheil  viel  ireil«p  aus.  IL  11.  g.  7: 
„Jeder  Hausvater  kann  seinen  hönslichen  Gottesdienst  nach  Gutfinden 
anordnen.  J.  8.  Er  haiin  aber  Hitglieder,  die  einer  andern  Religiona- 
partei  xngethan  sind ,  zur  Beiwohnung  deaselbeu  wider  ihren  Willaa  nicht 
anhalten.  %.  9.  Ueimllcbe  Zasammeukünfte ,  welche  der  Ordnung  aud 
Sicherheit  des  States  gefährlich  werden  könnten,  sollen,  auch  unter  dem 
Vorwand  dea  häuslichen  Gotteedienelee ,  nicht  geduldet  werden."  Baye- 
risches Religionaedict  g.  2  oben  in  Mote  3,  S.  3:  , Sobald  aber  mehre«« 
Familien  snr  Ausübung  ihrer  Religion  eich  Terblnden  wollen,  so  wird 
Jederaeit  hieiu  die  königliche  OenehmiguDg  erfbrderl."  Ruasiaeber 
Codex  I.  S'  U,  45  bei  Foelix,  Revue  III.  S.  707. 

"  In  den  Zeiten  der  Verfolgung  wurden  aoch  proteatatitiechc  Doter- 
Ihanen,  welche  aniierhslb  des  Lattdes  daa  Abendmahl  fderteo,  und  ba- 
tholiaebe,  die  in  der  Nachbarschaft  oo  der  Heaae  Theil  oabraen,  von  den 
andersglftubigMi  Gerichten  ihrer  Heimalh  tur  Verantwortung  und  Strafe 
gezogen. 

-  Wir  folgen  in  rier  Dnralelliing  Kiner  lehre  BStirlnfier  a.  i.  O.  I.  IM.  B.  äflS  ff 


iM,Coo<^lc 


ZwdUc  CKpttel,    I.  Sehnts  der  tudlTldnellen  ß«ligiODsrre)h«il.     275 


1  drr  nvtcn  Zelt  dee  ClirittenthaiiiB  tind  seiner  VerfolguDg  durch 
den  beidaiMhen  8lU  noch  za  Dshe,  iiin  dem  Stale  a\»  enichem,  aiicli 
dem  heidnlBcben  Slftle,  die  Herrschaft  iiber  die  Oewieseu  luKUges teilen. 
„Als  die  Könige  den  Berm  noch  uicht  dieaten  ta  den  Zeiten  der  Apostel, 
sondern  nocti  tolMen  wider  den  Herrn  und  seinen  Gesalblen ,  so  konnte 
ailcrding«  damals  die  Gotllosigkeit  darcli  die  Gesetie  noch  nicht  ge- 
Amt.  seudorii  virimelir  übt  ansf^eCbt  werden.  Denn  Ai  wer  der  Gang 
der  Zeit  und  so  lanlel«  auch  die  VerfaeiaittaK,  daaz  die  Juden  die  Pre- 
diger Christi  (AdtetNi  und  glanbten ,  si«  ihuen  Gott  noeh  nituu  Dienst 
daran."  Nnr  der  chrtsllieh  gewordenen  Obrigkeit^  dem  chriHllichett 
State  schreibt  er  dfis  Reeht  nnd  die  E>flicht  ed:  nDarnech  aber,  als  anfing 
«ncdk  jene  ächrift  erfüllt  lu  werden:  „nAlle  Könige  werden  ihn  anbeten, 
alle  Heiden  ihm  dienen*"*,  wer,  wenn  er  «unocli  vernünftig  ist,  wollte 
nnn  den  Königen  sagen:  wollet  euch  gar  niciit  ktimmern  in  earem  RdcJt, 
von  wem  gehalten  oder  bekämpft  werde  die  Kirche  eures  Herrn?" 

Man  sieht,  er  hebt  den  Zusammenhang  dee  States  mit  der  wahren 
Kirche  hervor,  und  die  Pflicht  jenes,  für  diese  in  sorgen.  Wenn  da  der 
Btat  Zwang  anwendet,  so  nöthigt  er  nicht  lu  bekennen  was  ilim  be- 
liebt, sondern  er  handelt  im  Dienste  der  Wahrheit  und  zn  einem  gött- 
lichen Zweck.  Der  Zwang  geschieht  daher  eiim  Wohle  derer,  die  ihn 
erleiden,  zd  ihrem  ewigen  Heile.  „Nicht  darauf  soll  mau  sehen,  dasz 
sie,  sondern  wozu  sie  geiwnngen  werden,  wovon  sie  abgerufen  werden. 
Vom  BMen  und  Unerlaubten  Bbznhallen,  das  ist  keine  Verfolgung,  das 
ist  Besserung.  Gebärt  es  nicht  lur  trenen  Hirlensorge^  auch  jene  Schafe, 
die  von  der  Heerde  abgeirrt  sind  und  Anderen  in  Besitz  gefallen,  aufza- 
sochen  und  sie  eudi  SchafstaJI  des  Herrn  selbst  mit  Schlägen,  so  sie  nicht 
gntwilHg  folgten,  wieder  inrückzubringen?  Wenn  Jemand  k.  B.  seinen 
Feind,  der  im  hitzigen  Fieber  tobt,  in  einen  Abgrund  würde  laufen  sehen, 
wflrde  er  dann  nicht  vielmehr  Böses  mit  Bösem  Tergelten,  wenn  er  ihn 
so  laafen,  als  wenn  er  ihn  ergreifen  nnd  binden  liesze?  Und  doch  wird 
er  ihm  dann  Überans  beschwerlich  und  widerlich  vorkommen,  wenn  er 
ihm  gerade  am  utttiJichsten  und  barrohenigsteo  sich  zeigt.  Aller  nach 
Tnllkmnmea  hergestellter  Gesnndheit  wird  er  ihm  nm  so  reichlicheren 
Dank  sagen,  je  weulger  Schonung  er  von  ihm  gehabt  so  haben  Duden 

Bern  Widers|»iieh,  den  die  Freiheit  erhebt,  sucht  er  sn  begegnen, 
indem  er  auf  die  Hüngel  der  menacblicben  Freiheit  und  ihre  Verderboiaz 
hinweist:  „Der  Hensdi  ist  krank.  Zwingt  man  ilin  zum  Guten,  au  raubt 
man  ihm  niciit  die  Freibdi,  sondeni  verhtlfl  ihm  erst  wahrhaft  zu  ihrem 
'  Besitz.  Um  der  Bessern  willen  darf  man  nicht  die  Schleclilern  auszer 
Acht  lassen.  Wenn  der  Schrecken  der  weltlichen  Gewalt  die  Wahrheit 
Tcrfolgt,  so  ist  da«  für  die  tapfeien  Gerechten  eine  glorreiche  Bewährung, 
den  Seliwachen  aber  eine  gefährliche  Versuchung;  wenn  sie  aber  die 
Wahrheit  verkündigt,  so  ist  das  fUr  die  Schwankeixlen  eine  nützliche 


iM,Coo<^lc 


276  Neant««  Bnch.    CaltiirpArg«. 

Hahnnng,  fDr  die,  <1ie  keine  Vernunfi  ann^mcn  wollen,  eise  geredrt« 
HelmBuchnng.  Wie  Viele  werdeD  durek  die  Hkcht  der  Oewohohelt  oder 
darcb  die  Furcht  vor  ihrer  nScheten  ümgebunif  oder  durch  Trlgbeit  von 
d«r  Sacbe  der  Wahrheit  £0  rück  gehalten  7  Da  iat  n  der  Sobreclcen  der 
weKliehen  Gewalt,  der  diese  Bande  brechen  mU,  eine  blUare  aber  heil- 
mme  Hediein.  Nicht  Jeder  der  »ehont  lat  elo  Freund ,  nicht  jeder  der 
acbl&gt  ein  Feind.  Beaaer  ial'e  mit  Strenge  lieben,  ala  mrt  Hilde  tjloaelien. 
Ootl  selbst  ^ht  uiia  hierin  vor.  Wer  kann  mehr  lieben  «la  er?  Und 
doch  lehrt  er  uns  nicht  bloaz  auf  aanfl«  Weise,  aondem  acbrMkt  uns 
auch  ateta  in  hellaitiner  Art." 

Da  der  Zwang  nnr  durch  den  Zweck  (Beeaening')  gwecbtftrtlgt  wini, 
so  soll  nach  Augnatin  „vor  Allem  darauf  Rilokticbt  genoameo  werden, 
daoz  die  gezüchtigt  werden,,  vielmehr  darin  eine  Hahnnng erkcMseo,  von 
ihrem  Irrtham  abinaleheu,  als  eine  Strafe  fUr  ihr  Terbrechen.  Würde 
man  nnr  scfarerken,  nicht  aber  ancb  belehren,  ao  würde  die  Gewalt  an- 
gerpcht  scheinen.  Hinwiedernm  wtirde  man  nur  belehren,  nicht  aber 
schrecken,  so  wfirden  viele  durch  die  alten  Gewohnheiten  Verbkrtele  kaum 
nnr  dazo  gebracht  werden  kOnnen,  den  Wc^  dea  Heils  einiusehlagea. 
Vielen,  wie  wir  aua  Brfahmng  daa  wissen,  hat  es  genutzt,  vorerst  dureb 
Furcht  oder  Schmerz  gezwungen  zu  werden,  damit  sie  nncbher  konnten 
belehrt  werden,  oder  auch  im  Leben  ausüben,  was  aie  achon  in  Worten 
gelernt  hatten.  Die  Fnrcbt  vor  der  Strafe,  wenn  man  auch  noch  keine 
Lietie  zum  Gaten  hat,  verscliljeazt  doch  wenigatens  die  böse  Lnat  In  daa 
Verschlieaz  des  Gedankens.  Uadnrch,  daax  einer  fUrehlet,  was  er  oiebt 
ertragen  will,  liazt  er  entweder  die  bisherige  Leidenschaftlichkeit,  die 
Ihn  an  der  Erforschung  der  Wahrheit  hinderte,  fahren,  oder  er  wird  dazu 
gebracht,  die  Wahrheit,  die  er  bisher  ans  was  Immer  für  Gründen  nicht 
kannte,  kennen  zu  lernen,  so' daaz  er  aus  Furcht  entweder  daa  Falaehe 
nun  absitiait,  an  dem  er  hing,  oder  das  Wahre  sucht,  das  er  noch  nicht 
kannte.**  Auf  den  Erfolg  des  Zwangs  beruft  er  sich  dann  lameial.  Die 
von  ihm  erlebten  Erfolge  hatten  seine  eigrne  Erwartung  Obertroffen.  Er 
selbst  hatte  früherbin  die  Heinnng  getlieilt,  dasz  Niemand  xur  Bilibelt 
des  christlichen  Glaubens  gezwungen  werden  aollte,  „damit  wir  nlobt  ana 
offenbaren  Häretikern  heuchlerische  Katholiken  erhalten;"  aber  die  Er- 
fahrung, dasz  durch  die  ksiserlichen  Zwsngsgesetie  groaie  Städte  dauernd 
fflr  den  kalbollschen  Glauben  gewonnen  worden  und  die  Ketaerei  i'ertilgt 
ward ,  überzeugte  ihn  von  der  Heilaamkeil  jenes  Zwangs. 

Die  Begründung  Augustins  laszt  aich  vorerst  damit  allein  nicht  ana 
dem  Felde  sehlagen,  dass  erwiedert  wird;  die  Wahrheit  sei  mit  Sicher- 
heit nicht  zu  erkennen,  daher  auch  nicht  zu  bestimmen,  ob  der  Zwang, 
weil  im  Interesse  der  Wahrheit,  nach  Aagnotln,  gerechtfertigt,  oder,  weil 
wider  die  Wahrheit  selbst  sich  wendend,  nngerecbt  aei;  denn  so  stark 
ist  in  der  menschlichen  Seele  der  Trieb  nach  Wahrheit,  und  so  bewmit 
ist  sie  sich,  dasi  in  Oott  die  Wahrheit  aei,  dass  aie  nie  an  dem  flenhl 


iM,Coo<^lc 


Zweites  C«pll«l.    L  Sofanti  der  iBdiridaeUeo  Religionan^ibeil.    377 

imd  der  —  wean  Mcfa  immerbin  noch  nnvollkomiBeDen  —  Efkenntniu 
der  Wahrheit  verzweifeln  kann,  ood  ddK  auch  die  Begriindnng  des  «nt» 
g^engoetiten  Princips  der  BekennlniaEfreibeit  hinwieder  nur  aiiEer  dieser 
Vor&DBselzunf  einen  Sinn  und  einen  Werlh  ImI- 

Bher  läszt  sich  schon  du«  einwenden,  dus,  da  Jede  Rirohe  ihr  6e- 
kenntniss  für  das  wahre  hUt  und  hallen  mutz,  der  Stat  ennseqaenter 
Weise  die  POidit  htttle,  einer  Kirche  —  der  wahren  —  zu  dienen, 
nnd  alle  andern,  soweit  seine  Uncht  reicht,  zu  nn (erdrück en,  data 
•oniit,  wenn  wir  deren  denken,  dasz  insbesondere  die diristliehe  Beligion 
den  Anspruch  hat,  die  menschliche,  nicht  blosz  eine  nstionale  lu  sein, 
in  höherer  Poteni  dem  „menschlichen"  Stat  auch  die  Aufgabe  würde,  alle 
andern  Reli^nen  aar  der  Erde  und  alle  abweichenden  Uekenntnisse  mit 
Gewalt  tn  vertilgen.  Diese  Einwendnng  wagt  sich  freilich  nicht  unnailtel- 
b*r  aa  das  Princip  heran,  aber  sie  macht  doch,  was  die  Entschlüsse  des 
Sialsmannes  vornehmlich  bestimmt,  auf  den  praclischen  Uebelsland  auf- 
merksam, dasi  die  Conseqnenz  Jenes  Princips  die  Slaien  im  Dienste  der 
verschiedenen  Bekenntnisse  zu  einem  fortgesetzten  VertUgangsk liege  triebe, 
damit  am  Ende  über  dem  aligemeinen  Ruin  Eine  Kirche  ohne  Wider- 
apmcli  ihren  Trinmph  feierte.  Das  Uittelalter,  welches  durch  Christen- 
tbnm  und  lalam  religiös  gespalten  und  bewegt  wurde,  hatte  in  der  That 
diesen  Versuch  gemacht,  war  aber  durch  die  Erfahmng  inne  geworden, 
dasi  die  Hacbt  des  Schwertes  die  Qegensaize  in  der  Natur  und  in  der 
GeecbichU  der  Volker  nicht  tu  einem  einheitlichen  Systeme  zu  zwingen 
vermöge.  Es  mnsile  sich,  von  der  hohem  Macht  der  in  der  Weltge- 
•ohichte  geoAnbarten  göttlichen  Weltordnnng  bezwungen,  das  Neben- 
einanderbestehen, wie  verschiedener  Slaten,  so  aucli  verschiedener 
Beligiooco  nnd  Bekenntnisse  gefallen  lassen. 

Dieses  practische  Bedenken  wird  aber  durch  die  Betrachtung  nner- 
meszlich  gesteigert,  dasz  filr  den  Uenachen  der  Weg  zur  Wahrheit  änszerst 
•cbwierig  und  schlOpfrig  ist,  und  ganz  nahe  an  den  Abgründen  des  Irr- 
Ihums  nnd  an  den  Sümpfen  der  Täuschung  rorl>eirilhrt ,  wo  Viele,  nnd 
such  die,  welche  die  Gemalt  handliaiHn,  stärzen  und  sinken,  während 
vielleicht  das  verkannte  und  verfolgte  Individuum  einsam  noch  aufgutem 
Wage,  und  wäre  es  ein  Umweg,  wandelt  Wie  nahe  liegt  insbesondere 
die  Selbsttftüschuug,  welche  die  relative  und  eubjective  Wuhrheit 
für  die  vollkommene  und  objective  hält?  Wie  leicht  würde  jene 
Selbsttäuschung  auch  den  redlichen  Willen,  der  sieb  verpflichtet  glaubt, 
die  Wahrheit  zu  verbreiten,  dahin  Tuhren,  die  abweichende  eubjective 
Wahrheil  in  einem  Andern  zu  unierdrücken,  obwohl  in  dieser  nicht  min- 
der als  in  Jener  ein  Strahl  des  göttlichen  Lichtes  ist?  Wir  sehen  wie  in 
der  physischen  Welt  mancherlei  Gegenstände  in  verschiedener  Weise  die 
einen  Lichtstrahlen  in  sich  aufsaugen,  und  die  andern  als  Farbe  inrAck- 
strahlen.  Wir  sehen,  wie  so  das  Eine  Licht  in  man nicb faltige  Farben 
sertbeilt  und  get>rochen  wird.    Wie  nnn,  darf  die  rothe  Farbe  zur  grünen 


iM,Coo<^lc 


278  NMDtM  Bach.    CoUarpAege. 

Mg«n:  in  mir  IM  das  wahre  Licht,  in  dir  aber  äu  blaelie^  da  doch  tu 
beidep  w^rea,  nor  nicht  allet  Lf«bl  ial?  Od«r  darf  s«lbal  du  Weisi, 
welches  das  volle  ang«t)ieJlle  Licht  wiederapi^elt ,  fordern,  daai  aJle 
Farbeupracbt  erlösche,  und  uar  es  selbst  ia  seinar  Farblosigkeit  mit 
»einem  Widerpart  dem  sehwanen  Schatten  lurtick bleibe 7  War«  nicht 
such  diese  Forderung  der  reichen  Schöpfung  inwider,  die  Oolles  Werk 
ist?  So  ist  es  aber  auch  in  der  Welt  des  geistigen  Lichtes,  und  noch 
leichler  ist  da  die  Tiuschang,  welche  die  eigene  Farbe  fiir  das  i'oll- 
kommene  Licht  hält,  und  den  Bnider  als  LUgner  befeindet,  weil  er  eirw 
andere  Farbe  bekennt.  Und  in  geistig  so  feinen  Dingen  sollte  die  rohe 
Macht  de«  S<ibwertes  dem  Gifei-  der  nnvernieidlichen  TäiischuDg  die- 
nen ,  und  alle  anderen  Farben  aaszer  der  eigenen  zn  vertilgen  die  Pllicht 
haben?  Würde  nicht  eine  solche  Pflicht  noch  mehr  in  Wideraprach  ge- 
ralhen  mit  der  Hatur  des  geistigen  Lebens,  Über  welches  sich  Gott  selber 
die  Herrschaft  vorbehalten  hat? 

Der  wiseeuackaftlicbe  Fehler  in  dem  RsiMnneinent  von  Augnatinns 
liegt  darin,  daai  er  die  Natur  des  Slales  verkannt  hat.  Der  erkannte 
Znsammenhang  desselben  mit  der  Kirche  verleiiate  ihn,  die  beiden 
Üebiete  des  der  Kirche  gehörigen  religiösen  Lebena  und  Eioflossea 
nnd  der  weltlichen  Herrschaft  des  States  zn  vermiachan,  nnd  diese 
—  obwohl  im  Dienste  der  Kirche  —  auf  das  erstere  religiöae  Oebiet  la 
erstrecken.  Der  Theologe  machte  den  SlaUmann  zu  seinem  Efüttel.  Daraus 
aher,  dasi  der  Slat  die  Kirche  zn  schätzen  liat,  folgt  Iceineewega,  daaz 
er  auch  die,  welche  nuezerhalb  der  kirchlichen  Oemeinschaft 
stehen,  verfolge.  Haben  sie  die  wellliche  Kechtsordnong  des  Slales  Dicht 
verlettt,  so  hat  der  Stat  weder  das  Recht  noch  die  PÜicbt,  sie  durch 
weltliche  Strafen  heimmsuchea ,  und  seine  Qarichtsbarkeit  aaf  ein  Gebiet 
auszudehnen,  welches,  weil  dem  individaelleit  Geistesleben  angehörig, 
von  der  weltlichen  Bechtsordnuug  nicht  begriflfen  wird,  ihre  äeeleu 
können  vor  dem  Kichteratubl  Gottes  mit  Schuld  beladen  sein,  über  Ihre 
Gewissen  aber  ist  dem  State  keine  Gewalt  graben. 

Der  Slat  ist  nicht  ein  Glied  der  Kirche,  sondern  ein  selb- 
ständiger Organismus  ausser  der  Kirche.  Daher  kann  auch  die 
Kirche  nicht  den  StaL  ihrer  Autorität  unterordnen. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


DriU«s  C«pi(«].     Reetatltebe  S^dmnhen  der  Bekenntnisz  frei  heil.     ^79 

Drittes  CapiteL 

Die  recbtliehen  Schranken  der  BekenntniBirreibeit. 

1.  Uan  höniite  daran  denken,  die  Bekenn tniszfreiheit 
nur  insoweit  zti  gestatten,  als  in  dem  Bekenntnisz  noch  ein 
religiöser  Fond  zu  erkennen  ist,  dagegen  dieselbe  nicht 
mehr  zn  dulden,  wenn  sich  die  Negation  bis  znin  Athei»- 
Hins  verirrt.  Besser  aber  ist  es,  wenn  darauf  verzichtet 
wird,  doe  Oränze  zwischen  "erlaubtem  und  unerlaubtem  Be- 
kenntnisz in  der  unendlichen  kmmmen  Linie  von  der  vollen 
Erkenntnisz  und  Verehrung  des  wahren  Gottes  bis  zur  gänz- 
lichen Verneinung  desselben  und  dem  leeren  Nichts  zu  fin- 
den unit  za  bezeichnen.  Die  Uebergftnge  sind  zu  fein  und 
unmerklich,  als  dasz  sich  die  Qrfinze  erkennen  liesze;  man 
denke  nur  an  die  Formen  des  Fantheismus,  »n  den  Fetisch- 
dienst, an  den  modernen  Cultus  des  Menschgottes,  in  denen 
die  Negation  des  lebendigen  Gottes  oft  viel  grüszer  ist,  als 
die  Anerkennung  eines  göttlichen  Elementes,  und  man  erin- 
nere sich,  dasz  ein  absoluter  Atheismus  nur  als  leere  Formel 
zD  denken  ist,  nnd  dasz  selbst  in  dem  unendlichen  Nichts 
immer  noch  eine  verborgene  Kraft  der  Scböpfnng  mit  ge- 
dacht werden  nnisz,  aus  der  eine  Ahnung  Gottes  nicht  aus- 
geschieden werden  kann.  Wird  aber  einmal  das  Grund- 
prinvip  anerkannt,  dasz  nicht  dem  irdischen  State,  sondern 
nur  Gott  die  Herrschaft  über  das  Seelenleben  zukomme,  so 
hat  der  Stat  auch  kein  Recht,  die  äusserste  Verirrung 
eines  Geistes,  der  dem  Lichte  entflieht  und  die  schwarze 
Nacht  sucht,  zu  bestrafen.  Wie  oft  ist  gerade  fUr  begabte 
Geister  ein  solcher  Abweg  mir  ein  Durchgangsmoment  und 
der  Antrieb  zu  neuem  höheren  Aufschwünge  dem  Lichte  zu. 
Das  Individuum  soll  wahr  sein  und  wahr  sein  dürfen,  nicht 
blosz  wenn  es  die  objective  Wahrheit  erkennt,  sondern  auch 
wenn  es  sie  bezweifelt  und  verneint. 


iM,Coo<^lc 


2g0  Nfantes  Bncb.    Colbir^cge. 

2.  Hat  Bo  Jederin&nn  ein  Recht,  ein  enbjectirea  >wahre« 
Bekenntnisz  abzulegen ,  so  darf  er  doch  hinwieder  bei  seiner 
Aeuszerung  nicht  eine  Form  wählen,  dui-ch  welche  die  von 
dem  State  anerkanDten  kirchlichen  Aostatten  beschimpft 
und  in  ihrem  Bestände  verletzt  werden.  Das  indivi- 
duelle Recht  findet  seine  natürliche  Grfinze  in  dem  Rechte 
des  Andern  und  der  Gemeinschaft,  und  der  Stat  hat  hier 
zwiefache  Pflichten  zug:1eich  zu  beachten:  er  bat  die  indiri- 
duelle  Bekenntniezfreiheit  und  den  Schutz  der  Kirche  und 
ihres  Rechtes  auf  äuszere  Achtung  ihrer  EbüsteDS  mit  ein- 
ander zu  verbinden.  Er  straft  xten  Juden  nicht,  der  in  Chri- 
stus nicht  den  Messias  anerkennt,  den  Skeptiker  nicht,  der 
die  Wahrheit  der  historischen  Offenbarung  Iftugnet,  den 
pantheistischen  Philo80|rfien  nicht,  der  in  dem  Menschen 
nicht  ein  Geschöpf  Gottes  sieht,  sondern  ihn  fUr  eine  Ent- 
wickliingsphase  Gottes  hält.  Aber  wenn  tn  einem  christ- 
lichen State  der  Jude  öfTeatlich  auf  Christus  aebimpft,  oder 
der  Skeptiker  sich  herausnimmt,  an  den  christlichen  Fest- 
tagen daa  kirchliche  Volk  durch  ölfentlicfa  ausgehängte  Bil- 
der zu  kränken  und  zu  Altern,  welche  seinen  Offenbarungs- 
glauben-  als  &n  Erzeugnisz  des  Truges  und  eine  Gteburt  der 
Dummheit  verhöbneu,  wenn  der  Philosoph  die  Kirche  eine 
Thürin  und  Ltignerin  schilt,  weil  sie  den  Glauben  au  die 
SchöpAing  Gottes  lehrt  und  bekennt,  so  greifen  die  Indivi- 
duen in  das  Recht  der  Kirche  über,  und  da  sie  dasselbe 
ftuszerlich  verletzen,  so  hat  der  Stat  den  Beruf,  sie  fUt  diese 
Rechtsverletzung  zu  bestrafen. 

Zwar  ist  es  auch  hier  nicht  immer  leicht,  die  Gräiize 
zu  ziehen,  an  der  sich  erlaubte  Polemik  von  strafba- 
rer Beleidigung  scheidet.  Indessen  sind  doch  hier  überall 
äaszere  Kennzeichen  wahrnehmbar,  aus  welchen  sich  so- 
wohl die  subjcctive  Neigung  zu  verletzen,  als  die  objective 
Rechts-  und  Ehrenkränkung  ermessen  läszt,  und  es  ist  die 
weltliche  Gerechtigkeit  auch  sonst  boliähigt  und  geübt,  die 


iM,Coo<^lc 


Dritm  Copilel.    RMhUfdi«  gehrMken  iti  Bekrantaiaifretheit.    281 

ftassere  Ehre  vor  unerlaubte!- Kränkung  zu  schUtzeD.  Vieles 
konanit  bei  der  BeurtbeÜung  auf  die  Umstände  sq.  Es  kann 
eine  Aenszerung  in  einem  wissenschaftlichen  Werke,  weil 
sie  durch  den  motivirenden  Zusammenhang  gewissertnaszen 
ihres  beleidigenden  Elements  entkleidet  wird,  oder  dieses 
gleichsam  gebunden  erscheint,  nicht  strafbar  sein ,  welche 
hereusgerissen  aus  dieeem  Zusammenhang  und  in  öffentlichen 
BIAttem  dem  christlich  gesinnten  Volke  zngesdileudert  zu 
strafbarer  Beleidigung  wird. 

8.  Ferner  ist  der  8tat  vollkommen  berechtigt,  eine 
Form  des  f^ien  Bekenntnisses,  welche  cUe  öffentliche 
Wohlfahrt  schädigt  und  als  gemeingefährlich  er- 
scheint, zu  untersagen  und  beziehungsweise'  zu  bestrafen. 
Der  Stat  hat  vor  allen  Dingen  die  Aufgabe,  die  Öffentliche 
Wohlfiahrt  Tor  Schadfin  und  Gefahr  zu  sichern,  und  nie  darf 
die  indiriduelle  Freiheit  bis  zum  Angriff  auf  jene  ausgedehnt 
werden.  Wurde  der  Stat  auf  jenes. Recht  verzichten,  so 
würde  er  sich  selbst  insoweit  aufgeben.  Was  aber  gemein- 
schädltch  wirke,  das  zu  bestimmen  liegt  in  der  Macht  und 
in  dem  Rechte  des  States  selbst,  nicht  der  Individuen. 
Schützt  er  den  Philoeoplien ,  dessen  Speculationen  den  leben- 
digen Qott  verneinen,  in  der  wissenscliaftlichen  Darstellung 
seiner  atheistischen  Gedankenreihe,  so  braucht  er  dagegen 
nicht  zu  dulden,  dasz  ein  Atheist  das  Volk  um  sich  sammle 
und  haranguire,  noch  zu  gestatten,  dasz  Sittenprediger  oder 
Journalisten  die  sittlichen  Fundamentals&tze,  auf  denen  auch 
die  Ordnung  des  States  ruht,  öffentlich  bestreiten,  die  Ge- 
mtktber  verwirren  und  die  bösen  Leidenschaften,  die  in  der 
Menge  schlummern,  entflammen. 


n,g,t,7rJM,COOglC 


agÜ  Henntce  Bueb.    GalUirpaege. 

Viertes  Ca^üteL 

Von  der  SUtsreligion. 

Bis  auf  die  neaeste  Zeit  war  ee  die  UeinuDg  aller  Par- 
teien in  allen  Zeiten,  daaz  die  Religion  nicht  allein  eines' 
der  wichtigsten  Fundamente  auch  der  statlichen  Ordnnng 
sei,  sondern  dasz  der  Stat  selbst  der  Religion  nicht 
entbehren  könne.  Die  alten  noch  heidnischen  Römer 
unternahmen  kein  wichtiges  Btatsgeschäfl  ohne  die  Erinne- 
rung an  die  Götter,  und  ohne  deren  Zustimmung  und  Gunst 
zu  erbitten. '  Und  sp&ter  zweifelte  in  Europa  Niemand 
daran ,  dasz  die  Staten  christlich  geworden  seien ,  wie  denn 
auch  ihre  Feinde,  die  muhammedaniscben  Staten  ebenso 
entschieden  die  Religion  Muhammeds  bekannten. 

Erst  in  der  neuesten  Zeit  wird  eine  Neigung  sichtbar, 
die  Verbindung  des  States  mit  der  Religion  völlig  zu  lösen, 
und  den  Grundsatz  zu  vertheidigen ,  dasz  der  Stat  als  solober 
weder  eine  Religion  habe  noch  bekennen  und  fördern  dürfe. 
Einen  gröszem  Antheil  an  dieser  Tendenz  hat  wohl  die 
Stimmung  derer,  welche  auch  individuell  nur  ungern  an 
die  Religion  erinnert  werden.  Dieselbe  ist  aber  auch  schon 
von  wahrhaft  frommen  GemUthem  im  Namen  der  Bekennt- 
niszfreiheit  rertheidigt  worden.  Da  diese  Frage  eher  das 
Geistesleben  des  Stats  als  die  Rechtsordnung  betrifft,  so  ge- 
hört ihre  Beantwortung  eher  der  Politik  zu.  Aber  das  Stats- 
recht  darf  sie  insoweit  nicht  ganz  Übergehen,  als  der  Stat 
mtweder  eine  bestimmte  Religion  zur  Statsr^igion  erklärt 


■  Cicero  de  Divinatione  I.  16.  $.  38:  „Nihil  fere  quondam  majoris 
rei,  niei  angpicato  oe  privatim  qnidem  gerebatur."  V'aler.  Hax.  U.  1. 
S-  1  und  die  weiteren  Stelleu  bei  Rubino,  Unterenchiingeii  u.  e.  f.  1. 
S.  44ff.  Cicero  de  LegibuslI.  8  ff.  schlägt  ein  Busfölirliclies  Sacrai- 
gesetz  vor,  in.  welchem  aioh  der  enge  Ziisammenhang  auch  der  Qotter- 
Verehrung  mit  dem  StBttlebeii  deutlich  zeigt. 


iM,C00<^lL' 


riertee  Cftpitel.     Von  dw  SMltraligiOD.  283 

oder  doch  von  einer  besümmteo  Religion  »eine  (tS^DtUchen 
iDflÜtutioneo  abhängig  gemacht  tiaL 

HaodarfdieStatsreligion  nicht  mit  der  Statshii-cfie 
verwech«ela.  Ein  Stat  iianD  eine  bestimmte  Ueligion  haben 
und  bekenneo,  z.  B.  die  christliche,  ohne  einer  nfthern 
Form  des  christlichen  Bekenntnisses,  ohne  einer  besoodem 
christlichen  Kirche  das  ausschlieszliche  Vorzugsrecht  der  BtatB* 
kircbe  einzurftumen.  Die  Unterscheidungelehren  der  rer* 
schiedeoen  christlichen  Confesaionen  und  die  mancherlei  ab- 
weichenden Gebräuche  derselben  haben  offenbar  für  den  Stat 
und  das  Gebiet,  in  welchem  er  eich  bewegt,  ein  weit  'ge- 
ringeres, grösztentbeile  wohl  gar  kein  Interesse.  Die  ge- 
meinsamen christlichen  Grundwahrheiten  können  ihm  für 
sein  Verh&ltniez  zu  Gott  völlig  genügend  erscheinen.  Er 
kann  somit  gar  wohl  christlich  sein,  ohne  DOthwendig 
auch  katholisch  oder  protestantisch  zu  sein. 

Die  frühere  Statengeschichte  gab  zwar  den  Staten  ge- 
wöhnlich eine  besondere  conressionelle  Richtung.  Die  ersten 
christlichen  Staten  waren  katholisch  oder  arianisch ,  dann 
griechisch-  oder  römisch-katholisch.  Seit  der  ILefonnaüon 
waren  die  meisten  europäischen  Staten  eutechieden  entweder 
katholisch  oder  protestantisch.  Sie  bekannten  mit  Nachdruck 
die  besondere  Form  der  christlichen  Religion,  und  nur  we- 
nige gab  es,  in  welchen,  wie  in  der  schweizerischen 
Eidgenossenschaft'  und  im  deutschen  Reiche,^  die 
Unmöglichkeit,  die  getheilten  Bekenntnisse  zu  einigen  oder 
eines  von  beiden  zur  Herrschaft  zu  erheben,  zur  gleich- 
mäszigen  Anerkennung  zweier  oder  dreier  Confessionen  zwang. 

*  Das  PriDcip  der  Parität  nnrde  in  der  Schweiz  zuerst  im  Jahre 
1&29  aiierkAnnt.  Vergl.  Blaatschli,  Qeflcbichte  dea  eebweizerischeii 
Bnndearechts  I.  8.  327  ff.;  aber  es  galt  practisch  onr  in  deo  gemeinen 
HerrschaRen  and  in  den  BaDde,  Dicht  in  den  einzelnen  CanloDen. 

'  Schon  in  dem  ersten  Heligionafrieden  unter  Karl  V.  ist  der  Keim 
•okher  Paritüt  zd  erkennen,  entwidteil  ist  er  in  dem  westphUlischeii 
Frieden  von  1648.     Vgl.  besooden  Aegjdi  Füratenrath,  8.  37  ff. 


iM,Coo<^lc 


284  Ncnake  Buch.    Coltarpäeg«. 

Nur  sehr  aiiTOllBtäadig  und  nur  zur  Noth  wurde  dann  das 
Princip  der  Parität,  anerkannt.  Erst  seit  der  Erhebung 
Nordamerika's  wurde  dieselbe  als  ein  wahres  Stats- 
princip  prociamirt,  und  machte  in  uaserm  Jahrhundert 
auch  in  Europa  grosse  Fortschritte.  Der  felsche  Grund  der 
Parität  ist  (Ke  Indiflbrenz  des  States  fllr  die  Religion  ttber- 
haupt,  ihr  wahrer  die  volle  Befriedigung  des  religiösen 
StatsbedQrfnisses  durch  das  Christenthum  in  allen 
seinen  besondem  AufTassungen  und  Confessionen.  Erst  wenn 
der  moderne  Stat  diese  höhere  gemein  -  christliche  Stufe  er- 
sti^en  haben  wird,  wird  er  der  Gefahr  völlig  entgangen 
sein,  dasz  seine  Macht,  wie  das  A-Uher  so  oft  geschehen, 
im  Dienste  einer  besondern  Confession  ku  ungerechter  Unter- 
drückung und  Verfolgung  eines  abweichenden  Bekenntnisses 
miszbraucht  werde.  *  Die  wahre  Freiheit  und  die  Reinheit 
der  Religion  bat  er  dann  mit  nenen  Garantien  ausgerüstet, 
und  für  sich  selbst  einen  Standpunkt  gewonnen,  von  dem 
ans  er  mit  freiem  Geiste  und  in  weitherzigem  Sinne  sein 
Verhaltnisz  zu  den  verschiedenen  Kirchen  und  Secten  ord- 
nen kann. 

Seit  Pufendorf  und  Rousseau  spricht  man  Qberdem  von 
einer  Statsreligion  [r^Iigton  civile)  noch  in  einem  andern 
Sinn. '  Da  der  Stat  als  eine  Rechtsgemeinschaft  möglicher- 
weise Christen  und  NichtChristen  gleiches  Recht  gewährt, 
so  kann  er  auch  (üt  seine  statlichen  Verhältnisse  sich  an 
die  natürliche  Religion  halten,  als  die  gemeinsame 
Grundlage  der  verschiedenen  Oß'enbarungsreligionen ,  und 
sich  in  allen  den  Dingen,  wo  der  Stat  selbst  in  seinen  Rechts- 
einrichtungen oder  in  seinem  politischen  Leben  der  Religion 
nicht  entbehren  kann,  mit  dem  gemein-menschlichen  Gottes- 
begriff begnügen,  damit  auch  darin  sich  die  Gemeinschaft 

*  Lange  a.  a.  0.  B.  54:  „Der  CoDfeasionaliimuB  hat  fast  in  ähn- 
licliein  Haste  m  d«ro  Unglück  der  chrietlidien  Stalen  gearbeitet,  wie  du 
Cltriatanthuin  ihr  Gedeihen,  ihren  WohUland  und  ihre  BlQtlie  l>egründete.'' 


iM,Coo<^le 


Viertes  Oqiltel.    Von  der  StatareltgiOD.  3g5 

des  Volks  rioige,  best^ie  dasselbe  ane  Christen,  Juden,  Unham- 
niedanern,  Buddhaverehrern,  Brahmaglttubigen  oder  moder- 
nen philosophisch  gebildeten  NichtChristen.  Da  in  den 
modernen  Staten  sehr  viele  NichtChristen  leben  und  wirken, 
die  trotz  ihres  Unglaubens  gute  BUi^er  and  sogar  vortreff- 
liohe  Beamte  sein  können,  und  der  Stat  doch  vorerst  eine 
politische  nicht  eine  religiöse  GemeiDschaft  ist,  so  begreifen 
irir,  dasz  et  den  Versuch  macht,  einen  Standpunkt  zu  er- 
reichen, von  dem  aus  er  auch  allen  diesen  Religionen  ge- 
recht wird.  Aber  es  wird  hier  kaum  eine  andere  Lösung 
der  Schwierigkeit  geben,  wenn  nicht  ein  li^isch  unangreif- 
barer natürlicher  Gotlesbegriff  wissenschaftlich  hergestellt  und 
TOD  dem  Gemeinbewusztsein  anerkannt  wii'd. 

In  dem  Rechte  der  jetzigen  Staten  zeigen  sich  noch  die 
historischen  Entwicklangsstnfen  und  die  Schwankungen  der 
idealen  Auffassung: 

1.  Eine  Reihe  von  europäischen  Stuten  bekennt  noch 
eine  bestimmte  Form  des  Ghristenthuins;  soRuszland  und 
Griechenland  die  griechische,  Spanien,  Portugal  und 
bis  anfdie  neueste  Zeit  alle  italienischen  Statendie  römisch- 
katholische,  Schweden  und  Norwegen  die  evangelisch- 
lutherische  Confession,  selbst  England  noch  die  der  Hoch- 
kirche, neigt  sich  aber  in  seinen  neueren  Gesetzen,  wie  das 
neue  Königreich  Italien,  entschieden  dem  Sjstem  der  christ- 
lichen Parität  au.* 

*  Ruasischer  Cod«z  I.  S-  M-  Bd  Faäix  Revue  dlrsng.  et  tnvf. 
III.  6.706.  QriechiacbeVerf.  §.t;  „Die  b«mchende  R«l)0oii  in  Orie- 
ebealand  ist  die  der  ortbodoieD  ctirlatlichen  Kirohe  des  Orienle.  Jede 
andere  anniannte  Religion  wird  geduldet,  UDd  ihr  freier  Cnltus  durch 
die  OeaeUe  geachlltzt."  Noch  im  Jahre  1848  erklitrte  die  Verfassang  von 
Neapel,  ArL  8,  dasz  aaszer  der  batliolisclien  keiner  andern  Religion 
da  CnltuB  gestattet  werde.  Spaotache  S-  H:  „Ole  Nation  Tcfpflichtet 
aieb,  den  Caltaa  und  die  Diener  der  kathoJiacben  Udiglon,  welche  die 
Spanier bdoennen,  lu  untwhalleD."  Portugiesische  g.  6:  „Die  römiacb- 
kaÜioliseli-ap08loli«Gbe  Religion  wird  fortwährend  die  Religion  des  König- 
reiebs  aein;  alle  übrigen  ReligitHieii  sind  den  Fremden  mit  hänalichein 


iM,CoO<^lL' 


2f|6  H«anm  Boch.    CultnrpSegf. 

2)  Das  eiofttch  christliche  (beziehungsweäse  paritä- 
tische) System  gilt  auszer  in  Nordamerika  rorsuglich 
in  den  deutschen  Staten  und  nun  auch  in  Oesterreich 
und  Preuszen,  obwohl  jeoes  mehr  zu  dem  Katholicismus, 
dieses  mehr  zum  Protestantismus  gravitirt,  in  Frankreich, 
in  Holland,  in  Belgien,  in  dem  schweizeriscbeit 
Bunde.« 

3)  Nur    ganz    Twttbergfihend    in    der    Erhitzung    des 

Qotleidieiute  gestattet,  ohne  ftuszerliche  Zeichen  und  Tempel."  Schwe- 
dische g.  3  und  i.  Norwegische  $.  2;  „Die  evangeliach-liitberiecbe 
REligion  verbleibt  die  öffeatliche  Religion  des  States.  Die  Einwohner,  die 
sich  zu  ilii  bekennen,  sind  verpflichlel  ihre  Kinder  in  dercelbeo  tn  er- 
aiefaen.  Jesuiten-  und  Hönchsordeo  dürfen  nicht  geduldet  werden,  Jud«n  ist, 
wie  bisher,  der  Eintritt  im  Reich  versogt."  lieber  England  vergl.  das  Werk 
von  aiadslone,  überMtil  von  J.  Trenberz.  F ran lösische  Charte  von 
m4,  S,  6:  „Die  rÖmlsch-katholiBcbe  Religion  ist  die  Religtoa  de«  StkU." 
*  Deutsche  BundesBcte  $.  16:  „Die  Verechiedeobeit  der  christlichen 
Religionsparteien  bann  in  den  Ländern  nnd  Gebieten  des  deutschen  ßundes 
keinen  Unterschied  in  dem  Genüsse  des  bilrgeiüchen  und  poHtiechen 
Rechte  begründen. "  Bayerische  VeW.  8.  S:  „Die  in  dem  Königreiche 
bestehenden  drei  christlichen  KircheogeBellscbafteu  genieszen  gleicbe  bür- 
gerliche und  politisclie  Rechte."  Preusxiscbe  S-  14:  „Die  christliche 
Religion  wird  bei  denjenigen  Einrichtungen  des  States,  welche  mit  der  Reli- 
gionsBbung  Im  Znsammenhange  stehen,  unbeschadet  der  im  Art.  12  genrkhr- 
Idsteten  Rellgionsiyeiheit,  «um  ümnde  gelegt."  In  Oeaterreich  achwuikl 
die  Gesetzgebung  noch  zwischen  der  confeMlon eilen  nnd  der  parititlscben 
Richtung.  Die  Grundrechte  von  1849  g.  2  sprachen  sieb  fDr  die  letztere 
ans,  das  Concordat  von  1856  aber  begünstigte  wieder  die  erstere.  Das 
Protestantengesetz  vom  S.  April  1861  sucht  hinwieder  den  protestantlachen 
Kirchen  gerecht  zu  werden:  and  die  volle  Anerkennung  der  Religions- 
freiheit findet  in  dem  Retchsrathe  nun  warme  Vertreter.  Holländische 
g.  16S,  168.  Belgische  $.  14,  15.  Schweizerische  Bundesverf. 
§.  44:  „Die  freie  Ausitbnng  des  Qottesdienatea  ist  den  anerkannten 
christlichen  Confessionen  im  ganzen  Umfange  der  EidgenosteneclMit 
gewährleistet.  Den  Kantonen ,  sowie  dem  Bonde  bleibt  vorbehalten  für 
Handhabung  der  ölfentlicheu  Ordnung  und  des  Friedens  unter  den  Con- 
fessionen  die  geeigneten  Hb szna hm en  zu  treffen."  Französische  Charte 
von  1830,  §.  6:  „Die  Diener  der  römiscb-kathotlsch-apoeioKschen  Religioo, 
EU  welcher  sich  die  Hehrheit  der  Franzosen  bekennt,  und  jene  der  Bbrl- 
gen  christlichen  Religionen  erhallen  ihre  Besoldungen  aus  dem  SlsM- 
schätze."     Verf.  von   1848,  !.  7,  noch  abatracter. 


iM,Coo<^le 


Vierte«  Capitel.    II.  V<w  der  Statsreiigion.  387 

ReroluHousflebers  hat  die  fransöBische  B«publih  alleRe- 
-  Ügion  verworfcn  und  den  Stat  ais  „gottlos"  (l'fitat  est  sütie) 
erklfii-t.  Robespierre  seibat  hat  die  Verehrung  des  „höchsten 
Wesene"  (fetre  supr^me)  wieder  fttr  nöthlg  erachtet,  und 
einen  Versuch  gemacht,  wenigstens  zur  natUriichen  Religion 
zurück  eu  kehren. 

Hehr  oder  weniger  deutlich  ze^;t  sich  ein  derartiges 
Streben,  fUr  die  RechtsverhäUuisse  sich  nur  an  die  natür- 
liche Religion  des  Gottesglaubens  zu  halten  in  der  neueren 
Praxis  einzelner  voi^eschrütener  Staten.  Aber  zu  einer  klaren 
Ausspraclw  ist  dieses  Princip  noch  in  kdner  Vei^ssung  ge- 
langt, 'wenn  wir  nicht  die  nordamerikauische  hieher  ' 
rechnen  dürfen. 

Das  Bekenntnisz  einer  Religion  von  Seiten  des  Siates 
selbst,  und  insbesondere  der  christlichen,  ftuazert  sieh  in 
folgenden  Wirkungen: 

1)  In  der  religiösen  Feier,  durch  welche  grosze 
Vorkommnisse  im  statlichen  Leben  eingeleitet  oder  begleitet 
und  neue  Einrichtungen  geheiligt  werden ,  z.  B. :  der  Gottes- 
dienst vor  ErölTbiing  der  Versammlung  des  gesetzgebenden 
Körpers ,  bei  dem  Thronwechsel ,  bei  Einfahrung  einer  neuen 
Verfassung,  die  öffentlich  ungeordneten  Gebete  in  Eriegs- 
oder  in  anderer  gemeiner  Noth ,  die  nationalen  Busz  -,  Dank- 
und  Erinnerungsfeste  u.  dgl.  ^  Nichts  macht  den  sittlichen 
Charakter  des  Stats  anschaulicher  und  slftrkt  die  moralischen 


'  Edm.  Burke,  Betrachtungeii  Ober  die  französisclie  ReTolullon: 
„Die  Heiljgnng  des  State«  durch  Btstlich-religlMe  Aoslalteo  ist  nötbig, 
nm  mit  heilsamem  ehrwärdigem  Schauer  auf  freie  Bürger  zii  wirken ; 
ist  ihnen,  die  znr  Erhaltung  ihrer  Freiheit  einen  hohem  Gi'ad  von  Haoht 
besitzen  müssen,  pöthiger,  als  den  Völkern,  die  durch  ihr  Joch  im  engen 
KreiM  häuslicher  Sorgen  und  hloslicher  AogelegeDheiten  beacitrilnkt  sind. 
Wer  Gewalt  besitzt,  sollte  um  so  tiefer,  inniger  den  Oedanlieit  fühlen. 
dasE  Gewalt  ein  anvertranles  Gut,  ein  Gut  ist,  C6t  dessen  Verwallung 
man  einst  zur  Rediensohaft  erscheint  vor  dem  groezen  allmüchtigen 
Richter,  dem  Herrn  und  Schöpfer  aller  Oesellsehaft." 


iM,C00<^lL' 


288  N«inilM  Bui^.     CuItQrpflege. 

Kräfte,  die  fUr  sein  Wohl  Ihätig  sind,  mehr,  ala  die  reli- 
giöse Weihe  and  Erhebung,  um  die  der  Stat  Gott  selbst 
bittet; 

2)  in  der  Änpasaung  der  Geselse  an  den  Geist  und 
die  Anforderungen  des  Christeothums; 

3)  in  den  statlichen  Anstalten  und  Verwea- 
diittgen  zur  Erhaltung,  Forderung  und  Ausbreitang  des 
Christen  thums; 

4}  in  derBestrafung  von  Handlungen  oder  Aeuezerun- 
gen,  durch  welche  d&t  christliche  Gottesdienst  oder  ein  an- 
derer religiöser  Cultiis  in  friedenstörender  Form  angegriffen 
'  oder  der  religiöse  Volksglaube  öfl^ntlich  verhöhnt  wird; 

5)  in  der  wichtigen  Institution  des  Eides;  es  musz 
aber  der  Stat  auch  den  Nichtchristen  eine  ihrer  Religion 
angemessene  Form  des  Eides  zulassen ,  und  die  individ.aelle 
Eleligion  in  Andern  achten ,  indem  er  dem  Geiste  seiner  Re- 
ligion folgt; 

6)  in  vielen  Staten  auch  in  dem  Erfordernisse  christ- 
lichen Bekenntnisses  derer,  welche  berufen  werden ,  die 
Regierung  im  State  und  die  Rechtspflege  zu  verwalten.^  Diese 
Anwendung  des  Princips  ist  übrigens  auch  fUi-  den  christ- 
lichen Stat  nicht  gerade  'nothweudig.  Wo  grosze  Bestand- 
theile  des  Volks  einem  andern  als  dem  christlichen  Glauben 
zugetban  sind,  wäre  es  unnatürlich  und  ungerecht  ihre  Glie- 
der von  jeder  Theilnehme  an  der  Regierung  und  Rechts- 
pflege auszuschlieszen ;  da  nicht  bestritten  werden  kann ,  dasz 
auch  Nichtchristen  gut  regieren  und  gerecht  richten  können. 
Der  nordamerikanische  Grundsatz,  dasz  das  religiöse  Be- 
kenntnisz   bei  Besetzung  der    Äemter   und  Stellen    nicht  in 

■  Veigl.  oben  Bucti  II.  Cup.  19.  8.  105  ff.  Im  Gegensatu  daiu  du 
nordamerik  AH  Ische  Friuaip:  „NiemaDd  kann  ein  61a üben sbekeuntuiis 
■la  ErforderniBS  znr  Erlangung  mute  Amtes  oder  einer  Stelle  mit  öffeiit- 
liclMr  Gewalt  abgalbrdert  wenleD."  Story,  Buodeacecbt  B.  111.  S.  \Lin. 
9.  361  und  in  Uittermaiers  Zeitachr.  fiir  d.  Aual.  IX.  8.  IS. 


n,g,t,7.d-t,G00gIc 


Fnnflee  Cspitet.    lil.  VeriiällnUx  äte  Statti  cur  Kirclie.       3g9 

Beti-acht  komune,  der  peuerdings  such  in  europäischen  Stateri 
gebilligt  worden  ist,  geht  von  der  Vorftuüsetzung  des  con- 
fessioiisloseii  States  aus.  Das?,  aber  auch  da  wenigstens 
das  Erfordemisz  der  natürlichen  Religion  vorausgesetzt  wird, 
ergibt  sich  aus  der  Vorschrift  des  Verfassungeeides,  welche 
dem  erklärten  Athcistrn  ^pf^nltber  keinen  Sinn  hat. 


Fünftes  GapiteL 

Ilt.  VerhäJtiiiSK  des  SlaUe  zur  Kirche. 

Es  ist  eine  gemeinsam  anerkannte  Ordnung  aller  christ- 
lichen Völker ,  dasz  8 ta t  und  Kirche  als  zweierlei 
wesentlich  selbständige  Gemeinschaften  anerkannt 
sind.  Nur  vorübergehend  in  Momenten  heftiger  und  krank- 
hafter Err^:ung  ist  diese  Grundwahrheit  von  einzelnen  Völ- 
kern verworfen,  sonst  nur  von  fanatisch'en  Schwärmern  oder 
träumerischen  Philosophen  geläugnet  worden.  Auf  ihr  be- 
ruht vornehmlich  die  moderne  Gesittung  und  Freiheit. 

Dagegen  wurden  Über  das  Verhältnisz  des  States  zur 
Kirche  in  verschiedenen  Zeiten  und  unter  verschiedenen 
Völkern  mannichfaltige  Systeme  geltend,  und  auch  unsere 
Zeit  acheint  fiber  diese  Frage  noch  nicht  zu  einer  Verstän- 
digung gelangt  zu  sein.  Folgende  Hauptsysteme  lassen  sich 
auf  historischem  Wege  erkennen :  • 

1.  Als  das  Christenthum  zuerst  aus  dem  gedruckten  - 
Zustand  einer  verfolgten  Religion  zu  einer  von  dem  Stat 
anerkannten  erhoben  wurde,  in  dem  römisch-griechi- 
schen Kaiserreiche,  da  wurde  die  Kirche  auch  sofort  zur 
S  tats  k i  r c  h  e  iui  strengsten  Sinne  des  Wortes.  In  den 
äaszeren  Formen  und  in  den  Begriffen  des  Stals  wirkte  noch 
die  antik -römische  Ansicht  nach,  welche  die  Religion  als 

Bluntachli,  lUermrineü  StaUrecht.    II.  19 


iM,Coo<^lc 


390  NvuDle«  Bucli.    Ciillurpllege. 

eine  Seite  äes  öftlentlichen  Lebens  betrachtet,  die  üerrwlmf). 
über  dieses  aber  );anz  und  gar  in  dem  State  coDceotrirt. 
Der  Kaiser,  als  das  absolute  Obeibanpt  des  8tates,  Übte 
zugleich  auch  die  höchste  Macht  über  die  Kirche  aus.*  Der 
Kaiser  crliese  Gesetze  zniii  Schutze  und  zur  Förderung  der 
Kirche,  aber  niclit  minder  über  die  Verfassung  und  dei> 
Cultns  der  Kirche  und  Felbst  über  <liti  Dogmen  derselben 
und  über  und  wider  die  Häretiker.  Er  Lierief  (he  Conctiien 
der  BischüFe,  leitete  dieselben  durch  seine  Commissarien, 
bestätigte  ihre  Beschlltsse  und  gab  denselben  erst  dadurch 
legitime  Äutorilüt.  Der  Kuiser  war  foaiit  das  äuszere 
Oberhuupt  auch  der  Kirche,  wie  des  States. 

Indessen  nur  des  äuszere  Oberhaupt.  Der  Kaiser  war 
doch  als  Christ  genölliigt,  anzuerkennen,  dasz  der  christ- 
liche Cilnubc  nicht  auf  seiner  Antoriiät  beruhe,  sondern  auf 
der  liOhern  Christi.  Er  konnte  nicht  anders,  er  nuiszte  in 
den  ßiscIiJifen,  den  Nachfolgern  und  Geweihten  der  A^iostel 
auch  die  vurzilglichen  Zeugen  und  Träger  der  du-istliehen 
Lehre  erkennen.  Nicht  weil  ihm  ihre  Dogmen  gefielen,  ge- 
bot er  deren  Beachlung,  sondern  weil  und  soweit  er  die- 
selben als  die  wahren  ihristlicheu  erkannte.  In  den  Zt-ileii 
der  Veifolgung  schon  war  für  die  religiöse  GemeinEchan'  der 
Christen  eine  Ordnung  der  chrisllichen  Aemter  gegründet 
worden,  getrennt  von  den  Slatsäuitern. 

Es  wur  ein  Klerus  eulstanden,  dessen  eigentliche  Mis- 
sion doch  nicht,  wie  der  Beruf  der  Statsbeamlen,  von  dem 
Kaiser  abgeleitet  wtird;  dieser  Klerus  suchte  auch  in  seiner 
Erscheinung  nach  einer  Einheit  auszer  dem  Slatsolierhaupte, 
wie  er  in  Christus,  dessen  Dienst  er  eich -geweiht  hatte,  die 
von  dem  S(ale  unabhängige  geistige  Einheit  besasz.  Die 
Gemeinschaft  der  Synoden  war  eine  Form  solclier  Einheil; 
aber  nur  in  seltenen  Momenten  traten  diese  zusammen. 
'  Am  Bcliärfsleii  ii 


n,g,t,7rJM,COOglC 


Künrtt-a  Cnpilel.     lli.  Verliatlniei  <\ee  Stotcü  zur  Klrctip         29i 

Die  Patriarchen  uii  der  Stelle  der  Apostel,  der  Bischof  von  • 
Rom  voraus,  der  Nachfolger  des  Aposteln  Petrus,  der  in  der  - 
ersten  Hawpistadt  des  christlichen  Wellreichs  nnd  zngleich 
ferner  von  dem  Hofe  des  Kaisers  residirle,  halten  das  er- 
höhte Ansehen  der  Väter  der  Kirche,  und  vertraten  die 
Einheit  und  Selb3ländigkeit.der  christlichen  Kirche  dort  selbst 
dem  Kaiser  gegcntlhcr. 

So  waren  fiir  die  iiolilieche  und  i-echtliche  Gemeinschtirt 
einerseits  und  fl\r  die  religiöse  «ndererseits  zwei  in  dem 
Princip  ihres  Daseins,  in  der  Onlnung  der  Aeniter,  nnd  in 
den  Aufgaben  und  Mitteln  ihrer  Wirksamkeit  vollständig 
gesonderte  Organismen  da.  Nur  in  der  hOchslen  6|>ik!e 
ihrer  äussern  Macht  einigten  sie  sich  in  dem  christlichen 
Kaiser,  und  durch  ihn  wurde  die  äuszere  Herrschaft 
des  Slatee  über  die  Kirche  und  der  Charakter  der 
Kirche  als  Stalskirche  dai^estellt  und  behauptet.  Aber 
der  Stat  war  alt  geworden,  und  ti-ola  der  formellen  All- 
macht innerlich  schwach;  und  die  Kirche  war  noch  jung  voll 
frischer,  gesunder  Triebe,  und,  obwohl  äuezerlich  abhängig 
von  der  Statsuutorität,  an  Geistesmacht  dem  State  ttber- 
legen  und  auf  dem  Wege,  auch  ihre  Selbständigkeit  zu  er- 
kämpfen. 

Wir  begegnen  diesem  System  iler  Statski  rclie,  an 
deren  Spitze  dus  Statsoberhaupt  stellt,  noch  in  unserer 
Zeil.  Am  ähnlichsten  der  byzantinischen  Form  und  in  voller 
Kraft  besteht  es  noch  Im  russischen  Reiche,  nur  mit  dem 
Wichligen  Unterscliiede,  dasz  der  russische  Stat  voll  aufstre- 
bender Jugendkraft  uud  im  Wachethum  begrifTen  ist,  die 
Kirchengewalt  in  der  Hand  des  russischen  Kaisers  daher 
auch  energischer  fioiibt  wird  tils  in  der  des  byzantinischen 
Kaisers. '' 

'  Ruesisckei-  Codei  bei  Feelix  Revue  eli«ng4ie  el  frnn^ise  lU. 
S.  707:  1,  $.  41:  ,Der  Kaiser  ist  der  oberste  Hescliirmer  und  Bewshrer 
der  ftagroeD  der  Stalskirche.    Er  wacht  über  die  Beachtaog  der  Orthodoiie 


n,g,t,7.dt,'Google 


292  NeDiitM  Biicli.     CalliirpOrge. 

In  Englantl  gab  es  el>en&lla  eine  Zeit,  in  welcher 
der  König  auch  als  Oberhsupt  «ler  englischen  Kirche  (su- 
(»remnin  caput  ecciesiae,  quaiitnui  per  Christi  iegem  licet) 
galt^  nnti  einem  Papst  nicht  unfihnlich  in  kirchlichen  Dingen 
herrschte,  die  Zeit  Heinrichs  VIII,  Daa  waren  aber  nur 
vorübergehende  Verirrinigeii ,  und  der  Supremat  des  eng- 
lischen Königs  hat  sieb  im  Verfolge  der  Zeit  doch  wesentlich 
dem  System  genähert,  das  wir  als  Hoheit  (Vc^tschafl) 
des  States  über  die  Kirche  bezeichnen  können. 

Die  Mängel  des  ersteren  Systems,  des  in  unserer  nn 
Widersprüchen  so  friichtbRren  Zeit  auch  wieder  Verfechter 
gefunden  hat,  *  sind  aber  so.grosz  in  theoretischer  Beziehung, 
als  sie  schwer  enipfnuden  werden  iui  [n-actlsclien  Lehen. 
Eine  derartige  Einigung  von  Stat  und  Kirche,  deren  innere 
Selbständigkeit  beiderseils  zugegeben  werden  musz,  und 
die  auch  äiiszerlich  als  zwei  organische  Gemeinschaf- 
ten sich  darstellen, -in  Einer  Person,  in  dem  Staisoberhaupl, 
macht  an  und  für  sich  schon  den  Eindruck  einer  Miszge- 
burt:    zwei. Leiber  und  Ein  Kopf.  ^     Da  überdem  das  StaLs- 

UDd  der  Discipifn  in  dem  Kircbendieual.  %.  43:  Uel  V«rwal(uiig  der 
kirchlichen  Angelegenheiten  liandelt  das  Statsoberhanpt  dnrcb  Vermidliing 
der  beiligen,  von  ihm  geortlneteo  Synode." 

•  Gladstonc  n.  ».  0.  S.  295. 

'  ünler  den  Keromialornn  liat  Zwingli  sieb  demselljeu  zugeiieigl, 
freilich  mit  der  HuagesprocheneD  Forderung,  dasz  das  Statsrcgimeut  ein 
cbristJicbea  (reformirleB)  sei.  Vgl.  Lange  über  die  Neugestaltung  des 
VerhUtnimes  von  Stat  und  Kirche.     S.  15  ff. 

'  Dieae  Cnnulur  ha((e  Napoleon  sehr  wohl  geniblt  und  beieicbnel, 
•Is  ihm  der  Vorschlag  gemacht  wurde,  sieb  an  die  Spitze  einer  fran- 
zösischen Nationaikircbe  zu  stellen.  Er  verwarf  den  Gedanken  als 
einen  ebenso  eiteln  als  ve racb Hieben :  „Wie,  er  ein  Uann  desKrie^,  mit 
Degen  nnd  Sporn,  in  Scblacblen  gro^z,  sollte  sich  zum  Haupt  der  Kirche 
machen,  die  Kircbenzuchl  und  den  Glauben  ordnen!  Wollte  man  ihn  so 
Terbasxl  macbeu,  wie  Robespierre,  der  den  Cultus  „des  höclislen  Wesens" 
erfnnden,  oder  so  läclierlich  wie  Larficillire-Lipcaux,  den  Erfinder  der 
Theophilanlhropie.  Wer  würde  ihm  folgen?  Wer  die  Heerde  «einer  Glan- 
liigen  blldeu?  Sicher  nicht  die  wahrhaft  gläubigen  Christen,  nicht  die 
HehraabJ   der  Kntholiken ,   welche   nicht  einmal    den  geweihten  Priestern 


iM,Coo<^lc 


ttliifles  Capitel.     III.  TtrMllnisE  df»  Slefes  zur  Kirelie.        293 

Oberhaupt  seinem  Wesen  i»ich  dem  Statskörper  »ngehört 
und  von  dessen  Geist  erfblll  ist,  30  liegt  darin  auch  eine 
Dberlriebene  Herrschaft  des  States  Über  die  Kirche  und  eine 
mangelbafte  Einigung  und  Vertretung  dieser. 

Die  Conceiitration  solcher  DoiipelnutorltAt  und  Doppel- 
macht  in  Einem  Haupte  war  ttberall  entweder  die  Folge 
oder  der  Grund  eines  absoluten  Despotismus,  der  jede  freiere 
Regung  unterdrückt  und  eine  höhere  hnmane  Gesittung  nicht 
aufkommen  lOszt.  Wird  den  Völkern  und  den  Individuen 
der  Trost  (genommen,  aus  der  Bedrängnisz  des  States  in 
die  Anne  der  Kirche  zu  flüchten,  und  vor  der  Beängstigung 
und  Verfolgung  der  Kirche  bei  dem  State  Schutz  zu  linden, 
80  sind  sie  in  manchen  Fällen  der  Verzweiflung  preisgege- 
ben. Die  politische  Knechtschaft  wird  durch  die  Autorität 
der  Kirche  geheiligt,  die  kirchliche  Beenggng  der  Gewissen 
durch  die  Gewalt  des  States  mit  eisernen  Fesseln  verschärft. 
Eine  der  wichtigsten  UrsHchen  der  höhern  und  freiem  Gultur 
des  Occidents  vor  dem  Orient  liegt  jedenfalls  in  der  ausge- 
bildeten Zweiheit  und  Gesondertheit  des  States  und  der 
Kirche,  nnd  eine  der  sichersten  Stützen  oi-ientaliecher  Despotie 
in  der  Einigung  der  obersten  Stats-  und  Eirchengewalt  in 

liAgeu  wollten,  die  sich  hallen  zu  Schulden  konunen  lofseu,  eioen  von 
dem  Slals^ei-Hz  vorgeacliriebenen  Eid  zu  schwören.  Es  würden  ihm 
folgen  eine  Anzahl  srhiechler  Oeiilliclitr,  eine  Anzahl  enllanfeDer  Hönche, 
Anhänger  der  Clubs,  und  im  Scnndal  lebend,  die  von  dem  Haupte  der 
iieiien  Kirche  die  ErlaubniRz  zur  Heiratb  der  Priesbr  erwitrteLen.  Und 
einer  solrlien  Kirche  wollte  muri  deu  Sieger  von  Uarengo  und  Rivoü,  deu 
Hersteller  der  bilr^rlieheD  Ordnung  zum  Haupte  geben?  ihn  so  Uef  er- 
niedrigen? —  Aber  gesetzt  es  gelfinge  das  Unmögliche,  nnd  mit  Beloer 
ohnehin  anermesz liehen  welilichen  Macht  würde  der  erste  Consul  aneh 
die  geistliche  tereinigeii,  so  würde  er  zAn  uuerlrlglichsten  der  Tyraaneo, 
er  würde  zum  Herrn  werden  über  den  Leib  und  die  Seele;  dem  türki- 
schen Sultan  ähnlich,  welcher  zugleich  Haupt  des  Stsles,  der  Armee  nnd 
der  Religion  ist!  Ueberdem  der  Versuch  wäre  ein  vergeblicher,  wn« 
Tyrannei  würde  zum  OegenstAnde  des  Spottes  werden,  statt  einer  Kirche 
wäre  nur  eine  neue  Glaabensspaltnng  und  die  dümmste  von  allen  die 
Fmcht  solcher  Bemühungen."     ThifTM.  histnire  dn  Consulat  III.  8,165. 


n,g,t,7.dt,G00gIc 


294  Nennles  Bucb.     Ciilturpllegc 

Einem  Herrscher.  Aus  diesem  Grund  TOniehiiilich  stellt  der 
muhammedunische  Stat  so  sehr  hinter  dem  christ- 
lichen zurUck. '' 

2.  Sehen  wir  ah  »od  der  Periode  der  rränkjscheii 
Monarchie,  welche  den  Ueberftang  aus  iJer  i-6misch  -  grie- 
chischen Vorstellung!;  in  die  eigentlich  mitte]« Iterliche  und 
zugleich  wieder,  wie  auch  mit  Bezug  auf  die  Institnlion  des 
Parlaments  —  ein  vorbildlicher  Versuch  war,  das  Verhält- 
niez  in  der  Weise  zu  gestalten ,  wie  sie  nach  vielen  Jahr- 
hunderten erst  aur  Gellung  gekommen  ist,  so  werden  wir 
im  Mittcjalter  zwei  vollständig  ausgebildete  Organismen 
gewahr,  beide  der  Idee  nach  die  gesummte  Cliristeoheit  um- 
fassend, beide  mit  eigenem  Haupte.  Nur  an  der  Spitze  des 
weltlichen  Reiches  stand  der  Kaiser,  an  der  des  geistlichen 
nun  der  Papst. 

Darllbcr,  dusz  die  beiden  Reiche  wesentlich  selbständig 

'  lleiiiu  .Studien  üIki- Slot  Diid  Kirche.  S.  135;  „ChrislUK  hatle  jfikr- 
zeit  Hclinrf  iinlti-scliieden  /wjsclien  Stal  iiiifl  Kirche,  Elobammed  isl 
gleiciiKi'itig  Kirclu-ii  -  und  Sialsrnnnii ;  und  eben  deazhnlb  weder  dns  eine 
noch  dns  lindere  im  liriclisleii  Sinne  des  Worl«  Nur  an  der  Einheit 
Uoltes  hielt  er  fest;  alles  übrige,  die  ganze  Welt  mit  ihren  üegenaätien 
and  i[i  ihrer  Mann  ich  faliigkeit  warf  er  nnler-  nnd  durcheinander,  ohne 
Scheidung,  un  Einen  Hauren,  ülier  den  aich  nur  Eine  hüchate Gewalt  ala 
Spitze  erhob,  der  Slnlthaller  GoUea  auT  Erden.  Es  gibt  strenge  genommen 
keine  Kirclie  des  lalani  und  keinen  Slut  der  Kalifen.  Wae  aiia  dieaer 
groszen  Hiachnng  von  religiösem  und  |>olitiachem  Dasein  hervorging,  war 
ein  eiuhi'illiches  Iteichi  abur  nicht  weder  eine  Kirdie  noch  ein  Slat: 
„Daa  Reich  iai  Uultes,  er  gibt  es.  wem  er  will;  die  Erde  ist  Gottes,  er  ^ 
gibt  Ble,  Hem  er  will."  Das  ist  der  einfacli  reIigius-[>oiiliHche  Salz,  von 
dem  der  Jstam  Ausging.  Der  Grnndcharaktei'  dieses  Reiches  Ist  nicht  die 
Theokrotie  im  eigentlichen  Sinne.  Kioht  Gott  selbst  herrscht  unmittelbar, 
sondern  ein  Hennch  berrsciri,  aber  im  Nnmen  Gottes  und  mit 
göttlicher  Vollmacht,  Er  herrsclit  wie  der  einige  GuU,"  Eine  giUC 
Dsrstetinng  der  mohammedanischen  [Inetrin  hat  neuerlich  Eisenliart 
gegeben;  „Die  Slalsaysleme  der  Uegenwarl."  Eid.  I.  Dii- Kerurmen  in  der 
Türkei  folgen  nber  der  modernen  Zeitrichtnng,  die  iibeiall  zwischen 
dem  Gebiet  des  Slates  und  der  Kirche  die  Sondernng  zn  vollziehen 
strebt. 


iM,Coo<^lc 


Füiifiea  Copilel.     111.  Verlj^Ifiiisz  <4fs  Slales  zur  Ki.clip.        295 

und  verscliiedeii  seien,  wer  luin  die  Welt  «'iiiifr.  Die  Kaiser 
dacliten  nicht  mehr,  die  Kirt-Iie  als  äuszerJicIie  An.'^tiilt  dem 
Oi^aiiismiis  des  Stales  <>iiiziifngen,  und  gcwiseerinaszeii  als 
eine  besondere  Al>Cheiliin<r  der  Sliilseinriclitii'iigen  dem  State 
nnterznordnen;  nnd  die  Päpste  vormaszen  sich  Eellist  auf 
dem  Zeaith  ihres  AnsehenH  nicht,  den  Stat  als  ein  Glied 
des  kirchlichen  Organismus  zu  erklären  und  der  Kirche  ein- 
zuverleiben. Die  Lehre,  dasz  Gott  zwei  Schwerter  als 
Zeichen  der  obersten  Macht  verliehen  habe,  ein  weltliches 
und  eilt  geistliches,  und  dasz  jenes  dem  Kaiser,  dieses 
dem  Pspste  zukomme,'  war  eine  gemeinsame  Meinung  der 
Gibellinen  und  der  Guelfen. 

Die  beiden  Oi^anismen  waren  anf  das  engste  ver- 
bunden und  noch  an  mancher  Stelle  gemischt.  Gemein- 
sam umschlossen  und  beherrschten  sie  alles  Volk.  Wer  als 
Brecher  des  öfTentlichen  Friedens  von  den  Gerichten  des 
KCnigs  in  die  Acht  gethan  und  so  auszerhalb  die  Rechts- 
ordnung gesetzt  worden  war,  der  wurde,  wenn  er  nicht 
mit  dem  9tat  sich  versöhnte,  durch  den  Kirchenbann 
auch  ans  der  religiösen  Genieiiischat't'  ausgeschlossen.  Er 
verlor  mit  dem  irdischen  Rechte  auch  die  Hoffnung  auf  den 
himmlischen  Frieden.  Umgekehrt,  wer  als  Ungläubiger  in 
den  Bann  der  Kirche  gekommen  war,  verfiel,  wenn  sich 
nicht  die  Kirche  durch  seine  Reue  erweichen  liesz,  in  die 
statliche  Acht.*^  Der  Fluch  der  Kirche  zog  auch  den 
Untet^ang  alles  Rechts  auf  Erden  nach  sich.  Die  vereinte 
Gewalt  beider  Mächte  war  in  derThat  furchtbar  und  erschien 

'  6acbsen8piegel  I.  1.     Sielte  oben  Bucli  1.  Cap.  4.  S.  51. 

■  Sachsenspiegel  I.  1.  Dit  is  d«  betebniese,  svat  deme,  pavese 
widersU,  Hat  he  mit  gelstlikeiue  rechte  nicht  gcdvingen  ne  inndi,_  dat  It 
de  keiser  mit  wenlikero  rechte  dvinge  rieine  paiese  gehoraain  lo  wesen& 
So  sot  ok  de  geisllike  gewslt  htlpen  deme  wertlikem  ■'echte,  oft  it  ia 
bedarf.  ITI.  63:  §.  1  und  g.  2:  „Qan  scade  der  sele  uode  ue  nimt  doch 
Diemanne  d«u  lif,  noch  ne  krenket  niemanne  au  Inntrechle  noch  en  leo- 
reclile,  dar  ne  volge  dea  koninges  achte  na." 


iM,Coo<^lc 


296  Neuntes  Buch.     Culturpllege. 

unermesdich.     Weder  im  Leben  noch  im  Tode  konnte  man 
ihr  entgehen. 

Ueber  das  Verhftltntsz  beider  Mächte  zu  einander  aber 
wurde  der  gi-c^ze  Streit  des  Mittelalters  geführt.  Damals 
waren  die  Kaiser  geneigt  auf  das  Ältere  Recht  ihrer  Ueber- 
ordniing  Vei-zicht  zu  leisten  nnd  sich  mit  der  Gleichstel- 
lung zu  begnügen,  aber  die  Päpste  behaupteten  imn  um- 
gekehrt Ueberordnung  des  geistlichen  über  das 
veltljche  Reich.  In  der  That  war  im  Mittelalter  die 
römische  Kirche  in  wesentlichen  Beziehungen  dem  germa- 
nischen State  überlegen.  Sie  war  es  an  Umfang  und  Ein- 
heit, denn  sie  unifaszte  wirklich  und  einte  die  gauze  abend* 
ländische  Christenheit;  der  Kaiser  aber  stand  nur  dem  Range 
nach  über  den  andern  Königen  und  Fürsten,  es  gab  in 
Wahrheit  kein  eigenes  abendländisches  Statenreicb,  son- 
dern eine  grosze  Zahl  mannich falliger  von  einander  unab* 
hängiger  ßtaten.  Sie  hatte  nicht  allein  die  Autorität  der 
Religion  fUr  sich,  sucdem  alle  Macht  nud  aller  Einflusz  der 
Wissenschaft  und  der  antiken  Cultnr  war  in  ihre 
Hand  gelegt.  £s  gab  keine  weltliche  Wissenschaft 
mehr,  die  dem  State  hätte  dienen  und  sein  Bewusztsein 
stärken  können.  Desto  eher  konnte  die  Kirche  ihre  höhere 
Berechtigung  auch  in  den  Ideen  darstellen  und  durch  die 
Ideen  si^en.  Ihr  Reich ,  sagte  sie ,  sei  das  Reich  des 
Geistes,  der  Stat  das  des  Leibes.  In  der  That,  wenn  Kirche 
nnd  Stat  sich  wirklich  zu  einander  verhielten,  wie  Geist 
nnd  Körper,  so  wäre  nichts  gewisser,  als  dasz  der  Kirche 
nicht  blosz  die  Hoheit,  sondern  sogar  die  Herrschaft 
über    den    Stat    gebührte. "      Einzelne    mächtige    Päpste 

»  jSchoD  Gregor  VJI.  venheidigie  so  die  Meinung^  der  Papst  iei 
aber  dem  Kaiser,  gegen  Kaiser  Heinrich  IV.  Er  berief  sich  daraof, 
da*z  auch  der  Kaiser  tu  den  Si-hnfeii  gehöre,  itlier  welche  Petrus  znm 
Hirten  geeeltt  fei  (Bv.  Joh.  \XL  IS — 17);  wogegen  freilich  der  Kaiser 
dem  Papal«  erwiedern  konnte,  dasz  eben  so  dieser  in  weltlicher  Besiehung 
ein  Untertlian   des  Kaisers   sei.   ,Atn  vollstandigxtrji   und  S''hrirfsteu  wird 


iM,Coo<^lc 


Fünftes  Cnpitel.    111.  Verliältnisi  des  SUles  zur  Kirclie.       297 

Tersuohten  es,  <liese  Oberherrschaft  zu  verwirklichen.  Sie  be- 
haupteten geradezu,  dasz  die  geistliche  Leitung  die  vreltiiche 
im  Princip  in  aich  scbliesze,  und  dasz  der  Kaiser,  der  die 
weltliche  Gewalt'  ausübe,  nur  ein  Vasall  der  Kirche  sei.  Der 
mönchische  Gregor  VII.  und  der  juristische  Innocenz  III. 
nahmen  beide  die  Doppelgewalt  Iiber  die  Seelen  und  die 
Leiber  für  die  Kirche  in  Anspruch,  und  gestalteten  dem  Stat 
nur  die  Ausübung  der  letztem  unter  ihrer  Oberaufsicht.  "■ 
Wo  es  darauf  ankam,  auch  in  der  Idee,  nicht  blosz  mit 
der  physischen  Kraft  zu  siegen,  war  er  noch  unerfahren  und 
unsicher.  " 

die  Oeberonlnung  des  PapBles  über  deu  Kaiaer  von  iDiiocenz  III.  be- 
bnuptel  c.  6.  X.  de  mojoritaie  d  obedienlia  (I.  33)  v.  J.  ]]90.  An  den 
(MtrömiacheD  Kaiser,  der  das  enlgegengesetzFe  Priudp  \erlral:  n^^o"  i'" 
gamiis,  quin  pniecellat  imperalor  in  lemporalibns  HIm  dunlaial,  qiii  ab 
eo  8U8cipiiin(.  tempomlia:  eed  pontifü«  In  apirilualibiia  antecellit,  qiiae 
laiilo  sunt  Wroporalibiis  digiiiora,  qiiaiilo  anitna  [wac/Vrtur  eorjwri.  — 
Praeterea  noaae  debaera«,  qnod  fecit  Dens  dno  magna  Laminaria  in  Sr- 
numenlo  coell:  luininare  majua  ut  praeeaset  diel,  et  lumioare  miDiis  ut 
praeesset  npcti.  —  Deue  dnas  inetiliiit  dignilales,  quae  sunt  ponüGcalis 
HUctoriiHs  et  regalis  potealas.  Seil  illa  qiiae  praeest  diebua  id  est  aplri- 
tnalibus  major  est,  qiisa  vei-o  carnalibna  minor:  ut  quantA  iuier  Kdtnt  rl 
fimam  lanl«  inter  ponl^ieti  rt  rrgrt  difFerenlia  eognosealur."  Sogar  der 
Kaiaer  Friedrich  II.  nahm  das  Bild  an  nnd  gealand  zu,  daez  die  Kirche 
Tür  die  Seelen  nnd  der  Stat  nur  für  die  leiblicbe  WoUrahrt  zu  sorgen 
habe.  Laurent  bist,  du  droit  dea  gens  Tl.  3.  27.  Und  Innoceni  iV. 
arhrieb:  ,Non  »olnm  poiiüficalein  sed  regalem  «oustituit  principatum 
(Clirlsliis)^  bento  Petro  ejiiaqiie  aucceaaoribiis  lerreni  simul  ac  coeleatis 
Imperli  commisfilB  babenis,  qnod  in  plnritale  clavium  competenler  innui- 
tur."  .  Die  päpatliche  Partei  liest  daher  beide  Schwerler  erst  dem  Papste 
von  Gott  verleiben,  und  das  weltliche  nur  durch  VermilteloDg  dea  Papstes 
an  den  Kniser  kororoen;  eine  Ansiebt,  nelcho  ^on  dem  Sachsenspiegel 
veriroiren,  aber  von  dem  Scbwabenapiegel  anerkannt  wurde. 

'"  Vgl.  darüber  Laurent  hisloire  du  Droit  des  gens.  Bd.  VI.  Lempire 
et  la  pnpaufe.  Innocenz  III.  Ep.  II.  209:  „Dominos  Petro  non  aolum 
iiniveriiHni  Ecciesiam,  sed  lotum  reliquit  seculum  gubernanduro."  Inno- 
cenz IV.:  „noii  GOlum  poritiQcnlem  aed  rpgaieiti  consltluit  principatom, 
beuto  Petro  ejastjue  successoribos  tnrtni  timnl  ae  torintit  imptrit  commiMiB 
hsbenis."     Lsarent  L'Eglis«  et  l'Elat,  la  Reforme.    S.  161.    Brnx.  1660. 

"  Heinrich  IV.  «.  1016.  (PrHs  Mouum.  Ger*.  Ug.  II.  p.  48)  über 


n,g,t,7rJM,COOglC 


298  Neuntes  Buch.    Caltiirpfli-ge. 

Sogar  im  Mittelalter  blieb  über  diese  Uoberlrelung  der 
Kirche  ein  froaimer  Traum.  Auch  der  mittelalterliche  Stat 
fühlte  sich  doch  zu  stark  und  zu  Trei,  um  sich  so  unbedingt 
zu  unterwerfen;  gelegentlich  rächte  er  sich  gBgen  die  priester- 
liehe  Aumaszung  durch   zornige  Gewaltthat,  die  auch   die 

E weihten  Priester  nicht  verschonte;  aber  wo  es  darauf  an- 
m,  auch  in  der  Idee,  nicht  blosz  mit  der  physischen  Krufl 
zu  siegen,  da  zeigte  sich  das  statliclie  Bewusz(«e)n  unklar 
und  unreif.  Während  die  Kirche  ftlr  ihre  Ueberordnung 
kfi^npfte,  und  flieh  als  eine  güttliche  Institution  hoch  über 
den  Dur  menschlichen  Stat  setzte,  begütigte  sich  der  Slat 
mit  der  bescheidenen  Forderung  der  Freiheit  in  welt- 
lichen Dingen  und  einer  gewissen  Gleichberech  tigung 
der  beiden  Schwerter,  die  beide  u  nniitteltiar  von  Gott, 
das  eine  an  den  Papst,  das  andere  an  den  Kaiser  geliehen 
werden.  Im  Groszen  und  Ganzen  siegte  das  Papstthum  Hber 
das Kuiserthuin ,  und  wenigstens  eine  ideale  Üeberlegenheit 
der  Kirche  über  den  Stat  wurde  seit  dem  Untergang  der 
Hohenstaufen  ziemlich  allgemein  im  Mittelalter  anerkannt.  ■' 

Oregor  VII.:  „Ut  cDim  de  pluribus  pauca  referamus,  regoum  sc  «werdo- 
tiam  Üeo  nescieiite  sibi  usniptkvlt,  i»  qoo  piam  Dei  ordiuaüODeio  coa- 
lempsji,  qnae  non  in  uno  sed  in  duobus  dno,  Id  est  regnum  ac  aacerdoüum 
prlncipaliter  coneisicre  toIiiU:  gicut  ipse  Salvator  in  (laaaioiie  ena  de  duo- 
■  rum  glodiorum  sufficientia  intellip  ioDuil.''  Friedrich  I.  a.  1157.  (Prrt* 
II.  p.  105):  nCiim  per  eiectionem  principam  a  Mio  Deo  regnum  et  im- 
periuni  noBirum  sit,  ijtii  in  paMione  Chriiiii  tilü  sui  dnobue  gladiis  necea- 
aariia  regeodum  orbem  Bubjedt,  cumqne  Petrus  apaslolDs  hac  doclrioa 
mundum  iu forma verit,  Deum  IJmele,  regem  hcHioHlicate:  qaicumque  noa 
imperialem  coronam  pro  beneßcio  a  doiuino  papa  6U«cepissedixerit,  divi- 
iiAe  JnstitutioDi  el  doctiinae  Petri  contrarius  est  et,  meudacii  reue  erit." 

''  Einzelne  E>cuker  freilich,  wie  der  groaie  Dante  widerstrebten  — 
Fegefeuer  XV].  11)6. 

„Rom  halte,  das  mm  Glück  die  Welt  bekehrt. 
Zwei  Sonnen  und  den  Weg  der  Welt  halt'  Eine, 
Die  andere  deo  W^  tu  tiolt  verklärL 
Verlöscht  ward  eine  von  der  andern  Scheine, 
Und  Schwert  und  Hirtenateb  von  einer  Hand 
Gefasit  im  übel  pasaenden  Vereine. 


n,g,t,7.dt,'C00gIc 


Fünftes  Capitel.     III.  V«rbältnisE  de»  SCHtes.  zur  Kirrlic.        29!> 

Aber  auch  diese  Lösung  der  Hauptfhtge  war  keine  end- 
liche. Schon  vom  viei'zehnten  Juhrhuuderte  an  bereitete  sich 
der  Stat  vor,  die  Oberherrlichkeit  der  Kirche  wieder  ab- 
zulehnen. Die  äuszere  Macht  des  States  wurde  gröszer, 
und  sein  MajestälsgefUhl  durch  die  politische  Erinnerung  an 
das  alt- römische  Reich  und  durch  die  erneuerte  Kenntnisz 
des  römischen  Rechtes  von  neuent  gesteigert.  Auch  die 
Wissenschaft  vertheilte  ihre  Früchte  zwischen  Stat  uud  Kirche, 
sie  löste  sich  in  manchen  Richtungen  ah  von  der  Vormund- 
schart und  der  Pflege  der  Kirche,  und  wendete  sich  mehr  und 
mehr  dem  StKte  zu.  DieLegisten  traten  den  Kanonisten  entge- 
gen. Der  Stat  konnte  doch  die  Vergleichujig  mit  dem  Leibe 
—  der  Kirche  als  dem  Geiste  gegenüber,  oder  seiner  mit 
dem  Monde  welcher  in  der  Nacht,  und  der  Kirche  mit  der 
Sonue  welche  dem  Tage  leuchte,  unmöglich  mehr  für  wahr 
halten.  Die  Kirche  selbst  aber,  indem  sie  im  Vollgefühl 
ihres  Triumphs  Über  den  Stat  ihre  Macht  auch  auf  das  äuszere 
Leben  und  auf  weltliche  Dinge  erstreckte,  und  politische 
Herrschaft  üben  wollte,  indem  sie  sich  so  mehr  und  mehr 
verweltlichte,  bUszte  an  religiöser  Reinheit  und  Wirksamkeit 
mehr  ein,  als  sie  an  ftuszerer  Gewalt  und  Glanz  zugenommen 
hatte,  und  das  innere  Verderben  machte  sie  schwach 
im  Verhaltnisz  zu  den  erstarkenden  Staten.  '^  Schon  im 
fUtifisehnten  Jahrhundert  konnte  die  Aristokratie  einer  ein- 
zelnen Stadt  wie  Venedig  in  Italien  selbst  der  nahen  Macht 
des  Papstes  Trotz  bieten,  und  ihre  Hoheit  behaupten,  wie 
es  zwei  Jahrhunderte  zuvor  der  Kaiser  nicht  vermocht  hatte. 

Deun  Dicht  mehr  fürchLen,  wenD  mtiu  sie  verband. 
Sich  IlirlenBlab  und  Schwert.  —  — 
Roms  Kirche  ßlll,  weil  eie  die  Doppelwiirde 
Die  Doppel herrscliaft  jetit  in  sich  vermeugt, 
In  Koth,  iKsudelnd  sich  nad  ihre  Büi'de." 
"  HacchiavellL    Zu  Liv.  1.  C.  12  wirfl  dein  PapeUhnm  vor,  es 
habe  aus  Herrschsucht  die  Völlier  Italieus  um  die  Kfligion  gebrecht,  und 
die  Uiieinigiceit,  Zerklüftung  nnd  Schwäche  lUlieos  herbeigeführt. 


iM,Coo<^lc 


300  .   Nuiinlet  Budi.     CuUurpll^gr. 

Die  Uebeiwdniing  der  Kirche  Über  den  Stat  erwies  sich  als 
iiTiiiatUrüch  und  unhultbar,  für  den  Stat  nnertiäg- 
lich,  für  die  Kirche  selbst  verderblich. 

Seit  dem  sechzehnten  Jahrhunderte  hat  der  Jesuiten- 
orden TOrnehmlich  vereucht,  die  Meinung  Innocenz  III.  anf- 
zul'rischen,  und  von  neuem  zur  Geltung  zu  bringen.  Freilich 
versuchte  er  zugleich,  die  Theorie  der  neueren  Zeit  dadurch 
annehmbarer  zu  machen,  dasz  sie  für  das  Papstlhum  nicht 
mehr  die  absolute,  sondern  nur  eine  bedingte  Hoheit  in 
weltliehen  Dingen  behaupteten,  soweit  das  erforderlich  sei 
für  die  Erhaltung  der  geistlichen  Gewalt.'*  Anfangs  ver- 
dammte der  Papst  Sixtus  V.  ancli  diese  vorsichtige  Ab- 
schwächung  der  päpstlichen  Ansprüche  als  irrig,  aber  spätei- 
fand  die  Curie  doch  die  jesuitische  Lehre  wirksam  und  nütz- 
lich, und  liesz  sie  gewähren.  "  Im  Einzelnen  gelang  ea  auch 
wohl  hier  und  dort  einige  Ueberreste  derartiger  mittelalter- 
licher Institutionen  länger  aufzubewahren,  auch  etwa  das 
Gewissen  mancher  Regenten  zu  beängstigen,  und  dieselben 
zu  Verfolgungen  im  Dienste  der  Kirche  zu  bewegen,  wie 
vorzüglich  in  dem  romanischen  Süden  Europa's;  aber  im 
Groszen  und  Ganzen  war.  dieses  Streben  doch  ohne  dauern- 
den ßrfolg,  und  nirgends  mehr  erkennt  der  neuere 
Stat  die  Oberherrlichkeit  derKircheUher  sich  an. 

3.  Eine  neue  Eotwicklungsphase  beginnt  mit  der  kirch- 
lichen Reformation  des  XVI.  Jahrhunderts.  Der  erste 
Anstosz  zu  einer  Umgestaltung  der  Verhältnisse  ging  nicht 
von  den  Männern  des  States,  sondern  von  den  kirchlichen 
Reformatoren  aus.  Luther,  der  Begründer  der  deutschen 
protestantischen  Kirche,  hatte  vor  allen  Dingen  wieder  auf 
das   innere    Glaubeusleben    den    entschiedensten   Nachdruck 

"  BelUrmin  de  romauo  poittiöce  V.  1,  3:  „HatJope  spiritQalia  po 
IwiatUi  habet  sftitem  indirttle  poiesiatem  qusindftiii ,   eamque 
leraporalibna." 

"■  LAurent  L'Egliae  et  lElat  %.  175  ff.  ,le  pomoir  iadirect." 


n,g,t,7rJM,COOglC 


Fanftes  Cupile).     III.  Verhällniez  des  StRles  zur  Kirciie.        301 

gelegt,  und  darin.  Dicht  in  änszerer  Heiräcbaft,  die  Mission 
der  Kirche  erkannt.  Die  weltliche  Herrlichkeit  der  Kirche 
wurde  als  ihre  Entartang,  als  ihr  Verderben  bezeichnet.  "> 
Entitleidet  von  dem  Glanz  und  Schmuck  einer  Königin,  als 
eine  schlichte  Magd  sucht«  die  prolestantische  Kirche  den 
Schirm  des  States.  In  allen  äuszerlichen  Dingen  wollte  sie 
sich  willig  ihm  unterordnen,  nur  in  ihrem  ianern  Leben 
verlangte  sie  volle  Freiheit.  Von  da  aus  unternahm  sie  es, 
sich  und  mittelbar  auch  den  Slat  mit  göttlichein  Geiste  zn 
erfi^llen  und  zu  heiligen.  In  dem  State  sah  sie  eine  nr- 
sprDngliche  sittliche  und  göttliche  Ordnung,  welche 
selbst  in  dem  heidnischen  State  verehrt  werden  mUese,  in 
dein  christlichen  reiner  dargestellt  werde.  " 

Im  Einzelnen  finden  wir  nun  freilich  mancherlei  eigcn- 
thüinliche  Gestaltungen  des  neuen  Verhältnisses.  In  einigen 
Stateii  näherte  es  sich  sehr  wieder  der  byzantiniechen  Form 
der  Ststsherrschaft  über  die  Kirche  an,  und  die  wieder 
beigestellten  Statskirchen  wurden  zuweilen  wie  blosze 
Slatsinstitute  behandelt,  freilich  immerhin  mit  der  unver- 
meidlichen  Beschränkung,    dasz    die  geistige  Autorität  des 

"  AngsburgerCoareasiOD  ArL38:  „l£cclesiaati(»  (polestna)  siiiim 
iDBDdatum  habet  evaDgelii  docendi  et  ndmiDiatrandl  nacrameala.  Nnu 
inrnmpat  in  sliennm  ofFiciiitn,  iioii  Imnsferst  regna  mundi,  iion  abrog«! 
lege»  mngiatrMiium ,  non  tollat  legilimara  obedienliani,  uon  impediat  ju- 
dicia  de  nllis  civilibue  ordinationibiis  aut  conlractibuH,  non  praescribat 
leges  magiatratibua  de  Torma  reipablicae,  sicut  dicit  Chrietna;  regniim 
meum  non  est  de  Uoc  mundo;  ilcin;  qiiis  consliLuU  me  judicem  aut  divi- 
sorem  Buper  voa?"  Zwingli  (Werke  I.  §.  34Ö):  „t)er  geistlichen  herr- 
schart  hat  irer  hocbfur  gheincD  gnind  iu  der  leer  Cbriati.  —  Man  soll  nit 
gestatten,  da«i  die  geiallichen  einigerlei  oberkeit  babind,  die  der  welt- 
lichen wider  lat  oder  von  gemeinem  r^iment  abgesilndrel;  denn  sölichs 
bringt  »wilrachl." 

"  CaMn  Inatil.  rel.  chrisl.  IV.  20.  8-  4:  »N""  hiimana  preverBilale 
fieri,  ut  penes  reges  et  praerectoa  alios  all  In  terria  rerora  omiiiam  arbj- 
trinm,  sed  divina  fntidentia  tt  lancla  ordittalionf :  cui  sie  visum  eal  rea 
hominum  moderari."  Vgl.  Hundeahagen,  der  deutsche  Proteatantiamna 
S.  481. 


n,g,t,7.dt,G00gIc 


302  Neante«  Bacli.     CulKirpflege. 

Christenthums  fttr  ihr  inneres  Leben  voranegeselzt  und  vor- 
behalten ward.  Auch  hier  also  werden  wir,  wie  in  der 
modernen  Statsent Wickelung  Überhaupt,  gewahr,  wie  der 
römische  Geist  der  Politik  und  dea  Rechts  sich  der  Staten 
und  der  Völker  von  neuem  bemächtigt,  i^  in  dieser  Be- 
ziehung stand  nun  Rom  wider  Rom,  die  römische  Slatsmaclit 
wider  die  römische  Kirchenmacht. 

Aber  im  Allgemeinen  unterschied  sich  doch  die  -neuere 
AufTdssung  von  der  rÖmisch-griechiEchen  theils  durch  die  ver> 
Änderte  Weltlage,  theils  auch  in  der  Idee.  Der  Stat  war 
doch  nicht  so  absolut,  wie  der  röQiisohe  es  gewesen  war. 
Sein  Verhältnisz  zu  der  äuszern,  sichtbaren  Kirche  war 
allerdings  wieder  ein  übergeordnetes,  aber  eher  auf  das 
Princip  der  Obsorge  und  Vormundschaft,  als  auf  das 
der  Herrschaft  gegründet. 

Von  gröszter  Bedeutung  war  es,  dasz  die  protestan- 
tische Kirche  kein  gemeinsames  einheitliches  Orgiiu  hervor- 
brachte. Zwar  gab  es  auch  in  ihr  eine  geistige  Verbindung, 
welche  über  die  besondern  Landesgrenzen  hinaus  wirkte 
und  ein  GefUhl  der  GemeinschaHt  wach  erhielt;  aber  die 
Kirchenverfassung  blieb  territorial.  Es  entstand  der  Begriff 
der  Landeskirchen.  Die  Consistorien  und  Synoden  waren 
Landesinstitutionen,  in  strengerem  Sinne  als  die  früheren 
katholischen  Bisthümer  und  Provincialeynoden ,  denn  es 
stand  kein  universelles  Kirchenregiment  über  ihnen.  Die 
Landesherren  selber  nahmen  für  sich  die  fiuszereii  Rechte 
de^  obersten  Bischofs   in  Anspruch. 

4.  Die  Umwandlung  der  öffentlichen  Machtverhältnisse 
äuszerte  aber  auch  in  den  katholischen  Ländern  ihre 
Wirkung,    Schon  frühzeitig  hatten  die  französische  Nation 

"  Die  proleeMDtLsclien  Theologen  erinnertea  an  das  Wort  dee  Kaisers 
ConiCdntiu:  „Voi  quidem  intra  eccleejam,  ego  vero  eitra  eccleaiam  & 
Deo  inatiuilua  sum  Episcopus."    Slalil,  die  Kirchen verfaeeuiig  der  Proie- 

slnnten  S.  7. 


iM,Coo<^lc 


Fai.riei  Capitel.    UI.  VerhHItntu  de«  Stalea  lar  Kirche.        303 

und  ihre  Könige  ihre  politische  Unabhängigkeit  von  der 
römischen  Kirche  entschiedener  als  alle  nndern  Völker  be- 
hanptet.  Auch  in  der  gallicBnischen  Kirche  offenbarte 
flieh  der  Trieb  nationaler  Selbständigkeit.  Die  französischen 
Bischöfe  fühlten  eich  voraus  iils  Franzosen,  dann  erst  als 
römische  KirclienfUrsten,  und  Hie  französischen  Juristen  und 
Parlamente  yertheidigten  mit  Kühnheit  und  Geschick  das 
bürgerliche-  und  statliche  Recht  wider  die  Anmaszungen  des 
Klerus'.  Ludwig  XIV.,  so  exclusiv  katholisch  seine  Politik 
war,  halte  doch  keinerlei  Neigung,  sich  vor  der  römischen 
Curie  zu  demüthigen,  und  wuszte  wohl,  wie  viel  gröszer 
seine  Königsmacht  als  die  Macht  des  Papstes  in  Frankreich 
sei.  Die  gallJcanische  Kirche  war  ihm  unterthttnig.  <*  Üa» 
achtzelnite  Jahrhundert  Stetgerte  auch  in  Deutschland  und 
in  Oesterreich  das  statliche  Selbstgefühl.  Schon  die  Kai- 
serin Maria  Theresia,  mit  ihrem  Minister  Kaiinitz,  aber 
rücksichtsloser  Joseph  II.  behaupteten  die  Oberhoheit 
des  Staleö  über  die  Kirche  mit  Eifer  und  Erfolg.  In  der 
Emser  Punctation  der  deulschen  Kirchenfürsleit  vom  Jahr  1786 
wurde  auch  für  die  katholische  Kirche  in  Deutschland  eine 
nationale  SelkstAndigkeit  gegenüber  dem  römischen  Abaolu- 
tismus  begehrt.  Die  philosophische  Itildimg  der  Zeit  und 
das  erwachende  nationale  Bewuszt^ein  förderten  beide  die 
Befreiung  des  Stats  von  der  kirchlichen  Bevormundung  und 
entwickelten   das  statliche   Machtgefühl.     Der   Kampf  des 

'*  Erklärung  des  rranzösiaclieu  RIerns  von  1682  tind  beslaiigt  von 
Ludwig  XIV.;  „Noaa  d^larouB,  en  eons^quence,  qne  Im  rojs  et  lex 
aouverains  ne  Bont  soumia  k  aucunc  pniwance  eccl^eiaslique,  par  l'ordie 
de  Üieu,  dang  les  cho«e8  lemporelle." ;  qu'ils  iie  peuveiit  Stre  d^pos^a  di> 
TCclemeiit  et  indireclcmeut  par  l'auloritä  des  cbefs  de  l'^glise,  que  leura 
sujelu  ne  peuvetit  itn  ä'iBfie\\$is  de  la  soamissioii  et  de  l'ob^iasnnce  qn'ila 
leor  doJrent,  od  absoiis  du  Herment  de  fid^lile;  et  que  celle  doctriiie,  ni- 
cesaaire  poiir  la  IrsnqiiillitS  publique,  non  maiiia  ovanlageuse  k  l'^gliw 
qu'ä  r^lat,  doit  ^tre  inviolablement  suirie  comme  coiiforme  i.  la  parole 
de  Diei),  k  la  tradilion  des  SBiDla  l'^res  et  aux  exempJes  dea  SsiDta." 
Vgl.  Laboulaye  Art.  Q&llic.  Kirche  im  Ueulaclieu  StniawörlerbDcb. 


,ti7.dt,GoogIc 


304  Neanlw  Buch.    CnltiirpHegc. 

Mittelalters  zwischen  8tat  und  Kirche  wurde  wieder  aufge- 
nommen, nun  aber  unter  Verhältnissen,  welche  dem  State 
sehr  viel  günstiger  waren. 

5.  In  allen  bisher  erwähnten  Staten  bestand  immer 
noch  eine  nähere  Verbindung  des  States  mit  der  Stats- 
kirche  oder  mit  mehreren  Laudeskirchen.  In  Nord- 
amerika aber  wurde  diese  Verbindung  gelöst  und  die 
völlige  Trennung  des  States  und  der  Kirche  zum  Princip 
erhoben.  Es  wurde  zum  Statsgmndsatz,  dasz  „der  Con- 
gresz  nie  ein  Gesetz  geben  dUrfe,  wodurch  eine  Religion  zur 
herrschenden  erklärt,  oder  die  freie  Ausübung  einer  andern 
verboten  werde."  "^  Der  eigentliche  Gedanke  der  Nord- 
amenkaner  war  ursprünglich  durchaus  nicht  der,  das  Christen- 
(hum  für  gleichgültig  zu  erklären,  den  Mohammedanismus, 
das  Judenthum  oder  den  Unglauben  zu  föi'dern,  sondern  in 
Erinneruug  an  die  kirchlichen  Kämpfe  und  Verfolgungen 
des  Mutterlandes  der,  die  gegenseitigen  Anfechtungen  der 
verschiedenen  christlichen  Confessionen  zu  verhindern,  und 
die  Gestaltung  einer  Statskirche  unmöglich  zu  machen.  Aus 
Fui-cht  vor  einer  unerwünschten  Einmisctiung  des  States  in 
kirchliche  Dinge,  und  hinwieder  eines  verderblicbeu  Ein- 
flusses zelotischer  Kirchen  auf  den  Stat,  wollte  man  durch 
einen  scharfen  Schnitt  die  mancherlei  Beziehungen  trennen, 
durcli  welche  der  Stat  bisher  der  Kirche  verbunden  war. 
Duldung  der  verschiedeneu  religiösen  Gemeinschaften  schien 
das  Wesentliche.  Im  Uebrigen  wollte  man  jede  sich  selber 
Überlassen,  ohne  dasz  der  Stat  sich  darum  bekümmere. 

Indessen  stutzte  man  sich  auf  ein  Princip  von  gröszerer 
Tragweite  als  man  aufänglich  übersah.  DieNordaiuerikaner 
waren  anfänglich  nichts  weniger  als  indifli'erent  für  das  Chri- 
stenlhum,"  auch  die  nordameriksnischen  Staten  nicht,  aber 

'*  ZasKtte  der  Vettueaag  von  17ttl.  Vgl.  Story,  BuDdesrechl  111. 
44.  S-  265. 

"  Slory  0.  A.  0.:  nWalirscheiiilicIi  war  iiir  Zeit  der  Annahme  der 


iM,Coo<^lc 


Füi.ri«»  Capitel.     Ul.  VerlittUain  dm  Slotra  Eiir  Kircli.-.         ;la5 

oun  wurde  die  TOllständige  Trennung  der  Kirchen  vom  State 
«la  Prtncip  Ausgesprochen,  und  somit  die  Indirrereus  des 
8tales  fQr  die  Kirchen,  die  als  bloezenReligionsgesellschaften" 
behandelt  werden,  wenn  auch  wider  Willen,  pnhcipiell  an- 
erkannt. '■' 

IndiS^reoz  ist  indessen  nur  die  Negation  eines  Ver- 
htiltuisses  des  States  zur  Kirdie  in  ihrer  Ruhe.  Da  er- 
scheint sie  in  Form  gleichgültiger,  iheilnuhm  loser  Toleranz. 
Wir  haben  aber  auch  die  andere  Art  der  Negation  stUr- 
inisdKir  auftreten  sehen,  die  Negation  der  Leidenschan,  des 
Ifosws,  die  Verfolgung  der  christlichen  Kirche.  In  der 
französischen  Revolution  hat  sie  durch  Schliesaung  der 
Kirchen,  Verbot  des  christlichen  Cultus,  Mordung  derPrieater, 
Verhfibnnng  Gottes  und  jeder  sittlichen  Ordnung  sich  geofüen- 
bart  Die  aus  der  IndiSbrenz  erkl&rte  Duldung  und  die  Ver- 
fc^goag  sind  daher  nahe  verwandt.  Negation  ist  die  ge- 
meinsame Mutter  beider,  aber  das  Phlegma  ist  der  Vater 
jener,  der  Hasz  der  Vater  dieser.  In  der  Ruhe  negirend 
wird  der  8tat  tolerant  sein;  wird  dann  seine  Leidenschaft 
gereizt,  80  wird  er  uHt^'<lrQckcn. 

6.  Das  nordamerikaniache  Princi|)  der  Trennung  von 
Kirche  und  Stat  wnrde  in  Europa  neuerdings  in  das  moderne 

Veiliiesuiig  die  durchgebende,  wo  nicht  die  allgemeine  Meinung  In  Ame- 
rikt,  dui  die  chriBllluhe  Religion  vom  Slate  ErmunUiung  erliollen  soll, 
soweit  «icli  dieses  mit  den  Priralrechten  des  Gewisaene  niid  der  Freiheit 
religiöser  Verehrung  vertrage.  Ii:in  Versuch,  nlle  Religionen  einander 
gleich  zn  stellen,  und  es  zu  einem  (Jegenslaiid  der  Slalä|iolitik  zu  machen, 
alle  in  gänilicfacr  Oleichgftlltglieit  j.a  erhallen,  würde  allgemeine  MisK- 
billiguttg  wo  nicht  allgemeinen  Unwillen  erzeugt  haben." 

"  Lange  In  der  angefiUirten  Schrill  8.  1 :  „Die  Treiinnug  zwischen 
Stal  und  Kirche  ist  eine  Scheidung,  verbunden  mit  Vertenniing,  niil  Ent- 
fremdung, mit  Abalosz,  eine  Scheidung  für  ein  iiermaneoles  gelbeiltes 
Bestehen;  die  Auseinsnderee tiung  ist  eine  Scheidung  beider  Inatitu- 
tiOLen  in  der  Gealalt  des  Wotilvernehmens  unter  dei'  VorausMtzung  ihrer 
ewigen  Verwandtachaft  und  Beziehung.  Die  Trennung  ist  mil  einem 
Worte  die  Caricatur  der  Auseinandersetzung,  welche  zu  einer  der  drin- 
gtsdtten  ForderoDgeo  der  Zeit  geworden  isi." 

•t  SMtirechl.    n.  20 


iM,Coo<^lc 


306  N«nulM  Buch.    Ciilturptleg«. 

Princip  der  Soiideruog  umgebildet.  Die  Sonderuag  (kr 
beiderlei ■  Getnete  macht  es  möglich,  dast  die  EEofaeit  dea 
States  Tollständig  aner^ttnt  und  gVwadirt,  die  ßelbstäc- 
digkeit  der  Kirche  aufrieMg  gesebütst  utid  die  wichtigen 
Beziehungen  zwteften  beiden  Organismen  der  Wnrde 
imd  der  Bedealar^  beider  gemftsz  frenndlich  gepflogen  werden. 
Die  gttHC  neuere  Entwieklang  ist  einer  polizetlidien 
-  Befcemdlung  der  Kirche  durch  den  8tat  nicht  mehr  günstig, 
nad  indem  sie  fUr  den  Stat  und  das  tjürgerliche  Leben  Frei- 
heit fordert,  auch  geneigt,  der  Eircbe  in  religiösen  Dingen 
Freiheit  und  Selbstverwaltung  ihrer  kirchlicl>en  kngelegen- 
huten  zu  gewahren.  Nur  freilich  mnsz  sieb  der  6tai  davor 
IitUeo,  die  Freiheit  der  Eirehe,  wie  sie  die  Ultramontanen 
verstehen,  zur  Herrschaft  der  Kirche  ausbeuten  und  ver- 
derben 2U  lassen.  Indem  der  Stat  fUr  sieb  ein  ihm  eigenes 
Geistesprincip  und  ünen  ihm  eigenen  Leib  (die  Statsver- 
fassung)  behauptet,  gesteht  er  auch  der  Kirche  zu,  daaz  sie 
ebenso  ein  ihr  eigenes  Oeisteslebeu  liaba,  und  eines  ihr 
dgenen  Körpers  (die  Kirchen verfiissung)  bedarfe.  Die  falsche 
Einheit  der  mittels Iterlichen  Idee  der  Christenheit  als  einea 
religiösen  und  politischen  Begriffe  ist  ebenso  aufgegeben, 
wie  der  falsche  Vergleich  der  Kirche  mit  dem  Göste  nnd 
des  States  mit  dem  I^be  dieser  Einen  Christenheit  Die 
Zweiheit  von  Stat  und  Eircbe  wird  nun  allmähiich  als  die 
Zweiheit  von  zwei  Gesammlwesen  begriffen,  die  beide  aus 
Geist  und  Leib  bestehende  Oi^anisnien  sind.  Aber  der  Stat 
nimmt  fUr  sich  die  Selbstbeherrschung  des  freien 
männlichen  Geistes  in  Anspruch,  während  die  Kirche, 
an  die  göttliche  Offenbarung  angelehnt  ist,  und  vorzugsweise 
der  Uebung  der  passiven  Tugenden  ihr  Leben  widmet.  Wie 
die  Menschheit  in  den  beiden  Geschlechtem  sich  sondert, 
von  denen  jede«  seine  eigene  Berechtigung  und  Aufgalve  hat, 
und  die  hinwieder  £rst  zusammen  die  ganze  Menschenidee 
verwirklichen,  so  bilden  Stat  und  Eircbe  im  Groezen  denselben 


iM,Coo<^le 


Fitnrtee  Capitel.    111.  Verh&llDiBZ  <1m  SiMce  inr  Kirche.        ;t07 

Oegensatt  der  Schöpfung  wieder,  und  e»  beruht  danuif  ihre 
Sonderung  und  ihre  Verbindung. 

Als  einaelne  Folgen  des  modernen  Grundsatzes  der  Son- 
deruDg  von  Siat  und  Kirche  fUr  den  Stat  laseen  sich  fol- 
gende Sfttxe  belrsohten: 

a)  Der  Stat  st^it  ausserhalb,  nieht  in  der  Kircfae, 
und  ist  demnach  nicht  irgendwie  an  die  kirchliche  Auto- 
rität gebunden.  Auch  die  religiöse  OStenbaiuDg,  welche  die 
Kirche  verehrt,  ist  fltr  das  statliche  Gesetz  keine  bindende 
Vorschrift,  und  der  Stat  ist  nicht  verpflichtet,  weder  der 
jüdischen  Gesetsgebong  noch  dem  kanonischen  Recht  de« 
Mittelalters  eine  Reehtsautoritfit  beizulegen,  noch  selbst 
die  christlichen  Sittengebote  als  Stat^esetze  einaufuhren. 
El-  prüft  nur  mit  voller  Freiheit  das  Gerechte  und  Zweck- 
iBftsüge ,  wenn  er  aus  eigener  Autorität  ein  Statsgesetz 
ecl&SEt. 

So  lange  der  Stat  selbst  noch  einen  specifisch  cooiSee- 
sionellea  Charakter  hat,  fällt  es  ihm  nodi  schwer,  gegenivber 
der  AutorittU  der  Kirche  diese  Unabhängigk^t  seiner  Gesetz- 
gebung zu  behaupten;  indessen  haben  s(^r  die  katho- 
lischen Staten  es  gelernt,  von  den  Vorschriften  des  Triden-  " 
tinischen  Concils  z.  B.  in  der  Ehegesetzgebung  abzuweichen, 
wo  sie  das  fUr  notbwendig  und  gut  erkannten.  FOr  die  spe- 
cifisch lutherischen  oder  reformirten  Staten  ist  diese 
Gefahr  der  Abhängigkeit  von  der  Kirche  geringer,  weil  das 
Statshaupt  an  dem  Kirchenregimente  selber  einen  Autheil 
hat.  In  dem  griechisch-katholischen  State  Russland  fehlt 
es  zwar  auch  nicht  an  derselben  Obermacht  des  Statehauptes, 
aber  die  Gebundenheit  an  die  orthodoxe  Lehre  macht  sich 
dennoch  zum  Nachtheil  der  andersgläubigen  Uuterthanen  sehr 
empfindlich  geltend. 

b)  Soweit  die  Statsbearoten  oder  die  StatsbUYger 
lediglich  ihr  Statsrecht  ausüben,  sind  sie  in  keiner  Weise 
der  kirchlichen  Censnr  unterworfen.    Die  Ausübung  dieser 


iM,Coo<^lc 


:)Oft  Neuntes  Bach.    CulturpOege. 

ist  Misxbrauch  der  IdrchlicheD  Autoritttt  und  Verletzung  der 
Statshoheit  und  Statsfi-dheit 

c)  Der  Stat' nimmt  alle  edgentliche  Souverftnetftt ,  und 
damit  alle  aus  zerlich  zwingende  Gewalt  ausschliesc^ 
lieh  fUr  sich  in  Anspruch.  Gesetzgebung,  Regierung,  Ge- 
richt sind  ihrer  Natur  nach  StatsAinctionen.  Der  Stat  ist 
daher  jeder  Zeit  berechtigt,  die  Ausahung  dieser  Functio- 
nen  in  bindender  Form  der  Kirche  zu  untersagen,  oder, 
wenn  er  sie  theilweise  gestattet  bat,  wieder  der  Kirche  zu 
entziehen.  Die  moralische  Einwirkung  und  die  Zucht  der 
Kirche  steht  mit  diesem  Satze  nicht  im  Widerspruch,  wohl 
aber  jeder  Gerichtszwang ,  zu  dem  nicht  der  Stat  ermttchtigt. 

d)  Der  Stat  darf  wohl  der  Kirche  eine  Theilnafame 
an  seinen  Lebensaufgaben  eröffnen,  nnd  ihr  auch  eine  Uit- 
wirknng  —  zumal  auf  dem  Gebiete  der Cultnrpfl^e  —  zu- 
gestehen, ohne  duez  er  unser  Princip  verletzt;  aber  er  kann 
nicht  die  Eine  Rechtsgewalt  spalten  nnd  eine  SouverAnetät 
der  Kirche  anerkennen,  ohne  die  Einheit  der  Rechtsordnung 
zu  verwirren  und  den  Zwiespalt  zweier  gleicher  Potenzen 
unlösbar  zu  machen. 


Sechstes  GapiteL 

Die  Reable  des  modernen  Slalt»  mit  Bezug  nuf  die  Kircbe. 

1.  Das  Recht  und  die  Pflicht,  welche  aus  dem  Wesen 
de«  modernen .  States  der  Kirche  gegenüber  folgt,  können 
wir  die  Kirchenhoheit  {jus  majettatia  ctrcn  larra)  nennen. 
Wir  verstehen  darunter  nur  die  Hoheit,  welche  der  Stat  als 
ein  Weltliches  und  sittliches  Reich  hat  und  ausübt, 
und  scheiden  jede  Theilnuhme  an  dem  Kirchenregimen  te 
selbst  davon  aus.    Diese  Kirchenhoheit  kommt  somit  jedem 

n,g,t,7rJM,COO<^IC 


Seebit«s  CapiUl.    R«eh(e  de»  inod.  SMa  in  Bemg  auf  d.  Kircbe.  -  300 

aud)  dem  nioht  -  christlichen  Slate,  und  gegenüber  jeder 
Kirche  au. 

IndeeeeD  haben  auch  auf  diesen  Begriff  die  verschie- 
denen  Qrundaneichten  über  das  VerhftUnisz  des  States  zur 
Kirche  Überhaupt  einen  groszen  Einflusz  geübt,  und  den 
Rechten  des  Stutee  bald  engere,  bald  weitere  Grenzen  an- 
gewiesen. 

a)  Nach  dem  nord amerikanischen  System  füner  iu- 
diffierenten  Toleranz  und  der  Trennung  der  Kirche  vom  Stat 
hat  der  Stat  den  kirchlichen  Gemeinschaften  geguittber  keine 
andere  Stellnng  noch  Rechte,  als  gegen  jede  Gesellschaft 
oder  Vereinigung  zu  wiseensebaftllchen  oder  geselligen  oder 
wohlthfitigen  Zwecken.  Die  Kii'chen Hoheit  löst  sich  daher 
auf  in  der  allgemeinen  Corpnrationshoheit  und  der 
polizeilichen  Aufsicht  Ober  Gesellschaften.  Der  Begriff 
der  Kirche  f&llt  weg  und  es  gibt  in  den  Angen  des  States 
nur  Religionsgeeellschaften. 

b)  Die  besondere  protestantische  Lehre  Europa't 
pflegte  im  G^entheil  die  rein-statliche  Kiiehenhoh^t 
mit  kirchlichen  Bestandtheilen  zu  mischen,  und  auch  auf 
das  Kirchenregiment  selbst  aunzud^nen.  Der  Stat 
hat  nach  derselben  nicht  blom  zu  prüfen,  ob  die  kirchlichen 
Anordnungen  nicht  der  öffentlichen  Wohlfahrt  schaden  und 
das  Recht  rerletzen,  und  demgemAsz  zu  handeln,  sondern 
er  soll  zuglach  beurtheilen,  ob  dieselben  in  der  religiösen 
Wahrheit  begründet  und  auch  kirchlich  gerechtfertigt 
seien.  ■ 

c)  Die  katholische  Kirche  hat  zwar  noch  einige 
Scheu,  das  Princip  der  statlichen  Kirchenhoheit  anzuerkeuuen 
ond  die  Folgeningen  desMlbwi  in  vollem  Umfange  znzuge- 
stehen;  aber  die  wichtigsten  Anwendungen  des  Grundsatzes 
sind  doch  in  den  meisten  katholischen  Ländern   in    nAuerer 

■  Stahl,  Kirrfaviiverf.  det-  Pratesfanteii  8.  109. 

n,g,t,7rJM,COOglC 


310'  Nenotes  BHcb.    Coltnrptleg«. 

Z«9t  eben&IIs  ohne  nucbhaltigen  Widerspruch  der  Kirohe 
eingeführt,  und  das  Princip  der  Eirchenhoheit  von  den  neuern 
Steten  regelmftszig  siegreich  behauptet  worden.  Wenn  aber 
die  katholische  Eirche  die  Aasdehnung  deraelbeti  auch  «if 
das  eigentliche  Eirchengebiet  mit  grösEera:  Eloergie  und  Er- 
folg  bestreitet,  so  trifft  sie,  obwohl  sie  dabei  von  dem  Stand- 
punkte ihrer  kirchlichen  Freiheit  und  Hoheit  ausgebt,  den 
ELesuJtate  nach  doch  zusammen  mit  dem  wahrhaft  modernen 
Princip  des  States  selbst,  wetcber  entweder  itberhanpt  kdn 
eder  doch  kein  betonderes  confessionelles,  sondem  nur  das 
gemeinsaroe  christliche  Bekrantnisz  hat,  daher  alsStat  k  einen 
Anspruch  auf  das  eigentliche  Eircfaenregiment 
aacht. 

d)  Diese  rein  «tätliche  und  nur  s tat  11  che  Eirchen- 
boheit  ist  aber  offenbar  das  iiOTmaleVerballniaz,  auf  dessen 
Begrtlndnng  und  Herstellung  die  manoberlei  Strebungen  der 
neuern  Zeit  hinleiten.  Eine  wirkliche  Eiroheohoheit, 
nicht  eine  blosze  Gesellschaftsbobeit;  denn  der  Gedanke  der 
Indifferena  ^ztiglieh  der  Eirohen  ist  aus  den  nftmltcfaen 
Gründen  unhaltbar  und  verkehrt,  aus  denen  der  Stat  gegen 
die  Religion  neb  aicbt  indifferent  verhalten  kann.  Wird 
die  Masse  der  BeTöIkernog  von  einer  bestimmten  kirchUchai 
Richtung  ergriff»),  so  Übt  diese  Stimmung  den  mAchtigstoD 
Hnd  nachhaltigsten  Einflusz  auf  die  Politik  und  das  ganse 
Da«^n  des  States  aus.  Die  inuere  Verbindung  der  Eirche 
BÜt  dem  State  ist  deanoch  da,  obwohl  sie  ignorirt  wird, 
und  die  InteresBen  und  Leidenschaften  der  religiösen  oder 
selbst  antireligiöeeD  Parteien  in  der  Berfilkerung  zwingen 
sobald  sie  erregt  sind  den  Stat  mit  ihren  Angelegenheit^ 
sieh  Bu  beiUssen^  auoh   wenn  er  oicbt  wollte.  '^     Aber  aucb 

•  Sehr  tute  BeiDerhangen  darüber  vod  Napoleou  siehe  bei  Thtm. 
hiaL  du  Consalat  I.  S.  1B3.  Id  dem  alten  Europa  hat  noch  jedeerosi  tAae 
gtfmte  kirchliche  Bewegung,  gleichviel  ob  «nISnglich  die  Stalagewslt 
dann  Theil  nahm  oder  nfckt.  auch  grone  poltUache  Fsigen  gehabt.    Die 


iM,Coo<^lc 


Sechstes  Capitel.     Rechte  de*  mod.  Stsls  mit  Bezug  auf  d.  Kirche.     311 

eioe  aar  statliehe  Eireiienhofaelt,  nicht  zugleich  eia  Stttok 
Eircbenregitnent;  denn  (heils  ertrfigt  di«  Sonderung  des  Statee 
und  der  Kirche  (rerechieden  von  der  Troinuog)  und  die 
Tolle  Selbstfiodigkeit  beider  Organismen  die  Miscbang  nicht 
wohl,  tbe\\a  kann  der  8tat  doch  nnr  EiDer  Kirche  g^en- 
über  als  «□  Glied  dersdbea  sich  gerir«i,  und  kommt  so 
in  eiB«,  nach  dieser  Seite  hin  gebundene,  gegenüber  andern 
Kirchen  aber  feiodlidie  Parteistellung.  Im  VeiUUtnisB  zur 
kathojjseben  KirdM  wäre  überdem  eine  eolebe  Ausdehnung 
der  Statamacfat  gar  nicht  möglidi  ohne  ein  ernstes  Schisan. 

2.  Jene  etaUichß  Kiiehenboheit  offenbart  sich  voraus  in 
der  Anerkennung  der  christlichen  Landeskirohea 
im  Gegensatze  znr  Duldung  bloseer  See  ten  oder  andoter 
Religionen. 

Der  christlidie  Stat  darf  and  soll  prüfen ,  ob  dne  ehrist- 
ücbe  Gemeinschaft.,  eine  Kirche,  sowohl  ihrem  oi^anisdien 
Bestaode  und  ihrer  historischen  Berechtigung  uadi  als  mit 
Rücksicht  auf  ihre  religiöse  Wirksamkeit  auf  das  Volk^ben, 
nicht  etwa  nur  Duldung,  sondern  volle  Anerkennung 
desStates  ansprechen  dürfe,  und,  wenn  er  sich  davon  über- 
seugt,  diese  gewfthren.  Uan  kann  hier  noch  unterscheiden 
Bwisehen  Landeskirchen  u»d  Dissidenzkirefaen.  Die 
ersteren  haben  alle  Bedingungen  erftlllt,  um  deren  willen 
der  Stat  ihnen  sein  volles  Vertrauen  zuwendet,  dasz  sie 
ohristljetie  Gesinnung  und  Gesittung  in  der  Nation  verbreiten 
und  fordern  werden,  nm  deren  willen  er  zugleich  sie  mit 
SMDen  ßlTbntlichen  Mitteln  unterstubst,  mit  ihnen  gemeinsam 
in  omudieD  Dingen ,  z.  B.  im  Uuterrichtswesen  bandelt  und 
ihnen  die  höchsten  ReeUe  und  Ghren  sngestehL    Den  letztem 

Znslinde  der  Kirche  in  Mordamerika  aber  etnd  weder  W)  bewährt  noch 
so  befriedigvnd  and  t>enihlg«kd,  das*  nickt  auch  da  bq  den  Sut  unab- 
weisbare  Fardeniogen.  aich  vm  die  kirokUcb^n  VerhUtoi»«  lo  beküm- 
mero,  gelangen  können.  Wie  wenig  die  amerikanische  IndilKrenz  atu- 
bält,  wenn  sie  ernstlich  auf  die  Probe  geeCellt  wird,  sehen  wir  in  der 
Tertr^bvag  der  KornioMn  von  ihren  alten  SitMO. 

n,g,t,7rJM,COO<^IC 


312  Nennica  Bueh.    Calinrpllcge. 

fehlt  es  dagegen  awar  nicht  aii  moralischen  Oarantien  für 
eine  eefiiensreiche  christliche  Thütigkeit,  wohl  ^>sr  w^en 
dee  geriogen  ÄDhaogs  oder  aus  historiecheii  Gründen  an 
Bedeutung  ftir  das  Land,  um  ihnen  alle  diese  Rechte  und 
Ebreu  zuanerkenneo.  Wenn  ihnen  daher  auch  volle  EM- 
heit  ihres  CnUns  verliehen  wird ,  so  fUhlt  sieh  doch  der  Stat 
nicht  ebenso  wie  den  Laiideeiiirchen  gegenüber  bewogen, 
sie  aus  seinem  Vermj^en  auszastiitten,  noch  mit  ihnen  au 
Rathe  zu  gehen  und  gemeinsame  Sorg^i  zu  pflegen.  In 
Deutschland  z.  B.  werden  die  drei  Kirchen,  die  katho- 
lische, Inthertsch  -evangelische,  and  reTormirte, 
neben  einander  als  Landeskirchen  bebandelt,  in  manchen 
Ländern  aber  ist  die  kaüiolische  Landeskirche  und  die  pro- 
testantische blosze  Dissidenzkirche ,  in  andern  umgekehrt.^ 
Darüber  gebührt  der  freie  Entscheid ,  je  nach  den  besondcm 
Verhältnissen,  dem  State,  und  wenn  er  so  mehrere  Kirchen 
anerkennt,  so  Übt  er  auf  seinem  Gebiete  ganz  das  nämliche 
Recht,  welches  schon  tm  Mittelalter  die  katholische  Kirche 
fortwährend  deu  verschiedenen  Stateu  und  Statsformen  ge- 
genüber ebenfalls  geübt  hat  und  noch  Übt. 

Die  Kirche  sagt:  „Ich  bin  weder  monarchisch  noch  re- 
publikanisch, ich  vertrage  mich  mit  allen  Statsformen,  wenn 
sie  nur  das  religiöse  I^ben  gewähren  lassen.  Mir  sind 
Monardiist,  Aristokrat,  Demokrat  gleichwerth,  wenn  sie  nur 
gute  Christen  und  treue  Söhne  der  Kirche  sind."  Mit  dem 
gleichen  Rechte  kann  der  Stat  sagen:  „Ich  bin  weder  ka- 
tholisch noch  protestantisch.  Die  confessionellen  Parteien 
kümmern  mich  nicht,  wenn  sie  nur  die  Gesetze  des  Stafes 
achten.  Die  Politik,  nicht  die  Religion  ist  der  Geist  meiner 
Wirksamkeit.  Katholiken  wie  Protestanten  imd  seibat  Anders- 
gläubige sind  mir  gerecht,  wenn  sie  nur  treue  Statsbiti^er 
sind,   und   ich   stelle   mich   freundlich  zu  den  verschiedenen 

'  Vgl.  ubea  Cup. a.  UundeshagcD,  deatextlior  I'rolesUBti»iniu  6.333. 

n,g,t,7rJM,COO<^le 


SwhsiMCniilicI.     Rechte  <le«iiMxl.  6We  mll  Bmigniird.  Kirche.     313 

religiösen  Oeneioechafteo,  insofern  sie  meiu  polittechce  Leben- 
nicht  verleteeD." 

Der  Begriff  der  LaDdeBkirche  ist  somit  verst^ieden 
von  dem  der  Statskirche.  Jener  ist  ein  rein  ststHcher, 
dieser  ein  Misobbegriff.  Jener  setzt  dife  Sonderung  von  Stat 
and  Kirche  voraus,  dieser  die  Abhängigkeit  der  Kirche  voin 
Btate.  Jener  verlangt  von  dem  State  kein  confeseionelle« 
Bekenntnisz,  dieser  fordert,  dasz  der  Stat  der  Confession 
der  Statskirche  angehtjre. 

Bietet  die  kirchliche  Gemeinschaft  dem  State  anch  nicht 
aareiclieDde  moralische  Garantien,  oder  ist  sie  überall  noch 
bicht  geordnet  und  zu  einer  wirklichen  selbständigen  Kirche 
erwachsen,  so  hat  der  Stat  vollen  Grund,  sie  weder  als 
Landes-  noeh  als  Dissidenzkirche  anzuerkennen,  sondern  er 
gewährt  ihr  als  einer  Secte,  insofern  sie  nicht  geradezu 
statsrerderbüch  erscheint,  im  Interesse  der  religiösen  Be- 
kenptniszfreibeit,  eine  Duldung,  deren  Schranken  er  nach 
Slatsgrtinden  näher  bestimmt.  In  dieser  Duldung  kann  der 
Btat  gewöhnlich  ohne  Gefahr  sehr  weit  gehen,  —  der  Ver- 
folgnngseifer  erreicht  selten  den  gewOnschteu  Zweck;  —  aber 
das  Recht  darf  er  nicht  aufgeben,  dem  Wirken  unsittlicher 
und  fUr  die  Rechtsordnung  gef^rlicher  Secten  auch  entge- 
genzutreten, derartige  Verbindungen  aufzulösen'  und  ihr 
gemeinsames  Handeln  zu  hemmen. 

In  einem  ähnlichen  Verh&ltnisz  der  Duldung  steht  der 
Stat  zu  den  nicht-christlichen  Religionen,  welche 
ein  Theil  seiner  Bewohner  bekennt.  Je  mehr  dieselben 
einen  sittlichen  Gehalt,  und  je  weniger  sie  eine  den  mora- 
lischen Grundlugen  des  States  zuwiderlaufende  Richtung 
haben,  desto  umfassender  kann  auch  die  Duldung  gewährt 
werden  und  sich  der  Anerkennung  christlicher  Kirchen  an- 
nähern.   Aber  die  Zumulhung  an  den  europäisch-christlichen 

'  Man  erinnere  «Ich  Her  Wiedertäufer  in  Häneler. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


314  Nenotr«  BucL.     CaKurpAree. 

8tat,  dasz  er  dieselbea  mit  der  Dämlichen  Zuneigui^  und 
Liebe  umfasee  uud  fördere  wie  die  christliehe  Kirche,  ist 
eioe  annetürliche  und  nur  mit  dem  Talscheo  Syslem  einer 
n^fUiven  Indifferenz  vereinbar. 

-  3.  Der  Schutz;  deo  der  Btat  den  Landeskirchen  ge- 
währt, ist  umfaesender,  als  der,  welcher  andern  Kirchen 
und  Secten  ertheilt  wird.  Der  Stat  i^  der  Schirmvogt  der 
Landeskirche  (jns  advocatiae). 

Die  Landeskirchen  werden  als  öffentliche  Coipora- 
tkmen  anerkannt  und  oft  denselben  daher  auch  öSbntliche 
Boohte  im  State,  z.  B.  das  der  ReprOs^tation  in  den&int- 
mern;  der  Betbetligung  bei  einzelnen  Behörden,  oder  ihre« 
EirchenwUrden  und  Aemtera  der  Bang  und  die  Rechte  toii 
Statewurden  und  Aemtem  beigelegt.  Andere  kirchliche  und 
relipOse  Verbindungen  erhalten  nicht  ebfuao  nothweodig 
die  Rechte  öffentlicher  Corporationen ,  aoiidern  werden  hftnfig 
wie  Privatoorporatioueo  angesehea  und  behandelt,  haben 
somit  nur  Privatrecbte  ansusprechen. ' 

Aehnlich  verhält  es  sich  rait  dem  GoUesdienste.  Es 
versteht  sich,  dasz  die  Landeskirchen  in  der  Begehung  ihres 
öffentlichen  Gottesdienstes  vollständig  geschützt  werden. 
Der  Slat  verwehrt  hier  nicht  bloss  jede  Hemmung  und  Stö- 
rong  desselb^i,  sondern  er  nimmt  sogar  in  den  bürger- 
lichen Einrichtungen  auf  die  religiöse  Feier  achtungs- 
volle Rücksicht.  Das  Vertiot  lärmender  Arbeit  und  Belusti- 
gung, des  UarktTeritehrs  und  Eramhaodels,  und  die  gebotene 
Sehlieszung  von  Wein-  oder  Bterfchenken  an  Sonn-  uml 
Festtt^en  u.  dgl.  sind  Folgen  solcher  erhöhter  Anerkeamutg 
der  Landeskirchen.  * 

*  Preuei.  Undrecht  II.  11.  §.  17-19,  S.  20.  BsyeriachM  Reli- 
gtoDsedicA  S.  18-32. 

*  PsyeriseheB  Beligioni^ct  $.60:  .Die  im  State  bei teheodeo  Be- 
ll gioiiageBellacliaften  Bind  sich  wechselseiüg  gleiche  Achliing  «olinldlg; 
g«gen  deren  Vermgaog  kaon  der  obrigkeitliche  Schatc  anfgerafen  werden, 
der   nicht  verweigert   werden   darf;    dkfegen    bt  aber  Mich   keintf   eine 


iM,Cooglc 


Swkstes  Capitel.    Rwkle  d«i  mod.  Stau  mit  Bwag  auf  d.  Kirche.    31-'> 

ÄoderQn  obwohl  ftnerkanotai  Kirchen  dagegen  wird 
zwar  wieder  ein  öffeo  tl  icher  Gottesdienst  im  lonern  ihrer 
ErbauuBgchAuser  verstattet  und  vor  Störung  geschirmt,  aber 
es  lassen  sich  eher  Beschrfinkuogen  rechtfertigen,  wenn  es 
sieh  um  Einriditungen  handelt,  die  auch  nach  auszen  fOi' 
die  übrige  nicht  &u  diesen  Kirchen  gehörige  Bevölkerung 
Bemg  haben.  So  s.  B.  wird  kein  Glockengeläute,  es  wer- 
den keine  Processtonen  anszer  der  Kirche  gestattet.  Die  re- 
ligiöse Engherzigkeit  frQberer  Zeit  Legte  auf  solche  BeschrOa- 
kungeo  einen  groseen  Werth ;  der  neuern  Zeit  ist  es  wUrdig, 
soweit  flicht  das  bu^erlidie  Leben  hinwieder  gestört  würde, 
auch  hl  diesen  I>ingen  de«  verschiedeDen  Kirchen  freien  CuU 
tus  EU  TeEstatten.  Aber  überspannt  witre  das  Bahren  einer 
solchen  Kirche  an  den  Stat,  dase  ihre  Festtage  auch  von 
denen  beachtet  werden  müssen ,  weldte  nicbt  zu  ihr  gehören. 

Besckrankter  noch  kann  der  Sehnte  sein,  den  der  Stat 
aichtcbristliohen  B«ligionen  und  bloszeo  Beeten  gewährt.  Aus 
dem  Prindp  der  individuellen  Gewissensfreiheit  folgt  noch 
Dicht  die  Freiheit  ekies   gemänsamen    Cultus.     Sowie   die 

ScJbaUfilh  erlanbl."  g.  S2:  „Keine  Kirofcsngnellschaft  kaDU  verlthidUch 
gemacht  werden,  an  dem  kusieni  Gotteedienel  der  andern  Antheil  zu 
nehmen.  Kein  Aeligionstheil  iat  demnach  schuldig,  die  besondern  Feiei-> 
tage  dei  andern  *n  feiern,  sondern  es  Boll  ihm  frei  stehen,  an  solchen 
Tagen  mAh  Gewerbe  and  seine  flandthiernng  anizutlben,  jedoch  ohne 
Störung  des  GolteadiensWa  dee  andern  Theiles,  and  ohne  dast  die  Ach- 
toag  dabei  verletzt  irerde,  welche  nach  $.  80  jede  fieligionsgesejlechaft 
der  aiidera  bei  Aosttbiing  ihrer  religiöseo  Handlangen  and  Oel»iluelie 
•ehnldig  Ist."  —  Im  Einzelnen  kommt  natärlicta  viel  aaf  die  Bevölkemnga- 
verbUtDleee  aa.  In  einer  voruigaweiw  katholiaobeD  Stadt  wftre  ea  x.  B. 
•törend ,  wenn  die  Protestanten  an  hohen  Fetttagen  der  Kathotihea  Ibr 
bargerliehea  Qeiverbe  öffsatlich  betrieben  wie  an  Wei^ragen;  in  einer 
Stadt  dagegen,  wo  bot  eine  geringe  Zahl  von  Katholiken  eich  befindet, 
keineswega.  Bet^iacbe  Verf.  $.  15:  , Keiner  iat  geiwungen,  auf  irgend 
eine  Weiae  an  den  Uandlangts  and  Feierlichkeiten  eines  öotleadienates 
neil  in  Dehmen,  oder  die  Rnhetage  desaelben  u  beobachten.«  Der 
SoblosiMti  gebt  in  weit  in  dem  ScbntM  des  iodividnellen  WiUeos  nnd 
beachtet  die  geomDsAmen  Interessen  tn  wenig. 


iM,Coo<^lc 


316  Neuntes  Bucli.    Cnltnrpflege. 

Individaen  aus  der  Besonderheit  ihres  Haoses  und  ihrer  Fa- 
milie heraustreten,  und  sich  zu  Genossenschaften  {Oe- 
Seilschaften)  Gleichgesinnter  verbinden ,  so  hat  auch  der 
6t«t  als  die  höchste  Ordnung  der  äussern  T^bensgemeinaehaft 
eine  nähere  Veranlassung  und  ein  erhOhtee  Recht  zu  prtlfen, 
in  welchen  Beziehungen  jene  Genossenschaften  und.  ihre 
Thätigkeit  zu  den  gemeinsamen  öffentlichen  Interessen  stehen, 
und  demgemftsz  zu  verfahren.  Im  Zweifel  soll  «r  fV«i1i^ 
die  Freiheit  des  Cultus  achten.  Wenn  er  sich  aber  Obei^ 
zeugt,  dasz  eine  Secte  der  Existenz  und  Rohe  des  States  — 
nicht  etwa  der-  herrschenden  Politik  im  State  —  gefährlich 
ist,  so  kann  es  dem  State  nicht  verwehrt  werden,  dieselbe 
als  religiöse  Genossenschaft  nicht  zuzulassen  od-er 
anfzulAsen,  oder  je  nach  Umst&nden  unter  besondere  Auf- 
sicht zu  stellen  und  enger  zu  beschrftnken.  Es  lassen  sich 
hier  mancherlei  Abstufungen  deuken ,  von  dem  völligen 
Verbote  bis  zur  Gestattung  des  freien  Cultus,  z.  B.  die  Be- 
schränkung des  Gottesdienstes  der  Secte  auf  die  Hansandacht 
der  Familien,  auf  eine  gemeinsame  Gottesverehrung  aber 
nur  im  Stillen  und  mit  Ausschüeszung  aller  Andersglftnbigen, 
die  Zulassung  des  öfTentlichen  Cultus  aber  ohne  dasz  den 
kirchlichen  Handlungen,  z.  B.  der  Taufe,  Trauung  u.  s.  f. 
auch  büi^erliche  Wirkungen  beigelegt  werden  u.  s.  f.' 

In  neuerer  Zeit  haben  einzelne  Staten  die  Gestattung 

*  PreiisKlachea  Und  recht  II.  Tit.  11.  $.22:  „Einer  gedn1d«l«n 
Kirchengeaellschftft  ist  die  fi-eie  Atuübang  ihrei  PrlvatgoltesdieDstes  Ter- 
etittlet.''  g.  33:  „Zd  dieser  gehört  die  Aoatelinng:  gott«sdieostlich«r  Zn- 
MinmenkÜDfte  In  genrisseD  data  bestimmteii  OebSadeo,  Dod  die  AuUbang 
der  ihren  Religlon8grQndB&tz«n  gemäazea  Oebrftache,  »owohl  in  dieacn 
ZiiMiDroeDkeDrten ,  als  in  den  Pri  rat  wohn  QDgen  der  Milglieder.'  $.  2S: 
„Ihr  ist  nicht  geaUtlet  sich  äet  Oloclien  zu  bedienen,  oder  Öffentliche 
Feierlich  keilen  auBMrhalb  der  Kftnern  ihrea  Verummlangshnnve«  anstr- 
atdien.*-  Bairer.  Edlct  g.  3:  „Sobald  mehrere  Familien  Eor  Ananbang 
ihrer  Religion  sich  verbinden  wollen ,  so  wird  jederzeit  hieia  die  könig- 
liche Oenehmignng  erfordert."  Vgl.  ;iVilda  in  rt.  Zeltsch.  für  deutscht« 
fUcbt  XI.  S.  236. 


iM,Coo<^le 


Sechstes  Capilel.     Recbte  des  taod.  Stals  mit  BeingHiifii.  Kirche.     317 

.des  öffentlichen  GoUefidienstes  als  allgemtsiDe  Regel  auage- 
aprocbeu,  ilie  auch  auf  uiehtchristlicbe  fieligiouen  uod  Secten 
ihre  AowenduDg  finde.  '*  Ein  au^;edehntes  Hasz  von  Fr^- 
heit  sagt  dem  Wesen  auch  des  modernen  christlichen  Statea 
XU,  nicht  aber  TtklKge  Sorglosigkeit  und  Mangd  an  PrQfiiDg 
und  Unterscheidung. 

4.  Die  Forderung  und  Pflege  auch  der  kirchlichen 
Interessen  und  Wirksamkeit  äussert  sich  gegenüber  den  Lan- 
deskirchen 

a)  in  der  Ausstattung  undDotation  ihrer  äuszern 
Instjtnte  und  Bedürfnisse,  soweit  sie  des  States  bedarf,  in 
der  Erbauung  und  Ausschmückung  der  Kirchen ,  in  der  Fun- 
dirung  der  kirchlichen  Aemter,  in  der  Sorge  für  die  Schul- 
hedUrfnisse  der  Kirche,  in  der  Unterstützung  der  Mission.  * 
Andere  Kirchen  haben  darauf  keinen  Anspruch,  wenn  es 
schon  dem  State  nicht  verwehrt  ist  auch  ihnen  durch  Bei- 
träge zu  Hilfe  zu  kommen.  Der  heutige  christliche  Stat 
gewährt  auch  fremden  Religionen  ihr  Recht  des  Bestandes, 
aber  seine  volle  Zuneigung  kann  sich  nur  christlichen  Kirchen 
zuwenden,  welche  in  der  Nation  zu  umfassender  und  groszer 
Wirksamkeit  gelangt  siud; 

b)  in  der  Ehre,  welche  er  der  Kirche  erweist,  indem 
er  sie  in  ihren  Vorstehern  auszeichnet  und  bei  öffentlichen 
Festen   zur  Theilnahme  einladet,    und  indem  er  f(tr  seine 

■  Belgiathe  Verf.  g.  14:  ,Die  Freiheit  jeder  Gottes verehrunjj  (culte), 
ihrer  Aoaübun);  ist  zugesichert,  mit  Vorbehalt  der  Unleidrüctimg  der 
Vergehungen,  welche  bei  Ausübaog  dieser  Freiheit  begangen  werden," 
Francöstscbe  von  1648  §-  "^ '•  nJedennand  bekenat  frei  seine  ReJigion, 
and  erhalt  zur  Ausübung  seines  Ciillna  von  dem  State  einen  gleichmtlsij' 
gen  Schulz."  Fieusziscbe  $.  i%:  „Die  Freiheit  des  religiöseu  Bckeuiit- 
uiises,  der  Vereinigung  in  Religio nsgeaeilschaften  und  der  gemeinsamen 
httnalicfaen  und  öffentlichen  Religionsiibungen  wird  gewährleistet." 

'  Holländische  Verf.  %.  1G8.  Franiösische  von  1848,  §.  7; 
„Die  Retigiontdiener,  sowohl  für  die  gegenwärtig  vom  Gesetz  anerkannten 
Ciiltna  als  auch  filr  diejenigen,  welche  in  Zukunft  ftDerhannt  werden 
sollten,  haben  daa  Recht,  einen  Qehalt  ans  Slatsfonde  zu  emplkogen." 


iM,Coo<^le 


318  Nemil«t  Buh.    CDllHrpOegc 

statiicbeo  ESnrichtungeu  die  Weibe  der  Eirobe  anspritdiL 
Wo  es  SU  einer  gerecbten  Aosehiandersetziiiig  der  b^den 
Gebiete  gekomoMB  ist,  da  beäeblt  der  Stal  niebt  mehr  die 
religiöse  Weibe ,  sondern  er  enscU  darum,  denn  diese  kann 
Too  dei  Kirche  nur  aus  freiem  Henten  gewährt  werden,  und 
hat  nur  dann  Wahrheit  und  Wertb; 

c)  in  der  Zuziehung  der  Kirche  bei  gemeineamen 
Angelegenheiten  und  Sorgen,  zur  Hitbersthnng  uod  Mit- 
wirkung: so  voraus  mit  Bezug- auf  das  Schulweeen  in  seinen 
untern  und  höheren  Stufen,  bei  Anordnungen,  die  auf  die 
öffentliche  Moral  Bezug  haben  u.  s.  f.; 

d)  in  dem  Antfaeil,  welcher  den  Landeskirchen  als 
solebeii  in  den  oif^nisehen  Instituten  des  States  selbst  zur 
Wahrung  ihrer  B«cbte  und  Vertretung  ihrer  Interessen  ge- 
währt wird,  wie  insbesoodere  in  der  Repräsentation. 


Siebentes  Gapitel 

VOD  dem  AiirsichlBreclit  insbeeondeie. 

Der  Stat  und  die  Kirche  sind  awei  wesentlich  selbstän- 
dige Körper.  Der  Stat  Überschreitet  daher  sdne  natürliche 
-Grenze,  wenn  er  das  Kirchenregiment  selbst,  wie  das  aller- 
dings in  den  confessionell  -  protestantischen  Staten  in  früherer 
Zeit  in  weitem  Umfange  geschehen  ist,  an  die  Hand  nimmt. 
Aber  er  hält  eich  innerhalb  derselben,  wenn  er  über  die 
Kirche  eine  statUche  Oberau  fsicht,  die  wichtigste  Seite 
seiner  Kirchenhoheit,  Qbt.  Allerdings  bezieht  sich  diese  Auf- 
eicht nicht  auf  die  unsichtbare  Kirche,  als  eine  Gemeinschaft 
der  Heiligen,  die  der  Wahrnehmung  und  dem  Gebiete  des 
States  vollständig  entrückt  ist,  wohl  aber  auf  die  sichtbare 
Kirche,  als  eine  auf  der  Erde  erscheinende  und  wirkende 


iM,Coo<^lc 


SiebcBLeg  CapiuL    Von  dam  tafcithUr^cht  JosbeMindere.       319 

ovgansche  Gemeiiwchaft.  Die  aussen  Dinge  sind  Ar  ifie 
Kirche,  obwohl  nicht  en^hrheh,  doch  immerhin  von  anter- 
geordnetetn  Werthe.  Aber  eben  weil  diese  Seite  ihres  Da- 
moa  eine  ftuszere  ist  und  in  mannichflaltigo  Beziehung  tritt 
Bn  dem  wesentlich  äoBzem  und  weltlichen  Reiche  des  States, 
0D  kann  der  Stat  nicht  vor  ihrer  Erscheinung  und  ttusisem 
Wirksamkeit  die  Augen  verschlieszen ,  sondern  ist  genfithigt 
und  berechtigt,  darüber  Aufsicht  zn  Üben.  Hier  besonders 
thot  nun  aber  eine  richtige  A  useinandersetzung  noth, 
damit  jeder  Theil  in  dem  Genüsse  der  ihm  zi^eMrigen 
Freiheit  und  Recht«  unTerkOmmert  bleäbe. 

1.  In  rein  kirchliehe  IKugeo  des  Gewissens  und 
Glaubens  hat  sich  der  Stat  als  in  ein  Gebiet,  das  für  ihn 
nnzagftnglioh  Ist,  nicht  zu  mischen, '  somit  auch  keine  dog- 
matischen Strdtigkeiten  zu  entscheiden.  Wenn  aber  die 
Kirche  neue  Gesetze,  Ordnungen  und  Bestimmungen  in 
Olanbenseachen  erlOszt,  oder  in  Gewissensangelegenheiten  sich 
nicht  mit  bloszem  Ratbe  begntlgt,  sondern  bindende  Vor- 
schriften trifil,  so  kann  der  Stat  Kenntnis^  verlangen 
Ton  allen  solchen  Verfügungen,  und  unter  der  Voraussetzung, 
das«  die  Statsordnung  durch  dieselbe  verletst  oder  gefährdet 
würde,  Einhalt  thun.^    Dieses  Recht  des  States  wurde 

'  BsyerNche  Verf.  IV.  S-  9. 

'  Pr«Bsiiach«e  Lmdrecht  11.  Tit.  IL  §.  33:  „Der  Sut  iat  berwh- 
tigt,  voa  deiiyeiiigeii,  was  io  den  Venammluitgen  der  Kirchengesellsehaft 
gelehii  und  verbandelt  wird ,  Kenntnisz  eiiizuxiehen.  $.  IIS:  „Alle  päpst- 
lidien  Balleo,  Breven  und  alle  Verordnungen  ftaawBrtiger  Obern  der 
QeietBchkeit  mQasen  vor  ihrer  Pnblication  nnd  Vollgireckuug  dem  State 
xar  Prtfang  und  Oenabmiginig  voi^l^t  werden."  Orgtateobea  OeeeU 
des  CoDcordats  in  Frankreich  von  iSOi,  Art.  1:  „Aucane  bulle,  bref, 
.  rescrit,  d^cret,  mandat,  provision,  sigualure  servaot  du  provision,  ni 
autrea  eipMilions  de  la  cour  de  RAme,  notoe  ne  concernant  «jae  tes  pf' 
ticaliera,  ne  paarroot  ätre  refus,  publik,  iniprimia,  ni  aulrement  mis  & 
ezicn(ioi),  aaoa  raalorlMtioD  du  goavemement"  Bsj'criaclies  Religions- 
tiiet  $.  Ci7  diu)  &8:  ^Hieniacb  dürfen  keine  Oeaetie,  Verordnungen  oder 
aOHlige  ADOidnnngM  der  Ei  rebenge  walt  obne  allerh&ohate  EiDsicbt  and 
Ocnehm^ng  paUicirt  ood  volliogeD  werden." 


nigiti/cdtvCoC^Ic 


320  NeunUa  Bucfa.    CuliurpUfge. 

unter  dem  Nunien  des  Placet  i^piooetum  regium)  in  das 
Statsrecht  eingeßlfai-t,  aber  öfter  über  Gebllbr  ansgedebot 
Schon  der  Ausdruck  ist  falsch  gewählt,  and  dabed  oierk- 
wUrdigerweise  gerade  der  umgekehrte  Irrthuu  begaageti 
worden  von  dem ,  welcher  die  köoigUche  positive  Sanction 
in  der  statlichen  Oesettgebung  zn  einem  blosz  negativen 
Veto  verdreht  hat.  Jenes  sogeoanDte  Ptaoet  nUilich  ist, 
recht  verstanden,  kein  positives  Recht  des  States,  Über  die 
Kirchlichk^t  und  Walirheit  der  von  der  Kirohengewalt  ge- 
gebenen Entscheidung  zu  urtbeilen  und  dieser  seine  Auto- 
rität zu  verleihen,  sondern  nur  ein  negatives  Recht  der 
Abwehr  solcher  kirchliched  Entscheidungen,  welche  die 
Statsinteressen  bcänträohtigen;  ein  negatives  Recht,  dem 
das  Misztrauen  zu  Grunde  liegt,  es  möchte  die  sicbtbM« 
Kirche,  in  welcher  auch  menschliche  Schwächen  und  Lei- 
denschaften sich  regen ,  ihre  dogmatische  Selbstftudigkeit 
miszbrauchen,  und  in  der  Ausartung  Beschlüsse  fossen 
und  Öffentlich  geltend  machen,  mit  denen  die  vom  State 
anerkannten  Rechte  der  Individuell  sowohl  als  seine  ^gene 
Wohl&hrt  in  Widerspruch  stehen.  In  der  Besot^isz,  dasa 
das  Haupt  der  katholischen  Kii-che,  der  Papst,  der  nicht 
wie  die  andern  kirchlichen  Würdenträger  in  dem  Statsge- 
biete  alsUnterthan  wohnt  und  der  statlichenGerichtsbarkwt, 
anheimffillt,  seine  hohe  Autorität  uud  günstige  Stellung  lacht 
80  miazbrancben  könne,  wurde  frflherhiD  von  manchen  euro- 
päischen Staten  sogar  der  ganze  amtliclie  Verkehr  der  ein- 
heimischen Geistlichkeit  mit  dem  päpstlichen  Stuhle  gewisser- 
maszen  unter  polizeiliclie  Aufsicht  gestellt.  In  neuerer  Zeit 
dagegen  wurde  eine  solche  Vorsicht  öfter  nun  grundsätzlich 
verworfen. ' 

•  Belgiicbe  Verf.  g.  16;  „Der  SiBi  hat  kein  Kedit,  sicli  in  die 
BrDCDDUDg  oder  Einsetsaag  der  Diener  irgend  einer  (ioUeavcrehrung  EU 
iDiMhen  oder  ihnen  <lvn  Verkehr  mit  ihren  Oltero  und  die  BokBautma- 
chung  ihrer  Acten  lu  untercagee;  im  letzteru  Falle  mit  Vorbeltolt  der 


iM,Coo<^lc 


Siebentes  Cnpilel.     Von  dMii  AiifBii-hlsrerhl  iiisbesoiiilere.        321 

Aue  der  Zulassung  freien  Verkehrs  folgt  aber  noch  nicht, 
dasz  die  Gesetze  und  Entscheidungen  der  Kirchengewalt  der 
Kenntnisz  und  Außjicht  des  States  entzogen  seien.  Nur 'das 
ist  der  Gegensatz  der  neuern  Richtung  gegen  die  frühere 
Maxime  des  Placet,  dasz  zunächst  der  Kirche  freigegeben 
wird,  was  ihr  gut  erscheint  in  rein  kirchlichen  Dingen  zu 
verordnen  und  bekannt  zu  machen,  unter  Vorbelialt,  dasz  der 
Stat  gegen  den  wirklich  geschehenen  Hiszbrauch 
einschreite.  Die  Prftventi  v maxime  wird  so  in  das 
Repressirsjstem  umgeändert.  *  Die  Erfüllung  dieser  Um- 
gestaltung des  Statsrechtes  erfordert  aber  im  Interesse  des 
States  nun  eine  Dfihere  Bestimmung  dessen,  was  als  Hisz> 
brauch  nicht  zu  dulden,  beziehungsweise  zu  bestrafen  sei; 
in  ähnlicher  Weise,  wie  die  Einführung  der  Preszfreiheit  im 
Gf^ensatze  zu  der  frühem  Cenaur  ein  Preszgesetz  nöthig 
gemacht  hat    Je  grOszer  die  Freiheit  ist,  welche  der  Stat 

gewöhnlichen  VentntworUicIikeil  im  Betreff  der  .Presse  und  der  Bektuinl- 
mBchung."  Bolländiacbe  §.  170:  „Die  Vermiltelung  der  Regierung 
wird  nicht  verlangt  bei  dem  briertichen  Verbebr  niil  den  Häuptern  der 
verMhiedenen  kircblidien  Qesellschsrten,  noch  bei  Betsantmachung  kirch- 
licher Vorichriflen,  jedoch  unter  verani wortlicher  Berolgaiig  derOesetio." 
Preuszische  §.16:  t|Der  Verkehr  der  Reltgiontgepellachaiten  mit  ihren 
Obern  tal  ungehindert.  Die  Bekannlmachung  kirclillcher  Aiioidnungen 
ist  nur  denjenigen  Beschränkungen  unlerworren,  welchen  alle  Übrigen 
Veröffentlichungen  unterliegen."  Oesterr.  Concoi-dat  v.  1855,  Art  2r 
„Der  Wechsel  verkehr  zwischen  den  Biscbören,  der  Oei^tliclikeit,  dem 
Volke  und  dem  heiligen  Stnhl  in  geistlichen  Dingen  und  kirchlichen 
Angelegenheiten  wird  vollkommen  frei  sein." 

<  Es  fr&gt  sich  allerdings,  ob  der  Stat  sich  nicht  durch  eine  fatscfae 
Abstraclion  von  Freiheit  hat  rerleil«a  lassen,  auf  RechU  zu  veritchlen, 
die  er  so  seiner  Sicherheit  nicht  entbehren  kann.  Laurent  (l'^liee  et 
l'ätBl  IIl.  3ilü)  bebauplet  das  und  hebt  den  Unterschied  twiscben  „pfipsl- 
liehen  Bullen"  und  blosten  „Meinungsäusiernngen"  hervor.  Jene  werden 
von- Tausenden  ond  Hunderttausenden  wie  ein  bindendes  üesetz  betrachtet, 
diese  frei  gewÜrdigL  Wenn  daher  eiue  Bulle  statswidrige  Bestimmungen 
enthält,  so  ist  ihre  Veröffentlichung  nicht  blosz  ein  Vergehen  gegen  die 
Statsonlnung,  sondern  auch  eine  ernste  GeTahr  für  den  Slatsfrleden ,  wo- 
gegen du  Planet  den  Stat  besser  schützt  als  die  Repression. 

BlunlRFhli,  nllfieincinnStiit.srechl.    M.  21 


iM,Coo<^lc 


^2  Nt-auttis  Uueli.    CnllRrplIfge. 

der  Kircbe  gewährt,  um  so  nöthigtir  ist  ein  Gesetz,  welches 
ein  Rechtsverffthren  wegen  Mtazbrauch  der  Kir- 
chengewalt  (recuraus  propter  abusum)  anordnet'  Der 
Qedanke  nftmlicli ,  dasz  schon  die  gewöhnliche  Gesetzgebung 
ausreiche,  der  in  den  neuen  Verfasaungen  durchschimmert, 
ist  irrig.  Die  Beziehungen  der  Kirche  zum  State  und  der 
Eänflusz  jener  auf  das  natiooale  Lebeu  sind  viel  zu  grosz 
und  eigenthOmlich,  als  dasz  sie  schon  in  den  Gesetzt- n  hin- 
reicliende  Beachtung  finden  könnten,  welche  nur  im  Allge- 
meine» da»  Recht  und  die  Freiheit  der  ludividuen  und  Ge- 
sellschaften näher  bestimmen  und  begranzen.  Der  6ta(  ist 
nicht  confeseionell  seinem  Wesen  nach;  die  jetzigen  Kirchwi 
aber  sind  confessionell.  Daher  ist  es  Recht  und  Pflicht  des 
States  indem  er  auf  der  einen  Seite  die  Freiheit  der  Kirchen, 
ihre  confessionellen  Gegensätze  auszubilden  und  beziehungs- 
weise dogmatisclien  Streit  zu  führen,  anerkennt,  doch  dar- 
über zu  wachen,  dasz  die  confessionelle  Reibung  nicht  den 
öffentliclieu  Frieden  störe,  noch  die  Achtung  verletze,  die 
der  Stat  den  von  ihm  anerkannten  Kirchen  gewährleistet. 
Es  gilt  das  z.  B.  auch  von  allgemein  eingefHlirten  Katechis- 
men uiid  ErbauungsbUcfaern.  Denn  offenbar  ist  es  elwas 
ganz  anderes,  wenn  ein  Individuum  iu  Privatschriften  die 
confessionelle  Polemik  leidenschaftlich  schärft,  oder  wenn 
die  Kirchengewalt  mit  einer  aul  Millionen  gewaltig  wirken- 
den Autorität  den  Glaubenshasz  stachelnd  aufregt.    Je  grösser 

'  Ein  sehr  beuch lenswerCher  Versuch  in  dem  org&uUcheii  Gesel«  für 
Frankreich  von  1602,  $.6:  ,11  y  kura  i-ecaar»  au  couMil  d'^t,  dans 
loui  lee  CBB  d'abu»  de  la  pari  des  sopirienrs  et  nolres  permunee  eccl4- 
eiaBtiqnM.  Lea  cas  dnbne  BOnt  l'uaarpation  du  l'excte  de  ponroir,  la 
coutravention  anz  loia  et  r^lemenls  de  la  r^publiqiie,  l'iDfractian  de« 
riglea  ooatacries  par  lea  caiiouB  lecue  en  Frauce,  l'attentat  aus  Überlas, 
frandiiBea  et  ooutainea  de  l'Eglise  gallicane,  et  Und  nOrrprite  mi  Umt 
pnMi  qni  dans  frirfTtiee  du  «iftc,  jKut  nmpromrttrt  fhoHwnir  dt*  cy- 
(oymi,  IrouMcr  arbUrairtmfnt  irvr  conteitiKf,  diginfrtT  rmttt  fvx  nt 
apprruion  m  m  injnrr.  oit  m  wondo/f  jwWie."  Verg!.  Fotlix  in  der  Ele- 
vue  «traiig.  et  fran^.   V.  S.  '14»  IT. 


iMvCoc^le 


Siebeules  Ca^iilfl.     Voi'i  dem  AiifuicIilBrcelit  inBU-soiidvre.        333 

die  Gefehr   fUr  den   gemeinen   Frieden   und   die    öffentUelie  * 
Wohlfahrt  ist,  desto  rascher  nnd  kräftiger  musz  der  Stat 
einachreites. 

2.  Die  Verhältnisse  des  Cultas-  sind  zwar  ihrem  Wesen 
»ach  ebenfalls  durchaus  kirchlich,  und  nicht,  wie  das 
zuweilen  behauptet  wird,  gemischt.  Aber  weil  sie  in  finszern 
Formen  des  gemeinsamen  Lebens  6ichtl>ar  hervortreten,  so 
stehen  sie  dem  Btatsgebiete  näher,  und  berühren  dasselbe 
au  mehreren  Seiten  als  die  Glaubens-  und  Gewissenssachen 
im  engem  Sinne. 

Aach  hier  soll  der  Kirche  zunächst  die  freie  Selbst^ 
bestimmung  zugestanden  und  nicht  etwa  die  Anordnung 
darüber  dem  State  vorbehalten  werden.  Aber  mehr  als  in 
jenen  andern  Beziehungen  ist  der  Stat  hier  vemnlaazt,  Aii&icht 
zu  Üben  über  die  Wahrung  seiner  Interessen.    Dahin  gehören: 

a)  die  Anordnung  kirchlicher  Feste,  wobei  es 
jedoch  von  dem  State  abhängt,  denselben  büi^rliche  Wir- 
kungen mit  Bezug  auf  Einstelbing  der  Arbeiten  und  des 
Uarktverkehrs  beizulegen  oder  nicht;* 

b)  die  Bildung  religiöser  Vereinigungen,  Bru- 
derschaften u.dgl.  zur  AusUbuug  gotlesdienstlicher  Hand- 
lungen oder  frommer  Werke,  und  die  Haltung  kirchliciier 
Missionen.  Der  Stat  kann  wohl  der  Freiheit  solcher  Bil- 
dungen weiten  Raum  lassen,  aber  nicht  aufsein  Recht  der 
EenntDisznahme,  noch  das  der  Beschränkung,  be- 
ziehungsweise des  Verbots,  verzichten,  wenn  solche  Ver- 
eine in  einem  für  die  Ehre  oder  das  Recht  der  Bürger  oder 
des  States  uud  fllr  den  öffentlichen  Frieden  und  die  gute 
Sitte  verderblichen  Sinne  wirken  oder  sich  gebftrden:' 

*  Die  OesetzgfebQQg  de«  letzten  JahrhuuderU  hatte  die  Tendenz,  die 
BiawirkuBg  des  SlAtes  auf  Bestimm  11  ng  der  KirclieDfest«  möglichst  aas- 
zodehnen'  nnd  dieselben  bub  natiODaiwirthschaftlichen  Orilnden  zn  be- 
sebrtnhen.  PicnsziecheB  Undrecbt  S-  34  und  36.  Bayerisches 
Ediet  S.  16  and  77. 

'  Die  Denkschrift  der  bayeriHchen  Bischöfe  vou  1651  hat  Recht,  weno 


,ti7.dt,CoogIc 


324  Niiiiiles  Blich.     CullarfinfgF. 

cj  die  Stiftung  .von  KItistern  und  die  ßegrflnduiig  . 
kirchlicher  Orden,  sowie  die  Genebuiigung  Ihrer  Sta- 
tuten und  BeauTsichtigung  ihres  kirchlichen  Lebens  ist  zwar 
zunächst  wieder  eine  Angelegenheit  der  Kirche,  und  es  ist 
nicht  zu  läugnen,  dRSZ  in  den  letzten  Jahrhunderten  die 
Staten  Europa's  oft  w'illkUilich  und  eigennützig  in  dieselbe 
eingegriffen  und  häufig  die  Schwäche  und  Gebrechen  der 
Klöster  und  Orden  benutzt  haben,  nicht  um  dieselben  zu 
bessern,  sondern  um  sie  ihres  Vermögens  zu  berauben.  Aber 
nichtsdestoweniger  legen  auf  der  andern  Seite  auch  historische 
Erfahrungen  dem  State  die  statliche  Pßicht  au's  Herz,  sich 
seines  Aufsichtsrechtes  nicht  zu  begeben,  sondern  dar- 
über sorgfältig  zu  wachen,  thciis  dasz  die  individuelle  Frei- 
heit der  Menschen  nicht  klösterlichen  Gelübden  und  Ordnungen 
hingeopfert  werde,  theils  dasz  nicht  einzelne  Klöster  oder 
Orden  das  benachbarte  Grundeigenthum  im  Uebermasz  dem 
lebendigen  Verkehr  entziehen  und  für  die  todte  Hand  er- 
werben, (heils  dasK  sie  nicht  in  einem  staUfeind liehen  Sinne 
ihr  Dasein  betbätigen.  Als  statsfeindiich  dftrf  der  moderne 
christliche  Stat  aber  wohl  Orden  bezeichnen,  welche,  wie 
der  Jesuitenorden,  durch  ihre  Lehre  und  'Wirksamkeit  den 
Stat  unter  die  mittelalterliche  Oberherrschaft  der  Kirche  zu- 
rücktreiben oder  in  ihrem  confessionellen  Eifer  den  Frieden 
der  Confessionen  bedrohen.  Fühlt  sich  der  Stat  stark  nnd 
mächtig,  so  mag  er  nach  dem  Vorbilde  Friedrichs  des  Groszen 
auch  solche  gälirende  Elemente  wohl  ertragen,  und  die  über- 
triebene Jesuilenfurcht  macht  zuweilen  eher  den  Eindruck 
von  Zaghaftigkeit  und  Schwäche,  eis  von  klarem  Rechtsbe- 
wnszlsein  des  States.    Aber  das  Recht  hat  der  Stat  allerdings, 

aie  die  näcbsle  Äufsidit  uod  Controle  solcher  kirchlicher  Vereine  för  die 
Kirche  viDdicirl,  aber  Unrecht,  weno  sie  dem  SUte  jede  Aiifaicht  dftrliber 
versBgeo  will.  Auch  wenn  jene  i.  B.  die  öffentlichen  Qeisielan^n  der 
Qeiezelbriid ersehn flen  gut  heiszen  wUrde,  tliäte  der  Stat  doch  wohl  and 
recht,  derlei  Scudal  nicht  zu  dulden.  Vgl.  Bayeriiichea  Edict  §.  76  h,  c. 
Oesterr^jch.  Concordal  Art.  28. 


iM,Coo<^lc 


SiebentM  Ca[Ht«l.     Von  tlem  Aiir«ii'h(8i-echt  insbesondere.       325 

eine  Gemeinschaft,  welche  sich  ala  unverträglich  mit  seiner 
Wohlfnhrt  und  setneni  Recht  erweist,  anszusloszen  oder 
aufzulösen.^  Sie  kann  sogar  ein  aufopfernder  Diener  der 
(confeasinnellen)  Kirche  und  doch  ein  Feind  des  States 
sein,  die  Zuneigung  jener  verdienen  und  fitr  diesen  unaus- 
stehlich werden.  Nicht  die  kirrhliche  Einrichtung  und  Form 
solcher  Corporationen  hat  der  Stat  zu  ordnen  oder  mit  zu 
bestimmen,  aber  er  hat  sein  Recht  >auch  in  solchen  Fällen 
zu  wahren,  wo  die  Thätigkeit  jener  im  Namen  der  kirch- 
lichen Interessen  geschieht.* 

1.  Die  Verfassung  der  Kirche  zu  bestimmen  ist  in 
erster  Linie  wieder  Sache  und  Recht  der  Kirche  selbst  und 
nicht  mehr  des  States,  wenn  sich  dieser  aus  der  Beschränkt- 
heit des  Confessionalismus  erhoben  hat.  Aber  öffentliche 
Autorität  und  Geltung  kann  die  Eirchenverfassung  innerhalb 
des  States  nur  erhalten,  wenn  derStat  dieselbe  anerkenn  t, 
beziehungsweise  somit  die  Aenderung derselben  seinerseits 
gut  heiszt,  oder  —  da  auch  in  dieser  Hinsicht  es  nicht 
Aufgabe  des  States  ist,  die  positiv  kirchliche  Wunschbarkeit 
der  Aenderung  zu  prüfen,  sondern  sich  auf  die  Frage  zu 
beschränken ,  ob  und  inwiefern  dieselbe  dem  geltenden 
Rechte  widerspreche  und  die  Öffentliche  Wohlfahrt  bedrohe 
—  nach  vorheriger  PfUfung  nicht  sein  st-atliches  Veto 
dagegen  einlegt.  Umwandlung  des  zuweilen  etwas  ge- 
spannten Placet,  in  welchem  oft  noch  ein  Stück  Kirchen- 
regiment verborgen  ist,  in  ein  statliches  Recht  vorheri- 
ger Prüfung  und  des  Veto  (non  dispUcet)  scheint  dem 

•  Schweizerische  Bundesverf.  S- 58:  „Der  Orden  derJesnileo  und 
diefibm  affilirten  Gesell Bctiaflen  dürfen  in  keinem  Theile  der  Schweiz  Auf- 
tiaLme  Hoden." 

'  Sogar  das  österreichische  Coiicordat  Art.  M,  welches  den  Bi- 
BchÖfen  die  Freiheit  luaichert,  geistliche  öi-den  und  Congr^ationen  ein- 
innihren,  fHgt  docli  die  beschränkande  Anweisung  bei:  „Doch  werden 
sie    sieb    bieröber    mit    der    kaiserlichen    Regierung    ins    EiDTeroehmen 


n,g,t,7.dt,G00gIc 


326  Neuntes  Biicli.    Culturparge. 

natürlichen  Verliältnisse    beider  Ot^anismen  am  ehesten  zu- 
zusagen. 

4.  Der  Kirche  kann  wiederum  das  Reclit  aus  natürlichen 
Gründen  nicht  bestritten  werden,  ihre  Organe ,  die  Beamten 
nnd  Diener  der  Kirche,  selbständig  zu  ernennen; 
denn  sollen  diese  ihr  angehören  und  ihr  dienen,  so  müssen 
sie  auch  von  ihrem  Geiste  erf\)llt  und  nicht  von  einer  frem- ' 
den  Macht  gewiseermuszen  als  fremde  Glieder  an  ihren  Kör- 
per geheftet  worden  sein.  Die  blosz  allgemeinen  Vorbe- 
dingungen der  kirchlichen  Weihen  entscheiden  nocii  nicht; 
auch  unter  den  im  Allgemeinen  F&higen  den  rechten  Mann 
für  die  rechte  Stelle  zu  finden,  kommt  voraus  dem  Körper 
zu,  zu  welchem  diese  gehört  und  dessen  Bedürfnissen  sie 
dieoL  Aber  bei  der  engen  und  nothwendigen  Wecbselbe- 
Ziehung  des  States  und  der  Kirche,  uud  da  die  Beamten  der 
anerkannten  Kirchen  zugleich  das  Recht  und  den  Rang  von 
Statsbeemten  erhalten  und  im  State  eine  erhChte  AutoritAt 
und  Bedeutung  haben,  so  zieait  ea  der  Kirche,  keinen  Per- 
sonen kirchliche  Aemler  anzuvertrauen,  welche  nicht  zu- 
gleich dem  State  geneiim  sind,'**  und  mag  der  Stat 
fordern,  dasz  ihm  vor  der  wirklichen  Einsetzung  in  das  Amt 
die  -Erwählten  zur  Gutheiszung  prftsentirt  werden. 
Das  historische  Recht  der  europäischen  Staten  ist  sehr  reich 
an  mancherlei  Modißcationen  dieser  Grundsätze.  Häufig  wird 
dem  State  das  positive  Recht  der  Wahl  selbst  zugestanden, 
und  fUv  die  Kirche  nur  das  Recht  der  Prüfung  und  der  Er- 
theilung  der  kirchlichen  Weihen  oder  Ordination  vorbehalten; 
zuweilen  ober  auch  von  Seite  der  Kirche  völlig  freie  Be- 
setzung ihrer  Aemter  ohne  Genehmheiezung  des  States 
geübt  oder  gefordert.'  In  jenen  Zustanden  ist  noch  viel  con- 
fessionelle   Beimischung   wahi'zunehmen,    welche  allmählich 

'"  Das  cBiioiiiHche  KecLl  hat  iu  diesem  Sinne  dm  Begriff  der  pmonae 
rt0i  gralat  aufgebracht  Der  8lat  hat  dabei  indessen  nur  alHtlicIis  Küok- 
sichten  zu  nehmen. 


iM,*J».)i.)t^lL' 


Siebentes  Capitel.    Von  dcn>  Aiifqicbtsiveht  iuabraonder«.       SSTT 

ausgeschieden  werden  muez,  wenn  die  Kirche  zu  ihrer  vollen 
Freiheit  und  der  Stat  zu  seinem  wahren  Rechte  gelangen 
soll;  diese  Begehren  gerathen  im  Gegentheil  mit  den  engen 
Beziehungen  in  Widerspruch,  in  welchen  die  Landeskirche 
2um  State  steht. 

6.  Alle  eigentliche  Gerichtsgewalt,  das  Schwert  und 
der  Scepter  der  Gerechtigkeit  auf  Erden,  ist  ihrer  Natur  nach 
statlich,  und  kann  daher  nur  vom  State  abgeleitet 
werden.  Nur  die  religiöse  Zucht,  welche  sich  durch 
die  Stimme  des  Gewissens  Geltung  verscham,  und  das  Hasz 
TOn  innerer  Disciplin,  welches  jedem  organischen  Körper 
zu  seiner  Ordnung  nölhig  ist,  gebührt  schon  von  Rechtes 
wegen  der  Kirche.  In  diesen  Dingen  hat  der  Stat  daher 
das  nnveräuBzerliche  Recht,  die  Gerichtsbarkeit  der 
Kirche  zu  regeln,  zu  ändern,  zu  beschränken  oder  ganz 
aufzuheben,  soweit  dieselbe  eicht  den  Charakter  einer  frei- 
willigen und  schiedsrichterlichen  an  sich  tragt  Der 
moderne  Stat  hat  das  anerkannt  und  viel&ch  geUbt,"  und 
die  religiöse  Bedeutung  der  Kirche  hat  an  Reinheit  eher 
gewonnen,  seitdem  die' zwingende  Strafgewalt  der  Kirche 
beschränkt,  und  auch  die  Geistlichen  den  weltlichen  Gerichten 
unterworfen  worden  sind. 

Die  ursprünglichen  Pönitenzen  der  katholischen 
Kirche  hatten  noch  ganz  den  Charakter  der  Zucht,  und  be- 
ruhten auf  freiwilliger  und  reuevoller  Büszung  der  Sünde, 
sie  waren  nicht  Strafe  für  ein  Vergehen.  Auch  der  Kirchen- 
bann (die  cxcomumnicatio),  allerdings  eine  ursprttngllche 
Institution  des  Christenthums ,  ist  erst  au  der  Zeit  zu  einer 
Strafe  geworden,  als  der  Stat  in  eine  unwürdige  Abhängig- 
keit von  der  Kirche  gerathen  war.    So  lange  derselbe  nur 

"  EalMF  Friederich  U.  hat  anch  darin  die  moderne  Idee  anlici- 
pirt,  das*  er  »uerst  wieder  für  den  Süden  Ilalien»  durch  »eine  Geeelie 
denükniB  in  Strafsachen  und  bfirgerrichen  Streitigkeiten  der  welüichen 
Gericlitsbarkeit  urterwarf    Raumer,  Gesch.  d.  Hohenslaohn  IV.  S.474. 


iM,Coo<^lc 


328  NeiiiiWs  Buch.    CuhurpÜPge. 

eotweder  Versagung  kirchlictier  Heil-  und  Segeasmittel,  oder 
AusschlieszüDg  der  Einzelnen  aus  der  Gemeinschaft  der  Kirche 
ist,  so  ist  das  eine  dem  Wesen  nach  durchaus  kirchliche 
Sache,  und  keineswegs  Handhabung  der  stmflinden  Gerech- 
tigkeit; denn  wie  sollte  die  Kirche  nicht  selber  prüfen  und 
frei  bestimmen,  wer  ihres  Segens  würdig  und  bedürftig  sei, 
und  wie  genöthigt  werden,  Individuen  als  ihre  Glieder  an- 
zusehen, wek'he.die  Gemeinschaft  mit  ihr  zerrissen  haben? 
Die  groaze  mittelbare  Einwirkung,  welche  eine  solche  Aus- 
schlieszung  auf  das  ganze  übrige  Leben  des  Gebannten  ttuszert^ 
mag  freilich  den  Stat  bewegen,  eine  gewisse  Controle  zum 
SchuUe  der  individuellen  Rechte  eintreten  zu  lassen,  'und 
ihr  eigenes  Interesse  wird  die  Kirche  dahin  leiten,  nicht 
wegen  geringfügiger  Ursachen  noch  aus  vorübergehenden 
Gründen  den  Bann  zu  verhängen;  aber  eine  wahre  Ausein- 
andersetzung des  beiderseitigen  Gebietes  wird  doch  diesen 
zunächst  der  Kirche  anheimstellen.  Ebenso  gebUhrt  der 
Kirche  wie  jedem  Organismus  eine  ülsciplinargewal  t 
über  ihre  Beamten  und  Diener.  Erweisen  diese  sich  als  un- 
tauglich für  das  Amt  oder  den  Dienst,  so  musz  sie  die  Macht 
haben,  dieselben  zu  entfernen,  und  durch  andere  Personen 
fUr  ihre  Bedürfnisse  zu  sorgen.  Gegen  möglichen  Miszbrauch 
solcher  Gewalt  zur  Unterdrückung  und  Schädigung  der  In- 
dividuen mag  der  Stat  wohl  eine  controlirende  Aufsicht  an- 
ordnen und  üben,  sei  es  indem  er  von  der  Einstellung  und 
Entlassung  von  Kirchen beamten  aus  kirchlichen  Motiven  je- 
derzeit Kenntnisz  nimmt  und  sich  die  statliche  Prüfung  und 
GutheiszuDg  vorbehält,  sei  es  indem  er  den  Betheiligten  ver- 
Btattet,  ihre  Beschwerden  ihm  vorzulegen  und  seinen  Schutz 
anzurufen.  '^ 

"  Vgl.  BayeriBchea  Eklict  §.  51,  54.  Die  Biercitieo,  zu  welcben 
GelsUiche  von  den  Biechöfen  neuerlicb  oft  lerurtheilt  werden,  sind  meistens 
AnmaBZung  eines  Stücke  Gerichtsbarkeit^  weiches  der  Kirchengewsll  nicht ' 
Eosleht,  und  der  8lHt  ist  berechtigt,  derselben  EJnliall  zti  thun. 


n,g,t,7rJM,COOglC 


SiebeiiUs  Capil«!.    Von  dem  Aufsiclilsrecfal  insbesondere.       320 

(i.  Für  die  Erziehung  und  Schulbildung  des  Klerus 
nntersUllzt  der  Stat  hinwieder  die  Landeskirchen  durch  seine 
Anstalten  oder  durch  Ausstattung  der  ihrigen.  Dasz  auch 
die  statlichen  Schulanstalten,  deren  Bestimmung  es  ist,  fhr 
die  Kirche  einen  tüchtigen  Nachwuchs  von  Geistlichen  zu 
bilden,  den  Geist  der  Kirche  in  sich  aufnehmen,  nud  nur 
solchen  Lehrern  der  religiöse  und  kirchliche  Unterricht  an 
denselben  anvertraut  werde,  welche  den  Glauben  der  Kirche 
treu  bekennen,  darauf  hat  die  Kirche  ein  natürliches  Recht. 
Besitzt  sie  aber  eigene  Anstalten  für  diesen  Zweck,  Priester- 
seminare, so  hat  auch  der  Stat  eio  Recht  darüber  zu 
wachen,  und  dafür  zu  sorgen,  dasz  die  fllr  den  Kirchen- 
dienst  bestimmte  Jugend  auch  in  Harmonie  mit  dem  State, 
und  nicht  blosz  zu  guten  Geistlichen,  sondern  auch  zu 
tüchtigen  Statsbürgern  erzogen  werde,  dasz  sie  somit 
auch  in  weltlicher  Wissenschaft  nicht  roh  und  uner-  , 
fahren  bleibe.  Die  rein  klerikale  Erziehung,  wie.  sie  gegen- 
wärtig von  den  katholischen  Bischöfen  fast  Überall  angestrebt, 
wird,"  entfremdet  den  nachwachsenden  Klerus  immer  mehr 
der  Welt,  und  nimmt  ihm  das  Versfändnisz  fUrihre  geistigen 
Bedürfnisse  und  für  die  Fortschritte  ihrer  CiTÜisation.  Da- 
durch verliert  er  aber  an  Achtung  und  Einflusz  mehr,  als 
die  iho  leiten ,  durch  die  gesteigerte  Fügsamkeit  desselben 
gewinnen  können.  Von  diesen  Priesterseminaren  gilt  der 
Satz:  „Ihr  habt  Wind  gesftet  und  werdet  den  Sturm  ernten." 

7.  Das  Kirchengut  gehört  nicht  dem  State,  sondern 
der  Kirche.  Dieser  ist  es  gegeben  und  für  sie  dauernd  be- 
stimmt worden.  Aber  wenn  auch  der  Stat  mit  Recht  kein 
Eigenthnm  daran  ansprechen ,  noch  dasselbe  für  seine  Zwecke 
verwenden  darf,  so  kann  dagegen  die  Frage,  ob  auch  der 
Kirche  die  völlig  freie  Verwaltung  der  Kirchengüter  zustehe, 
oder  ob   besser  der  Stat   dieselben   zu   Gunsten   der  Kirche 

"  Tgl.  Oesterr.  Codc.  Art.  17. 

n,5,t,7rjM,G00glc 


330  NeoDtea  Bacb.    Ciilluri>tlpge. 

in  seine  vormumUchafllirhe  Hand  nehme,  gnr  wohl  je  in 
verschiedenen  Zeiten  und  unter  verschiedenen  Umständen 
auch  verschieden  beantwortet  werden.  Die  katholische  Kirche 
hat  von  jeher  auf  ihre  selbständige  Verwaltung  einen  g^o^zen 
Werth  gelegt,  und  sich  nur  ungerne  den  Beschränkungen 
und  der  AuTsicht  unterzogen,  die  der  Stat  in  den  letzten 
Zeiten  auch  Über  diese  Guter  zu  verhängen  fOr  nöthig  erachtet 
hat.  Die  protestantische  Kirche  dagegen  hat<  von  Anfang 
an  die  Sorge  fUr  ihre  zeitlichen  Guter  unbedenklich  dem 
State  überlassen  und  sich  in  eine  oft  dämflthige  Stellung 
zu  schicken  gesucht.  Unserer  Zeit  dürfte  die  Selbständig- 
keit der  Kirche  in  Verwaltung  und  Verwendung  des 
Kirchengutea ,  verbunden  mit  der  nöthigen  Oberaufsicht 
des  States,  durch  welche  die  äuszere  Ordnung  der  Ver- 
waltung, die  Erhaltung  des  VermOgena  Überwacht,  und  einer 
.ungebtlhrlichen  Verwendung  für  fremdartige  Zwecke  gewehrt 
wird,  aui  ehesten  zusagen." 

8.  Es  gibt  einzelne  Lebensverhältnisse,  wie  die  öffent- 
liche Erziehung  und  Schulbildung  der  Jugend,  und 
wie  die  Ehe  der  Erwachsenen,  welche  sowohl  zum  State 
als  zur  Kirche  eine  nahe  Beziehung  hüben,  und  auf  welche 
daher  das  Recht  des  States  und  die  Sorge  der  Kirche 
zugleich  sich  erstreckt.  In  diesen  Verhältnissen  ist  eine  rieh- 
tige  Auseinandersetzung  besonders  schwierig,  und  wäre  dne 
absolute  Trennung  verderblich;  denn  auf  organisches  und 
friedliches  Zusammenwirken  kommt  hier  Alles  an.  Von  der 
Schule  wird  im  Verfolge  besonders  die  R^de  sein;  die  Ehe 

"  Oeeterreichische  Grundrechte  von  1849,  g.  2:  „Jede  geaettliclt 
ADerksDiite  Kirche  und  Religion egeeell ach aft  hat  das  Recht  der  gemein- 
uaen  Üffentlicheii  Religionaiibong,  ordnet  and  verwaltet  ihre  Aogel^en- 
heiten  Mlbatündig,  bleibt  im  Beaitze  and  Genasse  der  fBr  ihre  Cnltas-, 
Unterrichts-  and  Wohltbfitigkeitsz wecke  besljminten  Anstttllen,  Stiftnogen 
and  Fonde,  ist  aber  wie  jede  Gesellschaft  den  itllgemeiDsn  Statsgesetxeii 
unterworfen."  Das  Oeslerr.  Concordat  gewäbrt  Art.  30  der  Kirche  die 
Selbstverwaltung  ihrer  QUIer.     Prensiische  V«rf  §.  16. 


iM,Coo<^lc 


Siebentes  Capilfl.     Von  dem  Anfsklilfreclil  inpb«coiidere.       331 

wurde  früher  schon  besprochen.'^  Daa  Recht  in  diesen 
Dingen  zn  ordnen  nnd  zu  handhiiben  ist  vorzugsweise  des 
Statea  Seche, '^  auf  die  moralische  and  religiöse  Rein- 
heit derselben  hinzuwirken  die  der  Eirch<e. 

9.  Zuweilen  mit  dem  Oberaufsichtsrecht  des  States  Ter- 
blinden,  zuweilen  davon  unterschieden  wird  das  sogenannte 
Reformationsrecht  des  Statea  ijut  reformandi).  Der  Aus- 
druck kam  im  XVIten  Jahrhundert  in  den  Zeiten  der  Eirchea- 
reforni  auf,  und  vorzüglich  die  Protestanten  dehnten  den 
Begriff  zu  Gunsten  der  Statsmacht  sehr  weit  aus,  ufTenbar 
von  dem  damaligen  Interesse  geleitet,  ihre  reformirenden 
Tendenzen  auch  gegen  den  Willen  der  sltkirchlichen  Hierarchie 
mit  Hülfe  und  unter  der  Autorität  des  States  durchzuselKen." 
Aber  auch  die  im  Katholicismus  verharrenden  Staten  behaup- 
teten damals,  obwohl  in  beschränkterem  Sinne,  ein  solches 
Recht.  "*    Beide  betrachteten  das  Recht  des  States  zur  Reform 


>'  Bach  11.  Cti|>.  17,  beeonders  S.  1S6. 

"  Zwingli  Ternsrf  srhon  alle  kirchliche  Gerichtsbarkeit :  „Alles 
so  der  geistlich  s^ast  im  zngeliöreu  rechtes  und  rechteeschirmes 
halb  fUrgibt,  gehöret  den  weltlichen  in,  ob  8j  chiisien  ayn  welÜDd." 

"  Vgl.  Eichhorn,  Kjrchearecht  I.  8.  24fi  iind  561.  Luther  an 
den  christlichen  Adel:  „Diirumb  wo  ea  Noth  Tordert  und  der  Babst  ärger- 
lich der  Chrieleiiheit  ist,  soll  data  thun  wer  am  ersten  kann  als 
«iu  getreu  Glit'd  des  ganzen  Körpers,  dasz  eiri  recht  frei  Cnncilium  wei*de, 
welches  iijerottnd  sowob)  vermag  als  das  weltlich  Schwert,  sonder- 
lich dieweil  sie  nun  alle  Hiicbristen  sind,  Uitpriester,  mitgeisllicb,  mit- 
mäcbtig  in  silea  Dingen,  und  sollen  ihr  Amt  und  Werk,  das  sie  von 
Oott  haben  über  Jedermann,  lassen  frei  gehen  wo  es  noih  und  niiiz  iet 
ta  gehen."  MrUttichthim  loci,  p.  941:  „periinere  emendetjoaem  Bcdesia- 
Tum  B^  Uagistratus  omcium  praesertim  cesaantibns  Episcopis  aut  adver- 
santibuH  Evangelio.  Qaod  eniro  aliqui  dicant:  magistratnm  profannm  non 
ease  jadicem  controTeraiarom  de  dogmatibna,  vera  et  explicata  reeponsio 
est:  EccIesiAin  esse  jndic«m  et  seqni  normam  Evaugelii  in  jndicanda 
Com  nalem  magistratns  pius  vere  sit  membrum  Bcclesiae,  judicet  et  ipee 
cDm  aliis  piis  et  ernditis  juxbi  Dormam  quam  dixi."  Vgl.  Stahl,  Kir- 
ebeD*erhssung  der  ProlMtante»,  S.  1. 

"  Die  sdiweiierischeu  katholischen  Orte  sprachen  sich  darüber  in 
dem  Mandat   vom  Olauben   von   1Ü24  aasRihrlich  aus,   iinil    begründeten 


iM,Coo<^lc 


332  Neuntes  Budi.    Cullurpflege. 

indessen  tilir  gewissermaezen  als  ein  subeiiliäres,  wenn 
die  ordentliche  Rirchengewalt  nicht  selbst  die  Miszbräuche 
abschafTfe,  nicht  von  sich  aus  die  nöthigen  Reformen 
einfnhre.  Erst  die  spfttere  absolutere  Statedoctrin  suchte 
das  AasHahmsrecht  in  ein  Regelrecht  umzuwandeln  und  das- 
selbe als  das  Wesen  der  statlicheu  Hoheit  über  die  Kii-che 
auszugeben,  d.  h.  im  letzten  Grunde  darauf  die  volle  Herr- 
schaft des  States  über  die  Kirche  zu  grUndeu. 

Das  Eigentliche  und  ursprüngliche  Reforinationsreclit 
kommt  der  Eirchö  selber  zu,  und  zwar  in  au^edehuterem 
Sinne  als  dem  Stat.  Wir  verstehen  darunter  theils  das  ne- 
gative Recht  und  die  Pflicht,  Schaden  und  Giebrechen,  Hisz- 
bräuche,  Entslelluagen,  die  sich  im  Laufe  der  Zeit  einge- 
stellt, wieder  reinigend  zu  entfernen,  theils  das  positive 
Recht,  ihrer  natürlichen  Entwicklung  gemttsz  fortzuschreiten 
zu  höherer  Vollkommenheii  Der  Stat  ist  dabei  nnr  mit- 
telbar betheiligt  und  berechtigt,  und  zwar  auch  der  chrislt- 
liche  Stat  nicht  als  confessioneliee  Glied  einer  Landeskirche, 
sondern  um  des  Zusammenhangs  willen  zwischen  seiner  sitt- 
lichen Wohlfahrt  mit  der  Gesundheit  der  Kirche  und  inso- 
fern er  überhaupt  als  Stat  auch  andern  corporativeu  Gemein- 
schaften gegenüber  befugt  ist,  gegen  Miszbräuche,  die  allge- 
meinen Schaden  bringen,  einzuschreiten.  Wenn  die  Kirche 
ihre  Pflicht  versäumt,  und  das  Verderben  auch  das  Recht 
lind  die  Wohlfahrt  des  States  stört  und  beunruhigt,  dann 
darf  dieser  hemmend  und  tnahnend  einschreiten.  Wenn  die 
Kirche  schläft  oder  versinkt,  dann  soll  er  sie  wecken  und 
halten.    Er  verdrängt  sie  nicht  und  tritt  nicht  an  ihre  Stelle; 

ihr  Binvcbreiten  damit,  ,daaz  die  geiBtlicIie  Obrigkeit  in  jenen  Sorgen 
und  Nothen  schweig«  uod  schlife."  Tgl.  meioe  Oeschiehle  des  ichwri- 
zerisdien  Bnndeeredita  I.  8.  311  ff.  Die  wiederholten  Forderangeu  der 
Kdiaer  im  fünfzehnten  und  Bcch^ehnten  Jshrhnndert,  daaz  diirvh  Cooa- 
lien  die  Minbröiicbe  abgescbafTt  uud  die  Reform  der  Kirche  nm  innen 
heraiu   vorgenommeD   werde,    beruhten   anf  einer   ähnlichen    AufTaneiiug 


iM,C00<^lL' 


Sirbentet)  Capilel.     Von  dem  AuraichUreclK  insbesondere         333 

aber  so  weit  seine  sittliche  und  rechtliche  Maclil  reicht,  ßo 
weit  sucht  er  auf  ihre  Heilung  einzuwirken. 

Anmerknng.  Eine  der  aoffiHligaten  Eracheinungeii  unserer  Zeil 
iat  das  CiMicordat,  welches  imt^mi  16.  Ang.  1855  zwiscben  dem  Papsl« 
PiuB  1\.  und  dem  Ksispr  von  Oesterreicli,  Franz  Josepli,  über 
die  Terh&ll Hisse  der  kalholisehen  Kirche  znm  Slale  üeslerreich  abg«- 
MkltKsen  worden  Ur.  Sie  ist  niu  so  aufrallender^  Bis  sie  mit  der  poli- 
tischen Strömung  unserer  Zeit  in  einem  sellfflmen  Widerspruch  filehl.  In 
einer  wichtigen  BezieLnng  zwar  ist  das  Concordal  In  Uebereinglimmung 
mit  der  Zeitrichtung,  insofern  namüch  als  es  die  Sonderang  der  birch- 
liehen  und  der  sLatlichen  luatitutionen  nnd  Rechte  fördern  will,  und  aucb 
der  Kirche  in  Ihrem  Gebiete  freie  Bewegung  zu  verschaffen  vei'spriebl. 
Allcnl  halbe  LI  tlrangt  der  Geigt  der  Zeit  zn  tolcher  Ausscheidung  niid 
Überali  verlangt  er  nach  freier  Entwicklnog  des  besondern  Wesena.  Aber 
wenn  es  wahr  ist,  wie  wir  aus  onsern  und  fremden  Beobachtungen 
Khlieezen  dürfen,  dasz  die  earopäiscben  Völker  seit  einiger  Zeit  wieder 
religii^r  geworden  sind,  so  ist  es  sicher  nicht  minder  wahr,  dasz  das 
politische  Bewusztsein  noch  mehr  fortgeschritten  Ist,  dasz  eine  Unter- 
ordnung des  StHtes  unter  die  Kirche,  die  man  im  Princip  früher  leichler 
getrsgen  hat,  beute  völlig  unnatürlich  und  Qoerlräglich  erscheint,  und 
dasz  eine  Erneuernng  der  klei'ihalen  Herrjchaft  der  Uitweli  anfs  äastersle 
verhaszt  ist.  Dej-  Versuch  daiQ  müszie  zu  heftigen  Gegenslöszen  reizen. 
Die  Dämonen  der  Revolution  werden  durch  die  kirchlichen  Bannstrahlen 
■lieht  mehr  getödtet,  sondern  entzündet  und  die  politische  Gährung  wird 
durch  den  kirchlichen  Druck  nicht  nnlerdrOckt,  sondern  gereizt  und 
gesteigerL 

Die  Concordate  sind  dem  öCtentlichen  Rechte  angehörige  Veiträge 
zwischen  dem  8lat  und  der  Kirche,  als  zwei  selbständigen  Uficbteu,  und 
diese  Form  ist  daher  fUr  beide  Conlrahenten  würdig  und  passend,  um 
ihre  Wechsel  seil  igen  Verhältnisse  für  beide  verbindlich  to  regeln.  Eine 
gewisse  Gleichheit  der  Siellung,  eben  die  wechselseitig  anerkannte  Per- 
sönlichkeit der  Vertragsparteien  wird  nalurgemBsz  bei  AbschliesEung 
eines  Vertrages  vorausgesetzt,  und  es  scheint  «ich  von  selbst  zo  ver- 
stehen ,  dasz  dabei  der  Stnl  seine  Biistenz  wahre  wie  die  Kirche  die 
ihrige,  und  dasz  in  Jedem  derartigen  Vertrage  die  Slatsprincipien 
kUr  und  energisch,  wie  es  der  Majestät  und  dem  polittscheo  Bewnszt- 
selu  des  modernen  Slales  gelitthrl,  neben  den  kirchlichen  Grnnd- 
lätzen  ausgesprochen  werden.  Wenn  aber  schon  in  den  bisherigen 
Concordaten,  ungeachtet  im  XIXten  Jahrhundert  der  Stat  viel  mächtiger 
ist  als  die  Kirche,  der  kirchliche  Standpunkt  rorzagsweise  beachtet 
worden  ist,  so  tritt  diese  kirchliche  Einseitigkeit  in  dem  Österreichisohen 
Cnncordat  noch 'greller  hervor,   eis  in   irgend   einem  andern.     Man   siebt 


n,g,t,7.dt,'C00gIc 


334  Neniitce  Buch.    Cnllurpllege. 

C8  in  der  Sprache  und  In  dem  Inhall,  duz  duselbe  oiclit  zwiscli«!)  BM»- 
männern  und  KircheiiiDäpnern,  sondern  iwisclien  Kirchenmännern  nnd 
KlrcbenmÜDDern,  von  denen  die  einen  für  den  Slat  bevollmächtigt  waren, 
verbandelt  und  fnmiiilirt  worden  ist.  D&b  liBiionieche  Reclit  ist  der 
^emeinMine  Boden,  aof  dem  sie  stehen,  das  Statareclit  ist  gaoa 
anWMrhalb  des  Concordata.  Die  liirclienrecbtliehaB  Ornodsatie 
werden  ausschiiesilich  beachtet  und  prodamirt,  die  Statsprincipien 
böcbslena  durch  8  Uli  schweigen  votfaebalten.  Selbst  wo  die  kircbliclien 
Aourdnungeu  des  Condb  voa  Trlenl  mit  Rilekaicht  auf  nralle  slatitcbe 
Rechte  einige  HodMcstfoneii  erdnldeit  rnttasen  —  wie  bezüglich  der  welt- 
lichen Qeriefatabarkett  auch  ühfT  Geistliche  —  werden  dieselben  nnr  wie 
eine  vorttbergeheude  Conces^ion  des  pftpstlichen  Slubls  an  die  Zeitvct- 
bUlnisse  zugeslnnden  oder  wie  eine  VergiiDatiguug  von  Seite  der  Kirche 
bewilligi.  Vergeblich  sucht  man  in  dem  Coneordat  nach  einer  Spur  von 
Staisbewusztseiu  und  Slntshoheit.  Ein  geistiges  Hocbgefüfai  ist  nur  in 
diMn  diisdnicli  der  Kirche  za  finden.  Uan  wird  dalier  bei  Lesung  dieses 
I)ocuiDcnles  uuwitlkiirlicb  au  jene  millel alterliche  Vorstellung  erinnert, 
-dasz  die  Kirche  dsa  Reich  des  Geistes,  der  6tBt  nnr  das  Reich  des  Leibes 
sei.     So  sehr  herrscht  darin  der  liirchlicbe  Oeiet  vor. 

Diese  Erscheinung  wird  noch  uubegreiflicher,  weuu  man  sich  er- 
innert, daez  seit  den  Tagen  der  Kaiserin  Maria  Theresia  in  den  Fürsten 
und  Völkern  Oesterreichs  das  statllcbe  fiewusztsein  auch  der  Kirche  und 
den  kirchlichen  Doctrineo  gegenijber  lebhaft  erwacht  ist,  Bnd  nur  darin 
finden  wir  einigen  historischen  Anhalt  für  ihre  Erklsrnng,  dasz  die  ne< 
galiv  gereizte  und  radicale  Unterwerfung  der  Kirche  unter  eine  auf- 
gcfalsrle  Despotie,  wie  wir  sie  in  der  Zeit  Josephs  IL  erfahren  babeu,  zd 
einer  kirchlichen  Reaclion  den  Qrund  gelegt,  sowie  dasz  die  allgemeine 
Erapoj'UDg  der  Österreich  lachen  Völker  von  1848  gegen  alle  hergebraclile 
AutoiitäC.  nach  dein  Siege  über  die  Revolution  zu  einem  neuen  Triumph 
der  Kircheuautorilät  Veranlassung  gegeben  und  gereizt  hat. 

Am  wenigsten  erträgt  aber  Deutschland  eine  einseitig  confes- 
sionelie  Politik.  Jedermann  zwar  begreift,  daaz  Oesteireicb  um  seiner 
historischen  Stellung  willen  und  mit  Rücksicht  auf  die  grosze  Uehrbeit 
seiner  Bevölkerung  ein  erhöhtes  Interesse  nimmt  au  der  katholischen 
ConfeseioD,  so  wie  man  es  versieht,  dssz  Preuszen  in  confessioneller  Be- 
ziehung vorzüglich  die  deutsche  Schutzmecht  des  Protestantismus  ist. 
Aber  da  die  Erfahrungen  und  die  I^eiden  dreier  Jahrhunderte  erwiesen 
haben,  dasz  keine  der  beiden  groszen  I3onfesstouen  die  andere  in  Deutsch- 
lund zu  überwindeu  vermag,  vielmehr  beide  einsnder  friedlich  bestehen 
lassen  müssen ,  so  ist  es  zagleich  klar  geworden ,  dasz  eine  einseitig  cou- 
rea.<qonelle  Politik  jederzeit  den  Widerspruch  von  mindestens  der  andern 
liüirte  der  deutschen  Nation  hervorruft,  und  indem  sie  Deutschland  ent- 
zweit uiid  seine  Kraft  iähml,  eine  durcliaus  uudeutsche  Politik  sei. 
Deutschland    laszt   sieh    weder    katholisch    noch-  protestantiach 


iM,Coo<^lc 


Achtes  Capit«!      Drr  SUl  im  VfrliäUnlri  zur  Wlssrnfclian  ii.  Kunst.     335 

■'edieren.  Nur  die  Politik  darf  als  eine  wahrlisA  deutsche  Anerkeii- 
niiijg  fordern  nnd  Wirkung  lioffen,  n^lclie  von  Keiner  beaondern  Con- 
fesBion  befangen,  einen  gemeinsam-iidlionslen  odei-  tinraauen  Slaudpiinkt 
ninimty  von  dem  mis  sie  den  verschied enen  CoiifeasicmeQ  gei'Ccbt  wird, 
nnd  den  confeesionellen  Frieden  Aller  schlitzt.  Da«  ist  aber  der  Stand- 
piiokt  des  modernen  States,  der  selbständig  iiidit  inncrhnll).  Mindern 
auszer  der  Kirche  steht,  und  daher  voh  sich  sus  nach  slatlicheii 
Principien  die  ßechte  der  Individuen  wie  der  kirchlichen  Qi^nieiuMhafieD 
erkennt  nnd  ordnet. 


Achtes  CapiteL 

[>er  8tnt  im  Verhältnis!  zur  Wissenschaft  nnd  Kunst. 

1.  Die  Beziehung  des  Sttttee  zur  Wissenschaft  ist  eine 
engere  als  die  zur  Keligion,  aber  wiederum  nur  mittelbar. 
Zwar  gibt  es  Staten,  welche  geradezu  die  Wissenschaft  altt 
Statssache  erklärt  und  eine  Sta tswissenschaft  in  speci- 
fischem  Sinne  geordnet  haben.  Am  entschiedensten  ist  diese 
Richtung  wohl  in  China  zn  Tage  getreten.  Der  Kaiser 
des  himmlischen  Reiches  der  Mitte  wird  auch  als  die  Cen- 
tralmaeht  und  höchste  Autoritöt  der  Wissenschaft  verehrt; 
nnd  wie  die  Qbrigen  öffentlichen  Oi^ane,  so  sind  auch  die 
Gelehrten  und  Wissenden  t(»i  Stats  wegen  classiticirt  und 
in  zahlreichen  Abstufungen  Ober-  und  untei^eordnet.  In 
den  angewiesenen  Geleisen  und  Schranken  geht  die  wissen- 
scbaftliche  Thätigkeit  einen  steifen  und  abgemessenen  Gang, 
und  Abweichungen  gelten  als  Vergehen  wider  den  Stat, 
Aber  diese  ZwangEgacke  ist  der  Natur  der  Wissenschaft  zu- 
wider und  läszt  sich  aus  dem  Rechte  des  States  nimmermehr 
begründen.  Zu  mancherlei  äuszern  Fertigkeiten  und  abge- 
schliffenen Fwnheiten  kann  es  solche  Statswissenscliaft  wohl 
bringen;  die  tiefere  Erfassung  der  Philosophie  und  der  freie 
Bhck  in  die  Geschichte  bleiben  ihr  verwehrt.  Der  mensch- 
.  liehe  Geist,  welcher  zu  höherer  Erkenntnis^  der  Wahrheit 


iM,Coo<^lc 


330  NtMinita  Buch     Cullurpllege. 

enipoHiingeii  will,  bedarf  der  individuellen  Freiheit, 
die  ilini  Schwiiiigkrallt  verleilit.  Diese  ist  nicht  ein  Geschenk 
noch  ein  Gebot  des  States,  sie  ist  ihm  angeboren  als  eine 
Gabe  Gottes. 

Die  Wiesenfichafl  ist  auch  nicht  eine  Thätigkeit  und  Offen- 
harung  desSlates,  sie  ist  die  Frucht  der  Arbeiten,  welche 
der  unsterbliche  Geist  der  Individuen  von  sich  aus;  getrieben 
von  dem  Durste  nach  Wahrheit  und  im  Bewuszisein  seiner 
Abstammung  von  Gott,  der  Quelle  und  Erfüllung  aller  Wahr- 
heit, freien  Muthes  unternimmt.  Dem  State  kann  daher 
auf  diesem  Gebiete  so  wenig  als  auf  dem  der  Religion 
Herrschaft  zukommen.  Der  Stat  hat  keine  Macht  und 
kein  Recht,  den  Inhalt  der  Wissenschaft  zu  bestimmen, 
noch  die  mancherlei  Wege,  auf  denen  der  Geist  der  Indivi- 
duen sich  der  Wahrheit  zu  nähern  versucht,  abzusperren. 
Freiheit  der  individuellen  Wissenschaft  ist  somit 
ein  göttliches  Grundgesetz,  das  der  Stat  zu  achten  die 
Pflicht  hat.  ' 

2.  In  andern  Stnten  ist  schon  oft  fttr  die  Wissenschaft 
das  System  der  Indilferenz  des  States  behauptet  und  em- 
pfohlen worden.  Es  ist  auch  nicht  haltbar.  Der  moderne 
Stat  verdankt  der  aus  der  Gebundenheit  des  Mittelalters 
herausgetretenen  frei  gewordenen  Wissenschaft  zu  gutem 
Theile  sein  eigenes  erhobenes  Bewusztsein  und  seine  Macht; 
und  wenn  auch  die  groszen  Massen  der  Bevölkerung  weniger 
Ahtheil  nehmen  an  der  wissenschaftlichen  Arbeit,  und  weniger 

'  SpinoER,  Politik  II.  8:  nAIIeq  daa,  £□  d^aaen  Ausübung  man 
weder  durch  Belohnungen  noch  durch  Drohungen  gebracht  vcrden  kann, 
gehört  nicht  zu  den  Rechten  dea  Slats.  So  kann  Niemand  -seine  UrlheilB- 
rrihigkeit  aufget>en.  Diirch  welche  Belohnungen  oder  Druhangen  kann 
denn  ein  Mensch  dszu  gebracht  werden,  zu  glauben,  dasz  das  Oauie 
nicht  gröezer  sei  als  sein  Tbeil."  Preiiszische  Verf.  %.  20:  „Die  Wissen- 
schaft und  ihre  Lehre  ist  rrei."  Fr.  v.  Genlz  an  den  Köpig  von  Preuszen: 
„Von  allem,  was  Fesseln  scheut,  kann  nichla  so  wenig  sie  ertragen,  als 
der  Gedanke  des  Henschen." 


MyCOO<^IC 


Aclitrs  Capltel.    Dvr  Siat  im  Verhaitniai  zur  WlMCOMhart  u.  KnnBi.     337 

empfänglich  sind  fllr  ihre  Erzeugnisse,  so  werden  doch  dlP 
gebUdeleren,  auch  Bn  der  Statsleitung  n&her  betheiligteii 
Stttnde  70M  den  Bewegungen  dtr  Wissenschaft  gehoben  und 
getragen,  und  selbst  die  Menge  wird  mittelbar  von  dem 
AnstosB  der  'Wissenschaft  getrieben  und  erfahrt  zahlreiche 
Wirkungen  ihrer  Th&tigkeit  in  ihrem  gemeinsamen  Leben. 
Wie  sollte  daher  der  8tat,  was  ftir  ihn  und  die  Nation  so 
wichüg  ist,  ignoriren  dürfen? 

3.  Der  Stat  hat  somit  eine  dringende  Veranlassung  die 
Wissenschaft  zu  beachten,  ihre  Fortschritte  zu  unter- 
stützen, sie  zu  pflegen.  Während  des  Mittelalters  hatte 
die  Kirche  diese  Aufgabe  Übernommen.  Die  wissenschaft- 
lichen Anstalten  wurden  grösztentheils  von  ihr  gestiftet.  Die 
Männer  der  Kirche  waren  es  vorzüglich,  welche  Wissenschaft- 
liehe  Werke  ausfDhrten  und  wissenschaftliche  Kenntnisse 
verbreiteten.  Auch  die  Schule  war  ihrer  Sorge  anheimge- 
geben. Aber  so  grosze  Verdienste  sie  sich  immerhin  dafltr 
erworben  hat,  die  volle  Fieiheit  und  Entfaltung  der  Wissen- 
schaft war  unmi^lich ,  so  lange  die  Kirche  das  gesammte 
Gebiet  des  Wissens  nur  in  dem  beschränkten  Gesichtski-eise 
ihrer  religiösen  und  wir  müssen  hinzusetzen  ihrer  hierarchi- 
schen Interessen  gelten  liesz  nnd  forderte,  so  lange  sie  mit 
Mlszgunst  jedem  Versuche  entgegentrat,  auf  anderen  Bahnen 
nach  Wahrheit  zn  suchen. 

Diese  Lage  der  Dinge  ist  vorzüglich  seit  der  Reforma- 
tion des  sechzehnten  Jahrhunderts  verändert  worden.  Die 
AnfRnge  der  Umgestaltung  sind  freilich  früher  schon  deutlich 
wahrzunehmen,  besonders  in  den  nicht-theologischen 
Universitäten  und  Faculläten  und  die  allgemeine  Veränderung 
ist  auch  in  den  katholischen  Ländern  später  durchgedrungen; 
aber  es  läszt  sich  nicht  verkennen,  dasz  von  der  Reforma- 
tion ein  mächtiger  u»d  neuer  Impuls  zu  der  Geistesfreiheit 
auch  in  der  Wissenschaft  und  zu  der  statlichen  Pflege  der- 
selben ausgegangen,  die  dann  zu  einem  gemeinsamen  Gute 
Bluntlchli.  illgemeineii  SlaUrMhL    ».  22 

D„:,iP<.-jM,CoO<^lc 


338  Neunte«  UhcIi.     Oultarpll^«. 

der  neuern  Zeit  geworden  ist.  HaUe  früher  die  Kirche  in 
erster,  der  8(at  höchstens  in  zweiter  iind  selir  entfernter 
Linie  der  Wissenschaft  seine  Sorge  und  Pflege  gewidmet, 
en  ist  es  nnn  ein  anerkanntes  Princiji,  dasz  dem  State 
voraus  die  Untersttttzung  und  Pflege  der  Wi^nsfhaft  ge- 
bohrt. Die  Kirche  ist  in  diesen  Dingen  in  die  zweite  Linie 
zurückgetreten.'  Die  kirchliche  Berormundung  der 
Wissenschaft  ist  nun  aufgegeben.  Die  st ntliche  Aufsicht 
aber  dieselbe  ist  arrihre  Stelle  getreten,  die  Aufsicht,  welche 
sich  von  Bevormundung  ihrer  Freiheit  wie  von  thörichter 
Indifferenz  gleich  sehr  nnterscheideL  Einzelne  Statsmäuner 
haben  wohl  schon  das  BedUrfnisz  eingesehen,  dosz  nun  der 
Stat  —  auch  auszer  derSchule  —  sich  ernstlicher  der  Wissen- 
schaft anznnehuien   guten   Grund   habe;^   aber   noch   ist   es 

'  Veifaasung  von  New-Ham  psliire  in  Nordomeiikft:  „In  ErwSgiiug, 
(Imz  rUr  die  Au  frech  rbaltung  einer  freien  Verfiissung  die  allgemeine  Ver- 
breitniig  uilizlidier  Ketiniiiiase  wesenlücli  noiliwendig  ist,  und  dosz  e.-i 
liieran  kein  besevi-es  Uillel  gibl,  ala  die  Vervielfaciriing  d«r  MiUel  und 
Tortheile  der  ErzieliUDg,  ist  eti  die  Pflicht  der  Owetzgeber  und  Ubrlg- 
keJteii,  fortwiihrend  die  Wisaenschaft  2d  unterslützen  und  zu  befördern, 
alle  SchiilanBlalten  zu  iinlerslülzen  und  aufzumuntern,  die  Forlscbrille 
des  Feldbaues,  der  Künste,  der  Wissen  sei  laften  zu  belohnen  und  aufxn- 
leichnen,  um  dem  Vollie  einzuprägen  und  In  ihm  in  bewahren  das  all- 
gemeine Wohlwolteti,  die  Mildihätigheit ,  die  Industrie  und  Wiiibschaft, 
die  RedlJL'hlieit  und  Gntherzigkeit,  die  Aiifrichtigbeit  und  Mäszigkeit, 
mit  einem  Worte  alle  cdeln  GcBinmuigen  und  Gefühle."  Jakob  Grimm, 
über  Schule.  UuiversiiiH,  Akademie,  8.  7:  „Kunnle  auch  im  Geleite  der 
Kirche  die  Schnle  eiue  Strecke  des  Wega  inriioklegen ;  allniäblig  be- 
gannen tteide  sich  zn  scheiden  und  feiiidüelig  einander  entgegenzusetzen. 
Die  Wissensohan  nill  nur  glauben,  waa  sie  weisz,  die  Kirche  nur  wissen, 
»B«  sie  glauht." 

'  Her  Minister  S  tei  n  in  einer  Denkschrift  (Üben  lon  Perti  Tl.  8.  602): 
„Man  darf  es  erwarten,  doaz  der  jetzige  Zuslnnd  der  Dinge,  der-  nur 
durch  Gewnlt  inid  Druck  erhallen  wird,  nich  in  sieb  seibat  zei-slöre,  und 
dasz  die  edlereu  uod  liberaleren  Grundsätze  wieder  in  das  Leben  treten 
werden.  Die  Urgenten  sind  dsher  dringend  aufgefordert,  durch  Leitung 
der  Literatur  und  Erziehung  dahin  zu  wirken,  dasz  die  öffentliche  Mei- 
nung rein  und  itrufiig  erhalten  werde.  Auf  den  Deutschen  wirkt  Schrift- 
steilere!   mehr   als   auf  andere   Nationen   wegen   seiner   T.eaeluAt   nnd   der 


iM,Coo<^lc 


AcliLFfi  Capftol.     Drr  Slat  im  Verhällnitz  zur  WiMcoHbiiri  >i.  Kiinsl.     339 

viiie  Foitlening  an  die  Zukunft,  das?,  in  diesen  Din^rn  in 
der  rechten  Weise  das  Rechte  geschehe. 

4.  Die  Pflege,  welche  der  Stat  der  Wisaenschaft  zu- 
wendet, kann  sich  in  vei scliiedenen  Mitteln  und  sowohl  in 
positirer  fördernder,  wie  in  negativer  beschrän- 
kender Richtung  änszern. 

a]  Schon  sehr  viel  kann  der  Stat  erreichen,  wenn  er 
dem  wissenschaftlichen  Verdienste  Ehre  erweist. 
Thut  er  das,  so  ehrt  er  sich  selbst,  und  erhöht  sein  eigenes 
geistiges  An>ehen.  Zugleich  belohnt  er  in  wfkrdiger  Weise, 
was  Anerkennung  verdient,  und  erweckt  Dankbarkeit  und 
Nacheifer.  Der  prenszische  Stat  hat  in  unserm  Jahrhun- 
dert vorzuglich  durch  die  Ächtung,  welche  er  der  Wissen- 
schaft gezollt,  einen  so  bedeutenden  Zuwachs  an  Macht  und 
Autorität  erlangt,  dasz  es  schien  als  hätte  er  um  deszvrillen 
schon  ein  Anrecht  auf  die  Hegemonie  über  Deutschland; 
und  Oesterreich,  welches  sich  deutscher  WissenschaTt  zu 
lauge  und  zu  ihrein  und  seinem  Schaden  verschlossen  hat, 
ist  deszbalb  iu  Gefahr  gerathen,  seine  grosze  Cultnrauf^abe  im 
Usteo  zu  veruachlttssigen  and  sein  moralisches  Ansehen  einzu- 
bUazen.  Der  Geist  ist  eine  Macht,  welche  sich  dem  zuwendet, 
der  sie  versteht  und  würdigt,  und  dem  feiiid  ist,  der  sie  rnisz- 
achtet;  und  die  Wissenschaft  ist  ebenso  ein  treuer  und  stnrker 
Verbündeter,  wie  ein  geßüirlicher  Gegner,  dem  schwer  und 
immer  nur  mit  groszeu  Opfern  au  eigener  Kraft  gewehrt  wird. 

groixni  Anzahl  von  Heiischen,  auf  diu  die  ölTenilicheD  Lehranslalten  einen 
Elullu»»  irgend  einer  Art  haben.  Die  Leselust  der  Kation  ist  eine  Folg« 
ibier  OemUthsnihe,  ihrer  Neigung  zn  einem  innern  besoonenen  Leben 
und  ilii'sr  State  Verfassung.  Dif  Aniaht  der  Scbriftfleller  ist  in  Denlscli- 
iBnd  gi'Üflzer  als  in  irgend  einem  andeiu  europäischen  Lande,  da  die 
grosze  Anuhl  iod  wisüenschanlichea  Anstalleo  einer  Henge  von  Qe- 
lehrlaa  Uescliäfiigung  und  Versoi'gung  veracliafft.  Auf  diese  luQsite  man 
wirken,  um  das  Reich  der  Wahrheit  und  des  Rechts  aufrecljt  zu  erhalten, 
und  denen  elenden  verderblichen  SchrifUtellern  entgegen  in  wirken,  die 
d«u  gegenwlrtlgen  Znsland  der  Dinge  als  wohlthüttg  darstellen. "  Vgl. 
ebenda  II.  8.  164  und  428. 


iM,Coo<^le 


340  Nüuiilcs  BucL.    Cultorpfl^ge.     • 

Natürlich  hat  der  Stat  ein  friteresse  uiit  Wahl  zu  han- 
deln. Er  soll  nur  ehren  was  die  Öffentliche  Wohlfahrt  und 
die  Erkenntniez  der  Wahrheit  wirklich  fSrdert.  Je  fhichl- 
barer  und  je  reiner  dae  wiflsenschaftliche  Verdienst,  je  er- 
sprieszlicher  dasselbe  n)r  den  Stat  selbst  und  die  Nation 
ei-8clieint,  desto  höher  hat  der  Stst  es  zu  werthen.  Dem 
Prunken  der  Sophistik,  der  Frivolitftt  eitler  Skeptlk,  dem 
Geiste  des  liederlichen  Spottes  und  niedriger  Klatschsucht 
aber,  die  sich  auch  regen  wo  das  Geistesleben  der  Individuen 
sich  frei  äuszern  darf,  Ermunterung  und  Beifell  zu  geben, 
wäre  Thorlieit,  auch  wenn  sieb  dieses  Streben  in  den  glän- 
zenden Formen  eines  täuschenden  Scheines  äuszert.  Viel- 
mehr ist  die  Versagung  jeder  Ebre  von  Seite  des  States 
hier  ebenso  dessen  Pflicht  und  Interesse,  wie  die  Anerken- 
nung dort, 

b)  Auch  materieller  Unterstützung  bedarf  die 
Wissenschaft  viellbcb ;  und  dem  State  ziemt  es ,  sie  nach 
seinen  Krftften  zu  gewähren,  durch  Anlegung  von  öffent- 
lichen Sam  ml  ungen  und  Apparaten  zu  ihrer  freien  Be- 
nntzung,  durch  Förderung  wissenschaTtlicher  Untersuchungen 
und  Unternehmungen  auf  seine  Kosten,  indem  er  die  Ver- 
öffentlichung und  Verbreitung  der  Resultate  wissenschaftlicher 
Arbeit  begünstigt,  wenn  diese  seine  Beihülfe  nöthig  hat. 

c)  Durch  Gründung  und  Ausstattung  von  Ak.ademien 
kann  der  Stat  besondere  Oi^ane  schaffen  für  die  höi^sten 
Zwecke  des  Wissens.  Davon  wird  später  noch  näher  die 
Rede  sein.  Aber  auBzerdem  ist  es  eine  Aufgabe  des  Cul- 
tusDiinistera,  fortwährend  der  wissenschaftlichen  Thätig- 
keit,  in  welcher  Gestalt  und  Richtung  sie  offenbar  wird, 
seine  volle  Aufmerksamkeit  zuzuwenden,  von  allen  irgend 
erheblichen  Erscheinungen  der  Art  in  dem  Laude  Kenntnisz 
zu  nehmen,  den  Gang,  die  Richtung  derselben  zu  beachten, 
ihre  Beziehungen  auf  den  Stat  und  die  Nation  zu  prüfen, 
nicht  blosz  zu  trockener  Ansammlung  der  Nummern  seiuer 


n,g,t,7rJM,COOglC 


Achles  Cepilel.    Der  Sut  im  Verliältniei  ztir  WiMccschaft  u.  Kiiittt.     341 

Register,  aonderQ  um  je  noch  den  Umständen  und  BedQrf- 
iiissen  zu  handeln. 

d)  Die  statliche  Förderung  gebührt  nur  wissenschaft- 
lichen Verdiensten,  der  ststliche  Rechtsschutz  aber 
auch,  solchen  wissenschaftlichen  Arbeiten,  welche  als  un- 
Truchtbar  oder  irrthllmlich  erscheinen.  Wie  der  8tat  jedes 
religiöse  Bekennintsz  der  Individuen  vor  Verfolgung  schützt, 
aber  nur  der  christlichen  Religiou  seine  Liebe  zuwendet,  so 
soll  er  auch  jede  wissenschuftliche  Th&tigiceit,  auch,  wenn 
dieselbe  auf  Abwege  gerathen  ist,  in  Treieni  Sinne  gegen 
die  Verfolgung  der  Zeloten,  der  Angeher  uud  des  Pöbels 
schützen.  Auch  hier  gilt  das  Wort:  der  Mensch  hat  etn 
Recht,  was  er  als  wahr  erkennt  z»  bekennen,  denn  er  hat 
dazu  die  Pßicht. 

e)  Aber  auch  die  negative  Sorge  darf  der  Stet  nicht 
unterlassen,  gemein  schädlichen  Wirkungen  einer  ver' 
wildert^!  und  verderblichen  Wissenschaft  entgegen  zu  wirken. 
Nur  in  klaren  Fällen  freilich  wird  sich  dieselbe  zu  entschie- 
dener Hemmung  steigern  dürfen,  nur  wo  die  Gefuhr,  die 
aus  wissenschaftlichen  fiestrebungeo  für  die  Sicherheit  und 
Wohlfahrt  des  States  oder  die  ölTentliche  Moral  des  Volkes 
entspringt,  eine  offenbare  ist  und  nicht  schon  durch  das 
Gleichgewicht  einer  an  gesunden  Kräften  reichen  Natur 
Oberwunden  wird;  denn  das  Leben  der  Wissenschaft  ist  von 
so  geistiger  Art  und  zugleich  so  Überaus  empöndUch,  dasz 
die  rauhe  nnd  niciit  durchaus  nothwendige  Berührung  der 
Gewalt  ihre  gesunden  Triebe  leicht  mehr  verletzt,  als  sie 
die  schadhaften  Auswüchse  trifft.  Wohl  aber  hat  der  Stat 
jederzeit  das  volle  Recht,  wenn  er  sich  tiberzeugt,  dasz  die 
wissensciiatlliche  Thätigkeit  einzelner  Individuen  oder  Corpo- 
rationen  zu  gemeinem  Schaden  fuhrt,  dieser  alle  die  Untei^ 
Stützung  zu  entziehen,  welche  er  aus  seinen  Mitteln 
zur  Nahrung  und  Förderung  der  Wissenschaft  bestimmt  hat. 
Es  ist  eine  sentimentale  Thorheit,  von  dem  State  zu  erwarten. 


iM,Coo<^lc 


342  Neiiittc8  Bucli.    CiüturpU^e. 

dafiz  er  seine  Feimte  hiU'  OfTenttiche  Kosten  erhalte,  damit 
sie  desto  bequemer  ihre  Geistesarbeit  Auf  Untei^nibiing 
seiner  Ordnung  und  auf  Zerstörung  des  öffentli<-hen  Woliles 
liinrichteii. 

5.  Aehnitch  ist  das  Verhfiltnisz  des  Stutes  zur  Kunst. 
Dem  Ptate  gebührt  hier  wieder  kein  Regiment,  aber  die 
Pflege  der  Kunst  ist  seine  Aufgabe.  Die  Kunst  Qbt  ge- 
ringeren iimi  weniger  nachhaltigen  Eintlusz  auf  das  öS^nt- 
liche  Leben  aus,  als  die  Wiesenschaft;  aber  ihre  Wirkung 
ist  den  Sinnen  näher,  die  Schönheit  ihrer  Formen  bemäch- 
tigt sieh  rascher  der  GemUther.  Ihre  Werke  sind,  wie  sie 
rur  den  religiösen  Cultus  die  sichtbare  Bllkthe  der  gehobenen 
Seelenstinimung  sind,  aucii  fitr  den  S(at  und  die  weltliche 
Lebensgemeinschaft  eine  herrliche  Zierde,  Ausdruck  und 
Anregung  zugleich.  Der  Stat  selbst  soll  anch  schön  sein  in 
seiner  organischen  Gestalt.  Umsomelir  bedarf  er  der  Kunst, 
die  sein  Dasein  verschönert  und  veredelt 

Die  religiöse  Kunst  hat  in  früheren  Jahrhunderten 
ihren  höchsten  Triumph  gefeiert,  die  statliche  Kunst  — 
einst  von  Griechen  un(\  Römern  mit  jener  zugleich  gepflegt 
und  verehr),  ist  fUr  das  moderne  Leben  noch  im  Anfang' 
fler  Entwicklung  begriffeii.  Nur  allmählig  erwacht  in  den 
Stalen  und  in  den  Künstlern  der  Sinn  für  die  Hefrlichkeit 
der  slatlichen  Kunst. 

Das  alte  Theater  der  Athener  war  eine  religiös-poli- 
tische Institution,  das  neuere  Theater  ist  fast  nur  dem  Pri- 
valgenusz  gewidmet,  und  die  Buhne  heiszt  national,  ohne 
es  zu  sein.  Nur  mittelbar  nnd  nur  gelegentlich  gibt  sich 
da  die  politische  Stimmung  kund.  An  den  groszen  Volks- 
festen tritt  die  Knust  fast  ganz  zurUck  hinter  dem  rauschen- 
rien  Wirrwarr  der  unschöueu  Spiele. 

Am   leichtesten   Anerkennung   Andet    die   Stiftung    von 

DetikniAlei-n  und  am  ehesten  wirkt  der  Sinn  fUr  grosze  Archi- 

'   teklur  auch  auf  die  Massen.     Doch  fehlt  noch  viel,  bis  du.'« 


n,g,t,7rJM,COOglC 


Achtes  Copilcl.     Drr  Stat  im  VeriiällnieB  cur  WUMnschnfl  n.  Kuosl.     343 

VersULnduisz  fUr  die  Notlivrendigkeit  dea  monumenlalen  Stjis 
in  den  üfTenÜichea  Bild-  und  Bauwei-ken  zu  einem  Gemein- 
gut der  civilisirten  Weit  geworden  ist. ' 


Nenntes  CapiteL 

Der  Stat  und  die  Volkasebiile. 

1.  Das  Kind  ist  v«n  der  Katur  den  Eltern  und  der 
Familie  anvertraut,  deren  Glied  es  ist.  Ihnen,  und  nioht 
dem  State  kommt  daher  auch  die  nächste  Soi^e  der  Er- 
ziehung zu.  Aurli  wenn  der  Stat  oder  die  GeiVieinde,  wie 
das  vt'fmftgenslnsen  Waisen  gegenüber  zur  Pflicht  wird,  ge- 
nöthigt  ist,  sich  der  Erziehung  der  Unmündigen  ganz  anzu- 
nehmen, kann  er  doch  im  günstigsten  Falle  nur  die  Fami- 
lienerziehung  nachbilden;  und  es  wird  immer  noch  ein 
empfindlicher  Mündel  zurückbleiben,  den  die  soi^fältigste 
und  humanste  Öffentliche  Erziehung  nur  zu  mildern,  nicht 
völlig  zu  heben  und  zu  ergänzen  vermag.  Die  Triebe  des 
gemeinsamen  Blutes,  das  individuelle  und  tief  veiwachsene 
Leben  der  Familie,  die  persönliche  Liebe  und  Pietät  der 
Eltern  imd  der  Kinder  sind  nicht  durch  Statsan^talten  zu 
ersetzen. 

Die  Statserziehung  der  Spartaner,  welche  schon  vom 
siebeuten  Jahre  an  die  Kinder  losrissen  von  den  Eltern, 
mochte  in  dem  Bedürfnisse  der  Spartaner,  ihre  stets  be- 
drohte Herrschaft  mit  den  grCszteu  Anstrengungen  und  Opfern 

'  Goethe  hat  in  deo  DKchgelHBKoen  Schrifipn  Über  Kiinat  bnoierliens- 
werilie  Voracbläge  gemacht,  die  zu  wenig  beachl«!  werden.  Haler  den 
Neneni  liaV»  ^'"^  Republili  Venedig.  Ludwig  XIV.  von  Frankreich 
und  König  Ludwig  von  Bayern  in  dieser  Richtung  wohl  da»  gröszie 
geleiHlet.  Jahn,  Volksth.  8.280:  „Jedes  Uenkmal  ist  Beiapiel  von  That 
nnd  I»hn." 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


314  Neuiiies  Bach.     Callur|illfge. 

ZU  erkaufen  ,  ihre  EutBchuldigiing  finden,  aber  aie  ist  nichts 
weniger  als  empfelüenswerth,  '  so  sehr  auch  Pia  ton  ihrem 
Princip  huldigt.  In  dem  rranzOsischen  Conrente  dee  Jahres 
1793  wurde  von  Michel  Lepelletier  ein  ähnlicher  Vor- 
schlag einer  durchgreifenden  Stateerziehung  erneuert,  ^n 
Vorschlag,  von  dem  Robespitirre  preisend  sagte;  «Der 
Geist  der  MenEchheit  scheir>t  denselben  entworfen  zu  haben." 
In  öSfenMichen  Erziehungshäusern  sollten  alle  Knaben  von 
erfülltem  zwtilften  Altersjahre  im,  die  Uädchen  schon  ein 
Jahr  früher  auf  öffentliche  Kosten  gleichmäszig  erzenen  und 
auch  da  die  Faitiilie  auf  dem  Altar  des  Götzen  der  „Gleich- 
heit" von  8tatewegen  geopfert  werden.  Der  Vorschlag  ist 
aber  mit  dem  Convente  gefallen. 

Ein  derartiger  Üebei^riff  des  States  in  das  heilige  Recht 
der  individuellen  Freiheit  und  des  Familienlebens,  die  zu 
schätzen  seine  Pflicht  ist,  kann  nicht  aus  dem  Stalsrechte 
begründet. werden,  und  wäre  eben  so  verderblich  als  wider- 
-  rechtlich.  Nor  soweit  die  Noth  das  Einschreiten  einer  ober- 
vormundschaftliclien  Obsorge  verlangt,  weil  —  in  ein- 
zelnen Fällen  —  die  Familie  ihre  Sorge  nicht  erfüllen  kann, 
oder  zu  erfüllen  grob  vernachlässigt,  ist  die  Obrigkeit  ver- 
anlasst und  berechtigt,  an  der  leer  gelassenen  Stelle  der 
Familie  zu  helfen. 

2.  Für  eine  Seite  der  Erziehung  aber  übernimmt  der 
neuere  Slat  im  Interesse  der  Geeammtheit  die  Soi^e  selbst. 
Die  Schule  im  Mittelalter  wieder'  eine  Anstalt  der  Kirche, 
ist  nun  zunächst  auf  ihren  verschiedenen  Stufen' zur  Stats- 
anstalt  geworden.  Die  Kirche  hat  es  nicht . verwehren 
können,  dasz  der  Stat  durch  ausgedehntere  Sorge  in  diesem 
Felde  ihr  den  Vortritt  abgewonnen  hat.  Sie  hatte  ihre  Pßicht 

<  DnblmaDn,  Poliük  8.  259:  „Wir  haben  keinen  Grund,  es  den 
SparUDeni  nachiothnn ;  weder  die  gleiche  Sorge  laeiet  auf  aae.  noch 
r&hmeo  wir  aoa  des  Recblei,  dem  State  Güter  lo  opf^o,  die  mehr  werth 
■iind,  als  ein  Stat,  der  dieser  Opfer  bedarf." 


n,g,t,7rJM,GOOgIC 


Neunte«  CapHel.     Der  Stat  nod  die  Votkaachali'  $45 

allzulange  mir  iiachlOsBig  geUbt  oder  die  Schnle  allzusehr 
mir  flir  kirchliche  Zwecke  au^ebeutet.  Dieaei-  Vorwarf 
trifft  die  protestantischen  Kirchen  nicht  minder  als  die  katho- 
lische. Die  Volksschule  war  g&nzlich  vernachlässigt,  bis 
sich  der  Stat  ihrer  annahm,  und  die  gelehrte  Schule  war 
theoli^isch  heechrftnkt  und  verkümmert. 

Die  Aufgabe  der  Volksdchule  ist,  der  unmündigen 
Jugend  das  Masz  nationaler,  uiensrhlicher  und  reli- 
giöser Bildnog  z«  verschaffen  und  zu  sichern,  welches 
nicht  eis  die  Gtabe  einzelner  Familien  noch  als  ein  beson- 
deres GnC  einzelner  Clueseu  der  Bevülkeruug,  sondern  als 
das  gemeinsame  BedUrfnisz  Alter  fUr  Alle  gewahrt 
werden  musz.  Die  verwickelter  gewordenen  Verhältnisse 
unserer  Cultur  machen  es  nöthig,  dasz  alle  in  der  Landes- 
sprache lesen,  schreiben  und  im  täglichen  Verkehr 
rechnen  können^  und  nicht  blosz  nolhdürftig,  sonders  be- 
quem und  leicht.  Es  ist  und  bleibt  das  die  GrundlE^e  alles 
eigentlichen  Volksunlerrichtes,  und  die  Vorbedingung  fUr 
alle  weitere  classensrtige  und  individuelle  Entwicklung  des 
getstigeu  Bildnngstriebes.  Daher  kann  eich  der  Stat,  be- 
ziehungsweise die  Gemeinde,  der  Pflicht  nicht  entziehen,  die 
Wohlthat  solchen  Unterrichtes  der  gesammten  Volksjugend 
zu  gewähren  und  auch  den  Niedrigsten  solcher  gemeinsamen 
Vorbildung,  die  seinen  Kräften  neue  Wege  eröffnet,  theil- 
hafl  werden  zu  lassen.  Der  Stat  darf  sich  diese  Sorge  auch 
nicht  mehr  von  der  Kirche  entwinden  lassen;  denn  offenbar 
ist  die  Natur  der  bezeichneten  Grundkenntnisse  nicht  kirch- 
lich sondern  weltlich.  Sie  sind  daher  auch,  seitdem  der 
Stat  sich  mehr  um  die  Volksschule  bekümmert  hat,  allge- 
meiner und  weit  besser  verbreitet  worden  als  früher  unter 
der  Russchliesziichen  I^eitung  der  Kirche,  welche  die  mecha;' 
nische  Abrichtung  zu  kirchlichen  üebnngen  und  Diensten 
höher  geschätzt,  hat  als  einen  tüchtigen  Unterricht  in  den 
Elementen  der  geistigen  Bildung.    Der  Stoff  des  Lesens  und 


iM,Coo<^lc 


316  Neuntes  Bucü.     Culturpll^«. 

Sclirfibens  <l»i-f  ober  liier  nur  dem  einfbclien  Aii8chauuii{!>- 
iind  Lebenekreise  angehören,  welcher  wirklich  dem  Volke 
gemeinsam"  ist.  Was  jedes  jugendliehe  Herz  erfreut  imd 
veredelt,  was  die  Liebe  zur  Tugend  um!  zu  dem  Vaterlande 
u&hrt,  was  über  die  Erst-heinungen  des  Iftglichen  Lebens 
aufk]Art  und  ffthig  macht,  mit  klaren  Augen  in  die  Wirk- 
lichkeit zu  schauen,  das  und  nicht  unverdauliche  und  auf- 
blähende Bruchstücke  der  Gelehrsamkeit,  nicht  ein  dürftiger 
Abrisz  von  wigsenechaftlicheit  Systemen  der  Geographie, 
Mathematik,  Physik  u.  s.  f.  werde  der  Volksjiigend  geboten, 
Die  Volksschule  soll  allgemeine  Wahrheiten  verbreiten, 
»her  nicht  die  wissenschaftliche  Methode  der  Untersuchung 
lehren.  Wir  sind  in  Deutschland  und  in  der  Schweiz, 
wo  das  meiste  für  die  Volksschute  geleistet  worden  ist,  doch 
auch  durch  eine  eitle  und  lächerliche  Ueberspannung  ihrer 
Lchrgegens lande  in  die  Gefahr  gerathen,  eine  Volksjugeud 
heranzubilden,  welche  nur  ungern  und  mit  einer  Art  wun- 
derlicher Schani  zu  den  Arbeiten  des  Handwerkers  oder 
KHbrikarbeiters  hinzutdtt  und  den  ärndichen  und  httußg  er- 
bärmlichen Schreiberdieust  der  rauheren  aber  weit  edleren 
Thätigkeit  des  Landbauers  vorzieht.  Es  gab  wohl  eine  Zeit, 
in  welcher  man  Grund  hatte,  sich  über  das  .Zuwenig  zu 
beklagen,  aber  in  manchen  Ländern  ist  man  nuu  in  den 
Strudel  des  Zuviel  gerathen,  und  hat  statt  die  Jugend  mit 
einfacher  und  gesunder  Hauskost  zu  speisen,  mit  groszeo 
Kosten'Abl&lIe  vou  vornehmern  Speisen  gekauft,  die  ihr  d^n 
Magen  verderben. ' 

)  Der  Kardinal  Kiclielieu  hat  diese  Oerslir  zum  voi-aus  mil  leb- 
liafien  Farben  gescliilderl.  Test,  polit.  I.  S.  168:  .Ainsi  (jn'iin  corps  qui 
Hiiroit  dea  yeax  eii  tontea  ses  partlee,  seroil  inonstrueux,  de  robne  un 
I?lM  le  aeroitil,  si  loaa  aea  aujets  £toie»t  Sfivana.  Le  commerce  de» 
LeUrea  Uanniroit  absolnmenl  .celui  de  la  rnnichandiae  tjui  comble  lea 
Elala  de  riclieasea,  il  luineroil  l'Agriculture,  vraie  mere  noiirrice  dea 
peuplea  et  il  deaerlei-oit  la  päpiniere  des  soldata  qiii  sYl&reiil  plnldtdaiis 
la   rudtaee   de   l'ignorance   ijiie   dans    la    iwütesae   des   aciences;    rnllD    il 


iM,Coo<^lc 


NeitDlfs  CaptM.    Der  filat  iinil  die  VolkBMhule.  347 

Die  Schule  soll  aber  nicht  blosz  die  geistigen  Fähigkeiten 
entwickeln  helfen,  sie  soll  auch  dasGemltth  gleichzeitig  er- 
wfirmen  nnd  veredeln.  Die  Volksschule  soll  nicht  Mosz  zu 
verständigen  Menschen  heranbilden,  sondern  auch  das  religiöse . 
|jel>en  wecken,  die  Saat  des  Glanbens  in  die  Herzen  der 
Kinder  ausstreuen  nnd  zu  jeder  Tugend  stfirken.  Gehört  in 
jenen  Dingen  dem  Rtate  das  entscheidende  Wart  und  die 
erste  Sorge,  so  hat  in  diesen  die  Kirche  das  Meiste  und 
Beste  zu  leisten.  Wie  Vater  und  Mutter  die  hftnsliche  Er- 
ziehung gemeinsam  leiten,  so  haben  Stat  und  Kirche 
geraeinsam  die  öfTentliche  Erziehung  des  Volkes  zu  pflegen.  ^ 
Die  schroffe  Trennung  und  Spaltung  der  stetlicheii  Einwir- 
kung nnd  der  kirchlichen  Sorge  wllrde  zerreiszen  was  zu-  • 
sammen  gehört;  und  die  Folgen  derselben  waren  nicht  minder 
schfidlich  als  es  tnr  die  Privatereiehung  die  Scheidung  der 
Eltern  ist.  Das  laute  Verlangen  der  Emancipation  der  Volks- 
schule von  der  Kirche  in  unsern  Tagen  ist  zwar  durch  die 
frühere  übertriebene  Vormundschaft  der  Kirche  gereizt  wor- 
den, aber  als  absolute  Forderung  durchaus  verwerflich, 
weil  irreligiöe.  Darüber  zu  wachen,  dasz  die  Kirche  nicht 
in  zelottschem  Eifer  die  Schule  einenge  und  drücke,  ist  wohl 
Sache  des  Stets;  aber  ihren  wohlthätigen  Einflusz  darf  er 
weder  entbehren  noch  stöi-en.  Vielmehr  soll  der  Stut,  indem 
er    die    Oberleitung    über    das    ganze   Schulwesen    sich 

ivmpliroit  In  Frauce  de  cliicaniieiirs,  plua  propres  k  rutiier  Jes  rnmilles  par- 
licnliena  eti  troubler  le  r*pos  public  qn'i  proourer  aucun  bien  aux  Etate. 
Si  les  [^ttrea  £u>ieot  prohnäea  k  lonjee  aortes  dVepriis,  on  verroit  plus 
de  geDi  capabte«  d«  former  des  doiiles  que  de  les  r^oudie  et  beaucoiip 
seroifiil  plus  propre»  k  s'opposer  anx  verhis  qui  les  düendre. 

*  Dm  frftniösisihe  Uiilerrichlsgesetz  vom  15.  Man  1850  hat  darin 
einen  Fortachrilt  gemacht,  dasi  die  AlleinberridiBfi  der  ststlichen  Uiii- 
tei-sli&l  beseitigt  und  für  die  Oberleitung  und  Aufaicht  Über  das  Schul- 
wegen ein  Znsaninieii wirken  stalliober  und  birchliclier  Organe  giforderl 
wird.  Aber  in  einer  berriedigeixleii  organischen  Oestaltung  des  Ver- 
haltniHes  vod  BUtt  und  Kirche  ist  rs  aucli  durch  dieses  Oe«etz  uuch 
nicht  gekommen. 


n,g,t,7rJM,COOglC 


J48  Neimtee  Bucb.    Cnltnrptlrgr. 

vorbehftit,  in  religiöaer  Jlinsicht  der  Kirche  eine  würdige  und 
eingreifende  Wirkaamkeit  veretatten. 

Die  Volksschule  soll  vor  allen  Dingen  uienschliche 
Cnitur  verbreiten,  aber  damit  diese  nicht  in  leere  Abstrac- 
Üon  sich  auflöse,  soll  sie  diesz  in  na-tionaler  Form  und 
Richtuug  thun.  Die  Jugend  soll  auch  fUr  den  Stat  zn  tüch- 
tigen Genossen  und  BUi^rn  desselben  erzogen  werden.  In 
dieser  Beziehung  geschieht  nicht  genug,  und  doch  beruht 
die  Gesundheit  des  Volkes  nud  seine  politisrhe  Evaft  vor- 
nehmlich auf  einem  von  Jugend  an  geweckten  Nationalgeiet. 
In  gleicher  Weise  wird  in  dem  christlichen  State  der  chrisl- 
liclie  Glauben  und  christliche  Tugend  als  Grundlage 
*  der  religiösen  Bildung  anerkannt  und  sorgfältig  gepllegt 
werden  niüssen,  aber  die  Kirche  wird  diese  Pfl^e  nur  im 
Geiste  ihrer  besondern  Confession  üben  kftunen.  Ob  diese 
liücksicht  zu  einer  vAlligeu  Trennung  der  verschiedenen 
Volksschulen  je  nach  der  Cionfe^sion  oder  nur  zu  einer  Aus- 
scheidung des  religiösen  Unterrichtes  in  den  nämlichen  Schulen 
führe,  hängt  wolil  von  den  besondern  CuUurverhältniasen 
der  einzelnen  Länder  und  von  mancherlei  Gründen  ab.  Dar* 
Über  zu  entscheiden  aber  kommt  dem  State  zu,  der  in  bei- 
den Fällen  Aufsicht  zu  i)ben  hat,  dass  nicht  der  confessionelle 
Gegensatz  zu  inhumaner  Gehässigkeit  und  Feindschaft  ver- 
säuert und  geschärft  werde. 

Die  Zahl  der  Volksschullehrer  ist  in  neuerer  Zeit 
rasch  gestiegen.  Es  ist  das  ein  gutes  Zeichen;  denn  Über- 
füllte Schulen  taugen  nicht,  und  soll  die  gesammte  Volks- 
jugend, wie  das  in  Deutschland  und  in  der  Schweiz 
nun  geschieht,  in  Frankreich,  England  und  in  den 
meisten  übrigen  Ländern  allmäUch  wenn  auch  nur  langsam 
und  aus  der  Ferne  angestrebt  wird , '  die  gemeinsame  niedere 

*  ID  Pr%uszea  werden  30,000  Schullehrer  anf  15  Millionen  Hen- 
«chen,  ie  einer  auf  500  Seelen  gerecbnel,  in  eliiKJnen  Canlonen  der 
Schweiz  noch  mehr. 


iM,C00<^lL' 


Neoiites  Cttpitel.    Der  SM  und  die  VolkswbiiJ«^.  349 

Schulbildung  erhalten,  so  sind  zalflreiche  Schulen  und 
viele  Lehrer  ßedürfnisz.  Aber  mit  dem  Vorzug  hat  sich 
auch  das  Uul)el  UbermtLszig  gesteigerter  Anforderungen  an 
die  Lehrer  eingeschlichen  und  hinwieder  dieser  an  den  8tat 
und  die  Gemeinden.  •  Sie  werden  zuweilen  anf  den  Semina- 
rien  mit  Kenntnissen  beladen,  welche  sie  in  der  Volksschule 
Tiicht  brauchen  können  oder  nicht  brauchen  sollten.  Man 
Iftszt  sie  aus  den  Brunnen  höherer  Wissenschaft  gerade  so 
viel  trinken,  dasz  viele  davon  berauscht,  wenige  gesättigt 
werden.  Dadurch  wird  ein  gelehrter  Dünkel  in  ihnen  ge- 
reizt und  zugleich  der  ungestillte  Durst  nach  höherem  Wissen, 
das  nicht  in  die  Volksschule  gehört.  Diese  verliert  so,  worauf 
Alles  ankommt,  ihre  Einfachheit  und  ihre  moralische 
Gesundheit  und  geräth  in  einen  überreizten  Zustand.  Viele 
Lehrer  werden  unzufrieden  mit  ihrer  naturgemäsz  niedei-n 
und  beschränkten,  wenn  auch  noch  so  nöthigen  und  ehrbaren 
Berufsthätigkeit,  und  da  sie  auch  auf  dem  Lande  all'  ihre 
Zeit  der  Schule  zuwenden  mtlsseu  und  Beamten-Ähnlich  be- 
handelt werden,  so  werden  sie  darauf  hingewiesen,  in  der 
Schule  ihre  einzige  ökonomische E^iisLenz  zu  sehen,  und  an 
den  Stat  und  die  Gemeinde  steigende  Besoldungeansprtlche 
zu  machen.  Zuweilen  wird  dieses  StaudesgefUhl  zu  der  Ein- 
bildung gesteigert,  dasz  die  Volksschultehrer  voraus  die 
Schöpfer  einer  neuen  Cultur  und  die  wichtigsten  Reforma- 
'toren  der  Gesellschaft  seien. '   Es  ist  nicht  zu  läugnen,  dasz 

*  Jakob  Grimm  a.  a.  0.:  ,Da  ibDcn,  sagen  aie,  das  edelXe,  koat- 
barete  Gut  aller  Uenseheo,  die  Kinder  und  deren  geistige  EntfaltuDg 
empfohleo  sei,  köone  man  sie  oicht  gering  wie  Handwerker  seUen,  die 
iiar  dem  leibliclien  Wollt  frolinen,  vielmehr  Amt  ond  Beriir  müsseD  ihnen 
die  Ansprüche  wehrer  Stalediener  aaf  anstHodiges  Auskommen,  genfi- 
gende  Versorgung  im  Alter  und  Wiitwen geballe  sii^ero.  Hier  aber  wird 
ollenbar  der  Werth  denen,  dem  man  einen  Dienst  leisiei,  mit  dem 
Werihe  des  Dienstes  selbst  verwechselt;  es  ist  nicht  abzusehen,  waram 
wir  Uilcli  und  Brod  für  die  Kinder  thenrer  einkaufen  aojleti,  als  sie  jedem 
Alter  gellen,  oder  so  thener  wie  andere  schwere  Speisen.    Die  Fähigkeit, 


n,g,t,7.dt,G00gIc 


350  ,  Neunte«  Budi.    Cnlturpilrgr. 

in  niancben  SIsten  die  Volkeschu  Hehrer  ein  wichtiges  Ele- 
ment der  Bewegung,  zuweilen  der  Rerolution  geworden 
sind.  Aber  alle  UebertreibungeD  und  Ausschreitungen  Ein- 
zelner oder  Mancher  fallen  doch  weniger  lue  Gewicht,  als 
der  unbestreitbare  Segen,  den  die  besser  gewordene  Volks- 
schule Über  die  geistige  und  leibliche  Wohlfahrt  der  untern 
Volksciassen  bereits  verbieitei  bvt,  nnd  nichts  wäre  verk^r- 
ter  als  den  (Vtthern  geistlichen  Druck  auf  die  Schule  wieder 
herzustellen,  und  dieselbe  in  die  glücklich  Uberstandeneii 
Zustande  der  letzten  Jahrhunderte  zurück  zu  drangen.  Jede 
neue  Entwicklung,  besondere  wenn  sie  krtUtig  und  gesund 
ist,  schieszt  auch  in  tollen  und  unfruchtbaren  Trieben  aus. 
Manche  Uebertreibuug  ist  bereits  durch  die  natürliche  Re- 
ection  der  Verhaltnisse  corrigirt  worden.  Dem  State  aber 
wird  das  Recht,  ausschweifenden  Ansprüchen  entgegen  zu 
treten,  um  so  weniger  beanstandet,  je  wohlwollender  er 
auch  die  gerechten  Begehren  dieser  Classe  anerkennt  und 
dieselben  zn  befriedigen  sich  bemüht. 

4.  Der  sogepannte  Schulzwaug,  d.  h.  die  NOtbigung 
der  Eltern,  ihre  Kinder  zur  Schule  gehen  zu  lassen,  recht- 
fertigt sich  hier  aus  dem  Interesse  des  Statee,  dasz  die  ge- 
sammle Jugend  die  gemeinsame  menschlich-nationale  und 
religiöse  Bildung  erhalte,  welche  sie  zu  verständigen  nnd 
guten  StHtsbürgern  befähige;  reicht  daher  auch  nnr  so  weit. 
Wenn  Eltern  in  der  Familie  schon  hinreichend  dafür  durclr 
Privatlehrer  sorgen,  so  hört  jener  Zwang  auf,  denn  es  fehlt 
ihm  am  Grund.  Wenn  aber  Eltern  ihre  Rinder  in  dieser 
Beziehung  verwahrlosen,  nod  ihnen  nicht  einmal  die  allge- 
meine Volksbildung  vergönnen,  dann  hat  der  Stat  wohl  Ver- 
di« wir  Tom  SchulleliKr  fordern,  and  die  «r  uoa  aufwendet,  «cbeiot  mir 
ui  sich  unter  dei'  eines  auageieicliueieii  sianreichea  Handwerkers  tu 
sieheii,  der  in  seiner  Art  das  Houhale  bervorbriogt,  wfthrend  der  Lebr«r 
eln  fast  jodem  iiigängliebea  Uitteignt  darreicht,  und  sein  Tsleot  leJcbl 
Überbot«!  werden  kann." 


iM,Coo<^lc 


Neunlre  CspileJ.    Der  Stat  und  dfe  VolksBcbule.  351 

anlBSsimg,  das  Rerht  der  Kinder  auf  dieselbe  zu   schlitzen, 
und  sie  zum  Besuch  der  Volksschule  anzuhalten.* 

Unentgelllichkeit  der  VoJkeechule,  in  neuerer  Zeit 
zuweilen  als  Statsprincip  ^  {behauptet,  ist  durchaus  nicht  eine 
notliwendige  Pflicht  des  States,  und  ftlr  die  Volksschule 
selber  eher  ein  Schaden.  Der  natürliche  Grundsetz  ist  im 
Gegentheil  der,  dasz  voraus  die  Eltern  die  Kosten  der  Er- 
ziehung ihrer  Kinder  zu  tragen  haben.  Bann  erst  folgt  die 
Gemeinde  und  der  Stat,  die  auch  ein  wesentliches  In- 
teresse an  der  Schulbildung  haben,  und  daher  wohl  die 
Kosten  der  Schulhäuser  und  ihres  Bedarfs,  sowie  selbst  einen 
Tiietl  der  Besoldung  der  I^ehrer  auf  sich  nehmen,  und  po 
die  Lasten  der  Eltern  vermindern  mögen.  Aber  es  liegt  im 
Interesse  der  Schule  selbst,  dasz  f^r  die  Kinder  euch  Schul- 
gelder von  den  Eitern  bezahlt  werden,  nicht  allein  damit 
jener  erste  Grundsatz  nicht  in  Vergessenheit  komme,  sondern 
weil  durch  die  Leistung  das  Interesse  der  Eltern  an  der 
Schule  letiendig  erhalten  und  gesteigert  wird;  donn  es  ist 
der  Uehrzahl    der  Menschen    eigen,    dasz    sie    viel    mehr 

•  PreuiziBche  Verf.  §.  21:  „Ellern  uüd  dereu  Stell Terlreler  dSfreii 
ihre  Kinder  oder  Ptle^berobleDeD  nii^ht  obne  den  Unlerricbl  lassen,  wel- 
cher für  die  öffentlichen  Volkaechulen  vorgeschrieben  ist."  Zuerst  iet  der 
Qrnndsntz  des  Schulz wanges  wobl  in  Norrlamerika  anerkannt  worden. 
Das  Oeselz  von  Connecticut  von  1650  verpflichtet  die  Ellern.  ihre 
Kinder  zur  Schule  za  ecbicken,  VernachlfissigUDg  dieser  Pflicht  wird 
gebüszt,  und  wenn  die  Eltern  in  derselben  verharren,  so  greift  die  Ober- 
vormundschaft an  jener  Slott  ein.  Vgl.  Toqueville's  Amerika  I.  S,  68. 
Noch  älter  ist  das  Statut  ffir  Hassachnsets  vor.  1646.  Vgl.  Laboutaye. 
htst  d«  ColoDies  Am£rtq.  I.  277  ood  die  Rede  von  President  Webster. 
Ebenda  8.  385.  In  England  wird  dieses  Recht  des  States  uiiht  anei- 
kann).  Auch  Ouizot  (vgl.  llämoires  III.  61)  epraeb  sich  als  freuzösl; 
«eher  Cultusninlsler  dagegen  aus.  In  Deutschland  uud  der  Schweii 
besteht  der  Scbulzwang  und  ist  eine  Hauptursacbe  der  allgemeinen  Volks- 
bildung. 

^  Z.  B.  in  den  Qrandiechtea,  welche  die  deutsche  Na lional versa moi- 
lung  zu  Frankfurt  proclemirt  hat,  und  in  der  preuszischen  Verf. 
8.25. 


iM,Coo<^lc 


352  Nennlu  Biich.    Caltiirpflegc. 

werthen  und  sorgfältiger  behandeln,  wofUr  eie  unmittelbai- 
beisfeiiern,  als  was  ihnen  UDeatgeltlich  geboten  wird.  FOr 
Eltern,  denen  die  I^ast  allsuechwer  wird,  kann  der  Stpt 
oder  die  Gemeinde  hQlfreich  eintreten,  und  statt  ihrer  das 
Schulgeld  bezahlen;  aber  Eltern,  welche  die  ihnen  oblie- 
gende Pflicht  zn  erfüllen  im  Stande  sind,  derselben  zn  ent- 
laden, ist  weder  recht  noch  gut. 

Oeffentliche  Privatschulen  hat  der  Stat  eher  ein 
Interesse  zu  begünstigen  "  als  zu  verhindern,  denn  sie  nehmen 
ihm  einen  Theil  seiner  Sorgen  und  Lasten  ab.  Aber  er  darf 
nicht  versäumen,  strenge  Aufsicht  über  dieselben  zu  üben, 
und  zu  wachen,  dasz  nicht  ein  Teindlicher  Geist  zum  Ver- 
derben der  Jugend  und  zum  Schaden  auch  der  Gemeinschaft 
in  fiolclien  8chnlen  sich  einniste  und  um  sich  greif«.  Wird 
er  das  gewahr,  so  soll  er  mit  scharfem  Messer  den  Ansatz 
des  Bösen  heransschneiden ,  bevor  es  wuchernd  uro  eich 
gegriffen. 

5.  Auf  der  untern  Stufe  der  Volksschule  hat  die  Frä- 
heit  der  Wissenschaft  noch  wenig  Sinji.  Die  erste  Volks- 
bildung ist  ein  gemeinsames  und  gleichartiges  BedUrfnisz, 
und  die  Autorität  der  Lehrer  steht  noch  hoch  über  der 
Beurtheilungsfähigkeit  der  Schßler;  um  so  mehr  wird  jene 
hinwieder  zusammengehalten  und  geleitet  von  der  hohem 
Autorität  des  Stats.  Daher  sind  hier  vorgeschriebene 
Lehrmittel,  nicht  individuell  gewählte,  und  selbst  eine 
bestimmte  gemeine  Methode  des  Unterrichtes,  nicht  belie- 
bige Lehrmanier  angemessen.  Autorität,  feste  Regel,  Tra- 
dition der  Behandlung  haben  und  verdienen  hier  das  Ueber- 
gewicht. 

'  Preuazische  Terf.  J.  22:  „Unterriobt  lu    erttteilen  und  DbIot- 

lichtMnBtalten    lu   grttnden   8t«ht  Jedem   frei,  iieim    er   aeine   ailtllohe, 

wiaaenwhaniiche  UDd  tMhnfaclie  BefllhigaDg  den  betreffimdeD  SUU- 
behörden  utehgewieaeD  bat." 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


ZelintüB  Capltel.     Die  Beruft,  («cfaDiMben  und  geklirlcn  ScbalcD.    $53 

Zehntes  Capitel. 

Die  BeriifV,  lechnitcbeD  und  gelehrten  Schulen. 

1.  Nur  die  Volksschule  ist  allgemein,  die  gesatnmte 
Jngend  umfassend,  gleichm&szig  unterrichtend.  Höher  liinaur 
scheiden  sich  die  Richtungen  nach  Bern fs weisen  nnd 
noch  den  Interessen  höherer  Geistesbildung.  Die  ein- 
zelnen Schulen  sind  fUrdieRedürTnisee  einzelner  Classon 
nur  bestimmt.  B^  hört  daher  nun  der  Schulzwang  auf. 
I>er  Stat  konnte  fordern,  dasz  Alle  menschlich -national  ge- 
bildet werden;  die  besondere  Berufsbildung  ist  in  vieMn 
F&lleii  auch  ohne  Schule  erreichbar,  und  gehört  in  den  freien 
Bereich  der  Familienereiehung.  Nur  wo  der  Stat  Aeniler 
und  Stellen  zu  rei^eben  hat,  fUr  welche  besondere  nnd 
erhöhte  Berufs  -  oder  wissenschaftliche  Kenntnisse  unentbehr- 
licli  sind ,  oder  wo  die  Ausübung  eines  bloszen  Priratberufes 
ans  polizeilichen  Grönden  auf  Personen  tieschränkt  werden 
musz,  welche  die  erforderliche  Art  Bildung  besitzen,  mag- 
der Stat  wohl  den  Ausweis  verlangen  Itber  eine  bestimmte 
Schulbildung,  und  die  aussohlieszen,  welche  die  Öffentlichen 
filr  diese  Fficber  bestimmten  Schulen  nicht  besucht  haben. 
-Auch  da  sind  aber  noch  einzelne  Ausnahmen  zu  verstatten, 
,in  denen  die  nötliige  Fähigkeit  auf  andern  Wegen  erworben 
worden;  denn  mehr  auf  die  Fähigkeit,  als  auf  den  Weg  zu 
ihrer  Erlangung  kommt  es  an. 

2.  Die  obem  und  mittlem  Schulen  zerfallen  in  drei 
Hauptclassen : 

a)  Besondere  Berufsschulen,  wie  vorzüglich  die 
landwirthschaftlichen  zur  Ausbildung  von  Landwirthen, 
und  Gewerbeschulen  zur  Ausbildung  von  Handwerkern. 
Sie  gehören  vorzugsweise  dem  vierten  Stande  an,  nnd  sind 
für  Andere  nur  Durchgangastufen.  Ein  groszer  Theil  aber 
des  vierten  Standes  bedarf  ihrer  flicht,  ihm  genügt  die 
Bluntschli.  allgemeine»  SUtsrechl.    H.  23 


iM,Coo<^lc 


;)51  '    Neuntes  Buch.    Cullurpflrg«. 

Volksschule  und  die  Forlbildung,   die  das  Leben  sellier  ge- 
währt. 

b)  Höhere  technische  Schulen,  fOr  diejenigeu 
Classen  der  Bevölkerung  bestimmt,  welche  zwar  nicht  noth-  - 
wendig  einer  gelehrten  Bildung  bedorfen,  wohl  aber  in  den- 
jenigen Wissenschaften  tiefer  eingeweiht  wtrden  müssen, 
welche  den  Geist  zu  höherer  Industrie,  Technik,  Runst  be- 
fähigen. Diese  Schulen  dienen  vorzüglich  dem  dritten  Stande, 
den  Architekten,  Ingenieuren,  Fabrikanten,  Künstlern. 

c)  Gelehrte  Schulen,  theils  als  Vorbereitung  für  die 
Universität,  theils  für  die  Jugend  bestimmt,  welche,  ohue 
sich  einem  gelehrten  Berufe  zu  widmen,  doch  den  Adel  clas- 
sischer  Bildung  erwerben  will. 

3.  Die  Berufsschulen  im  engern  Sinn  unterscheiden 
sich  von  den  hohem  technischen  und  den  gelehrten  Schulen 
vornehnilich  dadurch,  dasz  der  Unterricht  in  jenen  nicht  in 
das  Heiligthuni  der  Wissenschaft  eingeht,  sondern  eich  in 
den  Vorhallen  derselben  bewegt,  und  fortwährend  die  prac- 
tische  Nutzbarkeit  voraus  beachtet  Der  Einfachheit  des 
Unterrichts  liedUrfen  sie  wie  die  Volksschule,  als  deren 
höhere BliUhe  sie  oft  behandelt  werden;  die  besondere  Rich- 
tung auf  eine  bestimmte  Berufsgattung,  Landwirthschaft, 
Handwerke  u.  dgl.  hebt  sie  Über  diese  hinauf.  Der  Unter- 
richt in  fremden  Sprachen  ist  nur  fUr  solche  nöthig,  welche 
diese  Schulen  als  Uebei^ngsstufen  zu  hohem  technischen 
benutzen;  für  die  Masse  der  Schüler  dagegen  ist  der  Unter- 
richt in  der  Volkssprache,  in  der  Mathematik  und  den  Na- 
turwissenschaften, soweit  diese  eine  nahe  und  leicht  ver- 
ständliche Anwendung  auf  jene  Berufskreise  schon  gefunden 
haben,  genügend,  und  so  weit  denn  auch  im  Interesse  guter 
Ordnung  und  gleich mäsziger  Forlbildung  für  alle  Schüler 
vorzuschreiben.  Strenge  Schuldisciplin  ist  in  diesem  Kreise 
unentbehrlich,  die  LernfVeiheit  ausnahmsweise  zulässig,  die 
Lehrfreiheit    noch    wesentlich    durch    die    voi^eschriebenen 


iM,Coo<^lc 


Zehiiln  Capit«!.    Die  Berufs-,  technlMhen  und  felehVlen  Schulen.    355 

Lehrmittet  und  das  rorgeschriebene  Lehrziel  beschränkt  Diese 
Schulen  ersetzen  theilweise  den  Untei-richt,  den  der  an- 
gehende Landwirlh  aiif  dem  Gute  oder  der  Lehrling  in  der 
Werkstätte  seines  Meisters  findet,  theilweise  befähigen  sie 
um  der  gröszern  Wissenschaftlichkeit  der  öffentlichen  Schulen 
willen  zu  hohem  selbständigen  Fortschritten  im  practischen 
Leben.  Der  Stat  kann  durch  Gründung  und  freie  Eröifnung 
solcher  Schulen  sehr  wohUhätig  einwirken  auf  die  Cullur- 
nnd  Berufstüchtigkeit  zahlreicher  Volksclassen. 

4.  Eine  höhere  wissenschaftliche  oder  kttnstlerische  Be- 
deutung haben  die  höhern  technischen  Schulen,  wie 
Torzttglich  die  Realgymnasien,  die  polytechnischen 
Schulen  und  die  Eilnstlerakitdemien. 

Die  erstem  fuhren  die  Zöglinge  tiefer  ein  in  diejenigen 
Wissenschaften,  welche  vorzüglich  auf  das  prsctische  Leben 
der  Techniker  und  der  hohem  Industriellen  Einflusz  haben. 
Mathematik,  Geometrie  und  Physik  und  ihre  Anwen- 
dungen auf  Mechanik  und  Chemie  sind  hier  das  Centrum 
der  theoretischen  Ausbildung,  die  Kunstgeschichte  die 
Grundlage  der  künstlerischen  Bildung  und  die  Kunst  zu 
zeichnen  eine  Hauptfertigkeit ,  die  hier  geUbt  werden  musz, 
daneben  sind  die  modernen,  nicht  die  antiken  Sprachen  zu 
cultiviren.  Wohl  darf  man  auch  hier  die  practischen  Zwecke 
des  Unterrichte  nicht  aus  den  Augen  lassen,  aber  die  Wis- 
senachaften  müssen  doch  in  ihrem  gunzcn  Umfang  und  Zu- 
sammenhang, somit  auch  in  den  Beziehungen  gelehrt  werde», 
deren  practische  Anwendbarkeit  nicht,  oder  nicht  unmittel- 
bar und  nicht  jetzt  schon  wahrzunehmen  ist.  Die  wissen- 
schaftliche Durchbildung  der  Zöglinge,  welche  ihren  Geist 
fähig  macht,  sich  in  den  mancherlei  hohem  technischen  Be- 
rufskreisen mit  freier  Sicherheit  zu  bewegen,  nicht  die  Zu- 
richtung fUr  einen  beschränkten  Beruf  ist  hier  die  Auf- 
gabe. Erst  im  späteren  Leben  scheiden  sich  die  besonderen 
Wtge. 

n,g,t,7rJM,COO<^IC 


356  '     Neiinlea  Bnch.    Caltarpflege. 

Diese  Anstalten  haben  in  den  Obern  Classen  eine  ge- 
wisse Vemandtscliaft  mit  den  UniverstUten.  Die  heraoge- 
wachsenen  Zöglinge  können  in  dein  Verhältnis)!  ihres  erstark- 
ten Triebes  zum  Selbststudium  wohl  ron  manchen  Banden, 
welche  die  untern  Schüler  noch  enger  an  die  Autorität  und 
an  die  Zucht  des  Lehrers  binden,  losgekntlpft,  und  ihnen 
akademische  Freiheit  verstattet  werden.  Nur  darf  solche 
Freiheit  nicht  Über  den  nattVrIichen  Zweck  der  Schule  hin- 
aus genährt  vierden.  Insbesondere  erfordert  es  die  Natur 
des  mathematischen  Unterrichts,  dasz  eine  bestimmte  Folge 
auch  der  Lehrfächer  beachtet  werde.  Auch  wird  noch  weit 
hinauf  ein  wechselseitiger  Verkehr  des  unterrichtenden  Leh- 
rers mit  dem  lernenden  Schaler  wohlthftliger  wirken,  als 
eine  Beschrftnkung  des  Unterrichts  auf  blosze  Vorträge  ohne 
Prüfung,  ob  die  Schüler  diesen  wirklich  folgen.  Je  mehr 
wissenschaftlichen  Gebalt  die  Lehre  hat,  desto  mehr  indiW- 
duelle  Freiheit  in  ihrer  BehaodluDg  ist  aach  für  den  Lehrer 
BedUrfnisz;  daher  denn  auch  hier  die  Lehrmittel  nicht  mehr 
vorgeschrieben ,  noch  die  Methode  der  Lehre  von  oben  her 
anbefohlen  werden  darf,  wie  in  den  untern  Schulen. 

Eine  ähnliche  Stellung  haben  die  Eünstlerakademien. 
Die  Wissenschaft  aber  tritt  hier  in  die  zweite  Linie  zurück, 
die  künstlerische  Hebung  in  die  erste  ein. 

5.  Die  Grundlage  der  gelehrten  Schulen  ist  die 
classische  Bildung,  der  Unterricht  in  der  lateinischen, 
dann  aucli  in  der  griechischen  Sprache  und  die  Ge- 
schichte. Die  höhere  wissenschaftliche  Erziehung  muss 
den  Schüler  einweihen  in  die  Grundlagen  unserer  Cultur, 
erTUllen  mit  dem  frischen  und  schönen  Geiste  der  Vorzeit, 
in  welcher  die  Menschheit  gleichsam  ihre  Jugendblülhe  ent- 
faltet hat.  Sie  musz  dieselbe  hindurch  geleiten  durch  die 
reichen  Erfahrungen  der  früheren  Jahrhunderte,  nicht  um  in 
diesen  gefangen  zu  bleiben,  sondern  um  der  Stufe,  auf  welcher 
nun  die  Menschheit  steht,   benuszt  zu  werden,  und  auf  ihr 


n,g,t,7.dt,C00gIc 


Zebniea  Capite).     Die  Bernfa-,  leohDiNhen  nnd  gvlebrteD  Schulen.    357 

mit  erweitertem  und  freiem  Blicke  vorwftrto  zu  schreiten. 
Ad  der  Hand  der  Griechen  und  der  Römer  eind  die  neueren 
Völker  in  geistigen  Dingen  ähnlich  wie  dnrch  das  Christen- 
thum  in  religiöser  Beziehung  erzogen  worden,  und  diese 
welthistorische  Erfahrung  soll  sfch  in  dem  Leben  der  einzel- 
nen höher  gebildeten  Individuen  wiederholen.  Wer  einen 
andern  Weg  geht,  kann  wohl  manches  Ziel  erreichen,  es 
wird  aber  in  seiner  Bildung  immer  eine  leere  Stelle  sein, 
die  von  den  ausgezeichnetsten  Männern  als  ein  erheblicher 
Mangel  Bchmerzlich  empfunden  wird.  In  den  claesischen 
Studien  ist  ein  gewisser  Duft,  ein  Glanz,  ein  Adel,  die  zu 
voller  und  scbOner  Entfaltung  des  wissenschaftlichen  Geistes 
unentbehrlich  sind.  Sie  spannen  und  Üben  die  Kräfte  des 
jugendlichen  Geistes  aufs  höchste  und  doch  d^n  Alter  ge- 
mOsz,  wecken  seinen  Sinn  fUr  Schönes,  Groszee  und  Edles 
und  slärken  seine  Schwungkraft. 

Allerdings  waren  die  gelehrten  Schulen  früher  zu  ein- 
seitig auf  den  Unterricht  in  den  classischen  Sprachen  begränzt 
tind  eine  pedantische  Mettiode,  welche  den  Schülern  häufig 
den  Genusz  der  herrlichen  Schätze  des  Alterthums  sogar 
eutleidet  hat,  statt  ihn  zu  eröffnen ,  hatte  zuweilen  den  Werth 
derselben  in  eine  todte  Gelehrsamkeit  umgesetzt,  die  ftlr  die 
Fortechritte  und  Bedurfnisse  unsers  Lebens  den  offnen  Sinn 
verlor.  Es  ist  daher  ein  Vorzug  neuerer  Einrichtungen, 
wenn  der  Unterricht  in  den  classischen  Spi-achen  ei^änzt 
wird  durch  gründlicheres  Verstftndnisz  der  einheimischen 
.Volkssprache  und  Literatur,  zuweilen  sogar  durch  die  Bei- 
gabe fremder  neuerer  Sprachen ,  und  wenn  auch  den  übrigen 
formell  bildenden  Fächern  der  Mathematik  und  Physik  und 
wie  der  alten,  so  auch  der  mittlem  und  neuern  Geschichte 
ein  weiterer  Spielraum  eröffiiet,  und  so  der  Geist  nach  allen 
Richtungen  hin  geübt  wird.  Auch  die  wissenschaftliche  Be- 
handlung des  Christenthums  und  seiner  Geschichte  darf  nicht 
fehlen,  damit  die  ganze  gelehrte  Bildung  in  sich  harmonisch 


iM,Coo<^lc 


358  NfUDtes  Buch.    CnJturpÜege. 

sei.  Aber  in  neuei-er  Zeit  ist  man  znweilen  hinwieder  in 
den  Fehler  einer  Ueberlodung  mit  Büdungsstoff  verfallen, 
an  dem  der  jugendliche  Geist  Überreizt  und  übersättigt  wird. 
Körperliche  Schwäche  und  geistige  Zerstreutheit  und  Schlaff- 
heit sind  leider  nicht  seltene  Folgen  eines  sojchen  unmäszig 
gesteigerten  Vielerleis. 

Dem  Alter  der  Schuler  und  ihrer  Bildungsstufe  gemOsz 
darf  der  Unterricht  nicht  als  freier  Vortrag  abgelltst  werden 
ron  st&ter  Hebung  der  Schaler,  unter  fortgesetzter  Aufsicht 
und  Antrieb  der  Lehrer.  Die  Schulzucht  soll  zwar  das  Ehr- 
gefühl schonen  und  wecken,  darf  aber  keineswegs  locker 
und  schwach  werden.  Die  Lehrfächer  sind  noch  genau 
bestimmt,  und  der  regelmfiszige  Besuch  wenigstens  der 
Grundfftcher  —  wozu  voraus  der  charakteristische  Unterricht 
in  der  lateinischen  Sprache,  wenn  Ausnahmen  verstattet 
werden  auch  in  der  griechischen ,  und  der  Geschichte  gehOrt 
—  ist  verbindlich  gemacht,  nicht  in  die  Wahl  der  Schüler 
gelegt.  Es  ist  ein  Schaden  fur  Lehrer  und  SchQler,  wenn 
sie  die  Art  und  Freiheit  der  Universitäten  schon  in  die  Gym- 
nasien verpflanzen  wollen.  Der  ganze  Zweck  dieser,  die 
jugendlichen  Kräfte  in  fortgesetztem  Ringen  zu  Ubeu  und  zu 
stärken,  wird  dadurch  verfehlt,  und  der  Genusz  unreifer 
Fruchte  läszt  eine  kranke Seelenstimniung  zurück,  die  spater 
auch  i-eife  Früchte  nicht  mehr  zu  pflücken  gelüstet  und  zu 
genieszeu  nicht  die  Kraft  hat. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


360  Neaoles  Buch.    Caltarpflcg«. 

wie  dtts  Coll^g«  de  France  in -Perie,  haben  als  allge- 
meine wissenschaftliche  Anstalten  für  Erwachsene  überhaupt 
einen  eigen thi) ml ichen  Wertb  und  wohl  eine  znnehmeu^  . 
Bedeutung;  aber  sie  sind  von  den  Unirersitüten ,  die  zugleich 
Anstalten  fUr  die  wissenscha/tUchen  Berufsclassea  sind,  we- 
sentlich verschieden. 

2.  Die  Universität  bedarf  der  wisseuschaft/ichen 
Selbständigkeit,  denn  die  höhere  Wisseuschaft  erecblieset 
sich  nur  voller  Geistesfi-eiheit.  Dafür  ist  die  corporative 
Selbständigkeit  derselben  eine  vortreOliche  Unterlage. 
Aber  liier  begegnen  wir  nun  einem  wichtigen  O^ensatze 
zwischen  dem  Hittelalter  und  der  neuen  Zeit.  Jenes  liebte 
und  schützte  die  corporative  Selbständigkeit  so  sehr,  dosz 
dieselbe  bis  zu  voller  Unabhängigkeit  und  einer  Art  von 
Souverftnetttt  gest^gert  wurde.  Das  aber  widerspricht  dem 
modernen  State,  dessen  einheitlicher  Organismus  Unterord- 
nung aller  0£fent1ichen  CorporHtionen  verlangt  und  der  eine 
bedeutsame  Aufsicht  und  Pflege  auch  über  die  höchsten  Bil- 
dungsanstalten  anspricht.  Auf  den  englischen  Universi- 
täten hat  sirh  auch  in  dieser  Beziehung  noch  länger  mittel- 
alterliche Freiheit  erhalten,  aber  selbst  da  läazl  der  Geist 
unserer  Zeit  an  den  6tat  die  Mahnung  ergehen,  daez  er  die 

die  für  dae  Volk  —  noch  ein  SchsDapiel,  das  Hir  daa  Publicum  besüromt 
ist,  aoodern  «ine  wiaaenscliartlicbe  Aoalait  für  die  JüDger  der  Wieaen- 
acliaft.  Der  Troat,  dui  <Ju  vor  bereitet«  durcli  deu  eig^nea  Scbkden  klug 
werden,  int  ebenso  trügeriacli  als  frivol.  Uebr  als  eine  Universität  em- 
plindet  es  äuaierat  ecbmerzlicli ,  dasi  eine  gi'osze  Zahl  vou  Sliidenlen  uicbt 
liinreichend  vorgebildet  ist.  Diese  tri^  Haas«  zieht  mit  bleiernem  Ge- 
wicble  den  wiaaensdinftliclien  Vortrag  hernieder  und  drückt  den  üelat 
der  Studentenschaft  herab.  Ea  soilen  keine  überapannlen  Fordernngen 
■n  die  Eintretenden  gemaclit  werden;  «bar  je  strenger  die  Prüfang  auf 
die  Kennzeichen  wiaaenscbäftlicher  Uebung  achtet  nnd  uur  die  wirklich 
fdr  eilten  wissenschafUicheD  Lebensbernf  Tsuglicheu  sulüszt,  desto  wohl- 
ibüliger  wird  sie  für  die  Individnen  wirken,  die  noch  bei  Zeilen  auf 
einen  für  sie  passenileren  Beruf  liingewieseu  werden,  fiir  die  Anstalt, 
deren  Ehre  und  wissenscIi&ftlicLer  Geist  gelioben  wird,  uud  für  den 
8uil,   den  die  Bitterkeit  eines  nnreifen   UulveraiitlsweaenH  sehr  belästigt. 


iM,C00<^lL' 


Eilfies  Ckpilc).    Die  Univeniiaun.  361 

ihm  gebührenden  Hoheitorechle  übe.  Auf  dem  Contiiient  ist 
schon  8Üt  langem  daa  neuere  Princip  der  Statscnratel 
practUcb  geworden.  Die  Vormundschaft  det  Kirche  hat 
dem  State  ebenso  Überall  weichen  müssen,  und  nur  mit 
Bezug  auf  die  theologischen  Facultttten,  deren  Bedeutung 
für  die  Ausbildung  der  Geistlichkeit  die  Kirche  nahe  angeht, 
wird  ihr  eine  gewisse  Mitwirkung  und  theilweise  Hitaufeieht 
entweder  noch  zugestanden,  oder  ron  ihr  und  nidit  ohne 
innwe  B^echtigung  beharrlich  begehrt. 

Was  an  corporativer  Selbständigkeit  theiJs  geblieben, 
tlieils  werth  der  Erhaltung  ist,  besteht  hauptsächlich: 

a)  in  dem  Besitz  und  in  der  VerwAftung  eines' 
eigenen  Vermt^ens ,  wenn  auch  unter  der  Oberaufsicht,  nur 
nicht  der  eigentlichen  Vormundschaft  des  Stats.  IMe  äuszere 
Existenz  der  Universitäten  wird  dadurch  in  hOherm  Grade 
vor  den  mancherlei  Unl^Uen  bewahrt,  welche  die  öffent- 
lichen StatsQnanzen  leichter  treffen,  und  zugleich  da-  Uni- 
versität eine  freie  und  angesehene  sociale  Stellung  gesichert; 

b)  in  der  eigenen  Gerichtsbarkeit,  welche  f^lich 
innerhalb  des  modernen  States  einer  vollständigeren  Untetv 
Ordnung  und  engerer  Beschränkung  unterliegen  musz,  als 
im  Mittelalter,  und  mehr  nur  in  Gestalt  und  nach  Art  did- 
cipllnarischer  Zucht  fortdauern  darf; 

c)  in  der  Ehre,  welche  die  Corporation  vom  State  zu 
erwarten  ein  B«cht  hat  — auf  ftuszere  Gewalt  hat  sie  kfflnen, 
auf  Ehre  der  Hoheit  des  wissenschaftlichen  Geistes  gemäsz 
einen  wohl  begründeten  Anspruch  —  und  in  den  akade- 
mischen Ehren  die  sie  selbst  verleiht.  Beides  wird  nicht 
immer  und  nicht  Überall  richtig  gewürdigt.  Manche  Facul- 
täten  selbst  haben  leider  dazu  beigetragen ,  die  akademischen 
Würden,  auch  die  des  Doctorats,  durch  Verschwendung 
an  Candidatcn ,  die  solcher  Auszeichnung  nicht  würdig  waren, 
um  den  X>edit  und  damit  um  ihren  Werth  zu  bringen,^  und 
der  Stat  hat  statt  solchen  Miszbräuchen  zu   wehren,  jenen 


iM,Coo<^lc 


362  Neantu  Buch.    Cnltarpflvge. 

Äie  Achtung  versagt,  und  dadareh  wieder  ein  wichtiges  Ele- 
iiien>  einer  sittlich -geiedgen  Ordnung*  zerstört;  und  die  Art, 
wie  einzelne  Staten  das  Rangrerhaitnisz  der  Universitäten 
'  und  ihrer  Mitglieder  geordnet  haben ,  beweist,  dasz  auch 
da  die  rechte  Einsicht  noch  rielfach  mangelt; 

d)  in  der  Vertretung,  welche  den  Körpern  der  Umver- 
sitAten  in  dem  Rathe  der  Nation  gewährt  wird ,  und  ebenso 
sehr  ihrer  groszen  Bedeutung  fDr  das  geistige  Leben  der- 
selben gemäsz  als  Itlr  eine  einsichtsrolle  Berathung  der  Ge- 
setze dienlich  ist. 

3.  Die  Eintheilung  der  UniTersit&ten  in  vier  Facul- 
t&ten  BchMeszt  sich  an  uatai^emäsze  Gegensätze  und  Be- 
dürfnisse an.  Die  philosophische  FacultAt  mit  ihren 
zahlreichen  Disciplinen  der  Philosophie,  die  erst  hier  und 
nicht  schon  auf  den  Gymnasien  mit  Erfolg  gelehrt  werden 
kann  und  gewissermaszen  den  Weg  eröffnet  in  den  Vorsaal 
aller  Specialwisseuschaften ,  der  Philologie  in  ihrer  Voll- 
endung, der  Geschichte  In  ihrer  umfassenden  und  in  das 
Leben  der  einzelnen  Völker  sich  versenkenden  Reichhaltig- 
ktit,  der  mathematischen  und  Naturwissenschaften, 
ist  (Ur  die  gröszere  Zahl  der  Studenten  hauptsäclilich  von 
propädeutischer  Bedeutung,  ftlr  eine  Minderzalü  aüer,  die 
sich  dem  Lehrfach  oder  den  dahin  gehörigen  besondern  Wis- 
senschaften widmet,  zugleicli  abschlicszend.  Vorzugsweise 
in  höhere  wissenschaftliche  Berufskrelse  fuhren 
die  drei  andern  FacuMten  ein  und  haben  daher  auch  den 
Vorrang.  Die  theologische  hat  eine  höhere  Beziehung 
zur  Kirche  und  die  Aufgabe,  die  Wissenschaften  zu  lehren, 
deren  die  Gieistlichkeit  in  unserer  Zeit  bedarf,  um  fähig  zu 
sein,  ihre  kirchliche  Mission  auch  geistig  zu  verstehen,  und 
um  gertlstet  zu  sein,  sie  mit  den  Waffen  der  Wissenschaft 
zu  schützen  und  auszuführen.  Die  zweite  Facultät  wurde 
früher  als  die  juristische  bezeichnet.  In  neuerer  Zeit 
wurde    sie,    seitdem    die   Statswisseuscbaften    einen   weitern 


iM,Coo<^lc 


Etiru»  C«pitd.    Die  DnlTorei litten.  363 

Umfang  gewonnen  haben,  zuweilen  Tertheilt  in  einejumtisclie 
lind  eine 'Statewiesenschdftliche  im  engern  Sinn,  indem  die 
Jarieprodeoz  im  engern  Sinn  anf  der  eiiien  und  die  Wissen- 
schaften der  Polizei-  und  Statswirthechaft  auf  der  andern 
Seile  geschieden  wurden.  Han  hat  diese  Unterscheidung, 
welche  mit  der  Sonderung  der  Justiz  ron  der  Verwaltung 
in  einem  Innern  Zusammenhang  ist,  nicht  consequent  genug 
durehgebildet  und  die  sf^nannte  statswirthschaftliche  Fa- 
cultfit  theils  zu  schroff  tod  der  rechtswissenschaftlichen  loe- 
getrennt,  theils  zu  enge  als  eine  blosz  technische,  weniger 
als  eine  statswisaenschaftliche  Äbtheilung  behandelt.  Die 
Hasse  der  Studenten  hat  sich  daher  tiberall  der  juristischen 
and  nur  Wenige  haben  sich  der  statswirthschafllicheit  Fa- 
cultät  zugewendet.  Im  Princip  gehören  aber  Rechts-  und 
Ststswissenscbaften  offenbar  znsammen,  und  erst  wenn 
diese  Einheit  anerkannt  oder  wieder  hergestellt  ist,  sollte  der 
Gegensatz  von  Recht  und  Stat,  Jurisprudenz  und  Politik, 
Rechtspfl^e  und  Verwaltung  seinen  Eintlusz  auf  die  Studien-' 
einrichtUDg  bewahren.  ^  Allerdings  sind  früher  jene  oft  ver- 
nnchiAssigt  und  fast  alle  Aufmerksamkeit  diesen  zugewendet 
worden ;  aber  dieser  Uangel  kann  gehoben  werden ,  ohne 
in  der  Facultät  zu  scheiden,  was  innerlich  verbunden  ist. 
Die  medicinische  Faeultftt  endlich  befähigt  zu  den  Wis- 
senscbaftea,  welche  fUr  eine  rationelle  Erkenntnisz  und  Be- 
handlung der  Krankheiten  dienen.  So  gehen  aus  den  Uni- 
versitälenTheoIr^en,  Juristen  und  Verwaltungsmänner,  Aerzte, 
Lehrer  hervor. 

4.  Die  Pflege  des  Stuts  äuezert  sich  vorerqt  in  der 
BeruAing  und  Anstellung  der  Professoren,  denen  er  mit 

'  In  der  einen  Facutlät  (iit  Stals-  und  BechtowiBsenscbanen  lassen 
sich  dann  immerhin  passend  iwei  Hauplrictitungen,  die  politische  und 
die  juristische,  ii n (ersehe id e» ,  wie  die  eine  philosophische  Facnllal  aus 
zwei  Unt^rablheilungen  besteht,  der  piiilologiscb  -  hisUiriecben  auf  diT 
einen  ntid  d«r  naturwissenschaftlichen  aur  der  andern  Seite. 


n,g,t,7rJM,COOglC 


364  Nenntes  Buch.    CaltarpaFge. 

Zuversicht  die  Anr^ing  zu  einem  gesunden  wissenschaft- 
lichen Studium  anvertraut.  Den  FacuitSten,  wel<*e  mit  dem 
Gang  und  den  Bedurfnissen  der  Wissenschaft  genauer  ver- 
traut und  mit  den  kundigen  und  lauglichen  Personen  nfiher 
bekannt  sind,  gebtlhrt  wohl  ein  Vorschlags-  und  Begut- 
achtungsrecht: aber  der  Stat  darf  nicht  an  ihre  Ansicht 
gebunden  werden;  denn  auch  einzelne  Facult&ten  können 
im  Schlendrian  versinken  und  ihr  Blick  wird  durch  persön- 
liche Interessen  leicht  getrübt  Der  Stat  thut  daher  wohl 
daran,  daneben  selbst&ndig  zu  prüfen;  d^n  am  Ende  hAngt 
das  ganze  Oedeihen  der  Anstalt  doch  von  der  richtigen  Wahl 
der  Personen  ab,  die  in  derselben  wirken,  und  jeder  Miaz- 
griff  hat  groszen  Schaden  zur  Folge  und  ist  nur  schwer  zti 
bessern. 

Anders  ist  die  Stellung  der  Privatdocenten,  die  kein 
-Lehramt,  kein  „munus  legendi"  sondern  nur  die  „venia  le- 
gendi" haben.  Für  alle  erheblichen  Wissenschaften  musz 
daher  durch  Professoren,  für  die  Hauptfächer  durch  orden  t- 
liehe  Professoren  stets  geseilt  sein.  Um  so  unbedenklicher 
darf  denn  den  jungem  Gelehrten,  deren  wissenschafllivhe 
Befähigung  geprüft  und  von  der  FacultAt  anerkannt  worden 
ist,  die  Freiheit  verstattet  werden,  sich  iii  der  Universitats- 
lehre  zu  versuchen  und  zu  üben.  Diese  Zulassung  dw  Pri- 
vatdocenten  ist  Sache  der  Faculttiten.  Es  ist  diese  Sitte,  der 
wir  eine  sich  stets  erneuernde  Zahl  und  eine  gröszere  Aus- 
wahl tachtiger  Professoren  verdanken ,  ein  Vorzug  der  deut- 
schen Universitäten  und  der  Natur  der  wissenschfiftlichen 
Studien  durchaus  angemessen.  Den  Privatdocenten  aber  Sitz 
und  Stimme  in  Universitfttsangelegenheiten  einzuräumen  ist 
unorganisch,  sie  der  Aufsicht  der  FacuK&ten  za  entziehen 
schädlich. 

5:  Die  Art  der  wissenschaftlichen  Behandlung  der  Vor^ 
träge  wird  mit  Recht  fast  Überall  den  Docenten  selbst 
anheim    gestellt;    und    es    ist  jede   nähere   Vorschrift   und 


n,g,t,7.dt,GdOgIc 


Eilflea  Capitei.    Die  Universitären.  3^ 

Anleitung  von  Stats  wegen  verwerflich.  Die  Lehrfreilieit 
ist  auf  dieser -Stufe  iineDtbehrlich.  Wenn  es  der  wesentliche 
durch  keine  Bücher  zu  ersetzende  Werth  der  UoirersitAt  ist, 
wie  Savigny^  da«  vortreflflich  au^edrilckt  hat,  „den  Stu- 
denten die  WisaßDschaft,  soweit  sie  gegenwärtig  eiitwickelt 
ist,  in  dem  Lehrer  personificirt  darzustellen,  und  indem  die 
Geoesis  des  wissenscbafllicben  Denkens  zu  lebendiger  An< 
scbanung  gebracht  wird,  die  verwandte  geistige  Kraft  in  dem 
Schüler  zu  wecken  und  zur  Refffoduction  auzuregen,"  ao 
musz  den  Universitätslehrern  die  Freiheit  vei^önnt  werden, 
nach  ihrer  individuellen  Art  selbständig  vor  den  Zuhörern  in 
das  Heiligthum  der  wissenschaftlichen  Erkenntiiisz  Torzu- 
gehen,  und  es  ist  eine  unnatürliche  und  unfnichtbare  Zu- 
muthung,  sie  auf  andere  als  die  von  ihnen  erkannten  Wege 
hinleiten  zu  wollen.  Die  wissenschaftliche  Erkeontnisz  kann 
nur  durch  den  individuellen  Geist  mit  Freiheit  erwor- 
ben und  nur  ebenso  hinwieder  su  derselben  angeregt  werden. 
Alle  Vorscbrifteo  über  Lehrbücher,  Systeme  u.  s.  f.  sind  da- 
her unzulässig. 

Jene  Lehrfreiheit  ist  indessen  so  wenig  als  alle  andere 
Freiheit  eine  absolute  und  schrankenlose.  Sie  wird  näher 
bestimmt  und  b^ränzt  durch  den  Zweck  der  AnstiUt. 

a)  Die  Form  der  Lehre,  welche  der  Universität  eigen- 
thQmlich  ist  und  die  festgehalten  werden  musz,  ist  vorzüglich 
der  zusammenhängende  freie  mündliche  Vortrag  einer 
Wissenschaft.  Wo  derselbe  zu  blossem  Dictireu  herabsinkt, 
da  wird  der  wesentliche  Vorzug  der  Universitäten  serstöit, 
und  von  Anregung  des  wissenschaftlichen  Geistes  durch  ein 
lebendiges  Vorbild  kann  bei  solcher  geisttOdtender  Meschinen- 
»"beit,  welche  Uberdem  durch  die  Druckerpresse  viel  besser 
geliefert  würde,  keine  Rede  mehr  sein.  Ohne  daher  im 
Einzelnen    den    Docenten    zu    hemmen,    darf  dennoch    die 

'  Savignj:,  Wesen  und  Werih  der  dealBcben  UnfTersitäten  in 
Ranke'B  polit.  Zeitocbrift  I,  8.  671  ff. 


iM,Coo<^lc 


366  Neante*  Buch.    Cnltarpllrgt. 

Univeraitfitspflege  darauf  hinwirken,  dasz  der  freie  münd- 
liche Vortrag  ia  Wahrheit  R^el  bleibe  und  nicht  durch 
träges  Dictjren  verdrftngt  werde.  Kein  Privatdocent  sollte 
je  Hoßhung  Buf  Anstellung  zum  Professor  haben ,  wenn  er 
sich  nicht  in  jenem  mit  Sicherheit  und  Liebe  zurecht  ge- 
funden hat. 

Diese  Grundform  der  Universitätslehre  hat  Übrigens 
immerhin  den  Mangel ,  dasz  der  Verkehr  zwischen  Docenten 
lind  Studenten  nicht  so  wechselseitig  noch  so  sichtbar  ist, 
als  es  Dir  beide  Theile  wUnschbar  ist  Nor  eos  dem  Glanz 
und  Blick  der  Augen  und  den  reinen  Bewegungen  der  Mie- 
nen aeiser  Zuhörer  kann  der  Docent  ersehen  ob  sein  Vor- 
trag verstanden,  ob  demselben  gefolgt  werde,  welchen  Kn- 
dniek  in  der  Seele  der  Studenten  er  niarhe,  nnr  von  da  aus 
auch  seinerseits  Atir^ung  empfangen.  Aber  diese  Mittel  der 
Erkenntnisz  und  des  Ansporns  stehen  doch  an  Klarheit  und 
Kraft  sehr  zurück  hinter  dem  lebendigen  Worte,  durch  das 
sich  der  Zuhörer  hinwieder  aussprechen  möchte.  Ebenso  ist 
es  auch  Für  diesen  Gewinn,  wenn  die  eigene  Uebung  in 
wissenschaftlicher  Nachbildung  durch  die  individuelle  Htllfe 
und  Leitung  des  Lehrers  unterstützt  und  von  Irrgängen  zn- 
rückgehalten  wird.  Jener  Mangel  ist  gerade  auf  deutschen 
UniversitAteu  sehr  spltrbar.  Der  Docent  weisz  oft  nicht,  ob 
er  nicht  der  Fassungskraft  der  Zuhörer  weit  vorausgeeilt  ist, 
so  dasz  nur  einige  Wenige  ihm'  zu  folgen  vermögen,  oder 
ob  er  hinter  dem  Gange  der  bessern  Mitte  zurück  bleibt; 
und  ganze  Schaaren  von  Studenten  sind  zufrieden,  die  Vor- 
träge angehört  zu  haben,  ohne  weiter  sich  in  wissenschaft- 
licher Selbstth&tigkeit  zu  versuchen.  Diesem  Mangel  kann 
al^eholfen  werden  durch  Uebungscollegien,  welche  er- 
gänzend den  Vortragscollegien  beigeordnet  werden,  und  in 
welchen  die  Studenten  unter  der  Leitung  der  Docenten  durch 
eigene  Arbeit  mitwirken  und  ein  gegenseitiger  mündlicher 
Verkehr  beide  Theile  näher  zusammen  bringt.    Die  weitere 


n,g,t,7.d~t,G00gIc 


Eiinea  Capitel.     Die  Universitäten.  367 

Auebildung  und  Belebung  solcher  Collegien,  die  in  den  mao- 
nichraltigsten  Formen  je  nach  Umständen  möglich  sind,  ist 
fUr  unsere  Universitäten  ein  dringendes  Bedürfnisz,  und  wofal 
darf  die  statische  Pflege  auch  diese  Richtung  empfehlend 
fördern. 

b)  Den  Inhalt  der  Lehre  kann  und  darf  der  Stet  in 
keiner  Weise  vorschreiben.  Nur  das  kommt  ihm  zu,  zu  sor- 
gen ,  dasz  die  wichtigeren  Fächer  jederzeit  rerti'eten  seien ; 
und  die  Lehrfreiheit  der  Docenten  heiszt  Diemale  Freiheit, 
überall  nioht  zu  lehren.  Den  Professoren  der  einzelnen 
Focultäten  steht  es  zu ,  wissenschaftliche  Vorträge  zu  halten, 
worüber  sie  wollen ,  und  selbst  wenn  sie  über  Wissenschaften 
lehren  wollen,  welche  zunächst  in  den  Bereich  einer  andern 
Facultät  gehören,  ist  solches  in  der  Regel  nicht  zu  hindern. 
Aehnliclier  Freiheil  genieszen  gewöhnlich  auf  den  deutschen 
Uiiiversitateo  die  Privatdocenten ;  aber  die  Facultät  bat  das 
Recht,  wenn  sie  von  der  wissenschaftlichen  Befähigung  der- 
selben nur  in  einer  besondei-n  Richtung  überzeugt  worden 
ist,  die  Erlaubnisz  zu  lehren  auf  diese  zu  beschränken. 

c)  Eine  in  theoretischer  Beziehung  weniger  schwierige, 
aber  practisch  mit  feinem  Tact  und  freiem  humanem  Sinn 
zu  behandelnde  Frage  ist  die,  wann  und  in  welcher  Weise 
der  Slat  als  Stifter  und  Pfleger  der  Univereitäten  veraulaszt 
und  berechligt  sei,  gegen  einen  schädlichen  Miszbrauch 
der  Lehrfreiheit  einzuschreiten.  Nichts  wäre  absurder, 
als  eine  Einmischung  des  States,  sobald  er  wahrnimmt,  dasz 
neben  der  Wahrheit  euch  Irrlehren  docirt  werden.  Der  Irr- 
thuin  ist  ein  unzertrennlicher  Begleiter  der  Wissenschafl, 
und  wenn  das  wissenschaftliche  Genie  gel^entllch  irrt,  wie 
sollte  derStat,  der  keine  wissenschaftliche  Autorität  besitzt, 
jene  Ausscheidung  vornehmen  und  den  Irrlhum  hemmen 
können?  Scheint  die  ganze  wiseenecballtliche  Richtung  eines 
Lehrers  fehlerhaft,  dann  mag  derStat  wohl  durch  Anstellung 
anderer  Professoren ,  von  denen  er  einen  gesundern  Einflnsz 


iM,Coo<^lc 


368  Nenates  Buch.    Ciiltorpflege. 

hofft,  derselben  entgegenwirken  und  die  Kräfte  der  Wahr- 
lieit  verstärken,  damit  sie  in  freier  Weise  den  Irrtham  be- 
kämpfen. Es  gilt  das  vorzüglich  auch  von  dep  philosophi- 
schen Systemen.  Aber  der  Irrthum  fUr  sich  alleio  darf  nicht 
zu  statlicbem  Verbote  fuhren. 

Wenn  dagegen  die  Lehre  in  offene  Feindschaft  ausartet 
gegen  die  Grundlagen  der  Statsordnung  und  des  Rechta, 
wenn  z.  B.  die  Revolution  als  das  wahre  Princip  der  Politik, 
der  Communismus  als  das  berechtigte  System  des  Privat- 
rechts von  dem  Katheder  der  Universität  gelehrt  wird ,  oder 
wenn  die  Lehre  in  augenfälligen  Widerspruch  geräth  mit 
der  ganzen  Bestimmang  der  Anstalt,  wenn  z.  B,  in  der  theo- 
logischen Facultät  auf  Zerstörung  des  Christenthnms  hinge- 
arbeitet, oder  wenn  die  Öffentliche  Moral  durch  unsittliche 
Vortrage  beleidjgt'und  verlebt  wird,  dann  beginnt  das  B.echt 
des  States,  nicht  blosz  durch  Hebung  der  en^egengesetzten 
Geisteskräfte,  sondern  geradezu  hemmend  solchem  Miszbrauch 
zu  wehren ;  und  vergeblich  beruft  man  sich  da  auf  Lehr- 
freiheit, wo  die  Verkündigung  der  Lehre  zum  Unrecht  wird 
gegen  den  Stat  und  gegen  die  Anstalt,  welche  ihr  die  Frei- 
heit gewährt  haben.  Das  Lehramt  des  Professors  ist  ein 
öffentliches,  seine  Lehrfreiheit  daher  auch  durch  die  noth- 
wendigen  Rücksichten  der  Öffentlichen  Ordnung  und  Wohl- 
fahrt beschränkt.  Wurde  der  6tat  ruhig  zusehen,  wie  ein 
groszer  Theil  der  jugendlichen  Generation,  von  deren  Aus-, 
biidung  sein  eigenes  Schicksal  zu  groszem  Theile  bestimmt 
werden  wird ,  dem  geistigen  oder  sitUichen  Verderben  und 
von  Lehrern  zugeleitet  wird,  die,  Ubei-dem  mit  öffentlicher 
Autorität  ausgerüstet,  von  ihm  selbst  der  Jugend  empfohlen 
worden  sind,  so  würde  er  an  der  Jugend  sich  schwer  ver-  ■ 
schulden  und  an  sich  einen  Selbstmord  begehen.  Bd  der 
Anwendung  dieses  Princips  aber  ist  vor  allen  Dingen  nöthig, 
damit  nicht  die  wahre  und  unentbehrliche  Freiheit  der  Wis* 
senschaft  Schaden  leide  —  einen  Schaden ,  der  leicht  um  der 


iM,CoO<^lL' 


Kilftes  Cspitel.     Die  Univerailalen.  3^9 

Scliwftchimg  der  HeilkräTte  willen  grÖBzer  werden  kann  als 
der,  welchen  jener  Hiszbrauoh  der  Lehrfreiheit  herrorbringt 
—  dasz  nicht  ans  geringfQgigen  Ursachen  der  Stat  sich  zu 
Hemmnissen  verleiten  lasse,  aondern  nur  da  einschreite,  wo 
die  Gefahr  nod  der  Schaden  grosz  sind,  und  nicht  durch 
einfache  Stärknng  der  Gegenkräfte  entfernt  werden  kOnnen, 
und  dasz  der  Stat  die  gröazere  Freiheit  des  Schriftstellers 
nicht  nach  den  Schranken  des  Lehrers  bemease.  Die  Haupt- 
schwierigkeit liegt  tkbrigens  hier  weniger  in  dem  Princip  als 
in  dem  Verfahren.  Einem  Wahrspmch  unabhängiger  und 
wissenschaftlich  gebildeter  Geachworner  darf  man  mit  Ver- 
trauen den  Entscheid  einer  derartigen  Streitfrage  anheim 
geben,  während  die  R^erungsbehörden  einem  berechtigten 
Misztranen  begegnen. 

6.  DieLernfreiheit  auf  Seite  der  Studenten  entspricht 
der  Lehrfreiheit  auf  Seite  der  Docenten.  Auch  sie  ist  be- 
stimmt und  beschränkt  durch  den  Zweck  der  Anstalt,  und 
darf  nicht  als  Freiheit,  nicht  zu  lernen,  miszverstanden 
werden.  Auch  der  Student,  der  nun  afs  Junger  der  Wissen- 
schaft in  ihre  heiligen  Hallen  eintreten  soll,  bedarf  der 
Freiheit,  die  den  Muth  und  die  Lust  stärkt  zu  der  ernsten 
Geistesarbeit,  und  allein  den  SchlUesel  gibt  zu  den  Schätzen, 
welche  dem  gebundenen  Geiste  verschlossen  bleiben.  Daher 
kommt  ihm  die  Wahl  zu,  welchem  Lehrer  als  Führer 
er  sich  anrertrauen  und  durch  welche  wissenschaftliche 
Fächer  er  seinen  Gang  nehmen  wolle.  Schülerhafte  Vor- 
schriften Über  den  Besuch  der  Vorlesungen  fördern  leicht 
schülerhaften  Sinn,  und  der  ist  nicht  mehr  der  Universität 
würdig.  Freie  Anweisungen  aber  von  Seite  der  Facul- 
täten ,  in  welcher  Weise  die  Studien  am  natürlichsten  auf 
einander  folgen  und  mit  einander  verbunden  werden,  gind 
ganz  am  Platze,  und  nflthig,  um  der  Unerfahrenheit  der 
Anüänger  zu  Hülfe  zn  kommen  und  sie  vor  Schaden  zu 
warnen.      Ehre    und    Freiheit    sind    beide    wichtige    Hebel 

RUintf^clili,  allRpRiPiiiPiiStaUrfoht.    II.  24 

D„:,iP<.-jM,CoO<^lc 


;)70  Neuntes  Buch.     Culliirpfl^. 

eines  tüchtigen  Siudentenlebens,  und  sollen  daher  wohl 
Tor  Entartung  gewahrt,  nicht  aber  miasachtet  norh  ver- 
weigert werden. 


Zwölftes  OapiteL 

Die  Akademie. 

1.  Die  höchste  Bildiingsanatalt  des  States  ist  die  Uni- 
versität, die  höchste  Anstalt  der  Wissenschaft  ist  die 
Akademie.  Das  'wenigstens  ist  die  Idee,  welche  ihrer 
Stiftung  Torgeleuchtet  hatte.  In  Frankreich  hat  dieselbe 
zuerst  durch  Richelieu  und  Ludwig  XfV.  eine  hohe  Stel- 
lung anti  Bedeutung  gewonnen;  in  den  andern  europftischen 
Stateu  in  geringerem  Masze.  Der  Anstosz  den  vorzüglich 
Leibnitz  zur  Bildung  neuer  Akademie»  gegeben  hat,  wurde 
nicht  in  seinem  Geiste  befolgt.  Aber  selbst  dort  ist  die  Wirk- 
samkeit der  Akademie  weit  hinter  der  Idee  zurück  geblieben. 
Mehr  noch  in  Deutschland,  England,  Italien,  äuss- 
land.  Die  ganze  Institution,  noch  jung  zwar  und  der  Ent- 
wicklung f&hig,  scheint  daher  einer  gründlichen  Reform  be- 
dürftig, wenn  sie  die  freilich  noch  unklaren  und  unbestimm- 
ten, aber  ahnungsvollen  und  groszen  Erwartungen  befrie- 
digen soll,  welche  das  Leben  an  sie  richtet.  Es  wftre  vei^ 
messen  und  undankbar,  wollte  man  gering  schätzen,  was 
die  Akademien  für  die  Wissenschaft  geleistet  haben.  Aber 
man  kann  nicht  verkennen,  dasz  ihre  t/cistungen,  verglichen 
mit  denen  einzelner  Gelehrter  oder  von  Privatvereinen,  wenn 
man  an  die  Bedeutung  der  Männer  denkt,  welche  als  Aka- 
demiker auf  der  Höhe  der  Wissenschaft  stehen ,  doch  nur 
gering  sind,  dasz  die  akademischen  Leistungen  auch  dieser 
Männer  meistens  klein  sind  gegenüber  ihren  eigenen  Privat- 
werken,  dasz  der  Stat   insbesondere  von    den  Akademien 


iM,Coo<^lc 


ZwoitM  ÜBpIlel.     Ule  Akademie.  371 

nur  wenig  Frllchte  erotetr,  während  er  sie  tbuEeFlich  an  die 
Spitae  der  Wiesenschart  gestellt  hat.  Wober  dieser  Widern 
Spruch  zwischen  dem  glänzenden  Rang  und  Namen  der 
Akademie  und  ihrem  practischen  Werth  ?  Sollte  es  hier  nicht 
fehlen,  sei  es  an  efber  richtigen  Ei^eantniss  ihrer  wirklichen 
Bedeutung  oder  an  einem  der  wahren  Idee  entsprechenden 
Organismus  derselben? 

Man  sieht  in  der  Akademie  sehr  oft  nur  einen  freien 
Verein  wissenschaftlicher  HAnner,  welche  zusammen 
getreten  sind,  nm  sich  selbst  nnd  durch  ihr  Beispiel  Andere  in 
der  hdhern  Ausbildung  der  Wissenschaft  zu  fördern;  e4oen 
Verein,  welcher  im  G^:en8atae  zu  der  Lehre  der  Schule  durch 
freie  Hittheilung  des  neu  Erkannten  die  Wissenschaft  um. 
ihrer  selbst  willen  pflege,  und  durch  Anr^ung  und  Unter- 
stützung wisseost^iaftlicher  Arbeiten  das  Gebiet  derselben 
erweitere. 

Aber  man  übersieht  dabei,  dasz  die  Wissenschaft  wesent- 
lich dem  individuellen  Geiste  angehört,  nur  von  diesem 
errungen  und  daher  auch  nur  von  diesem  wahrhaft  gefordert 
werden  kann.  Immer  nur  werden  Individuen,  und  niemals 
Gesellschaften  und  Verüne  wissenschaftliche  Entdeckungen 
machen,  mir  Individuen  durch  Privatstudien  die  wissenschaft- 
lichen Schätze  vermehren,  nur  Individuen  hinwieder  durch 
ihre  individuelle  Arbeit  die  Wissenschaft  mittheilen  und  ver- 
breiten. Die  Eigenschaft  eines  Akademikers  kommt  dabei 
fast  gar  nicht  in  Betracht.  Es  kann  wohl  der  Privatgelehrte 
gefördert  werden  durch  die  Eröffnung  von  Sammlungen, 
welche  die  Akademie  vermitlelt,' durch  die  Erörternng  im 
Schosze  akademischer  Versammlungen,  durch  pecuniäre 
Unterstützung  seiner  Arbeiten  oder  der  Herausgabe  seiner 
Werke;  aber  das  Alles  ist  doch  nur  eine  untei^eordnete  B^- 
liülfe,  welche  ganz  ebenso  auch  auf  Privatwegen  gewonnen 
werden  kann.  In  dem  Allem  liegt  keine  unmittelbare 
Förderung    der  Wissenschaft    selbst.     Diese    mnsz 


iM,Coo<^lc 


372  Meuiiles  Bucli.     CuJlurpdegp. 

somit  den  liidiridueb  QherlBSS«n  werden,  und  kann  nfctft 
die  wesentliche  Aufgabe  irgend  eines  Vereines,  auch  nicht 
der  Akademie  sein.  So  lange  daher,  wenn  auch  in  man- 
cherlei Formen  es  als  die  Hauptaufgabe  der  Akademien  be- 
trachtet wird,  die  WiBflenechaft  zu  erweitern,  wird  ihre  Thä 
tigkeit  immer  nur  hOchst  geringfügig  erscheinen  neben  der 
Privatthätigkeit  individueller  Männer  der  Wissenschaft:  und 
eben  darum  wird  daher  auch  da«  Ansehen  und  der  Wertli 
der  Akademien  leidend  und  gedrückt  erscheinen. 

Setzen  wir  daher  der  Akademie  eine  andere,  der  Natur 
eines  Vereine  gemfiszere  Aufgabe.  Ohne  Zweifel  fehlt  es  in 
der  bisherigen  Entwicklung  des  neuen  Europa,  seitdem  die 
Wissenschaft  frei  geworden  ist  von  der  Vormundschaft  der 
Kirche,  an  einer  organischen  Einrichtung,  welche,  ohne  ihre 
Freiheit  zu  gefährden ,  doch  aus  centralgpi  Standpunkt  den 
iunern  Zusammenhang  der  wissenschaftlichen  Arbeiten  und 
Mittheiluugen  überblickt,  ihre  Beziehungen  zu  dem  Öffent- 
lichen und  Privatleben  naher  erforscht  und  würdigt,  und  so- 
weit als  es  dem  State  zukommt,  die  statliche  Aufsicht 
und  Pflege  vermittelt,  und  auf  die  rechten  Wege  leitet. 
OlTenbar  ist  auf  diesem  für  die  ganze  Cultur  des  Volkes  und 
die  geistige  Gesundheit  des  States  überaus  wichtigen  Gebiete 
eine  Zerfahrenheit  und  Auflösung  eingerissen,  welche 
weder  der  Natur  des  Geistes  gemasz  ist,  die  selber  ot^- 
nifich  ist,  und  in  höchster  individueller  Hannichfaltjgkeit  sich 
offeubareud  doch  wieder  in  der  Gemeinschaft  alles  Geistes- 
lebens ihre  Einheit  findet,  noch  auf  die  Bedürfnisse  des 
States  die  nöthige  Rücksiclit  nioimt. 

Die  gesunde  Eutwickeiung  der  Wissenschaft  selbst  und 
die  Interessen  der  Nation  erfor<lein  eine  solche  Anstalt,  ein 
derartiges  wissen  sc  liaftlicbes  Centralorgan,  welches 
nicht  sieh  in  unnützer  Weise  abmOdet,  die  Thätigkeit  indivi- 
dueller Gelehrter  zu  ergänzen  oder  zu  ei-setzen,  sondern  die 
Beziehungen  des  Stules  zur  Wiseenscheft  wahrt  und  pflegt. 


iMvCoc'-^lc 


Zwölfte«  Cnpitel.     Uie  Akndemif.  373 

und  die  anarchischen  Einfiftsso  des  Zurttlls  aiiT  die  wissen- 
schtiftliche  Rewe^ing  ordnet.  Gleichsam  von  einer  höchsten 
Warte  ans  soll  das  wissenschaftliche  Leben,  welches  sich  in 
der  Nation  regt  nnd  offenbart,  fortwährend  beachlet,  von 
allen  geisli^n  StpCmnngen  und  Einflllssen  auf  dieselbe  jeder- 
Eeil  Kenntnisz  genommen,  wer  sich  auszeichnet  nach  Ver- 
dienst gewürdigt,  jedes  die  Wissenschaft  wirklich  fUrdemde 
Streben,  wenn  es  der  Unterstützung  des  States  bedarf,  un- 
terstützt, offenbar  schädlichen  Richtungen  entgegenwirkt,  die 
Verbindung  mit  wissenschaftlichen  Privatvereinen  und  einzel- 
nen hervorragenden  Gelehrten  vielseitig  unterhalten,  wissen- 
schaftliche Sammlungen  angelegt  und  fortgeführt  werden. 
Eine  Akademie  in  solchem  Sinne  wfire  etwa  das  ftir  das 
Cultusministcrium,  was  der  Statsrath  fUr  die  Politik 
und  die  Gesetzgebut>g  ist.  Würde  sie  in  diesem  Geiste  zu- 
sammengesetzt und  ihre  Wirksamkeit  ftuszem ,  so  würde  sie 
bald  nicht  blosz  dem  Namen  nach ,  sondern  in  Wahrheit  an 
der  Spitze  stehen  des  wissenschaftlichen  Lebens 
der  Nation. 

Die  bisherigen  Akademien  schlieszen  die  beaondern 
Facultätswissensch  aften  aus,  nnd  nehmen  ausschlieaz- 
lich  Rucksicht  auf  die  mathematischen  »nd  physikalischen 
Wissenschaften  einerseits,  die  historischen  und  philosophischen 
andererseits.  In  dieser  Organisation  scheint  mir  der  Gedanke 
wahr,  dasz  da,  wo  es  sich  um  die  Einrichtung  eines  obersten 
wissenschaftlichen  Centralorgans  handelt,  dieselbe  zunächst 
nach  den  allgemeinen  Grundrichtungen  allerWis- 
senschaft  geordnet  werdwi  soll,  gewiseermaszen  nach  dem 
Organismus  der  Wissenschaft  selbst.  Aber  die  vor- 
herrschend theoretische  Eintheilung  und  Richtung  der  Aka- 
demie ist  wohl  ein  Hauptmangel  des  verh&ltniszmäszig  ge- 
ringen pracdschen  Werthes  und  Einllusses  derselben.  IJeber- 
zeugt  man  sich,  dasz  nicht  die  theoretische  Ausbildung  der 
eigentliche  Zweck  dieser  Öffentlichen  Anstalt  ist,  sondei^  die 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


:{74  Neaotu  Buch.    Culluipfleg«. 

statliche  Pfle^  des  geistigen  Lebens,  so  versteht  es  sicli, 
daez  auch  die  bisherige  Oi^anisation  dieser  letztem  Aul^be 
unmöglich  genügen  kann. 

Eine  In  statsmännischeni  Geiste  gegründete  Akademie 
würde  daher  —  und  nur  die  französische  hat  sich  theilweise 
und  von  ferne  diesem  Ziele  angenähert  —  je  die  bedeutendsten 
wissenschaftlichen  oder  literarischen  M&nneraller  Richtungen 
in  sieh  vereinigen,  und  ja  nicht  Theologen  und  Juristen  zu- 
nächst ausschlieszen ,  oder  nur  auf  Umwegen  herbeilassen. 
SiewUrde  dabei  die  practischen  Beziehungen  der  Wissenschaft 
nichts  weniger  als  gering  anschlagen , '  denn  eben  sie  haben 
den  m&chtigsten  Einflusz  auf  das  nationale  Geistesleben,  und 
ntr  dieses  musz  doch  wohl  nicht  blosz  in  der  Schule  und 
auf  den  Universitäten,  sondern  auch  da,  wo  die  Wissenschaft 
der  Heister  in  Frage  kommt,  gesorgt  werden. 

Die  Arbeit  einer  solchen  Akademie  kOnnte  etwa  so  ver- 
theilt  werden,  je  nachdem  1)  die  physikalischen  oder 
Naturwissenschaften,  denen  hier  gar  wohl  die  medi- 
cinischen  angereiht  werden  dürften,  2)  die  philosophi- 
schen, mit  besonderer  Beziehung  auf  Philologie  und  das 
Schulwesen,  3]  die  politisch- historischen,  die  Stats- 
uod  Rechtswissenschaften  umfassend,  4}  die  theolo- 
gischen in  ihrer  Beziehung  zu  der  wissenschaftlichen  Cultur 
des  States,  5)  die  schöne  Literatur,  deren  EinOusz  eben 
so  grosz,  als  von  Statswegen  viel  zu  wenig  beachtet  ist  — 
in  Frage  kommen. 

3.  Die  Vorträge  der  Akademiker  würden  anter 
dieser  Voraussetzung  von  ganz  anderer  Art  werden  als  bis- 
her. Nicht  die  wären,  wie  Jakob  Grimm  gesagt  hat,  die 
gelungensten,  „welche  die  Keime  künftiger  Werke  in  sich 

'  In  dieser  Hinsicht  srheiot  mir  die  ni'ueateDS  von  Jakob  Grimm 
B.  a.  0.  verBudite  Verlheidjgang  <1es  gegenn^tigien  Syalems  iiiclit  glück- 
lich.   Vgl.  auch  Blurtschli  Art.  Abademie  im  deulodien  Slal«wörler- 


iM,Coo<^le 


Kwöirtee  Capilel.     Üiv  Akademie.  375 

tragen ,  oder  reiches  Material  zu  wiaseaschaniicbetn  Gebrauch 
fruchtbar  darli^en,"  obwohl  auch  diese  ohnehin  seltenen 
Erschein  untren  unter  den  akademischen  Schriften  nicht  gering 
'  zu  schätzen  sind,  sondern  die,  welche  den  Entwicklungs- 
gang einzelner  Wissenschaften  in  klaren  Ueber- 
blicken  mit  sicherer  Hand  zeichneu,  und  deu  Einflusz 
derselben  auf  das  Leben,  ihre  Vorzüge  und  Mängel  mit  Be- 
stimmtheit darlegen.  Die  Vorträge  selbst  aber  wäreu  immer 
noch  -weniger  wesentlich  als  die  Gutachten  und  Vor- 
schläge der  Akademie,  welche  das  wissenschaftliche  Le- 
ben in  gesundem  Wachsthume  zu  fönleni  die  BeatinimuDg 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


Die  Wirthechaftspflege. 
ErstM  CapiteL 

Art  and  RiehtUDgen  der  WirthMbafto pflege. 

Verstehet!  wir  unter  Wirt  hschaft  überhaupt  alle  Ver- 
waltung des  materiellen  Vermögens,  und  jede  Pflege  der 
äuszem  Verhältnisse,  welche  auf  das  Vermögen  einwirken,  so 
ist  unter  Wirthsehaf tspflege  im  weitern  Sinne  des 
Wortes  alle  Verwaltung  und  Pflege  der  Vermögensverhält- 
iiisse  zu  verstehen,  welche  dem  State  zukommt  und  von  ihm 
ausgeht.  Die  noch  junge  Wissenschaft  der  politischen 
Oehonomie  (Nntionalökonomie)  hat  es  unteruooimen, 
die  Gesetze  und  Maximen  einer  wohlgeordneten  und  ^ruch^ 
bringenden  Wirthschaft  in  allen  ibreo  -  gemeinsamen  .Be- 
ziehungen zu  erforschen  und  danulegen.  Sie  beruht  voraus 
auf  der  Grundlage  der  mathematischen  und  j^hjsikalischen 
Wissenschaften,  und  indem  sie  diese  auf  die  Erzeugung, 
Erhaltung  und  Veredlung  der  mancherlei  äuszem  Guter  an- 
wendet, welche  den  Bedflrfnisseu  und  GenUssen  der  Menschen 
dienen,  hat  sie  ein  zusammenhängendes  rationelles  System 
einer  guten  Wirthschaft  zu  begrOnden  unternoninien. 


n,g,t,7rJM,COOglC 


Erstes.  Cnpilel.     Art  uud  Kicbtuiig«ii  der  WirtliacliaritipflFge.     377 

Ke  kann  nicht,  die  Aufgabe  de«  Statsrecbtee  sei» ,  diese 
Wissemchaft,  welche  auf  anderem  Boden  erwachsen,  sich 
Über  seinen  Bereich  hinaus  erstreckt,  zu  umfassen.  Es  darf 
seinen  Standpunkt,  den  Stat,  nietat  verlassen,  und  hat  es 
nur  mit  den  Ot^anen  in  dem  Slatskörper  zu  thun,  -welche 
für  die  wirthschaftliche  Aufgabe  desselben  bestimmt  sind, 
und  die  rechtliche  Richtung  und  Weise  ihrer  Thätigkeit  zu 
beseicbnen.  Die  Wirthschailspflege  daher  in  unserm  Sinne, 
als  ein  Zweig  des  Statsrecbts,  verhält  sich  zur  politischen 
Oekonomie  etwa  so,  wie  die  Lehre  von  der  £riegsgewalt 
zu  den  Militärwissenschaften,  die  Lehre  von  der  Gerichts- 
organisation zum  Privat-  und  Strafrecbt. 

Das  ist  der  Statswirlhscbaft  mit  der  Statecultur  gemein, 
dasz  hier  das  specifisch  obrigkeitliche  Moment  zurücktritt. 
Sie  ist  nicht  eine  Offenbarung  der  Stntsgewalt  im  eigent- 
lichen Sinne,  welche  ihrem  Wesen  nach  eine  sittlich  gebie- 
tende und  verbietende  Macht  der  Gemeinschaft  ist.  Dadurch 
eben  unterscheidet  sie  sich  wie  die  Statecultur  von  der  Poli- 
zei, die  doch  auch  als  Sorge  fllr  die  öffentliche  Wohlfahrt 
wirksam  erscheint.  Sie  ist  daher  weniger  Regierung  als 
Verwaltung,  und  die  leitenden  Grundsätze  dieser  sind  in 
der  Hauptsache  dieselben,  wie  sie  auch  auszerhalb  des  State» 
in  der  Wirthschaft  der  Privaten  und  der  Privatvereine  sich 
wieder  finden.  Sie  nähert  sich  daher  der  Ordnung  des  Pri- 
vatlebens mehr  an  als  alle  anderen  Functionen  des  Stats, 
und  es  hat  der  zahlreiche  Kreis  von  Finanz-  und  Wirth- 
achaftsbeamten  aus  demselben  Grunde  auch  einen  wesentlich 
andern,  dem  Privatleben  näher  stehenden  Charakter,  als 
die  Regierungsbeamten  im  eigentlichen  Sinn.  Von  der  Stats- 
ciiltur  unterscheidet  sie  sich  dadurch ,  dasz  sie  eine  auf  ui  a- 
terielle  Güter  gerichtete  Pflege  ist,  während  die  Fliege 
dieser  auf  die  geistigen  und  sittlichen  Guter  der  Nation 
Bezug,  hat. ' 

'  Vgl.  oben  Buch  V.  c.  2,  8.  265  ff. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


378  Zehnt««  Bacli.     bie  WirUiscbaftapllege. 

Die  Wirthschaftspflege  bezieht  sich: 

1)  auf  das  Vermögen  des  States  selbst.  Das  so- 
genannte  Finanzwesen,  die  Regierungswirthechaft, 
umraszt  die  gesammte  materielle  Sorge  und  Verwaltung  mit 
Bezug  auf -diejenigen  GOter,  die  dem  State  zugehüren,  imü  - 
deren  er  bedarf,  um  seine  eigenen  öffentlichen  Bedürfnissu 
zo  liefriedigeu.  Sie  ist  auf  Seite  des  States  analog  der  Pri- 
vatökonomie  der  Individuen,  aber,  weil  den  öfifentüchen  Be- 
stimmungen des  States  dienend,  mehr  als  diese  von  öffent- 
lichem Geiste  erftlllt; 

2)  aufdieSoi^e  für  den  öffentlichen  Verkehr  um) 
die  öffentlichen  Anstalten,  welche  die  gemeine  mate- 
rielle Wohlfahrt  der  Nation  fördern,  sowie  für  die  Grund  be- 
dinguiigen  des  nationalen  Wohlstandes  überhaupt  im  Ganzen 
und  in  ihren  Theilen,  die  Volkswirthschaftspflege. 

Sowohl  das  Finanzwesen  als  die  Volkswirtbschaftspfl^e 
setzen  eine  statliche  ThAtigkeit  rorans.  Die  letztere  ist  abei- 
in  roi-zUglicbem  Sinne  statHch,  und  nicht  wie  das  oft  ange- 
sehen wird,  von  dem  Geiste  des  Privatrechts  und  der  Pri- 
vatwirthschaft  beherrscht;  denn  die  ächte  Volkäwirthschofts- 
pflege  maszt  sich  nicht  an,  die  Thfttigkeit  der  Privatwirth- 
schaft  zu  ei-setzen  oder  zu  leiten ,  sondern  sie  hat  Tor  altem 
die  Gesamnitheit  im  Auge,  und  die  n>assenhatten  Interessen 
und  BedürCnisäe  dieser,  und  wirkt  von  da  aus  mittelbar 
ein  auf  die  Wohlfahrt  auch  der  Privatökonomie. 


Zweites  GapiteL 

1    Finamlioheit.     A.   UnmilleltiBres  SuUgDt. 

1,  Der  Slat  als  ein  leibliches  Reich  der  Gesammtheit 
bedarf  zu  seinem  äuszern  Dasein  auch  des  materiellen  Ver- 
mögens.    Von  jeher  haben  die  Staten  daher  auch  eigenes 


iM,Googlc 


ZweiUg  CnpEI«!.     1.  Fintnzhobeil.     A.  UnmilUiIlwres  Statsgut.     379 

Vermögen  beeessen,  Grandeigenlhuni ,  falireode  Habe,  For- 
derungen nach  Art  reicher  Privaten.  Die  mittelalterlichen 
Staten  beruhten  in  ökonomischer  Beziehung  fast  ganz  auf 
den  privatrechtlichen  -Einkünften  des  States,  auf  Privatver- 
mögen. Daa  iet  indessen  noch  eine  niedere  Stufe  der  stab- 
lichen EntWickelung,  auf  welcher  so  der  privatrecht- 
llche  Gesichtspunkt  vorherrscht.  Wird  der  Slat  sich  seines 
Wesens  bewuszt,  so  wird  gewissermaszen  auch  die  Vermö- 
genssphäre  desselben  von  dem  Statsgeiste  erfüllt,  und  über 
das  blosze  Privatrecht  emporgehoben.  Den  öffentlichen 
Bedflrfnissen  entsprechen  dann  die  öffentlichen  Ein- 
künfte, und  das  Vermögen  des  Stats  jene  zu  befriedigen 
wird  mehr  und  mehr  nach  statsrechtli^en  Grundsätzen  ge- 
ordnet. 

Immerhin  aber  ist  es  natürlich ,  dasz  der  Stat  auf  die- 
sem materiellen  Gebiete  auch  als  pnvatrechtliches  Vermö- 
genssubject,  und  sogar  als  das  gröszte  und  reichste  er- 
scheine. Das  Privateigenthum  ist  eine  unentbehrliche  Unter- 
lage rar  die  öfTentliche  Bestimmung  des  Statsvermögens. 
Der  Stat  bedarf  zahlreicher  Gebäude,  welche  seinem  öffent- 
lichen Leben  dienen,  Residenzen,  Regierungs-  und  Justiz- 
paläste, Zeughäuser,  Festungen  u.  s.  f.,  und  er  bedarf  reicher 
Vorräthe  an  mancherlei  beweglichem  Vermögen,  wie  Kriegs- 
rüstungen,  Bibliotheken,  Kunstsammlungen.  Das  alles  ist 
zwar  auf  der  einen  Seite  Privatgut  des  Stats,  und  den  Re- 
geln des  Privatrechts  unterworfen,  aber  durch  den  öffentlichen 
Gebrauch  und  die  öffentliche  Bestimmung  desselben  erhält 
es  auf  der  andern  Seite  einen  eigenthümlichen  Statscbarakter, 
welcher  hinwieder  von  Einflusz  ist  auf  die  Rechtsverhält- 
nisse. Es  wird  zu  einem  specißsch  öffentlichen  Gut  ausge- 
bildet Der  Wurde  des  Stats  ziemt  es,  dasz  er  dieses  Out, 
welches  ganz  und  gar  öffentlichen  Zwecken  dient,  auch 
äuszerKch  so  vollkommen  rein  und  schön  erhalte,  als 
es  seinen  Kräften  und  ihrer  Bestimmutig  gemäsz  ist.    Er 


n,g,t,7rJM,COOglC 


380  'Zehnt«»  Buch.     Di«  WirtbsvliHfiBpneg«-. 

soll  diesem  Vermögen  »len  Stempel  seiner  Hoheit  ninl  Ehi-e 
tiufprägen. 

2.  Verschieden  von  diesem  Gebrauche  vermögen  des 
Stets  ist  das  st^enantite  werbende  Vermögen  desselben, 
weiches  nur  mitteltiar  dem  State,  nur  insofern  dient,  als 
er  die  KinkUnfle  desselben  fnr  öffentliche  Zwecke  verwenden 
kann.  Dahingehören  dieDomftnen  im  engem  Sinne,  Ca- 
fiitalien,  einzelne  Gewerbeanstalten,  welche  auf  Rech- 
nung des  State  betrieben  werden.  Dieses  Vermögen  ist  in 
höherm  Grade  als  Privatvermt^en  des  Stets  tu  betrachten, 
als  das  Gebrauchsvermögen  des  State.  In  älteren  Zeiten 
bezogen  die  Steten  hauptsäcbKch  von  daher  ihre  wichtigsten 
Einkünfte.  Bei  der  Eroberung  und  Vertheiluug  des  Landes 
wurde  daher  regelmäszig  ein  groszer  Theil  des  Bodens  vor- 
weg auegeschieden,  und  von  den  Fürsten  und  Steten  zur 
Beetreituug  der  öffentlichen  Bedürfnisse  in  Beeitz  genommen. 
Das  Abgabensjstem  war  während  des  Mittelalters  noch  wenig 
ausgebildet,  und  der  Stet  war  auch  nur  ausnahmsweise  ge- 
nöthigt,  die  Beihlllfe  der  Privatpersonen  anzusprechen.  In 
gewöhnlichen  Zeiten  genfigte  sein  eigener  Privatbesitz. 

Das  neuere  Finanzsystem  der  Steten  ist  solcher  Privat- 
wirihschaft  des  Stats  nicht  günstig.  In  England  beträgt 
der  sftmmtliche  Reinertrag  der  Domänen  nicht  einmal  1  Pro- 
(Mnt  des  ganzen  Stateeinkommens,  in  Oesterreich  wenig 
mehr  als  1',;  in  Frankreich  nur  3  Procent,  in  Preuszen 
schon  12  Procent,  in  Bayern  25  Procent.  '  Allerdings  Iftszt 
sich  nicht  verkennen,  dasz  von  dem  wirthschaftlichen  Stand- 
punkte aus  ein  weit  gröszerer  Ertrag  erzielt  wird,  wenn  das 
fruchtbringende  Frivatvermögen  auch  in  den  Händen  von 
Privatpersonen  ist,  als  wenn  es  unter  der  Verwaltung  des 
States  steht.  Auf  der  andern  Seite  aber  gewährt  der  aus- 
gedehnte Grundbesitz  des  Stats   immerhin   grosze  Sicherheit 

'  Vgl.  UariiliL-r  die  NHvbweUiiiig  und  Aiitirutii'ung  (>t;i  Rau,  Finaiiz- 
wiasensch.  I.  g.  89  (T. 


n,g,t,7rJM,COOglC 


ZwdtPR  Capit«!.     i.   FiiuiDilH^eit.     II.  Unmlllelbai-eB  Slatggiit.     3gl 

und  eine  Solidität  des  Statareichthuins,  welche  fllr  die  dauern- 
den Statsi nteressen  nicht  gering  anzuschlagen  sind,  so  dasz 
eioe  principiell  gebotene  Bntfiuszerang  desselben  nicht  nolh- 
wendig  erschehtt.  Sehr  viel  hängt  dabei  Uberdem  von  den 
besondern  Verbaltnissen  und  Sitten  der  ^nzelnen  Staten  und 
Völker  ab. 

3.  Je  mehr  eine  gute  Wirthschaft  der  fruchtbaren  Güter 
Priratfleisz  und  Priratkräfte  erfordert,  desto  weniger  eignen 
sich  dieselben  zur  Slatsrerwaltung,  je  mehr  dieselben  dage- 
gen Bezug  haben  auf  die  gemeinsamen  Statsinteressen ,  und 
je  einfacher  ihre  Verwaltung  ist,  desto  eher  ist  solcher  Be- 
sitz auch  fUr  den  Stat  zu  bewahren.  Daher  thnt  der  8lat 
vor  allen  Dingen  wohl, 

a)  sich  des  eigenen  Betriebs  von  Fabriken;  Handel, 
Handwerk  und  derartigen  Gewerben  zu  enthalten.  Denn 
immer  wird  der  Stat,  eben  weil  die  individuelle  Speculution 
und  individueller  Fleisz  und  Fertigkeit  das  Gelingen  solcher 
Unternehmungen  vorzüglich  bedingen,  mit  gröszerem- Kosten- 
aufwand und  tait  weniger  Gewinn  arbeiten  als  der  Privat- 
mann, der  sich  ganz  und  gar  mit  allen  seinen  Kräften  diesem 
Bernfe  widmet.  Aber  selbst  da  sind  Ausnahmen  zulässig, 
sei  es,  weil  derSlat  selbst  euf  sichere  Weise  für  mancherlei 
Geräthschaften ,  z.  B.  für  Kriegsniunition  und  Rüstung  sorgen 
nousz^  ohne  sich  ganz  auf  den  Privatbetrieb  verlassen  zu 
können,  sei  es  weil  einzelne  Gewerbe  zur  Pflege  der  Kunst 
dienlich  sind  und  hier  die  Rücksicht  auf  Gewinn  hinter  der 
auf  Ausbildung  und  Vervollkommnung  dieser  zurück  steht, 
wie  z.  B.  Porcellanfabriken,  oder  weil  die  Betreibung  ein- 
zelner Mustei^ewerbe  auf  Statskosteii  zur  Controle  und  zum 
Ansporn  dient  für  Ähnliche  Privatgewerbe,  welche  fllr  die 
materielle  Wohlfahrt  des  Publicums  von  groszem  Interesse 
sind,  wie  z.  B.  das  Hofbrftuhaue  in  München,  oder  weil  ein- 
zelne Gewerbe,  wie  voraus  die  Hüttenwerke  sogar  nöthig 
werden,  um  die  Regalien  mit  Vortheil  auszubeuten. 


iM,Coo<^lc 


3H2    ■  Zehnte«  Baeb.    Die  Wirtbiehirtspllege, 

b)  Nicht  minder  wird  der  8tat  aus  gleichen  GrQnden 
keinen  Vortheil  finden  in  der  Beibehaltung  von  Wohoge- 
b&uden,  deren  er  nicht  zu  öfiientlichen  Zwecken   bedarf. 

c)  Wiese,  Äcker,  Rebland,  Garten  femer  waren 
von  jeher  ihrer  Natar  nach  vorzugsweise  dem  Privatfldsz 
und  der  Privatbenntzung  anheimgegeben.  Auch  d^Qr  paast 
die  Statawirthachaft  wenig.  Indessen  köonon  politische 
Gründe,  wie  die  Rücksicht  auf  das  von  Zeit  zu  Zeit 
wiederkehrende  Bedbrfnisz ,  einzelne  au^eBeichnete  Uftn- 
ner,  welche  dem  State  grosse  Dienste  geleistet  haben,  mit 
Grundbesitz  anszustatten  und  ihnen  eine  sicJiere  Stellung 
anter  der  NaHonalaristokratie  zu  verschaffen,  den  Stat  be- 
stimmen, Domanialbesitz  solcher  Art  zu  seiner  Verfügung 
zu  erhalten. 

(!)  Am  ehesten  wohl  sind  Waldungen  ale  Grundbesitz 
des  States  tauglich.  Die  Natur  der  Waldung,  welche  nur 
in  langen,  das  gewöhnliche  Lebensalter  der  Individuen  Über- 
dauernden Perioden  ihre  regelmiszigen  Früchte,  die  Holz- 
schläge, hervorbringt,  macht  es  wUnschensWertb,  dasz  der 
EigenthUmer  seibat  auch  ein  längeres  Leben  habe.  In  dem 
wechselnden  Besitz  kurzlebender  Menschen  wird  leicht  von 
der  momentanen  Gewinn-  und  GenuBZsucbt  die  nachhaltige 
Ertragsfi&higkeit  des  Waldes  aufgestehrt  und  dadurch  aucti 
dem  Volke,  fur  welches  das  Holz  ein  unentbehrliches  Lebeos- 
bedürfnisz  ist,  groszer  Schaden  bereit«!  Die  Selbstsucht  der 
gegenwärtigen  Generalionen  kann  hier  leicht  den  künftigen 
einen  schweren  Hangel  bereiten.  Diese  Gefahr  wird  nun 
sehr  gemildert,  wenn  die  Waldungen  groszentheils  dem  State 
und  den  Gemeinden  gehören,  deren  eigenes  auf  Jahrhun- 
derte hin  fortdauerndes  Leben  sie  darauf  hinweist  auch  der 
Nachkommen  zu  gedenken ,  -und  deren  Anstalten  manche 
Garantien  darbieten,  welche  vor  einer  leichtsinnigen  Ver- 
schleuderung und  Ubcrmäsziger  Ausbeutung  der  Waldungen 
bewahren.     Auch  ist  die  forstmäszige  Bewirtlischullung  der 


n,g,t,7rJM,COOglC 


7,weUtt  CBpilel.    L  FinsnEbnbeit.    A.  UinnitlälbarcB  8t8tagiit.    383 

Waldungen  immerhin  so  fest  geregelt  und  die  Controle  dar- 
über BO  leicht  zu  nthren,  dasz  solche  öffentliche  Wirthschaft 
an  Güte  nnd  Ertrag  gar  wohl  mit  ausgezeichneter  Privat- 
wirthschaft  Schritt  zu  halten  vermag,  die  gewöhnliche  sc^ar 
l^bt  Ubertriin.  Unver&uezerlichkeit  der  Statswal- 
düngen  darf  daher  wohl  als  Regel  gelten. 

e)  Selten  genug  ist  in  unserer  Zeit  actires  Vermögen 
von  zinstragenden  Capitalie'n,  welche  dem  State  ge- 
hören. Selbst  in  den  schweizerischen  Cantonen,  deren 
einfache  Wirtbschaft  noch  mehr  als  anderwärts  dem  Cha- 
rakter der  Privatwirthschaft  ähnlich  geblieben  ist,  sind  die- 
selben in  neuerer  Zeit  sehr  vennindeit  worden.  Wo  sie 
bestehen,  da  haben  sie  den  groszen  Vorzug  regelmftsziger 
nnd  sicherer  Einkünfte,  und  zugleich  den,  dasz  für  ausser- 
ordentliche Capital  ausgaben  ohne  Belästigung  der  Einwohner 
durch  Verwendung  derselben  gesorgt  werden  kann.  Müssen 
aber  Schulden  contrabirt  werden,  so  ist  es  oft  nur  tine 
Selbstt&nschung ,  wenn  der  Stat  seine  Activcapitalien  un- 
versehrt zu  erhalten  vermeint,  wahrend  er  sie  durch  ent- 
gegengesetzte Passivcapitalien  in  Wahrheit  aufzehrt. 

f)  Von  ähnlicher  Art  sind  die  mancherlei  Grundge-, 
f&lle,  welche  die  modernen  Staten  als  ursprünglich  grosze 
Grund-  und  Vogteiherren  aus  dem  Mittelalter  häufig  ererbt 
haben,  wie  Zehnten  und  Grundzinse  von  mancherlei 
Art  Die  Ausbildung  des  neuen  Privatrechts  aber  sowohl 
als  die  der  Privatwirthschaft  ist  diesen  Realrechten  nicht 
günstig,  und  hat  dieselben  groszentheils  verdrängt  und  um- 
gewandelt. 


,ip;.jM,Googlc 


'SHl     '  Zehn'leB  Bacb.    Die  WlrthMhaftepIleve- 

Brittes  CapiteL 

B.  Die  Regalien. 

Der  Begriff  der  Regalien  liegt  auf  der  Grftnze  zwischen 
Stats-  und  Pnratrecht,  und  ist  aus  beiderlei  Bestandtheilen 
gemischt.  Es  kann  daher  nicht  befremden,  dasz  derselbe 
in  dem  Mittelalter,  welches  Oberhaupt  öfflantliche  und  Privat- 
rechte  zu  verbinden  und  za  mischen  liebte,  entstanden  und 
Torzllgiich  ausgebildet  worden  ist,  und  ebensowenig  auf- 
fallen, dasz  die  neuere  Zeit,  welche  sch&rfere  Sonderung 
der  beiden  Gebiete  anstrebt,  in  der  Arbeit  begriflTen  ist,  auch 
hier  die  Ausscheidung  zu  vollziehen  und  jenen  Begriff  aof- 
zu)(tsen. 

Das  stat«rechtliche  Element  in  den  Regalien  ist,  da«z 
diese  nicht  zufällig  noch  vorübergehend,  sondern  von  Rechtes 
wegen  dem  State  zukommen.,  der  8tat  somit  als  des  eigent- 
liche und  nothwendige  Rechtssubject  derselben  »scheint. 
Wenn  Privatpersonen  daher  im  Besitz  von  Realien  sind,  so 
ist  ihr  Recht  immer  von  dem  State  abgeleitet  und  kehrt, 
.wenn  sie  es  verwirken,  immer  wieder  an  den  8tat  zurück. 
Statliche  Hoheit  ist  von  der  Regalität  unzertrennlich. 
Die  Form  aber,  wie  diese  im  Recht  ausgebildet  worden,  ist 
privatrechtlich.  Nicht  die  Ausübung  der  Statshoheit  aus 
öifentlichen  Gründen  und  in  öffentlicher  Richtung  wird  vor- 
züglich betont,  sondern  der  damit  verbundene  materielle 
Oenusz,  die  eigenthnmsartige  Nutzbarkeit,  und  um  desz- 
willen  ist  denn  das  Recht  auch  zur  Quelle  geworden  von 
mancherlei  nulzbaren  Gerechtsamen,  die,  wie  andere« 
Privatiecht,  dem  Verkehre  der  Privatpersonen  überlassen 
worden  sind. 

Der  neueren  Rechtsbildung  gem&sz  ist  es,  den  stats- 
refhtlichen  Charakter  der  Regalien  entschiedener  zu  bewah- 
ren und  reiner  zu  halten.    Diejenigen  Regalien,  welche  wie 


iM,Coo<^lc 


Drittes  Capltel.    B.  Die  Rfgsiteii.  3f)5 

z.  B.  das  Jagdregal,  in  der  öffentlicheii  Rechtsordnung  keine 
B^rnndimg  halien,  sondern  mehr  willkürlich  und  zufBlIig 
von  dem  State  an  die  Hand  genommen  worden,  sind  daher  - 
als  Regalien  ganz,  aufsugeben  und  besser  als  einfache  Privat- 
rechte zu  behandeln,  immerhin  mit  Vorbehalt  der  erforder- 
lichen polizeilichen  Beschränkungen  und  angemessener  Be- 
steuerung. Die  übrigen  Regalien  dagegen,  welche  ihrer 
Natur  nach  als  niilzbare  Hoheitsrechte  zu  betrachten 
sind,  werden,  insofern  aus  ihnen  materielle  Einktlnfte  dem 
State  zuflieszen,  mehr  und  mehr  als  Steuerrechte  be- 
handelt, dem  gesaminten  nach  Grundsätzen  des  öffentlichen 
Rechtes  zu  normirenden  Steuersystem  eingeOtgt,  und  soweit 
sie  in  Verbindung  mit  öffentlichen  Functionen  des  Stetes 
stehen,  mit  Rücksicht  auf  diese  frei  bestimmt  werden.  Diese 
Fortbiixiung  des  Rechtes  hat  nun  zwar  begonnen  und  schon 
manche  Schritte  zurückgelegt,  aber  sie  ist  noch  nicht  zu 
diesem  Resultate  gelangt,  und  es  sind  daher  immer  noch 
die  Regalien  in  der  bisher  überlieferten  Form  und  Reden* 
tnng  übersichtlich  zu  erwähnen. 

Es  geliören  hieher: 

1.  Die  grundherrschaftlichen  Regalien,  oder 
die  Regalien  im  eigentlichen  Sinn,  welche  sich  entweder 
aus  der  Hoheit  des  States  ilher  die  Sachen  erklären,  die 
ihrer  Natur  nach  Öffentlich  sind,  oder  aus  einer  von  d$m 
State  vorbehaltenen  Herrschaft  über  solche  Sachen,  deren 
Ausbeutnng  und  Benutzung  in  näherer  Beziehung  zu  der 
öffentlichen  Wirthscbaft  stehen.  Als  solche  sind  in  vielen 
Staten  seit  dem  Mittelalter  anerkannt: 

a)  Das  sogenannte  Wasserregal.  DleTStatshohrit 
(nicht  Eigenthum  im  eigentlichen  Sinn)  über  die  öffentlichen 
Gewässer  Ist  naturgemftsz  und  in  Folge  dessen  dm  Recht 
des  States,  auch  die  Benutzung  derselben  von  Seite  der  Pri- 
vaten zur  Schifffahrt,  zu  Fähren,  zur  Wiesenwässerung,  fUr 
Wasserräder,  zum  Fischfang  u.  dgl.  zu  regeln,  wohlbegründet. 

BluntiiRhli.  iillt[emelTiM  ülRUrmhl.    U.  2Ö 


iM,Coo<^lc 


386  Zelin(«s  Rnrli.     Di«  VTirtbKhaflapO^e. 

Im  Hittelalter  aber  wurde  diese  Hoheit  in  dn  flscali- 
sches  Regale  gewandelt,  um  von  den  Privaten,  welche  die 
GewAsser  so  in  ihrem  Sonderinteresse  benutzten,  At^ben 
zu  erheben. '  Die  erstere  Bedeutung  ist  bleibend,  die  letztere 
fisoalische  aber  im  Untergang  begriffen,  anch  für  die  Stats- 
casse  von  geringem  Werth  und  fQr  die  Privatwirthschart 
eine  Lest. 

b)  Das  Bergwerksregal,  Bergregal.  Ursprflnglich 
wurden  wie  der  Boden  so  auch  die  unter  der  Oberfläche 
vorhandenen  Metalle  jeder  Art  sowohl  nach  römischem  aU 
nach  deutschem  Rechte  als  ein  Bestandtheil  des  privatrecht- 
lichen Grundbesitzes  betrachtet.  Wieder  erst  im  Mittelalter 
kam  die  Ansicht  auf,  dusz  dieser  unterirdische  Reichthum 
nicht  zu  dem  Grundstücke  gehöre,  sondern  der  „königlichen 
Gewalt"   unterworfen    sei.     In    der  That   konnte    man    an 


■  Conslitntio  FWdmri  f.  a.  1158  (bei  IVrli  Honum.  Oerin.  II,  p.  111): 
.Rrgmiik  annt  hec;  ArimsDie,  tIp  public«,  Qu^iu»  URvigabilU  et  ex  qui- 
biiB  Bunt  navignbilia,  portu«,  ripatica,  vectigalia  qiie  vulgo  dicuntur  llio- 
loiieo,  iDQuele,  mulcLanini  peuarumque  compeiidia,  bona  vacentia  «(  qiiH 
iodignia  legibus  aiireranUir.  nisi  qne  fippcialiter  quibiiadam  concedanlnr, 
et  bona  conti'sbentiuin  ioceatag  nuptias  et  dampnatorum  et  proscriplonim 
secunduin  quod  in  novia  consütutionibua  ooretur,  aDgarinrum  et  paran- 
gariarum  et  planst rorum  et  unvium  piesiaLioiiea,  et  exiraoiiliiiarin  collatio 
ad  feliclesirnain  regalis  niiminis  expedilioii«ni,  pot^slas  cnuBlituendoruni 
ma^sIrBluniD  ad  jaetiitam  expedieodam ,  argentarle  et  paJatla  iu  civilaU- 
bua  coDBuelis,  piacationnm  reddilus  et  Baliuarum  et  bona  comiiiitleulium 
crimen  roajeaiaiia  et  dimiditim  theoauri  invenii  in  loco  Cesnris  non  data 
opera,  vel  in  loco  religioso,  ai  data  Opera,  loluiu  ad  «um  pertinet."  Üs- 
geg«n  der  Frieden  von  Venedig  v.  1177  (.Perti  II,  p.  152.):  „Regalio 
«tro,  qne  per  «um  (imperaioiem)  vel  anleceteores  ejae  tarn  a  clerkis 
qDam  laida  fiierunt  delenia,  vel  per  ipsiim  eeu  antecessorea  «jue  investita, 
qui«t«  diioiUat,  nee  de  cetcro  iniptMlial.  Conauetudiiiea  etiam  et  comodi- 
latas,  quaa  civitalea  et  omnes  de  socielnte  linberi  coneueverunt  In  paacnia, 
piacationibua,  molendinia,  fomia,  talmlia  carabietnrum  et  n^ocialomni, 
macellie,  domibaa,  qaas  liabeiit  edincala«  in  vlia  piibiicis  \el  supra  vel 
iuAta  Tiaa  publieas.  el  eleriias  cousueluditiea  anUqiiaa,  eiadeni  civtlatibns 
et  omnibua  de  aocieinte  qniel«  habere  et  tenere  iiermiltal."  Vgl.  den 
Conatanier  Fri«d«n   von  1183  (Perl«  II,  176.)  1   IT. 


iM,Coo<^lc 


ÜriUea  Capilel.     II.  Die  Regslieii.  387 

natUrlicIie  Eigenschaften  der  Bergwerke  anknüpfen.  Die  Adeni 
nnd  Lager  der  Fossilien  breiten  sich  unter  der  Erde  ans  und 
nehmen  ihre  Richtungen  vtillig  unabliängig  ran  derEinlhei- 
lung  nnd  Cniturart  des  Grundeigenthume  auf  der  Oberfl&che. 
Sie  haben  daher  ein  von  jenem  verschiedenes  Dasein,  und 
die  Gniben  inOssen  auch  mit  Rücksicht  darauf  im  Zusam* 
menhang  und  getrennt  von  der  Bepflanzung  der  OriiudstUcke 
gebaut  werden.  Sodann  schien  die  euge  Beziehung  der 
edlen  Metalle  zu  dem  Uunzwesen  und  anderer  zu  der  Aus- 
rUstong  des  Heeres  dem  State  ein  nähereg  Recht  darauf  als 
andern  Personen  m  gewähren.  Endlich  machten  mancherlei 
Interessen  eine  statliche  Aufsicht  über  den  Bergbaa  nöthig. 
Aber  gleichwohl  lag  in  der  allgemeinen  Einfilhrung  auch 
des  Bergregals  eine  Umgestaltung  des  heimbrachten  Privat- 
rechtes,  die  auch  im  Mittelalter  als  anmaszliche  Willkür 
verhaszt,  war.' 

Die  AblÖBUDg  des  Bergbaues  von  dem  Grund- 
eigenthuin  hat  sich  auch  in  neuerer  Zeit  erhalten,  und 
dieses  priratreohtliche  Element  in  dem  mittelalterlichen  Berg- 
regale hat  auf  Fortdauer  Anspruch ,  weil  es  in  der  That  der 
Natur  der  Sache  entspricht.  El>enso  wird  die  ausgebildete 
Statsaufsicht  über  die  ordentliche  und  sichere  Betreibung 
des  Bergbaues  furtdauern.  Dagegen  ist  streng  genommen 
der  Begriff  eines  ausschliej^zlichen  Bergregals  bereits  aufge- 
geben worden,  seitdem   man   angefangen   hat  den  Bei^bau 

'  Fr«)gedank  bei  Krnnt,  Omndriss  des  deiitiicben  IVivalrerhU, 
6.  tu. 

„die  rüraten  Iwingrni  mii  gewali 
Telt  stein,  wazier  uuil  walt, 
darzno  beide  wilt  und  zatn. 
a:  tälen  Infi  geroe  aiMm, 
der  muoi  iids  doch  gemeine  sin. 
möliten  sie  une  deo  aunnen  sdiin 
verbieten,  oach  wint  und  regen, 
man  tnücit  in  zlns  mit  gold«  wegen." 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


388  Zehnlps  Bncli.     Die  WirUncbaftapnege. 

fllr  „frei  zn  erklären",  d.  h.  seitdem  Jedermann  freigeßtellt 
wird,  mit  Beachtung  der  bei^pnüzei liehen  Vorschriflen  zu 
scharfen  nnd  zn  mnthen.  Nur  in  gewissen  Abgaben,  welche 
den  bergbeiehnten  Privatunlerneh inern  auferlegt  zu  werden 
pflegen,  den  Bei^ehnten ,  Quatembei^eldeni ,  flecea^eldem 
zeigt  sich  noch  die  fiscaljsche  Natur  des  Bergregals.  Der 
Gesichtspunkt  der  Steuern  und  Gebühren  scheint  aber  auch 
hier  den  der  nutzbaren  Regalität  allmfthlich  im  Interesse 
einer  guten  8lats<  und  Volks wirthschaft  zu  verdrftngen. 
Auch  wenn  das  Bei^regal  als  solches  ganz  aufg^eben  wird, 
wird  doch  der  Slat  nicht  verhindert  sein,  einzelne  Bergwerke 
mit  Vortheil  auf  eigene  Rechnung  zu  betreiben  oder  zu  ver- 
pachten. 

c)  Verwandt  ist  das  Salzregal,  kommt  aber  noch  in 
gröezever  Ausdehnung  vor,  und  findet  sich  auch  dem  Wesen 
nach  schon  in  dem  römischen  Alterthum.  Man  versteht 
darunter  nicht  allein  das  aiisschlieszlichc  Recht  des  Stals 
auf  Gewi  nnuiig  von  Kochsalz,  sondern  zugleich  auf  den 
Sal/.handel.  Das  Regal  im  engem  Sinne  und  das  8 tats- 
monopol  sind  hier  verbunden.  Der  grosze  Ertrag,  welchen 
die  ansschlieszliche  Verwerthung  dieses  Rlr  die  Menschen, 
das  Vieh  und  viele  Gewerbe  anentbehrlichen  und  nützlichen 
Productes  der  Statscasse  sicherte,  machte  dieses  Regal  den 
Finanzmännern  besonders  thener,  und  die  Juristen  halfen 
mit,  dasselbe,  indem  sie  auf  die  Analogie  der  Bergwerke 
hinwiesen,  einzufuhren.  Indessen  galt  in  Deutschland  in 
alterer  Zeit  der  entgegengesetzte  Grundsatz,  dasz  die  Salz- 
quellen und  das  Steinsalz  zu  dem  Boden  gehören. 

Für  unsere  Zeit  ist  auch  dieses  Regal  als  solches  fOr 
die  Dauer  schwerlich  zu  halten,  und  die  Umwandlung  des- 
selben in  eine  Salzsteuer  scheint  sich  vorzubereiten.  Diese 
hat  aber,  wegen  der  wenig  lästigen  und  fast  unmerklichen 
Erhebungsart  und  ihres  reichen  Ertrages  in  der  That  so 
grosze  Vorzüge  und  wird   durch   die  Gewohnheit  und  Sitte, 


iM,Coo<^lc 


Drittes  Cupilel.     B.   Üie  Kt^alieu.  3g9 

die  in  dem  Steuerwesen  jederzeit  Beiictiluiig  verdient,  so 
sehr  euipfohteii,  dasz  dieselbe  in  selir  vielen  Slateii  als  eine 
fortdauernde  wichtige  Quelle  der  Slntseinkünltc  betrachtet 
wird.  Zuerst  wurde  diese  Uinwi.ndluiig  des  Salzregals  in 
eine  Salzsteuer  in  Frankreich  vollzogen.' 

d)  Das  Jagd  regal  ist  wieder  aus  der  grundherrliclien 
Auffassung  des  Stat«  im  Mittelalter  enistauden  und  angelehnt 
worden  an  das  Öffentliche  Interesse  des  Wildhanns  und  der 
Jagdpolizei.  Auch  hier  ist  auf  diese  Weise  ein  bleibeikier 
Rechtsgrundsatz,  der  nämlich  der  LüGung  der  Jagd  von  der 
uothwendigei)  Verbindung  mit  der  Ausübung  des  Grundeigen- 
thums,  ausgebildet  worden,  und  so  rechtfertigt  sich  wohl 
eine  Einrichtung  des  Jagdrechts  nach  groszeii  Jagdrevieren 
und  in  Debereinstimmung  mit  den  Interessen  der  Geoiein- 
schaft.  Dagegen  ist  das  eigentliche  Jsgdregal,  iu  Folge 
dessen  der  Stat  selbst  zunächst  ein  aussclilieszliclies  Recht 
anspricht  Jagd  zu  ttheii  und  Jagdrechte  nach  WillkUr  zu 
verleihen,  in  vielen  neueren  Staten  wieder  anfgehoben  wor- 
den, welche  dasselbe  während  des  Mittelalters  angenonmien 
hatten. 

2.  Verwandt  mit  den  grundherrlichen  Regalien  sind  die 
regalen  Gewerbe  und  Statsmouopolien,  welche  der 
Stat  mit  Ausschlieszung  der  Privaten  sich  vorbehalten  hak 
Man  kann  indessen  zwei  Arten  wohl  unterscheiden :  a)  solche, 
welche  lediglich  aus  finanziellen  Gründen  der  Priyatin- 
dustrie  untersagt  und  von  dem  State  allein  um  des  Gewinnes 
willen  betrieben  werden.  Solche  Monopole  sind  wesentlich 
nichts  anderes  als  Steuern,  aber  iu  die  äussere  Form  des 
Gewerbes  gekleidet;  b)  solche,  welche  ihrer  Natur  und  Be- 
stimmung nach  eine  Betreibung  in  öffentlichem  Interesse 
erfordern,  und  bei  denen  somit  der  Ertrag  immer  nur  als 
"  ein   damit   verbundener    VortheU    der  Statscasse    wolil    zu 

*  Vgl.  Kuu  ».  n.  ü.  1,  B-  186. 

D„:,iP<.-jM,G00glc 


:}90  ZehnIM  Blich.     Die  Wirlhscliarisptlege. 

gönnen  ist,  aber  nicht  den  wesentlichen  Charakter  der  Re- 
galität bestimmt. 

Von  der  erstem  Gattung,  gleichsam  in  regate  Gewerbe 
verhüllte  Steuern  sind: 

»)  Die  Salsregie,  von  welcher  oben  unter  1.  c)  schon 
die  Rede  war. 

b)  Die  Tabaksregie,  welche  gegen  Ende  des  17ten 
Jahrhunderts  zuerst  in  Oesterreich  und  in  Frankreich 
eingeführt  wurde,  und  weil  sie  sich  auf  einen  rerbreiteten  und 
in  den  letzten  Zeiten  fortdauernd  steigenden  luxuriösen  Ge- 
nusz  der  Bevölkerung  bezOg,  den  Slatecessen  groszen  Gewinn 
brachte.  Da  die  Umwandlung  derselben  in  eine  eigentliche 
Steuer  sehr  schwierig  und  diese  Einkihirie  zu  geßthrdeii 
schien,  so  wurde  diese  Erhebongsform  trotz  der  damit  ver- 
bundenen Mängel  nicht  so  leicht  aufgegeben. 

c)  Das  Lotterieregal,  moralisch  Terwerflich,  weil  auf 
den  Leichtsinn  und  die  Spielsucht  der  Bevölkerung,  und 
vorzugsweise  sc^ar  der  nicht  vermöglichen  Classen,  welche 
ohne  Schaden  fUr  ihren  Wohlstand  auch  solchen)  Vei^nUgen 
einige  Abfälle  ihrer  Einnahmen  opfern  können,  sondern  der 
untern,  zu  ihrem  Verderben  zum  Olilcksapiel  verlockten 
Volksclassen  von  Statswegen  speculirt  wird.  Die  Aufhebung 
diese«  Regals  musz  daher  im  Interesse  einer  sittlichen  Slats- 
ordnung  gefordert  werden. 

d)  Das  Spielkartenregal,  welches  freilich  weit  we- 
niger einträglich  ist  als  das  zum  Spiel  reizende  Lotterier^al, 
und  welches  eher  die  Spielsucht  beschränkt  als  fOrdert,  da- 
her nicht  schon  ans  moralischen,  sondern  nur  aus  wirth- 
schaftlichen  Gründen  angefochten  werden  kann, 

S.    Zu  der  letztem  Gattung  der  Regalien,  welche  sich 

an    die  Benutzung  Öffentlicher  Anstalten    anschlieszen,  die 

zwar  nicht  zu  den  eigentlichen  politischen  Functionen  der 

Slatsgewalt  gehören,  aber   doch  in  dem  gemeinen  Interesse 

,  der  Volkswohl  fahrt  eingerichtet  werden,  gehören: 


iM,Coo<^lc 


Dritt«  Capilel.     B.  Die  KrgBikii.  391 

a)  Das  MUnzregal,  sich  anlehnend  an  das  Hecht  und 
die  Pflicht  des  States,  für  baares  Geld  als  allgemein  aner- 
kanntes Schälzungs-  und  Tauschmiltel  im  Verkehr  zu  sorgen. 
In  dem  Mittelalter  war  dasselbe  eine  ziemlich  erhebliche 
Quelle  des  Statseinkommens.  In  der  neueren  Zeit  ist  da- 
g^en  die  Einsicht  durchgedrungen,  dasz  ztimal  für  die  gro- 
ben Mftnzsorten  der  sichere  Werth  derselben  wesentlich  da- 
von abhängt,  dasz .  derselbe  dem  Werth  des  rohen  dazu 
verwendeten  edeln  Metalls  ganz  nahe  steht,  und  es  ist  daher 
von  dem  Schlf^echatze  kein  Gewinn  mehr  zu  erwarten. 
Nur  die  PrOgung'  und  Ausgabe  der  ScheidemUDze  Ifiszt 
einen  geringen  Gewinn  ohne  Nachtheil  Air  den  Haupt- 
zweck zu. 

b'i  Das  Pofitregal.  Der  Hauptzweck  der  Postanslallen 
ist  der,  de»  Brief-  und  Packetverkehr,  eodann  den 
Transport  von  Personen  und  Waaren  in  regelmässiger 
Weise  zu  vermitteln  und  zu  beRtrdem.  Das  Statsiutereese 
für  sich  schon  macht  eine  solche  Anstalt  nothwendig,  damit 
von  dem  Cenlrum  der  Slatsregierung  aus  nach  allen  Bich- 
lungeu  des  Landes  und  nach  auszen  hin  und  hinwieder  von 
da  zurück  die  Communication  gesichert  sei.  Im  Alterthum, 
in  dem  groszen  persischen  und  dem  gröszern  römischen 
Reiche  waren  daher  Statsposten  fUr  dieses  öfTentliche  In- 
tere«se  eingerichtet,  dem  Privatverkehr  in  der  Regel  aber 
unzug&nglich.  In  dem  spätem  Mittelalter  worden  derlei  An- 
stalten vorerst  zu  Onosten  des  kaufmännischen  Verkehrs 
gegründet,  anfangs  oft  von  Corporadoneii  und  unteriiehmeD- 
den  Privaten.  Zuerst  wurde  wohl  in  Frankreich  durch 
Ludwig  XI.  im  Jahre  14(^4  das  Postregal  im  neuern  Sinne,  < 
dann  allmählich  auch  in  den  Übrigen  civilisirten  Stalen  ein- 
geführt. In  unsern  Tagen  hat  dieses  ebenso  wohllliätige  uls 
zugleich   finaociell    fruchtbare  Institut  eine  hohe  Stufe  der 

*  Schaffner,  fmuz.  Kechl8K«8ch.  11,  S.  3tt7. 

n,g,t,7.dt,GtDOgIc 


392  'Minln  Hnck.     Di«  Wirtfagchafispllegv. 

Vervollkommnung  erreicht,  ist  aber  noch  höherer  Ätiebil- 
dung  ßihig. 

Ee  li^t  in  dem  öffentlichen  Interesse,  dasz  die  Mitthei- 
lung ron  Briefen  und  Packeten  nach  allen  Seiten  hio  mit 
Genauigkeit  und  Sicherheit  und  schnell  vollzogen  werden 
könne,  und  voraus  eignet  sich  der  Stat  dazu,  diese  Sorge 
durch  seine  Anstalten  zu  tlbemehuien,  mehr  als  PHvatper- 
t^onen,  denn  diese  haben  mehr  den  Gewinn  als  den  gemeinen 
Nutzen  im  Auge,  und  gewähren  geringere  Garantie  för  die 
Güte  so  umfassender  Sorge.  Der  Stat  dagegen  hat  eine 
Menge  von  Mitteln,  die  ihm  den  Ueberblick  über  die  allge- 
meinen Bedurfnisse,  die  Befriedigung  derselben  und  die 
Controle  über  diese  erleichtern,  und  seine  Ehre  ist  dabei 
betheiligt,  dasz  das  in  der  rechten  Form  geschehe.  Er  wird 
daher  auch  die  Ortschaften,  die  einen  geringen  Verkehr 
haben,  nicht  vernachlässigen,  weil  die  Einrichtungen  fttr 
ihre  Postverbindung  nur  kleinen  Gewinn  abwerfen,  vielleicht 
sogar  Verlust  erheischen.  Um  so  lieber  wird  hinwieder  das 
Volk  es  sehen,  wenn  diese  gemeinnützigen  Anstalten  des 
Stats  auch  einen  ansehnlichen  Gewinn  abwerfen  und  so  hin- 
wieder die  Steuerlast  vermindern.  Zwar  kommt  diese  flsca- 
lische  Rücksicht  erst  in  zweiter  Linie  in  Betracht,  aber  sie 
ist  deszhalb  nicht  unwichtig.  Das  Postregal  hat  in  derThat 
den  groszen  Vorzug,  dasE  es  wohl  organisirt  den  Privaten 
und  dem  Stst  zugleich  groszen  Nutzen  bringt,  und  die  Ge- 
nüsse und  die  Krftfte  beider  vermehrt 

Das  gilt  ganz  besonders  von  der  Briefpost.  In  Folge 
des  Regals  dnrfen  kdne  andern  Privatanstalten  zu  berufs- 
mftsziger  Versendung  von  Briefen  errichtet  werden,  ohne 
besondere  ausnahmsweise  Concession  des  Stats.  Eine  Über- 
triebene und  unpractische  Ausdehnung  dieses  Rechts  ist  es, 
wenn  in  einzelnen  Staten  auch  die  gelegentliche  Besoldung 
einzelner  Briefe  oder  Packete  durch  dritte  Privatpersonen 
verboten  wird.  Je  zweckmftsrager  und  wohlfeiler  die  Rriefpost 


n,g,t,7.dt,G00gIc 


Drille»  Capilei.     B.  Uie  Rcgalku:  393 

eingerichtet  ist,  desto  weniger  ist  euch  eine  Umgehung  des 
Regals  zu  besorgen. 

In  geringerem  Masze  schon  gilt  es  vud  der  Packet- 
post,  welche  die  Versendung  ron  kleinen -Packeten  und 
Valoren  (Geldern)  vermittelt.  Das  Öffentliche  Interesse 
daran  ist  weniger  allgemein  und  weniger  bedeutend.  In- 
dessen hat  auch  da  die  Ausübung  der  Regalität  so  grosse 
Vortheile,  (fasz  sie  in  der  Regel  der  Ueberlassung  dieser 
Sorge  an  die  Privatindustrie  vorzuziehen  ist. 

In  manchem  Betracht  verschieden  ist  die  Fahrpost, 
die  nicht  ebenso  nach  allen  Landestheilen  eingerichtet  wer- 
den kann,  sondern  naturgem&sz  sich  an  die  Hauptrouten 
h&it,  auf  welchen  eine  grOszere  Anzahl  von  Reisenden  sich 
gewöhnlich  bew^en.  Sie  nähert  steh  daher  mehr  der  be- 
sondcrn  Privatindustrie  an.  In  manchen  Ländern  macht 
indessen  der  Slat  mit  der  Soi^e  für  diese  Bedllrfniase  ein 
ausschlieszliches  Pbegal  geltend,  sei  es,  indem  er  keine 
regelmäszigen  Privatcurse  zuläszt,  oder,  wenn  solche  ver- 
Btattet  werden,  doch  dieselben  in  gewissen  Beziehungen 
der  Öffentlichen  Post  untei-ordnet,  und  auch  wohl  die  Er- 
laubnisz  dazu  besonders  erkaufen  ISszt.  In  andern  dag^en 
ist  die  Ftthrpost  ganz  oder  theilweise  freigegeben,  und  die 
Stat^post  concurrirt  nur  mit  den  Privatuntemehmungen  von 
ähnlicher  Art.  Im  Allgemeinen  scheinen  die  Fahrposten 
des  Stets  immer  noch  besser  als  die  der  Privaten;  doch 
hängt  hier  vieles  von  den  besondera  Verhältnissen  und 
Sitten  der  einzelnen  Länder  und  selbst  einzelner  Städte  und 
Ortschaften  ab.  Die  Einrichtung  von  Eztrapoeten  ins- 
besondere steht  in  naher  Beziehung  zu  der  Regalität. 

Im  Altgemeinen  gilt  für  die  ganze  Oi^nisation  und 
Behandlung  der  Post  der  leitende  Grundsatz,  dasz  dieselbe 
nicht  dafUr  besteht,- das  Volk  zu  regieren,  noch  zunächst 
das  Volk  zu  besteuern,  sondern  vor  allen  Dingen  dem 
Volksverkehr  zu  dienen. 


iM,Coo<^lc 


394  Zi'liQtee  Bacb.     Die  Wirtli»:liBnapllFge. 

c)  Ganz  fihniich  int  schon  und  wird  noch  mehr  werden 
bei  weiterer  Entwicklung  das  Institut  der  öTfentlichen 
Telegraphen.  Durch  die  Entdeckung  der  elektrischen 
Telegraphen  ist  es  möglich  geworden,  in  einem  Augen- 
blinke wichtige  Nachrichten  an  entfernte  Orte  mitzutheilen, 
und  in  kurzer  Zeit  werden  die  telegraphischen  Netze  die 
cirilisirte  Erde  Uherapinnen.  Äiifängiich  wurden  diese  An- 
stalten lediglich  im  Interesse  des  Stats  selbst'  von  diesem 
gegrQndet,  dann  auch  der  Benutzung  des  PubHcums  zu- 
gänglich gemacht.  Das  Öffentliche  Interesse  erfordert  es. 
dasz  dieselben  zunächst-  als  Statsanstalten  behandelt  werden, 
und  die  Regalität  wie  aber  die  Briefpost  sich  auch  darüber 
erstrecke.  Verschieden  von  der  Postanstalt  aber  ist  die 
EigenthOmlichkeit  der  telegraphischen  Bureaus,  dasz  jene 
die  empfangenen  Briefe  der  Priralen,  ohne  den  Inhalt  zu 
kennen,  wie  sie  sind  versendet,  diese  dagegen  die  Schrift 
selber  besorgen  und  mittheilen,  daher  von  dem  Inhalte  der 
Berichte  in  Kenntnisz  gesetzt  werden.  Das  Briefgeheim- 
nis z  erhält  daher  hier  einen  andern  Sinn.  Es  kann  nur 
das  bedeuten,  dasz  der  Stat  nicht  unberufenen  Dritten  die 
Einsicht  verstatte  in  die  seiner  Anstalt  anvertrauten  Privat- 
mittheilungen, und  auch  darauf  ausgedehnt  werde,  dasz 
den  übrigen  StatsbehOrden  in  der  Regel  jene  Einsicht  eben- 
falls verschlossen  werda  Wenn  aber  das  Statsinteresse, 
wie  'besonders  in  Kriegszeiten  oder  wo  es  rasche  Verfolgung 
der  Verbrecher  gilt,  die  Eenntnisznahme  b^ründet,  so  darf 
diese  umsow^yger  dem  State  entzogen  werden,  je  unnatQr- 
iicher  es  wäre,  dasz  dieser  selbst  immerhin  mit  sehenden 
Augen  den  Feinden  oder  verbrecherischen  Privaten  die 
Mitte]  in  die  Hand  legte,  dem  Statszweck  entgegen  zu 
wirken. 

d|  Das  Eisenbahnregal,  fthulich  wie  das  Telegra- 
phenregal, eine  Erweiterung  dieser  Gattung  von  Rega- 
lien, welche  der  technischen  Vervollkommnung  unserer  Zeit 


iM,Coo<^lc 


Dritte«  Capitel.     B.  Die  R<gilieu.  3(^5 

angehört  Eine  volle  Ausbilduog  erlangt  dasselbe  ntir  im 
Ziiaammenhang  mit  den  Statseisenbahnen ,  deren  Ertrag  zu- 
uächst  zur  Unterhaltung  der  Anstalt  und  zur  Bezahlung  der 
Zinse  für  die  dafür  -verwendeten  Oapitalien ,  wenn  ein 
Ueherecfausz  sich  ergibt,  auch  zur  VergrOszerung  der  Stats- 
einkUnfte  dient.  Die  Grösze  des  Werlts,  die  Bedeutung  des- 
selben rnr  den  Öffentlichen  Verkehr  und  die  Volkswirth- 
achaft,  die  nahen  Beziehungen  desselben  zn  den  Vertheidi- 
gungsiiiitteln  nitd  dem  Kriegswesen  des  Landes  uberhaopt, 
zu  den  Postanstalten  und  der  Wirihschaft  des  States  sellwt 
machen  es  in  der  Regel  räthlich,  dasz  der  Stst  die  Eisen- 
bahnen selber  baue  oder  die  von  Privatgesellschaften  er- 
bauten (tbemehme,  und  mit  Bernchsichtigung  der  gemeinen 
Wohlfahrt,  nicht  lediglich  wie  die  Privaten  um  des  Ge- 
winnes willen,  ordne  und  leite. 

Die  Nothwendigheit  einer  Concession  für  Prirateisen- 
bahnen,  die  dem  öffentlichen  Verkehr  dienen,  rechtfertigt 
sich  schon  aus  polizeilichen  Gründen;  in  dem  Begriffe  der 
RegalitAt  aber  liegt  es,  dasz  der  Stat  auch  die  Privat-Eisen- 
bahnen  an  sich  ziehen  darf,  sobald  er  die  von  den  Privaten 
darauf  verwendeten  Auslagen  vollständig  ersetzt,  mithin 
anter  bessern  Bedingungen,  als  wenn  er  die  Grundsätze 
der  zwangsweisen  Abtretung  von  Privatrechten  zur  Anwen- 
dung brächle.  Besondere  Verträge  oder  rechtliche  Zusiche- 
rungen an  die  Unternehmer  können  freilich  dieses  Recht 
beschrankt  oder  modificirt  haben. 

e)  Die  Existenz  eines  Straszenregals  ist  in  neuerer 
Zeit  aus  dem  Grunde  bestritten  worden,  dasz  die  Herstel- 
lung von  Landstraszen  eine  unabweisbare  Pflicht  des  Stntes 
sei,  die  Erhebung  von  Weggeldern,  Brllckengeldern 
daher  eher  zu  den  Gebühren  zu  rechnen  sei,  welche  von 
der  Benutzung  wesentlicher  Stataanstalten  beraten  werden.  ^ 

'  Kbu  a.  n.  0.  S-  239. 


396  ZehQUs  Buch.     Die  WirtbscliunE[ill«gp. 

Die  StraszeD  aber,  obwohl  der  Nutzen  derselben  ein  öfl'eiit- 
lieber  und  obwohl  die  Sorge  dafür  rorziigsweise  dem  State 
anbeinifätit,  sind  doch  nicht  eine  Anstalt,  welche  zu  dem 
Organismus  des  Stats  selbst  gehört  und  fQr  statliche  Fuuc* 
lionen  im  eigentlichen  Sinne  bestimmt  ist.  Ihr  Zweck  ist 
doch  nur  der,  den  gemeinen  Verkehr  zu  erleichtern,  und 
es  kann  derselbe  an  und  fUr  sich  auch  durch  Privatunter- 
nehmimgen  erreicht  werden.  Die  Gründe,  aus  welchen 
daher  ron  einem  Straszenregal  gesprochen  wird,  sind  somit 
ganz  ahnlich  denen,  welche  das  Postregal  erklären.  Einen 
finanziellen  Sinn  hat  dasselbe  aber  nur  dann,  wenn  die  Be- 
nutzung der  Straszeu  und  BrUcken  nicht  unentgeltlich  ist, 
sondern   dafUr  Weg-   und   Brückengelder   gefordert  werden. 


Viertes  Gapitel 

C.  Dm  Reclil  ftiif  Gebühren  und  Gefille. 

1.  Das  Recht  des  Stats  auf  Gebuhren  und  Gefälle, 
welche  hei  Gelegenheit  der  Ausübung  öffentlicher  Func- 
tionen TOn  den  Privaten  erhoben  werden,  die  dieser  Func- 
tionen bedürfen,  bildet  einen  G^ensutz  zu  dem  eigentlichen 
Sieiierrecht,  und  ist  hinwieder  die  Ergänzung  desselben. 
Die  Steuern  werden  von  Stats  wegen  auferlegt,  die  Gebühren 
nur  dann  gefordert,  wenn  die  Privaten  die  Hülfe  des  Stats 
in  einer  besonderu  Beziehung  bedürfen.  Diese  sind  daher 
eine  Gegenleistung  an  den  Stat,  und  dienen  den  Auf- 
wand, den  der  Stat  für  die  Öffentlichen  Einrichtungen  sol- 
cher Art  zu  macheu  hat,  zu  vermindern  oder  zu  ersetzen. 
Die  Gei-echtigkeit  solcher  Gebührenerhebung  ist  einleuchtend. 
Es  ist  zwar  richtig,  dasz  der  Stat  um  seiner  Bestimmung 
willen  und  nicht  der  Gebühr  wegen  verpflichtet  ist,  jene 


n,g,t,7rJM,GOÖglC 


Yierlee  Citpite].    C.  Um  Redit  auf  Gebtthi-en  and  Oftüh.      397 

Jifrentlichen  Functionen  auszuüben.  '  Dieselben  siiid  daher 
nicht  gerade  nothwendig,  und  nichts  steht  im  Wege,  wenn 
der  Stut  ohnehin  reich  genug  ist,  dieselben  nnentgeltlich 
auszuüben.  Aber  ett  ist  deszhalb  nicht  ungerecht,  wenn  der 
Stat  die  ükonomischeo  Lasten,  welche  er  (regen  musz,  um 
Jene  Thätigkeit  auszuüben,  ron  denen  sich  vergüten  läszt, 
die  dieser  Leistung  in  ihrem  Interesse  bedürfen;  und  in 
.vielen  Fällen  ist  es  auch  volkswirthschaftlich  zweckmOszig, 
wenn  er  solche  Gebühren  fordert  nnd  so  die  allgemeine 
Steuerpflicht  des  Volkes  erleichtert.  Je  mehr  das  besondere 
Privatinteresse  an  der  Slatsleislung  betheiligt  ist.,  'wie  das 
vorztlglich  bei  den  GericIitsgebUhren  klar  ist,  desto  eher 
wird  sich  die  Gebühr  rechtfertigen ;  je  mehr  die  Statsfimction 
dagegen  um  der  Gesanimtheit  willen  ausgeübt  wird,  desto 
eher  wird  dieselbe  unentgeltlich  geleistet  werden  müssen, 
irnd  die  Kosten  dafitr  in  Form  der  Steuer  zu  erheben  sein. 
Aber  es  ist  keine  begründete  Einwendung  gegen  die  Ge- 
bühren, dasz  sie  sieh  nicht  nach  der  Steuerfl&higkeit  der 
Bürger,  sondern  nach  der  Art  und  dem  Umfang  der  stat- 
lichen  Leistung  richten,  denn  ihr  Princip  ist  ja  nicht  I)e'< 
Steuerung,  sondern  Gegenleistung. 

2.  Die  Steuipelgebühren,  seit  dem  XVII.  Jahrhun- 
dert in  fast  allen  europäischen  Staten  aufgekommen,  ge- 
hören nur  zum  Therl  zu  den  eigentlichen  Gebühren,  inso- 
fern nftmlich ,  als  sie  von  Schriften  bezogen  werden ,  welche 
den  Statsbehörden'  von  Privaten  eingereicht  oder  von  jenen 
zu  Gunsten  dieser  ausgestellt  werden.  Dagegen  näher»  sie 
steh  schon  den  Steuern ,  wenn  auch  der  Privatverkehr  selbst, 
z.  B.  die  Ausstellung  von  Wechseln,  Empfangsscheinen, 
auszergerichtiichen  Vertr^eu  n.  dgl.  der  Stempelabgabe 
unterworfen  wird,  denn  die  Rücksicht,  dasz  derlei  Privat- 
urkunden möglicherweise  auch  im  Processe  benutzt  und  dann 
zumal  der  stutliche  Schutz  dafür  angesprochen  werde,  ist 
doch    nur    eine   selir   indirecte,    und    bezieht   sich    nur   auf 


n,g,t,7.dt,'GpOgIc 


39K  Zehntes  Baeb.    Die  VVlnhMharupfl^e. 

AuanahiiisfftUe.  Vollends  aber  wird  die  Stempelabgsbe  zur 
Steuer  bei  ZeituDgen  und  Ealeodern,  indem  hier  keiuerlei 
Leiatung  dea  State  vorliegt,  Air  vrelche  eine  Vei^tung  ver- 
langt wird.  Die  letztere  Art  des  Stempels  kann  daher  einzig 
aus  dem  Standpunkte  des  Steuerwesens  vertheidigt  werden, 
was  freilich  princlpiell  nicht  leicht  gelingen  wird. 

3>  Die  Taxen  für  Ertheilung  eines  Amtes  oder  Ti- 
tels oder  Ranges  (Adels,  Ordens  u,  dgl.)  haben  den  Vor- 
zug, dasz  die  Belasteten  um  so  geneigter  sein  werden ,  solche 
zu  bezahlen ,  als  sie  gleichzeitig  einen  häufig  ersehnten  Vor- 
zug erlangen.  Nur  dürfen  Aemter,  Titel,  Rang  nicht  um 
der  Taxen  willen  verliehen ,  und  somit  zur  käuflichen  Waare 
werdeu,  mit  welcher  der  Stat  gleichsam  Handel  treibt,  weH 
die  Oftentliche  Bedeutung  und  der  moralimhe  Werth  der- 
selben dadurch  zu  Grunde  gerichtet  wtrden.  Die  Art,  wie 
insbesondere  in  den  letzten  Jahrhunderten  der  Adel  .zum 
Erwerbsartiket  fUr  die  königlichen  Gassen  gemacht  wurde, 
hat  sehr  viel  dazu  beigetragen,  die  Institution  auf  dem  Con- 
tinent  dem  Ruine  entgegenzufuhren. 

4.  Besonders  wichtig  sind  die  Gerichtsgebuhren, 
Sport  ein,  die  in  mancherlei  Formen  vorkommen.  Vorerst 
als  Proceszkosten,  sowohl  im  Civil-,  als  im  Straf^rocesz. 
Diese  Sportein  trefl'en  vorzDglieh  die  Partei,  welche  ein 
Unrecht  verQbt  hat,  und  gegen  welche  daher  im  Civilprocesx 
Schutz  gesucht,  die  im  Strafprocesz  zur  Strafe  gezogen  wird. 
Sie  dienen  Uberdem  dszu,  die  Proceszsucht  daran  zu  erin- 
nern, dasz  durch  dieselbe  auch  dem  State  Schaden  zuge- 
fügt werde,  dessen  Ersatz  die  proceszfUhrenden  Parteien  zu 
übernehmen  schuldig  seien,  und  durch  die  Verrechnung  der 
Kosten  zu  erm&szigen.  Die  Sportein  sind  daher  eine  wohl- 
begründete  Gegenleistung  an  den  Stat,  nur  dürfen  sie  nicht 
in  dem  Masze  gespannt  werden,  dasz  es  den  unbemittelten 
Privaten  zu  schwer  und  zu  gewagt  erscheint,  wenn  ihnen 
Unrecht  widerfährt,  den  Schutz   des  Gerichtes  zu  begehren. 


iM,Coo<^lc 


Vieries  Capitel.    C.  Das  R«c)it  Bi>f  Oebtihmi  iiDd  OefSiie.      ;t99 

Fttr  Arme  sind  Uberdetn,  damit  die  GleicMieit  des  Sechts- 
schiitzes  Wahrheit  sei,  besondere  Au8^B^lI)8be8tiInmungen 
nöthig. 

5.  Die  verschiedenen  Gebühren,  welche  mit  der  soge- 
nannten freiwilligen  Gerichtsbarkeit  und  der  Ver- 
waltung der  OGer Vormundschaft  verbunden  werden, 
z.  B.  bei  Eintragung  der  Veräuezerung  oder  Verpfändung 
von  Liegenschaften  in  das  Grundbuch,  bei  Wechselprotesten, 
Beglaubigungen,  Errichtung  von  Testamenten,  bei  Prüfung 
und  Abnnhme  der  Vnrniundschaftsfechnungen  u.  dgl. ,  sind 
nahe  verwandt  mit  den  Gericlitssporteln,  obwohl  sie  in  den 
Fällen  nicht  von  den  Gericlitcn  erhoben  werden,  wo  för 
diese  amtliche  Mitwirkung  und  Thätigkeit  besondere  Stellen, 
z.  B.  die  der  Notare  geordnet  sind,  oder  dieselbe  den  Re- 
gierungsbehörden übertragen  ist.  Immer  sind  es  doch  hier 
vorzüglich  Pi'lvntinteressen,  für  welche  die  statliche  Ein- 
richtung in  Anspruch  genommen  wini,  und  daher  die  For- 
derung einer  billigen  Gegenleistung  gerechtfertigt. 

6.  Dagegen  wird  der  Charakter  der  Gebühr  nicht  einge- 
hallen bei  den  in  Frankreich  erfundenen  Handänderuugs- 
abgaben,  Eaufsacciseu,  Enregistrement ,  welche  von  der 
EigenthunisUbertrugung  zuweilen  sugar  der  Verpachtung  von 
Gütern,  von  Schuldbriefen,  Weclisetn  u.  s.  f.  erhoben  wer- 
den, indem  dieselben  nicht  mehr  als  G^enleistung  gegen  die 
Leistung  des  Stals,  sondern  als  eine  wahre  auf  den  Verkehr 
verlegte  Abgabe  zu  betrachten  sind,  und  in  Procenten  des 
Capilalwerths ,  d.  h.  von  dem  Capital  selbst  erhoben  werden. 
Sie  sind  daher  eine  wirkliche  Steuer,  und  fiberdem  eine 
tlen  Grundsätzen  der  Gert^chtigkeit  nicht  gemä^ze,  und  den 
Grundsätzen  einer  guten  Wirthschaflt  widersprechende.  Sie 
trifft  nämlich  nicht,  wie  die  Grundsteuer,  den  ganzen  Grund- 
besitz gleiclmiäszig,  sondern,  indem  sie  sich  an  die  zuläUige 
Veräuszerung  hält,  die  einen  Besitzer  Ubermfiszig,  die  an- 
dern gar  nicht,   macht  sich  als  eine  willkürliche  Belastung 


iM,Coo<^lc 


400  Zehntee  Bnch.     Diu  WirlheclisfUpflrf«-. 

der  Verkehrsfreiheit  dthlbur,  und  drUckt  den  Werth  der 
Güter. 

Verwandt  dRniit  ist  die  Ei-bschaftsgebUh  r.  Auch 
sie  hat  Diir  die  ftnsaere  Form  einer  Gebühr  an  sich,  nnd 
ist,  da  der  Anfall  der  Erbschaft  nicht  auf  einer  '^hfttigkeit 
des  States  beruht,  sondern  eine  Folge  des  Privatrechtes  ist, 
vielmehr  Erbschaftssteuer,  als  solche  denn*  aber  eher 
zu  rechtfertigen,  als  die  HandänderungsgebUhr  bei  Verflusze- 
ning  unter  Lebenden. 

7.  Die  Geldbuszen,  so  lange  noch  das  Strafrecht  dem 
Privatrechte  ähnlich  behandelt  wurde,  den  verletzten  Pri- 
vaten zugesprochen,  fallen,  seitdem  der  öffenlliche  Charakter 
des  Strafrechts  zur  Anerkennung  gelangt  ist,  als  Öffentliche 
Strafen  mit  Recht  dem  State  zu  seiner  Verfügung  zu.  Der 
Grund ,  aus  welchem  Geldbuszen  auferl^  werden ,  ist  freilich 
nie  und  darf  nie  ein  fiscalischer  sein,  sondern  immer  ein 
strafrechtlicher.  Dieser  Erwerb  für  den  Stat  ist  daher  immer 
nur  ein  zuftllliger,  und  der  Stat  musz  si^ar  wünschen,  ao 
seilen  als  möglich  Gelegenheit  zu  demselben  zu  erhalten. 
Aber  wenn  buszwUrdige  Vergehen  vorkommen,  so  ist  es 
ein  erlaubter  Vortheil,  wenn  der  Stat  die  Biisze  empfängt, 
und  damit  auch  einen  Theil  seiner  Unkosien  für  die  Stref- 
gerichtsbarkeit  zurück  erhält. 

Das  ältere  deutsche  Recht  hatte  die  Tendenz,  die  Geld- 
strafen als  regelmäszige  Strafart  fOr  fast  alle  Verbrechen  und 
Vergehen  zur  Anwendung  zu  bringen.  Die  moderne  Aus- 
bildung des  Strafrechtes  hat  dieselben  im  Gegentheil,  und 
vielleicht  zu  sehr  beschränkt.  Wo  eine  unerlaubte  Gewinn- 
sucht und  Eigennutz  der  Antrieb  zu  dem  Vergehen  war, 
da  scheint  die  Busze  eine  moralisch  passende  Strafe,  weil 
sie  den  Schuldigen  in  derselben  Richtung  ein  Uebel  erleiden 
läszt,  in  welcher  er  ein  Uebel  verUbt  hat.  Aaszerdeni  eignet 
sie  sich  bei  vielen  geringeren  Vergehen  auch  deszhalb,  weil 
sie  die   hohem   persönlichen  Rechte  auf  Freiheit  und   Ehre 


iM,Coo<^lc 


Viertes  Caplt«].    0.  Das  Kvcht  siif  Oebübreo  Diid  Omile.      401 

nicht  entzieht,  uud  doch  ftti-  die  Meisten  ein  empfindlichea 
Uebel  ist. 

8.  Die  mit  Dispenaatioaen,  z.  B.  von  gesetzlicheo 
Ueirathsbeschrankungen ,  verbundenen  Gebuhren  sind  den 
gerichtliehen  ganz'ähnlich,  und  hubeu  nebenbei  den  Zweck, 
die  Begehren  um  Dispensation  innerhalb  gewisser  Schran- 
ken zu  halten. 

9.  Zum  Theil  mit  dem  Scbuixe  des  Privatrechl«,  zum 
Theil  mit  der  Soi^e  für  die  Volkswirthschaft  stehen  in  Ver- 
bindung die  mancherlei  Gebühren  fDr  Gewerbsconces- 
sionen,  z.  B.  der  Advocaten,  Apotheker,  Sensalen,  zuweilen 
auch  rOr  Handelsetablissements,  gewisse  Handwerke  u.dgl.; 
ebenso  die  Gebühren  fUr  Erlheilung  von  ErTindungspa- 
tcnten,  die  in  unsem  an  inechanisohen  und  technischen 
Erfindungen  fruchtbaren  Zeilen  zu  einer  ziemlich  bedeuten- 
den Einnahnisquelle  geworden  sind. 

10.  Endlich  kommen  auch  Polizeisportelo  uud  Po- 
lizeibuszen  vor;  jene  wo  im  Interesse  einer  Privatperson 
eine  Thätigkeit  der  Polizei  beehrt  wird,  die  nicht  schon 
aus  StalsgrQnden  veranlaszt  ist,  z.  B.  bei  Ausstellung  von 
Pässen,  Answeisschrifton  u.  dgl.,  diese  nach  Analogie  der 
gerichtlichen  Strafen  als  ein  einfaches  häufig  wirksames 
HHtel  polizeilicher  Zueht. 

Wenn  aber  die  Thätigkeit  der  Polizei  schon  durch  Gründe 
der  öffentlichen  und  gemeinen  Wohlfahrt,  wenn  auch  auf 
Anrufen  von  Privaten  geUbt  wird,  so  ist  es  nicht  mehr  ge- 
rechtfertigt, für  dieselbe  Gebuhren  zu  fordern,  sondern 
natürlicher,  dasz  die  Gesammtheit  die  Kosten  dafUr  ganz 
auf  sich  nehme,  es  wäre  denn,  dasz  auch  hier  die  Ver- 
schuldung eines  Privaten  eine  ausnahmsweise  Belastung 
desselben  begranden  sollte. ' 

'  Vgl.  über  du  giDze  Capilel  tiMODders  ßnu,  FlntnTwisaenacii.  I, 
SS-  227  «. 


StilarediL    n. 


,iP<.-jM,Googlc 


40S  ZehDles  Buch.     Die  WirÜiscbBftapacgv. 

Fünftes  GapiteL 

D.  D>B  Steiierrecbt 

1.  Das  Steueirecht  des  States  wird  nur  sehr  mangel- 
haft erkanut,  wenn  die  Steuer  nur  als  „Vermutung  ftlr  den 
Genuas  der  öffeiiüichen  Anstalten"  '  von  Seite  der  PriTSteii 
betrachtet  wird.  Es  ist  das  eine  privatrechtliche  Auf- 
foasung  desselben,  wie  sie  wohl  im  Mittelalter  gang  und 
gäbe  war,  aber  Ungenügend  ^r  das  moderne  Statsrecht. 
Dieses  geht  rielmehr  auch  hier  von  dem  State  aus,  und 
erkennt  das  Recht  zu  besteuern  als  Steuerhoheit  des 
States,  und  die  Pflicht  der  StataangehOrigen  zu  steuern  als 
eine  ans  der  Unterordnung  jener  unter  die  Qesammtheit 
entspringende  Bürgerpflicht.  Da  die  Elxistenz  des  Stats 
der  äuszerlichen ,  also  auch  der  Vermttgensexistenz  der  Pri- 
vaten übergeordnet  ist,  so  tblgt  daraus  das  Recht  des  Stats, 
in  unlieber  Weise,  wie  er  um  seiner  Sicherheit  willen  die 
persönlichen  Kräfte  der  Unterthunen  in  Anspruch  nimmt, 
sueh  da,  wo  die  Erfüllung  seiner  öffentlichen  Be- 
BtinimuDg  es  erfordert,  das  Vermögen  derselben  zur 
Hülfe  herbeizuziehen.  Das  Vermögen  der  Privaten  gehört 
freilich  diesen  au,  und  küneswegs,  auch  mittelbar  nicht 
dem  Sbite.  Der  Stat  hat  auch  die  Au%abe,  das  Privatver- 
mögen wie  alles  Privatrecht  zu  schützen,  nicht  das  Recht, 
dasselbe  beliebig  zu  zerstören  oder  aufzuzehren.  Aber  das 
Privatrecht  ist  der  Hohät  des  Statsrechts  unterworfen,  und 
wo  das  Bedürfnis!  des  Ganzen  es  nöthig  macht,  müssen 
auch  die '  Einzelnen  dasselbe  befriedigen  helfen ,  weil  sie 
und  soweit  sie  dem  Ganzen  untergeordnet  sind.  Die  privat- 
rechtliche  Vorstellung  des  Mittelalters,  daaz  die  Steuer  auf 
dem  freien  Willen  der  Pflichtigen  beruhe,   ist  somit  in  dem 

'  echmitlbenner,  Mg.  Slaterechl,  8.  356. 


Filnfles  Capilel.     D.  D&s  Sleneirechi.  403 

Tollkomn)eiiet)  Staterechte  nicht  mehr  haltbar.  Sie  ist  ver- 
drängt worden  durch  den  Grundsatz  der  ölTentlich  -  rechtlichen 
Steuerpflicht.'' 

2.  Schon  aus  der  Begrltndunt;  des  Besteuerungsrechts 
Tolgt  der  Grundsatz  der  Allgemeinheit  der  Steuerpflicht;' 
denn  die  Hoheit  des  Slats  breitet  sich  beherrschend  aus  Über 
das  ganze  Volk,  nicht  blosz  über  einzelne  Classe»  desselben. 
Wenn  im  Mittelalter  die  Ritterschaft  den  Vorzug  der  Steuer- 
freiheit genosz,  so  erklärte  sich  diese  Ausnahme  daraus, 
dasz  die  damaligen  Steuern  vorzugsweise  Eriegssteuern  wa- 
ren, und  auf  dem  Ritterstaude  hinwieder  fast  ausschlieszlich 
die  persönliche  KriegSf^icht  lastete.  Die  einen  halfen  so 
dem  Stat  mit  ihrem  Gut,  die  andern  mit  ihrem  Blut.  '    Der 

•  Eine  Sieiier,  welche  erhoben  würde,  um  einzelne  Privaten  tu  be- 
reiciiem,  oder  welche  den  Reichen  Rnferlegl  würde,  nm  das  Geld  nnlet 
die  Aermeren  in  verlheileo,  ist  demnach  principwidrig.  Ein  meAwlir- 
diges  Beispie)  der  lelzteru  Art  bei  Bluner  nchvreit.  Demokratien  11, 
S.  147. 

•  Deutscher  Reicksabschied  v.  1543,  %.  4%:  „und  soll  in  sol- 
cher Anlage  niemand  ausgeBchloeaen  sein  noch  verschooet  werden.  Doch 
sollen  die  Obrigkeiten  —  inaonderheit  den  geneinea  Hano..  so  viel  taög- 
Hch  vor  andern  nicht  tieacbweren,  sondern  nach  einea  jeden  Vermägen 
Gleichheit  habrn."  Nordamerikanfache  Verf.  I,  8:  „Der  Congreei 
hat  das  Recht,  Taxen,  Abgaben,  AiiflBgen  und  AcciM  aufzul^eD  — ; 
aber  HÜe  Abgal>eD,  Auflagen  und  die  Acciie  milSMU  in  den  gCBammten 
Vereinigten  Slalen  gleicbföimig  sein."  Bayerische  IV,  %.  13:  ,Die 
Tbeilnnhme  an  den  Statalasten  ist  für  alle  Einwohner  des  Reichs  allge- 
mein, ohne  Ausnahme  irgend  eines  Standes,  und  ohne  Rncksicht  auf 
vormals  beatandene  beBoodere  Befreiungen."  Holländische  $.172: 
„Keine  Privilegien  können  in  Bezug  auf  Auflagen  Terliehen  werden." 
Belgische  9.  112:  ^Eein  Privilegium  kann  in  Betreff  der  Auflagen  ein- 
gefllbrt  werden.  Eine  Befreiung  oder  Nachlasz  von  einer  Auflage  Icenn 
nnr  durch  ein  Oesets  eingeführt  werden. "  PrenszUche  $.  101:  „In 
Betreff  der  Slenern  können  Bevorzogangen  nicht  eingeführt  werden." 

•  Ueber  die  früheren  Verhältnisse  der  Steuerfreiheit  der  deutschen 
Ritterschaft  vgl.  Zachariü  D.  St.  R.  III,  8.  144  ff  Auch  die  Geist- 
lichkeit nahm  im  Hirtelaller  Steuerfreiheit  Tür  ihre  Güter  in  Ansprach, 
und  berief  sich  dabei  auf  ein  angebliches  göttliches  Kcchi.  Die  Auf- 
hebung dieaer  Privilegien  kann  durch  die  Gesetzgebung  vei'Ordnet  «erden. 


iM,Coo<^lc 


404  Zehute«  Bncb.    bir  Winliscliafupllege. 

Slat  iBt  über  jederzeit  berechtigt,  auch  da  wo  einzelne  Clussen 
Steuerfreiheit  beigebracht  haben ,  die  Rechtsregel  bei-zostelleti, 
und  von  Allen  Steuer -zu  verlangen. 

Es  kann  aneh  Niemand  sich  aus  dem  Grunde  der  Steuer 
entziehen,  dasz  er  behauptet  keinen  Theil  zu  haben  an  den 
Genuesen  der  öffentliclieu  Anstalten,  noch  Theil  haben  zu 
wollen,  und  anf  den  Statsschutz  verzichtet,  seiner  eigenen  Kraft 
vertrauend,  es  w&re  denn,  da«z  er  das  Statsgebiet  verlassen 
und  die  Stutsangehörigkeit  völlig  aufgeben  würde.  Denn  es 
gibt  in  dem  Stotegebiete  weder  Personen  noch  Vermögen, 
die  nicht  der  Statsherrschaft  unterworfen  wären,  und  auf 
dieser,  nicht  auf  dem  Ersatz  der  Vortbelle  der  Statsordnung, 
an  denen  freilich  Alle  auch  TlieU  haben,  beruht  die  Steuer 
jtflicht. 

Von  Rechtes  wegen  ist  einzig  von  der  Steuerpdicht  aus- 
(•euomnien,  insoweit  derselbe  nicht  zugleich  als  Privateigen- 
tliUmer  erscheint,  der  Monarch,  weil  er  die  Statsherrschaft 
reprttsentirt.  Dag^en  können  die  Mitglieder  der  Djnastie 
nicht  auch  ein  Recht  der  Steuerfreiheit  behaupten,  da  sie 
iininerbin  Uuterthaneu  des  States  sind.  Stiftungen  fUr 
Zwecke  Öffentlicher  Wohlfohrt  können  danini,  ohne  das 
Princip  zu  verletzen,  von  der  Steuerpflicht  befreit  werden, 
weil  ihre  Einkünfte  ohnehin  öffentlichen  Zwecken  dienen, 
daher  die  Besteuerung  zu  Gunsten  der  Stalscasse,  die  auch 
nur  um  der  Öffentlichen  Wohlfahrt  willen  liesteht,  jene  dem 
Wesen  nach  gleichartige  Verwendung  beeinträchtigt. 

3.  Gleichoiftszigkeit  der  Steuer  ist  ein  ferneres 
Princip  des  natürlichen  Statsrechts.  Sie  ist  in  derThat  eine 
Forderung  der  statlichen  Gerechtigkeit,  welche  von  Allen 
Steuerbeitr&ge  fordert,  und  nicht  die  einen  Classen  vor  den 
andern  willkürlich  begünstigen  noch  drUcken  darf. 

Die  wahre  Gleichheit  ist  aber  nicht  eine  quantitative, 

oho«  Entacbidignog,  denn  sie  aind  kein  Privatrwht,  so  wenig  als  die 
ftu-iPrvOicht  einen  privatredi Hieben  Chsrakler  bat. 


iM,Coo<^le 


Ptinru«  Capitel.    P.  Dm  Sleacrr^bl.  405 

80  daaz  onf  alle  eu  <\em  Stflte  gehörigen  Personen  ein 
gleiches  S tenerquentum  verlegt,  mithin  alle  Steuer 
zur  Kopfs  teuer  wurde,  sondern  diererhältniszmäszige 
Gleichheit,  welche  unter  rerscbiedenen  Vorfliissetznngen  aoch 
verschiedene,  jenen  enteprechende  Beiträge  fordert  Dieae 
VerhäUniaziuAszigheit  nfther  za  ei'kennen  und  zu  bestimmeD, 
nnd  nach  ihr  das  Steuerejstetn  zu  regeln,  ist  freilich  äuszeret 
acbwierig,  und  wird  sich  immer  nur  annähernd  an  die  rear 
len  Verhfiltiiiaae  ermitteln  und  ordnen  lassen.  Das  Streben 
nach  diesem  Ziele  aber  ist  Aufgebe  nnd  Pflicht  der  Finanz- 
und  StatsmJinner.  Man  hat  in  dieser  Beziehung  fafiufig  in 
neuerer  Zeit  altgemeine  Grundsätze  behauptet,  die  nur  theil- 
weise  wahr  sind ,  und  wie  in  den  übrigen  Zweigen  des  Stata- 
rechts,  so  hat  auch  hier  der  moderne  Hang  zur  Abstraction 
KU  einseitiger  Uebertreibnng  verleitet,  den  Widerspruch  zwi- 
schen Theorie  und  Praxis  zu  schroffer  Feindseligkeit  gereizt, 
und  mancherlei  unzulässige  Forderungen  der  Privaten  her- 
voi^ntfen.  Es  verhält  sich  damit  ganz  so,  wie  mit  der 
politischen  Rechtsgleichheit 

So  ist  es  voraus  zu  einem  beliebten  Setze  in  neuerer 
Zeit  geworden,  die  Steuern  müssen  sftmmtlich  nach  der  in 
den  Vermögensumständen  der  Einzelnen  begrtt.n- 
deten  Beitragsfähigkeit  angelegt  warden.'  Die  Con- 
sequenz  dieses  Grundsatzes  würde  dahin  fuhren,  dasz  alle  . 
Steuern  zur  Vermögens-  oder  Einkommenssteuer  ;:5,- 
werden,  und  gerade  die  einträglichsten  und  die  am  wenig- 
sten drückenden  Steuern  aufgegeben  werden  mUszten.  Kein 
modemer  Stat  könnte,  wollte  er  seine  Bestimmung  erfnllen, 
diesen  Grundsatz  ausflthren,  und  doch  wird  er  als  ein  in 
der  Gerechtigkeit  begründeter,  somit  statlich  nothwendiger 
verfochten.  Diese  Erscheinung  ist  nm  so  auffollender, 
wenn  man  sich  erinnert,  dasz  in  unserer  Zeit  die  nämliche 

'  Ea  JBt  dM  anch  von  Kau  getcbclien.    PinaniwjM.  I,  S.  346  ff. 


iM,Coo<^lc 


406  ZehiU»  Buch.    Die  Wlrlbsebnnepflrge. 

Statelehre,  welche  bei  Zuerkennung  der  politischen  Reclite 
die  mflnnliche  Bevölkerung  Hur  zählt,  und  jedem  Kopf  gleich 
viel  politische  Rechte  ziiiniszt,  mit  Bezug  auf  die  Steuer- 
pflicht auf  einmal  von  solcher  Gleichheit  nichts  mehr  wissen 
will,  sondern  diese  je  nach  der  Grösae  der  Privatein- 
kilnfte  steigert,  somit  Rechte  und^^ichten  nach  zwei, 
entgegengesetzten  Grundsätzen  bestimmt.  Dieser  innere  Wider- 
spruch in  dem  Princip  selbst  ist  wohl  eine  hinreichende  Ver- 
anlassung jenen  Grundsatz  näher  zu  prüfen,  auch  wenn  man 
die  aus  der  Unausführbarkeit  desselben  im  practischen  Leben 
sich  ergebenden  Bedenken  miszachten  wollte. 

Das  freilich  versteht  eich  von  selbst,  dasz  wo  keine 
Steuerfähigkeit  ist,  auch  die  Steuerpflicht  ruhen  musz. 
Wo  Nichts  ist,  kann  Nichts  geholt  werden,  da  hat  nach  dem 
Sprichwort  „auch  der  Kaiser  sein  Recht  verloren,*  Aber  es 
ist  ein  Irrthum,  aus  der  nothwendigen  Voraussetzung  der 
Steuerfähigkeit  zu  folgern,  dasz  die  Steuerpflicht  ausschliesz- 
lich  nach  dem  höhern  oder  geringeren  Masze  der  Stetier- 
fähigkeit  zu  messen  sei.^ 

*  &Ka  a-a.  0.  It,  8,  352  hat  daher  dem  Grundaatz,  „daax  die  Slenern 
M  viel  als  möglich  noch  dem  Terb&ltDisz  dea  Einkommens  vertheilt  werden 
mUuen,"  der  nar  eine  relative  Wahrheit  hat,  «ine  m  «uagedehnte  Uel- 
lUDg  tllr  das  ganze  Slenersystem  zugeschriebeo.  Neuerlich  hat  Schäffl  «■ 
In  einer  Abhandlung  „Heoadi  and  Out  in  der  Volksnirlhschaft*  (Deuleche 
Viertel jebrssdirift  1662)  die  aasachljeailicbe  Öeltang  des  Prineips  der 
Beslenerang  nach  dem  Reineinkommen  aus  dem  Qrunde  bekämpft,  dasz 
daa  Rei  nein  kommen  nur  ein  UaazBlab  aei,  um  die  cspiialisirendu  Seile  der 
wirth seil adli eben  Person) ich keit  zu  bemessen,  dasz  aber  damit  nicht  die 
I  ganie  wirtbschaftliche  Peratinlichkeit  erkannt  and  betroffen  werde.  Es 
komme  auch  Jede  andere  Verwendiuig  des  Vermügena  in  Betracht,  ins- 
besondere neben  der  Verwendung  zum  Gewinn  auch  die  zum  Uentuz. 
Der  Henach  lebt  nicht,  um  Geld  zu  gewinnen,  eotideiu  er  macht  Geld, 
nm  besser  (gennsireicher  im  beezlen  Sinne]  ta  leben.  Der  höchste  und 
edelste  Reicbtham  ist  nicht  mehr  anf  neuen  Gewinn  angelegt,  sondert) 
er  verwendet  die  Früchte  eeiner  Cepitalien  lum  Genusz  (eigenem  nnd 
fremdem  Hitgennaz).  Mit  der  intensiven  Cultnr  nehmen  die  Profite  ab, 
aber  keineawega  die  Steaerkraft  der  Nation.     Das  ijgeniliche  Sutqecl  der 


n,g,t,7.dt,G00gIc 


FBnftes  Capitel.     D.  Das  Steuerrecbl.  407 

Ebenso  ist  es  gewtez,  dasz  die  Steuerptlicht  immer  auf 
Personen  haftet,  welche  Priratvermögen  haben,  alao  auch 
Privatpersonen  sind.  Die  Annahme  daher,  dasz  die 
Steuer,  voraus  von  dem  BSocietätevermögen"  erhoben 
werde,  ^  iat  eine  lilction,  welche,  obwohl  in  ihr  ein  Element 
von  Wahrheit  enthalten  ist,  der  Kritik  der  Jnrisprudenz  nicht 
Stand  hdlt,  denn  es  gibt  kein  (Sesam mtsnbject  dieses  Socie- 
tfitavermOgens,  welches  als  steuerpflichtig  bezeichnet  werden 
könnte;  vielmehr  sind  es  bei  allen  Steuerarten  immer  ein- 
zelne Privaten ,  welche  von  denselben  betroä^n  werden.  Aber 
daraus  folgt  wieder  nicht,  dasz  die  Steuerpflicht  eine  privat- 
rechtliche  Besehwerde  und  lediglich  nach  den  Privatverhalt- 
nissen der  Einzelnen  sn  ordnen  sei.  Vielmehr  musz  auch 
sie,  wie  alles  öfientliche  Recht,  von  dem  Ganzen,  von  dem 
State  aus  bestimmt  werden. 

Ab  Haoptverhältnisse  kommen  in  Betracht: 
a)  Die  Beziehungen  der  Privatwirthschaft  znr  Na- 
tionalwirtbschaft.  Es  ist  des  States  durchaus  wOrdig, 
voraus  die  Gesundheit  und  das  Wactisthum  der  letztem  im 
Ange  zu  haben.  Kann  er  durch  die  Einrichtung  der  ' 
Steuern  darauf  hinwirken ,  die  Vermögenskräfte  der  Nation 
zu  Bt&rken,  so  wird  eine  solche  Steuer  einen  doppelten 
Zweck  erftillen,  sie  wird  die  Statscasae  bereichem  und 
sogleich  den  gemeinen  Privatwohlstand  heben.  Immer  aber 
musz  der  Stat  die  Steuer  so  ordnen,  das«  sie  nicht  die 
VermttgeDskrane  der  Nation  oder  der  EinsEelneu  schädigt 
oder  auf^hrt  Es  sind  das  Rflcksichten,  welche  vorzüglich 
in  dem  Zollsystem  zur  Anwendung  kommen,  und  welche 
die  Zölle  zu  einer  der  statlich  besten  Einnahrnsquellen 
machen. 

Besteuenmg  iat  die  PeraoD  (nicht  das  TeriDÖgea).  die  Peraoa  ia  ihrar 
Vermdg^nskraft. 

^  Stahl,  welcher  auch  id  dieser  Lehre  weaeutlicfae  Dinge  berichtigt 
hat,  Ist  diMM-  PioticM  lu  aehr  mgethan.     Statalehra  II,  8.  CW  ff. 


n,g,t,7rJM,COOglC 


408  'Zeholes  Bucii.    Die  Wii  th^ühartapflegc. 

Von  dieser  Betrachtung  aus  werdea  denn  auch  die 
Regalien,  inwiefern  sie  in  neuerer  Zeit  sich  dem  Charakter 
der  Steuern  nfihern,  ihre  Begründung  erhalten  und  zu  ordnen 
sein,  denn  es  gibt  allerdings  gewisses  Vermögen,  welches 
seiner  änszem  Natur  nach  vorzugsweise  zn  der  Oetemmtheit 
hin  gravilirt,  daher  in  dem  Sieuerwesen  äes  Stats  auch  einen 
hervorragenden  Platz  einoimmt. 

In  all  diesen  Fällen  kann  durchaus  keine  Gleichheit 
weder  in  dem  Sinne  bestimmt  werden,  dasz  Jeder  über- 
haupt gleich  viel  Steuer  entrichte,  denn  die  einen  ver- 
kaufen oder  consumiren  mehr  zollbare  G^enstände  als  die 
«ndern,  müssen  daher,  sei  es  von  Anfang  an  und  rorachosz- 
weise,  sei  es  dem  Erfolge  nach,  mehr  beitragen  als  die  an- 
dem,  noch  dasz  jeder  nach  Verhältuiaz  seiner  Vermö- 
gensumstände gleich  belastet  werde.  Man  hat  zwar  oft 
schon  das  letztere  behauptet  und  aus  dem  Grunde  diese 
Steuerart  zu  vertheidigen  unternommen,  dasz  mindestens  an- 
nähernd das  Hasz  der  Steuer  je  nach  dem  grösseren  oder 
gerii^eren  Vermögen  steige  oder  falle.  Das  ist  aber  augen- 
'  scheinlich  nicht  wahr,  und  zwar  keineswegs  nur  dann  nicht, 
wenn  man  die  zunächst  steuerpflichtige  Classe  der  Fabrican- 
ten  und  Kaufleute.,  welche  die  zollbareo  Woaren  cud-  oder 
ausführen,  im  Auge  hat,  sondern  auch  dann  nicht,  wenn 
man  annimmt,  dasz  jene  zwar  direct,  indirect  aber  zu 
gröszerem  Theile  die  Consumenten  davon  betrofifen  werden. 
Der  Verttfauch  von  Oolonialwaaren  z.  B.  in  Deutschland 
steigert  steh  keineswegs  im  Verhältnisz  der  Steigerung  des 
Vermögens  der  einzelnen  Consumenten. 

Die  GleichmäsBigkeit  dieser  Steuern  ist  demnach  eine 
wesentlich  objective.  Je  mehrWaaren,  oder  je 
schwerer  die  Waaren,  welche  die  Zolllinien  durch- 
Bclineiden,  desto  mehr  Zoll  wird  davon  zu  öffentlichen  Zwecken 
bezogen.  Darnach  richtet  sich  daä  S.teuerquantum  und  die 
Steuerpflicht  des  Vertreters  dies^  Waaren  im  einzelnen  Fall. 


iM,Coo<^lc 


Ftknrtea  CkpiUl.     D.  Da»  Slenerracbt,  409 

Der  Steueransatz  aber  wird  voraas  nach  nationalwirth- 
schaftlicben  Ritcksicblen  bestiuimt. 

b)  Dae  VerhAltniss  des  Genusses,  welcher  wieder  nicht 
in  demselben  Mesza  wächst  oder  sich  vermindert  wie  das 
Yermßgen  der  Einzelnen  steigt  oder  fitlU,  obwohl  aller- 

■  dinge  auch  eine  gewisse  Wecbselbeziehang  der  beiden  Ver- 
hftltnisse  8tatt6ndet.  Denn  es  gibt  manche  Keiche,  die  sehr 
wenig  genieezen,  und  riele  Unbemittelte,  die  viel  genieszen-j 
und  es  gibt,  was  wichtiger  ist,  eine  Menge  von  GenUssen, 
die  ziemlich  gleichmfiszig  ohne  Rücksicht  auf  das  Yerait^en 
Über  die  grosze  Menge  der  Privaten  verbreitet  sind.  Die 
FinaoEm&nner  haben  es  aber  von  jeher  verstanden ,  voraOg- 
lioh  auf  die  letztere  Gattung  von  OenQssen  zu  achten,  und 
eich  nm  die  selteneren,  daher  auch  weniger  eintri^lichen 
Hocl^;enUsse  je  der  Reichem  minder  zu  kümmern.  Dieser 
Zug  der  Steuer  zu  der  Massenhaftigkeit  des  Genusses,  wor- 
aus die  s<^nannten  Verbrauchs-  oder  Consumtions- 
steuern  entstanden  sind,^  wftre  eine  schreiende  (Tngerech • 
tigkeit,  würde  die  Steuerpfticht  sich  nach  den  EiokOnften 
der  Privaten  jederzeit  richten  milssen.  Wenn  man  dagegen 
des  statsrechtlichen  Charakters  der  Steuer  sich  bewuszt  ge- 
worden ist,  und  erkannt  hat,  dasz  dieselbe  voraus  von  dem 
Standpunkte  des  Ganzen  aus  zu  ordnen  ist,  so  verschwin- 

.  det  jener  privatrechtliche  Schein  des  Unrechts  und  es  er- 
scheint naturlich,  dasz  der  Stat,  welcher  das  geeammte  Volk 
und  in  ihm  alle  Einzelnen  in  ihren  OenUssen  schützt  und 
ihre  Wohlfahrt  fördert,  berechtigt  sei,  die  Beitragspflicht 
derselben  au  gutem  Theile  auch  nach  den  GenUssen  zu  re- 
geln, an  welchen  sie  massenhaft  betheiligt  sind. 

c)  Das  Verh&ltnisz  des  Vermögens  kommt  ebenfalls, 
nur  nicht    ausschlieszlich    in  Betracht,    das  Vermögen    als 

*  Sie  iind  seil  dem  XIV.  Jkbrfaundert  unter  dem  Nsmeo:  „aceise," 
UiDgeld,  Ungeld  u.  s.  t.  aofgekoniinen.  Vgl.  Ungrer,  Oetch.  der  Laod- 
»Unde  II,  8.  417. 


iM,Coo<^lc 


410  ZehDtes  Bnch.    Die  Wirthirhafbipflege. 

(ökonomische  und  sichtbare  d.  h.  äuszerlich  erkennbare  Er- 
werbskraTt  der  Einzelnen  gedacht.  Die  Ausmittlung  der- 
selben ist  freilich  schwierig.  Wollte  man  die  individuelle 
Arbeitskraft  messen  und  als  Massstab  benutzen ,  so  wftre  das 
ebenso  nnmOglich  als  dem  Wesen  des  menschlichen  Rechts, 
welches  eine  leibliche  Ordnung  ist,  widersprechend.  Man 
musz  sich  daher  an  die  wahrnehmbaren  objectiven  G^en- 
sAtze  halten. 

Da  wird  denn  vorerst  eine  gewisse  Gleichheit  aller 
erwachsenen  Menschen,  oder  wenigstens  der  mfinnlichen, 
ohnehin  dem  State  unmittelbarer  verbundenen  Bevölkerung 
sichtbar,  indem  die  Menschen  und  vorzüglich  die  Männer 
als  solche  schon  ein  gemeinsames  Masz  von  nattlrlicher  Ar- 
beits-, beziehungsweise  Vermögens krait  haben.  Es  ist  daher 
die  Eoprsteuer  keineswegs  so  ungerecht,  wie  man  oft 
vermeint.  Wenn  nur  der  Siet  seine  Pflicht  erfüllt,  dasz 
jeder  seine  Erflfte  auch  zum  Erwerb  benutzen  kann,  so  darf 
er  wohl  von  Jedermann  schon  um  deszwillen  eine  gleiche 
Beisteuer  verlangen,  ohne  das  Princip  der  Gerechtigkeit  zu 
verletzen.  Bei  der  Ausbildung  der  Zölle  und  Terbrauch- 
steuem  in  neuerer  Zeit  aber,  die  ohnehin  die  Masse  treffen, 
und  dieselbe  weniger  drücken,  obwohl  die  Gesammtsumme 
der  Belastung  grßszer  ist,  als  die  Kopfsteuer  des  römischen 
Kaiserreiches  betragen  hatte,  ist  mit  Recht  diese  Steuer  in 
den  neaern  Staten  auf^;egeben  worden. 

Es  wird  aber  auch  die  Verschiedenheit  des  Vermö- 
gens* deutlich,  und  auf  dieser  Wahrnehmung  beruhen  nun 
eine  Reihe  von  Steuern,  welche  je  nach  den  verschiede- 
nen Arten  und  Abstufungen  des  Privatvermögens 
verlegt    werden.     Von    der   Art   sind    die   Grundsteuer, 

'  Zuerst  wurde  eine  Vermi^naateuer  (von  einem  hnlban  Ouldeo  von 
lUO  Qalden)  im  Jahr  1427  iD  Ploreos  eingefäbrt  and  „KfttMtmm"  gt- 
nftnnt.  Vgl.  v.  LerchenfeJiI,  dM  englitcbe  EinltommeiiatenerKeHtE. 
Manchen  1863. 


iM,C00<^lL' 


'  Fttnftes  Citplte).'    D.  Das  Stenerrechl.  411 

die  Capitalstcuer,  «)ie  Gewerbsteuer,  Einkommen- 
steiier  ti.  s.  f.   . 

Mau  hat  eich  oft  darüber  gestritten,  ob  eine  [»rogre»- 
flive  Vermt^ens-  oder  Einkommensteuer,  fUr  deren  Cluflsen 
nicht  mit  der  Zunahme  des  Vermögens  oder  Einkommens  in 
gleichen  Procenten  die  Steuer  erhobt  wird ,  sondern  in  stfir- 
kern  Proportionen  steigt,  sich  mit  dem  Princip  der  Rechte- 
gleichheit vertrage.  Würde  die  Steuer  lediglich  nach  pri- 
vatrechtlichen OrUnden  dem  PrirBtrerm&gen  als  eine 
Last  obliegen,  so  mllszte  dieselbe  durchaus  als  widerrechtlich 
erscheinen ,  denn  dann  wftre  der  einzig  natOrliche  Grundsatz 
der:  „So  viel  Pnvatrermögen ,  so  viel^teuerprocente."  Wenn 
man  aber  von  dem  Reichte  des  Stats  ausgeht,  das  Ver- 
mögen der  Privaten  je  nach  der  ihnen  inwohnenden  Erwerbs- 
und Steuerkmft  zu  messen,  so  Ifiszt  sich  nicht  ebenso  unbe- 
dingt eine  Einrichtung  verwerfen,  welche  nicht  bloss  zählt, 
flondero  auch  wfigt,  d.  h.  insofern  ihr  die  Productions-  und 
Tragkraft  in  st&rkeren  Verhaltnissen  zuzunehmen  scheint, 
auch  dieses  Wachstham  in  Anschlag  bringt  Nur  allerdings 
liegt  hier  die  Gefahr  des  Hiszbrauchs  und  willkQrlicher  Ueber- 
spanaung,  welche  hinwieder  andere  und  grössere  Uebel  nach 
sich  ziehen  kcinn,  z.  B.  Reizung  despotischer  Habsucht  oder 
communislischer  Gier,  Beunruhigung  des  Privateigen tbums, 
Lähmung  der  groszen  Industrie,  so  nahe,  dnsz  der  Stats- 
mann  nur  mit  groszer  Vorsicht  diesen  schlüpfrigen  Boden 
betreten  wird.  Verwandte  Gefahren  erheben  sich  ilbrigena 
gegen  das  System  einer  allgemeinen  Vermögens-  und  Ein- 
kommenssteaer  Überhaupt. 

Man  pfl^t  die  beiden  ersten  Gattungen  der  Steuern  in- 
directe,  die  dritte  directe  Steuern  zu  nennen,  weil  die 
erateren  nicht  unmittelbar  von  den  Personen  bezogen  wei-- 
den,  auf  welche  am  Ende  die  SteiieHest  tftllt,  sondern  von 
andern  gleichsam  votschusKweise,  die  letztern  dagegen  von 
dem  State  den  Einzelnen  immittelbar  auferlegt  werden,  welche 


iM,Coo<^lc 


412  Z«bntM  Bacb.     Die  WirlhsRbafUpfl^e, 

in  Anspruch  genommeo  werden  sollen.  Das  Rotteck'sche 
Stalsrecht  erklärt  die  indirecten  Steuern  sfiminüich  f(ir  »^^'K 
verwerflich, "  und  obwohl  die  Nationalökonomen  denselhen 
günstiger  sind  und  die  Finanzmfinner  ihrer  nicht  entbehreu 
können,  so  hat  doch  die  „privatrechtliche  Statslehre"  sieh 
fortwährend  gegen  das  Princip  der  indirectea  Steuern  als 
ein  ungerechtes  erklärt.  Dadurch  ist  auch  in  das  flnanz* 
systeni,  auf  welches  jene  Rechtsansichten  immerhin  vielfoch 
eingewirkt  haben,  Verwirrung  und  Unsicherheit  gekommen. 
Erkennt  man  aber  den  statsrechtlichen  Charakter  der 
Steuern,  so  erscheinen  die  indirecten  Steuern  umgekehrt 
als  die  nstUrMchen,  and  die  directen  dienen  mehr  znr 
Ergänzung  jener,  als  dasz  sie  zur  Regel,  jene  zur  Aus- 
nahme worden. 

Es  ist  Übrigens  einleuchtend,  dasz  auf  die  wirkliche 
Anordnung  der  Steuern  wirthschaftliche  Grundsätze  und  Wahr- 
nehmungen noch  grfiszern  Einflusz  haben,  als  die  Rechts- 
grundsätze. Letztere  sind  Schranken,  die  von  der  Stats- 
wirthechaft  beachtet  werden  mOssen,  diese  selbst  aber  musz 
innerhalb  dieser  Schranken  ihrem  eigenen  Geiste  folgen,  uod 
das  Zweckmässige  auffinden  und  durchführen. 


Sechstes  GapiteL 

E.  Der  Statscredit. 

1.  Wenn  die  Einnahmen  des  States  nicht  zureichen, 
um  die  Au^aben  zu  decken,  und  tiberwiegende  GrOnde  vor> 
banden  sind,  um  die  Steuerkraft  des  Volkes  nicht  hOber 
oder  nicht  so  hoch  zu  spannen,  dasz  die  Hindereinuahme 
dadurch  ^eckt  wird,  so  steht  dem  State  noch  das  Recht 
zu,  Statsschulden  zu  contrahiren.   Thut  er  das,  80  ladet 


iM,Coo<^lc 


Salutes  Capild.    E.  Der  duiscr«djt.  413 

er  den  folgenden  Geschlechlern  eiue  um  so  gröszere  Steuer- 
last auf,  ei-leiohtert  aber  die  gegenwärtige  Bevölkerung, 
welche  Tielleieht  aiiszer  Stand  wäre,  sofort  den  ganzen  Aus- 
fall durch  Steuern  zu  ersetzen.  Der  Stat  hat  unzweifelhaft 
das  Recht,  seinen  Credit  zu  seiner  Rettung  oder  zu  seiner 
Wohlbhrt  zu  benützen  und  Ourlehen  aufzunehmen ,  wie  der 
I'riTBtmaiiD  es  hat.  Seine  Lage  ist  günstiger,  als  die  des 
Prirateo,  da  sein  Credit  keineswegs  bJose,  wie  gewöhnlich 
der  der  Privaten,  durch  das  verwendbare  aetive  Capitalver- 
mOgen  bedingt  ist,  sondern  um  der  dem  State  zustehenden 
Steuerhoheit  willen ,  welche  wenigstens  die  fortdauernde  Ver- 
zinsung der  Statssehulden  sichert,  sich  über  das  ganze  Ver- 
minen der  Nation  aasbreitet  und  in  diesem  seine  Wui^n 
hat.  Der  Statseredit  beruht  in  Wahrheit  mehr  auf  der  Uucht 
des  Stats  und  auf  dem  Vertrauen,  welches  die  öffentliche 
Meinung  dem  rechtlichen  Charakter  seiner  Leitung  sunendet, 
als  auf  irgend  einer  Realsicherheit,  die  er  zu  bestellen  ver- 
möchte. Das  Schuldenmacben  ist  dem  State  um  so  mehr 
erleichtert  worden,  je  weniger  Werth  oft  die  Gl&ubiger  dar- 
auf 2U  l^eu  pflegten,  dasz  der  Stat  selbst  je  das  entlehnte 
Capitül  zurackzable.  Hatten  sie  eme  gesicherte  Rente  — 
und  diese  zu  bezahlen  fiel  dem  State  nicht  sehr  schwer,  da 
er  durch  Steuern  die  Zinsen  aufbringen  konnte  —  so  hatte 
ihre  Forderung  doch  im  Verkehr  einen  Capi talwerth, 
der  freilich  den  Schwankungen  des  Credils  ausgesetzt  war, 
aber  bei  einigeruiaraen  guter  Finanzwii-tlischaft  nur  wenig 
unter  die  ursprungliche  Darlehenssumme  sank,  unter  günsti- 
gen Verhältnissen  diese  überstieg. 

Diese  Leichtigkeit,  Schulden  zu  macheu,  hat  indessen 
neuere  Staten  verleitet,  den  Statseredit  Ubermäszig  auszu- 
beuten und  Schuldenlasten  aufzuhäufen , '   welche   die  Slats- 

'  Im  Jahre  1739  noch  betrog  di«  etigliscbe  Na liODal schuld  oicbt 
v&llig  47  Hillionen  Pf.  St.  Im  Jahre  1763  betrug  ■!«  scboD  146  UiJliooeii, 
am  Sslilun  dn  amerikkoisch^  Kriesee  367  Uillioaen,  im  Jahre  1817  am 


iM,CoO<^lL' 


414  ZubDtcs  Buch.     Die  Wiriluchafupfl^F. 

wirthfichaft  in  einen  Zustand  fieberhafter  Reiebarkeit  ver- 
setzen ,  ft)r  die  Zukunft  die  freie  Bew^ung  des  6tAtee  lOhmoi 
und  neuen  Ernftanfwand  in  künftiger  Noth  ftat  unmöglich 
machen.  In  einer  Zeit,  in  welcher  grosze  gemeinndtzliche 
Erfindungen  und  Unternehmungen,  w,  B.  Eiseubuhu bauten, 
die  allgemeine  Wohlbbrt  beben ,  ist  es  wohl  erlaubt  und 
weise,  die  CepitalTef Wendungen  dafür  durch  Aulnahme  von 
Darlehen  möglich  zu  muchen.  Es  wäre  unbillig,  müsste  die 
Gegenwart  die  Last  alMn  tngen,  während  der  Gewinn  ein 
dauernder  ist  und  der  Zukunft  nicht  minder  zu  Gute  kommt. 
Indem  den  folgenden  Generationen  die  Ausgabe  mit  auferlegt 

Scblnsz  der  DapoleonischeD  Conti nenlal kriege  848,383,247  Pf.  St.,  im  Jahre 
1861  wieder  e05,a;8.  In  Frankreich  ist  die  Statsscbuld  von  5,838,002  Fr. 
im  Jahre  1661  auf  9,334,012  Fr.  geslfegen.  Lord  Euisell,  eng).  Verf. 
C.  29  bemerkt  dBriiüer:  .Unatrcilig  wird  eine  National  schuld  eine  Zeil 
Inng  von  den  l>eezlen  Wirkungen  sein.  Sic  Iwrördert  den  lebhaften  Geld- 
iimlHuf.  Sie  brin;;t  neue  CapUajialen  auf  den  Harkt,  welcite  miterneh- 
tnender  und  speeulaliver  sind  als  die  alten  Ornndbeiitzer;  Bia  uöihigt  den 
Arbeiter  zu  grüazerer  ArbeitMinkeit  und  veraDJwit  zugleich  gesteigerte 
Nachfrage  nach  Arbeit  Wenn  aber  die  Taxen  eine  gewisse  Höhe  erreiclil. 
haben,  so  sind  die  Wirkungen  so  ziemlich  gan^  entgegengesetzt.  Die 
Preise  werden  den  Consumenleu  so  ungehener  gesteigert,  dasz  Jeder  kluge 
Haan  seine  Consunitian  einschränkt  und  weniger  arbeiten  läsxt.  Der 
grösiere  Theil  des  allgemeinen  Landeseinkommens  wird  den  Händen  der- 
jenigen entzogen,  welche  in  der  Lage  sind,  es  iii  Ackerbau  und  Uann- 
faotureu  eniulegen,  und  kommt  dagegen  in  die  Bande  der  grossen  Kauf- 
leate,  deren  Capital  den  Harkt  ftbei-schwemiut  und  nur  in  QeslaJt  von 
hypothecirten  Capilalien  auf  das  Land  zuräckflieszt  Auf  diese  Weise 
eutsiebt  frühzeitig  der  gröszic  Geldmangel  in  einigen  und  der  gröszle 
Ueberllusz  in  andern  Gegenden.  So  wirkt  eine  groBze  Nation alrahald 
auf  die  Einzelnen.  Sie  schwächt  und  erschöpft  aber  auch  die  Hflifs- 
>)uellen  des  Slafs.  Die  Kostbarkeit  früherer  Kriege  macht  es  der  Uation 
schwer,  Taxen  für  die  Vertheidigung  in  der  O^eiiwart  aufzubringen." 
Jedes  Misz  verbal  In  isz  zwiaclieii  Sleuerkraft  der  Nation  und  Slatsschald 
rScht  sieb  schwer.  Die  Kepublik  Venedig  und  die  alte  Monarchie  von 
Frankreich  erlagen  um  so  eher  den  äuszem  und  innern  politischen 
Verwicklungen,  weil  ihr  StaLsschuldenwesen  in  Zerrüttung  gekommen 
war;  und  in  uusern  Tagen  wird  Oesterreich  irotz  aller  Anslreegungen 
nicht  wieder  zu  vollen  Kräften  gelangen,  wenn  es  ihm  nicht  gelingt, 
den  getldrteu  Anau^iellea  Credit  herauslelleu. 


iM,Coo<^lc 


S«ebtlei  Capilei.     E   Der  Statacredit.  4|5 

wird,  geschieht  Niomaadein  Unrecht.  Aber  »elbst  da  iat 
es  gut,  Maaz  zu  halten,  da  der  Blick  in  die  Zukunft  un- 
sicher ist ,  uud  möglicher  Weise ,  was  jetzt  Tortheilhaft 
scheint,  später  viel  geringeren,  vielleicht  keinen  Werth  mehr 
hat.  Wie  riel  Vermögen  haben  2.  B.  die  Canäle  verschlungen, 
die  anfangs  ganz  xweckniftszig  angelegt  schienen,  während 
ihr  Nutzen  im  Verfolg  durch  Eisenbahnen  sehr  bedeutend 
vermindert  nitd  ersetzt  worden  ist.  Moralisch  berechtigt  ist 
der  Stat  nur  dann  zur  Scliuldencontrahirung,  wenn  entweder 
die  Noth  des  Stets,  wie  in  Eriegezdten ,  eine  unszefordent- 
Itcfae  Anstrengung  seiner  ökonomischen  Kräfte  nöthig  macht, 
oder  wenn  grosze  genieinnUtzliche  Werke  von  dauern- 
dem Interesse  BedUrfnisz  geworden  sind;  nicht  aber,  wenn 
die  Aufgabe  nur  die  ist,  die  gewöhnlichen  laufenden 
Ausgaben  des  Statshausbalts  zu  decken.  Dafür  zu  lorgen, 
ist  jederzeit  die  Pflicht  der  Gegenwart. 

2.  Der  Stalscredit  wird  vorerst  beuQtzt  in  vomDglicb 
statlicber  Form  durch  Emission  von  Stats-Papier- 
geld.  In  dieser  Gestalt  kano  es  dem  State  gelingen,  ohne 
momentane  Bedrückung  des  Volkes  und  fast  ohne  Kosten 
eine  erbebliche  Summe  Geldes  flüssig  zu  machen,  die  zwar 
unzweifelhaft  eine  ebenso  grosze  Statsechuld  ist,  aber 
trotz  dem  nicht  verzinset  zu  werden  braucht.  Solche 
Vorzüge  sind  verlockend.  Aber  wenn  nicht  strenges  Masz 
gehalten  und  mit  groszer  Gewissenhaftigkeit  verfahren  wird, 
»0  gleitet  der  Credit  des  States  auf  der  schiefen  Fläche  mit 
stehender  Schnelligkeit  dem  Abgrund  zu.  Die  franzö- 
sischen Assignaten  und  die  Schwindeleien  in  einzelnen 
nordamerikaaischen  Staten  sind  eine  bleibende  War- 
nung, sieb  vor  diesen  Abw^en  zu  hüten.  Man  kann  dem 
State  das  Recht  dazu  nicht  absprechen,  denn  sowohl  die 
Benutzung  seines  Gredits  als  die  Anordnung  der  gemeinen 
Oeldrertiältnisse  gebührt  ihm;  und  auf  diesen  beiden  Mo- 
menten beruht  das  Papiergeld,  das  der  Stat  au^ibt.    Die 


nigiti/cdtvCoC^Ic, 


416  ZvhDlM  Bacli.    Die  Wir(bMli»rti|rikge. 

Gesetzgebung  tbnt  aber  wohl  darao,  die  Ausübung  dieses 
Rechtes  so  zu  oi-dnen  und  so  scharfer  Controle  zu  unter- 
werfen, dasz  die  in  der  Natur  des  Hitlfsmittels  liegende 
I./Ockung  nicht  zu  Maszregeln  verJeitet,  welche  die  gebeten 
Vorzüge  durch  gröszem  realeu  Schaden  aufzehren.  So  lauge 
daftlr  gesorgt  ist,  dasz  das  Papiergeld  jederseit  gegen  den 
eutäprecbenden  Betrag  in  baares  Geld  umgesetzt  werden 
kann,  so  lauge  ist  keine  Gefahr.  Wenn  diese  M{)glichkeit 
stockt,  dann  beginnt  der  Schaden. 

3.  Die  Form  der  geboteneu  Anleihen,  Zwangs- 
anleihen, läszt  sich  als  Regel  in  keiner  Weise,  als  ein 
vor  ü  be  rge  h  en  des  No  tb  m  i  t  tel  nur  ausnahmsweise  durch 
wirkliche  Noth  rechtfertigen.  Sie  widerspricht  schon  dem 
Begnfi'e  des  Darlehens,  welches  auf  freiem  TertragsmOszigem 
Anrertrauen  einer  Oeldsumme  beruht  Der  Stat  ist  zwar 
wohl  berechtigt,  die  StalsbUrger  zu  Beisteuern  im  öffentlichen 
Interesse  anzuhalten,  aber  nicht  dazu,  ihm  Credit  su  schen- 
ken, denn  dieser  gehört  dem  iudiriduellen  GeiBtesleben  an  und 
laszt  sich  überall  nicht  mit  äuszerlichen  Geboten  erzwingen, 
Ueberdetn  ist  eine  Zwaugsanlelhe  auch  mit  dem  beszten  Willen 
nicht  wohl  gerecht  au  rertheilen ,  wenn  nicht  der  freie  Wille 
der  Gemeinden  unterstützend  zn  Hülfe  kommt,  denn  die 
Privaten  können  nicht  je  nach  ihrem  Vermögen  im  gegebe- 
nen Moment  Gapitalien  in  Geld  aufbringen  oder  entbdtren, 
und  doch  wird,  da  es  eich  nm  Capital« nlagen  handelt,  die 
ßeitragsßthigkeit  wesentlich  nach  dem  Capitalverniögen  ge- 
messen werden  müssen.  Eudlicb  zeraldrt  der  Zwang  zum 
Credit  den  uoch  Vorhandenen  Rest  von  Credit,  dessen  der 
Stat  geuieszt,  denn  Jedermann  sieht  in  demselben  ein  Be- 
kenntnisz  des  Stats  selbst,  dasz  er  keinen  freien  Credit 
mehr  habe.  ' 

Nur  weun  die  Noth  keinen  andern  Ausw^  mehr  Ittszt, 


iM,Coo<^lc 


SedtatM  Ctpitel.    E.  Der  äUUcrediU  4|7 

SO  durf  der  Slat  in  Folge>  seiner  Aiienahin^ewalt  das  Pri- 
vatrecht  momentan  so  vcrietzea,  dasz  er  vorschreibt,  was 
Jeder  an  Vermögen  ihm  zu  leihen  babe,  aber  auch  dann 
nur  in  der  Weise,  dasE  er  sich  rerpflichtet,  das  Zwangsan- 
l^D  möglichst  bald  entweder  in  ein  freiwilliges  umzuwan- 
deln oder  sammt  Zinsen  zuritt^zuzahlen. 

4.  Die  regelmäszige  Benutzung  des  Statscredits  geschieht 
durch  Tr  ei  willige  imd  Terzinsliche  Anleihen  bei.  Pri- 
vaten. Man  hat  in  neuerer  Zeit  zuweilen  auch  diese  Con- 
trahirung  als  einen  Act  der  politischen -Statsgcwalt  beseich- 
net,^  und  daher  auch  viele  Statsschulden  dem  Privatrecht 
zu  enloiehen  und  (üt  unklagbar  zu'  erklären  versucht.  Allein, 
wie  mir  scheint,  mit  Unrecht.  Der  Credit,  freilich,  den  der 
6tat  benutzt,  ist  ein  öffentlicher,  und  wesentlich  auf  das 
öffentliche  Ansehen  und  die  Macht  des  States  basirt,  und  es 
ist  ein  Act  <Ler  Slatshobeit,  wenn  der  Stat  im  einzelnen  Fall 
zur  Eingehung  von  Dsrlehensechulden  sich  entschlieezt.  Diese 
selber  aber  sind  nicht  ein  Ausflnsz  der  Statshoheit,  denn 
die  Privaten,  welche  dem  State  ihre 'Capitalien  vorstrecken, 
sind  dazu  nicht  verpflichtet,  und  das  Geschäft,  welches  sie 
»bschlieszen,  ein  wesentlich  privatrechtlicher  Vertrag.  - 
Ein  innerer  Gruod,  weszbalb  die  Statsgläubiger  den  Fiscns 
nicht  auf  Bezahlupg  der  schuldigen  Zinse-  oder  Renten, 
imd  insofern  die  Rückzahlung  des  Capitals  in  dem  Ver- 
trage versprochen  worden  ist,  auch  dieses  belangen  dürften, 
besteht  nicht.  Es  kann  wohl  bei  der  Negocirung  des  Än- 
leihens  alles  auf  die  moralische  Ehrenhaftigkeit  und  Treue 
des  States  an  dem  gegebenen  Wort  abgestellt  und  von  Seite 
der  GIfiabiger  auf  ein  Elagerecht  verzichtet  werden;  aber 
das  ist  nicht  schon  in  der  Natur  des  Geschäfts  begründet, 
und  keine  Folge  des  Statsrechtes ,  welches  privatrechtliche 
Verpflichtungen  des  Fiscus  wohl  zuläszt  und  unerkennt. 

'  80  Schnittlienner,  Slalst.  S'.  360. 


n,g,t,7rJM,COOglC 


418  ZehnUa  Bach.    Die  WirlbaebaflKpfleg«. 

Dagegen  ist  es  nicht  zu  läiignen,  dasz  auf  die  Ausbil- 
dung des  Statssehuldenwesene  die  Hoheit  des  State  vielfach 
Einflusz  geübt  hat.  Daher  sind  die  Stalsschulden  mitHypo- 
thekarversicheruiig  seltenem  geworden,  ala  die  fün- 
digen, d.  h.  fllr  welche,  ohne  eigentliche  Pfandrecht«  au 
gewähren,  derStat  durch  Anordnung  einer  Vertrauen  wecken- 
den Schuldeittilgungsanstalt  soi^t.  Ebenso  haben  die 
Statssehulden  häutig,  statt  wirkliebe  Darb  hensschulden  zu 
sein ,  so  dasz  die  Gläubiger  ein  Recht  auf  RUckzalilung  der 
Darlehenssumme  erlangen,  den  Charakter  von  fortwäh- 
renden Renten  angenommen,  die  der  Stat  wohl  ablösen, 
zu  deren  Ablösung  er  aber  nicht  angehalten  werden  kann. 
In  diesem  Falle  gewinnt  der  Stat  freiere  Hand  fOr  s^ne 
Finanzupei-ationen,  und  die  GIfinbiger  können  dennoch  ihr 
Recht  auf  die  Rente  als  Capital  im  Verkehr  benutzen  und 
als  solches  veräiiszern.  Am  wenigsten  sind  fUr  den  Stat 
Anleihen  mit  freiem  Kdndigungsrecht  der  Gläubiger  zuträg- 
lich, weil  dei'  Staf  je  nach  Umständen  durch  plöteliche  Kün- 
digung in  schwere  Verlegenheit  gestürzt  werden  könnte,  die 
Gefahr  solcher  aber  mit  den  Ereignissen  steigt,  welche  ohne- 
'   hin  dem  State  erbNite  Anstrengungen  gebieten. 

Eine  Eigenthümlichkeit  dieser  Vertr^e  des  Stats  ist  ea, 
dasz  die  Wuchergesetze  darauf  keine  Anwendung  leiden. 
Wenn  demnach  die  Statsgläubiger  höhere  Zinsen  zugesichert 
erhalten,  als  sie  von  Privatschuldnern  fordern  durften,  oder 
eine  geringere  Summe  einzahlen,  als  der  Nennwerth  der 
Obligationen  beträgt,  so  werden  sie  nicht  etwa  des  Wachere 
schuldig;  denn  der  Stat  ist  eine  so  grosse  Macht,  dasz  es 
ungereimt  wäre,  denselben  dem  in  Prtvatnoth , gekommenen 
armen  Schuldner  au  die  Seite  zu  stellen  und  vor  der  Hart- 
hemgkeit  der  Wucherer  durch  die  Gesetzgebung  zu  schützen. 
Die  wahre  Gefahr  bt  hier  doch  die  entgegengesetzte,  dasz 
der  Stat  seine  Macht  im  Verfolge  zum  Nachtheil  der  Gläubiger 
benutzen  werde. 

n,g,t,7rJM,COO<^IC 


Siebeolea  Capilel.    II.  ToikawirOtMshafUpfl^e.    A.  A)lg.  Anetalteii,    419 

Siebentes  GapiteL 

H.  Die  Volkawirllischaftsptiegp. 


1.  Die  Statswirthschaft  im  engern  SioD  hat  es  mit  den 
öffentlichen  Functionen  dee  State  zu  thun,  dnrch  welche  er 
sn  der  gemeinsamen  Volkswirthscha.ft  einen  u  u  mit- 
telbaren Antheil  nimmL  ¥(»  allen  Dii^eo  gehört  liieher 
die  Sorge  fltr  das  Geld.  Denn  das  Geld,  obwohl  ein  Ge- 
genstand desPrivatrermögens,  hat  doch  eine  CfTentliclie  Be- 
stimmung, indem  es  1)  als  ein  allgemein  anerkanntes 
Taus ch mittel,  2)  als  allgemeiner  Wert  h  niesser  und 
8)  als  gesetzliches  Zahlungsmittel  dient.  Es  stellt 
sn  in  seinem  Gepräge  seinen  öffentlichen  Charakter  dar, 
und  bedarf  demgemfisz  der  Stats- Au  toritftt,  um  seine 
natürliche  Bestimmung  zu  erfüllen. 

Das  Münzrecht  des  Stats,  d.h.  das  Recht,  GetdmUnzen 
prfigen  zu  lassen  und  ihnen  einen  besümmlen  Wertb  fUr  den 
Verkehr  beizulegen,  sowie  das  Recht,  den  Münzen  anderer 
Staten  auf  seinem  Gebiete  ebenfalls  einen  öffentlich  aner- 
kannten Werth  zuzuschreiben  oder  fi'emde  Münzen  zu  ver- 
rufen und  von  dem  öffentlichen  VeAehr  aiiszuschlieszen,  ist 
somit  ein  natürliches  Recht  des  Stats.  Jede  n-eie  Concur- 
renz,  theils  der  Privaten,  theils  fremder  Staten,  würde  Stö- 
rung und  Verwirrung  in  den  öffentlichen  Verkehr  bringen, 
und  die  Rechtssicherheit  und  tl^n  Glauben  an  den  öffentlich 
bestjmmten  Werth  des  Geldes  erschüttern. 

Auf  die  Art  der  Ausübung  des  Münzrechts  haben  die 
Grundsätze  einer  guten  Wirthschaft  entscheidenden  Einflosz, 
denn  der  Stat  hat  nicht  etwa  ein  formelles  Recht  der  Herr- 
schaft auf  diesem  Gebiete,  sondern  der  Natur  der  Dinge  ge- 
mftsz  nur  ein  Recht  der. Wirthschaft,  und  dlesz  kann  nur 
nach  wirthschaftlicheu  Grundsätzen  richtig  lietrieben  werden. 


iM,Coo<^lc 


420  Z«bDtM  Buch.    Die  WirtlMchmflepflcge. 

Der  Stat  musz  umsoniehr  darauf  achten,  als  der. Verkehr, 
für  dessen  gesunde  Bewegung  er  zu  soi^en  tinteminiint ,  so 
gar  im  Innern  des  Landes  in  manchen  Beziehungen  von  ihm 
völlig  unabhängig  ist,  und  weil  der  Verkehr  die  Völker 
auch  über  die  ganze  Erde  hin  verbindet,  und  daher  jede 
falsche  StdUmaszregel  weithin  empfindet,  und  hinwieder  der- 
selben da,  wohin  die  Gewalt  des  8(ats  nicht  reicht,  entgegen 
wirkt.  Die  MUnze  ist  nicht  ein  bloszes  Zeichen  des  Werthes, 
sondern  ihr  realer  Werth  musz,  damit  sie  ihre  Bestimmung 
erfüllen  könne,  dem  Nennwerthe,  wenn  auch  nicht  völlig 
gleich,  doch  so  nahe  stehen,  dasz  auch  der  freie  Verkehr 
sie  so  hoch  schützt,  als  dieser  lautet. 

2.  Das'Papiergeld  vertritt  in  dem  Umsatz  die  Stelle 
des  realen  Geldes  (Metallgeldes).  Die  Wahrheit  desselben 
beruht  folglich  auf  der  leichten  Möglichkeit  des  Umsatzes 
in  wirkliches  Geld.  Zu  den  Wirthschaftsrechten  des  Stata 
gehört  es,  auch  die  Ausgabe  des  Papiergeldes  zu  ordnen 
und  zu  beschränken.  Die  Gefahr  ttbermäsziger  Emission 
von  Statspapiergeld ,  welche  schwerer  wiegt ,  als  der  rerbfllt- 
niszmäszig  geringe  wirkliche  Vortheil,  den  der  Stat  dabei 
gewinnen  kann,  hat  viele  Staten  bewogen,  sich  derselben 
ganz  zu  enthalten,  und  eher  an  Privatbanken  das  Recht 
zur  Herausgabe  von  Banknoten  zu  verleihen,  welche  im 
Privatverkehr  dem  eigentlichen  Papiergeld  ähnlich  benutzt 
werden.  Diese  Herstellung  von  Quasipapiergeld  kommt  den 
Privaten  keineswegs  aus  privatrechtlichen  Gründen  zu,  son- 
dern ist  immer  eine  von  dem  Stat  abgeleitete,  dem  die  8oi^ 
für  das  Geld  überhaupt  obliegt. '  Sie  ist  daher  auch  der 
Controle  des  Stats  unterworfen,  und  bat  die  von  dem  State 

'  Ueber  ein  Gesetz  des  States  New-York  iii  Nordomerika  vom 
18.  April  1838,  dDi'cb  nelche«  sogar  dea  Privaipersonen  unter  gewissen 
VorsicIitsniMzregeln  frei  gegebea  wii-d,  Papiergeld  aoMDgebeD,  vgl.  Za- 
chari«  io  Hittermaiers  Zeitschr.  fUr  Rechls Wissenschaft  des  Aust.  XII, 
8.  361.  Wagner  im  D.  Stals Wörterbuch ,  Artikel  „Papiergeld,"  ver- 
theidiet  eben«!  Hie  freie  Emission  von  Wer Ib papieren. 


iM,Coo<^lc 


Si«b«nleB  CapiUl.    II.  VolknrlrtbKbanspäege.    A.  Allg.  Aastallen.    421 

im  Intereese  der  Sicherheit  des  ßtfentlichen  Credits  gezognen 
6chrflnken  zu  beachten.  Es  dient  weder  zum  Nutzen  des 
Stats,  wenn  er  selbst  Bankgeech&fle  macht,  noch  ist  diese 
immerhin  anf  Gewinn  gerichtete  Thätigkeit  seiner  würdig. 
Die  Specnlation  als  solche  ist  Sache  der  Privaten,  und  nur 
ron  diesen  mit  Geschick  und  Umsicht  zu  üben.  Dahet  ist 
es  dem  Institute  der  Bank  gemiisz,  dasz  dieselbe  eine  Pri- 
ratanstalt  und  als  solche  denn  auch  von  dem  State  in 
allen  reinen  Vermögensoperationen  unabhängig  sei.  Aber 
soweit  sie  zugleich  den  öffentlichen  Glauben  in  Anspruch 
nimmt  und  auf  die  gemeinen  Verkehrs-  und  Geklverhftlt- 
nisse  eine  mftchlige  Wirkung  Auszert,  steht  sie  nnter  dw 
Aufsicht  des'Stets,  dessen  Ermächtigung  sie  zu  ihrer 
Existenz  nöthig  hat.  ^  Ob  der  Stat  nur  Eine  Nälionalbanlt, 
aber  mit  Zweiganstalten  für  die  Provinzen  und  Nebenstädte 
gestatten,  oder  ob  er  mehrere  selbstfindige  Banken  neben- 
^  einander  erlauben  wolle,  ist  nic^t  eine  Frage  des  Rechts, 
sondern  der  Zweckmfiszigkeit.  Der  Wettstreit  mehrerer  Ban-  - 
ken  kann  möglicher  Weise  Verwirrung,  Unsicherheit  und 
Schwindelei  hervorrufen-,  die  Ausschliesziichkeit  aber  Einer 
privilegirten  Bank  zu  selbsläüch liger  Ausbeiitnng  .der  Ver- 
kehrebedl^rlTiisse  und.  zu  dnem  schädlichen  Druck  der  Geldr 
Oligarchie  und  zur  Vemachläszigung  von  mancherlei  In- 
teressen fuhren. 

3.  Statliches  Wirthschaflsrecht  und  statliche  Pflicht  ist 
femer  die  Sorge  fQr  die  Öffentlichen  Straszen  in  ihren 
verschiedenen  Arten  und  Stufen.  Die  Strassen  dienen  durch* 
aus  dem  öffentlichen  Leben  des  Volkes,  und  sind  daher 
öffentliche   Saeheu   im    eminenten   Sinne    des   Wortes.     Für 

'  Vgl.  Rill,  politische  Oekonomie  II,  %.  363  If.  uw]  den  AbtiM  der 
Oescliirhte  aer  Banken  ebenda  I,  i.  310  tt.  Die  Bank. von  England 
wurde  16M,  die  6eierreicbische  1816  gestiftet.  (Vorher  halle  aber 
die  Wiener  Stadtbank  seit  1762  bpBtsnden.)     Die  Law'eche  Scbwindel- 

bank    in    Frankruich    wurde    1716    gegründet,    die   jetzige    franiö- 
Bieclxe  IBOO. 


iM,Coo<^lc 


422  Zebntee  Bach.     Die  WlrthfriiBfupUrge. 

Herstellung  um)  guten  Unterhalt  der  8tniszen  zu  aorg^  ist 
daher  eine  naheliegende  Aufgabe  des  State,  wekher  den 
centralen  Ueberblick  über  die  RedOrfnisae  dee  allgemeinui 
Verkehrs  und  der  sämmtlichen  Landesg^enden  hat,  UBd 
dessen  Wirthschaft  die  gemeinsamen  Interessen  nationaler 
Wohlfahrt  unifaszt. 

Es  lassen  eich,  wenn  man  von  btoszeD  Privatwegen 
absieht,  folgende  öffentliche  Strassen  zu  Lande  unter- 
scheiden, an  welche  sich  eben  so  verschtedeue  Brücken 
als  Uebei^ng  Hber  Gewfisser  oder  Schluchten  anreihen: 

a)  die  Vicinalwege,  Nachbarwege,  welche  den- 
Verkehr  innerhalb  einer  Gemeinde  reroiitleln,  woau  denn 
auch  viele  städtische  Gassen  zu  zahlen  sind; 

b)  die  Conimunalwege,  welche  die  Verbindung  von 
ganzen  Qemeinden   oder  grCszern  Ortschaften  herstellen; 

c)  die  Landstraszen,  auch  Depar  te  me  n  ta  1- 
straszen,  welche  znr  Verbindung  von  gannen  Landesge- 
genden und  Bezirken  dienen; 

d)  die  Haiiptstraszen,  Statsstrasaen,  welcbe  für 
das  ganze  Land  von  Wichtigkeit  sind;  endlich 

e)  die  W.eltstraszen,  deren  wesentliche  Bedeutung 
•Hber  das   eigentliche,  vielleicht  kleine   und   nur  an   einem 

untergeordneten  Lundestheile  von  demselben  durchzogene 
Land  liinausreichen. 

'  Je'  niedriger  die  Stufe  ist,  zu  welcher  die  Strasse  ge- 
hört und  je  nöher  sie  dem  besonderen  Interesse  der  benach- 
barten Grundbesitzer  und  Einwohner  eines  Ortes,  liegt,  desto 
natürlicher  ist  es,  dasz  diese  und  die  betreifenden  Gemein- 
den mit  Bezug  auf  Anlage  und  Un terhaltungspflich t 
mitbetheiligt  ^erden.  Aber  ganz  darf  der  Stat  die  Auf- 
sicht darüber  nicht  aufgeben,  denn  auch  diese  Straszen 
haben  eine  gemeine  Öffentliche  Bedeutung.  Er  kann  sich 
Huf  die  Oberaufsicht  beschi-änken  und  den  Gemeinden  die 
nähei-«^'    Sorge    llberlassen ;    aber    er    wird    wobt    Ihun ,    zu 


.n,g,t,7rJM,COOglC 


Siebentes  Capitel.    II.  VtükewirtbtckafUpfl^c.    A.  Atl^.  Aiulalten.    433 

beatimaien  und  darüber  zd  wacben,  dasz  diese  Sorge  in  d«m 
Gtoiet«  dprÖfTefitllohen  WoldAihrt  wirklich  geübt  und  nicht 
der  NachläsEigk«it  itndder.  Arbeit«-  und  Eostenscbeu  ein- 
zelner Privaten  Tr^ier  Spielraum  veratattet  werde. 

Je  bisher  die  Stufe  der  Struse  und  je  allgemeiner  ihre 
Benutzungflweise  ist,  desto  aneechlieezlicber  liegt  die  PBicbt 
der  Anlage  dem  State  ob.  Weltstraezen,  bei  welchen  das 
Interesse  verschiedener  Staten  oft  mehr  als  das  des  duroh- 
u^enen  States  betheiligt  ist,  können  gar  wohl  auch  in  einer 
durch  rOlkerrechtlicha  Verträge  regulirten  Weise  «im  Theil 
auf  Kosten  jener  gebaut  werden. 

Nach  fthnlichen  Verh&ltniesea  ist  auch  die  Competenz 
7.11  ordnen,  nach  welcher  über  das  BedUrruisz  -  einer  Strasse 
und  die  Richtung  derselben  entscIUeden  wird.  Vicinalw^e 
gehören  mehr  dem  öffentlichen  Gemeindelebeu  als  ilem  Volks- 
leben ao;  die  Bestimmung  solober  kann  daher  wohl  der 
Gemeinde  zunächst  anvertraut  werden.  Ueber  den  Bau  der 
allgemeinen  Sti-aszen  wird  die  Statsregierung  in  ihren  nie- 
äaea  oder  höheren  Organen  je  nach  der  Bedeutung  jener 
und  der  Abatufong  dieser  das  Nötbige  anordnen.  Soi^ßtltige 
Prüfung  aller  Verhältnisse,  voraus  der  Bedürfnisse  derzu- 
nOchst  und  der  entfernter  wohnenden  Bevölkerung  und 
ihres  Verkehrs,  sowie  der  wahrscheinlichen  Folgen  der  neuen 
Strasze  in  Nutzen  und  Schaden,  dann  aber  erat  in  zweiter 
Linie  auch  der  technischen  Vorzüge  undSchwierigkeiten  der 
verschiedenen  Pläne  ist  Pflicht  der  Statsbebördeii ,  welche 
diese  Seite  der  öffentlichen  Wohlfahrt  verwalten.  Insofern 
ist  es  gut,  auch  der  beth^ligten  Bevölkerung  selbst  Gelegen- 
heit zu  verschaffen,  dasz  sie  ihre  Wunsche  und  ihre  Meinungen 
äussere.  Die  Interessen  derselben  schärfen  ihren  Blick  und 
die  Oe&ntlichkeit  der  Verhandlung  ist  eine  vortreffliche  Con- 
trole  auch  der  Ingenieure.  Aber  es  w^äre  durchaus  verkehrt, 
diese  in  Form  eines  eigentlichen  Proceazverfalirens  der  ver- 
schiedenen Geineinden  oder  Parteien   zn   gestatten.     Es  soll    ' 


iM,Coo<^lc 


iSH  tehBtea  Bucfa.    Dia  WirtbMliafUpdege. 

nicht  ein  Rechtaatreit  zwischen  Paiteieu  enUebieden,  mm- 
dern  das  Zweckmaszige  '  von  dem  freien,  alle  Verhältnisse 
Ut>er6chauenden  und  «inäohst  im  OffenUidien  Interesse  wür- 
digenden Standpunkte  des  Stats  aus  gefondea  und'  bes^mmt 
werden.  Zu  diesem  Zwecke  ist  es  dem  State  dienlich  xu 
erfahren,  was  fUr  besondere  Aneichten,  Wünsche,  BefUrch- 
lungeii,  Hofibungen  anftaueben.  Hat  er  das  veriioqiiuen  — 
und  dazu  bedarf  es  keiner  proceszualischen  Erörlerangen, 
die  leiclit  umgekehrt  die  Leidenschaften  steigern,  den  Blick 
rrüben  und  die  einfache  Bachlage  verwirren  wurden  —  so 
Itat  er  mancherlei  Anhaltspunkte  gewannen,  um  desto  siche- 
rer das  unter  den  vorliegenden- Umständen  Beete  erkennen 
und  bestimmen  wi  kOnoen. 

.  4.  Die  Aufeicht  Über  und  die  jSoi^e  für  das  Eisen- 
bahnwesen finden  hier  eUenßills  ihren  Plats,  auch  wenn 
dei*  Begriff  der  Regalität  nicht  betont  oder  nicht  snerkannt 
wird.  We  Anlage  nnd  die  Verwaltung  auth  von  Privat- 
oisenbehnen,  welche  dem  gemeinen  Verkehr  dienen  und 
nicht  etwa  nul-  fUr  ein  Privatetabliseement,  z.  B.  ein  Berg> 
werk,  bestimmt  sind,  mUsseti  daher  von  dem  State  aus  stats- 
wiithschaftlichen ,  nicht  blosz  aus  polizeilichen  GrUnden  ge- 
ordnet nnd  beaufsichtigt  werden.  Der  Stet  kann  den  Pri- 
vatgesellschaften die  Herstellung  von  l!)isenbahnen  Überlassen, 
aber  er  darf  nie  für  immer  auf  das  Recht  verzichten,  diese 
wichtigsten  Miltel  des  öß'entlichen  Verkehrs  an  sich  zu  ziehen 
nnd  selber  für  die  Interessen  des  Publikums  zu  sorgen,  denn 
die  Eisenbahnen  bilden  immerhin,  ihrer  Natur  nach,  eioeo 
wesentlichen  Bestandtheil  der  öffentlichen  Wirihscbaft. 

5.  Eben  dabin  gehört  die  volkswirtJischaftliche  ßoi^e 
für  die  Wasserstraszen  in  ihren  mancherlei  Formen,  fUr 
die  freie  und  sichere  BchißTahrt  auf  dem  Ueere  und  den  Seen, 
und  bequeme  Landungsplätze  fUr  Schiffe  und  Waaren  — 
durch  eigene  Anstalten  und  mit  Beibülfe  von  Privatanstälten 
sorgt  so  derStat  fitr  LeuchtthUrme,  Rheden,  Hafen,  Werfte, 


iM,Coo<^lc 


Siebeulea  C&pitel.  .11.  TaUuwMiKUnapfl«Kr.    A.  Allg.  Anstallen.    4S5 

Krah&en,  Mi^asioe  u.  b.  f.  —  auf  den  Ströaien  undFlüs- 
ssD  —  Schiffbarniachung  derselben,  Eröffnung  von  Lein- 
pfaden —  anf  angelegten  Canftlen,  den  Waeserkunet- 
strasaen  —  Unternehmen  der  Art  kOonen  wie  die  Eiseu- 
bahnen  wohl  auch  Actiengesellsebaften  Uberlasaeo  wenlw. 
Dae  Aufsichtareoht  des  Stats  darUber  aber  versteht  sieh  wie 
dort  von  selbst  und  wieder  nicht  aas  bloss  poliaeiltchwt, 
sondern  auch  aas  volkswirthechaftliehcn  Eocksiehten. 

6.  Auch  die  Posten  sind  ein  Cfi^tlichee  Verkehrsiu- 
stitut  und  gehören  wieder,  at^esehen  von  dem  finaneiellen 
Werth  derselben,  in  den  Bereich  der 'eigeotUcben  Statswirtli- 
Schaft.    Ebenso  das  Telegraphen weeen. 

7.  Femer  die  Sorge  für  dieMasze  und  Gewielttß, 
welche  dem  gemeinen  Verkehr  als  b^laub^ter  Messer  der 
körperlichen  Ausdehnung  und  Schwere  der  Waaren  dienen. 
Die  uähere  Besümniung  der  Unnasze  und  die  Stempelung, 
Eichung  der-  in  dem  Verkehr  gebrauchten  Husze  und  die 
Aafsicht  darDber,  dasz  keine  falschen  Musze' gebraucht  werden, 
wurde  von  jeher  mit  Recht  als  Sache  des  Stals  angesehen, 
der  allein  die  Öffentliche  Autorität  hat  und  verleihen  kann. 

8.  Eine  der  wichtigsten  Partien  der  eigentlichen  Volks- 
wirtbschaft ist  das  Zollsystem  des  Stats.  Durch  dasselbe- 
unternimmt  es  der  Stat  gewöhnlich  zwrt  verschiedene  Zwecke 
mit  einander  zu  verbinden,  nämlich  einerseits  eine  reich 
llieszende  Quelle  von  Einnahmen  fUr  die  Stutecasse  zu  er- 
öffheu  und  zu  nutzen ,  und  andrerseits  die  aligemeineu  volks- 
wirthscbafllichen  Interessen  zu  fördern.  Die  erstere  Seite 
bringt  das  Zollwesen  in  Zusammenhang  mit  dem  Steuer- 
system des  Stats,  die  zweite  macht  dasselbe  von  volkswirth- 
schafllichen  Grundefttzen '  abhängig.  In  der  That  Übt  auch 
keine  Öf^tliche  Wirthschaftsanstalt  des  States  einen  gröszem 
Einflusz  auH  auf  diePrivatwirthechaft,  auf  die  Lebensgentlssd!, 
auf  dae  Gesammtbewusztsein  und  die  VermJ^enskrait  der 
Nation  als  die  Zoltanstalten. 


,iP<.-jM,Googlc 


4S6  Zehnlea  Bach.    Die  Winbsehkrupllpge. 

Die  Zölle  waren  iireprünglich  Diir  dae  financielle  Ab- 
grabe. Sie  wurden  von  den  in  den  HandelaTerlcehr  gebrachten 
Waaren  bald  da  bald  dort,  an  Seehttfen,  FluaKübergttngeD, 
auf  bestimmten  Strawen,  an  I«ndung8-  und  Harklplätxen, 
bei  den  Thoren  der  StAdte  erhoben.  Sie  waren  bo  eine  Lut, 
welche  den  innern  Verkehr  vielfältig  hemmte  und  druckte. 
Sie  hatten  nur  einen  änanciellen  Werth  und  waren  nur  ein 
volkswirthschafUiches  Uebel.  Ee  war  daher  ein  gro»zer  Fort- 
schritt, als  auch  die  zweite  wirtlischaftliche  Seite  der  Zölle 
erkannt  nnd  die  reinen  Finanzzölle  zugleich  aU 
Tolkswirthschaft liebe  (Schutz-) Zölle  aufgefamt  wurden. 
Im  Zusammenhange  damit  wurden  seit  dem  Ende  des  XVIIten 
Jahrhunderts  die  Zölle  nach  und  nach  aus  dem  Innern  an 
die  Orftnxe  vei-l^t  und  die  GränzzöJle  angeführt  Durch 
diese  wirthschalUiche  Verbesserung  wurde  der  Verkehr  inner- 
halb dea  Landes  von  seinen  Banden  befreit,  gestärkt  und 
belebt,  und  zugleich  das  GefUhl  der  Zusammengehörigkeit 
des  Volkes  mit  dem  Genüsse  der  tausendfältigen  neuen  Be- 
zi^ungen  gehoben. 

Es  war  aber  ein  weiterer  Fortschritt,  als  nun  bei  der 
neuen  Auflage  und  dem  Ansetze  der  OränzsöUe  die  natiu- 
-  nalwirthschaftlichen  Interessen  ntit  in  Betracht  gezogen  und 
nicht  mehr  ausschlieszlich  nach  financiellen  Rboksicbten  ver- 
ehren wurde.  Die  ökonomischen  .Beziehungen  eines  Stats 
zum  Ausland  und  dea  eigenen  Volkes  zu  fremden  Völkern, 
und  die  nützlichen  oder  schädlichen  Wirkungen,  welche  die 
einzelnen  Zolle  ftir  die  Productionskraft  oder  die  Gentisate 
der  Nation  wahrscheinlich  ausüben  wUrdeo,  gelangten  so 
zu  einer  umfassenden  Würdigung,  die  sicher  nicht  nach  all- 
gemeinen und  abstracten  Sätzen  ein-  fUr  allemal  geregelt 
werden  kann,  sondern  nur  dem  möglich  ist,  welcher  den 
Bewegungen  des  nationalen  und  des  Weltlebens  zu  folgen 
und  die  practischen  häufig  wechselnden  Bedürfnisse  des  Ver- 
kehrs sowohl  als  der  Arbeit  zu  erkennen  versteht.  Auf  keinem 


iM,Coo<^lc 


Siebentel  Capitel.    II.  VolkawirthMhaftapSege.    A.  Allg.  AuBtalteii.    4g7 


Felde  der  Statare^erung  hat  man  mehr  mit  den 
doetrinärar  Grundsätze  gestritten  und  auf  keinem  lassen  si^ 
weniger  feste  R«geln  anwenden,  auf  keinem  ist  es  nötliiger, 
die  Uannichfaltigkeit  der  wechselnden  Verhältnisse  zu  be- 
achten, und  roD  Zeit  zu  Zeit  Terschiedene  h&uäg  gerade 
entgegengesetzte  Wege  einzuschlagen. 

Die  Verbindung  der  financiellen  mit  der  natio- 
nalwirthsohaftlichen  RHcksicht  ist -wohl  ein  blcdbender 
Gewinn  der  neuen  Entwicklung  des  Zollsystems.  Es  sollen 
daher  keine  Finanszölle  auferlegt  werden,  welche  nicht 
mindestens  die  negative  Rücksicht  der  Slal«wirlhfichaft, 
gemeinen  Schaden  von  der  Nation  abzuwenden  beachten, 
also  nicht  auf  unentbehrliche  Gegenstände  in  einem  Masze, 
wrfches  entweder  den  Volksniassen  die  Anschaffung  dersel- 
ben zu  sehr  erschweren  oder  der  einheimischen  Industrie 
die  Möglichkeit  einer  Benutzung  derselben  enleiehen  würde. 
Dienen  dieselben  Uberdem  dazu,  die  Arbeits-  und  Erwerbs- 
hreft  der  Nation  in  gesunder  Weise  nicht  nach  Art  der 
Treibhäuser  bloez  in- künstlichem  Wachsthume,  das  die  freie 
Luft  nicht  erträgt,  zu  unterslützen  und  so  zugleich  positiv 
zu  wirken ,  so  iüt  das  ein  augenfälliger  Vorzug  solcher  Zölle. 
-Reine  Schutzzölle,  die  nicht  zugleich  änauciell  gerecht- 
fertigt sind,  i-evhtfertigeii  sich  nur  ausnahmsweise,  inslieflOn- 
dere  wenn  ein  überwiegendes  Bedürfnisz  vorhanden  ist,  die 
Arbeitskralt  der  Nation  zu  erhalten  und  naturgem&sz  zu 
stärken,  oder  feindlichen  und  schädlichen  Muszregeln  frem- 
der Staten  entgegen  su  wirken,  die  Prohibitivzölle  nur 
äuszerst  selten  in  einzelnen  Ansiiahnistiftllen,  als  System  nie. 

Der  Statsmann  musz  auch  in  diesen  Dingen  jed^zeit 
von  dem  Ganzen  ausgehen,  nicht  von  den  Privatinteressen 
der  Einzelnen,  und  den  nationalen  Standpunkt  festhalten, 
ohne  sich  durch  die  besunilern  Verlangen  einzelner  Ctassen 
einengen  und  beherrschen  zu  lassen.  Wohl  weisz  er,  dasz 
wenn    einzelne    Hcrufsstünde    ihre    Kraft    nicht    entwickeln 


iM,Coo<^lc 


■  4S8  Zehutw  Buoli.     Dia  Wlrtli«dM/tap(leKe. 

können  und  verkauiniern,  oder  durch  die  fremde  Concurreuz 
erdrückt  zu  werden  in  Gefahr  sind ,  dieser  Schaden  hinwie- 
der den  ganzen  National  kOrper  trifft.  Wenn  die  Arme  er< 
lahmen,  so  leidet  der  ganze  Leib,  und  w&ren  die  Ver> 
dauuagswerkzeuge  noch  so  gut  und  der  Kopf  von  Schwäche 
frei.  Aber  er  wird  nicht  die  einzelnen  Glieder  so  Terh&t- 
scheto,  dasz  sie  nur  einen  künstlichen  Schein  von  Gesund- 
heil, aber  k«ne  wahre  Sraft  haben,  noch  vor  andern  so 
bevorzugen,  «lasz  die  Harmonie  des  Körpers  gestört  und  so 
dem.  Leibe  eine  neue  Krankheit  verursacht  wird. 

Er  beachtet  die  Wünsche  der  grossen  Raufleute, 
welche  am  liebsten  keine  Zölle  sehen  und  jedeufhlts  mög- 
lichst geringe,  daher  keine  Schutzzölle  wollen;  denn  der 
GrOBzhandel  vermittelt  seiner  Natur  den  Weltverkehr  und 
gedeiht  daher  am  besten  in- der  reinen  Luft  voller  Handels- 
freiheit; der  Groszhandel  ist  kosmopolitisch,  nicht  national. 
Er  hört  auf-die  Kleinhändler,  deren  Existenz  durch  die 
Localbedürfnisse  begr&nzt  ist  und  daher  leicht  durch  plötz- 
liche üeberschwemmuiTg  des  Marktes  erschüttert  wird,  und 
die  daher  eher  gegenüber  gewissen  Operatiouen  eines  lieder- 
lichen uiid  tau8<!henden  Liqnidations  -  und  Ausverb'auJb  Frem- 
der des  nationalen  Schutzes  bedürfen.  Er  berücksichtigt  die" 
groszen  Interessen  der  Fabriken,  die  mehr  für  den  Han- 
del, und  der  Hant^werke,  die  mehr  für  die  nahe  liegenden 
OrlsbedUrfniase  arbeiten ,  und  der  zahlreichen  fievölkerungen, 
die  .in  diesem  Berufe  ihren  Lebensunterhalt  Snden  und  durch 
ihre  Arbeit  den  Gesammtwohlstand  erhöhen  und  veredeln. 
Er  erwägt,  dasz  dieselben  unter  mancherlei  Voraussetzungen 
ränes  gewissen,  wenigstens  eines  vorübergehenden  Schutzes 
bedürfen.  Er  vernimmt  auch  die  meist  stilleren  Wunsche 
der  ackerbautreibenden  Bevölkerung,  die  durch  die  Zölle 
fast  nur  in  financieller  Hinsicht  erleichtert  wird,  aber  ein 
gmszes  Interesse  hat,  mißlichst  wohlfeil  zu  kaufen,  was  sie 
zu   ihrem   einfachen   Leben    bedarf.     Er    erinnert  sich   auch 


iM,Coo<^lc 


Aafatm  Capltel.    B.  BesoDdtre  AoslRiteu.  439 

der  zahlreichen  Classen ,  welche  in  TorzUglicbeui  Sinne  Con- 
Bnmenten  sind,  wie  die  Capitalisteii,  und  die  einen 
wissenschaftlichen  Beruf  betreiben,  die  Armen  u.  s.  f., 
welche  die  Steuer  regelmfiszig  nur  als  eine  Last  empänden. 
In  gleichzeitiger  Erwftgung  all  der  sich  theilweise  wider- 
strebenden Interessen  und  der  richtigen  Würdigung  derselben 
im  Sinne  der  Harmonie  nitd  Gesundheit  des  ganzen 
NationalkOrpers  liegt  die  schwere  Kunst  einer  practischen 
Statswirthschaft. 


Achtes  Capitel. 

B.  Bewnitare  Anstalten. 

Die  Statawirthsehaft  darf  sich  nicht  darauf  beschränken, 
allgemeine  Anstalten  zu  gründen  und  EinrichtuDgen  zu  treffen, 
welche  unmittelbar  der  ganzen  Nation  und  dem .  gemeinen 
öffentlichen  Verkehre  dienen.  Sie  hat  auch  die  Pflicht,  theils 
besbnderen  Zwecken,  welche  in  einzelnen  Fällen  ihr«  Hülfe 
erfordern,  theiis  bestimmten  Berufe-  und  Lebensverhält- 
nissen ihre  wirthscbaftliche  601^.  zuzuwenden.  Dahin  ge- 
hören : 

1.  Die  wirthschaftlichen  Vorkehrungen,  um 
der  Theurungsnoth  entgegenzuwirken,  und  der  Arbeits- 
noth  einzelner  Volksciassen  zu  begegnen.  Wir  können  das 
Unterstntzungspftege  beiezen,  welche  von  der  eigent- 
lichen Armenpflege  wohl  und  in  derselben  Weise  zu  un- 
terscheiden ist,  wie  die  UnterstUtzungspolizei  von  der  Armen- 
poHzei. '  Wirthschaflliche  Maszregeln  gegen  die  Theurungs- 
noth sind  z.  B.  die  Anlegung  von  Getreidemagazinen  des 
States'  und  die  Ermunterung  der  Gemeinden  zu  ähnlicher 

■  Vgl.  oben  Buch  VII,  Cap.  9,  8.  188  ff. 

'  Friedrich   der  Qnwu:   Eaaai  SDr   les   form,  du   gouvem.:   „ToQt 


n,g,t,7rJ,M,COOglC 


430  Zehntes  Bach.    Die  Wirthachartapflrge. 

Sammhing  von  Vorr&then ,  die  Oeffnung  derselben  im  rechten 
-Moment,  theils  um  die  Marktpreise  vor  Ubermäsziger  $tei- 
gerang  zu  bewahren,  theils  um  bedürftige  Gemeinden  oder 
Claasen  der  Bevölkerung  durch  billigere  Verfiuazerung  xa 
unterstützen.  Ebenso  läszt  sich  öfter  plötzlicher  Arbeitsnoth 
Ton  Seite  der  Statawirtbscbaft  begegnen  dnrch  Unterneh- 
mung oder  AuBdehnang  öffentlicher  Werke,  welche  grosze 
Massen  von  Arbeitern  beschäftigen  und  indem  sie  denselben 
Brod  verschaffen,  und  dem  ins  Stocken  gerathenen  Strome 
der  nationalen  Arbeitekrafl  Abzugscanftlc  erOfItaen,  zugleich 
dazu  dienen,  auch  den  Werth,  der  zorOckbteibenden  Arbeits- 
kraft ZH  vermehren.  Aber  es  ist  ungereimt,  wenn  der  Stat 
die  Arbiter  nur  zum  Scheine  und  mit  kindischen  Dingeu 
beschäftigt,  und  ein  Verderben  aller  Stats-  und  Privatwirth- 
schaft  zugleich,  wenn  er  hier  die  Ausnahme  zur  Regel 
machen  und  durch  ständige  Nationalwerkst&tten  die 
Privatindustrie  zur  Statssache  machen  will.' 

%.  EHnen  ähnlichen  Charakter  haben  die  Btalswirth- 
schaftlichen  Assecuranzanstalten,  durch  welche  die  Qe- 
sammtbeit  einen  Schaden,  der  snnOchst  den  Eiuzelneii  trifft 
und  übermftszig  drückt,  mittragen  hilft  und  durch  Verthei- 
lung  vermindert.  Von  der  Art  sind  die  Brandversiche- 
ningen  fUr  Gebäude  oder  auch  der  fahrenden  Habe  und 
die  Hagelversicherungeu  fUr  den  Landbau. 

3.  Wie  der  Stat  durch  seine  Cultuseinrichtungen  seine 
Soi^e  auch  über  die  vrissenschaftlicbe  und  kflnstleriscbe  Thä- 
tigkeit  der  Individuen  erstreckt,  so  ttbt  er  auch  durch  seine 
wirthöchaftlichen  Anstalten  eine  Pfl^e  aus  Ober  die  mancherlti 

souverain  allAch^  au  bieu  public  eu  oblig^  de  st  pourvoir  de  magosins 
abandoD Dement  fouL'nis  pour  Bupplier  k  la  roaavaise  rtotlte  et  pour  pr^ 
Tenir  la  ftirnine.* 

'  I>u  erregte  Jahr  1848  hat  in  Paris ,  Wien  und  Berlin  derlei  ver- 
kehrte Vereache  tu  Tage  geTördert  und  zugleich  die  Thorheit  dersetben 
durch  die  groazen   Schäden    und   Uebel   in    deren  Gefulge    practiach    er- 


iM,Coo<^lc 


AtAtu  Ckpitel.    B,  Beeoctdere  An(UIt«n.  4$1 

Beriifokreise  und  Thfttigkeiteo ,  welche  der  materiellen  WohJ- 
Itahrt  dienen. 

Die  Pri vetökoDomie  des  Einzelnen  gehört  zunSchst 
wie  alles  Privatrecht  diesem  zu,  und  beruht  nicht  auf  der 
Gunst  des  Stats.  Auch  hat  der  Stat  das  Recht  nicht,  sich 
eine  Vormundschaft  über  die  mündigen  Privaten  beizu- 
legen. Worauf  sollte  sich  dieselbe  gründen?  Doch  nicht 
auf  di6  Unfähigkeit  der  Individuen,  ihre  Oekonomie  selüat 
ZD  verwalten.  Sie  sind  im  Gegentheil  regelm&ssig  ßthiger, 
ihre  eigenen  Interessen  zu  kennen,  und  die  Mittel  zu  finden, 
welche  ihren  Privatwohlstand  erhalten  und  erliöhen ,  als  der 
6tHt  und  seine  Oi^ane,  welche  für  sie  handeln  oder  sie  leiten 
wollten.  Auch  nicht  aus  der  natürlichen  Ueberordnung  des 
Stats  Ober  die  Privaten;  denn  das  Wesen  des  Stats  ist  die 
Gemeinschaft,  seine  Herrschaft  die  der  politischen  Ordnnng, 
das  Privatrecht  aber  ist  aus  der  Natur  der  Einzdoen  herge- 
leitet, und  der  Stat  hat  dasselbe  zunächst  nicht  sg  beherrschen, 
sondern  zu  schützen.  Die  Freiheit  uud  8elbständigk«j  t 
der  Privatwirthschaft  ist  folglich  Regel,  und  der  Stat 
von  Natur  angewiesen ,  dieselbe  m  achten  und  zu  schirmen. 

Indessen  hat  die  Wirtbadmilspflege  des  Stats,  welche 
wie  -Überall  so  auch  in  diesen  Dingen  von  den  Interesse  des 
Ganzen  ausgeht,  dessen  Wohlfahrt  immerhin  in  mannichfal- 
figen  Wechselbeziehangen  zu  der  Wohlfahrt  der  Individuen 
steht,  die  Pflicht,  sowohl  die  natürlichen  und  kunstlichen 
Hindernisse  zu  entfernen,  welche  einer  gedeihlichen  Entwick- 
lung der  Privatwirthschaft  hindernd  im  Wege  stehen,  inso- 
fern die  nationalwirthschaftlichen  Hittel  und  die  Kräfte  des 
Stats  dafür  zureichen,  als  die  allgemeinen  Bedingungen  ihrer 
Gesundheit  und  Wohlfahrt  in  gleichem  Sinne  zu  fordern. 
Solche  s  tatswirthschaftliche  Pflege  ist  von  der  an- 
gemaszten  Vormundschaft  des  Slats  von  Grund  aus 
und  selbst  da  verschieden,  wo  sie  die  Einzelnen  auch  hin- 
wieder um  des  Ganzen  willen  beschränkt. 


n,g,t,7rJM,COOglC 


432  ZehntM  Buch,     Die  Wirlhauhaflapüege. 

Dieselbe  wiH  veraehiedeD  sein  mnesen,  je  nach  der 
verschiedenen  Natur  der  PrivaUtkonooiien  selbst,  und  der 
masaenbaften  Beziehung  ihrer  Hauptgattungen  su  der  allge- 
meinen Wohlfahrt.     Die  Haupttu'ten  sind : 

1)  die  Landwirthschaft,    3)  die  Fsbrication  und 

2)  die  Handwerke,  4)  der  Handel. 

4.  Die  Lftndwirthschaft  ist  o^nbar  die  feste  Baals 
der  gesammten  Oekonotnie.  In  den  meisten  Staten  wird 
auch  der  gröszte  Theil  des  Volkes  von  ihr  ernährt,  *  und 
ist  ihr  zugewendet  Von  ihrer  gesunden  BlUthe  und  Frucht- 
barkeit ist  daher  die  Wohlfahrt  und  die  Kraft  der  Naüon 
in  hohem  Grade  bedingt,  Um  so  aoi^fÜItiger  muai  die  Stats- 
wirthschaft  ihre  Interessen  beachten  und  fördern,  und  dasz 
ihre  richtigen  und  falschen  Maszregeln,  ihr  Fleisz  und  ihre 
Vernachlfiszigung  einen  grossen  Einflusz  auf  jene  Ubeo,  lehrt 
die  Erfahrung. 

Die  BiDwirkuDg  der  Statswirthechaft  bezieht  sich: 

»)  auf  die  Organisation  der  Lsndwirthtchaft. 

Am  wichtigsten  tat  offenbar  die  Erhaltung  eine«  freien 
Bauernstandes.  Nicht  bloez  Grunde  des  persßnlicben 
Rechtes  und  der  natürlichen  Fräheit  haben  die  endliche  Auf- 
hebung des  zum  Theil  noch  aus  dem  römischen  Reiche  stam- 
menden,  zu  grosaem  Theil  aber  während  des  Mittelalters 
verbreiteten  erblichen  Colonats  und  der  bäuerlichen  Hörig* 
keit  in  den  neuern  Staten  Europa's  fa«t  Überall  nun  bewirkt, 
sondern  zugleich  volkswirthschaflliche  Rücksichten.  Das  Ge- 
fühl freies  Eigenthum  zu  besitzen,  ist  ein  mftchtiger  Reiz, 
dasselbe  mit  erhöhter  Sorgfolt  zu-  bebauen,  und  der  Landbau 
ist  offenbar,   seitdem   er   von  dem    gutsherrlichen  Zwange 

*  Wort  de«  franzÖsiBchen  Hinistere  Sully:  „Labourage  et  pitu- 
nge  aont  \es  dem  maniellee  de  last.*'  Vgl.  Sch&ffner,  fmnz.  Retiita- 
geach.  II,  &  455.  Nopoleou  erklärte  den  Ackerban  als  die  Seele  oad 
die  Basis  des  Reichs,  dte  Industrie  als  deo  Wolilsland  ond  das  Glück 
der  BevälkeruDg,  and  den  Handel  als  den  Ueberflost  und  den  guten 
Gebrauch  von  beiden.    Us  Case«  Ufm.  IV.  8.  265. 


iM,Coo<^lc 


AehtM  C^tiUI.    B.  Bwondere  Aiutelteii.  433 

befreit  worden  ist,  mhr  rerbeoswt  wOTden."  Nicht  minder 
drängen  aber  statswirthscbaftUcbe  Rücksiditen  und  OrtlDde 
des  nfttOrlichen  Rechts  dam,  die  noch  in  mancheo  Staten 
geltende  Unsitte  za  bekämpfen,  welche  atugedebotee  Grund- 
e^ntbam  dem  Anbau  ärmlicber  und  nnr  auf  karse  Zeit, 
suweilen  auf  fireien  Widerruf  angestellter  Pftcbter  QberlAsKt. 
Dieser  Zustand  ist  awar  in  einigen  Hinsiehtai  besser  als  der 
der  Erbhörigkeit  des  Mittelalters,  darin  aber  diesen  gleidi, 
dasz  der  Pftditer  nicht  zu  dem  vollen  Genusz  der  ron  ihm 
bebauten  Güter  kommt,  noch  je  das  stärkende  Selbstgefühl 
des  Eigentbums  erlangt,  und  darin  noch  schlimmer  als 
jener,  dasz  der  Zeitpäohter  auch  seines  abhängigen  und  be- 
lastetf«  Besitzes  wmt  weniger  sicher  ist  als  der  Leibeigne 
es  war,  den  der  Herr  auch  in  dem  Alter  und  wenn  Krank- 
heit ihn  untiUüg  zur  Arbeit  machte,  auf  dem  Gute  erhalten 
mnszte,  und  dasz  jener  Oberdem  häufig  noch  ron  wocher- 
lidien  ZwisdieDpersoDeu,  Verwaltern  und  Specnlaoten  gedrOckt 
wird.  Es  ist  eine  aufblleode  Erscheinung,  dasz  die  moderne 
Gesetzgebung  noch  nicht  gewagt  bat,  so  enei^sch  diesem 
Uebel  zu  Leibe  zu  gehen  als  der  Erbunterthänigkeit,  und  ^ 
doch  war  dafUr  in  Irland  und  in  der  Lombardei  hinreichende 
und  dringende  Veranlassung  rorhanden,  und  gab  es  Wege, 
welche  dem  natorlichen  Rechte  wieder  zuführen  konnten. 

*  stein  aber  die  prennisclie  Obioetoordr«  \oa  1807,  durch  welche 
die  Erbnntertliäiiigkeit  anf  den  preasziechen  Dom&nen  aDf^oben  wnrde: 
nSle  ie(  im  Widerspruch  mit  den  areprflDglichen  und  nnyer&DSterliehen 
Bediten  der  HeDsebbeit,  and  die  wlllkfirlkhe  Entsetinug  von  Banerhöfta 
Terachafft  den  BtnchägttB  wenig  Tortheil,  ond  bUt  den  Verpflichteten 
in  einem  fortdimernden  Znitand  von  Dnmiindigkeit,  nnd  lein  nnterlutben-' 
dea  Land,  QetAade  nnd  Inventaiiam  bleibt  von  dner  elenden  Bescliaffen- 
hdt,  da  ea  Ihm  nidil  dgenthtimlteh  gehört,  nnd  aller  Bell  fehlt,  ea  in 
verbcMern  nnd  Ci^tita]  snsnh&nfen.  Der  Landmann  gewöhnt  alch  In  dieser 
Lage  an  SoifJoaigkeit  bei  der  Benntznng,  nnd  an  rohen  sinnlichen  Oennaz. 
Bei  groaien  ftnszem  BrachQUemngen  durch  Kriege  verlftsit  er  seinen  Wohn- 
ort, an  den  ihn  die  Liebe  mm  Eagenthnm  nicht  bindet,  nnd  einen  Bodm, 
den  er  als  ihm  fremde  anznaehen  gewohnt  war.'  Perta  U,  ß.  20. 
Blnntichlt.alltemelDatStaUrecbL   IL  28 


iM,Coo<^lc 


434  Zobitu  Bncli.    Die  Wirthtclianspfleg& 

Besteht  ein  freier  Banerostend ,  8o  bietet  die  Verfas- 
sung der  LBndgemeindeD  einen  natOrlichen  StOtzpankt 
and  passende  Analogien  dar  itkr  seine  Organisation.  Sie  Iftsat 
jeden  zunächst  mit  EVeiheit  seine  Goter  bebauen,  aber  gibt 
zugleich  die  Mittel  an  die  Hand,  um  die  Interessen  der  gansen 
Oenoseenschaft,  z.  B.  an  brauchbaren  landwirthschaftlicheo 
Wegen  und  Brocken ,  an  Dämmen,  an  guter  gemeinsamer  Be- 
wirthnng  der  unrertheilten  Waldungen  und  Weiden,  an  Zueht- 
thieren,  an  der  Sicherung  der  Weinbei^  u.  dgl.  zu  wahren. 

In  manchen  Staten  ist  anch  die  Erhaltung  groeier 
grundherrlicher  Guter  um  der  politischen  Verfossnng 
willen  von  Bedeutung,  und  es  knüpft  sich  daran  die  wirth- 
schaftliche  Rücksicht,  dasz  auf  solchen  HerrengQtem  man- 
dierlei  nene  Versuche  zur  Verbesserung  und  Veredlaug  der 
Landwirthschaft  zuerst  unternommen  and  geprüft,  Gerftth- 
sdiaflen  ond  Maschinen,  welche  dem  einbehen  Landbaner 
zu  theuer  sind,  gehalten,  und  in  jeder  Weise  die  Anforde- 
rungen an  eine  feinere  und  höhere  Cultur  befriedigt  werden 
kOnnen.  Es  ist  das  dn  natürliches  aristokratisches  Element 
in  der  Organisation  der  Landwirthschaft,  welche  zwar  von 
minderer  Bedeutung  ist  als  das  bauerliche,  aber  seine  innere 
.  Berechtigung  hat.  Dagegen  scheint  es  der  Natur  der  Dinge 
iA  den  bevölkerten  Gegenden  Ehiropa's  zu  widerstreben,  dasc 
auch  mittlere  bürgerliche  Landgüter,  die  nicht  so 
groBz  sind,  um  den  Grundherrschaften  zur  Seite  gesetzt  zu 
werden,  und  doch  nicht  von  dem  EigenthUmer  selber  bebaut 
werden,  wie  die  eigentlichen  Banergttter,  mit  Okonomisch- 
gOnstigem  Erfolge  bewirthet  werden  kOnnen.  Diese  kommen 
daher  fast  nur  als  LuxnsgUter  in  Betracht. 

Wo  sieh  nun  Grundherrsohoft  findet,  w^che  keineswegs 
Unfreiheit  der  Banem  erfbrdert,  da  kann  auch  der  Oi^nis- 
mus  der  Bauergemeinde  mit  derselben  in  Verbindung  ge- 
braut werden,  und  diese  in  jener  ein  natürliches  und  wobl- 
thätiges  Centrum  finden. 


iM,Coo<^lc 


Aobt«  Capttel.    B.  Beaoadwe  AnatellCD.  '    435 

b)  Auf  Befreiung  der  Güter  von  deai  maacherlrä 
Reallssten,  welche  das  Mittelalter  auf  dieselben  gehftaft 
hat,  in  Cteatalt  der  Zehnten,  GniodzioBe,  Frohnden,  zum 
Tbeil  auch  von  Diena^tbarkeiten,  welche  die  freie  und 
gute  Wirthschait  gefährden.  Die  Reallasten  hatten  guten 
Sinn ,  als  sie  noch  ron  dem  Eigentfaamer  genossen ,  und  von 
dem  abhängigen  Besitzer  der  Güter  getragen  wurden.  Als 
Lasten  aber,  wdehe  dem  Eigentbnm  Ton  aussen  her  aofer- 
legt  werden  und  dasselbe  drücken,  widerstreiten  sie  dem 
Begriff  des  Grundeigenthiims.  Mit  der  Umgestaltung  des 
abgeleiteten  Grundbedtzes  ins  Eigenthum  musz  daher  die 
AblOebark'eit  der  Reallosten  Hand  in  Hand  gehen ,  soll  jene 
wr  WabHieit  werden.  Dieses  Resultat  wird  aber  auch  durch 
wiräischaftliehe  Motive  geforderL  Der  Begriff  der  Dienstbar- 
keiten (Serrituten)  dagegen  ist  nicht  ebenso  im  Widersprach 
mit  dem  des  Eigenthums,  aber  schon  die  ROmer  haben  den- 
selben aus  8tat8wirth»chaftlicheii  Gründen  weise  beschränkt, 
and  in  unserer  Zeit,  welche  zahlreichere  gesetzliche  Servi- 
tuten aus  dem  Mittelalter  ererbt  hat,  macht  die  neuere  ünt- 
wickelnng  der  Wirthscbaft,  zumal  der  Forstwirthschaft,  und 
bei  Benatsong  der  gemeinen  Weiden  zu  neuem  Anbau  wei- 
tere Beschrftokungen  nOtbig. 

c)  Auf  die  Förderung  der  Theilung  unwirth- 
licher  Weidefläcben  oder  Oeden,  zum  Behuf  beasem 
Anbaues  der  Tbeile,  und  auf  Beschr&nknng  der  Ver-  ' 
theilung  zusammenhängender  Gemein  de  waldun  gen 
ZOT  Erhaltung  einer  ger^elten  Forstwirthschaft  im  Interesse 
auch  der  künftigen  Geschleebter. 

d)  Auf  Begünstigung  sowohl  der  Abrundang  zu. 
landwirtfaschaftlichen  Gräneen,  als  auf  Anerkennung  der 
Theilbarkeit  groseer  Guter  zur  Mehrung  der  selbständigen 
Grundeigen thümer  und  Verbessening  dee  Baues-,  auf  der 
andern  Seite  auch  auf  Behinderung  einer  Theilbarkeit 
der  Guter  und  Gutstheile  in  so  kleine  Parcellen,  dasz  dieselbea 


iM,Coo<^lc 


436  '  ZflhDtee  Bneb.    Die  WirthsehAft^fleg«. 

nicht  mehr  als  Grundlage  tangUcb  sind  fUr  Betreibung  äner 
ordeatlichen  Wirtheohaft,  und  auf  Erhaltung  von  mittler«) 
Bauer-  und  Erbgütern  in  ihrem  Bestand,  welebe  keinesw^;» 
bis  zur  Gebundenheit  derselben  gesteigert  su  werden 
braucht 

d)  Durch  Verbreitung  landwirtbachaft lieber 
Kenntnisse  und  Ermunterung  zu  besserer  Cultur, 
welche  schon  bei  der  AnlB{|:e  der  ländlichen  Volksschulen 
berackächügt,  dann  durch  landwirtbschaftlicbe  Lehranstalten 
und  Husterguter,  durch  UnterstUlanng  der  Wirksamkeit  land- 
wirthscbaftlicber  Vereine,  durch  PreisTertheilungen  und  Feste 
befördert  werden  können. 

e)  Durch  die  Sorge  für  den  ungehinderten  und 
möglichstrortheilhaften  Absatz  der  landwirthschaft- 
lichen  Producte,  was  durch  gute  Einrichtung  der  Uftrkte, 
und  durch  ein  wohlbedachtes  Zollsystem  geediieht.  Die  iroher 
beliebte  Erschwerung  der  Ausfuhr  ist  nun  sum  Vortheile 
der  nationalen  Wirthsdiaft  seltener  und  beschränkter  ge- 
worden. 

f)  Durch  besondere  landwirthschafüicbe  Creditan- 
stalten,  wdche  dem  Landwirth  es  möglich  machen,  an 
den  Vortheilen  einer  erleichterten  Geldbeuutmng  Theil  zu 
nehmen,  ohne  ihn  zu  groszer  Qe&hr  nnd  Beschwerde  aus- 
susetzen.  * 

6.  Im  (Gegensätze  zu  der  Landwirthschaft,  welebe  glräch- 
artig  über  das  ganze  Land  verbreitet  ist,  äussert  sich  in  den 
Handwerken  die  Verschiedenhdt  der  persönlichen  Thft- 
tigkeit  in  hCchst  mannicbfeltigen  Arbeiten  und  Bemfswdsen. 
Das  Handwerk  ist  daher  individueller,  persöniicher  als  jene, 
und  die  Statswirlhscfaaft  kann  auf  die  Ausbildung  desselben 
in  der  Regel  nur  einea  mehr  mittelbaren  Einflusz  üben ,  als 
auf  das  Gedeihen  jener.    Wichtig  sind : 

*  Tgl.  über  «lieg  du  die  atufUhrlichen  NachweiM  bei  R&n,  Folit 
Oekooomie  II,  S.  76  B. 


iM,Coo<^lc 


Äefates  Caplt«].    K  Besondere  Anstolleo.  437 

a)  die  Verfaesung  der  Handwerke.  Wftbrend  des 
Mittelalters  bildete  sich  in  den  Städten  das  Zunftwesen 
aus,  zugleich  als  wirthscbaftliche  und  Rechtsordnung  der 
Handwerker,  je  nach  den  besondem  BerufezweigeD ,  und  als 
eine  wesentliche  Grundlage  der  st&dtischen,  theilweise  audi 
der  Statsrerbssung.  Seit  dem  XVI.  Jahrhunderte  schlössen 
sich  die  Handwerke  enger  ab,  suchten  dem  Zudrang  neuer 
Gewerbegenossen  zu  wehren,  vermehrten  die  mancherlti 
Schranken,  welche  die  freie  Bewegung  einzelner  Heister  im 
Interesse  behaglicher  Sicherheit  der  Hehrzahl  bemmten, 
hatten  Ober  die  GrAnzen  ihres  Gewerbsbetriebs  häufige  Strei- 
tigkeiten unter  einander,  und  dehnten  so  den  Zunftzwang 
aus.  Von  dem  XVIII.  Jahrhunderte  an  wurde  die  ganze 
Zanftverfassnng  von  allen  Seiten  her  angegriffen,  und  unter 
den  wiederholten  StÖszen  feindlicher  Gegensätze  erschüttert 
und  groszenthetls  aufgehoben.  Die  Erhebung  der  Fabrication 
welche  durch  neue  mechanische  und  chemische  Entdeckungen 
aller  Art  eine  vorher  nicht  bekannte  Ausdehnung  gewann, 
und  sich  durch  die  Handwerksordnnngen  rielßuih  gehemmt 
sah,  die  ganze  Richtung,  welche  der  Betrieb,  von  der  Macht 
dee  Capitals  begünstigt,  ins  Weite  und  Grosse  nahm,  und 
dem  engem  localen  Kreis  der  Handwerksthfitigkeit  ungünstig 
war,  der  Zug  der  Nationalökonomie  und  der  politischen 
Ideen  nach  individueller  Freiheit,  und  die  Umbildung  der 
öffentlichen  Verfassung  ohne  Rücksicht  auf  die  Stände,  wen- 
deten sieb  alle  wider  die  hergebrachte  Zunftordnung,  und 
die  mancherlei  Miszbräuche  und  kleinlich  engherzigen  Ein- 
richtungen, welche  gerade  in  den  letzten  Jahrhunderten 
diese  verunstalteten,  waren  nicht  geeignet,  ihr  in  der  öfitot- 
liehen  Meinung  so  viel  Unterstützung  zu  verschaffen,  dasz 
sie  jene  Angri^  hätte  aushalten  können.  An  ihre  Stelle  trat 
nun  gewöhnlich  das  System  individueller  Gewerbe- 
freiheit, öfter  beschränkt  nicht  mehr  durch  die  selbstän- 
dige   Ordnung    der    Gewerbe    selbst,    sondern    durch    die 


iM,Coo<^lc 


438  Zehnte«  Bach.    Die  Wirthschaftepflege. 

Concessionen    und    Patente    der    Regiemng    und    die 
Statepolizei. 

Jxs  Wahrheit  war  das  Desorganisation  der  Hand- 
werke. Sie  hatten  einer  gründlichen  Reform  bedurft,  und 
veröelen  nun  der  ReTolntion.  Die  geineinsamen  Interessen 
der  Handwerke  hatten  nun  kein  eigenes  Organ  mehr,  welches 
für  sie  einstand,  und  die  vereinzelten  Arbeiter  waren  jeder 
Schwindelei  schutzlos  ausgesetzt  Die  Wohlthat  der  Freiheit 
bewährte  freilich  auch  hier  ihre  Vorzüge,  indem  sie  die 
Thatkraft  vieler  Individuen  spannte,  und  auf  höher^  Aus- 
bildung der  mancherlei  Handwerksarbeiten  hinwirkte;  aber 
es  fehlte  ihr  die  Schranke  einer  natürlichen  Ordnung,  welche 
hinwieder  das  Ganze  zusammenhielt,  und  die  Glieder  vor 
Beeinträchtigung  ihrer  Rechte  und  vor  Kränkung  ihres  Frie- 
dens sicherte.  Der  Unterschied  der  Meister  und  der  Ge> 
seilen,  welcher  in  einer  organischen  Gestaltung  rane  fried- 
liche Berücksichtigung  ursprünglich  gefiindu)  hatte ,  und 
auch  den  veränderten  Zeitverhältnissen  gemäsz  wieder  finden 
könnte,  wurde  nun  häufig  bis  zum  feindlichen  Gegensatz 
gesteigert,  und  zum  Machtfaeile  beid^Theile  wurde  das  FO' 
milienlebeo,  welches  beide  Theile  vereinigt  hatte,  aufgelöst 
und  zerrissen.  Die  Ehrbarkeit  und  die  Moralitöt  der  Hand- 
werke litten  in  Folge  dessen  groszen  Schaden ,  und  die  Stats- 
polizei  konnte  mit  ihren  0&  herrischen,  immer  aber  unge- 
nügenden Mitteln  diese  Uebel  nicht  heilen.  Der  laute  Ruf 
nach  Organisation  der  Arbeit,  der  in  unserer  Zeit  die 
Luft  erfüllt,  ist  ein  Zeichen,  dasz  der  jetzige  Zustand  der 
Auflösung  der  Handwerke  krank  ist,  and  wenn  auch  nicht 
jene,  so  ist  doch  die  Reorganisation  der  Arbeiter,  insbe- 
sondere der  Handwerker,  ein  wirkliches  Bedütftisz  unserer 
Zeit.  Diese  kann  aber  nur  in  freier  genossenschaftlicher 
Form,  nicht  aber  durch  Herstellung  der  veralteten  Zünfte 
vor  sich  gehen.  Die  Bildung  groszer,  massenhafter  Genos- 
senschaflen,  welche  gMze  dessen  von  Handwerkern  oder 


iM,Coo<^lc 


Achtes  Capilel.    B.  Beeondere  Anstalten.  439 

gaoze  GrQf^ea  tod  Handwerken  umfassen ,  uod  die  Verbio- 
dnng  zu  beeUmmten  Zwecken,  der  UnterBtutzung,  der  Vor- 
schüsse,' der  Bildui^,  der  Ernährung  u.  b.  t  sch^t  dem 
Geiste  der  neuen  Zeit  gemAsoer,  als  die  Spaltung  in  eine 
Ueoge  kleiner  al^:e3chloB8enet'  Yerbiodung«!  zu  den  stttnmt- 
lichen  WirthscheAszweoken,  wie  sie  früher  bestaoden  hatten. 

hj  Die  Förderung  einer  tUchtigen  Ausbildung  der 
Handwerker  tbeils  durch  gute  Gewerbechtileo ,  thtits  durch 
Toreehriflen  über  die  Haltung  der  Lehrlinge  und  Gesellen, 
über  die  Prüfung  und  das  Wandern  der  Gesellen,  Ober  die 
Bedingungen  der  Aufnahme  zu  Meistern.  Die  frühem  Hand-  ■ 
Werksordnungen  enthielten  oft  gEinz  brauchbare  Bestimmungen, 
sorgten  aber  zu  wenig  für  das  BedUrfnisz  von  Ausnahmen, 
und  waren  hOufig  zu  ängstlich  und  kleinlich.  , 

6.  Verschieden  von  dem  Handwerk  ist  <He  Fabrica-  . 
tion.  Das  Handwerk  beruht  auf  der  Kunstfertigkeit  der 
Hand  des  Heisters  und  der  Gesellen,  und  befriedigt  aus- 
schlieezlich  oder'doch  vornehmlich  nur  einzelne  loeale  Be- 
dürfnisse. Die  Fabricaüon  dag^en  wird  von  den  Fabricanten 
regelm&szig  nur  g^stig  geleitet,  und  von  der  Hasse  der 
Arbeiter  nach  mechanischen  El^dn  gleichmAszig  und  ma- 
schineoartlg  betriehen.  Die  Maschine,  welche  dort  nur  in 
secundären  Betracht  kam  zur  Unterstützung  oder  zum  Ersatz 
einzelner  Handarbeiten,  wird  hier  zur  Hauptsache  und  be- 
stimmt regelm&szig  den  ganzen  Charakter  der  Fabrication. 
Sie  ist  ihrer  Natur  nach  ein  Betrieb  im  Groszen  und  nicht 
auf  locolen  Absatz  beschränkt,  sondern  auf  Ersengung  von 
Haodelswaaren  gerichtet. 

Je  grOszer  die  Bedeutung  der  Fabrication  in  neuerer 
Zeit  geworden  ist,  je  mächüger  das  Capital  hier  sich  erhoben 
und  die  Arbeit  der  Menschen  sich  dienstbar  gemacht  hat, 

*  Um  diese  genossenecbaftlichen  Büduag-en  in  Deutschland  haben 
sieh  Tontlgtlch  Prof.  Hnber  und  Schnltze-Delitisch  grosM  Tei^ 
dieoste  erworben. 


iM,Coo<^lc 


440  Z«liDtca  Bach.    Die  ^nrünchiftspfleg«. 

je  zahlrtidiere  Uaasen  der  Berölkernng  als  Fabrikarbeiter 
leben  und  m  leben  geofithigt  sind,  und  je  grOffier  die  Ge- 
bhren  aind,  welche  theils  aas  der  Fluetoation  dea  groeEen 
Vetkebrs,  aus  der  kalten  Gtewinn$ucht  und  Uebennacbt 
mancher  Fabrikherren  und  der  Verwilderong,  der  Liederlich- 
keit  und  dem  Elend  rieler  Fabrikubdter  fttr  die  Gtesammtfieit 
entst^en,  desto  nöthigor  ist  es,  dass  die  Statewirtfaschaft  die- 
sem Bem&zweige  die  sorgfltltigste  Aufmerksamkeit  zuwende. 
Die  Gesetzgebung  und  die  Verwaltung  des  Stats  sind  hier  tod 
dem  raschen  AuEichwang  der  Fabricatioo  weit  überholt  worden 
uod  noch  nicht  dem  wirklichen  BedQrftiisse  nachgekommen. 
Vor  allem  fehlt  es  auch  hier  an  der  Organisation 
des  Fabrikstandes,  und  die  Machtbeile  der  Anarchie 
werden  hier  noch  empfindlicher  verspflrt  als  die  der  Desor- 
ganisation der  Handwerke,  weil  grOezere  Hassen  betheiligt 
sind.  'Während  Handwerksmeister  und  Gesellen  sich  nahe 
stehen  und  daher  diese  als  Glieder  der  Familie  jener  be- 
handelt werden  kOonen,  so  gehen  dagegen  die  Lebensstufim 
der  verschiedenen  Classen  von  Personen,  welche  an  der 
Fabrication  Tbeil  haben,  weit  auseinander  und  lassen  sieh 
nicht  ebenso  in  Einer  Haushaltung  nmfkssen.  Der  Fabrik- 
herr gehört  ofitenbar  dem  dritten  Stande  an,  und  nimmt 
gewohnlich  in  diesem  eine  durch  Reiohthum  und  Einflusz 
herrorragende  Stellung  ein;  Ingenieure,  höhere  Tech- 
niker oder  Künstler,  welche  bei  der  Fabrik  angestellt 
sind,  gehören  ebenihlls  dem  dritten  Stande  zu,  aber  sind 
docb  als  Angestellte  des  enteren  in  einer  unt^eordneten 
Stellang.  Die  gröszereZahi  der  Werkführer  und  Schrei- 
ber stehen  auf  einer  der  bohern  Stufen  des  vierten  Standes; 
die  Uaase  der  Fabrikarbeiter  gewöhnlich  auf  der  un- 
tersten Stufe,  der  des  Proletariats,  und  ist  daher  eines 
Patronats  sehr  bedürftig.  Ein  groszer  Tfaeil  der  letztem 
besteht  soger  aus  Kindern,  die  unl^ig  sind  fUr  sich  selber 
SU  sorgen. 


iM,Coo<^lc 


AohtM  Okpllel.    B.  BeMHidere  AaMttiUat.  .     441 

Bei  solchen  Etementen  i:euUgt  eine  bkwz  stat^wirth- 
eebaflliche  Pfle^  nicht,  sondeni  de  musz  mit  poliieilicbem 
Sehntse  Terbunden  werden.  Tbeilweise,  iasofern  Kinder  htA 
der  Fabrication  rerwendet  werden,  kommt  eogax  die  Soi^ 
der  Statscultur  hinsn.    Folgraide  Momente   Bind   TorzUglieh 


a)  die  Sorge,  dasi  nicht  Kinder  ta  frUhB  xnr  Fabrik- 
arbeit verwendet  werden,  aondem  eret  toq  einwn  gewissen 
Lebensalter  an,  ebenso  dasa  die  Kinder  nicht  übennAszig 
angestrengt  werden ,  sondern  die  erforderliche  Masse  erhalten, 
deren  der  jugendliche  Körper  and  Geist  bedarf,  nm  bu  ein^a 
gesunden  Dasein  heranzureifen.  In  dieser  Beiiehung  ge- 
schieht lange  nicht  genug.  In  mehr  als  einem  dvilisirten 
und  christtichen  State  werden  grosze  Schaaren  von  Fabrik- 
kindem  so  behandelt,  als  wOreo  sie  nur  Theile  einer  Ua- 
scbine,  und  nnr  dafür  auf  dex  Welt,  nm  als  Werkseag  des 
Eägennntzes  Anderer  benutzt  und  rerbrancht  za  werden, 
and  man  wagt  es  noch,  solche  das  natürliche  MeDschenreebt 
verhöhnende  Barbarei,  die  viel  sehUminer  ist,  ala  die  antike 
SUarerei,  aas  Gründen  der  Industrie  zu  T«-(bddigai.  Auch 
Ober  die  fortgesetzte  Schulbildung  and  religiöse  Erziehung 
dieser  Kinder  masz  der  Stat  wachen,  denn  die  Selbstsucht 
und  sogar  die  Noth  der  Familien,  welchen  diese  Kinder  an- 
gehören, ist  oft  ein  Hindemisz  derselben,  and  nidit  alle 
Fbbrikherren  sorgen  dafOr  aas  freier  Humanität  oder  aus 
Ohristenpäicht; 

b)  die  Borge.  fQr  eine  mfisaige  Arbeitszeit  rOrsUg- 
lieh  der  Kinder,  dann  awh  der  Erwachsenen.  Die  Freiheit 
des  Vertrags  schätzt  hier  in  vielen  Fällen  nicht  vor  argem 
Uiszbrauch,  denn  für  einen  groszen  Tbeil  von  Fabrikarbei- 
tern ist  jene  Freiheit  aar  ein  Schein  ohne  Bealit&t,  indem 
sie  nicht  in    der  Lage   sind,   sich  den  Anrorderungen  der 

*  Id  in«breren  Staten,  i.  B.  In  England,  Preuszen,  Bayern,  ist  ein. 
Alter  TOn  6  Jahren  erfcrderlicli. 


iM,Coo<^lc 


413  Zehntes  Buch.    Di«  Wlrtb5cUft«pfl««e. 

Herren  zn  eDtäehea ,  von  deren  AostelluDg  ibr  Lebeostuitw- 
balt  abhängt  Am  besten  wäre  es  allecdioga,  wenn  durch 
StatsvertrAge  allgemeiD  geltende  Vorschriften  darüber  fest- 
gestellt würden ,  damit  nicht  die  Industrie  dar  Länder,  welche 
hieiin  humane  Grundsätze  anerkennen ,  beDachtheiligt  werde 
durch  die  Concurrenz  anderer,  welche  die  ArbeitflkrSfle ihrer 
BerOlkerung  im  Uebennasz  anstrengeD,  wenn  6obc«i  diese 
Geftabr  nicht  so  grosz  ist  als  sie  scheint,  da  un massige  An- 
strengung die  Arbeitskraft  selber  schwächt.  Auch  die  Hü- 
Ughaltung  der  Sonn-  und  festläge  ist  eine  grosze  Wohl- 
that  füi-  diese  Glass^i-, 

c)  die  Sorge  dafUr,  dasz  die  Arbeitsiocale  und  wo 
für  die  Fabrikarbeiter  besondere  Woboungen  eingerichtet 
werden,  auch  diese  nicht  so  maagelhf^  seien,  um  die  Ge- 
sundheit derselben  su  gefährden; 

d)  die  Forderung  aller  der  Anstalten,  wek;be  d»Slt 
bestimmt  sind,  die  sittliche  und  leibMche  Wohlfahrt 
der  Arbeitet  zu  heben  und  zu  erbalten,  dieselben  im  Falle 
von  Krankheit  zu  pflegen  und  zu  uutwstutzen',  während 
industrieller  Krisen  zu  sichern,  im  Alter  zu  vl»8or- 
gen  u.  B.  f. 

Die  freiwill^  FUrsoi^  edler  Fabrikherren  hat  unver- 
kennbar hi^  schon  manche  vortreffliche  Institute  erzeugt; 
und  der  Stat  hat  allerdings  weder  das  Recht  noch  die  Mittel, 
diese  FOrsorge  in  eo  ausgedehntem  Masse  zu  g^ieten,  wie 
der  freie  Wille  sie  hie  und  da  belebt  hat.  Aber  er  ist  ver- 
anlaszt,  seinei»eit«  -diesen  zu  ehren  und  zu  unterstützen,  und 
vollkommen  berechtigt,  einige  allgemeine  Vorschriften  zu 
erlassen,  welche  auch  die  Faluikherren ,  die  nicht  ebenso 
aus  eigenem  Triebe  Air  die  Koth,  das  Unglück  und  das 
Alter  sorgen,  anhalten,  so  viel  zu  tfaun,  als  die  Rücksicht 
auf  die  öffenUii^e  Ordnung  und  die  gerechten  Ansprüche 
theils  der  Fabrikarbeiter  selbst,  theils  der  dab^  ebenfolls 
betheiligten  Gemeinden  und  Armenpflegen  erheischen.    Die 


iM,Coo<^lc 


Aebtea  Capltel.    B.  Besondere  Anitalleii.  413 

Einrichtung  uQd  der  Betrieb  grosser  Fabriken  scballt  geradezu 
üne  FabrikbeTOlkeruDg  um  dieselben  her.  E^  liegt  in  dem 
Verdienat,  den  sie  auch  fttr  die  Kinder  rereprechen,  und  in 
dem  ZusMomeBleben  der  Fabrikarbeiter  un  groszer  Reiz  zu 
Termehrter  Eindererzeugung,  und  es  sammeln  sieb  an  dem 
Fabrikorte  überdem  aus  entferntereD  Gegenden  her  eine 
Henge  Arbeiter.  Diese  werden  mfust  nur  für  die  besümmte 
Fabrikarbeit  eiaogen  und  sind  auch  nur  dieser  fähig.  Oer&th 
dann  diese  Fabrikation  t^Otzlich  in  Stockung  oder  bringen 
-  auch  nur  die  naOtrlichen  Ursadien  der  ArbwtsunMhigkät, 
wie  Krankheit  und  Alter,  ihre  Wirkungen  berrot,  so  «öt- 
st^t  eine  Anzahl  von  untersttttzimgsbedürftigen  und  ron 
armen  Personen,  welche  ohne  die  Existenz  d«r  Fabrik  nicht 
oder  wenigstens  in  geringerem  Masse  die  öfibntliohe  Untw- 
atbtzung  und  Pflege  des  Stats  und  der  Gemeinden  belästigen 
worden.  Es  ist  daher  nur  gerecht,  wenn  diejenigen,  welche 
in  guten  Zeiten  Ton  der  Fabrication  Gewinn  ziehen,  auch 
verpflichtet  werden,  fUr  die  bOseo  Tage  vorzusorgen,  und 
derStat  überschreitet  seine  Befugnisse  nicht,  wenn  er  Spar- 
und  Hülfscassui  anordnet,  welche  tiieilweiae  durch  Abzüge 
an  den  ArbeitaltUinen  und  tbulweise  aus  Beiträgen  der  Fabrik- 
herren gebildet  werden; 

e)  die  Anordnung  von  Fsbrikr&then,  welche  Über 
die  Ordnung  und  die  guten  Sitten  in  den  Fabriken  wachen, 
Sfaeitigkeiten  zwischen  Hwren  und  Arbeätem  schlichten,  and 
als  Organ  fQr  die  Interessen  beider  den  Statsbebörden  ge- 
genüber dienen; 

0  die  Zulassung  und  Beaufeichügung  der  genossen- 
schaftlichen Verbindungen*  der  Arbeiter  unter 
sich.  Wie  das  Capital  in  der  Assodation  der  Actien  seine 
Macht  gesteigert  hat,  so  erhobt  auch  die  AsaociatJon  der 
Arbeiter  ihre  Macht  und  gewahrt  ihren  Into^ssen  Schuta 

'  Tgl.  Raber,  Art  Associatii»  in  BloDtaehli  StatawUrterbndi. 

n,g,t,7rJM,C00<^lL' 


414  Zehnt««  BmIu    JHa  Wlrtlucliaftipäege. 

gegeoQber  der  um  sieb  greifesden  und  erdrückenden  Macht 
des  CapitaJa.  Erst  wird  der  Gegensatz  beider  KrAfte,  der  ' 
sftchlichen  VermOgeDskraft  und  der  persönlichen  Arbeitskraft 
ausgebildet  werden  müssen:  dann  erst  werden  beide  in  ihrer 
Verbindung  su  eioeoi  fOr  beide  woblthät^ien,  gesunden 
Frieden  gelangen  können; 

g)  die  Gtewfthrang  von  Erfindangapatenten,  weiche 
den  Erfindern  wichtiger  Verbesserungen  Ar  einige  Zeit  die 
ansscblieszliche  Benutzung  ihrer  Erfindung  sichern ,  und  der 
Schatz,  wddier  den  Fabriken  gewährt  wird  gegen  tAuschende 
Naehahmung  ihrer  Fabrikzeichen; 

h)  die  Anordnung  roa  Indostrieausstellungen, 
welche  ^nen  Ueberblick  Ober  die  Oewerbstbfttigkeit  geben, 
die  Fortschritte  und  Mthigel  ihres  Ganges  leicht«  erkennen 
lassen,  zum  Wetteifer  ermuntern  und  die  au^eseichnete 
Arbeit  ehren; 

i)  die  Berücksichtigung  der  Fabricationsinteressen  bei 
der  Bestimmung  der  Z&lle.  '<* 

7.  Der  Handelsrerkehr  bedarf  in  weit  geringerem 
Qrade  einer  besondern  Pflege  der  Statswirthschaft,  als  die 
Übrigen  Gewerbe.  Er  gedeiht  am  besten,  wo  er  äch  nüt 
individueller  Freiheit  bewegen  kann,  unbehindert  durch 
äussere  Schranken.  Der  Groszhandel  ist  geradezu  kos- 
mopolitisch, nicht  national,  und  fOhlt  jede  Schranke,  welche 
das  Gesetz  eines  Stats  zieht,  als  eine  Beschwerde.  Nur  der 
Kleinhandel  (Eramhandel),  welcher  des  Detailrerkaufes 
wegen  auf  looalen  Verbrauch  angewiesen  ist,  bedarf  einigen 
Schutz  nicht  vor  der  Concurrenz  anderer  sich  regelmfiszig 
niederlassender  solider  Handelsleute,  wohl  aber  vor  der  häufig 
unsoliden  Concurrenz  der  Husterreiter  und  Hausirer, 
welche  den  Käufern  nachgelten  und  durch  allerlei  Vorspäege- 
Inngen  ihre  Kauflust  wecken  und  reizen.    Die  ^uptaofgabe 

'•  Obwi  C»p.  7,  8.  636. 

n,g,t,7rJM,GOOglC 


Ai^tM  CaidteL    B.  BeeondM«  AixUlten.  4i5 

dar  Statawirthschaft  g^enüber  dem  Handel  beetebt  daher 
in  dw  WegrttQmang  der  HinderniMe,  welche  seine  freie  Be> 
wegoDg  bemmeD;  in  swedter  Linie  erst  in  der  Untersttttzong 
deMelben  durch  öffentliche  Anstalten. 

a)  Die  Organisation  dea Handelsstandes  fast  weniger 
Schwierigkeiteo ,  als  die  des  Handwerk-  aod  Fabrikstandes. 
Jener  theilt  ueh  in  zwei  HauptclasMn,  die  der  Groszbttad' 
1er,  Eaufleute  (negotiatores)  im  eigentlioben  Sinn,  welche 
io  der  Regel  wieder  an  Fabrikanten,  andere  Eaufleute  und 
Krämer  und  eben  darum  in  grOszeren  Massen  verkaufen  and 
die  HandelsTermitÜung  im  Grossen  betreiben,  und  die  der 
Kleinhändler,  Krämer  (institores) ,  welche  in  der  Regd 
an  alle  ranzeloen  Consumenten  nach  beliebig  kleinen  Qaan- 
titäten  rerkaufen.  Die  erstem  gebfiren  dem  dritten,  die 
letztem  dem  vierten  Stande  an,  und  beide  können  wobl  zu 
groszen,  die  ganze  Masse  der  Betbeiligtea  umfossendeo  Cor- 
poraüonen  veranigt  werden. 

h)  Die  Einrichtung  von  Handelskammern,  welche 
über  die  gemeinsamen  Interessen  des  Handels  wachen 
und  den  Handelsstand  auch  ror  den  StatsbebOrden  ver- 
treten, die  Kunde  der  HandelsUbongen  bewahren  nnd  Gut- 
achten in  Handelssachen  bearbeiten,  bildet  die  natürliche 
Krone  tauet  corporativen  nnd  freien  Gliederung  des  HandeJs- 
standes. 

c)  Die  Anordnung  von  öffentlich  autorisirten  Maklern 
(Sensalen)  in  Handelsstädten  und  die  Herstellung  von 
Börsen  dient  zur  Sicherung  und  Beförderung  des  eigent- 
lichen Handelsverkehrs,  und  je  vollkommener  die  Übrigen 
gemeinen  Verkehrsanstalten  des  States  sind,  Straszen,  Post- 
verbindungen n.  s.  f.,  desto  mehr  wird  auch  der  Handel 
und  dieser  in  hohem  Maeze  die  Tortbeile  derselben  zu  ge- 
nieszen  haben. 

d)  Die .  Sicherung  der  Handelsfirmen  gegen  Hisz- 
braucb  und  T&nschong,  die  PrUfVing  der  Solidität  von  neu 


iM,CoO<^lL' 


146  Z«bntw  Bndk.    Die  WirthMhaftapflcge. 

eotstehenden  Actiengeaellschsften,  iiubeaoBdere  Cre- 
ditanetalten,  die  Bekanntmadiang  solcher  Verände- 
rungen in  dem  Personenbeetand  und  den  Verbfiltoiasen  der 
Oesellschaften  und  der  HandelsetabliBsements  uberhanpt, 
welche  anf  die  GlaubwOrcSgkeit  und  die  Sicherheit  des  Hao- 
delsTerkehrs  von  Einflusz  sind,  sind  ebenfalls  einzelne  irohl- 
tbstige  Aeuezerangeo  der  statawirtbachaftlichen  Thftligfceit 
auf  diesem  Gebiete. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


Äilflcs  jßttd). 

Von    denGemeinden. 
Erstes  GapiteL 

Hialorische  Erinnerung. 

1.  Der  antike  Stst  ist  aus  dem  politischen  Leben  der 
Stadt  erwachsen.  Die  Vermischung  des  States  mit 
der  Stadt  in  der  Idee  und  in  der  OrganisaHon  ist  daher 
dem  Statsrechte  des  Alterthums  eigenthotnlieh.  Oriecben 
and  Römer  bezächneten  sogar  mit  dem  nämlichen  Worte 
die  beiden  Gemednechaften.  Die  Stadt  Athen  war  zugl^ch 
der Stat  Athen,  nnd  die  Stadt  Rom  wurde  zur  Beherrscherin 
der  Welt 

Das  römische  Reich  war  indessen  so  groaz  geworden, 
dasz  der  innere  Gegensatz  zwischen  dem  State  und  den 
StAdten  dem  scharfen  Blick  der  Römer  nicht  röllig  entgehen 
konnte.  Jener  uni&szte  die  Welt,  diese  waren  local  be- 
gr&nzt.  Am  längsten  danerte  die  Vermischung  beider  in 
d«r  Organisation  der  Hauptstadt.  Die  Magistrate 
des  römischen  Volkes  waren  zugleich  und  zunächst  Hagi- 
strate der  Stadt,  der  Senat  war  auch  Rath  der  Stadt  Das 
römischeStad  tbörgerrecht  war  die  nothwendige  Grund- 
lage der  politisehen  Betheiligung  an  den  Statsaogelegenheiten. 


nigiti/cdtvCoC^Ic 


448  Eilfl««  Bneli.    Ton  d«D  Q«mdDden. 

Erat  unter  den  Kaisern  Änderte  sich  daa.  Die  COaareD- 
herrschafl  war  eine  reine  StatsinsUtutiOD.  Unter  Änguatos 
wurde  auch  der  Senat  zu  einer  ReichaTersammlung,  welche 
die  Groszen  aas  den  ProTiozen  in  Bich  aufnahm.  EHn  grosser 
Theil  der  Öffentlichen  Aemter  wurde  rein  ststlich;  und  das 
rOmische  BUrgerthum  erweiterte  Bich  im  Verfolge  zu  einem 
allgemeinen  StatsbOrgerthum.  Das  unermessliche  Reich  streifte 
so  die  Form  derStadtrerfaasung  erstab,  als  schon  die  innere 
Lebenskraft  groszentheila  erschOjrft  war  und  Roma  Geschichte 
sich  abw&rts  neigte. 

Froher  war  der  Gegensats  in  den  übrigen  Städten ,  be- 
sonders Ton  Italien,  offenbar  geworden.  Zwar  waren  auch 
aie  ursprttnglich  politische  Ganze,  um  welche  auch  die 
Ortschaften  und  Höfe  des  lindes  umher,  als  um  ihr  rer- 
fasaungsmOszigee  Centrum  gruj^irt  waren.  Auch  sie  hatten 
ihre  Magistrate,  wenngleich  später  nicht  mehr  mit  impe- 
rium,  doch  mit  jurisdieüo.  Die  Ilviri  und  IVviri  sowohl 
als  die  prefaecti  waren  nicht  btoaze  Qemeinderorst^er,  soo- 
dem  zugleich  Statabeamte,  obwohl  ihr  Wirkungskr^  auf 
das  Gebiet  der  Stadt  begränzt  war;  die  Senate  oder  Ca- 
rien,  wie  sie  im  Verfolg  genannt  wurden,  waren  in  klei- 
nem Verbtütnissen  tüinlich  dem  Senate  zu  Rom,  und  dais 
römische  Btirgerrecht  Terband  in  den  Golonieo  und 
Tielen  Unnicipien  die  Bewohner,  in  noch  anderen  Stftdtata 
wmigstens  die  Obrigkeiten  derselben,  mit  der  herrschenden 
Stadt  Aber  wenn  auch  die  Mischung  von  Stadt  und  fitat 
in  allen  diesen  Besiehungen  überall  noch  bis  spAt  wahno- 
ndimen  ist,  w>  war  doch  schon  von  Anfang  an  das  hOhere 
politische  Leben,  die  Statsr^erung  und  Ctesetzgebung  in 
Rom  coneeotrirt,  und  alle  flbrigen  Stfidte  EunOchst  doch  nur 
loeale  Corporationen.  Sie  hatten  nicht  als  eolohe  einen 
unmittelbaren  Antbeil  an  der  Leitung  des  Slatswesens. ' 

'  Tgl.  die  Übenicbtliche  nod  gründliche  DarateDnng  bei  0.  Hegel, 
OcMlildita  der  StadteTccfuniDg  tdq   ItaUeo  Bd.  I,  Cap.  1,  wofte   andk 


iM,Coo<^lc 


£ralw  C^UL    Hi«4Diiache  Erinncnng.  449 

Oniiot  bat  ia  der Trennnag  der  politiacheD  Rechte 
ond  Interessen  von  deo  UunicipaL-In te r esaen  und 
Becbten,  wekb«  in  der  Kaiserxeit  vollzogen  worden,  eine 
Haupturaftcfae  des  Varfo]la  des  römischen  Reicba  »1  erkwmen 
rermeiDt,  und  dieselbe  als  rerderbUch  erklttrt  fUr  den  Stet 
und  die  Gemeinden.  *  Ich  kann  diese  Änsicbt  des  gelehrten 
Statsnonnes  niobt  theilen.  Die  Trennang  der  politiscben 
nnd  der  Oem^ndever&sMng  wurde  in  dem  römischen  Reicb« 
niobt  so  TollstOndig  und  nicht  so  scharf  durchgeführt,  tu» 
in  den  modernen  Stalea  taat  allenthalben,  und  ^ht  du«D 
ist  der  römische  8tat  m  Grande  gegai^ea,  daas  er,  was 
süner  Natur  nach  varschieden  war,  das  politische  Stbtsleben 
und  das  Cultarleben  der  Gemeinde  aueb  in  dem  Ouszern 
Organismos  rersehieden  behandelte.  Als  die  uberniOfiräge 
CentraliaaiiOD  der  gesammten  Statsgewalt  in  dem  absoluten 
KaMertbiun  die  Rechte  aller  übrigen  Glieder  absorbirt  hatte, 
und  jede  Art  roo  politischer  Freibdt  der  Aristokratie  und 
des  Übrigen  Tolks  oiederdrOckte  und  zerstörte,  da  hielt  im 
Gegentheil  die  alte  Uunidpalfreiheit  noch  eine  Zeit  lang 
die  allgera^De  Knechtung  und  das  V^derben  auf.  Erst  seit 
der  Umgestaltung  de«  Bdcb»  unter  Diocletian  and  Cow 
«tant«) ,  nnd  der  Einführung  einer  aus  orientaliBohem  Despo- 
tiantut  und  römisch  •griechiacber  Bureaukratie  gemischten 
Stotsrerfaasuag  sind  denn  auch  die  Freiheit  und  das  Recht 
der  Städte  auletzt  jeder  GemciBdeflelbstandigkeit  beraubt, 
dem  Beamtenbeer  des  Kaisers  völlig  unterworfen,  durcb  die 
Begünstigung  privilegirter  Classen  der  Bevölkerung  ge- 
schwftcht  und  entnervt,  uod  mit  übermässigen  Lasten  der 
Steuern  und  der  -ökonomischen  YeraotwortUchkeit  belegt 
nnd  erdrückt  worden.  Der  Unteiguig  der  StOdte  war  so 
mne  Fo^e  mehr  noch  als  eäae  Ursache  des  politischen  und 

die   gelehrt«!)    ÜDl«micfaDDg«n    Ton    Niebahr,    Savigay,    Walter, 
Pvchta,  Znmpt  n.  a.  w.  beaebtet  sind. 
*  Etcak  na  rhUtoira  de  Frao«  L 
Blnntaohll,  ■ngsmaiiwiSUlarsobt.   Q.  29 


iM,Googlc 


450  GlIftM  Bscb.    Ton  dcD  OnMinden.    . 

ritÜichen  Verderbeas,  welchem  die  getttmiote  Nbüod  und 
der  gsnse  Stat  eriag. 

Der  rOmisohen  Jampradenz  gehört  auch  dieAuIbssoDg 
der  Stadt  als  einer  juristischen  Person*  (corpos,  uni- 
rersitas)  an.  Sie  wurde  so  als  Individaum  betrscblet, 
welchem  als  einem  Ganzen  Vermögen  zakomme.  Diese 
Persönlichkeit,  welche  von  den  Personen  der  einzelnen 
Borger  scharf  unterschieden ,  ond  in  ihrer  Einheit  und  Un- 
tbeilbarkeit  als  Subject  des  Vermögens  gedacht  wurde, 
machte  sich  besonders  auf  dem  Gebiete  des  PriTatreehts, 
mehr  als  auf  dem  des  Statareehts  geltend.  Bie  hatte  ESgen- 
Uium,  Forderungen,  Schalden,  und  wurde  auch  im  Ver- 
kehr und  vor  Gericht  reprftsentirt  durch  ihre  bevollniftch- 
tigten  Stellrertreter  oder  Werkzeuge  (die  Sklaven). 

2.  Wie  dem  römischen  G^te  das  Stadtlebea  ond 
die  Ausbildung  derSt&dte  TOraus  gemAsa  war,  so  entspricht 
dem  germanischen  Oiarakter  TOrzOglich  die  Binricbtong 
der  Landgemeinden.  Italien  war  von  Alters  her  das 
Land  der  StOdte.  In  Deutschland  gab  es  in  den  ersten 
Jahrhunderten  unserer  Geschichte  keine  Städte  —  die  Ger- 
manen verachteten  und  baszten  anfangs  die  Bewohner  der 
römischen  Colonien  und  StOdte,  auch  nachdem  sie  selb«* 
wr  Herrschaft  Ober  diese  gelangt  waren ;  —  wohl  aber  Bind 
die  Landgemeinden  aberall  da ,  wo  sich  germaiiische  Völker 
auf  eigenem  Boden  dauernd  niederlassen.  Sie  sind  daher 
gewöhnlich  alter  als  die  Staten,  %a  denen  sie  nunmehr 
gehören. 

Waren  die  alten  StOdte  gleichsam  pcditiscbe  Individuen, 
so  sind  dagegen  die  alten  Landgemeinden  keine  für  sich 
bestehende  politische  Wesen,  sondern  von  An&ng 
an  in  dem  politischen  Organismus  des  Volkes  und  Landes 
nur  Theile  eines  grOszern  Ganzen,  Abtheilungen  der 
Zenten  (Huntari)  nnd  hinwieder  der  noch  weiteren  Gaue, 
somit  ,G Lieder  des  StatskOrpers.    Aber  sie  waren 


iM,Coo<^lc 


Entn  Capll«).    Hiatoriaehe  Eriiuieriiog.  45| 

selbständige  wirthscbaftliche  Ganze.  Diesz  ist  der 
Chentkter  der  beiden  Qrundformen  der  alten  Landgemeinde, 
sowohl  der  freien  Gemeinde,  als  der  grandherrlicben 
€)emeinde.  Beide  beruhten  utf  der  Eintheilnng  des  Bodens, 
und  hatten  den  Zweck,  denselben  in  geordneter  Welse  ge- 
meansam'  in  bewirthschaften.  Es  gab  dort  wie  hier  at^e- 
gränste  und  den  einzelnen  Familien  zu  besonderem  Rechte 
and  eigenem  Ban  zugetheilte  Güter,  rorzOglich  Aecker  und 
Wiesen,  die  indessen  in  einigen  Beziehungen  auch  wieder 
gemeinsamen  Regeln  der  Landwirthscbaft  unterworfen  waren 
—  man  erinnere  sich  an  die  Zeig-  und  Flurwirthschaft  des 
Drdfeldereystems.  Und  dort  wie  hier  gab  es  aoszer  den 
SondergQtem  grCszere  anvertheilte  Waldi)ngen  und  Weiden, 
welche  TOD  der  Gemeinde  der  Sondei^lsbesitzer  gemeinsam 
benatzt  worden,  auf  welche  die  Gemeiodewirthschaft  sieb 
Torzuglioh  bezog.  Nnr  darin  war  die  Verfossung  derselben 
verschieden,  dasz  die  freie  Gemeinde  auch  zu  dem  TOllbe- 
reehtigten  Volke  gebOrte,  und  daez  unter  ihrem  ursprOog' 
lieh  selbst  erwftblten  Vorstände  die  freien  GrundeigenthUmer 
zusammentraten  und  Über  das  eigene  Recht  selbständig  rer- 
Agten,  während  die  bofhörigen  Lente  ihr^i  Grundbesitü  ron 
der  Gnade  des  Herrn  ableiteten,  durch  seine  Herrsdiaft  m- 
sammengehalten  und  geleitet,  und  nur  durch  ihn  mit  der 
übrigen  Volksrerfessung  vermittelt  waren.  In  den  letztem 
Gemeinden  war  die  Einheit  in  der  Person  des  Orundherm 
an  ihrer  Spitze  schärfer  ausgeprägt  und  mächtiger  als  in 
den-  erstem.  Für  beiderlei  Arten  aber  paszt  der  rOmische 
Begriff  der  juristischen  Person  im  engem  Sinne  des  Wortes 
nicht.  Sie  waren  vielmehr  beide  Genossenschaften,  die 
wohl  in  gewisser  Beziehung  auch  als  ein  Ganzes  sich  fühlten, 
aber  Dicht  als  ein  von  den  einzelnen  Genossen  getrenntes 
und  unabhängige«  Ganzes,  sondern  nur  ab  eine  aus  Jenen 
zusammengesetzte  Gesammtbeit ,  als  eine  organiairte 
Verbindung  der  Genossen. 

n,g,t,7rJM,COO<^IC 


458  EilflM  Bock.    Tod  den  Oemdnden. 

Während  dea  Uittelalters  erlangte  die  Form  der 
gnindherrtichen  Gemeinde  hftnfig  das  Uebergewicht,  nnd 
viele  ursptOnglich  freie  GemeiodeD  bekamen  im  Verfolg 
erbliche  Herren,  und  geriethen  noter  die  Tt^leigewalt  der 
Landesherren  oder  ihrer  Vasallen.  Aber  hinwieder  er- 
warben im  Lauf  der  Jahrhunderte  die  ursptflnglicbeo  Ho^ 
hörigen  feste  und  gesicherte  Rechte  am  Boden,  und  naher- 
ten  sich  insofern  den  freien  Gemeinden.  Sehr  selten  aber 
sind  die  Dorf-  und  Landgemeinden  *a  politischen  Ge- 
meinwesen  erwachsen  nnd  selbständige  6  taten  geworden. 
Wo  das  etwa  geschehen,  wie  zam  Theil  in  der  Bebweiz, 
da  haben  immer  anch  andere,  über  den  Gemtindebaim  hin- 
ausreichende  Verbindungen,  namentlich  die  der  grosseren 
aus  den  Zenten  erwachsenen  Vc^teien  wesentlich  dazn  bei- 
getragen. Die  blosz  locale  und  eng  begrenzte  Bedeutung 
der  Gemeinden  ist  nicht  der  alleinige  Grand  dafDr,  dasz 
sie  sich  in  der  Regel  nicht  zu  eigener  Statenbildung  erhoben 
haben,  sondern  sie  hatten  von  Anfang  an  keinen  Keim 
dieser  in  sich,  und  keinen  Zug  zur  Herrschaft. 

3.  Von  anderer  Art  war  das  Schicksal  der  mittel- 
alterlichen Städte.  Durch  die  Wiederbelebui^  und  die 
neue  Gründung  aahlreicher  Städte  in  Europa  kam  nun  der 
Gegensatz  der  Land-  nnd  der  Stadtgemeinden  zar 
EIrscheinung.  Anfftnglich  war  auch  die  Verfkssung  der 
Städte  noch  ähnlich  der  Verfassung  der  Landgemeinden, 
aber  schon  in  der  ersten  Anlage  waren  doch  die  Zeichen 
einer  neuen  verscliiedenen  Bildung  zu  erkennen.  Wenn  -wir 
aooh  wahrnehmen ,  dasz  sogar  in  ItalieA  die  alte  rOmiacbe 
Hunicipalrerfassung  längst  abgestorben  war,  als  die  Triebe 
einer  neuem  Städlebildung  sich  entfalteten,  und  diese  selbst 
vorzüglich  von  dem  Geiste  germaniscber  Freiheit  und  oor- 
poiatirer    Reehtsbildung    getragen    und    gezeitigt   wurden,* 

*  Die  ftuBgezeichneten  DnterBUcbungeD  C.  Hegels  in  dem  oben  Note  1 
sageiahrleu  Werke  «cheiaen  mir  die  Streitfrage  in  der  HuptMobe  erledigt 


iM,C00<^lL' 


EritM  CifUel.    HMoriMk«  Brinnenntg.  453 

ao  erihnart  doch  manches  wieder  an  deo  ZuBammenban^ 
und  die  Verwand  tMhaft  mit  den  rOmisdien  BtOdten.  Da« 
ADdenken  wenigstens  an  die  Kultur  und  die  Grösse  de« 
rtmisohen  Alterthnms  wurde  wieder  belebt.  Dm  Institut 
der  städtiscbeD  Coosuln  des  Uittelalters,  obwohl  sie  eine' 
Ton  dem  altrjjmiaciien  Consnlat  ganz  rersebiedene  Bedeotun; 
haben ,  besei^  doch  die  Macht  der  Erinnerung  an  die  Herr- 
lidikeit  der  untergegangenen  Vorzeit. 

Die  landwirthscfaafUichen  Interessen,  in  der  erstm  Zeit 
in  vielen  Städten  zwar  noch  beachtet,  waren  do^  nicht 
mehr  massgebend,  die  Bevölkernag  der  Stftdte  bestand  nicht 
mehr  ans  Bauern.  Um  die  Bischöfe  und  die  Abteien  her 
sammelten  ach  die  den  kirchlichen  Anstalten  geweihten 
Diener,  nm  die  Pfolzen  der  Könige  und  um  die  Höfe  der 
Groszeo  die  Verwalter  der  ilinkUnfte  nnd  die  Geftlhrten  des 
vomefamereo  Lebens,  und  um  die  königlicben  Butten  eiiM 
aakireidie  streitbare  HaanschafL  Unter  de«n  Schutze  der  ' 
Stttdte  erwarb  der  Handel  einen  sicheren  Wohnsitz.  Der 
Verkehr  und  die  Gewerbe  Jeder  Art  fanden  da  Nabraog 
und  Gedeihen.  So  waren  es  von  Anfang  die  höheren  In- 
teressen Aeit  öffentlichen  Sicherheit,  Cultur  und 
Industrie,  welche  in*  den  StOdten  gepflegt  wurden,  nnd 
die  der  StAdteberöIkerung  einen  von  der  Bauersame  rar- 
schieden^  Cheraktw  gaben.  Et  konnte  daher  auch  hier 
uiecst  ein  persönliches  ron  dem  Omndbesitz  unab- 
httogiges  BQrgerthum  aufkommen,  und  wieder  wurde  das 
Princip einer  einbütlichen  juristischen  Person  im  Gegen- 
aatae  zur  Oenoasoaschaft^  erneuert,  wenn  auch  auTangs  nicht 
so  abstraet,  wie  die  römische  Jurispnidenz  es  ausgedacht 
hatte. 

Und  Doduoals  werden  wir  das  Streben  der  Städte  ge- 
wahr, aus  öem  Kreise  bloss«  Gemdnden   herauszutreten, 

m  hsbcD.  Tgl.  nao  kuch  Laurent,  Hiat.  dn  droit  des  gcns,  tom.  TU. 
L*  ViodaUl^  et  l'tilgUw,  6.  SO»  ff. 


n,g,t,7.dt,'C00gIc 


jmU  mttM  Btieh.    Ton  den  QflOMiiidai. 

uad  ala  selbstaDdige  politische  IndiTiduen  ein  re- 
publikanisches Statsldbea  auszubilden.  Wieder  miBchteo  sieh 
80  die  BegrifÜB  Stadt  und  Btat.  Aber  msnnieb&ltigsr 
und  ia  auderer  Richtung  als  in  dem  altrömiscb«!  Italien. 
'Es;  war  keioe  Weltstadt  mehr  da,  welche  alle  übrigen  StOdte 
gleichsam  zusammenfassend  die  Einheit  erhielt,  und  der  Zug 
BUT  Herrschaft,  dem  römischen  Charakier  angeboren,  be- 
zeichnet nicht  die  Poliük  der  mittelalterlichen  St&dte.  Ihre 
Freiheit  voraus  wollten  sie  bewahren  vor  der  Herrschaft 
der  Fürsten  uud  dem  Drucke  des  kriegerischen  Lefaens- 
wesens,  und  Unabhängigkeit  strebten  sie  an  vor  jeder 
Einmischung  in.  ihre  öffentlichen  Angelegeuheitui.  Die  Aus- 
breitung ihrer  Herrschaft  je  Über  das  umliegende  Gebiet 
ist  eine  spätere  Phase  ihrer  E^twickelung  und  von  secan- 
dOrer  Bedeutung.  Sie  dachten  erst  daran,  als  sie  ihre 
politische  Selbstregierung  errungen  hatten,  und  ahmten 
dann  hierin  nur  den  kleinern  Seigneurs  und  Landedierräi 
nach,  mit  deren  Macht  sie  gar  wohl  die  ihrige  fflesseo 
durften. 

4.  Einzelne  Städte,  und  vorzüglich  wieder  in  ItaUen, 
haben  im  Laufe  der  Jahrhunderte  ein  groszee  Stat^ebiet 
erworben,  und  sich  so  zu  bedeuteoderea  Staten  erwaterL 
Aber  nur  wenigen  ist  das  gegluckt,  und  znletat  sind  alle 
St&dte,  bis  auf  ein  paar  vereinzelte  Ausnahmen ,  sowohl  die 
welche  nur  eine  republikanische  Selbständigkeit  erlai^ 
als  die  welche  als  Hauptstädte  über  ein  Territorium  Herr- 
Bdiaft  erworben  hatten,  entweder  von  den  grOeaeren  Mon- 
archien, die  in  den  letzten  Jahrhunderten  aul^ewachseo 
sind,  unterworfen,  oder  von  der  modernen  Statenbildui^ 
ihrer  politischen  Hoheit  entkleidet  worden.  Es  ist  diese  Um- 
gestaltung auch  in  Freistaten,  wie  in  den  Kiederlanden  und 
in  der  Schweiz,  vor  sich  g^angeo.  -Die  Allgemeinheit  der 
Erscheinung  —  wie  lange  werden  sich  noch  die  in  Deutsch- 
land allein  zurückgebliebenen  vier  Reichsstädte  als  Stateo 


iM,Coo<^lc 


EnlM  Gk^tel.    Eiilorische  Sriii>erpDg.  455 

erhalteD  kOnneD?  —  ist  ein  UDrerkenubares  Zeichen,  daM 
dem  politiacbeD  Ld>en  lusaerer  Zöt  weder  die  antike  aocb  ' 
die  DiiUe)Bltegrli<Ae  Misohang  von  Stadt  und  8tat  mefar  ut- 
a&gQy  eonderD  daaz  dem  moderneo  State  die  Stadt- 
gemeindo  politisch  untergeordnet  sei.  Die  Aus- 
scheidung folglich  der  politischen  Rechte  und  Inter- 
esses von  den  städtischen  Gemeinderechten  und  Interessen 
ist  wesenüich  das  Resultat  der  neueren  Zeit. 

6.  In  der  absolutistischen  Periode  der  letzten  Jahrhun- 
derte wurden  die  Städte  indessen  in  maDchen  Ländern,  vor- 
Kllglich  in  Frankreich,  nicht  blose  jeder  politiacbeD  Hoheit 
und  Setbstttadigkeit  rollstfiiidig  entkleidet.  Dem  Ubemiäi^ 
tigen  Triebe  der  neuen  einheitlichen  Hacht  des  absoluten 
State  gedtlgte  die  politische  Unterordnung  derselben  nicht. 
Er  griff  weiter  um  sich,  und  wollte  auch  keine  Selbst- 
bestimmung  der  Städte  in  ihren  Gemeindeangelegen- 
heiten  zugeben.  Diese  Richtung  wurde  noch  leidensefaaft- 
lidier  von  der  Rercdotion  befolgt,  welche  zu  Ende  des 
Torigen  Jahrhunderts  Frankreich  umwälzte  und.  ron  da  aus 
£ur<^  amgestaltete.  Hatten  im  Hittelalter  die  StjOdte  zu- 
gleich sich  selbst  r^ierende  Staten  sein  wollen,  so  gii^ 
nun  auch  ihre  corporäüve  OemeindefVeiheit  unter.  Die  Vor- 
stellUDg  kam  zur  Cteltung,  dasz  alle  Gemeinden,  Städte  und 
Dörfer  nur  Statsanatalten  säen.  Das  neue  StatsbU^er- 
recht  verschlang  das  alte  GemeiodebUi^eiTecht,  und  die 
Reste  Ton  Selbständigkeit  wurden  aufgezehrt  von  der  AJles 
umfueenden  und  leitenden  CeolralisätioB.  So  hatte  die  poli- 
tische Ueberhebai^  der  Städte  in  ihr  GegenÜieil,  in  volt- 
stftndige  Abhängigkeit  derselben  in  allen  IMngen  umge- 
schlagen. 

6.  bi  der  neeeeten  Zeit  endlich  sehen  wir  nach  man- 
cheriei  entgegengesetzten  Schwankungen  ein  gewisses  Gleich- 
gewicht hei^estellt,  welches  die  Gemeinden  in  ihrem 
Kreise  als  selbständige  Wesen   achtet,   und   zugleich 


iM,Coo<^lc 


45fi  vom  Bb<A.    Tob  den  OmOmltm. 

die  poUtiecheUeberordnvng  des  Siats  wtfart. «  Dieter 
foitschriU  datirt  haupMtefaüeh  seit  d«r  preusBischen 
StAdleoidBUag  TOB  180S,  einem  Weriia  da  Mimtete  flteia. 


Zweites  Oapitel 

Die  rechtliche  Natar  der  OemeindeD. 

Der  Rttokblick  eof  die  Sehicksale  der  Gemmoden  ia 
der  Weltgeschichte  eotliOllt  ans  die  wahre  Katar  deraelbCHi, 
die  in  dem  modenien  Statsrecfate  mdir  und  meiir  zo  allge- 
meiner AnerkenDODg  zu  kommeo  ecbeint. 

1.  Dem  neaereo  Stete  gemfisz  iat  es  rorerrt,  dan  die 
sUomtlicfaeD  (ilemeindeo  in  demselben  In  Harmonie  gebraekt 
werden  mit  der  Statsverfbrnung ,  und  den  ätalsgewalten  in 
allen  politieciten  Beziehungen  untergeordnet 
seien.  Er  ertragt  ea  nicht,  dasz  eine  RecbtegemeiiMoh^ 
der  Art  als  eigene,  auf  sich  beruhende  politische  Madt  ge- 
wiwermaBzen  ausserhalb  der  dffiantlicheu  Veifcsaung  stehe, 
wie  eäae  ImmunitAt.  Denn  w  umfosit  und  ordnet  das  go- 
sammte  politiAeba  Dasein  der  Nation  und  ihrer  Tbeile. 

AU  einfttche  Folgen  dieses  Orundsatiea  lassen  neb  diese 
Bestimmungen  ableiten: 

a)  dess  neue  Gemeinden  nur  mit  Zosfimmang  des 
Btata  gebildet  werden  dOrfea;  denn  da  dieselben  itBoterbin 

*  Wie  Rottek  (coniL  Sutar.  v.  Aretia.  III,  S.  31)  dam  hat  kommen 
können,  auch  „Bnsere"  OemeiadeD  „Staten  im  Kleinen'  in  nennen, 
welche  .mit  andera  Oemdoden  nad  mit  EinidtMn  mm  giO»t*ra  Stet 
TMiint*  iind,  vKre  nnbegreiflieh ,  wüaitMi  mraieht,  wlaaebr  inaenenr 
Zi«it  die  Neigong,  den  Stat  von  nnten  -herauf  durch  ZuMmtnenaihlnii 
and  Aneinanderreihen  Mgar  der  Individuen  zu  coDalmiren,  and  so  cum 
Prodnct  des  Tertrages  lu  machen,  «ich  vieler  Eäpfe  in  Qestalt  der  ln- 
«vidMlien  Freikd*  Uatftchtigt  and  dlwallMa  Terwirrt  hat. 


iM,Coo<^le 


ZwdtM  Ca^toL    Die  rMhtUahe  UMw  ^w  -OeinelDden.         457 

eoeh  eine  OflenHiobe  Bedentui^  habiui,  da  sie  nueh  GHieder 
dc0  Stslakörpere  sind ,  so  üt  diMer  bwechtigt,  bei  der  Eap- 
atebang  doselben  mibuteden",  und  die  Rechte  uod  Ister- 
etsen  de«  Qauteo  zu  wahren; 

b)  daaz  die  Oesetzgebaag  des  State  auch  dieGrond- 
iflge  der  GemeiDdeTer&wuDg  au  ordaeo  und  je  aaeh  den 
ZeitTerblLltninea  abmADdem  du  Recht  habe,  und  ivrar  mit 
grosserer  Freiheit  al«  in  rein  privatreohtlichen  Dingen; 

c)  dam  der  Statigewalt  swar  nicht  noibwendig  ein 
Vormundediaftsrecht  Qber  die  Gemeiaden,  aber  jedenfalls 
cüt  Anfaichtareobt  aber  dieselben  gebühre,  dorch  welchea 
ikt  die  VeranlaaaQng  geboten  und  die  errorderUdien  IfiUal 
gewSlut  werdttn ,  die  Hannonie  mit  dem  State  and  die  poli< 
tiache  Unterordnung  der  Oemeindcn  unter  denselben  zu  er- 
balten, und  einer  fiatartnng  dar  Oeraoiade  oder  dem  liiaz- 
bvaacb  ihrer  Rechte  entgegen  lu  wirken. 

d)  Der  Katar  der  Gemeinde  als  eines  Gliedes  aoob 
im  Statskörper  entspricht  es  femer,  wenn  auch  dieStata* 
Terfasaung  als  solche  in  die  Organiaatäon  derselbHi  bioab- 
leöcht,  s^  es  dasi  den  Glemeiiiden  eine  Repriaentatioii  auch 
in  den  Kammern  verstattet  oder  gewisse  Wahlen  fUr  die 
hfiherem  Rätbe  aaeh  Oemeioden  geordnet  werden,  aei  ea, 
daaa  fttr  die  Gemeinden  untere  .Statabearote  beateilt  werden 
Mu  AuattbuBg  der  atatliebea  Fanetionen.  Der  Zaaammen- 
hang  der  Gnneinden  mit  dem  State  wird  durch  aolche  Ein- 
iichtnngen  fortwftlarend  in  lebendiger  ThAti^eit  erbaken. 
Dieser  zieht  aas  jetMm  friste  Sftfte,  und  erfüllt  hinwieder 
die  Giemänden  mit  seinem  GeiMe. 

£•  ist  daher  ganz  passend,  weon  in  neuerer  Zeit  fatafig 
das  ganze  Statagebiet  in  Gemeiadekreiae  at^etbeilt  wird,  so 
daaa  auch  die  HOfe  and  Ölenden,  die  in  dem  mittelalter- 
lichen State  auszerhalb  der  Gemeindeverfhssung  standen,  in 
die  Ordnung  derselben  eingefllgt  werden. 

2.   Einsütig  übertrieben  ist  abw  die  Meinung,  welobe 


iM,CoO<^lL' 


aSB  mUM  «Mb.    Tj»  4an  Oaneindtt). 

in  den  OeneandaD  nur  Anstalten  des  Stati  und  nur 
Olieder  des  Statskörpera  sieht.  Die  Gesobicbte  der 
Gemeinden  seigt,  da»  dieselben  httuflg  älter  sind  sogar  als 
dje  Staten,  denen  sie  zugehOreo,  und  meistens  nicht  von 
oben  her  und  von  dem  gensen  State  aas  gegrftndet  wurden, 
Boodern.  eher  tod  unten  anf  aas  der  AnsammluDg  vi^er 
Familien  um  einen  Mittelpunkt  derCultnr  oder  aus  genossen- 
schaftlicher Verbindung  der  nachbarlichen  Grundbeeilcer. 
Ebenso  ist  die  Bestimmung  der  Gemeinden  zunächst  nicht 
eine  tätliche,  sondern  TOoraus  eine  auf  Cultur  und  Wirth- 
Hchaft  gerichtete.  Die  Geinände  steht  demnach  in  der 
Mitte  zwischen  dem  Individuum  und  dem  State,  dem  Kreise 
des  Privatlebens  und  dem  des  politischen  Lebens.  Sie  um- 
fiaezt  die  gemeinsamen  Cultur-  und  Wirthschafts- 
beziehDDgen  eines  Ortes,  die  hinwieder  mit  den  Privat- 
interessen der  Bewohner  dessdben  eng  versehlungen  sind. 
Das  ist  ihr  principaler  Oharakter.  Zugleich  aber  vermittelt 
sie  das  VerhtUtniss  des  Orts  und  seiner  Bewohner  zum  State. 
Das  ist  die  zweite  Seite  ihres  Wesens. 

Weil  80  die  Gemeinde  eine  Bedeutung  tut  eich  und  «n 
ügenes  Leben  hat,  so  ist  sie  auch  eine  Persönlichkeit 
und  iwar  eine  von  dem  State  verschiedene  FersOn- 
liehkeü.  ^  Sie  hat  ihr  eigenes  Recht,  eigenes  Vermögen,  eine 
besondere  Wirksamkeit  Weszfaalb  sollte  sie  hier  nicht  ihxcr 
Freiheit  sich  erfreuen  und  selbstAndig  ihre  Angedsgenheiten 
verwalten?  Die  tigentiiche  VormandscbaA  hat  nur  da  guten 
Gmod,  wo  es  der  bevormundetMi  Person  an  der  Fähigkeit 
gebricht,  fQr  sich  selber  zo  sorgen.  Dia  Huläbedilrftigkeit 
dieser  ist  die  rechtliche  Voraussetzung  joner.  Wie  sollte 
nun  die  Gem^de  nicbt  so  zu  -organisiren  sein,  dasz  die 
▼otlj&brigen  M&mer,  die  ihr  ang^öreo  und  ihre  Angelege»- 

*  Brater  im  DeaUcben  Suta Wörterbuch,  Art  GendDde:  „Die  Q«- 
meinde  iat  der  Organftmn»  der  Ortlfcben  OeroelDsebart  wie  der 
Bf*  itt  OrgBalunm  der  TolktgeffleiDacheft.« 


iM,Coo<^lc 


Zweitet  Q^iltel.    Die  reehtliehe  Vatnr  d«r  0«iiieindeD.         45S 

heilen  Terwalten,  auch  tahig  sind,  nach  eigener Einncht  die 
gemeiDasmeQ ,  ihren  PriTBtrerbftItDissen  naheliegenden  la- 
tereseen  zu  bestogen?  Wie  aollten  aäa  denn  der  Vormund- 
schaft der  Statabehörden  bedürfen?  Unter  noch  barbarischen 
oder  io  Öffentlichen  Dingm  rtflUg  uDgeUbten  Völkern,  oder 
wo  etwa  liederlichkeit  oder  ähnliches  Verderbnisz  eingerissen, 
mag  die  Vonnnndschafl;  des  State  wohl  nOthig  sein.  Dem 
narmaleu  Zustande  der  Gemeinde  aber  sagt  nur  die  8elb- 
atfiudigheit  dersel^n  als  Regel  zu.  Allerdings  nicht  eine 
absolute,  weil  die  Geioeit>de  nicht  allein  eine  Persöotichkeh 
ftlr  sich  ist,  aber  eine  durch  die  Statsnrdaang  und  die  Auf- 
sieht der  B^erung- beschrankte. 

8.  Wie  der  G^^isals  der  Stande  iu  neaerer  Zeit  vi^- 
fitltig  Terwischt  worden  ist,  ungeachtet  die  Verschiedenheit 
der  Lebeas-  nod  Benibweise  noch  in  grossen  Zogen  erkenai- 
bar  ist,  so  ist  auch  der  Untersdiied  der  Stidte  und  der 
Landgemeinden  in  den  neueren  Staten  oft  nicht  weiter  be- 
achtet worden.  Zwar  gibtra  wirklich  Oegendon,  in  weh:hen 
die  städtische  Cultur  aoch  auf  das  Land  rerpflanzt  worden 
ist  und  stadtische  Sitten  in  den  DOrfera  geObt  werden,  und 
mandie  beeoDders  kleinere  Stftdte,  die  nur  mit  Roekaicht 
auf  ihre  ältere  Geschichte  und  etwa  well  sie  mit  Kauern 
Tersehen  waren  als  Bttldte' gelten,  wahrend  die  Art  ihres 
Daseins  und  L^»ena  sie  den  Dörfern  gleidistellt  Aber  im 
Grossen  besteht  der  natürliche  Gegensatz  dennoch  fort,  and 
die  Stadtgemeinde  hat  in  manchen  Beziehungen  eine 
andere  Natur  als  die  Landgemeinde, 

Die  Landgemeinde  haftet  näher  an  dem  Boden,  de» 
Ton  den  Genossen  derselben  bebaut  wird.  Sie  lebt  in  enge- 
rem Verk^r  mit  der  äuszem  Natur  des  Landes,  und  breitet 
ihre  Sorge  weit  umher  darDber  aus.  Cultnrswecke  sind  ihr 
zwar  nicht  fremd.  Die  Kirche  vornehmlidi  überragt  das 
Gemeindehaus.  Die  Gemeinde  stiftet  und.  unterhalt  auch 
Schalen   für    die  DorQugend.     Aber  ihre  «gentliebe    und 

•n,5,t,7i.dt,CoOgIc 


460  BUflM  B«]).    Von  äta  e«meliidcD. 

HaupUbOägkeit  ist  die  gemeiiMiuQe  Wirthschftft,  die  Borge 
Ar  die  gemdoen  Waldangen  and  Weiden,  fUr  die  Wege 
und  Sitege,  iQr  die  Bronnen  und  Feuerlöet^anstallen ,  fBr  die 
Reinlichkeit  md  Ordnung,  fUr  ihr  VermOgeB.  Du  Prindp 
der  Nützlichkeit  ist  du  mUBgebende,  auf  die  FrOefate 
vorsQglich  ät  der  Sinn  geriditet  Dw  Dorf  begnttgt  aiok 
mit  dem  Anst&ndigen;  sein  Streben  gebt  siebt  auf  höhere 
Oultur  in  Kunst  und  WissenschaA.  Nicht  der  Handel  naeh 
allen  Richtungen  und  in  allen  Dingen,  Mndem  die  gleid»- 
mäsdge,  dem  Boden  engewendete  Landwirthschaft  beztieh- 
net  die  Art  seines  Daseins. 

Die  Stadtgemeinde  dagegen  wird  anf  Uäntfun 
Baume  zu  r^oherem  und  hOfaerem  Leben  vereinigt  und  er- 
hoben. Die  Verbindung  mit  dem  Boden  wird  gdoekert,  die 
Personen  acblienefi  sich  persönlich  zusammen;  der  corpora- 
tire  Trieb  wirkt  in  ihr  einheitlicher  und  energischer.  Wenn 
in  der  Landgemeinde  das  gefioesenschaftliche  Prineip 
noch  angemessen  erscheint,  so  pasEt  fUr  die  Btadt  das  Piin- 
cip  der  reinen  juristischen  Person  besser.  Die  Land- 
wirthsobaft  kann  sich  in  der  6tadt  nicht  erbalten.  SoU  sie 
gedeihen,  so  musx  sie  hinansgedrtagt  waden  auf  das  Land; 
nur  die  feinere  Gartencoltor  findet  in  der  Stadt  einen  Plals. 
Dag^eo  werden  in  ihr  die  Berufkwrtsea  überaus  mannieh- 
fliltfg.  Oewerke  aller  Art  werden  in  ihr  nieht  etwa  nur  von 
Bänzelnen,  sondern  voa  ganien  CSaasen  der  Bevölkerung 
betriebea.  Der  Krambandel  Inetet  seine  Waaren  da  feil, 
und  befriedigt  die  kleinen  Bedurftüsse  eines  grosaea  Kruses 
auch  ausserhalb  der  Stadt  Der  Groszbandel  wählt  in  ihr 
sdnen  ätz,  and  spannt  von  da  aus  das  Netz  seiner  Geschäfte 
ober  die  Welt  hin.  Die  Eonste  und  die  WissensohaAen 
finden  neb  ein,  und  v»«deln  das  Leben.  Höhere  Schulen 
werden  dabin  verlegt.  Der  Stat  selbst  nimmt  mit'sonen 
bedeutenderen  Anstallen  da  seiue  Residenz.  Es  Ist  klar, 
desB  das  alles  einen  gewaltigen  EinQoaz  auf  die  hebeaswiiao 


iM,Coo<^lc 


Zwdut  CapMeL    Die  rMhtiiehc  Natur  dv  Oemranden.         Ml 

der  »tMtiwbeo  Bevölkerung  und  aar  die  ganze  Natur 
und  Form  der  Stadtgemeinde  haben  mnsz.  Die  Bedeolnng 
der  Wirtbsdnft  tritt  in  ihr  in  den  Hiatargmad,  die  Riefa- 
tang  auf  höhere  Culturinteretsen  dagegen  hervor.  Die 
Stadt  nUiart  «ich  d^ier  nodt  mehr  dem  State  an.  In  andern 
Beüefaungen  aber  sind  hänwiedor  Stadt-  nod  Landgen^de 
einander  gleidi.  Sie  haben  b^de  Antheil  an  der  Selbsttta- 
digheit,  welche  den  Gemtioden  Ubearbaupt  gebührt  im  Ver- 
Utltaiez  «■»  State  and  an  der  GemeindebreiheU,  die  sidi 
tbeild  in  d«r  Autonomie,  d.  h.  der  Selbstgeaetzg^Hing 
innerhalb  des  Gemeindebereichee  tbeils  in  der  Selbstver- 
waltung der  Oemeinde  und  ihrer  Organe  ftusiert. 


Drittee  C^teL 

Organiamna  der  Ldndgeineinde. 

1.  Das  Leben  der  Landgemonden  ist  einfi&eli,  der  Auazem 
Natur  nahe,  gleicbmllssig,  schlidit  Ihre  Verraasung  mun 
diesem  Charakter  gemfiaz  sein.  Eben  daher  hat  sie  auch 
in  ihrem  gesunde«  Zustande  einen  Zug  zu  demokratischer 
Einrichtung.  In  der  altd^lschen  ik^en  Gemeinde  traten, 
•o  oft  es  nöthig  schien,  die  tnien  Grandeigentbttmer  der 
Gemeinde  (die  MarkgeBoeaen)  »nsammen  nnd  foszten  ihre 
Beschlösse  unter  dem  Vonritae  des  Decans,  Dorf^fen,  Bauer- 
■pdstai«,  Sohulaen  oder  wie  sonst  ihr  Vorstand  noch  genannt 
werden  mochte,  und  adbst  anf  dön  Ghundharrsohaftea  ver* 
sammelte  sich  naish  AosbUdung  des  Hofte^ts  die  Gemeinde 
der  hofbörigen  GrundbesitBer  regelrnftsüg  unter  der  Leitung 
des  Grundherrn  oder  seines  Stellvertreters  des  Haiers  oder 
Kellers.  Die  Gemeindeversammlung  der  Dorfgenosseo 
und  der  Gemeindevorstand  sind  noch  die  beiden  Ongane 


iM,Coo<^lc 


463  EiltlM  Bnoh.    Von  dm  a«mei»d«i. 

der  Geaieinde,  welobo  ihren  BedQrßiisBen  gewöhnlich  ge- 
Bügen.  Die  Aufläsang  jener  in  den  letsten  Jahrhnnderten 
war  nicht  ans  nattlrlichen  Bedürfoissen  herbeigefUhrt  wt^den, 
aondem  lediglich  eine  Folge  der  alles  freiere  Leben  erttAe»- 
den  HeriBcbsocht  jener  Zeit,  die  doicfa  die  ZersUrang  der 
Oemeindefreiheit  die  allgeniäDe  AuflOaung  and  die  RatoIu- 
titm  de«  guura  State  hinwieder  vorbereitet  hat.  Die  Bei- 
oidnoBg  eine«  ständigen  Gemeinderathes  zu  dem  Gemeiode- 
▼ontand  dagegen  war  eine  natOrli^e  Fortbildang  dieses 
Oi^aos,  den  gesteigerten  Ansprüchen  der  neoven  Cultur 
gem&ez. 

2.  Der  Dor^mdnde  ist  es  nattirlioh,  wenn  die  Ge- 
rn eindever  Sammlung  vorzuglich  aus  den  auf  Grund 
and  Boden  angesessenen  Genossen  tteeteht,  d..h.  weno 
das  active  GemeindebUrgerrecbt  vomehtnlich  den 
Grundbesitzern  in  dem  Gemeindebann  zusteht.  Im  Grossen 
und  Ganzen  ist  diesea  Sjstem  iQ  Deutschland  und  Eng- 
land<  zum  Theil  überliefert,  zumTheil,  freilich  mit  Modifi- 
cätionen  wieder  bergeatelU  worden.  Insbesondere  werden 
den  Gruodbesilsem  zu  Eigenthum  noch  andere  Qassen  bei* 
geordnet,  iosbesoodere  die:  Handwerher  and  Ertbner,  die 
ihre  Gewerbe  auf  eigene  Rechnung  treiben ,  oder  die  at^- 
leiteten  Gmedbesittw  zn  Pacht  (Erbpacht  oder  länger  d«uern- 
der  Zeitpacht). 

Wena  also  auch  die  Ltfmdbauem  als  der  eigentliche  Kern 
der  Landgemeinde  zu  betrachten  sind,  so  mscbt  es  -doch  die 
Ausdehnung  der  ladnstrie  und  dar  Cultur  auch  auf  die  Ltuid- 
•chaft  nnmt^Iieb ,  die  Landgemeinde  in  der  alten  Form  eiotf 
Uosz^i  Bauemgemeinde  'festsuhalten. 

3.  Am  weitesten  in  der  «itgegeogesetiten  Richtong  ist 
das  französische  System  gegangen,  indem  es  auch  in  den 
Lendgemeindeu  das  Bürgerrecht  völlig  von  dem  Gnindbesiti 

■  Tgl.  RetiBud,  dentvcliea  Prlrair.  I,  |.  IBl.  Oetterreiohtsehei 
Q«i«lDdag«Mli  Ton  1M9.    Bngliiekes  vqb.  18». 


n,g,t,7rJM,COOglC 


*  Drittel  C^tel.    OrgäntamiiB  der  Landgemeinde.  U3 

abgelCst  hat,  und  BOgu  in  deib  StatsbUrgerrecbt  dergestalt 
hat  untergehen  lassen,  dasz  es  keine  berechtigte  Versamof 
long  der  GemeindebOrger  niehr  kennt.  Die  Landgenieinde 
wie  die  Stad^eineinde  erscheint  denn  nur  als  eine  an  den- 
Ort  g^Düpfte  juristische  Persönlichkeit,  in  welcher  die  Glie- 
der, die  GemeindegenoBsen  gleicfasam  Terschwinden. 

Im  Grunde  ist  da»  Zerstörung  nicht  Organisation  der 
Gemeinde,  als  einer  selbetAndigen  Körperschaft. 

4.  Ein  anderer,  ToraQglich  in  Preuszen  ausgebildeter  Ge- 
danke ist  die  Umwandlung  der  Grundbesitzergemeinde 
in  die  Ein  Wohnergemeinde.'  Das  heiszt  die  TheilDahdie 
an  den  GemeindeTersammlnngen ,  dnd  Oen^eindeangelegen- 
heiten  wird  lediglich  oder  hauptsächlich  von  dem  Wohnort^ 
d.  h.  TOD  der  dauernden  Verbindung  mit  dem  Orte  abhängig 
gemacht.  Es  ist  dann  nur  von  secundärem  Belang,  wenn 
anszerdem  tat  das  Stimmrecht  noch  weitere  Erfordernisse, 
wie  ein  gewisses  Alter,  Steuerzablnng,  persönliche  Sellntan- 
digkeit  und  dei^leichen  verlangt  werden.  Auch  die  Ein- 
wohnergemeinde  kann  mehr  oder  weniger  demokratisch  or- 
ganisirt  werden.  Wenn  aber  kein  Unterschied  beachtet  wird 
zwischen  Hausvätern  and  Söhnen,  Heittem  und  Knechten, 
Gewerbetreibenden  und  Taglöhnem,  Fabrikherren  und  Fabrik- 
arbeitern, sondern  das  Stimmrecht  gleichm&szig  auf  alle  Per- 
sonen  ausgedehnt  wird,  auch  auf  die,  welche  an  der  dauern- 
den Wohlfohrt  der  Gemeinde  nur  ein  vorübergehendes  und 
geringes  Interesse  haben,  und  bei  Gemeindesteuern  fast  gar 
nicht  in  Mitleidenschaft  gezogen  werden  können,  so  entsteht  . 
hier  eine  nicht  geringe  Gefahr  für  die  Gemeinde  und  ihre 
Hausväter,  deren  Abwendung  kaum  anders  als  durch  eine 
verstärkte  Statscontrole  möglich  ist.    Gerade  das  Interesse 

>  Die  prearaiscbe  QemeiDdeordDung  vom  11.  HL&n  18S0  ist  auf  du 
Bjatem  der  Einwohaei^ineiadeD  gebaut,  Iftait  aber  nicht  klle  Einwohner 
als  QemdndewUiler  m,  •ondarn  awe  die,  wekbe  entweder  Qran^Miti 
haben  oder  wenigateiu  2  Thalar  directa  JUrlkbe  Steuer  beiahlen  ($.  i). 


iM,Coo<^lc 


464  EiUlM  Bach.    Toa  d»  OemeiBdHi. 

der  OnneindefreHieit  empfiehlt  Tonncht  in  der  AosdebDung 
des  Stimmrecht«. 

H'.  Aof  einem  eigeath&mlieheD  Priocip  berabt  die  Ver- 
fossang  der  perBönlicheD  BürgergemeiDden  io  rieleo 
Gegenden  der  Schweiz  oad.  auch  in  manchen  sQddeat* 
sehen  Lttodeni. >  Dieselbe  ist  swsr  aueh  abgelöst  worden 
▼on  dem  Zoaammenhang  mit  dem  Gnmdbesitzand  der  An- 
aftszigkeit  Es  ist  das  ältere  reale  Princip  mit  dnem  per- 
sönlichen  vertauscht  worden.  Aber  indem  nch  die  6e- 
meindeburgerschaft  vorztlgUch  nm  der  Pflicht  fttr  die  Armcai- 
pflege  willen,  welche  sie  für  ihre  Glieder  zu  tkbemebmen 
hatte,  corporaÜT  abscbloss,  so  dasz  neae  Ankömmlinge 
nnr  durch  Bezahlung  einer  Eiafaaufssumme  in  das  Gemeinde- 
gut  nnd  Aubabme  der  Bürgerschaft  in  diese  eintreten  konn- 
ten, so  wurde  das  ganze  Btirgerrecht  zu  einun  persönlich 
erbliehen  Rechte  aller  derer,  die  aus  Bargerfamilien  ab- 
stammten ,  hatten  sie  nun  selber  Grundbesits  oder  niobb 
Die  BOrgeigemeinde  wurde  so  gewissermaseen  selbst  zu  einer 
groszen  Familie,  welche  in  den  Kindern  und  Enkeln  sich 
stets  emenemd  fortlebt  Die  BQiger  werden  unter  einander 
durch  ein  Band  der  Pietät  Terbunden,  welches  fast  hält, 
auch  wenn  ihre  Wege  sie  trennen,  und  der  eine  da,  der 
andere  anderswo  sich  niederläszt.  Das  Bürgerrecht  wird  za 
einem  Erbgute,  das  auf  die  Nachkommen  Ubeigeht,  und 
verbindet  die  Interessen  nnd  selbst  die  Ehre  der  auf  Jahr- 
hunderte hin  lebenden  Gemeinde  mit  der  For^anzung  des 
Blutes  und  den  beigen  Beziehungen  des  Familienlebens. 
Der  Mensch  bat  ein  anderes  GlefQhl  von  der  Bedeutung  des 
Bürgerrechts,  je  nachdem  dieses  nnr  einen  loealen  Chiuid 
hat,  wedl  er  gerade  jetzt  in  einer  Gemeinde  wohnt,  oder 
einm  persönlichen,  weil  er  mit  seiner  Familie  ihr  [Ur  immer 

*'Tgl.  Blnntjchli,  ZUrdterisehe  BMbtageMhlchte  U,  S.  68  ff.  und 
da*  Q«Uoliteii  flbor  die  RaorguiiaktlaD  dot  Owndodwu^uw  Im  S«ntoa 
Barn  TOB  BlOach  von  1861. 


nigiti/cdtvCgC^Ic 


DriUea  Capitel.    OrganlBiuDS  der  Landgemeinda.  465 

doroh  daa  Biet  verbunden  ist.  Der  patriotische  BUi^ersinn 
wird  in  dem  letztem  Gefühle  eher  Siftrkung  nnd  Anregung 
finden ,  als  in  dem  erstem.  Wenn  aber  dieses  System  keine 
Rücksicht  mehr  nimmt  auf  die  BeeiebuDg  zum  Boden  und 
Wohnsitz,  und  die  Abschlieezung  der  persCnlichen  BUi^er- 
scbaft  EU  enge  wird ,  so  wird  hinwieder  die  ebenfalls  natQr- 
liche  Bedeutung  der  Gemeinde  ftlr  einen  bestimmten  Ort 
übersehen,  und  es  bildet  sich  allmfthlich  neben  der  znsam- 
mmschrumpfenden  und  absterbuiden  Btlrgerschaft  eine  zahl- 
reichere Einwohnergemeinde,  welche  mit  jener  tlber  die 
Stellvertretung  der  Ortsinteressen  in  Streit  gerftth.  Da  die 
Gemeinde  doch  wesentlich  eine  Organisation  der  Ortsgemein- 
Bchaft  und  die  BelHedigung  der  Ortsinteressen  ihre  nächste 
Soi^e  ist,  so  empfinden  die  dauerhaften  Einwohner  es  als 
ein  Unrecht,  dasz  sie  von  dem  Stimmrecht  ausgeschlossen 
werden,  und  die  Borgei'schaft  wird  wie  eine  grundlos  pri* 
vilegirte  Classe  beneidet  und  geheszt.  Auch  jener  Geist  der 
Engherzigkeit,  der  Beschrftnkibeit,  der  Selbstsucht,  des  Hoch- 
muths,  stellt  sich  ein  und  umfangt  den  absterbenden  alten 
Stamm,  wie  ein  Geflechte  von  Schmarotzerpflanzen. 

Je  beweglicher  das  Leben  der  beutigen  Welt  geworden 
ist,  um  so  gröszer  ist  auch  die  Veränderung  in  den  Gemein- 
dan. AltbUi^r  ziehen  weg,  und  lassen  sich  anderwärts  blei- 
bend nieder,  Fremde  ziehen  bereiu  und  suchen  hier  eine 
neue  Heimat  In  einem  oder  ein  paar  Menschensltern  bat 
^ne  neue  Einwanderung  die  alten  StammbUrger  verdrfingt 
oder  an  Zahl  überschritte.  Da  ist  es  unmöglich  das  Prin- 
cip  der  persönlichen  Bitrgei^emeinde  unverftndert  fest  zu 
halten,  und  es  wird  eine  Ausgleichung  mit  dem  Princip  der 
Einwohnergemeinde  unvermeidlich. 

6.  In  manchen  neuern  Gesetzgebungen  wird  die  per- 
sönliche Seite  des  Boi^enrerbandes  theils  durch  die  Auf- 
nahme aller  activen  Burger  in  die  Gemeinde,  tbeils  durch  An- 
erkennung dnes  Anrechts  der  BUrgerkinder  auf  Aufnahme. 

Blanticbll.  ■llgHoelnes  BuUrecbt.   IL  30 

nigiti/cdtvCoC^Ic 


4QQ  Eilft««  Bach.    Ton  deo  Gemeinden. 

gewährt  und  der  localen  Seite  desselben  dadurch  Rech- 
DUDg  getragen,  dasz  der  Antritt  des  Güterrechts  alleö 
offeu  steht,  oder  zur  Pflicht  gemacht  wird,  welche  durch 
Besitz,  Beruf  oder  Wohuort  in  eine  dauernde  Verbindang 
mit  dem  Ort  eingetreten  sind. 

7.  Gleiches  Recht  der  Vollbürger  in  der  Ge- 
meiDderersaaimlung  ist  natürlich  gewöhnlich  anerkannte 
Regel,  und  die  Mehrheit  der  anwesenden  und  stimmenden 
Bürger  erzeugt  den  Willen  des  Ganzen.  Aber  auch  diese 
Regeln  sind  keine  absoluten.  Wenn  einzelne  Burger  in  der 
Gemeinde  sind,  welche  an  Verminen  und  Ansehen  über 
die  grosze  Zahl  hervorragen,  wie  das  in  alten  aus  der 
Gruodherrschaft  herroi^gangenen  Gemeinden  regelmfiszig 
der  Fall  ist,  wo  der  Grundherr  selber  nunmehr  als  Gemeinde- 
bürger seinen  vormaligen  Gmndholden  zur  Seite  gestellt 
ist,  oder  wie  das  auch  in  neuerer  Zeit  Öfter  vorkommt^ 
wo  Fabrikherm  auf  dem  Lande  Hunderte  von  Arbeitern  be- 
'schäftigen,  von  denen  ein  groszer  Theil  neben  jenen  Ge- 
meindebürger sind :  so  erfordert  jene  Ungleichheit  immerhin 
eine  Berücksichtigung.  Vorzüglich  nOthig  erscheint  diese  mit 
Bezug  auf  Beschlüsse  über  die  Ausgaben  und  Gemeinde- 
steuern, damit  nicht  eine  Mehrheit  von  Personen  auf  Un- 
kosten vielleicht  des  einzigen  oder  weniger  Reicher  in  der 
Gemeinde  willkürliche  Verfügungen  treffe.  Der  gesundä 
Sinn  der  altgermanischen  Gemundever&ssung  'hat  solcher 
Ungleichheit  darin  einen  verfassungsmfiszigen  Ausdruck  rer- 
schafft,  dasz  den  aristokratischen  Gliedern  der  Gemeinde  in 
dem  vorbereitenden  und  hinwieder  ausführenden  Rathe  ein 
erhöhter  Einflusz  veretattet  wurde ,  und  es  kann  dieses  Vor- 
bild auch  für  die  Rechtsbildung  unserer  Zeit  noch  als  ein  . 
beachteoswerther  Wegweiser  angesehen  werden.* 

8.  Das  zweite  noch  weniger  entbehrliche  Oi^an  ist  der 
Gemeindevorstand,  welcher  für  die  laufenden  Geschäfte 
und  Interessen  der  Gemeinde  soi^t  und  ihre  Angdegenfadten 

-  n,g,t,7rJM,.COO<^IC 


Dritte*  C&pitd.    Oi^nimia*  der  Lutdgcoiieinde,  4g7 

leitet  Äncb  da  sind  die  neuereo  Terfessungen  sehr  rer- 
schiedeo.  Der  Natur  der  vollfräen  LandgemeiDde  und  ihrer 
Beziehimg  «im  State  enUpricbt  es, wohl  am  ehesten,  wenn 
des  Torstand  von  der  GemeiDdeversammluDg  oder  To4,'dea 
OemeindeaDsschttseea  frei  erwftblt  wird.  Denn  theils  ist 
ihre  Natur  wirklich  demokratisch,  theils  wird  in  soleber 
Wahl  die  Seibstftodigk^t  der  Gemeinde  in  ihrer  eigenen 
Wirthschaft,  d.  h.  ihr  Lebensprineip  dargestellt  und  ver- 
wirklicht Dea  schio£Fsten  Gtegeasatz  dazu  bildet  das  fran- 
zösische System,  welehes  die  Gemeindevorstfinde  (Uaires) 
durch  die  Statsregiemng  bestellen  Ifiszt  und  ganz  abhänge; 
von  dieser  macht  Eher  kann  es  gerechtfertigt  werden,  wenn 
der  gewählte  Vorstand  nur  insofern  sein  Amt  antreten  und 
die  Ctemeinde  auch  in  ihren  Beziehungen  zum  State  reprfi- 
sentiren  darf,  als  er  auch  von  der  Statsgewalt  anerkannt, 
d.  b.  von  dieser  keine  Einspreche  gegen  sdne  Person  ge-; 
macht  worden  ist. 

9.  In  der  Regel  steht  dem  Vorstände  ein  Collegium 
von  Gemeinderäthen,  AusschQssen,  Uanioipalrft- 
tben  zur  Seite,  w^che  sowohl  in  der  Besorgung  der  Ge- 
schäfte und  in  der  Verwaltung  der  Gemeindeangelegenbeiten 
dem  Vorstande  helfen,  als  denselben  in  seiner  ThäÜgkett 
controliren.  Sie  sind  ein  Auszug  der  BUi^erschaft,  gemacht 
im  Hinblick  auf  die  Gemeindeintereseen.  Die  Wahl  derselben 
aus  dieser  und  durch  diese  ist  daher  hier  die  gewOhnlicbe 
Einricfatung  und  den  Verhältnissen  ganz  gemfiae.  Nor  stellen 
die  einen  Verfiusongea  höhere  Anforderungen  an  die  Wähl- 
barkeit, während  die  andern  die  Wahl  in  der  ganzen  Bür- 
gerschaft ohne  solche  nähere  Begränzüng  und  Bestimmung 
frei  geben. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


fjg^  EUflea  Bück.    Von  den  QeiBeind«ii. 

Tiertee  CapiteL 

Org&aiaUtoQ  der  Stadium  ei  nden. 

1.  Das  Leben  der  Stadt  ist  manoicbfaltiger  nod  cod- 
centrirter  zugleich.  In  ihr  saninelD  sich  die  Hassen  in  enge 
Gruppen.  Die  Interessen  der  Industrie  und  der  höheren 
Cultur  steuern  die  Ansprüche  an  die  städtische  Verwaltung. 
Die  Gegensätze  innerhalb  der  städtischen  BevClIierung  in 
Bildung,  Beruf,  Vermögen  treten  sit^tbar  hervor,  und  ver- 
langen Beachtung.  Wohl  haben  kleine  Städte  grosse  Äehn* 
lichkeit  mit  den  Ijandgemeinden  und  kOunen  fUgÜch  durch 
dieselbe  einfach  -demokratische  Ver&ssungs/örm  befriedigt 
werden.  Aber  in  den  gröszereo  Städten,  in  welchen  der 
städtische  Charakter  vollständiger  ausgebildet  ist,  wird  na- 
tui^emäsz  auch  die  Verfassung  complicirter  und  werden 
höhere  Bildungen  Bedlirfnisz.  Die  städtischen  Uagietrate 
(BUrgermeiater  und  Stadträthe  oder  Schöffen)  sind 
■swar  im  Sinn  der  neueren  Fortbildung  des  B«cht8  nicht 
zugleich  hohe  Statsbeamte,  wie  in  der  früheren  Zeit,  als 
die  Städte  zugleich  Staten  waren-,  sondern  nur  der  Stadt 
dienende  Vorsteher,  städtische  Gemeindebeamte;  aber 
das  höhere  Amt  erfordert  schon  umfassendere  Geschäftskunde 
als  in  den  Landgemeinden ,  und  nimmt  die  ganze  Thätigkeit 
eines  Hannes  in  Anspruch. 

Die  Henge  der  Bürger  und  Einwohner  ist  schon  zu 
zahlreich  und  die  Individuen  sind  Uberdem  zu  sehr  mit  ihren 
Gewerben  beschäftigt,  um  die  vielerlei  städtischen  Gemein- 
ioteressen  unmittelbar  und  gemeinsam  ordnen  zu  können. 
Daher  bedarf  es  hier  einer  Stellvertretung  derselben 
durch  BUrgerausschtlsse,  Stadtverordnete,  wei- 
tere (grosse)  Stadträthe  u.  dgl.,  welche  zwischen  den 
Magistraten  und  den  Bürgern  steht.  Auch  für  die  demo- 
kratisch geordnete  Stadt  kommt  ao  in  der  ReprftsentaÜon  ein 

rmn'n-.;GoOg\c 


Viertes  CiplMl.    Oi^uiiMtloii  der  Stadt^emeiDden.  466 

aristokratisches  Moment  hinzu.  Id  dem  römischen  Allein 
tham  war  die  ganze  Stadtverfhssung  aristokratisch,  in 
dem  Hittelalter  zu  gutem  Theil  ebenfolls,  in  der  Gegenwart 
ist  die  demökratiBche  Ver&ssung  wenigstens  darch  äne  der- 
artige, zu  der  Natnr  der  Stadt  passende  Beimischnng  er- 
mfiszigt. 

Endlich  ist  die  Bfii^rschaft  selbst  so  rielgestalüg,  daas 
sie  hftufig  entweder  nach  dem  Vermögen  in  Classen,  oder 
nach  den  verschiedenen  Wohnsitzen  in  Quartiere,  oder 
nachdem  Bemfe  in  Corporationen  und  Zünfte  getheilt 
wird.  Der  persönliche  Charakter  des  städtischen  Bürgerrechts 
Iftfizt  hier  manliherlel  Formen  der  Verbindnng  zu. 

2.  Die  Stttdtefreiheit  im  Mittelalter  kam  Überall  dann 
in  Blttthe,  als  sie  im  G^ensatze  zu  der  dynastischen  oder 
bischöflichen  Stadtherrschaft  nnd  den  von  den  Stadtherren 
.gesetzten  Vögten  in  den  Consuln  nnd  Räthen  ^ne  ans 
denr  städtischen  Leben  berroi^egangene  und  der  BOi^er- 
scbaft  selbst  als  Spitze  angehörige  Magistratur  berrortrieb. 
Es  war  das  nicht  mehr  Herrschaft  von  auszen  Qber  die  Stadt^ 
sondern  freie  Selbstbestim  mung  und  Selbstverwal- 
tung der  Stadt.  - 

In  Frankreich  iat  diese  Freiheit  unter  der  Herrschaft 
des  absoluten  Eönigtbums  zu  Grunde  gegangen  und  von  der 
Revolution,  welche  die  Centralisation  der  öffentlichen  Ge- 
walt noch  steigerte,  keineswegs  hergestellt  worden.  Auch 
die  französischen  Städte  haben  Maires,.  die  gewissermeozen 
Prftfecten  im  Kleinen,  und  voraus  Organe  der  Statsgewalt 
und  von  dieser  gew&hlt  sind.  Sie  sind  Stalsbeamte  für  die 
Gemeinde,  nicht  Gemeindebcamte.  Nur  die  Uunlelpal- 
rftthe,  welche  vorzaglich  mit  Rücksicht  auf  die  Verwaltung 
des  Gemeindevermögens  ihre  Meinung  fluszem  und  gelten 
machen  können,  vertreten  einigermaszen  selbständig  die  Ge- 
meindeiuteressen. 

In  Deutschland,  in  der  Schweiz,  in. England  und 


iM,Coo<^lc 


470  EUfte^nch.    Ton  den  Oemtinden. 

Nordamerika  dagegen,  also  vonUgli«^  in  den  geraftniecheD 
Landern  bat  steh  ein  Selbständiger  stodtiseber  Hagisbet  ent- 
weder bis  auf  unsere  Zeit  erhalten ,  oder  ist  in  Hnsem  Tageo 
wieder  hei^iestelU  worden.  lu  Deotechland  war  ia  den  letzten 
Jahrhunderten  der  st&dtiscbe  Bath  häufig  auch  da,  wo  er 
nicht  in  rOllige  Abhängigkeit  von  den  Fürsten  und  Herren 
gwathen  war,  zu  einem  Coll^um  ztisammM^chnimpft, 
welches,  von  dem  lebendigen  Zusammenhang  mit  der  BQr- 
gerschaft  iosgerieeen ,  nun  eich  selber  ergänzte.  In  sich 
selber  beschrankt  aber  faszte  er  dann  auch  die  stadtischen 
Interessen  in  beschränktem  und  engherzigem  Sinne  auf,  und 
gerieth  aus  innerer  Schwache  wiederum  in  knechtische  Ab- 
hftngigkeit  von  den  Stat^ewalten.  In  solcher  (Tebnndenbeit 
kann  ein  edler  gemeinnQbdger  Bürgersinn  nicbl  gedeihen. 
Die  prenszische  StOdteordnung  vom  Jahr  1808,  in 
den  Zeiten  der  politischen  Erniedrigung  das  Vertrauen  auf 
spätere  nationale  Erhebung  und  die  ErOfte  zu  dieser  stär- 
kend, brach  fUr  Deutschland  wieder  einer  besseren  Richtung 
Bahn,'  erneuerte  den  Zusammenhang  der  Magistrate  mit 
der  BQi^;erschaft,  weckte  in  beiden  ein  QefUhl  der  Selbstän- 
digkeit und  Ehre,  und  regte  das  Streben  an,  durch  An- 
strengung der  agenen  Kraft  fUr  die  öffentliche  Wohliiihrt 
der  Gemeinde  besser  zu  sorgen.  Aehnlicbe  Beformen  fanden 
spater  in  vielen  andern  deutschen  Staten  statt.  Die  Magi- 
strate wurden  wieder  von  den  Ausschassen  der  Bfl^er  oder 
den  Bürgerschaften  frei  gewählt  Sowohl  die  Bewegung  von 
1830  als  die  von  1848  war  der  freien  Entwicklung  derGe- 
meindeverfessung  günstig.  Die  deutsche  Reichsverfassnng 
von  1848  S-  184  stellte  das  allgemeine  Princip  auf;  „Jede" 
Gemeinde  hat  als  Grundrecht  ihrer  Verfassung  a)  die  Wahl 
ihrer  Vorsteher  und  Vertreter,  b)  die  selbständige  Verwaltung 

'  Vgl.  Dablmauni  Poliük  1,  S.  220.  Savigny:  Die  praoHiiche 
StädtoordDUng  in  Ranke's  poliliadier  Zeitschrift  I,  S.  389.  P«rti  in 
Stein«  Leben  II,  S.  150  S 


im,Coo<^Ic 


Tierlef  C&pltel.    Organiaation  der  Stadtgemeinden.  471 

ihrer  Angele^Dheiten  niit  Einschluaz  der  Ortspolizei,  upter 
gesetzlich  geordneter  Oheraufsicht  des  State."  Nun  wur- 
den io  Oesterreich  (17.  M&rz  1849)  und  in  Preuszen 
(11.  H6rz  1850)  neue-  allgemeine  Qemeindeordnungen  er: 
lassen,  welche  diese  Grundsätze  im  Einzelnen  ausführten^ 
aber  in  beiden  Ländern  in  der  Periode  der  Reaktion  wieder 
Hemmnisse  und  Aenderungen  erlitten. '' 

3.  Schon  imUittelalter  und  in  der  Lombardei  wird  eine 
Fortbildung  der  Stadtrerfassung  dadurch  bezeichnet,  dasz 
über  der  Hehrheit  der  Consuln  oder  anstatt  derselben  ein 
Podesta  sich  erhob,  und  so  die  Oberleitung  der  Stadt  in 
die  Hand  eines  einzigen  mächtigen  Magistrates  gegeben 
wurde.  Freilich  hing  das  wieder  zusammen  mit  den  Be- 
ziehungen der  Stadt  zum  Stat ,  sei  es  dasz  der  Kaiser 
durch  Elmennung  des  Podesta  sein  Ansehen  und  seine  Macht 
über  die  Stadt  erneuern  wollte,  oder,  was  dann  der  ge- 
wöhnlichere Fall  wurde,  dasz  der  ron  der  Stadt  selbst  ge- 
wählte Podesta  3  die  etatliche  Hoheit  der  Stadt  darstellte. 
Aber  auch  unter  der  Voraussetzung,  dasz  die  Stadt  nicht 
zugleich  Stat  sei,  ist  es  doch  dem  modernen  SlSdteleben 
förderlich,  wenn  aus  dem  Collegium  der  Magistrate  und 
Stadträtbe  eine  Individualmagistratur  in  dem  Btlrgermei- 
ster  oder  Stadtprftsidenten  (in  England  dem  mcgor) 
emporsteigt,  und  hinwieder  der  höheren  Einheit  der  Stadt 
zum  Oi^ne  und  zum  Stellvertreter  dient.  Das  Princip 
städtischer  Selbständigkeit  erfordert  es,  dasz  auch  er  haupt- 
sächlich ein  Magistrat  der  Stadt,  nicht  ein  Statsbeamter  sei, 
und  das  in  der  Wahl  der  Stadt  ausgesprochene  Vertrauen 
derselben  flkr  sich  habe.  Aber  es  ist  keine  Verletzung  cTieaes 
Prindps,  wenn  auf  der  andern  Seite  der  Stateregierung  eben- 
fitlls  ein  gewisser  EUnflusz  auf  die  Besetzung  dieses  Amtes 
eingeräumt  wird,  sti  es,  indem  sie  das  Bestätigungwedit 

'  Tgl.  Braler,  Art.  OemeiDde  &.  a.  a.  0.  §.  126. 

■  Tg).  Hegel  a.  a.  O.  0,  8.  244  ff.  ; 


,iP<.-jM,Googlc 


472  ESlRet  Bach.    Ton  den  Cknttinden. 

oder  sogar  ein  Ernennungsreclit  auf  Vorschlag  der  Stadt  in 
Anspruch  nimmt.  E^ine  derartige  Betheiligung  d«e  Stataober- 
hauptes  bei  der  EJmeniiuDg  der  Bürgermeister  findet  sich  in 
manchen  deutschen  Stalen,  und  in  Holtand  und  Bel- 
gien.' Sie  ist  besonders  da  gerechtfertigt,  wo  derselbe 
ausser  den  städtischen  Interessen  auch  statliehe  Functionen 
zu  besorgen  verpflichtet  ist 

4.  Die  gesttigerten  CulturbedOrfnisee  der  Stfidte  haben 
flberdem  noch  mancherlei  städtische  Aemter  aaszer  dem 
eigentlichen  Stadtmagistrate  ine  Dasein  gerufen,  welche  für 
die  Verwaltung  und  Vertretung  derselben  wichtig  gewordenr 
sind.  Beispielsweise  ist  Tielleicht  an  die  „Sapieit  tes"  in 
Italien, <>  die  „Wit:£igen'*  in  Deutschland  während  des  Hit- 
telalters, jedenfalls  aber  an  die  froher  so  überaus  einflusz- 
reichen  Stadt-  oder  Rathschreiber  zu  erinnern.  In  der 
älteren  Zeit  waren  sie  Tomehmlich  iu  dem  Besitz  der  wis- 
senschaftlichen und  Rechtsbildung  ihrer  Zeit,  und  vor  allen 
andern  vertraut  mit  den  Geheimnissen  der  Archive  und  der 
Kunst  der  Schriftsprache.  Heutzutage  noch  beruht  ein  guter 
Theil  der  städtischen  Ordnung  und  Ueberlief^rung  auf  dem 
Institut  der  städtischen  Kanzlei,  obwohl  die  wissenschaftliche 
und  Geschäftsbildung  nun  weniger  selten  geworden  ist.  Fer- 
ner an  die  Urkundsmänner  (recorders)  in  England,  und 
die  Rechtsconsulenten  und  rechts  gelehrten  Bei- 
sitzer in  deutschen  und  schweizerischen  Städten.  Dbzq 
kommen    noch  viele  mit  einem   besondem  Wirkungskreise 

*  Kach  der  preasiiachen  Qemnndeordnun^  yom  11.  Wkn  18S0 
|.  81  bedUrfen  die  vOd  den  (weiteren)  OemeiDderttthen  gewäblten  ßürgtr- 
meiBler  noclt  der  Best  itignng  der  Regierang.  Nftoh  der  holiandischea 
SlädleordnuDg  TOm  4.  JaD.  1624,  nad  nacli  dem  belgiachen  OemeiDde- 
geaeti  Tom  30.  Win  1836  wird  der  BOrfermeialer  vom  Kttnige  dort  ans 
den  von  den  Wahlnännem  der  BUrgn-  gewählten  Ralhagliedero ,  hier 
etteoso  ans  den  Hi^liedern' des  von  den  BQrgern  nnmitlelbar  gewfthlien 
Cooaeil  ernannt 

'  Vgl.  Hegel  U,  8.  WJ. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


Tl«rtM  Captt«).    OrganiMtion  der  Stadtgemdiideii.  473 

Tecsebene  Beamte,  welche  einer  wissenschaftlichen  oder  tech- 
nischen  Vorbildung  dafOr  bedOrfen. 

5.  Die  Stellung  der  Magistrate  in  der  Gemeinde  ist  ähn- 
lich der  der  R^erung  im  State.  Auch  sie  leiten  das  öfi^nt- 
liche  Leben'  der  Giemeinde,  lind  soi^en  tue  die  tftglichen 
BedDrfnisse  und  die  wechselnden  Geschäfte  derselben.  Aber 
was  im  State  zur  poliüschen  Gewalt  (Imperium)  gehoben 
ist,  das  ist  hier  nur  Verwaltung  und  Sorge.  Dahin  ge- 
hören reg^lmfiszig:  die  Antragstellung  und  Vorberei- 
tung  Rtr  GemeindebeschlQese  und  Statuten,  und 
die  Leitung  der  Versammlungen  d^  Gemeindeaus- 
schUsse  oder  der  GemeindebDrger,  die  Vollziehung  der 
Stat^esetze  innerhalb  des  Bereichs  der  Oemeindeverbftltnlsse 
□nd  der  GemeindebeaehlQsse,  die  Verwaltung  des  stfidti- 
sehen  Vermögens,  die  Borge  Ar  die  städtischen  Cul- 
turanstalten,  die  Pflege  für  das  Armenweaen  der 
Gemeinde,  die  Stellrertretung  der  Stadt  in  dem  State, 
Tor  Gericht,  und  gegenQber  dritten  Personen.  Ganz  passend 
wird  auch  zuweilen  die  nächste  oberTormundschaft- 
liche  Pflege  den  Gemeindemagistraten  anvertraut,  welche 
sowohl  den  Familien  der  Gemeindeborger  nahe  stehen ,  und 
schon  aus  diesem  Grunde  Teranlaszt  und  vorzüglich  tähig 
sind,  fOr  das  Wohl  derselben  zu  sorgen,  theils  weil  8i&  als 
Verwaltungsmänner  eher  als  die  Gerichte  geeignet  sind ,  das 
Nützliche  zu  erkennen  und  zu  thun.  In  der  Sphäre  der  po- 
lizeilicben  Functloaen  berühren  sich  statliche  and 
städtische  Befiignisse  und  Bedürfnisse.  Offenbar  reicht  der 
Arm  der  Statspolizei  hinein  in  die  Gemeinde.  Die  Veribl- 
gung  der  Verbrecher,  welche  von  Stats  w^en  geschieht, 
die  Sorge  lur  die  Sicherheit  und  Wohlfahrt  des  States  Ober- 
haupt musz  innerhalb  der  Gemeinde  geübt  werden.  Ausser^ 
dem  hat  aber  auch  die  Stadt  selbst  ein  loyales  Interesse 
(Ur  öffentliche  Ordnung,  Wohlfahrt,  Sicherheit,  welches  hin- 
wieder den  Stat  nur  mittelbar  berührt    Zuw^en  hat  man 


iM,Coo<^lc 


474  Eilftea  Bach.  -Ton  den  0«meItideii, 

die  b^deo  Arten  der  polizeilicbeo  Tbätigkeit  in  der  Weise 
ausgeschieden,  daez  die  erstere  durch  besondere  Stats- 
Ueamte  in  der  Gemeinde  ausgeübt  wird,  und  dut  die  letz- 
tere den  Stadtbeamten  überlassen  wird.  lo  vielen  Staten 
aber  halt  man  es  fUr  einfticber,  die  beiderlei  FunctioneD 
der  stodtiscben  Magistratur  zu  übertragen,  diese  dann  aber 
in  der  ersteren  lUchtung  der  höheren  Statspolizei  strenger 
unterzuordnen.  Wo  die  St&dte  eine  herrorragende  Bedeu- 
tung haben  für  den  Stat,  tvie  insbesondere  in  den  Haupt- 
nnd  Residenzstädten,  wOcbst  das  BedUrfnisz  des  Stats, 
die  Handhabung,  seiner  Polizei  daselbst  nicht  allein  den 
StadtbehOrden  zu  Uberlaasen,  sondern  eigene  Organe  für 
dieselbe  eu  bestellen.  Unbedenklicher  ist  es,  wenn  der  Stat 
die  rorhaodenen  städtischen  Aemter  benutzt,  um  durch 
sie  innerhalb  der  Gemeinde  auch  die  Statssteueni  zu  er- 
heben. 

6.  Wie  die  Krone  der  städtischen  Ver&ssung,  die  Ua- 
gistratur,  mannichfaltiger  und  reicher  sich  gestaltet  bat  aU 
in  dw  lAudgemeinde,  so  ist  auch  die  Bildung  der  Wurzeln 
und  des  Stammes  derselben,  das  st&dtische  Bürger- 
recht,  compUcirter.  Zwar  beruht  gerade  auf  der  Eini- 
gung der  verschiedenen  Bestandtheile  der  Bevölkerung,  die 
siid)  in  den  StOdten  zusammengefunden ,  die  Institution  dw 
Bürgerschaft.  Wir  wissen,  wie  dieselbe  während  des 
Uittelalteia  entstanden  ist,  und  immer  mehr  Kreise  der  Be- 
yölkerung  mit  ihrem  gemeinsamen  Geiste  wfOllt  und  ver- 
bundeo  bat*  Aber  die  allerdings  nothwendige  Einheit  er- 
fordert keinesw^  die  Auflösung  der  verscbiedenen  Ele- 
mente, sondern  nur  ihre  Verbindung,  und  offenbar  ist  der 
Organismus  gesunder  und  lebensvoller,  welcher  nicht  die 
ganze  Masse  gewissennasaen  in  einen  gleichen  flüssigen 
Brei  umge^ossoi  hat,  sondern,  ohne  die  Einheit  des  Ganzen 

*  Vgl.  oban  Bnch  U,  Cap.  1^     . 

rmn-n-.;GoOg\Q 


Ti«rtw  ,C*|rftd.    OrgaBiwtlOD  4er  9t»dtffe«ietndeD..  4?5 

SU  geflUirden,  die  versehiedeDbrUgen  Theile  hipwieder  ihrer 
Katar  gemftss  erst  anterscheidet  ufid  dana  zuaammeDfäsat. 
Besonders  Air  groeze  StAdte,  deren  llieUe  selber  wieder 
eine  relative  fiedeutoDg' haben,  ist  die  letalere  ElnrichtuDg 
wttnscheoawtt^.  Die  Geschichte  eeigt  uns  in  fVubem  Jahr- 
bu'odwten,  in  der  Zeit  des  Aubcbwungs  der  '8t&dte,  eiae 
Reihe  von  Bei^ielen  der  Art,  die  aaob  tat  die  gronentbeils 
verkommene  StftdteTer&seung  unserer  Zeit  als  Vorbilder 
di^en.  Auf  der  einen  Seite  haben  die  neaero  Städte  vrieder- 
nm  and  noch  in  höherer  Weise  als  frQher  fUr  Kanst  und 
WissraiBdiaft,  fttr  den  Handel  und  die  Gewerbe,  fUr  das 
gesellige.  Leben  und  jede  Cultur  eine  sehr  herrorragende 
und  einflnssreiche  Bedeutung  gewonnen;  auf  der  andern 
aber  sind  die  grossen  StOdte  auch  die  Glieder  im  Stat»- 
kOrper  geworden,  welche  die'  soci«Iea  Uebel  der  Gegeowart 
TOrztIglich  hervorbringen  und  reroiebren,  die  politischen 
GfthruDgsstofite  in  sich  sammeln  und  erhitnen,  und  da  sie 
selber  leicht  entzündet  werden ,  auch  den  gansen  Stat  in 
eine  fieberhafte  Stimmung  yersetzen.  K^ne  O^^isation 
der  Stadtbevölkerung  ist  stark  genug,  diese  Uebel  nnd  Ge- 
fahren ganz  zu  beseitigen;  aber  eine  gute  Organisation  der- 
selben würde  beide  vermindern,  nnd  indem  sie  die  sittlichen 
and  gesunden  Elemente  krftftigte,  jene  eh»  bewältigen  helfen. 
Der  grOszteTheil  der  stMtiscbui  Bevölkerung  ist  nfther  und 
unmittdbarer  interessirt  bei  der  WoUfhhrt  der  Stadt  und 
bei  ihren  loealen  Anstalted  als  an  dem  State,  und  »ehr 
viel  mehr  BDrger  haben  eher  ^  YersUndnisz  fUr  das  was 
jener  noth  thut,  als  für  das  was  dieser  bedarf.  Die  Tbeil- 
nahme  an  den  stAdtischen  Angelegenheiten  ermuntert  den 
Gemeinsinn,  belebt  den  Eifer,  fllr  öflbntKcbe  Zwecke  Zeit, 
Ufkhe,  Geld  zu  o[rffem,  mächt  vertraut  mit  den  Schwierig- 
keiten aller  grOszeru  Angelegenheiten,  und  sehärft  die  Ein- 
siebt  fOr  die'  umfassenderen  Statssachen.  Eine  Bürger- 
schaft, die  in  sieb  wohlgeordnet  ist,   und  gelernt  hat  über. 

n,g,t,7rJM,COO<^IC 


47^  Ellftea  Baeb.    Ton  des  Qeinefndeii. 

ihren  eigenen  gemeinen  Haushalt  mit  reratAndiger  Freiheit 
zu  urtlieilen,  wird  auch  ftlr  den  Stat  jederzeit  eine  M>ride 
Stutze  sein. 

Da  der  Beruf  der  Stftdte  nieht  wie  der  der  Landge- 
meinden auf  die  Bebauung  des  Bodens  gerichtet  ist,  so  be- 
greift es  sich,  wenn  das  stüdtieche  Bürgerrecht  entweder 
von  Anfong  an  oder  im  Verlaufe  der  2ieit  unabhängig  roa 
dem  Grundbesitz  geworden  ist,  und  persönliche  und  cor* 
porative  Rocksichten  einen  grOezeren  Einflnsz  erlangt 
beben.  Es  gibt  freilich  Länder,  in  denen  auch  das  städtische 
Börgerrecht  noch  auf  dem  Grandbesitz,  oder  gewöhnlich 
dem  Besitz  eines  Hauses  tn  der  Stadt  beruht  Jeden- 
fells  Terdient  auch  die  Rocksicht  auf  Hansbesitz  Beachtung, 
wenn  es  sich  um  die  Oi^anisation  der  Boi^erschaft  handelt, 
denn  die  Hauseigenthumer  haben  ein  grosses  und  dauern- 
des Interesse  an  der  Wohlfahrt  der  Stadt  und  derTretfüch- 
keit  der  städtischen  Anstalten,  und  sind  in  der  Regel  ein 
sehr  solider  Bestandtheil  der  städtischen  Bevölkerung.  Bs 
ist  daher  ein  zwiefaches  üebel,  wenn  Böi^rrecht  und  Haus- 
besitz sich  dergestalt  trennen,  dosz  es  viele  Hftuseigenthdmer 
in  der  Stadt  gibt,  die  nicht  Borger  derselben  sind,  und  die 
borgerlichen  Hausbesitzer  Oberdem  von  der  Masse  der  Obri- 
gen  besitzlosen  BOi^erschafl  hinwieder  leicht  überstimmt 
werden.  Aber  ausser  den  HauseigenthOmem  gibt  es  doch 
noch  andere  Beslandtheile,  die  nicht  minder  auf  Beachtung 
Anspruch  haben.  Das  englische  Statsrecht  hat  auf  diese 
andern  dessen  so  Röcksicbt  genommen,  dasz  es  zwar  äaa 
Erfordemisz  des  Grundbesitzes  festhielt,  aber  diesem  im 
Geiste  der  deutschrechtlichen  Vorstellung  von  Besitz ,  welche 
richtiger  als  das  rOmische  Recht  jedes  thatsächUche  Herr- 
BChaftsverhaltnisz  der  Person  Ober,  die  Sache  als  Besitz  er- 
kMint  and  schätzt,  den  ausgedehnteren  Sinn  beilegt,  wor- 
nach  auch  der  Pacht-  und  Mietbbesitz  eines  Wohngemachs, 
eines    Waarenlagers    oder    eines   Ladens   darunter  begriffen' 


iM,Coo<^lc 


TiartM  C*pU«L    OifsulMtioii  der  Stadtscmeindeu.  477 

wild.  ^  In  Bayern  und  io  Oesterreich^  vrird  dein  Haus- 
eigenthum  der  Besitz  eines  besteuerten  Gewerbes  zur 
Seite  gestellt,  und  dadurch  der  atfidtisehe  Handel  und  das 
Handwerk  directer  in  den  Kreis  der  Bürgerschaft  herbei- 
gezogen. Dagegen  werden  noch  manche  andere  selbstän- 
d^e  Personen,  die  in  der  Btadt  dauernd  wohnen  und  ein 
natürliches  Interesse  an  dem  OBentlicben  Wesen  derselben 
haben,  vorzUgUch  Beamte,  Gelehrte,  Künstler,  Capitalisten 
ohne  Hausbesitz  und  Gewerbe,  also  gerade  der  in  manchM 
Beüehung  intelligenteste  und  angesehenste  Tbeil  des  hohern 
BOi^erthums  auszerhalb  dieser  Corporation  gelaasen,  nicht 
zum  Vortbeil  der  Gemeinde. 

In  einzelnen  deutschen  und  schweizerischen  SlAd- 
ten  haben  sich  aus  früherer  Zeit  noch  die  Zünfte  als  cor- 
poratire  stftdtiscbe  Genossuischaften  und  als  Theile  der 
Bürgerschaft  erhalten,  in  viel  mehreren  ist  in  Folge-  d« 
verftoderten  Gewersbefugnisse  und  der  umgestalteten  Stats- 
Ter£assang  diese  Organisation  aufj^lCst  worden. 

Die  preuszische  Geset^ebung'  legt  auf  den  Wohn- 
ort den  Hauptnacbdruck.  Jeder  Preusze  ist  von  Rechtes 
wegen  aoch  „Gemeiodew&hter,"  der  innerhalb  der  Ge- 
meinde wohnt,  und  gewisse  Eigenschaften  be»tzt,  insbeson- 
dere „Selbständigkeit,"  d.h.  „einen  eigenen  Hansstand" 
hat,  und  einen  je  nach  Umstanden  n&ber  bestimmten,  aber 
nicht  ganz  unbedeutendrai  Steuerbeitrag  entrichtet  (zwei 
Thaler  directer  Steuer).  Der  Vorzug  dieses  Systems  der 
Einwohnergemeinde  ist  der,  dasz  dasselbe  alle 
selbstfiodigen  und  zugl^ch  rermi^lichea  Theile  der  BerOl- 
kerung   um&szL     Die  HAagel   desselbMi   sind,   daaz   diese 

*  Oeaelz  vom  9.  8«pt.  ]8S6  (Rüssel),  SDgexdgt  in  Vitterniaiers 
Zeitachr.  Till,  8.  35  ff.,  8.  215  ff. 

*  Bft7eriBeli«i  Qeseto  vom  17.  Mfti  1818.  Oest«rr«lchiicbee 
von  1849. 

'  Qeaete  vom  11.  H&ra  16&0. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


478  ElUtoff  Bd^.    Tod  d«&  GeEMind». 

-nnnnterschiedene  Hasse  der  Wählerschaft  niehi  corponJÜT 
gegliedert  ist,  uad  des  hAafigen  Weehsek  des  Wohnortes 
wegen  in  ein  unstfttes  Schwanken  gertUb,  und  dasi  die 
^anze  Bevölkerung  so  in  swei  sich  entg^^nstehecde  Classen 
Ton  Tennöglicben  und  onTermßgliohen  BinwohBeni-  geidicK 
den  wird.  Ein  besoaderes  stftdtitehes  fiOrgerrecbt 
im  eigentlichen  Sinne  ^t  t»  da  nicht  mehr.  Die  Befäg- 
nisse  der  Bürger  sind  gewissermasieD  dann  blosse  Äeosie- 
mugen  and  Folgen  des  StatsbQrgerthums,  das  nar 
durch  den  WohnsitB  snm  StodtbOrgerrecbt  wird. 

Eän  fthnlicbee  System  besteht  in  Holland  <^  und  in 
Belgien,"  wo  das  StadtbUrgOTrecbt  durch  das  Statsburger- 
reebt  TollstOndig  aufgelöst  and  besdtigt  worden  ist.  Nur 
wird  das  Steoeverftwdemisz  ftlr  die  „GemeindewOhler*  noch 
mehr  gespannt.  Frtther  sdion  ist  in  Frankreich,  diese 
neue  Richtung  ringest^lagen,  und  Uberdem  die  selbständige 
-Verwaltung  der  StAdte  ron  Qrund  aus  zerstört  worden.  Die 
Gefahr,  dasz  der  Stat  die  Glemeindeo  ungebtlhrliefa  beTor- 
innnde,  ist  (^fenbar  nttber,  wenn  es  kein  besonderes  Orts- 
bflrgerreCht  mehr,  sondern  nur  ein  StatsbOrgerrecht  gibt; 
denn  tbdls  kann  sich  daanzumal  in  der  Einwohneracbaft 
der  StAdte  weniger  leicht  ein  e^enthomlicber  Geist  der 
städtischen  Selbständigkeit  und  Freiheit  entwickeln,  tfaeits 
Terwechselt  man  leicht  die  Doppelstellung  der  StatsbOi^er 
im  State  und  in  der  Gemeinde,  und  wird  eher  rarleitet  von 
jenem  Standpunkte  aus  auch  die  Ang^egenheiten  dieser  zu 
bestimmen. 

Was  frßber  "  über  das  persOnlich-erbliobe  Bürger» 
recht  in  der  Schweiz  ges^  worden,  gilt  anoh  hier  too 

•*  Qtmeu  vom  4.  Jan.  1834.  Vgl  Hittermalera  ZdtMfar.  TU, 
8.  370  ff. 

•'  Geeeti  vom  30.  Httri  1836  nnd  vom  7.  April  1843.  Ebenda  ZT, 
S.  376,  XTI,  8.  116  ff. 

■■  Oben  Ckp.  3,  8.  660. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


Vierlee  Capitel.    OrgkniwtiOD  der  Stadtgemelnden.  479 

den  St&dteo.  Ee  iet  einleachtencl ,  dass  diese  Form  einer 
fRiDilienAfanlicbeD  TerbiDdaag  eher  noch  fUr  BtBdte  als  fbr 
Landgemeinden  aich  eignet,  und  daher  begreiflich,  da«s 
sie  frOher  in  jenen  als  in  diesen  angenommen  wurde.  Aber 
auch  da  wird  dasselbe  in  Folge  der  grossen  Beweglichkeit 
der  heutigen  Welt  anf  die  Dauer'  nicht  mehr  zU  halten  sein, 
wenn  es  nicht  auch  der  Bedeutung  des  Wohnsitzes  mehr 
itechnuDg  tH^t  als  t^her. 

Anch  in  diesen  Verhältnissen  hat  das  „allgemeine 
Stimmrecht"  die  Verwirrung  der  organischen  Verhält- 
nisse Tollendet,  und  auf  unnatürliche  Weise  der  unselb- 
ständigen Menge  zu  ihrem  eigenen  Schaden  das  Ueber- 
gewicht  in  den  iMogen  g^eben,  deren  richtige  Behandlung 
höhere  Einsicht  und  reichere  Lebenserfahrung  nicht  ent- 
behren kann,  und  nur  denen  zukommt,  die  durch  ihM 
Lebensstellung  unmittelbar  bei  derselben  intereasirt  ^d. 
-  '  7.  In  den  meisten  neueren  Staten  sind  der  Bürger- 
schaft nur  Wahlrechte  ^erstattet,  thdls  mit  Bezug  auf 
die  Magistrate  der  Stadt,  theils  tbt  die  Vertretung  ihrer 
Interessen  in  den  Ausschtlssen.  Häufiger  wnrden  in  filterel- 
Zeit  BQrgerTeraammlnngen  berufen,  in  welchen  die 
wichtigsten  Angel^enheiten  der  Gemeinde  voi^tragen  und 
zur  Abstimmung  vorgelegt  wurden.  Schon  im  XU.  Jahr- 
hundert finden  wir  in  den  groszen  Städten  der  Lombardei 
die  Bürgerschaft  in  dem  sogenannten  „parlamenfu>n*'^>-auf 
den  Ruf  der  Glocke  zusammentreten,  und  sehen  wir  die 
Conauln  vor  derselben  Rechenschaft  ablegen.  Von  da  ging 
der  Gebrauch  nach  Frankreich  und  Deutschland  Aber.  Id 
der  Schweiz  werden  noch  den  Bargerrersammlungen  die 
wichtigsten  Beschlüsse  zur  Gutheissung  oder  Verwerfung 
vorgel^t. 

8.    Der  höher  gearteten  Natur  der   Stadt   ist   ea   ent- 

»  Hegel  a.  k.  0.  II,  %  317. 

n,g,t,7rJM,GOOglC 


480  Eilfm  Bach.    Ton  den  Oanelndcn. 

Bprechend,  wenn  swiacheQ  die  Magistrate  und  die  BO^er  be> 
ziebUDgsweise  die  ButgerversamiDlaDg  ein  vfirmittelndet 
KOrper  bineiDtritt,  wdcber  als  auserwfthlte  Stellrertretung 
der  BUi^erschaft  den  engeren  Er^  der  Hagiätrate  umgibt 
Fast  überall  und  in  verschiedenen  Zeiten  werden  wir  diese 
Bildung  anter  mancherlei  Kamen  gewahr,  ein  sicheres  Zei- 
chen, dftsz  sie  einen  natürlichen  Grund  hat  Von  der  Art 
war  die  Credenza  der  Angesehenen  und  Weisen  (majo- 
res et  sapientes),  die  in  der  Lombardei  von  den  Consuln 
in  wichtigen  F&llen  zum  Rathe  beigezogen  wurde,  waren 
die  BAthe  (ConiUiarit),  welche  im  Süden  von  Frankreich 
an  der  Seite  der  Consuln  erscheine,  waren  die  rorneli- 
-mereD  nnd  reicheren  Bürger  von  der  „Bicherzechheit"  in 
der  alten  Kölner  Verhsanng,  und  die  Bahlr^cfaen  „wei> 
teren"  oder  „Groszen  Rfitbe,*'  welche  wir  seit  dem 
xni.  Jahrhundert  in  den  deutschen  Stfidten  find«i.  Von 
der  Art  sind  noch  die  Stadtrerordneten  und  Bürg.er- 
ausBchUsse  in  Deutschland,  die  grossen  Stadtrfithe 
in  der  Schweiz,  ^e  Gemeinderftthe  in  England,  der 
auszerordentliche  Gemeinderath  in  Sardiuien," 
das  Conseil  in  Belgien,  welches  als  weiterer  Kreis  Bürger- 
ineist» und  Schöffen  umgibt. 

Dieser  weitere  Batb  der  Stadt  hat  eine  grooie  Aehnlich- 
kwt  mit  den  fiCammem  im  Stat.  Kur  ist  die  Institution  alf 
«ne  rein  städtische  eioikcher.  Es  ist  daher  voraus  wichtig, 
dasz  er  ein  wahrhafter  Auszug  der  gesammten  Bürgerschaft, 
und  in  richtigen  Verhältnissen  «ei.  Die  verschiedenen  Classen 
und  Interessen  dw  Berölkerung  sollen  da  üne  Stimme  haben. 
Seine  Functionen  sind  Iheile  controlireod,  indem  er  die. 
Geschftftsleitung  der  tfagistrate  und  die  st&dtischen  Rech- 
nungen  prüft,  theils  die  Verwaltung  jener  erg&uzend, 
indem  zu  wichtigeren  Beschlüssen  auch  die  Zustimmung  der 

"  Debw  eudiBfeo  vgl.  Hittermalera  ZetiMbr.  Till,  S.  367  ff. 

n,g,t,7rJM,COOglC 


FÜnftea  Cayitel.    Oem«iad«buiit  n.  Q«iMiiid«Terfnäffen.         481 

AuMcbOsce  erfordert  wird,  tbeils  von  gesetegeberiBcher 
Natur,  indem  er  die  stOdlücheD  8tBtuteD  eatweder  auf 
ADtrag  der  UsgMrBte  ordnet  oder  Air  die  CtemeiDderersamm- 
lung  rorberaütet  und  begntacbtet. 


Fänftfls  Cf^teL 

GemelndebaDD  und  QemeindeT«nii<)geu. 

1.  Der  Gebietsbobeit  des  Stata  über  das  gance  Stata- 
gebiet  enlspridit  in  dem  eogwen  Siisne  and  beschrfinkteren 
Kreise  des  Gemeindelebens  der  Gemeindebann,  d.h.  die 
öfilenüidie  Haobt  det  Gemeinde  ianwhalb  der  Oemeindo- 
^markUDg,  dea-  Gemeindebeurks.  Sie  ist  nicht  mit  dem 
Eigentbum  noch  mit  der  Grundberrsebaft  su  rerweebseln, 
Tielmebr  ein  Institut  des  öffentlichen  Rechts,  aber  Pecsöuea 
und  Guter  in  diesem  Beairke  umfiisseod.  Soweit  dieselben 
Qberbaapt  zu  der  Wirtbschaft  und  Cultur  der  Gemeinde  in 
einer  oDtei^;eordneteQ  Bemhung  stehen,  so  weit  sind  sie 
der  Gemeindegewalt  unterworfen,  so  weit  üben  die  Ge- 
meindebehörden das  Recht  der  Aufhicfat,  der  Localpolizei, 
der  VerwaltUDg,  der  Besteuerung  aus. 

%  Die  Gemeinde  ist  überdem  wie  der  Stat  eine  Per- 
.800,  welch«  ein  eigenes' Recht  an  ihrem  Vermögen 
hat.  Naturgemasz  begegnen  sich  hier  die  Grondsfttze  des 
Offientlicbeo  und  des  Privatrecbts.  Die  Gtemeinde  nftmlich 
kann  Eigentbum,  Forderungen,  Schulden  haben,  wie  eine 
Priratpereon.  Sie  ist  ein  b^'echtigtea  Wesen,  welches  aber 
die  Sachen  dingliche  Heriscbaft  Qbt,  und  in  obligatorische 
Verhältnisse  eintritt,  somit  des  Privatrechtes  thetlbaft  isL 
.In  dies»  Beziebung  steht  sie  dem  State  gegenüber,  und 
ist  von  demselben  ebenso  unabhängig,  wie  andere  Eigen- 

BlUBttchh,  »UgniialiiMSUUreebt.    IL  31 

n,g,t,7rJM,COO<^IC 


48ä  EilflM  Bach.    Ton  den  OMncfod». 

tbnmer.  Es  ist  daher  ein  ofTenbarea  Unrecht,  wenn  in  deA 
letzton  Jabrfaanderten  manche  absointistischeii  Landesherren 
oder  revolutionftreo  Volksvertretungen  Über  die  Oemeiode- 
gOter  TerfDgt'  haben,  als  wftrm  dieselben  Kammer-  uod 
Statsgiit  Das  Gemeindegut  ist,  wie  schon  das  Wort  deut- 
lich sagt,  Gut  der  Gemeinde,  und  weder  anmittelbar 
noch  mittelbar  Gut  des  gesammten  Stats. 

Auf  der  andern  Seite  aber  wirkt  sowohl  die  öffenüiche 
Natur  der  Gemeinde  selbst,  als  die  Bestimmung  dies  Ge- 
meindegutes fUr  öffentliche  Gemeindezwecke  auf  die  Be- 
handlung des  letzteren  rin,  und  erhebt  dasselbe  ober  das 
einfache  dem  individuellen  Genüsse  dienende  PrivatvemiOgea. 
Das  Gemeind^nt  ist  daher  um  dieser  Beeidung  willen  zu»- 
gleich  als  ein  Öffentliches  Gut  zu  betrachten,  und  die 
Verwaltung  und  Verwendung  desselben  unterliegt  deszbalb 
und  insofern  den  Einwirkungen  des  Öffentlichen  Rechts.  Der 
Gemeinde  selbst  kommt  es  sn,  diese  Ollbntliofae  Bedentung 
des  Gemeindegotes  zu  vertreten.  Diese  ist  eine  nAhor  be- 
schrankte, und  durch  die  gemeinsam«!  wirthsebaftlichen 
und  Culturinteressen  der  Bttrger-  und  Einwohnerschafi 
eines  besondem  Ortes  bestimmte,  nicht  eine  allgemeine, 
dem  gesammten  politischen  Leben  des  Stats  unmittelbar 
zugehörige.  Aber  da  das  ganze  öffentliche  Leben  hinwieder 
in  einem  inneren  Zusammenhange  ist,  so  hat  auch  der  Btat, 
der  das  Ganze  umfiuzt,  ein  natOrlichea  Recht  Aufsicht 
EU  üben,  dosz  jener  öffmtliche  Charakter  rein  erhalten 
werde. 

Selbständigkeit  der  Gemeinde  in  der  Verwaltung 
und  Verwendung  des  Gemeindegutes  ist  somit  -in  privat- 
rechtlicher  und  öflfentlicher  Bezi^ong  die  natQrllche  Regel, 
Oberaufsicht  (nicht  aber  Vormundschaft)  des  Stats  ihre 
natürliche  Ergfiozung.  Diese  Gmndsfttze  sind  ftoilich  gar 
nicht  Qberall  und  nicht  immer  in  ihr^  Consequenzen  von 
den  positiven  Rechten  anerkannt    Aber  es  ist  angenflüligf 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


FOdAcb  Ckpltel.    Gcmeindebun  n.  OemeiDderermageD.        483 

dafiz  die  nenere  RechtabUduog  die  Tendenz  hat,  dieselben 
KQ  Terwirklicheo ,  und  daraur  eine  freie  GemeiodeordnuDg 
zu  begrOnden.  < 

3.  Folgerungen  aus  jeneai  Princip  der  Selbständigkeit 
siud:  Die  Gemeinde  ist  berechtigt,  je  nacfi  der  besonderen 
CompetenE  ihrer  O^ane,  den  gemeinsamen  Gebrauch  und 
die  Benutzung  ihrer  Anstalten  selber  zu  ordnen,  und  die- 
jenigen Verwendungen  aus  ihrem  Vermögen  zu  machen, 
die  sie  für  tweekmfisaig  hftlt.  Der  Stat  dagegen  ist  nicht 
befugt,  weder  die  Ueberschüsse  des  Qemeindegutes  an  sieb 
zu  ziehen ,  noch  der  Gemeinde  Verwendungen  su&uerlegen, 
die  diese  nicht  machen  will,  und  zu  denen  sie  nicht  etwa 
um  der  allgemeinen  Statsordnung  rerpflichtet  ist  Es  kann 
der  Stat  z.  B.  wohl  die  Gemeinden  anhalten,  dasz  sie  fUr 
gehörige  Löschanstalten,  oder  fUr  ScbulhAuser  in  der  Volks- 
schule, oder  für  die  Wege  und  Brücken  sorgen,  soweit 
diese  Sorge  den  Gemeinden  nach  allgemeinen  Rechtsgrund* 
s&tzen  obliegt.  Aber  er  kann  eine  Gemdnde  nicht  nOthi-^ 
gen,  Bauten  auf  ihre  Kosten  auszuführen,  welche  viellticht 
nützlich  und  schön  wären,  zu  denen  aber  die  Gemeinde 
niebt  durch  die  gemeine  Statsordnung  verpflichtet  ist.  Und' 
selbst  da,  wo  der  Stat  eine  Einrichtung  fordern  kann,  steht, 
es  doch  der  Gemeinde  zu,  von  sich  aus  die  Pläne  im  Sin^ 
zeJiien  festzusetzen,  und  die  Verträge  abzusphlieszen,  unct 
der  Stat  hat  nur  insofern  ein  Recht  mitzureden,  als  er  da« 
fOr  zu  sorgen  hat,  dosz  die  allgemeinen  Erfordernisse  jener 
P&ichterfUllung  nicht  bei  der  Ausführung  miszachtet  werden. 

4.  Die  Oberaufsicht  des  Stats  femer  hat  TorzQglich 
den  doppelten  Zweck  darüber  zn  wachen :  a)  dasz  das  Qqt' 
meinderennögen  im  Interesse  der  Fortdauer  der  Gemeinde 
und  ihrer  Öffentlichen  Bedürfnisse  erhalten  werde;  b)  dasz 
dasselbe  nicht  zu  fremdartigen,  auszerhalb  der  Gemeinde- 

■  Im  BinMlma  ist  beeondera  du  enrUtnte  Artikel  von  Bratcr  sq 
*«rgldcbeD. 


iM,Coo<^lc 


jg4  EUfte«  Buch.    Tod  den  QemeiDden. 

wirthßchafl  liegenden  Zwecken  mifizbraucht  werde.  Al8 
Mittel  dazu  dienen  theils  die  Rechnungen  über  den  6e- 
meindehaushalt,  welche  auch  dem  State  zar  Eenntniaznahme 
mitgetheilt  werden ,  theils  Beetimmungen ,  durch  welche  ' 
derselbe  GEelegenheit  erhält,  Ausgaben,  die  in  das  Capital- 
vermögen  eingreifen ,  oder  Veräuszerungen  von  solchem  zu 
hemmen  und  zu  untersagen,  oder  die  Gemeinde  anzuhalteD, 
dasz  sie  durch  Steuern  solchen  Schaden  ersetze. 

Da  sehr  riele  Gemeinden,  zumal  die  Landgemeinden,' 
sich  ans  ursprünglichen  halb  privatrechtlichen  Banemgenos- 
senschaften  entwickelt  haben,  so  kommt  es  sehr  hfiufig  vor, 
dasz  noch  ein  Theil  des  Oemeindegutes  für  bloszen  Piirat- 
genusz  der  einzelnen  Bürger  in  Anspruch  genommen  wird. 
Auch  aus  andern  historischen  GrUnden  findet  sich  solche 
Mischung  von  öffentlichen  Verwendungen  und  Pri- 
vatnutzungen oft  noch,  und  es  w&re  unrecht,  wenn  diese 
einfach  verweigert  und  nur  jene  gestattet  würden.  Unsere 
Zeit  hat  indessen  das  richtige  Streben,  den- beiderlei  Be- 
stimmungen solcher  Gemeindeguter  durch  Ausscheidung 
zweier  Bestandthelle  in  denselben  Rechnung  zu  tragen.  Aus 
dem  früher  gemischten  Gemeindegut  werden  dann  zwei 
Guter,  das  eine  ein  den  öffentlichen  Zwecken  gewidmetes 
fichtes  Gemeinde-,  das  andere  ein  dem  Priratgenusz  die- 
nendes blosz*  privatrechtliches  Nutz ungs gut  (Genos- 
se ngut). 

5.  Auch  der  Gemeinde  steht  ein  ähnliches  Besteue- 
rungsrecbt  zu  fUr  Befriedigung  der  GemeindebedUrfhisse, 
wie  dem  State  fUr  die  Statsbedurfnisse.  Auch  da  gibt  es 
eine  Steuerpflicht  der  Einzelnen,  welche  aus  der  Unter- 
ordnung Aller  unter  die  gemeinsame  öffentliche  Lebensord- 
nung eich  erklärt.  Dieselbe  ist  ebenso  eine  allgemeine, 
nicht  eine  individuelle-,  aber  sie  ist  nach  der  Natur  der 
Gemeinde  beschränkt  entweder  auf  den  Kreis  der  näher  und 
enger  verbundenen  Bürgerschaft,  wie  da,  wo  es  sieh 

n,g,t,7rJM,COO<^IC 


FQnnea  Capltel.    OcmeiDdebuiii  n.  OcmelndevenDJ^en.        4g5 

um  FOrdeniDg  der  ihnen  ansachliesslich  rorbehalteoeD  An- 
stalten handelt,  oder  auf  den  weiten)  Kreie  der  Einwohner, 
wie  in  den  FäUen,  wo  gemeiosame  LocalbedUrfbisee  befrie- 
digt werden. 

Es  ist  aber  eine  Statspflicbt  dafllr-zu  sorgen,  dasz  nicht 
einzelne  Personen  oder  Classen  der  Gemeindegenossen  (z.  B. 
die  Reichen  oder  die  Armen)  durch  die  Art  der  Steuerauf- 
lage oder  Steuererhebung  von  der  Mehrheit  unbillig  gedruckt 
werden. '' 

)  Hill,  Repraewnt  8.  192. 


n,g,t,7.dt,'G00gIc 


!&molfks  ißtu)f. 

Frei  bei  tsrechte. 
Erstes  CapiteL 

Dia  Freiheit  bIb  Rechtsbegrlff. 

Ea  ist  nicht  die  Aufgabe  des  Statsrechts,  den  Gedanken 
der  Frähdt  zu  ei^rQnden  oder  zu  erschöpfen.  Nur  inBOfeni 
gehört  die  Freibüt  in  seinen  Bereich ,  als  '  sie  ron  der 
Rechtsordnung  erkannt  und  anerkannt  wird  und  daher 
auf  äuszern  Rechtsschutz  einen  Aosprucb  hat 

I.  Wir  nnterachdden  daher  die  Frdheit  als  eine  Rechts- 
Institution  sowohl  von  der  natQrlicheD  als  von  der 
sittlichen  und  geistigen  Freihat.  Die  erstere  ist  riel 
enger  als  die  beiden  letzteren.  Auch  die  rechtlicbe  Frei- 
heit darf  freilich  weder  unnaturlich  noch  unsittlich  s^n. 
Aber  nicht  alle  natürliche  Freiheit  ist  zugleich  eine  recht- 
liche, nicht  die  des  Thieres,  ■  dessen  wilde  Freiheit  lediglich 

'  Winthrop  bei  TaqueoUle  Amiriqne  I,  70:  aTftoachen  wir  uns 
nicht  ttber  die  Bedentang  tmaerer  Dnabhiogigkelt,  El  gibt  allerdings 
Hae  Art  verdorbeaer  Freiheit,  deren  Oebraach  dem  Menacb»  ndt  den 
Thienn  g«mein  tat,  and  die  darin  beateht,  daai  Jeder  that,  wat  ihm 
geOUt.  DicM  Freiheit  iit  die  Feindin  aller  Aatoritit;  mit  Widaratrebeo 
nur  duldet  eie  alle  Regeln  —  de  i«t  die  Feindin  der  Wahrlidt  nnd  dea 
Friadena,  nnd  Qott  aelbat  hat  «ich  gegen  dieselba  erkl&rL  Alter  n  gibt 
eine  bürgerliche  Dod  morallache  Freiheit,  die  ihre  Stirke  in  der  Binhdt 


iM,Coo<^lc 


BraUa  Ca^tel.    Die  FrelhBit  kl«  Eechtabegriff.  .487 

von  Mäatr  Fbyn»  beatimuit  und  be^nst  -wird,  spndern 
nur  die  menschlichQ,  die  allein  eine  siUlicbe  und  daher 
aueb  allün  äne  rechüiehe  BedeutHiig  bat  Hinwieder  kann 
nicht  der  ganze  Umfang  der  sittlichen  und  geialigui  Freiheit 
des  Menschen  von  dem  Rechte  begriffen  und  begrftnzt  wer- 
den. Vielmehr  ist  gerade  der  innerste  goieüge  Eerp  dieser 
freihat,  die  Freiheit  des  unsichtbaren  npd  unsterblichen 
Indiridualgeittefl ,  welker  ein  Strahl  ist  der  VollkommeneD 
göttlichen  Freiheit,  der  llacht  des  Stats  und  des  meusdi- 
liehen  Rechts  entzogen.  =>  Zum  Recht  kann  die  Freiheit 
erat  dann  werden,  wenn  dieselbe  entweder  in  dem  aoszem 
sichtbaren  Leben  Gestalt  und  gewiasermaszen  Leib  gewinnt, 
oder  wenn  in  der  auszern  Ordnung  sich  Hemmnisse  zeigen, 
welche  die  Entwicklung  der  an  sicli  unsichtbaren  GemUtba- 
uod  Gteiateefreibeit  bedrflcben  und  hindern.  Dann  erst  ist 
ftkr  das  mensohlicbe  Recht  die  Möglichkeit  gegeben,  sä  es 
jene  ftuaitere  firsobeinung  der  Freiheit  zu  schützen,  sei  es 
diese  Hemmnisse  ihrer  Entfaltung  zu  entfernen. 

Die  natQrllofae  Fredheit  ist  das  Vermögen  zu  thun,  was 
einen  gelOstet;  die  sittliche  Freiheit  ist  die  Offenbarung  des 
Willens  und  der  Kntt  zu  thun,  was  der  eigenen  Natiir 
wQrdig  und  der  göttlichen  Weltordnung  gemftsz  isL  Die 
Freiheit  als  Rechlab^riff  aber  setzt  die  Rechtsordnung 
TOnus,  von  der  sie  ein  Theil  ist  Sie  ist  die  vom  Recht 
gewährleistete  und  geschützte  Befuguisz,  den 
-selbstbestimmten  Willen  auszuüben.' 

findet,  welche  so  sehUtieD  die  Anfgftbe  der  obrfgkettlichea  Qewalt  selber 
ilt;  ea  tat  die  Freihdt,  ohne  Farcht  alle*  tu  thun,  was  gerecht  und  gut 
ist  IHcse  heilige  Freiheit  mflssen  wir  verlheldigen  In  sllen  TTechsal- 
flUlM  QDd,  wenn  es  nOthig  Ist,  Ar  de  luser  Leben  rinMUen." 

*  Tgl.  oben  Buch  IX,  Cap.  a. 

■  Die  bekannte  DcAuitlon  von  Flortntinm  L.  i  pr.  de  Statu  itxni- 
■  nun:  ^^iitatat  est  nataralii  focnltat  ejoa,  qnod  cniqn«  beere  übet,  nid 
t\  qnid  vi  aut  Jure  piohibetur,"  ist  nur  darin  nuiDgeUiaft,  <Ues  die  ^ 
ebenso  wie  das  jtu  als  Schranke  der  Freiheit  beteichnet  wird,  wibrend 


iM,Coo<^lc 


488  ImHUtm  Bneli.    FrtfkdUrMliU. 

Alle  FrrilMit  ietet  als  ibn  notwendige  Vorbedtogiing 
ein  beseeltes  Weaeo  voraus,  welche«  sich  in  ifar  ftuszert. 
Die  rechtliche  Freiheit  bat  ihre  Grondlage  in  dem  Recbtt- 
weseii.  '8ie  eziaürt  fur  sich ,  lo^etrennt  ron  den  MenMhea,  - 
so  wenig  als  da«  Recht  fSr  sieh  esistirt.  Sie  sind  beide 
nsr  zwei  Seiten  des  persönlicben  Daseins  und 
Lebens  des  ICenschen.  Wohl  gibt  es  sin  Ideal  der 
If^eiheit,  wie  es  an  Ideal  des  Redtts  und  des  States  gibt 
Aber  das  wirkliche  Freiheitsreoht  kaim  nur  in  dem 
wirklichen  State,  nur  in  Verbindang  mit  saner  VerAs- 
sung  and  Rechtsordnung  gedadit  werden.  IMe  Freiheit  ids 
ein  rein-politischer  Gedanke  kann  wohl  ol>er  die  her- 
gebrachte  Rechtsordnung  hinausgehen  und  die  Vervoll- 
kommnung  derselben  als  Ziel  ihrer  Handlung  ansttebea. 
Aber  der  Rechts  begriff  der  Freiheit  kann  sieh  niofat  los- 
sagen von  der  Rechtsordnung,  die  sein  Grand  und  seine 
BtUtee  ist.  Je  rollkommener  daher  der  Rechtsacfantz  ist, 
den  der  Stat  dem  fVeien  Leben  der  Menschen  gewährt,  um 
80  voller  und  reicher  wird  aocfa  die  R«chtsfreibeit  in  diesem 
State  sein;  je  mangelhafter  und  unsicherer  der  Statssdiuta 
ist,  um  so  gedrückter  oder  zügelloser  wird  sich  die  Freiheit 
da  gestalten.  Als  Lord  John  Rüssel  <  gegen  jene  Deflot- 
tion  einwendete:  „Wenn  Freihdt  darin  besteht,  dass  D>an 
tbnn  könne,  was  das  Gesetz  erlaubt,  so  ist  ein  gesetdioh 
bestehender  Despotismus  ei  ne  fireie  Regieru  ng , "  so  ver- 
wechselte er  den  statsrechtlichen  BegrifT  der  Freibnt 
theils  mit  dem  idealen,  theils  mit  dem  politischen. 

Die  Freiheit,  als  Recht  gelhszt,  ist  also  nidit  ihr  höchster 

Jene  die  Freiheit  all  Recht  verlelst,  dfcwi  mber  aie  natargemltx 
beichrlnkt.  Franiaaliehe  OrnndTWht«  von  1791,  |.  4:  ,U  llbtrti 
ooniiBle  ji  ponT<4r  faire  lout  c«  qni  oe  noit  pw  k  «otrni :  (t)  ainn  l'eier- 
elM  dea  drolU  nMareli  de  chaqae  b<Mnme  n'«  i«  bornei  qne  celle«  qni 
■aanrent  ans  aiitrea  nembrei  de  1a  totült  la  joniiMnoe  de  cea  intee* 
droHt.  Cea  bomea  ne  penvent  #tFe  ditenninie«  qne  par  la  lol. 
<  eoehkhte  der  engl.  Terfluinnr,  S-  H- 


,iP<.jM,Cooglc 


Entei  OapiteL    Die  FMIwit  kli  BMblabefriff.  489 

Anadraek,  sie  iit  eoger  und  beeehrftokter  als  -die  ntüiche 
und  sogar  als  die  politiache  Freiheit.  Abei*  indon  sie  an 
die  ReehtscffdauDg  als  ihre  Grundlage  gebunden  i«t,  wird 
OB  auch  Too  den  Formen  des  Rechts  gegen  T«rflQohÜgung 
gesichert  und  von  den  HulGunitteki  des  Rechts  gegen  lüsx- 
bandluag  geachlUzt. 

Die  Deutschen  haben  auf  die  Ehre,  die  entsofaieden- 
sten  Vertrete  der  persOnliebeD  Geistesfreih^t  zu  s«n,  eisen 
wohlbegrüodetea  Anspruch.  Abw  das  Verdienst,  rorzugs- 
weise  die  rachtlicheD  Sohutawebren  der  Freiheit  erdacht  und 
befestigt  Bu  haben,  kommt  in  erster  linie  des  Englftn- 
dern  zü.^ 

%  In  aller  Frdheit  lassen  sich  hinwiedw  xwei  Seiten 
unterscheiden.  In  negativer  Besiehung  scbliesat  die  Frei- 
b^t  jede  unbegrltudete  oder  Qbertriebene  Abhängig- 
keit von  einem  fremden  Willen  aus.  In  positirer  Hin- 
sicht bedeutet  sie  Belbstbestimffluog  der  Person. 

Da  der  Uemaeb  als  Reditswesen  nothwend^  beschrtakt 
ist,  80  ist  auch  seine  Freiheit  als  Recht  beschrankt.  Nicbts 
ist  verkehrtw,  als  aiA  eine  absolute  Unabhängigkeit,  eine 
Tölüge  Losgebnndenbeit  des  eiazelneo  Henseben  eintubilden 
und  diese  Einbiidang  menschliche  Freiheit  zu  heiszen.  Diese 
oegatäTe  Vorstellung  der  Freiheit  empfindet  jede  Rechtsin- 
alitutioD  wie  eine  Verletzung,  denn  sie  will  schrankuilos 
sein  und  das  Recht  kann  nur  in  den  Sohiabken  der  FcHin' 
bestehen.  Ihre  Consequenz  wOre  also  die  Zerstörung  des 
State  und  der  geeammten  RechlscvdDang  und  es  konnte 
dum  in  dem  al^mmnen  Rain  das  letzte  vermeintlich -ab- 
solute Recht  der  Freiheit  selber  nicht  mehr  bestehen.  Aller- 
^t^  tritt  der  radioale  Inthum  der  absoluten  Freiheit  selten 
in  so  entschtoseener  VemeifiuDg  auf,  so  dass  er  den  Inhalt 
und   die  Forta   der   reditlicb  neordaeten  Freiheit   zugläch 

'  Vgl.  Tonltglicli  fr.  LIebar,  flfaer  bttr^lielie  Frellielt  und  Sdbrt- 
rerwaltuig,  ObtrMUt  r.  Fr.  MiltarKMier,  HeMalberg  li60. 


iM,CoO<^lL' 


i90  ZwUftM  Bwik.    Fi«lb«ittr«eltle. 

wegwirft;  aber  in  rertiallter  Qestalt  und  aaf  halbem  Wege 
Uusdit  er  doch  nicht  selten  die  Menge. 

WAre  jede  Abhängigkeit  schon  Unfrüheit',  00  wire 
daa  Kind,  da«  ron  den  EUern  abhängt,  ea  wAra  jader  Ar- 
heiter  im  Dienst  dnes  Arbeitgebers,  jeder  Schuldner  gegen- 
Qber  dem  Glaubiger,  es  wären  die  Parteien  gegenQbei  dem 
Richter,  alle  Regierten  gegenüber  der  Regierung,  aber  auch 
wechselseitig  wieder  die  Inhaber  der  Mftcbt  and  AatorilAt, 
die  doch  nichts  rermOgen,  wenn  sie  nicht  «npAngliobeo 
Gehorsam  finden,  kurz,  es  w&re  alle  Welt  unfiti.  VKht 
die  Abhftngigkrit  als  aoicbe  also,  sondern  nur  die  falsche, 
grundlose  oder  übermässige  Abh&ngigküt  ist  Unfrüheit  In 
dem  fireien  State  also  darf  das  VerhAltnisz  der  Regierten 
m  der  Regierung  nicht  dem  Verh&ltoisz  des  Herrn  ober  die 

-SklaYen  und  nicht  einmal  dem  des  Vaters  Über  die  Kinder 
naobgebildet  sein,  sondern  es  muss  die  Unterordnnng  der 
Regiwteo  durch  das  Gesets  bestimmt  und  basohrflnkt  sein, 
Bu  dessen  Herrorbringung  auch  die  Regierten  selber  mit- 
wirken. 

3.  Wie  alte  Rechtsordnung  üb^^anpt  entweder  von 
den  Einzelmensofaen  odw  vfm  der  Gesammtbeit  aus  bestimmt 
wird, -so  erscheint  auch  die  ReditafreÜMdt  in  zwei  Haapt- 
formen.  Entweder  sie  ist  wesenHicfa  IVeiheit  der  Indiri- 
duen  odex  IVeiheit  der  Kation,  des  Volks.     IMe  indiri- 

^duelle  FieihMt  ist  im  Grunde  ein  Priratrecht;  dleVolks- 

•freiheit,  dwen  Wesen  die  Tbeilnabme  am  Stat  ist,  hat 
Tonugswdse  einen  Ofitatli<^  -  recfatlicbeB  Charakter.  In  den 
Repnbliken  des  Altertbums  wurde  die  erstere  der  letstem 

-geO[^ert  und  fitst  aller  Werth  sof  die  Tolksfreiheit  allein 
getagt    Die  Germanen  vonOgiieb  haben  die  indiTtdueUen 

-  Freiheitsretäite  hflher  gesoh&tst,  und  in  der  modernui  Rechls* 

"bildung  werden  sie  Toruehmlidi  beachtet 

Es  ist  «her  immer  ein  Fehler,  wenn  über  der  einen 
Frtiheit.  df«  andere  woacfalisiigt  wird.    Die  grieohiscben 

n,g,t,7rJM,COO<^IC 


Erat«  Capltel.     Di«  Preilieit  aU  Rcchtibegriff.  4^1 

Zustande  litten  vorzüglich  an  der  einaeitigen  Beachtaog  der 
Yolksfreiheit,  welche  ale  absolute  Volksherrschaft  verstanden 
wurde.  In  der  spartanischeo  Vnfessang  wurde  die  Eneeh- 
tang  des  individuellen  Lebens  vop  Stats  wegen  so  weit  ge- 
trieben, dasz  wir  uns  manehe  EiDrichtnngeB  derselben  nur 
wie  Bilder  einer  auschweifenden  Phantasie,  nicht  als  leib- 
hafte Wirklichkeit  vorstellen  kOanen;  aber  aach  in  dem 
demokratiBChen  Athen  wurde  die  individuelle  Freiheit  nur 
gering  geachtet  und  vielfältig  dnrch  die  Gesetze  and  das 
Öffentliche  Leben  verletzt. 

Wir  Neuem  leiden  zuweilen  an  enlg^engesetzten  Irr- 
ihUmern.  Nicht  selten  wird  das  Recht  des  Ganzen  Ob«r- 
eehen,  und  der  Gedanke  der  individuellen  Freiheit  mit  so 
maszlosem  Eifer  einseitig  verfolgt,  als  wftre  jedes  einzelne 
Individuum  ein  in  sich  vollkommenes  Wesen,  das  natürliche 
Centrum  der  Welt,  ein  Gott,  durch  dessen  Willen  alles  auszer 
ihm  gesöhaffen,  von  dessen  Willen  alles  übrige  abh&ngig 
wOre.  Der  Stat  wird  dann  vfillig  preisgegeben,  und  die 
Ordnung  des  Ganzen  durch  die  Willkür  der  Individuen  mit 
innerer  Auflösung  bedroht. 

DieWabrtieit  fördert  Anerkennung  beider  Arten  der 
Freib^L  Beide  wurzeln  in  der  menschKchen  Natur,  die 
Volksfreiheit  in  der  gemeinsamen  menschlichen  Rasse,  die 
individuelle  Freiheit  in  dem  Individualleben  de«  Geistes. 
Aber  die  erstere  ist  ganz  und  gar  ein  RechtsbegrifF  und 
kommt  nur  in  der  Gemeinschaft,  d.  h.  im  8  tate'zar  Wirk- 
lichkeit; die  letztere  aber  hat  ihren  tieferen  Grund  anszer* 
halb  des  States,  in  einem  Lebeasgebiete,  welches  dieser 
zu  beherrschen  weder  berufisn  ist  noch  die  Macht  hat 

4.  Das  Verhältnisz  der  verschiedenen  Statsformen  zu 
der  Freiheit  wird  daher  auch  hftufig  ein  anderes  sein,  je 
nachdem  die  VolksfVeiheit  oder  die  individuelle  Freiheit 
in  Frage  komnit. 

Die  Ideokratie  hat  die  Tendenz,  die  Volksfreiheit  dureb 

nigiti/cdtvCoC^Ic 


i92  Zwölfte«  Bncb.    FrdheiUroehte. 

die  absolute  Autorität  zu  erdrücken,  die  Demokratie  uingd- 
kehrt  steigea-t  dieselbe  zu  Gunsten  der  Uebrheit  zur  Yolka- 
berrsdiaft.  Die  individuelle  Freiheit  aber  wird  auch  tod 
der  Demokratie  nur  insofem  begfinstigt  oder  geduldet,  als 
die  Uehrbeit  mit  der  Ausübung  derselben  einverstandea  ist. 
WoiD  das  nicht  ist,  so  wird  sie  bei  jeder  Gelegenheit  mit 
FUszen  getreten.  Die  Demokratie  bat  somit  wohl  liebe  zur 
Volkefreihdt,  aber  selten  wahre  Achtung  vor  individueller 
Freiheit.  Wer  daran  zweifelt,  der  braucht  sich  nur  ao  die 
Lage  der  Reichen  in  dem  demokratischen  Athen,  oder  an  die 
Lage  der  Aristokraten  zu  den  Zeiten  der  Jakobinerhenschaft 
in  Frankreich ,  oder  an  die  Vorschläge  dei  Commuoisten  zu 
erinnern. 

tAe  Aristokratie  im  Oegentheil  lOszt  das  Indiriduum 
gelten,  so  lange  es  nur  individuelles  L^>en  äuszert  Sie 
gewährt  gerne  ein  reiches  Mass  individuetler  Freiheit,  und 
schützt  dieselbe  sow^t  sie  einmal  gewahrt  ist,  mii  unbeug- 
samem Muthe  auch  gegen  die  AofeindungeD  der  Menge.  Aber 
sie  wacht  aoigBÜüg  darüber,  dasz  nicht  die  Volksfreiheit  zur 
Volksherrschaft  erwachse.  Sie  nimmt  dieselbe  zwar  in  roU- 
alein  Uasze  fUr  die  herrschende  IfindMheif  in  Anspruch,  aber 
oiiszt  den  groszen  Kassen  des  Volkes  nur  einen  oft  kümmer- 
lichen Antheil  daran  zu. 

Sogar  die  absolute  Monarchie  erträgt  und  bewilligt  oft 
unbedeuklicfa  ein  bedeutendes  Masz  von  individueller  Frei- 
heit, von  Sicfaerbeit  der  Personen  und  des  Eigenthums,  aber  sie 
ist  misztrauisch  und  feindlich  gegen  alle  Volksfreiheit  gesinnt. 

Die  eonstitutiODelle  Monarchie  gewährt  auch  hier,  wenn 
sie  ihrem  Frincip  treu  bleibt,  eine  Fülle  von  beiden,  ohne 
die  Volksfreiheit  zur  Volksherrschaft  werden  zu  lassen,  und 
ohne  die  individuelle  Freiheit  bis  zur  Anarchie  zu  Uber- 
trdben. 

5.  Eben  so  ist  das  Verhältnisz  des  Statsrechts  zu 
den    beiden   Arten    der   Freiheit   verschieden. ,    Die   Volks- 


iM,Coo<^lc 


ZweitMCapfIttl.  LiDdivId.  Frriheltorechte.  A.  Schnti  d.  Eilsteni.    493 

freiheit  gehört  demselben  noiinittelbar  an,  als  eine  Institu- 
tiou  des  6tat3,  bermchtet  and  erfDlIt  von  dem  Geiste  der 
Gesammtheit  Die  individuelle  Freiheit  dagegen  bildet,  weil 
sie  aas  dem  individuellen  Dasein  und  Leben  entspringt,  einen 
Theil  zunächst  der  individnelleo  Rechtssphftre ,  d.  h.  des 
Privatrechts,  and  kommt  nnr  mittelbar  in  den  Kreis  des 
fiffentlichen  Rechts  insofern  hinein,  als  sie  entweder  unter 
die  Garantie  desselben  gestellt  oder  durch  die  RQcksichten 
auf  die  Gemeinschaft  und  den  Stat  näher  b^rfinxt  und  be- 
schränkt wird.  Die  Volksfreiheit  kann  eben  darum  auch 
von  der  Gesetzgebung  freier,  je  nach  den  Erfordernissen  des 
Stats  und  dem  CuUurzustande  des  Volks,  bestimmt  werden; 
die  individuelle  Freiheit  aber  hat  der  Stat  in  derselben 
Weise  als  eine  selbständig  bestehende  zn  achten  und  za 
schätzen  wie  das  übrige  Privatrecht;  und  dasz  solches  ge- 
schehe, ist  noch  eine  grosze  Aufgabe  der  znkQnftigen  Rechts- 
tüldung. 


Zweites  GapiteL 

I.    lodividuella  Freihdtareehte. 
i,    gcbuti  der  Biiateoi. 

1.  Der  ÄDerkenoung  und  dem  Schutze  jeder  Freiheit 
musz  die  Anerkennung  und  der  Schatz  der  Existenz'  des 
EinzelDen  selbst  TOrbergehen.  Das  Recht  zu  sein  ist  fUr 
den  Menschen  das  erste.  Es  ist  mit  ihm  geboren  nodunzer^ 
trennlich  mit  ihm  verbunden,  so  lange  eine  lebendige  Seele 
in  dem  Körper  wohnt  Es  hört  auf  erst  mit  dem  Tode.  Der 
0tat  ist,  obwohl  er  moAchst  eine  Rechtsordnung  der  Cto- 

■  Blackttone  b«int  dwi'elbe  dos  Recht  pereOullcher  Sicherheit 
(right  of  permnal  seearil;),  Stahl  du  Reoht  der  IntegriUt. 


iM,Coo<^lc 


4M  ZwtUflM  Badi.    FreÜMMBneblej 

sammtheit  ist,  doch  rerpflichtety  roraoB  dieses  Unrecht  aUer 
iDdiTidnen,  welche  toh  seiner  Uacbt  umfa^zt  werden,  eu 
schirtneD ;  deoD  ea  ist  überhaupt  eine  der  wichügsten  Auf- 
gaben des  Ganzen,  die  Rechte  der  Einzelnen  zu  achatzen, 
wo  diese  solchen  Schutzes  bedürfen. 

Derselbe  erstreckt  sich  sogar  auf  die  noch  ungeborne 
Laibesfruoht  Obwohl  die  Persönlichkeit  erat  mit  dec 
Geburt  zn  wirklichem  Dasein  kommt,  io  ist  doch  der  be- 
fruchtete Keim  der  Person  schon  flrüher  .da,  und  hat  mit 
Bocksicht  auf  die  wahrscheinliche  Entwicklung  zur  PenOn- 
lichkeit  Ansproch  auf  Wahrung  jener  und  ereDtnelle  BerttckT 
nchtjgong  ihrer  zukauftigen  Rechte.  > 

Es  ist  daher  ein  Grundsatz  des  natürlichen  Rechts,  dasa 
d«z  8bt  Terpflichtet  ist,  die  Existenz  der  Personen  theils 
g^en  ft:«mden  unberechtigten  Angriff  zu  schützen, 
theils  bei  ftuszerer  Notb  vor  dem  Untergang  zu  ret- 
ten. Die  erstere  Pflicht  ist  tiberall  anerkannt,  weniger  all- 
gemein  die  letztere,  und  doch  ist  sie  nicht  minder  eine  Folge 
des  obigen  Princips.  Von  welcher  Art  immer  die  Gründe 
sein  mögen,  welche  das  Individuum  in  die  Lage  rersetzt 
haben,  dasz  dasselbe  auszer  Stande  ist,  sich  vor  dem  Tode 
zu  retten ,  ob  natürliche  oder  rerscbnldete  Armuth  oder  vor- 
Ubergehende  Noth ,  wenn  es  die  Hülfe  der  Gesammtbeit  be- 
darf und  diese  die  Mittel  für  Erreichung  dieses  Zweckes  hat, 
BO  besteht  auch  die  Pflicht,  jenes  zu  retten.  >     Sie  ist  nicht 


'  Daraus  erklBrt  lieh  die  Ficlion  des  römUcheu  Rechts:  ,Qai  in 
ntero  BQDt,  in  toto  pen«  jnr«  oiTÜi  lotelll^DlDr  io  remm  Datnra  esse" 
(L.M  4»  Stets  brnnioam),  wUraid  dls  römiidiai  JnrUten  wohl  wümil, 
dus  der  apartat  nondum  editas  homo  ood  recte  fniue  dieatar*  (L.  9, 
S.  1  ad  leg.  Fileid.).  Yg\.  Savlgn]',  System  des  röm:  Rechts  U,  S.  12. 
Blackstone  I,  1. 

'  Erst  dem  Mnfln«  des  CkriatsBthiiKs  war  es  rä  verdaDkm,  dasa 
diese  Päicfat  innilchBt  mit  Beiug  auf  nothleidende  Kinder  im  rt^iseben 
Eelcbe  anerkannt  wurde.  Die  Geaette  Constautins  dea  Qrfwseu  dar. 
tiber,  Cip.  i  Dod  2.    C.  Th.  de  alimeotis  qnac  inopes,  auf  deren  Inhalt 


iM,C00<^lL' 


Zweites  Cnpitel.  I.  Indlvld.  Fnihdtsreehto.  A.  BAnt»  d.  Biisleni.    495 

eiD«  nationale,'  Sondern  eine  eaensehliohe  Pflicht^  und 
die  Hülfe  des  Slales  darf  daher  ia  diesen  ftuszeisten  Fällea 
'  oklit  auf  die  StatsangehOrigeD  beechi-Oukt ,  BOndern  oiusi 
ancb  dem  Fremden  gewahrt  werden,  der  in  dem  Statsgebiet 
io  solche  LebensnoUi  gersthen  ist.  Ihrem  gemeiosamen  I7m* 
fange  nach  aber  ist  diese  Pflicht  nva  auf  die  Abwendung 
des  Aeuszersten,  auf  wahre  Kothdurft  beschränkt.  Im  £Sn- 
zelnen'  erweitert  sie  dch,  je  nachdem  andere  besondere 
Rücksichten  hinzutreten ,  und  ei^änzend  und  rerbflsserod 
schlieezt  sich  die  freie  WohUh&tigkeit  der  Privaten  oder  selbst 
des  States  an,  die,  wenn  sie  in  zu  groszer  Ausdehnung 
auch  als  Rechtepflicht  normirt  wird ,  ~  leicht  an  moralischer 
Kraft  und  Wirksamküt  mehr  verdirbt,  als  durch  materielle 
Unterstützong  gut  macht.  Die  neuere  Zeit  ist  reicher  als 
die  frühern  Jahrhunderte  nicht  bloss  an  Armen-  und  Unter* 
stutztmgsaastalten  aller  Art,  sondern  auch  an  Rettuogean- 
stalten  bei  Brandunglück  und  Wasseruoth;  und  es  ist  das 
ein  groszer  Fortschritt  in  der  Entwickelang  des  humaaen 
Rechts. 

2.  Die  Achtung  der  {iersßnlicben  Existenz  der  Indiri- 
dueu  fuhrt  zwar  nicht  notbwendig  zur  Aufbebung  der 
Todesstrafe,  wie  Manche  meinen,  wohl  aber  zur  Be- 
schränkung ihrer  Anwendung  auf  seltenste  Fälle,  in  wel- 
eben  überwiegende  Gründe  der  Existenz  des  Stats  oder  der 
Gerechtigkeit  sie  nOthig  erscheinen  lassen.  Das  Recht  des 
altrömischen  Vaters  und  Herrn  über  Leben  und  Tod  seiner 
Kinder  und  Skiaren  hatte  daher  noch    einen   barbarischen 

ir<^  die  Lehreo  von  Laclaotlni  eingewirkt  (vfl.  Conmeatu  von  Jee, 
Qothofredua),  haben  in  itta  Codex  Justiuieneaa'  keine  Aufoehme  ge- 
fonden.  lo  andera  FftUeo  war  aber  seibat  daroh  die  erstereo  Qeeetae 
noch  nicht  geeorgl,  obsebon  der  Ornndsati  in  denselben  anagesproolicn 
ward:  „Abborret  noadis  moribna,  ot  qnemqnam  fami  ooofid  vel  ad  ia- 
dignum  fkcinna  promnipere  conaatpuna." 

*  Als  solche  hat  sie  ia  Rom  mtfat  Caesar  anerkannt.  Hommaen 
Rom.  Qeseb.  ni,  8.  469. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


499  ZwOirwi  Bnoh.    FnIhellBivcht«. 

Chatekter.  >  Ebenao  war  der  ganze  Gedanke  der  altgermMii- 
flehen  Recbte,  daez  der  schwere  Verbreeher  friede-  und  reoht' 
Io8  sei,  nnd  dasz  der  Geächtete  von  Jedermann  nogefltraft 
getCdtet  werden  dUrfe,  gleich  dem  Wild  im  Walde,  jenem 
Urb^ff  der  Persönlichkeit  des  Heascben  suwider.  Doch 
finden  wir  schon  fruh  in  dem  deutschen  Rechte  ^sdne 
Triebe  einer  humaneren  Vorstellung  zn  Toga  treten.*  In 
unserer  Zeit  wird  dieselbe  allm^lich  in  writerer  Anwen- 
dung anerkannt  ^ 

8.     Die   Fiction   des   bürgerlichen   Todes,   welche 

>■  Jnvenitl  bat  diew  Barbar«!  geiDcbtict,  8M.  VI,  2t9: 
Pone  crucem  serro,     Heniit  qao  crimine  aervus 
Supplicium?  qaia  testis  adest?  quie  detollt?  aadi. 
Nnlla  ninqnaiii  de  morte  hominis  rancUHo  loog«  eaL 
0  demeoi,  ita  aervaa  horao  Mt?  KU  Tecerit,  eato. 
Hm  voIo,  hoc  Jubeo,  lit  pro  raUone  volnntaa. 

*  Tueihu,  Genn.  c.  7:  „Ceterum  neqae  aniinadvertere  ueq^ne  viDcire 
neque  verberare  quidero  nisl  saeerdollbne  permiwiim,  nua  qassi  in  poe- 
nam  nee  duda  Jnaan,  *mF  vdnt  Dm  ImperaDle."  Lex  A^Hoar.  II,  1, 
g.  3:  ^X5t  nullaa  Über  Bajnvarios  «lodein  ant  vllam  alne  capitali  crimiiM 
perdat,  id  eat  ai  aut  in  necem  Duci8,oODsiliatus  fuerit,  ant  inimicoe  in 
provinciam  invitaverit,  ant  clvitat^n  capere  ab  »traneis  machinaverit, 
«t  exinde  probstoa  inventna  fuerit,  tune  in  Dada  alt  pot«state  Tltsipaina 
et  omoea  ree  ^na  et  patrirooDiDm.''  Engliache  Hagna  Chart«  vm 
1216:  rNhIIos  über  homo  cspiatur  vel  inipriMnetnr  aut  diaaaiaiatur  ant 
utlaghetur  (out  law,  ezlex)  aut  exuletur  aut  aliqao  modo  destruatar, 
nee  snper  eom  Ibimn«  nee  anper  eom  mittenias,  n\A  per  legale  Jodidain 
puinm  aiiomm  Ye\  per  legem  terra.  * 

*  Ritdrüh  II,  Antimacb.  17:  „he»  bona  princ«*  ragardent  ce  pon- 
voir  aar  la  vie  de  leura  S^jeta  comme  le  poida  le  plua  p^ot  de  leiir 
cooronne.  IIa  farent  qa'lls  eont  faommea  comme  ceux  qulls  doivent 
Jnger,  ila  aavent  qae  d'autre«  injnaticea  peuvent  ee  riparer,  mala  qu'un 
«rrCt  da  mort  prÜpiti  est  un  mal  irreparable.  Ila  ne  ae  portent  k  la 
BJTirit^  qne  ponr  Adler  nne  rignear  plaa  tkcheue  qa'ile  priraieiit." 
Frantüsiache  Terf.  von  1648,  %.  S:  „La  pelae  de  mort  esi  abolie  en 
matfire  politlqn«." '  Noch  irelter  g^t  der  Frankfurter  Entwurf  der  dent- 
seben  Qrandreehte,  g.  9;  „Die  Todeaatrafe,  ausgenommen,  wo  das  Eriega- 
recht  ale  vorecbreibt  oder  daa  Seereebt  Im  ^lle  von  HeDtereien  ak  sa- 
Uazt,  aowie  die  Btnim  de«  Prangers,  der  Brandmarkung  nnd  der  böt- 
perliehon  ZflchUgnng,  sind  abgeschafft." 


n,g,t,7c.dtyC00<^lc 


Brat«« Cspilel.  L  ludlvid  Frelheit«rechte.  A.  SchaUd«rExiil«Dz.    497 

nach  Dianchen  Rechten  aLs  Strafe  fUr  schwere  Verbrechen 
ausgesprochen  wurde,  ist  noch  ein  Ueberrest  der  alten 
Echt-  und  Friedelosigkeit  und  im  Widerspruch  mit  dem 
natUrlichea  Rechte-,  denn  wenn  das  Leben  der  Person. 
gewiaz  ist,  so  ist  es  uuaatQrlich,  dieselbe  als  rechtlich 
nicht  vorhanden  zu  erklären.  Noch  in  dem  Kapoleoni- 
schen  Gesetzbuch  ist  dieselbe  anerkannt,  obwohl  Napoleon 
selbst  auf  die  Unrittlichkeit  aufmeitoain  gemacht  hat, 
daaz  die  Ebelrau,  welche  aus  Liebe  und  Ket&t  ihrem  ver- 
urtheillen  Mann  ins  Exil  folgt,  nun  als  Coocubine  des- 
selben  ron  dem  Rechte  gebrandmarkt  werde.  ^  Einzelne 
neuere  Ver&fsaugen  haben  diese  Strafe  au^drdcklieb  auf- 
gehoben. ' 

4.  Abs  dem  natürlichen  B>echt«  des  Uenscben  auf  die 
Integrität  seines  EOrpa^  wird  femer  .die  in  den  neuern  Rech- 
'  ten  tsM  Überall  nun  anerkannte-  Verwerflichkeit  einer  jeden 
auf  Verstümmelung  des  Leibes  gerichteten  Strafe  begrün- 
det. Wenn  auch  die  U^estät  des  Rechtes  u^d  die  öfibnt- 
liche  Sicherheit  in  einzelnen  Fällen  den  Tod  des  Verbrechers 
fordern  mag,  nnd  dieser  nicht  blosz  einzelne  Glieder,  sondern 
den  ganzen  I^ib  zerstört»  so  machen  doch  jene  GrUnde  mcht 
ebenso  diese  Strafe  nothweadig,  und  es  erscheint  dieselbe 
vieLnaehr  unserei  Zeit  als  eine  unwürdige  und  uunOthige 
Barbarei.  Unter  freien  und  zu  höherer  Civilisation  heran- 
gereiften  Völkern  nehmen  wir  sogar  einen  ähnlichen,  zuweilen 
heftigen  Abscheu  wahr  gegen  die  Anwendung  der  körper- 
lichen Züchtigung,  ungeachtet  diese  die  Glieder  nicht 
zerst&rt,  sondera    dem  EOrper  nur  einen  vorübergehenden 


■  Code  eivil,  %.  22  ff.,  %.  tä:  Jj«  naiiage  qu'il  avftit  cootnctä  pi^ 
e^emment  est  disMus  quaot  h  toiu  see  effela  civiU."  üuCam,  HiniOT. 
de  St.  Eühnt,  VI,  235. 

*  PreuaiUche  Terf.  J.  lö:  .Der  bttrgOrliche  Tod  and  die  Stnft 
d«r  VermögenMJtuiehuiig  Gnden  nicht  slatu"  Deutsclie  EeicIuTerf.  v, 
1S49,  S.  136. 

BlUDlacbll.  >llgan«liiM  St«tirecht.   D.  32 


iM,C00<^lL' 


498  Zneiflea  Bach.    Freib«it«recbte. 

Schmerz  bereitet    Sclioo  das  Alterthum  hat  erkannt,  dasz 
dieselbe  fUr  die  Classen  der  fi^ieo  Borger  eiae  unpassende 


Drittes  Capitel 

B.    Dar  br«le  Gtbnudi  dw  Kfiipcn,  8«iubhr«Hi«tt. 

1.  Die  Unnatur  nnd  Widerrechtlichkeit  der  Sklaverei, 
welche  den  Menschen  zur  nnpersönlichen  Sache  gewaltsam 
niederdrückt,  wurde  oben  schon  besprochen.'  Weniger  ver- 
werflich ist  das  Institut  des  Colonats,  wie  wir  es  in  den 
sp&tem  Zeiten  des  rOmiechen  Reiches  treffen,  und  der  erb« 
hörigen  Baaerschaft,  wie  sie  während  des  Hittelalters 
fast  Überall  vorkam,  denn  es  wird  in  demselben  die  Per- 
sönlichkeit und  die  Berechtigung  der  Colonen  und  Hörigen 
in  sehr  wichtigen  Bezi^ungen  anerkannt;  und  selbst  die- 
nothwendige  Verbindung  der  hörigen  Bauern  mit  den  Grund-' 
stUcken ,  von  denen  sie  nicht  durch  den  Herrn  getrennt  wer^ 
den,  die  sie  aber  ebensowenig  nach  eigenem  Ermessen  ver* 
lassen  dürfen,  Ist  nicht  unter  alleD  Voranssetzangeo  anna- 
tQrlich.  Aber  fttr  einzelne  Individuen  wnrde  sie  zu  allen' 
Zeiten  zum  Unrecht,  fur  solche  nfimlich,  deren  natürliche 
Anlagen  einen  Anspruch  auf  höhere  Berufsbildung  und  eine- 
über  die  Or&nzen  des  Bauergutes  hinaosreichende  Wirksam- 
keit begründeten.  Solche  Individuen  an  die  Scholle  zu  fesseln, 
war  eine  Nichtachtung  ihres  angeborenen  Rechtes  und  ibtee- 
Bestimmung.  Freiere  Völker  werden  oberdem  einen  so  ge- 
bundenen Zustand  als  ihrer  unwürdig  auch  in  der  Regel  — 
selbst  abgesehen  von  jenen  iadividuellen  Ausnahmen  —  nicÜt 
ertragen. 

Es  wurde  daher  während  des  Mittelalters  immer  als  ein 

'*  Wo  Fi«[e  gebflttt  wniden,  erlittcD  SUbvcii   nnd  Hörig«  ßclilige. 
■  Buch  II,  Ckp.  7,  B.  bt  ff. 


i'M,Coo<^le 


DriUM  Capitel.    Der  frd«  OebraBch  dai  KOrpera,  BernbMheit.     490 

grosser  Forlschritt  zar  Freihat  begrUazt,  wenn  das  Recht 
des  freien  Zugs  erlangt  und  ui^undlicb  besUUagt  wuide.^ 
Hentzutage  ist  dasselbe  zn  dem  gemeinen  Rechte  der  civili- 
sirten  Nationen  geworden,  nnd  nur  unter  Ijesondern  Vor- 
aussetzungen bestehen  noch  einzelne  Beschrftnkungen  dessel- 
ben ausnahmsweise. 

Kne  besoDdere  Arides  freien  Zuges  ist  die  Answande- 
rosg  auraerinüb  linide«,  von  wtieber  frflher  die  Rede  war.* 

'  Tgl.  oben  die  Stelle  aus  der  Hagna  Charta  von  Eoglaad,  Bach  U, 
Cap.  18,  Kote  11.  Schon  die  altg^rmaDische  Fonn  dn  Freilaesnng 
■teilte  den  Eigenen  anf  einen  Kreazw^,  nad  eröffnete  ihm  die  Freiheit 
nach  den  vier  HirameUgegenden  zn  gehen,  wohin  er  wolle,  Mim  Zeichen 
der  Freiheit:  |De  qnataor  vii«  nbi  TOlueiis  amhalare  liberam  babeas  po- 
testatem."  Lex  Rotbarii  22S.  Lex  Ripuar.  61, 1.  Legea  Gnilelmi,  o.  Sfi. 
J.  Grimm,  deul«^  RcchtMlterthämer,  &  381  nnd  286.  Aneh  dea 
freien  Ziot-  aad  dem  Vogtelkeaten  war  solche  Freiheit  ventatlet:  Weia- 
Ibnm  bei  Qriinm,  Kechtsalterthümer.  S.  347:  „Abermal  safal&gt  der 
Zenoer  (centenariuB)  dreimal  an  die  Lanze,  rufet:  hör,  hör,  hör!  let  ein 
mano  in  diesem  freien  Hochgericht,  der  sich  darin  nidit  erziehen  noch 
aehian  kann,  der  aoll  eratlieh  beaablen  rndn  gn,  ChorfürsteD  and  Herrn, 
darnach  die  chriatlich  Kirch  nnd  den  gemdnen  mann,  and  loll  sein  fever 
mit  aoitDeBv^eiD  analeaehen;  da  ea  dann  saeh  were,  daat  der  arme  mann 
•ein  QüUeiB  geladen  b&tte  nnd  fUhre  in  ein  Platt  oder  Stadt  nnd  dara 
m.  gn.  Churfttrat  —  leiteo  hüme,  m  aolten  «einer  Diener  zwei  abeteigeo 
■nd  dem  armen  Hann  helfen  mit  dem  hindertten  Rad  da  daa  forderste 
gestanden  bat  (d.  h.  den  Wagen  weiter  aehiabeD).'  Dann  wnrda  aie 
anoh  aof  hoihörige  Leute  ansgedehnL  Oflnnug  T(ut  Hefienbach  19  bei 
Grimm,  Weielbümer  I,  76:  ,Ea  mag  ODch  ein  jegkllcher  von  nna  ziecben, 
wenn  er  wil,  von  riehlhom  oder  von  armnth  wegen,  *on  dem  herren 
■nd  mengklichem  onbekUmmeri*  Offnnng  von  Brfttten  ebenda,  S.  147: 
aHerr,  wer  dai  ein  man  hie  sesae  Im  dingbof,  dm  dnnk«,  daa  ayn  g«- 
werb  aoderscbwo  beeser  wer  dann  hie,  der  mag  ziechui  an  die  ryoh- 
etatt,  oder  in  loyaet  herren  von  Oeateryeh  atett  oder  in  Walletett,  oder 
■f  daa  laad ,  der  aol  ziechen  mjnes  herren  *on  einaidlen  eine  und  rechten 
one  aehadao,  daran  aol  ine  nieman  fiunen  noch  irrm.*  In  der  ifircheti- 
•ebeB  LandiehafI  war  der  fireie  Zng  aehon  an  Ende  daa  15.  Jahrhuoderia 
gemelDe«  Raeht  aneh  für  die  Hbrigen.  Tgl.  Blnntachli,  Bedttageachiohle 
Ton  Zflrieh  I,  8.  368. 

■  Oben  Bneh  II,  Cap.  la,  S.  100  ff.  Dentaefae  Aeichavdrf.  t.  1S49, 
J.  136:  „Die  Anawandernngafralbait  iat  von  Statawegen  nicht  baaehiinitt, 
Abtngageldar  dflribn  nicht  erhoben  werden. " 


iM,Coo<^lc 


300  ZweitM  BMb.    ErdkdiwMdil«. 

Baf^egen  kaitn  das  Recht  freier  Niederlassung  nicht 
ebenso  aussebliesalich  ab  ein  iodiriduelles  Frahettereoht 
eufgefeszt  werden ;  deon  bei  der  NiederlsasuDg  ist  oiebt  min- 
der die  Oemeinsahaft  .betkeiligt,  in  welcbe  aar  Mieder* 
gelasseoe  eiotritt,  als  dieser  selbst.  Das  Verhältaira  ist  da- 
her  Dicht  ein  einseitiges,  soadem  ein  gegenseitiges;  usd  m 
hat  die  Gemeinde  eio  Recht  darauf,  daas  auch  ihre  latecessen 
hei  Feststellung  <ter  Bedingungen  der  MiederlBseuog  bertlekr 
eichligt  werdeu.  *  Diese  Interessen  sind  indessen  je  nach 
der  CuUurstufe  und  dem  Verhältnisz  der  Bevölkerung  der 
verschiedeoen  Länder  verschieden. 

a.  Die  Sorge  für  das  Recht  der  Indiridtien ,  sich  frei 
zu  bewegpo  (the  power  of  loco-motion) ,  hat  in  vielen 
Staten  ou  verhältniszmäsz^eD  Garabüen  geführt: 

a)  gegen  willkOrliche  Verhaftung  in  mancherlei 
Formen,'  und  selbst  in  den  Fällen,  wo  die  Wahrscheinlich- 

*  Der  $.  133  <hr  dentsefaeo  BelchaTerfaMung  roa  1JI49  «diwa  die 
»bstrtcte  Heltinng  einer  indlvidnallen  HiedeiiurangsfrcilMit  für  &lle  Deat- 
ScIm«  in  wbr  m  begünatigcn ,  hn  aber  gende  doasMb  \m  Sttddeatoek- 
land  sJDen  tebh»(Ma  Wldertprueh  berTorgcrufiM  and  iat  mckt  lor  prMy 
tiedien  WlrkMmfceit  gelangt.  Sohweiteriscbe  Bundeeverf.  von  1M8: 
„'Keinem  SdkweJMr.  der  ejaer  der  chridlnAen  ConfesaioaeD  eugebört, 
kenn  die  Nled«rU.smiDg  in  ii^nd  «inen  Centoa  verweigert  werden .  wen 
er  (blgefide  Aiuwei«schrUteo  beeiut:  a)  efneu  HeiiiifttbBaehein  oder  eine 
andere  gleiehbedeatende  Aaewaiaschrift;  b)  äa  Zet^nUi  sittlicher  Avtt' 
fnlir^ng;  c)  eine  Beaebehiignng,  deez  er  in  bargerliahen  Rechten  tni4 
Ehren  atehe;  d)  wenn  er  auf  Verioiigeii  eich  Hiiweiseti  kann,  dass  er 
dordi  Yermögen ,  Bemf  oder  Qawerbe  aieh  und  aaiiK  FamUle  la  erntlhnn 
tm  Stande  ael." 

'  Englische  Magna  Charta  von  1215,  oben  Cap.  I,  Hole  3  und  die 
aebr  ausfflhrlldisn  Beatlmmungea  dtv  Habeas-Corpnaacte  Karia  IL 
voo)  Jahr  1B77.  Prctbeftsbriaf  Heroog  Heinrich«  von  Bayern  für  Laa^ 
fast  von  12W:  i,Jwicz  ettam  nallau  acilicet  dvem  dalinebit,  qni  mwuto- 
nam  pnpriam  hatMt,  niii  penam  meraMlt  «apitalem,  si  inansto  vakat 
penam  pro  maleficio  debitnm  et  condignara."  Plait-Oin^ntl  de  fMfOMK 
voo  1868,  J.  66:  hIIcid  daminlum  laaunnenae  qnodcnnqce  ait  non  potest 
«ea  debet  oapere  »en  »pi  ftoera  aliquam  pcraonam  sine  cogoltione. 
g.  62:  Item  si  aliqua  persona  aoeoaatur  in  ciau  criniula  aeu  de  crim  doq 


iM,Coo<^le 


Dritte«  C&piteJ.    B.   Derfr^OebrMcli  desKörpera,  Berafsfreiheft.    501 

keit  eines  Verbrechens  TOriiegt,  urnsomehr  Dbtnrlich  gegen 
Hlezbraiich  der  PolJBeigewalt.  Id  Beinem  berOhmlen  Buobe: 
^Des  lettres  de  cachet  et  des  ^risons  d'^lat"  hat  Mirabeau 
mit  dem  brennenden  Basz  eines  Betheiligten  nnd  der  gifin« 
senden  Beredsamkeit  eines  franz{Msehen  Tribom  g^en  die 
Tyrannü  der  in  Fntnkreioh  damals  Qbtich«i  kOniglicben 
Hafts  befehle  (lettres  de  eachet)  aas  StatsrUoksichtea  eisen 

l»Ie*t  Mu  dcbet  detincri  iii«i  litrocinium  r«periiliir  snper  ipanm  ftat 
sponle  conäleatnr.  %.  81:  Item  t«nelnr  episcopn«  faem  gunram  pro  qno- 
libet  cive  oeu  bnrgenae  aot  residente  luiBaDnenee  capto. "  Freiheit  der 
tUrcberisc&en  Landschaft  von  1489:  „Item  von  dea  T»akena  and 
tUrnena  wegen  haben  wir  —  sbgeret,  welcher  das  recht  vertrusten 
mag  vmb  sacben,  da*  nit  daa  leben  oder  Gr  berneri,  das  unser  e^dg«- 
notsen  von  Zürich  die  troalnng  nemen  and  die  so  bIm  Tertröstent  nit 
tfirnen  sÖllEnt."  Ton  neaem  TerAwNDgci)  aind  la  erwiUinen  die  nord- 
amerikagiache,  Znsais  Ton  1791:  ,Dm  Eecht  dee  Tolh«,  seine  Per- 
aon,  sein  Hans,  seine  PajHere  ond  Effecten  gegen  jedes  ungerechte  Ein* 
liehen  oder  Durchsnchen  gesichert  an  wissen,  soll  nicht  verletzt  werden; 
nnd  es  soll  dain  kein  Befeh)  ertheilt  werden,  der  eich  nicht  anf  eine 
watarsebeittHche  Drseolu  begrindei,  die  dnreh  unen  Eid  oder  eine  Ver- 
skhemi^  an  EUeatlatt  bekrUUgt  worden,  and  der  nicht  den  zn  dnrch- 
sncbenden  Ort  and  die  einxn ziehenden  Personen  genan  bezeichnet." 
Französische  von  1811,  J.  4:  „Niemand  kann  verfolgt  oder  verbatlet 
werden,  aoaier  in  den  von  den  Geseinn  vorgeMfarWMnen  FUlen,  nnd 
SM  nach  der  gesetzlichen  FamLi*  —  von  1S48,  S-  2.  Spanische  von 
1637,  S-  7.  Qriechiaohe  S-  4  and  6.  Deutsche  ReichsverA  v.  184S, 
S.  138.  Preusziscfae  S.S.  Port ngiesiache  von  1S27,  $.  145: 
n?)  Niemand  kann  ohne  eine  gegen  ihn  eingereichle  Klage  verhaftet  wer- 
den, anazer  in  den  gesetzlich  bestimmten  FKIlen,  nnd  in  diesen  Falten 
soll  der  Rtdrter  inaet^Mdb  24  Stnndw  (!■  entfernt«]  Orten  in  magKchat 
knraer  Zeit)  von  der  Blakerkenivg'  as  deaa  Verhafteten  darcb  dne  nnMi^ 
sricbnet«  Note  den  Ornnä  seiner  TerhaAwig,  die  Nanao  der  AnklSgir 
and  der  Zeugen,  wenn  er  eie  kennt,  bmd  tban."  Holltndls<sh« 
S.  151  nnd  IKL  Belgische  $.  7;  nAmter  dem  Falle  der  Ergreifung 
nf  Macher  That  kwin  NieniMid  udara  verhafte*  vrerden  aJa  kraft  eine« 
rkMcrliehen,  mit  OrSodcB  vcraeheBeB  Befehia,  welcher  in  ADget^bGcka 
der  Verhaftong  oder  spttteetena  binnen  !U  6Kanden  bekauol  geamoht 
weiden  maaz.*  Aehnlieh  d>e  öaterreickisehen  Ornndreehle  von  1840, 
%.  S.  Norwegische  Verf.  %.  98:  «Für  «nbdbgti  Haft  nhr  nageeet»- 
liehen  Aofintthalt  etehen  die  Betreffenien  den  VerbarieteK  aar  ?ePaM> 
worlung,' 


iM,Coo<^lc 


503  Zw&IAm  Buch.    Frdh«il«r«cktc. 

literarischea  Feldiug  eröffiiet,  aus  welchem  er,  getragen 
von  der  Flutb  der  Revolution,  als  biumpliirender  Sieger 
hervoi^ptig. '  Am  groszartigsten  und  erfolgreichsten  aber 
hatten  die  Engländer  von  alter  Zeit  her  fQr  diese  Freihat 
gekämpft,  und  eie  durch  die  Jahrhunderte  hinab  geiettet 
und  befestigt.  Das  engliAcbe  Recht  .verbietet  die  Bitgemeinen 
Veriiaftsbefehle  und  schQtat  den,  der  sich  wider  ungesetz- 
liche Verhaftung  mit  Gewalt  vertheidigt,  und  die  Habeae- 
corpnsacte  gewUirleistet  jedem  Verhafteten  das  Recht,  sieb 
sofort  auf  den  ordentlichen  Richter  zu  berufen,  damit  dieser 
die  Gesetzlichkeit  der  Verhaftung  prüfe  und  über-  ihre  Fort- 
dauer entscheide. '' 

Eine  polizeiliche  Inhaftsetzung  ist  indessen  nicht  ganz 
zu  entbehren,  namentlich  um  der  Contnmae-Anstalten 
gegen  epidemische  Erankh^ten  und  um  der  Wahnsin- 
nigen willen,  sowie  mit  Bezug  auf  die  Zucht  Ober  lieder- 
liche Arme  und  vorübergehend  zum  Schutz  der  AffentlicheR 
Sitte.  Aber  es  ist  allerdings  wichtig,  daez  die  Qrfinde  und 
die  Art  derselben  so  bestimmt  sden ,  dasz  dem  Miszbranch 
mi^Uchst  gewehrt  wird. 

b)  Eine  fernere  Garantie  liegt  in  der  gesetzlichen  Be- 
schränkung derEingränzungder Person  in  einen  besümm- 
ten  Ort,  ebenso  der  Verweisung  aus  einer  Gemeinde  und 
dar  Verbannung  auszer  Landes.^    In  der  Regel  bedarf 

*  Aub  Blkckatone  1, 1  sieht  duin  diMD  HaapIgageaaUi  iwischta 
franiönicbeia  AbaolntumaB  Di>d  «ngÜMher  Freiheit,  ood  führt  an,  de» 
•ogw  unter  dem  milden  Bcgimenle  dea  Cerdinale  Fleoiy  64,000  fokhe 
Heftbefehle  In  Franlueidi  eugeatellt  worden  eefen. 

'  Lieber,  Bär^erL  Preih.  S.  tö  B. 

•  Tgl.  Bneh  dertlber  die  Hegna  Oherte  (oben  Oap.  1,  thMe  3)  mA. 
die  Habeu.Coq>D««ate.  Du  engliaehe  geoteine  Secbt  kennt  die  Tnne- 
portatloa  sieht  einmel  alt  eigentliche  Strafe,  iODdeni  er&ffnet  dieaelbe 
nur  den  v<rartliüllen  CapilalTerbrecfaer  sie  Äneweg,  ata  der  wirkljchea 
Strafe  ta  entgehen,  in  ähnlicher  Weise,  wie  die  alten  Römer  das  Exil 
wlUlen,  nm  der  Venirlheüang  inm  Tode  auBinweicheo.    Blaekstona 


iM,C00<^lL' 


Drittes  C«pft«l.  B.  Der  frei«  GebrMch  desEörpera,  Berab&eibeit.    503 

es,  damit  der  A^ieUann  solcher  BeecIipaDkuDg  unterworfes 
werde,  eines  gerichtlichen  Straferkenntnisses ,  und  nur  aue- 
nahmaweise,  aber  Dur  aus  bestimmten  gesetzlichen  Gründen 
und  in  gemessenen  Schranken  ist  es  in  freien  Ländern  der 
PolizeigewaU  gestattet,  der  persönlichen  Freiheit  der  Indi- 
viduen durch  Verweisungsdekrete  Gewalt  anzuthun.* 

c)  Anerkennung  der  Reieefreiheit  auch  im  Ausland 
im  Gegensatz  geg^i  willkürliche  Paszverweigerung  oder 
lustige  PaszbeschränkuDg. 

6.  Eine  höhere  Sphäre  der  menschlichen  Gesellschaft 
eröffnet  sich,  wenn  das  Recht  der  freien  körperlichen 
Thätigkeit,  wenn  die  Freiheit  des  individuellen  Han- 
delns, des  Berufs  zur  Sprache  kommt.  Die  freie  Bewe- 
gung ist  dem  Menschen  noch  mit  dem  Thiere  gemein,  auf 
dieser  Stufe  aber  steht  er  hoch  Ober  dem  Thiere,  welches, 
nicht  „handeln"  kann.  In  dem  körperlichen  Handeln  und 
, Werken"  des  Menschen  offenbart  sich  die  individuelle 
Herrschaft  desselben  Über  die  Theile  der  äuszem  Natur, 
und  zuDäebst  hat  der  Stat  nicht  die  Aufgabe  ihn  dabei  zu 
leiten,  noch  das  Recht- der  Vormundschaft  über  ihn,  sondern 
die  Bestimmung,  die  Freiheit  seiner  Thätigkeit  zu  respec- 
tiren  und  zu  schützen.  In  dem  Kreise  des  individuellen 
und  des  FamilienlebeDS  wird  denn  auch  heutzutage  nun 
diese  Freiheit  in  weitester  Ausdehnung  so  regelmäszig  aner- 
kannt und  geübt,  dasz  es  überflüssig  erscheint,  dieselbe  ur- 
kundlich zu  gewährleisten. 

Verändert  wird  die  Sachlage,  wenn  das  Handeln  und 
Werken  zum  öffentlichen  Berufe  gleichsam  verbreitet 
und  zum  Gewerbe  wird;  denn  nun  erscheinen  nicht  blosz 
die  gewerbenden  Individuen  aondern  auch  die  Gesellschaft, 

*  Weit  »chliinmer  imd  geradeib  barbkrioch  ist  die  polizeiliche  De- 
portatinD,  tn  welcher  das  frantteische  Oeseii  von  18&8  die  Regiernog 
gegenüber  Personen  ermtclitigl,  die  wegen  eines  politischen  Vei^hena 
vemrüwilt  waren. 


iM,CoO<^lL' 


304  Zwälftea  Bnch.    Frelheltsrechl«. 

die  Geoneinde  und  der  Stat  beiheiligt  Die  Frage  ist  daher 
nicht  aasschliesziich  eine  Frage  des  Privatrechts,  sie  hat 
auch  eine  öflfentlich - rechtUche  Seite.  Die  Gewerbefrei- 
heit wird  durch  die  Gewerbeordnung  geregelt  Wir 
beg^nen  daher  hier  öfteren  Kämpfen  versehiedener  Prin- 
cipien.  Das  vorige  Jahrhundert  und  in  vielen  Ländern  auch 
die  erste  Hälfte  des  gegenwOr^gen  Jahrhunderts  war  noch 
einer  engen  Beschränkung  der  Gewerbe  ttieils  durch  die 
Handwerks-  und  Zunftordnungen  theils  durch  den  Vorbehalt 
der  StatecODcession  zugeneigt.  Die  neuere  Entwicklung  ist 
entschieden  der  Befreiung  der  Gewerbe  sowohl  von  dem 
Druck  und  der  Leitung  der  Zunftmeister  als  von  der-Tor- 
mundechafl  und  Aufsicht  des  Stats  zugelhan,  und  begOnstigt 
80  die  möglichst  ungehemmte  Entf^tung  aller  Arbeitskrftfle, 
und  damit  den  lebhaften  Wettstreit  in  allen  Gewerben.  Die 
Vorzüge  der  Freiheit  werden  höher  geschätzt,  ala  die  Ge> 
fehren,  welche  sie  begleiten,  und  so  mächtig  ist  die  Frei- 
heit, dasz  ein  Volk,  welches  sie  verschmäht  oder  sic^  vor 
ihr  furchtet,  in  kurzer  Zeit  weit  ziirUck  bleibt  hinter  dem 
Volke,  das  sich  mit  ihr  verbindet. 

Unlftugbar  aber  ist  dadurch  die  Desoi^nisation  der  ge- 
werbetreibendeu  Classen  noch  mehr  beflJrdert  worden  und 
die  folgende  Generation  wird  wohl  wieder  sich  bemfihen, 
eine  neue  Organisation  hervorzubringen,  welche  die  Früchte 
der  Freiheit  bewahrt  und  doch  den  Einzelnen  das  Gefllht 
des  Zusammenhalts  mit  den  Genossen  wiedei^ebt 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


,VierlM  CapHel.  C.  Freflidt  der  Hduangsbaazeniiig.  PrettTreibeit,    505 


Viertes  Gapitel. 


Der  oben  genauer  beeprocheoen  Freiheit  des  Bekannt- 
nfeaes '  rerwandt  ist  die  Fräheit  des  IndiridtiTinis ,  seine 
Ifeinting  auch  in  andern  Dingen  z»  ftuszern.  Die  inner- 
lichen Gedanken  des  Geistes  sind  der  Macht  nnd  dem 
Rechte  des  States  nicht  nnlertban.  Die  Freihat  derselben 
ist  dem  Individutim  ron  Gott  gegeben  und  durch  die  Un- 
eicbtbarkeit  gegen  jede  fiuszere  Bedrückung  geschützt  wor- 
den. £)s  kann  daher  nicht  Sache  des  menschlichen  und  irdi* 
sehen  Hechtes  sein,  die  Gedanken  beherrschen  oder  ordnen 
zu  wellen. 

Die  Offenbarung  des  Gedankens  aber,  die  Aensze* 
rong  in  dMn  Worte,  der  Schrift  oder  dem  Bilde  ist 
eben,  weil  sie  in  die  Erscheinungswelt  Qbertritt  und  durch 
die  Sinne  wahrgenommen  wird,  dem  Rechte  nicht  fk^md. 

Sie  bedarf  in  manchen  Fällen  seines  Schutzes,  und  da 
sie  in  sichtbaren  Zusammenhang  kommt  mit  der  Existenz 
der  vorhandenen  leiblichen  SchOpfung,  und  auf  diese  ein- 
wirkt, so  mnsz  sie  nun  auch  die.  rechtlichen  Sohntnken  be- 
achten, welche  die  gemeine  Rechtsordnung  bestimmt. 

Vorerst  ist  die  Freiheit  der  individuellen  Mei- 
nungsäusserung als  ein  natürliches  Recht  von  dem  State 
anmerkennen  nnd  zu  schützen ,  denn  sie  ist  in  der  That  zu- 
nächst  eine  Folge  der  von  Gott  dem  Menschen  anerschafl^- 
nen  innern  Gedankenfreiheit,  und  es  l&szt  sieb  auch 
hier  sagen:  der  Mensch  hat  das  Recht  zu  reden  wie  er 
denkt,  weil  er  die  Pflicht  hat  wahr  zu  sein.  In  allen  Zeiten 
ist  denn  auch  das  Prinoip  dieser  Sprechfreibeit  anerkannt 

■  Boch  IX,  Oap.  2. 


506  Zwölftel  BucIj.    Ereibdtiredit«. 

und  dieselbe  als  eine  der '  wichtigsten  Seiten  aller  persön- 
lichen Fräheit  angesehen  und  gepriesen  worden.^ 

Ob  diese  Aeuezerung  durch  des  lebendige  Wort  des 
Hundes  geschehe,  oder  in  der. Schrift  fizirt  oder  in  Bildern 
dargestellt  werde,  ändert  an  dem  Wesen  nichts.  Das  alles 
ist  Offenbarung  and  Hittbeilnng  des  indiriduellen  Gdstes 
und  individueller  Geftlhle.  Als  aber  durch  die  Erändung 
der  Druckerpresse  ein  Auszeres  Mittel  gegeben  war,  die 
Schrift  viel  tausendfach  zu  vervielfälügeQ  und  nach  allen 
Seiten  hin  an  das  Volk  zu  bringen ,  und  als  durch  die  kirch- 
lichen Geisteakämpfe  des  löten  Jahrhunderts  die  ]>iden- 
schaften  aas  tiefem  Grunde  aufgeregt  uud  durch  die  Partei- 
schriften in  heftige  Bew^ping  versetzt  wurden ,  da  baoi  mea 
auf  die  lastitaüon  der  statüchen  Censur,  welche  Über  die 
Presse  wachen  und  es  verhindera  sollte,  dasz  dieselbe  auch 
denen  diene,  welche  die  vom  State  geschützte  Confesaton 
bestreiten  oder  seinen  Interessen  und  dem  Gange  seiner  Po- 
litik feindlich  entgegentreten.'  Torausgegangen  war  ihr  schon 
s^t  dem  Papste  Alexander  VI.  die  kirchliche  Censur 
tlber  alle  gedruckten  Bücher.  In  der  ersten  HtUfte  des  löten 

'  Earipides,  Ptiüaicierinaen : 
Jokut«:        Wu  i«t  bo  Harte«  denn  an  der  VerweisuDg^? 
PoljriMikeB:  Du  SehrwklidiBle  üt  das:  der  FlUcbtÜDg  darf 
Nicht  offen  reden,  wie  er  gerne  mt>ehte. 
Jokute:        Wu  Dn  mir  Mgat,  iat  eine«  Sklaven  Looa: 
Nicht  reden  dfirfeu,  wie  man'!  meint 
Ein  licherlieh  nn verwerflich«   Zeagniei  Iat  da«  de«   Kaisers  Tiberiu* 
bei  5Hf(on,  Tib.  3S:  ,Jactabat,  in  avilatt  Kbtra  liftgvam  menttmgut  Ukt- 
nu  Ott  Mert.* 

■  Im  Allerthum  finden  wir  die  nämifclien  Gedanken  schon  von  dem 
Philowphen  Piaton  in  Torashlag  gebracht  In  dem  Vn.  Bncbe  *ob 
dan  QeaclHD  I&sxt  «r  den  ALhenem  eia  OeaetB  beantragen,  ndasi  der 
IMchter  nicht«  anderes  in  seine  Dichtung  bringe,  al«  was  mit  dem  von 
State  als  gesetzlich  oder  scbön  oder  gnt  Anerkennten  ütiereinstimml,  nnd 
daaz  ihm  nicht  erianbt  «ein  «olle,  «eine  Dichtongen  irgend  einem  Ein- 
celnen  lu  zeigen,  bevor  «ie  den  dazu  verordneten  Ricbteni  nud  den  Qe- 
aetsverwesern  gesdgt  worden  and  Ihren  Beifall  erhaiien  haben." 


iM,C00<^lL' 


TIeitM  CapiUL  C.  Fraibcit  4«  K«iQuiiKBKuueninf.  Pruin^iheit.    507 

Jahrhunderte  wurde  sie  ia  den  enropäischea  Monarchien 
Uat  überall,  in  Deutschland  durah  Reicbsgesetze,  aber 
selbst  in  den  schweizerischen  Republiken,  den  katho- 
lischen und  den  reformirten  eingeführt. 

Zuerst  wurde  die  Preszfreiheit  als  eine  reife  Frucht 
Ton  dem  stolzen  Baume  der  englischen  Freiheit  gepflückt* 
Unter  der  ruhmvollen  Re^erung  des  Oraniers,  Wilhelm  I. 
1694,  wurden  die  Volhnachteu,  d^^n  die  Geusoren  Oicen- 
sers)  bedurften,  von  dem  Parlament  nicht  mehr  bestätigt,' 
und  von  da  an  gab  es  in  England  keine  Censur  mehr.  In 
PrensBen  machte  Fnedricb  der  Grosse  einige  Versuche,  die 
Preszfreibdt  etnauftthren,  aber  hielt  darin  nicht  aus,  und 
nach  seinem  Tode  wurde  die  Censur  wieder  so  engherzig 
und  kurzsichtig  wie  zuvor.*  Die  Nordamerikaner  nah- 
men das  Verbot  der  Censar  1791  in  ihre  Verfassung  aut 
Die  französische  Revolution  proclamirte  die  Preszfreiheit 
als  ein  heiliges  Menschenrecht,  achtete  aber  in  den  Zeiten, 
der  erregten  Volksteidenschaft  dieeee  Recht  so  wenig  als 
alle  andern.  In  unserm  Jahrhunderte  ist  dieselbe  zum  ge- 
meinen Rechte  der  civilisirten  Staten  von  Europa  und 
Amenka  gewordeo.  ^    Rnsziand  ist  fast  die  einzige  Macht 

*  Eine  beredte  Vertheidlgaog  der  Preflilreibdt  fast  «ehOD  TacUut 
Ann.  IT,  34  und  ätL,  iro  M  unter  aad«rai  b«Uzt:  nLibroa  per  aediiea 
cremsadoa  censnere  palrea,  ied  manBeniDt,  oceullati  et  editi.  Quo  ma- 
gtB  soeordiam  earnm  inrldere  übet  qul  praesenti  potenUa  credunt  czUDgai 
pOB»e  etiam  sequeotif  aevi  memoriam.  Ham  eonlra,  ptmilii  imgrHtis, 
gtiteit  aueUfiitat:  oeque  aliud  csterni  reges  aut  qui  eadein  aaevitia  uai 
aunl,  DMi  dedccaa  libi  atqne  illü  gloriani  peperere.*  tJnler  den  Neuem  hat 
H ilton  für  ibi«  Einfiibrung  den  Kampf  mit  glänzenden  Waffen  eröffnet. 

'  Blackatone  IV,  11.     Rusiel,  engl.  Verf.  Cap.  13. 

'  Vgl.  Biedprmaiin,  Qesch.  de«  XVIU.  Jahrh.  1,  8.  119  ff. 

'  Franiöaiscbe  Verfasaong  von  1811,  J.  8,  und  bestinunler  tob 
1830,  $.  7,  nacbdem  die  nnglQcklichen  OrdonnaBien  Karls  X.  an  diesem 
f«isbam)  Punkte  das  franzöaiicbe  Volk  verleut  batten.  Die  schwelzeri- 
•cben  Cantonalverfassungen  seit  1830  meistens,  die  Bundeaver- 
faaeung  tod  1848,  S.  45.  Spaniscbe  von  1837,  S-  ^  Portugie- 
sissbe  von  l&M,  %.  145,  3.     Belgiacbe  $.  18:  „Die  Presse  ist  fnd; 


iM,Coo<^lc 


S08  ZvUKleg  Bacb.    FreilieilUMhtr. 

ron  Bedeutung,  welche  noch  das  System  der  staUichen  Vor* 
nfUDdscTiaft  Ober  die  Presse  eafrecht  erhält,  und  woh}  aach 
noch  längere  Zeit  erbalten  musz. 

Wir  wiasen  freilich  aus  Erfahrnng,  dass  durch  eine 
schlechte  and  liederliche  Presae  häufig  sitüiche  Verwirrung 
und  groBze  üebelstände  aller  Art  theila  verbreitet  und  ge- 
fordert, theils  herrorgerufen  worden  sind-,  kudibI  unter  VOl« 
kern,  die  zu  einer  geordneten  Freiheit  nicht  eraogen  worden 

die  CeDBur  kann  nie  eingeführt  werdenj  ei<  bedarf  kucb  kdner  Sicher- 
iieilale istung  von  Seiten  der  SehrinaUller,  TerJeger  oder  DrUcker.  Wenn 
d«r  SehrillMrlter  bebtnaj  nnd  In  Belgien  «niiarig  ist,  so  hurn  d«r  Tsr- 
lieger,  Draqker  oder  Tertbeiler  ojclit  g«riehllkh  voiblgt  werdeo."  Hor> 
wegiaclie  $.  100:  sP''e6>treilieit  mutz  stattfinden.  NiemKDd  kiuin  Tilr 
irgend  eine  Sciirift,  welclien  Inhalts  diesellie  auch  sei,  die  er  hat  drucken 
oder  herausgeben  lassen,  bestraft  werden,  es  sd  denn,  dasz  er  *orsJl(iKcfa 
und  oO^biv  entwed«r  sich  selbst  des  Unjvhortuis  gegra  die  Oeaetu, 
der  QeringKhttiDiig  der  Religion,  der  Sittlichkeit  oder  der  coostitntlo- 
nellen  Gewalten  und  des  Widerstandes  gegen  die  Befehle  derselben 
schuldig  gemschl  oder  andere  dam  snfgereiil,  oder  fische  öder  ehrea- 
rtthrige  Besehutdi  gingen  g^«n  irgend  jemandca  yorgebrwdit  hat.  Frei- 
millbige  AeaSMrnngen  Über  jie  Statsierwallnog  and  Jeden  andern  Gegeo- 
staod  sind  jedermann  gestattet."  Griechische  S-  ^0:  nJedennann  darf 
seine  Hein nngen  kund  geben  in  dem  lebendigen  Wort  oder  durch  die 
Presse,  insoftvn  er  rieh  den  Gesetsen  des  Slatea  gcnsiM  bcninnit.  Di» 
Presse  tst  frei,  und  die  Censar  darf  nicht  eingeführt  werden.  Die  ver- 
antwortlichen Redactore,  die  Verleger  and  Drucker  der  Zeitui^n  sind 
XU  keiner  Cautionsstelhing  verpilicfatet.  Die  Terieger  derselben  vauetn 
griechische  Bürger  sein.'  Oesterrelchische  Oraudrecht«  wm  18*9, 
%.  G;  „Jedermann  hat  das  Recht,  darcb  Wort,  Schrift,  Druck  oder  bild- 
liche ßarstellnng  seine  Helniing  frd  zn  Knszern.  Die  Preise  darf  nicht 
unler  Censur  gestellt  werden.  Gegen  den  Mistbraudi.  der  Presse  wird 
ein  RepressiTgesett  erlassen."  Preusziscbe  $.  27;  ,Dle  Oenaor  dHrf 
nicht  eiogenihrt  werden,  jede  andere  Beschränkung  der  Preszfrafaelt  nur 
im  Wege  der  Qesetzgefonng."  Eine  eigen th  Dm ii che  Bestimmung  iiber 
eine  Art  Censur  in  der  schwedischen  Verf.  g.  108.  Sehr  gflnslig  der 
Preezfrelhelt  ist  die  Bestirnmang  der  deutschen  Reieheverf.  von  1849, 
§.  143:  Die  Preszfrelheit  darf  unter  keinen  ümstfinden  und  In  keiner 
Weise  dnrcb  vorbeugende  Kaszregeln,  nsmenlHcb  Censur,  Concps- 
slonen ,  flicherhellsbestellnngen ,  Statsauflagen ,  BeschränknngeD  der 
Drackereien  oder  des  Buchhandels,  Poetrerbote  oder  andere  Hemmangen 
des  freien  Verkehrs  beschrSnkt,  SQspendlrt  oder  anfgehoben  werden." 


iM,Coo<^lc 


TierteB  Caplte).  O.FKiheitderlleiRUDgsiunenLDg.  Preaifrefhelt    fi09 

■waren,  ood  des  oft  Tentominene  Rahm  der  Pregzrreibeit,  sie 
heile  jedwseit  die  Wunden  selber  wieder,  die  sie  gescblagrä, 
ist  trügeiisch.  Ein  sittmlOBes  und  rerdorbenes  Volk  wird 
durch  die  Preszfreiheit  ecbwerlich  gerettet  werden.  ^  Aber  ' 
wir  baben  auch  die  Erftihrung  genaacbt,  dasx  der  Ruhm  def 
Censur,  den  Stat  TOr  ErschlltterUBg  xu'  bewahren  und  die 
Öffentliche  Ruhe  und  Wohlfahrt  mächtig  zu  stützen,  nicht 
weiHger  eitel  ist  Ifeistens  hat  vor  dem  Auabmch  einer 
Revolution  die  Ceiieur  geherrscht,  und  wöbreod  derselben 
nur  dem  Scheine  nachPreszlreiheit  beatanden,  in  der  Wahr- 
heit aber  nur  zu  Gunsten  der  aiegreichen  Partei.  Nur  is 
einer  wirklich  freien  und  Religion,  gute  Sitte  und  Recht 
achtenden  Nation  wird  sich  daher  die  Preszrreibeit  in  ihrer 
Wonle  und  ihrer  wohlthatigen  Wirkung  bew&hren.  Dann 
aber  ist  sie  ein  kostbarer  Edelstein,  ron  ursprOnglichem 
Lichtglanz  erfüllt.  Der  human  gewordene  Stat  wird  sie  da- 
her stets  ehren  und  sorgsam  bewahren,  und  die  öffentliche 
Meinui^  und  das  ganze  geistige  Lebeu  der  Nation  wird  in 
ihr  mehtbar  und  durch  sie  erleuchtet    - 

ßchrankenlos  aber  darf  auch  diese  Freiheit  nicht  sein. 
Nur  ist  die  Cenanr  nicht  die  redite  Weise  ihrer  Beschrän- 
kung; deon  diese,  und  würde  sie  noch  so  milde  und  um- 
sichtig  gehandbajtit,  hebt  jene  im  Piiacip  aaf ;  da  der  Wille 
des  Censors  zam  Vonaund  gesetzt  wird  über  die  Ueinungen 
mündiger  Männer,  auiih  wenn  sie  einen  umfassenderen  oder 
schärferen  Blick  haben  in  das  Leben  der  Menschen  und  in 
das  Reich  der  Wahiiieit,  als  der  Cmsor. 

Die  einen  Schranken  der  Preszfreih^t  sind  gemein- 
sam für  alle  VeröffenÜicbuDg  durch  die  Presse;  andere  be- 
ziehen üob  tuir  auf  die  politische  Presse  im  eigentlichen 
Sinne,  insbesondere   auf  politische  Zeitungen,    BrOBchüreo- 

•  Perti  In  Steios  Leben  I,  8. 180:  ,D«  Prestfrefhelt  nicht  «cbaAt, 
■mderB  mar  zh  Tag«  briagt,  ■«  «rwsrtM  tomh  von  Ikr  TMg;ebau  HWs, 
wo  GUuben  und  Silten  verdorbCD  atod." 


iM,Coo<^lc 


510  ZwölftcB  Bvch.    PreibetUrechte. 

IJtemtur  and  Placate.  Bei  dieser  nfimlich  ist  die  Rohe  und 
Wohlfiihrt;,  daher  aucli  das  Recht  des  Stets  unmitlelbar, 
im  übrigen  nur  mittelbar  betheiligt.  Ueberdem  liat  die  po- 
litische Presse  weder  die  At>sicht  noch  den  Charakter,  der 
Erkenntnisz  und  Verbreitung  der  Wahrheit  als  solcher  ni 
dienen ,  wie  die  xahlreichen  wissenschaftlichen  Werke  jeder 
Art,  noch  das  Privatleben  zu  erheitern,  zu  verschtteern  wie 
die  schOne  Literatur,  sondern  sie  nimmt  ihrer  Natar  nsofa 
an  den  Bewegungen  und  Kämpfen  der  Politik  eisra  Tor- 
jiehmlich  durch  diese  bedingten  llteil,  und  ist  in  ganc 
TorzUglichem  Sinne  auch  zu  einer  Parteimacht  geworden, 
die  in  unsenn  Jahrlmndert,  den  Eriegsacfaaaren  vergleich* 
bar,  mit  aDen  Wsffbn  des  GKiistes  Air  besHmmte  Plane  nnd 
Bestrebungen  streitet,  und  l^lich  ihre  klonen  SchannDtzel, 
CQweilen  auch  grosze  nachwirkende,  obwohl  unblutige  Schlach- 
ten liefert.  Der  Stat  musz  diese  eigenthOmliohe  Bedeutung 
der  politischen  Presse  beachten,  weil  sie  ihm  ans  Leben  gebt. 
Die  ganze  Presse  musz  die  allgemeinen  Schranken  des 
Rechtes,  und  die  individuelle  Frähelt  musz  die  Rechtsord- 
nung der-Welt,  in  welche  sie  nun  um  ihrer  Aeuszerung 
willen  übertritt,  achten.  Daher  darf  sie  weder  in  der  Form 
noch  in  dem  Inhalte  der  Aeusserung  die  Rechtssphäre  des 
Stets  oder  der  Individuen  verletzen.  Der  Gesetcgebung  liegt 
die  Sorge  ob ,  das  im  Einzelnen  nach  den  verschiedenen  Rich- 
tungen zu  nanniren,  und  die  Preszvergehen,  je  nachdem 
ne  die  Majestät  und  Sicherheit  des  States  selbst  oder  die 
öffentliche  Sittlichkeit  oder  die  Ehre  der  Personen  und  die 
Ruhe  des  Familienlebens  verletzen,  mit  Strafe  au  bedrohen. 
Eine  umfessendere  und  nähere  Sorge  aber  erfordert  die 
politische  Presse.  Vor  eilen  Dingen  ist  es  Sache  der 
Stetsregierung,  fortwährend  genau  und  Tollstftndig  die  man- 
cherlei Richtungen,  die  ganze  Thätigkeit  und  die  Wirksem- 
keät  der  politiaeheo  literatur  in  Gutem  und  Bösem  zu  be- 
obachten, und  je  nach  Umständen  diese  zu  benutzen  oder 


nigiti/cdtvCoC^Ic 


Ti«rtesCkpit«l.  C.  Preilieit  derUeiDunggfioBzeriing.  Pmcfreibeit.    gH 

,ihr  ZU  begegoen.  Die  EiDricbtung  eines  Ceneoramtes  in 
solchem  Sioae,  einer  iDEpectioa  und  theilweise  Direction  der 
politischen  Presse  würde  eher  an  die  römische  als  an  die  nun 
abgeschaffte  B&chercensur  der  letzten  Zeiten  erinnern.  Es 
wäre  fürwahr  eine  ebenso  ehrenvolle  als  ntltzlicbe  AnTgabe 
angesehener  U&nner  von  wissenschaftlichem  Rang  und  poli- 
tischer Einsicht,  die  Statsvegierung  fortwährend  in  Eenntniss 
zu  erhalten  von  den  Strömungen  der  OfTentlichen  Meinung  und 
den  mannichbltigen  Bedürfnissen ,  die  sich  in  derselben  kund 
geben,  und  die  oOthigen  Entgegnungen  und  Aufkifimngen 
in  der  Presse  von  ihrer  Seite  hinwieder  vorzubereiten. 
Gegenwärtig  fehlt  es  noch  meistens  an  einer  derartigen  In- 
stitution, und  manche  Versuche ,  ein  statliches  „Preszbureaa' 
zu  bestellen,  sind,  weil  zu  enge  und  sttpolizeilich  gedachti 
klaglich  verunglückt.  In  Frankreich  aber  ist  diese  Statspflege 
der  Presse  bis  zur  Statsherrschaft  über  die  Presse  gesteigert 
und  damit  die  Preszfreiheit  unterdruckt  worden- 

Im  übrigen  kommen  folgende  Schranken  der  politischen 
iJteratur  zur  Sprache: 

a)  Die  Nothwendigkeit  von  Cautionen  der  Unteroeh* 
tuer  von  Zeitungen,  ist  als  eine  Garantie  der  Solidität  eines 
fUr  das  Öffentliche  politische  Leben  bestimmten  Institutes 
nicht  gerade  verwerflich  aber  wenig  wirksam.  Ist  eine  po- 
litische Zeitung  in  irgend  einer  bestimmten  Richtung  wahres 
BedOrfhisz,  so  wird  es  ihr  gelingen,  auch  die  nöthige  ma- 
terielle  Grundlage  ihrer  Existenz  und  damit  auch  die  Cau- 
tion  aufzubringen.  Wenn  aber  creditlose  Menschen  durch 
jene  Schranke  gehindert  werden,  als  politische  Lehrer  und 
FDhrer  sich  vorzudrängen,  so  Hegt  diese  Zurückweisung  der- 
selben im  Interesse  des  States. 

b)  Das  Concessions System  für  die  Berau^iabe 
von  Zeitungen  hat  das  ernste  Bedenken  gegen  sich,  dasz 
daaselbe  leicht  miszbraucht  werden  kann,  um  jede  Oppo- 
sitionspresse unmöglich  zu   machen,  and  so  die  Pres&- 

n,g,t,7rJM,COO<^IC 


SIS  ZwfilftM  Buch.    FrdiMitarecliI«- 

freih«it  auf  dieeer  Seite  voUsULtiäig  bu  Ubmen.  Es  ist 
daher  nur  uteoUsn  vertrilf  lieh  soit  der  Idee  der  PreszfreUieiti 
als  die  Bewilligung  nicht  willkürlich  verweigert  werden  darf, 
sondern  sobald  gewisse  allgemüne  für  alle  Partf^en  gleiche 
Bedingungen  vorhanden  sind ,  gew&brt  werden  mn^.  Es  ist 
sebOD  der  Vorschlag  gemacht  worden,  dasz  nvr  solchen  In- 
dividuen gestattet  werden  sollte,  als  Bedactoren  einer  Zei-r 
tung  regelmOszig  Offmtlich  zum  Volke  m  reden,  welche 
eine  wissenschaftliche  PrUfking  in  der  Jurisprudenz  od^ 
Statswissenschaft  bestanden  und  so  sich  Über  ihre  Befähigung 
ausgewiesen  haben. '  Allein  selbst  wenn  es  möglieh  wäre, 
solche  Prüfungen  von  einem  ungebührlichen  Einflüsse  des 
Sympathie  und  Antipathie  der  im  State  herrsehenden  Partei 
frei  SU  erhalten,  so  würde  doch  unvermeidlich  eine  solche 
Einrichtung  dem  Zopfe  der  Schule  verfallen.  Eher  dürften 
fUr  die  Zeitungsredactoren  die  nämlichen  Eigenschaftea 
verlangt  werden,  welche  der  Stat  für  die  Geschwornen 
oder  Deputirten  fordert  Die  Redaction  einer  Zeitung 
ist  zwar  ein  freier,  aber  ein  so  eminent  politischer  Beruf, 
der  an  Bedeutung  und  an  Einflusz  auf  die  Statswoblfabrt 
sehr  viele  öffentliche  Aemter  überragt,  dasz  nicht  Jeder- 
mann fUr  würdig  und  fähig  gehallen  werden  kann  ihn  zu 
Üben.  Es  sollten  daher  jedenfalls  nicht  geringere  Ansprüche 
an  die  persönliche  TUcht^keit  und  Solidität  der  Bedactoren 
gemacht  werden,  als  an  die  Männer,  welche  die  genannten 
politischen  Functionen  übernehmen. 

c)  In  neuerer  Zeit  hat  die  Statsgewalt  in  TerscbiedeneD 
Ländern,  zuerst  in  Frankreich  mit  heftig  wirkendem  Erfolg 
die  Maszregel  der  Suspension  oder  Unterdrückung 
einer  Zeitung  nach  vorausgegangener  mehrmaliger  Verwar- 
nung eingeführt.  Durch  dieselbe  wurde  wohl  dafür  gesorgt, 
dasz  die  Regierung  jederzeit  eine  wirklich  gefährliche  oder 

•  Zöpfl,  D.  St.  B.  S.  30i. 

n,g,t,7.dt,'GöOglc 


TIertu  CaplM.  C.  FrailMit  derHnnaDgfiiiiMrniig.  Pi«Hfreih«lt.    5J3 

verderblich^  Riehtnug  der  Preue  unterdrücken  kODoe;  aber 
Dicht  ebenao  wurden  duRlr  Oaraotien  gewährt,  daaz  die 
berechtigte  Freiheit  der  U^nungsttneiierung  und  der  Opposition 
fortbeetebe.  Wenn  der  Fortbestand  der  Journale  tod  der 
Gnade  der  R^eiung  abhSogt,  00  ist  der  Inhalt  der  Jour- 
nale ebenso  von  dem  WiUen  der  R^erang  abhfingig,  und 
die  PreszTreiheit  besteht  nur  dem  Namen  naeb.  Die  wahre 
'Aurgabe  ist  aber,  die  Sicherheit  des  States  xn  Terbinden 
mit  der  freien  Bew^ung  der  Parteien  und  der  Individneo, 
nicht  bald  jene,  bald  diese  zu  opfern. 

d)  HAufig  werden  die  Zeitungsblätter  mit  einer  Stem- 
pelgebübr  belegt,  sc^r  in  dem  fireien  England.  Diese 
Haszregri  hat  voraus  die  fiscale  Bedeutung  einer  Einnahms- 
quelle  tür  die  StatMasee.  Daneben  bann  sie  auch  das  Auf- 
kommen von  ganz  niedrig  gehaltenen  ftlr  d^n  Pöbel  berech* 
neten  Zeitungen  einigermaszen  erschweren,  zuw^len  verhin- 
dern. Aber  statswirtbschafUicb  ist  sie  durchaus  nicht  au 
rechtfertigen,  da  eie  «nen  einzelnen  Erwerbszw^g,  der  Uber- 
dcm  nur  In  zweiter  liuie  von  Ökonomischer  Natur  ist,  im 
Vei|[leich  mit  andern  Berufearten  ganz  übermäsiig  belastet 
und  geradeau  zu  einer  unwQrdigen  Besteuerung  der  freien 
Meinungsfiufizerung  wird. 

e)  Eine  practisch  sehr  wichtige  und  wohl  begründete, 
gerade  dem  Wesen  der  Freszfreiheit  zusagende  Schranke 
derselben  Ist  die  Anerkennung  des  Rechtes  jeder  in  einer 
Zeitung  angegrißtenen  Person,  oder  Behörde,  sich  in  dem 
nämlichen  Blatte  und  vor  dem  nämlichen  Publicum  zu  ver- 
ibeidigen'.  Wer  an  der  Spitze  eines  öffentlichen  Journals 
steht  und  fUr  sich  selber  die  Preszfrriheit  in  au^edehntem 
Sinne  stets  in  Anspruch  nimmt,  soll  in  besonderem  Masze 
auch  die  Freiheit  der  Andern,  ebenfalls  ihre  Meinung  zu 
äuBzern,  respecüren  und  hat  er  einen  Andern  in  seinem  ■ 
Blatte  öffentlich  ang^riffen  oder  angreifen  lassen,  so  hat 
er  gerade  dadurch  die  ö^ntliche  Vertheidigung  desselben 

BluDUChli,  sDl«!»«!!)«  SUtarecbt    II.  33 

n,g,ti7rJM,C00<^lL' 


51i  '  ZwfitftM  Bdob.    FrcIMnrMhttt. 

bervoi^enifen  nnd  er  iät  diesem  und  dem  Publieom  gegen- 
ober rerpflichlet,  diese  VertbetdiKUDg  dB  zuzulassen,  wo  sie 
in  der  Regel  allein  Di^^Hch  and  wirksam  ist.  Die  Erwie- 
derung in  andern  BlUtern  nAmlich  hilft  in  sehr  viden  F^len 
wenig,  weil  dann  die  Vertbddigung  nicht  Tor  dem  nOm- 
liehen  Publicam  geftlhrt  wird,  vor  welchem  der  Angriff  ge- 
schrien ist,  und  ist  Qberdem  häufig  nicht  mC^tich,  da  an- 
dere Redactwen  nicht  immer  ein  Interesse  und  gewöhnlich 
auch  nicht  die  Päichl  haben,  ihre  Spatben  dem  persönlichen 
Streite  zu  öffhen." 

0  Strengere  Hassregeln  gegen  Pseudonyme  Angriffe  sind 
anoh  schon  in  einielsen  Ländern  verfUgt  worden, ><  helfen 
aber  wenig. 

g)  In  Zeiten  der  Statenotii,  wie  in  Kriegszeäten  oder 
wenn  offener  Aufruhr  droht,  werden  der  politischen  Presse 
gegenüber  auszerordentlicheBeschrankungennöthig  tind 
gerade  darum  zulftsaig.  Werden  solche  Ausnahmsbeschrftn- 
kungen  durch  die  Verfossnng  oder  die  Gesetzgebnng  nicht 
vorgesehen  und  möglich  gemacht ,  so  ist  die  doppelte  Oefiihr 
unvermeidlich ,  dasz  entweder  der  Stat  um  deezwillen  grossen 
Schaden  leidet  und  die  NoÜi  desselben  vermehrt  wiM^oder 

"  O&nz  gut  z.  B.  J.  17  des  Uteren  österreichischen  Pr««£g«> 
■etzes:  „Der  Herausgeber  eiuer  periodiMhen  Druckschrift  ist  sehuMig, 
jede  amltiche  B«richtigUDg  der  dariA  mitgelbeUlen  ThatM<^D  io  dM 
innftchst  nioli  deren  Bmpfsn^  ersohoinead«  Blatt  (Nrnnioer)  oder  Heft 
-  kostenfrei  aufm  nehmen.  Andere  Bcrichlignngen  von  ThaUacbeD  von 
Seite  der  ADgegrifTeneD  ist  der  Herausgeber  in  gleicher  Art,  jedoch  nur 
tnsoferae  anentgeltlich  safznnebmen  sebuldlg,  als  der  Omfang  der  Bnt- 
gegnang  den  Qmfang  dee  Artikels  nifjit  ttbersteigt,  anf  welehen  aiek 
die  Entgegnung  bezieht.  Ist  aber  diesi  der  Fall,  so  sind  (Hr  die  meh- 
reren Zeilen,  die  nicht  das  Zweifache  des  angreifenden  Artikels  Ober- 
steigen  dUrfen,  die  geiröhDllchen  Einrückungsgebllhren  tu  zahlen.  Im 
Falle  der  Terweigcrnng  ist  der  Herapagaber  dnrch  den  Slatsanwall  zur 
-  Aaftiahnie  au  verhalten." 

"  Schon  der  Kaiser  Augnstas  (Sneion,  Octav,  56)  censuit,  cog- 
DOBceiidum  poetbac  de  üa,  <jui  libellos  ant  cArmina  ad  infamiain  cujua- 
quam  sob  alieno  ncnnine  edant* 


iM,Coo<^lc 


Fünnea  Capitel.  D.  SobmU  d«  Haueidsdens  und  fteien  Verkehrs.    515 

dasz  in  Form  der  ungesetzliebeo  Witlkür  dennoch,  sei  es 
von  oben  oder  von  aatto  her,  der  Preeifrelheit  üscäsch  ein 
Ende  gemacht  wird.  Das  letalere  trifft  gewöbnlich  ein. 
Zwar  steht  dann  die  Garantie  der  Preaxfreibeit  auf  dem 
P^ier.  Aber  webe  dem,  der  es  wagt,  im  Widerspruch  mit 
den  heiszen  Leideoschaften  der  gerade  berrsebenden'  Ha^^ 
eine  Heinong  zu  äuszem,  welche  dieser  rerhaezt  ist  oder 
geßtbrliob  scheint.  Besser  daher,  es  werde  die  doch  un- 
rermeidliche  Beachrftnlcung  iu  den  Wegen  des  Qeaetaes  an- 
geordneL 

h)  Der  Anschlag  von  Placateo  politischen  Inhalts  darf 
füglich  unter  die  unmittelbare  Aufsicht  der  Polizei  gesetzt 
werden,  denn  das  ist  nicht  mehr  einfache  freie  Ueinungs- 
äasaerung,  sondern  die  Form  sdion  spielt  in  das  Gebiet  der 
Proclamation  aber,  welche  der  ölfentlicben  Autorität  allein 
msteht. 


Fttnftee  GxpHxü 

D.    SchuU  des  MaDSfriedens  and  des  l^en  Verkehrs. 

1.  Eine  der  schönsten  Rechtsideen,  welche  in  den  ger- 
manischen Rechten  zur  Verwirklichung  gelangt  ist,  und  eine 
der  wichtigsten  Freiheiten ,  welche  der  Stat  dem  Individuum 
gewähren  kann,  ist  die  Anerkennung  und  der  Schatz  des 
Hausfriedens.'     lunerhalb  der  Umzäunung  seines  Hofes 

'  Lex  B^vnmr.  S.  1,  %.  2.  „Nemo  ingrediBtnr  alienAiti  doniQiii  per 
violentiam,  qaU  boc  MBndftJam  generaf."  Frei  barger  SUdtrecbt  von 
1]20,  0.  iA:  rSi  qulfi  burgeoMin  in  propria  area  vi  invaaerit  vel  temere 
domi  quesierit,  qnicqDid  el  (d.  h.  dem  EiadringUng)  mali  fecerit,  oon 
«mendabit.*'  Aitg<äiadi  V,  2:  „Thit  i«  thi  erosta  kere,  and  thi  wulh 
mit  elhon  bisweren,  Ihat  allwa  mono«  bwek  fretho  hede  bimui  hovi  and 
binoa  huae  bi  twam  iechtigs  ieldeo  and  bi  twam  hiindreda  mtrkoD." 
(Diesi   i£t  die  erate  Eflr  und  dia  wnrde  mit  Eidwx  beadknoreo,   das« 


iM,Coo<^lc 


5I£  Zwainu  Bvob.    Fy«lfaelt0r«ehta. 

und  iaaerhalb  der  Uauern  aeioee  Hauses  soll  sich  Jeder 
völlig  neher  fUhleo  vor  ft«mder  Gewalt,  da  Ruhe  finden 
Tor  der  Strömung  und  Brandiiog  de«  bewegleo  and  ftind- 
Heben  Lebens,  da  sein  eigener  Herr  eeän.  Das  Hans  umgibt 
und  schützt  das  IndiTiduum  und  s^ne  Familie  ähnlich,  wie 
der  Leib  die  Seele;  es  ist  gewissermasBen  der  kOnstUch  er- 
weiterte Leib  des  Menschen.  Daher  wird  mit  Recht  jede 
Beleidigung  und  Kränkung  einer  Person  und  ihres  Reohta, 
die  überhaupt  strafbar  ist,  harter  gestraft,  wenn  sie  ihr 
in  ihrer  Wohnung  angethan  worden  ist,  und  dafür  gesorgt, 
dasz  auch  die  Organe  der  Stat^ewalt  selbst  nur  unter  ge- 
wissen Voraussetzungen  und  nur  mit  grosser  Schonung  der 
Freihat  und  Ruhe  des  Hausherrn  sein  Haus  betreten 
und  darin  theils  Nachforschungen  romehmen ,  thtils 
flberhanpt  amtliche  Handlungen  TOmehmen  dOtfen. 

Die  alterthUmlichen  Vorschriften,  welche  das  römische 
Recht  aus  der  Zeit  der  Republik  und  das  filtere  deutsche 
Recht  ^  für  den  Fall  der  Haussuchung  wegen  eines  Diebstahls 
festgesetzt  hatten,  sind  Zeugnisse  fOr  die  Ehrfurcht  dieser 
Rechte  vor  dem  Hausfrieden.  VorzOglich  aber  hat  das  deutsche 
Recht  die  Idee  des  HausfHedene  ausgebildet  und  sogar  jede 
Beunruhigung  von  aussen  gegen  die  Hausbewohner ,  ja  selbst 
das  unwürdige  Belauschen  des  inneren  Lebens  und  Treibens 
an  den  Fenstern  und  ThUrui  als  eine  Verletoung  des  Hana- 
friedens  betrachtet  und  den  Hausmann  gerechtfertigt,  wenn 
er  eDei^:ische  Mittel  zur  Abwehr  anwendete. '  Selbst  der 
Jedennann  Fried«  hab«  ionerlialb  des  HaoiM  bei  iwiefkcher  kündbar« 
Busie  and  iweihnndert  Harken.)  Vermehrter  Sachaenapiegel  11, 
1  pr.:  „'Bjn  Icclich  man  in  •foen  vfer  pfel«n  and  wendra  eol  i«rdirlieliin 
vttdo  habin  mit  groaim  and  mit  starkem  rechte^  Was  uawendlg  frleheit 
und  frede  dei  b«aea  ist  du  nymant  d«m  andim  de«  tagee  noch  de* 
nachtls  ia  sin  hne  laaffin  «al  nocli  keioeo  olrirlaat  mit  Worlan  noch  mit 
Werken  ihnn  wl," 

'  Jakob  Örimm,  D.  RechUalterth.  8.  639  theilt  talilreieke  Balega 
ana  deu  Qadlen  mit. 

■  Vgl.  OaenbrUggeD,  der  Haosfriedan.    Erlaageq  1867. 


iM,Co6<^le 


.    Fünfte«  Capilel.  D.  Seknli  du  HaDafrMena  Dttd  freien  Verkehrs.    517 

fremde  Verfolgte  konnte,  wenn  er  von  dem  Herrn  des 
Hauses  »ufgenommen  worden ,  Schutz  vor  seinen  Verfolgers 
finden  in  dem  unangreifbaren  Heiligthum  des  Hauses,  uimI 
Zeit  gewinnen,  uro  selbst  den  Nachforschungen  des  Richters 
zu  entgehen.*  Das  Asylrecht,  welches  die  Kirche  im 
Hittelalter  auch  den  Verbrechern  gewährte,  die  sich  in  die 
heiligen  Rftume  gefluchtet  hatten,  beruhte  aqf  dem  näm- 
lichen Gedanken,  und  nur  noch  höher  als  der  Hausfriede 
des  fi*eien  Mannes  wurde  der  Sirchenfrieden  des  Grotteshauses 
geachtet. "  Den  hohen  Werth ,  den  die  Engländer  auf  ihr 
freies  Hausrecht  legen,  hat  der  groeze  Chatham  in  einer 
Parlamentsrede  mit  den  berühmten  Worten  geschildert:  „Der 
firmste  Mann  kann  in  seiner  Hatte  alle  Strtitkräfte  der  Krone 
h^«usfordem.  Sie  mag  verfallen  sein ,  ihr  Dach  den  Eän- 
sturz  drohen,  der  Wind  durch  ihre  Ritze  blasen,  Sturm  und 
Wetter  ihr  Spiel  damit  treiben ,  aber  vor  dem  König  von 
Ehigland  ist  sie  sicher.  Alle  seine  Macht  scheitert  an  der 
Schwelle  des  elenden  Bauweriis.  • 

*  €«hr  deutlich  in  dem  Frei  hei  (abrief  vod  Ingolstadt  t.  J.  1313; 
„Wer  eineo  Schaden  Ihut,  kommt  Fr  OHcbtiger  zu  eines  frommen  Muinea 
Have,  deraelbe  troam  Hum  durch  sein«!  Haua«B  Ehre  mll  er  ihn 
bo^D  und  ibB  hinMfen.  KommHi  seine  Feind  hinoaeh,  vor  denen 
•oU  «r  ihn  btrfm  and  beschirmen  to  best  sr  mag.  Kommt  der  Richt«r 
hinnsch  oder  seine  Bolhen,  dem  soll  er  auflhnn  sein  Haus  und  soll  sie 
den  lasaen  rochen;  nnd  soll  doch  Jenen  hinhelfen  ob  er  mag  ond  Ist  ni»- 
BUnd  dunm  keine  Bim  schnldig.'  —  Wer  aber  einen  „verbotenen"  Kann 
baooet  nnd  bofei,  der  gibt  dem  Richter  5  Pfand  and  60  Heller  Bnate. 

*  Lex  Ba^toar.  I.  7,  1 ;  „Si  colpabilia  aliquls  confuglum  ad  E^le- 
siam  feecrit,  nollas  eom  vi  abstrahere  aasns  sit,  poatquam  Jannatn  Ecele- 
sia«  intraveriL«  Sehwabenapiegel  e.  277  (Wackemagel):  ,Als  ein 
menscbe  awer  ea  tat,  iht  getnot;  nnde  kämet  ec  in  die  kirchea,  da  eol 
im  nieman  niht  ione  toon.  man  boI  ex  onch  dar  fli  nibt  ziehen,  wann 
Ban  «oll  got  an  im  fürhlen  nnde  die  kirchen  sn  Im  Aren  dnrch  got* 

'  Daher  doa  englische  ReehtstprQchwort:  „mj'  honse  is  my  csatJe.* 
Vor  Zelten  war:  „Hein  Hans  meine  Borg*  anch  ein  deutsches  6prflch> 
wort  Wimer  Stadtrecht  tod  1221,  J.  26:  .Volamua  ot  animiqae  cf- 
viam  domos  ena  eit  pro  mnnitione  et  commansionariis  sala  et  coilibet 
fo^nti  vel  Iniranti  domam." 


iM,Coo<^le 


518  ZwOlftM  BMh.    Preibeitareehte. 

Auch  <JiB  Deueren  VerfoBsungen  haben  oft  wieder  deo 
alten  Grundsatz  dadurch  ge^rl,  dasz  Bie  die  Hanssaohung 
durch  noliere,  die  Freili^t  und  Sicherheit  des  BQif;era 
echOtzende  Vorscbrifteo  beschrtnkten. ' 

%i  Nahe  rerwandt  und  groszentbeils  in  dem  Schulze  des 
Hansrechts  inbegrifibn  ist  die  Achtung  des  Stats  vor  dem 
sichern  und  ausschltesziicben  Besitze,  den  das  Indiridnum 
an  seinen  Papieren  Übt.  £0  ist  das  in  vorsOglichem Sinne 
ein  persönliches  Recht  des  letztem,  denn  das  dingliche 
Eigenthum  an  den  Papieren  kommt  nnr  wenig  in  Betracht, 
viel  wichtiger  ist  der  Inhalt  derselbui,  welcher  gewisser- 
maszen  zn  der  getstigen  Atmoaphäre  des  Menschen  gebOrt 
EHoe  Beschlagnahme  Iftszt  sich  daher  nnr  rechtfertigen, 
wenn  ein  erheblicher  Verdacht  eines  Verbrechens  vorhanden 
ist  und  nur  unter  Beachtung  schonender  Formen.  ^ 

*  Tgl.  oben  Cap.  3,  Anm.  Portugiesische  TerfMSUDg,  S-  115^6: 
„Jeder  Bürger  bat  id  Mlnem  Hstiee  ein  unverletilicbes  Asyi:  bei  Nacht 
darf  mKn  es  ohne  seine  Einwilligung  nidhl  betreten,  atuser  lai  Ftlle 
einer  Halfeforderung  vod  innen,  oder  im  Fall  einer  Peners-  oder  Waaser- 
uotfa  von  ausien  ber;  und  bei  Tag  soll  der  Einlritt  in  da«  Haus  nnr  in 
den  dnrcb  das  Oeseti  beslimmten  Fällen  und  Formen  erlaubt  sein." 
HolUndiscbe  J-  1^-  „Niemand  darf  In  die  Writnang  einer  Peraon 
wider  ihren  Willen  eintreten,  es  eei  denn  aaf  Befehl  einer  Oemit,  die 
durch  das  Geaeti  berechtigt  ist  solche  Befehle  tn  eriheilen,  und  indem 
er  die  in  dem  Qeseue  restgesiellUn  Formen  befolgt."  Belgische  J.  10: 
„Die  "Wohnong  ist  ud verletz! ich:  eine  Haussnchung  kann  nur  statlflndeo 
in  den  Fallen,  welche  das  OeseU  vorausbeseichaet,  und  In  der  Form, 
welche  es  Torsch reibt."  Griechische  %.  8.  Norwegische  S-  103: 
„ Haussuch angen  dUrfen  nur  in  criminellen  Fällen  stattfinden. "  Den  tsche 
Belcb**erf.  v.  1849,  $.138:  „Die  Wohnung  ist  unrerletzlfch.  Eine  Baoe- 
aachaog  ist  nar  lulttstig: 

1)  in  Kraft  eines  richterlicbeo .  mit  Qrilnden  Tersebenea  Behbla, 

3)  im  Falle  der  Terfolgnug  auf  frischer  That, 

3)  in  den  Fällen  und  Formen,  in  welchen  das  Oeaeti  ausnahmsweise 
bestimmten  Beamten  dieselbe  geetaUel.«    Preusztsche  Terf.  $.  6  ebenso, 

■  Siehe  die  rorbergebende  Note.  Deutsche  Reichsverf.  fi.  139:  „Die 
Beschlagnahme  von  Briefen  und  Papieren  darf  auster  bei  einer  Terfaaftang 
oder  HaosBDchang  nur  in  Kraft  eines  richterlichen,  mit  OrSoden  ter- 
«ebenen  Befehls  vorgenommen  werden.* 


iM,Coo<^lc 


Fünftes  Capltel.  D.  Sehnti  dw.Hauafriedens  und  freien  Verkehrs.    519 

3.  Ebenso  die  Aditung  dee  Briefgebeimnisses  aucb 
für  die  Briefe,  welche  der  Statspost'  ron  den  Privaleu 
zur  BeförderuDg  aDTorlraut  sind.  Die  gebeimen  CahiDete, 
in  nelcben  die  PoUaei  den  Inhalt  der  PrivatcorrespoudeDBeo 
KU  erapftben  suchte,  waren  daher  durchaus  verwerflicb,  deoQ 
sie  miszbraiichteD  jenes  Vertrauen  und  freTelten  an  derFrei- 
hieit  des  individuellen  Verkehre.  Beides  ist  des  Stats  unwUr- 
(iig,  der  berufen,  ifit,  die  öffentliche  lloral  und  das  Recht 
der  Personen  zu  schQtien.  '*  Nur  der  Krieg  oder  gerichtliche 
Untersuchimgen  im  Strafprocesz  können  eine  BeschrAnkung 
solcher  persönlicber  Freiheit  rechtfertigen. . 

4.  Das  Ueberwaoben  bfiuslicber  Gesellschaft^ 
kreise  und  das  Äuespiosiren  der  Privatgespräche  von 
Seite  der  Polizei  ist  nicht  weniger  etoe  Hiszacbtung  der 
individuellen  Freiheit  und  verdient  wieder  die  Verachtung, 
womit  die  öfTenUiche  Meinung  solche  ünwürdigkeit  verfolgt. 

5.  Ferner  ist  die  Aufnöthigung  einer  dem  Indivi- 
duum verhaszten  Gesellschaft,  z.  B.  die  polizeiliche  Beglei- 
tung eines  ehrbaren  Reisenden  mit  der  Ächtung  wahrer 
Freiheit  unvereinbar.  Die  Humanität  erfordert  sogar,  dasz 
Uutersuchungsgefangene  iu  dieser  Beziehung,  soweit  es  mög- 
lich ist,  in  ihrer  Individualität  geachtet  und  nicht  ohne 
dringende  Noth  gebildete  Männer  mit  verworfenen  und  rohen 
Kunden  der  Gefängnisse  zusammen  gesperrt  werden.  £s  ist 
nicht  möglich,  alle  Verslösze  g^en  das  Recht  der  Persönlichkeit 

■  Vgl.  oben  Buch  X,  Cap.  3,  B.  231. 

"  PortnKiesiflcli»Vert  $■  1^  ^:  iiI>M  GdieimDisz  der  Briefe 
ist  unverletzlich.  Die  Postverwaltung  ist  für  jede«  Vergeben  gegen  diesen 
Artikel  streng  Tersnt wort] ich."  HollÜndische  J.  154;  „Das  Oeheimniss 
der  der  Poet  oder  Ladern  öffentlichen  Eiiirichtungen  lur  Versendung  ao- 
TortTftuun  Briefe  ist  luiTerletibar,  susgeDommen'  auf  Befehl  des  Richters 
in  den  durch  das  Oeseta  Torgeachriebcnni  FSllen.*  Belgische  J.  Xt. 
Schweiierisehe  Bundesverf.  $.  33.  Deataeho  ReichBTerf.  $.  140. 
j^Dm  Bri«fgeheimniBz  ist  gewährleistet  Die  bei  strafgerichtlichen  Unter- 
aacbnngen  und  In  Kri^sfiUleo  notbwendigen  Bescbränknngen  dud  durch 
die  Qewtzgebung  festzustellen."    Preuszische  §.  33. 


iM,C00<^lL' 


SSO  ZwSUloi  Bneh.    VrelbetUrMit*. 

durch  die  Gesetsgebang  zam  Voraus  'xa  ootenageD,  und 
du  geaetzliebe  Verbot  trietat  Ubordem  Dur  eine  achwaohe 
Garantie.  Ist  aber  der  Geist  humaner  Freihält  in  einer  Na- 
tion einheimisch  und  kräftig  geworden,  so  wird  dieselbe 
auch  in  den  mannitAbltigen  ErsdieianageD  de»  praoüteheo 
Lebens  zor  Wahrheit  werden. 

6.  Endlich  eind  schützende  Gesetze  gegen  willkDr- 
'liehe  Beeiiiquartierung  /Dr  die  Sidierb^t  deeHaosAi»- 
deos  unerlftszlich.  Wenn  es  der  Stat^ewalt  gestattet  ist, 
durch  E^nlegung  Ton  Soldatra  in  die  PriratbftBier  einen  be- 
liebigen Druck  zu  Oben ,  »o  ist  jede  hftusliebe  Bicherfaät  und 
Freiheit  in  steter  Gefohr.  Von  jeb»  haben  despotische  Re-  . 
gieruDgen  durch  dieses  Mittel  grausame  Verfolgung  geübt 
und  jeden  auch  den  berechtigtwi  Widerspruch  gewaltsam 
erdrückt  >< 


Sechstes  GapiteL 

IL    FolitiMhe  Fretheitirecfate. 
A.    Ton  der  It«cbtaelelclibrit. 

Der  Begriff  der  Rechtsgleichheit  ist  uralt  Die  Wage 
bat  von  jeher  als  das  Symbol  der  Gerechtigkeit  geölten, 
die  Wage,  welche  mit  gleichem  Gewicht  miszt;  und  alles 
Recht  bat  einen  ursprUnglicheu  Zug  nach  idealer  Gleichheit, 
wie  das  Wasser  einen  elementarischen  Trieb  in  sich  hat  za 


"  Die  Engl.  BiU  of  Rights  von  1689  macht  ca  Jakob  IL  lam  Vor- 
wurf, ndui  er  dem  G««etz  entg^n  Soldaten  einquartierte.''  Amerik. 
Teif.  V.  1786:  nK«in  Soldat  aoU  in  FriedeouelleD  in  Irgeud  ein  Hans 
ohne  Einwilügnog  de«  Eig«nÜiflmen  cängcJrgt  werden,  and  in  Krieg*- 
■eiten  Dar  in  der  vom  OeseU  voi^eschriebenen  Weise."  Lieber,»,  m, 
O.  S.  93. 


iM,Coo<^lc 


Seobatet  CapitcL  U.  Von  der  Tolksfrcihdt  A.  Recht«gl«icblieit.    531 

gleicbw  H&be. '  Daa  menschliche  Recht  beruht  vorerst  auf 
der  menadilichen  Rasse,  and  die  ist  Allen  gemeineam,  als 
solcbe  iD  AUen  gleich.  Diese  eiofbche  Wahrheit,  welche 
auch  der  8t&t  in  seioer  Rechtsordnung  achten  musz,  ist  aber 
io  alter  und  neuer  Zeit  durch  leidenschattUche  Ans4^wellung 
and  einseitige  UebertreibuDg  htLoßff  nu  so  breiter  LUge  ent- 
MelU  worden,  dass  dieselbe  nur  mit  Anstrengung-  durch  - 
scharfe  Sichtung  und  Reinigung  wiederhei^estellt  werden 
kann.  Die  Ausbildnog  des  modernen  Statsrechts  wird  durch 
die  wabre  Rechtsgleichheit  ebenso  gefordert  wie  durch 
die  falsche  Rechtsgleichheit  gestört.  Daher  ist  es  fUr  die 
Tlieorie  und  die  Praxis  gleich  wichtig,  b^de  zu  unter* 
sdieiden. 

1.    Die  sogenannte  Gleichheit  vor  dem  Gesetz,^ 

'  EnTipidei  Phömcierinnen  bei  Schiller  Ul.  lO&i 

„Oleichheit  kbüpft 

Den  Blut8v«rw«Ddt<D  mit  dem  Blats verwandten, 

Den  Frennd  »uunineD  mit  dem  Freond ,  und  lüsder 

Hit  Ländern !  Qldcbbeit  Irt  das  beilige  GeceU 

Der  Uensdiheit«' 
'  FiaDiÖaiBcbe  Verf.  von  1814,  $.  1:  „Die  FraniOMD  sind  vor 
dem  QeMtH  gl^b,  ihre  Titd  und  Bang  Meo  Hbrigeni  wie  aie  wollen." 
DiMer  Sau,  io  welcbe»  noch  neben  der  Oleichheit  anch  der  Vencbieden- 
beit  erwähnt  wird ,  ging  dann  in  andere  Verfatsnugen  Über,  aber  in- 
weilen  ohne  diesen  ZnaatE.  6o  in  die  belgische  $.  6:  „Es  gibt  in  dem 
State  keinen  Staodesunterscbied.  Die  Belgier  sind  vor  dem  Gesetze 
glciA."  Scbweiaerlsebe  Verf.  $.  4:  .Alle  SehweiMr  sind  ror  dem 
Gerichte  gleich.  Es  gibt  in  der  Schweiz  keine  OnierlhanenvarhiUtnisw, 
keine  Vorrechte  de«  Orts,  der  Geburt,  der  Famitien  oder  Peraonen." 
(Der  Ewelte  Satc  stammt  atis  der  Mediatlonsverfassuhg  Napoleon«.)  Por- 
togiealacbe  $.  145,  13  nach  dem  Vivbilde  der  fraaiöaiscben  von  1795; 
„Dia  Oeaeti  ist  Tdr  alle  gleich,  ea  mag  schQtzea  oder  bestrafen;  es  belohnt 
je  nach  dem  Verdienst."  Dentscbe  Reichsverf.  von  1619,  %.  135:  „Vor 
dem  Gesetze  gilt  ksin  Unterschied  der  Stünde.  Alte  Standesvor rechte 
sind  abgesdiaffL  Die  Deatscben  aind  vor  dem  Geaeue  gleich.«  Oester- 
relebische  Grandrechte  von  1849,  $.  27:  „Alle  österreichischen  Reich»- 
barger  sind  vor  dem  Gesetie gleich,  ond  nnterslehen  einem  gleichen  per- 
Bönlichen  Gerichtsstande."  Preassische  Verf.  S-  4:  „Alle  Prenszen  sind 
vor  dem  Oesetae  gleich.    Standeavorrechte  finden  nicht  atatt." 


iM,CoO<^lL' 


S22    -  ZwälCtes  Bach.    FMiheitareehte. 

die  richtiger  als  Gleichheit  vor  dem  Gericht  beseichnet 
wUrde,  bat  eineD  vortrefflichen  Sinn.  Wir  Tentehen  dar- 
unter, dasB  das  Gericht  VorDebme  tind  GeiDeiiie,  Herren 
und  Knechte,  Reiche  uod  Arme,  alle  gleich  Je  in  ihrem 
Rechte  schutse,  nicht  etwa  die  dnen  begUnetige,  die  andern 
vernachEAfiai^,  sondern  Jeden  vollstftndig  eehUtse.  Der 
Niedere  hat  keinen  geringeren  Anspruch  auf  TOlleQ  Scbuts 
seines  Rechtes  als  der  Vornehme.  Der  geriogfög^ge  Besiti 
des  Arbeiters  an  Kleidern  und  Werkzeug  ist  nicht  weniger 
heilig  als  das  reiche  Waarenlager  des  Kaufinani»  odar  die 
Schlosser  und  Domänen  des  FüFSten.  Ke  erfordern  alle 
gleichen  Schutz  gegen  jede  Verletzung.  Dieae  Gleich- 
heit ist  eine  Folge  des  groszen  Rechtsprincips:  Suum  ati^u. 

2.  Die  fVaDsösische  Revolution  hatte  den  Satz  als  Men- 
schenrecht proclainirt:  »Die Menschen  werden  frei  und  gleich 
an  Rechten  geboren  und  bleiben  es."  Für  diese  ab- 
stracte  und  absolute  Gleichheit  auch  in  der  Art  und  der 
Zahl  der  Rechte  glühten  die  Franzosen  damals,  und  opfer- 
ten dem  unerreichbaren  Traumbilde  einer  kranken  Phantasie 
sogar  die  Freiheit  auf,  die  sie  auch  liebten.  Auf  dem  Ge- 
biete des  Statnechts  fuhrt  der  Weg  dieses  Irrlichts  dureh 
die  ausschweifendste  Demokratie  hindurch  in  den  Sumpf  der 
Anarchie,  in  welcher  mit  dem  geläugneten  Unterschiede  der 
Regierenden  und  der  Regierten  der  Stat  selbst  unrettbar 
versinken  musz ;  auf  dem  Gebiete  des  Privatrechts  zur  Auf- 
lösung der  Familie,  in  welcher  die  Unterschiede  der  Ge- 
schlechter, der  Eltern  und  der  Kinder,  der  Herrschaft  und 
des  Geeindes  bestritten  werden,  und  zu  dem  Wahn^nn  des 
Communismus,  der  den  unvertilgbaren  Unterschied  der  In- 
dividuen und  ihrer  Vermögenskräfte  aufzuheben  sich  vergeb- 
lich abmUdet,  also  auch  da  zum  Untergange  alles  Rechts. 

Auch  im  Atterthum  übten  ähnliche  IrrthQmer  eine  Ge- 
walt aus,  aber  doch  nicht  äne  so  übermächtige  wie  in  der 
neuern    Zeit     Aristoteles   schon    hat   dem   Irrthum    die 

D„:,iP<.-jM,CoO<^lc 


Beclistei  Capitel.    II.  Von  der  Volkafreiheit.  k.  Rech isgleieli hei t.    523 

Wahrheit  in  scharfer  und  klarer  Formel  entgegen  gestellt^  and 
doch  begünstigt  die  Ausdrucksweise  unserer  neuen  Statever- 
bkssungen  fast  Uber^l  jenea  MiszTerst&ndnisz :  „Inwiefern 
die  Menschen  gleich  sind,  gebührt  ihnen  gleiches 
Recht"  nUn  ter  gleichen  VoraussetBungeu  gleiches 
Recbt'B  Dieser  Gedanke  ist  freilich  kein  Hebel,  um  das 
ganze'  Stat^ebaude  zu  stürzen  und  die  Trümmer  auf  der 
gleichen  Fläche  aussobreiteu.  Er  ist  auch  kein  Reizmittel, 
um  die  einen  wider  die  andern  außturegen.  Aber  er  ist  vor 
allen  Dingen  gerecht,  und  wQrde  das  posiüre  Recht  und 
die  Praxis  diese  natürliche  Aequitas  jederseit  beachten,  so 
würde  das  beiden  zu  hohem  Ruhme  und  den  Völkern  zu 
groaseui  Vortheile  gereichen. 

3.  Alle  Menschen  sind  als  Menschen  sich  gleich. 
Das  ist  gewisz.  Die  Uenschennatur  und  die  MeDschenwürde 
ist  der  ganzen  Gattung  gemeinsam.  Wir  sind  alle  mit  einem 
wesentlich  gleicbardgen  irdischen  Körper,  ausgerüstet,  und 
hinwieder  alle  mit  einem  unsterblichen  Geiste,  der  in  diesem 
Körper  wohnt;  wir  alle  sind  mit  der  einen  Seite  unseres 
Wesens  Geschöpfe  der  Erde,  mit  der  andern  Kinder  des 
göttliclien  Geistee.  Daher  gibt  es  allerdings  Rechte,  die 
Allen  wirklich  gleich  sind,  wahre  aus  der  menschlichen 
Rasse  folgende  Menschenrechte,  sei  es  schon  angeborene, 
sei  es  erst  durch  die  gemeine  Entwickelung  der  Cultur  der 
Menschheit  neu  erworbene  oder  ausgebildete.  So  die  meisten 
Rechte  des  Privatrechts,  welches  daher  auch  in  hohem 
Grade  und  wie  wir  deutlich  erkennen  können,  mehr  und 
mehr  den  Charakter  eines  allen  gleichmttszig  zuganglichen 

■  Aristoteles  Pol.  III.  S,  %.  8:  „Die  Gleichheit  gilt  (Dr  gerecht, 
mnd  sie  iai  e«,  nur  nicht  fbr  Alle,  sondern  für  die  QleiebeD.  Aach  dl* 
Ungleichheit  gilt  für  gerecht,  und  sie  Ut  es  wieder,  nur  nicht  für 
Alle,  MNiderD  für  die  Ungleichen.  Die  Ueoschwi  aber  üeachleo  daa 
Verhiütni**  der  Peraooen  nicht,  ond  nrtheilen  darum  falsch.  Die  Ur- 
uche  doMtti  iil,  dssi  dte  Urtheil  sie  selber  belriffl,  denn  wohl  die 
meistaD  siDil  «chiechte  Richter  in  ebener  Seche." 


iM,Coo<^lc 


524  Zwölfte«  Bnch.    FreibdtirMhle. 

und  gemeinmeDschlicbeD  Rechtes  annimmt,  wie  die  Rechte 
der  Persönlichkeit,  der  Verwandtschaft,  desEägenthums,  des 
gemeinen  Handels  und  Verkehre.  Weniger  allgemein  and 
gleich  Bind  die  politischen  Rechte.  Das  ist  aber  nicht 
ein  Mangel  derselben,  sondern  der  Natur  des  States  gemfisz, 
denn  dieser  als  eine  organische  Ordnung  derGeaammt- 
heit  selbst  beruht  wesentlich  auf  den  Unterschieden  in 
dieser.*  Daher  tritt  hier  das  ungleiche  Recht  der  Geschlech- 
ter und  des  Alters  viel  bedeutender  hervor  als  im  Privatrecbt, 
und  auch  unter  den  Organen  der  Statsniacht  und  unter  den 
StatsbUrgem  zeigen  sich  die  wichtigsten  nothwendigen  oder 
wohlbegründeten  Unterschiede  der  Beitechtigung.  Auch  der 
Stat  wird,  und  je  humaner  er  wird,  desto  roUstfindiger  in- 
seiner  politischen  Einriebtang  und  Gestaltong,  die  gemein- 
same menschliche  Natur  aller  seiner  Glieder  voraus  diren, 
und  daher  weder  den  Mächtigsten  über  diese  Sphäre  hinaus 
zum  Gott  erheben,  noch  den  Schwächsten  urtd  Niedrigsten 
dem  Thiere  gleich  stellen.'    Im  übrigen  aber  wird  er  je 

*  Vgl.  oben  Buch  IT,  C.  6,  S.  147.  Cieen  de  Rep.  I,  34:  „Quam 
par  hsbetnr  honoa  «ummis  et  ioämia,  qai  Btnt  iu  omni  populo  necesae 
est,  ifta  atquäai  ini^ttiuma  jtl."  Auck  Heg«l  bkt  du  dngeMben. 
Werke  IS,  8.  150:  .Tor  deco  OcMtz  geltea  Kllerdioga  alle  ladirldaeB 
gleich,  aber  Gleichheit  im  Stataleben  ist  elwas  völlig  Dnraöglicbee."  Tgl. 
SQCh  Beotham's  Werke  1,  S.  654,  der  sich  über  die  QleichheilawnÜi 
der  fnazäeiachea  lUvolutioo  ili  Qber  eine  arge  Durombeit  laatig  nuchL 
M»  sehr  radicBl  er  eoaat  selber  isL 

'  DleetwH  onrümlBch  gehaltene  Rede,  welche  Dio  CaaaiiiB  (LIl)  den 
Agrippa  sur  Verherrllchuag  der  Rechtsgleichheit  halten  lilaxt,  ragt  doch 
imOrnndennr  dae:  „Die  Rechtsgleichheit  (/doivtiM  hat  nicht  allein  einen 
wohlgefälligen  Namen ,  «oadera  ist  «oeh  in  der  That  ein  gerechtes  Verlangen. 
W«aihalb  denn  tollten  die,  welche  dieselbe  Natur  empfimgeo  haben  und 
dem  nttmlicbeo  VolkBelamme  angehören,  die  in  denselben  fiitlea  enogen, 
nach  den  gleichen  Gesetien  gebildet  worden  sind,  ood  in  gleicher  Weise 
ihren  Körper  und  ihren  Geist  dem  TatM-lande  weihen,  nicht  ebenso  an 
allen  Dingen  gemeines  Recht  haben?  Wie  sollt»  sich  nnter  diesen  ein 
anderer  Torxng  anaier  der  auf  Tugend  gegründete  rechtf^tigen  lassen? 
Aas  gleicher  Gebart  erwächst  auch  gleiches  Recht  Wem  dasaelbe  ■« 
Theil  geworden,  der  erfreat  aich  dessen,  wer  desselben  entbehren  mnai, 


iM,Cöo<^lc 


Sechatcs  Cftpitel.    U.  Toa  der  VolkifMbeit.  A.  Bechtsgleidihett.    525 

nach  den  vorbandeoen  Gt^ensataeii  io  der  Nation  und  je 
D«eb  der  Art  seiner  besondern  Verfuanngen  mehr  oder 
weniger  Verechiedenheiten  des  Rechtes  anerkennen,  ohne 
dadurch  ii^od  mit  dem  natUrlicheo  Priocip  der  Aequitas  in 
Widerspruch  zu  gerathen.  Ee  ist  eine  EigenUi&mtichkät 
der  demokratischen  Stataform,  daas  söBy  die  voraus  auf 
gleichen  Verhältnissen  der  groszen  Mehrheit  ruht,  rorsugs- 
weise  auch  allen  StatsbOrgero  lot^lichst  gleiche  politische 
Rechte  einräumt;  und  eine  Besonderheit  der  Aristokratie, 
dasz  sie  dagegen  des  hOhere  Recht  der  auf^es^chneten  Min- 
derheit betont  Der  wahrwi  gleichen  menschlichen  Gerech- 
tigkeit nfihert  sich  jene  aber  nicht  schon  um  ihres  Strebens 
willen  nach  allgemeiner  Gleichheit,  sondern  wie  diese  nur 
insofern  an,  als  das  natürliche  Recht  dort  der  regierten  Min- 
derheit, hier  der  untergeordneten  Mehrheit  der  Bevölkerung 
ebenfalls  je  nach  den  wahren  Verhältnissen  geschützt  wird. 
Die  lauten  Forderungen  der  objectiven  Rechtsgleichheit  auch 
in  den  politischen  Rechten  der  StatsbQrger  sind  daher  nicht 
etwa  Folgerungen  aus  einem  natürlichen  und  allgemein 
menschlichen  Rechtsprincip,  sondern  Zeugnisse  fUr  die  Macht 
des  demokratisclien  Geistes  in  unserer  Zeit,  welcher  in  den 
Verschiedenheiten  der  ständischen  Gliederung  ein  Hindernisz 
seiner  Herrschaft  erkennt,  und  aus  gleichem  Grunde  auch 
die  EinthciluDg  nnd  Abstufung  der  Bevölkerung  je  nach  Ver- 
mögen, Aller,  Bildung  u.  s.  f.  bekämpft  • 

den  soliinent  der  Terluit  Die  guze  Mvnachheit,  weil  Toa  den  OöUeni 
KesctwffeD  ond  hinwieder  in  den  Oöttem  torfickkehreud ,  blickt  safwlrts, 
Dnd  will  Dicht  iD  allen  BeEiehungen  der  Herrschaft  eines  EiDielnen  anter- 
worfen  sein,  ond  sträubt  sich  dagegen,  daat  die  MIlheD,  die  Oefithren 
und  die  Terwendangeo  von  allen  gcmeinaam  getragen,  dagegen  die  Vor- 
(heile  einem  Eioselnan  rorbebalten  Terdw).' 

'  EL  Barke,  BetraehtongeD  n.  s.  f.:  „Qlanben  Sie  mir,  die,  welche 
Alles  DiTellireu  wollen,  fördern  di«  wahre  Gleichheit  Dicht  Alle  Suten 
sind  ans  verschiedenen  Krdsen  and  Schichten  der  Bewohner  cDsammen- 
gesetit,  nnd  ein  Kreis  mnas  Qbergeordnet  sein.  Die  Nivellirer  (th«  level- 
ters)  Terttndern   and   verkehren  daher  nur  die  natürlielie  Ordnung  der 


iM,Coo<^lc 


59&  ZttöltUs  Bach.    FreiMUrecht«. 

4.  Alle  Menschen  sind  hin^eder  als  Indiridoen  un- 
gleich. Die  gemeineame  Rasse  vert)iDd«t  die  Menscbe« 
alle  zu  Einer  Gattung,  die  individuelle  Besonderheit  unter- 
scheidet wieder  jeden  von  dem  andern.  Da  sind  uie  zwei 
völlig  gleidi,  sogar  die  Zwillinge  nicht,  die  gleicbz^tig  er- 
zeugt nnd  getragen  wurden.     Das  Recht  mosz  die  beiden 

Dinge,  ate  werfen  das  gBsellKbsftliche  Geb&nd«  SED,  indeiu  «e,  naa  die 
Solidität  Aee  Baues  nie  feslea  FuadameDt  auf  dem  Boden  erfordert,  hoch 
in  die  Luft  versetzen."  Gent«  Aber  polil.  Gleichheit  in  den  ausgew. 
Schriften  V,  8.  241:  „Die  Ungleichheit,  n«lche  ans  den  peradDlfchen 
RrKfteo  und  Taloiten,  aus  der  Eniehnng,  au«  dem  crwnrbeneB  vmi 
selbst  aus  dem  ererbten  Eeicbtbnm  beralsmmt,  wurde  lauge  mit  einer 
gewissen  Schonung  behandelt;  nur  die  letzten  Aosscbwafungen  des  Fa- 
natismus, nur  die  letzten  MiMethaten  der  Demagogie  rissen  sie  endlich 
mit  In  den  SUrndd  hiiHin.  Aber  die  UnterMbiede,  welche  mit  der  poll-. 
tischen  Verfauung  des  Stats  zasammenhingen,  die  Gradationen  des  Rangea, 
alles  was  äuszere  Anszeichnung,  erbliche  Würde,  Familienanaehen,  Rang 
nnd  Titel  verlieb,  konnte  selbst  ror  den  gemäszigten  Grundefttzen  nicht 
Gnade  6nden.  Die  Klagen  Aber  Digtinetlonen  dieser  Art  sind  nm  so 
grundloser,  weil  es  noch  nie  eine  Verthsaung'  gegeben  hat,  und  vielleicht 
keine  geben  kann,  worin  nicht  die  poti(iBche  DnglAchheit  der  Bürger  ein 
Fundamen lalartikel  gewesen  wäre."  Vgl,  auch  die  kerngesunden  Sprüche 
in  dem  Buche  Jesus  Sirach  C.  SS  und  39  über  diese  Uaterie.  Z.  B. 
36,  25:  ,Wer  die  Schrift  lernen  soll,  dar  kann  keiner  andern  Arbeit 
warten,  und  wen  man  lehren  aoU,  der  mnsz  sonst  nichts  eu  thun  haben. 
36.  Wie  kann  der  der  Lehre  warten,  der  pflügen. mosz,  und  der  gerne 
die  Ochsen  mit  der  Qelszel  treibt,  nnd  mit  dergleichen  Werken  umgehl, 
nnd  weist  nichts,  denn  von  Ochsen  eq  reden.  27.  Er  mnat  denken  wie 
er  ackern  soll,  nnd  ronaz  früh  und  spät  den  Etthen  Futter  geben. 
28.  Also  aucli  die  Tischler  und  Zimmerleute,  die  Tag  und  Nacht  ar- 
beiten. 35.  Diese  alle  trösten  sich  ihres  Usndwerka,'  and  ein  jeglicher 
flefazigt  sich,  daax  er  seine  Arbeit  könne.  36,  Man  kann  ihrer  In  der 
Stadt  nicht  entbehren.  37.  Aber  man  kann  sie  nirgend  hinschicken,  sie 
können  der  Aemter  auch  nicht  warten,  noch  in  der  Gemeine  regieren." 
Der  Gleichheitsdrang  der  neuem  Zeit  hat  eine  relative  Begi-tindang  In 
den  mannichfaltigen  Ungleichheiten  des  Hittelalters,  die  ihren  früheren 
Sinn  verloren  hatten.  Dasz  aber  neben  der  Gleichheit  der  iialflrilchea 
Grundlage  auch  die  Verschiedenheit  der  Entwicklung  berechtigt  sei,  bat 
selbst  Hirabeau  wohl  begriffen.  Lewitz,  Leben  Uirabeau's  T,  S.  4S0. 
Vgl.  Bl u n  1  seh  11 ,  Art.  aristokratische  nnd  demokratische  Ideen  im 
dentKhen  8lat«wörl«'bnch. 


iM,Coo<^lc 


Siebente«  Capitd.    R«cbt  ts  PetiliODCn  und  Beschwerden.      527 

Wahrheiten  zngleich  anerkennen  and  darf  nicht  einseitig 
weder  die  Gleichheit  noch  die  Verschiedenheit  allein  beach- 
ten. Auch  das  Piivatrecht  thut  das.  Die  Formen  zwar 
des  VermOgena  z.  B.  sind  fUr  Alle  dieselben',  ^ie  die  kör- 
perliche Rasse  fUr  Alle  die  gleiche  ist,  aber  diese  Formen 
werden,  wie  der  Körper  von.  dem  Geiste,  so  von  der  Man- 
nichfbltigkeit  des  individuellen  Lebens  uDendlich  verschieden 
erftlllt,  und  so  hat  jeder  wieder  anderes  Vermögen  als  der 
andere.  Das  Statsrecht  legt  einen  noch  entschiedeneren 
Nachdruck  anf  diese  Verschiedenheit.  Die  individoelle  Tüch- 
tigkeit itnd  Fähigkeit  übt  in  demselben  nieht  blosz  den 
Einäuez  ans,  daaz  der  Ausgezeichnete  etwa  eine  gtOszere 
Hasse  von  Hechten  erwirbt,  wie  der  gewandte  Kaufmann 
im  Priratreeht,  sondern  dasz  gewisse  Arten  TOn  politischen 
Rediten  selbst,  z.  B.  Beamtangen,  Deputirtenatellen  u.  s.  t 
nur  den  individuell  Ausgezeichneten  zukommen  dürfen. 

Die  Rechtsgleichheit  und  die  Rechtsverschie- 
denheit gehör«)  somit  zusammen.  Unter  gleichen  Vor- 
aussetzungen ist  jene,  unter  ungleichen  diese  gerecht 


Sielnntds  GapiteL 

B.    Hecbt  m  PMlUOMn  und  BeacbWerdMi. 

Das  Recht  der  Bewohner  eines  Slats,  sowohl  der  Stats- 
regierung  als  dem  flbrigen  verfaseungsrnftszigen  Organen  des 
Stats,  namentlich  auch  dem  gesetzgebenden  Körper,  theils 
ihre  Bitten  und  Wünsche,  theils  ihre  Beschwerden 
vorzutragen  Über  Verhältnisse,  welche  irgendwie  in  deren 
Competenz  gehören,  scheint  so  oatdrlich  und  zugleich  so 
unverfänglich  zu  sein,  dasz  schwer  zu  begreifen  ist,  wie 
dasselbe  noch  in  neuem  Zeiten  in  europäischen  Monarchien 


iM,CoO<^lL' 


^0  ZwftIftM  BDcb.    FreUMttBwhbL. 

und  Republikön  niU  eDUchiedeoer  Ungunst  betrachtet,  und 
die  UebuDg  desselben  wie  eine  strafbare  Xeuerang  und  An- 
masxuDg  behandelt  wurde.  WirkUcb  grosiKi  Honarchen 
hüben  von  jeher  offene  Ohren  gehabt  fUr  die  Bitten  und 
Klagen  ihrer  UnlerthaDen,  und  diesen  die  Wege  eröäbet, 
zu  ihnen  zu  gelangen.  Und  wa^  von  diesen  gilt,  das  steht 
auch  unter  ähulichea  Vorauasetzungen  allen  andern  Organen 
des  Stats  wohl  an.  Es  kann  diesen  nur  erwOnsebt  sein, 
wenn  sie  so  in  Kenntnis«  gesetzt  werden  too  den  Stim- 
muDgen  und  Begehren,  durch  welche  die  GemUtber  bewegt 
werden,  und  gewiss  ist  es  ein  Uebermasz  unmoischUcher 
Tfrannei,  wenn  die  Bewerten,  fllr  deren  gemeine  Wohl- 
fohrt  die  Obrigkeit  zu  sorgen  berufen  ist ,  nicht  einmal  dieae 
bitten  und  ihr  klagen  dürfen,  wahrend  doch  sogar  der 
Bklave  gegen  den  Herrn  das  in  der  Regel  darf.  In  einem 
State,  in  welchem  politische  Freiheit  nicht  eine  leere  Phrase 
ist,  versteht  sich  dieses  Recht  von  selbst.  Die  neuem  Ver- 
fassungsurkubden  haben  dasselbe  bftufig  ausdrOcklich  nun 
gewährleistet  * 

•  la  der  Bill  der  RecLte  Tom  Jahr  1688  wird  ea  ila  «in  ftltengli. 
acbesBecbt  neu  gewährleistet,  „duz  es  ein  Steht  der  ÜDlerthuMU  ist, 
ihre  Petiltoben  an  den  König  zq  richlea,  and  dasz  alle  Terhartnngen 
und  gericbüichen  Verfolgungen  für  aolchea  Felitioniren  ungeeetxiich  siDd." 
ßpanigche  Terf.  $.  8.  Portugieeiaelte  $.  US,  28:  „Jeder  Bürger 
kann  achrifUich  der  geaetigebeDdeD  oder  Tolltlelienden  Gewalt  AnaprOcbe, 
Klagen  oder  Bittachrinan  Torlegen,  wenn  aie  irgend  eine  Terletsung  der 
Verfoaanng  aufdecken,  und  dabei  die  wirkliohe  Verantwortlichkeit  der 
Uebertreter  bei  der  gehörigen  Behörde  aofTordem."  HolläDdiache 
S.  9:  „Jeder  Btnwobner  hat  dai  Becht,  achriRlicbe  BltlschrifUn  an  die 
■iiattndigen  Behörden  einzoreioben,  wenn  aie  persöolicb,  and  nicht  im 
Namen  Hehrerer  unterzeichnet  werden;  daa  letzte  kann  allein  von  Cor- 
poTBlionen  geachehen,  welche  geeetzlich  lupammengeaeizt ,  oder  ala  aolcbe 
erkannt  aind,  und  in  dieaem  Falle  nicht  andere  ala  über  Q^enai&nde, 
die  in  ihren  geaetilichen  Wirknngak reisen  gebären."  Belgische  $.21: 
„Jeder  hat  daa  Kecht,  an  die 'öffentlichen  Behörden  Bittachriflen  mit  der 
Dnlerschrift  von  einer  oder  mehreren  Peraonen  einiureichen.  Die  ein- 
geaelitra  Behörden  haben  allein  daa  Becht,  im  gemefnecbaftlicheD  Namen 
Bittachriflen    ein  inreichen."     Qrlcchitcbe   J.    7.     Schwelierlaehe 


iM,Coo<^lc 


nebentM  Cspil«!.    fi.  Recht  lu  PelitiODeii  and  Baachwerdeo.        SS9 

NatOtUcbe  SohmakeD  des  PetEüoDeo-  and  Beechwerde^ 

rechte«  sind:^  .        . 

s)  dasB  dweelbe  nur  tod  stataracbtlich  rolLjährigen 
Personen  geUbt  werde.  Dm  Kecht  üt  ein  persOnliebes, 
und  kann  daher  nur  wirldiofaen  PersooeD  Etütehen,  welche 
eice  eigene  Meinnng  hftben,  und  eu  ftusieru  im  Stande  Bind, 
AU  solche  gelten  z.  B.  wülkfirlich  veranateltete  Vcdksver- 
eammlungen  nicht,  vobl  aber  KCrperschaften  aller  Art; 

b)  da«z  der  Inhalt  der  Petition  oder  Beschwerde  in  den 
Amtsbereich  der  angeeprochenea  Gkwalt  gehöre; 

c)  dass  die  Form  derselben  die  Achtung  nicht  verletae, 
welche  die  Petenten  odw  Seschwerdesteller  der  aogespro* 
ebenen  Gewalt  acbuldig  sind,  noch  Ober  die  ScbrankeD  des 
öffontUchen  Anstandes  und  dei*  guten  Sitte  hinauwchwei/e. 

In  nenerer  Zeit  sind  die  sogenannten  Ansprachen 
(Adressen)  hftufig  an  die  Stelle  der  eigentlichen  Petitionen 
getreten.  Es  sind  das  nicht  Begehren  und  Bitten,  sondern 
"blosze  Aeiiszerungen  der  Sümmung  and  Uetoung,  bald  der 
Frende  und  des  Dankes,  bald  der  Unzufriedeuhüt  ujid  der 
UiszbiUigong.  Auch  dagegen  ist  an  und  fbr  sich  nichts  2a 
haben.  Nur  ist  ger&de  hier,  da  leicht  der  Ansprechende 
das  richtige  Verhftltnisz  zu  dem  Angesprochenen  übersieht, 
und  in  Miszachtung  deesalben  TSr&llt,  um  so  strenger  auf 
die  Form  zu  halten,  und  sind  unbescheidene  Zuschriften  der 
Art  nicht  zu  dulden. 

Ein  Missbrauch  dieses  Rechtes  ist  fost  nie  zu  furchten, 
wenn  nur  Individuen  fttr  eich  petitioniren ,  eher  wenn  die  Par- 
teien durch  Aufregung  eines  Petitionen-  oder  Adressen- 
sturmes die  Massen  sammeln,  und  nach  dem  bezeichneteo 

Bnndeaverf.  {j.  47.  Deatach«  Reicbaverf.  von  1848,  §.  167.  Jeder 
DeiUsche  hat  du  Recht,  •ich  mit  BiUen  uod  BMcbwerdeu  BchrifUich  an 
die  Behörden,  an  die  VolkaTertretnngeu  nnd  ao  den  Reichstag  in  wenden. 
PresaiiBche  Terf.  $.  32. 

*  Vgl.  im  £Ü0MlneD  Rob,  t.  Hohl,  Scatarecht,  Völkerrecht  und 
Politik  1,  S.  322  ff. 

Bluntiohli,  ■U«MneinuStiUr«cbt.    II.  34 


iM,Coo<^lc 


^0  ZwUrtM  Bndi.    Pieiheltsnchte.  - 

Ziele  führen.  Dann  werden  gleicharüge  Zoechriftea  TOn 
dem  leitenden  Ausschüsse  der  Partei  durch  das  ganze  Land 
Ton  Haus  zu  Haus  verbreitet  urtd  um  ünteraeichnung  ge- 
worben. Auch  eine  blosze  Parteimeimibg  kann  unter  Tlm- 
ät&ndeh  so  den  Soheio  der  Volksmeinung  annehmen,  und 
sogar  SU  solcher  werden,  und  die  Petition  oder  Adresse'  su 
äner  groszen  Autorität  und  Macht  beranwacbsen.  ESoe 
starke  tl^ieruDg  und  selbständige  Kaaimem  werden  fresKch 
Auch  dann  noch  mit  innerer  Freiheit  thuo  Irinnen,  was  sie 
für  gerecht  und  gut  halten  —  das  englische  Parlament  bat 
sncli  den  Peüttonssttlrmen  der  irischen  Repealer  und  der 
englisdten  Chartisten  Stand  gehalten;  aber  schwache  Be- 
hörden werden  sich  auchj  wo  ihre  eiger»,  vielleicht  bessere 
Ueberzengnng  dagegen  spricht,  vor  dem  Drange  der  öRnt- 
lichen  Meinung  beugen.  Verbote  und  polizeiliche  Verhin- 
derung '  des  Sammeins  von  Ünterschjüten  kOnnen  daher  in 
groszer  Gefbhr  etwa  nCthig  werden,*  sind  aber  immer  misz- 
lieh,  theils  weil  sie  eine  natürliche  Volksfreiheit  hemmen, 
theils  weil  sie  die  Menge  zum  Beharren  und\u  grösserem 
Eifer  in  der  eingeschlagenen  Richtung  reizen:  Besser  ist 
es  daher,  w^nn  die  Leiter  des  Stats  snir  rechten  Zeit  die 
geeigneten  Maszregeln  trefiFbn,  um  das  Grewitter  zu  zer- 
tfaeilen,  oder,  wenn  ee  uRveiraeidlich  ist,  den  Sturm  würdig 
au  bestehen. 

*  KUebsichten  Aer  Art  hatieD  die  eldgenüMlaehen  Stände  aehoa 
1461  veranlsait,  in  dem  sog^avuaten  Sunierverkommiiiai  sJle  ,Antri(a*. 
■a  verbieteD,  „wovod  Scliaden,  Aufruhr  oder  Unfug  eatatehen  möchte,", 
eine  Verordnoug,  die  indessen  später  oft  £ur  Unterdrückang  bereehligtar 
Bitten  iind  fiMckwerden  misibraocht  worden  iaL  Tgl.  Blantschli, 
•ehweiier.  Bandetrecht  I,  8.  154  ff. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


Aefate*  Oi^ta].    C.  Dm  VerdniTMht  531 

Achtes  OapitoL 

C   Du  Verelnirecbt. 

Dsa  Recht  der  BQi^er,  w  Vereiaen  zuflSuiiueDni- 
teetcs  ood  gemeinsame  Zwecke  w  fordern,  ist;  suBfichtt 
eio  eiDfacbes  Privatrecbt,  iiwofeni  diese  Zwecke  dem  Prirat- 
leben  aogehören,  s.  B.  literaiische  UDterqehmungeD  oder 
geselliges  VergnOgei),  oder  Uebuog  der  WobUhftÜgkeit  be- 
treffep.  SÜne  acbo»  in  den  natOrlichen  Reohtsv^rhiÜtnisseD 
begraiidete  R^el,  daes  dieeelben  der  GenefamigUDg  des 
6tats  za  ihrer  Existenz  bedOrfen ,  gibt  es  nictit.  >  Die  ger- 
manischen Volker  haben  die  Freiheit  solcher  Vereinsbildnag 
fikst  zu  allen  ZMten  und  Überall  geübt. 

Eine  besondere  Berücksichtigung  aber  erfordern  die 
politischen  Vereine,  deren  Dasein  und  Wirksamkeit  auf 
dae  politisclie  Leben  des  State  und  des  Volks  nähere  Be- 
nehung  bat  In  England  ist  das  Recht,  auch  solche  Ver- 
^ne  zu  bilden,  von  Alters  her  anerkannt,  aber  doch  erst 
seit  dem  XVHI.  Jahrhundert  lebhaft  geübt  worden ;  ^  auf 
dem  Contiaente  dagegen  hat  erst  in  neuester  Zeit  diese 
Volksfreih^t  die  Billigung  mancher  Staten  erlangt. " 

■  Der  franiöBiiohe  Code  pioat  $.  291  hat  ein«  aolebe  BeechrSn- 
kiing  aller  Vereine,  die  ober  30  Mitglieder  QDd  periodUdte  TeraamiB- 
-langea  haben,  eiageftthrt.  Sie  wurde  noch  anegedehDt  darch  das  Oeaelt 
vom  10.  April  1834.  Tgl.  RUmrath  In  der  Zelleebrift  von  Hltter- 
maier  VU,  8.  Mff. 

>  Buckle,  Qeaeh.  der  engl.  Civilis.  1,  H.  873. 

■  Belgiaeb«  Verf.  S.  30;  „Dia  Belgier  babfn  da«  Recht,  sich  tu 
Qcaellachaften  za  vereinigen ,  dieses  Recht  darf  keiner  vorgnlfenden 
Hasiregel  nnterworfen  werden."  HolUndiscbe  %.  lOi  „Das  Becht 
der  Einwohner  lur  YerdDignDg  und  Tertammlang  wird  anerkaanL  Daa 
GeseU  regelt  und  beeebrAnkt  die  Ansübnng  dieses  Rechtee  ia  «einer  Be- 
«iehang  aar  öBentliehcn  Ordnnng."  Sebwelzerieche  Bnndeaverf.  |.  46: 
«Die  BQi^r  haben  daaB«ht,  Vereine  an  bilden,  sofern  scriehe  #eder  in 
Ihrem  Zweek  noch  in  den  daflr  beeUnoitea  üitteln  rcehlawidrig  oder 
statsgedhrlich   anid.      Oeber  den   Hisabranch   dleMa  Hechte«  triA  dl« 


iM,C00<^lL' 


533  ^irÖlfM  BMk.    FralMtoTMhle. 

Diese  politischeD  Vereine  sind  ia  ihrem  iDoern  den 
OemeiDden  Aholicfa  org&niBirt,  io  <lem  Statakörper  selbst 
aber,  obwohl  sie  auf  denselben  nicht  selten  einen  groszen 
EinflosB  üben,  und  als  eine  Macht  an  dem  Gange  der  Po- 
litik Tbeil  nehmea,  ein  unorganisches  Element.  Um 
so  weniger  darf  siah  der  Stat  ifanen  gegenüber  glencbgflltig 
▼erbaltea,  noch  schutzlos  denselben  prei^egeben  werden. 
Von  üner  Oeiheit  der  poKtiseheo  Vereine  kann  daher  ver- 
nOnftigerweise  nur  in  dem  Sinne  die  Rede  sein,  als  damit 
die  Sicherheit  und  Wohtfohrt  der  groszen  (»ganiairl«]  Ver^ 
«inigUDg  der  Nation,  die  wir  Slat  heinen,  rertrilgliefa 
ist'  In  der  Rucksieht  auf  diese  findet  daher  jene  ihre 
Schranken. 

Im  Einzelnen  sind  folgende  nfthere  Beetimmangen  kb 
erwähnen : 

CutonklgeMtzefebnng  di«  erfordert icheo  Beaiimmangen."  Deutsche 
BekluTerf,  ran  1849,  %.  162:  Die  Deatecheo  haben  dm  Recht,  Vereine  za 
bflden.  DIeM«  Beaht  soll  dorch  keine  varbengendeii  Uuzregalo  beaehrinkl 
weiden.  Oesterreichische  Grundrechte  v.  1849,  %.  7:  .Die  öslerrei- 
chivchen  Ststsbürger  haben  du  Kecht,  sich  tu  verMmmeln  und  Vereine 
ca  bilden,  Insofern  Zweck,  Uittet  oder  Art  und  Weise  die  Tersanmluug 
odw  TereiniguDf  weder  rediUwidrig  noch  stetagefihrlick  dnd.  Die  Aaa- 
flbnngdiaeea  Rechtes,  sowie  die  Bedingnngen ,  unter  welchen  (l«sellMhsftt- 
rechte  erworben,  ausgeübt  oder  verloren  werden,  bestimmt  das  Oeaeti." 
Frenstische  Verf.  J.  30:  .Alle  Preusten  bAben  dH  B«cht,  rioh  m  «ol> 
eben  Zweckes,  welche  den  StrafgesetMu  nicht  rawidertenflco ,  in  GescU- 
•chaflen  in  vereinigen.  Das  Gesets  regelt  insbeeondere  zur  An  frech  Üi»l- 
tnog  der  öffentlichen  Sicherheit  die  AnsUbang  des  —  Rechte.  Politisebe 
Vereine  können  Beschränkungen  und  vorUbergebenden  Verboten  im  Wege 
der  Qesettgebung  unterworfen  werden." 

*  Der  R^oblikauer  Washington  ftosterl«  sich  in  einem  Briefe  vom 
SO.  SepL  1786  ttber  die  politlscbea  Vereine:  .Im  Allgenneinen  bebe  ich 
eben  so  riele  sehlinune  als  gnta  Erlhhrungeu  von  Gesellaehaften  erlebt, 
wie  die,  deren  Ter&ssung  Sie  mir  mltiheilen.  Sie  sind  eine  Art  fitM  ins 
State  (imperiom  in  imperio)  und  behindern  die  o&ntlichen  Maszi«gels 
dMO  so  oft,  als  sie  dieeelbeo  nntM«tO(ceo.  Ich  bin  kein  Freund  solcher 
Vereine,  aesser  wenn  ee  rieh  um  looale  HaeiregelD  handelt,  welche 
gaoi  oder  sd  grüsierem  Thöle  von  don  Beairk  der  einielaeu  ärafbchcAes 
unscUoeeen  werden." 


iM,Coo<^le 


Acht«  OkpiUl.    C.   Dm  Tereiiiarccht.  533 

a)  Politiscbe  Vereine ,  deren  Zweck  oder  Mittel  durch 
die  Strafg'esetzgebung  Terboten  sind,  oder  überhaupt 
0Chon  die  gemeine  Rechtsordnung  verletzen,  sind 
niebt  m  dulden.  Dieee  Beechrfinkong  wird  allgemein  zu- 
gestandeo,  ist  hbtr  offenbar  angenUgend.     Ueberdem  darf 

b)  der  Statsregierung  das 'R«eht  mcht  bestritten 
werden,  aaeh  solche  Vereine  anfmlOsen,  die,  ohne  gerade 
dem  Strafiichter  zu  Terfsllen,  eine  statsgefährliche 
RichtoBg  rerfolgen.  Dem  IndiTiduum  ma«  cb  frei  stehen, 
eioe  Gesinonng  au  haben  und  va  -bekennen,  welche  mit 
den  anerkannten  Verfnasm^^rnndstttzen  in  directein  Wider- 
spruche steht;  aber  Vereine,  die  ein  politiwhea  Princip  be- 
kennen, welches  unvereänbar  ist  mit  dem  Statsprincip,  e.  B. 
repubtikaniscbe  Vereine  in  der  Honarchie,  monarchische 
io  der  Republik,  Rlr  den  Communismns  in  einem  moderneB 
CultuTsIst,  sind  feindliche  Heere,  die  sich  unter  einer  Fahne 
sammeln,  um  die  Statsordnung  umzuwälzen.  Eine  B^eruug, 
welche  die^lben  nicht  su  bekämpfen  wagt,  wenn  sie  ii^nd 
geßihrlich  sind,  leistet  damit  auf  ihre  Existenz  im  Princip 
Verzicht.  ^  Aber  es  darf  dieses  Regieruugsrecbt  nicht  misz- 
braucht  werden,  um  die  politische  Parteibildang  and  eine 
erlaubte  Opposition    unmtlglicb  zu    macboi,   noch   um   das 

'  WftahlDgtuD  Ober  die  gdeB]okratltdic«"  Vereine  In  einem  Brief 
vom  26.  Aig.  17M:  nicb  zweifle  nicht,  dwi  mehrere  Hilglkder  dlwar 
OeeellschaiVR  gate  Atnichten  haben,  nnd  wenig  von  dem  wirhlicbea 
Plane  wlsaeo,  aberee  iet  fQrdie,  welche  den  Clisj-akter  der  Fübrer  kennen, 
und  ihre  Ifanövere  beachtet  haben,  nichts  Unerwartetes,  wenn  ich  be> 
haople,  dtsi  dieadben  *<m  littigea  nnd  intriganten  Hrnachen  mit  der  nK 
Bprünglichen  Tendena  gealiflet  warden,  den  Samen  des  Hiattrauens  nnd 
dea  Terdachtea  gegen  die  Regierung  nnter  das  Volk  zu  streuen,  and  bei> 
füge,  da«E  dieae  Lebren  nnaurliörlich  BIQthen  und  Früchte  hervorgebracht 
haben.  Ich  habe  *Da  AnTang  >b  anageeprocfaen,  dasx  dieae  Oeaellathaflen 
di«  StatBOCdmnif  aelbet  In  ihren  Ornndlagen  erwehatteni  werden,  wann 
mam  didNlben  niaht  beUmpJ«  (freiilch  nicht  dareh  VerfolgiugeD ,  wodnrefa 
eie  nur  neue  ErttTIe  gewinnen),  oder  wenn  ai«  nickt  bald  durch  die  Gntr 
hüllnng  ihre«  Ursprungs  nnd  ihres  Zwecks  in  Hisuredit  k 


nigiti/cdtvCoC^Ic 


534  ZwiUrtM  B«ek.    FnUeitoKcht«. 

Streben  uatst  Beform  von  Vei&dsuog  oder  Gteeteen  za  ver- 
hiaderD. 

c)  Abgoaeheo  tod  dem  Zw^ke  kano'  sehoii  di«  Form 
anes  Vemiu  Bedenken  erregeD,'  und  die  Auftttsm^  jAea- 
»elben  reohtfertigeD.  Wenn  derselbe  nfimlich  die  Eintheilnog 
des  Xandes  lud  die  Gliederoz^  des  Volkes  nachbildend  sieh 
Über  du  ganze  Btatsgebiet  oder  ganze  PhivinzeD  verbreite^ 
and  einen  ionerQ  Oi^anismus  herrorbongi,  dkireh  welchen 
die  überall  serstreaten  Ver^ne  wie  Gemeinden  einem  Be* 
zirka-  oder  Ereieaussehune  untergeordnet,  und  diese  hio- 
wieder  you  einem  CentralaoBsohiUBe  geleibet  werdeo,*  ao 
erscheint  eine  derartige  Verbindung  wie  ein  Stet  in  dem 
9late,  und  seibat  wenn  der  Zweck  des  Verrans  löblich,  uad 
dieser  sogar  der  Statsregierusg  befreundet  sein  sollte,  so 
kann  die  Existenz  deceelben  doch  im  Widersivuch  sein  nnt 
dem  das  ganze  Volk  umfassenden  Stat.  Die  Vereinsmacht 
concurrirt  dann  mit  der  Statsmacht,  und  die  Vereinsregie- 
rung ist  der  EtTal  der  Stataregierung,  oder  mischt  sieh  mit 
dieser  so,  dasz  diese  ihren  reinen  Statscharakter  Ter* 
liert ,  und  zu  blossem  parteiischem  Clubregiment 
herabsinkt. 

d)  Auch  über  solche  politische  Vereine,  welche  weder 
rechtswidrige  Zwecke  verfolgen,  noch  statsgef^rlich  sind, 
und  sich  auch  In  zulässiger  Form  bewegen,  bat  doch  die 
Btatsr^erung  eiu  natOrliches  Recht  der  Aufsicht;  denn 
da  ihr  die  Lütung  der  CfTentlichen  Dinge  anvertraut  ist,  so 
bat  sie  auch  das  Recht,  Verbindungen,  welche  sich  damit 
ebenfhlls  befeasen,  zn  überwachen,  und  darauf  zu  sehen, 
dasz  dieselben    nicht   die  Schranken    erlaubter  Thellnabme 


*  Die  dentwha  BandeaveraMmDlDiig'  bftt  sogar  „jede  Verbindung  mft 
haiern  Vemaen  ala  ■uwtatthaA"  antenagt  (BcMhliiH  «om  13.  Jvlf  ISH). 
Die  Tartmitnsg  d«a  NntioniJTflraiiu  llber  gftnx  Dealeehlaiid  warde  aber 
durch  dleae  knndehtige  Loeaüairaag  der  Yerelne,  wie  man  ilaa  nannte, 
nicht  Terhiwiert. 


n,g,t,7.dt,CöOgIc 


ireanlea  CaplUl.    D.  Di«  T<dbiflrMi)im1iin^eD.  fjj^^ 

abersehreiten.  Sie  kaui  daher  begehren-,  dasa  ihr  die  Star 
tutea  der  politisaheii  VeraiD«  und  die-Nunao  dar  Vorsteher 
mitgetbeiJt  werden,  EiuBieht  in  die  Protokolle  T«rlangeD, 
uad  Au-  ihre  Verordneten  den  2mtritt  zu  den  VerhaadlungeB 
ftHrdem.  Soldie  Vertue  soUeo  die  OeSiootlichkeit  niobt 
•dieueu,  und  gebeiote  politische  Vweioe  Bind  immer  ver- 
dMhtig. 


Neuntes  GapiteL 


Ea  ist  Jbier  nicht  von  organischen  VolksversammlnngeH 
<be  Rede,  wie  sie  in  den  antiken  Republiken  und  in  den  ger- 
DianiEChen  Staten  des  frühem  Mittelalters  at^ehalten  wurden, 
oder  wie  sie  noch  in  den  Landagemeinden  einzelner  schweä* 
leriscber  Demokratien  rorkommen,  sondern  von  freiwilr 
ligen,  nicht  zu  dem  ßtatsorganismus  geb&rigen,  öfl^tlieheo 
Versammlungen  beliebiger  Vol ksmassen,  deren  Zweck 
die  Manifestation  dner  politischen  Meinung,  eines  Wud- 
eebes  oder  einer  Forderung  ist,  wie  wir  sie  in  den  Zeiten 
pohtisoher  Aufregung  in  rerschiedenen  neuem  Staten  sich 
plötzlich  anhäufen  sehen.  Diese  Volksversammlungen  sind 
o&nbar  eine  demokratische  Erscheinung,  aber  eine  uu' 
organische.  Sie  sind  ihrer  Natur  nach  weniger  Volks- 
als  Perteiversemmlungen,  und  gewöhnlich  werden  sie 
«ur  ParteideropnstratiOD  benutzt.  Zwar  nimmt  nicht 
blosz  die  Partei  Anteil,  sondern  oft  auch  grössere  Theile 
dw  Obrigen  Volks,  das  nicht  zum  voraus  schon  Partei  ge- 
Boouneu  baL  Aber  die  Einladung  und  die  ganze  Lei- 
tung  4er»dben  gebt  regelm&siig  von  einer  .Partei  aus< 
Diese   ist  e^,   welcbe  die  Anordnung  bestimmt,   die  Vor- 


iM,Coo<^lc 


^6  ZwUftM  Boeh.    Fretheitwedte. 

Behläge  inacheo  und  begränden  Iftscf,  fUr  die  Redner,  mi- 
wrileu  auch  fOr  die  BraToraf^r  sorgt,  and  die  Ac(^bRiii|[ 
des  BeschloeseneD  Obernimmt.  QewChnlioh  befll&ehtigt  sich 
die  Partei  einer  populftren  Frage,  nad  indem  sie  eine  gd' 
fBllige  Fahne  aushängt,  und  die  ihrigen  in  Bewegung  v«r< 
setzt,  sammelt  sie  so  um  sieh  her  grOssiere  Schaaren.  Au^ 
eine  Henge  Indifferenter  und  nur  Neugieriger  wird  hierbei' 
gelockt,  und  t)ilft  das  Gewicht  der  Masse  vei^^szem.  Ist 
die  Leitung  geschickt  und  das  Ziel  klar,  treten  Redner  auf 
die  Bahne,  welche  ea  verstehen,  das  Gemdth  der  Menge 
zu  ergreifen  und  zu -stimmen,  so. entwickelt  sich  leicht  wäh- 
rend der  Volksversammlung  ein  gewaltiger  Massengeist, 
der  alle  Eineelnen  erfüllt  und  fortrwzt^  und  wie  ein  ange> 
schwollener  Strom  jeden  Widerstand  andere  G^esinnter  ttber- 
fluthet  und  bricht.  Die  Menge  verlftoft  sieh  zwar  wieder, 
aber  der  empfangene  Impuls  geht  mit  ihr,  und  thdit  sieh 
in  noch  grOszeren  Kreisen  der  Umgebung  mit.  Die  Ftthrw 
aber  haben  oft  in  Einer  Stunde  eine  Autorität  gewonnen,- 
welche  ihre  bisherige  Bedeutung  vervielfältigt ,  and  tarte- 
Macht  erobert,  vor  der  zuweilen  die  bestehende  Statsregie- 
rung  erzittert. 

'Es  gibt  keine  andere  Offenbarung  der  O^ntlichen  Mei- 
nung, welche  an  Stärke  uud  Gewalt  dieser  gleichkommt. 
In  groszen  Staten  freilich  wird  auch  sie  wenig«-  gefthr- 
lieh  sein.  Denn  es  wird  in  solchen  Immer  nur  tin  kl^bep 
Theil  der  Gesammtbevölkerung  daran  Theil  nehmen,  und 
die  Regierung  hat  Über  bedeutendere  Mittel  zn  verftlgeti,- 
um  einem  feindlichen  Streben  der  Art  entgegenzutreten.- 
Aber  sc^r  in  dem  freien  Groszbritannien,  in  einem  State,* 
wo  die  Achtung  vor  dem  Gesetz  alle  Sehichten  des  Volks 
durchdringt,  und  eine  mächtige' Aristokratie  die  OffiBnllicbe- 
Ordnung  stützt,  waren  die  too  OXlonnell  geleiteten  grosieD 
Repealversammlungen  d»  Irländer  (die  monster  m«etiogB>' 
zu   einer    so    fürchtbaren  Macht  '  angiewachsen ,    dasz    die 


iM,Coo<^lc 


Achtel  0>pM<l.    t>.  Die  T«lkffverMinKilDng«ii.  539 

Rflgfidraag  genOtMgt  ward«,  fernere  VenammliKtgieD  der  Art 
•d  Terbleteo. 

In  kleinen  Staten,  und  ronOglieh  in  RepuMiken, 
Iwben  Mlcbe  VolksTvrMannlinn^n ,  wann  sie  aahinnith  be* 
Mebt  Bod  energiBch  gefllhrt  werden,  eine  Gtewalt,  welche 
Mcbt  die  ganze  StetscvdDQDg  erechattert.  Me  Verwechse- 
lung liegt  da  sehr  nahe,  dam  die  gro«se  um  eine  Partei 
gewhaarte  Ifenge  das  Volk  telber,  und  daoz  Ihre  ausge- 
aprocbeoe  Meinung  „Tolkswille*  sei.  Die  onotgaiitaehe  Ver- 
Muomlang  (st  da  anch  geneigter,  sieb  die  obente  Uaobt  im 
State  amrainasKen ,  and  der  mimitteHwren  Kandgebang  ihres 
VerlasgeDB  wagt  die  organisobe  Stellrmtretung  des  Volkes 
ttitea  HO  widerstekeii.  Vereoebt  sie  es,  so  eHfthrt  sie,  dsss 
ihre  Kraft  geüthmt  ist  Und  doch  ist  diese  Vorstellung  mit 
jeder  Statoordnnng,  aueh  der  rein  demokratisoben ,  nnver- 
trtglich.  Hatte  j6de  VolksrersammlnDg  der  Art  die  hOehste 
Gewalt,  »0  wAre  das  eine  anarchisebe  Oehlokratie,  kein 
0tat  mehr.  Die  Sehweic  hat  seit  1880  eine  Reihe  von  Er- 
fahmngen  der  Art  gemacht.  Viele  Verfessungen  und  viele 
R^iernngen  sind  durch  das  Mitte]  solcher  VolksTersomm- 
Inngen  und  in  entgegengesetsten  Parteirichtungen  gestOrzt 
worden,  weil  ne  zn  schwach  waren,  um  dem  AnstosE  eines 
so  conoeDtrirten  und  gasteigerlen  Hassengüstes  zn  begegnen. 

In  ruhigen  Zeiten  kommen  sie  nicht  leicht  ror,  ESne 
gewisse  AulVe^fOBg  und  OAhrang  ist  ihre  nalDrlicbe  Unter- 
lege; in  kritischen  Zeiten,  wo  die  Leidenschaften  der  Par- 
teien  entzündet  sind,  und  die  Menge  gereizt  werden  kann, 
erheben  sie  sich  mit  volkanischer  GewalL  Auch  das  Verbot 
ist  dann  gefährlich,  wenn  ihm  nicht  grosze  Macht  Kach- 
druck gibt.  Das  Verbot  des  Reformbankettes  in  Paris  iiat 
die  ftuszere  Veranlassung  gegeben  lu  dem  Ausbrnoh  der 
Revolution,  welche  die  Djnastie  der  Orleans,  und  das 
Eönigthum  in  Frankreich  gestürzt  hat.  Das  Gewahrenlassen 
ist  nicht  weniger  geßlhrlieh.     Die  Schw^z  und  Deutschland 


iM,CoO<^lL' 


-gas  ZwSIAm  Badi.    Fi^leiUrc)^^ 

im  Jahr  1648  beb«D  die  Er&bning  gemaebit  Siod  {|ifi0cdben 
erlaubt,  und  werden  sie  ron  einer  Partei  benutst,  so  babeq 
die  andern  Pai-teteü  kaam  ein  aaderea  ebeo  w>  wtrksames 
Oege»Dnitt6l,  Ale  aooh  ifareraeits  Vidkareraanutiluagw  tu 
halten.  Die  Partü,  die  «itdi  nieht  trauen  darf^  der  Gegmi* 
putä  anoh  auf  cUeaem'  Gebiete  gegeaUbersotreten,  iat  ftkc 
den  Moment  besiegL 

£wel  SysteDie  lasse»  sich  den  TolkaTertemadungea 
gegenüber  atatBrechtlich.  wohl  begründfio.  Das  eibe  ist  V.er- 
bot  deraelben  als  Regel,*  Erlaubaiss  im  einsetaen 
Fall  durch  die  negierung  als  Ausnahin«.  Sa  ist  das  fre»' 
lieb  auch  ein  meiolich  siebet  Uittei^  dieselben  gaos  su 
besdt)g6i).  Für  kleinere  liod  ^wachcStaten  verdiest  diews 
Sjatem  dämm  den  Vsnug,  weil  dort  die.  Geftihr  fdr  die 
Sicherheit  der  Statsord&uug,  Qtr  die  Autoritftt  der  organi- 
schen Stellver^-etung  des  Volkes  selbst,  und  fUr  das  An- 
seilen dar  gesetslidken  Stattgewalten  ein  grösaerea  Uebel 
ist  als  der  Vortbeil,  wdcben  die  VolksversammLuUgen  ge^ 
währen,  sei  es,  weil  sie  auch  als  Ventil  dtenen  köauea, 
um  einer  rorbandeneo  Qabr^ng  Ltift  zu  machea,  aei  es, 
weil  sie  oft  der*  Ausdruck.,  einer  berechtigten  öffeutlichea 
HeiDUDg  sind,  wirkliche  Uebel  in  der  Statsleitung  an  d«» 
Tag  bringen  und  deren  Beseitigung  Krdem.  Die  Orgwiis^en 
Mittel  der  Td*tretung  deb  Volkes  .in  dem  gesets^beoden 
Efirper,  der  GeriobtAverfBasuiig,.  der  Pe^i4iODen  der  Ge- 
meinden und  Individuen,  und   ftholiebe  Oorwatien   sind  so 

<  Fflr  die  Schwell  StftDserverkommnia*  van  1181,  S-  S:  «Wir 
Bind  oaeh  flbereiakoiiiineii ,  du  ouch  fürbashia  underaiis  oad  nueer  eid- 
geDoszschaft  weder  io  stelteo  noch  ia  tenderu  nieman  dbeiuerlei  anndei^ 
barer  gcfarlicber  gemeinden  eammlnngen  oder  Botrig,  davon  Jeman 
•ebaden,  vfruor  oder  nnfniff  entan  roöahten,  weder  hwisliob  aoch  offent-.. 
■ich  füroemen  noch  tbuon  toi  one  willen  und  erlonben  alner  berreo  und 
oberen.**  In  neuerer  Zeit  habeo  zwar  die  Bcbweizeriacliea  Terfossungen 
darüber  Stil  lach  weigert  beacfateC,  aber  fhctlach  aind  die  Tolksveraamm- 
litagen  aait  16S0  «It  erlanbl  angcMben  «Md«n. 


iM,C00<^lL' 


Zwftlftea.  CApiM'  -D.  Die  ToftfTenunmiiiD^n.  QSS 

itjrksain',  v^ettD  iie  richtig  benatst,  ubd  atit  EAergts  g^&nd- 
hftbt  werden,  dass  eine  so  geßtfaifUohe  DetAoutlntiob  keinefi- 
wegs  DOtliwendig  erscfaeiot. 

Das  andere  System,  in  grOKen  Staton  ToraDglicb  mit 
starker  RegieruDgsmaobt  unbedenklieh ' —  ist  Freiheit  der 
VolksvenMiimlungeii  als  Regel,  RegieruDgarerbot  sie 
Aiienabrae.3  Auch  jene  BV^eit  bedarf  Qbrigeot  der  Be- 
sfthrfisknng.: 

a)  mit  BeEUg  aof  die  Form  der  VersaaunluBg.  UDbe>- 
waffDetes  Ersdiein«!  wird  ßwt  aberall  gefordert,,  mit 
Recht,  weil  die  Partei,  znoi  bewaßbelea  Beete  gesaiameh, 
am)  ton  den  eigenm  Parteiführern  gehetst,  die  gemeine 
StatsordBüng  zu  heftig  bedroht; 

b)  mitRUckscht  aof  deti  Ort  derselben.  Für  die  Frei- 
heit der  BefathuMgwi  and  AbstJmniang  in  den  organischen 
Versammlungen  des  re^rfiaentativen  Körpers  (der  Eammeenif 
NatioDalräthe  u.  s.  f.)  ist  es  in  hartem  Grade  bedeaklicbf 
wenn  in  ihrer  Nfthe  die  lauten  und  oft  l^eosehaftlichen 
Stimmen  au^eiegter  VolksTersammlungeD  sich  TeroebiDeni 
lassen.  Daher  audi  in  dieMr  Bezi^oi^  das  Erforduvisa 
einer  gewissen  Entfemiuig  von  dem  tttse  eines,  solcbeo 
Körpers. 

^  BelgUche  Terf.  J.  19:  .Die  Belgier  haben  du  Recht,  sich  IVied- 
Ikh  and  olüie  VftJka  an  veraunindD,  geutftit  den  OentEen,  welche  die 
AtufibODg  diese«  Rechtet  bestimmen  können,  ohne  es  jedoch,  einer- vor* 
gängigeo  obrigkeiü leben  Erlanbnisi  zu  antemerfen.  Dieae  Verflig-ung 
beliebt  eich  oictat  anr  die  VerMmmlung  unter  freiem  Himmel,  welche 
giatlich  den  PoliaeigesetMo  niiierworfeii  bleibt."  Deateche  ReichsTerf. 
«.  1849.  S.  159.  ,IHe  DentacheD  haben  das  Recht,  aicb  rriediich  und 
ohne  Waffen  sa  versammein,  einet  besondem  Erlanbnisi  dam  bedarf  es 
nicht.  VolksiereammluDgen  unter  freiem  Himmel  können  bei  dringender 
OeAhr  filr  die  dffentliche  Ordnnag  nnd  Sicherheit  rerbolen  werden." 
Preneiieche  $.  30:  „Alle  Preosien  sind  l)erechügt,  eich  ohne  TO^än- 
gigt  obrigkeitliche  Erleubnjsz,  friedlich  nnd  ohne  Waffan  in  geschloeaenen 
Rünmen  zu  versammeln.  DieM  Bestimmung  besieht  eich  nicht  enf  Ver- 
sammlungen unter  freiem  Himmel,  welche  auch  in  Bezog  auf  TOigSngige 
(riwigkeltliehe  Brlanbniei  der  Terfügnng  des  Qeeetzes  unterworfen  sind." 


iM,C00<^lL' 


540  Z««ine(  Baeb.    FrelLeMtniAt«. 

e)  Das  Erfordernisz  einer  vorherigeD  Anzeige  des 
einladenden  Ansschnsses  bei  der  Polizei  aber  Zeit,  Ort  und 
Zweck  der  ausgeschriebenen  Volkarersammlnng,  rerbund«! 
mit  der  Angabe  der  Hitglieder  des  leltendwi  Aus* 
achuasee,  und  dier  Benennnng  der  bestellten  Redner 
wird  ganz  passend  hinzngenigt;  denn  wo  so  grosse  und 
oflfene  DwnonstrationeD  beabsichtigt  werden ,  aollcn  die 
Fuhrer  weder  sich  noch  ihren  Zweck  vor  dem  State  wie 
TerscbwOrer  ▼«rberg«n,  und  dieser  sich  zar  rechten  Zeit 
rüsten  können,  um  je  naeb  Umständen  su  Terfttgen,  was 
die  Sicherheit  des  States  erheischt 

d)  Das  Recht  der  Aufsicht  des  Stats  während  der 
Versammlung,  auch  durch  Beenftragte  der  Regierui^  an 
schicklicher  Stelle,  Torsteht  sich  von  selbst 

e)  Wenn  irgend  nach  den  Umständen  Gtobhr  ftlr  di« 
öffentliche  Sicherheit  der  Personen,  des  Bigenlhums 
und  der  Statsordnong  zu  besorgen,  und  doch  diese  nicht 
so  gross  ist,  um  die' Regierung  znm  Verbote  d^selben  au' 
bestimmen,  so  ist  die  Abfbrdenmg  einer  Caution>  Ton 
Seite  des  Ausschusses  der  Volksversammlung  fUr  allen 
Schaden,  der  darch  die  Volksversammlung  oder  durch  die 
an  ihr  Theil  nehmenden  Volkshaiifen  verabt  werden  sollten, 
wohl  eines  der  am  meisten  practischen  Mittel,  stöbern 
Schaden  ZjUTorzu  kommen ,  und  die  Regierung  in  ihrem 
Rechte,  wenn  sie  sich  so  zum  voraas  sicher  stellt 

'  In  England  iit  der  OmndsatE  aralt,  dut  die  Bewohner  eineg  hand- 
red  tir  den  Schaden  einstehen  mOwen,  der  darcb  ZaHmmenrottang  vertlH 
wird.  T«rgl.  aach  Stat.  7  nnd  8.  Qtorg  IV,  e.  12.  Franiüaitchea 
QeaetE  v.  33.  Febr.  1790  und  3.  Oct  1706  bei  Mittermaier,  Zelter 
Vn,  8.  2«  ff.  ang^reigt. 


nrg,t,7rJM,GOOglC 


Zobtitei  CivlM.    K.   Qu  Rwibt  dei  mdenlandee.  541 

Zehntes  CapiteL 

E.    Dm  leoliL  dM  WidantwrfM. 

Ein  geistreicher  englisclieT  Reehtsgelehrter  bat  den 
Wnnscb  ausgesprochen,  die  Forsten  und  iEre  Minister  möch' 
ten  den  Wideretand  der  UntertbaneQ  gegen  lytaDoische 
YerftlgaDgen  für  Recht,  die  TOIker  aber  fQr  Unrecht  halten, 
und  80  jene  die  Veranlassung  zu  ofTenem  Widerstand,  diese 
den  Widerstand  selber  vermeiden.  Die  ErAihmog  audi  in 
neuerer  Zeit  beweist,  dasz  jener  Wunsch  noch  zu  den  from- 
men Wunsche»  gehOrt. 

Von  dem  einfachen  duldenden  ungehorsam  bis  zu  ofife- 
ner  und  kriegerischer  Empörung  gegen  die  Statsgewalt  iührt 
ein  langer  und  gelftiirlicher  Weg  an  den  Abgründen  vorbei. 
Einzelne  Individuen  sowohl  als  ganze  Völker,  die  ihn  ge^ 
gangen,  sind  oft  dabei  veranglOckt.  Aber  die  Geachichte 
weisz  auch  von  Thaten  zu  erzählen,  die  auf  diesem  Wege 
Rettung  gebracht  haben  aus  unleidKeher  Noth.  Das  Gericht, 
welches  die  Geschichte  TerwtUtet,  hat  viele  Unternehmungen 
der  Art  strenge  verurtheilt,  aber  es  hat  auch  andere  mit 
dem  Kranze  eines  stets  frischen  Nachruhms  veriierrlioht. 

Das  Recht  des  Stets  ist  nicht  ein  absolutes  Ober 
den  Menschen,  daher  anch  der  Gehorsam,  welchen  der 
StatsbUrger  der  Obrigkeit,  der  Privatmann  der  Stat^ewalt 
schuldet,  kein  absolnter..  Wo  das  menschlich-irdische  Recht 
an  die  Gr&nze  seiner  Macht  gekommen,  wo  das  innere  un- 
sichtbare  Geistesleben  in  angeborener  Freiheit  waltet,  da 
hat  vorerst  auch  der  statliche  Gehorsam  sein  Ende  gefunden, 
und  kein  Individuum  ist  verpflichtet,  so  zu  glauben,  so  zu 
denken,  so  zu  flihien,  wie  die  Slat^ewalt  etwa  vorzu- 
schreiben sich  angemaazt  hat.  ■ 

'  Vgl.  dHflbcr  obeo  Buob  VIU,  Csp.  2,  nnd  oben  Boeh  IT,  Ctp.  14, 
HoU  IK.  In  der  Aatigone  von  730  ff.  w««t  Sopbokle«  wiaderholt 
diLTMif  hin: 


iM,CoO<^lL' 


642  'ZwÖlftM  Bodt.    PreifceitaradMe. 

Aber  nicht  blosz  diese  Gräaze ,  welche  schon  bei  der  Er- 
Bchftffung  des  Menschea  von  Gott  gezogen  worden,  hat  der 
indiTiduelle  Gehorsaaiv  Du  ladiTidoaui  iat  der  Statagewalt 
überhaupt  uur  insofern  lom  Cehorsaia  rerpflicbtet,  als  die 
Sphäre  dea  States  j-eidit;  «bei  üebt  uufar^  woan  £ew 
in  dieSpb4Ee  desPEtratreehtes  niclit  aus  Sta^grttndeii 
Doeb-  d«  wo  dK6  Priratrechi  dem  Statsrechte  in  wirkliehem 
Conflicte  UDlei^eordnet  ist,  übeigreift.  Wohl  darf  der  Stat 
Über  das  Blut  und  das  Gut  seiner  AagehOhgeD  TerfOgen, 
wenn  da«  nOthig  ist  znr  BrbaltuDg  des  Ganzen.  Aber  wenn 
der  Regent  aus  Laune  mit  dem  Lebra  eines  Unterthanen 
spielen  wollte,  oder  nach  seinem  Vermögen  gelüstete  and 
willkürlich  auf  dieses  griffe,  oder  sein  Familienreobt  an- 
tastete und  sein  Wedb  .  oder  seine  Tochter  frevelnd  zum 
Genüsse  beehrte,  so  würde  er  hier  offenbar  nicht  ala 
Obrigkeit  gebieten  kfinpen,  denn  das  wfire  nicht  Ausübnag 
anes  R^erungsrechtes,  and  der  Borger  wftre  hier  in 
keiner  Weise  zum  Gehorsam  verpflichtet.  Als  Mensch  tritt 
er  hier  dem  Henwben  entgegen,  nicht  als  Untertbsn  dc>r 
Qbrigkmt. 

Aber  auch  innerhalb  des  Bereiches  der  Stats> 
macht  musz  diese  dem  Rechte  gemäsz  geübt  werden,  und 
widerrechtliche  Gewalt  ruft  gegründeten  Widerspruch  her- 
vor. Auf  solchem  dem  State  eigenen  Gebiete  ist  in- 
dessen der  letzte  Entscheid  in  der  Hand  des  States  selbst, 
und  der  Einzelne  kann  demselben  nicht  auf  die  Dauer 
widerstehen. 

„Kreon:  Soll  deaa  die  Stadt  mir  Hgen,  waa  ich  ordnen  soll? 
H&mon:  Sieh  doch,  du  redest  kllzotehr  uich  Knabentirt. 
K-:  QebcDt  ein  uidrer  oder  ich  ia  dieaem  Land? 
H.:  Die  Stedt  g«bÖreod  Einem  aar,  ist  keine  Stadt 
K.:  Nicht  eigen  wäre  dem  die  Stadt,  der  ihr  gebest? 
H.:  Wohl  hanwhe  Du  denn  gani  «IMd  im  Aden  Land. 
K.:  lehirre,  ««nn  mein  HerrMherrechl  mir  heilig  gilt? 
H.:  Nicht  heUig  giJt  dir'e,  wenn  dn  höhnst  der  Götlar  Heeht.* 


iM,C00<^lL' 


Zehnte*  Ofttc).-    E.   Diu  SMkt  des  Widentandea.  513 

Die  Fonneii'dH'Htobtgi^Ordaras  und  4eB  'Widerstands 
der  IbdiTidaen  gegeir  Unrecbt,  Aas  ibnen  vtm  der  Stetiag«- 
walt  lugemuthet  oder  Mig«tlMiß  Wird,  «ind  sehr  Vemeliieden. 
UnbetweMBlt  reehttnoaBig  ist: 

1.  die  einfache  VerBBgatig  des' Qehors'ams,  iro- 
mit  passend  Vorstellungen  rerbunden  werden,  welche  das 
Recht  des  Indtriduums  und  dm  Unrecht  des  ßtatee  Mar 
macben  und  oioht  sel^  die  6ewdt  abhalten  Onnet^t  zu 
thtan,  teraer  die  Amvwtdong  der  Reoh'tsmittel,  -wek^ 
VerfossuDg  und  Gesetz  zum  Scfanlze  des  ladividauns  dlesam 
▼eriieben  haben,'  endlich  der  Protest,  der  das  eriäteM 
Unrecht  bezeugt  und  die  äereobt^lceit  der  Zakooft  anruft. 
Christus  selbst  hat  der  Mensohheit  eis  gvosses  Vorbild'  hintor- 
l&ssen ,  welches  auch  die  zu  stftii»»  und  mit  freudiger  Eia- 
rersidit  zu  etfullen  vermag-,  welche  ihm  Ähnlich  fDr  das 
erwige  Recht  ihres  W^tm»  die  herbste  Ptin  und  s^bst  den 
Tod  des  Verbrechern  erdedden,  ohse  wider  dl«  höhere  Ge^ 
walt  der  Obrigkeit  zum  Schwerte  zu  greifen. 

%  Dm  positive  rOmiscbe  Staf'sreoht  blieb  dabei 
lAtht  stehen.  Des  Tribunat  wurde  geachalÜBn,  um  einen 
rechtmUszigen  und  g«ordneten- Widerstand  gegen 
widerrechtliche  GewaltUbung  der  Magistrate  nicht  blosz  zu 
Gunsten  des  in  sdnem  Rechte  verletzten  Individuums,  son- 
dera  unter  Uitwirkni^  der  geasnimteD  Plebes  zu  wguiisiren. 
Die  Tribnnen  waren  berechtigt,  nicht  allein  die  drohende 
Gewalt  durch  ihr  Veto  zu  hemmen .  und  ihr  so  auch  den 
Atuaesen  Schein  des  Rechtes  zu  entziehen,  soodem  wenn 
die- Volksfreiheit  geflihrdet  schien,  die  Plebes  auch  zur  Ver- 
weigerung   dea    an    und    für   eich  schuldigen   Gehorsame  in 

'  dem  de  1^.  III,  3.;  „tust»  imp«ria  «anto,  JlBqne  dvea  modnU  ae 
(JM  rwwattVm«  fomdo.  KegrliirBtns  mo  obedienlnn  et  noxiom  civera 
mtilta  Tfnclla  verberibaa  eoirceto,  «i  (mt  wu^ont  ptiUttat  jnptUtint 
pnMttitt,  od  fUM  pnvoeaHo  «to.  Hllitifte  ab  eo  qnl  imperaMt  provo- 
eatio  De  eato. 


iM,C00<^lL' 


andern  Biagen  wiluifiaBlerD  iHkd  la  ouaSiehÜgem.,  va  00  die 
iierraotaeqda  Anst»kmtie  dareh  di^  nllgfloaeine  Noth  sad 
JAhmiag  m  die  Behnokea  dea  beatehcndM  B«elite8  m 
wäsen.  Seibat  oristokmüscb  geainote  Ststsiqaaner  *  babea 
dieee  laelibiUoD  trota  ihcer  Htogel  EuweUen  -sl«  eise  gtutae 
dei  gut»»'  Eecbte«  und  OBttenaler  Fiabeit  augaMfaeo,  E» 
wMt  dm  Docb  iiQDWP  .eis  negatirer  Wid«ntw>d.  IKe 
Plebes  griff  oiebt  bu  dea  Wafiieii ,  aiß  zwaag  die  Obnglieit 
Bjobt  mit  4er  Gewalt  dea  Schwerte»  von  dem  UoEecbfe  w 
kweo.  Aber  sie  ward  dw  Pfliobt.  de»  Ötttanatoa  «at- 
bandea ,  bia  jene  die  AutoriUtt  dea  Recb^ ,  welt^we  den 
gaoBeo  Stat  uisamoKfibieLt,  wiader  aobtele.  Aber  aueb 
die  Tribanen  lerutea  ibre  Hatdit  missbrauchoii,  and  »tatt 
das  Biedere  Voik  in  sooem  gutes  Ueebte  Ba  aebstseo,  flnsan. 
sie  an,  mit  Hülfe  »elDer  LeideaadHBitra  das  Beobt  det 
Stale^  uod  der  obn^witUcbea  Gewalt  ihrem  Wille«  ta  beu" 
geo,  und  bracbtea  daoo  Uarube  und  Yermnnng  über 
den  Stat 

Zu  Sparta  war  daa  Spborat,  deaseti  nAobate  Q«atiui- 
mung  auch  gewesHi  tOr  die  Fr^büt  des  Volkea  «u  wachen 
und  dem  UiubrauiA,   den   die   Eäatge   yqb  übxer  Otfwait 

*  Z.  B.  Cicero,  der  den  OrnodsBlz  (de  Legib.  III.  3):  „Plebea  quna 
pro  Mtamtra  vhn  aitxim  ergo  decem  crcaMit,  trlbuni  ejna  nnto,  qtud- 
fwe tf  fPOMoitia,  qaodqiwptobairagMdot,  rttmumto^"  nUMrmoUTM 
de  Legib.  III,  10:  aFateor  in  iila  ipw  potestale  ioMM  qDiddsn  mali. 
Sed  bonnin  qaod  est  qiiMBitum  in  ea,  sine  ialo  melo  oon  haberemua. 
Nimia  poteaUt  est  tribonoruin  plebis.  Qnis  oegat?  aed  via  popnli  miilto 
Y^emtntior  nnUoque  Maiior^  qiwe  dnccn  ^ood  faabBt,  Inttrdiu  Imlor 
«i(,  qoam  ü  nulluni  liaberek  Dax  eoim  soo  m  pwicolo  pn^gredi  cogilat: 
popQÜ  impetUB  perlculi  rAIionem  eui  noo  iiab«t.  At  aliquaodo  incenditur. 
—  Et  eaim  aaepe  aedatnr.  Quod  eulm  est  Um  deaperatum  collegium,  in 
qng  nemo  e  deeem  auu  meate  alt?  —  CoDceaaa  plebi  a  pktribaa  lata  po- 
Uitate,  Arnift  cedderoat,  r«atiDclft  aeditio  est;  iDventum  eat  teaperamen* 
tum,  qao  tenuiorea  cum  priucipibua  »equari  se  putarent:  in  quo  quo  fnit 
civitatis  salua.  —  Quamobrem  aut  ezigendi  r^e«  non  fueruoti  tat  plebi 
re  DOD  verbo  danda  liberUa,  quae  tarnen  aic  danda  est,  ut  —  aasloritati 
priDcipum  oedereL" 


iM,C00<^lL' 


Z«hDtea  CaptMl.    fi.  DU  Bwltl  4h  Wldentudei.  3A5 

ntfdten  wordtD,  «ti^egcmntiioten,  Docb  Mteieller  atisgtartet,' 
und  *U8  WAchtM-n  tat  die  Freihait  wuiden  diA  Epboren  ht3A 
l[ib«g«nteii  d«r  Bfloige.  Sie  wsira  beraten,  die  Terfotsobg 
m  bwrühroDt  iiikl  oMulltea  dann  Mlbgl  täaeu  tiefen  Ritz  in 
dM  IniBMrolle  Work, 

t.  Aitch  du  Uittelslicr  bat  setoftErifte  «n  der  Anf- 
g>b«  vanuaht,  um  SolraUe  des  Rechta  wider  bOhere  Gewalt 
eioen  WidentBod  m  ordnen.  Es  war  über  ib  der  ErftlUung 
dmaelfien  noch  weniger  glodtlieli  old  doe  Altertbüm,  Du 
CUebt  der  SelbttbuJfe  sebieo  ▼onAltert  her  dem  g«rma- 
lri«chen  Obnakler  tMturliah.  Die  8eK>sthftlfe  wir  in  der 
VorMit  die  gewohnte  Font),  wie  der  fnit  GerBOBe  sain 
Recht  gegen  jeden  Angriff  rertlieidigte,  die  Nicbtechtaüg 
desMlbeo  »i  ottwlngen  •achte  nnd  flu  erlHtene  Unbill  Rocbe 
niüim.  Id  der  frflnkiscben  Ifonarcbie  tuerrt  waren  die  Ger- 
manen genöthigtwovden,  tin  änderet  PriDcip,  das  der  atat- 
lich  geordneten  Gerechtigkeit  ala  (he  böbcr«  Regel  an- 
saerkennea.  *  Aber  alt  du  Reich  Karls  det  Groseen  tich 
aüflOBte,  da  zeigte  es  sieh,* dats  der  alte  Trieb. zur  Selbsl^ 
hülfe  noch  nicht  enterben  und  die  nsae  tod  de*  lämiscben 
Coltar  Uberll^brte  Statsldee  noch  niiAt  in  Geist  und  Blut 
.  der  Völker  Übergegangen  war.  In  dem  Fehdereoht  de« 
Uittelaltett  wurde  sie  wieder  emeDert.  Wer  sich  stark  ge- 
nug fUblte,  sein  geglaubtes  Reeht  wido- angeredtten  Angriff 
mit  dem  Schwert  in  der  Hand  zn  tchotzen  nnd  wider  den 
Feind  deteelben  die  Fehde  20  mhren,  der  tbat  es.  Der 
Streit  zwiaeheo  dem  Könige  und  den  Grossen,  zwiteban  bei- 
den und  den  Btftdten  des  Reiaht,  zwischen  dem  Fürsten 
und  den  Standen,  Über  ihre  gegenseitigen  Rechte  wurde 
dafaer  nicht  selten  zum  oOeDen  Eri^^  der  Puteien.  Jene 
»od  £ese  aarnmeHeo  und  warben  Truppen,  nnd-  der  Bieger 
in  der  Schladit  behielt  du  Recht. 


*  TgL  «6«)  Blieb  VlII,  Cftp.  1. 

luiticlill,  sUgamalnMStilirMiht.    II.  35 


iM,Googlc 


516  '  ZwWOm  Vmth.    FraihailUMkl«. 

.  4.  Der  moderafl-fitat,  der  aieli  als  Ganiea  fliUti  «r- 
ttflgt  eine  'aerobe.- unModige  SelbMhQlfe  imd  den  isBetn 
Krieg  niclit^  der  ana  jener  MgL  Sie  arsdmnen  ihm  bcäd4 
als  Symptome,  der  Bartwrcä,  niebt  als  Bobutswebreo  de« 
guten  Recht«.  Er  umez  daher  im  Gegensalze  data  das 
Priocip  bekeDueo:  bewaffnete  Selbtthulfe  wider  die 
Obrigkeit  .igt  nicht  erlaubt,  aneh  dann  ni<At,  wenn 
dieieunrechtmltange Gewalt  bbt.  Aber  miua  er  «Dter  aUea 
UraBtAndeu'.datRedit  eineflenergiseben  und  actiren  Wider- 
standes Terdammen?  Kann  er  nur  den  Wideratand  milatmtn. 
der  der  AirBzersten  GewalUhat  mit  dem  acbliehten  Worte 
Uligegentritt  nnd  deeaen  gatoe  Gegenwehr  in  der  moraliaeben 
Erbebang  des  schuldlosen  Dnldens  bestdit?  einen  s(d^en 
Widerstand  nur,  weldier  limlaler  und  Terstookter  TjTaBiiei 
immer  den  anszern  Erfolg  lint,  und  gani  allein  auf  die 
Ofileubaning  der  gfitülcfaen  Gkreebti^^eit  Tertrsut? 

So  lehrten  allerding«  die  Theologen  der  eoglisoben 
Hocbkircb«  und  die  rechtsgelebrien  Tories.  in  den  Zeiten  ' 
Karls  II.  nnd  Jakobs  II.  Jene  behefeo  sich  auf  die  Ennab- 
.  nnng  des  Apostels  Paulus:  «Jedermann  sei  unterthan  der 
Obrigkeit,  die  Gewalt  Ober  ihn  bat,"  und  Icgtra  die  Stdlo 
als  absolotea  Gebot  ans.  Sie  betonten  es  mit  Kacbdnu^ 
dasz  Paulos  die  Christen  so  ermahnt  bähe,  als  der  Tyrann 
Nero  die  Welt  befaerrschte  und  erklärten,  kein  Bruch  des 
Rechts,  kein  UebennasB  von  Grausamkeit  und  WillkOr  könne 
je  die  Unterthanen  berechtigen  ihrer  Obrigkeit  mit  Gewalt 
zu  widerstebeu.  Die  Rechtsgelehrten  aber  fUbrten  Uberdem 
aus,  daez  die  Regel  des  Gehorsams  schon  darum dareh 
keine  Ausnahme  des  erlaubten  Widerstandes  be- 
sehr&nkt  werden  kOnne,^  weil  es  nicht  möglich  sei,  eine 
sichere. Linie  xu  finden  zwiseben  den  gewöhnlidien  ^utiln- 
den,  in  denen  die  Regel  gelte,  und  den  auszerordentüchen 
Fällen,  fUr  welche  die  Ausnahme  gefordert  werde.  Besser 
sei  es  daher,  dasz  die  Gesellschaft  auch  ein  grausames^  und 


iM,CoO<^lL' 


Zehntes  C«()llek.'E:   Du  Ksckt  dca.WUenUndet.  Ht 

bed«Eliches'  Rog^ent  erfrage^  ala  daas  sie  die  Rebellion 
gntbeitae,  tobttld  nnr  dieBcbeUeQ  den  Glauben  iMben,  dan 
ibr  Reebt  verietst  and  der  Dmck  den  sie  Mdcn,  oDerM^r« 
lieh  gewmrdea  Mü,  deon  durch  vxmva  detartigeD  OmodBatx 
wUrde  die  Sichtiriteit  ^ner  jeden  Stalaordniuif  verieteb  '. 

Da  die  EriimenuigeD  an  die  vorsnagegaiigenen  GMoel 
der  ReTOlntioa  und  den  frobero  DespotieniDs  Aer  Gleich'^ 
nacbo*  noch  friaeh  waren,  und  -so  lange  die  Tyrannei  Ja- 
kobe H  nnr  die  Dissentera  und  die  Bc^Uikaner.  drflicfct^ 
fiand  diese  Lehre  üemlidi  allgemeinen  Reöbll.  AU  dann 
ab»  der  EOnig  anch  die  Ariatokmüe  in  ihren  Reobten 
▼erletole,  und  die  Hoofakirche  bedruckte,  da  neigte  äcb  all« 
mftblich  die  gance  Hation  dem  Princip  der  Whigs  zu:  ^dass 
anaxerate  Unterdrückung  den  bewaffneten  Wider^ 
stand  rechtfertige;"  und.  selbst  die  venigen  Tories^ 
welche  jede  Ausnafame  von  der  Christenpflicht  des  duldenden 
GebcH-sams  anch  da  noch  im  Prineip  Terwarfea,  liessen  doch 
die  Rebellion  fa^isch  gewähren  und  hielten  sicJi  nicht  fUr 
T«rpflichtet,  auf  8eüe  des  bedrohten  Königs  an  strtiteau 
Auch  der  QnindBatz  des  Widäslandes  warde  nun  wissen- 
•cbaftlich  begründet  !>  Den  Theologen  wurde  erwiedert,  dasz 
die  moraiische  Ermahnung  des  Paulus,  der  Obrigkeit  zu 
gehorchen,  weder  ein  Rechl^eaetz  noch  absolut  sn  rerstefaen 
sei.  So  sei  ja  auch  geboten,  im  Frieden  zu  leben  und  nicht 
zu  schwören,  nnd  doch  sei  ausnahmsweise  der  Krieg  noch 
nnrermeidlich  und  der  Eidschwur  unentbehrlich  für  die  Sicher- 
heit des  Rechts.  Den  Juristen  wurde  zugestanden,  dasz  es 
schwierig,  vielleicht  unml^ich  sei,  eine  scharfe  fUr  Jeder- 
mann  sichtbare  Linie  zu  ziehen  zwischen  den  gewöhnlichen 
Fällen,  wo  der  Widersland  strafbar  und  den  auszerordent- 
lieben,   wo  er  erlaubt  sei,  aber  nun  anch   entgegnet  von 

'  Die  höcbit  ialercsuntea  Verbandlongen  darüber  tind  von  Haean- 
lajr  in  aeiner  Qcsehj<dihi  EnglaiHlaunler  Jakob  II.  mit  volkodeler  Hdalcr- 
H^lt  dwgMtellt.  .     . 


n,g,t,7rJM,COOglC 


518  ■  ZwSlB«  BiMk.    FiellMfUM^t.  : 

«sdeni  Redtisgäefarteii,  daaz  Qberiiai^  aaf  de«  Gebiet« 
■ittlicher  ubd  racfaLtUchw  Beürfbeiliuig :  sich  niebt  imni»  «o 
eobufe  äussere  Grftazen  ziehen  .lasseb,  und  daae' Oute»  und 
fichleehtet  nicht  so  leicht  sich  untendieiden  lasse  wie  in 
def  Ofloihetrie  das  Dreieck  and .  der  E^eis.  Wer  wollte  aber 
dM.Redit  der  Nothwehr  des  PriwtmaniM  darum  lAugnen, 
weil  es  schwer  lind  sogar  nmnöglich  sei,'  aum  roraus  Ar 
alle  F&lle  das  Maas  voa  wirklicher  OelUir  xu'  beeeiebneii, 
wetcfaes  zu  jener  berechtiee?  Aehnlich  rerbalte  es  sich  mit 
dem  Rechte  .eines  freien  Volkes  zum  Widerstand  gegen  ^ae 
tyrannische  Regierung  wie  mit  derNotbwehr  deelndlTiduunM 
gegeA  einen  rtuliehscben  Angriff.  In  beiden  Fallen  mosse 
das  w)dstrechtlici>e  Uebelgrosz  und  ernst,  in  beiden 
alle:  gewöhnlichen  und  friedlichen  Mittel  der  Abhälfe 
rergeblich  erschöpftsein.  In beidenwerdeeioescbwere 
Verantwertliehkeit  ttbemommen,  und  wem  es  nictit 
gelinge,  die  Moth  und  sein  Recht  klar  zu  machen,  lanfe  nm 
des  Gebrauches  so  venweifelter  Qewaltaiittd  willen  mit 
Recht  Gefahr  die  härtesten  Stmfen  erduldeo  zu  mossen. 
Nicht  leicht  solle  man  die  Ausnahme  anerkameo,  sie  nie- 
mals zuiulässen  sei  aber  in  beiden  Fällen  unmöglich.  Diese 
Lehre  ist  denn  auch  in  England  und  Nordamerika  zur 
ellgemeinen  Geltung  gekommen.  * 

'  Lord  Bnvgkam  British  coutitotlon  (utgtstetgt  von  Kobl  In  Uit- 
terniftierB  Zeiuchr.  XVIU,  S.  195]  S.  103:  „Immer  mUMen  wir  beden- 
-  keo,  wie  n^esentlich  fUr  die  Erhaltuog  der  TerfaMUDg  der  OrnndMli  dte 
WiderstendM  K^cn  uiig«setz liehe  Gewalt  lat;  wie  uotfawend^  für  fixie- 
rende nod  fUr  Begierte  ea  i«t,  die  £i^reifug  dieaei  iUiiient«»  MiU«l»  *!• 
Eogglieh  MizuMhen ;  allerding«  eioea  ÜusserHeD  uod  deubalb  but  mit  Um- 
sicht zu  gcbraucheoden  Mittels,  alleio  immerhin  eiuer  ün  Bereich  des 
Volkes  tiegmden  HGIfe,  eines  Schatzes,  zn  dem  dasselbe  greifton  kann 
and  will,  so  oft  seine  Beg«Uen  ••  sd  seiner  SelbrtretÜield^uDg  hten 
nölhigen.  Unsere  ßeacbichte  ist  voll  von  Beispielen,  welche  uns  lehren, 
Ktitlranen  In  bkm  gesetzliche  Slofaerhi^tea  in  aetten,  wriebe  una  'in 
Erinnerung  bringen,  daaz  Kichtar,  Parlamente  and  Htnlater,  ebenso 
auch  die  Künige,  ^wache  Uenschen  sind,  die  SpielhJÜle  eigenstditigar 


n,g,t,7.dt,'C00gIc     ' 


Zehntes  OitUri,    B.  Db8  Sccbt  Üb  WSJerstandeB.  '^Si 

IMe:  Jakobiber  dfer  ürsrixfifisr^uBievö&itiöii  liKbed  aiieh 
-da  ^edet  Aie  Dhige'Kaf  dehKoi^  geafeUt,  nüd  was  mr 
als  Awnahme  der  SoÜt  sich'  vaMitidlgeh  Iftofe,  genideza  'Hi 
ein«  re^Im&astge  Aenszerung  erlaUbtö^  Volksge- 
.  walt  umzuwandeln  versucht  Noch  ihren  BeschlUesen  sollte 
so  die  Revolution  selber  als  Statsprincip  proclamiri  und  di.e 
Empörung  wider  die  Obngkeit  ala  Bürgerpflicht  geboteu 
werden.' 

Nur  die  wahre  und  ernste  Noth  vermag  es  zu  recht- 
fertigen, dasz  dem  Bruch  dßs  Hechtes  voa  Seile  der  Obrig- 
keit, welche  das  Recht  in  Schüben  berufen  ist,  gewalt- 
samer Widerstand  von  Seite  der  Regierten  entgegenge- 
setzt, und  so  auch  von  unten,  um  die  Volksfreiheit  und  das 
Volksrecht  zu  retten,  das  Grundgesetz  eines  jeden  States, 
die  Unterordnung  der  Regierten  anter  die  Obrigkeit  für  den 
Äugenblick  hinwieder  nicht  gehalten  werde.  Wo  aber  so 
der  Gewalt  die  Gewalt  entgegentritt,  da  ist  die  Wirksam- 
keit des  Statsrechtes  gelfthmt;  und  wie  das  Notbrecht  der 
Regierung  in  äuszerster  Gefahr  des  States,  so  ist  auch  dieses 
Nothrecht  der  Regierten  ein  Zeichen  der  Unvoltkom- 
menheit  aller  menschlichen  Rechtsordnung.  Das  Statsrecht 
kann  diese  finszersten  Fälle  nicht  weglfiugnen,  aber  ebenso- 
wenig Dfiher  normiren.  Es  kann  dieselben  möglichst  zu  be- 
schränken und  die  natürlichen  Gefahren  derselben  zn  ver- 
mindern suchen.    Aber  wenn  so  die  Noth  das  Gebot  durch- 

Heiuungen,  leerer  Fnrchloder  anehrlicher  Partelaneht;  und  Aus  das  Volk 
nie.  sicher  ist  ohne  den  festatebeoden  Entaehlust  bis  tnm  Tode  in  wider- 
atehen,  so  od  ein  Eingriff  in  Mine  Rechte  ^maefat  wird." 

'  Fr*ni6siselie  Terf.  Ton  1793,  J.  3ft:  „Wenn  die  Reglernng  dl« 
Volksrecbte  verictst,  so  ist  der  Anfnihr  (l'insarrection)  fUr  du  Volk 
nnd  jeden  Tbeil  dee  Volks  die  heiligste  nnd  nnerlfisilichsle  Pflieht' 
Gemlstigler  tn der  Verfassung  fllrSieillen  von  Iflia,  $.201:  „Der  ald- 
lianisehe  Stntsbflrger  iat  berechtigt,  einem  Jeden  Widersland  cn  leisten, 
der  ihn,  ohne  vom  Oeseti  sosdrQcklich  dam  ennicbtigt  in  sdn,  mit  Ge- 
walt oder  dorch  Drohnngen  gegen  sdnen  Willen  etwas  sn  thun  zwingen 
wollte." 


iM,Coo<^lc 


550  ZfröUlM  Buch.    FrellMiUrecbte. 

-bricht,  ond  die  ÜTstaiktfifte  walten,  dann  ist  das  StiEitsrecht 
an  dieGr&Bze  s^bci  Hemdiaft  gelangt,  und  daa  höhere 
-SittengflsetE  alläih  übt  noch  eine'  geiMige  ICacbt,  die  ober 
-der  robeo  <]k)walt  thront,  nnd  sie  ermft«ngt  und  richtet.^ 

■  Dnaer  Scfaitler  hatim  Teil  diwMvm  ikrBerolBliaBdwtdHfvli- 
KQI  TcrecMedeM  tTolhrcdit  in  den  Worten  Biavlhehcn  wGrdig  Tertrelea: 
aSne  Ctrftnse  iMt  lyranneamaclit, 
WcDD  der  Qedrdckte  nirgvod«  Hecht  kann  fiodeD, 
Wenn  unertrlglidi  wird  dia  Last  —  greUl  er 
Hinauf  g«trotteii.Mnt)i«s  In  d,en  Himmel, 
Und  holt  herunter  atliit  ew'gen  Rechte, 

.  INe  droben  hangen  unvcrflnazerlicb 
Und  anserbreehlkh ,  wia  die  Sttm«  Mltot.  —  -  '    . 
.    .  per  alle  Uretand  der  Natar  kehrt  wieder 

Wo  UeDicfa  dem  Henschen  gegenüber  steht  — 
^m  IflUteti  Uittel,  wetni  kein  asdrai  mehr 
Terftegan  will,  Iit  ihm  da»  flehwert  gegeben  — 

.  Der  Güter  höohate«  dflrfcn  wir  verlheidigon-     ■ 
Gc^en  Gewalt  —  wir  steh'n  für  unser  Land, 
Wir  atäh'n  rur  onar«  Weiber,  unare  Kinder." 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


Register. 


AHMAMhine  I.  fiOS. 
Abdankung  II.  W. 
AbtlDdung  II.  n. 
Ab;eordnele  I.  tM,  509. 
Abhängigkeit  II.  489. 
Abolltionsredit  II.  IM. 
'AbrondiiDg  II  SG. 
AbMhon  1    198 
Absolutismiw  I.  tS3. 300.  UM 
Abttlmicimg  I.  Wl. 
Abtrelung  I.  «4. 


ist. 


*  1.  ItT.  M9. 
IT  I.  *18. 

trsniSillcbet  1.  KM. 

rSmiacber  I.  IM. 

njhfndn  I.  13t. 

wirtUchsr  I.  13t. 
Uebbriere  I.  Ili. 
Adalarafttnn  I.  IM. 
Adflltrerlelhul«  II.  tC. 
Admtnhtntioo  I.  4SI. 
AdninUlntlTjoHtt  iL  tS«. 
Adoption  IL  n.  34.  Ann. 


Amt  I  37.  eoT. 
AmUidpI  I.  104.  S3& 
AmluuRiebUng  11.  1(S. 
AmlKdiiuer  II.  M. 
AnMeld  II.  HB 
AmlMoUetning  II.  ISt. 
AntwtwtaulM  II.  141. 
Amtagehllfrn  U.  ItS. 
Amti^ehorwin  II.  191. 
Amuhohrli  II.  9S. 
AmlipflichlTerleliungcti     ll. 
U1. 


Arhell«nuod«tlon  I<.  438, 
ArtMlHhiBan  II.  198. 
Arbeiranoth  II.  U».     ' 
Arbeltaielt  n.  4M. 
A  rehonten  I.  358. 
AMer'l.  10.  79.  »4». 
ArMokntie  341  (. 


AmtBirnia  IL  fi 


AmltTn-brecheti  II.  141. 
Anarchie  I.  S&  147.  US. 
AngMIeWe  I.  141. 
Anklage  der  Minlstef  I.  EBl. 
Anktagv-Iurr  II.  140. 
Anleihen  alatliohe  II.  417. 
Anai^nnugm  11.  Ito. 
AnstaaigmachDPg  I.  194. 
Ansprtäwn  I.  fil3. 
Ansl  alten  II.  S7S.  418. 
AMUllung  II.  IS. 
Antike  Republik  I  188. 
AnMUaerlillnniB  H.  SL 
Anlrualtonen  I.  101. 
AnlwortadretMn  I  Sit. 
AnwerUchan  II.  31.  01. 
Aiaug  I.  Ell. 
Apanagen  II.  Tf. 
ApellalioBigerichte  II.  R9. 
Apocriilerius  I.  S74. 
Arbeit  II.  IIG.  401. 


Sit: 


■  I. 


AiiMotele«  I.  B4. 109. 
AnBenpBfs«  II.  104,  UO. 
Annenpol  iMl  II.  188. 
Armenlaie  II.  107.  AnM> 
■  Attotidinioe  II.  436. 
ARpiranten  lum  Statidleiii 
IL  IM. 

>*ear«nn  II.  «7.  430. 
Anignalen  II,  410. 
Artoeiatlon  II.  48». 


Athelinua  II.  170, 
AotieMiBK   d«r 

6B.  It.  1».      " 

iMchlsrechl  U.  310. 

igum  I.  153.  Sai. 
Aulbebang  If.  171. 
Auelielinting  I.  189. 
AusDähm3««Tlchte  II.  MO. 


L  5*1. 

AuHlattuAg  der  Kirdia  It. 

AuBirltt  aus  der  Kireba  ll. 
K7. 

190.1411 


iM,Coo<^lc 


BritKerkebT  II.  fIM. 

OmI  de«  EUta  H.  4«  . 

AMoriUI  NT. 

Brückngtiaer  II.  MB. 

les. 

B. 

Budget  L  618. 

Civilbamta  11.  «S. 

Bund  äWtber  I.  BIS.  BW. 

Ortllnllon  1.  40. 

««den  1.  U7. 
Bobk  II.  iV). 

CkilllM«  II.  «9. 
Otilproeen  1.  S. 

BI8.9M. 

BiBkim  L  SO?. 

OYilMUtB  1.  419. 

Buknotcn  U.  »6. 

Civllunracht  II.  US. 

ItiDD  1.  m.  II.  lU.    . 

64S. 

CiiltM  I.  («. 

BttHB»  I.  tit  1».  m. 

■UtlillHhe  IL  109. 

OttMn  L  171.  493. 

BttSIreil.  111. 

RoffM  1.  tav. 

■riM«kr>L  1.  174.       ' 

B<ir(NM(i(4b 

miUian  1.  171. 

Btjm,  1.  417. 
BwKU  1.  fW.  H.  tM. 

Büner  I,  15t. 

aitJtm  l  101. 

aiibnglmeBl  11.  IM. 

II.  ir- 

Hürgemcht  1.  140-  U-  Ut. 

BfirgcrMiMit  1.  «7.  U7. 

Colkgioi  U.  4«.  164. 

BalekU  II.  m.  «». 

CoiODit  II.  448. 

BflrmMMP  1.  «7  t 

Beguuchiai«  U  t«.IU. 

BöisHTer^MMl  1. 

Com«  p«Ulil  L  914. 

nur)»  I.  71.  Sl». 

ComlttMi  l.  HB.           r 

*m 

Buliaukrtai  1.  »4. 

»rhel.  W. 

II.  41. 

c. 

CommuDCB  1.  141. 

«9. 

Communliq»»  L  Ut- 

Ctett  |.  4«.  Sta. 
Cinll«  IL  418. 

Conpclr»  II.  «7-  «1. 

CmtlUriiN  L  m. 

»»IfWl  IL  HT. 

CaplUlira  4w  BUM  U.  r«. 

B#4.  B«. 

CoMiOW«  t-  B4I. 

CipiMbtncr  B.  411. 

Omrordita  II.  aS:). 

Cipiupi  L  tu. 

CtpUe  iMmi  1.  314. 

CoatMOW*  1.  «Ob  H.  t«. 

Bnili  *UUIi*n  L  ».  «H. 

C^IB  L  »14. 

ti.  eo. 

*«WUl««  n-  IIGl  tu. 

Ctm**  1-  tTO> 

CoMcrvlion  U.  17t. 

CiulJoDM  IL  Ht-^MT. 

CoMiliahl  11-  UOk 

mttmim  U.  IM. 

CcTMW  I.  in. 

BMWcbll«Ueit  M  13«. 

Cduormt  n.  MB. 

Coioula  l.  «1 

Ceiuur  U.  W. 

11.  t»V. 

CMMuntTtuau««!  dM|mii|i 

B«  1,  UT- 

CentMea  L IW. 

Control«  1.  etS.  IL  3B(. 

Cw-l^iWn  IL  W7, 

Bluibfun  11.  131 

CoHTliM  n«lt  1.  WJ.  ' 

Bonn  1.  m. 

CrMTMtlMt  I.  U7, 

C«opt«UM  L  BM. 

«oilf|«Ol*le  1.  14*, 

OntDrltD  I.  XI4. 

Braliinuia.  1.  igs. 

CmtI«  L  tl|. 

C«in»nWU.  54. 

Brter«lel  1.  IM. 

Cb«Tte|.tM. 

CorW  1.  Ur  46«. 

Ctnr*  •«»•ntMi  II.  a. 

iM,Coo<^lc 


CMtüMin*  ■-  Ut> 
CredlUMMIen  H.  UL 
ColtwiwUiei  II.  IM  m. 


DiiMieniii»>ül1ipr  L  18. 
ItiiVMwknIit  t.  m. 
Uaemark  I.  41t. 

i>Kr*u  1.  tie;. 

DMMKntie  1.  tM.  MS.  tM. 
PemoknUalKDd«  SUIm    1. 


DM»Ol«BMlt  I.  tW      . 
D4Ppoü«LU&t7l>.l«JM. 
|>euuclie  Suif«  L  U5. 
DraUchrr  Bund  L  MC 
Diiwn  I.  4T^ 
Uleuta  (I.  ItS, 
l(i«wt  öffecitUcbar  U.  1J0. 
DlMiUdrl  l.Atn, 
I»«nMiulW*D4  IL  l'lt. 
DlenslbirkeJMs  I.  IW. 
Ulraitbsten  L  4&a. 
DteuUM  U.  tat. 
DieiHUaUuHMC  U.  |U.  ÜB- 
pi*HlBfki)l  IL  1.  L 
f>inwiSilMi«akM  II.  fU. 
PleDWtaul«  L  131. 
DlenMpDicbl  IL  IT«. 
DiftctoiiiiB)  II.  M, 
DlKipUoiirwrrtalKfl»  IL  Ut. 
PiiKmtHitnw  U.  WM. 
DiuidfnikiNtien  U.  Sil. 
Doeiord  IL  att. 
DociofH  der  RacM  L  1U. 

lUt. 
DoDdn^o  L  Mi. 
IKx^Bcindu  U-  tu. 
DauUod  der  Kinh*  IL  BI7. 
tMUw  StM«  L  1A7. 
UniUlra  L  M. 
PwWuH  Nil<iOM  IL  m- 
PrmU«  L  «74. 
DnMIItn  L  ttS.  II.  M 


ZtrI  L  IIa 

EboMntliwIt  I.  44«.  4t«. 
IL  SS. 


CMknecliM  I.  W. 
Edlcle  L  41». 
EImL'II».         . 

(IwIteinlaLUI.  Ul. 

moTginMlMiw  U.  Hl 
EhfgcDOMenKiMft  L  M. 
Cbtvutrw  a  Vi. 
Ehnn  ikMlMDiK»«  IL  M. 
Ebr«nrui«kelt  bOctMllcbd 


IL  W. 
Etarentafkw  n.  S*. 
BhrMrwAt«  L  3M.  U.  4» 
Eid  IL  188. 
Kgeatliuai  1-  *V- 
Eiabanihi>K  der  XtWMf«  I. 

•U. 
EinhcinlHk«  I-  4M. 
EioMt  im  Suif*  L  887. 
I.*87, 

IL  na. 

ElDküpIte  WML  IL  VK. 
Eii»MluBf  In  AM«  IL  OH. 

)». 
ElnlbfilBni  dn  Usd«*  1. 118. 
Elaiwi4ani4  L<  t»4. 
FlnwoliiieT|aBMi»l«  H.  4U. 
Eiiuelnlikiuer  11-  18t, 
Eiwlnchtw  IL  118 
EintttoUl  1. 137. 

IL  a»k4t4. 


derSeltvM  l,4«7, 
dcTBnfUwIwL  10. 

Bnr«(uUre«eBt  (L  UM. 


T(rk«Bd«  L  lU. 
ILK 
EnucÄhHcupg   L  ttT.  BBt 

IL  8». 

IL  817. 
EnUetninilLM.  Mi. 
EiiW«bune9forn>  n  de«  St»' 

ta  1.  m  848.  8Ul 
EntthrnnuRB  IL  (H,  «L 
Eorto  L  1  tt. 
BpbfTwLSlI. 
SrbMtel  L  BS.  IM, 
erbimler  IL  MS. 
Krl»irtMi>kra|]aJ.lU. 


553 

ErbMgfwdniati  IL  37.      - 
Erhiurat  II.  (7. 
ErbhotbnMr  IL  IM. 
Erblicblwil  L  34fi. 

dM  A4eU  L  U*.  131. 

du-  JlmdUt  a.  IM. 

de«  KönistluiM  L  31& 

S»S.  »Ta 
BrbnMuiMe  IL  83. 
ErbractI  1.  MO.  R  M.  H. 

poliUMkM  L  87,  31«. 
ErbMhtnprjTtlradiUkb«  ■. 

38.       . 
Ert>MiMft>g«bübr«i  IL  SM 
ErbtUndi  I.  88. 
F>bU>chterlL  :fC      - 
EcbwMUMckcHIL  tM. 
ErtMeiArMtniH  U. ». 
ErbiNlri«  iL  31. 

dMaeipttfiil»  IL  401. 
DUM  L  UD. 
Erlieileniig  de*   Volkei  H. 

183. 
Erobaran«  L  UV.  81». 
ErubBitelMir  I.  bOl. 
EnlfabuTl  L  4U. 
Bnnigiuig    der    GeaMu    L 

641. 
Erwuguof  de«  Suu«  L 119. 
EraictaiWB  eONtllclM  IL  34*. 

1.»«. 
E«]uira»LIIB. 
£t*u  teaennii  L  14& 
Eupalridoi  L  IDA 
Ewiskeit  der  SuiiTeitriie« 

L  t4. 
EicnmniiBlultoii  IL  317. 
Encaik«  dar  Sinhinbel)« 

ILIO«, 
Exlileal  IL  483. 
Eiproprlation  L  tlL  ILt49^ 
BitrapMtm  IL  SOS. 


P>brlk*rb(HI«r  L  1(9, 
F*brik«Blen  L  Lß}. 
F*brik>lion  IL  439, 
Pabrikan  «laUkbe  U  381. 
Fibrikralb«  U.  443. 
FahnkMu^m  IL  444. 
Pacultitni  II.  3SI. 
PBc<^i4«wiuewch«B«8     H. 
1174. 


n,g,t,7rJM,COOglC 


:e  I.  «. 


Ftmilli 
FamitlMwUftunin  I.  ML 
r*Bdl«nT«rMiiduag  1.  m. 

FeMsTMhl  il.  Ml.  S«t. 

Pwte  tirefcKdi«  n.  SU. 

PeudtKdel  L  im. 

FtnidlliDoiitrcUe  I,  STT. 

F^uptpallKl  II.  m. 

nchle  I.e. 

ndeila.  I.S78.' 

Fidm  1. 1W. 

FHwiihMielt  n.  WS.  nt. 

PlnMimitiiMtrltin  II.  156. 

FiDMmaUa  Tl.  4fT.  ' 

Fttnn  l  k  n.  tt.  TS  IW. 

F<ird«niTig*b<fthia  II.  4M. 
■romaeo  I.  tW. 

FonMiutal  1.  :M. 

Foi  I.  M«. 

rraDc-honne  I.  tfl. 

Pr*raD«cii  t.  10. 
'FrMi«ii  t.  ISS.  100. 

Freie  I.  «0.  1W.     ■     ■        , 
■'—  Rhölltebirn  13t. 

FKIerUtniDg  dm  Berfbiu* 

IL  ss;. 

-^  d«r  Neger  I.  rH. 
FreibeU  polidsctta  n.  OO. 
■1«  Beditsbegrlir  D.  4M. 


'  (einige  II.  tas. 
'       indliidDclle  n.  M^. 

mnechllcbe  II.  UT. 

Diläiiicbe  II.  4». 
'    lildiche  II.  4M. 
FreibdtnbHefr  I.  4W. 
FrelaiiMn  I.  Itl. 
Freiiügigkelt  I.  IM. 
Fremd«  I.  IM,  II.  »7. 
FremdliDguredil  L  IM. 
Frevel  n.  ai, 
Friedensbrether  n.  «ff.  SM. 
FriedeaiHrbter  IL  XM. 
PritdeflSichlGMel.ns  n.M. 
Friederich  der  Snwie  I.  MBl 
Fanten  I.  414  IIS.  3H. 
FarMenwuierineUtn.  13.11 
FünienthüRier  deobdie   I. 


Gibeai  btradiUrte  I.  IM. 
GellicmiKba  Klrrtie  I.  M3. 
GirlbtUl  I.  tIS. 
Gwiel.  «ff. 
Smgrtten  l  IBO.Vn. 
OebleteerwelteniDc  I.  IM. 
GebleMobHt  I.  MS. 
GabOhren  II.  134.  SM. 


Geralge  drt  HSnlgi  I,  SM. 

am 

OrirbritnirlMokrtDe  I.  »40 
GebontM  II.  1c*. 
—  TertaMAgNntMtgn-1. 441. 
GemIHriM  I.  ttl.  14«.  SM. 

II.  ♦!. 
OeM  II.  4». 
OeMbunen  n.  m.  WO. 


Gerkhlsbirkeil  n.  KH.  HO. 

ftriwIHge  II.  M7. 

klrchHcbe  i.  1U.  II.  31?. 
GericbuberMhung  Tl.  >14. 
OeridiMeebühren  n.  MB. 
GerichnberraduR  I.  SM. 
UeroiMle  I.  M. 
G«MinMemeuening  I.  Wl.  ' 
GeummlnlntoterlDii  n.lS). 
GeummtMit  1,  tf.  KO. 
GeuiHlts  IL  97. 
Sasrhlchm  poUtt*die  I.  '. 
OewAlediler  I  1S1,  1K. 
GewMerbtfMl  9I  oknUe  t .  HO. 
GeecUectaUkOoieitivm  1. 34«. 
GeKbworeoe  I.  4M.  IT.  tM. 


Geiaelndelmdilüase  IT.  473. 
GemeiDdebargerL  SM. 
eeni«l>deb«Tgerreefat  a  4«1. 
Gemelnd^ut  R.  481. 
Gemeinden  I.  141.  tlO.  4*9. 

II.  IM.  US, 
Gcnelnderälhe  H.  40T. 
Gemeiodeverieunng  I.  SIT. 
Gemelnderemmnlung      B. 

471. 
GemelnderennSgm  0.  4M. 
Oernefne  I.  119.  460. 
Gemeinfreie  I.  IM.  IM. 
GeneriledToMien  11.  tSC 

itoren  IL  MB. 
I.  473. 

Genouen»chanen  Tt  1S9, 316. 
Gentfla-bomaiei  I  114,  114. 
Gentreenen  I.  140. 
CctUTT  I  Ht, 


Gerldit  L  4C3.  6».  tl.  1)1. 

;oo. 

GerichUbiTKi  I.  sn,  SM. 


G«Mftwi}r«anivrrhsHH)R    I. 

3*r. 
0«»llen  II.  4M. 
Gei«4lschtnni  II.  31S. 
OewlMi«rt<poltrei  II.  IM. 
GesellsdiinsTfTtng  t.  ff7. 
Ceaeti  I.  3. 11.  tM.  EM.  (Hl. 

GM  II.  18. 
GeMtieeemleguhg  I.  fi61. 
GeMlieabererhuTifE  I.  541. 
OeMttemlliigkeLi  I  5*7. 
G«H(7frebi)ng    I.   9».    ?71. 

:M.  441.  M3. 
6e*eUgebang*kerper  I.  MI. 

611. 
Gewndbejtspalliet  H.  IM. 
Gewsll  I.  3«7.  4!6. 


Gewalttheorle  I.  SM. 
Oewerbeensieltoi  H.  38d. 
GswerbeTrelheU  H.  SM.  WT. 
Oewerbeordnimfl  n.  604.  SOf . 
Gewerbenteuer  IL  MI. 
GewerbibelUgalwe  II.  t6B. 
GewerbM  «BLemtam  11  IL  4M 
Generbunonopote  I.  64B. 
OewerbMchuleB  II.  3S3. 
Gewfnentitelheit  IL  IM. 
Gpvrotiobeit  I.  16. 
GewohohelUredU  L  16. 
Gbeoden  I.  1S1. 


n,g,t,7rJM,COOglC 


HMNUMskHt  L  m. 

nnithall  kBfiigjichn  lt.  «S. 

CMettMtlMlM: 

Hiulirtiiiff  i  an. 

IMMiLH-i:*. 

HMarMitit  der  KilUMni  1. 

Codorte  L  tu. 

tu». 

iDdivIduea  t.  191. 

CMtrnDenU  n.  M».  M4. 
Cnren  I.  loa  <U  t«  M«. 

Heerl.  r«.  U.  «.  1*7. 
llKTbtnn  WB.  »t. 

MiMl*e  BwntortM  n.  Wt. 

Ii>iU>t)ve  L  SM.  »10. 

Ileiwl  1.  n. 

Inlind«  1.  m. 

Grmini  1  10t.  917. 

llegeDM  1  iyj. 

Innimfl»  L  lük      ■ 

GrennMIe  n.  M« 

Krlienni  1  10 

iDMlÜiMler  1. 111.   - 

Qrotlii«  Hugo  1.  «3.    ' 

HelmiUt  t.  IM. 

Iniignien  1.  SKI. 

Gronding  1.  SM. 

Ilrlotan  1.  S».  B41. 

OrMzrXAiIcT  1.  U>- 

HrrkomRien  1.  IS. 

Iiiatitulion    elh«s    BtItM    t 

Ilorrm  1.  117.  4«. 

14«.  WS. 

GniD<lb«tni.  S«.  «*.B(7. 

Ikmchitt  11,  m.  iie. 

tCG. 

i19.  !«. 

InterTcgniim  It  S9.    - 

OnindgcBllc  n.  38S. 

Ile»rn  I.  41«. 
llil'scauMi  II. 
Ilobbea  t  «7. 

Iniemi  1.  358. 

lulien  1.  410.    ' 

lloMtl  I.  113.  ISS. 

J. 

tto. 

Ilonnite  1.  t5t. 

OiundaiMer  tl.  i^. 

tlor^scht  L  996. 

J>8dreg*l  11.  39». 

IlotBUt  H.  K. 

GOlUl^eK  d«r  GsMli«  L  SM. 

tlottaR«  1.  471. 

Jacl  I.  HB. 

Hohellünxille-I.  144.  S».  R 

tefo««li  I.  IM. 

H. 

»41.  S§4. 

kauilraontn  n.  8«0. 

jMldi  l  IM. 

lloiioriü  t   460. 

iuden  1  101-  in. 

lliinibefdMa  II.  SM. 

flerlge  1-  IM.  )BI.  n.  481. 
llonpitM  I.  164. 
Ihild«  1.  S70. 

Judk«(  1.  46«, 

teau  dM  Ire«  SmMc»  L47f . 

iwn  quMilu  L  M«.  II.  BS. 

ni^iicmcnprungm   u.  MU. 

309. 

Ilumboldl  W.  V.  1.  m. 

Jurtoprudam  II,  n7. 

«■luletakaDHncrn  D.  US. 

HuDliri  1.  MO. 

lorj  1,  »7.    . 

■■«DdFlsverkehr  11.  U4. 

Jm  >bali«>dl  II.  104. 

lUndwerke  MMHchg  11.  r«. 

418. 

titndwrrtvr  1.  tU.  -ist.  I|. 

•IbhUEll  I.  <«. 

431. 

L 

deTOliiU<Mii  n.  Sl 

HuiMkier  I.  417.  «».■ 

edocnidi  1.  SM,  H.  U9, 

]»b«ndl  n.  410. 

Illntle  II  W. 

EW. 

Meoloflle  t.  »7. 

30«. 

lUuptrium  1.  77. 

ntonoMdl  n.  tm. 

HBopnOdls  n.  *77. 

idoiitii  I.  m. 

liDgnUrs  1.  640. 

Jaitllii  (CnMirtcMflr)  1.  t«i. 

II*M  d«-  GcMto«.  and  dir 

14». 

jMtlllun  n.  10«. 

Loidi  1.  »4.  «es. 

JuWLi  IL  IM, 

ImpeHurii   I.   »0.  1«.   M. 

Jiutithotacil  n.  «1. 

4(S  4M.  U  111. 

tliiMfrlMten  D.  MB. 

luitlMWrd  0.  «1. 

Ul<M«CWlW  )   «1.  tl.  M. 

306. 

jMÜnMfaen  n.  Hl, 

iM,Coo<^lc 


EriMT  1.  HS.   IL  TS.  M». 

K*<Mri<lM  L  U. 
KaheMhun  L  US.  U&  Ut. 
KiiMTWflrtl  L  BT6 
KiniBtTMnOwnc  II.  iS». 
K*Mn«vil  n.  10, 
KtmmerprUdent  I.  SU. 
Kinmern  L  187.  IL  167. 
Xint  I.  87. 
Kinlone  L  HO. 
Kinilar  1   B7L 
Riri  I.  I.  n. 
KMlni  l.  m. 

Ktuoeuto  1. 1UL  em. 

Kaaftacd*en  IL  WO. 

Kelur  11.  KT. 

Khilir  I.  »B. 

Kln±e  I.  8.  VI.  487.  a  1)0. 

IM.  18«. 
Kircfaeobann  IL  tBS.  St7. 
KiK}ieiis«n(MsbarkHt  M84. 
Kirchfüfiut  tl  3I>. 
Kirefanibohelt  II  301 
Kinbmrrctal  L  t. 
Klrchennflmpnt  11  SM. 
Kln!li«n*lit  1.  WE. 
KirthennicM  107. 
Klenji  I.  Hl.  IL  m. 


V\m, 


1.  «f. 


KSnigdiDDn  I.  373. 
KanigirrMra  L  STB. 
Kentgthm  II.  173. 
KSnigtbuw  L  »0.  IM  Sa. 
Kophtcucr  II.  US.  W. 
Kopritbl  I,  318.  Wk 
KCrpw  RewmebMdw  L  31t. 
Kreiw  I  t19. 
Khre  1.  »L 
KHtfMrkUrvBf  »  ^ 
Krifg>rür«Un(huiii  L  StW. 
KriesNnlniitCT  B.  1H. 
KrirgKiniaeni  I.  aSL 
KnodomÜBm  II.  68. 
KrooliTKler  I.  «I. 
Kronp rieht  L  S. 
Kronrecbt  1   t. 

Knwvaite  U.  m. 
EriiiiiiTM  1.  16. 
KuBMLW.  U,II».3S&>M. 


Udr  I.  IM. 
LigthiiiE  L  HS.  GOl 
LmA  t.  Si.  78-  «t.  m. 
UDdbartrr  L  91t 
UndfMdrl  I.  133,  Itk 
LandMherrn  i  19. 
Lindnhen«cliat  L  Mtt 
UndMhobeH  I.  133. 
Landcikirdie  H.  SM  lOk 
Und(«nnBd«  II  -WL 
Landgerichte  L  no. 
Uartp^ien  L  m 
Liodleradtcp  L  MS. 
LiDdnthaie  I.  St. 
LfindionlaluK  I.  IM. 
Undichan  I.  SH. 
Lindetand»cb«t  I.  IBS. 
Undttrutea  a  Uft 
Lindnunn  a  174. 
LtndUg  I.  m.  4M.  47S. 
-  ^eITiniele^  L  ««. 
Undwfhr  R  IM.  IM. 
UndvlnlMchBft  IL  Wl. 
LeguUn  1.  3M. 
LrgitloMlLOD  II  3B. 
Lceiilmilat  I.  «. 
LdMD  L  loa, 
Lehenboden  L  11t. 
L«lraakenlg>hum  I,  T7B. 

I.  108, 

L  378. 
LetiMXinoiiartlilc  L  878, 

•.  118.  341 


LehenMTilcm  I.  109. 
Letite*irl«er  I.  4S4. 
LebcnUreue  L  HS  9». 
L«k«MTerfawu[«  I.  S4. 
Lehrfrcilieit  11.  ass. 
Lehmiltel  n.  m 
Lemfrelbell  II.  I8S. 
Lesung  vlederbollt  L  546. 
Ux  1,  SM. 

-  refln  I.  3eB. 

-  uhci  U.  St. 
Uten  I.  101. 
Uteratiir  H.  174. 
IMUL87. 

Loi  L  HS. 


LoM  L  M8.  a  tsa. 

Lordi  L  llt  iA  4«t. 


LiraeBttoirg  ).  M7. 
Lbim  IL  «7. 
LTkDit  L  SB). 

H. 

MMht  L  IM. 

Hegier  1,  BD. 

MigiMnU  L  SS«.  US. 

llRgni  cbRrti  L  m  461. 

MtJtMIl  U,  «4.  «S. 

KiieMIMlMlndieDDa  II.  M. 

Hiijaliurerhte  II  6171.»». 

Miiiw  I  »4. 

Hikler  a  MI. 

HaDdati    d«    »dmiBiUrmte 

juMItU  iL  106. 
Minmäian  deuwdte  L  474. 
ÜMMtkeftMid  1.  m. 

iwumm  II.  34. 
.    -JonnJin  L  aJi. 
»«rkgrodUni  IL  461.   ' 
H)ir1i««kfeUbifteil  0.  B(. 
M«rkgr*(ea  1.  1». 
MenpiU  L  114.  I». 
HiTKlwIl  t.  IIS.  9». 
ÜFdUtUlning  I.  MO. 
MadIcinalbMait«  U.  187. 


Meiller  U.  4*7. 


■  l;6. 

e  a  488.  Ga. 
HenscbheU  i.  76. 
Merkmale    talaUriadw    des 

Stau  L  31 
Meallen  I.  lU 
Metboden  I  11.  a  ML 
MeT'r  I.  1» 
Mletblruppcn  a  171. 
HiliiMleoatiilUibi  0.  170. 
■fllltlTgerlctile  IL  tW. 
MititlntewiH  n   W. 
HHilirhobeit  11.  97. 
MilltlnMIlM  L  «•.  ain. 
MiUt»  IcfalM,  HMritiDtt. 
MloderjUrlp!  I.  »0.  H.  M- 


iM,Coo<^lc 


TGaiMl  I,  9V6.  n.  Bi.  1S3. 

Äuioniilkirehe  M.  tSB. 

Orten  II-  IM.  wo:  306. 

Uleteieri*  1.  m 

Ontaungen  !,  11, 

MinuteriileaLMD.  19I.1IB. 

MiUnni1r*)b  1,  119. 

Hbisterieo  II.  154. 

Natloniilame  I-  85. 

Ordonnance  1.  M3. 

Organe  des  Sl.la  1.  M9. 

Organbctae  6ewtie  1.  887. 

-     «S. 

Orgaatorbe  Naiur  dea  «ata 

Nammlboni  lOhjMW  l  ''»■ 

1.  36. 

»,  1.  4M. 

Natur  der  »»che  1.  18. 

OrganlKheNatardwTaiket 

UDom  1.  4ta. 

1  81. 

Hiubetraib  n.  6S. 

OitM  1.  134. 

Hissi  dominicl  1.  374. 

Oilradsmos  1.  KW.  m.       . 

HiMio«  iloliidH,  1.  M. 

Negenklavefei  1.  1». 

P. 

HiMinieo  H.  »3. 

Nicbli|^«lt  11.  at. 

HisiregieruDg  11.  SS.  MO. 

Niederer  AMI  1.  110.  IM. 

Pachter  I.  341.  D.  411. 

«iHdlrde  1  »M. 

Pickelpo«  11,  39». 

MillHMiDd  I.  1SI. 

NMerlanunr  1.334. 

Palrie  1.  608. 

detitKhe  I.  1B4. 

1.  4M. 

NobilM  1.  m 

engliKheLm- 

Nobill  1.  340. 

HonsrcMe  1.  170.  97».  »1. 

Noblew«  de  robe  I.  114. 

Pilrs  de  rtanc«  i.  113. 

35».  978.  388.  3».  U.1». 

NoMerae  per  IHtrea  I.  lU. 

Papiergeld  H.  416.  4». 

Honogirnrie  I.  479. 

Nomotheim  1.  301. 

Papal  11.  les.  »0. 

Parggium  U-  Tt, 

Hordorim  U,  106. 

Farsntelen  H.  3J. 

Notare  I.  149.  U.  SM. 

PaiHtil  religiöse  II.  184.  mt. 

NoUirecht  11.  113.  118.  Gt9. 

Parlimenl  englKebea  I-  IM. 

Novietal  li.  1«. 

469.461. 

Wl. 

-    -    o. 

Holion  1.  SM. 

Motu  1.  1U. 

Obe  I,  M7. 

HUDdhCTT  1.101.160. 

OberamUi  1.  NO. 

UundMihall  I.  373. 

Ober>Dli>icht9r«rli(  IL  108.319. 

399. '436.  481. 

Hanijndikeit  a.  «s. 

Palenle  11. 

Mimidpiilböiifl'  I.  43. 

1.  380. 

PatriirchlB  I.  3 49. 

■imieipiMiU«  IL  4W. 

HiinirecM  II.  m. 

Oberbaua  1.   in    4«.  SO. 

römieche  1,  100.  10». 

634.- 

N. 

Oberhoheit  11  308. 

ObrtTichrer  !.  487.  M. 

Nachbarweg«  II.  4». 

Obrigkeit  t.  SB.  143. 

Patrefnifl  1   wi. 

feuhia  [Apoatel]  1.  MB,  IL 

L  93. 

Occupgtlun  1.  »3. 

54ft 

NachgKnget  II.  ». 

OUelilbiDg  1.  41&  503. 

Pelaleii  1  «H. 

KachricWw  It  a». 

Oeffleolliche  Sachen  1.  «4. 

Penn  II.  170. 

NKfadSIter  1.  77. 

OeffentliL-bkelt  II.  t11. 

Penaion  It  135.  116. 

PeaalDBining  II.  143. 

Mtpoleon  1,  4M. 

Oeeterreich  I.  418.  +M, 

PentarL-hie  I.  61. 

Naaaau  i.  417. 

Omclere  II.  137. 

Perioden  1.  001. 

MttlOn  i.  4t.  81.  n.  9. 

PeriSkcD  1.  SiS. 

Hallonilbmll  U.  US. 

Peiaonae  regl  grataa  IL  3W. 

Opposition  L  890.  II.  140. 

Pereaalicbkelt  ileaStats  1.39. 

NdkWBlJUt  1.  88. 

Pelitionen  1.  SM.in.  n.5t7 

nigiti/cdtvCoC^Ic 


PoliUMHraclil  L  t.  U  W> 
PTaligrat  I.  IIS.  37*.  IL  TS. 
ntfDt  ananUicfca  U.  1«. 
prröDdw  I.  I3S. 
PftBont  I.  MI. 
PlacM  IL  310. 
PläHW  I.  3t.  1S7. 
Plmokntie  I.  940.  SU.  4*7. 
Polen  L  IGO, 
PolicB  JudlcUlre  IL  W>. 
Politik  I.  1. 

PoBcai  U.  ITS.  tlk  IH. 
PoliicibuBua  H.  MO. 
Poliieigneti«  I.  S38. 
PolitaigCMlibuch  11.  130. 
Poliuignrilt  a  in. 
Poliulbobtft  II.  I01- 
PollieinilnitterlDB  II.  in. 
PoiiutopontlQ  a  tOOi 
PoliwMU  LM. 
PolticIitraEM  II.  IIB. 
PoliuiütMnrMBDcin  II.  SL 
PauitenuTi  IL  317. 
Pontia««  L  361 
Popolol.  IM.  1U. 
Popul«m  I.  ItL 
Popolut  1.  H.  137. 
Poaten  n.  ÜB. 
PMtrceal  11.  S«l. 
PoUM«  amlMnt  L  m.    . 
Pnfteal  L  SCt. 
PrUiien  I.  »I. 
PrirogiUve  L  fi>4. 
PrfMDlttion  II  313. 
PriveBtiipoliiei  II,  183. 
Presw  I.  338.  IL  US. 
Prewrreihcil  I.  t.  380.  IL  BOfi. 
Preuprocene  II.  IST. 
Prevotilstidts  1.  14S. 
Preunrn  1.  U8. 
PcieWCr  L  180. 
PnuIer«rUtokrille  I.  UO. 
PrlMtCTMmiiur«  11.  318. 
PrieslenliteD  I.  186. 
Prieuenbum  I.  ttT. 
Primogcnllnr  1.  116.  U.  37, 
PriDCeps  Moatui  L  37t. 
PHndpieal  »4.381. (I8.477. 
Prinwn  I  13B. 
Privilbrnken  IL  430. 
Prlv«t<loc«nt««  n.  387. 
Privdeigenlhiia  L  W. 
PrivalgdebrU  1. 14». 
PrivaikMM     de*    Haacnt« 
IL  T8.^ 


PrivalMiAt  L  4.  «7. 


TitveTMöfn     da    SItti 


Priiil^teB  L  S38. 
PTDcliauleoeD  L  684. 
Pfocunwrcn  t.  Ut. 


ProfcMorea  IL  1!».  3Ci. 
ProhibillTiöll«  IL  427. 
ProicKrlit  L  IST.  1G8.  SSk 
PromotorialM  IL  IOC 
PromuleiUoo  I.  B/l.  U.  84. 
Proyaulloo    «inn   GihUw 

I.  »9. 
ProToggtioD    der    Ktmami 

1.  eis. 

PmUles  L  IM. 
ProvlDica  I.  118. 
ProvtaiulsnetiaebuagL  llft 
ProTiDiUlragieniiig  L  118. 
Prof  liiialUlBde  L  »S. 
PrudbomaiM  L  IIS. 
PrtluDgsa  L  613.  160. 
PiTUnkn  1.  803. 
PobllcatiDD  I.  Sai. 
Pufltedarr  L  «T.  H.  134. 


Rtne  11.  96.  134. 
Hauen  L  TS.  88. 
HiMMMlel  L  136. 
ltuseM)it  1.  131.  . 
Bath  albraKlicbrr  L  303. 
Rith  der  FiirMrn  I.  354. 
Reih  der  Gemeinde  U. 
Rithel.  141.316.4«.  U.U6. 
aeelluten  IL  436. 
ReelrecbU  I.  Kt9. 
RealuaLoD  L  140. 
Recbt  L  80.  »4. 


107. 

—  nitiODale  L  SV. 

—  öffentlkbe  I.  441. 
ReclitliMl«k«lt  IL  »7. 
RedlUbewuuMiD  L  MtL 
RechUflnduD«  II.  VO. 
Rccbulrage  IL  118. 


ReckUseKUcbte  I.  3. 
Bechtsideen  I.  18 
tecfauiiBete  IL  «6.  L  44t. 
Recbtwitu  L  18. 
RecblsKbuU  LH. 
Rcrhiulit  I.  36.  CS-  SS. 
RaditiMitleteiid  IL  W«. 
Bechtsvertindticbkell  derG»> 

uuel  SO«. 
Reroiden  11.  47t. 
Hecuwlloneracbt  IL  1S9. 
Redelreibelt  1.  3S4.  HO. 
Bediter  atkMiiicbe  L  30). 
ttefenndariiu  L  374. 
Beromi  L  134.  IL  IG.  17. 
RelonMUoa  a  301. 
ReroriniUoiuncht  a  330. 
Regale  1.  HB.  IL  383.  40T. 
Resalilit  L  !IG.  IL  S40. 
R^entenaoaveranetit  a  G> 
Hetenlinnen  L  IS». 
Retentacbalt  IL  17.64.03.. 
Regt«njnf>be«Bile  U.  IM. 
Reglern  ngsieuue  L  Stl. 
Begienjnswewalt  L  463. 
RegleruDgarecbte  IL  >7.  M. 
RegierunpwirttiirbtnD.SIS. 
RegliMDl  I.  453.  U.  II». 
ReeredlenurbtD  IL  97. 
ReichMrht  a  TS. 
Reichssdcl  I.  117.  131 
BelditrQnten  L  IH^ . 
Reidulürsleoralfa  I.  344. 
Relchain9l)inien  IL  65. 
üeicbakamoiericriebt  1.  680. 
Beitb^lebeo  L  108. 
aeicbsiUDdKbaa  L  IIB.  tOI. 
Bei<bMag  L  469.  473. 
—  6it«rrelch>icbar  I.  40»^ 
Belduverfauung  1.  06a 
Bclchsvem'etang  II   66.  SS. 
Heichlbun  1.  607. 
BfiieTreibelt  fl.  BIO. 
ReligloD  L  10.  100.  647.  0. 


RepriaeiiUllrdeiiiakraüe     L 

317. 
Reprkaentativiiysteai  L  371 


1   C(.)i.)t^lL' 


31G. 

SUblLTt 

»n  1.  (6. 3t.  Gl.  «e.  W, 

M8  . 

,       9*6. 

Schul«.  1.  WT.  U.  101.  SU. 

17«. 

-  EnleWhuDH  I.  1».  »0, 

Repoblik  1   Ki. 

-  Fu^cfknen  l  418. 

Sctaudbcmi  I.  1«,  UO. 

-  InatiUilioD  (.  lU. 

1.  »1. 

—  Oriane  I.  US. 

Hewriple  1  117. 

Scbui  Hülle  IL  ue. 

ReMmunichie  U.  106. 

St-hwrrter,  m«  U.  Ua 

Itc««nen  II.  ITt. 

ScfawDTgHkht«  IL  SG. 

-  Tbeilung  I  »1. 

Seelen  U-  «1. 

-  VerhUmti    mr    rMtIlie 

netl^tion  u.  m. 

3.ISne«n  1.  IM.  381. 

1.  17G. 

-  VcrUliBln  wr  Rircbe  L 

RicbuHinM-  1  411. 

Selb«Ui[lfe  IL  WL  616-0». 

47.  11   H». 

Hichln- 1.  tiO§.  U.  W4.  US. 

Sdhelrache  U.  SOG.  106. 

-  Verhuui«  zun  Privat- 

«Igeolbiun  L  «t. 

Scmitm  I  10. 

-VertaUniei    wr  RdiglMi 

«ichtarelira  ■■■  )KL 

II.  B». 

Bilter  1.  tOO.  10«.  IM. 

S«oit  1.  336  tiOa. 

-VerhUlBivium  Volk  1.81 

RlUcTBdel  I.  IIB. 

Senitorm  L  106.  BSk 

-  Verhiltniw  lur  Wino» 

SenaUKoniuke  1.  336.  US. 

•ehift  IL  33G. 

HillerMien  I.  131. 

-  Wesen  L  SS. 

RiU«rKl»nl.  U1.HV  U.  IM. 

QeneMhill  1.  37*. 

HSner  1.  10. 

Senioh*  1.  1t«  460. 

SttUict  L  ffit  IL  88. 

RotUTim  1.  111.  HG. 

S*p.r«lio  (  loro  et  am- 

RouMou  1.  67. 

List. 

BtaUamt  IL  SL  1W. 

Bäckwirkdide  Kr«n  dtr  Ge- 

Serdu«:ht  l-  MO. 

EltuangebiMga  1.  IM. 

«K«  L  M. 

Serf.  I.  18*. 

Ruhe«ehi)t  11.  13B. 

Sermo  r«fli  1.  m 

Bunland  I.  Wt 

Sbeiiir  II.  m. 

SMUtPKille  IL  m.  134. 

8. 

S\ejtt  1  1*7, 

StttlhAcr  8eli*U  de«  SUU  L& 

HalibedifBte  0.  111. 

8llt«bär|er  L  tW.  ttO.  466. 

-  ^ITcnllktag  1.  m. 

11.  5. 

SHi»  publica  1.  66.  11.  Ht 

Sklaven  1   160. 

8titKf,i\  II,  387. 

«kK^ml    ■DieilkenlM^e    L 

Stalebü^crthuBi  1  147.  48«. 

Ire. 

SiiKtion  1,  31t.  871.  38t  SM. 

Sui«:ulwrH6J.U.»B8.3J7. 

.      II.  W. 

-  der  Scbwinm  1,  161 

-  pragn»li«lK  II.  3S. 

SUUdletut  n.  11».  144. 

S.pie>>i«<t  II.  WO. 

Säte  1.  WO 

Selon  L3D3. 

SUKeiolwit  II.  X 

Sarigny  1.  71 

Sondtning  der  Gewiltfi)  |. 

M6   419. 

gUUfomLlST. 

Souver.in  11.  It 

«risttdcraiiMbe  1.  315. 

ÜFhinTihrt  V.  i». 

Souverinellil  1,  3«:  11  1.  IG. 

drmokrtllBdu  I.  W». 

307. 

BU. 

SptrtJetem  1.  IM.  8*5. 

Spir- iindHilbOMMfi »- 3IG' 

ScbUrni  t.  WS.  11.108.1». 

Sped.ljOTT  IL  m 

Blilsgeisl  L  137. 

ScbetTeibn  Freie  L  1». 

Scholae  1.  1«. 

feporlelti  IL  1SG.  3W. 

StfltH^riil  ■!-  fW- 

ScbrlAlldikeit  L  >07. 

Stata(e««U  1  387.  IL  1. 

nigiti/cdtvCoC^Ic 


sio 


StaubnitiKh  I.  4TS.  Me. 
Statshohdt  I.  S8B.  IL  1 
Stataidas  I.  U. 


StottkisM  II.  78. 
Stsbldrch«  II.  (TS. 
Stauklage  IL  1», 
Statskörper-I.  Wl 
Stiulebett  I.  1 
SUtamicht  L  38«. 
ftMaffllle  n.  1. 
St«Unimiaterien  11.  IM.  1S3. 
StiUmonopolieD  II.  380. 
SUtmolhrechl  IL  111. 
flUMobeiHtapt  I.  ISS.  n.  1. 

n.  03. 

ftatsorgam  I.  371 
SttbpapiCTgeld  II.  M. 
SuupersSnllrhk^i  IL  9. 
SMUpoltiet  IL  ISi. 
StcUpoat  IL  tat. 
SMtsprlncipien  I,  TD. 
SMUpr^rung  IL  1». 
SMtsrath  L  Ml.'n.lfil.  M4. 
StilBmhnung  I.  63I. 
SUtsrecbtI.  1.9.  10. 
SUteregiening  L  3B7. 
StaUreligion  IL  £ST.  TTS.  KS. 
StaMdmldeu  IL  M3.  MB. 

SUUuecrelltni  I.  Ul. 
SraMwuverinetat  IL   S.  ia 

11.  «. 
SKtssprache  I.  ST. 
SltUnruie  n.  MO. 
Stalsüberordnung  II.  1. 
SUUunabhüi^igkeii  n.  1. 
SlaUrergehpn  II.  IM. 
Slalsiermägen  IL  68. 
SUMterlraRe  1.  lä  «7.  59«. 

n.  33.  fO. 
Statsvolk  I.  SSl 
StaUwlnhadiaftspoHzei      U. 

199,  376. 
SladtbQrgcr  I.  91t. 
Stadtbürgerthum  L  139. 
Slürtte  L  US,  47t. 
SlAdlestalen  I.  »3. 
Sladtherrn  1.  V71. 
Stadtrüba  H.  (60.  WO. 
Stadlichralber  II.  tTl. 
StadivaroTdoete  n.  »80. 


Stlndenth  I.  Wk 
Slasdeigthilt  U.  4M.   - 
Standeabem  I.  000.  B,  tB. 
SlandesverlilltiTisae  IL  lU. 
Standrechl  II.  113.  -HS. 
Slatisttodw  Bomui  IL  1€». 
SlatutflD  I.  11. 
Stdlvertrettint  L  «7».   M. 

IL  87.  171. 
SiempelgebObren  11. 
Sicueni  1.  »79.  II.  »S.  MI. 
SteuerbewilKentg  L  3M.  MI. 

S16,6K. 
gMuerfrBibait  I.  B4a  IL  %». 
SMueiBeMtigebimg  I.  «71. 
Steuerhoheit  IT.  tOI- 
9ieuen>'"cbt  IL  Ul. 
Ste^errecbt  IL  380.  Wl. 
Stenetverwelgening  I.  SSO. 
Stimmrecht    tllgemeinea   L 

199.  IL  86. 
Stonbing  L  MS. 
Strafen  II.  Ul.  »0. 
Slrargeaelie  I.  fi3S. 
Slranioge  L  98. 
Slrafmilderung  IL  10t. 
Strgfprocesi  I.  8, 

Strah-echt  L  B. 
StrafrechtapflFCB  H.  VfL  131. 
Slralunheile  IL  ID6. 
Stranen  IL  MI. 
Stranenpoliiei  IL  19). 
Slrasietiregal  II.  88B. 
Studenten  IL  360. 
Sudra«  I.  06. 
SuLtaDB  I   »0, 
Supremat  11.  S91 
Smpenalon  II.  IM. 
Sjrmniachie  1. 130. 


Tabakregie  II.  360. 
TftgrÖ»«-  I.  78. 
Taten  IL  397. 
Telegrapheiwegal  11.  S9B. 
Tele«rapben«eaeD  IL  KB. 
Tenura  I.  381. 

Testament  det>  lle([eateii  UM, 
Thalweg  I.  »0. 
Tbane  L  1t9. 


thaUTHe  n.  ■>- 
IhellunflL  IM.  KD. 
theokratle  I,  «63,  tTt.  ML 
Tbaokraliairende  Statin  LW). 
Titeoilni  L  Sl.  WO.  t7& 
Tbeten  L  1«. 

enngaioch  IL  MB. 
TbiUL  99. 
ThroDlolBe  D.  St 
Thronmlgetlbl^eH  IL  M. 
Thronrede  I.  Sil. 
Tlera  ftat  I.  1*7. 
TllulaturaM  l.  117.  «K 
Tod  Mr«erUdMr  n.  HB. 
Todeaatrafe  IL  WS. 
Te«ewintaei1a  fl.  1«. 
Todteobeachan  n.  II?. 
TndtengOTloM  IL  «n 
Trenouiii  der  G«waHe*   L 

'  «0.  «•. 
Treimtnie  vonStatmiKh'eb« 

n.  «  gOk  31». 
Treuadel  L  107, 
Treue  I.  110.  S4g.  a  1U. 
Traueeid  I.  379. 
Trcueierbindung  I.  STIL 
Tribunat  n.  6U. 
Tribunu«  celenioi  L  M. 
TribiileonKlen  1.  SIS. 
Truppen  L  111  S».  IL  71. 

Ü. 

Ueberordnung    itallicbe  H. 

W7.  , 
Debeitritt  n.  «17. 
llebUDgacoilegiee  n.  387. 
Umstand  I.  471.  - 
UnabhinglEkelt  der  OerkMa 

I.  3B9.  II.  »6. 
ItnabbtngigkeitdeeStatB  11.14. 
UnahbingigkeitserkÜning  L 

W. 
Unabsetibarteit  II.  IM. 
Unenteeli1ii:hkelt  der  Volk»' 

schule  n.  at». 
Unlibigkeii  de«  Uaiater«  L 

Sie. 

Unlthigkeit  des  tieeenten  B. 

«0. 
Unfehlbarkeit  dea  KSnlgs  U. 

M. 
Un<OTt.l38.lM. 
lIniviBr«alinaa^n;I]1e  I.  Ol. 
Unlveraititen  IL  300. 
Unaichtlianr  Siat  L  181. 


iM,C00<^lL' 


Üb  te^ang  dM  stau  t  IKkUB. 
Uniethdt  tl.  13». 
Unlertuui  I.  Itl.  387.  Wk 
UnlerrichlMnclhorie  II.  WL 
UnteratatiDitgspfle««  li.  tn, 
VnloralQluingtpolliei  II.  1W. 
Unlenmchun«  H.  IM.  HS. 
UnUrthancn  I.  35^ 
rnlBrwerrung  I.  IW. 
Unthetlbirkett  I.  116.  II.  St. 
,  ünvcrantworUicbkBil  il.  19. 

m  I.  an. 


ten  II.  «t. 
Uradcl  I.  W 
UrkundiinlnneT  II.  4«. 

Unheil  II.  «w. 
unheller  1.  iBtk.  II.  106.  TU. 
Urvölker  t  7». 
Urw&hler  L  Wt. 
UsuTpiUon  I.  IS.  II.  tS.  M. 


VnVKUnir*  I,  I«. 
VeraUwonlichhpil  der  Fiir- 
PtM  H.  7».  1.  »57. 

—  der  Minisrer  II.  m.  1S7. 

—  der  ÜIEnde  I    479. 
VerBiwseniDR  I.  11.1.  li.  60. 
Vertunniin)!  I.  IM. 
Verhesseninfponträüe  I.  US, 
Verbote  II.  HO 
Verhriudiuileiiern  II,  110. 
Verbrwben  II.  »I, 
Vrrbriertmg  iler  Vorlaoiung 

I   388.  440 
Vprbam  regi»  I.  37*. 
Vertiündung  I.  136. 
Vcnhenstertstokrnlie  I.  SOS. 
Vereine.  poliiiEcUe  II.  Ktt. 

—  rdigrÖM  H.  :iIH. 
VereiiisrecM  II.  S31. 
Verfoniing  I.  3  388.440.47S. 

—  der  Kirdie  II.  ;«S  »6. 
Verfnuunflti  n  d  em  ntf  n  1. 130 . 


Verrolguni!  \an  Ambiivrgcn 

II.  S». 
Ve^hcn  II.  «O. 
Verlmnuiig  II.  600. 
Veritfhnmii  ilall.  I.D.  ILO. 
VerkaiilBwerth  I.  ttS. 
Verkehr  glTailllrher  II.  37«. 
VerkünduDg  dei  Gcwtia  I. 

547.  Ü.  91. 
\'e'rlai>.<enaFhnft    slalarecht- 

lldie  II.  38. 
Veriust  der  llecrKhaft  II  St. 
Verinitlhii»g  IMedemiichler- 

Ikbe  II.  »». 
Vermiieeii  I.  9KI. 
VertnösenwrialakriUB  I.  60 
Vemiügeiust«u«r  U.  406. 
Vcmunllrecht  I   W. 
V«ronlDui>gen  1.  tt.  Glii  I 


Voglpi  1.  iW.  IL  tu. 
VofleileuM  I.  tU). 
Vogtachsn  lim  Slala  über  die 

Kirche  U.  Wt. 
Volk  I.  76.  80.  166.  il.  H. 
VGlkerromilieti  I.  76. 
Vülkerlractlonen  L  Ut 
Vblkcrmisdiung  I.  8i. 
vaikerrocht  1.  7.  &U. 
Volksbescblüue  I.  301. 
VolkabewURiMin  I.  81 
Volkach«  racler  I.  81.  K. 
Volkaeinheil  1,  SQ. 
Volk«ei  heiterung  II.  194. 
Volksireibeit  II  491. 
Volksgeist  I.  M.81 
Volksgenossen  I.  191. 
Volksbaus  I.  ^7. 
Volhshcer  lt.  174. 
Volksbemcbart  I,  179.  538. 
VolkrtaiDDier  I.  481  NH. 
Volksorganisation  I.  Kß. 
Volkaraue  I  ^ 


I.  3W. 

Verteltuiig  IL  liü. 
Veralosiiii«  I.  1B3. 
Vertagung  I.  61G. 
Venhetlui«  des   Reiches  I. 

IN). 
Vertrug  stBlIicber  I.  13. 
Venragsprlndp  I.  480. 
Venngsl  heorie  I.  160. 
Venretung  slsniUsrhe  I.  4^ 
VerunIreuung  II   Iflt. 
Verwaltung  II.  378 
Verwollungat^eselic  l.  637. 

Venvoltunpsstreiligkeilen  II. 

166.  140, 
Verwarnung  II,  Hl 
Verweis  II.  140. 
Verweisung  II,  6M.  S3S. 
Veto  i.  31V.  483.  II,  306. 
Vicinalwege  II.  49. 
Viromtea  I.  111  118. 
Victor  Emmanuel  1.  U1. 
Vielreglererel  II   178. 
Vigulers  I.  11± 
Vllalns  I.  lU. 
villici  majOTts  I.  164. 
ViKos  I.  96. 


Vltgrafeo  I.  IM. 
Vlsdika  I.  »6. 
Vögle  L  146.  471. 
>  ütalarerhL    II. 


Vulksierlretung  I.  140. 
Volkswillo  1.  ',S!. 
Volkswinhscbsd  II.  »8.410. 
Volkswirlhschartapolitei     II 

199. 
Volkswahl  II.  48. 
VoUbürger  II.  466. 
Volirreie  I.  160. 
Vollgrall  I,  74. 
Vollkommenheit  des  Honar- 

chen  II.  81 
Voranicblsg  I.  481  SB8, 
Vorberathung  I.  538. 
Vornutadscbofl  II.  66. 
Vonnunrtieha  napoli  lei  II .  193. 
Tormundscbinsrechl  II,  166. 
Vorort  1.  S37, 
Vomcblagarecht     icodemi- 

Bches  II.  361 
Vortrug  mündlicher  II.  384. 

w. 

Wsiti  I.  74. 
4'nhl  I,   314.  :i3S    490    494. 

.sog,  II  tt.  47 
Vahlaiistnkralie  I.  :ni  ;I40. 

36 


iM,Coo<^lc 


Wihrbarieil  I.  MO. 


WShIn-  I.  »e.  ' 
WiiUCIirelni  II.  U. 
W'atilkrpuip  I.  WO.  *W. 

WaNmonBrehi«  II.  M. 
WshlpertiHle  I.  BD*. 
»'■riiprinc)|>ifii  I.  ata. 

WuMrrchl  7. 
Wahnpnidi  II.  SB. 
Vliien  II.  W. 
Wdldiii^en  II.  3U 
.Wanvung  II  1t3. 
WB8»*rpr.lliei  II.  ie» 
Wauem'gal  II.  »'S. 
Waiseretrsuen  11.  Ut. 
Wegegelilcr  II  3W 
Wi^gepotif?)  II,  199. 
Welber^pDipinschalt  1   18». 
Weilie  klrchlkho  II.  »18 
Weimor  I.  UT. 
Wsitlhünier  I.  Sffi. 
Weltgeschichir  L  10. 
Weliitat  I.  t1 


WeUglraaini  II.  »n 
Wrrbiii«  II.  IM. 
WidersprucInrerM  diT  Kirm- 

uicrn  1.  Vt4. 
WIdmiiiKtarechi   II.  5U. 

5M— 6», 
WlE^enrlhlbarkpil  II.  W. 


tnr.  sce.  ii. 

110.  XI6. 
WileiMgemot  I.  Itl  Ut. 
Willige  II  (71 
WohUalirl  I.  70.  388. 
WoMrahrtapalliol  II   W. 
Wucher  II.  )•«. 
Wuchergegelie  II.  419 
WüniM)  Btalllche  I.  SOS. 
Wilmemberg  I.  »17. 

Y. 


MtAmi  H.  «0. 
ZMiIgnren  I.  376. 
Z«rtt«aiuHig  I.  tu. 
Zinar  II.  M8. 
ZSHe  II.  4OT.  WS. 
Zaroailer  I.  WS. 
ZueU  ralleiaM  II.  H». 
Zücli(ieun|ikOn>erlidie  ILw;. 
Zücktlgunprecht  paÜniH- 

diai  II.  188. 
Zuei^ung  1.  HV. 
Zug  freier  1   1V7. 
znnne  II.  HS.  1». 
ZunlLweiMi  II.  O}. 

zoiritwdig  t>.  u;. 
ZuBtlmmungirectil  I.  H(. 


Zwineaanltbeii  II,  417. 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


n,g,t,7rJM,GOOglC 


n,g,t,7rJM,GOOglC