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Full text of "Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen"

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5 











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Alſo 
ſprach Zarathuſtra. 


Ein Buch für Alle und Keinen. 


Von 


Friedrich niebſche. 


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65., 66., 67., und 68. Taufend. . | 


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Leipzig 
C. G. Naumann Verlag J 


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Inhalt. 





Erſter Theil. 


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Sarathuflra’s Dorrede, Seite 
Dom Übermenfchen und vom letzten Menfhen ve... 9 

Die Reden Zarathuflra’s. N 

Don den drei Derwandlungen „a 2 0 nn euere 33 I 

Don den £ehrftühlen der Tugend . . » «2 0 2 0 ne 00 na. 3 | 
Don den Hinterweltlen . . 2: 200 0 ee een een 41 
Don den Derächtern des keilbes . . . 2 2 2 2 46 

Don den Freuden⸗ und Leidenfchaften. . . . ..9_ 

Dom bleichen Derbrecher . . . 2 2 0 2 er onen ne ....5 
Dom £efen und Schreiben - » 2 0 un 0 en en en en .... 56 

Dom Baum am Bergg 459 | 

Don den Predigern des Todes 0 2 non na enormen 63 

\ 

| 

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| 

| 

| 


Dom Krieg und Kriegspolle . . 2... . 7 
Dom neuen Gögen . . - ern en .....69 
Don den Fliegen des Marktes Pa ER FE}. 


Don der Heufchhelt . . 2 0 0 m 0 ro 7 
Dom Sreunde . » 0 er 0 ce en. ver en. 80 
Don taufend und Einem Ziele © oo ee een nenne Bf 
Don der Nächftenliebe . . o 2 0 0 0 0 rer nee nennen 88 
Dom Wege des Schaffenden . 2: 22000. ..... 91 
Don alten und jungen Weiblein . . . 
Dom Bi der Tatter „x 00... 
Don Kind und Ehe . vo ee... 
Dom freien Tode... 2000... 
Don der fchentenden Tugend . . . . » 





Alfo ſprach Zarathuftra. 1 1. 


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Hweiter Cheil 





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| | Seite 
a Das Kind mit dem Spiegel . oo 0 0 0 en er een. cc 119 
| Auf den glädfeligen Infeln oo none nenee nun. 123 
| Don den Mitleidigen oo e onen. een. +12 
H Don den Drieflern . . 2 0 0 0 ee ern n . „13 
| Don den Tugendhaften  . 2 20 een een ne eo... 135 
i Dom Gefindel. .. 200 0 000er nn 0.10 
Don den Taranteln . oo 2 220er en rennen . 14% 
Don den berühmten Weifen Deren ne . 149 
Das Nadıtlid. . . . » FE Fa 153 
j Das Tanslid® . 2000000. . 0. 156 
| Das Srablid . ...... .. . . . .. . . 160 
Don der Selbf.Überwindung .......... ... 166 
J Don den Erhabenen. ... ..4 170 
| Dom Kande der Bildung. » » » 2 ve... .. .... 17q 
Don der unbefleckten Erkenntniß ..... 178 
* Don den Gelehrten. .... .. .... ...... 0.183 
h Don den Dichten . » » oo nr 0er oe... 0.186 
Don großen Erelgniffen . . » oo 0 00. Pe \.) | 
J Der Wahrfager . » 2 0 eo een ern n nn Er \. 7; 
J Don der Erlsſung..... ... ee ne 203 
) Don der Mlenfchen-Klugheit - 2 2 0 onen e en . .210 
1 Die file Stunde . oo 0 0 0 oe 0 2216 
11 
J N 
| mar 
i Dritter Cheil Seite 
A| Der Wanderer. 2» 2 ne. ... .. 0. 0.223 
J Dom Geſicht und Aäthfel . . ven een... 0. , 228 
Ij Don der Seligkeit wider Willen . 222020000. . 236 
1 Dor Sonnen: Aufgang . . . . - FE on. 280 
, Don der verlleinernden Tugend. . 2 2 2 2 0. ° ven eenn 246 
I Auf dem Ölberge © oo m 2 oe nn on 0253 _ 
j Dom Dorübergehen - oo m m nennen ..... 268 
Don den Abtrännigen ..... . ernennen. .263 
Die Heimkehr . . one een. . ... .269 
I Don den drei Höfen » » - 2 2 00 ee ernennen 
ı 


. 272 


ööæj— ——— —— VenmreilruiiiN SUN, 5 CENT — um are — — 
— — re — —— — ——— 23 





Seite 

Dom Geift der Schwer 2281 
Don alten und neuen Tafeln. © » 2 0 0 0 ee een on 0. «287 

Der Genefende . or 0.0.0. .. —31q4 

Don der großen Sehnfuht . oo 0 0 2 0 en 4 324 
Das andere Tanzlid. ... . » . . eo n0. 0.328 

Die fieben Siegel (Oder: Das Ja: und Amen · cied . 334 
| 

Dierter und lester Theil Seite 

: Das Honig: Öpfer . oo 2 0 0 ee nern ann ..343 
' Der Notbfhrei - . oo Co un euren ee. 4349 
Geſpräch mit den Königen.. . . . . - PER 355 

. Der Bintegel . . 2. 22 2 00m 00 a a a — 361 
| Der Zauberer . 0 0 0 0 0 0 or nr ee e rt nenn 566 
: Außer Dienf 0000000 nen 375 
Der häßlichle Menfch . 2 2 on m ern nn 382 
Der freiwillige Bettler . - - 2 2 oo 00er ern en 589 

Der Schatten 0 000 0 m m rer rer ne 395 
Mittags 200000 ren 400 
Die Begrüßung . „2. x oe 0020. Pa a a a — 405 

Das Abendmall. . 0 0 0 0 0 u 0 re nee rn 413 
Dom höheren Menfhen - . . 2 22.220. En 42 

Das £ied der Schwermuth © - 2 0 2 0 m oe nennen 437 

Don der Wiffenfhaft . . . «euere iron. 438 
Unter Töchtern der Wüle . oo 2 2 0 0 0 m on nen 442 

Die Erwedung 00 0 0 000 nr . 450 
Das Efelsfe - 0 0 00 0 0 0 ne 0 rn. 455 

\ Das trunfue id . oo 00 0 een en nenn. 461 
Das Schhen „20er n ee .... 4 472 





Die Entſtehung von „AUlfo ſprach Zarathuſtra“ von Eliſabeth 
«D Sörfterslließfche . © oo 0 0 444 477 


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i ſprach Sarathuitra. 


. Erfter Theil. 


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Sarathujtra’s Dorrede. 





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1. 

Als Farathuſtra dreißig Jahr alt war, verließ er 
feine Heimat und den See feiner Heimat und gieng in 
das Gebirge. Hier genoß er feines Geiftes und feiner 
Einfamfeit und wurde deſſen zehn Jahre nicht müde. 
Endlich aber verwandelte fidy fein Herz, — und eines 
Morgens fand er mit der Morgenröthe auf, trat vor 
die Sonne hin und ſprach zu: ihr alfo: 

„Du großes Beftim! Was wäre dein Blüd, wenn 
du nicht Die hätteft, welchen du feuchteftl 


Zehn Jahre kamſt du hier heranf zu meiner Höhle: 


du wöürdeft deines Lichtes und diefes Weges fatt ge- 
worden fein, ohne mih, meinen Adler und meine 
Schlange. 

Aber wir warteten deiner an jedem Morgen, nahmen 
dir deinen Überflug ab und fegneten dich dafür. 

Siehel Ich bin meiner Weisheit überdräffig, wie 
die Biene, die des Honigs zu viel gejammelt hat, ich 
bedarf der Bände, die fih ausſtrecken. 

Ich möchte verſchenken und austheilen, bis die 
Weiſen unter den Menfchen wieder einmal ihrer Chor- 
heit und die Armen ‚wieder einmal ihres Reichthums 
froh geworden find. 





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Dazu muß ich in die Tiefe fleigen: wie du des 
Abends thuft, wenn du hinter das Mleer gehft und noch 
der Unterwelt Licht bringft, du überreiches Geſtirn! 

Ich muß, gleich dir, untergehen, wie die Men- 
fhen es nennen, zu denen ich hinab will. 

So fegne mich denn, du ruhiges Auge, das ohne 
Neid auch ein allzugroßes Glück fehen kannl 

Segne den Becher, welcher überfliegen will, daß 
das Waſſer golden aus ihm fliege und überallhin den 
Abglanz deiner Wonne tragel - 

Siehel Diefer Becher will wieder leer werden, und 
Sarathuftra will wieder Menfch werden.“ 

— Alſo begann Sarathuftra’s Untergang. 

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2. 

Sarathuftra flieg allein das Gebirge abwärts und 
Xiemand begegnete ihm. Als er aber in die Wälder 
fam, ftand auf einmal ein Greis vor ihm, der feine 
heilige Hütte verlaffen hatte, um Wurzeln im Walde 
zu fuchen. Und alſo ſprach der Greis zu Sarathuftra: 

„Nicht fremd ift mir diefer Wanderer: vor manchem 
Fahre gieng er hier vorbei. Farathuſtra hieß er; aber 
er hat fich verwandelt. | 

Damals trugft du deine Afche zu Berge: willft du 
hente dein Feuer in die Chäler tragen? Fürchteſt du 
nicht des Brandftifters Strafen? 

Ja, ich erkenne Zarathuſtra. Rein ift fein Auge, 
und an feinem Munde birgt fi Fein Ekel. Geht er 
nicht daher wie ein Tänzer? 


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Derwandelt ift Sarathuftra, zum Kind ward Sara» 
thuftra, ein Erwadter ift Sarathuftra: was willft du 
nun bei den Schlafenden? 

Wie im Meere lebteft du in der Einfamkeit, und 
das Meer trug di. Wehe, du willft an’s Land fleigen ? 
Wehe, du will deinen Leib wieder felber fchleppen?* 

Sarathuftra antwortete: „Ich liebe die Menſchen.“ 

„Warum, fagte der Heilige, gieng ich doch in den 
Wald und die Einöder War es nicht, weil ich die 
Menſchen allzu fehr liebte ? 


Jetzt liebe ich Gott: die Menſchen liebe ich nicht. 


Der Menſch iſt mir eine zu unvollkommene Sache. 
Ciebe zum Menſchen würde mich umbringen.“ 

Sarathuftra antwortete: „Was fprady ich von Kiebel 
Ich bringe den Menfchen ein Geſchenk.“ 

„Bieb ihnen Nichts, fagte der Heilige. Nimm ihnen 
fieber Etwas ab und trage es mit ihnen — das wird 
ihnen am wohlften thun: wenn es dir nur wohlthut! 

Und will du ihnen geben, fo gieb nicht mehr 
als ein Almofen, und laß fie noch darum betteln!“ 

„Ziein, antwortete Sarathuftra, ich gebe Fein Al⸗ 
mofen. Dazu bin ih nicht arm genug.“ 

Der Heilige lachte über Zarathuſtra und ſprach 
alfo: „So fieh zu, daß fie deine Schäge annehmen! Sie 


" And mißtranifch gegen die Einfiedler und glauben nicht, 


dag wir fommen, um zu ſchenken. 

Unfre Schritte Plingen ihnen zu einfam durch die 
Gaffen. Und wie wenn fie Hadis in ihren Betten 
einen Mann gehen hören, lange bevor die Sonne auf 
fteht, fo fragen fie fi wohl: wohin will der Dieb? 


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Gehe nicht zu den Menſchen und bleibe im Waldel 
Gehe lieber noch zu den Chierenl Warum will du 
nicht fein wie ih, — ein Bär unter Bären, ein Dogel 
unter Dögeln ?” 

„Und was madıt der Heilige im Walde?" fragte 
Sarathuftra. 

Der Heilige antwortete: „Ich mache Lieder und 
finge fie, und wenn ich Lieder made, lade, weine 
und brumme ich: alfo lobe ich Gott. 

Mit Singen, Weinen, Lachen und Brummen lobe 
ich den Bott, der mein Bott if. Doc was brinaft du 
uns zum Geſchenke?“ 

Als Zarathuſtra diefe Worte gehört hatte, grüßte 
er den Heiligen und fprah: „Was hätte ih euch zu 
geben! Aber laßt mid fchnell davon, daß ih euch 
Nichts nehmel“ — Und fo trennten fie fi} von ein⸗ 
ander, der Greis und der Mann, lachend, gleichwie zwei 
Knaben laden. 

Als Sarathuftra aber allein war, ſprach er alfo zu 
feinem Herzen: „Sollte es denn möglich feinl Diefer 
alte Heilige hat in feinem Walde noch Nichts davon 
gehört, dag Bott todt iſtl“ — 


3. 


Als Zarathuftra in die nächfte Stadt Fam, die an 
den Wäldern liegt, fand er dafelbft viel Dolf ver 
fammelt auf dem Markte: denn es war verheißen 
worden, daß man einen Seiltänzer fehen folle Und 
Sarathuftra fprady alfo zum Dolfe: 


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Ich lehre euch den Übermenfhen. Der Menſch 
iR Etwas, das überwunden werden fol. Was habt ihr 
gethan, ihn zu überwinden ? 

Ale Wefen bisher fchufen Etwas über fi hinaus: 
und ihr wollt die Ebbe diefer großen Fluth fein und 
lieber noch zum Thiere zurüdgehn, als den Menfchen 
überwinden? 

Was ift der Affe für den Menfchen? Ein Gelächter 
oder eine fchmerzlihe Scham. Und ebendas foll der 
Menſch für den Übermenfchen fein: ein Gelächter oder 
eine fchmerzliche Scham. 

Ihr habt den Weg vom Wurme zum Menfchen 
gemadt, und Dieles ift in euch noh Wurm. Einf 
wart ihr Affen, und aud jet noch ift der Menſch 
mehr Affe, als irgend ein Affe. 

Wer aber der Weifefte von euch ift, der ift auch 
nur ein Swieipalt und Switter von Pflanze und von 
Geſpenſt. Aber heiße id; ench zu Geſpenſtern oder 
Pflanzen werden? 

Seht, ich lehre euch den Äbermenſchen! 

Der Übermenfh if der Sinn der Erde. Euer 
Wille fage: der Übermenfch fei der Sinn der Erdel 

Ih befhwöre euch, meine. Brüder, ‚bleibt .der 


Erde treu und glaubt Denen nicht, welche euch von 


erirdifchen Hoffnungen reden! Giftmifher find es, 
ob fie es willen oder nicht. 


Derädter des Lebens find es, Abfterbende und 
felber Deraiftete, deren die Erde müde ift: fo mögen 
fie dahinfahren! 

Einft war der Frevel an Gott der größte Srevel, 


— —— ZU Veit Grug — en ⏑⏑ zu” 
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a  muenaen, von 


13 


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.— - . .r- 7 un. — — 22— “mann Dia 
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aber Bott farb, und damit flarben auch dieſe Frevel⸗ 
haften. An der Erde zu freveln ift jetzt das Furcht⸗ 
barfte, und die Eingeweide des Unerforſchlichen höher 

zu achten, als den Sinn der Erdel 

Einft blickte die Seele verächtlich auf den Leib: 
und damals war diefe Verachtung das Höchſte: — fie 
wollte ihn mager, gräßlich, verhungert. So dadte fie 
ihm und der Erde zu entfchlüpfen. 

Oh diefe Seele war felber noch mager, gräßlich 
und verhungert: und Grauſamkeit war die Wolluft diefer 
Seelel 

Aber aud ihre no, meine Brüder, fprecht mir: 
was fündet euer Leib von eurer Seele? Iſt eure Seele 
nicht Armuth und Schmutz und ein erbärmlihes Be 
hagen? 

Wahrlich, ein ſchmutziger Strom ift der Menſch. 
Man muß fchon ein Meer fein, um einen fhmutigen 
Strom aufnehmen zu können, ohne unrein zu werden. 

Seht, ich lehre euch den Übermenfchen: der ift 
dies Meer, in ihm kann eure große Derachtung unter- 
gehn. 

Was ift das Brößte, das ihr erleben könnt? Das 
ift die Stunde der großen Verachtung. Die Stunde, In 
der euch auch euer Glück zum Efel wird und ebenfo 
eure Dernunft und eure Tugend. 

Die Stunde, wo ihr fagt: „Was liegt an meinem 
Glüdel Es ift Armuth und Schmuß und ein erbärm- 
lihes Behagen. Aber mein Glück follte das Dafein 
felber rechtfertigen!“ 

Die Stunde, wo ihr fagt: „Was liegt an meiner 


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14 


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Dernunftl Begehrt fie nah Wiffen wie der Löwe nad 


feiner Nahrung? Sie iſt Armuth und Schmuß und ein 
erbärmliches Behagen!” 

Die Stunde, wo ihr fagt: „Was liegt an meiner 
Tugend! No hat fie mich nicht rafen gemadt. Wie 
mũde bin ich meines Guten und meines Böfen! Alles das 
ift Armuth und Schmuß und ein erbärmliches Behagen!* 

Die Stunde, wo ihr fagt: „Was liegt an meiner 
Gerechtigkeit! Ich fehe nicht, daß ich Gluth und Kohle 
wäre. Aber der Gerede ift Gluth und Kohlel“ 

Die Stunde, wo ihr fagt: „Was liegt an meinem 
Mitleiden! Iſt nicht Mitleid das Kreuz, an das Der 
genagelt wird, der die Mlenfchen liebt? Aber mein 
Mitleiden ift feine Krenzigung.“ 

Spradt ihr fon fo? Schriet ihr fhon fo? Ach, 
daß ich euch ſchon fo fchreien gehört hättel 

Qiht eure Sünde — eure Genügfamteit ſchreit 
gen Himmel, euer Geiz ſelbſt in eurer Sünde ſchreit 
gen Himmel! 

Wo ift doch der Blig, der euch mit feiner Sunge 
lecked Wo tft der Wahnfinn, mit dem ihr geimpft 
werden müßtet? 

Seht, ich lehre euch den Übermenſchen: der iſt 
diefer Bliß, der ift diefer Wahnfinn! — 

Als Sarathuftra fo gefprochen hatte, fchrie Einer aus 
dem Dolfe: „Wir hörten nun genug von dem Seiltänzer; 
nun laßt uns ihn auch fehen!“ Und alles Dolf lachte 
über Sarathuftra. Der Seiltänzer aber, welcher glaubte, 
dag das Wort ihm gälte, madte fich an fein Werk. 

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Sarathuftra aber fahe das Doll an und wunderte 
fi. Dann ſprach er alfo: 

Der Menfh iſt ein Seil, gefnüpft zwifchen hier 
und Übermenfh, — ein Seil über einem Abgrunde. 

Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches Auf-dem- 
Wege, ein gefährliches Zurückblicken, ein gefährliches 
Schaudern und Stehenbleiben. 

Was groß ift am Menſchen, das ift, daß er eine 
Brüde und Fein Zweck ift: was geliebt werden kann 
am Menfchen, das ift, daß er ein Übergang und ein 
Untergang if. 

Ich liebe Die, welche nicht zu leben wiffen, es fei 
denn als Untergehende, denn es find die Hinüber—⸗ 
gehenden. 

Ich liebe die großen Deradıtenden, weil fie die 
großen Derehrenden find und Pfeile der Sehnſucht 
nach dem andern Ufer. 

Ich liebe Die, welche nicht erft hinter den Sternen 
einen Grund fuchen, unterzugehen und Opfer zu fein: 
fondern die ſich der Erde opfern, daß die Erde einft 
des Übermenfchen werde. 

Ic liebe Den, welcher lebt, damit er erkenne, und 
welcher erfennen will, damit einft der Übermenſch 
lebe. Und fo will er feinen Untergang. 

Ich liebe Den, welcher arbeitet und erfindet, daß 
er dem Übermenfhen das Baus baue und zu ihm 
* Chier und Pflanze vorbereite: denn fo will er 


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Ich liebe Den, welcher ſeine Tugend liebt: denn 
Tugend iſt Wille zum Untergang und ein Pfeil der 
Sehnſucht. 

Ich liebe Den, welcher nicht einen Tropfen Geiſt 
für ſich zurückbehält, ſondern ganz der Geiſt ſeiner 
Tugend ſein will: ſo ſchreitet er als Geiſt über die 
Brücke. 

Ich liebe Den, welcher aus ſeiner Tugend ſeinen 
Hang und ſein Verhängniß macht: ſo will er um ſeiner 
Tugend willen noch leben und nicht mehr leben. 

Ich liebe Den, welcher nicht zu viele Tugenden 
haben will. Eine Tugend iſt mehr Tugend als zwei, 
weil fie mehr Knoten iſt, an den fi} das Derhängniß 
hängt. 

Ich liebe Den, deffen Seele fich verfchwendet, der 
nicht Dank haben will und nicht zurückgiebt: denn er 
fchenft immer und will fi nicht bewahren. 

Ich liebe Den, welcher ſich fhämt, wenn der 
Würfel zu feinem Glüde fällt und der dann fragt: 
bin ih denn ein falfcher Spieler? — denn er will zu 
Grunde gehen. 

Ich liebe Den, welcher goldne Worte feinen Chaten 
voraus wirft und immer nod mehr hält, als er ver 
fpricht: denn er will feinen Untergang. 

Ic liebe Den, welcher die Sufünftigen rechtfertigt 
und die Dergangenen erlöft: denn er will an den Gegen⸗ 
wärtigen zn Grunde gehen. 

Ich liebe Den, weldyer feinen Gott züdhtigt, weil 
er feinen Gott liebt: denn er muß am Zorne feines 
Gottes zu Grunde gehen. 








Alfo ſprach Zarathuftra. 17 2 


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Ich liebe Den, deflen Seele tief ift auch in der 
Derwundung, und der an einem kleinen Erlebnifje zu 
Grunde gehen kann: fo geht er gerne über die Brüde. 

Ich liebe Den, deffen Seele übervoll if, fo daß 
er fich felber vergißt, und alle Dinge in ihm find: fo 
werden alle Dinge fein Untergang. 

Ich liebe Den, der freien Geiftes und freien Herzens 
ift: fo ift fein Kopf nur das Eingeweide feines Ejerzens, 
fein Herz aber treibt ihn zum Untergang. 

Ich liebe alle Die, welche wie ſchwere Tropfen 
find, einzeln fallend aus der dunklen Wolke, die über 
den Menſchen hängt: fie verfündigen, daß der Blitz 
fommt, und gehn als Derfündiger zu Grunde. 

Seht, ih bin ein Derkündiger des Blitzes und ein 
fehwerer Tropfen aus der Wolke: diefer Blig aber 
heißt ÜUbermenſch. — 

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Als Sarathuftra diefe Worte gefprochen hatte, fahe 
er wieder das Dolf an und fhwieg „Da flehen fie“, 
ſprach er zu feinem Herzen, „da lachen fie: fie verſtehen 
mich nicht, ich bin nicht der Mund für diefe Ohren. 

Muß man ihnen erft die Ohren zerfchlagen, daß 
fie lernen, mit den Augen hören? Muß man raffeln 
gleih Paufen und Bußpredigern? Oder glauben fie 
nur dem Stammelnden? 

Sie haben Etwas, worauf fie flolz find. Wie nennen 
fie es doch, was fie ftolz mat? Bildung nennen fies, 


es zeichnet ſie aus vor den Ziegenhirten. 


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! Drum hören fie ungern von fi das Wort „Der- 

| achtung“. So will ich denn zu ihrem Stolze reden. 

| So will id ihnen vom Derädtlichfien fprechen: 

| das aber ift der legte Menſch.“ 

| Und alfo ſprach Sarathuftra zum Volke: 

j Es ift an der Seit, daß der Menfch fi fein Siel 

fiede. Es ift an der Seit, daß der Menſch den Keim 

feiner höchften Hoffnung pflanze. 

i Noch if fein Boden dazu reich genug. Aber diefer 

' Boden wird einft arm und zahm fein, und Fein hoher 

Baum wird mehr aus ihm wacfen fönnen. 

| Wehel Es fommt die Seit, wo der Menſch nicht 

H mehr den Pfeil feiner Sehnfuht über den Mlenfchen 

hinauswirft, und die Sehne feines Bogens verlernt hat, / 

| zu fchwirren! 

Ih fage euh: man muß noh Chaos in fidh 
| haben, um einen tanzenden Stern gebären zu Fönnen. 

Ich fage euch: ihr habt noch Ehaos in end. 
| Wehel Es fommt die Seit, wo der Menſch Feinen 

Stern mehr gebären wird. Wehel Es fommt die Zeit 
| des verächtlichſten Menfchen, der fich felber nicht mehr 

verachten kann. 
| Seht ich zeige euch den legten Menſchen. 

„Was ift Liebe? Was ift Schöpfung? Was ift 
| Sehnfuht? Was ift Stern?" — fo fragt der lebte 
Menſch und blinzelt. 

Die Erde ift dann klein geworden, und auf ihr 
hüpft der letzte Menſch, der Alles Plein madt. Sein 
Geſchlecht ift unaustilgbar wie der Erdfloh; der letzte 
Menſch lebt am längften, 


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„Wir haben das Glück erfunden“ — ſagen die 
letzten Menſchen und blinzeln. 

Sie haben die Gegenden verlaſſen, wo es hart war zu 
leben: denn man braucht Wärme. Man liebt noch den 
Nachbar und reibt ſich an ihm: denn man braucht Wärme. 

Kranf- werden und Mißtranen-haben gilt ihnen 
fündhaft: man geht achtſam einher. Ein Thor, der 
noch über Steine oder Mlenfchen ftolpertl 

Ein wenig Gift ab und zu: das macht angenehme 
Träume, Und viel Gift zuleßt, zu einem angenehmen 
Sterben. 

Man arbeitet noch, denn Arbeit ift eine Unter- 
haltung. Aber man forgt, daß die Unterhaltung nicht 
angreife, 

Man wird nicht mehr arm und reich: Beides ift 
zu befhwerlid. Wer will noch regieren? Wer nod 
gehorhen? Beides ift zu befchwerlid. 

Kein Hirt und Eine Heerdel Jeder will das Gleiche, 
Jeder ift gleich: wer anders fühlt, geht freiwillig in’s 
Irrenhaus. 

„Ehemals war alle Welt irre” — fagen die Seinften 
und blinzeln. 

Man ift klug und weiß Alles, was geſchehn ift: 
fo hat man kein Ende zu fpotten. Man zankt fich 
noh, aber man verföhnt fi bald — fonft verdirbt es 
den Magen. 

Man hat fein Lüfthen für den Tag und fein 
Küftchen für die Nacht: aber man ehrt die Befundheit, 

„Wir haben das Glück erfunden” — fagen die 
legten Menſchen und blinzeln. — 


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Und hier endete die erſte Rede Sarathuftra’s, welche 
man auch „die Dorrede” heißt: denn an diefer Stelle 
unterbrach ihn das Gefchrei und die £uft der Menge. 
„Bieb uns diefen letzten Mlenfchen, oh Sarathuftra, — 
fo riefen fie — made uns zu diefen letzten Menfchen! 
So fchenfen wir dir den Übermenfhen!“ Und alles 
Volk jubelte und fchnalzte mit der Zunge. Sarathuftra 
aber wurde traurig und fagte zu feinem Herzen: 

„Sie verftehen mich nicht: ich bin nicht der Mund 
für diefe Ohren. 

Su lange wohl lebte ich im Gebirge, zu viel horchte 
ih auf Bäche und Bänme: nun rede ich ihnen gleich 
den Siegenhirten. 

Unbewegt ift meine Seele und hell wie das Ge⸗ 
birge am Vormittag. Aber fie meinen, ich fei kalt 
und ein Spötter in furchtbaren Späßen. 

Und nun bliden fie mih an und lachen: und 
indem fie lachen, haſſen fie mich noch. Es ift Eis in 
ihrem Laden.“ 


6. 


Da aber geihah Etwas, das jeden Mund ſtumm 
und jedes Ange ftarr machte. Inzwifchen nämlidy hatte 
der Seiltänzer fein Werk begonnen: er war aus einer 
Meinen Chür hinausgetreten und gieng über das Seil, 
welches zwifchen zwei Chürmen gefpannt war, alfo, 
da es über dem Markt und dem Dolfe hieng. Als 
er eben in der Mitte feines Weges war, öffnete ſich 
die Fleine Thür noch einmal, und ein bunter Gefell, 


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einem JPoffenreißer gleich, fprang heraus und gieng 
mit fchnellen Schritten dem Erften nad. „Dormwärts, 
Sahmfuß, rief feine fürchterliche Stimme, vorwärts Faul⸗ 
thier, Scleihhändler, Bleichgefihtl Daß ih dich nit | 
| mit meiner Ferſe kitzlel Was treibft du hier zwifchen | 
Chürmen? In den Churm gehörft du, einfperren ſollte 
man dich, einem Beſſern, als du bift, fperrft du die 
| freie Bahn!” — Und mit jedem Worte fam er ihm 
| näher und näher: als er aber nur noch einen Schritt 
| hinter ihm war, da gefchah das Erfchredlliche, das jeden 
| Mund ſtumm und jedes Auge ftarr machte: — er ſtieß 
| ein Gefchrei aus wie ein Teufel und fprang über Den | 
| hinweg, der ihm im Wege war. Diefer aber, als er fo | 
feinen Xebenbuhler fiegen fah, verlor dabei den Kopf | 
und das Seil; er warf feine Stange weg und ſchoß 
fhneller als diefe, wie ein Wirbel von Armen und 
Beinen, in die Tief. Der Markt und das Dolf glich 
dem leere, wenn der Sturm hineinfährt: Alles floh aus 
einander und Über einander, und am meiften dort, wo 
der Körper niederichlagen mußte. 
Sarathuftra aber blieb ftehen, und gerade neben 
ihn fiel der Körper hin, übel zugerichtet und zerbrochen, 
aber noch nicht todt. Nach einer Weile fam dem Zer- 
fchmetterten das Bemwußtfein zurüf, und er fah Fara⸗ 
thuftra neben fih knieen. „Was madıft du da? fagte 
| er endlich, ich wußte es lange, daf mir der Teufel ein 
| Bein ftellen werde. Nun fchleppt er mich zur Hölle: 
willſt du's ihm wehren?“ 

„Dei meiner Ehre, Freund, antwortete Sarathuftra, 
das giebt es Alles nicht, wovon du fprichft: es giebt 





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feinen Teufel und Feine Hölle. Deine Seele wird j 
noch ſchneller todt fein als dein Leib: fürchte nun 
Nichts mehr!” | 1 

Der Mann blidte mißtranifh auf. „Wenn du die 
Wahrheit fprihft, fagte er dann, fo verliere ich Nichts, \ 
wenn ich das Leben verliere. Ich bin nicht viel mehr :; 
als ein Thier, das man tanzen gelehrt hat, durch Schläge 1. 
und fchmale Biffen.“ f 

‚Nicht doch, ſprach Sarathuftra; du haft aus der 1: 
Gefahr deinen Beruf gemacht, daran ift Nichts zu ver- f 
achten. Nun gehft du an deinem Beruf zu Grunde: i 
dafür will ich dich mit meinen Händen begraben.“ j 

Als Sarathuftra dies gefagt hatte, antwortete der 
Sterbende nicht mehr: aber er bewegte die Fand, wie 
als ob er die Hand Zarathuftra’s zum Danke ſuche. — 


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7. 


Inzwifhen fam der Abend, und der Markt barg 
ſich in Dunkelheit: da verlief fi das Volk, denn felbft 
ı  Mengierde und Schreden werden müde. Harathuftra 
aber faß neben dem Todten anf der Erde und war in 
Gedanken verfunfen: fo vergaß er die Zeit. Endlich . 
aber wurde es Nacht, und ein Falter Wind blies über || 
den Einfamen. Da erhob fi Sarathuftra und fagte ii 
zu feinem Berzen: 

„Wahrlich, einen ſchönen Sifhfang that heute Zara ni 
thuftra! Keinen Menſchen fieng er, wohl aber einen — 
Leichnam. 


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Unheimlih if das menſchliche Dafein und immer 
noch ohne Sinn: ein Poffenreifer kann ihm zum Der- 
hängniß werden. 

Ich will die Menfchen den Sinn ihres Seins Ichren: 
welcher ift der Übermenfh, der Blitz ans der dunklen 
Wolfe Menid. 

Aber noch bin ich ihnen ferne, und mein Sinn 
redet nicht zu ihren Sinnen. Eine Mitte bin ich noch den 
Menſchen zwifchen einem Narren und einem Leichnam. 

Dunfel ift die Nacht, dunkel find die Wege Zara- 
thuflra’s. Komm, du Falter und fteifer Gefährtel Ich 
trage dich dorthin, wo ich dich mit meinen Bänden 
begrabe.” 


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8. 


Als Sarathuftra dies zu feinem Herzen geſagt 
hatte, lud er den Leihnam auf feinen Nüden und 
madıte fih auf den Weg. Und nod nit war er 
hundert Schritte gegangen, da fhlih ein Menfh an 
ihn heran und flüfterte ihm in’s Ohr — und fiehel 
Der, welcher redete, war der Poffenreiger vom Thurme. 
„Beh weg von diefer Stadt, oh Sarathuftra, fprady er; 
es haffen dich hier zu Diele. Es haffen dich die Guten 
und Gerechten, und fie nennen dich ihren Feind und 
Derädter; es haffen dich die Gläubigen des rechten 
Glanbens, und fie nennen dich die Gefahr der Menge, 
Dein Glück war es, daß man über dich lachte: und 
wahrlih, du redeteft gleich einem Poffenreißger. Dein 


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Glück war es, dag du dich dem todten Bunde gefell- 
teſt; als du dich fo erniedrigteft, haft du dich felber 
für heute errette. Geh aber fort aus diefer Stadt — 
oder morgen fpringe ich über dich hinweg, ein Leben- 
diger über einen Lodten.” Und als er dies gefagt 
hatte, verfhwand der Menſch; Sarathuftra aber gieng 
weiter durch die dunklen Gaſſen. 

Am Thore der Stadt begegneten ihm die Todten- 
gräber: fie lenchteten ihm mit der Fackel in’s Geſicht, 
erfannten Sarathuflra und fpotteten fehr über ihn. 
„Harathuftra trägt den todten Hund davon: brav, daß 
Sarathuftra zum Todtengräber wurdel Denn unfere 
Hände find zu reinli für diefen Braten. Will Sara- 
thuftea wohl dem Teufel feinen Biffen fielen? Aun 
wohlanl Und gut Glüd zur Mahleitl Wenn nur 
nicht der Teufel ein befferer Dieb ift als Sarathuftral — 
er fttehlt fie Beide, er frißt fie Beidel” Und fie lachten 
mit einander und ftediten die Köpfe zuſammen. 

Sarathuftra fagte dazu Fein Wort und gieng feines 
Weges. Als er zwei Stunden gegangen war, an Wäldern 
und Sümpfen vorbei, da hatte er zu viel das hungrige 
Gehen! der Wölfe gehört, und ihm felber fam der 
Bunger. So blieb er an einem einfamen Haufe ftehn, 
in dem ein Licht brannte. 

„Der Hunger überfällt mich, fagte Sarathuftra, wie 
ein Räuber. In Wäldern und Sümpfen überfällt mid 
mein Hunger, und in tiefer acht. 

Wunderliche Launen hat mein Hunger. Oft fommt 
er mir erft nach der Mahlzeit, und heute fam er den 
ganzen Tag nicht: wo weilte er doch?” 


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Und damit flug Sarathuftra an das Chor des 
Banfes. Ein alter Mann erfchien; er trug das Licht 
und fragte: „Wer fommt zu mir und zu meinem 
fhlimmen Scjlafe?“ 

„Ein Kebendiger und ein Todter, fagte Sarathuflra. 
Gebt mir zu eſſen und zu trinfen, idy vergaß es am 
Tage. Der, welder den Hungrigen fpeifet, erquickt 
feine eigene Seele: fo fpricht die Weisheit.“ 

Der Alte gieng fort, fam aber gleich zurüd und 
bot Zarathuſtra Brod und Wein. „Eine böfe Gegend 
iſts für Hungernde, fagte er; darum wohne ich hier. 
Chier und Menſch Tommen zu mir, dem Einfiedler. 
Aber heiße aud deinen Gefährten eſſen und trinken, 
er ift müder als du." Zarathuftra antwortete: „Lodt ift 
mein Gefährte, ich werde ihn ſchwerlich dazu überreden.“ 
„Das geht mich Nichts an, fagte der Alte mürriſch; wer 
an meinem Haufe anflopft, muß auch nehmen, was ich 
ihm biete. Et und gehabt euch wohl!" — 

Darauf gieng Sarathuftra wieder zwei Stunden und 
vertraute dem Wege und dem Lichte der Sterne: denn 
er war ein gewohnter Nacdıtgänger und liebte es, allem 
Schlafenden in’s Gefiht zu fehn. Als aber der Morgen 
graute, fand fih Sarathuftra in einem tiefen Walde, 
und Fein Weg zeigte fit ihm mehr. Da legte er den 
Codten in einen hohlen Baum fih zu Häupten — denn 
er wollte ihn vor den Wölfen fchügen — und fich 
felber auf den Boden und das Moos. Und alsbald 
[lief er ein, müden Xeibes, aber mit einer r unbewegten 
Seele, | 


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9. 


Sange ſchlief Zarathuſtra, und nicht nur die Mor⸗ 
genröthe gieng über fein Antlig, fondern auch der 
Dormittag. Endlich aber that fein Auge fih auf: 
verwundert fah Sarathuftra in den Wald und die Stille, 
verwundert fah er in fidy hinein. Dann erhob er fich 
ſchnell, wie ein Seefahrer, der mit Einem Male Land 
fieht, und jauchzte: denn er fah eine neue Wahrheit. 
Und alfo redete er dann zu feinem Herzen: 

Ein Licht gieng mir auf: Gefährten brauche ich, 
und lebendige, — nicht todte Gefährten und Leichname, 
die ich mit mir trage, wohin ich will, 

Sondern lebendige Gefährten brauche ich, die mir 
folgen, weil fie fich felber folgen wollen — und dort. 
hin, wo ih will. 

Ein Licht gieng mir auf: nicht zum Dolfe rede 
Sarathuftra, fondern zu Gefährten! Nicht foll Sarathuftra 
einer Heerde Hirt und Bund werden! 

Diele wegzuloden von der Heerde — dazu Fam 
ih. Zürnen foll mir Dolf und Heerde: Räuber will 
Zarathuſtra den Hirten heißen. 

Hirten fage ih, aber fie nennen fih die Guten 
und Gerechten. Hirten fage ich: aber fie nennen fid 
die Gläubigen des rechten Glaubens. 

Siehe die Guten und Gerechten! Wen haffen fie 
am meiften? Den, der zerbricht ihre Tafeln der Werthe, 
den Brecher, den Derbreher: — das aber ift der 
Scaffende. 

Siehe die Gläubigen aller Glauben! Wen haffen fie 


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| am meiften? Den, der zerbricht ihre Tafeln der Werthe, 


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den Brecher, den Verbrecher: — das aber iſt der 
Schaffende. 

Gefährten ſucht der Schaffende und nicht Leich⸗ 
name, und auch nicht Bieerden und Gläubige. Die 
Mitfchaffenden fucht der Schaffende, Die, welche neue 
Werthe auf neue Tafeln fchreiben. 

Gefährten fucht der Schaffende, und Miterntende: 
denn Alles fteht bei ihm reif zur Ernte. Aber ihm 
fehlen die hundert Sicheln: fo rauft er Ähren aus und 
ift ärgerlich. 

Gefährten fucht der Schaffende, und foldhe, die 
ihre Sicheln zu wegen wiſſen. Dernichter wird man 
fie heißen und Deräcter des Guten und Böfen. Aber 
die Erntenden find es und die Feiernden. 

mitfhaffende fucht Sarathuftra, Miterntende und 
Mitfeiernde fucht Sarathuftra: was hat er mit Heerden 
und Hirten und Leichnamen zu fchaffen! 

Und du, mein erfter Gefährte, gehab dich wohl! 
Gut begrub ich dich in deinem hohlen Baume, gut 
barg ich dich vor den Wölfen. 

Aber ich fcheide von dir, die Seit ift um. Zwiſchen 
Morgenröthe und Morgenröthe fam mir eine neue 
Wahrheit. 

Nicht Hirt foll ich fein, nicht Todtengräber. Licht 
reden einmal will idy wieder mit dem Volke; zum 
legten Male fprach ich zu einem Todten. 

Den Schaffenden, den Erntenden, den Seiernden 
will ih mich zugefellen: den Regenbogen will ich 
ihnen zeigen und alle die Treppen des Übermenfcen. 


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Den Einfiedlern werde ich mein Lied fingen und 
den Sweifledlern; und wer noch Ohren hat für Uner- 
hörtes, dem will ich fein Herz fchwer maden mit 
meinem Glüde. 

Zu meinem Siele will ich, ich gehe meinen Gang; 
über die Högernden und Saumfeligen werde ich hinweg- 
fpringen. Alfo fei mein Gang ihr Untergang! 


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10. 

Dies hatte Sarathuftra zu feinem Berzen ge- 
fprochen, als die Sonne im Mittag ftand: da blickte er 
fragend in die Höhe — denn er hörte über fich den 
ſcharfen Ruf eines Dogels. Und fiehel Ein Adler 309 
in weiten Kreifen dur die Luft, und an ihm hieng 
eine Schlange, nicht einer Beute gleich, fondern einer 
Freundin: denn fie hielt fih um feinen Hals geringelt. 

„Es find meine Thierel” fagte Sarathuftra und 
freute fich von Herzen. 

Das ftolzefte Chier unter der Sonne und das 
Mügfte Chier unter der Sonne — fie find ausgezogen 
auf Kundihaft. 

Erfunden wollen fie, ob Zarathuſtra noch. lebe. 
Wahrlich, lebe ich noch? 

Gefährlicher fand ich's unter Menfchen als unter 
Chieren, gefährlihe Wege geht Sarathuftra. Mögen 
mich meine Chiere führen!” 

Als Sarathuftra dies geſagt hatte, gedachte er der 
Worte des Heiligen im Walde, fenfzte und fprach aljo 
3u feinem Kerzen: 


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Möchte ich klüger ſein! Möchte ich klug von 
Grund aus fein, gleich meiner Schlangel 

Aber Unmögliches bitte ich da: fo bitte ich denn 
meinen Stolz, daß er. immer mit meiner Klugheit gehel 


Und wenn mid einft meine Klugheit verläßt: 


— ad, fie liebt es davonzufliegen! — möge mein Stolz 
dann noch mit meiner Chorheit fliegen! — 


— Alfo begann Sarathuftra’s Untergang, 


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Die Reden 


Harathuftra’s, 


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Don den drei Derwandlungen. 





Drei Derwandlungen nenne ich euch des Geiftes: 
wie der Geiſt zum Kameele wird, und zum Löwen das 
Kameel, und zum Kinde zuleßt der Löwe. 

Dieles Schwere giebt es dem Geiſte, dem ftarfen, 
tragfamen Geifte, dem Ehrfurcht innewohnt: nach dem 
Schweren und Schwerften verlangt feine Stärke, 

Was ift fhwer? fo fragt der tragfame Geift, 
fo Iniet er nieder, dem Kameele gleih, und will gut 
beladen fein. 

Was ift das Schwerfte, ihr Helden? fo fragt der 
tragfame Geiſt, daß ich es auf mich nehme und meiner 
Stärfe froh werde. 

Iſt es nicht das: ſich erniedrigen, um feinem Hoch⸗ 
muth wehe zu thun? Seine Thorheit leuchten laſen, 
um feiner Weisheit zu ſpotten? 

Oder ift es das: von unferer Sache fcheiden, wenn 
fie ihren Sieg feiert? Auf hohe Berge fteigen, um 
den Derfucher zu verfuchen? 

Oder ift es das: fih von Eiheln und Gras der 
Erfenntnig nähren und um der Wahrheit willen an 
der Seele Hunger leiden? 


Alfo ſprach Zarathuftra. 33 3 





2 


Oder iſt es das: krank ſein und die Tröſter heim⸗ 
ſchicken und mit Tauben Freundſchaft ſchließen, die 
niemals hören, was du willft? . 

Oder ift es das: in ſchmutziges Waſſer fleigen, 
wenn es das Wafjer der Wahrheit ift, und Falte Fröfche 
und heiße Kröten nicht von ſich weifen? 


Oder ift es das: Die lieben, die uns verachten, und 
dem Gefpenfte die Hand reichen, wenn es uns fürchten 
maden will? 

Alles dies Schwerfte nimmt der tragfame Geift 
auf fih: dem Hameele glei, das beladen in die 
Wüſte eilt, alfo eilt er in feine Wüſte. 

Aber in der einfamften Wüfte gefchieht die zweite 
Derwandlung: zum Löwen wird hier der Geift, Freiheit 
will er ſich erbeuten und Herr fein in feiner eignen 
Wüſte. | 

Seinen lebten Herrn fucht er fih hier: feind will | 
er ihm werden und feinem letzten Gotte, um Sieg will 
er mit dem großen Draden ringen. 


Weldes ift der große Drache, den der Geiſt nicht 
mehr Herr und Gott heißen mag? „Du-follii“ heißt 
der große Drake. Aber der Geift des Löwen fagt 
„ih will”, 

„Du-follft" liegt ihm am Wege, goldfunfelnd, ein 
Schuppenthier, und auf jeder Schuppe‘ glänzt golden 
„Du-follitl“ 

CTaufendjährige Werthe glänzen an diefen Schup- 
pen, und alfo ſpricht der mächtigfte aller Draden: 
„aller Werth der Dinge — der glänzt an mir.“ 





5% 





„ler Werth ward fchon gefchaffen, und aller 
gefhaffene Werth — das bin ih. Wahrlih, es foll 
fein „Ich will“ mehr geben!" Alfo fpricht der Drache. 

Meine Brüder, wozu bedarf es des Löwen im 
Geifter Was genügt nicht das laftbare hier, das ent 
fagt und ehrfürdtig ift? | 

VNeue Werthe fchaffen — das vermag andy der 
Löwe noch nicht: aber Freiheit fih fchaffen zu neuem 
Schaffen — das vermag die Macht des Löwen. 

Sreiheit fih fhaffen und ein heiliges Nein auch 
vor der Pfliht: dazu, meine Brüder, bedarf es des 


Lõwen. 


Recht ſich nehmen zu neuen Werthen — das iſt 
das furchtbarſte Nehmen für einen tragſamen und ehr⸗ 
fürchtigen Geiſt. Wahrlich, ein Rauben iſt es ihm. und 
eines raubenden CThieres Sache. 

Als fein Heiligſtes liebte er einſt das „Du ⸗ſollſt“: 
nun muß er Wahn und Willfür auch noch im Beilig- 
ften finden, daß er ſich Freiheit raube von feiner Liebe: 
des Löwen bedarf es zu diefem Raube. 

Aber fagt, meine Brüder, was vermag noch das 
Kind, das au der Löwe nicht vermodhte? Was muß 
der raubende Löwe auch noch zum Kinde werden ? 

Unſchuld ift das Kind und Dergeflen, ein Neu—⸗ 
beginnen, ein Spiel, ein aus ſich rollendes Rad, eine 
erfte Bewegung, ein heiliges Ja-fagen. 

Ja, zum Spiele des Schaffens, meine Brüder, bedarf 
es eines heiligen Ja-fagens: feinen Willen will nun 
der Geift, feine Welt gewinnt fi} der Weltverlorene. 





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Drei Derwandlungen nannte ich euch des Beiftes: 
wie der Geiſt zum Kameele ward, und zum Löwen das 
Kameel, und der Löwe zulegt zum Kinde. — 


Alfo ſprach Sarathuftra. Und damals weilte er in 
der Stadt, welche genannt wird: die bunte Kuh, 


56 





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Don den Lehrſtühlen der Tugend. 





Man rühmte Zarathuſtra einen Weiſen, der gut 
vom Schlafe und von der Tugend zu reden wiſſe: fehr 
werde er geehrt und gelohnt dafür, und alle Jünglinge 
fäßen vor feinem Lehrſtuhle. Su ihm gieng Sarathuftra, 
und mit allen Jünglingen faß er vor feinem Lehrſtuhle. 
Und alfo fprady der Weife: 

Ehre und Scham vor dem Schlafel Das ift das 
Erftel Und Allen aus dem Wege gehn, die fhlecht 
fhlafen und Nadıts wachen! 

Schamhaft ift noch der Dieb vor dem Schlafe: ftets 
ftiehlt er fidh leife durch die Nacht. Schamlos aber ift 
der Wächter der Nacht, fchamlos trägt er fein Horn. 

Keine geringe Kunft ift fchlafen: es thut fchon 
noth, den ganzen Tag darauf hin zu wachen. 

Zehn Mal mußt du des Tages dich felber über- 
winden: das macht eine gute Müdigkeit und ift Mohn 
der Seele, Ä 

Zehn Mal mußt du dich wieder mit dir felber ver- 
föhnen; denn Überwindung ift Bitterniß, und ſchlecht 
[hläft der Unverföhnte, 


57 





Zehn Wahrheiten mußt du des Tages finden: fonft 
fuhft du noch des Nachts nah Wahrheit, und deine 
Seele blieb hungrig. 

Sehn Mal mußt du lahen am Tage und heiter 
fein: fonft ftört di der Magen in der Nacht, diefer 
Dater der Trübfal. 

Wenige wiffen das: aber man muß alle Tugenden 
haben, um gut zu fchlafen. Werde ich falſch Zeng⸗ 
niß reden? Werde ich ehebrechen ? 

Werde ich mid gelüften laffen meines Nächſten 
MagdP Das Alles vertrüge ſich fchleht mit gutem 
Schlafe. 

Und felbft wenn man alle Tugenden hat, muß 
man fih no auf Eins verftehen: felber die Tugenden 
zur rechten Seit fchlafen ſchicken. 

Daß fie fi} nicht mit einander zanfen, die artigen 
Weiblein! Und über dih, du Unglücfeliger! 

Friede mit Gott und dem Nachbar: fo will es der 
gute Schlaf. Und Friede auch noch mit des Nachbars 
Teufell Sonft geht er bei dir des Nachts um. 

Ehre der Obrigkeit und Gehorfam, und auch der 
frummen Obrigkeit! So will es der gute Schlaf. Was 
fann ih dafür, daß die Macht gerne auf krummen 
Beinen wandelt ? 

Der foll mir immer der befte Hirt heißen, der 
fein Schaf anf die arünfte Aue führt: fo verträgt es 
fih mit gutem Schlafe. 

Diel Ehren will ich nicht, noch große Schäße: das 
entzündet die Milz. Aber fchlecht fchläft es ſich ohne 
einen guten Namen und einen Kleinen Schatz. 





58 





Eine Feine Gefellfhaft ift mir willlommener als 
eine böje: doch muß fie gehn und fommen zur rechten 
Seit. So verträgt es fih mit gutem Schlafe. 

Sehr gefallen mir auch die Beiftig-Armen: fie 
fördern den Schlaf. Selig find die, fonderlich wenn 
man ihnen immer Nedt giebt. 

Alfo läuft der Tag dem Tugendfamen. Kommt 
nun die acht, fo Hüte ich mich wohl, den Schlaf zu 
rufen! Nicht will er gerufen fein, der Schlaf, der der 
Herr der Tugenden ift! 

Sondern ich denfe, was ich des Tages gethan und 
gedacht, Wiederfäuen® frage ich mich, geduldfam 
gleih einer Kuh: weldhes waren doch deine zehn 
Überwindungen ? 

Und weldyes waren die zehn Derföhnungen und 
die zehn Wahrheiten und die zehn Gelächter, ‚mit denen 
ſich mein Herz gütlich that? 

Solderlei erwägend und gewiegt von vierzig Ge— 
danfen, überfällt mich auf einmal der Schlaf, der Un- 
gernfene, der Herr der Tugenden. 

Der Schlaf klopft mir auf mein Auge: da wird es 
fhwer. Der Schlaf berührt mir den Mund: da bleibt 
er offen. 

Wahrlih, auf weichen Sohlen fommt er mit, der 
fiebfte der Diebe, und ftiehlt mir meine Gedanken: 
dumm fiehe ich da wie diefer Kehrftuhl. 

Aber nicht lange mehr ftehe ich dann: da liege 
ich fon. — 

Als Sarathuftra den Weifen alfo fprechen hörte, 
lachte er bei fich im Herzen: denn ihm war dabei ein 





59 


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Cicht aufgegangen. Und alſo ſprach er zu feinem 

Herzen: 

| Ein Narr ift mir diefer Weife da mit feinen vier- 

| zig Gedanken: aber ich glaube, daß er fi wohl auf 

ı das Schlafen verfteht. 

| Glücklich fon, wer in der Nähe diefes Meilen 
wohnt: Solh ein Schlaf ftedt an, noch duch eine 

| die Wand hindurch fledt er an. 

Ein Sauber wohnt felbft in feinem £ehrftuhle 

| Und nicht vergebens faßen die Jünglinge vor dem 

ı Prediger der Tugend. 

Seine Weisheit heißt: wachen, um gut zu fchlafen. 

Und wahrlidy, hätte das Leben feinen Sinn, und müßte 


warmen 


ih Unfinn wählen, fo wäre audy mir dies der wählens- 
würdigfte Unfinn. 

Jetzo verfiehe ich Far, was einft man vor Allem 
fuchte, wenn man Lehrer der Tugend fuhte Guten 
Schlaf fuchte man fi und mohnblumige Tugenden dazu! 

Allen diefen gelobten Weifen der Lehrftühle war 
Weisheit der Schlaf ohne Träume: fie fannten feinen 
befjern Sinn des Lebens. 


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| Aud noch heute wohl giebt es Einige, wie diefen 
ı Prediger der Tugend, und nicht immer fo Ehrlie: 
| aber ihre Seit ift um. Und nicht mehr lange fliehen 
ſie noch: da liegen fie fchon. 

Selig find diefe Schläfrigen: denn fie follen bald 
einniden. — 


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| | Alfo ſprach Sarathuftra. 
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Don den Binterweltlern. 





Einft warf auch Sarathuftra feinen Wahn jenfeits des 
Menfchen, gleich allen Binterweltlern. Eines leidenden 
und zerquälten Gottes Wert fchien mir da die Welt. 

Traum fchien mir da die Welt, und Dichtung eines 
Gottes; farbiger Rauch vor den Augen eines göttlich 
Unzufrieönen. 

Gut und böfe und Luft und Leid und Sch und Du 
— farbiger Rauch dünkte mich's vor fchöpferifchen 
Augen. Wegfehn wollte der Schöpfer von fi, — da 
fchuf er die Melt. 

Trunkne Luft iſt's dem Leidenden, wegzufehn von 
feinem Leiden und fi zu verlieren. Crunkne Luft und 
Selbft-fid-Derlieren dünkte mich einft die Welt. 

Diefe Welt, die ewig unvolllommene, eines ewigen 
Widerfprudhes Abbid und unvolllommnes Abbid — 
eine trunkne Luſt ihrem unvollflommnen Schöpfer: — 
alfo dünfte mich einft die Welt. 

Alfo warf aud ich einft meinen Wahn jenfeits 
des Menfchen, gleich allen Hinterweltlern. Jenfeits des 
Menfhen in Wahrheit? 


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Ach, ihr Brüder, dieſer Gott, den ich ſchuf, war 
Menſchen⸗Werk und -Wahnfinn, gleich allen Göttern! 


Menfh war ee, und nur ein armes Stüd Menſch 
und Ich: aus der eigenen Aſche und Gluth Fam es mir, 
diefes Gefpenft, und wahrlihl Nicht fam es mir von 
Jenſeits! 

Was geſchah, meine Brüder? Ich überwand mich, 
den Leidenden, ich trug meine eigne Aſche zu Berge, 
eine hellere Flamme erfand ich mir. Und ſiehel Da 
wid das Geſpenſt von mit! 


Keiden wäre es mir jet und Anal dem Genefenen, 
folhe Sefpenfter zu glauben: Keiden wäre es mir jett 
und Erniedrigung. Alfo rede ich zu den Hinterweltlern. 

Keiden war’s und Unvermögen — das fchuf alle 
Hinterwelten; und jener kurze Wahnfinn des Glücks, 
den nur der Keidendfte erfährt. 

Müdigkeit, die mit Einem Sprunge zum Letzten 
will, mit einem Codesfprunge, eine arme unwifjende 
Müdigkeit, die nicht einmal mehr wollen will: die fchuf 
alle Götter und Hinterwelten. 

Glaubt es mir, meine Brüder! Der Keib war’s, der 
am Leibe verzweifelte, — der taftete mit den Fingern 
des bethörten Geiſtes an die letzten Wände. 


Glaubt es mir, meine Brüder! Der Leib war's, der 
an der Erde verzweifelte, — der hörte den Bauch des 
Seins zu ſich reden. 

Und da wollte er mit dem Kopfe durch die letzten 
Wände, und nicht nur mit dem Kopfe, — hinüber zu 
„jener Welt”. 


42 


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Aber „jene Welt” ift gut verborgen vor dem 
Menfhen, jene entmenjhte unmenfchliche Welt, die ein 
himmlifches Nichts iſt; und der Bauch des Seins redet 
gar nicht zum Menſchen, es fei denn als Menfd. 

Wahrlich, fhwer zu beweifen ift alles Sein und 
fhwer zum Reden zu bringen. Sagt mir, ihr Brüder, 
it nicht das Wunderlichfie aller Dinge noch am beften 
bewiefen ? 

Ja, dies Sch und des Ich's Widerfpruch und Wirrfal 
redet noh am redlichfien von feinem Sein, diefes 
fhaffende, wollende, werthende Ich, welches das Maß 
und der Werth der Dinge ift. 

Und dies redlichfte Sein, das Ih — das redet vom 
Leibe, und es will noch den Leib, felbft wenn es dichtet 
und ſchwärmt und mit zerbrocdhnen Slügeln flattert. 

Immer redlicher lernt es reden, das Ich: und je 
mehr es lernt, um fo mehr findet es Worte und Ehren 
für Leib und Erde. 

Einen neuen Stolz lehrte mich mein Ich, den lehre 
ich die Menfchen: nicht mehr den Kopf in den Sand 
der himmlifchen Dinge zu ſtecken, fondern frei ihn zu 
tragen, einen Erden-Kopf, der der Erde Sinn fhafftl 

Einen neuen Willen lehre ich die Menſchen: diefen 
Weg wollen, den blindlings der Menſch gegangen, und 
gut ihn heißen und nicht mehr von ihm bei Seite 
fchleichen, gleich den Kranken und Abfterbenden! 

Kranfe und Abfterbende waren es, die verachteten 
Leib und Erde und erfanden das Himmlifche und die 
erlöfenden Blutstropfen: aber auch noch diefe füßen 
und düftern Gifte nahmen fie von Leib und Erdel 


XX 


43 


Ihrem Elende wollten fie entlaufen, und die Sterne 
waren ihnen zu weit. Da fenfzten fie: „Oh daß es doc 
himmlifhe Wege gäbe, fih in ein andres Sein und 
Glück zu ſchleichen!“ — da erfanden fie fi} ihre Schliche 
und blutigen CTränklein | 

Ihrem Leibe und diefer Erde nun entrüdt wähnten 
fie fih, diefe Undanfbaren. Doch wem dankten fie 
ihrer Entrüdung Krampf und Wonne? Ihrem £eibe 
und diefer Erde, 

Milde ift Sarathuftra den Kranken. Wahrlih, er 
zürnt nicht ihren Arten des Troſtes und Undanks. 
Mögen fie Genefende werden und Überwindende und 
einen höheren Leib fich fchaffen! 

Nicht auch zürnt Sarathuftra dem Genefenden, wenn 
er zärtliy nach feinem Wahne blidt und Mitternadhts 
um das Grab feines Gottes fchleiht: aber Krankheit 
und kranker Keib bleiben mir auch feine Chränen noch. 

Dieles franfhafte Dolf gab es immer unter Denen, 
welche dichten und gottſüchtig find; wüthend haffen 
fie den Erfennenden und jene jüngfte der Tugenden, 
welche heißt: Redlichkeit. 

Rückwärts bliden fie immer nad dunklen Zeiten: 
da freilih war Wahn und Glaube ein ander Ding; 
ARaferei der Dernunft war Bottähnlichkeit, und Sweifel 
Sünde. 

Allzugut Penne ich diefe Bottähnlichen: fie wollen, 
daß an fie geglaubt werde, und Zweifel Sünde fei. 
Allzugnt weiß ih auch, woran fie felber am beften 
glauben. 

Wahrlich nit an Binterwelten und erlöfende 


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44 


Blutstropfen: fondern an den Leib glauben auch fie am 
beften, und ihr eigener Leib ıft ihnen ihr Ding an ſich. 

Aber ein krankhaftes Ding ift er ihnen: und gerne 
möchten fie aus der Haut fahren. Darum horchen fie 
nach den Predigern des Todes und predigen felber 
Hinterwelten. 

Hört mir lieber, meine Brüder, auf die Stimme des 
gefunden Leibes: eine redlichere und reinere Stimme 
ift dies, 

Redlicher redet und reiner der gefunde Leib, der 
volllommene und rechtwinklige: und er redet vom Sinn 
der Erde. — 


Alfo ſprach Sarathuftra, 





45 


Don den Deräcdhtern des Keibes. 


Den Derädtern des Keibes will ih mein Wort 
ſagen. Nicht umlernen und umlehren follen fie mir, 
fondern nur ihrem eignen Leibe Lebewohl fagen — 
und alfo ftumm werden. 

„Leib bin ich und Seele” — fo redet das Kind. 
Und warum follte man nidyt wie. die Kinder reden? 

Aber der Erwachte, der Wiffende fagt: Leib bin 
ih ganz und gar, und Nichts außerdem; und Seele ift 
nur ein Wort für ein Etwas am Leibe. 

Der £eib ift eine große Dernunft, eine Dielheit mit 
Einem Sinne, ein Krieg und ein Srieden, eine Heerde 
und ein Dirt. 

Werkzeug deines Leibes ift aud deine Peine Der- 
nunft, mein Bruder, die du „Geift“ nennft, ein Pleines 
Werk⸗ und Spielzeug deiner großen Dernunft. 

„Sch“ ſagſt du und bift ftolz auf dies Wort. Aber 
das Größere it — woran du nicht glauben willſt — 
dein Leib und feine große Dernunft: die fagt nicht 
Ich, aber thut Ic. 

Was der Sinn fühlt, was der Geift erfennt, das 
hat niemals in fi fein Ende. Aber Sinn und Geift 





46 


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möchten dich überreden, ſie ſeien aller Dinge Ende: 
ſo eitel ſind fie. 

Werk. und Spielzeuge find Sinn und Geiſt: hinter 
ihnen liegt noch das Selbf. Das Selbft ſucht audy mit 
den Augen der Sinne, es horcht au mit den Ohren 
des Geiftes. 

Immer hordt das Selbft und ſucht: es vergleicht, 
bezwingt, erobert, zerſtört. Es herriht und ift aud 
des Ich's Beherricer. 

Hinter deinen Gedanken und Gefühlen, mein Bruder, 
fteht ein mädhtiger Gebieter, ein unbefannter Weifer 
— der heißt Selb. In deinem Leibe wohnt er, dein 
Leib ift er. 

Es iſt mehr Dernunft in deinem Leibe, als in deiner 
beften Weisheit. Und wer weiß denn, wozu dein Leib 
gerade deine beite Weisheit nöthig hat? 

Dein Selbft lacht über dein Ich und feine ftolzen 
Sprünge, „Was find mir diefe Sprünge und Slüge 
des Gedankens? fagt es fih. Ein Umweg zu meinem 
Swede Ich bin das Bängelband des Ich's und der 
Einbläfer feiner Begriffe.” 

Das Selbft fagt zum Ich: „hier fühle Schmerz!" 
Und da leidet es und denft nach, wie es nicht mehr 
leide — und dazu eben foll es denken. 

Das Selbft fagt zum Jh: „hier fühle £uftl” Da 
freut es fih und denkt nah, wie es noch oft fi 
freue — und dazu eben foll es denfen. | 

Den Derächtern des Keibes will ich ein Wort fagen. 
Daß fie verachten, das madt ihr Achten. Was ift es, 
das Achten und Verachten und Werth und Willen ſchuf? 


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47 


Das fchaffende Selbft fchuf fi Achten und Der- 
achten, es fhuf fih Luſt und Weh. Der fchaffende 
Leib fchuf fih den Geift als eine Hand feines Willens. 

oh in eurer Chorheit und Deradıtung, ihr Der- 
äcdter des Keibes, dient ihr enrem Selb. Ich fage 
euh: euer Selbft felber will fterben und kehrt fid 
vom Keben ab. 

Qicht mehr vermag es Das, was es am liebften 
will: — über fi hinaus zu fchaffen. Das will es am 
liebften, das ift feine ganze Inbrunft. 

Aber zu fpät ward es ihm jet dafür: — fo will 
euer Selbft untergehn, ihr Derächter des Keibes. 

Untergehn will euer Selbft, und darum wurdet ihr 
zu Derächtern des Leibes! Denn nicht mehr vermögt 
ihr über euch hinaus zu fchaffen. 

Und darum zürnt ihe nun dem Keben und der 
Erde Ein ungewußter Neid ift im fcheelen Blid 
eurer Deradytung. 

Ich gehe nicht euren Weg, ihr Derächter des Keibes | 
Ihr feid mir Feine Brüden zum Übermenfheni — 


Alfo ſprach Sarathuftra. 


48 


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Mein Bruder, wenn du eine Tugend haſt, und es 
deine Tugend ift, fo haft du fie mit Niemandem ge- 
meinfam. 

Freilich, du willſt fie bei Namen nennen und lieb- 
Pofen; du will fie am Ohre zupfen und Kurzweil mit 
ihr treiben. 

Und fiehel Nun haft du ihren Namen mit dem 
Dolfe gemeinfam und bift Dolf und Heerde geworden 
mit deiner Tugend! 

Beſſer thäteft du, zu fagen: „nnausſprechbar ift 
und namenlos, was meiner Seele Qual und Süße madıt 
und auch noch der Hunger meiner Eingemweide iſt.“ 

Deine Tugend fei zu hoch für die Dertraulichkeit 
der Namen: und mußt du von ihr reden, fo jchäme 
dich nicht, von ihr zu ftammeln. . 

So fpridy und ftammle: „Das ift mein Gutes, das 
liebe ich, fo gefällt es mir ganz, fo allein will ich das 
Gute, | 

Nicht will ich es als eines Gottes Geſetz, nicht will 
ih es als eine Menfchen-Satung und »Nothdurft: Fein 
Wegweifer fei es mir für Äber-Erden und Paradiefe. i 


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Don den Freuden und Leidenfchaften. 
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Alſo ſprach Zarathuſtra. 49 4 








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Eine irdifhe Tugend ift es, die ich liebe: wenig 
Klugheit ift darin, und am wenigften die Dernunft Aller. 

Aber diefer Dogel baute bei mir fih das Xeft: 
darum liebe und herze ich ihn, — nun fit er bei mir 
auf feinen goldnen Eiern.“ 

So follft du ſtammeln und deine Tugend loben. 

Einft hatteft du Leidenſchaften und nannteft fie 
böfe. Aber jetzt haft du nur noch deine Tugenden: 
die wuchfen aus deinen Leidenfchaften. 

Du legteft dein höchftes Fiel diefen Leidenſchaften 
an’s Herz: da wurden fie deine Tugenden und Sreuden- 
ſchaften. 

Und ob du aus dem Geſchlechte der Jähzornigen 
wäreſt oder aus dem der Wollüſtigen oder der Glaubens⸗ 
Wüthigen oder der Rachfüchtigen: 

Am Ende wurden alle deine Keidenfchaften zu 
Tugenden und alle deine Teufel zu Engeln. 


Einft hatteft du wilde Hunde in deinem Keller: 
aber am Ende verwandelten fie fit zu Dögeln und 
lieblihen Sängerinnen. 

Aus deinen Giften brauteft du dir deinen Balfam; 
deine Kuh Trübfal melkteft du, — nun trinkſt du die 
| 
| 


füge Mildy ihres Euters. 


Und nichts Böfes wächſt mehr fürderhin aus dir, 
es fei denn das Böfe, das aus dem Kampfe deiner 
Tugenden wächſt. 


Mein Bruder, wenn du Glüd haft, fo haft du Eine 
Tugend und nicht mehr: fo gehft du leichter über die 


| Brüde 


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Auszeichnend ift es, viele Tugenden zu haben, aber 
ein fchweres Loos; und Mancher gieng in die Wüfte 
und tödtete fi, weil er müde war, Schlacht und 
Scladtfeld von Tugenden zu fein. 

Mein Bruder, ift Krieg und Schlacht böfe? Aber 
nothwendig ift dies Böfe, nothwendig iſt der Neid 
und das Mißtrauen und die Derleumdung unter deinen 
Tugenden, 

Siehe, wie jede deiner Tugenden begehrlih ift 
nah dem Bödften: fie will deinen ganzen Beift, daß 
er ihr Berold fei, fie will deine ganze Kraft in Sorn, 
Haß und Kiebe. 

Eiferfüchtig ift jede Tugend auf die andre, und ein 
furdtbares Ding ift Eiferfucht. Auch Tugenden fönnen 
an der Eiferfucht zu Grunde gehn. 

Wen die Flamme der Eiferfucht umringt, der wen- 
det zuletzt, gleih dem Scorpione, gegen fich felber 
den vergifteten Stachel, 

Ah, mein Bruder, fahft du noch nie eine Tugend 
fi felber verleumden und erftechen ? 

Der Menfh ift Etwas, das überwunden werden 
muß: und darum follt du deine Tugenden lieben —: 
denn du wirft an ihnen zu Grunde gehn. — 


Alfo ſprach Zarathuſtra. 





Dom bleichen Derbrecher. 





Ihr wollt nicht tödten, ihr Nichter und Opferer, 
bevor das Thier nicht genickt hat? Seht, der bleiche 
Verbrecher hat genidt: aus feinem Auge redet die 
große Deradıtung. 

„Mein Ih ift Etwas, das überwunden werden fol: 
mein Ich ift mir die große Deradtung des Menſchen“: 
fo redet es aus diefem Auge 

Daß er fih felber richtete, war fein hödhfter 
Augenblid: laßt den Erhabenen nicht wieder zurüd 
in fein Niederes! 

Es giebt Feine Erlöfung für Den, der fo an fi 
felber leidet, es fei denn der fchnelle Tod. 

Euer Tödten, ihr Richter, fol ein Mitleid fein und 
feine Rache. Und indem ihr tödtet, feht zu, da ihr 
felber das Leben rechtfertiget! 

Es ift nicht genug, daß ihr euch mit Dem ver- 
föhnt, den ihr tödtel. Eure Traurigkeit fei Liebe zum 
Übermenfchen: fo rechtfertigt ihr euer Noch-Keben! 

„Feind“ follt ihr fagen, aber nidt „Böfewicht”; 


„Kranker“ follt ihr fagen, aber nicht „Schuft“; „Chor“ 


follt ihr fagen, aber nicht „Sünder“. 


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‘Und du, rother Richter, wenn du laut fagen wollteft, 
was du Alles fchon in Gedanken gethan haft: fo würde 
Jedermann fchreien: „Weg mit diefem Unflath und 
Giftwurm!” 

Aber ein Anderes ift der Gedanke, ein Anderes 
die Chat, ein Anderes das Bild der Chat. Das Rad des 
Grundes rollt nicht zwifchen ihnen. 

Ein Bild machte diefen bleihen Menfchen bleich. 
Gleichwüchſig war er ſeiner Chat, als er ſie that: aber 
ihr Bild ertrug er nicht, als ſie gethan war. 

Immer ſah er ſich nun als Einer That Chäter. 
Wahnfinn heiße ich dies: die Ausnahme verkehrte ſich 
ihm zum Wefen. 

Der Strih bannt die Henne; der Streich, den er 
führte, bannte feine arme Dernunft — den Wahnfinn 
nach der Chat heiße ich dies. 

Bört, ihr Richterl Einen anderen Wahnfinn giebt 
es noch: und der ift vor der That. Ach, ihr Frocht mir 
nicht tief genug in diefe Seelel 

So fpricht der rothe Richter: „was mordete doc 
diefer Derbrecher? Er wollte rauben.“ Aber ich fage 
euch: feine Seele wollte But, nicht Raub: er dürftete 
nah dem Glück des Meffers! 

Seine arme Dernunft aber begriff diefen Wahnfinn 
nicht und überredete ihn. „Was liegt an Blutl ſprach 
fie; willt du nicht zum mindeften einen Raub dabei 
maden? Eine Rache nehmen?” 

Und er hordhte auf feine arme Dernunft: wie Blei 
lag ihre Rede auf ihm, — da raubte er, als er mordete, 
Er wollte fidy nicht feines Wahnfinns ſchämen. 





53 





Und nun wieder liegt das Blei feiner Schuld auf 
ihm, und wieder ift feine arme Dernunft fo fteif, fo 
gelähmt, fo fchwer. 

Wenn er nur den Kopf fchütteln Fönnte, fo würde 
feine Laſt herabrollen: aber wer fhüttelt diefen Kopf? 


Was ift diefer Menfh? Ein Haufen von Kran. 
heiten, welche durch den Geift in die Welt hinaus- 
greifen: da wollen fie ihre Beute machen. 

Was ift diefer Menſch? Ein Unäuel wilder Schlangen, 
welche felten bei einander Ruhe haben, — da gehen fie 
für fih fort und fuchen Beute in der Welt. 

Seht diefen armen Leibl Was er litt und begehrte, 
das deutete fich diefe arme Seele, — fie deutete es als 
mörderifche Luft und Gier nach dem Glück des Mleffers. 

Wer jett Fran? wird, den überfällt das Böfe, das 
jett böfe tft: wehe will er thun, mit dem, was ihm wehe 
thut. Aber es gab andre Zeiten und ein andres Böfes 
und Gutes. 

Einft war der Sweifel böſe und der Wille zum 
Selb. Damals wurde der Kranfe zum Keber und 
zur Bere: als Keber und Here litt er und wollte leiden 
madhen. 

Aber dies will nit in eure Ohren: euren Guten 
fhade es, fagt ihr mir. Aber was liegt mir an euren 
Guten! 

Dieles an euren Guten macht mir E£el, und wahr- 
lich nicht ihre Böfes. Wollte ich doch, fie hätten einen 
Wahnfinn, an dem fie zu Grunde giengen, gleich 
diefem bleichen Verbrecher! 


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| Wahrlih, ich wollte, ihr Wahnfinn hieße Wahr- 

heit oder Treue oder Gerechtigkeit: aber fie haben ihre 

Tugend, um lange zu leben, und in einem erbärmlichen 
|  Behagen. 

| Ich bin ein Beländer am Strome: faffe mich, wer 

| nid faffen kann! Eure Krüde aber bin ih nidt. — 


Alſo ſprach Sarathuftra. 








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Vom Leſen und Schreiben. 





Von allem Geſchriebenen liebe ich nur Das, was 
Einer mit ſeinem Blute ſchreibt. Schreibe mit Blut: 
und du wirſt erfahren, daß Blut Geiſt iſt. 

Es iſt nicht leicht möglich, fremdes Blut zu ver⸗ 
ſtehen: ich haſſe die leſenden Müßiggänger. 

Wer den Leſer kennt, der thut Nichts mehr für 
den Leſer. Noch ein Jahrhundert Leſer — und der 
Geiſt ſelber wird ſtinken. 

Daß Jedermann leſen lernen darf, verdirbt auf die 
Dauer nicht allein das Schreiben, ſondern auch das 
Denken. 

Einſt war der Geiſt Gott, dann wurde er zum 
Menſchen, und jetzt wird er gar noch Pöbel. 

Wer in Blut und Sprüchen ſchreibt, der will nicht 
geleſen, ſondern auswendig gelernt werden. 

Im Gebirge iſt der nächſte Weg von Gipfel zu 
Gipfel: aber dazu mußt du lange Beine haben. Sprüche 
ſollen Gipfel ſein: und Die, zu denen geſprochen wird, 
Große und Hochwüchſige. 

Die £uft dünn und rein, die Gefahr nahe und der 
Geift voll einer fröhlichen Bosheit: fo paßt es gut zu 
einander, 


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Ich. will Kobolde um mich haben, denn ich bin 
muthig. Muth, der die Gefpenfter verfcheucht, ſchafft 
ſich felber Kobolde, — der Muth will lachen. 

Ih empfinde nit mehr mit euch: diefe Wolfe, 
die ich unter mir fehe, diefe Schwärze und Schwere, 
über die ich lade, — gerade das iſt eure Gewitter⸗ 
wolfe. 

Ihr feht nah Oben, wenn ihr nad Erhebung 
verlangt, Und ich fehe hinab, weil ich erhoben bin. 

Wer von euch kann zugleich lahen und erhoben 
fein ? 

Wer auf den hödften Bergen ſteigt, der lacht 
über alle Trauer-Spiele und Trauer⸗Ernſte. 

Unbefümmert, fpöttifh, gewaltthätig — fo will 
uns die Weisheit: fie ift ein Weib und liebt immer 
nur einen Kriegsmann. 


Ihr fagt mir: „das Leben ift fchwer zu tragen.” 
Aber wozu hättet ihr Dormittags euren Stolz . und 
Abends eure Ergebung ? 


Das geben ift fchwer zu tragen: aber fo thut mir 
doch nicht fo zärtlihl Wir find allefammt hübfche laft- 
bare Ejel und Efelinnen. 

Was haben wir gemein mit der Nofenknofpe, 
welche zittert, weil ihr ein Tropfen Thau auf dem Keibe 
liegt ? 

Es ift wahr: wir lieben das Leben, nicht, weil wir 
an’s Leben, fondern weil wir an’s Lieben gewöhnt find. 

Es ift immer etwas Wahnfinn in der Liebe. Es 
ift aber immer auch etwas Vernunft im Wahnfinn. 





57 




















Und auch mir, der ih dem Leben gut bin, fdheinen 
Schmetterlinge und Seifenblafen und mas ihrer Art 
unter Menfchen ift, am meiften vom Slüde zu wiſſen. 
Diefe leiten thörichten zierlihden beweglichen 
Seelen flattern zu fehen — das verführt Sarathufira 1, 
zu Chränen und Liedern. H 
Ih würde nur an einen Gott glauben, der zu " 
tanzen verflünde. R 
Und als ih meinen Teufel fah, da fand ich ihn E 
ernft, gründlich, tief, feierlih: es war der Geiſt der 
Schwere, — durch ihn fallen alle Dinge. ' 
Nicht durch Forn, Sondern durch Kaden tödtet 
man. Auf, laßt uns den Geiſt der Schwere tödten! 
Ih habe gehen gelernt: feitdem laffe ih mid 
laufen. Ich habe fliegen gelernt: feitdem will ich nicht 
erft geftoßen fein, um von der Stelle zu fommen. 
Jetzt bin ich leicht, jetzt fliege ich, jetzt fehe ich 
mich unter mir, jegt tanzt ein Gott durch mid. 


Alſo ſprach Zarathuſtra. 


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58 





Dom Baum am Berge. 


Sarathuftra’s Auge hatte gefehn, daß ein Jüngling 
ihm auswid. Und als er eines Abends allein durch 
die Berge gieng, welche die Stadt umfcließen, die 
genannt wird „die bunte Kuh“: fiehe, da fand er im 
Gehen diefen Jüngling, wie er an einen Baum gelehnt 
faß und müden Blides in das Thal fchaute. Zara— 
thuftra faßte den Baum an, bei welchem der Jüngling 
faß, und ſprach alfo: 

„Wenn ich diefen Baum da mit meinen Händen 
fhütteln wollte, ih würde es nicht vermögen. 

‚Aber der Wind, den wir nicht fehen, der quält und 
biegt ihn, wohin er will Wir werden am fchlimmften 
von unfichtbaren Händen gebogen und gequält.“ 

Da erhob fi der Jüngling beftürzt und fagte: 
„ih höre Sarathuftra und eben dachte ih an ihn.“ 
Zarathuſtra entgegnete: 

„Was erfchridit du deshalb? — Aber es tft mit 
dem Ulenfchen wie mit dem Baume. 

Je mehr er hinauf in die Höhe und Helle will, 
um fo ftärfer ftreben feine Wurzeln erdwärts, abwärts, 
in’s Dunkle, Tiefe, — in’s Böfe.“ 





59 


— — — 


wird man nie entdecken, es ſei denn, daß man ſie zu⸗ 
erſt erfindet.” 


mir ſelber nicht mehr, ſeitdem ich in die Höhe will, und 
Niemand traut mir mehr, — wie geicieht dies do? |. 


legt mein Geſtern. Ich überfpringe oft die Stufen, ! 
wenn idy fteige, — das verzeiht mir feine Stufe. 


Niemand redet mit mir, der Froſt der Einfamkeit madt |: 
mid zittern. Was will ich doch in der Höher f 


| 
pernsl Wie fpotte ich meines heftigen Schnaubens! | 
Wie haffe ih den Fliegenden! Wie müde bin ih in 
der Höhel“ | 5 
| 

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| 

| 


trachtete den Baum, an dem ſie flanden, und ſprach alfo: 


„Sa in's Böfel rief der Jüngling Wie it es mög -· 


lid, daß du meine Seele entdedte?” 


Zarathuſttra lädelte und fprah: Manche Seele 


„Sa in’s Böfel rief der Jüngling nodymals. 
Du fagteR die Wahrheit, Sarathufra. Ich trane 


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- Cu] — |. 


Ich verwandele mich zu fchnell: mein Heute wider | 
Bin ih oben, fo finde ih mid immer allein. 


Meine Deradtung und meine Sehnfuht wachen |! 


mit einander; je höher ich feige, um fo mehr verachte 
ih Den, der fteigt. Was will er doc in der Höher 


Wie fhäme idy mich meines Steigens und Stol- 


Bier fhwieg der Jüngling. Und Sarathuftra be- 


„Diefer Baum fteht einfam hier am Gebirge; er 


wuchs hoch hinweg über Menſch und hier. 


Und wenn er reden wollte, er würde Niemanden 


haben, der ihn verftünde: fo hoch wuchs er. 


Nun wartet er und wartet, — worauf wartet er 





— 








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60 
















doch? Er wohnt dem Site der Wolfen zu nahe: er 
wartet wohl auf den erften Blitz?“ 

Als Sarathuftra dies gelagt hatte, rief der Jüngling 
mit heftigen Gebärden: „Ja, Sarathuftra, du fprichft die 
Wahrheit. Nach meinem Untergange verlangte ich, 
als ich in die Höhe wollte, und du bift der Blitz, auf 
den ich wartetel Siehe, was bin ich noch, feitdem du 
uns erfchienen bit? Der Weid auf did) ifl’s, der mich 
zerftört hatl“ — So fprah der Jüngling und weinte 
bitterlih. &Sarathuftra aber legte feinen Arm um ihn 
und führte ihn mit fidy fort. 

Und als fie eine Weile mit einander gegangen 
waren, hob Sarathuftra alfo an zu fprechen: 

Es zerreißt mir das Herz. Beſſer als deine Worte 
es fagen» fagt mir dein Auge alle deine Gefahr. 

Voch bift du nicht frei, du ſuchſt noch nad 
Freiheit. Übernädhtig machte dich dein Suchen und 
überwad). 

In die freie Höhe will du, nach Sternen dürftet 
deine Seele. Aber auch deine fhlimmen Triebe dürften 
nach $reiheit. 

Deine wilden Kunde wollen in die Sreiheit; fie 
bellen vor £uft in ihrem Keller, wenn dein Geift alle 
Gefängniſſe zu löſen tradhtet. 

Noch bift du mir ein Gefangner, der ſich Sreiheit 
erfinnt: ach, klug wird folhen Gefangnen die Seele, 
aber auch argliftig und fchlecht. 

Reinigen muß fih auch nod der Befreite des 
Beiftes. Diel Gefängniß und Moder ift no in ihm 
zurüd: rein muß noch fein Auge werden. 


61 


a, ich Fenne deine Gefahr. Aber bei meiner Liebe 
und Hoffnung befchwöre ich dich: wirf deine Liebe und 
Hoffnung nicht wegl 

Edel fühlft du dich noch, und edel fühlen dich auch 
die Andern noch, die dir gram find und böfe Blide 
fenden. Wiffe, daß Allen ein Edler im Wege fteht. 

Auh den Guten fteht ein Edler im Wege: und 
felbft wenn fie ihn einen Guten nennen, fo wollen fie 
ihn damit bei Seite bringen. 

,Neues will der Edle fhaffen und eine nene Tugend. 
Altes will der Gute, und daß Altes erhalten bleibe. 

Aber nicht Das ift die Befahr des Edlen, daß er 
ein Suter werde, fondern ein Stecher, ein Böhnender, 
ein Dernichter. 

Ah, ih Fannte Edle, die verloren ihre höchfte 
Hoffnung. Und nun verleumdeten fie alle hohen Koff- 
nungen, 

Nun lebten fie freh in kurzen Lüften, und über 
den Tag hin warfen fie faum noch Siele, 

„Bet iſt auch Wolluſt“ — fo fagten fie Da 
zerbrachen ihrem Geiſte die Flügel: nun kriecht er 
herum und befhmutt im Nagen. 

Einft dachten fie Helden zu werden: Lüftlinge find 
es jegt. Ein Bram und ein Grauen ift ihnen der Held. 

Aber bei meiner Liebe und Hoffnung beichwöre 
ih dich: wirf den Helden in deiner Seele nicht weg 


Halte heilig deine höchſte Hoffnung! — 
Alfo fprah Sarathuftra. 


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Don den Predigern des Todes, 





Es giebt Prediger des Todes: und die Erde ift voll 
von Solden, denen Abkehr gepredigt werden muß 
vom Leben. 

Doll ift die Erde von Überflüffigen, verdorben 
it das Leben durd; die Diel-zu-Dielen. Möge man ſie 
mit dem „ewigen Leben“ aus diefem Leben wegloden! 

„Gelbe“: fo nennt man die Prediger des Todes, 
oder „Schwarze*. Aber id will fie euch noch in andern 
Farben zeigen. 

Da find die Sürchterlichen, welhe in fi das 
Ranbthier herumtragen und feine Wahl haben, es fei 
denn Lüſte oder Selbftzerfleifhung. Und aud ihre 
£üfte find noch Selbftzerfleifchung. 

Sie find noch nicht einmal Menſchen geworden, 
diefe Fürchterlichen: mögen fie Ablehr predigen vom 
£eben und felber dahinfahren! 

Da find die Schwindfüchtigen der Seele: kaum 
find fie geboren, fo fangen fie fhon an zu fterben 
und fehnen fih nad Kehren der Müdigfeit und Ent 
fagung. 


63 


Sie wollen gerne todt fein, und wir follten ihren 
Willen gut heißen! Hüten wir uns, diefe Todten zu 
erweden und diefe lebendigen Särge zu verfehren! 

Ihnen begegnet ein Kranker oder ein Kreis oder 
ein Seihnam; und gleih fagen fie „das Leben ift 
widerlegt!” 

Aber nur fie find widerlegt und ihr Auge, wel. 
des nur das Eine Geficht fieht am Dafein. 

Eingehällt in dicke Schwermuth und begierig auf 


die Kleinen Sufälle, welche den Tod bringen: fo warten . 


fie und beißen die Sähne auf einander. 

Oder aber: fie greifen nady Suderwerf und fpotten 
ihrer Kinderei dabei: fie hängen an ihrem Strohhalm 
geben und fpotten, daß fie noch an einem Strohhalm 
hängen. 

Ihre Weisheit lautet: „ein Chor, der leben bleibt, 
aber fo fehr find wir Thorenl Und das eben ift das 
Chörichtfte am Leben!" — 

„Das Keben ift nur Leiden” fo fagen Andre und 
lügen nicht: fo forgt do, daß ihr aufhörtl So forgt 
doch, daß das Leben aufhört, weldes nur Leiden ift! 

Und alfo laute die Lehre eurer Tugend „ou follft 
dich felber tödtenl Du follft dich felber davon- 
ſtehlen!“ — 

„Wolluſt ift Sünde, — fo fagen die Einen, welde 
den Tod predign — laßt uns bei Seite gehn und 
feine Kinder zeugen!” 

„Bebären ift mühfam, — fagen die Anden — 
wozu noch gebären? Man gebiert nur Unglüdlichel” 
Und audy fie find Prediger des Todes. 


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„Mitleid thut noth — ſo ſagen die Dritten. Nehmt 
hin, was id habel Nehmt hin, was ich binl Um fo 
weniger bindet mich das Leben!“ 

Wären fie Mitleidige von Grund aus, fo würden 
fie ihren Vächſten das Leben verleiden. Boͤſe ſein — 
das wäre ihre rechte Güte. 

Aber fie wollen loskommen vom Leben: was 
fhiert es fie, daß fie Andre mit ihren Ketten und 
Geſchenken noch fefter binden! — 

Und aud ihr, denen das Keben wilde Arbeit und 
Unruhe ift: feid ihr nicht fehr müde des Lebens? Seid 
ihr nicht fehr reif für die Predigt des Todes? 

Ihr Alle, denen die wilde Arbeit lieb ift und das 
Schnelle, Neue, Fremde, — ihr ertragt euch ſchlecht, 
euer Fleiß ift Flucht und Wille, ſich ſelber zu ver⸗ 
geſſen. 

Wenn ihr mehr an das Leben glaubtet, würdet ihr 
weniger euch dem Augenblicke hinwerfen. Aber ihr 
habt zum Warten nicht Inhalt genug in euch — und 
ſelbſt zur Faulheit nichtl 

Überall ertönt die Stimme Derer, welche den Tod 
predigen: und die Erde ift voll von Solchen, welchen 
der Cod gepredigt werden muß. 

Oder „das ewige Leben“: das gilt mir gleich, — 
wofern ſie nur ſchnell dahinfahren! 


Alſo ſprach Zarathuſtra. 


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Alfo ſprach Zarathuſtra. 65 5 





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Dom Krieg und Kriegsvolfe, 





Don unfern beften Senden wollen wir nicht ge 
fhont fein, und aud von Denen nicht, welde wir 
von Grund aus lieben. So laßt mid denn end die 
Wahrheit jagen! 

Meine Brüder im Kriege! Ich liebe ench von Grund 
aus, ich bin und war Euresgleichen. Und ich bin aud 
euer befter Feind. So laßt mich denn euch die Wahr- 
heit fagen! 

Ich weiß um den Haß und Neid eures Herzens. 
Ihr feid nicht groß genug, um Haß und Neid nicht 
zu Fennen. So feid denn groß genug, end; ihrer nicht 
zu fchämen! 

Und wenn ihr nicht Heilige der Erfenntniß fein 
könnt, fo feid mir wenigftens deren Kriegsmänner., 
Das find die Gefährten und Dorläufer folcher Heiligkeit. 

Ich fehe viel Soldaten: möchte ich viel Kriegs» 
männer fehn! „Ein-form” nennt man’s, was fte tragen: 
möge es nicht Ein-form fein, was fie damit verfteden! 

Ihr follt mir Solche fein, deren Auge immer nad 
einem Seinde ſucht — nad enrem feinde. Und bei Ei- 
nigen von euch giebt es einen Haß auf den erften Blick. 


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Euren Feind follt ihr fuchen, euren Krieg follt 
ihr führen, und für eure Gedanken! Und wenn euer 
Gedanke unterliegt, fo foll eure Nedlichkeit darüber 
noch Triumph rufen! 

Ihr follt den Srieden lieben als Mittel zu neuen 
Kriegen. Und den kurzen Frieden mehr als den langen. 

Euh rathe ich nicht zur Arbeit, fondern zum 
Kampfe. Euch rathe ich nicht zum Frieden, fondern 
zum Siege. Eure Arbeit fei ein Kampf, ener Friede 
fet ein Sieg! 

Man kann nur fchweigen und ftilfigen, wenn man 
pfeil und Bogen hat: fonft ſchwätzt und zanft man. 
Euer Friede fei ein Siegl 

Ihr fagt, die gute Sache fei es, die fogar den 
Krieg heilige? Ich fage euch: der gute Krieg iſt es, 
der jede Sache heiligt. 

Der Krieg und der Muth haben mehr große Dinge 
gethan, als die Nächftenliebe. Nicht euer Mitleiden, 
fondern eure Tapferkeit rettete bisher die Verunglückten. 

Was ift gut? fragt ihr. Tapfer fein ift gut. Laßt 
die Eleinen Mädchen reden: „gut fein ift, was hübſch 
zugleich und rührend if”, 

Man nennt endy herzlos: aber euer Herz ift echt, 
und ich liebe die Scham eurer Herzlichfeit. Ihr ſchämt 
euch eurer Fluth, und Andre fhämen fidy ihrer Ebbe. 

Ihr feid häßlich? Nun wohlan, meine Brüder! So 
nehmt das Erhabne um euch, den Mantel des Häßlichen! 

Und wenn eure Seele groß wird, fo wird fie 
übermüthig, und in eurer Erhabenheit ift Bosheit. Ich 
fenne euch. 





67 5* 








In der Bosheit begegnet fih der Äbermüthige mit 
dem Schwächlinge. Aber fie mißpverftehen einander. 
Ic kenne eud. 

Ihr dürft nur Feinde haben, die zu haſſen find, 
aber nicht Feinde zum Deradten. Ihr müßt ftolz auf 
euern Feind fein: dann find die Erfolge eures Seindes 
auch eure Erfolge. 

Auflehnung — das ift die Dornehmheit am Sklaven, 
Eure Dornehmheit fei Gehorfam! Euer Befehlen felber 
fei ein Gehorchen! 

Einem guten Kriegsmanne Flingt „du fol" an⸗ 
genehmer als „ih will”. Und Alles, was euch lieb ift, 
follt ihr euch erft noch befehlen lafjen. 

Eure Liebe zum Leben fei £iebe zu eurer höchſten 
Boffnung: und eure hödfte Hoffnung fei der höchfte 
Gedanke des Lebens! 

Euren höchſten Gedanken aber follt ihr euch von 
mir befehlen lafien — und er lautet: der Menſch ift 
Etwas, das überwunden werden foll. 

So lebt euer Leben des Gehorfams und des 
Krieges! Was liegt am Lang⸗Leben! Welcher Krieger 
will gefchont fein! 

Jh ſchone euch nicht, ich liebe euh von Grund 
aus, meine Brüder im Kriegel — 


Alfo ſprach Sarathuftra, 


68 


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Dom neuen Gößen. 





Irgendwo giebt es noch Dölfer und Heerden, doch 
nicht bei uns, meine Brüder: da giebt es Staaten. 

Staat? Was ift das? Wohlan! Jetzt thut mir die 
Ohren auf, denn jet fage ih euch mein Wort vom 
Tode der Dölfer. 

Staat heißt das Fältefte aller Falten Ungeheuer. 
Kalt fügt es auch; und diefe Lüge Friecht aus feinem 
Munde: „Ich, der Staat, bin das Volk“. 

Lüge iſt's! Schaffende waren es, die fchufen die 
Dölfer und hängten einen Blauben und eine Liebe über 
fie hin: .alfo dienten fie dem Leben. 

Dernichter find es, die ftellen Fallen auf für Diele 
und heißen fie Staat: fie hängen ein Schwert und 
hundert Begierden über fie hin. 

Wo es noch Dolf giebt, da verfteht es den Staat 
nicht und haft ihn als böfen Blid und Sünde an Sitten 
und Rechten. 

Dieſes Seichen gebe ich euch: jedes Dolf fpricht 
feine Zunge des Guten und Böfen: die verfteht der 
Nachbar nicht, Seine Sprache erfand es fidy in Sitten 
und Rechten. 


69 


Aber der Staat lügt in allen Zungen des Guten 
und Böfen; und was er auch redet, er lügt — und 
was er auch hat, geftohlen hat er’s. 

Falſch ift Alles an ihm; mit geſtohlenen Sähnen 
beißt er, der Biffige Falſch find felbft feine Ein- 
geweide, 

Sprachverwirrung des Guten und Böfen: diefes 
Seichen gebe ich euch als Zeichen des Staates. Wahr- 
ih, den Willen zum Tode deutet diefes Zeichen! 
Wahrlich, es winkt den Predigern des Todes! 

Diel zu Diele werden geboren: für die Überflüffigen 
ward der Staat erfunden! 

Seht mir doch, wie er fie an ſich lockt, die Diel- 
zu-Dielen! Wie er fie fhlingt und kaut und wiederfänt! 

„Auf der Erde ift nichts Größeres als ih: der 
orönende finger bin ich Gottes” — alfo brällt das 
Unthier. Und nicht nur Sanggeohrte und Kurzgeäugte 
finfen auf die Knieel 

Ah, audh in end, ihr großen Seelen, raunt er 
feine düfteren Lügen! Ah, er erräth die reichen 
Herzen, die gerne ſich verfhwenden | 

Ja, audh euch erräth er, ihr Befieger des alten 
Gottes! Müde wurdet ihr im Kampfe, und nun dient 
eure Müdigfeit noch dem nenen Götzen! 

Helden und Ehrenhafte möchte er um fih auf- 
ftellen, der nene Göbel Gerne fonnt er fi im Sonnen- 
[hein guter Gewiſſen, — das kalte Unthier! 

Alles will er euch geben, wenn ihr ihn anbetet, 
der neue Götze: alfo Fauft er fi den Glanz eurer 
Tugend und den Blid eurer ftolzen Augen: 


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70 





Ködern will er mit euch die Diel-zu-Dielen! Ja, 
ein Höllenfunfiflüd ward da erfunden, ein pferd des 
Todes, klirrend im Pub göttliher Ehren! 

Ja, ein Sterben für Diele ward da erfunden, das 
fih felber als Leben preift: wahrlid, ein Herzens⸗ 
dienft allen Predigern des Todes! 

Staat nenne ich's, wo Alle Gifttrinfer find, Gute 
und Schlimme: Staat, wo Alle fih felber verlieren, 
Gute und Schlimme: Staat, wo der langfame Selbft- 
mord Aller — „das Leben“ heißt. 

Seht mir doch diefe Überflüffigeni Sie ftehlen 
ih die Werke der Erfinder und die Schäße der 
Weifen: Bildung nennen fie ihren Diebftahl — und 
Alles wird ihnen zu Krankheit und Ungemad! 

Seht mir doch diefe Überflüffigeni Krank find 
fie immer, fie erbrechen ihre Galle und nennen es 
Seitung. Sie verfhlingen einander und Fönnen ſich 
nicht einmal verdauen. 

Seht mir doch diefe Überflüffigenl Reichthümer 
erwerben fie und werden ärmer damit. Macht wollen 
fie, und zuerft das Brecheifen der Macht, viel Geld, — 
diefe Unvermögenden! 

Seht fie Plettern, diefe geſchwinden Affen! Sie 
klettern über einander hinweg und zerren ſich alſo in 
den Schlamm und die Tiefe. | 

Din zum Cheone wollen fie Alle: ihr Wahnſinn ift 
es, — als ob das Glück auf dem Throne füßel Oft 
fit der Schlamm auf dem Thron — und oft auch der 
Chron auf dem Schlamme. 

Wahnfinnige find fie mir Alle und Pletternde Affen 








und Überheiße. Übel riecht mir ihr Götze, das Palte 
Unthier: übel riechen fie mir alle zufammen, diefe 
Götzendiener. 

Meine Brüder, wollt ihr denn erſticken im Dunſte 
ihrer Mäuler und Begierden! Lieber zerbrecht doch die 
Senfter und fpringt in’s Freie. 

Geht doch dem fchlechten Geruche aus dem Wegel 
Geht fort von der Bötzendienerei der Überflüffigen! 

Geht doch dem fchlechten Geruche aus dem Wegel 
Geht fort von dem Dampfe diefer Menfchenopfer! 

Frei fteht großen Seelen auch jetzt noch die Erde. 
£eer find nod viele Site für Einfame und Sweifame, 
um die der Geruch ftiller Meere weht. 

Frei fieht noch großen Seelen ein freies Leben. 
Wahrli, wer wenig befitt, wird um fo weniger be- 
feffen: gelobt fei die Peine Armuth | 

Dort, wo der Staat aufhört, da beginnt erft der 
Menſch, der nicht überflüffig ift: da beginnt das Kied 
des Xothwendigen, die einmalige und unerſetzliche 
Weife. 

:Dort, wo der Staat aufhört, — fo feht mir doch 
hin, meine Brüder! Seht ihr ihn nicht, den Regenbogen 
und die Brüden des Übermenfhen? — 


Alſo ſprach Sarathuftra. 


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Don den Fliegen des Marktes. 





Sliehe, mein freund, in deine Einfamfeit! Ich fehe 
dich betäubt vom Lärme der großen Männer und zer- 
flohen von den Stacheln der kleinen. 

Würdig wiffen Wald und Fels mit dir zu ſchwei⸗ 
gen. Gleiche wieder dem Baume, den du liebft, dem 
breitäftigen: fill und aufhorchend hängt er über dem 
Meere, 

Wo die Einfamfeit aufhört, da beginnt der Marft; 
und wo der Markt beginnt, da beginnt auch der Lärm 
der großen Schanfpieler und das Geſchwirr der giftigen 
liegen. 

In der Welt taugen die beiten Dinge noch Nichts, 
ohne Einen, der fie erft aufführt: große Männer heißt 
das Dolf diefe Aufführer. nn 

Wenig begreift das Dolf das Große, das ift: das 
Scaffende. Aber Sinne hat es für alle Aufführer und 
Schaufpieler großer Sachen. 1 

Um die Erfinder von neuen Werthen dreht fich 
die Welt: — unfichtbar dreht fie fih. Doh um die 
Scanfpieler dreht fit das Dolf und der Ruhm: fo 
ift es „der Welt Lauf”, 





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Geift hat der Schaufpieler, doch wenig Gewiſſen 
des Beiftes. Immer glaubt er an Das, womit er am 
ftärfiten glauben macht, — glauben an fi mad! 

Morgen hat er einen neuen Glauben und über. 
morgen einen neueren. Raſche Sinne hat er, gleich 
dem Dolfe, und veränderliche Witterungen. 

Umwerfen — das heißt ihm: beweifen. Koll 
machen — das heißt ihm: überzeugen. Und Blut gilt 
ihm als aller Gründe befter, 

Eine Wahrheit, die nur in feine Ohren fchlüpft, 
nennt er Lüge und Nichts. Wahrlich, er glaubt nur an 
Götter, die großen Lärm in der Welt machen! 

Doll von feierlihen Poffenreißern ift der Markt 
— und das Dolf rühmt fi feiner großen Männer! 
das find ihm die Herrn der Stunde. 

Aber die Stunde drängt fie: fo drängen fie dich. 
Und auch von dir wollen fie Ja oder ein. Wehe, du 
willſt zwifchen Für und Wider deinen Stuhl fegen? 

Diefer Unbedingten und Drängenden halber fei 
ohne Eiferfucht, du Liebhaber der Wahrheitl Niemals 
noch hängte fih die Wahrheit an den Arm eines Un- 
bedingten. 

Diefer Plöglichen halber gehe zurüd in deine 
Sicherheit: nur auf dem Markt wird man mit Ja? oder 
Xein? überfallen. 

Cangſam ift das Erleben allen tiefen Brunnen: lange 
müffen fie warten, bis fie wiffen, was in ihre Tiefe fiel, 

Abfeits vom Markte und Ruhme begiebt ſich alles 
Große: abfeits vom Markte und Ruhme wohnten von 
je die Erfinder neuer Werthe, 


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74 











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Sliehe, mein Freund, in deine Einfamkeit: ich fehe 
dich von giftigen Sliegen zerſtochen. Sliehe dorthin, 
wo rauhe, ſtarke Luft weht! 

$liehe in deine Einfamfeitl Du lebteft den Kleinen 
und Erbärmlichen zu nahe. Sliehe vor ihrer unficht- 
baren Rahel Gegen dich find fie Michts als Rache. 

Bebe nicht mehr den Arm gegen fiel Unzählbar 
find fie, und es ift nicht dein Loos, Sliegenmwedel 
zu fein. 

Unzählbar find diefe Kleinen und Erbärmlichen; 
und mandem ſtolzen Baue gereihten fon Negen- 
tropfen und Unkraut zum Untergange. 

Du bift fein Stein, aber fchon wurdeft du hohl 
von vielen Tropfen. Zerbrechen und zerberften wirft 
du mir noch von vielen Tropfen. 

Ermüdet fehe ih dich durch giftige Sliegen, biutig 
geritt fehe ich dich an hundert Stellen; und dein Stolz 
will nicht einmal zürnen. 

Blut mödten fie von dir in aller Unfhuld, Blut 
begehren ihre biutlofen Seelen — und fie ftechen da- 
her in aller Unfchuld. 

Aber du Tiefer, du leideft zu tief, auch an Fleinen 
Wunden; und ehe du dich noch geheilt haft, Froch dir 
der gleiche Giftwurm über die Hand. 

Su ftolz bift du mir dafür, diefe Naſchhaften zu 
tödten.. Hüte dich aber, daß es nicht dein Derhänaniß 
werde, all ihr giftiges Unrecht zu tragen! 

Sie fummen um dich auch mif ihrem Kobe: Zu⸗ 
dringlichfeit ift ihr Koben. Sie wollen die Nähe deiner 
Haut und deines Blutes, 


25 





— — 





Ste ſchmeicheln dir wie einem Gotte oder Ceufel; 
fie winfeln vor dir wie vor einem Gotte oder Teufel. 
Was madıt es! Schmeichler find es und Winfler, und 
nicht mehr. 

Auch geben fie fi dir oft als Kiebenswürdige, 
Aber das war immer die Klugheit der Feigen. Ja, die 
Seigen find Eingl 

Sie denken viel über dich mit ihrer engen Seele, 
— bedentlih bift du ihnen ſtets! Alles, was viel be 
dacht wird, wird bedenklich. 

Sie beftrafen dih für alle deine Tugenden. Sie 
verzeihen dir von Grund aus nur — deine Sehlgriffe. 

Weil du milde bift und gerechten Sinnes, fagft 
du: „unfchuldig find fie an ihrem Fleinen Dafein“. 
Aber ihre enge Seele denkt: „Schuld ift alles große 
Daſein“. 


Auch wenn du ihnen milde biſt, fühlen fie fih 


noch von dir veradtet; und fle geben dir deine Wohl. 
that zurüd mit verftedten Wehthaten. 

Dein wortlofer Stolz geht immer wider ihren Ge- 
fhmad; fie frohloden, wenn du einmal befceiden 
genug bift, eitel zu fein. 

Das, was wir an einem Mlenfhen erfennen, das 
entzünden wir an ihm auch. Alfo hüte dich vor den 
Kleinen! 

Dor dir fühlen fie ſich Flein, und ihre Niedrigkeit 
glimmt und glüht gegen dich in unfichtbarer Rache. 

Merkteft du nicht, wie oft fie ſtumm wurden, wenn 
du zu ihnen trateft, und wie ihre Kraft von ihnen gieng, 
wie der Rauch von einem erlöfchenden Feuer ? 





76 


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%a, mein Freund, das böfe Gewiſſen bift du deinen 
Nächſten: denn fie find deiner unwerth. Alſo haffen 
fie dich und möchten gerne an deinem Blute fangen. 


Das, was groß an dir ifl, — das felber muß fie giftiger 
machen und immer fliegenhafter. 

$liehe, mein Freund, in deine Einfamfeit und dort« 
hin, wo eine rauhe, ftarfe Luft weht. Nicht ift es dein 
£oos, Sliegenwedel zu fein. — 


Alfo ſprach Sarathuftra. 


| 
| 
Deine Nächften werden immer giftige Sliegen fein; 
| 
| 
| 





Don der Keufchheit. 





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Ich liebe den Wald. In den Städten ift fchlecht 
zu leben: da giebt es zu Diele der Brünftigen. 

Iſt es nicht befjer, in die Hände eines Mörders zu 
gerathen, als in die Träume eines brünftigen Weibes ? 

Und feht mir doc diefe Männer an: ihr Auge 
fagt es — ſie wiſſen nichts Befferes auf Erden, als bei 
einem Weibe zu liegen. 

Schlamm ift auf dem Grunde ihrer Seele; und 

wehe, wenn ihr Schlamm gar noch Geift hatl 
Daß ihr doch wenigftens als Chiere volllommen 
wäret! Aber zum Thiere gehört die Unſchuld. 

Rathe ich euch, eure Sinne zu tödten? Ich rathe 
euch zur Unfchuid der Sinne, 

Rathe ich euch zur Keufchheit? Die Keufchheit 
ift bei Einigen eine Tugend, aber bei Dielen beinahe 
ein Laſter. 

Diefe enthalten fih wohl: aber die Hündin Sinn- 
lichkeit blidtt mit Neid aus Allem, was fie thun. 

Noch in die Höhen ihrer Tugend und bis in den 
falten Geiſt hinein folgt ihnen dies Gethier und fein 


| Unfrieden, 


78 





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Und wie artig weiß dte Hündin Sinnlichkeit um 
ein Stück Geift zu betteln, wenn ihr ein Stüd Fleiſch 
verfagt wird! 

Ihr liebt Trauerfpiele und Alles, was das Herz zer» 
bright? Aber ich bin mißtrauiſch gegen eure Hündin. 

Ihr habt mir zu graufame Augen und blidt lüftern 
nah Xeidenden. Hat fih nit nur eure Wolluft 
verkleidet und heißt fih Mitleiden? 

Und and dies Gleichniß gebe ich euch: nicht 
Wenige, die ihren Teufel austreiben wollten, fuhren 
dabei felber in die Säne. 

Wem die Keufchheit ſchwer fällt, dem ift fie zu 
widerrathen: daß fie nicht der Weg zur Hölle werde 
— das tft zu Schlamm und Brunft der Seele, 

Rede ich von ſchmutzigen Dingen? Das iſt mir 
nicht das Schlimmfte. 

Nicht, wenn die Wahrheit ſchmutzig iſt, fondern 
wenn fie feiht ift, fteigt der Erfennende ungern in 
ihre Waſſer. | 

Wahrlich, es giebt Keufche von Grund aus: fie find 
milder von Herzen, fie lachen lieber und reichlicher als ihr. 

Sie laden auch über die Keufchheit und fragen: 
„was ift Keufchheitl 
Iſt Keufchheit nicht Chorheit? Aber diefe Chor- 
heit fam zu uns, und nicht wir zu ihr, 

„Wir boten diefem Gaſte Herberge und Herz: nun 
wohnt er bei uns, — mag er bleiben, wie lange er will“ 


Alfo prah Sarathuftra. 


8 % 
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29 









Dom Freunde, 





„Einer {ft immer zu viel um mich“ — alfo denkt 
der Einfiedler. „Immer Einmal Eins — das giebt auf 
die Dauer Sweil“ 

Jh und Mich find immer zu eifrig im Gefpräde: 
wie wäre es auszuhalten, wenn es nicht einen Sreund 
gäbe? 

Immer ift für den Einfiedler der Freund der Dritte: 
der Dritte ift der Korf, der verhindert, daß das Ge⸗ 
ſpräch der Sweie in die Tiefe finft. 

Ah, es giebt zu viele Tiefen für alle Einftedler. 
Darum fehnen fie fih fo nah einem Freunde und 
nach feiner Höhe. 

Unfer Glaube an Andre verräth, worin wir gerne 
an uns felber glauben möchten. Unſre Sehnjucht nad 
einem Freunde ift unfer Derräther. 

Und oft will man mit der Liebe nur den Xeid 
überjpringen. Und oft greift man an und madt fidh 
einen Feind, um zu verbergen, daß man angreifbar ift, 

„Sei wenigſtens mein Send!" — fo ſpricht die 
wahre Ehrfurcht, die nicht um Freundſchaft zu bitten 
wagt. 


80 


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Wil man einen Sreund haben, fo maß man aud 
für ihn Krieg führen wollen: und um Krieg zu führen, 
muß man $eind fein Ffönnen. 

Man fol in feinem Freunde noch den Feind ehren. 
Kannft du an deinen Freund dicht herantreten, ohne 
zu ihm überzutreten ? 

In feinem $reunde fol man feinen beften Feind 
haben. Du follft ihm am nädjften mit dem Berzen 
fein, wenn du ihm widerftrebft. 

Du will vor deinem Freunde fein Kleid tragen? 
Es foll deines Freundes Ehre fein, daß du dich ihm 
giebft, wie du biſt? Aber er wünfht dich darum 
zum Teufel! 

Wer aus fi Fein Kehl madıt, empört: fo fehr 
habt ihre Grund, die Nacktheit zu fürchten! Ja, wenn 
ihr Götter wäret, da dürftet ihr euch eurer Kleider 
ſchämen! 

Du kannſt dich für deinen Freund nicht ſchön ge⸗ 
nug putzen: denn du ſollſt ihm. ein Pfeil und eine 
Sehnfucht nach dem Übermenfcen fein. 

Sahft du deinen Freund fchon fchlafen, — damit 
du erfahreft, wie er ausfieht? Was ift doch fonft das 
Geficht deines Freundes? Es ift dein eignes Geficht, 
auf emem rauhen und unvolllommnen Spiegel. 

Sahft du deinen Freund fchon fhlafen? Erſchrakſt 
dm nicht, daß dein Freund fo ausfieht? Gh, mein 
Sreund, der Menſch it Etwas, das überwunden werden 
muß. 

Im Errathen und Stillfchweigen foll der Freund 
Meifter fein: nicht Alles mußt du fehn wollen. Dein 





Alfo fprach Sarathuſtra. 81 


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NER EDER. — ———— — — ei 
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Traum ſoll dir verrathen, was dein Freund im Wachen 
thut. 

Ein Errathen ſei dein Mitleiden: daß du erſt 
wiſſeſt, ob dein Freund Mitleiden wolle. Vielleicht 
liebt er an dir das ungebrochne Auge und den Blick 
der Ewigkeit. 

Das Mitleiden mit dem Freunde berge ſich unter 
einer harten Schale, an ihm ſollſt du dir einen Zahn 
anusbeißen. So wird es feine Seinheit und Süße 
haben. 

Bift dn reine Luft und Einfamkfeit und Brod und 
Arznei deinem Freunded Mancher fann feine eignen 
Ketten nicht löfen und doch ift er dem Sreunde ein 
‚Erlöfer. 

Biſt du ein Sklave? So Fannft du nicht Freund 
fein. Bift du ein Tyrann? So Fannft du nicht Freunde 
haben. 

Allzulange war im Weibe ein Sklave und ein 
Cyrann verftedt. Deshalb ift das Weib noch nicht 
der Freundſchaft fähig: es kennt nur die Liebe, 

In der Kiebe des Weibes ift Ungerechtigfeit und 
Blindheit gegen Alles, was es nicht liebt. Und aud 
in der wiffenden Liebe des Weibes ift immer noch 
Überfall und Blig und Nacht neben dem Lichte, 

Noch tft das Weib nicht der Sreundfchaft fähig: 
Katzen find immer nody die Weiber, und Dögel Oder, 
‚beten Salles, Kühe. 

Noch ift das Weib nicht der Sreundfchaft fähig. 
‚Aber fast mir, ihr Männer, wer von euch ift denn 
fähig der Sreundichaft? 


82 


⸗ 


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——— — —— —— —— —— — 
— — — — — — — — — — — — — — 


— ————— — — — — 

















Oh über eure Armuth, ihr Männer, und euren Geiz 
der Seelel Wie viel ihr dem Freunde gebt, das will 
ich noch meinem Feinde geben, und will aud nicht 
ärmer damit geworden fein. 

Es giebt Kameradihaft: möge es Steundfchaft 
geben! 


Alfo ſprach Zarathuſtra. 


— — nm 


Don tauſend und Einem Siele. 





Diele Länder fah Sarathuftra und viele Dölker: fo 
‚entdeckte er vieler Völker Gutes und Böfes. Keine 
größere Madıt fand Sarathuftra auf Erden, als Gut 
und Böfe, 

Keben Fönnte Fein Dolf, das nicht erft ſchätzte; 
will es fi aber erhalten, fo darf es nicht ſchätzen, 
wie der Nachbar ſchätzt. 

Dieles, das diefem Dolfe gut hieß, hieß einem 
andern Hohn und Schmad: alfo fand ich's. Dieles 
fand ich hier böfe genannt und dort mit purpurnen 
Ehren gepußt. 

ie verftand ein Nachbar den andern: flets ver 
wunderte ſich feine Seele ob des Nadbarn Wahn und | 


ee 


Bosheit. 
Eine Tafel der Güter hängt über jedem Volke. | 

Siehe, es ift feiner Überwindungen Tafel; fiehe, es iſt ! 

die Stimme feines Willens zur Macht. | 
£öblih ift, was ihm ſchwer gilt; was unerläßlich 

und fchwer, heißt aut; und was aus der hödıften | 

Xoth noch befreit, das Seltene, Schwerfte, — das preift 

es heilig. 





84 


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Was da macht, daß es herrſcht und fiegt und 
glänzt, feinem Nachbarn zu Grauen und leide: das 
gilt ihm das Hohe, das Erfte, das Mleflende, der Sinn 
| aller Dinge, 

Wahrlid,, mein Bruder, erfannteft du erft eines 
Dolfes Noth und Land und Himmel und Nachbar: fo 
erräthft du wohl das Geſetz feiner Überwindungen, 
und warum es auf diefer Keiter zu feiner Hoffnung 
fleigt. 

„Smmer follft du der Erfte fein und den Andsrn 
vorragen: Niemanden foll deine eiferfückhtige Seele 
lieben, es fei denn den Freund” — dies machte einem 
Griechen die Seele zittern: dabei gieng er feinen Pfad 
der Größe. 

„Wahrheit reden und gut mit Bogen und Pfeil 
verkehren” — fo dünkte es jenem Volke zugleich lieb 
und fchwer, aus dem mein Name fommt — der Xame, 
welcher mir zugleich lieb und fchwer ift. 

„Dater und Mutter ehren und bis in die Wurzel 
der Seele hinein ihnen zu Willen fein”: diefe Tafel der 
Überwindung hängte ein andres Dolf über fih auf 
und wurde mächtig und ewig damit. 

| „Treue üben und um der Treue willen Ehre und 
i Blut auch an böfe und gefährlihe Sachen fegen“: alfo 
fih Iehrend bezwang fih ein anderes Dolf, und alfo 
fi bezwingend wurde es fehwanger und fchwer von 
großen Hoffnungen. 

Wahrlih, die Menfchen gaben ſich alles ihr Gutes 
und Böfes. Wahrlich, fie nahmen es nicht, fie fanden 
es nicht, nicht fiel es ihnen als Stimme vom Himmel, 


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85 


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Werthe legte erſt der Menſch in die Dinge, ſich 
zu erhalten, — er ſchuf erft den Dingen Sinn, einen 
Menfchen-Sinn! Darum nennt er fi „Menfch“, das ift: 
der Schätende, 

Schätzen ift Schaffen: hört es, ihr Schaffenden! 
Schäten felber ift aller geſchätzten Dinge Schag und 
Kleinod. 

Durch das Schäten erft giebt es Werth: und ohne 
das Schätzen wäre die Nuß des Dafeins hohl. Hört es, 
ihr Schaffenden! 

Wandel der Werthe, — das ift Wandel der Schaffen- 
den. Jmmer vernichtet, wer ein Schöpfer fein muß. 
Schaffende waren erft Dölker, und fpät erſt Ein- 
zelne; wahrlih, der Einzelne felber ift noch die jüngfte 

Schöpfung. | 

Dölfer hängten fi einft eine Tafel des Guten 
über fih. Liebe, die herrfchen will, und Kiebe, die 
gehorhen will, erfhufen ſich zufammen folde Tafeln. 

Älter ift an der Heerde die Luft, als die Luft am 
Ih: und fo lange das gute Gewiſſen Heerde heißt, 
fagt nur das fchlechte Gewiſſen: Ich. 

Wahrli, das fchlaue Ich, das liebloſe, das feinen 
Augen im Nuten Dieler will: das ift nicht der Heerde 
Urfprung, fondern ihr Untergang. 

Kiebende waren es ftets und Schaffende, die fchufen 
Gut und Böfe. Feuer der Liebe glüht in aller Tugen- 
den Namen und feuer des Zorns. 

Diele Länder fah Harathuftra und viele Dölfer: 
feine größere Macht fand Sarathuftra auf Erden, als 
die Werke der Liebenden: „gut“ und „böfe“ ift ihr Name. 


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86 









Wahrlich, ein Ungethäm ift die Macht diefes CLobens 
und Tadelns. Sagt, wer bezwingt es mir, ihr Brüder? 
Sagt, wer wirft diefem Chier die Feſſel über die taufend 
Laden? 

Taufend Ziele gab es bisher, denn taufend Dölfer 
gab es. Xur die Feſſel der taufend Xaden fehlt 
noch, es fehlt das Eine Siel. Voch hat die Menfchheit 
fein Stel. 

Uber fagt mir doch, meine Brüder: wenn der 
Menſchheit das Biel noch fehlt, fehlt da nicht auch — 
fie felber noch? — 


| Alfo ſprach Zarathuſtra. 





87 


Don der Ylächftenliebe. 


Ihr drängt euch um den Vächſten und habt fchöne 
Worte dafür. Aber id fage euch: eure Zlächftenliebe 
ift eure fchlechte Liebe zu euch felber. 

Ihr flüchtet zum Xächften vor euch felber und 
möchtet euch daraus eine Tugend machen: aber id 
durchſchaue euer „Selbftlojes”. 

Das Du ift älter als das Jh; das Du ift heilig 
gefprohen, aber noch nicht das Ich: fo drängt fidh 
der Menſch hin zum Nädhften. 

Rathe ih euch zur Nächſtenliebe? Lieber noch 
rathe ih euch zur Mächften-Sluht und zur Sernften- 
£iebel 

Höher als die Liebe zum Nächſten flieht die Liebe 
zum Fernſten und Künftigen; höher noch als die Kiebe zu 
Menfchen gilt mir die Liebe zu Sachen und Gefpenftern. 

Dies Gefpenft, das vor dir herläuft, mein Bruder, 
ift ſchöner als du; warum giebft du ihm nicht dein 
Sleifh und deine Knohen? Aber du fürchteft dich 
und läufft zu deinem Nädhften. 

Ihr haltet es mit euch felber nicht aus und liebt 
euch nicht genug: nun wollt ihr den Nächſten zur 
£iebe verführen und ench mit feinem Irrthum vergolden. 


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88 


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Ich wollte, ihr hieltet es nicht aus mit allerlei 
Vächſten und deren Nachbarn; fo müßtet ihr aus euch 
felber euren Freund und fein überwallendes Herz 
ſchaffen. 

Ihr ladet euch einen Zeugen ein, wenn ihr von 
euch gut reden wollt; und wenn ihr ihn verführt habt, 
gut von ench zu denken, denkt ihr felber gut von end. 

it nur Der lügt, welcher wider fein Wiffen 
redet, fondern erft recht Der, welcher wider fein Nicht⸗ 
wiffen redet. Und fo redet ihr von euch im Derfehre 
und belügt mit euch den Zlachbar. 

Alfo fpriht der Narr: „der Umgang mit Men⸗ 
fhen verdirbt den Charakter, fonderlid wenn man 
feinen hat.“ 

Der Eine geht zum Nächſten, weil er fih ſucht, 
und der Andre, weil er fi verlieren möchte. Eure 
ſchlechte Liebe zu euch felber maht euh aus der 
Einfamfeit ein Gefängniß. 

Die Ferneren find es, welhe eure Liebe zum 
Nächſten bezahlen; und fchon wenn ihr zu fünfen mit 
einander feid, muß immer ein fechfter fterben. 

Ich liebe auch eure Feſte nicht: zu viel Schan« 
fpieler fand ich dabei, und aud die Sufchaner ge 
bärdeten fich oft gleih Schaufpielern. 

Nicht den Nädften lehre ich euch, fondern den 
Freund. Der Sreund fei euch das Feſt der Erde und 
ein Dorgefühl des Übermenſchen. 

Ih lehre euch den Freund und fein übervolles 
Herz. Aber man muß verftehn, ein Schwamm zu fein, 
menn man von übervollen Herzen geliebt fein will. 


EEE EEE EEE EEE — 


89 





Ich lehre euch den Freund, in dem die Welt fertig 
dafteht, eine Schale des Guten, — den ſchaffenden 
Freund, der immer eine fertige Welt zu verfchenten hat. 

Und wie ihm die Welt auseinander rollte, fo rollt 
fie ihm wieder in Ringen zufammen, als das Werden 
des Guten durch das Böfe, als das Werden der Zwecke 
aus dem Zufalle. 

Die Zukunft und das Fernſte fei dir die Urfache 
deines Heute: in deinem Freunde follt du den Über- 
menfchen als deine Urſache lieben. 

Meine Brüder, zur Nächſtenliebe rathe ich euch 
nicht: ich rathe euch zur Sernften-£iebe, 


Alfo ſprach Sarathuftra, 


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Dom Wege des Schaffenden. 





Willſt du, mein Bruder, in die Dereinfamung gehen ? 
will du den Weg zu dir felber fuhen? Zaudere 
noch ein Wenig und höre mic. 

„Wer fucht, der geht leicht felber verloren. Alle 
Dereinfamung ift Schuld”: alſo fpricht die Heerde. 
Und du gehörteft lange zur Heerde. 

Die Stimme der Heerde wird auch in dir noch 
tönen. Und wenn du fagen wirft „ih habe nicht 
mehr Ein Gemwiffen mit euch”, fo wird es eine Klage 
und ein Schmerz fein. 

Siehe, diefen Schmerz felber gebar noch das Eine 
Gewiflen: und diefes Gewifjens letzter Schimmer glüht 
noch auf deiner Trübfal. 

Uber du willft den Weg deiner Trübfal gehen, 
welches ift der Weg zu dir felber? So zeige mir dein 
Recht und deine Kraft dazul 

Biſt du eine neue Kraft und ein neues Recht? 
Eine erſte Bewegung? Ein aus fich rollendes Rad? 
Kannft du auch Sterne zwingen, daß fie um dich ſich 
drehen? 

Ad, es giebt fo viel Küfternheit nach Höhel Es 








giebt fo viel Krämpfe der Ehrgeizigen! Zeige mir, daß 
du feiner der Küfternen und Ehrgeizigen bift! 

Ah, es giebt fo viel große Gedanken, die thun 
nicht mehr als ein Blafebalg: fie blafen auf und maden 
leerer. 

Frei nennft du dich? Deinen herrfchenden Ge⸗ 
danken will ich hören und nicht, daß du einem Joche 
entronnen bift. 

Biſt du ein Solcher, der einem Joche entrinnen 
durfte? Es giebt Manchen, der feinen lebten Werth 
wegwarf, als er feine Dienftbarfeit wegwarf. 

frei wovon? Was fchiert das Sarathuftra! Hell 
aber foll mir dein Auge fünden: frei wozu? 

Kannft du dir felber dein Böfes und dein Gutes 
geben und deinen Willen über dich aufhängen wie ein 
Gefeg? Kannit du dir felber Nichter fein und Nächer 
deines Geſetzes ? 

Furchtbar ift das Alleinfein mit dem Nichter und 
Rächer des eignen Geſetzes. Alfo wird ein Stern hinaus» 
geworfen in den öden Raum und in den eifigen Athem 
des Alleinfeins, 

Heute noch leideft du an den Dielen, du Einer: heute 
noch ‚haft du deinen Muth ganz und deine Hoffnungen. 

Aber einft wird dich die Einſamkeit müde machen, 
einft wird dein Stolz fich Frümmen und dein Muth 
knirſchen. Schreien wirft du einft „ich bin allein!“ 

Einft wirft du dein Hohes nicht mehr fehn und 
dein Niedriges allzunahe; dein Erhabnes felbft wird 
dich fürchten machen wie ein Geſpenſt. Schreien wirſt 
du einſt: „Alles iſt falſchl“ 


92 


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Es giebt Gefühle, die den Einfamen tödten wollen; 
gelingt es ihnen nicht, nun, fo müſſen fie felber fterben! 
Aber vermagft du das, Mörder zu fein? 

Kennft du, mein Bruder, fchon das Wort „Der- 
achtung”? Und die Qual deiner Gerechtigkeit, Solchen 
gerecht zu fein, die dich verachten ? 

Du zwingſt Diele, über dich umzulernen; das 
rechnen fie dir hart an. Du Famft ihnen nahe und 
giengft doch vorüber: das verzeihen fie dir niemals. 

Du gehft über fie hinaus: aber je höher du fteigft, 
um fo Pleiner fieht dich das Auge des Neides. Am 
meiften aber wird der Fliegende gehaßt. 

„Wie wolltet ihr gegen mich gerecht fein! — mußt 
du fprehen — ich erwähle mir eure Ungerechtigfeit 
als den mir zugemefinen Cheil.” 

Ungerechtigkeit und Schmuß werfen fle nach dem 
Einfamen: aber, mein Bruder, wenn du ein Stern fein 
willft, fo mußt du ihnen deshalb nicht weniger leuchten! 

Und hüte dich vor den Guten und Gerechten! Sie 
frenzigen gerne Die, welche fih ihre eigne Tugend 
erfinden, — fie haffen den Einfamen. 

Hüte dich auch vor der heiligen Einfaltl Alles ift 
ihr unheilig, was nicht einfältig ift; fie fpielt auch gerne 
mit dem Feuer — der Scheiterhaufen. 

- Und hüte dich auch vor den Unfällen deiner Kiebel 
Su ſchnell firedit der Einfame Dem die Band entgegen, 
der ihm begegnet. 

Manchem Menſchen darfft du nicht die Hand geben, 
fondern nur die Tate: und ich will, daß deine Tabe 
auch Krallen habe. 





93 


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Aber der ſchlimmſte Feind, dem du begegnen 
kannſt, wirſt du immer dir ſelber ſein; du ſelber lauerſt 
dir auf in Höhlen und Wäldern. 

Einſamer, du gehſt den Weg zu dir ſelberl Und 
an dir ſelber führt dein Weg vorbei, und an deinen 
ſieben Teufeln! 

Ketzer wirſt du dir ſelber ſein und Hexe und 
Wahrſager und Narr und Zweifler und Unheiliger und 
Böfewicht. 

Derbrennen mußt du dich wollen in deiner eignen 
Flamme: wie wollteft dn nen werden, wenn du nicht 
erft Afche geworden bift! 

Einfamer, du gehft den Weg des Schaffenden: einen 
Gott willft du dir fchaffen aus deinen fieben Ceufeln! 

Einfamer, du gehft den Weg des Liebenden: dich 
felber liebft du und deshalb verachteft du dich, wie 
nur Liebende verachten. 

Schaffen will der Kiebende, weil er verachtetl Was 
weiß Der von Liebe, der nicht gerade verachten mußte, 
was er liebtel 

Mit deiner Liebe gehe in deine Dereinfamung und 
mit deinem Schaffen, mein Bruder; und fpät erft wird 
die Gerechtigkeit dir nachhinten. 

Mit meinen Chränen gehe in deine Dereinfamung, 
mein Bruder. Ich liebe Den, der über ſich felber hinaus 
ſchaffen will und fo zu Grunde geht. — 


Alſo fprach Sarathuftra. 


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Don alten und jungen Weiblein. 





„Was fdhleihft du fo fchen dur die Dämme⸗ 


rung, Zarathuſtra? Und was birgft du behutfam unter 
deinem Mantel? 

„Iſt es ein Schaß, der dir gefchenft? oder ein 
Kind, das dir geboren wurde? Oder gehft du jebt 
felber auf den Wegen der Diebe, du Freund der 
Böfen?" — 

Wahrlich, mein Bruderl ſprach Sarathuftra, es 
iſt ein Schag, der mir geſchenkt wurde: eine Kleine 
Wahrheit ift’s, die ich trage. 

Uber ſie ift ungebärdig wie ein junges Kind; 
und wenn ich ihr nicht den Mund halte, fo fchreit fie 
überlaut. | 

Als ich heute allein meines Weges gieng, zur 
Stunde, wo die Sonne finkt, begegnete mir ein altes 
Weiblein und redete alfo zu meiner Seele: | 

„Dieles ſprach Sarathuftra auch zu uns Weibern, 
doch nie fprach er uns über das Weib.” 


Und ich entgegnete ihr: „über das Weib ſoll man 


nur zu Männern reden." 


95 








„Rede au zu mir vom Weibe, ſprach fie; ich 
bin alt genug, um es gleich wieder zu vergeffen.” 

Und ich willfahrte dem alten Weiblein und ſprach 
alfo zu ihm: 

Alles am Weibe ift ein Aäthfel, und Alles am 
Weibe hat Eine Löfung: fie heißt Schwangerfcaft. 

Der Mann ift für das Weib ein Mittel: der Zweck ift 
immer das Kind. Aber was ift das Weib für den Mann? 

Zweierlei will der echte Mann: Gefahr und Spiel. 
Deshalb will er das Weib, als das gefährlichite 
- Spielzeug. 

Der Mann fol zum Kriege erzogen werden, und 
das Weib zur Erholung des Kriegers: alles Andre ift 
Chorbeit. 

Alzufüße Srühte — die mag der Krieger nidt. 
Darum mag er das Weib; bitter ift auch noch das 
füßefte Weib. 

Beſſer als ein Mann verfteht das Weib die Kinder, 
aber der Mann ift findlicher als das Weib, 

Im echten Manne ift ein Kind verftedt: das will 
ſpielen. Auf, ihr Frauen, fo entdedt mir doch das 
Kind im Mannel 

Ein Spielzeug fei das Weib, rein und fein, dem 
Edelfteine glei, beftrahlt von den Tugenden einer 
Welt, welche noch nicht da ift. 

Der Strahl eines Sternes glänze in eurer Kiebel 
Enre Hoffnung heiße: „möge ich den Übermenfchen 
gebären!” 

In eurer Liebe fei Tapferfeitl Mit eurer Liebe 
follt ihr auf Den losgehn, der euch Furcht einflößt. 


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| ' In eurer Liebe fei eure Ehrel Wenig verfieht ; 
ſich fonft das Weib anf Ehre. Aber dies fei eure ;; 
5 Ehre, immer mehr zu lieben, als ihr geliebt werdet, :i 
und nie die Sweiten zu fein. Y 

Der Mann fürdte ſich vor dem Weibe, wenn es | 
liebt: da bringt es jedes Opfer, und jedes andre Ding 
gilt ihm ohne Werth. 
| Der Mann fürchte fihh vor dem Weibe, wenn es 
haft: denn der Mann ift im Grunde der Seele nur 
böfe, das Weib aber tft dort fchlecht. 

Wen haft das Weib am meiften? — Alfo fpradı 
das Eifen zum Magneten: „ich haffe dih am meiften, 
weil du anziehft, aber nicht flarf genug bift, an dich 
zu ziehen.“ | 

Das Glüd des Mannes heißt: ih will. Das Glück 
des Weibes heißt: er will. 

„Siehe, jett eben ward die Welt vollkommen!“ — 
alfo denkt ein jedes Weib, wenn es aus ganzer Liebe 
gehorcht. 

Und gehorhen muß das Weib und eine Tiefe 
finden zu feiner Oberflähe. Oberfläche ift des Weibes 
Gemüth, eine bewegliche flürmifhe Haut auf einem 
I" feichten Bemwäfler. 

' Des Mannes Gemüth aber if tief, fein Strom 
rauſcht in unterirdifchen Höhlen: das Weib ahnt feine 
Kraft, aber begreift fie nicht. — 

Da entgegnete mir das alte Weiblein: „Dieles 
Artige fagte Sarathuftra und fonderlih für Die, welche 
jung genug dazu find. | 

Seltjam if’s, Sarathuftra kennt wenig die Weiber, 


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Alſo ſprach Zarathuſtra. 97 7 





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und doch hat er über fie Recht! Geſchieht dies des⸗ 
halb, weil beim Weibe Fein Ding unmöglidy ift? 

Und nun nimm zum Danfe eine Peine Wahrheit! 
Bin ich doch alt genug für fiel 

Widle fie ein und halte ihr den Mund: fonft 


„Bteb mir, Weib, deine Eleine Wahrheitl” fagte 
ih. Und alfo fprady das alte Weiblein: 
„Du gehft zu Frauen? Dergiß die Peitfche nicht!" — 


Alfo ſprach Sarathuftra, 


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fchreit fie überlaut, diefe kleine Wahrheit.“ 
| 
| 





98 


Dom Biß der Katter, 


Eines Tages war Sarathuftra unter einem Seigen- 
baume eingeſchlafen, da es heiß war, und hatte feine 
Arme über das Gefiht gelegt. Da kam eine Natter 
und big ihn in den Bals, fo daß Zarathuſtra vor 
Schmerz auffhrie. Als er den Arm vom Geſicht ge 
nommen hatte, fah er die Schlange an: da erfannte 
fie die Augen Sarathuflra’s, wand fih ungeſchickt 
und wollte davon. .„Zlicht doch, ſprach Farathuſtra; 
noch nahmft du meinen Dank nicht anl Du weckteſt 
midy zur Seit, mein Weg tft nod lang.“ „Dein Weg 
iſt noch kurz“, fagte die Natter traurig; „mein Gift tödtet.” 
Sarathuftra lächelte „Wann flarb wohl je ein Drache 
am Gift einer Schlange?" — fagte er. „Aber nimm dein 
Gift zurüdl Du biſt nicht reich genug, es mir zu 
fchenfen.” Da fiel ihm die Hatter von Neuem um den 
Bals und ledte ihm feine Wunde. 

Als Sarathuftra dies einmal feinen Jüngern erzählte, 
fragten fie: „Und was, oh Sarathuftra, ift die Moral 
deiner Gefchichter" Sarathuftra antwortete darauf alfo: 

Den Dernichter der Moral heißen mid die Guten 
und Gerechten: meine Geſchichte ift unmoraliſch. 





99 


928.274 


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So ihr aber einen Feind habt, ſo vergeltet ihm 
nicht Böſes mit Gutem: denn das würde beſchämen. 
Sondern beweiſt, daß er euch etwas Gutes ange⸗ 
than hat. 

Und lieber zürnt noch, als daß ihr beſchämt! 
Und wenn euch geflucht wird, ſo gefällt es mir nicht, 
dag ihr dann ſegnen wollt. Lieber ein Wenig mit- 
fluchen | 

Und gefhah euh ein großes Unreht, fo thut 
mir gefchwind fünf Pleine dazul Gräßlich ift Der an- 
zujehn, den allein das Unrecht drüdt. 

Wußtet ihr dies fon? Getheiltes Unredt if 
halbes Recht. Und Der. foll das Unrecht auf fidh 
nehmen, der es tragen kann! 

Eine Heine Rache ift menfchlicher als gar Feine 
Rache. Und wenn die Strafe nicht auch ein Wecht 
und eine Ehre ik für den Übertretenden, fo mag id 
auch euer Strafen nicht. 

Dornehmer ift’s, fi Unrecht zu geben als Recht 
zu behalten, fonderlich wenn man Recht hat. Nur mu 
man reich genug dazu fein. 

Ih mag eure Palte Gerechtigkeit nicht; und aus 
dem Auge eurer Richter blickt mir immer der Henker 
und fein Faltes Eifen. 

Sagt, wo findet fih die Gerechtigkeit, welche 
£iebe mit fehenden Augen ift? 

So erfindet mir doch die Kiebe, welche nicht nur 
alle Strafe, fondern auch alle Schuld trägtl 

So erfindet mir doch die Gerechtigkeit, die Jeden 
freifpricht, ausgenommen den Richtenden! 


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100 













Wollt ihr aud dies noch hören? An Dem, der 
von Grund aus gerecht fein will, wird auch noch die 
: Züge zur Menfchen-$reundlichkeit. 

. Aber wie wollte ich gerecht fein von Grund aus! 
Wie kann ich Jedem das Seine gebenl Dies fei mir 
genug: ich gebe Jedem das Meine. 

J Endlich, meine Brüder, hütet euch Unrecht zu thun 
: allen Einfiedlern! Wie Fönnte ein Einfiedler vergeffen| 
; Wie fönnte er vergelten! 

Wie ein tiefer Brunnen ift ein Einfiedler. Leicht 

iſt es, einen Stein hineinzuwerfen; ſank er aber bis zum 

Grunde, fagt, wer will ihn wieder hinausbringen? 
Hütet euch, den Einfledler zu beleidigeni Chatet 

ihr’s aber, nun, fo tödtet ihn auch nochl 


| ' Alfo ſprach Sarathuftra. 


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Don Kind und Ehe. 





Ich habe eine Frage für dich allein, mein Bruder: 
wie ein Senfblei werfe ich diefe Frage in deine Seele, 
daß ich wiffe, wie tief fie fei. 

Du bift jung und wünfheft dir Kind und Ehe. 
Aber ih frage dich: biſt du ein Menſch, der ein Kind 
fi wünſchen darf? 

Biſt du der Siegreihe, der Selbftbezwinger, der 
Gebieter der Sinne, der herr deiner Tugenden? Alfo 
frage ich dich. 

Oder redet aus deinem Wunfche das hier und die 
Aothdurft? Oder Dereinfamung? Oder Unfriede mit dir? 

Ih will, daß dein Sieg und deine Sreiheit ſich 
nah einem Kinde fehne Lebendige Dentmale folfft 
du bauen deinem Siege und deiner Befreiung. 

Über dich follt du hinansbauen. Aber erft mußt 
du mir felber gebaut fein, rechtwinklig an Leib und 
Seele. 

Nicht nur fort folk du dich pflanzen, fondern 
hinaufl Dazu helfe dir der Garten der Ehel 

Einen höheren Leib follft du fchaffen, eine erfte 
Bewegung, ein aus fi rollendes Rad, — einen 
Schaffenden ſollſt du ſchaffen. 


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102 
















Ehe: fo heiße ich den Willen zu Zweien, das Eine 
zu fchaffen, das mehr if, als die es fchufen. Ehrfurcht 
vor einander nenne ich Ehe als vor den Wollenden 
eines folhen Willens. 

Dies fei der Sinn und die Wahrheit deiner Ehe. 
Aber Das, was die Diel-zu-Dielen Ehe nennen, diefe 
Überflüffigen, — ach, wie nenne ich das? 

Ah, diefe Armuth der Seele zu Zweien! Ad, 
diefeer Schmußg der Seele zu Sweienl Ad, dies er 
bärmlihe Behagen zu Sweien! 

Ehe nennen fie dies Alles; und fie fagen, ihre 
Ehen feien im Himmel gefchloffen. 

Nun, ic mag ihn nicht, diefen Himmel der Über- 
flüſſigen! Xein, ich mag fie nicht, diefe im himmlifchen 
et verfhlungenen Chierel 

Ferne bleibe mir auch der Bott, der heranhinkt, 
zu fegnen, was er nicht zufammenfügtel 

Cacht mir nicht über folhe Ehenl Welches Kind 
hätte nicht Grund, über feine Eltern zu weinen? 

Würdig fchien mir diefer Mann und reif für den 
Sinn der Erde: aber als ich fein Weib fah, fchien mir 
die Erde ein Hans für Unfinnige. 

Sa, ich wollte, daß die Erde in Krämpfen bebte, 
wenn ſich ein Heiliger und eine Gans mit einander paaren. 
‚ Diefer gieng wie ein Held auf Wahrheiten aus und 
’ endlich erbeutete er fih eine Meine gepußte Lüge. 
3 Seine Ehe nennt er’s. 

Jener war fpröde im Derfehre und wählte wähle- 
rifh. Aber mit Einem Male verdarb er für alle Male 
ſeine Gefellfcaft: feine Ehe nennt ers. 


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Jener fuchte eine Magd mit den Tugenden eines 
Engels. Aber mit Einem Male wurde er die Magd 
eines Weibes, und nun thäte es noth, daß er darüber 
noch zum Engel werde. 

Sorafam fand ich jeßt alle Käufer, und alle haben 
liftige Augen. Aber feine Frau fauft auch der Liſtigſte 
noch im Sad, 

Diele furze Chorheiten — das heißt bei euch Liebe. 
Und eure Ehe madt rielen furzen Chorheiten ein 
Ende, als Eine lange Dummheit. 

Eure Liebe zum Weibe und des Weibes Kiebe 
zum Manne: ad, möchte fie doch Mitleiden fein mit 
leidenden und verhällten Göttern! Aber zumeift errathen 
zwei Chiere einander. 

Aber auch noch eure befte Kiebe ift nur ein ver- 
zücktes Gleichniß und eine fchmerzhafte Gluth. Eine 
Sadel ift fie, die euch zu höheren Wegen leuchten fol. 

Über euch hinaus follt ihr einſt lieben! So Iernt 
erft lieben! Und darum mußtet ihr den bittern Kelch 
eurer Liebe trinken. 

Sitterniß ift im Kelh aud der beften Liebe: 
fo macht fie Sehnfucht zum Übermenfchen, fo madıt fie 
Durft dir, dem Schaffenden! 

Durft dem Scyaffenden, Pfeil und Sehnfucht zum 
Üibermenfchen: fprid, mein Bruder, ift dies dein Wille 
zur Ehe? 

Reilig heißt mir folh ein Wille und folhe Ehe. — 


Alſo ſprach Zarathuſtra. 





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Dom freien Tode. 





Diele fterben zu fpät, und Einige fterben zu früh. 
Noch klingt fremd die Lehre: „ftirb zur rechten Zeit!“ 

Stirb zur rechten Zeit; alfo lehrt es Sarathuftra. 

Freilich, wer nie zur rechten Zeit lebt, wie follte 
der je zur rechten Seit flerben? Möchte er doch nie 
geboren fein! — Alfo rathe ich den Überflüffigen. 

Aber auch dte Überflüffigen thun noch wichtig 
mit ihrem Sterben, und auch die hohlfte Nuß will 
noch geknackt fein. 

Wichtig nehmen Alle das Sterben; aber noch ift 
der Tod Fein Feſt. Noch erlernten die Menfchen nicht, 
wie man die fchönften Kefte weiht. 

Den vollbringenden Tod zeige ich euch, der den 
£ebenden ein Stachel und ein Gelöbniß wird. 

Seinen Tod ftirbt der Dollbringende, flegreidh, 
umringt von Hoffenden und Belobenden. 

Alfo follte man fterben lernen; und es follte fein 
Feſt geben, wo ein folder Sterbender nicht der Keben- 
den Schwüre weihtel 
»Alſo zu fterben ift das Befte; das Sweite aber 
ft: im Kampfe zu fterben und eine große Seele zu 
verschwenden, 








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| 


Aber dem Kämpfenden gleichverhaßt wie dem Sieger 
ift euer grinfender Lod, der heranfchleicht wie ein Dieb 
— und doc als Kerr fommt. 


Meinen Tod Iobe ich euch, den freien Tod, der mir 
fommt, weil ich will, 

Und wann werde ich wollen? — Wer ein Stel hat 
und einen Erben, der will den Cod zur rechten Heit für 
Ziel und Erben. 

Und aus Ehrfurdt vor Siel und Erben wird et 
feine dürren Kränze mehr im Beiligthum des Lebens 
aufhängen. 

Wahrlich, nicht will ih den Seildrehern gleichen: 
fie ziehen ihren Faden in die Länge und gehen dabei 
felber immer rüdwärts. 

Mancer wird auch für feine Wahrheiten und Siege 
zu alt; ein zahnlofer Mund hat nicht mehr das Hecht 
zu jeder Wahrheit. 

Und Jeder, der Ruhm haben will, muß ſich bei 
Seiten von der Ehre verabfchieden und die fchwere 
Kunft üben, zur rechten Zeit zu — gehn. 

Man muß aufhören, fih efien zu laflen, wenn 
man am beiten fchmedt: das wiffen Die, welde lange 
geliebt werden wollen. _ 

Saure Äpfel giebt es freilich, deren Loos will, daß 
fie bis auf den lebten Tag des Berbftes warten: und 
zugleich werden fie reif, gelb und runzelig. 

Andern altert das Herz zuerft und Andern der 
Geift. Und Einige find greis in der Jugend: aber fpät 
jung erhält lang jung. 


106 

















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Manchem mißräth das Leben: ein Giftwurm frißt 
fih ihm an's Herz. So möge er zuſehn, daß ihm das 
Sterben um fo mehr gerathe. 

Mancher wird nie füß, er fanlt im Sommer fchon. 
Seigheit ift es, die ihn an feinem Aſte fefthält. 

Diel zu Diele leben und viel zu lange hängen fie 
an ihren Äften. Möchte ein Sturm kommen, der all 
dies Saule und Wurmfreffne vom Baume fchütteltl 

Möchten Prediger kommen des ſchnellen Todes! 
Das wären mir die rechten Stürme und Schüttler an 
Sebensbäumen! Aber ich höre nur den langfamen Cod 
predigen und Geduld mit allem „Irdiichen”. 

Ad, ihr predigt Geduld mit dem Irdiſchen? Diejes 
Irdiſche ift es, das zu viel Geduld mit euch hat, ihr 
£äftermänler! 

Wahrlih, zu früh flarb jener Bebräer, den die 
Prediger des langfamen Todes ehren: und Dielen ward 
es feitdem zum Derhängniß, daß er zu früh ftarb, 

och Fannte er nur Thränen und die Schwermuth 
des Hiebräers, fammt dem Haſſe der Guten und Be- 
rehten, — der Hebräer Jefus: da überfiel ihn die 
Sehnfucht zum Tode. | 

Wäre er doch in der Wüfte geblieben und ferne 
von den Guten und Gerechten! Dielfeicht hätte er leben 
gelernt und die Erde lieben gelernt — und das Lachen 
dazu. 

Glaubt es mir, meine Brüder! Er ſtarb zu früh, 
er felber hätte feine Lehre widerrufen, wäre er bis zu 
meinem Alter gefommen! Edel genug war er zum 
Widerrufen! 





107 









Aber ungereift war er noch. Unreif liebt der 
Jüngling, und unreif haft er auch Menſch und Erde, 
I Angebunden und fchwer ift ihm noch Gemüth und 
| Geiftesflügel. 
| * Aber im Manne iſt mehr Kind als im Jünglinge, 
ı und weniger Schwermuth: beffer verfteht er fih auf 
i Tod und Leben. 

Frei zum Tode und frei im Tode, ein heiliger 

Hein-fager, wenn es nicht Zeit mehr ift zum Ja: alfo 

verfteht er fich auf Tod und Leben. 

Daß euer Sterben Feine Läfterung fei auf Menfch 
| umd Erde, meine Sreunde: das erbitte ich mir von dem 
J Haonig eurer Seele, Ä 
| In eurem Sterben foll noch euer Geift und eure 





Tugend glühn, glei einem Abendroth um die Erde: 
oder aber das Sterben ift euch ſchlecht gerathen. 

Alfo will ih felber fterben, daß ihe Freunde um 
meinetwillen die Erde mehr liebt; und zur Erde will 
ih wieder werden, daß ich in Der Ruhe habe, die 
mich gebar, 

Ä Wahrlich, ein Stel hatte Sarathuftra, er warf feinen 
| Ball: nun feid ihr Freunde meines Sieles Erbe, euch 
N werfe ich den goldenen Ball zu. 
| Sieber als Alles fehe ich euch, meine Freunde, den 

goldenen Ball werfenl Und fo verziehe ich noch ein 
Wenig auf Erden: verzeiht es mir! 


Alſo ſprach Sarathuftra. 


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Don der fchentenden Tugend, 


1. 


Als Sarathuftra von der Stadt Abfchied genommen 
hatte, welcher fein Herz zugethan war und deren 
Name lautet: „die bunte Kuh” — folgten ihm Diele, 
die fi feine Jünger nannten, und gaben ihm das 
Geleit. Alfo kamen fie an einen Kreuzweg: da fagte 
ihnen Sarathuftra, daß er nunmehr allein gehen wolle; 
denn er war ein Freund des Alleingehens. Seine 
Jünger aber reichten ihm zum Abfchiede einen Stab, 
an defien goldnem Griffe fih eine Schlange um die 
Sonne ringelte. Zarathuſtra freute ſich des Stabes 
und ftüßte fi darauf; dann ſprach er alfo zu feinen 
Jüngern: 

Sagt mir do: wie Fam Gold zum hödften 
Werther Darum, daß es ungemein ift und unnützlich 
und leuchtend und mild im Glanze; es fchenft fidh 
immer, 

Aur als Abbild der höchſten Tugend kam Bold zum 
höchften Werthe. Goldgleih leuchtet der Bli dem 
Schentenden. Goldes- Glanz fliegt Friede zwifchen 
Mond und Sonne, 


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109 


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Ungemein if die höcfte Tugend und unnützlich, 
leuchtend ift fie und mild im Slanze: eine fchenfende 
Tugend iſt die höchfte Tugend. 

Wahrlich, ih errathe euch wohl, meine Jünger: 
ihr trachtet, gleich mir, nach der fchenfenden Cugend. 
Was hättet ihr mit Kaben und Wölfen gemeinfam? 

Das ift euer Durft, felber zu Opfern und Be 
fhenfen zu werden: und darum habt ihr den Durft, 
alle Reihthümer in eure Seele zu häufen, 

Unerfättih trachtet eure Seele nah Schäben 
und Kleinodien, weil eure Tugend unerfättlih ift im 
Derfchenten-Wollen, 

Ihr zwingt alle Dinge zu euch und in euch, daß 
fie aus eurem Borne zurüdftrömen follen als die Gaben 
eurer Kiebe. 

Mahrlih, zum Näuber an allen Werten muß 
ſolche fchenfende Liebe werden; aber heil und Heilig 
heiße ich diefe Selbftfucht. — 

Eine andre Selbftfucht giebt es, eine allzuarme, 
eine hungemde, die immer ftehlen will, jene Selbft- 
fucht der Kranken, die kranke Selbftfucht. 

mit dem Auge des Diebes blickt fie auf alles 
Glänzende; mit der Gier des Hungers mißt fie Den, 
der reich zu eſſen hat; und immer fchleicht fie um den 
Tiih der Schenfenden. 

Krankheit redet aus folder Begierde und unficht- 
bare Entartung; von fiehem Leibe redet die diebifche 
Gier diefer Selbftfucht. 

Sagt mir, meine Brüder: was gilt uns als Schlechtes 
und Schlechteſtes? Iſt es nicht EntartungPp — Und 


110 





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. . um er u om . * = - - 24 
f——— — — —— ———— —— — — GE Ana — — ——————— HERE 


— ——— — — 


auf Entartung rathen wir immer, wo die ſchenkende 
Seele fehlt. 

Aufwärts geht unſer Weg, von der Art hinüber 
zur Über⸗Art. Aber ein Grauen iſt uns der entartende 
Sinn, welcher ſpricht: „Alles für mid.“ 

Aufwärts fliegt unfer Sinn: fo ift er ein Gleichniß 
unfres Leibes, einer Erhöhung Gleichniß. Solcher Er- 
höhungen Gleichniffe find die Namen der Tugenden. 

Alfo geht der Leib durch die Gefchichte, ein Wer⸗ 
dender und. ein Kämpfender. Und der Beift — was 
ift er ihm? Seiner Kämpfe und Siege Herold, Genoß 
und Widerhall. 

Gleichniffe find alle Namen von But und Böfe: 
fie fprehen nicht aus, fie winfen nur, Ein Chor, 
welcher von ihnen Wiffen willl 

Actet mir, meine Brüder, auf jede Stunde, wo 
euer Geift in Bleichniffen reden will: da tft der Ur- 
fprung eurer Tugend. 

Erhöht ift da euer Leib und auferflanden; mit 
feiner Wonne entzücdt er den Geift, daß er Schöpfer 
wird und Scäber und Kiebender und aller Dinge 
Wohlthäter. 

Wenn euer Herz breit und voll wallt, dem Strome 
gleih, ein Segen und eine Gefahr den Anwohnenden: 
da iſt der Urfprung eurer Tugend. | 

Wenn ihr erhaben feid über Lob und Tadel, und 
euer Wille allen Dingen befehlen will, als eines Lieben⸗ 
den Wille: da ift der Urfprung eurer Tugend. 

Wenn ihr das Angenehme veradıtet und das weiche 





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Bett, und von den Weichlichen euch nicht weit genug 
betten Fönnt: da tft der Urfprung eurer Tugend. 
Wenn ihr Eines Willens Wollende feid, und diefe 
Wende aller Noth euch Nothwendigkeit heißt: da ift 
der Urfprung eurer Tugend. 

Wahrlih, ein neues Gutes und Böfes ift fiel 
Wahrlih, ein neues tiefes Raufchen und eines neuen 
Quelles Stimme! 

Madıt ift fie, diefe neue Tugend; ein herrichender 
Gedanke ift fie, und um ihn eine Pluge Seele: eine 
goldene Sonne, und um fie die Schlange der Erfenntniß. 





2, 


Hier fhwieg Sarathuftra eine Weile und fah mit 
£iebe auf feine Jünger. Dann fuhr er alfo fort zu 
reden: — und feine Stimme hatte ſich verwandelt, 

Bleibt mir der Erde treu, meine Brüder, mit der 
Macht eurer Tugend! Eure fchenfende Kiebe und eure 
Erfenntniß diene dem Sinn der Erdel Alfo bitte und 
befhwöre ich euch. 

Saft fie nicht davon fliegen vom rdifchen und 
mit den Slügeln gegen ewige Wände fchlagen! Ad, 
es gab immer fo viel verflogene Tugend! 

führt, gleich mir, die verflogene Tugend zur Erde 
zurück — ja, zurüd zu Leib und Keben: daß fie der 
Erde ihren Sinn gebe, einen Menfchen-Sinn! 

Aunderffältig verflog und vergriff ſich bisher fo 
Geift wie Tugend. Ach, In unferm Leibe wohnt jetzt | 





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112 


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Alſo ſprach Zarathuſtra. 113 





noch all dieſer Wahn und Fehlgriff: Leib und Wille 
iſt er da geworden. 

Hundertfältig verſuchte und verirrte ſich bisher ſo 
Geiſt wie Cugend. Ja, ein Verſuch war der Menſch. 
Ah, viel Unwiſſen und Irrthum iſt an uns Leib ge- 
worden! 

Nicht nur die Dernunft von Jahrtauſenden — auch 
ihr Wahnfinn briht an uns aus. Gefährlich ift es, Erbe 
zu fein. 

VNoch Fämpfen wir Schritt um Schritt mit dem 
Rieſen Sufall, und über der ganzen Menfchheit waltete 
bisher noch der Unfinn, der Ohne⸗Sinn. 

Ener Beift und eure Tugend diene dem Sinn der 
Erde, meine Brüder: und aller Dinge Werth werde neu 
von euch gefegtl Darum follt ihr Kämpfende fein! 
Darum follt ihr Schaffende fein! 

Wiffend reinigt fih der Leib; mit Wiſſen ver- 
ſuchend erhöht er fi; dem Erfennenden heiligen fid 
alle Triebe; dem Erhöhten wird die Seele fröhlich. 

Arzt, hilf dir felber: fo hilft du aud deinem 
Kranken noch. Das fei feine befte Hülfe, daß er Den 
mit Augen fehe, der fich felber heil macht. | 
Cauſend Pfade giebt es, die nie noch gegangen 
find, taufend Gefundheiten und verborgene Eilande des 
Kebens. Unerfhöpft und unentdeckt ift immer nod 
Menfh und Menfchen-Erde. 

Wachet und hordht, ihr Einfamen! Don der Zukunft 
her fommen Winde mit heimlihem Slügelichlagen; und 
an feine Ohren ergeht gute Botichaft. 





am. 
RER. 
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Ihr Einſamen von heute, ihr Ausſcheidenden, ihr 
ſollt einſt ein Volk fein: aus euch, die ihr euch ſelber 
anuswähltet, fol ein auserwähltes Dolf erwadhfen: — 
und aus ihm der Übermenfc. 

Wahrlih, eine Stätte der Geneſung foll noch die 
Erde werden! Und fchon liegt ein neuer Geruch um 
fie, ein Heil bringender, — und eine neue Hoffnung! 


3, 

Als Sarathuftra diefe Worte gefagt hatte, fchwieg 
er, wie Einer, der nicht fein letztes Wort gefagt hat; 
lange wog er den Stab zweifelnd in feiner Band. 
Endlich ſprach er alfo: — und feine Stimme hatte ſich 
verwandelt. 

Allein gehe ih nun, meine Jünger! Auch ihr geht 
nun davon und allein! So will ich es. 

Wahrlih, ich rathe euch: geht fort von mir und 
wehrt euch gegen Sarathuftral Und beffer no: ſchämt 
euch feiner Dielleicht betrog er euch, 

Der Menfh der Erfenntnig muß nicht nur feine 
Feinde lieben, fondern aud feine Sreunde haffen 
konnen. 

Man vergilt einem Lehrer ſchlecht, wenn man 
immer nur der Schüler bleibt. Und warum wollt ihr 
nicht an meinem Kranze rupfen? 

Ihr verehrt mich; aber wie, wenn eure Derehrung 
eines Tages umfällt? Hütet euch, daß euch nicht eine 
Bildfänle erfchlagel 


114 





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| Ihr fagt, ihr glaubt an Sarathuftra? Aber was liegt 


an Sarathuftral Ihr feid meine Gläubigen: aber was 
liest an allen Gläubigen! 

Ihr hattet euch noch nicht gefucht: da fandet ihr 
mid. So thun alle Bläubigen; darum ift es fo wenig 
mit allem Glauben. 

Nun heiße ih euch, mid verlieren und euch 
finden; und erft, wenn ihre mich Alle verleugnet habt, 
will ich euch wiederfehren. 

Wahrlich, mit andern Augen, meine Brüder, werde 
ih mir dann meine Derlorenen fuchen; mit einer 
andern Kiebe werde ich euch dann lieben. 

Und einft no follt ihre mir Sreunde geworden 
fein und Kinder Einer Hoffnung: dann will ih zum 
dritten Male bei euch fein, daß ich den großen Mittag 
mit eudy feiere. 

Und das ift der große Mittag, da der Menſch auf 
der Mitte feiner Bahn ficht zwifchen Chier und Über- 
menfh und feinen Weg zum Abende als feine höchſte 
Boffnung feiert: denn es ift der Weg zu einem neuen 
Morgen. 

Alsda wird fi der Untergehende felber fegnen, 
dag er ein EKinübergehender ſei; und die Sonne feiner 
Erfenntnig wird ihm im Mittage ftehn. 

„Codt find alle Götter: nun wollen wir, daß 
der Übermenfc lebe“ — dies fei einft am großen 
Mittage unfer letter Willel — 


Alfo fprah Sarathufira. 


* * 
* 


115 8* 














Alſo 
ſprach Sarathbuitra. 


Zweiter Cheil. 


— und erſt, wenn ihr mich Alle ver 
leugnet habt, will ich euch wiederfehren. 

Wahrlich, mit andern Augen, meine 
Brüder, werde Ich mir dann meine Der- 
lorenen ſuchen; mit einer andern Kiebe 
werde ich euch dann lieben.“ 





Zarathuftra, 
von der fchenfenden Tugend 
(I. p. 115). 





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Das Kind mit dem Spiegel. 





Hierauf gieng Sarathuftra wieder zurüd in das 
Gebirge und in die Einfamkeit feiner Höhle und entzog 
fih den Menfhen: wartend gleich einem Säemann, 
der feinen Samen ausgeworfen hat. Seine Seele aber 
wurde voll von Ungeduld und Begierde nach Denen, 
welhe er liebte: denn er hatte ihnen noch Diel zu 
geben. Dies nämlich ift das Schwerfte: aus Kiebe die 
offne Hand fchliegen und als Schenkender die Scham 
bewahren. 

Alfo vergiengen dem Einfamen Monde und Jahre; 
feine Weisheit aber wuchs und madte ihm Schmerzen 
durch ihre Fülle, 

Eines Morgens aber wacdte er fchon vor der 
Morgenröthe auf, befann fi} lange auf feinem Lager 
und ſprach endlich Zu feinem Herzen: 

„Was erjchraf ich doch fo in meinem Traume, 
daß ich aufwachte? Trat nicht ein Kind zu mir, das 
einen Spiegel trug? 

„Oh Sarathuftra — fprad das Kid zu mir — 
fhaue Did an im Spiegel!“ 

Aber als ich in den Spiegel ſchaute, da fchrie ich 
auf, und mein Herz war erfchüttert: denn nicht mid, 


119 





fahe ih darin, fondern eines Teufels Fratze und 
Hohnlachen. 

Wahrlich, allzugut verſtehe ich des Craumes Zeichen 
und Mahnung: meine Lehre iſt in Gefahr, Unkraut 
will Weizen heißen! 

Meine Seinde find mächtig worden und haben 
meiner Lehre Bildniß entftellt, alfo, daß meine Kiebften 
fih der Gaben ſchämen müſſen, die ich ihnen gab. 

Derloren giengen mir meine Freunde; die Stunde 
fam mir, meine Derlornen zu ſuchen!“ — 

Mit diefen Worten fprang Sarathuftra auf, aber 
nicht wie ein Geängftigter, der nach Luft fucht, fondern 
eher wie ein Seher und Sänger, welchen der Geift 
anfällt. Derwundert fahen fein Adler und feine Schlange 
auf ihn hin: denn gleich dem Mlorgenrothe lag ein 
fommendes Glüd auf feinem Antliße. 

Was geihah mir doc, meine Chiere? — fagte 
Sarathuftra. Bin ich nicht verwandelt? Kam mir nicht 
die Seligfeit wie ein Sturmmwind ? 

Chöriht ift mein Slüd und Chörichtes wird es 
reden: zu jung noch ift es — fo habt Geduld mit ihm! 

Derwundet bin ich von meinem Glüde: alle 
£eidenden follen mir Arzte fein! 

Hu meinen Sreunden darf ich wieder hinab und 
auch zu meinen Feinden! HSarathuftra darf wieder reden 
und fchenten und Kieben das Kiebfte thun! 

Meine ungeduldige Kiebe fließt über in Strömen, 
abwärts, nad Aufgang und Niedergang. Aus fchweig- 
famem Gebirge und Gewittern des Schmerzes rauſcht 
meine Seele in die Chäler. 





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Su lange fehnte ich mich und fchaute in die Ferne. 
Su lange gehörte ich der Einfamkeit: fo verlernte ich 
das Schweigen. | 

Mund bin ich worden ganz und gar, und Braufen 
eines Bachs aus hohen Selfen: hinab will ich meine 
Rede ftürzen in die Chäler. 

Und mag mein Strom der Kiebe in Unwegfames 
flürzenl Wie follte ein Strom nicht endlich den Weg 
zum Meere finden! 

Wohl ift ein See in mir, ein einfiedlerifcher, 
felbfigenugfamer; aber mein Strom der Liebe reift 
ihn mit fi} hinab — zum Mleerel 


Neue Wege gehe ich, eine neue Rede fommt mir; 
müde wurde ich, gleih allen Schaffenden, der alten 
dungen. Nicht will mein Geiſt mehr auf abgelaufnen 
Sohlen wandeln. 

Su langſam läuft mir alles Reden: — in deinen 
Wagen fpringe ih, Sturm! Und auch dich will ich 
noch peitfchen mit meiner Bosheitl 

Wie ein Schrei und ein Jauchzen will ich über 
weite Meere hinfahren, bis ich die glücfeligen Infeln 
finde, wo meine Sreunde weilen: — 

Und meine Seinde unter ihnen! Wie liebe ich nun 
Jeden, zu dem ich nur reden darfl Auch meine Feinde 
gehören zu meiner Seligfeit. 

Und wenn ich auf mein wildeftes Pferd fleigen 
will, fo hilft mir mein Speer immer am beften hinauf: 
der ift meines Fußes allzeit bereiter Diener: — 

Der Speer, den ich gegen meine Feinde fchleuderel 









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Wie danke ich es meinen Feinden, daß ich endlich ihn 
ſchleudern darfl 

Zu groß war die Spannung meiner Wolfe: 
zwifchen Gelächtern der Blige will ich Hagelſchauer 
in die Tiefe werfen. 

Gewaltig wird fi da meine Bruft heben, gewaltig 
wird fie ihren Sturm über die Berge hinblafen: fo 
kommt ihr Erleichterung. 

Wahrlich, einem Sturme gleich fommt mein Glüd 
und meine Sreiheitl Aber meine Seinde follen glauben, 
der Böfe rafe über ihren Häuptern. 

Ja, auch ihr werdet erfchredt fein, meine Sreunde, 
ob meiner wilden Weisheit; und vielleicht flieht ihr 
davon fammt meinen Seinden. 

Ah, daß ich's verftünde, euch mit Hirtenflöten 


zurüd zu lodenl Ad, daß meine Löwin Weisheit 


zärtlich brüllen lerntel Und Dieles lernten wir fchon 
mit einander! 

Meine wilde Weisheit wurde trächtig auf einfamen 
Bergen; anf rauhen Steinen gebar fie ihr Junges, 
Jüngites. 

Nun läuft fie närrifch durch die harte Wüſte und 
fuht und fuht nah fanftem Rafen — meine alte 
wilde Weisheitl 

Auf eurer Herzen fanften Rafen, meine Sreundel — 
auf eure Kiebe möchte fie ihr Kiebftes bettenl — 


Alfo ſprach Sarathuftra. 


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Auf den glüdfeligen Infeln. 





Die Feigen fallen von den Bäumen, fie find gut 
und füß; und indem fie fallen, reißt ihnen die rothe 
Haut. Ein Nordwind bin ich reifen Seigen. 

Alfo, gleih Feigen, fallen euch diefe Lehren zu, 
meine Freunde: nun trinft ihren Saft und ihre füßes 
Fleiſchl Herbſt ift es umher und reiner Himmel und 
Nachmittag. 

Seht, welche Sülle iſt um uns! Und aus dem 
Überfluffe heraus ift es ſchön hinaus zu blicken auf 
ferne Meere. 

Einft fagte man Gott, wenn man auf ferne Meere 
blickte; nun aber lehrte ich euch fagen: Übermenſch. 

Gott if eine Muthmaßung; aber ich will, daß 
ener Muthmaßen nicht weiter reiche, als euer fchaffen- 
der Wille, 

Könntet ihr einen Gott fhaffen? — So fchweigt 
mir doch von allen Göttern! Wohl aber Fönntet ihr 
den Übermenfhen fchaffen. 

Nicht ihr vielleicht felber, meine Brüder|l Aber zu 
Dätern und Dorfahren könntet ihr euch umfchaffen des 
Übermenfhen: und Dies fei euer beftes Schaffen! — 





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Gott ift eine Muthmaßung: aber ih will, daß 
euer Muthmaßen begrenzt fei in der Denkharkeit. 

Könntet ihr einen Bott denfen? — Aber dies 
bedeute euch Wille zur Wahrheit, daß Alles verwandelt 
werde in Menfchen-Denktbares, Menfchen-Sichtbares, 
Menfhen-Sühlbares! Eure eignen Sinne follt ihe zu 
Ende denken! 

Und was ihr Welt nanntet, das foll erſt von euch 
gefchaffen werden: eure Dernunft, euer Bild, euer Wille, 
eure Xiebe foll es felber werden! Und wahrlich, zu 
eurer Seligfeit, ihr Erfennenden! 

Und wie wolltet ihr das Keben ertragen ohne diefe 
Hoffnung, ihr Erfennenden? Weder in’s Unbegreifliche 
dürftet ihr eingeboren fein, noch in’s Unvernünftige. 

Aber daß ich euch ganz mein Herz offenbare, ihr 
Freunde: wenn es Götter gäbe, wie hielte ich’s aus, 
fein Bott zu fein! Alfo giebt es Feine Götter. 

Wohl 309 ih den Schluß; nun aber zieht er 
mid. — 

Gott ift eine Muthmaßung: aber wer tränfe alle 
Qual diefer Muthmaßung, ohne zu fterben? Soll dem 
Schaffenden fein Glaube genommen fein und dem Adler 
fein Schweben in Adler- fernen? 

Gott if ein Gedanke, der macht alles Gerade 
frumm und Alles, was fteht, drehend. Wie? Die Seit 
wäre hinweg, und alles Dergängliche nur Lüge? 

Dies zu denken ift Wirbel und Schwindel menfdy- 
lihen Sebeinen, und noch dem Magen ein Erbrechen: 
wahrlih, die drehende Krankheit heiße ich’s, Solches 
zu muthmaßen. 


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Böſe heiße ich's und menfchenfeindlich: all dies 


. Kehren vom Einen und Dollen und Unbewegten und 


Satten und Unvergänglichen! 

Alles Unversänglihe — das tft nur ein Gleichniß! 
Und die Dichter lügen zuviel. — 

Aber von Seit und Werden follen die beften 
Gleichniffe reden: ein Lob follen fie fein und eine 
Rechtfertigung aller Dergänglichkeit! 

Schaffen — das ift die große Erlöfung vom Leiden, 
und des Lebens Leichtwerden. Aber daß der Schaffende 
fei, dazu felber thut Leid noth und viel Derwandelung. 

Ja, viel bitteres Sterben muß in eurem Leben fein, 
ihr Schaffenden! Alfo feid ihr Fürfprecher und Recht⸗ 
fertiger aller Dergänglichkeit. 

Daß der Schaffende felber das Kind fei, das nen 
geboren werde, dazu muß er auch die Gebärerin fein 
wollen und der Schmerz der Gebärerin. 

Wahrlich, durch hundert Seelen gieng ich meinen 
Weg und durch hundert Wiegen und Beburtswehen. 
Manchen Abfchied nahm ich fchon, ich Fenne die herz- 
brechenden letzten Stunden. 

Aber fo wills mein fchaffender Wille, mein Schickſal. 
Oder, daß ich's euch redliher fage: ſolches Schickſal 
gerade — will mein Wille, 

Alles Sühlende leidet an mir und tft in Gefäng- 
niffen: aber mein Wollen fommt mir ftets als mein 
Befreier und Freudebringer. 

Wollen befreit: das ift die wahre Lehre von Wille 
und Freiheit — fo lehrt fie euch Sarathuftra. 


| Ziicht-mehr- wollen und Nicht mehr-fhägen und 


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Aid. mehr-fhaffen! ah, daß diefe große Mãdigkeit 
mir ſtets ferne bleibel 

Auch im Erkennen fühle ich nur meines Willens 
Seuge- und Werde-£ufl; und wenn Unfchuld in meiner 
Erfenntniß ift, fo geſchieht dies, weil Wille zur Heu- 
gung in ihr iſt. 

Hinweg von Gott und Göttern lockte mich diefer 
Wille; was wäre denn zu fchaffen, wenn Götter — da 
wären! 

Aber zum Menſchen treibt er mid flets von 
Neuem, mein inbrüänftiger Schaffens-Wille; fo treibt’s 
den Hammer hin zum Steine, 

Ad, ihre Menfchen, im Steine ſchläft mir ein Bild, 
das Bild meiner Bilder! Ach, daß es im härteften, 
häßlichften Steine fchlafen muß 

Nun wüthet mein Hammer graufam gegen fein 
Befängniß. Dom Steine ſtäuben Stüde: was fciert 
mich das ? 

Vollenden will ich's: denn ein Schatten kam zu 
mir — aller Dinge Stillſtes und Leichteſtes kam einſt 
zu mir] 

Des Übermenfhen Schönheit fam zu mir als 
Schatten. Ach, meine Brüderl Was gehen mid noch 
— die Götter anl — 


Alfo ſprach Sarathuftra, 


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Don den Mitleidigen. 





Meine Steunde, es fam eine Spottrede zu eurem 
Freunde: „feht nur Sarathuftral Wandelt er nicht unter 
uns wie unter Chieren ?“ 

Aber fo ift es beffer geredet: „der Erfennende 
wandelt unter Menfchen als unter Chieren.” 

Der Menfch felber aber heißt dem Erfennenden: 
das hier, das rothe Baden hat. 

Wie gefhah ihm das? ft es nicht, weil er ſich 
zu oft hat fhämen müffen? 

Oh, meine Sreundel So fpricht der Erfennende: 
Scham, Scham, Scham — das ift die Geſchichte des 


Menſchen! 


Und darum gebeut ſich der Edle, nicht zu be« 
ſchämen: Scham gebeut er fi vor allem Leidenden. 

Wahrlih, ich mag fie nicht, die Barmherzigen, 
die felig find in ihrem Mitleiden: zu ſehr gebricht es 
ihnen an Scham. 

Muß ih mitleidig fein, fo will ich's doch nicht 
heißen; und wenn ich's bin, dann gern aus der Ferne. 

Gerne verhülle ih auch das Haupt und fliehe da- 
von, bevor ich noch erfannt bin: und aljo heiße ich 








end thun, meine Freunde! | 
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Und thut die ein Freund Übles, fo fprih: „ich 
vergebe dir, was du mir thateft; da du es aber dir 
thateft, — wie fönnte ich das vergeben!“ 

Alfo redet alle große Liebe: die überwindet auch 
noch Dergebung und Mitleiden. 

Man foll fein Herz fefthalten; denn läßt man es 
gehn, wie bald geht Einem da der Kopf durch! 

Ah, wo in der Welt geſchahen größere Thor- 
heiten, als bei den Mitleidigen? Und was in der Welt 
ftiftete mehr £eid, als die Chorheiten der Mitleidigen ? 

Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Höhe 
haben, welche über ihrem Mitleiden iftl 

Alfo ſprach der Teufel einft zu mir: „auch Bott 
hat feine Hölle: das ift feine Liebe zu den Mlenfchen.“ 

Und jüngft hörte ich ihn dies Wort fagen: „Gott 
ift todt; an feinem Mitleiden mit den Menſchen ift Gott 
geftorben.” — 

So feid mir gewarnt vor dem Mitleiden: daher 
kommt noch den Menfchen eine fchwere Wolfel Wahr: 
lich, ich verftche mich auf Wetterzeichen! 

Merket aber auch dies Wort: alle große Liebe ift 
noch über all ihrem Mitleiden: denn fie will das Beliebte 
noch — ſchaffen! 

„Mich felber bringe ich meiner Liebe dar, und 
meinen Nächſten gleih mir“ — fo geht die Rede 
allen Schaffenden. 

Alle Schaffenden aber find hart. — 


Alfo ſprach Sarathuftra. 


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Don den Prieſtern. 





Und einfimals gab Sarathuftra feinen Jüngern ein 
Seichen und ſprach diefe Worte zu ihnen: 

„Bier find Priefter: und wenn es auch meine Feinde 
! find, geht mir ftill an ihnen vorüber und mit fchlafendem 
| Schwertel 
= Audy unter ihnen find Helden; Diele von. ihnen 
litten zuviel —: fo wollen fie Andre leiden machen. 

Böfe Feinde find fie: Nichts ift radhfüchtiger als 
ihre Demuth, Und leicht befudelt ſich Der, welcher 
fie angreift. 

Aber mein Biut ift mit dem ihren verwandt: und ich 
will mein Blut auch noch in dem ihren geehrt wiffen.” — 

Und als fie vorüber gegangen waren, ftel Sarathuftra 
der Schmerz an; und nicht lange hatte er mit feinem 
Schmerze gerungen, da hub er alfo an zu reden: 

Es jammert mic diefer Priefter. Sie gehen mir 
auch wider den Geſchmack; aber das ift mir das Ge- 
ringfte, feit ich unter Menſchen bin. 

Aber ich leide und litt mit ihnen: Gefangene find 
es mir nnd Abgezeichnetee Der, welhen fie Erlöfer 
nennen, fchlug fie in Banden: — 





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In Banden falfher Werthe und Wahn-Wortel 
Ah dag Einer fie noch von ihrem Erlöfer erlöftel 

Auf einem Eilande glaubten fie einft zu landen, 
als das Meer ſie herumriß; aber fiehe, es war ein 
fchlafendes Ungeheuer] 

Salfhe Werte und Wahn-Worte: das find die 
fhlimmften Ungeheuer für Sterblide, — lange fchläft 
und wartet in ihnen das Derhängnif. 

Aber endlich fommt es und wadht und frift und 
(hlingt, was auf ihm ſich Hütten baute. 

Oh feht mir doch diefe Hütten an, die fich diefe 
Priefter bauten! Kirchen heißen fie ihre füßduftenden 
Höhlen. 

Oh über dies verfälfchte Licht, diefe verdumpfte 
£uft! Bier, wo die Seele zu ihrer Höhe hinauf — nicht 
fliegen darfl 

Sondern alfo gebietet ihr Slaube: „auf den Knien 
die Treppe hinan, ihr Sünder!“ 

Wahrlich, lieber fehe ih noch den Schamlofen, als 
die verrenften Augen ihrer Scham und Andacht! 

Wer fchuf ſich folhe Höhlen und Buß-Treppen? 
Waren es nicht Solche, die fich verbergen wollten und 
fi} vor dem reinen Himmel fchämten ? 

Und erft wenn der reine Himmel wieder durch 
zerbrochne Deden blidt, und hinab auf Gras und 
rothen Mohn an zerbrochnen Mauern, — will ich den 
Stätten diefes Gottes wieder mein Herz zuwenden. 

Sie nannten Bott, was ihnen widerfprady und wehe 
that: und wahrlich, es war viel Helden-Art in ihrer 
Anbetung 





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Und nicht anders wußten fie ihren Gott zu lieben, 
als indem fie den Menfchen an’s Kreuz fchlugen! 

Als Keihname gedachten fie zu leben, fchwarz 
{hingen fie ihren Leichnam aus; auch aus ihren Reden 
riehe ich noch die üble Würze von Todtenfammern. 

Und wer ihnen nahe lebt, der lebt fchwarzen 
Teihen nahe, aus denen heraus die Unke ihre Kied mit 
füßem Tieffinne fingt. 

Beffere Lieder müßten fie mir fingen, daß ih an 
ihren Erlöfer glauben lerne: erlöfter müßten mir feine 
Jünger atısfehen! 

Nackt möchte ich fie fehn: denn allein die Schön- 
heit follte Buße predigen. Aber wen überredet wohl 
diefe vermummte CTrübfall 

Wahrlich, ihre Erlöfer felber kamen nicht aus der 
Steiheit und der Freiheit fiebentem Himmel! Wahrlich, 
fie ſelber wandelten niemals auf den Ceppichen der 
Erfenntnig! 

Aus Lüden befland der Geiſt diefer Erlöfer; 
aber in jede Lücke hatten fie ihren Wahn geftellt, 
ihren Lückenbüßer, den file Bott nannten. 

In ihrem Mitleiden war ihr Geift ertrunfen, und 
wenn fie fchwollen und überfchwollen von Mitleiden, 
fhwamm immer obenauf eine große Thorheit. 

Eifrig trieben fie und mit Geſchrei ihre Heerde 
über ihren Steg: wie als ob es zur Zukunft nur Einen 
Steg gäbel Wahrlich, auch diefe Hirten gehörten noch 
zu den Schafen! 

Kleine Seifter und umfängliche Seelen hatten diefe 








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Hirten: aber, meine Brüder, was für kleine Länder 
waren bisher auch die umfänglichſten Seelen! 

Blutzeichen ſchrieben ſie auf den Weg, den ſie 
giengen, und ihre Chorheit lehrte, daß man mit Blut 
die Wahrheit beweiſe. 

Aber Blut iſt der ſchlechteſte Zeuge der Wahrheit; 
Blut vergiftet die reinſte Lehre noch zu Wahn und 
Haß der Herzen. 

Und wenn Einer durch's Fener geht für ſeine 
£chre, — was beweiſt dies!l Mehr iſt's wahrlich, daß 
aus eignem Brande die eigne Lehre kommtl 

Schwũles Herz und kalter Kopf: wo dies zuſammen⸗ 
trifft, da entſteht der Brauſewind, der „Erlöſer“. 

Größere gab es wahrlich und Höher⸗Geborene, 
als Die, welche das Volk Erlöfer nennt, dieſe hin- 
reißenden Braufewindel 

Und noch von Größeren, als alle Erlöfer waren, 
müßt ihr, meine Brüder, erlöft werden, wollt ihr zur 
$reiheit den Weg finden! 

Niemals noch gab es einen Übermenfhen. Nadt 
fah ih Beide, den größten und den Bleinften Mlen- 
hen: — 

Allzuähnlich find fie noch einander. Wahrlich, aud) 
den Größten fand ich — allzumenfhlih! — 


Alfo ſprach Sarathuftra. 


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Von den Tugendhaften. 





Mit Donnern und himmliſchen Feuerwerken muß 
man zu ſchlaffen und ſchlafenden Sinnen reden. 

Aber der Schönheit Stimme redet leiſe: ſie ſchleicht 
ſich nur in die aufgeweckteſten Seelen. 

Leiſe erbebte und lachte mir heut mein Schild; 
das ift der Schönheit heiliges Lachen und Beben. 

Über euch, ihr CTugendhaften, Iachte heut meine 
Schönheit. Und alfo fam ihre Stimme zu mir: „fie 
wollen noch — bezahlt fein!” _ 

Ihr wollt noch bezahlt- fein, ihe Tugendhaften! 
Wollt £ohn für Ingend. und Himmel für Erden und 
Ewiges für euer Heute haben? 

Und nun zürnt ihe mir, daß ich lehre, es giebt 
feinen £ohn- und Sahlmeifter? Und wahrlich, ich Iehre 
nicht einmal, daß Tugend ihr eigner Lohn ifl. 

Ach, das ift meine Trauer: in den Grund der Dinge 
hat man Lohn und Strafe hineingelogen — und nun 
auch noch in den Grund eurer Seelen, ihr Tugendhaften | 

Aber dem Rüſſel des Ebers gleich foll mein Wort 
den Grund enrer Seelen aufreißen; Pflugfhar will ich 


euch heißen. 


135 













Alle Heimlichkeiten eures Grundes follen an’s Kicht; 
und wenn ihr aufgemwühlt und zerbrodhen in der Sonne 
liegt, wird auch eure Lüge von eurer Wahrheit aus» 
geſchieden fein. 

Denn dies ift eure Wahrheit: ihr feid zu rein 


lich für den Schmuß der Worte: Rache, Strafe, Eohn, 


Dergeltung, 

Ihr liebt eure Tugend, wie die Mutter ihr Kind; 
aber wann hörte man, daß eine Mutter bezahlt fein 
wollte für ihre Lieber 

Es ift euer Kiebftes felbfl, eure Tugend. Des 
Ringes Durft ift in euch: fich felber wieder zu er- 
reichen, dazu ringt und dreht ſich jeder Xing. 

Und dem Sterne gleih, der erlifht, ift jedes 
Wer? eurer Tugend: immer ift fein Licht noch unter- 
wegs und wandert — und warn wird es nicht mehr 
unterwegs fein? 

Alfo ift das Licht eurer Tugend noch unterweas, 
anch wenn das Wer? gethan ifl. Mag es nun vergeflen 
und todt fein: fein Strahl von Kicht lebt noch und 
wandert, 

Daß eure Tugend euer Selbft fei, und nicht ein 
Fremdes, eine Haut, eine Bemäntelung: das ift die 
Wahrheit aus dem Grunde eurer Seele, ihr Tugend- 
haften! — 

Aber wohl giebt es Sole, denen Tugend der 
Krampf unter einer Peitfche heißt: und ihr habt mir 
zuviel auf Deren Geſchrei gehörtl 

Und Andre giebt es, die heißen Tugend das Faul⸗ 
werden ihrer Zafter; und wenn ihr Haß und ihre 


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Eiferſucht einmal die Glieder ſtrecken, wird ihre „Ge⸗ 
rechtigfeit" munter und reibt ſich die verſchlafenen 
Augen. 

Und Andre giebt es, die werden abwärts gezogen: 
ihre Teufel ziehn fie Aber je mehr fie finfen, um fo 
glühender leuchtet ihre Auge und die Begierde nad 
ihrem Gotte. 

Ad, auch Deren Gefchrei drang zu euren Ohren, 
ihr Tugendhaften: „was ich nicht bin, Das, Das ift mir 
Gott und Tugendl“ 

Und Andre giebt es, die kommen ſchwer und 
fnarrend daher, gleih Wägen, die Steine abwärts 
fahren: Die reden viel von Würde und Tugend, — ihren 
Hemmſchuh heißen fie Tugendl 

Und Andre giebt es, die find gleih Alltags⸗Uhren, 
die aufgezogen wurden; fie machen ihr Tiktak und 
wollen, daß man Tiktak — Tugend heiße, 

Wahrlid, an Diefen habe ich meine £uft: wo idh 
jolhe Uhren finde, werde ich fie mit meinem Spotte 
aufziehn; und ſie follen mir dabei noch fchnurren! 

Und Andre find ftolz über ihre Handvoll Gerech— 
tigfeit und begehen um ihrer willen Frevel an allen 
Dingen: alfo daß die Welt in ihrer Ungerechtigkeit 
ertränft wird. 

Ad, wie übel ihnen das Wort „Tugend” aus dem 
Munde läuft! Und wenn fie fagen: „ich bin gerecht“, 
fo Elingt es immer gleich wie: „ich bin gerächtl” 

Mit ihrer Tugend wollen fie ihren Seinden die 
Augen ausfragen; und fie erheben fi nur, um Andre 
zu erniedrigen, 


137 


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Und wiederum giebt es Solche, die fitzen in ihrem 
Sumpfe und reden alfo heraus aus dem Schilfrohr: 
„Tugend — das ift ftill im Sumpfe fißen. 

Wir beißen Niemanden und gehen Dem aus dem 
Wege, der beißen will; und in Allem haben wir die 
Meinung, die man uns giebt.“ 

Und wiederum giebt es Soldhe, die lieben Ge- 
bärden und denken: Tugend ift eine Art Gebärde. 

Ihre Kniee beten immer an, und ihre Hände find 
Kobpreifungen der Tugend, aber ihr Herz weiß Nichts 
davon. 

Und wiederum giebt es Solche, die halten es für 


Tugend, zu fagen: „Tugend ift nothwendig”; aber fie - 
. glauben im Grunde nur daran, daß Polizei noth« 


wendig ift. 

Und Mancer, der das Hohe an den Menfchen nicht 
fehen kann, nennt es Tugend, daß er ihr Niedriges all. 
zunahe fieht: alfo heißt er feinen böfen Blick Tugend. 

Und Einige wollen erbaut und aufgerichtet fein 
und heißen es Tugend; und Andre wollen umgemworfen 
fein — und heißen es auch Tugend. 

Und derart glauben fat Alle daran, Antheil zu 
haben an der Tugend; und zum Mindelten will ein 
Jeder Kenner fein über „But“ und „Böfe“. 

Aber niht dazu kam Sarathuftra, allen diefen 
Kügnern und Narren zu fagen: „was wißt ihr von 
Tugend! Was Fönntet ihr von Tugend wiffen!” — 

Sondern, daß ıhr, meine freunde, der alten Worte 
müde würdet, weiche ihr von den Narren und Lügnern 
gelernt habt: 


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Müde würdet der Worte „Lohn“, „Dergeltung”, 
„Strafe*, „Rache in der Gerechtigkeit“ — 

Müde würdet zu fagen: „daß eine Handlung gut 
if, das macht, fie ift felbftlos.“ 

Ah, meine Sreundel Daß euer Selbft in der 
Handlung fei, wie die Mutter im Kinde ift: das fei mir 
euer Wort von Tugend! 

Wahrlich, ich nahm euch wohl hundert Worte und 
eurer Tugend liebfte Spielwerfe; und nun zürmt ihr 
mir, wie Kinder zürnen. 

Sie fpielten am Meere, — da fam die Welle und 
riß ihnen ihr Spielwerf in die Tiefe: nun weinen fie. 

Aber die felbe Welle foll ihnen neue Spielwerfe 
bringen und neue bunte Muſcheln vor fie hin aus» 
fhütten! 

So werden fie getröftet fein; und gleich thnen 
follt auch ihr, meine Freunde, enre Tröftungen haben 
— und neue bunte Mufcheln! — 


Alfo ſprach Sarathuftra, 


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Dom Befindel. 





Das Leben ift ein Born der Luſt; aber wo das 
Gefindel mit trinkt, da find alle Brunnen vergiftet. 

Allem Reinlichen bin ich hold; aber ich mag die 
grinfenden Mäuler nicht fehn und den Durft der Un- 
reinen. 

Sie warfen ihr Auge hinab In den Brunnen: nun 
glänzt mir ihr widriges Lächeln herauf aus dem Brunnen. 

Das heilige Waſſer haben fie vergiftet mit ihrer 
Süfternheitz und als fie ihre ſchmutzigen Träume £uft 
nannten, vergifteten fle auch noch die Worte. 

Unwvillig wird die Slamme, wenn fie ihre feuchten 
Herzen an’s feuer legen; der Geift felber brodelt und 
raucht, wo das Gefindel an’s Feuer tritt. 

Süßlih und übermürbe wird in ihrer Hand die 
Frucht: windfällig und wipfeldürr madt ihr Blick den 
Fruchtbaum. 

Und Mancher, der ſich vom Leben abkehrte, kehrte 
ſich nur vom Geſindel ab: er wollte nicht Brunnen und 
Flamme und Frucht mit dem Geſindel theilen. 

Und Mancher, der in die Wüſte gieng und mit 
Raubthieren Durſt litt, wollte nur nicht mit ſchmutzigen 
Kameeltreibern um die Ciſterne ſitzen. 


140 





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Und Mancher, der wie ein Dernichter daher fam 
und wie ein Hagelichlag allen Sruchtfeldern, wollte 
nur feinen Fuß dem Gefindel in den Nacken feßen 
und alſo feinen Schlund ftopfen. 

Und nidt Das ift der Biffen, an dem id am 
meiften würgte, zu wiffen, daß das Leben felber Feind- 
haft nöthig hat und Sterben und Marterfreuze: — 

Sondern ih fragte einft und erftidte faſt an 
meiner Stage: wie? hat das Leben auch das Geſindel 
nöthigp 

Sind vergiftete Brunnen nöthig und flinfende Feuer 
und befhmußte Träume und Maden im Lebensbrode? 

Nicht mein Haß, fondern mein Ekel fraß mir 
hungrig am Leben! Ad, des Geiftes wurde ich oft 
müde, als ich audy das Gefindel geiftreich fand! 

Und den Herrfhenden wandt’ ich den Rüden, 
als ich fah, was fie jet Herrchen nennen: Schadhern 
und Marften um Macht — mit dem Gefindell 

Unter Dölfern wohnte ich fremder Zunge, mit ver- 
fchloffenen Ohren: daß mir ihres Schaderns Zunge 
fremd bliebe und ihr Marten um Macht. 

Und die Vaſe mir haltend, gieng ich unmuthig 
durch alles Gejtern und Heute: wahrlid, übel riecht 
alles Geftern und Heute nach dem fchreibenden Gefindell 

Einem Krüppel gleich, der taub und blind und 
ftumm wurde: alfo lebte ich lange, daß ich nicht mit 
Madt- und Schreib» und Luft-Sefindel lebte. 

Mühfam ftieg mein Geift Treppen, und vorfichtig; 
Almofen der Luft waren fein Kabfal; am Stabe [lich 
dem Blinden das Leben. 





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Was geſchah mir doch? Wie erlöſte ich mich vom 
Eifel? Wer verjüngte mein Ange? Wie erflog ich die 
Höhe, wo Fein Gefindel mehr am Brunnen fitt? 

Schuf mein Efel felber mir Slügel und quellen- 
ahnende Kräfte? Wahrlih, in’s Höchſte mußte ich 
fliegen, daß ich den Born der £uft wiederfändel 

Oh, ich fand ihn, meine Brüderl Bier im Höchften 
quillt mir der Born der £uftl Und es giebt ein Keben, 
an dem kein Geſindel mit trinkt! 

Saft zu heftig firömft du mir, Quell der Luft! 
Und oft leerft du den Becher wieder, dadurch daß du 
ihn füllen willſt! 

Und noch muß ich lernen, befcheidener dir zu nahen: 
allzuheftig ftrömt dir roch mein Herz entgegen: — 

Mein Herz, auf dem mein Sommer brennt, der 
furze, heiße, fchwermüthige, überfelige: wie verlangt 
mein Sommer-Berz nach deiner Kühle! 

Dorbei die zögernde Trübfal meines Srühlings! 
Dorüber die Bosheit meiner Schneefloden im Junil 
Sommer wurde ih ganz und Sommer-Mittag| - 

Ein Sommer im Hödften mit Falten Quellen und 
feliger Stille: oh fommt, meine Freunde, daß die Stille 
noch feliger werde! 

Denn dies ift unfre Höhe und unfre Heimat: zu 
hoch und fteil wohnen wir hier allen Unreinen und 
ihrem Durfte, 

Werft nur eure reinen Augen in den Born meiner 
Luft, ihr Sreundel Wie follte er darob trübe werden! 
Entgegenlachen foll er euch mit feiner Reinheit. 


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Auf dem Baume Zukunft bauen wir unſer Neſt; 
Adler ſollen uns Einſamen Speiſe bringen in ihren 
Schnäbeln! 

Wahrlich, keine Speiſe, an der Unſaubere miteſſen 
dürfen! Feuer würden ſie zu freſſen wähnen und ſich 
die Mäuler verbrennen! 

Wahrlich, Feine Heimſtätten halten wir hier bereit 
für Unfanberel Eishöhle würde ihren Leibern unfer 
Glüd heißen und ihren Beiftern! 

Und wie flarfe Winde wollen wir über ihnen leben, 
Nachbarn den Adlern, Nachbarn dem Schnee, Nachbarn 
der Sonne: alfo leben ftarfe Winde. 

Und einem Winde gleih will ih einft noch 
zwifchen fie blafen und mit meinem Geiſte ihrem 
Geifte den Athem nehmen: fo will es meine Zukunft. 

Wahrlich, ein ftarfer Wind ift Sarathuftra allen 
Niederungen; und folhen Rath räth er feinen Feinden 
und Allem, was fpudt und fpeit: „hütet euch, gegen 
den Wind zu ſpeien!“ — 


Alfo ſprach Sarathuftra. 


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Don den Taranteln, 





Siehe, das ift der Tarantel Höhlel Willſt du fie 
felber fehn? Hier hängt ihr eb: rühre daran, daß es 
erzittert. 

Da fommt fie willig: willfommen, Tarantell Schwarz 
fit auf deinem Rüden dein Dreied und Wahrzeichen; 
und ih weiß auch, was in deiner Seele fitzt. 

Rache fitt in deiner Seele: wohin du beißeft, da 
wächſt ſchwarzer Schorf; mit Nahe macht dein Gift 
die Seele drehendl 

Alfo rede ih zu euh im Gleichniß, die ihr die 
Seelen drehend macht, ihr Prediger der Gleichheit! 
Taranteln feid ihr mir und verftedte Rachſüchtige! 

Aber ih will eure Derftede fchon an’s Licht 
bringen: . darum lache ich euch in’s Antlig mein Ge⸗ 
lächter der Höhe. 

Darum reife ih an eurem lebe, daß eure Wuth 
euch aus eurer Lügen-Höhle lode, und eure Rache 
hervorjpringe hinter eurem Wort „Gerechtigkeit“. 

Denn dag der Menſch erlöft werde von der 


Rache: das ift mir die Brüde zur hödften Hoffnung 


und ein Regenbogen nad langen Unmettern. 


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Alfo ſprach Zarathufira. 





Aber anders wollen es freilich die Taranteln. „Das 
gerade heiße uns Gerechtigkeit, daß die Welt voll 
werde von den Unwettern unfrer Rache“ — alfo reden 
fie mit einander. 

„Zahe wollen wir üben und Befhimpfung an 

Allen, die uns nicht gleich find" — fo geloben ſich die 
Tarantel-Berzen. 
Und „Wille zur Gleichheit" — das felber foll 
fürderhin der Name für Tugend werden; und gegen 
Alles, was Madıt hat, wollen wir unfer Geſchrei er- 
heben!” 

Ihr Prediger der Gleichheit, der Tyrannen-Wahn- 
finn der Ohnmacht fchreit alfo aus euch nach „Gleich⸗ 
heit“: eure heimlichften Tyrannen⸗Gelüſte vermummen 
ſich alfo in Tugend-Wortel 

Dergrämter Dünkel, verhaltener Neid, vielleicht 
eurer Däter Dünfel und Xeid: aus euch bricht’s als 
$lamme heraus und Wahnfinn der Race, 

Was der Dater fhwieg, das fommt im Sohne 
zum Reden; und oft fand ich den Sohn als des Daters 
entblößtes Geheimniß. 

Den Begeifterten gleichen fie: aber nicht das Herz 
ift es, was fie begeiftert, — fondern die Rache. Und 
wenn fie fein und kalt werden, iſt's nicht der Geiſt, 
fondern der Leid, der fie fein und Falt mad, 

Ihre Eiferfucht führt fie auch auf der Denfer 
Dfade; und dies ift das Merkmal ihrer Eiferfuht — 
immer gehn fie zu weit: daß ihre Müdigkeit fich zu« 
fett noch anf Schnee fchlafen legen muß. 





145 10 






Aus jeder ihrer Klagen tönt Rache, in jedem ihrer 


Kobfprühe ift ein Wehethun; und Nichter-fein fcheint 


ihnen Seligfeit. 

Alfo aber rathe ich euch, meine Sreunde: mißtraut 
Allen, in welchen der Trieb, zu ftrafen, mädtig iſt! 

Das ift Volk fchlechter Art und Abfunft; aus ihren 
Gefichtern blickt der Henker und der Spürhund. 

Mißtraut allen Denen, die viel von ihrer Gerechtig⸗ 
feit reden! Wahrlich, ihren Seelen fehlt es nicht nur 
an Honig. 

Und wenn fie fih felber „die Guten und de 
rechten“ nennen, fo vergegt nit, daß ihnen zum 
Dharifäer Nichts fehlt als — Macht! 

Meine Sreunde, ich will nicht vermifcht und ver- 
wecjelt werden. 

Es giebt Solche, die predigen meine Lehre vom 
Seben: und zugleich find fie Prediger der Gleichheit 
und Taranteln. 

Daß fie dem £eben zu Willen reden, ob fte gleich 
in ihrer Höhle figen, diefe Bift-Spinnen, und abgekehrt 
vom Leben: das madıt, fie wollen damit wehethun. 

Solden wollen fie damit wehethun, die jetzt die 
Macht haben: denn bei Diefen ift noch die Predigt vom 
Tode am beften zu Haufe. 

Wäre es anders, fo würden die Taranteln anders 
lehren: und gerade fie waren ehemals die beften Welt- 
Derleumder und Keber-Brenner. 

Mit diefen Predigern der Gleichheit will ich nicht 
vermifcht und verwechlelt fein. Denn fo redet mir 
die Gerechtigkeit: „die Menfchen find nicht gleich”. 


146 











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Und fie ſollen es auch nicht werden! Was wäre 
denn meine Liebe zum Übermenfchen, wenn ich anders 
fprädhe? 

Auf taufend Brüden und Stegen follen fie fich 
drängen zur Zukunft, und immer mehr Krieg und Un- 
gleihheit ſoll zwifchen fie gefegt fein: fo läßt mid 
meine große Liebe reden! 

Erfinder von Bildern und Gefpenftern follen fie 
werden in ihren Seindfchaften, und mit ihren Bildern 
und Gefpenftern follen fie noch gegeneinander den 
hödhften Kampf fämpfen! 

Gut und Böfe, und Reih und Arm, und Hoch 
und Gering, und alle Namen der Werthe: Waffen 
follen es fein und Plirrende Merkmale davon, daß das 
Leben fich immer wieder felber überwinden muß 

In die Höhe will es fi bauen mit Pfeilern und 
Stufen, das Leben felber: in weite Fernen will es 
blien und hinaus nad feligen Schönheiten, — darum 
braudt es ‚Köhel 

Und weil es Höhe braucht, braudt es Stufen und 
Widerfpruch der Stufen und Steigenden! Steigen will 
das Keben und fteigend ſich überwinden. 

Und feht mir doch, meine Sreundel Bier, wo der 
Tarantel Höhle ift, heben fi eines alten Tempels 
Trümmer aufwärts, — feht mir doch mit erleuchteten 
Augen hin! 

Wahrlich, wer hier einft feine Gedanken in Stein 
nach Oben thürmte, um das Beheimniß alles Lebens 
wußte er gleich dem Weifeften! 





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Daß Kampf und Ungleihes auch noh in der 
Schönheit fei, und Krieg um Madt und Übermadt: 
das lehrt er uns hier im dentlichiten Gleichniß. 

Wie fihh göttli hier Gewölbe und Bogen breden, 
im Ringfampfe: wie mit Licht und Schatten fie wider 
einander ftreben, die göttlich-Strebenden — 

Alfo ficher und fchön laßt uns auch Seinde fein, 
meine Freundel Böttlih wollen wir wider einander 
ſtreben! — 

Wehel Da big mich felber die Tarantel, meine 
alte Seindinl GBöttlich fiher und fchön biß fie mid 
in den Singer! 


„Strafe muß fein und Gerectigfeit — fo denkt 


fie: nicht umfonft foll er hier der Seindfchaft zu Ehren 
Kieder fingen!“ 

Sa, fie hat fi gerät! Und wehel nun wird fie 
mit Rache auch noch meine Seele drehend machen! 

Daß ih mich aber nicht drehe, meine Freunde, 
bindet mich feit hier an diefe Säulel Kieber noch 
Sänlen-Beiliger will ich fein, als Wirbel der Rachſucht! 

Wahrlih, Fein Dreh- und Wirbelwind ift Sara- 
thuftra; und wenn er ein Tänzer if, nimmermehr doc 
ein Tarantel-Tänzerl — 


Alſo ſprach Sarathuftra. 


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Don den berühmten Weifen. 





Dem Dolfe habt ihr gedient und des Dolfes Aber: 
glauben, ihr berühmten Weifen alle! — und nicht der 
Woahrheitl Und gerade darum zollte man euch Ehrfurcht. 

Und darum auch ertrug man euren Unglauben, 
weil er ein Wit und Umweg war zum Dolfe. So läßt 


‚der Herr feine Sflaven gewähren und ergötzt fich noch 


an ihrem Übermuthe. 

Aber wer dem Volke verhaßt iſt wie ein Wolf 
den Hunden: das ift der freie Beift, der Feſſel⸗Feind, 
der Nicht-Anbeter, der in Wäldern Hauſende. 

Ihn zu jagen aus feinem Schlupfe — das hieß 
immer dem Dolfe „Sinn für das Nechte*: gegen ihn 
hett es noch immer feine fcharfzahnigften Hunde. 

„Denn die Wahrheit ift da: ift das Dolf doch dal 
Wehe, wehe den Suchenden!” — alfo ſcholl es von jeher. 

Eurem Volke wolltet ihr Recht fchaffen in feiner 
Derehrung: das hießet ihr „Wille zur Wahrheit”, ihr 
berühmten Weijen! 

Und euer Herz fprach immer zu fih: „vom Dolfe 
fam ich: von dort her Fam mir auch Gottes Stimme". 

Hart⸗nackig und Elng, dem Efel glei, wart ihr 
immer als des Dolfes Sürfprecher. 


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Und mancher Mächtige, der gut fahren wollte mit 
dem Volke, fpannte vor feine Roſſe noch — ein 
Efelein, einen berühmten Weifen. 

Und nun wollte ich, ihr berühmten Weifen, ihr 
wäürfet endlich das Fell des Löwen ganz von euch! 

Das Sell des Raubthiers, das buntgefledte, und die 
Sotten des Sorfchenden, Suchenden, Erobernden! 

Ah, daß ih an eure „Wahrhaftigfeit" glauben 
ferne, dazu müßtet ihr mir erft euren verehrenden 
Willen zerbrechen. 

Wahrhaftig — fo heiße ich Den, der in götterlofe 
Wüſten geht und fein verehrendes Herz zerbrocdhen hat. 

Im gelben Sande und verbrannt von der Sonne 
ſchielt er wohl durftig nach den quellenreihen Eilanden, 
wo £ebendiges unter dunfeln Bäumen ruht. 

Aber fein Durft überredet ihn nicht, diefen Behag- 
lichen gleich zu werden: denn wo Dafen find, da find 
auch Götzenbilder. 

Hungernd, gewaltthätig, einfam, gottlos: fo will 
fi felber der Löwen⸗Wille. 

Frei von dem Glück der Knechte, erlöft von Göttern 
und Anbetungen, furdtlos und fürdıterlih, groß und 
einfam: fo ift der Wille des Wahrhaftigen. 

In der Wüfte wohnten von je die Wahrhaftigen, 
die freien Geifter, als der MWüfte Herren; aber in den 
Städten wohnen die gutgefütterten, berühmten Weifen, 
— die Sugthiere. 

"immer nämlich ziehen fie, als Efel — des Dolfes 
Karren! 

Nicht daß ich ihnen darob zürne: aber Dienende 








150 











bleiben fie mir und Angeſchirrte, auch wenn fle von 
goldnem Geſchirre glänzen. 

Und oft waren fie gute Diener und preiswürdige. 
Denn fo fpricht die Tugend: „mußt du Diener fein, 
fo ſuche Den, welchem dein Dienft am beften nützt! 

„Der Geift und die Tugend deines Herrn follen 
wachen, dadurch dag du fein Diener bift: fo wächfeft 
du felber mit feinem Geifte und feiner Tugend!“ 

Und wahrli, ihr berühmten Weifen, ihr Diener 
des Dolfesi Ihr felber wuchfet mit des Volkes Geiſt 
und Tugend — und das Dolf duch enhl Zu euren 
Ehren fage ich dasl 

Aber Dolf bleibt ihr mir auch noh in euren 
Tugenden, Dolf mit blöden Augen, — Volk, das nit 
weiß, was Geift ift! 

Geift iſt das Keben, das felber in’s Keben fchneidet: 
an der eignen Qual mehrt es ſich das eigne Wiffen, — 
mwußtet ihr das fchon? 

Und des Geiftes Glück ift dies: gefalbt zu fein 
und durch Thränen geweiht zum Opferthier, — wußtet 
ihr das fchon? 

Und die Blindheit des Blinden und fein Suchen 
und Tappen foll noch von der Macht der Sonne zeugen, 
in die er fchaute, — wußtet ihr das fchon? 

Und mit Bergen foll der Erfennende bauen lernen! 
Wenig ift es, daß der Geift Berge verfeßt, — wußtet 
ihr das fon? 

Ihr Fennt nur des Geiftes Funken: aber ihr feht 
den Ambos nicht, der er ift, und nicht die Granſamkeit 
feines Hammers! 


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Wahrlich, ihr kennt des Geiſtes Stolz nicht! Aber 
noch weniger würdet ihr des Geiſtes Beſcheidenheit 
ertragen, wenn ſie einmal reden wollte! 

Und niemals noch durftet ihr euren Geiſt in eine 
Grube von Schnee werfen: ihr feid nicht heiß genug 
dazul So Fennt ihr auch die Entzüdungen feiner Kälte 
nicht. 

In Allem aber thut ihr mir zu vertraulich mit dem 
Geifte; und aus der Weisheit machtet ihr oft ein Armen 
und Kranfenhaus für ſchlechte Dichter. 

Ihr feid Feine Adler: fo erfuhrt ihr auch das Glüd 
im Schreden des Geiftes nit. Und wer fein Dogel 
ift, fol fih nicht über Abgründen lagern, 

Ihr feid mir Laune: aber Falt ftrömt jede tiefe 
Erfenntnig. Eiskalt find die innerften Brunnen des 
Beiftes: ein Kabjal heißen Händen und Handelnden. 

Ehrbar fteht ihr mir da und fteif und mit geradem 
Küden, ihr berühmten Weiſen! — euch treibt fein 
ftarfer Wind und Wille. 

Saht ihr nie ein Segel über das Meer gehn, geründet 
und gebläht und zitternd vor dem Ungeftüm des Windes ? 

Dem Segel gleich, zitternd vor dem Ungeftlüm des 
Geiftes, geht meine Weisheit über das Mleer — meine 
wilde Weisheit! 

Aber ihr Diener des Dolfes, ihr berühmten Weifen, 
— wie Pönntet ihr mit mir gehn! — 


Alfo ſprach Sarathuftra. 


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Das Nachtlied. 





Nacht iſt es: nun reden lauter alle ſpringenden 
Brunnen. Und auch meine Seele iſt ein ſpringender 
Brunnen. 

Vacht iſt es: nun erſt erwachen alle Lieder der 
Ciebenden. Und auch meine Seele iſt das Lied eines 
Liebenden. . 

Ein Ungeftilltes, Unftillbares ift in mir; das will 
laut werden. Eine Begierde nach Kiebe ift in mir, die 
redet felber die Sprache der Kiebe, 

Kicht bin ih: ach, daß ich Nacht. wärel Aber dies 
ift meine Einfamkeit, daß ich von Kicht umgürtet bin. 

Ah, daß ich dunkel wäre und näcdtigl Wie 
wollte ih an den Brüften des Lichts faugen! 

Und ench felber wollte ich noch fegnen, ihr kleinen 
Funkelſterne und Keuchtwürmer drobenl — und felig 
fein ob eurer Licht⸗Geſchenke. 

Aber ich lebe in meinem eignen Kichte, ich trinke 
die Flammen in mich zurüd, die aus mir brechen. 

Ich kenne das Glück des Nehmenden nicht; und 
oft träumte mir davon, daß Stehlen noch feliger fein 
müffe als Nehmen. 

Das ift meine Armuth, daß meine Hand niemals 





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ausruht vom Schenken; das iſt mein Neid, daß ich war⸗ 
tende Augen ſehe und die erhellten Nächte der Sehnſucht. 

Oh Unſeligkeit aller Schenkenden! Oh Verfinſte⸗ 
rung meiner Sonnel Oh Begierde nach Begehren! 
Oh Beißhunger in der Sättigung! 

Sie nehmen von mir: aber rühre ich noch an ihre 
Seele? Eine Kluft if zwiſchen Geben und Nehmen; 
und die Pleinfte Kluft ift am lebten zu überbrüden. 

Ein Hunger wädft aus meiner Schönheit: wehe- 
thun möchte ich Denen, welchen ich leuchte, berauben 
möchte ich meine Beſchenkten: — alfo hungere ich 
nach Bosheit. 

Die Hand zurüdziehend, wenn fi ſchon ihr die 
Hand entgegenftredt; dem Waflerfalle gleich zögernd, 
der noch im Sturze zögert: — alfo hungere ich nad 
Bosheit. 

Sole Rache finnt meine Fülle aus: ſolche Cücke 
quillt aus meiner Einſamkeit. 

Mein Glück im Schenken erftarb im Schenken, 
meine Tugend wurde ihrer felber müde an ihrem Über- 
fluffel 

Wer immer fchenft, deffen Gefahr ift, daß er 
die Scham verliere; wer immer austheilt, deffen Hand 
und Herz hat Schwielen vor lauter Austheilen. 

Mein Auge quillt nicht mehr über vor der Scham 
der Bittenden; meine Hand murde zu hart für das 
Sittern gefüllter Hände. 

Wohin Fam die Thräne meinem Auge und der 
Flaum meinem Herzen? Oh Einjamfeit aller Schenfen- 

denl Oh Schweigfamkeit aller Keuchtenden! 


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Diel Sonnen reifen im öden Raume: zu Allem, 
was dunkel if, reden fie mit ihrem Lichte, — mir 
ſchweigen fie. 

Oh dies ift die Seindfchaft des Kichts gegen 
Keuchtendes: erbarmungslos wandelt es feine Bahnen. 

Unbillig gegen Leuchtendes im tiefften Herzen, 
falt gegen Sonnen, — alſo wandelt jede Sonne. 

Einem Sturme glei fliegen die Sonnen ihre 
Bahnen, das ift ihr Wandeln. Ihrem unerbittlichen 
Willen folgen fie, das ift ihre Kälte. 

Oh, ihr erft feid es, ihr Dunklen, ihr Nächtigen, 
die ihr Wärme fhafft aus Leuchtendem! Gh, ihr erft 
trinft euh Milch und Kabfal aus des Lichtes Eutern! 

Ah, Eis ift um mid, meine Band verbrennt ſich 
an Eiſigem! Ach, Durft ift in mir, der ſchmachtet nad 
eurem Durfte! 

Naht ift es: ah daß ih Licht fein mußl Und 
Durft nah Vächtigem! Und Einfamfeitl 

Vacht ift es: nun bricht wie ein Born aus mir mein 
Derlangen, — nad Rede verlangt mid. 

Nacht ift es: nun reden lauter alle fpringenden 
Brunnen. Und auch meine Seele ift ein fpringender 
Brummen. 

Nacht ift es: nun erwahen alle XKieder der 
Siebenden. Und audy meine Seele ift das Kied eines 
Liebenden. — 


Alfo fang Sarathuftra. 


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Das Tanzlied. 





Eines Abends gieng Zarathuſtra mit feinen Jüngern 
durch den Wald; und als er nach einem Brunnen fudhte, 
fiehe, da fam er auf eine grüne Wiefe, die von Bäumen 
und Gebüſch fill umftanden war: auf der tanzten Mäd⸗ 
hen mit einander, Sobald die Mädchen Sarathuftra 
erfannten, ließen fie vom Tanze ab; Sarathuftra aber 
trat mit freundlicher Gebärde zu ihnen und ſprach diefe 
Worte: 

„Laßt vom Tanze nicht ab, ihr Fieblihen Mädchen! 
Kein Spielverderber fam zu euch mit böfem Blid, 
fein Mädchen- Seind. 

Gottes Fürfpreher bin ich vor dem Tenfel: der 
aber ift der Geiſt der Schwere Wie follte ich, ihr 
geichten, göttlihen Tänzen feind fein? Oder Mädchen- 
Süßen mit ſchönen Knöcheln? 

Wohl bin ih ein Wald und eine Nacht dunkler 
Bänme: doch wer fih_vor meinem Dunkel nicht fcheut, 
der findet auch Roſenhänge unter meinen Eyprefien. 

Und auch den kleinen Gott findet er wohl, der 
den Mädchen der liebfte ift: neben dem Brunnen liegt 
er, fill, mit gefchloffenen Augen. 








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Wahrlih, am hellen Tage fchlief er mir ein, der 
Tagediebl Hafchte er wohl zu viel nach Schmetterlingen? 

Sürnt mir nicht, ihe ſchönen Tanzenden, wenn ich 
den Pleinen Gott ein Wenig züchtigel Schreien wird 
er wohl und weinen, — aber zum Lachen ifl er noch 
im Weinen! 

Und mit Chränen im Auge foll er euch um einen 
Tanz bitten; und ich felber will ein Lied zu feinem 
Tanze fingen: 

Ein Tanz- und Spottlied auf den Beift der Schwere, 
meinen allerhöchften großmächtigften Teufel, von dem 
fie fagen, daß er „der Herr der Welt“ ſei.“ — 

Und dies tft das Kied, welches Sarathuftra fang, 
als Eupido und die Mädchen zufammen tanzten: 


In dein Auge fchaute ich jüngft, oh Leben! Und 
in's Unergründliche fchien ich mir da zu finfen. 

Aber du z0gft mich mit golöner Angel heraus; 
fpöttifh lachteſt du, als ich dich unergründlich nannte. 

„So geht die Rede aller Sifche, fpradhft du; was 
fie nicht ergründen, ift unergründlich. 

Aber veränderlih bin ih nur und wild und in 
Allem ein Weib, und Fein tugendhaftes: 

Ob ih fhon euh Männern „die Tiefe“ heiße 
oder „die Treue”, „ote Ewige“, „die Geheimnißvolle“. 

Doh ihe Männer befchenft uns ſtets mit den 
eignen Tugenden — ad, ihr Tugendhaften!“ 

Alfo lachte fie, die Unglaubliche; aber ich glaube 
ihr niemals und ihrem Lachen, wenn fie bös von fich 
felber fpricht. 





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Und als ich unter vier Augen mit meiner wilden 
Weisheit redete, fagte fie mir zornig: „Du willt, du 
begehrft, du Tiebft, darum allein lobft du das Leben!“ 

Saft hätte ich da bös geantwortet und der Fornigen 
die Wahrheit gefaat; und man fann nicht böfer antıwor- 
ten, als wenn man feiner Weisheit „die Wahrheit fagt“. 

So nämlich fteht es zwifchen uns Dreien. Don 
Grund aus liebe ich nur das Leben — und, wahrlid, 
am meiften dann, wenn ich es haffel 

Daß ich aber der Weisheit gut bin und oft zu aut: 
das macht, fie erinnert mich gar fehr an das Leben! 

Sie hat ihr Auge, ihr Lachen und fogar ihr goldnes 
Angelrüthhen: was fann ih dafür, daß die Beiden 
ſich fo ähnlich fehn? 

Und als mich einmal das Keben fragte! Wer ift 
denn das, die Weisheit? — da fagte ich eifrig: Ach jal 
die Weisheit! 

Man dürftet um fie und wird nicht fatt, man blickt 
durch Schleier, man hafcht durch Netze. 

ft ſie ſchön? Was weiß ihl Aber die älteften 
Karpfen werden noch mit ihr gefödert. 

Veränderlich ift fie und troßig; oft fah ich fie ſich 
die Kippe beißen und den Kamm wider ihres Haares 
Strih führen. 

Dielleiht ift fie böfe und falfh, und in Allem ein 
Srauenzimmer; aber wenn fle von fich felber fchledht 
fpricht, da gerade verführt fie am meiften.“ 

Als ih dies zu dem Leben fagte, da lachte es 
boshaft und madte die Augen zu. „Don wem redeft 
du doch? fagte es, wohl von mir? 





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Und wenn du Recht hättet, — fagt man das 
mir fo in’s Geſicht! Aber nun fpridy doch auch von 
deiner Weisheit!” 

Ah, und nun machteſt du wieder dein Auge auf, 
. oh geliebtes Leben! Und in’s Unergründliche ſchien 
ih mir wieder zu finfen. — 


Alfo fang Sarathuftra. Als aber der Tanz zu 
Ende und die Mädchen fortgegangen waren, wurde er 
traurig. 

„Die Sonne ift lange fchon hinunter, fagte er 
endlih; die Wiefe ift feucht, von den Wäldern her 
fommt Kühle. 

Ein Unbefanntes if um mih und blidt nad 
denflih. Was! Du lebft no, Sarathuftra ? 

Warum? Wofür? Wodurh? Wohin? Wo? Wie? 
Iſt es nit Chorheit, noch zu leben? — 

Ach, meine Sreunde, der Abend ift es, der fo aus 
mir fragt. Dergebt mir meine Traurigkeit! 

Abend ward es: vergebt mir, daß es Abend ward" 


Alfo ſprach Sarathuftra. 


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Das Grablied. 





„Dort iſt die Gräberinſel, die ſchweigſame; dort 
ſind auch die Gräber meiner Jugend. Dahin will ich 
einen immergrünen Kranz des Lebens tragen.” 

Alfo im Herzen befchliegend fuhr ich über das 
Meer. — 

OR ihr, meiner Jugend Gefichte und Erfcheinungen! 
Oh, ihre Blicke der Liebe alle, ihr göttlichen Augen- 
blidel Wie ftarbt ihr mir fo fchnell Ich gedente 
eurer heute wie meiner Todten. 

Don eudy her, meinen liebften Todten, fommt mir 
ein füßer Geruh, ein herz. und thränenlöfender. 
Wahrlich, er erfchüttert und löͤſt das Herz dem einfam 
Sciffenden. 

Immer noh bin ich der Reichſte und Beftzu« 
beneidende — ich der Einfamftel Denn ich hatte euch 
doch, und ihr habt mich noch: fagt, wem fielen, wie ! 
mir, ſolche NRofenäpfel vom Baume?r 

Immer noch bin ich eurer Liebe Erbe und Erd» 
reich, blühend zu enrem Bedächtniffe von bunten wild- 
wachfenen Tugenden, oh ihr Geliebteften! 

Ad, wir waren gemacht, einander nahe zu bleiben, 
ihr holden fremden Wunder; und nicht fchüchternen 


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Dögeln gleich kamt ihr zu mir und meiner Begierde — 
nein, als Trauende zu dem Trauenden! 

Ja, zur Treue gemacht, gleih mir, und zu zärt- 
Iihen Ewigfeiten: muß ih nun euch nach eurer 
Untreue heißen, ihr göttlihen Blicke und Augenblide: 
feinen andern Namen lernte ich noch. 

Wahrlich, zu fchnell ftarbt ihr mir, ihr Slüchtlinge, 
Doch floht ihr mich nicht, noch floh ich euch: unfchuldig 
find wir einander in unfrer Untreue, 

Mich zu tödten, erwürgte man euch, ihr Singvögel 
meiner Hoffnungen! Ja, nad euch, ihr Kiebften, fchoß 
immer die Bosheit Pfeile — mein Herz zu treffen! 

Und fie trafl Wart ihr doch ftets mein Herzlichites, 
mein Befiz und mein Befeffen-fein: darum mußtet ihr 
jung fterben und allzu frühel 

Uah dem Derwundbarften, das ich befaß, fchoß 
man den Pfeil: das waret ihr, denen die Haut einem 
Flaume gleich ift und mehr noch dem Lächeln, das an 
einem Blick erftirbtl 

Aber dies Wort will ich zu meinen feinden reden: 
was ift alles Menfchen-Morden gegen Das, was ihr mir 
thatet! 

Böferes thatet ihr mir, als aller Menſchen⸗Mord ift; 
Unwiederbringliches nahmt ihr mir: — alfo rede ich zu 
euch, meine Feindel 

Mordetet ihr doch meiner Jugend Gefihte und 
ftebfte Wunder! Meine Gefpielen nahmt ihr mir, die 
feligen Geifterl Ihrem Gedäctniffe lege ich diefen 
Kranz und diefen Fluch nieder. 

Diefen Fluch gegen euch, meine feindel Machtet 





Alfo ſprach Zarathuftra. ‚161 11 





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ihr doch mein Ewiges Furz, wie ein Ton zerbricht in 
Falter Yacht! Kaum als Aufblinten göttliher Augen 
fam es mir nur, — als Augenblid| 

Alfo fprah zur guten Stunde einft meine Nein: 
heit: „göttlich follen mir alle Weſen fein.“ 

Da überflelt ihr mich mit ſchmutzigen Gefpenftern; 
ah, wohin floh nun jene gute Stundel 

„Ale Tage follen mir heilig fein” — fo redete 
einft die Weisheit meiner Jugend: wahrlich, einer fröh- 
lihen Weisheit Redel 

Aber da ftahlt ihr Feinde mir meine Nächte und 
verfauftet fie zu fchlaflofer Qual: ach, wohin floh num 
jene fröhliche Weisheit? 

Einft begehrte ich nach glüdlichen Dogelzeihen: da 
führtet ihr mir ein Eulen-Unthier über den Weg, ein 
widriges. Ad, wohin floh da meine zärtliche Begierde? 

Allem Efel gelobte ich einft zu entfagen: da vers 
wandeltet ihr meine Nahen und Nächften in Eiterbeulen. 
Ad, wohin floh da mein edelftes Gelöbniß? 

Als Blinder gieng ich einft felige Wege: da warft 
ihr Unflath auf den Weg des Blinden: und nun efelt 
ihn des alten Blinden-£ußfteigs. 

Und als ih mein Schwerftes that und meiner 
Überwindungen Sieg feierte: da machtet ihr Die, welde 
mid liebten, fchrein, ich thue ihnen am weheiten. 

Wahrlich, das war immer euer Thun: ihr vergälltet 
mir meinen beften Honig und den Fleiß meiner beften 
Bienen. 

Meiner Mildthätigkeit fandtet ihr immer die frech⸗ 
fien Bettler zu; um mein Mitleiden drängtet ihr immer 


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die unheilbaren Schamlofen. So verwundetet ihr meine 
Tugenden in ihrem Glauben. 

Und legte ich noch mein Bieiligftes zum Opfer hin: 
flugs ftellte eure „Frömmigkeit“ ihre fetteren Gaben 
dazu: alfo daß im Dampfe eures fettes noch mein 
Heiligftes erſtickte. 

Und einft wollte ich tanzen, wie nie ich noch 
tanzte: über alle Himmel weg wollte idy tanzen. Da 
überredetet ihr meinen liebften Sänger. 

Und nun ftimmte er eine fcyaurige dumpfe Weife 
an; ad, er tutete mir wie ein düfteres Horn zu Ohren! 

Mörderifcher Sänger, Werkzeug der Bosheit, Un- 
fchuldigfterl Schon ftand ich bereit zum beiten Tanze: 
da mordeteft du mit deinen Tönen meine Derzüdung! 

ur im Tanze weiß ich der höchften Dinge Sleich- 
niß zu reden: — und nun blieb mir mein höchites 
Gleichniß ungeredet in meinen Gliedern! 

Ungeredet und unerlöft blieb mir die höchfte 
KHoffnungl Und es ftarben mir alle Gefichte und 
Cröftungen meiner Jugendl 

Wie ertrug idy’s nur? Wie verwand und überwand 
ih folhe Wunden? Wie erftand meine Seele wieder 
aus diefen Gräbern ? 

Sa, ein Unverwundbares, Unbegrabbares if an 
mir, ein Selfenfprengendes: das heißt mein Wille. 
Scweigfam fchreitet es und unverändert durch die 
Jahre. " 

Seinen Bang will er gehn auf meinen Süßen, 
mein alter Wille; herzenshart ift ihm der Sinn und 
unverwundbar, 


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Unverwundbar bin ih allein an meiner Ferſe. 
Immer noch lebft du da und bift dir gleih, Ge⸗ 
duldigfterl Immer noch bradft du dich durch alle 
Gräber! 

In dir lebt auch noch das Unerlöfte meiner Jugend; 
und als Leben und Jugend fiteft du hoffend hier auf 
gelben Grab⸗Crümmern. 

Sa, noch bift du mir aller Gräber Zertrümmerer: 
Beil dir, mein Willel Und nur wo Gräber find, giebt 
es Auferftehungen. — 


Alfo fang Sarathuftra. 


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Don der Selbft-Äberwindung. 








„Wille zur Wahrheit” heißt ihr’s, ihr Weifeften, 
was euch treibt und brünftig macht? 

Wille zur Denfbarkeit alles Seienden: alfo heiße 
ich euren Willen! 

Alles Seiende wollt ihr erft denkbar machen: 
denn ihr zweifelt. mit gutem Mißtrauen, ob es fchon 
denkbar iſt. 

Aber es foll fih eudy fügen und biegen! So wilPs 
euer Wille Glatt foll es werden und dem Geifte unter- 
than, als fein Spiegel und Widerbild. 

Das ift euer ganzer Wille, ihr Weifeften, als eın 
Wille zur Macht; und auch wenn ihr vom Guten und 
Böfen redet und von den Werthichäßungen. | 

Schaffen wollt ihr noch die Welt, vor der ihr Enten 
könnt: fo.ift es eure letzte Hoffnung und Trunkenheit. | 

Die Unmweifen freilich, das Doll, — die find gleich | 
dem Fluffe, auf dem ein lachen weiter fchwimmt: und 
im Nachen ſitzen feierlich und vermummt die Werth- | 
fhäßungen. | 

Euren Willen und eure Werthe febtet ihr auf den | 

! 


Fluß des Werdens; einen alten Willen zur Macht ver- 
räth mir, was vom Volke als But und Böfe geglaubt wird. | 


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Ihr wart es, ihr Weifeften, die folhe Gäſte in 
diefen Nachen ſetzten und ihnen Prunk und ftolze 
Namen gaben, — ihr und euer herrfchender Willel 

Weiter trägt nun der Fluß euren Nachen: er muß 
ihn tragen. Wenig thus, ob die gebrochene Welle 
fhäumt und zornig dem Kiele widerfpricht! 

Nicht der Fluß ift eure Gefahr und das Ende eures 
Guten und Böfen, ihr Weifeften: fondern jener Wille 
felber, dere Wille zur Madt, — der unerjchöpfte zen⸗ 
gende Lebens⸗Wille. 

Aber damit ihr mein Wort verfteht vom Guten 
und Böfen: dazu will ich end; nod mein Wort vom 
Leben fagen und von der Art alles Lebendigen. 

Dem £ebendigen gieng ih nad, ich gieng die 
größten und die Pleinftern Wege, daß ich feine Art 
erfenne. 

Mit hundertfahem Spiegel fieng ich noch feinen 
Blick auf, wenn ihm der Mund geſchloſſen war: daß 
fein Auge mir rede, Und fein Uuge redete mir. 

Aber, wo ih nur Kebendiges fand, da hörte ich 
auch die Rede vom Gehorfame Alles Lebendige ift 
ein Behorchendes. 

Und dies tft das Sweite: Dem wird befohlen, der 
fi nicht felber gehorchen kann. So ift es des Keben- 
digen Art. 

Dies aber ift das Dritte, was ich hörte: daß Be- 
fehlen fchwerer if, als Gehorchen. Und nicht nur, 
daß der Befehlende die Laſt aller Gehorchenden trägt, 
und daß leicht ihn diefe Laſt zerdrüdt: — 


Ein Derfuh und Wagniß erfdhien mir in allem 


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ı Befehlen; und ftets, wenn es befiehlt, wagt das Keben- | 
dige fid felber dran. 
| Ja noch, wenn es ſich felber beftehlt: auch da noch I 
| muß es fein Befehlen büßen. Seinem eignen Gefeße | 
| muß es Richter und Rächer und Opfer werden. 
| Wie gefhieht dies doch! fo fragte ih mid. Was 
überredet das Lebendige, daß es gehordt und befiehlt | 
I und befehlend noch Gehorfam übt? | 
| Hört mir nun mein Wort, ihr Weifeften! Prüft es 
ernjtlich, ob ich dem Leben felber in’s Herz kroch, und 
| bis in die Wurzeln feines Herzens! | 
Wo ich Lebendiges fand, da fand ich Willen zur 
| Madt; und noch im Willen des Dienenden fand ich | 
den Willen, Herr zu fein. 
Daß dem Stärferen diene das Schwächere, dazu 
überredet es fein Wille, der über noch Schwädheres 
Herr fein will: diefer Luft allein mag es nicht entrathen. 
Und wie das Kleinere fih dem Größeren hingiebt, 
daß es Luft und Macht am Kleinften habe: alfo giebt 
fih aud das Größte noch Hin und fett um der Macht 
willen — das Leben dran. 
Das ift die Hingebung des Größten, daß es Wag- 
niß ift und Gefahr, und um den Tod ein Würfelfpielen. | 
Und wo Opferung und Dienfte und Kiebesblide 
| 


| find: auch da tft Wille, Herr zu fein. Auf Schleidy 

| wegen fchleicht fich da der Schwächere in die Burg und 

| bis in’s Herz dem Mächtigeren — und ftiehlt da Macht. 

| Und dies Geheimniß redete das Leben felber zu 

| mir: „Siehe, jprach es, ich bin Das, was fi immer 
felber überwinden muß. 





„Sreilih, ihr heißt es Wille zur Zengung oder 
Trieb zum Swede, zum Höheren, Ferneren, Dielfacheren: 
aber all dies ift Eins und Ein Geheimniß. 

„Lieber noch gehe ich unter, als daß ich diefem 
Einen abfagte; und wahrlih, wo es Untergang giebt 
und Blätterfallen, fiehe, da opfert fi Leben — um 
Madtl 

„Daß ih Kampf fein muß und Werden und 
Zweck und der Zwecke Widerfpruch: ach, wer meinen 
Willen erräth, erräth wohl auch, auf welchen krummen 
Wegen er gehen mußl 

„Was ich audy fchaffe und wie ich’s andy liebe, 
— bald muß ich Gegner ihm fein und meiner Liebe: 
fo will es mein Wille, 

„And auch du, Erfennender, bift nur ein Pfad und 
Sußtapfen meines Willens: wahrlich, mein Wille zur 
Macht wandelt auh auf den Füßen deines Willens 
zur Wahrheit 

„Der traf freilich die Wahrheit nicht, der das Wort 
nah ihr fhoß vom „Willen zum Dafein”: diefen 
Willen — giebt es nicht! 

„Denn: was nicht ift, das kann nicht wollen; was 
aber im Dafein ift, wie fönnte das noch zum Dafein 
wollen! 

„Zur, wo Keben ift, da ift auch Wille: aber nicht 
Wille zum Leben, fondern — fo lehre ih’s dich — 
Wille zur Macht! 

„Dieles ift dem Xebenden höher gefchätt, als 
£eben jelber; doch aus dem Schäßen felber heraus 
redet — der Wille zur Madıtl" — 





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Alſo lehrte mich einſt das Leben: und daraus 
löſe ich euch, ihr Weiſeſten, noch das Räthſel eures 
Herzens. 

Woahrlih, ich fage eudh: Gutes und Böfes, das 
unvergänglih wäre — das giebt es nichtl Aus fi 
ſelber muß es fich immer wieder überwinden. 

Mit euren Werthen und Worten von Gut und Böfe 
übt ihr Gewalt, ihr Werthfchäßenden: und dies ift eure 
verborgene Liebe und eurer Seele Glänzen, Zittern und 
Überwallen. 

Aber eine ftärfere Gewalt wähft aus euren 
Werthen und eine nene Überwindung: an der zer- 
briht Ei und Eierfchale. 

Und wer ein Schöpfer fein muß im Guten und 
Böfen: wahrlih, der muß ein Dernichter erft fein 
und Werthe zerbrechen. 

Alfo gehört das höchfte Böfe zur höchſten Güte: 
diefe aber ift die fchöpferifche. — 

Reden mir nur davon, ihr Weifeften, ob es 
gleih ſchlimm if. Schweigen ift ſchlimmer; alle ver- 
ſchwiegenen Wahrheiten werden giftig. 

Und mag doc Alles zerbrechen, was an unferen 
Wahrheiten zerbrehen — kann! Manches Baus giebt 
es noch zu bauen! — 


Alfo ſprach Sarathuftra. 


169 


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Von den Erhabenen. 





Still iſt der Grund meines Meeres: wer erriethe 
wohl, daß er ſcherzhafte Ungeheuer birgt! 

Unerfchütterlih ift meine Tiefe: aber fie glänzt 
von fhwimmenden Räthfeln und Gelächtern. 

Einen Erhabenen fah ich heute, einen Seierlichen, 
einen Büßer des Geiftes: oh wie lachte meine Seele 
ob feiner Häßlichkeit! 


Mit erhobener Bruft und Denen gleich, welche den 


Athem an fih ziehn: alfo fland er da, der Erhabene, 
und fchweigfam: 

Behängt mit häßlichen Wahrheiten, feiner Jagdbente, 
und reich an zerriffenen Kleidern; aud viele Dornen 
hiengen an ihm — aber noch fah ich Feine Roſe. 

Noch lernte er das Lachen nicht und die Schönheit. 
Finſter kam diefer Jäger zurück aus dem Walde der 
Erfenntnig. 


Dom Kampfe Fehrte er heim mit wilden Chieren:. 


aber aus feinem Ernfte blidt auch noch ein wildes 
Chier — ein unüberwundenes! 

Wie ein Tiger flieht er immer nodh da, der 
fpringen will; aber ih mag diefe gefpannten Seelen 


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nicht, unhold ift mein Gefhmad allen diefen Surüd: 
gezognen. 

Und ihr fagt mir, Freunde, daß nicht zu flreiten 
fei über Gefchmad und Schmeden? Aber alles Leben 
it Streit um Gefhmad und Schmeden! 

Gefhmad: das tft Gewicht zugleih und Wag- 
fhale und Wägender; und wehe allem Lebendigen, 
das ohne Streit um Gewiht und Wagichale und 
Wägende leben wollte! 

Wenn er feiner Erhabenheit müde würde, diefer 
Erhabene: dann erft würde feine Schönheit anheben, — 
und dann erft will ich ihn fchmeden und ſchmackhaft 
finden. 

Und erft, wenn er fih von fich felber abwendet, 
wird er Über feinen eignen Schatten fpringen — und, 


_ wahrlich! hinein in feine Sonne. 


Allzulange faß er im Scatten, die Wangen 
bleichten dem Büßer des Geiftes; faft verhungerte er 
an feinen Erwartungen. 

Deradtung ift noch in feinem Auge; und Efel 
birgt fih an feinem Munde. Swar ruht er jetzt, aber 
feine Ruhe hat ſich noch nicht in die Sonne gelegt. 

Dem Stiere glei follte er thun; und fein Glück 
follte nah Erde riechen, und nicht nach Deractung 
der Erde, 

Als weißen Stier möchte ih ihn fehn, wie er 
ſchnaubend und brüllend der Pflugichar vorangeht: 
und fein Gebrüll follte noch alles Jrdifche preifen! 

Dunkel noch ift fein Antlig; der Hand Schatten 
fpielt auf ihm. Derfchattet ift noch der Sinn feines Auges. 


— 





1721 




























Seine Chat ſelber iſt noch der Schatten auf ihm: 
die Hand verdunfelt den Handelnden. Noch hat er 
feine Chat nicht überwunden. 
Wohl liebe ih an ihm den Xladen des Stiers: 
aber nun will ich auch noch das Auge des Engels fehn. 
Aud feinen Helden-Willen muß er noch verlernen: 
ein Gehobener foll er mir fein und nicht nur ein Er 


habener: — der Äther felber. follte ihn heben, den 


Willenlofen! 

Er bezwang Unthiere, er löfte Räthfel: aber erlöfen 
folte ee auch noch feine Unthiere und Näthfel, zu 
himmlifhen Kindern follte er fle noch verwandeln, 

oh hat feine Erkenntniß nicht lächeln gelernt 
und ohne Eiferfucht fein; noch ift feine ftrömende 
Seidenfhaft nicht ftille geworden in der Schönheit. 

Wahrlich, nicht in der Sattheit foll fein Derlangen 
fchweigen und untertauchen, fondern in der Schönheit! 
Die Anmuth gehört zur Großmuth des Großgefinnten. 

Den Arm über das Haupt gelegt: fo follte der Held 
ausruhn, fo follte er auch noch fein Ausruhen überwinden, 

Aber gerade dem Helden ift das Schöne aller 
Dinge Schwerftes. Unerringbar ift das Schöne allem 
heftigen Willen. 

Ein Wenig mehr, ein Wenig weniger: das gerade 
ift hier Diel, das ift hier das Meifte. 

mit läffigen Muskeln ftehn und mit abgefchirrtem 
Willen: das iſt das Scwerfte euch Allen, ihr Er» 
habenen! 

Wenn die Macht gnädig wird und herabfommt in’s 
Sichtbare: Schönheit heiße ich folches Ejerabfommen. 








172 


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Und von Niemandem will ich fo als von dir gerade 
Schönheit, du Gemwaltiger: deine Güte fei deine letzte 
Selbft-Überwältigung. 

Alles Böfe traue ich dir zu: darum will ich von 
dir das Gute. 

Wahrlich, ich lachte oft der Schwädlinge, welde 
fih gut glauben, weil fie lahme Taten haben! 

Der Säule Tugend follt du nachfireben: fchöner 
wird fie immer und zarter, aber inwendig härter und 
tragfamer, je mehr fie auffteigt. . 

Ja, du Erhabener, einft follft du noch fchön fein 
und deiner eignen Schönheit den Spiegel vorhalten. 

Dann wird deine Seele vor göttlihen Begierden 
ſchaudern; und Anbetung wird noch in deiner Eitel- 
feit fein! 

Dies nämlich ift das Geheimniß der Seele: erft, 
wenn fie der Held verlaffen hat, naht ihr, im Traume, 
— der ÄÜber⸗Held. — 


Alſo ſprach Sarathuftra. 


173 


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Dom Sande der Bildung 





Su weit hinein flog ich in die Sufunft: ein Grauen 
überfiel mid). 

Und als ih um mid fah, ftehel da war die Seit 
mein einziger Zeitgenoffe. 

Da floh ih rüdwärts, heimwärts — und immer 
eilender: fo fam ich zu euch, ihr Gegenwärtigen, und 
in’s £and der Bildung. 

Sum erften Male brachte ich ein Auge mit für 
euch, und gute Begierde: wahrlih, mit Sehnfucht im 
Herzen fam id. 

Aber wie gefhah mir? So anaft mir auch war, — 
ih mußte laden! Xie fah mein Auge etwas fo Bunt- 
geſprenkeltes! 

Ich lachte und lachte, während der Fuß mir noch 
zitterte und das Herz dazu: „hier iſt ja die Heimat aller 
Sarbentöpfel” — fagte ich. 

Mit fünfzig Klegen bemalt an Gefiht und Glie- 
dern: fo faßet ihr da zu meinem Staunen, ihr Begen- 
wärtigen!| 

Und mit fünfzig Spiegeln um euch, die eurem 
Sarbenfpiele ſchmeichelten und nachredeten! 





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Woahrlih, ihr Fönntet gar Peine beffere Masfe 
tragen, ihr Gegenmwärtigen, als euer eignes Geſicht iftl 
Wer fönnte euch — erfennen! 

Dollgefchrieben mit den Seichen der Dergangenheit, 
und auch diefe Zeichen überpinjelt mit neuen Heichen: 
alfo habt ihr euch gut verſteckt vor allen Heichendeutern! 

Und wenn man auch Xierenprüfer ift: wer glaubt 
wohl noch, daß ihr Nieren habtl Aus Sarben fcheint 
ihr gebaden und aus geleimten Zetteln. 

Alle Zeiten und Dölfer bliden bunt aus euren 
Scleiern; alle Sitten und Glauben reden bunt aus euren 
Sebärden. 

Wer von euch Schleier und Überwürfe und Sarben 
und Gebärden abzöge: gerade genug würde er übrig 
behalten, um die Dögel damit zu erfchrecen. 

Wahrlich, ich felber bin der erſchreckte Dogel, der 
euch einmal nadt ſah und ohne Farbe; und ich flog 
davon, als das Gerippe mir Liebe zuwinkte. 

Cieber wollte ich doch noch Tagelöhner fein in der 
Unterwelt und bei den Schatten des Ehemals! — Seifter 
und voller als ihr find ja noch die Unterweltlichen! 

Dies, ja dies ift Bitternig meinen Gedärmen, 
daß ih euch weder nackt nod bekleidet aushalte, 
ihr Gegenmwärtigen! 

Alles Unheimlihe der Zukunft, und was je ver 
flogenen Dögeln Schauder machte, ift wahrlich heim- 
liher noch und traulicher als eure „Wirflichfeit”. 

Denn fo fpredt ihre: „Wirklihe find wir ganz, 
und ohne Glauben und Aberglanben”: alfo brüftet ihr 
euch — ach, auch noch ohne Brüftel j 


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175 


Ya, wie folltet ihr glauben können, ihr Bunt. 
gefprenfeltenl — die ihr Gemälde feid von Allem, 
was je geglaubt wurdel 

Wandelnde Widerlegungen feid ihr des Glaubens 
felber, und aller Gedanken Gliederbrechen. Unglanb- 
würdige: alfo heiße ich euch, ihr Wirklichen! 

Alle Seiten fchwäßen wider einander in euren 
Geiftern; und aller Seiten Träume und Geſchwätz 
waren wirklicher noch, als euer Wachſein iftl 

Unfruchtbare feid ihr: darum fehlt es euh an 
Glauben. Aber wer fhaffen mußte, der hatte aud 
immer feine Wahr-Träume und Stern-Seihen — und 
glaubte an Glauben! — 

Balboffne Chore feid ihr, an denen Todtengräber 
warten. Und das ift eure Wirklichkeit: „Alles ift werth, 
daß es zu Grunde geht.” 

Ah, wie ihr mir dafteht, ihr Unfruchtbaren, wie 
mager in den Rippen! Und Mancder von euch hatte 
wohl deffen felber ein Einjehen. 

Und er ſprach: „es hat wohl da ein Gott, als ich 
fhlief, mir heimlid Etwas entwendet? Wahrlid,, 
genug, ſich ein Weibchen daraus zu bilden! 

Wunderfam ift die Armuth meiner Rippenl“ alfo 
ſprach fhon mancher Gegenwärtige. 

Ja, zum Laden feid ihr mir, ihr Gegenwärtigen! 
Und fonderlih, wenn ihr euch über euch felber wundert! 

Und wehe mir, wenn ich nicht lachen Fönnte über 
eure Dermwunderung, und alles Widrige aus euren 
Näpfen hinunter trinfen müßtel 





176 





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So aber will ich’s mit euch leichter nehmen, da | 
ih Schweres zu tragen habe; und was thut’s mit, | 
wenn fih Käfer und Slügelwürmer noh auf mein 





Bündel feßen! 

Wahrlich, es foll mir darob nicht fchwerer werden! 
Und nicht aus euch, ihr Gegenwärtigen, foll mir die 
große Müdigkeit kommen. — 

Ah, wohin foll ih nun noch fleigen mit meiner 
Sehnfuhtl Don allen Bergen fchaue ih aus nad 
Dater- und Mutterländern. 

Aber Heimat fand ich nirgends: unftät bin ich in 
allen Städten und ein Aufbruh an allen Choren. 

Fremd find mir und ein Spott die Gegenmwärtigen, 
zu denen mich jüngft das Herz trieb; und vertrieben 
bin ich aus Dater- und Mlutterländern, 
| So liebe ich allein noch meiner Kinder Land, 
das unentdeckte, im fernften Meere: nad ihm heiße 
ich meine Segel fuchen und fuchen. 

An meinen Kindern will ich es gut maden, daß 
ih meiner Däter Kind bin: und an aller Sufunft — 
diefe Gegenwartl — 


Alfo fprah Sarathuftra. 


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Alfo ſprach Zarathuſtra. 177 12 


Don der unbefledten Erfenntniß, 





Als geftern der Mond aufgieng, wähnte ich, daß 
er eine Sonne gebären wolle: fo breit und trächtig lag 
er am Borizonte, 

Aber ein Lügner war er mir mit feiner Schwanger- 
fhaft; und eher noch will ih an den Mann im Monde 
glauben als an das Weib. 

Freilich, wenig Mann ift er auch, diefer ſchüchterne 
Nachtſchwärmer. Woahrlih, mit ſchlechtem Gewiſſen 
wandelt er über die Dächer. 

Denn er ift lüſtern und eiferſüchtig, der Mönch im 
Monde, lüftern nach der Erde und nad allen Sreuden 
der Liebenden. 

ein, ih mag ihn nicht, diefen Kater auf den 
Dächern! Widerlih find mir Alle, die um halbver- 
ſchloſſne Fenſter fchleichen! 

Fromm und ſchweigſam wandelt er hin auf Sternen⸗ 
Teppichen: — aber ich mag alle leiſetretenden Manns- 
füße nicht, an denen auch nicht ein Sporen klirrt. 

Jedes Redlihen Schritt redet; die Kate aber ftiehlt 
fih über den Boden weg. Siehe, Patenhaft kommt 
der Mond daher und unredlih, — 

Diefes Gleihnig gebe ih end empfindfamen 


178 


















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Beuchlern, euch, den „Nein-Erfennenden“l Euch heiße 
ih — £üfternel 

Auch ihr liebt die Erde und das Jrdifche: ich er- 
rieth euch wohl! — aber Scham ift in eurer Kiebe und 
ſchlechtes Gewiffen, — dem Monde gleicht ihrl 

Sur Deradıtung des Irdiſchen hat man euren Geiſt 
überredet, aber nicht eure Eingeweide: die aber find 
das Stärffte an euchl 

Und nun fchämt fi euer Geift, daß er euren 
Eingeweiden zu Willen if, und geht vor feiner eignen 
Scham Schleich⸗ und Lügenwege. 

„Das wäre mir das Höchſte — alfo redet euer 
verlogner Geift zu ſfich — auf das Leben ohne Begierde 
zu fhaun und nicht, gleich dem Hunde, mit hängender 
Zunge: 

„Glücklich zu ſein im Schauen, mit erſtorbenem 
Willen, ohne Griff und Gier der Selbſtſucht — kalt 
und aſchgrau am ganzen Leibe, aber mit trunkenen 
Mondesaugen! 

„Das wäre mir das Liebſte, — alſo verführt ſich 
ſelber der Verführte — die Erde zu lieben, wie der 
Mond ſie liebt, und nur mit dem Auge allein ihre 
Schönheit zu betaſten. 

„Und das heiße mir aller Dinge unbefleckte 
Erkenntniß, daß ich von den Dingen Nichts will: 
außer daß ich vor ihnen da liegen darf wie ein Spiegel 
mit hundert Augen.“ — 

Oh, ihr empfindſamen Heuchler, ihr Lüſternen! 
Euch fehlt die Unſchuld in der Begierde: und nun ver- 
leumdet ihr drum das Begehren! 








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Wahrlich, nicht als Schaffende, Zengende, Werde: 
luſtige liebt ihr die Erdel 

Wo ift Unfhuld? Wo der Wille zur Zeugung ift. 
Und wer über fih hinaus fchaffen will, der hat mir 
den reinften Willen. 

Wo ift Schönheit? Wo ih mit allem Willen 
wollen muß; wo ich lieben und untergehn will, daß 
ein Bild nicht nur Bild bleibe, 

Sieben und Untergehn: das reimt fich feit Ewig- 
keiten. Wille zur Liebe: das ift, willig auch fein zum 
Tode. Alfo rede ich zu euch Seiglingen! 

Aber nun will euer entmanntes Schielen „Befchau- 
fichfeit" heißen! Und was mit feigen Augen fi 
taften läßt, foll „ſchön“ getauft werdenl Oh ihr Be 
ſchmutzer edler Namen! 

Aber das foll euer Fluch fein, ihr Unbefleckten, 
ihr Rein-Erfennenden, daß ihr nie gebären werdet: und 
wenn ihr auch breit und trächtig am Horizonte liegtl 

Wahrlih, ihre nehmt den Mund voll mit edlen 
Worten: und wir follen glauben, daß euch das Herz 
übergehe, ihr Lügenbolde? 

Aber meine Worte find geringe, veradhtete, 
frumme Worte: gerne nehme ich auf, was bei eurer 
Mahlzeit unter den Ciſch fällt. 

Immer noh kann ich mit ihnen — heuchlern die 
Wahrheit fagenl Ja, meine Gräten, Mufcheln und 
Stachelblätter follen — Heuchlern die Naſen kitzeln! 

Schlechte Luft ift immer um euch und eure Mahl- 
zeiten: enre lüfternen Gedanfen, eure Lügen und Heim- 
fichfeiten find ja in der KEuftl 


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Wagt es doch erſt, euch ſelber zu glauben — 
euch und euren Eingeweiden! Wer ſich ſelber nicht 
glaubt, lügt immer. 

Eines Gottes Larve hängtet ihr um vor euch ſelber, 
ihr „Reinen“: in eines Gottes Larve verkroch ſich euer 
greulicher Ringelwurm. 

Wahrlich, ihr täuſcht, ihr „Beſchaulichen“! Auch 
Zarathuſtra war einſt der Varr eurer göttlichen Häute; 
nicht errieth er das Schlangengeringel, mit dem fie 
geftopft waren. 

Eines Gottes Seele wähnte ich einft fpielen zu fehn 
in euren Spielen, ihr Rein-Erfennenden! Keine befjere 
Kunft wähnte ich einft als eure Künftel 

Sclangen-Unflath und ſchlimmen Geruch verhehlte 
mir die Ferne: und daß einer Eidechfe Liſt lüftern 
hier herumfchlid. 

Aber ich fam euch nah: da fam mir der Tag — 
und nun fommt er euch, — zu Ende gieng des Mondes 
Kiebfchaftl 

Seht doch hin! Ertappt und bleich fieht er da — 
vor der Morgenröthel 

Denn fon fommt fie, die Slühende, — ihre 
Siebe zur Erde kommtl Unfhuld und Schöpfer-Beaier 
ift alle Sonnen-Kiebel 

Seht do hin, wie fle ungeduldig über das Meer 
fommtl $ühlt ihr den Durft und den heißen Athem 
ihrer Liebe nicht? 

Am Meere will fie faugen und feine Tiefe zu fi 
in die Höhe trinfen: da hebt fich die Begierde des 
Meeres mit taufend Brüften, 


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Geküßt und geſaugt will es ſein vom Durſte der 
Sonne; Luft will es werden und Höhe und Fußpfad 
des Lichts und ſelber Lichtl 

Wahrlich, der Sonne gleich liebe ich das Leben 
und alle tiefen Meere. 

Und dies heift mir Erkenntniß: alles Tiefe foll 
hinauf — zu meiner Höhel — 


Alſo ſprach Sarathuftra. 


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182 | 


Don den Gelehrten. 





Als ih im Schafe lag, da fra ein Schaf am 
Epheufranze meines Hauptes, — fraß und fprach dazu: 
„Sarathuftra ift fein Gelehrter mehr”. 

Sprady’s und gieng floßig davon und ſtolz. Ein 
Kind erzählte mir's. 

Gerne liege ich hier, wo die Kinder fpielen, an der zer- 
brochnen Mauer, unter Difteln und rothen Mohnblumen. 

Ein Gelehrter bin ich den Kindern noch und auch 
den Difteln und rothen Mohnblumen. Unfhuldig find 
fie, felbft noch in ihrer Bosheit. 

Aber den Schafen bin ich’s nicht mehr: fo will es 
mein Loos — gefegnet fei es! 

Denn dies ift die Wahrheit: ausgezogen bin ih 
ans dem Hauſe der Gelehrten, und die Thür habe ich 
noch hinter mir zugeworfen. 

Su lange faß meine Seele hungrig an ihrem Tifche; 
nicht, gleich ihnen, bin ih auf das Erfennen ab- 
gerichtet wie auf das Nüſſeknacken. 

Steiheit liebe ich und die Luft über frifcher Erde; 
fieber noch will ich auf Ochſenhäuten fchlafen, als auf 
ihren Würden und Achtbarfeiten. 








183 





Jh bin zu heiß und verbrannt von eigenen Ge⸗ 
danken: oft will es mir den Athem nehmen. Da muß 
ih in’s Freie und weg aus allen verftaubten Stuben. 

Aber fie fien fühl in kühlem Schatten: fie wollen 
in Allem nur Zufchauer fein und hüten fich, dort zu 
ſitzen, wo die Sonne auf die Stufen brennt. 

Gleih Solchen, die auf der Straße ftehn und die 
Leute angaffen, welche vorübergehn: alfo warten fie auch 
und gaffen Gedanken an, die Andre gedacht haben. 

Greift man fie mit Händen, fo ftäuben fie um ſich 
gleih Mehlfäden, und unfreiwillig: aber wer erriethe 
wohl, daß ihr Staub vom Korne flammt und von der : 
gelben Wonne der Sommerfelder ? | 

Geben fie ſich weife, fo fröftelt mich ihrer Fleinen . 
Sprüche und Wahrheiten: ein Geruch ift oft an ihrer . 
Weisheit, als ob fie aus dem Sumpfe ftamme: und wahr- - 
lih, ich hörte auch fchon den Froſch aus ihr quafen! 

Geſchickt find fie, fie haben Pluge Singer: was 
will meine Einfalt bei ihrer Dielfalt! Alles Fädeln und 
Knüpfen und Weben verftehn ihre Singer: alfo wirken 
fie die Strümpfe des Geiftesl 

Gute Uhrwerke find fie: nur forge man, fie richtig 
aufzuziehn! Dann zeigen fie ohne Falſch die Stunde an 
und machen einen befcheidnen Lärm dabei. 

Gleih Mühlwerken arbeiten fie und Stampfen: 
man werfe ihnen nur feine Fruchtkörner zul — fie 
wiſſen fchon, Korn Plein zu mahlen und weißen Staub 
daraus zu machen. 

Sie fehen einander gut auf die Finger und trauen :' 
fih nit zum Beften, Erfinderifch in Beinen Schlau. | 


184 








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heiten, warten fie auf Solche, deren Wiffen auf lahmen 
Süßen geht, — gleich Spinnen warten fie. 

Ich fah fie immer mit Dorficht Gift bereiten; und 
immer zogen fie gläferne Handfchuhe dabei an ihre 
Singer. 

Auch mit falfhen Würfeln wiffen fie zu fpielen; und 
fo eifrig fand ich fie fpielen, daß fle dabei ſchwitzten. 

Wir find einander fremd, und ihre Tugenden gehn 
mir noch mehr wider den Geſchmack, als ihre Falſch⸗ 
heiten und falihen Würfel. 

Und als ich bei ihnen wohnte, da wohnte ich fiber 
ihnen. Darüber wurden fie mir gram. 

Sie wollen Nichts davon hören, daß Einer über 
ihren Köpfen wandelt; und, fo legten fie Holz und 
Erde und Unrath zwifchen mich und ihre Köpfe, 

Alfo dämpften file den Schall meiner Schritte: und 
am fchlechteften wurde ich bisher von den Gelehrteften 
gehört. 

Aller Menfhen Fehl und Schwädhe legten fie 
zwifchen fi und mich: — „Sehlboden“ heißen fie das 
in ihren Bäufern. 

Aber troßdem wandle ich mit meinen Gedanken 
über ihren Köpfen; und felbft, wenn ich auf meinen 
eignen $ehlern wandeln wollte, würde ich noch über 
ihnen fein und ihren Köpfen. 

Denn die Menfchen find nicht gleich: fo fpricht die 
Gerechtigkeit. Und was ich will, dürften fie nicht wollen! 


Alfo ſprach Zarathuſtra. 





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185 


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Von den Dichtern. 





„Seit ih den Leib beſſer kenne, — ſagte Zara⸗ 
thuſtra zu einem ſeiner Jünger — iſt mir der Geiſt 
nur noch gleichſam Geiſt; und alles das „Unvergäng- 
liche” — das tft auch nur ein Gleichniß.“ 

„So hörte ich dich fchon einmal fagen, antwortete 
der Sünger; und damals fügteft du Hinzu: „aber die 
Dichter lügen zuviel“. Warum fagteft du doch, daß 
die Dichter zu viel lügen? 

„Warum? fagte Sarathuftra. Du fragft warum? 
Ih gehöre nicht zu Denen, weldhe man nach ihrem 
Warum fragen darf. 

Iſt denn mein Erleben von Geftern? Das ift lange 
her, daß ich die Gründe meiner Meinungen erlebte. 

Müßte ich nicht ein Faß fein von Gedächtniß, 
wenn ich auch meine Gründe bei mir haben wollte? 

Schon zu viel ift mir’s, meine Meinungen felber zu 
behalten; und mancher Dogel fliegt davon. 

Und mitunter finde ich auch ein zugeflogenes Chier 
in meinem Tanbenfchlage, das mir fremd ift, und das 
zittert, wenn ich meine Hand darauf lege. 

Doch was fagte dir einft Sarathuftra? Daß die 


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Dichter zuviel lügen? — Aber auch Sarathuftra iſt ein 
Dichter. 

Glaubſt du nun, daß er hier die Wahrheit redete? 
Warum glaubft du dasP“ 

Der Jünger antwortete: „ich glaube an Sarathuftra.” 
Aber Sarathuftra fchüttelte den Kopf und lächelte, 

Der Glaube maht mid nicht felig, fagte er, zu⸗ 
mal nicht der Glaube an mid. 

Aber gefett, daß Jemand allen Ernftes ſagte, 
die Dichter lügen zuviel: fo hat er Recht, — wir 
lügen zuviel. 

Wir wiſſen auh zu wenig und find fchlechte 
£erner: jo müſſen wir fchon lügen. 

Und wer von uns Didıtern hätte nicht feinen Wein 
verfälſcht? Manch giftiger Miſchmaſch gefhah in un- 
fern Kellern, mandyes Unbefchreibliche ward da gethan. 

Und weil wir wenig wiffen, fo gefallen uns von 
Derzen die geiftig Armen, fonderlih wenn es junge 
Weibchen find! 

Und felbft nah den Dingen find wir noch be 
gehrlih, die fih die alter Weibchen Abends erzählen. 
Das heißen wir felber an uns das Ewig-Weibliche. 

Und als ob es einen befondren geheimen Sugang 
zum Wiffen gäbe, der ſich Denen verfchütte, welche 
Etwas lernen: fo glauben wir an das Dolf und feine 
„Weisheit”. 

Das aber glauben alle Dichter: daß wer im Grafe 
oder an einfamen Gehängen liegend die Ohren fpite, 
Etwas von den Dingen erfahre, die zwifhen Himmel 
und Erde fd. u 


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Und kommen ihnen zärtlihe Regungen, fo meinen 
die Dichter immer, die Natur felber fei in fie verliebt: 
Und fie fchleiche zu ihrem Ohre, Heimliches hinein 
zu fagen und verliebte Schmeichelteden: deſſen brüften 
und blähen fie fih vor allen Sterblichen! 

Ah, es giebt fo viel Dinge zwifchen Himmel und 
Erde, von denen fih nur die Dichter Etwas haben 
träumen laffen! 

Und zumal über dem Himmel: denn alle Kötter 
find Dichter⸗Gleichniß, Dichter-Erfchleichnig! 

Wahrlich, immer zieht es uns hinan — nämlich zum 
: RReich der Wolken: auf diefe feen wir unfre bunten 
I Bälge und heißen fie dann Götter und Übermenfhen: — 
Sind fie doch gerade leicht genug für diefe Stühlel 
"0 — alle diefe Götter und Übermenfchen. 

r Ah, wie bin ich all des Unzulänglichen müde, 
“das durchaus Ereigniß fein foll Ach, wie bin ich der 
Dichter müde! 


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J Als Sarathuftra fo fprach, zürnte ihm fein Jünger, 

aber er ſchwieg. Und auch Sarathuftra fchwieg; und 
fein Auge hatte fih nad Innen gekehrt, gleih als 
ob es in weite fernen fähe. Endlich fenfzte er umd 
holte Athem. 

Ich bin von Heute und Ehedem, fagte er dann; 
aber Etwas if in mit, das ift von Morgen und Über: 
- morgen und Einftmals. 

n Ich wurde der Dichter müde, der alten und der 
— neuen: Oberflächliche ſind ſie mir Alle und ſeichte 
| Meere. 





Sie dadıten nicht genug in die Tiefe: darum ſank 
ihr Gefühl nicht bis zu den Gründen. 

Etwas Wolluft und etwas Langeweile: das ift noch 
ihr beftes Nachdenken gemwefen. 

Gefpenfter-Hauh und ⸗Huſchen gilt mir all ihr 
Harfen-Klingflang; was wußten fie bisher von der 
Inbrunft der Tönel — 

Sie find mir auch nicht reinlich genug: fie trüben 
Alle ihr Gewäſſer, daß es tief fcheine. 

Und gerne geben fie fih damit als Derföhner: 
aber Mittler und Mifcher bleiben fie mir, und Halb» 
und-Balbe und Unreinlichel — 

Ad, ih warf wohl mein Netz in ihre Meere und 
wollte gute Fiſche fangen; aber immer 309 ich eines 
alten Gottes Kopf herauf. 

So gab dem Hungrigen das Meer einen Stein. 
Und fie felber mögen wohl aus dem Meere ftammen. 

Gewiß, man findet Perlen in ihnen: um fo ähn- 
licher find fie felber harten Schalthieren. Und ftatt 
der Seele fand ich oft bei ihnen gefalzenen Schleim. 

Sie lernten vom Meere auch noch feine Eitelkeit: 
ift nicht das Meer der Pfau der Pfauen? 

VNoch vor dem häßlichften aller Büffel rollt es 
feinen Schweif hin, nimmer wird es feines Spiben- 
fächers von Silber und Seide müde, 

Trutzig blickt der Büffel dazu, dem Sande nahe 
in feiner Seele, näher noch dem Didicht, am nächſten 
aber dem Sumpfe. 

Was ift ihm Schönheit und Meer und Pfauen- 
Zierathl Diefes Gleichniß fage ich den Dichtern. 


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Wahrlih, ihr Geiſt felber ift der Pfau der Pfauen 
und ein Meer von Eitelfeitl 

Sufchauer will der Beift des Dichters: follten’s 
auch Büffel fein! — 

Aber diefes Geiftes wurde ich müde: und ich fehe 
fommen, daß er feiner felber müde wird. 

Derwandelt fah ich fchon die Dichter und gegen 
fi felber den Blick gerichtet. 

Büßer des Geiftes ſah ih fommen: die wuchſen 
aus ihnen. — 


Alfo ſprach Sarathuftra, 


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Don großen Ereigniffen 





Es giebt eine Infel im Meere — unweit den glück⸗ 
feligen Infeln Zarathuſtra's — auf welcher befländig 
ein S$enerberg raucht; von der fagt das Dolf, und 
fonderlih fagen es die alten Weibchen aus dem Dolfe, 
daß fie wie ein Selsblod vor das Thor der Unterwelt 
geftellt fei: durch den SKenerberg felber aber führe der 
fhmale Weg abwärts, der zu diefem Chore der Unter 
welt geleite. 

Um jene Zeit nun, als Sarathuftra auf den glück⸗ 
feligen Infeln weilte, gefhah es, daß ein Schiff an 
der Infel Anfer warf, auf welcher der rauchende Berg 
fieht; und feine Mannihaft gieng an’s Land, um 
Kaninchen zn fchießen. Gegen die Stunde des Mittags 
aber, da der Lapitän und feine Leute wieder beifammen 
waren, fahen fie plößlich durch die Luft einen Mann 
auf fih zufommen, und eine Stimme fagte deutlich: 
„es ift Zeitl Es ift die höchfte Zeit!“ Wie die Geftalt 
ihnen aber am nädften war — fie flog aber fchnell 
gleich einem Schatten vorbei, in der Richtung, wo der 
Senerberg lag — da erkannten fie mit größter Be- 
ftlürzung, daß es Sarathuftra ſei; denn fie hatten ihn 
Alle fchon gefehn, ausgenommen der Capitän felber, 





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und fie liebten ihn, wie das Dolf liebt: alfo daß zu 
gleihen heilen Liebe und Scheu beifammen find. 

„Seht mir anl fagte der alte Steuermann, da fährt 
Sarathuftra zur Höllel" — 

Um die gleiche Zeit, als diefe Schiffer an der 
Feuerinſel landeten, lief das Gerücht umher, daß Zara⸗ 
thuftra verſchwunden fei; und als man feine Freunde 
fragte, erzählten fe, er fei bei Nacht zu Schiff gegangen, 
ohne zu fagen, wohin er reifen wolle. 

Alfo entftand eine Unruhe; nach drei Tagen aber 
fam zu diefer Unruhe die Geſchichte der Schiffslente 
hinzu — und nun fagte alles Dolf, daß der Teufel 
Sarathuftra geholt habe. Seine Jünger lachten zwar 
ob diefes Geredes; und einer von ihnen fagte fogar: 
„eher glaube ich noch, daß Sarathuftra fih den Teufel 
geholt hat.” Aber im Grunde der Seele waren fie Alle 
voll Beforgnig und Sehnfuht: fo war ihre Fremde 
groß, als am fünften Tage Sarathuftra unter ihnen 
erfchien. 

Und dies ift die Erzählung von Zarathuſtra's Ge- 
fpräch mit dem Seuerhunde: 

Die Erde, fagte er, hat eine Haut; und diefe Haut 


hat Kranfheiten. Eine diefer Krankheiten heißt zum 


Beilpiel: „Menfch“. 

Und eine andere diefer Kranfheiten heißt „Feuer 
hund": über den haben fi die Menfchen Diel vor- 
gelogen und vorlügen laffen. 

Dies Geheimniß zu ergründen gieng ich über das 
Meer: und ich habe die Wahrheit nadt gefehn, wahr- 
lichl barfuß bis zum Halſe. 


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Was es mit dem Seuerhund auf fih hat, weiß 


ih nun; und insgleihen mit all den Auswurf- und 
Umfturz-Teufeln, vor denen fich nicht nur alte Weibchen 
fürchten. 

„Heraus mit dir, Feuerhund, aus deiner Tiefel rief 
ih, und befenne, wie tief diefe Tiefe iſtl Woher ift 
das, was du da heranfichnaubft? 

Du trinfit reihlih am Meere: das verräth deine 
verfalzte Beredfamkfeitl Fürwahr, für einen Hund der 
Tiefe nimmft du deine Nahrung zu fehr von der Ober- 
flächel 

Höcftens für den Bauchredner der Erde halt’ ich 
dih: und immer, wenn ich Umfturz- und Auswurf- 
Teufel reden hörte, fand ich fie gleich dir: gefalzen, 
lügnerifh und flad. 

Ihr verfteht zu brüflen und mit Afche zu ver- 
dunfeln! Ihr feid die beften Sroßmäuler und lerntet 
fattfam die Kunft, Schlamm heiß zu fieden. 

Wo ihr feid, da muß ftets Schlamm in der Nähe 
fein, und viel Schwammichtes, Höhlichtes, Eingezwängtes: 
das will in die Freiheit. 

„Sreiheit” brüllt ihr Alle am liebften: aber ich ner- 
lernte den Glauben an „große Ereignifje“, fobald viel 
Gebrüll und Rauch um fie herum ift. 

Und glaube mir nur, Freund Höllenlärm! Die 
größten Ereigniffe — das find nicht unfre lauteften, 
fondern unfre ftillften Stunden. 

Nicht um die Erfinder von neuem Lärme: um die 
Erfinder von neuen Werthen dreht ſich die Welt; un. 
hörbar dreht fie fi. 





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Alſo ſprach Zarathuftra. 193 13 












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Und geſteh es nurl Wenig war immer nur ge 
fchehn, wenn dein Lärm und Randy fidh verzgog. Was 
liegt daran, daß eine Stadt zur Mumie wurde, und eine 
Bildfäule im Schlamme liegt! | 

Und dies Wort fage ich noch den Umftürzern von 
Bildſäulen. Das ift wohl die größte Chorheit, Salz in’s 
Meer und Bildfäulen in den Schlamm zu werfen. 

Im Schlamme eurer Deradhtung lag die Bildfäule: 
aber Das ift gerade ihr Hefe, daß ihr aus der Der« 
achtung wieder Lebem und lebende Schönheit wächſt! 

Mit oöttliheren: Sügen fteht fie nun auf, und 
leidend-verführerifch; und wahrlich! fie wird euch noch 
Dan? fagen, daß ihr fle umftürztet, ihr Umſtürzer! 

Diefen Rath aber rathe ich Königen und Kirchen 
und Allen, was alters» und tugendſchwach ift — laßt 
euh nur umftlürzenl Daß ihr wieder zum Leben 
fommt, und zu euch — die Tugend! —“ 

Alfo redete ih vor dem Feuerhunde: da unter 
brach er mich mürrifh und fragte: „Kirche? Was ift 
denn dasp" 

„Kirche? antwortete ich, das ift eine Art von Staat, 
und zwar die verlogenfte.e Doch fchweig fill, du 
BHeuchelhund! Du Fennft deine Art wohl am beiten 
ſchon! 

Gleich dir ſelber iſt der Staat ein Heuchelhund; 
gleich dir redet er gern mit Rauch und Gebrülle, — 
daß er glauben mache, gleich dir, er rede aus dem 
Bauch der Dinge. 

Denn er will durchaus das wichtigſte Chier auf 
Erden fein, der Staat; und man glanbt’s ihm aud." — 


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Als ich das gejagt hatte, gebärdete fich der Feuer⸗ 
hund wie unfinnig vor Neid. „Wie? fchrie er, das 
wichtigfte Chier auf Erden? Und man glaubt’s ihm 
auch?“ Und fo viel Dampf und gräßlihe Stimmen 
famen ihm aus dem Sclunde, daß ich meinte, er 
werde vor Ärger und leid erftiden. 

Endlih wurde er ftiller, und fein Keuchen ließ 
nad; fobald er aber ftille war, fagte ich lachend: 

„Du ärgerft dich, Feuerhund: alſo habe ich über 
dich Recht! 

Und daß ih auch noch Recht behalte, fo höre 
von einem andern Senerhunde: der fpricht wirflih aus 
dem Herzen der Erde, 

Gold haucht fein Athem und goldigen Regen: fo 
wil’s das Herz ihm. Was ift ihm Aſche und Rauch 
und heißer Schleim noch! 

Sachen flattert aus ihm wie ein buntes Gewölke; 
abgünftig ift er deinem GBurgeln und Speien und 
Grimmen der Eingeweidel 

Das Gold aber und das Kahen — das nimmt er 
aus dem Herzen der Erde: denn daß du’s nur weißt, — 
das Herz der Erde ift von Gold." 

Als dies der Fenerhund vernahm, hielt er’s nicht 
mehr aus, mir zuzuhören. Beſchämt 309 er feinen 
Schwanz ein, fagte auf eine Fleinlaute Weife Waul 
Waul und kroch hinab in feine Höhle — 

Alfo erzählte Sarathuftra. Seine Jünger aber hörten 
ihm faum zu: fo groß war ihre Begierde, ihm von 
den Schiffsleuten, den Kaninchen und dem Riegenben 
Manne zu erzählen. 


195 13* 


„Was foll ih davon denken! fagte Zarathuſtra. 
Bin ich denn ein Gefpenft? 

Aber es wird mein Schatten gewefen fein. Ihr 
hörtet wohl fchon Einiges vom Wanderer und feinem 
Schatten? 

Sicher aber ift Das: ih muß ihn kürzer halten, — 
er verdirbt mir fonft noch den Ruf.” 

Und nochmals fchüttelte Sarathuftra den Kopf und 
mwunderte fi. „Was foll id davon denken!” fagte er 
nochmals. 

„Warum ſchrie denn das Gefpenft: „es ift Seitl Es 
it die höchſte Zeitl!“ 

Wozn ift es denn — hödfte Seit?" — 


Alſo ſprach Zarathuſtra. 












Der Wahrfager. 





— und ich fahe eine große Traurigkeit über die 
Menfhen kommen. Die Beften wurden ihrer Werke 
müde. 

Eine Lehre ergieng, ein Glaube lief neben ihr‘ 
„Alles ift leer, Alles it gleich, Alles wor!" 

Und von allen Hügeln Bang es wieder: „Alles ift 
leer, Alles ift gleih, Alles war!“ 

Wohl haben wir geerntet: aber warum wurden alle 
Früchte uns faul und braun? Was fiel vom böfen 
Monde bei der lebten Nacht hernieder? 

Umfonft war alle Arbeit, Gift ift unfer Wein gewor- 
den, böfer Blick fengte unfre Felder und Herzen gelb. 

Troden wurden wir Alle; und fällt Feuer auf uns, 
fo ftäuben wir der Afche gleih: — ja das Feuer felber 
madıten wir müde. 

Alle Brunnen verfiegten uns, auch das Meer wid 
zurück. Aller Grund will reißen, aber die Tiefe will 
nicht ſchlingen! 

„Ah, wo ift noch ein Meer, in dem man ertrinfen 
könnte“: fo Elingt unfre Klage — hinweg über flache 
Sümpfe. 


197 


Wahrlich, zum Sterben wurden wir fchon zu müde; 
nun wadhen wir noch und leben fort — in Grab» 
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Alfo hörte Sarathuftra einen Wahrfager reden; und 
feine Weisfagung gieng ihm zu Herzen und verwandelte 
ihn. Traurig gieng er umher und müde; und er wurde 
Denen gleih, von welchen der Wahrfager geredet hatte. 

Wahrlich, fo fagte er zu feinen Jüngern, es ift um 
ein Kleines, fo fommt diefe lange Dämmerung. Ad, 
wie foll idy mein Licht hinüber retten! 

Daß es mir nicht erftide in diefer Traurigkeit! 
Serneren Welten foll es ja Licht fein, und noch fernften 
VNächten! 

Dergeſtalt im Herzen bekümmert gieng ZFara⸗ 
thuſtra umher; und drei Cage lang nahm er nicht 
Tran? und Speiſe zu fi, hatte Feine Ruhe und ver- 
for die Rede. Endlich gefhah es, daß er in einen 
tiefen Schlaf verfiel. Seine Jünger aber faßen um ihn 
in langen Nachtwachen und warteten mit Sorge, ob er 
wach werde und wieder rede und genefen fei von 
feiner Crübfal. 

Dies aber ift die Rede, welche Sarathuftra ſprach, 
als er aufwachte; feine Stimme aber fam zu feinen 
Jüngern wie aus weiter Ferne: 

„Hört mir doch den Traum, den ich träumte, ihr 
Steunde, und helft mir feinen Sinn rathen! 

Ein Aäthfel ift ee mir noch, diefer Traum; fein 
Sinn ift verborgen in ihm und eingefangen und fliegt 
noch nicht über ihn hin mit freien Flügeln. 


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Allem Leben hatte ich abgefagt, fo träumte mir. 
Sum Nacht⸗ und Grabwächter war ich worden, dort auf 
der einfamen Berg-Yurg des Todes. 

Droben hütete ich feine Särge: voll fanden die 
dumpfen Gewölbe von folhen Siegeszeihen. Aus 
gläfernen Särgen blickte mich überwundenes Keben an. 

Den Geruch verftaubter Ewigfeiten athmete id: 
ſchwũl und verftaubt lag meine Seele. Und wer hätte 
dort auch feine Seele lüften können! 

Belle der Mitternacht war immer um mid, Ein- 
famfeit kauerte neben ihr; und, zudritt, röchelnde 


. Todesftille, die fchlimmfte meiner Freundinnen. 


Schlüfel führte ih, die roftigften aller Schlüffel; 
und id} verftand es, damit das Fnarrendfte aller Chore 
zu Öffnen. 

Einem bitterböfen Gekrächze gleih lief der Ton 
durch die langen Bänge, wenn ſich des Chores Flügel 
hoben: unhold fchrie diefer Dogel, ungern wollte er 
gewedt fein. 

Aber furhtbarer noch und herzzufchnürender war 
es, wenn es wieder ſchwieg und rings ftille ward und 
ih allein faß in diefem tüdifchen Schweigen. 

So gieng mir und fchlid die Zeit, wenn Zeit es 
noch gab: was weiß ich davon! Aber endlich geichah 
Das, was mich wedte. 

Dreimal ſchlugen Schläge an’s Chor, gleich Donnern, 
es hallten und heulten die Gewölbe dreimal wieder: da 
gieng ich zum Thore. 

Alpal rief ich, wer trägt feine Aſche zu Berge? 
Alpal Alpal Wer trägt feine Aſche zu Berger 








Und ich drüdte den Schlüffel und hob am Chore 
und mühte mid. Aber noch feinen Singerbreit fand 
es offen: 

Da riß ein branfender Wind feine Slügel aus« 
einander: pfeifend, fchrillend und fchneidend warf er 
mir einen ſchwarzen Sarg zu: 

Und im Braufen und Pfeifen und Schrillen zerbarft 
der Sarg und fpie taufendfältiges Gelächter aus. 

Und aus taufend Straßen von Kindern, Engeln, 
Eulen, Narren und Pindergroßen Schmetterlingen lachte 
und höhnte und braufte es wider mid). 

Gräßlich erfchraf ich darob: es warf mich nieder. 
Und ich ſchrie vor Graufen, wie nie ich fchrie. 

Aber der eigne Schrei weckte mich auf: — und ich 
fam zu mir. —“ 

Alfo erzählte Sarathuftra feinen Traum und fchwieg 
dann: denn er wußte noch nicht die Deutung feines 
Traumes. Aber der Jünger, den er am meiften lieb 
hatte, erhob ſich fchnell, faßte die Hand Sarathuftra’s 
und ſprach: 

„Dein Leben felber deutet uns diefen Traum, oh 
Sarathuftral 

Biſt du nicht felber der Wind mit fchrillem Pfeifen, 
der den Burgen des Todes die Chore aufreißt? 

Biſt du nicht felber der Sarg voll bunter Bosheiten 
und Engelsfragen des Lebens ? 

Woahrlih, gleih taufendfältigem Kindsgeläcdhter 
fonımt Sarathuftra in alle Codtenfammern, lachend über 
diefe Nacht- und Grabwächter, und wer fonft mit 
düftern Schlüffeln raffelt, 





200 





Schreden und ummwerfen wirft du fie mit deinem 
Gelächter; Ohnmacht und Wachwerden wird deine 
Macht über fie beweifen. 

Und and, wenn die lange Dämmerung fommt 
und die Todesmüdigfeit, wirft du an unferm Himmel 
nicht untergehn, du Sürfprecher des Lebens! 

Neue Sterne ließeft du uns fehen und neue Nacht 
herrlichfeiten; wahrlid, das Lachen felber fpannteft du 
wie ein buntes Gezelt über uns. 

Nun wird immer Kindes-Lahhen aus Särgen quellen; 
nun wird immer fiegreih ein ftarfer Wind kommen 
aller Todesmüdigkeit: deffen bift du uns felber Bürge 
und Wahrfager! 

Wahrlich, fie felber träumteft du, deine Seinde: 
das war dein fchwerfter Traum! 

Aber wie du von ihnen aufwachteft und zu dir 
famft, alfo follen fie felber von fih aufwadhen — und 
zu dir kommen!“ — 

So fprady der Jünger; und alle Anderen drängten 
fih nun um Sarathuftra und ergriffen ihn bei den 
Bänden und wollten ihn bereden, daß er vom Bette 
und von der Traurigfeit laffe und zu ihnen zurück 
fehre. Sarathuftra aber ſaß aufgerichtet auf feinem 
£ager, und mit fremdem Blide. Gleihwie Einer, der 
aus langer Fremde heimfehrt, fah er auf feine Jünger 
und prüfte ihre Gefichter; und noch erfannte er fie 
nicht. Als fie aber ihn hoben und auf die Füße ftellten, 
fiehe, da verwandelte ſich mit Einem Male fein Auge; 
er begriff Alles, was gefhehn war, ſtrich fich den 
Bart und fagte mit ftarfer Stimme: 


201 








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„Wohlanl Dies nun hat ſeine Zeit; ſorgt mir aber 
dafür, meine Jünger, daß wir eine gute Mahlzeit 
machen, und in Kürzel Alſo gedenke ih Buße zu 
thun für fhlimme Träumel 

Der Woahrfager aber foll an meiner Seite effen 
und trinfen: und wahrlich, id will ihm noch ein Meer 
zeigen, in dem er ertrinfen Fann!* 


Alſo ſprach Sarathuftra. Darauf aber blickte er dem 
Sünger, welcher den Traumdenter abgegeben hatte, 
lange in’s Geſicht und fchüttelte dabei den Kopf. — 





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Don der Erlöfung. 





Als Sarathuftra eines Tags über die große Brücke 
gieng, umringten ihn die Krüppel und Bettler, und ein 
Bucklichter redete alfo zu ihm: 

„Siehe, Sarathuftral Auch das Dolf lernt von dir 
und gewinnt Glanben: an deine Lehre: aber daß es 
garız dir glauben foll, dazu bedarf es noh Eines — 
du mußt erfi noch uns Krüppel überreden! Bier haft 
du nun eine fchöne Auswahl und wahrlih, eine Ge- 
legenheit mit mehr als Einem Schopfel Blinde Pannft 
du heilen und Lahme laufen machen; und Dem, der zu. 


viel hinter fih hat, Fönnteft du wohl aud ein Wenig 


abnehmen: — Das, meine ich, wäre die rechte Art, die 
Krüppel an Sarathuftra glauben zu machen!” 
Sarathuftra aber erwiderte Dem, der da redete, alfo: 
„Wenn man dem Budlichten feinen Budel nimmt, fo 
nimmt man ihm feinen Geift — alfo lehrt das Dolf. 
Und wenn man dem Blinden feine Augen giebt, fo 
fieht er zuviel fchlimme Dinge anf Erden: alfo daß er 
Den verflucht, der ihn heiltee Der aber, welder den 
Sahmen laufen macht, der thut ihm den größten 
Schaden an: denn kaum kann er laufen, fo gehn feine 
Softer mit ihm dur — alſo Iehrt das Dolf über 


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203 


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Krüppel. Und warum follte Sarathuftra nicht auch vom 
Dolfe lernen, wenn das Dolf von Sarathuftra lernt? 

Das ift mir aber das Geringfte, feit ich unter 
Menfhen bin, daß ich fehe: „Diefem fehlt ein Auge 
und Jenem ein Ohr und einem Dritten das Bein, und 
Andre giebt es, die verloren die Sunge oder die Naſe 
oder den Kopf." 

Ich fehe und fah Schlimmeres und mandherlei fo 
Abſcheuliches, daß ih nicht von Jeglihem reden und 
von Einigem nidyt einmal fehweigen möchte: nämlid 
Menfchen, denen es an Allem fehlt, außer daß fie 
Eins zuviel haben — Menſchen, welche Nichts weiter 
find, als ein großes Auge oder ein großes Maul oder 
ein großer Bauch oder irgend etwas Großes, — um- 
gefehrte Krüppel heiße ich Solche. 

Und als ich aus meiner Einſamkeit fam und zum 
erften Male über diefe Brüde gieng: da traute ich 
meinen Augen nit und fah hin, und wieder hin, und 
fagte endlih: „das ift ein Ohrl Ein Ohr, fo groß wie 
ein Menfhl" Ich fah noch beffer hin: und wirklich, 
unter dem Ohre bewegte ſich noch Etwas, das zum 
Erbarmen Plein und ärmlidy und fhmädtig war. Und 
wahrhaftig, das ungeheure Ohr faß auf einem Fleinen 
dünnen Stiele, — der Stiel aber war ein Menſchl Wer 
ein Glas vor das Auge nahm, Fonnte fogar nod ein 
Feines neidifches Gefichtchen erkennen; auch, daß ein 
gedunfenes Seelhen am Stiele baumeltee Das Dolf 
fagte mir aber, das große Ohr fei nicht nur ein Menſch, 
fondern ein großer Menſch, ein Genie. - Aber id; 
glaubte dem Volke niemals, wenn es von großen 


| — ——— — ——— ⸗ 


204 


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Menfhen redete — und behielt meinen Glauben bei, 
dag es ein umgefehrter Krüppel fei, der an Allem zu 
wenig und an Einem zu viel habe.” 

Als Sarathuftra fo zu dem Budlichten geredet 
hatte und zu Denen, weldhen er Mundftüd und Für- 
fpreher war, wandte er fih mit tiefem Unmuthe zu 
feinen Jüngern und fagte: 

„Wahrlich, meine Freunde, ich wandle unter den 
Menfhen wie unter den Bruchſtücken und Glied- 


‚maßen von Menfcen! 


Dies ift meinem Auge das Fürchterliche, daß ich 
den Menfchen zertrümmert finde und zerftreuet wie 
über ein Schladht- und Schlächterfeld Hin. 

Und flüchtet mein Auge vom Jetzt zum Ehemals: 
es findet immer das Gleiche: Brudftüde und Glied- 
maßen und grauſe Sufälle — aber Feine Menfchen! 

Das Jetzt und das Ehemals auf Erden — adıl 
meine $reunde — das tft mein Unerträglichftes; und 
ih wüßte nicht zu leben, wenn ih nit nod ein 
Seher wäre, Deffen, was fommen muß. 

Ein Seher, ein Wollender, ein Schaffender, eine 
Zukunft felber und eine Brüde zur Sufunft — und 
ah, aud noch gleihfam ein Krüppel an dieſer Brũücke: 
das Alles iſt Zarathuſtra. 

Und auch ihr fragtet euch oft: „wer iſt uns Zara⸗ 
thuftra? Wie foll er uns heißen?” Und glei mir 
felber gabt ihr euch Fragen zur Antwort. 

Iſt er ein Derfprechender? Oder ein Erfüller? Ein 
Erobernder? Oder ein Erbender? Ein Herbfi? Oder 
eine Pflugfhar? Ein Arzt? Oder ein Genefener? 





205 





Iſt er ein Dichter? Oder ein Wahrhaftiger? Ein Be- 
freier? Oder ein Bändiger? Ein Enter? Oder ein Böfer ? 


Ih wandle unter Menſchen als den Bructüden 


der Sufunft: jener Sufunft, die ich ſchaue. 
Und das ift all mein Dichten und Trachten, daß 


ih in Eins dichte und zufammentrage, was Bruchſtück 


ift und NRäthfel und graufer Sufall. 

Und wie ertrüge ich es, Menfch zu fein, wenn der 
Menih nit aud Dichter und Näthfelrather und der 
Erlöfer des Sufalls wärel | 

Die Dergangnen zu erlöfen und alles „Es war” 
umzufchaffen in ein „So wollte ih es!“ — das hiefe 
mir erft Erlöſung! 

Wille — fo heißt der Befreier und Freudebringer: 
alfo Iehrte ich euch, meine Sreundel Aber nun lernt 
Dies hinzu: der Wille felber ift noch ein Gefangener. 

Wollen befreit: aber wie heißt Das, was auch den 
Befreier noch in Ketten fchlägt? 

„Es war": alfo heißt des Willens Zähneknirſchen 
und einfamfte Trübjal. Ohnmädtig gegen Das, was 
gethan it — ift er allem Dergangenen ein böfer Su- 
ſchauer. 

Nicht zurück kann der Wille wollen; daß er die 
Seit nicht brechen kann und der Zeit Begierde, — das 
ift des Willens einfamfte Fubſal. 

Wollen befreit: was erſinnt ſich das Wollen ſelber, 
daß es los ſeiner Trübſal werde und ſeines Kerkers 
fpotte? . . 
Ach, ein Narr wird jeder Gefangenel NHärrifd er- 
löft fi auch der gefangene Wille, 


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206 


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Daß die Seit nicht zurückläuft, das iſt fein In 
grimm; „Das, was war" — fo heißt der Stein, den er 
nicht wälzen kann. 

Und fo wälzt er Steine aus Ingrimm und Unmuth 
und übt Rache an Dem, was nicht gleich ihm Grimm 
und Unmuth fühlt. 

Alfo wurde der Wille, der Befreier, ein Wehe- 
thäter: und an Allem, was leiden kann, nimmt er Rache 
dafür, dag er nicht zurüd kann. 

Dies, ja dies allein ift Rache felber: des Willens 
Widerwille gegen die Zeit und ihr „Es war”. 

Wahrlih, eine große Narrheit wohnt in unferm 
Willen; und zum Fluche wurde es allem Menfchlichen, 
daß diefe Narrheit Geift lerntel 

Der Geiſt der Rache: meine freunde, das war 
bisher der Menſchen beſtes Nachdenken; und wo Leid 
war, da follte immer Strafe fein. 

„Steafe” nämlidh, fo heißt fih die Rache ſelber: 
mit einem Lügenwort heudelt fie fi ein gutes Ge⸗ 
wifjen. 

Und weil im Wodenden felber Leid iſt, darob 
daß es nicht zurüd! wollen kann, — alfo follte Wollen 
felber und alles Leben — Strafe fein! 

Und nun wälzte ſich Wolfe auf Wolfe über den 
Geift: bis endlich der Wahnfinn predigte: „Alles ver- 
geht, darum ift Alles werth zu vergehn!* 

„And dies ift felber Gerechtigkeit, jenes Geſetz 
der Seit, daß fie ihre Kinder freffen muß”: aljo pre 
digte der Wahnfinn. 


207 





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„Sittlih find die Dinge geordnet nach Recht und 
Strafe. Oh wo ift die Erlöfung vom Fluß der Dinge 
und der Strafe ‚Dafein'?" Alfo predigte der Wahnfinn. 

„Kann es Erlöfung geben, wenn es ein emwiges 
Recht giebt? Ad, unmwälzbar ift der Stein „Es war“: 
ewig müſſen auch alle Strafen fein!" Alfo predigte 
der Wahnfinn. ' 

„Keine That kann vernichtet werden: wie Fönnte 
fie durch die Strafe ungethan werdenl Dies, dies ift 
das Ewige an der Strafe ‚Dafein‘, daß das Dafein auch 
ewig wieder That und Schuld fein muß! 

„Es fei denn, daß der Wille endlich fidh felber 
erlöfte und Wollen zu Nicht-Wollen würde —": doc 
ihr Pennt, meine Brüder, dies Sabellied des Wahnfinnsl 

Weg führte ich euch von diefen Sabelliedern, als 
ich euch lehrte: „der Wille ift ein Schaffender”. 

Alles „Es war” ift ein Bruchftüd, ein Näthfel, ein 
graufer Sufall — bis der fchaffende Wille dazu fagt: 
„aber fo wollte ih es!“ 

— Bis der fchaffende Wille dazu fagt: „Aber fo 
will ih esl So werde idy’s wollen!“ 

Aber fprah er fhon ſo? Und wann geſchieht 
diesp ft der Wille fchon abgefhirrt von feiner eignen 
Chorheit? 

Wurde der Wille ſich felber ſchon Erlöfer und 
Freudebringer? Derlernte er den Geiſt der Race und 
alles Sähnefnirfchen ? 

Und wer lehrte ihn Derföhnung mit der Seit, und 
Höheres, als alle Derföhnung ift? 


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208 





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Höheres als alle Derföhnung muß der Wille wollen, 
welcher der Wille zur Macht ift —: doch wie gefdhieht 
ihm das? Wer lehrte ihn auch noch das Surüdwollen ?* 


— Aber an diefer Stelle feiner Rede gefchah es, 
daß Zarathuſtra plößlih innehielt und ganz einem 
Solchen gleich fah, der auf das Äußerſte erfchrict. 
Mit erfchredtem Auge blicdte er auf feine Jünger; 
fein Ange durchbohrte wie mit Pfeilen ihre Gedanken 
und Bintergedanfen. Aber nach einer Fleinen Weile 
lachte er ſchon wieder und fagte begütigt: 

„Es iſt ſchwer, mit Menfchen zu leben, weil 
Schweigen fo ſchwer if. Sonderlih für einen Ge 
fhwäßigen.” — 

Alfo fprah Zarathuſtra. Der Budlichte aber hatte 
dem Gefprähe zugehört und fein Geficht dabei be- 
det; als er aber Zarathuftra lachen hörte, blickte er 
neugierig anf und fagte langſam: 

„Aber warum redet Sarathuftra anders zu uns, als 
zu feinen Jüngern ?“ 

Sarathuftra antwortete: „Was ift da zum Der- 
| wundern! Mit Budlichten darf man ſchon bucklicht 
| reden|* 
| „But, fagte der Bucklichte; und mit Schülern darf 

man fchon aus der Schule [hwäten. 

Aber warum redet Sarathuftra anders zu feinen 

Schülern — als zu fi felber?" — 
1 


Alfo ſprach Za:athaj..a, 209 





Don der Menfchen-Klugheit. 





Nicht die Höhe: der Abhang iſt das Furchtbarel 
Der Abhang, wo der Blick hinunter flürzt und 


die Hand hinauf greifl. Da ſchwindelt dem Berzen 


vor feinem doppelten Willen, 

Ah, Freunde, errathet ihr wohl aud meines 
Herzens doppelten Willen? 

Das, Das ift mein Abhang und meine Gefahr, daß 
mein Blick in die Höhe flürzt, und daß meine Brand 
ſich halten und flüßen mödte — an der Tiefel 

An den Menſchen klammert fih mein Wille, mit 
Ketten binde ih mich an den Menfchen, weil es mid 
hinauf reißt zum Übermenfhen: denn dahin will mein 
andrer Wille, 

Und dazu Iebe ich blind unter den Mlenfchen; 
gleih als ob ich ſie nicht Fennte: daß meine Hand 
ihren Glauben an Feſtes nicht ganz verliere. 

Ich kenne euch Menfhen nicht: diefe Finſterniß 
und. Tröftung ift oft um mich gebreitet. 

Ich fie am Thorwege für jeden Schelm und frage: 
wer will mich betrügen? 

Das ift meine erfte Uienfchen-Klugheit, daß ich 


210 


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mich betrügen laffe, um nicht auf der Hut zu fein vor 
Setrügern. 

Ad, wenn ich auf der Hut wäre vor dem Menſchen: 
wie könnte meinem Balle der Menfh ein Anker fein! 
Su leicht riffe es mich hinauf und hinweg! 

Diefe Dorfehung ift über meinem Scidfal, daß 
ich ohne Dorfiht fein muß. 

Und wer unter Menfchen nicht verſchmachten will, 
muß lernen, aus allen Gläfern zu trinken; und wer 
unter Menfhen rein bleiben will, muß verftehn, fi 
auch mit ſchmutzigem Waffer zu wafcen. 

Und alfo ſprach ich oft mir zum Trofte: „Wohlan! 
Wohlaufl Altes Herzi Ein Unglüd! mißrieth dir: ger 
nieße dies als dein — Glüdl“ 

Dies aber ift meine andre Menfchen-Kingheit: ich 
fhone die Eitlen mehr als die Stolzen. 

Iſt nicht verlegte Eitelfeit die Mutter aller Traner- 
fpiele? Wo aber Stolz verlegt wird, da wächſt wohl 
etwas Befjeres noch, als Stolz iſt. 

Damit das Leben aut anzufhaun fei, muß fein 
Spiel gut gefpielt werden: dazu aber bedarf es guter 
Schaufpieler. 

Gute Schaufpieler fand ich alle Eitlen: fie fpielen 
und wollen, daß ihnen gern zugefchant werde, — all 
ihr Geiſt ift bei diefem Willen. 

Sie führen fih auf, fie erfinden fi; in ihrer Nähe 
liebe ich’s, dem Leben zuzufhaun, — es heilt von 
der Schwermuth. 

Darum fchone ich die Eitlen, weil fie mir Ärzte 


zıı 14* 


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find meiner Schwermuth und mid am Menſchen feft 
halten als an einem Schanfpiele. 

Und dann: wer ermißt am Eitlen die ganze Tiefe 
feiner Befcheidenheitl Ich bin ihm gut und mitleidig 
ob feiner Befcheidenheit. 

Don euch will er feinen Glauben an ſich lernen; 
er nährt fih an euren Bliden, er frißt das Lob aus 
euren Händen. 

Euren Lügen glaubt er noch, wenn ihr gut über 
ihn lügt: denn im Tiefften feufjt fein Herz: „was 
bin ichl* , 

Und wenn Das die rechte Tugend ift, die nicht 
um fi felber weiß: nun, der Eitle weiß nicht um 
feine Befcheidenheit! — 

Das ift aber meine dritte Menfchen-Klugheit, daß 
ih mir den Anblid der Böfen nicht verleiden laffe 
durch eure Furchtſamkeit. 

Ich bin ſelig, die Wunder zu ſehn, welche heiße 
Sonne ausbrütet: Tiger und Palmen und Klapper- 
Schlangen. 

Auch unter Menfchen giebt es fhöne Brut heißer 
Sonne und viel Wunderwürdiges an den Böfen. 

Zwar, wie eure Weifeften mir nicht gar fo weife 
erfchienen: fo fand ich auch der Menſchen Bosheit unter 
ihrem Aufe. 

Und oft fragte ih mit Kopffchütteln: Warum noch 
FMappern, ihr Klapperfchlangen ? 

Wahilich, es giebt auch für das Böfe noch eine 
Zukunftl Und der heißefte Süden ift noch nicht 
entdeckt für den Menfchen. | 


212 


Wie Manches heißt jeßt fchon ärgfte Bosheit, was 
doch nur zwölf Schuhe breit und drei Monate lang tft] 
Einft aber werden größere Drachen zur Welt kommen. 

Denn daß dem Übermenfhen fein Drade nicht 
fehle, der Über-Dradhe, der feiner würdig ift: dazu 
muß viel heiße Sonne noch auf feuchten Urwald 
glühn! 

Aus euren Wildfagen müſſen erft Tiger geworden 
fein und aus euren Giftfröten Krofodile: denn der 
gute Jäger foll eine gute Jagd haben! 

Und wahrlid, ihre Guten und Gerechten! An 
ench ift Diel zum Lachen und zumal eure Furcht vor 
Dem, was bisher „Teufel“ hieß! 

So fremd feid ihr dem Großen mit eurer Seele, 
dag euch der Übermenfh furdtbar fein würde in 
feiner Gütel 

Und ihr Weifen und Wiffenden, ihr würdet vor 
dem Sonnenbrande der Weisheit flüchten, in dem der 
Übermenfh mit £uft feine Nacktheit badetl 

Ihr höchſten Menfchen, denen mein Auge be- 
gegnetel das ift mein Sweifel an euch und mein 
heimliches Lachen: ich rathe, ihr würdet meinen Über⸗ 
menfchen — Teufel heißen! 

Ah, ich ward diefer Höcften und Beften müde: 
aus ihrer „Höhe“ verlangte mich hinauf, hinaus, hinweg 
zu dem Übermenfchen! 

Ein Graufen überfiel mih, als ich diefe Beften 
nadend fah: da wuchſen mir die Flügel, fortzu- 
ſchweben in ferne Zukünfte. 

In fernere Sufünfte, in füdlichere Süden, als je 


213 


ein Bildner träumte: dorthin, wo Götter fih aller 
Kleider fhämen! 

Aber verfleidet will ih euch fehn, ihr Vächſten 
und Mitmenfhen, und gut gepußt, "und eitel, und 
würdig, als „die Guten und Berechten”, — 

Und verkleidet will ich felber unter euch fiten, 
— daß ih euh und mich verfenne: das ift nämlich 
meine letzte Menfchen-Klugheit. — 


Alfo ſprach Sarathuftra. 





Die ftillfte Stunde, 





Was geihah mir, meine Sreunde? Ihr feht mid 
verftört, fortgetrieben, unwillig-folgfam, bereit zu gehen 
— ad, von euch fortzugehen! 

Ja, noh Ein Mal muß Sarathuflra in feine Ein- 
famteit: aber unluftig geht diesmal der Bär zurüd in 
feine Höhlel 

Was geihah mir! Wer gebeut dies? — Ach, meine 
zornige Herrin will es fo, fie ſprach zu mir; nannte 
ich je euch fchon ihren Namen? 

Geftern gen Abend ſprach zu mir meine ftillfte 
Stunde: das ift der Name meiner furdhtbaren Herrin. 

Und fo geihah’s, — denn Alles muß ich euch 
fagen, daß euer Herz fi} nicht verhärte gegen den 
plößlich Scheidenden! 

Kennt ihr den Schreden des Einfchlafenden? — 

Bis in die Sehen hinein erfchridtt er, darob, daß 
ihm der Boden weicht und der Traum beginnt. 

Diefes fage ih euch zum Gleichniß. Geftern, 
zur ftillften Stunde, wich mir der Boden: der Traum 
begann. 

Der Zeiger rückte, die Uhr meines Lebens holte 


215 


— — — —— REES. 2. 0 — — 








— —, nie hörte ich ſolche Stille um mich: alſo 
daß mein Herz erſchrak. 

Dann ſprach es ohne Stimme zu mir: „Du weißt 
es, Sarathuftra?" — 

Und ich ſchrie vor Schreden bei diefem Slüftern, 
und das Blut wid ans meinem Gefichte: aber ich 
ſchwieg. 

Da ſprach es abermals ohne Stimme zu mir: „Du 
weißt es, Zarathuſtra, aber du redeſt es nichtl“ — 

Und ich antwortete endlich gleich einem Troßigen: 
„Ja, ich weiß es, aber ich will es nicht reden!” 

Da fprah es wieder ohne Stimme zu mir: „Du 
willft nicht, Sarathuftrap ft dies auch wahr? Der- 
ſtecke dich nicht in deinen Troßl" — 

Und ich weinte und zitterte wie ein Kind und 
ſprach: „Ad, ich wollte ſchon, aber wie kann ich es! 
Erlaß mir Dies nur! Es ift über meine Kraft!” 

Da fprah es wieder ohne Stimme zu mir: „Was 
liegt an dir, Sarathuftral Sprich dein Wort und zer- 
brichl“ — 

Und ich antwortete: „Ad, ift es mein Wort? Wer 
bin ih? Ich warte des Würdigeren; ich bin nicht 
werth, an ihm auch nur 3u zerbrechen.“ 

Da fprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Was 
liegt an die? Du bift mir noch nicht demüthig genug. 
Die Demuth hat das härtefte Sell.” — 

Und ich antwortete: „Was trug nicht fchon das 


Fell meiner Demuthl Am Fuße wohne ih meiner 


Höhe: wie hoch' meine Gipfel find? Niemand fagte es 
mir noch. Aber gut Fenne ich meine Chäler.“ 








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216 


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Da ſprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Oh 
Sarathuftra, wer Berge zu verfeßen hat, der verſetzt 
“auch Thäler und Niederungen.“ — 

Und ich antwortete: Noch verfete mein Wort 
feine Berge, und was ich redete, erreichte die Menſchen 
nit. Ich gieng wohl zu den Menſchen, aber noch 

| langte ich nicht bei ihnen an.“ 

Da ſprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Was 

| weißt du davon! Der Thau fällt auf das Gras, wenn 
die Nacht am verfchwiegenften iſt.“ — 

Und ich antwortete: „fie verfpotteten mich, als ich 
meinen eigenen Weg fand und gieng; und in Wahrheit 
zitterten damals meine Füße. 

| Und fo fprahen fie zu mir: du verlernteft den 
Weg, nun verlernft du auch das Gehen!“ 

Da ſprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Was 
liegt an ihrem Spottel Du bift Einer, der das Gehorchen 
verlernt hat: nun follft du befehlen! 

Weißt du nicht, wer Allen am nöthigften thut? 
Der Großes beftehlt. 

Großes vollführen ift fchwer: aber das Schwerere 
if, Großes befehlen. 

Das ift dein Unverzeihlichfies: du haft die Macht, 
und du willft nicht herrfhen.” — - 

Und ich antwortete: „Mir fehlt des Löwen Stimme 
zum Befehlen.“ 

Da fprah es wieder wie ein Flüſtern zu mir: 
„Die ſtillſten Worte find es, weldhe den Sturm 
bringen. Gedanken, die mit Taubenfüßen fommen, 
lenken die Welt. 










212 





Oh Sarathuftra, du follft gehen als ein Schatten 
Defien, was kommen muß: fo wirft du befehlen und 
befehlend vorangehen.! — 

Und ich antwortete: „Ich fchäme mid.” 

Da fprad es wieder ohne Stimme zu mir: „Du 
mußt noch Kind werden und ohne Scham. 

Der Stolz der Jugend ift noch auf dir, fpät bift 
du jung geworden: aber wer zum Kinde werden will, 
muß auch noch feine Jugend überwinden.” — 

Und ich befann mid lange und zittert. End» 
lih aber fagte ih, was ich zuerft ſagte: „Ich will 
nicht.” ' 

Da gefhah ein Lachen um mich. Wehe, wie dies 
Sahen mir die Eingeweide zerriß und das Herz auf- 
ſchlitztel 

Und es ſprach zum letzten Male zu mir: „Oh 
Sarathuftra, deine Früchte find reif, aber du biſt nicht 
reif für deine Srüchtel 

So mußt du wieder in die Einfamkeit: denn du 
ſollſt noch mürbe werden." — 

Und wieder lachte es und floh: dann wurde es 
ftilfe um mid; wie mit einer zwiefachen Stille. Ich 
aber lag am Boden, und der Schweiß flog mir von 
den Gliedern. 

— Nun hörtet ihr Alles, und warum id} in meine 
Einfamfeit zurüd muß. Nichts verfchwieg ich eud,, 
meine Freunde. 

Aber auch Dies hörtet ihr von mir, wer immer 
noch aller Menſchen Derfchwiegenfter it — und es 
fein will! 


218 





















Ad meine Sreundel Ich hätte euch noch Etwas zu 
fagen, ih hätte euch noch Etwas zu gebenl Warum 
gebe ich es nicht? Bin ich denn geizigP" — 


Als Sarathuftra aber diefe Worte geiprochen hatte, 
überfiel ihn die Gewalt des Schmerzes und die Nähe 
des Abfchieds von feinen Freunden, alfo daß er laut 
weinte; und Niemand wußte ihn zu tröften. Des Nachts 
aber gieng er allein fort und verließ feine Freunde. 


219 


Alſo 
ſprach Zarathuſtra. 


Dritter Theil. 


„Ihr ſeht nach Oben, wenn Ihr nach 
Erhebung verlangt. Und ich fehe hinab, 
weil ich erhoben bin. 

Wer von euch kann zugleich lachen 
und erhoben fein? 

Wer auf den höchften Bergen fleigt, 
der lacht über alle Trauer-Spiele und 
CTrauer-Ernfte.” 


Zarathuftra, 
vom Kefen und Schreiben 
(IT. p. 57). 


221 









Der Wanderer. 





Um Mitternacht war es, da nahm Sarathuftra feinen 
Weg über den Rüden der Infel, daß er mit dem frühen 
Morgen an das andre Geftade fäme: denn dort wollte 
er zu Schiff ſteigen. Es gab nämlich allda eine gute 
Ahede, an der auch fremde Schiffe gern vor Anker 
giengen; die nahmen Manchen mit fi, der von den 
glüdfeligen Infeln über das Meer wollte. Als nun Sara- 
thuftra fo den Berg hinanftieg, gedachte er unterwegs des 
vielen einfamen Wanderns von Jugend an, und wie viele 
Berge und Rüden und Gipfel er ſchon geftiegen fei. 
Ich bin ein Wanderer und ein Bergfteiger, fagte 
er zn feinem Berzen, ich liebe die Ebenen nicht und 
es fcheint, ich kann nicht lange fill ſitzen. 

Und was mir nun aud noch als Schidfal und 
Erlebnig fomme, — ein Wandern wird darin fein und 
ein Bergfteigen: man erlebt endlich nur noch ſich felber. 

Die Seit ift abgeflofien, wo mir noch Sufälle be 
gegnen durften; und was Fönnte jet noch zu mir 
fallen, was nicht ſchon mein Eigen wäre! 

Es fehrt nur zurüd, es fommt mir endlich heim 
— mein eigen Selbft, und was von ihm lange in der 
Fremde war und zerftreut unter alle Dinge und Zufälle. 


225 








Und noch Eins weiß ich: ich ftehe jebt vor meinem 
lebten Gipfel und vor dem, was mir am längften auf- 
gefpart war. Ad, meinen härteften Weg muß id 
hinanl Ach, ich begann meine einfamfte Wanderung! 

Wer aber meiner Art ift, der entgeht einer folchen 
Stunde nicht: der Stunde, die zu ihm redet: Jetzo erft 
gehft du deinen Weg der Größel Gipfel und Abgrund 
— das ift jett in Eins beſchloſſen! 

Du gehft deinen Weg der Größe: nun ift deine 
fette Suflucht worden, was bisher deine leßte Gefahr 
hieß! 

Du gehft deinen Weg der Größe: das muß nun 
dein befter Muth fein, daß es hinter dir feinen Weg 
mehr giebt! 

Du gehft deinen Weg der Größe: hier foll dir 
Keiner nachſchleichen! Dein Fuß felber löſchte Hinter 
dir den Weg aus, und über ihm fteht gefchrieben: 
Unmöglichkeit. 

Und wenn die nunmehr alle Leitern fehlen, fo 
mußt du verftehen, noch auf deinen eigenen Hopf zu 
fteigen: wie wollteft du anders aufwärts fleigen? 

Auf deinen eigenen Kopf und hinweg über dein 
eigenes Herzl Jetzt muß das Mildefte an dir noch zum 
Härteſten werden. 

Wer fi flets viel gefchont hat, der kränkelt zu- 
fett an feiner vielen Schonung. Gelobt fei, was hart 
madht! Ich lobe das Land nicht, wo Butter und Honig 
— fließt! 

Don fih abfehn lernen ift nöthig, um Diel zu 
fehn: — diefe Härte thut jedem Berge-Steigenden noth. 


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Wer aber mit den Augen zudringlih ift als Er 


fennender, wie follte der von allen Dingen mehr als 
ihre vorderen Gründe fehn! 

Du aber, oh &Sarathuftra, wollteft aller Dinge 
Grund fhaun und Bintergrund: fo mußt du fchon 
über dich felber fleigen, — hinan, hinauf, bis du auch 
deine Sterne noch unter dir haft! 

Ja! Binab auf mich felber ſehn und noch auf meine 
Sterne: Das erft hieße mir mein Bipfel, Das blieb mir 
noch zurüd als mein letter Gipfell — . 


Alfo fprah Sarathuftra im Steigen zu fi, mit 
harten Sprüchlein fein Herz tröftend: denn er war 
wund am Herzen wie noch niemals zuvor. Und als er 
auf die Höhe des Bergrüdens fam, fiche, da lag das 
andere Mleer vor ihm ausgebreitet: und er ftand fill 
und fhwieg lange. Die Nacht aber war Palt in diefer 
Höhe und Plar und hellgeftirnt. 

Ich erfenne mein £oos, fagte er endlih mit 
Trauer. Wohlan! Ich bin bereit. Eben begann meine 
legte Einſamkeit. 

Ad, diefe ſchwarze traurige See unter mirl Adh, 
diefe fchwangere nächtliche Derdroffenheitl Ah, Schick⸗ 
fal und Seel Zu euh muß ih nun hinab fteigen! 

Dor meinem hödften Berge ftehe ih und vor 
meiner längften Wanderung: darum muß ich erft tiefer 
hinab, als ich jemals ftieg: 

— tiefer hinab in den Schmerz, als ich jemals flieg, 
bis hinein in feine ſchwärzeſte Fluthl So will ı es mein 
Schickſal: Wohlan! Ich bin bereit. 





Alſo ſprach Zarathuſtra. 225 16 





——⸗— — — 


Woher kommen die höchſten Berge? ſo fragte ich 
einſt. Da lernte ich, daß ſie aus dem Meere kommen. 

Dies Zeugniß iſt in ihr Geſtein geſchrieben und 
in die Wände ihrer Gipfel. Aus dem Tiefſten muß 
das Höchſte zu feiner Höhe kommen. — 


Alfo ſprach Sarathuftra auf der Spite des Berges, 
wo es falt war; als er aber in die Nähe des Mleeres fam 
und zuleßt allein unter den Klippen ftand, da war er 
unterwegs müde geworden und fehnfüctiger als noch 
zuvor. 

Es ſchläft jeßt Alles noch, ſprach er; auch das 
Meer ſchläft. Schlaftrunfen und fremd blickt fein Auge 
nah mir. 

Aber es athmet warm, das fühle ih. Und ich 
fühle auch, daß es träumt. Es windet fi träumend 
auf harten Kiffen. 

Borhl Hoch! Wie es flöhnt von böfen Er⸗ 
innerungen! Oder böjen Erwartungen? 

Ad, ich bin traurig mit dir, du dunkles Ungehener, 
und mir felber noch gram um deinetwillen. 

Ad, daß meine Hand nicht Stärfe genug hatl Gerne, 
wahrlich, möchte ich dich von böfen Träumen erlöfen! — 


Und indem Sarathuftra fo ſprach, lachte er mit 
Schwermuth und Bitterfeit über fich felber. Wiel Hara- 
thuſtral fagte er, willft du noch dem Mleere Troſt fingen ? 

Ad, du liebreicher Narr Sarathuftra, du Dertrauens- 
Überfeliger! Aber fo warft du immer: immer kamfi 
du vertraulich zu allem Furchtbaren. 





226 


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Jedes Ungethüm wollteft du noch flreiheln. Ein 
Bauch warmen Athems, ein Wenig weiches Gezottel 
an der Tage —: und gleich warft du bereit, es zu 
lieben und zu loden. 

Die Liebe ift die Gefahr des Einfamften, die Kiebe 
zu Allem, wenn es nur lebt! Sum Lachen ift wahr- 
fih meine Xarrheit und meine Befcheidenheit in der 
Kiebel — 


Alfo ſprach Zarathuſtra und lachte dabei zum 
andern Male: da aber gedachte er feiner verlaffenen 
Freunde —, und wie als ob er fi mit feinen Ge— 
danken an ihnen vergangen habe, zürnte er fi ob 
feiner Gedanken. Und alsbald geſchah es, daß der 
Cachende weinte: — vor Zorn und Sehnſucht weinte 
darathuftra bitterlich. 





Dom Befiht und Räthſel. I 





1. | 
Als es unter den Sciffslenten ruchbar wurde, daß | 
Sarathuftra auf dem Schiffe fei — denn es war ein |; 
Mann zugleih mit ihm an Bord gegangen, der von ! 
den glücdfeligen Infeln Fam —, da entftand eine große || 
Aengierde und Erwartung. Aber Zarathuſtra fhmwieg I: 
zwei Tage und war kalt und taub vor Traurigkeit, alfo, ı 
daß er weder auf Blide noch auf Fragen antwortete :' 
Am Abende aber des zweiten Tages that er feine Ohren ;- 
wieder auf, ob er gleih noch fchwieg: denn es gab :' 
viel Seltfames und Gefährliches auf diefem Schiffe anzu- 1! 
hören, welches weither fam und noch weiterhin wollte. I, 
Sarathuftra aber war ein Freund aller Solden, die |! 
weite Reifen thun und nicht ohne Gefahr leben mögen. _|ı 
Und fiehel zulegt wurde ihm im Suhören die eigne 
Zunge gelöft, und das Eis feines Herzens brach: — da Il 
begann er alfo zu reden: I 


Euch, den fühnen Suchern, Derfuchern, und wer je !l 
fi) mit liftigen Segeln auf furchtbare Meere einfchiffte, — 5⸗ 

euch, den Räthſel⸗-⸗Crunkenen, den Swielicht-Srohen, | 
deren Seele mit Slöten zu jedem Irr⸗Schlunde gelodt wird: 


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228 





alfo zwang mein Fuß fih aufwärts. 


— denn nidht wollt ihr mit feiger Hand einem 
Faden nactaften; und, wo ihr errathen könnt, da 
haft ihr es, zu erfhliegen — 

euch allein erzähle ich das Räthſel, das ich fah, 
— das Gefihht des Einfamften. — 

Düfter gieng ich jüngft durch leichenfarbne Däm- 
merung, — düfter und hart, mit gepreften £ippen. 
Nicht nur Eine Sonne war mir untergegangen. 

Ein Pfad, der trotzig durch Geröfl flieg, ein bos- 
hafter, einfamer, dem nicht Kraut, nicht Strauch mehr 
zuſprach: ein Berg-Pfad knirſchte unter dem Trotz 
meines Fußes. | 

Stumm über höhnifhem Geflirr von Kiefeln 
fchreitend, den Stein zertretend, der ihn gleiten lieg: 


Aufwärts: — dem Geifte zum Troß, der ihn ab- 
wärts 309, abgrundwärts 309, dem Geifte der Schwere, 
meinem Teufel und Erzfeinde. 

Aufwärts: — obwohl er auf mir faß, halb Swerg, - 
halb Maulwurf; lahm; lähmend; Blei durch mein Ohr, 
Bleitropfen-Bedankfen in mein Hirn träufelnd. 

„Oh Zarathuftra, raunte er höhnifch Silb’ um Silbe, 
du Stein der Weisheitl Du warfft dich hoch, aber jeder 
geworfene Stein muß — fallen! - 

Oh Sarathuftra, du Stein der Weisheit, du Schleuder- 
fein, du Stern-Sertrümmerer! Did felber warfft du fo 
hoh, — aber jeder geworfene Stein — muß fallen! 

Derurtheilt zu dir felber und zur eignen Steini- 
gung: oh Sarathuftra, weit warfft du ja den Stein, — 
aber auf dich wird er zurücfallen!“ 








— — —— — — — — 


229 


Drauf ſchwieg der Swerg; und das währte lange. 
Sein Schweigen aber drüdte mich; und folchermaßen 
zu Swein ift man wahrlich einfamer als zu Einem! 

Ich flieg, ich flieg, ich träumte, ich dachte, — aber 
Alles drücdte mih. Einem Kranfen glih ih, den 
feine fchlimme Marter müde madt, und deit wieder 
ein fchlimmerer Traum aus dem Einfchlafen welt. — 

Aber es giebt Etwas in mir, das ih Muth heiße: 
das fchlug bisher mir jeden Unmuth todt. Diefer 
Muth hieß mid endlih ftille ſtehn und fprechen: 
„Swergl Dul Oder ich!“ — 

Muth nämlich ift der befte Todtfchläger, — Muth, wel. 
her angreift: denn in jedem Angriffe ift Plingendes Spiel, 

Der Menfh aber ift das muthigfte hier: damit 
überwand er jedes Chier. Mit Elingendem Spiele über- 
wand er noch jeden Schmerz; Menſchen·Schmerz aber 
iſt der tiefſte Schmerz. 

Der Muth ſchlägt auch den Schwindel tobt an 
Abaründen: und wo ftünde der Menſch nicht an Ab- 
gründen! Iſt Sehen nicht felber — Abgründe fehen ? 

Muth ift der befte Todtichläger: der Muth fchlägt 
auch das Mitleiden todt. Mitleiden aber ift der tieffte 
Abgrund: fo tief der Menfh in das Leben fieht, fo 
tief fieht er auch in das Leiden. 

Muth aber ift der beite Todtichläger, Muth, der 
angreift: der fchlägt noch den Tod todt, denn er fpridt: 
„War das das Leben? Wohlan! Noch Ein Mall“ 

In folhem Sprüche aber ift viel Elingendes Spiel, 
Mer Ohren hat, der höre. — 

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230 


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„Halt! Swergl fprah ih. Ichl Oder dul Ich 
aber bin der Stärfere von uns Beiden —: du Pennft 
meinen abgründlichen Gedanken nicht! Den — Fönnteft 
du nicht tragen" — 

Da gefhah, was mid leichter madıte: denn der 
Swerg fprang mir von der Schulter, der Iiengierigel 


Und er hockte fih auf einen Stein vor mid hin. Es 


war aber gerade da ein Thorweg, wo wir hielten. 

„Siehe diefen Chorwegl Zwergl ſprach ich weiter; 
der hat zwei Gefichter. FZwei Wege kommen hier zu- 
fammen: die gieng noch Niemand zu Ende. 

Diefe lange Gaſſe zurück: die währt eine Ewigkeit. 
Und jene lange Gaſſe hinaus — das iſt eine andre 
Ewigfeit. | 

Sie widerfprehen ſich, diefe Wege; fie ſtoßen fi 
gerade vor den Kopf: — und hier, an diefem Thorwege, 
it es, wo fie zufammen fommen. Der VName des 
Chorwegs fteht oben gefchrieben: „Augenblick“ꝰ. 

Aber wer Einen von ihnen weiter gienge — und 
immer weiter und immer ferner: glaubft du, Zwerg, 
daß diefe Wege fi ewig widerfprehen?”" — 

„Alles Gerade lügt, murmelte verächtlich der Zwerg. 
Alle Wahrheit ift frumm, die Zeit felber tft ein Kreis.“ 

„Du Geift der Schwerel fprady ich zürnend, made 
dir es nicht zu leicht] Oder ich laffe dich hocken, wo du 
hodft, Lahmfuß, — und id} trug di hoch! 

Siehe, ſprach ich weiter, diefen Augenblickl Don 








diefem Thorwege Augenblid läuft eine lange ewige 

Gaffe rüdmwärts: hinter uns liegt eine Ewigfeit. 
Muß nicht, was laufen kann von allen Dingen, 
ſchon einmal diefe Gaſſe gelaufen fein? Muß nid, 
was gefhehn kann von allen Dingen, ſchon einmal 
| 


gefchehn, gethan, vorübergelaufen fein? 

Und wenn Alles fon dagewefen ift: was hältſt 
du Swerg von diefem Augenblick? Muß auch diefer 
Thorweg nicht fhon — dagemwefen fein? 

Und find nicht ſolchermaßen feft alle Dinge verfnotet, 
daß diefer Augenblick alle kommenden Dinge nad) fi 
zieht? Alfo — — fidh felber noch? 

Denn, was laufen kann von allen Dingen: andy in 
diefer langen Gaſſe hinaus — muß es einmal noch 
laufen! — 

Und diefe langſame Spinne, die im Mondfcheine 
riecht, und diefer Mondfchein felber, und ich und du 
im Chorwege, zufammen flüfternd, von ewigen Dingen 
flüfternd — müſſen wir niht Alle fchon dagewejen 
fein? 

— und wiederfommen und in jener anderen Gaſſe 
laufen, hinaus, vor uns, in diefer langen Ihanrigen 
Gaſſe — müſſen wir nicht ewig wiederfommen? —“ 

Alfo redete ich, und immer leifer: denn ich fürch⸗ 
tete mich vor meinen eignen Gedanken und Biinter- 
gedanken. Da, plötlih, hörte ich einen Hund nahe 
heulen. 

Hörte ich jemals einen Hund fo heulen? Mein 
Gedanke lief zurüd, Jal Als ich Kind war, in fernfter 
Kindheit; 


| 
| 








232 


— da hörte ih einen Hund fo heulen. Und fah 


ihn auch, gefträubt, den Kopf nach Oben, zitternd, in 


filter Mitternaht, wo auch Bunde an Gefpenfter 
glauben: 

— alfo daß es mich erbarmte. Eben nämlich gieng 
der volle Mond, todtfchweigfam, über das Haus, eben 
ftand er fill, eine runde Gluth, — fill auf flachem 
Dache, gleich als auf fremdem Eigenthume: — 

darob entſetzte fi damals der Hund: denn Bunde 
glauben an Diebe und Gefpenfter. Und als ich wieder 
fo heulen hörte, da erbarmte es mich abermals. 

Wohin war jebt SwergP Und Chorweg? Und 
Spinne? Und alles Slüftern? räumte ich denn? 
Wachte ih auf? Zwiſchen wilden Klippen ftand ich 
mit Einem Male, allein, öde, im Ödeften Mondſcheine. 

. Aber da lag ein Menſchl Und dal Der Hund, 
Ipringend, gefträubt, winfelnd, — jet fah er mid 
fommen — da heulte er wieder, da ſchrie er: — hörte 
ih je einen Hund fo Hülfe fchrein? 

Und, wahrlich, was ich fah, desgleichen fah ich 
nie Einen jungen Hirten ſah ih, fih windend, 
würgend, zudend, verzerrten Antliges, dem eine 
fhwarze fchwere Schlange aus dem Munde hieng. 

Sah ih je fo viel Efel und bleihes Grauen auf 
Einem Antlige? Er hatte wohl gefchlafen? Da kroch 
ihm die Schlange in den Schlund — da biß fie fich feft. 

Meine Hand riß die Schlange und riß: — umfonft! 
fie riß die Schlange nicht aus dem Schlunde. Da fchrie 
es aus mir: „Beiß zul Beiß zu | 

Den Kopf abl Beiß zul" — fo ſchrie es aus mir, 


233 











mein Grauen, mein Haß, mein Efel, mein Erbarmen, 
all mein Gutes und Schlimmes fchrie mit Einem Schrei 
aus mir. — 

Ihr Kühnen um mich! Ihr Sucher, Derfucher, und 
wer von euch mit liftigen Segeln fih in unerforfchte 
Meere einfhifftel Ihr Räthfel-Srohen! 

So rathet mir doch das Aäthfel, das ich damals 
fhaute, fo deutet mir doch das Geſicht des Einfamften! 

Denn ein Gefiht war's und ein Dorherfehn: — 
was fah ich damals im Gleichniſſe? Und wer ift, der 
einft noch fommen muß? 

Wer ift der Dirt, dem alfo die Schlange in den 
Schlund froh? Wer ift der Menfch, dem alfo alles 
Schwerfte, Schwärzefte in den Schlund Priehen wird? 

— Der Birt aber big, wie mein Schrei ihm rieth; 
er biß mit gutem Biffel Weit weg fpie er den Kopf 
der Schlange —: und fprang empor. — 

Nicht mehr Hirt, nicht mehr Menfh, — ein Der- 
wandelter, ein Umleuchteter, welher lachtel Niemals 
noh auf Erden lachte je ein Menfh, wie er ladtel 

Oh meine Brüder, ich hörte ein Lachen, das feines 


. Menfhen Laden war, — — und nun frißt ein Durft 


an mir, eine Sehnfucht, die nimmer ftille wird. 

Meine Sehnfucht nad diefen Lachen frißt an mir: 
oh wie ertrage ih noch zu lebenl Und wie ertrüge 
ich's, jet zu ſterben! — 


Alfo ſprach Zarathuſtra. 


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Don der Seligfeit wider Willen. 





mit folhen Aäthfeln und Bitterniffen im Herzen 
fuhr Sarathuftra über das Meer. Als er aber vier 
CTagereifen fern war von den glüdfeligen Infeln und 
von feinen Freunden, da hatte er allen feinen Schmerz 
überwunden —: fiegreih und mit feften Füßen ftand 
er wieder auf feinem Scidfal. Und damals redete 
Sarathuftra alfo zu feinem frohlodenden Gewiſſen: 


Allein bin ih wieder und will es fein, allein mit 
reinem Himmel und freiem Meere; und wieder ift 
Nachmittag um mid). 

Des Nachmittags fand ich zum erften Male einft 
meine Freunde, des Xlachmittags auch zum anderen 
Male: — zur Stunde, da alles Licht ftiller wird. 

Denn was von Glück noch unterwegs tft zwifchen 
Bimmel und Erde, das ſucht fih nun zur Herberge 
noch eine lichte Seele: vor Glück ift alles Kicht jetzt 
ſtiller worden. 

Oh Nachmittag meines Lebens! Einft ftieg auch 
mein Glück zu Thale, daß es fi eine Herberge 
fuche: da fand es diefe offnen gaftfreundlichen Seelen. 


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235 





Oh Nachmittag meines Lebens! Was gab ich nicht 

hin, daß ih Eins hätte: diefe lebendige Dflanzung 

meiner Gedanken und dies Morgenlicht meiner höchften 
Hoffnung! 

Gefährten fuchte einft der Schaffende und Kinder 
feiner Hoffnung: und fiehe, es fand fi, daß er fie 
nicht finden Fönne, es fei denn, er fchaffe fie felber erft. 

Alfo bin ich mitten in meinem Werfe, zu meinen 
Kindern gehend und von ihnen Fehrend: um feiner 
Kinder willen muß Sarathuftra fi felbft vollenden. 

Denn von Grund aus liebt man nur fein Kind und 
Werk; und wo große Liebe zu fich felber ift, da ift 
fie der Schwangerfchaft Wahrzeichen: fo fand ich's. 

oh grünen mir meine Kinder in ihrem erften 
Srühlinge, nahe bei einander flehend und gemeinfam 
von Winden gefchüttelt, die Bäume meines Gartens und 
beften Erdreichs. 

Und wahrlihl Wo folhe Bäume bei einander 
ftehn, da find glüdfelige Infeln! 

Aber einftmals will ich fie ausheben und einen 
Jeden für fih allein ftellen: dag er Einfamkeit lerne 
und Trog und Dorfict. 

Knorrig und gefrümmt und. mit biegfamer Härte 
fol er mir dann am Meere daftehn, ein lebendiger 
Leuchtthurm unbefiegbaren Lebens. 

Dort, wo die Stürme hinab in’s Meer flürzen, und 
des Gebirgs Rüſſel Waffer trinkt, da foll ein Jeder 
einmal feine Tag- und Nachtwachen haben, zu feiner 
Prüfung und Erfenntniß. 

Erkannt und geprüft foll er werden, darauf, ob er 


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meiner Art und Abkunft it, — ob er eines langen 
Willens Herr fei, fchweigfam, auch wenn er redet, und 
nachgebend alfo, daß er im Geben nimmt: — 

— daß er einft mein Gefährte werde und ein 
Mitfchaffender und Mlitfeiernder Sarathuflras —: ein 
Solcher, der mir meinen Willen auf meine Tafeln fchreibt: 
zu aller Dinge vollerer Dollendung. 

Und um feinetwillen und feines Gleichen muß idh 
felbee mich vollenden: darum weiche ich jet meinem 
Glücke aus und biete mich allem Unglüde an — zu 
meiner lebten Prüfung und Erkenntniß. 

Und wahrlich, Zeit war’s, daß ich gieng; und des 
Woanderers Schatten und die längfte Weile und die ftillfte 
Stunde — alle redeten mir zu: „es ift höchſte Zeit!“ 

Der Wind blies mir durch's Schlüffelloh und fagte 
„Komm!“ Die Chür fprang mit liftig.auf und fagte „Beh!“ 

Aber ich lag angefettet an die Liebe zu meinen 
Kindern: das Begehren legte mir diefe Schlinge, das | 
Begehren nad Liebe, daß ich meiner Kinder Beute | 

| 


— — — 


| 
| 
würde und mich an fie verlöre, | 

Begehren — das heißt mir fhon: mich verloren 
haben. Ich habe eud, meine Kinder! In diefem | 
Haben foll Alles Sicherheit und Nichts Begehren fein. 

Aber brütend lag die Sonne meiner Liebe auf 
mir, im eignen Safte kochte Zarathuſtra, — da flogen 
Schatten und Sweifel über mich weg. 

Nach Froſt und Winter gelüftete mich fhon: „oh || 
daß Froft und Winter mich wieder nalen und | 
knirſchen machten!” feufzte ih: — da fliegen eifige 
Uebel aus mir auf. 


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237 


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Meine Vergangenheit brach ihre Gräber, manch 
lebendig begrabner Schmerz wachte auf —: ausgeſchlafen 
hatte er ſich nur, verſteckt in Leichen⸗Gewänder. 

Alſo rief mir Alles in Zeichen zu: „es iſt Zeit!“ 
Aber ih — hörte nicht: bis endlich mein Abgrund fid) 
rührte und mein Gedanke mich biß. 

Ad, abgründlicher Gedanfe, der du mein Gedanke 
biftl Wann finde ich die Stärke, dich graben zu hören 
und nicht mehr zu zittern ? 

Bis zur Kehle hinauf Plopft mir das Herz, wenn 
ich dich graben hörel Dein Schweigen noch will mid 
würgen, du abgründlih Schweigender| 

Noch wagte ich niemals, dih herauf zu rufen: 
genug fchon, daß ich dich mit mir — trugl Noch war 
ih nicht ftarf genug zum lebten £öwen-Übermuthe 
und ⸗Muthwillen. 

Genug des Furchtbaren war mir immer fchon deine 
Schwere: aber einft foll ich noch die Stärfe finden und 
die Löwen-Stimme, die dich herauf ruftl 

Wenn ich mich defjen erft überwunden habe, dann 
will ich mich auch des Größeren noch überwinden; und 
ein Sieg foll meiner Dollendung Siegel fein! — 

Inzwifchen treibe ich noch auf ungemwiffen Meeren; 
der Sufall fchmeichelt mir, der glattzüngige; vorwärts 
und rüdwärts fchaue id —, noch fchaue ich Fein Ende. 

Noch fam mir die Stunde meines lebten Kampfes 
nicht, — oder fommt fie mir wohl eben? Wahrlich, 
mit tüdifcher Schönheit fchaut mid rings Meer und 
Leben an! 

Oh Nachmittag meines Lebensl Oh Glück vor 








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Abend! Gh Hafen auf hoher Seel Oh Friede im Un- 
gewiſſen! Wie mißtraue ich euch Allen! 

Wahrlich, mißtrauiſch bin ich gegen eure tüdifche 
Scönheitl Dem Liebenden gleihe ich, der allzu- 
fammtenem £ädeln mißtraut. 

Wie er die Geliebtefte vor fich her ftößt, zärtlich 
noh in feiner Härte, der Eiferüchtige —, alfo ftoße 
ich diefe felige Stunde vor mir her. 

Hinweg mit dir, du felige Stundel Mit dir fam 
mir eine Seligfeit wider Willen! Willig zu meinem 
tiefften Schmerze ftehe ich hier: — zur Unzeit Famft dul 

Hinweg mit dir, du felige Stundel Kieber nimm 
Herberge dort — bei meinen Kindern! Eilel und fegne 
fie vor Abend noch mit meinem Glüdel 

Da naht fchon der Abend: die Sonne fin. Dahin . 
— mein Glück! — 


Alſo ſprach Sarathuftra. Und er wartete auf fein 
Unglüf die ganze Nacht: aber er wartete umfonft. 
Die Nacht blieb hell und ftill, und das Glück felber 
fam ihm immer näher und näher. Gegen Morgen aber 
late Sarathuftra zu feinem Herzen und fagte. fpöttifch: 
„das Glück läuft mir nad. Das fommt davon, daß ich 
nicht den Weibern nachlaufe. Das Glück aber ift ein 
Weib.“ 








Dor Sonnen-Aufgang. 





Oh Himmel über mir, du Reiner! Tiefer! Du Licht. 
Abgrund! Di fchauend fchandere ich vor göttlichen 
Begierden. 

In deine Höhe mich zu werfen — das iſt meine 
Tiefel In deine Reinheit mich zu bergen — das iſt 
meine Unſchuld! 

Den Gott verhüllt feine Schönheit: fo verbirgft du 
deine Sterne Du redeft nicht: fo Fündeft du mir 
deine Weisheit. 

Stumm über braufendem Meere bift du hent mir 
aufgegangen, deine Liebe und deine Scham redet Offen⸗ 
barung zu meiner braufenden Seele. 

Daß du Schön zu mir kamſt, verhüllt in deine 
Schönheit, dag du flumm zu mir fprichft, offenbar in 
deiner Weisheit: 

Oh wie erriethe ich nicht alles Schamhafte deiner 
Seelel Dor der Sonne Pamft du zu mir, dem Ein- 
famften. 

Wir find Freunde von Anbeginn: uns ift Bram 
und Grauen und Grund gemeinfam; noch die Sonne ift 
uns gemeinfam. 






| 


Alfo ſprach Zarathuſtra. 241 





Wir reden nicht zu einander, weil wir zu Dieles 
wiffen —: wir fchweigen uns an, wir lächeln uns unfer 
Wiſſen zu. 

Biſt dm nicht das Kicht zu meinem Feuer? Haft 
du nicht die Schwefter-Seele zu meiner Einficht? 

Zuſammen lernten wir Alles; zufammen lernten 
wir über uns zu uns felber auffteigen und wolfenlos 
lächeln: — j 

— wolfenlos hinab lächeln aus lichten Augen und 
aus meilenweiter ferne, wenn unter uns Swang und 
Swed und Schuld wie Regen dampfen. 

Und wanderte ich allein: weß hungerte meine 
Seele in Nächten und Irr-Pfaden? Und ftieg ich Berge, 
wen fuchte ich je, wenn nicht dich, auf Bergen? 

Und al mein Wandern und Bergfteigen: eine 
Xoth war’s nur und ein Behelf des Unbeholfenen: — 
fliegen allein will mein ganzer Wille, in dich hinein 
fliegen! 

Und wen haßte ih mehr, als ziehende Wolfen 
und Alles, was dich befledt? Und meinen eignen Haß 
haßte ich noch, weil er dich beflecktel 

Den ziehenden Wolfen bin ich gram, diefen 
fchleihenden Raub-Katen: fie nehmen dir und mir, 
was uns gemein if, — das ungeheure unbegrenzte Ja⸗ 
und Amen-fagen. 

Diefen Mittleren und Mifchern find wir gram, den 
siehenden Wolken: diefen Halb- und Halben, welche 
weder fegnen lernten, noch von Grund aus fluchen. 

Kieber will ich noch unter verfchloffnem Himmel 
in der Tonne fitzen, lieber ohne Himmel im Abgrund 


— —— — — —— — 


fien, als di, Licht-Himmel, mit Sich-Wollen be 
fledt fehn! 

Und oft gelüftete mich, fie mit zackichten Blitz⸗ 
Golddrähten feftzuheften, daß ich, gleich dem Donner, 
auf ihrem Keffel-Bauche die Paufe fchlüge: — 

— ein zorniger Paufenfchläger, weil fle mir dein 
Jal und Amen!.rauben, du Himmel über mir, du Reiner! 
£ihterl Du Licht- Abgrund! — weil fie dir mein Jal 
und Amen! rauben. 

Denn lieber noch will ih Lärm und Donner und 
Wetter-Slühe, als diefe bedächtige zweifelnde Katzen⸗ 
Ruhe; und auch unter Menſchen haffe ih am beften 
alle Leifetreter und Halb- und Halben und zweifelnde, 
zögernde Zieh⸗Wolken. 

Und „wer nicht fegnen Bann, der fol fluchen 
lernen!” — diefe helle Kehre fiel mir aus hellem 
Himmel, diefer Stern ſteht auch noch in fchwarzen 
Nächten an meinem Himmel. 

Ich aber bin ein Segnender und ein Ja-fager, wenn 
du nur um mid bift, du Reinerl Lichterl Du Licht 
Abgrund! — in alle Abgründe trage ich da noch mein 
fegnendes Ja-fagen. 

Sum Segnenden bin id worden und zum Ja—⸗ 
fagenden: und dazu rang ich lange und war ein 
Ringer, daß ich einft die Hände frei befäme zum 
Segiten. “ 

Das aber ift mein Segnen: über jedwedem Ding 
als fein eigener Himmel ftehn, als fein rundes Dad, 
feine azurne Glode und ewige Sicherheit: und felig 
ift, wer alfo ſegnet! 


242 





— —— — 
— — ——— —— — — — 


Denn alle Dinge find getauft am Borne der Ewig- 
feit und jenfeits von But und Böfe; Gut und Böfe 
felber aber find nur Zwiſchenſchatten und feuchte 
Trübfale und Zieh⸗Wolken. 

Wahrlih, ein Segnen ift es und Fein Läftern, 
wenn ich lehre: „über allen Dingen fteht der Himmel 
Zufall, der Himmel Unfchuld, der Himmel Ohngefähr, 
der Himmel Übermuth.“ 

„Don Ohngefähr“ — das ift der ältefte Adel der 
Welt, den gab ich allen Dingen zurüd, ich erlöfte fie 
von der Knechtichaft unter dem Zwecke. 

Diefe Freiheit und Himmels-Beiterfeit ftellte ich 
gleih azurner Glocke über alle Dinge, als ich lehrte, 
daß über ihnen und durch fie fein „ewiger Wille” — will. 

Diefen Übermuth und diefe Marrheit ftellte ich an 
die Stelle jenes Willens, als ich lehrte: „bei Allem ift 
Eins unmöglid — Dernünftigfeit!” 

Ein Wenig Dernunft zwar, ein Same der Weisheit 
zerftrent von Stern zu Stern, — diefer Sauerteig ift 
allen Dingen eingemifcht: um der Xarrheit willen ift 
Weisheit allen Dingen eingemifcht! 

Ein Wenig Weisheit tft fchon möglich; aber diefe 
felige Sicherheit fand ih an allen Dingen: daß fie 
lieber noch auf den Füßen des Sufalls — tanzen. 

Oh Himmel über mir, du Reiner! Hoher! Das if 
mir nun deine Reinheit, daß es Feine ewige Dernunft- 
Spinne und -Spinnenneße giebt: — 

— daß du mir ein Tanzboden bift für göttliche 
Zufälle, daß du mir ein Göttertiſch bift für göttliche 
Würfel und MWürfelfpielerl — | 








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Doch du errötheft? Sprach ich Unausfprechbares ? 
Käfterte ich, Indem ich dich fegnen wollte? 

Oder ift es die Scham zu Zweien, welche dich 
erröthen mahte?r — Heißeſt du mi gehn und 
fyweigen, weil nun — der Tag fommt? 

Die Welt ift tief —: und tiefer, als je der Tag 
gedacht hat. Nicht Alles darf vor dem Tage Worte 
haben. Aber der Tag fommt: fo fcheiden wir nunl 

Oh Bimmel über mir, du Schamhafterl Slühender| 
Oh du mein Glück vor Sonnen-Aufgangl Der Tag 
fommt: fo fcheiden wir nun! — 


Alfo ſprach Zarathuſtra. 


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er ß ꝰ ꝰ ꝰ õꝰõꝰõ ꝰõ ꝰ —— ——— — — —— — — — 


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244 


Don der verfleinernden Tugend. 


1. 

Als Zarathuſtra wieder auf dem feſten Lande war, 
gieng er nicht ſtracks auf ſein Gebirge und ſeine Höhle 
los, ſondern that viele Wege und Fragen und erkundete 
dies und das, alſo, daß er von fich ſelber im Scherze 
ſagte: „fiehe einen Fluß, der in vielen Windungen 
zurüc zur Quelle fließt!" Denn er wollte in Erfahrung 
bringen, was fi inzwifhen mit dem Menſchen 
zugetragen habe: oh er größer oder Fleiner geworden 
ſei. Und Ein Mal fah er eine Reihe neuer Käufer; da 
wunderte er fih und fagte: 

„Was bedenten diefe Käufer? Wahrlich, Peine 
große Seele ftellte ſie hin, fi) zum Gleidhnifjel 

Nahm wohl ein blödes Kind fle aus feiner Spiel- 
ſchachtel? Daß doch ein anderes Kind fie wieder in 
feine Schachtel thätel 

Und diefe Stuben und Kammern: fönnen Männer 
da aus- und eingehen? Gemacht dünken fie mich für 
Seiden-Puppen; oder für Nafchfaten, die auch wohl 
an fich nafchen lafjen.” 


Und Sarathuftra blieb ſtehn und dachte nah. End- 
fih fagte er betrübt: „Es ift Alles Pleiner geworden! 





245 





Überall fehe ich niedrigere Chore: wer meiner 
Art ift, geht da wohl no hindurh, aber — er muß 
fih büden! 

Oh wann fomme ich wieder in meine Heimat, wo 
ih mich nicht mehr büden muß — nicht mehr büden 
muß vor den Kleinen!” — Und Sarathufira feufzte 
und blickte in die ferne — 

Desfelbigen Tages aber redete er feine Rede über 
die verfleinernde Tugend, 


2, 


Sch gehe durch dies Dolf und halte meine Augen 
offen: fie vergeben mir es nicht, daß ich auf ihre 
Tugenden nicht neidifch bin. 

Sie beißen nach mir, weil ih zu ihnen fage: für 
Feine Leute find Fleine Tugenden nöthig — und weil 
es mir hart eingeht, daß Fleine Leute nöthig find! 

Noch gleiche ich dem Hahn hier auf fremdem Ge⸗ 
höfte, nach dem auch die Kennen beißen; doch darob 
bin ich diefen Kennen nicht ungut. 

Ich bin höflich gegen fie, wie gegen alles Pleine 
Ärgerniß; gegen das Kleine ftahliht zu fein, dünkt 
midy eine Weisheit für Igel. 

Sie reden Alle von mir, wenn fie Abends um’s 
Feuer fiten, — fie reden von mir, aber Niemand denkt 
— an midl 

Dies ift die neue Stille, die ich lernte: ihr Lärm 
um mid breitet einen Mantel über meine Gedanken. 

Sie lärmen unter einander: „was will uns diefe 





düftere Wolfe? fehen wir zu, daß fie uns nicht eine | 


| 
Seuche bringe!” 
| Und jüngft riß ein Weib fein Kind an fi, das 
zu mir wollte: „nehmt die Kinder weg! fchrie es; folche | 
Angen verfengen Kinder-Seelen.” | 

Sie huften, wenn ich rede: fie meinen, Huſten fei 
ein Einwand gegen ftarfe Winde, — fie errathen Nichts 
vom Braufen meines Glüdes! 

„Mir haben noch Feine Seit für Sarathuftra” — fo 
wenden fie ein; aber was liegt an einer Zeit, die für 
Sarathuftra „Feine Zeit hat“? 

Und wenn fie gar mid; rühmen: wie fönnteich wohl 
aufihrem Ruhme einfchlafen? Ein Stachel⸗Gürtel ift mir 
ihr Lob: es kratzt mich noch, wenn ich es von mir thue. 

Und andy Das lernte ich unter ihnen: der Kobende 
ftellt fih, als gebe er zurüd, in Wahrheit aber will er 
mehr befchen?t fein! 

Stagt meinen Fuß, ob ihm ihre Lob» und Loc. 
Weiſe gefällt! Wahrlih, nad folhem Taft und Tiftaf 
mag er weder tanzen, nody ftille ftehn. 

dur Fleinen Tugend möchten fie mich loden und 
loben, zum Tiktak des Pleinen Glücks möchten fie 
meinen Fuß überreden. | 

Ich gehe durch dies Dolf und halte die Augen 
offen: fie find Fleiner geworden und werden immer 

| Heiner: — das aber madıt ihre Lehre von Glüd 
und Tugend. 

Sie find nämlih auch in der Tugend befcheiden, 

— denn fie wollen Behagen. Mit Behagen aber ver . 
trägt ſich nur die beſcheidene Tugend, 








Damit werden ſie Jedem zum Anftoß, der Eile hat. 

Und Mancher von ihnen geht vorwärts und blickt 
dabei zurück, mit verfteiftem Vacken: Dem renne ich 
gern wider den Leib. 
Fuß und Augen follen nicht lügen, noch fich ein- 
| ander Zügen ftrafen. Aber es ift viel Lügnerei bei den 
\  Bleinen £euten. 
Einige von ihnen wollen, aber die Meiften werden 
|| nur gewollt, Einige von ihnen find echt, aber die 
Meiften find fchlechte Schaufpieler. 
| Es giebt Schanfpieler wider Wiffen unter ihnen 
und Schaufpieler wider Willen —, die Echten find 
immer felten, fonderlich die echten Schanfpteler. 
Des Mannes ift hier wenig: darum vermännlichen 
fih ihre Weiber. Denn nur wer Mannes genug ift, 
wird im Weibe das Weib — erlöfen. 
Und diefe Heuchelei fand ich unter ihnen am 
fchlimmften: daß auch Die, weldhe befehlen, die 
Tugenden Derer heucheln, welche dienen. 
„Ich diene, du dienft, wir dienen“ — fo betet hier 
auch die Heuchelei der Berrfhenden, — und wehe, 
wenn der erfte Herr nur der erfte Diener iftl 
| Ah, aud in ihre Heuckeleien verflog fi wohl 
meines Auges Iengier; und gut errieth ih all ihr 
Fliegen⸗Glück und ihr Summen um befonnte Fenſter⸗ 
fcheiben. 

Soviel Güte, foriel Schwäche jehe ih. Soviel 
Gerechtigkeit und Mitleiden, ſoviel Schwäche, 


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Wohl lernen aud fie auf ihre Art Schreiten und | 
| Dorwärts-Schreiten: das heiße ih ihr Humpeln — ii. 


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| Rund, rechtlich und gütig find fie mit einander, 
| wie Sandförnchen rund, rechtlih und gütig mit Sande 


körnchen find. 

Befcheiden ein kleines Glüf umarmen — das 
heißen fie „Ergebung“l und dabei fdhielen fie be 
fheiden fchon nah einem neuen Fleinen Glüde aus, 

Sie wollen im Grunde einfältiglih Eins am meiften: 
daß ihnen Niemand wehe thue. So fommen fie Jeder» 
mann zuvor und thun ihm wohl. 

Dies aber ift feigheit: ob es ſchon „Tugend” 
heißt. — 

Und wenn fie einmal rauh reden, dieſe Pleinen 
£eute: ich höre darin nur ihre Heiferfeit, — jeder 
MWindzug nämlich macht fie heifer. 

Klug find fie, ihre Tugenden haben Fuge Singer. 
Aber ihnen fehlen die Fäuſte, ihre Finger wifjen nidıt, 
ſich hinter Fäuſte zu verfriechen. 

Tugend ijt ihnen Das, was befceiden und zahm 
madt: damit machten fie den Wolf zum Hunde und den 
Menſchen felber zu des Menſchen beftem Hausthiere. 

„Wir festen unfern Stuhl in die Mitte — das 
fagt mir ihr Schmunzeln — und ebenjo weit weg von 
fterbenden Fechtern wie von vergnügten Säuen.“ 

Dies aber it — Mittelmäßigkeit: ob es fchon 
Mäßigfeit heißt. — 


3. 


Jh gehe durch dies Dolf und laffe mandes 
Wort fallen: aber fie wiſſen weder zu nehmen nod 
zu behalten, 


249 








Sie wundern fih, daß ich nicht Fam, auf Lüfte 
und Kafter zu läftern; und wahrlih, ih fam aud 
nicht, daß ich vor Tafchendieben warnte! 

Sie wundern fi, daß ih nicht bereit bin, ihre 
Klugheit noch zu witzigen und zu fpitigen: als ob fie 
noch nicht genug der Klüglinge hätten, deren Stimme 
mir gleich Schieferftiften kritzelt! 

Und wenn id rufe: „Flucht allen feigen Teufeln in 
euch, die gerne winfeln und Hände falten und anbeten 
möchten“: fo rufen fie: „Sarathuftra tft gottlos*. 

Und fonderlih rufen es ihre Lehrer der Er- 
gebung —; aber gerade ihnen liebe ich’s, in das Ohr 
zu fchrein: Jal Ich bin Sarathuftra, der Gottlofel 

Diefe Lehrer der Ergebungl Überall hin, wo es 
Fein und Fran? und grindig ift, Friehen fie, gleich 
Läuſen; und nur mein Ekel hindert midy, fie zu fnaden. 

Wohlan! Dies ift meine Predigt für ihre Ohren: ich 
bin Sarathuftra, der Gottlofe, der da fpricht „wer ift gott- 
lofer denn ich, daß ich mid; feiner Unterweifung freue?“ 

Ich bin Sarathuftra, der Gottlofe: wo finde ich 
Meines-Gleihen? Und alle Die find Hleines-Bleichen, 
die fich felber ihren Willen geben und alle Ergebung 
von fi abthun. 

Ih bin Sarathuftra, der Gottlofer ich koche mir 
noch jeden Sufall in meinem Topfe. Und erft, wenn 
er da gar gekocht ift, heiße ich ihn willlommen, als 
meine Speife, 

Und wahrlich, mancher Sufall kam herrifch zu mir: 
aber herrifcher noch fprach zu. ihm mein Wille, — da 


lag er ſchon bittend anf den Knien — 
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250 





— bittend, daß er Herberge finde und Berz bei 
mir, und fchmeichlerifch zuredend: „fieh doch, oh Zara⸗ 
thuftra, wie nur Freund zu Freunde kommt!“ — 

Doch was rede ih, wo Niemand meine Ohren 


hat! Und fo will ih es hinaus in alle Winde rufen: 


Ihr werdet immer Pleiner, ihr Pleinen Leutel Ihr 
brödelt ab, ihr Behaglihen! Ihr geht mir noch zu 
Grunde — 

— an euren vielen Pleinen Tugenden, an eurem 
vielen Pleinen Unterlaffen, an eurer vielen kleinen Er« 
gebung! 

Su viel fchonend, zu viel nachgebend: fo ift euer 
Erdreihl Aber daß ein Baum groß werde, dazu will 
er um harte Selfen harte Wurzeln fchlagen! 

Auh was ihr unterlaßt, webt am Gewebe aller 
Menfhen-Sukunft; auch euer Nichts ift ein Spinnennet 
und eine Spinne, die von der Sufunft Blute lebt. 

Und wenn ihr nehmt, fo ift es wie Stehlen, ihr 
Heinen Tugendhaften; aber noch unter Schelmen ſpricht 
die Ehre: „man foll nur ftehlen, wo man nicht rauben 
fann.“ 

„Es giebt ſich“ — das iſt auch eine Kehre der 
Ergebung. Aber ich fage euch, ihr Behaglichen: es 
nimmt fih und wird immer mehr noch von eud) 
nehmen! 

Ach, daß ihr alles halbe Wollen von euch abthätet 
und entichloffen würdet zur Trägheit wie zur Chatl 

Ad, dag ihre mein Wort verftündet: „thut immer- 
hin, was ihr wollt, — aber feid erft Solche, die wollen 
fönnen!” 


251 


„Liebt immerhin euren Xächften gleih euh, — 
aber feid mir erft Solche, die fih felber lieben — 

— mit der großen Kiebe lieben, mit der großen 
Verachtung lieben!” Alfo ſpricht Sarathuftra, der Gott⸗ 
loſe. — 

Doch was rede ich, wo Niemand meine Ohren hatl 
Es ift hier noch eine Stunde zu früh für mid). 

Mein eigner Dorläufer bin ich unter diefem Volke, 
mein eigner Hahnen-Ruf durch dunkle Gaffen. 

Aber ihre Stunde fommtl Und es fommt aud 


die meinel Stündlich werden fie Fleiner, ärmer, un . 


frucdhtbarer, — armes Kraut! armes Erdreich! 

Und bald follen fie mir daftehn wie dürres Gras 
und Steppe, und wahrlich! ihrer felber müde — und 
mehr, als nach Waſſer, nach Feuer lechzendl 

Oh gefegnete Stunde des Blitzes! Oh Geheimniß 
vor Mittagl — Laufende Feuer will ich einft noch aus 
ihnen maden und Derfünder mit Slammen-Sungen: — 

— verfünden follen fie einft noch mit Flammen⸗ 
ungen: Er kommt, er ift nahe, der große Mittag! 


Alfo ſprach Sarathuftra, 


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252 


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Auf dem Ölberge, 





Der Winter, ein fchlimmer Gaft, fittt bei mir zu 
Hauſe; blau find meine Hände von feiner Sreundfchaft 
Händedrud. 

Ih ehre ihn, diefen ſchlimmen Saft, aber laffe 
gerne ihn allein fiten. Gerne laufe ich ihm davon; 
und, läuft man aut, fo entläuft man ihm! 

Mit warmen Füßen und warmen Gedanfen laufe 
id dorthin, wo der Wind ftille fteht, zum Sonnen- 
Winkel meines Ölbergs. 

Da ladye ich meines geftrengen Gaftes und bin ihm 
noch gut, daß er zu Haufe mir die Fliegen wegfängt 


‚und vielen Pleinen £ärm ftille macht. 


Er leidet es nämlidy nicht, wenn eine Müde fingen 
will, oder gar zwei; noch die Gaſſe macht er einfam, 
daß der Mondſchein drin Nachts ſich fürchtet. 

Ein harter Gaft ift er, — aber ich ehre ihr, und 
riicht bete ich, gleich den Härtlingen, zum diefbäuchichten 
Seuer-Gößen. 

Kieber noch ein Wenig zähneflappern, als Göben 
anbetenl — fo will's meine Art. Und fonderlich bin 
ih allen brünftigen dampfenden dumpfigen Feuer- 
Göben gram. 


Wen ich liebe, den liebe ich Winters beffer als 
Sommers; befjer fpotte ich jet meiner Feinde und 
herzhafter, feit der Winter mir im Haufe fitzt. 

Herzhaft wahrlich, felbft dann noch, wenn ich zu 
Bett Friebe —: da lacht und muthmwillt noch mein 
verfrochenes Glück; es lacht noch mein Lügen Traum. 

Ich ein — Krieher? Xiemals froh ich im Leben 
vor Mächtigen; und log ich je, fo log ich aus Kiebe, 
Deshalb bin ich froh auch im Winter-Bette. 

Ein geringes Bett wärmt mich mehr als ein reiches, 
denn ich bin eiferfüchtig auf meine Armuth. Und im 
Winter ift fie mir am treuften. 

Mit einer Bosheit beginne ich jeden Tag, ich fpotte 
des Winters mit einem falten Bade: darob brummt 
mein geftrenger Hausfreund. 

Auch File ich ihn gerne mit einem Wachskerzlein: 
daß er mir endlich den Himmel herauslaffe aus aſch⸗ 
grauer Dämmerung. 

Sonderlih boshaft bin ich nämlich des Mlorgens: 
zur frühen Stunde, da der Eimer am Brunnen klirrt 
und die Roſſe warm durch graue Hafen wiehern: — 

Ungeduldig warte ich da, daß mir endlich der 
fihte Himmel aufgehe, der fchneebärtige Winter 
Himmel, der Greis und Weißkopf, — 

— der Winter-Bimmel, der fchweigjame, der oft 
noch feine Sonne verfchweigtl 

Sernte ich wohl von ihm das lange lichte Schwei- 
gen? Oder lernte er’s von mir? Oder hat ein Jeder 
von uns es felbft erfunden? 

Allee guten Dinge Urfprung ift taufendfältig, — 





⸗⸗ ß ⸗⸗⸗757———— — — — — — ——— — 


alle guten muthwilligen Dinge ſpringen vor Luſt in’s 
Dafein: wie follten fie das immer nur — Ein Mal thunl 

Ein gutes muthwilliges Ding ift auch das lange 
Schweigen und gleich dem Winter⸗Himmel bliden aus 
lihtem rundängichten Antlige: — 

— gleich ihm feine Sonne verfchweigen und feinen 
unbengfamen Sonnen-Willen: wahrlih, diefe Kunft 
und diefen Winter-Muthwillen lernte ih gutl 

Meine liebfte Bosheit und Kunft ift es, daß mein 
Schweigen lernte, fih nicht durch Schweigen zu ver 
rathen. 

Mit Worten und Würfeln Flappernd überlifte ich 
mir die feierlihen Warter: allen diefen geftrengen 
Aufpaffern foll mein Wille und Zweck entfchlüpfen. 

Daß mir Niemand in meinen Grund und leßten 
Willen hinab fehe, — dazu erfand ich mir das lange 
lichte Schweigen. 

So manden Klugen fand ich: der verfchleierte 
fein Antlig und trübte fein Wafjer, daß Niemand ihm 
hindurch und hinunter fehe. 

Aber zu ihm gerade kamen die Flügeren Miß— 
trauer und Nußknacker: ihm gerade fiſchte man feinen 
verborgenften Fiſch heraus! 

Sondern die Bellen, die Wadern, die Durd- 
fihtigen — das find mir die Flügften Schweiger: 
denen fo tief ihre Grund ift, dag auch das hellfte 
Waſſer ihn nit — verräth. — 

Du fchneebärtiger fchweigender Winter⸗Himmel, du 
rundäugichter Weißkopf über mirl Oh du himmlifches 

Gleichniß meiner Seele und ihres Muthwillens! 


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255 


Und muß ich mich nicht verbergen, gleich Einem, 
der Gold verfchludt hat, — daß man mir nicht die 
Seele auffchlige? 

Muß ih nicht Stelzgen tragen, daß fie meine 
langen Beine überfehen, — alle diefe Neidbolde und 
£eiöholde, die um mich find? 

Diefe räncherigen, flubenwarmen, verbrauchten, 
vergrünten, vergrämelten Seelen — wie Fönnte ihr 
Leid mein Glüd ertragen! 

So zeige ih ihnen nur das Eis und den Winter 
auf meinen Gipfeln — und nicht, daß mein Berg 
noch alle Sonnengürtel um fi fchlingtl 

Sie hören nur meine Winter- Stürme pfeifen: und 
nicht, daß ich auch über warme Meere fahre, gleich 
fehnfüchtigen, fchweren, heißen Südwinden. 

Sie erbarmen ſich nody meiner Unfälle und Sufälle: 
— aber mein Wort heißt: „laßt den Sufall zu mir 
fommen: unfchuldig ift er, wie ein Kindlein!* 

Wie lönnten fie mein Glüd ertragen, wenn id 
nicht Unfälle und Winter⸗Vöthe und Eisbären. Müten 
und Schneehimmel-Hüllen um mein Glück legte! 

— wenn ich mich nicht felbft ihres Mitleids er- 
barmte: des Mitleids diefer Neidbolde und KLeidholdel 

— wenn ich nicht felber vor ihnen fenfzte und 
froftflapperte, und mich geduldfam in ihr Mitleid 
wideln ließel 

Dies ift der weife Muthwille und Wohlwille meiner 
Seele, daß fie ihren Winter und ihre Sroftflürme nicht 
verbirgt; fie verbirgt auch ihre Sroftbeulen nicht. 


256 


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Des Einen Einfamfeit ift die Flucht des Kranken; 
des Andern Einfamkfeit die Flucht vor den Kranken. 

Mögen fie mich Flappern und feufzen hören vor 
Winterfälte, alle diefe armen fcheelen Schelme um 
mihl Mit folhem Geſeufz und Geklapper flüchte ich 
noch vor ihren geheizten Stuben. 

Mögen fie mich bemitleiden und bemitfeufzen ob 
meiner Srofibeulen: „am Eis der Erfenntniß erfriert 
er uns noch!“ — fo Plagen fie. 

Inzwiſchen laufe ich mit warmen Süßen freuz und 
quer auf meinem Ölberge: im Sonnen-Winfel meines 
Ölberges finge und fpotte ich alles Mitleids. — 


Alſo fang Zarathuſtra. 


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Alſo ſprach Zarathuſtra. u 257 17 





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Dom Dorübergehen. 





Alfo, durch viel Dolf und vielerlei Städte langſam 
hindurchichreitend, gieng Sarathuftra auf Umwegen zu⸗ 
rüd zu feinem Gebirge und feiner Höhle. Und fiche, 
dabei Fam er unverfehens aud an das Stadtthor der 
großen Stadt: hier aber fprang ein fchäumender 
Varr mit ausgebreiteten Händen auf ihn zu und trat ihm 
in den Weg. Dies aber war der felbige Xarr, welchen 
das Dolf „den Affen Sarathuftra’s”“ hieß: denn er hatte 
ihm Etwas vom Sat und Fall der Rede abgemerft 
und borate wohl auch gerne vom Schate feiner Weis- 
heit. Der Xarr aber redete alfo zu Sarathuftra: 

„Gh Sarathuftra, hier ift die große Stadt: hier haft 
du Nichts zu fuchen und Alles zu verlieren. 

Warum wollteft du durch diefen Schlamm waten? 
Babe doch Mitleiden mit deinem Sußel Speie lieber 
auf das Stadtthor und — Fehre um! 

Bier ift die Hölle für Einfiedler- Gedanken: hier 
werden große Gedanken lebendig gefotten und Fein 
gefocht. 

Bier verwefen alle großen Gefühle: hier dürfen 
nur klapperdürre Gefühlchen klappern! 


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Riechſt du nicht fhon die Schlachthäuſer und 
Garküchen des Geiſtes? Dampft nicht dieje Stadt vom 
Dunſt gefchladhteten Seiftes ? 

h Siehft du nicht die Seelen hängen wie fchlaffe 
f ſchmutzige £umpen? — Und fie machen noch Seitungen 
aus diefen Lumpen! 

Hörft du nicht, wie der Geift hier zum Wortfpiel 
wurde? Widriges Wort-Spüliht bricht er heraus! — 
Und fie machen noch Seitungen aus diefem Wort- 
Spülicht, 

Sie hetzen einander und wiffen nicht, wohin? Sie 
erhigen einander und wiſſen nicht, warum? Sie klim⸗ 
pern mit ihrem Bleche, fie Plingeln mit ihrem Golde. 

Sie find kalt und fuchen fih Wärme bei ge 
brannten Waſſern; fie find erhitzt umd fuchen Kühle 
bei gefrorenen Geiftern; fie find Alle fie und ſüchtig 
an öffentlichen Meinungen. 

Alle Lüfte und Laſter find hier zu Haufe; aber 
es giebt hier auch Tugendhafte, es giebt viel anftellige 
angeftellte Tugend: — 

Diel anftellige Tugend mit Schreibfingern und 
hartem Sig- und Warte-Sleifche, geſegnet mit Fleinen 
Bruftfternen und ausgeftopften fteißlofen Töchtern. 

Es giebt hier aud viel Frömmigkeit und viel 
gläubige Speichel-Kederei, Schmeichel-Bäderei vor dem 
» Bott der Beerfchaaren. 

„Don ben“ her träufelt ja der Stern und der 
gnädige Speichel; nah Oben hin fehnt ſich jeder 

)  fternenlofe Bufen. 

| Der Mond hat feinen Hof, und der Hof hat feine 


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Mondkälber: zu Allem aber, was vom Hofe kommt, 
betet das Bettel-Dolf und alle anſtellige Bettel⸗Tugend. 
„sch diene, du dienft, wir dienen“ — fo betet alle 
anftellige Tugend hinauf zum Sürften: daß der ver 
diente Stern fich endlih an den ſchmalen Bufen heftel 
Aber der Mond dreht fi noch um alles Irdiſche: 
jo dreht fih auch der Fürſt noch um das Aller 
Irdiſchſte —: das aber ift das Bold der Krämer. 

Der Gott der Heerfchaaren ift Fein Bott der Gold» 
barren; der Fürft denft, aber der Krämer — lenkt! 

Bei Allem, was licht und ftarf und gut in dir ift, 
oh Sarathuftral Speie auf diefe Stadt der Krämer und 
fehre um! 

Hier fließt alles Blut fauliht und laniht und 
ſchaumicht durch alle Adern: fpeie anf die große 
Stadt, welche der große Abraum ift, wo aller Abſchaum 
zufammenfchäumt! 

Speie auf die Stadt der eingedrüdten Seelen und 
ſchmalen Brüfte, der fpien Augen, der Plebrigen 
Singer — 


— auf die Stadt der Aufdringlinge, der Unver⸗ 


Ihämten, der Schreib- und Schreihälfe, der überheizten 
Ehrgeizigen: — 

— wo alles Anbrüdige, Anrüchige, Züfterne, 
Düftere, Übermürbe, Gefhwürige, Verſchwöreriſche 
zufammenjhwärt: — 


— fpeie auf die große Stadt und kehre um!" — — 


Bier aber unterbrach Sarathuftra den ſchäumenden 


Narren und hielt ihn den Mund zu, 


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„Höre endlich auf! rief Zarathuſtra, mid efelt 
lange fchon deiner Rede und deiner Artl 

Warum wohnteft du fo lange am Sumpfe, daf du 
felber zum Froſch und zur Kröte werden mußteft? 

Sließt dir nicht felber nun ein faulichtes ſchau⸗ 
michtes Sumpf- Blut durdy die Adern, daß du alfo 
quafen und läftern lernteft ? 

Warum giengft du nicht in den Wald? Oder pflüg- 
teft die Erde? ft das Meer nicht voll von grünen 
Eilanden ? 

Ic verachte dein Verachten; und wenn du mich 
warnteft, — warum warnteft du dich nicht felber? 

Aus der Kiebe allein foll mir mein Deradten und 
mein warnender Dogel auffliegen: aber nicht aus dem 
Sumpfel — 

Man heißt did meinen Affen, du fchäumender 
Xarr: aber ih heiße dich mein Srunze- Schwein, — 
⸗durch Grunzen verdirbſt du mir noch mein Kob der 
Narrheit. 

Was war es denn, was dich zuerſt grunzen machte? 
Daß Niemand dir genug gefhmeidelt Hat: — 
darum fetzteft du dich hin zu diefem Unrathe, daß du 
Grund hätteft viel zu grunzen, — 

— daß du Grund hätteft zu vieler Rache! Rache 
nämlih, du eitler Narr, ift all dein Schäumen, ic 
errieth dich wohl] 

Aber dein Narren-Wort thut mir Schaden, felbft 
wo du Recht haft! Und wenn Sarathuftra’s Wort fogar 
hundert Mal Recht hätte: du würdet mit meinem 
Wort immer — Unredt thunl” 





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Alfo fprah Zarathuſtra; und er blidte die große 
Stadt an, feufzte und ſchwieg lange. Endlich redete 
er alfo: 


Mich efelt auch diefer großen Stadt und nicht 
nur diefes Narren. Bier und dort ift Nichts zu beffern, 
Nichts zu böfern. 

Wehe diefer großen Stadt! — Und ich wollte, ich 
fähe ſchon die Senerfäule, in der fle verbrannt wird! 

Denn folhe Feuerſäulen müſſen dem großen 
Mittage vorangehn. Doch dies hat feine Seit und fein 
‚eigenes Schickſal. — 

Diefe Lehre aber gebe ich dir, du Narr, zum Ab» 
fhiede: wo man nicht mehr lieben kann, da foll man 
— vorübergehn! — | 


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Alfo ſprach Sarathuftra und gieng an dem Narren 
und der großen Stadt vorüber. 


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Don den Abtrünnigen 





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Ah, liegt Alles ſchon well und grau, was noch 


jüngft auf dieſer Wiefe grün und bunt ftandl Und 


wie vielen Honig der Hoffnung trug ich von hier in 
meine Bienenförbel 

Diefe jungen Herzen find alle ſchon alt geworden, 
— und nicht alt einmall nur müde, gemein, bequem: 
— fie heißen es „wir find wieder fromm geworden“, 

och jüngft fah ich fie in der Frühe auf tapferen 
Süßen hinauslaufen: aber ihre Füße der Erfenntniß 
wurden müde, und nun verleumden fie auch noch ihre 
Morgen-Tapferfeit! 

Wahrlih, Mancher von ihnen hob einft die Beine 
wie ein Tänzer, ihm winkte das Lachen in’ meiner 
Weisheit: — da beſann er ih. Eben fah ih ihn 
frumm — zum Kreuze Friechen. 

Um Sicht und Sreiheit flatterten fie einft gleich 
Mücden und jungen Dichten. Ein Wenig älter, ein 
Wenig älter: und fchon find fie Dunkler und Munkler 
und Ofenhocker. 

Derzagte ihnen wohl das Herz darob, daß mid 


die Einfamkfeit verfchlang gleih einem Walfiicher 


263 





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Lauſchte ihr Ohr wohl ſehnſüchtig⸗-lange umſonſt 
nach mir und meinen Trompeten- und Herolds⸗Rufen? 

— Ad! Immer find ihrer nur Wenige, deren Herz 
einen langen Muth und Übermuth hat; und Solchen 
bleibt auch der Geift geduldfam. Der Reſt aber ift 
feige. 

Der Reſt: das find immer die Allfermeiften, der 
Alltag, der Überfluß, die Diel-zu-Dielen — diefe Alle 
find feigel — j 

Wer meiner Art ift, dem werden auch die Erleb- 
niffe meiner Art über den Weg laufen: aljo, daß feine 
eriten Gefellen Leichname und Poffenreißer fein müffen. 

Seine zweiten Gefellen aber — die werden ſich 
feine Gläubigen heißen: ein lebendiger Schwarm, 
viel Kiebe, viel Thorheit, viel unbärtige Derehrung. 

“An diefe Gläubigen foll Der nicht fein Herz 
binden, wer meiner Art unter Menfchen iftz an diefe 
Kenze und bunten Wiefen foll Der nicht glauben, wer 
die flüchtig-feige Menfchenart Fennt! 

Könnten fie anders, fo würden fie auch anders 
wollen. Kalb» und Halbe verderben alles Ganze, 
Daß Blätter welt werden, — was ift da zu Magen! 

Caß ſie fahren und fallen, oh Sarathuftra, und 
Mage nichtl Kieber nody blafe mit rafchelnden Winden 
unter fie, — 

— blaſe unter diefe Blätter, oh Sarathuftra: daß 
alles Welfe fchneller noch von dir davonlaufel — 


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„Wir find wieder fromm geworden" — fo bekennen 
diefe Abtrännigen; und Mande ı von ihnen find nod 
zu feige, alfo zu befennen. 

Denen fehe ich in’s Auge, — denen fage ich es 
in’s Gefiht und in die Röthe ihrer Wangen: ihr ſeid 
Solche, welche wieder beten! 

Es ift aber eine Schmadh, zu beten! Nicht für Alle, 
aber für dich und mich, und wer auch im Kopfe fein 
Gewiſſen hat. Für did ift es eine Schmadh, zu beten! 

Du weißt es wohl: dein feiger Teufel in dir, der 
gerne Hände-falten und Hände -in- den» Schoß legen 
und es bequemer haben möchte: — diefer feige Teufel 
redet dir zu „es giebt einen Gottl“ 

Damit aber gehörft du zur lichtfcheuen Art, denen 
Sicht nimmer Ruhe läßt; nun mußt du täglich deinen 
Kopf tiefer in Nacht und Dunft fteden! 

Und wahrli, du wählteft die Stunde gut: denn 
eben wieder fliegen die Nachtvögel aus. Die Stunde 
fam allem lichtſcheuen Dolfe, die Abend- und Seier- 
ftunde, wo es nicht — „feiert”. 

Ich höre und rieche es: es Fam ihre Stunde für 
Jagd und Umzug, nicht zwar für eine wilde Jagd, 
fondern für eine zahme lahme fchnüffelnde Leiſetreter⸗ 
und Keifebeter- Jagd, — 

— für eine Jagd auf feelenvolle Duckmäuſer: alle 
Herzens» Maufefallen find jet wieder aufgeftellt! Und 
wo ich einen Dorhang aufhebe, da kommt ein Nacht⸗ 
falterhen herausgeftürzt. 


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Hockte es da wohl zuſammen mit einem andern 
Nachtfalterchen? Denn überall rieche ich kleine ver⸗ 
krochne Gemeinden; und wo es Kämmerlein giebt, da 
giebt es neue Bet⸗Brüder drin und den Dunft von Bet⸗ 
Brüdern. 

Sie fien lange Abende bei einander und fprechen: 
„lafiet uns wieder werden wie die Kindlein und „lieber 
Gott” fagen!" — an Mund und Magen verdorben durch 
die frommen Suderbäder. 

Oder fie fehen lange Abende einer liftigen lauern- 
den Kreuzfpinne zu, welche den Spinnen felber Kiug- 
heit predigt und alfo lehrt: „unter Kreuzen ift gut 
fpinnen!“ 

Oder fie fiten Tags über mit Angelruthen an 
Sümpfen und glauben fi tief damit; aber wer dort 
fiſcht, wo es Feine Fiſche giebt, den heiße ich noch 
nicht einmal oberflählich! 

Oder fie lernen fromm-froh die Harfe fchlagen bei 
einem Lieder- Dichter, der ſich gern jungen Weibchen 
in’s Herz harfnen möchte: — denn er wurde der alten 
Weibchen müde und ihres Lobpreifens. 

Oder fie lernen grufeln bei einem gelahrten Balb- 
Collen, der in dunklen Simmern wartet, daß ihm die 
Geifter fommen — und der Geift ganz daponläuftl 

Oder fie horchen einem alten umgetriebnen Schnurr- 
und Knurrpfeifer zu, der trüben Winden die Trübfal der 
Töne ablernte; nun pfeift er nad dem Winde und 
predigt in trüben Tönen Trübfal. 

Und Einige von ihnen find fogar Nachtwächter 
geworden: die verftehen jeßt in Ejörner zu blajen und 


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Nachts umherzugehn und alte Sachen aufzuwecken, die 
i lange ſchon eingeſchlafen ſind. 

Fünf Worte von alten Sachen hörte ich geſtern 
J Nachts an der Garten⸗Mauer: die kamen von ſolchen 
alten betrübten trocknen Nachtwächtern. 

„Für einen Dater ſorgt er nicht genug um feine 
F Kinder: Menſchen⸗Päter thun dies beſſer!“ — 

„Er iſt zu alt! Er ſorgt ſchon gar nicht mehr 
j um feine Kinder" — alſo antwortete der andre Nacht⸗ 
1 wächter. 

„Hat er denn Kinder? Niemand kann's beweiſen, 
I wenn er’s felber nicht beweiftl Ich wollte längft, er 
| bewiefe es einmal gründlich.“ 

„Beweiſen? Als ob Der je Etwas bewiefen hättel 
| Beweiſen fällt ihm ſchwer; er hält große Stüde darauf, 
daß man ihm glaubt.“ 

„Sal Jal Der Glaube madt ihn felig, der Glaube 
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an ihn. Das iſt ſo die Art alter Leutel So geht's uns 
auhl" — 

— Alſo fprahen zu einander die zwei alten Nacht. 
wächter und Kichtfcheuchen, und tuteten darauf betrübt 
in ihre Hörner: fo geſchah's geftern Nachts an der 
i Garten-Mauer. 
| Mir aber wand fih das Herz vor Lachen und |i 
wollte brechen und wußte nicht, wohin? und fanf in's |! 
Swerchfell. f 
r Wahrlich, das wird noch mein Tod fein, daß ich | 
vor Lachen erftide, wenn ich Efel betrunfen fehe und 
| Vachtwächter aljo an Bott zweifeln höre, | 
Iſt es denn nicht lange vorbei, auch für alle ı 


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ſolche Zweifel? Wer darf noch ſolche alte eingeſchlafne 
lichtſcheue Sachen aufwecken! 

Mit den alten Göttern gieng es ja fange ſchon zu 
Ende: — und wahrlich, ein gutes fröhliches Götter- Ende 
hatten fiel 

Sie „dämmerten” fich nidyt zu Tode, — das lügt 
man mwohll Dielmehr: fie haben fich felber einmal zu 
Tode — geladtl 

Das gefhah, als das gottlofefte Wort von einem 
Gotte felber ausgieng, — das Wort: „Es ift Ein Gottl 
Du follft feinen andern Gott haben neben mir!" — 

— ein alter Grimm-Bart von Gott, ein eiferfüchtiger, 
vergaß fih alſo: — 

Und alle Götter lachten damals und wadelten auf 
ihren Stühlen und riefen: „It das nicht eben Göttlich- 
feit, daß es Götter, aber feinen Gott giebtP* 

Wer Ohren hat, der höre. — 

Alfo redete Sarathuftra in der Stadt, die er liebte 
und welche zubenannt ift „die bunte Kuh“. Don hier 
nämlich hatte er nur noch zwei Tage zu gehen, daf er 
wieder in feine Höhle käme und zu feinen Chieren; 
feine Seele aber frohlodte beftändig ob der Nähe 
feiner Heimkehr. _ 


268 


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Die Heimkehr. 





Oh Einfamfeitl Du meine Heimat Einfamfeit! 
Su lange lebte ich wild in wilder Fremde, als daß id 
nicht mit Chränen zu dir heimfehrtel 

Nun drohe mir nur mit dem Singer, wie Mütter 
drohn, nun lächle mir zu, wie Mütter lächeln, nun 


ſprich nur: „Und wer war das, der wie ein Sturmmwind 


einft von mir davonftürmter — 

„— der fcheidend rief: zu lange faß ich bei der 
Einfamfeit, da verlernte ich das Schweigen Das — 
lernteft du nun wohl? 

„Oh Sarathuftra, Alles weiß ich: und daß du unter 
den Dielen verlaffener warft, du Einer, als je bei mir! 

„Ein Anderes ift Derlaffenheit, ein Anderes Ein- 


famfeit: Das — lernteft du nunl Und daß du unter 


Menſchen immer wild und fremd fein wirft: 

„— wild und fremd auch noch, wenn fie dich lieben: 
denn zuerft von Allem wollen fie gefchont fein! 

„Bier aber bift du bei dir zu Heim und Haufe; 
hier fannft du Alles hinausreden und alle Gründe aus- 
fhütten, Nichts fchämt fi hier verftedier, verftocter 
Gefühle, 





269 


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„Hier kommen alle Dinge liebkoſend zu deiner 
Rede und fchmeicheln dir: denn fie wollen auf deinem 
Rüden reiten. Auf jedem Gleichniß reiteft du hier 
zu jeder Wahrheit. 

„Aufreht und aufrichlig darfit du hier zu allen 
Dingen reden: und wahrlih, wie £ob klingt es ihren 
Ohren, dag Einer mit allen Dingen — gerade redetl 

„Ein Anderes aber ift Derlaffenfein. Denn, weißt 
du noch, oh Sarathuftra? Als damals dein Dogel über 
dir fchrie, als du im Walde ftandeft, unfchlüffie, wohin ? 
unfundig, einem Leichnam nahe: — 

„— als du fpradft: mögen midy meine Chiere 
führen! Gefährliher fand ich's unter Mlenfchen, als 
unter Thieren: — Das war Derlaffenheitl 

„And weißt du noch, oh Sarathuftra? Als du auf 
deiner Infel faßeft, unter leeren Eimern ein Brunnen 
Weins, gebend und ansgebend, unter Durftigen fchen- 
fend und ausjchenfend: 

„— bis du endlich durftig allein unter Trunkenen 
faßeft und nächtlich Flagteft „ift Nehmen nicht feliger 
als Geben? Und Stehlen noch feliger als Nehmen?“ 
— Das war Derlaffenheit! 

„Und weißt du noch, oh SarthuftraP Als deine 
ftillfte Stunde fam und dich von dir felber forttrieb, als 
fie mit böfem Flüſtern ſprach: „Sprich und zerbrih |" — 

„— als fie dir all dein Warten und Schweigen 
leid machte und deinen demüthigen Muth entmuthigte: 
Das war Derlaffenheitl? — 

Oh Einfamfeitl Du meine Heimat Einfamfeit! 
Wie felig und zärtlich redet deine Stimme zu mirl 


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Wir fragen einander nicht, wir Hagen einander 
nicht, wir gehen offen mit einander durch offne Thüren. 

Denn offen ift es bei dir und hell; und auch die 
Stunden laufen hier auf leichteren Füßen. Im Dunklen 
nämlich trägt man fchwerer an der Seit, als im Lichte, 

Bier fpringen mir alles Seins Worte und Wort. 
Schreine auf: alles Sein will hier Wort werden, alles 
Werden will hier von mir reden lernen. 

Da unten aber — da ift alles Reden umfonfll Da 
it Dergeffen und Dorübergehn die beſte Weisheit: 
Das — lernte ih nunl 

Wer Alles bei den Menfchen begreifen wollte, der 
müßte Alles angreifen. Aber dazu habe ich zu rein. 
lihe Hände. 


Ich mag fchon ihren Athem nicht einathmen; ach, 


daß ich fo lange unter ihrem Lärm und üblem Athem 
lebtel 
Oh felige Stille um mih! Oh reine Gerüche um 


mih! Oh wie aus tiefer Bruft diefe Stille reinen Athem 


holt! Oh wie fie horcht, diefe felige Stiflel | 
Aber da unten — da redet Alles, da wird Alles 
überhört. Man mag feine Weisheit mit Glocken ein- 


läuten: die Krämer auf dem Markte werden fie mit 


Dfennigen überflingeln! 

Alles bei ihnen redet, Niemand weiß mehr zu ver» 
fiehn. Alles fällt in’s Waffer, Nichts fällt mehr in tiefe 
Brunnen. 

Alles bei ihnen redet, Nichts geräth mehr und 
fommt zu Ende. Alles gadert, aber wer will nod 
fi auf dem Xefte figen und Eier brüten? 


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| Alles bei ihnen redet, Alles wird zerredet, Und 
| was geftern noch zu hart war für die Zeit felber und 


| ihren Zahn: heute hängt es zerfchabt und gernagt aus 
den Mäulern der Beutigen. 

Alles bei ihnen redet, Alles wird verrathen. Und 
was einſt Geheimniß hieß und Heimlichfeit tiefer 
Seelen, heute gehört es den GBaffen-Trompetern und 
andern Schmetterlingen. 

Oh Menfchenwefen, du wunderlihes!l Du Lärm 
auf dunklen Gaſſen! Nun liegft du wieder hinter mir: 
— meine größte Gefahr liegt hinter mir! 

Im Schonen und Mitleiden lag immer meine größte 
Gefahr; und alles Menfchenwefen will geſchont und 
gelitten ſein. | 

mit verhaltenen Wahrheiten, mit Narrenhand und ! 
vernarrtem Herzen und reih an Fleinen Lügen des 
Mitleidens: — alfo lebte ich immer unter Menfchen. 

DerPleidet ſaß ich unter ihnen, bereit, mich zn 

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verkennen, daß ich fie ertrüge, und gern mir zuredend 
„ou Narr, du Fennft die Menſchen nicht!“ 


Mar verleriit die Menfchen, wenn man unter Men⸗ 
fchen lebt: zu viel Dordergrund ift an allen Menfchen, 
— was follen da mweitfichtige, weit-füchtige Augen! 

Und wenn fie mich verfannten: ich Narr fchonte 
fie darob mehr als mich: gewohnt zur Härte gegen 
mich und oft noch an mir felber mich rächend für diefe 
Scyonung. . 

Serftohen von giftigen Fliegen und ausgehöhlt, 
dem Steine gleich, von vielen Tropfen Bosheit, fo faß 





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ih unter ihnen und redete mir noch zu: „unfchuldig iſt 
alles Kleine an feiner Kleinheitl“ 

Sonderlid Die, welche fih „die Guten“ heißen, 
fand ich als die giftigften Sliegen: fie ftechen in aller 
Unſchuld, fie lügen in aller Unfhuld; wie vermöcdten 
fie gegen mid — gerecht zu fein! 

Wer unter den Guten lebt, den lehrt Mitleid lügen. 
Mitleid macht dumpfe Luft allen freien Seelen. Die 
Dummheit der Guten nämlich ift unergründlich. 

Mich felber verbergen und meinen Reichthum — 
das lernte ich da unten: denn Jeden fand ich noch arm 
am Geiſte. Das war der £ug meines Mitleidens, daß 
ich bei Jedem wußte, | 

— daß ih Jedem es anjah und anroch, was ihm 
Beiftes genug und was ihm fchon Geiftes zuviel warl 

Ihre fteifen Weifen: ich hieß fie weife, nicht fteif, 
— fo lernte ih Worte verfchluden. Ihre Todten- 
gräber: ich hieß fie Sorfcher und Prüfer, — fo lernte 
ih Worte vertaufchhen. 

Die Todtengräber graben fih Krankheiten an. 
Unter altem Scyutte ruhn fchlimme Dünfte Man fol 


- den Moraft nicht aufrühren. Man foll auf Bergen leben. 


Mit feligen Nüſtern athme ich wieder Berges- 
Freiheitl Erlöft ift endlich meine Naſe vom Geruch 
alles Menſchenweſens! 

Don fcharfen Lüften gefigelt, wie von ſchäumenden 
Weinen, nieft meine Seele, — nieft und jubelt fi zu: 
Gefundheit! 

Alfo ſprach Sarathuftra. 

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Alfo ſprach Zarathuſtra. 273 18 


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Don den drei Böfen. 





1, 


Im Traum, im letten Morgentraume ftand ich heut 
auf einem Dorgebirge, — jenfeits der Welt, hielt eine 
Wage und wog die Welt, 

Oh daß zu früh mir die Morgenröthe Fam: die 
glühte mich wadı, die Eiferfüchtigel Eiferfüchtig ift fie 
immer auf meine Morgentraum-&luthen. 

Mefbar für Den, der Seit hat, wägbar für einen 
guten Wäger, erfliegbar für ftarfe fittige, errathbar 
für göttlihe Nüſſeknacker: alfo fand mein Traum die 
Welt: — 

Mein Traum, ein kühner Segler, halb Schiff, halb 
Dindsbraut, gleih Schmetterlingen fchweigfam, unge» 
duldig gleich Edelfalfen: wie hatte er doch zum Welt. 
Wägen heute Geduld und Weile! 

Sprach ihm heimlich wohl meine Weisheit zu, meine 
lachende wache Tags-!Deisheit, weldhe über alle „un 
endliche Welten“ fpottet? Denn fie jpricht: „wo Kraft 
ift, wird auch die Zahl Mleifterin: die hat mehr Kraft“, 

Wie fiher fchaute mein Traum auf diefe enöliche 
Melt, nicht neugierig, nicht altgierig, nicht fürchtend, 
nidyt bitiends — 


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— als ob ein voller Apfel fi meiner Band böte, 
ein reifer Goldapfel, mit Fühl-fanfter fammtener Haut: 


— fo bot fih mir die Welt: — 


— als ob ein Baum mir winfe, ein breitäftiger, 
ftarfwilliger, gefrümmt zur Lehne und noch zum Fuß—⸗ 
brett für den Wegmüden: fo ftand die Welt auf meinem 


Dorgebirge: — 


— als ob zierliche Hände mir einen Schrein ent- 


gegentrügen, — einen Schrein, offen für das Entzücken 


fhamhafter verehrender Augen: alfo bot fich mir heute 
die Welt entgegen: — 

— nicht Räthfel genug, um Menfchen-Liebe davon 
zu fcheuchen, nicht Löfung genug, um Mlenjchen-Weis- 
heit einzufchläfern: — ein menfhlid gutes Ding war 
mir heut die Welt, der man fo Böfes nachredet! 

Wie danfe ih es meinem Morgentraum, daß id; 
alfo in der Frühe heut die Welt wogl Als ein menfd- 
lih gutes Ding fam er zu mir, diefer Traum und 
Herzenströfter! 

Und daß ich's ihm glei thue am Tage und fein 
Beftes ihm nad und ablerne: will ich jetzt die drei 
böfeften Dinge auf die Wage thun und menfchlich gut 
abwägen. — 

Wer da fegnen lehrte, der lehrte auch fluchen: 
welches find in der Welt die drei beftverfluchten Dinge? 
Diefe will ich auf die Wage thun. 

Wolluft, Berrfhfudt, Selbſtſucht: diefe Drei 
wurden bisher am beften verflucht und am fchlimmiten 
beleu- und befügenmundet, — diefe Drei will ich menſch⸗ 
lid) gut abwägen. 


275 18* 


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Wohlaufl! Hier iſt mein Doragebirg, und da das Meer 
das wälzt fih zu mir heran, zottelig, ſchmeichleriſch, 
das getreue alte hunderiföpfige Hunds-LUngethüm, das 
ich liebe, 

Wohlaufl Eier will ich die Wage halten über ge- 
wälztem Meere: und auch einen Seugen wähle ich, 
daß er zufehe, — dich, du Einfiedler-Baum, dich ſtark⸗ 
duftigen, breitgemölbten, den ich liebel — 

Auf welcher Brüde geht zum Dereinft das echt? 
Nach weldhem Swange zwingt das Hohe ſich zum 
Niederen? Und was heißt and; das Höchſte noch — 
hinaufwacdfen? — 

Nun ficht die Wage gleich und ftill: drei ſchwere 
Fragen warf ich hinein, drei fchwere Antworten trägt 
die andre Wagfchale, 


2. 


Wolluft: allen bußhemdigen £eib-Derächtern ihr 
Stachel und Pfahl, und als „Welt“ verflucht bei allen 
Hinterweltlern: denn fie höhnt und narrt alle Wirr- 
und Irr⸗Lehrer. 

Wolluft: dem Gefindel das lanafame Feuer, auf 
dem es verbrannt wird; allem, wurmichten Holze, allen 
ftinfenden Lumpen der bereite Brunft- und Brodel-Ofen. 

Wolluft: für die freien Kerzen unſchuldig und frei, 
das Garten Glüf der Erde, aller Sufunft Danfes- 
Überfhwang an das Jetzt. 

Wolluft: nur dem Welken ein füßlih Gift, für 


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276 


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die Löwen⸗Willigen aber die große Herzſtärkung, und 
der ehrfürchtig gefchonte Wein der Weine, 

Wolluft: das große Gleichniß⸗Glück für höheres 
Glück und hödfte Hoffnung. Dielem nämlich ift Ehe 
verheißen und mehr als Ehe, — 

— Dielem, das fremder fih ift, als Mann und 
Weib: — und wer begriff es ganz, wie fremd fidh 
Mann und Weib find! 

Wolluſt: — doch ih will Säune um meine Be 
danken haben und auch nodh um meine Worte: daß 
mir nicht in meine Bärten die Schweine und Schwärmer 
brechen! — 

Berrfhjuht: die Glüh-Geißel der härteften 
Berzensharten; die graufe Marter, die fi dem Grau⸗ 
famften felber auffpart; die düftre Flamme lebendiger 
Sceiterhaufen. 

Herrfchfucht: die boshafte Bremfe, die den eitelften 
Dölfern aufgefeßt wird; die Derhöhnerin aller unge 
wiffen Tugend; die auf jedem Roſſe und jedem Stolze 
reitet. 

Berrfhfucht: das Erdbeben, das alles Morfche und 


Höhlichte bricht und aufbricht; die rollende grollende 


ftrafende Serbrecherin übertünchter Gräber; das bliende 
Stagezeichen neben vorzeitigen Antworten. 

Herrſchſucht: vor deren Blick der Menfch Friecht 
und duckt und fröhnt und niedriger wird als Schlange 
und Schwein: — bis endlich die große Verachtung aus 
ihm auffchreit —, 

Herrſchſucht: die furchtbare Lehrerin der großen 
Verachtung, weldhe Städten und Neichen in’s Antlitz 





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predigt „hinweg mit dir!l“ — bis es aus ihnen ſelber 
aufichreit „hinweg mit mir! 

Berrihfucht: die aber lodend auh zu einen 
und Einfamen und hinauf zu felbftgenugfamen Höhen 


fteigt, glühend gleich einer Liebe, welche purpurne 


Seligkeiten lodend an Erdenhimmel malt. 

Herrſchſucht: doch wer hieße es Sucht, wenn 
das Hohe hinab nach Macht gelüftetl Wahrlich, nichts 
Siehes und Süctiges ift an foldem Gelüften und 
Niederſteigen! 

Daß die einſame Höhe ſich nicht ewig vereinſame 
und felbft begnüge; daß der Berg zu Thale fomme, 
und die Winde der Höhe zu den Zliederungen: — 

Oh wer fände den rechten Tauf- und Tugendnamen 

für folde Sehnfuhtl „Schentende Tugend” — fo 
nannte das Unnennbare einft Sarathuftra. 
. Und damals geihah es auch — und wahrlich, 
es gefhah zum erften Malel —, daß fein Wort die 
Selbftfucht felig pries, die heile, gefunde Selbft- 
fucht, die aus mächtiger Seele quillt: — 

— aus mächtiger Seele, zu welcher der hohe Leib 
gehört, der fchöne, fieghafte, erquicdlide, um den 
herum jedwedes Ding Spiegel wird: 

— der gefchmeidige überredende Leib, der Tänzer, 
deffen Gleichniß und Auszug die "felbft-Iuftige Seele 
ift. Soldier Leiber und Seelen Selbft-£uft heißt fich 
felber: „Tugend“. 

Mit ihren Worten von Gut und Schlecht ſchirmt fih 
ſolche Selbft-£uft wie mit heiligen Hainen; mit den 
Namen ihres Glücks bannt fie von fich alles Derächtliche. 





— — — 
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Don fih weg bannt fie alles feige; fie fpricht: 
Schlecht — das ift feigel- Deräcdtlich dünft ihr der 
immer Sorgende, Seufzende, Klägliche und wer auch 
die kleinſten Vortheile auflieſt. 

Sie verachtet auch alle wehſelige Weisheit: denn 
wahrlich, es giebt auch Weisheit, die im Dunklen blüht, 
eine Nachtſchatten⸗Weisheit: als welche immer ſeufzt 
„Alles iſt eitell“ 

Das ſcheue Mißtrauen gilt ihr gering, und Jeder, wer 
Schwüre ſtatt Blicke und Hände will: auch alle allzu miß⸗ 
trauiſche Weisheit, denn ſolche iſt feiger Seelen Art. 

Geringer noch gilt ihr der Schnell⸗Gefällige, der 
Bündifche, der gleich auf dem Rücken liegt, der De- 
müthige; und auch Weisheit giebt es; die demüthig und 
hündifh und fromm und fchnell-gefällig iſt. 

Verhaßt if ihre gar und ein Efel, wer nie fi 
wehren will, wer giftigen Speichel und böſe Blide 
hinunterfchlucdt, der Allzu-Geduldige, Alles Dulder, 
Allgenügſame: das nämlich ift die knechtiſche Art. 

Ob Einer vor Göttern und göttlihen Fußtritten 
fnechtifch ift, ob vor Menfchen und blöden Menfchen- 
Meinungen: alle Knechts-Art fpeit ſie an, diefe felige 
Selbftfucht! 

Scleht: fo heißt fie Alles, was gefnidt und 
knickeriſch⸗knechtiſch ift, unfreie Swinfer- Augen, ges 
drückte Herzen, und jene falfche nacgebende Art, | 
welche mit breiten feigen Kippen küßt. — 

Und After⸗Weisheit: ſo heißt ſie Alles, was Knechte 


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und Greife und Müde witeln; und fonderlich die ganze 


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Die After-Weifen aber, alle die Priefter, Welt 
müden, und weſſen Seele von Weibs- und Knedtsart 
it, — oh wie hat ihr Spiel von jeher der Selbftjucht 
übel mitgefpielt! | 

Und Das gerade follte Tugend fein und Tugend 
heißen, daß man der Selbſtſucht übel mitfpielel Und 
„Selbftlos" — fo wünfchten ſich felber mit gutem Grunde 
alle diefe weltmüden Seiglinge und Kreuzfpinnen! 

Aber denen Allen kommt nun der Tag, die Wand» 
lung, das Richtfhwert, der große Mittag: da foll 
Dieles offenbar werden! 

Und wer das Ich heil und heilig fpricht und die . 
Selbftfucht felig, wahrlih, der fpriht auch, was er 
weiß, ein Weisfager: „Siehe. er fommt, er if 
nahe, der große Mittag!“ 


Alſo fprah Sarathuftra. 


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Vom Geiſt der Schwere 





1. 


Mein Mundwerk — iſt des Volks: zu grob und 
herzlich rede ich für die Seidenhaſen. Und noch fremder 
klingt mein Wort allen Tinten⸗Fiſchen und Seder- 
Süchfen. 

Meine Band — ift eine Xarrenhand: wehe allen 
Cifhen und Wänden, und was noh Play hat für 
Harren-Sierath, Narren-Schmierathl 

Mein Fuß — ift ein Pferdefuß; damit trapple und 
trabe ich über Stod und Stein, kreuz⸗ und quer-feld-ein, 
und bin des Teufels vor Luft bei allem fchnellen Laufen. 

Mein Magen — ift wohl eines Adlers Magen? Denn 
er liebt am liebften Lammfleiſch. Gewißlich aber ift 
er eines Dogels Magen. 

Don unfchuldigen Dingen genährt und von Weni- 
gem, bereit und ungeduldig zu fliegen, davonzufliegen 
— das ift nun meine Art: wie follte nicht Etwas daran 
von Dogel-Art fein! 

Und zumal, daß ich dem Beift der Schwere feind 
bin, das ift Dogel-Art: und wahrlich, todfeind, erzfeind, 
urfeind! Oh wohin flog und verflog fich nicht fchon 
meine Seindichaftl 


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Davon könnte ich ſchon ein Lied ſingen — — 
und will es ſingen: ob ich gleich allein in leerem 
hauſe bin und es meinen eignen Ohren ſingen muß. 

Andre Sänger giebt es freilich, denen macht das 
volle Haus erſt ihre Kehle weich, ihre Hand geſprächig, 
ihr Auge ausdrücklich, ihr Herz wach: — Denen gleiche 
ich nicht ⸗— 


2. 


Wer die Menſchen einſt fliegen lehrt, der hat alle 
Grenzſteine verrückt; alle Grenzſteine ſelber werden 
ihm in die Luft fliegen, die Erde wird er neu taufen — 
als „die Leichte“. 

Der Vogel Strauß läuft ſchneller als das ſchnellſte 
Pferd, aber auch er ſteckt noch den Kopf ſchwer in 
ſchwere Erde: alfo der Menfch, der noch nicht fliegen 
fann. 

Schwer heißt ihm Erde und Leben; und fo will 
es der Geiſt der Schwerel Wer aber leicht werden will 
und ein Dogel, der muß fich felber lieben: — alfo 
lehre ich. 

Nicht freilich mit der Liebe der Siehen und Süd) 
tigen: denn bei denen ftinft auch die Eigenliebel 

Man muß fi felber lieben lernen — alfo Iehre 


ih — mit einer heilen und gefunden Liebe: daß man. 


es bei fich felber aushalte und nicht umherfchweife. 

Solhes Umherfchweifen tauft fih „Nächſtenliebe“: 
mit diefem Worte ift bisher am beften gelogen und 
geheuchelt worden, und fonderlih von Soldhen, die 
allee Welt fchwer fielen. 


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Und wahrlich, das iſt kein Gebot für Heute und 
Morgen, ſich lieben lernen. Vielmehr iſt von allen Kün⸗ 
ſten dieſe die feinſte, liſtigſte, letzte und geduldſamſte. 

für feinen Eigener iſt nämlich alles Eigene gut 
verftedt; und von allen Schabgruben wird die eigne 
am fpäteften ausgegraben, — alſo fchafft es der Geift 
der Schwere, 

Saft. in der Wiege giebt man uns fchon fchwere 
Worte und Werthe mit: „But“ und „Böfe” — fo heift 
fih diefe Mitgifl. Um derentwillen vergiebt man uns, 
dag wir leben. 

Und dazu läßt man die Kindlein zu fich kommen, 
dag man ihnen bei Seiten wehre, fich felber zu lieben; 
alfo fchafft es der Geiſt der Schwere. 

Und wir — wir fchleppen treulih, was man uns 
mitgiebt, auf harten Schultern und über rauhe Bergel 
Und fhwiten wir, fo fagt man uns: „Sa, das Leben 
ift fchwer zu tragen!” 

Aber der Menfh nur ijt fich fchwer zu tragen! 
Das madt, er fchleppt zu vieles Fremde auf feinen 
Schultern. Dem Kameele glei niet er nieder und 
läßt fih gut aufladen. 

Sonderli der ftarfe, tragfame Menſch, dem Ehr⸗ 
furcht innewohnt: zu viele fremde fchwere Worte und 
Werthe lädt er auf fih, — nun dünft das Keben ihm 
eine Wüftel 

Und wahrlihl Auch manches Eigene ift fchwer 
zu tragen! Und viel Inwendiges am Menfchen ift der 
Aufter gleih, nämlich efel und fchlüpfrig und ſchwer 


erfaglih —, 
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fürbitten muß. Aber auch dieſe Kunft muß man 
lernen: Schale Haben und fchönen Schein und kluge 
Blindheit! 

Abermals trügt über Manches am Menſchen, daß 
manche Schale gering und traurig und zu fehr Schale 
ift. Diel verborgene Güte und Kraft wird nie errathen; 
die Föltlichften Leckerbiſſen finden Feine Schmederl 

Die Frauen wiffen das, die Föftlichften: ein Wenig 
fetter, ein Wenig magerer — oh wie viel Schickſal liegt 
in fo Wenigem! \ 

Der Menfh ift fchwer zu entdeden und fid 
felbee noch am fchwerften; oft fügt der Geiſt über die 
Seele. Alfo fchafft es der Geiſt der Schwere. 

Der aber hat ſich felber entdeckt, welcher fpricht: 
Das ift mein Gutes und Böfes: damit hat er den Maul. 
wurf und Swerg ftumm gemadht, welcher ſpricht: 
„Allen gut, Allen bös”. 

Wahrlich, ih mag auch Solde nicht, denen jeg- 
lihes Ding gut und diefe Welt gar die befte heißt. 
Soldye nenne ich die Allgenügfamen. 

Allgenügfamkeit, die Alles zu fchmeden weiß: 
das ift nicht der befte Geſchmackl Ich ehre die wider- 
fpänftigen wählerifhen Zungen und Mägen, melde 
„Ich“ und „Ja“ und „ein“ fagen lernten. 

Alles aber kauen und verdauen — das iſt eine 
rechte Schweine- Art! Immer J⸗A fagen — das lernte 
allein der Eſel, und wer feines Geiftes iftl — 

Das tiefe Gelb und das heiße Roth: fo will es 
mein Gefhmad, — der mifht Blut zu allen Farben. 











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Wer aber fein Baus weiß tündht, der verräth mir eine | 


weißgetündhte Seele, 

In Mumien verliebt die Einen, die Andern in Ge⸗ 
fpenfter; und Beide gleich feind allem Sleifh und 
Blute — oh wie gehen Beide mir wider den Geſchmack! 
Denn ich liebe Blut, 

Und dort will ih nicht wohnen und weilen, wo 
Jedermann fpudt und fpeit: das tft nun mein Ge- 
ſchmack, — lieber noch lebte ich unter Dieben und 
Meineidigen. Niemand trägt Gold im Munde. 

Widriger aber find mir noch alle Speichelleder; 
und das widrigfte Chier von Menſch, das ich fand, das 
taufte ih Schmaroger: das wollte nicht lieben und doch 
von Kiebe leben, 

Unfelig heiße ich Alle, die nur Eine Wahl haben: 
böfe Thiere zu werden oder böfe hierbändiger: bei 
Solden würde ich mir feine Hütten bauen. 

Unfelig heiße ich audy Die, welche immer warten 
müffen, — die gehen mir wider den Befhmad: alle 
die Höllner und Krämer und Könige und andren Känder- 
und Ladenhüter. 

Wahrlich, ich lernte das Warten au und von 
Grund aus, — aber nur das Warten auf mid. Und 
über Allem lernte ich fiehn und gehn und laufen und 
fpringen und Plettern und tanzen. 

Das ift aber meine £ehre: wer einft fliegen lernen 
will, der muß erft fiehn und gehn und laufen und 
Flettern und tanzen lernen: — man erfliegt das Sliegen 
nicht] 


. Mit Steidleitern lernte ih mandes Senfter er⸗ 





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klettern, mit hurtigen Beinen klomm ich auf hohe 
Maſten: auf hohen Maſten der Erkenntniß ſitzen dünkte 
mich keine geringe Seligkeit, — 

— gleich kleinen Flammen flackern auf hohen 
Maſten: ein kleines Licht zwar, aber doch ein großer 
Troſt für verſchlagene Schiffer und Schiffbrüchigel — 

Auf vielerlei Weg und Weiſe kam ich zu meiner 
Wahrheit: nicht auf Einer Leiter ſtieg ich zur Höhe, wo 
mein Auge in meine Ferne ſchweift. 

Und ungern nur fragte ich ſtets nach Wegen, — 
das gieng mir immer wider den Geſchmack! Lieber 
fragte und verfuchte ich die Wege felber. 

Ein Derfuhen und Sragen war all mein Gehen: 
— und wahrlih, audy antworten muß man lernen auf 
folches Fragen! Das aber — ift mein Gefhmad: 

— fein guter, Fein fchlechter, aber mein de 
fchmad, defjen ih weder Scham noch Hehl mehr habe. 

„Das — ift nun mein Weg, — wo Ift der eure?“ 
fo antwortete ich Denen, weldye mich „nad dem Wege“ 
fragten. Den Weg nämlich — den giebt es nicht! 


Alſo ſprach Sarathuftra, 


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Don alten und neuen Tafeln, 





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Dier fie ih und warte, alte zerbrochene Tafeln 
um mid und auch neue halb befchriebene Tafeln. 
Warn fommt meine Stunde? 

— die Stunde meines Tliederganges, Unterganges: 
denn noh Ein Mal will ic zu den Menfchen gehn. 

Deß warte ih nun: denn erft müflen mir die 
Zeichen fommen, daß es meine Stunde fei, — nämlich 
der lachende Löwe mit dem Taubenfchwarme. 

Inzwifchen rede ich als Einer, der Seit hat, zu mir 
felber. Niemand erzählt mir Neues: fo erzähle ich mir 
mid ſelber. — 


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Als ich zu. den Menfchen fam, da fand ich fie 
fiten auf einem alten Dünfel: Alle dünkten fich lange 
fon zu wiffen, was dem Menſchen gut und böfe fei. 
Eine alte müde Sache dünfte ihn alles Reden 
wollte, der ſprach 


| von Tugend; und wer gut fchlafen 

vor Sclafengehen noch von „Gut“ und „Böfe”. | 
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Dieſe Schläferei ſtörte ich auf, als ich lehrte: was 
gut und böſe iſt, das weiß noch Niemand; — 6 
fei denn der Schalfendel 

— Das aber ift Der, welcher des Menfchen Stel 
ſchafft und der Erde ihren Sinn giebt und ihre Sufunft: 
Diefer erft [hafft es, daß Etwas gut und böfe ift. 

Und ich hieß fie ihre alten Lehr-Stühle ummwerfen, 
und wo nur jener alte Dünfel gefeffen hatte; ich hieß 
fie laden über ihre großen KLugend » Meifter und 
Heiligen und Dichter und Welt-Erlöfer. 

Über ihre düfteren Weiſen hieß ich fie lachen, 
und wer je als fchwarze Vogelſcheuche warnend auf 
dem Baume des Kebens geſeſſen hatte. 

An ihre große GBräberftraße fette ih mid und 
felber zu Aas und Geiern — und ich ladıte über all 
ihr Einft und feine mürbe verfallende Herrlichkeit. 

Woahrlih, gleih Bußpredigern und Xarrn fchrie 
ih Zorn und Seter über all ihr Großes und Kleines, 
— daß ihr Beftes fo gar Fein iftl Daß ihr Böfeftes 
fo gar klein iftl — alfo lachte id. | 

Meine weife Sehnſucht ſchrie und lachte alfo aus 
mir, die auf Bergen geboren ift, eine wilde Weisheit 
wahrlich! — meine große flügelbraufende Sehnſucht. 

Und oft riß fie mich fort und hinauf und hinweg 
und mitten im Lachen: da flog ich wohl fchaudernd, 
ein Pfeil, duch fonnentrunfenes Entzüden: 

— hinaus in ferne Sufünfte, die fein Craum noch 
fah, in heißere Süden, als je fi Bildner träumten: 
dorthin, wo Kötter tanzend ſich aller Kleider fhämen: — 

— daß ih nämlih in Gleichniffen rede, und 


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gleich Dichtern hinke und ſtammle: und wahrlich, ich 
ſchäme mich, daß ich noch Dichter ſein mußl — 

Wo alles Werden mich Götter⸗Canz und Götter⸗ 
Muthwillen dünkte, und die Welt los- und ausgelaffen 
und zu fich felber zurückfliehend: — 

— als ein ewiges Sich» fliehn und »Wiederfuchen 
vieler Götter, als das felige Sich⸗Widerſprechen, Sich⸗ 
Wieder-hören, Sich⸗Wieder⸗FZugehören vieler Götter: — 

Wo alle Seit mich ein feliger Hohn auf Augen» 
blide dünkte, wo die Nothwendigfeit die Freiheit felber 
war, die felig mit dem Stachel der Sreiheit fpielte: — 

Wo ih auch meinen alten Teufel und Erzfeind 
wiederfand, den Geift der Schwere, und Alles, was er 
fhuf: Swang, Satzung, Xoth und Folge und Swed 
und Wille und Gut und Böfe: — 

Denn muß nicht dafein, über das getanzt, hinweg- 
getanzt werder Müffen nicht um der Keichten, Keichte- 
ften willen — Maulwürfe und fchwere Swerge dafein? — 

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Dort war’s au, wo ich das Wort „Übermenfc“ 
vom Wege auflas, und daß der Menſch Etwas fei, das 
überwunden werden müffe, 

— daß der Menfh eine Brüde fei und Fein 
Swed: fih felig preifend ob feines Mittags und 
Abends, als Weg zu neuen Morgenröthen: 


— das Sarathuftra-Wort vom großen Mittage, und - 


was fonft ich über den Menfchen aufhängte, gleich 
purpurnen zweiten Abendröthen, 


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Alfo ſprach Zarathuſtra. 289 19 


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Wahrlich, audy neue Sterne ließ ich fie fehn fammt 
neuen Nächten; und über Wolfen und Tag und Nacht 
fpannte ich noch das Lachen aus wie ein buntes Gezelt. 

Ich lehrte fie all mein Dichten und Trachten: in 
Eins zu dichten und zuſammen zu tragen, was Bruchſtück 
ift am Mlenfchen und Näthfel und graufer Zufall, — 

— als Dichter, Näthfelrather und Erlöfer des Zu⸗ 
falls lehrte ich fie an der Zukunft fchaffen, und Alles, 
das war —, fchaffend zu erlöfen. 

Das Dergangne am Menſchen zu erlöfen und alles 
„Es war” umzufchaffen, bis der Wille fpriht: „Aber fo 
wollte ih esl So werde ich's wollen —“ 

— dies hieß ich ihnen Erlöfung, dies allein lehrte 
ih fie Erlöfung heißen. — — 

Nun warte ih meiner Erlöfung —, daß ich zum 
legten Male zu ihnen gehe, 

Denn noch Ein Mal will ich zu den Menfcen: 
unter ihnen will ich untergehen, fterbend will ich 


ihnen meine reichte Gabe geben! 


Der Sonne lernte ich das ab, wenn fie hinabgeht, 
die Überreihe: Gold fchüttet fie da in’s Meer aus 
unerfhöpflihem Reichthume, — 

— alfo, daß der ärmſte Sifcher noch mit goldenem 
Ruder rudertl Dies nämlich fah ich einft und wurde 
der Thränen nicht fatt im Sufchauen. — — 

Der Sonne gleich will auch Sarathuftra untergehn: 
nun fit er hier und wartet, alte zerbrochne Tafeln um 
fih und auch neue Tafeln, — halbbefchriebene, ' 


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4, 

Siehe, hier ift eine neue Tafel: aber wo find meine 
Brüder, die fie mit mir zu Thale und in fleifcherne 
Herzen tragen? — 

Alfo heifcht es meine große Liebe zu den Fernſten: 
[done deinen Vächſten nihtl Der Menſch ift 
Etwas, das Üiberwunden werden muß. 

Es giebt vielerlei Weg und Weife der Über. 
windung: da fiehe du zul Aber nur ein Poffenreißer 
denkt: „der Menſch kann auch überfprungen werden“. 

Überwinde dich felber noch in deinem Nädften: 


und ein Recht, das du dir rauben kannſt, follft du die 


nicht geben laffen! 
‚Was du thufl, das kann dir Keiner wieder thun. 
Siehe, es giebt feine Dergeltung. 
Wer ſich nicht befehlen kann, der foll gehorden. 
Und Mander kann ſich befehlen, aber da fehlt noch 
Diel, daß er fi} auch gehordel 


5. 


Alſo will es die Art edler Seelen: ſie wollen Nichts 
umſonſt haben, am wenigſten das Leben. 

Wer vom Pöbel iſt, der will umſonſt leben; wir 
Anderen aber, denen das Leben ſich gab, — wir finnen 
immer darüber, was wir am beften dagegen geben! 

Und wahrlich, dies ift eine vornehme Rede, welde 





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ſpricht: „was uns das Leben verſpricht, das wollen 
wir — dem Leben halten!“ 
Man ſoll nicht genießen wollen, wo man nicht 
zu genießen giebt. Und — man ſoll nicht genießen 
wollen! | 1 
Genuß und Unfchuld nämlich find die fcham- 
hafteften Dinge: Beide wollen nicht gefuht fein. Man 
foll fie haben —, aber man foll eher no nach Schuld 
und Schmerzen fuhen! — 


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6. 


Oh meine Brüder, wer ein Erftling if, der wird :. 
immer geopfert. Nun aber find wir Erftlinge. 

Wir bluten Alle an geheimen Opfertifchen, wir 
brennen und braten Alle zu Ehren alter Götzenbilder. 

Unfer Beftes ift noch jung: das reizt alte Gaumen. 
Unfer Sleifh iſt zart, unfer Fell ift nur ein Lamm⸗ 
Sell: — wie follten wir nicht alte Gößenpriefter reizen] 

In uns felber wohnt er noch, der alte Götzen⸗ 
priefter, der unfer Beftes fi zum Schmanfe brät. Ad, 
meine Brüder, wie follten Erftlinge nicht Opfer fein! 

Aber fo will es unfre Art; und ich liebe Die, 
welche fich nicht bewahren wollen. Die Untergehenden 
liebe ich mit meiner ganzen Liebe: denn fie gehn 
hinüber. — 


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Wahr fein — das Fönnen Wenigel Und wer es 
fan, der will es noh nihtl Am wenigften aber 
fonnen es die Buten. 

Oh diefe Guten Gute Menfhen reden nie 
die Wahrheit; für den Geift ift folhermaßen gut 
fein eine Krankheit. 

Sie geben nad, diefe Guten, fie ergeben fich, ihr 
Herz fpriht nah, ihr Grund gehorht: wer aber ge: 
horcht, der hört fich felber nicht! 

Alles, was den Guten böje heißt, muß zufammen 
fommen, daß Eine Wahrheit geboren werde: oh meine 
Brüder, feid ihr auch böfe genug zu diefer Wahrheit? 

Das verwegene Wagen, das lange Mißtrauen, das 
graufame ein, der Überdruß, das Schneiden in’s 
Sebendige — wie felten fommt das zufammen! Aus 
folhem Samen aber wird — Wahrheit gezeugt! 

Neben dem böfen Gewiflen wuchs bisher alles 
Wiffen! Zerbrecht, zerbredt mir, ihr Erfennenden, 
die alten Tafeln! 


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8. 

Wenn das Waſſer Balken hat, wenn Stege und 
Geländer über den Fluß ſpringen: wahrlich, da findet‘ 
Keiner Blanben, der da fpridt: „Alles ift im Fluß”. 

Sondern felber die Tölpel widerfprechen ihm. „Wie? 
fagen die Tölpel, Alles wäre im Fluſſe? Balfen und 
Geländer find doch über dem Fluſſel“ 


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„Aber dem gluſſe iſt Alles feſt, alle die Werthe 
der Dinge, die Brücken, Begriffe, alles „Gut“ und 
„Böſe“: das iſt Alles feſtl“ — 

Kommt gar der harte Winter, der Fluß ⸗Chier⸗ 
bändiger: dann lernen auch die Witzigſten Mißtrauen; 
und, wahrlich, nicht nur die Cölpel ſprechen dann: - 
„Sollte nicht Alles — ſtille ſtehn?“ 

„Im Grunde ſteht Alles ftille” —, das iſt eine ; 
rechte Winter⸗Lehre; ein gut Ding für unfruchtbare Zeit, | 
ein guter Troft für Winterfchläfer und Ofenhocker. 

„sm Grund fieht Alles fill" —: dagegen aber 
predigt der Chauwindl| 

Der Chaumwind, ein Stier, der Fein pflügender Stier 
ift, — ein wüthender Stier, ein Serftörer, der mit zornigen 
 Börnern Eis brigtl Eis aber — — bridt Stegel 

Oh meine Brüder, ift jetzt nicht Alles im Fluſſe? 
Sind nicht alle Geländer und Stege in’s Waffer ge- 
fallen? Wer hielte fih nod an „But“ und „Böſe“? 

„Wehe uns! Heil uns! Der Chaumwind wehtl” — 
Alfo predigt mir, oh meine Brüder, durch alle Gaſſen! 


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9. 

Es giebt einen alten Wahn, der heißt But und 
Böfe. Um Wahrfager und Sterndenter drehte fich bis- 
her das Rad diefes Wahns. 

Einft glaubte man an Wahrfager und Sterndeuter: 
und darum glaubte man „Alles ift Schidfal: du follft, 
denn du mußtl” 


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Dann wieder mißtrante man allen Wahrſagern und 
Sterndeutern: und darum glaubte man „Alles ift Frei⸗ 
heit: du Fannft, denn du willftl” 


Oh meine Brüder, über Sterne und Zukunft ift bis⸗ 


her nur gewähnt, nicht gewußt worden: und darum ift 
über Gut und Böfe bisher nur gewähnt, nicht gewußt 


worden] 


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10. 


„Du folft nicht raubenl Du follft nicht todt⸗ 


ſchlagen!“ — folde Worte hieß man einft heilig; vor 
ihnen bengte man AUnie und Köpfe und 309 die 
Schuhe aus. Ä 


Aber ich frage euch: wo gab es je beffere Räuber‘ 


und Toödtfchläger in der Welt, als es ſolche heilige 
Worte waren? 

Iſt in allem Leben felber nicht — Rauben und Codt⸗ 
fhlagen? Und daß folcye Worte heilig hießen, wurde 
damit die Wahrheit felber nicht — todtgeichlagen ? 

Oder war es eine Predigt des Todes, daß heilig 
hieß, was allem Leben widerfprach und widerrieth? 
— Oh meine Brüder, zerbrecht, zerbrecht mir die alten 
Tafeln! 


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1l, 


Dies ift mein Mitleid mit allem Dergangenen, daf 
ich fehe: es ift preisgegeben, — 
— der Gnade, dem Geifte, dem Wahnfinne jedes 


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295 













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Geſchlechtes preisgegeben, das kommt und Alles, was 
war, zu feiner Brücke umdeutet! 
Ein großer Gewalt⸗Herr Fönnte fommen, ein ge 
witzter Unhold, der mit feiner Gnade und Ungnade alles 
Dergangene zwänge und zwängte: bis es ihm Brüde 
würde und Dorzeichen und Herold und Hahnenfcrei. 
Dies aber ift die andre Gefahr und mein andres |, 
Mitleiden: — wer vom Pöbel ift,' deffen Bedenken 
geht zurüc bis zum Großvater, — mit dem Großvater :. 
aber hört die Seit auf. 

Alfo ift alles Dergangene preisgegeben: denn es 
fönnte einmal fommen, daß der Pöbel Herr würde, 
und in feichten Gewäſſern alle Zeit ertränfe. 

Darum, oh meine Brüder, bedarf es eines neuen 
Adels, der allem Pöbel und allem Gewalt-Berrifchen 
Widerfacher ift und auf neue Tafeln neu das Wort 
fchreibt „edel”. 

Dieler Edlen nämlich bedarf es und vielerlei Edlen, 
daß es Adel gebel Oder, wie ich einft im Gleichniß 
ſprach: „Das eben ift Böttlichfeit, daß es Götter, aber 
feinen Bott giebt!” 


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12, 

N Oh meine Brüder, ich weihe und weife euch zu 
einem neuen Adel: ihr follt mir Zeuger und Züchter 
werden und Säemänner der Sufunft, — 

! — wahrlich, nicht zu einem Adel, den ihr Faufen 
Jköoönntet gleich den Krämern und mit Krämer-Golde: 
denn wenig Werth hat Alles, was feinen Preis hat. 


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Nicht, woher ihr kommt, made end fürderhin 
eure Ehre, fondern wohin ihr gehtl Euer Wille und 
euer Fuß, der über euch felber hinaus will, — das 
mache eure neue Ehrel 

Wahrlich nicht, daß ihr einem Fürſten gedient 
habt — was liegt nod an Ffürftenl — oder dem, was 
fteht, zum Bollwerk wurdet, daf es feiter ftündel 

Nicht, daß euer Geflecht an Höfen höflich wurde, 
und ihr lerntet, bunt, einem Flamingo ähnlich, lange 
Stunden in flachen Teichen jtehn: 

— denn Stehen-fönnen ift ein Derdienft bei Höf- 
fingen; und alle Höflinge glauben, zur Seligfeit nad 
dem Tode gehöre — Siten-dürfen! — 

Nicht auch, daß ein Geift, den fie heilig nennen, 
eure Dorfahren in gelobte Länder führte, die ich nicht 
lobe: denn wo der ſchlimmſte aller Bäume mwuds, das 
Krenz, — an dem Sande ift Nichts zu loben! — 

— und wahrlich, wohin diefer „heilige Geift" aud 
feine Ritter führte, immer Tiefen bei jolchen Fügen — 
Siegen und Gänſe und Kreuz. und Querföpfe voran! — 

Oh meine Brüder, nicht zurüd foll euer Adel 
fhauen, fondern hinans! Dertriebene follt ihr fein 
aus allen Dater- und Urpäterländern! 

Eurer Kinder Land follt ihr lieben: diefe Kiebe fei 
euer neuer Adel, — das unentdeckte, im fernften Meerel 
Vach ihm heiße ich eure Segel ſuchen und fuchen! 

An euren Kindern follt ihr gut maden, daf ihr 
eurer Däter Kinder feid: alles Dergangene follt ihr fo 
erlöſen! Dieje neue Tafel ftelle ich über end 

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297 


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13. 


„Wozu leben? Alles ift eitell Leben — das tft 
Stroh drefhen; Leben — das ift fi verbrennen und 
doch nicht warm werden.” — 

Solch alterthümlihes Geſchwätz gilt immer nod 
als „Weisheit"; daß es aber alt ift und dumpfig riecht, 
darum wird es beffer geehrt. Auch der Moder adelt. — 

Kinder durften fo reden: die fcheuen das Feuer, 
weil es fie branntel Es ift viel Kinderei in den alten 
Büchern der Weisheit. 

Und wer immer „Stroh drifcht", wie follte der auf 
das Drefchen läftern dürfen! Solhem Xarren müßte 
man doh das Maul verbinden! 

Solhe fegen fih zu Tiih und bringen Nichts 
mit, felbft den guten Hunger niht: — und nun läftern 
fie „Alles ift eitell“ 

Aber gut efjen und trinken, oh meine Brüder, if 
wahrlich feine eitle Kunfll &erbrecht, zerbrecht mir 
die Tafeln der Nimmer⸗Frohen! 


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14 | 
„Dem Reinen iſt Alles rein" — fo ſpricht das Dol 
Ich aber fage euch: den Schweinen wird Alles Schwein! 
Darum predigen die Schwärmer und Kopfhänger, 
denen auch das Herz niederhängt: „die Welt felber ift 
ein fothiges Ungeheuer”, 





298 


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Denn dieſe Alle find unfäuberlichen Geiſtes; 
fonderlih aber Jene, welche nicht Ruhe noch Raſt 
haben, es ſei denn, fie fehen die Welt von hinten, 
— die Hinterweltler! 

Denen fage ich in’s Geſicht, ob es gleich nicht 
lieblich Elingt: die Welt gleicht darin dem Menſchen, 
dag fie einen Hintern hat, — fo Viel ift wahr! 

Es giebt in der Welt viel Koth: fo Diel ift wahr! 
Aber darum ift die Welt felber noch Fein kothiges 
Ungeheuer! 

Es ift Weisheit darin, daß Dieles in der Welt 
übel riecht: der Efel felber fchafft Flügel und quellen- 
ahnende Kräftel 

An dem Beften ift noch Etwas zum Efeln; und der 
Befte it noch Etwas, das überwunden werden muß! — 

Gh meine Brüder, es ift viel Weisheit darin, daß 
viel Koth in der Welt ifil — 

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15. 

Solche Sprüche hörte ich fromme Hinterweltler zu 
ihrem Gewiſſen reden, und wahrlich, ohne Arg und 
Falſch, — ob es ſchon nichts Falſcheres in der Welt 
giebt, noch Argeres. 

„Laß doch die Welt die Welt fein! Hebe dawider 
auch nicht Einen Singer aufl” 

„Caß, wer da wolle, die Keute würgen und ftechen 
und fchinden und fchaben: hebe damwider auch nicht 
Einen Singer aufl Darob lernen fie noch der Welt 
abſagen.“ 


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299 








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„Und deine eigne Dernunft — die follft du felber 
sörgeln und würgen; denn es ift eine Dernunft von 
| diefer Welt, —'darob lernft du felber der Welt ab» 
: Sagen.” — 
— Zerbrecht, zerbrecht mir, oh meine Brüder, diefe : 
| alten Tafeln der Frommen! Zerbrecht mir die Sprüche | 
der Welt-Derleumder! 


16. 


' 
„Wer viel lernt, der verlernt alles heftige Bes 
gehren” — das flüftert man heute fih zu auf allen 
dunklen Gaſſen. 

„Weisheit macht müde, es lohnt fi — Nichts; du 
font nicht begehren!“ — diefe neue Tafel fand ich 
hängen felbft auf offnen Märften. 

Serbrecht mir, oh meine Brüder, zerbrecdht mir 
auch diefe neue Tafell Die Welt-Müden hängten fie 


— —— 


hin und die Prediger des Codes, und auch die Stock⸗ 


meiſter: denn ſeht, es iſt auch eine Predigt zur Knecht⸗ 


haft: — 

| Daß fie ſchlecht lernten und das Befte nicht, und 
| Alles zu früh und Alles zu gefhwind: daß fie ſchlecht 
| aßen, daher fam ihnen jener verdorbene Magen, — 
— ‚ein verdorbener Magen tft nämlich ihr Geift: 
| der räth zum Todel Denn wahrlich, meine Brüder, der 
| 


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Geift ift ein Magen! 

Das £eben ift ein Born der £ufl: aber aus wen 
der verdorbene Magen redet, der Dater der Trübfal. 
dem find alle Quellen vergiftet. 







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Erkennen: das iſt Luſt dem Löwen⸗willigen! Aber 
wer müde wurde, der wird felber nur „gewollt“, mit 
dem fpielen alle Wellen, 

Und fo ift es immer ſchwacher Menſchen Art: fie 
verlieren fi auf ihren Wegen. Und zulett fragt noch 
ihre Müdigkeit: „wozu giengen wir jemals Wegel Es 
ift Alles gleich!” 

Denen Fingt es liebli zu Ohren, daß gepredigt 
wird: „Es verlohnt fi Nichts! Ihr ſollt nicht wollen!” 
Dies aber ift eine Predigt zur Kruechtichaft. 

Oh meine Brüder, ein friſcher Braufe-WMWind fommt 
Sarathuftra allen Weg-Müden; viele Vaſen wird er 
noch niefen machen! 

Auch durch Mauern bläft mein freier Athem, und 
hinein in Gefängniſſe und eingefangne Geifter! 

Wollen befreit: denn Wollen ift Schaffen: fo Iehre 
ih. Und nur zum Schaffen follt ihr lernen! 

Und auch das Kernen follt ihr erft von mir lernen, 
das Gut⸗Cernen! — Wer Ohren hat, der hörel 

* . * 
17. 

Da fteht der Nachen, — dort hinüber geht es 
vielleicht in’s große Nichts. — Aber wer will in dies 
„Dielleicht“ einfteigen ? 

Niemand von euch will in den Codes⸗Nachen ein- 
fteigen! Wiefo wollt ihr dann Welt-Müde fein 

Weltmüdel Und noch nicht einmal Erd - Entrüdkte 


mwurdet ihrl Lüſtern fand ich euch immer noch nad; 
Erde, verliebt noch in die eigne Erd- Müdigkeit! 


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Nicht umfonft hängt euch die Lippe herab: — 
ein Heiner Erden-Wunfch fit no daraufl Und im 
Auge — ſchwimmt da nicht ein Wölkchen unvergefiner 
Erden-£uft? 

Es giebt auf Erden viel gute Erfindungen, die 
einen nüßlich, die andern angenehm: derentwegen if 
die Erde zu lieben. 

Und manderlei fo gut Erfundenes giebt es da, 
daß es ift wie des Weibes Bufen: nützlich zugleich 
und angenehm. 

Ihr Welt-Müden aber! Ihr Erden-Sauleni Euch 
fol man mit Ruthen fireihen! Mit Authenftreichen 
fol man euch wieder muntre Beine machen. 

Denn: feid ihr nicht Kranke und verlebte Wichte, 
deren die Erde müde ift, fo feid ihr ſchlaue Faulthiere 
oder nafchhafte verkrochene Luſt⸗Katzen. Und wollt 
ihr nicht wieder luſtig laufen, fo follt ie — dahin. 
fahren! 

An Unheilbaren foll man nicht Arzt fein wollen: 
alfo lehrt es Sarathuftra: — fo follt ihr dahinfahren! 

Aber es gehört mehr Muth dazu, ein Ende zu 
maden, als einen neuen Ders: das wiflen alle Ärzte 
und Dichter. — 


* . 
% 


18. 

Oh meine Brüder, es giebt Tafeln, welche die 
Ermüdung, und Tafeln, welche die Faulheit fchuf, die 
faulige: ob fie fhon glei reden, fo wollen fie doch 
ungleich gehört fein. — 





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Seht hier diefen Derfhmachtenden! Nur eine Spanne 
weit ift er noch von feinem Siele, aber vor Müdigkeit 
hat er fich troßig hier in den Staub gelegt: diefer Tapferel 
Dor Müdigkeit gähnt er Weg und Erde und Siel | 
und fi} felber an: feinen Schritt will er noch weiter 
thun, — diefer Tapferel t 
Nun glüht die Sonne auf ihn, und die Hunde lecken | 
nah feinem Schweiße: aber er liegt da in feinem 
Trotze und will lieber verſchmachten: — | 
— eine Spanne weit von feinem Siele verfhmadten! 
Woahrlich, ihr werdet ihn noch an den Haaren in feinen 
Himmel ziehen müfjen, — diefen Helden! 
Beſſer noch, ihr laßt ihn liegen, wohin er fidh, 
gelegt hat, daß der Schlaf ihm komme, der Tröſter, 
mit Fühlendem Rauſche⸗Regen: 
Laßt ihn liegen, bis er von felber wach wird, — 
bis er von felber alle Müdigfeit widerruft und was 
Müdigkeit aus ihm lehrtel | 
Nur, meine Brüder, daß ihr die Hunde von ihm 
ſcheucht, die faulen Schleicher, und all das fchwärmende 
Gefchmeiß: — \ 
— all das fchwärmende Gejchmeiß der „Gebil- 
deten”, das fih am Schweiße jedes Helden — gütlich | 
thutl — | 
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19 
Ich ſchließe Ureiſe um mich und heilige Grenzen; 
immer Wenigere ſteigen mit mir auf immer höhere Berge: 
ich baue ein Gebirge aus immer heiligeren Bergen. — 


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303 








Wohin ihr aber auch mit mir fleigen mögt, oh 
meine Brüder: feht zu, daß nicht ein Schmaroßer 
mit euch fteigel 

Schmaroßer: das ift ein Gewürm, ein Friechendes, 
gefhmiegtes, das fett werden will an euren Franken 
wunden Winkeln, 

Und das ift feine Kunft, daß er fteigende Seelen 
erräth, wo fie müde find: in euren Bram und Unmuth, 
in eure zarte Scham baut er fein efles Neſt. 

Wo der Starfe fhwah, der Edle allzumild iſt, 
— dahinein baut er fein efles Neſt: der Schmaroßer 
wohnt, wo der Große Fleine wunde Winfel hat. 

Was ift die höchfte Art alles Seienden und was 


"die geringfte? Der Schmaroger ift die gerinafte Art; 


wer aber höchſter Art iſt, der ernährt die meiften 
Schmaroger. 

Die Seele nämlich, welche die längfte Leiter hat 
und am tiefften hinunter kann: wie follten nicht an der 
die meiften Schmaroßer fien? — 

— die unfänglidfte Seele, welche am weiteften 
in fih laufen und irren und fchweifen kann; die 
nothwendiagfte, welhe fih aus Luft in den Zufall 
ſtürzt: — 

— die feiende Seele, welche in’s Werden taucht; 
die habende, welche in’s Wollen und Verlangen will: — 

— die fi felber fliehende, die ſich felber im 
weiteften Kreife einholt; die weifefte Seele, welder 
die Marrheit am füßeften zuredet: — 

— die fi felber liebendfte, in der alle Dinge 
ihr Strömen und Widerftrömen und Ebbe und Fluth 


—· 


— —— — — —* 








Aiſo ſprach Zarathufra, 305 


haben: — oh wie ſollte die höchſte Seele nicht die 
ſchlimmſten Schmarotzer haben? 


* % 
» 


20. 


Oh meine Brüder, bin ich denn graufam? Aber 
ih fage: was fällt, das foll man auch noch ftoßen! 

Das Alles von Heute — das fällt, das verfällt: wer 
wollte es halten! Aber ih — ich will es noch floßen! 

Kennt ihr die Wolluſt, die Steine in fteile Tiefen 
rollt? — Diefe Menfchen von Heute: feht fie doch, wie 
fie in meine Tiefen rollen! 

Ein Dorfpiel bin ich befjerer Spieler, oh meine 
Brüderl Ein Beifpiell Thut nach meinem Beifpielel 

- Und wen ihr nidt fliegen lehrt, den lehrt mir — 

fhneller fallen! — 


* % 
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21. 


Ich Tiebe die Tapferen: aber es ift nicht genug, Hau⸗ 
Degen fein, — man muß auch wiffen Hau-fhauWenl 

Und oft ift mehr Tapferkeit darin, daß: Einer an 
fih hält und vorübergeht: damit er ſich dem würdigeren 
Seinde anffparel 

Ihr follt nur Feinde haben, die zu haffen find, aber 
nicht Seinde zum Derachten: ihre müßt ftolz auf euren 
Seind fein: alfo lehrte ich fchon Ein Mal, 

Dem würdigeren feinde, oh meine Sreunde, follt 
thr euch auffparen: darum müßt ihr an Dielem vorüber. 
gehn, — 


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— fonderlih an vielem Gefindel, das euch in die 
Ohren lärmt von Volk und Dölfern, 

Haltet euer Auge rein von ihrem für und Wider! 
Da giebt es viel Necht, viel Unrecht: wer da zufteht, 
wird zornig. 

Dreinfhaun, dreinhaun — das ift da Eins: darum 
geht weg in die Wälder und legt euer Schwert fchlafen! 

Geht eure Wegel Und laßt Volk und Dölfer die 
ihren gehn! — dunkle Wege wahrlich, auf denen auch 
nicht Eine Hoffnung mehr wetterleuchtet! 

Mag da der Krämer herrichen, wo Alles, was noch 
glänzt — Krämer-Gold iftl Es ift die Seit der Könige 
nicht mehr: was fih heute Dolf heißt, verdient Feine 
Könige. 

Seht do, wie diefe Dölfer jetzt felber den Krä⸗ 
mern gleich thun: fie lefen ſich die kleinſten Dortheile 
noch aus jedem Kehricht!] 

Sie lauern einander auf, fie lauern einander Etwas 
ab, — das heißen fie „gute Nachbarſchaft“. Oh felige 
ferne Seit, wo ein Volk ſich fagte: „ich will über Döl« 
fer — Herr fein!“ 

Denn, meine Brüder: das Befte fol herrfchen, das 
Befte will aud herrfhen! Und wo die Lehre anders 
lautet, da — fehlt es am Beſten. 


* * 
% 


22. 


Wenn Die — Brod umfonft hätten, wehel Wonach 
würden Die fchrein! Ihr Unterhalt — das ift ihre rechte 
Unterhaltung; und fie follen es jchwer haben! 


306 


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Raubthiere find es: in ihrem „Arbeiten” — da ift 
auch noch Rauben, in ihrem „Derdienen” — da ift auch 
noch Überliftenl Darum follen fie es fchwer haben! 

Beffere Raubthiere follen fie alfo werden, feinere, 
Mügere, menfhen-ähnlichere: der. Menfch nämlich 
ift das befte Raubthier. 

Allen Thieren hat der Menſch fchon ihre Tugenden 
abgeraubt: das madt, von allen Chieren hat es der 
Menſch am fchwerften gehabt. 

Nur no die Dögel find über ihm. Und wenn 
der Menſch noch fliegen lernte, wehel wohinauf — 
würde feine Raubluft fliegen] 


* 
% 


23. 

So will ih Mann und Weib: kriegstüchtig den 
Einen, gebärtüctig das Andre, beide aber tanztüchtig 
mit Kopf und Beinen. 

Und verloren fei uns der Tag, wo nit Ein Mal 
getanzt wurdel Und falſch heiße uns jede Wahrheit, 
bei der es nicht Ein Gelächter gabl 


% * 
% 


24. 

Euer Ehefchließen: feht zu, daß es nit ein 
fhlehtes Schließen feil Ihr fchloffet zu fchnell: 
fo folgt daraus — Ehebrechen! 

Und beffer noch Ehebrechen als Ehe-biegen, Ehe- 
fügenl — So fprah mir ein Weib: „wohl brach ich 
die Ehe, aber zuerft brach die Ehe — mid“ 


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Schlimm⸗Gepaarte fand ich immer als die ſchlimm⸗ 
ſten Rachſüchtigen: ſie laſſen es aller Welt entgelten, 
daß ſie nicht mehr einzeln laufen. 

Deßwillen will ich, daß Redliche zu einander 
reden: „wir lieben uns: laßt uns zuſehn, daß wir uns 
lieb behalten! Oder foll unfer Verſprechen ein Der- 
fehen fein?*® 

— „Gebt uns eine Stift und Fleine Ehe, daß wir 
zufehn, ob wir zur großen Ehe taugenl Es ift ein 
großes Ding, immer zu Zwein fein!“ 

Alfo rathe ich allen Redlihen; und was wäre denn 
meine Liebe zum Übermenfhen und zu Allem, was 
fommen foll, wenn id} anders riethe und redetel 

Nicht nur fort ench zu pflanzen, fondern hinauf 
— dazu, oh meine Brüder, helfe euch der Garten der 
Ehel 

% x * 


25. 


Wer über alte Urfprünge weife wurde, fiehe, der 
wird zulegt nach Quellen der Zukunft fuchen und nad 
neuen Urfprüngen. — 
Oh meine Brüder, es iſt nicht über lange, da 
werden neue Dölfer entfpringen und neue Quellen 
hinab in neue Tiefen raufchen. 

Das Erdbeben nämlich — das verfcüttet viel 
Brunnen, das fchafft viel Verſchmachten: das hebt aud 
innre Kräfte und Heimlichkeiten an’s Licht. 

Das Erdbeben macht nene Quellen offenbar. Im 
Erdbeben alter Dölker brechen neue Quellen aus. 


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Und wer da ruft: „Siehe hier ein Brunnen für viele 

Durſtige, Ein Herz für viele Sehnſüchtige, Ein Wille 
für viele Werkzeuge”: — um Den ſammelt fi ein 
Volk, das ift: viel Derfuchende, 
Wer befehlen fann, wer gehorhen muß — Das 
wird da verſucht! Ach, mit welch langem Suchen 
und Nathen und Mißrathen und Lernen und Neu⸗Ver⸗ 
fuchen! 

Die Menfchen-Gefellfchaft: die ift ein Verſuch, fo 
lehre ich's, — ein langes Suchen: fie fucht aber den 
Befehlenden! — 

— ein Derfuh, oh meine Brüder! Und Bein 
„Dertrag*| Zerbrecht, zerbreht mir fol Wort der 
Weich⸗Herzen und Halb- und Halben! 


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26. 


Oh meine Brüder! Bei Welchen liegt doch die 
größte Gefahr aller Menfchen-Sufunft? Iſt es nicht 
bei den Guten und Gerehten? — 

— als bei Denen, die fprehen und im Herzen 
fühlen: „wir wifjen fchon, was aut ift und gerecht, wir 
haben es auch; wehe Denen, die hier noch fuchen!“ 

Und was für Schaden auch die Böfen thun mögen: 
der Schaden der Guten ift der fchädlichfte Schaden! 

Und was für Schaden auch die Welt-Derleumder 
thun mögen: der Schaden der Guten ift der fchädlichfte 
Schaden, 


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Oh meine Brüder, den Guten und Gerechten fah 
Einer einmal in’s Berz, der da fprah: „es find die 
Dharifäer*. Aber man verftand ihn nicht. 

Die Guten und Gerechten felber durften ihn nicht 
verftehen: ihr Geift ift eingefangen in ihr gutes Gewiſſen. 
Die Dummheit der Guten ift unergründlicy Flug. 

Das aber tft die Wahrheit: die Guten müffen 
Dharifäer fein, — fie haben Feine Wahll 

Die Guten müffen Den ?reuzigen, der fich feine 
eigne Tugend erfindetl Das ift die Wahrheitl 

Der Zweite aber, der ihr Land entdeckte, Land, 
Herz und Erdreih der Guten und Gerechten: das war, 
der da fragte: „wen haffen fie am meiften?* 

Den Shaffenden haffen fie am meiften: Den, der 
Tafeln briht und alte Werthe, den Brecher, — Den 
heißen fie Derbrecher. 

Die Guten nämlid — die können nicht fchaffen: 
die find immer der Anfang vom Ende: — 

— fie kreuzigen Den, der neue Werthe auf neue 
Tafeln fchreibt, fie opfern fich die Zukunft, — fie 
kreuzigen alle Menſchen⸗Zukunft! 

Die Guten — die waren immer der Anfang vom 
Ende — 


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27. 


Oh meine Brüder, verſtandet ihr auch dies Wort? 
Und was ich einft fagte vom „leßten Ulenfhen"? — — 
Bei Welchen liegt die größte Gefahr aller Menfchen- 
Sufunft? ft es nicht bei den Guten und Gerechten? 


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Zerbrecht, zerbrecht mir die Guten und 
Gerechten! — Oh meine Brüder, verſtandet ihr auch 
dies Wort? 


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28. 

Ihr flieht von mir? Ihr feid erſchreckt? Ihr zittert 
vor diefem Worte? 

Oh meine Brüder, als idy euch die Guten zer- 
brechen hieß und die Tafeln der Guten: da erft fchiffte 
ich den Menſchen ein auf feine hohe See. 

Und nun erft kommt ihm der große Schreden, 
das große Um ⸗ſich⸗ſehn, die große Krankheit, der 
große Efel, die große See-Krankheit. 


Salihe Küften und falſche Sicherheiten Iehrten " 


euch die Guten; in Lügen der Guten wart ihr geboren 
und geborgen. Alles ift in den Grund hinein verlogen 
und verbogen durch die Guten. 

Aber wer das Land „Menfch* entdeckte, entdeckte 
auch das Land „Menjhen-Hufunft“. Aun follt ihe mir 
Seefahrer fein, wadere, geduldfamel 

Aufreht geht mir bei Seiten, oh meine Brüder, 
lernt aufrecht gehn! Das Meer flürmt: Diele wollen an 
euch ſich wieder aufrichten. 

Das Meer ftürmt: Alles ift im Meere. Wohlanl 
Wohlaufl Ihr alten Seemanns-Herzen! 

Was Daterland! Dorthin will unfer Steuer, wo 
unfer Kinder-£and iſt! Dorthinaus, flärmifcher als 
das Meer, ſtürmt unfre große Sehnſuchtl — 


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29. 


„Warum fo hart! — ſprach zum Diamanten einſt die 
Küchen⸗Kohle; find wir denn nicht Nah-Derwandter" — 

Warum fo weih? Oh meine Brüder, alfo frage 
ich euch: feid ihr denn nicht — meine Brüder? 

Warum fo weich, fo weichend und nachgebend ? 
Warum ift fo viel Leugnung, Derlengnung in eurem 
Herzen? So wenig Schicffal in eurem Blide? 

Und wollt ihr nicht Schickſale fein und Unerbitt- 
liche: wie Fönntet ihr mit mir — fliegen? 

Und wenn eure Härte nicht bligen und fcheiden 
und zerfchneiden will: wie Fönntet ihr einft mit mir 
— fhaffen? 

Die Schaffenden nämlidy find hart. Und Seligkeit 
muß es euch dünken, eure Hand auf Jahrtaufende zu 
drücden wie auf Wads, — 


— Seligkeit, auf dem Willen von Jahrtanfenden zu 


fhreiben wie auf Erz, — härter als Erz, edler als Erz. 
Ganz hart ift allein das Edelfte. 

Diefe neue Tafel, oh meine Brüder, ftelle ich über 
euch: werdet hart! — 


% * 
* 


30. 
Oh du mein Willel Du Wende aller Noth, du meine 
Xothwendigkeitl Bewahre mid vor allen kleinen Siegen! 
Du Scdidung meiner Seele, die ih Schidfal 
heigel Du In⸗mir! Über-mir! Bewahre und fpare mid 
auf zu Einem großen Schidfalel 


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Und deine letzte Größe, mein Wille, ſpare dir für 
dein Kebtes auf, — daß du unerbittlich bit in deinem 
Siegel Ach, wer unterlag nicht feinem Siegel 

Ah, wefen Auge dunkelte nicht in Ddiefer 
truntenen Dämmerungl Ad, weflen Fuß taumelte 
nicht und verlernte im Siege — ftehen! — 

— Daß id einft bereit und reif fei im großen 
Mittage: bereit und reif gleich glühendem Erze, blit- 
Ihwangrer Wolfe und fchwellendem Milh-Euter: — 

— bereit zu mir felber und zu meinem verborgen- 
fien Willen: ein Bogen bränftig nach feinem Pfeile, ein 
Pfeil bränftig nad feinem Sterne: — 

— ein Stern, bereit und reif in feinem Mlittage, 
slühend, durchbohrt, ſelis vor vernichtenden Sonnen⸗ 
Pfeilen: — 

— eine Sonne ſelber und ein unerbittlicher Sonnen⸗ 
Wille, zum Vernichten bereit im Siegen! 

Oh Wille, Wende aller Noth, du meine Noth⸗ 
wendigfeit! Spare mich auf zu Einem großen Siegel — — 


Alſo ſprach Sarathuftra. 


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Der Geneſende. 





1. 


Eines Morgens, nicht lange nach feiner Räckkehr 
zur Höhle, fprang Sarathuftra von feinem Lager auf 
wie ein Toller, fchrie mit furdhtbarer Stimme und ge- 
bärdete fih, als ob noch Einer auf dem Lager läge, 
der nicht davon aufftehn wolle; und aljo tönte Zara⸗ 
thuftra’s Stimme, daß feine Chiere erſchreckt hinzu« 
famen, und daß aus allen Höhlen und Schlupfwinfeln, 
die Sarathuftra’s Höhle benachbart waren, alles Gethier 
davon hufchte, — fliegend, flatternd, Friechend, fpringend, 
wie ihm nur die Art von Fuß und Flügel gegeben war. 
Sarathuftra aber redete diefe Worte: 


Herauf, abgründlicher Gedanke, aus meiner Tiefel Jch 
bin dein Hahn und Morgen-Brauen, verfchlafener Wurm: 
aufl aufl Meine Stimme foll dich ſchon wach Frähen! 

Knüpfe die Feſſel deiner Ohren los: horchel Denn 
ih will di hören! Aufl Aufl Hier ift Donners genug, 
dag auch Gräber horchen lernen! 

Und wiſche den Schlaf und alles Blöde, Blinde 
aus deinen Augen Höre mi auch mit deinen 





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Augen: meine Stimme iſt ein Heilmittel noch für 
Blindgeborne. 

Und biſt du erſt wach, ſollſt du mir ewig wach 
bleiben. Nicht iſt das meine Art, Urgroßmütter aus 
dem Schlafe wecken, daß ich fie heiße — weiterſchlafen! 

Du reoft dich, dehnft dich, röchelſt? Aufl Aufl 
Nicht röcheln — reden follft du mir! Sarathuftra ruft 
dich, der Gottlofel 

Ich, Sarathuftra, der Sürfprecher des Lebens, der 
Sürfprecher des Leidens, der Sürfprecher des Kreifes 
— dich rufe ich, meinen abgründlichften Gedanken! 

Beil mir! Du kommſt, — idy höre dihl Mein Ab⸗ 
grund redet, meine lehte Tiefe habe ih an's Licht 


geftülptl - 


Heil mirl Heranl Gieb die Hand — — hal Taf 
Hahal — — Ekel, Eifel, Ekel — — — wehe mirl 
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2. 


Kaum aber hatte Sarathuftra diefe Worte ge 
ſprochen, da flürzte er nieder gleidy einem Todten und 
blieb lange wie ein Lodter. Als er aber wieder zu ſich 
fam, da war er bleih und zitterte und blieb liegen 
und wollte lange nicht effen noch trinfen. Soldes 
Weſen dauerte an ihm fieben Tage; feine Chiere ver-. 
ließen ihn aber nicht bei Tag und Nacht, es fei denn, 
daß der Adler ausflog, Speife zu holen. Und was er 
holte und zufammenraubte, das legte er auf Sarathuftra’s 
Sager: alfo daß Sarathuftra endlih unter gelben und 
rothen Beeren, Trauben, Nojenäpfeln, wohlriechendem 


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Krautwerfe und Pinien⸗Zapfen lag. Zu feinen Füßen 
aber waren zwei Lämmer gebreitet, welche der Adler 
mit Mühe ihren Hirten abgeraubt hatte, 

Endlih, nah fieben Tagen, richtete fi Hara- 
thuftra auf feinem Lager auf, nahm einen Nofenapfel 
in die Hand, roch daran und fand feinen Geruch lieb» 
lich. Da glaubten feine Chiere, die Seit fei gelommen, 
mit ihm 3u reden. 


„Oh Sarathuftra, fagten fie, nun liegſt du ſchon 
fieben Tage fo, mit fchweren Augen: willft du dich 
nicht endlich wieder auf deine Füße ftellen ? 

Tritt hinaus aus deiner Höhle: die Welt wartet 
dein wie ein Garten. Der Wind fpielt mit fchweren 
Wohlgerühen, die zu dir wollen; und alle Baãche 
möchten dir nachlaufen. 

Alle Dinge ſehnen ſich nach dir, dieweil du ſieben 
Tage allein bliebſt, — tritt hinaus aus deiner Höhlel 
Alle Dinge wollen deine Ärzte fein! 

Kam wohl eine neue Erfenntniß zu dir, eine 
faure, fchwere? Gleich angefäuertem Teige lagſt du, 
deine Seele gieng auf und fchwoll über alle ihre 
Ränder. —“ 

— Oh meine Thiere, antwortete Zarathuſtra, ſchwãtzt 
alfo weiter und laßt mich zuhören! Es erquickt mich 
fo, daß ihr ſchwätzt: wo gefchwäht wird, da liegt mir 
ihon die Welt wie ein Garten, 

Wie lieblich ift es, daß Worte und Töne da find: 
find nicht Worte und Töne Begenbögen und Schein 
Brüden zwifchen Ewig Geſchiedenem? 





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Su jeder Seele gehört eine andre Welt; für jede 
Seele ift jede andre Seele eine Hinterwelt. 

Zwiſchen dem Ähnlichften gerade lügt der Schein 
am fhönften; denn die Feinfte Kluft ift am fchwer- 
ften zu überbrücken. 

für mich — wie gäbe es ein Außer-mir? Es giebt 
fein Außen! Aber das vergefien wir bei allen Tönen; 
wie lieblicy ift es, daß wir vergeffen! 

Sind nicht den Dingen Namen und Töne gefchentt, 
daß der Menfh fih an den Dingen erquider Es ift 
eine fchöne Narrethei, das Sprechen: damit tanzt der 
Menfc über alle Dinge. 

Wie lieblidy ift alles Reden und alle Lüge der Töne! 
Mit Tönen tanzt unfre Liebe auf bunten Regenbögen. — 

— „Oh Sarathuftra, fagten darauf die Chiere, 
Soldhen, die denken wie wir, tanzen alle Dinge felber: 
das kommt und reicht fi die Hand und lacht und 
flieht — und fommt zurück. 

Alles geht, Alles fommt zuräd; ewig rollt das 
Rad des Seins. Alles ftirbt, Alles blüht wieder auf; 
ewig läuft das Jahr des Seins. 

Alles bricht, Alles wird neu gefügt; ewig baut ſich 
das gleiche Haus des Seins. Alles fcheidet, Alles grüßt 
fi wieder; ewig bleibt ſich treu der Ring des Seins. 

In jedem Au beginnt das Sein; um jedes Hier rollt 
fih die Kugel Dort. Die Mitte ift überal. Krumm 
ift der Dfad der Ewigkeit.” — 

— Oh ihr Schalks⸗ßVarren und Drehorgeln! ant- 
wortete Sarathuftra und lächelte wieder, wie gut wißt 
ihr, was fi} in fieben Tagen erfüllen mußte: — 


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— und wie jenes Unthier mir in den Schlund kroch 
und mich würgtel Aber ich biß ihm den Kopf ab und 
fpie ihn weg von mir. 

Und ihr, — ihr machtet ſchon ein Leier⸗CLied daraus? 
Nun aber liege ich da, müde noch von diefem Beißen 
und Wegſpein, krank noch von der eigenen Erlöfung. 

Und ihr fhautet dem Allen zu? Gh meine 
Chiere, ſeid audh ihr graufam? Habt ihr meinem 
großen Schmerze zufhaun wollen, wie Menfchen thun? 
Der Menſch nämlich ift das grauſamſte Chier. 

Bei Trauerfpielen, Stierfämpfen und Kreuzigungen 
ift es ihm bisher am wohlften geworden auf Erden; 
und als er fih die Hölle erfand, fiehe, da war das fein 
Himmel auf Erden. 

Wenn der große Menſch fchreit —: flugs läuft 
der Feine hinzu; und die Sunge hängt ihm aus dem 
Halſe vor Lüſternheit. Er aber heißt es fein „Mit 
leiden”. 

Der Heine Menſch, fonderlich der Dichter — wie 
eifrig Blagt er das Keben in Worten anl Hört hin, 
aber überhört mir die Luft nicht, die in allem An- 
klagen iftl 

Sole Ankläger des Lebens: die überwindet das 
£eben mit einem Augenblinzeln. „Du liebft mich? fagt 
die Sreche; warte noch ein Wenig, noch habe ih für 
dich nicht Zeit.” 

Der Menſch ift gegen fi felber das graufamfte 
Chier; und bei Allem, was ſich „Sünder“ und „Kreuz- 
träger” und „Büßer“ heißt, Überhört mir die MWolluft 
nicht, die in diefem Klagen und Anklagen iftl 


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Und ich felber — will ich damit des Menſchen 
Ankläger fein? Ach, meine Chiere, Das allein lernte ich 
bisher, daß dem Menſchen fein Böfeftes nöthig ift zu 
feinem Beften, — 

— daß alles Böfefte feine befte Kraft ift und 
der härtefte Stein dem höchſten Schaffenden; und daß 
der Menſch beffer und böfer werden muß: — 

Nicht an dies Marterholz war ich geheftet, daß 
ih weiß: der Menſch ift böfe, — fondern ich fchrie, 
wie noch Tliemand gefchrien hat: 

„Ach, da fein Böfeftes fo gar Fein il Ach, dag 
fein Beftes fo gar klein iftl“ 

Der große Überdruß am Menfhen — der würgte 
mid und war mir in den Schlund gefrodhen: und. was 
der Wahrfager wahrfagte: „Alles ift gleich, es lohnt 
fih Nichts, Wiffen würgt.* 

Eine lange Dämmerung hinfte vor mir her, eine 
todesmüde, todestrunfene Traurigkeit, weldhe mit 
gähnendem Munde redete. 

„Ewig kehrt er wieder, der Menfch, deg du müde 
bift, der Feine Menſch“ — fo gähnte meine Traurigfeit 
und fchleppte den Fuß und Fonnte nicht einichlafen. 

Sur Höhle wandelte fih mir die Menfchen-Erde, 
ihre Bruſt fan? hinein, alles Lebendige ward mir 
Menfchen-Moder und Unochen und morfche Der- 

| sangenheit. 

| Mein Seufzen jaß auf allen Menfchen-Gräbern und 

| fonnte nicht mehr aufftehn; mein Senfzen und Fragen 
unkte und würgte und nagte und Plagte bei Tag und 
Vacht: 


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— „ad, der Menfch Fehrt ewig wieder! Der Peine 
Menfch Fehrt ewig wiederl" — 

Xadt hatte ich einft Beide gefehn, den größten 
Menſchen und den kleinſten Menfhen: allzuähnlich 
einander, — allzumenfhlid auch den Größten noch! 

Allzuflein der Größtel — das war mein Über 
drug am Menfchenl Und ewige Wiederfunft auch des 
Kleinftenl — das war mein Überdruß an allem Dafein! 

Ah, Ekell Ekell Efell — — Alfo fprah Zara⸗ 
thuftra und feufzte und fchauderte; denn er erinnerte 
fi feiner Krankheit. Da liegen ihn aber feine Chiere | 
nicht weiter reden, | 


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„Sprih nicht weiter, du Benefender! — fo ant- 
worteten ihm feine Chiere, fondern geh hinaus, wo die 
Welt anf dich wartet gleich einem Garten. 

Geh hinaus zu den Rofen und Bienen und Tauben- 
fhwärmen! Sonderlich aber zu den Singe-Dögeln: daß | 
dn ihnen das Singen ablernftl | 

Singen nämlidy ift für Genefende; der Gefunde | 
mag reden. Und wenn auch der Gefunde Lieder will, 
will er andre Lieder doch, als der Geneſende.“ 





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— „Gh ihre Schalfs-Harren und Drehorgeln, fo 
fhweigt doh! — antwortete Sarathuftra und lächelte 
über feine Thiere. Wie gut ihr wißt, welchen Troſt 
ich mir felber in fieben Tagen erfand! 

Daß ih wieder fingen müffe, — den Troft er 
fand ich mir und diefe Genefung: wollt ihr auch daraus 
gleich wieder ein Leier⸗CLied machen?” | 








— — ———— 


— „Sprich nicht weiter, antworteten ihm abermals 
ſeine Thiere; lieber noch, du Geneſender, mache dir 
erſt eine Leier zurecht, eine neue Leier! 

Denn fiehe doch, oh Zarathuſtral Su deinen neuen 
£iedern bedarf es nener Leiern. 

Singe und braufe über, oh Sarathuftra, heile mit 
neuen Liedern deine Seele: daß du dein großes 
Schickſal tragefi, das noch Feines Menſchen Schid 
fal warl 

Denn deine Chiere wiffen es wohl, oh Sarathuftra, 
wer du bift und werden mußt: fiehe, du bift der 
Lehrer der ewigen Wiederfunft —, das ift nun 
dein Schickſall 

Daß du als der Erfte diefe Lehre lehren mußt, 
— wie follte dies große Schieffal nit auch deine 
größte Gefahr und Krankheit fein! 

Siehe, wir wiflen, was du lehrft: daß alle Dinge 
ewig wiederfehren und wir felber mit, und daß wir 
fhon ewige Male dagewejen find, und alle Dinge 
mit uns. 

Du lehrft, daß es ein großes Jahr des Werdens 
giebt, ein Ungeheuer von großem Jahre: das muß fidh, 
einer Sanduhr gleich, immer wieder von Neuem um- 
drehn, damit es von Nenem ablaufe und auslaufe: — 

— fo daß alle diefe Jahre fi felber aleich find, 
im Größten und auch im Kleinften, — fo daß wir 
felber in jedem großen Jahre uns felber glei find, 
im Größten und auch im Kleinften. 

Und wenn du jetzt fterben wollteft, oh Sarathuftra: 
fiehe, wir wiſſen auch, wie du da zu. dir fprechen 


Alfo ſprach Zarathuftra. 321 a 





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| würdeſt: — aber deine Chiere bitten dich, daß du noch 
nicht fterbeftl 

Du würdeft fprehen und ohne Sittern, vielmehr auf. 
athmend vor Seligfeit: denn eine große Schwere und 
Schwüle wäre von dir genommen, du Beduldigfterl — 

Nun fterbe und fchwinde ich, würdeft du fprechen, 
und im Xu bin ich ein Nichts. Die Seelen find fo 
fterblih wie die Zeiber. 

Aber der Knoten von Urſachen Fehrt wieder, in 
den ich verfchlungen bin, — der wird mich wieder 
fhaffen! Ich felber gehöre zu den Urfachen der ewigen 
Wiederkunft. 

Ich fomme wieder, mit diefer Sonne, mit diefer Erde, 
mit diefem Adler, mit diefer Schlange — nicht zu einem 
nenen Leben oder befjeren Leben oder ähnlichen Leben: 

— id; fomme ewig wieder zu diefem gleichen und 
felbigen Leben, im Größten und auch im XKleinften, 
daß ich wieder aller Dinge ewige Wiederkfunft lehre, — 

— daß ich wieder das Wort fpreche vom großen 
Erden und Menfchen-Mittage, daß ich wieder den 
Menfhen den Übermenfchen künde. 

Ich fprady mein Wort, ich zerbrehe an meinem 
Wort: fo will es mein ewiges £oos —, als Derfündiger 
gehe ich zu Srundel 

Die Stunde fam nun, daß der Untergehende fich 
ſelber ſegnet. Alſo — endet Harathuftra’s Unter 


gang." — — 


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Als die Thiere dieſe Worte geſprochen hatten, 
ſchwiegen fie und warteten, daß Sarathuſtra Etwas 


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zu ihnen fagen werde: aber &arathuftra hörte nicht, 


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daß ſie ſchwiegen. Vielmehr lag er ſtill, mit ge⸗ | 
fhloffenen Augen, einem Schlafenden ähnlih, ob er ;j 
fhon nicht fhlief: denn er unterredete fi eben mit | 
feiner Seele. Die Schlange aber und der Adler, als fie ! 
ihn folchermaßen fchweigfam fanden, ehrten die große 
Stille um ihn und madıten fi} behutfam davon. 
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Don der großen Sehnſucht. 





©h meine Seele, ich lehrte dich „Heute“ fagen wie 
„Einft” und „Ehemals“ und über alles Hier und Da und 
Dort deinen Reigen hinweg tanzen. 

Oh meine Seele, ich erlöfte dich von allen Winkeln, 
ich Fehrte Staub, Spinnen und Swielicht von dir ab. 

Oh meine Seele, ich wuſch die Fleine Scham und 
die Winkel» Tugend von dir ab und überredete dich, 
nadt vor den Augen der Sonne zu ftehn. 

Mit dem Sturme, welcher „Geiſt“ heißt, blies ich 
über deine wogende See; alle Wolfen blies ich davon, 
ih erwürgte felbft die Würgerin, die „Sünde” heißt. 

Oh meine Seele, ich gab dir das Recht, Nein zu 
fagen wie der Sturm, und Ja zu fagen, wie offner 
Himmel Ja fagt: ftill wie Licht ftehft du und gehſt 
du nun duch verneinende Stürme. 

Oh meine Seele, ich gab dir die Freiheit zurüd 
über Erihaffnes und Unerfchaffnes: und wer kennt, 
wie du fie Fennft, die Wolluft des Sufünftigen ? 


Oh meine Seele, ich lehrte dich das Deradten, . 


das nicht wie ein Wurmfraß fommt, das große, das 
liebende Derachten, welches am meiften liebt, wo es am 
meiften verachtet, 





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ſ Oh meine Seele, ich lehrte dich ſo überreden, daß — 
du zu dir die Gründe ſelber überredeſt: der Sonne 
gleich, die das Meer noch zu ihrer Höhe überredet. 

Oh meine Seele, ich nahm von dir alles Gehorchen, 
Kniebeugen und Herr⸗Sagen; ich gab dir ſelber den 
Namen „Wende der Noth“ und „Schickſal“. 

Oh meine Seele, ih gab dir neue Namen und 
bunte Spielwerfe, ih hieß dih „Schickfal" und „Um- 
fang der Umfänge“ und „Nabelſchnur der Seit“ und 
„azurne Glocke“. 

Oh meine Seele, deinem Erdreih gab ich alfe 
Weisheit zu trinten, alle neuen Weine und auch alle 
unvordenklich alten ftarfen Weine der Weisheit. 

Oh meine Seele, jede Sonne goß ich auf dih und 
jede Nacht und jedes Schweigen und jede Sehnfucht: — 
da wuchſeſt du mir auf wie ein Weinſtock. 

Oh meine Seele, überreih und fchwer ftehft du 
nun da, ein Weinftocd mit fchwellenden Eutern und 
gedrängten braunen Bold-MWeintrauben: — 

— gedrängt und gedrückt von deinem Glücke, 
wartend vor Überfluffe und ſchamhaft noch ob deines 
Wartens. 

Oh meine Seele, es giebt nun nirgends eine Seele, 
die liebender wäre und umfangender und umfänglicher! 
Wo wäre Zukunft und Dergananes näher beifammen 
als bei dir? 

Oh meing Seele, ich gab dir Alles, und alle meine 
Hände find an dich leer geworden: — und nun! Nun 
fagft du mir lächelnd und voll Schwermuth: „Wer von 
uns hat zu danfen? — 


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— hat der Geber nicht zu danken, daß der 
Xehmende nahm? Iſt Schenken nicht eine VNothdurft? 
Iſt Nehmen niht — Erbarmen?” — 

Oh meine Seele, ich verfiche das Lächeln deiner 
Schwermuth: dein Über-Reihthum felber firedt nun 
fehnende Hände aus! 

Deine Fülle biit über branfende Meere hin und 
fucht und wartet; die Sehnfucht der Über-fülle blickt 
aus deinem lächelnden Augen-Kimmell 

Und wahrlih, oh meine Seele! Wer fähe dein 
Säheln und fchmölze nicht vor Thränen? Die Engel 
felber fchmelzen vor Thränen ob der Über-Güte deines 
Sächelns. 

Deine Güte und Über-Güte ift es, die nicht Magen 
und weinen will: und doch fehnt fih, oh meine Seele, 
dein Lächeln nah Thränen und dein zitternder Mund 
nah Schluchzen. 

„ft alles Weinen nicht ein Klagen? Und alles 
Klagen nicht ein Anflagen?* Alfo redeft du zu dir 
felber, und darum mwillft du, oh meine Seele, lieber 
lächeln, als dein Leid ausfchütten 

— in fürzende Chränen ausfchütten all dein Keid 
über deine Fülle und über all die Drängniß des Wein- 
ftods nach Winzer und Winzermeffer! 

Aber willft du nicht weinen, nicht ausweinen deine 
purpurne Schwermuth, fo wirft du fingen müſſen, 
oh meine Seelel — Siehe, ich lächle felber, der ich dir 
folhes vorherfage: 

— fingen, mit braufendem Geſange, bis alle Meere 
ftill werden, daß fie deiner Sehnſucht zuhorchen, — 


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— bis über ſtille ſehnſüchtige Meere der Nachen 
[hwebt, das güldene Wunder, um deffen Gold alle 
guten fchlimmen wunderlichen Dinge hüpfen: — 

— auch vieles große und Feine Gethier und Alles, 
was leichte wunderliche Füße hat, daß es auf veildhen- 
blauen Pfaden laufen kann, — 

— hin zu dem güldenen Wunder, dem freiwilligen 
Nahen und zu feinem Herrn: das aber ift der Winzer, 
der mit diamantenem Winzermeffer wartet, — 

— dein großer Löſer, oh meine Seele, der Namen 
lofe — — dem zufünftige Gefänge erft Namen finden! 
Und wahrlich, fhon duftet dein Athem nach zufünftigen 
Gefängen, — 

— fhon glühft du und träumft, fchon trinfft du 
durftig an allen tiefen Mingenden Troft-Brunnen, fchon 
ruht deine Schwermuth in der Seligfeit " zufünftiger 
Gefängel — — 

Oh meine Seele, nun gab ich dir Alles und auch 
mein Letztes, und alle meine Hände find an dich leer 
geworden: — daß ih dich fingen hieß, fiehe, 
das war mein Letztes! 

Daß ih dih fingen hieß, fprih nun, fprich: 
wer von uns hat jegt — zu danken? — Beſſer aber 
noch: finge mir, finge, oh meine Seelel Und mid; laß 
danken! — 


Aljo fprach Sarathuftra. 


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Das andere Tanzlicd. 





1. 


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In dein Auge fchaute ich jüngft, oh Leben: Gold f 
fah ich in deinem Vacht⸗Auge blinfen, — mein herz | 
ftand fill vor diefer Wolluft: | 

— einen goldenen Kahn fah ich blinfen auf näd» |, 
tigen Gewäffern, einen finfenden, trinfenden, wieder |) 
winkenden goldenen Scaufel-Kahn! 

Vach meinem Fuße, dem tanzwüthigen, warfft du 
einen Blick, einen lachenden fragenden fchmelzenden 
Schaukel⸗Blick: 

Zwei Mal nur regteſt du deine Klapper mit kleinen 
Händen — da fchanfelte ſchon mein Fuß vor Tanz. 
Wuth. — 

Meine Serfen bäumten fi, meine Sehen hordıten, 
dich zu verftehen: trägt doch der Tänzer fein Ohr — 
in feinen Sehen! 

Su dir hin fprang id: da flohft du zurüd vor 
meinem Sprunge; und gegen mich züngelte deines 
fliehenden fliegenden Haars Sungel 

Don dir weg fprang ich und von deinen Schlangen: 
da ftandft du fchon, halbgewandt, das Auge voll Der« 


| langen. Ä 












Mit frummen Blicken — lehrſt du mid krumme 
Bahnen; auf Frummen Bahnen lernt mein Su — 
Tüden! 

Ich fürchte dich Nahe, ich liebe dich Ferne; deine 
Flucht lodt mid, dein Suchen ſtockt mih: — id 
leide, aber was litt ih um dich nicht gernel 

Deren Kälte zündet, deren Haß verführt, deren 
Flucht bindet, deren Spott — rührt: 

— wer hafte di nicht, dich große Binderin, 
Umwinderin, Derfucherin, Sucerin, Sinderini Wer 
liebte dich nicht, dich unfchuldige, ungeduldige, winds- 
eilige, findsäugige Sünderin! 

Wohin ziehft du mich jett, du Ausbund und Un. 
band? Und jetzt fliehft du mich wieder, du füßer 
Wildfang und Undank! . 

Ich tanze dir nach, ich folge dir auch auf geringer 
Spur. Wo bift du? Gieb mir die Hand! Oder einen 
Singer nurl 

Hier find Höhlen und Didlichte: wir werden uns 
verirren! — Haltl Steh ftilll Siehft du nicht Eulen und 
$ledermäufe fchwirren ? 

Dun Eulel Du Sledermaus! Du willſt mich äffen? 
Wo find wir? Don den Hunden lernteft du dies 
Beulen und Kläffen. 

Du fletfcheft mich lieblich an mit weißen Sähnlein, 
deine böfen Augen ſpringen gegen mich aus lockichtem 
Mähnlein! 

Das iſt ein Canz über Stock und Stein: ich bin der 
Jäger, — willſt du mein Hund oder meine Gemſe fein? 
Jet neben mirl Und gefhwind, du boshafte 








Springetia! Jest Enznfl Und birüberl — Wehe! Da 
fiel ich ielber im Springen bin! 

Ob fie mih lesen, du Übernız:h, und Gnade 
fein! Gerne ri&te ib mit dir — liebſichere Pizde gehn! 

— der Siebe ide durch file bunte Büichel 
Mder dort den See entlang: da jkwimmen umd tanzen 
5:2 &el 

Du bi jegt müde? Da drüben jind Schafe md 
Ubendrötben: it es wicht fon, zu ſchlafen, wenn 
Schäfer jlöten? 

Du bif fo arg müde? Ich trage di kin, la nur 
die Arme finten! Und haft du Durſt, — ich hätte wohl 
Etwas, aber dein Mund will es nicht trinfen! — 

— Oh diefe verfindhte flinfe gelenfe Schlange und 
Schlupf-Herel Wo bit du hin? Aber im Gefidyt fühle 
ih von deiner Hand zwei Tupfen und rotbe Klerel 

Ih bin es wahrlidh müde, immer dein [chafichter 
Schäfer zu fein! Du Here, habe ich dir bisher gefungen, 
nun folft du mir — fchrein! 

Yah dem Takt meiner Peitfhe fol du mir 
tanzen und ſchrein! Ich vergaß doc die DPeitiche 
nit? — Neinl“ — 


2. 


Da antwortete mir das Leben aljo und hielt ſich 
dabei die zierlichen Ohren zu: 


„Oh Sarathuftral Klatihe doch nicht fo fürchter- 
lich mit deiner Peitſchel Du weißt es ja: Lärm mordet 


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Gedanken, — und eben kommen mir ſo zärtliche Ge⸗ 
danken. 

Wir ſind Beide zwei rechte Thunichtgute und 
Thunichtböſe. Jenſeits von Gut und Böſe fanden wir 
unfer Eiland und unfre grüne Wiefe — wir Swei allein! 
Darum müſſen wir ſchon einander gut fein! 

Und lieben wir uns audy nicht von Grund aus —, 
muß man fi} denn gram fein, wenn man fi} nicht 
von Grund aus liebt? 

Und daß ich dir gut bin und oft zu aut, Das 
weißt du: und der Grund ift, daß ich auf deine Weisheit 
eiferfüchtig bin. Ah, diefe tolle alte Närrin von Weisheit! 

Wenn dir deine Weisheit einmal davonliefe, gchl 
da liefe dir fchnell auch meine Kiebe noch davon.” — 


Darauf blidte das Leben nachdenklich Hinter ſich 
und um ſich und fagte leife: „Oh Sarathuftra, du bift 
mir nicht treu genugl 

Du liebſt mich lange nicht fo fehr wie du redeft; 
ih weiß, du den?ft daran, dag du mich bald verlafjen 
willft. 

Es giebt eine alte fchwere ſchwere Brumm⸗Glocke: 
die brummt Nachts bis zu deiner Höhle hinauf: — 

— hörft du diefe Glode Mitternachts die Stunde 
ſchlagen, fo denkſt du zwiſchen Eins und Swölf daran — 

— du denkſt daran, oh Sarathuftra, ich weiß es, 
daß du mich bald verlaffen willſtl“ — 


„Ja, antwortete ich zögernd, aber du weißt es 
auch —* Und ich fagte ihr Etwas in’s Ohr, mitten 





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Was fpridt die tiefe Mittzmatt? 
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„eins tiefem Traum bin ih erwadt: — 
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„Dir Welt iſt tief, 
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„nd tiefer als der Tag gedadıt. 
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„Tief ift ihre Weh —, 


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Acht! 
„Luft — tiefer noch als Herzeleid: 
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„Weh ſpricht: Dergehl 


Zehn! 
„Doch alle Cuſt will Ewigkeit —, 


Elf! 
u will tiefe, tiefe Ewigkeit!“ 


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Die ſieben Siegel. 
(Oder: das Ja- und Amen ⸗Lied.) 





1. 

Wenn ich ein Wahrſager bin und voll jenes 
wahrſageriſchen Geiſtes, der auf hohem Joche zwiſchen 
zwei Meeren wandelt, — 

zwiſchen Vergangenem und Zukünftigem als ſchwere 


Wolke wandelt, — ſchwülen Niederungen feind und 


Allem, was müde iſt und nicht ſterben noch leben kann: 
zum Blitze bereit im dunklen Buſen und zum er— 
löſenden Lichtſtrahle, ſchwanger von Blitzen, die Jal 
ſagen, Jal lachen, zu wahrſageriſchen Blitzſtrahlen: — 
— felig aber ift der alfo Schwangerel Und wahr⸗ 
fi, lange muß als ſchweres Wetter am Berge hängen, 
wer einft das Licht der Zukunft zünden folll — 

oh wie follte ich nicht nach der Ewigkeit brünftig 
fein und nad; dem hochzeitlichen Ring der Ringe, — 
dem Ring der Wiederkunft! 

Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder 
mochte, es fei denn diefes Weib, das ich liebe: denn ich 
liebe dich, oh Ewigkeit! 

Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! 











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Wenn mein Sorn je Gräber brach, Grenzſteine 
rückte und alte Tafeln zerbrochen in ſteile Tiefen rollte: 

wenn mein Hohn je vermoderte Worte zerblies, 
und ich wie ein Befen fam den Kreuzfpinnen und als 
Segewind alten verdumpften Grabfammern: 

wenn ich je frohlodend faß, wo alte Götter be- 
graben liegen, weltfegnend, weltliebend neben den 
Dentmalen alter Welt-Derleumder: — 

— denn felbft Kirchen und Gottes. Gräber liebe 
{h, wein der Himmel erft reinen Auges durd ihre 
zerbrochenen Deden blickt; gern fie ich gleich Gras 
und rothem Mohne auf zerbrochnen Kirchen — 

oh wie follte ich nicht nach der Ewigkeit brünftig 
fein und nah dem hochzeitlihen Xing der Ringe, 
— dem Ring der Wiederfunft? 

ie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder 
mochte, es fei denn diefes Weib, das ich liebe: denn 
ich liebe dich, oh Ewigkeit! 

Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit) 


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® 


3. 


Wenn je ein Bauch zu mir fam vom fchöpferifchen 
Hauche und von jener himmlifchen Noth, die noch 
Öufälle zwingt, Sternen-Reigen zu tanzen: 

wenn ich je mit dem Laden des fchöpferifchen 


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hinein zwiſchen ihre verwirrten gelben thörichten Baar: 
Sotteln. 

„Du weißt Das, oh Zarathuſtra? Das weiß 
Niemand. — — 


Und wir fahen uns an und blicten auf die grüne 
Wiefe, über welche eben der fühle Abend lief, und 
weinten mit einander. — Damals aber war mir das 
Leben lieber, als je alle meine Weisheit. — 


Alfo fprah Sarathuftra. 


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3. 
Einsl 
Oh Menfhl Gieb Acht! 
Sweil 
Was fpricht die tiefe Mitternacht? 
Dreil 
„Ich ſchlief, ich ſchlief > 
Dierl 
„Aus tiefem Traum bin ih erwadt: — 
Fünfl 
„Die Welt iſt tief, 
Sedsl 
„And tiefer als der Tag gedadıt. 
Sieben! 


„Tief ift ihr Weh —, 


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| „Luft — tiefer noch als Herzeleid: 

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„Weh ſpricht: Vergehl 

Zehn! 

„Doch alle Luſt will Ewigkeit —, 

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| — will tiefe, tiefe Eiwigfeitl® 

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Wenn meine Tugend eines Tänzers Tugend ift, 
und ih oft mit beiden Füßen in gold-fmaragdenes 
Entzüden fprang: 

wenn meine Bosheit eine lachende Bosheit ift, 
heimifch unter Rofenhängen und Lilien⸗Hecken: 

— im Lachen nämlich ift alles Böfe bei einander, 
aber heilige‘ und losgefprohen durch feine eigne 
Seligkeit: — 

und wenn Das mein A und © ift, daß alles 
Schwere leicht, aller Leib Tänzer, aller Geiſt Dogel 
werde: und wahrlich, Das ift mein A und Ol — 
oh wie follte ich nicht nach der Ewigkeit brünftig 
fein und nad dem hocyzeitlihen Ring der Ringe, — 
dem Xing der Wiederkunft? 

ie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder 
mochte, es fei denn diefes Weib, das ich liebe: denn 
ich liebe dich, oh Ewigkeit! 

Denn ich liebe dich, oh Ewigfeitl 


7. 


Wenn ih je ftille Himmel über mir ausſpannte 
und mit eignen Slügeln in eigne Himmel flog: 

wenn ich fpielend in tiefen Licht-Fernen ſchwamm 
und meiner Sreiheit Dogel-Weisheit fam: — 

— fo aber fpricht Dogel-Weisheit: „Siehe, es giebt 
fein Oben, Fein Unten! Wirf dich umher, hinaus, zurüd,, 
du Keichter! Singel fprich nicht mehr! 


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— „find alle Worte nicht für die Schweren ge⸗ 
maht? Lügen dem Leichten nicht alle Worte? Singel 
ſprich nicht mehr!“ — 

oh wie ſollte ich nicht nach der Ewigkeit brünſtig 
fein und nah dem hochzeitlichen Ring der Ringe, — 
dem Bing der Wiederfunft? 

Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder 
mochte, es fei denn diefes Weib, das ich liebe: denn 
ich liebe dich, oh Ewigkeit! 

Denn id liebe dich, oh Ewigkeit! 





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Alſo 
ſprach Sarathuſtra. 


vVierter und letzter Cheil. 


Ach, wo in der Welt geſchahen größere 
Chorheiten, als bei den mitleidigen ? Und 
was in der Welt ſtiftete mehr Leid, als 
die Chorheiten der Mitleidigen? 

Wehe allen £tebenden, die nicht noch 
eine Höhe haben, welche über ihrem 
Mitleiden if! 

Alfo fprach der Teufel einft zu mir: 
„auch Bott hat feine Hölle: das iſt feine 
£iebe zu den Menſchen.“ 

Und jüngfi hörte Ich ihn dies Wort 
fagen : „Gott iſt todt; an feinemMlitleiden 
mit den Menſchen iſt Gott geſtorben.“ 


Alſo ſprach Zarathuſtra IL, p. 130. 


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Das Honig-Öpfer. 





— Und wieder liefen Monde und Jahre über 
Sarathuftra’s Seele, und er achtete defjen nicht; fein 
Baar aber wurde weiß. Eines Tages, als er auf einem 
Steine vor feiner Höhle faß und ftill hinausſchaute, 
— man fhaut aber dort auf das Meer hinaus, und 
hinweg über gewundene Abgründe —, da giengen 
feine Chiere nachdenklich um ihn herum und ftellten 
fih endlich vor ihn hin. 

„Oh Zarathuftra, fagten fie, fchauft du wohl aus 
nach deinem Glücke?“ — „Was liegt am Slüdel ant- 
wortete er, ih trachte lange nicht mehr nad Glücke, 
ih trachte nach meinem Werke.” — „Oh Sarathuftra, 


redeten die Chiere abermals, Das faoft du als Einer, 


der des Guten übergenug hat. Liegſt du nicht in einem 
himmelblauen See von Glück?“ — „Ihr Schalks⸗Varren, 
antwortete Zarathuftra und lächelte, wie gut wähltet ihr 
das Gleihnigl Aber ihr wißt auch, daß mein Glück 
{hwer ift, und nit wie eine flüffige Wafferwelle: es 
drängt mich und will nidt von mir, und thut gleich 
gefhmolzenem Peche.“ — 


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Da giengen die Thiere wieder nachdenklich um ihn 
herum und ſtellten ſich dann abermals vor ihn hin. 
"00h Sarathuftra, fagten fie, daher alfo fommt es, daß 
du ſelber immer gelber und dunkler wirft, obfchon 
+ dein Haar weiß und flächfern ausfehen will? _ Siehe 
hi doch, du fiteft im deinem Pechel“ — „Was fagt ihr 
! da, meine Chiere, fagte Sarathuftra und lachte dazu, ;' 
wahrlih, ich läfterte, als ih von Peche fprah. Wie : 
mir gefchieht, fo geht es allen Früchten, die reif werden. ı 
Es ift der Honig in meinen Adern, der mein Blut 
dider und auch meine Seele ftiller madt.“ — „So 
wird es fein, oh Sarathuftra, antworteten die Chiere 
: umd drängten fih an ihn; willft du aber nicht heute 

ı auf einen hohen Berg fleigen? Die £uft ift rein, umd 


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man ‚fieht heute mehr von der Welt als jemals.” — 
„Ja, meine Chiere, antwortete er, ihr rathet trefflich 
: amd mir nad dem Berzen: ich will heute auf einen 
: hohen Berg fteigen! Aber forgt, daß dort Honig mir 
i zur Band fei, gelber, weißer, guter, eisfrifher Waben- 
Goldhonig. Denn wifjet, ich will droben das Honig- 
| Opfer bringen.” — 

Als Sarathuftra aber oben auf der Höhe war, fandte 
| er die Chiere heim, die ihn geleitet hatten, und fand, 
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daß er nunmehr allein fei: — da ladıte er aus ganzem 
Herzen, fah fih nm und ſprach alfo: 


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Daß ich von Opfern ſprach und Honig-Opfern, eine 
gift war's nur meiner Nede und, wahrlih, eine nüß- 


| lihe Chorheitl Bier oben darf ich fchon freier reden, 


als vor Einfiedler-Höhlen und Einfiedler-Hausthieren. 


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Was opfern! Ich verſchwende, was mir geſchenkt | 
ı wird, ich Derfchwender mit taufend Händen: wie dürfte 
: ih Das noh — Opfern heißen! 

Und als ih nach Honig begehrte, begehrte ih nur 
nad Köder und füßem Seime und Schleime, nad dem 
auh Brummbären und munderlihe mürrifche böfe 
Dögel die Sunge leden: Ä 

— nad dem beften Köder, wie er Jägern und | 
Sifhfängern noth thut. Denn wenn die Welt wie ein 
dunkler Chierwald ift und aller wilden Jäger Luſtgarten, | 

| 


fo dünft fie mich noch mehr und lieber ein abgründ- 
liches reiches Meer, 
— ein Meer voll bunter Sifhe und Krebfe, nad 





| 
| 
dem es auch Götter gelüften möchte, daß fie an ihm || 
zu Sifchern würden und zu We-Auswerfern: fo reih || 
ift die Welt an Wunderlihem, großem und Meinem! |: 

Sonderlih die Menfhen-Welt, das Menfchen- | 
Meer: — nah dem werfe ih num meine goldene 
Angelruthe aus und ſpreche: thue dich auf, du Mlenfchen- | 
Abgrund! | 

Chue di auf und wirf mir deine Fiſche und 
Gliter-Krebfe zul Mit meinem beften Köder Födere 
ich mir heute die wunderlichften Menſchen⸗-Fiſche! 

— mein Slüd felber werfe ih hinaus in alle | 
Weiten und Sernen, zwifchen Aufgang, Mittag und 
Niedergang, ob nicht an meinem Glücke viele Menſchen⸗ | 
Fiſche zerrn und zappeln lernen, 

bis fie, anbeißend an meine fpiten verborgenen | 
Hafen, hinauf müffen in meine Höhe, die bunteften | 


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— — — — — —— — 


345 


Abgrund - Sründlinge zu dem boshaftigften aller Men⸗ 
ſchen⸗Fiſchfänger. 

Der nämlich bin ich von Grund und Anbeginn, 
ziehend, heranziehend, hinaufziehend, aufziehend, ein 


Sicher, Züchter und Zuchtmeiſter, der fich nicht um⸗ 


ſonſt einſtmals zuſprach: „Werde, der du biſt!“ 

Alſo mögen nunmehr die Menſchen zu mir hinauf 
kommen: denn noch warte ich der Zeichen, daß es Zeit 
ſei zu meinem Niedergange; noch gehe ich ſelber nicht 
unter, wie ich muß, unter Menſchen. 

Dazu warte ich hier, liſtig und ſpöttiſch auf hohen 
Bergen, kein Ungeduldiger, kein Geduldiger, vielmehr 
Einer, der auch die Geduld verlernt hat, — weil er 
nicht mehr „duldet“. 

Mein Schickſal nämlich läßt mir Zeit: es vergaß 
mich wohl? Oder fit es hinter einem großen Steine 
im Schatten und fängt Sliegen ? 

Und wahrlid, ic; bin ihm gut darob, meinem ewigen 
Schickſale, daß es mich nicht hebt und drängt und mir 
Seit zu Poffen läßt und Bosheiten: alfo daß ich heute 
zu einem Fifchfange auf diefen hohen Berg ftieg. 

Sieng wohl je ein Menfh auf hohen Bergen 
Sifhe? Und wenn es audh eine Thorheit ifl, was ich 
hier oben will und treibe: befjer noch Dies, als daß 
ich da unten feierlih würde vor Warten und grün und 
gelb — 

— ein gefpreitter Zornſchnauber vor Warten, ein 
heiliger Heule-Sturm aus Bergen, ein Ungeduldiger, der 
in die Thäler hinab ruft: „Hört, oder ich peitfche euch 
mit der Geißel Gottes!“ 








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richt daß ich folhen Sürnern darob gram würdel 
zum Laden find fie mir gut genung!l Ungeduldig 
müffen fie fchon fein, diefe großen Lärmtrommeln, 
welche heute oder niemals zu Worte kommen! 

Ich aber und mein Schidfal — wir reden nicht 
zum Heute, wir reden auch nicht zum Niemals: wir 
haben zum Neden fchon Geduld und Seit und Über 
zeit. Denn einft muß er doch kommen und darf nicht 
vorübergehn. 

Wer muß einft fommen und darf nidht vorüber- 
gehn? Unfer großer Bazar, das ift unfer großes fernes 
Menfhen-Neih, das Zarathuſtra⸗Reich von taufend 
Jahren — — 

Wie ferne mag foldhes „Ferne“ fein? was gehts 
mih an! Aber darum fteht es mir dody nicht minder 
fett —, mit beiden Füßen ftehe ich ficher auf diefem 
Grunde, 

— auf einem ewigen Grunde, auf hartem Urge- 
fteine, auf diefem höchſten härteften Urgebirge, zu dem 
alle Winde fommen als zur Wetterfcheide, fragend nach 
Wo? und Woher? und Wohinaus? 

Bier lache, lache, meine helle heile Bosheitl Don 
hohen Bergen wirf hinab dein gligerndes Spott- Ge- 
lächter! Ködere mit deinem Glitzern mir die fchönften 
Menſchen⸗Fiſche! 

Und was in allen Meeren mir zugehört, mein 
An⸗und⸗für⸗mich in allen Dingen — Das fiſche mir 
heraus, Das führe zu mir herauf: deß warte ich, der 
boshaftigfte aller Fiſchfänger. 








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Hinaus, hinaus, meine Angell Hinein, hinab, Köder . 
meines Glücks! Cräufle deinen ſüßeſten Chau, mein 


Herzens⸗Honigl Beiße, meine Angel, in den Bauch 1 
aller fhwarzen Trübjall a 
Binaus, hinaus, mein Angel Oh welde vielen 1: 
Meere rings um mic, welch dämmernde Menfhen : 
Sufünftel Und über mir — welch rofenrothe Stille! | 
Welch entwölktes Schweigen! N 
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Der Nothſchrei. 





Des nädjften Tages faß Sarathuftra wieder auf 
feinem Steine vor der Höhle, während die hiere 
draußen in der Welt herumfchweiften, daß fie neue 
Nahrung heimbrädhten, — auch neuen Honig: denn Zara⸗ 
thuftra hatte den alten Honig bis auf das lebte Korn 
verthan und verfchwendet. Als er aber dermaßen da» 
faß, mit einem Steden in der Hand, und den Schatten 
feiner Geftalt auf der Erde abzeichnete, nachdenkend, 
und wahrlih! nicht über fih und feinen Schatten — 
da erfchraf er mit Einem Male und fuhr zufammen: 
denn er fahe neben feinem Schatten noch einen andern 
Schatten. Und wie er fchnell um fih blickte und auf- 
ftand, fiehe, da ftand der Wahrfager neben ihm, der- 
felbe, den er einftmals an feinem Tiſche gefpeift und 
getränft hatte, der Derfündiger der großen Müdigkeit, 
welcher lehrte: „Alles ift gleich, es lohnt fih Nichts, 
Welt ift ohne Sinn, Wiffen würgt”. Aber fein Antlitz 
hatte fi inzwifchen verwandelt; und als ihm Zara- 
thuftra in die Augen blickte, wurde fein Herz abermals 
erfchredt: fo viel fchlimme Derfündigungen und aſch— 
graue Blitze liefen über dies Geſicht. 


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Der Wahrfager, der es wahrgenommen, was fich 
in Sarathuftra’s Seele zutrug, wiſchte mit der Hand 
über fein Antlig hin, wie als ob er dasfelbe weg- 
wifhen wollte; desgleihen that auch Sarathuftra. 
Und als Beide dergeftalt ſich fchweigend gefaßt und 
gefräftigt hatten, gaben fie fih die Hände, zum 
deichen, daß fie fich wiedererfennen wollten. 

„Sei mir willlommen, fagte Sarathuftra, du Wahr: 
fager der großen Müdigkeit, du follft nicht umfonft 
einftmals mein Tifh- und Gaftfreund geweſen fein. 
Iß und trin? auch heute bei mir und vergieb es, daß 
ein vergnügter alter Mann mit dir zu Ciſche fitl! — 
„Ein vergrügter alter Mann? antwortete der Wahr- 
fager, den Kopf fchüttelnd: wer du aber auch bift 
oder fein willft, oh Sarathuftra, du .bift es zum Längften 
hier Oben gewefen, — dein Nachen foll über Kurzem 
niht mehr im Trodnen ſitzen!“ — „Site ih denn 
im Trocknen?“ — fragte Zarathuftra lachend. — „Die 
Wellen um deinen Berg, antwortete der Wahrfager, 
fteigen und fleigen, die Wellen großer Xoth und 
Trübfal: die werden bald auch deinen Nachen heben 
und dich davontragen.” — Sarathuftra ſchwieg hierauf 
und wunderte fih. — „Hörft du noch Nichts? fuhr 
der Wahrfager fort: raufcht und brauft es nicht herauf 
aus der Tiefe?“ — Sarathuftra fchwieg abermals und 
horchte: da hörte er einen langen, langen Schrei, 
welchen die Abgründe ſich zumwarfen und weitergaben, 
denn Peiner wollte ihn behalten: fo böfe Flang er. 

„Du fchlimmer Derfündiger, fprady endlich Zara⸗ 
$huftra, das ift ein Nothfchrei und der Schrei eines 


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Menſchen, der mag wohl aus einem fchwarzen Meere 
fommen. Aber was geht mid Menfchen-Xoth anl 
Meine letzte Sünde, die mir aufgeipart blieb, weißt 
du wohl, wie fie heißt?” 

— „Mitleiden! antwortete der Wahrfager ans 
einem überftrömenden Herzen und hob beide Hände 
empor — oh Zarathuftra, ih komme, daß ich did 
zu deiner letten Sünde verführel” — 

Und faum waren diefe Worte geſprochen, da er« 
[hofl der Schrei abermals, und länger und ängftlicher 
als vorher, audy ſchon viel näher. „Hörft dur? Hörft 
du, oh Sarathuftra® rief der Wahrfager, dir gilt der 
Schrei, dich ruft er: fomm, fomm, fomm, es ift Seit, 
es ift höchſte Seit!" — 

darathuftra ſchwieg hierauf, verwirrt und erfchüttert; 
endlich fragte er, wie Einer, der bei fich felber zögert: 
„Und wer ift das, der dort mich ruft?“ 

„Aber du weißt es ja, antwortete der Wahrfager 
heftig, was verbirgft du dich? Der höhere Menſch 
ift es, der nach dir ſchreit!“ 

„Der höhere Menfch ? fchrie Sarathuftra von Grauſen 
erfaßt: was will der? Was’ will der? Der höhere 
Menfhl Was will der hier?" — und feine Haut 
bedeckte fih mit Schweiß. 

Der Wahrfager aber antwortete nicht auf die 
Angſt Sarathuftra’s, fondern horchte und horchte nadı 
der Tiefe zu. Als es jedoch lange Seit dort ftille blieb, 
wandte er feinen Blick zurück und fahe Sarathuftra 
ftehn und zittern. 





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„Oh Zarathuſtra, hob er mit trauriger Stimme 
an, du ftehft niht da wie Einer, den fein Glüd 
drehend macht: du wirft tanzen müffen, daß du mir 
nicht umfällft! 

Aber wenn du auch vor mir tanzen wollteft und 
alfe deine Seitenfprünge fpringen: Niemand foll mir 
doch fagen dürfen: „Siehe, hier tanzt der letzte frohe 
Menſch!“ 

Umſonſt käme Einer auf dieſe Höhe, der den 
hier fuchte: Höhlen fände er wohl und Hinter- Höhlen, 
Derftede für Derftedte, aber nit Glücks⸗Schachte 
und Schatzkammern und neue Glücks⸗Goldadern. 

Glück — wie fände man wohl das Glück bei 
folhen Dergrabenen und Einfiedlernl Muß ich das 
fette Glück noch auf glücfeligen Infeln fuchen und 
ferne zwischen vergefjenen Meeren? 

Aber Alles ift gleich, es lohnt fih Nichts, es hilft 
fein Suchen, es giebt auch Feine glüdfeligen Inſeln 
mehr!! — — ' 


Alfo feufzte der Wahrfager; bei feinem letzten 
Seufzer aber wurde Sarathuftra wieder hell und ficher, 
gleih Einem, der aus einem tiefen Schlunde an’s Licht 
kommt. „ein! Xeinl Drei Mal Xeinl rief er mit 


ſtarker Stimme und ſtrich fih den Bart — Das weiß 


ich befferl Es giebt noch glüdfelige Infeln! Stille 
davon, du fenfzender Crauerſack! 

Höre davon auf zu plätichern, du Regenwolke 
am Dormittagl Stehe ich denn nicht ſchon da, naß von 
deiner Trübfal und begoffen wie ein Hund? 


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Nun fchüttle ih mich und laufe dir davon, daß 
ih wieder trocken werde: def darfft du nicht Wunder 
haben! Dünfe ih dir unhöflihP? Uber hier ift 
mein Hof. 

Was aber deinen höheren Menfchen angeht: 
wohlan! ich fuche ihn flugs in jenen Wäldern: daher 
fam fein Scyrei. Dielleiht bedrängt ihn da ein böfes 
Chier. 

Er ift in meinem Bereiche: darin foll er mir 
nit zu Schaden kommen! Und wahrlih, es giebt 
viele böfe Thiere bei mir.” — 

Mit diefen Worten wandte fih Sarathuftra zum 
Gehen. Da fprah der Wahrfager: „Oh Sarathuftra, 
ou bift ein Schelm! 

Ich weiß es ſchon: du willft mid los fein! Lieber 
noch läufft du in die Wälder und ftellft böfen Chieren 
nach! 

Aber was hilft es dir? Des Abends wirft du doch 
mih wiederhaben; in deiner eignen Höhle werde ich 
dafien, geduldig und fchwer wie ein Klotz — und 
auf dich warten!” 

„So ſei's! rief Sarathuftra zurück im Sortgehn: 
und was mein ift in meiner Höhle, gehört audy dir, 
meinem Baftfreundel 

Sollteft du aber drin noch Honig finden, wohlanl 
fo lede ihn nur auf, du Brummbär, und verfüße deine 
Seele! Am Abende nämlid wollen wir Beide guter 
Dinge fein, 

— guter Dinge und froh darob, daß diefer Tag zu 


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Alſo ſprach Zarathuſtra. 353 23 










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Ende gieng! Und du ſelber ſollſt zu meinen Liedern 
als mein Tanzbär tanzen. 
Du glanbft nicht daran? Du fchüttelft den Kopf? 


Wohlanl Wohlaufl Alter Bär! Aber auch ih — bin 
ein Wahrfager.”“ 


Alſo fprady Zarathuftıa, 


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Geſpräch mit den Köntgen, 


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Zarathuſtra war noch feine Stunde in feinen Bergen 
und Wäldern unterwegs, da fahe er mit Einem Male 
einen feltfamen Aufzug. Gerade auf dem Wege, den 
er hinabwollte, kamen zwei Könige gegangen, mit 
Kronen und Purpurgürteln gefhmüdt und bunt wie 
Slamingo-Dögel: die trieben einen beladenen Efel vor 
fih her. „Was wollen diefe Könige in meinem Reiche?" 
ſprach Sarathuftra erflaunt zu feinem Herzen und ver- 
ftecte fi gefhwind hinter einem Buſche. Als aber 
die Könige bis zu ihm heranfamen, fagte er, halblaut, 
wie Einer, der zu fich allein redet: „Seltfam! Seltfam! 
Wie reimt fi das zufammen? Hwei Könige fehe ich 
— und nur Einen Ejell* 

Da madten die beiden Könige Balt, lächelten, 
fahen nach der Stelle hin, woher die Stimme fam, und 
fahen fi} nachher felber in’s Gefiht. „Soldyerlei denkt 
man wohl auch unter uns, fagte der König Zur Rechten, 
aber man fpricht es nicht aus.” 

Der König zur Linken aber zuckte mit den Achſeln 
und antwortete: „Das mag wohl ein Siegenhirt fein. 


555 23” 









Oder ein Einfiedler, der zu lange unter Seljen und 
Bäumen lebte. Gar feine Gefellihaft nämlich verdirbt 
aud die guten Sitten.” 

„Die guten Sitten? entgegnete unmwillig und bitter 
der andre König: wem laufen wir denn aus dem Wege? 
Iſt es nicht den „guten Sitten”? Unfrer „guten Gefell« 
Ichaft" ? Ä 

Kieber, wahrlich, unter Einfiedlern und Siegenhirten 
als mit unferm vergoldeten falfchen überfchmintten Pöbel 
leben, — ob er fih ſchon „gute Geſellſchaft“ heißt, 

— ob er fih fhon „Adel” heißt. Aber da ift 
Alles faliy und faul, voran das Blut, Dank alten 
fhlehten Krankheiten und fchlechteren Beil-Künftlern. 

Der Befte und Kiebfte ift mir heute noch ein ge- 
funder Bauer, grob, liftig, hartnädig, Ianghaltig: das 
ift heute die vornehmfte Art. 

Der Bauer ift heute der Beſte; und Banern-Art 
follte Herr fein! Aber es ift das Neich des Pöbels, — 
ich laſſe mir Nichts mehr vormachen. Pöbel aber, das 
heißt: Mifchmafd. 

Põbel⸗Miſchmaſch: darin ift Alles in Allem durch⸗ 
einander, Heiliger und Hallunfe und Junker und Jude 
und jeglih Dieh aus der Arche Xoäh. 

Gute Sitten! Alles ift bei uns falih und faul. 
Niemand weiß mehr zu verehren: dem gerade laufen 
wir davon. Es find füßliche zudringlihe Hunde, fie 
vergolden Palmenblätter. 

Diefer Efel würgt mid, daß wir Könige felber 
falih wurden, überhängt und verkleidet durch alten 
vergilbten Großväter⸗Prunk, Schaumünzen für die 








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Dümmſten und die Schlaueſten und wer heute Alles 
mit der Macht Schacher treibt. 

Mir find nicht die Erſten — und müffen es doch 
bedeuten: diefer Betrügerei find wir endlich fatt und 
efel geworden. 

Dem Gefindel giengen wir aus dem Wege, allen 
diefen Schreihälfen und Schreib -Schmeißfliegen, dem 
Krämer - Geftan?, dem Ehrgeiz - Bezappel, dem üblen 
Athem —: pfui, unter dem Gefindel leben, 

— pfui, unter dem Geſindel die Erften zu bedeuten! 
Ad, Ekell Ekell Efell Was liegt noch an uns Königen!"— 

„Deine alte Kranfheit fällt dich an, fagte hier der 
König zur Linken, der Efel fällt dich an, mein armer 
Bruder. Aber du weißt es doch, es hört uns Einer zu.” 

Sofort erhob fi} Sarathuftra, der zu diefen Reden 
Ohren und Augen aufgefperrt hatte, aus feinem Schlupf: 
winkel, trat auf die Könige zu und begann: 

„Der Euch zuhört, der Euch gerne zuhört, Ihr 
Könige, der heißt Zarathuftra. 

Ih bin Sarathuftra, der einft fprah: „Was liegt 
noch an Königenl” Dergebt mir, ich freute mid, als 
Ihr zu einander fagtet: „Was liegt an uns Königen!“ 

Bier aber ift mein Reich und meine Herrfchaft: 
was mögt Ihr wohl in meinem Reiche fuchen? Dielleicht 
aber fandet Ihr unterwegs, was ich fuche: nämlich 
den höheren Mlenfchen.” 

Als dies die Könige hörten, fchlugen fie fi an die 
Sruft und ſprachen mit Einem Munde: „Wir find erfannt! 

Mit dem Schwerte diefes Wortes zerhauft du unfres 
Herzens dickſte Sinfternig. Du entdecteft unfre Noth, 


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denn fiehel wir find unterwegs, daß wir den höheren 
Menfhen fänden — 

— den Menfchen, der höher ift als wir: ob wir 
gleih Könige find. Ihm führen wir diefen Efel zu. 
Der hödfte Menſch nämlich fol auf Erden auch der 
höchſte Berr fein. 

Es giebt Fein härteres Unglüd in allem Menjchen- 
Schidfale, als wenn die Mächtigen der Erde nicht 
auch die erſten Menfchen find. Da wird Alles falfch 
und fchief und ungeheuer. 

Und wenn fie gar die letzten find und mehr Dich 
als Menfh: da fleigt und fleigt der Pöbel im Preife, 
und endlich fpriht gar die Pöbel-Tugend: „fiehe, ich 
allein bin Tugend!” — 

Was hörte ich eben? antwortete Sarathuftra; welche 
Weisheit bei Königen! Ich bin entzück, und, wahrlid,, 
ſchon gelüftet’s mid, einen Reim darauf zu machen: — 

— mag es aud ein Heim werden, der nicht für 
FJedermanns Ohren taugt. Ich verlernte feit langem fchon 
die Rücdficht auf lange Ohren. Wohlan! Wohlaufl 

(Bier aber gefchah es, daß auch der Efel zu Worte 
fam: er fagte aber deutlich und mit böfem Willen J⸗A.) 

Einftmals — ich glaub’, im Jahr des Heiles Eins — 

Sprach die Sibylle, trunken fonder Weins: 

„Weh, nun geht's fchiefl 

„Verfalll Derfalll Xie fan? die Welt fo tiefl 

„Kom fan? zur Hure und zur Huren⸗Bude, 

„Rom's Läfar fan? zum Dieh, Gott ſelbſt — 

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An dieſen Keimen Zarathuſtra's weideten ſich die 
Könige; der König zur Rechten aber ſprach: „oh 
Sarathuftra, wie gut thaten wir, daß wir auszogen, 
dich zu fehn! 

Deine $einde nämlich zeigten uns dein Bild in 
ihrem Spiegel: da blickteft du mit der Srabe eines 
Teufels und hohnlachend: alfo daß wir uns vor dir 
fürchteten. 

Aber was half's! Immer wieder ftahft du uns in 
Ohr und Herz mit deinen Sprühen. Da fprachen wir 
endlich: was liegt daran, wie er ausfieht! 

Wir müffen ihn hören, ihn, der lehrt: „ihr follt 
den Srieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen, und 
den kurzen Frieden mehr als den langen!“ 

Niemand ſprach je fo ?riegerifche Worte: „Was 
ift gut? Tapfer fein ift gut. Der gute Krieg ift’s, der 
jede Sache heiligt." 

Oh Sarathuftra, unfrer Däter Blut rührte fi bei 
folhen Worten in unferm Leibe: das war wie die 
Rede des Frühlings zu alten Weinfäflern. 

Wenn die Schwerter durcheinander liefen gleich 
rothgefledten Schlangen, da wurden unfre Däter dem 
Leben aut; alles Sriedens Sonne dünkte fie flau und 
lau, der lange Frieden aber machte Scham. 

Wie fie feufzten, unfre Däter, wenn fle an der 
Wand blitzblanke ausgedorrte Schwerter fahen! Denen 
gleih dürfteten fie nach Krieg. Ein Schwert nämlich 
will Blut trinfen und funkelt vor Begierde! — — 


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— Als die Könige dergeſtalt mit Eifer von dem 
Glück ihrer Däter redeten und fchwätten, überkam 





Sarathuftra Feine Beine Luft, ihres Eifers zu fpotten: 

denn erfichtlih waren es fehr friedfertige Könige, 
weldhe er vor fih fah, folhe mit alten und feinen 
Gefihtern. Aber er bezwang fih. „Wohlanl fprad er, 
dorthin führt der Weg, da liegt die Höhle Sarathuftra’s; 
und diefer Tag foll einen langen Abend haben! Jebt 
aber ruft mich eilig ein Nothfchrei fort von Eud). 

Es ehrt meine Höhle, wenn Könige in ihr fißen 
und warten wollen: aber, freilih, Ihr werdet lange 
warten müſſen! 

Se nun! Was thut’sl Wo lernt man heute beffer 
warten als an Höfen? Und der Könige ganze Tugend, 
die ihnen übrig blieb, — heißt fie heute nicht: 
Warten-fönnen?“ 


Alfo ſprach Sarathuftra. 





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Der Blutegel, 





Und Sarathuftra gieng nachdenklich weiter und tiefer, 
durch Wälder und vorbei an moorigen Gründen; wie es 
aber Jedem. ergeht, der über fchwere Dinge nachdentt, 
jo trat er unverfehens dabei auf einen Menfchen. Und 
fiehe, da fprüßten ihm mit Einem Male ein Wehejchrei 
und zwei Flüche und zwanzig ſchlimme Schimpfworte 
in’s Gefiht: alfo daß er in feinem Schreden den 
Stod erhob und auch auf den Getretenen noch zufchlug. 
Gleich darauf aber fam ihm die Befinnung; und fein 
Herz lachte über die Thorheit, die er eben gethan hatte. 

„Dergieb, fagte er zu dem Getretenen, der fidh 
grimmig erhoben und gefett hatte, vergieb und ver- 
nimm vor Allem erft ein Gleichniß. 

Wie ein Wanderer, der von fernen Dingen träumt, 
unverfehens auf einfamer Straße einen fchlafenden 
Bund anftößt, einen Hund, der in der Sonne liegt: 

— wie da Beide auffahren, fi anfahren, Tod» 
feinden gleich, diefe zwei zu Tod Erfchrodenen: alfo 
ergieng es uns. 

Und dohl Und doh — wie Wenig hat gefehlt, 
daß fie einander liebkoſten, diefer Hund und diefer 
Einfamel Sind fie doch Beide — Einfamel* 








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— „Wer du aud fein magſt, ſagte immer noch 
grimmig der Getretene, du trittft mir auch mit deinem 
Gleihnig zu nahe, und nicht nur mit deinem Sußel 

Siehe doch, bin ich denn ein Hund?” — und dabei 
erhob fi der Sitzende und 309 feinen nadten Arm 
aus dem Sumpfe. Huerft nämlich hatte er ausgeftrect 
am Boden gelegen, verborgen und unkenntlich gleich 
Solden, die einem Sumpf-Wilde auflauern. 

„Aber was treibft du doch!” rief Zarathuſtra er- 
fhredt, denn er fahe, daß über den nadten Arm 
weg viel Blut flo, — „was ift dir zugefloßen? Biß 
dich, du Unfeliger, ein fchlimmes Chier?“ 

Der Blutende lachte, immer noch erzürt. „Was 
geht's dich anl jagte er und wollte weitergehn. Bier 
bin ich heim und in meinem Bereiche. Mag mid 
fragen, wer da will: einem Tölpel aber werde id 
ſchwerlich antworten.“ 

„Du irrſt, fagte Sarathuftra mitleidig und hielt ihn feft, 
du irrſt: hier bift du nicht bei dir, fondern in meinem 
Reiche, und darin foll mir Keiner zu Schaden fommen. 

Ienne mid} aber immerhin, wie du willft, — ich bin, 
der ich fein muß. Ich felber heiße mich Sarathuftra. 

Wohlan! Dort hinauf geht der Weg zu Sarathuftra’s 
Höhle: die ift nicht fern, — willft du nicht bei mir 
deiner Wunden warten? 

Es gieng dir fhlimm, du Unfeliger, in diefem 
£eben: erft biß dich das Thier, und dann — trat dich 
der Menſchl — — 

Als aber der Getretene den Namen Sarathuftra’s 
hörte, verwandelte er ſich. „Was geſchieht mir doch! 


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rief er aus, wer kümmert mich denn noch in dieſem 
£eben, als dieſer Eine Menſch, nämlich Zarathuſtra, 
und jenes Eine Chier, das vom Blute lebt, der Blutegel? 

Des Blutegels halber lag ich hier an diefem Sumpfe 
wie ein Fiſcher, und fchon war mein ausgehängter 
Arm zehn Mal angebiffen, da beißt noch ein fchönerer 
Igel nah meinem Blute, Sarathuftra felber! 

Oh Glück! Oh Wunderl Gelobt fei diefer Tag, 
der mich in diefen Sumpf locktel Gelobt fei der befte 
lebendigfte Schröpflopf, der heut lebt, gelobt fei der 
große Gewiſſens⸗Blutegel Sarathuftral” — 

Alfo fprach der Getretene; und Sarathuftra freute 
fih über feine Worte und ihre feine ehrfürchtige Art. 
„Wer bift du? fragte er und reichte ihm die Hand, 
zwifchen uns bleibt Diel aufzuklären und aufzuheitern: 
aber fchon, dünkt mich, wird es reiner heller Tag.” 

„sh bin der Gemwiffenhafte des Geiftes, 
antwortete der Befragte, und in Dingen des Geiftes 
nimmt es nicht leicht Einer firenger, enger und härter 
als ich, ausgenommen Der, von dem ich's lernte, Zara⸗ 
thuftra felber. 

Kieber Nichts wiffen, als Dieles halb wiſſen! Lieber 
ein Varr fein auf eigne Fauſt, als ein Weifer nad 
fremdem Gutdünken! Ich — gehe auf den Grund: 

— was liegt daran, ob er groß oder Fein iſt? Ob 
er Sumpf oder Himmel heißt? Eine Hand breit Grund ift 
mir genung: wenn er nur wirklich Grund und Boden: ift! 

— eine Hand breit Grund: darauf kann man ftehn. 
In der rechten Wiſſen⸗-Gewiſſenſchaft giebt es nichts 
Großes und nichts Kleines.“ 








563 


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„So biſt du vielleicht der Erkenner des Blutegels? 
fragte Sarathuftra; und dm gehft dem Blutegel nad 
bis auf die lebten Gründe, du Gewiffenhafter ?* 

„Oh Sarathuftra, antwortete der Getretene, das 
wäre ein Ungehenres, wie dürfte ih mich deſſen 
unterfangen! 

Weß ich aber Meifter und Kenner bin, das ift des 
Biutegels Hirn: — das tft meine Welt! 

Und es ift auch eine Weltl Dergieb aber, daß 
hier mein Stolz zu Worte fommt, denn ich habe hier 
nicht meines Gleichen. Darum ſprach ich „hier bin 
ich heim”. 

Wie lange gehe ich fchon diefem Einen nach, dem 
Hirn des Blutegels, daß die fchlüpfrige Wahrheit mir 
hier nicht mehr entfchlüpfel Hier it mein Reichl 

— darob warf ich alles Andere fort, darob wurde 
mir alles Andre gleich; und dicht neben meinem Wiffen 
lagert mein fchwarzes Unwiffen. 

Mein Gewiſſen des Geiftes will es fo von mir, 
daß ih Eins weiß und fonft Alles nicht weiß: es 
ekelt mich aller Halben des Geiftes, aller Dunftigen, 

Schwebenden, Schwärmerifcen. 

Wo meine ANedlichkeit aufhört, bin ich blind und 
will aud blind fein. Wo ich aber wiffen will, will ich 
auch redlich fein, nämlich hart, fireng, eng, graufam, 
unerbittlich. 

Daß du einft fpradft, oh Sarathuftra: „Geift ift 
das Leben, das felber in’s Leben ſchneidet“, das führte 
und verführte mid; zu deiner Lehre. Und, wahrlich, 
mit eignem Blute mehrte ih mir das eigne Wifjen|“ 


364 


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— „Wie der Augenſchein lehrt”, ftel Sarathuftra 

ein; denn immer noch floß das Blut an dem nadten 

Arme des Gemiffenhaften herab. Es hatten nämlich 
zehn Blutegel fi in denfelben eingebifjen. 

' „Oh du wunderlicher Geſell, wie Diel lehrt mid; 
diefer Augenfchein da, nämlich du felberl Und nicht 
Alles dürfte ich vielleicht in deine firengen Ohren 
gießen! 

Wohlan! So fcheiden wir hierl Doch möchte ich 
gerne dich wiederfinden. Dort hinauf führt der Meg zu 
meiner Höhle: heute Nacht follft du dort mein lieber 
Gaft fein! 

Gerne möchte ich's auch an deinem Leibe wieder 
gut maden, daß Sarathuftra dich mit Füßen trat: 
darüber denke ich nad. Jetzt aber ruft midy ein Noth⸗ 
fchrei eilig fort von dir.” 


Alſo ſprach Zarathuſtra. 


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Der Zauberer. 





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Als aber Sarathuftra um einen Selfen herumbog, 
da fahe er, nicht weit unter fih, auf dem gleichen 
Wege, einen Menſchen, der die Glieder warf wie ein 
Tobfüchtiger und endlich bäuchlings zur Erde nieder- 
ftürzte. „Halt! ſprach da Sarathuftra zu feinem Berzen, 
Der dort muß wohl der höhere Menſch fein, von ihm 
fam jener fhlimme Nothſchrei, — ich will fehn, ob da 
zu helfen if.” Als er aber hinzulief, an die Stelle, wo 
der Menſch auf dem Boden lag, fand er einen zitternden 
alten Mann mit ftieren Augen; und wie fehr fih Zara- 
thuftra mühte, daß er ihn aufrichte und wieder auf 
feine Beine ftelle, es war umſonſt. Auch fchien der 
Unglückliche nicht zu merken, daß Jemand um ihn fei; 
vielmehr fah er fich immer mit rührenden Gebärden um, 
wie ein von aller Welt Derlaffener und Dereinfamter. 
Zuletzt aber, nach vielem Sittern, Suden und Sid) 
Sufammenfrümmen, begann er alfo zu jammern: 


Wer wärmt mid, wer liebt mich noch? 
Gebt heiße Händel 
Gebt Herzens-Kohlenbeden! 








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Bingeftredt, fchaudernd, 

Balbtodtem gleich, dem man die Süße wärmt — 

Geſchüttelt, ah! von unbekannten Siebern, 

Sitternd vor fpigen eifigen Srofl-Pfeilen, 

Don dir gejagt, Gedanke! 

Unnennbarerl Derhülfter! Entfeglicher! 

Du Jäger hinter Wolfen! 

Darniedergeblit von dir, 

Du höhnifh Auge, das mih aus Dunklem anblidt: 
— jo liege ih, 

Siege mich, winde mich, gequält 

Don allen ewigen Martern, 

Getroffen 

Von dir, grauſamſter Jäger, 

Du unbekannter — Gottl 


Criff tiefer! 

Criff Ein Mal nodl 

Öerftich, zerbrich dies Herz! 

Was foll dies Martern 

Mit zähneftumpfen Pfeilen? 

Was blickſt du wieder, 

Der Menfchen-Qual nicht müde, 

mit fhadenfrohen Götter-Blig-Augen? 
Nicht tödten willft du, 

Nur martern, martern? 

Wozu — mich mattern, 

Du fchadenfroher unbefannter Gott? — 





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Hahal Du fchleihft heran? 

Bei folcher Mitternadt 

Was willft du? Sprid! 

Du dränaft mich, drüdft mich — 
Bal fchon viel zu nahel 

Weg! Weg! 

Du hörft mich athmen, 

Du behorhft mein Herz, 

Du Eiferfüchhtiger — 

Worauf doc; eiferfüchtig ? 

Wegl Weg! Wozu die Leiter? 
Willſt du hinein, 

In's Herz, 

Einfteigen, in meine heimlichſten 
Gedanken einfteigen ? 
Scamlofer! Unbefannter — Dieb] 
Was willft du dir erftehlen? 
Was willft du dir erhorchen? 
Was willſt du dir erfoltern, 

Du $olterer! 

Du — Henker⸗Gott! 

Oder foll ic, dem Hunde gleich, 
Dor dir mich wälzen? 
Bingebend, begeiftert-außer-mir, 
Dir — Kiebe zumedeln? 


Umfonftl Stich weiter, 
Graufamfter Stachell Nein, 


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Kein Bund — dein Wild nur bin ich, 
Graufamfter Jäger! 

Dein ftolzefter Gefangner, 

Du Räuber hinter Wolten! 

Sprich endlich! 

Was willft du, Wegelagerer, von mir? 

Du Blitz⸗Verhüllter! Unbefannter| Sprid, 
Was willft du, unbefannter — Gott? — — 


Wie? Köfegeld ? 

Was willft du Löſegelds? 

Derlange Diel — das räth mein Stolz! 

Und rede kurz — das räth mein andrer Stolz 


Bahal 
Mich — will du? Mich? 
Mich — ganz? ... 


Hahal 

Und marterſt mich, Xarr, der du biſt, 
Sermarterft meinen Stolz? 

Gieb Liebe mir — wer wärmt mid noch? 
Wer liebt mich noch? — gieb heiße Hände, 
Gieb Herzens-Kohlenbeden, 

Sieb mir, dem Einfamften, 

Den Eis, ach! fiebenfaches Eis 

Vach Feinden felber, 

Nach Feinden ſchmachten lehrt, 

Gieb, ja ergieb, 


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Alfo fprach Zarathuſtra. 369 , “4 


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Graufamfter Feind, | 
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Davon! 
Da floh er felber, r 
Mein letzter einziger Genoß, 1. 
Mein großer Feind, i 
Mein Unbefannter, | 
Mein Henfer-Sottl —. 


— Xeinl Komm zurüd, 

mit allen deinen Martern! 

Sum Letzten aller Einjamen 

Oh fomm zurüdl 

Al meine Chränen-Bädhe laufen 

Su dir den Kaufl 

Und meine letzte Berzens-$lamme — 

Dir glüht fie aufl 

Oh fomm zurüd, 

Mein unbekannter Gott! Mein Schmerzl Mein 
letztes — Glück! 


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2. 

— Bier aber konnte ſich Zarathuſtra nicht länger 
halten, nahm feinen Stod und flug mit allen Kräften 
auf den Jammernden los. „Ealt ein! ſchrie er ihm zu, 
mit ingrimmigem Lachen, halt ein, du Schaufpielerl Du 


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Falſchmünzer! Du Lügner aus dem Grundel Ich erkenne 
dich wohl! 

Ich will dir ſchon warme Beine machen, du ſchlimmer 
Sauberer, ich verftehe mich gut darauf, Soldhen wie du 
bit — einzuheizen!“ 

— „kaß ab, fagte der alte Mann und fprang vom 
Boden auf, fehlage nicht mehr, oh Sarathuftral - Ich 
trieb’s alfo nur zum Spielel 

Soldyerlei gehört zu meiner Kunft;z dich felber 
wollte ich auf die Probe ftellen, als ich dir diefe Probe 
gabl Und, wahrlich, du haft mich gut durchfchautl 

Aber auh du — gabft mir von dir Feine Fleine 
Probe: du bit hart, du weiſer Sarathuftral Hart 
fhlägft du zu mit deinen „Wahrheiten“, dein Knüttel 
erzwingt von mir — diefe Wahrheit“ 

— „Schmeichle nicht, antwortete Sarathuftra, immer 
noch erregt und finfterblicdend, du Schaufpieler aus dem 
Grundel Du bift falfch: was redeft du — von Wahrheit! 

Du Pfau der Pfauen, du Uleer der Eitelkeit, was 
fpielteft du vor mir, du fchlimmer Zauberer, an wen 
follte ich glauben, als du in folder Beftalt jammerteft?“ 

„Den Büßer des Geiftes, fagte der alte Mann, 
den — fpielte ih: du felber erfandeft einft dies Wort — 

— den Dichter und Sauberer, der gegen ſich felber 
endlich feinen Geift wendet, den Derwandelten, der an 
feinem böfen Wiffen und Gewiſſen erfriert. 

Und gefteh es nur ein: es währte lange, oh Zara⸗ 
thuftea, bis du hinter meine Kunft und Lüge kamſt! 
Du glaubteft an meine Noth, als du mir den Kopf 
mit beiden Händen hielteft, — 





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— ich hörte dich jammern „man hat ihn zu wenig 
geliebt, zu wenig geliebt!” Daß-ich dich foweit betrog, 
darüber frohlockte inwendig meine Bosheit.” 

„Du magſt Seinere betrogen haben als mid, fagte 
Sarathuftra hart. Ich bin nicht auf der Hut vor Betrü- 
gern, ih muß ohne Dorficht fein: fo will es mein Coos. 

Du aber — mußt betrügen: fo weit fenne ich 
dihl Du mußt immer zwei- drei- vier- fünfdeutig 
fein! Auch was du jett befanntefl, war mir lange 
nicht wahr und nicht falfch genung! 

Du fhlimmer Falſchmünzer, wie fönnteft du anders! 
Deine Krantheit würdeft du noch fchminfen, wenn du 
dich deinem Arzte nackt zeigteft. 

So ſchminkteſt du eben vor mir deine Küge, als du 
ſprachſt: „ich trieb’s alfo nur zum Spielel" Es war audı 
Ernft darin, du bift Etwas von einem Büßer des Geiftes! 

Ich errathe dich wohl: du wurdeft der Bezanberer 
Aller, aber gegen dich haft du Feine Lüge und Kift 
mehr übrig, — du felber bift dir entzaubertl 

Du ernteteft den Ekel ein, als deine Eine Wahrheit. 
Kein Wort ift mehr an dir echt, aber dein Mund: näm- 
lich der der Efel, der an deinem Munde klebt.“ — — 

„Wer bift du doch! fchrie hier der alte Sauberer 
mit ein einer troigen Stimme, wer darf alfo zu mir reden, 
dem Größten, der heute lebt?" — und ein grüner Blitz 
[hof aus feinem Auge nad Sarathuftra. Aber gleich 
darauf verwandelte er fi und fagte traurig: 

„Oh Sarathuftra, ich bin’s müde, es efelt mich meiner 
Künfte, ih bin nicht groß, was verftelle ich mich! 
Aber, du weißt es wohl — id fuchte nah Größe! 


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Einen großen Menſchen wollte ich vorſtellen und 
überredete Viele: aber dieſe Lüge gieng über meine 
Kraft. An ihr zerbreche ich. 

Oh Zarathuſtra, Alles iſt Lüge an mir; aber daß ich 
zerbreche — dies mein Zerbrechen iſt echt!“ — 

„Es ehrt dich, ſprach Zarathuſtra düſter und zur 
Seite niederblidend, es ehrt dich, da du nah Größe 
juchteft, aber es verräth dich auch. Du bift nicht groß. 

Du fhlimmer alter Sauberer, das ift dein Beſtes 
und Redlichſtes, was ih an dir ehre, daß du deiner 
müde wurdeft und es ausſprachſt: „ich bin nicht groß”. 

Darin ehre ich dich als einen Büßer des Geiftes: 
und wenn auch nur für einen Hauch und Huſch, diefen 
Einen Augenblid warft du — edit. 

Aber fprih, was ſuchſt du Hier in meinen 
Wäldern und Selfen? Und wenn du mir dich in den 
Weg legteft, welche Probe wollteft du von mir? — 

— weß verfuchteft du mir?" — 

Alfo ſprach Sarathuftra, und feine Mugen funtelten. 
Der alte Sauberer fchwieg eine Weile, dann fagte er: 
„Derfuchte ich dich? Ich — ſuche nur. 

Oh Sarathuftra, ich fuche einen Echten, Rechten, 
Einfahen, Eindeutigen, einen Menjchen aller Nedlich- 
feit, ein Gefäß der Weisheit, einen Heiligen der Er— 
fenntniß, einen großen Menfchen! 

Weißt du es denn nicht, oh Sarathuftra? Ich 
fuhe Sarathuftra.” 


— Und hier entftand ein langes Stillichweigen 
zwifchen Beiden; Sarathuftra aber verfan? tief hinein in 


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ſich ſelber, alſo daß er die Augen ſchloß. Dann aber, 
zu ſeinem Unterredner zurückkehrend, ergriff er die Hand 
des Zauberers und ſprach, voller Artigkeit und Argliſt: 

„Wohlanl Dort hinauf führt der Weg, da liegt die 
Höhle Zarathuſtra's. In ihr darfft du ſuchen, wen du 
finden mödhteft. 

Und frage meine Thiere um Rath, meinen Adler 
und meine Scjlange: die follen dir fuchen helfen, 
Meine Höhle aber ift groß. 

Ich felber freilich — ich fah noch Feinen großen 
Menfhen. Was groß ift, dafür ift das Auge der 
Seinften heute grob. Es ift das Reich des Pöbels. 

So Manden fand ich fchon, der ſtreckte und blähte 
fih, und das Volk fchrie: „Seht da, einen großen 
Menfhen!” Aber was helfen alle Blafebälgel Zuletzt 
fährt der Wind heraus. 

Zuletzt platzt ein Srofch, der fich zu lange aufblies: 
da fährt der Wind heraus. Einem Gefchwollnen in- den 
Bauch ftehen, das heiße ich eine brave Kurzweil, 
Hört das, ihr Knaben! | 

Dies Heute ift des Pöbels: wer weiß da nod, 
was groß, .was Fein iſtl Wer fuchte da mit Glück 
nah Größel Ein Narr allein: den Varren glüdt’s. 

Du fuhft nah großen Menfchen, du wunderlicher 
Xarr? Wer lehrte’s dich? Iſt heute dazu die Zeit? Oh 
du fhlimmer Sucher, was — verfudft du mih?" — — 


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Alſo ſprach Sarathuftra, getröfteten Herzens, und 
ieng lachend feines Wegs fürbaf. 





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Außer Dienſt. 





Nicht lange aber, nachdem Zarathuſtra ſich von 
dem Zauberer losgemacht hatte, ſahe er wiederum 
Semanden am Wege fiten, den er gieng, nämlich einen 
fhwarzen langen Mann mit einem hageren Bleichgeficht: 
der verdroß ihn gewaltig. „Wehe, ſprach er zu feinem 
Herzen, da fit vermummte Trübfal, das dünft mich von 
der Art der Priefter: was wollen die in meinem Neiche? 

Wie! Kaum bin ich jenem Zauberer entronnen: 
muß mir da wieder ein anderer Schwarzfünftler über 
den Weg laufen, — 

— irgend ein Herenmeifter mit Handauflegen, ein 
dunkler Wunderthäter von Gottes Gnaden, ein gefalbter 
Welt-Derleumder, den der Teufel holen mögel 

Aber der Teufel ift nie am Plabe, wo er am Plate 
wäre: immer fommt er zu fpät, diefer vermaledeite 
Swerg und Klumpfugl" — 

Alſo fludte Sarathuftra ungeduldig in feinem 
Herzen und gedachte, wie er abgewandten Blids an 
dem ſchwarzen Manne vorüber fchlüpfe: aber fiehe, es 
fam anders. Im gleichen Augenblide nämlich hatte 
ihn fchon der Sitzende erblidt; und nicht unähnlich 











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einem Solhen, dem ein unvermuthetes Glück zuftößt, 
fprang er auf und gieng auf Sarathuftra los. 

„Wer du auch bift, du Wandersmann, fpradh er, 
hilf einem Derirrten, einem Suchenden, einem alten 
Manne, der hier leicht zu Schaden fommt! 

Diefe Welt hier ift mir fremd und fern, auch hörte 
ih wilde Chiere heulen; und Der, welcher mir hätte 
Schuß bieten Fönnen, der ift felber nicht mehr. 

Ich ſuchte den letzten frommen Menſchen, einen 
Heiligen und Einfledler, der allein in feinem Walde nod} 
Nichts davon gehört hatte, was alle Welt heute weiß.“ 

„Was weiß heute alle Welt? fragte Sarathuftra. 
Etwa dies, daß der alte Bott nicht mehr lebt, an den 
alle Welt einft geglaubt hat?“ 

„Du fagft es, antwortete der alte Mann betrübt. Und 
ich diente diefem alten Botte bis zu feiner letzten Stunde. 

Nun aber bin ich außer Dienft, ohne Berrn, und 
doch nicht frei, auch Feine Stunde mehr Iuftig, es fei 
denn in Erinnerungen. 

Dazu ftieg ih in diefe Berge, daß ich endlich 
wieder ein Feſt mir machte, wie es einem alten Papfte 
und Kirhen-Dater zufommt: denn wiffe, ich bin der 
legte Papftl — ein Feſt frommer Erinnerungen und 
Gottesdienite, 

Nun aber ift er felber todt, der frömmfte Menfch, 


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jener Heilige im Walde, der feinen Gott beftändig mit 
Singen und Brummen lobte. l 
Ihn felber fand ich nicht mehr, als ich feine Hütte | 
fand, — wohl aber zwei Wölfe darin, welche um feinen God 
heulten — denn alle Chiere liebten ihn. Da lief ich davon. 
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Kam ih alfo umfonft in diefe Wälder und Berge? 
Da entihloß fi mein Herz, daß ich einen Anderen 
fuchte, den Srömmften aller Derer, die nicht an Gott 
glauben —, daß ich Sarathuftra fuchtel” 

Alfo ſprach der reis und blickte fcharfen Auges 
Den an, welcher vor ihm ftand; Sarathuftra aber ergriff 
die Hand des alten Papftes und betrachtete fie lange 
mit Bewunderung. 

„Siehe da, du Ehrwürdiger, ſagte er dann, welche 
fhöne und lange Handl Das ift die Hand eines Solden, 
der immer Segen ausgetheilt hat. Nun aber hält fie 
Den feſt, welden du ſuchſt, mich, Sarathuftra. 

Ich bin’s, der gottlofe Sarathuftra, der da ſpricht: 
wer ift gottlofer als ih, daß ich mich feiner Unter- 
weifung freue?” — 

Alfo ſprach Sarathuftra und durchbohrte mit feinen 
Bliden die Gedanken und Hintergedanfen des alten 
Papftes. Endlich begann diefer: 

„Wer ihn am meiften liebte und bejaß, der hat 
ihn nun am meiften audy verloren —: 

— fiehe, ich felber bin wohl von uns Beiden jetzt 
der Gottlofere? Aber wer fönnte daran fidy freuen!” — 

— „Du dienteft ihm bis zuleßt, fragte Sarathuftra 
nachdenklich, nach einem tiefer Schweigen, du weißt, 
wie er ftarbP Iſt es wahr, was man fpricht, daß ihn 
das Mitleiden erwürgte, 

— daß er es fah, wie der Menſch am Kreuze 
hieng, und es nicht ertrug, daß die Kiebe zum Menfchen 
feine Hölle und zulegt fein Tod wurde?" — — 

Der alte Papft aber antwortete nicht, ſondern blickte 


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ſchen und mit einem ſchmerzlichen und düſteren Aus⸗ 
drucke zur Seite. 

„Laß ihn fahren, ſagte Farathuſtra nach einem 
langen Nachdenken, indem er immer noch dem alten 
Manne gerade in’s Auge blickte. 

Laß ihn fahren, er ift dahin. Und ob es di aud 
ehrt, daß du diefem Todten nur Gutes nachredeft, fo 
weißt du fo gut als ih, wer er war; und daß er 
wunderliche Wege gieng.” 

„Unter drei Augen gefprocdhen, fagte erheitert der 
alte Papft (denn er war auf Einem Auge blind), in 
Dingen Gottes bin ich aufgeflärter als Sarathuftra 
felber — und darf es fein. 

Meine Kiebe diente ihm lange Jahre, mein Wille 
gieng allem feinen Willen nad. Ein guter Diener aber 
weiß Alles, und Mancherlei auch, was fein Herr ſich 
felbft verbirgt. 

Es war ein verborgener Bott, voller Heimlichkeit. 
Wahrlih zu einem Sohne fogar fam er nicht anders 
als auf Schleihwegen. An der Thür feines Glaubens 
fteht der Ehebruch. 

Wer ihn als einen Gott der Liebe preift, denkt 
nicht hoch genug von der Kiebe felber. Wollte diefer 
Gott nicht auch Richter fein? Aber der Kiebende liebt 
jenfeits von £ohn und Dergeltung. 

Als er jung war, diefer Gott aus dem Morgenlande, 
da war er hart und rachſüchtig und erbaute fich eine 
Hölle zum Ergößen feiner Lieblinge. 

Endlih aber wurde er alt und weich und mürbe 
und mitleidig, einem Großvater ähnlicher als einem 











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Vater, am ähnlichften aber einer wadeligen alten 
Großmutter. 

Da faß er, weit, in feinem Ofenwinfel, härmte 
ſich ob feiner ſchwachen Beine, weltmüde, willensmüde, 
und erflidte eines Tages an feinem allzugroßen Mit 
leiden.” — — 

„Du alter Papft, fagte hier Sarathuftra dazwifchen, 
haft du Das mit Augen angefehn? Es könnte wohl fo 
abgegangen fein: fo, und auch anders. Wenn Götter 
fterben, fterben fie immer viele Arten Todes. 

Aber wohlan! So oder fo, fo und ſo — er ift da- 
hin! Er gieng meinen Ohren und Augen wider den Ge⸗ 
ſchmack, Schlimmeres möchte ich ihm nicht nachfagen. 

Ich liebe Alles, was hell blickt und redlich redet. 
Aber er — du weißt es ja, du alter Priefter, es war 
Etwas von deiner Art an ihm, von Priefter- Art — er 
war vieldentig. 

Er war au undentlih. Was hat er uns darob 
gezürnt, dieſer Sornfchnauber, daß wir ihn fchlecht 
verftünden! Aber warum fprady er nicht reinlicher ? 

Und lag es an unfern Ohren, warum gab er uns 
Ohren, die ihn fchlecht hörten? War Schlamm in unfern 
Ohren, wohlan! wer legte ihn hinein? 

Su Dieles mißrieth ihm, diefem Töpfer, der nicht 
ausgelernt hattel Daß er aber Rache an feinen Löpfen 
und Gejchöpfen nahm, dafür daß fie ihm fchledht 
geriethen, — das war eine Sünde wider den guten 
Gefhmad. 

Es giebt auh in der Srömmigfeit guten Be 
fhmad: der ſprach endlich: „fort mit einem folden 


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Gottel Lieber Feinen Gott, lieber auf eigne Fauſt 
Schickſal maden, lieber Narr fein, lieber felber Gott 
fein!“ 


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— „Was höre ich! ſprach hier der alte Papſt mit 
gefpigten Ohren; oh Sarathuftra, du bift frömmer als 
du glaubft, mit einem folhen Unglauben! Irgend ein 
Gott in dir befehrte dich zu deiner Gottlofigfeit. 

Iſt es nicht deine Frömmigkeit felber, die dich 
nicht mehr an einen Gott glauben läßt? Und deine 
übergroße Redlichkeit wird dih auch noch jenfeits 
von But und Böfe wegführen! 

Siehe doh, was blieb dir aufgefpart? Du haft 
Angen und Hand und Mund, die find zum Segnen 
vorherbeftimmt feit Ewigkeit. Man’ fegnet nicht mit 
der Hand allein. 

In deiner Nähe, ob du fchon der GBottlofefte fein 
willft, wittere ich einen heimlichen Weih- und Wohl- 
geruh von langen Segnungen: mir wird wohl und 

. wehe dabei. 

Caß mich deinen Gaſt fein, oh Sarathuftra, für 
eine einzige Nachtl Nirgends auf Erden wird es mir 
jetzt wohler als bei dirl“ — 

„Amen! So foll es fein! ſprach Sarathuftra mit 
großer Derwunderung, dort hinauf führt der Weg, da 
liegt die Höhle Sarathuftra’s. 

Gerne, fürwahr, würde ich dich felber dahin ge» 
leiten, du Ehrwürdiger, denn ich liebe alle frommen 
Menfhen. Aber jet ruft mich eilig ein ZXothfchrei 
weg von dix, 


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In meinem Bereiche ſoll mir Niemand zu Schaden 
fommen; meine Höhle iſt ein guter Hafen. Und am 
liebſten möchte ich jedweden Traurigen wieder auf 
feftes Land und fefte Beine ftellen. 

Wer aber nähme dir deine Schwermuth von der 
Schulter? Dazu bin ich zu ſchwach. Lange, wahrlich, 
möchten wir warten, bis dir Einer deinen Bott wieder 
aufweckt. 

Dieſer alte Gott lebt nämlich nicht mehr: der iſt 
gründlich todt.“ — 


Alſo ſprach Sarathuftra. 





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Der häßlichfte Menſch. 





— Und wieder liefen Sarathuftra’s Füße durch 
Berge und Wälder, und feine Augen fuchten und 
fuchten, aber nirgends war Der zu fehen, welchen fie 
fehn wollten, der große Nothleidende und Xothfchreiende. 
Auf dem ganzen Wege aber frohlodte er in feinem 
Herzen und war dankbar. „Welche guten Dinge, ſprach 
er, fchenfte mir doch diefer Tag, zum Entgelt, daß er 
ſchlimm begann! Welche feltiamen Unterredner fand ich! 

An deren Worten will ih lange nun kauen gleidy 
als an guten Körnern; Fein foll mein Zahn fie mahlen 
und malmen, bis fie mir wie Milh in die Seele 
fließen!! — 

Als aber der Weg wieder um einen Selfen bog, 
veränderte fih mit Einem Male die Landfchaft, und 
darathuftra trat in ein Reich des Todes. Bier ftarrten 
fhwarze und rothe Klippen empor: fein Gras, fein 
Saum, Feine Dogelfimme Es war nämli ein Chal, 
welches alle Thiere mieden, auch die Raubthiere; nur 
daß eine Art häßlicher, dicker, grüner Schlangen, wenn 
fie alt wurden, hierher famen, um zu fterben. Darum 
nannten dies Thal die Hirten: Schlangen-Tod, 


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Zarathuſtra aber verſank in eine ſchwarze Er | 


I innerung, denn ihm war, als habe er fhon ein Mal in 
dieſem Thal geftanden. Und vieles Schwere legte fich 
: ihm über den Sinn: alfo, daß er langfam gieng und 
immer langfamer und endlich fill ftand. Da aber fahe 
ı er, als er die Augen aufthat, Etwas, daß am Wege faß, 
geſtaltet wie ein Menfh, und kaum wie ein Menſch, 
‘ etwas Unausfprecjliches. Und mit Einem Schlage über- 
fiel Sarathuftra die große Scham darob, daß er fo 
| Etwas mit den Augen angefehn habe: erröthend bis 
| hinauf an fein weißes Haar, wandte er den Blid ab 
‚ und hob den Fuß, daß er diefe fchlimme Stelle ver- 
laſſe. Da aber wurde die todte Ode laut: vom Boden 

auf nämlich quoll es gurgelnd und röchelnd, wie Waſſer 

Vachts durch verftopfte Waffer-Röhren gurgelt und 
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| röchelt; und zuletzt wurde daraus eine Menfchen-Stimme 
| und Menfhen-Rede: — die lautete alfo: 
„Farathuſtral Sarathuftral Nathe mein Aäthfell 
| Sprich, fprihl Was if die Rache am Zeugen? 
Ich locke dich zurück, hier ift glattes Eis! Sieh zu, 
fieh zu, ob dein Stolz fidy hier nicht die Beine bricht! 
Du dünfft dich weife, du ftolzer Sarathuftral So 
rathe doch das Näthfel, du harter Nüffefnader, — das 
Zäthfel, das ich bin! So fprich doch: wer bin ichl“ 
— Als aber Sarathuftra diefe Worte gehört hatte, 
— was glaubt ihre wohl, daß fi da mit feiner Seele 
zutrug? Das Mitleiden fiel ihn an; und er fant 
mit Einem Male nieder, wie ein Eichbaum, der lange 
vielen Holzſchlägern widerftanden hat, — ſchwer, plöß- 
ih, zum Schreden felber für Die, welche ihn fällen 


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wollten. Aber ſchon ſtand er wieder vom Boden auf, 
und ſein Antlitz wurde hart. 

„Ich erkenne dich wohl, ſprach er mit einer erzenen 
Stimme: du biſt der Mörder Gottes! Laß mich gehn. 

Du ertrugft Den nicht, der dich fah, — der dich 
immer und durch und durch fah, du häßlichfter Menſch! 
Du nahmft Rache an diefem Zeugen!“ 

Alfo fprah Sarathuftra und wollte davon; aber 
der Unausfprechliche faßte nad einem Sipfel feines 
Gewandes und begann von Neuem zu gurgeln und nad 
Worten zu fuchen. „Bleibl" fagte er endlih — 

— bleibl Geh nicht vorüberl Ich errieth, welche 
Art dich zu Boden ſchlug: Heil dir, oh Sarathuftra, 
dag du wieder ftehft! 

Du errietheft, ich weiß es gut, wie Dem zu Muthe 
ift, der ihn tödtete, — dem Mörder Gottes. Bleibl 
Setze dich her zu mir, es ift nicht umfonft. 

Su wen wollte id, wenn nicht zu dir? Bleib, feße 
dich! Blicke mich aber nicht anl Ehre alfo — meine 
Häßlichkeit! 

Sie verfolgen mi: nun bift du meine leßte Zu- 
fluht. Nicht mit ihrem Haffe, nicht mit ihren 
Bäfchern: — oh foldher Derfolgung würde ich fpotten 
und ftolz und froh fein! 

War nidıt aller Erfolg bisher bei den Gut-Derfolg- 
ten? Und wer gut verfolgt, lernt leicht folgen: — ift 
er doch einmal — hinterher! Aber ihr Mitleid iſts — 

— ihr ‚Mitleid iſt's, vor dem ich flüchte und dir 
zuflüchte. Oh Sarathuftra, füge mid, du meine letzte 
Zuflucht, du Einziger, der mich errieth: 


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— du errietheſt, wie Dem zu Muthe iſt, welcher 
ihn tödtete. Bleibl Und willſt du gehn, du Un— 
geduldiger: geh nicht den Weg, den ich kam. Der 
Weg iſt ſchlecht. 

Zürnſt du mir, daß ich zu lange ſchon rede⸗rade⸗ 
brehe? Daß ich ſchon dir rathe? Aber wiſſe, ich 
bin’s, der häßlichſte Menſch, 

— der audh die größten fchwerften Süße hat. 
Wo ich gieng, ift der Weg ſchlecht. Ich trete alle 
Wege todt und zu Schanden. 

Daß du aber an mir vorübergienogft, fchweigend; 
daß du errötheteft, ich fah es wohl: daran erfannte 
ih dich als Sarathuftra. 

Jedweder Andere hätte mir fein Almofen zuge. 
worfen, fein Mitleiden, mit Bli und Rede, Aber dazu 
— bin ich nicht Bettler genug, das errietheft du — 

— dazu bin ich zu reich, reih an Großem, an 
Furchtbarem, am Häßlichften, am Unausſprechlichſten! 
Deine Scham, oh Sarathuftra, ehrte mid! 

Mit Noth fam ich heraus aus dem Gedräng der 
Mitleidigen, — daß ich den Einzigen fände, der heute 
lehrt „Mitleiden ift zudringlih“ — dich, oh Sarathuftral 

— fei es eines Gottes, fei es der Menfchen Mit- 
leiden: Mitleiden geht gegen die Scham. Und Nicht—⸗ 
helfen- wollen kann vornehmer fein als jene Tugend, 
die zufpringt. 

Das aber heißt heute Tugend felber bei allen 
PFleinen Leuten, das Mitleiden: — die haben Feine Ehr- 
furht vor großem Unglüd, vor großer Häßlichkeit, 
vor großem Mißrathen. 


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Über diefe Alle blide ich hinweg, wie ein Bund 
über die Rüden wimmelnder Schafheerden wegblidt. 
Es find Pleine wohlwollige wohlwillige graue Leute. 

Wie ein Reiher verachtend über flache Teiche weg⸗ 
blickt, mit zurüdgelegtem Kopfe: fo blide ich über 
das Gewimmel grauer Fleiner Wellen und Willen und 
Seelen weg. 

Sn lange hat man ihnen Necht gegeben, diefen 
Fleinen Leuten: fo gab man ihnen endlich auch die 
Macht — nun lehren fie: „gut ift nur, was Pleine 
Seute gut heißen“. 

Und „Wahrheit“ heißt heute, was der Prediger 
ſprach, der felber aus ihnen herfam, jener wunderliche 
Heilige und Sürfprecher der kleinen Leute, welder 
von fich zengte „ih — bin die Wahrheit”. 

Diefer Unbefcheidne macht nun lange ſchon den 
Pleinen Leuten den Kamm hoch fchwellen — er, der 
feinen Pleinen Irrthum lehrte, als er lehrte „ih — bin 
die Wahrheit“. 

Ward einem Unbejceidnen jemals höflicher ge 
antwortet? — Du aber, oh Sarathuftra, gienagft an ihm 
vorüber und ſprachſt: „ein! ein! Drei Mal ein!“ 

Du warnteft vor feinem Irrthum, du warnteft als 
der Erfte vor dem Mitleiden — nicht Alle, nicht 
Keinen, fondern dich und deine Art. 

Du fhämft did an der Scham des großen Leiden⸗ 
den; und wahrlich, wenn du fpridfi „von dem Mit- 
leiden her kommt eine große Wolfe, habt Act, ihr 
Menschen!” 

— wenn du lehrft „alle Schaffenden find Hart, alle 


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große Kiebe ift über ihrem Mitleiden“: oh Sarathuftra, 
wie aut dünkſt du mich eingelernt auf Wetter» Heichen! 

Dun felber aber — warne dich felber auch vor 
deinem Mlitleiden! Denn Diele find zu dir unterwegs, 
viele Leidende, Hweifelnde, Derzweifelnde, Ertrintende, 
Srierende — 

Ich warne dic auch vor mir. Du errietheft mein 
beftes, fchlimmftes Räthſel, mich felber und was ich 
that. Ich kenne die Art, die dich fällt. 

Aber ee — mußte fterben: er fah mit Augen, 
welhe Alles fahn, — er fah des Menfchen Tiefen und 
Gründe, alle feine verhehlte Schmach und Häßlichkeit. 

Sein Mitleiden Tannte feine Scham: er kroch fin 
meine fhmußigften Winkel. Diefer Xeugierigfte, Über: 
Sudringliche, Über-Mitleidige mußte fterben. 

Er fah immer mid: an einem folden Zeugen 
wollte ich Rache haben — oder felber nicht leben. 

Der Gott, der Alles fah, auch den Menfchen: 
diefer Bott mußte fterbenl Der Menſch erträgt es 
nicht, daß fol ein Zeuge lebt.“ 


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Alfo fprah der häßlichfte Menſch. Sarathuftra 
aber erhob fih und ſchickte fih an fortzugehn: denn 
ihn fröftelte bis in feine Eingeweide. 

„Du Unausfpredlicher, fagte er, du warnteft mid 
vor deinem Wege. Sum Dante dafür lobe ich dir 
den meinen. Siehe, dort hinauf liegt die Höhle Zara⸗ 
thuftra’s, 

Meine Höhle ift groß und tief und hat viele 
Winkel; da findet der Derftedtefte fein Verſteck. 





387 25* 








Und dicht bei ihr find hundert Schlüpfe und Schliche | 
für kriechendes, flatterndes und fpringendes Gethier. | 
Du Ausgeftoßener, der du dich felber ansftiegef, |! 
' du willft nicht unter Menfhen und Menſchen⸗Mitleid | 
wohnen? Wohlan, fo thu's mir gleichl So lernft du auch | 
von mir; nur der Chäter lernt. | 

Und rede zuerft und ⸗nächſt mit meinen hieren! 

Das ftolzefte Chier und das Flügfte Chier — die möchten 
uns Beiden wohl die rechten Rathgeber feinl" — — : 

Alfo fprah Sarathuftra und gieng feiner Wege, | 
| nachdenklicher und langfamer noch als zuvor: denn er 
| fragte fih Dieles und wußte fidy nicht leicht zu ant- | 
| worten. 
' „Wie arm iſt doch der Menſchl dachte er in ſeinem 
Herzen, wie häßlich, wie röchelnd, wie voll verborgener 
Scham! 

Man fagt mir, daß der Menſch ſich felber liebe: 
ah, wie groß muß diefe Selber-Kiebe feinl Wie viel 
Verachtung hat fie wider fichl 

Auch Diefer da liebte fi, wie er fich verachtete, 
— ein großer Liebender ift er mir und ein großer 
Derädhter. 

Keinen fand ich noch, der ſich tiefer veradhtet 
hätte: auch Das ift Höhe. Wehe, war Der vielleicht 
der höhere Menſch, defjen Schrei ich hörte? | 
Ich liebe die großen Deradhtenden. Der Menſch 
| aber ift Etwas, das überwunden werden muß." — — : 

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Der freiwillige Bettler. 





Als Zarathuſtra den häßlichſten Menſchen ver- | 
laffen hatte, fror ihn, und er fühlte fih einfam: es |! 
gieng ihm nämlich vieles Kalte und Einfame durch | 
die Sinne, alfo, daß darob auch feine Glieder Fälter | 

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hinab, bald an grünen Weiden vorbei, aber auch über 
wilde fteinichte Lager, wo ehedem wohl ein ungedul- 
diger Bach fih zu Bett gelegt hatte: da wurde ihm 
mit Einem Male wieder wärmer und herzlicher zu Sinne. 

„Was gefhah mir doch? fragte er fih, etwas 
Warmes und £ebendiges erquidt mid, das muß in 
meiner Nähe fein. 

Schon bin ich weniger allein; unbewußte Gefährten 
und Brüder fchweifen un mich, ihr warmer Athem 
rührt an meine Seele.” 


Als er aber um ſich fpähete und nad) den Tröftern 
feiner Einſamkeit fuchte: fiehe, da waren es Kühe. 


wurden. Indem er aber weiter und weiter flieg, hinauf, 
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welche auf einer Anhöhe bei einander fanden; deren 
Nähe und Geruch hatten fein Herz erwärmt. Diefe 
Kühe aber fhienen mit ‚Eifer einem Redenden zuzu« 
hören und gaben nicht auf Den Adıt, der heranfam, 


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Wie aber Sarathuftra ganz in ihrer Nähe war, hörte er 
dentlich, dag eine Menfchen-Stimme aus der Mitte der 
Kühe heraus redete; und erfichtlich hatten fie allefammt 
ihre Köpfe dem Nedenden zugedreht. 

Da fprang Sarathuftra mit Eifer hinauf und drängte 
die Chiere auseinander, denn er fürchtete, daß hier 
Jemandem ein Leids gefchehn ſei, welchem fchwerlich 
das Mitleid von Kühen abhelfen modte. Aber darin 
hatte er fich getäufcht, denn fiehe, da faß ein Menſch 
auf der Erde und fchien den Ühieren zuzureden, daß 
fie Feine Schen vor ihm haben follten, ein friedfertiger 
Menſch und Berg-Prediger, aus deffen Augen die Güte 
felber predigte. „Was fuchft du hier?“ rief Sarathufira 
mit Befremden. 

„Was ich hier fuche? antwortete er: das Selbe, was 
du fuchft, du Störenfriedl nämlich das Glück auf Erden. 

Dazu aber möchte ich von diefen Kühen lernen. 
Denn, weißt du wohl, einen halben Morgen fchon rede 
ih ihnen zu, und eben wollten fie mir Befcheid geben. 
Warum doc ftörft du fier 

So wir nicht umfehren und werden wie die Kühe, 
fo fommen wir nicht in das Himmelreih. Wir follten 
ihnen nämlih Eins ablernen: das Wiederfänen. 

Und wahrlih, wenn der Menſch auch die ganze 
Welt gewönne und lernte das Eine nicht, das Wieder- 
käuen: was hülfe es! Er würde nicht feine Trübfal los 

— feine große Trübfal: die aber heißt heute 
Efel. Wer hat heute von Efel nit Herz, Mund 
und Augen voll? Auch dul Auch dul Aber fiehe doc 
diefe Kühe anl“ — 








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Alſo ſprach der Berg⸗Prediger und wandte dann 
ſeinen eignen Blick Zarathuſtra zu, — denn bisher 
hieng er mit Liebe an den Kühen —: da aber ver- 
wandelte er fih. „Wer ift das, mit dem ich rede? rief 
er erfchrect und fprang vom Boden empor. 

Dies ift der Menſch ohne Ekel, dies ift Sarathuftra 
felber, der Überwinder des großen Efels, dies iſt 
das Auge, dies ift der Mund, dies ift das Herz Sara. 
thuftra’s felber.” 

Und indem er alfo fpradh, Füßte er Dem, zu 
welhem er redete, die Hände, mit überftrömenden 
Augen, und gebärdete fih ganz als Einer, dem ein 
foftbares Geſchenk und Kleinod unverfehens vom 
Bimmel fällt. Die Kühe aber ſchauten dem Allen zu 
und wunderten fidh. 

„Spridy nicht von mir, du Wunderlicher! Kieblicher! 
fagte Sarathuftra und wehrte feiner Zärtlichkeit, ſprich 
mir erft von dirl Bift du nicht der freiwillige Bettler, 
der einft einen großen Reichthum von ſich warf, — 

— der fih feines Reihthums fhämte und der 
Reichen, und zu den Ärmften floh, daß er ihnen feine 
Fülle und fein Herz ſchenkte? Aber fie nahmen ihn 
nit an.” 

„Aber fie nahmen mid nidt an, fagte der frei- 
willige Bettler, du weißt es ja. So gieng ich endlich 
zu den Thieren und zu diefen Kühen.“ 

„Da lernteft du, unterbrach Sarathuftra den Reden⸗ 
den, wie es fchwerer ift, recht geben als recht nehmen, 
und dag gut Schenken eine Kunft it und die lebte 
liſtigſte Meifter-Kunft der Güte,“ 








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„Sonderlich hentzutage, antwortete der freiwillige 
Bettler: hente nämlich, wo alles Niedrige aufftändifch 
ward und fcheu und auf feine Art hoffährtig: nämlich 
auf Pöbel-Art. 

Denn es fam die Stunde, du weißt es ja, für 
den großen fchlimmen langen langfamen Pöbel- und 
Sflaven-Aufftand: der wählt und wädhftl - 

Nun empört die Niedrigen alles Wohlthun und Feine 
Weggeben; und die Überreichen mögen auf der But fein! 

Wer heute gleich bauchichten Flaſchen tröpfelt aus 
allzufhmalen Hälſen: — ſolchen Slafhen bridt man 
heute gern den Hals. 

Küfterne Gier, gallichter Neid, vergrämte Rach—⸗ 
fuht, Pöbel-Stolz: das fprang mir Alles in’s Geſicht. 


Es ift nicht mehr wahr, daß die Armen felig find. 


Das Himmelreich aber ift bei den Kühen.” 

„And warum ift es nicht bei den Reichen?” fragte 
Sarathuftra verfuchend, während er den Kühen wehrte, 
die den Sriedfertigen zutraulich anfchnauften. 

„Was verſuchſt du mich? antwortete diefer. Du 
weißt es felber befier noch als ih. Was trieb mid 
doch zu den AÄrmften, oh Zarathuftra®? War es nicht 
der Efel vor unfern Reichſten? 

— vor den Sträflingen des NReihthums, welde 
fih ihren Dortheil aus jedem Kehricht auflefen, mit 
falten Augen, geilen Gedanken, vor diefem Gefindel, 
das gen Himmel ftinkt, 

— vor dieſem vergüldeten verfälichten Pöbel, 
deffen Däter Lanafinger oder Aasvögel oder Lumpen⸗ 
fammler waren, mit Weibern willfäbrig, lüftern, ver 


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geßlich: — ſie haben's nämlich alle nicht weit zur 

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Pöbel oben, Pöbel unten! Was iſt heute noch 
„Arm“ und „Reich“! Dieſen Unterſchied verlernte ich, 
— da floh ich davon, weiter, immer weiter, bis ich zu 
dieſen Kühen kam.“ 

Alſo ſprach der Sriebfertige und fchnanfte felber 
und ſchwitzte bei feinen Worten: alfo daß die Kühe 
ı fi von Neuem wunderten. Zarathuftra aber fah ihm 
immer mit Lächeln in’s Geſicht, als er fo hart redete, 
und fchüttelte dazu fchweigend den Kopf. 

„Du thuft dir Gewalt an, du Berg-Prediger, wenn 
du folhe harte Worte branhf. Für foldhe Härte 
wuchs dir nicht der Mund, nicht das Auge. 

Auh, wie mid dünft, dein Magen felber nicht: 
dem mwiderfteht all folhes Zürnen und Haflen und 
Überfhäumen. Dein Magen will fanftere Dinge: du 
bift Fein Sleifcher. 

Dielmehr dünfft du mich ein Pflanzler und Wurzel- 
mann. Dielleicht malmft du Körner, Sicherlich aber 
bit du fleifchlichen Frenden abhold und Tiebft den 
| Honig.“ 

„Du erriethft mich gut, antwortete der freiwillige 
Bettler mit erleichtertem Herzen. Ich liebe den Honig, 
| ih malme aud Körner, denn ich ſuchte, was lieblich 
mundet und reinen Athem madt: 

| — auch was lange Zeit braudt, ein Tag- und 

Maul⸗Werk für fanfte Müßiggänger und Tagediebe. 

| Am weiteften freilich brachten es diefe Kühe: die 
| erfanden fi das Wiederfäuen und In-der-Sonne-Liegen. 


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Auch enthalten fie fi aller ſchweren Gedanken, welche 
das Herz blähn.” 

— „Wohlan! fagte Sarathuftra: du follteft and 
meine Chiere fehn, meinen Adler und meine Schlange, 
— ihres Gleichen giebt es heute nicht auf Erden. 

Siehe, dorthin führt der Weg zu meiner Höhle: fei 
diefe acht ihr Gaſt. Und rede mit meinen Chieren 
vom Glüd der Chiere, — 

— bis ich jelber heimfomme. Denn jetzt ruft ein 
Xothfchrei mid eilig weg von dir. Auch findeft du 
neuen Honig bei mir, eisfrifhen Waben- Goldhonig: 
den ißl 

Jet aber nimm flugs Abfchied von deinen Kühen, 
du Wunderlicher! Lieblicherl ob es dir fchon fchwer 
werden mag. Denn es find deine wärmften Freunde 
und Zehrmeifterl" — 

„— Einen ausgenommen, den ich noch lieber habe, 
antwortete der freiwillige Bettler. Du felber bift gut, 
und befjer noch als eine Kuh, oh Sarathuftral” 

„sort, fort mit dir! du arger Schmeichler! fchrie 
Sarathuftra mit Bosheit, was verdirbft du mich mit 
jolhem £ob und Schmeidhel-Honig P” 

„Fort, fort von mir!” fchrie er noch Ein Mal und 
fhwang feinen Stod nad dem zärtlihen Bettler: der 
aber lief hurtig davon. 


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Der Schatten. 





Kaum aber war der freiwillige Bettler davon⸗ 
gelaufen und Zarathuſtra wieder mit ſich allein, da hörte 
er hinter ſich eine neue Stimme: die rief „Halt! Sara- 
thuftral So warte doch! ich bin’s ja, oh Zarathuſtra, 
ih, dein Schattenl” Aber Sarathuftra wartete nicht, 
denn ein plößlicher Derdruß überfam ihn ob des vielen 
Sudrangs und Gedrängs in feinen Bergen. „Wo ift 
meine Einfamfeit hin? ſprach er. 

Es wird mir wahrlich zu viel; dies Gebirge wim- 
melt, mein Reich ift nicht mehr von diefer Welt, ich 
brauche neue Berge. 

Mein Schatten ruft mihP Was liegt an meinem 
Schatten! Mag er mir nachlaufen! ich — laufe ihm davon.“ 

Aljo ſprach Sarathuftra zu feinem Herzen und lief 
davon. Aber Der, welcher hinter ihm war, folgte ihm 
nach: fo daß alsbald drei Laufende hinter einander her 
waren, nämlich voran der freiwillige Bettler, dann Zara⸗ 
thuftra und zudritt und ⸗hinterſt fein Schatten. Nicht 
lange liefen fie fo, da fam Sarathuftra zur Befinnung 
über feine Chorheit und fchüttelte mit Einem Nude 
allen Derdruß und Überdruß von fid. 





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„Wiel ſprach er, gefchahen nicht von je die lächer⸗ 
lichften Dinge bei uns alten Einfiedlern und Heiligen? 

Wahrlich, meine Chorheit wuchs hodh in den 
Bergen! Nun höre ich ſechs alte Narren-Beine hinter 
einander her klappern! 

Darf aber Sarathuftra ſich wohl vor einem Schatten 
fürhten? Auch dünft mich zu guterlett, daß er längere 
Beine hat als id.” 

Alſo ſprach Sarathuftra, lachend mit Augen und 
Eingeweiden, blieb ftehen und drehte fi fchnell 
herum — und fiehe, faft warf er dabei feinen Nach⸗ 
folger und Schatten zu Boden: fo dicht fchon folgte ihm 
derfelbe auf den Serfen, und fo ſchwach war er audı. 
Als er ihn nämlich mit Augen prüfte, erfchraf er wie 
vor einem plößlichen Geſpenſte: fo dünn, fchwärzlich, 
hohl und überlebt fah diefer Nachfolger aus. 

„Wer bift du? fragte Sarathuftra heftig, was treibft 
du hier? Und weshalb heißeft du dich meinen Schatten ? 
Du gefällt mir nicht.“ 


„Dergieb mir, antwortete der Schatten, daß idy’s bin; 


und wenn ich dir nicht gefalle, wohlan, oh Sarathuftra! 
darin lobe ich dich und deinen guten Geſchmack. 

Ein Wanderer bin ich, der viel fchon hinter deinen 
Serfen her gieng: immer unterwegs, aber ohne ätel, 
auch ohne Heim: alfo daß mir wahrlid wenig zum 
ewigen Juden fehlt, es fei denn, daß ich nicht ewig, 
und auch nicht Jude bin, 

Wie? Muß ich immerdar unterwegs fein? Don 
jedem Winde gewirbelt, unftet, fortgetrieben? Gh Erde, 
du wardft mir zu rund] 


396 





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Auf jeder Oberfläche ſaß ich ſchon, gleich müdem 
Staube ſchlief ich ein auf Spiegeln und Fenſterſcheiben: 
Alles nimmt von mir, Nichts giebt, ich werde dünn, — 
faſt gleiche ich einem Schatten. 

Dir aber, oh ZFarathuſtra, flog und zog ich am 
längften nach, und, verbarg ich midy ſchon vor dir, fo 
war ich doch dein befter Schatten: wo du nur geſeſſen 
haft, faß ich auch. 

Mit dir bin ich in fernften, Fälteften Welten um⸗ 
gegangen, einem Gefpenfte gleich, das freiwillig über 
Winterdäher und Schnee läuft. 

Mit dir firebte ich in jedes Derbotene, Schlimmfte, 
Sernfte: und wenn irgend Etwas an mir Tugend ift, fo 
ift es, daß ich vor keinem Derbote Furcht hatte, 

Mit dir zerbrach ich, was je mein Herz verehrte, 
alle Grenzfteine und Bilder warf ich um, den gefähr- 
fihften Wünfcen lief ih nah, — wahrlih, über jed- 
wedes Derbrechen lief ich einmal hinweo. 

Mit dir verlernte ich den Glauben an Worte und 
Werthe und große Namen. Wenn der Teufel ſich häutet, 
fällt da nicht aud, fein Name ab? Der ift nämlich aud 
Haut. Der Teufel felber ift vielleiht — Haut. 

Nichts ift wahr, Alles ift erlaubt“: fo ſprach ich 
mir zu. In die Fälteften Waſſer ftürzte ich mich, mit 
Kopf und Herzen. Ach, wie oft ftand ich darob nad 
als rother Krebs dal 

Ah, wohin fam mir alles Gute und alle Scham 
und aller Glaube an die Gutenl Ach, wohin ift jene 
verlogne Unfhuld, die ich einft befaß, die Unjchuld 
der Guten und ihrer edlen Lügen! | 


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Zu oft, wahrlich, folgte ich der Wahrheit dicht auf 
dem Suße: da trat fie mir vor den Kopf. Manchmal 
meinte ich zu lügen, und fiehel da erft traf ih — die 
Wahrheit. 

Zu Diel Flärte fih mir auf: nun geht es mid 
Nichts mehr an. Nichts lebt mehr, das ich liebe, — wie 
follte ich noch mich felber lieben? 

„Leben, wie ich £uft habe, oder gar nicht leben“: 
fo will ich’s, fo will’s auch der Heiligſte. Aber, wehel 
wie habe ich noch — £ufi? 

Babe ih — nod ein SielP Einen Bafen, nad 
dem mein Segel läuft? 

Einen guten Wind? Ad, nur wer weiß, wohin 
er fährt, weiß auch, welder Wind gut und fein Sahr- 
wind ift. Ä 
Was blieb mir noch zurüd? Ein Herz müde und 
frech; ein unfteter Wille; Slatter-flügel; ein zerbrochnes 
Rückgrat. 

Dies Suchen nach meinem Heim: oh Zarathuſtra, 
weißt du wohl, dies Suchen war meine Beimfuchung, 
es frißt mich auf. 

„Wo ift — mein Heim? Darnach frage und fuche 
und fuchte ich, das fand ich nicht. Oh ewiges Überall, 
oh ewiges irgendwo, oh ewiges — Umfonft!” 


Alfo ſprach der Schatten, und Sarathuftra’s Geſicht 
verlängerte fich bei feinen Worten. „Du bift mein 
Schatten! fagte er endlich, mit Traurigkeit. 

Deine Gefahr ift feine Peine, du freier Geiſt und 
Wandererl Du Haft einen fchlimmen Tag gehabt: 


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fieh zu, daß dir nicht noch ein ſchlimmerer Abend 
fommt! 

Solhen Unfteten, wie du, dünft zulegt auch ein 
Gefängniß ſelig. Sahft du je, wie eingefangne Der- 
brecher fchlafen? Sie fchlafen ruhig, ſie genießen ihre 
nene Sicherheit. | 

Hüte dich, daß dich nicht am Ende noch ein enger 
Glaube einfängt, ein harter, firenger Wahn! Did 
nämlich verführt und verſucht nunmehr Jegliches, das 
eng und feit ift. 

Du haft das Biel verloren: wehe, wie wirft du 
diefen Derluft verfcherzen und verfchmerzen? Damit 
— haft du auch den Weg verloren! 

Du armer Schweifender, Schwärmender, du müder 
Schmetterling! willft du diefen Abend eine Raſt und 
Heimftätte haben? So gehe hinauf zu meiner Höhle! 

Dorthin führt der Weg zu meiner Höhle Und 
jetzo will ich fchnell wieder von dir davonlaufen. Schon 
liegt es wie ein Schatten auf mit. 

Ih will allein laufen, da es wieder hell um mid 
werde. Dazu muß ih nod lange luſtig auf den 
Beinen fein. Des Abends aber wird bei mir — ge 
tanztl! — — 


Alfo ſprach Sarathuftra. 


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Mittags. 





— Und Zarathuſtra lief und lief und fand ie 
manden mehr und war allein und fand immer wieder 
fh und genoß und fchlürfte feine Einſamkeit und 
dachte an gute Dinge, — ſtundenlang. Um die Stunde 
des Mittags aber, als die Sonne gerade über Zara—⸗ 
thuftra’s Haupte ftand, Fam er an einem alten krummen 
und knorrichten Baume vorbei, der von der reichen 
Kiebe eines Weinftods rings umarmt und vor fi 
felber verborgen war: von dem hiengen gelbe Trauben 
in Sülle dem Wandernden entgegen. Da gelüftete ihn, 
einen Zleinen Durft zu löfchen und fi eine Traube 
abzubrehen; als er aber ſchon den Arm dazu aus« 
ſtreckte, da gelüftete ihn etwas Anderes noch mehr: 
nämlid fi neben den Baum niederzulegen, um die 
Stunde des volllommnen Mittags, und zu fchlafen. 

Dies that Sarathuftra; und fobald er auf dem 
Boden lag, in der Stille und Heimlichkeit des bunten 
Grafes, hatte er auch fchon feinen Pleinen Durft ver- 
gefien und fchlief ein. Denn, wie das Sprichwort 
Sarathuftra’s fagt: Eins ift nothwendiger als das Andre. 
Nur daß feine Augen offen blieben: — fle wurden 
nämlich nicht fatt, den Baum und die Kiebe des Wein- 


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ſtocks zu ſehn und zu preiſen. Im Einſchlafen aber 
ſprach Zarathuſtra alſo zu feinem Herzen: 


„Still! Stilll Ward die Welt nicht eben vollkommen ? 
Was gefchieht mir doch? 

Wie ein zierlicher Wind, ungefehn, auf getäfeltem 
Meere tanzt, leicht, federleicht: fo — tanzt der Schlaf 
auf mir. 

Kein Auge drückt er mir zu, die Seele läßt er mir 
wach. Leicht ift er, wahrlich! federleicht. 

Er überredet mich, ich weiß nicht wie?, er betupft 
mid innewendig mit fehmeichelnder Hand, er zwingt 
mid. Ja, er zwingt mid, daß meine Seele fi} aus- 
firedt: — 

— wie fie mir lang und müde wird, meine wunder. 
fihe Seelel Kam ihr eines fiebenten Tages Abend 
gerade am Mittage? Woandelte fie zu lange fchon felig 
zwifchen guten und reifen Dingen ? 

Sie ſtreckt fih lang aus, lang, — länger! fie liegt 
ftille, meine wunderliche Seele. Zu viel Gutes hat fie 
fhon gefchmedt, diefe goldene Traurigkeit drückt fie, 
fie verzieht den Mund. 

— Wie ein Sdiff, das in feine ſtillſte Bucht ein- 
lief: — nun lehnt es fi an die Erde, der langen 
Reifen müde und der ungewiflen Meere. JR die Erde 
nicht treuer ? 

Wie folh ein Schiff fi dem Lande anlegt, an- 
fhmiegt: — da genügt’s, daß eine Spinne vom Lande 
her zu ihm ihren Saden fpinnt. Keiner ftärferen Caue 
bedarf es da. 


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Alſo ſprach Zarathuſtra. 401 26 











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Wie ſolch ein müdes Schiff in der ſtillſten Bucht: 
fo ruhe au ih nun der Erde nahe, tren, zutranend, 
wartend, mit den leifeften Fäden ihr angebunden. 

Oh Glück! Oh Glück! Wil du wohl fingen, oh 
meine Seele? Du liegſt im Graſe. Aber das ift die heim⸗ 
fihe feierlihe Stunde, wo fein Hirt feine Flöte bläft. 

Scene dihl Heißer Mittag fchläft auf den Fluren. 
Singe nit! Still! Die Welt ift vollkommen. 

Singe nicht, du Gras-Beflügel, oh meine Seelel 
Slüftere nicht einmall Sieh doch — ftill! der alte Mittag 
fhläft, er bewegt den Mund: trinkt er nicht eben einen 
Tropfen Glücks — 

— einen alten braunen Tropfen goldenen Glüds, 
goldenen Weins? Es hufcht über ihn hin, fein Glück 
lacht. So — lacht ein Gott, Stil — 

— „Sum Glüd, wie wenig genügt ſchon zum 
Glückel“ So fprah ich einft und dünfte mid Flug. 
Aber es war eine Läfterung: das lernte ih nun. 
Kluge Harın reden befler. 

Das Wenigfte gerade, das Keifefte, Keichtefte, 
einer Eidechfe Raſcheln, ein Bau, ein Huſch, ein 
Augen Bid — Wenig madt die Art des beften 
Glüds. Still 

— Was gefhah mir: Bord! Flog die Seit wohl 
davon? Kalle ich nicht? Fiel ich nicht — horchl in den 
Brunnen der Ewigfeit? 

— Was gefdieht mir? Still! Es fiiht mih — 
wehe — in’s Herz? In's Herz! Gh zerbrich, zerbrich, 
Herz, nach folhem Glücke, nad ſolchem Stichel 

— Wie? Ward die Welt nicht eben volllommen? 





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Rund und reif? Gh des goldenen runden Reifs — wo—⸗ 
hin fliegt ee wohl? Kaufe ich ihm nah! Huſch! 

Still — —“ (und hier dehnte ſich Zarathuſtra und 
fühlte, daß er ſchlafe.) 

„Aufl ſprach er zu fich felber, du Schläferl Du 
Mittagsfchläferl Wohlan, wohlauf, ihr alten Beinel Seit 
iſt's und Überzeit, manch gut Stüd Wegs blieb euch 
noch zurück — 

Aun ſchlieft ihr euch aus, wie lange doch? Eine 
halbe Ewigfeitl Wohlan, wohlauf nun, mein altes Herz! 
Wie lange erft darfft du nach folhem Schlaf — dich 
auswacen?“ 

(Aber da fchlief er fhon von Neuem ein, und 
feine Seele ſprach gegen ihn und wehrte fi und legte 
ſich wieder hin) — „Laß mich dochl Still Ward nicht 
die Welt eben volllommen? Gh des goldnen runden 
Balls" — 

„Steh auf, ſprach Zarathuftra, du Feine Diebin, du 
Tagediebinl Wie? Immer nod ſich ſtrecken, gähnen, 
fenfzen, hinunterfallen in tiefe Brunnen? 

Wer bift du dohl Oh meine Seelel“ (und hier 
erfhraf er, denn ein Sonnenftrahl fiel vom Bimmel 
herunter auf fein Geſicht.) 

„Oh Himmel über mir, fprady er feufzend und 
fegte ſich aufrecht, du fchauft mir zu? Du hordft 
meiner wunderlichen Seele zu ? 

Wann trinkt du diefen Tropfen Chau’s, der auf 
alle Erden-Dinge niederfiel, — wann trinfft du diefe 
wunderliche Seele — 


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| — mann, Brunnen der Emwigfeitl du heiterer 
fhauerliher Mittags- Abgrund! wann trinfft du meine 
Seele in dich zurüd?“ 





Lager am Baume wie aus einer fremden Trunkenheit: 
und fiehe, da fand die Sonne immer noch gerade über 
feinem Haupte. Es möchte aber Einer daraus mit Recht 
abnehmen, daß Sarathuftra damals nicht large ges 


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Alfo ſprach Sarathuftra und erhob fi von feinem 
fchlafen habe. 


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Die Begrüßung. 





Am fpäten Nachmittage war es erſt, daß Fara⸗ 
thuftra, nady langem umfonftigen Suchen und Umher⸗ 
ftreifen, wieder zu feiner Höhle heimfam, Als er aber 
derfelben gegenüberfland, nicht zwanzig Schritt mehr 
von ihr ferne, da geſchah Das, was er jetzt am wenig- 
ften erwartete: von Nenem hörte er den großen Noth⸗ 
frei. Und, erftaunlichl dies Mal fam derfelbige aus 
feiner eignen Höhle. Es war aber ein langer vielfältiger 
feltfamer Schrei, und Sarathuftra unterfchied deutlich, 
daß er fi aus vielen Stimmen zufammenfeßte: mochte 
er fchon, aus der Ferne gehört, gleich dem Schrei aus 
einem einzigen Munde Plingen. 

Da fprang Sarathuftra auf feine Höhle zu, und 
fiehel welches Schaufpiel erwartete ihn erft nad} diefem 
Hörfpielel Denn da faßen fie allefammt bei einander, 
an denen er des Tags vorübergegangen war: der König 
zue Rechten und der König zur Linken, der alte 
Sauberer, der Papſt, der freiwillige Bettler, der Schatten, 
der Gemwiffenhafte des Geiftes, der traurige Wahrfager 
und der Efel; der häßlichfte Menſch aber hatte ſich 
eine Krone aufgefeßt und zwei Purpurgürtel umge. 


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fhlungen, — denn er liebte es, gleich allen Häßlichen, 
fih zu verkleiden und ſchön zu thun. Inmitten aber 
diefer betrübten Gefellfchaft fland der Adler Zara⸗ 
thuftra’s, gefträubt und unruhig, denn er follte auf zu 
Dieles antworten, wofür fein Stolz feine Antwort hatte; 
die kluge Schlange aber hieng um feinen Bals. 

Dies Alles ſchaute Sarathuftra mit großer Der- 
wunderung; dann aber prüfte er jeden Einzelnen feiner 
Gäfte mit lentjeliger Neugierde, las ihre Seelen ab und 
wunderte fi von Neuem. Inzwifchen haften ſich die 
Derfammelten von ihren Siten erhoben und warteten 
mit Ehrfurcht, dag Sarathuftra reden werde. Sarathuftra 
aber ſprach alfo: 

„Ihr Derzweifelnden! Ihr Wunderliheni Ich hörte 
alfo euren Nothſchrei? Und nun weiß ich auch, wo 
Der zu fuchen ift, den ich umfonft heute fuchte: der 
höhere Menſch —: 

— in meiner eignen Höhle fit er, der höhere 
Menſch! Aber was wundere ich mihl Babe ih ihn 
nicht felber zu mir gelodt, durch Honig⸗Opfer und 
liftige Lockrufe meines Slüds? 

Doch dünkt mir, ihr taugt euch fhleht zur Ge⸗ 
fellfchaft, ihr madıt einander das Herz unwirſch, ihr 
Aothfchreienden, wenn ihr hier beifammen fit? Es 
muß erft Einer fommen, 

— Einer, der eud; wieder lachen mad, ein guter 
fröhlicher Hanswurft, ein Tänzer und Wind und Wilde 
fang, irgend ein alter Narr: — was dünfet euch? 

Dergebt mir doc, ihr Derzweifelnden, daß ich vor 
euch mit foldy Pleinen Worten rede, unwürdig, wahrlidy, 


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ſolcher Gäſtel Aber ihr errathet nicht, was mein Herz 
muthwillig macht: 

— ihr ſelber thut es und euer Anblick, vergebt es 
mir! Jeder nämlich wird muthig, der einem Derzweifeln- 
den zufchaut. Einem Derzweifelnden zuzufprehen — 
dazu dünkt fih Jeder ftarf genug. 

Mir felber gabt ihr diefe Kraft, — eine gute Gabe, 
meine hohen Gäftel Ein recdtichaffnes Gaſtgeſchenk! 
Wohlan, fo zürnt nun nicht, daß ih eudh auch vom 
Meinigen antiete. 

Dies hier ift mein Reich und meine Herrſchaft: 
was aber mein ift, für diefen Abend und diefe Nacht 
fol es euer fein. Meine Chiere follen euch dienen: 
meine Höhle fei eure Nuheftatt! 

Bei mir zu Heim und Haufe foll Keiner verzweifeln, 
in meinem Reviere fchütze ich Jeden vor feinen wilden 
Chieren. Und das ift das Erfte, was ich euch anbiete: 
Sicherheit! 

Das Zweite aber ift: mein kleiner Singer. Und 
habt ihr den erft, fo nehmt nur noch die ganze Hand, 
wohlan! und das Herz dazul Willtommen hier, will. 
fommen, meine Gaftfreundel” 

Alſo fprah Zarathuſtra und lachte vor Kiebe und 
Bosheit. Nach diefer Begrüßung verneigten ſich feine 
Gäfte abermals und fchwiegen ehrfürdtig; der König 
zur Rechten aber antwortete ihm in ihrem Vamen. 

„Daran, oh Sarathuftra, wie du uns Hand und 
Gruß boteft, erfennen wir di als Sarathuftra. Du 
erniedrigteft dich vor uns; faft thateft du unferer Ehr- 
furcht wehe —: 


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— wer aber vermöchte gleich dir ſich mit ſolchem 
Stolze zu erniedrigen? Das richtet uns felber auf, ein 
Kabfal ift es unfern Angen und Berzen. 

Dies allein nur zu ſchaun, fliegen gern wir auf 
höhere Berge, als diefer Berg if. Als Schanluftige 
nämlich famen wir, wir wollten fehn, was trübe Augen 
hell madt. 

Und fiehe, ſchon ift es vorbei mit allem unfern 
Nothſchrein. Schon fleht Sinn und Herz uns offen nnd 
ift entzücdt. Wenig fehlt: und unfer Muth wird muth- 
willig. 

Nichts, oh Sarathuftra, wächſt Erfreulicheres auf 
Erden, als ein hoher flarfer Wille: der ift ihr fchönftes 
Gewächs. Eine ganze Landihaft erquidt fih an 
Einem foldhen Baume. 

Der Pinie vergleiche ich, wer gleich dir, oh Zara⸗ 
thuftra, aufwächſt: lang, fchweigend, hart, allein, beften 
biegfamften Holzes, herrlih, — 

— zulett aber hinausgreifend mit flarfen grünen 
Äften nah feiner Berrfchaft, ftarfe Fragen fragend 
vor Winden und Wettern und was immer auf Höhen 
heimiſch if, 

— ftärfer antwortend, ein Befehlender, ein Sieg- 
reicher: oh wer follte nicht, ſolche Gewächſe zu fchaun, 
auf hohe Berge fteigen ? 

Deines Baumes hier, oh Sarathuftra, erlabt fih auch 
der Düftere, der Mißrathene, an deinem Anblicke wird 
auch der Unftete fiher und heilt fein Herz. 

Und wahrlich, zu deinem Berge und Baume richten 








| fih heute viele Augen; eine große Sehnfucht hat 


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ſich aufgemacht, und Manche lernten fragen: wer ift 
öarathuftra ? 

Und wem du jemals dein Lied und deinen Honig in’s 
Ohr geträufelt: alle die Verſteckten, die Einfiedler, die 
Öweifiedler fprachen mit Einem Male zu ihrem Herzen: 

„Lebt Sarathuftra noch? Es lohnt ſich nicht mehr 
zu leben, Alles ift gleich, Alles it umfonft: oder — 
wir müffen mit Sarathuftra leben!“ 

„Warum fommt er nidıt, der fih fo lange an- 
fündigte? alfo fragen Diele; verfchlang ihn die Ein- 
ſamkeit? Oder follen wir wohl zu ihm kommen?“ 

Nun geichieht’s, daß die Einfamkeit felber mürbe 
wird und zerbricht, einem Grabe gleich, das zerbricht 
und feine Todten nicht mehr halten kann. Überall fieht 
man Auferftandene. 

Nun fteigen und fleigen die Wellen um deinen 
Berg, oh Sarathuftra. Und wie hoch auch deine Höhe 
ift, Diele müffen zu die hinauf: dein Xachen foll nicht 
lange mehr im Trocknen fiten. 

Und daß wir Derzweifelnde jet in deine Höhle 
famen und fchon nicht mehr verzweifeln: ein Wahr- 
und Dorzeichen ift es nur, davon, daß Beflere zu dir 
unterwegs find, — 

— denn er felber ift zu dir unterwegs, der letzte 
Reſt Gottes unter den Mlenfchen, das ift: alle die Menfchen 
der großen Sehnfucht, des großen Efels, des großen 
Überdruffes, 

— Alle, die nicht leben wollen, oder fie lernen 
wieder hoffen — oder fie lernen von dit, oh Zara⸗ 


thuftra, die große Hoffnung!“ 





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Alfo ſprach der König zur Rechten und ergriff die 
Band Sarathuftra’s, um fie zu küſſen; aber Sarathuftra 
wehrte feiner Derehrung und trat erfchreddt zurüd, 


{hweigend und plötzlich wie in weite Fernen entfliehend. 


Nach einer Fleinen Weile aber war er fchon wieder bei 
feinen Gäften, blidte fie mit hellen, prüfenden Augen 
an und fprady: 

„Meine Säfte, ihr höheren Menfchen, ih will deutſch 
und deutlich mit euch reden. licht auf euch wartete 
ich hier in diefen Bergen.” 

(„Deutfch und deutlih? Daß Gott erbarml fagte hier 
der König zur Linken, bei Seite; man merkt, er kennt die 
lieben Deutfchen nicht, diefer Weife aus dem Morgenlandel 

Aber er meint „deutfch und derb“ — wohlan! Das 
ift heutzutage noch nicht der fchlimmfte Geſchmackl“) 

„Ihr mögt wahrlich insgefammt höhere Menfchen 
fein, fuhr Sarathuftra fort: aber für mich — feid ihr 
wicht hoch und ſtark genug. 

Für mich, das heißt: für das Unerbittliche, das in 
mir fchweigt, aber nicht immer fchweigen wird. Und 
gehört ihr zu mir, fo doch nicht als mein rechter Arm. 

Wer nämlich felber auf Franken und zarten Beinen 


fteht, gleih euch, der will vor Allem, ob er’s weiß 


oder ſich verbirgt: daß er geſchont werde. 

Meine Arme und meine Beine aber fchone ich nicht, 
ih fhone meine Krieger nidht: wiefo Fönntet 
ihr zu meinem Kriege taugen? 

Mit euch verdürbe ich mir jeden Sieg noch. Und 
Mander von eu fiele ſchon um, wenn er nur den 
lauten Schall meiner Trommeln hörte, 





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Auch ſeid ihr mir nicht ſchön genug und wohl⸗ 
geboren. Ich brauche reine glatte Spiegel für meine 
Kehren; auf eurer Oberfläche verzerrt ſich noch mein 
eignes Bildniß. 

Eure Schultern drüdt manche LCaſt, manche Er- 
innerung; mand fchlimmer Zwerg hodt in euren 
Winkeln. Es giebt verborgenen Pöbel auch in euch. 

Und feid ihr auch hoch und höherer Art: Dieles an 
euch ift krumm und mißgeftal. Da ift fein Schmied 
in der Welt, der euch mir zurecht und gerade fchlüge. 

Ihr feid nur Brüden: mögen Höhere auf euch 
hinüber fchreiten! Ihr bedeutet Stufen: fo zürnt Dem 
nicht, der über euch hinweg in feine Höhe fteigtl 

Aus eurem Samen mag audy mir einft ein echter 
Sohn und volllommener Erbe wachen: aber das ifl 
ferne. Ihr felber feid Die nicht, welchen mein Erbaut 
und Vame zugehört. 

Nicht auf euch warte ih hier in diefen Bergen, 
nicht mit euch darf ich zum letzten Male niederfteigen. 
Als Dorzeihen famt ihr mir nur, daß fchon Höhere 
zu mir unterwegs find, — 

— nidt die Menfchen der großen Sehnfucht, des 
großen Efels, des großen Überdruffes und Das, was 
ihr den Überreft Gottes nanntet, 

— nein! Xeinl Drei Mal Hein! Auf Andere 
warte ich hier in diefen Bergen und will meinen Fuß 
nicht ohne fie von dannen heben, 

— auf Höhere, Stärkere, Sieghaftere, Wohlge- 
muthere, Solche, die rechtwinklig gebaut find an Leib 
und Seele: lachende Löwen müffen fommen! 


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| Oh, meine Baftfreunde, ihr Wunderlihen, — hörtet 
I ihr noch Nichts von meinen Kindern? Und daf fie 
zu mir unterwegs find? t 
| Sprecht mir doch von meinen Bärten, von meinen 
| glücfeligen Infeln, von meiner neuen fcönen Art, f 
| —_ warım iprecht ihr mir nicht davon? 
\ Dies Gaftgefchen? erbitte, ih mir von eurer Liebe, ||; 
| daß ihr mir von meinen Kindern fprecht. Hierzu bin | 
ich reich, hierzu ward ih arm: was gab ich nicht hin, |! 

| — mas gäbe ich nit hin, daß ich Eins hätte: « 
diefe Kinder, diefe lebendige Pflanzung, diefe Kebens- — 
bäume meines Willens und meiner höchſten Hoffnung!” | 


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| Alfo ſprach Sarathuftra und hielt plöglich inne in | 
feiner Rede: denn ihn überflel feine Sehnfucht, und er j 
ii flog Augen und Mund vor der Bewegung feines || 
! Derzens. Und audh alle feine Gäſte fchwiegen und | 
5 ftanden ftill und beftürzt: nur daß der alte Wahrfager | 
I mit Händen und Gebärden Seichen gab. | 

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Das Abendmahl. 





An diefer Stelle nämlicy unterbrach der Wahrfager 
die Begrüßung Sarathuftra’s und feiner Gäſte: er 
drängte ſich vor, wie Einer, der feine Seit zu verlieren 
hat, faßte die Hand Zarathuſtra's und rief: „Aber 
Sarathuftral 

Eins ift nothwendiger als das Andre, fo redeft du 
felber: wohlan, Eins ift mir jeßt nothwendiger als 
alles Andere. j 

Ein Wort zur rechten Seit: haft du mich nicht zum 
Mahle eingeladen? Und hier find Diele, die lange 
Wege machten. Du willſt uns doch nicht mit Reden 
abfpeifen ? 

Auch gedachtet ihr Alle mir fchon zu viel des 
Erfrierens, Ertrinfens, Erftidens und andrer Zeibes- 
Aothftände: Keiner aber gedachte meines Xothflandes, 
nämlich des Derhungerns —“ 

(Alfo ſprach der Wahrfager; wie die Chiere Zara⸗ 
thuftra’s aber diefe Worte hörten, liefen fie vor Schrecken 
davon. Denn fie fahen, daß was fie au am Tage 
heimgebradit hatten, nicht genug fein werde, den Einen 
Wahrfager zu ftopfeit.) 


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„Eingerechnet das Derdurften, fuhr der Wahrfager 
for. Und ob ich ſchon Waſſer hier plätfchern höre, 
gleih Reden der Weisheit, nämlidy reichlich und uner- 
mädlih: ih — will Wein! 

Nicht Jeder ift gleih Sarathuftra ein geborner 
Waffertrinfer. Waſſer taugt au nicht für Müde und 
Derwelfte: uns gebührt Wein, — der erft giebt plöß- 
lihes Geneſen und ftegreife Gefundheitl“ 

Bei diefer Gelegenheit, da der Wahrfager nad 
Wein begehrte, gefhah es, daß auch der König zur 
Kinfen, der Schweigfame, einmal zu Worte fam. „Für 
Wein, ſprach er, trugen wir Sorge, ich fammt meinem 
Bruder, dem Könige zur Rechten: wir haben Weins 
genug, — einen ganzen Efel vol. So fehlt Nichts 
als Brod.“ 

„BrodP entgegnete Sarathuftra und lachte dazu. 
Nur gerade Brod haben Einfiedler nicht. Aber der 
Menfc lebt niht vom Brod allein, fondern auch vom 
Sleifhe guter Lämmer, deren ich zwei habe: 

— Die foll man gefhwinde ſchlachten und würzig, 
mit Salbei, zubereiten: fo liebe ich's. Und auch an 
Wurzeln und Früchten fehlt es nicht, gut genug felbft 
für Leder- und Schmederlinge; noh an Nüſſen und 
andern Näthfeln zum Unacken. 

Alfo wollen wir in Kürze eine gute Mahlzeit machen. 
Wer aber mit effen will, muß aud mit Hand anlegen, 
auch die Könige. Bei Zarathuſtra nämlich darf aud 
ein König Koch fein.” 

Mit diefem Vorſchlage war Allen nad; dem Herzen 


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geredet: nur daß der freiwillige Bettler ſich gegen 
Fleiſch und Wein und Würzen ſträubte. 

„Aun hört mir doch dieſen Schlemmer Zarathuſtral 
fagte er fcherzhaft: geht man dazu in Höhlen und 
Hoch⸗Gebirge, daß man folhe Mahlzeiten macht? 

Nun freilich verftehe ich, was er einft uns lehrte: 

„Gelobt fei die kleine Armuthl” und warum er die 
Bettler abſchaffen will.“ 
.  nSei guter Dinge, antwortete ihm Sarathuftra, wie 
ich es bin. Bleibe bei deiner Sitte, du Trefflicher, malme 
deine Körner, trin? dein Waſſer, lobe deine Küche: 
wenn fie dich nur fröhlich madtl 

Ich bin ein Gefeg nur für die Meinen, ich bin 
fein Gefe für Allee Wer aber zu mir gehört, der 
muß von flarfen Knochen fein, auch von leichten 
Süßen, — | 

— Iuftig zu Kriegen und Seften, Fein Düfterling, 
fein Traum-Bans, bereit zum Schwerften wie zu feinem 
Feſte, gejund und heil. 

Das Befte gehört den Meinen und mir; und giebt 
man’s uns nicht, fo nehmen wir’s: die befte Nahrung, 
den reinften Himmel, die flärfften Gedanken, die 
ſchönſten Fraunl!“ — 

Alſo ſprach Sarathuftra; der König zur Rechten 
aber entgegnete: „Seltfaml Dernahm man je folde 
Fuge Dinge aus dem Munde eines Weifen? 

Und wahrlih, das ift das Seltfamfte an einem 
Weifen, wenn er zu alledem auch noch Flug und Fein 
Eſel ift.* 

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Alfo fprah der König zur Rechten und wunderte 
fih; der Eſel aber fagte zu feiner Rede mit böfem 
Willen J⸗A. Dies aber war der Anfang von jener langen 
Mahlzeit, welche „das Abendmahl“ in den Biftorien« 
Büchern genannt wird. Bei derfelben aber wurde von 
nichts Anderem geredet als vom höheren Menſchen. 


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Dom höheren Menſchen. 





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Als ih zum erften Male zu den Mlenfchen Fam, 
da that ich die Einfiedler-Chorheit, die große Chorheit: 
ich ftellte mich auf den Marft. 

Und als ich zu Allen redete, redete ich zu Keinem. 
Des Abends aber waren Seiltänzer meine Benofjen, und 
£eichname; und ich felber faft ein Leichnam. 

Mit dem neuen Morgen aber fam mir eine neue 


Wahrheit: da lernte ich fprechen „Was geht mich Markt _ 


und Pöbel und Pöbel-£ärm und lange Pöbel-Öhren an!“ 

Ihr höheren Mlenfchen, Dies lernt von mir: auf dem 
Markt glaubt Niemand an höhere Menſchen. Und wollt 
ihr dort reden, wohlan! Der Pöbel aber blinzelt „wir 
find Alle gleich”. 

„She höheren Menfchen, — fo blinzelt der Pöbel — 
es giebt Feine höheren Menfchen, wir find Alle gleich, 
Menfh ift Menfh, vor Bott — find wir Alle gleich!“ 

Dor Bottl — Aun aber ftarb diefer Gott. Dor dem 
Pöbel aber wollen wir nicht gleich fein. Ihr höheren 
Menfchen, geht weg vom Markt! 


Alfo ſprach Zarathuftra. 417 27 


| 





























2 


Dor Gott! — Nun aber ftarb diefer Bott! Ihr } 
höheren Menfchen, diefer Bott war enre größte Gefahr. . 
Seit er im Grabe liegt, feid ihr erft wieder auf 
erfianden. Nun erft kommt der große Mittag, num erft 
wird der höhere Menfh — Berrl 1. 
Derftandet ihr dies Wort, oh meine Brüder? hr feid | 
erfchrecdt: wird euren Herzen ſchwindlig? Klafft euch 
hier der Abgrund? Kläfft euch hier der Höllenhund? | 
Wohlan!: Wohlaufl Ihr höheren Menfhen! Nun ' 
erft Preißt der Berg der Mlenfchen-Sufunft. Gott flarb: 1 
nun wollen wir, — daß der Übermenfc lebe, 


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* 


3. 
Die Sorglihften fragen heute: „wie bleibt der 
Menfc erhalten?” Sarathuftra aber fragt als der Einzige ' ;' 
und Erfte: „wie wird der Menfch überwunden?“ 
Der Übermenfch liegt mir am Herzen, der ift mein 
Erftes und Einziges, — und nicht der Menſch: nit 
der Nächſte, nicht der Armſte, nicht der Leidendfte, 
nicht der Beſte. — 
Oh meine Brüder, was id} lieben kann am Menſchen, 
das ift, daß er ein Übergang ift und ein Untergang. 
Und auch an euch ift Dieles, das mich lieben und 
hoffen macht. 
Daß ihr verachtetet, ihr höheren Menſchen, das 
madıt mich hoffen. Die großen Derachtenden nämlich 
find die großen Derehrenden. r 


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} Daß ihr verzweifeltet, daran ift Diel zu ehren. Denn 


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ihe lerntet nicht, wie ihr euch ergäbet, ihr lerntet die 
kleinen Klugheiten nicht. 

Heute nämlich wurden die kleinen Leute Herr: die 
predigen Alle Ergebung und Beſcheidung und Klugheit 


der kleinen Cugenden. 

Was von Weibsart iſt, was von Unechtsart ſtammt 
und ſonderlich der Pöbel⸗Miſchmaſch: Das will nun 
Berr werden alles Menſchen⸗Schickſals — oh Efell 
Efell Efell 

Das frägt und frãgt und wird nicht müde: „wie 
erhält ſich der Menſch, am beſten, am längſten, am 
angenehmſten?“ Damit — ſind ſie die Herrn von Heute. 

Dieſe Herrn von Heute überwindet mir, oh meine 
Brüder, — dieſe kleinen Leute: die find des Über- 
menſchen größte Gefahr! 

Überwindet mir, ihr höheren Menfchen, die Fleinen 
Tugenden, die kleinen Klugheiten, die Sandkorn⸗Rück⸗ 
fihten, den Ameifen-Kribbelfram, das erbärmliche 
Behagen, das „Glück der Meiften” —I 

Und lieber verzweifelt, als daß ihr euch ergebt. 
Und, wahrlich, ich liebe euch dafür, daß ihr heute nicht 
zu leben wißt, ihr höheren Menfchenl So nämlich lebt 
ihr — am beiten! 

% 
4. 

Habt ihr Muth, oh meine Brüder? Seid ihr herz 

haft? Nicht Muth vor Zeugen, fondern Einfiedler- und 








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Adler-Muth, dem auch Fein Gott mehr zufteht? ) 





Kalte Seelen, Maulthiere, Blinde, Trunkene heißen 
mir nicht herzhaft. Herz hat, wer Furcht Pennt, aber 
Furcht zwingt; wer den Abgrund flieht, aber mit Stolz. 

Wer den Abgrund fteht, aber mit Adlers- Augen, 
— wer mit Adlers- Krallen den Abgrund faft: Der 
hat Muth. — — 


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5. 

„Der Menſch ift böfe” — fo fpradhen mir zum 
Trofte alle Weifeften. Ach, wenn es heute nur noch 
wahr iftll Denn das Böfe ift des Menfchen befte Kraft. 

„Der Menſch muß befjfer und böfer werden” — 
fo Iehre ih. Das Böfefte ift nöthig zu des Über- 
menſchen Beftem. 

Das modte gut fein für jenen Prediger der Pleinen 
Keute, daß er litt und trug an des Menfchen Sünde, 
Ich aber erfreue mich der großen Sünde als meines 
großen Troftes. — 

Solches ift aber nicht für lange Ohren gefagt. 
FJedwedes Wort gehört auch nicht in jedes Maul, Das 
find feine ferne Dinge: nad} denen follen nicht Schafs« 


Klauen greifen! . 


6. 
Ihr höheren Menfchen, meint ihr, ich fei da, gut zu 
machen, was ihr fchleht madhtet? 
Oder ih wollte fürderhin euch Keidende bequemer 


betten? Oder euch Unfteten, Derirrten, Derfletterten 
neue leichtere Sußfteige zeigen P | 





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ein! Hein! Drei MalXlein! Immer Mehr, immer 
Beflere eurer Art follen zu Grunde gehn, — denn ihr 
follt es immer fchlimmer und härter haben. So allen — 

— fo alfein wächſt der Menſch in die Höhe, wo der 
Blitz ihn trifft und zerbricht: hoch genug für den Blitz! 

Auf Weniges, auf Kanges, auf Sernes geht mein 
Sinn und meine Sehnfudht: was gienge mich euer 
Feines, vieles, kurzes Elend anl 

Ihr leidet mir noch nicht genugl Denn thr leidet 
an euch, ihr Tittet noch niht am Menſchen. Ihr 
würdet lügen, wenn ihr’s anders fagtetl Ihr leidet Alle 
nicht, woran ich litt. — — 


* * 
* 


7. 

Es ift mir nicht genug, daß der Blitz nicht mehr 
fhadet. Nicht ableiten will ih ihn: er foll lernen für 
mich — arbeiten. — 

Meine Weisheit fammelt fih lange fchon gleich 
einer Wolfe, fie wird ftiller und dunkler. So thut jede 
Weisheit, weldye einft Blite gebären foll. — 

Diefen Menjhen von heute will ih nicht Licht 
fein, nicht Licht heißen. Die— will ich bienden: 
Blitz meiner Weisheitl ftih ihnen die Augen aus! 


* * 
* 


8. 


Wollt Nichts über euer Dermögen: es giebt eine 
fhlimme Salfchheit bei Solchen, die über ihr Der- 
mögen wollen. 


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Sonderlich, wenn fie große Dinge wollen! Denn 
fie weden Mißtrauen gegen große Dinge, diefe feinen 
Falſchmünzer und Schaufpieler: — 

— bis fie endlich falfch vor ſich felber find, ſchiel⸗ 
äugig, übertünchter Wurmfraß, bemäntelt durch ftarfe 
Worte, durch Aushänge- Tugenden, durch glänzende 
falfche Werke, 

Habt da eine gute Dorficht, ihr höheren Menfchen! 
Nichts nämlich gilt mir heute Foftbarer und feltner als 
Redlichkeit. 

ft dies Heute nicht des PöbelsP Pöbel aber weiß 
nicht, was groß, was Hein, was gerade und redlich ift: 
der ift unfchuldig krumm, der lügt immer. 


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9. 


Habt heute ein gutes Mißtrauen, ihr höheren 
Menfchen, ihr Beherzten! Ihr Offenherzigen! Und haltet 
eure Gründe geheim! Dies Heute nämlich ift des Pöbels. 

Was der Pöbel ohne Gründe einft glauben lernte, 
wer könnte ihm duch Gründe Das — ummwerfen? 

Und auf dem Markte überzeugt man mit Gebärden. 
Aber Gründe machen den Pöbel mißtrauiſch. 

Und wenn da einmal Wahrheit zum Siege Fam, 
fo fragt euh mit gutem Mißtrauen: „welch ftarker 
Irrthum hat für fie gekämpft?“ 

Bütet euh auch vor den Gelehrten! Die haffen 
euch: denn fie find unfruchtbarl Sie haben Falte ver- 
trodnete Augen, vor ihnen liegt jeder Dogel entfedert. 

Solhe brüften fih damit, daß fie nicht lügen: 


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aber Ohnmacht zur Lüge iſt lange noch nicht Liebe 
sur Wahrheit. Hütet euch! 

Freiheit von Fieber iſt lange noch nicht Erkennt⸗ 
niß! Ausgekälteten Geiſtern glaube ich nicht. Wer 
nicht lügen kann, weiß nicht, was Wahrheit ift. 


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10. 


Wollt ihr hoch hinaus, fo braucht die eignen Beinel 
Saft euch nicht empor tragen, ſetzt euch nicht auf 
fremde Rüden und Köpfel 

Du aber ftiegft zu Pferde? Du reiteft nun hurtig 
hinauf zu deinem Ziele? Wohlen, mein Sreund! Aber 
dein lahmer Fuß fit auch mit zu Pferdel 

Wenn du an deinem Siele bift, wenn du von deinem 
Dferde fpringft: anf deiner Höhe gerade, du höherer 
Menſch, — wirft du ftolpern! 


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11. 

Ihr Schaffenden, ihre höheren Menſchen! Man ift 
nur für das eigne Kind fchwanger. 

Laßt euch Nichts vorreden, einredenl Wer ift 
denn ener Vächſter? Und handelt ihr auch „für den 
Nächſten“, — ihr ſchafft doch nicht für ihn! 

Derlernt mir doch dies „Für”, ihr Schaffenden: enre 
Tugend gerade will es, daß ihr Fein Ding mit „für“ 
und „um“ und „weil“ thut. Gegen diefe falfchen Meinen 
Worte follt ihr euer Ohr zukleben. 

Das „für den Nächſten“ ift die Tugend nur der 


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Meinen Leute: da heißt es „gleich und gleich“ und 
„Hand wäfht Band“: — fie haben nicht Hecht nod} 
Kraft zu eurem Eigennuß! 

In eurem Eigennut, ihr Schaffenden, iſt der 
Schwangeren Dorfiht und Dorfehungl Was Niemand 
noch mit Augen ſah, die Frucht: die fchirmt und fchont 
und nährt eure ganze Liebe. 

Wo eure ganze Kiebe ifl, bei eurem Kinde, da ift 
auch eure ganze Tugend| Euer Werk, euer Wille ift euer 
Nächſter“: laßt euch Feine falfhen Werthe einreden! 

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12. 

Ihr Schaffenden, ihr höheren Menſchen! Wer gebären 
muß, der ift frank; wer aber geboren hat, ift unrein. 

Stagt die Weiber: man gebiert nicht, weil es Der- 
gnägen madıt. Der Schmerz madt Hühner und Dichter 
gadern. 

Ihr Schaffenden, an euch ift viel Unreines. Das 
madıt, ihr mußtet Mütter fein. 

Ein neues Kind: oh wie viel neuer Schmutz kam 
auch zue Welt! Geht bei Seitel Und wer geboren hat, 
ſoll feine Seele rein wafchen! 

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» 


13. 
Seid nicht tugendhaft über eure Kräftel Und wollt 
Nichts von euch wider die Wahrfcheinlichkeitl 
Geht in den Sußtapfen, wo fchon eurer Däter 
Tugend gieng! Wie wolltet ihr hoch fleigen, wenn nicht 
eurer Däter Wille mit euch fleigt? 


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Wer aber Erftling fein will, fehe zu, daß er nicht 
auch Kebtling werdel Und wo die Kafter eurer Däter 
find, darin follt ihr nicht Heilige bedeuten wollen! 

Weſſen Däter es mit Weibern hielten und mit 
ftarfen Weinen und Wildfchweinen: was wäre es, wenn 
Der von fi} Keufchheit wollte? 

Eine Narrheit wäre es! Diel, wahrlich, dünft es 
mich für einen Solchen, wenn er Eines oder zweier oder 
dreier Weiber Mann if. 

Und ftiftete er Klöfter und fchriebe über die Thür: 
„der Weg zum Beiligen”, — ich ſpräche doch: wozu 
es ift eine neue Xarrheit! 

Er ftiftete fih felber ein Zucht. und Sluchthaus: 
wohl befomm’sl Aber ich glaube nicht daran. 

In der Einfamfeit wächſt, was Einer in fie bringt, 
auch das innere Dieh. Solcergeftalt widerräth ſich 
Dielen die Einfamteit. 

Gab es Schmußigeres bisher auf Erden als Wüſten⸗ 
Beilige? Um die herum war nicht nur der Teufel los, 
— fondern auch das Schwein. 


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14, 

Schen, befhämt, ungefchidt, einem Tiger gleich, 
dem der Sprung mißrieth: alfo, ihr höheren Mlenfchen, 
fah ich oft euch bei Seite fchleihen. Ein Wurf miß- 
rieth euch. 

Aber, ihr Würfelfpieler, was liegt daran! Ihr 
lerntet nicht fpielen und fpotten, wie man fpielen und 


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ſpotten muß! Sitzen wir nicht immer an einem großen 
Spott⸗ und Spieltifche? 

Und wenn euch Großes mißrieth, feid ihr felber 
darum — mißrathen? Und mißriethet ihr felber, miß- 
rieth darım — der Menſch? Mißrieth aber der Menſch: 
wohlan! wohlaufl 


* 
* 


15. 

Je höher von Art, je feltener geräth ein Ding. Ihr 
höheren Menſchen hier, feid ihr nicht alle — mißgerathen ? 

Seid guten Muths, was liegt daran! Wie Dieles ift 
noch möglich! Kernt über euch felber lachen, wie man 
laden muß! 

Was Wunders au, daß ihr mißriethet und halb 
geriethet, ihr Halb⸗Zerbrochenen! Drängt und ftößt fi 
nicht in euh — des Menfchen Sufunft? 

Des Menfchen Fernſtes, Tiefftes, Sternen-Böchftes, 
feine ungeheure Kraft: ſchäumt Das nicht alles gegen 
einander in eurem Copfe? 

Was Wunders, daß mancher Topf zerbrichtl Kernt 
über euch lachen, wie man lachen muß! Ihr höheren 
Menfchen, oh wie Dieles ift noch möglich! 

Und wahrlich, wie Diel gerieth fon! Wie reich 
ift diefe Erde an kleinen guten vollflommenen Dingen, 
an Wohlgerathenem! 

Stellt Fleine gute volllommene Dinge um euch, 
ihr höheren Menſchen! Deren goldene Reife heilt das 
Herz. Dolltommnes lehrt hoffen, 


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16. 

Weldhes war hier auf Erden bisher die größte 
Sünder War es nicht das Wort Deffen, der ſprach: 
„Wehe Denen, die hier lichen” 

Sand er zum Lachen auf der Erde felber Feine 
Gründer So fuchte er nur fchledt. Ein Kind findet 
‚hier noch Gründe. 

Der — liebte nicht genug: fonft hätte er auch uns 
geliebt, die Lachenden! Aber er haßte und höhnte uns, 
Beulen und Hähneflappern verhieß er uns. 

Muß man denn gleich fluchen, wo man nicht liebt ? 
Das — dünkt mid ein ſchlechter Geſchmack. Aber 
fo that er, diefer Unbedingte. Er fam vom Pöbel. 

Und er felber liebte nur nicht genug: fonft hätte 
er weniger gezürmt, daß man ihn nicht liebe. Alle 
große Liebe will nicht Kiebe: — die will mehr. 

Geht aus dem Wege allen folden Unbedingten! 
Das ift eine arme kranke Art, eine Pöbel-Art: fie fehn 
ſchlimm diefem Leben zu, ſie haben den böfen Blid 
für diefe Erde. 

Geht aus dem Wege allen folhen Unbedingten! 
Sie haben fchwere Füße und ſchwüle Herzen: — fie 
wiffen nicht zu tanzen. Wie möchte Solchen wohl die 
Erde leicht fein! 


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17. 


Krumm fommen alle guten Dinge ihrem Siele nahe. 
Gleih Katzen machen fie Budel, fie fchnurren inne . 





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wendig vor ihrem nahen Glücke, — alle guten Dinge 
lachen. 

Der Schritt verräth, ob Einer ſchon auf ſeiner 
Bahn ſchreitet: fo ſeht mich gehn! Wer aber feinem 
Biel nahe fommt,.der tanzt. 

Und, wahrlich, zum Standbild ward ich nicht, noch 
fiehe ih nicht da, ſtarr, ſtumpf, fleinern, eine Säule; 
ich liebe geſchwindes Laufen. 

Und wenn es auf Erden auch Moor und dice 
CTrübfal giebt: wer leichte Füße hat, läuft über Schlamm 
noch hinweg und tanzt wie auf gefegtem Eife. 

Erhebt eure Herzen, meine Brüder, hoch! höher! 
Und vergeßt mir aud die Beine nichtl Erhebt aud 
eure Beine, ihr guten Tänzer, und beffer nody: ihr fteht 
auch auf dem Kopf! 


18, 


Diefe Krone des LKachenden, diefe Aofenfranz- 
Krone: ich felber fette mir diefe Krone auf, ich felber 
ſprach heilig mein Gelächter. Keinen Anderen fand ich 
heute flarf genug dazu. 

Sarathuftra der Tänzer, Sarathuftra der Leichte, der 
mit den Flügeln winkt, ein Flugbereiter, allen Dögeln 
zumwinfend, bereit und fertig, ein Selig-Keichtfertiger: — 

Sarathuftra der Wahrfager, Sarathuftra der Wahr- 
ladher, Fein Ungeduldiger, Fein Unbedingter, Einer, der 
Sprünge und Seitenfpränge liebt; ich felber fette mir 
diefe Krone aufl 


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19. 

Erhebt eure Herzen, meine Brüder, hoch! höher! | 
Und vergeßt mir auch die Beine nicht! Erhebt aud | 
eure Beine, ihr guten Tänzer, und beffer noch: ihr fteht |: 
auch auf dem Kopfl 

Es giebt auch im Glück fchweres Gethier, es giebt 
Plumpfüßler von Anbeginn. Wunderlich mühn fie fi 
ab, einem Elephanten glei, der fi müht auf dem 
Kopf zu ftehn. 

Beſſer aber noch närriſch fein vor Glücke, als 
närrifh vor Unglüde, beffer plump tanzen als lahm 
gehn. So lernt mir doch meine Weisheit ab: auch das 
fhlimmfte Ding hat zwei gute Kehrfeiten, — 

— auch das fdylimmfte Ding hat gute Tanzbeine: 
fo lernt mir doch euch felbit, ihr höheren Menſchen, 
anf eure rechten Beine ftellen! 

So verlernt mir doch Trübfal- Blafen und alle 
pöbel-KCraurigfeitl Oh wie traurig dünfen mich heute 
des Pöbels Hanswürſte nohl Dies Beute aber ift des 
pöbels. 


20. 


Dem Winde thut mir gleich, wenn er aus feinen Berg. 
höhlen flürzt: nad} feiner eignen Pfeife will er tanzen, 
die Meere zittern und hüpfen unter feinen Fußtapfen. 

Der den Eſeln Slügel giebt, der Löwinnen melkt, 
gelobt jei diefer gute unbändige Geift, der allem Heute 
und allem Pöbel wie ein Sturmwind kommt, — | 


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— der Diftel- und Tiftelföpfen feind iſt und allen 
welfen Blättern und Unfräutern: gelobt fei diefer wilde 
gute freie Sturmgeift, welcher auf Mlooren und Trübfalen 
wie auf Wiefen tanzt 

Der die Pöbel-Schwindhunde haft und alles miß- 
rathene düftere Gezücht: gelobt fei diefer Geiſt aller 
freien Beifter, der lachende Sturm, welcher allen Schwarz- 
fihtigen, Schwärfüchtigen Staub in die Augen bläft! 

Ihr höheren Menfchen, euer Schlimmftes if: ihr 
lerntet alle nicht tanzen, wie man tanzen muß — über 
euch hinweg tanzen! Was liegt daran, daß ihr miß- 
riethetl 

Wie Dieles ift noch möglih! So lernt doch über 
euch hinweg lahenl Erhebt eure Herzen, ihr guten 
Tänzer, hoch! höher! Und vergeft mir auch das gute 
Cachen nicht! 


Diefe Krone des Lachenden, diefe Roſenkranz⸗ 


Krone: euch, meinen Brüdern, werfe ich diefe Krone zul 
Das Laden ſprach ich heilig; ihr höheren Menfchen, 
Sernt mie — laden! 


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Das gied der Schwermuth. 





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Als Sarathuftrg diefe Reden ſprach, fand er nahe 
dem Eingange feiner Höhle; mit den letzten Worten 
aber entfchlüpfte er feinen Gäſten und floh für eine 
furze Weile in’s Freie. 

„Oh reine Gerüche um mich, rief er aus, ob felige 
Stille um mih! Aber wo find meine Thiere? Heran, 
heran, mein Adler und meine Schlange! 

Sagt mir doch, meine Thiere: diefe höheren Men⸗ 
[hen insgefammt — riechen fie vielleicht nicht gut? 
Oh reine Gerühe um mich! Jetzo weiß und fühle ich 
erft, wie ich euch, meine Thiere, liebe.“ 

— Und Sarathuftra fpradh nochmals: „ich liebe 
euch, meine Chierel” Der Adler aber und die Schlange 
drängten fih an ihn, als er diefe Worte ſprach, und 
fahen zu ihm hinauf. Solchergeftalt waren fie zu drei 
till beifammen und fchnüffelten und fchlürften mit ein- 
ander die gute Luft. Denn die Luft war hier draußen 
befjer als bei den höheren Menfcen. 


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Kaum aber hatte Sarathuftra feine Höhle verlaffen, 
da erhob ſich der alte Sauberer, ſah liftig umher und 
ſprach: „Er ift hinaus! 

Und fchon, ihr höheren Menſchen — daß ich euch 
mit diefem Cob⸗ und Schmeichel⸗Vamen kitzle, gleich 
ihm felber — fchon fällt mid; mein fchlimmer Trug⸗ 
und Saubergeift an, mein fchwermüthiger Teufel, 

— welcher diefem Sarathuftra ein Widerfadher ift 
aus dem Örunde: vergebt es ihm! Nun will er vor 
euch zaubern, er hat gerade feine Stunde; umfonft 
ringe ich mit diefem böfen Geiſte. 

Euch Allen, welhe Ehren ihr euch mit Worten 
geben mögt, ob ihr euch „die freien Geiſter“ nennt oder 
„die Wahrhaftigen” oder „die Büßer des Geiſtes“ oder 
„vie Entfeffelten“ oder „die großen Sehnfüdtigen“, 

— euch Allen, die ihr am großen Efel leidet 
gleich mir, denen der alte Gott farb und noch Fein 
neuer Bott in Wiegen und Windeln liegt, — euch Allen 
ift mein böfer Beift und Sauber-Teufel hold. 

Ich kenne euch, ihr höheren Mlenfchen, ich Fenne 
ihn, — ich kenne auch diefen Unhold, den ich wider 
Willen liebe, diefen Sarathuftra: er felber dünkt mich 
öfter gleich einer fchönen Heiligen-Karve, 

— gleih einem neuen wunderlihen Ulummen- 
fhanze, in dem fi} mein böfer Geift, der fchwer- 
müthige Teufel, gefällt: — ich liebe Sarathuftra, fo 
dünft mich oft, um meines böfen Geiftes Willen. — 





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Aber fchon fällt der mich an und zwingt mich, diefer 
Geift der Schwermuth, diefer Abend-Dämmerungs-Teufel: 
und, wahrlich, ihr höheren Menfchen, es gelüftet ihn — 

— madt nur die Augen aufl — es gelüftet ihn, 
nact zu kommen, ob männlih, ob weiblid, nod 
weiß ich’s nicht: aber er fommt, er zwingt mich, wehel 
macht eure Sinne aufl 

Der Tag klingt ab, allen Dingen fommt nun der 
Abend, auch den beften Dingen; hört nun und feht, ihr 
höheren Menfchen, welcher Teufel, ob Mann, ob Weib, 
diefer Geift der Abend-Schwermuth tft!“ 


Alfo ſprach der alte Sauberer, fah liftig umher und 
griff dann zu feiner Harfe 


8. 
Set abgehellter Kuft, 
Wenn fchon des Chau’s Tröftung 
Sur Erde niederquillt, 
Unſichtbar, auch ungehört — 
Denn zartes Schuhwerk trägt 
Der Tröfter CThau glei allen Troft-Milden —: 
Gedenfft du da, gedenkft du, heißes Herz, 
Wie einft du durfteteft, 
Vach himmlifchen Chränen und Chau-Beträufel 
Derfengt und müde dnrfteteft, 
Dieweil auf gelben Bras-Pfaden 
Boshaft abendlihe Sonnenblice 








Alfo ſprach Zarathuftra. 433 28 





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Durch ſchwarze Bäume um dich liefen, 
Blendende Sonnen⸗Gluthblicke, ſchadenfrohe? 


„Der Wahrheit Freier? Du? — fo höhnten fie — 


ein! Nur ein Dichter! 

Ein Chier, ein liftiges, raubendes, fchleichendes, 
Das lügen muß, 

Das wiffentlich, willentlih lügen muß: 

Nach Beute lüftern, 

Bunt verlarot, 

Sid; felber Karve, 

Sidy felbft zur Bente — 

Das — der Wahrheit Freier? 
Nein! Nur Narr! ur Dichter! 
Nur Buntes redend, 

Aus Harren-Larven bunt herausfchreiend, 
Berumfteigend auf lügnerifhen Wort-Brüden 
Auf bunten Regenbogen, 
Zwiſchen falfchen Himmeln 

Und falſchen Erden, 

Herumſchweifend, herumſchwebend, — 

Nur Narr! Nur Dichter! 


Das — der Wahrheit Sreier? 

Nicht fill, ftarr, glatt, kalt, 

Sum Bilde worden, 

Sur Gottes-Säule, 

Nicht aufgeftellt vor Cempeln, 

Eines Gottes Chürwart: 

ein! feindfelig folhen Wahrheits-Standbildern, 
In jeder Wildniß heimijcher als vor Tempeln, 


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Doll Katzen⸗Muthwillens, 

Durch jedes Fenſter ſpringend 

Huſchl in jeden Zufall, 

Jedem Urwalde zuſchnüffelnd, 
Südtig-fehnfüchtig zuſchnüffelnd, 

Daß du in Urwäldern 

Unter buntgefleckten Raubthieren 
Sündlich⸗geſund und bunt und ſchön liefeſt, 
Mit lüfternen Lefzen, 

Selig-höhnifch, felig-höllifh, felig-blutgierig, 
Raubend, fchleichend, Iugend liefeſt: — 


Oder dem Adler gleich, der lange, 
Cange ſtarr in Abgründe blickt, 

In feine Abgründe: — — 

Oh wie fie ſich hier hinab, 
Binunter, hinein, 

In immer tiefere Tiefen ringeln! — 
Dann, 

Plößlich, geraden Zugs, 

Gezüdten Flugs, 

Auf Lämmer floßen, 

Sach hinab, heißhungrig, 

Uah Lämmern lüftern, . 

Sram allen Lamms-Seelen, 
Grimmig-gram Allem, was blidt 
Schafmäßig, Iammängig, frausmwollig, 
Grau, mit Lamms-Schafs-Wohlwollen! 


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Adlerhaft, pantherhaft 


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Sind des Dichters Sehnfüchte, 
Sind deine Sehnfüchte unter taufend Karven, 
Du Varrl Du Didterl 


Der du den Menſchen fchauteft 

So Bott als Schaf —: 

Den Gott zerreißen im Menfchen 
Wie das Schaf im Menſchen, 

Und zerreißend lahen — 


Das, das tft deine Seligfeitl 
Eines Panthers und Adlers Seligfettl 
Eines Dichters und Narren Seligfeitl" — — 


Bei abgehellter Luft, 

Wenn fchon des Monds Sichel 
Grün zwifchen Purpurröthen 

Und neidiſch hinſchleicht: 

— dem Tage feind, 

mit jedem Schritte heimlich 

An Rofen-Hängematten 

Binfichelnd, bis fie finfen, 
Nacht⸗abwäris blaß hinabfinfen: — 


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So ſank ich ſelber einſtmals 

Aus meinem Wahrheits⸗Wahnſinne, 

Aus meinen Tages-Sehnfüchten, 

Des Tages müde, franf vom Lichte, 

— fan? abwärts, abendwärts, fchattenwärts! 


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Don Einer Wahrheit 

Derbrannt und durftig: 

— gedenkſt du noch, gedenkſt du, heißes Herz, 
Wie da du durfteteft? — 

Daß ih verbannt fei 

Don aller Wahrheit, 

Nur Narrl 

Nur Dichterl 


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Von der Wiſſenſchaft. 





Alſo ſang der Zauberer; und Alle, die beiſammen 
waren, giengen gleich Vögeln unvermerkt in das Netz 
ſeiner liſtigen und ſchwermüthigen Wolluſt. Nur der Ge⸗ 
wiſſenhafte des Geiſtes war nicht eingefangen: er nahm 
flugs dem Zauberer die Harfe weg und rief „Luft! Laßt 
gute Luft herein! Laßt Sarathuftra herein Du madıft 
diefe Höhle ſchwül und giftig, du fchlimmer alter Sauberer! 

Du verführft, du Salfcher, Feiner, zu unbekannten 
Begierden und Wildniffen. Und wehe, wenn Solche wie 
du, von der Wahrheit NRedens und Wefens machen! 

Wehe allen freien Geiftern, welche nicht vor ſolchen 
Sauberern auf der Hut find! Dahin ift es mit ihrer 
Steiheit: du lehrft und lockſt zurüd in Gefängniſſe, — 

— du alter [hwermüthiger Teufel, aus deiner Klage 
klingt eine Lockpfeife, du gleichft Solchen, welche mit 
ihrem £obe der Keufchheit heimlich zu Wollüften laden!“ 

Alfo fprah der Gewiſſenhafte; der alte Sauberer 
aber blidte um fi, genoß feines Sieges und ver« 
fhlucdte darüber den Derdruß, welhen ihm der Ge⸗ 
wiſſenhafte machte. „Sei ftilll fagte er mit befcheidener 
Stimme, gute Lieder wollen gut widerhallen; nach 








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guten Liedern foll man lange ſchweigen. j 


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aber haft wohl Wenig von meinem Lied verſtanden? 


- Zn dir ift Wenig von einem Saubergeifte.” 


„Du lobft mich, entgegnete der Gewiſſenhafte, indem 
du mich von dir abtrennft, wohlan! Aber ihr Anderen, was 
fehe ich? Ihr fit alle noch mit lüfternen Augen da —: 

Ihr freien Seelen, wohin ift eure Freiheit! Saft, dünkt 
midy’s, gleicht ihr Solchen, die lange fchlimmen tanzen- 
den nadten Mädchen zufahn: eure Seelen tanzen felber! 

In euch, ihr höheren Menjchen, muß mehr von Dem 
fein, was der Sauberer feinen böfen Sauber und Trug» 
geift nennt: — wir müffen wohl verfchieden fein. 

Und wahrlih, wir fprahen und dachten genug 
mitfammen, ehe Sarathuftra heimfam zu feiner Höhle, 
als daß ih nicht wüßte: wir find verfchieden. 

Wir fuhen Verſchiednes auch hier oben, ihr und _ 
ih. Ih nämlich ſuche mehr Sicherheit, deshalb 
fam ih zu Sarathuftra Der nämlih ift noch der 
feftefte Churm und Wille — 

— heute, wo Alles wadelt, wo alle Erde bebt. 
Ihr aber, wenn ich eure Augen fehe, die ihr madıt, 
faft dünkt midy’s, ihr fucht mehr Unficherheit, 

— mehr Schauder, mehr Gefahr, mehr Erdbeben. 
Euch gelüftet, fat dünft mich's fo, vergebt meinem 
Dünfel, ihr höheren Menſchen, — 

— euch gelüftete nach dem fchlimmften gefähr- 
fichften Keben, das mir am meiften Furcht macht, nadı 
dem Leben wilder Chiere, nach Wäldern, Höhlen, fteilen 
Bergen und Irr⸗Schlünden. 

Und nicht die Führer aus der Gefahr gefallen euch 











459 


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So thun es dieſe Alle, die höheren Menſchen. Du | 


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| am beften, fondern die euch von allen Wegen abführen, 


die Verführer. Aber, wenn ſolch Gelüften an euch | 
wirklich ift, fo dünft es mich troßdem unmöglid. 
Sucht nämlich — das iſt des Menfhen Erb- und 1 
Grundgefühl; aus der Furcht erflärt fih Jegliches, Erb- — 
fünde und Erbtugend. Aus der Furcht wuchs auch 
meine Tugend, die heißt: Wiſſenſchaft. | 
Die Furcht nämlich vor wildem Gethier — die wurde 

dem Menſchen am längften angezüchtet, einſchließlich | 
| das Chier, das er in fich felber birgt und fürdhtet: _ 
'  Sarathuftra heißt es „das innere Dich”. | 
Solhe lange alte Furcht, endlih fein geworden, | 
geiftlih, geiſtig — heute, dünkt mich, heißt fie: i 
Wiffenfhaft“ — | 
Alfo ſprach der Gewiffenhafte; aber Sarathuftra, der | 

) 


. eben in feine Höhle zurüdfam und die letzte Rede ge 
' Hört und errathen hatte, warf dem Gewiſſenhaften eine 


Band voll Rofen zu und lachte ob feiner „Wahrheiten“. 
„Wiel rief er, was hörte ich da eben? Wahrlich, mid) 
dünkt, du bift ein Narr oder ich felber bin’s: und deine 
„Wahrheit“ ftelle ich ruds und flugs auf den Kopf. 

Furcht nämlich — tft unfre Ausnahme. Muth aber 
und Abenteuer und Luft am Ungemwiffen, am Ungewagten, 
— Muth dünft mich des Menſchen ganze Dorgefdichte. 

Den wildeften muthigften Chieren hat er alle ihre 
Tugenden abgeneidet und abgeraubt: fo erft wurde er 
— zum Menſchen. 

Diefer Muth, endlih fein geworden, geiftlich, 
geiftig, diefer Menfchen- Muth mit Adler. Slügeln und 
Schlangen-Klugheit: der, dünkt mid, heißt heute —“ 





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„Sarathuſtra“! ſchrien Alle, die beiſammen ſaßen, 
wie aus Einem Munde und machten dazu ein großes 
Gelächter; es hob ſich aber von ihnen wie eine ſchwere 
Wolfe. Aud der Sauberer lachte und ſprach mit 
Klugheit: „Wohlanl Er ift davon, mein böfer Geiſtl 

Und habe ih euch nicht felber vor ihm gewarnt, 
als ich fagte, daß er ein Betrüger fei, ein £ug- und 
Truggeift? 

Sonderlihd nämlih, wenn er fi nadend zeigt. 
Aber was kann ich für feine Tüden! Habe ich ihn 
und die Welt gejchaffen ? 

Wohlanl Seien wir wieder gut und guter Dinge! 
Und ob ſchon Sarathuftra böfe blickt — feht ihn doc! 
er ift mir gram —: 

— bevor die Nacht fommt, lernt er wieder mich 
lieben und loben, er kann nicht lange leben, ohne foldhe 
Thorheiten zu thun. 

Der — liebt feine Feinde: diefe Kunft verfteht er 
am beften von Allen, die ih fah. Aber er nimmt 
Rache dafür — an feinen Freunden!“ 

Alfo fprah der alte Sauberer, und die höheren 
Menſchen zollten ihm Beifall: fo daß Sarathuftra herum- 
gieng und mit Bosheit und Kiebe feinen Sreunden die 
Hände fchüttelte, — gleihfam als Einer, der an Allen 
Etwas gutzumadhen und abzubitten hat. Als er aber 
dabei an die Thür feiner Höhle fam, flehe, da gelüftete 
ihn fchon wieder nach der guten Luft da draußen und 
nad feinen Chieren, — und er wollte hinaus fchlüpfen. 


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441 











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Unter Töchtern der Müfte, 





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„Gehe nicht davon! fagte da der Wanderer, der 
fih den Schatten Sarathuftra’s nannte, bleibe bei uns, 
— es möchte fonft uns die alte dumpfe Trübfal wieder 
anfallen. 

Schon gab uns jener alte Sauberer von feinem 
Schlimmften zum Beften, und fiehe doch, der gute 
fromme Papft da hat Thränen in den Augen und ſich 
garız wieder aufs Meer der Schwermuth eingefdifft. 

Diefe Könige mögen wohl vor uns noch gute Miene 
machen: das lernten Die nämlich von uns Allen heute 
am beften! Hätten fie aber feine Seugen, ich wette, 
auch bei ihnen fienge das böfe Spiel wieder an — 

— das böfe Spiel der ziehenden Wolfen, der feuchten 
Schwermuth, der verhängten Himmel, der geftohlenen 
Sonnen, der heulenden Herbſt⸗Winde, 

— das böfe Spiel unfres Heulens und Nothfchreiens: 
bleibe bei uns, oh Sarathuftral Bier ift viel verborgenes 
Elend, das reden will, viel Abend, viel Wolfe, viel 
dumpfe £uftl 





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Du nährteſt uns mit ſtarker Manns⸗Koſt und 


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kräftigen Sprüchen: laß es nicht zu, daß uns zum Nach⸗ 
tifch die weichlichen weiblichen Geiſter wieder anfallen! 

Du allein madft die Luft um dich herum flarf und 
Mari Sand ich je auf Erden fo gute Luft als bei dir 
in deiner Höhle? 

Diele Länder fah ih doch, meine Aafe lernte 
vielerlei Luft prüfen und abſchätzen: aber bei dir 
jhmeden meine Nüftern ihre größte Zuftl 

Es fei denn, — es fei denn —, oh vergieb eine 
alte Erinnerungl Dergieb mir ein altes Nachtifch-Kied, 
das ich einft unter Töchtern der Wüfte dichtete: — 

bei denen nämlich gab es glei gute helle 
morgenländifche Luft; dort war ich am fernften vom 
wolkigen feuchten fhwermüthigen Alt-Europal 

Damals liebte ich ſolcherlei Morgenland-Mädchen 
und andres blaues Himmelreich, über dem feine Wolfen 
und feine Gedanken hängen. 

Ihr glaubt es nicht, wie artig fie dafaßen, wenn 
fie nicht tanzten, tief, aber ohne Gedanken, wie Feine 
Geheimniffe, wie bebänderte Räthſel, wie Nachtifcdy- 
Näſſe — 

bunt und fremd fürwahrl aber ohne Wolfen: 
Räthſel, die fi rathen laffen: folhen Mädchen zu 
Siebe erdachte ich damals einen Nachtiſch⸗Pſalm.“ 

Alfo fprady der Wanderer und Schatten; und ehe 
Jemand ihm antwortete, hatte er fchon die Harfe des 
alten Sauberers ergriffen, die Beine gefreuzt und blickte 
gelaffen und weife um fih: — mit den Nüſtern aber 
30g er langfam und fragend die £uft ein, wie Einer, der 


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445 





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| in neuen Ländern nene fremde Kuft foftet. Darauf hob 
| er mit einer Art Gebrüll zu fingen an. 


| 
| 2. 
| Die Wüfte wächſt: weh Dem, der Wüften birgt! 


— Hal Feierlich! 
In der Chat feierlich! 
Ein würdiger Anfang! 
Afrikaniſch feierlich! 
Eines Löwen würdig 
| Oder eines moralifhen Brüllaffen — 
— aber Nichts für eud,, 
| Ihr allerliebften Freundinnen, 
| Zu deren Füßen mir 
| 
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Zum erften Male, 
Einem Europäer unter Palmen, 
Zu fien vergönnt ift. Sela. 


Wunderbar wahrlich! 
Da fie ih num, 
| Der Wüfte nahe, und bereits 
| So ferne wieder der Wüſte, 
Aud in Nichts noch verwüftet: 
4 Nämlich hinabgeſchluckt 
Don dieſer kleinſten Oaſis —: 
— ſie ſperrte gerade gähnend 
Ihr liebliches Maul auf, 
Das wohlriechendſte aller Mäulchen. 





Den 





Da fiel ich hinein, 
Hinab, hindurch — unter end, 
Ihr allerliebften Freundinnen! Sela. 


Heil, Heil jenem Walftfche, 

Wenn er alfo es feinem Safte 
Wohl fein ließ! — ihr verfteht 
Meine gelehrte Anfpielung ? 

Heil feinem Bauche, 

Wenn er alfo 

Ein fo liebliher Bafis-Baud war 
Gleich diefem: was ich aber in Sweifel ziehe, 
— dafür fomme ich aus Europa, 
Das zmweifelfüchtiger ift als alle 
Ältlihen Eheweibchen. 

Möge Gott es beſſern! 

Amen! 


Da file ih nun, 

In diefer kleinſten Oaſis, 

Einer Dattel gleich, 

Braun, durdfüßt, goldfhwürig, lüſtern 
Nach einem runden Mädchenmunde, 

Mehr noch aber nah mädcdenhaften 
Eisfalten ſchneeweißen fchneidigen 
Beißzähnen: nach denen nämlich 

Lechzt das Herz allen heißen Datteln. Sela 


Den genannten Südfrüchten 
Ähnlich, allzuähnlich 
Ziege ich hier, von Meinen 


445 


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Slügelfäfern 

Umfchnüffelt und umfpielt, 
Insgleihen von noch Bleineren 
Chörichteren fündhafteren 
Wünfhen und Einfällen, — 
Umlagert von end, 

Ihr ftummen, ihr ahnungsvollen 
Mädchen-Katen, 

Dudn und Suleifa, 

— umfphingt, daß ih in Ein Wort 
Diel Gefühle ftopfe: 

(Dergebe mir Bott 

Diefe SpradSündel) 

— fiße hier, die befte Luft fchnüffelnd, 
Daradiefes-£uft wahrlich, 

Lichte leichte Luft, goldgeftreifte, 
So gute Luft nur je 

Dom Monde herabflel — 

Sei es aus Zufall, 

Oder gefhah es aus Äbermuthe? 
Wie die alten Dichter erzählen. 
Ich Sweifler aber ziehe es 

In Sweifel, dafür aber fomme ich 
Aus Europa, 

Das zweifelfüchtiger ift als alle 
Ältlihen Eheweibchen. 

Möge Bott es beffern! 

Amen. 


Diefe fhönfte Luft trinfend, 


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446 


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Mit Nüſtern geſchwellt gleich Bechern, 
Ohne Zukunft, ohne Erinnerungen, 
So fite ich hier, ihr 

Allerliebften Sreundinnen, 

Und fehe der Palme zu, 

Wie fie, einer Tänzerin gleich, 

Sid biegt und fchmiegt und in der Hüfte wiegt, 

— man thut es mit, fieht man lange zul 

Einer Tänzerin gleich, die, wie mir fcheinen will, 

Zu lange ſchon, gefährlich fange 

Immer, immer nur auf Einem Beindyen fand ? 

— da vergaß fie darob, wie mir fcheinen will, 

Das andre Bein? 

Dergebens wenigftens 

Suchte ich das vermißte 

Swillings-Kleinod 

— nämlid das andre Ben — . 

In der heiligen Tähe 

Ihres allerliebften, allerzierlichften 

Fächer⸗ und Slatter- und Slitterrödichens. 

Ja, wenn ihr mir, ihr fchönen Sreundinnen, | 
Ganz glauben wollt: 

Sie hat es verloren! 

Es ift dahin! 

Auf ewig dahin! 

Das andre Bein! 

Oh fhade um das liebliche andere Bein! 

Wo — mag es wohl weilen und verlaffen trauern ? 
Das einfame Bein? 

In Furcht vielleicht vor einem 





447 





Grimmen blondgelodten 


Abgenagt, abgefnabbert — 


| 
| 
£öwen-Unthiere® Oder gar fchon | 
Erbärmlich, wehel wehel abgefnabbertl Sela. | 
| 
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Oh weint mir nicht, 

Weiche Herzen! 

Weint mir nicht, ihr 

Dattel-Herzen! Milch⸗Buſen! 

Ihr Süßholz-Eerz- " 

Bentelchen! 

Weine nicht mehr, 

Bleihe Dudul n 

Sei ein Mann, Suleifal Muthl Muth! 

— Oder follte vielleicht 

Etwas Stärkendes, Herz-Skärkendes A 

Bier am Plate fein? " 

Ein gefalbter Spruch? J 
Ein feierlicher Sufpruh? — | 


Hal Herauf, Würdel 
Tugend-Würdel Europäer⸗Würde! 
Blafe, blafe wieder, 

Blafebalg der Tugend! 
Dal 
Noch Ein Mal brülfen, . 
Moralifch brüllen! N 
Als moralifher Löwe j 
Dor den Töchtern der Wüfte brüllen! ' 
— Denn Tugend-Gehenf, | 





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Ihr allerliebften Mädchen, 3 

Iſt mehr als Alles 
Europäer⸗Inbrunſt, Europäer-Beißhunger| 

Und da ſtehe ich ſchon, 

Als Europäer, 1 

Ich kann nicht anders, Gott helfe mir! f 

Amen! | 

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Die Wüfte wächſt: weh Dem, der Wüften birgil | 

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Alfo ſprach Zarathuſtra. 449 29 








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Grimmen blondgelockten | 
Löwen-Unthiere? Oder gar fchon | 
AUbgenagt, abgefnabbert — 
Erbärmlich, wehel wehel abgefnabbertl Sela. 

| 


Oh weint mir nicht, 
Weihe Herzen! 

Meint mir nicht, ihr : 
Dattel⸗Herzen! Milch⸗Buſen! 
Ihr Süßholz-Kerz- j j 
Beutelchen! \ 
Weine nicht mehr, ! 
Bleihe Dudul "1 
Sei ein Mann, Suleifal Muth! Muth} 
— Oder follte vielleicht " 
Etwas Stärkendes, Herz-Stärkendes i 
Bier am Plate fein? 
Ein gefalbter Spruch? 
Ein feierlicher Sufpruh? — 


Hal Herauf, Würdel 
Tugend⸗Würdel! Europäer⸗Würde! 
Blaſe, blaſe wieder, 
Blaſebalg der Tugend! J 
Hal 
Noch Ein Mal brüllen, 
Moraliſch brüllen! J 
Als moraliſcher Löwe 
Dor den Töchtern der Wüfte brüllen! 
— Denn Tugend-Gehenl, 


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Ihr allerliebſten Mädchen, 

Iſt mehr als Alles 

Europäer-Inbrunft, Europäer⸗Heißhungerl 
Und da ſtehe ich ſchon, 

Als Europäer, 

Ich kann nicht anders, Gott helfe mir! 
Amen! 


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Die Wüfte wädhft: weh Dem, der Wüften birgt! 
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Alfo ſprach Zarathuſtra. 449 29 


Die Erwedung. 


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ah dem Kiede des Wanderers und Schattens 
wurde die Höhle mit Eittem Male voll Lärmens und 
Cachens: und da die verfammelten Gäfte alle zugleich 
redeten, und auch der Efel, bei einer folden Er- 
muthigung, nicht mehr ftill blieb, überfam Sarathuftra 
ein Fleiner Widerwille und Spott gegen feinen Beſuch: 
ob er fi} gleich ihrer Sröhlichkeit erfreute. Denn fie 
dünfte ihm ein Heichen der Geneſung. So fchlüpfte er 
hinaus in’s Freie und fprach zu feinen Chieren. 

„Wo ift nun ihre Voth hin? fprach er, und ſchon 
athmete er felber von feinem Beinen Überdruffe auf, 
— bei mir verlernten fie, wie mich dünft, das Noth⸗ 
ſchrein! 

— wenn anch, leider, noch nicht das Schrein.” Und 
Sarathuftra hielt fi die Ohren zu, denn eben mifchte 
fih das J-AU des Eſels wunderlich mit dem Jubel-£ärm 
diefer höheren Menfchen. 

„Ste find Iuftig, begann er wieder, und wer weiß? 
vielleicht anf ihres Wirthes Unkoſten; und lernten fie 
von mir lachen, fo ift es doch nicht mein Zacen, das 
fie lernten. 





450 


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Aber was liegt daranl Es find alte Lente: fie 
genefen auf ihre Art, fie lahen auf ihre Art; meine 
Ohren haben fchon Schlinnmeres erduldet und wurden 
nicht unwirſch. 

Diefer Tag ift ein Sieg: er weicht fchon, er flieht, 
der Beift der Schwere, mein alter Erzfeind] Wie gut 
will diefer Tag enden, der fo fchlimm und ſchwer begann! 

Und enden will er. Schon fommt der Abend: 
über das Meer her reitet er, der gute Reiterl Wie er 
fih wiegt, der Selige, Beimfehrende, im feinen pur- 
purnen Sätteln! 

Der Himmel blickt Flar dazu, die Welt fiegt tief: 
oh all ihre Wunderlichen, die ihr zu mir famt, es lohnt 
fih fchon, bei mir zu leben!” 


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Alfo ſprach Sarathuftra Und wieder kam da das 
Gefchrei und Gelächter der höheren Mlenfchen aus der 
Höhle: da begann er von Neuem. 

„Sie beißen an, mein Köder wirft, es weicht auch 
ihnen ihr Feind, der Geift der Schwere. Schon lernen 
ı fie über fich felber lachen: höre ich recht? 

Meine Manns-Koft wirft, mein Saft- und Kraft 

Spruch: und wahrlich, ih nährte fie nicht mit Bläh- 
ı Gemüfen! Sondern mit Krieger-Koft, mit Eroberer- 
Ncoſt: nene Begierden wedte ich. 

Neue Hoffnungen find in ihren Armen und Beinen, 
ihr Herz ſtreckt fih aus. Ste finden neue Worte, bald 
wird ihre Geift Muthwillen athmen. 

Solde Koft mag freilich nicht für Kinder fein, 
1 noch aud für fehnfüctige alte und junge Weibchen. 








51 29" 





Denen überredet man anders die Eingeweide; deren 
Arzt und Lehrer bin ich nicht. 

Der Ekel weicht diefen höheren Menfchen: wohlan! 
das ift mein Sieg. In meinem Reiche werden fie ficher, 
alle dumme Scham läuft davon, fie fchütten ſich aus. 

Sie [hätten ihr Berz aus, gute Stunden Tehren 
ihnen zurüd, fie feiern und Fäuen wieder, — fie werden 
dankbar. 

Das nehme ich als das befte Zeichen: fie werden 
dankbar. Nicht lange noch, und fie denken fich Feſte 
aus und ftellen Denkfteine ihren alten Freuden auf. 

Es find Genefendel* Alfo fprah Sarathuftra 
fröhlich zu feinem Herzen und fchaute hinaus; feine 
Chiere aber drängten fih an ihn und ehrten fein Glück 
und fein Stillichweigen. 


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2. 

Plotzlich aber erfchraf das Ohr Sarathufira’s: die 
Höhle nämlich, weldhe bisher voller Lärmens und Ge 
lächters war, wurde mit Einem Male todtenftill; — feine 
Vaſe aber roch einen wohlriehenden Qualm und Weih- 
rauch, wie von brennenden Pintien-Sapfen. 

„Was gefchieht? Was treiben fie?” fragte er fidh 
und fhlih zum Eingange heran, daß er feinen Bäften, 
unvermer?t, zufehn könne. Aber, Wunder über Wunder! 
was mußte er da mit feinen eignen Augen fehn! 

„Sie find Alle wieder fromm geworden, fie beten, 
fie find toll" — fprad er und verwunderte fi über 
die Maßen. Und, fürmahr! alle diefe höheren Menfchen, 


| 


452 


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Enden — ———— — — — — — ——— — 
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die zwei Könige, der Papft außer Dienft, der fchlimme 
Sauberer, der freiwillige Bettler, der Wanderer und 
Schatten, der alte Wahrfager, der Gewiſſenhafte des 
Geiftes und der häßlichfte Menfh: fie lagen Alle 
gleih Kindern und glänbigen alten Weibchen auf den 
Knien und beteten den Efel an. Und eben begann der 
häßlichfte Menſch zu gurgeln und zu fehnauben, wie 
als ob etwas Unausfprechlidyes aus ihm heraus wolle; 
i als er es aber wirfli bis zu Worten gebracht hatte, 
fiehe, da war es eine fromme feltfame Kitanei zur Kob- 
4 preifung des angebeteten und angeräucderten Efels. 
Diieſe Litanei aber lang alfo: | 


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Amen! Und Lob und Ehre und Weisheit und Dank 

| und Preis und Stärfe fei unferm Gott, von Ewigkeit 

| zu Ewigfeit! 

{ — Der Ejel aber fchrie dazu J-A. 

| | Er trägt unfre Laft, er nahm Knedtsaeftalt an, 

\ er ift geduldfam von Herzen und redet niemals Kein; 

| und wer feinen Gott liebt, der züchtigt ihn. 

| — Der Ejel aber fchrie dazu J- A. 

Er redet nicht: es fei denn, daß er zur Welt, die 

3 er fhuf, immer Ja fagt: alfo preift er feine Welt. 
Seine Schlauheit ift es, die nicht redet: fo befömmt er 
felten Unredit. 

— Der Ejel aber fchrie dazu J⸗A. 

Unfceinbar geht er dur die Welt. Grau ift die 
Keib-Farbe, in welde er feine Tugend hüllt. Bat er 
Geift, fo verbirgt er ihn; Jedermann aber glaubt an 

i feine langen Ohren. 


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453 





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— Der Eſel aber ſchrie dazu J⸗A. 

Welche verborgene Weisheit iſt das, daß er lange 
Ohren trägt und allein Ja und nimmer Nein fagt! Hat 
er nicht die Welt erfhaffen nad feinem Bilde, nämlich 
fo dumm als möglidy? 

— Der Efel aber fchrie dazu J⸗A. 

Dun gehft gerade und krumme Wege; es fümmert 
dih wenig, was uns Mlenfchen gerade oder Frumm 
dünkt. Jenſeits von Gut und Böfe ift dein Reich. Es 
ift deine Unfchuld, nicht zu wiffen, was Unfchuld ift. 

— Der Efel aber fchrie dazu J⸗A. 

Siehe doch, wie du Niemanden von dir ftößeft, die 
Bettler nicht, noch die Könige. Die Kindlein läffeft du 
zu dir fommen, und wenn dich die böfen Buben loden, 
fo ſprichſt du einfältiglih J⸗A. 

— Der Efel aber fchrie dazu J⸗A. 

Du liebt Efelinnen und frifhe Seigen, du bift 
fein Koſtverächter. Kine Diftel. fielt dir das Herz, 
wenn du gerade Hunger haft, Darin liegt eines Gottes 
Weisheit. 

— Der Eſel aber fchrie dazu J⸗A. 





454 


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Das Efelsfeft. 





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An diefer Stelle der Kitanei aber konnte Zara⸗ 
thuftra fich nicht länger bemeiftern, fchrie felber J⸗A, 
lauter noch als der Efel, und fprang mitten unter feine 
tollgewordenen GBäfte. „Aber was treibt ihr da, ihr 
Menfchenfinder? rief er, indem er die Betenden vom 
Boden empor riß. Wehe, wenn euch jemand Anderes 
zufähe als Sarathuftra: 

Jeder würde urtheilen, ihr wäret mit eurem neuen 
Glauben die äragften Gottesläfterer oder die thörichtften 
aller alten Weiblein! 

Und du felber, du alter Papft, wie flimmt Das mit 
dir felber zufammen, daß du foldergeftalt einen Eſel 
hier als Gott anbeteft?" — 

„Gh Sarathuftra, antwortete der Papft, vergieb mir, 
aber in Dingen Gottes bin ich aufgeflärter noch als du. 
Und fo ift’s billig. 

Lieber Gott alfo anbeten, in diefer Geftalt, als in 
gar Feiner Geftaltll Denke über diefen Spruch nad, 
mein hoher Sreund: du erräthft geſchwind, in ſolchem 
Spruch ftedt Weisheit. 


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Der, welcher ſprach „Gott iſt ein Beifl” — der 
machte bisher auf Erden den größten Schritt und 
Sprung zum Unglauben: ſolch Wort ift auf Erden nicht 
leicht wieder gut zu machen! 

Mein altes Herz fpringt und hüpft darob, daß es 
auf Erden noch Etwas anzubeten giebt. Dergieb das, 
oh Sarathuftra, einem alten frommen Papft-Herzen! —“ 

— „Und du, fagte Sarathuftra zu dem Wanderer 
und Schatten, du nennft und wähnſt dich einen freien 
Geift? Und treibft hier folhen Böten- und Pfaffendienft ? 

Schlimmer, wahrlich, treibft du’s hier noch als bei 
deinen fhlimmen braunen Mädchen, du fhlimmer neuer 
Gläubiger!” 

„Shlimm genug, antwortete der Wanderer und 
Schatten, du haft Recht: aber was kann ich dafürl 


Der alte Bott lebt wieder, oh Sarathuftra, du magft 


reden, was du willft. 

Der häßlichfte Menfh ift an Allem fchuld: der 
hat ihn wieder auferwedt. Und wenn er fagt, daß er 
ihn einft getödtet habe: Tod ift bei Böttern immer nur 
ein Dorurtheil.“ 

— „Und du, fprach Sarathuftra, du fchlimmer alter 
Sauberer, was thateft dul Wer foll, in diefer freien 
Seit, fürderhin an dich glauben, wenn du an folde 
Götter-Efeleien glaubft? 

Es war eine Dummheit, was du thateft; wie fonnteft 
du, du Kluger, eine folhe Dummheit thunl“ 

„Oh Sarathuftra, antwortete der kluge Zauberer, du 
haſt Recht, es war eine Dummheit, — ſie iſt mir auch 
ſchwer genug geworden.” 


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— „Und du gar, fagte Sarathuftra zu dem Ge⸗ 
wiffenhaften des Geiftes, erwäge doch und lege den 
Singer an deine Xafel Geht hier denn Lichts wider 
dein Gewiſſen? Iſt dein Geift nicht zu reinlicy für dies 
Beten und den Dunft diefer Betbrüder ?* 

„Es ift Etwas daran, antwortete der Gewiſſenhafte 
und legte den Singer an die Vaſe, es ift Etwas an die 
fem Schaufpiele, das meinem Gewiſſen fogar wohlthnt. 

Dielleiht, daß ih an Bott nidt glauben darf: 
gewiß aber ift, daß Bott mir in diefer Geftalt noch 
am glaubwärdigften dünft. 

Gott foll ewig fein, nah dem Zeugniſſe der 
Frömmſten: wer fo viel Seit hat, läßt fi} Zeit. So 
langfam und fo dumm als möglih: damit fann ein 
Solcher es doch fehr weit bringen. 

Und wer des Geiftes zu viel hat, der möchte ſich 
wohl in die Dumm- und Narrheit felber vernarren. 
Denke über dich felber nach, oh Sarathuftra | 

Du felber — wahrlichl auch du Fönnteft wohl aus 
Überfluß und Weisheit zu einem Efel werden. 

Geht nicht ein volllommner Weifer gern anf den 
frümmften Wegen? Der Angenfchein lehrt es, oh Zara⸗ 
thuftra, — dein Angenfcein |” 

— „Und du felber zulett, ſprach Sarathuftra und 
wandte fich gegen den häßlichften Menfchen, der immer 
noh anf dem Boden lag, den Arm zu dem Efel empor- 
hebend (er gab ihm nämlich Wein zu trinken). Sprid,, 
du Unausfpredlicher, was haft du da gemacht! 

Du dünfft mich verwandelt, dein Auge glüht, der 











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— — — — — — 


Mantel des Erhabenen liegt um deine Häßlichkeit: was 
thateſt du? 

Iſt es denn-wahr, was Jene ſagen, daß du ihn 
wieder auferwecdteft? Und wozu? War er nicht mit 
Grund abgetödtet und abgethan? 

Du felber dünkſt mih aufgewedt: was thateft 
duP? was Fehrteft du um? Was befehrteft du dich? 
Sprich, du Unausfpredlicher|” 

„Oh Sarathuftra, antwortete der häßlichfte Menſch, 
du bift ein Schelm! 

Ob Der nod lebt oder wieder lebt oder gründlich 
todt ift, — wer von uns Beiden weiß Das am Beften ? 
Ich frage did. 

Eins aber weiß ich, — von dir felber lernte ich’s 
einft, oh Sarathuftras wer am gründlichſten tödten will, 
der lacht. 

„Nicht duch Forn, fondern dur Lachen tödtet 
man” — fo ſprachſt du einf. Oh Sarathuftra, du Der- 
borgener, du Dernichter ohne Horn, du gefährlicher 
Beiliger, — du bift ein Schelm!* 


2, 


Da aber geſchah es, daß Sarathuftra, verwundert 
fiber lauter folhe Schelmen-Antworten, zur Thür feiner 
Höhle zurück fprang und, gegen alle feine Gäſte ge- 
wendet, mit ftarfer Stimme jchrie: 

„Dh ihre Schalks-Narren allefammt, ihr Poffen- 
reißerl Was verftellt und verftedt ihr euch vor mir! 





—— —— ———————————— — — —— — — —- 


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Wie doch einem Jeden von euch das Herz zappelte 
vor Luft und Bosheit, darob, daß ihr endlich einmal 
wieder wurdet wie die Kindlein, nämlich fromm, — 

— dag ihr endlich wieder thatet wie Kinder thun, 
nämlich betetet, hände-faltetet und „lieber Gott“ ſagtet! 

Aber nun laßt mir diefe Kinderftube, meine eigne 
Höhle, wo heute alle Kinderei zu Haufe if. Kühlt 
hier draußen euren heißen Kinder-Äbermuth und 
Herzenslärm abl 

Steilich: fo ihr nicht werdet wie die Kindlein, fo 
kommt ihr nicht in das Himmelreih. (Und Sarathuftra 
zeigte mit den Händen nach Oben.) 

Aber wir wollen auch gar nit in’s Himmelreich: 
Männer find wir worden, — fo wollen wir das 
Erdenreid.” 


8. 

Und nod einmal hob Sarathuftra an zn reden. 
„Oh meine neuen Sreunde, fpradh er, — ihr Wunder: 
lichen, ihr höheren Menſchen, wie gut gefallt ihr mir 
nun, — 

— feit ihr wieder fröhlich wurdetl Ihr feid wahr- 
lih Alle aufgeblüht: mid dünkt, ſolchen Blumen, wie 
ihr feid, thun neue Feſte noth, 

— ein Pleiner tapferer Unfinn, irgend ein Gottes» 
dienft und Efelsfeft, irgend ein alter fröhlicher Zara⸗ 
thuftra-Harr, ein Braufewind, der euch die Seelen 
hell bläft. 


— ——— ——— — ⸗ — — 
— ———— — — — — 








459 














Vergeßt diefe Naht und diefes Efelsfeft nicht, ihr 
höheren Menfhenl Das erfandet ihr bei mir, Das 
nehme ich als gutes Wahrzeichen, — Solcherlei erfinden 
nur Genejendel 

Und feiert ihe es abermals, diefes Efelsfeft, thut's 
euch zu Liebe, thut’s auch mir zu Liebel Und zu 
meinem Gedächtnißl“ 


Alfo ſprach Sarathuftra. | | 


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Das trunkne Lied. 





l. 


Inzwifchen aber war Einer nad dem Andern hin- 
ausgetreten in’s Freie und in die Pühle nachdenkliche 
Vacht; Harathuftra felber aber führte den häßlichften 
Menfhen an der Hand, dag er ihm feine Nadt-Welt 
und den großen runden Mond und die filbernen Waffer- 
ftürze bei feiner Höhle zeige. Da ftanden fie endlich 
ftill bei einander, lauter alte Kente, aber mit einem 
getröfteten tapferen Herzen und verwundert bei fich, 
daß es ihnen auf Erden fo wohl war; die Heimlichkeit 
der Nacht aber fam ihnen näher und näher an’s Herz. 
Und von Neuem dachte Sarathuftra bei fih: „oh wie 
gut fie mir nun gefallen, diefe höheren Menſchen!“ — 
aber er ſprach es nicht aus, denn er ehrte ihr Glück 
und ihr Stillichweigen. — 

| Da aber gejhah Das, was an jenem erftaunlichen 
| langen Tage das Erſtaunlichſte war: der häßlichite 
| Menſch begann nody ein Mal und zum letzten Mal zu 
gurgeln und zu fchnauben, und als er es bis zu Worten 
gebracht hatte, fiehe, da fprang eine Frage rund und 


| zeinlih aus feinem Munde, eine gute tiefe klare Frage, 


_ —— 





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——— — — — — — — — — —— — — ————— — — 


— ——— —— — — — — —— ————————— — — 
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welche Allen, die ihm zuhörten, das Herz im Leibe 
bewegte. 

„Meine Sreunde insgefammt, ſprach der häßlichſte 
Menfh, was dünket euch? Um diefes Tags willen — 
ich bin’s zum erften Male zufrieden, daß ich das ganze 
£eben lebte. 

Und daß ih fo viel bezeuge, ift mir noch nicht 
genug. Es lohnt fi anf der Erde zu leben: Ein Tag, 
Ein Feſt mit Sarathuftra lehrte mich die Erde lieben. 

„Dar Das — das Leben?“ will ih zum Tode 
fprehen. „Wohlan! oh Ein Mall“ 

Meine Freunde, was dünfet euh? Wollt ihr nicht 
gleih mir zum Tode fprehen: War Das — das 


£eben? Um Sarathuftra’s willen, wohlan! Noch Ein 


Mall! — — 

Alſo fprah der häßlichfte Menſch; es war aber 
nicht lange vor Mitternacht. Und was glaubt ihr wohl, 
dag damals fi zutrugP Sobald die höheren Menfchen 
feine Frage hörten, wurden fie fih mit Einem Male 
ihrer Derwandlung und Genefung bewußt, und wer 
ihnen Ddiefelbe gegeben habe: da fprangen fie auf 
Sarathuftra zu, dankend, verehrend, Liebfofend, ihm die 
Hände küſſend, fo wie es der Art eines Jeden eigen 
war: alfo, daß Einige lachten, Einige weinten. Der alte 
Wahrfjager aber tanzte vor Dergnügen; und wenn er 
auch, wie manche Erzähler meinen, damals voll füßen 
Weines war, fo war er gewißlich noch voller des füßen 
Sebens und hatte aller Müdigkeit abgeſagt. Es giebt 
fogar Solche, die erzählen, daß damals der Eſel getanzt 
habe: nicht umfonft nämlich habe ihm der häßlichfle 








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Menſch vorher Wein zu trinken gegeben. Dies mag fi 
nun fo verhalten oder auch anders; und wenn in 
Wahrheit an jenem Abende der Efel nicht getanzt hat, 
fo gefchahen doch damals größere und feltiamere Wunder- 
dinge, als es das Tanzen eines Eſels wäre. Kurz, wie 
das Sprüchwort Sarathuftra’s lautet: „was liegt daran!“ 


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2. 

Sarathuftra aber, als ſich dies mit dem häßlichften 
Menfhen zutrug, ftand da wie ein Trunkener: fein 
Blick erlofch, feine Sunge lallte, feine Füße fchwantten. 
Und wer möchte auch errathen, welche Gedanken dabei 
über Sarathuftra’s Seele liefen? Erfichtlid aber wid 
fein Geiſt zurüd und floh voraus und war in weiten 
Fernen und gleihfam „auf hohem Joche, wie gefchrier 
ben fteht, zwifchen zwei Mleeren, 

— zwiſchen Dergangenem und Sufünftigem als 
fhwere Wolfe wandelnd“. Allgemad aber, während 
ihn die höheren Menfchen in den Armen hielten, fam er 
ein Wenig zu fi felber zurüd und wehrte mit den 
Händen dem Gedränge der Derehrenden und Beforgten; 
doch ſprach er nit. Mit Einem Male aber wandte 
er fchnell den Kopf, denn er fchien Etwas zu hören: 
da legte er den Finger an den Mund und fprad: 
„Kommt!“ 

Und alsbald wurde es rings ftill und heimlich; aus 
der Tiefe aber fam langfam der. Klang einer Glocke 
herauf. Zarathuſtra horchte darnach, gleich den höheren 
Menſchen; dann aber legte er zum andern Male den 











465 











Singer an den Mund und ſprach wiederum: „Kommt! 
Kommt! Es geht gen Mitternadtl” — und feine 
Stimme hatte fi verwandelt. Aber immer noch rührte 
er fih nicht von der Stelle: da wurde es noch ftiller 
und heimlicher, und Alles horchte, auch der Efel, und 
Zarathuſtra's Ehrenthiere, der Adler und die Schlange, 
insgleichen die Höhle Sarathuftra’s und der große fühle 
Mond und die Nacht felber. Zarathuſtra aber legte zum 
dritten Male die Hand an den Mund und fpradı: 

Kommtl Kommt! Kommt! Caßt uns jebo 
wandeln! Es ift die Stunde: laßt uns in die 
Nacht wandeln! 


3. 

Ihr höheren Menfchen, es geht gen Mitternacht: da 
will ih euch Etwas in die Ohren fagen, wie jene alte 
Glode es mir in’s Ohr fagt, — 

— fo heimlid, fo fchredlih, fo herzlich, wie jene 
Mitternadhts-Glode zu mir es redet, die mehr erlebt 
hat als Ein Menſch: 

— melde {don eurer Däter Herzens-Schmerzens- 
Schläge abzählte — achl achl wie fie fenfztl wie fie 
im Traume lacht! die alte tiefe tiefe Mitternacht! 

Stiff! Still Da hört ſich Mandes, das am Tage 
nicht laut werden darf; nun aber, bei Fühler £uft, da 
auch aller Lärm eurer Herzen ftille ward, — 

— num redet es, nun hört es fi, nun fchleicht es 
fih in nädtliche überwache Seelen: ahl ah! wie fie 
feufzt! wie fie im Traume ladtl 





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— hörft du’s nicht, wie fie heimlich, ſchrecklich, 
herzlich zu dir redet, die alte tiefe tiefe Mitternacht ? 
Oh Menfd, gieb Adt! 


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4. 

Wehe mirl Wo iſt die Zeit hin? Sank ich nicht in 
tiefe Brunnen? Die Welt ſchläft — 

Ahl Ach! Der Hund heult, der Mond fcheint. 
Kieber will ich fterben, fterben, als euch fagen, was 
mein Mitternachts⸗Herz eben denkt. 

Nun ftarb ich fon. Es ift dahin. Spinne, was 
fpinnft du um mihP Wil du Blut? Ahl Al Der 
Chau fällt, die Stunde fommt — 

— die Stunde, wo mid; fröftelt und friert, die fragt 
und fragt und fragt: „wer hat Herz genug dazu ? 

— wer foll der Erde Herr fein? Wer will fagen: 
fo follt ihr laufen, ihr großen und Pleinen Strömel” 

— die Stunde naht: oh Menſch, du höherer Menſch, 
gieb Acht! diefe Rede ift für feine Ohren, für deine 
Ohren — was fpricht die tiefe Mitternadht? 


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5, 
Es trägt mid} dahin, meine Seele tanzt. Tagewerkl 
Tagewert! Wer foll der Erde Herr fein? 
Der Mond ift fühl, der Wind ſchweigt. Ahl Adıl 
Flogt ihr ſchon hoch genug? hr tanztet: aber ein Bein 
ift doch Bein Flügel. 





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Alſo ſprach Zarathuſtra. 465 30 





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| Ihr guten Tänzer, num ift alle Luft vorbei: Mein 
| ward Hefe, jeder Becher ward mürbe, die Gräber 
ftammeln. 


Ihr flogt nit hoch genug: nun flammeln die 
Gräber „erlöft doch die Todtenl Warum ift fo lange 
Nacht? Macht uns nicht der Mond trunken?“ 

Ihr höheren Menfchen, erlöft doch die Gräber, weckt 
die Leichname aufl Ach, was gräbt nody der Wurm? 
Es naht, es naht die Stunde, — 

— es brummt die Glocke, es fchnarrt no das 
Herz, es gräbt noch der Holzwurm, der Herzenswurm 
Ahl Adl Die Welt ift tiefl 


6. 


Süße Leierl Süße Leierl Ich liebe deinen Ton, 
deinen trunfenen Unfen-Tonl — wie lang her, wie fern 
her fommt mir dein Ton, weit her, von den Teidhen 
der Liebel! 

Du alte Blode, du füße Leierl Jeder Schmerz riß 
dir in’s Berz, Daterfchmerz, Däterfchmerz, Urväter- 
fchmerz; deine Rede wurde reif, — 

— reif gleich goldenem Herbſte und Nachmittage, 
gleich meinem Einfiedlerherzen — nun redeft du: die 
Welt felber ward reif, die Traube brännt, 

— nun will fie flerben, vor Glück fterben. Ihr 
höheren Menfchen, riecht ihr’s nicht? Es quillt heimlich 
ein Geruch herauf, 

— ein Duft und Geruch der Ewigkeit, ein rofen- 
feliger brauner &old-Wein-Gerud von altem Glüde, 


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— von trunkenem Mitternadhts-Sterbeglüde, wel⸗ 
ches ſingt: die Welt iſt tief, und tiefer als der Tag 
gedacht 


7. 

Laß mihl Laß mich! Ich bin zu rein für dich. 
Kühre mid nicht anl Ward meine Welt nicht eben 
»olllommen ? 

Meine Hant ift zu rein für deine Hände. Laß mid, 
du dummer tölpifher dumpfer Tagl Iſt die Mitternacht 
nicht heller? 

Die Reinften follen der Erde Berrn fein, die Un- 
erfannteften, Stärfften, die Mitternachts-Seelen, die 
heller und tiefer find als jeder Tag. 

Oh Tag, du tappft nah mir? Du tafteft nad 
meinem Blüde? Ic bin dir reich, einfam, eine Schatz⸗ 
grube, eine Goldkammer? 

Oh Welt, du willft mih? Bin ich dir weltlich? 
Sin ich dir geiſtlich? Bin ich dir göttlih? Aber Tag 
und Welt, ihr feid zu plump, — 

— habt Mügere Hände, greift nach tieferem Glücke, 
nad} tieferem Unglüce, greift nad} irgend einem Gotte, 
greift nicht nach mir: 

— mein Unglüd, mein Glück ift tief, du wunder- 
liher Tag, aber doch bin ich Fein Gott, Feine Gottes» 
Hölle: tief ift ihr Weh. 


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8. 

Gottes Weh ift tiefer, du wunderliche Welt! Greife 
nach Gottes Weh, nicht nad mirl Was bin ih! Eine 
trunfene füße Leier, — 

— eine Mitternadts-Keier, eine Glocken⸗Unke, die 
Niemand verfteht, aber welche reden muß, vor Tauben, 
ihr höheren Menfhenl Denn ihr verfteht mich nicht! 

Dahin! Dahin! Oh Jugend] Oh Mittagl Oh Nach—⸗ 
mittagl Nun Fam Abend und Yacht und Mitternacht, 
— der Hund heult, der Wind: 

— ift der Wind nicht ein Hund? Er winfelt, er 
Fäfft, er heult. Ach! Adhl wie fie fenfztl wie fie 
lacht, wie fie röchelt und Feucht, die Mitternacht! 

Wie fie eben nüchtern fpricht, dieſe trunkene 
Dichterin! fie übertran? wohl ihre Crunfenheit? fie 
wurde überwach? fie käut zurück? 

— ihr Weh käut fie zurück, im Traume, die alte 
tiefe Mitternacht, und mehr noch ihre Luft. Luſt nämlich, 
wenn ſchon Weh tief ift: Luſt ift tiefer nod als 
Herzeleid. 


* * 
* 


9. | 
Du Weinftodl Was preifeft du mih? Ich fchnitt 
dich dohl Ich bin araufam, du bluteſt —: was will 
dein Lob meiner trunfenen Braufamfeit? 
„Was volllommen ward, alles Reife — will ſterben!“ 
fo rebeſ du. Geſegnet, geſegnet ſei das Winzermeſert 
Aber alles Unreife will leben: wehel 


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Weh ſpricht: „Dergehl Weg, du Wehe!“ Aber 
Alles, was leidet, will leben, daß es reif werde und 
luftig und fehnfüchtig, 

— fehnfühtig nad Fernerem, Höherem, Hellerem. 
„Ich will Erben, fo fpricht Alles, was leidet, ich will 
Kinder, ih will niht mid,” — 

£uft aber will nicht Erben, nicht. Kinder, — Luft 
will fi felber, will Ewigkeit, will MWiederfunft, will 
Alles-fih-ewig-gleidh. 

Weh fpriht: „Brich, blute, Herzl Wandle, Bein! 
Slügel, flieg! Hinanl Hinaufl Schmerzi“ Wohlanl 
Wohlaufl Oh mein altes Herz: Wehfpricht: „vergehl“ 


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| Ihr höheren Menfchen, was dünfet euh? Bin ich 
ein Wahrfager? Ein Träumender? Trunkener? Ein 
Traumdeuter? Eine Mitternachts⸗Glocke? 

Ein Tropfen Thau's ? Ein Dunft und Duft der Ewig- 

keit? Hört ihr’s nicht? Riecht ihr’s nicht? Eben ward 
; meine Welt volllommen, Mitternacht ift auch Mittag, — 
Schmerz ift auch eine Luft, Fluch ift auch ein 
Segen, Nacht ift auch eine Sonne, — geht davon oder 
ihr lernt: ein Weifer ift auch ein Xarr. 

Sagtet ihr jemals Ja zu Einer Luſt? Oh, meine 
Steunde, fo fagtet ihr Ja auch zu allem Wehe. Alle 
Dinge find verfettet, verfädelt, verliebt, — 

— molltet ihr jemals Ein Mal zweimal, ſpracht ihr 
jemals „du gefällt mir, Glück! Aufl Angenblick!- 

| fo wolltet ihre Alles zurüdl 





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— Alles von neuem, Alles ewig, Alles verkettet, 
verfädelt, verliebt, oh fo liebtet ihr die Welt, — 
— ihr Ewigen, liebt fie ewig und allezeit: und auch 
sum Weh fpreht ihr: vergeh, aber komm zurüd! 
Denn alle Luſt will — Ewigfeitl 


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11. 

Alle Luft will aller Dinge Ewigkeit, will Honig, 
will Hefe, will trunfene Mitternadht, will Gräber, will 
Gräber-Chränen-Troft, will vergüldetes Abendroth — 

— was will nicht £uftl fie ift durſtiger, herzlicher, 
hungriger, fchredlicher, heimlicher als alles Weh, fie will 
fi, fie beißt in fi, des Ringes Wille ringt in ihre, — 

— fie will Kiebe, fie will Haß, fie ift überreich, 
ſchenkt, wirft weg, bettelt, daß Einer fie nimmt, danft 
dem Nehmenden, fie möchte gern gehaßt fein, — 

— fo reich ift Luft, daß fie nach Wehe durftet, nad) 
Hölle, nah Haß, nah Schmadh, nad dem Krüppel, 
nah Welt, — denn diefe Welt, oh ihr Fennt fie jal 

Ihr höheren Menfchen, nach eudy fehnt fie fich, die 
Luft, die unbändige, felige, — nad; eurem Weh, ihr Miß- 
rathenen! Nach Mißrathenem fehnt fich alle ewige Luft. 

Denn alle £uft will fich felber, drum will fie auch 
Herzeleid! Oh Slüd, oh Schmerz! Oh brich, Herzl Ihr 
höheren Menfcen, lernt es doc, Luft will Ewigkeit, 

— Luſt will aller Dinge Ewigkeit, will tiefe, 
tiefe Ewigkeit! 


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12. 


Serntet ihr nun mein Lied? Errieihet ihr, was es 
will? Wohlan! Wohlaufl Ihr höheren Menfchen, fo 
fingt mir nun meinen Rundgefang! 

Singt mir num felber das Lied, deß Name ift „VNoch 
ein Mal”, deß Sinn ift „in alle Ewigfeitl” — fingt, ihr 
höheren Menfchen, Sarathuftra’s Rundgefang! 


Oh Menſchl Gieb Adhtl 
Was fpricht die tiefe Mitternacht? 
„Ich ſchlief, ih ſchlief —, 

Aus tiefem Traum bin ich erwacht: — 
Die Welt iſt tief, 
„Und tiefer als der Tag gedacht. 
„Tief ift ihr Weh —, 
„Enft — tiefer nod als Herzeleid: 
„Weh fpricht: Dergeh! 
„Doc alle £uft will Ewigkeit —, 
»— will tiefe, tiefe Ewigfeitl* 


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Das Seichen. 





Des Morgens aber nach diefer Nacht fprang Zara⸗ 
thuftra von feinem Lager auf, gürtete ſich die Lenden 
und Fanı heraus aus feiner Höhle, glühend und ftark, 
wie eine Morgenfonne, die aus dunklen Bergen fommt. 

„Du großes Geftirn, ſprach er, wie er einftmals 
gefprochen hatte, du tiefes Glücks-Auge, was wäre all 
dein Glück, wenn du nicht Die hätteft, welchen du 
leuchteft] 

Und wenn fie in ihren Kammern blieben, während 
du fchon wach bift und kommſt und fchenfit und aus- 
theilft: wie würde darob deine ftolge Scham zürnen! 

Wohlanl fie fchlafen noch, diefe höheren Menfchen, 
während ih wadh bin: das find nicht meine rechten 
Gefährten! Nicht auf fie warte ich hier in meinen Bergen. 

Su meinem Werfe will ich, zu meinem Tage: aber 
fie verftehen nicht, was die Zeichen meines Morgens 
find, mein Scritt — ift für fie fein Weckruf. 

Sie ſchlafen noch in meiner Höhle, ihr Traum trinft 
noh an meinen trunfenen Liedern. Das Ohr doch, das 
nach mir horcht, — das gehorchende Ohr fehlt in 
ihren Gliedern.“ 


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— Dies hatte Zarathuſtra zu feinem Herzen ge- 
fprochen, als die Sonne aufgieng: da blickte er fragend 
in die Höhe, denn er hörte über fich den fcharfen Auf 
feines Adlers. „Wohlanl rief er hinauf, fo gefällt und 
gebührt es mir. Meine Chiere find wad, denn ich 
bin wach. 

Mein Adler ift wach und ehrt gleich mir die Sonne. 
Mit Adlers-Klauen greift er nach dem neuen Lichte. 
Ihr feid meine rechten Chiere; idy liebe euch. 

Aber noch fehlen mir meine rechten Menſchen!“ — 


Alfo ſprach Sarathuftra; da aber gefhah es, daß 
er ſich plötlich wie von unzähligen Dögeln umſchwärmt 
und umflattert hörte, — das Gefchwire fo vieler Slügel 
aber und das Gedräng um fein Haupt war fo groß, 
daß er die Augen fchloß. Und wahrlich, einer Wolke 
gleich ftel es über ihn her, einer Wolke von Pfeilen 
gleich, welche fich über einen neuen Feind ausichüttet. 
Aber fiehe, hier war es eine Wolfe der Kiebe, und 
über einen neuen Freund. 

„Was gefdieht mir?” dachte Zarathuftra in feinem 
erftaunten Herzen und ließ fi langfam auf dem 
großen Steine nieder, der neben dem Ausgange feiner 
Höhle lag. Aber, indem er mit den Bänden um fid 
und über fi} und unter ſich griff und den zärtlichen 
Dögeln wehrte, fiehe, da gefhah ihm etwas noch 
Seltfameres: er griff nämlich dabei unvermerft in ein 
dichtes warmes Haar-Bezottel hinein; zugleich aber 
erfcholl vor ihm ein Gebrüll, — ein fanftes langes 
Söwen- Brüllen, 





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„Das Seihen fommt“, ſprach Sarathufira, und 
fein Herz verwandelte ih. Und in Wahrheit, als es 
helle vor ihm wurde, da lag ihm ein gelbes mächtiges 
Gethier zu Süßen und ſchmiegte das Haupt an feine 
Knie und wollte nicht von ihm laffen vor Kiebe, und 
that einem Ijunde gleich, welcher feinen alten Herrn 
wiederfindet. Die Tauben aber waren mit ihrer Liebe 
nicht minder eifrig als der Löwe; und jedes Hal, wenn 
eine Taube über die Naſe des Löwen hufchte, fchüttelte 
der Löwe das Haupt und wunderte fi und lachte dazu. 

Hu dem Allen fprah Sarathuftra nur Ein Wort: 
„meine Kinder find nahe, meine Kinder" —, 
dann wurde er ganz ftumm. Sein Herz aber war gelöft, 
und aus feinen Augen’tropften Thränen herab und fielen 
auf feine Hände. Und er achtete Feines Dings mehr 
und faß da, unbeweglih und ohne daß er fi noch 
gegen die Thiere wehrte. Da flogen die Tauben ab und 
zu und fetten ſich ihm auf die Schulter und liebfoften 
fein weißes Haar und wurden nicht müde mit Särtlich- 
feit und Srohloden. Der ftarfe Löwe aber leckte 
immer die Thränen, welche auf die Hände Jarathuftra’s 
herabftelen und brüllte und brummte ſchüchtern dazu. 
Aljo trieben es diefe Thiere. — 

Dies Alles dauerte eine lange Seit, oder eine kurze 
deit: denn, recht gefprochen, giebt es für dergleichen 
Dinge auf Erden feine deit —. Inzwifchen aber waren 
die höheren Menfchen in der Höhle Sarathuftra’s wach 
geworden und ordneten fich mit einander zu einem Zuge 
an, daß fie Sarathuftra entgegen giengen und ihm den 
Morgengruß böten: denn fie hatten gefunden, als ſie 





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erwachten, daß er ſchon nicht mehr unter ihnen weilte. 
Als ſie aber zur Thür der Höhle gelangten, und das 
Geräuſch ihrer Schritte ihnen voranlief, da ſtutzte der 
£öwe gewaltig, kehrte ſich mit Einem Male von Sara- 
thuftra ab und fprang, wild brüllend, auf die Höhle los; 
die höheren Mlenfchen aber, als fie ihn brüllen hörten, 
fchrien alle auf, wie mit Einem Munde, und flohen zurüd 
und waren im Nu verſchwunden. 

Sarathuftra felber aber, betäubt und fremd, erhob 
ſich von feinem Site, fah um ſich, fand ſtaunend da, 
fragte fein Herz, befann fi und war allein. „Was 
hörte ich doch? ſprach er endlich langſam, was geſchah 
mir eben?“ 

Und jchon Fam ihm die Erinnerung, und er begriff 
mit Einem Blide Alles, was zwifchen Geftern und Heute 
fih begeben hatte. „Bier ift ja der Stein, ſprach er 
und ſtrich fi den Bart, auf dem faß ich geftern am 
Morgen; und hier trat der Wahrfager zu mir, und hier 
hörte ich zuerft den Schrei, den ich eben hörte, den 
großen Nothichrei. 

Oh ihr höheren Menfchen, von eurer Noth war’s 
ja, daß geftern am Morgen jener alte Wahrfager mir 
wahrfagte, — 

— zu eurer Noth wollte er mich verführen und 
verfuhhen: oh Sarathuftra, ſprach er zu mir, ich komme, 
daß ich dich zu deiner letzten Sünde verführe. 

Su meiner lebten Sünde? rief Sarathuftra und lachte 
zornig Über fein eigenes Wort: was blieb mir dod 
aufgefpart als meine legte Sünde?“ 

— Und nod ein Mal verſank Sarathuftra in fich 








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und ſetzte ſich wieder auf den großen Stein nieder und 
ſann nad. Plötzlich ſprang er empor, — 

„Mitleiden!l Das Mitleiden mit dem höheren 
Menfhen! fchrie er auf, und feih Antlig verwandelte 
fih in Erz. Wohlanl Das — hatte feine Seitl 

Mein Leid und mein Mitleiden — was liegt daranl 
Tradite ich denn nah Glüder Ih tradte nad 
meinem Werfel 

Wohlanl Der Löwe fam, meine Kinder find nahe, 
Sarathuftra ward reif, meine Stunde fam: — 

Dies ift mein Hlorgen, mein Tag hebt an: herauf 
nun, herauf, du großer Mittagl" — — 


Alſo fprah Sarathuftra und verließ feine Höhle, 


glühend und ſtark, wie eine Mlorgenfonne, die aus 
dunklen Bergen fommt, 


Ende von Alfo ſprach Zarathuſtra. 


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Die Entitebung 
von „Alſo ſprach Sarathuitra” 


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Der „Sarathuftra” iſt das perſönlichſte Werk meines 
Bruders, die Geſchichte feiner innerften Erlebniſſe, feiner 
Steundfchaften, feiner Ideale, feiner Entzückungen, 
feiner bitterften Enttäufhungen und Leiden, über Alles 
aber erhebt fidy verflärend das Bild feiner höchften 
Boffnung, feines fernften Siels. Die Beftalt des Zara⸗ 
thuftra hat meinem Bruder feit feiner früheften Jugend 
vorgefchwebt; er fchrieb mir einmal, daß er ſie fchon als 
Kind im Traum gefehen habe. Er gab diefer Traum: 
geftalt zu verjchiedenen Seiten verjciedene Namen; 
„zuleßt aber — heißt es in einer fpäten Aufzeihnung — 
mußte ich einem Perfer die Ehre geben. Perfer haben 
zuerft Geſchichte im Ganzen, Broßen gedaht. Eine 
Abfolge von Entwidlungen, jeder präfidirt ein Prophet. 
Jeder Prophet hat feinen Hazar, fein Reich von taufend 
Jahren” 

Die Jdeen des Sarathuftra treten bei meinem Bruder 
fhon fehr frühe in mandyerlei Derfleidung auf, aber 
die ganze Beftalt des Zarathuſtra verförperte fi ihm 
zuerft im Winter 1882/83. Er hat tiefe Enttäufchungen 
in der Sreundfchaft, die er fo hoch und heilig hielt, 

















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2 Geld ai de m En — — — — —— ö— ⏑⏑⏑ —⸗⸗—— — — 


erlitten, und zum erſten Male empfand er die Derein- 
famung, zu der wohl alles Große verurtheilt ift, in ihrer 
ganzen Schauerlichfeit. Der volllommene Freund, der 
ihn ganz verftand, dem er Alles fagen Fonnte, war von 
ihm feit frühefter Jugend erjehnt und in den verfchiedenen 
Derioden feines Kedens auch gefunden worden. Jebt 
aber, wo fein Pfad immer gefahrvoller und fleiler wurde, 
fand er Xiemanden mehr, der mit ihm gehen Tonnte; 
fo fchuf er fich felbft in der Jdealgeftalt des Föniglichen 
Philofophen. den voßfommenen Freund und ließ ihn 
jeıne höchften und heiligften Ziele verfünden. 

Über das erſte Aufleuchten eines der Hauptgedanten, 
den Sarathuftra verfündet, fchreibt mein Bruder im 
Herbft 1888 in feinen antobiographifchen Sfizzen, „Eicce 
homo“ genannt: „Die Grundconception des Werkes, 
der Ewige⸗Wiederkunfts⸗Gedanke, diefe höchfte Formel 
der Bejahung, die überhaupt erreicht werden kann, — 
gehört in den Auguft des Jahres 1881: er ift auf ein 
Blatt hingeworfen, mit der Unterfchrift: 6000 Fuß 
jenfeits von Menſch und Seitl Ich gieng an jenen 
Tagen am See von Silvaplana durch die Wälder; bei 
einem mächtigen, pyramidal aufgethürmten Blod unweit 
Surlei machte ih Halt. Da Fam mir diefer Gedanke.“ 
Don da an wudfen die Ideen in ihm immer weiter, 
wie aus feinen Aufzeichnungen hervorgeht, und in dem 
Aphorismus 341 in der „gaya scienza“ finden wir 
zuerft den Grundgedanken des Zarathuſtra als erfte 
Andeutung des Kommenden gedrudt, 

Mein Bruder fchreibt üder die Entftehung des erften 
Cheiles des Sagathuftra: „Den Winter 1882/85 lebte 
ih in jener anmuthig ftillen Bucht von Rapallo unweit 


— a nme ma amd mm m umnn 2 mare anna ——— 
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Genua, die ſich zwifchen Chiavari und dem Dorgebirge | 
Dorto fino einfchneidet. Meine Gefundheit war nicht 


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die beſte; der Winter kalt und über die Maßen regneriſch; 
ein kleines Albergo, unmittelbar am Meere gelegen, fo 
daß die hohe See Nachts den Schlaf unmöglich machte, 
bot ungefähr in Allem das Gegentheil des Wünfchens- 
werthen. Trogdem und beinahe zum Beweis meines . | 
Sates, daß alles Enticheidende ‚trogdem‘ entſteht, war ’ 
es diefer Winter und diefe Ungunft der Derhältniffe, 
unter denen mein Zarathuftra entftand. Den Dormittag 

flieg ich in füdlicher Richtung auf der herrlichen Straße 

nad Soagli hin in die Höhe, an Pinien vorbei und 
weitaus das Mleer überfchauend, des Nachmittags, fo Hi 
oft es nur die Hejundheit erlaubte, umgieng ich die 
ganze Bucht von Santa Margherita bis hinter nad | 
Porto fino. Diefer Ort und diefe Eandfchaft ift durch 

die große Liebe, welche Kaifer Friedrich der Dritte für | 
fie fühlte, meinem Herzen noch näher gerüdt; ich war 
zufällig im Herbſt 1886 wieder an diefer Küfte, als er 
zum legten Mal diefe Pleine vergefjene Welt von Glück 
befuchte. Auf diefen beiden Wegen ftel mir der ganze 
Sarathuftra ein, vor Allem Sarathuftra felber, als Typus; 
richtiger, er überfiel mid . . .* 

„Es war mein fchwerfter und kränkſter Winter, 
abgerechnet zehn Tage, welche mir gerade genügten, 
um Etwas zu machen, um deffentwillen fidy mein ganzes 
jchweres und krankes Dafein lohnt“... „Die Schluß⸗ 
partie wurde genau in der heiligen Stunde fertig gemacht, 
in der Richard Wagner in Denedig flarb.“ 

Diefer erfte Theil wurde faft von Allen, denen er 
ihn gab, mißverftanden: „Für vieles von mir Gedadhte 


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Alſo ſprach Zarathuſtra. 481 | 31 


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fand ich Keinen reif; der Zarathuſtra ift ein Beweis. 
daß Einer mit der größten Deutlichfeit reden kann, aber 
von Niemandem gehört wird.“ Mein Bruder wurde 
ducch diefes Mißverftehen fehr entmuthigt, und da er 
ſich zu gleicher Seit mit großer Willenskraft des Schlaf- 
mittels Ehloralhydrat entwöhnte, nahm der folgende 
$Srühling 1883, den er in Rom verlebte, einen etwas 
trüben Charakter an. Er fchreibt darüber: „Dann folgte 
ein fchwermüthiger Frühling in Rom, wo ich das Leben 
hinnahm — es war nicht leicht. Im Grunde verdroß 
mich diefer für den Dichter des Sarathuftra unanftändigfte 
Ort der Erde, den ich nicht freiwillig gewählt hatte, 
über die Maßen; ich verfuchte loszufommen, ich wollte 
nach Aquila, dem Gegenbegriff von Rom, aus Seindichaft 


gegen Rom gegründet, wie ich dereinft meinen Ort 


gründen werde, die Erinnerung an einen Atheiften und 
Kirhenfeind comme il faut, an einen meiner Nächſt⸗ 
verwandten, den großen Hohenftaufen — Kaifer Sriedrich 
den Sweiten. Aber es war ein Derhängniß bei dem 
Allen: ich mußte wieder zurück. Zuletzt gab ich mid; 
mit der Piazza Barberini zufrieden, nachdem mich meine 
Mühe um eine antichriftlihe Gegend müde gemadht 
hatte. Ich fürchte, ich habe einmal, um fchlechten 
Gerühen möglihft aus dem Wege zu gehen, im Palazzo 
del Quirinale felbft nachgefragt, ob man nicht ein ftilles 
dimmer für einen Philofophen habe. Auf einer Loggia, 
hoch über der genannten Piazza, von der aus man 
Rom überfieht und tief unten die Fontana rauchen 


hört, wurde jenes einjamfte Lied, das je gedichtet worden 


it, das Nachtlied, gedichtet; um diefe Zeit gieng immer 


eine Melodie ı ‚von unſaglicher Schwermuth um mich 


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herum, deren Refrain ich in den Worten wiederfand 
„todt vor Unfterblichkeit‘“. 

Wir blieben in jenem Srühling etwas zu lange 
in Rom, und unter dem Einfluß des inzwifchen ein- 
getretenen bedrückend fchwülen Wetters und der fchon 
oben erwähnten Entmuthigung beſchloß mein Bruder, 
überhanpt nichts mehr zu fchreiben, jedenfalls Feine Fort⸗ 
fegung des Sarathuftra, obgleih ich mich erbot, ihm 
alle Mühe mit Druck und Derlag abzunehmen. Als wir 
aber Ende Juni nach der Schweiz zurücdfehrten und er 
wieder in der vertrauten köſtlichen Bergluft lebte, da 
erwachte alle feine freudige Schaffenskraft, und um mid; 
auf ein fommendes Manuffript vorzubereiten, fchrieb er 
mir: „Bier habe ih mich auf 3 Monate eingemiethet: 
in der Chat, ich bin der größte Chor, wenn ich mir 
durch italienifche Luft den Muth nehmen laffe. Bier und 
da taucht der Gedanke in mir auf: was geſchieht nach⸗ 
her? Meine ‚Sufunft ift mir die dunkelſte Sache von 
der Welt; da ich aber noch viel fertig zu machen habe, 
follte ih auch nur an diefes Sertig-madhen als an 
meine Zukunft denken und das Übrige Dir und den 
Göttern überlaffen.“ | 

Der zweite Cheil des Jarathuftra ift zwifchen dem 
26. Juni und 6. Juli gefchrieben: „Im Sommer, heim- 


- gefehrt zur heiligen Stelle, wo der erfte Blitz des 


Sarathuftra-Gedanfens mir geleuchtet hatte, fand ich 
den zweiten Jarathuftra. Sehn Tage genügten; ich habe 
in feinem Falle, weder beim erften, noch beim dritten 
und legten mehr gebraudt.” 

Er ſprach öfters von dem entzüdten Suftand, in 
dem er den Zarathuſtra gefchrieben habe, wie er bei 





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feinen Wanderungen bergauf und bergab von der Fülle 
der Gedanken förmlich überfallen worden wäre und nur 
in Haft in das Taſchenbuch mit Bleiftift Notizen machen 
fonnte, die er dann bei feiner Heimkehr bis mitten in 
die Nacht hinein mit Tinte niederfchrieb. Er fagt mir 
in einem Brief: „Du kannſt Dir von der Dehemenz 
folher Entftehungen nicht leicht einen zu großen Beariff 
maden“, und in leidenfchaftlicher Begeifterung fchildert 
er in den antobiographifchen Sfizzen (Herbft 1888) die 
unvergleihlihe Stimmung, in welcher der Sarathuftra 
gejchaffen wurde: 

„ — Bat Jemand, Ende des neunzehnten Jahr- 
hunderts, einen deutlichen Begriff davon, was Dichter 
ftarfer Seitalter Infpiration nannten? Im anderen 
Salle will ich’s befchreiben. Mit dem geringften Reſt 
von Aberglauben in fi würde man in der Chat die 
Dorftellung, blos Infarnation, blos Mundftüd, blos 
Medium übermädtiger Gewalten zu fein, kaum abzu- 
weifen wiſſen. Der Begriff Offenbarung in dem Sinne, 
dag plößlih, mit unfäglicher Sicherheit und Feinheit, 
Etwas fidhtbar, hörbar wird, das einen im Kiefften 
erfchüttert und ummirft, befchreibt einfadh den That» 
beftand. Man hört, — man ſucht nicht; man nimmt, — 
man fragt nicht, wer da giebt; wie ein Bli leuchtet 
ein Gedanke auf, mit Zlothwendigkeit, in der Form 
ohne Zögern, — ich habe nie eine Wahl gehabt. Eine 
Entzüdung, deren ungeheure Spannung fih mitunter 
in einen Thränenſtrom auslöft, bei der der Schritt · un. 
willkürlich bald ſtürmt, bald langſam wird; ein vollkom⸗ 
— Außerſichſein mit dem ziflinkieſten Bewußtſein 





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einer Hnzahl feiner Schauder und Überriefelungen 





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bis in die Fußzehen; eine Slüdstiefe, in der das 
Schmerzlichfte und Düfterfte nicht als Gegenfat wirkt, 
fondern als bedingt, als herausgefordert, als eine 
nothwendige Farbe innerhalb eines ſolchen Lichtüber- 
finffes; ein Inſtinkt chythmifcher Derhältniffe, der weite 
Räume von Formen überfpannt (die Länge, das Be- 
dürfnig nad einem weitgefpannten Rhythmus ift bei. 
nahe das Maß für die Gewalt der Infpiration, eine 
Art Ausgleich gegen deren Drud und Spannung). Alles 
gefhieht im höchſten Grade unfreiwillig, aber wie in 
einem Sturm von Sreiheitsgefühl, von Unbedingtfein, von 
Macht, von GHöttlichfeit. Die Unfreimilligkeit des Bildes, 
des Gleichniffes ift das Merfwürdigfte; man hat feinen 
Begriff mehr, was Bild, was Gleichniß ift, Alles bietet 
fich als der nädhfte, der richtigfte, der einfachſte Ausdruck 
an. Es fcheint wirflih, um an ein Wort Sarathuftra’s 
zu erinnern, als ob die Dinge felber heranfämen und 
Gleihniß fein möchten: ‚Bier fommen alle Dinge lieb- 
fofend zu deiner Rede und fchmeicheln dir, denn fie 
wollen auf deinem Rüden reiten. Auf jedem Gleich- 
niß reiteft du hier zu jeder Wahrheit. Bier fpringen 
dir alles Seins Worte und Wort-Schreine auf; alles 
Sein will hier Wort werden, alles Werden will von dir 
reden lernten‘ —. Dies ift meine Erfahrung von Inſpi⸗ 
ration; ich zweifle nicht, daß man Jahrtaufende zurück 
gehen muß, um Jemanden zu finden, der mir fagen 
darf: es ift auch die meine! —“ 

Im Berbft 18835 fam mein Bruder vom Engadin 
einige Wochen nach Deutſchland und landete im folgen- 
den Winter nach mancdherlei Irrfahrten über Strefa, 
Genua und Spezia in Nizza, wo er ſich durch das dor- 


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tige Klima fo glücklich angeregt fühlte, daß er den dritten ". 
Cheil des Sarathuftra fhuf: „Im Winter darauf unter 
dem haltyonifchen Himmel lizza’s, der damals zum 
erften Male in mein Leben hineinglänzte, fand ich den 
dritten Sarathuftra — und war fertig. Kaum ein Jahr, , 
für's Ganze gerechnet. Diele verborgene Klede und . 
Höhen aus der Landſchaft Nizza's find mir durch un⸗ 
vergeßliche Augenblicke geweiht; jene entjcheidende Partie, 
welche den Titel ‚von alten und neuen Tafeln‘ trägt, ı 
wurde im befchwerlidften Auffteigen von der Station 

zu dem wunderbaren maurifchen Selfennefte Eza ge '. 
dichtet, — die Musfel-Behendheit war bei mir immer 

am Größten, wenn die fchöpferifche Kraft am Reichſten 
flog. Der Keib ift begeiftert: laſſen wir die ‚Seele‘ aus 
dem Spiel. — Man hat mid oft tanzen fehen können; 

ih konnte damals, ohne einen Begriff von Ermüdung, 
fieben, acht Stunden auf Bergen unterwegs fein. Ich 
fhlief gut, ih lachte viel —, ich war von einer voll» 
fommenen Nüftigfeit und Geduld,“ 

Jeder der drei erften Theile des Zarathuſtra ift 
alfo nad einer längeren und fürzeren Dorbereitung, wie 
fhon erwähnt, in ungefähr zehn Tagen entftanden. Der 
erfte Theil Anfang Februar 1883 in Rapallo, der zweite 
Cheil von Ende Juni bis Anfang Juli 1883 in Sils- 
Maria, der dritte Theil Ende Januar 1884 in Nizza. 

Nur der vierte Theil ift mit einigen Unterbrehungen 
ausgearbeitet worden. Die erften Aufzeichnungen find 
während eines gemeinfchaftlihen Aufenthaltes in Zürich 
September 1884 niedergefchrieben; fodann folgte in Men- 
tone November 1884 eine erfte Ausarbeitung, und nadh 
einer längeren Paufe wurde das Drudmanuffript dieſes 








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Cheils von Ende Januar bis gegen Mitte Februar 1888 6 
in Nizza beendet. Mein Bruder hat ihn damals denn 
vierten und letzten Theil genannt; aber fhon Furze Seit - 
nah der Drudlegung fchreibt er mir von Denedig aus ; 
im Mai 1885, daß er noch einen fünften und fechsten 
Cheil fchreiben wolle, wozu audy noch Dispofitionen 
vorhanden find. Aus dem Frühjahr und Spätherbft 
1884 giebt es gleichfalls Pläne zu einer $ortfegung des 1 
Sarathuftra in drei heilen, worüber der XII. Band 
der Befammtansgabe und der Schlußband der Biographie: 
das Keben Friedrich Nietzſche's, ausführlich berichten. 
Auch der XIV. Band der Gefammtausgabe der Werke 
und Nachlaßſchriften Friedrich Niebfche’s bringt Pläne 
und Gedankengänge aus der Entftehungszeit des Zara⸗ 
thuftra, die zum befferen Derftändniß feiner Haupt- | 
gedanken dienen fönnen. Der vierte Cheil ift Ende des ii 
Winters 1885 nur in 40 Eremplaren als Manuffript | 

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gedrucdt worden und war zu einem Geſchenk für feine 
Freunde beftimmt: „für Solche, die fit um ihn verdient 
madten”. Nur fieben Exemplare hat er Gelegenheit 
I gehabt, unter diefem Gefihtspunft zu verfchenfen, — fo 
einfam, fo unverflanden war er damals. Diefer vierte 
Theil ift Oſtern 1892 — drei Jahre nady der Erfranfung 
meines Bruders und fieben Jahre nach der erften privaten 
Drudlegung — veröffentliht worden, nachdem die Aerzte 
erflärt hatten, daß eine Wiederherftellung des Autors 
ausgefchloffen fei. | 
Schon am Anfang diefer Entftehungsgefhichte führte | 
ih die Gründe an, die meinen Bruder veranlaßten, | 
einen Perjer die Jdealgeftalt feines Föniglichen Philo | 
fophen verkörpern zu lafien; warum es aber gerade i 


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Mund legt, das fagt er uns in folgenden Worten: „Man 
hat mich nicht gefragt, man hätte mich fragen follen, 
was gerade in meinem Munde, im Munde des erften 
Immoraliften, der Name Zarathuftra bedeutet: denn 
was die ungehenere Einzigfeit jenes Perfers in der 
Geſchichte ausmadt, ift gerade dazu das Gegentheil. 
dSarathuftra hat erfi im Kampf des Guten und des 
Böſen das eigentlihe Rad im Getriebe der Dinge ge 
fehen, — die Überfegung der Moral in’s Metaphyfifche, 
als Kraft, Urfache, Swed an fidh, ift fein Werk. Aber 
diefe Frage wäre im Grunde bereits die Antwort. 
Sarathuftra fhuf diefen verhängnißvollſten Irrthum, 
die Moral. Folgli muß er audy der Erfte fein, der ihn 
erfennt. Nicht nur, daß er hier längere und mehr 
Erfahrung hat als fonft ein Denker — die ganze Ber 
ſchichte ift ja die Erperimental » Widerlegung vom Sat 
der fogenannten ‚fittlichen Weltordnung‘: — das Wich⸗ 
tigere ift, Zarathuſtra ift wahrhaftiger als fonft ein 
Denker. Seine Lehre, und fie allein, hat die Wahrhaftig- 
keit als oberfte Tugend — das heißt den Gegenfat zur 
Seigheit des „Jdealiften‘, der vor der Realität die 
Flucht ergreift; Sarathuftra hat mehr Tapferfeit im 
Leibe als alle Denker zufammengenommen. Wahrheit 


. reden und gut mit Pfeilen fhießen: das ift die perfifche 


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Tugend. Derfteht man midy?... Die Selbftüberwindung 
der Moral aus Wahrhaftigkeit, die Selbftüberwindung 
des Mopraliften in feinen Gegenfag — in mih —: das 
bedeutet in meinem Munde der Name Sarathuftra.” 
Nietzſche⸗Archiv, Herbſt 1905. 
Eliſabeth Förſter⸗Nietzſche. 





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Zarathuftra fein mug, dem er feine neue Lehre in den 


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herausgegeben vom Nietzſche⸗Archiv in Weimar. 
Großz Oktav Gefamtausgabe in 15 Bänden. 


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8. Der gal Wagner. san Dämmerung, 

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(Antihrif). PDicktungen - - - . - - „ 880, „ 
8. Nackgelaffene Werte 18072 . . . Bro. 9.—, Geb. 
10. Hacggelaffene Werte 1ST2 73-186 „ 9I— . 
11. Hachgelafiene Werke 1ETSIC-EH EL „ I u 
12. gelafiene Werke 188186 „9. 
18. Werte a. d. Umwertungszeit 9I—, . 
14. Hacıgel. Werte a. 5. Umwertungszeit 9I—, . 
15. Nachgel. Werke. Der Wille zur Mat „ A0.—, „ 


Weiterer Nachlaßz eventuell als 16. (Schlau) Band, 


Vorzugspreis bei Gefamtbezug: 
x. Abteilung Ban I—8) . . Broſch. 9.—, Geb. 
2. Abteilung (Band 9-18). . . MH . 


Subftription monatlich einen Band: 
1. Abteilung Ban I)... 1, . 
2. Abteilung (Band 9—I8). „8 u. 


Einzeldruche in groß go Format. 
Die Geburt der Cragssdie. Broſch. 5.—, Geb. 
Unzeligemäße 


Betragtungen, SandlIl. „ 480, „ 
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Koll Dagnse. worsine contra Wagner „ 1.50, „ 


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herausgegeben vom ießihe- Archiv in Weimar. 


Klein Oftav Gefamtausgabe in 15 Bänden. 


1. Die Geburt der Tragödie, 

Unzeitgemäbße Betrachtungen . a Bioſch. 8.—, Geb. 9.— 
2 Menſchliches, Allzumenfchliches. Bd. ı 6.— 

8. miles, Allzumenfjclihdes. „ II 

. Morgenrötbe. . » x. 20. .° .... 
rl Die Fröhliche winen ſchaft ... 
6. Alſo ſprach Sarathuftra . . . . 2... 
7. Jenſeits von Gut und Bäte, 

Sur Genealogie der Moral . . . . . „ 6.50, „ 27.50 
8 Der Gall Wagner. GigenDämmerung. 

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Friedrich Hietiche’s Werke 


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DPorzugspreis bei Gefamtbezug: 
1. Abteilung (Band 1-8) . vroſch. 46.—, Se 3 


(Antichriſt). Pichtunget . . » 00.0. 6.50, 

9. Nachgelaſſene Werte 1869-73 . . . . Brofd. 7.—, Geb. 8.— ı 

10. Yacggelaffene Werke 1872/78 1878/78 . „ 0... B— 
11. Nachgelaffene Werte 1875/76-180/ 81. „ 6.50, „ 2.50 
12. Hachgelaffene Werte 1811—86 . . „ 6.50, „ 2.50 N 
18. Nachgel. Werte a. d. Umwertungszet . 6.50, . 7.50 
14. Nachgel. Werte a. d. Umwertungsszeit „ 6.50, „ 7.50 | 
15. Nachgel, Werte. Der Wille zur Macht Fo Fi Pe - 9 N 
Weiterer Nachlaß eventuell als 16. (Schiuk>) Band. | 


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2. Abteilung (Band 9-15). 2.—, — 
‚ subffrigtion monatlich einen Band: 

1. Abteilung (Sand I—8) .. .—, „ 1 

2. Abteilung (Band 9—I5). n 6.0, „ 27.50 

Einzeldruce in Klein ge Format. 

Die Geburt der Eragödie . . .. 2... Brofd. 2.26, Geb. 3.25 

unzeligemäße Betrachtungen, Band ı. „ 3 n 4— 

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Der Wanderer und fein. Schatten . .. . „ 250, „ 3.50 . 
Alſo ſprach Zarathuftra (Ceinenband) — nn 150 
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Sur Genealogie der Moral . . . . . . n„ 2%, „ 5.7 , 
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I Grob Okttav⸗Ausgaben fiehe Dorder,Seite! TUE 





C. 6. Naumann Derlag in Leipzig. 


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1. Homer⸗Rede. Geburt der Tragödie. Der griechiſche Staat. Das 

5 griechifche Weib. Muſik und Wort. Homers Wettlampf. Zukunft 

4 anferer Bildungsanftalten. Das Derhältnis der Schopenhanerfchen 
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Beitalter der Griechen. Ueber Wahrheit und Lüge. (1869/73.) 

. Unzeitgemäße Betrachtungen inkl. Wir Philologen. (1873/76.) 

. Menfchliches Allzumenfchliches I. Aus dem Nachlaß (1874/77). 

. Menfchliches Allzumenfchlidhes II: Dermifchte Meinungen und 
Sprüche. Wanderer und fein Schatten. Aus dem Nachlaß (1877/79). 

. Morgenröthe. Aus dem Nachlaß (1880/86). 

. Die ewige Wiederkunft. Fröhliche Wiffenfchaft. Lieder des Prin- 
zen Dogelfrei. Aus dem Nachlaß: Gedichte (1871/88). 

. Alfo fprach Zarathufra. Aus dem Nachlaß (1882/85). 

Jenfeits von Gut und Böfe. Genealogie der Moral, Aus dem 

Nachlaß (1885/86). 

. Wille zur Macht (1884/88). 

. Wille zur Macht (Fortſetz.). Gößen: Dämmerung. Antichrift. 
Dionyfosdithyramben (1882/88). 


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Dorzugspreis komplett 10 Bände. . . brofch. 87.50, geb. 45.— 
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Der Fall Wagner und Nietzſche contra Wagner werden voraus: 
fichtlich fpäter als Supplement zur Tafchenansgabe erfcheinen. 


N Friedrich Nietzſche. 
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“ Alfo ſyrach Zaratkuftre. Gedichte und Sprüche. 

1 Brofclet 22.20. . A6— | Brofdiett . . ... 44—- 
Amerikaniſch Leinen . . 7.—Amerikaniſch Leinen. . „ 5.— 
“ Grün Lederband. . . . „ 8— | Grün £Eederband. . . . „ 6— 
Echt Pergamentband. . „ 8.50 | Edit Pergamentband. . „ 6.50 





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Notenbeilage . . Groß 8% Sormat, broſch. A 9.—, geb. A 11.— 


Hweiter Band: I. Abteilung. IX und 341 Seiten mit CLichtdruck⸗ 
® porträts . . . . Groß 8%. Format, broſch. 4 8.—, geb. 4 10.— 
Sweiter Band: II. Abteilung. VI und 60X Seiten mit 2 Porträts. 

Groß 8%. Sormat, broſch. „A 13.50, geb. M 14.50 
Vorzugspreis bei Befamibezug: Broſch. AM 22.—, geb. A 8B.— 


Sand Iu.IL, 1. Abteilung, werden einzeln nicht mehr abgegeben. 


. Freifranu von Ungern⸗ſsternberg. 
Nietzſche im Spiegelbilde feiner Schrift. 


mit swei Kunſt⸗ und 29 graphologifchen Beilagen. 
Groß 8°. 12 Bogen. Broſch. 4 6.—, geb. A 7.50 


. Ein ebenfo eigenartiger wie fefieinder Beitrag zur Henntnis der 
Derfönlichkeit des unglüdlichen Dichterphilofophen .... . .... Es if 
ein reizendes Städ pfychologifcher Kleinarbeit, eine wunderfam ergeb⸗ 
nisreiche Analyfe einer Mlenfchenfeele..... Wir verfolgen den großen 
Einfamen von Sils-Maria von feinen Knabenjahren, in Pforta Schritt 
für Schritt bis zur furchtbaren Kataftrophe, lefen unter der liebevollen 
£eitung der Derfafferin aus Briefen, Xlotenfchriften, Gedichten und 
Manuffriptfragmenten des Hhilofophen all fein Gluck und Keld und 
flaunen geradezu ob der rheit und Unverhülltheit, mit der die 
Schrift das allmähliche Auf⸗ und Abfleigen des Genius offenbart. 


St. Fetersburger Zeitung. 
Meta von Salis⸗Marſchlins, Dr. phil. 


Philoſoph und Edelmenfch. 
Ein Beitrag zur Charakteriſtik Friedrich Nietzſches. 
Groß 8°. 7 Bogen. Broich. 4 8.—, geb. M 4.50 


Das Buch feffelt durch die ehrliche Wiedergabe aller Empfindungen, 
die Triegfches Perfönlickkeit in einer felbfibewußten Srauenfeele aus» 
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C. ©. Naumann Derlag in Leipzig. 


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Dr. Max Zerbſt. 


Zu Sarathuitra! 
Klein 8°. 6 Bogen. Broſch. M 1.75, geb. AM 2.60 


ibt zwei Niegfhe. Der Eine if der weltberühmte 
Se plisfoph, d der glänzende Dichter und ſprach ewaltige Meifter 
Stils, der jegt' in aller Munde lebt. Der an nieniäe, 
der fa un efannte, das iſt der auergrändliche, unerfhöpfbare Den 
und Pf *25 der große Menſchen⸗5päher und Cebens⸗Werter an 
unerrelchter & eiſtes kraft und Gedanken⸗Macht, der in den ſtillſten und 
verborgenfien Tiefen des £ebens und des Menfchentums tet und 
Gem di die fernfle Sutunft gehört; dem £egteren die Einſichts⸗ 
vollen und Ernften unter den modernen Menſchen näher ; zu bringen, 
iſt die Abſicht des Autors, 


Dr. Mag Ferbſt. 


Die Philoſophie der Freude. 


Preis broſch. M L.—, geb. A b- 


Mar Zerbſt geht von Ni aus, ſtrebt aber, gewiſſe Einſeitig⸗ 
keiten Er i überwi inde ne ... zakle een FAN des 
Autors Sache nicht, es ae mehr ein —* ein ꝓhiloſophiſcher 
Bymnus au die Sreude, m beften gibt. 2" n dem Enthuflas- 
mus, den es atmet, liegt FE 3 und Der des Buches. Aber auch 
an feinfinnigen Gedanken iſt fein Mangel. Aeiuriqh Kurt im „Bag“. 


Dr. Atajhlen Schwann. 


Sopbia. 
Sprofien zu einer Philofophte des Lebens. 
Groß 8°. 16 Bogen. Broſch. A 4.—, geb. A 5.50 


Als ein tiefer, redlicker Geiſt erweift je Shwann in feiner 
Schrift: hia“. Es iſt fein Bud für die enge; wer aber 
nicht ablaffen kann, immer von neuem über die et —* —— en 

a finnen, der wird fi dem befruchtenden Einfluß dieſer ernſten Ge- 
danfen nicht entzichen können. Auch Schwann If durch Tietzſches 
Schule Fe Doch hat er noch manchem anderen £ehrer gelanfcht, 
em eigenen Wahrheitstriebe, und fein 
Denten Bet I —& Berührung mit dem Leben, das er unter 
dem Geſichtspunkt der Entwidlung betrachtet. Das litterarifge 64°. 


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€. G. Naumann Derlag in Leipzig. 


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Dr. Ernſt Horneffer. 
Nietzſches CLehre von der Ewigen 
Wiederkunft 
und deren bisherige Veröffentlichung. 
Groß 8°. 84 Seiten. Broſch. # L.- 
Friedrich Nietzſches Echre von der ewigen Wiederkunft wird die 


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ya —— ——— — Pi Zicfigen N erkändnis Dieter 
Nietzſcheſchen Chefe. 


Dr. Karl Ad. Brodibed. 


Geiſtesblitze großer Männer. 


Groß 8°. 12 Bogen. Brofch. MA 8.50, geb. M 4.75 

t :Anthologi iftvoller Ausfprüche der bedeutendft 
— lofopken N Dichter elle A vorzüglich sum 
Seftgefchen? für Politifer, Gelehrte und £iteraten, vor allem auch für 
die Sreunde Nietzſcheſcher Philoſophie. 


Dr. Poul Bjerre. 


Der geniale Wahnfinn. 
Aus dem Schwedifchen überſetzt. 
Preis brofchiert 4 2.25, gebunden 4 8.— 


Die geiftvoll gefchriebene Studie ſtellt fich nicht nur als eine wert» 
volle —A— der Tiehzſche⸗Citeratur dar, ſondern liefert auch 
nenes und intereflantes Material zur Pfychologie und EhmMolosn des 
tünflerifchen Schaffens und felbfiverfi ndlich zu dem Thema „Genie 
und Wahnfinn“ im allgemeinen. Pipaskafte. 


Paul Cauterbach. 


Aegineten — Gedanke und Spruch. 
Klein 8°. Broſch. 4 1.25 
Unbedentend find diefe furzen Epigramme nicht. Das Büchlein 


it dem Meifter des Zarathuflra gew dmet und auch ohne dieſen Hin⸗ 


rke ‚daß der D ein Schüler 
Ft —8 man fofort erkennen, daß der Verfaſſer * m 


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Sant Ilario. 


Gedanken aus der Landfchaft Sarathuftra’s. 
Groß 8°. 24 Bogen. Broſch. .# 6.50, geb. A 8.50 


... Der Derfaffer fcheint in allen Wiffenichaften und Künften 

u Baufe zu fein... Mlongr6 if auf der Suche nad immer neuen 

nregungen und Aufregungen ... Er bemüht fi die Perfönlichkeit 

von jedem Zwang der Logik, der Gewöhnung, der Moral und der 

au sion zu befreien und löft dabei die Kontinuität der Perfon felbft 
auf... 


Freußiſche Zahrbücher. 
Paul Alongr6, 
Das Chaos in kosmiſcher Ausleſe. 


Groß 8°, 14 Bogen. Broſch. # 4. —, geb. 4 5.50 


.... Die ganze Art der Entwidelung und Beweisführnng verrät 
einen felbfändigen Hopf... . Aiterariſches Zentralblatt. 


00. Inzwifchen gewährt uns das verwegene Werk ein eigen: 
artiges Dergnügen, fowohl durch die blendende Kunſt feiner Dialektik, 
wie durch die Formulierung feiner Ergebniffe .... Gefentgaft, |! 


Heinrich Driesmans, 


Die plajtifche Kraft 
in Kunft, Wiffenfhaft und Leben. 


Groß 8°. 14 Bogen. Brofh. 4 4—, geb. A 5.50 


Es gibt fraftgeniale Denker, wie es fraftgeniale Dichter gibt — 
and gerade unter den Modernen finden fi; beide zahlreich genug ver⸗ 
treten. Daß Driesmans zu ihnen gehört, wenn er auch den Gleich 
firebenden auf dem Gebiete der Poefie mit fcharfer Kritif gegenüber: 
fteht, beweifen fchon die Ueberſchriften der einzelnen Paragraphen in 
der Inhaltsangabe ... ein Sprühfener von Aphorismen und Para» 
doren bildet die leuchtende, fich durch das Ganze hinziehende Gedanken» | 
fette — und in der Lat enthält die Schrift fehr viele geiftreiche Apergus. 1 

Nur. v. Gottſchall im Keipsiger Tageblatt. 


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. Naumann Derlag in Leipsig. 


Albert Tiniepf. 


Eheorie der Geifteswerte. 


Groß 8°. 11 Bogen. Broſch. #4 3.—, geb. A L— 


Ani egt mit einem ſcharfen Beſen, wird aber nicht nur 
den Erfole ' Ken, dag man ie) ve Al wird anregend anf alle 


- fünftlerifchen Geifter wirken ..... Wir würden dem Derfafler und 


feinem Buche fchweres Unrecht zufügen, wollten wir unterlafien, ans 
zuerfennen, daß feine Kritik des firchlichen Dogmatismus allenthalben 


zutrifft. Aamburger Signale. 
Earl Martin. 


Das Evangelium vom neuen Menfchen. 
(Eine Spnthefe: Nietzſche und Chriſtus). 
Kl.8°. Broſch. 4 8.—, Ceinb. 4 4.—, Echt Leder 4 8.— 


Wie fo vielen ift auch dem Derfaffer in dem fchwanfenden Treiben 
unfrer Tage der Sarathuftradichter zum Sührer geporden. Aur saghaft 
if. er ihm anfangs gefolgt, und mit tiefem Schmerz fah er all das 
Sühlen und Denten feiner Jugendjahre zufammenflürzen. Aber un⸗ 
widerftehlich 309 ihn der Mleifter nach fih, und da er (elieklich wieder 
um ſich fah, fiehe da klang es wie alte, trante Weiſen; nur der Schutt 
war weggeräumt und ewig jung ſprach das Evangelium zu ihm vom 
neuen Menfchen. So deutet er's nun feinen Brüdern. 


Dr. Georg Grodded. 


Ein Srauenproblem. 


Groß 8°. 112 Seiten. Broſch. #4 2—, geb. A 8.— 


Das Buch Hinterläßt den tiefen und bleibenden Eindrud einer 
reifen Geiftesfrucht. Mit einer Sprache voll Kraft und Innerlichkeit, 
die gleichwohl eine erhabene Auhe atmet, wird darin die wechjelnde 
Derichlingung der beiden Gefchlechter aus den dunflen Zeiten der 
Raubtierkerriähaft des Mannes entwidelt und fortgeführt bis zum 
ftrahlenden Ausbruch einer neuen Kultur mit den fat wundertätigen 
Idolen: Weib und Kind. Bon Baus u Hans. 


2... Eine Studie, halb Dichtung, halb Philofophie im Nietzſche⸗ 
ftil der Sorm nad, ganz unabhängig uud felbft perfönlich ; im 
Weien......... Doefte, die das Werk im edler Form durchdringt 
fol nicht zerpflücdt und befchrieben!, fie fol aus der Quelle jelbft 
gejchöpft werden. der Sag. 


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€ ©. Naumann Derlag i in ‚geipsig. 


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EollinssCarus, 


Eritome der Syntbetifchen Philoſophie 
Herbert Spencer’s. 


Mit einer Dorrede von Herbert Spencer. 


Gr. 8°. 46 Bogen. Broſch. A 11.—, geb. A 13.— 


$ür das Studium Spencer’s bietet die Ep tome | jeiner a 
von Eollins ein fehr empfehlenswertes Hilfsm 
gewandte Lieberfegung von Carus nun aud in einer gefämadpotlen 
Ausgabe den deutichen Kefern zugänglich gemacht if. ... .... Der 
— se Hussug bietet auch demjenigen eine bequeme Ueberſicht, 
bereits mit den Originalwerken Spencers bekannt gemacht hat. 
Srenkifge Zahrdüger. 
Dem weiten Kreis deutfcher Ceſer muß die verdentichte Epitome 
willlommen jein, und gie der philo je opt e Zunftgenoß wird fie 
als bequemes Handbuch neben der Urſchrift n ehe verfhmähen. Bent 
zur Zeit aber fam jegt die U Ueberfegun gs Deutfche, indem der 
Ueberfeger durch Bern Collins’ freundliches Entgegenfommen die 
Horrefterbogen der fünften Auflage der Epitome benugen durfte, 
welcher Spencers Schriften überall in neuefter Geſtalt zugrunde liegen. 


Aoqſcquſ· Rachrichten. 


2eb, die Epitome bei allen Intereffenten willkommen wa 
beweift ihre bisherige Derbreiitung in einer ua Po eine 
ameritanifchen, einer ruffifchen und zwei franzöfiichen Aus⸗ 
gaben, be3. Heberfegungen; Ihnen reiht fich num Äh von gest. 
Dr. med. phil, et jur. 3. Dicter Carus beforgte deutſche Aus» 
gabe an, 


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Die Erlsſung vom Daſein. 
— 80. 19 Bogen. Broſch. MA 4.—, geb. MA 5.50 


er Verfaſſer war kein Fachmann, ondern Caie, aber unzweifelhaft 
hocharbilbet und ein fcharfer Denker. Köln. Zeitung. 


Das Bud if fchon deshalb von hohem Intereffe, weil es uns 
einen Einblid in das feelifche Getriebe, aus dem eine pefftmififche 
Weltanfchauung entipringen kann oder muß, gewährt... —— 
— find insbeſondere die kleinen Dichtungen in Ders und Profa.. 

An feinen und glädlichen Bemertungen if das Buch nicht arm, es 
IR geißvoN mub {chön gefchrieben. _ Diene freie Prefle, Bien, 


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C. G. Naumam Verlag in Leipzig. 


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Prof. Dr. Adalbert Svoboda. 


- Geftalten des Glaubens. 


Kulturgefchichtlicdes und Silofoftiches. 
Säweite vermehrte und verbeflerte Auflage, 


Sand I. Groß 9. X, 33% Seiten Broſch. A 6.—, geb. A 7.50 
Band II. Groß 9. IV, 422 Seiten „ „ m, u. 825 
Beide Bände zufammen bezogen: „ „IR—, „ „IS— 


of. Dr. Ernft Häckel in Jena, der große Zoologe und Biologe, 
nenne in feinen 3—33 die ER re Aida * 
hochintereſſantes, auf ausgedehnte Duellenfiudien gegründetes, aus⸗ 
gezeichnetes Werk” und verweiſt „für weitere Unterfüchungen” häufig 
auf das vortreffliche, von ihm mehrfach zitierte Buch. 


Deter Roſegger betracdktet in feinem „‚Beimgarten” „diefes 
groß angelegte Werk als das Lebenswert eines originellen Denfers, 
eines Bochdenfers, der frei von hergebracdhten Dorurteilen, fühn und 
flarf feine einfamen Wege geht, und als eine Gedankenbahn voll 
Anregungen und Schönheiten. Es if ein Dergnägen, darin zu lefen. 
Der SL, ob er nun im ruhigen Ernfi einherfchreitet, oder in heiterem 
Bumor, in fcharfem Sarfasmus leuchtet oder in den herben Ton der 
Enträfung ausbricht — er ift Mar, fein und von Iprangemaltiger 
Wirkung . . . . Welch eine Sülle von Überrafchenden Gedanken! Trog 
der Gelehrfamkeit nicht die Schrift eines Buchgelehrten, ein heißes 
Berz wogt durch feine Blätter, ein hohes cied des Wohlwollens und 
der Kiebe zu allen Wefen, ein gottinniges Werk! 


Prof. Dr. Adalbert Svoboda. 


Ideale Sebensjiele. 


Band I. Groß 9. X, 391 Seiten Broſch. 6.50, geb. 4 8.— 
Band II. Groß 8%. VI, 512 Seiten "9, » 10.50 
Beide Bände zufammen bezogen? 14 AI 


Beinahe auf jeder Seite der beiden Bände befinden ſich beher⸗ 
zigenswerte Nachweiſe und Bemerfungen. Und man muß ſagen, 
Spobodas Werk if eine für die Sache des freien Gedankens, auch auf 
— Gebiet, förderliche und nügliche Deröffentlichung. So hat 

iefes Werk feine — Berechtigung und iſt außerdem ein menſch⸗ 
lich in antes Dokument, da man überall durchſpürt, mit welchem 
innerſten Herzanteil der greife Verfaſſer es geſchrieben hat.” 


Dr. 3. 9. Widmann (Bund). 


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C. 6. Naumann Derlag im Leipzig. 


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Kennſt du das Sand? 
Eine Bücherſammlung für die Freunde Jtaliens. 


Die Sammlung „Kennft du das Land?" will in zwanglos er- 
fcheinenden einzeln fäuflichen Bänden den zahlreichen Sreunden des 
fchönen Welfchlandes anregenden Lefeftoff bieten ; fie wird denen, die 
Jtalien bereiien wollen, als vorbereitende und belehrende Fektüre 
dienen, den Reiſenden felbf ein unterrichtender und unterhaltender 
Begleiter fein, den Heimgekehrten frohe Stunden der Erinnerung be» 
reiten, und denen endlich, deren Sehnfucht nach Italien noch feine 
Erfüllung fand, wenigfiens eine tdeelle und ideale Brüde zum Lande 
ihrer Wäntche fchlagen. 

1. Auf Goethes Spuren in Italien. I. Teil. Ober⸗ 
italien. Mit ı Karte. Don Julius R. Haarhaus. 

2. Die Fornarina. Don Paul Beyfe. 

8. Doltstümliches aus Süßitalien. Don Profeflor 

Woldemar Kaden. 

4. Rom im Kiede, Eine Anthologie. Mit Illu⸗ 
ftrationen. Don Guſtav Naumann. 
b. Aus dem Patican, Ernftes und Heiteres. Don 

‚ Bettor Frank. 

6. Sommerfäden. Bundstage in Italien. Don Prof. 
Guftav Floerke. 

7. Aus meinem römifchen Stizjenbuche., Don 
Richard Dof. 

8. Auf Goethes Spuren in Italien. II. Teil. Mittel. 
italien. Mit ı Karte. Don Julius R. Haarhaus. 

9. Auf Goethes Spuren in Italien. III. Teil. Unter- 
italien. Mit ı Karte. Don Julius R. Haarhaus. 

10. Alltägliches aus Neapel, Don A. Kellner. 

11. Im glücklichen Campanien. Von Dr.R.Schoener. 

12. Trinkgeld in Italien. Don Dr. R. Kleinpaul. 


Sortfegung umflehend | 


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€, &. Naumann Derlag in £eipzig. 


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gortfegung : 

18. Römifche Kulturbilder. Don Dr. Mar Ihm. 
14. Mailand, Ein Gang dur die Stadt und ihre Ge⸗ 

ſchichte. Don Prof. Dr. D. Heinrih Holgmann. 
15. Die Pontinifchen Sümpfe. Don A. Ruhemann. 
16. Befperifche Bilderbogen L Don A. Kellner. 
17. Beiperifche Bilderbogen I. Don U. Kellner. 
18. Erzählungen aus Rom J. Von C. W. Th. Fiſcher. 
19. Erzählungen aus Rom I. Don C. W. Th. Fiſcher. 
20. Die Architekturdenkmäler in Rom, Florenz, 
Venedig. Von Prof. Dr. D. Joſeph. 


Die Bände können in drei verſchiedenen Ausgaben 


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bezogen werden: 
an brofchierter Unsgabe. . . . .zum reife von M 2.50 
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In reihem £iebhaberband .....» „ ” nn 4— 


SE Die Sammlung wird forigefegt. "u 


Urteile über: Kennit du das Land? 


7 Zu der großen Ks deutfcher Bücherfantmlungen iſt in „Kennft 
t du das Land 2“ ein Unternehmen getreten, das die volle Aufmerkſam⸗ 
feit aller, die fich für das Land Sebnfucht aller Deutichen, das 
fchöne Welfchland Intereffieren, vollauf verdient; die Sammlung er 
fällt ihre gewiß nicht Fleinen und leichten Aufgaben voll und ganz. 


Atelier. 


Allen Sreunden Jtaliens if eine Sammlung sterlicher, mit feinem 
Geſchmack ausgeftatteter Bändchen gewidmet, deren ſtimmungsvoller 
( Titel lautet: „Kennft du das Kand?“. Die Jdee iſt ausgezeichnet und 
| hat einen Dater, defien fie ſich nicht zu fchämen braucht: Goethe trug 
, fig mit dem Plan, mit feinem Sreunde Heinrich Meyer eine Reihe 


von Bänden zu veröffentlichen, die alles, was er über fein geltebtes 
' Ytalten zu fagen hätte, enthalten follten. Und die, welche die Idee 
J jetzt ausführen wollen, kännen nichts Beſſeres tun, als ſich von dem 
„N Geifte des alten Goethe führen lafien. Schon der erfie Sand liefert 
uns davon einen fchönen Beweis. Wir fönnen der Sammlung die 
beiten Aufpizien für Die Zufunft verkünden. 


| A. 3. Aoehlers Aiterariſcher Katalog. 
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