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Jn Kommiffion der
I. I. Lentner’fhen Buchhandlung (Ernft Stahl jun.)
in München.
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printed in Germany
Inhalt.
I. Auffäbe und größere Mitteilungen.
Des Hiltorienmalers Wilhelm Lindenfchmit, des Welteren, Jugend und Bildungszeit bis
zur Darftellung der Sendlinger Bauernfchlaht an der St. Margarethenfirde zu
Unterfendling. Bon Schriftitelee Lindenfdmit . .
Bu älteren vor= und frühgefchichtlichen Funden aus Altbayern. Bon Dr. p. Reinede
Die Münzgemwichte mit befonderer Rüdficht auf Bayern. Bon J. BV. Kull . F
Die Urkunden Ludwigs des Bayern im Stadtarchiv zu Landsberg. Von J. aber. ;
Gin unbefannter Coder der Bigefden Malerjchule in Augsburg. Bon Dr. Remmeridh
Die Ordenszeichen aus der Lauinger Fürftengruft im Bayerifden LUD. Bon
Sriedrih H. Hofmann SE ee a2
Ein merfwürdiges Grab eines neuen bojumasfcen Beigengräberfeides,
Bon Dr. Franz Weber
Ueber römifche Ausnüßung der ame: flirten: Veberlegenheh,
Bon Johannes Linde . : vs
Stephan Rottaler ein Bildhauer der Srübrenaiffance in t Mltbagen
Bon Dr. Philipp Maria Halm 2 E
Beiträge zur Gefchichte Mar Emanuels. Bon Sehen. von Sm :
II. Chronik und kleine Mitteilungen.
Ehronif ; SEE
Bereinsverfammlungen — — — ge
u. a. Vorträge von Herrn Dr. Santen über „Die Anfänge sine bas Einporfieigen der Fugger“,
von Herrn Dr. Gg. Preuß über „Die Urfahen der Größe und des Niederganges der
Hanfa’, von Herrn Schober über „Die Urkunden Ludwigs des Bayern im Stadtardive
gu Landsberg” (55), Herrn Dr. Theodor Bitterauf über „Die Nordlichter in Bayern unter
König Max I.“ (56), Heren Privatdozent Dr. Aug. Rofenlehner über „Die wirtfhaftlichen
Zuftände Bayerns unter Kurfürft Maximilian Il]. Qofeph“ (149), Herrn Univerfitäts-
profefjor Dr. Dveber! über „Die innere Staatsverwaltung Bayerns unter dem Minifterium
Montgelas’ (149), Herrn Dr. Johannes Heldwein über „Die Stellung der altbayerifchen
Klöfter zur Kunft und Wohlfahrtspflege am Ausgange des Mittelalters“ (152), Herrn Ge-
neralmajor v. Menz über „Die Schlaht bei Hohenlinden am 3. Dezember 1800 (152).
Mitteilungen aus den oberbayerifchen Ortsvereinen tan Sein hse See
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VI
III. Alluſtrationen.
. Cimbrifde Frauen by et I th as PSE eh. Team,
. Johanna Rainprechter.. ang. a 2%
. Augufte Rainprechter Nr
. Entwurf zum geplanten Oelgemätd, darftellend bie Seninger Stat
. Die Cheruster . :
. Erftes Blatt der 1. Stigenaruppe 3 ait eninge Beste
. Oberbayerifcher Schüße ; ze
. Balthafar Maier. . .
. Die Schlacht bei Senbling
10. Arnold von Winfelried 2
11. Lithographie aus der Gejchichte her Sendlinger Sta
12. Porträt eines Bauern . : 3
13. Hauptgruppe mit dem valthaſer Maier
14. Winfelried .
15. Selbjtporträt W. nbenigmites um 1830 Rn ;
16. Sendlinger Bauernfchlacht nad) der TERN von — So 2
17. Heldengefolgichaft : ;
18.-—21. 4 Abbildungen zu sen Uuffag von Dr. Reinecke +
22. Rofter St. Beno bei Reichenhall. (Mon. Boic. vol. III. p. 526)
23. Rufftein (aus: das Neuefte von der Zeit 1704) ;
24. Glide aus der Münchner Ausftellung von 1900 .
25.—32. Initialen der Handfchrift
SOC PWOID =
33.—43. 11 Bollbilder, Darjtellungen von Szenen a * neuen —
44. -48. Darſtellungen aus anderen Codices, die gleichen — See
49. Ordenszeichen aus der Lauinger Fürftengruft . ; ; ey
50. Fund aus einem bajumarifchen Reihengräberfed . . .
51. Zimmermann: Churbayrifd-geiftl. Calender II]. Teil 1755
52. Aus demfelben: II. Teil RTL
53. Bom Altar des Kanonifus Marolt in Aesitinn,
54. Das Schweiftud. Holzjchnitt von A. Dürer
55. Joachim und Anna. SHolzfchnitt von A. Dürer
56. Monogramm des Kanonifus Marolt .
57. Grabplatte des PB. von Altenhaus, Landshut
58. Monogramm auf der Grabplatte des Altenhaus
59. Grabplatte des Kanonifus Ralbsor, Freifing :
60.—61. Einzelheiten aus der vorgenannten Grabplatte .
62. Epitaph der D. und E. Ejterreicherin, Ingoljtadt
63. Teile diefes Epitaphes .
64.—66. Berfchiedene Grabplatten us Being. Anh > Moosburg
67. Detail einer Grabplatte
68. Grabplatte aus Altötting . —
69. Zeichnung des alten Beſtandes des Monumentes in Altötting
70. Grabmonument aus Gergen . — a ae ee ae
71. SandfteineRelief aus Freifing
72, Holzichnitt der Mailänder Schule
73.—74. Zwei Heiligenftatuen aus Holz aus ‚ber Rirche in Reisbach
75.—76. Zwei Altarflügel aus der Kirche in Reisbacdh ‘
77T. Michaelsfampf mit dem Drachen von A. Diirer
72.—79. Holzrelief3 aus der Sammlung de3 Hiftorifchen Bereing: in " Sandshut ;
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. 59—63
. 65—85
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78.—79. Zwei Stüßen des Laubengangs im Refidenghof zu Freifing
80. Kapitelle und Bafen vom Laubengang im Refidenzhofe zu AL
81. Hausinfdrift im Refidenghofe zu Freifing
82. Meifterzeichen am CEdpfeiler des dortigen gaubenganges
83. Grabftein in der Kirche zu Milbertshofen .
84, Aufgang gur Pfarrfirde von Kaufering .
85. Römerftein in Prutting . ;
86.—87. Zwei Bildniffe von ehem. Münchener Dürgermeiften |
88. Franz Anton von Unertl, Zandichaftsfanzler
n Mipbandlung der Rn we
90. Schlußvignette
IV. Autorenverzeidjnis.
Wohnort, fomweit nidt andereS angegeben: Mtiinden.
Halm Dr. Philipp Maria, f. Ronfervator
Hofmann Friedrid) 9., f. —
Remmerid Dr. Mar .
Kull J. B. ;
Linde Johannes, Saradmane
Lindenfhmit, Schriftteller
Ow Anton Freiherr v., & Kämmerer, f. Pesirtearmtnarin a. D., ———
Reinecke Dr. P. Mainz .
Schober J., Stadtarchivar, Landsberg
Weber Dr. Franz, f. Oberamtsrichter
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Cimbrifhe Frauen
Bleiftiftzeihnung, "Js wirkl. Grife.
Eine fpdtere Kompofition al8 der „Angriff der Eimbrinnen“ im 3., 4. Heft 1906, ©. 82, aber nad) der Ydee von ©. 77 dortfelbft.
Des Hiftovienmalers Wilhelm Lindenfchmit, des Aelteren, Ingend und Bildungszeit
bis jue Harftelung dev Sendlinger Banernfdilaht an dec St. Margarekſienkircke
zu Unterfendling.
Fortfegung (vergl. Heft 3 u. 4, 1906).
„Die Lihtwirfung darf als Hülfsmittel be=
nüßt werden, um das Bild auseinander zu
treiben, allein diefe Arbeit darf nicht gänzlich
auf ihren Schultern laften, fondern fie muß
fdon durd) die Anordnung der Linien und
Gruppen unumftößlic) nicht bIo3 vorbereitet
fondern hergeftellt fein.“ — „Die Beleuchtung
foll hauptfächlich Ruhe einflößen, — — dazu
gehört Kenntnig. Ein ruhig angeordnetes
Bild fann man durch eine taftlofe Beleuch-
tung ruiniren. Sie foll ferner dazu dienen
einen Gedanken auszufprechen und wie die
Barbe, dem Bild eine gewiffe Stimmung
geben. Sie muß finnvoll feyn, und wenn
aud) nod) fo fraftvoll wirfend, immer rubig
und gemeffen, nie zerriffen.“ — „Mit Schwarz
und Weiß wirthichaften“, äußert er wo anders,
„dieß Heißt nicht viele große dintenartige
Stiefelwichsplatfchen anbringen, jondern eine
woblgeordnete und mohlbeherrichte, wohl—
empfundene Beleuchtung. Der fchwarze Nacht-
rabe, jomwie das blendende Sraftlicht dürfen
nicht überall herumfpufen, fondern in ihrer
höchjjten Potenz nur einmal vorlommen und
das Bild beherrfchen.“ Dies richtet fich gegen
MW. M1 uw. 2
einen falfchen Begriff von Malerifh. Es ift
ja überhaupt gerade fo wichtig zu erfennen,
was ein Künjtler vermieden oder abgelehnt
hat, al3 was er dann auf feiner Bahn er=
reicht hat. Dies gilt im großen von der Wahl
der Stoffgebiete und des Gegenftandes, weil
diefer wichtigite Punkt Sache des Charafters
und fodann der ganzen Lebensauffafjung it,
— foweit nicht äußere Lebensnot gebieterifch
mitfpridt. In beiden Beziehungen fann
jemand als Dann recht haben und als Künftler
verlieren. Treibt ihn fein ganzes Lebens—
gefühl, wie das bei Lindenfchmit war, in den
Kampf und entwidelt er fo bedeutende Mittel
dabei, fo ift der Fall vor ein anderes und
höheres Forum zu verweifen.
„Wohl denen“, jchließt jenes Kunftbrevier,
„die mit Beit und Rube reichlich verjehen
ihrem eigenen Streben gehorchen fünnen; und
nichts gleicht der Sehnfucht, mit der ich den
Augenblid erwarte, wo ic) aus dem Strudel
der Gefchäfte geflüchtet von feiner Bedingung,
von feinem Termin, von feinem fremden Gez
Ichmad gehindert, frei meinen Gedanken folgen
und zeigen darf, was ich fann.“
1
2 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfhmit, des Welteren
G8 handelte fic) ihm hHiebet ebenfofehr
um den alten Reiz feiner Jdeenwelt, wie um
den jchönen Gebrauch verftandener Mittel und
Kräfte, den Kunftveritand. Aber er wußte
noch von einem anderen Element in fich, und
das ift gerade fein unterfcheidendes Merkmal:
„Sal man muß mwirfen mit denjenigen Din-
gen, worin man feine Stärfe hat, — — — und
wenn auch die Herrn Hiltorienmaler fagen,
dieß fey nicht der ftrenge Styl, — aber ich
fann Leben maden!*. Das erfannten
auch unparteiifche Zeitz und Runjtgenoffen
an; fo habe fich einmal Heinrich Heß gegen
Peter Heb über ihn, Lindenfchmit, geäußert:
„Das fet dod) etwas Anderes al3* '); meine
Helden feien Männer, die man achte und
fürchte, ob fie fchon nicht fo grimmig thäten,
wie die des *. ES fey fehr gut gewefen, dak
id) einmal ganz meinem Kopf gefolgt fey.
Dieß habe Leben und eine Wahrheit gegeben,
die hinreißend fei.“ — Nun, dies ift auc)
etivag, fügt Lindenfchmit bei. Und Peter Hef
meinte ganz richtig, „die eigentliche Münchner
Schule habe fic) nur in Gewandern gang voll-
fommen ausgebildet, mahrend die Urime, Beine,
Leiber, felbft die Ripfe oft, find, wie fie find.“
Die Begriffe ,ftrenger Stil” und ,Hifto-
vienmalerei”, die fich in obigem Wusruf an—
einander lehnen, waren einer Durchfreuzung
und Zerfebung durch ähnliche Kompromiffe
unterworfen, einmal weil da8 „Hiftorifche“
viel zu viel mit dem Charakter in Köpfen
und ganzen Menfchen zu tun hat, um die
realiftifchen Wege gang abweijen zu fünnen, —
und andererjeits, was teilweife die Urfache
diefer Unflarheit war, weil der „Stil“ nad)
feiner technifchen Seite fich nicht richtig auf
der Natur der Mittel aufgebaut hatte und die
Begriffe und das Können in der eigentlichen
Malerei noch unentwidelt waren. Daher gab
eS außer jener gegenjäßlichen Bejtrebung, die
— wie W. Lindenfchmit — das Hiftorifche
im Nealiftifchen feft zu gründen verfuchte,
noc) einen anderen lareren Mittelbegriff, von
dejjen Lebhaftigfeit Wilhelm urfprünglich mit
ausgegangen und der in jeinem Oauptingre-
diens bei der herrfchenden Schule wohlge-
litten war. Obmohl der folgende Beleg aus
viel fpäterer Zeit ftammt, fo hilft er doch
diefe Zufammenhänge erläutern. Ylm 6. Sep:
tember 1836 wandte fi) Prof. Schnorr an
W. Lindenfchmit und trug ihm nad) einigen
einleitenden Worten folgendes Anliegen vor:
„Der König von Baiern hat mir aufgetragen
einen Eyclus von Gemälden aus der deutfchen
Gefchichte auszuführen... . Unter den ges
wählten Gegenftänden ift das fogenannte
Reidhsfeft, das der KHaifer Friedrich Barbaroffa
zu Mainz im Sahre 1184 feierte. ... . Als
ic) meine Compofition Shrem Herrn Bruder
zeigte, machte er mich aufmerffam auf die
ifm natürlic” ganz bekannte Lage und Um—
gegend von Mainz und überzeugte mich, daß
die Anwendung einer richtigen Anficht der
Stadt und Ferne meinem Bilde nur vorteil-
haft jein finne, gugleich liek er mich, wie
gejagt, hoffen, daß ich durd) Dhre giitige
Vermittlung eine genaue Zeichnung, wie ich
fie bedürfte, erlangen fiunte. . . .“
Wilhelm beauftragte nun Ludwig damit,
und fchrieb: „Sch itbermache Dir hier eine
Comijjion, wie du aus dem inliegenden Schreiben
von Brofefjor Schnorr fehen wirft. Er war
fehr artig, freundfchaftlicher als je, als ich
ihn nach meiner Ankunft (von Schwangau)
bejuchte und diek that mir wohl, da viele
Leute mich behandelten als erinnerten fie jich
meiner noch faum. Mach ihm Zeichnungen
romantifh bolzfhnittmäßiger Art.
Beichne e3 nach der Natur und mache dann
zu Huufe etwas daraus, nicht zu elegant, da=
mit e8 nicht zu anjpruchsvoll ausfieht. Yeichne
e3 ein bischen toll hHiftorifch phantaftilch”.
Schnorr danft Ludwig in einem liebenswürs
digen Schreiben: „Sie haben mir durch Ihre
vortrefflihen Zeichnungen nicht nur große
Freude gemacht, fondern auch einen recht wejent-
lichen Dienft geleistet, den ich Ihnen nie ver=
geilen werde. Och febe erft jet, wie fehr
mein Bild, durch die naturgetreue Ferne in
jeder Beziehung gewinnen muß . .. *. Dan
fieht hieraus, daß die Art der (altdeutichen)
Holzjchnitte al3 romantisch empfunden wurde
und den Begriff Hiftorifch-phantaftifch anzieht,
entiprechend dem ähnlichen Hergang in der
Belletriftil. Später gibt Wilhelm einmal die
Analyfe eines Gemäldes von Fol, der unter
Allen fic) durch eine felbjtändigere Entwids
!) Name eines befannten Künjtlers, aber nicht von Cornelius.
Sugend und Bildungsgeit 3
lung in der Delmalerei hervortat; man merft
dort, daß diefe mehrfache Jneinanderlagerung
von Tendenzen auch bei Folz wirffam war
und bier einem launifchen Behagen an maz
lerifcher Farbigfeit das Uebergewicht verlieh,
zwar fonjt prinziplos, aber Lindenfchmit urteilt
doc, davon: „immerhin geht e3 auf eine ge-
wiffe wilde Manier zufanmen“. Man möchte
faft meinen, e8 habe fich etiva8 „angemeldet“
und fei gang in der Ferne der Geisfuß Böd-
lin einmal vorbeigefprungen, freilich aud
von dem nur der Schatten.
DMalerintention lag alfo troß Allem nicht
außerhalb des damaligen Sreifes, nur das
VBollftändigfeitsbedürfnis, die Syftematif bei
mangelndem Malftudium, erjchöpfte fie zu
rafh. Wilhelm legte fjpäter immer wieder
Wert darauf, „daß es die Hauptjfache an einem
Bild ift, daß e8 empfunden ift. Und die
gilt von Anordnung, Idee, Zeichnung, Aus—
drud und Beleuchtung gleich jehr.“ Bei den
Bemühungen, feinem Bruder zu raten, er=
fennt er auch das Beitehen von bewufter und
unbewupter Runjt, ein Unterfchied, der immer
bei den Wendepunften einer Entwidlung ficht-
bar wird. „Das gefunde Machwerf ent-
{pringt nur aus der Renntni3 und dem Studium
d. b. bet denfenden Riinfilern, — hiezu bift
du zu jerftreut. . . . Von der Rompofition
bis 3ur Pinfelfiihrung herab .... Alles muß
vorbereitet, angelegt, jtudiert fein. Dann geht’3
ff. . . . Dieß ift eine Niefenaufgabe. Bon
Kaspar Schneider,!) der fein Leben lang
Burgen in der Sommerabendfonne (fog. Stim=
müngelchen) malte, bi3 zu Stornelius ftect fich
jeder engere Grenzen als wir. — Man muß
fi alfo, um Anerkennung und dadurd; Mut
und Mittel zu erhalten, engere Grenzen jteden,
d. h. ein anderes Material nehmen als gerade
das verdammte Del.“
Der alte Vater in Mainz merkte wohl,
daß die eigentliche Malerei, auf welche fic
der Erwerb feiner Söhne gründen follte, bei
Cornelius gu furg fam, und er fing an, aus
feinem engeren Gefichtspunft und dem folcher
„Zolalmeifter“ wie Schneider gute Lehren zu
geben. Er wendete fi) dabei an Ludwig,
weil Ddiefem auc) das Ergreifen einer ent-
Ichiedenen Ricjtung fo fchwer fiel. „Ich habe
gehört, daß es euch unangenehm fei, wenn
man euch Nat erteilt, — allein ich will dabei
nicht verweilen und dir doch noch mieder-
holen, daß ich e8 jehr nüßlich finde, wenn
du einige gute Stüde in der Gallerie völlig
fopirteft, fodak man fie in ein Zimmer als
Schmud aufhängen fann — und nicht ftüd-
weife und nur Abriffe. Du wirjt dann mehr
mit den Farben und ihrer Wirkung und Aus—
wahl befannt werden und dich in Betracht
defjen, was gute Wirkung macht, vertrauter
machen, — — eö muß einer immer von ans
dern lernen und darin hat gewiß der alte
Schneider recht, daß er jagte: Die Natur miiffe
man durch die Augen der Meifter — be=
trachten! — Man muß das Wahre aud) von
Leuten annehmen, die man übrigens nicht
jehr Hoch fchäßt; Schneider wollte damit fagen,
daß man achthaben folle, wie diefe großen
Männer diefen oder jenen Gegenstand auf der
Leinwand behandelt haben, und fi) darnad)
richten.“ Der Rat wäre gut, wenn er nidjt
zum Schluß doch eflektifch gemeint wäre. Ende
1827 fchreibt er, während Wilhelm nod) in
Mainz weilte, an Ludwig: „Zaffe den Sommer
oder das Frühjahr Hin ja nicht aus den Augen,
bei einem tüchtigen Maler praftifchen Unter-
richt zu nehmen, das gilt auch von Wilhelm.
E3 wird wohl Anjtrengung foften, wenn ihr
dieß bei der Beichäftigung, die ihr fchon habt
[gemeint it das Wrfadenfresfo], ins Werk
bringen wollt, allein dag ijt doch nur auf
furze Zeit und einem talentvollen jungen
Mann ift gut Iehren, auch ohne viele Zeit.
Wenn nur der Lehrer aufrichtig ift — und
dafür belohnt wird. Jch bin gewiß, daß wenn
ihr im Technifchen eingeübt feid, ihr mit Ver—
gniigen und Leichtigkeit arbeitet und dann erft
den Vorteil von euren guten Anlagen in voll
und reihlihem Maße ziehen Eönntet.“ Wollte
der erfte Rat auf Orientierung an den Meiftern
und auf Gefchmadsbildung hinaus, — wobei
e3 doch gleich jehr auf die Schlüffe, die der
Copierende 30g, anfam —, jo empfahl der
zweite Nat als engeren Weg den Anfchluß
an eine beftehende Malübung. Allein auch
hier fegte das Herausfinden eines Lehrers
Begriffe von den Aufgaben voraus; die felbit-
gewonnenen, die Wilhelm hatte, jtießen hier
') Joh. Kaspar Schneider, geb. zu Mainz 1753--1839, Hefl. Hofmaler, ift ein Bruder des Stephan
thiirmers.
j*
4 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfchmit, de8 Weltercit
fofort auf die Pedanterie des älteren Ge-
fchleht8 und feiner Methoden. So hatte
Schneider, obgleich Wilhelm mit großem Lern
erfolg einen Rubens nad) Anmweifung des
Lehrers braun in braun durdhftudiert, es
durchaus nicht zulaffen wollen, daß er fi
nunmehr mit der Delfarbe vertraut mache,
fondern wollte diefe Tufch- und Sepiaübungen
ins Unabfehbare fortfegen. Man vergipt zu
leicht, daß all diefe Meifterchen nicht gerne
ihre legten Geheimniffe herausgaben, bejonders
wo fie eine Entthronung fiirchteten. — Anderer=
feit3 war ein Mann wie Stieler allerdings
ein aufrichtiger, freifinniger Lehrer, allein feine
Palette war ein Necept von etiva zwei Dußend
forgfältig vorbereiteten Mifchtönen, und der
Auffaffung lag ein antifes Schema zu Grund,
das überall gleich) in die Form hereinjprad).
Nun befaß aber Lindenfchmit bis in jene
Beit feiner erjten großen Fresfen fdjon eine
angewandte tenntnis aus eigener Maljchulung,
wie fie in einer Pferdftudie, feinem Göß, ein
und dem anderen Figücchen, und auffallend
gefund in feinem Selbjtporträt (dem in Hemd-
ärmeln) vorliegt. Hier war Ton und Frifche
und eine ganz in der individuellen Form reg=
fame Farbe. Auch der Gig bot aus dem
dargeftellten Gartenmwinfel heraus jenes Gefühl
der weit= und hochher zuftrömenden Zuft- und
Lichtwelt. Hiegu fchictte fich trefflich die ein=
fache liebevollrealiftifche Durchbildung in feinen
gezeichneten Bauernföpfen; ihre feeliiche Auf-
faffung vief nad) folder Malerei. Und das
war auf dem Weg, wie man aus der Aquarell=
behandlung der Köpfe und Geftalten auf der
„Heldengefolgichaft“ erfieht. Nicht feine Jdeen-
welt an fic) war das Hindernis.
Immerhin hatten fic) tm Jahre 1827
diefe gefunden und wertvollen Elemente feiner
Anlage, Anfchauung und bisherigen Praxis
noc) nicht zur bemußten organifierenden Malerei
fonftituiert; und doch Hatten fie eg gemußt, um
in dem Gonträren der frembden wider{pruds-
reichen Anfprüche und in den Gefahren des
eigenften geiftigen Wablfeldes auf die Dauer
nicht tief Schaden zu nehmen. ALS die An-
ordnung der Kompofition zur Giengener
Schlacht endgültig feitftand, Fam e8 nunmehr
gegen Ende des Sommers zur Farben—
ffizge"), die den Stand feines Könnens und
', 53 cm breit, 43 cm Hod, in Delfarben.
Meinens in der Malerei ziemlich überbliden
läßt. „Man thut wohl, fogleih in etwas
auf die Lichtwirfung zu denken“, jchreibt er,
nämlich gleich beim Zeichnen fFleiner Umrif-
ffigzen. Die fleine Bleiffigze im Giengener
Sfizzenbud) nahm in der Tat fchon Bedacht
auf Lichtwirfung, und fegte auch den Staub
zwifchen Reiterheer und Berg an; leßteres
fand fich auch auf dem endgültig durchgebildeten
Umriß, welcher durch Nötheln auf die Lein-
wand übertragen ward. Der Lichtgang, auf
den die Kompofition von Haus aus mitver=
anlagt war, verläuft nun in der Farbenffizze
von linf3 nad) rechts, ift aber zugleid Ober
licht, nach außen frei, nach innen jedoch durch
die dunkle Bergmwand abgeftellt, darüber noch
ein heller Himmelftreif. Die Figuren befommen
aljo das Licht voll auf ihre Vorderfeite, Bruft
und Kopf, und zum Teil auf die fichtbaren
Ceitenflähen. €3 ift ruhiges, gleichzerteiltes
Licht mit Haren Schatten; dafür forgt die
den Sonnenfchein verlegende Hintergrundhöhe.
Der dazwiichen auffteigende Staub hebt aber
die Conturen wieder deutlich von feiner weichen
Helligkeit ab. Nm übrigen gilt von diejer
Oelſkizze, was Lindenfchmit in feiner Anleitung
vorträgt: „Die Farbenfkigge muß in bezug
auf Färbung und Lidtwirfung alles leiften
oder wenigftens andeuten, was das Bild leiften
foll, alles muß fich trennen, was fich trennen
fol, alles muß zufammenhängen, was zus
fammenhängen foll, fet e3 durd) Licht oder
Schatten, durch fanfte oder jtarfe Farben. —
Das Haupterfordernis ift jedoch, daß jedes
Bild feinen eigenen Ton hat; jeder Gegen-
ftand will entweder in düſterer Schwermut,
wo die Farben gleichjam ängftlich daher-
rauschen, oder in glühender dunkler Sraft
oder in hellem Tagesglange oder in einem
heimlichen und Zaren Dämmerlichte eigens
gefärbt fein. Dies ijt der dichterifche Ge-
danfe, der ein folorierteS und gemaltes Bild
von einem illuminierten unterfdeidet und den
Gegenstand mit Geift und Leben verherrlict.”
Die Farbenffizze ift eigentlic) jdhon bild»
mäßig durchgeführt; nur die Männerföpfe
find teilmeife nur angelegt. Sie hat eine
geichloffene Haltung. In den Halbfchatten=
partien, die vom Rüden des Achilles herab
und durch die am Boden liegenden, unterften
Jugend und Bildungsgeit 5
Geftiirzten hingiehen und hinter dem Herzog
wieder auffteigen, herrfchen lauter ftille tiefere
Töne; das Eifengrau= und blau der Panzer,
das Goldichwarz und Silberfchwarz in den
Pferdefirpern, da8 Moosgrün und Roftbraun
der Waffenröde umrahmen die Bildmitte, ıwo
dann das Licht von den lebhafteften Farben
empfangen wird: das Gold in der gejunfenen
und das in der mwehenden Fahne, die Gold-
rüftung des Herzogs, den ein lichtblauer
Mantel frifsh aus den Schatten hervor-
Ichwingt, — diefes Gold Töjt den Bann der
gedämpften Umgebung jehr fein und jeßt dann
in feiner Mitte zwei verwandte, aber nod)
freiere, leichtere und lichtere Farben, nämlid)
den Goldfalben des Herzogs und den Rotrod
des Ueberrannten ein. Go entfteht am rich-
tigen Orte ein fachlicher, fraft- und Flang-
voller Effekt; es durften hier etwa, um einer
bloßen Fortjegung der Feinheit willen, feine
ftummen Töne jtehen, denn der Dichterifche
Gedanke fordert eben gerade den Widerftreit,
— nidt in einander übergehende, jondern
durch deutliche Wertintervalle fich heraus-
fordernde Töne. Gleich daneben gleiten mit
den Pferdefdpfen die feinen Scalen von Fahl,
Fuchs-, Dunfel- und Schwarzbraun bis ing
Stahlgrau der Rüftungen bildein. Auf der
Höhe bildet die Kampffilhouette ein Gitter
von graublauen und ähnlichen Lufttinen vor
dem hellen Himmel, deren Härte draftifch und
beabfichtigt ift.
Die Technik ift ein fchönes, disfretes
Email, in den Pangern und in den Körpern
der Noffe, nicht fehr did, aber dedend auf-
getragen. Die Köpfe der Ritter find zur Er-
reichung des Ausdruds breit angelegt, nur
der Herzog, der NRotrod, und der Achilles
zeigen auch Schon Charakter.
Sehr gut find die Fugen und mutigen
Pferdeföpfe; Hier liegen offenbar befondere
Studien zu Grund.
Die Gefamthaltung de3 Tons gemabhnt
an Gobelins: Grau bald in Blau, bald in
Grün und Schwarz variiert webt fich überall
durch, von Rechts her fpricht allerdings ein
mwärmeres Braun und der gelblie Staub
herein. Die Bilder jollten ja aufgehängte
Teppiche darftellen und waren mit Franfen
gejäumt. Der graue Ton hat zwar in dem
Lichte etwas Trodenes, er trug aber gut auf
die Fresfowirfung an.
So hatte Wilhelm, als er Mitte Sep-
tember 1827 in feine Ferien ging, dem Fresfo
gut vorgearbeitet. Die Farbenffizze muk in
Diefer Beit fertig geworden jein, weil der
lebensgroße Karton, der im Januar 1828 be=
gonnen werden follte, fie vorausfeßt. Nas
mentlic die Pferdeftudien, deren NRejultat in
Der Oelffizge feftliegt, wären in der fnappen
Winterszeit nicht mehr Hereingubringen ge=
wejen.
M13 er von Johanna Kainprechter Ab
fchied nahm, gab er ihr ein Stammbudchblatt,
worauf er ein zweifaches Bildnis von fich
gezeichnet. Darunter ift zu lefen: „Seßiges
Porträt — Fünftiges Porträt — im Septem-
ber 1827 — Ihres Freundes Wilhelm Linden
fchmitt“; das fünftige war jein Schädel, und
die Nüdjeite trug den Berg:
„Was grinfeft du mir hohler Schädel her,
Als daß dein Hirn wie meines einst ver-
wirret
Den lichten Tag gefucht und in der Däm-
merung jchwer
Mit Luft nad) Wahrheit jämmerlic) ge-
irret.“ —
Gin eigentiimliches Gefchent fiir eine junge
Dame, — aber ein Verfprechen auf Leben und
Tod. Nocd) immer war von feiner eigenen
Familie Niemand als fein Bruder im Ber-
trauen. Die Mutter mochte etwas ahnen;
fie hatte einmal ein „Tafchenbuch“ gefchidt,
worin die Gefchichte einer jungen Künftler-
ehe — ohne Vermögen — erzählt war. Rlauz
precht fchrieb dazu: „hr hättet wohl Tieber
das Geld mit dem Porto dafür im Sad.
Doc abrathen mochte ich eurer Mutter nicht,
die Mahlerfrau fol euch rühren! — Filcher,
da er vorne die undeutfchen, nicht zugededten
Frauenbilder fah, rieth fogleich ab.“
Die Brüder reiften am 13. September
nach Ulm, dann die Donau hinauf nach Ried-
lingen, dem Geburtöort der alten Frau Rain
prechter. Sie war die Tochter eines Sciff-
bauers Stiegelmaier, defjen Arbeit auch weiter
ftromab bi8 Donaumörth begehrt war. Wahr:
fcheinlich Tieß fich Wilhelm hier ein Papier
ausfertigen, das für die Heirat mit Hanni
erforderlich war. Dann nahmen fie den Weg
nad Nordoften in das Brenztal im fchwäbi-
6 Hiftorienmaler Wilhelm indenfdmit, deS Welteren
hen Jura, wo das Städtchen Giengen liegt. |
Sie famen fo rajch nicht nad) Mainz, denn
nod) im SOftober erkundigt fic) Klauprecht
nad ihnen, aber gerade zur Weinlefe in
Ludwig fehrte
Weiffenau trafen fie ein.
|
|
t
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F
by
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in ehe ee. mer
das Regiment von früher. Außerdem hatte
fie jebt Heiratsvorjchläge für die Söhne.
Wilhelm jedoch ging ganz in Porträt-
malerei auf. Das war auch dem Vater lieb.
Er räumte ihm gern das belle Bücherzimmer
—— BFE
‘aadb ut mci RE — — — Eh
Johanna Rainpredter.
Bleiftiftzeihnung, '/s der wirft. Größe.
Um 1826.
chon Anfang November wieder nad) München
zurüd, Wilhelm blieb bis über Neujahr.
E3 follte auf länger als ein Jahrzehnt
das Tette Mal fein. Das Mainzer Leben
bewegte fi) wie früher um fich; auch fein
Schiejal hatte den Kreis der Yugehörigen
und Nächten geftreift; die Mutter führte
einen neuen Titel, Frau Nichmeifterin, und
dazu ein, das mit feinen mohlgefüllten Ge-
ftellen, auf denen einige Abgüffe antifer
Köpfe prangten, einen gemütlichen, verwend-
baren Hintergrund bot. Außer einigen ge-
zeichneten Bildniffen, mworunter die Eltern,
entjtanden etwa fechs Porträts in Del: das
Bild einer Mainzer Dame, eines Hausfreuns
des, dann der Schweiter Wilhelms, und be=
Qugend und Bildungsgeit
fonders das Bildnis des großherzogl. Geheim=-
rat3 und Leibwundargtes Leydig. ALS die
ganze Reihe fertig war, wurden die Kunit-
freunde auf einen Sonntag zu einem Mittag-
effen eingeladen, und alfo beftodjen vor die
Bilder geführt. Der Hauptfenner, Herr Ar-
beiter, „ergriff nach eingehender Befichtigung
die Hand des Wilhelm; fein Lob war ftarf
und ungeheuchelt, ev würde nicht nur, jon=
dern fei fhon ein großer Meifter“. So be-
richtete der Vater an Ludwig, und fügte Hinzu,
das Bild des Leydig werde Wilhelms Ruf
fiher gründen. „Porträtmalen macht be-
liebt bei den Leuten, bringt Geld und auch
andere Aufträge.” Er fah darin auch die
befte Hebung; außerdem fühlte er fich felbit
angeregt, taufchte feine Erfahrungen aus, be=
fprach neue Gefchmadsrichtungen. Der Stand-
punft des Alten war der einer mweltmänni-
[chen PBädagogie, er äußerte fich gegen feinen
Sohn Ludwig: „Was du von Düffeldorf und
dem fdinen Rolorit in Porträt fagit, it
allerdings wohl zu bedenken, denn ein ver=
nünftig gewähltes lebhaftes Kolorit |pricht die
Seele angenehm an; findet dann das Fritifche
Auge vollends alles der jchönen Natur ge-
mäß geordnet und an feinem Plage, fo ijt
das Bergnügen der Seele um fo daurenter.
Der Hauptzwed der jchönen Künfte ift und
bleibt nicht nur allein Wahrheit, fondern
auch hauptfächlich Vergnügen einer gebildeten
Seele. Ich fage Wahrheit — das ijt der
Natur gemäß gefchilderte Gegenftände ; — und
in der Natur ift es ja gerade DdieB ange-
nehme Farbenfpiel, nebjt den mandfaltigen
Schattirungen, was uns in ihr fo fehr ge-
fällt. Freilich ift, das richtig zu treffen, ge=
wiß nur Wenigen gegeben; ich glaube aber,
daß es doch fehr leichtfinnig ift, nicht mit
vollem Ernft darnac) zu ftreben. — Warum
follten die großen Meifter bei ihrem Talent
dieß nicht haben erringen fünnen, — ich meine
die, denen dieß angenehme Kolorit abgeht, —
wenn fie den wahren Werth davon gefühlt
hätten? Man wird darin wie in allem wirf-
rs
(
lich gut Gerathenem in der Kunft, noch Das
Gute und Nütliche finden, daß folche Werke
rohen und gebildeten Menfchen auf den erften
Blid gefallen. Sieh die großen Werfe an,
fo wirft du das finden; ein Woumermann
bat die trefflich benüßt.*“ Die Kunst ift ihn
alfo nicht für die Runft, und nod) weniger
nur für einen auserwählten Kreis da! Daz
gegen lag ihm die Haltbarkeit und Dauer-
haftigfeit der Arbeit am Herzen; er jorgt für
gute Malmittel und weiß foftbare Farben für
feine Söhne zu erwerben, 3. B. eine Portion
Ultramarin;!) fie follen jich brüderlich darein
teilen, aber niemand den Befiß merfen lajjen,
— und er freut fich darauf, „wenn ihr wie-
der was Tüchtige8 malt und auch da ein
wenig fo {dine Farbe anbringt.“
Auch Ludwigs Zeichnungen aus Tirol
erfahren daS Lob, daß Ddiefe Feljenwände
denen des Everdingen glichen, der faft nie
darin erreicht worden fei. Ludwig war fo
früh nad) München gegangen, einmal wegen
des Beginns der Vorlefungen, und fodann
um Borbereitungen für den Karton zu treffen.
Damit hing das Gejchäft zufammen, eine für
die Arbeit paffende Wohnung zu juchen. Sie
müffe nicht gerade Nordlicht haben, wenn nur
da8 Hauptzimmer weit und tief genug fet,
um der Sonne ausweichen zu fünnen. Das
Gejuchte fand fic) in der St. Annagaffe, alfo
nicht weit vom Hofgarten, was fiir Cornelius
wegen der Rorrefturbefuche wichtig war. Bez
vor nemlid) Cornelius feinen Rontraft mit
dem Hofbauintendanten, Herrn v. Stlenze, betr.
Ausihmüdung des Hofgartenganges mit al
fresco Gemälden abjchloß (21. Febr. 1828),
war fchon der Zustand eingetreten, daß die
Akademie anderweitig durch ihre neuen Auf-
gaben in Anspruch genommen war und einen
Kaum für die Arbeiten an den großen Rarz
tonen nicht ftellen konnte. Ein beabfichtigter
Barafenbau unterblieb und fo hatte Cornelius
im Ginn der Abmachungen zu handeln ge=
glaubt, wenn er in dem fog. Kaufhaus, d. 5.
in der die Läden enthaltenden Abteilung der
ı) Im SKontraft gwifchen der f..b. Oofbauintendang und Prof. El. Zimmermann betr. Ausführung,
der Loggiafresfen in der WU. Pinakothel, vom 26. Nov. 1827, find eine Reihe tehnifche Vorbereitungsarbeiten
und gemifje Auslagen, fo die für teure Farben, Ultramarin und Kobalt, nod) eigens der f. Hofbauintendanz auf:
erlegt. Die Summe von 45000 fl. war nur für die Kartone und die fünftlerifche Arbeit bein Malen jelber bejtimmt.
©. 8.5. Kreisardjiv, Münden: Alten der Kgl. Regierung von Oberbayern, Kammer des Innern; Reg. VII.
63. Nr. 1; Pinakothek, Nr. 47.
5 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfdmit, bes Welteren
Hofgartenarfaden, einen Raum vom Banfier
v. Cichthal mietete. Doch fonnten Hier nicht
alle Kartonzeichner bequem untergebracht wer=
den. Daher fam e8, daß die Lindenfchmit
ihren Karton zu Haufe zeichneten. Die Mei:
nungsverjchiedenheit zwijchen dem Direktor
der Wfademie und dem Hofbauintendanten,
wer die Miete für das Lokal des Bazar und
die Kojten für die Heizung, Beleuchtung, Be-
dienung zu tragen Habe, 30g fic) noch bis
ins Jahr 1832 hin. Cornelius fonnte die
Auslagen nicht auf den Fond der WAfademie
übernehmen, veil diefer durch machjende
Schülerzahl, Modellgelder, einen zweiten Mo-
dellfaal, Erweiterung der Wrchitefturfdule,
und die endgültige Einrichtung eines Wales.
gimmers, fowie durch die Veranftaltung der
Kunftausftellungen aufgezehrt wurde. Er
fonnte aber auch nicht zulaffen, daß diefe
Rojten an der für die einzelnen Fresken d. h.
für die Maler derfelben beftimmten Summe
abgejeßt werde, zumal im Mai 1828 nod)
zwei neue Bilder über den Querbogen, — e8
find die jchönen Allegorien Raulbadhs —,
zu dem früheren Anjchlag hingugefommen
mwaren.!) Cornelius hat diefen Strauß für
feine Schüler wie für die Afademie fchlieglic)
gewonnen.?)
Wilhelm erinnert feinen Bruder in einem
Brief vom 28. November 1827 ganz furz an
feine Mufträge: „Deine Gejchäfte als die Be-
forgung des Kartons, der Mappen, des Xo-
gies, die Befuche bei Cornelius, Stieler und
Nulands wirft du wohl beforgt haben, und
ich hoffe, dak du auch fchon eine Skizze zu
unferer Schlacht unternommen haft.“ Dar:
unter fann nicht gut eine durd) Ludwig aus-
zuführende Farbenffizge gum Wrfadenfresfo
gemeint gewejen fein, abgefehen davon, daß
ev feine gemalt hat. Wilhelms Farbenifizze,
nach der fi) dann das Fresfo bis ins ein
zelne gerichtet hat, war fo ausführlich und
liebevoll durchgebildet, daß fie nicht das Werk
kurzer Beit neben dem drängenden Starton
her fein fann. Folglich) ftand in diefer Bez
ziehung jchon alles fir und fertig da. Wud
bedurfte der Karton fie zu feiner Regelung.
&3 wird alfo unter einer „Sfizze zu unferer
Schlacht“ etwas anderes zu verjtehen fein
und da bliebe nur der Gedanfe an Sendling offen.
Wilhelm fam am 7. Januar 1828 mies
der in München an; er war über Darmitadt
gereift, „um fich zu lanciren“; dort fang die
Demoifelle Sonntag die Donna Anna, „als
ich mich dem Theater nahte, ergriff mic) das
Vollsgemurmel und trug mich fchwebend bis
auf den höchiten Blak auf das Paradieß“ ;
dann war er in Worms mit einem Runft-
händler, Artaria, und einem Gefchäftsmann,
Memminger, gufammengetroffen. Sein Vater
antwortete ihm am 23. Januar nad) Münz
chen: „mir freuten uns alle jehr, daß du
glüclich bei deinem Luppus angefommen bift;
der wird fich auch recht herzlich gefreut haben;
daß er dir am Thor entgegenfam durch den
guten Heren Memminger unterrichtet, hat ung
jehr ergögt. Der Herr Memminger war vors
ber hier, der hiefige war mit ihm, fie hätten
gern euere Zeichnungen gejehen.“
Wilhelms Name hatte in Mainz, Darmz
ftadt, Heidelberg, Mannheim unter den Kunft-
freunden und durch Kollegen, wie 3. B. den
Heidelberger Maler Fries, fchon einen ge-
wifjen Klang ; — gleich waren auch die Kunfts
handler aufmerffam, die damals an den erz
mwachenden Werfehrsorganifationen fic) auf-
ranften und zwifchen den regen rheinijchen
Städten und großen Plägen wie München
noch unruhig bine und ber undulierten; dem
„biefigen“ entiprad) immer ein ausmärtiger.
Sp war auch das Speditionsgejchäft, das die
gelegentlichen Sendungen der Lindenfchmit be=
forgte, der Hofbanfier v. Eichthal aus den
rheinifden Gegenden und griff unter der
Hand in die Verhaltniffe der Kunft ein. Sein
Bruder, der bayer. Finange und Regierungs-
rat, der die Mufterverwaltung des Gutes
Ebersberg eingerichtet hatte und die Ermwerbs=-
und Berfehrsverhaltniffe in Stalien und Eng-
land auf Reifen ftudierte, befreundete fich in
1) ©. $. Hreisarhiv, Münden. Acta des f. StaatSminift. d. Innern XVIII fasc. 399. ,Oofgarten
Arkaden ufm.“
*) Die eigentliche Zchde zwifchen Cornelius und Kenge hatte fhon eher, Ende 1827, eingefett, nämlich
fiber die Loggiafresfen und betraf den alten Zwiſt zwifchen deforativen Stiinften und Bildwirfung. Unter
diefem Gefihtspunft muß SKlengze’S Borgehen ciras billiger beurteilt werden, al8 c8 nad) dem bei Förjter,
Cornelius I. S. 419 ff., Erzählten ausficht.
Jugend und Bildungszeit 9
Schottland mit dem Bater der hiltorifchen
Romantif, dem Dichter und weltpraftifden
Ginfiedler Walter Scott. Und W. Scott hat
nad) deffen Tod und beim Herannaben feines
eigenen Endes auf der Heimfehr von Italien
noch im Frühjahr 1832 das Sendlinger Fresfo
befichtigt und fein großes Jnterejje für die
feinen Hochjchotten jo verwandte Weife be-
fundet. Sn diefen Sreiß gehört jchlieglich der
Notar (?) v. Deffauer, der fpätere Bejiger des
Bades Kochel, welcher Lindenfchmit jchon vor
dem GSendlinger Unternehmen fannte und ihn
im Herbjt 1831 in Gachen des Patents fiir
die Lithographie des Sendlinger Gemäldes
mit feiner gejchäftlich juriftifchen Erfahrung
beriet. Hier in diefen Anfnüpfungen, die aus
dem bürgerlich-fommerziellen Aufbau feiner
Heimat und zum guten Teil Gejchäfts: und
Gefellfchaftsbeziehungen feines Baters ent-
iprangen, hätte fic) ein gutes Ausfommen,
eine rajche zeitliche Anerfennung und jpätere
"Unabhängigkeit angebahnt.
Immerhin ließen derartige Ausfichten,
fowie aud) die Wnerfennung und der Ver-
dienft aus feinen Mainzer Portrdten gerade
jeßt das Beginnen, den eigenen Herd auf die
eigene Ermwerböfraft allein zu gründen, leich-
ter erjcheinen.
Er fchreibt fpäter einmal: „Seit meinem
zweiundzwanzigſten Jahre verdiene ich mein
Brot.” Das bezieht fic) auf die nun bei der
Kartonzeichnung einfegenden Ratengahlungen,
welche Cornelius monatlich ordnete. Wuf den
Maler jedes einzelnen hHijtorijden Fresfos
entfielen etwa gegen eintaufend Gulden!) im
ganzen.
Der RKarton, in der Bildgröße, hatte eine
Höhe von 2,26 Meter. Schorn gibt für die
Fresken runde 8 Fuß Höhe und 10 Fuß
Breite an. Die Uebertragung der fchon auf
der Skizze forgfältig angeordneten Gemänder
(und Fahnen) ins Lebensgroße ging nur mit
Model. Ebenfo nahmen die fo Lebenswahr
gegebenen Stellungen der Reiter und Gejtürz-
ten jelbjt eine bedeutende Yeit in Anjpruch,
befonder8, wenn man bedenft, daß der fünjt-
ler feine Geftalten vom Skelett aus durd)-
fomponierte. Die Köpfe waren eine Aufgabe
für fih, und es fommen minbdeften8 die der
drei vorderen Reiter, drei Geftiirgte, und
Albrecht für volle Porträt» und Charafter-
wirfung in Betradt. Die Größe der Bilder
und ihre Nähe forderte die Durchbildung der
Einzelheit; und hier trat auch bri weniger
gelungenen Rompojitionen oft ein naiver und
frifcher Reiz hervor. Später murden Ddiefe
Kartone von ihren Künftleen an bayerijche
Städte, unbefannt an welche, geichentt.
Diefe Arbeit erjtredte fich biß in den
Suni 1828 und wurde nur wenig unter-
brochen. Dagegen jah er fic) vor eine bez
deutfame Entjcheidung geftellt. Aus Nom
ergingen Einladungen. Der Maler Simmler
und der Diafon Lennig, zwei Mainzer, wünfch-
ten ihn recht bald dort zu haben; fie feien
gut eingeführt und wollten ihm in allem zur
Hand gehen. Außerdem ließ ihn fein Freund
Krafft grüßen und ihm mitteilen, ex fühle
fi) fo franf, daß er nicht mehr aus Italien
fommen werde. Qn Mainz verabredeten
mehrere wohlhabende Bürger, den beiden
Zindenjchmit einen längeren italienischen Auf-
enthalt durch ein Stipendium zu ermöglichen.
Diejer vorteilhafte Vorjdhlag wurde aud) in
einem der näcjjten Jahre wiederholt. €8 ift
klar, daß Wilhelm fich beim Publifum, das
nicht höher jchwor ald Rom, ein ganz ans
deres Relief fon durch den bloßen Aufent-
halt dort gegeben hätte, und ebenfo hätte e3
ihm nach oben bin, in Cornelius’ Kreifen
und auch beim König, die eigentlichen Weihen
und eine Art Selbftändigfeit verfchafft. Wäre
Wilhelm Lindenjchmit jolchen Erwägungen zu=
gänglich gewejen, jo hätte auch jein Heirats-
plan fich ihnen ein= und unterzuordnen ges
mußt. Das war e8 jedoch nicht, was ihn
abbielt, alg im Herbjt mit der Beendigung
des Arfadenfresfos die Bahn fret wurde.
Aber die Heberzeugung auf eigenem Boden
feinen Lebensplan aufbauen zu follen, war
1) Siehe die Alten im F. Kreisarhiv, Münden. — Nad) Eornelius’ Berechnung entfielen von den 24000 fl.
der Gejamtfumme 4800 ff. fiir Den Untrager der Gründe, Farben, Modelle ufw. Die übrigen 19000 fl. zerfielen
urfpriinglid) in 16 gleiche Zeile, zu je 1200 fl. für je eines der 16 Hiftorienfresten eingerechnet den Betrag für
die Dedenarabesfen und die gegenüberliegenden Allegorien an den Pfeilern und in den Bwideln; und davon
nod) ab der Betrag für die zwei großen Torbogenbilder.
einzelne Hijtorienbild.
TMIU?2
So find 1000 fl. wohl zu hod gegriffen für das
2
10 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfdmit, des Welteren
zur ftarfen Flamme aufgefchlagen. Sie gebot
ihm, feine Arbeit nicht nur dem Namen der
Heimat gu weihen, fondern die gejtaltenden
Elemente al8 das foftbarfte Cigentum einer
echten Kunft diefem Boden zu entnehmen und
eindrudsvoll Hinzuftellen.
G3 war der Entfhluß, mit dem Send»
linger Gemälde für das Gedeihen und die
Bufunft feines Gewerbes, dem er Geift und
Leben anvertraute, mit dem vollen Maße un-
verbogener Befähigung einzutreten. Seine
Begeifterung wuch3 in der Ausführung des
Urfadenfresfos, wo er die Schönheiten diejer
Technik fennen und die Vorteile, die fie einer
großaufgefaßten Kunft bietet, fchäßen lernte.
&3 wurde deshalb alles darangejegt, in
diefem Sommer das Arfadenmwerf zu bemäl-
tigen. Bon den Transparententwürfen für
die Dürerfeier, woran er gedacht und woran
fi) eine große Zahl feiner Mitjchüler betei-
ligt Hatte, ftand er nun ab; er reifte zu den
Feittagen des 6. und 7. April allerdings nad)
Nürnberg, fo etwas verfdumte er nicht leicht.
Auch galt die Feier zugleich der Aufrichtung
und Verbreitung einer größeren Kunfttätigfeit
in Deutfchland und fo findet fic) fein Mame
aud) unter der GStiftungsurfunde des dort
befchloffenen deutjchen Künftler-Bereins.')
Am 15. Juni begann er das Fresfo; e8
mar die Zeit, wo er feine Verlobung befannt
gab. An diefem Tage jah Hanni noch den
fertigen Karton in dem Arbeitszimmer der
St. Annagaffe, der dann in die Arkaden ge-
Ichafft wurde.) Wilhelm hatte das große
Bimmer, wo der Karton entjtand, noch für
furze Seit beibehalten, obwohl er fchon zum
Maler Quaglio in die Burggaffe umgezogen
war. Man rechnete nämlich damit, mit der
zweiten Abteilung der Arkadenfresfen etwas
früher beginnen zu fönnen. Da aber die
dichtbelaubten Kaftanien an diefer Stelle den
verfchalten Raum fehr verdunfelten, war um
die Erlaubnis, einige Zweige entblättern zu
dürfen, eingegeben worden. Als fie nicht er=
langt werden fonnte, mußten erjt die Yenjter
vergrößert werden.
8 wurde dann ohne Unterbredung an
dem Fresfo gemalt und dank der Mitwirkung
feines Bruders jtellte Wilhelm das Bild in
dem Beitraume vom 15. Juni biß gegen Ende
de8 Septembers 1828 fertig. Gleich darauf
trat er eine Reife an. Yn Schorns Aunft=
blatt, vom 1. Januar 1829, Ir. 1 wird eine
Ueberficht über den Stand der Malereien in
den Arkaden gegeben; die Angaben beziehen
fi natürlich auf den Herbft 1828, meil ja
im Winter der Dunfelheit und des Froftes
wegen nicht weitergearbeitet werden fonnte.
G8 werden die Titel der Bilder nebft
furzer Erläuterung der Reihe nach gebracht,
die Namen der Maler genannt und dann der
Grad der Fertigitelung furz Hinzugefügt.
Danad) war Fresfo
1. (Förster) fchon vollendet.
. (Zimmermann) fchon vollendet.
. (Rödel) unvollendet.
. (Stürmer) fertig.
. (Hermann) wird eben gemalt.
. (Stilfen) gemalt.
. (Hiltenfperger) unvollendet.
. Schladht bei Giengen. Gemalt von den
Gebrüdern Lindenjchmitt.
9. Gemalt von Schilgen und Vols.
10. Wird erft im nächften Sommer gemalt.
11. (Eberle) noch unvollendet.
12. Gemalt von Stürmer.
13. 14. (Belgrad. Akademie) werden erjt
gemalt.
15. Monten (Arcis sur Aube) ijt ge-
malt.
16. (Berfaffungsurfunde) wird erjt gemalt.
E3 ift alfo jedesmal gefagt, was „erit
gemalt wird“; das andere ift gemalt. Troß-
dem war an Lindenfdmits Fresfo der untere
Rand mit den Goldfranfen noch ungemalt.
Sie find im folgenden Sommer nachgeholt
worden.
Mitte Juni 1829, alfo ein Jahr nachdem
Lindenfchmit an das Arkadenfresfo gefdritten
war, und gerade in den Tagen als er den
Karton für das Sendlinger Bild feftitellte, ift
ihm fein erfter Sohn, Wilhelm Ludwig, ge-
boren worden, — derfelbe, der im Sommer
1885 nad) Ginholung der Allerhöchiten Er=
laubnis dem Arkadengemälde feinen heutigen
ichönen und reifen Anblid verlieh und der im
Suni 1895, als er die Wiederherftellung des
Sendlinger Heldenbildes jchon begonnen hatte,
ot me Cw PO
axa oe
') Sörfter, Cornelius I, S. 488 ff. Wtenftite Nr. XIII.
») Nach einer Mitteilung und Aufihreibung meines Vaters, Prof. W. v. Lindenfchmit.
Jugend und Bildungszeit 11
geftorben ift. Das zweite Entjtehungsjahr des
Sendlinger Bildes it das Geburtsjahr feiner
Tochter Walburgis; bald nach der Enthül-
lungsfeier des Bildes 1831 fam feine zmeite
Tochter zur Welt, die von Cornelius’ Schwe-
fter Jofepha aus der Taufe gehoben worden
zu erwarten hatte. Die Mutter hatte daheim
eine reiche VBerforgung bereit, und hat es ihm
nur fchwer verziehen, daß er auch hierin fic
felber und dem Leben gefolgt war. Eine
lieben8wiirdige Mtaingerin war auserfehen und
diefe hatte, offenbar unter der mütterlichen
Wulgufte Rainpredier 7 1828.
Bleiftiftzeihnungs'/s wirkl. Größe.
Um 1826.
ift. Cornelius’ Schwefter bewies ihm große
Sreundfchaft in fehmwieriger Beit, mozu auch
ihre Anmwefenheit in der Frauenkirche gehört,
als dort das blühende junge Paar getraut
wurde. Wilhelm war erft 22 Jahre alt, und
feine Eltern erhoben Ginfpruch gegen diejes
Wagnis, weil er von feiner Seite Vermögen
Leitung, mit Geift und fluger Gefchmeidig-
feit ihn zu tröften unternommen, als er nod)
an der Neigung zur Frau von N. franfte.
Allein gerade vor diefer zu früh bemuttern-
den Klugheit der Schönen jcheute er. Als er
die Hanni erwählte, waren e3 die entgegen-
gejegten Eigenfchaften, reine Lebenskraft, ein
2%
12 Hiltorienmaler Wilhelm Lindenfhmit, des Welteren
ftarfer Mut, ein gutartiger Leichtfinn, der
humoriftifch beanlagt war, aber auch zu tro=
gen verstand. Jene merkwürdige Stamm
blatt mit den „zufünftigen Porträt“ nahm
fie gewiß mit Weinen und mit Lachen auf.
Ein jähes Ende hatte ihn kurz vorher einem
Freunde, der fehr an ihm gehangen, mit dem
er fi überworfen hatte, wieder zugeführt.
„Sein Name war Birgelmann. Er ftarb in
meinen Armen.“ Der Tod, der auch andere
feiner Freunde damals megraffte und Krufft
in Rom, den Weder feiner Pläne, fchon zeich-
nete, riß die legten Traummeben mit fich, die
in ber Qugend, wo ein Augenblick entjcheidet,
eine Ewigfeit hinmalen. „Denn des Lebens
Schattenwurf entfliehft — weit hinaus und
fült fchon dein Gebiet? — Flingt es fpäter
aug einem von feinen Gedanfengedichten.
Eine Ungeduld, da8 Leben zu niiken, die
gerade die edelften Menjchen manchmal wahr
haft peinigt, trieb ihn zu feinem Liebesbund
und zu feinem Werf.
So befunden die Refte eines Sftgzenz
buds vom Gerbft 1828, daß er fich wenig-
ften8 im lUmfreife der Sendlinger Aufgabe
bewegte und in Virol, wo die Erinnerungen
und Zeichen des Bolfskrieges von 1809 nod)
fo frifch waren, nach fprechenden Zügen
fuchte. Er verließ München am 30. Septem-
ber, oder einen Tag früher. Am 7. Oftober
zeichnete er von der Straße bei Seefeld eine
Ausficht und traf in Innsbrud ein. Sn der
Bmifchenzeit war er in Kochel gemefen.
E3 ift nichts darüber befannt, ob er
außerdem noch einmal Kochel aufgefucht hat.
Die einzige Möglichkeit bite der Zeitraum
vom 4. Mai bis zum 5. Juli 1829, wo die
Aufenthaltseinträge des BivilftandSsregifters
eine Qiice lafjfen, ohne jedoc) wie fonft eine
Abmeldung zu buchen. Gegen einen irgend-
wie längeren Zandaufenthalt im Frühlommer
1829 jprechen aber manche andere Gründe.
Somit ift der Herbit 1828 mwahrjcheinlich
die lebte Gelegenheit, wo er jenen Socheler
Bauern gezeichnet haben fann. Daß er in
Kochel wirklich folche Leute, die er alsdann
in feinem Schlachtgemälde, fpez. bei der Haupt-
figur verwertete, gezeichnet hat, beruht in diefer
Allgemeinheit auf der Mitteilung, bezm. ftet3
gehegten Meinung feines Sohnes, des Afade-
mieprofejlor3 W. v. Lindenfchmit.
Ih fann nur die Annahme machen,
daß e3 fich um die nämliche Perfon wie in
dem Briefe der Frau v. Deffauer (bei Sepp,
Der bayer. Bauernfrieg, S. 360) handelt.
Die Eingangs des Briefe geltend gemachten
freundichaftlichen Beziehungen zmwifchen Defl-
auer8 und dem Maler des Sendlinger Bildes
haben wirklich beftanden. Auch mein Vater
erneuerte die Befanntfchaft, als er im Sommer
1863 nad) zwanzigjähriger Abmwefenheit wieder
nah München überfiedelte und den erjten
Landaufenthalt in Kochel nahm. Damals
machte er mich auf das fleine bretterverjchalte
Haus am nördlichen Eingang des Dorfes
aufmerffam; ich hielt e8 feitdem, ohne dap
mir font Jemand von allen damit zufammen=
hängenden Dingen je gefprochen, für die Heimat
des ‚Schmieds von Rochel‘, fühlte mich aber
beim fpäteren WVorbeimandern mehr an die
bewegte Art als an die einzelnen Worte der
furzen Mitteilung erinnert. Diefes Häuschen
meint Frau v. Deffauer mit den Schlußmworten
ihres Briefe8 von 1882: „Am Eingang des
Dorfes fteht die alte Werfftätte noch, nur
das Wohnhaus daneben wurde abgebrochen.“
Borher erzählt fie von den Meierifchen Nach-
fommen, die auf dem „Bollbauer“ Leben.
Nach) dem Kocheler Tauf- und Sterbebuch war
auf dem Zollbauer der am 11. Juli 1794
zu Rodel als Sohn des Willibald Mayr
geborene Michael Manr;!) er hatte am
25. Februar 1828 geheiratet, und jtarb am
10. Dezember 1869. Ym Herbfte 1828 ftand
Michael Mayr im 35. Lebensjahre; auf
jdmtlichen Bildffiazen der Jahre 1829 und
1830 bejitt der Held die Züge eines mittleren
Dreißigerd. Das Todesdatum des M. Mayr
ftimmt ungefähr mit der Angabe des Briefes
der Frau v. D., daß das Modell des Künitlers
vor 10 Jahren verftorber fei, da die bis zum
Briefdatum (1882) verftrichene Zeit wohl nur
!) Der Screibung des Familiennameng Mayr im Kirdhenbud) fdliebt fich 1832 Grubers ,Balteh
Mayr“ an. Makmann 1830 weicht mit „Balthafar Meyr“ ab und ftimmt mit dem Zettel (unbekannter Hand,
f. unten). — ®. 2£., in deffen Nachlaß fich der Zettel fand, ift mit jeiner Schreibung „Baltafar Maier“ davon
unabhängig (auf ©. 16 des Sendlinger Büchels, 1831) und hat aud) auf der 1829 anjgujegenden Lifte ,B. Mater’,
aljo aus dem Gehör. Frau v. Deffauer, feit 1835 in Rodel, fcreibt ,Walthes Meier.“
Jugend und Bildungszeit 13
nad) Erinnerung eingefchägt ift. Anjtoß er-
regt jedoch, daß fie fchreibt: „Der vor 10 Jahren
verstorbene Balthes Meier hat dem Künitler
Lindenjchmitt als Modell gedient.“ Diefer Name
Balthes liebe fich als ein Zuname, den gerade ein
Modell ohne fein Zutun oder felbft zunächft ohne
fein Wiffen nachträglich aus den Umjtänden
befommen fonnte, verjtehen. E83 wäre dag-
felbe, wie wenn die Oberammergauer Baflions-
ipieler furzweg mit dem Namen der von ihnen
dargeftellten heiligen Perjonen benannt werden.
Denn obgleich Frau v. D. nicht jagt, dak ihr
B. Meier der Bauer auf dem Zollbauer ge=
wefen fei, fo findet fic) um die erwähnte Zeit
doc überhaupt fein Balthajar Mayr in den
Rocheler Kirchenbüchern, wie mir Herr Pfarrer
%. Hartmann gütigft mitteilt.
Wie fam nun 1828 Lindenfchmit dazu,
diefen Bauern zu zeichnen, da ihm doch wahr-
jcheinlich damals noch gar nichts über die
Beteiligung eines Vorfahren diejes Meier an
der Schlacht zu Ohren gefommen war? Leb-
teres finnte man nur annehmen, wenn feft-
ftiinde, Dak Mtabmann feine ,,Ueberlieferung”
über jeinen Balthafar Meyr in der Tat fchon
auf jenen früheren Ausflügen mit Neureuther
und Fellner aufgetrieben habe, auf denen die
Lindenfchmit jcheints wirklich) dabei waren.
Das fteht alfo dahin.
Die Urjache, warum Lindenfchmit auf
jenen Bauern aufmerffam wurde, als er ihm
wohl ganz zufällig begegnete, liegt wo ans
ders. Wilhelms Raffen- und Typenforfchun-
gen, die fich durch fein ganzes Leben durch-
ziehen und jene Anfichten ftiiken, die er in
den „NRätjeln der VBormwelt“ über die Herkunft
und den Kern der weißen Menjchheit fchon
(1846') niederlegte, Liegen ihn auf allen
Reifen auf den Menfchenfchlag acht geben.
Sreilich hat er in diefen und den früheren
Jahren nur zum Behufe fünftlerifcher Hebung
oder mit der Beitimmung zu einem Porträt
oder für ein Bild oder meil ihn die Schön-
heit und die Eigenart eines Menjchen feifelte,
feinen Gegenstand gewählt. Allein die Raijen-
beobadhtung jtrich immer nebenher. Hatte er
einmal irgendwo einen Typus aufgegriffen
|
und hingeftellt, fo intereffierte ihn jelbitver-
ftändlich gerade eine Leis abweichende Aehn-
lichkeit, die ihm irgendwo ander in die
Hände lief.
Und fo muß es in diefem Falle zugegangen
fein. Auf der Wildalm in Steiermark hat er
im Sommer 1825 jenen ©. 62, (3.4. Heft 1906)
abgebildeten Holzfnecht gezeichnet. Diefer it
im Typus jeines im Sendlinger Fresfo dar-
geftellten B. Maier. Hiezu fommt, daß auf
einem lojen Blatte zwei etwas von einander
und von jenem Holzfnechte abweichende, aber
nahverwandte Bauernföpfe ffizziert find. Die-
jes Blatt trägt außerdem 1. den erjten, etwa
1829 entjtandenen Gedanken zum „Mufruf der
Cherusfer durch Armin“, 2. am Mande unter
den Köpfen ein fleines Verzeichnis, welches
in Zahlen Mae für eine Anzahl Fie
guren anmeilt, deren lebte als „B. Maier“
benannt ift, und 3. ift auf der Nüdjeite die
Stellung des B. Maier mit Fahne und Kolben
probiert.
Folgerungen für die Chronologie der ver=
fchiedenen Entwürfe zu einem Gendlinger-
Schlaht-Gemälde machen es mwahrjcheinlich,
dak die Anwendung diejes Typus als Haupt-
figur der Kompofition nicht von Anfang an
beabfichtigt war. Andererfeits fteht feit, daß
Lindenfchmit im Juli 1829 fchon entfchlofjen
war ein Fresfo zu malen, und den Karton
damals wahrjcheinlich Schon vorbereitet hatte,
der ich auf diefe Gejtalt aufbaut. Andere
Feftftellungen, fo die Befichtigung der Ber-
löbnistafel in Egern und ähnlicher Denkmäler,
find entweder im Sommer 1827 oder wahr-
jcheinlicher im (Frühjahr? oder) Herbit 1829
gemacht worden.
Denn die Herbitreife von 1828 bietet daz
für feinen rechten Raum. Wilhelm über:
fchritt nämlich damal3 den Brenner und am
10. Oftober den SJauffen; auf dem Sand
ftellte er feft, daß zwei Fahnen, die am
9. April Anno 1809 im Sterjinger Moos er=
beutet waren, feine bayerifchen feien und daß
ji auch unter den älteren feine befänden.
Er notierte fich die unbeholfene, rührende In=
Ichrift der Sandfcheibe, „te hängt über des
1) „Die Räthsel der Vorwelt oder Sind die Deutschen eingewandert?“ Mainz 1846. Seifert’sche
Buchhandlung. — Das Bud ijt alfo vor Gobineau erfdienen und aud) gang unabhängig von Ddeffer
myſtiſcher Philoſophie.
14 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfhmit, des Welteren
Kriegerd ehemaligem Schlafgemad’. Jene
Verſe auf Hofer jchrieb er damals nieder.
Weiter alg Obermais fam er nicht. Er fehrte
fehr rafch wieder denfelben Weg zurüd. Auf
der Bride gu St. Leonhard war ein Pa3-
quill auf ihn und feine Begleiter angeheftet:
„Wir haben nicht der Weil — wir miiffen auf den
Sand —“, weil fie damal3 fo geeilt hatten. Wm
26, fpateftens Ende Oftober war er wieder
in München, in jeinem jungen Hausitand.
Freiherr von Hormayr jiedelte im Herbit
1828 nah München über und übernahm als
wirklicher Geheimrat nad) des Königs Willen
auch die publiziftifche Vertretung feiner Kunit=
politif. Hormayr ift aber erjt im Herbit 1829
mit Lindenfchmit perfinlich befannt geworden;
in einem Brief vom 26. September 1845 ver-
ficert er Lindenfchmit feiner ,feit jechzehn
Jahren dankverpflichteten Hohadhtung“. Bor
Hormayr war Minifterialrat Eduard v. Schenk
durch feine Stellung mit den Künftlern in
naher Berührung. Sein „Belifar“ mar jeit
dem Dürerfefte viel aufgeführt worden. Bon
einer andern Dichtung „die Krone von Eypern“
hat er im Frühjahr 1832 eine eigenhändig ge=
jchriebene Szene Wilhelm zum Andenfen ge-
geben. Eduard v. Schenk wurde Ende Auguft
1828 Minifter des Innern. Er fcheint e3
gemwefen zu fein, welcher dem jungen Künftler
bei jeinem gemwagten Unternehmen den Rüden
ftarfte.
VI. Das Sendlinger Bild, 1829
bis 1831.
Im Winter 1828 auf 1829 find mei
Arbeiten, die Schlacht bei Sempad, (Winfel-
ried) und Armin die Cherusfer gegen Barus
aufrufend, begonnen und durd) den Genbd-
linger Plan jedoch über mehrere Jahre ver-
fchoben worden.
Die Sendlinger Schlacht follte zuerit als
Delbild gemalt werden. Der in der Anord-
nung fertige Entwurf dazu befindet fich auf
einem Bogen, auf dejfen Rüdfeite die „Wal-
balla“ als ausgeführte Zeichnung begonnen,
aber unvollendet gelaffen ift. Sie war zuerjt
da, und wurde dann mit geröteltem Paus-
papier überflebt, damit der Entwurf der ans
deren Seite auf die Leinwand übertragen
werden fonnte. Es ift hier ein Abjpringen
aus dem ehemaligen Walhallagefüge deutlich.
Der Schlachtentwurf ift 75 cm breit und
54cm hoch, aljo Breitjormat. Wn eine Gloz
rie oder fonft eine Entiwidelung in der Hobe
ift nicht gedacht. Dagegen ift links im Hinter-
grund die Kirche fichtbar.
Es war eine rein realiftifd) gemeinte
Kampfizene, recht3 die Reiter, linfs die Bauern,
beide in ähnlichen Gruppen wie auf dem
Fresfo. Aber zmwifchen die Reiter ijt ein Vor-
fämpfer gejtürmt, der den hölzernen Sturm=
folben') mit beiden Armen führt. Sein Gee
ficht ift dadurch bis an die Augen verdedt.
Seine Haltung, fonjt der im Fresfo ähnlich,
ift nicht abfichtlich betont, er ift nur von
feinen Sameraden abgefommen, die fic) gegen
die vordere Reihe der Reiter wehren. Hier
it der Fahnenträger, eine Profilfigur; er
führt in der Rechten den Stahlfolben, den
auf dem Fresfo der Schmied führt. Diefe
ganze SKampfizene, faft doppelt jo breit ent=
') In dem Entwurf gewahrt man drei hölzerne Stolben, mit beiden Armen zu führen, (Vorfämpfer
tehts, Erfchlagener linf® vorne, Kämpfender linfS im Hintergrund), und den leichten Stahlfolben für einen
Arm (Fahnenträger). — „Eurieufer Verlauf‘ S. 14: vor Wajfferburg „ein Wirth ware . . todt geblieben, er
hatte unter feiner Armatur einen neuen Morgenjtern geführt.“ Gebrauch und gar Neufertigung der veralteten
Waffe war aufgefallen. Ein Stih in Imhof „Neu eröffn. Hiftor. Bilder Saal“ 6. Teil S. 29 ftellt die Schladht
bei Aydenbad) dar; dort find zwei Mtorgenfterne gu fehen. Er hat diefe Stellen fdwerlid) gefannt; nod
weniger die Angaben aus der „Ueberjiht der von dem Stlojter Benediltbeuren für das allgem. Landes-Defen=
fionsmefen im jpan. Erbfolgefriege aufgebotenen Unterthanen u. |. w.“, melde Moramigfyg im Oberbayer.
Archiv 16. Bd. 1856—57 aus unbenügten Schriften im f. Neihsardiv veröffentlihte. Dort heikt es S. 320
nad Aufzählung der XV. Gorporalfchaft: „Dann find aud alle Knecht und die noch übrigen vorhandenen wehr—
haften Zeut mit Sturmfolben und Segefen verfehen, deren beyläufig 200 find“ und S. 323. „Summa Summarum
der ganzen Mannjhaft ohne denen Anechten u. a. wehrhaften Leuten fo zu den Sturm-stolben und Senfen
verordnet: 521 Mann.“ Das Koceler Aufgebot ijt möglichermweife (nad) K. v. Wallmenich, Der Oberländer
Aufitand 1705, S. 152. Anm. 2, dejjen einer Grund, die gegen Tirol zu befegenden Pojtierungen, aber nod
mehr die Tegernjeer hätte abhalten müjjen,) gar nicht vor München erfchienen ; dagegen gerieten von der ver:
gejlenen Waffe gleich ganze vier Stüd in Lindenfchmits eriten Entwurf, und da fogar die von ifm forgfältig
beachtete Egerer Tafel feine kennt, fo dürften eben Kocheler Kolben, beziehentlih ihr verworrener Nadllang
den Weg in die Sage und bann ins Bild gefunden haben.
Jugend und Bildungszeit 15
widelt al3 auf dem Fresfo, ift in den Mittel-
grund gefchoben; den Vordergrund bededen
die Gefallenen, jchwere große Körper. Die
Gruppe linf3 und der Jüngling rechts ift faſt
ganz fo wie auf dem Fresfo. In der Mitte
liegen andere Gefallene. Bon ihnen allen ift
der VBorfämpfer, rechts im Mittelgrund, durch
ein geftürztes Pferd gefchieden, das fo nocd
in den fpäteiten Skizzen figuriert und ihn
ganz außer Beziehung zu den fpäter foge-
nannten Söhnen hält.
Das Alles gibt in feiner Tiefe und Breite
mehr das Bild eines Schlahtfeldes, als
edlem Eifer, wallten mit ihm auf dem blut-
gedüngten Schlachtfeld; der verjtorbene Land-
tichter Steyrer in der Vorftadt Au zeigte die
mwärmfte Teilnahme“ fchreibt Hormayr in den
Bayerifchen Blättern 1832, Nr. 23.
In einem Brief Wilhelms an feinen
Schwager, den Gemeindebevollmadtigten Dr.
meiner, etwa vom Jahre 1838, find außer-
dem Cornelius und der fgl. Stallmeifter W.
v. Freyberg begeichnet, welche die Aufmun=
terungen, die der Biirgermeifter bei folchen
Gelegenheiten ausjprach, mitangehört haben.
Die wenigen Nachrichten über den Her-
Entwurf zum geplanten Delgemälde, datftelend die Sendlinger Schladht.
Federgzeihnung, '/ss der wirfl, Gröfie.
auf dem Fresfo, und auch die Stellung der
Kirche in einiger Entfernung lints meift dar-
auf hin, daß der Künftler die Szene aufer-
halb oder zmwifchen den nördlichen Höfen des
Dorfes anfeßt. Er hatte aljo damals fchon
die Nachrichten, welche die Sendlinger Baus
ern hauptfächlich nach den Erinnerungen des
Stnechtes Polaf zu geben mußten, eingezogen.
„Der Münchener Bürgermeijter Klar und
Profeſſor Gärtner beftärkten Lindenfchmit mit
gang bei Sendling, welche noch erfahren wer-
den konnten, find auf Seite 15 von Linden
Ihmit8 „Gefchichte der Sendlinger Schlacht“
verwertet. Wilhelm fchrieb den Namen des
Knechtes mit f, alfo Polak); auch die.Bay.
Blätter (1832) bringen Polad. Die Reiter
ritten darnach bei Thalfirchen auf die Höhe,
umgingen das Dorf und bedrohten die Bauz
ern im Rüden. Lindenfchmit hatte nur von
Reitern gehört, und macht felbit den Schluß:
') Das E wurde in I verlefen, daher erfcheint im Drud Polal (S.15), d’ Olfort jt. d’Offort (S. 18).
bezahlte ft. bepadte (S. 12). Auherdem fchrieb W. L. Lanze, im Drud Lange (S. 12), und Eraiburg, im Drud
Xreuburg (S. 10). Hormayr hielt fid im ,Lajdenbud) 1835“ an das ihm vorliegende Schriften Lindenfamits
mit den Drudfehlern, der ridjtige Polat war ifm entfallen.
16 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfdmit, des Welteren
„Die andern müffen an der Therefienwiefe | „hinter dem Dorf“, alfo Weiten und Norden,
heraufgeritten fein”. Der Knecht, der fich in wo auch der Hauptgrundbefig, das Oberfeld
einem Häuschen beim Wngerbauernhof ver- | liegt.)
ftedt hatte, hörte von da aus, was fid) drüben Eine Abfchrift des Pfarrberichtes von
in und hinter dem bl. Geifthof abfpielte, wo | 1705 wurde durch den Herrn Pfarrer von
die Hauptmafje der Bauern fiel. | Mitterfendling, Thomas Graf, an Linden
Diefe dürftigen Ermittelungen über das | Schmit übermittelt, im April 1830.
Dertliche, die Umzingelung und den legten blu— Man fieht, daß der Künftler, wo er felber
tigen Aft, ftimmen mit der überzeugenden Dar- forjchte, Richtiges und Tatfächliches zu ent-
ftelung überein, welche Herr Oberft RK. von deden verftand. Das fann nicht wundern,
Wallmenich') neuerdings gegeben hat. Auch wenn man die fcharffinnigen Mtethoden fennt,
die Worte „in, und außer dem dorff, ab: durch welche die beiden Brüder fpäter die vor-
fonderlih auf dem BVeldt Zunegit gefchichtlidje und Gräberforfchung aus dem
hinter dem dorff bey 8000 Bauren abs __ Feltiftijcen Chaos herausgearbeitet haben.
jcheulich feint nidergehaut“ aus dem Bericht | Und das müßte eigentlich bei der Abwägung,
des Pfarrer Simon Soyer vom 28. Dezember | ob es fich beim Schmied von Kochel um eine
1705 führen auf dasjelbe. Denn Sendling volfSgeborene Sage oder um eine literarifche
ift ein Stragendorf, die Höfe lagen alle weft- Erfindung handelt, ins Gewicht fallen.
lich, und nördlich, von der Straße, die Wohn: | Der Landrichter Steyrer, der in der Au
feite mit dem Straßeneingang nad) Often ge | amtete, war es wohl, durch den Lindenfchmit
richtet, die Stadel- und Stalljeite dahinter ijt von den Auer Zimmerleuten, die bei Send-
!) „Der Oberländer Aufitand 1705 und die Sendblinger Schladt“ von Karl von Wallmenid. Mit
einem Plane Münden. Dr. 9. Lüneburg’3 Verlag 1906. — ©. befonders ©. 105. — ©. 116.
*) Die nördliche Längswand der Kirche, über das Grab der Bauern nad) dem Stampfplak hinüber-
fdauend, bot fih von felbjt zur Bildwand; der Hintergrund im Fresfo find die Höfe; auf dem Entwurf geht
der Hampf in gutem Abftand von der Stiche, nit auf dem Kirchhof vor. -— Quelle der Angaben über ben
gemauerten Hirdhhof ift „die Europäifhe Fama, tom. IV. der 46. Theil, Gedrudt zum erftenmabhl 1706.“
©. 660: „daß in dem Dorff Sendlingen .. . wofelbft die Bauern fih auf den gemauerten Kirchhof
tretiriert hatten, faft in die 2000 Wufmiegler . . . in Stiicen gehauen -.. wurden.“ Daraus hat e8 die
„Erläut. Germania Princeps . . burd) Dr. ©. v. Finfterwald“ 1749, 1V. Bud, Il. Cap. S. 2376. Nachdem,
aber der 1706 erfcjienene ,Bayerifdhe Bauren-Krieg” S. 25 viel eingehender erzählte: „Sie poftierten fic) gwar
wiederum in felbigem Dorffe hinter den Zäunen, auf dem Kirdhofe und den Häufern“; jo ftellt das Hier
fehlende Wort „gemauert“ in der Fama nidt etwa eine au8smalende Mehrung jener Details dar, — fie bez
fdrantt fi) ja und malt gar nicht aus —, fondern e8 erfdeint ein feiter Punkt der fofort mit dem Ereignis
einfpringenden Distuffion, wenn nicht ihr Angelpunft, in niidhterner Weife feftgehalten. Der Bericht des Send-
linger Pfarrers Simon Soyer, vom 28. Dez. 1705, fagt: „ond waf mid zum maiften beftürgt, ift, dB fye jo
gar des vr. S. Margarithae gottshauf . . nit verfchondt, difes mit bluet vergieffen und beraubung der Hinein
geflidten bauren prouanirt auc) auf dem fregthoff etliche erhoffen und nidergemadt.*“ Dies reiht, um fid
dem Gedächtnig einzuprägen. Hatten nad) der Doc außerhalb des Dorfes vorgefallenen, aber nur zwei
maligen (Extractus ex libro defunctorum Parochiae Lenggries de anno 1705 — ,,plurima pars ab
hoste . . . partim erudeliter mactata . . . fuit: non obstante, quod illis binamjam vitae gratiam
|: Pardon :| promiserit.“ $. KreiSardiv, Münden. Kunft u. Alterthum fasc. XVI. (Stönigl. geh. Regijtr. d.
Qnnern. Den bayer. VolfSaufftand wider die Oefterr. i. Jahre 1705 betr.) unter dem Datum v. T. Jan. 1881
Protof. Nr. 362, 5., die 2. Beilage.) Niederwerfung der Bauern die Offiziere ihre Soldaten wieder in der
Hand, wie wir annehmen follen und dürfen, fo fegen die blutigen Vorfälle auf dem Kirchhof einen erneuten
Grund, alfo Widerftand, voraus. Die folgende unblutige, aber fyjtematifche (f. bei Pfarrer S. Soyer) Yus=
plünderung der drei Sendling und Thalfirdens jteht in unlösbarem Zufammenhange mit dem ganzen Tat-
fachenbilde und bemeijt, daß man zu fd@eiden veritand. Zichoffe8 mehrmaliger, von König Marx I. veranlaßter
Aufenthalt in Bayern bezmwedte die nötigen Studien zu den Baier. Gejhidhten. Cr war jcheints aud) in
Benediftbeuren gemefer. Sein Interejje an fpontanen Bolfstaten ift befannt. Er nun führt meines Wiffens
das erite Mal eine Zweiteilung de3 Sendlinger Vorgangs ein: a) Verfuh das Dorf und den Kirchhof zu
halten, Umgingelung, Gauthier fällt, „Viele flohen . . . und ftarben, zur Gegenmwehr unfähig“ und b) „Undere
festen den ungleichen Kampf... . fort. Sie fanfen fechtend . . . wie Heldenbrüder fallen follen.” — Zu einem
andern ftrittigen Punkt fei angeführt, daß „der Bayer. Baurensstrieg‘ ©. 40 in dem Briefe des Offizier vor
Cham fagt: „Die beiden vornehmiten Gapitäng aber nennen fi) Brat-Wurft und Haber:Lumpen.“ (Raſtlos S. 88
falfd HadersZumpen.)
Jugend und Bildungszeit 17
ling gefallen feien, erfuhr. Denn der Spinn=
meifter im Zucthaufe in der Au, Alois
Schmidt,!) der 1832 die ,Gefdhichte des Bru-
derbundes der HYimmerleute in der Vorjtadt
Au“ verfaßte, war ihm nahe genug. Aber
nicht Lindenfchmit, der im „Juli“ 1830 die
erfte Feierlichkeit, welche die Zimmerleute an
dem Sendlinger Grabe abhielten, al8 Augen
geuge aus feinem Fresfoverichlag mit anjah
und fie auf Seite 19 feines 1831 erfchienenen
Büchelchens befchrieben hat, ijt der Erjte, der
Segest.
Die Cheruster.
„Münchener Konverfationsblatt“ Nr. 249 mit
einem von Sch. (= Schmeller) unterzeichneten
Artikel nach, — faft wörtlich, er zitiert ich
aber wohl jelbit. Schmeller hat in diejfem
Wuffag, worin er in erfter Linie das endlich
nahende Zuftandefommen des Denkmals für
den ftädtifchen Gottesader erörtert, den Mut,
herauszufagen, daß dem Unternehmen „ganz
vorzüglich politifde Hinderniffe in den Weg
gejtellt wurden“, bis „endlich nad) allen möge
lichen Umtrieben in vollen 12 Qahren....
EEE
Armin,
Getufchte Bleiftiftzeichnung, gut '/as wirfl. Größe.
Hauptentwurf zu dem Bilde.
von Ddiefer Stiftung und deren Urfache meldet.
Sondern die „Münchener Politifche Zeitung“
1830 vom 29. Juni, Nr. 151, referiert une
term 28. Juni, daß „geftern“ dieje Feier und
die Wallfahrt nach Andechs ftattgefunden habe,
und bezüglich der Schlacht, daß 34 Zimmer-
leute daran Zeil hatten und gefallen feien.
Dann folgte am 6. September 1830 das
|
|
|
die wirfiche Ausführung der religiöfen Grund
idee von jeiner jet regierenden 8. Majeität
zur allgemeinen Freude . . genehmigt“ wurde.
Schmeller hat alfo die Verantwortung für
die 34 Zimmerleute übernommen.
Lindenfehmit erzählt Seite 13 von vier
Fahnen, die (zu Schäftlarn) ausgeteilt mur=
den; „von der einen weiß man, daß fie der
) Nad K. von Malmerich ‚der Oberländer Wufftand 1705‘ S. 95 und Anm. 2 ein penfionierter
Seldwebel.
AM. ı1u2.
— Mad dim Eterbebud der Vorftadt Au war „Fra. Xaver Steyrer, Landridier, Liz. und Chef
des Landmwehr-Batal. der Vorjtadt Au. 7 10. Juni 1831.
57 Jahre alt.“
3
18 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenihmit, des Welteren
Wirt von Baierbrunn getragen hat“. Noch
{pater maren die Bauern von Pullad) und
Baierbrunn dem Maler fo zugetan, daß fie
ihm aus freien Stüden fleine Funde, fo ein
antife8 Bronzepferdchen, aus ihren Aedern in
die Wohnung brachten.
Der Entwurf zu dem Oelbild hat ihm
nicht viel Beit gefoftet; er ift [oder und
lebendig hingefchrieben. Die Rompojition ijt
aber nicht bi zu jener Schärfe eines Ynjtruz
mente3 3ugefdjliffen, die in den Bildern
„Winfelried“ und „Die Cherusfer“ den une
vergleichlichen Eindrud Fühnfter Freiheit er-
zeugt. Namentlih in den „Cherusfern“
ift der Sturm, der die Berfammlung durch-
zudt, in den fich mannigfad) überfchneidenden
Seitenfihten der zu Armin gleichmäßig hin-
gefehrten Männerjchar dadurch gegipfelt, daß
die vielen Köpfe fich in einem Iebhaften Wech-
felverfehr einander zudrehen und den bejahen-
den Zuruf, der fchon anbrauft, einander ab=
gewinnen.
Gs find lauter mwohlpointierte PBorträte
und die Zeit zu diefer umfänglichen Mühe
muß in den Wintern 1828 auf 29 und 1829
auf 30 gefunden worden fein. Die „Cherus-
ferverfammlung“ erichien März 1832 auf
dem Kunftverein; aber Herbit 1831 auf Früh—
jahr 1832 fcheidet unbedingt für die Herjtel-
lung aus.
Die erjte blaffe Jdee dazu findet fich auf
einem Blatt mit den zwei Typengefichtern ;
der eine Kopf durch den Hut als Tiroler
fenntlich, beide dicht übereinander, fodaß bei
dem einen die mehr flavifche, bei dem zweiten
die mehr galatifche Bildung hervortritt, leg:
tere wieder in Annäherung an jenen deutfchen
Typ, wie ihn der Steirer Holzinecht und der
Rocheler Meier befigen. Auf der durchgebil-
deten Beichnung 3u den Cherusfern erjcheinen
aber auch einige Typen, die von der nieder=
deutjchen Seite her an jenen Bayerntyp ftrei-
fen, — immerhin ein fo wejenhafter Zufammen=
bang, daß die Cherusferidee auch zeitlich ganz
nahe an jenem Zmeitypenblatt aufgefchoffen
fein möchte. Die beiden Köpfe find aber fpa-
teftens vom Herbit 1828, weil es Tiroler find.
Den 2. Mai 1829 bezog er die Wohnung
in der LVerchenitraße, in einem Edhaus zwi—
[chen der jegigen Schwanthaler- und Schiller-
ftraße. Diefe Wahl Hing mit der Abficht
auf Sendling zufammen. Der Entjchluß ein
Fresfo an die Kirche felbjt zu malen, war
fhon gewonnen.
Als ihm nun am 20. Juni 1829 ein Sohn
geboren ward und die Botjchaft nach Mainz
gelangte, überwand fich die neue Großmutter
und machte, begleitet von ihrer Tochter, als-
bald eine VBerföhnungsreife nach München, wo
fie am 4. Juli eintraf.) Wilhelm hat fie
hinaus nad) Sendling geführt und fie in alle
Pläne eingeweiht, die ihr nicht ganz geheuer
vorfamen. Denn daß die Sendlinger Ge-
meinde das Gerüft, den Antrager und die
Sarben bezahlen wollte, erjchien ihr doch
für eine mehrjährige Anftrengung nicht die
richtige finanzielle Entjprechung. Er verwies
fie auch auf ein Haus in der Nähe, das der
Kirche in Sendling gehörte und worin er
feinen Karton aufftellen und zeichnen fonnte.
Allein er hatte offenbar fchwere Mühe, fie
über diefe neue Kühnheit zu beruhigen. Kurz
vor ihrer Abreife fam die Sache noch einmal
zur Sprache. In welcher Weife er feine
Sache führte, erfieht man aus einem Traums
bericht. „Die Nacht zuvor, eh meine Mutter
abreifte, nachdem ich ihr gejagt, das Send-
linger Bild fei mir heimlich von einem vor-
nehmen Mann aufgetragen, träumte mir:
Im Baterhaus werde ich von den Eltern in
mein Schlafgemad) geführt, im Nebenzimmer
fah ich die griechifche Pallas gelagert. Als
die Eltern fich entfernt, trat fie lautlos an
mein Lager, neigte fich mit ihrer übermenfch-
lichen Größe auf mic) und indem fie mir
mit der Rechten den Maden, mit der Linfen
Die Kniefehle ergriff hob fie mich an ihre be=
panzerte Brut. — — Diefer Traum hielt
mich mehrere Tage noch um fo lebbhafter bez
fangen, weil ich ihn herbeigeführt glaubte
durch das, was ich zuvor im Geilt der grie-
Hiichen Pallas gefprodjen”. Das war den
24. Suli.
Auf der Nebenfeite fieht man einen ge-
feffelten jchlafenden Löwen gezeichnet, dem
zwei ebenfall3 angefettete Doggen mit furcht-
barem Big den Hals zerfleifchen. Biefer
frühere Traum bezeichnet nur den Zuftand,
1) Das mehrjad) citierte Poligei-Civil-Standes-Regijter verzeichnet ihre Anmefenheit unter No. 4047.
Jugend und Bildungsgeit. 19
aus dem er fic) durd) den Sendlinger Ent-
fhluß gu befreien juchte.
Der Pallastraum hat aber einige Ver-
mwandtjchaft mit der „Geburt Lionardog“, einer
Rompofition von Cornelius gu den Pinafo-
thefloggien, woran diefer damals arbeitete.
Dies Bild und der „Tod Lionardos‘ ift
(1834) von Lindenfchmit gemalt worden.
Woher der Entjchluß zum Fresfo aud
fam, er ftammt nicht aus dem äußerlichen
Bedürfnis einen Helden zu erfinden oder einem
fdhwad) beglaubigten zum Anfehen zu ver-
belfen. Leute, die folche Hintertüren fennen,
finden die Bauberpforte gu den Traumbhohen nie
mehr. Dagegen fpritht der Pallastraum von
innerer Erre⸗
gung, und das
fpridt _ viel-
leicht von der
Neuheit des
Entfchluffes.
Und das
brachte jene
rafhe Ume
wandlung des
ersten Entwur-
fes ins Helden
bafte hervor,
die nach der
Bentralgeftalt
eines Trägers
der Handlung
und zugleich
nach auffteigen-
der Mafjenanordnung hintrieb. Diefe Ent-
widlung liegt in einer Reihe fleiner Stiggen vor.
G8 find gwei Gruppen von Sfigzen; beide
bezweden Anordnung. Die der 1. Gruppe
haben noch Breitformat, d. 5. fie nehmen
noch feine Rüdficht auf die Glorie. Dagegen
find fie um einem SHaupthelden gruppiert.
Und zwar ift er al3 jüngerer Mann zwifchen
30 und 40 Jahren gedacht. (ch unterfcheide
von nun an M. Mt. = Modell Mayr, und
H.8. M. = Held Baltafar Maier), Auf
einem Blatt find vier Rampfffigzen vereint
(= 1. Blatt). Unter der vierten, entwidelt-
{ten Zeichnung ift ein Abfchied berittener Baus
ern angebracht, neben ihr linfs die größere
Einzelgeftalt (= n) des Kolbenfchwingers; er
ift ein M. M., aber im Gefichtstypus nicht
Erjtes Blatt der 1. Sfizzengruppe zum Sendlinger Fresto.
Feberzeichnung, '/o ber wirfl. Größe.
ähnlich genug geraten. Die beiden darüber
befindlichen Skizzen bringen al® Erinnerung
aus dem Oelbildentwurf (= O) einen Drauf-
gänger, der noch mit beiden Armen den Kol:
ben führt und ein NRoß niedergefchlagen hat,
was aud) in der 4. Skizze vor ihm zu feben
ift. Die 3. Skizze, rechts unten, zeigt den
Kolben, wie in 4., mit einem Arme hodge-
Ihmwungen; doch ift der Mann ganz allein
und von beiden Seiten von Reitern umgingelt.
Gin Rebenblatt—N.) gibt in größerem For-
mat die Hauptjache der 4. Skizze; hier ift
ein M. Mt. deutlich, nämlich ein fleifchiges
Geficht, die Nafenmwurzel leicht eingefdywun-
gen, die Naje grad, mit breitem Ende und
weiten fleifch-
igen Flügeln;
Unterfinn-
baden furg,
wie bein, von
furzem Boll»
bart umfrauft.
Man fieht, auch
inn. waren perz
finlide Züge
gemeint! Mit-
hin war in
diefem Stadi-
um des Sfiz-
gieren8 ſchon
Wert auf die
Perfon gelegt.
M18 er Ddiefe
diirftigen Sfig-
zen zeichnete, muß Lindenfchmit fdon eine
Kunde befefjen haben, die mit M. Dt. gu tun
hatte; fonft hätte er nicht fchon jekt den Kopf
im Charakter des Eigners entwidelt und feft-
gehalten. Diefe Kunde mag das ftumpfe
Trümmerftüd einer Weberlieferung gemefen
fein, nicht eine folche und auch nicht Sage;
fie mag Sx heißen. Iedenfalls jchloß Sx
aber einen jungen H. B. Mt. nicht aus; bot
überhaupt feinen Anhalt über Alter. Aber
al Lindenfdmit aus Rompofitionsgriinden
nun einen Oaupthandelnden bedurfte, wurde
ihm ein handelnder Zug, von dem Sx fprad,
bedeutjam.
Vorausfegung ift, daß um 1820— 1830
ein ftarfer Widerftand bei Sendling für aus-
gemacht galt.
20 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfchmit, des Welteren
In der Totengruppe des Vordergrundes
von O. befinden ich diefelben Vertreter wie
im Sresfo, felbft der Bube. C8 waren und
find alfo damit feine Söhne oder Freunde
(Reifenftuel) de8 Schmiede gemeint. Sx
fannte fie nicht.
Aber in einem Beitpunft der Arbeiten
des Riinftlers wird M. M. ein alter
Mann. Und das ift wahrjcheinlich der Ein-
fluß jener ,Ueberlieferung’ (= Ug),
deren Beitätigung Maßmann durch feine Nach-
forfchung in Kochel und im Kocheler Kirchen
buch zu erbringen hoffte. Maßmanns „Helden-
tod“!) erfchtien Ende 1830. Mindeftens im
Sommer diejes Jahres, oder auch noch früher,
muß alfo die „Weberlieferung“ jchon umge
laufen fein, und zwar in der Stadt München,
denn Zindenfchmit hätte fie font bei feinem
legten Aufenthalt 1828 in Kochel vernommen.
Was Magmann bewog, an dem Ausdrud
„Weberlieferung“ feftgubalten, nachdem er doch
gewif auc) die Bauern ausgeforjdht hat, —
fteht dahin.
Die eigene Abficht W. Lindenfchmits, eine
„Seihichte der Sendlinger Schladt“
zu verfajjen, fam von den Vorfchlägen in
der Doppelliste, d. §. er wollte eigentlich ein
umgefehrtes Verhältnis von Jlluftration und
Lert. Ein Ueberbleibfel jolcher Entwürfe ift
der „Abfchied berittener Bauern“ unter der
4. Sfigge. Sie tragen Lanzen. Die Rüdkjeite
de8 1. Blattes zeigt einen Reiterzug, mit
Langen und jonjt in der Wontur des 17. Jahr-
hunderts, an einem Waldgebirg entlang zieh-
end. Schmeller (Bay. Volksfreund 23. Oft.
1827) bejchreibt dagegen die öfterreichifchen
Uniformen auf dem Auffirchener Ex Voto
1705 und fügt hinzu: „Demnach fcheint das
Koftüm aus dem 30jährigen Krieg in dem
. . auf einem Bolfstheater aufgeführten
Schaujpiel „Die Sendlinger Bauernf{adlacht im
Sabre 1705” gänzlich verfehlt gemejen zu
feyn”. — Cbenfalls auf dem 1. Blatt reitet
ein Mann in Blüchermantel mit Pfeife, mit
Pijtole und Säbel gerüftet, im Regen dahin
gegen Often, wie der Ramm des Zugjpig—
Wetterfteins tm Hintergrund lehrt. Cs ijt
der „Nuszug zu Deutjchlands Befreiung“ und
gemeint dürfte nach der fcharfen Naje und
dem DOffiziersausfehen des Reiters der Major
Henneberg fein, der fi) 1813 den Wiener
Freimilligen anjchloß. Sein Name erfdeint
auf einem Verzeichnis von Porträtmodellen
zum Sendlinger Bild. Er ijt mwahrjcheinlich
das Original zu dem vorderften der vor Gott-
vater8 Thron erfdeinenden Helden in der
Glorie des Fresfo; die foldatifche Haltung tft
nod) gu erfennen. Aber er hat einen Rivalen
im Typus, der mitbenußt wurde, nämlich
den auf einer Lithographie des „Sendlinger
Büchels“ abgebildeten Oberländler Schüt-
zen, der auf einem Grat der Glaswand,
Oberbayerifdher Sdiig.
Litographiert nach B. Heh, im Kopfe abweichend.
hinter der Benediftenmwand, fteht. Ausflüge
in die Tölzer und Tegernjeer Gegend find
nach den Sfiazenbiichern noch 1829 bis 1830
vor= und dem „Sendlinger Büchel“ zu Gut
gefommen.
Eine 2. Gruppe anordnender Skizzen
beiigt die Glorie und ftellt die Rompofition
{con in jener Berdihtung wie auf dem
Oresfo dar; nur feitwdrts ift ein gejtürzter
Gaul aus den früheren Skizzen übrig. Die
beiden Sfizzen auf diefem 2. Blatt find auf
Lichtwirfung probiert, alfo fartonreif. Auf
') Im Suni 1905 habe id) aus der Sachlage, fowie den germaniftifhen und puriftifchen Yntereffen
und einigen norddeutjchen Eigenheiten des anonymen Berfaffers auf Vtakmann gefdloffen und die Beftati-=
gung in Schadens „Gelehrtes Münden“ gefunden.
Unabhängig von mir gelangte Dr. A. Dreyer „die Send-
linger Mordmeihnadt in Gefhichte, Saqe und Dichtung“ 190K. S. 35 ff. zu demjelben Ergebnie.
W.tT.
Jugend und Bildungszeit 21
der Miicfeite verläßt ein nordifdhe? Alpen-
völfchen angejicht8 einer römischen Armee die
brennenden Hütten feines Heimattales; das
bedeutet eine hiftorifche Parallele zu der auch
vom Often her betriebenen Aufrollung der
echteuropäijchen Bevölferung. — Ob der B. Mt.
auf dem 2. Blatt jung oder alt zu denfen,
ift nicht gu erfehen. Auch auf dem Rüden
des Zweitypenblattes iſt nur die Stellung der
Sigur im groben, größeren Umriß probiert.
Nun erfcheint aber in einem viel jpäteren
Stadium, das fdjon in die Fresfoarbeit felbft
bereinreicht, der B. M. als jüngerer Mann,
in den Drei:
ander. ES Handelt fic) alfo nocd um die
AWbwagung der VBerhältniffe, jomwohl betreffs
der perfpeftivifden Werjchiebung, al3 unter
Beranjchlagung des Ranges der dargeftellten
Naturen: denn die gittliden Wejen befigen
einen etwas griferen Dtabftab, als die ans
deren — eine fehr feine und maßvolle Er-
höhung ihrer Bedeutung. Die Lifte geht die
Figuren von oben nad) unten durch; leider
it der untere Teil des Randes abgerifjen.
Diefe Ver haltnislifte lautet:
Himmelvater 20
Walhalla 6 (d. i. der Kreis der
fel. Helden im
Bigern. Eine Hintergrund.)
Baufe in der 1. Walfüre 18
Größe von 35 (d. i. die mittlere)
cm: 26 cm gibt , 2. Walfüre 20
die fertigen Um: | Co) (d. i. die Lins)
viffe des B. M. 5 OS 1, Held 13
und der beiden EDS 2. Helden 11
Reiter;das Blatt nl F Walküre 16(d.i.
iſt quadriert, die Tan die recht3)
Quadrate find ——* Reiter im Hin—
nummeriert zur fra F JE tergrund 5
Uebertragung / ‘ — —— B. Maier 16
der Verhältniſſe | — Eh FE Be en 18
d. 5. gewiffer fal Es Die Lifte ges
Höhen: und ag ) hört unter die
Breitenpunfte —* fh 5 vorläufigen Ans
auf die Mauer. AIR JOR > ordnungsarbei-
Denn die Zeid) SS fo a ZN) 7 ten und ihre Ver⸗
nung auf der eu —— hältniſſe ſind
Pauje ift fo abz "nicht endgiltig.
geichloffen, daß Aber fie deutet
fie den Karton Balthafar Maier auf eine viel
{don voraus Oberfdrper aus der Paufe, ganze Größe. mächtigere,
feßt. Der Federhut ift noch da, fällt aber | wenn auch nicht jo berubigte Anlage der
diefem B. M. rücdmwärts ins Genid; nur all-
mäbhlich Löfte fic) Wilhelm von diefem Lieb-
lingsſtück.
Der Hauptkämpfer iſt alſo auf allen Vor—
arbeiten bis in das Jahr 1830 hinein oder
noch länger in dem Alter des M. M. dar—
geboten.
Anſchließende Folgerungen ergibt die
Randnotiz auf dem Zweitypenblatt. Die Zah—
len, die dieſer kleinen Figurenliſte beigeſchrie—
ben ſind, betreffen noch nicht die Quadrate
und den Ort im Karton, ſondern die Grö—
ßenverhältniſſe der Figuren unter ein—
oberen Maſſen. Noch in der 2. Gruppe
der anordnenden Skizzen, wo die Schlacht
ſich der letztwilligen Gruppierung (des Fres—
kos) bis auf einen Punkt fügt, ſind die
Geſtalten der Glorie überwiegend groß und
ſitzen ſo dicht über den Köpfen der Kämpfen—
den, daß das trennende Gewölk faſt keinen
Spielraum hat. Sie ſind jedoch ſelber eine
Art Wolkenbildung und als überirdiſche Nebel—
erſcheinungen ganz zart und in fahlen Tönen
gedacht. Die dritte Walküre fehlt, ihren Ort
rechts in der Höhe füllt ſchimmerndes Ge—
wölk; — nach links wiegt ſich der Wolken—
22 Hiltorienmaler Wilhelm Lindenfdmit, des Welteren
fturm herab und in feinem Mechzen die
Himmelsbotin, die ald Einzelne um fo bez
deutender und draftifcher wirkt. Diefer jchräge,
herausfordernd einfeitige Ablauf der Ober:
faene griff mithin unmittelbar in den Raum
und die Aufregung der irdischen Kampffzene
hinein und entgegnete ihr mit gleicher Kraft.
In der Abänderung, die mit Einfeßung
der dritten Walfüre fhon im Zeitpunkt der
Lifte begonnen hat, jpürt man Cornelius’
Leitung oder wenigftens Anfchauung durd).
Man darf an fein Kommandieren denfen,
fondern in zeitweilig täglichem Umgang und
dem Anteil, den er dem Werfe und dem
Schüler zollte, machte fich bei allgemeinen
Ausſprachen fein fünftlerifcher Einfluß von
felbjt geltend. &8 war die Tradition zu Wort
gefommen. Lindenfchmit bejchränft im Briefe
von 1832 diefe Ginwirfung zwar auf das
Können in der Kunft, fie ging aber ihm uns
vermerft weiter; er fagt: „Der Fortgang
aller Stiinfte, fo namentlich der bildenden
Runft (hierunter nicht die Erfindung, fondern
das Riinnen verftanden) beruht großenteils
auf jenem Anfchliegen an die Vorgänger, an
die Mitarbeiter. Dies erkannte ich, und indem
id) eine Zeitlang aufmerkfam die Lehren des
Cornelius in manden Teilen unferes Ge-
fchäftes anhörte, ift e8 mir gelungen, viele
Schwächen in meinen Werfen zu umgehen
und neue Vorzüge hineinzutragen. Der Schul-
geilt, der fie fehlerfreier machte, hat ihnen
gwar augenblidld das eigentümliche Lebens:
feuer etwas benommen; allein dies ift eine
vorübergehende Folge.“ E8 war die Curythmie,
die äußerliche Entfpredhung und Wobhl-Wbge-
mogenheit. So bildete der rechtsjeitige Engel
mit feiner dem linfen entfprechenden Flug—
bahn eine Befriedung und Cinfaffung für
das Ganze und war auch vom allgemeiniten
Gedanfen (Gott entfendet Engel) gugelaffen.
Wllein diefe allgemeinere Funftion riihrte an
die Stärfe des eigentlichen Ympulfes, womit
die urfprüngliche Einzelbotin fich fo deutlich
als erfte Regung der zur Rettung genahten
Gottheit verfirpert. Und was fich als reine
Malerei der unmillfürlichen Empfindung nieder-
ichlagen wollte, dies hemmte fich in der rechts=
ldufigen Geftalt, welche den individuellen Mo-
ment entfchiirgte. Eine Folge nur war, daß die
Oberfzene überfüllt und gang mit Figuren ge-
dedt war. Sie mußte alfo in die Höhe
rüden, um Luft zu fchaffen, und in diefer
größeren Ferne fonnte fie Kleinere Maße an-
nehmen. Hiemit und dur) den Wolkenhiatus
gab die göttliche Glorie den zu lebhaften An-
teil an der Kampfjzene — gang in Cornelius
Sinne -—- auf und gewann ihre aufiteigende
Erhabenheit.
Die Verhältnisliſte datiert alſo noch vor
dieſer letzten Konſequenz, wie wiederum die
2. Skizzengruppe früher als die Liſte iſt.
Inneren Gewißheiten zufolge gehört die Sturm—
auffaſſung der Glorie und des in den Ent—
ſcheidungen waltenden Gottes in die zeitliche
Nähe des Pallastraumes vom Juli 1829, d. h.
vor ihn. Die Liſte war ein Verſuch, die mit
den Maßen verwachſene Sturmidee trotz des
dritten Engels zu halten. Das Prinzipielle
der Aenderung war noch unerkannt; es muß
auch dann, bis Wilhelm ſich zu der milderen
Idee bekannte, noch Zeit verſtrichen ſein. Erſt
dann, etwa ſeit dem Herbſt, der durch den
Beſuch in Egern (Notierung der zwei Engel)
unterbrochen ſcheint, trat Lindenſchmit in die
ſtrengere Arbeit des Kartons ein, der ſich
Cornelius Empfehlung — wohl ſchon vor
der etwa gegen Ende des Jahres an die kgl.
Regierung gelangten Eingabe — geſellte.
Mithin liegt der Name ,‚B. Maier‘ um
die Mitte 1829 feſt und dieſe Bezeichnung
mußte auch der Einzelgeſtalt, ſobald ſie Kern
einer Skizze (— 1. Gruppe) ward, ſchon eignen.
Für das Kocheler Modell, das ja nicht B.
hieß, kann von der Gelegenheit des Herbſtes
1828 her noch nicht der Zuname B. üblich
geweſen ſein (— man müßte denn die früheſten
Kocheler Aufenthalte Herangiehen.) Es ift
alfo mit ‚B. Maier‘ in der Tat ein H.B.M.
gemeint, und es figurieren auf der Lifte über-
haupt feine Modellnamen, denen man auf
einem andern Borträtvermerf begegnet (mit
Luis für Walfüre, Henneberg für 1. Held),
fondern lauter Sagenbegriffe.
Zugleich fprechen die auf dem Blatte
fchon vorher befindlichen Yweitypenföpfe dafür,
daß es ihretwegen zum Sendlinger Studien=
material gelegt worden war und der notierte
‚B. Maier‘ in foldhem Typus gehalten werden
follte, be3. daß das Modell dazu in diejfen
Typus einfchlug. Er war aber jung gebildet,
eben in direkter unbefangener Wiedergabe des
Jugend und Bildungszeit 23
Modellalters, und blieb jo jogar big zum
Baufenfopf aus dem fpäteren Sartonftadium.
Da nun fdlieblic) der ganz eigenartige
Kopf der greifen Geftalt des Fresfos in
den bisherigen Typus einfchlägt, jo ift ein |
Nadhfomme eines Sendlinger Kämpfers be=
deutfam geworden war.
Alter des um 1828 auf dem Zollbauer eben
verheirateten Michael Mayr überein.
Hiemit ftimmt das
Der Karton, wie aud) das Fresfo, waren
Die Shladt bei Sendling.
Photographie nach dem Freslo um 1885.
folches Fefthalten durd) alle Stadien der
langwierigen Kompofition, mit dem Sprung
ins entgegengefegte Alter, faum anders
zu erflären, al3 daß das junge Modell —
auger al8 Berfirperung eines der fonftanten
Bauerntypen — aud) nod) als Vertreter und
fehr ausgeführt. Der zerftampfte Boden zeigte
die Eindrüde der Füße und Hufe, das ge-
ronnene mit Schnee und Sand gemifchte Blut
und die Splitter der Waffen. Am Gürtel
de8 Schmied jah man die feinfte Pfauen-
federftideret und den Zinnftiftenbefchlag. Der
24 Hiftorienmaler WVirhelm Lindenfhmit, des Welteren
Karton und die eigentlichen Kopf und Körper: Engel mit den Spruchbändern vermerft; die
ftudien exiftieren nicht mehr.') | Motive der verwundeten Bauern prägten fic
Auch der Inhalt zmeier Sfizzenbücher Wilhelm ein. Auf dem Ralvarienberg bei
bemweift, daß W. Lindenjchmit zunächſt von Hohenburg wurde das Ex Voto des Hans
dem Auftreten der UWeberlieferung Ug nichts | Wenzl mit dem öfterreichifchen Reiter ffizziert
wußte oder fich nicht darum fümmerte. Das und die Farben der Dtontur beigejchrieben.
eine Sfiggenbuc) mit Studien gum Winfel- Die Sterbebücher wurden fcheints durdhge-
tied wird aus dem Winter 1829 auf 1830 | jtöbert; das zu Gmund ift notiert. Biemlich
fein, weil e8 aud) einen Aft gu der Kopf- ausführliche Berichte über Vorfälle aus dem
und Körperhaltung des jungen, unter B. M. Pandurenfrieg, über Trend jomwie den Bauern
liegenden Burfchen uud die ausfchreitenden führer Kölbl (Kölbi), find in Dialekt nieder-
Beine des B.M. enthält; ebenjo ift ein Sfizz- gejchrieben, — aus der Gegend von Tölz,
chen zu dem rechten Engel mit dem Moos: | Klojter Reitberg, Dietramzzell. Der Bruns
franz darin, das Uebrige ift mweggeriffen und nerer von Sachjenfamm, der Refjelhofer Bauer
dadurd) jind auch bezügliche Notizen zerjtört. werden genannt. Nichts deutet auf Kochel.
Daz gweite Sfigzenbuch ijt von Ludwig, dod Der fleine, Juni 1829 geborene Willi als
mit einzelnen Skizzen und Notizen von Wil- MWidellind gezeichnet und eine Skizze zu
helms Hand. G8 handelt von Ausflügen, die | Ludwigs „Lenore“, ein Bild, das Juli 1830
einigen Berlößnistafeln galten. Die Tafel von fertig war, beftimmen die Zeit diefer Nach—
Egern murde flizziert, gemefjen, der Schmud forfchungen.?)
ihres Rahmens befdjrieben, die fchwebenden Einiges davon, wie der Kölbi vom Afar-
') Debhalb ift man an das kleine Material gewiefen. Der Karton wurde beim Malen zerjchnitten,
die Stüde litten bei der Webertragungsarbeit jehr. Später lagen die Rollen auf einem Dachboden in Mainz
und blieben dort nad) dem Tode des Künftlers (1848) bei einem Umzuge zurüd, als fi der Sohn im Aus—
land befand. Die Lithographie aus dem ‚Sendlinger Bücdjel‘ zeigt jedoch) den Stopf des Balthafar ziemlich ges
treu der Malerei im alten Fresfo; aud) eine vor der Neumalung (1895) aufgenommene Photographie lehrt
dies, und mir felber hat fic) die Gleichheit bei oftmaliger Vetradtung deS Freslos eingeprägt. Nur darf man
fic) aur Vergleihung des Balthafartopjes nidt an die Neumalung von 1895 halten. Der Tod unterbrad
meines Vaters, Prof. W. v. L., Wrbeit; nur die linfe größere Hälfte der Glorie ift von ihm und getreu nad)
dem abgenommenen Original. Der Fortfeger, Hermann 2., befaß bei dem DVerberb des unteren Frestoteils
feinen genauen Anhalt und ıwar auf die Standpunfte feines Grofvaters, die wir damals nit im Zufammen=
bang mit der uns unbefannten Schmiedbalthesfrage würdigten, nidt aufmerffam gemadt. So erlitt der
Kopf eine Veränderung. ,
2) W. 2. fpähte nad) altuellen Zügen, bd. h. folden, die bem wirklichen Vorgang entjtammen fönnten,
und verleibte fie, je nadjdem fie feinem Standpunft zufagten, dem Gemälde ein. Egerer Herkunft hat ein in
O und den Skizzen fehlendes Motiv: der vermwundete Offizier linfS im Hintergrund, der fic) auf RKnien und
Armen aufridten möchte. Diefer padende Zug erfcheint auf der Egerer Tafel mehrfad) und geht weniger von
dem Botivmaler felbft als von der lebhaften Erzählung der eigentlichen Befteller aus. . erkannte dag
Nealiftifche, er fennzeichnete aber aud) das Tatfähhlidhe diefeg Zuges, indem er e8 an einem Offizier fi) aus-
fpredjen ließ. — Unter den mit aller Deutlichfeit eines Berichtes dargeftellten Waffenarten der Egerer Tafel
gibt es zwar Hellebarden und Spieße, aber feine Kolben. Auf erftere verzichtet 2., e8 Laffen fic alfo feine
Kolben in O0 nicht einer Liebhaberei für das Mittelalterliche zufchreiben, aud) fhon wegen ihres hohen Progent=
fates in O nidt. Zur groben Bauerndarafteriftif hätten Miftgabel und Drejchflegel nicht fehlen dürfen; 8.
fhied fie als zu unedel aus, die Senfen, aber nur geradgerichtete, behielt er. Diefer innerftiliftifhe Grund
würde menigitens für Zulafjung der Kolben ausreihen, aber nur fallS der moderne Betradter fic) nidt an
der außer feine VBorausjegungen entfallenden Abfonderlichfeit jtoßen mußte; der Gebrauch von Kolben 1809 in
Tirol war gwar dem Maler, aber nicht in breiten Streifen befannt. Das Auftreten der Kolben in O deutet
daher auf Bericht und dafür bleibt, da fi) Egern ausschließt, nur Kodel. — In Nr. 3 des erften Stiggen=
blattes dreht fic) nun der ganze Kampf um einen vereingelten, von ben Reitern rings umdrängten Mann,
d. h.: als der Künjtler feine Kompofition umzubauen begann, mendete er fie auch einen Wugenblid im Sinne
einer joldhen gefährlichen ifolierten Situation, die ihm wohl erzählt worden war; aud) das fiele mithin inner=
halb des biß dahin allein vorhandenen Kocdeler Berichtes. — Die Zentralifation, fowie die menfdlide Jdee
mwäre im Bilde volljtändig dDurd) eine Gruppe niederbredhender gleichwertiger Bauernfiguren und dabei realiftifch
ungezwungener ausgedrüdt worden. Jm Winfelried, der ja zum Dezember 1830 fertig wurde und deifen
Studien in dem obigen Skiggenbucd) neben Sendlinger Stüden hergeben, murde eine foldhe vor= und nieder=
brechende Männerfhar außerordentlich ftraff gejhildert. Um heroifhe Haltung zu gewinnen braudte fic) der
Jugend und Bildungszeit 25
ftrom, ift in W. Lindenfdhmits „Gejchichte der
Sendlinger Schlaht” (S. 19) übergegangen.
Diefe Schrift ift im Hiftorifchen Teil faft ganz
auf Raftlos „Die Defterreicher in Bayern“
aufgebaut. Die Zahl 800 auf ©. 17 für die
in Sendling Begrabenen ijt nach der Rreuge
infdrift (Sdmellers). Der Tod Arcos ift
nad) der herfömmlichen Erzählung. Die jelb-
ftiindigen Nachforfdungen bet den Sendlin-
gern über den Ort des Borfalls find fdon
erwähnt. Die erfte Feier der Zimmerleute
hat er mitangefehen, feine Schrift ift ‚wohl
im Winter 1830 auf 31 verfaßt, fie erfchien
erft furg vor der Enthiillung des Freskos.
Makmanns „Heldentod“ ift nicht benußt.
Dagegen fand fich in feinem Handerem-
plar des Raftlos ein Zettel von nicht feft-
guftellender Handjchrift,') welcher die „Ueber-
lieferung“ Maßmannz (vgl. „Heldentod* ©. 11)
etwas abweichend und vor= und nachher einige
Künftler alfo durhaus nicht an den einen Balthafar Maier flammern. Wud) bedrohte die Einzelgeftalt, wenn
ihr tatfähhlich feine Kunde entjpradh, die Verjtändlichleit des Werkes mit einem Fiasto. Cine nod fo befdeidene
Arnold von Winlelried.
Getufchte Bleiftiftzeihnung, !Jıs wirfl. Größe.
Sauptentwurf au bem Oelbilbe in der Mainzer Galerie.
Sage jedoch gab ihr jene Weihe, die aud) allein den Künſtler gu dex ungleidh fompligierten Aufgabe begeiftern
und zu ben fortgefegten Nahforfhungen und Studien bringen fonnte. — Schließlich die Hervorfehrung der
Ungarn (der dem Künftler von Wien her mohlbefannten Rotmäntel) liegt in dem Standpunft, der nicht
politifd und nidt datenbiftorifd fein will, fondern die tragifche Welt- und Verteidigungsitellung des deutfchen
Stammes entfdleiert. Deshalb find allein fremde Reiter, — ob nun Ungarn oder Kroaten —, aud) von An=
fang in 0 da. Uebrigeng beftätigte die Egerer Tafel an ihren Reitern lauter Hufarenmüßen (nur am rechten
Flügel ein Hut, wohl Offizier.) Die bayerifchen Bergbauern, bie hier der fremde Vorftoß trifft, begreifen nad
dem innerften Meinen des Miinftlers aud) da deutfde Stammovolf Oefterreidhs in fid. Man würdigte dies
aud, und nad W. Lindenjdmits Beugnis ,waren die Freunde Defterreich8 nicht unter denen, die ihm infolge
des Bildes Schwierigkeiten bereiteten, wie fi) erwies“.
1) Serr Dr. LZeidinger auf der Münchener Hof- und Staatsbibliothek hielt es für weibliche Handichrift.
A. M. Lu. 2 4
26 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfhmit, des Welteren
Quellen und Einzelheiten zu 1705 gibt. Hier
folgt die Abfchrift, wobei einige Zujäße von
der Hand Lindenfchmits durch Iateinifche Buch-
ftaben in Klammern unterjchieden werden:
Vorderfeite:
,1) Georg Sebaftian Plinganfer, von
Pfarrlicchen führte als Hauptmann die
Meichenberger Landfahnen. Er leitete
eigentlich den ganzen Stampf.
2) Xav. Meindel aus Jngolftadt, führte
500 Reiter:
3) Dalmay einige hundert Hujaren,
4) Xav. Oertel
Dragoner,
5) Ehriftian
Jäger umd
andre zahlrei=
ches Fußvolf.
*) Balthafar
Meyr, Schmid
v. Cochel, und
ſeine Söhne Lo—
renz und Paul
ſammelten nach
einem ſtunden—
langem Kampfe
die noch!) übrigen
37*) Gebiergs-
bauern im Stird)-
hofe zu Sendling
und ftritten bel=
denmiithig bis fie
alle fielen.
MM Th Me 1
Ouellen find:
1) G. S. Plinganfers handichriftlicher
Bericht über den Aufitand des Land»
volfes, im finigl. Bücherjale.
[Handschrift.]
2) Theatrum europaeum. —
3) Die Deftreicher in Bayern zu An-
fang des 18. Jahrhunderts von
Johannes Rajtlos, Ulm 1805.
4) Monatlicher Staatsjpiegel.
5) Lamberty’s
memoires pour
servir A l’histoire
du XVIII siécle.
8) [d. pilgernde
Enkel: Augs-
burg]
©
[ite ee
Colonie} = =
Yoh hebe Maß—
manns Abmweich-
ungen durch [ateiz
nifche Schrift her=
vor: „Stunden-
lang wankte die
Entscheidung:
zuletzt jammelte
—nach der Ueber-
lieferung — Bal-
ne-
nol
ae | thaſar Meyr,
Au bei München 1.3.1830.
Schmid von Ko-
*) Er war ein
riefenmäßiger
Mann trug eine eiferne Seule, die 114 B
mog, und
Rückſeite:
„ſoll beym Gefecht an der Iſarbrücke
allein bey 19 Oeſtreicher erſchlagen
haben. Ein öſtreichiſcher Stabs—
offizier, der ihn am Kirchhofe liegen
ſah, rief: „Bey Gott! 100 ſolche
Männer ſind furchtbarer als eine
Armee pomadeduftender Franzoſen!“
Lithogr. aus W. Lindenfhmits Gefdichte der Sendlinger Shlagt. Hel mit feinen
Stark verkleinert.
Söhnen Lorenz
und Saul Die
allein noch übrigen 37 Gebirgsbauern. Der Tod
schien ihnen rühmlicher, als ein Leben unter
fremden Herren. Sie sanken, kämpfend bis
zum letzten Hauch, Mann auf Mann, Einer
nach und neben dem Andern, bi8 fie alle
gefallen waren. Schmid Balthasar soll ein
riefenhafter Mann gewesen seyn, der eine
eiferne Steule |..] von 114 SBfd. [..] in dem
Kampfe trug, und foll in dem Gefecht an
der Harbrüde allein |..] neunzehen Dejter-
) uw. 2) „noch“ und „37“ find nachträglich von derjelben Hand über die Zeile gefchrieben.
8) d. pilgernde Enkel ijt nur vermutliche Zesart, Augsburg deutlich.
Jugend und Bildungszeit 27
zeicher erjchlagen haben. Ein öfterreichifcher
Stab3offizier, der ihn am Freithofe dahin-
gestreckt liegen fah, brach in die Worte
aus: „Bei Gott! Hundert folder Männer
find halt furdjtbarer als eine Armee pomade-
duftender Franzojen.“
Der Zettel ftellt meine® Erachtens ein
Diktat Makmanns dar (und zwar nad) einem
Konzepte und Notizen zu feinem „Heldentod“),
bezwedt Lindenfchmit Anmeifungen zur Ab-
faffung feiner Schrift zu geben und ift mit
mündlichen Erklärungen von Maßmann jelber
und vermutlich im Herbit oder Winter 1830
übergeben worden. Dieje eigens übermittelten,
bez. erbetenen Ausfünfte des Zettels hat W. L.
nachweislich trogdem nicht mehr ausgenußt,
was auf Berfpätung deutet. Cr jchaffte fich
infolge des Zettel3 zuerjt den Raftlos an und
hielt fich dann an bdiefen allein, ohne z. B.
die von Makmann empfohlene und benußte
Plinganferhandfchrift zu vergleichen. Die
B. M.-Legende deS Zettels mußte für 2.
allerdings irgend Etwas Neues enthalten;
für eine erjte Mitteilung, über eine noch
völlig unbefannte Sache, tritt fie jedoch in
zu unvermittelter Fallung auf, — als folche
müßte fie auch in den Skizzen gleich ganz
ander durchgegriffen haben. Die B. M.-
Legende des Bettels fann aber das im Fresfo
dargeitellte höhere Alter der Hauptfigur mit-
bedungen haben.
Die Gejtalt, in welder Held Baltafar
Maier verkörpert wurde, ift auf dem Entwurf
zum Delbild als fämpfender Bauer zwifchen
den Reitern fchon vorhanden. Statt des mit
beiden Armen geführten Stachelfolbens erhält
fie dann den leichteren und fchöngeformten
Stahlfolben in die Rechte, auf den Skizzen
der 1. Gruppe; auf denen der 2. Gruppe auch
die Fahne in die Linke, und die Profilgeftalt
vom älteften Entwurf, die beides hatte, fällt
aus. Wahrfcheinlich erft im’zweiten Sommer,
alg die Arbeit am Fresfo gur unteren Hälfte
vorrüdte, d. i. 1831, wurde aus dem jungen
ein alter Baltafar Maier. An ihn fchloffen
dann die WAusgeftaltungen der Gage an.
Und es ift nicht einmal fo ficher, ob Linden-
fhmit nicht nur um der Würde der Geftalt
willen, und um den alten Zanditurmmann
und einen Vater hervorgufehren, diefe Aen=-
derung vollzogen hat. Die ungarischen Reiter
find gemablt alg Fremde. Das ,,Pfui!
Deutfche gegen Deutfche!” hat König Ludz-
wig II. im Jahr 1866 und wohl fchon immer
ausgefproden. Die nationalpolitiiche Ten
denz des Bildes liegt hier gang fret da. Wn
diefen Ungarn, jowie an dem Kampfgetüm-
mel und dem ganzen YAufbau des Gemäldes
bat fih Gruber für feinen „Schmiedbalthes‘
die Farben teilmeife bis ins einzelne 1832
erft gebolt.')
Bon einer Reihe Portrdtfipfe gibt eine
1) Exfurs gur Balthes- und Gruberfrage. Die Lithographien in VS Sendlinger Biel ge-
hören fpäteftens ins Frühjahr 1831, der Sommer war zu überfegt, — und früheftens in die Jahreswende von
1830 auf 1831, denn der Herbjt 1830 reichte gerade Hin, um bie große getufchte Zeichnung „Winfelried“ bis
Anfang Dezember zu bemältigen, woran fid) eine Ausführung als Delbild {hloß. Auch fpriht 2. S. 19 ja
von der Zimmermanngfeier „im vorigen Jahre‘. Nun zeigt das lithogr. Vollbild der SHhladt im S. Biidjl die
ausgefprodene Unlehnung an den Steierifden Oolgtnedht (im Kopf des 9.8. M. f. Tertbild ©. 32); der Künftler
ging alfo zum Alter zunädft nicht aus Erwägungen über, welche die Abkunft feines Kocheler Modell8 von einem
Mittämpfer betrafen und in Verbindung bradıten mit dem bejahrteren (zwei Söhne!) B. M. des Zettels. Erft im
Fresto felbft ift bann wieder der Kopf der Paufe Hervorgeholt und in den entfpredenden eines alten Mannes
umgebildet. — Würde die quadrierte Paufe mit dem jungen Typus nicht ben Karton (volle, faubere Durch
bildung der Mantelmotive, der Pferde, und Individualifierung der Gefichter der Reiter ufjw.) vorausfegen,
würde fie nicht frühefteng ins Frühjahr 1830 gehören, fondern fi) näher an die Verhältniglifte (Mitte 1829)
rüden laffen, fo fünnte man allenfalls in dem „B. Maier“ der legteren jhon die Wirkung der Z-Ug-Legende
behaupten. So aber jteht nod) dreiviertel Jahr nadhher ber junge Typus in Bereitfchaft für bas Fresfo ba,
während gerade die Wenderung ins Alter fi) unvermweilt hätte aufdrängen und bei fo frühem Auftreten diefer
Legende ohnehin von vornherein in den Skizzen ein alter B. M. fich hätte ergeben müflen. 8 geht alfo nicht
ohne Doppelanfag: und gwar Sx biß ins Jahr 1830 allein geltend, fodann erjt die dem Z und der Ug zugrunde
liegende Ausjprengung. — Die „Söhne“ betreffend, fo fehlen fie in den Skizzen, Hier liegt immer ein Pferd,
einmal ein erjchlagener Gegner vor den Füßen des B. M. In der Paufe ift der betreffende Raum leer ges
lafien, dod) zeigte er wohl fon im Karton den toten Jüngling aus 0. Und aud) hier meine ih, daß rein
aus fünjtlerifhen Gründen der wenigjagende Tierförper den jhon in O entwidelten Vorbergrundgruppen der
gefallenen Bauern meiden mußte; mohlgemerkt: aud der RKnabe (Links) ift fdon fo in 0 da. Der Urheber
von Z fonnte in dem fiinftigen Bild leicht dergleihen „Söhne“ vermuten, hütete fi) aber, fhon in Z ihr Alter
4*
he. YY erate oe re Yee a e/a eee, Oe ee oe See oe pe, ur
28 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfhmit, des Welteren
abgeriffene Notiz auf einer Mappe Kunde; e8 einbezogen: „Schwanthaler. Hanni. Munt.
ftehen folgende Namen untereinander: Hilbs. Schwargmann. Ludwig. Major Henne-
berg. Luis Walfiire. Maneffiih. Luis. Noth-
burgis. Glodendon.“ Schwanthaler ijt unter
den feligen Helden. Wilhelms Frau, Hanni,
und Schwägerin, Luis, find Walküren (Noth-
burgis, Walburgis), aber jchlieglich maneffifh
und nicht als Porträt gefaßt. Die dritte Not-
belferin, die in der Mitte, ift unbefannt, doch ihre
echt deutjche, fogen. ,,rimifche Rafe fieht fehr in
Cornelius Familie hinein; ein Portratfopf in
Bleijtift, Profil, ijt dazu vorhanden, mig-
lichermeije ijt e8 Qofefe Cornelius. Ludwig,
Wilhelms Bruder, ift der jüngfte unter den
aufgeftiegenen Helden; er wendet jein Geficht
nad) linf8, wo fich Quife, als Walfiire, bes
findet. Bor ihm ift die aufrechte Geftalt, zu
, F der Henneberg und der Schüße den Ty—
Porträt eines für den oberen Teil des pus gaben. — Der vorderfte Reiter dürfte der
BIETER ETRE NESS
4 = y MEN > wig ©
a tee Shrek, Fr .
Fresfo ausgewählten bayer. Bauern. : :
piktsatbauet hie wee aise a Dr. Raindl aus Grafjau am Chiemfee
„Porträt. Kochler. (Schlacht). Luis. Klar. Cornelius begutachtete den Karton beim
Daxenberger“; dann von links mit Klammer König und wird ihn nach ſeinem ſpäteren
feſtzulegen, was jedoch nach der Enthüllung des Freskos eintritt, vgl. in Gruber („Der ſtarke Schmiedbalthes“
1832, S. 5.) den fünfzehnjährigen Paul und den achtzehnjährigen Lorenz. — Auf den Eindruck des Freskos
bin, (daher nicht im Z, aber 1832, ©. 48), glaubte Gruber wohl der Hauptgeftalt eine Größe von 81/ (bayer.)
Fuk zumefjen zu fünnen. Das wären 2m 40,7 om; im Fresfo bejigt die Gejtalt vom Ferfenitand über den
linfen geftredten Kontur bis zum Scheitel gemeffen Inapp 2m — rund 6‘ 10* bayer., und dazu auf die per-
ipsttivifhe Zurüdlehnung 2 Zoll veranlagt, ergeben fih 7 Schuh. Der von der Behe bis zum Wirbel fid
in Altion aufredende Kontur, das auf Ausfall angelegte Zurüdfahren des gedrungen gemölbten Körperbaues
läßt den Schmied inmitten einer ihm nur wenig nadjitehenden Umgebung bedeutend größer erfheinen. Der
tote Jüngling ijt von ähnlihem, die Reiter von mittlerem Wuchs, die Pferde von einem Heineren Schlag.
Der gewöhnliche Betradhter hält fämlihe Figuren für überlebensgroß, Gruber jhäste wohl auf 8 Fuß und
trug dann der Perfpeftive nod) mit einigen Zol Rechnung — ein Vorbauen und ein peinliches Abrechnen mit
einer für hiftorifch ausgegebenen Zahlenbafis, wie es auch fonjt bei Gruber zu verfpiiren ift. (Bgl. 34 Zimmer=
leute, 37 Bauern Z, 35 Bauern + 2 Söhne gezählt vom Schmiedbalthes Grubers; und die Stundenberehnung
der Kampfdauer Gr.). Gegenjtüd und Gegenprobe ijt die Keule von 114 # bei Gruber 1832 und fhon im Z.
Der Maler hatte den Einhänderfolben (alfo feinen zu fchweren) fhon aus 0 in die Skizzen und ins Fresto
übernommen, aljo nicht etwa erjt das fabelhafte Gewicht des Z in ein mögliches und gejhmadvolles herab=-
gejegt. Spuren führen von Makmann (im Heldentod) auf einen Dritten, und auf diefem Wege künnte Gruber
wohl eine Borftellung von der entjtehenden Kompofition, be. der Haupthandlung erhalten haben: eine eiferne
Keule durfte erfledlich fhwer fein, und nahmiegen fonnte man fie ja nit. Gefehen bat Gr. da8 Bild ficher
nicht vor der Enthüllung; Lindenfhmit jhloß fic) ftreng ab und hat während der Arbeit „verfappt in die
mörtelbefprigte Haube feines Maurer8* aud wichtigen und vornehmen Bejud) abgemwiejen. — Lindenfchmit
nennt den 9.B.M. nicht Fahnenträger; er gibt fie ihm als der Erfagfigur für den ausgefallenen Fahnenträger
in 0, womit vielleicht wegen des niederen runden Hutes der ©. 13 bei W. LV. erwähnte Wirt von Baierbrunn
gemeint war. Der Z fennt die Fahne nicht, aber 1832 verfagt fi) Gruber aud) diefen Zug des Frestos nicht.
Er geht natürlid) auch über das Bild hinaus, jo mit der Lömwenfahne; während der Maler, der nad) alten
bayerifhen Fahnen vergeblih in Tirol (1828 am Sand) gefudt hatte, bei den einfachen Farben blieb. All-
mäbhlich fteigert fi” Gruber in ein Selbjtgefühl, das die Vorficht verfchmäht, erfindet jeinen „guten Lewen —
geyer = und (illien’ Traum (S. 55, 56) und fdiebt ihn ©. 45 dem Maler als Anregung für die Glorie
unter. So hat er nadtraglid das ganze Bild glitdlid) eingefdladtet, und gerade fein Kritifer, der Ardivar
Dr. Schäffler, vermodte ihm alles zu glauben.
Drei Tage nad) der Enthüllungsfeier geriet jhon das M. Konverf.-Blatt (No. 286, 13. Oft. 1831),
dag aus Dtakmann und &. eine Darjtellung des Kampfes (nicht etwa des Bildes) fombiniert, in dasjelbe &e=
Yugend und Bildungszeit 29
Verhalten wohl empfohlen haben. Im Som-
mer 1830 hat er feinen Schüler öfter in
Alte Shon im März Wein, „damit du ihn
Herrn Cornelius in Sendling draußen als
vorfegen fannft.”
Sendling aufgefudt; aus Maing fendet der
Teife. G8 beißt im BVerfolge mit an Gruber gemahnender Ausdrudart: ,. . . Obiger Schmid Mayr [bier das
1. Mal fol]... fammelte nod 37 von ben übrigen Gebirgsländern [!] nebit feinen zwei Söhnen Lorenz
und Paul um fih.... Mayr flug, die bayerifhe Fahne in der Linfen, mit ber in der Redten
fürdterlih fhwingenden 114 Pfund fehmeren eifernen Keule... über den Leichen feiner Söhne
Wes gufammen, ... biß aud) er, von gwei [I] ungarifden Reitern übermannt, niedergeftredt wurde .. .”
Hier wird in Einzelheiten des Fresfos hineingedeutet (Söhne) und etwas Hiftorifches darin gejehen (zwei
Reiter.) — Grubers Manier allmähliher Infinuation, andererfeits die von Dr. Al. Dreyer ©. 27, 28 gelenn-
zeichnete Methode, feine Erfindungen an verjtedte und unklare Hiftorifche Umstände anzulehnen, begegnet 1832
in feinem „Starken Schmiedbalthes* in allen Graden; vorausgegangene Vermutungen Anderer und Aehnl.
leiften ihm denfelben Dienst und er befteht befonders gern auf Abänderungen von Zahlen und anderer
Veftimmungen. Vom Balthes meldet er S. 24 und 53, daß er guerft am Jfartor „die Pforte fprengt“, und
dann „den Anfall auf ben rothen TZurm leitet“; eine Verdoppelung wie fhon im Ronverj.-Blatt 1831, No. 286,
wo guerft nad 2’8 allgemeiner Faffung der Balth. M. „im Blute liegend, umringt und angeftaunt“ und dann
bod nod Makmanns fpezielle Offigiersanekdote „Wei Gott! Hundert foldhe.. .“ gebradjt wird. Z hatte „bei 19“
Makmann gang einfad) 19 Oefterreider, Gruber aber zerlegt „B. ift der Erfte, ber den erften Feind erlegt,
der... allein... no) adjtzehn Söldlinge gu Boden fhlägt.* — Um 2 Uhr Iäßt er Kriehbaums Reiter durch
bie Sfar fegen, daher wird der Kampf auerft „vierftündig“ (S.34) und dann ,nod) awei volle Stunden (©. 35)
fortgefeßt ; e8 fchmebt ihm die richtige Ankunftzeii 8 Uhr vor. — Von den 34 Zimmerleuten lag man 1830 in ben
Zeitungen; Gruber darf fie vor dem Publifum nicht ganz ignorieren, madt aber S. 22, um die anders zuver=
mwendende Zahl zu vertufchen, „300 Männer“ (bas Wort Zimmerleute wird vermieden) daraus. Die Zahl von
„37 Gebirgsbauern“ Z hätte follidiert; er lehnt fi) hiemit an die umlaufende Zahl 34, wozu im Stillen „zwei
Söhne“ Z und entw. 8. M. felbft oder in der Hinterhand Reifenftuel treten = 37. Im „Schmiebbalthes“
dient jedoch der Tod Reifenftuels gum Anlaß der Abzählung und jegt find eg natürlich) mit Augfchluß des
eben gefallenen R. und des zählenden B. M. „jeine beiden Söhne und nod fiinf und dreißig Männer“ d, 5.
die erforderlichen 37 „fiehe da!”
Die B. M.=Legende bes Z fpricht in „Gebierg“ oberbayerifh, mas nicht gerade nad) Gruber ausfieht;
Mim. u. 2. fchreiben am betreff. Orte „Gebirg.“ Sonft dedt fic) die Ug mit ber Z-Regende faft wörtlich)
(abgefehen vom Zichokkeeinfchlag hat bie Ug das bayerifcdhetuende halt, die Zahl 19 ft. „bey 19“, und Freithof
f. unten) und in „Meyr“ bud[tablid (nur Mm. u. Z. fo), Lindenfhmit mit ihnen nur dem Sinne nad) (in
feiner „Sage“ ©. 16 der Geſch d. S. Sch!., mofelbft „Maier*). — Die erften fünf Namen des Z mit ihrem
Lert ftimmen der Reihe und dem Sinne nad), aber nicht wörtlich mit Zidhofte, 8. ©. 5. S, 398, 399, an welchen
fih Mm. fonft anfchließt, während er hier die Tertabmweihungen des Z verbunden mit eigenartigen Zufäßen
bringt. 8. hat Feine folde Zufammenordnung, nennt Dertel Dalmay Jäger gar nicht, Plinganfer und Meindl!
an getrennter Stelle. Während aber Z „Xaver Meindel aus Ingolftadt“ und „Xaver Dertel“, fomwie „Kirdj-
hof“ fchreibt, dedt fi) Grubers „Freithoff“ im Kalender ©. 54 und fein „Xaver Maindl, der Ingolftädter“
©. 15 mit Makmann, deffen „Student &. O." ebenfalls in Grubers „Altpurfch Xaver Oertel” ftedt. Nicht nur
den Meindel (nad Raftlos-Pling.), fondern aud) nod den Chr. Jager nennt Mafmann einen Studenten, woz
von weber Bfdoffe nod) die (1835 in Horm. Tafhenbud) S. 141 veröffentlichte) Lista etma8 weik. Ein Ber-=
glei awifden
[Der Aufitand an der Schwarza Iodte an Zfar,
Vils und Inn. .]
So Georg Sebaftian Plinganfer .. . WIS er
von Pfarrfirden, f. Geburtsort [. . ohnweit dem
Roth flug er
.etforen ign .. gum] Hauptmann der Reichen
berger Landfahnen. [Ein anderer Züngling]
Meindel, führte eine Schaar von fünfhundert
Reitern ;
Dalmay einige Hundert Oufaren;
Xaver Oertel Dragoner;
Chriftian Jager und Andere zahlreiches Fußvolf.
Bidotte S. 398 f. und
Heldentod ©. 7. f.
[Das Volt an der Vils und Roth ftand zu—
erft auf. .|
Georg Sebaftian Plinganfervon Pfarr=
firden, [fpäter des Kurfürften Geheimfchreiber, mit
ihm der Student Maindl von Qngoljtadt, deffen
Entel als Kaufmann in Landshut, bdeffen Urenfel
als Redtspraftifant am Stadtgeridt zu München
lebt, jtellten fich an die Spige.] Plinganfer führte
die Reihenberger Landfahne und leitet,
den ganzen Kampf.
Zaver Maindl, der Ingolftädtere
führte 500 Reiter, [zu denen aud der Wadt-
meijter Johann Qoffmann ftand;] Dalma’y [bez
fehligte] einige Hundert Oufaren, |der
Student] Laver Oertl Dragoner, [der Stus
dent] Ghriftian Jäger und Undere [ein]
zahlreiches Fußvolk.
30 Qijtorienmaler Wilhelm Lindenfhmit, des Aelteren
Der König war von dem Unternehmen auch andere Mitglieder des Hofs fich für den
verftändigt und im ganzen damit einverjtan- Fortfchritt der Arbeit intereffiert. Infolge
den. Außer dem Minifter v. Schenf haben | einer Eingabe Lindenfdmits war ihm etwa
lehrt, daß Mabmann zwar aud) hier den Zichoffe (Vils, Roth) fennt, aber an diefer Stelle in näherem Ver=
bältnis zum Z fteht (ber Sag „leitete“, die Vornamen ,Xaver“), ob aber in Abhängigkeit davon oder umge=
fehrt, ift nod) unklar. Außerdem Hat er den „Hoffmann“, fchreibt „Maindl, Oertl* (vgl. Lista Mainl, Dertl),
fobann fennt er (neber Dt. aus Raftlos) aud) Oertl und Yager alS Studenten und die Nadfommen Maindls.
68 jpredhen alfo hier mündliche Nachrichten herein, die vielleicht von derfelben Seite und zufammen mit der
Balth.eMeyr-Legende in Ug, bez. Z, fowie mit der allein bei Mam. S. 9 Anm. erzählten, „im Bolf gehenden
Sage“ von dem djterr. Reiterbuhlen an ihn gelangten. Denn ohne diefe Perjonalien fonnte Mam. ebenfogut
bei feiner Zichoffevorlage bleiben. Auch bedurfte er mit feiner Bibliothefpraris ganz gewiß nicht der in Z
aufammengejtellten fünf Namen oder des Quellenverzeichnifjes am Schluß. Daher ift der Zettel fein urjprüngs
liches Ganzes. So wie er vorliegt, ift er in den erjten beiden Bejtandteilen (a. die fünf Namen, b. die zmei
Balthafarjtellen) bloß Excerpt, das aus den Notizen oder aus dem unfertigen Konzepte zum Heldentod nod
vor beffen Erfheinen (Weihnachten 1830) gezogen ift (— andernfalls hätte fih W. 2. wohl an den Heldentod
felbjt gehalten, wovon fich vielleicht eine einzige Shwahe Spur „riefenhait“ jtatt Z „riefenmäßig“ findet —),
und zwar ift Z von Makmann nad) feiner Art wohl aus dem Kopfe diktiert (daher Meindel, Oertel; durch eine
— Miindnerijfhe — Schreiberin erflart ich auch „Gebierg*) und etwas ergänzt (das eingefügte „noch“ „37*).
Und während die erjte Balthajarjtelle für fich fteht und fogar fhon, wie nur breiter im Htod, A la Zichokte
endigt („heldenmütig . . fielen“), fennzeichnet fi) unter Anmerfungszeihen zum Namen B. M. die zweite
Stelle, die fi) allein mit feiner Größe und Kraft und deren Wirkungen beifhäftigt, al® ein befonderer Austrieb
der Legende und als jelbjtändige Notiz. Wir haben mithin:
Mündlihe Quellen, zuf. mit + Zschokke, controlliert durch die
B. M.-Legende aujtretend, = Y Lista
Concept Makmanns
Zettel Heldentod
Der Zettel ftellt fich ferner — zumal in feinem dritten, dem Quellenteil — als eine erjte Anweifung
für jemand dar, der eine Schrift über die Zeit der Sendlinger Schladt zu fehreiben vorhat. Jnfofern wäre
der Zettel für den durch Mahmann in folhen Dingen ftetS beratenen Lindenshmit ganz unnötig gewefen,
wenn er nicht eben von Makmann herfam. Daß dies die Bejtimmung der Zettelnotizen eigentlid) mar und
Mafmann einen Anteil an deren Abjajjung Hat, geigt aud) die Verdeutihung „Bücherfal“ und im Zufammen=
hang damit der Wert, der auf die Einfiht in die Plinganferhandfhriit — obgleich fie für 2. genügend im
Rajftlos gu finden war — gelegt wird. Dieß fcheint bei der Ueberreidung des Zettel8 betont worden zu fein,
fodaß — mie bei eiliger Kenntnisnahme gejchieht — Lindenjchmit fich felber noch ein zweites Mal Handschrift
Dagubemertte. Während nun Makmann die Handfhrift wirklich benugt Hat (fj. Htod ©. 7 „die durhlaudtigite
Nachfolge‘ — Plinganfer auf S. 131 des Abdruds in Verhandl. d. Hijt. Ver. f. Niederbay. 8 Bd. 1862 „die
durdleidtigifte Nachitolge”, dagegen bei Naftlos S. 23 „die durhlaudtigiten Nachfolger“), hat Lindenfhmit
dieS unterlaffen und offenbare Lefefehler des Naftlos in Namen übernommen, vgl. W. L. S. 18 „Obriſt Zele“
= R. ©. 56, ftatt ,obrift Qele” der Handirift, „D’Okford“ ftatt „D’Ogfort‘, und die Raftlos’she Kürzung
©. 50 betreffs der Mühldorfer Entfhuldigung. Eine auf das Genauejte durchgeführte Vergleihung lehrt, daß
2. von [hriftlihen Quellen und Darstellungen überhaupt nur den Raftlos benugt hat und daß ji, mit
Ausnahme der Arkolegende, der eigenen Erforfhungen und der Schilderungen, jede Heinfte Einzelheit und ges
wiffe Mutmaßungen auf R. gründen. Maffei und de la Colonie, die er jelber zu Lamberty, offenbar wegen
YUrko, fchrieb, blieben trogdem ungelefen, die Martinswand (S.3) und die herfümmliche Erzählung unberichtigt.
Um die fünf Namen des Z (bei denen Mtakmann den von ihm fpäter getabelten „Hoffmann“ mwegließ gemäß
feiner Borftelung von Lindenfhmits Wbficjten), fowie um den ganzen Zihofte hat er fid) nicht weiter ges
fiimmert. G8 fdjeint, dah die Beit fcpon au tnapp geworden war, den Anmeifungen des Zettels, als er fie
erhielt, zu folgen, und nur der bequeme Raftlos verlodte ifn, feinem Beftande von eigenen Ermittelungen und
iNuftrativen Gedanken den hiftoriihen Tert unterzulegen. Mit diefer Verjpätung hängt es zufammen, daß er
den Verlauf der Gefechte am ftädtifchen Gottesader (Glodenbad)) und bei Sendling nad) der Egerer Tafel
und der örtlichen Kunde bietet und die „Sage“ vom Balthafar Maier nur nadträglid anfügt. Vahmann
dagegen gliedert fie al® „Ueberlieferung“ in die Zichokte’fche Kichhofverteidigung ein; dabei nennt er den
Kirchhof „Freithof“ (auch fhon S. 4), ein Wort, das fid) ihm germaniftifch und aus dem Bericht des Pfarrers
Soyer 1705 durd) ehrwiirdige Hiftorifde Farbe empfahl. Die unter dem Minifter v. Schenk und Geheimrat
v. Hormayr feit Oftober 1830 (bis 1832) gepflogenen Erhebungen (f. Münd. Sreisardiv M. A. 1040, 123)
förderten diefeS Dokument nicht zu Tage, obgleich eine Abjchrift davon den Copien einer vom Erzbifchöfl.
Ordinariate befdiedenen Eingabe des Sendlinger Pfarramtes, v. 16. bez. 20. April 1830, beigegeben und mit
diefen in Lindenfdmits Befig gelangt war. Sicherlich fah Mafmann das Schriftitüd bei ihm; das alte Wort
war ihm ein Fund, den er übrigens für fic) auffob —: alfo aud) hier zroar gelegentlihe Fühlung awifden
den Beiden, aber feine Bereinbarung iiber daS Bu-Bietende. Die wiederfprdde aud) dem felbjtändigen
Jugend und Bildungszeit 3
gegen Ende 1829 „von Sr. Maj. Regierung | Baterland gefallen, darguftellen.”1) Wie der
die Erlaubnis zu teil geworden, den Helden- König das Unternehmen aufnahm, lehrt eine
tod der Bayern, die 1705 für Fürft und | andere Briefitelle (W. 2. 1838 an Gmeiner):
eigenmilligen Charakter der beiden Männer. Außer feiner ganz anderen Arbeitsmweife fhlägt Mm. Idon beim
Sammeln andere Wege ein und fehrt andere Seiten des Stoffes hervor. &8 lag überdies von vornherein in
feiner Bahn, auf diefen Gegenjtand zu treffen. Aus dem Befreiungstriege wie Schmeller zurüd gedenft er
mit patriotifher Trauer der vergeffenen Kriegergraber um Leipzig, (T. fein Gedicht „Winter“ in Menzel8 Moo8s
tofen 1826, ©. 338). Im November 1828 befihtigt er die bloßgelegten Gebeine des Bauerngrabes auf dem
Münchener Gottesader und nimmt die Vermutungen der Leute anteilsvol in fid auf (f. Heldentod ©. 4),
geradefo wie er über die Wrfadenfresten jchreibt, bayerifhe Sagen gejhichtlich erläutert, Münchener Merk
mwürdigfeiten und Bräuche befchreibt. Diefe publiziftifche Neigung und nit W. Lindenfchmit, wie F. v. Wall-
menid) (S. 138, Unm. 2) vermuten möchte, bradte ihn darauf, fi) mit der Gejhichte der Sendlinger Schladt
zu befaffen. €8 mare nur natürlih, daß Makmann, langft mit dem Vorhaben feines Freundes vertraut,
die Zeit für feine Gedenfjchrift erfah. Sein Bemühen hatte inzwiichen eigene Refultate gezeitigt. Die Buch
ftäblichkeit, womit er feine Ug glaubt vortragen zu müjjen, bezeichnet ihn genügend als deren Auffinder. Dazu
ftimmt, daß eine Kenntnis, die man fonft bei Lindenfchmit vorausgejegt hat, diefem hier im Z noch eigens
übermittelt wird, — offenbar, weil ihm die Wusfiihrlidfeit ber Z-Legende etwas Neues fein mußte. Denn
anbererjeits jehen diefe unvermittelten Zeilen des Z nicht wie die erjte Mitteilung einer dem Empfänger völlig
unbefannten Sade aus. Ware fie dies und folglich) die einzige und fofort fehr bejtimmte Nahricht, jo müßte fie
{don bei den Sfiggen ganz anders durchgegriffen haben. — Die Uebermittelung des BettelS wird fo fpät fallen,
daß die Zweifel, welche Lindenfhmit gegenüber den Einzelheiten von Z—Ug beihlien und fic fdlieblid
dur unbeftimmtere Fafjung der „Sage“ in feiner Schrift äußerten, den Tert von Maßmanns Heldentod nicht
mehr beeinflußt haben. Dod muß im Oauptpuntte eine Uebereinftimmung der Sx fiir Z—Ug gefprodjen
haben; DtafBmann, der ja troß der Wusfage de8 Kirchenbuds an der Ug fefthalt, ftithte fic) wohl auf die
Umftände, unter denen fie ifm erzählt ward.
Von dem legten Titel auf dem Z ift nur die Lefung „Augsburg“ gefichert; es könnte ein Tafdenbud
gemeint fein, doch findet ich nichts dergleichen. Zu beachten ijt vielleicht die Anonymität. — Gruber jpann feinen
Faden fadte an den Umftand an, dah ein Wuffehen veriprehendes Gemälde im Entftehen war. Einzelheiten des
Z, namentlid) die 2. Stelle, fönnen von ihm in Umlauf gefegt fein; in der bejtimmten, von Makmann fo gemerteten
Prägung des Z famen fie an ihn fehmwerlich als ein Auszug aus GruberS vorgeblidem „gedrängten Thaten=
gemälde“ heran, das Gruber „schon im Herbjt des Jahres 1828 in einer Zeitjchrift Hinausgegeben“ haben will.
Makmann hätte dann ficher zitiert und aud für feinen Z und die Ug etwas mehr vorgefunden, namentlid
jene ungarifchen Abenteuer des Helden, melche aber dem Erfinder erjt bei dem Anblid des fertigen Bildes
aufbdmmerten. Gruber hielt eben da8 mündliche Verfahren der Ausflüdhte wegen fürs erite feit und wird
in der Tat, wie er beteuert, mit Erzählungen aus feinem vorgeblichen Stalender „nicht gegeigt“ haben. Dabei
gab er die zweite Partie der Zettellegende mit jener auf eine Stelle des Bayerifden Bauern-Kriegs gepfropften
DffizierSaneldote zuerst zum beften. Defhalb figuriert fie im Z als befondere Notiz; fie war bei einer anderen
Gelegenheit, als die 1. Stelle, an Mm. gefommen, vielleiht fogar früher als die 1. Stelle, welche wegen ihrer
Operation mit der Zahl 34 (+3) = 37 die Zeitungsberichte über die Zimmermannsfeier von Ende Juni 1830
vorausfegt. Wuch die Splitterhaftigkeit des Gruberifchen Kalenders findet in den ZeNotizen fhon ihr Vorbild.
Die „Armee pomadeduftender Frangofen’ ift feit der Schlaht bei Rokbach hiftorifh; ein folder Zug mußte
dem Preußen und Patrioten Makmann wohl angiehend, aber auc) undurdjdaubar fein, wie ja aud) in bem
ungefdidten „halt“ das Verftändnis für Bayerifch-Dejterreichifche Möglichkeit fehlt. Yn diefer doppeltausge-
wedfelten Anekdote fühlt man den Boden durd), auf dem Gruber zuerjt Fuß faßte. — Die Erfindung madte
ihren Weg duch Mittelamänner. Grubers Ausfage, „daß mehrere Freunde der vaterländifhen Gefdidte . .
fic . . erfundigten”, Hat Teilmahrheit; er hütet fi) wohl einen Namen zu nennen; den Maler zählt er nicht
biefen Erfundigern bei; da er fid) aber ein BVerdienft an V8 Kompofition beilegen will, muß er von ihm
reden ; die anonyme Wendung, mit der er ihn heranzieht („Künjtler, der das 8. Bild unter den Bögen bes
fol. Hofgartens gemalt hat“ „Frifchgemälde“‘), wurde 1830 von Matmann (Heldentod S. 4) in verjtändiger
Abfiht gewählt; bei Gruber 1832 ift die Meidung des Namens eine falfhe Geheimnistuerei. Das Bild vers
ftedter Mtadination und aud) ihre zeitliche Abfolge würde durd einen legten Fund ich beftätigen, falls er
auszumachen ift. indenfamit hat in feinem Rajtlos auf dem unteren Rand von ©. 78 mit Blei einen Namen
hingefchrieben. Der Familienname ijt fat unleferlih, a8 Ganze finnte ,Jofep Gruber“ Heißen. Gruber felbjt
führte im Drud ftetS „Ferdinand J.” oder „F. 3." alB Taufnamen.
Diefer Eintrag gewinnt feinen richtigen Sinn dadurd, daß Seite 78 wenige Zeilen oberhalb vom
roten Turm die Rede ijt; über die 2. Stelle des Z, morin die 19 Erichlagenen, die 114 B, die Offigiers-
anekdote fich häufen, befragte fid) 2. wohl mit Makmann; diefem wird e83 nun zwar gelungen fein, Gruber
gu eruieren, — dod) faum, zu fpredjen. Daher blieb der Name ohne Adrejje und ohne den Titel einer etwa
vermuteten Schrift und zeugt jo von der Vergeblichkeit der Erfundigung.
1) Worte, mit denen fih W. Lindenfhmit in feinem im Dezember 1831 an König Ludwig gerichteten
Gejud auf diefe Eingabe bez. den „vor 2 Jahren“ erfolgten Bejcheid zurüdbezieht.
32 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfdmit, de8 Welteren
„Der König al3 er den Bericht erhielt, fchrieb
an den Rand, ich fey win fo mehr hierüber
zu beloben, als ich fein Bayer fey. Und dieß hat
er mir feitdem mündlich wenigjtens 10 mal
wiederholt.” Noch nach Jahren fam König
Ludwig gern auf Sendling zu fprechen, fo in
Hohenſchwangau. Auch Hormayr bringt diejes
Wort, in den Bayer. Blättern; nur was er
von Beifteuern binzufügt, beruht auf Ber-
mwechslung, wie fie auch in den Zeitungen
eingetreten ift. Man fonnte fich eben nicht
jo waren e8 doch“ — gefteht er fid) {pater —
„große Hindernifje für die Gnade des Königs.“
Hierin trat bis in’3 Spätjahr 1831 feine
Nenderung ein, und des Königs Geneigtheit
fiir die Sendlinger Sache konnte fich daher
aud) nicht in Buwendung von Mitteln äußern.
Andernfalls hätte 2. in feinem Briefe, worin
er die Erfahrungen, Kämpfe und Ereigniffe
von der Bildenthüllung an bis in den Sommer
1832 dem Bruder anvertraut, eine derartige
Allerhöchite Anteilnahme bejtimmt verzeichnet,
vorftellen, d. 5. in ihren
dak der Maler Solgen bez
das umfing- ſprochen;
liche Werk in hätte darin
der Haupt- die ehrendſte
ſache allein be⸗ Förderung
ſtritten habe. erblickt, nicht
Dieſer Zug iſt ſo ſehr, weil
aber weſent⸗ ſie den unaus⸗
lich. „Auch weichlichen
hatte ich mich Exiftengfampf
ſorgfältig ge— gemildert hät⸗
hütet, die Leu⸗ te, ſondern
te in die Ar— weil dadurch
mut meiner eine Unzahl
Glücksum⸗ kleinlicher
ſtände blicken Kränkungen,
zu laſſen und Schädigun⸗
ſie wußten gen und Aus⸗
noch immer beutungen,
nicht, wie denen er durch
groß und ver⸗ abſonderliche
wegen dieſes Umſtände
— Hauptgruppe mit dem Balthaſar Maier. —
Aus der Litographie = B. L'8 „Gef. d. Sendl. Schlacht“ daritellend da8 Gemälde
nommen, an ber Sendlinger Kirche. — Wirkl. Größe. twat, vonvorn
war.” Diefes Gebot feiner Verhaltniffe, anderer=
feitS die fchaffende Qdealitdt, mit der er in
feinem Werk voranfchritt, verband und ver-
fittete ein ftarfer perfinlicher Stolz, der fich
nicht fo fehr in politifchen und Parteimein—
ungen, al8 in dichterifch-fünftlerifcher Unnache
giebigfeit fühlte. Und fo gewann er e8 fidh
und der hohen Spannung, mit der er am Werke
war, nicht ab, dem König gemiffe erfte Schritte
perjönlich entgegenzutun.
„Dbichon dies alles fich jehr gut mit dem
Charakter eines Mannes verträgt, der das
ernjte Bewuptfein hat, diefe und jene Handlung
um eines edlen Zwedes willen zu vollführen,
herein von feinem Pfade ferngeblieben märe.
Der Gedanke, das Bild des Kampfes an
der Stätte desjelben und über der Heerjtraße
aufzurichten, fam bei den Befuchen und Nad)-
forfchungen in Sendling ganz von felbft. Da
eS nun die Wand der Kirche und einen Fried-
hof Schmüden follte, mußte e8 in dem Sinn
höchjter religiöfer Weihe umgeftaltet werben.
Es war nicht ganz leicht, aber Wilhelm fand
in der bejcheidenen volfstümlichen Wegblüte
de3 „Marterls“ das entfaltungskräftige Vor-
bild und formale Prinzip. Sein Gemälde
it ein ins Heldenhafte gemwandeltes Marterl.
Aus dem heißen Brodem der Schlacht hebt
Sugend und Bilbungszeit 33
e3 fich durch das falte Gewölf der nieder-
finfenden Todbringerinnen zum Spender alles
Odems Hhimmelan.
Nun hatte zwar der König einen Wunjch
ausiprechen laffen; es fjcheint, daß er ftatt
des richtenden Gottes die mitleidigere Geftalt
der jungfräulichen Himmelskönigin vorgezogen
hätte. Allein der Künftler bedurfte in der
ftrengen Erhabenheit der auffteigenden Kom=
pofition eben jene ruhig weitjchauende, unbe-
irrte, die Welt im Gleichgewichte haltende,
männliche Gottesgeftalt der ewigen Gerec)-
tigkeit.
Schon rein al8 förperliches Motiv wirft
diefe Geftaltung wie eine Wage. C8 ift die
Uebertragung der fämtlichen Bertifalen, die
vom Antlix deB Baltafar Maier, von den
aufgeredten Armen der Sterbenden und dem
Kampf auffteigen, in die Horizontale der aus-
ebnenden, fegnenden Gotteshand und des aus
dem Inneren hinausmaltenden Blides. Bon
hier aus fenfen fich die Todesengel leife hinab
und der ferne Jubelfchall aus den Lüften dar=
über. Das ift die Glorie.
Qn diefe Glorie ift die „altbajumarifche
Oeldengefolgfdaft’ und die , Walhalla” Wil-
helms Hineinverflungen.
Darunter regt der Wolfenhimmel feinen
MWiderftreit von Flammenfdein und Winter-
fälte.
Einen befonderen realiftifden Zug hat
der Künftler in den Grund des Schlachtfeldes
verpflanzt: nämlich das Motiv des halbohn-
mächtigen Berwundeten, der fich auf den
Knieen wieder zu erheben verfucht. 8 ftammıt
vom Egerner Botivbilde, wo e3 in mehr
fader Wiederholung der fraffen Wirklichkeit
aud) frag wirlt. Hier in dem einzelnen, zu=
fammenfintenden Offizier ift e8 zum rühren-
den Bug geworden.
Wm 6. April 1830 verlor Wilhelm durch
den Tod des Großherzogs Ludwig von Heffen
auch das ihm gegenwärtig fo nötige Stipen-
dium. Im Juli reifte auch Cornelius nad
Italien. Das Entgegenfommen des Pro-
defans, Pfarrer Graf von Sendling ermög-
lichte Lindenfchmit für die beiden fommenden
Jahre in jenes der Kirche gehörige Haus
überzufiedeln, wo er fchon einen Teil der Ar-
beit vollführt Hatte.
Bis jet ftand aber noch immer das
Y.m.1u 2,
Borhäuschen, das über der nördlichen Kirchen
tür erbaut war. Um e8 befeitigen zu fönnen
und die Bildwand frei zu machen, wurde zu=
exit eine Eingabe an das RK. Zandgericht ge=
madt. Nach erlangtem günftigen Befdeid
brachte Pfarrer Graf am 16. April das Ge-
juh vor die firchliche Behörde, den allgem.
geiftl. Rat des Erzbistums München-Freifing.
Die Erlaubnis zum Abbrucd) traf am 20. April
ein; damals fam auch jene Urkunde vom
Pfarrer Soyer über die Sendlinger Schlacht
zum Borjchein.
Sm Mai 1830 begann da8 Malen am
Fresfo. Bm Juni zog Lindenfchmit mit Frau
und Kind in das Haus bei der Kirche ein:
er behielt dieje3 ganz gemütliche Heim bis in
den Mai 1832, wo die Arbeiten in der Neji-
denz an den Schillerbildern begannen.
Gein ,,Winkelried” paffierte den 5. De-
gember den Runftverein. Der in der Weih-
nacht ausgebrochene Studententumult ift mit
feinen betrüblichen Folgen in Ludwigs Rari-
faturen fehr luftig erzählt.
Das Jahr 1831 jah infolge der Prep-
zenfur rapid verfchärfte Gegenfäge gwifden
Regierung und der liberalen Kammergruppe.
Die Oppofition unter Baron Clofen febte
am 30. Mai die Entlafjung des Minifters
v. Schenk durdh. Am 14. Yuni begann der
VBorftoß gegen des Königs Aufwendungen für
Runjt; felbjt die fiir die Arkaden, obwohl als
volfstümlicdy und patriotifch anerkannt, follten
nur unter Mipbilligung bemilligt werden, und
am 8. Juli wurde das ganze Runftbudget von
der Kammermehrheit verworfen. E38 hieß:
Streichen fei auch eine Kunft.
Lindenfdmits Gemälde war außerhalb
der Barteipolitif und wendete fich an daS ge-
famte Bolf. Gs beftand auch in beiden La-
gern eine freundliche Erwartung; da8 Er—
Icheinen feines Schriftchens in der literarifch-
artiftiichen Anjtalt, den 8. Oktober, wurde in
Blättern beider Richtungen angezeigt und bez
grüßt.
Wm 28. September vollendete Linden-
{mit fein Werf; am 9. Oftober, an einem
Sonntage fand die Enthüllung ftatt. Hier
trat nun ein, mwa8 niemand gedacht hatte.
Er erzähle e3 jelber:
„Den Abend vor der Eröffnung meines
Bildes war ich allein und überdachte meine
0
Lage. Ic Hatte ein großes für Bayern und
für Deutfchlands Gefchichte, auch für die
Kunft an fic) wichtiges Kunftwerk vollendet
und wie mir die Renner fagten mit Glüd
vollendet; die uneigennüßige Art wie ich das
Werk unternommen, hatte mir bei allen, die
davon gehört, Ehre erworben, Feinde hatte ich
feine, oder fie waren verföhnt, meine Freunde
liebten mid) innig, in meiner Familie war
mein Glüd unbemwölft und reich, meine Be-
fannten und Nachbarn achteten und fchäßten
mich. Die bedeutenden Opfer, die ich der
Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfhmit, bes Kelteren
aus blauer Luft traf, war, daß eine politifche
Partei jich der Ehre meiner Arbeit bemäch-
tigte. Der Afjeifor Hader, deffen jervilen
Schmarogergeift ich nicht geahnt und deffen
Ankunft bei dem Feft mich gefreut hatte, be-
nußte, aufgeftiftet von dem Magijtrat, dieje
Gelegenheit, fich einen fogen. roten Rod zu
verdienen. Mit Unmillen hörte ich zu wie
er von der gefchichtlichen Bedeutung des Ge-
genftandes abjpringend zu Ausfällen auf die
Oppofition in der Ständefammer überging,
wovon fich mehrere Mitglieder unter den Buz
Wintelried.
Auf die Sauptwirfung vereinfadter Umrif von W. Lindenfchmit d. I.
fw wirkl. Größe. ‘
Eröffnung meiner Laufbahn gebracht, jchienen
bi8 zur Hefe ausgeleert, ein zmwedmäßiges
Verhalten!) mußte fie einigermaßen erjegen
fönnen. Was aber die Laufbahn betraf, fo
fonnte man den moralifden Banden ver:
trauen, die an mein Werk eine Nation und
einen König, ja den Runftvater Cornelius
fnüpften. So beruhigend diefe Betrachtungen
waren, fo war meine Heiterkeit nur gemäßigt.
Der erfte Schlag, der mich, wie man fagt,
hörern befanden. Ex bezeichnete fie als eine
Rotte von vergweifelnden Mtenfden. . . Das
Landvolf verftand diefe Gemeinpläße nicht
und vergaß fie gänzlich, allein das Publifum
behandelte von da an Herrn Hader mit tief-
fter Verachtung und die Ständefammer Flagte
ihn, indem fie jene Beleidigungen als ihrem
Körper widerfahren betrachtete, förmlich an.)
— Qn einer fo bewegten Zeit hätte mein
Unternehmen nur anerfannt werden fünnen:
) Nämlid die Einleitung zur „Subfeription auf die Lithographie des Bildes, welde nad dem
Urteil aller Gefhäftsleute mir meine für Herjtelung des Bildes gebrachten Opfer hätte erfeben können.“
*) Herr v. Elofen über Haders Rede, in der 121. Sigung der Kammer der Abgeordneten, (j. Münd).
Eonverfationg-Blatt 1831, den 24. Oftober, No. 297, über die Sigung vom 21. Oftober.)
Jugend und Bildbungszeit 35
wenn e3 über alle politifche Barteien erhaben
dajtand. Diefer Vorteil war unmiderbring-
lich verloren. — Al den Landftänden, deren
verschiedene Parteien fich früher mit großem -
Wohlgefallen über mein Unternehmen und
meine Perfon geäußert, . . die Subffription
zur Lithographie vorgelegt wurde, äußerten
die meiften gang falt, daß ihnen eine Erinne=
‘rung an jene Beleidigung ihrer Körperjchaft
nur unangenehm fein finne. Der Umjtand,
daß eine fo michtige Staatsgewalt meine
Leiftung verläugnete, machte die öffentlichen
Blatter . . . verftummen. — Eine andere Er-
fcheinung, die mich wahrhaft zittern machte,
mar Neid, den ich unter den Stiinftlern hie
und da, und an gefährlichen Orten bemerkte.
Einem Beobadter von Verftand . . . konnte
es nicht entgehen, daß die bedeutenderen der
jungen und älteren ünftler mit fchmweigen=
dem Nachdenken ein Bild betrachteten, das fo
anhaltend eine größere Menge aus allen
Ständen mit ehrfurcht3vollen Gebärden vor
fich verfammelte, eine größere, al3 fie ver-
mochten vor eines der ihrigen zu bringen.
War e8 der Zauber der Nationalität, des ge-
fchichtlichen Bodens, war e8 die impofante
Größe der Oberfläche des Bildes nahe .an der
Heeritraße — ich merkte, daß fie diefes inner-
[ich erwogen, leider fand fich fein erheblicher
Fehler, die Menge fühlte fich befriedigt, fie
mußten alfo ſchweigen. Selbjt meine näc)-
ften Freunde teilten nicht jene Rührung, die
mich den ganzen Tag erjchütterte; Cornelius
unter den Riinfilern, mar der einzige, der
gleid) mir innigft bewegt und ergriffen
war.” —
Das Gefchaft der Subffription nahm
fclechten Fortgang. Kaulbad), der die erjten
Unterfchriften zu fammeln unternommen,
wurde durch Fohr daran gehindert. Cornelius
wollte fic) aus freien Stüden der Sache beim
König annehmen, verjchob und vergaß es.
Ebenfo verfagten Ringseis und Schobert.
Ridel madhte einen mwohlgemeinten Verjuch,
die Subjkription in Gang zu bringen, ohne
Erfolg. — „Dazu gefellte fic) ein neuer Un
fal. Mit Schreden berichteten mir meine
Bekannten, daß eine Lithographie meines Bil-
des an den Kunftläden hinge (von Ellmer)
und in allen Brauhäufern herumgetragen
werde”. — Nun drohte fchon Geldnot. Sein
Kredit lag in den legten Zügen. „Es hält
fchwer bei einer folchen Lebensmweife uner-
fchüttert zu bleiben.“ Dazu famen ungejchidte,
teil8 gut, teit$ falfd) gemeinte Schritte in
öffentlichen Blättern von unbefannter Seite,
gegen die er Stellung nehmen mußte. Cine
unrichtige Anforderung eines Scheinfreundes
nahm feiner Sache bei den Gemeindebevoll-
mäcdhtigten die Unantaftbarfeit.
„Cornelius fam häufig, faft täglich nach
Sendling, wir fneipten miteinander, auch
manchmal in ber Stadt, und ich verlor feine
diefer Gelegenheiten, ihm näher zu rüden,
feine Anfichten fennen zu lernen und ihn mit
den meinigen vertraulich zu machen. Ich
lernte ihn hiebei al3 einen Mann von Geift
und Herz fennen, wenn ich auch zugeben
muß, daß fein fcharfer Verftand durch die
Gejellfchaft unferer befannten Myſtiker irre—
geleitet ift“. Nun fegten die Unterhandluns
gen über Lindenfchmits Beteiligung an dem
Schillergimmer ein, begegneten aber den gripe
ten Schwierigfeiten. Seine Berlegenheiten
wadjjen, jeine Oduslichfeit und feine Frau
leiden darunter fchwer. Bei den Freunden
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Selbitporträt W. Lindenfdmits um 1830.
Bleiftiftumriß, !/s der wirfl. Größe.
zeigt fich immer mehr Erkältung gegen ihn.
„— Als ich mich allein fühlte, mwuch8 mir der
Mut. Ueberzeugungen ftellten fich ein. Bater-
landgliebe, Redlichkeit, Xatfraft, Mut, Be-
ftändigfeit, Fähigkeit . . halten die Menfchen,
b*+
36 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfchmit, des Welteren
halten deine Freunde nicht ab dich zu zer-
treten. DVerdienit allein wird dir... die
Durchfegung deine Lebenszmwedes niemals
fichern. Klugheit, Grüzgze, ein heitres Ueber-
bliden der Schwachheiten in der menfchlichen
Gefellfchaft ift eine faft unentbehrliche Be-
dingung für Männer, welche wirfen wollen.
E3 haben zwar Einige ohne diefe Maßregel
durchaus anzumenden, ihren VebenSgwee fiegen
gemacht; allein nicht bloß diefe haben ihren
Sieg mit einem fchmerzlichen Untergang be=
fiegelt, jondern viele taufende von tapfern
Seelen hat der Mangel diefer Tugend mehr
oder weniger jpurlos aus der menschlichen
Gejelichaft ausgelöfcht, weil fie die Luft zu
ihrer Entwidlung den Berhältniffen nicht ab-
zuringen vermochten. Sch Ihämte mich diefe
Wahrheit fo lange außer acht gelafjen zu haben.
Sollte nicht ein verfchiedenes Rechtsverhältnis
bei dem Angreifer und dem Verfolgten ftatt=
finden? Sollte e3 dem gehebten Hirfch ver=
boten fein, die Jagd auf eine falfde Spur zu
leiten? Zudem bin ich feiner von denen,
die ihrer Hoffnung durch Fortdauer auf einem
Stern oder in einem warmen hellen Himmel
fchmeicheln. Jch weiß zu gut, daß der menjch-
liche Geift, wenn er feinen 2eib überdauern
will, fid) vorher durch Nachdenken und durch
Handeln Größe und Stärke erworben haben
muß. Ja, ich will untergehen, aber erft nach-
dem ich der Welt eine Reibe von Werfen
aufgedrungen, die ihre Achtung feffeln und
mir die Fortdauer meines Gewerbes
verbürgen. So war e8 denn beichlofjene
Sache, jene LeidenSbahn des Buriidgiehens des
Triumphs fiir Wndere, nicht 3u betreten. . . .
An diefer Etimmung ftrich ich auf den winter-
falten Ebenen, welche die hiefige Gegend ume
geben, herum nachdenfend über den widrigen
Wind und aufmerffam nach dem Horizont meiner
Verhaltniffe jpabend.~” Er findet bei fcharfer
Betrachtung feines eigenen Verhaltens und des
feiner Umgebung die Punkte, an denen fid) anz
fnüpfen ließ, und handelt fofort. „Damals nun
fiel es mir ein, daß ich nun feit Jahren alles
tue, mas ein Mann für feinen Beruf und
feine Angehörigen tun fann, und es be=
mächtigte fich meiner einer falte Entfchloffen-
beit, welcher der Erfolg gleichgültig und ohne
Mert if. In meinem Haus wurde eine
andre Saite aufgezogen. Die Töpfe und Tiegel
blieben zwar in mangelhaften Zustand, allein
ich) 30g Abends, wenn ic) von Gefchäften nad)
Haufe fam, Braten, Würfte, Ras, Heringe,
Wein aus der Manteltajche. Das lekte Holz
im Schuppen wurde zujammengefägt, große
Fladerfeuer angezündet, gejotten und gebraten,
und Lichter auf den Tifch geftellt mit ge-
frauftem Papier gegiert, dag Ranapee an den
Ofen gefdoben und aus einer langen Pfeife
geraucht, bis das Efjen auf dem gededten
Tische dampfte. Heißt das — alles bei jorg-
fältig verfchloffener Türe.“
Die Darftellung diefer VBerhältniffe würde
für fich ein Heft füllen. Kurz, er wendete fich
fchlieglih in einem fleißig überdachten An-
jucjen felber und direft an den König. Die
"Antwort fam bald und nad gweimaligem
Bejud) im Kabinett erhielt er die Subjfrip-
tionslijte mit der Unterzeichnung des Königs
auf 6 Eremplare. Dies bedeutete den ent=
fchiedenen Beifall Ludwigs I. an dem ganzen
Unternehmen. Noch vor furgem hatte der
König in ähnlicher Angelegenheit einen Künit-
ler abjchlägig bejchieden, mit dem Bemerfen,
Er fubffribiere nur in hichft feltenen Fallen.
Das hatte gerade Lindenfchmit abgehalten.
Nun fam, mit diefem Ynf{trument in der
Hand, das Vorgehen gegen den Lithographen
Ellmer. Aber noch bejaß Lindenjchmit fein
Privileg. Und fchon drohte in Augsburg ein
Stic) gu erjcheinen. Hier half nun Dr.
Deffauer. Minijterialrat v. Abel glaubte das
Privileg nicht befürworten zu dürfen, ,,weil
ich fein Privileg auf eine Sache verlangen
fönne, die bereits aufgehört mein Eigentum
zu fein! Jch glaubte zu träumen“. Er hatte
nämlich das Fresfo der Gemeinde Sendling
geichenkt. Doc, gab Abel zu, dab die Sache
fih anfnüpfen laffe, wenn 2. ein Gefuch der
Gemeinde Sendling beibringe. E83 war be-
reits Sylveftertag; der Minifterwechjel jtand
dicht bevor, dann hatte der König feine Beit,
— und die Raubdrude erfchienen. „Ich nicht
faul, auf und nad Sendling, die Bauern
eilten mit mir auf8 Landgericht, wir fchmie=
deten ein Gefuch.“ Durch befondere Befchleu-
nigung vermochte dann Fiirft Wallerftein am
6. Januar 1832 das Privileg dem König zur
Unterzeichnung vorzulegen. Nunmehr konnte
die gefchäftliche Behandlung der Subjfription
betrieben werden, wobei Kajpar Braun von
Jugend und Bildungszeit 37
großem Mugen war — und die fchöne Frau
Deffauer. E8 gelang Lindenfchmit, den Führer
der Oppofition, Baron Clofen, von feiner
Schuldlofigfeit an der Haderjchen Rede zu über-
zeugen. Dies war deshalb leichter weil Hader
für jene halbjtündige Anftrengung feines Ge-
nie glei zum Landrichter in Traunftein
ernannt worden war, und Lindenfchmit bis
jegt feinen Vorteil aufzumeifen hatte. Nun
Nach der Lithographie von Fr. Hohe.
Bgl. wegen der Unterfdiede vom Freslo die Anmerkung.
mehr fubffribierte die Oppofition, und die
Unhanger der Regierung muften folgen. *)
Lindenfchmit fonnte fi) nunmehr über-
zeugen, daß der König an feiner Leiftung
Wohlgefallen hatte. Der König bejuchte ihn
in Sendling „und hat mich mit Gnade über-
ſchüttet“.
Die Gegnerſchaft Klenzes gegen Linden—
ſchmits Beteiligung an den Wandgemälden in
der Reſidenz konnte allmählich überwunden
werden. Im Einvernehmen mit Foltz er=
hielten beide den Schillerauftrag. Das hitzige
Komponieren, das jetzt begann, und ſchon
etwa im März 1832 zur Malerei gedieh,
macht es ohne weiteres erklärlich, daß Linden⸗
ſchmit für andere Dinge keine Augen und
Ohren beſaß.“) Cornelius drängte, der König
brannte auf ſchnelle Ausführung; Linden—
ſchmit arbeitete vielfach tagsüber in Cornelius
Zimmer in der Akademie und ging abends
noch in den Akt.
Walter Scott, der damals todkrank von
Italien heimreiſte, beſuchte das Bild in Send—
ling und bat ſich 6 Exemplare des „Send—
linger Büchels“ mitgenommen. Dies freute
Lindenſchmit ganz beſonders und war der
beſte Beweis, wie ausgezeichnet er den alt—
nordiſchen Kämpenſchlag, der im bayeriſchen
Oberländer lebt, getroffen hatte.
Nach diefen Kämpfen. und im Wieder-
bejig eines angefehenen Wirfungstreijes ,,neigte
fi) mein verföhnlicheg Gemüth bald zur
Heiterkeit. Nun bin ich jegt in einer Stim=
mung, wo ladelndes Vorherfehen der menjch-
lihen Schwachheiten und entflammter Eifer
für mein Ziel mir auf eine harmonifche
Meife Schuß und Flügel auf meiner Bahn
gewähren. Bon diefem Wendepunft an legte
ich mich mehr auf zwei eigenthümliche Nich-
tungen des menfchlichen Geiftes. Die jchöp-
) Die Lithographie von Elmer, mit Rand 43:45'/2cm, Bild allein 33:37 cm, hat in den Ober:
eden zwei Kränge mit Infchrift. Obne Namen des Druders oder Zeichners; dabei fehr roh. Ellmer mußte
den Stein abjchleifen, W. 2. verfiegelte ihn und nahm die Auflage mit fort, am 22. Deg. 1831.
Die privilegierte Lithographie erfchien Frühjahr 1832. „Nach dem Originale gezeichnet von
Friedrich Hohe. Gedruckt unter der Leitung von Fr. Hohe. Die Schlacht bei Sendling. An der Kirchen-
wand von Sendling gemalt und allen hochherzigen Bayern gewidmet von Wilhelm Lindenschmit‘“
br. 55:5. 60 cm (bez. 44: 56°). In den obern Zeil der Glorie find nod) zwei Engel Hineingefeßt, die Haltung
Gottvaters etwas und die Köpfe in der Schladht bedeutend verändert. — Anzeige in d. Münd). Polit. Zeitg.
28. Dez. 1831. No. 320.
Der Augsburger Stich wurde troß des fhon beftehenden Privilegs unter der Hand verbreitet. Etwa
1844 wurde die Schlacht allein von W. 2. Sohn lithographiert, ,,Gedr. v. J. B. Kuhn", br. 66:5. 48'/2,
beg. 44: 331/2 cm.
*) Gruber8 1832 erfdienener „Schmiedbalthes“, ebenfo wie defjen Vortrag find „dem geachteten Künfller,
der bas Ste Bild unter den Bögen des E. Hofgarteng gemalt“ fiherlid) völlig entgangen. Die „Schmiedbalthes-“
und Gruberfrage ift von Dr. Dreyer in der citierten Schrift treffend behandelt. Man wird aber den Eindrud ge-
wonnen haben, daß der Dialer W. L. auf einem anderen Boden lebt, aud) wenn ihm Gruber begegnet fein
follte. Wn einer Publikation, wie fie Gruber 1828 gegeben haben will, hätte er fich nicht begeiftert.
38 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfdmit, de8 Welteren, Jugend und Bildungszeit.
ferifche und erfindende Kraft hatte fich bisher
an mir ausgebildet, fie war es, die mich er-
halten, fie war es, der ich ausjchlieklic)
opferte: allein diefe hervorbringende, oftmals
ungeordnete Fähigkeit reicht nicht aus zur
Vollendung. Yenelausübende, körperlich er-
forfchende und handelnde Gejchidlichkeit, die
unjre Väter Heimdal nannten, der Künft-
lergeift der in den feingebildeten menjch-
lichen Gliedern liegt und dann das Anjchließen
an den Geijt des ganzen Menfchengefchlechtes,
jenes Hand in Hand gehen, welches den Ein-
zelnen nur al3 Blutkügelchen in dem großen
lebenden Erdförper und Erdgeijt, den unfre
Alten Wodan nannten, betrachten läßt, welches
die einfame Erfindung hereinführt in die
Wege des größeren Vereins, wo fie den vor-
gejchriebenen Umlaufsgang fchonend und be=
lebend einjchlägt und zugleich als Lohn für
ihre Bejcheidenheit die volle Unterftügung des
——— —— — —
ganzen Leibes genießt, dieſe beiden Richtungen
ſind es, die mich jetzt einladen und mir ihren
Segen verſprechen. — Unſer Leben iſt ſehr
ſparſam, aber angenehm und ruhig. An
meinen Kindern habe ich tauſend Freude. Der
Bub ſchießt auf und iſt ein Erzſchelm. Oft,
wenn ich gedankenvoll und ſorgend im Zim—
mer auf- und abſchritt, mußte ich laut auf—
lachen, wenn ich bemerkte, daß er mit ver—
ſchränkten Armen hinter mir dreinkam und
meinen Gang nachahmte. Wenn ich das ſorg—
loſe Schlummern dieſes wohlgebildeten Ge—
ſchlechtes betrachte, ſo fühle ich meine Würde
als Haupt dieſes kleinen Stammes und nichts
iſt mir zu ſchwer, was ich nicht zur Begrün—
dung ſeiner Zukunft unternehmen möchte.“
München im März 1906.
Hundert Jahre nach der Geburt des Künſtlers
geſchrieben von ſeinem Enkel Wilhelm L.
Heldengefolgſchaft.
Die beiden Flügelgruppen dieſes um 1829 angelegten, in der Mitte zerſtörten Aquarells ſind hier näher zu—
ſammengerückt, auch der unfertige obere Teil des Blattes iſt fortgelaſſen. Die Mitte enthielt etwa 4 Figuren,
wovon rechtsanſchließend noch die geſpreigten Beine eines Bannerträgers übrig. Das Original iſt im Ver⸗
hältnis von 60 cm breit : 40 cm hod.
Unm.: Seite 23 Spalte 1 legte Zeile ließ ftatt Bauerntiypen — Bayerniypen.
Zu älteren vor- und frühgefduchflihen Funden aus Altbayern.
(Frühbrongezeitliche Ringhalstragen aus Oberbayern. Zum Grabfunde von Fürft)
Bon Dr. B. Reinede.
Mit 4 Abbildungen nad) photographifhen Aufnahmen und Zeichnung.
Auf der fchmwäbifch-bayerifchen voralpinen | tiges Bild von den Befiedelungsverhältniffen
Hochebene find die älteften vorgefchichtlichen de8 Landes innerhalb der verfchiedenen Ab-
Beitftufen der geologifchen Jebtzeit, die vor fchnitte der Vorzeit zu geben, zudem bejiten
dem zweiten Hauptabfchnitt des reinen Bronze- wir ja andere Anzeichen genug für die An=
alter8 (der „älteren Qiigelgraber-Brongegeit nahme einer ziemlich dichten Bevölferung unferer
Süddeutſchlands“) Liegen, in Grabfunden wie Gebiete auch während der frühen vorgejchicht-
Wobhnftattenreften, wenn wir von den Pfahl: lien Stufen.
bauten des Bodenfees und bei Schufjenried ab- Yür den erjten Abjchnitt des reinen Bronze-
fehen, vorläufig noch jchmwach bezeugt. Hieraus alters, die frühe Bronzezeit, erhellt das ohne
zu folgern, daß während de8 Neolithicums weitere aus den zahlreichen Fundftiiden aus
einfdlieblid) der friihen Brongegeit das Gebiet Einzel- und Depotfunden, troßdem bei uns
zwifchen Alpen und Donau nur fpärlid) und zwilchen Alpen und Donau nur wenig Gräber
nur an einzelnen Stellen befiedelt gemejen, diefer Stufe!) befannt find, und Wohnftätten
wäre jedoch völlig verfehlt. Denn unfere eben fo gut wie überhaupt nicht.
erft begonnene Funditatiftif ift für Gräber- Aus der Fülle des in Südbayern für die
wie Wohnftätten-Materialien vorläufig noc) frühe Bronzezeit?) bereits Vorhandenen legen
weit davon entfernt, ein nur annähernd rich- wir hier Materialien vor, die fic) auf einen
!) Deren aus Südbayern mir folgende gegenwärtig find: Seiboldsdorf bei Neuburg a, D. (zmeifelhaft);
Zudering bei Ingolftadt (gweifelhaft); Sentofen bei Regensburg, neu entbedteg Steletgräberfeld mit typifchen
Brongen und einem Golddrahtring (Muf. Regensburg); Straubing, Ortlerfhe Ziegelei, großes Steletgräber-
feld; Hofhbam, Bez.-U. Laufen a. Salgad, Sfeletgrab mit Arm= und HalSringen (Hiftor. Verein, München);
Obing bei Plattling, Steletgräber mit typifchen Bronzen (nicht näher unterfugt) ; Nußdorf am Inn, füdl.
Rofenheim (zweifelhaft); Münden 1878, bei einem Hausbau redht8 ber JZfar, Fundftelle nicht verzeichnet: bei
Steletreiten Brongedrahttutuli und vergierter Knochenring nad) Art der Straubinger Materialien (er. Beil. 3. Allg.
Beit. 1906, S. 540 — bie hier vermutete Jdentität mit einem anderen, jüngeren Grabfunde aus München ift, wie
man auf Grund der Haren Typenbefchreibung wohl hätte fehen dürfen, einfach ausgeichloffen). Die drei Iegten
Funde liegen in der Präh. Staatsfammlung Münden. Wus dem Gebiet Hart nördlid) der Donau gehört nod
hierher ein Grabfund aus ber Höhle Dürrloh im Shwaighaufer FZorft unm. Regensburg, gleidfalls
in Münden. Die Glodenbederfunde, die in Siidbbayern nun von vier Punkten befannt find, haben mit unferer
frühen Bronzezeit nicht8 gu tun, wie der Berichterjtatter in der Beil. 3. Wllg. Zeit. 1906, No. 217, &. 539 f.,
fchon hätte flar ausdrüden dürfen.
%) Eine unlängjt einem größeren Leferkreife mit voller Sicherheit vorgetragene Ungabe, daß dag Ende
der Steinzeit und die frühe Bronzezeit rund 1500 v. Chr. angufegen fet (Beil. 3. Wg. Beit. 1906, S. 540, 542;
in No. 300 der Beil. 3. Wg. Big. lieft mans freilid) nad anderen Quellen ploglid) gang anders), haben wir
hier furz zu beleuchten. Seit Jahren bemühe id) mi” — aber wie id febe vergeblid) — mit dronologifden
Kombinationen aufzuräumen, die, mie ich auch einmal in Kürze prägifierte, auf irrige Vorausfegungen fid
ftügen wie in ber Methode unridtig find, und erftrebe durch Auffuchen immer neuer Beziehungen unferer
vorgefhichtlichen Altertümer zur mittelmeerländifhen Frithgeit, aud) für die abfolute Ehronologie immer
feftere Daten zu geminnen. Speziell für die reine Bronzezeit fonnte ic) zeigen, daß ihr Ende bei ung dem
Uebergang von der jünger= zur fpätmyfenifhen Stufe im Wegäicum (rund 1200 v. Ehr.) entfpricht, weiter, dah
bei ung in Mitteleuropa in der Schlußftufe des reinen Bronzealter8 Glasfhmud vorhanden ift, der nur aus den
@lasfabrifen von Tel Wmarna ufw. ftammen fann. Um 1500 v. Chr. find wir da nidt fonderlid weit vom
Beginn diefer vierten Stufe des reinen Brongealters Süddeutfchlands entfernt. Uber wiffenfdaftlide Wider-
legung verdiene ich offenbar nicht. — Ebenfo muß der Angabe (Beil. No. 300), dak die Münchener Hoder-
gräber die erjten in Bayern feien, die wiffenfdajftlid) unterjudt werden fonnten, nadbdriidlid entgegengetreten
werden. Das große frühbrongezeitliche Hodergräberfeld von Straubing, über dag man vor Jahren von München
aus allerdings mein Gutachten eingeholt, kennt man anfcheinend nicht! — Fürmwahr treffliche Iluftrationen fattfam
erörterter, prinzipieller Streitfragen.
OT a eee ODE
~~ =a eh o. ae ~-s* 7
.-=-tyr= = =—_- ~~ FF
it i te a enh te
40 Dr. B. Reinede
beftimmten Schmudtypus beziehen, näm=
lich die aus Ringen zujammengefügten Hal3-
bergen. Diefe Shmudform beanfprucht, ganz
abgejehen davon, daß fie auf der voralpinen
Hochfläche nun fchon in mehreren Exemplaren
vertreten ift, deshalb unfer Intereffe, weil fie
fich mit den im Donaugebiet ufw. aus zahl-
Abbildung 1.
lofen Funden diefer Stufe befannten Halb-
fabrifaten, den rohgegofjenen diden Halsringen
mit umgerollten Enden, aufs engjte berührt.
Vor einem Jahrzehnt wurde in der Mos
natsfchrift des Hiftorifchen Vereins von Ober-
bayern ein derartiger Ringhalsfdmud aus
jeh8 an den Enden durch Stifte zufammen-
gehaltenen fchlichten Reifen bejprochen und
abgebildet!) der bei Stammham a. Inn,
B.-A. Altötting, gefunden wurde, angeblich auf
einem Felde, objchon die braune Färbung der
Bronze auf einen Moorfund fchliegen Lape.
Das Stücd, das damals in den Bejig des Bayer
rischen Rationalmufeums in München fam, jchien
das einzige feiner Art aus Altbayern zu fein.
Einen gleichen, nur aus fünf recht dünnen,
in der Größe etwas zunehmenden Ringen be=
ftehenden Halsfchmud, den unfere Abbildung
Ne. 1 in !/s der Größe zeigt, hatte jedoch bereits
im Jahre 1883 %. Naue in München für jeine
Sammlung erworben. Moorbraune Färbung
der Ringe deutet einen Moorfund an. ALS
das Objeft vor 24 Jahren in Mainz im Nö
mifch-Germanifchen Zentralmufeum nachgebil-
det wurde, trug es als Fundortsangabe die
Signatur Tegernau-Afling (im Be.
Ebersberg); es fünnte danach fehr wohl in
dem großen Torfmoor bei Apling (Whlinger
Moos) gefunden fein, wofür freilich ein jicherer
Nachweis nicht erbracht ijt. Heute ift feltfamer
Weife nun angegeben, daß e8 von Minering
bei Reichenhall ftammen foll, die alte Cti-
quette auf dem Objeft felbft zeigt die urfpriinge
liche Fundangabe gelifdht. Die Glaudwiirdige
feit der Fundortsangabe wird hierdurch freilich
ftarf erjchüttert, fo ftarf, daß die Snventaris
fation der Bodenaltertiimer fie leider in der
Statiftif einfady) nicht mehr verwerten fann.
Sicher erfcheint nur nod, dak das Objeft
altbayerifcher Herkunft ift, und als folches ver=
dient e8 Beachtung. Das Stüd liegt nun mit
der im Frühjahr 1906 erworbenen Kollektion
aus Naue’s Bejig, die jo manches wichtige
Dokument für die Vorgejchichte Altbayerns
enthält (jo reiche alterbrongezeitlidje Grab-
hügelfunde von Rottenried), im Germanijden
Mufeum in Nürnberg.
Bedauerlicher Weife wieder von unbe=
fanntem altbayerifjhem Fundort
ftammt ein analoger Ninghalsfragen aus
vier derartigen Ringen (größter Durchmefjer
14,5 cm; gegen die Enden zu zeigen die
oberen Ringe eingefcjlagene Rerbvergierung),
der im Sabre 1857 in München, ich vere
mute, bei 3. v. Hefner, fiir die fomparaz
tive Abteilung der Altertumsfammlungen im
Nationalmufeum zu Kopenhagen erworben
mwurde.?) Leider ijt e8 unmöglich, über den
Fundort des Stüdes, das wir hier nach einer
Abbildung 2.
gütigjt von Direftor Soph. Müller zur Vers
fügung geitellten Photographie abbilden (Abb. 2),
auch nur eine Vermutung zu äußern, denn
eS fehlt bisher aus damaliger Beit an jege
licher Notiz über einen derartigen verfchollenen
1) V 1896, No. 3, ©. 42—44; Montelius, Chron. d. ält. Bronzezeit, 1900, S. 33 (34), Fig. 79.
*) Gorr.-Bl. d. deutfd. Unthr.-Gef. 1905, S. 36; Mufeumsinventar No. 16412. — Die Photographie zeigt
zugleich die an diefer Stelle erwähnte Schlangenfibel, die mit dem Ringhalstragen nidts gu tun hat.
Zu älteren vor= und frühgefhicätlihen Funden aus Altbayern. 4
gund, den man mit dem Ropenhagener
Exemplar in Verbindung bringen finnte. Be-
achtensmwert ijt, dak Dtoorpatina auch diefes
Schmuditüd wieder als Moorfund fennzeichnet.
Aus Südbayern wurde vor furzem nod
eine vierte Ringhalsberge diejer UWrt befannt,
die aber jicher ein Erd>, nicht Moorfund, ift.
Das einzeln (nicht in einem Grabe) gehobene
Sti, das fieben Ringe bilden, ftammt von
Senfofen, B.-W. Regensburg, und zwar
von einer anderen Lofalitdt al8 die auf der
nämlichen Feldmarf entdedten frühbrongezeit-
lichen Sfeletgraber. E8 wurde bald nach der Auf=
findung fürdasMufeuminftegensburgermworben.
Die bayerifchen Mufeen bejigen mehrfach
nod) glatte, mäßig dide Halsringe friihbronge-
zeitlichen Typs, die von den oben erwähnten
gleichalterigen Halbfabrifaten äußerlich fich fo=
fort unterfcheiden. Die Fundorte diefer Ringe
bier aufzuzählen, müffen wir unterlaffen, da
fich bei ihnen ja die Kombination zu Ring-
halsbergen durch eingefügte Stifte, wenn gewiß
urfpriinglich auch vorhanden, nicht mehr nach»
weifen [apt. Aber man fieht, daß diefer
Schmudtypus in der frühen Bronzezeit un=
ferer Gebiete fich einiger Beliebtheit erfreute.
Von außerbayerifhem Boden der vor-
alpinen Hochfläche fennen wir diefe Schmud=
form nod) in einer aus jechs Ringen bejtehen-
den Halsberge aus dem mürttembergijchen
Oberfdjwaben, aus dem Torfmoor Liffen
unweit Sduffenried, dem nämlichen Torf-
moor, das auch einen Kleinen frühbrongzezeit-
lichen Depotfund ergab,!) der in Bayern wieder
Analogien findet. Aus anderen Zonen feien
hier nur noch die fünf Gegenftüde (3. T. mit
vielen Ringen) von Brabbia bet Varefe in
Oberitalien, fowie ein Exemplar aus fieben
Ringen aus einem bereits gur folgenden Stufe
überleitenden Depotfunde von Tinsdahl in
Holitein genannt. ?)
An welchem Sinne wir die verhältnismäßig
große Zahl von Vertretern dieſes Schmudtyps
wie die maffenhaft nachgemiefenen, typologifch
naheftehenden Halbfabritate nebjt den übrigen
gleichalterigen Materialien für die Gefchichte
der Bejiedelung auf der voralpinen Hochfläche
während der frühen Bronzezeit, in der zweiten
Hälfte des III. vorchriftlichen Jahrtaufends,
aufzufaffen haben, wurde bereits oben in aller
Kürze angedeutet. Hier nur nod) ein paar
Worte zur Gejchichte diefer Halsfhmudform. :
Derartiger Halsfdymud aus mebhreren, in
der Größe machjenden Ringen, bejchränft
fi) befanntlich nicht bloß auf den euro-
päifch-prähiftorifchen Kreis, jondern erjcheint
aud) bei Wölfern anderer ÜErdteile, und
im europäifch= prähiftorifchen Kreife finden
wir ihn auch wieder nicht bloß in diefer einen
Stufe der Vorzeit vertreten. Bornehmlic in
Mitteleuropa fehen wir folde Ringhalsfragen,
deren einzelne Ringe teils durd) Stifte an
den umgerollten Enden feft zufammengehalten
werden, teils frei beweglich einer Berjchluß-
platte eingefügt find, zu wiederholten Malen
in verjchiedenen Gebieten als beliebten Schmud-
gegenjtand in Gebraud).
Die hier furg unter Vorlegung einiger
Exemplare behandelte frühbrongezeitliche Form?)
löft in der anfchliegenden zmeiten Stufe der
Bronzezeit in der mitteldeutfchen mie Ofte
fee- Zone eine Nachahmung aus, bei der
die aus Ningen zufammengeftüdte Hals—
berge durch eine gleichgeformte mäßig dünn=
gegoffene Brongeplatte mit fic) verjiingen-
den umgerollten Enden erfeßt ift: die auf der
Außenfeite im Guß hergeftellten Langsriefen
deuten, wie Monteliuß bereit3 bemerkt, auf
ornamentale Nachahmung der Ringe hin. Qn
der DjftjeesZone dauern dann diefe gegofjenen,
nun mit Spirale und Reilfdnittmotiven rei)
verzierten Halsbergen bis zur frühen Hallftatt-
zeit an.
Wirkliche Ringhalsfragen (mit beweglichen
Ringen) find ung aus der reinen Bronge-
zeit fonft nicht mehr befannt.4) Qn der
1) Photogr. Album der Ausftellung Berlin 1880, VIL, 8; Fundberidte aus Sdwaben, I, 1892, ©. 25;
Montelius, Chron. d. alt. Bronzezeit, S. 33, Fig. 78.
2 Qiteratur bei Montelius, S. 34.
8) Eine andere Gattung großen Halsfhmudes gleicher Zeitjtellung bilden die mondfichelförmigen wie
auch fehr breiten flachen Halsbergen auß Bronge- und Golbdbled), die wir in der frühen Bronzezeit reichlich
von ben britifhen Infeln (namentlid) aus Jrland), vereinzelt aus Nordfranfreid, Dänemark, Mitteldeutſchland
(Muf. Göttingen) und Böhmen kennen. Diefer Typ lebt in Skandinavien wiederum einige Stufen hindurd) fort.
4) Das Alter eines Goldhalsfhmudes diefer Gattung aus Cintra (Portugal) im Britiihen Mufeum in
London (Guide, Bronze Uge, S. 148) ijt nicht näher zu prägifieren.
A. M. 1 u 2.
6
42 Dr. $. Reinede
erften Stufe der Hallitattzeit erfcheinen fie
aber wieder plößlich in Mittel- wie Nord-
deutfchland und Dänemarf, aus mäßig dünnen
gedrehten wie jchlichten oder verzierten Ringen
runden oder flachen Querfchnitt3 gebildet, ein=
fac) an den Enden durch Stifte zufammen-
gefiigt oder fcharnierartig in der VBerfchlußplatte
beweglich.') Gm öftlichen Deutfchland (Hinter-
pommern nebft den angrenzenden Gebieten)
finden fich übrigens gleichzeitig in reichlicher
Zahl durchbrochen gegofiene große Hals-
Ichmudplatten, die deutlich wieder foldjen Ring=
ſchmuck nachahmen.
Süddeutſchland, und zwar ſpeziell Nord—
oſtbayern, führt dieſen Halsſchmuck jedoch
erſt wieder in den beiden jüngeren Stufen
der Hallſtattzeit Die oberpfälziſchen Grab—
hügelfunde von Roxfeld und Schrotzhofen
verweiſen ſolche Ringhalskragen noch in die
Stufe der eiſernen Hallſtattſchwerter. In
der Späthallitattzeit wird Diefer Schmud
dann Hier geradezu ftereotyp. Jn zahlreichen
Exemplaren fennen wir aus der Oberpfalz, Ober-
franfen und den anjtoßenden mittelfränfiichen
Gebieten?) die Halsfragen aus gedrehten wie
reich durch Gravierung verzierten majfiven oder
hohlen Ringen, fie bilden hier die häufige Bei-
gabe der fpäthallftättichen Frauengräber. Ein
wejentlicher Teil der hier ausgegrabenen Halg-
bergen diefer Art dürfte nie im Leben getragen,
fondern [ediglich als Grabbeigabe hergeftellt
ſein, Totenſchmuck vorſtellen.
Gleichzeitig mit dieſen ſüddeutſchen Schmuck—
ftüden der jüngeren Hälfte der Hallftattzeit
und, mie die oftdeutfchen Gejichtsurnen an
deuten, auch noch jpäter innerhalb des vor-
römijchen Eijenalters, erfcheinen Ringhals-
bergen wieder im öftlichen Deutfchland, an
der unteren MWeichjel und den benachbarten
Gebieten weitwärts, in einer erheblihen Anzahl
von GEremplaren, gelegentlich) auch auf Ge-
fichtsurnen felbjt zur Darjtellung gebracht.)
Daß aber mit diefen Materialien vorz
römifcher Beiten die Gejchichte diefer Hal8=
fhmudformim europäifch-prähiftorifchen Ktreife
noch feineswegs erjchöpft ift, lehrt der goldene
Ringhalsihmud von Färjeftaden auf Oeland
nebft feinen Gegenftüden aus Beftergitland,
die der fpäten Kaiferzeit oder der älteren Hälfte
der Meromingerzeit angehören.
Was für eine ganze Reihe von vor= und
frühgefchichtlichen Typen gilt, nämlich, daß fie
im europäifchprähiftorifchen Kreife nicht felten
eine mehrtaufendjährige Gejchichte haben, daß
fie über viele Stufen der Vorzeit in fontinuier-
licher oder unterbrochener Folge in den näme
lichen oder wechjelnden Gebieten fich verfolgen
lajjen, da8 fehen wir hier aud) beftätigt für
die aus Ringen zufammengefügten Halsbergen,
für deren älteite Belege gerade der altbayerifche
Boden fich ergiebig gezeigt hat.
* *
*
Der VI. Band des Oberbayeriſchen Archivs
(München 1845, S. 60 f., 427 f.) behandelt
einen wertvollen Grabfund des V. nachchriſt—
lichen Jahrhunderts, welcher im Jahre 1843
bei Fürſt, Gemeinde Pietling, im Bez.-A.
Laufen a. Salzach, zum Vorſchein kam. Nach
G. Wieſends ausführlicher Darlegung wurden
hierſelbſt im Juni 1843 am Nordweſtende des
ſogenannten Holzbreitenlandes (bei Hinterfürſt)
neben der Eichleiten bei Erneuerung eines
Grabens mit der Erde zwei Goldſchnallen
mit Almandineinſätzen ausgeworfen, die zu—
nächſt nach Salzburg verhandelt, dort kurze
Zeit darauf von J. Sedlmaier angekauft und
damit für Bayern gerettet wurden. Im
September des genannten Jahres nahm Wie—
ſend ſelbſt am Fundplatze Ausgrabungen vor.
Dabei fand man neben menſchlichen Skeletreſten
noch einen ſchlichten goldenen Armring mit
verdickten Enden, eine dritte Goldſchnalle mit
Almandineinlage, weiter einen Spitzbecher aus
mäßig dunklem grünem Glaſe mit mitgegoſſener
) Depotfunde von Oldesloe und Eichede in Holſtein, Babow im Spreewald, Einzelfund aus dem
Lüneburgiſchen; dazu das däniſche Material. — Die glatten und ornamentierten Ringe aus einem Depot von
Thale am Harz, die gedrehten aus den Depots von Morgenitz auf Uſedom und Glowitz in Hinterpommern
u. a.m. waren fider einft 3u folden Sdhmucgarnituren gufammengefiigt.
*) Bei Saalfeld jogar auf die mitteldeutihe Zone übergreifend. Ein Zund bei Hof, falls fein Fundort
gefichert sit, gehört eigentlich aud) fhon in die mitteldeutfche Zone.
°) Die Monumente find hier die Ringhalstragen aus einem Depotfund mit Hallftatt = Brillenfibel von
Schönmiefe, Kr. Marienburg (Wejtpreußen), die von Liffauer (Bronzezeit in Bejtpreußen) gefammelten Ring=
balsbergen, endlich die befannten GefichtSurnen mit Darftellung eines folden Schmuckes.
Zu älteren vor- und frühgefhichtlihen Funden aus Altbayern. 43
Bogenverzierung (in Relief), endlich Scherben
einer Henfelfanne aus gleichartigem Glafe.
Der gefamte Grabfund wurde alZdann vom
König Ludwig für das Antiquarium in München
erworben.
Die drei Goldfchnallen und der Armring,
typifche Formen vom Ende der römijchen
Raifergeit, wie fie durch das Childerichgrab
von Xournai eine fefte Datierung erhalten
haben, famen fpäter in das Nationalmufeum,
wofelbft fie heute neben dem Grabfund von
Wittislingen eine Bierde der merovingifden
Abteilung bilden!). Die Gläfer aus dem Grabe
von Fürjt waren jedoch feither verfchollen. Das
Nationalmufeum erhielt fie feinerzeit nicht; bei
Abfaffung des IV. Bandes der Stataloge des
Mufeums mute deshalb die Anficht ausge-
{procjen werden, dak aus dem Funde wohl
überhaupt nur der Goldfhmuderworben worden
wire.
Dem ift aber nicht fo. Yn Wiefend’s
Bericht heift e3 ausdrüdlich, daß der Fund
für das Antiquarium angefauft wurde, alfo
der ganze Fund und nicht bloß der Gold-
fhmud?). Die Gläfer, Becher wie Kannen-
fragmente, waren damals aljo dem Wnti-
quarium iibermwiefen worden und mußten
aud) jpäter noch dort fein. Freilich fehlte
ihnen in den 1860er Sahren, bei der Ver—
bringung der heimifchen Altertümer in das
Abbildung 3.
!) Statalog IV, 1892, S. 194—196, No. 1517—20.
neugegründete Nationalmus=
feum, wohl bereits jede Zund:
fignatur. Deshalb galten jie
als verjchollen, aber zu Un
recht.
Bei einer gelegentlichen
Durchſicht der Glasſamm—
lung des Antiquariums in
München fand ich ſofort den
grünen Glasbecher von Fürſt
wieder. Bei dem Stück (II.
Saal, No. 148 des jetzigen
Verzeichniffes) war natürlich der Fundort
nicht angegeben. Aber die Jdentität mit dem
gefuchten, bisher verfchollenen Becher ver-
bürgt ein Vermerk in einem alten Inventar
des Antiquariums vom Jahre 1852 (S. 288, No.
109), der den Glasbecher (ohne Fuß), „gefun=
den nebft Goldfchmud bei Oberfürft“, erwähnt.
Der Spikbecher (Ubb. 3), den wir hier nach einer
Photographie wiedergeben, bejteht aus mäßig
dunklem grünem Glafe (ohne die leicht blaus=
oder gelbgrüne Färbung jüngerrömifcher
Gläſer), die bogenartige Verzierung ift, wie
bemerft, mitgegoffen, nicht eigens anfgefett.
Die Höhe des Bechers beträgt 8,4 cm, der
Durchmeffer der Miindung fajt 8 cm.
Die Hoffnung, auch die Scherben der Kanne
von Fürft im Antiquarium wieder zu finden,
ift jeher gering, zumal fie das genannte hands
fchriftliche Verzeichnis der Sammlungen (vom
Sahre 1852) nicht aufführt. Offenbar wurden
die Fragmente nicht inventarifiert und find
längit als fcheinbar belanglofe Nefte bei Seite
geräumt und verloren gegangen. Auch dieje
Kanne, die von Wiefend nur in Yeichnung
Abbildung 4.
refonftruiert werden fonnte, beitand aus
grünlichem Glaje. Wiejends Abbildung
ijt jedoch falfch, widerfinnig, feine Re-
fonftruftion erinnert mehr an ein mittelalter=
liches denn ein antifes Glasgefap. Troßdem
handelt e8 fich bier um eine gute |pätrömijche
Form. MWiejend feßte irrig den Henfel an
den Gefäßkörper felbjt, während er in Wirf-
lichfeit den Hals umfpannte, von der Schulter
der Kanne zur wohl leicht fleeblattartig ge—
drüdten Mündung reichend. Cbenjo hätte
2) 3. v. Hefner’8 „Verzeichnis der in der Sammlung des ft. Untiquariums bef. Ultertumsgegenftände‘ vom
Jahre 1845 nennt (©. 65) freilich nur den Goldfhmud („bei FZridolfing gef.“); die Gläfer, rejp. der Glasbeder,
find nicht befonders verzeichnet (fal8 der Becher nicht mit dem Stüd ©. 65, No. 25, identiich ift).
6*
44 Dr. ®. Reinede: Zu älteren vor= und frühgeihichtlihen Funden aus Altbayern.
Wiefend an der Schulter den Rannenbhals
etwas fchärfer fich .abfegen laffen, weiter auch
dem Körper mehr Eiform geben miiffen, dann
wäre ohne weiteres hier der durchaus nicht unge-
wöhnliche fpätrömifche Typ erfichtlich gemefen.
Daß die Ergänzung der Vafe in Zeichnung
Wiefend nicht recht gelang, haben wir dahin
zu deuten, daß er doch nur recht wenig Frag-
mente zur Verfügung hatte. Zur Erläuterung,
wie wir uns die wohl unmwiederbringlich ver-
Iorene Glasfanne von Fürft vorzustellen haben,
lege ich bier die Abbildung einer Glasvaje
aus der Kolleftion Slade im Britifchen Mus
feum in London (Abb. 4) vor, die aus dem mir
zugänglichen Abbildungsmaterial dem Fürfter
Stück am näcdjten fommt.
Ueber die Goldfachen von Fürft hier aud)
nod ein paar Worte. Die beiden zuerit auf-
gefundenen Goldjchnallen mit Almandinein-
lage wanderten, wie oben bemerkt, zunächit
nad) Salzburg, mo fie Sedlmaier durch fchleu-
nigen Anlauf für Bayern ficherte. Aus Salz-
burg müffen jedoch) damals, noch vor Sedl-
maier’3 Eingreifen, au; nad Wien eich.
nungen beider Stüde, offenbar al3 Kauf-An=
gebot, gefommen fein, aber ohne genaue Fund»
angabe. Denn einige Jahre darauf bildete
I. Arcneth in feinem Foliomwerfe über die
antifen Gold» und Silbermonumente des K. Rt.
Miing- und WAntifen-Rabinetts in Wien (1850,
©. 45) die Schnallen ab mit der Bezeichnung,
daß fie aus dem Salzburgifchen ftammten.
Die bayerische Provenieng fannte Arneth alio
ebenjomwenig wie die Befchreibung des Fundes
duch Wiefend. Diefe unrichtige Angabe Arneth’3
ift nun in dem großen Werke des Rumänen W.
Odobesco über den Goldfdak von Petrofja
(Tresor de Petrossa, Paris 1889 —1900, ©.
479, 480, Fig. 193), unter Beifügung der Ab
bildung der Fürfter Schnallen nach Arneth,
wiederholt mit der weiteren unrichtigen Bes
merfung, daß dieje Objefte „aus dem Salz—
burgifchen“ im £unfthiftorifchen Hofmufeum in
Wien aufbewahrt würden. Hoffentlich gelingt
es unjerem Hinmeis, den nicht eriftierenden,
felbjtverftandlid) aud) in Sacken-Kenner's
„Sammlungen des K. 8. Miinge und An—
tifen-Rabinettes” (Wien 1866) nicht geführten
Gund „aus dem Galzburgifchen“ aus der
Literatur verfchwinden zu lafjen.
Goldihmud wie Glasvajen unferes Fundes
ent{tammen einem Grab mit unverbrannter
Beifegung, wie Wiefend’s Unterfuchung Har
nadwies. In Bayern fteht diefer Fund einzig
in feiner Art da, falls nicht eine leider ver-
fchollene, mit jüngerrömifchen Goldmünzen im
Main bei Thüngersheim in Unterfranfen aus-
gebaggerte Goldfibel in diefen Kreis von Ar-
beiten gehört. Aus Deutfchland haben mir
von analogen „frühmerovingifchen“ Materialien
aus Edelmetall außer einem einzeln gefundenen
goldenen Halsring von Ranfern in Schlejien
noch die Grabfunde von Hödriht (Schlefien),
vom Delberg bei Rüdern unweit Kannftadt
und Wolfsheim in Rheinheffen, weiter reich
ausgeftattete Gräber von Flonheim (Rhein—
heilen) und Gültlingen Württemberg) zunennen,
endlich ein einzelnes Goldplättchen mit Almans
dinbefag (von Schwertfcheide) aus den Gräbern
von Grof-Rarben in Oberbeffen.
Früher pflegte man Goldfehmud diefer Art,
der feit dem fiebzehnten Jahrhundert durch
die glüdliche Entdedung des Childerich-Grabes
befannt ijt, auf barbarifche, oder gar lediglich
gotifche Werfftätten zurüdzuführen. Das war
aber ein fchwerer Jrrtum, wenngleich die Bar-
baren der Völferwanderungszeit ja Liebhaber
und Abnehmer folchen Schmudes waren. PViel-
mehr gehören folche Gegenstände, wie wir nun
wiffen, in den reis jpätrömifcher Aunftinduftrie,
fie find nicht barbarifche, jondern, dem entgegen,
reichsrömifche Fabrifate. Allerdings dürfte
innerhalb der vielgeftalteten Anzahl fpätantiker
Technifen und Formenreihen (des IV. und
V. Sahrhunderts) derartiger Edelmetallihmud
mit Almandineinlage eine Gruppe von Ars
beiten vorjtellen, die, zwar auch im Weften
einigermaßen verbreitet, zunächft in öftlichen
Werkftätten, der Ofthälfte des Neiches, ent-
ftanden find, vielleicht aber fofort im reich8-
römischen Weften ebenfo wie im außerrömifchen
Barbarengebiet nachgeahmt wurden. Im frühen
Mittelalter fand dann diefe Verzierungsart
nebjt anderen fpätantifen Technifen mie den
ihnen eigentümlichen Ornamentmotiven aud)
in Barbarenländern reichlich Verwendung, die
Mehrzahl unferer merovingifchen Kleinfunde
befundet unverfennbare Anlehnung an die
Elemente der fpätantifen Runftinduftrie, frei-
lid) nur zu oft ja in barbarifcher Weiter-
führung, Verballhornung. Aber jo wenig die
Gläfer aus dem Sfelettgrabe von Fürjt rein
“7 reg" | ———— ——
3. 2. Kull: Die Münggemichte mit befonderer Rüdfiht auf Bayern. 45
Iofaler, oder gar barbarifch-germanifcher Jn=
duftrie ihre Entjtehung verdanken, fo wenig
auch der Goldfehmud. Heitlich entfpricht unfer
Bund durchaus den befannten fpätrömifchen
Steletgräbern von Neumarglan bei Salzburg,
fo grundverfchieden deren Keilfchnitt-Schmud-
fachen, wiederun ausgezeichnete Fabrifate jpät-
rimifden Runjthandwerf8, auch anmuten,
|
weiter den Sfelettgrabern der rimifden Ie-
fropole von Regensburg mit viel fchlichteren
Beigaben, oder ganz befcheiden ausgejtatteten
Stkelettgräbern im füdlichen Bayern, von Moo=
fach bei München, Gintering (B3.-%. Münz
chen II), Valley (Bz.-A. Miesbah), Eching
bei Landsberg u. a. m.
Klofter St. Beno bei Reichenhall.
(Mon. Boic. vol. III. p. 526.)
Die Münzgewidte mit befonderer Küchfidit auf Bayern
von 3. 2. Kull.
Seit ältefter Zeit werden die Münzen,
welche wir Geld nennen nad) Normalgewichten
geitüdelt, um eine fcharfe Gleichmäßigfeit bei
Ausprägung der einzelnen Sorten zu erzielen.
Diefe Gewichte, die Aufzahl, die Form und
der Feingehalt bilden den Münzfuß , welcher
jedem gefunden Münzmejen zu Grunde liegt
und alle Rulturvilfer bid heute, haben fchon
ihrer Selbfterhaltung wegen für ftrenge Münz-
gejeße und Herftellung möglichft unveränder-
licher Wertzeichen als Taufch- oder Zahlungs-
mittel Sorge tragen miiffen.
Das Münz-Normalgewicht der römischen
Kaiferzeit, die Libra von 327,456 Gramme!)
|
|
haben aud) die Mterowinger der Ausprägung
ihrer Solidi, Trienten und Silberdenare zu
Grunde gelegt. Mit dem Niedergang ihrer
Herrfchaft in Franken war jedod) eine fühl-
bare Berfchlechterung de3 Miingwefens ein-
getreten, weshalb Karl I. der Große —
768—814 — nach unzulänglicen Reform—
verfuchen feines Baters, eine neue Mün;-
ordnung mit dem Normalpfund — pondus
Caroli — zu 409,32 Gramme?) errichtete.
Dieſes Karlſche Münzpfund deſſen Ge—
wicht man früher auf einen Bruchtheil über
367 Gramm ſchätzte, wurde zu 240 Denaren
— 12 Solidi zu 20 oder 8 Solidi oder
) Zu meinen Gewichtsangaben benütze ich gute Quellen und bin der Meinung, daß Reſultate, welche
Wiſſenſchaft und Praxis nach und nach erlangt haben, ſolange geachtet werden ſollen, als nicht die neuere
Forſchung erhebliche Differenzen nachweiſen kann.
) Vol. B. Hilliger, Hiſtor. Vierteljahrſchrift 1900, S. 161; hiezu Luſchin von Ebengreuth,
Bl. f. Munzfreunde Sp. 3067.
46 I 2. Kull
Schillinge zu 30 Denaren ausgeprägt. Der
Solidus war und blieb in Bayern Rechnungs-
oder Zählnominale. 3)
Etwa gegen Ende des zwölften Jahr:
hundert3 tritt an Stelle des Karlichen Pfundes
allgemein die Kölner Marf mit ca.
233,855 Gramme, für Altbayern die Negen3-
burger Marf zu 246,144 Gramme, Gee
mwichte die fomwohl als Richtftiide — auch
Richtpfenninge genannt — für die Mtiinge wie
zur Wage für die Edelmetalle dienten. Die
Eintheilung der tonangebenden Kölnifchen
Mark — obwohl in ihrer Gefammtheit häufig
differirend®) war eine dreifache:
I. a) für Silber. 1 Marf -- 16 Lot
a4 Quint & 4'/e Grän — 288 Gran.
b) Gold. 1 Marf — 24 Karat a 4 Gran
& 3 Grin = 288 Gran.
IL. 1 Mtarf = 16 Lot A 4 Quint
a 4 Pfenning & 2 Heller a 128 Teile
des Richtpfennings, demnad) 1 Marf
— 65536 Teile.
II: 1 Marf — 8 Ungen = 16 Lot
= 64 QDuint = 2356 Pfenning =
512 Heller — 4352 AB oder Eichen.
Infolge der bayeriichen Landesteilung
zwijchen Herzog Ludwig II. dem Strengen und
feinem Bruder Heinrich) am 28. Mär; 1255
find die Benennungen Ober und Niederbayern
und neben Regensburg?) und München die
Münzftätten Landshut, Neuötting, Straubing
und Qngolftadt entftanden. München und
Zandshut prägten nach eigenem Gewicht bis
Ende des XV. Jahrhunderts. Die Münchner
Mark — aud Münchner Gelöt genannt ®)
— wird mit 224,512, die Landshuter mit
249,460 Gramme angegeben. Beide Jtormal-
gewichte waren zu 16 Lot = 64 Quint
— 256 Pfenninge eingeteilt. Anfangs des
XVI. Jahrhunderts prägte und rechnete man
in Altbayern mehrfah nah der Wiener
Mark zu 280,006Gramme’) und der Miinge
ordnung gwifden Rinig Ferdinand I. als Erz-
hergog von Oefterreid), den Hergigen von
Bayern nebit den Städten Augsburg und Ulm
am 1. Febr. 1535 zu Augsburg wurde außer
der Wiener, die Nürnberger Marf von
237,523 -- nach) Nobad 238,569 Gramme —
zu Grunde gelegt.?) Für die Augsburger
Mark werden 235,040, für die Würz-
burger 238,569 Gramme angenommen und
das Tiroler Landgemwicht hat Ehrenberg
in neuefter Beit auf 252 Gramme berechnet.)
Die Reih8münzordnungen von 1524 und
1559, fomwie alle folgenden Konventionen bis
einfchließlich derjenigen von 1838 wurden mit
der Kölnifhen Marf zu 233,855 Gramm
abgefcjloffen. Die Münzen des 521/. bezm.
45 Gulden oder 30 Talerfußes nach der
Miingvereinigung vom 24. Januar 1857 gwi-
fchen Oefterreich und den deutjchen Bundes-
jtaaten find aus dem Bolle oder Miin3-
pfund von 500 Gramme hervorgegangen,
während diejenigen der neuen deutfchen Reichs=
mwährung laut Gejeg von 1873 nach dem
Mormalgewidt von taufend Gramm, dem
Kilogramm, geprägt werden.
Wie diefe Normalgewichte mit der Be-
nennung Libra, Münzpfund, Mark, Nichte
pfenning ufw., fallen unter dem Titel „Münz=
gewidte” auch die Einiäße alter und neuerer
Miingwagen, die Gewichte der einzelnen
Münzjorten, von denen wir vornehmlich die
früher in Bayern ftark furfierenden Gold—
und Gilbermiinzen befannt geben. E3 follen
mindeft wiegen: Goldgulden 3,25; Bee
5) Vgl. meinen eigenen Artikel „Der Solidus oder Schilling in Bayern“, Altbayer. Monatjhrift 1906
©. 106. Dafelbft find aber ©. 107 die Glichee8 für die Abbild. der ganzen Schillinge verwechfelt worden.
Das erfte fiir Otto II. gehört an zweiter Stelle, das zweite für Philipp I an erfter Stelle.
*) Grote, Münzitudien Ill. ©. 1.
5) Das Miingredht zu Regensburg, weldeS die Bayernbhergige feit Iangem gemeinfdaftlid’ mit den
Bifdhsfen von Regensburg ausübten, fiel bei diefer Teilung nebjt Niederbayern Herzog Heinrid) gu. Derfelbe
ließ aud) in Landshut und temporär in Straubing und Neudtting müngen, während Zudiwig Il. München, Ingol=
Stadt und eine zeitlang Amberg benütte.
6) Muffat, Beiträge zur Gefdidte des bayer. Mitngwefen ufw. Mtdn. 1869, S. 37-237.
?) Alfred Nagl in feinem jüngjten Vortrag — Monatsbl. d. num. &. in Wien 1906 ©. 127 — will
für die Wiener Mark um diefe Zeit 281 Gramme annehmen; vgl. Muffat über das Gewicht und den Gehalt
der öfterr. Pfenninge Münd). 1872.
8) 3. B. follen die fiebenlöth. Kreuzer mit 294'/2 Stüden aus der Wiener, oder mit 250 Stiiden aus
der Nitrnberger Vtarf gebradt werden ujm.
?) Mitt. d. Bayer. num. Gefellfhaft XII. ©. 81.
Die Münggemidhte mit befonderer Rüdficht auf Bayern. 47
dinen 3,28; Dufaten 3,40; Guineen 8,05;
Vouisd’oroderDoppienG,70; Sdhildlouis-
d’or 7,95; Mtaxrd’or 6,45; Rarolinen
9,50; Piftolen 6,75; Oefterr. Souverains
11,5; Qaubthaler28.9;Rronthaler 29; Con-
ventionsthaler 28; Speziesthaler 28,50;
Neichsgulden oder Guldenthaler 24,62;
Bweidrittelftiide oder Gortengulden 10,15;
Doppelgulden de$ 241/2 Guldenfupes 21;
Doppelthaler 36,8; BVereins- und ältere
preug. 2c. Thaler — 3 Mtarf, 18—22 Gramme.
Außerdem eriftierten Gemwichtseinfäße mit auf-
fteigender Verdoppelung bis zu 128 Stüden.
für Dufaten und ausländifche Kronen.!%) Leb-
tere wurden al marco zu 69!/2 Stiiden ge-
rechnet. Als Münzgemwichte gelten in ge-
miffer Hinficht auch die heute noch in Samm=
lungen vorfommenden mehrfadhen Münz-
forten, welche in früherer Zeit Münzmeifter
und Wardeine als Richtitiide — pied fort,
étalon, stal — benüßten. ALS folche nennen bei=
fpielSmeife: den fiinffacen Thaler oder Guldenz
grofchen König und RKaifers Maximilian I. —
1586— 1519; den vierfachen Goldgulden Bi-
fchofs Martin von Schaumberg in Eichftädt
von 1560; den zehnfachen Braunauer Schwarz-
pfenning Qudwig IX. des Reichen zu Land3-
hut — 1450—1479 — und den dreißigfachen
Halbbagen Albert V. von Bayern von 1564,
welcher zugleich daS Gewicht eines Gulden
taler8 repräjentierte.
Das ehemals häufig vorfommende Fehl:
gewicht bei zufällig oder abfichtlich verftüme
melten Goldmünzen ohne NRandfchrift mie
Gvldgulden, Dufaten, Zechinen, ausländifche
Kronen ufw. wurde durch da8 den alten Goldz
oder Miingwagen beigegebene Wh-Gewidt
berechnet. Wenn an den einfaden Stüden
mehr als jechs Affe oder Ejchen — meift
durch gemwinnfüchtiges Bejchneiden. des Ranz
des — fehlten, dann follte felbjt bei guter Er=
haltung von Bild und Schrift die Münze nicht
mehr furjieren.
Als eine der größten Errungenschaften
des deutjchen Volfes ift die auf einheitlichen
Gejeg, Maß und Gewicht errichtete neue Goldz-
und Marfwährung zu begrüßen. Wir fönnen
uns derjelben aber erjt dann recht herzlich
freuen, wenn wir Nüdblide auf eine viel-
hundertjährige Vergangenheit mit ihren un=
aufhörlihen Schwankungen und auf die häu-
figen Miferen im Müngmefen geworfen haben.
) Kronen und Halbfronen gu 16 begw. 8 Gulden im Gewidte von 10 und 5 Gramme find
aud) nad) der Miingvereinigung von 1857 von mehreren Kontrahenten, worunter Bayern, geprägt worden,
während die Kronen der neuen Martmwährung 4, die Doppelfronen 8 Gramme wiegen.
Kufitein.
(Aus das Neuefte von der Zeit 1704.)
Die Urkunden Ludwigs des Bayern im Stadtarhive zu Landsberg.
Bon Herrn Stadtardivar I. Schober, Landsberg.
Der hiftorifde Verein von Oberbayern
bat wiederholt, jo zulegt im Jahre 1904, die
Stadt Landsberg mit einem Bejuche beehrt,
und gewiß find die verehrlichen Teilnehmer
nicht unbefriedigt geblieben; bietet ja doch der
am Steilrande des rechten Lechufers fich auf-
bauende Ort gar manches, was den Hijtorifer
wie den Künftler, den Altertumsfenner wie
den Naturfreund, den Architekten und den Lieb—
haber der Volfsfunft gleichmäßig erfreut und
entzüdt. Grüne Anlagen umfäumen die Stadt,
deren Mauern und Türme noch größtenteils
erhalten find und im Bereine mit engen,
winfeligen Gaffen und Gabden, mit alters-
grauen Häufern, in deren Ausjehen fich die
Bild von geradezu phantaftiicher Wirkung,
wie e3 nur der Stift eines Dore zu fchaffen
gewohnt war. — Qn Kirchen und Kapellen
erfreut eine reiche Zahl von Kunftfchäßen den
Bejucher, und das mit feinen Stuffaturen ge-
Ihmücdte Rathaus zeigt nicht nur die berühmten
beiden Gemälde Meifter Herkfomerz, die farben
prächtigen Fresken Pilotys und Schmwoifers,
fondern es enthält auch das ftädtifche Archiv,
das in feinem Beftande befonders eine große
Anzahl von Urkunden bejigt. Diefelben be=
ginnen mit dem Sabre 13151). Der Grund,
warum feine älteren Dokumente vorhanden
find, liegt darin, daß in genanntem Jahre
HSriedrich der Schöne die Stadt eroberte und
verbrannte, wobei auch alle Urkunden der Berz
nidtung anbeimfielen. ine Notiz, welche
aus dem 15. Jahrhundert ftammt und fich
auf der erjten Seite des fehr wertvollen Stadt-
rechtsbuches?) findet, befagt hierüber: Zu
merfen, daß die Stadt Landsberg ift gewonnen
Stilmandlungen von Jahrhunderten fpiegeln,
eine malerifche Gruppierung jeltener Art, ein
reichbewegte8 Ganze bilden. Breitet eine Mond-
nacht, befonders im Winter, ihren ftillen Zauber
über die Etadt, treten Licht und Schatten in
Icharfen Tönen hervor, dann ergibt fich ein
1) Die im Archive liegende Urkunde aus dem Jahre 1306, durch melde Cunrat und Bertold die Wal-
hopter ihren Hof zu Walhaupten an das Spital in Kaufbeuern um 33 Pfund Augsb. Pfennige verkaufen, ift
offenbar erft fpäter hieher gelangt, und zwar als das Spital in Landsberg in den Befig Diejes Hofes fam.
(Siehe darüber au) Dr. Schröder: Das Bistum Augsburg, 50. Heft, ©. 610 f.)
2) Das Landsberger RedhtSbud) ijt fiher eines der interejjantejten Stüde feiner Art. C8 enthält
144 Pergamentblätter in großem Format (ca. 27:37 cm) und gliedert fi fein Inhalt in mehrere Teile. Auf
Blatt 2 ift ein Kalendarium. Das von Kaifer Ludwig gegebene bayrifde Landredht füllt das Bud bis Blatt 28,
worauf big Blatt 47 das „verfigelt pud) ber ftat Redjt” Miindens folgt. Bon hier bis Fol. 53 find ,dy Redt
aus Büchern abgejhriben, da man zu Münden aud) darnad) richtet und dy fy gar vaft haltet und do mir vns
aud) darnad) rihten“. — Hierauf fommt ein biß Blatt 85 reihender Eintrag „Über der Stat Münden Süße“,
und fließen fid) dann bis Fol. 99 die Nechtsbriefe an, weldhe der Stadt Münden ausgefertigt wurden. Es
folgen nun die Briefe der Stadt Landsberg, die bis Blatt 136 reichen. Un jelbe reihen fic) die Beftimmungen
über die jährliche Wahl des innern und äußern Rats, die Pilihtnahme des Rates, deB Stadtf{dreibers 2c.,
dann Berichte über folhe Wahlen aus dem 2. Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts. Aus diefer Zeit ſtammt
aud ein Miffiv der Herzoge Wilhelm und Qudmwig bezüglich de8 vom Richter der Stadt zu leitenden Schwureß,
über das Siegeln von Briefen ufm. Neben anderen Einträgen folgen hierauf Notizen (Qermerfe) über die
eidliche Verpflichtung verfdiedener Land» und Stadtrihier des 16. und 17. Jahrhunderts und endlid, ans
gebunden, die „Urticul, darauf der Richter Shmwören foll’, fowie nod) einige Beigaben, davon befonders 5 kurf.
Verordnungen aus dem Jahre 1684 zu nennen find.
Die Urkunden Ludwigs de8 Bayern im Stadtardiv zu Landsberg. 49
und zerjtört worden durch den hochgebornen
Bürften und Herrn Herzog Friedrich von Defter-
reid) und ift befchehen des Yahrs als man
zählt nach Ehrifti Geburt dreigehnhundert und
im fünfzehnten Sabre, de8 naicften Tags nach
Sankt Egidytag des andern (= 2.) Septembris.
Unter den vorhandenen Urkunden jtehen
an Alter wie Bedeutung jene drei obenan,
welche von Ludwig d. B. herrühren, und durch
mwelche der König foftbare Privilegien und
Freiheiten der Stadt verleiht. Diefe Urkunden,
einjt mit Jubel und Dant gegen den fönig-
lichen Herrn empfangen, wurden Jahrhunderte
bindurd) mit Ehrfurcht betrachtet und als
Kleinodien der Stadt treulich gehütet, bis fie
leider — fet e8 im RriegSgetiimmel von beute-
fuchenden Soldaten, fet e3 durch Unverftand
oder Bi swilligfeit — bejchädigt und ihrer Siegel
beraubt wurden. Dennod) fann fein Zmeifel
an ihrer Echtheit beftehen, wa8 auch die Ro-
pien in bereits erwähntem Rechtsbuche bemeijen.
— Sinnend ruht das Auge auf diefen Zeugen
längft entihmwundener, fchidjalsfchwerer Tage,
und aus den vergilbten Pergamentblättern und
den feltfamen Buchftaben fpridt zu ung eine
Stimme [eis und fremd wie ein Edo aus
Waldestiefen und fcjafft längft vergangene
Reiten Lebendig.*)
Bon befonderer Wichtigfeit und Bedeu-
tung fowobhl fiir vaterlindifde al8 Iofale
Hiftoriographie erfcheint die erfte Urkunde, aug-
geftellt am Eonntag nad) Sanft Martinstag
(= 16. November) 1315.) Durch fie ver-
leiht der König an Landsberg gang aufer-
ordentliche Gnaden, denn er gewährt nicht
nur Ungeld und Wagenpfennig, fondern auch
alle Rechte, welche München befigt. Aus den
Ihliten Worten, dem fnappen Inhalt ers
widft dem aufmerfjamen Lefer eine Fülle ge-
{chicdtlidjen Stoffes, und aus den Zeilen des un-
Icheinbaren Dokumentes leuchtet die Kunde einer
uniterblichen Ruhmestat der getreuen Lechftadt.
Die Urkunde lautet:
Wir Ludwig von Gottes Gnaden römifcher
König, zu allen Zeiten Mehrer des Reichs,
tun fund allen denjenigen, die diejen Brief
anfehend oder hörend lefen, daß wir von un-
fern föniglihen Gnaden und angeborner
Mildigkeit unferen lieben Getreuen, dem Rat
und der Gemain der Bürger von Landsberg,
die befondere Gnade getan haben, daß mir
ihnen verleihen und verliehen haben mit mohl=-
bedadhtem Sinn ewiglic) da8 Ungeld in der
Stadt 3u Landsberg und den Wagenpfennig,
den man nimmt an dem Lechtor, da man
zu Landsberg über den Lech ausfährt, daß fie
dagjelbe Ungeld und den Wagenpfennig immer-
dar einnehmen follen zum Erjaß ihres großen
Schaden3, den fie in unferm Dienft nahmen,
al8 die Stadt gu Landsberg von unfern Feinden
ganz verbrannt wurde, und dag fie defto beffer
wieder bauen, befeftigen und auch befchirmen
mögen diefelbe Stadt wo e8 Mug und Mot wird.
Wir tun ihnen aud die befondere
Gnade und verleihen ihnen emiglid
alle die Rechte, die unfere Stadt von
München und die Bürger feither von
unfern Borfahrn felig, von unsund
unferm Bruder Herzog Rudolf gehabt
haben, daß diefelben Bürger von Landsberg
alle diefelben Rechte völlig rechtlich und miige
lid) fernerhin Haben und fie auch genießen
follen gerade fo, al8 wenn wir fie ihnen von
Wort zu Wort eigentlich mit diefem Brief
verliehen hätten. Und gebieten allen unfern
Amtleuten, die jeßt dafelbft find oder fpäter
dahin gejegt werden, daß fie denfelben Bürgern
von Landsberg behilflich feien und fie auch
Ihirmen vor jedermann, damit ihnen die vor=
genannte Gnade ruhig und ungerbrochen bleibe;
und wer fie daran hindert, der muß darum
unfere fönigliche Gnade entbehren. Und zur
Urfund geben wir ihnen den Brief mit unferm
‚Snfiegel verfiegelt, der ift gegeben zu München
5) Diefe drei Urkunden finden fi) abgebrudt in Lori: Gefdidte deS Vedhrains, Urfundenband ©. 54
und 55, unter Nr. 39, 40 und 41.
4) Ein Abdrud diefer Urkunde erfcheint aud) auf S. 33 im Vermaltungs-Beridte der Stadt Landsberg
vom Jahre 1889. Die dort auf S. 21 (nach Riegler Il. Band, S. 318) gemadte Ungabe, als ob Landsberg am
16. November 1315 von Ludwig d. B. mit einem neuen Wappen belehnt worden ware, wird durd) feinerlei
Nahmeis gejtügt, und die weitere Angabe am gleihen Orte, al8 wären unmittelbar nad) diefem Gnaden=
bemeife de8 16. November weitere Vergünftigungen am Sonntage nad) Sanft Martin erfolgt, ift ſchon inſo—
ferne hinfällig, als diejer Tag mit dem 16. November identifd ijt, alfo dafiir aud nur die eine obige Urkunde
in Frage fommt.
WM. 1a. 2,
7
50 9. Schober
des Sonntags nad) Sankt Martinstag, jo man
zählt von Ehrifti Gedurt dreigehnhundert Jahr
und darnad) in dem fünfzehnten Jahr, in dem
erften Jahr unferes Reiches. 5)
In diefem Briefe gewährt Ludwig alfo
den Bürgern Qandsbergs Ungeld und Wagen-
pfennig®), und zwar teil® als Erfaß für den
Schaden, den fie bei der Einnahme und Ber-
ftörung der Stadt erlitten, teil® als Mittel,
um die Stadt wiederberftellen und neu be=
feitigen zu fönnen. Dieje Vergiinftigung er-
Icheint ung erflärlich und verftändlich; ganz
anders ift e8 aber, wenn wir hören, daß Land3-
berg dazu aus befonderer Gnade nod alle
Rechte erhielt, welche die Stadt München von
Bruder Rudolf feither erhalten Hatte. Wir
miiffen uns flar machen, wa8 das ju bee
deuten hatte. Landsberg befam dadurd) das
Recht der eigenen Verwaltung (Unmittelbarfeit),
eigene Gerichtsbarkeit, Schuß und freie Ge-
leite für die Bürger auf allen Straßen, fein
Bürger fonnte außerhalb der Stadt gepfändet
werden, die Stadt hatte das Recht, jeden ihr
oder dem Lande Schädlichen zu fahen, der
Markt war gefreit, die Kaufleute Landsbergs
genoffen Zollfreiheit im Reiche, die Stadt er-
hielt das Recht des Dudenfdubes und der
Sudenbefteuerung 2c. — Das waren Gnabden,
wie fie noch feiner Stadt zugleich und in fol-
chem Umfange verliehen worden waren. Was
Münden, die Refidenz, durd) treue
des Königs Vorfahren, ibm felbft und feinem
5) Der genaue Originaltert der Urkunde, welcher gum Vergleiche hieher gefegt fein foll, heift:
e e o o
„Wir Lubomwid) von GoteS Genaden Romifder Chunid ze allen zeiten mer‘ des Rides Tun dunt
e
allen den die difen brief anfehent / ober Horent [ejen. Dag wit von vnfern funidliden genaden und ange
o
borner miltihhait vnf*n Lieben getwen . .. bem Rat und der Gemain der Burg” von Landefperd | die befunder
o
genade getan haben | dag wir in verlihen und verlifen haben mit verdbadtem mote ewigliden bag vngelt in
der Stat gv Landefperd / ond den wagen pjenning den man nimt an bem Laedhtor do man ze Lanbefperd
a e
ober den Qaedh aug fert | dag fi dagfelbe vngelt und den wagen pfenning imm*mer einnaemen fullen ze
ergegung ites grogen fdabden den ft in vnf*m dienft namen nv / da die Stat ge Qanbefperd) von vn{*n veinden
e
gar verbrant wart | und dag fi deft’ bag wider pamen beveftn vnd aud) befhirmen mogn diefelben Stat [ma
o
eg nug / ond not wirt. Wir tun in aud) die befunder genade / und v’lihen in emwichlichen aller die recht die
o o
ons“ Stat von Munden vnd die Purg* ung her von vonf'n vorvarn faeligen / von vn8 / und von vnf'm
o o
bruder Herkogn Rudolf gehabt habent | dag diefelben Purg* von Landefperd alle bev felben recht als voͤllich⸗
e e o
lichen | rehtichlich und moglich furbag haben / und ir auch geniegen fullen alg wir fi in von wort ge wort
aigenlicdy mit difem brief v’lihen hettn. Und gebiten allen vnſ'n Umptlaeuten die nv da felben feint | oder
her nad) da bin gefeget w’den | day fi den felben Burg'n von Landefperd gebolffen fein / ond fi aud fdirmen |
vor allem maenlich | bag. in bie vorgenante genabe ftaet und ungerbroden beleibe vnbd fmaer in aud) dag
vberfert / der moz dar pmb onf* tunidhtiden genaden enp’n. Bnd ge vrchund gebn wir in diſen brieff mit
onf'm Infigel v’figelt. der ift gebn zu Munden des Sontagg nad) Sand Marteins tad) | do man galt von
e
Chriftes geburt drevgehenhundert Jar / darnad) in dem funifgebenden Jare / Jn dem erften Qare vnf‘s Rides.“
Die Urkunde ift 32,6:22 cm groß. Sie war, mie erfidtlid, in zwei Stüd: zerriffen und ift deshalb
auf ein Pergamentftüd geleimt. Wud die Schnur fehlt voliftändig.
*) Das ,lingeli* war eine Art indirekte Steuer (Octroi), hauptfähli” auf Lebensmittel aller
Art gelegt. Die Vorfilbe „Un“ ift alfo Hier nicht in verneinendem Ginne aufgufaffen, bezeichnet vielmehr eine
Verjtärlung bes Ausdruds wie 3. B. bei den Wörtern Untiefe, Untojten, Untier. Der zur Einnahme des
UngeltS aufgeftellte Beamte hieß „Ungelter“
Unter ,Wagenpfennig’ verftand man eine Ubgabe (Boll), welde am Ledjtore von allen Wägen
und Karren, fo mit Kaufmannsgütern, Getreide, Holz und andern Verlaufsgegenftänden beladen waren, ere
hoben wurde.
Was dag Münzfyftem jener Zeit betrifft, das ja fehr wedfelnd war, fo erinnert heute wohl die englifde
Währung nod) am beiten daran. 2 Heller = 1 Pfennig, 12 Pfennige = 1 Schilling, 20 Schillinge = 1 Pfund
Pfennige (Sterling) oder 2 Pfund Heller. Dab der damalige Geldwert ein ganz anderer, höherer war, erflärt
fi) vorzüglid aus bem felteneren Vorfommen des Edelmetals, und wir lernen den Wert eines Pfennigs
fhagen, wenn wir hören, daß 3. B. in jener Zeit 1 Pfund Schmalz 2 big 3 Pfennige, 1 Maß guter Wein
3 Pfennige, 1 Pfund Fleifd) 1 bis 1/2 Pfennige toftete, dak aber auch ein guter Wrbeitsverdienft nur 5 bis
7 Piennige pro Tag betrug.
Die Urkunden Ludwigs des Bayern im Stadtardiv zu Landsberg. 51
Dienste in vielen Jahren fi) erworben,
das wurde dem Eleinen Landsberg mit
einemmale gewährt.
Weshalb diejfe geradezu unerhörte Fülle
von Gunftbezeugungen? Weil Landsberg ver-
brannt worden war ? — Das war doch nichts
fo Ungemöhnliches. Das Niederbrennen von
Städten und Dörfern, da3 Berwiiften der
Gegend lag im Kriegsbraudje jener Zeit. Das
Schidjal, welches Landsberg getroffen, hatten
hundert andere Orte auch erfahren, und dafür
war ja die Stadt ausdrüdlich durch Ungeld
und Wagenpfennig entfchädigt worden. Warum
alfo troßdem fo großartige Zuwendungen? —
G8 ijt richtig, auch ftaatSmännifche und
militärifche Erwägungen traten fräftig für
Landsberg ein. Landsberg war Grenaftadt und
Grenafefte. Es fperrte den Weg aus dem feind-
lihen Schwaben, e3 bildete den Schliiffel gu
Bayern, und deshalb war e8 von größter Wich-
tigfeit, ob die Stadt mehrlos oder nicht, ob ihre
Biirger guverlaffig und ftarf oder {chwanfend
und fdwacd. — Dod) auch diefe gwar fehr
bedeutfamen, aber nüchternen Bedenken find
nicht hinreichend, folche ungemöhnlichen, von
warmem Danfgefiihl getragenen Onadenbemeife
genügend zu erlären. Die Begründung hiefür
müffen wir in anderen Umftänden fuchen.
Der langwierige, unfelige Streit um die
deutiche Königsfrone zmwifchen Ludwig d. B.
und Friedrid) bem Schönen ift alljeit8 zur
Genüge befannt. Plöglih und unerwartet
dringen im lebten Drittel des Monats August
1315 Friedrich) der Schöne und fein Bruder
Leopold mit Heeresmadht aus Schwaben an
den Led, um in Bayern eingufallen. Augs-
burg verfchließt ihnen Brüden und Tore; alfo
wenden fie fich gen Landsberg, um hier den
Uebergang zu erzwingen. Ludwigs Lage ift
äußerst fritifih. Wie einen Schlaftrunfenen,
fagt der Chronift des Klojters Fürftenfeld,
bat ihn der Angriff aufgefchredt. Die Haupt-
ftadt fcheint verloren, Bayern mehrlos dem
Feinde preisgegeben; fein Heer, feine Hilfe.
Ludwig eilt nad) dem Städtchen Friedberg,
mehr zur Flucht als gum Kampfe gerüftet.
Da hört Augsburg von feiner Nähe. Dem
Bayern öffnet e3 die Tore, ihm fagt e8 jeine
Unterftiigung zu, und diefe Hilfe hebt wieder
den gejunfenen Mut Ludwigs, dem nun von
nah und fern Getreue zueilen. Wahrenddeffen
aber tobt am ech ein blutiges Ringen. Lands»
berg ift Landshut und Landsfhug gemorden,
Bayerns und des Keiches Wal. Das mifjen
die tapferen Berteidiger gar wohl; darum
wehren fie todesmutig dem anftürmenden
Feinde. Eine foftbare Beit fiir Friedrich ver-
ftreiht. Sein Blan, rafch des Gegners Land
in feine Gewalt zu bringen, fcheitert an den
Mauern des Heinen Städtleind. Mächtig
lodert deshalb fein Grimm ob folch unerwar=
teten Widerftandes. CEndlid), nach langen
Kämpfen, nad) wiederholten fruchtlofen An=
griffen, nad) großen Opfern fällt die Stadt,
und die Rache des Feindes legt fie in Afche
und verwüftet die Gegend bis an den Ammer-
fee. Das war am 2. September 1315. —
Aber noch troßt die Burg. Hieher hatten fich
die meilten Einwohner geflüchtet. Am 4. Sep-
tember ift fie noch unbezwungen. Da melden
Boten das Herannahen Ludwigs an der
Spike eines Heeres. Die Lage Friedrichs
fcheint gefährdet. Ein meiteres Vordringen
dünkt nicht rätlich, zur offenen Feldfchlacht
fühlt er fich zu fhwad. Er hebt deshalb die
Belagerung auf und geht über den Led) zurüd.
Bei Buchloe bezieht er ein feites Qager. Aber
auch hier ijt feines Bleibens nicht Lange.
Heftige Regengüffe gehen nieder, die Flüffe
treten aus den Ufern, Ueberfchwenmungen ver=
treiben ihn, und nun weicht er ganz aus
Schwaben. Und die Schlußfolgerung? —
Durd den ausdauernden, heldenmiitigen Wider:
ftand Yandsbergs miklang das wohlvorbereitete
Unternehmen Friedrichs, wurden Fürft und
Land gerettet. Das ift e8, was zwifchen den
Heilen diefer Urkunde zu lejen. Nur dadurch
werden un die großartigen Gnadenbeweife
Ludwigs verftindlid. Glänzende Tat erhielt
glänzenden Lohn! — Und fragen wir, warum
fein Gejchichtswerf von diefer Begebenheit
meldet, fo wollen wir un daran erinnern,
daß Iofale Gejchichtsquellen aus jener Zeit
faft gar nicht eriftieren und das Wenige, was
fie bieten, äußerft mangelhaft ift; haben wir
ja felbjt über die Entjcheidungsfchlacht bei
Mühldorf im Jahre 1322 feine genauen zeit-
genöffifchen Berichte. E38 ift deshalb nicht zu
verwundern, wenn fpätere Hiftorifer nichts
von jener ruhmvollen Verteidigung Landsberg
zu melden mwijfen und auch Riezler, unfer be=
deutendfter vaterländifcher Gejchichts fchreiber,
Tr
52 3. Schober
in Band IL, ©. 318, nur furz erwähnt:
„Während Ludwig fich mit geringer Macht
nad) Friedberg warf, fiel Landsberg in die
Hand Leopolds und in Trümmer.” — Das
Ihlichte Stid Pergament des Landsberger
Archivs allein erinnert noch an jene hervor=
tragende Tat Landsbergs und damit an eine
Epijode, gleich denfwiirdig für der Stadt wie
des Landes Gefchichte.
Die zweite Königsurfunde ift datiert vom
1. November 1320.
Die Tatfache, daß Landsberg nun fünf
Sahre lang nicht mehr Hilfeflehend vor Qud-
wig erfcheint, mag ein Zeichen fein, daß es
durd) die gewährten Gnaden nad) und nad
wieder zu Kräften fam. Wher iiberfdhagen wir
dies nicht! Die Zeitverhältniffe waren zu un=
günftig, um ein rajches Gefunden zu ermig-
lihen. Der politifche Zwiefpalt dauerte fort
und wurde von räuberifchem Gefindel trefflich
ausgenüßt. Unter dem Scheine der Partei-
nahme für Ludwig oder Friedrid) machten
Wegelagerer und Raubritter die Straßen uns
ficher und unternahmen auf eigene Fauft Fehden
und fchonungslofe Beutezüge gegen Städte und
wehrlofe Dörfer. Ein derartiger Barteigänger
Friedrich war Heinrich der Frah oder Frazz
(mie man damals fchrieb) von Wolfsberg im
benachbarten Schwaben, trefflich unterjtüßt
durch feine beiden Söhne Ulricd) und Eber-
bard. In ihrem Wappen führten fie einen
Wolf, und diefem Bilde machten fie auch alle
Ehre, denn fie brandfdakten die ganze Gegend
des bayerischen Lechrains, hemmten Handel
und Berfehr, ja fogar den Anbau der Felder.
Mag man aucd, annehmen, daß die Stadt,
welche damals noch von geringen Umfange
war, ihre Mauern notdürftig wieder hergeftellt
hatte, fo war doc) das frühere Phetine oder
Landsberg im Dorf, wie der an der Berge
ftrage gelegene Teil hieß, unbewehrt. Dabei
hatten diefe Raubritter Schuß und Hinterhalt
an Herzog Leopold von Dfterreich, der ftets
in Oberfdwaben auf der Lauer lag, um den
günftigen Augenblid für einen neuerlichen Ein=
fall in Bayern wahrzunehmen und auszunüßen.
Diefen Zeitpunkt glaube er im Jahre 1319
gefommen. Friedrich) der Schöne hatte mit
Erzbifchof Friedrich von Salzburg ein Bündnis
gefchloffen und drang nun von Salzburg aus
über Laufen in Ludwigs Lande; Leopold mit
800 Rittern 30g aus Schwaben heran. Jeden
fall überfeßte er bei Landsberg den Lech,
denn er ging über Diefen am Ammerfee dem
Sun gu, wo er fic) dann mit Friedrich ver-
einigte. Ludwig wagte nicht das Heer der
Brüder anzugreifen. Er zog fich zurüd und
die Ofterreidher hatten Hinreidend Zeit, das
im Jahre 1315 Berfäumte nachzuholen und
da Land gründlichit zu vermiiften. Endlich
trennten fie fich. Friedrich begab fich nach Ofter-
reich, Leopold wandte fich wieder nad) Schwaben.
Welches war nun das neuerliche Schidfal
Landsbergs? ES ift fehr naheliegend und
wird auch durdy die zweite Urkunde beftätigt.
Die faum aus dem Schutte erftandene Stadt,
welche feinen genügenden Widerftand leiften
fonnte, wurde zum: zweitenmale verbrannt.
Da jolches jedenfalls fchon bei dem Einbruche
Herzog Leopolds gefchah, jo dürfen wir diefe
abermalige Zerftörung in da8 Ende des Mo—
nat8 Wuguft oder anfangs September 1319
jegen. E83 mag damal3 eine trojtlofe Zeit
gemwejen fein für Landsberg und die ganze
Gegend. Die Stadt in WAfche, der nahende
Winter, der drohende Feind, der Vandesherr
ohnmächtig, nirgends eine rettende Hand.
Im Frühjahre 1320 30g Ludwig mit
einem Qeere an den Rhein gegen Leopold;
aber im Herbite mußte er, ohne etwas erreicht
zu haben, wieder zurüdgehen. Gegen Ende
Oftober 1320 treffen wir ihn in Nürnberg.
Dorthin Tchidte Landsberg Gefandte, um dem
Könige das Elend der Stadt zu flagen und
feine Hilfe zu erflehen. Dod) was fonnte
Ludwig tun? Geld und Hilfe vermochte er
nicht ‘zu geben, er hatte beides felbft nötig;
ohne jeglichen Beijtand aber wollte er feine
arme, getreue Stadt auch nicht laffen und fo
fertigte er denn am 1. November 1320 die
zweite, noch erhaltene Urfunde, wornad) Lands⸗
berg am obern Tore von je 3 eingeführten
Scheiben oder von 3Galneyen?) Salz 1 Pfennig
Boll erheben durfte.
Dieje zweite Urkunde lautet:
Wir Ludwig von Gottes Gnaden römischer
') Das Salz wurde entweder fejt, in Scheiben gepreßt, oder lofe, in Säden, eingeführt. Eine
Galney, b. i. ein Sad (Maf), fabte joviel Salz als eine Scheibe Hatte.
Die Urkunden Ludwigs des Bayern im Stadtardiv gu Landsberg. 53
König, zu allen Zeiten Mehrer des Reiches, tun
fund öffentlich mit diefem Brief, dak wir an-
gefehen haben den großen Schaden, den unfere
getreuen Bürger zu Landsberg von Brand und
von Herzog Leupold und dem Frazz genommen
haben und haben ihnen von unferer föniglichen
Mildheit die Gnade getan, daß wir ihnen ver-
liehen haben emwiglich, daß fie je von drei Schei=
ben Salz, die von unferm Land zu Bayern zu
dem obern Tor in die Stadt zu Landsberg ges
führt werden, einen Pfennig nehmen follen und
von drei Galneyen Salz ebenfoviel und follen
auch dasjelbe Geld, das ihnen davon wird, an
nicht8 anders legen, als dak fie unfere Stadt
zu Landsberg davon bauen und befferu wo
ihr dies Not fei. Und weil wir nicht wollen,
daß ihnen die vorgenannte Gnade mit Gewalt
gejchmälert werde, fo wollen wir und gebieten
allen unferen Amtleuten und andern, mie fie
genannt find, daß fie ihnen diefe Gnade ruhig
halten und fie von unfertmwegen daran fchirmen
follen, wo ihnen das Not fei. Und darüber zu
einer Urfund geben mir ihnen diefen Brief mit
unferm Qnfiegel verfiegelt, der geben ift zu
Nürnberg am Allerheiligentag, da man zählt
von Ehrijti Geburt dreizehnhundert Jahr, dar-
nad) in dem zwanzigjten Jahr, in dem fechften
Jahre unferes Reiches.)
Die zerbrochene Stadt hatte alfo jekt gu
ihrer Wiederherftellung — auper den gewor-
denen Rechten und Freiheiten — drei Hilfs-
quellen: Ungeld, Wagenpfennig und Salzzoll.
Aber alle diefe Mittel, jo gut fie gemeint waren,
Erfolg, wenn Handel und Verkehr blühten.
Das war aber aus den fchon gefdilderten Gritn=
den feine8weg8 der Fall. Die Bedringniffe
mwährten fort und e8 ift fehr natürlich, daß
deshalb auch die Klagen nicht verftummten,
und daf fic) die Bürger, alS Ludwig wieder
in München weilte, auf3 neue bittend nahten.
Nun wählte der König einen andern Weg. —
Maren durch die bisherigen Bewilligungen die
Einnahmen der Stadt vermehrt worden, fo
follten nunmehr die Yusgaben verringert wer=
den. Am 10. März 1821 übergab er den Lands
bergern eine Urfunde, worinnen ihnen der fünfte
Teil der gewöhnlichen Stadtfteuer nachgelafjen
wurde. Bisher hatte diefelbe 50 Pjund Augs-
burger Pfennige betragen, nun wurde fie auf
40 Pfund ermäßigt, nach dem damaligen Geld-
werte immerhin für das Eleine Gemeinmwefen
eine bedeutende Erleichterung, die auch ver-
bleiben follte, wenn die Stadt allenfall3 ver-
fegt witrde. G8 war ja im Mittelalter oft
genug der Fall, daß die Fürftenihren Gläubigern
Städte und Länder zur Sicherung der gegebenen
Darlehen verpfändeten.
Diefe dritte und legte Urkunde hat folgen-
den Inhalt: Wir Ludwig von Gottes Gnaden
römifcher König, zu allen Zeiten Mehrer des
Reiches, tun fund allen denen, die diefen Brief
anjehend oder hirend lefen, dak wir angefehen
haben die grofe Urbeit, Schaden und Gebreften,
die unfere lieben getreuen Bürger zu Landsberg
von unferen Feinden und von mandherlei ans
deren Sachen gehabt und gelitten haben und
auch noch täglich Haben und leiden, und haben
verfpraden doch nur dann einen ausgiebigen
8) Der genaue Wortlaut der Urkunde Heißt:
„Wir Ludowid) von Gotes Gnaden Romifdher Chuͤnich / ge allen zeiten mer‘ des Riches v’iehen offen»
lid an difem brief: Daz wir angefehen haben den grofjen fdaben / den vnfer liebe getriwe Burg‘ ge Qantfperd
von brant | und von Hergog Leupolt und dem frazge genommen Habent / Vnd haben in von vnfer’ chunid)-
lien miltiheit die gnade getan | daz wir in verlihen haben ewichlichen | dag fi ie von drein Scheiben Sales |
die von unfe'm Lande ge Bay'n ze dem Obern Tore in die Stat ge Zantfperd) gefurt mw’den | ainen phennind
nemen füln / ond von drein Galneyen Saltes als uil und juln and) dag felb Gelt, dag in ba von mitt | an
nibtiv ander8 legen / bann dag fi vnfer Stat ge Bantfperd) da von bowen ond begge’n | fra ix de8 not fet. Bnd
wan wir nibt mellen / dag in bie vorgenant gnade mit ibtiv uberuaren werde | So wellen wir und gebieten
allen unf'n Amptleuten ond ande'n fwie fi genant fein | daz fi in bie felben gnade ftaet Halten / und ft von
onfe'n wegen dar an fhmen fwa in des not fei. Bnd dar uber zu einem vrchunde geben wir in diſen brief
mit vnſſm Inſigel verſigelten. Der geben iſt ze Nuͤrenberg an aller Heiligen tag. Do man zalt von Chriſtes
geburt dreitgehen Hundert Jar / dar nad) in dem zmeintzigiften Jar | In dem Sehften Jare vnfers Rides.“
Die Urkunde ift 28,7:15,4 cm groß, unten 34 mm eingebogen und hängt nod) ein Stüd der aus
gelber und roter Seide geflodhtenen Schnur an.
54 3. Schober: Die Urkunden Ludwigs des Bayern im Stadtardiv gu Landsberg.
ihnen die Gnade getan, daß wir ihnen an
ihrer gewöhnlichen Steuer, der war [= welche
(bi8her) war] fünfzig Pfund Augsburger Pfennig,
die fie uns jährlich geben follten, alle Jahre
zehn Pfund Augsburger Pfennig nachgelaffen
haben und aud) lafjen, alfo daß fie ung, unfern
Erben oder wem fie jegunt von uns ftehend
oder fürbaß (— gleich oder fpäter) verfeßt
werden, zu ihrer gewöhnlichen Steuer emig-
lichen nicht mehr geben follen, dann (= al8)
alle Jahre 40 Pfund Augsburger Pfennig und
follen auch wir, unfere Erben, noch der, dem
fie jebunt von uns ftehend oder fürbaß ver-
fegt werden, noch fein unfer Amtmann, wie
der genannt fei, nicht mehr von ihnen fordern
noch nehmen zu ihrer gewöhnlichen Steuer,
dann die vorgefchriebenen vierzig Pfund Wugs-
burger Pfennig. Und darüber zu einer Ur-
funde geben wir ihnen diefen Brief mit unferm
Snfiegel verfiegelt, der geben ift zu München
an dem Eritag (= Dienstag) in der Faften
nad) dem Sonntag fo man finget Ynvocavit,
da man zählt von Ehrifti Geburt dreizehnhundert
Jahr darnad) in dem einundzwanzigften Jahr
in dem fiebten Jahr unferes Reiches.?)
Alfo die Föniglichen Urkunden, welche der
Stadt eine fo reiche Fülle von Gnaden ver-
bürgten. Freilich Löften fich fpäter manche der
erhaltenen Vorzüge ab, immerhin aber blieb
nod) genug übrig, um in fommenden Friedeng-
zeiten, insbefonder8 im 15. Jahrhundert,
Landsberg gu einer der reichiten Städte des
Landes zu machen, bi dann die Religions-
wirren des 16. und die Striegsitürme des
17. Jahrhunderts diefen Wohlitand wieder gu
Grabe trugen. Haben aber auch diefe ehr-
würdigen Dokumente ihre einftige Bedeutung
verloren, jo find und bleiben fie doch nicht
minder wertvoll al8 foftbare und unerjeß-
lihe Stüde des Archives, al8 ein Denkmal
perennis von Landsbergg Opfermut und
Bürgertreue.
5) „WIR Ludowid von Gotes Gnaden Rowifder Chunid | ge allen geiten merer dbeS Rides. Tun
chunt allen den | die diefen brief anfehent oder Horent lefen. Dag wir angefehen haben. die groffen Urbait /
fcdaden | und gebreften / die vnfer liebe get’we Purg* ge Bant{perd) von unfe'n veinden | und von manigerlai
ande'n fachen gehabt und geliden habent | vnd aud nod taeglich) hHabent und leident | und haben in Div gnade
getan / dag wir in an irre gewonliden ftero* der wag fuͤnfzich phunt Auſpurg'phenning die ſi vns Jaerlich
geben folten / alle Jar zehen phunt Auſpurg' phenning lazzen haben vnd auch lazzen / Alſo daz ſie ung | onfe'n
Erben / oder ſwem ſi iezunt von vns ſteent oder furbag v’feget w’dent / ge irer gewonlichen ſtew' ewichlichen
niht mer geben füln | danne alle Jar viertzich phunt Aufpurg phenning. Bnd füln aud wir / onfer Erben /
nod) ber, dem fi igunt von vn8 fteent od“ furbag vo feget w’dent / noch dehain unjer Umptman fwie der genant
fei / niht mer von in vode'n nod nemen ze irer gewonlichen ftew / banne die vorgefdriben viertgid) phunt
Aufpurg* phenning. Und dar uber gu einem vrchunde geben wir in difen brief mit onfe'm Infigel verfigelten.
Der geben ift ge Munden jan dem Eritag in der vaften nad dem Suntag fo man finget Inuocauit. do man
galt von Ehriftes geburt dreitzehen Hundert Yar / dar nad in dem ainem und zmweintzigften Jar. In dem
Sibenden Jare unjers Rides.“
Die Urkunde ift 28,8:16,7 om groß, unten 37 mm eingebogen und Hdngt ebenfalls nod ein Stid
der aus gelber und roter Seide geflodtenen Schnur an.
- Chronik des Biftocifhen Vereins von Oberbayern.
Dereinsverjammlungen.
Monatsverfammlung am 2. Jansar 1907.
Herr Privatdozent Dr. Janfen fprad iiber ,Die Anz
fänge und das Emporfteigen der Zugger‘. Im Jahre
1367 traten bie erfjten dürftigen Anfänge aus dem
Dunkel der Gefhichte. ALS Stammort der Fugger
ift das Dörfhen Graben bei Shwabmünden, das
ftets im Befige der Zugger blieb, ermwiefen. Bon dort
wanderte im Jahre 1368 Hans Fugger nad) Augs=-
burg ein. Wenn hier von dem Einzug eine armen
MWebergefellen mit dem Rangden auf dem Rüden er-
aablt wird, fo ift das nicht richtig, denn Hans Fugger
in den Steuerbüdhern Augsburgs als mit 44 Denare
Steuer veranlagt, was immerhin einen für die da=
malige Zeit nicht unbedeutenden Befig von ungefähr
88 Gulden vorausfegte. Die Genialität in der Er-
faffung der Zeitumftände ift als Hauptgrund zur
Größe der Fugger angufehen. &8 bereitete fi) da=
mals eine Revolution ber Zünfte der Handwerker
gegen die Bürger (Kaufleute) vor, die die Freigitgig-
teit bedrohte und e8 FZugger wünjhenswert erfcheinen
ließ, in Augsburg felbft anfäffig zu fein. Hiermit
war der Grundftod gum Reichtum gelegt. Aus ber
Ehe Hans Fuggers mit CElifabeth Gevattermann
ftammt Andreas Fugger, der Begründer der
Linie vom Reh, dod erft fein gweiter Sohn Jatob
mar ber Begründer bes Haufes und der Linie der
Fugger von der Lilie, die fie nod) Heute im Wappen
führen. Er erwarb große Neihtümer, indem er an-«
fing, Geldgefhäfte im großen zu maden und ben
Gelbverfehr zwifhen den Ländern zu vermitteln.
€8 wäre jedod) faljch, den Reichtum des Haufes
allein der Weltherrfhaft mit Geld gufdreiben gu
wollen. Der größte Teil der Einkünfte floß aus den
Bergwerten in Ungarn und Tirol fowobhl, als
aud) aus dem Verkehr mit den meijt geldbedürftigen
Fürften. Für ihre Darlehen, die die FZugger nicht
felten nie wieder guriidbefamen, ließen fie fich meift
wertvolle Privilegien geben. Auf diefe Weife traten
fie in die Gerehtfame des Landesherrn ein, wie bieg
fpäter unter Raifer Maximilian der Fall war, wo
fie in Ddeffen Redjte eines Grafen von Lirol ein=
traten. Qafob Fugger mar urjpränglid gum
Geiftliden beftimmt und hatte bereits die niederen
Weihen erhalten; übernahm aber dann das Gefdhaft,
dag er nad) dem Tode feiner Brüder, felbit finderlog,
für feine Neffen fortführte. Er hat etwas von Bis-
mard gehabt, das aud) auf dem Holbeinichen Bilde
erfidtlid ift. Entjcheidend griff Fugger durch die
Bereitjtellung der Mtittel ein, alS e& gur Wahl
Karls V. gegenüber dem König von Frankreich tam.
Durd feine Beziehungen zu Ungarn hat er gewiffer=
magen die Richtung gegeben gwifchen Habsburg und
Ungarn. Uber auch fozial hat fid) Jakob Fugger
betdtigt dburd) bie im Jahre 1511 erfolgte Gründung
der Fuggerei, eines Rompleres von 106 Eleinen
Häuschen, in denen fic) Bedürftige für den geringen
Betrag von einem Gulden ein Heim fdaffen konnten.
Ein großer Schlag war e8 für Fugger, als der
Nationalhaß ber Ungarn 1525 die Ausländer ver-
trieb, wobdurd) den Zuggern großer Schaden ermudjß.
Nad Jatobs Tod 1525 übernahmen feine drei
Neffen, Raimund, Anton und Hieronymus, dag Gee
ihäft, wovon Anton, als der Iinternehmendfte, ein
Reid) der Fugger unter fpanifder Oberhoheit in
Südamerifa plante. Die Fugger waren von jeher
ftrenge Ratholiten, und fo fonnte denn die tonfeffive
nelle Spaltung der Reformationsgeit auf fie nicht
ohne Einfluß bleiben. Ym Schmaltaldifhen Kriege
mußte Anton Fugger Partei ergreifen. Hierdurch
und durd) ben Abfall der Niederlande wurde Fuggers
Großmadtftelung erfditttert. Früh hatten die Zugger
angefangen, großen Grundbefig zu erwerben. Um
hierbei ihre Stellung al® Lehensherrn zu ftärken,
wurde bereitS 1511 Qafob Fugger geftattet, fid) als
Udeligen gu betradten, feine Neffen wurden 1526
gu Grafen ernannt, morauf 1530 die Erhebung zu
Reihsgrafen, Reihsbannerherren mit großen Privi-
legien und Freiheiten erfolgt, die in der goldenen
Bulle 1533 erneuert wird.
Monatsverfammlung am 1. Februar. Vor=
trag bes Herrn Univerfitätsprofefjor Dr. &g. Preuß
über ,Die Urfaden der- Größe und des Niederganges
der Hanfa“. Der Vortrag ift bereits in der Beilage
zur Allgemeinen Zeitung Nr. 60, 61 und 62 biefeg
Jahres verdffentlidt worden.
Ereitag den 1. Mars wurde im Vereinglofale
nadmittags 4 Ugr die ordentlide Generalverfammu-
lang abgehalten.
Nachdem der 1. Herr Vorjtand den anwefenden
Mitgliedern Auffhluß über den Stand und die Gee
{afte beS Vereins gegeben Hatte, hielt der f. Reale
lehrer und Stadtardivar Schober von Landsberg
einen Vortrag Über „Die Urkunden Ludwigs des
—— — — — *
— ——— —
Te
56 Sh Chronif de$ Hiftorifden Vereins von Oberbayern.
Bayern im Stadtardive gu Landsberg’. — Die ge-
nannten Briefe datieren aus den Jahren 1315, 1320
und 1321. Bon befonderem Interefje ift die Urkunde
aus dem Jahre 1315, den durdy fie verleiht der König
der Kleinen Ledhitadt eine Anzahl von Freiheiten und
Redte, wie fie noch feine Stadt mit einemmale und
in joldem Umfange erhalten hatte. Eine Erklärung
für folde auferordentlihen Gnadenbeweije fann nur
in einer ausgezeichneten Tat Landsbergs gefunden
werden. Diefe aber liegt, wie der Redner in inter-
effanter Ausführung und Schlußfolgerung bemies,
in dem tapferen und ausdauernden Widerjtande, den
die Stadt im Jahre 1315 leiftete, als Friedrich der
. Schöne und fein Bruder Leopold plöglic) mit Heeres-
madt am Led) erfchienen, um in Bayern einzufallen.
Zudwig war folden Ueberfalles nicht gewdrtig, und
das Land wäre mwehrlos den Dejterreichern preis-
gegeben gemejen, wenn nicht die Bürger Landsbergs
durd) ihre Heldenmütige Verteidigung von Stadt und
Burg die Feinde aufgehalten und ftarf gefdadigt
hätten. Diefer ungeahnte Widerftand raubte Friedrich
- eine foftbare Zeit, und als endlich Landsberg fiel
und von dem ergrimmten Gegner in Ajche gelegt
wurde, da hatte Ludwig bereits bei Augsburg ein
itarfes Heer gefammelt, mit dem er nun gu Hilfe
eilte. Der geplante Einfall war mißglüdt und
Friedrih mußte fi wieder über den Led) nad
Schwaben zurüdziehen. Die Tapferkeit und der Opfer=
mut von Landsbergs Bürgerfhhaft Hatte Bayern und
feinen Fürjten vor Sdlimmem bewahrt, und könig-
lich bewohnte Ludwig folde Treue. — Auch) in dem
mweiteren Verlaufe des Streites zwifchen Ludwig und
Friedrich hatie Landsberg, wie die Urkunden von
1320 und 1321 beweifen, vieles zu erdbulden, befonders
von Herzog Leopold und Shmwäbifhen Raubrittern,
die als Parteigänger Friedrichs auftraten. Der König
entichädigte die Stadt durd) neue Gnaden und Rechte,
die in Verbindung mit jenen des Jahres 1315 den
Grund zu Landsbergs fpdterem Wohlitande Iegten,
der freilich) durch den 30 jährigen Krieg wieder zu
Grabe getragen wurde.
Reider Beifall der Anmefenden und fehr an
erfennende Worte d.8 Herrn I. Borjtandes Lohnten
den Redner, welcher der Verfammlung nicht nur die
erwähnten drei Originalurfunden, fondern aud) das
ebenfo wertvolle als Hochinterefjante Landsberger
Rechtsbuch, dejfen bereitS im 14. Jahrhundert Ers
mähnung gejchieht, zur Einfihtnahme vorgelegt hatte.
Dienstag den 2, April, Monatsverjamm-
lung im Stiinftlerhaufe.
Es fanden zwei Vorträge ftatt, deren erften Serr
Privatdozent Dr. Theod. Bitterauf iiber ,Die Mord=
lichter in Bayern unter König Max I.“ hielt, während
im anderen Bortrage Oerr f. Rechnungsrat ©. Uebel=
ader „Die Spuren de8 vorgefdidtliden Miindens
und die Gefdidte des Münchener Stadtwappens“
bebanbdelte.
Sähriftleitung und prebgefeslidhe Verantwortung: Dr. Held wein— Münden (Liebigjtraße 1/2).
Kal. Hofbuchdruderei Kaftner & Callwen,
Ein unbekannter Eoder dev Vögefdien Malerfdinle) in Augsburg.
Ein Beitrag zur Kunftgefhichte de X. und XI. Jahrhunderts von Dr. Maz Kemmerid).
Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden
die Produfte frühmittelalterlicher Miniatur-
malerei nur ifoliert betrachtet und gemertet.
Man fragte wohl nach der Entftehungszeit,
machte fich aber die fünftlerifchen Zufammen-
hänge mit ähnlich gearteten Werfen nicht Elar
und hatte e8 fiir vermeffen gehalten, bier
ragen nad der Malfchule zu ftellen und
damit diefe verhältnismäßig primitiven Schöp-
fungen ebenfo zu behandeln mie etwa die
Gemälde eines Rubens oder Tizian. Erft
durch die vortreffliche Publikation der Ada-
handjfdrift in Trier durch Hubert Yanitfchek
wurden die Runfthiftorifer auf die neue Wuf-
gabe hingemiefen und feitdem find eine Reihe
von Abhandlungen entjtanden, die manche
Bartien des bisher fo dunklen Gebietes er=
bellten.
Hat nun auch in einer Hinficht durd
den Nachweis der Zugehörigkeit zu beftimmten
Malfchulen das einzelne Werk an Bedeutung
verloren, infofern e8 nur zum Teil eines
Ganzen wurde, fo hat e8 andererfeit3 gerade
dadurch gewonnen. Denn nun galt e8 nicht
nur das vollftändige Material zu fammeln,
fondern auch nad) Notizen und Anhaltspunften
in den einzelnen Handfchriften zu fuchen, um
fo die ganze Schule zeitlich und örtlich Tofa=
lifieren zu fünnen. Denn war einmal ber
Nachweis erbracht, daß eine Reihe von Werfen
derfelben Werkftatt entftammte — und er
war nicht allgufdwer gu erbringen, ift dod)
die Wehnlicdfeit hiufig auferordentlid) grof —
dann galt folgerichtiger Weife jede Notiz in
einem der Godices für alle.
Nun befitt das bifchöfliche Dommufeum
in Augsburg in feinem Coder No. 104 ein
Werk, das, bisher unbefannt oder doch wenige
ftens nicht im entfernteften richtig erkannt,
e3 wohl verdient, der Wiffenfdaft zugänglich
gemacht zu werden. Da der Coder fic) als
einer der wertvolljten Produfte einer der
griften Malerfdulen aus der Wende des 1.
Sahrtaufends repräfentiert, würde er ſchon des⸗
halb lediglich zur Kompletierung des bekannten
Materials Beachtung verdienen. Er bietet
aber mehr als das und an ihm werden wir
vielleicht Anhaltspunkte zu weiteren Schlüffen
gewinnen fünnen. Zu diefem Bwede miiffen
wir zunädhft den Coder bejchreiben und
zwar fo eingehend al® möglid), da gerade
die Details bei der für unfer Auge recht
ähnlichen frühmittelalterlihen Malerei be»
deutungsvoll find. Deshalb werden wir
bei den nad) Photographien hergeftellten Re-
produftionen die Farben miglicdh{t genau an-
geben. Sodann wird e8 unjere Aufgabe fein,
durch Prüfung der Technik und dargeftellten
Gegenständen die Fünftlerifchen Zulammen-
hänge, in denen der Codex mit anderen ftebt,
feftguftellen und die Rriterien der Schule fo-
wie thr Verhältnis zur früheren und gleich-
zeitig anderwärt3 betriebenen Kunftübung zu
berüdfichtigen, endlich haben wir ju unter-
1) Wilh. VBöge „eine deutfdhe Malerfdule um die Wende de8 erften Jahrtaufends*. Ergdngungs-
heft VII der Weſtdeutſchen Beitidrift fiir Gefdidte und Runft. Trier 1891.
A. M. 3 u. 4.
8
58 Dr. Mar Kemmerid
fudjen, ob eine zeitliche und räumliche Lo-
falifierung des Codex und daher auch der
ganzen Handjchriftengruppe miglich ijt.
I. Zeil. Befdretbung der Handidrift.
Unfer Codex ijt ein aus 161 Pergament-
blättern beftehendes Leftionar. Da bei der
früheren falfden Zählung wohl infolge Zus
fammenfleben8 der Blätter die Folia 64, 97
und 142 überfprungen wurden, fo bat die
offizielle Zählung nur 158 Blatter, die zumeift
in Lagen zu 4 und 5 Bogen zufammenges
bunden find. Die Größe beträgt 26,5 zu
21 cm, auf jeder Seite ftehen 15 Zeilen in
Minustelfdhrift. Die Bilder der Handichrift
find durchgehends auf die auch vom Schreiber
benußten Lagen gemalt, alfo nicht erjt nach—
träglich eingefügt. Der urfprüngliche Einband
des Codex exiftiert nidjt mehr, ftatt deffen
it das Werk augenfcheinlid — nad) dem
Stoff zu urteilen, — vor etwa 2 Jahrhunderten
in rote Seide mit Blattmufter gebunden
worden. Auf der Jnnenfeite des Dedels fteht
von einer Hand des XV. Jahrhunderts „Hic
sunt inclusae de reliquiis Sancti Laurentii“.
Die ehemals im rüdmwärtigen Dedel einge-
laffene Rapfel mit den Reliquien fehlt jekt.
Fol. 1b ftellt oben die Geburt Ehrifti,
unten die Berfündigung an die Hirten dar.
Bol. Tafel I. Die Gefamtgröße beträgt 19
gu 154/2 cm.
Die Geburt Chrifti ift auf himmel-
blauem linierten Hintergrund — alle Blätter
deS Codex zeigen diefe Linien — gemalt, der
Boden ift gelbgriin (nach der Vögefchen Ter-
minologie meergrün) fchattiert, oben ift das
Blau durch einen blaßgelben Streifen abge-
löft, der an der Stelle, wo die beiden Tiere
auf goldenem mit bläulich-weißem Sande
umgebenen SHintergrunde angebracht find,
durch eine gezinnte Mauer von fchmusgiglicht
odergelber Färbung unterbrochen wird. Der
Hl. Iofeph ist blond, Haare, Bart und Geficht
in derjelben rötlich-gelben Färbung, die fich
auch bei Maria, dem Chriftusfind und dem
linfen und rechten Engel wiederfindet. Die
Punkte am OHaar und Bartanjak des hl. Yoz
jeph find — wie in allen ähnlichen Fällen —
Schwarz. Die Gefichtsfarbe ift ftetS diefelbe
wie die der andern unbededten Körperteile.
Die Gejichter der Hl. Familie find ziemlich
ftarf bejchädigt. Joſephs Untergewand iſt
bläulich-⸗weiß, das Obergewand bräunlich-vio⸗
lett (purpurbraun), genau wie bei Maria, nur
daß hier überdies die ganze Geſtalt von einem
blaßgelb⸗grünen Schleier eingerahmt iſt. Die
Krippe iſt Orange, mit dunklerem Rande und
ſchmutzig-grünem Boden. Die Tunika des
Chriſtuskindes iſt bläulich-⸗weiß, wie die ſeiner
Eltern; ein lichtrötlich-violettes (purpurroſa)
Tuch hüllt es ein. Sein Haar iſt braunrot,
eine Färbung, die auf allen folgenden Bil-
dern feftgehalten wird. Das Geficht des mitt-
feren Engels ift blabgeb. Das Rind ift roft-
braun, der Ejel violett. Der linke und rechte
Engel hat fchwarze Haare, der mittlere braun
rote. Die bläulich-weißen Tuniken der Engel
haben die gleiche Farbe, wie die der heiligen
Yamilie. Der Linke der Engel trägt dunfel-Lila=
blauen Mantel und zart lila Flügel, der
mittlere rötlichen Mantel und blaugraue Flügel,
der rechte lila Mantel und rötliche Flügel
derart, daß die Flügelfarbe des eriten
Engels mit der Mantelfarbe des dritten, die
Mantelfarbe des zweiten mit der Flügel-
farbe des dritten identifch ift. Die Nimben
find golden mit je einer feinen zinnoberroten
und fchwarzen Linie eingerahmt, im Nimbus
des Chriftusfindes ift ein feines zinnoberrotes
Kreuz eingezeichnet.
Das untere Bild, die Verkündigung
an die Hirten darjtellend, ift auf goldenem,
nicht mehr ganz frifchem Hintergrund gemalt,
der Boden ift wie im oberen Bilde grün
fchattiert, zwifchen diefem und dem goldenen
Hintergrund ift ein himmelblauer Streifen;
der linke Hirte hat dunfelgraue bezw. fchmwarze
Haare und rötlichbraune Haut, die auch die
beiden andern mit ihm gemeinfam haben. Sein
Mantel ift feuerrot, die Tunifa orange, die
Wadenftriimpfe find dunfellilablau. Der Hirt
rechts von ihm bat dunfle braunrote Haare und
weife Tunifa. Der Hügel, auf dem beide
figen, hatte wohl einst dunfelgraue Färbung,
jegt jcheint hier das Pergament dur. Der
Zurm ift gelblich mit feuerrotem Dach und
Gefims, auf die dunfle rote Linien — wie
auch bei den fpäter vorfommenden Dächern und
Mauern — eingezeichnet find. Die Haare des
ftehenden Hirten find dunfelbraunrot, feine Tu—
nika bläulicheweiß, ebenfo die Fußbekleidung, fein
Mantel ift dunfelbläulich, die Wadenjtrümpfe
Gin unbefannter Codex der Vigefden Malerfdule in Augsburg 59
dunfelzinnoberrot. Bon den Schafen find die
am weiteften linf3 und recht3 blaßoder, das
mittlere ift braunrot. Alle Nimben find —
mo nicht ander3 bemerft — golden und mit
feinem zinnoberroten und breiterem fchrwarzen
Rande umgeben. Die Miniatur ift mit einer
breiten goldenen Linie umgeben, deren Innen=
rand chwarz, deren Außenrand zinnoberrot ift.
Eine goldene Linie ift im gangen Codex ftets —
von den Eleinen direkt auf das Pergament auf:
. gefeßten Initialen abgefehen — an den Rändern
von andersfarbigen, meift zinnoberroten feinen
Linien eingefäumt.
Fol. 2a ift von der Initiale C
in der Größe 19 zu 15 cm auf lichtpur=
purnem?) — wie ftet3 im Coder -— liniertem
Hintergrund eingenommen. Der Körper des
Budhjitaben ift golden mit roter Füllung, der
von C eingefchloffene Innenraum ift blau —
auf der Abbildung weiß — und grün. Die
Majusfel-Schrift „In illo Tempore (Qnitiale)
Cum“ (auf unferer Abbildung nicht fichtbar)
ift golden. Die Bordüre bilden abwed)-
felnd bläulich (blaßultramarin) und grünlich
(blaßgrüne Erde) gefärbte Palmetten mit
dunfelblauem bezw. dunfelgriinem Kern, die
auf rötlichem Hintergrund aufgejegt find.
Die beiden goldenen Einfaffungslinien find
von feinem Zinnoberrot außen und innen be-
grenzt.
Abb. 1, fol. 2a.
Fol. 11a ift ebenfalls von einer
Abb. 2, fol. 11a.
Snitiale C mit goldenem rotgefülltem
Körper eingenommen, deren Höhe — ohne
Wfroterien — 21 cm bei einer größten Breite
pon 16cm betriigt. Der Jnnenraum ift blau
und griin gefirbt, der Hintergrund tief (dunfel-
lila) purpurn. Der grünfchattierte Giebel hat
blaßblaue Füllung mit braunrotem Ornament.
Der Abakus der Säulen ift golden, der Kämpfer
blafblau, Rapitelle violett, darunter ein fchmales
goldenes Band, daran fchließt der gelb und blaß«
rot.gefärbte Schaft, hierauf goldene Linien, die
wie alle 3innoberrot eingefaßt find, dann die
violette von goldenen zinnoberrot eingefaß-
ten Linien abgefchloffene Bafis. Das ganze
Gebäude fteht auf einer dunfelblaulichlila-
fchattierten, von einer gefchlängelten roten Linie
durchzogenen Unterlage, die von einer [chwarzen
Linie unten begrenzt wird.
301. 35b zeigt oben eine Darftellung der
Kreuzigung, unten Kreuzgabnahme und
Grablegung. Bgl. Tafel II. Größe 19,2 zu
15 cm. Der Hintergrund bei beiden Darftellungen
iftmattrötlichlila fchattiert, obenpurpurrofa. Der
Boden ift gelbgrün fchattiert. Maria hat hell-
blaues Kopftuh und Tunifa und braunroten
(dunfelpurpurnen) Mantel, fomwie fchiwarze
Schuhe. Der line Kriegsfnecht trägt hell=
blaue Tunifa und Schuhe, bräunlichvioletten
Mantel und dunkle bläulichlila Wadenftrümpfe
mit zinnoberroten Tupfen an den Schienbeinen.
) Dem Purpur des Mittelalter$ entfpricht das heutige tiefe Lila, jedod eziftieren zahlreiche Nuancen,
englifhrot Caput mortuum, purpurrofa 2c. Sie gu bezeichnen ijt nit immer möglid).
8*
’
Fy SA ene eer
Te Tg Tee Te
Die Langenfpige ift — wie im ganzen Eoder —
hellblau. Das goldene Kreuz wird von dun=
felgrünen Konturen umjchloffen. Die auf un
ferer Tafel deutlich erkennbare mweihe Linie,
die die goldene Vorderfeite des Kreuzes von
den grünen Seitenflächen fcheidet, ift im Ori-
ginal zinnoberrot, ebenfo das Blut, welches
aus den Seiten= und den Fußmunden Chrifti
fließt. Chriftus mit rotbraunem Haar hier
wie auf allen fonftigen Bildern des Coder
dargeftellt, trägt purpurne Tunifa mit feinen
weißen Bunften und weißer Einfaffung unten.
Die Tunifa des rechten Kriegsfnechtes ift
Ihmußig gelblich fchattiert, die des Johannes
hellblau mit rötlich-gelbem Manteldarüber. Das
Buch ift golden mit hellblauer Umrandung. Der
Rand durch eine feine, fchwarze und zinnober-
rote Linie eingefaßt. Alle Figuren haben
Ihmwarze Haare mit Ausnahme von Ehriftug,
dem linken der um den Mantel wiirfelnden
Kriegsfnechte und dem Schergen rechts vom
Kreuz, deren Haarfarbe braunrot ift. Die
Figur der Sonne ift feuerrot mit weißer
und fhmwarzer Modellierung, die des Mondes
bimmelblau; beide ftehen in goldenem Felde
mit zinnoberroter Umrahmung.
Bei der Kreugabnahme hat die linke
igure Hellblaue Tunifa und dunfelblauen
Mantel, die rechte hellblaue Tunifa und röt-
lichen Dantel. Der Burpur in Chrifti Mantel
ift etwasheller als oben. Die Figuren der Grab-
legung haben Kleidungsftüde in umgekehrter
Reihenfolge; Ehrifti Tunika ift hier hellblau.
Der Mantel, um den die Hnechte würfeln,
ift braunrot (wie der Mantel Mariä und der
Mantel. Chrijti in der unteren Scene), die
Würfel find golden mit ginnoberroter Ein-
faffung. Der linfe Kriegsfnecht hat hellblaue,
derrechte braune Tunifa. Das Grab ijt dunfel-
grün mit roten und fehmwarzen Sprenfeln.
Die Gefichtsfarbe bei allen Perfonen it röt-
lichegelb, nur Chriftus, ‘deffen Geficht hier
ftark befchädigt ift, hat etwas lichtere Farben,
während die wiirfelnden Snedjte und der
rechts vom Kreuz mit hellbraunem Rohr und
dunfelbraunem Eimer die fdmubige rotbraune
Färbung des niederen Volfes aufweifen. Dte
Einrahmung ift wie auf Fol. 1b.
Sol. 36a wird von den Gnitialen IN
auf liniertem lichtpurpurnem Grunde einge-
nommen. Die größte Höhe beträgt 19,8, die
Dr. Max femmerid
größte Breite 15,1 cm. Der Buchftabenkörper
ift golden mit roter Füllung. Bon den vier im
Innenraum gebildeten Viereden find das Linke
obere und rechte untere grün, das rechte obere
und linfe untere blau ausgefüllt. Zur Umrah-
mung ift purpur, gold, bell und dunfel, blau
und grün verwandt. Die goldenen Einfaffungs-
linien find von feinen zinnoberroten begrenzt.
Die Schrift ,,illo Tempore“ ift golden.
Fol. 5lb mit einer größten Höhe von 20,2
und Breite von 16 cm ftellt die Frauen am
Grabe dar. Tafel III. Der Hintergrund ijt
golden, das Gebäude gelblichgrau mit feuer-
rotem Dach und Gefimfe und hellbrauner Türe.
Die beiden Tücher find hellblau, ebenfo die Kopf-
Wb. 3, fol. 36a.
tiicher der Frauen, die Tunifen der Frauen und
Krieger und deren Helme und Langenjpiken. Die
linfe duntellila blaunimbierte Figur hat orange
Mantel, die rechte grasgrünnimbierte rötlich»
violetten, die hintere Frau ift mit orange-
farbenem Nimbus verfehen. Die Nimben
find mit feinen zinnoberroten und fchwarzen
Linien eingefaßt. Das weiße Gewand des
Engels ift mit carmoifinroten (VBöge nennt
fie dunfelpurpurrofa, womit ich lieber das
rötliche Violett de3 Mantels der vorderen Frau
bezeichnen möchte, das jich etwas unterfcheidet)
Streifen au) an den Nermeln verfehen. Sein
goldener Nimbus mit zinnoberroter und fchwar=
zer Einfaffung ift mit weißen Punkten verziert.
Der Stab in feiner Hand ift ebenfalls
farmoifinrot. Der linfe Krieger ift blond mit
rötlichviolettem Mantel und grasgrünem
Ein unbelfannter Goder der Vögefhen Malerfhule in Augsburg 61
Schilde, der rechte jchwarz mit dunfelgrünem
Schilde und lilablauem Mantel. Die Lan-
zenfchäfte find braun. Die Kifte, auf der der
Engel fißt, ift grün mit fhwarzen Sprenfeln.
Der Engel hat farmoifinrote, die Frauen blab-
gelbe, die Krieger rötlichgelbe Hautfarbe. Die
vorderfie Frau hat ein hellbraunes Gefäh in
der Hand, die beiden anderen jchmußig meiße.
Die Grundfarbe der Verzierungen am
Rande ift lichtpurpur, der goldverzierte äußere
Rand englifchrot. Die Säulenbafen und Rapi-
telle find rötlich Lila, die Schäfte hell lila mar-
moriert. Die Guirlande über den Säulen
ift in hell und dunfel, blau, violett, brauntot,
weif, lila und grün fchattiert ausgeführt. Die
freifchwebenden Früchte find rot fchattiert mit
meißer Umrandung. Die Vögel blaugrau,
Gold und rot.
Sol. 52a ift von der Qnitiale M in
licht purpurnem Felde eingenommen, Höhe 19,7,
größte Breite 14,5 cm. Der Buchftabenfirper
ift gold mit rot gefüllt, der Innenraum ift
blau und grün. Hier fei bemerkt, daß das
tiefe Blau der Initiale nirgends fich in den
Bierformen wiederholt. Solange feine allges
mein anerkannte Terminologie eriftiert, lafjen
fich diefe Feinheiten nicht in Worte leiden.
Die Säulen find in dunkel fadmiumgelb und
rot fcjattiert mit lichtodergelben, weiß punf-
tierten Bändern, goldener Bafi3 und blau-
lilafdattierten Rapitellen. Sie tragen einen
mit Gold eingefaßten Bogen, deffen Ziermufter
rot, blaugrau und grün in verfchiedenen
Schattierungen ausgeführt find. Der Grund
ift fhwarz mit weißen Bunften. Die aus dem
Bogen hervorwacdjfenden braunroten Ranfen
tragen blau-lilafchattierte Kugeln. Der Buc;-
ftabe fteht auf dunfelbläulich = lilafchattierter
Bafis, die von einer weißen und einer roten
Schlangenlinie durchzogen ift. Die Schrift
lautet: „Scdm Marc. In illo tempore MAria“
(ba a itber dem M). Das Gold ijt, von der
Schrift abgefehen, mit feinen ginnoberroten
Linien eingefaßt.
Fol. 7Ob (alte Zählung 69b) enthält die
Darftellung von Ehrifti Himmelfahrt auf
zartem bläulichelila-Hintergrund. Tafel IV.
Die Höhe beträgt 19, die Breite 15,3 cm. Der
Boden befteht aus braunfchattierten Erdfchollen,
darüber ift er grünlich braun. Oben geht
der Hintergrund in purpurrofa über und
verflingt in helleren Tönen. Die Engel und
Chriftus haben — wie alle Perfonen des
Bildes — hellblaue Tunika, hellgelben Mantel
und rotbraune Haare. Die Flügel find gelb-
grau fchattiert. Die Wolfe, auf welder Chriftus
fteht, ift hell purpurofa mit gelber Umrandung
ftarf fcjattiert, die Strablen find abmedfelnd
blau und englifd rot. Bon den Siingern
haben je gwei blonde, gmet graubraune und
einer fchwarze Haare. Maria und Petrus hat
rötlich violetten Mantel, der Jünger links von
Maria und der rechts von Petrus trägt braunen
Mantel, der am weiteften links von Ptaria und
der am wieiteften redjt8 von Petrus dunfel-
lilablauen Mantel. Alle Berfonen haben rötlich-
gelbe Hautfarbe, bis auf Chriftus und die Engel
— —
G2 OD LOUD SF
Abb. 5, fol. 71a (alte Zählung fol. 70a).
— — *
Te ar a
62 Dr. Mar Kemmerig
mit hellgelben Gefichtern. Der Bart Petri
ift wie immer hellblau, die englifch rote Um=
rahmung ift mit Gold verziert. Der Baum
ift dunfelgraubraun fchattiert.
Bol. Tla (alte Zählung 70a) ift von
der Qnitiale R in lichtpurpurnem Felde ein-
genommen. Die Höhe beträgt 19,1, die Breite
14,1 cm. Der Buchftabenfirper ift golden
mit roter Füllung. Das linfe obere und das
rechte untere Feld des Inneren ift grün, die
andern blau gefärbt. Die Nandverzierung ift
in weiß, hellerem und dunflerem Burpur ges
halten. Die Einfaffungslinien find golden mit
feinen zinnoberroten Säumen. Die Schrift
ift wie ftets golden.
Fol. 73b (alte Zablung 72b) fchildert
das Pfingitfeit. Tafel V. Höhe 19, Breite
15,4cm. Ueber goldenem Hintergrund erhebt fich
das purpurne Dach mit linker hellgelber Giebel-
feite und goldenen Afroterien. Die Linien
auf dem Dach find dunfelpurpurn. Die beiden
linfen Säulen find grün, die rechten gelb
mit grünen Sapitellen, Wbafus und Dadj-
balfen find Hellblau, der Fußboden ift braun,
der Himmel grünblau, die Sonne befteht aus
drei fongentrifden Kreifen, deren äußerer
purpur ijt; der mittlere ift grün, der innere
graublau, fämtliche find fchattiert und durch
Ihmwarze Linien getrennt. Der innerfte Kreis
ijt mit weißen und zinnoberroten Puntten
befegt. Die Strahlen find golden, mit zinnober-
roter Einfafjung. Sämtliche Jünger haben
hellblaue Zunifen, während die Farbe der
Mäntel von links nach rechts folgende ift:
ritlidjgelb, braunrot (etwas dunfleres Burpurz
rofa al der Mantel Mariä auf Tafel IV),
dunkelblau mit grünen Streifen, grünlichgelb,
ritlidgelb, braunrot, purpur, feuerrot, purpur
und dunfellilablau mit grünen Streifen. Die
Gefichtsfarbe aller ift rötlichgelb, die Haarfarbe
von linfs nach rechts: fchwarz, braunrot bzw.
dunfelpurpurrofa wie der Mantel mit fehmwarzen
Zupfen, fchwarz, rotbraun, hellblau, fchwarz,
ſchwarz, hellblau, jchwarz, jcehwarz, rotbraun
und [hwarz!). Die Flammeajen find 3innober-
rot. Die Schriftrollen find hellgelb bis anf die
hellblaue des Greijes linfs. Das Buch ift
golden mit bellblauen Seiten und feiner
ginnoberroter und jchwarzer Einfaffung und
Ihmwarzen Bändern. Der Rand ijt englifchrot,
nad) innen von einer fchwarzen Linie begrenzt.
Fol. 74a (alte Zählung 73a) ift von
der Ynitiale S auf lichtpurpurnem Grunde ein-
genommen. Die Höhe beträgt 19, die Breite
15,4 cm. Der Buchitabenförper ift golden
mit zinnoberroter und purpurner Füllung. Der
Innenraum ift blau und grün gefärbt. Die
Umrandung befteht aus fchattierten grünen
Palmetten in blauem Grunde. Die mittlere
Palmette auf jeder Seite ift purpurn fchattiert.
Die breiten Goldlinien des Nandes find von
feinen zinnoberroten Linien eingefaßt. Die
Schrift ift golden.
x
\ SS SCC WS 49 Go aoa
=
> i }
mM YZ
ran (A
r
gı
y
ELEC ERIN OS
Abb. 6, fol. 74a (alte Zählung 73a).
301. 86b (alte Zählung 85b) ftellt Zacha=
rias mitdem Engel dar. Tafel VI. Die Höhe
beträgt 19, die Breite 15,3 cm. Der Hinter-
grund ilt golden, der Boden grün fchattiert,
der Himmel hellgelb, die Seiten find purpurn
ins helle Lila fpielend, alfo zmifchen dem
tiefen Purpur von lla und dem bei den an-
deren Initialen verwandtem hellen ftehend.
Zacharias Hat hellblaue Tunifa, Bart und
Haare, der Engel Hat hellblaue Tunika
und ebenfolche fchattierte Flügel. Der Mantel
des erjteren ijt feuerrot mit feinem weißen
Mufter, der des leßteren grünlich gelb. Ba-
arias hat grünen, der Engel dunfelblaulila
*) Was Hier mit fhmwarz bezeichnet ift, ift eine fehr fdwer definierbare dunkle, bald ing Graue, bald
ing Grüne jpielende Farbe. Alle Farbenangaben haben felbftverftandlid teinen Unfprud auf abfolute Zus
verldffigteit. Troß größter Mühe gelang e8 mir häufig nicht, für die zarten jtet8 ineinander übergehenden
baw. mit andersfarbigen Lichtern gehihten Gouadefarben einen paffenden Wusdrud gu finden.
Ein unbelannter Eoder der Vögefhen Malerjhule in Augsburg 63°
Nimbus mit feiner zinnoberroter und fdhwar-
zer Einfaffung. Die Hautfarbe beider ift röt-
lichgelb, die Haarfarbe des Engels rotbraun.
Stab und Schnur des hellbraunen Weihrauch-
gefäßes ift ebenfalls dunfel rotbraun, Ießtere
mit feinen zinnoberroten und meißen Win-
dungen. Der Altar ift unten braun fchattiert,
dann grüngelb, wie der Mantel des Engels,
dann dunkelblau (die Bordüre) mit weißen und
Ihwarzen Verzierungen, hierauf purpurrojfa.
Auf dem Altar ift ein grüner, weiß, fchwarz
und rot gefprenfelter Fled mit zwei hellblauen
Kleinen Gefäßen. Die beiden linken Säulen
find grünlichgelb fchattiert mit dunfelblaulila,
die rechten purpurrofa fchattiert mit grünen
Rapitellen. Das feuerrote Dach hat Links
eine blaßblaue Giebelfeite.e Der Dachbalfen
ift englifd) rot. Der Abakus der Säulen gelb
fdattiert. Die Einrahmung ift englifch rot,
mit feiner fchwarzer Innenlinie.
501. 87a (alte Zählung 86a) Initiale C
auf lichtpurpurnem Grunde. Höhe 18,9, Breite
15,4cm. Der Buchftabenfirper befteht aus
Gold mit roter Füllung, der Innenraum ift
grün und blau ausgefüllt. Die Randvergierung
befteht aus purpurrofa fdjattierten Kugeln
auf grünem Grunde, als äußere und innere
Ginrahmung dient je eine ftarfe Gold-
linie, die von feinen zinnoberroten Linien
eingefaßt ift.
CC) OF OO
Abb. 7, fol. 87a (alte Zahlung fol. 86a).
501. 90b (alte Zählung 89b) Petrus im
Kerter. Tafel VII. Größe 19,3 zu 15,4cm. Der
Hintergrund ift golden. Petrus mit hellblauer
Zunila, Bart und Haupthaar und hellgelbem
Mantel trägt grünen Nimbus mit feiner zin-
noberroter und fchwarzer Einfaffung. Der
Engel in hellblauer Zunifa und orangefarbenem
Mantel mit violett fehattierten (annähernd
purpurrofa) Flügeln ift mit dunfellilablauem
wie bei Petrus eingefabten Mimbus verfehen.
Der Wächter links hat purpurrofa Tunika,
blaufdattierte Wadenjtrümpfe mit meißen
Punkten und hellgelbe Schuhe. Sein Schild
ift feuerrot fchattiert mit weißen Verzierungen.
Der Schild des rechten ift dunfelblaugriin,
feine Zunifa hellbraun, die Wadenftrümpfe
dunkelblau fchattiert, die Schuhe hellblau.
Der Wächter unten lints ift wie der oben
techt3 gefleidet, jedoch mit hellblauer Tunifa.
Der Wächter unten rechts hat hellblaue Tu-
nifa, dunfelblauen Mantel, feuerroten Schild,
purpurne Strümpfe und hellgelbe Stiefel. Die
Hautfarbe aller ift rötlichgelb, nur der Engel
hellgelb. mei haben fchwarze, zwei rotbraune
Haare. Der Fußboden oben und unten ift
grünfchattiert. Das Gebäude ift fdmubig
licht odergelb fchattiert, das Dach dunfler,
die Türeinfaffung hellblau, ebenfo wie die
Langenfpigen. Die Tür ift rötlich-gelb fchat-
tiert, die Kette violett, die Lanzenfchäfte
dunkelbraun, mit roten und weißen Ber-
gierungen, die Einfaffung englifchrot mit feiner
fhmwarzer Innenlinie Die Schilde find mit
meißen Punkten verziert. Die untere Hälfte
deS Bildes ift etwas gerfragt.
Ubb. 8, fol. 103a (alte Zählung 101 a).
64 Dr. Mar Kemmerid
Fol. 103a (alte Zählung 101a) Jni=-
tialen IN auf lichtpurpurnem Grunde. Die
größte Höhe beträgt 21, die Breite Lbcm. Der
goldene Budhftabenfirper ift mit rot und
Burpur gefüllt, Iegterer mit hellen Bunften
und Linien geziert, der Innenraum ift grün und
verichoffen blau ausgemalt, auf der rechten
Seite mit 3 weißen Verzierungen. Das Gold
ift mit feinen ginnoberroten Linien eingefaßt.
Die Umrahmung befteht aus grünen, blauen
und purpurrofa fchattierten Balmetten. Die
Einfafjung ift golden, ebenfo die Schrift. Im
Innenraum der Ynitialen laffen fich Spuren
von roten und meißen Bunften erfennen.
Der Charakter der Malerei ift etwas von dem
der anderen Initialen abweichend.
Fol. 106 b (alte Zählg. 104b) Johannes
der Täufer, oben Tanz der Salome.
Tafel VIII. Der Hintergrund diejes fehr farben
prächtigen Bildes ift golden. Salome trägt
dunfelblaulila Zunifa mit punftiertem Befaß in
lichten Oder, hellblaue Nermel, gelbes Kopf-
tuh, fdwarge Schuhe, braunroten Mantel
und ein punftiertes Diadem in lichtem Oder.
Der Tifch mit hellblauem Tifchtuche fteht vor
einer violetten (lichtpurpur) Truhe mit oder-
farbiger oberer und unterer Leifte. Die Kiffen
und des Königs Mantel find grün (leuchtend
permanentgrün), feine Zunifa lichtpurpur.
Der Mann am meitelten links hat hellblaue
Zunifa und braungriinen Ptantel, der links
neben dem Rinig im hellblauen Bart hält
einen hellgelben Becher und tragt eine dunfel-
blaulila Tunifa. Die Männer recht? vom
König haben hellblaue Zunifen, der fchmwarz-
bärtige Mann braunroten Mantel, der bart-
Iofe rechts dunfellilablauen Mantel. Der
Bediente trägt hellblaue Tunika und Stiefel
und braunrote Wadenjtrümpfe. Die Geräte
auf dem Tijd) find hellgelb, ebenjo das Ge-
fäß de3 Dieners. Fifd) und Klinge de3 Meffers
find hellblau, Griff des leßteren fdwarz. Die
Krone des Königs ift Lichtoder mit hellen
Punkten. Der Fußboden ift hellbraun jchattiert.
Unten: Enthauptung des Johannes.
Goldener Hintergrund und braunfchattierter
Boden. Der Krieger trägt oderfarbige Tunika
und braunen Mantel, dunfellilablaue Waden-
Itrümpfe und hellblaue Stiefel, grünes Schwert
mit hellblauem Griff. Die Mauern der Stadt
find [hmußig odergelb (gelblichgrau), die Türme
hellblau, die Dächer feuerrot, das Tängliche
Gebäude recht und die beiden Türme Lintg
und rechts find duntel-purpurn bedacht. Der
Leichnam de3 Yohannes ijt mit hellblauer
Zunifa und lidtpurpurnem Mantel befleidet.
Daneben: Salome vor der Herodias.
Die Kleidung der Salome wie oben, nur daß
unter der Zunifa ein zweites hellblaue Ge-
wand hervorfieht. Das Gefäß in ihren Händen
iit hellgelb. Die Herodias fit auf grünem
Politer, das auf gelbfchattierter (Lichtoder) Un
terlage ruht und Hat ihre fchwarzbejchuhten
Füße auf einer grauen Fupbant aufgefeßt. Ihre
Zunifa und Kopftuch find hellblau, der Mantel
englifdrot. Alle Gefichter haben rötlichgelbe
Färbung, aber heller als 3. B. das des Hl.
Sofeph auf fol. 1b. Die Einfaffung bejteht
aus einer englifchroten Linie. Die Farbe der
Schrift ift nicht feftzuftellen.
Fol. 113a (a.3. 111a) ftellt das Wunder
des Jünglings von Naim dar. Tafel IX.
Größe 19,4 zu 16,2 cm. Der Hintergrund
ift fehr ähnlich dem auf Tafel IV. Chriftus
bat hellblaue TZunifa — ebenfo die Jünger — und
lichtpurpurnen Mantel. Der goldene Nimbus
zeigt ein hellblaues Strahlenfreuz. Der ſchwarze
Rand ift mit weißen Punkten geziert. Der
hellblau gebartete Jünger hinter Ehriftus
(Petrus) trägt grünlich-gelben Mantel, der
bartlofe neben Petrus dunkel cadmiumgelben
und der fchwargbärtige am Rande dunfellila-
blauen Mantel. Der vordere Träger der Bahre
hat cadmiumgelbe Tunifa, zinnoberroten Manz
tel, dunfellilablaue Wadenftrümpfe und hell-
blaue Stiefel. Sein rechter Nebenmann trägt
Ihmußiggraugrüne Tunika, die yrau im Hinter-
grund hHellblaues Kopftuch) und ebenfolchen
Mantel und gelbgrüne Tunifa mit lide
purpur weiß punftiertem Befag und fchmwarze
Stiefel. Der rötlichhlonde bärtige Mann
neben ihr Hat hellblaue Tunila und Stiefel
und hellbraune Wadenftrümpfe. Der Binge
ling auf der Bahre hat hellblaue Tunika
und lichtpurpur Dede um den Unterförper.
Der hintere Träger der Bahre hat hellblaue
Zunifa, braunen Mantel, zinnoberrote Waden-
ftrümpfe und lichtpurpur Stiefel. Die Trag-
ftangen find aus Gold mit feiner ginnoberroter
Einfaffung, die Bahre ift braun, die obere
Hälfte des Bahrtuches fchmußiggrün, die
untere lihtpurpurn mit weißen Verzierungen.
Ein unbelannter Koder der Vögefhen Mtalerfchule in Augsburg
Zafel I
Die Vorderfeite de3 Tores ift gelblich-meiß, die
rechte Mauerjeite jchmußig odergelb fchattiert,
da8 Dach ehedem wohl feuerrot, jet abgenußt,
ebenjo die Dächer der beiden Türme im
Hintergrund, während das längliche Gebäude
A. M. 3 u. 4.
fol. 1b.
tiefpurpurnes Dach und hellblaue Seiten hat.
Die Mauerzinnen links find dunkelgrau. Die
Wfroterien find golden, das Gefimje am Tor-
turm ift hellpurpurbraun. Die Gefichtsfarbe
Ehrifti und der Jünger ift diefelbe Lichtgelbröt-
9
66 Dr. Dar Kemmerid
lie wie auf den früheren Bildern, die andern
Berfonen, von denen vier rotbraune, eine
rötlichblonde, fieben dunfelgraue bezm. fchwarze
Haare haben, zeigen zum Teil eine etwas dunf-
lere Hautfarbe etwa wie die Hirten auf Fol. 1b.
Die Schrift ift zinnoberrot, die Einfafjung
englifchrot mit goldenen Verzierungen und
[hmwarzen Innenlinien.
50l. 124a (a. 3. 122a) ftellt da8 Gleich-
nis von der Hochzeit dar und ift eines der
farbenprädttigften Gemälde (Tafel X). Größe
19,5 zu 15 cm, Oben das Gaftmahl. Der
Hintergrund ift golden, der Fußboden licht-
oder jchattiert, da8 Dach feuerrot mit bell-
gelbem Giebel und Mfroterien. Die Säulen
find hellgrünlichgelb fchattiert mit purpurrofa
Rapitellen, die Vorhänge find dunfellilablau
mit odergelben weißpunftierten Streifen und
Ichwarzer Einfafjung. Der König trägt feuer-
roten Mantel, Hell purpurne Tunifa mit
lichtocergelben meißpunftiertem SBefag und
fhwarze Schuhe. Bart und Kopfhaar ift
hellblau, da8 Diadem Tichtodergelb mit roten
und weißen Punkten. Der Bräutigam bat
grüne (wie das Grün auf den meiften der
vorigen Bilder, ins fchmußiggelbe fpielend)
Zunifa in der Farbe des dunkelblau gerän=
derten mit weißen und fchwarzen Punkten ver-
zierten Tifchtuches und dunfellilablauen Mantel.
Die andern Perfonen am Tifche haben bis
auf den Mann im Werftagsgewande, der
graue Kleidung mit feuerroten Stiefeln trägt,
hellblaue Tunifen. Der am weiteften links
trägt grauen, die Braut lichtpurpurnen Mantel
und hellblaues Kopftuch. Der vordere Diener
hatpurpurrofa Tunifa, feuerrote Wadenjtrümpfe
mit weißen Punkten und hellblaue Stiefel, der
andere Diener Hellgelbe Tunifa und Stiefel
und dunfellilablaue Wadenftrümpfe. Der
Schemel, auf den: der Mann im Werktags-
gewande fikt, ift oder fchattiert. Die Fuß—
banf grau. ;
Unten ftellt die Berjtoßung des Schuldigen
in die Hölle dar. Diefe ift purpurn in allen
Schattierungen, vom Bildrand zur Bildmitte
heller mwerdend. Die Kleidung des Sünders
ift mie oben, ebenfo die der Diener, nur daß
die Farbe ihrer Stiefel umgekehrt ift. Der
Bräutigam trägt dunfellilablaue Tunifa mit
rotem punftiertem Bejaß, grünen Mantel
und hellblaue Stiefel. Die Stäbe oben und
unten find purpurbraun fchattiert. Das
ganze Bild ift von einer englifchroten Linie
eingefaßt.
301. 153a (alte Zählung 150a) zeigt auf
nicht mehr leudjtendem Goldgrunde die Ge-
fcicte von Chriftus und Zadaus in der
Größe von 19,4 zu 15 cm (Tafel XI). Chriftus
trägt hellblaue Zunifa und lichtpurpurnen
Mantel, der grüne Nimbus mit hellblauem
Strahlenfreuz ift von feinen zinnoberroten und
Thwarzen Linien mit weißen Punkten ein-
gefaßt. Petrus hat mie immer hellblaue
Haare und Tunifa und grünlich gelben Dan-
tel, der Jünger hinter ihm mit rötlichblondem
Bart trägt gelbliche Tunika und zart purpurnen
Mantel (etwa in der Farbe der Seiten von
86b), der folgende hellblaue Tunifa mit
licht odergelbem Mantel, der am weiteften
rect hellblaue Tunifa und Stiefel, dunfel-
lilablaue Wadenjftriimpfe und grünen Mantel.
Die Tunifa des Zachäus ift hellblau,
ebenfo die Stiefel. Der Mantel ift feuerrot,
die Wadenftrümpfe find dunfellilablau. Der
braunfchattierte Baum mit grünfchattierten
Blättern hat eine pilzartige hellblaue Krone.
Die Türme der Stadt find hellblau, die Mauern
Ihmugig odergeld fchattiert (gelblich-grau), die
Dächer feuerrot, daS Gebäude links ift hell-
gelb, das rechts rötlich mit tiefpurpurnem
Dad. Der Boden ijt grün, die Umrahmung
englifdrot. Am Scluffe des Kodex fehlen
etwa 4 Bogen, zweifellos ebenfalls mit Mi-
niaturen. Die Erhaltung der Malereien ift
durcchgehends ganz vortrefflich, abgejehen von
einigen zerfragten Stellen. Sträflicher Ueber-
mut bat auf Fol. 51b (Tafel UL) und Fol. 73 b
(Tafel V) dasfelbe gweifellos fehr alte, mir
unbefannte Wappen eingerigt. Ein anderes
Wappen mit der Beifchrift „haldewaerg“ (?)
auf Fol. 124a (Tafel X).
Außer den genannten von uns in faft
genauer Größe des Originales reprodugierten
Abbildungen befinden fich Kleinere farbige Qni-
tialen auf den folgenden Blättern: Fol. Yla
(alte Zählung 90a), Fol. 105b (alte Zählung
103b), Fol. 113b (alte Zählung 111b),
ol. 120b (alte Zählung 118b) und Fol. 121 b
alte Bablung 119b). Ferner find fehr zahl-
reiche unmittelbar auf das Pergament aufge-
fete Initialen in Gold durch den ganzen
Eodeg verjtreut.
Gin unbefannter Codex der Vögefchen Malerfchule in Augsburg 67
Zafel II
Wenn wir oben verjuchten, die Farben
möglichjt genau zu befdreiben, mas ja nature
gemäß jelbjt bei größter darauf verwandter
Mühe immer nur fehr unvolllommen gelingen
fann, jo wird uns die weitere Unterfuchung
die Notwendigkeit diefes Vorgehens bemeijen.
fol. 35b.
Bei der großen Aehnlichfeit der frühmittels
alterlichen derjelben Zeit und demfelben Schuls
zufammenhang entijtammenden Malereien fön=
nen uns nur Details Aufklärung über Ent-
ftehung3-Ort und Beit bieten. Deshalb gilt
e3 fich hier in diefe zu verfenfen.
Qt
68 Dr. Mar Kemmerid
Il. Die Teduil.
Alle Bilder der Handfdhrift find in Ded:
farben ausgeführt und zwar auf Borzeichnungen
in Tinte. Da unfere Handjchrift ducchgehends
vortrefflich erhalten ift, fo läßt fich die Vor-
zeichnung nur an wenigen Stellen erkennen;
im allgemeinen ift fie durch die Dedfarben
völlig zugededt. Wie Böge von feiner Schule,
zu der, wie wir fehen werden der Coder
gehört, fagt, hat diefe Dedmalerei im allge
meinen einen flachen Charakter ohne eigentliche
Modellierung. „Schatten und Lichter find
mehr rein zeichnerifch eingetragen, nicht in
breiten Flächen aufgefebt.” Prinzipiell find
die Figuren nicht in Schwarzen Konturen ums
zogen wie im fpäteren Mittelalter, vielmehr
zeigt fic) der ftets fehr diskret auftretende
Kontur nur an einzelnen Stellen. So wo
das Gewand fich von den nadten Teilen ab-
heben foll, alfo am Hals= und Nermelausfchnitt
und wo die Füße unter der Tunika hervor-
treten, fonft nur leicht angedeutet. Die hellen
Gemwänder liegen ftet3 fonturlos auf dem
Goldgrund. Deshalb können wir mit Bige
fagen: „Der Kontur fcheidet nur (die farbigen
Zeile unter einander), er umzieht nicht.“
„Was die Motivierung des Faltenwurfes
im Innern angeht, fo find nur die Hauptzüge
leicht, mehr fligzierend angedeutet, feine Ber-
legung der Fläche in einzelne fcharf umriffene
Helder, das Wefentlide der Motivierung in
einem dunfkleren Ton der Gemwandfarbe jelbit
gegeben.“ Und zwar ift zur Einzeichnung der
Konturen in die Dedmalerei auch die Feder
ftarf verwendet worden.
Was den Hintergrund der Scenenbilder
anlangt, fo lajjen in der ganzen Schule und
Ipeziell in unferem Codex fich zwei Arten
deutlich unterfcheiden; der Goldene und der
Ichattierte Yarbige, außerdem gibt e3 Ver—
einigungen beider. Der Goldene findet fich
auf fol. 1b unten, fol. 51b, 90b, 106b,
124a und 155a. Der Farbige auf fol.
35b, TOb und 113a. Er befteht, mie wir
bet Befdhreibung der Bilder fahen, aus einer
hellpurpurroſa Schicht zu oberft, darauf ein
breiter, die eigentliche Bildfläche füllender
bläulichlila (mattlila) Streifen (nad) Wöge,
dem ich mich in allen Farbenbezeichnungen
tunlihit anfchließe, ins Lilagrau fpielend)
dann folgt der grüne oder bräunliche Vorder-
grund, einmal verläuft der farbige Hinter-
grund in einem fchmußiggelben Streifen (fol.
113 a), der vielleicht Sandboden andeuten foll.
Was die Kombination beider Gründe anlangt,
fo ift auf fol. 73b und 86 b das Innere des
Gebäudes golden, der Himmel darüber im
eriteren Bilde blau und gelb geftreift, im
zweiten nur gelb. Auf fol. 1b oben ift der
Hintergrund blau, oben hellgelb. Damit fällt
diefe8 Blatt aus dem Rahmen der andern
heraus, wie e8 überhaupt einige geringe Ber-
chiedenheiten von den andern Bildern auf-
weift.
Der Vordergrund ift entweder grün
in verfchiedenen Nuancen gwifden gelbgriin
und tiefmeergrün, (fol. 1b, 35 b, 86b, 90 b,
155a) oder (fol. TOb, 73b, 106b, 124a),
er ift bräunlich, rotbraun oder licht englifchrot
und auch heller und ftellt dann Erdwellen .
(fol. 7Ob) und Schollen dar, (fol. 106b 124b)
Auf fol. 73b, wo die Scene in einem Ge-
bäude fic) abfpielt ift das Leder braun mie
ein geftrichener Bretter-Boden. Ein Vorder:
grund fehlt auf fol. 5lb. Während fich in der
Anwendung des Schollenvordergrundes fein
beftimmtes Prinzip verfolgen läßt, infofern
er fich auch findet, wo man gefchloffene Räume
vermuten jollte, wie beim Gaftmahl und Tange
der Salome, ijt er grün nur bei Scenen, die
im Freien fpielen. Uebrigens wadfen aus
manden ' der Bodenfurchen dreiblätterige
Blumen von derjelben bräunlichen Farbe aus
den Bodenvertiefungen heraus. Gbenfo hat
Bige erkannt, daß der farbige Hintergrund
da Anwendung findet, wo wir unter freien
Himmel oder in die Luft verfeßt werden
follen, der goldene Hintergrund aber vertritt
in den Häufern die Wandflächen oder lift
den Ort, wo fic) ein Vorgang abfpielt, unbe-
{timmt.
Sn der Umrahmung der Bilder find
wenige Motive verwandt. Entweder fie ift
golden (fol. 1b, 35b,) dann ift die Innen-
feite von einer feinen fchwarzen, die äußere
von einer feinen zinnoberroten Linie begrengt.
Oder fie ift englifdrot (purpurbraun).
Hier ift dann entweder die Einfaffungslinie
mit goldenen Rauten, die durch goldene fent-
rechte Stäbchen getrennt find verziert (fol. TO b,
5lb, 113a) genau wie im Codex Egberti,
Gin unbefannter Codex der Vsgefden Malerfdule in Augsburg
Tafel IIL
oder die Bergierung fehlt und die Cinrah-
mung ift innen von einer feinen fchwarzen Linie
eingefapt (73 b, 86b, 90b, 155a bier nur unten).
Diefe fehlt nur zweimal (106b und 124a).
fol. 51b
Die Snitialen find durchgehends auf pur=
purnen Hintergrund aufgefeßt und von goldenen
Linien eingerahmt, die nach außen und innen
von feinen zinnoberroten eingejäumt find. Hier
70 Dr. Mar Kemmerid
zeigt fich alfv infofern eine Abmeichung von
den Scenenbildern, al3, wie erwähnt, bei diefen
die Ynnenlinie nicht golden, fondern jchwarz
zu fein pflegt. Nur in zwei Fällen (fol. lla
und 52a) find die Jnitialen überhaupt nicht
eingerahmt, fondern ftehen tempelartig un=
mittelbar auf dem Pergament auf einem
bafisartigen Unterbau.
Das in den Spnitialen verwandte Gold
ift ausnahmslos von feinen zinnoberroten Linien
zu beiden Seiten eingerahmt.
Auch in der Kleidung Laffen fich gemein:
fame Züge nachmweifen. So haben alle vor=
nehmen Perfonen diefer Schule und unferer
Sandfchrift, hellblaue Tuniken, nur der Engel
(fol. 51b) hat eine weiße, der König (fol. 106 b)
eine purpurne, (fol. 124a) eine purpurrofa
gefärbte mit odergelben Beat, Salome eine
dunfellilablaue mit derfelben Verzierung, (fol.
124a), und der Bräutigam einmal eine in
dunfellilablauer (fol. 124a unten), einmal eine
in grüner Farbe mit Verzierung.
Bemerkenswert ift, daß das weiße Ge-
wand — nur Tunifa — des Engel3 am Grabe
mit farmoifinroten (Bige fagt dunkel pur=
purrofa) Streifen fic) ebenfo findet in der
Baınberger H3. W. II. 42, fol. 69b und dem
Code M. p. th. 49,5 der Würzburger Uni-
verjitätsbibliothel, fol. 20a. Das Gewand
ift für einen beftimmten Typus des Engels
am Grabe geradezu charakteriftifch und findet
fich vielleicht auch noch in andern Handichriften
unferer Schule in derfelben Scene.
Für die Tunifen der niederen Leute laffen
fich feine Regeln aufftellen, wohl aber ift das
Kleid des Gastes im Gleichnis von der Hodj=
zeit grau, wie in Elm. 23338 fol. 158 b.
Jn unferer Handfchrift tragen Maria
und Sofeph ftets dunfellilablaue Mantel, wie
e8 aud) in den andern Kodices unferer Schule
die Regel ift. Chrifti Mantel ift ftets pur-
purn in verschiedenen Schattierungen nur auf
fol. TOb hellgelb. Der König auf fol. 124 b
ift mit feuerrotem Mantel befleidet, wie er
aud) in den Kodice8 des Raifers Otto im
Münfterfhag zu Aachen Tafel III, im Elm.
4453 Elm. 58 fol. 30b, im God. mbr. U. I.
19,4% der Beverinifchen Bibliothek in Hildes-
heim fol. 84a, im Elm. 23338 fol. 154b,
und 158 diejelbe Kleidung, die aber feine aus—
nahmslofe Regel bildet, trägt. Diefelbe Farbe
fommt auch bei anderen Perfonen vor, nämlich
bei einem Sünger fol. 35b und 73b, bei
BZahäus auf fol. 155a, bet Salome fol.
106 b und dem einen Tifchgenoffen ebenda, bei
Zacharias fol. 86b. Die Jünger Ehrijti find
auch in unferm Coder nicht nach bejtimmten
Gefidtspuntten bekleidet. 1)
') Die Parallelftellen find, foreit fie nidjt Codices der Münchener Hofs und Staatsbibliothet (Elm.)
betreffen, wo mit eine Bergleidung miglid) war, nad Vöges vorbildlidem Werke zitiert. Bei der großen
Zuverläffigfeit diefes Autors dürften aud) ohne Nahprüfung die Verweifungen ridtig fein. Zur Vereinfadung
fei nadhftehende von Vöge eingeführte Art der Bezeichnung Hinfort angewandt:
A. = Codex bes faijers Otto im Münfterfhat zu Wachen. Die Bezeichnung der Tafeln nad
St. Beilfel „Die Handfhrift des Kaifers Otto’.
M. = Cod. lat. Mone. (Clm.) 4453 Eim. 58.
I. = Elm. 4452 Gim. 57.
Il. = Elm. 4454 Gim. 59.
ILI. = Cod. Colon. XII (Darmft. 1951) membr. 2°, Evangelienbud) der Dombibliothet zu Köln.
a
m
Cod. 84. 5. Aug. fol. mebr. Evangeliftar der Hergal. Bibl. gu Wolfenbüttel.
Cod. membr, U. I. 19, 4°, Orationale der Beverinifchen Bibl. zu Hildesheim.
VI. = A. I. 42 membr. 2°, Wpofalypfe mit eingebundenem Evangelienbud) der fgl. BibI. zu Bamberg.
VIL. = Elm. 23 338.
VIII. = Cod. lat..18005 (Oratoire 35) Cod. membr, 2°, ein Gaframentar der Parifer National-Bibl.
IX. — Mss. Centur. IV. No. 4, Cod. membr. 2°, ein Gvangeliar der Mitrnberger Stadtbibl.
X. = M. p. th. 4, 5 Cod. membr. 4°, ein Leftionar der Würzburger Univerfitätsbibl.
XI. = Cod. membr. 2°, No. CCXVIII, ein Evangeliar der Kölner Dombibl.
XII. = Gin Evangeliar in den vereinigten fgl. Sammlungen in Hannover, Prinzenftr. 4. Sect. X XI.
a No. 37, Cod. membr. 4°.
XIII. = Ed. V. 9 Cod. membr. 4°, ein Troparium und Sequentiarium der fgl. Bibl. in Bamberg.
XIV. — Hs. ber Bibliotheca Queriniana gu Brescia Cod. membr. 2°.
XV. = Cod. No. 1, 2, 4° 11 moembr. 4 ber fiirfilid) Wallerfteinfcen Bibl. zu Maihingen bei Nörd-
lingen, ein Benediftionale.
XVI. = Cod. No. 10, jegt XIV. 84 der Bibl. Sarberina.
Gin unbetannter oder der Vögefhen Malerfeäule in Augsburg
Tafel IV fol. TOb (alte Zählung fol. 69b).
Neben der erwähnten Borde in lichtem Punkten (fol. 106b 2 mal und fol. 124a
odergelb mit weißen und dunfleren odergelben in verfdiedenen Nuancen) finden wir nod
XVIL. = QSandfdrift Io. 3 deS Egl. Kupferftidfabinettes in Berlin.
B. = A. I. 47 ber fgl. Bibl. in Bamberg.
Alle genannten Handichriften gehören dem Ende des X. bezw. dem Beginn de8 XI. Jahrhunderts an.
72 Dr. Mar Kemmerid
eine dunfelblaue mit fehmarzen Punkten auf
fol. 86b und 124a unferes Koder. Diefelbe
zeigt M. 30b, 192a; I. 149b, 161b; II.
25 b; Ill. 22b; IV. 4b, 66b, 79b; .V. 76b,
VI. 16 b.
Bwei farbige Vorhinge, oben purpurrofa,
unten dunfelgriin find in unferem Coder nicht
enthalten, wohl aber in B. 31b; M. 24a, I.
3b, 17b, 149b; V. 4b, Hiergegen find die
Vorhänge in unferer Handichrift dunellilablau
auf fol. 86b, 124a, während das Bartud
auf fol. 113a oben dunkelgrün unten purpur=
rofa gefärbt ift und das dunfelgrüne Gewand
der Frau auf demfelben Blatte eine Borde in
purpurrofa Farbe zeigt. Bon den Scilden
auf fol. 7Ob find zmei feuerrot, zwei dunfel-
grün, beide Farben fchattiert. Diefelbe
Kolorierung. findet fic) nebeneinander: I.
107b; IV. 69b, V. 56b, VI. 69b. Feuer-
rot find die Schilde in A. Tafel III; VII.
158b; grün in M. 24a, 30b; VII. 82a.
Thronfeffel find in der ganzen Schule
und in unferm Goder regelmäßig oderfarbig
(fol. 106a unten) Kiffen grün (fol. 106a
2 mal). Das Fußbrett davor in unjerm
Coder (fol. 106b) grau, mie die Kleidung des
Gaftes font in der Schule grau, fchmußig
purpurgrau, lilagrau, gelbgrau und vereinzelt
bräunlich.
Der Mauerring der Städte und die
Außenfläche der Gebäude iſt regelmäßig
ſchmutziggrau bzw. gelbgrau ſo fol. 1b, 51b,
9Ob, 106b, 113a und 155a. Diefelbe
Färbung findet fich in der ganzen Schule mit
alleiniger Ausnahme von VI. b, wo das Gee
mäuer fol. 8a blaßgelb, fol. 26a blaßlila
ift. Wie die Mauern find auch die einzel-
ftehenden Türme gefärbt, während folde im
Mauerring hellblau find. So die auf fol.
106 b und 155 a. Böge hat beobachtet, daß die
hellblaue Färbung in der ganzen Schule die
Regel, die fich auf fol. 113a findende gelbgraue
(ferner in A., M, 30b; I. 9a, 77b; VI. 45a)
die Ausnahme bildet. Cine Ausnahme bildet
ferner dag graue Mauerftüc — in der Farbe des
Zußfchemel® und des Gaftes— auf fol. 113a.
Die Häufer im Innern der Städte find regel-
mäßig in der Schule hellblau gefärbt, in
unferm Codes nur auf fol. 113a die Seite
des Tempels. Hingegen ift die feltene blap-
gelbe und rötliche Färbung bier häufiger, (fol.
106a und 155a), nur in I. 77b; VI 8a
und 45a find fie noch blaßgelb, in VI. 6b
grau. Diefe Heine Abweichung unferes Stiles
vom Schulftil könnte einen Hinweis auf den Ent-
ftehungsort -— außerhalb des Hauptatelierd —
und Künftler bezw. die Entjtehungszeit bieten.
Die Dächer der Häufer und Türme find
feuerrot oder purpurn. Dunlellila nur 2 Türme
und das Langhaus auf fol. 106b und das
Langhaus auf fol. 113a und fol. 155a.
Dasfelbe gilt von der ganzen Schule. Nur
in A. Tafel IX; M. 107a, 231b und I 9a
fommt purpur vor, dunfellila nur I. 55a
und 162a. G8 ift bemerfenSwert, dab in den
Bamberger Codices I. und VI. fich fowohl
die blaßgelbe Färbung der Häufer, als auc
die dunfellilafarbige Bedachung als Abweichung
vom Schulftil und in Uebereinftimmung mit
unferm Codex finden. Afroterien find in uns
ferer Handfchrift gern golden, nämlich fol. 11a,
73b, 2 mal, 113a, 3 mal, aber auch weiß,
rofa, gelblich und hellblau.
Bemerkenswert find die Kapitelle, von denen
fid) wohl folgende Formen unterfcheiden laſſen
dürften: Das aus der Antike ftammende Alan-
thus-Sapitell (fol. 51b, 52a, 86b), das Phan-
tafie-Rapitell mit Kämpfern (fol. 11a), Die ge
fchloffenen Knospen (73a) und die geöffneten
(124a.) Die Färbung ift purpur, purpurrofa,
helblau, dunfellilablau und grün und zwar
ftets paarmeife. Diefe Kapitelle, befonders die
mit Ufanthusmotiv find fiir unfere Zeit und
Schule Hharafteriftijd.
Wir fommen jest gur widtigften Frage,
der nad) der technifden Behandlung des
Nadten. Nachdem die Charakteriftil, die Bige
von feiner Schule gibt, gang genau aud) von
unferem Codex gilt, fo fei eg mir geftattet
fie hier wörtlich anzuführen, dies umfomehr
als id) feinesmegs den Ergeig befike etwas
{djon einmal gut gefagte3 mit eigenen Worten
Auf dag Nähere werden wir fpdter guriidfommen. — Da id) nicht beabfidtige — aud) wenn id) vermefjen
genug wäre, e8 mir gugutrauen — bier ein Bud) gu fchreiben, dag mit dem Vögefhhen konkurrieren foll, fondern
feine Ausführungen Iediglid) in etmaß ergänzen will, fo nehme ich vieles von ihm gefagte, ohne es ausdrücklich
als zitiert zu bezeichnen, in meinen Text. Ich begnüge mich ausſchließlich mit dem kleinen Verdienſt, den
Augsburger Cod. entdeckt und publiziert zu Haben. Vielleicht findet auch mein Verſuch einer Lokaliſierung Anklang.
Ein unbefannter Coder der Vigefden Malerfdule in Wugsburg 73
u 7
— — 1 * >
SEEN RETTET rn en u
or 2 0 Sn 2
Tafel V Fol. T3b (alte Zählung fol. 72b).
ein zweites mal vielleicht weniger gut auszus | diefe: in farbigen, meift [in unferer Handfchrift
drüden. Er fchreibt: 1) „Die Behandlung ift | bid auf die gang hellgelben Gefichter Chrifti
1) Die von mir gemadten, wo nidt befonder8 bemerkt, nur auf unfere Handihrift zutreffenden Zu=
fage find in ediger Klammer beigefügt. — CEinfdlagig ift Bige S. 157 ff. Die bei Vöge fi findenden ein-
faden Zeihnungen find nur teilmeife wiedergegeben.
UM 3 wd 10
74 Dr. Max Kemmerid
und der Engel (Fol. TIb, 90b), wo er fehr
hell bzw. grünlich weiß ift, und bei den Frauen
am rabe(51b) ausschließlich] braunen Kontur!)
werden auf die heller grundierte Fläche folgende
Teile eingetragen: Augen mit Brauen (in
58. X fehlt hier der braune Strich), zwifchen
Oberlid und leßteren bei großen Köpfen noch ein
feiner Barellelftrich vgl. M. BI. 24 a“; das Auge
wird durch zwei die Lider angebende ge-
frümmte Linien gebildet, wie man auf jeder
unferer Abbildungen deutlich erkennen fann. '
Am äußeren Wugenwinfel entfteht nicht felten
durch plößliches Umbiegen nad) oben ein
rechter Winkel. Da unfere Handfdjrift Feine
großen Köpfe enthält, fo fehlt bier auch der
feine Parallelftrich, wie auch im folgenden alle
die von Bige für folche angegebenen Merk-
male. „Nafe, der braune Nafenkontur, fic
diveft an die Braue anjekend, fehlt nur aus-
nahmsmeife, an der Mafenfpike biegt er giem=-
lich jcharf um, ein flacher, ziemlich Langer,
ftet8 natürlich gebildeter Nafenflügel fett fich
an ifn an; e8 ift alfo eine mejentlich im
Profil gedachte Nafe, charakteriftiich die natür-
fide Nafenflügelbildung; die Schule des
Echternader Codex bildet die Naje unten in
orm eines ftumpfen Winkels: (das heißt:
die Najenform ift hier ftets auch bei mehr
im Profil gedachten Köpfen mefentlich in
Borderanficht gegeben)‘. Bige bemerkt jehr
richtig, daß gerade in diefen fleinften Details
die einzelne Schule ihre feft ausgebildeten
Regeln hatte, an denen man unbedingt fefthielt.
Wie er felbft die Nafenbildung feiner Schule
von der gleichzeitigen Echternadher Kunite
produktion unterfcheidet, jo hat Smwarzensfi?)
die in der Regensburger Schule, der einzigen,
die e8 an Bedeutung damals mit der Vö—
gejchen aufnehmen fonnte, übliche Bildung
der Nafe anderer Teile des Gefichtes feitgeftellt.
Dadurch find wir in der Lage fchon allein
am Geficht mit unfehlbarer Sicherheit — fo-
weit e3 fid) um charafteriftifchen Nepräjen-
tanten des Schultypus handelt, die Zuteilung
der Miniaturen zu einem beftimmten Atelier
vorzunehmen.
Fahren wir mit Vöges Worten fort: „Bei
Köpfen in totaler Borderficht (in den Scenen=
bildern fehr felten) feblt der braune Kontur
am Nafenbein entlang; untere Endung ganz
natürlich gebildet (nie Y ); der Mund mit
zwei Strichen angegeben: —— , bei größeren
Köpfen (Huldigungsbildern) zwifchen Nafe und
Mund: | (niemals zeigt der Mund rofa Fär-
bung)“, dann von der Wange bis zum Kinn das
Geficht in braunem Kontur vom Halfe abge
fcieden, das Kinn wohl durch kleine Strichel-
chen herausmodelliert; befonders charakteriftifch
nun, daß das Geficht nicht prinzipiell von
dunklem Kontur „rings umzogen ijt; Kontur
tritt nur dann ein, mo e3 gilt, das Geficht
von einer anderen in Dedfarbe ausgeführten
Fläche zu trennen (alfo: wo es auf farbigem
Nimbus liegt oder vom Kopftuch umhüllt ift,
oder endlich da, wo innerhalb einer Gruppe
Kopf neben Kopf gereiht ijt); mo ein Kopf,
fei e8 im Profil oder mit der Wangenlinie
direft auf den Goldgrund tritt, fehlt zumeijt
der Außenkontur, oder tritt nur an einzelnen
Punkten auf; das Ohr im Innern motiviert
mit: 3 (rechtes Ohr), bei den fleinen Köpfen
nicht jo deutlich. Dieje braune Konturierung
wird nur an einzelnen Stellen durch Schwarz
verjtärkt. Mit Schwarz werden markiert:
die Brauen (der Kontur hier edig gebrochen);
dann Nafenlöcher, Mundmwinkel, Bupille duch
Ihmwarze Punkte bezeichnet, zwei Punkte in
den Ohren [nicht immer; die innere Model-
lterung Hat häufig nur diefe Form: 5]; oft
am Sinn unten ein paar Strichelchen; models
lierte Schattierung (im Ton etwas dunkler
als der Grund) nur fehr jchüchtern; vor der
Einzeichnung der Konturen leichte Schatten
eingetujcht: an der Nafe entlang, unter dem
Auge (3. T. das Auge felbft von der Braue
abwarts dunfler unterlegt, ein einfaches Mittel,
wodurd) der Kopf einen bejonders lebhaften
Ausdrud befommt, vgl. H8. B Bl. 4b, 5a),
vom Nafenflügel zum Mund, an der Wangen
rundung entlang. Dann das Ganze vollendend,
nach der dunklen Konturierung aufgejeßt: eine
ganz in Strichen gegebene weiße (auch wohl
gelbliche) oder in einer helleren Schattierung
zugrunde liegenden Farbe gehaltene Auflichtung:
ein Punkt im Auge ...., auf dem Nafen-
flügel, dem Rinn..... , über den Brauen,
unter dem Auge eine Reihe von in flachen
Bogen fich hinziehenden parallelen Linien und
1) Das Braun des Konturs auf fol. 106b und 124a ijt etwas rötlicher als das in den anderen
Diiniaturen verwandte.
*) Georg Swargensti „Die Regensburger Bucdhmalerei des X. und XI. Jahrhunderts‘. Leipgig 1901.
Ein unbefannter Godez der Vigefden Mealerfdule in Augsburg 75
Tafel VI
bei fleinen Ripfen nicht fo ausdrüdlich, doc
in allen Hs. belegbar, diefe Striche find nun
gang bart aufgedrudt, auch das längft nicht bei
allen Köpfen; die gleiche Strichelung au) am
Halfe; dann auf dem Nafenrüden entlang:
fol. 86b (alte Zählung) 85b).
weißer Strich, fi) an die über der Braue
berlaufenden Linie anfchliegend, zwei Striche
auf den Mund, fie legen fich über die dunklen
Stride: ——,..... endlich da8 Obr meift um-
zogen: 3.1) Durchaus Ausnahme bleibend das
1) Bu diefen Figuren, die nur ungefähr und nicht fämtlich wiedergegeben find, wolle das Bud VBöges
10*
verglichen werden.
76 Dr. Mar Kemmerigd
Experiment eines hervorragenden Vertreters der
Schule — vielleicht durch ein entwidelteres
Mufter veranlaßt —, wenn in der Hs. B. vgl.
BL. da eine einfeitige Auflichtung — man Lönnte
Beleuchtung jagen — an den Köpfen bemerkt
wird; eine für das ganze Blatt einheitliche
Beleuchtung ijt allerdings nicht durchgeführt ;
aud) Bl. 4b der Hs. zeigt ftärfere Model-
lierung, der Zufammenhang zmwifchen Stirn
und Nafenknochen ftarf hervorgehoben.” Das
von Hs. B. gefagte gilt auch fiir unfere nicht.
„Wohl finden fich öfter vom dunflen
Kontur ganz oder faft ganz umriffene Hände
(vgl. vor allem 68. VI.); im großen und
ganzen ift die Hebung die: e8 werden die
Finger voneinander durch einen Kontur ges
fhieden und zwar läuft diefer (nur einfeitige)
Kontur bei horizontal vorgeftredter „redender“
Hand an der unteren!) Seite der; der eigent-
liche Fingerrüden, ebenfo der obere Außenfaum
der Hand wird weiß aufgelichtet (der untere
Saum zeigt meift dunklen Kontur; faft
immer der Winkel zwifchen Daumen und
Zeigefinger ganz mit Kontur umfahren) ; wie
im Gejiht dann auch hier BVerftärfung mit
Schwarz: Schwarze Punkte (feltener fleine
Strichelchen, diefe ftets in Hs. X) unten
gwifden den Fingern; in gleicher Weife fehlt
aud) an den Füßen vorwiegend am oberen
Saum der Kontur.“
Diefe vortreffliche Charafteriftif, die nod
durch die Bemerlung ergängt fei, daß die Nägel
der Füße und Zehen nirgends marliert find, trifft
im vollen Umfange für unfere Hs. zu, während
die Kriterien, die Böge von den Hs. XI—XIV
gibt, nämlich vor allem ein ftärferes Vordringen
der ſchwarzen Kontur, längere Bildung der
Figuren, breitere Konturen, aufdringlichere
Lichter, tupfige Behandlung der Haare 2c.
bemweifen, daß unfere Hs. nicht diefen teilweife
jpäteren Werken zuzurechnen ift, oder doch nicht
zu einer der Filialfchulen gehört, in denen
diefe Werke entjtanden find, die awar durchaus
mit den Elementen der Mutterfchule arbeiteten,
immerhin aber aus einen gemwiffen Verfall
des reinen Stiles erkennen lafjen, daß fie fich
relativ früh von der Hauptfchule abfonderten.
Gs hat für ung wenig Wert auf diefe Details,
die man bei Böge (©. 163 f.) nachlefen möge,
einzugehen, wichtig ift aber die Konftatierung,
daß unjere Handfchrift ganz zweifellos
mit den Werfen der Hauptfchule die
größte Berwandtfchaft zeigt, ohne jedoch
in allen Einzelheiten mit ihnen genau
übereinzuftimmen. Bevor wir auf die
Farbengebung des Nadten noch näher ein-
geben, wollen wir die Rriterien der gleich-
zeitigen Hauptidulen furg feftftellen. Diefer
Vergleich wird vor allem zeigen, daß fid
ganz verfchiedene Technifen in der Runft
de8 X/XI. Jahrhunderts nachweifen Lafjen,
Techniken, die die Zuteilung unferer Hs.
aud) auf negativem Wege zur Bögefchule
erzwingen. Bugleich rechtfertigt diefer Ber-
gleich, der fi natiirlid) auf Einzelheiten
erjtreden muß, unfere Befchäftigung mit fchein-
bar geringfügigen Details.
Hafeloff, der Herausgeber des berühmten
Pjalters der Erzbifchofs Egbert von Trier
(977—993) in Cividale?) fchreibt in diefer
Beziehung folgendes:
„Die technifche Behandlung der Köpfe
und Hände ift der Gewandung entfprechend
eine vorwiegend zeichnerifche. Einzelheiten unter=
liegen gwar jteten Schwankungen, doch läßt
fih das Pringip der Technif mie folgt
harakterifieren: Die äußeren Konturen der
Hände find braun (ein der Kaftanienfarbe zu=
neigender Ton), jeder Finger hat an einer Seite
[hwarzen, an der anderen braunen Kontur,
die Nägel find meift braun. Der Fleifchton
ift weißlich mit hellgrünen, felten rötlichen
Schatten. Die Köpfe haben feinen einheitlichen
Umtiß, die Tonfur trennt ein brauner Strich
vom Nimbus, die Haare find teil® ganz
Ihmwarz oder braun umgogen [in unfer Hs.
niemal3], teild nur gegen den Nimbus oder
die Tonfur abgegrenzt. Die Wangen haben,
foweit fie nicht bärtig find, eine fchmwarze
Linie gegen den Nimbus. Feit fteht das
Schema erft für die Behandlung von Augen,
Nafe und Mund. BZunädft die Augen:
1) Das ift gumeift richtig, ba aber, wie aud) Vöge betont, der Winkel zwifchen Daumen und Zeiges
finger mit Kontur umfahren wird, fo bat aud) der Oberrand der Hand — ohne den Daumen — fdeinbar
einen Kontur.
?) Sauerland und Hafeloff „Der Pfalter Ergbifdof Egberts von Trier’.
Trier 1901, ©. 78.
Ein unbelannter Eodex der Vögefhen Malerfchule in Augsburg
Xafel VII
[hwarz gegeben werden Brauen und Oberlid
wie Umriß und Mittelpunft der Pupille (lebtere
felbft ift grünlich, nur bei Petrus braun) [in
unferer Hs. augsfchließlich fchmwarz], zwiſchen
Brauen und Lid wird die Falte durch einen
fol. 90b (alte Zählung fol. 89 b).
braunen und darunter einen roten Strid
bezeichnet, denen eine grüne und eine oft
fehlende rote, Schattenlage entfpridt. Das
Unterlid bilden einige helle braune Striche in
einer grünen Schattenpartie. Die Nafe hat
17
78 Dr. Max Kemmerid
nur an der Spike feite braune, feltener ganz
oder teilweife fchwarge Zeichnung, den Rüden
bezeichnet ein weißer Strich, neben dem einer-
feit8 ein grüner, andrerfeits ein roter Schatten
liegt mit ebenfolchen Strichelchen darin. Der
Mund ift durch zwei rotbraune Striche ange-
geben, die Dtundwinkel durch jchruarze, dag Rot
der Lippen ift nur teilweife und chwach durch
Mennig angedeutet. Die Ohren bedeutet ein
roter Fled, in dem eine rote, meift braun
nachgezogene Wellenlinie.“
Wir fehen: fo viele Unterfchiede wie
technifche Merkmale zwifchen unferer Hand=
fchrift und dem Egbertpfalter. E3 fann da=
nad) gar feinem Zweifel unterliegen, daß
beibean verfdiedenen Orten oder dod
mindestens zu verfchiedenen Zeiten ent-
ftanden find. Diefe wichtige Erkenntnis
möüffen wir fefthalten. Auf einzelnes werden wir
{ptiter nod) guriidfommen. Zugleich möge der
Lefer die von Hafeloff gegebene Beichreibung
der Farbengebung des Nadten mit der weiter
unten folgenden vergleichen. Nicht unerwähnt
darf bleiben, daß aud) die Hintergründe im
Pjalter die allergrifte Berfdhiedenheit von
unferer Schule aufmeifen, ebenfo fich aber von
der Regensburger nicht unmefentlich unter-
ſcheiden.
Swarzenski, dem das Verdienſt gebührt,
zuerſt die große in Regensburg gleichzeitig mit
unſerer blühenden Schule feſtgelegt zu haben,
ſchreibt von einem der früheſten Hauptwerke,
dem Regelbuch von Niedermünſter, Cod. Ed.
II, 11 der kgl. Bibliothek zu Bamberg folgen—
de3'): „Das Inkarnat iſt ein fahler weißer
Ton, der dick aufgetragen wird und deſſen
leblofe Wirfung nicht einmal durd) das Auf-
legen einer roten Farbe auf den Wangen
[fommt in unferen Hs. niemals vor!] ge-
mildert wird. Die innere Zeichnung des Ge=
fichtes ift ausfdlieblid) in fchwarz gehalten
und tritt gewöhnlich al8 fefte Linie aus dem
Ton des Inlarnats hervor [in unferer Schule
niemals]. Cigenartig ift befonders die Beich-
nung der Augen. An die gut gefdywungene
Linie des Oberlides fekt das Unterlid an, das
aber nur am Anfang als Linie, dann aber
als eine fchwarze Punktreihe gegeben wird, in
ihrer Bewegung in einer dem Oberlid ganz
!) Swarzensti „Die Regensburger Buchmalerei deg X. und XI. Jahrhunderts’.
ent|prechenden Bogenlinie gefchwungen. Die
Pupille ift ein großer, fchwarzer Rreispuntt,
der unmittelbar am Oberlid hängt [die Augen
unterjcheiden dag Regelbuch ganz charakteristisch
vom Egbertpfalter und der Vögefchule]. Zwi—
fen ifr und der gefennzeichneten Linie des
Unterlides liegt aber noch eine zmeite fürzere
Zinie, die die Pupille umfchließt und einen
etwa parallelen fongentrifden Bogen zu diejer
und zum Unterlide bildet. Die Augen wirken
auf diefe fomplizierte Weife unheimlich groß.
die Nafe ift gewöhnlich durch zmei parallele
Striche gegeben [in unferer Schule niemal3],
die oben an die Nugenbrauen anfegen und
unten von der lebendigeren Linie der Nafen-
flügel umgzogen find. Eine Andeutung der
vertieften Rinne in der Mitte der Oberlippe
ift nicht verfudjt. Der Mund ift in immer
gleichmäßiger Weife durch einen geradezu uns
bewegten, ziemlich langen, wagerechten Strich
gegeben, unter den ein fürzerer, etwa paral=
leler gefeßt ift, der an den Seiten furz aufge-
bogen, den oberen ducchjchneidet. Häufig
find aud) die Mundwinfel durch zwei fleine
fenfredjte Strichel an den Enden der oberen
Linie markiert. An den Händen find regel-
mäßig [in unferer Hs. niemals] die Nägel
und das erjte Gelenf ebenfalls in fchwarzer
Beichnung eingetragen.
Mit der farbigen Behandlung des Fleifches
ift e8 fchlecht beftellt. In trodenfter Weife
ift auf den freidigen Grundton des Ynfarnats
gwifden der Braue und dem Oberlid, gemiß
um eine Vertiefung der Augen zu erreichen,
helles Ziegelrot und giftiges Grün, überein
ander liegend, eingetragen, Die gleichen Farben
aud) auf dem Nafenrüden, — zwijchen den
beiden Linien feiner Kontur. Das Grün findet
fi) außerdem am Unterlid, das Rot nod) am
Munde. Freier ift der Auftrag diefes hellen
„feifchfarbenen“ Biegelrot an den Händen;
e8 findet fih da in breiterer Linie in der
Richtung der Anöchel, außerdem am Hands
gelenkt, am Anfaß der Handwurzel (beim Ende
der Mermel), — jchlieglich noch gelegentlich
an der LZängsfeite der Finger, um ihre Rune
dung auszudrüden.“ Zu diefen großen Ber-
{chiedenbeiten der Technik zwifchen der Vöge-
fhule — wir haben nur auf einige der augen=
Reipgig 1901, S. 53.
80 Dr. Mar Kemmerid
Da wir hier ausfdjlieflid) den Bwed haben
zu bemeifen, daß unfere Handfchrift zur Vige-
fchule gehört, weil ihre Technik mit diefer
identifch ift, ferner, um ja jeden Zweifel aus-
zufchließen und mit Rüdficht auf die fpäter
vorgunehmende Lofalifierung unferer Schule,
zeigen wollen, daß fie fchon deshalb zur Vige-
ichule gehören muß, weil die anderen gleich-
zeitigen Hauptfchulen eine ganz andere, eben-
falls ftreng feftgehaltene Technik befolgten,
nicht aber eine Gejchichte der Malerei des
X./XI. Jahrhunderts fchreiben wollen, fo
mögen unfere Angaben im mejentlichen ge-
nügen. Immerhin fei auf Smwarzenglis Be-
merfungen zu Elm. 14272 auf ©.59 und vor
allem auf feine Ausführungen zum wunder:
vollen Elm. 4456, Cim. 60, dem Gaframentar
Raifer Heinrichs Il. (S. 77 ff.) fowie zum
Utaevangeliar Elm. 13601 Cim. 54 (©. 111 ff.)
hingewiefen. Wenn fich in diefer Glanzleiftung
Regensburgs und — man kann getroft fagen —
des Jahrhunderts auch einige recht bedeutende
Verfchiedenheiten ergeben von der Technik des
Regelbudes, wenn hier befonder8 neben ge:
maltiger fünftlerifcher Individualität auch ein
außerordentlich ftarfer byzantinifcher Einfluß
unverfennbar ift, fo wird damit doch in feiner
Weife eine Annäherung an die Ptalweife
unferer Schule erzielt. Wir müffen vielmehr
feithalten, daß jede Schule auc) für die jchein-
bar gleichgiiltigften Details gang beftimmte
Wusdrudsmittel hatte und gwar fo charaf:
teriftifche, daß — find einmal in der Zukunft
alle Kriterien feftgeftellt — jedes Werf mit
Beitimmtheit einem KRofter wird zugeteilt
werden finnen. 3.8. ift es jegt fchon möglich,
nur nad) der Bildung des Mundes oder der
Nafe, wie fie in einer Handfchrift regelmäßig
wiederfehrt, Ddiefe einem beftimmten Atelier
zuzumeifen oder dod) mindeften3, 3. B. in
unferm Falle, aus diefen Einzelheiten zu be-
meifen, daß der Coder nicht in Regensburg
nod im Mtelier oder zur Beit bes CEgbert-
pfalter8 gemalt fein fann.
Kehren wir nun zu unferm Soder, bezw.
der VBögefchule zurüd, um die Darftellung des
Nadten, die wir in kurzen Umriffen in zwei
andern Schulen eben kennen lernten, zu charal-
terifieren. Vöge fchreibt darüber (S. 171): „Das
Gemwöhnliche ift ein rötliches Gelb (orange;
bisweilen mehr purpurrofagelb, vgl. Hs. XT),
dazu ebenfoldje Schatten, brauner Kontur; e8
ift nicht etwa nur die Färbung der Laien
[dies die Regel in unferer Hs.], aud) die
Engel [3. B. fol. tb], Chriftus 2c. erfdeinen
fo. Daneben dann eine Reihe von Jtuan-
cierungen, Abjchwächungen, Steigerungen (zu=
mal in A mannigfache Varianten, der Ton
bier wohl gelbgrau, vgl. auch II BI. 35b).
Ein ganz fahles Blaßgelb, Schatten und Ron-
tur bellpurpurrofa, fih nur in den älteften
Hss. findend (B. BI. 4b: Geiftliche und Frauen,
Chriftus und die Cfflefia; Hs. Il in M. ging
zu Purpurfontur über, vgl. auch die Evans
geliften), dann fich wiederfindend in XI. (der
Engel am Grabe), die Hs. eine auf die
frühen Rodd. zurüdgehende Ableitung! [In
unferer Hs. den mittleren Engel fol. 1b, die
3 Frauen fol. 5lb, Ehriftug und Engel fol. 7Ob,
den Engel fol. 90b, ebenfo die {don weiter
oben erwähnten Fälle, in denen die Kontur
nicht braun, fondern ganz bell etwa grünlich-
weif ift. Hellpurpurroja findet fic) bei uns
nicht, eine weitere Wndeutung dafür, daß die
Entftehung de3 Cod. nicht in die Frühzeit der
Schule fallt.]
G3 foll mit dem Ton offenbar eine ge-
wiffe vornehme BZartheit der Perfon ange-
deutet werden; das fahle Blaßgelb findet fich
auch mit grauen Schatten [bei unferer Hs.
nicht, e8 bejteht dazu eben inhaltlich auch
feine Beranlaffung], e8 fcheint das Fable des
Schredens damit bezeichnet; wir finden fo
in A die Figuren ded Meerjturmes, Maria,
bie Shader an dem Krugifirus (vgl. aud
T. XXXII u. f.), dann den Demoniafus in M.
(doch vgl. die Engel auf den Evangelijten-
bildern). Sit in der fpäteften Hs. (X) der
rötlicyegelbe Ton ins Feuerrot gefteigert [in
unferer Hs. niemal8], fo ift das nur ein
Zeichen für die im allgemeinen fchreiender,
härter gewordene Färbung diefes Spatlings,
die auch 3. B. in den feuerroten Säumen der
Bilder an Stelle der purpurnen zum Wuse
drud kommt. Doch finden fich feuerrofa Töne
vereinzelt fchon in den älteren Hss.. vgl. in A
Tafel IX, XI (doch hier mit gelbgrauen, aud
ins Grünliche ftreifenden Schatten); einen be=
ftimmten Ginn hat e8, wenn fo die Könige
von Sonnenaufgang erfcheinen. Apof. XVI. 12,
die gleiche Farbe charafterifiert die Lafter
Hs. VI. 60a ben Seprofus hier und in Hs. XI.
Gin unbefannter Coder der Vögeihen Malerfchule in Augsburg
Tafel 1X
— Dunfelpurpurrofa [id) halte die Farbe für
farmoifin] erjcheint das Qnfarnat des Engels
am Grabe [in unferer Hs. nur bier fol. 51b],
vgl. die Hs. I. 117b; IV. 42b; V. 56b; VI.
A.M.3 u4.
fol. 113a (alte Zählung fol. 111a).
69b; X. 20a; XI; XV (mehrfach auch die
Wächter ähnlich [in unferer Hs. nicht]), hier
beruht die Färbung auf dem Text: Erat autem
aspectus ejus sicut fulgur; vergl. Matth.
11
82 Dr. Mar Remmerid
XXVIII. 3, im allgemeinen fcheint e8 das
Zeichen eines außergemöhnlichen feelifchen Zu-
ftandes: die erregte Figur des Markus zeigt
diefen Ton, e8 muß dies Infarnat als etwas
feit langem für diefen Typus als folchen
Charafteriftifches bezeichnet werden, denn die
Figur zeigt dasfelbe aud) im Echternacher
Roder. Diefelbe Farbe auch beim Hieronymus
und feinen fchreibenden Mönchen in II. 4b.
Hier eine noch deutlichere Charatteriftif: die
Augen find fchielend verdreht [ähnlich bei der
Frau rechts auf fol. 51b], das Gewaltfame
der Infpiration fommt zur Erfcheinung; die=
felbe Färbung dann bei den vom heiligen
Geift pliglich erleuchteten Qiingern der Pfingit-
darftellung (vgl. VII. 104b, XI [auf fol. 73b
haben die Sünger jchon teilweife verdrehte
Augen, fonft aber befteht fein Unterfchied zu
anderen Menfchendarftellungen]), ferner bei
den Befefjenen in M, dem in Wut geratenen
König auf dem Gleichnis der Hochzeit in VII
[in unfrer Hs. nicht]. Auch in befonderg feier-
lihen Scenen findet fich die Farbe, fo auf
dem Titelblatt der Hss. A (Tafel III; doc
ift gerade in diefem Koder eine mehr pur=
purne Färbung des Nadten häufiger); dann
bet Ghriftus und den viri Galilaei auf der
Darftellung des Süngften Gerichtes in VII,
vgl. BI. 53a, ebenda den Lammanbeter (3. T.);
vereinzelt bei dem Engel Hs. IV BI. 69b;
alles in allem: ein Mittel primitiver Charaf-
teriftil, das noch als folches bewußt zur Ver-
wendung fommt. — Eine ganz bejtimmte Be-
deutung hat ferner ein fehmußiges rötliches
(purpurn) Grau (oft rötlich-braun), dazu dann
ebenfolde Schatten, die Auflichtung in den=
felben Tönen, wenig heller (niemals weiß).
Diefe muddige Färbung bezeichnet den niedrig-
ftehenden Mann!). E38 erfcheinen fo die Hirten
auf der Darftellung der Geburt Ehrifti [fol. 1b;
jedoch halte ich diefe Lichte rotbraune Färbung,
die fich ganz bedeutend von der weit dunfleren
der Wiirfler 2c. unterjcheidet, für eine An
deutung der bräunenden Wirkung des vielen
Aufenthaltes im Freien, bei jenen jedoch ge=
mäß der allgemeinen Uebung der primitiven
Kunft, innere Eigenfchaften durch äußere Merf-
male angubdeuten, für einen Hinweis auf die
Verworfenheit der Betreffenden], der Blinde
M 119a; vgl. aud) 155b, 163a; oft Knedhte:
in A und M die Wiirfler unter dem Kreu;,
die Tortores in A, regelmäßig der Stephaton:
A, M, I, VII; die noch außerhalb der firch-
lichen Gemeinfchaft Stehenden: B 4b; dann
die Vertreter des Böfen felbjt: der Teufel
(auch die Hölle felbft, vgl. A Tafel XXIV),
vgl. A Taf. VII; M 32b; I 202a; V 57a;
VI Bla 2.; aud der reihe Mann in der
Hölle (vereinzelt berührt fich der Ton mit dem
vorigen); auffallend, daß in diefem dunflen
Snkarnat in A, vgl. Taf. XXV., Ehriftug und
der Zachäus erfcheint; in A gehen offenbar
die Töne mannigfach durcheinander. Wird das
Niedrige und Sündhafte durch diefe Schmußigen
Töne bedeutet, fo find blafje Schattierungen
— wir wiefen fdon darauf bin — Zeichen
des Sündlofen, Reinen, Seligen, VBornehmen.
Dahin gehört die Zufammenftellung; blaß-
gelber Ton, Schatten leicht griinlid); Kontur
braun. Oft erfcheint Chriftus fo, vgl. M 29a,
34b, 60b, 116b; V 57a, 76b; dann die Be-
mwohner de8 Paradiefes (Abraham, die Seele
des Lazarus, die Engel) vgl. A Taf. XXIV,
vgl. die Anbetung des Lammes in Vi; dann
diefelbe Darftellung in V. 83b; ebenda 84:
die Seligen; vielleicht nicht ohne einem be=
ftimmten Sinn der Evangelift Johannes, der
in den Berjen feit Augustin als der Geiftigite
der Evangelijten gefeiert wird (vgl. Hs. I, II,
dann die Apofalypfe); fehr häufig die Engel
[in unfrer Hs. uur die beiden Engel fol. 7Ob
unten]: M 28a; I. 202a; III. 16b; IV. 1b;
79b; V.36b, 57a, 76b f.; VI. 6b, 8a, 14a,
43b, Bla; VII. 1b; X. 7a; dann auch das
Matthäusfymbol; V. 84a; die Maria M 28a;
IV. 11b; V. 36b, 37a, 76b f.; die Frauen
am Grabe: V.56b; X. 20a..... Statt des
braunen Kontur nun auc) entjprechend dem
grünen Schatten ein grüner Umriß; der Grund
bleibt der Hellgelbe. Wir finden dies In—
farnat bei denfelben Perfonen: bei Chriftus
[fol. 7Ob], A Xafel VI; B 31b; I. 2a,
ı) Mir Scheint Vöge in diefem vereingelten Falle nicht fcharf unterfhieden zu Haben. Die „mubbige
Färbung“ (fol. 35b, der net rechts vom Kreuz und die Würfler) gilt für häßlic) und wird deshalb dem
Sünder gegeben. Die fonnengebräunte bezeichnet den niedern Mann, der fi) naturgemäß mehr im Freien
aufhält als der Gelehrte und Frauen. Eine Analogie bietet die altägyptifche Hebung Frauen gelb, Männer rot=
braun gu färben.
Gin unbefannter Eodez der Vögefhen Malerfhule in Augsburg
83
Tafel X
131b, 161b, 162a; IT. 20b; IV. 59a; VI. 3a,
10b, 28b, 47b, 57a, 68b (Krugifiz); XII.
oft bei den Engeln [fol. 1b der mittlere Engel,
fol. 70b, 90b]: A af. VII, XX; Hs. 1 Ya,
fol. 124a (alte Zählung 122a).
131b, 161b; IV. 59a, 6la; VI. 9a, 10b,
21b, 24b, 28b, 37a, 41b, 45af., 58a, 55a,
57a, 61b, Tla; XII. (vgl. Verkündigung an
die Hirten, Himmel fahrt); bet Maria: A Laf.XX,
11*
84 Dr. Mar Kemmerid
I. 161b, IV. 79b; dann XII; dann wieder
bei den Frauen am Grabe [fol. 51 b]: I. 116b
(ebenda 162a Maria und Martha); IV. 42b;
VI. 69a; dann XI; im allgemeinen die
Frauen: I. 202a; vgl. BBa...... Endlich
.. noch) eine legte Manier: Der Grund ift hell-
grün, Schatten und Kontur ebenfo. E38 ift
die Farbe der Toten. So find dargeftellt, die
aus den Gräbern Auferftandenen a. d. Dar
ftelung des SJüngften Gerichtes, vgl. I. 201b,
VI. 53a; die Leiche des Lazarus, M 231b,
die Tochter de8 Qairus, XI. 34b. Qn der
Wpofalypfe VI. Bl. 27b erfcheinen die Pro-
pheten in diefer Farbung, dann in M Chriftus,
Mofes und Elias in der Darftellung der Ver-
Härung, die entfpredjende Scene in A zeigt
die Färbung nicht.“
Daß wir e8 in unjerer Hs. mit einem
Werf der Bögefchule zu tun haben, dürfte
nach diefer verbliiffenden Uebereinftimmung
wohl umfo weniger zweifelhaft fein, als
die Unterfchiede gegenüber den vorerwähnten
Schulen: des Egbertpfalters, der Regensburger
und der Echternacher (man denfe an die andere
Endung der Nafel Bgl. aud) Boge) gang
handgreiflich find. Gerade aus den Feinheiten
des Infarnates gewinnen wir aber auch eine
relative Beftimmung der Beit, in welder
unfer Kodeg entitand.
Wie Vöge nachgemwiefen hat, find die ver«
fchiedenen Arten der Färbung des Nadten im
mefentlichen jchon den Quellen eigentümlich,
aus denen unfere Schule fchöpft. Yweifellos
haben die verfchiedenen Arten der Färbung
einen ganz beftimmten Ginn. Daraus geht
hervor, daß diejenigen Handfchriften, in denen
diefer urfprüngliche Sinn am reinften gewahrt
ift, auch die älteften bezw. urfprünglichiten
find, d. 5. an einem Orte entftanden, wo die
gute Tradition fortledte. Nun ift, wie wir
fahen, unfere Hs. in diefer Hinficht durchaus
forreft, während in anderen Miniaturen der
Schule der Sinn des Gnfarnates nicht jtets ge-
wahrt bleibt. Daraus gewinnen wir einen
weiteren Hinweis dafür, daß fie zu denjenigen
Werken gehört, die gemalt wurden, al8 die
Tradition noch rein gewahrt war, d. h. zur
Blütezeit oder aber — wir haben die Wahl
zwifchen beiden Möglichkeiten — in einer
der widtigften Malfdulen. Diefe Er-
fenntnis ijt wichtig. Wo eine nad) Jahres-
zahlen genaue Datierung nicht möglich ift,
find folche Züge, jo nebenfächlich fie auf den
ersten Blid erfcheinen, doc) von großer Bez
deutung; zugleich gewinnen wir durd) fie eine
relativ fichere Firierung des Entjtehungsortes.
Wenigftens wiffen wir, daß die Hs. — im
Gegenjaß zu den von Vige mit höheren Num=
mern bezeichneten und auf fünf Filialjchulen
verteilten Werfen (man vergleiche S. 177f.) —
im Hauptfiß, wo fi) naturgemäß die ur:
[prüngliche Bedeutung der Farbengebung am
reinften enthielt, oder doch an einem Orte,
der mit diefem in innigem Rontaft war, ent-
ftand. €8 fei zugegeben, daß diefer Beweis
nicht da8 Bwingende der mathematischen
Schlupfolgerung befigt, wohl aber hat er hohe
Wahrfcheinlichkeit für fih. Und mehr wird
billigerweife niemand von aus ftiliftifchen
Merkmalen gezogenen Folgerungen bean
fprudjen finnen.
Wir wollen nicht auf andere ftiliftifche
Gigentiimlichfeiten der Schule und des Kodex
eingehen. Vöge bat darüber fo fcharffinnig
und vorbildlich gemiljenhaft gehandelt, daß auf
fein grundlegende Werf auch diesbezüglich
neuerdings vermwiefen fei, nachdem unfer
Bmed, den Kodex als ein Produkt der Vöge-
fchule nachgewiefen gu haben, erreicht ijt; wir
werden nun verfuden, aus ifonographifden
Momenten denfelben Beweis anzutreten.
Sn Kürze fei nur noch auf die Initialen
verwiefen, da aud) diefe für unfere Schule
befonders charafteriftijd find, infofern fie als
große goldene, mit blau und grün gefüllte,
mit breiter Bordüre umgebene Buchftaben auf
purpurnem Hintergrund die ganze Seite füllend
auftreten (fol. 2a, lla, [hier Hintergrund
dunfellila], 36a, 52a, 74a, 87a 103a). Das
feltene, nur in A und B die Regel bildende
Verfahren, den Qnitial unter eine Saulenarfade
zu ftellen, findet in unferer Handjchrift auf
fol. Ila und 5la ihr Analogon, außerdem
nur in Hs. IV. fol. 12a, 43a. m übrigen
fei auf Böge ©. 343 verwiesen.
III. Jkonographiſche Charakteriſtik.
Nachdem wir in Kürze und unter weſent—
licher Beſchränkung auf die in unſerer Schule
übliche Menſchendarſtellung den Nachweis er—
brachten, daß der Augsburger Codex zur Vöge—
Gin unbefannter Coder der Vigefden Mtalerfdhule in Augsburg
Tafel XI
fchule gehört, wollen wir nun verfuchen da8-
felbe auch durd) Vergleichung der hier dar—
geftellten Gegenftinde mit der Behandlung
in anderen Werfen unferer Schule zu be=
fol. 155a (alte Zählung 152a).
meifen. Diefe Arbeit ift ebenfalls im mefent-
lihen nur ein Erzerpt aus dem Bigefdjen
Werke.
Von dem bei Bige (S. 192f.) in Tabellen-
86 Dr. Max Kemmerid
form bearbeiteten 35 Gegenftände!) umfalfen-
den biblifchen Zyflus befinden fich in unferer
Handichrift 18; bemerkenswert ift, daß feine
Szene in ihr enthalten ift, die nicht in anderen
Werken ihr Analogon hätte. Ferner, daß die
in der Vögefchule mit Ausnahme von A. und
M. die auch bei Bige ausgefdieden find,
übliche Aufeinanderfolge der Darftellungen in
unferem Kodex genau eingehalten wird. Dies
wird folgende Durchvergleichung ergeben, bei
der die Handichrift A. und M., ebenfo B., das
feinen biblifdjen Zyflus enthält nicht berüds
fichtigt find.
Die Geburt EChrifti und Verlindig-
ung an die Hirten ift — von der nur
einmal (in XIV. fol. 1) vorkommenden Ber-
fündigung an Maria abgefehen — da8 erite
Bild faft in allen H88. und findet fich noch
in: I fol. 8b und 9a; IV. fol. 1b; V. 36b
und 87a; VII. 1b; 7b; X. Ta; XI. 21a;
XII. 65a ; XV.19a anerfter Stelle. Nurin XIV.
tritt wie gejagt, die Verkündigung an Maria
an die Stelle unferes Bildes, während in VI.
das jüngfte Gericht (53b) in VII. 21a) die
Kreuzigung und in XII. die Kreuzabnahme und
die Frauen am Grabe vorangehen.
Da die nun folgenden Szenen: Anbetung
der Könige, Darftellung im Tempel, Taufe,
Heilung des Ausfäßigen, der Blutflüffige
Tochter des Jairus, die zwei Blinden von Jez
ticho, Einzug in Jerufalem, Abendmahl, Fuß⸗
wafdung, Gefangennahme, Petri Berleugnung
und Chriftus vor dem Hohen Priefter in
unferem Kodeg nicht vertreten find, folgt nun
die Kreugigung, KRreuzabnahme und
Grablegung außer hier nocd in I. 107b
und 108a*), VI. 68a, VII. 82b und XII.
als 2. Bild, während fie in VIII. al8 ein-
ziger Ausnahme der Geburt, Anbetung und
Darftellung im Tempel vorangebt.
Die Frauen am@rabe find in unferer
Schule und im Augsburger Koder die nadjfte
Darjtellung. Wn derfelben dritten Stelle findet
fie fic) noch in I. 116b und 117a, IV. 42b,
V. 56 b, VI. 69b, VIII. 73b, X. 20a, X1. 103b
XI. als 3. Bild, XIII. 82b, XIV. an 7. Stelle
und XV. 39b, mithin ift die Reihenfolge be-
züglich diefer Szene überall die gleiche.
Während Chriftus in der Vorhölle fehlt,
ift unfere 4. ein ganzes Blatt füllende Szene,
die Himmelfahrt in der gleichen Reihen-
folge enthalten in I. 181b, IV. 59a, VI. 71b
VII. 89b, XI. 104b, XIV. an 9. Stelle und
XV.44b. Nur in XIL, einer, wie wir fdon
bei Betrachtung des Technik fahen, nach der
Blütezeit entftandenen Handichrift, folgen hier
die Anbetung der Könige und dann erft die
Himmelfahrt.
Unfere 5. Miniatur, das Pfing ftfeft
befindet fic) in allen Handjchriften unmittel-
bar nad) der Himmelfahrt, in VII. 104b und
X. 32a, wo diefe fehlt, in der richtigen Reihen
folge.
DieDarftellung des zu den Jüngern redenden
Heilandes fehlt in unferem Kodex; An 6. Stelle
folgt Zacharias und der Engel. Diefe
in den verglichenen Kodices fi nur nod
dreimal findende Szene folgt in derfelben Ord«
nung in I. 149b, IV. 66b und VII. 118b.
Mit Auslaffung einer auf die Geburt des
Sohannes bezüglichen Szene und des Gleich-
niffes vom Samariter folgt al3 7. Miniatur,
Petrus im Gefängnis, ein Vorgang, der
nur noch in IV. 69b dargeftellt ift. Da feine
QHandfdrift der Schule diefe Szene enthält,
fo fann die von DVöge aufgeftellte Reihen-
folge nicht bindend fein, vielmehr mwifjen wir
jebt, daß diejer Gegenstand nicht, wie bei Böge,
die Nummer 29, fondern vielmehr die Nummer
26 tragen muß.
Hierauf folgt der Tod Johannes des
Täufers bzw. der Tanz der Salome,
hierauf Ehriftus und der Jüngling von
Naim, welche bei den Szenen in Böges Tabelle
nicht vertreten find, da fie nur in A. und M.
und bier an anderer Stelle vorfommen. Den
10. Pla nimmt das Gleihnis von der
Hochzeit ein, das fih noch in VII. 154b
findet. Die leßte erhaltene Darftellung endlich
ift Zahäug, ein Vorgang der an gleicher
Stelle in I. 200a und VI. 184b wiederfehrt.
In der außerordentlichen Hebereinftimmung
1) Eine andere Zählung wäre au möglich. Im ganzen bietet die Schule nad) dem bei Vöge (Vergl.
387 ff.) gegebenen Verzeichnis 68 fcenifhe Darftellungen aus dem neuen Teftament. eiffel, „Die Bilder der
Sandfhrift bes Kaifers Otto im Münfter zu Aachen“ Hat eine volljtändige Zufammenitellung der damals ber
banbelten Gegenftände ©. 52 ff.
2) Kreuzgabnahme und Grablegung auf einem befonderen Blatt.
Gin unbelannter Codex der Vögefden Malerfchule in Augsburg 87
in der Reihenfolge von unferem Koder mit
den bei Vöge verglichenen,*) haben wir einen
meiteren Hinmweis der Zugehörigkeit unferer
Sandfchrift zu feiner Schule gegeben. Zugleich
fönnen wir mit einer großen Wahrjcheinlich-
feit auf die in Verluft geratenen Darftellungen
fchließen. Da in der Schule nun noch die Dar-
ftellung des Qammes, ein himmlifches Huldig-
ungsbild und das Siingfte Gericht folgen, jo
ift e8 unmahrfcheinlich, daß in unferer Hand-
fhrift mehr Darftellungen enthalten waren.
Underersfeits lakt fih aus der Zahl der
fehlenden Lagen folgen, daß
etwa drei Darjtellungen, mwahr-
fcheinlich die genannten verloren
gingen. Damit repräfentiert fich
der Augsburger Koder nicht nur
als einer der fchönften, fondern
aud) al8 einer der reidften
der ganzen Schule.
Wie BVige in einwandfreier
Weifenachgemiefen hat, verarbeiten
unfere Handfchriften ein und den-
felben Motivenfchaß, der auf die
Antike bzw. Byzanz zurüdgeht.
Die Uebereinftimmung in zahl=
Tofen Einzelheiten neben manchen
Verfdiedenheiten führt er durch»
aus richtig auf Malbücher zurüd,
die fopiert wurden — man muß
fih vorftellen, daß jedes Atelier
folche Vorlagen befaß, die e8 nie=
mals fortgab, fondern ftets feinen
Produktionen zugrunde legte —
während er eine direkte Abhängigkeit der ein-
zelnen Kodices alfo Kopien der fertigen Werke,
ablehnt. €8 beftand alfo den Malereien gegen-
über ein anderes Verfahren als gegenüber dem
Zert, der von einem Urfoder fo und fo oft
abgefchrieben wurde, fo daß die direkte Ab-
hängigfeit der einzelnen Werke von einander
einen Stammbaum der textlichen Ueberliefe-
rung aufzuftellen erlaubt.
Da die von Bige verglichenen Szenen-
darftellungen an Hand der von ihm gegebenen
Cod. lat. 23338.
Abbildungen die ifonographifche Einheit feiner
Schule zur Evidenz bemeifen und ein Vergleich
ber forrefpondierenden Darftellungen unferer
Handfdjrift mit den bei ihm reprodugierten
Bildern fofort aud) die Zugehörigkeit diefer
zum Motivenfchaß feiner Schule ermeift, wollen
wir uns jeßt auf eine furze Würdigung
der bei ihm nicht abgebildeten Miniaturen be=
ſchränken.
Halten wir die Darſtellung der Hochzeit
in VII. 154b neben die gleiche Darftellung in
unferer Qandfdjrift, dann fpringt die völlige
fol .154b
Gleihnis von der Hocdzeit.
Uebereinftimmung beider fofort in die Augen.
Diefelbe erjtredt fich jogar auf die Details der
Yarbengebung, die fo identifch ift, daß man
beide Werke derfelben Künftlerhand zufchreiben
möchte, wenn nicht andere Momente, 3. B. dad
tiefere Violett (Purpur), das in anderen Minia=
turen von VII. gur Verwendung fommt, diefe
Annahme abzulehnen zwingen würden. Aus
der fait volllommenen Sdentität beider Male-
reien läßt fich jedenfalls folgern, daß die ge=
meinfame Vorlage farbig war.*)
ı) Wenn wir die in unfrer Hs. fi nicht findenden Scenen unberitdfidtigt laffen, dann ift die Reihen-
folge in M. nadftehende: 1. Geburt und Verkündigung (28a); 2. Tod Johannes bes Täufers (1078); 3. Auf-
erwedung bes Jünglings von Naim (155b); 4. Kreugigung, Kreugabnabme und Grablegung (248b). Die Reihen-
folge in A. ift folgende: 1. Tod Johannes des Täufer (Blatt III); 2. Geburt und Verkündigung (Blutt XII);
3. Kreugigung (Blatt XVI).
) Gerade diefe Scene tft, wie ein Bid auf bie Abbildung bei Vöge (S.49) lehrt, auch im M. 107a fait
ibentifh und zwar auch bezüglich ber Garbengebung, da nur Tifhtudh, Sopha, Mantel des Königs und andere
88 Dr. Mar Kemmerid
Cod. lat. 23338
Diefelbe nahe Verwandt{dhaft ergibt eine
Bufammenftellung der Bachiusfzene in VIT.
184b mit der unferen. Auch die nahe Ver-
wandtjchaft der Zachariasfzene in VII. 118
mit der gleichen in unferem Werfe läßt
über die Provenienz beider Werke aus dem-
felben Atelier feinen Zweifel auffommen.
Allerdings warnt VBöge mit Recht vor 3u-
weitgehenden Sclüffen auf gemeinfame
Entftehung am felben Orte — wir werden
fpäter auf diefe Frage zurüdfommen —
und will nur ein Schöpfen aus gemein=
famer Quelle gelten laffen. Bemweifen läßt
fic) auch wohl faum mehr, immerhin ift
e3 aber wahrjcheinlich, daß Handfchriften,
die neben denfelben — allen Werfen der
Schule gemeinfamen — Motiven und der-
felben Technik auch genau diefelbe Farben-
ffala haben, zumal wenn die anderen den=
felben Gegenstand behandelten Szenen nicht
Kleinigkeiten differieren. Wud) ber Tang der
Salome in A. zeigt eine nidt geringe Ueberein=
ftimmung mit ber genannten Darftellung (Wb-
bildung Vöge ©. 48). — Unfere Abbildungen find
auf etwa */s bezw. die Hälfte verkleinert.
differieren, dDemfelben Orte entfprangen, des-
halb trägt auch Bige fein Bedenfen, die
Hss. L.—X., A. M. und den Bamberger
Rodex A. 1.47 demfelben Orte zuzumeifen
(S. 145); Heinere Differenzen Laffen fic
zwangslos als individuelle Variationen
des ausführenden Künftlers deuten.
Die Zachariasfzene von VII. führt ung
zur felben in I. 149b (obere Hälfte) hin=
über und beweist die Zugehörigfeit aud
diefes Werkes zur felben Schule wie der
Augsburger Koder. Wenn wir von der
Architektur abfehen, find beide Miniaturen
völlig identifch auch in den Farben, nur
dak das Gewand des Engels in I. hellgriin
it im Gegenfa zum gelben mit grünen
Schatten in unferem oder. Ferner fehlt
der grüne Fled auf dem Altar und die Ger
fäße find hier nicht hellblau, fondern golden.
Neben mancher Berfchiedenheit in der tom=
pofition — bei ganz gleichem Motivenfchag
in den gemeinfamen Szenen — harmo-
nieren mit unferem oder in I. nod) die
Gruppe der — ifolierten — drei Frauen
(116b), desgleichen der Engel (117a),
Cod. lat. 23333
Badarias. fol. 118b,
Gin unbefannter Coder der Vigefden Malerfdule in Wugsburg 89
rr ae ee. Bei diefer außerordent-
‘ sit oer reas ties ‚ lichen Aehnlichkeit oder viel-
' mehr Gleichheit aller Hand-
Schriften der Vögefchule Hin-
| fichtlid) der Motive, muk
man fich vielleicht über die
vereinzelt differierenden Far=
ben wundern. Ihre Ueber-
einftimmung erklärt fic
| grvanglo8 aus einem genauen
Ropieren der Malervorlagen,
ebenfo die Hebereinftimmung
in der Zeichnung, die ent-
weder direft durchgepauft
wurde oder von den Rüd-
feiten ber durchgezeichnet
wurde, fo daß fie dann im
8 Gegenſinn erſcheint. Die
Cod. lat. 4452 Gim. 57 Zadarias. for. 1495. Differenzen in der Farben-
ferner die Himmelfahrt (131b) und Zachäus
(200). In Ießterer Darftellung fehlen nur
die Stadt und einige Begleiter Ehrifti. Smmer-
hin ift die UWebereinftimmung nicht fo groß,
daß fie uns über den Schulzufammenhang
hinaus zur Annahme der Entftehung am
felben Orte oder gar von denfelben Händen
zwingen würde. Auch Szenen, die in vielen
Einzelheiten oder in der Kompofition diffe-
tieren, wie 3. B. die Sreuzigung in I. 107b,
Kreugtragung und Grablegung 108a dofumen-
tieren fich ganz zweifellos als Verarbeitungen
desfelben Motivenfdakes. Die Differengen find
— von anderer Farbung in Cingelheiten ab-
gejehen — im mefentlichen entjtanden durch
Berteilung oder Zufammenziehung, durch Durch-
zeichnung und dadurch umgelehrte Stellung
der Figuren oder durch Vereinigung zweier
verjchiedener Vorlagen. Wie fflavifd) man
fic) aber an den mofailartig zufammengefeten
Motivenfchaß hielt, Iehren nicht nur diefelben
ftet3 wiederkehrenden Gefichtstypen, fondern
aud) Cingelnbeiten wie 3. B. Sonne und Mond
in I. 108a, die mit den auf der Geburtsfzene
unferer Handjchrift verwandten völlig identifch Die Frauen am Grabe.
find. Die Grablegung ift im Gegenfinn gehalten.") God. lat. 4452 Gim 57. fol. 116b.
is
J
1) Dak das Mittelalter tedjnifd imftande war — ohne Pauspapier gu befigen —, eine Mtiniatur
burdhaugeidnen, geht aus den Unterfuhungen von Henry Martin hervor. Bgl. Les miniaturistes a l’ex-
position des „Primitifs Frangais.“ im Bulletin du Bibliophile 1905 72. Jahrgang ©. 377 ff., wo die früh
mittelalterlide Technik eingehend unterfudt ift. Ferner Jaro Springer: „Gegenfeitige Kopien und Miniaturen“
in der Zeitfchrift für Bücherfreunde X. Jahrg. (1906/07) ©. 426 f.
W. OLB uw 4. 12
90 Dr. Mar Kemmerid
gebung, 3. B. dunfleres oder helleres Blau oder
Purpur dürften fic) von Vorlagen herleiten
laffen, die nur gezeichnet waren, die Farben
aber in Worten angaben. Für diefe Bindung
des Malers bietet das Mittelalter zahllofe
Beifpiele.
Fallen wir unfere Refultate zufammen,
dann fönnen wir jagen: Nach den Frites
rien der Technik, der Reihenfolge der
Darjtellung, der Zeichnung bezw. Kom=
pofition und des Motivenfchaßes, fowie
endlihder Färbung unterliegtes nicht
demallergeringiten Zweifel, daß wirim
Augsburger Kodex ein Werf der Vöge-
{dhule und gwar eines der foftbarften
aus der Blütezeit vor uns haben.
Damit trifft alles, was Bige fiir feine
Schule feitgeftelt Hat, mutatis mutandis
aud) auf unferen Roder zu, jo dag wir diefen
Teil mit einem neuen Hinweis auf fein vor-
bildliches Werk fchließen fünnen.
IV. Teil. Verfud einer jeitliden und
örtlihden Fixierung des Augsburger
Kodex und eines Teils der Vögefchule.
Bige gelang e3, wie wir gefehen haben,
feine Schule nach ifonographifden und ftilifti-
Ihen Merkmalen, al3 eine im mejentlichen
gefdlofjene Gruppe zu fixieren. Wenn fie
nun auch al3 Ginheit der Regensburger, der
von Fulda, und der von Köln gegenüberfteht,
und fich von der jüngeren in falifcher Zeit blüh—
enden Echternacher Schule wefentlid) unter-
fceidet'), fo find doch in ihr, wie er and)
durchaus richtig erfannte, auch nicht unbedeu-
tende Differenzierungen wahrzunehmen. Sie
allein auf die Jndividualitäten der verfchiedenen
in ihr wirkenden Stünftler zurüdzuführen, fcheint
nicht angängig, mag aud) diefem Moment
vielleicht eine größere Bedeutung zuzuschreiben
fein, al8 man zumeift anzunehmen geneigt ift.
Denn wie Beiffel?) richtig bervorhebt, Fann
mit Nüdficht auf die Entwidlung eines Künft-
1) Vgl. Vöge 379 ff. und Hafeloff ©. 147 ff
ler3 ein Urteil nie vorfichtig genug ausfallen.
Troßdem haben mir zur Erklärung der Ber-
Ichiedenheiten neben Anlehnung an andere —
wohl vorwiegend fpatantif — frühchriftliche
und, im Gegenfak zu Regensburg, erft in
zweiter Linie an buzantinifche bzw. griechische
Vorbilder, die Entjtehung zu anderer Zeit und
an anderem Ort in Rechnung zu ziehen.
Leider find nur fehr wenige Werke der
Schule nach beiden Richtungen hin annähernd
genau fixierbar. Qn erfter Linie ift hier der
Stoder Egberti?) zu nennen, der einzige, von
dem c8 zweifellos feititeht, daß er für Erz—
bifchof Egbert von Trier (977—93) auf der
Reichenau als eines der fritheften Werke ge-
malt wurde. Diefe berühmte, wohl bald nach
980 verfertigte Handfchrift unterfcheidet fich aber
fehr wefentlid) von den anderen Werfen der
Schule, fo dak Vöge daraus folgert, dak die
Hauptgruppe, nämlich) A. M. und I.—X. nicht
auf der Reichenau entftanden fein fdnnen.
(S. 82f.)
Nun Hat Hafelofft) es mwahrjcheinlich ge-
macht, daß der berühmte Pjalter Egbert, der
Kodex Gertrudianus in Cividale, fiir Egbert auf
der Reichenau oder doch wenigftens in Alemanz
nien gemalt wurde. Da nun diefes Werk nicht
nur vom oder Egberti, fondern auch von allen
anderen Werfen der VBögefchule fich ganz aufßer-
ordentlich ftark unterfcheidet, fo geht daraus her=
vor, daß fajt gleichzeitig wenn auch nicht gerade
im felben Atelier fo dod) wenigftens in derfelben
Gegend recht verfdiedene Produfte gefchaffen
wurden.) Da nur ein fleiner Teil der liber-
reichen Handfchriftenproduftion duch Zufall
erhalten blieb, fo fehlen auch zumeijt die Binde-
glieder, und unfer Urteil fann nur Wahre
Icheinlichkeit, niemals Gewißheit beanfpruchen.
Snfolgedeffen werden wir VWöge nicht zuftimmen
fünnen, wenn er die trennenden Momente
zwilchen dem Koder und den anderen Werfen
feiner Schule fo in den Vordergrund ftellt, daß
er mit Bejtimmtheit erklären zu können glaubt,
’) „Geihichte der Evangelienbüder in der 1. Hälfte des Mittelalter“, Ergänzungsheft 92 und 98 zu
den Stimmen aus Maria Baad S. 225.
5) 5. £. Kraus: „Die Miniaturen des Kodez Egberti.” Freiburg i. B. 1884.
*) Sauerland und Hafeloff: „Der Pjalter Erzbifhof Egberts von Trier.“ Trier 1901 ©. 162 ff.
°) Der Beweis für die Entitehung des Egbertpfalter auf der Reidenau fheint mir nicht zwingend
erbracht zu ſein; auch Beiſſel hegt Zweifel. Hingegen dürfte Haſeloffs Zuteilung nach Alamannien unan—
fechtbar ſein.
Gin unbefannter Codex der Vögefhen Malerfchule in Augsburg 91
der Kodex fet an einem anderen Orte als A.
und M. und I.—X. entftanden, alfo der Reiz
chenau abfpricht. Daß feine Beobachtungen von
den innerhalb der Gemeinjamfeiten der Schule
bejtehenden Unterfchieden von uns gebilligt
nur nicht fo ftark betont werden, lehren unfere
weiteren Ausführungen.
Durch ftiliftijche Uebereinftimmung hat
Vöge feitgejtellt, dak auch das Berliner Epistolar
(Rod. Ms. theol. lat. fol. 54) zu den zu Ege
bert3 Zeiten auf der Reichenau entjtandenen
Werfen gehört. Bemerkenswert ift, daß die
Malereien (Baulus als Titelbild, Einzug Ehrifti
in Serufalem fol. 15b, die Frauen am Grabe
fol. 17b, Chrifti Himmelfahrt fol. 25a und
Pfingitfeit fol. 26b) in der in feiner Schule
üblichen Neihenfolge auftreten.‘) Hafeloff
hat im Evangeliftar von Bouffay der Parifer
Nationalbibliothek (Ms. lat. 10514) einen nahen
Verwandten des gbertpjalter® und damit
ein weiteres vielleicht auf der Reichenau
oder doc) wenigftens in Wlemannien entftan-
denes vielleiht von Nuodprecht, dem Maler
des Cgbertpfalters, gejchaffenes Werk fejt-
{tellen fönnen.*)
Bom berühmten Evangeliar Ottos in Machen
(A) wilfen wir nur, daß e8 eines der älteften
oder das ältejte Werk der engeren Vögefchule
it, deSgleichen der engverwandte Bamberger
Rodex A. 1.47, fowie der von Böge überfehene
dortige Koder A. 1.43%) diefe drei Handjchriften
find, mo nicht überhaupt Werke desfelben
Künftlers, fo doch ficher am felben Orte ent-
ftanden. Wir müfjen größtes Gewicht auf
Datierung und drtlide Feftlegung diefer Kodizes
legen, haben dafür aber feinen weiteren An=
halt8punft alS das Borträt Kaijer Ottos.
Deshalb gilt es fejtzuftellen, welcher Herrfcher
feines Namens hier gemeint ift.
Wie ic) nachgewiefen zu haben glaubet)
ift e8 ein Qugendbild Otto IIL. und unmittels
bar nad) feiner 996 vollzogenen Kaiferfrönung
entftanden. Dagegen wendet Stephan Beiffel,
einer der hervorragendjten Renner der Runft
des X. Jahrhunderts, in einem Briefe an mich
ein, daß in den wenigen Jahren von 996
bis auf Heinrich IL, alfo 1002 bzw. 1024
faum die Kunft eine fo große Wenderung, wie
fie tatfächlich vorliegt, erfahren haben fünne.
Nun hat allerdings fdon Boge mit Recht be=
tont, daß Treibhauspflanzen — und zu folchen
gehört ganz zweifellos diefe ganze Kunft um
die Wende des Jahrtauſends — auferordent-
lich fchnell er- — und verblühen. Auch aus
Hafeloffs Unterfuchungen (S. 103) ge&t hervor,
dak eine fehr fchnelle Entwidlung wahrjchein-
lich ift, immerhin vermag ich troß der großen
Uebereinftimmung de Nachener Porträts
Otto III. mit den zahlreichen anderen von ihm
erhaltenen nicht mit apodiftifcher Sicherheit
feftzuftellen, daß diefes Jugendoild nur Otto III.
und feinen anderen darftellen finne. Troß
aller anerfennenswerten Borträtfähigfeit diefer
Beit ift ficher, daß niemals eine Perfon in
allen ihren Merfmalen wiedergegeben wurde,
fondern daß es vielmehr nur gelang, eine be=
Ihränfte Neihe von Porträtzügen im Bilde
feftzuhalten. Noch heute fehen fich oft Jugend=
bilder von verfchiedenen Perjonen zum Ver—
mwechjeln ähnlich, deögleichen differieren Por-
träts derjelben Berfon aus verfchiedenen Lebens-
altern oft ftart voneinander. Berüdfichtigen
wir nun neben der relativ primitiven Kunft
noch die ficher vorhandene Familienähnlichkeit,
dann werden wir die Möglichkeit nicht von
der Hand weifen können, daß der Aachener
Koder Otto II. in feiner Jugend darftellt,
während wir mit Beftimmtheit wiffen, daß
Dtto I, an den Beiffel in erfter Linie
denkt, nicht gemeint fein fann.’) Otto I.
1) Bgl. ,Gin Verwandter des Soder Egbert“, Repertorium für Kunftwiffenfdaft XIX. Bd. (1896)
©. 105 f. und Hafeloff „Egbertpfalter* ©. 68 f. Eine nahezu vollftändige Zuſammenſtellung der Bigefdule
bietet Beifjel: Das ,Evangelienbud Heinrichs III. aus dem Dom zu Goslar“ in der Biblivthef zu Upfala.
Düffeldorf 1898.
2) Vgl. Egbertpfalter ©. 81 ff. und über die weiteren Werle ©. 162 f.
8) Bgl. den Bamberger Katalog von Fr. Leitfhuh 1. Bd. BibelHandfdrift Mr. 76. — Zu cod. A. I. 47
vgl. Vöge ©. 99 ff.
+) „Wie jah Kaifer Otto III. aus“ in „Die Kriftlihe Kunft“. Münden 1907. Qunibeft.
5) Möglid), wenn aud) äußerft unwabhrideinlid ift au, daß hier gar fein Porträt, fondern nur
ein Idealbildnis vorliegt bezw. ein Porträt, das nad) Hörenfagen angefertigt wurde. Man vergleiche darüber
meine Ausführungen in „Die frühmittelalterliche Porträtmalerei in Deutfhland* (München 1907 bei G. D. W.
Calmwey) E&. 110 und 127 f. Eher fann das Bild 972 entftanden fein, als Otto II, damals 17jährig, die
12*
92 Dr. Max Kemmerid)
war nämlic) in feinem Krönungsjahre 962
vierzigjährig und trug wie wir wifjen langen
üppigen Vollbart, Otto II. hingegen zählte im
Jahre feiner Krönung 967 erft 12 Jahre.
Dak das Bild einen Süngling darjtellt, ift
Elar, fomit erhalten wir al3 "Terminus post
quem entweder — wie ich glaube — 996
oder, nehmen wir mit Beiffel, dejjen hervor:
ragender Kennerfchaft ich nicht gerne opponieren
möchte, an, daß die Handjchrift älter fein muß,
das Jahr 967, oder, da die Thronbefteigung
vielleicht das Bild veranlaßte 973. Doch in
diefe Frage fich hier zu vertiefen hat für ung
wenig Wert. Sicher ift, daß die Schule im
legten Drittel des X. Jahrhunderts ihren Sik
in Wlemannien, befonders in Reichenau hatte.
Mit Beftimmtheit ift fein Werk in die Negie-
rungszeit Otto I. zu datieren. Crft unter
feinem Sohne und Enfel haben wir feften
Boden: unter den Füßen. Zu Diefen Ermä-
gungen ftimmt vollfommen überein, daß der
Darmftädter Gerofoder (No. 1948 der groß-
berzogl. Bibliothek) der, wie aus den Wid-
mungsbildern hervorgeht, für Erzbijchof Gero
gemalt wurde, und fich durch den engen An=
fhluß an farolingifche Vorbilder als eines der
alteften wenn nicht überhaupt das ältefte Werk
des nachkarolingifchen Kunftfchaffens dofumen-
tiert, in den Jahren 969—976 entitand. Daß
er auf der Reichenau oder doch in Südmejt-
deutfchland gemalt wurde, wie Hafeloff!) und
Künftle?) annehmen, ift wahrfcheinlich, hat
uns hier aber nicht weiter zu befchäftigen. Uns
muß die Feftftellung genügen, daß das ältefte
mit Beftimmtheit unferer Schule zuzumeifende
MWerf, nämlich der Egbertfoder nach 980 ge-
malt wurde. Daß der Cgbertpfalter etwa
zwifchen 984 und 993 in Wlemannien ent-
ftand, fei beildufig angeführt.
Wie bereit3 erwähnt und von Hafeloff wie
aud) von Bige und Beiffel bemerkt wurde,
differiert innerhalb des großen Schulgufammen-
banges der Egbertfoder von den Werfen der
BVBögefchule im engeren Sinne dem Aachener
Evangeliar undM. nicht unwefentlich. Allerdings
find die Differenzen zwifchen A. und M. einerfeit3
und den Werfen I.—X. viel geringer als die
zwifchen dem Egbertsfoder und etıva A. Da wir
nun wiljen, daß neben der Reichenau auch in
St. Gallen die Künfte blühten, fo ift e8 außer-
ordentlich wahrjcheinlich, daß die eine Gruppe
hierhin, die andere dorthin gu verweifen ift.
Und zwar mwädjt die Wahrfcheinlichfeit der
Herkunft einer Handjchrift mit ihrer Annähe-
rung an den Egbertloder mwährend fie deito
eher für St. Gallen in Frage fommt, je mehr
fie fi) von diefem Werke entfernt. Das foll
natürlich nur eine Vermutung fein, mehr nicht,
denn bei der relativen Freizügigkeit der Mönche
innerhalb ihres Ordens, bei der verfchiedenen
Veranlagung der Künftler, ferner bei dem
regen Austausch an Handfdriften und Berüh-
rung mit fremden Mönchen?) ift eg gewiß im
Bereiche der Möglichkeit gelegen, daß recht
verjchiedenartige Produktionen im felben Atelier
gejchaffen wurden. Immerhin fpriht — da
wir von der Kunftbetätigung fomohl auf der
Reichenau als auch in St. Gallen unterrichtet
find — die Wahrfcheinlichkeit für unfere ing
Auge gefaßte Scheidung.
Unfere Vermutung wird noch dadurd) be=
jtärkt, daß im Hildesheimer Leftionar (V.) die
Zefung „in nat. Sancti Galli* vorkommt,
desgleichen im Cvangeliftar der Barberina
(XVL) das Felt des Hl. Gallus durch eine
Vigil ausgezeichnet ift.4) Cbenfo fteht im
Saframentar der Parifer National-Bibliothet
(VILL) der Heilige im Stalender und nad)
Hafeloff (S. 161 Anm. 2) hat der Veydener
Koder Perik fol. 17 (Univerfitätsbibliothef)
Reichenau befudte und den dortigen Handidhriften das größte Intereffe entgegenbradte. Troß diefer verfchiedenen
Möglichkeiten, fheint mir doch die Wahrfdeinlidfeit nad mie vor für Otto III. und damit 996 zu fpredhen.
) Val. deffen Ausführungen über dem Egbertpfalter verwandte Werke ©. 114 ff.
2), „Die Kunft des Klojters Neihenau im IX. und X. Jahrhundert‘. Freiburg i. 8. 1906 ©. 17. Qn
diefem Werk befindet fich eine fat vollftändige Zufammenftellung aller der Reichenau zugefchriebenen Malereien.
®) Beiffel weit („Evangelienbücher* ©. 77 f.) darauf hin, daß der Dtaler, den Kaifer Konftantin von
Konjtantinopel fandte, um die Herzogin Hadewig von Schwaben zu porträtieren, mwahrjcheinlid) aud) St. Gallen
befudt und den dortigen Mönchen Anregungen gegeben habe. Der Verkehr mit dem Orient war ja niez
mals völlig unterbunden und auf ihn dürfen wir vielleiht manches fonft unerflärliche neuere Motiv in den
Miniaturen zurüdführen. — Ueber den freundjdaftliden Verkehr zwifchen St. Gallen und Reichenau vgl.
Beifjel. Ebenda ©. 228.
*) Vgl. Beiffel: „Das Evangelienbud Heinrichs ILL“ ©. 15.
Ein unbefannter Codex der Vögefhen Malerfchule in Augsburg 93
in Qnitialen und Zierfeiten Ankflänge an das
im ganzen Mittelalter in St. Gallen ruhende
Psalterium Aureum, allerdings auch an den
Egbertpfalter und „Handfchriften, welche feine
Borftufe bilden“. Gndlich ift aus liturgifden
Gründen der Rod. n. 25a 14 in St. Paul
St. Gallen zuzumeifen!), deögleichen XIII.
Wir fehen alfo, daß es nicht nur in unferer
Schule alg Ganzes genommen, fondern aud)
in Werfen, die mit dem YWugsburger Koder
große VBerwandtjchaft aufmeifen, an Fingers
zeigen nad) St. Gallen nicht fehlt. Diefe An=
erfennung einer zweifachen Wurzel der Bige-
fhule, in St. Gallen und auf der Reichenau
ift aud) geeignet manche Widerfprüche der big-
berigen Forfchung aufzulöfen. So würde eine
Verweifung von Eim. 58 (M.) nach) St. Gallen
neben ftiliftifchen Berfchiedenheiten auch erklären,
weshalb diefe Handfchrift Scenen enthält, die
in den Reichenauer Werfen fehlen, auf den
Wandmalereien St. Gallens aber dargeftellt
waren. — Dod) wie gefagt: das alles foll
nur eine in befdeidenftem Tone vorgebrachte
Vermutung fein und auc) unfere weiteren
Ausführungen beanfprudjen nicht mehr als
den Wert einer Anregung.
Sicher ift alfo bisher, daß die Kunſtpro—
duktion in Alemannien im legten Drittel des
X. Jahrhunderts nachweisbar if. Das wäre
zur Firierung unferes Kodex nicht ausreichend,
wenn wir nicht durch die auf innigfte mit
ihm verwandten fogenannten Bamberger Ko»
dize8 wertvolle Fingerzeige erhielten. Bon diefen
ſ. Z. von Raifer Heinrich II. nach Bamberg,
feiner 1007 errichteten Lieblingsgründung ge-
ftifteten oder aus feinem Nachlaß ftammenden
Werfen ijt Cim. 58 (M.) durch ein Porträt
Otto III. auf die Zeit zmifchen 996 und 1002
einwandfrei datiert. Zugleich Laffen ftiliftifche
Gründe feinen Zmeifel darüber bejtehen, dak
diefe Handichrift die ältefte ift. Ueberdies
unterfcheidet fic) diefer Rodex gwar nicht wefent-
lich, aber doch bemerkbar von den folgenden
Werfen, die ebenfalls ziemlich genau datierbar
find. Nämli” Eim. 57 (1.) gwifden 1002
und 1014, dem Jahre der Kaiferfrönung
Heinrich, Eim. 59 (II.) und VI. aber in die
Regierungszeit Heinrich (1002—24), da, wie
gejagt, diefe Werke von ihm direkt gejtiftet
wurden, oder aus feinem Nachlaß ftammen.
VII. aber, da8 größte Berwandtfchaft mit
unferem Koder aufmeift, dürfte mit Rüdficht
auf Stil und Rleinheit de3 Formates etwas
jünger fein.
Worauf e8 ung hier allein anfommen fann,
ift der Beweis für die Entftehung unferes
Koder in der ottonifcheheinrizifchen Blütezeit
zu erbringen. Diefer dürfte aus jtiliftifchen
und ifonographifchen Gründen wohl unmider-
leglich gelungen fein. ?)
Schiwieriger, ja, genau genommen faft un-
möglich ift e8, den Entjtehungsort mit mehr
als einiger Wahrjcheinlichkeit zu fixieren. Wie
erwähnt differieren innerhalb des gemeinfamen
Schulcharakter8 verfchiedene Werke, 3. B. Ege
bertfoder und A., M. und die anderen Bam
berger Werke fo beträchtlich, daß eine Ver-
weijung an die beiden — allerdings aufs innigfte
verwandten — Malermerfitätten in St. Gallen
und auf der Neichenau ratfam fchien. Unjer
Kodex nun weift allerdings eine fo nahe
Verwandtfchaft mit I., IL, VI. und VII. auf,
ohne jedoch mit einem diefer Werke identisch
zu fein, daß wir vielleicht noc) weiter gehen
fünnen und diefe Handfchrift demfelben Klofter
zumeifen dürfen. Befonders fei daran er-
innert, daß abweichend vom fonftigen Schul-
gebraud) in I., VI. und in unferm Goder fich
die blaßgelbe Färbung der Häufer und die
dunfellilafarbige Bedachung findet. Ferner
werden mir zu Ddiefem DVerjudhe durch eine
Notiz bewogen, die fich auf fol. 119a (alte
Zählung) befindet. Die Leftionsüberfchrift
lautet nämlich: „In dedicatione Basilicae
) Bgl. Beiffel: ,Evangelienbiider” S. 228 Anm. 2. — Daß nad) dem Heiligenverzeihnig von XIII
mit VBalens, Senefius, Benedift, Pirmian, Adalbert, Gallus, Othmar, Columban und Theopontus nur Ala=
mannien in Frage fommen ann, ift Har. Die Reichenau aber fheint mir mehr bezeichnet gu fein als St. Gallen.
(Bgl. Hafeloff S. 15 ff.) — Smwargensti — Repertorium fiir RKunftwiffenfdaft XXVI. S. 389 ff. — Ietteres
befonder$ 392 Unm. — priift fehr eingehend die Frage nad St. Gallen oder Reidenau. Dak nad Hafeloffs
Unterfudungen fiir die Bigefdule nur nod) AWlamannien in Frage fommen fann, unterliegt aud) bet ifm
feinem Zweifel. Bgl. dagu Beiffel: ,Gvangelienbiidher” S. 231.
3) Prof. Berthold Riehl fdeint unferen Kodex dem IX. Jahrhundert zumeifen gu wollen, was nad
unjeren Ausführungen feiner Widerlegung mehr bedarf. Vgl. „Augsburg“ in Seemanns „Berühmte Kunft-
Bätten“ ©. 9.
94 Dr. Dax Kemmerid
Sci. Michahellis Archangeli*. Daß diefe
Notiz von größter Wichtigkeit ift, liegt auf
der Hand. ES handelt fic) nun darum, feft-
guftellen, welche Bafilifen bzm. Slöfter des hl.
Michael e8 damals in Deutfchland gab und
welche für unferen Rodex davon in Frage
fommen fönnen.
Hatten fchon nad) den bisherigen Betrach-
tungen alle Anzeichen nad) Siidweftdeutfdland
gewiefen, jo fann für ung die Köln-Trier-
gegend umfo weniger mehr in Frage fommen,
wofern jemand noc mit Böge an fie gedacht
hatte — al8 weder in Trier nod in Köln,
nod) in Edhternad) ein Wtichaelsflojter oder
eine Michaelskirche nachweisbar ijt.!) Dak von
den objfuren Heinen Orten feiner in Frage
fommen fann, liegt bei der Zugehörigkeit unferer
Handichrift zu der durch außerordentlich reiche
Produktion ausgezeichnete Gruppe auf der Hand-
Wohl aber wiirde Hildesheim in Betracht
fommen, wenn die dortige unter dem hl. Bern=
ward gepflegte recht minderwertige Dtalfunft
aus jtiliftifchen und ifonographifchen Gründen
nicht eine Angliederung an unfere Schule aus-
fclifje.*) In Fulda, der Hochberühmten
Kunftitätte, gab es nur eine dem Hl. Michael
geweihte Kicchhoffapelle, denn ala folche ift
nad) Prof. Scheifers die nod) heute dort
exiftierende MtichaelSfirche aufgufaffen. In St.
Gallen, aljo dem Zentrum der Schule, exiftierte
während Reichenau mit der Gründung einer
fleinen Dtichael3fapelle begann, die jpäteren
Kirchen aber anderen Heiligen geweiht waren.
Ernitlih in Betracht fommen nur Kofter
Metten und Bamberg. Ürjteres, daS da=
mals eine Malfchule befaß, von der mir aber
nicht8 näheres befannt ift, jcheint mir auch zu
fehr im Bannfreife Regensburgs zu liegen,
dejfen von der unferen ganz charakteristisch
unterfchiedene Kunftproduftion ung durch Georg
Swargenslis vortreffliche Unterfuchungen bes
fannt gemacht wurden. Somit fpricht bei der
großen Bedeutung Bambergs, bei der Tatfache,
daß aus ftiliftifden Griinden unfer Roder
ganz zweifellos in die Regierungszeit Hein-
rich8 II. zu datieren ijt, bei der großen Ueber-
einftimmung mit anderen für oder in Bam=
berg gejchriebenen Werfen, von denen einige
Hinmeife auf den heil. Michael enthalten, und
vor allem mit Nüdficht auf die vorgenannte
Eintragung die an Gewißheit grenzende Wahr:
fcheinlichkeit dafür, daß unfer Kodex zur
Midaelsfirde in Bamberg gehörte,
mithin deradhte der fogenannten Bann
berger Codices ijt. Mit diefer faum an=
zuzweifelnden Konftatierung find wir aber
aud) imftande, das foftbare Werf genauer
zu datieren.
Das Klofter auf dem Mtichelsberg in Bam=
berg wurde ndmlicd) 1017 von Heinrich II.
gegründet, 1021 eingemweiht.?) Damit haben wir
nur ein dem hl. Michael gemweihter Turm,
1) Durd) die LiebenSwiirdigteit des Herrn Dr. Veidinger wurde id) an Herrn Prof. Dr. Sceifers in
Mülheim an der Ruhr vermwiefen, den größten Kenner des Hl. Michael. Diefer Herr hatte die außerordentliche
Güte, mir fein ganzes einfchlägiges Material zur Verfügung zu ftellen, fo daß ich in der Lage bin, nadftehend
alle dem HI. Michael um das Jahr 1000 gemeihten Orte aufzuführen. Eine conclusio per exclusionem wird
uns dann meiter führen.
Nad VMtabillon, Annales Ordinis S. Benedicti, eriftierten damals folgende Michaelstlöfter:
Tom. II, p. 59: Honaugia auf einer Rheininfel bei Straßburg, anno 720 erwähnt.
Tom. Il, 71: Slofter Ordorf, wohl glei; Ordruf in Heffen von Bonifacius 724 gegründet.
Tom. Il, 93: Klofter AUmoeneberg in Thüringen von Bonifacius gegründet.
Hi, 105: Softer Mondjee in Bayern, 739 gegründet.
Tom. I, 305: Slojter Metten an der Donau bei Regensburg, 792 gegründet. Hier eriftierte neben
dem Midaelstlofter aud) nod) eine Micdaelsbafilifa.
Hi, 427: Slofter St. Michael an der Mtofel, heute S. Mihiel, anno 816 gegründet. of. aud) Appendix p. 691.
Tom. III, p. 588: Slofter Lüneburg, 967 gegründet.
Tom. IV, p. 191: Bamberg, von Heinrich II. 1007 gegründet. Nad) p. 279 erfolgte anno 1021 die Weihe.
Tom. IV, p. 291: 1015 Weihe der Crypta der Kirche des Klofter8 S. Michael in Hildesheim.
Tom. IV, p. 364: Erridtung einer ecclesia 8. Michaelis in Hersfeld. Hiermit haben mir fdjon die
Schmelle der aus ftiliftifchen Gründen für unfern Koder in Frage fommenden Beit iiberfdjritten.
Aus der großen Reihe von Kliftern, durd) deren gütige Belanntgabe Herr Prof. Dr. Scheifers mid)
außerordentlich verpflichtet Hat, ragt al8 bedeutendjte Gründung Bamberg hervor. Dod davon gleich mehr.
2) Val. St. Veiffel: „Der HI. Berward von Hildesheim als SKünftler und Förderer der deutfden
Kunft.“ Hildesheim 1895.
5) Vgl. 3. Looshorn: „Die Gefhichte des Bistums Bamberg“ I. Band (München 1886) ©. 224 f.
Ein unbelannter Goder der VBögefchen Malerfchule in Augsburg 95
1017’ al Terminus post quem gemonnen.
Da e3 jehr wahrjcheinlich ift, dak der Roder
vom Raifer zur Einweihung, der er anmwohnte,
geichenft wurde, menigftens aus einem Ber-
gleich mit den vorgenannten datierbaren Bam=
berger Codices hervorgeht, daß er ganz
zweifello8 weder in die Frühzeit, noch in die
Spätzeit der Schule, fondern in die Periode
der Henricifchen Blütezeit fällt, jo dürften
wir faum irren, wenn wir die Entftehung
unferer Handfdhrift in die Periode von 1017
bis 1021 oder jpäteftens 1024, dem Tode3-
jahre Heinrich, anfeten. Keinesfalls ift er
Ipäter entjtanden, eher wenige Jahre früher. —
Iſt bis zu diefem PBunfte die Wahrfchein-
lichfeit unferer Argumente groß, d. bh. fteht es
felt, daß unfer Koder zur BVigefdule
gehört, unter der Regierung Hein
rigs I. entftand und Eigentum des
Michelsflofters in Bamberg war, fo
wagen wir nun eine Hypothefe mit aller
Vorsicht auszufprechen.
Wie bereit8 angedeutet, hat man fich die
mittelalterliche Kunfttätigfeit feineswegs als
ein freies Schaffen vorzuftellen, fondern viel-
mehr als eine an ganz hejtimmte Motive und
enge technifche Schulregeln gebundene mehr
oder weniger handwerf3- oder fabrifmibige
Produktion. Während zum Beijpiel aus den
den Maler betreffenden Anmeifungen auf
‚den berühmten Miniaturen de3 jegt in
Berlin befindlichen SItalafragmentes, das in
Quedlinburg gefunden wurde, dort, mo die
HSarben abgebrödelt find, hervorgeht, daß diefer
um 400 fchaffende Künftler feine Bilder nicht
nach früheren Vorlagen fopierte, fondern fie
frei [chuf,') hat der Vergleich unferer Hand-
Ichrift mit anderen Werfen der Vögefchule er=
geben, daß dies in der ottonifchen Kunft
feineswegs der Fall war. Vielmehr dürfte
der Betrieb in einem damaligen Atelier der
gewejen fein, daß ein antiker, farolingifcher
oder byzantinifchegriechifcher oder, oder auch
ein Walbuch neueren Datums — was in praxi
in diefem Falle gleichbedeutend ift — als Vor
lage diente und mehr oder weniger jflavijch
fopiert, oft direkt durchgepauft wurde. Weichen
Darftellungen wefentlich voneinander ab, dann
ift das feineswegs mit Notwendigkeit auf die
ichöpferifche Bhantafie des betreffenden Künft-
ler3 zurüdzuführen, fondern zumeift auf die
Tatfache, dak er eine andere ung unbefannte
Vorlage mwählte oder zwei verfchiedene fom-
binierte. Daß nebenbei aud) die Yndivi-
dualität des Riinjtlers eine gewiffe, viel-
leicht bedeutendere Rolle, als man bisher
annahm, fpielte, foll damit feineswegs ge=
feugnet fein.
Nun fahen wir, dah die Bamberger Codices
fid) von den jur felben Schule gehirigen
Reichenauer Werfen bei größter Uebereinftim-
mung in Technik und dargeftellten Stoffen,
doch auch wieder unterfcheiden. Das legt die
Bermutung nahe, daß fie in einem nahe ver=
wandten, aber doch nicht im gleichen Atelier
Hergeftellt wurden.
E3 wird in erfter Linie davon abhängen,
wie groß der Spielraum ijt, den wir der Jn:
dividualität des Riinfilers, fowie der Pro=
duftion innerhalb eines Klofter8 einräumen,
denn nur wenn wir uns beide begrenzt denken,
ift die Aufftellung von Zofalfchulen notwendig.
Da nun aber Vöge, bei aller mit Recht be-
tonter Homogenität der Erzeugniffe feiner
Schule, doch die Annahme von fünf Lofal=
fcyulen befürwortet, fo fcheint mir fein zwin-
gender Grund vorhanden, eine folche gerade
für unfere Codices in Abrede zu ftellen. Aller-
dings ift e8 fiber jeden Zweifel erhaben, daß
die alemannifden Bentren in weitem Um
freife die Bedürfniffe an Miniaturen zu deden
hatten, aber gerade in das Jahr 1006, alfo
unmittelbar vor die Gründung Bambergs,
fällt die große Strife in der Reichenau, die
zahlreiche funjtfertige Mönche zwang, das
Mutterflofter 3u verlaffen.) Was liegt da
näher, al8 die Annahme, dak Heinric), der
felbjt den harten und funftfeindliden Abt
Smmo eingefebt hatte, den mit ihrer Kunit-
fertigfeit und ihren Werfen das Rlofter ver-
laffenden Mönchen in feiner Lieblingsgriin-
dung Aufnahme gewährte? Beifjel jagt: „Die
Vertriebenen hatten in anderen Benediltiner-
fliftern Aufnahme gefunden und dort durdj
ihre Kunft und durch mitgebrachte Bücher,
die fie Hergeftellt hatten, oder an denen fie
') Bgl. Stephan Beijfel: „Geihichte der Soangelienbüdher“ ©. 87.
2) Vgl. Beijjel: „Evangelienbüder“ ©. 243.
96 Dr. Marz Kemmerid — Ein unbelannter Eoder der Vsgefden Malerfdule in Augsburg
noch arbeiteten, Reichenaus Malart mehr be-
fannt gemacht und eingebürgert.“ Und Bam-
berg, der verhätjchelte Liebling des Kaifers,
die Stadt, in der foeben ein herrlicher Dom
mit fieberhafter Eile erjtand, Bamberg gerade
follte leer ausgegangen fein?
Diefe allgemeinen Erwägungen werden
durd) die verfdhiedenen Hinmeife auf den heil.
Michael in den Bamberger Werfen und be=
fonders in unferem Kodex in konkreter Weile
ergänzt. Daß Bamberg Malfchule in der
Folgezeit Feine bedeutende Nolle gejpielt zu
haben fcheint, widerlegt unfere Vermutung
nit, denn nah der AWbfebung Bmmos
und Inthronifation des Abtes Bern fehrten
viele der vertriebenen Künftler wieder ins
Mutterflofter zurüd. Der eine oder andere
in Bamberg verbliebene würde dort gang gut
bi an fein Lebensende oder bis gum Tode
des Kaifers weiter gewirlt haben können. Mit
unferer Oypothefe, die anzunehmen oder ab-
zulehnen natürlich jedermann unbenommen ift,
wäre aud) der außerordentlich großen Leber-
einftimmung mit der Reichenauer beziehungs-
weife St. Gallener Mtalweife Rechnung ge-
tragen, die verhältnismäßig Kleinen Unter-
fchiede, aljo die abweichende Färbung von
Mauern und Dächern, aber auf die Jndivi-
dualität der Künftler zurüdgeführt.
Doch wie gejagt: folange die Frage der
Schulzufammenhänge noch nicht endgiiltig ge-
lft ift — vorerft wiffen wir nun mit Beftimmt-
heit, daß die Vögefchule nad) Wlamannien zu
lofalifieren ift —, folange fann auch unfere
Hypnofe nur feuriftijden Wert bean
fpruchen. )
Wir find vom einzelnen Werk ausgehend
unvermerkt in die fchmwierigiten Probleme der
funfthiftorifchen Forfchung des X. Jahrhunderts
geraten. Ob wir zu ihrer Löfung ein Weniges
beitrugen, mögen die Kenner entfcheiden. Unfer
Zweck war ja nur der ein wertvolles Werk
der Wiffenfdhaft zugänglich zu madjen, darum
war die Arbeit feinesfalls umfonft. Cine Ge-
Tchichte der Vögefchule oder der Malerei um die
Sabhrtaufendwende zu fchreiben, lag ung fern; fie
mögen Berufenere nah Abfchluß aller Vor-
arbeiten in Angriff nehmen. Deshalb haben wir
auf Volljtändigfeit verzichtet und mit der Kritif
tunlichft zurüdgehalten. Ein Hinweis auf die be-
deutendfte einfchlägige Literatur, voran Beifjels
mufterhafte Gefchichte der Evangelienbücher
hat ung in den meiften Fällen genügt. Unfer
bejcheidenes Verdienst befchränft jich auf die
Erfchliegung eines der fchönften Werke aus
der Wende des Yahrtaufends. Dak hierzu
das Domkapitel in Augsburg bereitwilligft die
Erlaubnis erteilte, die Redaktion der Monats:
hefte aber die Mittel gewährte, um Abbildungen
in bisher auf dicfem Spezialgebiete nicht er=
reichter Güte zu liefern, dafür fei beiden der
berzlichfte Dank des Verfalfers ausgefproden.
1) Serr P. Stephan Beiffel S. J. beanftandete brieflich die Bezeichnung „Vögefhule” und will Lieber
von einer ,fogenannten Reidjenauer” fpredjen. Whgefehen davon, dak mir aus fpradliden Griinden diefe Bes
zeichnung nicht recht gefallen will, mare fie aud) nicht richtig. Denn „Reichenau“ ift gang beftimmt nur ein
pars pro toto, Bei den innerhalb der Schulzufammenhänge relativ großen Verfdhiedenheiten bes Egbertpfalters
des Kodex, der Wandgemälde und der anderen Miniaturen unter einander ift, wie fhon erwähnt, die Reichenau
gang ficherlich nicht dag einzige als Entftehungsort in Frage kommende lofter. Aber auch das ift nicht fider,
daß als zweites Kunftemporum nur no St. Gallen in Betradht fommt. Auch andere Klöjter beteiligten fid
mit großer Wahrfcheinlichkeit am Schaffen. Within fcheint mir die Bezeichnung „Vögefchule“ nit nur aus
Rüdfiht auf ihren verdienftvollen Schöpfer richtig gu fein, fondern vor allem aud) deshalb, weil fie feinerlei
falfche Vorftelungen bezüglich des Entjtehungsortes auflommen läßt.
Die Ordenszeihen ans dev Kaningev Fürftengenft im Bayerifhen Hationalmufenm.
Bon Friedrid 9. Hofmann.
Im Sabre 1781 madjte der für die Stadt
Lauingen aufgeftellte Spegial - Hoffommiffar
Hofrat Edler von Sezger in einem Berichte
an Kurfürjt Karl Theodor in München darauf
aufmerffam, „wie daß in der bey der Pfaar-
fürchen befindlichen Kruft nicht nur fehr ville
Durdläugtigfte Fürften-Berfohnen begraben
ligen, fondern auch ein und andere der=
gleichen hoche Leichname mit jehr foftbahren
Gefdmud, fo andern Prätiofen umgeben fein
follen.“ !)
Der Kurfürft gab infolge diejes Berichts
den Befehl, die Sepultur „ohne weiteren An-
ftand’ fofort gu öffnen. In den Tagen vom
24. September bis zum 4. Oftober 1781 wurde
diefer Auftrag durch eine Kommiffion ausge=
führt.
Die in den einzelnen Särgen gefundenen
Pretiofen, welche die Kommiffion zu fich ge-
nommen hatte, wurden auf Befehl Karl Theo-
bors dem Miünzfabinette zur Aufbewahrung
fiberwiefen.
Nad) Griindung de3 Bayrifden National-
mufeums famen die fofibaren Schäße durch
Berfügung des Königs Maximilian II. im Jahre
1862 in diefe Sammlungen. Dort find fie jebt
in Saal 64 auögeftellt.
In dem Sarge des Pfalzgrafen Friedrich
von Barkjtein und Weiden, der 1597 in dem
von ihm erbauten Schloffe Friedrichsburg bei
Bohenftrauß ftarb, fand fich num eine goldene
Kette mit einem emaillierten Emblem, deffen
Bedeutung bis jet noch nicht erfannt wurde.
Die Kette felbft befteht aus 36 größeren,
durch je vier gebogene Stränge und zmei
Dejen zufammengefeßten Gliedern und ein-
fachen Heinen Verbindungen. Die Schließe
ift rofettenfirmig, aus feinen Renaiffance-
Ornamenten gebildet. Jn einem großen Ringe,
unter dem ein zierliches Verbindungsglied mit
reicher Emaillierung über dem Kurhute, hängt
an drei Kettchen das Kleinod, das auf beiden
Seiten faft gleich) ornamentiert und reid) email-
liert ift. Die Mtitte des Rleinods nimmt ein
von Pfeil und Schwert freugweife durchbohrtes
Herz ein, auf dem auf der Schaufeite eine als
Fides bezeichnete Geftalt, mit Kreuz, Kelch
und den Gefeßestafeln, auf der Nüdfeite eine
Conftantia mit Anfer und wehendem Schleier
Steht. Das Herz ift von einem goldnen Bande
umrahmt, da8 beiderfeit3 in fchwarzem Email
die Infchrift trägt: „VIRTVTIS AMORE
1589“ ; ein durchbrochener grüner Rautenfranz
leitet zu einem meiteren Schriftbande über,
das die Auffchrift trägt: „QVI PERSEVE-
RAVERIT VSQVE AD FINEM SALVVS
ERIT“. Das Band endet oben in zwei um
ein fleinere3 ebenfall8 rot emaillierte3 Herz
verfjchlungenen Händen. Das Ganze umgibt
ein reich durchbrochener und emaillierter Re=
naiffancerahmen, der oben über dem Eleineren
Herzen von einem Ornamentfchildchen mit den
Budjtaben F S V befrint wird.
Man hat aus der Tatjache, daß fic in
dem Sarge des ebenfalls in Lauingen be-
ftatteten Pfalggrafen Otto Heinric) von Sulz:
badh-Hilpoltftein (+ 1604) genau das gleiche
Kleinod vorfand, auf einen pfalgifden , Oaus-
1) 8. U. Bierdimpfl, Die Funde aus der Fiirjtengruft gu Lauingen im Bayerifden Mationalmujeum,
Münden 1881, S. 3.
A. M. 8 u. 4.
13
98 Friedrid O. Gofmann: Die OrdenSgeiden aus der Qauinger Fürftengruft im Bayer. Nationalmufeum
orden“ geichloffen?). Jedoch zu Unrecht. Das
Kleinod ift tatfächlich das Abzeichen des an-
geblicd) 1590 von Kurfürft Chrijtian I. von
Sadjen geftifteten Ordens der „Goldenen Ge-
ſellſchaft“.
Die einzige originale Notiz über dieſen
Orden, die ich in der äußerſt umfangreichen
Literatur über die weltlichen Ritterorden fin—
den fonnte, fteht bei Rammelsberg.?) Die
hier gegebene furze Bemerfung über Grün-
dung des Ordens, fowie die Befdhreibung des
Ordenszeicheng fchreibt Biedenfeld) Fritil-
lo8 nad).
Es muß jedoch hier ficher in der Angabe
des GStiftungsjahres ein Jrrtum vorliegen.
Denn unfere beiden Ordenszeichen tragen die
Jahreszahl 1589, die fich doch ficherlich auf
die Gründung des Ordens bezieht. Wahr-
cheinlich Hat fich eine Verwechslung mit dem
Stiftungsjahr des herzoglid) Sächſiſchen „Or—⸗
den gegen die Untugend des Fluchens“ ein=
geichlichen, der 1590 von Herzog Friedrich
*) E.M. Freiherr von Uretin, Wltertiimer und Kunftdenfmale des bayer. Herrfcherhaufes, Münden 1885,
Abjchnitt: Pfalz-Neuburgifcher Fiirftenfdmucd aus dem 16. Jahrhdt., Nr. 1. — Das Bayerifhe Nationalmufeum,
München 1868, ©. 237. — Bierdimpfl, ©. 54.
8) Johann Wilhelm Rammelsberg, Beichreibung aller fowohl nod Heutiges Tages florierenden als
bereit8 erlofdenen Geift- und Weltlihen Nitter- Orden in Europa, nebjt denen Bildnifjen derer Orbdens-
Zeichen, Berlin 1744, ©. 44.
+) Ferdinand Freiherr von Biedenfeld, Gejhichte und Verfaffung aller geijtliden und meltliden, ers
lofjhenen und blühenden Ritterorden, I. Bd., Weimar 1841, ©. 139.
Dr. § Weber: Ein mertwiirdiges Grab eines neuen bajumwarifchen Reihengräberfeldes 99
Wilhelm I. von Sachfen-Weimar, fpäteren
Wdminiftrator der RKurfachfifden Vande, ge-
ftiftet murbde. +)
Bemerkt fei nod), dak eine Denfmiinge,
die wohl auf die Vermahlung des Kurfiirften
mit Sophia von Brandenburg (ohne Jahr)
geprägt wurde, bereit al8 Revers eine ähns
lihe Darftellung, wie unfer Ordenszeichen,
trägt: die beiden gefreugten Rurfdjwerter, be-
legt mit zwei aus Wolfen ragenden Händen,
die ein Herz halten; darüber ‚der Kurhut.?)
Ebenfalls aus Münzen Ehriftians I. erfahren
wir aud) die Bedeutung der Budhftaben FSV,
die auf den Ordens oberhalb des Herzens
angebradjt find. Gie ftellen dag „Sym-
bolum‘ des Surfürften dar: FIDE SED
VIDE.®)
Ueber die Gefchichte des Ordens der Golde-
nen Gejelljchaft ift mir nicht8 weiter befannt
geworden.*) Vermutlich ift der Orden bereits
beim Tode des Kurfürsten Ehriftian I. im Jahre
1591 wieder erlofchen, oder durch den oben
erwähnten „Orden gegen die Untugend des
Sluchens“ erjegt worden.
Sedoch fenne ich nod) ein drittes Exemplar
unferes Ordend. C8 wurde in einem Grab-
gewilbe bei einem Umbau der Kirche zu Rofik
im Herzogtum Sachfen= Altenburg gefunden.
Der einftige Inhaber war wohl Thilo von
Ofterhaufen auf Schelk (Scheldik), furfiirft-
licher Rittmeifter zu Dresden, der am 24. Februar
1613 geftorben und in der Kirche zu Rofiz
begraben worden war.
Bis 1886 gehörte diefe Kette mit den
Ordenszeichen der befannten Sammlung Feliz
in Leipzig and); mo fie heute, nach der BVer-
fteigerung der Sammlung, aufbewahrt wird,
weiß ich nicht zu jagen.)
Eine wohlgelungene farbige Abbildung und
genaue Befchreibung findet fi in „Kunft und
Gewerbe“, Wochenfchrift zur Förderung deut=
{cer Kunftinduftrie, herausgegeben vom Bayer.
Gemwerbemufeum in Nürnberg, 1878, Nr. 40,
6. 313.7)
Ein merkwürdiges Grab eines nenen Gajuwarifthen Keihengrabecfeldes.
Bon Dr. 5. Weber.
Mit einer Abbildung.
Auf dem 1904 gelegentlich eine Neubaus
entdedten großen Friedhof der frühbairifchen Zeit
in Seldlirhen a. d. Saalad, B.-W. Laufen,
der fic) Hart an den jegigen angufchließen fcheint,
zum großen Teil aber durch Käufer des Doris
überbaut ift, wurden durd) den Suftos des
Mufeums in Reichenhall, Herrn Maurer,
78 Gräber einer forgfaltigen Unterfuchung unter-
zogen. Während der Inhalt der übrigen von
dem üblichen der jpätmeromwingifchen Zeit nicht
abwich und keineswegs von größerer Wohlhaben-
heit der Beftatteten zeigte, fiel ein Grab durd
feine befondere Art der Ausftattung auf.
Die betreffende Stelle des Fundprotofolls des
Herrn Maurer lautet:
„Grab IL, 1,80 m tief, 2 m lang. Das
1) Stiftungsbrief bet Wilhelm Ernft Tenzel, Monatliche Unterredungen, 1697, p. 991 ff. Dag Original
des Stiftungsbriefeß befindet fi) in der herzoglichen Vibliothek zu Gotha, mit den Unterfhriften und Wappen
fämtliher Bruderfchaftsgenoffen von 1590.
*) Abbildung bei Wilhelm Ernft Tengel, Saxonia numismatica, ober Mebaillen-Gabinet von Ge-
dädhtnig- Münzen und SchausPfennigen, melde die Durhlauditigften Chur= und Fürften zu Sahfen Wlbertinifder
Hauptlinie prägen und verfertigen laffen, Frankfurt a. M. u. Leipzig 1705, Tab. 17, Nr. VIII (nit VII).
Dazu ©. 252.
Auch abgebildet bei Menadier, Schaumüngen des Haufes Hohenzollern, Berlin No. 80. — Karl Domanig,
Die deutfhe Medaille in kunft- und fulturgefdidtlider Oinfidt, Wien 1907, Tafel 74, Mr. 663.
5) Ebenda. ©. 242. — Vgl. aud) I. Dielik, Die Wahl- und Dentiprüdje, Frankfurt a. M. 1887, ©. 105,
wo der Sprud) jedod irrtümlich für Kurfürft Chriftian II. von Sadfen in Unfprud genommen wird.
4) Weitere Auffchlüffe tinnten wohl die fadfifden Archive geben.
5) Wuttionstatalog ber Sammlung Eugen Feliz in Leipzig, 1886, Nr. 446 mit Mbbildung.
6) Das Stüd fam wahrjcheinlich nad) Amerifa. Beichrieben aud) bei U. v. Eye und BP. E. Börner, Die
Kunftfammlung von Eugen Felix in Leipzig, Leipzig 1880, ©. 4, Nr. 1614.
1) Irrtümlich find hier die Initialen de Symbolums F SV als „Namen ESV” gelefen.
18*
100
Skelett nur teilweife erhalten. Beigaben: in
der Halsgegend 2 feine Goldbänder mit Münz-
abdrüden, 2 runde Goldplättchen ebenjo verziert
und mit feinen Löchern durdhbohrt. Neben der
redjten Schulter eine anfdeinend neue Ton—
lampe mit dem Stempel Coessi. Längs des
Körpers einzelne untenntliche Eifenteile mit Holz-
fpuren und Gemebeabdrüden. Bwilchen den Fub-
enden 2 Gijenpfeiljpigen mit Widerhaten, ans
einander geroftet, die anfdeisend in einem Holz-
behälter ftedten. Neben den Pfeilen Tierrippen.
1 m über der Leiche ein teilmeijes Pferdeftelett.”
Da in gleicher Höhe auch bei einigen anderen
Gräbern folche Heberrefte von Pferden fich fanden,
fcheinen in jpäterer Beit hier Pferdefadaver ein-
gegraben worden gu fein
und ift ein Zufammen-
hang mit den Gräbern
nicht wahrſcheinlich.
Reider fonnten die an-
ftoßenden Gräber IV
und V nicht mehr unter-
fucht werden, da fie von
den Arbeitern fchon über:
baut waren; das eben=
falls zunädjft Tiegende
Grab VII Hatte feinen
bemerfen8werten Sn
halt.
Das Ynventar des
Grabes III könnte den
Eindrud maden, als fei
bier der Inhalt eines
früheren römifchen
Brandgrabes mit dem
des fpdteren eftat-
tung8grabe8 vermifdt.
Allein nad) der Beob-
adtung Herrn Dtaurers
lag aller Inhalt in
gleiher Schidte und
famen feinerlei fonftige
Refte der Austattung
Dr. 5. Weber
beiden vereinzelt gefundenen nicht zum Streug
gehörigen Goldplättchen zeigen. Das Münzbild
ift die Nüdfeite römischer Münzen, wie fie unter
Eonftantin dem Großen und feinen Söhnen
Eonftans und Gonftantiuß II., alfo etwa von
306 bi8 360 n. Chr. zahlreich geprägt wurben.
68 ftellt zwei Legiondre dar, awifden denen in
der Mitte das BVerillum fteht; die Umfchrift
lautet: Gloria exercitus. Golbdfreuge aus diinnem
Goldbled) in verfchiebener Form hat man fowohl
in frantifden wie alamannifden einigemale, in8-
befondere aber in langobardifchen Gräbern der
fpäteren Meromingerzeit öfters, mern auch nicht
gerade in diefer Form und Vergierungsweife, ge-
funden. Aus bajumarifchen Gräbern ift e8, fo=
weit befannt, dag erfte,
in feiner eigenartigen
Verzierung ohne jedes
Ornament bisher über-
haupt daß einzige. Nach
Hrn. Dr. PB. Reinedes
Unterjudjungen fam die
Sitte, derartige Kreuze,
die Schon ihrem Material
nad gum Gebraud im
Leben zu wenig wider=
Itandsfähig gemefen
wären, auf dem Toten-
gewand anzubringen,
im Südoften, in Wegyp-
ten und Syrien auf, ver-
breitete fi) zunädhftnach
Mittel und Oberitalien
fowie nad Südtirol und
fam von da in alaman-
nifde und bajumwarifde
Gebiete. Sie gehören
hier der fpdteren meroz
wingifden Zeit an, etwa
750 n.Chr. und ftam-
men wahrjcheinlich aus
Ojfiginen in Oberitas
lien, wo ſich ſpätrömiſche
römiſcher Brandgräber,
die Herrn Maurer ſicher nicht entgangen wären,
weder hier noch auf dem ganzen unterſuchten
Gebiet zum Vorſchein. Es iſt daher kein Zweifel,
daß wir es mit einem ungeſtörten, von Anfang
an in der aufgefundenen Weiſe ausgeſtatteten
Grab zu tun haben.
Von Intereſſe ſind hierbei nur die Gold—
bänder und die Lampe, da die Pfeilſpitzen, die
Eiſenreſte und Tierknochen im Grabe ſich in den
allgemein üblichen Rahmen der Beigaben in
dieſer Zeit eingliedern.
Die 2 Goldbänder von dunnem Bronze—
blech bildeten, wie fid) aus 3 feinen aufeinander-
pafjenden Löchern der beiden Bänder ergibt, ein
Kreuz, wie die Abbildung zeigt, und waren voll-
ftändig mit aneinandergereihten Abdrüden eines
und desfelben Müngzbildes beprägt, da8 auch die
Kunſtgewerbetechnik
forterhalten hatte. Die Zeit der Münzen hat
natürlich mit der Entitehungszeit unferes Kreuzes
nichts zu tun.
Hat aljo aud) da8 Vorkommen eines folden
Kreuzes in einem Grabe des Feldtirdener Graber-
feldes nichts zeitlich widerfprechendes an fi, fo
um fo mehr die gleichzeitige Beigabe einer an
fcheinend neuen, unbenitgten römifchen Tonlampe.
Diefe Lampen, meift mit dem Stempel Fortis, ge-
hören der Beit der römifchen Brandgräber der
mittlern Periode, etwa von 150—250 n. Ehr. an
und wurden ebenfall8 nur zum Lotenkult here
geftellt, weshalb fie aus den Gräbern in fo gut
erhaltenem, faft neuen Zuftand zum Vorfchein
fommen. Das Auftreten einer folden Lampe in
einem Grabe des ausgehenden 7. oder der 1. Hälfte
des 8. Ihrdts. n. Chr. ift in hohem Grade
Gin merfwitrdiges Grab eines neuen bajuwarijden Reihengräberfeldes 101
meriwitrdig. E8 bleiben nur hypothetijde WAn-
nahmen zur Erklärung übrig, fei e8, daß die
Lampe durd) Zufall in die Hände de Ver—
ftorbenen oder feiner Angehörigen gelangte, fei
e8, dah fie in der Familie als Kuriofum aufs
bewahrt und irgend ein Aberglaube damit ver-
bunden war. Daß in Feldkirchen römische Brand-
gräber vorhanden miaren ober nod) find, liegt
fehr nahe, da der Ort an einer römifchen Straße
nad Reichenhall lag, in der Kirche früher ein
römifcher Grabftein mar’), der nad Salzburg
verjchleppt wurde, und der Ort in römifcher Zeit
ſehr wohl fdjon befiedelt fein fonnte.
Eine weitere intereffante Frage ftellt das
Grab Hinfichtlich des chriftliden Belenntinifjes des
Beftatteten. Dak die Sitte der Anbringung von
Kreuzen am Totenkleid in einem driftianifierten
Volke auffam und im wefentliden eine chriftliche
war, unterliegt wohl feinem Bweifel und man
wird auf den erften Blid Hin geneigt fein,
aud) unferen Toten für einen driftianifierten
Bajuwaren oder wenigften8 einen aus einer längft
riftliden Familie ftammenden Nomanen zu
halten, wie foldje bet der Nahe Salgburgs jehr
maglid) aud) bier febhaft waren. Allein bei ge-
nauerer Betradtung ftehen diefen Annahmen
doch gewidtige Bedenken entgegen. Das Grab
liegt mitten unter den anderen, die färntlich feine
Spur eines driftliden Symbols enthalten, fon=
dern durchweg in der althergebradten Art aus-
geitattet find, die Leichen der Männer mit Wehr
und Waffen, die der Frauen mit Schmud und
Attributen der Hausfrau. Cinen vereingelten drift.
lihen Bajuwaren mitten unter feinen nichtchrift-
lichen Vollsgenofjen anzunehmen, geftatten jchon
die allgemeinen Beitverhältniffe nicht. Waren aber
nod hriftlihe Romanen hier feßhaft, fo Hatten
diefe fider ihren eigenen Begräbnisplag und
wurden nicht mitten unter die fremden, ander8-
gläubigen Herren des Landes begraben, felbft
wenn dieje tolerant genug waren, dies zu geftatten.
€8 müßten fonft doch noch mehr Anzeichen einer
riftlichen Bevölferung in dem Gräberfeld zum
Borfdhein gefommen fein.
Das vereinzelte Auftreten eines urjprünglich
für Ehriften beftimmten und in driftliden Offi
zinen hergeftellten Schmudftüdes mitten unter
vorriftlihen frühgermanifchen Gräbern ift aud
nicht ohne Vorgang. Um nur ein in neuerer
Beit vorgefommenes Beifpiel zu ‚erwähnen, fet
an ein mitten in einem vordriftlichen alamanni-
fen Friedhof in Ebenhofen, B.A. Ober⸗
dorf, erinnert, wmojelbft in einem Grabe ein
Gürtelbefchläge mit chriftlicher Infchrift gefunden
murde.?) Grabfreuze famen vereinzelt in füd-
bairifden Reihengrabern der vordhriftliden Zeit
bi Shwabmünden, Langeneringen
und Ebermergen vor.?) In dem befannten
Grabfund von Wittislingen befindet fid
ebenfall® ein Golbdfreug, doch fann diefes Grab
fon der chriftlihen Beit angehdren.‘) Man
muß alfo annehmen, daß foldje aus drift-
lichen Gebieten im Süden ftammende Schmud-
ftüde in ben Befig von heidnifhen Wamannen
und Bajumwaren fi verliefen, fet e8 als
Gefdenfe, Beuteftüde oder Tali8mane. Das
Feldfirchener Grab wird wohl, wie aus den bei-
gegebenen Pfeilfpigen gu fdliefen, das eines
Mannes gewefen fein. Die fon gu fehr ver-
morfdten Gebeine lieben eine Feftftellung nad
diefer Richtung nicht mehr zu. Sämtliche Funde
aus diefem Neihengräberfeld befinden fi im
m des Hiftorifchen Vereins von Reid en-
ball.
Wenn auch diefem Grab feine weitergehende
Bedeutung in ethnologifcher oder Fulturgefchicht-
licher Hinficht gufommt, fo ift e8 doch immerhin
unter der Menge einförmiger Gräber des 7. und
früheren 8. Jahrhunderts infolge feines gemijchten
Inhalts eine intereffantere Erſcheinung.
1) ©. Bair. Annalen 1833, OA. III. 252, Bonner Jabrbudh LXXXVIII. Yrrtimlid ift der Fundort
angegeben in Hefner, röm. Baiern und in C. I. L. III 5590, mofelbjt Zeldfirchen bei Troftberg im B.-Y.
Traunftein angeführt ift.
3) Näheres f. Beitr. 3. Anthrop. u. Urgefh. Baierns XV. 114. Das Funditäd befindet fid) in ber
vorgeſch. Staatsſammlung.
2) Lindenſchmit, Altert. IV. 10, Fig. 1 und 2. XII. 38. d. 5. ©. v. Schw. u. N. T. II. Auf dem
Langeneringer Kreuz iſt ebenfalls ein Münzabdruck. Sämtliche drei Kreuze befinden ſich im Maxim. Muſeum
in Augsburg.
*) Sat. IV. d. Nat. Muf. 3. Nr. 1892.
Ueber römifhe Ausnüung dev allgemeinen kulturellen Ueberlegenheit.
Bon Johannes Binde.
Der Name der Station Augufta Vindel. inz
volviert eine auffällige Ehrung des Plates von
Seite der Römer, welche ja auch manchen an=
dern Orten zu Teil geworden ift (mobei ähn-
licher Anlaß beftanden haben fann), und welche
Ehrung Fremder fich nicht erflärt, außer e8
wäre ein Vorteil rimifcherfeits hierbei zu ver-
zeichnen möglich. Daß es fich bei „Augsburg“
um eine römifcherfeit3 erbaute Stadt gehandelt
hätte, welche aus diefem Grund „erhabene“
Stadt der Vindelizier betitelt worden wäre, er=
fcheint unmahrfcheinlich, da hierbei die leßteren
zu gut abgefdnitten haben würden. Das „Aus
gufta“ betreffende muß ja etwas römijches ge=
wefen fein, fonjt wäre e3 nicht verewigt wor=
den. G8 erjcheint nun möglich, daß jener vin=
delizifche Pla feine Taufe dadurch erhielt, daß
am felben der römifche Benefigiarius (Standar-
tenträger) eine dem Auguftus zu Ehren be-
nannte Figur als Stationsmittelpunft zur Yuf-
Stellung bradte.
Da e8 fich um eine weibliche Figur gehan-
delt hätte, fo ift die Hypothefe nicht jo ſehr
gewagt: E3 fei eine aus fünftlerifchem Inter—
effe von einem der Heerführer wie 3. B. Tie
berius mitgeführte Brongefigur der Art benügt,
wer weiß aus wa3 für diplomatifchen, der Eifer-
fucht des Kaifers etwa Rechnung tragenden, nach
Byzantinismus zwar wohl ausjehenden, aber
germanifchenm Empfinden mohl unverftänd-
lichem Grunde, und Augufta benannt worden,
um einen Abglanz auf den Kaifer zu werfen.
Dabei ließe aber der Umstand, daß dieje Figur
jo bedeutungsvoll wurde, darauf fchließen, daß
fie dem germanifchen Bolf fympathifch gewejen
fei und ifm imponiert habe, was erflärlich wäre,
wenn dabei eine für fie fünftlerifche hervorra=
gende Erjcheinung vorgelegen hätte, welche 3. B.
ein Sdealbild der Menfchlichkeit bot, wie foldes
unvergleichlich durch die Athene lemnia des
Phidias damals hergejtellt worden ift. Plöß-
li) den dem Schönen fehr zugänglichen, eine
hohe Kulturftufe in funftgemerblichen Dingen
jedenfalls erreicht habenden Barbaren geoffen-
bart, müßte der Eindrud derartig gemefen fein,
daß jich die Römer in der Lage von Siegern be=
funden hätten, ohne eine Schlacht zu fchlagen,
und die Methode diefe Seite ihrer Weberlegen-
heit auszunügen, könnte verfchiedentlich anges
wendet worden fein in Fällen, wo ein friege-
rijdher Austrag inopportun gewefen wire,
namentlich einem VBolfsftamm gegenüber, mel-
cher fich nicht völlig feindlich gezeigt hätte.
GZ fei erlaubt, darauf binzumeifen, daß
Eiferfucht bei den vindelizifchen Stämmen be=
Itanden haben fann fchon in Anfehung der Ein-
nahme von Yöllen, welche fie wohl zu erheben
an folden Stellen in der Lage waren, wo
durch ihre Hilfe Flußläufe zu paffieren waren.
Haben nun die Lilater ihre völlige Befiegung
büßen müfjen dadurch, daß die pontes Tesse-
nios ganz in Römerhände gelangten und fie
zudem Hand» und Spanndienite zu deren Unter=
haltung zu leilten gehabt haben, fo fann an
einer andern, vielleicht früher jchon fonfurrie-
renden Webergangsitelle, wie 3. B. in Lands-
berg fich eine günftigere Situation für die vin-
delizifchen Brüder der Lifater ergeben haben,
in Augsburg aber, wohin die Römer zwifchen
Wertach und Lech nad) Norden vorgehend, zus
legt erjt Hingelangt fein werden, war mig:
lichermeife feine divefte Feindfeligfeit mehr an-
Ueber römifche Yusnügung der allgemeinen tulturellen Ueberlegenheit 103
zutreffen, und e8 wäre dann unter Umftänden
möglich gemwefen, daß, wie oben bemerft, ein
Beneficiarius nad) Art der Tambourmajors
unferer Mufilchors, für das Auge einen An
giehungspuntt liefernd, mit Gegenftänden aus-
geftattet gemefen mire, weldje da8 Yntereffe
der Germanen in hervorragendem Maß erregt
haben fonnte. So wie vor nicht Langer Zeit
in unfern Tagen die lernbegierigen Japaner
europäifcher Zivilifation gegenüber fich ver-
hielten, fo möchten aud) Jene beim eventuellen
Unblid zumal einer, fogar ung Moderne noch
mit Befreiung der Seele erfreuenden Gegen-
Itandes: Entzüden, Begeifterung, bedingungs-
lofe Hingebung empfunden baben. Denkbar
ware e8, daß diefelben, um ja den Genuß der
herrlichen Figur nicht zu entbehren, eingeladen
haben finnten, felbe in Mitte ihrer Feftung
aufzuftellen, fich die Bedingung gefallen Lafjend,
daß die Römer, teilmeife wenigftens, ihren
Wohnort mitbefegten. Dann hätten dieje Ur-
fache gehabt, die betreffende Stadt nad) ihrem
Stationmittelpunft Augufta Vindeliforum
zu benennen.
Der Benefiziarius hatte an der Standarte
Ketten und Pfähle zur Herftellung einer Cin-
friedigung. Derfelbe war Vermalter der Kult-
bilder und fo ergab ich ganz von felbjt die
Möglichkeit, jene Augufta als den Mittelpunkt
des Gejfamtlager8 und — als Ausgangspunft
für alle Entfernungsangaben des Jtinerars
Antonini 3. B. zu plagieren.
Dorträge von Oktober 1907 bis Juni |908:
1907
14. Oftober:
2. November:
2. Dezember:
1908
2. Januar:
1. Sebruar:
2. März:
I. April:
J. Mai:
J. Juni:
Herr 3. Linde, H. Bauamtmann a. D.:
,RoOmerftragen im fiidlichen Bayern”.
Herr A. Dierling, K. Oberftlandesgerichtsrat a. D.:
„Oberſt Auguſtin Fritſch, ein Lebensbild aus dem 30jährigen Kriege,
auf Grundlage ſeiner von Oſtenrieder herausgegebenen Tagebücher”.
Herr K. Ritter von Mlenz, K. Generalmajor 3. D.:
„Die Schlacht von Hohenlinden, 3. Dezember 1800%.
Berr K. Pfund, K. Reg.:Rat a. D.:
„Bejchichtliche Erinnerungen aus dem Dolfsleben im Jfarwinkel um
das Jahr 1670 *
Herr Dr. U. Dreyer, Bibliothekar:
„Das Münchener Zeitungswefen in den erften Dezennien des 19. Jahr:
hunderts”.
Generalverjammlung. Herr 3. Schober, H. Profeffor, Urchivar der
Stadt Landsberg:
„Johann Damaszenus Kleinmayen, der legte Wht von Weffobrunn’.
Herr Dr. §. Weber, K. Oberamtsrichter a. D.:
„Über neue Ergebnifje der Inventarifierung der vorgefchichtlichen
Altertümer in Oberbayern“.
Herr A. Köftler, Generalmajor a. D.:
„Ailitärifche Derhältniffe am Ende des 17. Jahrhunderts“.
Herr Dr. A. Bitterauf, Privatdozent, —
gibt fein Thema fpäter befannt.
Herr Dr. Aug. Hellmann, Privatdozent:
„Beichichtsauffaffung des Mittelalters.”
Schriftleitung und preßoeſehliche Verantwortung: Dr. Heldm ein Münden (Liebigitraße 1/2).
Kgl. Hofbuchdruderei Kafiner & Callwey,
Abb. 1.
Altar des KHanonilus Kaspar Marolt, geft. 1513, im Domfreuzgang zu Freijing.
Stephan Koffaler, ein Sildhanes dec Frührenaifance in Altbayern.
Von Philipp Maria Salm.
tönt wurde. Die Verfchiedenheit des Materials
einerfeitS wie jtiliftifche Gegenfäße andererfeits
legen die Frage nahe, ob Mittelfchrein und
Slügel überhaupt zu einem Ganzen gehören
Der Marolt-Altar im Domfreuzgang
zu Freifing.
Sm Ojtfliigel des Domfreugganges yu Frei-
fing findet jich, einem Epitaph nicht unähnlich,
in die Wand eingemauert der obere Aufbau
eines fteinernen Wltars; die Menja fehlt.
(Abb. 1.) Eine Infchrift an der Predella jagt:
Anno dni 1513 dns Gaspar Marolt Canoic ®
frising Institvit In hoc Altarj ij Misas
Ebdomodales Celebrarj q’ Requiescat j pace.
Die Infchrift wird nach dem Worte „Gaspar“
dur) ein Fleines Relief eines reitenden Senfen=
manne8, das als Zeilenfüllung dient, unter-
brochen. (Abb. 2.)
Der Aufbau des Marolt-Altares oder Marolt:
Epitaphes'), wie wir das Werk in der Folge Abb. 2
kurzweg nennen wollen, ſchließt ſich der Form Vom Altar des Kanonikus Kasſspar Marolt im Domkreuzgang
der mittelalterlichen Altäre an, inſoferne das RR
EN
m — ⸗
größere Mittelfeld einen Schrein mit drei
Heiligenfiguren, die Seitenteile die Altar—
flügel nachahmen. Jener iſt aus rotem Mar—
mor, dieſe ſind aus weichem Sandſtein ge—
und von dem gleichen Meiſſel herrühren. Für
unſere Unterſuchung über den Meiſter des
Werkes iſt die Beantwortung dieſer Frage
von tiefgreifender Bedeutung; eine ſorgfältige
Prüfung der einzelnen Teile muß deshalb für
arbeitet, der in der Farbe des Marmors ge—
ı) Den Marolt-Altar erwähnen zum erjten Mal Sighart, Die mittelalterliche Kunſt der Erzdiözeſe
Minden-Freifing 1855 ©. 186 und Herm. U. Müller, Die Mufeen und Kunftwerfe Deutfchlands II. (1858) ©. 291.
Zufammen mit dem im folgenden behandelten Grabjtein des Peter von Wltenhaus in St. Jodof zu Landshut
führt den Altar dann Gighart, Gefdidte der bildenden Künfte in Bayern (1862) ©. 501 und 506 als Werk
eines Meifters R.S. (!) auf. Log, Kunfttopographie Deutfhlands 11. (1863) ©. 126 befchreibt ihn kurz. Viible
ftreift den Altar in feiner Gefhichte der deutjchen Renaiffance 1. Auflage (1872) ©. 521 und 2. Wuflage II. (1882)
S. 7. Es folgen die Kunjtdentmale Bayerns (in der Folge zitiert K. D. B.) I, 366 und Taf. 43. Cine ein:
gehende Würdigung ward dem Altar durd F. Ehrlid in bem Sammelblatt des hiftorifchen Vereins Freifing V
(1895) ©. 44, burd) 3. Schleht ebenda VII (1906) S.68 und jhließlid) dur Rihard Hoffmann, Der Altar
bau in der Erzdiögefe München-Freifing 1905 ©. 32 u. 35. Weltere Abbildungen des Altars in ben cod. germ.
der Münchener Hof- und Staatsbibliothet (in der Folge zitiert cgm.) 1717 S. 520 und 1718 ©. 258. Erfterer gibt
nur ben Schrein mit einer nicht dazugehörigen Infchrift, Iegterer ben ganzen Altar mit Predella und Flügeln.
Den Marolt-Altar und die mit ihm zufammenhängenden Bildiwerfe habe ich bereits im Jahre 1903
einem Sortrage im Hiftorifchen Vereine zu Grunde gelegt. Vgl. Altbayerifhe MtonatSfdrift Jahrgang IV
(1%03—04) ©. 98.
AM. 5u6. 14
106 | Philipp Maria Salm
eine einwandfreie Löfung unerläßliche Be-
dingung fein.
Betradten wir zunächſt den Schrein!
Unter einem dreiteiligen, noch durchaus gotifch
gedachten Baldachin ftehen in hohem Relief
Maria mit dem Rinde, über der zmei Kleine
Engel eine Krone halten, und feitlic) der
Madonna St. Sebaftian und St. Barbara.')
Bu Füßen des erfteren fniet der Stifter. Eine
Heine Tafel neben ihm mit den Buchftaben
D. G. M., die bisher fälfchlich als Künftler-
monogramm angefprochen murden,?) aber in
„Dominus Gaspar Marolt“ ihre ebenjo ein-
fache mie fichere Löfung finden, fagt e3 deut-
lid). Die drei Heiligenfiguren, jchliht und
einfach in Haltung und Gruppierung bewahren
nod) im wefentlicjen die Art der Gotif. Ihre
Köpfe ermüden durch allzu fchematifche Bil-
dung, der lebendige, fcharfgegeichnete Kopf des
Stifter8 dagegen gibt fich deutlich als Porträt.
Die forgfältige abmechjelungsreiche Technif
weift auf einen mit allen Werkzeugen und
Methoden wohl vertrauten Meifter.
Die Flügel Stellen in ihren ungleich großen
Feldern Heilige in Einzelfiguren und zwei
figurenreihe Szenen dar. Auf dem linken
Flügel oben fteht in einer Nifche St. Petrus
in einem Rauchmantel mit dem Schlüffel in
der Rechten. Die Infchrift zu dem Figürchen
lautet: CELI PORTAS APERIT. Gin
fchmaler Fries — Putten mit einem Rauch-
faß — trennt das obere Feld von dem
unteren. Diefes zeigt ung St. Korbinian, den
Patron des Bistums Freiling, von feinem be-
padten Bären begleitet. Am unteren Rande
des Feldes lejen wir: S. GVRBIANVS
PATERANVS. Ein außerordentlich fubtil
gearbeitete3 Relief mit einer Anbetung der
Stönige bildet den Fuß des Flügels.
Auf dem rechten Flügel fehen wir oben
St. Paulus fic) auf da8 Schwert ftüßen; dazu
die Infchrift: DOCTRIS INSTRVE. €3 folgt
dann ein fchmales Feld mit zwei Engeln, die das
Schweibtud) Chrifti Halten; dazu die In—
fchrift: SALVE SANCTA FACIS(!) NRI
SALVATORIS. In. der Nifche darunter faft
ganz vom Rüden gefehen, fteht St. Sigmund.
Die Beifchrift lautet: S. SIGMVND E.K. (Ein
König?). Der Anbetung der Könige auf dem
linfen Flügel entfpricht hier ein Martyrium St.
Sebaftians. AlE Stüße feitlid) der Predella
dient dem linfen Flügel ein leider fehr jtarf be-
fchädigtes Figürchen des hl. Chriftophorus, dem
rechten Flügel ein folches des HI. Georg.?) Die
Flügel- fowie die Stüßfiguren an der Predella
überrafchen vor allem durch die freie fühne Auf-
faffung. Kaum 35 cm hod, wirfen fie in
ihrer einfachen natürlichen Haltung und jchlich-
ten gemefjenen Bewegung geradezu monumen=
tal. Man könnte fie auf Zebensgröße bringen,
fie hielten ftand.*) E3 find nicht bloß Figuren,
die da vor ung ftehen, fondern Berjönlichkeiten,
nicht ein hl. Petrus und ein HI. Paulus, fon=
dern der Hl. Petrus und der Hl. Paulus, die
glaubenzftarfen Apoftelfürften, der mildwürdige
Bayernapoftel Corbinian und der fürftliche
Sigismund.
Uber auch die Art, wie die Figürchen in
ihre Nifchen Hineingeftellt, und wie diefe auf-
gebaut find, ift neu. Das find nicht mehr die
engen Nahmen drüdender Riel= oder Rlee=
blattbogen der fpätgotifchen Grabfteine, fondern
wirkliche Raumfchöpfungen, tiefe Nifchen, und
gwar — mit Ausnahme einer — reine Re-
naiffancegebilde. Hier tragen Eäulen mit ges
drehtem Schaft auf einem Gebalf einen Muſchel⸗
giebel, dort ftiiken Pilafter einen Bogen, den
Putten mit Gewinden zieren; St. Korbinian
tritt uns mie aus hochgemölbter Kirche ent-
gegen; nur St. Paulus fteht unter einer alter-
tümlichen Laube von gefünfteltem Witgeflecht.
Welcher Reichtum, welcher Wechfel von neuen
1) Das Vorbild für eine derartige Anordnung war wohl in erfter Linie dag Schema eines gotifden
Schreinaltares; e8 erfcheint jedoch ebenfo wabhr{deinlid, dak fich der Meifter an bag Titelblatt eines Miffale hielt,
welches gemwöhnlid) Maria mit zwei Heiligen darftellte.
Der junge Burglmair oder der fog. Petrarfameifter
bat für ein von Erhardt Natdolt 1502 gedrudtes ,,Missale Frisingense“ einen foldjen Oolafdniit geliefert.
Dörnhöfer: Ueber Burgfmair und Dürer. Beiträge zur Kunftgefhichte Franz Widhoff, gewidmet. Wien 1903 ©. 117.
1) K. D. B. I, 366 Taf. 43.
s) Nicht des hl. Michael, wie Ehrlich und Log (f. 0.) angeben.
4) Nicht uninterefjant ift ein Vergleich diefer Figürhen mit den großen Statuen der Hl. Georg und
Chrijtophorus in der Frauentirdhe zu Münden, die in ihrer ganzen Yuffaffung und Haltung wie Vergrößerungen
jener wirfen. Sannte vielleiht der Münchener Meifter bie Freifinger Figirden, oder liegt beiden Arbeiten
etwa ein gemeinfchaftliche® Vorbild zu Grunde?
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 107
Motiven! Wo fennt die Kunft Altbayerns
jener Zeit etwas Gleiches?!
Ein Vergleich der Flügel mit dem Schrein
wedt auf den erjten Blid die Vermutung, daß
die einzelnen Teile überhaupt nicht zufammen-
gehören, gefchmweige denn aus einer Hand her=
vorgegangen find. Um mie viel größer und
freier wirken die Figücchen der Flügel gegen-
über den befangenen Geftalten des engen
Screins; mie altertümlich mutet hier das
gotifche Baldachingeranf im Gegenfag zu den
neuen Arcchitelturformen der Rifchen an! Troß
der Verfchiedenartigfeit des Material gehören
jedoh unzweifelhaft Flügel und Schrein zu
einem Ganzen; das bemeift {don da8 am untern
Rande der einzelnen Teile durchgehende Profil-
gefim8 von Platte, Kehle und Stab.!) Aber
aud) der ftilkritifche Bergleid) gibt gemein-
fame Bunfte. Go ruhen die Bogen des
Sdreins auf Pfeilern, die durchaus jenen der
Sigismundnifche des Iinfen Flügels gleichen;
und auch die wechjelnde Funktion der Beine,
die an den Apoftelfigürchen fcharf zu tage tritt,
läßt fich an der Figur der Maria oder Barbara
immerhin nod) nadempfinden. Bm übrigen
jedod) an den Geftalten des Schreins diefes
Zuviel an fnitterigen Falten und Fältchen,
an den Flügelfiguren aber eine weife Be-
Ihränfung auf große Linien, feine Verzettelung
in Spielereien.
Dod) auch für diefe Unterfchiede baut fich
uns eine Brüde. Warum wählte der Künftler
Marmor für den Schrein, Sandftein für die
Flügel? Sollte er nicht lediglich aus rein
praftifchen Erwägungen von dem Marmor
alg dem fpröden hart zu zwingenden Stoffe
und der zeitraubenden Technik fich abgefehrt
haben, um diefe Kleinen Gebilde mit leichterer
Mühe in den weichen Sandftein — man dulde
den Ausdrud — mehr fchneiden denn meißeln
zu können. Gewiß hat die fpätmittelalterliche
Plaftit Altbayern® derartige Sleinbildnerei
aud) in Marmor getrieben. Erasmus Graffer
arbeitet ähnlich die Löftliche Umrahmung feines
Wrefinger Steines in der Petersfirche in
Münden, Wolfgang Leb fchmüct mit Heiligen-
figürchen die Urchiteftur der Platte des Hoch-
grabes in Ebersberg, und Bischof Tulpels Ornat
auf feinem Grabjftein inder Münchener Frauen
firhe prunft mit gierlid) in den Stein ge-
meißelten Stidereien. Aber das alles ift nur
deforatives Beimerk und dementfprechend nur
mit flüchtigen Hieben angedeutet. Hier dagegen
find die Figürchen um ihrer felbjt willen da;
fie werden fogar eines deforativen Rahmens
erjt noch gewürdigt, damit gehoben und hervor
gehoben. Wie hätte der Meifter all diefe Fein-
heiten und Hierlichfeit in dem miderfpenftigen
Marmor zwingen Fönnen ohne erheblichen Zeit-
aufwand und ohne die ftändige Gefahr, Stüde
lo8zufprengen. Lag e8 alfo nicht nahe, den ge-
fügigeren weichen Sandftein für die fubtile
Aufgabe der Flügel vorzuziehen?! Aus dem
verjchiedenen Material den Schluß ziehen zu
wollen, daß die Teile nicht zufammengehören,
ericheint aber nod) deshalb untunlich, weil
dod) das Ganze als Altar gedacht und be-
zeichnet ift. Einen fteinernen Altar follte der
Meister fertigen ähnlich jenen mittelalterlichen,
auf deren Flügeln die Figuren auch immer
kleiner find al® im Gehäufe. Bweifellos hatte
Marolt felber ein genaues Programm, ein
Szenarium für alle darzuftellenden Berfonen
und Epifoden aufgeftellt.
— Erklärt fich nun die Wahl de3 Sandfteins
für die Flügel aus der beabfichtigten Klein—
und Feinheit der Figuren und der Bierlichkeit
des ardhitektonifchen Beimerf3, fo bleibt immer
nod) die Frage offen, ob der Meifter gu diefem
Wechjel des Stils in den Flügeln, der ihm
einen Wechſel des Material® nahelegte, aus
einem inneren Bedürfnis oder durch äußere VBer-
anlaffung fam. Wenn wir an der Schöpfung
des Altars durch eine Hand fefthalten, fo mifjen
wir unbedingt das lettere annehmen, denn die
verjchiedene Auffaffung und Empfindung in den
Figuren febt dies geradezu ald Bedingung vor-
aus. Der Meifter mußte neue Eindrüde in fi
aufgenommen und fich ihnen willig gefügt haben.
Für die Flügel in ihrer Gefamtanlage läßt fich
nun gwar ein Vorbild nicht nachweifen,?) doch
fönnen wir für ihre Einzelheiten ein Whhangig-
1) Der Marolt-Altar jtand ehemals in ber benadbarten, bem Domtreuggange angebauten St. Sebaftians-
fapelle. Bet der TranSferierung an den jegigen Standort wurden die einzelnen Teile ungenau gufammengefiigt.
2) Man wird nur im allgemeinen, ähnlich etwa mie bei dem Altar der fehönen Maria von Albrecht
Altdorfer (B. 50) an venezianifhe Grabdenfmäler erinnert.
14*
108
feit3-Verhältnis belegen. Rein fchmächlicher
Nachgeborner konnte dafür in Frage fommen,
fondern ein vorwärt3 Schauender, ein Starfer,
ein Großer. Und der Größte, der jener Zeit
und der deutfchen Kunft je gegeben ward, ftand
denn auch bei diefem Werke Pate: Albrecht
Dürer.
Fürs Erfte entlehnte unfer Steinmeß die
Geftalten der beiden Apoftelfürften deg Meisters
Philipp Maria Halm
lide und Statthafte herauszulöfen. An die
Stelle des vielfnitterigen Faltenwurfs treten
vereinfachte Iangzügige Würfe, die noch mehr
als das Vorbild das Bemegungsmotiv der Körper
durchfühlen laffen. Bor allem gewinnt dabei die
Geftalt des Petrus an [chlichter Größe und ge-
mefjener Erhabenheit. Auch in der Haltung
der Köpfe fcheint fich ein eigener Wille, eine
neue Abficht auszufprechen. Dort bei Dürer
Holzichnitt „Das Schweißtuch Ehrifti“ von 1510
(B. 38) aus der Heinen Paffion. (bb. 3.)
Die allgemeine Auffafjung der beiden Figuren
und die Tätigfeit der Hände bezeugen unzmei-
deutig die Abhängigkeit der Figirchen von Dü-
rer8 Holzfchnitt. Aber nicht bedingungslos gab
fich der Bildhauer in den Bann des Vurbilds,
fondern er verftand e3 mit Gefchid, indem er
dem Material des Steines Rechnung trug, aus
dem Zuviel des Holzfchnittes das Brauchbare
und Wefentlichfte, fiir den Mteifel das Taug-
Abb. 3.
Das Schweißtuch. Holzfchnitt von Albrecht Dürer. (B. 38.)
Nuhe und Refignation als Stimmungs-Not-
wenbdigfeit für den Inhalt der Santa Conver-
fazione des „Schweißtuches“, hier in der fta=
tuarifchen Faffung und Selbftindigfeit Leben
und Entjchloffenheit.
Für die beiden anderen Figuren fommt
Dürer nicht in Frage.
Lapt fic) die Geftalt St. Rorbinians
{hlieflich auch aus mittelalterliden Grabfteinen
beraus erflaren, fo fann man fic) die fecfe male-
rifche Rüdenanficht St. Sigismunds faum ohne
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 109
Abb. 4. -
Joahim und Anna unter ber goldenen Pforte. Holzichnitt aus bem ,Marienleben* von Albrecht Dürer. (B. 79.)
Vorbild denken. Sollte man fie niht am | Stichen und Schnitten, die fiir foldje Geftalten
Ende auf allgemeine Anregungen in Dürerd | unzählige Beijpiele bieten, zurüdführen dürfen! !)
1) Der altbayerifchen Malerei jener Zeit find ja folche Pofen nicht fremd und aud) in fpätgotifchen
Altarrelief8 treten fie ab und zu auf; neu ift da8 Wagnis, fie ftatutarifc) zu verwerten. UWebrigeng zeigt ein
Bild des Landshuter Malers Hans Wertinger gen. Schwab, Alexander und fein Arzt, von 1517, im Rudolphinum
110 Philipp Maria Salm
Unverhüllt zeigt fi) Dürer aber noch in Qntereffe. Marolt ftarb am 13. Juni 1513,
dem Eleinen Relief der Anbetung der Könige; im gleichen Jahre, in dem auch die beiden
ihm ift der entjprechende Holzfchnitt aus dem Meffen auf dem Altar geftiftet wurden. Das-
„Marienleben“ (vor 1506, B. 87) zu Grunde felbe Jahr darf wohl auch fiir die Entftehung
gelegt. ') des Altar3 angenommen werden. Wie {don
Woher aber nahm der Meifter feine Archis oben angedeutet, hat Marolt wohl felbjt noc)
tefturen? Es dürfte faum einem Bweifel be- den ganzen Plan des Denkmals, mwenigjtens
gegnen, daß auch bier wie allerorten Drud- dem ftofflichen Inhalte nach, beftimmt.
erzeugniffe die Wege gemiefen haben. Wie Der Meifter des Werkes ift unbefannt. Gig
anders hätte er zur Renntnis der neuen hart vermutet einen Bildhauer „Zr. S., wohl
Formen fommen finnen. Diefe Annahıne ges einen Landshuter, da ein Grabmal in der
winnt an Wahrfcheinlichkeit dadurch, daß Jodolstirde dortfelbft diefelbe Arbeit und das-
wenig{ten8 eine der Nijchenumrahmungen — felbe Zeichen trägt*.?) Die neuere Forfdung
freilich die altertümlichite —, jene des heil. |. Tieß das Monogramm außer acht?) oder fonnte
Paulus, auf einen Holzfchnitt zurüdgeht. Sie e3 nicht mehr finden.) Troßdem ift e8 nod
ift gleichfall8 dem Marienleben Dürers und vorhanden, wenn auch etwas verjtedt. An der
zwar dem Blatte ,Joadim und Anna unter Bajis der beiden Kleinen Pfeiler der Sigismund-
der goldenen Pforte” von 1504 (B. 79) ent— nifche find nämlich als Füllungen zmei fleine
lehnt (Abb. 4). Hier offenbart fich die Freude | Täfelchen angebracht, von denen daS linke den
des aus der Gotif erwadfenen Steinmegen am Budjtaben S, das redte den Budftaben R
Einzelnen und an feinem hohen Vorbild aufs trägt (Abb. 5).
deutlichfte, denn nicht allein, daß er genau Auf Grund diefer Signatur begnügen wir
die Fünftlichen Verfchlingungen des WAftwerfs ung zunächft mit unferem Meifter als einen
nachmeißelt, er geht fogar foweit, in denfelben Monogrammiften S. R. — nicht, wie Sighart
die Figürchen mit all ihren Einzelheiten bei- lag, R. S., weiter zu arbeiten.
zubehalten.
Die Abhängigkeit von Dürer erflärt aber ee a ontgagie NC
nun aud) zur Genüge die ftiliftifchen Unter- | as: Poe
fchiede der einzelnen Teile und den Wechjel des | a f Ly !
Materials. In dem Schrein gab der Meifter ! 4
ſich noch weſentlich ſelbſtſtändig; ſieht man ea En
von den Pilaftern ab, fo deutet faum etwas UB. 5.
Dionogramm bes Kanonifus Kaspar Marolt
auf die neue Beit; er ift noch der Gotifer. ER Designs: ak reifen.
Sm Verlaufe der Arbeit aber ward ihm die
Kenntnis Dürerfcher Kraft und Größe, der er
fich nicht verfchließen fonnte. Sie wiejen ihm |
neue Pfade. Meifters S. R.
In feiner Stellung an der Grenze zweier Das eben erwähnte Grabmal der Yodols=
Welten verdient der Marolt- Altar befonderes firche in Landshut) ift eine prächtige Platte
Die übrigen fignierten Werle des
in Prag in der Haltung der vorderften Figur fowie im Roftiim derfelben Unkldnge an die Geftalt des Hl. Sigis-
mund. Irgend welche fihere Schlüffe daraus gu giehen, erachte ich jedod) fiir ungulaffig.
1) Vergl. aud) Mader, Loy Sering 1905 S. 92. Auch) für das Fülftüd des reitenden Senfenmannes
in der Schrift fheint mir ein Holzfchnitt Türer$ (B. 131) vorgelegen zu Haben.
2) Sighart, Gefhichte der bild. Künfte in Bayern. 1862 ©. 501.
5) K. D. B. I, 366.
‘) Sammelblatt de8 Hiftor. Vereins Freifing V (1895) G. 44.
5) Sighart, Gefdhidte ber bild. Kiinfte in Bayern 1862 ©. 506. Nagler, Die Monogrammiften V, GS. 65
Mr. 279. Staudenraus, Topogr. Stat. Vefdreibung von Landshut. 1835 6.114. Saad, die gotifde Urdhitettur und
Plajtif ber Stadt Landshut 1894 ©. 55. Staudenraus und Haad Überfehen dag Monogramm. Wir erwähnen
bier nod, dak an ber füdlichen Außenwand ber St. Jodofsfirdhe in Landshut fi) ein Epitaph eines Heinrich
Shingspeil aus dem 15. Jahrhundert befindet — die Jahreszahl ift bis zur Untenntlichleit überarbeitet —
welches in einem Schildchen einen ganz ähnlichen Pfeil wie das Mtonogramm am Stein de8 Peter von Alten
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frithrenaiffance in Altbayern 111
von rotem Marmor, die dem Ritter Peter von
Altenhaus, Pfleger zu Maternberg, geft. 1513,
gewidmet ift (Abb. 6). Sie ftellt ung den Ritter,
auf einem fauernden Hunde ftehend, dar, voll ge=
rüftet, mit dem Banner in der Rechten, die Linke
am Schmwertgriff. Aus dem aufgefchlagenen
Bifier blickt ein energifches Geficht mit fcharf
gebogener Nafe. Das Bildfeld der Platte wird
durch eine Einfaffung aus zufammengefügten
ornamentalen Blumenfelchen eingeengt, die teils
nadte, teil3 befleidete und gewappnete Putten
beleben. Unterhalb der Schnauze des Hundes
findet fich eine Eleine Tafel mit den Buchftaben
S. und R., gwifden die ein Pfeil mit einem
Querftrich eingefchoben ijt (Abb. 7).
E3 fann fein Zweifel betehen, daß wir in
diefem Werk wieder den Meijter des Marolts
Altares vor ung haben. Mehr als das Mono=
gramm bezeugt es der Stil. Die Stellung Peters
von Altenhaus gemahnt an die des hl. Georg
recht3 der Predella. Die Betonung von Spiels
und Standbein teilt die Figur des Ritters aud
noch mit den andern Geftalten. Auch die Technif
{apt an beiden Werfen gemeinfchaftliche Eigen-
beiten erfennen; am augenfälligjten ift die Gleich:
beit in der Behandlung des Chorrods Marolts
und des Felles des Hundes, auf dem Peter von
Altenhaus fteht.
Für die weitere Unterfuchung erfcheinen noch
einige Eigentümlichfeiten befonderer Beachtung
wert, fo des Meifters Vorliebe für die Butten,
und die Freude an ornamentalem Beiwerf, Züge,
denen wir jchon am Marolt-Epitaph begegneten;
dann das gut beobachtete Fliegen des Schur-
zes und fchlieglich das Schildchen, welches das
Monogramm trägt.
Die Ausführung des Steines ift ungemein
fleißig und hingebend. Kaspar Darolt und Peter
von Altenhaus jtarben im gleichen Jahre, 1513.
So werden auch ihre Epitaphien zu gleicher
Beit entftanden fein. Stiliftifche Bedenken er-
wachen nicht gegen diefe Annahme.
Weitere Arbeiten des Monogrammiften S.
R. waren bisher nicht befannt. Wir führen
zunächit noch zwei durch Zeichen beglaubigte
an. Die eine fteht unmittelbar neben dem
haus trägt, jedoch find die Flugenden nad) außen
gebogen. Wir Haben hier zweifellos fein Steinmetz⸗
zeihen, fondern eine Hausmarfe vor ung; der pris
mitive Stein hat mit unjerem Meifter nicht das
Geringite gemein.
Abb. 6.
Grabplatte des Petrus von Wltenhaus, geft. 1513,
in ber St. JodolStirde in Landshut.
Abb. 7.
Monogramm auf ber Grabplatte bes Peter von Altenhaus
in der St. Jodofsfirdhe in Landehut.
Philipp Maria Halm
geft. 1520, der darauf in ziemlich flachem Relief
dargeftellt ift.!) (Abb. 8.) Den untern Teil
der Figur verdedt ein breite® Schriftband,
fo daß fie, fieht man von dem fehmalen
Saum der Albe ab, nur als Bruftbild wirkt.
Der Hanonifus mit würdigen milden Zügen
in dem leicht gefenften Ropfe fegnet den auf
einer Brüftung vor ihm ftehenden Kelch. Eine
jich perfpeftivifch vertiefende Nifche mit flafchen-
artigen Säulenjchäften, ähnlich jenen an der
Korbiniansnifche des Marolt-Epitaphs um-
rahmt das Bild. Jn der unteren rechten Ede
des Steines finden wir nun als Füllung eines
Pilafterfußes ein Eleines an einem Riemen han-
gendes Schild mit dem gleichen Pfeil, wie er
am Stein de3 Petrus von Altenhaus zwifchen
die Budhftaben S, und 2. eingefdjoben ift (bb. 9).
Das Zeichen, das bisher
allen Forfchungen ent=
ging, ift ungmeifelhaft
die Marfe des Steine
meßen. Wie der Meifter
am Mearoltjtein nur
mit S. und AR. fige
nierte, fo läßt er e8
bier mit Dem von einem
Strid) durchquerten
Pfeil bewenden. Die
vollfommene jtiliftifche
Uebereinftimmung mit
. — —
TIT Pere
— —
nw Se
Abb. 9,
den ſchon erwähnten Meiſterzeichen auf der Grab—
platte des Kanonikus Petrus
Werfen zerſtreuen alle Kalbsor im Domkreuzgang
Bedenken, die etwa der zu Freiſing.
verſchiedenartigen
Abb. 8. Grabplatte des Kannnilus Petrus Kalbsor, geſt. 1820, Monogrammierung halber laut werden könnten.
im Domkreuzgang zu Freiſing Bon 1521. -
Die oberen Zwickel des Steines füllen links
Marolt-Altar im Domkreuzgang zu Freiſing; es eine geflügelte Kugel mit den Buchſtaben
iſt die Grabplatte des Kanonikus Petrus Kalbsor, A. P., rechts eine Kugel, auf der ein Täfel—
is; 1. —
Ubb. 10. Vom Grabftein des Kanonikfus Petrus Kalbsor im Domfreuggang gu Freifing.
1) K. D. B. I, 366. H. 1,92. Br. 0,85 m.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaifjance in Wltbayern 113
chen mit der Jahrzahl 1521, dem Entftehungs-
jahr des Steines liegt (Abb. 10). Auch bier
alfo wieder ein Täfelchen wie an dem
Schrein, an dem rechten Flügel des Marolt-
Wltars und am Steine in St. Jodof zu
Bandshut.!)
Der andere fignierte Stein ift am Weft-
portal der Garnifongfirche in Ingolftadt?) ein=
gemauert; er ift einer Dorothea Efterreicherin,
geft. 1521, und einer Elifabeth Ejterreicherin,
geft. 1497, gewidmet (Abb. 11). Hier blieb der
Bildhauer ganz ornamental. Eine Frührenaif-
fance-NRifche, deren Bogen und Wölbung mit
einer Art aufgefebtem Laubfagenornament ge-
ziert ift, umfchließt eine runde Infchriftfcheibe;
Berlenfchnüre, Wappenfchilde, Totenkopf, Stun=
denglas füllen den unteren freien Raum. An
der linken Säule aber lehnt ein Schilöchen mit
der Jahrzahl 1522 als Entjtehungsdatum der
Skulptur, und im oberen linfen Bogengwicdel
findet fich wieder eine geflügelte Kugel, dieg-
mal mit den Bucdjftaben S. und R. (Abb. 12.)
Auch hier die Signierung alfo, aber wieder in ans
derer Form; dennoch fann fein Zweifel bejtehen,
daß e8 fich um den gleichen Meifter handelt.
1) Der Stein fand bisher Erwähnung bei Lübte,
Gefdidte der Renaiffance in Deutfchland 1. Aufl. (1872)
©. 521 und 2. Wuflage II (1832) ©. 7; dann in den
K.D.B. I, 366. Un beiden Stellen werden die Bud)-
ftaben A. P. irrtiimlider Weife als Steinmeßzeichen
angefprodjen, die eigentlide Meiftermarfe aber über
fehen. Um die ftiliftijde Unterfudung nicht zu hemmen,
verfdieben wir die Deutung der Budftaben A. P. auf
eine geeignetere Stelle. Weltere Abbildungen des Steines
— aus dem 18. Jahrhundert — bieten cgm. 1717 ©. 407
mit bem falfden Datum 1525 ftatt 1521; die Bud=
ftaben A. P. fehlen; ferner cgm. 1718 ©. 193, wo
alle in Frage ftehenden Zeichen meggelafien find.
*) K. D. B. I, 51, wo die Signatur unerwähnt
blieb. H. 1,61 Br. 0,80 m.
Abb. 11.
Epitaph ber Dorothea und Elifabeth Efterreicherin, geft. 1521
und 1497, an ber ehemal. Minoritenfirdhe in Ingolftadt.
Abb. 12.
Meifterzeihen und Datierung vom Epitaph der Dorothea und Elifabeth
A M. b u. 6.
Eſterreicherin an der ehemal. Minoritenkirche in Ingolſtadt. 15
114 Philipp Maria Halm
Abb. 13.
Grabplatte ber Margarete von Fraunburg, geft. 1515,
in ber Johannesfirche zu Mookburg.
Die nicht fignierten Werke des
Meifters S. R.
Die vier fignierten Werke de3 Meijters S. L.,
von denen er gwet furg nach 1513, eines im
Sahre 1521 und das legte im Jahre 1522
fertigte, bieten in ihrem Formenreihtum und
ihren Stileigentiimlichfeiten fo viele Anhalts—
punfte, daß es nicht fchmwer hält, eine giem-
1) K. D. B. I, 420. H. 1,88 Br. 0,96 m.
liche Anzahl weiterer Werfe dem Mteifter mit
Sicherheit zuzumeifen.
Verfuchen wir gunddft die Lüde zwifchen
dem Marolt-Epitaph und den beiden legten Ar-
beiten auszufüllen. An erfter Stelle ift hier
die Grabplatte einer Margarete von Fraun—
burg, geft. 1515,1) in der Johannesfirde in
Moosburg einzufchieben (Abb. 13). Die Hand
des Meifters ift unverfennbar. Er verbindet in
diefem Werk die ornamentalen Nifchen-Motive
der beiden Steine von 1513; die Figur meift
in Haltung und in den durch die Fußftellung
je 0 im? “ill i N Tat *
V —
Abb. 14.
Grabplatte des Chorherrn Wolfgang Wirfing, geft 1515,
im Domfreuggang gu Freifing.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frithrenaiffance in Altbayern 115
bedingten Gemwandfalten auf die Maria des
Maroltidreines Hin, zu der fie ein freies
Spiegelbild darftelt. In der Ausführung
fteht diefer Stein nicht auf der Höhe der beiden
früheren; er ift handwerflicher.
108 eingehenden und unmittelbaren Vergleich.
Yür das erfte Epitaph, das eines Chorherrn
Wolfgang Wirfing, geft. 1515 (Wbb. 14), wird
die Bumeijung an S. R. begründet durch die
Haltung des Oberkörper und namentlich des
Die näcjiten Werke des Meifters führen
und wieder an den Ausgangspunkt unferer
Unterfuhung, in den Domfreuggang von Frei
fing. Wenige Schritte vom Marolt-Altar und
dem Kalbsor-Epitaphentfernt, geftatten fie mühe-
Abb. 15.
Grabplatte de Kanonilus Petrus Schaffmannsperger, geft. 1516,
im Domfreuggang zu Freifing.
Kopfes — Kalbsor-Cpitaph — durch den pro—
filierten Bogen — Fraunburgerfiein in Mtoos-
burg — und durch die außerordentlich charaf-
terijtifche Technif.!)
Die nächjte Arbeit fteht im engften ftili-
1) Ueltere Abbildung in cgm. 1718. In der Sammlung bes Hiftorifchen Vereins Freifing befindet
fi der ftart abgetretene Grabftein einer Webtiffin Margaretha Lefhin, geit. 1526, mit deren Bruftbild. Die
16*
116 Philipp Maria Salm
ftifchen Zufammenhang mit der fignierten Grab-
platte des Canonicus Petrus Ralbsor. Sie ge=
hört einem Cononicus Petrus Schaffmang-
perger, gejt. 1516") an. (Abb. 15). Unter einer in
breitem Kleeblattbogen gefchlofjenen, perfpef-
tivifd) gefehenen Hallen-Nifche, die auf flafchen-
artigen Säulen ruht, Iniet nach recht8 der Ber-
ftorbene vor Kelch und Buch. Ohne auf die ein=
zelnen Bunte, die für eine Zumeifung beftimmend
find, wie die Balufterfaulen, das Quadermotiv
der Nifche — KHalbsorftein —, die Modellierung
des Kopfes, die technifche Behandlung des aus
Pelaftreifen gefertigten Chorrodes näher ein-
zugeben, fei der Blid nur auf das Heine geilen-
füllende Relief am Ende der Jnfchrift gelenft,
das einen am Boden fikenden Tod darftellt,
der nad) einer Sanduhr auf einem Rade weift
(Abb. 16). Diefes kleine Relief entfpricht in feinem
Inhalt als Signum des Todes und in feiner
Aufgabe al3 Raumfüllung ganz dem reitenden
Senfenmann an der Infchrift des Marolt-
fchreing. Yoh erblide in ihm, wenn aud fein
zmwingendes, jo doc) ein ergänzendes Moment
für die Zumeifung auch diefer Arbeit an den
Monogrammiften S. R. Gigenartig reizvoll
wirft an bdiefem Steine das flache perfpelti-
vifche Relief der Halle, die gang im relievo
sciacciato de8 italienifden Quattrocento an-
gelegt ift.
Abb. 16.
Bon der Grabplatte des Kanonifus Petrus Schaffmansperger
im Domfreuggang zu Freifing.
ALS fünftes Werk des Meifter im Dome
freuggang ju Freifing treffen wir auf einen
Stein mit dem lebensgroßen Bildnis des Canoni-
cus Baulus Lang von Wellenburg, geft. 1521,?)
der Propft in Salzburg, Baffau und Wörthfee
und ein Bruder des berühmten Kardinal Mat-
thäus Lang war (Abb. 17). Die allgemeine Auf-
faffung der Figur und die Nifchenbildung er=
innern unmittelbar an den Marolt=Altar, der
geflügelte Kleine Schildhalter und die Putten
mit den Feftons neben anderem an den Stein
des Petrus von Altenhaus. Die Geftalt des
Priefters ift fehr gliidlich in den nur vielleicht
etwas zu engen Raum geftellt und hat in der
leicht gefchwungenen Haltung oder, vielleicht
bejfer gejagt, in der gemefjenen Bewegung,
wie fie fic) in dem durch die feingefältelte
Albe tretenden Spielbein äußert, etwas Freie,
Ungezwungenes, lUnmittelbares. Gegenüber
ähnlichen Geftalten des Meifters, wie 3. B.
jener des Wolfgang Wirfing oder de3 Petrus
Kalbsor erfennt man deutlich einen mwejent-
lichen Fortfchritt; am augenfälligften aber
wirft ein Vergleich mit der Figur des Petrus
von Altenhaus. So frei und fihn fich aud
der Ritter aus den Hüften hebt, fo ftehen
feine Füße doch lahm und unficher auf dem
Nüden des Hundes; Paulus Lang aber tritt
feften gemwichtigen Schrittes in ftolzem Selbft-
bemwußtfein einher.
Der prächtige Stein blieb allem Anfchein
nad) unvollendet. Zwar find das Almutium
und die Albe in ihrem ftofflichen Gegenjaß
zwifchen dem weichen Pelz und dem vielfalti-
gen Linnen fehr fein ausgeführt, dagegen ift
der Kopf nicht viel über die allgemeine An-
lage Hinausgediehen. Es fehlt ihm die ein-
gehende Modellierung und der forgfame Schliff,
die wir an anderen Arbeiten des Meifterg,
3. B. an dem Petrus von Altenhaug zu fehen
gewöhnt find. Gs fteht ferner außer allem
Bmeifel, daß der Stein nur unvollftändig auf
uns gefommen ijt. Der jebige Zuftand des—
felben, vor allem die baltlofe Form der Bogen-
zwidel feßt zum mindeften einen weiteren
Abjchluß nach vben und damit als hidft
mwahrjcheinlich und zwar des befferen Verhält-
niffes wegen auch eine reichere feitliche Archis
Urditeftur geht mit jener deS Wirfing-Epitaphs fo eng gufammen, daß diefe Arbeit zum mindeften dem reife
unferes Meijters, wenn nicht ihm felbft, augefdrieben werden muf.
1) K. D. B. I, 365, H. 1,85 Br. 1,30 m. Meltere Abbildung in cgm. 1717 ©. 836.
*) üble, Gefhichte der Renaiffance in Deutfhland TI (1882). 7. Weltere Abbildungen in cgm. 1717
©. 440 und cgm. 1718 ©, 221. K.D. B. I, 367. H. 2,23, Br. 1,15 m.
Abb. 17.
GSrabftein des HKanonikus Paulus Lang von Wellenburg, geft. 1
521,
im Domfrenggang gu Freifing.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaifjance in Altbayern 117
teftur voraus.') Wie diefe ungefähr zu denken
ift, werden wir noch fpäter zu betrachten
haben. Ob diefe Urchiteftur jemals gur Wus-
führung fam, oder ob fie, ehedem vorhanden,
gelegentlich der Aufitellung der Grabjteine im
Kreuzgang durch Bifdof Johann Franz im
Jahre 1708 etwa aus Gründen der Ron-
formität mit den übrigen Steinen entfernt
wurde, fteht dahin.
Qn Freifing findet fich feine weitere Mars
morjfulptur, die mit unanfechtbarer Beftimmt-
heit den Meifjel unjeres Meifters verriete. E8
fünnte nur noch der wenig bedeutende Grab-
ftein des Canonicus Rupert Auer von Puelach,
geft. 1520, in Frage fommen, wenigften’ bin-
fichtlich der technifden Mache, doch weift er in
der Art, wie die müde Figur unbeholfen in
die Nifche gezwängt und wie die Hände ge=
faltet find, eher auf einen [hmwächlichen Nach-
ahmer, al3 auf den Meifter jelbit.
Wefentlich mehr Wahrfcheinlichkeit fpricht
für den Grabjtein des Ritters Sigmund Bucher,
geft. 1514, in ©. Cajtulus zu Moosburg. Bei
einem Vergleich mit dem des Peter von Alten=
haus, der in eriter Linie heranzuziehen ijt,
wird diefer zunächit wegen des reichen Beimerfs
und der außerordentlich feinen Durchbildung
aller Einzelheiten mehr bejtechen. Greift man
jedoch) das Wejentliche der beiden Werke heraus,
die Figur der beiden Nitter, jo wird man der
unverfennbaren Vorzüge de8 Moosburger
Steines augenblidlich gewahr. Der Berzicht
auf einengende Nijchen und ähnliches Beimerf
geftattet der fühnen Figur des Bucher größere
Bewegungsfreiheit. Peter von Altenhaus jteht
unficher auf dem Hund, der Pucher dagegen
wiegt fid) federnd in der Sicherheit des
Sehrittes. E3 ift dasfelbe Empfinden, wie bet
dem Canonicus Lang von Wellenburg. Jn
diefem Bewegungsmotiv erblide ich auch den
wefentlidften fiir den Mteifter S. R. fpredjen-
den Grund; daneben legen freilich auch Schnitt
und Behandlung der Helmzier und die Rüftung
deffen Urheberjchaft nahe Weberrafchend wirkt
der nur von einer Neßhaube bededte Kopf des
Puchers; er ift ein unmittelbar dem Leben
abgejchriebenes Porträt mit derben fnochigen
und ent{dlofjenen Zügen, das zu den beiten
Abb. 18.
Grabplatte de8 Thomas Löffelholz von Kolberg, geft. 1527,
in der StiftSfirde zu Altötting. Bon 1520.
Bildniffen in Altbayern zählt. E83 überragt
alle bisher von unjerem Meifter erwähnten
Werfe, ohne jedoch dabei auf eine andere Hand
hinzuweiſen.
Auch Landshut beſitzt noch ein weiteres
Werk unſeres Meiſters in der Grabplatte des
Ritters Georg Kärgl von Siesbach, geſt. 1527.2)
Sie iſt in einem Nebenraum der Kärglſchen
Kapelle zu Kloſter Seligental unter einer
Treppe faſt unzugänglich eingemauert. Die
') Auf die Unvollſtändigkeit deuten auch die glatt behauenen Geſimsſtücke der Niſche.
Haack, Die gotiſche Architektur und Plaſtik der Stadt Landshut 1894 S. 5b.
118 Philipp Maria Halm
— —
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Um Jem.
Abb. 19.
Zeichnung des alten Beitandbe8 bes Monumentes des Thomas
Löffelholz in Altötting.
Buweifung an S. R. rechtfertigt fich zunächſt
durch die Architektur, die jener am Grabmal
des Lang von Wellenburg nah verwandt und
genau wie diefe an dem linfen unteren Ge-
fimsftüd mit einem Wappen haltenden Engel-
chen auggeftattet ift. Eine prächtige Figur ift
der Ritter, der in ungezwungener Haltung mit
faft gezierter Beweglichkeit auf einem Bären
dem Wappentier der Kärgl — jteht. Die
Mehnlichfeit mit den fchon erwähnten NRitter-
grabfteinen fpringt unmittelbar in die Augen.
’ Der Umftand, daß das Todesdatum erjt jpäter
volllommen ausgefüllt wurde, bemeift, daß
das Monument fchon zu Lebzeiten des Ritters
errichtet wurde. ch febe es um das Jahr
1520 an. Auf diefe Zeit weifen auch die dem
, Steine des Lang von Wellenburg (geft. 1521)
nahezu fonforme Architektur fomie die ftiliftifche
Uebereinftimmung mit dem folgenden Werfe
des Meifters, welches das Entftehungsjahr 1520
trägt. Es ift der Grabftein des Thomas Löffel-
hols von Ktolberg, geft. 1527, in der Stiftskirche
zu Altötting,!) den fic) der Ritter alfo ſchon
zu Lebzeiten hat meiffeln laffen (Abb. 18). Die
in Hochrelief gearbeitete Figur trägt Maris
miliangrüftung mit flatterndem Schurz wie
Peter von Altenhaus, Sigmund Puder und
Georg Kärgl; mit der Rechten faßt er die
Fahne, die Linke ruht am Schwertgriff. Die Zus
gehörigfeit zu den Arbeiten des Meifters S. Ze.
offenbart fi) unmittelbar aus der Pfeiler-
nifche mit den Feftons und den Putten in
den Bogen, Motiven, zu denen fich gleiche
oder jehr verwandte Formen in faft allen uns
bisher befannt gewordenen Werfen nachweifen
lafjen. Ueberdies dedt fich die Figur des
Loffelholg mit den übrigen Rittergeftalten des
S. R. in auffallender Weife und zwar nicht
nur in der ganzen Auffafjung und Haltung,
in der Stellung, in der WArtifulierung der
lieder, fondern auch in jenen fleineren Eigen-
tümlichfeiten, die weit deutlicher die Hand ihres
Schöpfers verraten als in die Augen fpringende
Allgemeinheiten, 3.B. in dem fliegenden Schurz.
Auch diefes Werk ift nicht in feiner ur=
fpriingliden Bollftändigfeit erhalten; der
Mangel einer Infchrift und eines fejten Rabh-
mens weilt deutlich darauf Gin. Glüdlicher-
meife aber haben zwei Zeichnungen des 17. bezw.
des 18. Jahrhunderts?) den alten Aufbau des
Monumentes feftgehalten. Bei beiden um=
rahmt eine grofe Urdhiteftur das eigentliche
Bildfeld. Die ältere Zeichnung (Abb. 19) er=
fcheint etwa8 reicher; die auf dem WArdhitrav
ftehenden Figuren eines Nitter8 und eines Ge-
lehrten fcheinen fpätere Zutaten gewefen zu
fein, fie fehlen bei der jüngeren Zeichnung.
)K.D.B. I, 2849. H. 2,30, Br. 1,10 m. Stulturgefdidtlid) intereffant ift diefer Stein durd) bie
den Serufalemfahrer kennzeichnenden Orden vom Hl. Grabe und den Katharinenorden am unteren Rande der Platte.
*) K. D. B. I, 2349. Die ältere Zeichnung befindet fi) in einem von Thomas Löffelhoig (1656—1716)
verfaßten Familienbude im Archiv des Germanifden Mufeums in Nürnberg (D. 1, Nr. 1), die jüngere Zeich-
nung in cgm 2266 (BI. 48), welder 1783 im Wuftrage der K. Ufademie der Wiffenfdaften hergeftellt wurde.
Monument des Hans von Hlofen, geft. 1527,
in der Pfarrkirche zu Arnitorf.
DIE Per
Vom Monument des Alexander Lebersfircher in der Pfarrlicche zu Gerzen.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenafjance in Wltbayern 119
Diefe macht, obwohl noch mwefentlich dilet-
tantifcher, in manchen Einzelheiten den Ein=
drud forgfältigerer Treue. Nach ihr hätten
die Säulen recht und Linfs der Nifche ganz
und gar jenen an der Korbiniansnifche des
Mearolt-Altars, und an den Epitaphien der
Ranonifer Ralbsor und Schaffmannsperger
geglichen.. So ähnlih nun mag aud) die
Urdhiteftur de Steines de3 Paulus Lang
von Wellenburg gemwejen fein.
Wie fünftlerifch mindermwertig die beiden
Zeichnungen auch fein mögen, fo vermitteln fie
un8 dod einen ungefähren Eindrud von der
ehedem impofanten Wirfung de3 Steines. Unje-
rer Einbildungsfraft aber fommen aud) nod
gwei Werke de3 Mteijters S. A. gu Hilfe, die
bis auf den heutigen Tag ihre reiche ardjitef-
tonif{.he Pract wenigftens gum größten Teil
bewahrt haben. G8 find die Denkmäler zweier
Ritter in den Pfarrkirchen zu Arnftorf (Bezirks-
amt Eggenfelden) und zu Gerzen (Bezirksamt
Vilsbiburg) in Niederbayern. Das erfte, einem
Hans von Klofen, geft. 1527, errichtet,
entwidelt fic) 3u ciner Höhe von 3,5 m
(Abb. 20). Yn einer flachen Nifche, die von
einer kräftig gegliederten Frührenaiffance-Arcdhi-
teftur umrahmt wird, fteht der Ritter mit
geöffnetem Bifier. Sein Banner entfaltet fich
hinter ihm in breiter Bahn. Die Mijche wird
von einem Aufbau befrönt, der die bandartige
Inschrift umschließt und in eine Mufchel mit
feitlihen Boluten endigt. In diefer Höhen
einteilung blieb da8 Denkmal unverfehrt, da-
gegen ift die flanfierende Architektur nicht mehr
intaft erhalten. Der Entftehungszeit de3 Werkes
gehören die beiden eigenartigen Stüßen und die
zwei Boluten mit NRofetten am Unterbau an.
Befonderer Beachtung wert erfcheint es, daß
diefe Teile wie die Flügel des Maroltaltars im
Gegenfaß zum übrigen in Sandftein gemeißelt
und duch Anftrich zum Ton des roten Mar=-
mors geftimmt find. Ob diefe Bauglieder ur
fprünglich die jegige Anordnung zum Mittel-
teil hatten, erjcheint mehr als fraglid. Das
18. Jahrhundert nahm fich der Wiederherftel- :
lung de8 Werkes an, ergänzte in feiner Stil-
weije nicht gerade ungefchidt die fehlenden
Seitenteile der oberen Partien, fügte den Eruzi-
firus mit Maria und Johannes Hinzu und
febte aus den Reften der alten Umrahmung den
unteren Teil, fo gut e3 eben ging, zufammen.
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Ahb. 22.
Monument bes Wlexanber Lebersfirchener, geft. 1521,
in ber Pfarrfirdhe gu Gergen.
Eine Darlegung aller Cingelbeweife fiir die Bu-
weifung de8 Werfes an S. A. erjcheint über-
flüffig; fie ergeben fich dem prüfenden Auge
120 Philipp Maria Halm
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Abb. 23.
ohne weiters. Immerhin fei die Aufmerkfam-
feit wieder auf die Feine Tafel gwifden den
Füßen des Mitters und auf die Freude des
Meifters an den Putten gelentt.
Der Stein in der Pfarrkirche zu Gergen,
ungefähr eben fo groß, wenn auch nicht fo reich,
Sandftein- Reltef im Sighart-Mufeum in Freifing.
wie das Klofenfche Denkmal, übertrifft diejes
an fünftlerifhem Gehalt (Abb. 21 und 22).
Qn einer Nifche mit Frührenaiffancefäulen
niet Wlerander LVebersliccher von Lichten-
bag, geft. 1521, nach linfs gewendet in
einem mit Sdnigwerf und einem Kleinen
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frithrenaiffance in Altbayern 121
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Abb. 24. i? Solzſchnitt der Mailänder Schule. Sammlung Rothſchild in Paris.
Wappen) !gezierten Betſchemel. Er trägt Im rechten Arm ruht die Lanzenſtange, durch
den Maximiliansharniſch, aus dem Viſier die Hände rollen die großen Perlen eines Roſen—
ſchaut ein mildes, fromm gläubiges Geſicht. kranzes. Das Feld über der Niſche nimmt ein
) Das Wappenſchildchen, urſprünglich in Bronze gegoſſen, wurde in den achtziger Jahren des 19. Jahr=
hunderts entfernt und durch einen Gipsabguß erſetzt.
W. M.5 1. 6, 16
122
breites Schriftband ein. Die Befrinung des
ganzen Aufbaues bildet ein Figürchen des
„Ehriftus in der Raft“, zu dem aller Wahr-
Icheinlichkeit nad) der Meifter das Titelbild
der Heinen Holzichnitt-Paffion Albrecht Dürers
von 1511 (B. 16) benüßt hat.
Der Stein des Alexander Leberskirdher er-
weitert unfer Wiffen von dem Können des
Meifters infoferne, al8 er fic) nicht mit der
einfachen repräfentativen Darftellung des Ver-
ftorbenen begniigt, fondern ein faft monu-
mentales Genrebild, den Ritter im Gebete,
gibt. Gr beherrjcht feine Aufgabe, von der
etwas fchwer verftändlichen Haltung der Hände
abgefehen, durchaus und weiß aud) den Mar-
mor zu einem finnigen Gefichtsausdrud zu
zwingen. In feelifcher Belebung, die ihm feines-
weg3 immer al8 Hauptziel feiner Porträtkunft
vorfchmebte, hat hier der Meifter S. 22. fein Beites
gegeben. Zwar verfucht er da und dort über
ein bloßes Abfchreiben der Natur hinausgu-
gehen, wie etwa im Kopfe der Kanoniker Wir-
fing und Ralbsor oder des Sigmund Pucher
und am glüdlichiten hier im Gefichte des Ale—
zander Lebergficcher, aber von fonderlicher
Vertiefung lannn bei all diefen Verfuchen Feine
Rede fein. Offenbar interefjierte den Meijter
mehr die einzelne Berfon in ihrer Gejamter-
fdeinung und Haltung. Ein Paulus Lang
von Wellenburg, ein Sigmund Pucher, ein
Georg Kärgl, fogar die Eleinen Figürchen des
Marolt-Altares ftehen ald markig gefühlte, groß
zügig umrifjene Vertreter ihres Standes vor
uns. Man fpürt ihnen des Meifter8 Herr-
Tchaft über den Körper, das Berjtändnis für
die Funktionen der Glieder und für die be-
weglidje Elaftigitét eines fraftigen Gefamtor-
gani8mus nad); felbft die Putten, die nadten
nicht weniger wie die befleideten, teilen in
ihrer frifchen Natürlichkeit alle diefe Vor—
giige mit den lebensgroßen Geftalten des
Meifters.
* *
*
Das bevorzugteite Material für den alts
bayerifden Steinmeßen jener Bett war der
rote — meift Adneter — Marmor; andere Stein=
arten fommen verfchwindend felten zur Bermen=
dung. Eine Zufammenftellung verjchiedener Wla=
Philipp Maria Halm
terialien an einem und demfelben Werf mie
beim Maroltaltare mußte deshalb umfomehr
überrafchen. Unfere Unterfuhung wieg vom
Schrein diefes Werkes ausgehend gunddft den
Weg nad) den Marmorffulpturen des Meifters.
Wir können nun aber auch nod) gwei Sandz-
fteinrelief8 unbedenklich dem gleichen Meifter
zufchreiben. DBezeichnender Weile treffen wir
fie an Orten, wo der Meifter S. A. durd
fignierte Werke vertreten ift. Das erfte Relief,
in der Sammlung der ehemaligen Mtartins-
fapelle (Sighartmufeum) in Freifing, hat feiner-
lei Injchrift (Abb. 23). Vielleicht ift e8 der Reit
eines Altaraufbaues; darauf fcheint mir wenig⸗
ftens die Anordnung zu deuten. In einem reichen
Rahmen fteht, von Engelwolfen ummogt, eine
Figur des Salvators von faft Dürerifcher Kon
zeption. Die Eden des Rahmens bilden De=
daillons mit den vier Evangeliftenfymbolen,
etwa im Einne eines Budhtitel3.!) Die Seiten-
teile geben ein auffteigende8 reid) mit Putten
belebteg Pilafterornament, die untere Leifte
“einen Fries von Engeln mit den Leidenswerf-
zeugen Chrifti. Im Kopfftüd fieht man Putten
das figende Chriftfind auf einer Bahre mit fich
führen; links und rechts diefer Gruppe jchließen
fich al8 Gegenftüde die Verkündigung Mariä
und der Sündenfall an. Das foftlide Werk
befindet fich infolge derBermitterung des weichen
Sandjteines in einem jammervollen Zuftande.
Ganze Füllftüde des Rahmens find ausge-
brochen, die oberften Schichten des ehedem be=
malten NRelief3 haben fich ftellenmweife abge
blättert und geben der Skulptur ein blatter-
narbiges Ausſehen. Troßdem bewährt der Stein
feine urfprüngliche feierlich reiche Wirkung. Die
Puttenfigürchen find von reizender Lebendigkeit
und erquidender Frifche, der hoch einherjchrei=
tende Salvator mit dem prächtigen Qodenhaupte
und der italienifchen Ponderation von monus
mentaler Größe. Daß S. R. auch der Schöpfer
dieſes Werkes ift, unterliegt feinem Zmeifel;
der Vergleich mit den Flügeln des nur wenige
Schritte entfernten Maroltjteines wirkt bier
ebenfo überrafchend wie überzeugend. Nur eins
erfcheint fremd, die malerische Weife des Mittel-
feldes, fpeziell das wenig erfreuliche, zu voll
und unruhig wirkende Engelgemölt, diefer zweite
Tchwammige Rahmen innerhalb des eigentlichen
1) Vergl. 3. B. Butfch, Die Bücerornamentif der GFriihrenaiffance. Taf. 18 und Taf. 57.
Abb. 25.
Epitaph fiir Hans Efterreider, geft. 1532, und Dorothea Efterreicerin, geft. 1521,
in der ebemal. Minoritenfirde zu Ingolftadt.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaifjance in Altbayern 123
Rahmens. Die Urfache ift leicht erfindlich;
alles deutet darauf hin, daß dem Mittelfeld
ein graphifches Vorbild, das uns jest unbe-
fannt ift, zu Grunde lag. Man denkt an Dürer
oder Cranad).
Für die Umrahmung find mir in der glüd-
lichen Lage, die Vorbilder nachweilen zu können.
Bunächft ift nicht fchwer zu erkennen, daß die
Verfündigung der oberen Leifte in der ganzen
Kompofition und in einer ganzen Reihe be-
flimmender Einzelheiten genau Dürers Blatt
aus dem Marienleben (B. 83) wieder gibt. Un
gleich wichtiger aber ift die Wahl des zweiten
BVorbildes. Auf den erjten Blid erhellt, daß
fein Deutfcher diefen Rahmen erdacht haben
fann. Um das Jahr 1520, in daß wir un-
gefähr diefes Werk gu feken haben, fuden wir
in Deutfchland vergebens nach folch reifen und
reinen Schöpfungen des neuen Stils, felbft
in der Buchlunft; es fonnte alfo nur Italien
felbft unferem Meifter fpendend genaht fein.
Das Vorbild fand fich denn auch in einem Holz=
fchnitt der Mailändifchen Schule, betitelt: das
Wunder der hl. Martha (Abb. 24). Das einzige
bisher befannte Exemplar desjelben befindet
ih in der Sammlung Rothichild in Paris.!)
Er gehört der Zeit um 1500 an. Meifter
S. R. nahm die ganze ornamentale Umrah-
mung von dort herüber, fürzte die Seitenleiften
um einige Ranfenglieder und fügte der oberen
die Dürerifche VBerfündigung und den Sünden-
fall ein. Bei aller Kopijtentreue gibt der Pteifter
aber dod) auch etwas Perfönliches Hinzu, in=
dem er aus den fchlanfen ätherifchen Putti des
italienifchen Buchfünftler8, die gum Teile die
Körperverhältniffe Erwachfener tragen, volle
fchmwellende Kinderglieder, echte deutfche Engel-
Inaben im Sinne eines Dürer,?) Cranad) oder
Altdorfer formte. Daß ein günftiges Gefchid
den italienischen Holzichnitt wenigitens in einem
Exemplare erhalten hat, ift um fo wichtiger,
al3 dadurch unfere Kenntnis von der Runft
der Frührenaiffance in Deutfchland in ihren
Beziehungen zu Oberitalien um ein unmittel-
bares Zeugnis, deren wir nicht allguviele be-
fißen, bereichert wird. Für Altbayern ftebht
ein derartig auffallendes und überzeugendes
Beifpiel bis jet einzig da.
Das zweite Sandfteinrelief unferes Meifters,
ein Epitaph für Hans Ejterreicher, geft. 1532
und Dorothea Ejterreicherin, geft. 1521, jteht im
Chorder ehemaligen Minoritenz, jeßt Garnifons=
ficche in Ingolftad?) (Abb. 25). Es ftellt in einer
Mufdhelnifde einen fogenannten , Gnadenftuhl’
dar, d. h. den thronenden Gottvater, der vor
fich Chrijtus am Kreuze hält; die Taube fist
auf dem Querbalfen des Sreugholzes.‘) Unter
der Bildgruppe fnien feitlich des Schriftfeldes
in Eleineren mit Gehängen verzierten Nifchen
die Verftorbenen. Alles architeltonifche Bei-
werk weift nachdrüdlich auf die fignierten Werfe
des Meifter8 S. A. hin. Für ihn Sprechen
ferner noch die Teppich haltenden Engel und
der fleine PButto als Wappenbalter, dem wir
in ganz ähnlicher Weife mehrfach auf Werfen
unferes Meifters begegnen. Der Kopf Gott
Baters fteht in engfter Vermandtichaft mit
jenem des vorermahnten Salvator8 in Frei-
fing. Wenn in den Gewandfalten Gott Vaters
einige Abweichung gegenüber anderen Arbeiten
fich ergibt, fo ift dies zunächjt wieder auf den
MWechfel des Materials zurüdzuführen, dann
1) Vergl. Lippmann, Der italienifhe Oolafdnitt im 15. Jahrhundert, im Jahrbuch der preußifchen
Kunftfammlungen V (1884) ©. 319 ff. Ehe mir diefe Whbilbung bei Lippmann befannt war, hielt ich Die
Litelbilb-Umrahmung de8 Aureum opus de veritate contricionis von J. &. Vivalbdus, eines pradtigen Drudwerkes
der Offigin Signerre in Saluggo von 1503 für dag Vorbild, mwenigftens für die fenfrechten Leiften. Ungmeifelbaft
aber diente als folches die Bordüre des Nothfchildfchen Blattes. Diefes weilt Übrigens, was Lippmann gang
überfehen gu haben jcheint, jo große ftiliftifhe Unterfhiede zmifhen Mittelfeld und Umrahmung auf, dak man
nur zwei ganz verfchiedene Hände annehmen fan. Der Holzftod des fhmwäcdjeren altertümlichen Mittelfeldes
ift eingefegt und paßt nur ungenau zum Format de Rahmens. Gab es am Ende Drude mit einem Salvatoı
alg Mittelbild ?! Lippmanns Anfhauung, die Bordüze erinnere in Zeichnung und Aufbau an jene des Titel-
Holafdnitts bei Vivaldus muß außerdem dahin prägifiert werden, baß dejien rechte Leifte vollftändig dem Spiegel-
bild der linken Leiſte auf dem Rothſchildſchen Blatte entſpricht.
2) Auffallende Aehnlichkeit findet ſich zwiſchen dem ſtehenden Engelpaar der linken Leiſte und Dürers
Stich mit den drei Genien (B. 66), der von Hans Baldung und anderen mehrfach nachgebildet wurde.
5) K. D. B. I, 50 H. 1,66 Br. 0,87 m.
4) Die Darjtellung de8 ,,Gnadenftuhls” war burd) das gange Mtittelalter in Deutfdland fehr vere
breitet. Dürer gab ihr im Wllerheiligenbilde die gewaltigfte Rompofition. Bergl. aud) Berger, Handbuch ber
fichlihen Kunftaltertümer in Deutfhland 1905. ©. 541,
16*
124 . Philipp Maria Salm
Abb. 26.
Golaitatue des Hl. Johannes bes Tiufers
vom Hochaltar der Pfarrkirche in Retsbach.
aber auch auf den Umftand, dab, wie der Gefamt-
eindrud des Bildwerfs bezeugt, ficherlich auch
bier ein graphijdhes Blatt in Relief iiberfest
wurde. Das Ornament des rechten Pilafters
ift übrigens einer Schmudfeifte Sans Springin=
flee aus dem Hortulus animae, gedrucdt von
Yohann Stüchs ın Nürnberg im Jahre 1516,
mwortmwörtlich entlehnt; das des Linken Pilafters
variiert nur den Putto. Nicht ohne Belang für
die Zufchreibung dürfte ferner noch fein, daß
Hans Eiterreicher ') 1522 feinen beiden Frauen
(geit. 1497 und 1521) von dem Meifter S. R.
an der gleichen Kirche einen mit Kugel und
Monogramm fignierten Grabftein hat errichten
laffen. Und auch diefes Sandftein- Epitaph
trägt am Gebälfftüd des linfen Pfeiler3 die
geflügelte Kugel. In dem ,Gnadenftuhl’ be=
figen wir des Meifters bedeutendfte Steinfkulp-
tur; der würdevolle Kopf Gott Vaters und der
trefflich modellierte Körper Chrifti werden von
feiner anderen ähnlichen Schöpfung Altbayerns
auch nur annähernd erreicht.
* *
*
Verfuden wir eine chronologiiche Reihen
folge der Werke aufzuftellen. Die genau da=
tierten Steine des Thomas Löffelholz in Alt-
ötting (1520), der de8 Kalbsor in Freifing
(1521) und der erfterwähnte Stein der Eiter-
reicher in Jngolftadt (1522) gewähren hiefür
die einzigen feiten Punkte. Für die meiften
anderen Steine muß, da bet faft allen das
Todesjahr mit der Infchrift einheitlich einge—
meiffelt ift, diejes al3 oberjte Grenze für die
Entftehung angefehen werden. Darnad) allein
ſchon wäre der Wltar des Ranonifus Marolt,
geit. 1513, al8 dag altefte Werk des Mteijters
angufprechen. Ueberdie3 weift ber Schrein aud
nod) weit mehr Erinnerungen an die Gotif auf,
als irgend eine andere Arbeit des S. AR. Der
Umjtand aber, daß das Totenmal zugleich auch
als eine Art Stiftungsbrief über die zwei Meffen
errichtet wurde, läßt uns fauın über das Jahr
1515 berabgreifen. Aus ftiliftifchen Gründen
und gemäß der Todesdaten fchliegen fich dann
unmittelbar an die Steine des Betrus von Alten
haus, geft. 1513, der Margarethe von Fraun—
burg, geft. 1515, und de3 Ranonifer Wiring, geft.
1515 und Schaffmannsperger, gejt. 1516. Es
folgt bierauf mit ficherem Entjtehungsdatum
das Monument für Thomas Ldffelholg von
1520, dem wir in unmittelbare Nähe die Platte
de8 Paulus Lang, geft. 1521, und den Ritter-
grabftein des Sigmund Bucher, geft. 1514 feken.
1) Unf feinen Namen beziehen fic) ungweifelhaft die Budftaben 1 E (QohanneS Cfterreider) am
Scheitel des Bogens des gu ermahnenden Steines.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 125
Yür die Einordnung der beiden legten an diefer
Stelle fprechen außer rein ftiliftifchen Belegen
auch die entwidelten Marimiliansrüftungen.
Serner heit uns der gleiche Stilcharafter hier
den Grabjtein des Georg Kärgl, geft. 1527,
anzufchließen. &8 folgen alddann das Sand-
fteinepitaph!) und die Marmorplatte der
Ejterreicher von 1522. Gleichzeitig mit dem
Sandjteinepitaph der Efterreider entftand das
Salvator-Relief in Freifing. Der Stein des
Alexander Vebersfircher, geft. 1521 und jener
des Hans von Klojen, geft. 1527, find als
die fpäteften Werke des Meifters angufehen;
eine andere Stilphafe vertreten fie jedoch nicht.
Aus der Fülle altbayerifcher Grabdenfmaler
gelang eg mit Hilfe einiger monogrammierter
Werke und auf Grund untrüglicher ftiliftifcher
Gigentiimlidfeiten eine Gruppe herauszulöfen
und fie einem uns gunddjt nod unbefannten
Meifter zugufchreiben. Er mwechjelt, wie wir
faben, ftändig fein Zeichen, hier S und R,
dort ein Pfeil, dann beides verbunden oder
die beiden Buchftaben in eine geflügelte Kugel
eingegraben, jelbjt in der fpielenden Vermen-
dung fleiner Tafeln möchte ich etwas Mono=
grammatifches erbliden. Auch die außerordent-
lid) charafteriftifche Technik konnte uns ftellen-
weife Führerin fein. Ganz befonders bezeich-
nend für den Meifter ijt e8, daß er das Stoff-
lide mit dem Zahneifen behandelt und die
Schläge unpoliert jtehen läßt im Gegenfak gu
den Fleifchpartien, die er forgfältig fchleift.
Dadurch erzielt er höchft malerifche und ab-
wechjelungsreiche Wirkungen. Selbft wenn man
nur der Mache, der Hammer- und Meiffelfüh-
rung folgen wollte, fäme man zum gleichen Re=
fultate wie durd) reine Stilfritif. Der Hammer-
‘ ⸗ Abb. 27.
ſchlag des Meifters fällt, hat man ihn einmal Golgftatue bes HI. Wolfgang
erkannt, unmittelbar ing Geficht.?) vom Hochaltar der Pfarrkirche in Reisbach.
Da an dieſem Epitaph das Todesjahr der 1521 verſtorbenen Dorothea Eſterreicherin noch nicht
ausgefüllt ift, muß es vor die Marmorplatte von 1522 angefegt werden.
2) WIS Arbeit beS Meifters S. R. fprede id nod einen Grabjftein an, von dem id nur eine im Gers
manifden Mufeum in Nitrnberg befindlide Photographie fenne, den ich troß eifriger Redherden jedod nidt im
Original zu eruieren vermodte. Cr ftellt Chriftus am Kreuz mit Maria und Johannes in einer Renaiffance=
nifhe dar, deren oberer Abfchluß reid) mit gotifhen Reminisgenfen durdfegt ift. Von ftiliftifhen Gründen
abgefehen, verweift namentlich die Qnfdrift auf Freifing: Anno dni 1525 Desxvijtags January Ist gestorbe
der Edel waltrsar ..gendorfer vnd am samstag vor letaretag starb anna sein hausfrav anno dni 1517
dé gotgenad, d’dreier fursté vnd bischové zu freising diener gewest ist. Der Stein ift burd feine Attri=
bute, Sonne, Mond und die „Waffen Ehrifti” von hohem ifonographifden Ynterejje. Der Name ijt Ougen-
borfer zu lefen; Hugendorfer war, wie Freifinger Rechnungen der Zeit (Rep, LIII. Fol. 63 Nr. 1327 des 8.
KreiSardivs Landshut) ergeben, Rentmeifter der Freifinger Zürftbiichöfe,
126
Philipp Maria Halm
Abb. 28.
Linker Flügel des Hocaltars der Pfarrkirche in Netsbach.
Der Bildfdniber S. LK.
Der Meifter S. R. war ein vielbegehrter,
offenbar hochangefehener Steinmeb. Sein eigent-
lichites Schaffensgebiet war die Grabftein-
plaftif und damit das Relief. Nur einmal
runden fic) ihm feine Geftalten zu faft freien
Bollfiguren in den vier fleinen Heiligen auf
den Flügeln des Maroltaltares, Wenn wir
nun die Frage aufwerfen, ob etwa der Meifter
auch in größeren Freiftatuen die dort ange-
Abb. 29.
Rechter Flügel vom Hochaltar der Pfarrkirche in Reisbach.
deuteten Fähigkeiten für monumentale Diftion
zu reicher Entfaltung zu bringen verftand, fo
berühren wir damit zugleich die Möglichkeit,
daß er auch zeitweife den Meiffel mit dem
Schnigmeffer vertaufcht hätte, denn Freiftatuen
famen in Altbayern zu Beginn des 16. Jahr-
hunderts doch in erfter Linie für die großen,
bolzgefchnigten Altäre in Betradt. An den
Reften eines folchen lapt fic) nun auch die
Hand unferes Meifters nachweifen.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 127
Abb. 30. Michael8 Kampf mit dem Dradhen aus ber Apolalypfe von Albrecht Dürer. (B. 72.)
In der Pfarrkirche zu NReisbad (Bez.:Amt anderen ungefähr gleichzeitigen Schnigwerfen,
Dingolfing), das halben Weges zwifchen Gerzen zwei lebensgroße Holzfiguren des HI. Johannes
und Urnftorf liegt, finden fich, zu einem mo= Baptifta und des Hl. Wolfgang!) nebjtzwei Altar-
dernen gotifchen Hochaltar verwendet, unter flügeln (Abb.26-—29). Bon diefen ftellt einer den
1) Ob aud die lebendig aufgefaßte, faft barode Figur des HI. Michael im Giebel des Altar anzureihen
ift, [abt fih nicht mit Sicherheit entjcheiden.
128 Philipp Maria Salm
Abb. 31.
Bom Relief ber Taufe Chrifti
in der Sammlung des Hiftorifden Vereins in Landshut.
hl. Michael al Seelenwäger und die Enthaup-
tung de3 hl. Johannes des Täufers, der andere
den Kampf des hl. Michael mit dem Drachen und
eine tlonographiich außerordentlich intereffante
Szene aus dem Leben des Hl. Wolfgang +) in Rez
lief Dar. Die Standfiguren und die vier Rez
lief3 der Flügel ergeben, mie etwa die Gewand:
falten, die Gefichtszüge der Heiligen und am
auffallendjten die Behandlung der Haare be-
fehren finnen, unzmeifelhafte Uebereinjtim-
mung; die Flügel aber tragen unverkennbar
die Hand des Meifters S. AR. Man beobachte
das durd) das Gewand tretende Bein St.
Michaels, feine fliegenden, charakteriftifch mit
dem Bohrer behandelten Haare, die genau in
diefer Weife St. Sebaftian in dem Mtarolt-
fdjrein trägt oder da8 vom Rüden gejehene
Sigirden St. Wolfgangs. Und ift e8 nur
ein Zufall, daß dem Kampf St. Michaels mit
dem Drachen Dürer mächtige Vifion aus der
Apofalypfe (B. 72) zu Grunde gelegt ift, zumal
wir des Meifter8 Spuren fchon des vefteren fich
mit jenen begegnen fahen (Abb. 30). Erjcheint
e3 nicht auffallend, daß zu all diefen Kriterien
fich noch eine Kenntnis der Renaiffanceardhitef-
tur gefellt, wie fie fonft faum bei andern gleich-
zeitigen Meiftern Altbayerns begegnet. Der
Bogen auf dem Relief der Enthauptung des
bl. Johannes ift übrigens in feinen Hauptformen
nad) der Nifche auf dem Sandftein-Epitaph der
Ejterreicher in Ingolftadt aufgebaut und trägt
an feinen beiden Pfeilern genau an der Stelle wie
jenes und fogar zweimal — die geflügelte Kugel.
Die ftiliftijd) wie technifch genaue Ueber-
einjtimmung mit den Flügeln meift auch die
beiden prächtigen Statuen im Schrein des
Ultares dem gleichen Meifter zu. Hätten wir
nicht in den Flügeln das bindende Glied, fo
wire der Pfad zu ihnen wohl fchwer zu finden
gewejen. So aber wird das Auge, wenn e3
von den durch die Größe und das Material
bedingten Unterfchieden?) abfieht, vor allem
in der Auffaffung und der Ponderation der
Geftalten den Mteifter der Figitrden des Ma-
roltaltar8, den Schöpfer des Paulus Lang oder
des Salvator-Relief3 erkennen. Auch von dem
Material weniger abhängige Einzelheiten wie
3. B. die fiir ihre Zeit eminente Modellierung
de$ Spielbeines deS Taufers hat der Mteijter
S. R. fon abnlic) an andern Werfen ge-
boten, fo ftiggenbaft am Martyrium Gt.
Sebaftiang am Marolt-Altar und dann in ein=
gebender Durchbildung an den beiden Sand-
fteinrelief3.
') Daß Relief behandelt die offenbar aus dem Namen Wolfgang abgeleitete Vegende, daß der Heilige,
nachdem er Kirche und Zelle mit Hilfe de8 Teufels erbaut hatte, Gott bat, ihm einen Wolf im Pilgergemand
zu fdiden, um damit dem Teufel den ausgedungenen Lohn — ben erften Pilger — ausliefern zu können. Bgl.
Hiegu Mehler, Der Hl. Wolfgang 1894 ©. 212 ff. Außer der vorliegenden Darftellung ift mir fein einziges
Beilpiel für die Verförperung diefes Stoffes durch die bildende Kunft befannt geworden; nur Michael Bader
deutet fie flüchtig auf einem Flügelbilde feines Wltares in St. Wolfgang an.
*) Der Faltenwurf an den beiden Neisbadher Figuren wirkt gegenüber den anderen Figuren des S. R.
fehr unruhig und vielfnitterig. Abgejehen von dem verfchiedenartigen Material hat dies feinen Grund in der
neuen Bergoldung. Immerhin aber erfennt man dod) aud 3. B. an dem aufgefdlagenen Gewandfaume iiber
dem Spielbein des Täufers alte Gewohnheiten des DMteifters.
rifhen Vereing in Landshut.
mlung des Hifto
Nelief der Taufe Ehrifti in der Sam
Abb. 32.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 129
Die Reisbacher Sdhnigwerfe, gumal die
beiden Iebensgroßen Schreinfiguren repräfen-
tieren den Beginn der Blütezeit der nieder-
bayerijden Wltarbildnerei. Hier entfaltet fich
alle Glieder hHarmonifch durchitrömen zu laffen,
am reihften und natürlichften. Nichts Mittel
alterliches haftet mehr an diefen Körpern, nur
im Gewande fnittert e8 da und dort nod
Abb. 38. Mariä Schugmantel:Relief in ber Sammluug des Hiftorifchen Vereins in Landshut.
das Berjtändnis des Meifters für den organifchen
Aufbau de3 Menfdjenfdrpers und das Ver-
migen, einen beftimmten Bewegungseffelt durch
nad). Die Entftehung der Reisbader Bild:
werfe haben wir etwa um 1520 anzunehmen. !)
Die wenig glüdliche Neufaffung der Reis-
Ab6. 34. Relief des HI. Martinus in der Sammlung des Hiftorifhen Vereins in Landshut.
1) Urdivalifdhe Reherhen im Pfarramt zu Neisbad) und im K. Kreisarhiv Landshut blieben ohne
jeden Erfolg. Sehr nahe ftehen den Reisbader Figuren zwei hervorragende Holaftatuen eines Hl. Laurentius
und hl. Mauritius (9. ca. 0,92) in der Oberen Pfarrlirhe zu Ingolftadt, bod wage id nidt eine beftimmte
Bumeifung an S. R. ausgufpreden, da die Körperverhältniffe andere als jene der Reisbadjer Figuren find. Bgl.
K. D. B. I, 35. Taf. 9.
A. M. 5 wu. 6.
17
130 Philipp Maria Salm
Abb. 85.
Bom Relief bes HI. Martinus
in der Sammlung be8 Hiftorifchen Vereins in Landshut.
bader Altarteile erfchwert erheblich den Ber-
glei; mit den Steinarbeiten, die ung die
Meifjelfchläge des Meifters S. R. unverhüllt
und unverjehrt wiedergeben als der Hare Aus-
drud feiner künftlerifchen Abficht. Die bunte,
metallifch grelle Balette widerfpricht der Zeit
und dem Stile der Bildmwerfe, zumal der Rez
lief$, durchaus. UleberdieS hat man vor der
Neufaffung den alten Grund völlig entfernt
und den neuen Grund verftändnislos gleich-
mäßig über alle Teile aufgetragen, fo daß fic
in Verbindung mit der Farbe ftellenweife harte,
faft rohe Wirkungen ergaben, namentlih an
den Haaren und am Gemwande des Täufers
auf den Flügeln. Grund und Farbe, die den
Icharfen Schnitt des Mefjers hätten mildern
und glätten müffen, heben ihn aufdringlich
hervor. Ungmeifelhaft aber war das Reis—
bacher Altarwerf wie alle altbayerifchen Altäre
auf farbige Wirkung berechnet. Nur Kanzeln,
Leltorien und vor allem Chorgeftühle verzich-
teten damals auf Farbe, dementfprechend blieb
alle Modellierung und Ausführung bis zum
endgültigen Effelt dem Schnigmeffer guge-
wiefen. Derartige Arbeiten aus dem Anfange
des 16. Jahrhunderts find, von Rleinbild-
werfen abgejehen, in Altbayern außerordent-
lich felten.
Das Köftlichfte davon befigt die Samme
lung de3 hiftorifchen Vereins in Landshut in
vier größeren figurenreichen Reliefs, welche
die Krönung Mariä, die Manteljchaft Mariä,
die Taufe Ehrifti und St. Martin mit dem
Bettler (Abb. 31—36) darftellen. Und bHiegu
gehören noch drei männliche Neliefbüften
(Abb. 37). AU diefe Stüde, auf die des
Näheren einzugehen mir hier unerläßlich dünft,
bildeten der Tradition nach den bildneri-
Ihen Schmud eines Besper- (oder Propften-)
ftubles ber St. Martinsfiche in Landshut.
Von den Arditekturteilen ift außer ein paar
Stihbogen, deren Laibung mit einem Blatt-
fries befeßt ift und deren Bwidel ein Delphin-
ornament füllte, nicht mehr vorhanden, was
. den Aufbau, den wir uns in der Geftalt eines
Thrones ausdenten finnen, refonftruieren
liefe. 1)
Die Ausführung aller Teile fpridt von
einer geradezu eminenten Routine des Schniß-
meffer8, die alles Gleichzeitige des Gebietes
in den Schatten jtellt. Am deutlichjten offen-
bart fie fi) in den Köpfen der drei Haupt-
figuren der Taufe, zumal in dem Engel mit
den fliegenden Haaren, der mit den fturmge:
peitichten Wipfeln des Hintergrundes den
„Donauftil“* in der Plaftif wie nicht leicht
ein anderes Werk repräfentiert (Abb. 31). Aber
nicht minder gefchiet ift das Meffer in den Ge-
mwändern, in dem Landfchaftlichen und in dem
Malftrom der Wolfenfluten auf dem Relief
der Krönung Mariä geführt. Den Gipfel
feines Könnens jedoch gibt der Künftler in
dem prächtigen Oberkörper Chrifti.
Stil und Technik der Reliefs Taffen bei-
nahe vergeffen, daß wir plaftifde Werke vor
uns haben. Die ganze Anordnung und alle
1) Sekt find drei der Nelief8 — die Mantelfchaft, die Taufe und St. Martin (2. 0,63—0,70 m) mit
den Architelturteilen zu einem Fries vereinigt. Die Krönung Mariä ift 0,88 m lang, die Büften find ca.
0,387 m hod.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frithrenaiffance in Altbayern 131
Abb. 36. Relief ber Krönung Mariä in ber Sammlung be8 Hiftoriichen Vereins in Landshut.
Einzelheiten find durchaus malerifch gefehen.
Mod) mehr käme dies zur Geltung, wären die
Reliefs beffer in ihren Hintergründen erhalten.
Gerade bei der Taufe Chrifti, die eine reiche
Landichaft erwarten läßt, empfinden wir den
Verlust ganz befonders. Aber die wenigen Refte
diefes Mifrofosmos, die erhalten find, fprechen
genug. Wie das ruhig ftrömende Waffer den
Vorder= und Mittelgrund teilt, wie die differen-
jierten Größen der Figuren das Bild vertiefen
und laubiges Geäft den Horizont zu grenzen
fcheint, gemahnt durchaus an einen Maler des
Donauftils weit mehr al8 an irgend einen
Plaftifer der Zeit. Selbit Hans Leinberger,
der Ort= und Beitgenoffe diefes Mteijters bietet
nicht entfernt Mehnliches. Was aber vor allem
den fünftlerifchen Wert der Schnigmerfe hebt,
ift die bei allen malerifchen Tendenzen ge-
wahrte Klarheit in der bildnerifchen Er=-
ſcheinung.
Wir gehen zu den einzelnen Reliefs über.
Das beſterhaltene und wohl auch urſprünglich
das vollendetſte iſt die Taufe Chriſti (Abb. 32).
Die Szene iſt die altgewohnte, Johannes, Chriſtus
und der die Gewänder haltende Engel; neu
iſt aber die Kompoſition. Früher waren die
beiden Hauptperſonen einander koordiniert,
meiſt im Profil einander gegenübergeſtellt.
Hier bildet die frontale Figur Chriſti die
Symmetrieachſe; als Träger des ganzen In—
halts der Epiſode aber erſcheint der Täufer
in mantegnesker Rückanſicht, dem der Engel in
der Diagonale gegenüberſteht. Der Rhythmus
der drei Figuren ſtimmt wunderbar zuſammen,
die geſchmeidige Figur des Täufers, deren
ausklingende Bewegung wir uns durch Er-
gänzung der erhobenen Rechten vorſtellen
müſſen, das Ausſchwingen der Hüfte des Täuf⸗
lings und die Haltung der Arme und ſchließlich
die gegen die Gruppe zu ponderierte Stellung
des Engels zeugen von ungewöhnlichem Schön—
heitsſinn und voller Beherrſchung der Kom—
poſition. Man mag Leinbergers Taufe im
Raifer Friedrich-Mufeum!) daneben halten, um
einen Maßftab für die fünftlerifche Größe und
Reife diefes WerfeS gu gewinnen. Dazu
fommen nod) die der Handlung andächtig
folgenden Figürchen des Hintergrundeg, deren
jedeS fiir fic) durchaus individuell gezeichnet ift.
Bei der Mariendarftellung (Abb. 33) fehlt
leider der mwichtigite Teil, der Oberkörper der
himmlischen Mutter, deren Mantel zwei Engel-
chen über die Gläubigen ausbreiten. Da Inien fie
die Vertreter aller Stände, der Papft, der Bifchof
und Ordensgeiftliche, der Kaifer und andere
weltliche Fürften. Aber es find nicht wie fonft
lediglih Koftümfiguren, fondern fcharf ge-
prägte Charaktere von entjchiedenem Porträt-
gehalt. Trägt 3.8. nicht das Bild des Kaifers
die Züge des gealterten Maximilian?!
Ein außerordentlich feines Bildchen ift indem
Martinus-Relief gegeben (Abb. 34). Hier griff
der Meijter in die reale Wirklichkeit. St. Martin
halt fein Pferd vor dem Krüppel an, indem
') Abbild. im Münchener Jahrbuch für bildende Kunjt 1906. ©. 121.
17*
132
er den Zügel mit dem Arm an fich zieht.
Dabei dreht er fich im Sattel nach der Seite,
um den Mantel mit dem Schwerte zu teilen;
leider fehlt diefes und die beiden Hände.
Flehend und blöden Ausdruds ftredt der
Krüppel feine verdorrten Arme dem Reiter
entgegen. Mag das Rok in der Anatomie
der einzelnen Körperteile auch etiwas fchematifch
behandelt fein, fo prägt fich der Moment des
Zügelns in der allgemeinen Haltung, vornehm-
lich in den zurüdgeftemmten Beinen Har aus.
Das bartlofe Geficht des Reiters, der wie ein
biederer Landsinecht anmutet, ijt zweifelsohne
ein Porträt und in feinem Ausdrud von Mit-
leid und Milde ein piychologifches Meifterjtüd
(Abb. 35).
Die Qunette der Krönung Mariä fagt uns
wenig Neues. So reizvoll das Bildchen mit
den in den Wolfen wie im Wajfer fich tum=
melnden Engelchen auch fein mag, fo ver-
harrt e3 im Hauptthema doch bei dem be-
fannten Typus der Spätgotif (Abb. 36).
Die drei Reliefbüften (Abb. 37), in denen wir
Propheten oder wohl eher noch chriftliche Helden
erbliden dürfen, tragen gleichfalls Porträt-
züge, find aber den größeren Maßverhältnijjen
halber breiter behandelt als die übrigen Bild-
werfe und wirfen in den Bartfringeln auch
etwas altertiimlicher al8 jene. Dennoch find
fie von gleicher Hand, aus gleicher Beit und
rühren ficher ebenfall8 von dem Vesperjtuhle
her. Un der einen Reliefbiifte, die wie die ſämt—
lichen Schnigwerfe in Lindenholg ausgeführt
find, ift ein Schriftband mit der Jahrzahl 1524
angebracht. Es iſt aus dem gleichen Eichenholz
wie die Stichbogen der drei größeren Reliefs
gejchnitten. Der Stil der Bilder entjpricht durch-
aus diefer Zeit, jo daß wir unbedenklich die
Jahrgahl 1524 als Entftehungsdatum des
Besperjtuhles annehmen dürfen.
Wer der Meifter diefes hervorragenden
Werkes war, ift ung nicht überliefert. Die Voll-
endung und Reife und ebenfo die technifche Rou-
tine, mit der bas Schnigmeffer fpielend wie ein
Pinfel oder Griffel geführt wurde, deuten auf
einen Meifter, der vorher mand) anderes Bild
geichaffen Haben muß. Wan denkt zunächit an
den um diefe Zeit in Landshut anfälligen Hans
Leinberger. Ein Vergleich der Reliefs mit den
fider beglaubigten Arbeiten diejes Metjters
Philipp Maria Halm
weift eine folche Möglichkeit aber fchlantweg
zurüd. Neben Leinberger fann, foweit wir
den Denkmilerfdhak des Grenggebietes von
Oberz und Yiederbayern iiberbliden fdnnen,
nur ein Meifter noch für diefe Zeit in Frage
fommen, der Monogrammift S. R., und auf
ihn weifen denn auch eine Reihe ftiliftifcher
Eigentümlichkeiten der Desperjtuhl- Reliefs,
die fich nicht durch den allgemein herrfchenden
„Heitjtil” erklären laffen, und zwar fchon des=
halb nicht, weil Arbeiten auch nur ähnlicher
Ausdrudsformen, jene des Meijters S. R. aus
genommen, fajt ganz fehlen.
Bon grundlegender Berüdfichtigung für den
Vergleich mit den Schnigmwerfen des S. AR. muß
bier fejtgehalten werden, was wir fdon oben
dargelegt haben, die technifchen Unterfchiede,
die in der Polydromierung bezw. Farb-
lofigfeit der Nelief3 gründen, dann aber aud)
die aus der verjchiedenen Bwedbeftimmung
und beabjidtigten Wirkung fich ergebenden
Wandlungen. Die Reliefs des Reisbacher Hoch-
altars follten möglichjt weit dem Bejchauer
fichtbar fein; daher große Elare einfache For=
men, denen freilich die jebige grell bunte Faffung
nicht gerecht wird. Die Reliefs des Besper-
ftubles find faft fleinbildnerifde Urbeiten, die
fic) den reichen Erzählungen des ihnen ehedem
benachbarten Chorgeftühls in St. Martin zu
Landshut eng anjchloffen und ein liebevolles
Verfenfen in alle Einzelheiten, in jedes Figür-
chen, jede Miene, jedes Fledchen Erde fordern.
Trogß der Unterfchiede erkennen wir aber
aud) in vielen Zügen unfern Meifter wieder,
fo vor allem in dem Aufbau und Duftus der
Figuren. Man halte nur den Hl. Wolfgang
von dem Meisbader Altarflügel neben den
Täufer oder auch neben den Hl. Georg an
der Predella des Maroltaltars; man vergleiche
den Enieenden Kaifer mit dem Figiirden des
Hans Efterreicher in Yngolftadt! Man be-
tradjte vor allem auch die didföpfigen und
furzhalfigen Engelchen auf den beiden Marien=
reliefs, ob fie in ihrem fchalffaften Verfted-
fpiel nicht die leibhaftigen Brüder der Putten
auf den Monumenten des Thomas Löffelholz,
des Hans von Klofen, des Alexander Lebers-
firder u. a. find. Man prüfe die mitleidig
finnenden Züge im Gefichte St. Martins, wie
fie durchaus jenen des Hitters Leberskircher
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaifjance in Altbayern
133
Abb. 37.
entfpredjen. Man febe dann den Sdhub-
mantel der Maria in Bergleich mit den Fahnen-
tüchern der beiden leßtgenannten Ritter oder
die Architefturmotive der Martinslegende und
der Büften mit jenen der Keisbacher Flügel
oder dem Epitaph des Schaffmannsberger in
Freifing!
Nod ein wichtiges Moment in dem
Charakter der Vesperjtuhlreliefs Ienft unfer
Auge auf den Meifter S. R., das Porträt-
mäßige der Geftalten. Man findet faum einen
Kopf, felbjt die Figürchen des Hintergrundes
nicht ausgenommen, der nicht fcharf prägilierte
individuelle Züge trüge. Gm ganzen örtlichen
Bereiche der Hunt des S. HL. vermochte fein
Zweiter ein Wehnliches zu bieten, felbft nicht
der ihm in manchem verwandte Hans Leinberger.
Was das Grenzgebiet von Ober- und Nieder-
bayern, das hier in erjter Linie in Betracht
fommt, an wirklichen Porträts oder porträt»
artigen Bildwerfen bietet, ift nicht zahlreich.
und greift nur vereinzelt über eine matte
CHarafterifierung einiger weniger Typen hinaus.
Daß aber gerade der Meifter S. AR. derartige
fein individualifierte Figürchen zu formen ver-
Stand, findet die einfachfte Löfung in dem
Schwerpunkt feines fünftlerifchen Schaffen,
in den Grabfteinporträts. Hier liegen die
Keime für die jtrenge glaubhafte Zeichnung
der einzelnen Perfönlichkeiten der Landshuter
Reliefs, die in der fauberen Führung des
Schnigmejjers, wie das Werf eines Klein-
meifters anmuten. Man dürfte fic) nicht
wundern, wenn einmal Medaillen des Meifters
auftauchten, denn oft erweden die Köpfe auf
Neliefbüften Hriftlimer Helden in der Sammlung des Hiftorifhen Vereins in Landshut.
diefen Schnigbildern den unmittelbaren Ein-
drud von Buchsmodellen.
In den in etwas größeren Berhältniffen
gehaltenen Reliefbüften befigen wir gemiffer-
maßen die Bindeglieder zwifchen den figürlichen
Szenen des Vefperjtuhles und den Porträt-
Steinen. So erinnert 3. B. der Prophet mit
dem Bud) in der Kopfhaltung an den Lang
von Wellenburg. Die beiden anderen weifen
in Haare und Bartbehandlung diejelbe Mache
auf, wie einerfeits der hl. Sebaftian des Dta-
rolt-Epitaphs, andererfeit3 aber auch wie die
Engelfrifuren der Reisbacher Flügel.
Die Landshuter Reliefs von 1524 erfcheinen
erheblich fortgefchrittener als die des Neisbacher
Altars. Dennoch möchte ich feine erhebliche
Differenz in der Entftehungszeit annehmen.
Dean muß fich Har darüber fein, daß das Vor—
bild des Reisbacher Engeljturzes, das alter=
tümlichite Blatt der Apofalypfe, beiläufig jhon
zwanzig Jahre alt war, ald e8 der Meijter
S. R. verwertete, und daß er das Gegenftüd
dazu dem Gegebenen nad) Möglichkeit anpaffen
mußte. In den beiden anderen Reliefs, wo
ihn feine Fejjeln hemmen, ift er neugeitlicher
und freier. Man vergleiche nur das Raum-
empfinden; oben die Ausfüllung des ganzen Rah-
mens, die Ausdehnung des Bilderjtoffes in
aller Breite, unbefümmert um die Stellung
des Vorgangs zur Landichaft, furzum, der
Flächencharafter eines Wandteppich8; unten
aber das entjchiedene Streben, die Figuren mit
der örtlichen Umgebung und räumlichen Ber-
tiefung in Einklang zu bringen. Hierin ftehen
diefe Reliefs den Landshuter Arbeiten fehr nahe,
134 Philipp Maria Halm
und ich ziehe aus der Summe aller Stilähn-
lichfeiten und Ermägungen äußerer Natur
den Schluß, daß auch die Vefperftublreliefs
fein anderer Meifter als S. R. gefchnitten haben
fann.
Ueber diefe beiden Serien hinaus gelang es
mir biß jeßt nicht, den Spuren unferes Meifters
als Bildfchniger zu folgen. Nur noch in einem
Werke glaube ich feine Hand zu fehen, oder
beffer vielleicht gejagt, feinen Geift zu fpüren,
in der Heinen Holzfigur eines HI. Florian der
Sammlung Julius Böhler in München, die
nad) Mitteilung ihres Befiters aus Landshut
ftammen foll und in der Tat auch in ihrem
Formgefühl und felifchem Gehalte dem nieder-
bayerischen Empfinden ihrer Zeit durchaus ent-
fpricht. Einen Meifter aber, dem diefes un-
vergleichlich feine Figürchen mit den fprechen-
den feelenvollen Zügen und dem hauchenden
Mund näher ftünde als der Monogrammift
S. R., wüßte ich nicht zu nennen.
Der Hof der bifhöflichen Refidenz in
Freifing.
Zaffen wir nod) einmal die arditeftonifden
Motive de3 Meifters ins Auge, wie mir fie
vorwiegend an feinen Grabplaftifen trafen!
Seine reich auSgefprodjene iiberquellende Luft
an der neuen Schmudmeife, die ihn dad Meben=
fächliche feiner Aufgabe nicht felten faft zur
Hauptfache werden läßt, ward für unfere Unter-
fuhung Häufig zur erjten und untrüglichen
Spur. Saum daß er ein einzige® Grabmal
gemeißelt hätte, dag folcher Bier entbehrte.
Dabei ermüdet er nicht durch Wiederholungen,
fondern ftrebt nad) Iuftigem Wechfel. Die
Slügel des Marolt-Altar8 wirken faft wie ein
Skijgenbuch, nach welchem die größeren Are
beiten entftanden. Mehr noch als die flafchen-
ähnlichen Säulen intereffieren, unter diefen
aber die aus allen möglichen phantaftifchen
Dlattkelchen und gedrehten, gerillten und ab-
gefanteten Cingelfdrpern zufammengehäuften
Stiiken. Woher fam dem Meifter die Rennt-
nis diefer Formen ? Konnten wir für einige
der Motive die Autorfchaft Albrecht Dürers
und Hans Springinflees nadjmeifen und laffen
fid) die flafchenartigen Säulen am Wtarolt-
altar, an den Epitaphien von Kalbsor und
Schaffmannsberger u. a. a. O. auch aus ver-
wandten Formen in Dürer Marienleben —
Mariä TZempelgang (B. 81) — erklären, fo fehlen
‚uns für jene merkwürdigen Kompofitftügen,
wie fie am eigenartigiten die Steine in Gergen
und Arnftorf flanfieren, alle geeigneten An-
baltspunfte. Für ein einzelnes Glied, etwa
ein Rapitell, mag man in ber zeitgenöffifchen
Bücherilluftration, jo etwa den Druderzeug-
niffen der Offigin Johannes Weykenburger
in Landshut oder mehr nad) Nürnberger
Offiginen, fchlieglid ein Beifpiel finden, nicht
aber für den ganzen abjonderlichen Aufbau,
für diefes Aufeinandertürmen aller möglichen
Motive. Die gewohnte Gliederung einer
Stiike in Fuß, Schaft und Haupt befteht für
ihn fo gut mie gar nicht. Was liegt daran,
wenn eine Bafis wie der Kelch eines Kapitells
erfdeint, aus dem dann der Schaft heraus=
feimt; e8 freut ihn die neue Form, und forg-
lo8 und unbefümmert um ftatifch - äfthetifche
Bedenken phantafiert er fic) diefe merfmitr-
digen Stüßen zufammen. Eine folche reiche
und vielgeftaltige Verwendung von Ardhitefturs
gliedern ift der Grabplaftif der vorhergehenden
Stilperiode, die über die dünnen Säulchen und
Kielbogen nur in den feltenften Fällen hinaus:
fam, fremd, und e8 mag wohl berechtigt fein,
zu behaupten, daß troß der vorwiegend defo-
rativen Ausgeftaltung und Anwendung feiner
arditeftonijden Motive in dem Meifter S. R.
etwas von einem Bautiinftler ftad. Ja, an
einem Baumer! Altbayern® aus jener Beit
finden wir fogar ganz ähnliche Gebilde, wie fie
unfer Meifter anzuwenden nie erlahmte, näm=
lich in den Loggien des Hofes der bifchöfliche
Refideng in Freifing.
Die Hallen des Refidenghofes in Freifing
bilden das widhtigfte Moment in der fiinft-
lerifchen Erjcheinung des bifchöflichen Schloffes
(Abb. 38). Sie wurden nach einer Infchrifttafel
(f. u.) im Jahre 1519 erbaut von Fürjtbifchof
Philipp, Pfalzgraf bei Rhein, dem vierten Wit-
telsbacher auf dem Stuhle des Hl. Korbinian.!)
1) Meichelbed, Historia frisingensis II (1729) &. 312 und 366. — Sighart, Gefdjichte ber bilbenden
Fünfte in Bayern (1862) ©. 681. — Lüble, Gefhichte der Renaiffance in Deutfchland II (1882) S. 6 und I
(1882) ©. 74. — Lambert und Stahl, Motive der deutfchen Architektur des 16., 17. und 18. Jahrhunderts. Mit
Fert von 9. E. von Berlepfh. Taf. 5 und 6. — Sighart, Lübke und Berlepfc geben die falfde Jahrzahl 1520. —
“gIQT zuugag "Burliaag ur Puagularg usHrla@sia asq jos "86 "gg
1 ——
I x
Stephan NRottaler, ein Bildhauer ber Frührenaiffance in Altbayern - 135
Abb. 39.
Zweite Stüße bes Laubengangs
im Refidenghof zu Freifing.
Die Hallen umziehen den Hof an der Nord- und
Oftfeite in zwei Gefchofjen und zwar entjprechen
jeder unteren Arkade je zwei des Obergefchoffes.
Im dftlichen Flügel tragen die Hallen des Erd-
geichofjes einfache, größtenteils erneuerte Kreuz-
gemwölbe, im nördlichen Flügel Rippengemölbe ;
die obere Halle ift im Oftflügel jebt flachge-
dedt, während fi) im Nordflügel noch das
alte verjchiedenartig figurierte Rippengemölbe
erhalten hat.
Der Hauptreiz des Baues liegt, abgejehen
von den fchönen Verhältniffen in den Stüßen
der oberen Arkaden, die wie alle wichtigeren
Glieder des Baues in rotem Marmor gemeiffelt
find (Abb. 39—42). Uns aber erfcheinen fie vor
allem deshalb wichtig, meil fie mit ihren phan-
taftifchen Formen die Erinnerung an die Grab-
fteinarchitefturen des Meifters unmittelbar
wachrufen. Am engften find fie mit den Säulen
und Pfeilern am Steine des Hans von Klofen
in Arnftorf und des Mlerander LeberSfirdher
in Gerzen verwandt. Die ftiliftifche Aehnlich-
feit ijt jo auffallend, daß man auch für jenen
Bau die Hand des gleichen Meifter8 annehmen
midte. Schon Lüble hat diefe Vermutung
ausgefprochen freilich unter Annahme durchaus
unftichhaltiger Gründe. Er fchreibt zunädjit:
Sein Steinmebgeiden und das Ptonogramm
= Te FEUER
Abb. 40.
Fünfte Stüße des Laubengangs
im Refidenghof zu Freifing.
K. D. B. I, 339 und 378. — von Bezold, Die Baufunft der Nenaifjance in Deutfdland (1900) ©. 23 und
©. 175 ff. Schlieglich vermeife ich auf eine Eleinere, Ende ber neunziger Jahre verfaßte Abhandlung des
Verfaflers in „Kunft und Handwerk“ Jahrgang LIE (1903) ©. 130 ff. Ardhivalifche Forfhungen in den Archiven
in Münden und Landshut blieben ohne Erfolg.
136 Philipp Maria Salm
A. P. hat er — der Meifter — an einem 1. Stüße. Eine halbe Säule. Täfelchen am
Pfeiler eingegraben.“ 1) Dann erwähnt er flüch- Schaft. Schild.
tig die Epitaphien von Marolt und Ralbsor 2. Stüße. (Abb. 39.) Achtlantiger Pfeiler.
und bemerkt zu diefem: „Das Monogramm Täfelden am Schaft unterhalb
A. P. — vgl. oben — deutet offenbar auf des Kapitels.
den Meifter der Arkaden des Nefidenzhofes.“ ?) 3. Stüße. Bierfantig. An der Bafis eine
Die Buchftaben A. P. am Stein des Kalbsor Tafel wie die monogrammierten
alg ein Stiinftlermonogramm angufpredjen, TäfelchenanderSigismundnifche
erjcheint, nachdem wir als folches das Scild- de Marolt-Wtars ; eben dort eine
den mit dem durchquerten Pfeil, welches Sig- Kugel und ein an einem Riemen
hart und Liibfe überfahen, nachgemwiefen haben, hangendes Wappenfchildchen —
fo gut mie ausgefchloffen. Nicht ein Mono- mitdem Mohrenkopf von Freifing
grammift A. P., fondern ein Meifter S. P., — gleich dem Schildden mit dem
hat, wie uns die ftiliftifden Beziehungen zu Meifterzeichen am Kalbsorftein,
den beiden andern mit S. Re. fignierten Ar- fernergmwei Täfelchen am Kapitel.
beiten bewiefen haben, das Epitaph de3 Ranonifus 4. Stüße, An der Bafis gwet Täfelchen
Kalbsor gemeiffelt.*) Mun haben aber auch wie an den Pfeilerbafen der
mehrfache Nachforfchungen *) dag Steinmeß- Sigismundnifhe des Marolt-
zeichen und die Buchftaben A. P., welche Sig- Altar und zwei Täfelchen im
hart an einem Pfeiler des Refidenghofes ein- Blattlelch des Kapitells.
gegraben gefehen haben will, nicht mehr auf- 5. Stüße. (Abb. 40.) Reine Tafel. Die
finden fünnen. Auch eine eingehende Unter- Bafis ähnelt aber durchaus dem
fuchung meinerfeits blieb nad) diefer Richtung Poftament derMlaria im Marolt-
bin erfolglos, erbrachte ftatt deffen aber ein Schrein.
anderes überraſchendes Reſultat, das ohne 6. Stütze. (Abb. 41.) Eckpfeiler mit Flach—
Schwierigkeit und Zwang ſich mit den bis jetzt ornamenten gleich jenen des
gewonnenen Forſchungsergebniſſen in überzeu— Eſterreicher-Steines von 1522.
genden Einklang bringen läßt. Es zeigte ſich An der einen Seite hängt das
zunächſt die auffallende Merkwürdigkeit, daß Biſchofswappen des Erbauers,
ein dem Meifter S. ZR. jehr beliebtes Motiv, die in der Schildform fich mit vielen
feine Tafel, die am Marolt-Altar, am Epitaph Beifpielen de3 Mteifters S. R.
des Kalbsor und der Ejterreicherin und an dedend und an einem Riemen
den Grabmalern des Peter von Altenhaus und hangend wie das Meifterzeichen
des Hans von Klofen fpielend deforativ Ver- am Kalbsorftein.
wendung fand, überrafchend häufig an Bafis, 7. Stüße. In dem Blattfelch des Kapitells
Schaft und Kapitel der Stüßen wiederfebrt. eine Tafel wie an der 4. Stüße.
Wir zählen in Kürze auf: 8. Stüße. (Abb. 42.) Am Schaft eine Tafel.
', Züble, Gefhichte der Renaiffance in Deutfdland Il (1882) ©. 6 und I (1882) ©. 174. In ganz
ähnlicher Weife fdreibt Sighart — Gefdidjte der bild. Künfte in Bayern (1862) ©. 681 — „Der Name des
Baumeifters ift durch fein Steinmeßzeihen und die Budjtaben A. P. angedeutet“. Ungmeifelhaft fubt Lübfe
auf Sighart, wie aud) daraus erhellt, daf beide das falfhe Erbauungsjahr 1520 angeben, während die Buu=-
infdrift deutlich dag Jahr 1519 nennt.
*) Liibfe a. a. DO. II (1882) ©. 7, wo aud nod de8 Steines des Paulus Lang als wohl von der
Hand diefes Meifter8 herrührend gedacht wird.
5) Ob die Budftaben A. P. wirklid am Refidenghof angebradt waren, erfdeint mir mehr al¥ fraglid.
Srrtiimer find bet Sighart feineSmwes felten, gibt er bod, obwohl in Freifing anfaffig, bas falfde Erbauungs-
jahr 1520. — Die Buchstaben A. P. am Epitaph des Kalbsor fdeiden als Meiftergeiden aus. Sie finden am
einfadhjiten ihre Deutung durd eine Stele im cgm. 1724 ©. 111 und 179, wonad ein Kanonilus „Andreas
PUN von dem päbjtlihen Stuell 9. Petri Malbsohr fel. Canonifat iiberf{homen hat“. Der Nachfolger Kalbsors
im Stanonifate, Andreas Püll, dürfte „zu dankbarer Gedähtnus“ das Epitaph feines Vorgängers geftiftet haben
und ließ dann gegenüber der Tafel mit dem Entftehungsjahr desjelben die Unfangsbuchftaben feines Namens
in die geflügelte Kugel meißeln.
4) K. D. B.I, 379.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 137
9. Stüße. Ohne charakteriftifche Details.
10. Stüße. Unterhalb des Sapitelld eine
Tafel.
11. Stüße. Ohne charafteriftifde Details.
Darnad) tragen, von anderen verwandten
Motiven des Mteifters S. AR. ganz abzufehen,
fieben unter den elf Stüßen die eigenartigen
rechtedigen Täfelchen, deren wir im ganzen
zwölf zählen. Dabei fällt aber vor allem auf,
daß feines einen fachlichen med erfüllt, d. .
feine Jahrzahl, fein Monogramm trägt, alfo
wie am Monument des Hans von Klofen ledig-
lich al3 raumfüllendes deforatives Motiv aufs
tritt (Abb. 43.) Den Meifter freut das Schmud:
Abb. 41.
Sechſte Stütze des Laubengangs
im Reſidenzhof zu Freiſins.
Abb. 42.
Achte Stütze des Laubengangs
im Reſidenzhof zu Freiſing.
glied und in ſeiner Freude kann er es, kindiſch
damit ſpielend, nicht oft genug anwenden. Es
wirkt für ihn juſt wie ein Monogramm. Die
Annahme, daß wir in dem Schöpfer der Loggien⸗
fäulen wieder den Meifter S. R. vor uns haben,
wird noch durch ein weitere Argument be-
ftätigt.
Das Mittelalter behandelte die Steinmek-
zeichen ftets als etwas Selbfjtändiges und dem=
gemäß brachte fie diefelben ohne ftörende oder trit-
bende Zutaten flar und deutlich erfennbar an
den Werfen an. Am Arkadenhof der Freifinger
Refidenz jehen wir ein anderes. Unfer Meifter
hat nämlich zwei feiner Zeichen direkt als
1) Derartige Täfelhen fommen in Ultbayern um diefe Zeit nur ganz vereinzelt vor, 3.8. am Grab=
ftein des Stephan von Schaumburg (1524) in der Turmvorhalle der Kirche in Haslad) bei Traunftein. E8
liegt nahe zu vermuten, daß, wie Dürer Holzichnittfolgen im allgemeinen und befondern auf den altbayerifchen
Steinmegen eingewirft haben, ibn aud) die dort faft auf jedem Blatt herumliegenden Tafelden zur Nadjs
abmung angeregt haben.
A. M. 5 u. 6.
18
138 Philipp Maria Salm
Ornamentmotiv verwertet.) An dem Ed
pilafter, der durch feine Stellung und als
Träger des bijchöflichen Wappen einen ge-
wiffen Vorrang einnimmt, finden wir einmal
al8 oberjte Endigung der Bilafterfüllung eine
geflügelte Kugel und außerdem am Poftament
der entgegengejeßten Seite wieder die ge=
flügelte Kugel, bier von einem durchquerten
Pfeil durchbohrt und über einem Dreiberg
Ichwebend. (Schlußvignette Abb. 45.)?) Zwar
fehlen dem Pfeil die Flugenden, aber follen
wir deshalb diefeS Kriterium, das nod
Durd) eine ganze Reihe ftiliftifcher Merkmale
geftiigt wird, ablehnen? Wir wifjen ja, dab
der Meifter, wenn er überhaupt fignierte, jedes-
mal fein Zeichen jpielend mechjelte. Wenn er
dort S. und A. mit dem Pfeil (Peter von Alten-
haus), bier S. und AR. mit der geflügelten
Kugel (Stein der Ejterreicherin) kombinierte,
warum follte er, ganz abgejehen davon, daß
er die geflügelte Kugel überhaupt gerne ver-
wendet, diejelbe nicht auch einmal mit dem
Pfeil vereinen! Ueberdies ſprechen ja auch
alle ftiliftifden und örtlichen Momente für
die Hand des Mteifters. *)
Die Infchrifttafel am Nordflügel des Hofes
befagt: PHILIPPS BISCHOVE ZV FREY-
SING ADMINISTATOR ZV NVMBVRG
PFALCZGRAVE BEY RHEIN HERCZOG
IN BEYRN HAT DISEN PAW VON
GRVND AVFGEFVERT VND VER-
BRACHT ANNO DNI MDXIX. (Abb. 44.
Bwei fleine Engel, in Rifchen an den untern
Eden der Tafel eingezwängt, halten je ein
Wappen, deren eines Pfalzbayern mit dem
Bistum Freifing, das andere Pfalgbayern mit
dem Bistum Naumburg zufammenfaßt. Die
Engelden muten wie ihre fleinen Gefellen
am Stein des Lang von Wellenburg, des Klofen,
oder am Krinung8relief des Landshuter Ves—
perjtuhls an, und ihre fein gebohrten Loden
ftimmen gang mit jenen des bl. Sebaftian am
Marolt-Altar überein. Wud) im Figürlichen
alfo fchließt fich gwanglo8 der Ring. So
haben wir denn in dem GSteinmegen und
Schniter S. R. nunmehr aud einen Bau
meifter gu fehen und zwar den Schöpfer des
alteften Baumerfes deutfcher Frührenaiffance
in Bayern.
Biihof Philipp hatte in dem Hofraum
feines Schlofjes fchlieglich noch einen präch-
tigen Marmorbrunnen errichten laffen. Alle
Ehroniften erwähnen feiner in den über-
Ihmwänglichiten Ausdrüden. So berichtet noch
Meichelbed von ihn: Hoc veneranduspontifex
in castro Frisingae fontem valde perutilem
ex lapidibus pretiosis marmoreis jussit fieri
structurae tam pretiosae firmae ac perutilis,
quodinterrisnostris vix sibi similis reperitur.t)
Nicht ein Stein, nicht die flüchtigfte Skizze
zeugt mehr von diefem verfchollenen oder unter=
gegangenen Werfe, von dem wir wohl nicht
ohne Grund die Vermutung hegen diirfen,
daß e8 gleichfalls eine Schöpfung unferes
Meisters mar.
Bifdhof Philipp war ein reger Förderer
der jchönen Künfte. Hans Schwab von Wer-
tingen, der Hofmaler Herzogs Ludwig X.
hat uns feine energifch-[ympathifchen Züge in
einem Bilde der Schleigheimer Galerie feft-
gebalten,®) von dem SRleinmeifter Friedrich
Hagenauer und von einem Meifter aus dem
Kreife des Eichjtätter Bildhauers Loy Hering
rühren verfchiedene tüchtige Medaillen und
Hleinere Porträtrelief8 des Fürften her‘) und
gleichfalls von einem gewandten Schüler Loy
Herings ließ er fic) aud) nod) gu Lebzeiten
ein Epitaph von Solnhofer Kalkftein fertigen,
das ihn im Schuße feines Patrones vor dem
Gekreuzigten Enieend darftellt. Unter diefem
Epitaph — in der Borhalle des Freifinger
Domes — fteht jchließlich noch fein Grabftein
1) Was Sighart und Lübte (f. o.) als Steinmebgeiden anfahen, willen wir nicht, da beide teine
näheren Ungaben über Form und Ort maden.
*) Die ornamentale Verwendung eines monogrammatifden Zeidens fteht bei unferem Meifter durch⸗
aus nicht vereinzelt. Ich verweiſe nur auf den Entwurf Peter Flötners zu dem Mainzer Marktbrunnen, ere
richtet 1526, wo ganz analog unſerer Eckſtütze, dem Ornament der Pilaſter dreimal Flötners Zeichen — Klöpfel
und Balleiſen — eingewoben ſind. Vgl. Konrad Lange, Peter Flötner, Berlin 1897, ©. 81.
) Auf die übrige Architekltur des Hofes weiter einzugehen, würde den Rahmen unſerer Aufgabe über-
ſchreiten. Wir verweiſen auf die K. D. B. J, 378.
) Meichelbeck, Historia Frisingensis II (1729) S. 312.
) Katalog der Gemäldegalerie im K. Schloſſe zu Schleißheim 1905 Nr. 137.
*) Ubbildungen im Yahrbud der K. preugifden Kunftjammlungen 1907 ©. 194 fi.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 139
von rotem Marmor mit dem lebensgroßen,
jedoch etwas fdhwadliden Bilde des Bijchofs,
wohl gleichfalls von einem Schüler Loy
Herings.!) Man fühlt in Anfehung aller diefer
Porträts deutlich den Geift der neuen Beit ;
Bifchof Philipp war nicht mehr nur ein Fürft
der Kirche im Flerifalen Geifte des Mittel-
alter8, jondernbereits, wenn aud) nicht in univer=
fellem Sinne, jo doch auf dem Gebiete der
bildenden Künfte ein echter Renaifjancefürft.
Bor allem ftand fein Sinn nad) ftolgen Bauten.
Der Refidenzhof und das befcheidene Brauhaus
auf dem Freifinger Domberge find die einzig
erhaltenen Zeugen feiner Bauluft, von der die
Ehronif rühmt: Insuper castrum ibidem tantis
aedificiis construi ac decorari permisit,
qualia nullus episcoporum ante ipsum fecit,
ut cernitur ad oculum.?) Mahnt uns das
Sam
* N
pe Ne
RKapitelle und Bafen vom Laubengang ber bifchöflichen Nefidenz in Freifing.
alles nicht, zu gedenken, daß der Neffe des
fürftlichen Bauherren, dem das bayerifche
Stammland in dem Hofe der bijchöflichen
Refidenz den erften Bau des neuen Stiles ver-
dankt, jener hochgefinnte Mäcen war, der uns
den ftolgeften Bau deutfcher Renaiffance gab
— Ott Heintid.
Der Mteifter S. R.
(Stephan Rottaler.)
Wer war der Meifter S. R.?
Nagler,>) der allein diefer Frage mit Rüd-
fiht auf das Monogramm am Grabjtein des
Petrus von Altenhaus in St. Jodof zu Lands-
hut näher trat, vermutet, daß diefer Bild-
bauer, den er mit vollem Rechte „den tüchtig-
ten Meiftern feiner Beit’ zuzählt, in Landg=
ı) Abbildung im Sammelblatt des Hiftor. Vereins Freifing VI und VII (1888). Bgl. Hiezu ebenda
VOI und IX (1900) ©. 10 und Mader, Loy Hering 1905 ©. 102.
2) Meichelbed, Historia Frisingensis II (1729) ©. 312.
5) Nagler, Die Monogrammiften Bd. V, ©. 55 Nr. 279.
18*
140
hut lebte und der Familie der alten Bildgießer
von der Rofen angehörte. Ulric), der Sohn
eine3 Hans von der Rofen, der 1502 zu Mün-
chen ftarb, habe einen Sohn Simon hinterlaffen,
der als Künftler in einem alten Regifter der
Münchener Zunft erwähnt werde. Die Nach-
richt ift unfontrollierbar und verdient hinficht-
li) des Namens menig Glaubmwürdigfeit.
Wie Nagler möchte aber auch ich am eheiten
Landshut al3 den Sit de8 Riinftlers an-
nehmen. edenfall8 erachte ich e3 für aus-
geichloffen, daß er aus der [pätgotifchen zwar
reichen aber handmwerflich derben Steinmegen-
Kunft Freifings herausgewadfen ijt. Das
war nicht der Boden für neue Keime Für
Landshut fpricht wenigftens die zentrale Zage
der Stadt im Bering der Arbeiten des Vteifters
und ihre aus den Zeiten der reichen Herzöge
nod) nachflingende Fünftlerifche Regſamkeit.
Nach Landshut weifen nun aber auch ein paar
ardjivalifde Motizen, die wir unbedenflid) auf
unferen Mteifter bejiehen dürfen. Sie finden
fih in einem Camerpuch anno xv° xvijmo
Herzogs Ludwig X. unter: ainczig und gemains
ausgeben anno ec. xvij und find bier nad
den Originalen wiedergegeben.')
Item zallt Paulsen Sigersreiter zu
Landshut umb 2° wax zu dem pild gen
Oting auf geschäft meins genedigen herrn
herczog Ludwigs mitsambt etlicher leinbat
und zwilch laut seiner zetl durch vicztomb
undersch(rieben). actum pfinczlags nach
oculi A? zvij® .
xxx gid. vj 8 iij &.
Item zallt Steffan schniczer zu Lands-
hut von dem gedachten pild zu machen;
darfür im mein genediger herr so vil zu
geben verschaft hat. actum mitwoch vor
Philippj el Jacobj A? xvij®
vitj gld.
Item zalli Hannsen Jäger und Steffan
Rottaler schniczer alls vormunder weillend
Sigmunden Platners kinder auf geschäft
meins genedigen herrn an dem küris, so
der Adlczhauser an ine gefrumbl hat und
Jahrbuch für bildende Kunft I (1906) ©. 135.
Dr. Budheit in Minden: Pafing.
|
|
Philipp Maria Salm
damit gar beczali. aclum erichtags nach
misericordia domini Anno ec. xzvij®
x litt] gid.
In diefem „Stephan Rottaler“ erblide ich
unfern Mteifter S. R. Die Frage nad) der
Spentität beider, die Habich einmal lediglich
unter Hinblid auf die Skulpturen im Freis
finger Domkreuz ganz flüchtig aufwarf, ohne
ihr jedoch näherzutreten?), fchwanfe ich nicht
länger ‘unbedingt zu bejahen, nachdem viel-
fade und untrügliche Spuren in den Werfen
de8 Mongrammiften S. R., die nun in
breiter Fülle vor uns liegen, nad) Zands-
hut wiefen. Würden wir nur die Steins
arbeiten des Meifters fennen, fo dürften
wit uns dennoch nicht an dem Ausdeud
„Schnitzer“ des Kammerbuchs ftoßen, denn
der Gebrauch des Mittelalters erachtet die Be—
zeichnung „Schnitzer“ als gleichbedeutend mit
Steinmetz oder Bildhauer, nicht zum wenigſten
in der Annahme, daß, wer das Schnitzmeſſer
führte, auch den Hammer und Klöppel ſchwang.
Nun aber hat unſere Unterſuchung uns in die
Lage verſetzt, den Meiſter der Steinſkulpturen
auch als den Schöpfer der hervorragenden Holz—
bildwerke an dem Reisbacher Hochaltare und
dem Landshuter Vesperſtuhle anzuerkennen,
und damit ſind wir umſomehr berechtigt, den
Monogrammijten S. AR. nunmehr mit dem
vollen Namen „Stephan Rottaler“ zu
belegen.
Weitere eingehende Recherchen nad) Stephan
Rottaler in den Archiven in München und
Landshut blieben erfolglos. In dem Dienfte
Herzogs Ludwig X. war er offenbar nur vor=
übergehend. Aus den obigen Einträgen erhellt
nicht genügend, ıwag mitdiefem „pild gen Öting“
gemeint ift. ch vermute, daß e3 fich um ein
mwächjernes Votivbild handelt, das vielleicht
den Herzog jelbit lebensgroß darftellte und das
für das Gnadenbild nad) Altötting geftiftet war.
Der Fall wäre durchaus nicht vereinzelt; pil-
gerte doch Pfalzgraf Otto Heinrich ein Jahr
fpdter (1518) mit einem folchen lebensgroßen
„wächjinen Bild“ nad) St. Wolfgang am Aber-
') &. Kreisarhiv Landshut Rep. XVII Fasz. 492. S. Habidh, Hans Leinberger in dem Münchener
Den näheren Hinweis auf diefe Nrchivalien verdante ich Herrn
*) Bgl. bas Referat meines Vortrages über den Meifter S. R. in der Altbayer. Monatsihrift Jahr»
gang IV (1903—1904) ©. 98 und Yabid), Hans Leinberger in dem Münchener Jahrbud) für bildende Kunft 1.
1906 ©. 185.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 141
Abb. 44.
fee zum Dank für erlangte Genefung.') Einem
folhen Bilde würde auch die Menge Wachs
entiprechen und ebenfo die anfehnliche Summe,
die Herzog Ludwig dafür ausgab. Darnadh
wire Rottaler zugleich „Wach8boflierer“ ge-
weſen.
Leider fehlen in den Archiven auch die
Akten über den Bau der fürſtbiſchöflichen Reſi—
denz zu Freiſing; eine „Raittung ſo Biſchof
Philipp von aigener Handt gehalten 1524*,?)
fpricht nicht mehr davon.
Auf den Meifter Stephan darf aber wohl
nod ein Gintrag einer nun verfdollenen Hand-
{chrift von 1740°) bezogen werden. Darnach war
im Rreuggang de3 Frangisfaner-RKlofters in
Landshut, der im Jahre 1802 abgetragen wurde,
laut der hiebei zu Berluft gegangenen Injchrift-
tafel begraben: Steffan Zottau Schnißer und
feine Hausfrau Elsbet, geit. 1533 und 1532.
Bauinfchrift im Hofe der bifhöfliden Nefidenz in Freifing,
Es Handelt fic) bier offenbar, wie nicht felten
bei Grabjteinbüchern des 18. Jahrhunderts,
um einen Leje- oder Schreibfehler. Das R
mochte dem Chroniften als ein verfchnörfeltes
J, die Schlußligatur al8 ein U-Häubchen
erichienen fein. Beftärkt wird die Vermutung,
in der Tafel den Grabjtein Rottalers zu fehen,
durch den Umftand, daß feines feiner Werke die
Grenze des Todesdatums, 1533, überfchreitet.
Wobher fam der Meifter? Sein Name deutet
auf das Rottal, und nad) Niederbayern führen
ung auch viele feiner Arbeiten; doc ließ fich
außer in Landshut nur noch in Eggenfelden
der Name Rottaler nadjweifen, jedoch ohne
irgend welche Beziehungen zu unferem Thema. *)
Dagegen finden wir ihn, noch dazu auf funft-
gefchichtlichem Boden an einem von ung mehr
fach berührten Orte, in Ingoljtadt. Dort wird
ung al3 „obrister maister ob dem pau“ der
1) Vgl. Rihard Andree, Motive und Weihegaben 1904 ©. 95 ff. Ein derartiges Votivbild aus dem
Ende deS 15. Jahrhunderts befikt da8 „Ferdinandeum“ in Innsbrud in der fnieenden Wachsftatue des Grafen
Bernhard von Görz, geit. 1500, auß St. Sigmund im Puftertal. Bgl. hiergu Stiakny, Eine gotifhe Votivftatue,
. in der Beilage der Allgemeinen Zeitung 1898 Nr. 289 und 290, Abbildung in dem luftrierten Führer durch)
das Ferdinandeum in Innsbrud 1903 ©. 23.
2) Archiv des erzbifchöflihen Ordinariats Münden. Hedenftallerihe Sammlung Bd. 292.
®) Verhandlungen des Hiftorifhen Vereins für Niederbayern Bd. XIII (1868) Heft 4 ©. 445.
4) Verhandlungen des Hiftorifhen Vereins für Niederbayern Bd. XIV (1869) ©. 345, Bd. XV (1870)
6. 112, 119, Bd. XVI (1871) 6. 267.
142 Philipp Maria Salm
Pfarrkirche zu unferer lieben fchönen Frau
ein Hanns Rottaler genannt, der 1496 — 1503
mit feinen Leuten die Kreuzbögen und Schluß—
fteine der Schiffe fegte.') ch bin geneigt,
ein vermwandtjchaftliches Verhältnis zwischen
Hanns und Stephan Rottaler anzunehmen;
vielleicht war Stephan der Sohn des Yngol-
ftädter Baumeifterd. Yedenfalls hat e8 jehr
viel Wahrfcheinlichkeit für fi, in Ingolftadt
den Wusgangspunft für unferen Meifter
zu erbliden, denn gerade dort begegnen
uns Bildhauerarbeiten, die wie das Epitaph
des Kapellans Andreas Mungit, geft. 1494
in St. Mori?) oder des Johannes und Leonz
hard Plümel mit der Yahrzahl 1499 an der
Stadtpfarrfirde®) in mander Hinficht die
Borftufe zu den Werfen Meifter Stephans
darftellen, ohne daß fie als frühe Arbeiten
desjelben angenommen werden müßten; e3 find
vielmehr unverkennbar von Augsburg abhängige
Schöpfungen. Cin merfwiirdiges Zufammen-
treffen darf man e8 wohl auch nennen, daß
am Gemölbe der füdmeftlichen Kapelle der
Pfarrkirche zu unferer lieben fchönen Frau
Renaiffanceformen auftreten. +) Und fchlieplich
haben wir ung nocd) daran zu erinnern, daß
Stephan Rottaler für den Yngolftadter Bürger
Hanns Efterreicher zwei Gedenfiteine in die
dortige Minoritenkicche fertigte. Stephan Rot-
taler dürfte demnach) von Jngoljtadt geftammt
haben, war fpater in Vandshut anfafjig und
ift auch dort geftorben. So fünnen wir das
Bild von dem fünftlerifchen Schaffen unjeres
Meijters aud) mit einigen perfinlicden Vebens-
notizen ausmalen, die, fo befcheiden fie aud
fein mögen, für die Kunft- und Künitler-
geihichte von nicht zu unterfchägendem Werte
find.
Die fruchtbare und vielfeitige Tätigkeit als
Steinmeß, Schniger und fogar als Architekt
reiht Stephan Rottaler den hervorragendften
Meistern Altbayerns an; er zählt mit Wolfgang
Leb’), Matthäus Kreniß ®), Joerg Gartner”) und
Hans Leinberger 3u den Bahnbrechern der Früh-
) Sammelblatt des Hiftor. Vereins in und für Ingolftadt Heft V (1880) ©. 224 und Heft XVI (1891)
©.4. Das dort von Fr. &. Oftermaier publizierte ardhivalifche Material bietet, da jede weitere Quellenangabe
fehlt, feinen genügenden Anhalt zu weiteren Recherchen. UWeberdies ift der Beftand des Ingolftadbter Stadt-
arhivg jo umfangreich und dermaßen in Unordnung, dak fic) nur bei fyftematifder Durdarbeitung ein Erfolg
erhoffen läßt. K.D.B.I. ©, 24. Ginen intereffanten Vertrag des Hanns Nottaler von 1498 veröffentlichte
Cl. Sdhledht im Unterhaltungsblatt der Yngolftadter Zeitung 1906 Nr. 9.
2) K. D. B. I, ©. 55.
5) K. D. B. I, ©. 40 und Taf. 10. Ferner Repertorium der Kunjtwiffenfdaft XIII (1890) S. 113. Jb
{liebe mid) durdaus der Anfhauung I. Gröfchels an, welcher das Datum 1499 als Entftehungsgeit fiir den
Gedentftein annimmt und vermeife Hinfichtlic) der beiden Engelputten, welche den gotifden Charafter des Epi-
taphiums fid) etwas zur Renaiffance neigen Laffen, auf Werner Weisbad), Der junge Dürer, 1906 ©. 86.
*) K.D. B. I, S. 16, 42 und 26 und Taf.3. Die merfwiirdigen phantaftifden Gemwölbezieraten werden
den Nadfolgern Hanns Rottalers, Erhard oder Ulric) Geidenreid) von Regensburg, in deren Händen der Bau
der Rirde von 1503—1527 lag, zugefchrieben. Sichere Nadweife itber die Entftehungsgeit und den Meiſter
fehlen zur Zeit.
Kurz vor Abihlup des Drudes erhalte ich durch die Gefälligfeit des Herrn Dr. Buchheit in
Miindhen-Pafing nod einige auf den Namen „Rottaler“ bezügliche, aus Stadtfammerrednungen de8 Münchener
Stadtarhivg gewonnene Notizen, die ich der Vollftändigfeit halber Hier anfüge. 1487, 1488 und 1490 erhält
ein Nitter Jörg Rotialer Schenkungen von der Stadt. 1493, 1497 und 1600 wird unter den von ber Stadt
Befoldeten erwähnt: „Zucas Rottaler Obrifter maurer Maifter‘. Bom Jahre 1500 lautet der Eintrag: Lucas
maurer und Seinrid) 8ymermann gehen nad Landshut, das Bymmer und Dadwerd auf fand martens firden
und den Turm zu befidtigen. Für etwaige Beziehungen diefes Lucas Rottaler zu Hans und Stephan Rottaler
fehlen 3. 3. alle Anhaltspunkte. Wielleiht Haben wir in den Rottalern eine vielgliederige Baumeifterfamilie
zu erbliden. — Ich verfehle nicht, Herrn Dr. Buchheit für die freundliche Ueberlaffung der Notizen aud hier
meinen beften Danf auszusprechen.
5) Weber Wolfgang Leb f. meine Abhandlung in der „Zeitfchrift des Münchener Altertumsvereing“
1904 ©. 20.
6) Ueber Matthäus Kreuiß f. meine Abhandlung „Die Türen ber Stiftsfitdhe in Altötting und ihr
Meifter‘ in der Zeitfchrift „Die Kriftliche Kunjt“ 1904/1905. ©. 121. Weitere Arbeiten von Krenik wies Richard
Hoffmann nad in den „Kunftfammlungen des erzbifchäfl. Kerifalfeminars zu Freifing’ in Deutinger-Spedt,
Beiträge zur Gefhichte des Erzbistums Münden und Freifing Bd. X (1907)
7) Ueber Qoerg Gartner f. meine Abhandlung in der „Zeitfchrift deg Münchener Ultertumspereins*
1906/1907 ©. 1.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 143
renaiffanceplaftif und nimmt unter diefen wohl Stephan Rottaler für alle Beit der Ber-
den erften Rang ein jomwohl nach der rein gefjenbeit 3u entreifen.
fünftlerifchen Bewertung feiner Werke, mie
nach feiner Bedeutung fiir die Entwidelung
des neuen Stil8 im bayerischen Stammlande.
Daß er uns die Wege zeigte, wie ihm
die junge Runft zu eigen ward, läßt feine
Tätigfeit doppelt anziehend und reizvoll er=
fcheinen.
Den Borrang feiner Kunjt in ihrer Stellung
zu dem engeren Rreife feiner Beitgenoffen und
dem Gebiete feiner Tätigfeit zu fchildern, muß
id) anderem Orte vorbehalten.!) Hier galt es
gundchft die Fünftlerifche Perfinlichfeit eines
bisher gänzlich unbefannten Mteifters in feinem Abb. 45.
; ; : Meifterzeich Edpfeiler des
reichen vielgeftaltigem Lebenswerk aufzubauen. sate a Ra ee
Schon diefes allein dürfte genügen, den Namen in Greifing.
!) In der Buhausgabe: Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern. Münden,
Verlag von Georg D. W. Callwey.
BD
— — —
Ce TER Kon
—— —
2
Heiträge zur Belduicte Mar Emannels.
Aus den Mörmann’fhen Papieren mitgeteilt von -Anton Freiberrn von Or.
(Fortfegung.)
dürfen diejenigen fath. Fürften oder Stände, gegen
die fi proteft. Klagen richten, nicht gewählt wer—
den, ba niemand in eigener Sadje Richter fein fann.
3. Diejenigen proteft. Klagen, die fic) auf den 4. Ar=
tifel beS RySmider Friedens beziehen, find gejondert
zu behandeln, wenn nidt ingwifden die Ratholifden
Unter dem Titel: „Religionsfahen“ hat Mtir-
mann außer zahlreihen Drudichriften viele Berichte
aus Negensburg,!) Holland, Wien 2c. gefammelt, die
f) Zu den Religionsftreitigteiten 1719/20.
|
jaft famtlid) aus dem Sabre 1720 datiert find. Aug |
den bandjfdriftliden Beridten möge einiges Hier ihre Uebergriffe, die fie unter den Vorwand Ddiefes
Plaß finden: Artikels fi) zu Schulden fommen ließen, wieder
Ubfdrift?) eines in franzöfifcher Sprade abge- redreſſieren.
faßten Promemorias des Königs von England an Regensburg, 19. X. 1719. Hier iſt u. a. ein
den Kaiſer aus dem Jahre 1719 oder Anfang 1720: Religionsſtreit wegen Münchweiler anhängig, welcher
Zur Beilegung der Religionswirren im Reich wünſcht Ort vom Herzogtum Zweibrücken zu Lehen rührt,
der König von England, daß der Kaiſer 1. die Kur— welches Lehen Graf v. d. Leyen befigt. Dem Pfalz-
fürften von Mainz und der Pfalz anmeife, fich jeder grafen fteht dag Epiffopalteht zu, mwährend v. bd.
Neuerung zu enthalten und den früheren Zuftand Leyen das Pfarrpräfentationsreht hat. Im Jahre
wieder Hergujtellen. 2. Die übrigen bereditigten Kla= 1686 wurbe der dortige evangel. Pfarrer fatholifd
gen der Proteftanten binnen einem Jahr abjitelle und die Sranzofen bejegten tempore reunionis die
und deshalb fofort in Regensburg eine gemifchte dortige Pfarrei mit einem fath. Pfarrer. Nachdem
Kommiffion ins Leben rufe, die die Angelegenheiten das Herzogtum Zweibrüden dem Stönig von Sdwe-
zu ordnen hat. UlS Mitglieder diefer Kommiffion den gugefallen war, befegte die Regierung zu Brwei-
1) Diefelben ftammen wabhrfdeinlid von dem dortigen bayer. Gefandten, Grafen Königsfeld.
2) Diefe undatierte Ubfdrift lag einem der Berichte aus Regensburg bei — weldhem ijt nicht mehr
feſtzuſtellen.
144 Schr. von Ow
brüden Münchsmweiler mieder mit einem evangel.
Pfarrer. Obmohl folder Pfarrer feit 20 Jahren in
rubiger Poffeffion war, verfügte v. d. Leyen am
20. Juli 1719, daß der evangel. Pfarrer abzuziehen
und einem fatholifchen Pla zu maden habe, da
von 1686—1699 alfo nod) 2 Sabre nad) dem Rys-
widerfrieden ein fath. Pfarrer anftandslo8 die Pfarre
verjehen habe. &8 wurde ent{dieden, dak diefe Pro-
gedur fid mit dem RySmicerfrieden nidt in Ein-
Hang bringen [affe und bak der Suftand reftituiert
werden müjje, wie er vor den franzöfifhen Neunio-
nen beftand.
Regensburg, 15. XIL 1719. Der Pfalagraf
von Zweibrüden hat unterm 27. November feinem
biefigen Generalbevollmädtigten gefchrieben, daß er
nidtS gegen die Friedensshlüffe unternehmen wolle
und fein ganzes Bejtreben dahingehe, die Harmonie
zwifchen Ratholifen und CEvangelifden in feinem
Bande wieder herzuftellen. Wegen der zmeifelhaften
Interpretation des 4. Artilels des Rysmwiderfriedeng
müffe Saifer und Neid) Entfcheidung treffen.
Regensburg, 29. XII. 1719. Nachdem bie-
jenigen Schriften, die vorigen Freitag vom Corpus
Evangelicorum in Religionsfaden vereinbart murs
den, gar meitläufig und umftändlic ausgefallen
find, fonnte man vor dem Weihnadtsfeft mit der
Mundierung nidt guredht fommen nod) aud folde
dem faiferl. Pringipalfommiffdr') itberreiden. Die
erwähnten Schriften enthalten wiederholt die Bitte
um fdleunige Remedur und maden geltend, ba
die bisherige faiferl. Erklärung gang ungenügend
fei, man wolle fic) bei fo Haren Zatfahen nicht in
förmliche Progeffe einlajfen, fondern e8 foll fofort
gegen die turbatores pacis eingefdritten merden.
In ermwähnter Konferenz Hat da8 Corp. Ev. in
Saden ber argen Friedensftirungen durd) die Frei-
herrn v. GSidingen befdloffen, daß diefelben vor
allem ihre bedrängten evangel. Untertanen fatisfa-
ateren follen; eher wolle man fich nicht herbeilajjen,
dazu zu konkurrieren, wenn felbe die Ebernburgijche
Indemnifationsfadye vor8 Neich bringen. Wegen der
guten Stadt Speyer, die dur die bifchöfliche Re-
gierung dafelbjt verarmt fei, fei der Herzog von
Württemberg zu bitten, fich diefer Stadt anzuneh-
men. Dem Bernehmen nad) follen nun aud) einige
fatholifhe Gravamina, gur Verhandlung fommen;
do dürften diefelben nur Privatquerelen einiger
Partitularperjonen betreffen, während die Wugsb.
Konfeffionsverwandten Bejchiwerden vorbringen, die
fih auf ganze Fürftentümer, Graffchaften, Stände
und Dörfer erjtreden,
Regensburg, 2. Januar 1720. Die Vor=
ftelung des Corpus evang. wurde am Donnerstag
abends um 5 Uhr vom furfädl. und furbranbdenb.
Gefandten als Delegierten des Corp Ev.?) dem Eaiferl.
Pringipalfommiffdr überreicht, der diefelbe fehr gnä=
dig aufgenommen und verfproden, diefelbe fofort
dem Staifer eingufdicden nidt ameifelnd, bak derfelbe
bedadht fein merbe, den Augsburger Konfeffionsver-
wandten Satisfattion angedeihen zu laffen. Um
22. Dezember hatte das Corp. Ev. heftige Debatten
darüber, ob befchloffen werden folle, daß die pfäl-
aifhe Neligionsdellaration vom Jahre 1705 auf-
gehoben merben fole. Die vom furbranbdenburg.
Gefandten vorgebradjten Dubia wurden heftig beftrit=
ten 2c.
Regensburg, 5. Januar 1720. Das Corp.
Ev. ift fehr gefpannt auf die Antwort de8 Kaifers
fomie die Weußerungen von furmainzifcher und fur:
pfälzifher Seite. Man will unterdeffen darüber
Ihlüffig werden, wie man ben Bedrängten einft=
mweilen reichsverfajfungsgemäß Helfen könne und
wollen die Augsburger Konfefjionsverwandten hiebei
piano aber mit dejto mehr Nahdrud vorgehen.
Regensburg, 16. Januar 1720. Wiemohl
bier einige verfichern, der Kaifer habe die Vorftellung
des Corp. Ev. jehr gnädig entgegengenommen, der-
felbe werde nädjtens feine Entfchliegung fundgeben
und habe ingwifden über bas bisherige Verfahren
der fathol. Stände fein größtes Mißfallen geäußert
und verfproden, auf alle Weife zu tradten, die Be-
ſchwerden abaujtellen und Friede und Rube wieder
berauftellen, fo verlautet dod) anderfeits, daß der
Kaifer die in jener Vorftellung gebraudten fehr nad-
dritdliden Ausdrüde übel genommen, und baß er
Daher aud) aus einem andern Ton reden merbe,
mwenngleid) er bisher jehr geneigt gemejen fei, die
von den Evangeliihen gerügten Mißjtände abzu=
ftellen. Preußen Hat feinen Widerftand gegen das
projeftierte Conclusum nun dod) aufgegeben, und
ift befchloffen worden, daß dag Corp. Ev. die pfal-
aifhe Religionsdeflaration von 1705 nidt aner-
fenne, und darauf beftehe, dak in der untern Pfalz
der WeftpHhalijde Friede, der Hallifde Receh u. dergl.
auf dem Weftphalifden Frieden beruhende Pacta
völlig wieder hergejtellt werden. Borige Woe ift
Sreiherr v. Sidingen, turpfälz. Obrifttammerer und
Konferengminifter, hier duch nad Wien, um daz
gegen zu remonftrieren. n
Im Auftrage des Königs it am Freitag der Rammer=
herr von Budewels (sic; vielleidht Podewils?) nad
Münden, um Serenissimus wegen Reftitution ihrer
Bande nad) dem Badiichen Frieden zu beglüdwünfchen.
Aus Holland, 19. Januar 1720. Der Herzogs
Regent Hat fic) bei den Generalftaaten darüber be-
fhwert, daß der Holldndijde Gefandte in Paris,
Herr v. Hopp, die Freiheit der Religionsübung miß-
brauche, indem er aud) königlichen Untertanen die
Beimohnung bei der Predigt geftatte und felben die
Kommunion in ihren Häufern reihen laffe; am
Weihnadtstag hat abbé d’Etrangues die Kommu=
nion bei den Reformierten empfangen, worüber bei
den Katholifchen in Paris großer bruit ift. — Kar—
dinal Alberoni ift nod nit an der frangdfifden
Grenze angelangt. Auf feiner Durdreife Hat er an
einigen Orten Spaniens viel Verdruß ausftehen
!) Ein Prinz von Sadjfen, Stardinal und Primas von Ungarn ze.
2) $ür „Corpus Evangelicorum“ wird im Folgenden obige Abkürzung gebraudt.
Mitteilungen aus den oberbayerifhen Ortsvereinen 145
müffen. 8 Meilen von Madrid ift er in einem Dorf
von Kleinen Buben verhöhnt worden, die Steine auf
feine Karoffe warfen, in etlichen Städten dagegen
bat ihn der Magiftrat mit fdnigliden Ehren empz-
fangen. Man glaubt, daß die Ungnade, in die er
gefallen, nicht jehr ernft gemeint fei.
Aus Köln, 21. Januar 1720. Aus Heidelberg
höre ich von verläffiger Seite, daß die dortigen pro=
tejtierenden Miniftri von ihren Höfen Ordre befom-
men haben, zu deflarieren, dag man Truppen in die
Pfalz einrüden laffen werde, wenn der Kurfürft nicht
vor dem Frühling den Neformierten ihre Kirchen
mit deren Gefällen zurüderftatten würbe.
Negensburg, 30. Januar (720. Evangeli-
{derfeits beflagt man fic fehr über die fortgefegten
ReligionSbedritdungen des Pfalagrafen von Bwei-
briiden. In Effenheim ift megen nur brei fathol.
Männern das Simultaneum eingeführt worden. Der
tath. Paftor in Oberulm Hat 200 kath. Familien aus
dem Maingifdhen mitgebradht und wiirden jest
Schmähpredigten gehalten und gebe bas Simulta-
neun zu Ungehörigfeiten Anlaß. Der Herzog beruft
fi) darauf, daß zur Beit der [hmwedifhen Regierung
vielfach Lutherifcher Gottesdienft entgegen den Frie=
dengihlüffen eingeführt worden fei, er münjdhe nichts
anderes als fowohl mit den evangelifhen als Tath.
Ständen in gutem Einvernehmen zu leben.
Mitteilungen aus den oberbayerifhen ®rfsvereinen.
Mit 3 Abbildungen nad photographifhen Aufnahmen.
81. Aus dem Vereinsgebiet Ingolftadt teilt Herr
Medizinalrat Dr. Vierling gittigft den Fund einer
wmifden Infhrift aus KIfding mit, die auf einem
in amei Teile gebrochenen Steine fic) befindet, der
gelegentlid) eines MNeubaueS gefunden wurde. Sie
ftammt aus der Zeit Raifer VeSpafians und war
jedenfalls an einem öffentlichen Gebäude der nicht
unbebeutenden Straßenftation Germanicum ange
bradt. Der derzeitige Verbleib der Infchrift ift uns
befannt.
82. Aus dem Wliindjener Gebiet find einige
Sunde befannt geworbden.
So wurden beim elettrifdhen Werk in Pullad
in ber Sfar und gwar unter bem Wafferfpiegel von
3m in einer RieSanfdmemmung von ebenfalls 3 m
eine Menge Gifenfabrifate und Robheifen aus den
verfhiedenften Zeiten gefunden, die in dem Tief-
beden, das bier durdh die Biegung de8 Flublaufes
fic) gebildet, angefdmemmt wurden. G8 befinden
fid) unter den Zunden eine Menge Eifenftüde ohne
Form, Roheifen, andere fhon zu Formen hergerichtete
Stücde, viele halbfertige Fabrifate, wie lange Eifen=-
bänder in Schmwertform, am oberen Ende in Spigen
gufammengefelgt, Langenartige Formen; fdlieblid
viele fertige Produfte, mie Werte und Beile ver=
fciedener Form, Ketten, Ringe, Schlüffel, ein fattel-
förmiges, maffiveg Geräte mit anferartigen Enden,
Meffer und Scheren, fchon der Hiftorifhen, mittelalter-
lichen und neueren Zeit angehörig. Von älteren Stüden
interefjieren befonders gwei Barren in Spigmürfelform
(wie der Direktor der Elektrizitätswerfe meint Quali-
tats: nicht Roheifen), ein Dreigad, ein Eifenbeil mit
Hohltülle und ein Zanzenfuß, Gegenstände, die La
Tenezgeitlicher Herkunft zu fein fcheinen; ferner Yuf-
eifen, Sporen, geflügelte Langenfpigen, Schwerter aus
der fpdteren Reihengräber= oder fhon Karolingerzeit.
Die aus fo verfchiedenen Zeiten gufammengemiirfelten
Gegenftände fegen durch viele Jahrhunderte hindurd
71
m
phot. Rabfpieler
146 Mitteilungen aus den oberbayerifden Ortsvereinen
an den Sfarufern beftehende Schmieden voraus, aus
deren Betrieben durdy Hochwafjer oder fonftige Er-
eigniffe diefe Stüde in den Fluß gerieten und von
ihm bis an den Strudel bei Pullach getrieben wurden.
Die Funde famen ing Nationalmufeum, mojfelbit fie
nad) dem Hier glänzend bewährten Verfahren bes
Hrn. Konjervator Dr. WM. Schmid gereinigt und
fonferviert wurden.
83. Ebenfalls aus dem Mündyener Gebiet er=
halten wir dur die Güte unfere8 verehrten Mit-
gliede8, Herrn KommerzienratS Radfpieler, eine
in Wbb. 1 miedergegebene photographiiche Auf
nahme bde8 befannten Grabficins in der Kirche zu
Milbertshofen, der einen mit vier Roffen
pflügenden Bauer in einem gaunumgebenen Weer,
auf dem ein Fohlen herumfpringt, darftellt und
der in feiner Art ein Unifum ift. Das Inventari=
fationsmerf der Hiftorifhen Kunft- und Wltertums=
werfe erwähnt diefen Stein ohne eine Abbildung zu
bringen, in Bd. I. 790 mit näheren Angaben hierüber.
84. Ein meiterer intereffanter Fund fam im
Münchener Gebiet bei Qodham gutage, wofelbft
römische fpätfaiferzeitliche Gräber angejchnitten mur=
den. Bei einem der Sfelette wurde eine jhöne Bronze=
Ihnalle und Gürtelfchließe gefunden, die in bie vor-
geihichtlihe Sammlung des Staates gelangten. Ob
eine genauere Unterfuchung des Gräberfeldes erfolgte,
ijt nicht befannt geworden.
85. Aus dem Gebiete des hijtorifchen Vereins
von Weilheim erhalten wir über den auf S. 126
des vorigen Jahrganges diefer Zeitichrift erwähnten
Münzfund bei Unterammergau durd) die Güte
des Stonfervators des fgl. Miingtabinets Orn. Dr.
Habic nähere Mitteilung. Danach beftand$ diefer
in abgelegener Gegend gemachte, alfo offenbar ver=
ftedte Scha aus 105 Silberdenaren, morunter
43 Legionsdenare von Antonius, meift fehr ab=
genüßt, jıch befinden. Die übrigen Stüde reichen
von Nero bis Commodus, der Schat umfaßt aljo
eine Zeit von ungefähr 43 v. Chr. bis 185 n. Chr.
phot. Erhard
Die jüngiten Stüde find von guter Erhaltung, fo
dak der Schaf nit lange nad) 185 n. Shr. ver-
graben worden fein wird. Leider gelang es nicht,
den intereffanten Fund für eine bayerifhe Sammlung
zu erwerben. Der Fund wurde !Ja Stunde von Unter
ammergau entfernt in einem alten Seller einer Schleif-
mühle gemadt, der einftürzte und neu fundiert
wurde. Die Münzen waren in einem Tongefäß, das
wie üblich zerfchlagen wurde.
86. Aus dem Gebiete des Hiftorifden Vereins
Landsberg a. L. wird ung durch die Güte unferes
verehrten Mitgliedes Hrn. Dr. Erhard eine Auf-
nahme des Aufgangs zur Pfarrlirhe von Kaufering
zur Verfügung geftellt, die wir in Abb. 2 bringen.
Mitteilungen aus den oberbayerif—hen Ortsvereinen 147
G8 tft dies einer der in Bayern fehr feltenen
gededten Wufgdnge, wie fie bei Kirhen Tirols und
des Salgfammerguts öfter8 vorfommen. Zu ber
auf der Höhe des Lechraing gelegenen Pfarrkirche
führt in 2 Wbfägen ein Stiegenaufgang, der im
unteren Teil mit einem fladen Dad) gebdedt ift,
das im oberen Teil in einen Giebel übergeht und
ben gweiten Ubfag mit einem Sattelbad dedt. E38
wird vielleiht der einzige derartige Aufgang in
Oberbayern fein.
87. Eine wichtige Nadridt fommt aus dem
öjtlichen Gebiet Oberbayerng, auß dem bisher ver-
einslofen Städtchen Laufen a, 5. Jn deffen Nähe
wurde bei Redl, Gem. Kirchanſchöring, ein römiſches
Skelettgräberfeld der ſpäten Kaiſerzeit entdeckt, das
mit dem vor einigen Jahren bei Vallei aufgefun—
denen S. 178 des 5. Jahrganges dieſer Zeitſchrift be—
ſprochenen gleichzeitig ſein dürfte. Es wurden 3 bis
4 Skelette im Garten eines der Höfe aufgedeckt,
deren eines, ein weibliches, 83 Armringe aus
ſchmalen glatten Bronzebändern am linken Unter—
arm hatte, von denen zwei in Schlangenköpfe endigen.
Außer dieſem Körperſchmuck kam nur ein graues Ton—
gefäß von kleiner Urnenform in dieſem Grabe zu—
tage. Die anderen Skelette hatten ebenfalls Bronze—
armreife von feinem Bronzedraht mit Schlingen und
ſchlangenförmigen Schlußverzierungen, ſcheinen alſo
ebenfalls weibliche geweſen zu ſein. Eine methodiſche
Unterſuchnng des ganzen Leichenfeldes fand noch nicht
ſtatt. Die Funde kamen in die vorgeſchichtliche Staats⸗
ſammlung.
8. Aus dem Gebiete des hiſtoriſchen Vereins
in Roſenheim erhalten wir durch die Güte des
Orn. Magiſtrats-Sekretärs Nieberle eine photo—
graphiſche Aufnahme (Abb. 8) des in der Vorhalle
der Kirche in Prutting befindlichen, anſehnlichen
Römerſteins, der leider in ſeinem reichen ornamen—
talen Teil nicht mehr gut erhalten iſt. Der Stein
wurde in einem jedenfalls nicht zu weit von Prut⸗
ting entfernten Tempel der Victoria zum Gedächt—
nis eines Sieges angebracht, der unter Maximin,
Conſtantin und Licinius erfochten wurde. Näheres
über das Denkmal iſt bei Hefner, das römiſche
Bayern, S. 84 und 85 angeführt.
89. Aus dem Vexeinsgebiet Friedberg kommt
die Nachricht, daß am bayeriſchen Lechfeld zwiſchen
Lechhauſen und Derching römiſche Brand—
gräber der mittleren Kaiſerzeit und wie es ſcheint,
auch ein Wohngebäude bei Gelegenheit von Kultur
arbeiten angeſchnitten wurden. Leider wurde kein
Sachverſtändiger rechtzeitig zugegogen und weder
eine der ſtaatlichen Behörden noch der hiſtoriſche
Verein von Oberbayern von der Entdeckung in
Abb. 3
phot. Nieberle-Rofenheim
Kenntnis geſetzt. Es wurden alſo die angeſchnit.
tenen Gräber, welche Ton- und Glasoſſuarien ent—
hielten, von den Arbeitern völlig zerſtört und die
Gefäße zerſchlagen. Was ſonſt an Beigaben vor—
handen war, wurde entweder verſchleppt oder nicht
beachtet. Da die Unterſuchung dieſes Fundplatzes
für die römiſche Beſiedlungsgeſchichte des Lechrains
von großer Bedeutuug geweſen wäre, iſt es doppelt
bedauerlich, daß jede Benachrichtigung der Stellen,
welche eine Unterſuchung hätten methodiſch und ſach—
kundig vornehmen können, unterlaſſen wurde.
90. Aus dem Gebiete des hiſtoriſchen Vereins
von Aibling wird mitgeteilt, daß in der Ortsflur
von Kleinhelfendorf unmittelbar an der vorüber—
führenden Römerſtraße auf der Weſtſeite des Dorfes
gelegentlich Kiesgrabens eine ſchöne Mittelbronze von
Trajan vor kurzem gefunden wurde, die leider
nicht in die Sammlung des Vereins in Aibling,
ſondern in Privatbeſitz daſelbſt gelangt ſein ſoll.
(Fortſetzung folgt.)
19*
—
—
Tou
Ehronik des Hiftorifhren Vereins von Oberbayern.
Aus unfecec Cotenrolle.
Berzgeichnis der Mitglieder, weldje vom Tov,
1906 bis Mov. 1907 mit Sod abgegangen find.
1. Sh@midtner Andreas, Geiftl. Rat, Spitalfurat
in Weilheim, Chrenmandatar, Gejtorben
1. Januar 1906. Wtitglied feit 1854.
2.Sand Wilhelm, t. Stabsauditeur a.D. in Minden.
Geftorben 4. Januar 1907.
3. Sdhaller Micd., &. Gymnaftalprofefjor in Burg-
baufen. Geftorben 10. Januar 1907.
4. Danhaufer Georg, Geiftl. Rat, Defan, Pfarrer
in Flintsbad). Geftorben 30. Januar 1907.
5. Kobell Ludwig von, f. Kammerer, Regierungs-
Präfident in Würzburg. Geft. 5. Februar 1907.
6. Korntheuer Dr. Andr., E. Bezirksarzt in Ebers-
berg. Geftorben im Februar 1907.
7. Mulzer Joh. Nep., f. Regierungsrat, Bezirts-
amtmann in Münden. Geftorben 14. März 1907.
8 Naue Dr. Julius, f Profeffor, Hijtorienmaler
Münden. Geftorben 14. März 1907.
9. Probft Wilhelm, ftädt. Oberbeamter in München.
Geftorben 14. März 1907.
10. Müller Dr. Fr3., !. BegirfSargt in Schongau.
Geftorben 14. März 1907.
*
*
11. Sauth Ant., f. Stiftungsadminiftrator in Alt-
ötting. Geftorben im März 1907.
12. Rimifd Georg, Geiftl. Rat, Benefigiat a. D.
in Minden. Geftorben 2. Apr! 1907.
Mitglied feit 1869.
13. Riggauer Dr. Yang, f. Univerfitäts-Profeffor,
RKonfervator des ft. Mtitngfabinetts.
Geftorben 5. Wpril 1907.
14. Mad Ernft, Privatier in Bad Reidenhall.
Geftorben 24. April 1907.
15. Wagner Jak, £f Landgeridtsrat in Opfenbad
bei Lindau. Geftorben am 14. Wpril 1907.
16. Müller Ant, Bantbeamter in Münden.
Geftorben 15. April 1907.
7. Heinlein Adam, Bädermeifter in Wajjerburg.
Geftorben 9. Mai 1907.
8. Rofipal Wlbert, Kaufmann und Gutsbefiger in
Münden. Geftorben 4. Juni 1907.
9. Zintgraf Heinrich, Quftigrat, freivef. Motar in
Münden. Geftorben 17. Juni 1907. Mitglied
feit 6. April 1863. Mandatar in Landsberg
und langjähriger Bereinsfaffier.
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Mitglieder-Bugang im Jahre 1907.
1. Bezirt8-LehrersVerein Dorfen.
2. Ubert Dr. of. Ferd, ReidhSardivprattifant,
Münden.
8. UlLbredt Reinhold, Warenagent, München.
4. Bed Hugo Dr., Apothefenbefiger in Altötting.
5. Braunmühl Ant., Edlervon, f. Oberamtsrichter,
Waſſerburg.
6. Böhmländer Ernſt, Rechtspraktikant am k. Geb.
Staats⸗Archiv, Münden.
7. Buchheit Hans, Dr. philos., Paſing-München.
8. Delamotte Georg, Oberſtleutnant und Bezirks—
Kommandeur, Waſſerburg.
9. Eßlinger Frz. Taver, Gutsbeſitzer, Schloß Hart.
10. Ettal Kloſter, (Dr. Math. Eichinger, O. 8. B.).
11. Gabler Dr. Joſ., k. Bezirksamtmann.
Pfaffenhofen.
12. Helmolt Dr. Hans, Literar. Beirat, München.
13. Hertel Joſ., k. Reallehrer, Waſſerburg.
14. Kammerer Max, k. Bahnexpeditor, München.
k. Eiſenbahn-Expeditor
München.
16. Kirchleit ner Hans, k. Expeditor, München.
17. Kreß von Kreſſenſtein, Karl Frhr. v.,
k. Bezirksamts-Aſſeſſor, Badekommiſſär
und Vereinsmandatar in Reichenhall.
18. Lechner Willibald, k. Pfarrer u. Diſtriktsſchul—
inſpektor in Baumburg.
19. Menz Karl, Ritter von, k. Generalmajor z. D.,
München.
20. Meyer Max, Kommerzienrat, Direktor der Bayer.
Vereinsbank in München.
21. Moeller Dr. Julius, praft. und Bahnarzt in
Rott a. J.
22. Nett Joh. Paul, f Pfarrer in Schöngeifing.
23. Batin Dr. Wilhelm Aug., Vilar am Ff. Oof- und
Kollegiatftift St. Kajetan, Münden.
24. Riß Franz Xaver, £. Oberamtsridter, Münden.
25. Rumpelfteiner Maz, Benefigiat in Wnging.
15. Riliani Eduard,
Ehronit des Hiftorifhen Vereins von Oberbayern 149
26. Sdhindlbed Ernft, Expofitus in Unterdarding.
27. Shmid Ludwig, graff. Urco- Sdhlobbenefigiat
in Stein a. Traun.
28. Sdonger Chrijtian, f. Major im 6. Chev.-Regt.,
Bayreuth.
29. Schrank Dr. Georg, ?. Bez.:Arzt, Ebersberg.
30. S preti Seinrid Graf von, f. Kämmerer, Bezirts-
amtmann und Bereinsmandatar in Berchtesgaden.
3. Strele Hof., f. Forftmeifter in UAnging,
32. Stumpf, Dr. Philipp, !. Gymnafial- Reltor,
Hauptmann a. D., Burghaufen.
33. Vollmann Remigius, Oberlehrer, München.
34. Wallner Berta, cand. phil., Münden.
35. Baffermann Benno, Rentner, Münden.
Seine Königliche Hoheit Prinz:Regent Zuitpold geruhten auc) diefeS Jahr die dburd) den Wusfdhub
in Borlage gebradten Publifationen deS Vereins allerhuldvollft entgegengunehmen, was dem Vorfigenden des
Vereins dur eine Mitteilung der KR. Geheimfanglei allergnadigit gur Kenntnis gebracht wurde.
*
*
Un Stelle der am 12. Ottober 1907 auSgefdiedenen beiden Herren Vorftände, Herr Univerfitätg-
profefjor Geheimrat Dr. Gareis und Herr Profejjor Dr. Gabriel von Seidl, wurde zum I. Vorftand Exgelleng
Nitter von Halder, Präfident der K. Regierung von Oberbayern, zum II. Vorfiande Herr Univerfitätsprofeflor
Dr. Doeberl gewablt.
Graelleng Ritter von Halder Hatten die Güte die Wahl anzunehmen, ebenfo Herr Univerfitdts-
profeſſor Doeberl.
*
*
An Stelle des ebenfalls ausgeſchiedenen Herrn Sekretärs Oeſchey wurde Herr Rechtspraktikant Böhm—
länder gewählt.
*
*
Es iſt eine Ehrenpflicht des Vereins, die ausgeſchiedenen Herren für die große Bereitwilligkeit und
das ſegensvolle Intereſſe, womit dieſe für den Verein gewirkt haben, der aufrichtigſten Dankbarkeit zu verſichern.
*
*
Vereinsverſammlungen.
Mittwoch, den 1. Mai, Monats verſamm-
lung im Künſtlerhauſe.
Herr Privatdozent Dr. Aug. Roſenlehner
fprah über „Die wirtjhaftliden Zuftände
Bayerns unter Kurfiirft Maximilian IIL.
Sofef’. Der Vortragende gebachte gunddft der für
fein Thema einfchlägigen umfangreichen Literatur,
die jedoch fid) miderfprehende Anfhauungen und
Urteile ergebe. Was der KHurfürft, den Redner als
Mufter eines abfolutiftifchen Herfchers bezeichnete, für
die wirtfchaftliche Hebung Bayerns tat, war gar nicht
unbedeutend. Daß die8 aud im Lande anerkannt
wurde, bemwieß die rührende allgemeine Trauer bei
feinem Tode, Wenn die Erfolge nit immer den
Ideen diefes „aufgellärten Ubfolutiften’ entfpraden,
fo war das vielfad in den Zeitverhältnifjen gelegen,
denen fic) eben aud) der Fürft als Kind feiner Beit
nicht entziehen fonnte. Zur Hebung des Merfantilig-
mus gehörten vor allem eine dichte Bevölkerung und
der Umlauf der Geldmittel. Die Didtigteit war aber
gering, nur ca. 995,000 Seelen. Dabei verhinderte
die fatholifhe Erklufivität der Benölferung eine Ver=-
mehrung durd) Aufnahme vertriebener Proteftanten
und Galviniften, wie fie in anderen beutfchen Ländern
erfolgte. Ein fompliziertes Zoliyften, das Anwadfen
des Befiges der toten Hand und nicht zulegt Die
Plusmaderei zugunsten des Hofes, an dem man e8
dem Sonnentönig in Verfailles gleich gu tun beftrebi
war, beeinträdhtigten die nötige Geldjirfulation
Dazu gefellte fih noch eine unfelige Vielvegiererei.
Ein Mandat jagte das andere, von denen felbft die
beftgemeinten auf da8 dem Altbayer eigene Miftrauen
stießen; die geringe Volfsbildung Hinderte jede Auf-
klärung. Ueberdies fehlte dem Bolfe die Rapital=
fräftigfeit. Reich war nur die Kirche, der Adel tief
verfchuldet, dem Beamtenium fehlten das Verftändbnis
und nicht felten auch die „reinen Hände“; der Bauer
war aber abhängig von den Grund» und Geridts-
herren. Go fam e8, daß der Hurfürjt, dem Männer
wie Iditatt, Kreitmayr und Stubenraud zur Seite
150 Chronik des Hiftorifhen Vereins von Oberbayern
Erasmus Georg von Seeling auf Hueb und Eglhardting,
der Ehurfürftl. Saubt- und Refidenzitadt Münden
Burgermaifter (Mitte des 18. Jahrh.).
ftanden, fein Land ebenfo verfchuldet zurüdfajjen
mußte, al8 er eg mit 18 Jahren übernommen hatte.
Unvergefjen bleiben aber dem Kurfürften feine Be-
mühungen, Abhilfe zu fdaffen. Er ſchickte Inſpektoren
aufs Land zur Aufflärung, fehuf felbjt Muftermirt-
fhaften, wie die Landmwirtfchaftliche Schule in Schleiß-
heim, und reorganifierte auf Anraten des Kommerzien=
tat8 Stubenraud) das fehr im argen liegende Maut=
und Uccifewefen. Waren trogdem die wirtfchaftlichen
Verhältniffe unter feiner Regierung feine glänzenden,
fo trifft den Kurfürften feine Schuld. Seinen guten
Wbfidten ftanden die Zeitverhältniffe und die Den
fung8art der Bevölkerung entgegen. Diefe zu ändern
ging über menjhliche Kraft.
Qn der Monatsverfammlung an Samstag
Den 1. Anni fprad) Herr Univerfitätsprofeffor
Dr. Doeberl iiber ,Die innere Staat8verz
waltung Bayerns unter bem Minifterium
Montgelas“.
Der politifhe Anfhluß Bayerns an Napoleon I.
und damit die Erhebung Bayerns zum Königreich
wat einer der folgenfdwerften Utte in ber 1400jahrigen
Geihichte Bayerns. Die Bedeutung diefer Erhebung
bejteht weniger in der Rangerhihung als in der Er:
werbung ber vollen Souveränität. Mit deren Hilfe
entjtand der moderne Staat nad) dem Vorbilde des
ftreng zentralifierenden Franfreih8 im Gegenfaß zu
bem reaftiondren Staiferftaat an der Donau, und
gwar, wie im eingelnen von dem Bortragenden ent=
widelt wird, auf politifdem, wirtfhaftlidem, fogialem,
firdlidem und geiftigem Gebiet. Die Veränderungen,
die damit Bayern erfuhr, waren gleichbedeutend mit
einer Revolution mitten im Frieden. Die neue Zeit
hat wie ein Sturmmind bie Geifter geriittelt, fowohl
ihre Freunde als ihre Geguer. Die einen, wie Georg
v. Uretin, fehen den Staat in verjüngter Schönheit
wieder auferjtehen, andere wieder errichten in der
„Galerie der merfwürdigiten bayerifhen Staatsbe=
amten“ oder in der Shmähjchrift des berüchtigten
Grafen Reifah „Bayern unter der Regierung des
Minifteriums Meontgelas* dem Minifter und feinen
Reformen einen Schandpfahl. Der Kampf entbrannte
aufs neue mit befonderer Leidenfdaft beim Sturge
des Minifters, er fette fich fort nad) feinem Tode big
zum heutigen Tage. Man hat Montgelas einen revos
Iutionären Minifter genannt, aber da8 blieb aud
Zehen. v. Stein nit erfpart. Die Anbahnung des
modernen Redhtsftaates ohne Eingriffe in bejtehende
Rechte war eben unmöglich. Allerdings ift bei Mont-
nelas djter8 mangelndes Verftändnis für die hiftorifche
Entwidlung zu fonftatieren; er will, daß etwas fein
folle, einfad weil er e8 für ridtig und niiglic hält.
Aber das war der Standpunkt der Aufflärung
überhaupt. Dan Elagte vielfach) über die zu große
Beweglichkeit de8 Verwaltungsfyftems, das mit feinen
Verordnungen Bayern nidt gur Rube fommen Lief.
Dazu fam, dah die Wusfihrung mander Maknahmen
zu gewaltfam, zum Teil felbft geradezu brutal war,
namentlich gegenüber den Perfonen und Befigtümern
der aufgehobenen Klöjter und gegenüber den kirchlichen
Neigungen und Gewohnheiten der Tiroler. Aber die
Schuld fällt weniger dem Minifter als vielmehr den
ausführenden Organen zu, fchledhtem Beamtenmaterial,
das Montgelas nicht fhuf, fondern itberfam; da, wo
die Ausführıng der Säfularifation in befjere Hände
gelegt war, zum Beifpiel in der Fürftabtei Kempten
oder in manden Gegenden Franten8, vollgog fid) der
Uebergang von der alten in die neue Zeit viel rubiger
und fchonender. Die Zentralifation, die fic) felbjt
auf dag Stiftungs= und Gemeindevermögen und bie
Armenpflege erftredte, und die StaatSomnipotenz
gingen zu weit. Die Gefeggebung Montgelas’ brachte
dem bayerifhen Bauern und Bürgertum die Ent-
feffelung auf wirtfdaftlidjem, fogialem und firdlidem
Gebiet, rif ben Sdugmall nieder, den die alten
Mächte um fich aufgetürmt hatten. Der weitere Wus-
bau mußte bei der ftaat8redtliden Anfhauung des
Minifters und der politifden Unreife des Volfes einer
Qofeph Antoni Edler von — auf Egl- und Huglfing.
Burgermaifter zu München (Mitte bes 18. Jahrh.).
Ehronit des Hiftorifchen Vereins von Oberbayern
Frank Anton von Unertl, Landfdafft Kangler
fpäteren Zeit vorbehalten bleiben. Montgelas hat
nad feinem Sturge felbjt einen bis jet ungebrudten
Nehenfhaftsbericht über feine innere Staatsvermals
tung gefdrieben. Hier führt er al8 Errungenfchaften
feines Minifteriums an: die Begründung der Gleich.
heit vor dem Gefege, die Berbefferung des Strafs
rechts, die gleihmäßige Befteuerung, die Unabhängig«
feit und Unabfegbarkeit der Richter, die Sorge für
die Staatsdiener und ihre Familien, die VBejeitigung
der eibeigenfdaft, bas Recht des Bauern, feine Güter
au veräußern, die firhliche Toleranz, die maßvolle
Preßfreigeit, die Befchränfung der firdhliden Juris—
diftion, die Sdtularifation, die gleihmäßig dem Fis-
fu8, ber Bevdlferung und der mwirtfchaftlihen Ent-
mwidlung Bayerns zugute griommen fei, die Einfüh-
rung de8 Pfarrfonfurfes im Interefje der Würdigfeit
der firdliden Pfriindeninhaber, die Vervollfommnung
des VolfSunterridts, die Vervielfaltigung der Schulen
auf dem Lande, die Förderung der SKiinfte, die ftaat=
liden Sammlungen. Dieje Errungenfchaften waren
nad) der Anfiht Montgelas’ groß genug, um über
gewiffe Mängel hinmwegaufehen, die einmal von ber
menfdliden Natur nicht zu trennen feien. Selbjt
Fürft Metternich äußerte fich über das von Montgelas
Geleijtete dem bayerifden Gefandten in fehr aner=
fennenden Worten: „Man muß zugeftehen, daß Bayern
während der legten gehn Jahre eine religiöfe, politifche,
bürgerlide und militärifche Revolution erlebt und
glüdlih überftanden hat; das ift die einzige Nation,
weldje Mut und Ausdauer gezeigt hat; alle Welt
muß fie adten und follte ihrem Beifpiele folgen.“
Sonntag, 23. Bunt beging der Verein fein
63. Stiftungsfet mit cinem Anusfilnge nady Aib-
ling. Die Mitglieder begaben fic) gunddft nad Heu-
feld bei Wibling und dann nad) der Wallfahrtskirche
151
Weihenlinden bei Högling. Högling ift durd ein in
feiner Art einziges Herfommen in Oberbayern befannt.
Dort fteht auf einem Bühel neben einem Brunnen
oder Quell eine große Linde. Wer nun nad) Högling
fommt und ein Jahr dort verweilt oder dorthin fid
verheiratet, wird an diefem Plage ,g’higelt*, womit
er erit ein rechter Höglinger wird. Diefe Prozedur
beiteht darin, daß man ihn an Kirhmweih mit Mufit
von feiner Behaufung abholt und ihn unter Begleitung
der Bernohner um das Dorf herum zur Linde führt.
Hier Heben ihn vier Mann un Armen und Beinen
auf ihre Schultern und fhußen (fhwingen) ihn drei-
mal in die Höhe unter dem Rufe: „Högel auf!’ Dann
wird er aus dem Quell getauft und ihm ein großer
Zindenzmweig auf feinen Hut gejtedt. Hierauf tanzen
die „Behögelten“ mit ihren „Godeln* (Batinen) um
die Linde herum und dann find fie erft richtige Hög-
linger.
Weihenlinden fteht nun, wie bereits der Name
fagt, Hiermit in Zufammenhang und weift auf eine
uralte, auf vorgefhichtliche Zeit zurüctgehende Kultus-
jtätte Hin. Eigentümlich ift aud) die Bezeichnung der
Kirche im Vollsmunde: „Zu den drei heiligen Mäns
nern.“ Die drei Perfonen der Trinität find dort
nämlich durd) drei überlebensgroße Figuren darges
ftellt, die fi) vollftändig gleichen und drei ganz gleich
alterige Männer mit langen Bärten darjtellen. Inter
der freundlichen und fadhtundigen Führung des Pfarrers
Mayr von Högling befichtigte der Verein eingehend
die aus drei Schiffen beftehende Kirche, die überaus
aahlreiche, vielfach Eulturgefchichtlich intereffante Votin-
tafeln, die auf mehrere Jahrhunderte zurüdreichen,
enthält. Unter anderen find aud) verfdjiedDene von
Mfeorkanalur der LY, taddberger ;
ö Bittiothek
152 Chronik des Hiftorifchen Vereins von Oberbayern
der üblichen Darftellung der Bauernfhladht zu Send-
ling abmeichende Bilder gu fehen, darunter eines,
da8 dem Lindenfchmitfchen Gemälde an der Send=
lingertirde gum Vorbild gedient haben könnte.
Nach der Befihtigung der Kirche begaben jid die
Teilnehmer des Ausfluges nach Heufeld zurüd und
fuhren nad) Aibling, wo fie vom Bezinlgamtmann
Regierungsrat v. Leiftner und den Mitgliedern des
Hiftorifhen Vereins Aibling am Bahnhofe empfangen
wurden. Während eines vorzüglich bereiteten Mittags=-
mabhles im Schuhbräu (Befiger Delonomierat Wild)
begrüßten in herzlichiter Weife Regierungsrat v. Zeit:
ner und Bürgermeifter Shumberger die Gäfte,
worauf der VBorfigende des Hiftorifchen Vereins Mün=
den Geh. Juftigrat Profefjor Dr. Gareis mit den
aufridtigiten Winfden für das Gedeihen Aiblings
und feines Hiftorifhen Vereins feinen beften Danf
ausſprach.
Hierauf fand in dem hiſtoriſch und baulich in—
tereſſanten Zehetmayeriſchen Gaſthauſe zum Ratskeller
(Bauernwirt), der Dienſtwohnung des ehemaligen
Ratſchreibers, die erſte öffentliche Verſammlung des
jungen hiſtoriſchen Vereins Aibling ſtatt. Der 1. Vor⸗
ſitzende, Poſtexpeditor 1. Klaſſe Wilh. Mayer, be—
grüßte die Münchener Herren und erfreute hierauf
die Verſammlung durch einen gediegenen Vortrag
über Geſchichtliches aus Aiblings Vorzeit, insbeſondere
über das Schloß auf dem Hofberg. Der Vorſitzende
des Münchener Vereins ſprach ſeinen Dank aus und
fügte einige intereſſante Mitteilungen über das
Gerichtsweſen Aiblings zu Ende der Karolinger
Zeit an.
Vom Alten und Aelteſten zum Neuen und Neueſten
übergehend, ſchritt man zur Beſichtigung des neuen
ſKteurhauſes. Abends konzertierte im Schuhbräu—
keller noch die Kapelle der Kurmuſik, bei deren Klängen
die Münchener Gäſte die Zeit bis zur Heimfahrt im
fröhlichen Zuſammenſein mit den Aiblinger Vereins—
mitgliedern verbrachten.
Nach Ablauf der Ferien begann die regelmäßige
Monatsverſammlung wieder am 14. Oktober
mit einem Vortrage des Herrn Bauamtmann Linde
über „Römerſtraßen im ſüdlichen Bayern“.
An Stelle des erkranlten Herrn Oberjtlandes-
gerichtsrates VBierling fprad) in der Monatsner:
fammlung am 2. November Herr Dr. Heldmwein
über „Die Stellung der bayerifden Klöjter zur Wohl-
fahrtspflege und Kunft am Borabende der Refor-
mation’.
Die Monatsverfammlung am 2. Desember
bradte einen höchst fejjelnden Vortrag des General-
majors 3. D. v. Meng über die Schladt bei Hohen-
linden am 3. Dezember 1800. Nad) einem kurzen
Nüdblid über den Gang der Ereignifje im erjten
Teile des Feldguges biS gu dem 15. Quli in Pars-
dorf, einem bei München gelegenen Dorfe, abge=
fdloffenen Waffenftillftand, betonte Redner zunädhit
die fo unheilvol gewordene Annahme des öiter-
reihifhen Oberfommandos, daß nad) der glüdlichen
Sdhladht bei Ampfing mit einem ferneren Wider
ftand der frangöfifhen Armee dieSfeits der Jfar nicht
mehr zu rechnen fei. Man verfäumte am 2. De-
aember volljtändig, fi) einen näheren Einblid in die
im Rüdzug an bie Jjar vermutete franzöfifche Armee
gu verfdaffen, bie aber am gleichen Tage weftlid
des Großhaager Forjtes bei Hohenlinden bereits ver=
fammelt war. Die Sorglofigfeit des öfterreihifchen
Urmee-Oberlommandos hat eine graufame Strafe
ereilt. GEingehend fdilberte ‘ber Vortragende unter
Zuhilfenahme von RKartenmaterial die Bewegungen,
Dispofitionen und intereffanten Einzelheiten der
Schladt, darunter die fiegreiche Attade bayerischer
Ehevaulegerd. Die Berfammlung, der aud eine
Reihe höherer Offiziere anmohnte, nahm den Vor=
trag mit Tebhaften Beifall auf. Hieran ſchloß ſich
eine eingehende, namentlid militärisch höchſt inter-
ejlante Diskuffion
Die Gefhäfte des Vereins fanden ihre Erledi-
gung in den Ansfduffigungen vom 9. Juli,
12. und 25. Oktober,
Schriftleitung und preßgejeglihe Verantwortung: Dr. Held wein— Münden (Liebigjtraße 1/2).
Xgl. Hofbuchdruderei Kaftner & Callwey.
32101 073661645