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Full text of "Altbayerische Monatsschrift 7.1907"

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Altbagcriſihe Nonatsſchrift 


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Jn Kommiffion der 
I. I. Lentner’fhen Buchhandlung (Ernft Stahl jun.) 
in München. 


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printed in Germany 





Inhalt. 


I. Auffäbe und größere Mitteilungen. 


Des Hiltorienmalers Wilhelm Lindenfchmit, des Welteren, Jugend und Bildungszeit bis 
zur Darftellung der Sendlinger Bauernfchlaht an der St. Margarethenfirde zu 
Unterfendling. Bon Schriftitelee Lindenfdmit . . 

Bu älteren vor= und frühgefchichtlichen Funden aus Altbayern. Bon Dr. p. Reinede 

Die Münzgemwichte mit befonderer Rüdficht auf Bayern. Bon J. BV. Kull . F 

Die Urkunden Ludwigs des Bayern im Stadtarchiv zu Landsberg. Von J. aber. ; 

Gin unbefannter Coder der Bigefden Malerjchule in Augsburg. Bon Dr. Remmeridh 

Die Ordenszeichen aus der Lauinger Fürftengruft im Bayerifden LUD. Bon 
Sriedrih H. Hofmann SE ee a2 

Ein merfwürdiges Grab eines neuen bojumasfcen Beigengräberfeides, 

Bon Dr. Franz Weber 

Ueber römifche Ausnüßung der ame: flirten: Veberlegenheh, 
Bon Johannes Linde . : vs 

Stephan Rottaler ein Bildhauer der Srübrenaiffance in t Mltbagen 
Bon Dr. Philipp Maria Halm 2 E 

Beiträge zur Gefchichte Mar Emanuels. Bon Sehen. von Sm : 


II. Chronik und kleine Mitteilungen. 


Ehronif ; SEE 
Bereinsverfammlungen — — — ge 
u. a. Vorträge von Herrn Dr. Santen über „Die Anfänge sine bas Einporfieigen der Fugger“, 

von Herrn Dr. Gg. Preuß über „Die Urfahen der Größe und des Niederganges der 
Hanfa’, von Herrn Schober über „Die Urkunden Ludwigs des Bayern im Stadtardive 
gu Landsberg” (55), Herrn Dr. Theodor Bitterauf über „Die Nordlichter in Bayern unter 
König Max I.“ (56), Heren Privatdozent Dr. Aug. Rofenlehner über „Die wirtfhaftlichen 
Zuftände Bayerns unter Kurfürft Maximilian Il]. Qofeph“ (149), Herrn Univerfitäts- 
profefjor Dr. Dveber! über „Die innere Staatsverwaltung Bayerns unter dem Minifterium 
Montgelas’ (149), Herrn Dr. Johannes Heldwein über „Die Stellung der altbayerifchen 
Klöfter zur Kunft und Wohlfahrtspflege am Ausgange des Mittelalters“ (152), Herrn Ge- 
neralmajor v. Menz über „Die Schlaht bei Hohenlinden am 3. Dezember 1800 (152). 

Mitteilungen aus den oberbayerifchen Ortsvereinen tan Sein hse See 


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VI 


III. Alluſtrationen. 


. Cimbrifde Frauen by et I th as PSE eh. Team, 

. Johanna Rainprechter.. ang. a 2% 

. Augufte Rainprechter Nr 

. Entwurf zum geplanten Oelgemätd, darftellend bie Seninger Stat 
. Die Cheruster . : 
. Erftes Blatt der 1. Stigenaruppe 3 ait eninge Beste 

. Oberbayerifcher Schüße ; ze 

. Balthafar Maier. . . 

. Die Schlacht bei Senbling 

10. Arnold von Winfelried 2 

11. Lithographie aus der Gejchichte her Sendlinger Sta 

12. Porträt eines Bauern . : 3 

13. Hauptgruppe mit dem valthaſer Maier 

14. Winfelried . 

15. Selbjtporträt W. nbenigmites um 1830 Rn ; 
16. Sendlinger Bauernfchlacht nad) der TERN von — So 2 
17. Heldengefolgichaft : ; 
18.-—21. 4 Abbildungen zu sen Uuffag von Dr. Reinecke + 

22. Rofter St. Beno bei Reichenhall. (Mon. Boic. vol. III. p. 526) 
23. Rufftein (aus: das Neuefte von der Zeit 1704) ; 
24. Glide aus der Münchner Ausftellung von 1900 . 

25.—32. Initialen der Handfchrift 


SOC PWOID = 


33.—43. 11 Bollbilder, Darjtellungen von Szenen a * neuen — 


44. -48. Darſtellungen aus anderen Codices, die gleichen — See 
49. Ordenszeichen aus der Lauinger Fürftengruft . ; ; ey 
50. Fund aus einem bajumarifchen Reihengräberfed . . . 

51. Zimmermann: Churbayrifd-geiftl. Calender II]. Teil 1755 

52. Aus demfelben: II. Teil RTL 

53. Bom Altar des Kanonifus Marolt in Aesitinn, 

54. Das Schweiftud. Holzjchnitt von A. Dürer 

55. Joachim und Anna. SHolzfchnitt von A. Dürer 

56. Monogramm des Kanonifus Marolt . 

57. Grabplatte des PB. von Altenhaus, Landshut 

58. Monogramm auf der Grabplatte des Altenhaus 

59. Grabplatte des Kanonifus Ralbsor, Freifing : 

60.—61. Einzelheiten aus der vorgenannten Grabplatte . 

62. Epitaph der D. und E. Ejterreicherin, Ingoljtadt 

63. Teile diefes Epitaphes . 

64.—66. Berfchiedene Grabplatten us Being. Anh > Moosburg 

67. Detail einer Grabplatte 

68. Grabplatte aus Altötting . — 

69. Zeichnung des alten Beſtandes des Monumentes in Altötting 
70. Grabmonument aus Gergen . — a ae ee ae 
71. SandfteineRelief aus Freifing 
72, Holzichnitt der Mailänder Schule 
73.—74. Zwei Heiligenftatuen aus Holz aus ‚ber Rirche in Reisbach 
75.—76. Zwei Altarflügel aus der Kirche in Reisbacdh ‘ 
77T. Michaelsfampf mit dem Drachen von A. Diirer 


72.—79. Holzrelief3 aus der Sammlung de3 Hiftorifchen Bereing: in " Sandshut ; 


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: 38 
2 40—43 
45 

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: =» 66 
. 59—63 
. 65—85 
. 87—89 
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78.—79. Zwei Stüßen des Laubengangs im Refidenghof zu Freifing 
80. Kapitelle und Bafen vom Laubengang im Refidenzhofe zu AL 
81. Hausinfdrift im Refidenghofe zu Freifing 
82. Meifterzeichen am CEdpfeiler des dortigen gaubenganges 
83. Grabftein in der Kirche zu Milbertshofen . 
84, Aufgang gur Pfarrfirde von Kaufering . 
85. Römerftein in Prutting . ; 
86.—87. Zwei Bildniffe von ehem. Münchener Dürgermeiften | 
88. Franz Anton von Unertl, Zandichaftsfanzler 
n Mipbandlung der Rn we 
90. Schlußvignette 


IV. Autorenverzeidjnis. 
Wohnort, fomweit nidt andereS angegeben: Mtiinden. 


Halm Dr. Philipp Maria, f. Ronfervator 
Hofmann Friedrid) 9., f. — 
Remmerid Dr. Mar . 

Kull J. B. ; 
Linde Johannes, Saradmane 
Lindenfhmit, Schriftteller 


Ow Anton Freiherr v., & Kämmerer, f. Pesirtearmtnarin a. D., ——— 


Reinecke Dr. P. Mainz . 
Schober J., Stadtarchivar, Landsberg 
Weber Dr. Franz, f. Oberamtsrichter 





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Cimbrifhe Frauen 
Bleiftiftzeihnung, "Js wirkl. Grife. 
Eine fpdtere Kompofition al8 der „Angriff der Eimbrinnen“ im 3., 4. Heft 1906, ©. 82, aber nad) der Ydee von ©. 77 dortfelbft. 


Des Hiftovienmalers Wilhelm Lindenfchmit, des Aelteren, Ingend und Bildungszeit 
bis jue Harftelung dev Sendlinger Banernfdilaht an dec St. Margarekſienkircke 
zu Unterfendling. 


Fortfegung (vergl. Heft 3 u. 4, 1906). 


„Die Lihtwirfung darf als Hülfsmittel be= 
nüßt werden, um das Bild auseinander zu 
treiben, allein diefe Arbeit darf nicht gänzlich 
auf ihren Schultern laften, fondern fie muß 
fdon durd) die Anordnung der Linien und 
Gruppen unumftößlic) nicht bIo3 vorbereitet 
fondern hergeftellt fein.“ — „Die Beleuchtung 
foll hauptfächlich Ruhe einflößen, — — dazu 
gehört Kenntnig. Ein ruhig angeordnetes 
Bild fann man durch eine taftlofe Beleuch- 
tung ruiniren. Sie foll ferner dazu dienen 
einen Gedanken auszufprechen und wie die 
Barbe, dem Bild eine gewiffe Stimmung 
geben. Sie muß finnvoll feyn, und wenn 
aud) nod) fo fraftvoll wirfend, immer rubig 
und gemeffen, nie zerriffen.“ — „Mit Schwarz 
und Weiß wirthichaften“, äußert er wo anders, 
„dieß Heißt nicht viele große dintenartige 
Stiefelwichsplatfchen anbringen, jondern eine 
woblgeordnete und mohlbeherrichte, wohl— 
empfundene Beleuchtung. Der fchwarze Nacht- 
rabe, jomwie das blendende Sraftlicht dürfen 
nicht überall herumfpufen, fondern in ihrer 
höchjjten Potenz nur einmal vorlommen und 
das Bild beherrfchen.“ Dies richtet fich gegen 


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einen falfchen Begriff von Malerifh. Es ift 
ja überhaupt gerade fo wichtig zu erfennen, 
was ein Künjtler vermieden oder abgelehnt 
hat, al3 was er dann auf feiner Bahn er= 
reicht hat. Dies gilt im großen von der Wahl 
der Stoffgebiete und des Gegenftandes, weil 
diefer wichtigite Punkt Sache des Charafters 
und fodann der ganzen Lebensauffafjung it, 
— foweit nicht äußere Lebensnot gebieterifch 
mitfpridt. In beiden Beziehungen fann 
jemand als Dann recht haben und als Künftler 
verlieren. Treibt ihn fein ganzes Lebens— 
gefühl, wie das bei Lindenfchmit war, in den 
Kampf und entwidelt er fo bedeutende Mittel 
dabei, fo ift der Fall vor ein anderes und 
höheres Forum zu verweifen. 

„Wohl denen“, jchließt jenes Kunftbrevier, 
„die mit Beit und Rube reichlich verjehen 
ihrem eigenen Streben gehorchen fünnen; und 
nichts gleicht der Sehnfucht, mit der ich den 
Augenblid erwarte, wo ic) aus dem Strudel 
der Gefchäfte geflüchtet von feiner Bedingung, 
von feinem Termin, von feinem fremden Gez 
Ichmad gehindert, frei meinen Gedanken folgen 
und zeigen darf, was ich fann.“ 

1 


2 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfhmit, des Welteren 


G8 handelte fic) ihm hHiebet ebenfofehr 
um den alten Reiz feiner Jdeenwelt, wie um 
den jchönen Gebrauch verftandener Mittel und 
Kräfte, den Kunftveritand. Aber er wußte 
noch von einem anderen Element in fich, und 
das ift gerade fein unterfcheidendes Merkmal: 
„Sal man muß mwirfen mit denjenigen Din- 
gen, worin man feine Stärfe hat, — — — und 
wenn auch die Herrn Hiltorienmaler fagen, 
dieß fey nicht der ftrenge Styl, — aber ich 
fann Leben maden!*. Das erfannten 
auch unparteiifche Zeitz und Runjtgenoffen 
an; fo habe fich einmal Heinrich Heß gegen 
Peter Heb über ihn, Lindenfchmit, geäußert: 
„Das fet dod) etwas Anderes al3* '); meine 
Helden feien Männer, die man achte und 
fürchte, ob fie fchon nicht fo grimmig thäten, 
wie die des *. ES fey fehr gut gewefen, dak 
id) einmal ganz meinem Kopf gefolgt fey. 
Dieß habe Leben und eine Wahrheit gegeben, 
die hinreißend fei.“ — Nun, dies ift auc) 
etivag, fügt Lindenfchmit bei. Und Peter Hef 
meinte ganz richtig, „die eigentliche Münchner 
Schule habe fic) nur in Gewandern gang voll- 
fommen ausgebildet, mahrend die Urime, Beine, 
Leiber, felbft die Ripfe oft, find, wie fie find.“ 

Die Begriffe ,ftrenger Stil” und ,Hifto- 
vienmalerei”, die fich in obigem Wusruf an— 
einander lehnen, waren einer Durchfreuzung 
und Zerfebung durch ähnliche Kompromiffe 
unterworfen, einmal weil da8 „Hiftorifche“ 
viel zu viel mit dem Charakter in Köpfen 
und ganzen Menfchen zu tun hat, um die 
realiftifchen Wege gang abweijen zu fünnen, — 
und andererjeits, was teilweife die Urfache 
diefer Unflarheit war, weil der „Stil“ nad) 
feiner technifchen Seite fich nicht richtig auf 
der Natur der Mittel aufgebaut hatte und die 
Begriffe und das Können in der eigentlichen 
Malerei noch unentwidelt waren. Daher gab 
eS außer jener gegenjäßlichen Bejtrebung, die 
— wie W. Lindenfchmit — das Hiftorifche 
im Nealiftifchen feft zu gründen verfuchte, 
noc) einen anderen lareren Mittelbegriff, von 
dejjen Lebhaftigfeit Wilhelm urfprünglich mit 
ausgegangen und der in jeinem Oauptingre- 
diens bei der herrfchenden Schule wohlge- 
litten war. Obmohl der folgende Beleg aus 
viel fpäterer Zeit ftammt, fo hilft er doch 











diefe Zufammenhänge erläutern. Ylm 6. Sep: 
tember 1836 wandte fi) Prof. Schnorr an 
W. Lindenfchmit und trug ihm nad) einigen 
einleitenden Worten folgendes Anliegen vor: 
„Der König von Baiern hat mir aufgetragen 
einen Eyclus von Gemälden aus der deutfchen 
Gefchichte auszuführen... . Unter den ges 
wählten Gegenftänden ift das fogenannte 
Reidhsfeft, das der KHaifer Friedrich Barbaroffa 
zu Mainz im Sahre 1184 feierte. ... . Als 
ic) meine Compofition Shrem Herrn Bruder 
zeigte, machte er mich aufmerffam auf die 
ifm natürlic” ganz bekannte Lage und Um— 
gegend von Mainz und überzeugte mich, daß 
die Anwendung einer richtigen Anficht der 
Stadt und Ferne meinem Bilde nur vorteil- 
haft jein finne, gugleich liek er mich, wie 
gejagt, hoffen, daß ich durd) Dhre giitige 
Vermittlung eine genaue Zeichnung, wie ich 
fie bedürfte, erlangen fiunte. . . .“ 

Wilhelm beauftragte nun Ludwig damit, 
und fchrieb: „Sch itbermache Dir hier eine 
Comijjion, wie du aus dem inliegenden Schreiben 
von Brofefjor Schnorr fehen wirft. Er war 
fehr artig, freundfchaftlicher als je, als ich 
ihn nach meiner Ankunft (von Schwangau) 
bejuchte und diek that mir wohl, da viele 
Leute mich behandelten als erinnerten fie jich 
meiner noch faum. Mach ihm Zeichnungen 
romantifh bolzfhnittmäßiger Art. 
Beichne e3 nach der Natur und mache dann 
zu Huufe etwas daraus, nicht zu elegant, da= 
mit e8 nicht zu anjpruchsvoll ausfieht. Yeichne 
e3 ein bischen toll hHiftorifch phantaftilch”. 
Schnorr danft Ludwig in einem liebenswürs 
digen Schreiben: „Sie haben mir durch Ihre 
vortrefflihen Zeichnungen nicht nur große 
Freude gemacht, fondern auch einen recht wejent- 
lichen Dienft geleistet, den ich Ihnen nie ver= 
geilen werde. Och febe erft jet, wie fehr 
mein Bild, durch die naturgetreue Ferne in 
jeder Beziehung gewinnen muß . .. *. Dan 
fieht hieraus, daß die Art der (altdeutichen) 
Holzjchnitte al3 romantisch empfunden wurde 
und den Begriff Hiftorifch-phantaftifch anzieht, 
entiprechend dem ähnlichen Hergang in der 
Belletriftil. Später gibt Wilhelm einmal die 
Analyfe eines Gemäldes von Fol, der unter 
Allen fic) durch eine felbjtändigere Entwids 


!) Name eines befannten Künjtlers, aber nicht von Cornelius. 


Sugend und Bildungsgeit 3 


lung in der Delmalerei hervortat; man merft 
dort, daß diefe mehrfache Jneinanderlagerung 
von Tendenzen auch bei Folz wirffam war 
und bier einem launifchen Behagen an maz 
lerifcher Farbigfeit das Uebergewicht verlieh, 
zwar fonjt prinziplos, aber Lindenfchmit urteilt 
doc, davon: „immerhin geht e3 auf eine ge- 
wiffe wilde Manier zufanmen“. Man möchte 
faft meinen, e8 habe fich etiva8 „angemeldet“ 
und fei gang in der Ferne der Geisfuß Böd- 
lin einmal vorbeigefprungen, freilich aud 
von dem nur der Schatten. 

DMalerintention lag alfo troß Allem nicht 
außerhalb des damaligen Sreifes, nur das 
VBollftändigfeitsbedürfnis, die Syftematif bei 
mangelndem Malftudium, erjchöpfte fie zu 
rafh. Wilhelm legte fjpäter immer wieder 
Wert darauf, „daß es die Hauptjfache an einem 
Bild ift, daß e8 empfunden ift. Und die 
gilt von Anordnung, Idee, Zeichnung, Aus— 
drud und Beleuchtung gleich jehr.“ Bei den 
Bemühungen, feinem Bruder zu raten, er= 
fennt er auch das Beitehen von bewufter und 
unbewupter Runjt, ein Unterfchied, der immer 
bei den Wendepunften einer Entwidlung ficht- 
bar wird. „Das gefunde Machwerf ent- 
{pringt nur aus der Renntni3 und dem Studium 
d. b. bet denfenden Riinfilern, — hiezu bift 
du zu jerftreut. . . . Von der Rompofition 
bis 3ur Pinfelfiihrung herab .... Alles muß 
vorbereitet, angelegt, jtudiert fein. Dann geht’3 
ff. . . . Dieß ift eine Niefenaufgabe. Bon 
Kaspar Schneider,!) der fein Leben lang 
Burgen in der Sommerabendfonne (fog. Stim= 
müngelchen) malte, bi3 zu Stornelius ftect fich 
jeder engere Grenzen als wir. — Man muß 
fi alfo, um Anerkennung und dadurd; Mut 
und Mittel zu erhalten, engere Grenzen jteden, 
d. h. ein anderes Material nehmen als gerade 
das verdammte Del.“ 

Der alte Vater in Mainz merkte wohl, 
daß die eigentliche Malerei, auf welche fic 
der Erwerb feiner Söhne gründen follte, bei 
Cornelius gu furg fam, und er fing an, aus 
feinem engeren Gefichtspunft und dem folcher 
„Zolalmeifter“ wie Schneider gute Lehren zu 
geben. Er wendete fi) dabei an Ludwig, 
weil Ddiefem auc) das Ergreifen einer ent- 
Ichiedenen Ricjtung fo fchwer fiel. „Ich habe 








gehört, daß es euch unangenehm fei, wenn 
man euch Nat erteilt, — allein ich will dabei 
nicht verweilen und dir doch noch mieder- 
holen, daß ich e8 jehr nüßlich finde, wenn 
du einige gute Stüde in der Gallerie völlig 
fopirteft, fodak man fie in ein Zimmer als 
Schmud aufhängen fann — und nicht ftüd- 
weife und nur Abriffe. Du wirjt dann mehr 
mit den Farben und ihrer Wirkung und Aus— 
wahl befannt werden und dich in Betracht 
defjen, was gute Wirkung macht, vertrauter 
machen, — — eö muß einer immer von ans 
dern lernen und darin hat gewiß der alte 
Schneider recht, daß er jagte: Die Natur miiffe 
man durch die Augen der Meifter — be= 
trachten! — Man muß das Wahre aud) von 
Leuten annehmen, die man übrigens nicht 
jehr Hoch fchäßt; Schneider wollte damit fagen, 
daß man achthaben folle, wie diefe großen 
Männer diefen oder jenen Gegenstand auf der 
Leinwand behandelt haben, und fi) darnad) 
richten.“ Der Rat wäre gut, wenn er nidjt 
zum Schluß doch eflektifch gemeint wäre. Ende 
1827 fchreibt er, während Wilhelm nod) in 
Mainz weilte, an Ludwig: „Zaffe den Sommer 
oder das Frühjahr Hin ja nicht aus den Augen, 
bei einem tüchtigen Maler praftifchen Unter- 
richt zu nehmen, das gilt auch von Wilhelm. 
E3 wird wohl Anjtrengung foften, wenn ihr 
dieß bei der Beichäftigung, die ihr fchon habt 
[gemeint it das Wrfadenfresfo], ins Werk 
bringen wollt, allein dag ijt doch nur auf 
furze Zeit und einem talentvollen jungen 
Mann ift gut Iehren, auch ohne viele Zeit. 
Wenn nur der Lehrer aufrichtig ift — und 
dafür belohnt wird. Jch bin gewiß, daß wenn 
ihr im Technifchen eingeübt feid, ihr mit Ver— 
gniigen und Leichtigkeit arbeitet und dann erft 
den Vorteil von euren guten Anlagen in voll 
und reihlihem Maße ziehen Eönntet.“ Wollte 
der erfte Rat auf Orientierung an den Meiftern 
und auf Gefchmadsbildung hinaus, — wobei 
e3 doch gleich jehr auf die Schlüffe, die der 
Copierende 30g, anfam —, jo empfahl der 
zweite Nat als engeren Weg den Anfchluß 
an eine beftehende Malübung. Allein auch 
hier fegte das Herausfinden eines Lehrers 
Begriffe von den Aufgaben voraus; die felbit- 
gewonnenen, die Wilhelm hatte, jtießen hier 


') Joh. Kaspar Schneider, geb. zu Mainz 1753--1839, Hefl. Hofmaler, ift ein Bruder des Stephan 


thiirmers. 


j* 


4 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfchmit, de8 Weltercit 


fofort auf die Pedanterie des älteren Ge- 
fchleht8 und feiner Methoden. So hatte 
Schneider, obgleich Wilhelm mit großem Lern 
erfolg einen Rubens nad) Anmweifung des 
Lehrers braun in braun durdhftudiert, es 
durchaus nicht zulaffen wollen, daß er fi 
nunmehr mit der Delfarbe vertraut mache, 
fondern wollte diefe Tufch- und Sepiaübungen 
ins Unabfehbare fortfegen. Man vergipt zu 
leicht, daß all diefe Meifterchen nicht gerne 
ihre legten Geheimniffe herausgaben, bejonders 
wo fie eine Entthronung fiirchteten. — Anderer= 
feit3 war ein Mann wie Stieler allerdings 
ein aufrichtiger, freifinniger Lehrer, allein feine 
Palette war ein Necept von etiva zwei Dußend 
forgfältig vorbereiteten Mifchtönen, und der 
Auffaffung lag ein antifes Schema zu Grund, 
das überall gleich) in die Form hereinjprad). 

Nun befaß aber Lindenfchmit bis in jene 
Beit feiner erjten großen Fresfen fdjon eine 
angewandte tenntnis aus eigener Maljchulung, 
wie fie in einer Pferdftudie, feinem Göß, ein 
und dem anderen Figücchen, und auffallend 
gefund in feinem Selbjtporträt (dem in Hemd- 
ärmeln) vorliegt. Hier war Ton und Frifche 
und eine ganz in der individuellen Form reg= 
fame Farbe. Auch der Gig bot aus dem 
dargeftellten Gartenmwinfel heraus jenes Gefühl 
der weit= und hochher zuftrömenden Zuft- und 
Lichtwelt. Hiegu fchictte fich trefflich die ein= 
fache liebevollrealiftifche Durchbildung in feinen 
gezeichneten Bauernföpfen; ihre feeliiche Auf- 
faffung vief nad) folder Malerei. Und das 
war auf dem Weg, wie man aus der Aquarell= 
behandlung der Köpfe und Geftalten auf der 
„Heldengefolgichaft“ erfieht. Nicht feine Jdeen- 
welt an fic) war das Hindernis. 

Immerhin hatten fic) tm Jahre 1827 
diefe gefunden und wertvollen Elemente feiner 
Anlage, Anfchauung und bisherigen Praxis 
noc) nicht zur bemußten organifierenden Malerei 
fonftituiert; und doch Hatten fie eg gemußt, um 
in dem Gonträren der frembden wider{pruds- 
reichen Anfprüche und in den Gefahren des 
eigenften geiftigen Wablfeldes auf die Dauer 
nicht tief Schaden zu nehmen. ALS die An- 
ordnung der Kompofition zur Giengener 
Schlacht endgültig feitftand, Fam e8 nunmehr 
gegen Ende des Sommers zur Farben— 
ffizge"), die den Stand feines Könnens und 


', 53 cm breit, 43 cm Hod, in Delfarben. 








Meinens in der Malerei ziemlich überbliden 
läßt. „Man thut wohl, fogleih in etwas 
auf die Lichtwirfung zu denken“, jchreibt er, 
nämlich gleich beim Zeichnen fFleiner Umrif- 
ffigzen. Die fleine Bleiffigze im Giengener 
Sfizzenbud) nahm in der Tat fchon Bedacht 
auf Lichtwirfung, und fegte auch den Staub 
zwifchen Reiterheer und Berg an; leßteres 
fand fich auch auf dem endgültig durchgebildeten 
Umriß, welcher durch Nötheln auf die Lein- 
wand übertragen ward. Der Lichtgang, auf 
den die Kompofition von Haus aus mitver= 
anlagt war, verläuft nun in der Farbenffizze 
von linf3 nad) rechts, ift aber zugleid Ober 
licht, nach außen frei, nach innen jedoch durch 
die dunkle Bergmwand abgeftellt, darüber noch 
ein heller Himmelftreif. Die Figuren befommen 
aljo das Licht voll auf ihre Vorderfeite, Bruft 
und Kopf, und zum Teil auf die fichtbaren 
Ceitenflähen. €3 ift ruhiges, gleichzerteiltes 
Licht mit Haren Schatten; dafür forgt die 
den Sonnenfchein verlegende Hintergrundhöhe. 
Der dazwiichen auffteigende Staub hebt aber 
die Conturen wieder deutlich von feiner weichen 
Helligkeit ab. Nm übrigen gilt von diejer 
Oelſkizze, was Lindenfchmit in feiner Anleitung 
vorträgt: „Die Farbenfkigge muß in bezug 
auf Färbung und Lidtwirfung alles leiften 
oder wenigftens andeuten, was das Bild leiften 
foll, alles muß fich trennen, was fich trennen 
fol, alles muß zufammenhängen, was zus 
fammenhängen foll, fet e3 durd) Licht oder 
Schatten, durch fanfte oder jtarfe Farben. — 
Das Haupterfordernis ift jedoch, daß jedes 
Bild feinen eigenen Ton hat; jeder Gegen- 
ftand will entweder in düſterer Schwermut, 
wo die Farben gleichjam ängftlich daher- 
rauschen, oder in glühender dunkler Sraft 
oder in hellem Tagesglange oder in einem 
heimlichen und Zaren Dämmerlichte eigens 
gefärbt fein. Dies ijt der dichterifche Ge- 
danfe, der ein folorierteS und gemaltes Bild 
von einem illuminierten unterfdeidet und den 
Gegenstand mit Geift und Leben verherrlict.” 

Die Farbenffizze ift eigentlic) jdhon bild» 


mäßig durchgeführt; nur die Männerföpfe 


find teilmeife nur angelegt. Sie hat eine 
geichloffene Haltung. In den Halbfchatten= 
partien, die vom Rüden des Achilles herab 
und durch die am Boden liegenden, unterften 


Jugend und Bildungsgeit 5 


Geftiirzten hingiehen und hinter dem Herzog 
wieder auffteigen, herrfchen lauter ftille tiefere 
Töne; das Eifengrau= und blau der Panzer, 
das Goldichwarz und Silberfchwarz in den 
Pferdefirpern, da8 Moosgrün und Roftbraun 
der Waffenröde umrahmen die Bildmitte, ıwo 
dann das Licht von den lebhafteften Farben 
empfangen wird: das Gold in der gejunfenen 
und das in der mwehenden Fahne, die Gold- 
rüftung des Herzogs, den ein lichtblauer 
Mantel frifsh aus den Schatten hervor- 
Ichwingt, — diefes Gold Töjt den Bann der 
gedämpften Umgebung jehr fein und jeßt dann 
in feiner Mitte zwei verwandte, aber nod) 
freiere, leichtere und lichtere Farben, nämlid) 
den Goldfalben des Herzogs und den Rotrod 
des Ueberrannten ein. Go entfteht am rich- 
tigen Orte ein fachlicher, fraft- und Flang- 
voller Effekt; es durften hier etwa, um einer 
bloßen Fortjegung der Feinheit willen, feine 
ftummen Töne jtehen, denn der Dichterifche 
Gedanke fordert eben gerade den Widerftreit, 
— nidt in einander übergehende, jondern 
durch deutliche Wertintervalle fich heraus- 
fordernde Töne. Gleich daneben gleiten mit 
den Pferdefdpfen die feinen Scalen von Fahl, 
Fuchs-, Dunfel- und Schwarzbraun bis ing 
Stahlgrau der Rüftungen bildein. Auf der 
Höhe bildet die Kampffilhouette ein Gitter 
von graublauen und ähnlichen Lufttinen vor 
dem hellen Himmel, deren Härte draftifch und 
beabfichtigt ift. 

Die Technik ift ein fchönes, disfretes 
Email, in den Pangern und in den Körpern 
der Noffe, nicht fehr did, aber dedend auf- 
getragen. Die Köpfe der Ritter find zur Er- 
reichung des Ausdruds breit angelegt, nur 
der Herzog, der NRotrod, und der Achilles 
zeigen auch Schon Charakter. 


Sehr gut find die Fugen und mutigen 
Pferdeföpfe; Hier liegen offenbar befondere 
Studien zu Grund. 


Die Gefamthaltung de3 Tons gemabhnt 
an Gobelins: Grau bald in Blau, bald in 
Grün und Schwarz variiert webt fich überall 
durch, von Rechts her fpricht allerdings ein 
mwärmeres Braun und der gelblie Staub 
herein. Die Bilder jollten ja aufgehängte 
Teppiche darftellen und waren mit Franfen 
gejäumt. Der graue Ton hat zwar in dem 








Lichte etwas Trodenes, er trug aber gut auf 
die Fresfowirfung an. 

So hatte Wilhelm, als er Mitte Sep- 
tember 1827 in feine Ferien ging, dem Fresfo 
gut vorgearbeitet. Die Farbenffizze muk in 
Diefer Beit fertig geworden jein, weil der 
lebensgroße Karton, der im Januar 1828 be= 
gonnen werden follte, fie vorausfeßt. Nas 
mentlic die Pferdeftudien, deren NRejultat in 
Der Oelffizge feftliegt, wären in der fnappen 
Winterszeit nicht mehr Hereingubringen ge= 
wejen. 

M13 er von Johanna Kainprechter Ab 
fchied nahm, gab er ihr ein Stammbudchblatt, 
worauf er ein zweifaches Bildnis von fich 
gezeichnet. Darunter ift zu lefen: „Seßiges 
Porträt — Fünftiges Porträt — im Septem- 
ber 1827 — Ihres Freundes Wilhelm Linden 
fchmitt“; das fünftige war jein Schädel, und 
die Nüdjeite trug den Berg: 

„Was grinfeft du mir hohler Schädel her, 

Als daß dein Hirn wie meines einst ver- 
wirret 

Den lichten Tag gefucht und in der Däm- 
merung jchwer 

Mit Luft nad) Wahrheit jämmerlic) ge- 
irret.“ — 

Gin eigentiimliches Gefchent fiir eine junge 
Dame, — aber ein Verfprechen auf Leben und 
Tod. Nocd) immer war von feiner eigenen 
Familie Niemand als fein Bruder im Ber- 
trauen. Die Mutter mochte etwas ahnen; 
fie hatte einmal ein „Tafchenbuch“ gefchidt, 
worin die Gefchichte einer jungen Künftler- 
ehe — ohne Vermögen — erzählt war. Rlauz 
precht fchrieb dazu: „hr hättet wohl Tieber 
das Geld mit dem Porto dafür im Sad. 
Doc abrathen mochte ich eurer Mutter nicht, 
die Mahlerfrau fol euch rühren! — Filcher, 
da er vorne die undeutfchen, nicht zugededten 
Frauenbilder fah, rieth fogleich ab.“ 

Die Brüder reiften am 13. September 
nach Ulm, dann die Donau hinauf nach Ried- 
lingen, dem Geburtöort der alten Frau Rain 
prechter. Sie war die Tochter eines Sciff- 
bauers Stiegelmaier, defjen Arbeit auch weiter 
ftromab bi8 Donaumörth begehrt war. Wahr: 
fcheinlich Tieß fich Wilhelm hier ein Papier 
ausfertigen, das für die Heirat mit Hanni 
erforderlich war. Dann nahmen fie den Weg 
nad Nordoften in das Brenztal im fchwäbi- 


6 Hiftorienmaler Wilhelm indenfdmit, deS Welteren 


hen Jura, wo das Städtchen Giengen liegt. | 
Sie famen fo rajch nicht nad) Mainz, denn 
nod) im SOftober erkundigt fic) Klauprecht 
nad ihnen, aber gerade zur Weinlefe in 
Ludwig fehrte 


Weiffenau trafen fie ein. 


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in ehe ee. mer 


das Regiment von früher. Außerdem hatte 
fie jebt Heiratsvorjchläge für die Söhne. 
Wilhelm jedoch ging ganz in Porträt- 
malerei auf. Das war auch dem Vater lieb. 
Er räumte ihm gern das belle Bücherzimmer 





—— BFE 


‘aadb ut mci RE — — — Eh 


Johanna Rainpredter. 
Bleiftiftzeihnung, '/s der wirft. Größe. 
Um 1826. 


chon Anfang November wieder nad) München 
zurüd, Wilhelm blieb bis über Neujahr. 

E3 follte auf länger als ein Jahrzehnt 
das Tette Mal fein. Das Mainzer Leben 
bewegte fi) wie früher um fich; auch fein 
Schiejal hatte den Kreis der Yugehörigen 
und Nächten geftreift; die Mutter führte 
einen neuen Titel, Frau Nichmeifterin, und 


dazu ein, das mit feinen mohlgefüllten Ge- 
ftellen, auf denen einige Abgüffe antifer 
Köpfe prangten, einen gemütlichen, verwend- 
baren Hintergrund bot. Außer einigen ge- 
zeichneten Bildniffen, mworunter die Eltern, 
entjtanden etwa fechs Porträts in Del: das 
Bild einer Mainzer Dame, eines Hausfreuns 
des, dann der Schweiter Wilhelms, und be= 


Qugend und Bildungsgeit 


fonders das Bildnis des großherzogl. Geheim=- 
rat3 und Leibwundargtes Leydig. ALS die 
ganze Reihe fertig war, wurden die Kunit- 
freunde auf einen Sonntag zu einem Mittag- 
effen eingeladen, und alfo beftodjen vor die 
Bilder geführt. Der Hauptfenner, Herr Ar- 
beiter, „ergriff nach eingehender Befichtigung 
die Hand des Wilhelm; fein Lob war ftarf 
und ungeheuchelt, ev würde nicht nur, jon= 
dern fei fhon ein großer Meifter“. So be- 
richtete der Vater an Ludwig, und fügte Hinzu, 
das Bild des Leydig werde Wilhelms Ruf 
fiher gründen. „Porträtmalen macht be- 
liebt bei den Leuten, bringt Geld und auch 
andere Aufträge.” Er fah darin auch die 
befte Hebung; außerdem fühlte er fich felbit 
angeregt, taufchte feine Erfahrungen aus, be= 
fprach neue Gefchmadsrichtungen. Der Stand- 
punft des Alten war der einer mweltmänni- 
[chen PBädagogie, er äußerte fich gegen feinen 
Sohn Ludwig: „Was du von Düffeldorf und 
dem fdinen Rolorit in Porträt fagit, it 
allerdings wohl zu bedenken, denn ein ver= 
nünftig gewähltes lebhaftes Kolorit |pricht die 
Seele angenehm an; findet dann das Fritifche 
Auge vollends alles der jchönen Natur ge- 
mäß geordnet und an feinem Plage, fo ijt 
das Bergnügen der Seele um fo daurenter. 
Der Hauptzwed der jchönen Künfte ift und 
bleibt nicht nur allein Wahrheit, fondern 
auch hauptfächlich Vergnügen einer gebildeten 
Seele. Ich fage Wahrheit — das ijt der 
Natur gemäß gefchilderte Gegenftände ; — und 
in der Natur ift es ja gerade DdieB ange- 
nehme Farbenfpiel, nebjt den mandfaltigen 
Schattirungen, was uns in ihr fo fehr ge- 
fällt. Freilich ift, das richtig zu treffen, ge= 
wiß nur Wenigen gegeben; ich glaube aber, 
daß es doch fehr leichtfinnig ift, nicht mit 
vollem Ernft darnac) zu ftreben. — Warum 
follten die großen Meifter bei ihrem Talent 
dieß nicht haben erringen fünnen, — ich meine 
die, denen dieß angenehme Kolorit abgeht, — 
wenn fie den wahren Werth davon gefühlt 
hätten? Man wird darin wie in allem wirf- 








rs 
( 


lich gut Gerathenem in der Kunft, noch Das 
Gute und Nütliche finden, daß folche Werke 
rohen und gebildeten Menfchen auf den erften 
Blid gefallen. Sieh die großen Werfe an, 
fo wirft du das finden; ein Woumermann 
bat die trefflich benüßt.*“ Die Kunst ift ihn 
alfo nicht für die Runft, und nod) weniger 
nur für einen auserwählten Kreis da! Daz 
gegen lag ihm die Haltbarkeit und Dauer- 
haftigfeit der Arbeit am Herzen; er jorgt für 
gute Malmittel und weiß foftbare Farben für 
feine Söhne zu erwerben, 3. B. eine Portion 
Ultramarin;!) fie follen jich brüderlich darein 
teilen, aber niemand den Befiß merfen lajjen, 
— und er freut fich darauf, „wenn ihr wie- 
der was Tüchtige8 malt und auch da ein 
wenig fo {dine Farbe anbringt.“ 

Auch Ludwigs Zeichnungen aus Tirol 
erfahren daS Lob, daß Ddiefe Feljenwände 
denen des Everdingen glichen, der faft nie 
darin erreicht worden fei. Ludwig war fo 
früh nad) München gegangen, einmal wegen 
des Beginns der Vorlefungen, und fodann 
um Borbereitungen für den Karton zu treffen. 
Damit hing das Gejchäft zufammen, eine für 
die Arbeit paffende Wohnung zu juchen. Sie 
müffe nicht gerade Nordlicht haben, wenn nur 
da8 Hauptzimmer weit und tief genug fet, 
um der Sonne ausweichen zu fünnen. Das 
Gejuchte fand fic) in der St. Annagaffe, alfo 
nicht weit vom Hofgarten, was fiir Cornelius 
wegen der Rorrefturbefuche wichtig war. Bez 
vor nemlid) Cornelius feinen Rontraft mit 
dem Hofbauintendanten, Herrn v. Stlenze, betr. 
Ausihmüdung des Hofgartenganges mit al 
fresco Gemälden abjchloß (21. Febr. 1828), 
war fchon der Zustand eingetreten, daß die 
Akademie anderweitig durch ihre neuen Auf- 
gaben in Anspruch genommen war und einen 
Kaum für die Arbeiten an den großen Rarz 
tonen nicht ftellen konnte. Ein beabfichtigter 
Barafenbau unterblieb und fo hatte Cornelius 
im Ginn der Abmachungen zu handeln ge= 
glaubt, wenn er in dem fog. Kaufhaus, d. 5. 
in der die Läden enthaltenden Abteilung der 


ı) Im SKontraft gwifchen der f..b. Oofbauintendang und Prof. El. Zimmermann betr. Ausführung, 
der Loggiafresfen in der WU. Pinakothel, vom 26. Nov. 1827, find eine Reihe tehnifche Vorbereitungsarbeiten 
und gemifje Auslagen, fo die für teure Farben, Ultramarin und Kobalt, nod) eigens der f. Hofbauintendanz auf: 
erlegt. Die Summe von 45000 fl. war nur für die Kartone und die fünftlerifche Arbeit bein Malen jelber bejtimmt. 
©. 8.5. Kreisardjiv, Münden: Alten der Kgl. Regierung von Oberbayern, Kammer des Innern; Reg. VII. 


63. Nr. 1; Pinakothek, Nr. 47. 


5 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfdmit, bes Welteren 


Hofgartenarfaden, einen Raum vom Banfier 
v. Cichthal mietete. Doch fonnten Hier nicht 
alle Kartonzeichner bequem untergebracht wer= 
den. Daher fam e8, daß die Lindenfchmit 
ihren Karton zu Haufe zeichneten. Die Mei: 
nungsverjchiedenheit zwijchen dem Direktor 
der Wfademie und dem Hofbauintendanten, 
wer die Miete für das Lokal des Bazar und 
die Kojten für die Heizung, Beleuchtung, Be- 
dienung zu tragen Habe, 30g fic) noch bis 
ins Jahr 1832 hin. Cornelius fonnte die 
Auslagen nicht auf den Fond der WAfademie 
übernehmen, veil diefer durch machjende 
Schülerzahl, Modellgelder, einen zweiten Mo- 
dellfaal, Erweiterung der Wrchitefturfdule, 


und die endgültige Einrichtung eines Wales. 


gimmers, fowie durch die Veranftaltung der 
Kunftausftellungen aufgezehrt wurde. Er 
fonnte aber auch nicht zulaffen, daß diefe 
Rojten an der für die einzelnen Fresken d. h. 
für die Maler derfelben beftimmten Summe 
abgejeßt werde, zumal im Mai 1828 nod) 
zwei neue Bilder über den Querbogen, — e8 
find die jchönen Allegorien Raulbadhs —, 
zu dem früheren Anjchlag hingugefommen 
mwaren.!) Cornelius hat diefen Strauß für 
feine Schüler wie für die Afademie fchlieglic) 
gewonnen.?) 

Wilhelm erinnert feinen Bruder in einem 
Brief vom 28. November 1827 ganz furz an 
feine Mufträge: „Deine Gejchäfte als die Be- 
forgung des Kartons, der Mappen, des Xo- 
gies, die Befuche bei Cornelius, Stieler und 
Nulands wirft du wohl beforgt haben, und 
ich hoffe, dak du auch fchon eine Skizze zu 
unferer Schlacht unternommen haft.“ Dar: 
unter fann nicht gut eine durd) Ludwig aus- 
zuführende Farbenffizge gum Wrfadenfresfo 
gemeint gewejen fein, abgefehen davon, daß 
ev feine gemalt hat. Wilhelms Farbenifizze, 
nach der fi) dann das Fresfo bis ins ein 
zelne gerichtet hat, war fo ausführlich und 
liebevoll durchgebildet, daß fie nicht das Werk 
kurzer Beit neben dem drängenden Starton 
her fein fann. Folglich) ftand in diefer Bez 








ziehung jchon alles fir und fertig da. Wud 
bedurfte der Karton fie zu feiner Regelung. 
&3 wird alfo unter einer „Sfizze zu unferer 
Schlacht“ etwas anderes zu verjtehen fein 
und da bliebe nur der Gedanfe an Sendling offen. 

Wilhelm fam am 7. Januar 1828 mies 
der in München an; er war über Darmitadt 
gereift, „um fich zu lanciren“; dort fang die 
Demoifelle Sonntag die Donna Anna, „als 
ich mich dem Theater nahte, ergriff mic) das 
Vollsgemurmel und trug mich fchwebend bis 
auf den höchiten Blak auf das Paradieß“ ; 
dann war er in Worms mit einem Runft- 
händler, Artaria, und einem Gefchäftsmann, 
Memminger, gufammengetroffen. Sein Vater 
antwortete ihm am 23. Januar nad) Münz 
chen: „mir freuten uns alle jehr, daß du 
glüclich bei deinem Luppus angefommen bift; 
der wird fich auch recht herzlich gefreut haben; 
daß er dir am Thor entgegenfam durch den 
guten Heren Memminger unterrichtet, hat ung 
jehr ergögt. Der Herr Memminger war vors 
ber hier, der hiefige war mit ihm, fie hätten 
gern euere Zeichnungen gejehen.“ 

Wilhelms Name hatte in Mainz, Darmz 
ftadt, Heidelberg, Mannheim unter den Kunft- 
freunden und durch Kollegen, wie 3. B. den 
Heidelberger Maler Fries, fchon einen ge- 
wifjen Klang ; — gleich waren auch die Kunfts 
handler aufmerffam, die damals an den erz 
mwachenden Werfehrsorganifationen fic) auf- 
ranften und zwifchen den regen rheinijchen 
Städten und großen Plägen wie München 
noch unruhig bine und ber undulierten; dem 
„biefigen“ entiprad) immer ein ausmärtiger. 
Sp war auch das Speditionsgejchäft, das die 
gelegentlichen Sendungen der Lindenfchmit be= 
forgte, der Hofbanfier v. Eichthal aus den 
rheinifden Gegenden und griff unter der 
Hand in die Verhaltniffe der Kunft ein. Sein 
Bruder, der bayer. Finange und Regierungs- 
rat, der die Mufterverwaltung des Gutes 
Ebersberg eingerichtet hatte und die Ermwerbs=- 
und Berfehrsverhaltniffe in Stalien und Eng- 
land auf Reifen ftudierte, befreundete fich in 


1) ©. $. Hreisarhiv, Münden. Acta des f. StaatSminift. d. Innern XVIII fasc. 399. ,Oofgarten 


Arkaden ufm.“ 


*) Die eigentliche Zchde zwifchen Cornelius und Kenge hatte fhon eher, Ende 1827, eingefett, nämlich 
fiber die Loggiafresfen und betraf den alten Zwiſt zwifchen deforativen Stiinften und Bildwirfung. Unter 
diefem Gefihtspunft muß SKlengze’S Borgehen ciras billiger beurteilt werden, al8 c8 nad) dem bei Förjter, 


Cornelius I. S. 419 ff., Erzählten ausficht. 


Jugend und Bildungszeit 9 


Schottland mit dem Bater der hiltorifchen 
Romantif, dem Dichter und weltpraftifden 
Ginfiedler Walter Scott. Und W. Scott hat 
nad) deffen Tod und beim Herannaben feines 
eigenen Endes auf der Heimfehr von Italien 
noch im Frühjahr 1832 das Sendlinger Fresfo 
befichtigt und fein großes Jnterejje für die 
feinen Hochjchotten jo verwandte Weife be- 
fundet. Sn diefen Sreiß gehört jchlieglich der 
Notar (?) v. Deffauer, der fpätere Bejiger des 
Bades Kochel, welcher Lindenfchmit jchon vor 
dem GSendlinger Unternehmen fannte und ihn 
im Herbjt 1831 in Gachen des Patents fiir 
die Lithographie des Sendlinger Gemäldes 
mit feiner gejchäftlich juriftifchen Erfahrung 
beriet. Hier in diefen Anfnüpfungen, die aus 
dem bürgerlich-fommerziellen Aufbau feiner 
Heimat und zum guten Teil Gejchäfts: und 
Gefellfchaftsbeziehungen feines Baters ent- 
iprangen, hätte fic) ein gutes Ausfommen, 
eine rajche zeitliche Anerfennung und jpätere 
"Unabhängigkeit angebahnt. 

Immerhin ließen derartige Ausfichten, 
fowie aud) die Wnerfennung und der Ver- 
dienft aus feinen Mainzer Portrdten gerade 
jeßt das Beginnen, den eigenen Herd auf die 
eigene Ermwerböfraft allein zu gründen, leich- 
ter erjcheinen. 

Er fchreibt fpäter einmal: „Seit meinem 
zweiundzwanzigſten Jahre verdiene ich mein 
Brot.” Das bezieht fic) auf die nun bei der 
Kartonzeichnung einfegenden Ratengahlungen, 
welche Cornelius monatlich ordnete. Wuf den 
Maler jedes einzelnen hHijtorijden Fresfos 
entfielen etwa gegen eintaufend Gulden!) im 
ganzen. 

Der RKarton, in der Bildgröße, hatte eine 
Höhe von 2,26 Meter. Schorn gibt für die 
Fresken runde 8 Fuß Höhe und 10 Fuß 
Breite an. Die Uebertragung der fchon auf 
der Skizze forgfältig angeordneten Gemänder 
(und Fahnen) ins Lebensgroße ging nur mit 
Model. Ebenfo nahmen die fo Lebenswahr 
gegebenen Stellungen der Reiter und Gejtürz- 
ten jelbjt eine bedeutende Yeit in Anjpruch, 





befonder8, wenn man bedenft, daß der fünjt- 
ler feine Geftalten vom Skelett aus durd)- 
fomponierte. Die Köpfe waren eine Aufgabe 
für fih, und es fommen minbdeften8 die der 
drei vorderen Reiter, drei Geftiirgte, und 
Albrecht für volle Porträt» und Charafter- 
wirfung in Betradt. Die Größe der Bilder 
und ihre Nähe forderte die Durchbildung der 
Einzelheit; und hier trat auch bri weniger 
gelungenen Rompojitionen oft ein naiver und 
frifcher Reiz hervor. Später murden Ddiefe 
Kartone von ihren Künftleen an bayerijche 
Städte, unbefannt an welche, geichentt. 

Diefe Arbeit erjtredte fich biß in den 
Suni 1828 und wurde nur wenig unter- 
brochen. Dagegen jah er fic) vor eine bez 
deutfame Entjcheidung geftellt. Aus Nom 
ergingen Einladungen. Der Maler Simmler 
und der Diafon Lennig, zwei Mainzer, wünfch- 
ten ihn recht bald dort zu haben; fie feien 
gut eingeführt und wollten ihm in allem zur 
Hand gehen. Außerdem ließ ihn fein Freund 
Krafft grüßen und ihm mitteilen, ex fühle 
fi) fo franf, daß er nicht mehr aus Italien 
fommen werde. Qn Mainz verabredeten 
mehrere wohlhabende Bürger, den beiden 
Zindenjchmit einen längeren italienischen Auf- 
enthalt durch ein Stipendium zu ermöglichen. 
Diejer vorteilhafte Vorjdhlag wurde aud) in 
einem der näcjjten Jahre wiederholt. €8 ift 
klar, daß Wilhelm fich beim Publifum, das 
nicht höher jchwor ald Rom, ein ganz ans 
deres Relief fon durch den bloßen Aufent- 
halt dort gegeben hätte, und ebenfo hätte e3 
ihm nach oben bin, in Cornelius’ Kreifen 
und auch beim König, die eigentlichen Weihen 
und eine Art Selbftändigfeit verfchafft. Wäre 
Wilhelm Lindenjchmit jolchen Erwägungen zu= 
gänglich gewejen, jo hätte auch jein Heirats- 
plan fich ihnen ein= und unterzuordnen ges 
mußt. Das war e8 jedoch nicht, was ihn 
abbielt, alg im Herbjt mit der Beendigung 
des Arfadenfresfos die Bahn fret wurde. 
Aber die Heberzeugung auf eigenem Boden 
feinen Lebensplan aufbauen zu follen, war 


1) Siehe die Alten im F. Kreisarhiv, Münden. — Nad) Eornelius’ Berechnung entfielen von den 24000 fl. 
der Gejamtfumme 4800 ff. fiir Den Untrager der Gründe, Farben, Modelle ufw. Die übrigen 19000 fl. zerfielen 
urfpriinglid) in 16 gleiche Zeile, zu je 1200 fl. für je eines der 16 Hiftorienfresten eingerechnet den Betrag für 
die Dedenarabesfen und die gegenüberliegenden Allegorien an den Pfeilern und in den Bwideln; und davon 


nod) ab der Betrag für die zwei großen Torbogenbilder. 


einzelne Hijtorienbild. 
TMIU?2 


So find 1000 fl. wohl zu hod gegriffen für das 


2 


10 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfdmit, des Welteren 


zur ftarfen Flamme aufgefchlagen. Sie gebot 
ihm, feine Arbeit nicht nur dem Namen der 
Heimat gu weihen, fondern die gejtaltenden 
Elemente al8 das foftbarfte Cigentum einer 
echten Kunft diefem Boden zu entnehmen und 
eindrudsvoll Hinzuftellen. 

G3 war der Entfhluß, mit dem Send» 
linger Gemälde für das Gedeihen und die 
Bufunft feines Gewerbes, dem er Geift und 
Leben anvertraute, mit dem vollen Maße un- 
verbogener Befähigung einzutreten. Seine 
Begeifterung wuch3 in der Ausführung des 
Urfadenfresfos, wo er die Schönheiten diejer 
Technik fennen und die Vorteile, die fie einer 
großaufgefaßten Kunft bietet, fchäßen lernte. 

&3 wurde deshalb alles darangejegt, in 
diefem Sommer das Arfadenmwerf zu bemäl- 
tigen. Bon den Transparententwürfen für 
die Dürerfeier, woran er gedacht und woran 
fi) eine große Zahl feiner Mitjchüler betei- 
ligt Hatte, ftand er nun ab; er reifte zu den 
Feittagen des 6. und 7. April allerdings nad) 
Nürnberg, fo etwas verfdumte er nicht leicht. 
Auch galt die Feier zugleich der Aufrichtung 
und Verbreitung einer größeren Kunfttätigfeit 
in Deutfchland und fo findet fic) fein Mame 
aud) unter der GStiftungsurfunde des dort 
befchloffenen deutjchen Künftler-Bereins.') 

Am 15. Juni begann er das Fresfo; e8 
mar die Zeit, wo er feine Verlobung befannt 
gab. An diefem Tage jah Hanni noch den 
fertigen Karton in dem Arbeitszimmer der 
St. Annagaffe, der dann in die Arkaden ge- 
Ichafft wurde.) Wilhelm hatte das große 
Bimmer, wo der Karton entjtand, noch für 
furze Seit beibehalten, obwohl er fchon zum 
Maler Quaglio in die Burggaffe umgezogen 
war. Man rechnete nämlich damit, mit der 
zweiten Abteilung der Arkadenfresfen etwas 
früher beginnen zu fönnen. Da aber die 
dichtbelaubten Kaftanien an diefer Stelle den 
verfchalten Raum fehr verdunfelten, war um 
die Erlaubnis, einige Zweige entblättern zu 
dürfen, eingegeben worden. Als fie nicht er= 
langt werden fonnte, mußten erjt die Yenjter 
vergrößert werden. 

8 wurde dann ohne Unterbredung an 
dem Fresfo gemalt und dank der Mitwirkung 
feines Bruders jtellte Wilhelm das Bild in 








dem Beitraume vom 15. Juni biß gegen Ende 
de8 Septembers 1828 fertig. Gleich darauf 
trat er eine Reife an. Yn Schorns Aunft= 
blatt, vom 1. Januar 1829, Ir. 1 wird eine 
Ueberficht über den Stand der Malereien in 
den Arkaden gegeben; die Angaben beziehen 
fi natürlich auf den Herbft 1828, meil ja 
im Winter der Dunfelheit und des Froftes 
wegen nicht weitergearbeitet werden fonnte. 

G8 werden die Titel der Bilder nebft 
furzer Erläuterung der Reihe nach gebracht, 
die Namen der Maler genannt und dann der 
Grad der Fertigitelung furz Hinzugefügt. 
Danad) war Fresfo 

1. (Förster) fchon vollendet. 

. (Zimmermann) fchon vollendet. 

. (Rödel) unvollendet. 

. (Stürmer) fertig. 

. (Hermann) wird eben gemalt. 

. (Stilfen) gemalt. 

. (Hiltenfperger) unvollendet. 

. Schladht bei Giengen. Gemalt von den 
Gebrüdern Lindenjchmitt. 

9. Gemalt von Schilgen und Vols. 

10. Wird erft im nächften Sommer gemalt. 

11. (Eberle) noch unvollendet. 

12. Gemalt von Stürmer. 

13. 14. (Belgrad. Akademie) werden erjt 
gemalt. 

15. Monten (Arcis sur Aube) ijt ge- 
malt. 

16. (Berfaffungsurfunde) wird erjt gemalt. 

E3 ift alfo jedesmal gefagt, was „erit 
gemalt wird“; das andere ift gemalt. Troß- 
dem war an Lindenfdmits Fresfo der untere 
Rand mit den Goldfranfen noch ungemalt. 
Sie find im folgenden Sommer nachgeholt 
worden. 

Mitte Juni 1829, alfo ein Jahr nachdem 
Lindenfchmit an das Arkadenfresfo gefdritten 
war, und gerade in den Tagen als er den 
Karton für das Sendlinger Bild feftitellte, ift 
ihm fein erfter Sohn, Wilhelm Ludwig, ge- 
boren worden, — derfelbe, der im Sommer 
1885 nad) Ginholung der Allerhöchiten Er= 
laubnis dem Arkadengemälde feinen heutigen 
ichönen und reifen Anblid verlieh und der im 
Suni 1895, als er die Wiederherftellung des 
Sendlinger Heldenbildes jchon begonnen hatte, 


ot me Cw PO 


axa oe 


') Sörfter, Cornelius I, S. 488 ff. Wtenftite Nr. XIII. 
») Nach einer Mitteilung und Aufihreibung meines Vaters, Prof. W. v. Lindenfchmit. 


Jugend und Bildungszeit 11 


geftorben ift. Das zweite Entjtehungsjahr des 
Sendlinger Bildes it das Geburtsjahr feiner 
Tochter Walburgis; bald nach der Enthül- 
lungsfeier des Bildes 1831 fam feine zmeite 
Tochter zur Welt, die von Cornelius’ Schwe- 
fter Jofepha aus der Taufe gehoben worden 


zu erwarten hatte. Die Mutter hatte daheim 
eine reiche VBerforgung bereit, und hat es ihm 
nur fchwer verziehen, daß er auch hierin fic 
felber und dem Leben gefolgt war. Eine 
lieben8wiirdige Mtaingerin war auserfehen und 
diefe hatte, offenbar unter der mütterlichen 





Wulgufte Rainpredier 7 1828. 
Bleiftiftzeihnungs'/s wirkl. Größe. 
Um 1826. 


ift. Cornelius’ Schwefter bewies ihm große 
Sreundfchaft in fehmwieriger Beit, mozu auch 
ihre Anmwefenheit in der Frauenkirche gehört, 
als dort das blühende junge Paar getraut 
wurde. Wilhelm war erft 22 Jahre alt, und 
feine Eltern erhoben Ginfpruch gegen diejes 
Wagnis, weil er von feiner Seite Vermögen 


Leitung, mit Geift und fluger Gefchmeidig- 
feit ihn zu tröften unternommen, als er nod) 
an der Neigung zur Frau von N. franfte. 
Allein gerade vor diefer zu früh bemuttern- 
den Klugheit der Schönen jcheute er. Als er 
die Hanni erwählte, waren e3 die entgegen- 
gejegten Eigenfchaften, reine Lebenskraft, ein 
2% 


12 Hiltorienmaler Wilhelm Lindenfhmit, des Welteren 


ftarfer Mut, ein gutartiger Leichtfinn, der 
humoriftifch beanlagt war, aber auch zu tro= 
gen verstand. Jene merkwürdige Stamm 
blatt mit den „zufünftigen Porträt“ nahm 
fie gewiß mit Weinen und mit Lachen auf. 
Ein jähes Ende hatte ihn kurz vorher einem 
Freunde, der fehr an ihm gehangen, mit dem 
er fi überworfen hatte, wieder zugeführt. 
„Sein Name war Birgelmann. Er ftarb in 
meinen Armen.“ Der Tod, der auch andere 
feiner Freunde damals megraffte und Krufft 
in Rom, den Weder feiner Pläne, fchon zeich- 
nete, riß die legten Traummeben mit fich, die 
in ber Qugend, wo ein Augenblick entjcheidet, 
eine Ewigfeit hinmalen. „Denn des Lebens 
Schattenwurf entfliehft — weit hinaus und 
fült fchon dein Gebiet? — Flingt es fpäter 
aug einem von feinen Gedanfengedichten. 
Eine Ungeduld, da8 Leben zu niiken, die 
gerade die edelften Menjchen manchmal wahr 
haft peinigt, trieb ihn zu feinem Liebesbund 
und zu feinem Werf. 

So befunden die Refte eines Sftgzenz 
buds vom Gerbft 1828, daß er fich wenig- 
ften8 im lUmfreife der Sendlinger Aufgabe 
bewegte und in Virol, wo die Erinnerungen 
und Zeichen des Bolfskrieges von 1809 nod) 
fo frifch waren, nach fprechenden Zügen 
fuchte. Er verließ München am 30. Septem- 
ber, oder einen Tag früher. Am 7. Oftober 
zeichnete er von der Straße bei Seefeld eine 
Ausficht und traf in Innsbrud ein. Sn der 
Bmifchenzeit war er in Kochel gemefen. 

E3 ift nichts darüber befannt, ob er 
außerdem noch einmal Kochel aufgefucht hat. 
Die einzige Möglichkeit bite der Zeitraum 
vom 4. Mai bis zum 5. Juli 1829, wo die 
Aufenthaltseinträge des BivilftandSsregifters 
eine Qiice lafjfen, ohne jedoc) wie fonft eine 
Abmeldung zu buchen. Gegen einen irgend- 
wie längeren Zandaufenthalt im Frühlommer 
1829 jprechen aber manche andere Gründe. 

Somit ift der Herbit 1828 mwahrjcheinlich 
die lebte Gelegenheit, wo er jenen Socheler 
Bauern gezeichnet haben fann. Daß er in 
Kochel wirklich folche Leute, die er alsdann 








in feinem Schlachtgemälde, fpez. bei der Haupt- 
figur verwertete, gezeichnet hat, beruht in diefer 
Allgemeinheit auf der Mitteilung, bezm. ftet3 
gehegten Meinung feines Sohnes, des Afade- 
mieprofejlor3 W. v. Lindenfchmit. 

Ih fann nur die Annahme machen, 
daß e3 fich um die nämliche Perfon wie in 
dem Briefe der Frau v. Deffauer (bei Sepp, 
Der bayer. Bauernfrieg, S. 360) handelt. 
Die Eingangs des Briefe geltend gemachten 
freundichaftlichen Beziehungen zmwifchen Defl- 
auer8 und dem Maler des Sendlinger Bildes 
haben wirklich beftanden. Auch mein Vater 
erneuerte die Befanntfchaft, als er im Sommer 
1863 nad) zwanzigjähriger Abmwefenheit wieder 
nah München überfiedelte und den erjten 
Landaufenthalt in Kochel nahm. Damals 
machte er mich auf das fleine bretterverjchalte 
Haus am nördlichen Eingang des Dorfes 
aufmerffam; ich hielt e8 feitdem, ohne dap 
mir font Jemand von allen damit zufammen= 
hängenden Dingen je gefprochen, für die Heimat 
des ‚Schmieds von Rochel‘, fühlte mich aber 
beim fpäteren WVorbeimandern mehr an die 
bewegte Art als an die einzelnen Worte der 
furzen Mitteilung erinnert. Diefes Häuschen 
meint Frau v. Deffauer mit den Schlußmworten 
ihres Briefe8 von 1882: „Am Eingang des 
Dorfes fteht die alte Werfftätte noch, nur 
das Wohnhaus daneben wurde abgebrochen.“ 
Borher erzählt fie von den Meierifchen Nach- 
fommen, die auf dem „Bollbauer“ Leben. 
Nach) dem Kocheler Tauf- und Sterbebuch war 
auf dem Zollbauer der am 11. Juli 1794 
zu Rodel als Sohn des Willibald Mayr 
geborene Michael Manr;!) er hatte am 
25. Februar 1828 geheiratet, und jtarb am 
10. Dezember 1869. Ym Herbfte 1828 ftand 
Michael Mayr im 35. Lebensjahre; auf 
jdmtlichen Bildffiazen der Jahre 1829 und 
1830 bejitt der Held die Züge eines mittleren 
Dreißigerd. Das Todesdatum des M. Mayr 
ftimmt ungefähr mit der Angabe des Briefes 
der Frau v. D., daß das Modell des Künitlers 
vor 10 Jahren verftorber fei, da die bis zum 
Briefdatum (1882) verftrichene Zeit wohl nur 


!) Der Screibung des Familiennameng Mayr im Kirdhenbud) fdliebt fich 1832 Grubers ,Balteh 
Mayr“ an. Makmann 1830 weicht mit „Balthafar Meyr“ ab und ftimmt mit dem Zettel (unbekannter Hand, 
f. unten). — ®. 2£., in deffen Nachlaß fich der Zettel fand, ift mit jeiner Schreibung „Baltafar Maier“ davon 
unabhängig (auf ©. 16 des Sendlinger Büchels, 1831) und hat aud) auf der 1829 anjgujegenden Lifte ,B. Mater’, 
aljo aus dem Gehör. Frau v. Deffauer, feit 1835 in Rodel, fcreibt ,Walthes Meier.“ 


Jugend und Bildungszeit 13 


nad) Erinnerung eingefchägt ift. Anjtoß er- 
regt jedoch, daß fie fchreibt: „Der vor 10 Jahren 
verstorbene Balthes Meier hat dem Künitler 
Lindenjchmitt als Modell gedient.“ Diefer Name 
Balthes liebe fich als ein Zuname, den gerade ein 
Modell ohne fein Zutun oder felbft zunächft ohne 
fein Wiffen nachträglich aus den Umjtänden 
befommen fonnte, verjtehen. E83 wäre dag- 
felbe, wie wenn die Oberammergauer Baflions- 
ipieler furzweg mit dem Namen der von ihnen 
dargeftellten heiligen Perjonen benannt werden. 
Denn obgleich Frau v. D. nicht jagt, dak ihr 
B. Meier der Bauer auf dem Zollbauer ge= 
wefen fei, fo findet fic) um die erwähnte Zeit 
doc überhaupt fein Balthajar Mayr in den 
Rocheler Kirchenbüchern, wie mir Herr Pfarrer 
%. Hartmann gütigft mitteilt. 

Wie fam nun 1828 Lindenfchmit dazu, 
diefen Bauern zu zeichnen, da ihm doch wahr- 
jcheinlich damals noch gar nichts über die 
Beteiligung eines Vorfahren diejes Meier an 
der Schlacht zu Ohren gefommen war? Leb- 
teres finnte man nur annehmen, wenn feft- 
ftiinde, Dak Mtabmann feine ,,Ueberlieferung” 
über jeinen Balthafar Meyr in der Tat fchon 
auf jenen früheren Ausflügen mit Neureuther 
und Fellner aufgetrieben habe, auf denen die 
Lindenfchmit jcheints wirklich) dabei waren. 
Das fteht alfo dahin. 

Die Urjache, warum Lindenfchmit auf 
jenen Bauern aufmerffam wurde, als er ihm 
wohl ganz zufällig begegnete, liegt wo ans 
ders. Wilhelms Raffen- und Typenforfchun- 
gen, die fich durch fein ganzes Leben durch- 
ziehen und jene Anfichten ftiiken, die er in 
den „NRätjeln der VBormwelt“ über die Herkunft 
und den Kern der weißen Menjchheit fchon 
(1846') niederlegte, Liegen ihn auf allen 
Reifen auf den Menfchenfchlag acht geben. 
Sreilich hat er in diefen und den früheren 
Jahren nur zum Behufe fünftlerifcher Hebung 
oder mit der Beitimmung zu einem Porträt 
oder für ein Bild oder meil ihn die Schön- 
heit und die Eigenart eines Menjchen feifelte, 
feinen Gegenstand gewählt. Allein die Raijen- 
beobadhtung jtrich immer nebenher. Hatte er 
einmal irgendwo einen Typus aufgegriffen 


| 


und hingeftellt, fo intereffierte ihn jelbitver- 
ftändlich gerade eine Leis abweichende Aehn- 
lichkeit, die ihm irgendwo ander in die 
Hände lief. 

Und fo muß es in diefem Falle zugegangen 
fein. Auf der Wildalm in Steiermark hat er 
im Sommer 1825 jenen ©. 62, (3.4. Heft 1906) 
abgebildeten Holzfnecht gezeichnet. Diefer it 
im Typus jeines im Sendlinger Fresfo dar- 
geftellten B. Maier. Hiezu fommt, daß auf 
einem lojen Blatte zwei etwas von einander 
und von jenem Holzfnechte abweichende, aber 
nahverwandte Bauernföpfe ffizziert find. Die- 
jes Blatt trägt außerdem 1. den erjten, etwa 
1829 entjtandenen Gedanken zum „Mufruf der 
Cherusfer durch Armin“, 2. am Mande unter 
den Köpfen ein fleines Verzeichnis, welches 
in Zahlen Mae für eine Anzahl Fie 
guren anmeilt, deren lebte als „B. Maier“ 
benannt ift, und 3. ift auf der Nüdjeite die 
Stellung des B. Maier mit Fahne und Kolben 
probiert. 

Folgerungen für die Chronologie der ver= 
fchiedenen Entwürfe zu einem Gendlinger- 
Schlaht-Gemälde machen es mwahrjcheinlich, 
dak die Anwendung diejes Typus als Haupt- 
figur der Kompofition nicht von Anfang an 
beabfichtigt war. Andererfeits fteht feit, daß 
Lindenfchmit im Juli 1829 fchon entfchlofjen 
war ein Fresfo zu malen, und den Karton 
damals wahrjcheinlich Schon vorbereitet hatte, 
der ich auf diefe Gejtalt aufbaut. Andere 
Feftftellungen, fo die Befichtigung der Ber- 
löbnistafel in Egern und ähnlicher Denkmäler, 
find entweder im Sommer 1827 oder wahr- 
jcheinlicher im (Frühjahr? oder) Herbit 1829 
gemacht worden. 

Denn die Herbitreife von 1828 bietet daz 
für feinen rechten Raum. Wilhelm über: 
fchritt nämlich damal3 den Brenner und am 
10. Oftober den SJauffen; auf dem Sand 
ftellte er feft, daß zwei Fahnen, die am 
9. April Anno 1809 im Sterjinger Moos er= 
beutet waren, feine bayerifchen feien und daß 
ji auch unter den älteren feine befänden. 
Er notierte fich die unbeholfene, rührende In= 
Ichrift der Sandfcheibe, „te hängt über des 


1) „Die Räthsel der Vorwelt oder Sind die Deutschen eingewandert?“ Mainz 1846. Seifert’sche 
Buchhandlung. — Das Bud ijt alfo vor Gobineau erfdienen und aud) gang unabhängig von Ddeffer 


myſtiſcher Philoſophie. 


14 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfhmit, des Welteren 


Kriegerd ehemaligem Schlafgemad’. Jene 
Verſe auf Hofer jchrieb er damals nieder. 
Weiter alg Obermais fam er nicht. Er fehrte 
fehr rafch wieder denfelben Weg zurüd. Auf 
der Bride gu St. Leonhard war ein Pa3- 
quill auf ihn und feine Begleiter angeheftet: 
„Wir haben nicht der Weil — wir miiffen auf den 
Sand —“, weil fie damal3 fo geeilt hatten. Wm 
26, fpateftens Ende Oftober war er wieder 
in München, in jeinem jungen Hausitand. 

Freiherr von Hormayr jiedelte im Herbit 
1828 nah München über und übernahm als 
wirklicher Geheimrat nad) des Königs Willen 
auch die publiziftifche Vertretung feiner Kunit= 
politif. Hormayr ift aber erjt im Herbit 1829 
mit Lindenfchmit perfinlich befannt geworden; 
in einem Brief vom 26. September 1845 ver- 
ficert er Lindenfchmit feiner ,feit jechzehn 
Jahren dankverpflichteten Hohadhtung“. Bor 
Hormayr war Minifterialrat Eduard v. Schenk 
durch feine Stellung mit den Künftlern in 
naher Berührung. Sein „Belifar“ mar jeit 
dem Dürerfefte viel aufgeführt worden. Bon 
einer andern Dichtung „die Krone von Eypern“ 
hat er im Frühjahr 1832 eine eigenhändig ge= 
jchriebene Szene Wilhelm zum Andenfen ge- 
geben. Eduard v. Schenk wurde Ende Auguft 
1828 Minifter des Innern. Er fcheint e3 
gemwefen zu fein, welcher dem jungen Künftler 
bei jeinem gemwagten Unternehmen den Rüden 
ftarfte. 

VI. Das Sendlinger Bild, 1829 
bis 1831. 

Im Winter 1828 auf 1829 find mei 

Arbeiten, die Schlacht bei Sempad, (Winfel- 





ried) und Armin die Cherusfer gegen Barus 
aufrufend, begonnen und durd) den Genbd- 
linger Plan jedoch über mehrere Jahre ver- 
fchoben worden. 

Die Sendlinger Schlacht follte zuerit als 
Delbild gemalt werden. Der in der Anord- 
nung fertige Entwurf dazu befindet fich auf 
einem Bogen, auf dejfen Rüdfeite die „Wal- 
balla“ als ausgeführte Zeichnung begonnen, 
aber unvollendet gelaffen ift. Sie war zuerjt 
da, und wurde dann mit geröteltem Paus- 
papier überflebt, damit der Entwurf der ans 
deren Seite auf die Leinwand übertragen 
werden fonnte. Es ift hier ein Abjpringen 
aus dem ehemaligen Walhallagefüge deutlich. 


Der Schlachtentwurf ift 75 cm breit und 
54cm hoch, aljo Breitjormat. Wn eine Gloz 
rie oder fonft eine Entiwidelung in der Hobe 
ift nicht gedacht. Dagegen ift links im Hinter- 
grund die Kirche fichtbar. 

Es war eine rein realiftifd) gemeinte 
Kampfizene, recht3 die Reiter, linfs die Bauern, 
beide in ähnlichen Gruppen wie auf dem 
Fresfo. Aber zmwifchen die Reiter ijt ein Vor- 
fämpfer gejtürmt, der den hölzernen Sturm= 
folben') mit beiden Armen führt. Sein Gee 
ficht ift dadurch bis an die Augen verdedt. 
Seine Haltung, fonjt der im Fresfo ähnlich, 
ift nicht abfichtlich betont, er ift nur von 
feinen Sameraden abgefommen, die fic) gegen 
die vordere Reihe der Reiter wehren. Hier 
it der Fahnenträger, eine Profilfigur; er 
führt in der Rechten den Stahlfolben, den 
auf dem Fresfo der Schmied führt. Diefe 
ganze SKampfizene, faft doppelt jo breit ent= 


') In dem Entwurf gewahrt man drei hölzerne Stolben, mit beiden Armen zu führen, (Vorfämpfer 


tehts, Erfchlagener linf® vorne, Kämpfender linfS im Hintergrund), und den leichten Stahlfolben für einen 
Arm (Fahnenträger). — „Eurieufer Verlauf‘ S. 14: vor Wajfferburg „ein Wirth ware . . todt geblieben, er 
hatte unter feiner Armatur einen neuen Morgenjtern geführt.“ Gebrauch und gar Neufertigung der veralteten 
Waffe war aufgefallen. Ein Stih in Imhof „Neu eröffn. Hiftor. Bilder Saal“ 6. Teil S. 29 ftellt die Schladht 
bei Aydenbad) dar; dort find zwei Mtorgenfterne gu fehen. Er hat diefe Stellen fdwerlid) gefannt; nod 
weniger die Angaben aus der „Ueberjiht der von dem Stlojter Benediltbeuren für das allgem. Landes-Defen= 
fionsmefen im jpan. Erbfolgefriege aufgebotenen Unterthanen u. |. w.“, melde Moramigfyg im Oberbayer. 
Archiv 16. Bd. 1856—57 aus unbenügten Schriften im f. Neihsardiv veröffentlihte. Dort heikt es S. 320 
nad Aufzählung der XV. Gorporalfchaft: „Dann find aud alle Knecht und die noch übrigen vorhandenen wehr— 
haften Zeut mit Sturmfolben und Segefen verfehen, deren beyläufig 200 find“ und S. 323. „Summa Summarum 
der ganzen Mannjhaft ohne denen Anechten u. a. wehrhaften Leuten fo zu den Sturm-stolben und Senfen 
verordnet: 521 Mann.“ Das Koceler Aufgebot ijt möglichermweife (nad) K. v. Wallmenich, Der Oberländer 
Aufitand 1705, S. 152. Anm. 2, dejjen einer Grund, die gegen Tirol zu befegenden Pojtierungen, aber nod 
mehr die Tegernjeer hätte abhalten müjjen,) gar nicht vor München erfchienen ; dagegen gerieten von der ver: 
gejlenen Waffe gleich ganze vier Stüd in Lindenfchmits eriten Entwurf, und da fogar die von ifm forgfältig 
beachtete Egerer Tafel feine kennt, fo dürften eben Kocheler Kolben, beziehentlih ihr verworrener Nadllang 
den Weg in die Sage und bann ins Bild gefunden haben. 


Jugend und Bildungszeit 15 


widelt al3 auf dem Fresfo, ift in den Mittel- 
grund gefchoben; den Vordergrund bededen 
die Gefallenen, jchwere große Körper. Die 
Gruppe linf3 und der Jüngling rechts ift faſt 
ganz fo wie auf dem Fresfo. In der Mitte 
liegen andere Gefallene. Bon ihnen allen ift 
der VBorfämpfer, rechts im Mittelgrund, durch 
ein geftürztes Pferd gefchieden, das fo nocd 
in den fpäteiten Skizzen figuriert und ihn 
ganz außer Beziehung zu den fpäter foge- 
nannten Söhnen hält. 

Das Alles gibt in feiner Tiefe und Breite 
mehr das Bild eines Schlahtfeldes, als 





edlem Eifer, wallten mit ihm auf dem blut- 
gedüngten Schlachtfeld; der verjtorbene Land- 
tichter Steyrer in der Vorftadt Au zeigte die 
mwärmfte Teilnahme“ fchreibt Hormayr in den 
Bayerifchen Blättern 1832, Nr. 23. 

In einem Brief Wilhelms an feinen 
Schwager, den Gemeindebevollmadtigten Dr. 
meiner, etwa vom Jahre 1838, find außer- 
dem Cornelius und der fgl. Stallmeifter W. 
v. Freyberg begeichnet, welche die Aufmun= 
terungen, die der Biirgermeifter bei folchen 
Gelegenheiten ausjprach, mitangehört haben. 

Die wenigen Nachrichten über den Her- 





Entwurf zum geplanten Delgemälde, datftelend die Sendlinger Schladht. 
Federgzeihnung, '/ss der wirfl, Gröfie. 


auf dem Fresfo, und auch die Stellung der 
Kirche in einiger Entfernung lints meift dar- 
auf hin, daß der Künftler die Szene aufer- 
halb oder zmwifchen den nördlichen Höfen des 
Dorfes anfeßt. Er hatte aljo damals fchon 
die Nachrichten, welche die Sendlinger Baus 
ern hauptfächlich nach den Erinnerungen des 
Stnechtes Polaf zu geben mußten, eingezogen. 

„Der Münchener Bürgermeijter Klar und 
Profeſſor Gärtner beftärkten Lindenfchmit mit 





gang bei Sendling, welche noch erfahren wer- 
den konnten, find auf Seite 15 von Linden 
Ihmit8 „Gefchichte der Sendlinger Schlacht“ 
verwertet. Wilhelm fchrieb den Namen des 
Knechtes mit f, alfo Polak); auch die.Bay. 
Blätter (1832) bringen Polad. Die Reiter 
ritten darnach bei Thalfirchen auf die Höhe, 
umgingen das Dorf und bedrohten die Bauz 
ern im Rüden. Lindenfchmit hatte nur von 
Reitern gehört, und macht felbit den Schluß: 


') Das E wurde in I verlefen, daher erfcheint im Drud Polal (S.15), d’ Olfort jt. d’Offort (S. 18). 
bezahlte ft. bepadte (S. 12). Auherdem fchrieb W. L. Lanze, im Drud Lange (S. 12), und Eraiburg, im Drud 
Xreuburg (S. 10). Hormayr hielt fid im ,Lajdenbud) 1835“ an das ihm vorliegende Schriften Lindenfamits 
mit den Drudfehlern, der ridjtige Polat war ifm entfallen. 





16 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfdmit, des Welteren 


„Die andern müffen an der Therefienwiefe | „hinter dem Dorf“, alfo Weiten und Norden, 
heraufgeritten fein”. Der Knecht, der fich in wo auch der Hauptgrundbefig, das Oberfeld 
einem Häuschen beim Wngerbauernhof ver- | liegt.) 

ftedt hatte, hörte von da aus, was fid) drüben Eine Abfchrift des Pfarrberichtes von 


in und hinter dem bl. Geifthof abfpielte, wo | 1705 wurde durch den Herrn Pfarrer von 
die Hauptmafje der Bauern fiel. | Mitterfendling, Thomas Graf, an Linden 
Diefe dürftigen Ermittelungen über das | Schmit übermittelt, im April 1830. 
Dertliche, die Umzingelung und den legten blu— Man fieht, daß der Künftler, wo er felber 
tigen Aft, ftimmen mit der überzeugenden Dar- forjchte, Richtiges und Tatfächliches zu ent- 
ftelung überein, welche Herr Oberft RK. von deden verftand. Das fann nicht wundern, 
Wallmenich') neuerdings gegeben hat. Auch wenn man die fcharffinnigen Mtethoden fennt, 
die Worte „in, und außer dem dorff, ab: durch welche die beiden Brüder fpäter die vor- 
fonderlih auf dem BVeldt Zunegit gefchichtlidje und Gräberforfchung aus dem 
hinter dem dorff bey 8000 Bauren abs __ Feltiftijcen Chaos herausgearbeitet haben. 
jcheulich feint nidergehaut“ aus dem Bericht | Und das müßte eigentlich bei der Abwägung, 
des Pfarrer Simon Soyer vom 28. Dezember | ob es fich beim Schmied von Kochel um eine 


1705 führen auf dasjelbe. Denn Sendling volfSgeborene Sage oder um eine literarifche 
ift ein Stragendorf, die Höfe lagen alle weft- Erfindung handelt, ins Gewicht fallen. 

lich, und nördlich, von der Straße, die Wohn: | Der Landrichter Steyrer, der in der Au 
feite mit dem Straßeneingang nad) Often ge | amtete, war es wohl, durch den Lindenfchmit 
richtet, die Stadel- und Stalljeite dahinter ijt von den Auer Zimmerleuten, die bei Send- 





!) „Der Oberländer Aufitand 1705 und die Sendblinger Schladt“ von Karl von Wallmenid. Mit 
einem Plane Münden. Dr. 9. Lüneburg’3 Verlag 1906. — ©. befonders ©. 105. — ©. 116. 


*) Die nördliche Längswand der Kirche, über das Grab der Bauern nad) dem Stampfplak hinüber- 
fdauend, bot fih von felbjt zur Bildwand; der Hintergrund im Fresfo find die Höfe; auf dem Entwurf geht 
der Hampf in gutem Abftand von der Stiche, nit auf dem Kirchhof vor. -— Quelle der Angaben über ben 
gemauerten Hirdhhof ift „die Europäifhe Fama, tom. IV. der 46. Theil, Gedrudt zum erftenmabhl 1706.“ 
©. 660: „daß in dem Dorff Sendlingen .. . wofelbft die Bauern fih auf den gemauerten Kirchhof 
tretiriert hatten, faft in die 2000 Wufmiegler . . . in Stiicen gehauen -.. wurden.“ Daraus hat e8 die 
„Erläut. Germania Princeps . . burd) Dr. ©. v. Finfterwald“ 1749, 1V. Bud, Il. Cap. S. 2376. Nachdem, 
aber der 1706 erfcjienene ,Bayerifdhe Bauren-Krieg” S. 25 viel eingehender erzählte: „Sie poftierten fic) gwar 
wiederum in felbigem Dorffe hinter den Zäunen, auf dem Kirdhofe und den Häufern“; jo ftellt das Hier 
fehlende Wort „gemauert“ in der Fama nidt etwa eine au8smalende Mehrung jener Details dar, — fie bez 
fdrantt fi) ja und malt gar nicht aus —, fondern e8 erfdeint ein feiter Punkt der fofort mit dem Ereignis 
einfpringenden Distuffion, wenn nicht ihr Angelpunft, in niidhterner Weife feftgehalten. Der Bericht des Send- 
linger Pfarrers Simon Soyer, vom 28. Dez. 1705, fagt: „ond waf mid zum maiften beftürgt, ift, dB fye jo 
gar des vr. S. Margarithae gottshauf . . nit verfchondt, difes mit bluet vergieffen und beraubung der Hinein 
geflidten bauren prouanirt auc) auf dem fregthoff etliche erhoffen und nidergemadt.*“ Dies reiht, um fid 
dem Gedächtnig einzuprägen. Hatten nad) der Doc außerhalb des Dorfes vorgefallenen, aber nur zwei 
maligen (Extractus ex libro defunctorum Parochiae Lenggries de anno 1705 — ,,plurima pars ab 
hoste . . . partim erudeliter mactata . . . fuit: non obstante, quod illis binamjam vitae gratiam 
|: Pardon :| promiserit.“ $. KreiSardiv, Münden. Kunft u. Alterthum fasc. XVI. (Stönigl. geh. Regijtr. d. 
Qnnern. Den bayer. VolfSaufftand wider die Oefterr. i. Jahre 1705 betr.) unter dem Datum v. T. Jan. 1881 
Protof. Nr. 362, 5., die 2. Beilage.) Niederwerfung der Bauern die Offiziere ihre Soldaten wieder in der 
Hand, wie wir annehmen follen und dürfen, fo fegen die blutigen Vorfälle auf dem Kirchhof einen erneuten 
Grund, alfo Widerftand, voraus. Die folgende unblutige, aber fyjtematifche (f. bei Pfarrer S. Soyer) Yus= 
plünderung der drei Sendling und Thalfirdens jteht in unlösbarem Zufammenhange mit dem ganzen Tat- 
fachenbilde und bemeijt, daß man zu fd@eiden veritand. Zichoffe8 mehrmaliger, von König Marx I. veranlaßter 
Aufenthalt in Bayern bezmwedte die nötigen Studien zu den Baier. Gejhidhten. Cr war jcheints aud) in 
Benediftbeuren gemefer. Sein Interejje an fpontanen Bolfstaten ift befannt. Er nun führt meines Wiffens 
das erite Mal eine Zweiteilung de3 Sendlinger Vorgangs ein: a) Verfuh das Dorf und den Kirchhof zu 
halten, Umgingelung, Gauthier fällt, „Viele flohen . . . und ftarben, zur Gegenmwehr unfähig“ und b) „Undere 
festen den ungleichen Kampf... . fort. Sie fanfen fechtend . . . wie Heldenbrüder fallen follen.” — Zu einem 
andern ftrittigen Punkt fei angeführt, daß „der Bayer. Baurensstrieg‘ ©. 40 in dem Briefe des Offizier vor 
Cham fagt: „Die beiden vornehmiten Gapitäng aber nennen fi) Brat-Wurft und Haber:Lumpen.“ (Raſtlos S. 88 
falfd HadersZumpen.) 


Jugend und Bildungszeit 17 


ling gefallen feien, erfuhr. Denn der Spinn= 
meifter im Zucthaufe in der Au, Alois 
Schmidt,!) der 1832 die ,Gefdhichte des Bru- 
derbundes der HYimmerleute in der Vorjtadt 
Au“ verfaßte, war ihm nahe genug. Aber 
nicht Lindenfchmit, der im „Juli“ 1830 die 
erfte Feierlichkeit, welche die Zimmerleute an 
dem Sendlinger Grabe abhielten, al8 Augen 
geuge aus feinem Fresfoverichlag mit anjah 
und fie auf Seite 19 feines 1831 erfchienenen 
Büchelchens befchrieben hat, ijt der Erjte, der 


Segest. 








Die Cheruster. 


„Münchener Konverfationsblatt“ Nr. 249 mit 
einem von Sch. (= Schmeller) unterzeichneten 
Artikel nach, — faft wörtlich, er zitiert ich 
aber wohl jelbit. Schmeller hat in diejfem 
Wuffag, worin er in erfter Linie das endlich 
nahende Zuftandefommen des Denkmals für 
den ftädtifchen Gottesader erörtert, den Mut, 
herauszufagen, daß dem Unternehmen „ganz 
vorzüglich politifde Hinderniffe in den Weg 
gejtellt wurden“, bis „endlich nad) allen möge 
lichen Umtrieben in vollen 12 Qahren.... 


EEE 


Armin, 


Getufchte Bleiftiftzeichnung, gut '/as wirfl. Größe. 
Hauptentwurf zu dem Bilde. 


von Ddiefer Stiftung und deren Urfache meldet. 
Sondern die „Münchener Politifche Zeitung“ 
1830 vom 29. Juni, Nr. 151, referiert une 
term 28. Juni, daß „geftern“ dieje Feier und 
die Wallfahrt nach Andechs ftattgefunden habe, 
und bezüglich der Schlacht, daß 34 Zimmer- 
leute daran Zeil hatten und gefallen feien. 
Dann folgte am 6. September 1830 das 


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die wirfiche Ausführung der religiöfen Grund 
idee von jeiner jet regierenden 8. Majeität 
zur allgemeinen Freude . . genehmigt“ wurde. 
Schmeller hat alfo die Verantwortung für 
die 34 Zimmerleute übernommen. 
Lindenfehmit erzählt Seite 13 von vier 
Fahnen, die (zu Schäftlarn) ausgeteilt mur= 
den; „von der einen weiß man, daß fie der 


) Nad K. von Malmerich ‚der Oberländer Wufftand 1705‘ S. 95 und Anm. 2 ein penfionierter 


Seldwebel. 


AM. ı1u2. 


— Mad dim Eterbebud der Vorftadt Au war „Fra. Xaver Steyrer, Landridier, Liz. und Chef 
des Landmwehr-Batal. der Vorjtadt Au. 7 10. Juni 1831. 


57 Jahre alt.“ 
3 


18 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenihmit, des Welteren 


Wirt von Baierbrunn getragen hat“. Noch 
{pater maren die Bauern von Pullad) und 
Baierbrunn dem Maler fo zugetan, daß fie 
ihm aus freien Stüden fleine Funde, fo ein 
antife8 Bronzepferdchen, aus ihren Aedern in 
die Wohnung brachten. 

Der Entwurf zu dem Oelbild hat ihm 
nicht viel Beit gefoftet; er ift [oder und 
lebendig hingefchrieben. Die Rompojition ijt 
aber nicht bi zu jener Schärfe eines Ynjtruz 
mente3 3ugefdjliffen, die in den Bildern 
„Winfelried“ und „Die Cherusfer“ den une 
vergleichlichen Eindrud Fühnfter Freiheit er- 
zeugt. Namentlih in den „Cherusfern“ 
ift der Sturm, der die Berfammlung durch- 
zudt, in den fich mannigfad) überfchneidenden 
Seitenfihten der zu Armin gleichmäßig hin- 
gefehrten Männerjchar dadurch gegipfelt, daß 
die vielen Köpfe fich in einem Iebhaften Wech- 
felverfehr einander zudrehen und den bejahen- 
den Zuruf, der fchon anbrauft, einander ab= 
gewinnen. 

Gs find lauter mwohlpointierte PBorträte 
und die Zeit zu diefer umfänglichen Mühe 
muß in den Wintern 1828 auf 29 und 1829 
auf 30 gefunden worden fein. Die „Cherus- 
ferverfammlung“ erichien März 1832 auf 
dem Kunftverein; aber Herbit 1831 auf Früh— 
jahr 1832 fcheidet unbedingt für die Herjtel- 
lung aus. 

Die erjte blaffe Jdee dazu findet fich auf 
einem Blatt mit den zwei Typengefichtern ; 
der eine Kopf durch den Hut als Tiroler 
fenntlich, beide dicht übereinander, fodaß bei 
dem einen die mehr flavifche, bei dem zweiten 
die mehr galatifche Bildung hervortritt, leg: 
tere wieder in Annäherung an jenen deutfchen 
Typ, wie ihn der Steirer Holzinecht und der 
Rocheler Meier befigen. Auf der durchgebil- 
deten Beichnung 3u den Cherusfern erjcheinen 
aber auch einige Typen, die von der nieder= 
deutjchen Seite her an jenen Bayerntyp ftrei- 
fen, — immerhin ein fo wejenhafter Zufammen= 
bang, daß die Cherusferidee auch zeitlich ganz 
nahe an jenem Zmeitypenblatt aufgefchoffen 
fein möchte. Die beiden Köpfe find aber fpa- 
teftens vom Herbit 1828, weil es Tiroler find. 

Den 2. Mai 1829 bezog er die Wohnung 
in der LVerchenitraße, in einem Edhaus zwi— 





[chen der jegigen Schwanthaler- und Schiller- 
ftraße. Diefe Wahl Hing mit der Abficht 
auf Sendling zufammen. Der Entjchluß ein 
Fresfo an die Kirche felbjt zu malen, war 
fhon gewonnen. 

Als ihm nun am 20. Juni 1829 ein Sohn 
geboren ward und die Botjchaft nach Mainz 
gelangte, überwand fich die neue Großmutter 
und machte, begleitet von ihrer Tochter, als- 
bald eine VBerföhnungsreife nach München, wo 
fie am 4. Juli eintraf.) Wilhelm hat fie 
hinaus nad) Sendling geführt und fie in alle 
Pläne eingeweiht, die ihr nicht ganz geheuer 
vorfamen. Denn daß die Sendlinger Ge- 
meinde das Gerüft, den Antrager und die 
Sarben bezahlen wollte, erjchien ihr doch 
für eine mehrjährige Anftrengung nicht die 
richtige finanzielle Entjprechung. Er verwies 
fie auch auf ein Haus in der Nähe, das der 
Kirche in Sendling gehörte und worin er 
feinen Karton aufftellen und zeichnen fonnte. 
Allein er hatte offenbar fchwere Mühe, fie 
über diefe neue Kühnheit zu beruhigen. Kurz 
vor ihrer Abreife fam die Sache noch einmal 
zur Sprache. In welcher Weife er feine 
Sache führte, erfieht man aus einem Traums 
bericht. „Die Nacht zuvor, eh meine Mutter 
abreifte, nachdem ich ihr gejagt, das Send- 
linger Bild fei mir heimlich von einem vor- 
nehmen Mann aufgetragen, träumte mir: 
Im Baterhaus werde ich von den Eltern in 
mein Schlafgemad) geführt, im Nebenzimmer 
fah ich die griechifche Pallas gelagert. Als 
die Eltern fich entfernt, trat fie lautlos an 
mein Lager, neigte fich mit ihrer übermenfch- 
lichen Größe auf mic) und indem fie mir 
mit der Rechten den Maden, mit der Linfen 
Die Kniefehle ergriff hob fie mich an ihre be= 
panzerte Brut. — — Diefer Traum hielt 
mich mehrere Tage noch um fo lebbhafter bez 
fangen, weil ich ihn herbeigeführt glaubte 
durch das, was ich zuvor im Geilt der grie- 
Hiichen Pallas gefprodjen”. Das war den 
24. Suli. 

Auf der Nebenfeite fieht man einen ge- 
feffelten jchlafenden Löwen gezeichnet, dem 
zwei ebenfall3 angefettete Doggen mit furcht- 
barem Big den Hals zerfleifchen. Biefer 
frühere Traum bezeichnet nur den Zuftand, 


1) Das mehrjad) citierte Poligei-Civil-Standes-Regijter verzeichnet ihre Anmefenheit unter No. 4047. 


Jugend und Bildungsgeit. 19 


aus dem er fic) durd) den Sendlinger Ent- 
fhluß gu befreien juchte. 

Der Pallastraum hat aber einige Ver- 
mwandtjchaft mit der „Geburt Lionardog“, einer 
Rompofition von Cornelius gu den Pinafo- 
thefloggien, woran diefer damals arbeitete. 
Dies Bild und der „Tod Lionardos‘ ift 
(1834) von Lindenfchmit gemalt worden. 

Woher der Entjchluß zum Fresfo aud 
fam, er ftammt nicht aus dem äußerlichen 
Bedürfnis einen Helden zu erfinden oder einem 
fdhwad) beglaubigten zum Anfehen zu ver- 
belfen. Leute, die folche Hintertüren fennen, 
finden die Bauberpforte gu den Traumbhohen nie 
mehr. Dagegen fpritht der Pallastraum von 
innerer Erre⸗ 
gung, und das 
fpridt _ viel- 
leicht von der 
Neuheit des 
Entfchluffes. 

Und das 
brachte jene 
rafhe Ume 
wandlung des 
ersten Entwur- 
fes ins Helden 
bafte hervor, 
die nach der 
Bentralgeftalt 
eines Trägers 
der Handlung 
und zugleich 
nach auffteigen- 
der Mafjenanordnung hintrieb. Diefe Ent- 
widlung liegt in einer Reihe fleiner Stiggen vor. 

G8 find gwei Gruppen von Sfigzen; beide 
bezweden Anordnung. Die der 1. Gruppe 
haben noch Breitformat, d. 5. fie nehmen 
noch feine Rüdficht auf die Glorie. Dagegen 
find fie um einem SHaupthelden gruppiert. 
Und zwar ift er al3 jüngerer Mann zwifchen 
30 und 40 Jahren gedacht. (ch unterfcheide 
von nun an M. Mt. = Modell Mayr, und 
H.8. M. = Held Baltafar Maier), Auf 
einem Blatt find vier Rampfffigzen vereint 
(= 1. Blatt). Unter der vierten, entwidelt- 
{ten Zeichnung ift ein Abfchied berittener Baus 
ern angebracht, neben ihr linfs die größere 
Einzelgeftalt (= n) des Kolbenfchwingers; er 
ift ein M. M., aber im Gefichtstypus nicht 





Erjtes Blatt der 1. Sfizzengruppe zum Sendlinger Fresto. 
Feberzeichnung, '/o ber wirfl. Größe. 


ähnlich genug geraten. Die beiden darüber 
befindlichen Skizzen bringen al® Erinnerung 
aus dem Oelbildentwurf (= O) einen Drauf- 
gänger, der noch mit beiden Armen den Kol: 
ben führt und ein NRoß niedergefchlagen hat, 
was aud) in der 4. Skizze vor ihm zu feben 
ift. Die 3. Skizze, rechts unten, zeigt den 
Kolben, wie in 4., mit einem Arme hodge- 
Ihmwungen; doch ift der Mann ganz allein 
und von beiden Seiten von Reitern umgingelt. 
Gin Rebenblatt—N.) gibt in größerem For- 
mat die Hauptjache der 4. Skizze; hier ift 
ein M. Mt. deutlich, nämlich ein fleifchiges 
Geficht, die Nafenmwurzel leicht eingefdywun- 
gen, die Naje grad, mit breitem Ende und 
weiten fleifch- 
igen Flügeln; 
Unterfinn- 

baden furg, 
wie bein, von 
furzem Boll» 
bart umfrauft. 
Man fieht, auch 
inn. waren perz 
finlide Züge 
gemeint! Mit- 
hin war in 
diefem Stadi- 
um des Sfiz- 
gieren8 ſchon 
Wert auf die 
Perfon gelegt. 
M18 er Ddiefe 
diirftigen Sfig- 
zen zeichnete, muß Lindenfchmit fdon eine 
Kunde befefjen haben, die mit M. Dt. gu tun 
hatte; fonft hätte er nicht fchon jekt den Kopf 
im Charakter des Eigners entwidelt und feft- 
gehalten. Diefe Kunde mag das ftumpfe 
Trümmerftüd einer Weberlieferung gemefen 
fein, nicht eine folche und auch nicht Sage; 
fie mag Sx heißen. Iedenfalls jchloß Sx 
aber einen jungen H. B. Mt. nicht aus; bot 
überhaupt feinen Anhalt über Alter. Aber 
al Lindenfdmit aus Rompofitionsgriinden 
nun einen Oaupthandelnden bedurfte, wurde 
ihm ein handelnder Zug, von dem Sx fprad, 
bedeutjam. 

Vorausfegung ift, daß um 1820— 1830 
ein ftarfer Widerftand bei Sendling für aus- 
gemacht galt. 


20 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfchmit, des Welteren 


In der Totengruppe des Vordergrundes 
von O. befinden ich diefelben Vertreter wie 
im Sresfo, felbft der Bube. C8 waren und 
find alfo damit feine Söhne oder Freunde 
(Reifenftuel) de8 Schmiede gemeint. Sx 
fannte fie nicht. 

Aber in einem Beitpunft der Arbeiten 
des Riinftlers wird M. M. ein alter 
Mann. Und das ift wahrjcheinlich der Ein- 
fluß jener ,Ueberlieferung’ (= Ug), 
deren Beitätigung Maßmann durch feine Nach- 
forfchung in Kochel und im Kocheler Kirchen 
buch zu erbringen hoffte. Maßmanns „Helden- 
tod“!) erfchtien Ende 1830. Mindeftens im 
Sommer diejes Jahres, oder auch noch früher, 
muß alfo die „Weberlieferung“ jchon umge 
laufen fein, und zwar in der Stadt München, 
denn Zindenfchmit hätte fie font bei feinem 
legten Aufenthalt 1828 in Kochel vernommen. 
Was Magmann bewog, an dem Ausdrud 
„Weberlieferung“ feftgubalten, nachdem er doch 
gewif auc) die Bauern ausgeforjdht hat, — 
fteht dahin. 

Die eigene Abficht W. Lindenfchmits, eine 
„Seihichte der Sendlinger Schladt“ 
zu verfajjen, fam von den Vorfchlägen in 
der Doppelliste, d. §. er wollte eigentlich ein 
umgefehrtes Verhältnis von Jlluftration und 
Lert. Ein Ueberbleibfel jolcher Entwürfe ift 
der „Abfchied berittener Bauern“ unter der 
4. Sfigge. Sie tragen Lanzen. Die Rüdkjeite 
de8 1. Blattes zeigt einen Reiterzug, mit 
Langen und jonjt in der Wontur des 17. Jahr- 
hunderts, an einem Waldgebirg entlang zieh- 
end. Schmeller (Bay. Volksfreund 23. Oft. 
1827) bejchreibt dagegen die öfterreichifchen 
Uniformen auf dem Auffirchener Ex Voto 
1705 und fügt hinzu: „Demnach fcheint das 
Koftüm aus dem 30jährigen Krieg in dem 

. . auf einem Bolfstheater aufgeführten 
Schaujpiel „Die Sendlinger Bauernf{adlacht im 
Sabre 1705” gänzlich verfehlt gemejen zu 
feyn”. — Cbenfalls auf dem 1. Blatt reitet 
ein Mann in Blüchermantel mit Pfeife, mit 
Pijtole und Säbel gerüftet, im Regen dahin 
gegen Often, wie der Ramm des Zugjpig— 
Wetterfteins tm Hintergrund lehrt. Cs ijt 


der „Nuszug zu Deutjchlands Befreiung“ und 
gemeint dürfte nach der fcharfen Naje und 
dem DOffiziersausfehen des Reiters der Major 
Henneberg fein, der fi) 1813 den Wiener 
Freimilligen anjchloß. Sein Name erfdeint 
auf einem Verzeichnis von Porträtmodellen 
zum Sendlinger Bild. Er ijt mwahrjcheinlich 
das Original zu dem vorderften der vor Gott- 
vater8 Thron erfdeinenden Helden in der 
Glorie des Fresfo; die foldatifche Haltung tft 
nod) gu erfennen. Aber er hat einen Rivalen 
im Typus, der mitbenußt wurde, nämlich 
den auf einer Lithographie des „Sendlinger 
Büchels“ abgebildeten Oberländler Schüt- 
zen, der auf einem Grat der Glaswand, 





Oberbayerifdher Sdiig. 
Litographiert nach B. Heh, im Kopfe abweichend. 


hinter der Benediftenmwand, fteht. Ausflüge 
in die Tölzer und Tegernjeer Gegend find 
nach den Sfiazenbiichern noch 1829 bis 1830 
vor= und dem „Sendlinger Büchel“ zu Gut 
gefommen. 

Eine 2. Gruppe anordnender Skizzen 
beiigt die Glorie und ftellt die Rompofition 
{con in jener Berdihtung wie auf dem 
Oresfo dar; nur feitwdrts ift ein gejtürzter 
Gaul aus den früheren Skizzen übrig. Die 
beiden Sfizzen auf diefem 2. Blatt find auf 
Lichtwirfung probiert, alfo fartonreif. Auf 


') Im Suni 1905 habe id) aus der Sachlage, fowie den germaniftifhen und puriftifchen Yntereffen 
und einigen norddeutjchen Eigenheiten des anonymen Berfaffers auf Vtakmann gefdloffen und die Beftati-= 


gung in Schadens „Gelehrtes Münden“ gefunden. 


Unabhängig von mir gelangte Dr. A. Dreyer „die Send- 
linger Mordmeihnadt in Gefhichte, Saqe und Dichtung“ 190K. S. 35 ff. zu demjelben Ergebnie. 


W.tT. 


Jugend und Bildungszeit 21 


der Miicfeite verläßt ein nordifdhe? Alpen- 
völfchen angejicht8 einer römischen Armee die 
brennenden Hütten feines Heimattales; das 
bedeutet eine hiftorifche Parallele zu der auch 
vom Often her betriebenen Aufrollung der 
echteuropäijchen Bevölferung. — Ob der B. Mt. 
auf dem 2. Blatt jung oder alt zu denfen, 
ift nicht gu erfehen. Auch auf dem Rüden 
des Zweitypenblattes iſt nur die Stellung der 
Sigur im groben, größeren Umriß probiert. 

Nun erfcheint aber in einem viel jpäteren 
Stadium, das fdjon in die Fresfoarbeit felbft 
bereinreicht, der B. M. als jüngerer Mann, 
in den Drei: 








ander. ES Handelt fic) alfo nocd um die 
AWbwagung der VBerhältniffe, jomwohl betreffs 
der perfpeftivifden Werjchiebung, al3 unter 
Beranjchlagung des Ranges der dargeftellten 
Naturen: denn die gittliden Wejen befigen 
einen etwas griferen Dtabftab, als die ans 
deren — eine fehr feine und maßvolle Er- 
höhung ihrer Bedeutung. Die Lifte geht die 
Figuren von oben nad) unten durch; leider 
it der untere Teil des Randes abgerifjen. 
Diefe Ver haltnislifte lautet: 
Himmelvater 20 
Walhalla 6 (d. i. der Kreis der 
fel. Helden im 


Bigern. Eine Hintergrund.) 
Baufe in der 1. Walfüre 18 
Größe von 35 (d. i. die mittlere) 
cm: 26 cm gibt , 2. Walfüre 20 
die fertigen Um: | Co) (d. i. die Lins) 
viffe des B. M. 5 OS 1, Held 13 
und der beiden EDS 2. Helden 11 
Reiter;das Blatt nl F Walküre 16(d.i. 
iſt quadriert, die Tan die recht3) 
Quadrate find ——* Reiter im Hin— 
nummeriert zur fra F JE tergrund 5 
Uebertragung / ‘ — —— B. Maier 16 
der Verhältniſſe | — Eh FE Be en 18 
d. 5. gewiffer fal Es Die Lifte ges 
Höhen: und ag ) hört unter die 
Breitenpunfte —* fh 5 vorläufigen Ans 
auf die Mauer. AIR JOR > ordnungsarbei- 
Denn die Zeid) SS fo a ZN) 7 ten und ihre Ver⸗ 
nung auf der eu —— hältniſſe ſind 
Pauje ift fo abz "nicht endgiltig. 
geichloffen, daß Aber fie deutet 
fie den Karton Balthafar Maier auf eine viel 
{don voraus Oberfdrper aus der Paufe, ganze Größe. mächtigere, 
feßt. Der Federhut ift noch da, fällt aber | wenn auch nicht jo berubigte Anlage der 


diefem B. M. rücdmwärts ins Genid; nur all- 
mäbhlich Löfte fic) Wilhelm von diefem Lieb- 
lingsſtück. 

Der Hauptkämpfer iſt alſo auf allen Vor— 
arbeiten bis in das Jahr 1830 hinein oder 
noch länger in dem Alter des M. M. dar— 
geboten. 

Anſchließende Folgerungen ergibt die 
Randnotiz auf dem Zweitypenblatt. Die Zah— 
len, die dieſer kleinen Figurenliſte beigeſchrie— 
ben ſind, betreffen noch nicht die Quadrate 
und den Ort im Karton, ſondern die Grö— 
ßenverhältniſſe der Figuren unter ein— 


oberen Maſſen. Noch in der 2. Gruppe 
der anordnenden Skizzen, wo die Schlacht 
ſich der letztwilligen Gruppierung (des Fres— 
kos) bis auf einen Punkt fügt, ſind die 
Geſtalten der Glorie überwiegend groß und 
ſitzen ſo dicht über den Köpfen der Kämpfen— 
den, daß das trennende Gewölk faſt keinen 
Spielraum hat. Sie ſind jedoch ſelber eine 
Art Wolkenbildung und als überirdiſche Nebel— 
erſcheinungen ganz zart und in fahlen Tönen 
gedacht. Die dritte Walküre fehlt, ihren Ort 
rechts in der Höhe füllt ſchimmerndes Ge— 
wölk; — nach links wiegt ſich der Wolken— 


22 Hiltorienmaler Wilhelm Lindenfdmit, des Welteren 


fturm herab und in feinem Mechzen die 
Himmelsbotin, die ald Einzelne um fo bez 
deutender und draftifcher wirkt. Diefer jchräge, 
herausfordernd einfeitige Ablauf der Ober: 
faene griff mithin unmittelbar in den Raum 
und die Aufregung der irdischen Kampffzene 
hinein und entgegnete ihr mit gleicher Kraft. 

In der Abänderung, die mit Einfeßung 
der dritten Walfüre fhon im Zeitpunkt der 
Lifte begonnen hat, jpürt man Cornelius’ 
Leitung oder wenigftens Anfchauung durd). 
Man darf an fein Kommandieren denfen, 
fondern in zeitweilig täglichem Umgang und 
dem Anteil, den er dem Werfe und dem 
Schüler zollte, machte fich bei allgemeinen 
Ausſprachen fein fünftlerifcher Einfluß von 
felbjt geltend. &8 war die Tradition zu Wort 
gefommen. Lindenfchmit bejchränft im Briefe 
von 1832 diefe Ginwirfung zwar auf das 
Können in der Kunft, fie ging aber ihm uns 
vermerft weiter; er fagt: „Der Fortgang 
aller Stiinfte, fo namentlich der bildenden 
Runft (hierunter nicht die Erfindung, fondern 
das Riinnen verftanden) beruht großenteils 
auf jenem Anfchliegen an die Vorgänger, an 
die Mitarbeiter. Dies erkannte ich, und indem 
id) eine Zeitlang aufmerkfam die Lehren des 
Cornelius in manden Teilen unferes Ge- 
fchäftes anhörte, ift e8 mir gelungen, viele 
Schwächen in meinen Werfen zu umgehen 
und neue Vorzüge hineinzutragen. Der Schul- 
geilt, der fie fehlerfreier machte, hat ihnen 
gwar augenblidld das eigentümliche Lebens: 
feuer etwas benommen; allein dies ift eine 
vorübergehende Folge.“ E8 war die Curythmie, 
die äußerliche Entfpredhung und Wobhl-Wbge- 
mogenheit. So bildete der rechtsjeitige Engel 
mit feiner dem linfen entfprechenden Flug— 
bahn eine Befriedung und Cinfaffung für 
das Ganze und war auch vom allgemeiniten 
Gedanfen (Gott entfendet Engel) gugelaffen. 
Wllein diefe allgemeinere Funftion riihrte an 
die Stärfe des eigentlichen Ympulfes, womit 
die urfprüngliche Einzelbotin fich fo deutlich 
als erfte Regung der zur Rettung genahten 
Gottheit verfirpert. Und was fich als reine 
Malerei der unmillfürlichen Empfindung nieder- 
ichlagen wollte, dies hemmte fich in der rechts= 
ldufigen Geftalt, welche den individuellen Mo- 
ment entfchiirgte. Eine Folge nur war, daß die 
Oberfzene überfüllt und gang mit Figuren ge- 


dedt war. Sie mußte alfo in die Höhe 
rüden, um Luft zu fchaffen, und in diefer 
größeren Ferne fonnte fie Kleinere Maße an- 
nehmen. Hiemit und dur) den Wolkenhiatus 
gab die göttliche Glorie den zu lebhaften An- 
teil an der Kampfjzene — gang in Cornelius 
Sinne -—- auf und gewann ihre aufiteigende 
Erhabenheit. 

Die Verhältnisliſte datiert alſo noch vor 
dieſer letzten Konſequenz, wie wiederum die 
2. Skizzengruppe früher als die Liſte iſt. 
Inneren Gewißheiten zufolge gehört die Sturm— 
auffaſſung der Glorie und des in den Ent— 
ſcheidungen waltenden Gottes in die zeitliche 
Nähe des Pallastraumes vom Juli 1829, d. h. 
vor ihn. Die Liſte war ein Verſuch, die mit 
den Maßen verwachſene Sturmidee trotz des 
dritten Engels zu halten. Das Prinzipielle 
der Aenderung war noch unerkannt; es muß 
auch dann, bis Wilhelm ſich zu der milderen 
Idee bekannte, noch Zeit verſtrichen ſein. Erſt 
dann, etwa ſeit dem Herbſt, der durch den 
Beſuch in Egern (Notierung der zwei Engel) 
unterbrochen ſcheint, trat Lindenſchmit in die 
ſtrengere Arbeit des Kartons ein, der ſich 
Cornelius Empfehlung — wohl ſchon vor 
der etwa gegen Ende des Jahres an die kgl. 
Regierung gelangten Eingabe — geſellte. 

Mithin liegt der Name ,‚B. Maier‘ um 
die Mitte 1829 feſt und dieſe Bezeichnung 
mußte auch der Einzelgeſtalt, ſobald ſie Kern 
einer Skizze (— 1. Gruppe) ward, ſchon eignen. 
Für das Kocheler Modell, das ja nicht B. 
hieß, kann von der Gelegenheit des Herbſtes 
1828 her noch nicht der Zuname B. üblich 
geweſen ſein (— man müßte denn die früheſten 
Kocheler Aufenthalte Herangiehen.) Es ift 
alfo mit ‚B. Maier‘ in der Tat ein H.B.M. 
gemeint, und es figurieren auf der Lifte über- 
haupt feine Modellnamen, denen man auf 
einem andern Borträtvermerf begegnet (mit 
Luis für Walfüre, Henneberg für 1. Held), 
fondern lauter Sagenbegriffe. 

Zugleich fprechen die auf dem Blatte 
fchon vorher befindlichen Yweitypenföpfe dafür, 
daß es ihretwegen zum Sendlinger Studien= 
material gelegt worden war und der notierte 
‚B. Maier‘ in foldhem Typus gehalten werden 
follte, be3. daß das Modell dazu in diejfen 
Typus einfchlug. Er war aber jung gebildet, 
eben in direkter unbefangener Wiedergabe des 


Jugend und Bildungszeit 23 


Modellalters, und blieb jo jogar big zum 
Baufenfopf aus dem fpäteren Sartonftadium. 
Da nun fdlieblic) der ganz eigenartige 
Kopf der greifen Geftalt des Fresfos in 


den bisherigen Typus einfchlägt, jo ift ein | 


Nadhfomme eines Sendlinger Kämpfers be= 
deutfam geworden war. 
Alter des um 1828 auf dem Zollbauer eben 
verheirateten Michael Mayr überein. 


Hiemit ftimmt das 


Der Karton, wie aud) das Fresfo, waren 





Die Shladt bei Sendling. 
Photographie nach dem Freslo um 1885. 


folches Fefthalten durd) alle Stadien der 
langwierigen Kompofition, mit dem Sprung 
ins entgegengefegte Alter, faum anders 
zu erflären, al3 daß das junge Modell — 
auger al8 Berfirperung eines der fonftanten 
Bauerntypen — aud) nod) als Vertreter und 


fehr ausgeführt. Der zerftampfte Boden zeigte 
die Eindrüde der Füße und Hufe, das ge- 
ronnene mit Schnee und Sand gemifchte Blut 
und die Splitter der Waffen. Am Gürtel 
de8 Schmied jah man die feinfte Pfauen- 
federftideret und den Zinnftiftenbefchlag. Der 


24 Hiftorienmaler WVirhelm Lindenfhmit, des Welteren 


Karton und die eigentlichen Kopf und Körper: Engel mit den Spruchbändern vermerft; die 
ftudien exiftieren nicht mehr.') | Motive der verwundeten Bauern prägten fic 

Auch der Inhalt zmeier Sfizzenbücher Wilhelm ein. Auf dem Ralvarienberg bei 
bemweift, daß W. Lindenjchmit zunächſt von Hohenburg wurde das Ex Voto des Hans 
dem Auftreten der UWeberlieferung Ug nichts | Wenzl mit dem öfterreichifchen Reiter ffizziert 
wußte oder fich nicht darum fümmerte. Das und die Farben der Dtontur beigejchrieben. 
eine Sfiggenbuc) mit Studien gum Winfel- Die Sterbebücher wurden fcheints durdhge- 
tied wird aus dem Winter 1829 auf 1830 | jtöbert; das zu Gmund ift notiert. Biemlich 
fein, weil e8 aud) einen Aft gu der Kopf- ausführliche Berichte über Vorfälle aus dem 
und Körperhaltung des jungen, unter B. M. Pandurenfrieg, über Trend jomwie den Bauern 
liegenden Burfchen uud die ausfchreitenden führer Kölbl (Kölbi), find in Dialekt nieder- 
Beine des B.M. enthält; ebenjo ift ein Sfizz- gejchrieben, — aus der Gegend von Tölz, 


chen zu dem rechten Engel mit dem Moos: | Klojter Reitberg, Dietramzzell. Der Bruns 
franz darin, das Uebrige ift mweggeriffen und nerer von Sachjenfamm, der Refjelhofer Bauer 
dadurd) jind auch bezügliche Notizen zerjtört. werden genannt. Nichts deutet auf Kochel. 


Daz gweite Sfigzenbuch ijt von Ludwig, dod Der fleine, Juni 1829 geborene Willi als 
mit einzelnen Skizzen und Notizen von Wil- MWidellind gezeichnet und eine Skizze zu 
helms Hand. G8 handelt von Ausflügen, die | Ludwigs „Lenore“, ein Bild, das Juli 1830 





einigen Berlößnistafeln galten. Die Tafel von fertig war, beftimmen die Zeit diefer Nach— 
Egern murde flizziert, gemefjen, der Schmud forfchungen.?) 
ihres Rahmens befdjrieben, die fchwebenden Einiges davon, wie der Kölbi vom Afar- 


') Debhalb ift man an das kleine Material gewiefen. Der Karton wurde beim Malen zerjchnitten, 
die Stüde litten bei der Webertragungsarbeit jehr. Später lagen die Rollen auf einem Dachboden in Mainz 
und blieben dort nad) dem Tode des Künftlers (1848) bei einem Umzuge zurüd, als fi der Sohn im Aus— 
land befand. Die Lithographie aus dem ‚Sendlinger Bücdjel‘ zeigt jedoch) den Stopf des Balthafar ziemlich ges 
treu der Malerei im alten Fresfo; aud) eine vor der Neumalung (1895) aufgenommene Photographie lehrt 
dies, und mir felber hat fic) die Gleichheit bei oftmaliger Vetradtung deS Freslos eingeprägt. Nur darf man 
fic) aur Vergleihung des Balthafartopjes nidt an die Neumalung von 1895 halten. Der Tod unterbrad 
meines Vaters, Prof. W. v. L., Wrbeit; nur die linfe größere Hälfte der Glorie ift von ihm und getreu nad) 
dem abgenommenen Original. Der Fortfeger, Hermann 2., befaß bei dem DVerberb des unteren Frestoteils 
feinen genauen Anhalt und ıwar auf die Standpunfte feines Grofvaters, die wir damals nit im Zufammen= 
bang mit der uns unbefannten Schmiedbalthesfrage würdigten, nidt aufmerffam gemadt. So erlitt der 
Kopf eine Veränderung. , 

2) W. 2. fpähte nad) altuellen Zügen, bd. h. folden, die bem wirklichen Vorgang entjtammen fönnten, 
und verleibte fie, je nadjdem fie feinem Standpunft zufagten, dem Gemälde ein. Egerer Herkunft hat ein in 
O und den Skizzen fehlendes Motiv: der vermwundete Offizier linfS im Hintergrund, der fic) auf RKnien und 
Armen aufridten möchte. Diefer padende Zug erfcheint auf der Egerer Tafel mehrfad) und geht weniger von 
dem Botivmaler felbft als von der lebhaften Erzählung der eigentlichen Befteller aus. . erkannte dag 
Nealiftifche, er fennzeichnete aber aud) das Tatfähhlidhe diefeg Zuges, indem er e8 an einem Offizier fi) aus- 
fpredjen ließ. — Unter den mit aller Deutlichfeit eines Berichtes dargeftellten Waffenarten der Egerer Tafel 
gibt es zwar Hellebarden und Spieße, aber feine Kolben. Auf erftere verzichtet 2., e8 Laffen fic alfo feine 
Kolben in O0 nicht einer Liebhaberei für das Mittelalterliche zufchreiben, aud) fhon wegen ihres hohen Progent= 
fates in O nidt. Zur groben Bauerndarafteriftif hätten Miftgabel und Drejchflegel nicht fehlen dürfen; 8. 
fhied fie als zu unedel aus, die Senfen, aber nur geradgerichtete, behielt er. Diefer innerftiliftifhe Grund 
würde menigitens für Zulafjung der Kolben ausreihen, aber nur fallS der moderne Betradter fic) nidt an 
der außer feine VBorausjegungen entfallenden Abfonderlichfeit jtoßen mußte; der Gebrauch von Kolben 1809 in 
Tirol war gwar dem Maler, aber nicht in breiten Streifen befannt. Das Auftreten der Kolben in O deutet 
daher auf Bericht und dafür bleibt, da fi) Egern ausschließt, nur Kodel. — In Nr. 3 des erften Stiggen= 
blattes dreht fic) nun der ganze Kampf um einen vereingelten, von ben Reitern rings umdrängten Mann, 
d. h.: als der Künjtler feine Kompofition umzubauen begann, mendete er fie auch einen Wugenblid im Sinne 
einer joldhen gefährlichen ifolierten Situation, die ihm wohl erzählt worden war; aud) das fiele mithin inner= 
halb des biß dahin allein vorhandenen Kocdeler Berichtes. — Die Zentralifation, fowie die menfdlide Jdee 
mwäre im Bilde volljtändig dDurd) eine Gruppe niederbredhender gleichwertiger Bauernfiguren und dabei realiftifch 
ungezwungener ausgedrüdt worden. Jm Winfelried, der ja zum Dezember 1830 fertig wurde und deifen 
Studien in dem obigen Skiggenbucd) neben Sendlinger Stüden hergeben, murde eine foldhe vor= und nieder= 
brechende Männerfhar außerordentlich ftraff gejhildert. Um heroifhe Haltung zu gewinnen braudte fic) der 


Jugend und Bildungszeit 25 


ftrom, ift in W. Lindenfdhmits „Gejchichte der 
Sendlinger Schlaht” (S. 19) übergegangen. 
Diefe Schrift ift im Hiftorifchen Teil faft ganz 
auf Raftlos „Die Defterreicher in Bayern“ 
aufgebaut. Die Zahl 800 auf ©. 17 für die 
in Sendling Begrabenen ijt nach der Rreuge 
infdrift (Sdmellers). Der Tod Arcos ift 
nad) der herfömmlichen Erzählung. Die jelb- 
ftiindigen Nachforfdungen bet den Sendlin- 
gern über den Ort des Borfalls find fdon 


erwähnt. Die erfte Feier der Zimmerleute 
hat er mitangefehen, feine Schrift ift ‚wohl 
im Winter 1830 auf 31 verfaßt, fie erfchien 
erft furg vor der Enthiillung des Freskos. 
Makmanns „Heldentod“ ift nicht benußt. 
Dagegen fand fich in feinem Handerem- 
plar des Raftlos ein Zettel von nicht feft- 
guftellender Handjchrift,') welcher die „Ueber- 
lieferung“ Maßmannz (vgl. „Heldentod* ©. 11) 
etwas abweichend und vor= und nachher einige 


Künftler alfo durhaus nicht an den einen Balthafar Maier flammern. Wud) bedrohte die Einzelgeftalt, wenn 
ihr tatfähhlich feine Kunde entjpradh, die Verjtändlichleit des Werkes mit einem Fiasto. Cine nod fo befdeidene 





Arnold von Winlelried. 
Getufchte Bleiftiftzeihnung, !Jıs wirfl. Größe. 
Sauptentwurf au bem Oelbilbe in der Mainzer Galerie. 


Sage jedoch gab ihr jene Weihe, die aud) allein den Künſtler gu dex ungleidh fompligierten Aufgabe begeiftern 
und zu ben fortgefegten Nahforfhungen und Studien bringen fonnte. — Schließlich die Hervorfehrung der 
Ungarn (der dem Künftler von Wien her mohlbefannten Rotmäntel) liegt in dem Standpunft, der nicht 
politifd und nidt datenbiftorifd fein will, fondern die tragifche Welt- und Verteidigungsitellung des deutfchen 
Stammes entfdleiert. Deshalb find allein fremde Reiter, — ob nun Ungarn oder Kroaten —, aud) von An= 
fang in 0 da. Uebrigeng beftätigte die Egerer Tafel an ihren Reitern lauter Hufarenmüßen (nur am rechten 
Flügel ein Hut, wohl Offizier.) Die bayerifchen Bergbauern, bie hier der fremde Vorftoß trifft, begreifen nad 
dem innerften Meinen des Miinftlers aud) da deutfde Stammovolf Oefterreidhs in fid. Man würdigte dies 
aud, und nad W. Lindenjdmits Beugnis ,waren die Freunde Defterreich8 nicht unter denen, die ihm infolge 
des Bildes Schwierigkeiten bereiteten, wie fi) erwies“. 

1) Serr Dr. LZeidinger auf der Münchener Hof- und Staatsbibliothek hielt es für weibliche Handichrift. 


A. M. Lu. 2 4 





26 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfhmit, des Welteren 


Quellen und Einzelheiten zu 1705 gibt. Hier 

folgt die Abfchrift, wobei einige Zujäße von 

der Hand Lindenfchmits durch Iateinifche Buch- 

ftaben in Klammern unterjchieden werden: 
Vorderfeite: 
,1) Georg Sebaftian Plinganfer, von 
Pfarrlicchen führte als Hauptmann die 
Meichenberger Landfahnen. Er leitete 
eigentlich den ganzen Stampf. 
2) Xav. Meindel aus Jngolftadt, führte 
500 Reiter: 

3) Dalmay einige hundert Hujaren, 

4) Xav. Oertel 
Dragoner, 

5) Ehriftian 
Jäger umd 
andre zahlrei= 


ches Fußvolf. 





*) Balthafar 
Meyr, Schmid 
v. Cochel, und 
ſeine Söhne Lo— 
renz und Paul 
ſammelten nach 
einem ſtunden— 
langem Kampfe 
die noch!) übrigen 
37*)  Gebiergs- 
bauern im Stird)- 
hofe zu Sendling 
und ftritten bel= 
denmiithig bis fie 
alle fielen. 





MM Th Me 1 


Ouellen find: 

1) G. S. Plinganfers handichriftlicher 
Bericht über den Aufitand des Land» 
volfes, im finigl. Bücherjale. 

[Handschrift.] 


2) Theatrum europaeum. — 


3) Die Deftreicher in Bayern zu An- 
fang des 18. Jahrhunderts von 
Johannes Rajtlos, Ulm 1805. 





4) Monatlicher Staatsjpiegel. 
5) Lamberty’s 
memoires pour 


servir A l’histoire 
du XVIII siécle. 


8) [d. pilgernde 
Enkel:  Augs- 
burg] 

© 
[ite ee 

Colonie} = = 
Yoh hebe Maß— 
manns Abmweich- 
ungen durch [ateiz 
nifche Schrift her= 
vor: „Stunden- 
lang wankte die 

Entscheidung: 
zuletzt jammelte 


—nach der Ueber- 
lieferung — Bal- 


ne- 
nol 





ae | thaſar Meyr, 
Au bei München 1.3.1830. 


Schmid von Ko- 








*) Er war ein 
riefenmäßiger 
Mann trug eine eiferne Seule, die 114 B 

mog, und 
Rückſeite: 
„ſoll beym Gefecht an der Iſarbrücke 
allein bey 19 Oeſtreicher erſchlagen 
haben. Ein öſtreichiſcher Stabs— 
offizier, der ihn am Kirchhofe liegen 
ſah, rief: „Bey Gott! 100 ſolche 
Männer ſind furchtbarer als eine 
Armee pomadeduftender Franzoſen!“ 


Lithogr. aus W. Lindenfhmits Gefdichte der Sendlinger Shlagt. Hel mit feinen 


Stark verkleinert. 


Söhnen Lorenz 
und Saul Die 
allein noch übrigen 37 Gebirgsbauern. Der Tod 
schien ihnen rühmlicher, als ein Leben unter 
fremden Herren. Sie sanken, kämpfend bis 
zum letzten Hauch, Mann auf Mann, Einer 
nach und neben dem Andern, bi8 fie alle 
gefallen waren. Schmid Balthasar soll ein 
riefenhafter Mann gewesen seyn, der eine 
eiferne Steule |..] von 114 SBfd. [..] in dem 
Kampfe trug, und foll in dem Gefecht an 
der Harbrüde allein |..] neunzehen Dejter- 


) uw. 2) „noch“ und „37“ find nachträglich von derjelben Hand über die Zeile gefchrieben. 
8) d. pilgernde Enkel ijt nur vermutliche Zesart, Augsburg deutlich. 





Jugend und Bildungszeit 27 


zeicher erjchlagen haben. Ein öfterreichifcher 
Stab3offizier, der ihn am Freithofe dahin- 
gestreckt liegen fah, brach in die Worte 
aus: „Bei Gott! Hundert folder Männer 
find halt furdjtbarer als eine Armee pomade- 
duftender Franzojen.“ 

Der Zettel ftellt meine® Erachtens ein 
Diktat Makmanns dar (und zwar nad) einem 
Konzepte und Notizen zu feinem „Heldentod“), 
bezwedt Lindenfchmit Anmeifungen zur Ab- 
faffung feiner Schrift zu geben und ift mit 
mündlichen Erklärungen von Maßmann jelber 
und vermutlich im Herbit oder Winter 1830 
übergeben worden. Dieje eigens übermittelten, 
bez. erbetenen Ausfünfte des Zettels hat W. L. 
nachweislich trogdem nicht mehr ausgenußt, 
was auf Berfpätung deutet. Cr jchaffte fich 
infolge des Zettel3 zuerjt den Raftlos an und 
hielt fich dann an bdiefen allein, ohne z. B. 
die von Makmann empfohlene und benußte 
Plinganferhandfchrift zu vergleichen. Die 
B. M.-Legende deS Zettels mußte für 2. 
allerdings irgend Etwas Neues enthalten; 
für eine erjte Mitteilung, über eine noch 
völlig unbefannte Sache, tritt fie jedoch in 
zu unvermittelter Fallung auf, — als folche 
müßte fie auch in den Skizzen gleich ganz 
ander durchgegriffen haben. Die B. M.- 
Legende des Bettels fann aber das im Fresfo 
dargeitellte höhere Alter der Hauptfigur mit- 
bedungen haben. 





Die Gejtalt, in welder Held Baltafar 
Maier verkörpert wurde, ift auf dem Entwurf 
zum Delbild als fämpfender Bauer zwifchen 
den Reitern fchon vorhanden. Statt des mit 
beiden Armen geführten Stachelfolbens erhält 
fie dann den leichteren und fchöngeformten 
Stahlfolben in die Rechte, auf den Skizzen 
der 1. Gruppe; auf denen der 2. Gruppe auch 
die Fahne in die Linke, und die Profilgeftalt 
vom älteften Entwurf, die beides hatte, fällt 
aus. Wahrfcheinlich erft im’zweiten Sommer, 
alg die Arbeit am Fresfo gur unteren Hälfte 
vorrüdte, d. i. 1831, wurde aus dem jungen 
ein alter Baltafar Maier. An ihn fchloffen 
dann die WAusgeftaltungen der Gage an. 
Und es ift nicht einmal fo ficher, ob Linden- 
fhmit nicht nur um der Würde der Geftalt 
willen, und um den alten Zanditurmmann 
und einen Vater hervorgufehren, diefe Aen=- 
derung vollzogen hat. Die ungarischen Reiter 
find gemablt alg Fremde. Das ,,Pfui! 
Deutfche gegen Deutfche!” hat König Ludz- 
wig II. im Jahr 1866 und wohl fchon immer 
ausgefproden. Die nationalpolitiiche Ten 
denz des Bildes liegt hier gang fret da. Wn 
diefen Ungarn, jowie an dem Kampfgetüm- 
mel und dem ganzen YAufbau des Gemäldes 
bat fih Gruber für feinen „Schmiedbalthes‘ 
die Farben teilmeife bis ins einzelne 1832 
erft gebolt.') 

Bon einer Reihe Portrdtfipfe gibt eine 


1) Exfurs gur Balthes- und Gruberfrage. Die Lithographien in VS Sendlinger Biel ge- 


hören fpäteftens ins Frühjahr 1831, der Sommer war zu überfegt, — und früheftens in die Jahreswende von 
1830 auf 1831, denn der Herbjt 1830 reichte gerade Hin, um bie große getufchte Zeichnung „Winfelried“ bis 
Anfang Dezember zu bemältigen, woran fid) eine Ausführung als Delbild {hloß. Auch fpriht 2. S. 19 ja 
von der Zimmermanngfeier „im vorigen Jahre‘. Nun zeigt das lithogr. Vollbild der SHhladt im S. Biidjl die 
ausgefprodene Unlehnung an den Steierifden Oolgtnedht (im Kopf des 9.8. M. f. Tertbild ©. 32); der Künftler 
ging alfo zum Alter zunädft nicht aus Erwägungen über, welche die Abkunft feines Kocheler Modell8 von einem 
Mittämpfer betrafen und in Verbindung bradıten mit dem bejahrteren (zwei Söhne!) B. M. des Zettels. Erft im 
Fresto felbft ift bann wieder der Kopf der Paufe Hervorgeholt und in den entfpredenden eines alten Mannes 
umgebildet. — Würde die quadrierte Paufe mit dem jungen Typus nicht ben Karton (volle, faubere Durch 
bildung der Mantelmotive, der Pferde, und Individualifierung der Gefichter der Reiter ufjw.) vorausfegen, 
würde fie nicht frühefteng ins Frühjahr 1830 gehören, fondern fi) näher an die Verhältniglifte (Mitte 1829) 
rüden laffen, fo fünnte man allenfalls in dem „B. Maier“ der legteren jhon die Wirkung der Z-Ug-Legende 
behaupten. So aber jteht nod) dreiviertel Jahr nadhher ber junge Typus in Bereitfchaft für bas Fresfo ba, 
während gerade die Wenderung ins Alter fi) unvermweilt hätte aufdrängen und bei fo frühem Auftreten diefer 
Legende ohnehin von vornherein in den Skizzen ein alter B. M. fich hätte ergeben müflen. 8 geht alfo nicht 
ohne Doppelanfag: und gwar Sx biß ins Jahr 1830 allein geltend, fodann erjt die dem Z und der Ug zugrunde 
liegende Ausjprengung. — Die „Söhne“ betreffend, fo fehlen fie in den Skizzen, Hier liegt immer ein Pferd, 
einmal ein erjchlagener Gegner vor den Füßen des B. M. In der Paufe ift der betreffende Raum leer ges 
lafien, dod) zeigte er wohl fon im Karton den toten Jüngling aus 0. Und aud) hier meine ih, daß rein 
aus fünjtlerifhen Gründen der wenigjagende Tierförper den jhon in O entwidelten Vorbergrundgruppen der 
gefallenen Bauern meiden mußte; mohlgemerkt: aud der RKnabe (Links) ift fdon fo in 0 da. Der Urheber 
von Z fonnte in dem fiinftigen Bild leicht dergleihen „Söhne“ vermuten, hütete fi) aber, fhon in Z ihr Alter 
4* 





he. YY erate oe re Yee a e/a eee, Oe ee oe See oe pe, ur 


28 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfhmit, des Welteren 


abgeriffene Notiz auf einer Mappe Kunde; e8 einbezogen: „Schwanthaler. Hanni. Munt. 
ftehen folgende Namen untereinander: Hilbs. Schwargmann. Ludwig. Major Henne- 
berg. Luis Walfiire. Maneffiih. Luis. Noth- 
burgis. Glodendon.“ Schwanthaler ijt unter 
den feligen Helden. Wilhelms Frau, Hanni, 
und Schwägerin, Luis, find Walküren (Noth- 
burgis, Walburgis), aber jchlieglich maneffifh 
und nicht als Porträt gefaßt. Die dritte Not- 
belferin, die in der Mitte, ift unbefannt, doch ihre 
echt deutjche, fogen. ,,rimifche Rafe fieht fehr in 
Cornelius Familie hinein; ein Portratfopf in 
Bleijtift, Profil, ijt dazu vorhanden, mig- 
lichermeije ijt e8 Qofefe Cornelius. Ludwig, 
Wilhelms Bruder, ift der jüngfte unter den 
aufgeftiegenen Helden; er wendet jein Geficht 
nad) linf8, wo fich Quife, als Walfiire, bes 
findet. Bor ihm ift die aufrechte Geftalt, zu 
, F der Henneberg und der Schüße den Ty— 
Porträt eines für den oberen Teil des pus gaben. — Der vorderfte Reiter dürfte der 


BIETER ETRE NESS 
4 = y MEN > wig © 
a tee Shrek, Fr . 








Fresfo ausgewählten bayer. Bauern. : : 
piktsatbauet hie wee aise a Dr. Raindl aus Grafjau am Chiemfee 
„Porträt. Kochler. (Schlacht). Luis. Klar. Cornelius begutachtete den Karton beim 


Daxenberger“; dann von links mit Klammer König und wird ihn nach ſeinem ſpäteren 


feſtzulegen, was jedoch nach der Enthüllung des Freskos eintritt, vgl. in Gruber („Der ſtarke Schmiedbalthes“ 
1832, S. 5.) den fünfzehnjährigen Paul und den achtzehnjährigen Lorenz. — Auf den Eindruck des Freskos 
bin, (daher nicht im Z, aber 1832, ©. 48), glaubte Gruber wohl der Hauptgeftalt eine Größe von 81/ (bayer.) 
Fuk zumefjen zu fünnen. Das wären 2m 40,7 om; im Fresfo bejigt die Gejtalt vom Ferfenitand über den 
linfen geftredten Kontur bis zum Scheitel gemeffen Inapp 2m — rund 6‘ 10* bayer., und dazu auf die per- 
ipsttivifhe Zurüdlehnung 2 Zoll veranlagt, ergeben fih 7 Schuh. Der von der Behe bis zum Wirbel fid 
in Altion aufredende Kontur, das auf Ausfall angelegte Zurüdfahren des gedrungen gemölbten Körperbaues 
läßt den Schmied inmitten einer ihm nur wenig nadjitehenden Umgebung bedeutend größer erfheinen. Der 
tote Jüngling ijt von ähnlihem, die Reiter von mittlerem Wuchs, die Pferde von einem Heineren Schlag. 
Der gewöhnliche Betradhter hält fämlihe Figuren für überlebensgroß, Gruber jhäste wohl auf 8 Fuß und 
trug dann der Perfpeftive nod) mit einigen Zol Rechnung — ein Vorbauen und ein peinliches Abrechnen mit 
einer für hiftorifch ausgegebenen Zahlenbafis, wie es auch fonjt bei Gruber zu verfpiiren ift. (Bgl. 34 Zimmer= 
leute, 37 Bauern Z, 35 Bauern + 2 Söhne gezählt vom Schmiedbalthes Grubers; und die Stundenberehnung 
der Kampfdauer Gr.). Gegenjtüd und Gegenprobe ijt die Keule von 114 # bei Gruber 1832 und fhon im Z. 
Der Maler hatte den Einhänderfolben (alfo feinen zu fchweren) fhon aus 0 in die Skizzen und ins Fresto 
übernommen, aljo nicht etwa erjt das fabelhafte Gewicht des Z in ein mögliches und gejhmadvolles herab=- 
gejegt. Spuren führen von Makmann (im Heldentod) auf einen Dritten, und auf diefem Wege künnte Gruber 
wohl eine Borftellung von der entjtehenden Kompofition, be. der Haupthandlung erhalten haben: eine eiferne 
Keule durfte erfledlich fhwer fein, und nahmiegen fonnte man fie ja nit. Gefehen bat Gr. da8 Bild ficher 
nicht vor der Enthüllung; Lindenfhmit jhloß fic) ftreng ab und hat während der Arbeit „verfappt in die 
mörtelbefprigte Haube feines Maurer8* aud wichtigen und vornehmen Bejud) abgemwiejen. — Lindenfchmit 
nennt den 9.B.M. nicht Fahnenträger; er gibt fie ihm als der Erfagfigur für den ausgefallenen Fahnenträger 
in 0, womit vielleicht wegen des niederen runden Hutes der ©. 13 bei W. LV. erwähnte Wirt von Baierbrunn 
gemeint war. Der Z fennt die Fahne nicht, aber 1832 verfagt fi) Gruber aud) diefen Zug des Frestos nicht. 
Er geht natürlid) auch über das Bild hinaus, jo mit der Lömwenfahne; während der Maler, der nad) alten 
bayerifhen Fahnen vergeblih in Tirol (1828 am Sand) gefudt hatte, bei den einfachen Farben blieb. All- 
mäbhlich fteigert fi” Gruber in ein Selbjtgefühl, das die Vorficht verfchmäht, erfindet jeinen „guten Lewen — 
geyer = und (illien’ Traum (S. 55, 56) und fdiebt ihn ©. 45 dem Maler als Anregung für die Glorie 
unter. So hat er nadtraglid das ganze Bild glitdlid) eingefdladtet, und gerade fein Kritifer, der Ardivar 
Dr. Schäffler, vermodte ihm alles zu glauben. 

Drei Tage nad) der Enthüllungsfeier geriet jhon das M. Konverf.-Blatt (No. 286, 13. Oft. 1831), 
dag aus Dtakmann und &. eine Darjtellung des Kampfes (nicht etwa des Bildes) fombiniert, in dasjelbe &e= 


Yugend und Bildungszeit 29 


Verhalten wohl empfohlen haben. Im Som- 
mer 1830 hat er feinen Schüler öfter in 


Alte Shon im März Wein, „damit du ihn 
Herrn Cornelius in Sendling draußen als 
vorfegen fannft.” 


Sendling aufgefudt; aus Maing fendet der 


Teife. G8 beißt im BVerfolge mit an Gruber gemahnender Ausdrudart: ,. . . Obiger Schmid Mayr [bier das 
1. Mal fol]... fammelte nod 37 von ben übrigen Gebirgsländern [!] nebit feinen zwei Söhnen Lorenz 
und Paul um fih.... Mayr flug, die bayerifhe Fahne in der Linfen, mit ber in der Redten 
fürdterlih fhwingenden 114 Pfund fehmeren eifernen Keule... über den Leichen feiner Söhne 
Wes gufammen, ... biß aud) er, von gwei [I] ungarifden Reitern übermannt, niedergeftredt wurde .. .” 
Hier wird in Einzelheiten des Fresfos hineingedeutet (Söhne) und etwas Hiftorifches darin gejehen (zwei 
Reiter.) — Grubers Manier allmähliher Infinuation, andererfeits die von Dr. Al. Dreyer ©. 27, 28 gelenn- 
zeichnete Methode, feine Erfindungen an verjtedte und unklare Hiftorifche Umstände anzulehnen, begegnet 1832 
in feinem „Starken Schmiedbalthes* in allen Graden; vorausgegangene Vermutungen Anderer und Aehnl. 
leiften ihm denfelben Dienst und er befteht befonders gern auf Abänderungen von Zahlen und anderer 
Veftimmungen. Vom Balthes meldet er S. 24 und 53, daß er guerft am Jfartor „die Pforte fprengt“, und 
dann „den Anfall auf ben rothen TZurm leitet“; eine Verdoppelung wie fhon im Ronverj.-Blatt 1831, No. 286, 
wo guerft nad 2’8 allgemeiner Faffung der Balth. M. „im Blute liegend, umringt und angeftaunt“ und dann 
bod nod Makmanns fpezielle Offigiersanekdote „Wei Gott! Hundert foldhe.. .“ gebradjt wird. Z hatte „bei 19“ 
Makmann gang einfad) 19 Oefterreider, Gruber aber zerlegt „B. ift der Erfte, ber den erften Feind erlegt, 
der... allein... no) adjtzehn Söldlinge gu Boden fhlägt.* — Um 2 Uhr Iäßt er Kriehbaums Reiter durch 
bie Sfar fegen, daher wird der Kampf auerft „vierftündig“ (S.34) und dann ,nod) awei volle Stunden (©. 35) 
fortgefeßt ; e8 fchmebt ihm die richtige Ankunftzeii 8 Uhr vor. — Von den 34 Zimmerleuten lag man 1830 in ben 
Zeitungen; Gruber darf fie vor dem Publifum nicht ganz ignorieren, madt aber S. 22, um die anders zuver= 
mwendende Zahl zu vertufchen, „300 Männer“ (bas Wort Zimmerleute wird vermieden) daraus. Die Zahl von 
„37 Gebirgsbauern“ Z hätte follidiert; er lehnt fi) hiemit an die umlaufende Zahl 34, wozu im Stillen „zwei 
Söhne“ Z und entw. 8. M. felbft oder in der Hinterhand Reifenftuel treten = 37. Im „Schmiebbalthes“ 
dient jedoch der Tod Reifenftuels gum Anlaß der Abzählung und jegt find eg natürlich) mit Augfchluß des 
eben gefallenen R. und des zählenden B. M. „jeine beiden Söhne und nod fiinf und dreißig Männer“ d, 5. 
die erforderlichen 37 „fiehe da!” 

Die B. M.=Legende bes Z fpricht in „Gebierg“ oberbayerifh, mas nicht gerade nad) Gruber ausfieht; 
Mim. u. 2. fchreiben am betreff. Orte „Gebirg.“ Sonft dedt fic) die Ug mit ber Z-Regende faft wörtlich) 
(abgefehen vom Zichokkeeinfchlag hat bie Ug das bayerifcdhetuende halt, die Zahl 19 ft. „bey 19“, und Freithof 
f. unten) und in „Meyr“ bud[tablid (nur Mm. u. Z. fo), Lindenfhmit mit ihnen nur dem Sinne nad) (in 
feiner „Sage“ ©. 16 der Geſch d. S. Sch!., mofelbft „Maier*). — Die erften fünf Namen des Z mit ihrem 
Lert ftimmen der Reihe und dem Sinne nad), aber nicht wörtlich mit Zidhofte, 8. ©. 5. S, 398, 399, an welchen 
fih Mm. fonft anfchließt, während er hier die Tertabmweihungen des Z verbunden mit eigenartigen Zufäßen 
bringt. 8. hat Feine folde Zufammenordnung, nennt Dertel Dalmay Jäger gar nicht, Plinganfer und Meindl! 
an getrennter Stelle. Während aber Z „Xaver Meindel aus Ingolftadt“ und „Xaver Dertel“, fomwie „Kirdj- 
hof“ fchreibt, dedt fi) Grubers „Freithoff“ im Kalender ©. 54 und fein „Xaver Maindl, der Ingolftädter“ 
©. 15 mit Makmann, deffen „Student &. O." ebenfalls in Grubers „Altpurfch Xaver Oertel” ftedt. Nicht nur 
den Meindel (nad Raftlos-Pling.), fondern aud) nod den Chr. Jager nennt Mafmann einen Studenten, woz 
von weber Bfdoffe nod) die (1835 in Horm. Tafhenbud) S. 141 veröffentlichte) Lista etma8 weik. Ein Ber-= 
glei awifden 


[Der Aufitand an der Schwarza Iodte an Zfar, 
Vils und Inn. .] 

So Georg Sebaftian Plinganfer .. . WIS er 
von Pfarrfirden, f. Geburtsort [. . ohnweit dem 
Roth flug er 


.etforen ign .. gum] Hauptmann der Reichen 
berger Landfahnen. [Ein anderer Züngling] 
Meindel, führte eine Schaar von fünfhundert 
Reitern ; 
Dalmay einige Hundert Oufaren; 


Xaver Oertel Dragoner; 
Chriftian Jager und Andere zahlreiches Fußvolf. 


Bidotte S. 398 f. und 


Heldentod ©. 7. f. 

[Das Volt an der Vils und Roth ftand zu— 
erft auf. .| 

Georg Sebaftian Plinganfervon Pfarr= 
firden, [fpäter des Kurfürften Geheimfchreiber, mit 
ihm der Student Maindl von Qngoljtadt, deffen 
Entel als Kaufmann in Landshut, bdeffen Urenfel 
als Redtspraftifant am Stadtgeridt zu München 
lebt, jtellten fich an die Spige.] Plinganfer führte 
die Reihenberger Landfahne und leitet, 
den ganzen Kampf. 

Zaver Maindl, der Ingolftädtere 
führte 500 Reiter, [zu denen aud der Wadt- 
meijter Johann Qoffmann ftand;] Dalma’y [bez 
fehligte] einige Hundert Oufaren, |der 
Student] Laver Oertl Dragoner, [der Stus 
dent] Ghriftian Jäger und Undere [ein] 
zahlreiches Fußvolk. 


30 Qijtorienmaler Wilhelm Lindenfhmit, des Aelteren 


Der König war von dem Unternehmen auch andere Mitglieder des Hofs fich für den 
verftändigt und im ganzen damit einverjtan- Fortfchritt der Arbeit intereffiert. Infolge 
den. Außer dem Minifter v. Schenf haben | einer Eingabe Lindenfdmits war ihm etwa 


lehrt, daß Mabmann zwar aud) hier den Zichoffe (Vils, Roth) fennt, aber an diefer Stelle in näherem Ver= 
bältnis zum Z fteht (ber Sag „leitete“, die Vornamen ,Xaver“), ob aber in Abhängigkeit davon oder umge= 
fehrt, ift nod) unklar. Außerdem Hat er den „Hoffmann“, fchreibt „Maindl, Oertl* (vgl. Lista Mainl, Dertl), 
fobann fennt er (neber Dt. aus Raftlos) aud) Oertl und Yager alS Studenten und die Nadfommen Maindls. 
68 jpredhen alfo hier mündliche Nachrichten herein, die vielleicht von derfelben Seite und zufammen mit der 
Balth.eMeyr-Legende in Ug, bez. Z, fowie mit der allein bei Mam. S. 9 Anm. erzählten, „im Bolf gehenden 
Sage“ von dem djterr. Reiterbuhlen an ihn gelangten. Denn ohne diefe Perjonalien fonnte Mam. ebenfogut 
bei feiner Zichoffevorlage bleiben. Auch bedurfte er mit feiner Bibliothefpraris ganz gewiß nicht der in Z 
aufammengejtellten fünf Namen oder des Quellenverzeichnifjes am Schluß. Daher ift der Zettel fein urjprüngs 
liches Ganzes. So wie er vorliegt, ift er in den erjten beiden Bejtandteilen (a. die fünf Namen, b. die zmei 
Balthafarjtellen) bloß Excerpt, das aus den Notizen oder aus dem unfertigen Konzepte zum Heldentod nod 
vor beffen Erfheinen (Weihnachten 1830) gezogen ift (— andernfalls hätte fih W. 2. wohl an den Heldentod 
felbjt gehalten, wovon fich vielleicht eine einzige Shwahe Spur „riefenhait“ jtatt Z „riefenmäßig“ findet —), 
und zwar ift Z von Makmann nad) feiner Art wohl aus dem Kopfe diktiert (daher Meindel, Oertel; durch eine 
— Miindnerijfhe — Schreiberin erflart ich auch „Gebierg*) und etwas ergänzt (das eingefügte „noch“ „37*). 
Und während die erjte Balthajarjtelle für fich fteht und fogar fhon, wie nur breiter im Htod, A la Zichokte 
endigt („heldenmütig . . fielen“), fennzeichnet fi) unter Anmerfungszeihen zum Namen B. M. die zweite 
Stelle, die fi) allein mit feiner Größe und Kraft und deren Wirkungen beifhäftigt, al® ein befonderer Austrieb 
der Legende und als jelbjtändige Notiz. Wir haben mithin: 
Mündlihe Quellen, zuf. mit + Zschokke, controlliert durch die 
B. M.-Legende aujtretend, = Y Lista 








Concept Makmanns 








Zettel Heldentod 

Der Zettel ftellt fich ferner — zumal in feinem dritten, dem Quellenteil — als eine erjte Anweifung 
für jemand dar, der eine Schrift über die Zeit der Sendlinger Schladt zu fehreiben vorhat. Jnfofern wäre 
der Zettel für den durch Mahmann in folhen Dingen ftetS beratenen Lindenshmit ganz unnötig gewefen, 
wenn er nicht eben von Makmann herfam. Daß dies die Bejtimmung der Zettelnotizen eigentlid) mar und 
Mafmann einen Anteil an deren Abjajjung Hat, geigt aud) die Verdeutihung „Bücherfal“ und im Zufammen= 
hang damit der Wert, der auf die Einfiht in die Plinganferhandfhriit — obgleich fie für 2. genügend im 
Rajftlos gu finden war — gelegt wird. Dieß fcheint bei der Ueberreidung des Zettel8 betont worden zu fein, 
fodaß — mie bei eiliger Kenntnisnahme gejchieht — Lindenjchmit fich felber noch ein zweites Mal Handschrift 
Dagubemertte. Während nun Makmann die Handfhrift wirklich benugt Hat (fj. Htod ©. 7 „die durhlaudtigite 
Nachfolge‘ — Plinganfer auf S. 131 des Abdruds in Verhandl. d. Hijt. Ver. f. Niederbay. 8 Bd. 1862 „die 
durdleidtigifte Nachitolge”, dagegen bei Naftlos S. 23 „die durhlaudtigiten Nachfolger“), hat Lindenfhmit 
dieS unterlaffen und offenbare Lefefehler des Naftlos in Namen übernommen, vgl. W. L. S. 18 „Obriſt Zele“ 
= R. ©. 56, ftatt ,obrift Qele” der Handirift, „D’Okford“ ftatt „D’Ogfort‘, und die Raftlos’she Kürzung 
©. 50 betreffs der Mühldorfer Entfhuldigung. Eine auf das Genauejte durchgeführte Vergleihung lehrt, daß 
2. von [hriftlihen Quellen und Darstellungen überhaupt nur den Raftlos benugt hat und daß ji, mit 
Ausnahme der Arkolegende, der eigenen Erforfhungen und der Schilderungen, jede Heinfte Einzelheit und ges 
wiffe Mutmaßungen auf R. gründen. Maffei und de la Colonie, die er jelber zu Lamberty, offenbar wegen 
YUrko, fchrieb, blieben trogdem ungelefen, die Martinswand (S.3) und die herfümmliche Erzählung unberichtigt. 
Um die fünf Namen des Z (bei denen Mtakmann den von ihm fpäter getabelten „Hoffmann“ mwegließ gemäß 
feiner Borftelung von Lindenfhmits Wbficjten), fowie um den ganzen Zihofte hat er fid) nicht weiter ges 
fiimmert. G8 fdjeint, dah die Beit fcpon au tnapp geworden war, den Anmeifungen des Zettels, als er fie 
erhielt, zu folgen, und nur der bequeme Raftlos verlodte ifn, feinem Beftande von eigenen Ermittelungen und 
iNuftrativen Gedanken den hiftoriihen Tert unterzulegen. Mit diefer Verjpätung hängt es zufammen, daß er 
den Verlauf der Gefechte am ftädtifchen Gottesader (Glodenbad)) und bei Sendling nad) der Egerer Tafel 
und der örtlichen Kunde bietet und die „Sage“ vom Balthafar Maier nur nadträglid anfügt. Vahmann 
dagegen gliedert fie al® „Ueberlieferung“ in die Zichokte’fche Kichhofverteidigung ein; dabei nennt er den 
Kirchhof „Freithof“ (auch fhon S. 4), ein Wort, das fid) ihm germaniftifch und aus dem Bericht des Pfarrers 
Soyer 1705 durd) ehrwiirdige Hiftorifde Farbe empfahl. Die unter dem Minifter v. Schenk und Geheimrat 
v. Hormayr feit Oftober 1830 (bis 1832) gepflogenen Erhebungen (f. Münd. Sreisardiv M. A. 1040, 123) 
förderten diefeS Dokument nicht zu Tage, obgleich eine Abjchrift davon den Copien einer vom Erzbifchöfl. 
Ordinariate befdiedenen Eingabe des Sendlinger Pfarramtes, v. 16. bez. 20. April 1830, beigegeben und mit 
diefen in Lindenfdmits Befig gelangt war. Sicherlich fah Mafmann das Schriftitüd bei ihm; das alte Wort 
war ihm ein Fund, den er übrigens für fic) auffob —: alfo aud) hier zroar gelegentlihe Fühlung awifden 
den Beiden, aber feine Bereinbarung iiber daS Bu-Bietende. Die wiederfprdde aud) dem felbjtändigen 


Jugend und Bildungszeit 3 


gegen Ende 1829 „von Sr. Maj. Regierung | Baterland gefallen, darguftellen.”1) Wie der 
die Erlaubnis zu teil geworden, den Helden- König das Unternehmen aufnahm, lehrt eine 
tod der Bayern, die 1705 für Fürft und | andere Briefitelle (W. 2. 1838 an Gmeiner): 


eigenmilligen Charakter der beiden Männer. Außer feiner ganz anderen Arbeitsmweife fhlägt Mm. Idon beim 
Sammeln andere Wege ein und fehrt andere Seiten des Stoffes hervor. &8 lag überdies von vornherein in 
feiner Bahn, auf diefen Gegenjtand zu treffen. Aus dem Befreiungstriege wie Schmeller zurüd gedenft er 
mit patriotifher Trauer der vergeffenen Kriegergraber um Leipzig, (T. fein Gedicht „Winter“ in Menzel8 Moo8s 
tofen 1826, ©. 338). Im November 1828 befihtigt er die bloßgelegten Gebeine des Bauerngrabes auf dem 
Münchener Gottesader und nimmt die Vermutungen der Leute anteilsvol in fid auf (f. Heldentod ©. 4), 
geradefo wie er über die Wrfadenfresten jchreibt, bayerifhe Sagen gejhichtlich erläutert, Münchener Merk 
mwürdigfeiten und Bräuche befchreibt. Diefe publiziftifche Neigung und nit W. Lindenfchmit, wie F. v. Wall- 
menid) (S. 138, Unm. 2) vermuten möchte, bradte ihn darauf, fi) mit der Gejhichte der Sendlinger Schladt 
zu befaffen. €8 mare nur natürlih, daß Makmann, langft mit dem Vorhaben feines Freundes vertraut, 
die Zeit für feine Gedenfjchrift erfah. Sein Bemühen hatte inzwiichen eigene Refultate gezeitigt. Die Buch 
ftäblichkeit, womit er feine Ug glaubt vortragen zu müjjen, bezeichnet ihn genügend als deren Auffinder. Dazu 
ftimmt, daß eine Kenntnis, die man fonft bei Lindenfchmit vorausgejegt hat, diefem hier im Z noch eigens 
übermittelt wird, — offenbar, weil ihm die Wusfiihrlidfeit ber Z-Legende etwas Neues fein mußte. Denn 
anbererjeits jehen diefe unvermittelten Zeilen des Z nicht wie die erjte Mitteilung einer dem Empfänger völlig 
unbefannten Sade aus. Ware fie dies und folglich) die einzige und fofort fehr bejtimmte Nahricht, jo müßte fie 
{don bei den Sfiggen ganz anders durchgegriffen haben. — Die Uebermittelung des BettelS wird fo fpät fallen, 
daß die Zweifel, welche Lindenfhmit gegenüber den Einzelheiten von Z—Ug beihlien und fic fdlieblid 
dur unbeftimmtere Fafjung der „Sage“ in feiner Schrift äußerten, den Tert von Maßmanns Heldentod nicht 
mehr beeinflußt haben. Dod muß im Oauptpuntte eine Uebereinftimmung der Sx fiir Z—Ug gefprodjen 
haben; DtafBmann, der ja troß der Wusfage de8 Kirchenbuds an der Ug fefthalt, ftithte fic) wohl auf die 
Umftände, unter denen fie ifm erzählt ward. 

Von dem legten Titel auf dem Z ift nur die Lefung „Augsburg“ gefichert; es könnte ein Tafdenbud 
gemeint fein, doch findet ich nichts dergleichen. Zu beachten ijt vielleicht die Anonymität. — Gruber jpann feinen 
Faden fadte an den Umftand an, dah ein Wuffehen veriprehendes Gemälde im Entftehen war. Einzelheiten des 
Z, namentlid) die 2. Stelle, fönnen von ihm in Umlauf gefegt fein; in der bejtimmten, von Makmann fo gemerteten 
Prägung des Z famen fie an ihn fehmwerlich als ein Auszug aus GruberS vorgeblidem „gedrängten Thaten= 
gemälde“ heran, das Gruber „schon im Herbjt des Jahres 1828 in einer Zeitjchrift Hinausgegeben“ haben will. 
Makmann hätte dann ficher zitiert und aud für feinen Z und die Ug etwas mehr vorgefunden, namentlid 
jene ungarifchen Abenteuer des Helden, melche aber dem Erfinder erjt bei dem Anblid des fertigen Bildes 
aufbdmmerten. Gruber hielt eben da8 mündliche Verfahren der Ausflüdhte wegen fürs erite feit und wird 
in der Tat, wie er beteuert, mit Erzählungen aus feinem vorgeblichen Stalender „nicht gegeigt“ haben. Dabei 
gab er die zweite Partie der Zettellegende mit jener auf eine Stelle des Bayerifden Bauern-Kriegs gepfropften 
DffizierSaneldote zuerst zum beften. Defhalb figuriert fie im Z als befondere Notiz; fie war bei einer anderen 
Gelegenheit, als die 1. Stelle, an Mm. gefommen, vielleiht fogar früher als die 1. Stelle, welche wegen ihrer 
Operation mit der Zahl 34 (+3) = 37 die Zeitungsberichte über die Zimmermannsfeier von Ende Juni 1830 
vorausfegt. Wuch die Splitterhaftigkeit des Gruberifchen Kalenders findet in den ZeNotizen fhon ihr Vorbild. 
Die „Armee pomadeduftender Frangofen’ ift feit der Schlaht bei Rokbach hiftorifh; ein folder Zug mußte 
dem Preußen und Patrioten Makmann wohl angiehend, aber auc) undurdjdaubar fein, wie ja aud) in bem 
ungefdidten „halt“ das Verftändnis für Bayerifch-Dejterreichifche Möglichkeit fehlt. Yn diefer doppeltausge- 
wedfelten Anekdote fühlt man den Boden durd), auf dem Gruber zuerjt Fuß faßte. — Die Erfindung madte 
ihren Weg duch Mittelamänner. Grubers Ausfage, „daß mehrere Freunde der vaterländifhen Gefdidte . . 
fic . . erfundigten”, Hat Teilmahrheit; er hütet fi) wohl einen Namen zu nennen; den Maler zählt er nicht 
biefen Erfundigern bei; da er fid) aber ein BVerdienft an V8 Kompofition beilegen will, muß er von ihm 
reden ; die anonyme Wendung, mit der er ihn heranzieht („Künjtler, der das 8. Bild unter den Bögen bes 
fol. Hofgartens gemalt hat“ „Frifchgemälde“‘), wurde 1830 von Matmann (Heldentod S. 4) in verjtändiger 
Abfiht gewählt; bei Gruber 1832 ift die Meidung des Namens eine falfhe Geheimnistuerei. Das Bild vers 
ftedter Mtadination und aud) ihre zeitliche Abfolge würde durd einen legten Fund ich beftätigen, falls er 
auszumachen ift. indenfamit hat in feinem Rajtlos auf dem unteren Rand von ©. 78 mit Blei einen Namen 
hingefchrieben. Der Familienname ijt fat unleferlih, a8 Ganze finnte ,Jofep Gruber“ Heißen. Gruber felbjt 
führte im Drud ftetS „Ferdinand J.” oder „F. 3." alB Taufnamen. 

Diefer Eintrag gewinnt feinen richtigen Sinn dadurd, daß Seite 78 wenige Zeilen oberhalb vom 
roten Turm die Rede ijt; über die 2. Stelle des Z, morin die 19 Erichlagenen, die 114 B, die Offigiers- 
anekdote fich häufen, befragte fid) 2. wohl mit Makmann; diefem wird e83 nun zwar gelungen fein, Gruber 
gu eruieren, — dod) faum, zu fpredjen. Daher blieb der Name ohne Adrejje und ohne den Titel einer etwa 
vermuteten Schrift und zeugt jo von der Vergeblichkeit der Erfundigung. 

1) Worte, mit denen fih W. Lindenfhmit in feinem im Dezember 1831 an König Ludwig gerichteten 
Gejud auf diefe Eingabe bez. den „vor 2 Jahren“ erfolgten Bejcheid zurüdbezieht. 


32 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfdmit, de8 Welteren 


„Der König al3 er den Bericht erhielt, fchrieb 
an den Rand, ich fey win fo mehr hierüber 
zu beloben, als ich fein Bayer fey. Und dieß hat 
er mir feitdem mündlich wenigjtens 10 mal 
wiederholt.” Noch nach Jahren fam König 
Ludwig gern auf Sendling zu fprechen, fo in 
Hohenſchwangau. Auch Hormayr bringt diejes 
Wort, in den Bayer. Blättern; nur was er 
von Beifteuern binzufügt, beruht auf Ber- 
mwechslung, wie fie auch in den Zeitungen 
eingetreten ift. Man fonnte fich eben nicht 








jo waren e8 doch“ — gefteht er fid) {pater — 
„große Hindernifje für die Gnade des Königs.“ 

Hierin trat bis in’3 Spätjahr 1831 feine 
Nenderung ein, und des Königs Geneigtheit 
fiir die Sendlinger Sache konnte fich daher 
aud) nicht in Buwendung von Mitteln äußern. 
Andernfalls hätte 2. in feinem Briefe, worin 
er die Erfahrungen, Kämpfe und Ereigniffe 
von der Bildenthüllung an bis in den Sommer 
1832 dem Bruder anvertraut, eine derartige 
Allerhöchite Anteilnahme bejtimmt verzeichnet, 


vorftellen, d. 5. in ihren 
dak der Maler Solgen bez 
das umfing- ſprochen; 
liche Werk in hätte darin 
der Haupt- die ehrendſte 
ſache allein be⸗ Förderung 
ſtritten habe. erblickt, nicht 
Dieſer Zug iſt ſo ſehr, weil 
aber weſent⸗ ſie den unaus⸗ 
lich. „Auch weichlichen 
hatte ich mich Exiftengfampf 
ſorgfältig ge— gemildert hät⸗ 
hütet, die Leu⸗ te, ſondern 
te in die Ar— weil dadurch 
mut meiner eine Unzahl 
Glücksum⸗ kleinlicher 
ſtände blicken Kränkungen, 
zu laſſen und Schädigun⸗ 
ſie wußten gen und Aus⸗ 
noch immer beutungen, 
nicht, wie denen er durch 
groß und ver⸗ abſonderliche 
wegen dieſes Umſtände 
— Hauptgruppe mit dem Balthaſar Maier. — 

Aus der Litographie = B. L'8 „Gef. d. Sendl. Schlacht“ daritellend da8 Gemälde 
nommen, an ber Sendlinger Kirche. — Wirkl. Größe. twat, vonvorn 


war.” Diefes Gebot feiner Verhaltniffe, anderer= 
feitS die fchaffende Qdealitdt, mit der er in 
feinem Werk voranfchritt, verband und ver- 
fittete ein ftarfer perfinlicher Stolz, der fich 
nicht fo fehr in politifchen und Parteimein— 
ungen, al8 in dichterifch-fünftlerifcher Unnache 
giebigfeit fühlte. Und fo gewann er e8 fidh 
und der hohen Spannung, mit der er am Werke 
war, nicht ab, dem König gemiffe erfte Schritte 
perjönlich entgegenzutun. 

„Dbichon dies alles fich jehr gut mit dem 
Charakter eines Mannes verträgt, der das 
ernjte Bewuptfein hat, diefe und jene Handlung 
um eines edlen Zwedes willen zu vollführen, 


herein von feinem Pfade ferngeblieben märe. 

Der Gedanke, das Bild des Kampfes an 
der Stätte desjelben und über der Heerjtraße 
aufzurichten, fam bei den Befuchen und Nad)- 
forfchungen in Sendling ganz von felbft. Da 
eS nun die Wand der Kirche und einen Fried- 
hof Schmüden follte, mußte e8 in dem Sinn 
höchjter religiöfer Weihe umgeftaltet werben. 
Es war nicht ganz leicht, aber Wilhelm fand 
in der bejcheidenen volfstümlichen Wegblüte 
de3 „Marterls“ das entfaltungskräftige Vor- 
bild und formale Prinzip. Sein Gemälde 
it ein ins Heldenhafte gemwandeltes Marterl. 
Aus dem heißen Brodem der Schlacht hebt 


Sugend und Bilbungszeit 33 


e3 fich durch das falte Gewölf der nieder- 
finfenden Todbringerinnen zum Spender alles 
Odems Hhimmelan. 

Nun hatte zwar der König einen Wunjch 
ausiprechen laffen; es fjcheint, daß er ftatt 
des richtenden Gottes die mitleidigere Geftalt 
der jungfräulichen Himmelskönigin vorgezogen 
hätte. Allein der Künftler bedurfte in der 
ftrengen Erhabenheit der auffteigenden Kom= 
pofition eben jene ruhig weitjchauende, unbe- 
irrte, die Welt im Gleichgewichte haltende, 
männliche Gottesgeftalt der ewigen Gerec)- 
tigkeit. 

Schon rein al8 förperliches Motiv wirft 
diefe Geftaltung wie eine Wage. C8 ift die 
Uebertragung der fämtlichen Bertifalen, die 
vom Antlix deB Baltafar Maier, von den 
aufgeredten Armen der Sterbenden und dem 
Kampf auffteigen, in die Horizontale der aus- 
ebnenden, fegnenden Gotteshand und des aus 
dem Inneren hinausmaltenden Blides. Bon 
hier aus fenfen fich die Todesengel leife hinab 
und der ferne Jubelfchall aus den Lüften dar= 
über. Das ift die Glorie. 

Qn diefe Glorie ift die „altbajumarifche 
Oeldengefolgfdaft’ und die , Walhalla” Wil- 
helms Hineinverflungen. 

Darunter regt der Wolfenhimmel feinen 
MWiderftreit von Flammenfdein und Winter- 
fälte. 

Einen befonderen realiftifden Zug hat 
der Künftler in den Grund des Schlachtfeldes 
verpflanzt: nämlich das Motiv des halbohn- 
mächtigen Berwundeten, der fich auf den 
Knieen wieder zu erheben verfucht. 8 ftammıt 
vom Egerner Botivbilde, wo e3 in mehr 
fader Wiederholung der fraffen Wirklichkeit 
aud) frag wirlt. Hier in dem einzelnen, zu= 
fammenfintenden Offizier ift e8 zum rühren- 
den Bug geworden. 

Wm 6. April 1830 verlor Wilhelm durch 
den Tod des Großherzogs Ludwig von Heffen 
auch das ihm gegenwärtig fo nötige Stipen- 
dium. Im Juli reifte auch Cornelius nad 
Italien. Das Entgegenfommen des Pro- 
defans, Pfarrer Graf von Sendling ermög- 
lichte Lindenfchmit für die beiden fommenden 
Jahre in jenes der Kirche gehörige Haus 
überzufiedeln, wo er fchon einen Teil der Ar- 
beit vollführt Hatte. 

Bis jet ftand aber noch immer das 

Y.m.1u 2, 


Borhäuschen, das über der nördlichen Kirchen 
tür erbaut war. Um e8 befeitigen zu fönnen 
und die Bildwand frei zu machen, wurde zu= 
exit eine Eingabe an das RK. Zandgericht ge= 
madt. Nach erlangtem günftigen Befdeid 
brachte Pfarrer Graf am 16. April das Ge- 
juh vor die firchliche Behörde, den allgem. 
geiftl. Rat des Erzbistums München-Freifing. 
Die Erlaubnis zum Abbrucd) traf am 20. April 
ein; damals fam auch jene Urkunde vom 
Pfarrer Soyer über die Sendlinger Schlacht 
zum Borjchein. 

Sm Mai 1830 begann da8 Malen am 
Fresfo. Bm Juni zog Lindenfchmit mit Frau 
und Kind in das Haus bei der Kirche ein: 
er behielt dieje3 ganz gemütliche Heim bis in 
den Mai 1832, wo die Arbeiten in der Neji- 
denz an den Schillerbildern begannen. 


Gein ,,Winkelried” paffierte den 5. De- 
gember den Runftverein. Der in der Weih- 
nacht ausgebrochene Studententumult ift mit 
feinen betrüblichen Folgen in Ludwigs Rari- 
faturen fehr luftig erzählt. 

Das Jahr 1831 jah infolge der Prep- 
zenfur rapid verfchärfte Gegenfäge gwifden 
Regierung und der liberalen Kammergruppe. 
Die Oppofition unter Baron Clofen febte 
am 30. Mai die Entlafjung des Minifters 
v. Schenk durdh. Am 14. Yuni begann der 
VBorftoß gegen des Königs Aufwendungen für 
Runjt; felbjt die fiir die Arkaden, obwohl als 
volfstümlicdy und patriotifch anerkannt, follten 
nur unter Mipbilligung bemilligt werden, und 
am 8. Juli wurde das ganze Runftbudget von 
der Kammermehrheit verworfen. E38 hieß: 
Streichen fei auch eine Kunft. 

Lindenfdmits Gemälde war außerhalb 
der Barteipolitif und wendete fich an daS ge- 
famte Bolf. Gs beftand auch in beiden La- 
gern eine freundliche Erwartung; da8 Er— 
Icheinen feines Schriftchens in der literarifch- 
artiftiichen Anjtalt, den 8. Oktober, wurde in 
Blättern beider Richtungen angezeigt und bez 
grüßt. 

Wm 28. September vollendete Linden- 
{mit fein Werf; am 9. Oftober, an einem 
Sonntage fand die Enthüllung ftatt. Hier 
trat nun ein, mwa8 niemand gedacht hatte. 
Er erzähle e3 jelber: 

„Den Abend vor der Eröffnung meines 
Bildes war ich allein und überdachte meine 

0 





Lage. Ic Hatte ein großes für Bayern und 
für Deutfchlands Gefchichte, auch für die 
Kunft an fic) wichtiges Kunftwerk vollendet 
und wie mir die Renner fagten mit Glüd 
vollendet; die uneigennüßige Art wie ich das 
Werk unternommen, hatte mir bei allen, die 
davon gehört, Ehre erworben, Feinde hatte ich 
feine, oder fie waren verföhnt, meine Freunde 
liebten mid) innig, in meiner Familie war 


mein Glüd unbemwölft und reich, meine Be- 


fannten und Nachbarn achteten und fchäßten 
mich. Die bedeutenden Opfer, die ich der 


Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfhmit, bes Kelteren 


aus blauer Luft traf, war, daß eine politifche 
Partei jich der Ehre meiner Arbeit bemäch- 
tigte. Der Afjeifor Hader, deffen jervilen 
Schmarogergeift ich nicht geahnt und deffen 
Ankunft bei dem Feft mich gefreut hatte, be- 
nußte, aufgeftiftet von dem Magijtrat, dieje 
Gelegenheit, fich einen fogen. roten Rod zu 


verdienen. Mit Unmillen hörte ich zu wie 


er von der gefchichtlichen Bedeutung des Ge- 
genftandes abjpringend zu Ausfällen auf die 
Oppofition in der Ständefammer überging, 
wovon fich mehrere Mitglieder unter den Buz 





Wintelried. 
Auf die Sauptwirfung vereinfadter Umrif von W. Lindenfchmit d. I. 
fw wirkl. Größe. ‘ 


Eröffnung meiner Laufbahn gebracht, jchienen 
bi8 zur Hefe ausgeleert, ein zmwedmäßiges 
Verhalten!) mußte fie einigermaßen erjegen 
fönnen. Was aber die Laufbahn betraf, fo 
fonnte man den moralifden Banden ver: 
trauen, die an mein Werk eine Nation und 
einen König, ja den Runftvater Cornelius 
fnüpften. So beruhigend diefe Betrachtungen 
waren, fo war meine Heiterkeit nur gemäßigt. 
Der erfte Schlag, der mich, wie man fagt, 


hörern befanden. Ex bezeichnete fie als eine 
Rotte von vergweifelnden Mtenfden. . . Das 
Landvolf verftand diefe Gemeinpläße nicht 
und vergaß fie gänzlich, allein das Publifum 
behandelte von da an Herrn Hader mit tief- 
fter Verachtung und die Ständefammer Flagte 
ihn, indem fie jene Beleidigungen als ihrem 
Körper widerfahren betrachtete, förmlich an.) 
— Qn einer fo bewegten Zeit hätte mein 
Unternehmen nur anerfannt werden fünnen: 


) Nämlid die Einleitung zur „Subfeription auf die Lithographie des Bildes, welde nad dem 
Urteil aller Gefhäftsleute mir meine für Herjtelung des Bildes gebrachten Opfer hätte erfeben können.“ 

*) Herr v. Elofen über Haders Rede, in der 121. Sigung der Kammer der Abgeordneten, (j. Münd). 
Eonverfationg-Blatt 1831, den 24. Oftober, No. 297, über die Sigung vom 21. Oftober.) 





Jugend und Bildbungszeit 35 


wenn e3 über alle politifche Barteien erhaben 
dajtand. Diefer Vorteil war unmiderbring- 
lich verloren. — Al den Landftänden, deren 


verschiedene Parteien fich früher mit großem - 


Wohlgefallen über mein Unternehmen und 
meine Perfon geäußert, . . die Subffription 
zur Lithographie vorgelegt wurde, äußerten 
die meiften gang falt, daß ihnen eine Erinne= 
‘rung an jene Beleidigung ihrer Körperjchaft 
nur unangenehm fein finne. Der Umjtand, 
daß eine fo michtige Staatsgewalt meine 
Leiftung verläugnete, machte die öffentlichen 
Blatter . . . verftummen. — Eine andere Er- 
fcheinung, die mich wahrhaft zittern machte, 


mar Neid, den ich unter den Stiinftlern hie 


und da, und an gefährlichen Orten bemerkte. 
Einem Beobadter von Verftand . . . konnte 
es nicht entgehen, daß die bedeutenderen der 
jungen und älteren ünftler mit fchmweigen= 
dem Nachdenken ein Bild betrachteten, das fo 
anhaltend eine größere Menge aus allen 
Ständen mit ehrfurcht3vollen Gebärden vor 
fich verfammelte, eine größere, al3 fie ver- 
mochten vor eines der ihrigen zu bringen. 
War e8 der Zauber der Nationalität, des ge- 
fchichtlichen Bodens, war e8 die impofante 
Größe der Oberfläche des Bildes nahe .an der 
Heeritraße — ich merkte, daß fie diefes inner- 
[ich erwogen, leider fand fich fein erheblicher 
Fehler, die Menge fühlte fich befriedigt, fie 
mußten alfo ſchweigen. Selbjt meine näc)- 
ften Freunde teilten nicht jene Rührung, die 
mich den ganzen Tag erjchütterte; Cornelius 
unter den Riinfilern, mar der einzige, der 
gleid) mir innigft bewegt und ergriffen 
war.” — 

Das Gefchaft der Subffription nahm 
fclechten Fortgang. Kaulbad), der die erjten 
Unterfchriften zu fammeln unternommen, 
wurde durch Fohr daran gehindert. Cornelius 
wollte fic) aus freien Stüden der Sache beim 
König annehmen, verjchob und vergaß es. 
Ebenfo verfagten Ringseis und Schobert. 
Ridel madhte einen mwohlgemeinten Verjuch, 
die Subjkription in Gang zu bringen, ohne 
Erfolg. — „Dazu gefellte fic) ein neuer Un 
fal. Mit Schreden berichteten mir meine 
Bekannten, daß eine Lithographie meines Bil- 
des an den Kunftläden hinge (von Ellmer) 
und in allen Brauhäufern herumgetragen 
werde”. — Nun drohte fchon Geldnot. Sein 





Kredit lag in den legten Zügen. „Es hält 
fchwer bei einer folchen Lebensmweife uner- 
fchüttert zu bleiben.“ Dazu famen ungejchidte, 
teil8 gut, teit$ falfd) gemeinte Schritte in 
öffentlichen Blättern von unbefannter Seite, 
gegen die er Stellung nehmen mußte. Cine 
unrichtige Anforderung eines Scheinfreundes 
nahm feiner Sache bei den Gemeindebevoll- 
mäcdhtigten die Unantaftbarfeit. 

„Cornelius fam häufig, faft täglich nach 
Sendling, wir fneipten miteinander, auch 
manchmal in ber Stadt, und ich verlor feine 
diefer Gelegenheiten, ihm näher zu rüden, 
feine Anfichten fennen zu lernen und ihn mit 
den meinigen vertraulich zu machen. Ich 
lernte ihn hiebei al3 einen Mann von Geift 
und Herz fennen, wenn ich auch zugeben 
muß, daß fein fcharfer Verftand durch die 
Gejellfchaft unferer befannten Myſtiker irre— 
geleitet ift“. Nun fegten die Unterhandluns 
gen über Lindenfchmits Beteiligung an dem 
Schillergimmer ein, begegneten aber den gripe 
ten Schwierigfeiten. Seine Berlegenheiten 
wadjjen, jeine Oduslichfeit und feine Frau 
leiden darunter fchwer. Bei den Freunden 


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Selbitporträt W. Lindenfdmits um 1830. 
Bleiftiftumriß, !/s der wirfl. Größe. 


zeigt fich immer mehr Erkältung gegen ihn. 

„— Als ich mich allein fühlte, mwuch8 mir der 

Mut. Ueberzeugungen ftellten fich ein. Bater- 

landgliebe, Redlichkeit, Xatfraft, Mut, Be- 

ftändigfeit, Fähigkeit . . halten die Menfchen, 
b*+ 


36 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfchmit, des Welteren 


halten deine Freunde nicht ab dich zu zer- 
treten. DVerdienit allein wird dir... die 
Durchfegung deine Lebenszmwedes niemals 
fichern. Klugheit, Grüzgze, ein heitres Ueber- 
bliden der Schwachheiten in der menfchlichen 
Gefellfchaft ift eine faft unentbehrliche Be- 
dingung für Männer, welche wirfen wollen. 
E3 haben zwar Einige ohne diefe Maßregel 
durchaus anzumenden, ihren VebenSgwee fiegen 
gemacht; allein nicht bloß diefe haben ihren 
Sieg mit einem fchmerzlichen Untergang be= 
fiegelt, jondern viele taufende von tapfern 
Seelen hat der Mangel diefer Tugend mehr 
oder weniger jpurlos aus der menschlichen 
Gejelichaft ausgelöfcht, weil fie die Luft zu 
ihrer Entwidlung den Berhältniffen nicht ab- 
zuringen vermochten. Sch Ihämte mich diefe 
Wahrheit fo lange außer acht gelafjen zu haben. 
Sollte nicht ein verfchiedenes Rechtsverhältnis 
bei dem Angreifer und dem Verfolgten ftatt= 
finden? Sollte e3 dem gehebten Hirfch ver= 
boten fein, die Jagd auf eine falfde Spur zu 
leiten? Zudem bin ich feiner von denen, 
die ihrer Hoffnung durch Fortdauer auf einem 
Stern oder in einem warmen hellen Himmel 
fchmeicheln. Jch weiß zu gut, daß der menjch- 
liche Geift, wenn er feinen 2eib überdauern 
will, fid) vorher durch Nachdenken und durch 
Handeln Größe und Stärke erworben haben 
muß. Ja, ich will untergehen, aber erft nach- 
dem ich der Welt eine Reibe von Werfen 
aufgedrungen, die ihre Achtung feffeln und 
mir die Fortdauer meines Gewerbes 
verbürgen. So war e8 denn beichlofjene 
Sache, jene LeidenSbahn des Buriidgiehens des 
Triumphs fiir Wndere, nicht 3u betreten. . . . 
An diefer Etimmung ftrich ich auf den winter- 
falten Ebenen, welche die hiefige Gegend ume 
geben, herum nachdenfend über den widrigen 
Wind und aufmerffam nach dem Horizont meiner 
Verhaltniffe jpabend.~” Er findet bei fcharfer 
Betrachtung feines eigenen Verhaltens und des 
feiner Umgebung die Punkte, an denen fid) anz 
fnüpfen ließ, und handelt fofort. „Damals nun 
fiel es mir ein, daß ich nun feit Jahren alles 
tue, mas ein Mann für feinen Beruf und 
feine Angehörigen tun fann, und es be= 
mächtigte fich meiner einer falte Entfchloffen- 
beit, welcher der Erfolg gleichgültig und ohne 
Mert if. In meinem Haus wurde eine 
andre Saite aufgezogen. Die Töpfe und Tiegel 





blieben zwar in mangelhaften Zustand, allein 
ich) 30g Abends, wenn ic) von Gefchäften nad) 
Haufe fam, Braten, Würfte, Ras, Heringe, 
Wein aus der Manteltajche. Das lekte Holz 
im Schuppen wurde zujammengefägt, große 
Fladerfeuer angezündet, gejotten und gebraten, 
und Lichter auf den Tifch geftellt mit ge- 
frauftem Papier gegiert, dag Ranapee an den 
Ofen gefdoben und aus einer langen Pfeife 
geraucht, bis das Efjen auf dem gededten 
Tische dampfte. Heißt das — alles bei jorg- 
fältig verfchloffener Türe.“ 

Die Darftellung diefer VBerhältniffe würde 
für fich ein Heft füllen. Kurz, er wendete fich 
fchlieglih in einem fleißig überdachten An- 
jucjen felber und direft an den König. Die 


"Antwort fam bald und nad gweimaligem 


Bejud) im Kabinett erhielt er die Subjfrip- 
tionslijte mit der Unterzeichnung des Königs 
auf 6 Eremplare. Dies bedeutete den ent= 
fchiedenen Beifall Ludwigs I. an dem ganzen 
Unternehmen. Noch vor furgem hatte der 
König in ähnlicher Angelegenheit einen Künit- 
ler abjchlägig bejchieden, mit dem Bemerfen, 
Er fubffribiere nur in hichft feltenen Fallen. 
Das hatte gerade Lindenfchmit abgehalten. 
Nun fam, mit diefem Ynf{trument in der 
Hand, das Vorgehen gegen den Lithographen 
Ellmer. Aber noch bejaß Lindenjchmit fein 
Privileg. Und fchon drohte in Augsburg ein 
Stic) gu erjcheinen. Hier half nun Dr. 
Deffauer. Minijterialrat v. Abel glaubte das 
Privileg nicht befürworten zu dürfen, ,,weil 
ich fein Privileg auf eine Sache verlangen 
fönne, die bereits aufgehört mein Eigentum 
zu fein! Jch glaubte zu träumen“. Er hatte 
nämlich das Fresfo der Gemeinde Sendling 
geichenkt. Doc, gab Abel zu, dab die Sache 
fih anfnüpfen laffe, wenn 2. ein Gefuch der 
Gemeinde Sendling beibringe. E83 war be- 
reits Sylveftertag; der Minifterwechjel jtand 
dicht bevor, dann hatte der König feine Beit, 
— und die Raubdrude erfchienen. „Ich nicht 
faul, auf und nad Sendling, die Bauern 
eilten mit mir auf8 Landgericht, wir fchmie= 
deten ein Gefuch.“ Durch befondere Befchleu- 
nigung vermochte dann Fiirft Wallerftein am 
6. Januar 1832 das Privileg dem König zur 
Unterzeichnung vorzulegen. Nunmehr konnte 
die gefchäftliche Behandlung der Subjfription 
betrieben werden, wobei Kajpar Braun von 


Jugend und Bildungszeit 37 


großem Mugen war — und die fchöne Frau 
Deffauer. E8 gelang Lindenfchmit, den Führer 
der Oppofition, Baron Clofen, von feiner 
Schuldlofigfeit an der Haderjchen Rede zu über- 
zeugen. Dies war deshalb leichter weil Hader 
für jene halbjtündige Anftrengung feines Ge- 
nie glei zum Landrichter in Traunftein 
ernannt worden war, und Lindenfchmit bis 
jegt feinen Vorteil aufzumeifen hatte. Nun 





Nach der Lithographie von Fr. Hohe. 
Bgl. wegen der Unterfdiede vom Freslo die Anmerkung. 


mehr fubffribierte die Oppofition, und die 

Unhanger der Regierung muften folgen. *) 
Lindenfchmit fonnte fi) nunmehr über- 

zeugen, daß der König an feiner Leiftung 





Wohlgefallen hatte. Der König bejuchte ihn 
in Sendling „und hat mich mit Gnade über- 
ſchüttet“. 

Die Gegnerſchaft Klenzes gegen Linden— 
ſchmits Beteiligung an den Wandgemälden in 
der Reſidenz konnte allmählich überwunden 
werden. Im Einvernehmen mit Foltz er= 
hielten beide den Schillerauftrag. Das hitzige 
Komponieren, das jetzt begann, und ſchon 
etwa im März 1832 zur Malerei gedieh, 
macht es ohne weiteres erklärlich, daß Linden⸗ 
ſchmit für andere Dinge keine Augen und 
Ohren beſaß.“) Cornelius drängte, der König 
brannte auf ſchnelle Ausführung; Linden— 
ſchmit arbeitete vielfach tagsüber in Cornelius 
Zimmer in der Akademie und ging abends 
noch in den Akt. 

Walter Scott, der damals todkrank von 
Italien heimreiſte, beſuchte das Bild in Send— 
ling und bat ſich 6 Exemplare des „Send— 
linger Büchels“ mitgenommen. Dies freute 
Lindenſchmit ganz beſonders und war der 
beſte Beweis, wie ausgezeichnet er den alt— 
nordiſchen Kämpenſchlag, der im bayeriſchen 
Oberländer lebt, getroffen hatte. 

Nach diefen Kämpfen. und im Wieder- 
bejig eines angefehenen Wirfungstreijes ,,neigte 
fi) mein verföhnlicheg Gemüth bald zur 
Heiterkeit. Nun bin ich jegt in einer Stim= 
mung, wo ladelndes Vorherfehen der menjch- 
lihen Schwachheiten und entflammter Eifer 
für mein Ziel mir auf eine harmonifche 
Meife Schuß und Flügel auf meiner Bahn 
gewähren. Bon diefem Wendepunft an legte 
ich mich mehr auf zwei eigenthümliche Nich- 
tungen des menfchlichen Geiftes. Die jchöp- 


) Die Lithographie von Elmer, mit Rand 43:45'/2cm, Bild allein 33:37 cm, hat in den Ober: 


eden zwei Kränge mit Infchrift. Obne Namen des Druders oder Zeichners; dabei fehr roh. Ellmer mußte 
den Stein abjchleifen, W. 2. verfiegelte ihn und nahm die Auflage mit fort, am 22. Deg. 1831. 

Die privilegierte Lithographie erfchien Frühjahr 1832. „Nach dem Originale gezeichnet von 
Friedrich Hohe. Gedruckt unter der Leitung von Fr. Hohe. Die Schlacht bei Sendling. An der Kirchen- 
wand von Sendling gemalt und allen hochherzigen Bayern gewidmet von Wilhelm Lindenschmit‘“ 
br. 55:5. 60 cm (bez. 44: 56°). In den obern Zeil der Glorie find nod) zwei Engel Hineingefeßt, die Haltung 
Gottvaters etwas und die Köpfe in der Schladht bedeutend verändert. — Anzeige in d. Münd). Polit. Zeitg. 
28. Dez. 1831. No. 320. 

Der Augsburger Stich wurde troß des fhon beftehenden Privilegs unter der Hand verbreitet. Etwa 
1844 wurde die Schlacht allein von W. 2. Sohn lithographiert, ,,Gedr. v. J. B. Kuhn", br. 66:5. 48'/2, 
beg. 44: 331/2 cm. 

*) Gruber8 1832 erfdienener „Schmiedbalthes“, ebenfo wie defjen Vortrag find „dem geachteten Künfller, 
der bas Ste Bild unter den Bögen des E. Hofgarteng gemalt“ fiherlid) völlig entgangen. Die „Schmiedbalthes-“ 
und Gruberfrage ift von Dr. Dreyer in der citierten Schrift treffend behandelt. Man wird aber den Eindrud ge- 
wonnen haben, daß der Dialer W. L. auf einem anderen Boden lebt, aud) wenn ihm Gruber begegnet fein 
follte. Wn einer Publikation, wie fie Gruber 1828 gegeben haben will, hätte er fich nicht begeiftert. 





38 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfdmit, de8 Welteren, Jugend und Bildungszeit. 


ferifche und erfindende Kraft hatte fich bisher 
an mir ausgebildet, fie war es, die mich er- 
halten, fie war es, der ich ausjchlieklic) 
opferte: allein diefe hervorbringende, oftmals 
ungeordnete Fähigkeit reicht nicht aus zur 
Vollendung. Yenelausübende, körperlich er- 
forfchende und handelnde Gejchidlichkeit, die 
unjre Väter Heimdal nannten, der Künft- 
lergeift der in den feingebildeten menjch- 
lichen Gliedern liegt und dann das Anjchließen 
an den Geijt des ganzen Menfchengefchlechtes, 
jenes Hand in Hand gehen, welches den Ein- 
zelnen nur al3 Blutkügelchen in dem großen 
lebenden Erdförper und Erdgeijt, den unfre 
Alten Wodan nannten, betrachten läßt, welches 
die einfame Erfindung hereinführt in die 
Wege des größeren Vereins, wo fie den vor- 
gejchriebenen Umlaufsgang fchonend und be= 
lebend einjchlägt und zugleich als Lohn für 
ihre Bejcheidenheit die volle Unterftügung des 


——— —— — — 





ganzen Leibes genießt, dieſe beiden Richtungen 
ſind es, die mich jetzt einladen und mir ihren 
Segen verſprechen. — Unſer Leben iſt ſehr 
ſparſam, aber angenehm und ruhig. An 
meinen Kindern habe ich tauſend Freude. Der 
Bub ſchießt auf und iſt ein Erzſchelm. Oft, 
wenn ich gedankenvoll und ſorgend im Zim— 
mer auf- und abſchritt, mußte ich laut auf— 
lachen, wenn ich bemerkte, daß er mit ver— 
ſchränkten Armen hinter mir dreinkam und 
meinen Gang nachahmte. Wenn ich das ſorg— 
loſe Schlummern dieſes wohlgebildeten Ge— 
ſchlechtes betrachte, ſo fühle ich meine Würde 
als Haupt dieſes kleinen Stammes und nichts 
iſt mir zu ſchwer, was ich nicht zur Begrün— 
dung ſeiner Zukunft unternehmen möchte.“ 


München im März 1906. 


Hundert Jahre nach der Geburt des Künſtlers 
geſchrieben von ſeinem Enkel Wilhelm L. 





Heldengefolgſchaft. 


Die beiden Flügelgruppen dieſes um 1829 angelegten, in der Mitte zerſtörten Aquarells ſind hier näher zu— 

ſammengerückt, auch der unfertige obere Teil des Blattes iſt fortgelaſſen. Die Mitte enthielt etwa 4 Figuren, 

wovon rechtsanſchließend noch die geſpreigten Beine eines Bannerträgers übrig. Das Original iſt im Ver⸗ 
hältnis von 60 cm breit : 40 cm hod. 


Unm.: Seite 23 Spalte 1 legte Zeile ließ ftatt Bauerntiypen — Bayerniypen. 





Zu älteren vor- und frühgefduchflihen Funden aus Altbayern. 
(Frühbrongezeitliche Ringhalstragen aus Oberbayern. Zum Grabfunde von Fürft) 
Bon Dr. B. Reinede. 
Mit 4 Abbildungen nad) photographifhen Aufnahmen und Zeichnung. 
Auf der fchmwäbifch-bayerifchen voralpinen | tiges Bild von den Befiedelungsverhältniffen 


Hochebene find die älteften vorgefchichtlichen de8 Landes innerhalb der verfchiedenen Ab- 
Beitftufen der geologifchen Jebtzeit, die vor fchnitte der Vorzeit zu geben, zudem bejiten 


dem zweiten Hauptabfchnitt des reinen Bronze- wir ja andere Anzeichen genug für die An= 
alter8 (der „älteren Qiigelgraber-Brongegeit nahme einer ziemlich dichten Bevölferung unferer 
Süddeutſchlands“) Liegen, in Grabfunden wie Gebiete auch während der frühen vorgejchicht- 
Wobhnftattenreften, wenn wir von den Pfahl: lien Stufen. 

bauten des Bodenfees und bei Schufjenried ab- Yür den erjten Abjchnitt des reinen Bronze- 


fehen, vorläufig noch jchmwach bezeugt. Hieraus alters, die frühe Bronzezeit, erhellt das ohne 
zu folgern, daß während de8 Neolithicums weitere aus den zahlreichen Fundftiiden aus 
einfdlieblid) der friihen Brongegeit das Gebiet Einzel- und Depotfunden, troßdem bei uns 
zwifchen Alpen und Donau nur fpärlid) und zwilchen Alpen und Donau nur wenig Gräber 
nur an einzelnen Stellen befiedelt gemejen, diefer Stufe!) befannt find, und Wohnftätten 
wäre jedoch völlig verfehlt. Denn unfere eben fo gut wie überhaupt nicht. 





erft begonnene Funditatiftif ift für Gräber- Aus der Fülle des in Südbayern für die 
wie Wohnftätten-Materialien vorläufig noc) frühe Bronzezeit?) bereits Vorhandenen legen 
weit davon entfernt, ein nur annähernd rich- wir hier Materialien vor, die fic) auf einen 


!) Deren aus Südbayern mir folgende gegenwärtig find: Seiboldsdorf bei Neuburg a, D. (zmeifelhaft); 
Zudering bei Ingolftadt (gweifelhaft); Sentofen bei Regensburg, neu entbedteg Steletgräberfeld mit typifchen 
Brongen und einem Golddrahtring (Muf. Regensburg); Straubing, Ortlerfhe Ziegelei, großes Steletgräber- 
feld; Hofhbam, Bez.-U. Laufen a. Salgad, Sfeletgrab mit Arm= und HalSringen (Hiftor. Verein, München); 
Obing bei Plattling, Steletgräber mit typifchen Bronzen (nicht näher unterfugt) ; Nußdorf am Inn, füdl. 
Rofenheim (zweifelhaft); Münden 1878, bei einem Hausbau redht8 ber JZfar, Fundftelle nicht verzeichnet: bei 
Steletreiten Brongedrahttutuli und vergierter Knochenring nad) Art der Straubinger Materialien (er. Beil. 3. Allg. 
Beit. 1906, S. 540 — bie hier vermutete Jdentität mit einem anderen, jüngeren Grabfunde aus München ift, wie 
man auf Grund der Haren Typenbefchreibung wohl hätte fehen dürfen, einfach ausgeichloffen). Die drei Iegten 
Funde liegen in der Präh. Staatsfammlung Münden. Wus dem Gebiet Hart nördlid) der Donau gehört nod 
hierher ein Grabfund aus ber Höhle Dürrloh im Shwaighaufer FZorft unm. Regensburg, gleidfalls 
in Münden. Die Glodenbederfunde, die in Siidbbayern nun von vier Punkten befannt find, haben mit unferer 
frühen Bronzezeit nicht8 gu tun, wie der Berichterjtatter in der Beil. 3. Wllg. Zeit. 1906, No. 217, &. 539 f., 
fchon hätte flar ausdrüden dürfen. 

%) Eine unlängjt einem größeren Leferkreife mit voller Sicherheit vorgetragene Ungabe, daß dag Ende 
der Steinzeit und die frühe Bronzezeit rund 1500 v. Chr. angufegen fet (Beil. 3. Wg. Beit. 1906, S. 540, 542; 
in No. 300 der Beil. 3. Wg. Big. lieft mans freilid) nad anderen Quellen ploglid) gang anders), haben wir 
hier furz zu beleuchten. Seit Jahren bemühe id) mi” — aber wie id febe vergeblid) — mit dronologifden 
Kombinationen aufzuräumen, die, mie ich auch einmal in Kürze prägifierte, auf irrige Vorausfegungen fid 
ftügen wie in ber Methode unridtig find, und erftrebe durch Auffuchen immer neuer Beziehungen unferer 
vorgefhichtlichen Altertümer zur mittelmeerländifhen Frithgeit, aud) für die abfolute Ehronologie immer 
feftere Daten zu geminnen. Speziell für die reine Bronzezeit fonnte ic) zeigen, daß ihr Ende bei ung dem 
Uebergang von der jünger= zur fpätmyfenifhen Stufe im Wegäicum (rund 1200 v. Ehr.) entfpricht, weiter, dah 
bei ung in Mitteleuropa in der Schlußftufe des reinen Bronzealter8 Glasfhmud vorhanden ift, der nur aus den 
@lasfabrifen von Tel Wmarna ufw. ftammen fann. Um 1500 v. Chr. find wir da nidt fonderlid weit vom 
Beginn diefer vierten Stufe des reinen Brongealters Süddeutfchlands entfernt. Uber wiffenfdaftlide Wider- 
legung verdiene ich offenbar nicht. — Ebenfo muß der Angabe (Beil. No. 300), dak die Münchener Hoder- 
gräber die erjten in Bayern feien, die wiffenfdajftlid) unterjudt werden fonnten, nadbdriidlid entgegengetreten 
werden. Das große frühbrongezeitliche Hodergräberfeld von Straubing, über dag man vor Jahren von München 
aus allerdings mein Gutachten eingeholt, kennt man anfcheinend nicht! — Fürmwahr treffliche Iluftrationen fattfam 
erörterter, prinzipieller Streitfragen. 


OT a eee ODE 


~~ =a eh o. ae ~-s* 7 


.-=-tyr= = =—_- ~~ FF 


it i te a enh te 


40 Dr. B. Reinede 


beftimmten Schmudtypus beziehen, näm= 
lich die aus Ringen zujammengefügten Hal3- 
bergen. Diefe Shmudform beanfprucht, ganz 
abgejehen davon, daß fie auf der voralpinen 
Hochfläche nun fchon in mehreren Exemplaren 
vertreten ift, deshalb unfer Intereffe, weil fie 
fich mit den im Donaugebiet ufw. aus zahl- 





Abbildung 1. 


lofen Funden diefer Stufe befannten Halb- 
fabrifaten, den rohgegofjenen diden Halsringen 
mit umgerollten Enden, aufs engjte berührt. 

Vor einem Jahrzehnt wurde in der Mos 
natsfchrift des Hiftorifchen Vereins von Ober- 
bayern ein derartiger Ringhalsfdmud aus 
jeh8 an den Enden durch Stifte zufammen- 
gehaltenen fchlichten Reifen bejprochen und 
abgebildet!) der bei Stammham a. Inn, 
B.-A. Altötting, gefunden wurde, angeblich auf 
einem Felde, objchon die braune Färbung der 
Bronze auf einen Moorfund fchliegen Lape. 
Das Stücd, das damals in den Bejig des Bayer 
rischen Rationalmufeums in München fam, jchien 
das einzige feiner Art aus Altbayern zu fein. 

Einen gleichen, nur aus fünf recht dünnen, 
in der Größe etwas zunehmenden Ringen be= 
ftehenden Halsfchmud, den unfere Abbildung 
Ne. 1 in !/s der Größe zeigt, hatte jedoch bereits 
im Jahre 1883 %. Naue in München für jeine 
Sammlung erworben. Moorbraune Färbung 
der Ringe deutet einen Moorfund an. ALS 
das Objeft vor 24 Jahren in Mainz im Nö 
mifch-Germanifchen Zentralmufeum nachgebil- 
det wurde, trug es als Fundortsangabe die 
Signatur Tegernau-Afling (im Be. 
Ebersberg); es fünnte danach fehr wohl in 
dem großen Torfmoor bei Apling (Whlinger 
Moos) gefunden fein, wofür freilich ein jicherer 
Nachweis nicht erbracht ijt. Heute ift feltfamer 
Weife nun angegeben, daß e8 von Minering 
bei Reichenhall ftammen foll, die alte Cti- 








quette auf dem Objeft felbft zeigt die urfpriinge 
liche Fundangabe gelifdht. Die Glaudwiirdige 
feit der Fundortsangabe wird hierdurch freilich 
ftarf erjchüttert, fo ftarf, daß die Snventaris 
fation der Bodenaltertiimer fie leider in der 
Statiftif einfady) nicht mehr verwerten fann. 
Sicher erfcheint nur nod, dak das Objeft 
altbayerifcher Herkunft ift, und als folches ver= 
dient e8 Beachtung. Das Stüd liegt nun mit 
der im Frühjahr 1906 erworbenen Kollektion 
aus Naue’s Bejig, die jo manches wichtige 
Dokument für die Vorgejchichte Altbayerns 
enthält (jo reiche alterbrongezeitlidje Grab- 
hügelfunde von Rottenried), im Germanijden 
Mufeum in Nürnberg. 

Bedauerlicher Weife wieder von unbe= 
fanntem altbayerifjhem Fundort 
ftammt ein analoger Ninghalsfragen aus 
vier derartigen Ringen (größter Durchmefjer 
14,5 cm; gegen die Enden zu zeigen die 
oberen Ringe eingefcjlagene Rerbvergierung), 
der im Sabre 1857 in München, ich vere 
mute, bei 3. v. Hefner, fiir die fomparaz 
tive Abteilung der Altertumsfammlungen im 
Nationalmufeum zu Kopenhagen erworben 
mwurde.?) Leider ijt e8 unmöglich, über den 
Fundort des Stüdes, das wir hier nach einer 





Abbildung 2. 


gütigjt von Direftor Soph. Müller zur Vers 
fügung geitellten Photographie abbilden (Abb. 2), 
auch nur eine Vermutung zu äußern, denn 
eS fehlt bisher aus damaliger Beit an jege 
licher Notiz über einen derartigen verfchollenen 


1) V 1896, No. 3, ©. 42—44; Montelius, Chron. d. ält. Bronzezeit, 1900, S. 33 (34), Fig. 79. 
*) Gorr.-Bl. d. deutfd. Unthr.-Gef. 1905, S. 36; Mufeumsinventar No. 16412. — Die Photographie zeigt 
zugleich die an diefer Stelle erwähnte Schlangenfibel, die mit dem Ringhalstragen nidts gu tun hat. 


Zu älteren vor= und frühgefhicätlihen Funden aus Altbayern. 4 


gund, den man mit dem Ropenhagener 
Exemplar in Verbindung bringen finnte. Be- 
achtensmwert ijt, dak Dtoorpatina auch diefes 
Schmuditüd wieder als Moorfund fennzeichnet. 
Aus Südbayern wurde vor furzem nod 
eine vierte Ringhalsberge diejer UWrt befannt, 
die aber jicher ein Erd>, nicht Moorfund, ift. 
Das einzeln (nicht in einem Grabe) gehobene 
Sti, das fieben Ringe bilden, ftammt von 
Senfofen, B.-W. Regensburg, und zwar 
von einer anderen Lofalitdt al8 die auf der 
nämlichen Feldmarf entdedten frühbrongezeit- 
lichen Sfeletgraber. E8 wurde bald nach der Auf= 
findung fürdasMufeuminftegensburgermworben. 
Die bayerifchen Mufeen bejigen mehrfach 
nod) glatte, mäßig dide Halsringe friihbronge- 
zeitlichen Typs, die von den oben erwähnten 
gleichalterigen Halbfabrifaten äußerlich fich fo= 
fort unterfcheiden. Die Fundorte diefer Ringe 
bier aufzuzählen, müffen wir unterlaffen, da 
fich bei ihnen ja die Kombination zu Ring- 
halsbergen durch eingefügte Stifte, wenn gewiß 
urfpriinglich auch vorhanden, nicht mehr nach» 
weifen [apt. Aber man fieht, daß diefer 
Schmudtypus in der frühen Bronzezeit un= 
ferer Gebiete fich einiger Beliebtheit erfreute. 
Von außerbayerifhem Boden der vor- 
alpinen Hochfläche fennen wir diefe Schmud= 
form nod) in einer aus jechs Ringen bejtehen- 
den Halsberge aus dem mürttembergijchen 
Oberfdjwaben, aus dem Torfmoor Liffen 
unweit Sduffenried, dem nämlichen Torf- 
moor, das auch einen Kleinen frühbrongzezeit- 
lichen Depotfund ergab,!) der in Bayern wieder 
Analogien findet. Aus anderen Zonen feien 
hier nur noch die fünf Gegenftüde (3. T. mit 
vielen Ringen) von Brabbia bet Varefe in 
Oberitalien, fowie ein Exemplar aus fieben 
Ringen aus einem bereits gur folgenden Stufe 
überleitenden Depotfunde von Tinsdahl in 
Holitein genannt. ?) 
An welchem Sinne wir die verhältnismäßig 
große Zahl von Vertretern dieſes Schmudtyps 





wie die maffenhaft nachgemiefenen, typologifch 
naheftehenden Halbfabritate nebjt den übrigen 
gleichalterigen Materialien für die Gefchichte 
der Bejiedelung auf der voralpinen Hochfläche 
während der frühen Bronzezeit, in der zweiten 
Hälfte des III. vorchriftlichen Jahrtaufends, 
aufzufaffen haben, wurde bereits oben in aller 
Kürze angedeutet. Hier nur nod) ein paar 
Worte zur Gejchichte diefer Halsfhmudform. : 

Derartiger Halsfdymud aus mebhreren, in 
der Größe machjenden Ringen, bejchränft 
fi) befanntlich nicht bloß auf den euro- 
päifch-prähiftorifchen Kreis, jondern erjcheint 
aud) bei Wölfern anderer ÜErdteile, und 
im europäifch= prähiftorifchen Kreife finden 
wir ihn auch wieder nicht bloß in diefer einen 
Stufe der Vorzeit vertreten. Bornehmlic in 
Mitteleuropa fehen wir folde Ringhalsfragen, 
deren einzelne Ringe teils durd) Stifte an 
den umgerollten Enden feft zufammengehalten 
werden, teils frei beweglich einer Berjchluß- 
platte eingefügt find, zu wiederholten Malen 
in verjchiedenen Gebieten als beliebten Schmud- 
gegenjtand in Gebraud). 

Die hier furg unter Vorlegung einiger 
Exemplare behandelte frühbrongezeitliche Form?) 
löft in der anfchliegenden zmeiten Stufe der 
Bronzezeit in der mitteldeutfchen mie Ofte 
fee- Zone eine Nachahmung aus, bei der 
die aus Ningen zufammengeftüdte Hals— 
berge durch eine gleichgeformte mäßig dünn= 
gegoffene Brongeplatte mit fic) verjiingen- 
den umgerollten Enden erfeßt ift: die auf der 
Außenfeite im Guß hergeftellten Langsriefen 
deuten, wie Monteliuß bereit3 bemerkt, auf 
ornamentale Nachahmung der Ringe hin. Qn 
der DjftjeesZone dauern dann diefe gegofjenen, 
nun mit Spirale und Reilfdnittmotiven rei) 
verzierten Halsbergen bis zur frühen Hallftatt- 
zeit an. 

Wirkliche Ringhalsfragen (mit beweglichen 
Ringen) find ung aus der reinen Bronge- 
zeit fonft nicht mehr befannt.4) Qn der 


1) Photogr. Album der Ausftellung Berlin 1880, VIL, 8; Fundberidte aus Sdwaben, I, 1892, ©. 25; 


Montelius, Chron. d. alt. Bronzezeit, S. 33, Fig. 78. 


2 Qiteratur bei Montelius, S. 34. 


8) Eine andere Gattung großen Halsfhmudes gleicher Zeitjtellung bilden die mondfichelförmigen wie 
auch fehr breiten flachen Halsbergen auß Bronge- und Golbdbled), die wir in der frühen Bronzezeit reichlich 
von ben britifhen Infeln (namentlid) aus Jrland), vereinzelt aus Nordfranfreid, Dänemark, Mitteldeutſchland 
(Muf. Göttingen) und Böhmen kennen. Diefer Typ lebt in Skandinavien wiederum einige Stufen hindurd) fort. 

4) Das Alter eines Goldhalsfhmudes diefer Gattung aus Cintra (Portugal) im Britiihen Mufeum in 
London (Guide, Bronze Uge, S. 148) ijt nicht näher zu prägifieren. 


A. M. 1 u 2. 


6 


42 Dr. $. Reinede 


erften Stufe der Hallitattzeit erfcheinen fie 
aber wieder plößlich in Mittel- wie Nord- 
deutfchland und Dänemarf, aus mäßig dünnen 
gedrehten wie jchlichten oder verzierten Ringen 
runden oder flachen Querfchnitt3 gebildet, ein= 
fac) an den Enden durch Stifte zufammen- 
gefiigt oder fcharnierartig in der VBerfchlußplatte 
beweglich.') Gm öftlichen Deutfchland (Hinter- 
pommern nebft den angrenzenden Gebieten) 
finden fich übrigens gleichzeitig in reichlicher 
Zahl durchbrochen gegofiene große Hals- 
Ichmudplatten, die deutlich wieder foldjen Ring= 
ſchmuck nachahmen. 

Süddeutſchland, und zwar ſpeziell Nord— 
oſtbayern, führt dieſen Halsſchmuck jedoch 
erſt wieder in den beiden jüngeren Stufen 
der Hallſtattzeit Die oberpfälziſchen Grab— 
hügelfunde von Roxfeld und Schrotzhofen 
verweiſen ſolche Ringhalskragen noch in die 
Stufe der eiſernen Hallſtattſchwerter. In 
der Späthallitattzeit wird Diefer Schmud 
dann Hier geradezu ftereotyp. Jn zahlreichen 
Exemplaren fennen wir aus der Oberpfalz, Ober- 
franfen und den anjtoßenden mittelfränfiichen 
Gebieten?) die Halsfragen aus gedrehten wie 
reich durch Gravierung verzierten majfiven oder 
hohlen Ringen, fie bilden hier die häufige Bei- 
gabe der fpäthallftättichen Frauengräber. Ein 
wejentlicher Teil der hier ausgegrabenen Halg- 
bergen diefer Art dürfte nie im Leben getragen, 
fondern [ediglich als Grabbeigabe hergeftellt 
ſein, Totenſchmuck vorſtellen. 

Gleichzeitig mit dieſen ſüddeutſchen Schmuck— 
ftüden der jüngeren Hälfte der Hallftattzeit 
und, mie die oftdeutfchen Gejichtsurnen an 
deuten, auch noch jpäter innerhalb des vor- 
römijchen Eijenalters, erfcheinen Ringhals- 
bergen wieder im öftlichen Deutfchland, an 
der unteren MWeichjel und den benachbarten 
Gebieten weitwärts, in einer erheblihen Anzahl 
von GEremplaren, gelegentlich) auch auf Ge- 
fichtsurnen felbjt zur Darjtellung gebracht.) 

Daß aber mit diefen Materialien vorz 








römifcher Beiten die Gejchichte diefer Hal8= 
fhmudformim europäifch-prähiftorifchen Ktreife 
noch feineswegs erjchöpft ift, lehrt der goldene 
Ringhalsihmud von Färjeftaden auf Oeland 
nebft feinen Gegenftüden aus Beftergitland, 
die der fpäten Kaiferzeit oder der älteren Hälfte 
der Meromingerzeit angehören. 

Was für eine ganze Reihe von vor= und 
frühgefchichtlichen Typen gilt, nämlich, daß fie 
im europäifchprähiftorifchen Kreife nicht felten 
eine mehrtaufendjährige Gejchichte haben, daß 
fie über viele Stufen der Vorzeit in fontinuier- 
licher oder unterbrochener Folge in den näme 
lichen oder wechjelnden Gebieten fich verfolgen 
lajjen, da8 fehen wir hier aud) beftätigt für 
die aus Ringen zufammengefügten Halsbergen, 
für deren älteite Belege gerade der altbayerifche 
Boden fich ergiebig gezeigt hat. 


* * 
* 


Der VI. Band des Oberbayeriſchen Archivs 
(München 1845, S. 60 f., 427 f.) behandelt 
einen wertvollen Grabfund des V. nachchriſt— 
lichen Jahrhunderts, welcher im Jahre 1843 
bei Fürſt, Gemeinde Pietling, im Bez.-A. 
Laufen a. Salzach, zum Vorſchein kam. Nach 
G. Wieſends ausführlicher Darlegung wurden 
hierſelbſt im Juni 1843 am Nordweſtende des 
ſogenannten Holzbreitenlandes (bei Hinterfürſt) 
neben der Eichleiten bei Erneuerung eines 
Grabens mit der Erde zwei Goldſchnallen 
mit Almandineinſätzen ausgeworfen, die zu— 
nächſt nach Salzburg verhandelt, dort kurze 
Zeit darauf von J. Sedlmaier angekauft und 
damit für Bayern gerettet wurden. Im 
September des genannten Jahres nahm Wie— 
ſend ſelbſt am Fundplatze Ausgrabungen vor. 
Dabei fand man neben menſchlichen Skeletreſten 
noch einen ſchlichten goldenen Armring mit 
verdickten Enden, eine dritte Goldſchnalle mit 
Almandineinlage, weiter einen Spitzbecher aus 
mäßig dunklem grünem Glaſe mit mitgegoſſener 


) Depotfunde von Oldesloe und Eichede in Holſtein, Babow im Spreewald, Einzelfund aus dem 
Lüneburgiſchen; dazu das däniſche Material. — Die glatten und ornamentierten Ringe aus einem Depot von 
Thale am Harz, die gedrehten aus den Depots von Morgenitz auf Uſedom und Glowitz in Hinterpommern 
u. a.m. waren fider einft 3u folden Sdhmucgarnituren gufammengefiigt. 

*) Bei Saalfeld jogar auf die mitteldeutihe Zone übergreifend. Ein Zund bei Hof, falls fein Fundort 
gefichert sit, gehört eigentlich aud) fhon in die mitteldeutfche Zone. 

°) Die Monumente find hier die Ringhalstragen aus einem Depotfund mit Hallftatt = Brillenfibel von 
Schönmiefe, Kr. Marienburg (Wejtpreußen), die von Liffauer (Bronzezeit in Bejtpreußen) gefammelten Ring= 
balsbergen, endlich die befannten GefichtSurnen mit Darftellung eines folden Schmuckes. 


Zu älteren vor- und frühgefhichtlihen Funden aus Altbayern. 43 


Bogenverzierung (in Relief), endlich Scherben 
einer Henfelfanne aus gleichartigem Glafe. 
Der gefamte Grabfund wurde alZdann vom 
König Ludwig für das Antiquarium in München 
erworben. 

Die drei Goldfchnallen und der Armring, 
typifche Formen vom Ende der römijchen 
Raifergeit, wie fie durch das Childerichgrab 
von Xournai eine fefte Datierung erhalten 
haben, famen fpäter in das Nationalmufeum, 
wofelbft fie heute neben dem Grabfund von 
Wittislingen eine Bierde der merovingifden 
Abteilung bilden!). Die Gläfer aus dem Grabe 
von Fürjt waren jedoch feither verfchollen. Das 
Nationalmufeum erhielt fie feinerzeit nicht; bei 
Abfaffung des IV. Bandes der Stataloge des 
Mufeums mute deshalb die Anficht ausge- 
{procjen werden, dak aus dem Funde wohl 
überhaupt nur der Goldfhmuderworben worden 
wire. 

Dem ift aber nicht fo. Yn Wiefend’s 
Bericht heift e3 ausdrüdlich, daß der Fund 
für das Antiquarium angefauft wurde, alfo 
der ganze Fund und nicht bloß der Gold- 
fhmud?). Die Gläfer, Becher wie Kannen- 
fragmente, waren damals aljo dem Wnti- 
quarium iibermwiefen worden und mußten 
aud) jpäter noch dort fein. Freilich fehlte 
ihnen in den 1860er Sahren, bei der Ver— 
bringung der heimifchen Altertümer in das 





Abbildung 3. 








!) Statalog IV, 1892, S. 194—196, No. 1517—20. 





neugegründete Nationalmus= 
feum, wohl bereits jede Zund: 
fignatur. Deshalb galten jie 
als verjchollen, aber zu Un 
recht. 

Bei einer gelegentlichen 
Durchſicht der Glasſamm— 
lung des Antiquariums in 
München fand ich ſofort den 
grünen Glasbecher von Fürſt 
wieder. Bei dem Stück (II. 
Saal, No. 148 des jetzigen 
Verzeichniffes) war natürlich der Fundort 
nicht angegeben. Aber die Jdentität mit dem 
gefuchten, bisher verfchollenen Becher ver- 
bürgt ein Vermerk in einem alten Inventar 
des Antiquariums vom Jahre 1852 (S. 288, No. 
109), der den Glasbecher (ohne Fuß), „gefun= 
den nebft Goldfchmud bei Oberfürft“, erwähnt. 
Der Spikbecher (Ubb. 3), den wir hier nach einer 
Photographie wiedergeben, bejteht aus mäßig 
dunklem grünem Glafe (ohne die leicht blaus= 
oder gelbgrüne Färbung jüngerrömifcher 
Gläſer), die bogenartige Verzierung ift, wie 
bemerft, mitgegoffen, nicht eigens anfgefett. 
Die Höhe des Bechers beträgt 8,4 cm, der 
Durchmeffer der Miindung fajt 8 cm. 

Die Hoffnung, auch die Scherben der Kanne 
von Fürft im Antiquarium wieder zu finden, 
ift jeher gering, zumal fie das genannte hands 
fchriftliche Verzeichnis der Sammlungen (vom 
Sahre 1852) nicht aufführt. Offenbar wurden 
die Fragmente nicht inventarifiert und find 
längit als fcheinbar belanglofe Nefte bei Seite 
geräumt und verloren gegangen. Auch dieje 
Kanne, die von Wiefend nur in Yeichnung 





Abbildung 4. 


refonftruiert werden fonnte, beitand aus 
grünlichem Glaje. Wiejends Abbildung 
ijt jedoch falfch, widerfinnig, feine Re- 


fonftruftion erinnert mehr an ein mittelalter= 
liches denn ein antifes Glasgefap. Troßdem 
handelt e8 fich bier um eine gute |pätrömijche 
Form. MWiejend feßte irrig den Henfel an 
den Gefäßkörper felbjt, während er in Wirf- 
lichfeit den Hals umfpannte, von der Schulter 
der Kanne zur wohl leicht fleeblattartig ge— 
drüdten Mündung reichend. Cbenjo hätte 


2) 3. v. Hefner’8 „Verzeichnis der in der Sammlung des ft. Untiquariums bef. Ultertumsgegenftände‘ vom 
Jahre 1845 nennt (©. 65) freilich nur den Goldfhmud („bei FZridolfing gef.“); die Gläfer, rejp. der Glasbeder, 
find nicht befonders verzeichnet (fal8 der Becher nicht mit dem Stüd ©. 65, No. 25, identiich ift). 


6* 


44 Dr. ®. Reinede: Zu älteren vor= und frühgeihichtlihen Funden aus Altbayern. 


Wiefend an der Schulter den Rannenbhals 
etwas fchärfer fich .abfegen laffen, weiter auch 
dem Körper mehr Eiform geben miiffen, dann 
wäre ohne weiteres hier der durchaus nicht unge- 
wöhnliche fpätrömifche Typ erfichtlich gemefen. 
Daß die Ergänzung der Vafe in Zeichnung 
Wiefend nicht recht gelang, haben wir dahin 
zu deuten, daß er doch nur recht wenig Frag- 
mente zur Verfügung hatte. Zur Erläuterung, 
wie wir uns die wohl unmwiederbringlich ver- 
Iorene Glasfanne von Fürft vorzustellen haben, 
lege ich bier die Abbildung einer Glasvaje 
aus der Kolleftion Slade im Britifchen Mus 
feum in London (Abb. 4) vor, die aus dem mir 
zugänglichen Abbildungsmaterial dem Fürfter 
Stück am näcdjten fommt. 

Ueber die Goldfachen von Fürft hier aud) 
nod ein paar Worte. Die beiden zuerit auf- 
gefundenen Goldjchnallen mit Almandinein- 
lage wanderten, wie oben bemerkt, zunächit 
nad) Salzburg, mo fie Sedlmaier durch fchleu- 
nigen Anlauf für Bayern ficherte. Aus Salz- 
burg müffen jedoch) damals, noch vor Sedl- 
maier’3 Eingreifen, au; nad Wien eich. 
nungen beider Stüde, offenbar al3 Kauf-An= 
gebot, gefommen fein, aber ohne genaue Fund» 
angabe. Denn einige Jahre darauf bildete 
I. Arcneth in feinem Foliomwerfe über die 
antifen Gold» und Silbermonumente des K. Rt. 
Miing- und WAntifen-Rabinetts in Wien (1850, 
©. 45) die Schnallen ab mit der Bezeichnung, 
daß fie aus dem Salzburgifchen ftammten. 
Die bayerische Provenieng fannte Arneth alio 
ebenjomwenig wie die Befchreibung des Fundes 
duch Wiefend. Diefe unrichtige Angabe Arneth’3 
ift nun in dem großen Werke des Rumänen W. 
Odobesco über den Goldfdak von Petrofja 
(Tresor de Petrossa, Paris 1889 —1900, ©. 
479, 480, Fig. 193), unter Beifügung der Ab 
bildung der Fürfter Schnallen nach Arneth, 
wiederholt mit der weiteren unrichtigen Bes 
merfung, daß dieje Objefte „aus dem Salz— 
burgifchen“ im £unfthiftorifchen Hofmufeum in 
Wien aufbewahrt würden. Hoffentlich gelingt 
es unjerem Hinmeis, den nicht eriftierenden, 
felbjtverftandlid) aud) in Sacken-Kenner's 
„Sammlungen des K. 8. Miinge und An— 
tifen-Rabinettes” (Wien 1866) nicht geführten 
Gund „aus dem Galzburgifchen“ aus der 
Literatur verfchwinden zu lafjen. 

Goldihmud wie Glasvajen unferes Fundes 


ent{tammen einem Grab mit unverbrannter 
Beifegung, wie Wiefend’s Unterfuchung Har 
nadwies. In Bayern fteht diefer Fund einzig 
in feiner Art da, falls nicht eine leider ver- 
fchollene, mit jüngerrömifchen Goldmünzen im 
Main bei Thüngersheim in Unterfranfen aus- 
gebaggerte Goldfibel in diefen Kreis von Ar- 
beiten gehört. Aus Deutfchland haben mir 
von analogen „frühmerovingifchen“ Materialien 
aus Edelmetall außer einem einzeln gefundenen 
goldenen Halsring von Ranfern in Schlejien 
noch die Grabfunde von Hödriht (Schlefien), 
vom Delberg bei Rüdern unweit Kannftadt 
und Wolfsheim in Rheinheffen, weiter reich 
ausgeftattete Gräber von Flonheim (Rhein— 
heilen) und Gültlingen Württemberg) zunennen, 
endlich ein einzelnes Goldplättchen mit Almans 
dinbefag (von Schwertfcheide) aus den Gräbern 
von Grof-Rarben in Oberbeffen. 

Früher pflegte man Goldfehmud diefer Art, 
der feit dem fiebzehnten Jahrhundert durch 
die glüdliche Entdedung des Childerich-Grabes 
befannt ijt, auf barbarifche, oder gar lediglich 
gotifche Werfftätten zurüdzuführen. Das war 
aber ein fchwerer Jrrtum, wenngleich die Bar- 
baren der Völferwanderungszeit ja Liebhaber 
und Abnehmer folchen Schmudes waren. PViel- 
mehr gehören folche Gegenstände, wie wir nun 
wiffen, in den reis jpätrömifcher Aunftinduftrie, 
fie find nicht barbarifche, jondern, dem entgegen, 
reichsrömifche Fabrifate. Allerdings dürfte 
innerhalb der vielgeftalteten Anzahl fpätantiker 
Technifen und Formenreihen (des IV. und 
V. Sahrhunderts) derartiger Edelmetallihmud 
mit Almandineinlage eine Gruppe von Ars 
beiten vorjtellen, die, zwar auch im Weften 
einigermaßen verbreitet, zunächft in öftlichen 
Werkftätten, der Ofthälfte des Neiches, ent- 
ftanden find, vielleicht aber fofort im reich8- 
römischen Weften ebenfo wie im außerrömifchen 
Barbarengebiet nachgeahmt wurden. Im frühen 
Mittelalter fand dann diefe Verzierungsart 
nebjt anderen fpätantifen Technifen mie den 
ihnen eigentümlichen Ornamentmotiven aud) 
in Barbarenländern reichlich Verwendung, die 
Mehrzahl unferer merovingifchen Kleinfunde 
befundet unverfennbare Anlehnung an die 
Elemente der fpätantifen Runftinduftrie, frei- 
lid) nur zu oft ja in barbarifcher Weiter- 
führung, Verballhornung. Aber jo wenig die 
Gläfer aus dem Sfelettgrabe von Fürjt rein 


“7 reg" | ———— —— 


3. 2. Kull: Die Münggemichte mit befonderer Rüdfiht auf Bayern. 45 


Iofaler, oder gar barbarifch-germanifcher Jn= 
duftrie ihre Entjtehung verdanken, fo wenig 
auch der Goldfehmud. Heitlich entfpricht unfer 
Bund durchaus den befannten fpätrömifchen 
Steletgräbern von Neumarglan bei Salzburg, 
fo grundverfchieden deren Keilfchnitt-Schmud- 
fachen, wiederun ausgezeichnete Fabrifate jpät- 
rimifden Runjthandwerf8, auch anmuten, 


| 


weiter den Sfelettgrabern der rimifden Ie- 
fropole von Regensburg mit viel fchlichteren 
Beigaben, oder ganz befcheiden ausgejtatteten 
Stkelettgräbern im füdlichen Bayern, von Moo= 
fach bei München, Gintering (B3.-%. Münz 
chen II), Valley (Bz.-A. Miesbah), Eching 
bei Landsberg u. a. m. 





Klofter St. Beno bei Reichenhall. 


(Mon. Boic. vol. III. p. 526.) 


Die Münzgewidte mit befonderer Küchfidit auf Bayern 


von 3. 2. Kull. 


Seit ältefter Zeit werden die Münzen, 
welche wir Geld nennen nad) Normalgewichten 
geitüdelt, um eine fcharfe Gleichmäßigfeit bei 
Ausprägung der einzelnen Sorten zu erzielen. 
Diefe Gewichte, die Aufzahl, die Form und 
der Feingehalt bilden den Münzfuß , welcher 
jedem gefunden Münzmejen zu Grunde liegt 
und alle Rulturvilfer bid heute, haben fchon 
ihrer Selbfterhaltung wegen für ftrenge Münz- 
gejeße und Herftellung möglichft unveränder- 
licher Wertzeichen als Taufch- oder Zahlungs- 
mittel Sorge tragen miiffen. 

Das Münz-Normalgewicht der römischen 
Kaiferzeit, die Libra von 327,456 Gramme!) 


| 
| 


haben aud) die Mterowinger der Ausprägung 
ihrer Solidi, Trienten und Silberdenare zu 
Grunde gelegt. Mit dem Niedergang ihrer 
Herrfchaft in Franken war jedod) eine fühl- 
bare Berfchlechterung de3 Miingwefens ein- 
getreten, weshalb Karl I. der Große — 
768—814 — nach unzulänglicen Reform— 
verfuchen feines Baters, eine neue Mün;- 
ordnung mit dem Normalpfund — pondus 
Caroli — zu 409,32 Gramme?) errichtete. 
Dieſes Karlſche Münzpfund deſſen Ge— 
wicht man früher auf einen Bruchtheil über 
367 Gramm ſchätzte, wurde zu 240 Denaren 
— 12 Solidi zu 20 oder 8 Solidi oder 


) Zu meinen Gewichtsangaben benütze ich gute Quellen und bin der Meinung, daß Reſultate, welche 
Wiſſenſchaft und Praxis nach und nach erlangt haben, ſolange geachtet werden ſollen, als nicht die neuere 


Forſchung erhebliche Differenzen nachweiſen kann. 


) Vol. B. Hilliger, Hiſtor. Vierteljahrſchrift 1900, S. 161; hiezu Luſchin von Ebengreuth, 


Bl. f. Munzfreunde Sp. 3067. 


46 I 2. Kull 


Schillinge zu 30 Denaren ausgeprägt. Der 
Solidus war und blieb in Bayern Rechnungs- 
oder Zählnominale. 3) 

Etwa gegen Ende des zwölften Jahr: 
hundert3 tritt an Stelle des Karlichen Pfundes 
allgemein die Kölner Marf mit ca. 
233,855 Gramme, für Altbayern die Negen3- 
burger Marf zu 246,144 Gramme, Gee 
mwichte die fomwohl als Richtftiide — auch 
Richtpfenninge genannt — für die Mtiinge wie 
zur Wage für die Edelmetalle dienten. Die 
Eintheilung der tonangebenden Kölnifchen 
Mark — obwohl in ihrer Gefammtheit häufig 
differirend®) war eine dreifache: 

I. a) für Silber. 1 Marf -- 16 Lot 
a4 Quint & 4'/e Grän — 288 Gran. 

b) Gold. 1 Marf — 24 Karat a 4 Gran 
& 3 Grin = 288 Gran. 

IL. 1 Mtarf = 16 Lot A 4 Quint 
a 4 Pfenning & 2 Heller a 128 Teile 
des Richtpfennings, demnad) 1 Marf 
— 65536 Teile. 

II: 1 Marf — 8 Ungen = 16 Lot 
= 64 QDuint = 2356 Pfenning = 
512 Heller — 4352 AB oder Eichen. 

Infolge der bayeriichen Landesteilung 
zwijchen Herzog Ludwig II. dem Strengen und 
feinem Bruder Heinrich) am 28. Mär; 1255 
find die Benennungen Ober und Niederbayern 
und neben Regensburg?) und München die 
Münzftätten Landshut, Neuötting, Straubing 
und Qngolftadt entftanden. München und 
Zandshut prägten nach eigenem Gewicht bis 
Ende des XV. Jahrhunderts. Die Münchner 
Mark — aud Münchner Gelöt genannt ®) 
— wird mit 224,512, die Landshuter mit 
249,460 Gramme angegeben. Beide Jtormal- 
gewichte waren zu 16 Lot = 64 Quint 





— 256 Pfenninge eingeteilt. Anfangs des 
XVI. Jahrhunderts prägte und rechnete man 
in Altbayern mehrfah nah der Wiener 
Mark zu 280,006Gramme’) und der Miinge 
ordnung gwifden Rinig Ferdinand I. als Erz- 
hergog von Oefterreid), den Hergigen von 
Bayern nebit den Städten Augsburg und Ulm 
am 1. Febr. 1535 zu Augsburg wurde außer 
der Wiener, die Nürnberger Marf von 
237,523 -- nach) Nobad 238,569 Gramme — 
zu Grunde gelegt.?) Für die Augsburger 
Mark werden 235,040, für die Würz- 
burger 238,569 Gramme angenommen und 
das Tiroler Landgemwicht hat Ehrenberg 
in neuefter Beit auf 252 Gramme berechnet.) 

Die Reih8münzordnungen von 1524 und 
1559, fomwie alle folgenden Konventionen bis 
einfchließlich derjenigen von 1838 wurden mit 
der Kölnifhen Marf zu 233,855 Gramm 
abgefcjloffen. Die Münzen des 521/. bezm. 
45 Gulden oder 30 Talerfußes nach der 
Miingvereinigung vom 24. Januar 1857 gwi- 
fchen Oefterreich und den deutjchen Bundes- 
jtaaten find aus dem Bolle oder Miin3- 
pfund von 500 Gramme hervorgegangen, 
während diejenigen der neuen deutfchen Reichs= 
mwährung laut Gejeg von 1873 nach dem 
Mormalgewidt von taufend Gramm, dem 
Kilogramm, geprägt werden. 

Wie diefe Normalgewichte mit der Be- 
nennung Libra, Münzpfund, Mark, Nichte 
pfenning ufw., fallen unter dem Titel „Münz= 
gewidte” auch die Einiäße alter und neuerer 
Miingwagen, die Gewichte der einzelnen 
Münzjorten, von denen wir vornehmlich die 
früher in Bayern ftark furfierenden Gold— 
und Gilbermiinzen befannt geben. E3 follen 
mindeft wiegen: Goldgulden 3,25; Bee 


5) Vgl. meinen eigenen Artikel „Der Solidus oder Schilling in Bayern“, Altbayer. Monatjhrift 1906 
©. 106. Dafelbft find aber ©. 107 die Glichee8 für die Abbild. der ganzen Schillinge verwechfelt worden. 
Das erfte fiir Otto II. gehört an zweiter Stelle, das zweite für Philipp I an erfter Stelle. 


*) Grote, Münzitudien Ill. ©. 1. 


5) Das Miingredht zu Regensburg, weldeS die Bayernbhergige feit Iangem gemeinfdaftlid’ mit den 
Bifdhsfen von Regensburg ausübten, fiel bei diefer Teilung nebjt Niederbayern Herzog Heinrid) gu. Derfelbe 
ließ aud) in Landshut und temporär in Straubing und Neudtting müngen, während Zudiwig Il. München, Ingol= 


Stadt und eine zeitlang Amberg benütte. 


6) Muffat, Beiträge zur Gefdidte des bayer. Mitngwefen ufw. Mtdn. 1869, S. 37-237. 
?) Alfred Nagl in feinem jüngjten Vortrag — Monatsbl. d. num. &. in Wien 1906 ©. 127 — will 
für die Wiener Mark um diefe Zeit 281 Gramme annehmen; vgl. Muffat über das Gewicht und den Gehalt 


der öfterr. Pfenninge Münd). 1872. 


8) 3. B. follen die fiebenlöth. Kreuzer mit 294'/2 Stüden aus der Wiener, oder mit 250 Stiiden aus 


der Nitrnberger Vtarf gebradt werden ujm. 


?) Mitt. d. Bayer. num. Gefellfhaft XII. ©. 81. 


Die Münggemidhte mit befonderer Rüdficht auf Bayern. 47 


dinen 3,28; Dufaten 3,40; Guineen 8,05; 
Vouisd’oroderDoppienG,70; Sdhildlouis- 
d’or 7,95; Mtaxrd’or 6,45; Rarolinen 
9,50; Piftolen 6,75; Oefterr. Souverains 
11,5; Qaubthaler28.9;Rronthaler 29; Con- 
ventionsthaler 28; Speziesthaler 28,50; 
Neichsgulden oder Guldenthaler 24,62; 
Bweidrittelftiide oder Gortengulden 10,15; 
Doppelgulden de$ 241/2 Guldenfupes 21; 
Doppelthaler 36,8; BVereins- und ältere 
preug. 2c. Thaler — 3 Mtarf, 18—22 Gramme. 
Außerdem eriftierten Gemwichtseinfäße mit auf- 
fteigender Verdoppelung bis zu 128 Stüden. 
für Dufaten und ausländifche Kronen.!%) Leb- 
tere wurden al marco zu 69!/2 Stiiden ge- 
rechnet. Als Münzgemwichte gelten in ge- 
miffer Hinficht auch die heute noch in Samm= 
lungen vorfommenden mehrfadhen Münz- 
forten, welche in früherer Zeit Münzmeifter 
und Wardeine als Richtitiide — pied fort, 
étalon, stal — benüßten. ALS folche nennen bei= 
fpielSmeife: den fiinffacen Thaler oder Guldenz 
grofchen König und RKaifers Maximilian I. — 
1586— 1519; den vierfachen Goldgulden Bi- 
fchofs Martin von Schaumberg in Eichftädt 
von 1560; den zehnfachen Braunauer Schwarz- 


pfenning Qudwig IX. des Reichen zu Land3- 
hut — 1450—1479 — und den dreißigfachen 
Halbbagen Albert V. von Bayern von 1564, 
welcher zugleich daS Gewicht eines Gulden 
taler8 repräjentierte. 

Das ehemals häufig vorfommende Fehl: 
gewicht bei zufällig oder abfichtlich verftüme 
melten Goldmünzen ohne NRandfchrift mie 
Gvldgulden, Dufaten, Zechinen, ausländifche 
Kronen ufw. wurde durch da8 den alten Goldz 
oder Miingwagen beigegebene Wh-Gewidt 
berechnet. Wenn an den einfaden Stüden 
mehr als jechs Affe oder Ejchen — meift 
durch gemwinnfüchtiges Bejchneiden. des Ranz 
des — fehlten, dann follte felbjt bei guter Er= 
haltung von Bild und Schrift die Münze nicht 
mehr furjieren. 

Als eine der größten Errungenschaften 
des deutjchen Volfes ift die auf einheitlichen 
Gejeg, Maß und Gewicht errichtete neue Goldz- 
und Marfwährung zu begrüßen. Wir fönnen 
uns derjelben aber erjt dann recht herzlich 
freuen, wenn wir Nüdblide auf eine viel- 
hundertjährige Vergangenheit mit ihren un= 
aufhörlihen Schwankungen und auf die häu- 
figen Miferen im Müngmefen geworfen haben. 


) Kronen und Halbfronen gu 16 begw. 8 Gulden im Gewidte von 10 und 5 Gramme find 
aud) nad) der Miingvereinigung von 1857 von mehreren Kontrahenten, worunter Bayern, geprägt worden, 
während die Kronen der neuen Martmwährung 4, die Doppelfronen 8 Gramme wiegen. 





Kufitein. 


(Aus das Neuefte von der Zeit 1704.) 





Die Urkunden Ludwigs des Bayern im Stadtarhive zu Landsberg. 


Bon Herrn Stadtardivar I. Schober, Landsberg. 


Der hiftorifde Verein von Oberbayern 
bat wiederholt, jo zulegt im Jahre 1904, die 
Stadt Landsberg mit einem Bejuche beehrt, 
und gewiß find die verehrlichen Teilnehmer 
nicht unbefriedigt geblieben; bietet ja doch der 
am Steilrande des rechten Lechufers fich auf- 
bauende Ort gar manches, was den Hijtorifer 
wie den Künftler, den Altertumsfenner wie 
den Naturfreund, den Architekten und den Lieb— 
haber der Volfsfunft gleichmäßig erfreut und 
entzüdt. Grüne Anlagen umfäumen die Stadt, 
deren Mauern und Türme noch größtenteils 
erhalten find und im Bereine mit engen, 
winfeligen Gaffen und Gabden, mit alters- 
grauen Häufern, in deren Ausjehen fich die 


Bild von geradezu phantaftiicher Wirkung, 
wie e3 nur der Stift eines Dore zu fchaffen 
gewohnt war. — Qn Kirchen und Kapellen 
erfreut eine reiche Zahl von Kunftfchäßen den 
Bejucher, und das mit feinen Stuffaturen ge- 
Ihmücdte Rathaus zeigt nicht nur die berühmten 
beiden Gemälde Meifter Herkfomerz, die farben 
prächtigen Fresken Pilotys und Schmwoifers, 
fondern es enthält auch das ftädtifche Archiv, 
das in feinem Beftande befonders eine große 
Anzahl von Urkunden bejigt. Diefelben be= 
ginnen mit dem Sabre 13151). Der Grund, 
warum feine älteren Dokumente vorhanden 
find, liegt darin, daß in genanntem Jahre 
HSriedrich der Schöne die Stadt eroberte und 


verbrannte, wobei auch alle Urkunden der Berz 
nidtung anbeimfielen. ine Notiz, welche 
aus dem 15. Jahrhundert ftammt und fich 
auf der erjten Seite des fehr wertvollen Stadt- 
rechtsbuches?) findet, befagt hierüber: Zu 
merfen, daß die Stadt Landsberg ift gewonnen 


Stilmandlungen von Jahrhunderten fpiegeln, 
eine malerifche Gruppierung jeltener Art, ein 
reichbewegte8 Ganze bilden. Breitet eine Mond- 
nacht, befonders im Winter, ihren ftillen Zauber 
über die Etadt, treten Licht und Schatten in 
Icharfen Tönen hervor, dann ergibt fich ein 


1) Die im Archive liegende Urkunde aus dem Jahre 1306, durch melde Cunrat und Bertold die Wal- 
hopter ihren Hof zu Walhaupten an das Spital in Kaufbeuern um 33 Pfund Augsb. Pfennige verkaufen, ift 
offenbar erft fpäter hieher gelangt, und zwar als das Spital in Landsberg in den Befig Diejes Hofes fam. 
(Siehe darüber au) Dr. Schröder: Das Bistum Augsburg, 50. Heft, ©. 610 f.) 

2) Das Landsberger RedhtSbud) ijt fiher eines der interejjantejten Stüde feiner Art. C8 enthält 
144 Pergamentblätter in großem Format (ca. 27:37 cm) und gliedert fi fein Inhalt in mehrere Teile. Auf 
Blatt 2 ift ein Kalendarium. Das von Kaifer Ludwig gegebene bayrifde Landredht füllt das Bud bis Blatt 28, 
worauf big Blatt 47 das „verfigelt pud) ber ftat Redjt” Miindens folgt. Bon hier bis Fol. 53 find ,dy Redt 
aus Büchern abgejhriben, da man zu Münden aud) darnad) richtet und dy fy gar vaft haltet und do mir vns 
aud) darnad) rihten“. — Hierauf fommt ein biß Blatt 85 reihender Eintrag „Über der Stat Münden Süße“, 
und fließen fid) dann bis Fol. 99 die Nechtsbriefe an, weldhe der Stadt Münden ausgefertigt wurden. Es 
folgen nun die Briefe der Stadt Landsberg, die bis Blatt 136 reichen. Un jelbe reihen fic) die Beftimmungen 
über die jährliche Wahl des innern und äußern Rats, die Pilihtnahme des Rates, deB Stadtf{dreibers 2c., 
dann Berichte über folhe Wahlen aus dem 2. Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts. Aus diefer Zeit ſtammt 
aud ein Miffiv der Herzoge Wilhelm und Qudmwig bezüglich de8 vom Richter der Stadt zu leitenden Schwureß, 
über das Siegeln von Briefen ufm. Neben anderen Einträgen folgen hierauf Notizen (Qermerfe) über die 
eidliche Verpflichtung verfdiedener Land» und Stadtrihier des 16. und 17. Jahrhunderts und endlid, ans 
gebunden, die „Urticul, darauf der Richter Shmwören foll’, fowie nod) einige Beigaben, davon befonders 5 kurf. 


Verordnungen aus dem Jahre 1684 zu nennen find. 





Die Urkunden Ludwigs de8 Bayern im Stadtardiv zu Landsberg. 49 


und zerjtört worden durch den hochgebornen 
Bürften und Herrn Herzog Friedrich von Defter- 
reid) und ift befchehen des Yahrs als man 
zählt nach Ehrifti Geburt dreigehnhundert und 
im fünfzehnten Sabre, de8 naicften Tags nach 
Sankt Egidytag des andern (= 2.) Septembris. 

Unter den vorhandenen Urkunden jtehen 
an Alter wie Bedeutung jene drei obenan, 
welche von Ludwig d. B. herrühren, und durch 
mwelche der König foftbare Privilegien und 
Freiheiten der Stadt verleiht. Diefe Urkunden, 
einjt mit Jubel und Dant gegen den fönig- 
lichen Herrn empfangen, wurden Jahrhunderte 
bindurd) mit Ehrfurcht betrachtet und als 
Kleinodien der Stadt treulich gehütet, bis fie 
leider — fet e8 im RriegSgetiimmel von beute- 
fuchenden Soldaten, fet e3 durch Unverftand 
oder Bi swilligfeit — bejchädigt und ihrer Siegel 
beraubt wurden. Dennod) fann fein Zmeifel 
an ihrer Echtheit beftehen, wa8 auch die Ro- 
pien in bereits erwähntem Rechtsbuche bemeijen. 
— Sinnend ruht das Auge auf diefen Zeugen 
längft entihmwundener, fchidjalsfchwerer Tage, 
und aus den vergilbten Pergamentblättern und 
den feltfamen Buchftaben fpridt zu ung eine 
Stimme [eis und fremd wie ein Edo aus 
Waldestiefen und fcjafft längft vergangene 
Reiten Lebendig.*) 

Bon befonderer Wichtigfeit und Bedeu- 
tung fowobhl fiir vaterlindifde al8 Iofale 
Hiftoriographie erfcheint die erfte Urkunde, aug- 
geftellt am Eonntag nad) Sanft Martinstag 
(= 16. November) 1315.) Durch fie ver- 
leiht der König an Landsberg gang aufer- 
ordentliche Gnaden, denn er gewährt nicht 
nur Ungeld und Wagenpfennig, fondern auch 
alle Rechte, welche München befigt. Aus den 


Ihliten Worten, dem fnappen Inhalt ers 


widft dem aufmerfjamen Lefer eine Fülle ge- 
{chicdtlidjen Stoffes, und aus den Zeilen des un- 
Icheinbaren Dokumentes leuchtet die Kunde einer 
uniterblichen Ruhmestat der getreuen Lechftadt. 


Die Urkunde lautet: 

Wir Ludwig von Gottes Gnaden römifcher 
König, zu allen Zeiten Mehrer des Reichs, 
tun fund allen denjenigen, die diejen Brief 
anfehend oder hörend lefen, daß wir von un- 
fern föniglihen Gnaden und angeborner 
Mildigkeit unferen lieben Getreuen, dem Rat 
und der Gemain der Bürger von Landsberg, 
die befondere Gnade getan haben, daß mir 
ihnen verleihen und verliehen haben mit mohl=- 
bedadhtem Sinn ewiglic) da8 Ungeld in der 
Stadt 3u Landsberg und den Wagenpfennig, 
den man nimmt an dem Lechtor, da man 
zu Landsberg über den Lech ausfährt, daß fie 
dagjelbe Ungeld und den Wagenpfennig immer- 
dar einnehmen follen zum Erjaß ihres großen 
Schaden3, den fie in unferm Dienft nahmen, 
al8 die Stadt gu Landsberg von unfern Feinden 
ganz verbrannt wurde, und dag fie defto beffer 
wieder bauen, befeftigen und auch befchirmen 
mögen diefelbe Stadt wo e8 Mug und Mot wird. 
Wir tun ihnen aud die befondere 
Gnade und verleihen ihnen emiglid 
alle die Rechte, die unfere Stadt von 
München und die Bürger feither von 
unfern Borfahrn felig, von unsund 
unferm Bruder Herzog Rudolf gehabt 
haben, daß diefelben Bürger von Landsberg 
alle diefelben Rechte völlig rechtlich und miige 
lid) fernerhin Haben und fie auch genießen 
follen gerade fo, al8 wenn wir fie ihnen von 
Wort zu Wort eigentlich mit diefem Brief 
verliehen hätten. Und gebieten allen unfern 
Amtleuten, die jeßt dafelbft find oder fpäter 
dahin gejegt werden, daß fie denfelben Bürgern 
von Landsberg behilflich feien und fie auch 
Ihirmen vor jedermann, damit ihnen die vor= 
genannte Gnade ruhig und ungerbrochen bleibe; 
und wer fie daran hindert, der muß darum 
unfere fönigliche Gnade entbehren. Und zur 
Urfund geben wir ihnen den Brief mit unferm 


‚Snfiegel verfiegelt, der ift gegeben zu München 


5) Diefe drei Urkunden finden fi) abgebrudt in Lori: Gefdidte deS Vedhrains, Urfundenband ©. 54 


und 55, unter Nr. 39, 40 und 41. 


4) Ein Abdrud diefer Urkunde erfcheint aud) auf S. 33 im Vermaltungs-Beridte der Stadt Landsberg 
vom Jahre 1889. Die dort auf S. 21 (nach Riegler Il. Band, S. 318) gemadte Ungabe, als ob Landsberg am 
16. November 1315 von Ludwig d. B. mit einem neuen Wappen belehnt worden ware, wird durd) feinerlei 
Nahmeis gejtügt, und die weitere Angabe am gleihen Orte, al8 wären unmittelbar nad) diefem Gnaden= 
bemeife de8 16. November weitere Vergünftigungen am Sonntage nad) Sanft Martin erfolgt, ift ſchon inſo— 
ferne hinfällig, als diejer Tag mit dem 16. November identifd ijt, alfo dafiir aud nur die eine obige Urkunde 


in Frage fommt. 
WM. 1a. 2, 


7 


50 9. Schober 


des Sonntags nad) Sankt Martinstag, jo man 
zählt von Ehrifti Gedurt dreigehnhundert Jahr 
und darnad) in dem fünfzehnten Jahr, in dem 
erften Jahr unferes Reiches. 5) 

In diefem Briefe gewährt Ludwig alfo 
den Bürgern Qandsbergs Ungeld und Wagen- 
pfennig®), und zwar teil® als Erfaß für den 
Schaden, den fie bei der Einnahme und Ber- 
ftörung der Stadt erlitten, teil® als Mittel, 
um die Stadt wiederberftellen und neu be= 
feitigen zu fönnen. Dieje Vergiinftigung er- 
Icheint ung erflärlich und verftändlich; ganz 
anders ift e8 aber, wenn wir hören, daß Land3- 
berg dazu aus befonderer Gnade nod alle 
Rechte erhielt, welche die Stadt München von 


Bruder Rudolf feither erhalten Hatte. Wir 
miiffen uns flar machen, wa8 das ju bee 
deuten hatte. Landsberg befam dadurd) das 
Recht der eigenen Verwaltung (Unmittelbarfeit), 
eigene Gerichtsbarkeit, Schuß und freie Ge- 
leite für die Bürger auf allen Straßen, fein 
Bürger fonnte außerhalb der Stadt gepfändet 
werden, die Stadt hatte das Recht, jeden ihr 
oder dem Lande Schädlichen zu fahen, der 
Markt war gefreit, die Kaufleute Landsbergs 
genoffen Zollfreiheit im Reiche, die Stadt er- 
hielt das Recht des Dudenfdubes und der 
Sudenbefteuerung 2c. — Das waren Gnabden, 
wie fie noch feiner Stadt zugleich und in fol- 
chem Umfange verliehen worden waren. Was 
Münden, die Refidenz, durd) treue 


des Königs Vorfahren, ibm felbft und feinem 


5) Der genaue Originaltert der Urkunde, welcher gum Vergleiche hieher gefegt fein foll, heift: 

e e o o 

„Wir Lubomwid) von GoteS Genaden Romifder Chunid ze allen zeiten mer‘ des Rides Tun dunt 

e 
allen den die difen brief anfehent / ober Horent [ejen. Dag wit von vnfern funidliden genaden und ange 
o 
borner miltihhait vnf*n Lieben getwen . .. bem Rat und der Gemain der Burg” von Landefperd | die befunder 
o 
genade getan haben | dag wir in verlihen und verlifen haben mit verdbadtem mote ewigliden bag vngelt in 
der Stat gv Landefperd / ond den wagen pjenning den man nimt an bem Laedhtor do man ze Lanbefperd 
a e 
ober den Qaedh aug fert | dag fi dagfelbe vngelt und den wagen pfenning imm*mer einnaemen fullen ze 
ergegung ites grogen fdabden den ft in vnf*m dienft namen nv / da die Stat ge Qanbefperd) von vn{*n veinden 
e 
gar verbrant wart | und dag fi deft’ bag wider pamen beveftn vnd aud) befhirmen mogn diefelben Stat [ma 
o 
eg nug / ond not wirt. Wir tun in aud) die befunder genade / und v’lihen in emwichlichen aller die recht die 
o o 
ons“ Stat von Munden vnd die Purg* ung her von vonf'n vorvarn faeligen / von vn8 / und von vnf'm 
o o 
bruder Herkogn Rudolf gehabt habent | dag diefelben Purg* von Landefperd alle bev felben recht als voͤllich⸗ 
e e o 
lichen | rehtichlich und moglich furbag haben / und ir auch geniegen fullen alg wir fi in von wort ge wort 
aigenlicdy mit difem brief v’lihen hettn. Und gebiten allen vnſ'n Umptlaeuten die nv da felben feint | oder 
her nad) da bin gefeget w’den | day fi den felben Burg'n von Landefperd gebolffen fein / ond fi aud fdirmen | 
vor allem maenlich | bag. in bie vorgenante genabe ftaet und ungerbroden beleibe vnbd fmaer in aud) dag 
vberfert / der moz dar pmb onf* tunidhtiden genaden enp’n. Bnd ge vrchund gebn wir in diſen brieff mit 
onf'm Infigel v’figelt. der ift gebn zu Munden des Sontagg nad) Sand Marteins tad) | do man galt von 
e 
Chriftes geburt drevgehenhundert Jar / darnad) in dem funifgebenden Jare / Jn dem erften Qare vnf‘s Rides.“ 

Die Urkunde ift 32,6:22 cm groß. Sie war, mie erfidtlid, in zwei Stüd: zerriffen und ift deshalb 
auf ein Pergamentftüd geleimt. Wud die Schnur fehlt voliftändig. 

*) Das ,lingeli* war eine Art indirekte Steuer (Octroi), hauptfähli” auf Lebensmittel aller 
Art gelegt. Die Vorfilbe „Un“ ift alfo Hier nicht in verneinendem Ginne aufgufaffen, bezeichnet vielmehr eine 
Verjtärlung bes Ausdruds wie 3. B. bei den Wörtern Untiefe, Untojten, Untier. Der zur Einnahme des 
UngeltS aufgeftellte Beamte hieß „Ungelter“ 

Unter ,Wagenpfennig’ verftand man eine Ubgabe (Boll), welde am Ledjtore von allen Wägen 
und Karren, fo mit Kaufmannsgütern, Getreide, Holz und andern Verlaufsgegenftänden beladen waren, ere 
hoben wurde. 

Was dag Münzfyftem jener Zeit betrifft, das ja fehr wedfelnd war, fo erinnert heute wohl die englifde 
Währung nod) am beiten daran. 2 Heller = 1 Pfennig, 12 Pfennige = 1 Schilling, 20 Schillinge = 1 Pfund 
Pfennige (Sterling) oder 2 Pfund Heller. Dab der damalige Geldwert ein ganz anderer, höherer war, erflärt 
fi) vorzüglid aus bem felteneren Vorfommen des Edelmetals, und wir lernen den Wert eines Pfennigs 
fhagen, wenn wir hören, daß 3. B. in jener Zeit 1 Pfund Schmalz 2 big 3 Pfennige, 1 Maß guter Wein 
3 Pfennige, 1 Pfund Fleifd) 1 bis 1/2 Pfennige toftete, dak aber auch ein guter Wrbeitsverdienft nur 5 bis 
7 Piennige pro Tag betrug. 


Die Urkunden Ludwigs des Bayern im Stadtardiv zu Landsberg. 51 


Dienste in vielen Jahren fi) erworben, 
das wurde dem Eleinen Landsberg mit 
einemmale gewährt. 

Weshalb diejfe geradezu unerhörte Fülle 
von Gunftbezeugungen? Weil Landsberg ver- 
brannt worden war ? — Das war doch nichts 
fo Ungemöhnliches. Das Niederbrennen von 
Städten und Dörfern, da3 Berwiiften der 
Gegend lag im Kriegsbraudje jener Zeit. Das 
Schidjal, welches Landsberg getroffen, hatten 
hundert andere Orte auch erfahren, und dafür 
war ja die Stadt ausdrüdlich durch Ungeld 
und Wagenpfennig entfchädigt worden. Warum 
alfo troßdem fo großartige Zuwendungen? — 

G8 ijt richtig, auch ftaatSmännifche und 
militärifche Erwägungen traten fräftig für 
Landsberg ein. Landsberg war Grenaftadt und 
Grenafefte. Es fperrte den Weg aus dem feind- 
lihen Schwaben, e3 bildete den Schliiffel gu 
Bayern, und deshalb war e8 von größter Wich- 
tigfeit, ob die Stadt mehrlos oder nicht, ob ihre 
Biirger guverlaffig und ftarf oder {chwanfend 
und fdwacd. — Dod) auch diefe gwar fehr 
bedeutfamen, aber nüchternen Bedenken find 
nicht hinreichend, folche ungemöhnlichen, von 
warmem Danfgefiihl getragenen Onadenbemeife 
genügend zu erlären. Die Begründung hiefür 
müffen wir in anderen Umftänden fuchen. 

Der langwierige, unfelige Streit um die 
deutiche Königsfrone zmwifchen Ludwig d. B. 
und Friedrid) bem Schönen ift alljeit8 zur 
Genüge befannt. Plöglih und unerwartet 
dringen im lebten Drittel des Monats August 
1315 Friedrich) der Schöne und fein Bruder 
Leopold mit Heeresmadht aus Schwaben an 
den Led, um in Bayern eingufallen. Augs- 
burg verfchließt ihnen Brüden und Tore; alfo 
wenden fie fich gen Landsberg, um hier den 
Uebergang zu erzwingen. Ludwigs Lage ift 
äußerst fritifih. Wie einen Schlaftrunfenen, 
fagt der Chronift des Klojters Fürftenfeld, 
bat ihn der Angriff aufgefchredt. Die Haupt- 
ftadt fcheint verloren, Bayern mehrlos dem 
Feinde preisgegeben; fein Heer, feine Hilfe. 
Ludwig eilt nad) dem Städtchen Friedberg, 
mehr zur Flucht als gum Kampfe gerüftet. 
Da hört Augsburg von feiner Nähe. Dem 
Bayern öffnet e3 die Tore, ihm fagt e8 jeine 
Unterftiigung zu, und diefe Hilfe hebt wieder 
den gejunfenen Mut Ludwigs, dem nun von 
nah und fern Getreue zueilen. Wahrenddeffen 


aber tobt am ech ein blutiges Ringen. Lands» 
berg ift Landshut und Landsfhug gemorden, 
Bayerns und des Keiches Wal. Das mifjen 
die tapferen Berteidiger gar wohl; darum 
wehren fie todesmutig dem anftürmenden 
Feinde. Eine foftbare Beit fiir Friedrich ver- 
ftreiht. Sein Blan, rafch des Gegners Land 
in feine Gewalt zu bringen, fcheitert an den 
Mauern des Heinen Städtleind. Mächtig 
lodert deshalb fein Grimm ob folch unerwar= 
teten Widerftandes. CEndlid), nach langen 
Kämpfen, nad) wiederholten fruchtlofen An= 
griffen, nad) großen Opfern fällt die Stadt, 
und die Rache des Feindes legt fie in Afche 
und verwüftet die Gegend bis an den Ammer- 
fee. Das war am 2. September 1315. — 
Aber noch troßt die Burg. Hieher hatten fich 
die meilten Einwohner geflüchtet. Am 4. Sep- 
tember ift fie noch unbezwungen. Da melden 
Boten das Herannahen Ludwigs an der 
Spike eines Heeres. Die Lage Friedrichs 
fcheint gefährdet. Ein meiteres Vordringen 
dünkt nicht rätlich, zur offenen Feldfchlacht 
fühlt er fich zu fhwad. Er hebt deshalb die 
Belagerung auf und geht über den Led) zurüd. 
Bei Buchloe bezieht er ein feites Qager. Aber 
auch hier ijt feines Bleibens nicht Lange. 
Heftige Regengüffe gehen nieder, die Flüffe 
treten aus den Ufern, Ueberfchwenmungen ver= 
treiben ihn, und nun weicht er ganz aus 
Schwaben. Und die Schlußfolgerung? — 
Durd den ausdauernden, heldenmiitigen Wider: 
ftand Yandsbergs miklang das wohlvorbereitete 
Unternehmen Friedrichs, wurden Fürft und 
Land gerettet. Das ift e8, was zwifchen den 
Heilen diefer Urkunde zu lejen. Nur dadurch 
werden un die großartigen Gnadenbeweife 
Ludwigs verftindlid. Glänzende Tat erhielt 
glänzenden Lohn! — Und fragen wir, warum 
fein Gejchichtswerf von diefer Begebenheit 
meldet, fo wollen wir un daran erinnern, 
daß Iofale Gejchichtsquellen aus jener Zeit 
faft gar nicht eriftieren und das Wenige, was 
fie bieten, äußerft mangelhaft ift; haben wir 
ja felbjt über die Entjcheidungsfchlacht bei 
Mühldorf im Jahre 1322 feine genauen zeit- 
genöffifchen Berichte. E38 ift deshalb nicht zu 
verwundern, wenn fpätere Hiftorifer nichts 
von jener ruhmvollen Verteidigung Landsberg 
zu melden mwijfen und auch Riezler, unfer be= 
deutendfter vaterländifcher Gejchichts fchreiber, 
Tr 


52 3. Schober 


in Band IL, ©. 318, nur furz erwähnt: 
„Während Ludwig fich mit geringer Macht 
nad) Friedberg warf, fiel Landsberg in die 
Hand Leopolds und in Trümmer.” — Das 
Ihlichte Stid Pergament des Landsberger 
Archivs allein erinnert noch an jene hervor= 
tragende Tat Landsbergs und damit an eine 
Epijode, gleich denfwiirdig für der Stadt wie 
des Landes Gefchichte. 

Die zweite Königsurfunde ift datiert vom 
1. November 1320. 

Die Tatfache, daß Landsberg nun fünf 
Sahre lang nicht mehr Hilfeflehend vor Qud- 
wig erfcheint, mag ein Zeichen fein, daß es 
durd) die gewährten Gnaden nad) und nad 
wieder zu Kräften fam. Wher iiberfdhagen wir 
dies nicht! Die Zeitverhältniffe waren zu un= 
günftig, um ein rajches Gefunden zu ermig- 
lihen. Der politifche Zwiefpalt dauerte fort 
und wurde von räuberifchem Gefindel trefflich 
ausgenüßt. Unter dem Scheine der Partei- 
nahme für Ludwig oder Friedrid) machten 
Wegelagerer und Raubritter die Straßen uns 
ficher und unternahmen auf eigene Fauft Fehden 
und fchonungslofe Beutezüge gegen Städte und 
wehrlofe Dörfer. Ein derartiger Barteigänger 
Friedrich war Heinrich der Frah oder Frazz 
(mie man damals fchrieb) von Wolfsberg im 
benachbarten Schwaben, trefflich unterjtüßt 
durch feine beiden Söhne Ulricd) und Eber- 
bard. In ihrem Wappen führten fie einen 
Wolf, und diefem Bilde machten fie auch alle 
Ehre, denn fie brandfdakten die ganze Gegend 


des bayerischen Lechrains, hemmten Handel 


und Berfehr, ja fogar den Anbau der Felder. 
Mag man aucd, annehmen, daß die Stadt, 
welche damals noch von geringen Umfange 
war, ihre Mauern notdürftig wieder hergeftellt 
hatte, fo war doc) das frühere Phetine oder 
Landsberg im Dorf, wie der an der Berge 
ftrage gelegene Teil hieß, unbewehrt. Dabei 
hatten diefe Raubritter Schuß und Hinterhalt 
an Herzog Leopold von Dfterreich, der ftets 
in Oberfdwaben auf der Lauer lag, um den 
günftigen Augenblid für einen neuerlichen Ein= 
fall in Bayern wahrzunehmen und auszunüßen. 
Diefen Zeitpunkt glaube er im Jahre 1319 
gefommen. Friedrich) der Schöne hatte mit 





Erzbifchof Friedrich von Salzburg ein Bündnis 
gefchloffen und drang nun von Salzburg aus 
über Laufen in Ludwigs Lande; Leopold mit 
800 Rittern 30g aus Schwaben heran. Jeden 
fall überfeßte er bei Landsberg den Lech, 
denn er ging über Diefen am Ammerfee dem 
Sun gu, wo er fic) dann mit Friedrich ver- 
einigte. Ludwig wagte nicht das Heer der 
Brüder anzugreifen. Er zog fich zurüd und 
die Ofterreidher hatten Hinreidend Zeit, das 
im Jahre 1315 Berfäumte nachzuholen und 
da Land gründlichit zu vermiiften. Endlich 
trennten fie fich. Friedrich begab fich nach Ofter- 
reich, Leopold wandte fich wieder nad) Schwaben. 

Welches war nun das neuerliche Schidfal 
Landsbergs? ES ift fehr naheliegend und 
wird auch durdy die zweite Urkunde beftätigt. 
Die faum aus dem Schutte erftandene Stadt, 
welche feinen genügenden Widerftand leiften 
fonnte, wurde zum: zweitenmale verbrannt. 
Da jolches jedenfalls fchon bei dem Einbruche 
Herzog Leopolds gefchah, jo dürfen wir diefe 
abermalige Zerftörung in da8 Ende des Mo— 
nat8 Wuguft oder anfangs September 1319 


jegen. E83 mag damal3 eine trojtlofe Zeit 


gemwejen fein für Landsberg und die ganze 
Gegend. Die Stadt in WAfche, der nahende 
Winter, der drohende Feind, der Vandesherr 
ohnmächtig, nirgends eine rettende Hand. 

Im Frühjahre 1320 30g Ludwig mit 
einem Qeere an den Rhein gegen Leopold; 
aber im Herbite mußte er, ohne etwas erreicht 
zu haben, wieder zurüdgehen. Gegen Ende 
Oftober 1320 treffen wir ihn in Nürnberg. 
Dorthin Tchidte Landsberg Gefandte, um dem 
Könige das Elend der Stadt zu flagen und 
feine Hilfe zu erflehen. Dod) was fonnte 
Ludwig tun? Geld und Hilfe vermochte er 
nicht ‘zu geben, er hatte beides felbft nötig; 
ohne jeglichen Beijtand aber wollte er feine 
arme, getreue Stadt auch nicht laffen und fo 
fertigte er denn am 1. November 1320 die 
zweite, noch erhaltene Urfunde, wornad) Lands⸗ 
berg am obern Tore von je 3 eingeführten 
Scheiben oder von 3Galneyen?) Salz 1 Pfennig 
Boll erheben durfte. 

Dieje zweite Urkunde lautet: 

Wir Ludwig von Gottes Gnaden römischer 


') Das Salz wurde entweder fejt, in Scheiben gepreßt, oder lofe, in Säden, eingeführt. Eine 
Galney, b. i. ein Sad (Maf), fabte joviel Salz als eine Scheibe Hatte. 


Die Urkunden Ludwigs des Bayern im Stadtardiv gu Landsberg. 53 


König, zu allen Zeiten Mehrer des Reiches, tun 
fund öffentlich mit diefem Brief, dak wir an- 
gefehen haben den großen Schaden, den unfere 
getreuen Bürger zu Landsberg von Brand und 
von Herzog Leupold und dem Frazz genommen 
haben und haben ihnen von unferer föniglichen 
Mildheit die Gnade getan, daß wir ihnen ver- 
liehen haben emwiglich, daß fie je von drei Schei= 
ben Salz, die von unferm Land zu Bayern zu 
dem obern Tor in die Stadt zu Landsberg ges 
führt werden, einen Pfennig nehmen follen und 
von drei Galneyen Salz ebenfoviel und follen 
auch dasjelbe Geld, das ihnen davon wird, an 
nicht8 anders legen, als dak fie unfere Stadt 
zu Landsberg davon bauen und befferu wo 
ihr dies Not fei. Und weil wir nicht wollen, 
daß ihnen die vorgenannte Gnade mit Gewalt 
gejchmälert werde, fo wollen wir und gebieten 
allen unferen Amtleuten und andern, mie fie 
genannt find, daß fie ihnen diefe Gnade ruhig 
halten und fie von unfertmwegen daran fchirmen 
follen, wo ihnen das Not fei. Und darüber zu 
einer Urfund geben mir ihnen diefen Brief mit 
unferm Qnfiegel verfiegelt, der geben ift zu 
Nürnberg am Allerheiligentag, da man zählt 
von Ehrijti Geburt dreizehnhundert Jahr, dar- 
nad) in dem zwanzigjten Jahr, in dem fechften 
Jahre unferes Reiches.) 

Die zerbrochene Stadt hatte alfo jekt gu 
ihrer Wiederherftellung — auper den gewor- 
denen Rechten und Freiheiten — drei Hilfs- 
quellen: Ungeld, Wagenpfennig und Salzzoll. 
Aber alle diefe Mittel, jo gut fie gemeint waren, 





Erfolg, wenn Handel und Verkehr blühten. 
Das war aber aus den fchon gefdilderten Gritn= 
den feine8weg8 der Fall. Die Bedringniffe 
mwährten fort und e8 ift fehr natürlich, daß 
deshalb auch die Klagen nicht verftummten, 
und daf fic) die Bürger, alS Ludwig wieder 
in München weilte, auf3 neue bittend nahten. 
Nun wählte der König einen andern Weg. — 
Maren durch die bisherigen Bewilligungen die 
Einnahmen der Stadt vermehrt worden, fo 
follten nunmehr die Yusgaben verringert wer= 
den. Am 10. März 1821 übergab er den Lands 
bergern eine Urfunde, worinnen ihnen der fünfte 
Teil der gewöhnlichen Stadtfteuer nachgelafjen 
wurde. Bisher hatte diefelbe 50 Pjund Augs- 
burger Pfennige betragen, nun wurde fie auf 
40 Pfund ermäßigt, nach dem damaligen Geld- 
werte immerhin für das Eleine Gemeinmwefen 
eine bedeutende Erleichterung, die auch ver- 
bleiben follte, wenn die Stadt allenfall3 ver- 
fegt witrde. G8 war ja im Mittelalter oft 
genug der Fall, daß die Fürftenihren Gläubigern 
Städte und Länder zur Sicherung der gegebenen 
Darlehen verpfändeten. 

Diefe dritte und legte Urkunde hat folgen- 
den Inhalt: Wir Ludwig von Gottes Gnaden 
römifcher König, zu allen Zeiten Mehrer des 
Reiches, tun fund allen denen, die diefen Brief 
anjehend oder hirend lefen, dak wir angefehen 
haben die grofe Urbeit, Schaden und Gebreften, 
die unfere lieben getreuen Bürger zu Landsberg 
von unferen Feinden und von mandherlei ans 
deren Sachen gehabt und gelitten haben und 
auch noch täglich Haben und leiden, und haben 


verfpraden doch nur dann einen ausgiebigen 


8) Der genaue Wortlaut der Urkunde Heißt: 

„Wir Ludowid) von Gotes Gnaden Romifdher Chuͤnich / ge allen zeiten mer‘ des Riches v’iehen offen» 
lid an difem brief: Daz wir angefehen haben den grofjen fdaben / den vnfer liebe getriwe Burg‘ ge Qantfperd 
von brant | und von Hergog Leupolt und dem frazge genommen Habent / Vnd haben in von vnfer’ chunid)- 
lien miltiheit die gnade getan | daz wir in verlihen haben ewichlichen | dag fi ie von drein Scheiben Sales | 
die von unfe'm Lande ge Bay'n ze dem Obern Tore in die Stat ge Zantfperd) gefurt mw’den | ainen phennind 
nemen füln / ond von drein Galneyen Saltes als uil und juln and) dag felb Gelt, dag in ba von mitt | an 
nibtiv ander8 legen / bann dag fi vnfer Stat ge Bantfperd) da von bowen ond begge’n | fra ix de8 not fet. Bnd 
wan wir nibt mellen / dag in bie vorgenant gnade mit ibtiv uberuaren werde | So wellen wir und gebieten 
allen unf'n Amptleuten ond ande'n fwie fi genant fein | daz fi in bie felben gnade ftaet Halten / und ft von 
onfe'n wegen dar an fhmen fwa in des not fei. Bnd dar uber zu einem vrchunde geben wir in diſen brief 
mit vnſſm Inſigel verſigelten. Der geben iſt ze Nuͤrenberg an aller Heiligen tag. Do man zalt von Chriſtes 
geburt dreitgehen Hundert Jar / dar nad) in dem zmeintzigiften Jar | In dem Sehften Jare vnfers Rides.“ 


Die Urkunde ift 28,7:15,4 cm groß, unten 34 mm eingebogen und hängt nod) ein Stüd der aus 
gelber und roter Seide geflodhtenen Schnur an. 


54 3. Schober: Die Urkunden Ludwigs des Bayern im Stadtardiv gu Landsberg. 


ihnen die Gnade getan, daß wir ihnen an 
ihrer gewöhnlichen Steuer, der war [= welche 
(bi8her) war] fünfzig Pfund Augsburger Pfennig, 
die fie uns jährlich geben follten, alle Jahre 
zehn Pfund Augsburger Pfennig nachgelaffen 
haben und aud) lafjen, alfo daß fie ung, unfern 
Erben oder wem fie jegunt von uns ftehend 
oder fürbaß (— gleich oder fpäter) verfeßt 
werden, zu ihrer gewöhnlichen Steuer emig- 
lichen nicht mehr geben follen, dann (= al8) 
alle Jahre 40 Pfund Augsburger Pfennig und 
follen auch wir, unfere Erben, noch der, dem 
fie jebunt von uns ftehend oder fürbaß ver- 
fegt werden, noch fein unfer Amtmann, wie 
der genannt fei, nicht mehr von ihnen fordern 
noch nehmen zu ihrer gewöhnlichen Steuer, 
dann die vorgefchriebenen vierzig Pfund Wugs- 
burger Pfennig. Und darüber zu einer Ur- 
funde geben wir ihnen diefen Brief mit unferm 
Snfiegel verfiegelt, der geben ift zu München 
an dem Eritag (= Dienstag) in der Faften 


nad) dem Sonntag fo man finget Ynvocavit, 
da man zählt von Ehrifti Geburt dreizehnhundert 
Jahr darnad) in dem einundzwanzigften Jahr 
in dem fiebten Jahr unferes Reiches.?) 

Alfo die Föniglichen Urkunden, welche der 
Stadt eine fo reiche Fülle von Gnaden ver- 
bürgten. Freilich Löften fich fpäter manche der 
erhaltenen Vorzüge ab, immerhin aber blieb 
nod) genug übrig, um in fommenden Friedeng- 
zeiten, insbefonder8 im 15. Jahrhundert, 
Landsberg gu einer der reichiten Städte des 
Landes zu machen, bi dann die Religions- 
wirren des 16. und die Striegsitürme des 
17. Jahrhunderts diefen Wohlitand wieder gu 
Grabe trugen. Haben aber auch diefe ehr- 
würdigen Dokumente ihre einftige Bedeutung 
verloren, jo find und bleiben fie doch nicht 
minder wertvoll al8 foftbare und unerjeß- 
lihe Stüde des Archives, al8 ein Denkmal 
perennis von Landsbergg Opfermut und 
Bürgertreue. 


5) „WIR Ludowid von Gotes Gnaden Rowifder Chunid | ge allen geiten merer dbeS Rides. Tun 


chunt allen den | die diefen brief anfehent oder Horent lefen. Dag wir angefehen haben. die groffen Urbait / 
fcdaden | und gebreften / die vnfer liebe get’we Purg* ge Bant{perd) von unfe'n veinden | und von manigerlai 
ande'n fachen gehabt und geliden habent | vnd aud nod taeglich) hHabent und leident | und haben in Div gnade 
getan / dag wir in an irre gewonliden ftero* der wag fuͤnfzich phunt Auſpurg'phenning die ſi vns Jaerlich 
geben folten / alle Jar zehen phunt Auſpurg' phenning lazzen haben vnd auch lazzen / Alſo daz ſie ung | onfe'n 
Erben / oder ſwem ſi iezunt von vns ſteent oder furbag v’feget w’dent / ge irer gewonlichen ſtew' ewichlichen 
niht mer geben füln | danne alle Jar viertzich phunt Aufpurg phenning. Bnd füln aud wir / onfer Erben / 
nod) ber, dem fi igunt von vn8 fteent od“ furbag vo feget w’dent / noch dehain unjer Umptman fwie der genant 
fei / niht mer von in vode'n nod nemen ze irer gewonlichen ftew / banne die vorgefdriben viertgid) phunt 
Aufpurg* phenning. Und dar uber gu einem vrchunde geben wir in difen brief mit onfe'm Infigel verfigelten. 
Der geben ift ge Munden jan dem Eritag in der vaften nad dem Suntag fo man finget Inuocauit. do man 
galt von Ehriftes geburt dreitzehen Hundert Yar / dar nad in dem ainem und zmweintzigften Jar. In dem 
Sibenden Jare unjers Rides.“ 


Die Urkunde ift 28,8:16,7 om groß, unten 37 mm eingebogen und Hdngt ebenfalls nod ein Stid 
der aus gelber und roter Seide geflodtenen Schnur an. 





- Chronik des Biftocifhen Vereins von Oberbayern. 


Dereinsverjammlungen. 


Monatsverfammlung am 2. Jansar 1907. 
Herr Privatdozent Dr. Janfen fprad iiber ,Die Anz 
fänge und das Emporfteigen der Zugger‘. Im Jahre 
1367 traten bie erfjten dürftigen Anfänge aus dem 
Dunkel der Gefhichte. ALS Stammort der Fugger 
ift das Dörfhen Graben bei Shwabmünden, das 
ftets im Befige der Zugger blieb, ermwiefen. Bon dort 
wanderte im Jahre 1368 Hans Fugger nad) Augs=- 
burg ein. Wenn hier von dem Einzug eine armen 
MWebergefellen mit dem Rangden auf dem Rüden er- 
aablt wird, fo ift das nicht richtig, denn Hans Fugger 
in den Steuerbüdhern Augsburgs als mit 44 Denare 
Steuer veranlagt, was immerhin einen für die da= 
malige Zeit nicht unbedeutenden Befig von ungefähr 
88 Gulden vorausfegte. Die Genialität in der Er- 
faffung der Zeitumftände ift als Hauptgrund zur 
Größe der Fugger angufehen. &8 bereitete fi) da= 
mals eine Revolution ber Zünfte der Handwerker 
gegen die Bürger (Kaufleute) vor, die die Freigitgig- 
teit bedrohte und e8 FZugger wünjhenswert erfcheinen 
ließ, in Augsburg felbft anfäffig zu fein. Hiermit 
war der Grundftod gum Reichtum gelegt. Aus ber 
Ehe Hans Fuggers mit CElifabeth Gevattermann 
ftammt Andreas Fugger, der Begründer der 
Linie vom Reh, dod erft fein gweiter Sohn Jatob 
mar ber Begründer bes Haufes und der Linie der 
Fugger von der Lilie, die fie nod) Heute im Wappen 
führen. Er erwarb große Neihtümer, indem er an-« 
fing, Geldgefhäfte im großen zu maden und ben 
Gelbverfehr zwifhen den Ländern zu vermitteln. 

€8 wäre jedod) faljch, den Reichtum des Haufes 
allein der Weltherrfhaft mit Geld gufdreiben gu 
wollen. Der größte Teil der Einkünfte floß aus den 
Bergwerten in Ungarn und Tirol fowobhl, als 
aud) aus dem Verkehr mit den meijt geldbedürftigen 
Fürften. Für ihre Darlehen, die die FZugger nicht 
felten nie wieder guriidbefamen, ließen fie fich meift 
wertvolle Privilegien geben. Auf diefe Weife traten 
fie in die Gerehtfame des Landesherrn ein, wie bieg 
fpäter unter Raifer Maximilian der Fall war, wo 
fie in Ddeffen Redjte eines Grafen von Lirol ein= 
traten. Qafob Fugger mar urjpränglid gum 
Geiftliden beftimmt und hatte bereits die niederen 
Weihen erhalten; übernahm aber dann das Gefdhaft, 
dag er nad) dem Tode feiner Brüder, felbit finderlog, 
für feine Neffen fortführte. Er hat etwas von Bis- 
mard gehabt, das aud) auf dem Holbeinichen Bilde 


erfidtlid ift. Entjcheidend griff Fugger durch die 
Bereitjtellung der Mtittel ein, alS e& gur Wahl 
Karls V. gegenüber dem König von Frankreich tam. 
Durd feine Beziehungen zu Ungarn hat er gewiffer= 
magen die Richtung gegeben gwifchen Habsburg und 
Ungarn. Uber auch fozial hat fid) Jakob Fugger 
betdtigt dburd) bie im Jahre 1511 erfolgte Gründung 
der Fuggerei, eines Rompleres von 106 Eleinen 
Häuschen, in denen fic) Bedürftige für den geringen 
Betrag von einem Gulden ein Heim fdaffen konnten. 
Ein großer Schlag war e8 für Fugger, als der 
Nationalhaß ber Ungarn 1525 die Ausländer ver- 
trieb, wobdurd) den Zuggern großer Schaden ermudjß. 

Nad Jatobs Tod 1525 übernahmen feine drei 
Neffen, Raimund, Anton und Hieronymus, dag Gee 
ihäft, wovon Anton, als der Iinternehmendfte, ein 
Reid) der Fugger unter fpanifder Oberhoheit in 
Südamerifa plante. Die Fugger waren von jeher 
ftrenge Ratholiten, und fo fonnte denn die tonfeffive 
nelle Spaltung der Reformationsgeit auf fie nicht 
ohne Einfluß bleiben. Ym Schmaltaldifhen Kriege 
mußte Anton Fugger Partei ergreifen. Hierdurch 
und durd) ben Abfall der Niederlande wurde Fuggers 
Großmadtftelung erfditttert. Früh hatten die Zugger 
angefangen, großen Grundbefig zu erwerben. Um 
hierbei ihre Stellung al® Lehensherrn zu ftärken, 
wurde bereitS 1511 Qafob Fugger geftattet, fid) als 
Udeligen gu betradten, feine Neffen wurden 1526 
gu Grafen ernannt, morauf 1530 die Erhebung zu 
Reihsgrafen, Reihsbannerherren mit großen Privi- 
legien und Freiheiten erfolgt, die in der goldenen 
Bulle 1533 erneuert wird. 


Monatsverfammlung am 1. Februar. Vor= 
trag bes Herrn Univerfitätsprofefjor Dr. &g. Preuß 
über ,Die Urfaden der- Größe und des Niederganges 
der Hanfa“. Der Vortrag ift bereits in der Beilage 
zur Allgemeinen Zeitung Nr. 60, 61 und 62 biefeg 
Jahres verdffentlidt worden. 


Ereitag den 1. Mars wurde im Vereinglofale 
nadmittags 4 Ugr die ordentlide Generalverfammu- 
lang abgehalten. 

Nachdem der 1. Herr Vorjtand den anwefenden 
Mitgliedern Auffhluß über den Stand und die Gee 
{afte beS Vereins gegeben Hatte, hielt der f. Reale 
lehrer und Stadtardivar Schober von Landsberg 
einen Vortrag Über „Die Urkunden Ludwigs des 





—— — — — * 


— ——— — 


Te 


56 Sh Chronif de$ Hiftorifden Vereins von Oberbayern. 


Bayern im Stadtardive gu Landsberg’. — Die ge- 
nannten Briefe datieren aus den Jahren 1315, 1320 
und 1321. Bon befonderem Interefje ift die Urkunde 
aus dem Jahre 1315, den durdy fie verleiht der König 
der Kleinen Ledhitadt eine Anzahl von Freiheiten und 
Redte, wie fie noch feine Stadt mit einemmale und 
in joldem Umfange erhalten hatte. Eine Erklärung 
für folde auferordentlihen Gnadenbeweije fann nur 
in einer ausgezeichneten Tat Landsbergs gefunden 
werden. Diefe aber liegt, wie der Redner in inter- 
effanter Ausführung und Schlußfolgerung bemies, 
in dem tapferen und ausdauernden Widerjtande, den 
die Stadt im Jahre 1315 leiftete, als Friedrich der 


. Schöne und fein Bruder Leopold plöglic) mit Heeres- 


madt am Led) erfchienen, um in Bayern einzufallen. 
Zudwig war folden Ueberfalles nicht gewdrtig, und 
das Land wäre mwehrlos den Dejterreichern preis- 
gegeben gemejen, wenn nicht die Bürger Landsbergs 
durd) ihre Heldenmütige Verteidigung von Stadt und 
Burg die Feinde aufgehalten und ftarf gefdadigt 
hätten. Diefer ungeahnte Widerftand raubte Friedrich 


- eine foftbare Zeit, und als endlich Landsberg fiel 


und von dem ergrimmten Gegner in Ajche gelegt 
wurde, da hatte Ludwig bereits bei Augsburg ein 
itarfes Heer gefammelt, mit dem er nun gu Hilfe 
eilte. Der geplante Einfall war mißglüdt und 
Friedrih mußte fi wieder über den Led) nad 
Schwaben zurüdziehen. Die Tapferkeit und der Opfer= 
mut von Landsbergs Bürgerfhhaft Hatte Bayern und 





feinen Fürjten vor Sdlimmem bewahrt, und könig- 
lich bewohnte Ludwig folde Treue. — Auch) in dem 
mweiteren Verlaufe des Streites zwifchen Ludwig und 
Friedrich hatie Landsberg, wie die Urkunden von 
1320 und 1321 beweifen, vieles zu erdbulden, befonders 
von Herzog Leopold und Shmwäbifhen Raubrittern, 
die als Parteigänger Friedrichs auftraten. Der König 
entichädigte die Stadt durd) neue Gnaden und Rechte, 
die in Verbindung mit jenen des Jahres 1315 den 
Grund zu Landsbergs fpdterem Wohlitande Iegten, 
der freilich) durch den 30 jährigen Krieg wieder zu 
Grabe getragen wurde. 

Reider Beifall der Anmefenden und fehr an 
erfennende Worte d.8 Herrn I. Borjtandes Lohnten 
den Redner, welcher der Verfammlung nicht nur die 
erwähnten drei Originalurfunden, fondern aud) das 
ebenfo wertvolle als Hochinterefjante Landsberger 
Rechtsbuch, dejfen bereitS im 14. Jahrhundert Ers 
mähnung gejchieht, zur Einfihtnahme vorgelegt hatte. 


Dienstag den 2, April, Monatsverjamm- 
lung im Stiinftlerhaufe. 

Es fanden zwei Vorträge ftatt, deren erften Serr 
Privatdozent Dr. Theod. Bitterauf iiber ,Die Mord= 
lichter in Bayern unter König Max I.“ hielt, während 
im anderen Bortrage Oerr f. Rechnungsrat ©. Uebel= 
ader „Die Spuren de8 vorgefdidtliden Miindens 
und die Gefdidte des Münchener Stadtwappens“ 
bebanbdelte. 











Sähriftleitung und prebgefeslidhe Verantwortung: Dr. Held wein— Münden (Liebigjtraße 1/2). 
Kal. Hofbuchdruderei Kaftner & Callwen, 





Ein unbekannter Eoder dev Vögefdien Malerfdinle) in Augsburg. 


Ein Beitrag zur Kunftgefhichte de X. und XI. Jahrhunderts von Dr. Maz Kemmerid). 


Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden 
die Produfte frühmittelalterlicher Miniatur- 
malerei nur ifoliert betrachtet und gemertet. 
Man fragte wohl nach der Entftehungszeit, 
machte fich aber die fünftlerifchen Zufammen- 
hänge mit ähnlich gearteten Werfen nicht Elar 
und hatte e8 fiir vermeffen gehalten, bier 
ragen nad der Malfchule zu ftellen und 
damit diefe verhältnismäßig primitiven Schöp- 
fungen ebenfo zu behandeln mie etwa die 
Gemälde eines Rubens oder Tizian. Erft 
durch die vortreffliche Publikation der Ada- 
handjfdrift in Trier durch Hubert Yanitfchek 
wurden die Runfthiftorifer auf die neue Wuf- 
gabe hingemiefen und feitdem find eine Reihe 
von Abhandlungen entjtanden, die manche 
Bartien des bisher fo dunklen Gebietes er= 
bellten. 

Hat nun auch in einer Hinficht durd 
den Nachweis der Zugehörigkeit zu beftimmten 
Malfchulen das einzelne Werk an Bedeutung 
verloren, infofern e8 nur zum Teil eines 
Ganzen wurde, fo hat e8 andererfeit3 gerade 
dadurch gewonnen. Denn nun galt e8 nicht 
nur das vollftändige Material zu fammeln, 
fondern auch nad) Notizen und Anhaltspunften 
in den einzelnen Handfchriften zu fuchen, um 
fo die ganze Schule zeitlich und örtlich Tofa= 
lifieren zu fünnen. Denn war einmal ber 
Nachweis erbracht, daß eine Reihe von Werfen 
derfelben Werkftatt entftammte — und er 
war nicht allgufdwer gu erbringen, ift dod) 








die Wehnlicdfeit hiufig auferordentlid) grof — 
dann galt folgerichtiger Weife jede Notiz in 
einem der Godices für alle. 

Nun befitt das bifchöfliche Dommufeum 
in Augsburg in feinem Coder No. 104 ein 
Werk, das, bisher unbefannt oder doch wenige 
ftens nicht im entfernteften richtig erkannt, 
e3 wohl verdient, der Wiffenfdaft zugänglich 
gemacht zu werden. Da der Coder fic) als 
einer der wertvolljten Produfte einer der 
griften Malerfdulen aus der Wende des 1. 
Sahrtaufends repräfentiert, würde er ſchon des⸗ 
halb lediglich zur Kompletierung des bekannten 
Materials Beachtung verdienen. Er bietet 
aber mehr als das und an ihm werden wir 
vielleicht Anhaltspunkte zu weiteren Schlüffen 
gewinnen fünnen. Zu diefem Bwede miiffen 
wir zunädhft den Coder bejchreiben und 
zwar fo eingehend al® möglid), da gerade 
die Details bei der für unfer Auge recht 
ähnlichen frühmittelalterlihen Malerei be» 
deutungsvoll find. Deshalb werden wir 
bei den nad) Photographien hergeftellten Re- 
produftionen die Farben miglicdh{t genau an- 
geben. Sodann wird e8 unjere Aufgabe fein, 
durch Prüfung der Technik und dargeftellten 
Gegenständen die Fünftlerifchen Zulammen- 
hänge, in denen der Codex mit anderen ftebt, 
feftguftellen und die Rriterien der Schule fo- 
wie thr Verhältnis zur früheren und gleich- 
zeitig anderwärt3 betriebenen Kunftübung zu 
berüdfichtigen, endlich haben wir ju unter- 


1) Wilh. VBöge „eine deutfdhe Malerfdule um die Wende de8 erften Jahrtaufends*. Ergdngungs- 
heft VII der Weſtdeutſchen Beitidrift fiir Gefdidte und Runft. Trier 1891. 


A. M. 3 u. 4. 


8 


58 Dr. Mar Kemmerid 


fudjen, ob eine zeitliche und räumliche Lo- 
falifierung des Codex und daher auch der 
ganzen Handjchriftengruppe miglich ijt. 


I. Zeil. Befdretbung der Handidrift. 

Unfer Codex ijt ein aus 161 Pergament- 
blättern beftehendes Leftionar. Da bei der 
früheren falfden Zählung wohl infolge Zus 
fammenfleben8 der Blätter die Folia 64, 97 
und 142 überfprungen wurden, fo bat die 
offizielle Zählung nur 158 Blatter, die zumeift 
in Lagen zu 4 und 5 Bogen zufammenges 
bunden find. Die Größe beträgt 26,5 zu 
21 cm, auf jeder Seite ftehen 15 Zeilen in 
Minustelfdhrift. Die Bilder der Handichrift 
find durchgehends auf die auch vom Schreiber 
benußten Lagen gemalt, alfo nicht erjt nach— 
träglich eingefügt. Der urfprüngliche Einband 
des Codex exiftiert nidjt mehr, ftatt deffen 
it das Werk augenfcheinlid — nad) dem 
Stoff zu urteilen, — vor etwa 2 Jahrhunderten 
in rote Seide mit Blattmufter gebunden 
worden. Auf der Jnnenfeite des Dedels fteht 
von einer Hand des XV. Jahrhunderts „Hic 
sunt inclusae de reliquiis Sancti Laurentii“. 
Die ehemals im rüdmwärtigen Dedel einge- 
laffene Rapfel mit den Reliquien fehlt jekt. 

Fol. 1b ftellt oben die Geburt Ehrifti, 
unten die Berfündigung an die Hirten dar. 
Bol. Tafel I. Die Gefamtgröße beträgt 19 
gu 154/2 cm. 

Die Geburt Chrifti ift auf himmel- 
blauem linierten Hintergrund — alle Blätter 
deS Codex zeigen diefe Linien — gemalt, der 
Boden ift gelbgriin (nach der Vögefchen Ter- 
minologie meergrün) fchattiert, oben ift das 
Blau durch einen blaßgelben Streifen abge- 
löft, der an der Stelle, wo die beiden Tiere 
auf goldenem mit bläulich-weißem Sande 
umgebenen SHintergrunde angebracht find, 
durch eine gezinnte Mauer von fchmusgiglicht 
odergelber Färbung unterbrochen wird. Der 
Hl. Iofeph ist blond, Haare, Bart und Geficht 
in derjelben rötlich-gelben Färbung, die fich 
auch bei Maria, dem Chriftusfind und dem 
linfen und rechten Engel wiederfindet. Die 
Punkte am OHaar und Bartanjak des hl. Yoz 
jeph find — wie in allen ähnlichen Fällen — 
Schwarz. Die Gefichtsfarbe ift ftetS diefelbe 
wie die der andern unbededten Körperteile. 
Die Gejichter der Hl. Familie find ziemlich 


ftarf bejchädigt. Joſephs Untergewand iſt 
bläulich-⸗weiß, das Obergewand bräunlich-vio⸗ 
lett (purpurbraun), genau wie bei Maria, nur 
daß hier überdies die ganze Geſtalt von einem 
blaßgelb⸗grünen Schleier eingerahmt iſt. Die 
Krippe iſt Orange, mit dunklerem Rande und 
ſchmutzig-grünem Boden. Die Tunika des 
Chriſtuskindes iſt bläulich-⸗weiß, wie die ſeiner 
Eltern; ein lichtrötlich-violettes (purpurroſa) 
Tuch hüllt es ein. Sein Haar iſt braunrot, 
eine Färbung, die auf allen folgenden Bil- 
dern feftgehalten wird. Das Geficht des mitt- 
feren Engels ift blabgeb. Das Rind ift roft- 
braun, der Ejel violett. Der linke und rechte 
Engel hat fchwarze Haare, der mittlere braun 
rote. Die bläulich-weißen Tuniken der Engel 
haben die gleiche Farbe, wie die der heiligen 
Yamilie. Der Linke der Engel trägt dunfel-Lila= 
blauen Mantel und zart lila Flügel, der 
mittlere rötlichen Mantel und blaugraue Flügel, 
der rechte lila Mantel und rötliche Flügel 
derart, daß die Flügelfarbe des eriten 
Engels mit der Mantelfarbe des dritten, die 
Mantelfarbe des zweiten mit der Flügel- 
farbe des dritten identifch ift. Die Nimben 
find golden mit je einer feinen zinnoberroten 
und fchwarzen Linie eingerahmt, im Nimbus 
des Chriftusfindes ift ein feines zinnoberrotes 
Kreuz eingezeichnet. 

Das untere Bild, die Verkündigung 
an die Hirten darjtellend, ift auf goldenem, 
nicht mehr ganz frifchem Hintergrund gemalt, 
der Boden ift wie im oberen Bilde grün 
fchattiert, zwifchen diefem und dem goldenen 
Hintergrund ift ein himmelblauer Streifen; 
der linke Hirte hat dunfelgraue bezw. fchmwarze 
Haare und rötlichbraune Haut, die auch die 
beiden andern mit ihm gemeinfam haben. Sein 
Mantel ift feuerrot, die Tunifa orange, die 
Wadenftriimpfe find dunfellilablau. Der Hirt 
rechts von ihm bat dunfle braunrote Haare und 
weife Tunifa. Der Hügel, auf dem beide 
figen, hatte wohl einst dunfelgraue Färbung, 
jegt jcheint hier das Pergament dur. Der 
Zurm ift gelblich mit feuerrotem Dach und 
Gefims, auf die dunfle rote Linien — wie 
auch bei den fpäter vorfommenden Dächern und 
Mauern — eingezeichnet find. Die Haare des 
ftehenden Hirten find dunfelbraunrot, feine Tu— 
nika bläulicheweiß, ebenfo die Fußbekleidung, fein 
Mantel ift dunfelbläulich, die Wadenjtrümpfe 


Gin unbefannter Codex der Vigefden Malerfdule in Augsburg 59 


dunfelzinnoberrot. Bon den Schafen find die 
am weiteften linf3 und recht3 blaßoder, das 
mittlere ift braunrot. Alle Nimben find — 
mo nicht ander3 bemerft — golden und mit 
feinem zinnoberroten und breiterem fchrwarzen 
Rande umgeben. Die Miniatur ift mit einer 
breiten goldenen Linie umgeben, deren Innen= 
rand chwarz, deren Außenrand zinnoberrot ift. 
Eine goldene Linie ift im gangen Codex ftets — 
von den Eleinen direkt auf das Pergament auf: 
. gefeßten Initialen abgefehen — an den Rändern 
von andersfarbigen, meift zinnoberroten feinen 
Linien eingefäumt. 

Fol. 2a ift von der Initiale C 
in der Größe 19 zu 15 cm auf lichtpur= 
purnem?) — wie ftet3 im Coder -— liniertem 
Hintergrund eingenommen. Der Körper des 
Budhjitaben ift golden mit roter Füllung, der 
von C eingefchloffene Innenraum ift blau — 
auf der Abbildung weiß — und grün. Die 
Majusfel-Schrift „In illo Tempore (Qnitiale) 
Cum“ (auf unferer Abbildung nicht fichtbar) 
ift golden. Die Bordüre bilden abwed)- 
felnd bläulich (blaßultramarin) und grünlich 
(blaßgrüne Erde) gefärbte Palmetten mit 
dunfelblauem bezw. dunfelgriinem Kern, die 
auf rötlichem Hintergrund aufgejegt find. 
Die beiden goldenen Einfaffungslinien find 
von feinem Zinnoberrot außen und innen be- 
grenzt. 





Abb. 1, fol. 2a. 


Fol. 11a ift ebenfalls von einer 











Abb. 2, fol. 11a. 


Snitiale C mit goldenem rotgefülltem 
Körper eingenommen, deren Höhe — ohne 
Wfroterien — 21 cm bei einer größten Breite 


pon 16cm betriigt. Der Jnnenraum ift blau 


und griin gefirbt, der Hintergrund tief (dunfel- 
lila) purpurn. Der grünfchattierte Giebel hat 
blaßblaue Füllung mit braunrotem Ornament. 
Der Abakus der Säulen ift golden, der Kämpfer 
blafblau, Rapitelle violett, darunter ein fchmales 
goldenes Band, daran fchließt der gelb und blaß« 
rot.gefärbte Schaft, hierauf goldene Linien, die 
wie alle 3innoberrot eingefaßt find, dann die 
violette von goldenen zinnoberrot eingefaß- 
ten Linien abgefchloffene Bafis. Das ganze 
Gebäude fteht auf einer dunfelblaulichlila- 
fchattierten, von einer gefchlängelten roten Linie 
durchzogenen Unterlage, die von einer [chwarzen 
Linie unten begrenzt wird. 

301. 35b zeigt oben eine Darftellung der 
Kreuzigung, unten Kreuzgabnahme und 
Grablegung. Bgl. Tafel II. Größe 19,2 zu 
15 cm. Der Hintergrund bei beiden Darftellungen 
iftmattrötlichlila fchattiert, obenpurpurrofa. Der 
Boden ift gelbgrün fchattiert. Maria hat hell- 
blaues Kopftuh und Tunifa und braunroten 
(dunfelpurpurnen) Mantel, fomwie fchiwarze 
Schuhe. Der line Kriegsfnecht trägt hell= 
blaue Tunifa und Schuhe, bräunlichvioletten 
Mantel und dunkle bläulichlila Wadenftrümpfe 
mit zinnoberroten Tupfen an den Schienbeinen. 


) Dem Purpur des Mittelalter$ entfpricht das heutige tiefe Lila, jedod eziftieren zahlreiche Nuancen, 
englifhrot Caput mortuum, purpurrofa 2c. Sie gu bezeichnen ijt nit immer möglid). 


8* 






’ 


Fy SA ene eer 


Te Tg Tee Te 


Die Langenfpige ift — wie im ganzen Eoder — 
hellblau. Das goldene Kreuz wird von dun= 
felgrünen Konturen umjchloffen. Die auf un 
ferer Tafel deutlich erkennbare mweihe Linie, 
die die goldene Vorderfeite des Kreuzes von 
den grünen Seitenflächen fcheidet, ift im Ori- 
ginal zinnoberrot, ebenfo das Blut, welches 
aus den Seiten= und den Fußmunden Chrifti 
fließt. Chriftus mit rotbraunem Haar hier 
wie auf allen fonftigen Bildern des Coder 
dargeftellt, trägt purpurne Tunifa mit feinen 
weißen Bunften und weißer Einfaffung unten. 
Die Tunifa des rechten Kriegsfnechtes ift 
Ihmußig gelblich fchattiert, die des Johannes 
hellblau mit rötlich-gelbem Manteldarüber. Das 
Buch ift golden mit hellblauer Umrandung. Der 
Rand durch eine feine, fchwarze und zinnober- 
rote Linie eingefaßt. Alle Figuren haben 
Ihmwarze Haare mit Ausnahme von Ehriftug, 
dem linken der um den Mantel wiirfelnden 
Kriegsfnechte und dem Schergen rechts vom 
Kreuz, deren Haarfarbe braunrot ift. Die 
Figur der Sonne ift feuerrot mit weißer 
und fhmwarzer Modellierung, die des Mondes 
bimmelblau; beide ftehen in goldenem Felde 
mit zinnoberroter Umrahmung. 

Bei der Kreugabnahme hat die linke 
igure Hellblaue Tunifa und dunfelblauen 
Mantel, die rechte hellblaue Tunifa und röt- 
lichen Dantel. Der Burpur in Chrifti Mantel 
ift etwasheller als oben. Die Figuren der Grab- 
legung haben Kleidungsftüde in umgekehrter 
Reihenfolge; Ehrifti Tunika ift hier hellblau. 
Der Mantel, um den die Hnechte würfeln, 
ift braunrot (wie der Mantel Mariä und der 
Mantel. Chrijti in der unteren Scene), die 
Würfel find golden mit ginnoberroter Ein- 
faffung. Der linfe Kriegsfnecht hat hellblaue, 
derrechte braune Tunifa. Das Grab ijt dunfel- 
grün mit roten und fehmwarzen Sprenfeln. 
Die Gefichtsfarbe bei allen Perfonen it röt- 
lichegelb, nur Chriftus, ‘deffen Geficht hier 
ftark befchädigt ift, hat etwas lichtere Farben, 
während die wiirfelnden Snedjte und der 
rechts vom Kreuz mit hellbraunem Rohr und 
dunfelbraunem Eimer die fdmubige rotbraune 
Färbung des niederen Volfes aufweifen. Dte 
Einrahmung ift wie auf Fol. 1b. 

Sol. 36a wird von den Gnitialen IN 
auf liniertem lichtpurpurnem Grunde einge- 
nommen. Die größte Höhe beträgt 19,8, die 





Dr. Max femmerid 


größte Breite 15,1 cm. Der Buchftabenkörper 
ift golden mit roter Füllung. Bon den vier im 
Innenraum gebildeten Viereden find das Linke 
obere und rechte untere grün, das rechte obere 
und linfe untere blau ausgefüllt. Zur Umrah- 
mung ift purpur, gold, bell und dunfel, blau 
und grün verwandt. Die goldenen Einfaffungs- 
linien find von feinen zinnoberroten begrenzt. 
Die Schrift ,,illo Tempore“ ift golden. 

Fol. 5lb mit einer größten Höhe von 20,2 
und Breite von 16 cm ftellt die Frauen am 
Grabe dar. Tafel III. Der Hintergrund ijt 
golden, das Gebäude gelblichgrau mit feuer- 
rotem Dach und Gefimfe und hellbrauner Türe. 
Die beiden Tücher find hellblau, ebenfo die Kopf- 





Wb. 3, fol. 36a. 


tiicher der Frauen, die Tunifen der Frauen und 
Krieger und deren Helme und Langenjpiken. Die 
linfe duntellila blaunimbierte Figur hat orange 
Mantel, die rechte grasgrünnimbierte rötlich» 
violetten, die hintere Frau ift mit orange- 
farbenem Nimbus verfehen. Die Nimben 
find mit feinen zinnoberroten und fchwarzen 
Linien eingefaßt. Das weiße Gewand des 
Engels ift mit carmoifinroten (VBöge nennt 
fie dunfelpurpurrofa, womit ich lieber das 
rötliche Violett de3 Mantels der vorderen Frau 
bezeichnen möchte, das jich etwas unterfcheidet) 
Streifen au) an den Nermeln verfehen. Sein 
goldener Nimbus mit zinnoberroter und fchwar= 
zer Einfaffung ift mit weißen Punkten verziert. 

Der Stab in feiner Hand ift ebenfalls 
farmoifinrot. Der linfe Krieger ift blond mit 
rötlichviolettem Mantel und grasgrünem 


Ein unbelfannter Goder der Vögefhen Malerfhule in Augsburg 61 





Schilde, der rechte jchwarz mit dunfelgrünem 
Schilde und lilablauem Mantel. Die Lan- 
zenfchäfte find braun. Die Kifte, auf der der 
Engel fißt, ift grün mit fhwarzen Sprenfeln. 
Der Engel hat farmoifinrote, die Frauen blab- 
gelbe, die Krieger rötlichgelbe Hautfarbe. Die 
vorderfie Frau hat ein hellbraunes Gefäh in 
der Hand, die beiden anderen jchmußig meiße. 

Die Grundfarbe der Verzierungen am 
Rande ift lichtpurpur, der goldverzierte äußere 
Rand englifchrot. Die Säulenbafen und Rapi- 
telle find rötlich Lila, die Schäfte hell lila mar- 
moriert. Die Guirlande über den Säulen 
ift in hell und dunfel, blau, violett, brauntot, 
weif, lila und grün fchattiert ausgeführt. Die 
freifchwebenden Früchte find rot fchattiert mit 
meißer Umrandung. Die Vögel blaugrau, 
Gold und rot. 

Sol. 52a ift von der Qnitiale M in 
licht purpurnem Felde eingenommen, Höhe 19,7, 
größte Breite 14,5 cm. Der Buchftabenfirper 
ift gold mit rot gefüllt, der Innenraum ift 
blau und grün. Hier fei bemerkt, daß das 
tiefe Blau der Initiale nirgends fich in den 
Bierformen wiederholt. Solange feine allges 
mein anerkannte Terminologie eriftiert, lafjen 
fich diefe Feinheiten nicht in Worte leiden. 
Die Säulen find in dunkel fadmiumgelb und 
rot fcjattiert mit lichtodergelben, weiß punf- 
tierten Bändern, goldener Bafi3 und blau- 
lilafdattierten Rapitellen. Sie tragen einen 
mit Gold eingefaßten Bogen, deffen Ziermufter 
rot, blaugrau und grün in verfchiedenen 





Schattierungen ausgeführt find. Der Grund 
ift fhwarz mit weißen Bunften. Die aus dem 
Bogen hervorwacdjfenden braunroten Ranfen 
tragen blau-lilafchattierte Kugeln. Der Buc;- 
ftabe fteht auf dunfelbläulich = lilafchattierter 
Bafis, die von einer weißen und einer roten 
Schlangenlinie durchzogen ift. Die Schrift 
lautet: „Scdm Marc. In illo tempore MAria“ 
(ba a itber dem M). Das Gold ijt, von der 
Schrift abgefehen, mit feinen ginnoberroten 
Linien eingefaßt. 

Fol. 7Ob (alte Zählung 69b) enthält die 
Darftellung von Ehrifti Himmelfahrt auf 
zartem bläulichelila-Hintergrund. Tafel IV. 
Die Höhe beträgt 19, die Breite 15,3 cm. Der 
Boden befteht aus braunfchattierten Erdfchollen, 
darüber ift er grünlich braun. Oben geht 
der Hintergrund in purpurrofa über und 
verflingt in helleren Tönen. Die Engel und 
Chriftus haben — wie alle Perfonen des 
Bildes — hellblaue Tunika, hellgelben Mantel 
und rotbraune Haare. Die Flügel find gelb- 
grau fchattiert. Die Wolfe, auf welder Chriftus 
fteht, ift hell purpurofa mit gelber Umrandung 
ftarf fcjattiert, die Strablen find abmedfelnd 
blau und englifd rot. Bon den Siingern 
haben je gwei blonde, gmet graubraune und 
einer fchwarze Haare. Maria und Petrus hat 
rötlich violetten Mantel, der Jünger links von 
Maria und der rechts von Petrus trägt braunen 
Mantel, der am weiteften links von Ptaria und 
der am wieiteften redjt8 von Petrus dunfel- 
lilablauen Mantel. Alle Berfonen haben rötlich- 
gelbe Hautfarbe, bis auf Chriftus und die Engel 


— — 
G2 OD LOUD SF 





Abb. 5, fol. 71a (alte Zählung fol. 70a). 


— — * 


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62 Dr. Mar Kemmerig 


mit hellgelben Gefichtern. Der Bart Petri 
ift wie immer hellblau, die englifch rote Um= 
rahmung ift mit Gold verziert. Der Baum 
ift dunfelgraubraun fchattiert. 

Bol. Tla (alte Zählung 70a) ift von 
der Qnitiale R in lichtpurpurnem Felde ein- 
genommen. Die Höhe beträgt 19,1, die Breite 
14,1 cm. Der Buchftabenfirper ift golden 
mit roter Füllung. Das linfe obere und das 
rechte untere Feld des Inneren ift grün, die 
andern blau gefärbt. Die Nandverzierung ift 
in weiß, hellerem und dunflerem Burpur ges 
halten. Die Einfaffungslinien find golden mit 
feinen zinnoberroten Säumen. Die Schrift 
ift wie ftets golden. 

Fol. 73b (alte Zablung 72b) fchildert 
das Pfingitfeit. Tafel V. Höhe 19, Breite 
15,4cm. Ueber goldenem Hintergrund erhebt fich 
das purpurne Dach mit linker hellgelber Giebel- 
feite und goldenen Afroterien. Die Linien 
auf dem Dach find dunfelpurpurn. Die beiden 
linfen Säulen find grün, die rechten gelb 
mit grünen Sapitellen, Wbafus und Dadj- 
balfen find Hellblau, der Fußboden ift braun, 
der Himmel grünblau, die Sonne befteht aus 
drei fongentrifden Kreifen, deren äußerer 
purpur ijt; der mittlere ift grün, der innere 
graublau, fämtliche find fchattiert und durch 
Ihmwarze Linien getrennt. Der innerfte Kreis 
ijt mit weißen und zinnoberroten Puntten 
befegt. Die Strahlen find golden, mit zinnober- 
roter Einfafjung. Sämtliche Jünger haben 
hellblaue Zunifen, während die Farbe der 
Mäntel von links nach rechts folgende ift: 
ritlidjgelb, braunrot (etwas dunfleres Burpurz 
rofa al der Mantel Mariä auf Tafel IV), 
dunkelblau mit grünen Streifen, grünlichgelb, 
ritlidgelb, braunrot, purpur, feuerrot, purpur 
und dunfellilablau mit grünen Streifen. Die 
Gefichtsfarbe aller ift rötlichgelb, die Haarfarbe 
von linfs nach rechts: fchwarz, braunrot bzw. 
dunfelpurpurrofa wie der Mantel mit fehmwarzen 
Zupfen, fchwarz, rotbraun, hellblau, fchwarz, 
ſchwarz, hellblau, jchwarz, jcehwarz, rotbraun 
und [hwarz!). Die Flammeajen find 3innober- 
rot. Die Schriftrollen find hellgelb bis anf die 
hellblaue des Greijes linfs. Das Buch ift 











golden mit bellblauen Seiten und feiner 
ginnoberroter und jchwarzer Einfaffung und 
Ihmwarzen Bändern. Der Rand ijt englifchrot, 
nad) innen von einer fchwarzen Linie begrenzt. 

Fol. 74a (alte Zählung 73a) ift von 
der Ynitiale S auf lichtpurpurnem Grunde ein- 
genommen. Die Höhe beträgt 19, die Breite 
15,4 cm. Der Buchitabenförper ift golden 
mit zinnoberroter und purpurner Füllung. Der 
Innenraum ift blau und grün gefärbt. Die 
Umrandung befteht aus fchattierten grünen 
Palmetten in blauem Grunde. Die mittlere 
Palmette auf jeder Seite ift purpurn fchattiert. 
Die breiten Goldlinien des Nandes find von 
feinen zinnoberroten Linien eingefaßt. Die 
Schrift ift golden. 


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Abb. 6, fol. 74a (alte Zählung 73a). 


301. 86b (alte Zählung 85b) ftellt Zacha= 
rias mitdem Engel dar. Tafel VI. Die Höhe 
beträgt 19, die Breite 15,3 cm. Der Hinter- 
grund ilt golden, der Boden grün fchattiert, 
der Himmel hellgelb, die Seiten find purpurn 
ins helle Lila fpielend, alfo zmifchen dem 
tiefen Purpur von lla und dem bei den an- 
deren Initialen verwandtem hellen ftehend. 
Zacharias Hat hellblaue Tunifa, Bart und 
Haare, der Engel Hat hellblaue Tunika 
und ebenfolche fchattierte Flügel. Der Mantel 
des erjteren ijt feuerrot mit feinem weißen 
Mufter, der des leßteren grünlich gelb. Ba- 
arias hat grünen, der Engel dunfelblaulila 


*) Was Hier mit fhmwarz bezeichnet ift, ift eine fehr fdwer definierbare dunkle, bald ing Graue, bald 
ing Grüne jpielende Farbe. Alle Farbenangaben haben felbftverftandlid teinen Unfprud auf abfolute Zus 
verldffigteit. Troß größter Mühe gelang e8 mir häufig nicht, für die zarten jtet8 ineinander übergehenden 
baw. mit andersfarbigen Lichtern gehihten Gouadefarben einen paffenden Wusdrud gu finden. 





Ein unbelannter Eoder der Vögefhen Malerjhule in Augsburg 63° 


Nimbus mit feiner zinnoberroter und fdhwar- 
zer Einfaffung. Die Hautfarbe beider ift röt- 
lichgelb, die Haarfarbe des Engels rotbraun. 
Stab und Schnur des hellbraunen Weihrauch- 
gefäßes ift ebenfalls dunfel rotbraun, Ießtere 
mit feinen zinnoberroten und meißen Win- 
dungen. Der Altar ift unten braun fchattiert, 
dann grüngelb, wie der Mantel des Engels, 
dann dunkelblau (die Bordüre) mit weißen und 
Ihwarzen Verzierungen, hierauf purpurrojfa. 
Auf dem Altar ift ein grüner, weiß, fchwarz 
und rot gefprenfelter Fled mit zwei hellblauen 
Kleinen Gefäßen. Die beiden linken Säulen 
find grünlichgelb fchattiert mit dunfelblaulila, 
die rechten purpurrofa fchattiert mit grünen 
Rapitellen. Das feuerrote Dach hat Links 
eine blaßblaue Giebelfeite.e Der Dachbalfen 
ift englifd) rot. Der Abakus der Säulen gelb 
fdattiert. Die Einrahmung ift englifch rot, 
mit feiner fchwarzer Innenlinie. 

501. 87a (alte Zählung 86a) Initiale C 
auf lichtpurpurnem Grunde. Höhe 18,9, Breite 
15,4cm. Der Buchftabenfirper befteht aus 
Gold mit roter Füllung, der Innenraum ift 
grün und blau ausgefüllt. Die Randvergierung 
befteht aus purpurrofa fdjattierten Kugeln 
auf grünem Grunde, als äußere und innere 
Ginrahmung dient je eine ftarfe Gold- 
linie, die von feinen zinnoberroten Linien 
eingefaßt ift. 


CC) OF OO 





Abb. 7, fol. 87a (alte Zahlung fol. 86a). 


501. 90b (alte Zählung 89b) Petrus im 
Kerter. Tafel VII. Größe 19,3 zu 15,4cm. Der 
Hintergrund ift golden. Petrus mit hellblauer 





Zunila, Bart und Haupthaar und hellgelbem 
Mantel trägt grünen Nimbus mit feiner zin- 
noberroter und fchwarzer Einfaffung. Der 
Engel in hellblauer Zunifa und orangefarbenem 
Mantel mit violett fehattierten (annähernd 
purpurrofa) Flügeln ift mit dunfellilablauem 
wie bei Petrus eingefabten Mimbus verfehen. 
Der Wächter links hat purpurrofa Tunika, 
blaufdattierte Wadenjtrümpfe mit meißen 
Punkten und hellgelbe Schuhe. Sein Schild 
ift feuerrot fchattiert mit weißen Verzierungen. 
Der Schild des rechten ift dunfelblaugriin, 
feine Zunifa hellbraun, die Wadenftrümpfe 
dunkelblau fchattiert, die Schuhe hellblau. 
Der Wächter unten lints ift wie der oben 
techt3 gefleidet, jedoch mit hellblauer Tunifa. 
Der Wächter unten rechts hat hellblaue Tu- 
nifa, dunfelblauen Mantel, feuerroten Schild, 
purpurne Strümpfe und hellgelbe Stiefel. Die 
Hautfarbe aller ift rötlichgelb, nur der Engel 
hellgelb. mei haben fchwarze, zwei rotbraune 
Haare. Der Fußboden oben und unten ift 
grünfchattiert. Das Gebäude ift fdmubig 
licht odergelb fchattiert, das Dach dunfler, 
die Türeinfaffung hellblau, ebenfo wie die 
Langenfpigen. Die Tür ift rötlich-gelb fchat- 
tiert, die Kette violett, die Lanzenfchäfte 
dunkelbraun, mit roten und weißen Ber- 
gierungen, die Einfaffung englifchrot mit feiner 
fhmwarzer Innenlinie Die Schilde find mit 
meißen Punkten verziert. Die untere Hälfte 
deS Bildes ift etwas gerfragt. 





Ubb. 8, fol. 103a (alte Zählung 101 a). 


64 Dr. Mar Kemmerid 


Fol. 103a (alte Zählung 101a) Jni=- 
tialen IN auf lichtpurpurnem Grunde. Die 
größte Höhe beträgt 21, die Breite Lbcm. Der 
goldene Budhftabenfirper ift mit rot und 
Burpur gefüllt, Iegterer mit hellen Bunften 
und Linien geziert, der Innenraum ift grün und 
verichoffen blau ausgemalt, auf der rechten 
Seite mit 3 weißen Verzierungen. Das Gold 
ift mit feinen ginnoberroten Linien eingefaßt. 
Die Umrahmung befteht aus grünen, blauen 
und purpurrofa fchattierten Balmetten. Die 
Einfafjung ift golden, ebenfo die Schrift. Im 
Innenraum der Ynitialen laffen fich Spuren 
von roten und meißen Bunften erfennen. 
Der Charakter der Malerei ift etwas von dem 
der anderen Initialen abweichend. 

Fol. 106 b (alte Zählg. 104b) Johannes 
der Täufer, oben Tanz der Salome. 
Tafel VIII. Der Hintergrund diejes fehr farben 
prächtigen Bildes ift golden. Salome trägt 
dunfelblaulila Zunifa mit punftiertem Befaß in 
lichten Oder, hellblaue Nermel, gelbes Kopf- 
tuh, fdwarge Schuhe, braunroten Mantel 
und ein punftiertes Diadem in lichtem Oder. 
Der Tifch mit hellblauem Tifchtuche fteht vor 
einer violetten (lichtpurpur) Truhe mit oder- 
farbiger oberer und unterer Leifte. Die Kiffen 
und des Königs Mantel find grün (leuchtend 
permanentgrün), feine Zunifa lichtpurpur. 
Der Mann am meitelten links hat hellblaue 
Zunifa und braungriinen Ptantel, der links 
neben dem Rinig im hellblauen Bart hält 
einen hellgelben Becher und tragt eine dunfel- 
blaulila Tunifa. Die Männer recht? vom 
König haben hellblaue Zunifen, der fchmwarz- 
bärtige Mann braunroten Mantel, der bart- 
Iofe rechts dunfellilablauen Mantel. Der 
Bediente trägt hellblaue Tunika und Stiefel 
und braunrote Wadenjtrümpfe. Die Geräte 
auf dem Tijd) find hellgelb, ebenjo das Ge- 
fäß de3 Dieners. Fifd) und Klinge de3 Meffers 
find hellblau, Griff des leßteren fdwarz. Die 
Krone des Königs ift Lichtoder mit hellen 
Punkten. Der Fußboden ift hellbraun jchattiert. 

Unten: Enthauptung des Johannes. 
Goldener Hintergrund und braunfchattierter 
Boden. Der Krieger trägt oderfarbige Tunika 
und braunen Mantel, dunfellilablaue Waden- 
Itrümpfe und hellblaue Stiefel, grünes Schwert 
mit hellblauem Griff. Die Mauern der Stadt 
find [hmußig odergelb (gelblichgrau), die Türme 





hellblau, die Dächer feuerrot, das Tängliche 
Gebäude recht und die beiden Türme Lintg 
und rechts find duntel-purpurn bedacht. Der 
Leichnam de3 Yohannes ijt mit hellblauer 
Zunifa und lidtpurpurnem Mantel befleidet. 

Daneben: Salome vor der Herodias. 
Die Kleidung der Salome wie oben, nur daß 
unter der Zunifa ein zweites hellblaue Ge- 
wand hervorfieht. Das Gefäß in ihren Händen 
iit hellgelb. Die Herodias fit auf grünem 
Politer, das auf gelbfchattierter (Lichtoder) Un 
terlage ruht und Hat ihre fchwarzbejchuhten 
Füße auf einer grauen Fupbant aufgefeßt. Ihre 
Zunifa und Kopftuch find hellblau, der Mantel 
englifdrot. Alle Gefichter haben rötlichgelbe 
Färbung, aber heller als 3. B. das des Hl. 
Sofeph auf fol. 1b. Die Einfaffung bejteht 
aus einer englifchroten Linie. Die Farbe der 
Schrift ift nicht feftzuftellen. 

Fol. 113a (a.3. 111a) ftellt das Wunder 
des Jünglings von Naim dar. Tafel IX. 
Größe 19,4 zu 16,2 cm. Der Hintergrund 
ift fehr ähnlich dem auf Tafel IV. Chriftus 
bat hellblaue TZunifa — ebenfo die Jünger — und 
lichtpurpurnen Mantel. Der goldene Nimbus 
zeigt ein hellblaues Strahlenfreuz. Der ſchwarze 
Rand ift mit weißen Punkten geziert. Der 
hellblau gebartete Jünger hinter Ehriftus 
(Petrus) trägt grünlich-gelben Mantel, der 
bartlofe neben Petrus dunkel cadmiumgelben 
und der fchwargbärtige am Rande dunfellila- 
blauen Mantel. Der vordere Träger der Bahre 
hat cadmiumgelbe Tunifa, zinnoberroten Manz 
tel, dunfellilablaue Wadenftrümpfe und hell- 
blaue Stiefel. Sein rechter Nebenmann trägt 
Ihmußiggraugrüne Tunika, die yrau im Hinter- 
grund hHellblaues Kopftuch) und ebenfolchen 
Mantel und gelbgrüne Tunifa mit lide 
purpur weiß punftiertem Befag und fchmwarze 
Stiefel. Der rötlichhlonde bärtige Mann 
neben ihr Hat hellblaue Tunila und Stiefel 
und hellbraune Wadenftrümpfe. Der Binge 
ling auf der Bahre hat hellblaue Tunika 
und lichtpurpur Dede um den Unterförper. 
Der hintere Träger der Bahre hat hellblaue 
Zunifa, braunen Mantel, zinnoberrote Waden- 
ftrümpfe und lichtpurpur Stiefel. Die Trag- 
ftangen find aus Gold mit feiner ginnoberroter 
Einfaffung, die Bahre ift braun, die obere 
Hälfte des Bahrtuches fchmußiggrün, die 
untere lihtpurpurn mit weißen Verzierungen. 


Ein unbelannter Koder der Vögefhen Mtalerfchule in Augsburg 


Zafel I 


Die Vorderfeite de3 Tores ift gelblich-meiß, die 
rechte Mauerjeite jchmußig odergelb fchattiert, 
da8 Dach ehedem wohl feuerrot, jet abgenußt, 
ebenjo die Dächer der beiden Türme im 
Hintergrund, während das längliche Gebäude 
A. M. 3 u. 4. 


fol. 1b. 
tiefpurpurnes Dach und hellblaue Seiten hat. 
Die Mauerzinnen links find dunkelgrau. Die 
Wfroterien find golden, das Gefimje am Tor- 
turm ift hellpurpurbraun. Die Gefichtsfarbe 
Ehrifti und der Jünger ift diefelbe Lichtgelbröt- 
9 





66 Dr. Dar Kemmerid 


lie wie auf den früheren Bildern, die andern 
Berfonen, von denen vier rotbraune, eine 
rötlichblonde, fieben dunfelgraue bezm. fchwarze 
Haare haben, zeigen zum Teil eine etwas dunf- 
lere Hautfarbe etwa wie die Hirten auf Fol. 1b. 
Die Schrift ift zinnoberrot, die Einfafjung 
englifchrot mit goldenen Verzierungen und 
[hmwarzen Innenlinien. 

50l. 124a (a. 3. 122a) ftellt da8 Gleich- 
nis von der Hochzeit dar und ift eines der 
farbenprädttigften Gemälde (Tafel X). Größe 
19,5 zu 15 cm, Oben das Gaftmahl. Der 
Hintergrund ift golden, der Fußboden licht- 
oder jchattiert, da8 Dach feuerrot mit bell- 
gelbem Giebel und Mfroterien. Die Säulen 
find hellgrünlichgelb fchattiert mit purpurrofa 
Rapitellen, die Vorhänge find dunfellilablau 
mit odergelben weißpunftierten Streifen und 
Ichwarzer Einfafjung. Der König trägt feuer- 
roten Mantel, Hell purpurne Tunifa mit 
lichtocergelben meißpunftiertem SBefag und 
fhwarze Schuhe. Bart und Kopfhaar ift 
hellblau, da8 Diadem Tichtodergelb mit roten 
und weißen Punkten. Der Bräutigam bat 
grüne (wie das Grün auf den meiften der 
vorigen Bilder, ins fchmußiggelbe fpielend) 
Zunifa in der Farbe des dunkelblau gerän= 
derten mit weißen und fchwarzen Punkten ver- 
zierten Tifchtuches und dunfellilablauen Mantel. 
Die andern Perfonen am Tifche haben bis 
auf den Mann im Werftagsgewande, der 
graue Kleidung mit feuerroten Stiefeln trägt, 
hellblaue Tunifen. Der am weiteften links 
trägt grauen, die Braut lichtpurpurnen Mantel 
und hellblaues Kopftuch. Der vordere Diener 
hatpurpurrofa Tunifa, feuerrote Wadenjtrümpfe 
mit weißen Punkten und hellblaue Stiefel, der 
andere Diener Hellgelbe Tunifa und Stiefel 
und dunfellilablaue Wadenftrümpfe. Der 
Schemel, auf den: der Mann im Werktags- 
gewande fikt, ift oder fchattiert. Die Fuß— 
banf grau. ; 

Unten ftellt die Berjtoßung des Schuldigen 
in die Hölle dar. Diefe ift purpurn in allen 
Schattierungen, vom Bildrand zur Bildmitte 
heller mwerdend. Die Kleidung des Sünders 
ift mie oben, ebenfo die der Diener, nur daß 
die Farbe ihrer Stiefel umgekehrt ift. Der 
Bräutigam trägt dunfellilablaue Tunifa mit 
rotem punftiertem Bejaß, grünen Mantel 
und hellblaue Stiefel. Die Stäbe oben und 





unten find purpurbraun fchattiert. Das 
ganze Bild ift von einer englifchroten Linie 
eingefaßt. 

301. 153a (alte Zählung 150a) zeigt auf 
nicht mehr leudjtendem Goldgrunde die Ge- 
fcicte von Chriftus und Zadaus in der 
Größe von 19,4 zu 15 cm (Tafel XI). Chriftus 
trägt hellblaue Zunifa und lichtpurpurnen 
Mantel, der grüne Nimbus mit hellblauem 
Strahlenfreuz ift von feinen zinnoberroten und 
Thwarzen Linien mit weißen Punkten ein- 
gefaßt. Petrus hat mie immer hellblaue 
Haare und Tunifa und grünlich gelben Dan- 
tel, der Jünger hinter ihm mit rötlichblondem 
Bart trägt gelbliche Tunika und zart purpurnen 
Mantel (etwa in der Farbe der Seiten von 
86b), der folgende hellblaue Tunifa mit 
licht odergelbem Mantel, der am weiteften 
rect hellblaue Tunifa und Stiefel, dunfel- 
lilablaue Wadenjftriimpfe und grünen Mantel. 

Die Tunifa des Zachäus ift hellblau, 
ebenfo die Stiefel. Der Mantel ift feuerrot, 
die Wadenftrümpfe find dunfellilablau. Der 
braunfchattierte Baum mit grünfchattierten 
Blättern hat eine pilzartige hellblaue Krone. 
Die Türme der Stadt find hellblau, die Mauern 
Ihmugig odergeld fchattiert (gelblich-grau), die 
Dächer feuerrot, daS Gebäude links ift hell- 
gelb, das rechts rötlich mit tiefpurpurnem 
Dad. Der Boden ijt grün, die Umrahmung 
englifdrot. Am Scluffe des Kodex fehlen 
etwa 4 Bogen, zweifellos ebenfalls mit Mi- 
niaturen. Die Erhaltung der Malereien ift 
durcchgehends ganz vortrefflich, abgejehen von 
einigen zerfragten Stellen. Sträflicher Ueber- 
mut bat auf Fol. 51b (Tafel UL) und Fol. 73 b 
(Tafel V) dasfelbe gweifellos fehr alte, mir 
unbefannte Wappen eingerigt. Ein anderes 
Wappen mit der Beifchrift „haldewaerg“ (?) 
auf Fol. 124a (Tafel X). 

Außer den genannten von uns in faft 
genauer Größe des Originales reprodugierten 
Abbildungen befinden fich Kleinere farbige Qni- 
tialen auf den folgenden Blättern: Fol. Yla 
(alte Zählung 90a), Fol. 105b (alte Zählung 
103b), Fol. 113b (alte Zählung 111b), 
ol. 120b (alte Zählung 118b) und Fol. 121 b 
alte Bablung 119b). Ferner find fehr zahl- 
reiche unmittelbar auf das Pergament aufge- 
fete Initialen in Gold durch den ganzen 
Eodeg verjtreut. 


Gin unbefannter Codex der Vögefchen Malerfchule in Augsburg 67 


Zafel II 


Wenn wir oben verjuchten, die Farben 
möglichjt genau zu befdreiben, mas ja nature 
gemäß jelbjt bei größter darauf verwandter 
Mühe immer nur fehr unvolllommen gelingen 
fann, jo wird uns die weitere Unterfuchung 
die Notwendigkeit diefes Vorgehens bemeijen. 





fol. 35b. 


Bei der großen Aehnlichfeit der frühmittels 
alterlichen derjelben Zeit und demfelben Schuls 
zufammenhang entijtammenden Malereien fön= 
nen uns nur Details Aufklärung über Ent- 
ftehung3-Ort und Beit bieten. Deshalb gilt 
e3 fich hier in diefe zu verfenfen. 

Qt 


68 Dr. Mar Kemmerid 


Il. Die Teduil. 


Alle Bilder der Handfdhrift find in Ded: 
farben ausgeführt und zwar auf Borzeichnungen 
in Tinte. Da unfere Handjchrift ducchgehends 
vortrefflich erhalten ift, fo läßt fich die Vor- 
zeichnung nur an wenigen Stellen erkennen; 
im allgemeinen ift fie durch die Dedfarben 
völlig zugededt. Wie Böge von feiner Schule, 
zu der, wie wir fehen werden der Coder 
gehört, fagt, hat diefe Dedmalerei im allge 
meinen einen flachen Charakter ohne eigentliche 
Modellierung. „Schatten und Lichter find 
mehr rein zeichnerifch eingetragen, nicht in 
breiten Flächen aufgefebt.” Prinzipiell find 
die Figuren nicht in Schwarzen Konturen ums 
zogen wie im fpäteren Mittelalter, vielmehr 
zeigt fic) der ftets fehr diskret auftretende 
Kontur nur an einzelnen Stellen. So wo 
das Gewand fich von den nadten Teilen ab- 
heben foll, alfo am Hals= und Nermelausfchnitt 
und wo die Füße unter der Tunika hervor- 
treten, fonft nur leicht angedeutet. Die hellen 
Gemwänder liegen ftet3 fonturlos auf dem 
Goldgrund. Deshalb können wir mit Bige 
fagen: „Der Kontur fcheidet nur (die farbigen 
Zeile unter einander), er umzieht nicht.“ 

„Was die Motivierung des Faltenwurfes 
im Innern angeht, fo find nur die Hauptzüge 
leicht, mehr fligzierend angedeutet, feine Ber- 
legung der Fläche in einzelne fcharf umriffene 
Helder, das Wefentlide der Motivierung in 
einem dunfkleren Ton der Gemwandfarbe jelbit 
gegeben.“ Und zwar ift zur Einzeichnung der 
Konturen in die Dedmalerei auch die Feder 
ftarf verwendet worden. 

Was den Hintergrund der Scenenbilder 
anlangt, fo lajjen in der ganzen Schule und 
Ipeziell in unferem Codex fich zwei Arten 
deutlich unterfcheiden; der Goldene und der 
Ichattierte Yarbige, außerdem gibt e3 Ver— 
einigungen beider. Der Goldene findet fich 
auf fol. 1b unten, fol. 51b, 90b, 106b, 
124a und 155a. Der Farbige auf fol. 
35b, TOb und 113a. Er befteht, mie wir 
bet Befdhreibung der Bilder fahen, aus einer 
hellpurpurroſa Schicht zu oberft, darauf ein 
breiter, die eigentliche Bildfläche füllender 
bläulichlila (mattlila) Streifen (nad) Wöge, 
dem ich mich in allen Farbenbezeichnungen 
tunlihit anfchließe, ins Lilagrau fpielend) 





dann folgt der grüne oder bräunliche Vorder- 
grund, einmal verläuft der farbige Hinter- 
grund in einem fchmußiggelben Streifen (fol. 
113 a), der vielleicht Sandboden andeuten foll. 
Was die Kombination beider Gründe anlangt, 
fo ift auf fol. 73b und 86 b das Innere des 
Gebäudes golden, der Himmel darüber im 
eriteren Bilde blau und gelb geftreift, im 
zweiten nur gelb. Auf fol. 1b oben ift der 
Hintergrund blau, oben hellgelb. Damit fällt 
diefe8 Blatt aus dem Rahmen der andern 
heraus, wie e8 überhaupt einige geringe Ber- 
chiedenheiten von den andern Bildern auf- 
weift. 

Der Vordergrund ift entweder grün 
in verfchiedenen Nuancen gwifden gelbgriin 
und tiefmeergrün, (fol. 1b, 35 b, 86b, 90 b, 
155a) oder (fol. TOb, 73b, 106b, 124a), 
er ift bräunlich, rotbraun oder licht englifchrot 
und auch heller und ftellt dann Erdwellen . 
(fol. 7Ob) und Schollen dar, (fol. 106b 124b) 
Auf fol. 73b, wo die Scene in einem Ge- 
bäude fic) abfpielt ift das Leder braun mie 
ein geftrichener Bretter-Boden. Ein Vorder: 
grund fehlt auf fol. 5lb. Während fich in der 
Anwendung des Schollenvordergrundes fein 
beftimmtes Prinzip verfolgen läßt, infofern 
er fich auch findet, wo man gefchloffene Räume 
vermuten jollte, wie beim Gaftmahl und Tange 
der Salome, ijt er grün nur bei Scenen, die 
im Freien fpielen. Uebrigens wadfen aus 
manden ' der Bodenfurchen dreiblätterige 
Blumen von derjelben bräunlichen Farbe aus 
den Bodenvertiefungen heraus. Gbenfo hat 
Bige erkannt, daß der farbige Hintergrund 
da Anwendung findet, wo wir unter freien 
Himmel oder in die Luft verfeßt werden 
follen, der goldene Hintergrund aber vertritt 
in den Häufern die Wandflächen oder lift 
den Ort, wo fic) ein Vorgang abfpielt, unbe- 
{timmt. 
Sn der Umrahmung der Bilder find 
wenige Motive verwandt. Entweder fie ift 
golden (fol. 1b, 35b,) dann ift die Innen- 
feite von einer feinen fchwarzen, die äußere 
von einer feinen zinnoberroten Linie begrengt. 
Oder fie ift englifdrot (purpurbraun). 
Hier ift dann entweder die Einfaffungslinie 
mit goldenen Rauten, die durch goldene fent- 
rechte Stäbchen getrennt find verziert (fol. TO b, 
5lb, 113a) genau wie im Codex Egberti, 


Gin unbefannter Codex der Vsgefden Malerfdule in Augsburg 


Tafel IIL 


oder die Bergierung fehlt und die Cinrah- 
mung ift innen von einer feinen fchwarzen Linie 
eingefapt (73 b, 86b, 90b, 155a bier nur unten). 
Diefe fehlt nur zweimal (106b und 124a). 


fol. 51b 


Die Snitialen find durchgehends auf pur= 
purnen Hintergrund aufgefeßt und von goldenen 
Linien eingerahmt, die nach außen und innen 
von feinen zinnoberroten eingejäumt find. Hier 





70 Dr. Mar Kemmerid 


zeigt fich alfv infofern eine Abmeichung von 
den Scenenbildern, al3, wie erwähnt, bei diefen 
die Ynnenlinie nicht golden, fondern jchwarz 
zu fein pflegt. Nur in zwei Fällen (fol. lla 
und 52a) find die Jnitialen überhaupt nicht 
eingerahmt, fondern ftehen tempelartig un= 
mittelbar auf dem Pergament auf einem 
bafisartigen Unterbau. 

Das in den Spnitialen verwandte Gold 
ift ausnahmslos von feinen zinnoberroten Linien 
zu beiden Seiten eingerahmt. 

Auch in der Kleidung Laffen fich gemein: 
fame Züge nachmweifen. So haben alle vor= 
nehmen Perfonen diefer Schule und unferer 
Sandfchrift, hellblaue Tuniken, nur der Engel 
(fol. 51b) hat eine weiße, der König (fol. 106 b) 
eine purpurne, (fol. 124a) eine purpurrofa 
gefärbte mit odergelben Beat, Salome eine 
dunfellilablaue mit derfelben Verzierung, (fol. 
124a), und der Bräutigam einmal eine in 
dunfellilablauer (fol. 124a unten), einmal eine 
in grüner Farbe mit Verzierung. 

Bemerkenswert ift, daß das weiße Ge- 
wand — nur Tunifa — des Engel3 am Grabe 
mit farmoifinroten (Bige fagt dunkel pur= 
purrofa) Streifen fic) ebenfo findet in der 
Baınberger H3. W. II. 42, fol. 69b und dem 
Code M. p. th. 49,5 der Würzburger Uni- 
verjitätsbibliothel, fol. 20a. Das Gewand 


ift für einen beftimmten Typus des Engels 
am Grabe geradezu charakteriftifch und findet 
fich vielleicht auch noch in andern Handichriften 
unferer Schule in derfelben Scene. 

Für die Tunifen der niederen Leute laffen 
fich feine Regeln aufftellen, wohl aber ift das 
Kleid des Gastes im Gleichnis von der Hodj= 
zeit grau, wie in Elm. 23338 fol. 158 b. 

Jn unferer Handfchrift tragen Maria 
und Sofeph ftets dunfellilablaue Mantel, wie 
e8 aud) in den andern Kodices unferer Schule 
die Regel ift. Chrifti Mantel ift ftets pur- 
purn in verschiedenen Schattierungen nur auf 
fol. TOb hellgelb. Der König auf fol. 124 b 
ift mit feuerrotem Mantel befleidet, wie er 
aud) in den Kodice8 des Raifers Otto im 
Münfterfhag zu Aachen Tafel III, im Elm. 
4453 Elm. 58 fol. 30b, im God. mbr. U. I. 
19,4% der Beverinifchen Bibliothek in Hildes- 
heim fol. 84a, im Elm. 23338 fol. 154b, 
und 158 diejelbe Kleidung, die aber feine aus— 
nahmslofe Regel bildet, trägt. Diefelbe Farbe 
fommt auch bei anderen Perfonen vor, nämlich 
bei einem Sünger fol. 35b und 73b, bei 
BZahäus auf fol. 155a, bet Salome fol. 
106 b und dem einen Tifchgenoffen ebenda, bei 
Zacharias fol. 86b. Die Jünger Ehrijti find 
auch in unferm Coder nicht nach bejtimmten 
Gefidtspuntten bekleidet. 1) 


') Die Parallelftellen find, foreit fie nidjt Codices der Münchener Hofs und Staatsbibliothet (Elm.) 
betreffen, wo mit eine Bergleidung miglid) war, nad Vöges vorbildlidem Werke zitiert. Bei der großen 
Zuverläffigfeit diefes Autors dürften aud) ohne Nahprüfung die Verweifungen ridtig fein. Zur Vereinfadung 
fei nadhftehende von Vöge eingeführte Art der Bezeichnung Hinfort angewandt: 

A. = Codex bes faijers Otto im Münfterfhat zu Wachen. Die Bezeichnung der Tafeln nad 

St. Beilfel „Die Handfhrift des Kaifers Otto’. 


M. = Cod. lat. Mone. (Clm.) 4453 Eim. 58. 
I. = Elm. 4452 Gim. 57. 
Il. = Elm. 4454 Gim. 59. 


ILI. = Cod. Colon. XII (Darmft. 1951) membr. 2°, Evangelienbud) der Dombibliothet zu Köln. 


a 
m 


Cod. 84. 5. Aug. fol. mebr. Evangeliftar der Hergal. Bibl. gu Wolfenbüttel. 
Cod. membr, U. I. 19, 4°, Orationale der Beverinifchen Bibl. zu Hildesheim. 


VI. = A. I. 42 membr. 2°, Wpofalypfe mit eingebundenem Evangelienbud) der fgl. BibI. zu Bamberg. 


VIL. = Elm. 23 338. 


VIII. = Cod. lat..18005 (Oratoire 35) Cod. membr, 2°, ein Gaframentar der Parifer National-Bibl. 
IX. — Mss. Centur. IV. No. 4, Cod. membr. 2°, ein Gvangeliar der Mitrnberger Stadtbibl. 
X. = M. p. th. 4, 5 Cod. membr. 4°, ein Leftionar der Würzburger Univerfitätsbibl. 
XI. = Cod. membr. 2°, No. CCXVIII, ein Evangeliar der Kölner Dombibl. 

XII. = Gin Evangeliar in den vereinigten fgl. Sammlungen in Hannover, Prinzenftr. 4. Sect. X XI. 


a No. 37, Cod. membr. 4°. 


XIII. = Ed. V. 9 Cod. membr. 4°, ein Troparium und Sequentiarium der fgl. Bibl. in Bamberg. 
XIV. — Hs. ber Bibliotheca Queriniana gu Brescia Cod. membr. 2°. 
XV. = Cod. No. 1, 2, 4° 11 moembr. 4 ber fiirfilid) Wallerfteinfcen Bibl. zu Maihingen bei Nörd- 


lingen, ein Benediftionale. 


XVI. = Cod. No. 10, jegt XIV. 84 der Bibl. Sarberina. 


Gin unbetannter oder der Vögefhen Malerfeäule in Augsburg 


Tafel IV fol. TOb (alte Zählung fol. 69b). 


Neben der erwähnten Borde in lichtem Punkten (fol. 106b 2 mal und fol. 124a 
odergelb mit weißen und dunfleren odergelben in verfdiedenen Nuancen) finden wir nod 


XVIL. = QSandfdrift Io. 3 deS Egl. Kupferftidfabinettes in Berlin. 
B. = A. I. 47 ber fgl. Bibl. in Bamberg. 


Alle genannten Handichriften gehören dem Ende des X. bezw. dem Beginn de8 XI. Jahrhunderts an. 





72 Dr. Mar Kemmerid 


eine dunfelblaue mit fehmarzen Punkten auf 
fol. 86b und 124a unferes Koder. Diefelbe 
zeigt M. 30b, 192a; I. 149b, 161b; II. 
25 b; Ill. 22b; IV. 4b, 66b, 79b; .V. 76b, 
VI. 16 b. 

Bwei farbige Vorhinge, oben purpurrofa, 
unten dunfelgriin find in unferem Coder nicht 
enthalten, wohl aber in B. 31b; M. 24a, I. 
3b, 17b, 149b; V. 4b, Hiergegen find die 
Vorhänge in unferer Handichrift dunellilablau 
auf fol. 86b, 124a, während das Bartud 
auf fol. 113a oben dunkelgrün unten purpur= 
rofa gefärbt ift und das dunfelgrüne Gewand 
der Frau auf demfelben Blatte eine Borde in 
purpurrofa Farbe zeigt. Bon den Scilden 
auf fol. 7Ob find zmei feuerrot, zwei dunfel- 
grün, beide Farben fchattiert. Diefelbe 
Kolorierung. findet fic) nebeneinander: I. 
107b; IV. 69b, V. 56b, VI. 69b. Feuer- 
rot find die Schilde in A. Tafel III; VII. 
158b; grün in M. 24a, 30b; VII. 82a. 

Thronfeffel find in der ganzen Schule 
und in unferm Goder regelmäßig oderfarbig 
(fol. 106a unten) Kiffen grün (fol. 106a 
2 mal). Das Fußbrett davor in unjerm 
Coder (fol. 106b) grau, mie die Kleidung des 
Gaftes font in der Schule grau, fchmußig 
purpurgrau, lilagrau, gelbgrau und vereinzelt 
bräunlich. 

Der Mauerring der Städte und die 
Außenfläche der Gebäude iſt regelmäßig 
ſchmutziggrau bzw. gelbgrau ſo fol. 1b, 51b, 
9Ob, 106b, 113a und 155a. Diefelbe 
Färbung findet fich in der ganzen Schule mit 
alleiniger Ausnahme von VI. b, wo das Gee 
mäuer fol. 8a blaßgelb, fol. 26a blaßlila 
ift. Wie die Mauern find auch die einzel- 
ftehenden Türme gefärbt, während folde im 
Mauerring hellblau find. So die auf fol. 
106 b und 155 a. Böge hat beobachtet, daß die 
hellblaue Färbung in der ganzen Schule die 
Regel, die fich auf fol. 113a findende gelbgraue 
(ferner in A., M, 30b; I. 9a, 77b; VI. 45a) 
die Ausnahme bildet. Cine Ausnahme bildet 
ferner dag graue Mauerftüc — in der Farbe des 
Zußfchemel® und des Gaftes— auf fol. 113a. 


Die Häufer im Innern der Städte find regel- 
mäßig in der Schule hellblau gefärbt, in 
unferm Codes nur auf fol. 113a die Seite 
des Tempels. Hingegen ift die feltene blap- 
gelbe und rötliche Färbung bier häufiger, (fol. 
106a und 155a), nur in I. 77b; VI 8a 
und 45a find fie noch blaßgelb, in VI. 6b 
grau. Diefe Heine Abweichung unferes Stiles 
vom Schulftil könnte einen Hinweis auf den Ent- 
ftehungsort -— außerhalb des Hauptatelierd — 
und Künftler bezw. die Entjtehungszeit bieten. 
Die Dächer der Häufer und Türme find 
feuerrot oder purpurn. Dunlellila nur 2 Türme 
und das Langhaus auf fol. 106b und das 
Langhaus auf fol. 113a und fol. 155a. 
Dasfelbe gilt von der ganzen Schule. Nur 
in A. Tafel IX; M. 107a, 231b und I 9a 
fommt purpur vor, dunfellila nur I. 55a 
und 162a. G8 ift bemerfenSwert, dab in den 
Bamberger Codices I. und VI. fich fowohl 
die blaßgelbe Färbung der Häufer, als auc 
die dunfellilafarbige Bedachung als Abweichung 
vom Schulftil und in Uebereinftimmung mit 
unferm Codex finden. Afroterien find in uns 
ferer Handfchrift gern golden, nämlich fol. 11a, 
73b, 2 mal, 113a, 3 mal, aber auch weiß, 
rofa, gelblich und hellblau. 

Bemerkenswert find die Kapitelle, von denen 
fid) wohl folgende Formen unterfcheiden laſſen 
dürften: Das aus der Antike ftammende Alan- 
thus-Sapitell (fol. 51b, 52a, 86b), das Phan- 
tafie-Rapitell mit Kämpfern (fol. 11a), Die ge 
fchloffenen Knospen (73a) und die geöffneten 
(124a.) Die Färbung ift purpur, purpurrofa, 
helblau, dunfellilablau und grün und zwar 
ftets paarmeife. Diefe Kapitelle, befonders die 
mit Ufanthusmotiv find fiir unfere Zeit und 
Schule Hharafteriftijd. 

Wir fommen jest gur widtigften Frage, 
der nad) der technifden Behandlung des 
Nadten. Nachdem die Charakteriftil, die Bige 
von feiner Schule gibt, gang genau aud) von 
unferem Codex gilt, fo fei eg mir geftattet 
fie hier wörtlich anzuführen, dies umfomehr 
als id) feinesmegs den Ergeig befike etwas 
{djon einmal gut gefagte3 mit eigenen Worten 


Auf dag Nähere werden wir fpdter guriidfommen. — Da id) nicht beabfidtige — aud) wenn id) vermefjen 
genug wäre, e8 mir gugutrauen — bier ein Bud) gu fchreiben, dag mit dem Vögefhhen konkurrieren foll, fondern 
feine Ausführungen Iediglid) in etmaß ergänzen will, fo nehme ich vieles von ihm gefagte, ohne es ausdrücklich 
als zitiert zu bezeichnen, in meinen Text. Ich begnüge mich ausſchließlich mit dem kleinen Verdienſt, den 
Augsburger Cod. entdeckt und publiziert zu Haben. Vielleicht findet auch mein Verſuch einer Lokaliſierung Anklang. 


Ein unbefannter Coder der Vigefden Malerfdule in Wugsburg 73 


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— — 1 * > 
SEEN RETTET rn en u 
or 2 0 Sn 2 





Tafel V Fol. T3b (alte Zählung fol. 72b). 


ein zweites mal vielleicht weniger gut auszus | diefe: in farbigen, meift [in unferer Handfchrift 
drüden. Er fchreibt: 1) „Die Behandlung ift | bid auf die gang hellgelben Gefichter Chrifti 


1) Die von mir gemadten, wo nidt befonder8 bemerkt, nur auf unfere Handihrift zutreffenden Zu= 
fage find in ediger Klammer beigefügt. — CEinfdlagig ift Bige S. 157 ff. Die bei Vöge fi findenden ein- 
faden Zeihnungen find nur teilmeife wiedergegeben. 


UM 3 wd 10 





74 Dr. Max Kemmerid 


und der Engel (Fol. TIb, 90b), wo er fehr 
hell bzw. grünlich weiß ift, und bei den Frauen 
am rabe(51b) ausschließlich] braunen Kontur!) 
werden auf die heller grundierte Fläche folgende 
Teile eingetragen: Augen mit Brauen (in 
58. X fehlt hier der braune Strich), zwifchen 
Oberlid und leßteren bei großen Köpfen noch ein 
feiner Barellelftrich vgl. M. BI. 24 a“; das Auge 
wird durch zwei die Lider angebende ge- 
frümmte Linien gebildet, wie man auf jeder 


unferer Abbildungen deutlich erkennen fann. ' 


Am äußeren Wugenwinfel entfteht nicht felten 
durch plößliches Umbiegen nad) oben ein 
rechter Winkel. Da unfere Handfdjrift Feine 
großen Köpfe enthält, fo fehlt bier auch der 
feine Parallelftrich, wie auch im folgenden alle 
die von Bige für folche angegebenen Merk- 
male. „Nafe, der braune Nafenkontur, fic 
diveft an die Braue anjekend, fehlt nur aus- 
nahmsmeife, an der Mafenfpike biegt er giem=- 
lich jcharf um, ein flacher, ziemlich Langer, 
ftet8 natürlich gebildeter Nafenflügel fett fich 
an ifn an; e8 ift alfo eine mejentlich im 
Profil gedachte Nafe, charakteriftiich die natür- 
fide Nafenflügelbildung; die Schule des 
Echternader Codex bildet die Naje unten in 
orm eines ftumpfen Winkels: (das heißt: 
die Najenform ift hier ftets auch bei mehr 
im Profil gedachten Köpfen mefentlich in 
Borderanficht gegeben)‘. Bige bemerkt jehr 
richtig, daß gerade in diefen fleinften Details 
die einzelne Schule ihre feft ausgebildeten 
Regeln hatte, an denen man unbedingt fefthielt. 
Wie er felbft die Nafenbildung feiner Schule 
von der gleichzeitigen Echternadher Kunite 
produktion unterfcheidet, jo hat Smwarzensfi?) 
die in der Regensburger Schule, der einzigen, 
die e8 an Bedeutung damals mit der Vö— 
gejchen aufnehmen fonnte, übliche Bildung 
der Nafe anderer Teile des Gefichtes feitgeftellt. 
Dadurch find wir in der Lage fchon allein 
am Geficht mit unfehlbarer Sicherheit — fo- 
weit e3 fid) um charafteriftifchen Nepräjen- 
tanten des Schultypus handelt, die Zuteilung 
der Miniaturen zu einem beftimmten Atelier 
vorzunehmen. 

Fahren wir mit Vöges Worten fort: „Bei 
Köpfen in totaler Borderficht (in den Scenen= 
bildern fehr felten) feblt der braune Kontur 











am Nafenbein entlang; untere Endung ganz 
natürlich gebildet (nie Y ); der Mund mit 
zwei Strichen angegeben: —— , bei größeren 
Köpfen (Huldigungsbildern) zwifchen Nafe und 
Mund: | (niemals zeigt der Mund rofa Fär- 
bung)“, dann von der Wange bis zum Kinn das 
Geficht in braunem Kontur vom Halfe abge 
fcieden, das Kinn wohl durch kleine Strichel- 
chen herausmodelliert; befonders charakteriftifch 
nun, daß das Geficht nicht prinzipiell von 
dunklem Kontur „rings umzogen ijt; Kontur 
tritt nur dann ein, mo e3 gilt, das Geficht 
von einer anderen in Dedfarbe ausgeführten 
Fläche zu trennen (alfo: wo es auf farbigem 
Nimbus liegt oder vom Kopftuch umhüllt ift, 
oder endlich da, wo innerhalb einer Gruppe 
Kopf neben Kopf gereiht ijt); mo ein Kopf, 
fei e8 im Profil oder mit der Wangenlinie 
direft auf den Goldgrund tritt, fehlt zumeijt 
der Außenkontur, oder tritt nur an einzelnen 
Punkten auf; das Ohr im Innern motiviert 
mit: 3 (rechtes Ohr), bei den fleinen Köpfen 
nicht jo deutlich. Dieje braune Konturierung 
wird nur an einzelnen Stellen durch Schwarz 
verjtärkt. Mit Schwarz werden markiert: 
die Brauen (der Kontur hier edig gebrochen); 
dann Nafenlöcher, Mundmwinkel, Bupille duch 
Ihmwarze Punkte bezeichnet, zwei Punkte in 
den Ohren [nicht immer; die innere Model- 
lterung Hat häufig nur diefe Form: 5]; oft 
am Sinn unten ein paar Strichelchen; models 
lierte Schattierung (im Ton etwas dunkler 
als der Grund) nur fehr jchüchtern; vor der 
Einzeichnung der Konturen leichte Schatten 
eingetujcht: an der Nafe entlang, unter dem 
Auge (3. T. das Auge felbft von der Braue 
abwarts dunfler unterlegt, ein einfaches Mittel, 
wodurd) der Kopf einen bejonders lebhaften 
Ausdrud befommt, vgl. H8. B Bl. 4b, 5a), 
vom Nafenflügel zum Mund, an der Wangen 
rundung entlang. Dann das Ganze vollendend, 
nach der dunklen Konturierung aufgejeßt: eine 
ganz in Strichen gegebene weiße (auch wohl 
gelbliche) oder in einer helleren Schattierung 
zugrunde liegenden Farbe gehaltene Auflichtung: 
ein Punkt im Auge ...., auf dem Nafen- 
flügel, dem Rinn..... , über den Brauen, 
unter dem Auge eine Reihe von in flachen 
Bogen fich hinziehenden parallelen Linien und 


1) Das Braun des Konturs auf fol. 106b und 124a ijt etwas rötlicher als das in den anderen 


Diiniaturen verwandte. 


*) Georg Swargensti „Die Regensburger Bucdhmalerei des X. und XI. Jahrhunderts‘. Leipgig 1901. 


Ein unbefannter Godez der Vigefden Mealerfdule in Augsburg 75 





Tafel VI 


bei fleinen Ripfen nicht fo ausdrüdlich, doc 
in allen Hs. belegbar, diefe Striche find nun 
gang bart aufgedrudt, auch das längft nicht bei 
allen Köpfen; die gleiche Strichelung au) am 
Halfe; dann auf dem Nafenrüden entlang: 





fol. 86b (alte Zählung) 85b). 


weißer Strich, fi) an die über der Braue 
berlaufenden Linie anfchliegend, zwei Striche 
auf den Mund, fie legen fich über die dunklen 
Stride: ——,..... endlich da8 Obr meift um- 
zogen: 3.1) Durchaus Ausnahme bleibend das 


1) Bu diefen Figuren, die nur ungefähr und nicht fämtlich wiedergegeben find, wolle das Bud VBöges 
10* 


verglichen werden. 


76 Dr. Mar Kemmerigd 


Experiment eines hervorragenden Vertreters der 
Schule — vielleicht durch ein entwidelteres 
Mufter veranlaßt —, wenn in der Hs. B. vgl. 
BL. da eine einfeitige Auflichtung — man Lönnte 
Beleuchtung jagen — an den Köpfen bemerkt 
wird; eine für das ganze Blatt einheitliche 
Beleuchtung ijt allerdings nicht durchgeführt ; 
aud) Bl. 4b der Hs. zeigt ftärfere Model- 
lierung, der Zufammenhang zmwifchen Stirn 
und Nafenknochen ftarf hervorgehoben.” Das 
von Hs. B. gefagte gilt auch fiir unfere nicht. 

„Wohl finden fich öfter vom dunflen 
Kontur ganz oder faft ganz umriffene Hände 
(vgl. vor allem 68. VI.); im großen und 
ganzen ift die Hebung die: e8 werden die 
Finger voneinander durch einen Kontur ges 
fhieden und zwar läuft diefer (nur einfeitige) 
Kontur bei horizontal vorgeftredter „redender“ 
Hand an der unteren!) Seite der; der eigent- 
liche Fingerrüden, ebenfo der obere Außenfaum 
der Hand wird weiß aufgelichtet (der untere 
Saum zeigt meift dunklen Kontur; faft 
immer der Winkel zwifchen Daumen und 
Zeigefinger ganz mit Kontur umfahren) ; wie 
im Gejiht dann auch hier BVerftärfung mit 
Schwarz: Schwarze Punkte (feltener fleine 
Strichelchen, diefe ftets in Hs. X) unten 
gwifden den Fingern; in gleicher Weife fehlt 
aud) an den Füßen vorwiegend am oberen 
Saum der Kontur.“ 

Diefe vortreffliche Charafteriftif, die nod 
durch die Bemerlung ergängt fei, daß die Nägel 
der Füße und Zehen nirgends marliert find, trifft 
im vollen Umfange für unfere Hs. zu, während 
die Kriterien, die Böge von den Hs. XI—XIV 
gibt, nämlich vor allem ein ftärferes Vordringen 
der ſchwarzen Kontur, längere Bildung der 
Figuren, breitere Konturen, aufdringlichere 
Lichter, tupfige Behandlung der Haare 2c. 
bemweifen, daß unfere Hs. nicht diefen teilweife 
jpäteren Werken zuzurechnen ift, oder doch nicht 
zu einer der Filialfchulen gehört, in denen 
diefe Werke entjtanden find, die awar durchaus 
mit den Elementen der Mutterfchule arbeiteten, 
immerhin aber aus einen gemwiffen Verfall 
des reinen Stiles erkennen lafjen, daß fie fich 








relativ früh von der Hauptfchule abfonderten. 
Gs hat für ung wenig Wert auf diefe Details, 
die man bei Böge (©. 163 f.) nachlefen möge, 
einzugehen, wichtig ift aber die Konftatierung, 
daß unjere Handfchrift ganz zweifellos 
mit den Werfen der Hauptfchule die 
größte Berwandtfchaft zeigt, ohne jedoch 
in allen Einzelheiten mit ihnen genau 
übereinzuftimmen. Bevor wir auf die 
Farbengebung des Nadten noch näher ein- 
geben, wollen wir die Rriterien der gleich- 
zeitigen Hauptidulen furg feftftellen. Diefer 
Vergleich wird vor allem zeigen, daß fid 
ganz verfchiedene Technifen in der Runft 
de8 X/XI. Jahrhunderts nachweifen Lafjen, 
Techniken, die die Zuteilung unferer Hs. 
aud) auf negativem Wege zur Bögefchule 
erzwingen. Bugleich rechtfertigt diefer Ber- 
gleich, der fi natiirlid) auf Einzelheiten 
erjtreden muß, unfere Befchäftigung mit fchein- 
bar geringfügigen Details. 

Hafeloff, der Herausgeber des berühmten 
Pjalters der Erzbifchofs Egbert von Trier 
(977—993) in Cividale?) fchreibt in diefer 
Beziehung folgendes: 

„Die technifche Behandlung der Köpfe 
und Hände ift der Gewandung entfprechend 
eine vorwiegend zeichnerifche. Einzelheiten unter= 
liegen gwar jteten Schwankungen, doch läßt 
fih das Pringip der Technif mie folgt 
harakterifieren: Die äußeren Konturen der 
Hände find braun (ein der Kaftanienfarbe zu= 
neigender Ton), jeder Finger hat an einer Seite 
[hwarzen, an der anderen braunen Kontur, 
die Nägel find meift braun. Der Fleifchton 
ift weißlich mit hellgrünen, felten rötlichen 
Schatten. Die Köpfe haben feinen einheitlichen 
Umtiß, die Tonfur trennt ein brauner Strich 
vom Nimbus, die Haare find teil® ganz 
Ihmwarz oder braun umgogen [in unfer Hs. 
niemal3], teild nur gegen den Nimbus oder 
die Tonfur abgegrenzt. Die Wangen haben, 
foweit fie nicht bärtig find, eine fchmwarze 
Linie gegen den Nimbus. Feit fteht das 
Schema erft für die Behandlung von Augen, 
Nafe und Mund. BZunädft die Augen: 


1) Das ift gumeift richtig, ba aber, wie aud) Vöge betont, der Winkel zwifchen Daumen und Zeiges 
finger mit Kontur umfahren wird, fo bat aud) der Oberrand der Hand — ohne den Daumen — fdeinbar 


einen Kontur. 


?) Sauerland und Hafeloff „Der Pfalter Ergbifdof Egberts von Trier’. 


Trier 1901, ©. 78. 


Ein unbelannter Eodex der Vögefhen Malerfchule in Augsburg 


Xafel VII 


[hwarz gegeben werden Brauen und Oberlid 
wie Umriß und Mittelpunft der Pupille (lebtere 
felbft ift grünlich, nur bei Petrus braun) [in 
unferer Hs. augsfchließlich fchmwarz], zwiſchen 
Brauen und Lid wird die Falte durch einen 





fol. 90b (alte Zählung fol. 89 b). 


braunen und darunter einen roten Strid 
bezeichnet, denen eine grüne und eine oft 
fehlende rote, Schattenlage entfpridt. Das 
Unterlid bilden einige helle braune Striche in 
einer grünen Schattenpartie. Die Nafe hat 


17 


78 Dr. Max Kemmerid 


nur an der Spike feite braune, feltener ganz 
oder teilweife fchwarge Zeichnung, den Rüden 
bezeichnet ein weißer Strich, neben dem einer- 
feit8 ein grüner, andrerfeits ein roter Schatten 
liegt mit ebenfolchen Strichelchen darin. Der 
Mund ift durch zwei rotbraune Striche ange- 
geben, die Dtundwinkel durch jchruarze, dag Rot 
der Lippen ift nur teilweife und chwach durch 
Mennig angedeutet. Die Ohren bedeutet ein 
roter Fled, in dem eine rote, meift braun 
nachgezogene Wellenlinie.“ 

Wir fehen: fo viele Unterfchiede wie 
technifche Merkmale zwifchen unferer Hand= 
fchrift und dem Egbertpfalter. E3 fann da= 
nad) gar feinem Zweifel unterliegen, daß 
beibean verfdiedenen Orten oder dod 
mindestens zu verfchiedenen Zeiten ent- 
ftanden find. Diefe wichtige Erkenntnis 
möüffen wir fefthalten. Auf einzelnes werden wir 
{ptiter nod) guriidfommen. Zugleich möge der 
Lefer die von Hafeloff gegebene Beichreibung 
der Farbengebung des Nadten mit der weiter 
unten folgenden vergleichen. Nicht unerwähnt 
darf bleiben, daß aud) die Hintergründe im 
Pjalter die allergrifte Berfdhiedenheit von 
unferer Schule aufmeifen, ebenfo fich aber von 
der Regensburger nicht unmefentlich unter- 
ſcheiden. 

Swarzenski, dem das Verdienſt gebührt, 
zuerſt die große in Regensburg gleichzeitig mit 
unſerer blühenden Schule feſtgelegt zu haben, 
ſchreibt von einem der früheſten Hauptwerke, 
dem Regelbuch von Niedermünſter, Cod. Ed. 
II, 11 der kgl. Bibliothek zu Bamberg folgen— 
de3'): „Das Inkarnat iſt ein fahler weißer 
Ton, der dick aufgetragen wird und deſſen 
leblofe Wirfung nicht einmal durd) das Auf- 
legen einer roten Farbe auf den Wangen 
[fommt in unferen Hs. niemals vor!] ge- 
mildert wird. Die innere Zeichnung des Ge= 
fichtes ift ausfdlieblid) in fchwarz gehalten 
und tritt gewöhnlich al8 fefte Linie aus dem 
Ton des Inlarnats hervor [in unferer Schule 
niemals]. Cigenartig ift befonders die Beich- 
nung der Augen. An die gut gefdywungene 
Linie des Oberlides fekt das Unterlid an, das 
aber nur am Anfang als Linie, dann aber 
als eine fchwarze Punktreihe gegeben wird, in 
ihrer Bewegung in einer dem Oberlid ganz 


!) Swarzensti „Die Regensburger Buchmalerei deg X. und XI. Jahrhunderts’. 








ent|prechenden Bogenlinie gefchwungen. Die 
Pupille ift ein großer, fchwarzer Rreispuntt, 
der unmittelbar am Oberlid hängt [die Augen 
unterjcheiden dag Regelbuch ganz charakteristisch 
vom Egbertpfalter und der Vögefchule]. Zwi— 
fen ifr und der gefennzeichneten Linie des 
Unterlides liegt aber noch eine zmeite fürzere 
Zinie, die die Pupille umfchließt und einen 
etwa parallelen fongentrifden Bogen zu diejer 
und zum Unterlide bildet. Die Augen wirken 
auf diefe fomplizierte Weife unheimlich groß. 
die Nafe ift gewöhnlich durch zmei parallele 
Striche gegeben [in unferer Schule niemal3], 
die oben an die Nugenbrauen anfegen und 
unten von der lebendigeren Linie der Nafen- 
flügel umgzogen find. Eine Andeutung der 
vertieften Rinne in der Mitte der Oberlippe 
ift nicht verfudjt. Der Mund ift in immer 
gleichmäßiger Weife durch einen geradezu uns 
bewegten, ziemlich langen, wagerechten Strich 
gegeben, unter den ein fürzerer, etwa paral= 
leler gefeßt ift, der an den Seiten furz aufge- 
bogen, den oberen ducchjchneidet. Häufig 
find aud) die Mundwinfel durch zwei fleine 
fenfredjte Strichel an den Enden der oberen 
Linie markiert. An den Händen find regel- 
mäßig [in unferer Hs. niemals] die Nägel 
und das erjte Gelenf ebenfalls in fchwarzer 
Beichnung eingetragen. 

Mit der farbigen Behandlung des Fleifches 
ift e8 fchlecht beftellt. In trodenfter Weife 
ift auf den freidigen Grundton des Ynfarnats 
gwifden der Braue und dem Oberlid, gemiß 
um eine Vertiefung der Augen zu erreichen, 
helles Ziegelrot und giftiges Grün, überein 
ander liegend, eingetragen, Die gleichen Farben 
aud) auf dem Nafenrüden, — zwijchen den 
beiden Linien feiner Kontur. Das Grün findet 
fi) außerdem am Unterlid, das Rot nod) am 
Munde. Freier ift der Auftrag diefes hellen 
„feifchfarbenen“ Biegelrot an den Händen; 
e8 findet fih da in breiterer Linie in der 


Richtung der Anöchel, außerdem am Hands 


gelenkt, am Anfaß der Handwurzel (beim Ende 
der Mermel), — jchlieglich noch gelegentlich 
an der LZängsfeite der Finger, um ihre Rune 
dung auszudrüden.“ Zu diefen großen Ber- 
{chiedenbeiten der Technik zwifchen der Vöge- 
fhule — wir haben nur auf einige der augen= 


Reipgig 1901, S. 53. 


80 Dr. Mar Kemmerid 


Da wir hier ausfdjlieflid) den Bwed haben 
zu bemeifen, daß unfere Handfchrift zur Vige- 
fchule gehört, weil ihre Technik mit diefer 
identifch ift, ferner, um ja jeden Zweifel aus- 
zufchließen und mit Rüdficht auf die fpäter 
vorgunehmende Lofalifierung unferer Schule, 
zeigen wollen, daß fie fchon deshalb zur Vige- 
ichule gehören muß, weil die anderen gleich- 
zeitigen Hauptfchulen eine ganz andere, eben- 
falls ftreng feftgehaltene Technik befolgten, 
nicht aber eine Gejchichte der Malerei des 
X./XI. Jahrhunderts fchreiben wollen, fo 
mögen unfere Angaben im mejentlichen ge- 
nügen. Immerhin fei auf Smwarzenglis Be- 
merfungen zu Elm. 14272 auf ©.59 und vor 
allem auf feine Ausführungen zum wunder: 
vollen Elm. 4456, Cim. 60, dem Gaframentar 
Raifer Heinrichs Il. (S. 77 ff.) fowie zum 
Utaevangeliar Elm. 13601 Cim. 54 (©. 111 ff.) 
hingewiefen. Wenn fich in diefer Glanzleiftung 
Regensburgs und — man kann getroft fagen — 
des Jahrhunderts auch einige recht bedeutende 
Verfchiedenheiten ergeben von der Technik des 
Regelbudes, wenn hier befonder8 neben ge: 
maltiger fünftlerifcher Individualität auch ein 
außerordentlich ftarfer byzantinifcher Einfluß 
unverfennbar ift, fo wird damit doch in feiner 
Weife eine Annäherung an die Ptalweife 
unferer Schule erzielt. Wir müffen vielmehr 
feithalten, daß jede Schule auc) für die jchein- 
bar gleichgiiltigften Details gang beftimmte 
Wusdrudsmittel hatte und gwar fo charaf: 
teriftifche, daß — find einmal in der Zukunft 
alle Kriterien feftgeftellt — jedes Werf mit 
Beitimmtheit einem KRofter wird zugeteilt 
werden finnen. 3.8. ift es jegt fchon möglich, 
nur nad) der Bildung des Mundes oder der 
Nafe, wie fie in einer Handfchrift regelmäßig 
wiederfehrt, Ddiefe einem beftimmten Atelier 
zuzumeifen oder dod) mindeften3, 3. B. in 
unferm Falle, aus diefen Einzelheiten zu be- 
meifen, daß der Coder nicht in Regensburg 
nod im Mtelier oder zur Beit bes CEgbert- 
pfalter8 gemalt fein fann. 

Kehren wir nun zu unferm Soder, bezw. 
der VBögefchule zurüd, um die Darftellung des 
Nadten, die wir in kurzen Umriffen in zwei 
andern Schulen eben kennen lernten, zu charal- 
terifieren. Vöge fchreibt darüber (S. 171): „Das 
Gemwöhnliche ift ein rötliches Gelb (orange; 
bisweilen mehr purpurrofagelb, vgl. Hs. XT), 





dazu ebenfoldje Schatten, brauner Kontur; e8 
ift nicht etwa nur die Färbung der Laien 
[dies die Regel in unferer Hs.], aud) die 
Engel [3. B. fol. tb], Chriftus 2c. erfdeinen 
fo. Daneben dann eine Reihe von Jtuan- 
cierungen, Abjchwächungen, Steigerungen (zu= 
mal in A mannigfache Varianten, der Ton 
bier wohl gelbgrau, vgl. auch II BI. 35b). 
Ein ganz fahles Blaßgelb, Schatten und Ron- 
tur bellpurpurrofa, fih nur in den älteften 
Hss. findend (B. BI. 4b: Geiftliche und Frauen, 
Chriftus und die Cfflefia; Hs. Il in M. ging 
zu Purpurfontur über, vgl. auch die Evans 
geliften), dann fich wiederfindend in XI. (der 
Engel am Grabe), die Hs. eine auf die 
frühen Rodd. zurüdgehende Ableitung! [In 
unferer Hs. den mittleren Engel fol. 1b, die 
3 Frauen fol. 5lb, Ehriftug und Engel fol. 7Ob, 
den Engel fol. 90b, ebenfo die {don weiter 
oben erwähnten Fälle, in denen die Kontur 
nicht braun, fondern ganz bell etwa grünlich- 
weif ift. Hellpurpurroja findet fic) bei uns 
nicht, eine weitere Wndeutung dafür, daß die 
Entftehung de3 Cod. nicht in die Frühzeit der 
Schule fallt.] 

G3 foll mit dem Ton offenbar eine ge- 
wiffe vornehme BZartheit der Perfon ange- 
deutet werden; das fahle Blaßgelb findet fich 
auch mit grauen Schatten [bei unferer Hs. 
nicht, e8 bejteht dazu eben inhaltlich auch 
feine Beranlaffung], e8 fcheint das Fable des 
Schredens damit bezeichnet; wir finden fo 
in A die Figuren ded Meerjturmes, Maria, 
bie Shader an dem Krugifirus (vgl. aud 
T. XXXII u. f.), dann den Demoniafus in M. 
(doch vgl. die Engel auf den Evangelijten- 
bildern). Sit in der fpäteften Hs. (X) der 
rötlicyegelbe Ton ins Feuerrot gefteigert [in 
unferer Hs. niemal8], fo ift das nur ein 
Zeichen für die im allgemeinen fchreiender, 
härter gewordene Färbung diefes Spatlings, 
die auch 3. B. in den feuerroten Säumen der 
Bilder an Stelle der purpurnen zum Wuse 
drud kommt. Doch finden fich feuerrofa Töne 
vereinzelt fchon in den älteren Hss.. vgl. in A 
Tafel IX, XI (doch hier mit gelbgrauen, aud 
ins Grünliche ftreifenden Schatten); einen be= 
ftimmten Ginn hat e8, wenn fo die Könige 
von Sonnenaufgang erfcheinen. Apof. XVI. 12, 
die gleiche Farbe charafterifiert die Lafter 
Hs. VI. 60a ben Seprofus hier und in Hs. XI. 


Gin unbefannter Coder der Vögeihen Malerfchule in Augsburg 


Tafel 1X 


— Dunfelpurpurrofa [id) halte die Farbe für 

farmoifin] erjcheint das Qnfarnat des Engels 

am Grabe [in unferer Hs. nur bier fol. 51b], 

vgl. die Hs. I. 117b; IV. 42b; V. 56b; VI. 
A.M.3 u4. 


fol. 113a (alte Zählung fol. 111a). 


69b; X. 20a; XI; XV (mehrfach auch die 

Wächter ähnlich [in unferer Hs. nicht]), hier 

beruht die Färbung auf dem Text: Erat autem 

aspectus ejus sicut fulgur; vergl. Matth. 
11 





82 Dr. Mar Remmerid 


XXVIII. 3, im allgemeinen fcheint e8 das 
Zeichen eines außergemöhnlichen feelifchen Zu- 
ftandes: die erregte Figur des Markus zeigt 
diefen Ton, e8 muß dies Infarnat als etwas 
feit langem für diefen Typus als folchen 
Charafteriftifches bezeichnet werden, denn die 
Figur zeigt dasfelbe aud) im Echternacher 
Roder. Diefelbe Farbe auch beim Hieronymus 
und feinen fchreibenden Mönchen in II. 4b. 
Hier eine noch deutlichere Charatteriftif: die 
Augen find fchielend verdreht [ähnlich bei der 
Frau rechts auf fol. 51b], das Gewaltfame 
der Infpiration fommt zur Erfcheinung; die= 
felbe Färbung dann bei den vom heiligen 
Geift pliglich erleuchteten Qiingern der Pfingit- 
darftellung (vgl. VII. 104b, XI [auf fol. 73b 
haben die Sünger jchon teilweife verdrehte 
Augen, fonft aber befteht fein Unterfchied zu 
anderen Menfchendarftellungen]), ferner bei 
den Befefjenen in M, dem in Wut geratenen 
König auf dem Gleichnis der Hochzeit in VII 
[in unfrer Hs. nicht]. Auch in befonderg feier- 
lihen Scenen findet fich die Farbe, fo auf 
dem Titelblatt der Hss. A (Tafel III; doc 
ift gerade in diefem Koder eine mehr pur= 
purne Färbung des Nadten häufiger); dann 
bet Ghriftus und den viri Galilaei auf der 
Darftellung des Süngften Gerichtes in VII, 
vgl. BI. 53a, ebenda den Lammanbeter (3. T.); 
vereinzelt bei dem Engel Hs. IV BI. 69b; 
alles in allem: ein Mittel primitiver Charaf- 
teriftil, das noch als folches bewußt zur Ver- 
wendung fommt. — Eine ganz bejtimmte Be- 
deutung hat ferner ein fehmußiges rötliches 
(purpurn) Grau (oft rötlich-braun), dazu dann 
ebenfolde Schatten, die Auflichtung in den= 
felben Tönen, wenig heller (niemals weiß). 
Diefe muddige Färbung bezeichnet den niedrig- 
ftehenden Mann!). E38 erfcheinen fo die Hirten 
auf der Darftellung der Geburt Ehrifti [fol. 1b; 
jedoch halte ich diefe Lichte rotbraune Färbung, 
die fich ganz bedeutend von der weit dunfleren 
der Wiirfler 2c. unterjcheidet, für eine An 
deutung der bräunenden Wirkung des vielen 
Aufenthaltes im Freien, bei jenen jedoch ge= 
mäß der allgemeinen Uebung der primitiven 


Kunft, innere Eigenfchaften durch äußere Merf- 
male angubdeuten, für einen Hinweis auf die 
Verworfenheit der Betreffenden], der Blinde 
M 119a; vgl. aud) 155b, 163a; oft Knedhte: 
in A und M die Wiirfler unter dem Kreu;, 
die Tortores in A, regelmäßig der Stephaton: 
A, M, I, VII; die noch außerhalb der firch- 
lichen Gemeinfchaft Stehenden: B 4b; dann 
die Vertreter des Böfen felbjt: der Teufel 
(auch die Hölle felbft, vgl. A Tafel XXIV), 
vgl. A Taf. VII; M 32b; I 202a; V 57a; 
VI Bla 2.; aud der reihe Mann in der 
Hölle (vereinzelt berührt fich der Ton mit dem 
vorigen); auffallend, daß in diefem dunflen 
Snkarnat in A, vgl. Taf. XXV., Ehriftug und 
der Zachäus erfcheint; in A gehen offenbar 
die Töne mannigfach durcheinander. Wird das 
Niedrige und Sündhafte durch diefe Schmußigen 
Töne bedeutet, fo find blafje Schattierungen 
— wir wiefen fdon darauf bin — Zeichen 
des Sündlofen, Reinen, Seligen, VBornehmen. 
Dahin gehört die Zufammenftellung; blaß- 
gelber Ton, Schatten leicht griinlid); Kontur 
braun. Oft erfcheint Chriftus fo, vgl. M 29a, 
34b, 60b, 116b; V 57a, 76b; dann die Be- 
mwohner de8 Paradiefes (Abraham, die Seele 
des Lazarus, die Engel) vgl. A Taf. XXIV, 
vgl. die Anbetung des Lammes in Vi; dann 
diefelbe Darftellung in V. 83b; ebenda 84: 
die Seligen; vielleicht nicht ohne einem be= 
ftimmten Sinn der Evangelift Johannes, der 
in den Berjen feit Augustin als der Geiftigite 
der Evangelijten gefeiert wird (vgl. Hs. I, II, 
dann die Apofalypfe); fehr häufig die Engel 
[in unfrer Hs. uur die beiden Engel fol. 7Ob 
unten]: M 28a; I. 202a; III. 16b; IV. 1b; 
79b; V.36b, 57a, 76b f.; VI. 6b, 8a, 14a, 
43b, Bla; VII. 1b; X. 7a; dann auch das 
Matthäusfymbol; V. 84a; die Maria M 28a; 
IV. 11b; V. 36b, 37a, 76b f.; die Frauen 
am Grabe: V.56b; X. 20a..... Statt des 
braunen Kontur nun auc) entjprechend dem 
grünen Schatten ein grüner Umriß; der Grund 
bleibt der Hellgelbe. Wir finden dies In— 
farnat bei denfelben Perfonen: bei Chriftus 
[fol. 7Ob], A Xafel VI; B 31b; I. 2a, 


ı) Mir Scheint Vöge in diefem vereingelten Falle nicht fcharf unterfhieden zu Haben. Die „mubbige 
Färbung“ (fol. 35b, der net rechts vom Kreuz und die Würfler) gilt für häßlic) und wird deshalb dem 
Sünder gegeben. Die fonnengebräunte bezeichnet den niedern Mann, der fi) naturgemäß mehr im Freien 
aufhält als der Gelehrte und Frauen. Eine Analogie bietet die altägyptifche Hebung Frauen gelb, Männer rot= 


braun gu färben. 


Gin unbefannter Eodez der Vögefhen Malerfhule in Augsburg 


83 





Tafel X 


131b, 161b, 162a; IT. 20b; IV. 59a; VI. 3a, 
10b, 28b, 47b, 57a, 68b (Krugifiz); XII. 
oft bei den Engeln [fol. 1b der mittlere Engel, 
fol. 70b, 90b]: A af. VII, XX; Hs. 1 Ya, 


fol. 124a (alte Zählung 122a). 


131b, 161b; IV. 59a, 6la; VI. 9a, 10b, 
21b, 24b, 28b, 37a, 41b, 45af., 58a, 55a, 
57a, 61b, Tla; XII. (vgl. Verkündigung an 
die Hirten, Himmel fahrt); bet Maria: A Laf.XX, 
11* 


84 Dr. Mar Kemmerid 


I. 161b, IV. 79b; dann XII; dann wieder 
bei den Frauen am Grabe [fol. 51 b]: I. 116b 
(ebenda 162a Maria und Martha); IV. 42b; 
VI. 69a; dann XI; im allgemeinen die 
Frauen: I. 202a; vgl. BBa...... Endlich 
.. noch) eine legte Manier: Der Grund ift hell- 
grün, Schatten und Kontur ebenfo. E38 ift 
die Farbe der Toten. So find dargeftellt, die 
aus den Gräbern Auferftandenen a. d. Dar 
ftelung des SJüngften Gerichtes, vgl. I. 201b, 
VI. 53a; die Leiche des Lazarus, M 231b, 
die Tochter de8 Qairus, XI. 34b. Qn der 
Wpofalypfe VI. Bl. 27b erfcheinen die Pro- 
pheten in diefer Farbung, dann in M Chriftus, 
Mofes und Elias in der Darftellung der Ver- 
Härung, die entfpredjende Scene in A zeigt 
die Färbung nicht.“ 

Daß wir e8 in unjerer Hs. mit einem 
Werf der Bögefchule zu tun haben, dürfte 
nach diefer verbliiffenden Uebereinftimmung 
wohl umfo weniger zweifelhaft fein, als 
die Unterfchiede gegenüber den vorerwähnten 
Schulen: des Egbertpfalters, der Regensburger 
und der Echternacher (man denfe an die andere 
Endung der Nafel Bgl. aud) Boge) gang 
handgreiflich find. Gerade aus den Feinheiten 
des Infarnates gewinnen wir aber auch eine 
relative Beftimmung der Beit, in welder 
unfer Kodeg entitand. 

Wie Vöge nachgemwiefen hat, find die ver« 
fchiedenen Arten der Färbung des Nadten im 
mefentlichen jchon den Quellen eigentümlich, 
aus denen unfere Schule fchöpft. Yweifellos 
haben die verfchiedenen Arten der Färbung 
einen ganz beftimmten Ginn. Daraus geht 
hervor, daß diejenigen Handfchriften, in denen 
diefer urfprüngliche Sinn am reinften gewahrt 
ift, auch die älteften bezw. urfprünglichiten 
find, d. 5. an einem Orte entftanden, wo die 
gute Tradition fortledte. Nun ift, wie wir 
fahen, unfere Hs. in diefer Hinficht durchaus 
forreft, während in anderen Miniaturen der 
Schule der Sinn des Gnfarnates nicht jtets ge- 
wahrt bleibt. Daraus gewinnen wir einen 
weiteren Hinweis dafür, daß fie zu denjenigen 
Werken gehört, die gemalt wurden, al8 die 
Tradition noch rein gewahrt war, d. h. zur 
Blütezeit oder aber — wir haben die Wahl 
zwifchen beiden Möglichkeiten — in einer 
der widtigften Malfdulen. Diefe Er- 
fenntnis ijt wichtig. Wo eine nad) Jahres- 





zahlen genaue Datierung nicht möglich ift, 
find folche Züge, jo nebenfächlich fie auf den 
ersten Blid erfcheinen, doc) von großer Bez 
deutung; zugleich gewinnen wir durd) fie eine 
relativ fichere Firierung des Entjtehungsortes. 
Wenigftens wiffen wir, daß die Hs. — im 
Gegenjaß zu den von Vige mit höheren Num= 
mern bezeichneten und auf fünf Filialjchulen 
verteilten Werfen (man vergleiche S. 177f.) — 
im Hauptfiß, wo fi) naturgemäß die ur: 
[prüngliche Bedeutung der Farbengebung am 
reinften enthielt, oder doch an einem Orte, 
der mit diefem in innigem Rontaft war, ent- 
ftand. €8 fei zugegeben, daß diefer Beweis 
nicht da8 Bwingende der mathematischen 
Schlupfolgerung befigt, wohl aber hat er hohe 
Wahrfcheinlichkeit für fih. Und mehr wird 
billigerweife niemand von aus ftiliftifchen 
Merkmalen gezogenen Folgerungen bean 
fprudjen finnen. 

Wir wollen nicht auf andere ftiliftifche 
Gigentiimlichfeiten der Schule und des Kodex 
eingehen. Vöge bat darüber fo fcharffinnig 
und vorbildlich gemiljenhaft gehandelt, daß auf 
fein grundlegende Werf auch diesbezüglich 
neuerdings vermwiefen fei, nachdem unfer 
Bmed, den Kodex als ein Produkt der Vöge- 
fchule nachgewiefen gu haben, erreicht ijt; wir 
werden nun verfuden, aus ifonographifden 
Momenten denfelben Beweis anzutreten. 

Sn Kürze fei nur noch auf die Initialen 
verwiefen, da aud) diefe für unfere Schule 
befonders charafteriftijd find, infofern fie als 
große goldene, mit blau und grün gefüllte, 
mit breiter Bordüre umgebene Buchftaben auf 
purpurnem Hintergrund die ganze Seite füllend 
auftreten (fol. 2a, lla, [hier Hintergrund 
dunfellila], 36a, 52a, 74a, 87a 103a). Das 
feltene, nur in A und B die Regel bildende 
Verfahren, den Qnitial unter eine Saulenarfade 
zu ftellen, findet in unferer Handjchrift auf 
fol. Ila und 5la ihr Analogon, außerdem 
nur in Hs. IV. fol. 12a, 43a. m übrigen 
fei auf Böge ©. 343 verwiesen. 


III. Jkonographiſche Charakteriſtik. 


Nachdem wir in Kürze und unter weſent— 
licher Beſchränkung auf die in unſerer Schule 
übliche Menſchendarſtellung den Nachweis er— 
brachten, daß der Augsburger Codex zur Vöge— 


Gin unbefannter Coder der Vigefden Mtalerfdhule in Augsburg 





Tafel XI 


fchule gehört, wollen wir nun verfuchen da8- 
felbe auch durd) Vergleichung der hier dar— 
geftellten Gegenftinde mit der Behandlung 
in anderen Werfen unferer Schule zu be= 


fol. 155a (alte Zählung 152a). 


meifen. Diefe Arbeit ift ebenfalls im mefent- 


lihen nur ein Erzerpt aus dem Bigefdjen 
Werke. 


Von dem bei Bige (S. 192f.) in Tabellen- 


86 Dr. Max Kemmerid 


form bearbeiteten 35 Gegenftände!) umfalfen- 
den biblifchen Zyflus befinden fich in unferer 
Handichrift 18; bemerkenswert ift, daß feine 
Szene in ihr enthalten ift, die nicht in anderen 
Werken ihr Analogon hätte. Ferner, daß die 
in der Vögefchule mit Ausnahme von A. und 
M. die auch bei Bige ausgefdieden find, 
übliche Aufeinanderfolge der Darftellungen in 
unferem Kodex genau eingehalten wird. Dies 
wird folgende Durchvergleichung ergeben, bei 
der die Handichrift A. und M., ebenfo B., das 
feinen biblifdjen Zyflus enthält nicht berüds 
fichtigt find. 

Die Geburt EChrifti und Verlindig- 
ung an die Hirten ift — von der nur 
einmal (in XIV. fol. 1) vorkommenden Ber- 
fündigung an Maria abgefehen — da8 erite 
Bild faft in allen H88. und findet fich noch 
in: I fol. 8b und 9a; IV. fol. 1b; V. 36b 
und 87a; VII. 1b; 7b; X. Ta; XI. 21a; 
XII. 65a ; XV.19a anerfter Stelle. Nurin XIV. 
tritt wie gejagt, die Verkündigung an Maria 
an die Stelle unferes Bildes, während in VI. 
das jüngfte Gericht (53b) in VII. 21a) die 
Kreuzigung und in XII. die Kreuzabnahme und 
die Frauen am Grabe vorangehen. 

Da die nun folgenden Szenen: Anbetung 
der Könige, Darftellung im Tempel, Taufe, 
Heilung des Ausfäßigen, der Blutflüffige 
Tochter des Jairus, die zwei Blinden von Jez 
ticho, Einzug in Jerufalem, Abendmahl, Fuß⸗ 
wafdung, Gefangennahme, Petri Berleugnung 
und Chriftus vor dem Hohen Priefter in 
unferem Kodeg nicht vertreten find, folgt nun 
die Kreugigung, KRreuzabnahme und 
Grablegung außer hier nocd in I. 107b 
und 108a*), VI. 68a, VII. 82b und XII. 
als 2. Bild, während fie in VIII. al8 ein- 
ziger Ausnahme der Geburt, Anbetung und 
Darftellung im Tempel vorangebt. 

Die Frauen am@rabe find in unferer 
Schule und im Augsburger Koder die nadjfte 
Darjtellung. Wn derfelben dritten Stelle findet 
fie fic) noch in I. 116b und 117a, IV. 42b, 
V. 56 b, VI. 69b, VIII. 73b, X. 20a, X1. 103b 
XI. als 3. Bild, XIII. 82b, XIV. an 7. Stelle 


und XV. 39b, mithin ift die Reihenfolge be- 
züglich diefer Szene überall die gleiche. 

Während Chriftus in der Vorhölle fehlt, 
ift unfere 4. ein ganzes Blatt füllende Szene, 
die Himmelfahrt in der gleichen Reihen- 
folge enthalten in I. 181b, IV. 59a, VI. 71b 
VII. 89b, XI. 104b, XIV. an 9. Stelle und 
XV.44b. Nur in XIL, einer, wie wir fdon 
bei Betrachtung des Technik fahen, nach der 
Blütezeit entftandenen Handichrift, folgen hier 
die Anbetung der Könige und dann erft die 
Himmelfahrt. 

Unfere 5. Miniatur, das Pfing ftfeft 
befindet fic) in allen Handjchriften unmittel- 
bar nad) der Himmelfahrt, in VII. 104b und 
X. 32a, wo diefe fehlt, in der richtigen Reihen 
folge. 

DieDarftellung des zu den Jüngern redenden 
Heilandes fehlt in unferem Kodex; An 6. Stelle 
folgt Zacharias und der Engel. Diefe 
in den verglichenen Kodices fi nur nod 
dreimal findende Szene folgt in derfelben Ord« 
nung in I. 149b, IV. 66b und VII. 118b. 

Mit Auslaffung einer auf die Geburt des 
Sohannes bezüglichen Szene und des Gleich- 
niffes vom Samariter folgt al3 7. Miniatur, 
Petrus im Gefängnis, ein Vorgang, der 
nur noch in IV. 69b dargeftellt ift. Da feine 
QHandfdrift der Schule diefe Szene enthält, 
fo fann die von DVöge aufgeftellte Reihen- 
folge nicht bindend fein, vielmehr mwifjen wir 
jebt, daß diejer Gegenstand nicht, wie bei Böge, 
die Nummer 29, fondern vielmehr die Nummer 
26 tragen muß. 

Hierauf folgt der Tod Johannes des 
Täufers bzw. der Tanz der Salome, 
hierauf Ehriftus und der Jüngling von 
Naim, welche bei den Szenen in Böges Tabelle 
nicht vertreten find, da fie nur in A. und M. 
und bier an anderer Stelle vorfommen. Den 
10. Pla nimmt das Gleihnis von der 
Hochzeit ein, das fih noch in VII. 154b 
findet. Die leßte erhaltene Darftellung endlich 
ift Zahäug, ein Vorgang der an gleicher 
Stelle in I. 200a und VI. 184b wiederfehrt. 

In der außerordentlichen Hebereinftimmung 


1) Eine andere Zählung wäre au möglich. Im ganzen bietet die Schule nad) dem bei Vöge (Vergl. 
387 ff.) gegebenen Verzeichnis 68 fcenifhe Darftellungen aus dem neuen Teftament. eiffel, „Die Bilder der 
Sandfhrift bes Kaifers Otto im Münfter zu Aachen“ Hat eine volljtändige Zufammenitellung der damals ber 


banbelten Gegenftände ©. 52 ff. 


2) Kreuzgabnahme und Grablegung auf einem befonderen Blatt. 


Gin unbelannter Codex der Vögefden Malerfchule in Augsburg 87 


in der Reihenfolge von unferem Koder mit 
den bei Vöge verglichenen,*) haben wir einen 
meiteren Hinmweis der Zugehörigkeit unferer 
Sandfchrift zu feiner Schule gegeben. Zugleich 
fönnen wir mit einer großen Wahrjcheinlich- 
feit auf die in Verluft geratenen Darftellungen 
fchließen. Da in der Schule nun noch die Dar- 
ftellung des Qammes, ein himmlifches Huldig- 
ungsbild und das Siingfte Gericht folgen, jo 
ift e8 unmahrfcheinlich, daß in unferer Hand- 
fhrift mehr Darftellungen enthalten waren. 
Underersfeits lakt fih aus der Zahl der 
fehlenden Lagen folgen, daß 
etwa drei Darjtellungen, mwahr- 
fcheinlich die genannten verloren 
gingen. Damit repräfentiert fich 
der Augsburger Koder nicht nur 
als einer der fchönften, fondern 
aud) al8 einer der reidften 
der ganzen Schule. 

Wie BVige in einwandfreier 
Weifenachgemiefen hat, verarbeiten 
unfere Handfchriften ein und den- 
felben Motivenfchaß, der auf die 
Antike bzw. Byzanz zurüdgeht. 

Die Uebereinftimmung in zahl= 
Tofen Einzelheiten neben manchen 
Verfdiedenheiten führt er durch» 
aus richtig auf Malbücher zurüd, 
die fopiert wurden — man muß 
fih vorftellen, daß jedes Atelier 
folche Vorlagen befaß, die e8 nie= 
mals fortgab, fondern ftets feinen 
Produktionen zugrunde legte — 
während er eine direkte Abhängigkeit der ein- 
zelnen Kodices alfo Kopien der fertigen Werke, 
ablehnt. €8 beftand alfo den Malereien gegen- 
über ein anderes Verfahren als gegenüber dem 
Zert, der von einem Urfoder fo und fo oft 
abgefchrieben wurde, fo daß die direkte Ab- 
hängigfeit der einzelnen Werke von einander 
einen Stammbaum der textlichen Ueberliefe- 
rung aufzuftellen erlaubt. 

Da die von Bige verglichenen Szenen- 
darftellungen an Hand der von ihm gegebenen 


Cod. lat. 23338. 


Abbildungen die ifonographifche Einheit feiner 
Schule zur Evidenz bemeifen und ein Vergleich 
ber forrefpondierenden Darftellungen unferer 
Handfdjrift mit den bei ihm reprodugierten 
Bildern fofort aud) die Zugehörigkeit diefer 
zum Motivenfchaß feiner Schule ermeift, wollen 
wir uns jeßt auf eine furze Würdigung 
der bei ihm nicht abgebildeten Miniaturen be= 
ſchränken. 

Halten wir die Darſtellung der Hochzeit 
in VII. 154b neben die gleiche Darftellung in 
unferer Qandfdjrift, dann fpringt die völlige 





fol .154b 
Gleihnis von der Hocdzeit. 


Uebereinftimmung beider fofort in die Augen. 
Diefelbe erjtredt fich jogar auf die Details der 
Yarbengebung, die fo identifch ift, daß man 
beide Werke derfelben Künftlerhand zufchreiben 
möchte, wenn nicht andere Momente, 3. B. dad 
tiefere Violett (Purpur), das in anderen Minia= 
turen von VII. gur Verwendung fommt, diefe 
Annahme abzulehnen zwingen würden. Aus 
der fait volllommenen Sdentität beider Male- 
reien läßt fich jedenfalls folgern, daß die ge= 
meinfame Vorlage farbig war.*) 


ı) Wenn wir die in unfrer Hs. fi nicht findenden Scenen unberitdfidtigt laffen, dann ift die Reihen- 
folge in M. nadftehende: 1. Geburt und Verkündigung (28a); 2. Tod Johannes bes Täufers (1078); 3. Auf- 
erwedung bes Jünglings von Naim (155b); 4. Kreugigung, Kreugabnabme und Grablegung (248b). Die Reihen- 
folge in A. ift folgende: 1. Tod Johannes des Täufer (Blatt III); 2. Geburt und Verkündigung (Blutt XII); 


3. Kreugigung (Blatt XVI). 


) Gerade diefe Scene tft, wie ein Bid auf bie Abbildung bei Vöge (S.49) lehrt, auch im M. 107a fait 
ibentifh und zwar auch bezüglich ber Garbengebung, da nur Tifhtudh, Sopha, Mantel des Königs und andere 


88 Dr. Mar Kemmerid 





Cod. lat. 23338 


Diefelbe nahe Verwandt{dhaft ergibt eine 
Bufammenftellung der Bachiusfzene in VIT. 
184b mit der unferen. Auch die nahe Ver- 
wandtjchaft der Zachariasfzene in VII. 118 
mit der gleichen in unferem Werfe läßt 
über die Provenienz beider Werke aus dem- 
felben Atelier feinen Zweifel auffommen. 
Allerdings warnt VBöge mit Recht vor 3u- 
weitgehenden Sclüffen auf gemeinfame 
Entftehung am felben Orte — wir werden 
fpäter auf diefe Frage zurüdfommen — 
und will nur ein Schöpfen aus gemein= 
famer Quelle gelten laffen. Bemweifen läßt 
fic) auch wohl faum mehr, immerhin ift 
e3 aber wahrjcheinlich, daß Handfchriften, 
die neben denfelben — allen Werfen der 
Schule gemeinfamen — Motiven und der- 
felben Technik auch genau diefelbe Farben- 
ffala haben, zumal wenn die anderen den= 
felben Gegenstand behandelten Szenen nicht 


Kleinigkeiten differieren. Wud) ber Tang der 
Salome in A. zeigt eine nidt geringe Ueberein= 
ftimmung mit ber genannten Darftellung (Wb- 
bildung Vöge ©. 48). — Unfere Abbildungen find 
auf etwa */s bezw. die Hälfte verkleinert. 


differieren, dDemfelben Orte entfprangen, des- 
halb trägt auch Bige fein Bedenfen, die 
Hss. L.—X., A. M. und den Bamberger 
Rodex A. 1.47 demfelben Orte zuzumeifen 
(S. 145); Heinere Differenzen Laffen fic 
zwangslos als individuelle Variationen 
des ausführenden Künftlers deuten. 

Die Zachariasfzene von VII. führt ung 
zur felben in I. 149b (obere Hälfte) hin= 
über und beweist die Zugehörigfeit aud 
diefes Werkes zur felben Schule wie der 
Augsburger Koder. Wenn wir von der 
Architektur abfehen, find beide Miniaturen 
völlig identifch auch in den Farben, nur 
dak das Gewand des Engels in I. hellgriin 
it im Gegenfa zum gelben mit grünen 
Schatten in unferem oder. Ferner fehlt 
der grüne Fled auf dem Altar und die Ger 
fäße find hier nicht hellblau, fondern golden. 
Neben mancher Berfchiedenheit in der tom= 
pofition — bei ganz gleichem Motivenfchag 
in den gemeinfamen Szenen — harmo- 
nieren mit unferem oder in I. nod) die 
Gruppe der — ifolierten — drei Frauen 
(116b), desgleichen der Engel (117a), 





Cod. lat. 23333 


Badarias. fol. 118b, 


Gin unbefannter Coder der Vigefden Malerfdule in Wugsburg 89 


rr ae ee. Bei diefer außerordent- 
‘ sit oer reas ties ‚ lichen Aehnlichkeit oder viel- 
' mehr Gleichheit aller Hand- 
Schriften der Vögefchule Hin- 
| fichtlid) der Motive, muk 
man fich vielleicht über die 
vereinzelt differierenden Far= 
ben wundern. Ihre Ueber- 
einftimmung erklärt fic 
| grvanglo8 aus einem genauen 
Ropieren der Malervorlagen, 
ebenfo die Hebereinftimmung 
in der Zeichnung, die ent- 
weder direft durchgepauft 
wurde oder von den Rüd- 
feiten ber durchgezeichnet 
wurde, fo daß fie dann im 
8 Gegenſinn erſcheint. Die 
Cod. lat. 4452 Gim. 57 Zadarias. for. 1495. Differenzen in der Farben- 





ferner die Himmelfahrt (131b) und Zachäus 
(200). In Ießterer Darftellung fehlen nur 
die Stadt und einige Begleiter Ehrifti. Smmer- 
hin ift die UWebereinftimmung nicht fo groß, 
daß fie uns über den Schulzufammenhang 
hinaus zur Annahme der Entftehung am 
felben Orte oder gar von denfelben Händen 
zwingen würde. Auch Szenen, die in vielen 
Einzelheiten oder in der Kompofition diffe- 
tieren, wie 3. B. die Sreuzigung in I. 107b, 
Kreugtragung und Grablegung 108a dofumen- 
tieren fich ganz zweifellos als Verarbeitungen 
desfelben Motivenfdakes. Die Differengen find 
— von anderer Farbung in Cingelheiten ab- 
gejehen — im mefentlichen entjtanden durch 
Berteilung oder Zufammenziehung, durch Durch- 
zeichnung und dadurch umgelehrte Stellung 
der Figuren oder durch Vereinigung zweier 
verjchiedener Vorlagen. Wie fflavifd) man 
fic) aber an den mofailartig zufammengefeten 
Motivenfchaß hielt, Iehren nicht nur diefelben 
ftet3 wiederkehrenden Gefichtstypen, fondern 
aud) Cingelnbeiten wie 3. B. Sonne und Mond 
in I. 108a, die mit den auf der Geburtsfzene 
unferer Handjchrift verwandten völlig identifch Die Frauen am Grabe. 

find. Die Grablegung ift im Gegenfinn gehalten.") God. lat. 4452 Gim 57. fol. 116b. 


is 


J 





1) Dak das Mittelalter tedjnifd imftande war — ohne Pauspapier gu befigen —, eine Mtiniatur 
burdhaugeidnen, geht aus den Unterfuhungen von Henry Martin hervor. Bgl. Les miniaturistes a l’ex- 
position des „Primitifs Frangais.“ im Bulletin du Bibliophile 1905 72. Jahrgang ©. 377 ff., wo die früh 
mittelalterlide Technik eingehend unterfudt ift. Ferner Jaro Springer: „Gegenfeitige Kopien und Miniaturen“ 
in der Zeitfchrift für Bücherfreunde X. Jahrg. (1906/07) ©. 426 f. 

W. OLB uw 4. 12 


90 Dr. Mar Kemmerid 


gebung, 3. B. dunfleres oder helleres Blau oder 
Purpur dürften fic) von Vorlagen herleiten 
laffen, die nur gezeichnet waren, die Farben 
aber in Worten angaben. Für diefe Bindung 
des Malers bietet das Mittelalter zahllofe 
Beifpiele. 

Fallen wir unfere Refultate zufammen, 
dann fönnen wir jagen: Nach den Frites 
rien der Technik, der Reihenfolge der 
Darjtellung, der Zeichnung bezw. Kom= 
pofition und des Motivenfchaßes, fowie 
endlihder Färbung unterliegtes nicht 
demallergeringiten Zweifel, daß wirim 
Augsburger Kodex ein Werf der Vöge- 
{dhule und gwar eines der foftbarften 
aus der Blütezeit vor uns haben. 

Damit trifft alles, was Bige fiir feine 
Schule feitgeftelt Hat, mutatis mutandis 
aud) auf unferen Roder zu, jo dag wir diefen 
Teil mit einem neuen Hinweis auf fein vor- 
bildliches Werk fchließen fünnen. 


IV. Teil. Verfud einer jeitliden und 
örtlihden Fixierung des Augsburger 
Kodex und eines Teils der Vögefchule. 

Bige gelang e3, wie wir gefehen haben, 
feine Schule nach ifonographifden und ftilifti- 
Ihen Merkmalen, al3 eine im mejentlichen 
gefdlofjene Gruppe zu fixieren. Wenn fie 
nun auch al3 Ginheit der Regensburger, der 
von Fulda, und der von Köln gegenüberfteht, 
und fich von der jüngeren in falifcher Zeit blüh— 
enden Echternacher Schule wefentlid) unter- 
fceidet'), fo find doch in ihr, wie er and) 
durchaus richtig erfannte, auch nicht unbedeu- 
tende Differenzierungen wahrzunehmen. Sie 
allein auf die Jndividualitäten der verfchiedenen 
in ihr wirkenden Stünftler zurüdzuführen, fcheint 
nicht angängig, mag aud) diefem Moment 
vielleicht eine größere Bedeutung zuzuschreiben 
fein, al8 man zumeift anzunehmen geneigt ift. 
Denn wie Beiffel?) richtig bervorhebt, Fann 
mit Nüdficht auf die Entwidlung eines Künft- 


1) Vgl. Vöge 379 ff. und Hafeloff ©. 147 ff 





ler3 ein Urteil nie vorfichtig genug ausfallen. 
Troßdem haben mir zur Erklärung der Ber- 
Ichiedenheiten neben Anlehnung an andere — 
wohl vorwiegend fpatantif — frühchriftliche 
und, im Gegenfak zu Regensburg, erft in 
zweiter Linie an buzantinifche bzw. griechische 
Vorbilder, die Entjtehung zu anderer Zeit und 
an anderem Ort in Rechnung zu ziehen. 
Leider find nur fehr wenige Werke der 


Schule nach beiden Richtungen hin annähernd 


genau fixierbar. Qn erfter Linie ift hier der 
Stoder Egberti?) zu nennen, der einzige, von 
dem c8 zweifellos feititeht, daß er für Erz— 
bifchof Egbert von Trier (977—93) auf der 
Reichenau als eines der fritheften Werke ge- 
malt wurde. Diefe berühmte, wohl bald nach 
980 verfertigte Handfchrift unterfcheidet fich aber 
fehr wefentlid) von den anderen Werfen der 
Schule, fo dak Vöge daraus folgert, dak die 
Hauptgruppe, nämlich) A. M. und I.—X. nicht 
auf der Reichenau entftanden fein fdnnen. 
(S. 82f.) 

Nun Hat Hafelofft) es mwahrjcheinlich ge- 
macht, daß der berühmte Pjalter Egbert, der 
Kodex Gertrudianus in Cividale, fiir Egbert auf 
der Reichenau oder doch wenigftens in Alemanz 
nien gemalt wurde. Da nun diefes Werk nicht 
nur vom oder Egberti, fondern auch von allen 
anderen Werfen der VBögefchule fich ganz aufßer- 
ordentlich ftark unterfcheidet, fo geht daraus her= 
vor, daß fajt gleichzeitig wenn auch nicht gerade 
im felben Atelier fo dod) wenigftens in derfelben 
Gegend recht verfdiedene Produfte gefchaffen 
wurden.) Da nur ein fleiner Teil der liber- 
reichen Handfchriftenproduftion duch Zufall 
erhalten blieb, fo fehlen auch zumeijt die Binde- 
glieder, und unfer Urteil fann nur Wahre 
Icheinlichkeit, niemals Gewißheit beanfpruchen. 
Snfolgedeffen werden wir VWöge nicht zuftimmen 
fünnen, wenn er die trennenden Momente 
zwilchen dem Koder und den anderen Werfen 
feiner Schule fo in den Vordergrund ftellt, daß 
er mit Bejtimmtheit erklären zu können glaubt, 


’) „Geihichte der Evangelienbüder in der 1. Hälfte des Mittelalter“, Ergänzungsheft 92 und 98 zu 


den Stimmen aus Maria Baad S. 225. 


5) 5. £. Kraus: „Die Miniaturen des Kodez Egberti.” Freiburg i. B. 1884. 

*) Sauerland und Hafeloff: „Der Pjalter Erzbifhof Egberts von Trier.“ Trier 1901 ©. 162 ff. 

°) Der Beweis für die Entitehung des Egbertpfalter auf der Reidenau fheint mir nicht zwingend 
erbracht zu ſein; auch Beiſſel hegt Zweifel. Hingegen dürfte Haſeloffs Zuteilung nach Alamannien unan— 


fechtbar ſein. 


Gin unbefannter Codex der Vögefhen Malerfchule in Augsburg 91 


der Kodex fet an einem anderen Orte als A. 
und M. und I.—X. entftanden, alfo der Reiz 
chenau abfpricht. Daß feine Beobachtungen von 
den innerhalb der Gemeinjamfeiten der Schule 
bejtehenden Unterfchieden von uns gebilligt 
nur nicht fo ftark betont werden, lehren unfere 
weiteren Ausführungen. 

Durch ftiliftijche Uebereinftimmung hat 
Vöge feitgejtellt, dak auch das Berliner Epistolar 
(Rod. Ms. theol. lat. fol. 54) zu den zu Ege 
bert3 Zeiten auf der Reichenau entjtandenen 
Werfen gehört. Bemerkenswert ift, daß die 
Malereien (Baulus als Titelbild, Einzug Ehrifti 
in Serufalem fol. 15b, die Frauen am Grabe 
fol. 17b, Chrifti Himmelfahrt fol. 25a und 
Pfingitfeit fol. 26b) in der in feiner Schule 
üblichen Neihenfolge auftreten.‘) Hafeloff 
hat im Evangeliftar von Bouffay der Parifer 
Nationalbibliothek (Ms. lat. 10514) einen nahen 
Verwandten des gbertpjalter® und damit 
ein weiteres vielleicht auf der Reichenau 
oder doc) wenigftens in Wlemannien entftan- 
denes vielleiht von Nuodprecht, dem Maler 
des Cgbertpfalters, gejchaffenes Werk fejt- 
{tellen fönnen.*) 

Bom berühmten Evangeliar Ottos in Machen 
(A) wilfen wir nur, daß e8 eines der älteften 
oder das ältejte Werk der engeren Vögefchule 
it, deSgleichen der engverwandte Bamberger 
Rodex A. 1.47, fowie der von Böge überfehene 
dortige Koder A. 1.43%) diefe drei Handjchriften 
find, mo nicht überhaupt Werke desfelben 
Künftlers, fo doch ficher am felben Orte ent- 
ftanden. Wir müfjen größtes Gewicht auf 
Datierung und drtlide Feftlegung diefer Kodizes 
legen, haben dafür aber feinen weiteren An= 
halt8punft alS das Borträt Kaijer Ottos. 
Deshalb gilt es fejtzuftellen, welcher Herrfcher 
feines Namens hier gemeint ift. 

Wie ic) nachgewiefen zu haben glaubet) 


ift e8 ein Qugendbild Otto IIL. und unmittels 
bar nad) feiner 996 vollzogenen Kaiferfrönung 
entftanden. Dagegen wendet Stephan Beiffel, 
einer der hervorragendjten Renner der Runft 
des X. Jahrhunderts, in einem Briefe an mich 
ein, daß in den wenigen Jahren von 996 
bis auf Heinrich IL, alfo 1002 bzw. 1024 
faum die Kunft eine fo große Wenderung, wie 
fie tatfächlich vorliegt, erfahren haben fünne. 
Nun hat allerdings fdon Boge mit Recht be= 
tont, daß Treibhauspflanzen — und zu folchen 
gehört ganz zweifellos diefe ganze Kunft um 
die Wende des Jahrtauſends — auferordent- 
lich fchnell er- — und verblühen. Auch aus 
Hafeloffs Unterfuchungen (S. 103) ge&t hervor, 
dak eine fehr fchnelle Entwidlung wahrjchein- 
lich ift, immerhin vermag ich troß der großen 
Uebereinftimmung de Nachener Porträts 
Otto III. mit den zahlreichen anderen von ihm 
erhaltenen nicht mit apodiftifcher Sicherheit 
feftzuftellen, daß diefes Jugendoild nur Otto III. 
und feinen anderen darftellen finne. Troß 
aller anerfennenswerten Borträtfähigfeit diefer 
Beit ift ficher, daß niemals eine Perfon in 
allen ihren Merfmalen wiedergegeben wurde, 
fondern daß es vielmehr nur gelang, eine be= 
Ihränfte Neihe von Porträtzügen im Bilde 
feftzuhalten. Noch heute fehen fich oft Jugend= 
bilder von verfchiedenen Perjonen zum Ver— 
mwechjeln ähnlich, deögleichen differieren Por- 
träts derjelben Berfon aus verfchiedenen Lebens- 
altern oft ftart voneinander. Berüdfichtigen 
wir nun neben der relativ primitiven Kunft 
noch die ficher vorhandene Familienähnlichkeit, 
dann werden wir die Möglichkeit nicht von 
der Hand weifen können, daß der Aachener 
Koder Otto II. in feiner Jugend darftellt, 
während wir mit Beftimmtheit wiffen, daß 
Dtto I, an den Beiffel in erfter Linie 
denkt, nicht gemeint fein fann.’) Otto I. 


1) Bgl. ,Gin Verwandter des Soder Egbert“, Repertorium für Kunftwiffenfdaft XIX. Bd. (1896) 
©. 105 f. und Hafeloff „Egbertpfalter* ©. 68 f. Eine nahezu vollftändige Zuſammenſtellung der Bigefdule 
bietet Beifjel: Das ,Evangelienbud Heinrichs III. aus dem Dom zu Goslar“ in der Biblivthef zu Upfala. 


Düffeldorf 1898. 


2) Vgl. Egbertpfalter ©. 81 ff. und über die weiteren Werle ©. 162 f. 
8) Bgl. den Bamberger Katalog von Fr. Leitfhuh 1. Bd. BibelHandfdrift Mr. 76. — Zu cod. A. I. 47 


vgl. Vöge ©. 99 ff. 


+) „Wie jah Kaifer Otto III. aus“ in „Die Kriftlihe Kunft“. Münden 1907. Qunibeft. 

5) Möglid), wenn aud) äußerft unwabhrideinlid ift au, daß hier gar fein Porträt, fondern nur 
ein Idealbildnis vorliegt bezw. ein Porträt, das nad) Hörenfagen angefertigt wurde. Man vergleiche darüber 
meine Ausführungen in „Die frühmittelalterliche Porträtmalerei in Deutfhland* (München 1907 bei G. D. W. 
Calmwey) E&. 110 und 127 f. Eher fann das Bild 972 entftanden fein, als Otto II, damals 17jährig, die 

12* 


92 Dr. Max Kemmerid) 


war nämlic) in feinem Krönungsjahre 962 
vierzigjährig und trug wie wir wifjen langen 
üppigen Vollbart, Otto II. hingegen zählte im 
Jahre feiner Krönung 967 erft 12 Jahre. 
Dak das Bild einen Süngling darjtellt, ift 
Elar, fomit erhalten wir al3 "Terminus post 
quem entweder — wie ich glaube — 996 
oder, nehmen wir mit Beiffel, dejjen hervor: 
ragender Kennerfchaft ich nicht gerne opponieren 
möchte, an, daß die Handjchrift älter fein muß, 
das Jahr 967, oder, da die Thronbefteigung 
vielleicht das Bild veranlaßte 973. Doch in 
diefe Frage fich hier zu vertiefen hat für ung 
wenig Wert. Sicher ift, daß die Schule im 
legten Drittel des X. Jahrhunderts ihren Sik 
in Wlemannien, befonders in Reichenau hatte. 
Mit Beftimmtheit ift fein Werk in die Negie- 
rungszeit Otto I. zu datieren. Crft unter 
feinem Sohne und Enfel haben wir feften 
Boden: unter den Füßen. Zu Diefen Ermä- 
gungen ftimmt vollfommen überein, daß der 
Darmftädter Gerofoder (No. 1948 der groß- 
berzogl. Bibliothek) der, wie aus den Wid- 
mungsbildern hervorgeht, für Erzbijchof Gero 
gemalt wurde, und fich durch den engen An= 
fhluß an farolingifche Vorbilder als eines der 
alteften wenn nicht überhaupt das ältefte Werk 
des nachkarolingifchen Kunftfchaffens dofumen- 
tiert, in den Jahren 969—976 entitand. Daß 
er auf der Reichenau oder doch in Südmejt- 
deutfchland gemalt wurde, wie Hafeloff!) und 
Künftle?) annehmen, ift wahrfcheinlich, hat 
uns hier aber nicht weiter zu befchäftigen. Uns 
muß die Feftftellung genügen, daß das ältefte 
mit Beftimmtheit unferer Schule zuzumeifende 
MWerf, nämlich der Egbertfoder nach 980 ge- 
malt wurde. Daß der Cgbertpfalter etwa 
zwifchen 984 und 993 in Wlemannien ent- 
ftand, fei beildufig angeführt. 

Wie bereit3 erwähnt und von Hafeloff wie 





aud) von Bige und Beiffel bemerkt wurde, 
differiert innerhalb des großen Schulgufammen- 
banges der Egbertfoder von den Werfen der 
BVBögefchule im engeren Sinne dem Aachener 
Evangeliar undM. nicht unwefentlich. Allerdings 
find die Differenzen zwifchen A. und M. einerfeit3 
und den Werfen I.—X. viel geringer als die 
zwifchen dem Egbertsfoder und etıva A. Da wir 
nun wiljen, daß neben der Reichenau auch in 
St. Gallen die Künfte blühten, fo ift e8 außer- 
ordentlich wahrjcheinlich, daß die eine Gruppe 
hierhin, die andere dorthin gu verweifen ift. 
Und zwar mwädjt die Wahrfcheinlichfeit der 
Herkunft einer Handjchrift mit ihrer Annähe- 
rung an den Egbertloder mwährend fie deito 
eher für St. Gallen in Frage fommt, je mehr 
fie fi) von diefem Werke entfernt. Das foll 
natürlich nur eine Vermutung fein, mehr nicht, 
denn bei der relativen Freizügigkeit der Mönche 
innerhalb ihres Ordens, bei der verfchiedenen 
Veranlagung der Künftler, ferner bei dem 
regen Austausch an Handfdriften und Berüh- 
rung mit fremden Mönchen?) ift eg gewiß im 
Bereiche der Möglichkeit gelegen, daß recht 
verjchiedenartige Produktionen im felben Atelier 
gejchaffen wurden. Immerhin fpriht — da 
wir von der Kunftbetätigung fomohl auf der 
Reichenau als auch in St. Gallen unterrichtet 
find — die Wahrfcheinlichkeit für unfere ing 
Auge gefaßte Scheidung. 

Unfere Vermutung wird noch dadurd) be= 
jtärkt, daß im Hildesheimer Leftionar (V.) die 
Zefung „in nat. Sancti Galli* vorkommt, 
desgleichen im Cvangeliftar der Barberina 
(XVL) das Felt des Hl. Gallus durch eine 
Vigil ausgezeichnet ift.4)  Cbenfo fteht im 
Saframentar der Parifer National-Bibliothet 
(VILL) der Heilige im Stalender und nad) 
Hafeloff (S. 161 Anm. 2) hat der Veydener 
Koder Perik fol. 17 (Univerfitätsbibliothef) 


Reichenau befudte und den dortigen Handidhriften das größte Intereffe entgegenbradte. Troß diefer verfchiedenen 
Möglichkeiten, fheint mir doch die Wahrfdeinlidfeit nad mie vor für Otto III. und damit 996 zu fpredhen. 

) Val. deffen Ausführungen über dem Egbertpfalter verwandte Werke ©. 114 ff. 

2), „Die Kunft des Klojters Neihenau im IX. und X. Jahrhundert‘. Freiburg i. 8. 1906 ©. 17. Qn 
diefem Werk befindet fich eine fat vollftändige Zufammenftellung aller der Reichenau zugefchriebenen Malereien. 

®) Beiffel weit („Evangelienbücher* ©. 77 f.) darauf hin, daß der Dtaler, den Kaifer Konftantin von 
Konjtantinopel fandte, um die Herzogin Hadewig von Schwaben zu porträtieren, mwahrjcheinlid) aud) St. Gallen 
befudt und den dortigen Mönchen Anregungen gegeben habe. Der Verkehr mit dem Orient war ja niez 
mals völlig unterbunden und auf ihn dürfen wir vielleiht manches fonft unerflärliche neuere Motiv in den 
Miniaturen zurüdführen. — Ueber den freundjdaftliden Verkehr zwifchen St. Gallen und Reichenau vgl. 


Beifjel. Ebenda ©. 228. 


*) Vgl. Beiffel: „Das Evangelienbud Heinrichs ILL“ ©. 15. 


Ein unbefannter Codex der Vögefhen Malerfchule in Augsburg 93 


in Qnitialen und Zierfeiten Ankflänge an das 
im ganzen Mittelalter in St. Gallen ruhende 
Psalterium Aureum, allerdings auch an den 
Egbertpfalter und „Handfchriften, welche feine 
Borftufe bilden“. Gndlich ift aus liturgifden 
Gründen der Rod. n. 25a 14 in St. Paul 
St. Gallen zuzumeifen!), deögleichen XIII. 
Wir fehen alfo, daß es nicht nur in unferer 
Schule alg Ganzes genommen, fondern aud) 
in Werfen, die mit dem YWugsburger Koder 
große VBerwandtjchaft aufmeifen, an Fingers 
zeigen nad) St. Gallen nicht fehlt. Diefe An= 
erfennung einer zweifachen Wurzel der Bige- 
fhule, in St. Gallen und auf der Reichenau 
ift aud) geeignet manche Widerfprüche der big- 
berigen Forfchung aufzulöfen. So würde eine 
Verweifung von Eim. 58 (M.) nach) St. Gallen 
neben ftiliftifchen Berfchiedenheiten auch erklären, 
weshalb diefe Handfchrift Scenen enthält, die 
in den Reichenauer Werfen fehlen, auf den 
Wandmalereien St. Gallens aber dargeftellt 
waren. — Dod) wie gefagt: das alles foll 
nur eine in befdeidenftem Tone vorgebrachte 
Vermutung fein und auc) unfere weiteren 
Ausführungen beanfprudjen nicht mehr als 
den Wert einer Anregung. 

Sicher ift alfo bisher, daß die Kunſtpro— 
duktion in Alemannien im legten Drittel des 
X. Jahrhunderts nachweisbar if. Das wäre 
zur Firierung unferes Kodex nicht ausreichend, 
wenn wir nicht durch die auf innigfte mit 
ihm verwandten fogenannten Bamberger Ko» 
dize8 wertvolle Fingerzeige erhielten. Bon diefen 
ſ. Z. von Raifer Heinrich II. nach Bamberg, 
feiner 1007 errichteten Lieblingsgründung ge- 
ftifteten oder aus feinem Nachlaß ftammenden 
Werfen ijt Cim. 58 (M.) durch ein Porträt 
Otto III. auf die Zeit zmifchen 996 und 1002 
einwandfrei datiert. Zugleich Laffen ftiliftifche 
Gründe feinen Zmeifel darüber bejtehen, dak 
diefe Handichrift die ältefte ift. Ueberdies 
unterfcheidet fic) diefer Rodex gwar nicht wefent- 








lich, aber doch bemerkbar von den folgenden 
Werfen, die ebenfalls ziemlich genau datierbar 
find. Nämli” Eim. 57 (1.) gwifden 1002 
und 1014, dem Jahre der Kaiferfrönung 
Heinrich, Eim. 59 (II.) und VI. aber in die 
Regierungszeit Heinrich (1002—24), da, wie 
gejagt, diefe Werke von ihm direkt gejtiftet 
wurden, oder aus feinem Nachlaß ftammen. 
VII. aber, da8 größte Berwandtfchaft mit 
unferem Koder aufmeift, dürfte mit Rüdficht 
auf Stil und Rleinheit de3 Formates etwas 
jünger fein. 

Worauf e8 ung hier allein anfommen fann, 
ift der Beweis für die Entftehung unferes 
Koder in der ottonifcheheinrizifchen Blütezeit 
zu erbringen. Diefer dürfte aus jtiliftifchen 
und ifonographifchen Gründen wohl unmider- 
leglich gelungen fein. ?) 

Schiwieriger, ja, genau genommen faft un- 
möglich ift e8, den Entjtehungsort mit mehr 
als einiger Wahrjcheinlichkeit zu fixieren. Wie 
erwähnt differieren innerhalb des gemeinfamen 
Schulcharakter8 verfchiedene Werke, 3. B. Ege 
bertfoder und A., M. und die anderen Bam 
berger Werke fo beträchtlich, daß eine Ver- 
weijung an die beiden — allerdings aufs innigfte 
verwandten — Malermerfitätten in St. Gallen 
und auf der Neichenau ratfam fchien. Unjer 
Kodex nun weift allerdings eine fo nahe 
Verwandtfchaft mit I., IL, VI. und VII. auf, 
ohne jedoch mit einem diefer Werke identisch 
zu fein, daß wir vielleicht noc) weiter gehen 
fünnen und diefe Handfchrift demfelben Klofter 
zumeifen dürfen. Befonders fei daran er- 
innert, daß abweichend vom fonftigen Schul- 
gebraud) in I., VI. und in unferm Goder fich 
die blaßgelbe Färbung der Häufer und die 
dunfellilafarbige Bedachung findet. Ferner 
werden mir zu Ddiefem DVerjudhe durch eine 
Notiz bewogen, die fich auf fol. 119a (alte 
Zählung) befindet. Die Leftionsüberfchrift 
lautet nämlich: „In dedicatione Basilicae 


) Bgl. Beiffel: ,Evangelienbiider” S. 228 Anm. 2. — Daß nad) dem Heiligenverzeihnig von XIII 
mit VBalens, Senefius, Benedift, Pirmian, Adalbert, Gallus, Othmar, Columban und Theopontus nur Ala= 
mannien in Frage fommen ann, ift Har. Die Reichenau aber fheint mir mehr bezeichnet gu fein als St. Gallen. 
(Bgl. Hafeloff S. 15 ff.) — Smwargensti — Repertorium fiir RKunftwiffenfdaft XXVI. S. 389 ff. — Ietteres 
befonder$ 392 Unm. — priift fehr eingehend die Frage nad St. Gallen oder Reidenau. Dak nad Hafeloffs 
Unterfudungen fiir die Bigefdule nur nod) AWlamannien in Frage fommen fann, unterliegt aud) bet ifm 
feinem Zweifel. Bgl. dagu Beiffel: ,Gvangelienbiidher” S. 231. 

3) Prof. Berthold Riehl fdeint unferen Kodex dem IX. Jahrhundert zumeifen gu wollen, was nad 
unjeren Ausführungen feiner Widerlegung mehr bedarf. Vgl. „Augsburg“ in Seemanns „Berühmte Kunft- 


Bätten“ ©. 9. 


94 Dr. Dax Kemmerid 


Sci. Michahellis Archangeli*. Daß diefe 
Notiz von größter Wichtigkeit ift, liegt auf 
der Hand. ES handelt fic) nun darum, feft- 
guftellen, welche Bafilifen bzm. Slöfter des hl. 
Michael e8 damals in Deutfchland gab und 
welche für unferen Rodex davon in Frage 
fommen fönnen. 

Hatten fchon nad) den bisherigen Betrach- 
tungen alle Anzeichen nad) Siidweftdeutfdland 
gewiefen, jo fann für ung die Köln-Trier- 
gegend umfo weniger mehr in Frage fommen, 
wofern jemand noc mit Böge an fie gedacht 
hatte — al8 weder in Trier nod in Köln, 
nod) in Edhternad) ein Wtichaelsflojter oder 
eine Michaelskirche nachweisbar ijt.!) Dak von 
den objfuren Heinen Orten feiner in Frage 
fommen fann, liegt bei der Zugehörigkeit unferer 
Handichrift zu der durch außerordentlich reiche 
Produktion ausgezeichnete Gruppe auf der Hand- 
Wohl aber wiirde Hildesheim in Betracht 
fommen, wenn die dortige unter dem hl. Bern= 
ward gepflegte recht minderwertige Dtalfunft 
aus jtiliftifchen und ifonographifchen Gründen 
nicht eine Angliederung an unfere Schule aus- 
fclifje.*) In Fulda, der Hochberühmten 
Kunftitätte, gab es nur eine dem Hl. Michael 
geweihte Kicchhoffapelle, denn ala folche ift 
nad) Prof. Scheifers die nod) heute dort 
exiftierende MtichaelSfirche aufgufaffen. In St. 
Gallen, aljo dem Zentrum der Schule, exiftierte 





während Reichenau mit der Gründung einer 
fleinen Dtichael3fapelle begann, die jpäteren 
Kirchen aber anderen Heiligen geweiht waren. 

Ernitlih in Betracht fommen nur Kofter 
Metten und Bamberg. Ürjteres, daS da= 
mals eine Malfchule befaß, von der mir aber 
nicht8 näheres befannt ift, jcheint mir auch zu 
fehr im Bannfreife Regensburgs zu liegen, 
dejfen von der unferen ganz charakteristisch 
unterfchiedene Kunftproduftion ung durch Georg 
Swargenslis vortreffliche Unterfuchungen bes 
fannt gemacht wurden. Somit fpricht bei der 
großen Bedeutung Bambergs, bei der Tatfache, 
daß aus ftiliftifden Griinden unfer Roder 
ganz zweifellos in die Regierungszeit Hein- 
rich8 II. zu datieren ijt, bei der großen Ueber- 
einftimmung mit anderen für oder in Bam= 
berg gejchriebenen Werfen, von denen einige 
Hinmeife auf den heil. Michael enthalten, und 
vor allem mit Nüdficht auf die vorgenannte 
Eintragung die an Gewißheit grenzende Wahr: 
fcheinlichkeit dafür, daß unfer Kodex zur 
Midaelsfirde in Bamberg gehörte, 
mithin deradhte der fogenannten Bann 
berger Codices ijt. Mit diefer faum an= 
zuzweifelnden Konftatierung find wir aber 
aud) imftande, das foftbare Werf genauer 
zu datieren. 

Das Klofter auf dem Mtichelsberg in Bam= 
berg wurde ndmlicd) 1017 von Heinrich II. 
gegründet, 1021 eingemweiht.?) Damit haben wir 


nur ein dem hl. Michael gemweihter Turm, 


1) Durd) die LiebenSwiirdigteit des Herrn Dr. Veidinger wurde id) an Herrn Prof. Dr. Sceifers in 


Mülheim an der Ruhr vermwiefen, den größten Kenner des Hl. Michael. Diefer Herr hatte die außerordentliche 
Güte, mir fein ganzes einfchlägiges Material zur Verfügung zu ftellen, fo daß ich in der Lage bin, nadftehend 
alle dem HI. Michael um das Jahr 1000 gemeihten Orte aufzuführen. Eine conclusio per exclusionem wird 
uns dann meiter führen. 


Nad VMtabillon, Annales Ordinis S. Benedicti, eriftierten damals folgende Michaelstlöfter: 

Tom. II, p. 59: Honaugia auf einer Rheininfel bei Straßburg, anno 720 erwähnt. 

Tom. Il, 71: Slofter Ordorf, wohl glei; Ordruf in Heffen von Bonifacius 724 gegründet. 

Tom. Il, 93: Klofter AUmoeneberg in Thüringen von Bonifacius gegründet. 

Hi, 105: Softer Mondjee in Bayern, 739 gegründet. 

Tom. I, 305: Slojter Metten an der Donau bei Regensburg, 792 gegründet. Hier eriftierte neben 
dem Midaelstlofter aud) nod) eine Micdaelsbafilifa. 

Hi, 427: Slofter St. Michael an der Mtofel, heute S. Mihiel, anno 816 gegründet. of. aud) Appendix p. 691. 

Tom. III, p. 588: Slofter Lüneburg, 967 gegründet. 

Tom. IV, p. 191: Bamberg, von Heinrich II. 1007 gegründet. Nad) p. 279 erfolgte anno 1021 die Weihe. 

Tom. IV, p. 291: 1015 Weihe der Crypta der Kirche des Klofter8 S. Michael in Hildesheim. 

Tom. IV, p. 364: Erridtung einer ecclesia 8. Michaelis in Hersfeld. Hiermit haben mir fdjon die 
Schmelle der aus ftiliftifchen Gründen für unfern Koder in Frage fommenden Beit iiberfdjritten. 

Aus der großen Reihe von Kliftern, durd) deren gütige Belanntgabe Herr Prof. Dr. Scheifers mid) 


außerordentlich verpflichtet Hat, ragt al8 bedeutendjte Gründung Bamberg hervor. Dod davon gleich mehr. 


2) Val. St. Veiffel: „Der HI. Berward von Hildesheim als SKünftler und Förderer der deutfden 


Kunft.“ Hildesheim 1895. 


5) Vgl. 3. Looshorn: „Die Gefhichte des Bistums Bamberg“ I. Band (München 1886) ©. 224 f. 


Ein unbelannter Goder der VBögefchen Malerfchule in Augsburg 95 


1017’ al Terminus post quem gemonnen. 
Da e3 jehr wahrjcheinlich ift, dak der Roder 
vom Raifer zur Einweihung, der er anmwohnte, 
geichenft wurde, menigftens aus einem Ber- 
gleich mit den vorgenannten datierbaren Bam= 
berger Codices hervorgeht, daß er ganz 
zweifello8 weder in die Frühzeit, noch in die 
Spätzeit der Schule, fondern in die Periode 
der Henricifchen Blütezeit fällt, jo dürften 
wir faum irren, wenn wir die Entftehung 
unferer Handfdhrift in die Periode von 1017 
bis 1021 oder jpäteftens 1024, dem Tode3- 
jahre Heinrich, anfeten. Keinesfalls ift er 
Ipäter entjtanden, eher wenige Jahre früher. — 

Iſt bis zu diefem PBunfte die Wahrfchein- 
lichfeit unferer Argumente groß, d. bh. fteht es 
felt, daß unfer Koder zur BVigefdule 
gehört, unter der Regierung Hein 
rigs I. entftand und Eigentum des 
Michelsflofters in Bamberg war, fo 
wagen wir nun eine Hypothefe mit aller 
Vorsicht auszufprechen. 

Wie bereit8 angedeutet, hat man fich die 
mittelalterliche Kunfttätigfeit feineswegs als 
ein freies Schaffen vorzuftellen, fondern viel- 
mehr als eine an ganz hejtimmte Motive und 
enge technifche Schulregeln gebundene mehr 
oder weniger handwerf3- oder fabrifmibige 
Produktion. Während zum Beijpiel aus den 
den Maler betreffenden Anmeifungen auf 
‚den berühmten Miniaturen de3 jegt in 
Berlin befindlichen SItalafragmentes, das in 
Quedlinburg gefunden wurde, dort, mo die 
HSarben abgebrödelt find, hervorgeht, daß diefer 
um 400 fchaffende Künftler feine Bilder nicht 
nach früheren Vorlagen fopierte, fondern fie 
frei [chuf,') hat der Vergleich unferer Hand- 
Ichrift mit anderen Werfen der Vögefchule er= 
geben, daß dies in der ottonifchen Kunft 
feineswegs der Fall war. Vielmehr dürfte 
der Betrieb in einem damaligen Atelier der 
gewejen fein, daß ein antiker, farolingifcher 
oder byzantinifchegriechifcher oder, oder auch 
ein Walbuch neueren Datums — was in praxi 
in diefem Falle gleichbedeutend ift — als Vor 
lage diente und mehr oder weniger jflavijch 
fopiert, oft direkt durchgepauft wurde. Weichen 
Darftellungen wefentlich voneinander ab, dann 





ift das feineswegs mit Notwendigkeit auf die 
ichöpferifche Bhantafie des betreffenden Künft- 
ler3 zurüdzuführen, fondern zumeift auf die 
Tatfache, dak er eine andere ung unbefannte 
Vorlage mwählte oder zwei verfchiedene fom- 
binierte. Daß nebenbei aud) die Yndivi- 
dualität des Riinjtlers eine gewiffe, viel- 
leicht bedeutendere Rolle, als man bisher 
annahm, fpielte, foll damit feineswegs ge= 
feugnet fein. 

Nun fahen wir, dah die Bamberger Codices 
fid) von den jur felben Schule gehirigen 
Reichenauer Werfen bei größter Uebereinftim- 
mung in Technik und dargeftellten Stoffen, 
doch auch wieder unterfcheiden. Das legt die 
Bermutung nahe, daß fie in einem nahe ver= 
wandten, aber doch nicht im gleichen Atelier 
Hergeftellt wurden. 

E3 wird in erfter Linie davon abhängen, 
wie groß der Spielraum ijt, den wir der Jn: 
dividualität des Riinfilers, fowie der Pro= 
duftion innerhalb eines Klofter8 einräumen, 
denn nur wenn wir uns beide begrenzt denken, 
ift die Aufftellung von Zofalfchulen notwendig. 
Da nun aber Vöge, bei aller mit Recht be- 
tonter Homogenität der Erzeugniffe feiner 
Schule, doch die Annahme von fünf Lofal= 
fcyulen befürwortet, fo fcheint mir fein zwin- 
gender Grund vorhanden, eine folche gerade 
für unfere Codices in Abrede zu ftellen. Aller- 
dings ift e8 fiber jeden Zweifel erhaben, daß 
die alemannifden Bentren in weitem Um 
freife die Bedürfniffe an Miniaturen zu deden 
hatten, aber gerade in das Jahr 1006, alfo 
unmittelbar vor die Gründung Bambergs, 
fällt die große Strife in der Reichenau, die 
zahlreiche funjtfertige Mönche zwang, das 
Mutterflofter 3u verlaffen.) Was liegt da 
näher, al8 die Annahme, dak Heinric), der 
felbjt den harten und funftfeindliden Abt 
Smmo eingefebt hatte, den mit ihrer Kunit- 
fertigfeit und ihren Werfen das Rlofter ver- 
laffenden Mönchen in feiner Lieblingsgriin- 
dung Aufnahme gewährte? Beifjel jagt: „Die 
Vertriebenen hatten in anderen Benediltiner- 
fliftern Aufnahme gefunden und dort durdj 
ihre Kunft und durch mitgebrachte Bücher, 
die fie Hergeftellt hatten, oder an denen fie 


') Bgl. Stephan Beijfel: „Geihichte der Soangelienbüdher“ ©. 87. 


2) Vgl. Beijjel: „Evangelienbüder“ ©. 243. 


96 Dr. Marz Kemmerid — Ein unbelannter Eoder der Vsgefden Malerfdule in Augsburg 


noch arbeiteten, Reichenaus Malart mehr be- 
fannt gemacht und eingebürgert.“ Und Bam- 
berg, der verhätjchelte Liebling des Kaifers, 
die Stadt, in der foeben ein herrlicher Dom 
mit fieberhafter Eile erjtand, Bamberg gerade 
follte leer ausgegangen fein? 

Diefe allgemeinen Erwägungen werden 
durd) die verfdhiedenen Hinmeife auf den heil. 
Michael in den Bamberger Werfen und be= 
fonders in unferem Kodex in konkreter Weile 
ergänzt. Daß Bamberg Malfchule in der 
Folgezeit Feine bedeutende Nolle gejpielt zu 
haben fcheint, widerlegt unfere Vermutung 
nit, denn nah der AWbfebung Bmmos 
und Inthronifation des Abtes Bern fehrten 
viele der vertriebenen Künftler wieder ins 
Mutterflofter zurüd. Der eine oder andere 
in Bamberg verbliebene würde dort gang gut 
bi an fein Lebensende oder bis gum Tode 
des Kaifers weiter gewirlt haben können. Mit 
unferer Oypothefe, die anzunehmen oder ab- 
zulehnen natürlich jedermann unbenommen ift, 
wäre aud) der außerordentlich großen Leber- 
einftimmung mit der Reichenauer beziehungs- 
weife St. Gallener Mtalweife Rechnung ge- 
tragen, die verhältnismäßig Kleinen Unter- 
fchiede, aljo die abweichende Färbung von 
Mauern und Dächern, aber auf die Jndivi- 
dualität der Künftler zurüdgeführt. 

Doch wie gejagt: folange die Frage der 
Schulzufammenhänge noch nicht endgiiltig ge- 


lft ift — vorerft wiffen wir nun mit Beftimmt- 
heit, daß die Vögefchule nad) Wlamannien zu 
lofalifieren ift —, folange fann auch unfere 
Hypnofe nur feuriftijden Wert bean 
fpruchen. ) 

Wir find vom einzelnen Werk ausgehend 
unvermerkt in die fchmwierigiten Probleme der 
funfthiftorifchen Forfchung des X. Jahrhunderts 
geraten. Ob wir zu ihrer Löfung ein Weniges 
beitrugen, mögen die Kenner entfcheiden. Unfer 
Zweck war ja nur der ein wertvolles Werk 
der Wiffenfdhaft zugänglich zu madjen, darum 
war die Arbeit feinesfalls umfonft. Cine Ge- 
Tchichte der Vögefchule oder der Malerei um die 
Sabhrtaufendwende zu fchreiben, lag ung fern; fie 
mögen Berufenere nah Abfchluß aller Vor- 
arbeiten in Angriff nehmen. Deshalb haben wir 
auf Volljtändigfeit verzichtet und mit der Kritif 
tunlichft zurüdgehalten. Ein Hinweis auf die be- 
deutendfte einfchlägige Literatur, voran Beifjels 
mufterhafte Gefchichte der Evangelienbücher 
hat ung in den meiften Fällen genügt. Unfer 
bejcheidenes Verdienst befchränft jich auf die 
Erfchliegung eines der fchönften Werke aus 
der Wende des Yahrtaufends. Dak hierzu 
das Domkapitel in Augsburg bereitwilligft die 
Erlaubnis erteilte, die Redaktion der Monats: 
hefte aber die Mittel gewährte, um Abbildungen 
in bisher auf dicfem Spezialgebiete nicht er= 
reichter Güte zu liefern, dafür fei beiden der 
berzlichfte Dank des Verfalfers ausgefproden. 


1) Serr P. Stephan Beiffel S. J. beanftandete brieflich die Bezeichnung „Vögefhule” und will Lieber 
von einer ,fogenannten Reidjenauer” fpredjen. Whgefehen davon, dak mir aus fpradliden Griinden diefe Bes 
zeichnung nicht recht gefallen will, mare fie aud) nicht richtig. Denn „Reichenau“ ift gang beftimmt nur ein 
pars pro toto, Bei den innerhalb der Schulzufammenhänge relativ großen Verfdhiedenheiten bes Egbertpfalters 
des Kodex, der Wandgemälde und der anderen Miniaturen unter einander ift, wie fhon erwähnt, die Reichenau 
gang ficherlich nicht dag einzige als Entftehungsort in Frage kommende lofter. Aber auch das ift nicht fider, 
daß als zweites Kunftemporum nur no St. Gallen in Betradht fommt. Auch andere Klöjter beteiligten fid 
mit großer Wahrfcheinlichkeit am Schaffen. Within fcheint mir die Bezeichnung „Vögefchule“ nit nur aus 
Rüdfiht auf ihren verdienftvollen Schöpfer richtig gu fein, fondern vor allem aud) deshalb, weil fie feinerlei 
falfche Vorftelungen bezüglich des Entjtehungsortes auflommen läßt. 


Die Ordenszeihen ans dev Kaningev Fürftengenft im Bayerifhen Hationalmufenm. 
Bon Friedrid 9. Hofmann. 


Im Sabre 1781 madjte der für die Stadt 
Lauingen aufgeftellte Spegial - Hoffommiffar 
Hofrat Edler von Sezger in einem Berichte 
an Kurfürjt Karl Theodor in München darauf 
aufmerffam, „wie daß in der bey der Pfaar- 
fürchen befindlichen Kruft nicht nur fehr ville 
Durdläugtigfte Fürften-Berfohnen begraben 
ligen, fondern auch ein und andere der= 
gleichen hoche Leichname mit jehr foftbahren 
Gefdmud, fo andern Prätiofen umgeben fein 
follen.“ !) 

Der Kurfürft gab infolge diejes Berichts 
den Befehl, die Sepultur „ohne weiteren An- 
ftand’ fofort gu öffnen. In den Tagen vom 
24. September bis zum 4. Oftober 1781 wurde 
diefer Auftrag durch eine Kommiffion ausge= 
führt. 

Die in den einzelnen Särgen gefundenen 
Pretiofen, welche die Kommiffion zu fich ge- 
nommen hatte, wurden auf Befehl Karl Theo- 
bors dem Miünzfabinette zur Aufbewahrung 
fiberwiefen. 

Nad) Griindung de3 Bayrifden National- 
mufeums famen die fofibaren Schäße durch 
Berfügung des Königs Maximilian II. im Jahre 
1862 in diefe Sammlungen. Dort find fie jebt 
in Saal 64 auögeftellt. 

In dem Sarge des Pfalzgrafen Friedrich 
von Barkjtein und Weiden, der 1597 in dem 
von ihm erbauten Schloffe Friedrichsburg bei 
Bohenftrauß ftarb, fand fich num eine goldene 
Kette mit einem emaillierten Emblem, deffen 
Bedeutung bis jet noch nicht erfannt wurde. 

Die Kette felbft befteht aus 36 größeren, 





durch je vier gebogene Stränge und zmei 
Dejen zufammengefeßten Gliedern und ein- 
fachen Heinen Verbindungen. Die Schließe 
ift rofettenfirmig, aus feinen Renaiffance- 
Ornamenten gebildet. Jn einem großen Ringe, 
unter dem ein zierliches Verbindungsglied mit 
reicher Emaillierung über dem Kurhute, hängt 
an drei Kettchen das Kleinod, das auf beiden 
Seiten faft gleich) ornamentiert und reid) email- 
liert ift. Die Mtitte des Rleinods nimmt ein 
von Pfeil und Schwert freugweife durchbohrtes 
Herz ein, auf dem auf der Schaufeite eine als 
Fides bezeichnete Geftalt, mit Kreuz, Kelch 
und den Gefeßestafeln, auf der Nüdfeite eine 
Conftantia mit Anfer und wehendem Schleier 
Steht. Das Herz ift von einem goldnen Bande 
umrahmt, da8 beiderfeit3 in fchwarzem Email 
die Infchrift trägt: „VIRTVTIS AMORE 
1589“ ; ein durchbrochener grüner Rautenfranz 
leitet zu einem meiteren Schriftbande über, 
das die Auffchrift trägt: „QVI PERSEVE- 
RAVERIT VSQVE AD FINEM SALVVS 
ERIT“. Das Band endet oben in zwei um 
ein fleinere3 ebenfall8 rot emaillierte3 Herz 
verfjchlungenen Händen. Das Ganze umgibt 
ein reich durchbrochener und emaillierter Re= 
naiffancerahmen, der oben über dem Eleineren 
Herzen von einem Ornamentfchildchen mit den 
Budjtaben F S V befrint wird. 

Man hat aus der Tatjache, daß fic in 
dem Sarge des ebenfalls in Lauingen be- 
ftatteten Pfalggrafen Otto Heinric) von Sulz: 
badh-Hilpoltftein (+ 1604) genau das gleiche 
Kleinod vorfand, auf einen pfalgifden , Oaus- 


1) 8. U. Bierdimpfl, Die Funde aus der Fiirjtengruft gu Lauingen im Bayerifden Mationalmujeum, 


Münden 1881, S. 3. 
A. M. 8 u. 4. 


13 


98 Friedrid O. Gofmann: Die OrdenSgeiden aus der Qauinger Fürftengruft im Bayer. Nationalmufeum 





orden“ geichloffen?). Jedoch zu Unrecht. Das 
Kleinod ift tatfächlich das Abzeichen des an- 
geblicd) 1590 von Kurfürft Chrijtian I. von 
Sadjen geftifteten Ordens der „Goldenen Ge- 
ſellſchaft“. 

Die einzige originale Notiz über dieſen 
Orden, die ich in der äußerſt umfangreichen 
Literatur über die weltlichen Ritterorden fin— 
den fonnte, fteht bei Rammelsberg.?) Die 
hier gegebene furze Bemerfung über Grün- 
dung des Ordens, fowie die Befdhreibung des 





Ordenszeicheng fchreibt Biedenfeld) Fritil- 
lo8 nad). 

Es muß jedoch hier ficher in der Angabe 
des GStiftungsjahres ein Jrrtum vorliegen. 
Denn unfere beiden Ordenszeichen tragen die 
Jahreszahl 1589, die fich doch ficherlich auf 
die Gründung des Ordens bezieht. Wahr- 
cheinlich Hat fich eine Verwechslung mit dem 
Stiftungsjahr des herzoglid) Sächſiſchen „Or—⸗ 
den gegen die Untugend des Fluchens“ ein= 
geichlichen, der 1590 von Herzog Friedrich 


*) E.M. Freiherr von Uretin, Wltertiimer und Kunftdenfmale des bayer. Herrfcherhaufes, Münden 1885, 
Abjchnitt: Pfalz-Neuburgifcher Fiirftenfdmucd aus dem 16. Jahrhdt., Nr. 1. — Das Bayerifhe Nationalmufeum, 


München 1868, ©. 237. — Bierdimpfl, ©. 54. 


8) Johann Wilhelm Rammelsberg, Beichreibung aller fowohl nod Heutiges Tages florierenden als 
bereit8 erlofdenen Geift- und Weltlihen Nitter- Orden in Europa, nebjt denen Bildnifjen derer Orbdens- 


Zeichen, Berlin 1744, ©. 44. 


+) Ferdinand Freiherr von Biedenfeld, Gejhichte und Verfaffung aller geijtliden und meltliden, ers 
lofjhenen und blühenden Ritterorden, I. Bd., Weimar 1841, ©. 139. 


Dr. § Weber: Ein mertwiirdiges Grab eines neuen bajumwarifchen Reihengräberfeldes 99 


Wilhelm I. von Sachfen-Weimar, fpäteren 
Wdminiftrator der RKurfachfifden Vande, ge- 
ftiftet murbde. +) 

Bemerkt fei nod), dak eine Denfmiinge, 
die wohl auf die Vermahlung des Kurfiirften 
mit Sophia von Brandenburg (ohne Jahr) 
geprägt wurde, bereit al8 Revers eine ähns 
lihe Darftellung, wie unfer Ordenszeichen, 
trägt: die beiden gefreugten Rurfdjwerter, be- 
legt mit zwei aus Wolfen ragenden Händen, 
die ein Herz halten; darüber ‚der Kurhut.?) 
Ebenfalls aus Münzen Ehriftians I. erfahren 
wir aud) die Bedeutung der Budhftaben FSV, 
die auf den Ordens oberhalb des Herzens 
angebradjt find. Gie ftellen dag „Sym- 
bolum‘ des Surfürften dar: FIDE SED 
VIDE.®) 

Ueber die Gefchichte des Ordens der Golde- 
nen Gejelljchaft ift mir nicht8 weiter befannt 
geworden.*) Vermutlich ift der Orden bereits 
beim Tode des Kurfürsten Ehriftian I. im Jahre 
1591 wieder erlofchen, oder durch den oben 


erwähnten „Orden gegen die Untugend des 
Sluchens“ erjegt worden. 

Sedoch fenne ich nod) ein drittes Exemplar 
unferes Ordend. C8 wurde in einem Grab- 
gewilbe bei einem Umbau der Kirche zu Rofik 
im Herzogtum Sachfen= Altenburg gefunden. 
Der einftige Inhaber war wohl Thilo von 
Ofterhaufen auf Schelk (Scheldik), furfiirft- 
licher Rittmeifter zu Dresden, der am 24. Februar 
1613 geftorben und in der Kirche zu Rofiz 
begraben worden war. 

Bis 1886 gehörte diefe Kette mit den 
Ordenszeichen der befannten Sammlung Feliz 
in Leipzig and); mo fie heute, nach der BVer- 
fteigerung der Sammlung, aufbewahrt wird, 
weiß ich nicht zu jagen.) 

Eine wohlgelungene farbige Abbildung und 
genaue Befchreibung findet fi in „Kunft und 
Gewerbe“, Wochenfchrift zur Förderung deut= 
{cer Kunftinduftrie, herausgegeben vom Bayer. 
Gemwerbemufeum in Nürnberg, 1878, Nr. 40, 
6. 313.7) 


Ein merkwürdiges Grab eines nenen Gajuwarifthen Keihengrabecfeldes. 
Bon Dr. 5. Weber. 
Mit einer Abbildung. 


Auf dem 1904 gelegentlich eine Neubaus 
entdedten großen Friedhof der frühbairifchen Zeit 
in Seldlirhen a. d. Saalad, B.-W. Laufen, 
der fic) Hart an den jegigen angufchließen fcheint, 
zum großen Teil aber durch Käufer des Doris 
überbaut ift, wurden durd) den Suftos des 
Mufeums in Reichenhall, Herrn Maurer, 
78 Gräber einer forgfaltigen Unterfuchung unter- 





zogen. Während der Inhalt der übrigen von 
dem üblichen der jpätmeromwingifchen Zeit nicht 
abwich und keineswegs von größerer Wohlhaben- 
heit der Beftatteten zeigte, fiel ein Grab durd 
feine befondere Art der Ausftattung auf. 

Die betreffende Stelle des Fundprotofolls des 
Herrn Maurer lautet: 

„Grab IL, 1,80 m tief, 2 m lang. Das 


1) Stiftungsbrief bet Wilhelm Ernft Tenzel, Monatliche Unterredungen, 1697, p. 991 ff. Dag Original 
des Stiftungsbriefeß befindet fi) in der herzoglichen Vibliothek zu Gotha, mit den Unterfhriften und Wappen 


fämtliher Bruderfchaftsgenoffen von 1590. 


*) Abbildung bei Wilhelm Ernft Tengel, Saxonia numismatica, ober Mebaillen-Gabinet von Ge- 
dädhtnig- Münzen und SchausPfennigen, melde die Durhlauditigften Chur= und Fürften zu Sahfen Wlbertinifder 
Hauptlinie prägen und verfertigen laffen, Frankfurt a. M. u. Leipzig 1705, Tab. 17, Nr. VIII (nit VII). 


Dazu ©. 252. 


Auch abgebildet bei Menadier, Schaumüngen des Haufes Hohenzollern, Berlin No. 80. — Karl Domanig, 
Die deutfhe Medaille in kunft- und fulturgefdidtlider Oinfidt, Wien 1907, Tafel 74, Mr. 663. 

5) Ebenda. ©. 242. — Vgl. aud) I. Dielik, Die Wahl- und Dentiprüdje, Frankfurt a. M. 1887, ©. 105, 
wo der Sprud) jedod irrtümlich für Kurfürft Chriftian II. von Sadfen in Unfprud genommen wird. 

4) Weitere Auffchlüffe tinnten wohl die fadfifden Archive geben. 

5) Wuttionstatalog ber Sammlung Eugen Feliz in Leipzig, 1886, Nr. 446 mit Mbbildung. 

6) Das Stüd fam wahrjcheinlich nad) Amerifa. Beichrieben aud) bei U. v. Eye und BP. E. Börner, Die 
Kunftfammlung von Eugen Felix in Leipzig, Leipzig 1880, ©. 4, Nr. 1614. 

1) Irrtümlich find hier die Initialen de Symbolums F SV als „Namen ESV” gelefen. 


18* 


100 


Skelett nur teilweife erhalten. Beigaben: in 
der Halsgegend 2 feine Goldbänder mit Münz- 
abdrüden, 2 runde Goldplättchen ebenjo verziert 
und mit feinen Löchern durdhbohrt. Neben der 
redjten Schulter eine anfdeinend neue Ton— 
lampe mit dem Stempel Coessi. Längs des 
Körpers einzelne untenntliche Eifenteile mit Holz- 
fpuren und Gemebeabdrüden. Bwilchen den Fub- 
enden 2 Gijenpfeiljpigen mit Widerhaten, ans 
einander geroftet, die anfdeisend in einem Holz- 
behälter ftedten. Neben den Pfeilen Tierrippen. 
1 m über der Leiche ein teilmeijes Pferdeftelett.” 
Da in gleicher Höhe auch bei einigen anderen 
Gräbern folche Heberrefte von Pferden fich fanden, 
fcheinen in jpäterer Beit hier Pferdefadaver ein- 
gegraben worden gu fein 
und ift ein Zufammen- 
hang mit den Gräbern 
nicht wahrſcheinlich. 

Reider fonnten die an- 
ftoßenden Gräber IV 
und V nicht mehr unter- 
fucht werden, da fie von 
den Arbeitern fchon über: 
baut waren; das eben= 
falls zunädjft Tiegende 
Grab VII Hatte feinen 
bemerfen8werten Sn 
halt. 

Das Ynventar des 
Grabes III könnte den 
Eindrud maden, als fei 
bier der Inhalt eines 

früheren römifchen 
Brandgrabes mit dem 
des fpdteren eftat- 
tung8grabe8 vermifdt. 
Allein nad) der Beob- 
adtung Herrn Dtaurers 
lag aller Inhalt in 
gleiher Schidte und 
famen feinerlei fonftige 
Refte der Austattung 








Dr. 5. Weber 


beiden vereinzelt gefundenen nicht zum Streug 
gehörigen Goldplättchen zeigen. Das Münzbild 
ift die Nüdfeite römischer Münzen, wie fie unter 
Eonftantin dem Großen und feinen Söhnen 
Eonftans und Gonftantiuß II., alfo etwa von 
306 bi8 360 n. Chr. zahlreich geprägt wurben. 
68 ftellt zwei Legiondre dar, awifden denen in 
der Mitte das BVerillum fteht; die Umfchrift 
lautet: Gloria exercitus. Golbdfreuge aus diinnem 
Goldbled) in verfchiebener Form hat man fowohl 
in frantifden wie alamannifden einigemale, in8- 
befondere aber in langobardifchen Gräbern der 
fpäteren Meromingerzeit öfters, mern auch nicht 
gerade in diefer Form und Vergierungsweife, ge- 
funden. Aus bajumarifchen Gräbern ift e8, fo= 
weit befannt, dag erfte, 
in feiner eigenartigen 
Verzierung ohne jedes 
Ornament bisher über- 
haupt daß einzige. Nach 
Hrn. Dr. PB. Reinedes 
Unterjudjungen fam die 
Sitte, derartige Kreuze, 
die Schon ihrem Material 
nad gum Gebraud im 
Leben zu wenig wider= 
Itandsfähig gemefen 
wären, auf dem Toten- 
gewand anzubringen, 
im Südoften, in Wegyp- 
ten und Syrien auf, ver- 
breitete fi) zunädhftnach 
Mittel und Oberitalien 
fowie nad Südtirol und 
fam von da in alaman- 
nifde und bajumwarifde 
Gebiete. Sie gehören 
hier der fpdteren meroz 
wingifden Zeit an, etwa 
750 n.Chr. und ftam- 
men wahrjcheinlich aus 
Ojfiginen in Oberitas 
lien, wo ſich ſpätrömiſche 





römiſcher Brandgräber, 

die Herrn Maurer ſicher nicht entgangen wären, 
weder hier noch auf dem ganzen unterſuchten 
Gebiet zum Vorſchein. Es iſt daher kein Zweifel, 
daß wir es mit einem ungeſtörten, von Anfang 
an in der aufgefundenen Weiſe ausgeſtatteten 
Grab zu tun haben. 

Von Intereſſe ſind hierbei nur die Gold— 
bänder und die Lampe, da die Pfeilſpitzen, die 
Eiſenreſte und Tierknochen im Grabe ſich in den 
allgemein üblichen Rahmen der Beigaben in 
dieſer Zeit eingliedern. 

Die 2 Goldbänder von dunnem Bronze— 
blech bildeten, wie fid) aus 3 feinen aufeinander- 
pafjenden Löchern der beiden Bänder ergibt, ein 
Kreuz, wie die Abbildung zeigt, und waren voll- 
ftändig mit aneinandergereihten Abdrüden eines 
und desfelben Müngzbildes beprägt, da8 auch die 


Kunſtgewerbetechnik 
forterhalten hatte. Die Zeit der Münzen hat 
natürlich mit der Entitehungszeit unferes Kreuzes 
nichts zu tun. 

Hat aljo aud) da8 Vorkommen eines folden 
Kreuzes in einem Grabe des Feldtirdener Graber- 
feldes nichts zeitlich widerfprechendes an fi, fo 
um fo mehr die gleichzeitige Beigabe einer an 
fcheinend neuen, unbenitgten römifchen Tonlampe. 
Diefe Lampen, meift mit dem Stempel Fortis, ge- 
hören der Beit der römifchen Brandgräber der 
mittlern Periode, etwa von 150—250 n. Ehr. an 
und wurden ebenfall8 nur zum Lotenkult here 
geftellt, weshalb fie aus den Gräbern in fo gut 
erhaltenem, faft neuen Zuftand zum Vorfchein 
fommen. Das Auftreten einer folden Lampe in 
einem Grabe des ausgehenden 7. oder der 1. Hälfte 
des 8. Ihrdts. n. Chr. ift in hohem Grade 


Gin merfwitrdiges Grab eines neuen bajuwarijden Reihengräberfeldes 101 


meriwitrdig. E8 bleiben nur hypothetijde WAn- 
nahmen zur Erklärung übrig, fei e8, daß die 
Lampe durd) Zufall in die Hände de Ver— 
ftorbenen oder feiner Angehörigen gelangte, fei 
e8, dah fie in der Familie als Kuriofum aufs 
bewahrt und irgend ein Aberglaube damit ver- 
bunden war. Daß in Feldkirchen römische Brand- 
gräber vorhanden miaren ober nod) find, liegt 
fehr nahe, da der Ort an einer römifchen Straße 
nad Reichenhall lag, in der Kirche früher ein 
römifcher Grabftein mar’), der nad Salzburg 
verjchleppt wurde, und der Ort in römifcher Zeit 
ſehr wohl fdjon befiedelt fein fonnte. 

Eine weitere intereffante Frage ftellt das 
Grab Hinfichtlich des chriftliden Belenntinifjes des 
Beftatteten. Dak die Sitte der Anbringung von 
Kreuzen am Totenkleid in einem driftianifierten 
Volke auffam und im wefentliden eine chriftliche 
war, unterliegt wohl feinem Bweifel und man 
wird auf den erften Blid Hin geneigt fein, 
aud) unferen Toten für einen driftianifierten 
Bajuwaren oder wenigften8 einen aus einer längft 
riftliden Familie ftammenden Nomanen zu 
halten, wie foldje bet der Nahe Salgburgs jehr 
maglid) aud) bier febhaft waren. Allein bei ge- 
nauerer Betradtung ftehen diefen Annahmen 
doch gewidtige Bedenken entgegen. Das Grab 
liegt mitten unter den anderen, die färntlich feine 
Spur eines driftliden Symbols enthalten, fon= 
dern durchweg in der althergebradten Art aus- 
geitattet find, die Leichen der Männer mit Wehr 
und Waffen, die der Frauen mit Schmud und 
Attributen der Hausfrau. Cinen vereingelten drift. 
lihen Bajuwaren mitten unter feinen nichtchrift- 
lichen Vollsgenofjen anzunehmen, geftatten jchon 
die allgemeinen Beitverhältniffe nicht. Waren aber 
nod hriftlihe Romanen hier feßhaft, fo Hatten 
diefe fider ihren eigenen Begräbnisplag und 
wurden nicht mitten unter die fremden, ander8- 
gläubigen Herren des Landes begraben, felbft 


wenn dieje tolerant genug waren, dies zu geftatten. 
€8 müßten fonft doch noch mehr Anzeichen einer 
riftlichen Bevölferung in dem Gräberfeld zum 
Borfdhein gefommen fein. 

Das vereinzelte Auftreten eines urjprünglich 
für Ehriften beftimmten und in driftliden Offi 
zinen hergeftellten Schmudftüdes mitten unter 
vorriftlihen frühgermanifchen Gräbern ift aud 
nicht ohne Vorgang. Um nur ein in neuerer 
Beit vorgefommenes Beifpiel zu ‚erwähnen, fet 
an ein mitten in einem vordriftlichen alamanni- 
fen Friedhof in Ebenhofen, B.A. Ober⸗ 
dorf, erinnert, wmojelbft in einem Grabe ein 
Gürtelbefchläge mit chriftlicher Infchrift gefunden 
murde.?) Grabfreuze famen vereinzelt in füd- 
bairifden Reihengrabern der vordhriftliden Zeit 
bi Shwabmünden, Langeneringen 
und Ebermergen vor.?) In dem befannten 
Grabfund von Wittislingen befindet fid 
ebenfall® ein Golbdfreug, doch fann diefes Grab 
fon der chriftlihen Beit angehdren.‘) Man 
muß alfo annehmen, daß foldje aus drift- 
lichen Gebieten im Süden ftammende Schmud- 
ftüde in ben Befig von heidnifhen Wamannen 
und Bajumwaren fi verliefen, fet e8 als 
Gefdenfe, Beuteftüde oder Tali8mane. Das 
Feldfirchener Grab wird wohl, wie aus den bei- 
gegebenen Pfeilfpigen gu fdliefen, das eines 
Mannes gewefen fein. Die fon gu fehr ver- 
morfdten Gebeine lieben eine Feftftellung nad 
diefer Richtung nicht mehr zu. Sämtliche Funde 
aus diefem Neihengräberfeld befinden fi im 
m des Hiftorifchen Vereins von Reid en- 
ball. 

Wenn auch diefem Grab feine weitergehende 
Bedeutung in ethnologifcher oder Fulturgefchicht- 
licher Hinficht gufommt, fo ift e8 doch immerhin 
unter der Menge einförmiger Gräber des 7. und 
früheren 8. Jahrhunderts infolge feines gemijchten 
Inhalts eine intereffantere Erſcheinung. 


1) ©. Bair. Annalen 1833, OA. III. 252, Bonner Jabrbudh LXXXVIII. Yrrtimlid ift der Fundort 
angegeben in Hefner, röm. Baiern und in C. I. L. III 5590, mofelbjt Zeldfirchen bei Troftberg im B.-Y. 


Traunftein angeführt ift. 


3) Näheres f. Beitr. 3. Anthrop. u. Urgefh. Baierns XV. 114. Das Funditäd befindet fid) in ber 


vorgeſch. Staatsſammlung. 


2) Lindenſchmit, Altert. IV. 10, Fig. 1 und 2. XII. 38. d. 5. ©. v. Schw. u. N. T. II. Auf dem 
Langeneringer Kreuz iſt ebenfalls ein Münzabdruck. Sämtliche drei Kreuze befinden ſich im Maxim. Muſeum 


in Augsburg. 
*) Sat. IV. d. Nat. Muf. 3. Nr. 1892. 








Ueber römifhe Ausnüung dev allgemeinen kulturellen Ueberlegenheit. 


Bon Johannes Binde. 


Der Name der Station Augufta Vindel. inz 
volviert eine auffällige Ehrung des Plates von 
Seite der Römer, welche ja auch manchen an= 
dern Orten zu Teil geworden ift (mobei ähn- 
licher Anlaß beftanden haben fann), und welche 
Ehrung Fremder fich nicht erflärt, außer e8 
wäre ein Vorteil rimifcherfeits hierbei zu ver- 
zeichnen möglich. Daß es fich bei „Augsburg“ 
um eine römifcherfeit3 erbaute Stadt gehandelt 
hätte, welche aus diefem Grund „erhabene“ 
Stadt der Vindelizier betitelt worden wäre, er= 
fcheint unmahrfcheinlich, da hierbei die leßteren 
zu gut abgefdnitten haben würden. Das „Aus 
gufta“ betreffende muß ja etwas römijches ge= 
wefen fein, fonjt wäre e3 nicht verewigt wor= 
den. G8 erjcheint nun möglich, daß jener vin= 
delizifche Pla feine Taufe dadurch erhielt, daß 
am felben der römifche Benefigiarius (Standar- 
tenträger) eine dem Auguftus zu Ehren be- 
nannte Figur als Stationsmittelpunft zur Yuf- 
Stellung bradte. 

Da e8 fich um eine weibliche Figur gehan- 
delt hätte, fo ift die Hypothefe nicht jo ſehr 
gewagt: E3 fei eine aus fünftlerifchem Inter— 
effe von einem der Heerführer wie 3. B. Tie 
berius mitgeführte Brongefigur der Art benügt, 
wer weiß aus wa3 für diplomatifchen, der Eifer- 
fucht des Kaifers etwa Rechnung tragenden, nach 
Byzantinismus zwar wohl ausjehenden, aber 
germanifchenm Empfinden mohl unverftänd- 
lichem Grunde, und Augufta benannt worden, 
um einen Abglanz auf den Kaifer zu werfen. 
Dabei ließe aber der Umstand, daß dieje Figur 
jo bedeutungsvoll wurde, darauf fchließen, daß 
fie dem germanifchen Bolf fympathifch gewejen 
fei und ifm imponiert habe, was erflärlich wäre, 


wenn dabei eine für fie fünftlerifche hervorra= 
gende Erjcheinung vorgelegen hätte, welche 3. B. 
ein Sdealbild der Menfchlichkeit bot, wie foldes 
unvergleichlich durch die Athene lemnia des 
Phidias damals hergejtellt worden ift. Plöß- 
li) den dem Schönen fehr zugänglichen, eine 
hohe Kulturftufe in funftgemerblichen Dingen 
jedenfalls erreicht habenden Barbaren geoffen- 
bart, müßte der Eindrud derartig gemefen fein, 
daß jich die Römer in der Lage von Siegern be= 
funden hätten, ohne eine Schlacht zu fchlagen, 
und die Methode diefe Seite ihrer Weberlegen- 
heit auszunügen, könnte verfchiedentlich anges 
wendet worden fein in Fällen, wo ein friege- 
rijdher Austrag inopportun gewefen wire, 
namentlich einem VBolfsftamm gegenüber, mel- 
cher fich nicht völlig feindlich gezeigt hätte. 
GZ fei erlaubt, darauf binzumeifen, daß 
Eiferfucht bei den vindelizifchen Stämmen be= 
Itanden haben fann fchon in Anfehung der Ein- 
nahme von Yöllen, welche fie wohl zu erheben 
an folden Stellen in der Lage waren, wo 
durch ihre Hilfe Flußläufe zu paffieren waren. 
Haben nun die Lilater ihre völlige Befiegung 
büßen müfjen dadurch, daß die pontes Tesse- 
nios ganz in Römerhände gelangten und fie 
zudem Hand» und Spanndienite zu deren Unter= 
haltung zu leilten gehabt haben, fo fann an 
einer andern, vielleicht früher jchon fonfurrie- 
renden Webergangsitelle, wie 3. B. in Lands- 
berg fich eine günftigere Situation für die vin- 
delizifchen Brüder der Lifater ergeben haben, 
in Augsburg aber, wohin die Römer zwifchen 
Wertach und Lech nad) Norden vorgehend, zus 
legt erjt Hingelangt fein werden, war mig: 
lichermeife feine divefte Feindfeligfeit mehr an- 


Ueber römifche Yusnügung der allgemeinen tulturellen Ueberlegenheit 103 


zutreffen, und e8 wäre dann unter Umftänden 
möglich gemwefen, daß, wie oben bemerft, ein 
Beneficiarius nad) Art der Tambourmajors 
unferer Mufilchors, für das Auge einen An 
giehungspuntt liefernd, mit Gegenftänden aus- 
geftattet gemefen mire, weldje da8 Yntereffe 
der Germanen in hervorragendem Maß erregt 
haben fonnte. So wie vor nicht Langer Zeit 
in unfern Tagen die lernbegierigen Japaner 
europäifcher Zivilifation gegenüber fich ver- 
hielten, fo möchten aud) Jene beim eventuellen 
Unblid zumal einer, fogar ung Moderne noch 
mit Befreiung der Seele erfreuenden Gegen- 
Itandes: Entzüden, Begeifterung, bedingungs- 
lofe Hingebung empfunden baben. Denkbar 
ware e8, daß diefelben, um ja den Genuß der 





herrlichen Figur nicht zu entbehren, eingeladen 
haben finnten, felbe in Mitte ihrer Feftung 
aufzuftellen, fich die Bedingung gefallen Lafjend, 
daß die Römer, teilmeife wenigftens, ihren 
Wohnort mitbefegten. Dann hätten dieje Ur- 
fache gehabt, die betreffende Stadt nad) ihrem 
Stationmittelpunft Augufta Vindeliforum 
zu benennen. 

Der Benefiziarius hatte an der Standarte 
Ketten und Pfähle zur Herftellung einer Cin- 
friedigung. Derfelbe war Vermalter der Kult- 
bilder und fo ergab ich ganz von felbjt die 
Möglichkeit, jene Augufta als den Mittelpunkt 
des Gejfamtlager8 und — als Ausgangspunft 
für alle Entfernungsangaben des Jtinerars 
Antonini 3. B. zu plagieren. 





Dorträge von Oktober 1907 bis Juni |908: 


1907 
14. Oftober: 


2. November: 


2. Dezember: 


1908 
2. Januar: 


1. Sebruar: 


2. März: 


I. April: 
J. Mai: 


J. Juni: 


Herr 3. Linde, H. Bauamtmann a. D.: 
,RoOmerftragen im fiidlichen Bayern”. 

Herr A. Dierling, K. Oberftlandesgerichtsrat a. D.: 
„Oberſt Auguſtin Fritſch, ein Lebensbild aus dem 30jährigen Kriege, 
auf Grundlage ſeiner von Oſtenrieder herausgegebenen Tagebücher”. 


Herr K. Ritter von Mlenz, K. Generalmajor 3. D.: 
„Die Schlacht von Hohenlinden, 3. Dezember 1800%. 


Berr K. Pfund, K. Reg.:Rat a. D.: 
„Bejchichtliche Erinnerungen aus dem Dolfsleben im Jfarwinkel um 
das Jahr 1670 * 
Herr Dr. U. Dreyer, Bibliothekar: 
„Das Münchener Zeitungswefen in den erften Dezennien des 19. Jahr: 
hunderts”. 
Generalverjammlung. Herr 3. Schober, H. Profeffor, Urchivar der 
Stadt Landsberg: 
„Johann Damaszenus Kleinmayen, der legte Wht von Weffobrunn’. 


Herr Dr. §. Weber, K. Oberamtsrichter a. D.: 
„Über neue Ergebnifje der Inventarifierung der vorgefchichtlichen 
Altertümer in Oberbayern“. 


Herr A. Köftler, Generalmajor a. D.: 
„Ailitärifche Derhältniffe am Ende des 17. Jahrhunderts“. 
Herr Dr. A. Bitterauf, Privatdozent, — 
gibt fein Thema fpäter befannt. 
Herr Dr. Aug. Hellmann, Privatdozent: 
„Beichichtsauffaffung des Mittelalters.” 














Schriftleitung und preßoeſehliche Verantwortung: Dr. Heldm ein Münden (Liebigitraße 1/2). 


Kgl. Hofbuchdruderei Kafiner & Callwey, 


Abb. 1. 





Altar des KHanonilus Kaspar Marolt, geft. 1513, im Domfreuzgang zu Freijing. 


Stephan Koffaler, ein Sildhanes dec Frührenaifance in Altbayern. 


Von Philipp Maria Salm. 


tönt wurde. Die Verfchiedenheit des Materials 
einerfeitS wie jtiliftifche Gegenfäße andererfeits 
legen die Frage nahe, ob Mittelfchrein und 
Slügel überhaupt zu einem Ganzen gehören 


Der Marolt-Altar im Domfreuzgang 
zu Freifing. 


Sm Ojtfliigel des Domfreugganges yu Frei- 
fing findet jich, einem Epitaph nicht unähnlich, 
in die Wand eingemauert der obere Aufbau 
eines fteinernen Wltars; die Menja fehlt. 
(Abb. 1.) Eine Infchrift an der Predella jagt: 
Anno dni 1513 dns Gaspar Marolt Canoic ® 
frising Institvit In hoc Altarj ij Misas 
Ebdomodales Celebrarj q’ Requiescat j pace. 
Die Infchrift wird nach dem Worte „Gaspar“ 
dur) ein Fleines Relief eines reitenden Senfen= 
manne8, das als Zeilenfüllung dient, unter- 
brochen. (Abb. 2.) 

Der Aufbau des Marolt-Altares oder Marolt: 
Epitaphes'), wie wir das Werk in der Folge Abb. 2 
kurzweg nennen wollen, ſchließt ſich der Form Vom Altar des Kanonikus Kasſspar Marolt im Domkreuzgang 
der mittelalterlichen Altäre an, inſoferne das RR 





EN 





m — ⸗ 


größere Mittelfeld einen Schrein mit drei 
Heiligenfiguren, die Seitenteile die Altar— 
flügel nachahmen. Jener iſt aus rotem Mar— 
mor, dieſe ſind aus weichem Sandſtein ge— 


und von dem gleichen Meiſſel herrühren. Für 
unſere Unterſuchung über den Meiſter des 
Werkes iſt die Beantwortung dieſer Frage 
von tiefgreifender Bedeutung; eine ſorgfältige 
Prüfung der einzelnen Teile muß deshalb für 


arbeitet, der in der Farbe des Marmors ge— 





ı) Den Marolt-Altar erwähnen zum erjten Mal Sighart, Die mittelalterliche Kunſt der Erzdiözeſe 
Minden-Freifing 1855 ©. 186 und Herm. U. Müller, Die Mufeen und Kunftwerfe Deutfchlands II. (1858) ©. 291. 
Zufammen mit dem im folgenden behandelten Grabjtein des Peter von Wltenhaus in St. Jodof zu Landshut 
führt den Altar dann Gighart, Gefdidte der bildenden Künfte in Bayern (1862) ©. 501 und 506 als Werk 
eines Meifters R.S. (!) auf. Log, Kunfttopographie Deutfhlands 11. (1863) ©. 126 befchreibt ihn kurz. Viible 
ftreift den Altar in feiner Gefhichte der deutjchen Renaiffance 1. Auflage (1872) ©. 521 und 2. Wuflage II. (1882) 
S. 7. Es folgen die Kunjtdentmale Bayerns (in der Folge zitiert K. D. B.) I, 366 und Taf. 43. Cine ein: 
gehende Würdigung ward dem Altar durd F. Ehrlid in bem Sammelblatt des hiftorifchen Vereins Freifing V 
(1895) ©. 44, burd) 3. Schleht ebenda VII (1906) S.68 und jhließlid) dur Rihard Hoffmann, Der Altar 
bau in der Erzdiögefe München-Freifing 1905 ©. 32 u. 35. Weltere Abbildungen des Altars in ben cod. germ. 
der Münchener Hof- und Staatsbibliothet (in der Folge zitiert cgm.) 1717 S. 520 und 1718 ©. 258. Erfterer gibt 
nur ben Schrein mit einer nicht dazugehörigen Infchrift, Iegterer ben ganzen Altar mit Predella und Flügeln. 

Den Marolt-Altar und die mit ihm zufammenhängenden Bildiwerfe habe ich bereits im Jahre 1903 
einem Sortrage im Hiftorifchen Vereine zu Grunde gelegt. Vgl. Altbayerifhe MtonatSfdrift Jahrgang IV 
(1%03—04) ©. 98. 

AM. 5u6. 14 


106 | Philipp Maria Salm 


eine einwandfreie Löfung unerläßliche Be- 
dingung fein. 

Betradten wir zunächſt den Schrein! 
Unter einem dreiteiligen, noch durchaus gotifch 
gedachten Baldachin ftehen in hohem Relief 
Maria mit dem Rinde, über der zmei Kleine 
Engel eine Krone halten, und feitlic) der 
Madonna St. Sebaftian und St. Barbara.') 
Bu Füßen des erfteren fniet der Stifter. Eine 
Heine Tafel neben ihm mit den Buchftaben 
D. G. M., die bisher fälfchlich als Künftler- 
monogramm angefprochen murden,?) aber in 
„Dominus Gaspar Marolt“ ihre ebenjo ein- 
fache mie fichere Löfung finden, fagt e3 deut- 
lid). Die drei Heiligenfiguren, jchliht und 
einfach in Haltung und Gruppierung bewahren 
nod) im wefentlicjen die Art der Gotif. Ihre 
Köpfe ermüden durch allzu fchematifche Bil- 
dung, der lebendige, fcharfgegeichnete Kopf des 
Stifter8 dagegen gibt fich deutlich als Porträt. 
Die forgfältige abmechjelungsreiche Technif 
weift auf einen mit allen Werkzeugen und 
Methoden wohl vertrauten Meifter. 

Die Flügel Stellen in ihren ungleich großen 
Feldern Heilige in Einzelfiguren und zwei 
figurenreihe Szenen dar. Auf dem linken 
Flügel oben fteht in einer Nifche St. Petrus 
in einem Rauchmantel mit dem Schlüffel in 
der Rechten. Die Infchrift zu dem Figürchen 
lautet: CELI PORTAS APERIT. Gin 
fchmaler Fries — Putten mit einem Rauch- 
faß — trennt das obere Feld von dem 
unteren. Diefes zeigt ung St. Korbinian, den 
Patron des Bistums Freiling, von feinem be- 
padten Bären begleitet. Am unteren Rande 
des Feldes lejen wir: S. GVRBIANVS 
PATERANVS. Ein außerordentlich fubtil 
gearbeitete3 Relief mit einer Anbetung der 
Stönige bildet den Fuß des Flügels. 

Auf dem rechten Flügel fehen wir oben 
St. Paulus fic) auf da8 Schwert ftüßen; dazu 


die Infchrift: DOCTRIS INSTRVE. €3 folgt 
dann ein fchmales Feld mit zwei Engeln, die das 
Schweibtud) Chrifti Halten; dazu die In— 
fchrift: SALVE SANCTA FACIS(!) NRI 
SALVATORIS. In. der Nifche darunter faft 
ganz vom Rüden gefehen, fteht St. Sigmund. 
Die Beifchrift lautet: S. SIGMVND E.K. (Ein 
König?). Der Anbetung der Könige auf dem 
linfen Flügel entfpricht hier ein Martyrium St. 
Sebaftians. AlE Stüße feitlid) der Predella 
dient dem linfen Flügel ein leider fehr jtarf be- 
fchädigtes Figürchen des hl. Chriftophorus, dem 
rechten Flügel ein folches des HI. Georg.?) Die 
Flügel- fowie die Stüßfiguren an der Predella 
überrafchen vor allem durch die freie fühne Auf- 
faffung. Kaum 35 cm hod, wirfen fie in 
ihrer einfachen natürlichen Haltung und jchlich- 
ten gemefjenen Bewegung geradezu monumen= 
tal. Man könnte fie auf Zebensgröße bringen, 
fie hielten ftand.*) E3 find nicht bloß Figuren, 
die da vor ung ftehen, fondern Berjönlichkeiten, 
nicht ein hl. Petrus und ein HI. Paulus, fon= 
dern der Hl. Petrus und der Hl. Paulus, die 
glaubenzftarfen Apoftelfürften, der mildwürdige 
Bayernapoftel Corbinian und der fürftliche 
Sigismund. 

Uber auch die Art, wie die Figürchen in 
ihre Nifchen Hineingeftellt, und wie diefe auf- 
gebaut find, ift neu. Das find nicht mehr die 
engen Nahmen drüdender Riel= oder Rlee= 
blattbogen der fpätgotifchen Grabfteine, fondern 
wirkliche Raumfchöpfungen, tiefe Nifchen, und 
gwar — mit Ausnahme einer — reine Re- 
naiffancegebilde. Hier tragen Eäulen mit ges 
drehtem Schaft auf einem Gebalf einen Muſchel⸗ 
giebel, dort ftiiken Pilafter einen Bogen, den 
Putten mit Gewinden zieren; St. Korbinian 
tritt uns mie aus hochgemölbter Kirche ent- 
gegen; nur St. Paulus fteht unter einer alter- 
tümlichen Laube von gefünfteltem Witgeflecht. 
Welcher Reichtum, welcher Wechfel von neuen 


1) Das Vorbild für eine derartige Anordnung war wohl in erfter Linie dag Schema eines gotifden 
Schreinaltares; e8 erfcheint jedoch ebenfo wabhr{deinlid, dak fich der Meifter an bag Titelblatt eines Miffale hielt, 


welches gemwöhnlid) Maria mit zwei Heiligen darftellte. 


Der junge Burglmair oder der fog. Petrarfameifter 


bat für ein von Erhardt Natdolt 1502 gedrudtes ,,Missale Frisingense“ einen foldjen Oolafdniit geliefert. 
Dörnhöfer: Ueber Burgfmair und Dürer. Beiträge zur Kunftgefhichte Franz Widhoff, gewidmet. Wien 1903 ©. 117. 


1) K. D. B. I, 366 Taf. 43. 


s) Nicht des hl. Michael, wie Ehrlich und Log (f. 0.) angeben. 

4) Nicht uninterefjant ift ein Vergleich diefer Figürhen mit den großen Statuen der Hl. Georg und 
Chrijtophorus in der Frauentirdhe zu Münden, die in ihrer ganzen Yuffaffung und Haltung wie Vergrößerungen 
jener wirfen. Sannte vielleiht der Münchener Meifter bie Freifinger Figirden, oder liegt beiden Arbeiten 


etwa ein gemeinfchaftliche® Vorbild zu Grunde? 


Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 107 


Motiven! Wo fennt die Kunft Altbayerns 
jener Zeit etwas Gleiches?! 

Ein Vergleich der Flügel mit dem Schrein 
wedt auf den erjten Blid die Vermutung, daß 
die einzelnen Teile überhaupt nicht zufammen- 
gehören, gefchmweige denn aus einer Hand her= 
vorgegangen find. Um mie viel größer und 
freier wirken die Figücchen der Flügel gegen- 
über den befangenen Geftalten des engen 
Screins; mie altertümlich mutet hier das 
gotifche Baldachingeranf im Gegenfag zu den 
neuen Arcchitelturformen der Rifchen an! Troß 
der Verfchiedenartigfeit des Material gehören 
jedoh unzweifelhaft Flügel und Schrein zu 
einem Ganzen; das bemeift {don da8 am untern 
Rande der einzelnen Teile durchgehende Profil- 
gefim8 von Platte, Kehle und Stab.!) Aber 
aud) der ftilkritifche Bergleid) gibt gemein- 
fame Bunfte. Go ruhen die Bogen des 
Sdreins auf Pfeilern, die durchaus jenen der 
Sigismundnifche des Iinfen Flügels gleichen; 
und auch die wechjelnde Funktion der Beine, 
die an den Apoftelfigürchen fcharf zu tage tritt, 
läßt fich an der Figur der Maria oder Barbara 
immerhin nod) nadempfinden. Bm übrigen 
jedod) an den Geftalten des Schreins diefes 
Zuviel an fnitterigen Falten und Fältchen, 
an den Flügelfiguren aber eine weife Be- 
Ihränfung auf große Linien, feine Verzettelung 
in Spielereien. 

Dod) auch für diefe Unterfchiede baut fich 
uns eine Brüde. Warum wählte der Künftler 
Marmor für den Schrein, Sandftein für die 
Flügel? Sollte er nicht lediglich aus rein 
praftifchen Erwägungen von dem Marmor 
alg dem fpröden hart zu zwingenden Stoffe 
und der zeitraubenden Technik fich abgefehrt 
haben, um diefe Kleinen Gebilde mit leichterer 
Mühe in den weichen Sandftein — man dulde 
den Ausdrud — mehr fchneiden denn meißeln 
zu können. Gewiß hat die fpätmittelalterliche 
Plaftit Altbayern® derartige Sleinbildnerei 
aud) in Marmor getrieben. Erasmus Graffer 
arbeitet ähnlich die Löftliche Umrahmung feines 
Wrefinger Steines in der Petersfirche in 
Münden, Wolfgang Leb fchmüct mit Heiligen- 





figürchen die Urchiteftur der Platte des Hoch- 
grabes in Ebersberg, und Bischof Tulpels Ornat 
auf feinem Grabjftein inder Münchener Frauen 
firhe prunft mit gierlid) in den Stein ge- 
meißelten Stidereien. Aber das alles ift nur 
deforatives Beimerk und dementfprechend nur 
mit flüchtigen Hieben angedeutet. Hier dagegen 
find die Figürchen um ihrer felbjt willen da; 
fie werden fogar eines deforativen Rahmens 
erjt noch gewürdigt, damit gehoben und hervor 
gehoben. Wie hätte der Meifter all diefe Fein- 
heiten und Hierlichfeit in dem miderfpenftigen 
Marmor zwingen Fönnen ohne erheblichen Zeit- 
aufwand und ohne die ftändige Gefahr, Stüde 
lo8zufprengen. Lag e8 alfo nicht nahe, den ge- 
fügigeren weichen Sandftein für die fubtile 
Aufgabe der Flügel vorzuziehen?! Aus dem 
verjchiedenen Material den Schluß ziehen zu 
wollen, daß die Teile nicht zufammengehören, 
ericheint aber nod) deshalb untunlich, weil 
dod) das Ganze als Altar gedacht und be- 
zeichnet ift. Einen fteinernen Altar follte der 
Meister fertigen ähnlich jenen mittelalterlichen, 
auf deren Flügeln die Figuren auch immer 
kleiner find al® im Gehäufe. Bweifellos hatte 
Marolt felber ein genaues Programm, ein 
Szenarium für alle darzuftellenden Berfonen 
und Epifoden aufgeftellt. 

— Erklärt fich nun die Wahl de3 Sandfteins 
für die Flügel aus der beabfichtigten Klein— 
und Feinheit der Figuren und der Bierlichkeit 
des ardhitektonifchen Beimerf3, fo bleibt immer 
nod) die Frage offen, ob der Meifter gu diefem 
Wechjel des Stils in den Flügeln, der ihm 
einen Wechſel des Material® nahelegte, aus 
einem inneren Bedürfnis oder durch äußere VBer- 
anlaffung fam. Wenn wir an der Schöpfung 
des Altars durch eine Hand fefthalten, fo mifjen 
wir unbedingt das lettere annehmen, denn die 
verjchiedene Auffaffung und Empfindung in den 
Figuren febt dies geradezu ald Bedingung vor- 
aus. Der Meifter mußte neue Eindrüde in fi 
aufgenommen und fich ihnen willig gefügt haben. 
Für die Flügel in ihrer Gefamtanlage läßt fich 
nun gwar ein Vorbild nicht nachweifen,?) doch 
fönnen wir für ihre Einzelheiten ein Whhangig- 


1) Der Marolt-Altar jtand ehemals in ber benadbarten, bem Domtreuggange angebauten St. Sebaftians- 
fapelle. Bet der TranSferierung an den jegigen Standort wurden die einzelnen Teile ungenau gufammengefiigt. 

2) Man wird nur im allgemeinen, ähnlich etwa mie bei dem Altar der fehönen Maria von Albrecht 
Altdorfer (B. 50) an venezianifhe Grabdenfmäler erinnert. 


14* 


108 


feit3-Verhältnis belegen. Rein fchmächlicher 
Nachgeborner konnte dafür in Frage fommen, 
fondern ein vorwärt3 Schauender, ein Starfer, 
ein Großer. Und der Größte, der jener Zeit 
und der deutfchen Kunft je gegeben ward, ftand 
denn auch bei diefem Werke Pate: Albrecht 
Dürer. 

Fürs Erfte entlehnte unfer Steinmeß die 
Geftalten der beiden Apoftelfürften deg Meisters 





Philipp Maria Halm 


lide und Statthafte herauszulöfen. An die 
Stelle des vielfnitterigen Faltenwurfs treten 
vereinfachte Iangzügige Würfe, die noch mehr 
als das Vorbild das Bemegungsmotiv der Körper 
durchfühlen laffen. Bor allem gewinnt dabei die 
Geftalt des Petrus an [chlichter Größe und ge- 
mefjener Erhabenheit. Auch in der Haltung 
der Köpfe fcheint fich ein eigener Wille, eine 
neue Abficht auszufprechen. Dort bei Dürer 





Holzichnitt „Das Schweißtuch Ehrifti“ von 1510 
(B. 38) aus der Heinen Paffion. (bb. 3.) 
Die allgemeine Auffafjung der beiden Figuren 
und die Tätigfeit der Hände bezeugen unzmei- 
deutig die Abhängigkeit der Figirchen von Dü- 
rer8 Holzfchnitt. Aber nicht bedingungslos gab 
fich der Bildhauer in den Bann des Vurbilds, 
fondern er verftand e3 mit Gefchid, indem er 
dem Material des Steines Rechnung trug, aus 
dem Zuviel des Holzfchnittes das Brauchbare 
und Wefentlichfte, fiir den Mteifel das Taug- 


Abb. 3. 
Das Schweißtuch. Holzfchnitt von Albrecht Dürer. (B. 38.) 


Nuhe und Refignation als Stimmungs-Not- 
wenbdigfeit für den Inhalt der Santa Conver- 
fazione des „Schweißtuches“, hier in der fta= 
tuarifchen Faffung und Selbftindigfeit Leben 
und Entjchloffenheit. 

Für die beiden anderen Figuren fommt 
Dürer nicht in Frage. 

Lapt fic) die Geftalt St. Rorbinians 
{hlieflich auch aus mittelalterliden Grabfteinen 
beraus erflaren, fo fann man fic) die fecfe male- 
rifche Rüdenanficht St. Sigismunds faum ohne 





Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 109 





Abb. 4. - 
Joahim und Anna unter ber goldenen Pforte. Holzichnitt aus bem ,Marienleben* von Albrecht Dürer. (B. 79.) 


Vorbild denken. Sollte man fie niht am | Stichen und Schnitten, die fiir foldje Geftalten 
Ende auf allgemeine Anregungen in Dürerd | unzählige Beijpiele bieten, zurüdführen dürfen! !) 





1) Der altbayerifchen Malerei jener Zeit find ja folche Pofen nicht fremd und aud) in fpätgotifchen 
Altarrelief8 treten fie ab und zu auf; neu ift da8 Wagnis, fie ftatutarifc) zu verwerten. UWebrigeng zeigt ein 
Bild des Landshuter Malers Hans Wertinger gen. Schwab, Alexander und fein Arzt, von 1517, im Rudolphinum 


110 Philipp Maria Salm 


Unverhüllt zeigt fi) Dürer aber noch in Qntereffe. Marolt ftarb am 13. Juni 1513, 
dem Eleinen Relief der Anbetung der Könige; im gleichen Jahre, in dem auch die beiden 
ihm ift der entjprechende Holzfchnitt aus dem Meffen auf dem Altar geftiftet wurden. Das- 
„Marienleben“ (vor 1506, B. 87) zu Grunde felbe Jahr darf wohl auch fiir die Entftehung 
gelegt. ') des Altar3 angenommen werden. Wie {don 

Woher aber nahm der Meifter feine Archis oben angedeutet, hat Marolt wohl felbjt noc) 
tefturen? Es dürfte faum einem Bweifel be- den ganzen Plan des Denkmals, mwenigjtens 
gegnen, daß auch bier wie allerorten Drud- dem ftofflichen Inhalte nach, beftimmt. 
erzeugniffe die Wege gemiefen haben. Wie Der Meifter des Werkes ift unbefannt. Gig 
anders hätte er zur Renntnis der neuen hart vermutet einen Bildhauer „Zr. S., wohl 
Formen fommen finnen. Diefe Annahıne ges einen Landshuter, da ein Grabmal in der 
winnt an Wahrfcheinlichkeit dadurch, daß Jodolstirde dortfelbft diefelbe Arbeit und das- 
wenig{ten8 eine der Nijchenumrahmungen — felbe Zeichen trägt*.?) Die neuere Forfdung 
freilich die altertümlichite —, jene des heil. |. Tieß das Monogramm außer acht?) oder fonnte 
Paulus, auf einen Holzfchnitt zurüdgeht. Sie e3 nicht mehr finden.) Troßdem ift e8 nod 
ift gleichfall8 dem Marienleben Dürers und vorhanden, wenn auch etwas verjtedt. An der 
zwar dem Blatte ,Joadim und Anna unter Bajis der beiden Kleinen Pfeiler der Sigismund- 
der goldenen Pforte” von 1504 (B. 79) ent— nifche find nämlich als Füllungen zmei fleine 
lehnt (Abb. 4). Hier offenbart fich die Freude | Täfelchen angebracht, von denen daS linke den 
des aus der Gotif erwadfenen Steinmegen am Budjtaben S, das redte den Budftaben R 
Einzelnen und an feinem hohen Vorbild aufs trägt (Abb. 5). 
deutlichfte, denn nicht allein, daß er genau Auf Grund diefer Signatur begnügen wir 
die Fünftlichen Verfchlingungen des WAftwerfs ung zunächft mit unferem Meifter als einen 
nachmeißelt, er geht fogar foweit, in denfelben Monogrammiften S. R. — nicht, wie Sighart 
die Figürchen mit all ihren Einzelheiten bei- lag, R. S., weiter zu arbeiten. 
zubehalten. 





Die Abhängigkeit von Dürer erflärt aber ee a ontgagie NC 
nun aud) zur Genüge die ftiliftifchen Unter- | as: Poe 
fchiede der einzelnen Teile und den Wechjel des | a f Ly ! 
Materials. In dem Schrein gab der Meifter ! 4 
ſich noch weſentlich ſelbſtſtändig; ſieht man ea En 
von den Pilaftern ab, fo deutet faum etwas UB. 5. 


Dionogramm bes Kanonifus Kaspar Marolt 


auf die neue Beit; er ift noch der Gotifer. ER Designs: ak reifen. 


Sm Verlaufe der Arbeit aber ward ihm die 
Kenntnis Dürerfcher Kraft und Größe, der er 
fich nicht verfchließen fonnte. Sie wiejen ihm | 
neue Pfade. Meifters S. R. 

In feiner Stellung an der Grenze zweier Das eben erwähnte Grabmal der Yodols= 
Welten verdient der Marolt- Altar befonderes firche in Landshut) ift eine prächtige Platte 


Die übrigen fignierten Werle des 





in Prag in der Haltung der vorderften Figur fowie im Roftiim derfelben Unkldnge an die Geftalt des Hl. Sigis- 
mund. Irgend welche fihere Schlüffe daraus gu giehen, erachte ich jedod) fiir ungulaffig. 

1) Vergl. aud) Mader, Loy Sering 1905 S. 92. Auch) für das Fülftüd des reitenden Senfenmannes 
in der Schrift fheint mir ein Holzfchnitt Türer$ (B. 131) vorgelegen zu Haben. 

2) Sighart, Gefhichte der bild. Künfte in Bayern. 1862 ©. 501. 

5) K. D. B. I, 366. 

‘) Sammelblatt de8 Hiftor. Vereins Freifing V (1895) G. 44. 

5) Sighart, Gefdhidte ber bild. Kiinfte in Bayern 1862 ©. 506. Nagler, Die Monogrammiften V, GS. 65 
Mr. 279. Staudenraus, Topogr. Stat. Vefdreibung von Landshut. 1835 6.114. Saad, die gotifde Urdhitettur und 
Plajtif ber Stadt Landshut 1894 ©. 55. Staudenraus und Haad Überfehen dag Monogramm. Wir erwähnen 
bier nod, dak an ber füdlichen Außenwand ber St. Jodofsfirdhe in Landshut fi) ein Epitaph eines Heinrich 
Shingspeil aus dem 15. Jahrhundert befindet — die Jahreszahl ift bis zur Untenntlichleit überarbeitet — 
welches in einem Schildchen einen ganz ähnlichen Pfeil wie das Mtonogramm am Stein de8 Peter von Alten 





Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frithrenaiffance in Altbayern 111 


von rotem Marmor, die dem Ritter Peter von 
Altenhaus, Pfleger zu Maternberg, geft. 1513, 
gewidmet ift (Abb. 6). Sie ftellt ung den Ritter, 
auf einem fauernden Hunde ftehend, dar, voll ge= 
rüftet, mit dem Banner in der Rechten, die Linke 
am Schmwertgriff. Aus dem aufgefchlagenen 
Bifier blickt ein energifches Geficht mit fcharf 
gebogener Nafe. Das Bildfeld der Platte wird 
durch eine Einfaffung aus zufammengefügten 
ornamentalen Blumenfelchen eingeengt, die teils 
nadte, teil3 befleidete und gewappnete Putten 
beleben. Unterhalb der Schnauze des Hundes 
findet fich eine Eleine Tafel mit den Buchftaben 
S. und R., gwifden die ein Pfeil mit einem 
Querftrich eingefchoben ijt (Abb. 7). 

E3 fann fein Zweifel betehen, daß wir in 
diefem Werk wieder den Meijter des Marolts 
Altares vor ung haben. Mehr als das Mono= 
gramm bezeugt es der Stil. Die Stellung Peters 
von Altenhaus gemahnt an die des hl. Georg 
recht3 der Predella. Die Betonung von Spiels 
und Standbein teilt die Figur des Ritters aud 
noch mit den andern Geftalten. Auch die Technif 
{apt an beiden Werfen gemeinfchaftliche Eigen- 
beiten erfennen; am augenfälligjten ift die Gleich: 
beit in der Behandlung des Chorrods Marolts 
und des Felles des Hundes, auf dem Peter von 
Altenhaus fteht. 

Für die weitere Unterfuchung erfcheinen noch 
einige Eigentümlichfeiten befonderer Beachtung 
wert, fo des Meifters Vorliebe für die Butten, 
und die Freude an ornamentalem Beiwerf, Züge, 
denen wir jchon am Marolt-Epitaph begegneten; 
dann das gut beobachtete Fliegen des Schur- 
zes und fchlieglich das Schildchen, welches das 
Monogramm trägt. 

Die Ausführung des Steines ift ungemein 
fleißig und hingebend. Kaspar Darolt und Peter 
von Altenhaus jtarben im gleichen Jahre, 1513. 
So werden auch ihre Epitaphien zu gleicher 
Beit entftanden fein. Stiliftifche Bedenken er- 
wachen nicht gegen diefe Annahme. 

Weitere Arbeiten des Monogrammiften S. 
R. waren bisher nicht befannt. Wir führen 
zunächit noch zwei durch Zeichen beglaubigte 
an. Die eine fteht unmittelbar neben dem 


haus trägt, jedoch find die Flugenden nad) außen 
gebogen. Wir Haben hier zweifellos fein Steinmetz⸗ 
zeihen, fondern eine Hausmarfe vor ung; der pris 
mitive Stein hat mit unjerem Meifter nicht das 
Geringite gemein. 








Abb. 6. 
Grabplatte des Petrus von Wltenhaus, geft. 1513, 
in ber St. JodolStirde in Landshut. 





Abb. 7. 


Monogramm auf ber Grabplatte bes Peter von Altenhaus 
in der St. Jodofsfirdhe in Landehut. 





Philipp Maria Halm 





geft. 1520, der darauf in ziemlich flachem Relief 
dargeftellt ift.!) (Abb. 8.) Den untern Teil 
der Figur verdedt ein breite® Schriftband, 
fo daß fie, fieht man von dem fehmalen 
Saum der Albe ab, nur als Bruftbild wirkt. 
Der Hanonifus mit würdigen milden Zügen 
in dem leicht gefenften Ropfe fegnet den auf 
einer Brüftung vor ihm ftehenden Kelch. Eine 
jich perfpeftivifch vertiefende Nifche mit flafchen- 
artigen Säulenjchäften, ähnlich jenen an der 
Korbiniansnifche des Marolt-Epitaphs um- 
rahmt das Bild. Jn der unteren rechten Ede 
des Steines finden wir nun als Füllung eines 
Pilafterfußes ein Eleines an einem Riemen han- 
gendes Schild mit dem gleichen Pfeil, wie er 
am Stein de3 Petrus von Altenhaus zwifchen 
die Budhftaben S, und 2. eingefdjoben ift (bb. 9). 
Das Zeichen, das bisher 
allen Forfchungen ent= 
ging, ift ungmeifelhaft 
die Marfe des Steine 
meßen. Wie der Meifter 
am Mearoltjtein nur 
mit S. und AR. fige 
nierte, fo läßt er e8 
bier mit Dem von einem 
Strid) durchquerten 
Pfeil bewenden. Die 
vollfommene jtiliftifche 
Uebereinftimmung mit 


. — — 


TIT Pere 


— — 


nw Se 





Abb. 9, 
den ſchon erwähnten Meiſterzeichen auf der Grab— 


platte des Kanonikus Petrus 


Werfen zerſtreuen alle Kalbsor im Domkreuzgang 





Bedenken, die etwa der zu Freiſing. 
verſchiedenartigen 
Abb. 8. Grabplatte des Kannnilus Petrus Kalbsor, geſt. 1820, Monogrammierung halber laut werden könnten. 


im Domkreuzgang zu Freiſing Bon 1521. - 


Die oberen Zwickel des Steines füllen links 
Marolt-Altar im Domkreuzgang zu Freiſing; es eine geflügelte Kugel mit den Buchſtaben 
iſt die Grabplatte des Kanonikus Petrus Kalbsor, A. P., rechts eine Kugel, auf der ein Täfel— 








is; 1. — 
Ubb. 10. Vom Grabftein des Kanonikfus Petrus Kalbsor im Domfreuggang gu Freifing. 


1) K. D. B. I, 366. H. 1,92. Br. 0,85 m. 





Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaifjance in Wltbayern 113 


chen mit der Jahrzahl 1521, dem Entftehungs- 
jahr des Steines liegt (Abb. 10). Auch bier 
alfo wieder ein Täfelchen wie an dem 
Schrein, an dem rechten Flügel des Marolt- 
Wltars und am Steine in St. Jodof zu 
Bandshut.!) 

Der andere fignierte Stein ift am Weft- 
portal der Garnifongfirche in Ingolftadt?) ein= 
gemauert; er ift einer Dorothea Efterreicherin, 
geft. 1521, und einer Elifabeth Ejterreicherin, 
geft. 1497, gewidmet (Abb. 11). Hier blieb der 
Bildhauer ganz ornamental. Eine Frührenaif- 
fance-NRifche, deren Bogen und Wölbung mit 
einer Art aufgefebtem Laubfagenornament ge- 
ziert ift, umfchließt eine runde Infchriftfcheibe; 
Berlenfchnüre, Wappenfchilde, Totenkopf, Stun= 
denglas füllen den unteren freien Raum. An 
der linken Säule aber lehnt ein Schilöchen mit 
der Jahrzahl 1522 als Entjtehungsdatum der 
Skulptur, und im oberen linfen Bogengwicdel 
findet fich wieder eine geflügelte Kugel, dieg- 
mal mit den Bucdjftaben S. und R. (Abb. 12.) 
Auch hier die Signierung alfo, aber wieder in ans 
derer Form; dennoch fann fein Zweifel bejtehen, 
daß e8 fich um den gleichen Meifter handelt. 


1) Der Stein fand bisher Erwähnung bei Lübte, 
Gefdidte der Renaiffance in Deutfchland 1. Aufl. (1872) 
©. 521 und 2. Wuflage II (1832) ©. 7; dann in den 
K.D.B. I, 366. Un beiden Stellen werden die Bud)- 
ftaben A. P. irrtiimlider Weife als Steinmeßzeichen 
angefprodjen, die eigentlide Meiftermarfe aber über 
fehen. Um die ftiliftijde Unterfudung nicht zu hemmen, 
verfdieben wir die Deutung der Budftaben A. P. auf 
eine geeignetere Stelle. Weltere Abbildungen des Steines 
— aus dem 18. Jahrhundert — bieten cgm. 1717 ©. 407 
mit bem falfden Datum 1525 ftatt 1521; die Bud= 
ftaben A. P. fehlen; ferner cgm. 1718 ©. 193, wo 
alle in Frage ftehenden Zeichen meggelafien find. 

*) K. D. B. I, 51, wo die Signatur unerwähnt 
blieb. H. 1,61 Br. 0,80 m. 








Abb. 11. 
Epitaph ber Dorothea und Elifabeth Efterreicherin, geft. 1521 
und 1497, an ber ehemal. Minoritenfirdhe in Ingolftadt. 





Abb. 12. 
Meifterzeihen und Datierung vom Epitaph der Dorothea und Elifabeth 


A M. b u. 6. 


Eſterreicherin an der ehemal. Minoritenkirche in Ingolſtadt. 15 


114 Philipp Maria Halm 





Abb. 13. 
Grabplatte ber Margarete von Fraunburg, geft. 1515, 
in ber Johannesfirche zu Mookburg. 


Die nicht fignierten Werke des 
Meifters S. R. 

Die vier fignierten Werke de3 Meijters S. L., 
von denen er gwet furg nach 1513, eines im 
Sahre 1521 und das legte im Jahre 1522 
fertigte, bieten in ihrem Formenreihtum und 
ihren Stileigentiimlichfeiten fo viele Anhalts— 
punfte, daß es nicht fchmwer hält, eine giem- 


1) K. D. B. I, 420. H. 1,88 Br. 0,96 m. 





liche Anzahl weiterer Werfe dem Mteifter mit 
Sicherheit zuzumeifen. 

Verfuchen wir gunddft die Lüde zwifchen 
dem Marolt-Epitaph und den beiden legten Ar- 
beiten auszufüllen. An erfter Stelle ift hier 
die Grabplatte einer Margarete von Fraun— 
burg, geft. 1515,1) in der Johannesfirde in 
Moosburg einzufchieben (Abb. 13). Die Hand 
des Meifters ift unverfennbar. Er verbindet in 
diefem Werk die ornamentalen Nifchen-Motive 
der beiden Steine von 1513; die Figur meift 
in Haltung und in den durch die Fußftellung 


je 0 im? “ill i N Tat * 


V — 





Abb. 14. 
Grabplatte des Chorherrn Wolfgang Wirfing, geft 1515, 
im Domfreuggang gu Freifing. 


Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frithrenaiffance in Altbayern 115 


bedingten Gemwandfalten auf die Maria des 
Maroltidreines Hin, zu der fie ein freies 
Spiegelbild darftelt. In der Ausführung 
fteht diefer Stein nicht auf der Höhe der beiden 
früheren; er ift handwerflicher. 


108 eingehenden und unmittelbaren Vergleich. 
Yür das erfte Epitaph, das eines Chorherrn 
Wolfgang Wirfing, geft. 1515 (Wbb. 14), wird 
die Bumeijung an S. R. begründet durch die 
Haltung des Oberkörper und namentlich des 





Die näcjiten Werke des Meifters führen 
und wieder an den Ausgangspunkt unferer 
Unterfuhung, in den Domfreuggang von Frei 
fing. Wenige Schritte vom Marolt-Altar und 
dem Kalbsor-Epitaphentfernt, geftatten fie mühe- 





Abb. 15. 
Grabplatte de Kanonilus Petrus Schaffmannsperger, geft. 1516, 
im Domfreuggang zu Freifing. 


Kopfes — Kalbsor-Cpitaph — durch den pro— 
filierten Bogen — Fraunburgerfiein in Mtoos- 
burg — und durch die außerordentlich charaf- 
terijtifche Technif.!) 

Die nächjte Arbeit fteht im engften ftili- 


1) Ueltere Abbildung in cgm. 1718. In der Sammlung bes Hiftorifchen Vereins Freifing befindet 
fi der ftart abgetretene Grabftein einer Webtiffin Margaretha Lefhin, geit. 1526, mit deren Bruftbild. Die 


16* 


116 Philipp Maria Salm 


ftifchen Zufammenhang mit der fignierten Grab- 
platte des Canonicus Petrus Ralbsor. Sie ge= 
hört einem Cononicus Petrus Schaffmang- 
perger, gejt. 1516") an. (Abb. 15). Unter einer in 


breitem Kleeblattbogen gefchlofjenen, perfpef- 


tivifd) gefehenen Hallen-Nifche, die auf flafchen- 
artigen Säulen ruht, Iniet nach recht8 der Ber- 
ftorbene vor Kelch und Buch. Ohne auf die ein= 
zelnen Bunte, die für eine Zumeifung beftimmend 
find, wie die Balufterfaulen, das Quadermotiv 
der Nifche — KHalbsorftein —, die Modellierung 
des Kopfes, die technifche Behandlung des aus 
Pelaftreifen gefertigten Chorrodes näher ein- 
zugeben, fei der Blid nur auf das Heine geilen- 
füllende Relief am Ende der Jnfchrift gelenft, 
das einen am Boden fikenden Tod darftellt, 
der nad) einer Sanduhr auf einem Rade weift 
(Abb. 16). Diefes kleine Relief entfpricht in feinem 
Inhalt als Signum des Todes und in feiner 
Aufgabe al3 Raumfüllung ganz dem reitenden 
Senfenmann an der Infchrift des Marolt- 
fchreing. Yoh erblide in ihm, wenn aud fein 
zmwingendes, jo doc) ein ergänzendes Moment 
für die Zumeifung auch diefer Arbeit an den 
Monogrammiften S. R. Gigenartig reizvoll 
wirft an bdiefem Steine das flache perfpelti- 
vifche Relief der Halle, die gang im relievo 
sciacciato de8 italienifden Quattrocento an- 
gelegt ift. 





Abb. 16. 
Bon der Grabplatte des Kanonifus Petrus Schaffmansperger 
im Domfreuggang zu Freifing. 


ALS fünftes Werk des Meifter im Dome 
freuggang ju Freifing treffen wir auf einen 








Stein mit dem lebensgroßen Bildnis des Canoni- 
cus Baulus Lang von Wellenburg, geft. 1521,?) 
der Propft in Salzburg, Baffau und Wörthfee 
und ein Bruder des berühmten Kardinal Mat- 
thäus Lang war (Abb. 17). Die allgemeine Auf- 
faffung der Figur und die Nifchenbildung er= 
innern unmittelbar an den Marolt=Altar, der 
geflügelte Kleine Schildhalter und die Putten 
mit den Feftons neben anderem an den Stein 
des Petrus von Altenhaus. Die Geftalt des 
Priefters ift fehr gliidlich in den nur vielleicht 
etwas zu engen Raum geftellt und hat in der 
leicht gefchwungenen Haltung oder, vielleicht 
bejfer gejagt, in der gemefjenen Bewegung, 
wie fie fic) in dem durch die feingefältelte 
Albe tretenden Spielbein äußert, etwas Freie, 
Ungezwungenes, lUnmittelbares. Gegenüber 
ähnlichen Geftalten des Meifters, wie 3. B. 
jener des Wolfgang Wirfing oder de3 Petrus 
Kalbsor erfennt man deutlich einen mwejent- 
lichen Fortfchritt; am augenfälligften aber 
wirft ein Vergleich mit der Figur des Petrus 
von Altenhaus. So frei und fihn fich aud 
der Ritter aus den Hüften hebt, fo ftehen 
feine Füße doch lahm und unficher auf dem 
Nüden des Hundes; Paulus Lang aber tritt 
feften gemwichtigen Schrittes in ftolzem Selbft- 
bemwußtfein einher. 

Der prächtige Stein blieb allem Anfchein 
nad) unvollendet. Zwar find das Almutium 
und die Albe in ihrem ftofflichen Gegenjaß 
zwifchen dem weichen Pelz und dem vielfalti- 
gen Linnen fehr fein ausgeführt, dagegen ift 
der Kopf nicht viel über die allgemeine An- 
lage Hinausgediehen. Es fehlt ihm die ein- 
gehende Modellierung und der forgfame Schliff, 
die wir an anderen Arbeiten des Meifterg, 
3. B. an dem Petrus von Altenhaug zu fehen 
gewöhnt find. Gs fteht ferner außer allem 
Bmeifel, daß der Stein nur unvollftändig auf 
uns gefommen ijt. Der jebige Zuftand des— 
felben, vor allem die baltlofe Form der Bogen- 
zwidel feßt zum mindeften einen weiteren 
Abjchluß nach vben und damit als hidft 
mwahrjcheinlich und zwar des befferen Verhält- 
niffes wegen auch eine reichere feitliche Archis 


Urditeftur geht mit jener deS Wirfing-Epitaphs fo eng gufammen, daß diefe Arbeit zum mindeften dem reife 
unferes Meijters, wenn nicht ihm felbft, augefdrieben werden muf. 

1) K. D. B. I, 365, H. 1,85 Br. 1,30 m. Meltere Abbildung in cgm. 1717 ©. 836. 

*) üble, Gefhichte der Renaiffance in Deutfhland TI (1882). 7. Weltere Abbildungen in cgm. 1717 
©. 440 und cgm. 1718 ©, 221. K.D. B. I, 367. H. 2,23, Br. 1,15 m. 





Abb. 17. 
GSrabftein des HKanonikus Paulus Lang von Wellenburg, geft. 1 


521, 


im Domfrenggang gu Freifing. 


Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaifjance in Altbayern 117 


teftur voraus.') Wie diefe ungefähr zu denken 
ift, werden wir noch fpäter zu betrachten 
haben. Ob diefe Urchiteftur jemals gur Wus- 
führung fam, oder ob fie, ehedem vorhanden, 
gelegentlich der Aufitellung der Grabjteine im 
Kreuzgang durch Bifdof Johann Franz im 
Jahre 1708 etwa aus Gründen der Ron- 
formität mit den übrigen Steinen entfernt 
wurde, fteht dahin. 

Qn Freifing findet fich feine weitere Mars 
morjfulptur, die mit unanfechtbarer Beftimmt- 
heit den Meifjel unjeres Meifters verriete. E8 
fünnte nur noch der wenig bedeutende Grab- 
ftein des Canonicus Rupert Auer von Puelach, 
geft. 1520, in Frage fommen, wenigften’ bin- 
fichtlich der technifden Mache, doch weift er in 
der Art, wie die müde Figur unbeholfen in 
die Nifche gezwängt und wie die Hände ge= 
faltet find, eher auf einen [hmwächlichen Nach- 
ahmer, al3 auf den Meifter jelbit. 

Wefentlich mehr Wahrfcheinlichkeit fpricht 
für den Grabjtein des Ritters Sigmund Bucher, 
geft. 1514, in ©. Cajtulus zu Moosburg. Bei 
einem Vergleich mit dem des Peter von Alten= 
haus, der in eriter Linie heranzuziehen ijt, 
wird diefer zunächit wegen des reichen Beimerfs 
und der außerordentlich feinen Durchbildung 
aller Einzelheiten mehr bejtechen. Greift man 
jedoch) das Wejentliche der beiden Werke heraus, 
die Figur der beiden Nitter, jo wird man der 
unverfennbaren Vorzüge de8 Moosburger 
Steines augenblidlich gewahr. Der Berzicht 
auf einengende Nijchen und ähnliches Beimerf 
geftattet der fühnen Figur des Bucher größere 
Bewegungsfreiheit. Peter von Altenhaus jteht 
unficher auf dem Hund, der Pucher dagegen 
wiegt fid) federnd in der Sicherheit des 
Sehrittes. E3 ift dasfelbe Empfinden, wie bet 
dem Canonicus Lang von Wellenburg. Jn 
diefem Bewegungsmotiv erblide ich auch den 
wefentlidften fiir den Mteifter S. R. fpredjen- 
den Grund; daneben legen freilich auch Schnitt 
und Behandlung der Helmzier und die Rüftung 
deffen Urheberjchaft nahe Weberrafchend wirkt 
der nur von einer Neßhaube bededte Kopf des 
Puchers; er ift ein unmittelbar dem Leben 
abgejchriebenes Porträt mit derben fnochigen 
und ent{dlofjenen Zügen, das zu den beiten 








Abb. 18. 
Grabplatte de8 Thomas Löffelholz von Kolberg, geft. 1527, 
in der StiftSfirde zu Altötting. Bon 1520. 


Bildniffen in Altbayern zählt. E83 überragt 
alle bisher von unjerem Meifter erwähnten 
Werfe, ohne jedoch dabei auf eine andere Hand 
hinzuweiſen. 

Auch Landshut beſitzt noch ein weiteres 
Werk unſeres Meiſters in der Grabplatte des 
Ritters Georg Kärgl von Siesbach, geſt. 1527.2) 
Sie iſt in einem Nebenraum der Kärglſchen 
Kapelle zu Kloſter Seligental unter einer 
Treppe faſt unzugänglich eingemauert. Die 


') Auf die Unvollſtändigkeit deuten auch die glatt behauenen Geſimsſtücke der Niſche. 
Haack, Die gotiſche Architektur und Plaſtik der Stadt Landshut 1894 S. 5b. 





118 Philipp Maria Halm 









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Um Jem. 









Abb. 19. 
Zeichnung des alten Beitandbe8 bes Monumentes des Thomas 
Löffelholz in Altötting. 


Buweifung an S. R. rechtfertigt fich zunächſt 
durch die Architektur, die jener am Grabmal 
des Lang von Wellenburg nah verwandt und 
genau wie diefe an dem linfen unteren Ge- 
fimsftüd mit einem Wappen haltenden Engel- 
chen auggeftattet ift. Eine prächtige Figur ift 
der Ritter, der in ungezwungener Haltung mit 
faft gezierter Beweglichkeit auf einem Bären 
dem Wappentier der Kärgl — jteht. Die 
Mehnlichfeit mit den fchon erwähnten NRitter- 
grabfteinen fpringt unmittelbar in die Augen. 





’ Der Umftand, daß das Todesdatum erjt jpäter 


volllommen ausgefüllt wurde, bemeift, daß 
das Monument fchon zu Lebzeiten des Ritters 
errichtet wurde. ch febe es um das Jahr 
1520 an. Auf diefe Zeit weifen auch die dem 


, Steine des Lang von Wellenburg (geft. 1521) 


nahezu fonforme Architektur fomie die ftiliftifche 
Uebereinftimmung mit dem folgenden Werfe 
des Meifters, welches das Entftehungsjahr 1520 
trägt. Es ift der Grabftein des Thomas Löffel- 
hols von Ktolberg, geft. 1527, in der Stiftskirche 
zu Altötting,!) den fic) der Ritter alfo ſchon 
zu Lebzeiten hat meiffeln laffen (Abb. 18). Die 
in Hochrelief gearbeitete Figur trägt Maris 
miliangrüftung mit flatterndem Schurz wie 
Peter von Altenhaus, Sigmund Puder und 
Georg Kärgl; mit der Rechten faßt er die 
Fahne, die Linke ruht am Schwertgriff. Die Zus 
gehörigfeit zu den Arbeiten des Meifters S. Ze. 
offenbart fi) unmittelbar aus der Pfeiler- 
nifche mit den Feftons und den Putten in 
den Bogen, Motiven, zu denen fich gleiche 
oder jehr verwandte Formen in faft allen uns 
bisher befannt gewordenen Werfen nachweifen 
lafjen. Ueberdies dedt fich die Figur des 
Loffelholg mit den übrigen Rittergeftalten des 
S. R. in auffallender Weife und zwar nicht 
nur in der ganzen Auffafjung und Haltung, 
in der Stellung, in der WArtifulierung der 
lieder, fondern auch in jenen fleineren Eigen- 
tümlichfeiten, die weit deutlicher die Hand ihres 
Schöpfers verraten als in die Augen fpringende 
Allgemeinheiten, 3.B. in dem fliegenden Schurz. 

Auch diefes Werk ift nicht in feiner ur= 
fpriingliden Bollftändigfeit erhalten; der 
Mangel einer Infchrift und eines fejten Rabh- 
mens weilt deutlich darauf Gin. Glüdlicher- 
meife aber haben zwei Zeichnungen des 17. bezw. 
des 18. Jahrhunderts?) den alten Aufbau des 
Monumentes feftgehalten. Bei beiden um= 
rahmt eine grofe Urdhiteftur das eigentliche 
Bildfeld. Die ältere Zeichnung (Abb. 19) er= 
fcheint etwa8 reicher; die auf dem WArdhitrav 
ftehenden Figuren eines Nitter8 und eines Ge- 
lehrten fcheinen fpätere Zutaten gewefen zu 
fein, fie fehlen bei der jüngeren Zeichnung. 


)K.D.B. I, 2849. H. 2,30, Br. 1,10 m. Stulturgefdidtlid) intereffant ift diefer Stein durd) bie 
den Serufalemfahrer kennzeichnenden Orden vom Hl. Grabe und den Katharinenorden am unteren Rande der Platte. 
*) K. D. B. I, 2349. Die ältere Zeichnung befindet fi) in einem von Thomas Löffelhoig (1656—1716) 
verfaßten Familienbude im Archiv des Germanifden Mufeums in Nürnberg (D. 1, Nr. 1), die jüngere Zeich- 
nung in cgm 2266 (BI. 48), welder 1783 im Wuftrage der K. Ufademie der Wiffenfdaften hergeftellt wurde. 








Monument des Hans von Hlofen, geft. 1527, 
in der Pfarrkirche zu Arnitorf. 








DIE Per 


Vom Monument des Alexander Lebersfircher in der Pfarrlicche zu Gerzen. 


Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenafjance in Wltbayern 119 


Diefe macht, obwohl noch mwefentlich dilet- 
tantifcher, in manchen Einzelheiten den Ein= 
drud forgfältigerer Treue. Nach ihr hätten 
die Säulen recht und Linfs der Nifche ganz 
und gar jenen an der Korbiniansnifche des 
Mearolt-Altars, und an den Epitaphien der 
Ranonifer Ralbsor und Schaffmannsperger 
geglichen.. So ähnlih nun mag aud) die 
Urdhiteftur de Steines de3 Paulus Lang 
von Wellenburg gemwejen fein. 

Wie fünftlerifch mindermwertig die beiden 
Zeichnungen auch fein mögen, fo vermitteln fie 
un8 dod einen ungefähren Eindrud von der 
ehedem impofanten Wirfung de3 Steines. Unje- 
rer Einbildungsfraft aber fommen aud) nod 
gwei Werke de3 Mteijters S. A. gu Hilfe, die 
bis auf den heutigen Tag ihre reiche ardjitef- 
tonif{.he Pract wenigftens gum größten Teil 
bewahrt haben. G8 find die Denkmäler zweier 
Ritter in den Pfarrkirchen zu Arnftorf (Bezirks- 
amt Eggenfelden) und zu Gerzen (Bezirksamt 
Vilsbiburg) in Niederbayern. Das erfte, einem 
Hans von Klofen, geft. 1527, errichtet, 
entwidelt fic) 3u ciner Höhe von 3,5 m 
(Abb. 20). Yn einer flachen Nifche, die von 
einer kräftig gegliederten Frührenaiffance-Arcdhi- 
teftur umrahmt wird, fteht der Ritter mit 
geöffnetem Bifier. Sein Banner entfaltet fich 
hinter ihm in breiter Bahn. Die Mijche wird 
von einem Aufbau befrönt, der die bandartige 
Inschrift umschließt und in eine Mufchel mit 
feitlihen Boluten endigt. In diefer Höhen 
einteilung blieb da8 Denkmal unverfehrt, da- 
gegen ift die flanfierende Architektur nicht mehr 
intaft erhalten. Der Entftehungszeit de3 Werkes 
gehören die beiden eigenartigen Stüßen und die 
zwei Boluten mit NRofetten am Unterbau an. 
Befonderer Beachtung wert erfcheint es, daß 
diefe Teile wie die Flügel des Maroltaltars im 
Gegenfaß zum übrigen in Sandftein gemeißelt 
und duch Anftrich zum Ton des roten Mar=- 


mors geftimmt find. Ob diefe Bauglieder ur 


fprünglich die jegige Anordnung zum Mittel- 
teil hatten, erjcheint mehr als fraglid. Das 


18. Jahrhundert nahm fich der Wiederherftel- : 


lung de8 Werkes an, ergänzte in feiner Stil- 
weije nicht gerade ungefchidt die fehlenden 
Seitenteile der oberen Partien, fügte den Eruzi- 
firus mit Maria und Johannes Hinzu und 
febte aus den Reften der alten Umrahmung den 
unteren Teil, fo gut e3 eben ging, zufammen. 


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Ahb. 22. 
Monument bes Wlexanber Lebersfirchener, geft. 1521, 
in ber Pfarrfirdhe gu Gergen. 


Eine Darlegung aller Cingelbeweife fiir die Bu- 
weifung de8 Werfes an S. A. erjcheint über- 
flüffig; fie ergeben fich dem prüfenden Auge 


120 Philipp Maria Halm 


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Abb. 23. 


ohne weiters. Immerhin fei die Aufmerkfam- 
feit wieder auf die Feine Tafel gwifden den 
Füßen des Mitters und auf die Freude des 
Meifters an den Putten gelentt. 

Der Stein in der Pfarrkirche zu Gergen, 
ungefähr eben fo groß, wenn auch nicht fo reich, 





Sandftein- Reltef im Sighart-Mufeum in Freifing. 


wie das Klofenfche Denkmal, übertrifft diejes 
an fünftlerifhem Gehalt (Abb. 21 und 22). 
Qn einer Nifche mit Frührenaiffancefäulen 
niet Wlerander LVebersliccher von Lichten- 
bag, geft. 1521, nach linfs gewendet in 
einem mit Sdnigwerf und einem Kleinen 





Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frithrenaiffance in Altbayern 121 


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Abb. 24. i? Solzſchnitt der Mailänder Schule. Sammlung Rothſchild in Paris. 


Wappen) !gezierten Betſchemel. Er trägt Im rechten Arm ruht die Lanzenſtange, durch 
den Maximiliansharniſch, aus dem Viſier die Hände rollen die großen Perlen eines Roſen— 
ſchaut ein mildes, fromm gläubiges Geſicht. kranzes. Das Feld über der Niſche nimmt ein 





) Das Wappenſchildchen, urſprünglich in Bronze gegoſſen, wurde in den achtziger Jahren des 19. Jahr= 
hunderts entfernt und durch einen Gipsabguß erſetzt. 
W. M.5 1. 6, 16 


122 


breites Schriftband ein. Die Befrinung des 
ganzen Aufbaues bildet ein Figürchen des 
„Ehriftus in der Raft“, zu dem aller Wahr- 
Icheinlichkeit nad) der Meifter das Titelbild 
der Heinen Holzichnitt-Paffion Albrecht Dürers 
von 1511 (B. 16) benüßt hat. 

Der Stein des Alexander Leberskirdher er- 
weitert unfer Wiffen von dem Können des 
Meifters infoferne, al8 er fic) nicht mit der 
einfachen repräfentativen Darftellung des Ver- 
ftorbenen begniigt, fondern ein faft monu- 
mentales Genrebild, den Ritter im Gebete, 
gibt. Gr beherrjcht feine Aufgabe, von der 
etwas fchwer verftändlichen Haltung der Hände 
abgefehen, durchaus und weiß aud) den Mar- 
mor zu einem finnigen Gefichtsausdrud zu 
zwingen. In feelifcher Belebung, die ihm feines- 
weg3 immer al8 Hauptziel feiner Porträtkunft 
vorfchmebte, hat hier der Meifter S. 22. fein Beites 
gegeben. Zwar verfucht er da und dort über 
ein bloßes Abfchreiben der Natur hinausgu- 
gehen, wie etwa im Kopfe der Kanoniker Wir- 
fing und Ralbsor oder des Sigmund Pucher 
und am glüdlichiten hier im Gefichte des Ale— 
zander Lebergficcher, aber von fonderlicher 
Vertiefung lannn bei all diefen Verfuchen Feine 
Rede fein. Offenbar interefjierte den Meijter 
mehr die einzelne Berfon in ihrer Gejamter- 
fdeinung und Haltung. Ein Paulus Lang 
von Wellenburg, ein Sigmund Pucher, ein 
Georg Kärgl, fogar die Eleinen Figürchen des 
Marolt-Altares ftehen ald markig gefühlte, groß 
zügig umrifjene Vertreter ihres Standes vor 
uns. Man fpürt ihnen des Meifter8 Herr- 
Tchaft über den Körper, das Berjtändnis für 
die Funktionen der Glieder und für die be- 
weglidje Elaftigitét eines fraftigen Gefamtor- 
gani8mus nad); felbft die Putten, die nadten 
nicht weniger wie die befleideten, teilen in 
ihrer frifchen Natürlichkeit alle diefe Vor— 
giige mit den lebensgroßen Geftalten des 
Meifters. 

* * 
* 

Das bevorzugteite Material für den alts 
bayerifden Steinmeßen jener Bett war der 
rote — meift Adneter — Marmor; andere Stein= 
arten fommen verfchwindend felten zur Bermen= 
dung. Eine Zufammenftellung verjchiedener Wla= 





Philipp Maria Halm 


terialien an einem und demfelben Werf mie 
beim Maroltaltare mußte deshalb umfomehr 
überrafchen. Unfere Unterfuhung wieg vom 
Schrein diefes Werkes ausgehend gunddft den 
Weg nad) den Marmorffulpturen des Meifters. 
Wir können nun aber auch nod) gwei Sandz- 
fteinrelief8 unbedenklich dem gleichen Meifter 
zufchreiben. DBezeichnender Weile treffen wir 
fie an Orten, wo der Meifter S. A. durd 
fignierte Werke vertreten ift. Das erfte Relief, 
in der Sammlung der ehemaligen Mtartins- 
fapelle (Sighartmufeum) in Freifing, hat feiner- 
lei Injchrift (Abb. 23). Vielleicht ift e8 der Reit 
eines Altaraufbaues; darauf fcheint mir wenig⸗ 
ftens die Anordnung zu deuten. In einem reichen 
Rahmen fteht, von Engelwolfen ummogt, eine 
Figur des Salvators von faft Dürerifcher Kon 
zeption. Die Eden des Rahmens bilden De= 
daillons mit den vier Evangeliftenfymbolen, 
etwa im Einne eines Budhtitel3.!) Die Seiten- 
teile geben ein auffteigende8 reid) mit Putten 
belebteg Pilafterornament, die untere Leifte 


“einen Fries von Engeln mit den Leidenswerf- 


zeugen Chrifti. Im Kopfftüd fieht man Putten 
das figende Chriftfind auf einer Bahre mit fich 
führen; links und rechts diefer Gruppe jchließen 
fich al8 Gegenftüde die Verkündigung Mariä 
und der Sündenfall an. Das foftlide Werk 
befindet fich infolge derBermitterung des weichen 
Sandjteines in einem jammervollen Zuftande. 
Ganze Füllftüde des Rahmens find ausge- 
brochen, die oberften Schichten des ehedem be= 
malten NRelief3 haben fich ftellenmweife abge 
blättert und geben der Skulptur ein blatter- 
narbiges Ausſehen. Troßdem bewährt der Stein 
feine urfprüngliche feierlich reiche Wirkung. Die 
Puttenfigürchen find von reizender Lebendigkeit 
und erquidender Frifche, der hoch einherjchrei= 
tende Salvator mit dem prächtigen Qodenhaupte 
und der italienifchen Ponderation von monus 
mentaler Größe. Daß S. R. auch der Schöpfer 
dieſes Werkes ift, unterliegt feinem Zmeifel; 
der Vergleich mit den Flügeln des nur wenige 
Schritte entfernten Maroltjteines wirkt bier 
ebenfo überrafchend wie überzeugend. Nur eins 
erfcheint fremd, die malerische Weife des Mittel- 
feldes, fpeziell das wenig erfreuliche, zu voll 
und unruhig wirkende Engelgemölt, diefer zweite 
Tchwammige Rahmen innerhalb des eigentlichen 


1) Vergl. 3. B. Butfch, Die Bücerornamentif der GFriihrenaiffance. Taf. 18 und Taf. 57. 





Abb. 25. 
Epitaph fiir Hans Efterreider, geft. 1532, und Dorothea Efterreicerin, geft. 1521, 
in der ebemal. Minoritenfirde zu Ingolftadt. 


Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaifjance in Altbayern 123 


Rahmens. Die Urfache ift leicht erfindlich; 
alles deutet darauf hin, daß dem Mittelfeld 
ein graphifches Vorbild, das uns jest unbe- 
fannt ift, zu Grunde lag. Man denkt an Dürer 
oder Cranad). 

Für die Umrahmung find mir in der glüd- 
lichen Lage, die Vorbilder nachweilen zu können. 
Bunächft ift nicht fchwer zu erkennen, daß die 
Verfündigung der oberen Leifte in der ganzen 
Kompofition und in einer ganzen Reihe be- 
flimmender Einzelheiten genau Dürers Blatt 
aus dem Marienleben (B. 83) wieder gibt. Un 
gleich wichtiger aber ift die Wahl des zweiten 
BVorbildes. Auf den erjten Blid erhellt, daß 
fein Deutfcher diefen Rahmen erdacht haben 
fann. Um das Jahr 1520, in daß wir un- 
gefähr diefes Werk gu feken haben, fuden wir 
in Deutfchland vergebens nach folch reifen und 
reinen Schöpfungen des neuen Stils, felbft 
in der Buchlunft; es fonnte alfo nur Italien 
felbft unferem Meifter fpendend genaht fein. 
Das Vorbild fand fich denn auch in einem Holz= 
fchnitt der Mailändifchen Schule, betitelt: das 
Wunder der hl. Martha (Abb. 24). Das einzige 
bisher befannte Exemplar desjelben befindet 
ih in der Sammlung Rothichild in Paris.!) 
Er gehört der Zeit um 1500 an. Meifter 
S. R. nahm die ganze ornamentale Umrah- 
mung von dort herüber, fürzte die Seitenleiften 
um einige Ranfenglieder und fügte der oberen 
die Dürerifche VBerfündigung und den Sünden- 
fall ein. Bei aller Kopijtentreue gibt der Pteifter 
aber dod) auch etwas Perfönliches Hinzu, in= 
dem er aus den fchlanfen ätherifchen Putti des 
italienifchen Buchfünftler8, die gum Teile die 
Körperverhältniffe Erwachfener tragen, volle 








fchmwellende Kinderglieder, echte deutfche Engel- 
Inaben im Sinne eines Dürer,?) Cranad) oder 
Altdorfer formte. Daß ein günftiges Gefchid 
den italienischen Holzichnitt wenigitens in einem 
Exemplare erhalten hat, ift um fo wichtiger, 
al3 dadurch unfere Kenntnis von der Runft 
der Frührenaiffance in Deutfchland in ihren 
Beziehungen zu Oberitalien um ein unmittel- 
bares Zeugnis, deren wir nicht allguviele be- 
fißen, bereichert wird. Für Altbayern ftebht 
ein derartig auffallendes und überzeugendes 
Beifpiel bis jet einzig da. 

Das zweite Sandfteinrelief unferes Meifters, 
ein Epitaph für Hans Ejterreicher, geft. 1532 
und Dorothea Ejterreicherin, geft. 1521, jteht im 
Chorder ehemaligen Minoritenz, jeßt Garnifons= 
ficche in Ingolftad?) (Abb. 25). Es ftellt in einer 
Mufdhelnifde einen fogenannten , Gnadenftuhl’ 
dar, d. h. den thronenden Gottvater, der vor 
fich Chrijtus am Kreuze hält; die Taube fist 
auf dem Querbalfen des Sreugholzes.‘) Unter 
der Bildgruppe fnien feitlich des Schriftfeldes 
in Eleineren mit Gehängen verzierten Nifchen 
die Verftorbenen. Alles architeltonifche Bei- 
werk weift nachdrüdlich auf die fignierten Werfe 
des Meifter8 S. A. hin. Für ihn Sprechen 
ferner noch die Teppich haltenden Engel und 
der fleine PButto als Wappenbalter, dem wir 
in ganz ähnlicher Weife mehrfach auf Werfen 
unferes Meifters begegnen. Der Kopf Gott 
Baters fteht in engfter Vermandtichaft mit 
jenem des vorermahnten Salvator8 in Frei- 
fing. Wenn in den Gewandfalten Gott Vaters 
einige Abweichung gegenüber anderen Arbeiten 
fich ergibt, fo ift dies zunächjt wieder auf den 
MWechfel des Materials zurüdzuführen, dann 


1) Vergl. Lippmann, Der italienifhe Oolafdnitt im 15. Jahrhundert, im Jahrbuch der preußifchen 


Kunftfammlungen V (1884) ©. 319 ff. Ehe mir diefe Whbilbung bei Lippmann befannt war, hielt ich Die 
Litelbilb-Umrahmung de8 Aureum opus de veritate contricionis von J. &. Vivalbdus, eines pradtigen Drudwerkes 
der Offigin Signerre in Saluggo von 1503 für dag Vorbild, mwenigftens für die fenfrechten Leiften. Ungmeifelbaft 
aber diente als folches die Bordüre des Nothfchildfchen Blattes. Diefes weilt Übrigens, was Lippmann gang 
überfehen gu haben jcheint, jo große ftiliftifhe Unterfhiede zmifhen Mittelfeld und Umrahmung auf, dak man 
nur zwei ganz verfchiedene Hände annehmen fan. Der Holzftod des fhmwäcdjeren altertümlichen Mittelfeldes 
ift eingefegt und paßt nur ungenau zum Format de Rahmens. Gab es am Ende Drude mit einem Salvatoı 
alg Mittelbild ?! Lippmanns Anfhauung, die Bordüze erinnere in Zeichnung und Aufbau an jene des Titel- 
Holafdnitts bei Vivaldus muß außerdem dahin prägifiert werden, baß dejien rechte Leifte vollftändig dem Spiegel- 
bild der linken Leiſte auf dem Rothſchildſchen Blatte entſpricht. 

2) Auffallende Aehnlichkeit findet ſich zwiſchen dem ſtehenden Engelpaar der linken Leiſte und Dürers 
Stich mit den drei Genien (B. 66), der von Hans Baldung und anderen mehrfach nachgebildet wurde. 

5) K. D. B. I, 50 H. 1,66 Br. 0,87 m. 

4) Die Darjtellung de8 ,,Gnadenftuhls” war burd) das gange Mtittelalter in Deutfdland fehr vere 
breitet. Dürer gab ihr im Wllerheiligenbilde die gewaltigfte Rompofition. Bergl. aud) Berger, Handbuch ber 
fichlihen Kunftaltertümer in Deutfhland 1905. ©. 541, 

16* 


124 . Philipp Maria Salm 





Abb. 26. 
Golaitatue des Hl. Johannes bes Tiufers 
vom Hochaltar der Pfarrkirche in Retsbach. 


aber auch auf den Umftand, dab, wie der Gefamt- 
eindrud des Bildwerfs bezeugt, ficherlich auch 
bier ein graphijdhes Blatt in Relief iiberfest 
wurde. Das Ornament des rechten Pilafters 
ift übrigens einer Schmudfeifte Sans Springin= 
flee aus dem Hortulus animae, gedrucdt von 








Yohann Stüchs ın Nürnberg im Jahre 1516, 
mwortmwörtlich entlehnt; das des Linken Pilafters 
variiert nur den Putto. Nicht ohne Belang für 
die Zufchreibung dürfte ferner noch fein, daß 
Hans Eiterreicher ') 1522 feinen beiden Frauen 
(geit. 1497 und 1521) von dem Meifter S. R. 
an der gleichen Kirche einen mit Kugel und 
Monogramm fignierten Grabftein hat errichten 
laffen. Und auch diefes Sandftein- Epitaph 
trägt am Gebälfftüd des linfen Pfeiler3 die 
geflügelte Kugel. In dem ,Gnadenftuhl’ be= 
figen wir des Meifters bedeutendfte Steinfkulp- 
tur; der würdevolle Kopf Gott Vaters und der 
trefflich modellierte Körper Chrifti werden von 
feiner anderen ähnlichen Schöpfung Altbayerns 
auch nur annähernd erreicht. 


* * 
* 


Verfuden wir eine chronologiiche Reihen 
folge der Werke aufzuftellen. Die genau da= 
tierten Steine des Thomas Löffelholz in Alt- 
ötting (1520), der de8 Kalbsor in Freifing 
(1521) und der erfterwähnte Stein der Eiter- 
reicher in Jngolftadt (1522) gewähren hiefür 
die einzigen feiten Punkte. Für die meiften 
anderen Steine muß, da bet faft allen das 
Todesjahr mit der Infchrift einheitlich einge— 
meiffelt ift, diejes al3 oberjte Grenze für die 
Entftehung angefehen werden. Darnad) allein 
ſchon wäre der Wltar des Ranonifus Marolt, 
geit. 1513, al8 dag altefte Werk des Mteijters 
angufprechen. Ueberdie3 weift ber Schrein aud 
nod) weit mehr Erinnerungen an die Gotif auf, 
als irgend eine andere Arbeit des S. AR. Der 
Umjtand aber, daß das Totenmal zugleich auch 
als eine Art Stiftungsbrief über die zwei Meffen 
errichtet wurde, läßt uns fauın über das Jahr 
1515 berabgreifen. Aus ftiliftifchen Gründen 
und gemäß der Todesdaten fchliegen fich dann 
unmittelbar an die Steine des Betrus von Alten 
haus, geft. 1513, der Margarethe von Fraun— 
burg, geft. 1515, und de3 Ranonifer Wiring, geft. 
1515 und Schaffmannsperger, gejt. 1516. Es 
folgt bierauf mit ficherem Entjtehungsdatum 
das Monument für Thomas Ldffelholg von 
1520, dem wir in unmittelbare Nähe die Platte 
de8 Paulus Lang, geft. 1521, und den Ritter- 
grabftein des Sigmund Bucher, geft. 1514 feken. 


1) Unf feinen Namen beziehen fic) ungweifelhaft die Budftaben 1 E (QohanneS Cfterreider) am 


Scheitel des Bogens des gu ermahnenden Steines. 


Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 125 


Yür die Einordnung der beiden legten an diefer 
Stelle fprechen außer rein ftiliftifchen Belegen 
auch die entwidelten Marimiliansrüftungen. 
Serner heit uns der gleiche Stilcharafter hier 
den Grabjtein des Georg Kärgl, geft. 1527, 
anzufchließen. &8 folgen alddann das Sand- 
fteinepitaph!) und die Marmorplatte der 
Ejterreicher von 1522. Gleichzeitig mit dem 
Sandjteinepitaph der Efterreider entftand das 
Salvator-Relief in Freifing. Der Stein des 
Alexander Vebersfircher, geft. 1521 und jener 
des Hans von Klojen, geft. 1527, find als 
die fpäteften Werke des Meifters angufehen; 
eine andere Stilphafe vertreten fie jedoch nicht. 
Aus der Fülle altbayerifcher Grabdenfmaler 
gelang eg mit Hilfe einiger monogrammierter 
Werke und auf Grund untrüglicher ftiliftifcher 
Gigentiimlidfeiten eine Gruppe herauszulöfen 
und fie einem uns gunddjt nod unbefannten 
Meifter zugufchreiben. Er mwechjelt, wie wir 
faben, ftändig fein Zeichen, hier S und R, 
dort ein Pfeil, dann beides verbunden oder 
die beiden Buchftaben in eine geflügelte Kugel 
eingegraben, jelbjt in der fpielenden Vermen- 
dung fleiner Tafeln möchte ich etwas Mono= 
grammatifches erbliden. Auch die außerordent- 
lid) charafteriftifche Technik konnte uns ftellen- 
weife Führerin fein. Ganz befonders bezeich- 
nend für den Meifter ijt e8, daß er das Stoff- 
lide mit dem Zahneifen behandelt und die 
Schläge unpoliert jtehen läßt im Gegenfak gu 
den Fleifchpartien, die er forgfältig fchleift. 
Dadurch erzielt er höchft malerifche und ab- 
wechjelungsreiche Wirkungen. Selbft wenn man 
nur der Mache, der Hammer- und Meiffelfüh- 
rung folgen wollte, fäme man zum gleichen Re= 
fultate wie durd) reine Stilfritif. Der Hammer- 





‘ ⸗ Abb. 27. 
ſchlag des Meifters fällt, hat man ihn einmal Golgftatue bes HI. Wolfgang 
erkannt, unmittelbar ing Geficht.?) vom Hochaltar der Pfarrkirche in Reisbach. 





Da an dieſem Epitaph das Todesjahr der 1521 verſtorbenen Dorothea Eſterreicherin noch nicht 
ausgefüllt ift, muß es vor die Marmorplatte von 1522 angefegt werden. 

2) WIS Arbeit beS Meifters S. R. fprede id nod einen Grabjftein an, von dem id nur eine im Gers 
manifden Mufeum in Nitrnberg befindlide Photographie fenne, den ich troß eifriger Redherden jedod nidt im 
Original zu eruieren vermodte. Cr ftellt Chriftus am Kreuz mit Maria und Johannes in einer Renaiffance= 
nifhe dar, deren oberer Abfchluß reid) mit gotifhen Reminisgenfen durdfegt ift. Von ftiliftifhen Gründen 
abgefehen, verweift namentlich die Qnfdrift auf Freifing: Anno dni 1525 Desxvijtags January Ist gestorbe 
der Edel waltrsar ..gendorfer vnd am samstag vor letaretag starb anna sein hausfrav anno dni 1517 
dé gotgenad, d’dreier fursté vnd bischové zu freising diener gewest ist. Der Stein ift burd feine Attri= 
bute, Sonne, Mond und die „Waffen Ehrifti” von hohem ifonographifden Ynterejje. Der Name ijt Ougen- 
borfer zu lefen; Hugendorfer war, wie Freifinger Rechnungen der Zeit (Rep, LIII. Fol. 63 Nr. 1327 des 8. 
KreiSardivs Landshut) ergeben, Rentmeifter der Freifinger Zürftbiichöfe, 


126 


Philipp Maria Halm 





Abb. 28. 
Linker Flügel des Hocaltars der Pfarrkirche in Netsbach. 


Der Bildfdniber S. LK. 

Der Meifter S. R. war ein vielbegehrter, 
offenbar hochangefehener Steinmeb. Sein eigent- 
lichites Schaffensgebiet war die Grabftein- 
plaftif und damit das Relief. Nur einmal 
runden fic) ihm feine Geftalten zu faft freien 
Bollfiguren in den vier fleinen Heiligen auf 
den Flügeln des Maroltaltares, Wenn wir 
nun die Frage aufwerfen, ob etwa der Meifter 
auch in größeren Freiftatuen die dort ange- 


Abb. 29. 
Rechter Flügel vom Hochaltar der Pfarrkirche in Reisbach. 


deuteten Fähigkeiten für monumentale Diftion 
zu reicher Entfaltung zu bringen verftand, fo 
berühren wir damit zugleich die Möglichkeit, 
daß er auch zeitweife den Meiffel mit dem 
Schnigmeffer vertaufcht hätte, denn Freiftatuen 
famen in Altbayern zu Beginn des 16. Jahr- 
hunderts doch in erfter Linie für die großen, 
bolzgefchnigten Altäre in Betradt. An den 
Reften eines folchen lapt fic) nun auch die 
Hand unferes Meifters nachweifen. 


Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 127 





Abb. 30. Michael8 Kampf mit dem Dradhen aus ber Apolalypfe von Albrecht Dürer. (B. 72.) 


In der Pfarrkirche zu NReisbad (Bez.:Amt anderen ungefähr gleichzeitigen Schnigwerfen, 
Dingolfing), das halben Weges zwifchen Gerzen zwei lebensgroße Holzfiguren des HI. Johannes 
und Urnftorf liegt, finden fich, zu einem mo= Baptifta und des Hl. Wolfgang!) nebjtzwei Altar- 
dernen gotifchen Hochaltar verwendet, unter flügeln (Abb.26-—29). Bon diefen ftellt einer den 


1) Ob aud die lebendig aufgefaßte, faft barode Figur des HI. Michael im Giebel des Altar anzureihen 
ift, [abt fih nicht mit Sicherheit entjcheiden. 


128 Philipp Maria Salm 





Abb. 31. 
Bom Relief ber Taufe Chrifti 
in der Sammlung des Hiftorifden Vereins in Landshut. 


hl. Michael al Seelenwäger und die Enthaup- 
tung de3 hl. Johannes des Täufers, der andere 
den Kampf des hl. Michael mit dem Drachen und 
eine tlonographiich außerordentlich intereffante 
Szene aus dem Leben des Hl. Wolfgang +) in Rez 
lief Dar. Die Standfiguren und die vier Rez 
lief3 der Flügel ergeben, mie etwa die Gewand: 
falten, die Gefichtszüge der Heiligen und am 
auffallendjten die Behandlung der Haare be- 
fehren finnen, unzmeifelhafte Uebereinjtim- 
mung; die Flügel aber tragen unverkennbar 
die Hand des Meifters S. AR. Man beobachte 
das durd) das Gewand tretende Bein St. 





Michaels, feine fliegenden, charakteriftifch mit 
dem Bohrer behandelten Haare, die genau in 
diefer Weife St. Sebaftian in dem Mtarolt- 
fdjrein trägt oder da8 vom Rüden gejehene 
Sigirden St. Wolfgangs. Und ift e8 nur 
ein Zufall, daß dem Kampf St. Michaels mit 
dem Drachen Dürer mächtige Vifion aus der 
Apofalypfe (B. 72) zu Grunde gelegt ift, zumal 
wir des Meifter8 Spuren fchon des vefteren fich 
mit jenen begegnen fahen (Abb. 30). Erjcheint 
e3 nicht auffallend, daß zu all diefen Kriterien 
fich noch eine Kenntnis der Renaiffanceardhitef- 
tur gefellt, wie fie fonft faum bei andern gleich- 
zeitigen Meiftern Altbayerns begegnet. Der 
Bogen auf dem Relief der Enthauptung des 
bl. Johannes ift übrigens in feinen Hauptformen 
nad) der Nifche auf dem Sandftein-Epitaph der 
Ejterreicher in Ingolftadt aufgebaut und trägt 
an feinen beiden Pfeilern genau an der Stelle wie 
jenes und fogar zweimal — die geflügelte Kugel. 

Die ftiliftijd) wie technifch genaue Ueber- 
einjtimmung mit den Flügeln meift auch die 
beiden prächtigen Statuen im Schrein des 
Ultares dem gleichen Meifter zu. Hätten wir 
nicht in den Flügeln das bindende Glied, fo 
wire der Pfad zu ihnen wohl fchwer zu finden 
gewejen. So aber wird das Auge, wenn e3 
von den durch die Größe und das Material 
bedingten Unterfchieden?) abfieht, vor allem 
in der Auffaffung und der Ponderation der 
Geftalten den Mteifter der Figitrden des Ma- 
roltaltar8, den Schöpfer des Paulus Lang oder 
des Salvator-Relief3 erkennen. Auch von dem 
Material weniger abhängige Einzelheiten wie 
3. B. die fiir ihre Zeit eminente Modellierung 
de$ Spielbeines deS Taufers hat der Mteijter 
S. R. fon abnlic) an andern Werfen ge- 
boten, fo ftiggenbaft am Martyrium Gt. 
Sebaftiang am Marolt-Altar und dann in ein= 
gebender Durchbildung an den beiden Sand- 
fteinrelief3. 


') Daß Relief behandelt die offenbar aus dem Namen Wolfgang abgeleitete Vegende, daß der Heilige, 


nachdem er Kirche und Zelle mit Hilfe de8 Teufels erbaut hatte, Gott bat, ihm einen Wolf im Pilgergemand 
zu fdiden, um damit dem Teufel den ausgedungenen Lohn — ben erften Pilger — ausliefern zu können. Bgl. 
Hiegu Mehler, Der Hl. Wolfgang 1894 ©. 212 ff. Außer der vorliegenden Darftellung ift mir fein einziges 
Beilpiel für die Verförperung diefes Stoffes durch die bildende Kunft befannt geworden; nur Michael Bader 
deutet fie flüchtig auf einem Flügelbilde feines Wltares in St. Wolfgang an. 

*) Der Faltenwurf an den beiden Neisbadher Figuren wirkt gegenüber den anderen Figuren des S. R. 
fehr unruhig und vielfnitterig. Abgejehen von dem verfchiedenartigen Material hat dies feinen Grund in der 
neuen Bergoldung. Immerhin aber erfennt man dod) aud 3. B. an dem aufgefdlagenen Gewandfaume iiber 
dem Spielbein des Täufers alte Gewohnheiten des DMteifters. 





rifhen Vereing in Landshut. 


mlung des Hifto 


Nelief der Taufe Ehrifti in der Sam 


Abb. 32. 


Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 129 


Die Reisbacher Sdhnigwerfe, gumal die 
beiden Iebensgroßen Schreinfiguren repräfen- 
tieren den Beginn der Blütezeit der nieder- 
bayerijden Wltarbildnerei. Hier entfaltet fich 


alle Glieder hHarmonifch durchitrömen zu laffen, 
am reihften und natürlichften. Nichts Mittel 
alterliches haftet mehr an diefen Körpern, nur 
im Gewande fnittert e8 da und dort nod 





Abb. 38. Mariä Schugmantel:Relief in ber Sammluug des Hiftorifchen Vereins in Landshut. 


das Berjtändnis des Meifters für den organifchen 
Aufbau de3 Menfdjenfdrpers und das Ver- 


migen, einen beftimmten Bewegungseffelt durch 


nad). Die Entftehung der Reisbader Bild: 
werfe haben wir etwa um 1520 anzunehmen. !) 
Die wenig glüdliche Neufaffung der Reis- 





Ab6. 34. Relief des HI. Martinus in der Sammlung des Hiftorifhen Vereins in Landshut. 





1) Urdivalifdhe Reherhen im Pfarramt zu Neisbad) und im K. Kreisarhiv Landshut blieben ohne 


jeden Erfolg. Sehr nahe ftehen den Reisbader Figuren zwei hervorragende Holaftatuen eines Hl. Laurentius 
und hl. Mauritius (9. ca. 0,92) in der Oberen Pfarrlirhe zu Ingolftadt, bod wage id nidt eine beftimmte 
Bumeifung an S. R. ausgufpreden, da die Körperverhältniffe andere als jene der Reisbadjer Figuren find. Bgl. 


K. D. B. I, 35. Taf. 9. 
A. M. 5 wu. 6. 


17 


130 Philipp Maria Salm 





Abb. 85. 
Bom Relief bes HI. Martinus 
in der Sammlung be8 Hiftorifchen Vereins in Landshut. 


bader Altarteile erfchwert erheblich den Ber- 
glei; mit den Steinarbeiten, die ung die 
Meifjelfchläge des Meifters S. R. unverhüllt 
und unverjehrt wiedergeben als der Hare Aus- 
drud feiner künftlerifchen Abficht. Die bunte, 
metallifch grelle Balette widerfpricht der Zeit 
und dem Stile der Bildmwerfe, zumal der Rez 
lief$, durchaus. UleberdieS hat man vor der 
Neufaffung den alten Grund völlig entfernt 
und den neuen Grund verftändnislos gleich- 
mäßig über alle Teile aufgetragen, fo daß fic 
in Verbindung mit der Farbe ftellenweife harte, 
faft rohe Wirkungen ergaben, namentlih an 
den Haaren und am Gemwande des Täufers 
auf den Flügeln. Grund und Farbe, die den 
Icharfen Schnitt des Mefjers hätten mildern 
und glätten müffen, heben ihn aufdringlich 
hervor. Ungmeifelhaft aber war das Reis— 
bacher Altarwerf wie alle altbayerifchen Altäre 








auf farbige Wirkung berechnet. Nur Kanzeln, 
Leltorien und vor allem Chorgeftühle verzich- 
teten damals auf Farbe, dementfprechend blieb 
alle Modellierung und Ausführung bis zum 
endgültigen Effelt dem Schnigmeffer guge- 
wiefen. Derartige Arbeiten aus dem Anfange 
des 16. Jahrhunderts find, von Rleinbild- 
werfen abgejehen, in Altbayern außerordent- 
lich felten. 

Das Köftlichfte davon befigt die Samme 
lung de3 hiftorifchen Vereins in Landshut in 
vier größeren figurenreichen Reliefs, welche 
die Krönung Mariä, die Manteljchaft Mariä, 
die Taufe Ehrifti und St. Martin mit dem 
Bettler (Abb. 31—36) darftellen. Und bHiegu 
gehören noch drei männliche Neliefbüften 
(Abb. 37). AU diefe Stüde, auf die des 
Näheren einzugehen mir hier unerläßlich dünft, 
bildeten der Tradition nach den bildneri- 
Ihen Schmud eines Besper- (oder Propften-) 
ftubles ber St. Martinsfiche in Landshut. 
Von den Arditekturteilen ift außer ein paar 
Stihbogen, deren Laibung mit einem Blatt- 
fries befeßt ift und deren Bwidel ein Delphin- 
ornament füllte, nicht mehr vorhanden, was 


. den Aufbau, den wir uns in der Geftalt eines 


Thrones ausdenten finnen, refonftruieren 
liefe. 1) 

Die Ausführung aller Teile fpridt von 
einer geradezu eminenten Routine des Schniß- 
meffer8, die alles Gleichzeitige des Gebietes 
in den Schatten jtellt. Am deutlichjten offen- 
bart fie fi) in den Köpfen der drei Haupt- 
figuren der Taufe, zumal in dem Engel mit 
den fliegenden Haaren, der mit den fturmge: 
peitichten Wipfeln des Hintergrundes den 
„Donauftil“* in der Plaftif wie nicht leicht 
ein anderes Werk repräfentiert (Abb. 31). Aber 
nicht minder gefchiet ift das Meffer in den Ge- 
mwändern, in dem Landfchaftlichen und in dem 
Malftrom der Wolfenfluten auf dem Relief 
der Krönung Mariä geführt. Den Gipfel 
feines Könnens jedoch gibt der Künftler in 
dem prächtigen Oberkörper Chrifti. 

Stil und Technik der Reliefs Taffen bei- 
nahe vergeffen, daß wir plaftifde Werke vor 
uns haben. Die ganze Anordnung und alle 


1) Sekt find drei der Nelief8 — die Mantelfchaft, die Taufe und St. Martin (2. 0,63—0,70 m) mit 
den Architelturteilen zu einem Fries vereinigt. Die Krönung Mariä ift 0,88 m lang, die Büften find ca. 


0,387 m hod. 


Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frithrenaiffance in Altbayern 131 





Abb. 36. Relief ber Krönung Mariä in ber Sammlung be8 Hiftoriichen Vereins in Landshut. 


Einzelheiten find durchaus malerifch gefehen. 
Mod) mehr käme dies zur Geltung, wären die 
Reliefs beffer in ihren Hintergründen erhalten. 
Gerade bei der Taufe Chrifti, die eine reiche 
Landichaft erwarten läßt, empfinden wir den 
Verlust ganz befonders. Aber die wenigen Refte 
diefes Mifrofosmos, die erhalten find, fprechen 
genug. Wie das ruhig ftrömende Waffer den 
Vorder= und Mittelgrund teilt, wie die differen- 
jierten Größen der Figuren das Bild vertiefen 
und laubiges Geäft den Horizont zu grenzen 
fcheint, gemahnt durchaus an einen Maler des 
Donauftils weit mehr al8 an irgend einen 
Plaftifer der Zeit. Selbit Hans Leinberger, 
der Ort= und Beitgenoffe diefes Mteijters bietet 
nicht entfernt Mehnliches. Was aber vor allem 
den fünftlerifchen Wert der Schnigmerfe hebt, 
ift die bei allen malerifchen Tendenzen ge- 
wahrte Klarheit in der bildnerifchen Er=- 
ſcheinung. 

Wir gehen zu den einzelnen Reliefs über. 
Das beſterhaltene und wohl auch urſprünglich 
das vollendetſte iſt die Taufe Chriſti (Abb. 32). 
Die Szene iſt die altgewohnte, Johannes, Chriſtus 
und der die Gewänder haltende Engel; neu 
iſt aber die Kompoſition. Früher waren die 
beiden Hauptperſonen einander koordiniert, 
meiſt im Profil einander gegenübergeſtellt. 
Hier bildet die frontale Figur Chriſti die 
Symmetrieachſe; als Träger des ganzen In— 
halts der Epiſode aber erſcheint der Täufer 
in mantegnesker Rückanſicht, dem der Engel in 








der Diagonale gegenüberſteht. Der Rhythmus 
der drei Figuren ſtimmt wunderbar zuſammen, 
die geſchmeidige Figur des Täufers, deren 
ausklingende Bewegung wir uns durch Er- 
gänzung der erhobenen Rechten vorſtellen 
müſſen, das Ausſchwingen der Hüfte des Täuf⸗ 
lings und die Haltung der Arme und ſchließlich 
die gegen die Gruppe zu ponderierte Stellung 
des Engels zeugen von ungewöhnlichem Schön— 
heitsſinn und voller Beherrſchung der Kom— 
poſition. Man mag Leinbergers Taufe im 
Raifer Friedrich-Mufeum!) daneben halten, um 
einen Maßftab für die fünftlerifche Größe und 
Reife diefes WerfeS gu gewinnen. Dazu 
fommen nod) die der Handlung andächtig 
folgenden Figürchen des Hintergrundeg, deren 
jedeS fiir fic) durchaus individuell gezeichnet ift. 

Bei der Mariendarftellung (Abb. 33) fehlt 
leider der mwichtigite Teil, der Oberkörper der 
himmlischen Mutter, deren Mantel zwei Engel- 
chen über die Gläubigen ausbreiten. Da Inien fie 
die Vertreter aller Stände, der Papft, der Bifchof 
und Ordensgeiftliche, der Kaifer und andere 
weltliche Fürften. Aber es find nicht wie fonft 
lediglih Koftümfiguren, fondern fcharf ge- 
prägte Charaktere von entjchiedenem Porträt- 
gehalt. Trägt 3.8. nicht das Bild des Kaifers 
die Züge des gealterten Maximilian?! 

Ein außerordentlich feines Bildchen ift indem 
Martinus-Relief gegeben (Abb. 34). Hier griff 
der Meijter in die reale Wirklichkeit. St. Martin 
halt fein Pferd vor dem Krüppel an, indem 


') Abbild. im Münchener Jahrbuch für bildende Kunjt 1906. ©. 121. 


17* 


132 


er den Zügel mit dem Arm an fich zieht. 
Dabei dreht er fich im Sattel nach der Seite, 
um den Mantel mit dem Schwerte zu teilen; 
leider fehlt diefes und die beiden Hände. 
Flehend und blöden Ausdruds ftredt der 
Krüppel feine verdorrten Arme dem Reiter 
entgegen. Mag das Rok in der Anatomie 
der einzelnen Körperteile auch etiwas fchematifch 
behandelt fein, fo prägt fich der Moment des 
Zügelns in der allgemeinen Haltung, vornehm- 
lich in den zurüdgeftemmten Beinen Har aus. 
Das bartlofe Geficht des Reiters, der wie ein 
biederer Landsinecht anmutet, ijt zweifelsohne 
ein Porträt und in feinem Ausdrud von Mit- 
leid und Milde ein piychologifches Meifterjtüd 
(Abb. 35). 

Die Qunette der Krönung Mariä fagt uns 
wenig Neues. So reizvoll das Bildchen mit 
den in den Wolfen wie im Wajfer fich tum= 
melnden Engelchen auch fein mag, fo ver- 
harrt e3 im Hauptthema doch bei dem be- 
fannten Typus der Spätgotif (Abb. 36). 

Die drei Reliefbüften (Abb. 37), in denen wir 
Propheten oder wohl eher noch chriftliche Helden 
erbliden dürfen, tragen gleichfalls Porträt- 
züge, find aber den größeren Maßverhältnijjen 
halber breiter behandelt als die übrigen Bild- 
werfe und wirfen in den Bartfringeln auch 
etwas altertiimlicher al8 jene. Dennoch find 
fie von gleicher Hand, aus gleicher Beit und 
rühren ficher ebenfall8 von dem Vesperjtuhle 
her. Un der einen Reliefbiifte, die wie die ſämt— 
lichen Schnigwerfe in Lindenholg ausgeführt 
find, ift ein Schriftband mit der Jahrzahl 1524 
angebracht. Es iſt aus dem gleichen Eichenholz 
wie die Stichbogen der drei größeren Reliefs 
gejchnitten. Der Stil der Bilder entjpricht durch- 
aus diefer Zeit, jo daß wir unbedenklich die 
Jahrgahl 1524 als Entftehungsdatum des 
Besperjtuhles annehmen dürfen. 

Wer der Meifter diefes hervorragenden 
Werkes war, ift ung nicht überliefert. Die Voll- 
endung und Reife und ebenfo die technifche Rou- 
tine, mit der bas Schnigmeffer fpielend wie ein 
Pinfel oder Griffel geführt wurde, deuten auf 
einen Meifter, der vorher mand) anderes Bild 
geichaffen Haben muß. Wan denkt zunächit an 
den um diefe Zeit in Landshut anfälligen Hans 
Leinberger. Ein Vergleich der Reliefs mit den 
fider beglaubigten Arbeiten diejes Metjters 





Philipp Maria Halm 


weift eine folche Möglichkeit aber fchlantweg 
zurüd. Neben Leinberger fann, foweit wir 
den Denkmilerfdhak des Grenggebietes von 
Oberz und Yiederbayern iiberbliden fdnnen, 
nur ein Meifter noch für diefe Zeit in Frage 
fommen, der Monogrammift S. R., und auf 
ihn weifen denn auch eine Reihe ftiliftifcher 
Eigentümlichkeiten der Desperjtuhl- Reliefs, 
die fich nicht durch den allgemein herrfchenden 
„Heitjtil” erklären laffen, und zwar fchon des= 
halb nicht, weil Arbeiten auch nur ähnlicher 
Ausdrudsformen, jene des Meijters S. R. aus 
genommen, fajt ganz fehlen. 

Bon grundlegender Berüdfichtigung für den 
Vergleich mit den Schnigmwerfen des S. AR. muß 
bier fejtgehalten werden, was wir fdon oben 
dargelegt haben, die technifchen Unterfchiede, 
die in der Polydromierung bezw. Farb- 
lofigfeit der Nelief3 gründen, dann aber aud) 
die aus der verjchiedenen Bwedbeftimmung 
und beabjidtigten Wirkung fich ergebenden 
Wandlungen. Die Reliefs des Reisbacher Hoch- 
altars follten möglichjt weit dem Bejchauer 
fichtbar fein; daher große Elare einfache For= 
men, denen freilich die jebige grell bunte Faffung 
nicht gerecht wird. Die Reliefs des Besper- 
ftubles find faft fleinbildnerifde Urbeiten, die 
fic) den reichen Erzählungen des ihnen ehedem 
benachbarten Chorgeftühls in St. Martin zu 
Landshut eng anjchloffen und ein liebevolles 
Verfenfen in alle Einzelheiten, in jedes Figür- 
chen, jede Miene, jedes Fledchen Erde fordern. 

Trogß der Unterfchiede erkennen wir aber 
aud) in vielen Zügen unfern Meifter wieder, 
fo vor allem in dem Aufbau und Duftus der 
Figuren. Man halte nur den Hl. Wolfgang 
von dem Meisbader Altarflügel neben den 
Täufer oder auch neben den Hl. Georg an 
der Predella des Maroltaltars; man vergleiche 
den Enieenden Kaifer mit dem Figiirden des 
Hans Efterreicher in Yngolftadt! Man be- 
tradjte vor allem auch die didföpfigen und 
furzhalfigen Engelchen auf den beiden Marien= 
reliefs, ob fie in ihrem fchalffaften Verfted- 
fpiel nicht die leibhaftigen Brüder der Putten 
auf den Monumenten des Thomas Löffelholz, 
des Hans von Klofen, des Alexander Lebers- 
firder u. a. find. Man prüfe die mitleidig 
finnenden Züge im Gefichte St. Martins, wie 
fie durchaus jenen des Hitters Leberskircher 


Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaifjance in Altbayern 


133 





Abb. 37. 


entfpredjen. Man febe dann den Sdhub- 
mantel der Maria in Bergleich mit den Fahnen- 
tüchern der beiden leßtgenannten Ritter oder 
die Architefturmotive der Martinslegende und 
der Büften mit jenen der Keisbacher Flügel 
oder dem Epitaph des Schaffmannsberger in 
Freifing! 

Nod ein wichtiges Moment in dem 
Charakter der Vesperjtuhlreliefs Ienft unfer 
Auge auf den Meifter S. R., das Porträt- 
mäßige der Geftalten. Man findet faum einen 
Kopf, felbjt die Figürchen des Hintergrundes 
nicht ausgenommen, der nicht fcharf prägilierte 
individuelle Züge trüge. Gm ganzen örtlichen 
Bereiche der Hunt des S. HL. vermochte fein 
Zweiter ein Wehnliches zu bieten, felbft nicht 
der ihm in manchem verwandte Hans Leinberger. 
Was das Grenzgebiet von Ober- und Nieder- 
bayern, das hier in erjter Linie in Betracht 
fommt, an wirklichen Porträts oder porträt» 


artigen Bildwerfen bietet, ift nicht zahlreich. 


und greift nur vereinzelt über eine matte 
CHarafterifierung einiger weniger Typen hinaus. 
Daß aber gerade der Meifter S. AR. derartige 
fein individualifierte Figürchen zu formen ver- 
Stand, findet die einfachfte Löfung in dem 
Schwerpunkt feines fünftlerifchen Schaffen, 
in den Grabfteinporträts. Hier liegen die 
Keime für die jtrenge glaubhafte Zeichnung 
der einzelnen Perfönlichkeiten der Landshuter 
Reliefs, die in der fauberen Führung des 
Schnigmejjers, wie das Werf eines Klein- 
meifters anmuten. Man dürfte fic) nicht 
wundern, wenn einmal Medaillen des Meifters 
auftauchten, denn oft erweden die Köpfe auf 





Neliefbüften Hriftlimer Helden in der Sammlung des Hiftorifhen Vereins in Landshut. 


diefen Schnigbildern den unmittelbaren Ein- 
drud von Buchsmodellen. 

In den in etwas größeren Berhältniffen 
gehaltenen Reliefbüften befigen wir gemiffer- 
maßen die Bindeglieder zwifchen den figürlichen 
Szenen des Vefperjtuhles und den Porträt- 
Steinen. So erinnert 3. B. der Prophet mit 
dem Bud) in der Kopfhaltung an den Lang 
von Wellenburg. Die beiden anderen weifen 
in Haare und Bartbehandlung diejelbe Mache 
auf, wie einerfeits der hl. Sebaftian des Dta- 
rolt-Epitaphs, andererfeit3 aber auch wie die 
Engelfrifuren der Reisbacher Flügel. 

Die Landshuter Reliefs von 1524 erfcheinen 
erheblich fortgefchrittener als die des Neisbacher 
Altars. Dennoch möchte ich feine erhebliche 
Differenz in der Entftehungszeit annehmen. 
Dean muß fich Har darüber fein, daß das Vor— 
bild des Reisbacher Engeljturzes, das alter= 
tümlichite Blatt der Apofalypfe, beiläufig jhon 
zwanzig Jahre alt war, ald e8 der Meijter 
S. R. verwertete, und daß er das Gegenftüd 
dazu dem Gegebenen nad) Möglichkeit anpaffen 
mußte. In den beiden anderen Reliefs, wo 
ihn feine Fejjeln hemmen, ift er neugeitlicher 
und freier. Man vergleiche nur das Raum- 
empfinden; oben die Ausfüllung des ganzen Rah- 
mens, die Ausdehnung des Bilderjtoffes in 
aller Breite, unbefümmert um die Stellung 
des Vorgangs zur Landichaft, furzum, der 
Flächencharafter eines Wandteppich8; unten 
aber das entjchiedene Streben, die Figuren mit 
der örtlichen Umgebung und räumlichen Ber- 
tiefung in Einklang zu bringen. Hierin ftehen 
diefe Reliefs den Landshuter Arbeiten fehr nahe, 


134 Philipp Maria Halm 


und ich ziehe aus der Summe aller Stilähn- 
lichfeiten und Ermägungen äußerer Natur 
den Schluß, daß auch die Vefperftublreliefs 
fein anderer Meifter als S. R. gefchnitten haben 
fann. 

Ueber diefe beiden Serien hinaus gelang es 
mir biß jeßt nicht, den Spuren unferes Meifters 
als Bildfchniger zu folgen. Nur noch in einem 
Werke glaube ich feine Hand zu fehen, oder 
beffer vielleicht gejagt, feinen Geift zu fpüren, 
in der Heinen Holzfigur eines HI. Florian der 
Sammlung Julius Böhler in München, die 
nad) Mitteilung ihres Befiters aus Landshut 
ftammen foll und in der Tat auch in ihrem 
Formgefühl und felifchem Gehalte dem nieder- 
bayerischen Empfinden ihrer Zeit durchaus ent- 
fpricht. Einen Meifter aber, dem diefes un- 
vergleichlich feine Figürchen mit den fprechen- 
den feelenvollen Zügen und dem hauchenden 
Mund näher ftünde als der Monogrammift 
S. R., wüßte ich nicht zu nennen. 


Der Hof der bifhöflichen Refidenz in 
Freifing. 

Zaffen wir nod) einmal die arditeftonifden 
Motive de3 Meifters ins Auge, wie mir fie 
vorwiegend an feinen Grabplaftifen trafen! 
Seine reich auSgefprodjene iiberquellende Luft 
an der neuen Schmudmeife, die ihn dad Meben= 
fächliche feiner Aufgabe nicht felten faft zur 
Hauptfache werden läßt, ward für unfere Unter- 
fuhung Häufig zur erjten und untrüglichen 
Spur. Saum daß er ein einzige® Grabmal 
gemeißelt hätte, dag folcher Bier entbehrte. 
Dabei ermüdet er nicht durch Wiederholungen, 
fondern ftrebt nad) Iuftigem Wechfel. Die 
Slügel des Marolt-Altar8 wirken faft wie ein 
Skijgenbuch, nach welchem die größeren Are 
beiten entftanden. Mehr noch als die flafchen- 
ähnlichen Säulen intereffieren, unter diefen 
aber die aus allen möglichen phantaftifchen 
Dlattkelchen und gedrehten, gerillten und ab- 
gefanteten Cingelfdrpern zufammengehäuften 
Stiiken. Woher fam dem Meifter die Rennt- 
nis diefer Formen ? Konnten wir für einige 
der Motive die Autorfchaft Albrecht Dürers 





und Hans Springinflees nadjmeifen und laffen 
fid) die flafchenartigen Säulen am Wtarolt- 
altar, an den Epitaphien von Kalbsor und 
Schaffmannsberger u. a. a. O. auch aus ver- 
wandten Formen in Dürer Marienleben — 
Mariä TZempelgang (B. 81) — erklären, fo fehlen 


‚uns für jene merkwürdigen Kompofitftügen, 


wie fie am eigenartigiten die Steine in Gergen 
und Arnftorf flanfieren, alle geeigneten An- 
baltspunfte. Für ein einzelnes Glied, etwa 
ein Rapitell, mag man in ber zeitgenöffifchen 
Bücherilluftration, jo etwa den Druderzeug- 
niffen der Offigin Johannes Weykenburger 
in Landshut oder mehr nad) Nürnberger 
Offiginen, fchlieglid ein Beifpiel finden, nicht 
aber für den ganzen abjonderlichen Aufbau, 
für diefes Aufeinandertürmen aller möglichen 
Motive. Die gewohnte Gliederung einer 
Stiike in Fuß, Schaft und Haupt befteht für 
ihn fo gut mie gar nicht. Was liegt daran, 
wenn eine Bafis wie der Kelch eines Kapitells 
erfdeint, aus dem dann der Schaft heraus= 
feimt; e8 freut ihn die neue Form, und forg- 
lo8 und unbefümmert um ftatifch - äfthetifche 
Bedenken phantafiert er fic) diefe merfmitr- 
digen Stüßen zufammen. Eine folche reiche 
und vielgeftaltige Verwendung von Ardhitefturs 
gliedern ift der Grabplaftif der vorhergehenden 
Stilperiode, die über die dünnen Säulchen und 
Kielbogen nur in den feltenften Fällen hinaus: 
fam, fremd, und e8 mag wohl berechtigt fein, 
zu behaupten, daß troß der vorwiegend defo- 
rativen Ausgeftaltung und Anwendung feiner 
arditeftonijden Motive in dem Meifter S. R. 
etwas von einem Bautiinftler ftad. Ja, an 
einem Baumer! Altbayern® aus jener Beit 
finden wir fogar ganz ähnliche Gebilde, wie fie 
unfer Meifter anzuwenden nie erlahmte, näm= 
lich in den Loggien des Hofes der bifchöfliche 
Refideng in Freifing. 
Die Hallen des Refidenghofes in Freifing 
bilden das widhtigfte Moment in der fiinft- 
lerifchen Erjcheinung des bifchöflichen Schloffes 
(Abb. 38). Sie wurden nach einer Infchrifttafel 
(f. u.) im Jahre 1519 erbaut von Fürjtbifchof 
Philipp, Pfalzgraf bei Rhein, dem vierten Wit- 
telsbacher auf dem Stuhle des Hl. Korbinian.!) 


1) Meichelbed, Historia frisingensis II (1729) &. 312 und 366. — Sighart, Gefdjichte ber bilbenden 
Fünfte in Bayern (1862) ©. 681. — Lüble, Gefhichte der Renaiffance in Deutfchland II (1882) S. 6 und I 
(1882) ©. 74. — Lambert und Stahl, Motive der deutfchen Architektur des 16., 17. und 18. Jahrhunderts. Mit 
Fert von 9. E. von Berlepfh. Taf. 5 und 6. — Sighart, Lübke und Berlepfc geben die falfde Jahrzahl 1520. — 


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Stephan NRottaler, ein Bildhauer ber Frührenaiffance in Altbayern - 135 





Abb. 39. 
Zweite Stüße bes Laubengangs 
im Refidenghof zu Freifing. 


Die Hallen umziehen den Hof an der Nord- und 
Oftfeite in zwei Gefchofjen und zwar entjprechen 
jeder unteren Arkade je zwei des Obergefchoffes. 
Im dftlichen Flügel tragen die Hallen des Erd- 
geichofjes einfache, größtenteils erneuerte Kreuz- 
gemwölbe, im nördlichen Flügel Rippengemölbe ; 
die obere Halle ift im Oftflügel jebt flachge- 
dedt, während fi) im Nordflügel noch das 
alte verjchiedenartig figurierte Rippengemölbe 
erhalten hat. 

Der Hauptreiz des Baues liegt, abgejehen 
von den fchönen Verhältniffen in den Stüßen 
der oberen Arkaden, die wie alle wichtigeren 
Glieder des Baues in rotem Marmor gemeiffelt 








find (Abb. 39—42). Uns aber erfcheinen fie vor 
allem deshalb wichtig, meil fie mit ihren phan- 
taftifchen Formen die Erinnerung an die Grab- 
fteinarchitefturen des Meifters unmittelbar 
wachrufen. Am engften find fie mit den Säulen 
und Pfeilern am Steine des Hans von Klofen 
in Arnftorf und des Mlerander LeberSfirdher 
in Gerzen verwandt. Die ftiliftifche Aehnlich- 
feit ijt jo auffallend, daß man auch für jenen 
Bau die Hand des gleichen Meifter8 annehmen 
midte. Schon Lüble hat diefe Vermutung 
ausgefprochen freilich unter Annahme durchaus 
unftichhaltiger Gründe. Er fchreibt zunädjit: 
Sein Steinmebgeiden und das Ptonogramm 





= Te FEUER 


Abb. 40. 
Fünfte Stüße des Laubengangs 
im Refidenghof zu Freifing. 


K. D. B. I, 339 und 378. — von Bezold, Die Baufunft der Nenaifjance in Deutfdland (1900) ©. 23 und 
©. 175 ff. Schlieglich vermeife ich auf eine Eleinere, Ende ber neunziger Jahre verfaßte Abhandlung des 
Verfaflers in „Kunft und Handwerk“ Jahrgang LIE (1903) ©. 130 ff. Ardhivalifche Forfhungen in den Archiven 


in Münden und Landshut blieben ohne Erfolg. 


136 Philipp Maria Salm 





A. P. hat er — der Meifter — an einem 1. Stüße. Eine halbe Säule. Täfelchen am 
Pfeiler eingegraben.“ 1) Dann erwähnt er flüch- Schaft. Schild. 
tig die Epitaphien von Marolt und Ralbsor 2. Stüße. (Abb. 39.) Achtlantiger Pfeiler. 
und bemerkt zu diefem: „Das Monogramm Täfelden am Schaft unterhalb 
A. P. — vgl. oben — deutet offenbar auf des Kapitels. 
den Meifter der Arkaden des Nefidenzhofes.“ ?) 3. Stüße. Bierfantig. An der Bafis eine 
Die Buchftaben A. P. am Stein des Kalbsor Tafel wie die monogrammierten 
alg ein Stiinftlermonogramm  angufpredjen, TäfelchenanderSigismundnifche 
erjcheint, nachdem wir als folches das Scild- de Marolt-Wtars ; eben dort eine 
den mit dem durchquerten Pfeil, welches Sig- Kugel und ein an einem Riemen 
hart und Liibfe überfahen, nachgemwiefen haben, hangendes Wappenfchildchen — 
fo gut mie ausgefchloffen. Nicht ein Mono- mitdem Mohrenkopf von Freifing 
grammift A. P., fondern ein Meifter S. P., — gleich dem Schildden mit dem 
hat, wie uns die ftiliftifden Beziehungen zu Meifterzeichen am Kalbsorftein, 
den beiden andern mit S. Re. fignierten Ar- fernergmwei Täfelchen am Kapitel. 
beiten bewiefen haben, das Epitaph de3 Ranonifus 4. Stüße, An der Bafis gwet Täfelchen 
Kalbsor gemeiffelt.*) Mun haben aber auch wie an den Pfeilerbafen der 
mehrfache Nachforfchungen *) dag Steinmeß- Sigismundnifhe des Marolt- 
zeichen und die Buchftaben A. P., welche Sig- Altar und zwei Täfelchen im 
hart an einem Pfeiler des Refidenghofes ein- Blattlelch des Kapitells. 
gegraben gefehen haben will, nicht mehr auf- 5. Stüße. (Abb. 40.) Reine Tafel. Die 
finden fünnen. Auch eine eingehende Unter- Bafis ähnelt aber durchaus dem 
fuchung meinerfeits blieb nad) diefer Richtung Poftament derMlaria im Marolt- 
bin erfolglos, erbrachte ftatt deffen aber ein Schrein. 
anderes überraſchendes Reſultat, das ohne 6. Stütze. (Abb. 41.) Eckpfeiler mit Flach— 
Schwierigkeit und Zwang ſich mit den bis jetzt ornamenten gleich jenen des 
gewonnenen Forſchungsergebniſſen in überzeu— Eſterreicher-Steines von 1522. 
genden Einklang bringen läßt. Es zeigte ſich An der einen Seite hängt das 
zunächſt die auffallende Merkwürdigkeit, daß Biſchofswappen des Erbauers, 
ein dem Meifter S. ZR. jehr beliebtes Motiv, die in der Schildform fich mit vielen 
feine Tafel, die am Marolt-Altar, am Epitaph Beifpielen de3 Mteifters S. R. 
des Kalbsor und der Ejterreicherin und an dedend und an einem Riemen 
den Grabmalern des Peter von Altenhaus und hangend wie das Meifterzeichen 
des Hans von Klofen fpielend deforativ Ver- am Kalbsorftein. 
wendung fand, überrafchend häufig an Bafis, 7. Stüße. In dem Blattfelch des Kapitells 
Schaft und Kapitel der Stüßen wiederfebrt. eine Tafel wie an der 4. Stüße. 
Wir zählen in Kürze auf: 8. Stüße. (Abb. 42.) Am Schaft eine Tafel. 








', Züble, Gefhichte der Renaiffance in Deutfdland Il (1882) ©. 6 und I (1882) ©. 174. In ganz 
ähnlicher Weife fdreibt Sighart — Gefdidjte der bild. Künfte in Bayern (1862) ©. 681 — „Der Name des 
Baumeifters ift durch fein Steinmeßzeihen und die Budjtaben A. P. angedeutet“. Ungmeifelhaft fubt Lübfe 
auf Sighart, wie aud) daraus erhellt, daf beide das falfhe Erbauungsjahr 1520 angeben, während die Buu=- 
infdrift deutlich dag Jahr 1519 nennt. 

*) Liibfe a. a. DO. II (1882) ©. 7, wo aud nod de8 Steines des Paulus Lang als wohl von der 
Hand diefes Meifter8 herrührend gedacht wird. 

5) Ob die Budftaben A. P. wirklid am Refidenghof angebradt waren, erfdeint mir mehr al¥ fraglid. 
Srrtiimer find bet Sighart feineSmwes felten, gibt er bod, obwohl in Freifing anfaffig, bas falfde Erbauungs- 
jahr 1520. — Die Buchstaben A. P. am Epitaph des Kalbsor fdeiden als Meiftergeiden aus. Sie finden am 
einfadhjiten ihre Deutung durd eine Stele im cgm. 1724 ©. 111 und 179, wonad ein Kanonilus „Andreas 
PUN von dem päbjtlihen Stuell 9. Petri Malbsohr fel. Canonifat iiberf{homen hat“. Der Nachfolger Kalbsors 
im Stanonifate, Andreas Püll, dürfte „zu dankbarer Gedähtnus“ das Epitaph feines Vorgängers geftiftet haben 
und ließ dann gegenüber der Tafel mit dem Entftehungsjahr desjelben die Unfangsbuchftaben feines Namens 
in die geflügelte Kugel meißeln. 

4) K. D. B.I, 379. 


Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 137 


9. Stüße. Ohne charakteriftifche Details. 


10. Stüße. Unterhalb des Sapitelld eine 
Tafel. 
11. Stüße. Ohne charafteriftifde Details. 


Darnad) tragen, von anderen verwandten 
Motiven des Mteifters S. AR. ganz abzufehen, 
fieben unter den elf Stüßen die eigenartigen 
rechtedigen Täfelchen, deren wir im ganzen 
zwölf zählen. Dabei fällt aber vor allem auf, 
daß feines einen fachlichen med erfüllt, d. . 
feine Jahrzahl, fein Monogramm trägt, alfo 
wie am Monument des Hans von Klofen ledig- 
lich al3 raumfüllendes deforatives Motiv aufs 
tritt (Abb. 43.) Den Meifter freut das Schmud: 





Abb. 41. 
Sechſte Stütze des Laubengangs 
im Reſidenzhof zu Freiſins. 











Abb. 42. 
Achte Stütze des Laubengangs 
im Reſidenzhof zu Freiſing. 


glied und in ſeiner Freude kann er es, kindiſch 
damit ſpielend, nicht oft genug anwenden. Es 
wirkt für ihn juſt wie ein Monogramm. Die 
Annahme, daß wir in dem Schöpfer der Loggien⸗ 
fäulen wieder den Meifter S. R. vor uns haben, 
wird noch durch ein weitere Argument be- 
ftätigt. 

Das Mittelalter behandelte die Steinmek- 
zeichen ftets als etwas Selbfjtändiges und dem= 
gemäß brachte fie diefelben ohne ftörende oder trit- 
bende Zutaten flar und deutlich erfennbar an 
den Werfen an. Am Arkadenhof der Freifinger 
Refidenz jehen wir ein anderes. Unfer Meifter 
hat nämlich zwei feiner Zeichen direkt als 


1) Derartige Täfelhen fommen in Ultbayern um diefe Zeit nur ganz vereinzelt vor, 3.8. am Grab= 
ftein des Stephan von Schaumburg (1524) in der Turmvorhalle der Kirche in Haslad) bei Traunftein. E8 
liegt nahe zu vermuten, daß, wie Dürer Holzichnittfolgen im allgemeinen und befondern auf den altbayerifchen 
Steinmegen eingewirft haben, ibn aud) die dort faft auf jedem Blatt herumliegenden Tafelden zur Nadjs 


abmung angeregt haben. 
A. M. 5 u. 6. 


18 


138 Philipp Maria Salm 


Ornamentmotiv verwertet.) An dem Ed 
pilafter, der durch feine Stellung und als 
Träger des bijchöflichen Wappen einen ge- 
wiffen Vorrang einnimmt, finden wir einmal 
al8 oberjte Endigung der Bilafterfüllung eine 
geflügelte Kugel und außerdem am Poftament 
der entgegengejeßten Seite wieder die ge= 
flügelte Kugel, bier von einem durchquerten 
Pfeil durchbohrt und über einem Dreiberg 
Ichwebend. (Schlußvignette Abb. 45.)?) Zwar 
fehlen dem Pfeil die Flugenden, aber follen 
wir deshalb diefeS Kriterium, das nod 
Durd) eine ganze Reihe ftiliftifcher Merkmale 
geftiigt wird, ablehnen? Wir wifjen ja, dab 
der Meifter, wenn er überhaupt fignierte, jedes- 
mal fein Zeichen jpielend mechjelte. Wenn er 
dort S. und A. mit dem Pfeil (Peter von Alten- 
haus), bier S. und AR. mit der geflügelten 
Kugel (Stein der Ejterreicherin) kombinierte, 
warum follte er, ganz abgejehen davon, daß 
er die geflügelte Kugel überhaupt gerne ver- 
wendet, diejelbe nicht auch einmal mit dem 
Pfeil vereinen! Ueberdies ſprechen ja auch 
alle ftiliftifden und örtlichen Momente für 
die Hand des Mteifters. *) 

Die Infchrifttafel am Nordflügel des Hofes 
befagt: PHILIPPS BISCHOVE ZV FREY- 
SING ADMINISTATOR ZV NVMBVRG 
PFALCZGRAVE BEY RHEIN HERCZOG 
IN BEYRN HAT DISEN PAW VON 
GRVND AVFGEFVERT VND VER- 
BRACHT ANNO DNI MDXIX. (Abb. 44. 

Bwei fleine Engel, in Rifchen an den untern 
Eden der Tafel eingezwängt, halten je ein 
Wappen, deren eines Pfalzbayern mit dem 
Bistum Freifing, das andere Pfalgbayern mit 
dem Bistum Naumburg zufammenfaßt. Die 
Engelden muten wie ihre fleinen Gefellen 
am Stein des Lang von Wellenburg, des Klofen, 
oder am Krinung8relief des Landshuter Ves— 
perjtuhls an, und ihre fein gebohrten Loden 








ftimmen gang mit jenen des bl. Sebaftian am 
Marolt-Altar überein. Wud) im Figürlichen 
alfo fchließt fich gwanglo8 der Ring. So 
haben wir denn in dem GSteinmegen und 
Schniter S. R. nunmehr aud einen Bau 
meifter gu fehen und zwar den Schöpfer des 
alteften Baumerfes deutfcher Frührenaiffance 
in Bayern. 

Biihof Philipp hatte in dem Hofraum 
feines Schlofjes fchlieglich noch einen präch- 
tigen Marmorbrunnen errichten laffen. Alle 
Ehroniften erwähnen feiner in den über- 
Ihmwänglichiten Ausdrüden. So berichtet noch 
Meichelbed von ihn: Hoc veneranduspontifex 
in castro Frisingae fontem valde perutilem 
ex lapidibus pretiosis marmoreis jussit fieri 
structurae tam pretiosae firmae ac perutilis, 
quodinterrisnostris vix sibi similis reperitur.t) 
Nicht ein Stein, nicht die flüchtigfte Skizze 
zeugt mehr von diefem verfchollenen oder unter= 
gegangenen Werfe, von dem wir wohl nicht 
ohne Grund die Vermutung hegen diirfen, 
daß e8 gleichfalls eine Schöpfung unferes 
Meisters mar. 

Bifdhof Philipp war ein reger Förderer 
der jchönen Künfte. Hans Schwab von Wer- 
tingen, der Hofmaler Herzogs Ludwig X. 
hat uns feine energifch-[ympathifchen Züge in 
einem Bilde der Schleigheimer Galerie feft- 
gebalten,®) von dem SRleinmeifter Friedrich 
Hagenauer und von einem Meifter aus dem 
Kreife des Eichjtätter Bildhauers Loy Hering 
rühren verfchiedene tüchtige Medaillen und 
Hleinere Porträtrelief8 des Fürften her‘) und 
gleichfalls von einem gewandten Schüler Loy 
Herings ließ er fic) aud) nod) gu Lebzeiten 
ein Epitaph von Solnhofer Kalkftein fertigen, 
das ihn im Schuße feines Patrones vor dem 
Gekreuzigten Enieend darftellt. Unter diefem 
Epitaph — in der Borhalle des Freifinger 
Domes — fteht jchließlich noch fein Grabftein 


1) Was Sighart und Lübte (f. o.) als Steinmebgeiden anfahen, willen wir nicht, da beide teine 


näheren Ungaben über Form und Ort maden. 


*) Die ornamentale Verwendung eines monogrammatifden Zeidens fteht bei unferem Meifter durch⸗ 
aus nicht vereinzelt. Ich verweiſe nur auf den Entwurf Peter Flötners zu dem Mainzer Marktbrunnen, ere 
richtet 1526, wo ganz analog unſerer Eckſtütze, dem Ornament der Pilaſter dreimal Flötners Zeichen — Klöpfel 
und Balleiſen — eingewoben ſind. Vgl. Konrad Lange, Peter Flötner, Berlin 1897, ©. 81. 

) Auf die übrige Architekltur des Hofes weiter einzugehen, würde den Rahmen unſerer Aufgabe über- 


ſchreiten. Wir verweiſen auf die K. D. B. J, 378. 


) Meichelbeck, Historia Frisingensis II (1729) S. 312. 
) Katalog der Gemäldegalerie im K. Schloſſe zu Schleißheim 1905 Nr. 137. 
*) Ubbildungen im Yahrbud der K. preugifden Kunftjammlungen 1907 ©. 194 fi. 


Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 139 





von rotem Marmor mit dem lebensgroßen, 
jedoch etwas fdhwadliden Bilde des Bijchofs, 
wohl gleichfalls von einem Schüler Loy 
Herings.!) Man fühlt in Anfehung aller diefer 
Porträts deutlich den Geift der neuen Beit ; 
Bifchof Philipp war nicht mehr nur ein Fürft 
der Kirche im Flerifalen Geifte des Mittel- 
alter8, jondernbereits, wenn aud) nicht in univer= 
fellem Sinne, jo doch auf dem Gebiete der 
bildenden Künfte ein echter Renaifjancefürft. 
Bor allem ftand fein Sinn nad) ftolgen Bauten. 
Der Refidenzhof und das befcheidene Brauhaus 
auf dem Freifinger Domberge find die einzig 
erhaltenen Zeugen feiner Bauluft, von der die 
Ehronif rühmt: Insuper castrum ibidem tantis 
aedificiis construi ac decorari permisit, 
qualia nullus episcoporum ante ipsum fecit, 
ut cernitur ad oculum.?) Mahnt uns das 


Sam 


* N 





pe Ne 





RKapitelle und Bafen vom Laubengang ber bifchöflichen Nefidenz in Freifing. 


alles nicht, zu gedenken, daß der Neffe des 
fürftlichen Bauherren, dem das bayerifche 
Stammland in dem Hofe der bijchöflichen 
Refidenz den erften Bau des neuen Stiles ver- 
dankt, jener hochgefinnte Mäcen war, der uns 
den ftolgeften Bau deutfcher Renaiffance gab 
— Ott Heintid. 


Der Mteifter S. R. 
(Stephan Rottaler.) 


Wer war der Meifter S. R.? 

Nagler,>) der allein diefer Frage mit Rüd- 
fiht auf das Monogramm am Grabjtein des 
Petrus von Altenhaus in St. Jodof zu Lands- 
hut näher trat, vermutet, daß diefer Bild- 
bauer, den er mit vollem Rechte „den tüchtig- 
ten Meiftern feiner Beit’ zuzählt, in Landg= 


ı) Abbildung im Sammelblatt des Hiftor. Vereins Freifing VI und VII (1888). Bgl. Hiezu ebenda 
VOI und IX (1900) ©. 10 und Mader, Loy Hering 1905 ©. 102. 

2) Meichelbed, Historia Frisingensis II (1729) ©. 312. 

5) Nagler, Die Monogrammiften Bd. V, ©. 55 Nr. 279. 


18* 


140 


hut lebte und der Familie der alten Bildgießer 
von der Rofen angehörte. Ulric), der Sohn 
eine3 Hans von der Rofen, der 1502 zu Mün- 
chen ftarb, habe einen Sohn Simon hinterlaffen, 
der als Künftler in einem alten Regifter der 
Münchener Zunft erwähnt werde. Die Nach- 
richt ift unfontrollierbar und verdient hinficht- 
li) des Namens menig Glaubmwürdigfeit. 
Wie Nagler möchte aber auch ich am eheiten 
Landshut al3 den Sit de8 Riinftlers an- 
nehmen. edenfall8 erachte ich e3 für aus- 
geichloffen, daß er aus der [pätgotifchen zwar 
reichen aber handmwerflich derben Steinmegen- 
Kunft Freifings herausgewadfen ijt. Das 
war nicht der Boden für neue Keime Für 
Landshut fpricht wenigftens die zentrale Zage 
der Stadt im Bering der Arbeiten des Vteifters 
und ihre aus den Zeiten der reichen Herzöge 
nod) nachflingende Fünftlerifche Regſamkeit. 
Nach Landshut weifen nun aber auch ein paar 
ardjivalifde Motizen, die wir unbedenflid) auf 
unferen Mteifter bejiehen dürfen. Sie finden 
fih in einem Camerpuch anno xv° xvijmo 
Herzogs Ludwig X. unter: ainczig und gemains 
ausgeben anno ec. xvij und find bier nad 
den Originalen wiedergegeben.') 

Item zallt Paulsen Sigersreiter zu 
Landshut umb 2° wax zu dem pild gen 
Oting auf geschäft meins genedigen herrn 
herczog Ludwigs mitsambt etlicher leinbat 
und zwilch laut seiner zetl durch vicztomb 
undersch(rieben). actum pfinczlags nach 
oculi A? zvij® . 

xxx gid. vj 8 iij &. 

Item zallt Steffan schniczer zu Lands- 
hut von dem gedachten pild zu machen; 
darfür im mein genediger herr so vil zu 
geben verschaft hat. actum mitwoch vor 
Philippj el Jacobj A? xvij® 

vitj gld. 

Item zalli Hannsen Jäger und Steffan 
Rottaler schniczer alls vormunder weillend 
Sigmunden Platners kinder auf geschäft 
meins genedigen herrn an dem küris, so 
der Adlczhauser an ine gefrumbl hat und 








Jahrbuch für bildende Kunft I (1906) ©. 135. 
Dr. Budheit in Minden: Pafing. 


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| 


Philipp Maria Salm 


damit gar beczali. aclum erichtags nach 
misericordia domini Anno ec. xzvij® 
x litt] gid. 

In diefem „Stephan Rottaler“ erblide ich 
unfern Mteifter S. R. Die Frage nad) der 
Spentität beider, die Habich einmal lediglich 
unter Hinblid auf die Skulpturen im Freis 
finger Domkreuz ganz flüchtig aufwarf, ohne 
ihr jedoch näherzutreten?), fchwanfe ich nicht 
länger ‘unbedingt zu bejahen, nachdem viel- 
fade und untrügliche Spuren in den Werfen 
de8 Mongrammiften S. R., die nun in 
breiter Fülle vor uns liegen, nad)  Zands- 
hut wiefen. Würden wir nur die Steins 
arbeiten des Meifters fennen, fo dürften 
wit uns dennoch nicht an dem Ausdeud 
„Schnitzer“ des Kammerbuchs ftoßen, denn 
der Gebrauch des Mittelalters erachtet die Be— 
zeichnung „Schnitzer“ als gleichbedeutend mit 
Steinmetz oder Bildhauer, nicht zum wenigſten 
in der Annahme, daß, wer das Schnitzmeſſer 
führte, auch den Hammer und Klöppel ſchwang. 
Nun aber hat unſere Unterſuchung uns in die 
Lage verſetzt, den Meiſter der Steinſkulpturen 
auch als den Schöpfer der hervorragenden Holz— 
bildwerke an dem Reisbacher Hochaltare und 
dem Landshuter Vesperſtuhle anzuerkennen, 
und damit ſind wir umſomehr berechtigt, den 
Monogrammijten S. AR. nunmehr mit dem 
vollen Namen „Stephan Rottaler“ zu 
belegen. 

Weitere eingehende Recherchen nad) Stephan 
Rottaler in den Archiven in München und 
Landshut blieben erfolglos. In dem Dienfte 
Herzogs Ludwig X. war er offenbar nur vor= 
übergehend. Aus den obigen Einträgen erhellt 
nicht genügend, ıwag mitdiefem „pild gen Öting“ 
gemeint ift. ch vermute, daß e3 fich um ein 
mwächjernes Votivbild handelt, das vielleicht 
den Herzog jelbit lebensgroß darftellte und das 
für das Gnadenbild nad) Altötting geftiftet war. 
Der Fall wäre durchaus nicht vereinzelt; pil- 
gerte doch Pfalzgraf Otto Heinrich ein Jahr 
fpdter (1518) mit einem folchen lebensgroßen 
„wächjinen Bild“ nad) St. Wolfgang am Aber- 


') &. Kreisarhiv Landshut Rep. XVII Fasz. 492. S. Habidh, Hans Leinberger in dem Münchener 
Den näheren Hinweis auf diefe Nrchivalien verdante ich Herrn 


*) Bgl. bas Referat meines Vortrages über den Meifter S. R. in der Altbayer. Monatsihrift Jahr» 
gang IV (1903—1904) ©. 98 und Yabid), Hans Leinberger in dem Münchener Jahrbud) für bildende Kunft 1. 


1906 ©. 185. 


Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 141 





Abb. 44. 


fee zum Dank für erlangte Genefung.') Einem 
folhen Bilde würde auch die Menge Wachs 
entiprechen und ebenfo die anfehnliche Summe, 
die Herzog Ludwig dafür ausgab. Darnadh 
wire Rottaler zugleich „Wach8boflierer“ ge- 
weſen. 

Leider fehlen in den Archiven auch die 
Akten über den Bau der fürſtbiſchöflichen Reſi— 
denz zu Freiſing; eine „Raittung ſo Biſchof 
Philipp von aigener Handt gehalten 1524*,?) 
fpricht nicht mehr davon. 

Auf den Meifter Stephan darf aber wohl 
nod ein Gintrag einer nun verfdollenen Hand- 
{chrift von 1740°) bezogen werden. Darnach war 
im Rreuggang de3 Frangisfaner-RKlofters in 
Landshut, der im Jahre 1802 abgetragen wurde, 
laut der hiebei zu Berluft gegangenen Injchrift- 
tafel begraben: Steffan Zottau Schnißer und 
feine Hausfrau Elsbet, geit. 1533 und 1532. 





Bauinfchrift im Hofe der bifhöfliden Nefidenz in Freifing, 


Es Handelt fic) bier offenbar, wie nicht felten 
bei Grabjteinbüchern des 18. Jahrhunderts, 
um einen Leje- oder Schreibfehler. Das R 
mochte dem Chroniften als ein verfchnörfeltes 
J, die Schlußligatur al8 ein U-Häubchen 
erichienen fein. Beftärkt wird die Vermutung, 
in der Tafel den Grabjtein Rottalers zu fehen, 
durch den Umftand, daß feines feiner Werke die 
Grenze des Todesdatums, 1533, überfchreitet. 

Wobher fam der Meifter? Sein Name deutet 
auf das Rottal, und nad) Niederbayern führen 
ung auch viele feiner Arbeiten; doc ließ fich 
außer in Landshut nur noch in Eggenfelden 
der Name Rottaler nadjweifen, jedoch ohne 
irgend welche Beziehungen zu unferem Thema. *) 
Dagegen finden wir ihn, noch dazu auf funft- 
gefchichtlichem Boden an einem von ung mehr 
fach berührten Orte, in Ingoljtadt. Dort wird 
ung al3 „obrister maister ob dem pau“ der 


1) Vgl. Rihard Andree, Motive und Weihegaben 1904 ©. 95 ff. Ein derartiges Votivbild aus dem 
Ende deS 15. Jahrhunderts befikt da8 „Ferdinandeum“ in Innsbrud in der fnieenden Wachsftatue des Grafen 
Bernhard von Görz, geit. 1500, auß St. Sigmund im Puftertal. Bgl. hiergu Stiakny, Eine gotifhe Votivftatue, 
. in der Beilage der Allgemeinen Zeitung 1898 Nr. 289 und 290, Abbildung in dem luftrierten Führer durch) 


das Ferdinandeum in Innsbrud 1903 ©. 23. 


2) Archiv des erzbifchöflihen Ordinariats Münden. Hedenftallerihe Sammlung Bd. 292. 
®) Verhandlungen des Hiftorifhen Vereins für Niederbayern Bd. XIII (1868) Heft 4 ©. 445. 
4) Verhandlungen des Hiftorifhen Vereins für Niederbayern Bd. XIV (1869) ©. 345, Bd. XV (1870) 


6. 112, 119, Bd. XVI (1871) 6. 267. 


142 Philipp Maria Salm 


Pfarrkirche zu unferer lieben fchönen Frau 
ein Hanns Rottaler genannt, der 1496 — 1503 
mit feinen Leuten die Kreuzbögen und Schluß— 
fteine der Schiffe fegte.') ch bin geneigt, 
ein vermwandtjchaftliches Verhältnis zwischen 
Hanns und Stephan Rottaler anzunehmen; 
vielleicht war Stephan der Sohn des Yngol- 
ftädter Baumeifterd. Yedenfalls hat e8 jehr 
viel Wahrfcheinlichkeit für fi, in Ingolftadt 
den Wusgangspunft für unferen Meifter 
zu erbliden, denn gerade dort begegnen 
uns Bildhauerarbeiten, die wie das Epitaph 
des Kapellans Andreas Mungit, geft. 1494 
in St. Mori?) oder des Johannes und Leonz 
hard Plümel mit der Yahrzahl 1499 an der 
Stadtpfarrfirde®) in mander Hinficht die 
Borftufe zu den Werfen Meifter Stephans 
darftellen, ohne daß fie als frühe Arbeiten 
desjelben angenommen werden müßten; e3 find 
vielmehr unverkennbar von Augsburg abhängige 
Schöpfungen. Cin merfwiirdiges Zufammen- 
treffen darf man e8 wohl auch nennen, daß 





am Gemölbe der füdmeftlichen Kapelle der 
Pfarrkirche zu unferer lieben fchönen Frau 
Renaiffanceformen auftreten. +) Und fchlieplich 
haben wir ung nocd) daran zu erinnern, daß 
Stephan Rottaler für den Yngolftadter Bürger 
Hanns Efterreicher zwei Gedenfiteine in die 
dortige Minoritenkicche fertigte. Stephan Rot- 
taler dürfte demnach) von Jngoljtadt geftammt 
haben, war fpater in Vandshut anfafjig und 
ift auch dort geftorben. So fünnen wir das 
Bild von dem fünftlerifchen Schaffen unjeres 
Meijters aud) mit einigen perfinlicden Vebens- 
notizen ausmalen, die, fo befcheiden fie aud 
fein mögen, für die Kunft- und Künitler- 
geihichte von nicht zu unterfchägendem Werte 
find. 

Die fruchtbare und vielfeitige Tätigkeit als 
Steinmeß, Schniger und fogar als Architekt 
reiht Stephan Rottaler den hervorragendften 
Meistern Altbayerns an; er zählt mit Wolfgang 
Leb’), Matthäus Kreniß ®), Joerg Gartner”) und 
Hans Leinberger 3u den Bahnbrechern der Früh- 


) Sammelblatt des Hiftor. Vereins in und für Ingolftadt Heft V (1880) ©. 224 und Heft XVI (1891) 


©.4. Das dort von Fr. &. Oftermaier publizierte ardhivalifche Material bietet, da jede weitere Quellenangabe 
fehlt, feinen genügenden Anhalt zu weiteren Recherchen. UWeberdies ift der Beftand des Ingolftadbter Stadt- 
arhivg jo umfangreich und dermaßen in Unordnung, dak fic) nur bei fyftematifder Durdarbeitung ein Erfolg 
erhoffen läßt. K.D.B.I. ©, 24. Ginen intereffanten Vertrag des Hanns Nottaler von 1498 veröffentlichte 
Cl. Sdhledht im Unterhaltungsblatt der Yngolftadter Zeitung 1906 Nr. 9. 

2) K. D. B. I, ©. 55. 

5) K. D. B. I, ©. 40 und Taf. 10. Ferner Repertorium der Kunjtwiffenfdaft XIII (1890) S. 113. Jb 
{liebe mid) durdaus der Anfhauung I. Gröfchels an, welcher das Datum 1499 als Entftehungsgeit fiir den 
Gedentftein annimmt und vermeife Hinfichtlic) der beiden Engelputten, welche den gotifden Charafter des Epi- 
taphiums fid) etwas zur Renaiffance neigen Laffen, auf Werner Weisbad), Der junge Dürer, 1906 ©. 86. 

*) K.D. B. I, S. 16, 42 und 26 und Taf.3. Die merfwiirdigen phantaftifden Gemwölbezieraten werden 
den Nadfolgern Hanns Rottalers, Erhard oder Ulric) Geidenreid) von Regensburg, in deren Händen der Bau 
der Rirde von 1503—1527 lag, zugefchrieben. Sichere Nadweife itber die Entftehungsgeit und den Meiſter 
fehlen zur Zeit. 

Kurz vor Abihlup des Drudes erhalte ich durch die Gefälligfeit des Herrn Dr. Buchheit in 
Miindhen-Pafing nod einige auf den Namen „Rottaler“ bezügliche, aus Stadtfammerrednungen de8 Münchener 
Stadtarhivg gewonnene Notizen, die ich der Vollftändigfeit halber Hier anfüge. 1487, 1488 und 1490 erhält 
ein Nitter Jörg Rotialer Schenkungen von der Stadt. 1493, 1497 und 1600 wird unter den von ber Stadt 
Befoldeten erwähnt: „Zucas Rottaler Obrifter maurer Maifter‘. Bom Jahre 1500 lautet der Eintrag: Lucas 
maurer und Seinrid) 8ymermann gehen nad Landshut, das Bymmer und Dadwerd auf fand martens firden 
und den Turm zu befidtigen. Für etwaige Beziehungen diefes Lucas Rottaler zu Hans und Stephan Rottaler 
fehlen 3. 3. alle Anhaltspunkte. Wielleiht Haben wir in den Rottalern eine vielgliederige Baumeifterfamilie 
zu erbliden. — Ich verfehle nicht, Herrn Dr. Buchheit für die freundliche Ueberlaffung der Notizen aud hier 
meinen beften Danf auszusprechen. 

5) Weber Wolfgang Leb f. meine Abhandlung in der „Zeitfchrift des Münchener Altertumsvereing“ 
1904 ©. 20. 

6) Ueber Matthäus Kreuiß f. meine Abhandlung „Die Türen ber Stiftsfitdhe in Altötting und ihr 
Meifter‘ in der Zeitfchrift „Die Kriftliche Kunjt“ 1904/1905. ©. 121. Weitere Arbeiten von Krenik wies Richard 
Hoffmann nad in den „Kunftfammlungen des erzbifchäfl. Kerifalfeminars zu Freifing’ in Deutinger-Spedt, 
Beiträge zur Gefhichte des Erzbistums Münden und Freifing Bd. X (1907) 

7) Ueber Qoerg Gartner f. meine Abhandlung in der „Zeitfchrift deg Münchener Ultertumspereins* 
1906/1907 ©. 1. 


Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 143 


renaiffanceplaftif und nimmt unter diefen wohl Stephan Rottaler für alle Beit der Ber- 
den erften Rang ein jomwohl nach der rein gefjenbeit 3u entreifen. 

fünftlerifchen Bewertung feiner Werke, mie 
nach feiner Bedeutung fiir die Entwidelung 
des neuen Stil8 im bayerischen Stammlande. 
Daß er uns die Wege zeigte, wie ihm 
die junge Runft zu eigen ward, läßt feine 
Tätigfeit doppelt anziehend und reizvoll er= 
fcheinen. 

Den Borrang feiner Kunjt in ihrer Stellung 
zu dem engeren Rreife feiner Beitgenoffen und 
dem Gebiete feiner Tätigfeit zu fchildern, muß 
id) anderem Orte vorbehalten.!) Hier galt es 
gundchft die Fünftlerifche Perfinlichfeit eines 








bisher gänzlich unbefannten Mteifters in feinem Abb. 45. 

; ; : Meifterzeich Edpfeiler des 
reichen vielgeftaltigem Lebenswerk aufzubauen. sate a Ra ee 
Schon diefes allein dürfte genügen, den Namen in Greifing. 





!) In der Buhausgabe: Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern. Münden, 
Verlag von Georg D. W. Callwey. 










BD 

























— — — 
Ce TER Kon 
—— — 


2 


Heiträge zur Belduicte Mar Emannels. 


Aus den Mörmann’fhen Papieren mitgeteilt von -Anton Freiberrn von Or. 
(Fortfegung.) 


dürfen diejenigen fath. Fürften oder Stände, gegen 
die fi proteft. Klagen richten, nicht gewählt wer— 
den, ba niemand in eigener Sadje Richter fein fann. 
3. Diejenigen proteft. Klagen, die fic) auf den 4. Ar= 
tifel beS RySmider Friedens beziehen, find gejondert 
zu behandeln, wenn nidt ingwifden die Ratholifden 


Unter dem Titel: „Religionsfahen“ hat Mtir- 
mann außer zahlreihen Drudichriften viele Berichte 
aus Negensburg,!) Holland, Wien 2c. gefammelt, die 


f) Zu den Religionsftreitigteiten 1719/20. 
| 
jaft famtlid) aus dem Sabre 1720 datiert find. Aug | 


den bandjfdriftliden Beridten möge einiges Hier ihre Uebergriffe, die fie unter den Vorwand Ddiefes 
Plaß finden: Artikels fi) zu Schulden fommen ließen, wieder 
Ubfdrift?) eines in franzöfifcher Sprade abge- redreſſieren. 
faßten Promemorias des Königs von England an Regensburg, 19. X. 1719. Hier iſt u. a. ein 
den Kaiſer aus dem Jahre 1719 oder Anfang 1720: Religionsſtreit wegen Münchweiler anhängig, welcher 
Zur Beilegung der Religionswirren im Reich wünſcht Ort vom Herzogtum Zweibrücken zu Lehen rührt, 
der König von England, daß der Kaiſer 1. die Kur— welches Lehen Graf v. d. Leyen befigt. Dem Pfalz- 
fürften von Mainz und der Pfalz anmeife, fich jeder grafen fteht dag Epiffopalteht zu, mwährend v. bd. 
Neuerung zu enthalten und den früheren Zuftand Leyen das Pfarrpräfentationsreht hat. Im Jahre 
wieder Hergujtellen. 2. Die übrigen bereditigten Kla= 1686 wurbe der dortige evangel. Pfarrer fatholifd 
gen der Proteftanten binnen einem Jahr abjitelle und die Sranzofen bejegten tempore reunionis die 
und deshalb fofort in Regensburg eine gemifchte dortige Pfarrei mit einem fath. Pfarrer. Nachdem 
Kommiffion ins Leben rufe, die die Angelegenheiten das Herzogtum Zweibrüden dem Stönig von Sdwe- 
zu ordnen hat. UlS Mitglieder diefer Kommiffion den gugefallen war, befegte die Regierung zu Brwei- 


1) Diefelben ftammen wabhrfdeinlid von dem dortigen bayer. Gefandten, Grafen Königsfeld. 
2) Diefe undatierte Ubfdrift lag einem der Berichte aus Regensburg bei — weldhem ijt nicht mehr 
feſtzuſtellen. 


144 Schr. von Ow 


brüden Münchsmweiler mieder mit einem evangel. 
Pfarrer. Obmohl folder Pfarrer feit 20 Jahren in 
rubiger Poffeffion war, verfügte v. d. Leyen am 
20. Juli 1719, daß der evangel. Pfarrer abzuziehen 
und einem fatholifchen Pla zu maden habe, da 
von 1686—1699 alfo nod) 2 Sabre nad) dem Rys- 
widerfrieden ein fath. Pfarrer anftandslo8 die Pfarre 
verjehen habe. &8 wurde ent{dieden, dak diefe Pro- 
gedur fid mit dem RySmicerfrieden nidt in Ein- 
Hang bringen [affe und bak der Suftand reftituiert 
werden müjje, wie er vor den franzöfifhen Neunio- 
nen beftand. 

Regensburg, 15. XIL 1719. Der Pfalagraf 
von Zweibrüden hat unterm 27. November feinem 
biefigen Generalbevollmädtigten gefchrieben, daß er 
nidtS gegen die Friedensshlüffe unternehmen wolle 
und fein ganzes Bejtreben dahingehe, die Harmonie 
zwifchen Ratholifen und CEvangelifden in feinem 
Bande wieder herzuftellen. Wegen der zmeifelhaften 
Interpretation des 4. Artilels des Rysmwiderfriedeng 
müffe Saifer und Neid) Entfcheidung treffen. 

Regensburg, 29. XII. 1719. Nachdem bie- 
jenigen Schriften, die vorigen Freitag vom Corpus 
Evangelicorum in Religionsfaden vereinbart murs 
den, gar meitläufig und umftändlic ausgefallen 
find, fonnte man vor dem Weihnadtsfeft mit der 
Mundierung nidt guredht fommen nod) aud folde 
dem faiferl. Pringipalfommiffdr') itberreiden. Die 
erwähnten Schriften enthalten wiederholt die Bitte 
um fdleunige Remedur und maden geltend, ba 
die bisherige faiferl. Erklärung gang ungenügend 
fei, man wolle fic) bei fo Haren Zatfahen nicht in 
förmliche Progeffe einlajfen, fondern e8 foll fofort 
gegen die turbatores pacis eingefdritten merden. 
In ermwähnter Konferenz Hat da8 Corp. Ev. in 
Saden ber argen Friedensftirungen durd) die Frei- 
herrn v. GSidingen befdloffen, daß diefelben vor 
allem ihre bedrängten evangel. Untertanen fatisfa- 
ateren follen; eher wolle man fich nicht herbeilajjen, 
dazu zu konkurrieren, wenn felbe die Ebernburgijche 
Indemnifationsfadye vor8 Neich bringen. Wegen der 
guten Stadt Speyer, die dur die bifchöfliche Re- 
gierung dafelbjt verarmt fei, fei der Herzog von 
Württemberg zu bitten, fich diefer Stadt anzuneh- 
men. Dem Bernehmen nad) follen nun aud) einige 
fatholifhe Gravamina, gur Verhandlung fommen; 
do dürften diefelben nur Privatquerelen einiger 
Partitularperjonen betreffen, während die Wugsb. 
Konfeffionsverwandten Bejchiwerden vorbringen, die 
fih auf ganze Fürftentümer, Graffchaften, Stände 
und Dörfer erjtreden, 

Regensburg, 2. Januar 1720. Die Vor= 
ftelung des Corpus evang. wurde am Donnerstag 
abends um 5 Uhr vom furfädl. und furbranbdenb. 
Gefandten als Delegierten des Corp Ev.?) dem Eaiferl. 
Pringipalfommiffdr überreicht, der diefelbe fehr gnä= 
dig aufgenommen und verfproden, diefelbe fofort 
dem Staifer eingufdicden nidt ameifelnd, bak derfelbe 








bedadht fein merbe, den Augsburger Konfeffionsver- 
wandten Satisfattion angedeihen zu laffen. Um 
22. Dezember hatte das Corp. Ev. heftige Debatten 
darüber, ob befchloffen werden folle, daß die pfäl- 
aifhe Neligionsdellaration vom Jahre 1705 auf- 
gehoben merben fole. Die vom furbranbdenburg. 
Gefandten vorgebradjten Dubia wurden heftig beftrit= 
ten 2c. 

Regensburg, 5. Januar 1720. Das Corp. 
Ev. ift fehr gefpannt auf die Antwort de8 Kaifers 
fomie die Weußerungen von furmainzifcher und fur: 
pfälzifher Seite. Man will unterdeffen darüber 
Ihlüffig werden, wie man ben Bedrängten einft= 
mweilen reichsverfajfungsgemäß Helfen könne und 
wollen die Augsburger Konfefjionsverwandten hiebei 
piano aber mit dejto mehr Nahdrud vorgehen. 

Regensburg, 16. Januar 1720. Wiemohl 
bier einige verfichern, der Kaifer habe die Vorftellung 
des Corp. Ev. jehr gnädig entgegengenommen, der- 
felbe werde nädjtens feine Entfchliegung fundgeben 
und habe ingwifden über bas bisherige Verfahren 
der fathol. Stände fein größtes Mißfallen geäußert 
und verfproden, auf alle Weife zu tradten, die Be- 
ſchwerden abaujtellen und Friede und Rube wieder 
berauftellen, fo verlautet dod) anderfeits, daß der 
Kaifer die in jener Vorftellung gebraudten fehr nad- 
dritdliden Ausdrüde übel genommen, und baß er 
Daher aud) aus einem andern Ton reden merbe, 
mwenngleid) er bisher jehr geneigt gemejen fei, die 
von den Evangeliihen gerügten Mißjtände abzu= 
ftellen. Preußen Hat feinen Widerftand gegen das 
projeftierte Conclusum nun dod) aufgegeben, und 
ift befchloffen worden, daß dag Corp. Ev. die pfal- 
aifhe Religionsdeflaration von 1705 nidt aner- 
fenne, und darauf beftehe, dak in der untern Pfalz 
der WeftpHhalijde Friede, der Hallifde Receh u. dergl. 
auf dem Weftphalifden Frieden beruhende Pacta 
völlig wieder hergejtellt werden. Borige Woe ift 
Sreiherr v. Sidingen, turpfälz. Obrifttammerer und 
Konferengminifter, hier duch nad Wien, um daz 
gegen zu remonftrieren. n 

Im Auftrage des Königs it am Freitag der Rammer= 
herr von Budewels (sic; vielleidht Podewils?) nad 
Münden, um Serenissimus wegen Reftitution ihrer 
Bande nad) dem Badiichen Frieden zu beglüdwünfchen. 

Aus Holland, 19. Januar 1720. Der Herzogs 
Regent Hat fic) bei den Generalftaaten darüber be- 
fhwert, daß der Holldndijde Gefandte in Paris, 
Herr v. Hopp, die Freiheit der Religionsübung miß- 
brauche, indem er aud) königlichen Untertanen die 
Beimohnung bei der Predigt geftatte und felben die 
Kommunion in ihren Häufern reihen laffe; am 
Weihnadtstag hat abbé d’Etrangues die Kommu= 
nion bei den Reformierten empfangen, worüber bei 
den Katholifchen in Paris großer bruit ift. — Kar— 
dinal Alberoni ift nod nit an der frangdfifden 
Grenze angelangt. Auf feiner Durdreife Hat er an 
einigen Orten Spaniens viel Verdruß ausftehen 


!) Ein Prinz von Sadjfen, Stardinal und Primas von Ungarn ze. 


2) $ür „Corpus Evangelicorum“ wird im Folgenden obige Abkürzung gebraudt. 


Mitteilungen aus den oberbayerifhen Ortsvereinen 145 


müffen. 8 Meilen von Madrid ift er in einem Dorf 
von Kleinen Buben verhöhnt worden, die Steine auf 
feine Karoffe warfen, in etlichen Städten dagegen 
bat ihn der Magiftrat mit fdnigliden Ehren empz- 
fangen. Man glaubt, daß die Ungnade, in die er 
gefallen, nicht jehr ernft gemeint fei. 

Aus Köln, 21. Januar 1720. Aus Heidelberg 
höre ich von verläffiger Seite, daß die dortigen pro= 
tejtierenden Miniftri von ihren Höfen Ordre befom- 
men haben, zu deflarieren, dag man Truppen in die 
Pfalz einrüden laffen werde, wenn der Kurfürft nicht 
vor dem Frühling den Neformierten ihre Kirchen 
mit deren Gefällen zurüderftatten würbe. 

Negensburg, 30. Januar (720. Evangeli- 


{derfeits beflagt man fic fehr über die fortgefegten 
ReligionSbedritdungen des Pfalagrafen von Bwei- 
briiden. In Effenheim ift megen nur brei fathol. 
Männern das Simultaneum eingeführt worden. Der 
tath. Paftor in Oberulm Hat 200 kath. Familien aus 
dem Maingifdhen mitgebradht und wiirden jest 
Schmähpredigten gehalten und gebe bas Simulta- 
neun zu Ungehörigfeiten Anlaß. Der Herzog beruft 
fi) darauf, daß zur Beit der [hmwedifhen Regierung 
vielfach Lutherifcher Gottesdienft entgegen den Frie= 
dengihlüffen eingeführt worden fei, er münjdhe nichts 
anderes als fowohl mit den evangelifhen als Tath. 
Ständen in gutem Einvernehmen zu leben. 


Mitteilungen aus den oberbayerifhen ®rfsvereinen. 
Mit 3 Abbildungen nad photographifhen Aufnahmen. 


81. Aus dem Vereinsgebiet Ingolftadt teilt Herr 
Medizinalrat Dr. Vierling gittigft den Fund einer 
wmifden Infhrift aus KIfding mit, die auf einem 
in amei Teile gebrochenen Steine fic) befindet, der 
gelegentlid) eines MNeubaueS gefunden wurde. Sie 
ftammt aus der Zeit Raifer VeSpafians und war 
jedenfalls an einem öffentlichen Gebäude der nicht 
unbebeutenden Straßenftation Germanicum ange 
bradt. Der derzeitige Verbleib der Infchrift ift uns 
befannt. 

82. Aus dem Wliindjener Gebiet find einige 
Sunde befannt geworbden. 

So wurden beim elettrifdhen Werk in Pullad 
in ber Sfar und gwar unter bem Wafferfpiegel von 
3m in einer RieSanfdmemmung von ebenfalls 3 m 
eine Menge Gifenfabrifate und Robheifen aus den 
verfhiedenften Zeiten gefunden, die in dem Tief- 
beden, das bier durdh die Biegung de8 Flublaufes 
fic) gebildet, angefdmemmt wurden. G8 befinden 





fid) unter den Zunden eine Menge Eifenftüde ohne 
Form, Roheifen, andere fhon zu Formen hergerichtete 
Stücde, viele halbfertige Fabrifate, wie lange Eifen=- 
bänder in Schmwertform, am oberen Ende in Spigen 
gufammengefelgt, Langenartige Formen; fdlieblid 
viele fertige Produfte, mie Werte und Beile ver= 
fciedener Form, Ketten, Ringe, Schlüffel, ein fattel- 
förmiges, maffiveg Geräte mit anferartigen Enden, 
Meffer und Scheren, fchon der Hiftorifhen, mittelalter- 
lichen und neueren Zeit angehörig. Von älteren Stüden 
interefjieren befonders gwei Barren in Spigmürfelform 
(wie der Direktor der Elektrizitätswerfe meint Quali- 
tats: nicht Roheifen), ein Dreigad, ein Eifenbeil mit 
Hohltülle und ein Zanzenfuß, Gegenstände, die La 
Tenezgeitlicher Herkunft zu fein fcheinen; ferner Yuf- 
eifen, Sporen, geflügelte Langenfpigen, Schwerter aus 
der fpdteren Reihengräber= oder fhon Karolingerzeit. 
Die aus fo verfchiedenen Zeiten gufammengemiirfelten 
Gegenftände fegen durch viele Jahrhunderte hindurd 


71 


m 


phot. Rabfpieler 


146 Mitteilungen aus den oberbayerifden Ortsvereinen 


an den Sfarufern beftehende Schmieden voraus, aus 
deren Betrieben durdy Hochwafjer oder fonftige Er- 
eigniffe diefe Stüde in den Fluß gerieten und von 
ihm bis an den Strudel bei Pullach getrieben wurden. 
Die Funde famen ing Nationalmufeum, mojfelbit fie 
nad) dem Hier glänzend bewährten Verfahren bes 
Hrn. Konjervator Dr. WM. Schmid gereinigt und 
fonferviert wurden. 

83. Ebenfalls aus dem Mündyener Gebiet er= 
halten wir dur die Güte unfere8 verehrten Mit- 
gliede8, Herrn KommerzienratS Radfpieler, eine 
in Wbb. 1 miedergegebene photographiiche Auf 
nahme bde8 befannten Grabficins in der Kirche zu 





Milbertshofen, der einen mit vier Roffen 
pflügenden Bauer in einem gaunumgebenen Weer, 
auf dem ein Fohlen herumfpringt, darftellt und 
der in feiner Art ein Unifum ift. Das Inventari= 
fationsmerf der Hiftorifhen Kunft- und Wltertums= 
werfe erwähnt diefen Stein ohne eine Abbildung zu 
bringen, in Bd. I. 790 mit näheren Angaben hierüber. 

84. Ein meiterer intereffanter Fund fam im 
Münchener Gebiet bei Qodham gutage, wofelbft 
römische fpätfaiferzeitliche Gräber angejchnitten mur= 
den. Bei einem der Sfelette wurde eine jhöne Bronze= 
Ihnalle und Gürtelfchließe gefunden, die in bie vor- 
geihichtlihe Sammlung des Staates gelangten. Ob 








eine genauere Unterfuchung des Gräberfeldes erfolgte, 
ijt nicht befannt geworden. 

85. Aus dem Gebiete des hijtorifchen Vereins 
von Weilheim erhalten wir über den auf S. 126 
des vorigen Jahrganges diefer Zeitichrift erwähnten 
Münzfund bei Unterammergau durd) die Güte 
des Stonfervators des fgl. Miingtabinets Orn. Dr. 
Habic nähere Mitteilung. Danach beftand$ diefer 
in abgelegener Gegend gemachte, alfo offenbar ver= 
ftedte Scha aus 105 Silberdenaren, morunter 
43 Legionsdenare von Antonius, meift fehr ab= 
genüßt, jıch befinden. Die übrigen Stüde reichen 
von Nero bis Commodus, der Schat umfaßt aljo 
eine Zeit von ungefähr 43 v. Chr. bis 185 n. Chr. 





phot. Erhard 


Die jüngiten Stüde find von guter Erhaltung, fo 
dak der Schaf nit lange nad) 185 n. Shr. ver- 
graben worden fein wird. Leider gelang es nicht, 
den intereffanten Fund für eine bayerifhe Sammlung 
zu erwerben. Der Fund wurde !Ja Stunde von Unter 
ammergau entfernt in einem alten Seller einer Schleif- 
mühle gemadt, der einftürzte und neu fundiert 
wurde. Die Münzen waren in einem Tongefäß, das 
wie üblich zerfchlagen wurde. 

86. Aus dem Gebiete des Hiftorifden Vereins 
Landsberg a. L. wird ung durch die Güte unferes 
verehrten Mitgliedes Hrn. Dr. Erhard eine Auf- 
nahme des Aufgangs zur Pfarrlirhe von Kaufering 
zur Verfügung geftellt, die wir in Abb. 2 bringen. 


Mitteilungen aus den oberbayerif—hen Ortsvereinen 147 


G8 tft dies einer der in Bayern fehr feltenen 
gededten Wufgdnge, wie fie bei Kirhen Tirols und 
des Salgfammerguts öfter8 vorfommen. Zu ber 
auf der Höhe des Lechraing gelegenen Pfarrkirche 


führt in 2 Wbfägen ein Stiegenaufgang, der im 


unteren Teil mit einem fladen Dad) gebdedt ift, 
das im oberen Teil in einen Giebel übergeht und 
ben gweiten Ubfag mit einem Sattelbad dedt. E38 
wird vielleiht der einzige derartige Aufgang in 
Oberbayern fein. 

87. Eine wichtige Nadridt fommt aus dem 
öjtlichen Gebiet Oberbayerng, auß dem bisher ver- 
einslofen Städtchen Laufen a, 5. Jn deffen Nähe 
wurde bei Redl, Gem. Kirchanſchöring, ein römiſches 


Skelettgräberfeld der ſpäten Kaiſerzeit entdeckt, das 


mit dem vor einigen Jahren bei Vallei aufgefun— 
denen S. 178 des 5. Jahrganges dieſer Zeitſchrift be— 
ſprochenen gleichzeitig ſein dürfte. Es wurden 3 bis 
4 Skelette im Garten eines der Höfe aufgedeckt, 
deren eines, ein weibliches, 83 Armringe aus 
ſchmalen glatten Bronzebändern am linken Unter— 
arm hatte, von denen zwei in Schlangenköpfe endigen. 
Außer dieſem Körperſchmuck kam nur ein graues Ton— 
gefäß von kleiner Urnenform in dieſem Grabe zu— 
tage. Die anderen Skelette hatten ebenfalls Bronze— 
armreife von feinem Bronzedraht mit Schlingen und 
ſchlangenförmigen Schlußverzierungen, ſcheinen alſo 
ebenfalls weibliche geweſen zu ſein. Eine methodiſche 
Unterſuchnng des ganzen Leichenfeldes fand noch nicht 
ſtatt. Die Funde kamen in die vorgeſchichtliche Staats⸗ 
ſammlung. 

8. Aus dem Gebiete des hiſtoriſchen Vereins 
in Roſenheim erhalten wir durch die Güte des 
Orn. Magiſtrats-Sekretärs Nieberle eine photo— 
graphiſche Aufnahme (Abb. 8) des in der Vorhalle 
der Kirche in Prutting befindlichen, anſehnlichen 
Römerſteins, der leider in ſeinem reichen ornamen— 
talen Teil nicht mehr gut erhalten iſt. Der Stein 
wurde in einem jedenfalls nicht zu weit von Prut⸗ 
ting entfernten Tempel der Victoria zum Gedächt— 
nis eines Sieges angebracht, der unter Maximin, 
Conſtantin und Licinius erfochten wurde. Näheres 
über das Denkmal iſt bei Hefner, das römiſche 
Bayern, S. 84 und 85 angeführt. 

89. Aus dem Vexeinsgebiet Friedberg kommt 
die Nachricht, daß am bayeriſchen Lechfeld zwiſchen 
Lechhauſen und Derching römiſche Brand— 
gräber der mittleren Kaiſerzeit und wie es ſcheint, 
auch ein Wohngebäude bei Gelegenheit von Kultur 
arbeiten angeſchnitten wurden. Leider wurde kein 
Sachverſtändiger rechtzeitig zugegogen und weder 
eine der ſtaatlichen Behörden noch der hiſtoriſche 
Verein von Oberbayern von der Entdeckung in 


Abb. 3 





phot. Nieberle-Rofenheim 


Kenntnis geſetzt. Es wurden alſo die angeſchnit. 
tenen Gräber, welche Ton- und Glasoſſuarien ent— 
hielten, von den Arbeitern völlig zerſtört und die 
Gefäße zerſchlagen. Was ſonſt an Beigaben vor— 
handen war, wurde entweder verſchleppt oder nicht 
beachtet. Da die Unterſuchung dieſes Fundplatzes 
für die römiſche Beſiedlungsgeſchichte des Lechrains 
von großer Bedeutuug geweſen wäre, iſt es doppelt 
bedauerlich, daß jede Benachrichtigung der Stellen, 
welche eine Unterſuchung hätten methodiſch und ſach— 
kundig vornehmen können, unterlaſſen wurde. 

90. Aus dem Gebiete des hiſtoriſchen Vereins 
von Aibling wird mitgeteilt, daß in der Ortsflur 
von Kleinhelfendorf unmittelbar an der vorüber— 
führenden Römerſtraße auf der Weſtſeite des Dorfes 
gelegentlich Kiesgrabens eine ſchöne Mittelbronze von 
Trajan vor kurzem gefunden wurde, die leider 
nicht in die Sammlung des Vereins in Aibling, 
ſondern in Privatbeſitz daſelbſt gelangt ſein ſoll. 

(Fortſetzung folgt.) 


19* 


— 


— 


Tou 





Ehronik des Hiftorifhren Vereins von Oberbayern. 


Aus unfecec Cotenrolle. 


Berzgeichnis der Mitglieder, weldje vom Tov, 
1906 bis Mov. 1907 mit Sod abgegangen find. 
1. Sh@midtner Andreas, Geiftl. Rat, Spitalfurat 
in Weilheim, Chrenmandatar,  Gejtorben 

1. Januar 1906. Wtitglied feit 1854. 
2.Sand Wilhelm, t. Stabsauditeur a.D. in Minden. 
Geftorben 4. Januar 1907. 
3. Sdhaller Micd., &. Gymnaftalprofefjor in Burg- 
baufen. Geftorben 10. Januar 1907. 
4. Danhaufer Georg, Geiftl. Rat, Defan, Pfarrer 
in Flintsbad). Geftorben 30. Januar 1907. 
5. Kobell Ludwig von, f. Kammerer, Regierungs- 
Präfident in Würzburg. Geft. 5. Februar 1907. 
6. Korntheuer Dr. Andr., E. Bezirksarzt in Ebers- 
berg. Geftorben im Februar 1907. 
7. Mulzer Joh. Nep., f. Regierungsrat, Bezirts- 
amtmann in Münden. Geftorben 14. März 1907. 
8 Naue Dr. Julius, f Profeffor, Hijtorienmaler 
Münden. Geftorben 14. März 1907. 
9. Probft Wilhelm, ftädt. Oberbeamter in München. 
Geftorben 14. März 1907. 
10. Müller Dr. Fr3., !. BegirfSargt in Schongau. 
Geftorben 14. März 1907. 


* 


* 


11. Sauth Ant., f. Stiftungsadminiftrator in Alt- 
ötting. Geftorben im März 1907. 
12. Rimifd Georg, Geiftl. Rat, Benefigiat a. D. 
in Minden. Geftorben 2. Apr! 1907. 
Mitglied feit 1869. 
13. Riggauer Dr. Yang, f. Univerfitäts-Profeffor, 
RKonfervator des ft. Mtitngfabinetts. 
Geftorben 5. Wpril 1907. 
14. Mad Ernft, Privatier in Bad Reidenhall. 
Geftorben 24. April 1907. 
15. Wagner Jak, £f Landgeridtsrat in Opfenbad 
bei Lindau. Geftorben am 14. Wpril 1907. 
16. Müller Ant, Bantbeamter in Münden. 
Geftorben 15. April 1907. 
7. Heinlein Adam, Bädermeifter in Wajjerburg. 
Geftorben 9. Mai 1907. 
8. Rofipal Wlbert, Kaufmann und Gutsbefiger in 
Münden. Geftorben 4. Juni 1907. 
9. Zintgraf Heinrich, Quftigrat, freivef. Motar in 
Münden. Geftorben 17. Juni 1907. Mitglied 
feit 6. April 1863. Mandatar in Landsberg 
und langjähriger Bereinsfaffier. 


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Mitglieder-Bugang im Jahre 1907. 


1. Bezirt8-LehrersVerein Dorfen. 
2. Ubert Dr. of. Ferd, ReidhSardivprattifant, 
Münden. 
8. UlLbredt Reinhold, Warenagent, München. 
4. Bed Hugo Dr., Apothefenbefiger in Altötting. 
5. Braunmühl Ant., Edlervon, f. Oberamtsrichter, 
Waſſerburg. 
6. Böhmländer Ernſt, Rechtspraktikant am k. Geb. 
Staats⸗Archiv, Münden. 
7. Buchheit Hans, Dr. philos., Paſing-München. 
8. Delamotte Georg, Oberſtleutnant und Bezirks— 
Kommandeur, Waſſerburg. 
9. Eßlinger Frz. Taver, Gutsbeſitzer, Schloß Hart. 
10. Ettal Kloſter, (Dr. Math. Eichinger, O. 8. B.). 
11. Gabler Dr. Joſ., k. Bezirksamtmann. 
Pfaffenhofen. 
12. Helmolt Dr. Hans, Literar. Beirat, München. 
13. Hertel Joſ., k. Reallehrer, Waſſerburg. 
14. Kammerer Max, k. Bahnexpeditor, München. 





k. Eiſenbahn-Expeditor 
München. 

16. Kirchleit ner Hans, k. Expeditor, München. 

17. Kreß von Kreſſenſtein, Karl Frhr. v., 
k. Bezirksamts-Aſſeſſor, Badekommiſſär 
und Vereinsmandatar in Reichenhall. 

18. Lechner Willibald, k. Pfarrer u. Diſtriktsſchul— 

inſpektor in Baumburg. 

19. Menz Karl, Ritter von, k. Generalmajor z. D., 

München. 

20. Meyer Max, Kommerzienrat, Direktor der Bayer. 

Vereinsbank in München. 

21. Moeller Dr. Julius, praft. und Bahnarzt in 
Rott a. J. 

22. Nett Joh. Paul, f Pfarrer in Schöngeifing. 
23. Batin Dr. Wilhelm Aug., Vilar am Ff. Oof- und 
Kollegiatftift St. Kajetan, Münden. 

24. Riß Franz Xaver, £. Oberamtsridter, Münden. 
25. Rumpelfteiner Maz, Benefigiat in Wnging. 


15. Riliani Eduard, 


Ehronit des Hiftorifhen Vereins von Oberbayern 149 


26. Sdhindlbed Ernft, Expofitus in Unterdarding. 
27. Shmid Ludwig, graff. Urco- Sdhlobbenefigiat 
in Stein a. Traun. 
28. Sdonger Chrijtian, f. Major im 6. Chev.-Regt., 
Bayreuth. 

29. Schrank Dr. Georg, ?. Bez.:Arzt, Ebersberg. 
30. S preti Seinrid Graf von, f. Kämmerer, Bezirts- 
amtmann und Bereinsmandatar in Berchtesgaden. 


3. Strele Hof., f. Forftmeifter in UAnging, 

32. Stumpf, Dr. Philipp, !. Gymnafial- Reltor, 
Hauptmann a. D., Burghaufen. 

33. Vollmann Remigius, Oberlehrer, München. 

34. Wallner Berta, cand. phil., Münden. 

35. Baffermann Benno, Rentner, Münden. 





Seine Königliche Hoheit Prinz:Regent Zuitpold geruhten auc) diefeS Jahr die dburd) den Wusfdhub 
in Borlage gebradten Publifationen deS Vereins allerhuldvollft entgegengunehmen, was dem Vorfigenden des 
Vereins dur eine Mitteilung der KR. Geheimfanglei allergnadigit gur Kenntnis gebracht wurde. 


* 


* 


Un Stelle der am 12. Ottober 1907 auSgefdiedenen beiden Herren Vorftände, Herr Univerfitätg- 
profefjor Geheimrat Dr. Gareis und Herr Profejjor Dr. Gabriel von Seidl, wurde zum I. Vorftand Exgelleng 
Nitter von Halder, Präfident der K. Regierung von Oberbayern, zum II. Vorfiande Herr Univerfitätsprofeflor 


Dr. Doeberl gewablt. 


Graelleng Ritter von Halder Hatten die Güte die Wahl anzunehmen, ebenfo Herr Univerfitdts- 


profeſſor Doeberl. 
* 


* 


An Stelle des ebenfalls ausgeſchiedenen Herrn Sekretärs Oeſchey wurde Herr Rechtspraktikant Böhm— 


länder gewählt. 
* 


* 


Es iſt eine Ehrenpflicht des Vereins, die ausgeſchiedenen Herren für die große Bereitwilligkeit und 
das ſegensvolle Intereſſe, womit dieſe für den Verein gewirkt haben, der aufrichtigſten Dankbarkeit zu verſichern. 


* 


* 


Vereinsverſammlungen. 


Mittwoch, den 1. Mai, Monats verſamm- 
lung im Künſtlerhauſe. 

Herr Privatdozent Dr. Aug. Roſenlehner 
fprah über „Die wirtjhaftliden Zuftände 
Bayerns unter Kurfiirft Maximilian IIL. 
Sofef’. Der Vortragende gebachte gunddft der für 
fein Thema einfchlägigen umfangreichen Literatur, 
die jedoch fid) miderfprehende Anfhauungen und 
Urteile ergebe. Was der KHurfürft, den Redner als 
Mufter eines abfolutiftifchen Herfchers bezeichnete, für 
die wirtfchaftliche Hebung Bayerns tat, war gar nicht 
unbedeutend. Daß die8 aud im Lande anerkannt 
wurde, bemwieß die rührende allgemeine Trauer bei 
feinem Tode, Wenn die Erfolge nit immer den 
Ideen diefes „aufgellärten Ubfolutiften’ entfpraden, 
fo war das vielfad in den Zeitverhältnifjen gelegen, 
denen fic) eben aud) der Fürft als Kind feiner Beit 
nicht entziehen fonnte. Zur Hebung des Merfantilig- 
mus gehörten vor allem eine dichte Bevölkerung und 
der Umlauf der Geldmittel. Die Didtigteit war aber 





gering, nur ca. 995,000 Seelen. Dabei verhinderte 
die fatholifhe Erklufivität der Benölferung eine Ver=- 
mehrung durd) Aufnahme vertriebener Proteftanten 
und Galviniften, wie fie in anderen beutfchen Ländern 
erfolgte. Ein fompliziertes Zoliyften, das Anwadfen 
des Befiges der toten Hand und nicht zulegt Die 
Plusmaderei zugunsten des Hofes, an dem man e8 
dem Sonnentönig in Verfailles gleich gu tun beftrebi 
war, beeinträdhtigten die nötige Geldjirfulation 
Dazu gefellte fih noch eine unfelige Vielvegiererei. 
Ein Mandat jagte das andere, von denen felbft die 
beftgemeinten auf da8 dem Altbayer eigene Miftrauen 
stießen; die geringe Volfsbildung Hinderte jede Auf- 
klärung. Ueberdies fehlte dem Bolfe die Rapital= 
fräftigfeit. Reich war nur die Kirche, der Adel tief 
verfchuldet, dem Beamtenium fehlten das Verftändbnis 
und nicht felten auch die „reinen Hände“; der Bauer 
war aber abhängig von den Grund» und Geridts- 
herren. Go fam e8, daß der Hurfürjt, dem Männer 
wie Iditatt, Kreitmayr und Stubenraud zur Seite 


150 Chronik des Hiftorifhen Vereins von Oberbayern 





Erasmus Georg von Seeling auf Hueb und Eglhardting, 
der Ehurfürftl. Saubt- und Refidenzitadt Münden 
Burgermaifter (Mitte des 18. Jahrh.). 


ftanden, fein Land ebenfo verfchuldet zurüdfajjen 
mußte, al8 er eg mit 18 Jahren übernommen hatte. 
Unvergefjen bleiben aber dem Kurfürften feine Be- 
mühungen, Abhilfe zu fdaffen. Er ſchickte Inſpektoren 
aufs Land zur Aufflärung, fehuf felbjt Muftermirt- 
fhaften, wie die Landmwirtfchaftliche Schule in Schleiß- 
heim, und reorganifierte auf Anraten des Kommerzien= 
tat8 Stubenraud) das fehr im argen liegende Maut= 
und Uccifewefen. Waren trogdem die wirtfchaftlichen 
Verhältniffe unter feiner Regierung feine glänzenden, 
fo trifft den Kurfürften feine Schuld. Seinen guten 
Wbfidten ftanden die Zeitverhältniffe und die Den 
fung8art der Bevölkerung entgegen. Diefe zu ändern 
ging über menjhliche Kraft. 


Qn der Monatsverfammlung an Samstag 
Den 1. Anni fprad) Herr Univerfitätsprofeffor 
Dr. Doeberl iiber ,Die innere Staat8verz 
waltung Bayerns unter bem Minifterium 
Montgelas“. 

Der politifhe Anfhluß Bayerns an Napoleon I. 
und damit die Erhebung Bayerns zum Königreich 
wat einer der folgenfdwerften Utte in ber 1400jahrigen 
Geihichte Bayerns. Die Bedeutung diefer Erhebung 
bejteht weniger in der Rangerhihung als in der Er: 
werbung ber vollen Souveränität. Mit deren Hilfe 
entjtand der moderne Staat nad) dem Vorbilde des 
ftreng zentralifierenden Franfreih8 im Gegenfaß zu 
bem reaftiondren Staiferftaat an der Donau, und 
gwar, wie im eingelnen von dem Bortragenden ent= 
widelt wird, auf politifdem, wirtfhaftlidem, fogialem, 
firdlidem und geiftigem Gebiet. Die Veränderungen, 
die damit Bayern erfuhr, waren gleichbedeutend mit 
einer Revolution mitten im Frieden. Die neue Zeit 
hat wie ein Sturmmind bie Geifter geriittelt, fowohl 
ihre Freunde als ihre Geguer. Die einen, wie Georg 
v. Uretin, fehen den Staat in verjüngter Schönheit 
wieder auferjtehen, andere wieder errichten in der 
„Galerie der merfwürdigiten bayerifhen Staatsbe= 
amten“ oder in der Shmähjchrift des berüchtigten 





Grafen Reifah „Bayern unter der Regierung des 
Minifteriums Meontgelas* dem Minifter und feinen 
Reformen einen Schandpfahl. Der Kampf entbrannte 
aufs neue mit befonderer Leidenfdaft beim Sturge 
des Minifters, er fette fich fort nad) feinem Tode big 
zum heutigen Tage. Man hat Montgelas einen revos 
Iutionären Minifter genannt, aber da8 blieb aud 
Zehen. v. Stein nit erfpart. Die Anbahnung des 
modernen Redhtsftaates ohne Eingriffe in bejtehende 
Rechte war eben unmöglich. Allerdings ift bei Mont- 
nelas djter8 mangelndes Verftändnis für die hiftorifche 
Entwidlung zu fonftatieren; er will, daß etwas fein 
folle, einfad weil er e8 für ridtig und niiglic hält. 

Aber das war der Standpunkt der Aufflärung 
überhaupt. Dan Elagte vielfach) über die zu große 
Beweglichkeit de8 Verwaltungsfyftems, das mit feinen 
Verordnungen Bayern nidt gur Rube fommen Lief. 
Dazu fam, dah die Wusfihrung mander Maknahmen 
zu gewaltfam, zum Teil felbft geradezu brutal war, 
namentlich gegenüber den Perfonen und Befigtümern 
der aufgehobenen Klöjter und gegenüber den kirchlichen 
Neigungen und Gewohnheiten der Tiroler. Aber die 
Schuld fällt weniger dem Minifter als vielmehr den 
ausführenden Organen zu, fchledhtem Beamtenmaterial, 
das Montgelas nicht fhuf, fondern itberfam; da, wo 
die Ausführıng der Säfularifation in befjere Hände 
gelegt war, zum Beifpiel in der Fürftabtei Kempten 
oder in manden Gegenden Franten8, vollgog fid) der 
Uebergang von der alten in die neue Zeit viel rubiger 
und fchonender. Die Zentralifation, die fic) felbjt 
auf dag Stiftungs= und Gemeindevermögen und bie 
Armenpflege erftredte, und die StaatSomnipotenz 
gingen zu weit. Die Gefeggebung Montgelas’ brachte 
dem bayerifhen Bauern und Bürgertum die Ent- 
feffelung auf wirtfdaftlidjem, fogialem und firdlidem 
Gebiet, rif ben Sdugmall nieder, den die alten 
Mächte um fich aufgetürmt hatten. Der weitere Wus- 
bau mußte bei der ftaat8redtliden Anfhauung des 
Minifters und der politifden Unreife des Volfes einer 





Qofeph Antoni Edler von — auf Egl- und Huglfing. 
Burgermaifter zu München (Mitte bes 18. Jahrh.). 


Ehronit des Hiftorifchen Vereins von Oberbayern 





Frank Anton von Unertl, Landfdafft Kangler 


fpäteren Zeit vorbehalten bleiben. Montgelas hat 
nad feinem Sturge felbjt einen bis jet ungebrudten 
Nehenfhaftsbericht über feine innere Staatsvermals 
tung gefdrieben. Hier führt er al8 Errungenfchaften 
feines Minifteriums an: die Begründung der Gleich. 
heit vor dem Gefege, die Berbefferung des Strafs 
rechts, die gleihmäßige Befteuerung, die Unabhängig« 
feit und Unabfegbarkeit der Richter, die Sorge für 
die Staatsdiener und ihre Familien, die VBejeitigung 
der eibeigenfdaft, bas Recht des Bauern, feine Güter 
au veräußern, die firhliche Toleranz, die maßvolle 
Preßfreigeit, die Befchränfung der firdhliden Juris— 
diftion, die Sdtularifation, die gleihmäßig dem Fis- 
fu8, ber Bevdlferung und der mwirtfchaftlihen Ent- 
mwidlung Bayerns zugute griommen fei, die Einfüh- 
rung de8 Pfarrfonfurfes im Interefje der Würdigfeit 
der firdliden Pfriindeninhaber, die Vervollfommnung 
des VolfSunterridts, die Vervielfaltigung der Schulen 
auf dem Lande, die Förderung der SKiinfte, die ftaat= 
liden Sammlungen. Dieje Errungenfchaften waren 
nad) der Anfiht Montgelas’ groß genug, um über 
gewiffe Mängel hinmwegaufehen, die einmal von ber 
menfdliden Natur nicht zu trennen feien. Selbjt 
Fürft Metternich äußerte fich über das von Montgelas 
Geleijtete dem bayerifden Gefandten in fehr aner= 
fennenden Worten: „Man muß zugeftehen, daß Bayern 
während der legten gehn Jahre eine religiöfe, politifche, 
bürgerlide und militärifche Revolution erlebt und 
glüdlih überftanden hat; das ift die einzige Nation, 
weldje Mut und Ausdauer gezeigt hat; alle Welt 
muß fie adten und follte ihrem Beifpiele folgen.“ 


Sonntag, 23. Bunt beging der Verein fein 
63. Stiftungsfet mit cinem Anusfilnge nady Aib- 
ling. Die Mitglieder begaben fic) gunddft nad Heu- 
feld bei Wibling und dann nad) der Wallfahrtskirche 


151 


Weihenlinden bei Högling. Högling ift durd ein in 
feiner Art einziges Herfommen in Oberbayern befannt. 
Dort fteht auf einem Bühel neben einem Brunnen 
oder Quell eine große Linde. Wer nun nad) Högling 
fommt und ein Jahr dort verweilt oder dorthin fid 
verheiratet, wird an diefem Plage ,g’higelt*, womit 
er erit ein rechter Höglinger wird. Diefe Prozedur 
beiteht darin, daß man ihn an Kirhmweih mit Mufit 
von feiner Behaufung abholt und ihn unter Begleitung 
der Bernohner um das Dorf herum zur Linde führt. 
Hier Heben ihn vier Mann un Armen und Beinen 
auf ihre Schultern und fhußen (fhwingen) ihn drei- 
mal in die Höhe unter dem Rufe: „Högel auf!’ Dann 
wird er aus dem Quell getauft und ihm ein großer 
Zindenzmweig auf feinen Hut gejtedt. Hierauf tanzen 
die „Behögelten“ mit ihren „Godeln* (Batinen) um 
die Linde herum und dann find fie erft richtige Hög- 
linger. 

Weihenlinden fteht nun, wie bereits der Name 
fagt, Hiermit in Zufammenhang und weift auf eine 
uralte, auf vorgefhichtliche Zeit zurüctgehende Kultus- 
jtätte Hin. Eigentümlich ift aud) die Bezeichnung der 
Kirche im Vollsmunde: „Zu den drei heiligen Mäns 
nern.“ Die drei Perfonen der Trinität find dort 
nämlich durd) drei überlebensgroße Figuren darges 
ftellt, die fi) vollftändig gleichen und drei ganz gleich 
alterige Männer mit langen Bärten darjtellen. Inter 
der freundlichen und fadhtundigen Führung des Pfarrers 
Mayr von Högling befichtigte der Verein eingehend 
die aus drei Schiffen beftehende Kirche, die überaus 
aahlreiche, vielfach Eulturgefchichtlich intereffante Votin- 
tafeln, die auf mehrere Jahrhunderte zurüdreichen, 
enthält. Unter anderen find aud) verfdjiedDene von 





Mfeorkanalur der LY, taddberger ; 
ö Bittiothek 


152 Chronik des Hiftorifchen Vereins von Oberbayern 


der üblichen Darftellung der Bauernfhladht zu Send- 
ling abmeichende Bilder gu fehen, darunter eines, 
da8 dem Lindenfchmitfchen Gemälde an der Send= 
lingertirde gum Vorbild gedient haben könnte. 

Nach der Befihtigung der Kirche begaben jid die 
Teilnehmer des Ausfluges nach Heufeld zurüd und 
fuhren nad) Aibling, wo fie vom Bezinlgamtmann 
Regierungsrat v. Leiftner und den Mitgliedern des 
Hiftorifhen Vereins Aibling am Bahnhofe empfangen 
wurden. Während eines vorzüglich bereiteten Mittags=- 
mabhles im Schuhbräu (Befiger Delonomierat Wild) 
begrüßten in herzlichiter Weife Regierungsrat v. Zeit: 
ner und Bürgermeifter Shumberger die Gäfte, 
worauf der VBorfigende des Hiftorifchen Vereins Mün= 
den Geh. Juftigrat Profefjor Dr. Gareis mit den 
aufridtigiten Winfden für das Gedeihen Aiblings 
und feines Hiftorifhen Vereins feinen beften Danf 
ausſprach. 

Hierauf fand in dem hiſtoriſch und baulich in— 
tereſſanten Zehetmayeriſchen Gaſthauſe zum Ratskeller 
(Bauernwirt), der Dienſtwohnung des ehemaligen 
Ratſchreibers, die erſte öffentliche Verſammlung des 
jungen hiſtoriſchen Vereins Aibling ſtatt. Der 1. Vor⸗ 
ſitzende, Poſtexpeditor 1. Klaſſe Wilh. Mayer, be— 
grüßte die Münchener Herren und erfreute hierauf 
die Verſammlung durch einen gediegenen Vortrag 
über Geſchichtliches aus Aiblings Vorzeit, insbeſondere 
über das Schloß auf dem Hofberg. Der Vorſitzende 
des Münchener Vereins ſprach ſeinen Dank aus und 
fügte einige intereſſante Mitteilungen über das 
Gerichtsweſen Aiblings zu Ende der Karolinger 
Zeit an. 

Vom Alten und Aelteſten zum Neuen und Neueſten 
übergehend, ſchritt man zur Beſichtigung des neuen 
ſKteurhauſes. Abends konzertierte im Schuhbräu— 
keller noch die Kapelle der Kurmuſik, bei deren Klängen 
die Münchener Gäſte die Zeit bis zur Heimfahrt im 
fröhlichen Zuſammenſein mit den Aiblinger Vereins— 
mitgliedern verbrachten. 


Nach Ablauf der Ferien begann die regelmäßige 
Monatsverſammlung wieder am 14. Oktober 





mit einem Vortrage des Herrn Bauamtmann Linde 
über „Römerſtraßen im ſüdlichen Bayern“. 


An Stelle des erkranlten Herrn Oberjtlandes- 
gerichtsrates VBierling fprad) in der Monatsner: 
fammlung am 2. November Herr Dr. Heldmwein 
über „Die Stellung der bayerifden Klöjter zur Wohl- 
fahrtspflege und Kunft am Borabende der Refor- 
mation’. 


Die Monatsverfammlung am 2. Desember 
bradte einen höchst fejjelnden Vortrag des General- 
majors 3. D. v. Meng über die Schladt bei Hohen- 
linden am 3. Dezember 1800. Nad) einem kurzen 
Nüdblid über den Gang der Ereignifje im erjten 
Teile des Feldguges biS gu dem 15. Quli in Pars- 
dorf, einem bei München gelegenen Dorfe, abge= 
fdloffenen Waffenftillftand, betonte Redner zunädhit 
die fo unheilvol gewordene Annahme des öiter- 
reihifhen Oberfommandos, daß nad) der glüdlichen 
Sdhladht bei Ampfing mit einem ferneren Wider 
ftand der frangöfifhen Armee dieSfeits der Jfar nicht 
mehr zu rechnen fei. Man verfäumte am 2. De- 
aember volljtändig, fi) einen näheren Einblid in die 
im Rüdzug an bie Jjar vermutete franzöfifche Armee 
gu verfdaffen, bie aber am gleichen Tage weftlid 
des Großhaager Forjtes bei Hohenlinden bereits ver= 
fammelt war. Die Sorglofigfeit des öfterreihifchen 
Urmee-Oberlommandos hat eine graufame Strafe 
ereilt. GEingehend fdilberte ‘ber Vortragende unter 
Zuhilfenahme von RKartenmaterial die Bewegungen, 
Dispofitionen und intereffanten Einzelheiten der 
Schladt, darunter die fiegreiche Attade bayerischer 
Ehevaulegerd. Die Berfammlung, der aud eine 
Reihe höherer Offiziere anmohnte, nahm den Vor= 
trag mit Tebhaften Beifall auf. Hieran ſchloß ſich 
eine eingehende, namentlid militärisch höchſt inter- 
ejlante Diskuffion 


Die Gefhäfte des Vereins fanden ihre Erledi- 
gung in den Ansfduffigungen vom 9. Juli, 
12. und 25. Oktober, 











Schriftleitung und preßgejeglihe Verantwortung: Dr. Held wein— Münden (Liebigjtraße 1/2). 


Xgl. Hofbuchdruderei Kaftner & Callwey. 


32101 073661645