Skip to main content

Full text of "Altpreussische Monatsschrift"

See other formats


Google 


This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world’s books discoverable online. 

It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to {he past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover. 


Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book’s long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 


Usage guidelines 
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 


public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 





‘We also ask that you: 


+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individual 
personal, non-commercial purposes. 





and we request that you use these files for 


+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 


+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 


+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance in Google Book Search means it can be used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 






About Google Book Search 


Google’s mission is to organize the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web 
at google. com/] 














Google 


Über dieses Buch 


Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 

Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei — eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 


Nutzungsrichtlinien 


Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 

Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 


+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 


+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 





+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 


+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 





Über Google Buchsuche 


Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|'http: //books .google. comldurchsuchen. 














vaio, Google 


RB 


‚2405 d._2o 
3 





vaio, Google 


vaio, Google 


Altpreußifche 
Menatsſchrift 


Spiegelung des provinziellen Lebens 





in 
Literatur, Kunfl, Viſenſchoſt und Induflrie 
herausgegeben 
von 
Rudolf Neide um Eruſt Wichert. 
EI 
Dritter Band. (ea LER)" 
— SIT, Br 
Mit Beiträgen ö Sesıch® 
von 
W. Yergan, I. 9. Prohmenn, €. Yarsw jun., $. Friebländer, Friiſche, 
9. Senthe, A ie, E. Say, €. Hopf, 8. Inlamic, S. Area, 
€. Sohmerer, W. Slannherdt, 3. Mlöler, ©. 9. S. Wefelmenn, P. Oplert, 
E.Oplert, H.Yıno, Weihe, A. Wogge, A Deren, $.W. Bhubert, 
€. Ateteahagen, SU. Cüpyen, ©. Werther, €. Wider, P. u, Windler, 


©. Woyſch, Walk, S. Dander und Ungenanxten. 
[Mit einer autograppirten Karte.) 


— — m —e ñJ— 
Bönigsberg in Pr. 1866. 


Verlag und Drud von Albert Rosbad, 


Den Gommiffions-Debit außerhalb der Provinz Preußen beforgt die 
3. €. Zinriche ſche Zuchandiuug in Feiyzig. 








vaio, Google 


Bnhalts-DVerzeihniß. 
1. Abhandlungen. 


Ueber das Leben der Spinnen. Gin Vortrag, gehalten auf dem Königl. Schloſſe von 
Oberlehrer Dr. €. Ohlert. S.1-%0. 

Ueber Entwaſſerung u. Reinigung großer Städte. Vortrag, gehalten in der Königl. 
phyſitaliſch· dtonomiſchen Gefelipaft von Pr. 3. Möller. S.21-48. 

Die Beiveguung des altpreuß. Handels im Jahre 1864. Bon Ernft Widert. ©. 49-56, 

Ds alte Preubiſche Trintredt. Bon S—n. 6.5659. 

Eligen aus Alt:Preußen. IT. Das friſche Haff. Bon Bernhard Ohlert. &. 97-122. 

Die Zahlen-Berhältniße der ländlichen zur ſtädtiſchen Bevbllerung nad) den Iepten Volks 
hlungen des preußiſchen Staates. Bortrag in ber Deutſchen Geſellſchaft gehalten 
von F. W. Schubert. ©.123—141. 

Zur Rettung Schiffbrüciger. Rede, gehalten bei Gelegenheit der Gründung des Ber: 
eins zur Rettung Shiffbrüdiger in Königsberg von Dr. Burow jun, S. 142—156. 

Die Schaufpiellunft bis auf Leſſing. Bon Dr, E. Gervais. &.193—2%8. 

Aus Altpreußens Rechtsgeichichie· (Dal. I, 604.) III. Der Krlmer Oberhof. IV. Lu 
bilde Rechtsweiſungen. Bon Dr. Emil Steffenhagen. 6.229—250. 

Aufilieben am Hofe Friedrich bes Großen. Ein Vortrag, gehalten auf dem Konigl 
Säloffe von A. Saran. &.251—272, 

Uber den Norb:Oftfee-Canal u. die verſchiedenen dazu in Vorſchlag gebrachten Linien. 
Bortrag, gehalten im Kaufmännifhen Verein von Conful 3.5. Brodmann. (Mit 
einer autographirten Karte.) 6.289801. 

Vie Einrichtung der Elementarſchulen im Ortelöburger Hauptamte unter der Regierung 
König Friedrich Wilhelm I. Bon Dr. M. Töppen. 6.302811. 

Ueber Kant’3 Kosmogonie. Bortrag, gehalten den 22. April 1866 in der Kant-Gefell: 
{haft von Dr. E. Hay. 6.312—322. 

Sagen aus dem Kreife Karthaus. Bon Wilhelm Mannhardt. 6.323—388. 

Ueber den heutigen Stand der Forfhung auf dem Gebiete unferer Provinzialgeſchichte. 
Habilitationd-Borlelung von Privatdocent Dr. Carl Lohmeyer. S. 34—347. 
Merglauben aus Mafuren. Mitgetheilt von Dr. M. Zöppen. (Cinleitung. Ein Blid 
anf das kirchliche Leben der Mafuren. I. Die dämoniſchen Mächte) ©.385—414. 
"Ir, Die Zauberei u. die Berfegnungen.) 6.481503. (II. Das Wahrfagen u. 
der Kalender.) 6.577—596. (IV. Aberglauben, welder ſich an verſchiedene Sebende 

verhältnifie Inapft.) &.673—708. 


* 


WV 

Wepreublie Stubien. Bon B. von Bindler. €.415—440. 

Uber Kant’3 Doctor:Differtation de igne vom 17. April 1755. Xifrede an Zus 
Seburtötag den 22. April 1865 in der Kant · Geſellſchaft gehalten von Prof. 

Guſt. Werther. 6.441447. 

3 ©. Schult in Danzig. Bon R. Bergau. S. 448-458. 

Grinnerungen vom La Plata. (Radıtrag zu feinem Werke: „Mittheilungen über das 
fociale u. kirchliche Leben in der Republit Uruguay.) Bon Dr. Otto Woyſch. 
6.504544. J 

BP. Kaers Profpect der Stadt Danzig. Bon R. Bergau. S. b46-6b40. 

Die Basohrapke ben Danzer Bisperwelßens Gone Srplan Bon Dr. yand Prub⸗ 

597-639, 

Die Thelung der Diöcefe Ermeland zwiſchen dem Deutſchen Orden und dem. ermiänbt 
{hen Biihofe. Bon Dr. M. Töppen. ©. 630-648. 

Daniel Haafe. Gin preußiicher Geiſtlichet am Ausgange des fiebzehnten Jahrhunderts 
und feine Zeit. Bon Pfarrer Adolf Rogge in’Hohenfürft. &. 709-739. 

Supplemente zu dem gebrudten Kataloge der Koaigsberger Redtspanbkhriften. Lem 
Dr. Emil Steffenhagen. 6.780738, 


IL Rritiken und Referate. 


Boebnke, Serm., Gedichte. Berlin, 1865. Von O 6.68—70. 

De Aristarchi studiis Homericis. Seripsit K. Lehrs. Edit. reoogn. et epimetris 
aueta. Lipsise, 1865. Bon 2. Friedländer. ©. 156. 157. 

Jul. Salekopp, Acht apologetifche Vorträge über bie Perfon Chrifi. Maäbg., 1806, 
Bon C. &.157—166. 

de Bruenneck, De auctoritatis, qua Prussiae ordines sub Ordinis Teutonici Imperie 
utebantur, initio et inoremento, Diss, inaug. Bonnae, 1865. Bon 8—n. &, 166, 

5. 8. Jacobſon. Das Evangel. Kirchentecht des Preukilhen Gtantes und feiner hro· 
vinzgen. 2%. Abth. Halle, 1866. Bon 8—n. 6.348, 

Dtto Slagau. 1) Spaziergänge durch Lauenburg und Lübel. Berlin, 1866. 2) Fre, 
Reuter und feine Dichtungen. Ebd, 1866. Von O 6.848857. 

Dr. Prien Luftipiel in 3 Akten. Bromberg, 1865. Ben O 

37-859. 

Shrikian Donaleitis ſitauiſche Dichtungen. 1. vollftänbige Ausgabe mit Glofiar vom 
Aug. Schleier. Gt. Peteräburg, 1865. Bon G. 6. F. Reſſelmann. 6.454458. 

Ger Coltowößt, Zur Schre von der Novation nad Römildiem Recht. Leipzig, 1866. 
Bon —h— 6.739741. 

beopbil. Hosanna dem Sohne Davids? Bon ) S. 741-742. 

I. Gusterboek, De jure maritimo quod in Prussia saecnlo XVI. et ortum ost et im 
usu fgit. Regim. 1866. 

IL. Jura Prutenorum saeculo XIV condita nunc primum e Hbris mise, edidit Paal, 
Labend. Ibid, 1866. Bon S—n. 6.458--461. 

— Vorträge vom. 
Dr. Tfeod. Muther. Etlangen, 1866. Bon —i. 6. 649-652. 

aus anfändiger Familke. Geſchichte eines verlorenen Menfchenlebens von Era Wichert 
Berlin, 1866. Bon H. &. 6.662--656. 

Wtprenifäer Verlag. Boruttau, Garl, Jullanus der Abtrünnige. Danzig, 1866 


v 


Ven O 6.60-66. Hinz, A, aa a —— 

uab deren ſeltener und reicher Schaß von mittelalterlichen Paramenten. Bon 
66688. Doering, &, Choraltunde in drei Büchern. Danzig, 1865. * 
Saran. S. 70-78. Prowe, Adolf, Topernicus und fein Jugendfreund. Thorn, 
1865. Von O 6.167169. Auhis, 2, Scherz und Exaft für Schweſternſeſm. 
Hänge aus der Loge Auguſta zur Unferbliäleit in Br. Stargard. Pr. Stargarh, 
1865. Bon N, 6.859360. Heinel, Gb, Gerichte. Rgsbg, 1866. Bar O 
6.461466. Sdulz, Die Grünen und bie Blauen. Dramatiides Gemalde 
Gensburg, 1865. Bon O 6.560562. Benmwe, Ad, Das Thorner Blutgerict. 
Ahorn, 1866. Bm O 6.742-745. Gärbtter, Das Oftpreuhtihe Provingiak 
seht. Braunsberg, 1866. Bon —n— 6.145746. 

De Aönigliche Bibliothel zu Königäberg, Bon C. Hopf. ©. 74-76. 

Die Lonigliche Deutiche Geſellſchaft Im Jahre 1885. Von N. 6.77. Nekrolog. Bon 8. 
6.361—363. 

Uertöumsgefelliaft Bruffin. Bon 8—-n. S. 78. 169-171. 278, 860861. 465466. 
66859. 146-147. 


TIL Mittgeilungen ud Anhang. 


Das ſtadtiſche Archiv zu Raſtenburg u. die enfte biöher ungebrudte Handfeite der Stadt 
Raftenburg vom.Jahre 13857. Mitgetheilt von Dr. Fr. Kroſta. &.79—84 
Die grobe Orgel in Diiva. Bon O 6.8486. 
Rimijche Kaifer- Münzen aus Grüneilen. Bon Sa. S. 86. 
Se fittaniihe Hodzeit. ©. 172-180, 
Und den Acceſſionen der Alterthumögefelfpaft Pruſſia. Bon Wulff. 6. 180-182. 
Der Sumbinner Regierungäbezirt in Rußland. Bon & ©. 182-188. 
Geidente aus Altpreußen an das germaniihe Mufeum in Nürnberg. S. 184. 
Des schalte Befaiot ber Beltpihtung in Miiyreuben um B. Deckn. 1064. Von & 
MI 778. 
Hanbiehriftliche Funde aus Aönigäberger Vibliothelen. Bon B—n. (Mol. I, 668.) 
(0. Hafis’ Divan. 8. Bin neu enidedtes Eadfenfviegel,gtagment.) S. 278-280. 
@. Quellen zur Schleſiſchen, Bolnifhen, Breußtichen Geſchlte. 10. Johann a Labco. 
11 Donaleitis. 12. Preußtihes Geeredt.) ©. 370-878. (18. Preußiſche Ge 
Ihichtöquellen. 14. Univerfitätd: u. Gelehrtenleben im Reformationzzeitolter. 15. Recht 
5 Landjaſſen. 16. Stroband's Gedenlbuch) 6.468472. (17. gwei 
Ueine Fragmente des Sachſenſpiegels) ©. 663. (18. Konigsberger Chronilen 
F Ein Handfchriften- Fragment des babyloniihen Talmud. Bon Dr. H.Jolowicy> 
. 748760. 
Wertgumfunbe. (Bol. II, 755.) Ro. 20-3. Bon 8—n. 6.280281. 565-505, 
Niertäumsfund zu Infterburg. Bon Wi. 6.288. 
—28* Muſilalienbibliothel für die Proviz Preußen. Bon Dr. Fr. Zander. 
34867. 


Secqitj Zukcin's Yabiläum. Bon O 6.367870. 

Ga orientaliicen Müxzkund. Bon ©. 5. 3. Refielmann. ©. 874-876, 

Aezeieg für 1865. Bon 3 (ef. Altpı. Misſcht. II, 465.) ©. 876-877. Für 1806 
6 377-308. 

Uutesten Zunde. 1-3. Bon S-n, ©. 467-468. 654-566. 


VI 


\ 

Ein Kaſchubiſch· Deutſches Wörterbuch. ©. 468. 

Vergebliches Euichen. ©. 472. 

"Ein Danziger Rathseditt vom Jahre 1520 als Altefter Drud aus der Weinreich ſchen 
Officin zu Danzig. Mitgetheilt von Pr. R. Reicke. ©. 563-658. 

Die Kirche zu Kumehnen in Samland. Bon R. Bergau. S. 668-568. 

Hu Wigand von Marburg. Bon S-n. ©. 660-861. 

‚Münzfund. Bon H. Genthe. ©. 661. 

"Ein Shatefpear-Bortrait in Königsberg. Bon Fritihe. S. 661-662. 

Üittertbumdfünde aus Weftpreuben. Bon R. Bergan. &.750-761. 

Manufcripte zur altprenktfchen Geſchichte in der Gräfl. Stolbergfhen Bibliothek zu Wer- 
nigerode. Bon 9 6.751752. 

Altpreußen in den Borlefungen an deutſchen Univerfitäten im Winterfemefter 1866/67. 
Bon 6 6.752. 

Univerfitäts-Chronit 1866. Bon 8 S. 86. 184. 282—283. 879. 478474. 666. 
664. 762-753. 

Lyceum Hosianum in Braundberg. Bon & 6. 283. 664. 

Schul ⸗Schriften 1865. Bon & €. 87. — 1866. 3.666569. 

Bibliographie 1864. Bon 6 6.87--92. 185-180. 283-286. — 1865. 380-382. 
414477. 569574. 664-668. 753756, 

Periodiſche Literatur (1865. 1866.) Yon 8 6.93%. 189-191. 286288, 382384. 
478-480. 515-576: 668-671. 757-758. 

Aufforderung der Kal. phyf.dlon. Geſellſchaft im Kasbg. zur Einfendung von Gchichten- 
und Bohrproben aus ber Provinz. S. 191. 759-760. 

Anzeigen. ©. 191-192. 288. 480. 759-760. 

Breiöfrage der Fürftlih Jablonowäti’fchen Geſellſchaft zu Leigzig f. d. Jahr 1869. ©. 884. 

Einladung zur Pränumeration auf „Geſchichte der Juden in Aönigäbern i. Pr. von 
Dr. 5. Jolomig." 6. 871. 

Bublicandum der Oftpr. landw. Gentrafftelle, betreffend das Sreisausicreiben für das 
befte, zum Gebrauch für landwirthſchaftl. Fortbildungsſchulen geeignete landwirthſch. 
Lehrbuch. S. 672. 

Drudſehler. ©, 384. 672. 760. 





Über das Jeben den Spinnen, 


Ein Vortrag, gehalten auf dem Königlichen Schlofie 
von 


Oberlehrer Dr. E. Ohlert. 


Hochzuverehrende Anmefendel Sie find gewohnt, an dieſer Stelle 
vichtige und tiefe Fragen ans bem Gebiete des Menſchen⸗ und Geiftes- 
Mens erörtern zu hören, und ba mag es denn wohl einer Eutſchuldigung 
ktärfen, wenn ich es wage, Ihre Anfmerkfamfeit für Meine, fcheinbar 
werthlofe und unnüge Thierchen in Anfpruch zu nehmen; für Thierchen, 
welche bie meiften Menfchen mit Widerwillen betrachten, welche man kaum 
nenmen barf, obne fürchten zu mäflen, daß eine zartnervige Dame in Ohn ⸗ 
macht falle. Es laßt fich nicht lenguen, bie Spinnen mit ihrem biden, 
weichen Leibe, dem fettigen Unfühlen, mit ihren langen Beinen, ber 
Schnelligkeit der Bewegungen, dem fchattenartigen leiſen Hinhuſchen ha⸗ 
ben etwas Widerwartiges, und wenn ein ſolches Thier einem über ben 
Nacken ober über das Geficht Täuft, fo Tamm man fich kaum eines leifen 
Schauers erwehren. Nimmt man nun noch dazu bie Vorftellung von ber 
Giftigleit der Spinnen, von ihrer Mordluſt, von der Hinterfift, mit der 
fie den armen Fliegen und Müden nachftellen, fo tft begreiflich, daß fie 
von ben Meiften verabfchent, mit Eifer verfolgt werben, und ihr Name als 
bezeichnenber Unsbrud für Weſen gilt, bei denen fih alle liebenswärbigen 
Eigenfijaften des ſchönen Geſchlechts in ihr Gegentheif verkehrt Haben, — 
Und beunoch Hat es nicht am Perfonen gefehlt, welche dieſe verachteten 
Thierchen liebgewonnen, ja fogar innige Freundſchaft mit ihnen gefchloffen 


' Yaben. Wahrhaft rührend iſt ee, mit welcher Begeifterumg und Zärtic- 


teit der berühmte Quatremere-Disfonval in feiner Arenevlegie von ſeinen 
Altyr, orete jarin Br. ixi. Oft. 1. 


2 ueber das Leben der Spinnen 


Spinnen ſpricht. Er war 1789 in die Gefangenſchaft der oraniſchen Par ⸗ 
thei in Holland gerathen, und ſechs Jahre lang waren die Spinnen, welche 
an ben Fenſtern feines Kerlers ihre Netze ſpannten, feine einzige Unterhal- 
tung und Freude und Gegenſtand feiner Beachtung und Theilnahme. Und 
wer fühlte nicht mit bem armen Leauzun ben Schmerz, als ber graufame 
Kertermeifter feine einzige Freundin, feine Spinne hohnlachend zur Erde 
warf und fie mit bem Fuße zertrat! Es müfjen baher auch wohl in dem 
Leben und Treiben ber Spinnen Momente fein, welche fie unferer Betrach⸗ 
tung und unferes Interefjes werth maden und ben Widerwillen gegen fie 
in die Klaſſe der Vorurtheile fegen. Um nicht ungerecht zu fein, ift es 
wohl überhaupt zu vathen, ſich vor ſolchen Antipathien, bie auf unbeftimm- 
ten Gefühlen beruhen, zu hüten, beſonders aber in ber Natur; denn jedes 
Geſchöpf ft die Verförperung einer Idee Gottes und eins von ben un- 
zaͤhligen Wundern ber Natur und ber aufmerffame und finnige Beobachter 
findet darin eine ſolche Fülle von Schönheit, fo viele Spuren ber ewigen 
Weisheit unb Liebe, daß er gar bald ber etwanigen anfänglichen Abneigung 
vergißt, und in Anbetung bes Schöpfers mit dem frommen Dichter fpricht: 
Herr wie find Deine Werke fo groß und viel! Du Haft fie alle weislich 
geordnet. — Es geht mit ben Spinnen wie mit fo vielen andern Dingen, 
die man nicht achtet, oder gar.verurtheift, weil man fich nicht bie Mühe 
giebt, fie genau kennen zu lernen. — Ich muß geſtehen, daß ich in meie 
mer Tugend ben gewöhnlichen Widerwillen gegen fie theilte und es mich 
innerlich durchſchanerte, als einft einer meiner Schulgenofien einer großen 
Kreuzfpinne ben bien SHinterleib abbiß und ihm mit Wohlgeſchmad vere 
zehrte. Als ich aber durch meine Studien gemöthigt wurde, mich auch 
mit ihnen näher befannt zu machen, da feflelte ihr Leben und Treiben 
bald mein Imtereffe in fo hohem Grabe, baf fie allmählich meine Lieb⸗ 
linge getvorben find und ich durch mehr als 30 Jahre ihnen vorzugsweiſe 
meine Anfmerkfamfeit gewidmet habe. Es wärbe mic) daher freuen, wenn 
es mir gelingen follte, durch meine flächtige Darſtellung, wie fie Zeit und 
Ott verftatten, Sie, hochzuverehrende Auweſende, zu bewegen, biefe mit 
Unrecht verabſcheuten und verfolgten Geſchöpfe mit gänftigern Augen zu 
betrachten und ihrer Beobachtung zu würdigen, and id bin gewiß, daß fich 
yuen dadurch eine reiche Quelle erhebender Gedanken, angenehmer Em⸗ 


von Oberlehrer Dr, €. Oblert, 3 


pfindungen und eines veinen Naturgenufies für Ihre Mußeſtunden er, 
ſchließen würde. 

Die Zahl der Spinnen ift im Berhältniß zu ben andern Gruppen 
der niederen Thiere gering zu nennen; benn während unfere Provinz 
beiſpielbweiſe ungefähr 3000 Käferarten zählt, fteigt die Zahl ber Spin- 
mnarten wenig über 200. Schon hierin liegt ein gewiſſer vornehmer 
Shoralter, durch den fi) der Stamm ber Spinnen Über das gemeine 
Voll der Iufelten erhebt. Ihre Lebensweife aber ftelit fie als ebenbärtig 
neben die Maubritter des Mittelalters, Wie dieſen ift Krieg und Fehde 
md Raub ihr Element. Ihre Warten, in denen fie ben harmloſen 
Banderern der Lüfte auflauern, bauen ſich einige am hochgelegenen 
Etellen, zwifchen Bäumen ober Mauern, andere in beu bunfeln Winkeln 
ver Selfen oder Häufer, oder gar im Waſſer; noch andere ftürgen aus 
Üihlen in der Erde ober unter Steinen auf ben unvorfichtig fi Nahen 
ten und fchleppen ihn in ihre Fanggrube. Da giebt es aber noch ums 
kericgweifende Spinnen, die kein Sanggewebe machen; bas find bie rech⸗ 
tm Wegelagerer, die frei durch Feld und Wald umherſchweiſen, wie Jäger 
nad allen Seiten ſpähend, und wie fie ein Wild entdeckt haben, daſſelbe 
entweber im ſchnellen Laufe erjagen, oder im Sprunge erhaſchen. — Das 
Hingt denn freilich nicht fein und feheint wenig geeignet, ihren Ruf zu ver- 
beſſern Und doch haben wenigfteng wir Menſchen gewiß fein Recht, fie des- 
halb zu tadeln; denn was thun fie damit Echlimmeres ala wir? Ich möchte 
nicht hören, was bie armen Hafen und Rehe von uns fagen würben, wenn 
fie may jprechen Tönnten, ober gar bie Krebfe, ober bie Wale, denen wir 
kei lebendigem Leibe die Haut abziehen. Nein, fo lange wir ung einen 
guten Braten, ober eine Krebsſuppe ohne Gewiſſensſtrupel wohl ſchmeden 
faffen können, werben wir gut thun, von ber Raubluft der Spinnen ganz 
Ri zu ſchweigen und uns mit dem Gedanken zu tröften, daß fie dadurch 
io wie alle Thiere, die auf thtertiche Nahrung angewiefen find, nur das 
Roturgebot der Selbterhaltung erfüllen. — Ja es zeigt ſich Hiebei ſogar 
ein Zug liebevoller Fürforge, zwar nicht ber Spinnen, aber doch der Ra» 
im, um bie Leiden ber Todesopfer abzullirzen unb zu mildern. Vorne am 
Ropfe der Spinmen nämlich befinden ſich als ihre Hanptwaffe zwei gegen- 


tinander gelehrte Oberliefer. Jeder derſelben befteht ans einem kegelför⸗ 
ir 


4 "aber das Sehen der Spinnen 


migen Grunbgliebe, und an ber Spige beffelben ift eine gekrümmte fehr 
ſcharf zugeſpitzte Fangkralle beweglich eingelenft, Ueber ben Oberktefern 
liegen im Kopfe zwei Giftbrüfen, und von benfelben gehen zwei feine Röh⸗ 
ven durch bie Oberkiefer und öffnen fich kurz vor ber Spige ber Fangkral⸗ 
len. So wie nun bie Spinne auf ein gefangenes Iufelt losftärzt und 
feine Fangkrallen in feinen Leib ſchlägt, fo tritt durch den Druck auf bie 
Drüfen ein Meines Tröpfchen bes waflerfinren Giftes in bie Wunde, und 
ſogleich ſtredt das Infekt feine Glieder und Liegt bewegungslos ba, fo hef⸗ 
tig es auch vorher geftrampelt und fich gefträubt hatte, und zeigt feine 
Aeußerungen bes Schmerzes, während es von ber Spinne verzehrt wird. 
Offenbar dient dies Gift faft wie unfer Chloroform dazu, das Opfer zu 
betäuben unb gegen ben Schmerz unempfinblich zu machen. — Uebrigens 
befteht in biefen beiden einen Drüfen bie ganze Giftigleit der Spinnen, 
und ihr übriger Leib iſt durchaus fret von Gift. Menichen aber haben 
überhaupt nichts davon zu fürchten, denn von freien Stüden beißt eine 
Spinne nie einen Menſchen und nur wenn man fie feft Hält, wehrt fie 
fich fo gut fie kann, um ſich zu befreien, und babet braucht fie natürlich 
auch ihre Oberkiefer, aber von den Teineren bringen bie Fangkrallen 
nicht einmal durch die Haut und bie größten Kreuzfpinnen verurfachen 
doch Höchftens eine Wunde, wie ber Stich einer Meinen Müde, und bie 
ganze Wirkung berfelben tft ein eines rothes Fledchen, das fi) bald wies 
ber verliert. Auch die Erzählungen von ber Gefährlichkeit bes Biſſes ber 
italieniſchen Tarantel, bie von ben älteften Zeiten her bis jegt vom gemei⸗ 
nen Mann in Stalien geglaubt und von manchen Schriftftellern wieder⸗ 
Holt werben, haben fich bei genanerer Unterſuchung als Fabeln erwieſen. 
Die Tarantel ift über einen Zoll lang und durch ihr ganzes Ausſehen 
wohl geeignet, ein ängftliches Gemüth zu erfchreden. Man erzählt nun, 
daß ein von ihr gebiffener Menfch im Raſerei verfalle und fterben müſſe, 
wenn nicht ſchuell Hilfe gefchafft werde. Die einzige Kur aber beftehe da⸗ 
rin, baß eine rauſchende Muſik gemacht werbe, nad) ber bann ber Kranfe 
tanze, immer fehneller und fehneller, bis er in Schweiß gebabet ermattet 
nieberfinfe und in Schlaf verfalle, aus dem er endlich geheilt erwache. Nun 
haben aber in neuerer Zeit viele gründliche Beobachter ſich abfichtlich von 
der Tarantel beißen laſſen, ohne einen Schaden davon gelitten zu haben. 


von Oberlehter Dr. E. Obler. 5 


Ein Naturforſcher, der in ben Abruzzen unter andern auch Taranteln ger 
fommelt Hat, berichtet, daß er fie immer mit bloßen Hänben gegriffen 
habe und babei oft von ihnen gebiffen fei, aber nie bie geringfte Wirkung 
davon verfpärt habe. Dennoch befteht der Zaranteltan; um Neapel noch 
jest, aber nicht, um bie Schäblichleit des Tarantalbiſſes zu vertreiben, 
fondern nur um einige Maße Wein ober etwas Geld zu verdienen. Die 
Lazaronis nämlich laſſen fi um einige Maße Wein abfihtlih von einer 
Tarantel Ineipen, trinlen ben Wein aus und tanzen bann in Gegenwart 
vieler Zufchaner oft über eine halbe Stunde unauegeſetzt, ohne bie gering. 
Ren Folgen ber großen Anftvengung. Die ganze Sache beruht alfo auf 
einer Betrügeret, aber nichts befto weniger fürchten bie übrigen Leute den 
Biß der Tarantel fehr ohne gegründete Urſache. — Was bei ben Spin- 
un num aber beſonders bewundernswerth und überrafchend iſt, das find 
he Gewebe, welche fie verfertigen, Hauptfächlich, um ihre Beute zu fan 
gu. Was man täglich fieht, fällt Keinem mehr auf, fo merkuilrbig es 
auch an fich fein mag; und manches, was das höchſte Staunen erregen 
wärbe, wenn es große Thiere thäten, bleibt unbeachtet bei Heinen. Wenn 
ein Fuchs anf einmal anfinge im Walde Seile von Baum zn Baum zu 
yannen und fie zu regelmäßigen Neben zu verflechten und fie mit Ueber 
legung gerabe ba aufftellte, wo Xhiere, bie er fangen wollte, am hän- 
figſten durchzögen, und fo, baß fie fih darin verwideln müßten, wie wär. 
den die Leute zufammen laufen und bas Wunder auſtaunen! Aber bei‘ 
einem Spinngewebe geht man gleichgiltig vorüber, ober zerreißt es wohl 
gar, ohme zu bebenfen, daß hier noch viel Wunderbareres zu fehen if, — 
Eon bie Organe zur Bereitung bes Spinnenfabene find unferer Beachtung 
im hohen Grade werth. Nämlich am Hintern Ende bes Hinterleibes be» 
finden fich vier größere Epinnwarzen und zwifchen ihnen bei ben meiften 
ned) zwei kleinere. Jede berjelben bildet einen Heinen, oben abgeftumpften 
Kegel und befieht aus zwei beweglichen Gliebern. Oben auf ber End» 
flache fiehen. zahlreiche Meine Röhrchen und auf jeber berfelben eine noch 
feinere borftenförmige Röhre, bie fogenannten Spinnborften. Bet einer 
Rrenjfpinne hat man anf einer Spinnwarze ungefähr 1000 Spinnborften 
gaählt, alfo Haben bie vier großen Spinnwarzen zufammen 4000 Spinn- 
berfien. Im dem Hinterleibe nun liegen vier größere und zwei Meiner 


6 Ueber das Leben der Spinnen 


langliche Schläuche, die mit einer Hebrigen Flüſſigkeit, wie aufgelöfter 
Gummi, gefühlt find unb beren jeber fih in eine Epinnwarze öffnet. 
Durch einen Drud auf biefe Spinnfchläuche wird nun der Spinnftoff burd) 
die Spinnwargen und bie Spinnborften Herausgetrieben, und fo treten 
4000 Fäden hervor, bie fich bald zn einem Faden vereinigen. Man kann 
fich leicht davon überzeugen, wenn man eine Kreuzſpinne mit einer Hand 
faßt, den Hinterleib leiſe preßt, während man die Epinnwarzen leicht ger 
gen einen Finger ber anbern Hanb brüdt, und nun bie Spinne etwas ab» 
sieht. Hält man nun ben fo heransgezogenen Baden gegen das Licht, fo 
flieht man ganz deutlich, daß berfelbe unmittelbar an den Spinnwarzen 
etwa eime Linie fang in fehr viele feinere Fädchen zertheilt ift, bie fich alle 
zu einem Faden vereinigen. Will man einen hohen Grab von Feinheit 
bezeichnen, fo pflegt man wohl und mit Recht ven Gegenftand mit einem 
Spinnfaben zu vergleichen. Wie fein müfjen nun. aber erft bie Fäden 
fein, deren 4000 zufammen einen Faden bilden! Und das ift fchon bei 
» ber großen Kreuzſpinne. Aber es giebt Spinnchen, bie nicht größer ale 
ein Sandlorn find. Durch Schägung hat man gefunden, daß von diefen 
Spinnen 4 Millionen Fäden nicht bider fein wärben als ein Menfchen- 
haar. Da nun aber jeder biefer Fäden ans 4000 noch feineren Fäden 
befteht, fo folgt, daß mehr als 16000 Millionen viefer feinften Fädchen 
zufammen nicht bider als ein Menſchenhaar fein würden. Solche Feinheit 
überfteigt alle Vorftellung und ift wohl geeignet uns zu bemüthigen zu 
dem Gefühle von der Unvolitommenheit unferer Sinne und Berftandes- 
teäfte, — Mit Recht fragt man, was ber Zwed einer fo künſtlichen und 
zufammengefegten Einrichtung fei. Ein wahrfcheinficher Grund ift, daß, 
um das Gummi Hinlänglich zu teodnen, damit es einen zähen Faden 
gebe, eine ausgebehnte Fläche der Luft ausgefegt werben mußte, was vor⸗ 
trefflich durch die Theilung in jo zahlreiche Fäden beim Ausgange ans 
dem Leibe erreicht wirb. Wielleicht aber ift auch bie Abficht, daß bie Spinne 
unter Umftänben ſtatt eines Fadens ein breites Band ausziehen könne, 
indem fie die Spinnwarzgen und Spinnborften auseinander fpreigt, was 
fie befonders zu tun pflegt, wenn fie ein zappelnbes Infekt durch umge⸗ 
ſchlungene Fäden Inebein will. — Die Spimme kann den Baden aus bem 
Leibe ziehen, aber and, heraustreiben. Das erftere gefchieht am häuftgſten. 


von Oberleheer Dr. C Oblert. 7 


Sie brädt nämlich die Spinnborften irgend wo an, klebt dadurch den Fa⸗ 
den feft und zieht benfelben, indem fie fortlänft, aus dem Leibe. Daſſelbe 
geihieht durch bie Schwere ihres Körpers, wenn fie fi) von einer Höhe 
am Zaben Herunterläßt. Hiebei fickt man, daß ſie im Stande ift, bie 
Epinnöffuungen mehr ober weniger zu erweitern, ober zu verengen, ober 
ganz zu ſchließen, je nachbem fie ſchneller ober langſamer finken, oder im 
dallen anhalten will, Will fie wieder emporfteigen, fo faßt fie mit ben 
Füßen ben Faden, Hetiert daran wie ein Matrofe am Geile in bie Höhe, 
midelt ihn während beffen zu einem weißen Kmäulchen zufammen, das fie 
oben angelommen verſchludt und fo den Spinnftoff wieder in ben Leib 
bringt. — Uber fie kann auch den Baden ans bem Leib heraustreiben. 
Dies beweift ein Verſuch bes Engländer Kirby, ben ich mit gleichem Er⸗ 
folge wiederholt Habe. In einer mit Wafler gefüllten Schale befefligte er 
men etwa 2 Fuß langen Stab in fenkrechter Stellung und ſetzte barauf 
eine Kreuzfpinne. Um zu entfliehen, lief fie am Stabe herunter, wo das 
Bafler fie zur Rüdfehr nöthigte, dann wieber bis zur Spige hinauf und 
fo mehrmals hinauf und Hinab, überall nach einem Rettungswege umher⸗ 
ſchauend und mit den Füßen taſtend. ALS. alle Verſuche zur Flucht ver- 
geblich fehtenen, blieb fie endlich auf ber Spige des Stodes ſtill figen. 
Kirby mußte ansgehen unb ſchloß bie Stube zu. Als er nach zwei Stun⸗ 
den wieberfehrte, war bie Spinne verſchwunden und er fand fie in einer 
Ede am Fenfter. Bon dem Stabe aber war nach einem Stuhle ein Fa⸗ 
den ungefähr 5 Buß lang geipannt, der ihr offenbar als Brüde gebient 
hatte. Um nun zu fehen, wie fie ben Verbindungsfaden zu Wege gebracht, 
fegte er fie wieber auf den Stab und blieb dabei. Nach ungefähr einer Stunde 
fellte fie ſich anf die Spike des Stodes, machte mit bem Hinterleibe eine 
ügenthämliche Bewegung, und er fah, wie aus ben Spinnwarzen ein 
Faden hervortrat, ber immer länger werbenb von ber Luft getragen laug⸗ 
fam Hin und her ſchwankte, Bis er endlich an einem in ber Nähe ſtehen⸗ 
ven Schranle hängen blieb. Die Spinne mußte durch das Gefühl ger 
mertt haben, daß ber Faden feft fige, denn fogleich zog fie ihn ftraff und 
nachdem fie ſich durch die Büße vergewifiert hatte, daß er Halt genug ge 
währe, Tief fie an ihm Hin und emtfloh. — Durch das Heranstreiben ber 
daden entſteht auch her fogenannte fliegende Sommer, ober bie Fungferus 


8 Ueber das Sehen ber Spinnen 


fäben, die man an hellen unb warmen Herbfitagen oft in überſchwänglicher 
Menge durch die Luft fliegen fieht Dance Schriftſteller geben von bier 
fer Erſcheinung eine gang falſche Erklärung. Im Herbſte fieht man bis⸗ 
weilen Wieſen und Stoppelfelder von Spinnenfäden fo dicht überzogen, 
daß ſie, wenn bie Sonne darauf ſcheint, über und über wie Silber glän- 
zen und ſchimmern. Manche meinen nun, baf biefe Fäden vom Winde 
abgerifien und durch bie Luft geführt wärben, unb bies fei ber fliegende 
Sommer. Eine aufmerffame Beobachtung zeigt aber gleich, baf dies ein 
Irrthum iſt. Denn biefe Fäden gehen immer nur von Halm zu Halm, 
find alfo viel zu kurz zu ben Iuugferufäben, und weht ber Wind über ein 
ſolches Feld, fo wideln fie fih fo um bie Halmen, daß fie feſt daran haf ⸗ 
ten. — Die Sache verhält ſich ganz anders. Es ift fehr Lange Her, als 
ich zum erftenmale bie Entftehung bes fliegenden Sommers in ausgezeich⸗ 
meter Weife beobachtete, und feit dem habe ich ben Hergang in jebem 
Herbfte gefehen und mich jedesmal von neuem bavan ergötzt. Ich wan⸗ 
derte in ben erften Tagen bes Oftober bei ſchönem Wetter und milber 
Wärme auf der Ehanffee von Bartenftein nach Raftenburg zu. Eine halbe 
Meile Hinter Bartenftein lag rechts vom Wege ein Ellernwäldchen, wel» 
es einige hundert Schritte weit abgeholt war. Anf dem Boben lagen 
hie und da Holzklafter, und dazwiſchen zerſtreut ftanben noch Eliernbäfche. 
Ein leifer Wind wehete von dem Waldchen nach ber Chanffee. Kaum 
hatte ich ben abgeholzten Waldgrund betreten, fo bemerkte ich, daß Boden, 
Buſche und Holzllaftern von Spinnen ber manigfachſten Art wimmelten, 
die in Iebhafter Bewegung unb Thätigfeit waren. Auf einem einzelnen 
Eilernblatte waren oft 6 bis 10 Spinnen, bie zu wetteifern ſchienen, bie 
Spige bes Blattes zu erreichen. War dies einer von ihnen geglädt, fo 
hob fie fih anf ihren 8 Beinen fo hoch als möglich, kehrte fich mit dem 
Kopfe gegen ben Wind, firedte den Hinterleib fchräg aufwärts unb trieb 
ans ben Spinnwarzen einen Faben, ber immer länger wurbe und in bem 
Winde flatterte. War ber Faden etwa 20 bis 30 Fuß lang, fo ließ ſich 
die Spinne los und flog, von ihm getragen, buch bie Luft davon ber 
Chauſſee zu. Kaum war fle bavom gefegelt, jo nahm eine andere Spinne 
ihre Gtelle ein und folgte ihr nad) wenigen Minuten auf biefelbe Weiſe 
durch bie Luſt. Da nun vom allen Blättern bes Huſches und von allen 


von Oberlehrer Dr. E. Oblert. 9 


Büfhen und von allen erhabenen Punkten ber Holzklaftern, bie einen 
freien Staudpunkt gewährten, auf biefelbe Art Spinnen an ihrem Faden 
hängenb bavon fegelten, fo ift begreiflich, daß taufenbe berfelben gleichzei- 
tig in berfelben Richtung durch bie Luft getragen wurben und ihnen im- 
mer neue nachfolgten. Schon auf dem Wege bis zur Chauſſee verwickel⸗ 
ten fich oft mehre foldhe einzelne Fäden und bildeten ganze Floden. Die 
meiften aber blieben an ben Zweigen ber Chauſſeebäume Haften und flat 
teten im Winde. Geſchah dies, fo Metterten bie betreffenden Spinnen 
ſegleich bis zur Spige der Bautnblätier, trieben nene Fäden und flogen 
an benfelben über bie Felber im bie weite Ferne, bis fie meinen Augen 
etiäwanben. Blieben bei dem Fluge durch bie freie Luft mehre Fäden 
au einander haften, fo daß fich größere Flocken oder Gewinde bildeten, fo 
Yetterten bie Spinnen anf biefelben und fuhren num baranf behaglich 
end ober umherwandernd wie anf wahren Luftſchiffen dahin. Die Spin» 
un, welche biefe Sommerfäben machten, gehörten zu vielen und verſchie⸗ 
denen Arten. Häufig waren barunter Micryphantes-Arten; das finb bie 
Heinen ſchwarzen muntern Spinnen, bie unter bem Namen Glädfpinn« 
den bei dem Damen am eheften Gnade finden. Bon ben größeren Arten 
waren nur junge, noch nicht ausgewachſene Exemplare babei thätig, aber 
darunter auch folche, welche keine Fanguetze machen, fondern ihre Beute 
am im Laufe greifen. — Die Spinnen Tönnen auf biefe Weife fehr weit 
fliegen, denn Seefahrer berichten, daß fie beim Vorüberfahren an ber afri⸗ 
lauiſchen Küfle in einer Entfernung von 10 Meilen gefehen Haben, wie 
mählige Spinnen vom Lande her durch bie Luft fegelnd fich auf Maflen 
mb Tauwerk niebergelaffen haben. — Sonberbar. ift es, baß bie Spinnen 
die Jungfernfäden nur im Herbfte machen, und mit Recht fragt man nad) 
dem Grunde der Erſcheinung. Ich muß geftehen, daß ich feine genügenbe 
&ffirung davon habe finden können. Vielleicht gefchieht es, um den über⸗ 
füffigen Spinuftoff Losguwerben, bevor fie ſich im Spätherbfte in ihre Winter 
quastiere zurüchiehen; vielleicht, weil bie im Herbſte feltener werbenden Ins 
feiten nicht mehr in genügenber Zahl in die an feften Stellen aufgefpannten 
Rege kommen uud fie baher genöthigt find, einen größern Raum zu bes 
ſtreichen, wie ber Fiſcher das Zugneg anwendet, wenn bie Fifche nicht in 
bie Renfen gehen. Ober follten fie die Herbfimuße benugen, um Vergnũ⸗ 


10 Ueber das Leben der Spinnen 


gungsreifen zu machen, ober um fich doch auch einmal ihren glüdficheren 
Berwanbten, ven Infelten, gleich zu ftellen, welche die Natur mit Flügeln 
ansgefiattet hat, unb wie biefe bie Wolluſt zu geniehen, ſich frei durch ben 
Luftraum zu ſchwingen? Hier müflen wir unfere Unwiſſenheit befennen, 
wie bei fo vielen Erſcheinungen in ber Natur. 

Doch wir kehren zu ben Geweben zurüd, welche die Spinnen machen, 
um ihre Bente zu fangen. Bei dieſem Gefchäfte find ihnen von wefent- 
lichem Nuten die Füße, deren alle vier Paare an ber Bruft Haben. An 
der Spige jeven Fußes befinden ſich zwei bewegliche krumme Krallen. Bei 
der Arbeit fieht man nun bentfich, wie fie mit ben Füßen, befonders ben 
Hinterfüßen den Heroorgezogenen Faden leiten und ihn bald über biefen. 
bald über jenen Zahn der Kralle laufen Yaffen, um ihm bie richtige Lage 
zu geben. Der Bau ber Fangnege und ihr Verhalten bei ber Jagd ift 
nun aber bei ben verfchiedenen ©pinnenarten fehr verſchieden, und bie 
Kürze ber Zeit erlaubt nur bie wichtigften berjelben zu berühren. 

Hier ſtehen nun obenan die Radſpinnen, wozu auch unfere Kreuz⸗ 
fpinne gehört, welche rabförmige Netze, meiftens in ſenkrechter Lage zwi⸗ 
ſchen Bäumen oder andern Gegenftänden ansipannen. Es ift nicht fo ganz 
leicht, ſie bei ber Arbeit zu beobachten, denn meiftens machen fie bie Nee 
in ber Nacht, und nur im Nothfalle auch bei Tage. 

Will eine Kreuzſpinne ein Ne machen, fo wählt fie zuerft einen Ort 
aus, an dem reiche Beute zu erwarten fteht, und Punkte, zwiſchen denen 
es ausgeſpannt werben fol, wobei bie Lage bes Ortes, bie Richtung bes 
Windes, die Nähe von infeltenreichem Gewäfler oder Buſchwerk forgfam 
berüdfichtigt wird. Nun zieht fie eine Grundſchnur zwifchen zwei feften 
Punkten, die fie verftärkt, indem fie durch Hin» und Herlanfen 5 bis 6 
ober mehr Fäden zufammenklebt. Von ben Enden berfelben führt fie nach 
einem dritten ober andy vierten Punkt ebenſolche Fäden und begrenzt fo 
den Raum, in ben das eigentliche Ne kommen foll. Jetzt verbindet 
fie zwei gegenüberktegende Punkte ber Grundfäden, indem fie im Um ⸗ 
fange Herumläuft und mit den SHinterfüßen ven heramsgezogenen Faden 
forgfam leitet, damit er nicht an einer unrichtigen Stelle Heben bleibe. 
Mitten in dieſem Durchmefler, wohin ber Mittelpunkt des Netzes kommen 
ſoll, befefttgt fie einen zweiten Faden und zieht ihn nach einem andern 


von Oberlehrer Dr. G, Ohlert. 11 


Buntte ber Randſchnur, dann ebenfo von dem Mittelpunfte einen britten, 
vierten Faden u. ſ.w. Während ber vorbereitenben Arbeit ruht fie mand- 
mal aus, als ob die Anlage Nachdenken erforbere. Aber ſobald fie ſich 
überzengt, daß die Randſchnur feit genug gefpannt ift und einige Strahlen 
vom Mittelpunkte fertig find, fo fährt fie in ihrer Arbeit fo hurtig und 
unabläffig fort, baß das Ange kaum zu folgen vermag. Die Strahlen, in 
ber Zahl ungefähr 20, welche dem Netze bie Geftalt eines Rades mit ſei⸗ 
nen Speichen geben, find bald fämmtlich vollendet. Dann geht fie in bie 
Mitte, dreht ſich ſchnell herum, ftößt mit ihren Füßen auf jeven Baden, 
um deſſen Spannung und Stärke zu prüfen, reißt auch wohl einen ab, ber 
nicht zu fangen fejeint, und erfegt ihn durch einen anbern. Sind nun 
fo bie vom Mittelpunfte nach dem Rande laufenden Strahlenfäden fertig, 
fo lebt fie unmittelbar um den Mittelpunkt 5 bis 6 Heine concentrifche 
Kreisfäpen, ungefähr 1/, Linie von einander entfernt, unb bann vier ober 
fünf größere, jeben vom andern etwa 1a Zoll ober mehr abftehend. Diefe 
letzten dienen nur als eine Art vorläufigen Gerüftes, um barüber wie 
über Brüden hin und Her zu gehen und ven gehörig gefpannten Strahlen 
Halt zu geben, während fie baran bie comcentrifchen Fäden, bie blei⸗ 
ben follen, befeftigt, zu deren Anlegung num gefchritten wird. Nun bes 
feftigt fie an einem Strahle nahe dem Umfang einen Faden, zieht ihn, 
dem Mittelpunkt zufchreitenb, fo lang aus dem Leibe, daß er genau bis 
zum näcften Strahle reicht, fchreitet auf biefen hinüber und befeftigt ihn 
daran. So bringt fie, von Strahl zu Strahl Hinüberfchreitend, einen con- 
eentrifhen Kreis zu Stande, dann ben zweiten und alle folgenden, jeder 
vom andern etwa 2 Linien abftehenb, bis der ganze Raum bis zu ven zur 
erft um bie Mitte gezogenen engeren Kreiſen ausgefüllt iſt. Nun geht fie 
endlich in bie Mitte und beißt bie Strahlenfäden bis an ben innerften 
Kreisfaden ab, fo daß hier ein Kleines freies Feld bleibt. Bemerkenswerth 
if, daß bie Strahlenfäden von den Kreisfäben fich unterſcheiden; bie erftern 
nämlid, find troden und nicht Hebrig, fo baß man fie berühren kann, ohne 
daß fie am Finger haften, bie Kreisfäden dagegen find mit zahlreichen 
Tropfchen einer fehr klebrigen Maren Flüſſigkeit befegt, und wenn man fie 
mit dem Yinger berührt und ihn zurüczieht, fo folgen fie nach, und oft 
zerreißt das Netz dadurch. Die Spinne muß alfo bie Fähigkeit haben die⸗ 


12 Uber das Lehen der Epinnen 


fen Hebrigen Leim je nad; Umftänben mit bem Spiunftoff aus ben Spinn- 
ſchlãuchen ausfließen zu laffen oder nicht. — Iſt das Netz nun fertig, fo 
fett ſich die Krenzipinne mit dem Kopfe nad unten, in bie Mitte beffel- 
ben, die 8 Beine weit ausgejpannt und lauert gebulbig, bis fih ein In 
fett gefangen Hat. Ihre 8 Augen am Kopfe befinden ſich bei biefer Lage 
gerabe im Gentrum bes Netzes und ftehen fo, daß fie daſſelbe nad} allen 
Richtungen überſchauen Tann. Sobald eine Fliege over Müde in ben Für 
den ſich verwidelt Hat, ſtürzt bie Spinne baranf loe, padt fie mit ben 
Kiefern und fchleppt fie an ben Rand, um fie an einem fihern Orte zu 
verzehren. Hat ſich ein größeres Imfelt gefangen, das ihr durch Schlagen 
mit den Flügeln und Zappeln Wiberftand leiftet, fo weiß fie es bald völlig 
zu knebeln, indem fie einen Faden vielfah um Bruft und Leib widelt, 
Hr ihr daſſelbe aber zu ſtark, oder broht es ihr ſelbſt gefährlich zu werben, 
wie etwa eine Horniß, fo beißt fie vorfichtig rund herum bie Fäden durch 
und läßt ben gefährlichen Gaft in Srieven gehen und befiert ſchnell den 
Schaden wieder aus. — Es giebt noch viele Spinnen, bie auch ein rad 
fürmiges Ne machen wie bie Kreuzſpinne, aber nicht im ber Mitte beffel- 
ben auf ber Lauer figen, Diefe banen ſich in ber Nähe bes Netzes ein 
oben gewölbtes Zelt ans zufammengezogenen Blättern, von dem ein Fa⸗ 
den nach dem Nee führt. Sie figen in bem Zelte verftet, unb ſobald 
fi ein Infekt im Nee gefangen hat und durch feine Schwere bafielbe er- 
ſchuttert, merkt es die Spinne an bem Beben des Fadens und ftürzt aus 
ihrer Höhle Hervor anf die Beute. — Außer ben Rabfpinnen giebt es an- 
dere, bie man Webefpinnen genannt hat. Diefe bauen ihre Nege am hän- 
figften zwifchen den Zweigen von Wachholder oder anbern niebrigen Ge⸗ 
buſchen. Sie fpannen in einem ſolchen Buſche zahlreiche Faden ohne Orb» 
nung in allen Richtungen, unter und über einander zwifchen ben Zweigen 
in bie Kreuz unb Quer; unter benfelben aber machen fie ein bem Radnetz ähn- 
liches Gewebe in horizontaler Lage, an befien unterer Seite fie, mit dem 
Rüden nach unten gelehrt, hängen. Iſt num ein Imfelt einmal in dies 
Labyrinth gerathen, fo fällt es, wenn es fih von einem Baden losgemacht 
haben follte, gewiß zwifchen bie untern Fäden und endlich unfehlbar in 
bie Macht der unten lauernden Spinne. — Wieber anders machen es bie 
fogenannten Röhrenfpinnen, wozu unfere gemeine Haus oder Winfelfpinne 


von Oberlehrer Dr, E. Oblert, 13 


gehört, deren Gewebe oft genug in ben Eckeen ber Zimmer zu fehen und 
ein Aerger ber Hausfrauen find, Dies Gefpinnft ficht faft wie Gaze aus, 
mit inftlichen und ziemlich regelmäßigen Heinen Maſchen und bilbet eine 
bergontale breiedige Fläche in den Winkeln der Wohnungen. Im hinter» 
fen Winkel aber geht die Fläche in eine Kurze abwärts geneigte Röhre 
über, worin bie lauernde Spinne figt. — Hierher gehört and die merk⸗ 
wirbige Labyrinthfpinne, die nie in Hänfern, fondern nur im Freien, in 
Brühen, Gebüfchen, zwiſchen Gras, ober in fonft pafienden Lokalitäten ihr 
Gefpinnft macht und die ich nirgend fo Häufig gefunden habe als an un⸗ 
ſerm Oftfeeftrande, in und um Rauſchen, Lapöhnen, Kuren u. ſ. w. Diefe 
Spime iſt faft einen Zoll lang und macht fich eine vier bis fünf Zoll Tange 
Röhre, bie mit beiden Enden aufwärts gekrümmt in ber Erbe, in Moos, 
a Gtranchzäunen ober im Grafe ftedt; das eine Enbe ift einfah nad 
fen geöffnet, das andere Ende aber erweitert fich trichterförmig und geht 
a einzelne Wäben über, bie oft vier bis fünf Buß lang im Umkreiſe an 
lbenachbarte Strände ober hohe Gräfer geheftet find und fo ein weites 
dangnetz darſtellen. Die Spinne figt in ber Röhre und kann, wenn ihr 
Sefapr droht, durch den Hintern Ausgang entfliehen, ober nad; vorne auf 
die Beute ſturzen, bie fich in bem Trichter verftridt Hat. — 

Doch alle dieſe Gewebe werben übertroffen von dem ber Wafferfpinne, 
welche fich eine Wohnung gleich einer kryſtallenen Halle unter Waffer baut. 
Die Waſſerſpinne ift einen halben Zoll lang, oder auch etwas größer. 
Sie ift recht Häufig an und in unfern Gräben, Teichen und Seen. Sie 
lan vortrefflich tauchen und ſchwimmen, aber ebenfogut auf dem Lande 
lonfen, um Inſekten zu greifen. Hat fie bie Beute erhafcht, fo taucht fie 
damit unter umb trägt fie in ihre Wohnung. Diefe ift wirklich höchſt 
wunderbar gebaut. Die Spinne macht nämlich unter Wafler zwiſchen 
Bafferpflangen ein Gewebe in Geftalt einer &lode, etwa fo groß wie eine 
teht große Wallnuß und befeftigt deren Ränder durch Fäden an Waſſer⸗ 
Manzen. Jetzt taucht fle an bie Oberfläche empor und firedt ben ſtark 
behaarten Hinterleib über Waffer. Die Luft ſetzt fich zwiſchen bie Hanre, 
am benen das Wafler nicht haftet, und wenn fie nun wieder untertaucht, 
fo bilbet die am den Haaren haftende Luft im Wafler eine Hülle um ben 
&ib, die wie Silber ſchimmert. Im ihrer Wohnung angelommen, ſtreicht 


14 Ueber daS Leben der Eyknnen 


die Spinne von dem Pinterleibe mit ihren Beinen bie Luft ab, bie nun 
ale Luftbläschen bis zur Dede ver Glode fteigt, aber durch das dichte Ger 
webe nicht entweichen kann. Dies wieberholt fie unermüdlich fo Lange, 
bis die ganze Glode mit Luft gefüllt ift, die num wie eine gläferne Tau- 
cherglode erjcheint, in der die Spinne behaglich unter Wafler wohnen kann, 
ohne doch ber Luft zum Athmen zu entbehren. Ich Habe dies Verfahren 
der Wafferfpinnen bei ihrem Bau genau beobachtet, indem ich eine ſolche 
in ein hohes, mit Waſſer gefülltes Glas von etwa zwei Zoll Durchmeſſer 
feste. Nach einigen Tagen begann fie ven Bau, indem fte bie halten 
den Fäden ftatt der Waflerpflanzen an ber innern Fläche bes Glaſes 
befeftigte, und in kurzer Zeit war die Glode fertig und mit Luft gefült, 
Außer dieſen giebt es nun noch vielerlei Spinnen, die feine Fangnetze 
machen, ſondern fi nur Wohnungen zum Aufenthalt ober um fich darin 
zu verbergen, bauen. Unter biefen verbient befondere Erwähnung bie 
Manreripinne (Mygale caementaria), im füblichen Fraukreich zu Hauſe. 
Ihre Wohnung befteht ans einer ſchräg aufwärts geführten Röhre, etwa 
einen Zoll weit und gegen zwei Fuß lang. Diefe Röhre gräbt bie Spinne 
mit ihren ftarfen Kiefern in eine fteile Lehm- oder Mergelmand, fo baf 
ber Regen leicht ablaufen ann, ohue in bie Wohnung zu dringen; innen 
füttert fie die ganze Röhre mit feinem Seidengewebe aus, welches zu zwei 
Zweden bient, theild um das Nachfallen der Erbe zu verhindern, theils 
um durch feinen Zufommenhang mit ber Thüre der Spinne Nachricht zu 
geben von bem, was am berfelben vorgeht. Wenn bier von einer Thüre 
bie Rebe ift, fo follte man glauben, ver Ausbrud fei nur bildlich gebraucht, 
denn man Tann ſich nicht benfen, daß eine Spinne ein Ding folite machen 
konnen, das im eigentlichen Sinne diefen Namen verbiene, ein Ding gleich 
unfern Türen ſich um eine Angel drehend unb genau in ben Rahmen 
ber Oeffnung pafienb, die verichloffen werben fol. Und doch wirb ſolch 
eine Thüre, fo unglaublich es klingen mag, von biefer Spinne hergeſtellt. 
Sie macht fie freilich nicht wie wir ans Holz, fondern aus mehren Lagen 
trodener Erbe, durch Seide an einanber befeftigt. Wenn fie fertig, fo iſt 
ihr Umriß fo vollkommen rund, als wäre er abgezirkelt; bie innere Fläche 
iſt konver und glatt, bie äußere flach und rauh und der anliegenden Erbe 
fo glei, das man fie nicht davon unterfeiden Tann, Diefe Thüre wird 





von Oberlehrer Dr. E. Oblert, 15 


von dem ſinnreichen Künftler am Eingange feiner Gallerie mittels. einer 
Angel von Seide befeftigt, welche mit der größten Freiheit fpielt und fie 
läßt öffnen und ſchließen läßt; und, als wenn fie mit ben Gefegen ber 
Schwere befannt wäre, fie heſtet jedesmal bie Angel an den höchften Theil 
der Deffnung, fo daß bie Thüre nach dem Aufmachen wieder burch ihr 
eigenes Gewicht zuſchnappt. Nicht weniger gefcheibt Hat fie einen Heinen 
dalz gerade im Eingange gelaffen, auf den bie Thüre fchließt und dem fie 
mit folder Genauigkeit angepaßt ift, daß es ausſieht, als machte fie nur 
eine einzige Fläche mit ihm. So ift bie anflaunenswerthe Einrichtung 
von der Wohnung biefes Thieres; und feine Wertheibigung ber unterirdi⸗ 
ſhen Wohnung ift nicht weniger überraſchend. Wenn man unter den 
Rand der Thüre geſchickt die Spige einer Nadel einfchiebt und fie etwas 
aufheben will, jo bemerkt man fogleich einen ſtarlen Widerſtand. Was ift 
% Urſache davon? Die Spinne, von der Erſchütterung ber Fäden, bie 
aa der Thüre nach dem Grunde bes Ganges gehen, gewarnt, läuft eiligft 
m Thüre, faßt fie mit ihren Füßen, klammert fi mit ben andern Füßen 
an die Wand, wirft ſich auf den Rüden und Hält mit aller Macht feft. 
Venn die Spinne allen Wiberfland vergeblich findet, fo begiebt fie fich 
endlich auf die Flucht. Wenn man dagegen bie Thüre von außen befeftigt, 
daß fie uicht geöffnet werben Tann, jo findet man ben andern Morgen 
einen nenen Eingang mit einer neuen Thüre; ober wenn man bie Ihre 
ganz abreißt, fo wird eine andere in weniger als zwölf Stunden gebaut. 

Biel wäre noch zu ſprechen über die mannigfaltigen Arten, wie bie 
Epinnen ihre Gewebe machen unb wie fie fid) ihrer Beute bemächtigen; 
aber die Kürze ber Zeit gebietet Beſchränkung. Daher wenden wir uns zu 
20% einigen andern Betrachtungen. 

Die Spinnen find durchaus ungefellige Thiere. Daß fie die Menſchen 
fiehen und fi) gerne da anfiebeln, wo fie hoffen bürfen, ungeftört ihren 
Geſchaften nachgehen zu Können, ift leicht erllärlich. Daher verbindet man 
mit ben Spinngeweben bie Idee der BVerlaffenheit von Menſchen und Kat 
fe oft in dieſem Sinne in Gemälven und Allegorien glücklich angewendet. 
Bern Hogarth ein ſprechendes Gemälde von vernachläffigter Menfchenliebe 
beworäriugen wollte, jo überzog er bie Büchſe des Bettlers mit einer 
Epinnwebe. Und in ben judiſchen Schriften wird nicht weniger finnzeich 


16 Ueber daß Leben der Spinnen 


berichtet, daß bie Urſache, weshalb Saul ben David und feine Begleiter 
‘in der Höhle von Abdullam nicht entbedte, eine von Gott gefanbte Spinne 
geweſen, welche hurtig ein Gewebe vor ben Eingang gewoben; denn num 
hielt es Saul für unnäg, einen Ort weiter zu unterfuchen, ber fo augene 
ſcheinliche Beweiſe von der Abweſenheit jedes menfchlichen Weſens gab. — 
Aber auch die Geſellſchaft ihrer Battungegenoffen vermeiden fie und lieben 
es, jede für fich zu leben. Man findet zwar, daß an günftig gelegenen 
Orten viele Spinnen ihre Nege ganz nahe neben einander ausſpannen, 
aber an Umgang und Verkehr zwiſchen ihnen ift nicht zu denlen, jebe hält 
fich in ihrer Wohnung, fieht dieſelbe aber andy als ir unverlegliches Eigen- 
tum an und ift ftets gerüftet, jeben unberechtigten Einbringling mit Ge⸗ 
wall abzutreiben oder zu vernichten. Ich Habe oft den Verſuch gemacht, 
eine Spinne aus einem Nege in ein anderes frembes Netz zu fegen. Dann 
flürzte ſogleich die Eigenthümerin auf ben Fremdling los, und es eutſpaun 
fich ein wüthender Kampf, der erft mit dem Tode einer ber Gtreitenben 
enbigte, die bann von ber anbern anfgeftefjen wurbe. Blieb bie frembe 
Spinne Siegerin, fo nahm fie fogleich von dem Nee ver Ueberwundenen 
Befig und ftellte ſich an ber richtigen Stelle auf fernere Lauer, als wäre 
fie zu Haufe. — Selbſt von einer Neigung ber beiden Gefchlechter zn ein- 
ander ift wenig zu bemerken. Den größten Theil des Jahres leben 
Männden und Weibchen getrennt. Zu einer beflimmten Zeit bes Jahres 
empfindet uun zwar das Männchen das Verlangen, ſich mit einem Weib» 
Gen zu vereinigen; das erforbert aber lange Vorbereitungen unb viele 
Borficht, denn die Weibchen find bebeutenb größer unb ftärker als bie 
Männden und Können ihnen leicht gefährlich werben. Hat fir ein ſolcher 
Liebhaber eine Spinnen-Schöne erforen, die wie eine Turandot kalten 
Herzens in ihrem Nee fit, fo fehleicht er vorfichtig heran, bleibt beſchei- 
den anßerhalb ihres Zamberkreifes fiehen und wartet gebuldig, ob fie ihr 
eines Blides wärbige. Bleibt fie ganz gleichgiltig, fo zupft er an einem 
Baden ihres Netzes, um ihre Aufmerkſamleit zu erregen. Scheint fie noch 
nichts zu merken, fo wagt er es, einige Schritte näher zu treten, inden 
er jebe ihrer Bewegungen und Mienen ängſtlich beobachtet. Wirft fie ihm 
einen finftern Blid zu, oder macht gar eine feindliche Bewegung, fo zieht 
ex fi je nach Umftänden langfam zurüc ober begtebt ſich auf eilige Flucht. 


von Oberlehret Dr. E. Oblert. 17 


Meiſtens geht die Sache ohne Blutvergießen ab. Manchmal aber, wenn 
er zu kühn geweſen ift, ſtürzt ihm feine Angebetete in fchnellem Laufe 
nach, padt ihn und frißt ihn ohne weitere Geremonien auf. Dit base 
Rinngen glüdlich entlommen, fo wiederholt es nad) einiger Zeit feine 
dewerbungen wieber und fett biefelben oft mehrere Tage fort, bis das Weib⸗ 
den fih endlich erweichen läßt und ihm geftattet, in ihr Ne zu kommen 
mb bei ihr zu wohnen. — Dagegen zeigen die Epinnen meiftens eine 
tühtende Liebe zu ihren Jungen. Bei ben Rabfpinnen befchränft ſich dieſe 
Eorge darauf, daß das Weibchen im Herbfte am einer geſchützten Stelle 
ifre Gier auf ein Häufchen legt und biefelben in eine bichte ſeidenartige 
Hille einfpinnt. Solche Cocons, von gelber Seive, halblugelförmig und 
in Umfange etwa fo groß wie ein Zweigrofchenftäd, kann man im Herbfle 
kafig an Zäunen, Mauern und ähnlichen Orten fehen. Die Mutter Tann 
nicht weiter baram befümmern, denn wenn fie ihre Nachkommenſchaft 
aein weiches und warmes Bettchen gehüllt und gegen ben rauhen Win« 
ir geichägt Hat, fo ift auch wenige Wochen fpäter ihr Lebenslauf beenbigt 
ub fie muß der Frühlingsfonne die Erweckung berfelben zum Leben und ber 
Foßen Mutter Natur bie weitere Sorge für fie überlafien. — Mehr Müde 
nacht ber Webefpinne bie Pflege ihrer Brut. Diefe baut im Sommer neben 
irem Nege an einem Heinen Zweige eines Strauches eine Hütte in Ges 
Malt und von ber Größe eines Heinen Fingerhutes, mit ber Deffnung nad) 
nten, von bichtem Seidengewebe, fo baß das Innere vor Regen und Wind 
sihägt if. Ihre Eierchen umfpinnen fie mit Seide und bilden fo ein 
oder zwei Heine Eocons, fo groß wie eine Heine Erbe und befeftigen die⸗ 
klben mit einem Raben im Innern ber Hütte. Die Mutter aber fegt 
fh davor, mit dem Rüden nad) unten hängenb, umfaßt mit ben Füßen 
de Oeffnung und fit jo Tag umd Nacht, die Eier fhütend und wärmend, 
m dann und wann eine jich nahende Müde erhafchend, bis bie Jungen 
astonmen, fi in bem Nege ber Mutter zerſtreuen und ſich nun vom 
der Bente berfelben nähren. Auch bie meiflen anderen Spinnenarten we 
ken fägenbe Hüllen für ihre Gier, ‚von ben mannigfaltigfien Formen 
mb oft höchſt Tünftlich und bewahren fie barin bis zu ihrem Ausfchläpfen. 
Am auffaklenbften iſt das Verfahren ber auf ber Erbe umherlaufenden 


Spinnen, bie man Jäger genannt Kat, weil fie fein Senne maden, 
pe. Monatsferift Dr. LI Hft. 1. 


18 lieber das Sehen der Srinnen 


fonbern bie Beute im Laufen erjagen. Diefe Spinnen umweben ihre Eier- 
Gen zu einem weißen erbſengroßen Cocon, ben fie am Enbe ihres Leibes 
mit einem Faden anfleben, oder auch wohl mit ben Hinterfühen fefthalten 
und überall mit fi herumtragen, obgleich berfelbe für ihre Größe als 
eine anfehnliche Laſt erſcheint. Kein Geizhals hängt zäher an feinem Schag, 
als eine folge Spinne an ihrem Cocon. Wenn man ihr ihn nimmt, jo 
ſucht fie ihn auf jede Weife wiederzuerlangen, feine Gefahr Tann fie zwin⸗ 
gen bie koſtbare Bürbe zu verlafien, und das Heine Thierchen ſtellt ſich fo- 
gar dem Menfchen, der ihr biefelbe geraubt, zum Kampfe gegenüber, ober 
verfolgt ihn. Sind ihre Bemühungen vergeblich, fo ſcheint ſich tiefe Trau⸗ 
tigfeit ihrer zu bemächtigen, und bes @egenftandes ihrer Zärtlichkeit 
beraubt, ſcheint fie felbft ihr Dafein micht mehr zu achten. Gelingt «8 
ihr, den Eocon wieder zu erlangen, fo zeigt ihr Benehmen das Weber 
maß ber Freude. Sie ergreift ihn mit Heftigfeit und rennt bamit Hurtig 
davon an eine ſichere Stelle. Bonnet ftellte die mütterliche Liebe einer 
folhen Spinne auf eine harte Probe. Er trieb fie mit ihrem Cocon in 
bie Grube eines Ameijenlöwen, eines gefräßigen Thieres, das ſich im 
Saude eine trichterförmige Grube macht, auf beren Grunde es ſich ver- 
birgt, um ein unglüdliches Thierchen, das hineinfällt, zu erhaſchen. Die 
Spinne fuchte davon zu rennen, war aber nicht ſchnell genug, um zu ver- 
Hinbern, baß ber Ameiſenlöwe ihren Eocon ergriff, ben er ımter ben Sanb 
zu zerren fuchte. Sie machte bie Heftigften Auftrengungen, um fich zu 
zeiten umb Tämpfte mit aller Macht. Der Faden, an bem ber Cocon 
Hing, riß entzwei; fogleich ergriff bie Spinne ven Cocon mit den Kiefern 
und verboppelte ihre Unftrengungen, ihr geliebtes Eigenthum zu retten, 
Es war vergeblich; ber Ameifenlöwe war ber Stärkere und trog alles 
Stränbens ber Spinne zog er ben Gegenftand bes Streites unter ben 
Sand. — Die unglüdlihe Mutter hätte ihr eigenes Leben vor dem Feinde 
retten Tönnen; fie brauchte nur den Eocon zu verlaffen und aus ber Grube 
zu fliehen. Uber, wunderbares Beifpiel mütterlicher Liebe! fte zog vor, 
fich ſelbſt lebendig begraben zu laſſen mit ihrem Schatze, ber ihr theurer 
als das Leben war, und nur mit Gewalt entzog fie enblih Bonnet dem 
ungleichen Kampfe. Aber ber Eocon blieb bei dem Räuber; unb obgleich 
fie Bonnet wieberholt mit einem Stödchen zurädftie, fo tehrte fie doch 


von Dberlehrer Dr. E Obhlert. 19 


beſtändig zu ber Etelle zurüd, Gene menſchliche Mutter, bie fih dem Lö⸗ 
wen entgegenftärzte, um ihr Kind zu retten, iſt in Liebern gefeiert; und 
doch, wo zeigt fich größere Liebe, größerer Heldenmuth, bei jener ober bei 
unſerer Spinne? — Uber ihre Zärtlichfeit beſchränkt ſich nicht nur auf 
ihre Eier. Wenn die Jungen ausgefchläpft find, fo Hängen fie fich hau⸗ 
ſenweis auf ihren Rüden, auf Bauch, Kopf und Füße der Mutter und in 
diefem Zuftande, worin fie ein fonberbares Ausſehen hat, trägt fie ihre 
Kinder mit fich herum und füttert fie, bis fle groß genug find, fich ſelbſt 
u emähren. Man kann im Frühjahr häufig bie Freude Haben, biefem 
aiehenden Schaufpiele zuzufehen. Wenn man daun bie Mutter, bie fo 
gegen Hundert junge Spinnchen trägt, berührt, fo ift es Inftig anzufehen, 
wie diefelben von dem Rüden ver Alten Iaufen, durch einander wimmeln 
wb bald wieder ihren Sig zu gewinnen fuchen. 

So Hoch der Menfch auch durch feinen Geift über ben Thieren ficht, 
fo läßt fich doch nicht leugnen, daß er vom manchen an Empfindlichkeit 
md Schärfe ber Sinne übertroffen wird. So Haben die Spinnen ein 
gemein feines Gefühl, welches fie befähigt, bie leifeften Veränderungen 
is ber Atmosphäre und früher, als wir etwas davon wahrnehmen Tönnen, 
m empfinden. Machen bie Radſpinnen bie Hauptfäben, bie das Neg 
tragen, ſehr lang und an offenen Stellen, fo dürfen wir auf ſchönes Wet⸗ 
ter rechnen; machen fie dagegen bie Fäden kurz und an gefhügten Orten, 
io folgt gewiß bald Negen und Sturm; und zerreißen ſie gar bie Nege 
md verkriechen ſich in Winkel, fo tritt nach kurzer Zeit ficherlich dauerndes 
ichlechtes Wetter ein. Diefe zarte Empfindlichkeit für bie Zuftände und 
namentlich für die Erſchütterung und Schwingungen ver Luft ift auch wohl 
der Grund von ber Liebe und Empfänglichfeit ber Spinnen für Muftt, 
die gar zu oft beobachtet iſt, um baran zweifeln zu Können, und bie body 
ad einen Sinn für die Harmonie ber Töne voransjegt, Es iſt etwas 
ganz Gewöhnliches, daß, wenn das Fortepiano gefpielt wird, eine Spinne 
fd von der Dede Herabläßt und barüber fchwebt, fo lange bie Töne 
dauern. Dutatremere-Disjonval erzählt u. a, einen ſolchen Fall, dem er 
als Augenzeuge beigewohnt. Er befand fid) mit brei andern Herren in 
einem Saale, in dem eine Dame bie Harfe fpielte. Da bemerkte er, daß 


eine große Spinne an ber Stubenbede auf und nieder wandelte und ger 
2» 


20 Ueber das Leben der Spinnen von Oberlehrer Dr, &. Oblert. 


rade über der Künftlerin ihre Stellung nahm. Er bat bie Dame fih an 
das andere Ende des Saales zu begeben, und kaum hatte fie ihr Spiel 
wieder begonnen, jo begab fi auch die Spinne dahin und folgte ihr, fo 
oft fie ihre Stelle veränderte. 

ragen wir endlich nach dem Nugen ber Spinnen, fo iſt unzmweifel- 
Haft, daß fie ein nothwendiges Glied in dem Haushalte der Natur find 
und namentlich dazu beftimmt find, eine unzählige Menge von Inſelten 
zu töbten und zu verzehren und dadurch die zus flarle Vermehrung berjel- 
ben zu hindern, welche bie Harmonie iu ber Natur ftören könnte. Dadurch 
werben fie mittelbar auch dem Menſchen nüglich, indem fie bie Zahl der 
läftigen und fehäblichen Infelten bedeutend vermindern, und wir haben da⸗ 
her alle Urſache, die Spinnen fo gut mie bie Heinen Vögel zu fehonen, 
die uns einen gleichen Dienft erweifen. Einen unmittelbaren Nuten freis 
lich gewähren fie uns nicht. Man hat zwar verfucht, ihr Gefpinnft. wie 
das ber Seidenraupe zu benußen, aber ohne ‚ven gewänfchten Erfolg. Die 
Unterhaltung und Ernährung fo vieler Spinnen, als dazu nöthig wären, 
in einem Raume, ber Umftand, daß fie ſich untereinander auffreffen, bie 
geringere Haltbarkeit und Dünne ihrer Fäden festen dem Unternehmen 
unbefiegbare Schwierigfeiten entgegen; und es Tann baher nur als eine 
Euriofität betrachtet werben, baß es einem Spanier (Maria de Tremeyer) 
nach großer Mühe gelungen ift, für Earl III. ein Paar Handſchuhe aus 
Spinnenfeide weben zu laſſen. 

Aber der Naturfreund beurteilt die Wichtigfeit und das Iutereffe 
eines Geſchopfes nicht nach ben praftifchen Vortheilen, bie e8 bem Men- 
jchen gewährt, ſondern nach dem Grabe, in bem fich bie Weisheit und ber 
Geiſt des Schöpfers in feiner Einrichtung offenbart und nach dev Beben- 
tung ber Stellung, bie es in dem großen Organismus ber Natur einnimmt, 
und in’ beiden Beziehungen dürften wohl bie Spinnen wenigen unter den 
niedern Thieren nachftehen. — 


Geben Entwäflerung und Beinigung groffen Städte. 
vortrag, gehalten in der Königlichen. päufilalifc«ötonomifchen Geſellſchaft 
von 


Dr. 3. Möller. 


Es Tann leicht die Verwunberung derjenigen unter Ihnen erregen, 
che dem ärztlichen Stubium fern fliehen, wenn Sie Mitglieber beffel- 
ken mehr unb mehr fi mit dem Stubium von Fragen beſchäftigen fehen, 
die anf dem polizeilichen, vollswirthſchaftlichen, technifchen und andern, nach 
herlõmmlichen Begriffen weit abliegenden Gebieten fich bewegen. Und doch 
liegt Hierin feine Verirrung, fonbern im Gegentheil ein Zeichen gefunder 
Selbſlerkenntniß und folgerechter Entwidelung ber Heilkunde. Gerade weil 
man fi) mehr und’ mehr überzeugt, baf es in zahlreichen und verheeren⸗ 
den Kranlheitsprozeſſen ein fruchtlofes Bemühen ift, fie in ihrem Ver⸗ 
laufe hemmen zu wollen, überläßt man das Haſchen nad) fpezififchen 
Heilmitteln den ſich felbft täufchenden Anfängern und Schlummerlöpfen 
ad ihre Anpreifung den Charlatanen. Die Wiffenfchaft aber wendet 
ſich mit Vorliebe der Ermittelung ber Krankheitsurſachen zu und fucht 
diefe Durch Verbeſſerung der Lebensbebingungen bes Ginzelnen, wie ver 
Geſammtheit zu befeitigen. Eingedenk ber alten Weisheit, daß „bewahrt 
beiier, als beflagt,“ ſucht fie neben ber Heilkunſt bie Geſundheits⸗ 
pflege anszubilden. Nicht Mebicamente — Vollserziehung, Yufklärung 
und große wirthſchaftliche Maßregeln find deren Mittel, Richtſchnur und 
Früfftein bietet ihr die Statiſtik und ihren Lohn empfängt fie, wenn 
nach Jahren biefe Wiſſenſchaft nachweiſt: diefe unb jene Seuche fei um 
fo viel Prozent feltener, die Sterblichkeit um fo viel geringer gewor⸗ 


22 Ueber Gntwäflerung und Reinigung großer Stäbte 


ben, bie allgemeine Lebensdauer Habe fih um ein Jahr erhöht. Wann 
wird die Geſchichte fo weit fein, fih um biefe Dinge zu kümmern? 
Bann wird es ben höchſten Ruhm eines Negenten oder Stantsmannes 
ausmachen, durch feinen Einfluß eine günftige Veränderung jener Zahlen 
bewirkt zu Haben? Vielleicht iſt es Louis Napoleon beſchieden, durch feine 
internationale Santtätscommiffion auf dieſem Gebiete eine neue Aera zu 
eröffnen. Mögen auch vorläufig Trägheit, Vorurtheil und Fanatismus 
der Orientalen die Arbeiten einer ſolchen Commiſſion um praftifche Er⸗ 
folge bringen: der Gedanke bleibt jedenfalls fruchtbar. Und wenn fei 
Nieberreifung der Stabtmauern von Kairo, wodurch wenigftens ber trod- 
nenbe Wäftenwind Zugang zu dem angehäuften Unflath der Straßen er- 
Halten Hat — wenn ſchon feit diefer That Ibrahim Paſchas bie Peſt ver- 
ſchwunden if; warum follten nicht ähnliche Maßregeln, burchgefegt mit 
dem ganzen Nachbrude des europäiſchen Webergewichts, die Brutftätten 
and) anderer Seuchen unſchädlich machen? 

Einftweilen laſſen Ste ung — recht buchftäblich — vor unferer eignen 
Thüre fegen. Denn es giebt aud in unfern Städten, welche ſich rühmen, 
an ber Spige ber abenbländifchen Kultur zu ftehen, noch Zuftände, welche 
nur aum Schein befler find, als die jener barbarifchen Länder, und Pro« 
bleme, welche einftweilen des Scharffinns der Eachverftändigen fpotten. 
Ich will mir erlauben, über bie Entfernung und Verwendung ber Ge— 
brauchswãſſer, Abfälle und Unreinigleiten großer Stäbe zu ſprechen, ein 
Thema, das fid, eng an das neulich von meinem Freunde Schiefferbederx) 
behandelte anſchließt und für uns infofern von praktiſcher Bedeutung ift, 
als feine Stabt eine Waflerleitung einführen barf, ohne zuvor bie Frage 
entfcjieben zu Haben: wohin mit bem verbrauchten Maffer? Wenn Eie 
ſich die Zuftände vergegenwärtigen, welche fich alljährlich bei Abgang des 
Winters, oft aber mehrmals im Laufe deſſelben auf unfern Straßen und 
in Kellern einftellen, fo werben Sie zugeben, baß wir bei einem um das 
Mehrfache gefteigerten Waſſerverbrauch leicht in bie Gefahr des Zanberer- 
lehrlings kommen könnten. Diefe Frage läßt fi aber nicht trennen von 


=) Die Waflerverforgung grober Städte und die neue Wafferleitung für Kdnigs- 
berg. S. Altpr. Monatäfhr. II, 617-636. 718742. 


von Dr. 3. Möller. 23 


der, welche ich kurzweg die Abtrittsfrage nennen will. Denn einerſeits 
benugt man bie Strömung bes verbrauchten Wafjers zur Fortſchwemmung 
ber feften Auswurfsſtoffe in denſelben Kanälen und behauptet mit biefem 
Shfime der Kanalifirung in Bezug anf Gefunbheit, Reinlichkeit, Ber 
qmemlichfeit bie zur Zeit höchſte Stufe der Vollkommenheit erreicht zu haben, 
Anbererfeits bekämpft man jene Vereinigung ber Wäffer mit ben Excre⸗ 
menten und wirthſchaſtlichen Abfällen und beruft ſich babei nicht minder 
auf Geſundheit und Reinfichleit, außerbem aber noch auf finanzielle und 
voffswirthfchaftliche Gründe. Man will offene Rinnen, geichloffene Stelen 
sber Drains nur für Straßen» und Hauswaſſer, alle Dungftoffe aber 
durch ein getegeltes Abfuhrfpftem dem Landbau und ihren Werth ber 
Commune erhalten und zugleich die Flüſſe vor Meter Verunreinigung und 
Verpeftung bewahren. 

Das Kanalſyſtem eriftirt, wenn ich von Anfängen beffelben im alten 
Rom abfehe, am längften und allgemeinften in England, wo es eine große 
Anzahl Städte angenommen Haben, beſonders feit es im Lanfe ber letzten 
dahrzehnte durch Rawlinfon, Roe u. a. Ingenienre zu einem hohen Grabe 
von Vollkommenheit ausgebilbet worben tft. Anf dem Continent haben 
es Paris, Bräffel, Hamburg feit Jahren, Wien zum Theil, für Sranfurt a. M., 
Berlin und Danzig ift es in Ausficht genommen. Für bie beiden letzteren 
Etäpte Hat einer jeiner wärmften und bedeutendſten Vertheidiger, Wiebe, 
mit beroundernswerther Umficht und techniſcher Vollendung bie Pläne ent- 
worfen. Beide flimmen im Ganzen, wie in vielen Einzelnheiten überein. 
Elauben Sie, daß ih an dem Beifpiele unferer Nachbarſtadt Ihnen die 
Einrichtung und Leiftungen biefes Syſtems in feiner höchften Entwicke⸗ 
lang vorführe. 





Bor dem 1840 erfolgten Durchbruche ber Weichfel bei Nenfähr war 
ber Waflerftand der Mottlau 1) abhängig von den Anfchwellungen ber 
Weichſel und für gewöhnlich war er in und bei Danzig durchſchnittlich 
und abgefehen von den durch Winde hervorgebrachten Schwankungen bes 
Ofifeefptegel® 11/5 Fuß Höher, als ber letztere. Es war daher in ber 
Regel ein merkliches Gefälle und eine ziemlich Iebhafte Strömung zur Er⸗ 
nenerung ber Gemwäfler vorhanden, welche in größeren Betten over als 


24 Ueber Gntmäfferung und Reinigung großer Gtäbte 


Grunbwaffer die Stabt durchziehen und doch brachte ſchon damals bie 
zum Theil fehr tiefe und feuchte Lage berfelben große Uebelftände mit fich. 
Nach jenem Durchbruche und dem Schluſſe der alten Weichfel durch bie 
Plönendorfer Schleufe ift fie ein faft ganz tobtes Wafler geworden, das 
mit dem Spiegel ber Oſtſee fteigt und fällt und zwar überfchreiten biefe 
Schwankungen felten die Gränzen von 11/9 Fuß unter und 2 Fuß über 
dem Mittelwafjer ber Oſtſee. Mottlau und Rabaune üben auf die Waf- 
ferhöge fo geringen Einfluß, daß durchſchnittlich dieſelbe hei ber Stein» 
fchleufe am oberen Ende der Sadt nur 1,9 Zoll Höher if, als am Pegel 
zu Neufahrwaſſer. Iſt auch gegen früher im Allgemeinen ver Waſſerſtand 
geſunlen und dadurch bie Feuchtigkeit der tiefgelegenen Stabttheife und Kel⸗ 
ler verringert; jo ift dagegen bei dem fo äußerft ſchwach gewordenen Ge 
fälle die Verunreinigung ber offenen Gewäſſer, des Grundwaſſers und Bo« 
dens größer geworden. — Bon ben Vorftäbten Danzigs fol Hier ganz 
abgefehen werben, theils weil in ihnen bie Zerrainverhältnifie ganz andere 
find, theils weil bie eigentliche Stadt durch den Hauptwall und tirfen 
Teflungsgraben von ihnen getrennt, hinfichtlich ihrer Wafjerverhältnifje ein 
geſchloſſenes Ganze ausmacht. Eine Eutwäfjerungsanlage hat daher abzu⸗ 
feiten 1) bie auf die Stadt feldft fallenden atmosphäriſchen Niederfchläge, 
2) das Haus- und Fabrifwafler, 3) das blos zum Cpälen ber Abzüge 
eingelaffene Wafjer, welches für die auf dem linken Mottlauufer gelegenen 
Stabttheile bie hochliegeude Radaune, für bie einen niebrigen, eingebeicye 
ten Bolder barftellende Niederftadt die Mottlau felber liefern Tann. Die 
Infeln der Mottlau find nur mit Speichern bebaut, bedürfen daher einer 
Entwäfjerungsanlage vorläufig nicht. Die bisher beftehenden Mängel und 
ihre Bebeutung für den allgemeinen Gefundheitszujtand der Stadt waren 
bereits 1860 von Licht in einer befondern Schrift dargelegt worben. Sie 
beftehen in Mangel an gutem Wafler und unvollfommener Abführung ber 
unreinen Flüſſigleiten. Der erfteren wird burch Anlage einer neuen Waſſer⸗ 
leitung abgeholfen werben, wozu bie obere Radaune in Ausficht genommen 
iſt. Ihre Benugung Tann aber erft in Aufnahme kommen und zu einer 
Wohlthat werden, wenn man gleichzeitig für beffere Abführung bes ver- 
brauchten Waffers forgt; ohne dies würde nur bie allgemeine Näffe des 
Bodens zunehmen und zu völliger Verfumpfung werben. Danzig hat feine 


von Dr. J. Möller. 2% 


Kinnfteine, fondern durchweg Drummen, auf beren Bohlenbelag zum Theil 
der Fußgängerverfehr ftattfinden muß und bie durch fehr hinderliche Prell⸗ 
feine und Pfähle vor den Wagen gefchügt werden müffen, Im fie gelangt der 
Straßeuſchmutz, der Kehricht der Häuſer und bie Küchenabfälle, häufig ge⸗ 
nug auch Abtrittsftoffe. Das Gefälle ift gering, die Spülung ungenügend, 
daher Geruch auf den Straßen und durch die Hausröhren bis in bie Häuſer, 
öfteres Toftfpieliges und widerliches Räumen. Wegen nicht Hinteichend tiefer 
Lage im Winter Einfrieren, dann Ueberſchwemmung ber Straßen und Keller. 
Die Drummen münden theils in die Mottlan unmittelbar, theils zunächft 
in offene Faulgräben und die Nadaunefanäle. Im den letzteren entwidelt 
fi die Fäulniß erſt recht, die Mottlan aber wirb fo von ihrem Inhalt 
derſchlämmt, daß fortwährend gebaggert werben muß. Die Abtritte find 
Höchft mangelhaft. Zum Theil wird ihr Inhalt geradezu in bie Rabaune 
tnäle, Gräben und Drummen entleert, zum Theil in die anf dem Höfen 
amd in Häufern befindlichen Gruben, die aber nie ganz waſſerdicht find 
and baher einen Theil der laufenden Släffigkeit in den Boden ausfidern 
laſſen, wo fie mit ver Zeit, auch wenn ber Untergrund urſprünglich durch⸗ 
laſſend war, deſſen Zwifchenräume verftopfen und fich nahe unter ver Ober- 
fläche ausbreiten; hei Aufgrabungen fieht man fie aller Orten hervorquels 
len. Auch werben mitunter alte Abtrittsgruben, die man ber Koflen und 
des Geſtanls wegen nicht räumen laſſen will, einfach verſchüttet und bilden 
dann eine nachhaltige Onelle der Bobenverunreinigung. Aehnlih wirken 
bie für umreines Wafjer angelegten Senlgruben. Viele Keller, deren Sohle 
tiefer liegt, als die benachbarten ober durch fie hindurchgeleiteten Drum⸗ 
men zc. leiden gleichfalls von biefer ftinfenden Näffe und theilen fie dem 
Mauerwerk mit, Die neuen Abzüge mäffen ſonach von Haus aus tiefer 
gelegt werben, um unter die Sohle ber meiften Keller zu kommen und fie 
möffen ein ftärferes Gefälle erhalten. Man wird deshalb mit ihren Abs 
flußenden unvermeiblich unter die Mottlan kommen. Bei dem unge 
nũgenden Gefälle der letzteren und ber Nothwendigkeit, ihre fortgefegte 
Verunreinigung zu vermeiden, kounte fie ohnehin zur Aufnahme und Fort- 
führang ber Ausmurfsftoffe nicht ferner benugt werben. Es ergiebt ſich 
daraus bie Nothwendigkeit, durch Mafchinenkraft den Mangel weiteren 
Sefälles zu erfegen. Hat man ſchon lange zur Entmäfjerung von Niebe- 


26 Ueber Gntwäflerung und Reinigung großer Gtäbte 


rungsgrunbftäden, die blos dem Landbau bienten, fogenannte Polber, 

‚ Schöpfwerfe und Pumpen mit Vortheil benugt, fo tft es feine Frage, daß 
ein ungleich Höher verwerthbares fäbtifches Terrain bie Koſten der Anlage 
unb bes Betriebes einer folhen Anftalt lohnen wird, Die Zinfen erger 
ben ſich freilich zunächſt ans ber Verbefferung bes allgemeinen Gefundheits- 
zuftandes und ber Mortalität, aus ber Befeitigung wiberlicher Gerüche und 
Anblicke, aus ber durch Fortfall der Drummen ermöglichten Erleichterung 
des Straßenverfehrs, da hiedurch erft orbentliche Fußwege gewonnen wer⸗ 
den können, Mittelbar aber wird bie nene Anlage wenigftens zum Theil 
ventiren burch gefteigerten Werth ber Häufer umd Baupläge, letzteres na- 
mentlich in ber tief gelegenen Nieberftabt, bie zum Theil gar nicht bebaut 
werben konnte, durch Erleichterung des Gewerbebetriebs und bie Anlage 
von Bade⸗, Wafch-, öffentlichen Urintranftalten und Abtritten und durch bie 
veichlichere Benugung ber Wafferleitung. 

Die Einrichtung foll num folgende werben: Im ber Mittellinie jeder 
Straße wird circa I Fuß unter dem Pflafter 1 Röhrenſtrang gelegt. Ma- 
terial engliches Steingut, innen gut glafirt; bie einzelnen Röhren durch 
Muffen zufammen gefügt und glatt verfittet. Weite im Lichten, je nach 
bem zu entwäffernden Gebiet 9 bis 12 bis 15 Zoll, meiftens bie erfte. 
In biefe Röhrenftränge münden nun von beiden Seiten 1) aus jevem 
Haufe ein Rohr, welches in jever Etage einen gut vergitterten, mit Waſ⸗ 
ſerverſchluß verfehenen Ausguß Hat, nach oben aber, bamit bie eingefperrte 
Luft nicht ins Haus entweicht, in Eiſenblech bis über das Dach verlän- 
gert ift; 2) im regelmäßigen Abſtänden Strafenabzüge, welche in ben feich- 
ten Vertiefungen zwifchen ben erhöhten Fußwegen und ber flachgewölbten 
Fahrſtraße liegen und ebenfalls bichte eiferne Gitter haben, damit Wagen 
und Menſchen fie paffiven können und möglichft wenig fefte Stoffe hinein- 
gelangen. Die Weiten der Röhren find fo berechnet, daß fie außer dem 
Hauswaffer zugleich einen Regenfall von Zoll in ber Stunde (mie er 
erfahrungsmäßig ſchon felten vorfommt) durch ihr bloßes Gefälle in gleich 
langer Zeit ableiten fönnen. Hiezu kommt noch, baß erfahrungsmäßig die 
Wirkung folder Regen ſich über viel größere Zeiträume vertheilt und bag 
bei Anftauung bes Waflers in ben Abfallröhren durch beffen Drud auch 
bie Auoflußgeſchwindigleit gefteigert werben würde, Thatſachlich werben 


von Dr. J. Möller, 27 


alfo die Röhren für viel ftärkere Regen genügen. tür trodene Zeiten 
ober befonbere Gelegenheiten aber tft eine befondere Spülung ver Röhren 
erforderlich und biefe zerfallen daher in mehrere Spülſyſteme, welche auf 
bem linken Mottlauufer ans verſchiedenen Stellen der Rabaune, auf dem 
techten in ber Nieberflabt ans ber Mottlau felbft ihr Spülwaffer erhalten, 
da fie hier felbft mit ihren oberen Enben tiefer zu Liegen kommen, ale ber 
mittlere Waflerfpiegel der Mottlan. Um bie Reinigung der Röhren über 
fehen und ausführen zu können, befinden ſich 1) in angemeſſenen Abftän- 
den Lampenlöcher, 2) an jeder Etraßenkrenzung ein gemanerter Einfteige- 
brunnen mit eifernen Sproffen und fteinernem Boden, in ben das halbe 
Brofl der Röhre als Rinne eingelaffen ift. Da wo das Rohr ans dem 
Brunnen herausgeht, befinbet ſich die gutgebichtete Spülffappe, durch bie 
das Waffer im Brunnen aufgeftaut werben Tann, bis es genügenden Drud 
bat, Alle diefe Röhrenfyfteme münden nun in 3 Sammelfanäle, einen für 
bie Bor und Rechtſtadt, einen für die Alt, einen für die Nieberftabt. 
Diefe find im Querſchnitt eiförmig, von feftem, cementirten Mauerwerk 
und 5 Fuß im Lichten Hoch, alſo begehbar. Diefe Röhren münden in 
feitlichen Nifchen, deren Sohle 13/, bis 2 Fuß Über der bes Kanals liegt; 
über ihnen befinden ſich, da fie in ber Regel waflerfrei find, zugleich bie 
Einfteigefchachte. Außerdem befommt jeder Kanal in gewiſſen Abftänben 
fchlenfenartige Spülthiren, um durch Anftauen eine periodiſch verftärkte 
Stromfchnelligleit zu erhalten, und Regenausläſſe. Diefes find feitliche 
Deffnungen, bie durch Horizontale Röhren in bie Mottlan führen und von 
außen hängende Klappen haben. Tür gewöhnlich brüdt das in ber com- 
municirenden Röhre fehende Mottlauwaſſer die Klappe an, fleigt aber 
der Wafferbrud im Innern durch ſchnell zuftrömenbes Regenwaſſer, fo äff- 
net er bie Klappe und das Waffer fließt ab. Die Erfahrung hat gelehrt, 
daß flarfe Regengifje faft nur vorkommen, wenn ber Südweſt in Norbiveft 
umfegt. Dann ift aber der Wafferftand niebrig und baher bie Mögliche 
keit des Abfluffes gegeben. Die Klappen wirken daher als Sicherheitsven⸗ 
tile und geftatten ven Kanälen eine viel geringere Mauerftärke zu geben, 
als ohne fie. Bon befonberer Wichtigkeit iſt num noch, daß nach dem 2er 
gen ber Röhren und dem Bau ber Sammellanäle bie Gruben mit Kies, 
Ballaft, Seefand ober deögleichen verfüllt werben. Dadurch wird bie une 


28 Ueber Entwaſſerung und Reinigung großer Stäbte 


durchlaſſende Bodenfchicht außerdem mit einem vollſtändigen Netzwerk porde 
fer Adern durchzogen und es kann das Sider- und Grunbwafler am ber 
Außenflãche jener Kanäle mit Leichtigkeit hinabziehen. 

An ihren untern Enden fließen fi nun bie Sammelfanäle bes Tin» 
ten und rechten Mottlauufers an zwei eiferne Rohre an, welche als foge- 
nannte Düler unter dem Grunde ber Mottlau vefp. des Kielgrabens weg 
nach der Meinen Inſel „bie Kämpe“ gehen und ſich hier in ber Pumpſta⸗ 
tion vereinigen. Dampfpumpen brüden hier ben Zuhalt in das eiferne 
Drudrohr, welches Anfangs ebenfalls als Düfer unter ber Weichfel weg, 
dann in bem Wiefenterrain fo hoch mit Erbe bebedit, daß ea vor bem 
Einfrieren geſchützt ift, in gerader Richtung der See zuläuft. Dicht vor 
der Weichfel hat es einen feitlichen, durch eine Schüge verfchloffenen Aus⸗ 
laß, welcher bei ſtarkem Regenfall geöffnet werben Kann, um eine ſchnellere 
Entleerung zu ermöglichen und an Drudkcaft zu erfparen. Dies ift hin- 
ſichtlich des Geruchs und ber Reinlichkeit unbebenklich, weil erfahrungs ⸗ 
mäßig bei heftigem Regen ſchon das erſte ſich in den Abzügen ſammelnde 
Waſſer genügt, um fie vollſtändig zu fpülen, fo daß das fpätere faſt 
völlig rein bleibt, Mit 750 Ruthen Länge erreicht das Druckrohr bie 
Dünen, fteigt Hier ziemlich fteil aufwärts und mündet in ein gemauertes 
Boffin, aus welchem dann ein offener Graben mit natürlichem Gefälle in 
die See abfließt. Zu beiden Seiten erftredt ſich ein ausgebehntes, der Stabt 
gehöriges Dünenterrain, welches als Hätung und Wald benugt wirb, aber 
bei feiner gänzlichen Sterilität faft gar feinen Ertrag giebt. Die Erfahrungen 
bei Edinburg (und Zoppot) Haben gezeigt, daß durch Ueberriefelung mit 
dunghaltigem Waſſer ſich in kurzer Zeit auch auf ſolchem Boben eine fruchte 
bare Humusfchicht bildet. Es foll alſo jener Graben zur Anlage von Ries 
ſelwieſen eingerichtet werben. Die gefammten Anlagekoſten find auf 
654,000, die Betriebstoften auf 5700 Thaler veranfchlagt. 





Die großen Vortheile unb Leiftungen ber Kanalifirung werben Ihnen 
ohne Weiteres aus der DBefchreibung entgegengetreten fein. Ich wende 
mich deshalb fofort zu den Vorwürfen, welche man ihm gemacht hat. 

Ein Theil berfelben trifft allerdings nicht das Syſtem, fonbern feine 
unvolftommene Ansführung. So waren vor 10 Jahren die Webelftänbe 


von Dr. J. Möller. 29 


der Ramalifirung in London fo fchreiend, daß der Stabt durch Barlaments- 
beſchluß Verbefferungen auferlegt wurben. London liegt bekanntlich in 
einer Mulde, deren Seiten ſich in unregelmäßigen Stufen nad) der Themfe 
abdachen. Zrüher Tiefen nun die Kanäle von den Rändern ber Mulde 
direct nach dem Fluſſe hinab, indem fie dabei dem Gefälle der Straßen 
folgten, alfo ſelbſt bald ftarfes, bald ſchwaches Gefälle Hatten. Auch hin⸗ 
fihtlich der Form und Größe des Querſchnitts herrichte Leine Ueberein- 
fimmung. Endlich lagen manche Hauptlanäfe mit ihren Münbungen fo 
tief, baß fie nur zwei Stunden vor und zwei Etunben nach ber tiefften 
Ebbe abfließen konnten, je acht Stunden aber geſchützt werden mußten, alfo 
ihten Inhalt ftagniren liegen. So war denn in offiziellen Berichten aner« 
lannt, daß fortwährend einige 100,000 Tons Kloalenmaſſe unter den Hän- 
km und Strafen Londons faulten! Wiebe fehilert freilich den Zuſtand 
ft diefer alten Kanäle als nicht fo fhlimm: er fand nur da, wo ein 
fürleres Gefälle in ein ſchwächeres überging, eine circa 6 Zoll Hohe 
Schicht von Sinfftoffen; im Ganzen floß das Wafler raſch ab und erzeugte 
eine fo lebhafte Auftftrömung, daß bie mitgenommenen Kerzen oft ausge 
(ft wurden; übler Geruch war daher nım an ber Mündung bemerkbar, 
wo bie Ueberwölbung und bamit auch ber Luftzug aufhörte; auch waren 
die Arbeiter geſund. Allein Wiebe hat offenbar die Kanäle in ihrer ſchlimm ⸗ 
fen Verfaſſung nicht gefannt; er fah fie 1860, während ſchon feit 1856 
Berbeflerungen im Gange waren, namentlich für eine fräftige Spülung 
nit Gtanthüren geforgt war. 

Ein noch weit größerer Uebelftand war der, daß die Kanäle innerhalb 
der Etabt in bie Themfe mündeten und num ihr Inhalt während ber 
Ebe und Fluth fortwährend Hin- und zurächwogte, während bie Still 
Ränbe zwifchen beiden aber fich theilweife abfegten. Der fenkrechte Abftand 
wiſchen Ebbe und Fluth beträgt in London burfchnittlih 18 bis 20 Fuß; 
während ber Ebbe werben bis 80 Fuß breite Streifen beider Ufer troden 
gelegt, bie durchweg mit ſchwarzem ftinfendem Schlamm bebedt find und 
über welche man außerdem noch ben eklen Inhalt der Kloaken ſich ergiefen 
ſah. Das Flußwaſſer ſelbſt ift trüb und wolfig; übelriechend fanb es 
Biebe nicht; Pappenheim aber konnte durch bloßes Auſtochen Gaſe daraus 
entwicleln, welche Chlorgold reduzirten. 


30 Ueber Entwäflerung und Reinigung großer Gtäbte 


Die neueren Einrichtungen Haben biefe Uebel zum Theil befeitigt. 
Man Hat mehrere Abfangefanäle angelegt, bie in verfchiebenen Höhen un« 
gefähr parallel dem Fluſſe laufen, alfo die alten Kanäle ſchneiden unb 
ihren Inhalt bis weit unterhalb der Stabt ableiten. Die oberen können 
ſich durch natürliches Gefälle entleeren, bie beiden dem Fluſſe zunächſt ver- 
laufenden liegen zu tief, brauchen alfo eine PBumpftation, welche ihren 
Inhalt in ben nächfthöheren Kanal hinauſhebt. Um nun gegen ben Rüd- 
ftau der entleerten Maſſen ſelbſt bei Springfinthen ficher geftellt zu fein, 
Hatte man die Wahl, bie Mündung ber Kanäle entweder volle 4 deutſche 
Meilen flußabwärts zw verlegen ober an biefer Ranallänge 21/5 Meilen 
zu fparen, aber dafür den Ausflug nur 4 Stunden lang während des 
Hochwaſſers eintreten zu lafien, damit bie Stoffe alsdann nun von ber 
Ebbe fortgeſchwemmt werben. Dann aber beburfte es natürlich großer 
Reſervoirs, um während 8 Stunden den ftetig zufließenden Inhalt der 
Kanäle aufzunehmen. Man hat fi für das letztere Mittel als das wohl⸗ 
feilere entſchieden. Dabei hat man aber auf dem fehr niebrigen Sübnfer, 
um ben Abfluß bei Hochwaſſer zu ermöglichen, dies gemanerte und über- 
dachte Baffin von 4 Millionen Cubil-Fuß 21 Fuß Hoch aulegen müſſen 
und läßt durch Mafchinen von mehreren hundert Pferbefraft das Kanal 
waſſer beftändig hinaufheben. Noch mehr! Auf dem nördlichen Ufer hat 
ber niebrigfte Abfangefanal noch gar nicht in Angriff genommen werben 
innen, weil in biefer mit hohen Häujern und Waarenlagern bicht bebau⸗ 
ten Gegend ber Baugrund unerſchwinglich thener if. Man hat baher das 
Project entworfen, den Kanal im Fluſſe jelbft und auf ihm eine neue 
Straße zu erbauen, aber nicht dicht am Ufer, weil man ben Verkehr ber 
ſchon ſtehenden Häufer mit dem Fluſſe nicht abſchneiden darf, fonbern fo 
weit ins Flußbette hinein, daß zwiſchen Ufer und Kanal, eine Reihe von 
Hafenbaffins übrig bleibt, bie durch Schleuſen beftändig auf Fluthhöhe erhal⸗ 
ten werben follen. Die Koſten würden natürlich ins Schwindelnde gehen. 
Ich führe dieſe Schwierigkeiten bier an, theils um bie Großartigleit ber 
Mittel zu zeigen, womit man ihnen in England begegnet, theils aber auch 
um die Eonfequenzen zu beleuchten, zu deuen unter Umftänden das Ka⸗ 
nalſhſtem führen kann. . 

Bei alledem ift das Uebel der Verunreinigung bes. Fluſſes keineswegs 





vom Dr. J. Moller. . 3 


gehoben, ſondern nur beplacitt, benn bie unterhalb gelegenen GStäbte bes 
tommen natürlich das Flußwaſſer erft vecht verpeftet, fo wie London 
ſeinerſeits e8 von ben gleichfalls Tanalifirten Stäbten oberhalb, nament- 
lich Kingfton ſchon unrein empfängt, Auch ift diefer Zuftand nicht blos 
bei ber Themfe, fondern bei allen an vollkreichen lanaliſirten Städten vor- 
beigehenden Flüſſen (Dierfeg, Medlock, Tame bei Birmingham zc.) einge⸗ 
treten und hat bereits zu zahlreichen Prozeſſen der Städte unter ſich, zu 
Beſchwerden und Anträgen beim Parlament geführt. Vielfach fol’ die 
Fiſcherei aufgehört haben, Wohnungen an Fluß⸗ und Kanalufern verlaffen 
worben fein, mande Gewäfler follen mit fo bidem Schlamm bebedt fein, 
daß Vögel hinüber gehen, das Bette anderer ſoll fi durch Kloalenſtoffe 
um 10 bis 15 Fuß erhöht haben. Das Parlament Hat bereits in vori⸗ 
ger Seffion einen Ausſchuß unter dem Vorfige Lord Rob. Montagues 
niebergefegt, welcher bie Nothiwenbigfeit conftatirte, bie Ortsbehörben zu 
Maßregeln gegen die fortgefeite Verunreinigung der Gewäſſer zu verpflich- 
ten. Eine ſcharfe Bil Lord Montague’s wurbe nur deshalb zurüdgezogen, 
weil die darin vorgefchlagenen Maßregeln als Eingriff in die communale 
Seldfiftändigkeit ungünftig aufgenommen wurben. Auf dem Eontinent find 
bei Hamburg bie geſchilderten Uebel wohl deshalb noch nicht fo fühlbar 
geworben, weil e8 aus ber hoch gelegenen Alfter feine Kanäle vortrefflich 
fpifen Tann, weil Ebbe und Fluth viel weniger mächtig find und weil in ber 
meerbufenartig breiten Elbe fich die Stoffe mehr vertheilen. Dagegen würde 
Berlin unbebingt das unglüdliche Chorlottenburg und Spandau verpeften, 
fpäter wohl ſelbſt Potsdam gefährlich werden. Am erften wäre bas Spftem 
noch zuläffig bei Städten, die, wie Danzig, nahe der Mündung eines 
Stroms ins Meer liegen, obgleich auch ba nur durch befonbere Vorleh⸗ 
rungen ein Verſchlämmen des Fahrwaſſers abgewandt werben Tann, wie 
es im Clyde unterhalb Greenod und Glasgow erfolgt. 

Während nun einerfeits das Kanalſyſtem durch Vergiftung ber Gewäſ-⸗ 
fer Gefunbheit und Lebensannehmlichkeit der Anwohner beichäbigt, ſchließt 
es durch nutzloſe Fortſchwemmung ber Dungftoffe eine Gefahr für ven 
Landbau und eine Verminderung bes Nationalvermögens ein. Welche 
loloſſale Werthe dabei verloren gehen, mögen einige Beifpiele zeigen. Schon 
1866 berechnete man für London die Maſſe bes täglich verloren gehen⸗ 


32 Ueber Entwäflerung und Reinigung großer Städte 


henden Dünger auf 149 Tons & 20 Eentner trodene Subftanz. Diele 
enthielt nach einer Analyfe von Lawes: 

Ammonial .. . . . 29 Ton, 

PHosphorfaure Sale. 14 „ 

Alfalien und Erden . 32 „ 

KRohlenftof . » » . BI 


Fur Berlin berechnete ſich der Geldwerth bes jährlich erzeugten feſten 
und flüffigen Düngers ſchon nad) der Zählung von 1861 (547000 Ein- 
wohner) auf 1,693,000 Thaler. Aber man muß freilich bon vorn herein 
zugeben, daß es ſchlechthin und bei jedem Syſtem unmöglich ift, biefe 
Werte auch nur zum größeren Theile zu erhalten. Darum werben wir 
einen richtigen Maßſtab für die dem Kanalfyftem zur Laft zu legenden 
Verlufte nur erhalten, wenn mir bie wirflihen Erträge betrachten, 
welche fi) durch Abfuhr der ſtädtiſchen Abfälle erzielen laſſen. In Unte 
werpen enthält ber Etat für 1864 an Einnahme: 

aus dem Verkauf der Latrinenftoffe . . . . 120000 $r. 
vn " des Straßenkehridhtse . . . 65000 „ 
„»n " der übrigen Abfälle . . . 5000 „ 


Summa 190000 Fr. 


Hievon werben nicht mur bie Koften für die gefammte Straßenreini« 
gung incl. bes Unterhalts der Pferde und der zum Waflertransport ange⸗ 
ſchafften Schiffsgefäße beftritten, ſondern es bleibt noch ein reiner Weber» 
ſchuß von 72000 Fr., auf deſſen ftetige Zunahme man übrigens rechnet 
unb rechnen kann, da n. a. bis jet ber Urin aus ben fehr zahlreichen 
öffentlichen Piſſoirs unbenugt abfließt, in Zukunft aber in Behältern auf 
gefangen und ebenfalls verfauft werben foll. Im Lyon ift bie Abfuhr der 
Abfälle an Unternehmer verpachtet, welche an bie Stadt pro Cub. Met. 
1 $r. 25 €. zahlen und außerdem bie Verpflichtung zur unentgeltlichen 
Neintgung der öffentlichen Gebände Haben. Bon ben Privathausbefigern 
erhalten fie dagegen pro Eub. M. durchſchnittlich 1 Fr. 50 €. und ebenfo- 
viel löſen fie aus dem Verkauf an die Landleute. Bet einer Gefammt- 
abfuhr von circa 125000 Cub. M., wovon 29000 auf bie öffentlichen Ge- 
bäube kommen, ftelit fi hienach bie reine Einnahme ver Stadt auf 


von Dr. 3. Miller, 33° 


120000 Fr., die Bruttoeinnahme ber Unternefmer auf 332000 Fr., fo 
daß ihnen zur Dedung ber Koften und als Nutzen 212000 Fr. übrig blei⸗ 
ben. Die Ausgabe, welche die Hausbefiger machen, fließt ihnen als Bür⸗ 
gern wenigftens indirect unb zum Theil wieder zu burch bie Einnahme, 
welche die Stabtlaffe Hat. Im Oftende erzielt die Commmme aus bem 
Düngerverkanfe jährlich 8 Sgr. 3 Pf. pro Kopf der Bevölkerung, in Karls⸗ 
mühe wird vom einem Landwirthe ber Umgegenb für ben Dünger ber Ka⸗ 
fernen fogar eine Summe bezahlt, die auf 19 Sgr. pro Kopf hinaus Läuft. 
36 weiß wohl, daß biefe Beifpiele, bie id} leicht noch vermehren könnte, 
feine allgemeine Gültigkeit Haben. Je ſchwunghafter die Landwirthſchaft 
in ber Rachbarſchaft einer Stadt betrieben wird, je mehr ein leichter, fan» 
biger Boden ſich für den ſchweren Kloalendünger eignet und ber wohlfeile 
Baffertransport feine Wegführung auf etwas weitere Streden ermöglicht — 
um fo ficherer und höher wird das Abfuhrfyftem rentiren, während unter 
entgegengejegten Verhältniffen Gemeinde und Private wohl noch Zuſchüſſe 
leiſten müfjen. Haben wir es doch in unferer Stabt erlebt, daß bis vor 
ein paar Jahren die Nachfrage nad Dünger und ber Erlös bafür in 
raſchem Steigen begriffen war, während im legter Zeit bei ben gebrüdten 
Berhältnifien ver Landwirthe und ben Inappen Betriebslapitalien ber Din 
ger laum los zu werben tft! Sole vorübergehende Schwankungen aber 
bürfen nicht von den richtigen Grunbfägen abwendig machen. 

Denn im Allgemeinen it es natürlich und unausbleiblich, daß über 
haupt und beſonders im der Nähe vollreicher Städte, biefer großen Ber- 
brauchsherde, ber Landbau immer Intenfiver betrieben, ber Bebarf an Dün- 
ges immer größer werben muß. Und deshalb bleibt es einer der Haupt⸗ 
vorwũrfe für das Kanalifirungsfyftem, bie Verſchwendung zum Prinzip zu 
esheben, bie Dungftoffe den Aeckern zu entziehen, wo fie nägen, und in 
die Gewäfler zu transportiven, wo fie ſchaden! 

Man Hat num auf verichtedene Weiſe dieſem unlengbaren Uebelſtande 
abzubelfen gefucht, Es würde am näcften liegen, bie aus ben Sammel ⸗ 
Tanäfen abfließenden Maſſen nachträglich zur Aderbängung zu verwenden, 
wenn nicht ihre große Verbännung mit Waſſer bies unthunlich machte. 
Sie durch Faͤllung oder Abbunftung zw concentriven, wärbe viel zu koſt⸗ 


fpieltg fein; fo aber if ihr Volumen für ven Krantport ” groß und die 
ums Menstöfgzift On TIL Die 1, 


84 Ueber Öntwäflerung und Reinigung grober Gtähte 


feften Stoffe find völfig ansgelaugt und dadurch beinahe werthlos gewor⸗ 
den. Auch Hat man gefunden, daß bie Kanaffläffigkeit zur Aderbüngung 
fi überhaupt nur mit großer Einfchränfung und Vorſicht eigne, Dagegen 
den Graswuchs trefflich befärbere. Hiernach empfahl fi) von felber bie 
Unlage von Riefelwiefen von den Kanalmünbungen aus und wirklich eriſti⸗ 
ren bereits günftige Erfahrungen barüber, namentlich aus Ebinburg unb 
aus Croydon ſildoſtlich von London. Das Vieh foll das Gras von fol 
Gen Wiefen ohne Anftand freflen; ven Ertrag fand Thudichum bei einem 
in ber Nähe von London im Kleinen gemachten Verfuche fehr reichlich und 
namentlich das Gras fehr kräftig, fo daß es dem Gewichte nach ſehr 
viel mehr Heu gab. Dergleichen Riefelanlagen find denn auch in bie 
Projecte für Danzig und Frankfurt aufgenommen und aud für Berlin 
hat Wiebe nachträglich darauf aufmerffam gemacht, daß ſich zwiſchen 
Moabit und Charlottenburg, alfo in ber Nähe der beabſichtigten Aus« 
mänbung bes SHanptlanals ein circa 10000 Morgen großer fanbiger 
Laudſtrich vorfinbet, welcher zu einer derartigen Anlage ganz geeignet fein 
würbe. Unbedenklich würde ich diefen Ausweg für einen ganz genügenden 
und bie beiden Hauptvorwürfe gegen das Syſtem befeitigenben halten, 
wenn nicht noch ein Bedenlen im Wege ftünbe: ber üble Geruch folder 
Niefelwiefen. Die Wiefen von Eraigentiuny ftinfen fo, daß, währen die 
Stadt Edinburg fi nad allen andern Richtungen raſch vergrößert, nach 
jener Seite Niemand mehr bauen will. Diefe anerkannte Thatſache wirb 
allerdings von Thudichum auch wieder aus einer mangelpaften Ausführung 
der Ranalifirung erflärt. Nach dem offiziellen Berichte der Royal Sewage 
Commiſſion follen von ben 13,200 Häufern Ebingburs 12000 noch bie 
alten Abtrittsgruben haben, auf welche man Waſſerlkloſetts nur oben aufs 
gepfeopft hat. Die Drains aber gehen nicht unten, ſondern oben aus den 
Gruben ab, fo daß fie erft deren durch lange Fäulniß furchtbar ſtinkend 
geworbenen Weberfluß in die Kanäle abführen. Dagegen fand Thudichum 
das Waſſer des oberften Hauptlanals von Norb-Ronbon ba, wo es in 
offener Rinne ſchnell dahinfloß, wiederholentlich auf Urmeslänge ganz ge⸗ 
ruchloe, bie gefchloffenen Kanäle und bie Reſervoirs hatten einen bemtlie 
Gen Geruch nach friſchem Menſchenkoth. Es ergebe ſich daraus, fagt 
Thubichum, die merhväcbige Entbedung, daß das friſche Kaualwaſſet, weun 


von Dr. J. Möller. 35 


die Stadt Feine Abirittsgruben, fondern nur Wafferflofetts Habe, bie Ka⸗ 
nãle richtich gebaut und gut gefpält feien, faft völlig geruchlos fei; man 
dürfe nur die darin fuspendirten Kothſtoffe, Kalkfeifen und Papierpulge 
ſich abfegen laſſen und könne es dann fofort ohne Beſorgniß vor läftigem 
Geruche zur Ueberriefelung von Wiefen verwenden, wobei es bei gehöriger 
Größe der Fläche und richtiger Vertheilung fo vollftändig von allen Diiw 
gerbeftanbtheilen befreit werde, daß man ben Ueberſchuß getroft in bie 
Flũſſe ablaufen laſſen lönne. Ich Tann biefe Verſicherung nicht recht zu⸗ 
fammenreimen mit ben Angaben Wiebe’s, welcher an zwei Stellen (S. 110 
and 111) ausdrücklich fagt: bie Luft in ben Kanälen war nicht mehr ver- 
erben, als in Paris, und an der Münbnng bes einen Hauptlanals (bes 
Counters Creek) war ber wibrige Geruch nicht ftärker, als beim Ausfluffe 
der Cloaca maxima von Paris, Nun bürfen aber in Paris nur bie fluſſi⸗ 
gem Kloalenſtoffe und andy biefe nur nach vorgängiger Desinfection in 
die Kanäle gelafien werben und doch hat man fich veranlaft geſehen, über 
der Mündung ber Cloaca maxima einen Verbrennungsapparat für bie 
entweichenben Cafe anzubringen, von bem Wiebe freilich meint, er helfe 
wicht viell Sollten an al’ dem wirklich nur bie Sinkftoffe fchulbig, bie 
Fiäffigketten ſo ganz unſchuldig fein, da doch Wafler Ammoniat, Schwer 
felwafierftoff und faft alle andern riechenden Gaſe in namhafter Menge ver 
ſchlucktt und erſt allmählich wieder entläßt? Ich bin hiernady über bie von 
Thndichum behauptete Geruchlofigleit der Riefelanlagen noch keineswegs 
beruhigt, ſondern möchte weiteren Erfahrungen bie Entſcheidung überlafien. 
Danzig ift aber jedenfalls hiezu fo günftig wie möglich gelegen: das zur Bes 
riefelung anserfehene Dünenterrain ift buch unbewohnte Wiefen und bie 
alte Weichfel von der Stabt getrennt und liegt von ihr gerabe nad) Nor» 
den, woher ber Wind im Ganzen felten fteht; bie vorherrſchenden Weſt⸗ 
winde wärben bie üblen Gerüche fchlimmften Falls nach den ebenfalls faft 
unbewohnten Anfängen der Nehrung mit ihren Dünen und Walbungen 
wehen. Bei weiten bebenflicher wäre bie Sache für Berlin, wo bie Rie⸗ 
felaulagen weſtlich von ber Stabt und hart neben das ſtarlbevöllerte Moa⸗ 
bit zu Liegen kommen würben. 

Für diejenigen Falle, in denen ein zu Rieſelwieſen paſſendes Land⸗ 
Rüd nicht zu Haben ift, hat Thudichum einen anbern Vorſchlag gemacht, 

3. . 


98 Ueber Entwaſſerung und Reinigung otoßer Staͤdte 


um bie Kanalifirang mit ber Verwertung ber Dungftoffe zu vereinigen. 
Er geht davon aus, daß ber menfchliche Koth wegen feiner mechanifchen 
und chemifhen Eigenfchaften als Dünger nur änkerft geringen Werth habe; 
85 pEt. bes gefammten Düngerwerthes der Ereremente fteden in bem 
Urin. Zugleich iſt biefer für ſich allein in Röhren oder Gefäßen viel 
Teichter transportabel, Es Tommt daher barauf an, bie von ber Natur 
vorgezeichnete Trennung beider Excrete von vorn herein feftzuhalten. Hiezu 
dient eine in dem Beden jedes Wafierfiofetts quer verlaufende Scheide 
wand, Die Hintere größere Abtheilung führt in das gemöhnfiche Abfall 
rohr, das vorbere Meinere durch eine bünnere Röhre von Eifen ober Blei 
in ein befonderes Syſtem von Urintöhren, welche innerhalb ber Kanäle 
bis zu deren Ausgang lanfen und bort ihren Inhalt in beliebige tran 
portable Behälter ergießen. Der Koth laßt fich vermöge feiner Zähigkeit 
ſchwer mit dem Boden vermifchen, enthält Hauptfächlich fettſaure Salze und 
‘andere unlösliche Verbindungen, bie ſich erft langfam im Boden zerfegen 
muſſen, ehe fie Pflanzen ernähren können. Diefer geringe Werth iſt e6 
auch, welcher einen weiten Tronsport oder koſtſpielige Bearbeitungsweiſen 
ausſchließt; alle fogenannten Poudrettefabrilen haben mit Schaden gearbeitet 
nud Banquerot gemacht, wo fie nicht durch ganz befonbere örtliche Ver⸗ 
Hältniffe geftägt wurden. Am beften ift es noch, bie in den Kanälen fort 
gelpülten Kothmaſſen in abwechfelnd benugien Abfagbaffins an der Luft 
anstrodinen zu laſſen, wobei fie thenartig bicht und faft geruchlos werben. 
Dann werben fie mit Spaten herausgefiochen und auf ben benachbarten 
Uedern ober Düngerflätten mit Aſche, Kehricht u. a. bängenben, aber 
lodern Übfällen zu einem ſehr brauchbaren Gompoft vermiſcht. Das aus 
den Abfagbaffins austretenbe, von verweslichen Stoffen beinahe ganz bes 
feeite Wafler kann man nad einfacher Filtration durch ein Kies⸗ ober 
Eofebette ohne Schaden in fließende Gewaäſſer laufen laſſen. Ich möchte 
zunächft bemerken, baß dies letztere Verfahren keinen fichern Schutz ges 
gen die Verfchleppung ſchädlicher Materien in die Flüſſe gewährt, wie bie 
mit dem Filtriren von Flußwaſſer felbft gemachten Erfahrungen am deut⸗ 
Üchften beweifen. 

Die Mehrloften feines Syſtems will Thudichum für Frankfurt in 
Banſch und Bogen auf 1 Million SI. annehmen, dagegen berechnet er 


von Dr. J. Möller. 37 


ben „unbebingten Werth" des gefammelten Harns auf 425,000 Fl. jährlich, 
mithin würbe fich fchon im erſten Jahre nach Abzug von 10 pCt. Zinfen 
und Amortifation für das Anlage⸗-Capital ein reiner Ueberſchuß von 
325,000 $1. Herausftellen! Diefe Rechnung hat wirklich etwas Naives, 
Bas wirbe man wohl von dem Befiger eines Felſens in den Alpen fa- 
gen, ber fo rechnen wollte: Ich Habe ba 100,000 Schachtruthen Steine 
zum „unbebingten Werthe* von 10 Thlr. pro Schachtruthe, folglich bin 
id ein Millionär! Ganz abgefehen von Zransportmitteln und Transporte 
often wärbe es fi) doch vor allen Dingen fragen, ob ber Begehr dem 
Vorrath entſprechen würde und wenn nicht, wohin dann mit bem beflän» 
big zufließenden Urin? Man müßte wenigftens eine Ammontaf-Fabrit 
nach dem Borgange von Bondy bet Paris anlegen; aber leider iſt biefe 
nicht nur finanziell eine fehr fehledhte Unternehmung, ſondern verpeftet 
auch die ganze Nachbarſchaft. Kurz vorläufig erfcheint mir das Syſtem 
Thudichum's als beachtenswerther Vorſchlag eines Theoretilers, ber aber 
die Feuerprobe ber Erfahrung noch erft zu beftehen Hat. : 

Ich komme zu einer weiteren Frage: ob nämlich. bie Kanaliſtrung ber 
Stäbte ber fortdauernden Verunreinigung bes Bodens und bamit bes 
Brununenwaſſers wirklich abhilft? Werfen wir zunächſt einen Blick auf 
die Zuftände, an beren Gtelle fie getreten ift ober treten fol! Ich fehe 
ganz ab don Rußland und Polen, welde in biefer Beziehnug, wie in 
manchen anderen, völlig zum Orient gehören. Aber auch bie bentfchen 
Stäbte find größtentheils noch fehr in der Eultur zurüd, Im Berlin har 
ben ſammiliche Altere Hänfer d. 5. alle bie nicht etwa in ben legten fünfe 
zehn Jahren gebaut find, auf ihren Höfen gemauerte Abtrittsgruben, bie 
in der Regel ein Mal im Jahre geräumt werben, folglich buch ihren fau⸗ 
lenden Inhalt nicht nur wiberlichen Geruch verbreiten, fonbern auch, ba 
das Mauerwerk fehr bald undicht wird, ben Boden, das Grund» und 
Brunnenwaſſer verunreinigen. In Eöln egiftiven fogar fogenannte Thür me 
d. 5. bis 40 Fuß tiefe gemamerte Schachte, die erft im Laufe von Jahren 
voll werben, bann aber fo fehwierig zu räumen find, daß man früher es 
vorzog fie zugumanern und nebenbei neue anzulegen. In Frankfurt und 
manchen anderen alten Städten war es zwar gefeplich verboten, die Abs 
tritte in öffentliche Kanäle ober Gräben münden zu laſſen, aber viele Hau⸗ 


38 Ueber Entwäflerung und Beinigung großer Gtäbte 


. fer Hatten das Recht dazu durch eine fogenaunte Ranalzente erworben unb 
ebenfo Häufig geſchah es ohne Berechtigung. Am fohlimmften fieht es in 
Münden. Hier Haben mande Abtrittsgruben nur Bretterwände, viele 
andere fogenannte trodene Mauern, b. 5. von Ziegeln ohne Mörtel, bar 
mit eben ber flüffige Inhalt in das Erbreich austrete, und fie wurben 
nicht eher gereinigt, als bis ber Boden fo verſchlämmt war, daß er nichts 
mehr aufnahm. Diele Latrinen mündeten biveft in bie Bäche, welche bei 
nieberem Waflerftande ber Brunnen, wie namentlich im Winter, zum Spei⸗ 
fen der legteren benugt wurben. Namentlich aber befanden ſich auf ſehr 
vielen Höfen in ber unmittelbaren Nähe jener ſchlecht eingerichteten Gru- 
ben Pumpbrunnen, deren. Waſſer zwar meift nur zum Waſchen und ähn- 
lichen wirthſchaftlichen Zwecken, doch mitunter auch zum Trinken beuugt 
wurde. Erwägt man nun, baß ganz Münden auf einem änßerft durch⸗ 
laſſenden Geröllboben fteht, fo begreift man, in wie hohem Grabe bie 
Brunnen und Wafferleitungen Münchens mit ſolchen menſchlichen Abgängen 
verunreinigt werben müffen. In ber That tft dies bei verfchievenen Ver- 
anlafjungen chemiſch und mifroscopifch nachgewiefen worden. Auch find 
es gerade die Münchener Erfahrungen über die Cholera und ben bafelbft 
nie aufhörenden Typhus geweſen, welche mit voller Beftimmtheit bie Weber- 
tragung biefer beiden Krankgeiten durch ein auf ſolche Weife vergiftetes 
Trinkwaſſer dargethan Haben. Nicht mit Unrecht macht daher Thudichum 
bie beißende Bemerkung: Die Baiern Hätten gut gethan, bevor fie für 
Vinalothelen, Glyptotheken und Walhallen vieles Geld ausgegeben, erſt für 
anftändige Reinlichkeit ihrer Städte zu forgen; benn bis jegt feien biefel- 
ben wahre Koprothefen! Aber man muß gerechter Weiſe Hinzufügen, daß 
die legten Jahre gerade in Baiern fehr anerfennenswerthe Beftrebungen 
nach Verbeſſerung auch in biefer Richtung gebracht Haben. Und wie fleht 
es benn in biefer Hinficht bei uns? Kaum ein paar Jahre find verfloffen, 
feit wir die Abtritte an den zahlreichen offenen Gräben Losgeworben find 
und ſchlecht gemanerte Gruben giebt es gewiß noch jegt hier und ba, wenn. 
gleih im Ganzen bie Bauart unferer Häufer ihrer Anlage nie günftig war. 
Die Hauptfache aber if, daß unfere Brunnen nad) wie vor gegen das 
Eindringen bes Straßenkoths und Pferbenrins nicht gefhügt find. Wenn 
im Winter plögliches Thauwetter eintritt, findet man namentlich gewiſſe 


von Dr. J. Möller. 39 


Brunnen (3. B. auf dem Roßgarten, Münzplak, der Roggenftzafe) dermaßen 
mit jenen Abgängen ober ihren Zerfegungsptobuften verunteinigt, daß ihr 
Waſſer geradezu ungenießbar wird — und das ift vielleicht das Beſte! 
Denn wirb es genoffen, jo ſchadet es der Geſundheit. Es Hat zwar nichts 
Spezifiſches d. h. es erzeugt nicht gerade Typhus oder eine ähnliche ſpe⸗ 
zifiſche Krankheit, aber es bewirkt wenigftens Diarrhöe. 

Gegenüber ſolchen Zuſtänden erſcheint nun freilich die Kanaliſtrung 
mit ihren geruchfreien, ſaubern Waſſerkloſetts, mit ihrer ſichern, ſchuellen 
amd voliflänbigen Hinausführung der Abfälle als ein mächtiger Kultur⸗ 
fortfehritt! Nur ein Bedenken auch gegen biefe Seite berfelben muß kurz 
erwähnt werben. Die von dem prenß. Minifterium ber landwirthſchaft ⸗ 
lichen Angelegenheiten zur Begutachtung des Wiebe’ichen Planes anfgefore 
derten Sachverſtandigen, Röder und Eichhorn, weiſen nämlich baranf Hin, 
daß wenn man fi zum Bau ber Kanäle auch des beften Cements bebiene, 
diefer doch durch bie Satrinenflüffigfeit fehr bald zeriegt werbe und bantı 
das Mauerwerk feine Dichtigfeit verliere, fo daß bie Verunreinigung bes 
Bodens von Neuem beginne. Dies ift theoretifch ganz richtig. Die 
in dem Gement ſich bildenden wafjerhaltigen Verbindungen ber Kieſelſäure 
mit Kalk und Thon find nur gegen reines ober Talfhaltiges Wafler beftän» 
dig, Allalien und deren Salze dagegen zerfegen fie, indem biefelben all« 
mahlich an bie Stelle des Kalls treten, während biefer ſich mit ber Säure 
derfelben verbindet. Nun werben in ber Ranalfläffigleit ohne Frage ſolche 
Salze ftet3 reichlich vorhanden fein. Außer ihnen wird ſich oft unter Ein» 
wirkung der ſtarken Baſen aus dem Ammoniak Galpeterfäure entwideln, 
welche dann gleichfalls zerfegenb auf ben Hefelfanren Kalt wirkt. Daß 
derartige Einfläffe auch in praxi ſchon verberbfich geworben feien, belegen 
Nöber und Eichhorn mit bem Hinweis auf bie bereits baufällig geworde⸗ 
nen „älteren” Londouer Kanäle. Allein weber erfahren wir, wie alt benm 
dieſe Kanäle ſchon find, noch welches Material zu ihrem Ban benugt wor» 
ven iſtz dagegen willen wir von Wiebe, daß fie nach Form und Gefälle 
fehlerhaft find, mithin wegen ber Stagnation bes Inhalts ber zerfegenben 
Mädwirtung deſſelben befonbers ansgefegt geweſen fein müſſen. Im Ger 
gentgeil darf behauptet werben, daß praltiſche Erfahrungen über bie Länge 
ber Zeit, währen welcher richtig und von gutem Material gebaute Kanäle 


40 Ueber Entwaſſerung und Reinigung grober Stadte 


völlig dicht bleiben, noch gar nicht vorliegen; aller Wahrſcheinlichkeit nad 
iſt es eine recht lange Zeit, da bie chemiſche Einwirkung ber Kanalflüffige 
leit notwendig um fo langfamer ſortſchreiten muß, je mehr fie im bie 
Ziefe des Mauerwerks einbringt. Schlimmften Falls würde doc) aber bie 
aufs Neue beginnende Verunreinigung bes Bobens immer nur anf ben 
Lauf der Sammellanäle befchränkt fein. Den glafirten Steingntröhren, 
welche nach dem jetzigen Stande ber Technik ven größten Theil einer Stabt 
durchziehen, bürfte auf ſehr lange Zeit hinaus eine volffommene Sicher 
heit beizuiegen fein, falls nur bie einzelnen Stüde mit recht fettem Thon 
forgfältig. gebichtet worben find, Demnach erfcheint mir biefer Röder⸗Eich⸗ 
hornſche Einwurf gegen ben Werth ber Kanalifirung praktiſch als uner⸗ 
heblich. 

Ein anderer Einwand ölonomiſcher oder finanzieller Natur bürfte 
ſchwerer zu entkräften fein. Es ſteht nämlich feft, daß bie feften Abgänge 
(Gemäfeabfäle, Stroh, Knochen, Scherben u. dgl.) ſelbſt bei guter Spü- 
lung ber Kanäle burch biefe nicht entfernt werben können, ja daf fie dem 
Ranalfyftem in feiner gegenwärtigen Geftalt fogar gefährlich find und bies 
fich daher durch DVergitterungen möglichft gegen ihr Einbringen ſchützt. 
Auch der ſchwerere Theil bes Straßeuſchlammes gehört eigentlich dazu und 
wo man ihn, wie in Paris, in bie Kanäle ſpült, da muß man ihn mit 
großem Anfwende an Apparaten und Arbeitskräften in biefen bis zum 
Sluſſe fortſchaffen, nm ihn dann auch ans biefem herausbaggern unb ab- 
fahren zu laſſen. Hieraus folgt, daß neben dem Kanaliuftem ein gere- 
geltes Abfahrwefen für die feften Stoffe nuentbehrlih ift und daß biefes 
in ſolcher Befcränkung verhäftnigmäßig Toftfpieliger unb weniger einträg- 
lich fein muß, als wenn ihm bie gefammte Abfuhr Übertragen würde, 
bebarf wohl keines Nachweiſes. Allein dies ift am Enbe eine Gelbfrage, 
weiche Höchftens dazu beitragen Tann, die Einführung des Kaualſyſtems 
anf wohlhabende uud finanziell gut geftellte Städte zu beichränfen. 

Die Billigkeit, wie die Vollſtändigkeit — fo weit von biefer hier bie 
Rede. fein Tann — gebieten es, ſchließlich diejenigen Verbeſſerungen kurz 
anzugeben, durch bie man ben Uebelftänben des alten Abtrittsſyſtems und 
des Abfuhrweſens abzuhelfen gefucht Hat. Als ſolche Uebelftänbe laſſen 
ſich befonders zwei hervorheben: Die ſchon erwähnte Verunreinigung beö 


von Dr. J. Möller. 4 


Bodens und Brunnenwaffers durch undichte Gruben und ber üble Geruch, 
den Abtsite ohne Waſſerſpülung ftets verbreiten und der mit ihrer Rän« 
mung und Abfuhr noch in viel höherem Maaße verbunden ift. Erſterer 
Nachtheil Laßt fich leicht und vollſtändig vermeiden: durch das Kübel» ober 
Tonnenfgftem, welches in ben meiften beutichen Stäbten neben bem ber 
feften Abtritte oder ausfchliehlich befteht und von ben Franzoſen Systöme 
à fosses mobiles genannt wird. Die ſchlechthin verwerflichen Gruben finb 
alſo durchaus kein norhwenbiges Uebel. 

Den Geruch hat man zw befeitigen gefucht durch besinficrende Mit« 
tel, durch Ventilation, durch Trennung ber flüffigen von ben feiten Erere⸗ 
menten unb durch verbeſſerte Verfahren bei ber Gntleerung und bem 
Transporte berfelben. Zur Desinfection finb von verſchiedenen Chemilern 
fo zahlreiche Stoffe empfohlen worden, daß Tarbien bereit vor 10 Jah⸗ 
en über 20 aufzählte, wozu neuerdings noch ein paar gekommen find. 
Sie laſſen ſich eintheilen in pordfe Körper, welche nur bie Gafe eiuſchlucen 
und verbichten koönnen, wie namentlich bie verfchievenen Arten von Kohle, 
Aſche, Torf und Hammerfchlag, ferner in folde, die jene Gaſe zerftören 
und dadurch geruchlos machen (Chlor), endlich in ſolche, die durch Er⸗ 
zeuguug unlöslicher Verbindungen bie Zerfegung organifcher Materien 
hemmen. Uuter ben letzteren find bie wichtigſten verſchiedene Metallſalze 
„. B. der überall wohlfell und in Mafje anzuſchaffende rohe Eifenvitriol. 
Im der Nachbarſchaft Hemifcher Fabrilen zieht man das Zinkhlorir und 
Manganchlorid vor, welche als Abfälle faſt umfonft zu haben find. Ends 
lich iſt noch die Garboljänre zu nennen, weil fie ſchon in fehr ‚geringer 
Menge wirkt. Aber alle diefe Mütel wirken nur für kurze Zeit und eis 
gentlich mar vollfländig, fo fange fie über dem Inhalte des Abtritts eine 
volftändig abſchließende Schicht Bilden. Man hat num zwar vorgeſchla⸗ 
gen, ben Kübeln in der Mitte bes Bodens einen ſenkrechten Regel zu ges 
ben, bamit bie Excremente an ben Seiten befielben Hinabfinfen und ſich 
gleichmãßig unter der besinficirenden Schicht verbreiten. Aber grade wo 
eine ſolche Vorrichtung befonders nothwendig wäre, auf bem Boden fefter 
Gruben, würde fie ſich nur mit Schwierigkeiten anbringen laſſen. Eigent- 
lich alfo müßte nach jeber Benntzung bes Abtritts etwas von ber besin« 
ficirenden Subſtanz uachgefhättet werben, was einen Toftfpieligen mub fi 


4 Ueber Entwäflerung und Reinigung grober Gtäbte 


bald verfttimmenben Mechanismus voransfegte, ober man müßte fie we ⸗ 
nigſtens ein paar Mal täglich in größerer Menge Hineinfchütten, was fehr 
umſtändlich wäre.) Dies find wohl bie Urſachen, weshalb bis jetzt alle 
biefe Mittel kaum je zur dauernden Desinfection von Abtritten, fondern 
nur bor ober während ber Räumung berfelben benugt worben find. Deflo 
mehr empfiehlt fich zu jenem Zwede bie ftete Ableitung ber riechenden 
Safe durch Ventilationsröhren, bie man entweder in ein benachbartes 
Schornſteinrohr münden läßt ober bis über das Dad hinausführt und 
durch eine unten angebrachte Gasflamme, welche zugleich für Erleuchtung 
forgt, gelinde anheizt. Diefe Überall und mit geringen Koflen herzuftel- 
lenben Einrichtungen erfüllen ihren Bwed in völlig genügender Weiſe, 
wenn man es nur mit Kübeln ober Tonnen zu thun Bat. 

Daß es vortheilhaft fein muß bie feſten von ben fläffigen Excremen⸗ 
ten moöglichſt zu trennen, läßt fi) theoretiſch leicht einfehen, weil bei einer 
Miſchung fo verfchiebenartiger Subftanzen die faufige Zerfegung ber einen 
immer als Ferment auf die andern zurücwirkt und weil bie ber feften 
Maſſen um fo raſcher erfolgt, je feuchter fie bleiben. Deshalb Hatte man 
auch in Parie, wo große, Tellerartige Abtrittsgruben gebräuchlich find, bier 
fen ſchon vor längerer Beit eine burchlächerte Wand gegeben, durch welche 
die Bläffigkeiten in eine zweite, tiefer gelegene Abtheilung floſſen. Man 
hat biefe Einrichtung aber ficher bald aufgeben mäffen, weil bie Räumung 
folcher Gruben zu ſchwierig und wegen ber in ben Nebenlammern ſich an. 
haufenden Gafe für die Arbeiter höchſt lebensgefährlich war. Neuerdings 
hat nun ver Belgier Moſſelman das Princip ber Trennung mit bem ber ches 
mifchen Desinfectton vereint anf bie fosses mobiles angewandt und daraus 
ein eignee Syſtem gebilbet, für welches er in Paris, fowie in bemtfchen 
Städten eifrige Propaganda macht und welches fowohl ben Anfprüchen 
auf Reinlichleit und Gernchlofigkeit genügen, als auch einer vortheilhaften 
Verwendung ber Dungftoffe günftig fein fol. Der Kübel, in ben das 
Abfallrohr eines Haufes mündet, enthält im Immern ein fenkrecht geftelle 


®) Im erfterer Beziehung ſcheint und das eben verfloffene Jahr einen Fortichritt 
gebracht zu haben durch ben von der Gtettiner polytechniſchen Geſellſchaft prämiirten 
ſelbſtihatigen Streu-Apparat, auf den wir noch zurüdfommen werben. Tod ift er erft 
feht fo durzer Zeit benupt worden, dab man über feine Dauerhaftigkeit noch kein Urtheil bat, 


von Dr. 3. Möller. [N 


tes Sieb (diviseur), welches nur die Bläffigkeiten durchläßt und durch ein 
mehrarmiges Rohr in mehrere tiefer ſtehende Kübel vertheilt. Der Raum 
ver legteren muß ein bebentenb größerer fein, da das Volumen ber Flüf- 
figkeiten zu dem ber feften Maſſen fich erfahrungsgemäß wie 8 + 1%) ver» 
halt. Nun wird zunächft zu einem Theile ber Flüffigleit Aetzkalk geſetzt, 
wobei 1 Enbilfuß bes legteren 0,65 Cubilfuß Urin braucht, um in Hydrat 
verwandelt zu werben, und ſich babei zu einem Volumen von 23, Cubifuß 
ausbehnt. Diefe find nun im Stande ein gleiches Bolumen Koth (21, Cu⸗ 
bitfuß) in eine trodze, geruchlofe Maſſe zu verwanbeln (Chaux animali- 
söe), „welche fich zum Dünger vortrefflich eignen fol. Da uun aber hie 
bei nur ber allerkleinſte Theil des Urins verbraucht wird, fo muß für ben 
übrig bleibenden größeren ein anderes Verfahren flattfinden. Ein Volum 
Kalkhydrat bildet nämlich mit einem gleichen Volumen Urin „Chaux su- 
persaturde d’ urine,“ welcher wieber als Dünger feine Berwenbung finden 
fol. Ein Cubilfuß Kalk wird hiernach hinreichen, um 0,66-42,5—3,15 En» 
biffuß Urin in,biefen Zuſtand überzuführen. 

Wenn auf irgend ein Syſtem, fo paßt auf biefes das Schillerſche 
Wort: Wär’ der Gedanl' nicht fo verbammt geſcheut ... Wir wollen 
ganz abfehen von den Koften ber Apparate und ben viel beträchtlicheren 
des Perfonals, welches die ftete Behandlung ber Exeremente mit Kalt 
erfordern wärbe; wir wollen auch annehmen, ba bie Bereitung bes 
Chaux animalisee in einer außerhalb der Stabt gelegenen Fabrik ſtatt⸗ 
finde und daß ber Transport ber fosses à diviseur bis dahin ganz ohne 
Gern vor fich gehe; fo bleibt doch unwiderleglich 1) daß in ben. für 
den Urin beftimmten Gefäßen, welche beftändig Aetzkalt enthalten follen, 
teicgliche Ammoniafentwidelung ftattfinden muß und daß es kaum gelingen 
tanı, bie Verbreitung dieſes höchſt läftigen Cafes durch bie Möhren zu 
hindern. 2) Die erforderlichen Maſſen Kalt würden nur mit unerfchwinge 
lichen Koſten anzufhaffen fein. Für Berlin, das in biefer Beziehung wes 
gen ber Nähe und Ergiebigkeit ber Mübersborfer Brüche uoch ganz beſon⸗ 
ders bevorzugt fein würde, berechnet fich der jährliche Bedarf, wenn man 


*) Eigentlich wie 18:1; da aber ftet3 eine Quantität Urin verloren gebt, außer 
Haufe gelafien wird u. ſ. w., fo genügt bas Berhältniß 8: 1 für ſoiche Gintiätungen wohl. 


4 Ueber Gntiöfferung und Reinigung grober Stäbe 


nur bie Vollszahlung von 1861 zum Grande legt, auf 233,773 Tonnen 
& 4 Scheffel, welche einen Werth von circa 400,000 Thlr. vepräfenticen. 
©egenwärtig liefert Nüvereborf im Ganzen etwa 40000 Tonnen aus vier 
großen Rumfordſchen Defen. Es müßte danach fein Betrieb ungefähr 
verfechsfacht werben, allein um jenen Bebarf zu beden. Wie fid für 
Städte, welche feine Kalkbrüce in ber Nähe haben, die Echwierigleiten 
fleigern würden, läßt ſich danach leicht einfehen. 3) Für alle dieſe Koften 
würde man einen Dünger gewinnen, ber fehr viel volumindfer, alſo 
ſchwerer zu transportiren wäre und unverhältnigmäßige Mengen Kalt ent 
hielte. Ein folcher eignet ſich aber nicht für jeven Boden, am wendgften 
zur jährlich ober. ein um das anbere Jahr wieberholten Düngung. Nach 
dieſen größtentheil® von ber Berliner Minifterial-Eommiffion ſelbſt aner- 
Tannten Uebelſtänden ift es Kaum begreiflich, wie biefelbe dennoch das 
Syſtem Moffelman befonderer Berückſichtigung wert erachten Tann, Biel 
begreiflicher dagegen ift es, wie Moſſelman überhaupt zur Aufftellung 
feines Syſtems gelommen ift: biefer Herr ift Gefchäftsführer zweier großen 
Kallbrennereigeſellſchaften. 

Bei weiten zwecmaßiger und verſtändiger ſtellt ſich ein Syſtem bar, wel- 
ches von Prof. Müller in Stodholm und dem Stettiner Chemiler Dr. Schär 
ausgebilbet worben tft. Es legt ebenfalls bie Trennung ber flüffigen von 
den jeften Ercrementen zum Grunde, aber fie wirb, wie nad) Thubichum, von 
vornherein in jebem Klofett vorgenommen, ‚indem man ben Trichter durch 
eine Scheivewand in 2 Ränme trennt, ober 2 Trichter vor einander an 
bringt. Das Sigbrett wird durch das Darauffigen etwas niebergebrädt, 
nad dem Aufftehen durch eine Weber wieber gehoben und fegt hiebei eine 
etwas drehbare Welle in Bewegung, welche unter einem rädwärts ange- 
brachten Kaſten liegt und jebesmal etwa 1 Loth bes in letzterem enthalte 

‘nen Pulvers in ben hinteren Trichter fallen läßt. Dies iſt ber bereits 
erwähnte, von Neinde erfundene Selbftftrener. Als besinficirendes Mittel 
wird eine Mifhung von 100 Th. gebrannten Kalls und 16 Th. gepulner- 
ter Holzkohle angewandt. Die Heine Menge von 1 Loth nad) jevesmaliger 
Benutzung des Kloſetts foll genügen, um den Koth in eine geruchlofe, fefte, 
leicht zu transportirenbe und aufzubewahrende Mafje zu verwanbeln. Die 
Koſten des besinficirenden Pulvecs veranfchlagt Schür für eine Haushal- 


von De. $. Möller. 4 


tung von 5 PBerfonen auf circa 15 Sgr. jährlich. Das ließe fih erſchwin⸗ 
gen und es wilrbe zugleich bie biscrete Anwendung bes Kalls feine fo 
große Bolumszunahme bee Düngers und kein fo weientliches Hinderniß 
für defien Häufige Benugung bebingen. Der Urin foll aus dem vorberen 
Trichter feitswärts abgeleitet werben auf ein Filtrum von Torfgrus, ben 
man zuvor mit bem Nebenprobucte ber Mineralwafierfabriken, ſaurer 
ſchwefelſaurer Magnefia,. oder dem Sauerwaſſer der Delraffinerieen ver⸗ 
mifcht Hat. Zur Aufnahme einer ſolchen Filtermafie empfehlen fi) die 
Körbe von Weibengeflecht, in denen bie Schwefelfäureballons verfandt wer- 
den, und eim berartiges Filter foll hinreichen, um wochenlang ven Urin 
einer Haushaltung aller feiner büngenden Stoffe zu beranden und als 
Hare Fläffigleit ablanfen zu laffen, bie man ohne Bedenken in jede Goſſe 
keiten Yan. Der fo behandelte Torfgrus, vermiſcht mit den trodnen Koth · 
maſſen bildet einen Dünger, welcher bis jetzt zu 15 Egr. pro Centner bei 
den Landwirthen in ber Umgegend Stettins Abſatz gefunden hat, Auch 
mit den Einrichtungen felbft ft man in einer Anzahl von Privathänfern, 
in einer größeren Fabrik und einem Privatlranfenhanfe bisher zufrieben 
geweſen. Indeſſen find diefe Erfahrungen noch ſehr jung und wenig um⸗ 
fongreih und fo wird man ein enbgültiges Urtheil über ven Werth biefes 
Syſtems noch zurädhalten müflen. 

Es bleiben mir ſchließlich noch diejenigen Vorrichtungen zu erwähnen, 
welche den läftigen Geruch bei ver Räumung und Abfuhr ber Latrinen 
floffe zu vermindern beftimmt find. Natürlich Habe ich hiebei hauptſächlich 
die feften Gruben im Auge, bie ſich doch unn einmal nicht mit einem 
Sqhlage befeitigen laſſen, fo ſehr man auch über ihre Verwerflichkeit 
einig fein mag. Als die vollkommenſie Vorrichtung Haben ſich große 
Keſſel von ſtarkem Eiſenblech erwieſen, welche mit einem Manometer unb 
Hähnen verfehen find und auf einem Wagengeftelle ruhen. Man füllt fie 
mit Wafferdampf, läßt diefen durch Abkühlung fo verbichten und macht fie 
ſo faft Inftleer, Die in Leipzig gebräuchlichen von 62 Cubilfuß Inhalt 
önnen alsdaun mittelft angeſchraubter Lautſchukſchlanche ober gußetferner 
Röhren 46-50 Enbitfuß Latrinenflüſfigkeit Binnen 4—5 Minuten aufjan 
gem, ohne daß eine Spur von Gas entweichen kann. Die Keſſelwagen 
werben dann fogleich felbft nach der Düngerfabrit, Ablabeflätte oder birect 


4 Ueber Gntwäflerung und Peinigung großer Gtäbte 


nur die Vollszählung von 1861 zum Grunde legt, auf 233,773: Zonnen 
3 4 Scheffel, melde einen Werth von circa 400,000 Thlr. vepräfenticen. 
Gegenwärtig Tiefert Nübersborf im Ganzen etwa 40000 Tonnen aus vier 
großen Rumfordſchen Defen. Es müßte danach fein Betrieb ungefähr 
verfechsfacht werben, allein um jenen Bedarf zu beden. Wie fich- für 
Städte, welche Feine Kalfbrüche in ber Nähe haben, bie Schwierigkeiten 
fleigeru würben, läßt ſich danach leicht einfehen. 3) Für alle biefe Koften 
würde man einen Dünger gewinnen, ber fehr viel volumindfer, alſo 
ſchwerer zu transportiren wäre und unverhäftnigmäßige Mengen Kalt ent» 
hielte. Ein folcher eignet fich aber nicht für jeben Boden, am mendgften 
wur jährlich ober.ein um bas andere Jahr wieberholten Düngung. Nach 
dieſen größtentheild von ber Berliner Minifterial-Eommifflon ſelbſt aner- 
tannten Webelftänben ift e8 Taum begreiflich, wie dieſelbe dennoch das 
Syſtem Moffelman befonderer Berüdfichtigung werth erachten kann. Biel 
begreiflicher dagegen ift es, wie Moſſelman überhaupt zur Anfftellung 
feines Syftems gelommen ift: biefer Herr tft Gefchäftsführer zweier großen 
Kallbrennereigeſellſchaften. 

Bet weiten zwedmäßiger und verftänbiger ſtellt fich ein Syſtem dar, wel⸗ 
ches von Prof. Müller in Stodholm und dem Stettiner Chemiler Dr. Schür 
ansgebilvet worben tft. Es legt ebenfalls die Trennung ber flüffigen von 
ben feften Ercrementen zum Grunde, aber fie wird, wie nach Thudichum, von 
vornhetein in jedem Klofett vorgenommen, ‚indem man ben Trichter burch 
eine Scheivewand in 2 Ränme trennt, ober 2 Trichter vor einander an- 
bringt, Das Sigbrett wird durch das Darauffigen etwas niebergebräct, 
nach dem Unfftehen durch eine Feder wieder gehoben und fegt hiebei eine 
etwas brehbare Welle in Bewegung, welche unter einem räcwärts ange- 
brachten Raften liegt umb jebesmal etwa 1 Loth bes in letzterem enthaftes 

“nen Pulvers in ben Hinteren Trichter fallen läßt. Dies iſt ver ‚bereits 
erwähnte, von Reinde erfunbene Selbſtſtreuer. Als besinficirendes Mittel 
wird eine Mifhung von 100 Th. gebrannten Kalls und. 16 Th. gepulver- 
ter Holzkohle angewandt. Die Heine Menge von 1 Loth nad) jebesmaliger 
Benugung des Kloſetts foll genügen, um ben Koth in eine geruchlofe, fefte, 
leicht zu transportirende und aufzubewahrende Maſſe zu verwandeln. Die 
Koſten des desinficirenden Pulvers veranlagt Schür für eine Haushal- 


von Dr. J. Möler. 45 


tung von 5 Perfonen auf circa 15 Sgr. jährlich. Das ließe ſich erſchwin⸗ 
gen und es würde zugleich bie discrete Anwendung bes Kalks keine fo 
große Volumszunahme dee Düngers und fein fo wejentliches Hindernig 
für defien Häufige Benugung bebingen. Der Urin foll aus bem vorderen 
Trichter feitewärts abgeleitet werben anf ein Filtrum von Torfgrus, ben 
man zuvor mit dem Nebenprobucte der Mineralwaflerfabriken, ſaurer 
ſchwefelſaurer Magneſia, oder dem Sauerwaſſer ver Delcaffinerieen ver- 
mifcht hat. Zur Aufnahme einer folchen Filtermaſſe empfehlen ſich die 
Körbe von Weibengeflecht, in denen bie Schwefeljänreballons verſandt wer- 
den, unb ein berartiges Filter foll Hinreichen, nm wochenlang den Urin 
einer Hanshaltung aller feiner düngenden Stoffe zu beranden und als 
Hare Flüffigkeit ablaufen zw laflen, die man ohne Bedenlen in jede Gofle 
leiten faun. Der fo behandelte Torfgrus, vermifcht mit ben trodnen Rothe 
maſſen bilvet einen Dünger, welcher bis jegt zu 15 Egr. pro Centner bei 
den Landwirthen in der Umgegend Stettins Abjag gefunden hat, Auch 
mit den Einrichtungen ſelbſt iſt man im einer Anzahl von Privathäfern, 
in einer größeren Fabrik und einem Privatkranfenhanfe bisher zufrieben 
geweſen. Imbeflen find biefe Erfahrungen noch fehr jung und wenig um⸗ 
fangreih und fo wirb man ein enbgültiges Urtheil über den Werth biefes 
Syſtems noch zurädhalten müſſen. 

Es bleiben mir ſchließlich noch diejenigen Vorrichtungen zu erwähnen, 
weldye den läftigen Geruch bei ber Räumung und Abfuhr ber Latrinen 
floffe zu vermindern beftimmt find. Natürlich Habe ich hiebei Hanptfächlich 
die feften Gruben im Auge, die fich doch num einmal nicht mit einem 
Schlage befeitigen lafjen, fo fehr man auch über ihre Wermwerflichkeit 
einig fein mag. Als die vollfommenfte Vorrichtung haben ſich große 
Keſſel von ſtarkem Eiſenblech ertviejen, welche mit einem Manometer und 
Hahnen verfehen find und anf einem Wagengeftelle ruhen. Man füllt fie 
mit Waſſerdampf, läßt diefen durch Abkühlung fo verdichten und macht fie 
fo faft Inftleer. Die in Leipzig gebräͤuchlichen von 62 Cubilfuß Inhalt 
können alsdann mittelft angeſchraubter Kautſchukſchlauche oder gußeiferner 
Röhren 46-50 Eubiffuß Latrinenfläffigkeit binnen 4—5 Minuten aufſan⸗ 
gen, ohne daß eine Spur von Gas entweichen kann. Die Keſſelwagen 
werben dann ſogleich ſelbſt nach ber Düngerfabrif, Abladeſtätte ober birect 


46 Ueber Entwäfferung und Reinigung großer Gtäbte 


anf ben Ader gefahren. Eine Schattenfeite biefes vortrefflichen Apparats 
iſt nur bie, daß er möglichft nahe an die zu entleerende Grube herangefahren 
werben muß, weil bei Anwendung eines langen Schlauchs ber Keffel zu viel 
Luft ans demfelben empfangen würde. Wo baher bie Latrinen in Hinter» 
hünfern ober engen Höfen liegen, ift er weniger empfehlenswert, als eine 
der in belgtichen, deutſchen und franzöſiſchen Städten üblichen Pumpen, 
welche fümmtlih Gang. und Drudpumpen find. Manche derſelben find 
ganz wie euerfprigen gebaut, natürlich ohne Windkeſſel. Die fogenaunte 
Priefterpumpe (Pompe & soufllet) fegt burch einen boppelarmigen Hebel 
abwechſelnd zwei biajebalgförmige, in Eiſen und ſtarkem Leber genrbeitete 
Upiratoren in Bewegung. Die fogenannte New-Yorker Pumpe endlich 
iſt nah dem Princip einer einfachen Dampfmafchine gebaut, wober bie 
Satrinenfläffigfeit die Stelle des Dampfs einnimmt; fie Hat nur einen 
liegenden Cylinder mit einer feitlichen Deffnung oben und unten; ber durch 
ein Schwungrab in Bewegung gefegte Kolben wirkt abwechfelnd immer 
auf bie eine Deffnung ſaugend, auf die andere drücend, währenb gleiche 
zeitig durch eine Schieberſteuerung beren Communication mit bem entipre- 
enden Rohre hergeftellt, das andere abgefperrt wird, 

Alle diefe Vorrichtungen aber, wie ſinnreich fie auch fein mögen, 
wirken doch immer nur auf ben flüffigen Theil des Grubeninhalte, ber 
ſeſte würde Ventile und Hähne fofort unbrauchbar machen. Um das Ein- 
bringen fefter Stoffe in ben Schlau; daher zu verhüten, muß beflen Ende 
mit einer korbartigen DVergitterung (in Belgien lanterne genannt) umge 
ben fein. Im jeber größeren Grube bleibt daher ein fefter, zäh’ auhän⸗ 
gender Bobenfag zurüd und biefer muß bann nachträglich, meiflens bei 
Nacht und nad) vorheriger Desinfection, aber doch immer auf bie roheſte 
Weife von Menſchen mit Schaufeln und Eimern entfernt werden. In ber 
Unvermeiblichfeit diefer ellen Prozedur liegt gewiß eine weitere Verurthei⸗ 
lung ber Abtrittsgruben. 

Zum Transport ber ausgepumpten Stoffe hat man in einigen Städ ⸗ 
tem 3. B. Nürnberg, Straßburg, Oftende und Antwerpen, beſondere Keſſel⸗ 
ober Tonnenwagen, welche fich nicht nur durch bichten Verſchluß ihrer Ber 
Häßter auszeichnen, fonbern auch mit einem Verbrennungdapparate verfehen 
finp, durch weichen bie in demſelben ſich entwidelnden Gaſe geruchlos gemacht 





von Dr. 3. Miller. " 4 


werben. Gin gebogenes Rode leitet aus dem oberften Theile des Behäl- 
ters die Gaſe in ein Gefäß, über welchem ſich ein Roſt mit glühenden 
Kohlen und ein Heiner Schornftein befindet. Um das Zurüdichlagen ber 
Flamme zu vergüten, hat entweder das Rohr ein feines Drahtgitter ober 
die Gafe müſſen in dem Gefähe eine Wafferichicht paffiren. Leider find 
folge Wagen zu thener, um in ſtets genügenver Zahl angefchafft werben 
zu Können, beſonders wenn bie Landleute felbft die Gefäße Kiefern müfien, 
in denen fie fh den Sloafendünger aus ber Stadt abholen, wie bies in 
Lyon m. a. Städten ber Fall if. Man bebient ſich daher hauptſächlich 
guter Tonnen mit mehr ober weniger vollkommenem Berfhluß. An beften 
giebt man dem Dedel am Rande einen Filz- oder Gummiring und einen 
Verſchluß mit Bügel und Schraube nach Art unferer luftdichten Ofenthü- 
ren. Daß aber hierin noch viel zu wünfchen übrig” bleibt, erhellt wohl 
barans, daß an machen Orten die Tonnenabfuhr -nur bei Nacht geftattet 
ift, während an andern 3. B. Lyon, ſich bie Polizei vorbehalten Hat, fie 
während ber heißen Jahreszeit ganz zu unterfagen. Dies hat dahin ges 
führt, daß in ber Umgegend von Lyon bie meiften Bauern ſich eigene 
feine überwölbte Depotoirs gebaut haben, um barin ben Dünger aufbe- 
wahren und zu geeigneter Zeit verwenden zu lönnen. 

Zu demfelben Aushulfemittel im großen Mafftabe hat man ſich in 
den belgiſchen Städten genöhtigt gefehen, wo bie Commune das Abfuhr» 
weſen auf eigne Rechnung betreibt, weil der ſich ftetig anhänfende Dün- 
ger nicht in jeber Jahreszeit fofort durch die Landwirthſchaft verbraucht 
wird. Namentlich Antwerpen befigt zur Unterbringung bes zeitweiligen 
ueberſchuſſes 2 große Tellerartig gewölbte Depotoirs zu Wyneghem am 
Mans-Schelvelanal eine Stunde von ber Stadt und zu Löwen. Erſteres 
faßt 40,000 Eubiffuß, Hat 2 Abtheilungen für bie dort übliche erſte und 
weite Sorte bes Düngers (eigentlich unterfcheibet man deren brei) und 
eiferne Deckelverſchluſſe für die entprechenden Deffnungen zum Einfchütten 
der Stoffe. Es wäre fehr zu wänfchen, baf ber Preis bes Düngers auch 
bei un8 bie Commune in ben Staub fegen möchte, unfere offenen, einfach 
gepflafterten Ablagerungsftätten, welche bie Geruchsorganne ber bie Ehaufe 
fee paffirenben Perfonen nicht wenig beleibigen, in folche wohl verfchlofiene 
Depotoirs umzuwanbeln. 


48 Weber Entwäflerung und Reinigung großer Gtäbte von Dr. J. Möller. 


Ich faſſe ſchließlich mein Urtheil in folgende Säge zufammen, deren 
Anwendung anf unferere Verhältniſſe fih von ſelbſt ergiebt: 

Das Shyſtem der Ranalifirung und Drainage mit Waſſerkloſetts ver- 
dient den Vorzug 

1. wo bie Uufbringung bes hohen Unlagelapitals keine zu großen 

Opfer erfordert, 

2. wo hinlängliches Waſſer zur kräftiger Spülung vorhanden iſt, 

8. wo ein zur Unlage von Rieſelwieſen paffend gelegenes Landſtüc 

vorhanden ift. 

Laßt fich eine biefer Bebingungen, namentlich die legte nicht erfüllen, 
fo muß man fi auf ein Syſtem von Abzugelanälen für das Hans, 
Straßen ımb Grundwaſſer beſchränken, wobei, je und; der Dertlichteit, 
bald offene Ninnfteine, bald gemauerte Stelen, bald Drains den Vorzug 
verdienen. Dagegen ift auf Wafferflofetts im Allgemeinen zu verzichten 
und für bie Abtritte ein Tonnenſyſtem mit gutem Verſchluß ber Gefäffe, 
Bentilation der Gemäcer und Depotoirs vor den Thoren einzuführen. 


Big Bewegung des altpreufj. Gandels im Iahre 1864. 
Bon 


Ernſt Wichert. 


Die günftigen Berhältniffe des Jahres 1860 ſcheinen nicht fo bald 
wieber zufammentreffen zu wollen. Der allmälige Rüdgang, ber ſich feit 
1861 zeigt, wird aud) 1864 ſehr bemerflich und bürfte, nad) den im laufen⸗ 
den Jahr überall lautwerdenden Ringen zu ſchließen, auch 1865 noch feinen 
Halt finden wollen. Die Berichte unferer Handelskammern bezeichnen 
übereinftimmenb mit beftem Recht das vergangene Jahr als ein dem alt 
preußiſchen Handel fehr ungünſtiges. Der Krieg mit Däuemark, fo 
ruhmreich für die preußifchen Waffen, hatte die nächfte Folge, daß unfere 
Oftfeehäfen blofirt wurden; in ber beiten Handelszeit, im Frühjahr uud 
Sommer, waren unfere Haupthäfen gefchloffen und bie kurze fünfwächent- 
liche Unterbrechung konnte dieſen Schaden nnr fehr unbebentend mindern, 
da die Unficherheit ber politifchen Situation jede weitausfehende Unterneh⸗ 
mung vermeiben ließ. Nur Memel blieb von ber Blokade frei und 
tonnte deshalb zeitweife für Danzig und Königsberg beftimmte Schiffe 
aufnehmen; gleichwohl war auch hier der Schiffverlehr nur unbebentenb 
ößer, als im Vorjahr, weil deutſche Schiffe abgefchloffen waren, und bie 
Rhederei litt unter ber Ungunft der allgemeinen politiſchen Verhältniſſe ber 
trätlich. Doch wäre die Blofabe leichter zu überwinden geweſen, wenn 
nicht bie ſchon an ſich ſehr niebrigen Getreidepreife nad Aufhebung 
berfelben im Auslande, namentlich in England, noch mehr gefunfen wären, 
Der Hierdurch entfichende Ausfall in Verbindung mit ben größeren Lager 
loſten mußte biefe für unſere Provinz wichtigfte Gefchäftsbrande arg be 


einträchtigen. Nur für Memel und Tilfit geftaltete "| das Getreide 
Wspr, Dronstsfärift Ds. TIL. Oft. 1. 


50 Die Bewegung des altpreußiichen Handels im Jahre 1864 


geihäft ausnahmsweiſe lebhaft, fowohl wegen ber guten Ernte in den ber 
nachbarten ruffifchen Gonvernements als aud) wegen ber Blokade von Koö⸗ 
nigeberg; es wurben hier im Ganzen 23,230 Laft Getreide und Saat 
exportirt, alfo nur ca. 3000 Saft weniger, ‘als in dem vorzüglich günftigen 
Sabre 1860 und ca. 18,000 Laft mehr, als ber zehnjährige Durchſchnitt. 
Dagegen verfchiffte Danzig 25,000 Laſt weniger als 1863 (im Ganzen 
104,735 Laft incl. ca. 62,500 Laft Weizen, wovon ca. 63,000 Laft reſp. 
ca. 52,000 Laft allein nach England) während für Königsberg bie Ge 
treibeverfchiffung bei ungefähr gleicher Abkunft von Polen und Rußland 
(nur mehr Weizen) ber Quantität na um 11 pEt., bem Werth nad) fo- 
gar um 18 pCt. geringer als 1863 war, und Elbing nur 2807 Laft aus⸗ 
. führte. Die beiden legtgenannten Orte und Thorn Magen zugleich über 

die durch naffe Witterung herbeigeführte Mißernte und ſchlechte Onatität 
des Getreibes, wodurch das Reſultat noch ungünftiger wurde, als bie Zah: 
ten ertennen laſſen. — Von nicht geringerem ſchlimmem Einfluß zeigte 
fich ferner die von England ausgehende Gelvcrifis, die bei ber Landesbanl 
eime Erhöhung des Zinsfußes von 11/5 Bis fogar 21, pCt. nöthig machte, 
worenf natürlich die Privatbanken folgen mußten. Zugleich ſank bie 
polniſch⸗ruſſiſche Valuta fo beträchtlich, daß das Aufgeld nach dem Thor 
mer Berit 151), bis 34 pEt. (im October) betrug. Die gewaltfame 
Beruhigung Bolens nach der Infurrektion konnte unter folhen Umftänden 
Maum die Beziehungen zu biefem Nachbarlande günftiger geftalten; erft all- 
mäfig Tann die frühere Konfumtionsfähigfeit zurüdtehren, und eine Hebung 
des Handels mit Kolonial- und Mannfacturwaren über bie Grenze eintre- 
ten. Bei foviel Widerwärtigfeiten Konnte ber Umftand, daß einmal bie 
Waſſerverbindung mit dem Binnenlande wegen bes hohen Waflerftanbes 
unbehiabert war, kaum mitrechnen. — Aus allen preußifchen Häfen zuſam⸗ 
men find 1864 ca. 1200 Schiffe weniger ausgegangen als 1863. Der 
Werth der Einfuhr zur Eee war bei 

Danzig um . . . 1,150,000 Thlr. 

Meml „u... 219,480 „ 

Königeberg um . . 7,861,200 „ 


in Summa 9,230,680 Thlr, 





von E. Wichert. b1 


der ber Ausfuhr zur See bei 

Damig um . . . 6,300,000 Thlr., 

Königsberg um . . 2,619,180_ „ 

in Summa um 8,919,180 Thlr. geringer unb wur 

bei Memel um . . 726,650 „ höher, als 1868, 
fobaß der Gefammtausfall nach dieſer Richtung hin auf weit mehr als 
17,000,000 Thlr. zu berechnen ift, wobei noch das Elbinger Geichäft, für 
welches nähere Mittheilungen fehlen und unberüdfichtigt bleiben mußte, 
Der Werth der Ein- und Ausfuhr zu Lande ift natürlich im gleichem 
Berhältniß Herunterzufegen. 

Auch der Holzhandel unferer Provinz wurde durch bem bänifchen 
Krieg anfs Empfindfichfte beeinträchtigt. Theure Vorräthe mußten gelagert 
werben, Ginbußen an Zinſen waren unvermeiblich unb fpäter zeigten fich 
die Preife in England fo gebrüdt, daß der durch die Dlokade bewirkte 
Berluft nicht entfernt einzubringen war. Für Memel vernrfachte ber frühe 
Froſt große Koſten, nud wieder wurden 8—10,000 Stüd Ballen und 
Rundholz aufs Haff getrieben, ein Uebelftand, dem Hoffentlich durch den 
Minge-Schmeltelle-Ranal, der bereits bis zur Drawöhne fertig und in ſei⸗ 
ner zweiten Hälfte in Angriff genommen ift, ein Enbe gemadıt werden 
wird. Der Nüdgang gegen das Yahr 1863 ift deshalb fehr auffällig. 
Danzig verfäiffte: 

1863 . . 1177 Labungen im Werth von 5,310,000 Thlr., 
1864 nur 848 ” on n 3,555,00 „ 

Tür Memel war freilich die Abkunſt von Rußland bebeutender, 
namlich zum Werthe von 3,258,%09 Thlr. gegen 2,068,474 Thlr. im 
dahre 1863, aber gerabe im umgelehrten Verhältnifie ftand ver Werth ber 
Ausfahr, ver 1863 zu 3,165,000 Thle., 1864 nur zu 2,929,860 Thlr. 
anzunehmen war, fo daß ber Gewinn unverhältnißmäßig gering, bad Win- 
terlager unverhältnißmäßtg groß blieb. An biefen Verluſten nahm Tilſit 
Theil, das große Vorräthe von geſchnittenen Hölzern wegen zu Hoher 
Frachten mit verladen konnte, nach dem Frieden aber, ebenfo, wie bie 
beiden Häfen, das zw Hohe Disconto zu beffagen Hatte, 

Erſreulichet war das Flachs geſchaft. Der troh Bernbigung 248 
uneritamifihen Krieges fortbauernde Baumwollenmangel echielt ſtete und 

1. 


50 Die Bewegung des altpreußiichen Handels im Jahre 1864 


geſchaft ausnahmsweiſe lebhaft, fowohl wegen der guten Ernte in ben ber 
nachbarten ruſſiſchen Gonvernements als auch wegen ber Blokade von Ki 
nigsberg; es wurben bier im Ganzen 23,230 Laſt Getreite und Saat 
exportirt, alſo nur ca. 3000 Laft weniger, als in dem vorzüglich günftigen 
Sabre 1860 und ca. 13,000 Laft mehr, als der zehnjährige Durchſchnitt. 
Dagegen verfchiffte Danzig 25,000 Lafl weniger als 1863 (im Ganzen 
104,735 Laft incl. ca. 62,500 Laft Weizen, wovon ca. 63,000 Laft reſp. 
ca, 52,000 Laſt allein nach England) während für Königsberg die Ge 
treibeverfchiffung bei ungefähr gleicher Abkunft von Polen und Rußland 
(aur mehr Weizen) ber Quantität nach um 11pCt., dem Werth nach for 
gar um 18 pCt. geringer als 1863 war, und Elbing nur 2807 Laft aus 
führte. Die beiden legtgenannten Orte. und Thorn Magen zugleich über 
bie durch naffe Witterung Herbeigeführte Mißernte und ſchlechte Qualität 
des Getreides, wodurch das Refultat noch ungünftiger wurde, als bie Zah: 
tem erkennen laſſen. — Bon nicht geringerem ſchlimmem Einfluß zeigte 
fich ferner bie von England ausgehende Gelderiſis, die bei ber Landesbaul 
eine Erhöhung des Zinsfußes von 11/5 bis fogar 2, pCt. nöthig machte, 
worenf natürlich bie Privatbanfen folgen mußten. Zugleich ſank die 
polniſch ⸗ruſſiſche Valuta fo beträchtlich, daß das Aufgeld nach dem Thor 
mer Bericht 151), bis 34 pEt. (im October) betrug. Die gewaltfame 
Beruhigung Polens nach der Infurrektion konnte unter folhen Umftänden 
Maum die Beziefungen zu biefem Nachbarlande günftiger geftalten; erſt all 
mäfig Tann bie frühere Konfumtionsfähigfeit zurüdkehren. und eine Hebung 
des Handels mit Kolonial- und Manufacturwaren über die Grenze eintre⸗ 
tem. Bei ſoviel Widerwärtigfeiten konnte der Umftand, daß einmal bie 
Waſſerverbindung mit dem Binnenlande wegen bes hohen Waſſerſtandes 
unbehindert war, kaum mitrechnen. — Aus allen preußifchen Häfen zufam- 
men find 1864 ca. 1200 Schiffe weniger ausgegangen als 1863. Der 
Werth ver Einfuhr zur See war bei 

Danzig um . . . 1,150,000 Thlr., 

Memel „u... 219,480 „ 

Königsberg um . . 7,861,200 „ 


in Summe 9,230,680 Thlr., 








von 6. Wichert. 61 


der der Ausfahe zur See bei 

Damig um . . . 6,300,000 Thlr., 

Königeberg um . . 2,619,180 „ 

in Summa um 8,919,180 Thlr. geringer und nur 

bei Memel um . . 726,650 „ höher, als 1888, 
jedaf der Geſammtausfall nad diefer Richtung Hin auf weit mehr als 
17,000,000 Tplr. zu berechnen iſt, wobei noch das Elbinger Gefchäft, für 
welches nähere Mittheilungen fehlen und unberüdfichtigt bfeiben mußte, 
Der Werth ber Ein- und Ausfuhr zu Lande ift natürlich im gleichem 
Berhältnig Herunterzufegen. 

Auch der Holzhandel unferer Provinz wurbe durch dem bänifchen 
Krieg aufs Empfindlichfte beeinträchtigt. Theure Borräthe mußten gelagert 
werben, Einbußen an Zinfen waren unvermeidlich unb fpäter zeigten ſich 
die Preife in England fo gebrüdt, daß ber durch bie MWlofade bemirkte 
Berluft nicht entfernt einzubringen war. Für Memel vermrfachte der frühe 
Froſt große Koften, und wieder wurden 8—10,000 Stüd Balfen und 
Rundholz aufs Haff getrieben, ein Uebelſtand, dem Hoffentlich durch den 
Minge · Schmeltelle⸗Kanal, der bereits bis zur Drawöhne fertig und in ſei⸗ 
ner zweiten Hälfte in Angriff genommen if, ein Ende gemacht werden 
wird. Der Nüdgang gegen das Jahr 1863 ift deshalb fehr auffällig. 
Danzig verfchiffte: 

1863. . 1177 Labungen im Werth von 5,310,000 Thlr., 
1864 nur 848 " Per n 8,555,00 „ 

Für Memel war freilich die Abkunſt von Rußland bedeutender, 
rämii zum Werthe von 3,258,%09 Thlr. gegen 2,068,474 Thle. im 
Jahre 1863, aber gerade im umgekehrten Verhältnifie fand ber Werth der 
Ausfahr, der 1863 zu 3,165,000 Thlr., 1864 nur zu 2,929,860 Thlr. 
anzunehmen war, fo daß ber Gewinn unverhältnißmäßig gering, das Win- 
terlager unverhältnißmäßig groß blieb. An diefen Verluſten nahm Tilſit 
Theil, das große Vorräthe von geſchnittenen Hölzern wegen zu Hoher 
Trachten nicht verladen konnte, nach dem Frieden aber, ebenfo, wie bie 
beiden Häfen, dns zw hohe Disconto zu beklagen Hatte. 

Erfreulicher war dns Flachs geſchaft. Der trop Beenbigung des 
aneritamiſchen Arteges-fortionernde Baunnvollenmangel eshielt ſtete und 

1 


52 Die Bewegung des altpreukifen Handels im Jahre 1864 


gute Nachfrage. Tilfit räumte feine Beftände fait völlig nach Memel Hin. 
Memel exportirte bei guten Preifen das bebeutende Onantum von 
80,645 Ctr. (gegen 73,264 im Jahre 1863) im Werthe von 968,000 Thlr., 
Königsberg 110,266 Etr, zum Werthe von 1,244,000 Thlr. Die Blo- 
tade fihabete diefer Branche wenig, weil Memel, das zur See ausführt, 
davon frei blieb, Königsberg aber ſchon früher gewohnt war, ben über- 
wiegend größten Theil biefer Wanre per Bahn zu verfenden. Die Eon- 
currenz mit Riga würbe noch wirkſamer zu beftehen fein, wenn bie Bahn. 
verwaltungen fich zu mäßigeren Frachtſätzen verftehen wollten. Jetzt ver- 
forgt fi) das weftliche Deutichland, Belgien und Frankreich während ber 
Sommermonate über Riga; andernfalls würden bie dortigen Fabriken, 
wenn fie den Bahnbezug ebenfo billig hätten, viel lieber fucceffive anſchaf- 
fen und alle Sluftuationen benugen, wobei dann Königsberg vorzugsweife 
Bezugsort werden würde. Memel hat zu beffagen, daß bie feinere Wil 
naer Waare wegen der Bahnverbindung faft nur über Königsberg geht 
und feufzt auch deshalb nach ber endlich in nähere Ausficht geſtellten 
Zweigbahn Memel-Tilfit mit einer Fortfegung über Mitau nach Riga. 
Das Refultat war trog aller biefer günftigen Chancen nicht ganz entipre- 
chend wegen ber Gelvcrifis, für Memel auch wegen ber Verlufte auf das 
bei weichenden Preifen zurüdgebliebene oder für eigene Rechnung verſchiffte 
Quantum, 

Bon einzelnen Ausfuhrartifeln erwähnen wir ferner noch Lumpen, 
worin Memel fein Gefchäft mit großem Geſchick jährlich erweitert. Es 
tamen bort 1864 nicht weniger als 180,000 Etr. zu Markt, wovon 
148,255 Ctr. (ca. 18,000 mehr als 1863) verfchifft wurden. Das Re— 
fultat zeigte ſich freilich fowohl wegen des bänifchen Krieges, als wegen 
der unvorhergefehenen Herabjegung des ruſſiſchen Ausgangszolles und ho— 
hen Zinsfußes nicht gleich Iohnend. Dagegen geht dieſe Brande in Kö— 
nigeberg zurüd, wo ber Gefammterport nur 65,462 Etr., ca. 30,000 wer 
niger als 1863, betrug. — Der Erport von Knochen wird immer unbes 
beutenber, weil ein immer größeres Quantum bavon im Imlanbe felbft 
verbraucht wird, was unferer Landwirthſchaft ein gutes Zeugnik giebt. — 
Nicht unerheblich ift der Handel mit dem unferer Provinz ganz befonders 
angehörigen Probuct bes Bernfteins. Ueber Memel find bavon aus 


von @. Wichert. 53 


ben Baggerungen im Haff bei Schwarzort und aus ben Gräbereien bei 
FPrötule über 35,000 Pfund abgeführt. Die Arbeitslöhne bei ven Bag⸗ 
gerungen waren anf 40,000 Thlr. zu veranfchlagen, wonach ein Schluß 
auf ben Umfang bes dortigen Geſchäfts zu machen if. Die Gräbereien 
an ber Norbkäfte Samlands haben ebenfalls bebentende Erträge gegeben. 
Der Transport ins Ausland erfolgt vorzugsweiſe über Danzig, welches 
ziemlich umfangreiche Verſendungen bei nicht zurüdgehenden Preiſen be 
richten lonnte. 

Der Handel mit Eolonial- und Manufakturwaaren hatte, wie 
fon angeführt, durch die allgemeinen Verhältniffe fehr zu leiden. Der 
Verbrauch im Imlande war geringer, weil bie Ernte ſchlecht ausfiel und 
ber Landmann bei den gebrüdten Getreibepreifen fich einfchränfen mußte, 
Andererſeits war ber Handel über die ruſſiſch⸗polniſche Grenze Hin wos 
möglich noch unbebeutender und fhwieriger als fonft, weil bie bortige 
Gegend durch die Infurrektion verarmt, ber Schmuggelhanbel durch bie 
fefte Grenzfperre gelähmt und das Geſchäft durch das Aurüdgehn ber 
dortigen Valuta behindert if. Die Klagen darüber find ganz allgemein, 
Nur Memel bezog ein beträchtlich größeres Quantum von Kaffee und 
Thee, jeboch Iebiglich wegen ber Königsberger Blofade. So lang ihm bie 
Eifenbahnverbindung nach dem Inlande fehlt, Tann es bei natürlichem 
Gange der Gefchäfte in biefen Zweigen unmöglich concurriren. Das 
Königsberger XTheegefhäft war noch immer ſehr bedeutend (es wur⸗ 
den 74,029 CEtr. im Werthe von ca. 6,000,000 Thlr. importirt) aber 
aus ſchon angeführten auch hier maßgebenden Gründen weniger gewinn- 
bringent. 

Steinfohlen wurden trog der theilweifen Sperre des Hafens nad 
Daujig '2,236,485 Ctr., ca. 50,000 mehr als 1863, eingeführt, Das 
Geſchaͤft war anfangs gewinnbringend, fpäter nad; dem Frieden wurbe ber 
Markt zeitweile überſchwemmt. Die Verladungen ſtromwärts blieben um 
9000 Laft geringer, als im Vorjahr, unb deshalb bie Läger fehr groß. 
Ian Memel kam ein großer Theil der’ für Danzig und Pillau beftimmten 
Waare zum Verkauf, wogegen bie Herbfizufuhren nach Aufhebung ber 
Blokade ungenägenb blieben; es find im Ganzen 676,131 Etr. eingeführt. 
Königsberg hatte einen verhältnigmäßig nur geringen Bezug von biefem 


54 Die Berregung des alwreußiſchen Handels im Jahre 1864 


Artifef, wegen ſchwacher Induſtrie und Babrifthätigfeit; es importierte num 
ca. 700,000 Etr., alfo nicht 1/g des Danziger Quantums und wenig mehr 
als Memel. Salz ift in dem Memeler Bericht mit 852,648 Er. zum 
Werthe von 317,100 Thlr. notirt. Das Vorjahr Hatte ca. 15,000 Er. 
mehr und ca. 7000 Thlr. weniger. 

Die Einfuhr von Eifen ift zurückgegangen, woran bie hohen Zölle 
Schul. Panzig hat 44,525 Etr. altes Schmelgeifen weniger (mur etwa 
die Hälfte des vorjährigen Quantums), Königsberg ca. 24,000 Eir. Eifen 
aller Sorten weniger als 1863 eingeführt. — Mit dem Heeringsgefchäft 
iſt man allerfeits zufrieden, obgleich bie Zufuhr von Norvegifchen Brüß- 
lingsBeeringen beträchlich gegen das Vorjahr zurücblieb, "Die Preife ftell- 
ten fi) günftig und bie Frage blieb Tebhaft. 

Das Speditionsgefchäft ift von Memel, Zilfit und felbjt Königsberg 
größtentheils an Eydtkuhnen abgegeben. Im Thorn Hat bafielbe an 
Ausdehnung zugenommen und fich recht günftig geſtellt. Freilich Konnte 
anbererjeits ein bivefter Verkehr zwiſchen den größeren Pläßen Deutjch- 
lands und den Hauptftationen des Nachbarlandes nicht ausbleiben, wor 
durch ber Zwiſchenhandel der Grenzorte überhaupt Abbruch erleidet. 

Die Fabriken Tilfits und Elbings find in gewohnter Tpätigleit 
geblieben. Die Mafchinenbauanftalten des legteren Orts haben bebentende 
und umfangreiche Aufträge erhalten und allein 7—800 Arbeiter beſchäf⸗ 
tigt, Elbing gewinnt auferbem jährlich mehr durch dem oberlänbifchen 
Kanal, auf welchem bereits 128 Schiffe und 6 Dampfböte in Fahrt waren, 
ohne das Bebürfniß zu erfchöpfen. 

Der Schiffsbau if in Elbing recht lebhaft betrieben; auch in Dies 
mel find 5 große Schiffe von Stapel gelaffen und 5 andere in Arbeit 
geblieben. Königeberg Hat für eigene Rechnung gar nicht gebant, 

Die Rhederei ift durch bie politiichen Creigniffe ſtark beeinflußt 
worden. Danzig verlor 11 Schiffe total, doch war das Reſultat im 
Allgemeinen nicht einmal fo ungünftig, als zu befürchten war. Die Mes 
meler Rheder fuhren meiftens auswärts ohne beſonders günftigen Erfolg; 
beſſere Frachten erhielten bie zurüdgebliebenen ober allmälig anlangenden 
Schiffe nach dem Frieden. Königsberg ließ feine Schiffe theilweife mit 
Ballaſt ausgehen, um auswärts Tracht zu fuchen, und ftelit das Reſultat 


von E. Wider. 55 


als fehr ungünſtig dar. Die geſammte preußiſche Rhederei beſtand zu Ende 
bes Jahres bei 
Danzig aus. . . 114 Schiffen und 13 Dampffchiffen mit 32,622 Laft, 


Memel „ ... 89 „ „- " n O7 „ 
Königsberg aus U u m — ” n 3639 „ 
Elbing aus... 9 u „14 n n 193 „ 





in Summa 232 Schiffen und 37 Dampfſchiffen mit 58,995 Laft. 
Die Wünfhe für die Zukunft find nod immer biefelben geblieben. 
Obenan fteht der Abſchluß eines Handelsvertrages mit Rußland. Drin- 
genb erfcheint ferner die Aufhebung ber fehr Läftigen Eingangsabgaben für 
Getreide, Hülſenfrüchte und Delfanten, Ermäßigung ber Zölle für indiſchen 
Robzuder und Eifen, Aufhebung der Wuchergefege, Einrichtung ber Han⸗ 
delsgerichte und Vervollſtändigung bes Cifenbahnneges. In letzerer Ber 
ziehung erwartet Danzig folgende Bahnen: Marienburg-Mlawa-Warfchau, 
Bromberg-Pofen, Cöslin-Danzig und Danzig-Neufahrwafler; Memel Hofft 
ſehnlichſt auf die Vervolfftändigung der Zweigbahn Infterburg-Tilftt durch 
den Brüdenban über die Memel (dev Uebergang war wieber 3 Tage lang 
gänzlich gehindert) und Weiterführung bis zur Stadt Memel und demnächſt 
nah Rußland hinein; Königsberg fieht nad) Beendigung der Bahnftrede 
Billan-Königsberg der Vollendung ber bereits im Bau begriffenen Süd⸗ 
bahn Königsberg-Bartenftein-®yd entgegen, währen Elbing wiederholt für 
ben Ban einer Bahn Güldenboben-Neidenburg plaibirt. Möge bie Er⸗ 
Füllung aller diefer ficher nicht unbilligen Wünfche nicht Tange anf fich 
warten lafien.”) — 


*) Diefer für den Jahrgang 1865 beftimmte Artitel hat erft in diefem erften 
Seite 1866 zum Aborud kommen Tonnen, und ift deshalb überall unter dem „vorigen“ 
Jahre das Jahr 1864 zu verſtehn. D. Rev, 


Bas alte Breuffifche Orinhrecht.®) 


Mile priör rebibät, qui pröxima pöcula sämalt, 
Nöe quaerds quard: sie lex Prutdnion sänzit. 


Die Tradition Preußiſcher Chronitenfchreiber weiß von einem wun« 
derlichen Criminal-Befege zu erzählen, das Siegfried von Feucht⸗ 
wangen, ber zwölfte Hochmeifter des Deutſchen Orbens, erlaffen haben 
fol. Es ift das fog. Preußiſche Recht von der Neige, wonach bei 
Todesſtrafe geboten war, da, wenn ein Preuße einem Deutſchen die Neige 
zugetrunken Hatte, er auch vom Friſchen wieder anheben follte. Als Motiv 
dieſes Gefeges wird angeführt, ver Hochmeifter Habe ver Giftmifherei 
der eingeborenen Preußen ſteuern wollen. 

Die Nachricht taucht zuerft auf bei Eafpar Hennenberger („Ex 
clerung ber Preäfftichen Sandtaffel” Königſperg in Prenfien 1595 ©. 281), 
wo es von Siegfr. v. Feuchtwangen heißt: 

„Auch machet er eine ſchöne Landes Ordeuung. Darzu das 
Preuſche Recht / Wo ein Preuß einem bie Neige zugetrunden 
hette; folt er auch das frifche anheben; wo ers nicht thet / vnd 
mit 2. ober 3. vberzeuget wurde; folt er es mit dem halſe büf- 
fen. Vnd bis folte ein ewig Recht fein in Preuflen, wie es 
denn noch gebreuchlich ift mit dem anheben. Er orbents aber 
berhalben; das bie Preuffen einem nicht fo leichtlich vergeben 
konten / wie fie fonften pflagen.“ 

Faſt mit denfelben Worten wiederholt die Erzählung ber Zeitgenoffe 
Hennenberger's, Matthäus Waiffel („Chronica Alter Prenfiher . . . 


*) Bol. Higig’3 Zeitihrift für die Criminal-Rechts-Pflege LIT, 411 fi. 


Das alte preußiſche Trinkrecht 57 


Hiſtorien“ Königeb. in Preuſſ. 1599 DI. 108°), der wohl, wie an ande ⸗ 
ren Stellen, fo auch hier ans jenem geſchöpft hat. 

Ansfügrlicher lautet eine chromilalifche Notiz, welche als „Anhang des 
Vreußen · Rechtes“ in mehreren Handfchriften dem Rechte der Preußi⸗ 
ſchen Landfajfen") beigefügt ift:®) 


„Nachdem die Vergifftgebung unter denn Preuſſen vor Al ⸗ 
ters fehr gemein getrieben, (als fie vom Orben beflrittenn) wan 
fie zue Giſel gegebenn, ober fonften gefangenn bonn ben Bru« 
dern genohmenn worbenn: haben fie denn Ehriften jm Zutrindenn 
viel vnnd oftmals mit Bergifften vorgeben, darob manch redlich 
Helt geftorbenn. Solchem vorzuelommen, hatt Herr Geifrib, ber 
12. Homeifter ber Lande Preuffenn, das vor ein ewigk nachkom⸗ 
mende Recht georbenets Wenn ein Preus die Boldee) oder Neige 
bes Trandes anstrinde, -er folde auch zue Erſtem vonn bem 
Friſchenn trinden; welcher des vberwunden wurbe felhanber ober 
felöbritte, das er diſſ Recht nicht gehaldenn hette, ver ſolde das 
buſſenn mit feinem Hals vonn Rechts wegen" (Reidenitz ſcher 
Coder). 


So weit die chronilaliſche Weberlieferung, für die es an jedem ur⸗ 
tundlichen Anhalt fehlt. Die ſpäteren Preußiſchen Gefchichtichreiber 
geben fie wieder, ohne am ihrer Authenticität den geringſten Zweifel aufe 
Tommen zu laflen.*) ” 

Bir unferes Theiles mögen uns nicht entfchließen, an den Erlaß jenes 


u) 


» 


9 
9 


Wol. über dieſe Rechtsſammlung: Hanow Geſch. des Culmiſch. R. 8. Bl 
Schweilart in Kamph' Jahrbuch. Bo. XXVI, 274 R. b8 

Codex Osterod, (Töppen Monatzfchr. II, 419), Reidenit ſcher Coder (Mo 
nataſcht. I, 660) und gedrudt im Erl. Preußen II, 115, o. 

Hennig Preuß. Wörterbuch S. 190 f. 

Erleut. Preußen T, 149 1, 96ff. Preuß. Sammlung I, 119 Hartlnod Als 
u. Neues Preuß. II, 570 Schwarg Königsb. Frag: u. Anz Rachrichten 1744 
No. 10 Hanom 1. e. $. 21 Hennig l.c. 6.209 Wagner Allg. Weltgeſch. 
XIV. 26.284 Baczko Geſch. Preuß. I1, 44 Kogebue desgl. IT, 118 f. 
Heinel desal. (6.46 der 5. Aufl.) Piſanski Preuß. Sprichwort. Ro. 6 Friſch⸗ 
bier desgl. No. 804, 2. Aufl. No. 8885. Bol. auch Buſching's Wöchentl. 
Nachrichten im 2. Jahrg. 1817, der mir nicht zur Hand ift. — Gine fherg 
bafte Barlation von Jean Paul in Förfter’3 Dentwurdigkeiten IV. S. Vf. 


58 Das alte vreubiſche Trinlrecht 


hochmeifterlichen Befeges zu glauben. Denn es verräty wenig Vertrauen 
in die gefeggeberifche Klugheit Siegfried's v. Feuchtwangen, ihm ein Gefeg 
anzubichten, das ohnehin nur eine Kalbe Maßregel geblieben, unb befien 
Gnbzwedt weit leichter und ficherer durch gäuzliches Verbieten des Zufam- 
mentrintens von Preußen und Deutſchen zu errichen geweſen wäre. 

Unferes Bebünfens Liegt bier nichts weiter vor, ala eine jener oft 
feltfamen Trinffitten, au benen das Mittelalter jo reich if. Wer bie Neige 
ansgetrunten Hat, fol vom Wollen anheben. Qui bibit Ex negäs, ex 
frischibus inoipit ille. Die fpätere Tradition ſuchte dann ber Eitte einen 
hiſtoriſchen Hintergrund zu leihen, indem fie diefelbe mit bem Namen eines 
Mannes verband, der als weiſet Gefeggeber in lebhaften Inventen ftand. 

Die Sitte ift alt und weit verbreitet. So heißt es in Kantz ow's 
Vvommerſcher Chronik (Hitzig's Zeitſchr. III, 418 j.): 

„Den Fuchs ſchleffen, d. i. das man eine große Khanne 
nimpt und umbher trink, fo muß ber legt, wenn auch wenig 
daraus getrunfen, das ander gar austrinken und ban frifch wid⸗ 
der anheben.“ 

Die Statuten der Kalandobrüderſchaft zu Paſewalk in Pommern 
dv. 9. 1514 (abgebrudt in Dähnert's Pommerſch. Bibliothet I, 137 ff.) 
befiummen art. III: 

Qui etiam cantbarım terminaverit, recentem incipiat. 

As Sachſenr echt wirb bie Regel bezeichnet (Berdenmeyer Ver⸗ 
mehrter Curieuſ. Antiquarius €. 600 cf. delriche Beytr. zur Branden⸗ 
burg. Geſch. S. 287 f.): 

Ille priüs rebibät, primus qui pöcula siuusit. 
Si quaeris, cur sit, Lex sic Saxönica dieit. 

Was aber am meiften ins Gewicht fällt, eim Analogon zu unferem 
vermeintlichen Hocdmeifter-Gefege findet fi in einer Urkunde über das 
Lippehne’fche Trinkrecht v. 1479, deren Erbichtung und Unächtheit noch) 
veuilicher nachweisbar iſt.) Die Urkunde ift ansgeftellt von Woldemar. 


*) Die Urkunde wurde nad) einer neueren Abfchrift mitgetheilt von Mylius 
Corp. constitutionum Marehicar. VI. 1. Sp. 11 und auch fonft noch öfter 
gedrudt: Delrihß 1. c. &.277f. mit den dort Angeführten, fowie Hitzia's 
Beitihr. II, 462. " 


Das alte preußtice Trintrecht. . 59 


Princeps Neo-Marchicus, in Arce nostra Calisiensi a. 1479 nnd 
verorbnet anf die Klage des Petrus Wadephul, Bürgers zu Lippehne in 
der Nenmark, daß derjenige, welcher bie Neige getrunfen hat, den erſten 
Zug aus dem vollen Becher thun fol, bei Strafe von 100 Solidi. Nun 
gab es aber in bem genannten Jahre weber einen Fürften der Neumark 
mit Namen Woldemar, noch gehörte damals das Schloß Callies unter 
defien Botmäßigleit. Vielmehr war ber rechte Landesherr der Neumark 
Kurfürft Albrecht Achilles (1470... 86), und Eallies befaßen bie der- 
ten von Güntersberg, bie, 1378, 1408, 1409 wieberhelentlich bamit 
belehnt, es bis nach 1566 inne gehabt haben (Oelrichs l.c. S. 279f.). 
Offenbar alfo ift die Urkunde untergefchoben und das Machwerk eines 
luſtigen Kopfes. . 

Im Ultpreußen galt die Gewohnheit bis in fpäte Zeit. Ein Zeugniß 

aus bem 9. 1720 (Berdenmeyer J. c. ©. 859) befagt: 
„Im Preufien iſt noch die Gewohnheit, daß wer die Neige 
gehabt, berfelbe von friſchen wieder trinden muß, mit angeheff« 
ter Straffe, für die Ubertreter 22. Schilling, 1. Seite Spede, 


und ein Scheffel Kringel,” x) 8 
—n. 





*) Nacträglich erhalte ih von Herrn Gutsbefiger Minden die dankenswerthe 
Rittheilung, dab die Quelle obiger Angabe in Joh. Arnd. von Brand's Reyſen durch 
die Mard Brandenburg, Preuſſen, Ehurland. Weſel 1702. S. 276 zu finden iſt. Dort 
wird gefagt: „Zum anhang muß ich diefe wenige Anmerdungen noch beifügen, daß in 
Breuffen die gewohnheit ſey / daß / wer die neige gehabt; derſelbe vom frifchen wiederum 
näfle trinden; — — mit angebengter Straffe für die übertretter, von 22 ſchillingen / 
1 feiten Sped; und 1 ſcheffel kringelen: — —.“ 


ritiken und Referate, 


Altpreußiſcher Verlag. 


Julianus der Abtrünnige, Zranerfpiel in fünf Aufzügen von Cart 
Boruttau. Danzig 1864. In Commiſſion bei Reinhold 
Schlingmann. Berlin 1865. 

Wenn man das vorliegende Drama zum erften Mal durchlieſt, hat 
man das leibhaftige Gefühl fi in einem Tollhauſe zu befinden, in bem 
die Befeflenen aus allen Thären dem kühnen Eindringling eine Fluth ver- 
worrener Worte und wäfter Sentenzen an ben Kopf werfen. Es iſt nicht 
Proſa, es find nicht Verfe, es tft nicht deutſch und auch feine andere 
Sprache, es ift ein wunderliches und barodes Auſ- und Durcheinander 
von bochtönenden Phrafen, ohne befttimmten Rhythmus, willlürlich im 
kurze und lange Reihen von drei bis fünfundzwanzig und mehr Silben 
für das Auge abgetheilt und verſchiedenen Berfonen mit römifchen Namen 
in den Mund gelegt. Perioven find da zu finden, bei denen ſich immer 
von Neuem Eay in Say ſchachtelt, jo daß man zulegt Anfang und Ende 
verliert und nach Luft ſchnappt; Beiwörter, mitunter fünf, ſechs aufeinander 
gepadt; jegt Himmelftärmendes Pathos und gleich darauf der jähefte Ab⸗ 
fall in den allergewöhnlichften Umgangston; Reflerionen über bie höchſten 
Fragen der Philoſophie und dicht daneben gereimte und ungereimte Trie 
vialitäten, zu benen man fi bie Begleitung eines Leierfaftens denken 
Könnte; ungeheure Anläufe zu nichtigen Refultaten in der Manier ber 
Klowus in den Kunftreiterbuden, aber ganz ernftlich gemeint; eine dra⸗ 
matiſche Hetzjagd durch die verichiebenften Ränder zweier Welttheife, wobei 
die Betheiligten bald auf ben Füßen, bald anf ben Händen zu laufen 


Altpreußiicjer Verlag. 6 


feinen und fehr oft ver Abwerhfelung wegen ben Kopf unterm Arm tra 
gen, um anzubenten, baß jeder Zufammenhang zwiſchen dem, was fie finb, 
und dem, was fie veben, aufgehoben ift — kurz eine Bacherl⸗Kömsdie 
höchſten Style, in der man vor lauter Erhabenheit feinen Sinn und Men 
ſchenverſtand entbeden zu können meint. Erſt beim zweiten und britten 
Ueberleſen lichtet fi) das Chaos ein wenig, und man findet eine Art von 
Faden, woran man fich durch diefes Labyrinth von Scenen hindurchleiten 
fann. Indem man in Gedanken das überwuchernde Unkraut ber Aus 
wüchje, Schößlinge und Ranlen fortſchueidet, trifft man foger unverhofft, 
auf lebensträftige Gebilde oder überraſchende Ausfichten, wirkſame Situa⸗ 
tionen und harakteriftifcde Schilderungen ver Perfonen und Verhältniſſe. 
Die römiſche Welt im Uebergange vom Heidenthum zum Chriſtenthum, 
fittlih verwahrloft, von Fäulniß angefreflen, verwittert in allen Funda⸗ 
menten, gänzlich hohl und alles Lebensmarks beraubt, unfähig den neuen 
Glauben in fi Mräftigend wirken zu laflen und mit beffen Formen nur 
äußerlich den angefreffenen Kern prunkhaft verhällend, ohne Herz, ohne 
Gewiſſen, Lüge durch und durch — bdiefe. rettungslos bem Untergange ent 
gegeneilende Welt kommt, zwar unabfichtlich verworren, aber boch bei 
einem Rüdblid anf das Drama im Ganzen nach ihren wefentlichen Mert- 
malen zur Anſchauung. Dazu wirken hauptſächlich bie Charaktere bes 
Kaiſerpaares, Conſtantius und Eufebia, welche letztere ſich namentlich im 
dem erſchreckenden Gemiſch von heuchleriſcher Frömmigleit, moraliſcher Ver⸗ 
worfenheit und bis zum Wahnfinn geſteigerter Liebesleidenſchaft zu wahr⸗ 
haft tragiſchen Momenten erhebt. Es ift mehr als die Energie des Ver» 
brechens in biefem Weibe; es liegt zugleich etwas von der bem Blöbfinn 
nahen Blafirtheit des meltkaiferlichen Gottesgnadenthums baräber, der im 
Gefügt irdiſcher Allmacht und im Genuß göttlicher Ehren das Bewußtſein 
ber Verruchtheit abhanden gelommen, eine wahrhaft bebentenbe Intention 
des Dichters. Freilich muß man, um biefe Abfichten durchzufühlen, auch 
hier, alfo in ben beften Partien bes Stückes mannigfache recht garſtige 
Gefchmadlofigleiten überfehen, wie 3. B. jene Berfe S. 38, wo Euſebia 
zur Harfe beclamirt: (übrigens Monolog!) 
Du fragt, ob ich Dich liebe, o fhau mid doch mr an, 
Dann wirft Du überzeugt fein, daß ich nicht anders kann. 


62 Aritilen und Referate 


Und müßt’ ich Vater, Mutter erdroßeln Dir zu lieb, 
Ich würd’ mich nicht bedenken, wenn ich nur lebend blieb u. ſ. w. 
oder S. 39: 
Sieh da, mein lieber Ohm, 
Das ſchafft die Ehre mir, Euch hier zu fehn, mein wadrer Gnadenfürft, 
und gleich darauf in der folgenden Reihe ganz burſchikos⸗gemüthlich hin ⸗ 
tennach: 
Warum denn, be, fo ſturmiſch, Alterchen? 
ober endlich S. 100, wo es Hinter dem: „Eufebia triti auf” in Paren- 
theſe Heißt: 
Hat fid fo ſchon gemacht, als ihr irgend möglich. 

Eeite 45 am Schluß ber britten Scene wird wohl ber Zufag „Con- 
ſtantius und Eufebin ab" ober dergleichen vergefien fein, weil fonft das 
Folgende ganz unverftändlich wird. — Eufebia führt die Handlung, fo viel 
davon überhaupt vorhanden ift, weiter. Die chriſtlich-fromme Kaiferin, 
die auf ben Straßen Rom’s umhergeht und die Armen auffucht, um ihnen 
Wohlthaten zu erweifen, liebt den abtrännigen Sulianus, ven Neffen ihres 
Gatten Conftantius. Um ihn für ſich zw gewinnen ſcheut fie vor feinem 
Verbrechen zurüd, räumt Iulianus’ Stau, Helena, eine natürfihe Tochter 
des Kaifers, dann ven Kaifer felbft gewaltſam bei Seite, ebnet dadurch 
zwar dem Geliebten ven Weg zum Raiferthrone, entfrembet fih aber fein 
Herz gänzlich, wird, obgleich fie ſich „jo ſchön gemacht hat, als ihr irgend 
möglich" von ihm voll Abſcheu zurüdgeftoßen, fällt in Fieberphantaſien, 
die zum Theil die bunteften Faſeleien find, wie z. B. bie folgende: 

" Dort in der Ede am bohen Zaun, 

Da liegt ein großer buntfarbiger Pfau, — 

Doch unter dem Epheu, am ſchattigen Blog, 

Da ruhet der Caſar mit feinem Schat uf. m. 
laßt fi darauf von Priocus eine Ode aus — Auguft Wolfe gefammel- 
ten und nachgelafienen Schriften (Dresven bei R. Kuntze 1864) „Ruhe 
in dir ſelbſt u. ſ. w.” vortragen, erfährt, daß Julianus geftorben fei, nimmt 
Gift, durchbohrt ſchließlich noch den Biſchof Gregor, det dem Kaifer das 
feierliche Leichenbegängniß verweigert, mit einem Dolche und flirbt. Priscus 
philoſophirt — diesmal wicht mit Auguſt Wolf — 


Utpreußticher Verlag. 63 
So enbiget wer Gott zu lieben mwähnte, 
Und weiß von Menfhenliebe’ Nichts. 

Diefe Kritik paßt nicht recht. So embigt gerabe Jemand, der aus 
leidenſchaftlicher Liebe zu einem Menſchen fein eelenheil vergißt. Etwas 
tiefer geht ſich an einer Stelle Eufebia felbft auf den Grund, wenn fie von 
ſich, allerdings ſtyliſtiſch mangelhaft, fagts 

Am Wahn, als gnad'gen Gottes frommes Kind 
Unnahbar jedem Feind zu fein, 
Drang unaufhaltfam, ungehindert 
Die Luft zum Böfen mir in's Herz hinein. 
. Wer treibt mir nun den Boſen aus, 
Die fromme Seele fliegt mit hinaus. — 

Der fromme Kaiſer Conftantius Hat mit ihr im Gharalter große 
Aehnlichkeit, nur wird er ſich mitunter in wunberlicyer Weife über ſich 
felöft Mar. Als ihm Marbonius z. B. Helena als fein Kind vorſtellt, ver 
gleicht er fehliehlich deren Mutter mit Semele, ben kaiſerlichen Berführer 
mit Zeus. Das mag von einem Hofmanne richtig ſpeculirt fein und feine 
Wirkung thun; doc) wenn Eonftantius demnächſt ſelbſt darüber monologifirt: 

Doc hätt’ der ſchlaue Alte nicht mit Jupiter und Semelen 

So den Vergleich zur Hand gehabt; es war fein Gfüd u. ſ. w. 
fo Hebt ſich die Schmeichelei felbft wieder auf, und ber Kaifer, der fie als 
ſolche erkennt und doch dadurch befriedigt ift, wird ein faber Narr. Zu 
eigentlichen Greuelthaten bringt er’s übrigens nicht und erfcheint neben 
Eufebia wirklich als ſchuldloſes Lamm. 

Aber Julianus? Er philojophirt! Bon Anfang bis zu Ende hält er 
zum Theil fehr umfangreiche Vorlefungen aus ben weiten Gebieten ber 
Weltweisheit, Götterlehre und Moral, läßt fi im Uebrigen von den Um- 
Ränden wiberwillig mweiterfhieben, kommt zu feinem herzhaften Entichluß 
ud endet fihließlich „von einem Lanzenwurf getroffen” irgendwo Hinter 
der Scene. „Der Abtrünnige“ iſt er nur infofern, als man erführt, daß 
er ald Kind im chriſtlichen Glauben erzogen ift, als Yüngling ſich aber 
der griechiſchen Philofopgie und dem Cultus der alten Götter neben dem 
jungen Ehrifiengott zugewendet hat. Schon bei feinem erſten Ur 
treten hat er dieſen Zwieſpalt, wenn ex je ernſtlich vorhanden war, über 
wanben; in ber Verehrang alles Guten, Schinen und Wahren, in welcher 


64 Aritilen und Referate. 


Religion es auch zu finden ſei, ſtellt er ſich auf ben reinen Humanitäts⸗ 
ſtandpunlt und erhäft ſich auf demſelben, nur bie Gegenſtaͤnde feiner Ber 
trachtung wechſelnd bis gegen ben Schluß Hin, wo ihn die Abfcheulichkeiten, 
die in der Welt unter dem Dedmantel des Chriſtenthums verübt werben, 
zu blinder Wuth und zum Rampfe gegen bie harmloſen Bekenner diefes 
Glaubens reizen, die er für unheilbar Blöpfinnige hält. Dies tft ber ein- 
dig erfennbare Fortfchritt des dramatiichen Charakters. Uber er vollzieht 
fich erft im fünften Aft und nicht einmal auf der Bühne, fondern Hinter 
ben Conliſſen. Im der erften Ecene widerlegt er noch die Grundlehren bes 
Chriſtenthums als Philoſoph und ereifert fich nur darüber, daß Gregorius, 
durch guten Grund kraftinniger Natur, durch Unterricht und Wiſſen mir verwandt, 

als Freund zw fprechen wänfcht, ben er nur bie Stimme bes Pfaffen hören 
laßt; nach der Begegnung mit Eufebin fieht er vor einem „fürchterlichen 
Rathſel,“ um beffen Löfung er Apollo ſelbſt bittet: 

So gab' · es alfo dennoch Kranles, das nicht mehr genefen kann, 

Somit auch Böfes, in deſſen Weſen inbegriffen ift, 

Daß es dem Heil der Beſſ rung aluclich (2) widerſteht. 

Er verzweifelt daran die Welt zu beflern. Im der er folgenden Scene 

ſchon tritt er ale Wütherich aufs 

Hinweg, verderbliche Lügenbrut, 
Ihr Chriſten, ihr Hunde, ihr Keher, 
Die ihr und raubt das höchſte Gut’ (9) 
Ir eitlen Wahnfinnäheper. (IP) 

Den großen Zeus, die fhöne Venus, 
Apollo’3 Jugend und Gefang 
Verpeftet ihr mit eurem Weihrauch 
Mit jadiſch ſclaviſchem Geftant! (1) 

Entweder er ober ber Dichter weiß Hier nicht mehr, was er fpricht. 
„Wahnſinnshetzer“ follen vielleicht wahnfinnige Hetzer fein; (aber warum 
„eitle“?) ober nennt ex bie Chriſten fo, weil fie ihn ſelbſt wahnfinnig ge» 
beit Haben? Sicher find feine Nerven arg verftimmt, da er es für mög- 
lich Hält, daß nicht mur Apollos Jugend, fonbern and) fein Geſang durch 
Geſtank vergiftet fein Tann, ber ſonſt nur auf bie Naſe zu wirken pflegt. 
Sebenfalls führen biefe abftrufen Verſe ihn in das zweite Stadium hin ⸗ 
über, in welchem er die Chriſten auszurotten beſchließt, weil ihr Wapı- 


Alwreubiſcher Verlag, 65 


finn unheilbar. Sein Tod ift dann keineswegs bie Folge dieſer Verir⸗ 
rung, ſondern, wie ſchon angebentet, das zufällige Ergebniß eines beliebte 
gen Lanzenwurfs. Libanius, der ihm — wieder in fabelhaften Deutſch — 
die Reichenrebe Hält, fagt von ihm: 

Doc weil in Liebe zu der Wohlthat aud des Alten, 

Des ſchnoden Mißbrauchs wohl bewußt fid) fein vorahnendes Gemüth, 

Darum bielt er's als Pflichtgebot dem überftürmenden, 

BVerhängnißvollen Drang der Fortihrittäfluthen 

Noch einmal einen Damm zu baun; — — — 

Wenn je ein weiſer ebler Hüter alten Rechtes, alter Sitte war, 

So war e3 bieler. 

Wenn das wirklich die Quinteſſenz von Julian's Charakter wäre, und 
wenn das Drama felbft fie ebenfo erkennen ließe, was wäre daburch ger 
wonnen? Eine culturhiſtoriſche Erſcheinung von Bedeutſamkeit, eine Tie- 
bens- und achtungswerthe Perfönlichleit, vielleicht ein bemitleidenewürdi⸗ 
ger Menſch, aber noch lange nicht der Träger einer bramatifchen Hand» 
tung, fo fange biefer Kampf mit dem überftürmenden Drang ber Fort 
ſchrittsfluthen fich in der Seele des Philofophen vollzieht. Uber wo ift 
hier Überhaupt ein Gegner, der den Fortſchritt vertritt. Das Ehriften- 
thum erjcheint in ber alferverwerflichften Geftalt. in denen, die es zwar 
äußerlich bekennen aber von feinem Wefen nicht die leifefte Ahnung haben, 
Niht an einem einzigen reinen Derfechter der Lehre prüft Julian bie 
Stichhaltigkeit feines Widerſpruchs. Gegen die niebrigften, jämmerlichften 
Interefien hat er anzufämpfen. Die Verfolgungen, denen er ausgeſetzt iſt, 
treffen auch nicht den dem Chriſtenthum Abtrünnigen diefer Abtrünnigkeit 
wegen, und ebenfo wenig geht Yulian wirklich nur auf den alten Götter» 
glauben zurüd. Er ift im höchſten Grade tolerant und verehrt, freilich ne» 
ben den alten Göttern, auch Chriſtus. Seine Humanität bezeichnet ſelbſt 
einen Fortſchritt gegen die fünf oder ſechs Jahrhunderte vor ihm, die auf 
die Blüthenzeit Griechenlands folgten, für welche er ſchwärmt. Julian 
conſervirt in fich ſelbſt etwas, das ver Welt längſt abhanden gelommen; 
er ſchiebt die Zerrüttung aller Moral, die er rings um ſich wahrnimmt, 
anf bie Veränderung, die das Chriſtenthum herbeigeführt Hat und fucht das⸗ 
ſelbe allerdings in Folge ſchweren Irrtums, aber aus reinfter Menfchenliebe 
iu befeitigen und wieber aus der Welt zu fchaffen. Das ift bie tragifche Seite 

Witpr. Monatafgeift Do. UL Hft. 1. 5 


66 Rrititen und Heferate. 


diefes Charakters und nur von ihr ans läßt fich derſelbe dramatiſch geftal- 
ten, indem, biefer Conflikt durch Handlungen anſchaulich gemacht und zu 
gleich gezeigt wird, wie bie Niederlage aus jenem Ferthum folgt. Der 
Verfaſſer bes vorliegenden Dramas läßt uns fogar in Zweifel, ob Julian 
überhaupt irrt. Das Ehriftentfum, was er fchilvert, ſtellt ſich von einer fo 
garftigen Seite dar, daß man Julian für berechtigt halten muß es zu ver- 
dammen. In dieſer Einfeitigfeit der Darftellung ſtedt der Grundfehler ber 
Dichtung. 

Daß der Verfaffer mehrere Seiten aus Auguft Wolf's Gedichten 
wörtlid, abgefchrieben und barüber den Namen einer feiner Perfonen 
(Prisens) gefegt Hat, würde als eine auffallende Dispofition über frem⸗ 
der Leute Eigenthum erſcheinen müffen, auch wenn bie Entlehnung in einer 
Anmerkung dem Leſer befannt gemacht wäre; daß eine foldhe Anmerkung 
ſich nicht vorfindet, der Lefer alfo in den Irrthum verjegt ift, den Ver⸗ 
fafler ſelbſt ſprechen zu Hören, fiempelt dieſe Handlungsweiſe zu einem 
Plagiat, das bie eruftlichfte Rüge verdient. Webrigens heben fich biefe 
Stellen durch ſchöne und Mare Diktion fo günftig von ihrer ſchwulſtigen 
und bombaftigen Umgebung ab, daß Jeder fie felbft herausfinden müßte, 
auch wenn ihm Wolf's Gedichte unbelanut geblieben fein follten. 

© 


Die Ober · Pfarrkirche zu St, Marien in Danzig und teren feltener 
und reicher Schag von mittelalterlihen Baramenten. Eine Vor⸗ 
leſung, gehalten im Saale des Gewerbehaufes am 25. Januar 1865 
von A. Hinz, Küfter an ber genannten Kirche. Danzig 1865. 
(26 ©. gr. 8.) 

Der Berfaffer, deſſen ſehr praftifche „Kurze Beichreibung der Ober- 
Parrliche zu St. Marien in Danzig, mit Angabe der barin enthaltenen 
Merkwürdigkeiten, als Wegweifer, zunächſt für Fremde” ſchon 1858 in 
dritter Auflage erfcheinen konnte und ſich damit am beften ſelbſt empfiehlt, 
hat ſich in diefer Vorlefung die Anfgabe geftelit, einen bisher wenigftens 
vom größeren Publikum noch nicht genug beachteten Theil der Sehens 
würbigteiten ber an Größe mur ber Petersficche zu Rom, der Paulskirche 
au London, bem Dome zu Sevilla und bem Dome zu Mailand nechfie 


Die Ober-Bfarrtirhe zu St. Marien in Danzig. 67 


jenben, an Schönheit und Großartigleit des innern Bau’s ausgezeichneten 
St. Marienlirhe der allgemeinen Aufmerkſamkeit zugänglich zu machen. 
Unter Baramenten verfteht man alle biejenigen Gegenftände, feien bie- 
felben priefterliche Belleidungen, Vorhänge ober Gefähe, welde, vorzugs- 
weile aus mittelalterlicher Zeit herrührend, zur Ausübung bes Gottes- 
dienftes erforderlich find. Solche Paramente von hohem archäologiſchen 
und theilweife nicht unbedeutendem materiellen Werth befigt die Marien 
firde circa 400, ein Schatz, der an Neichhaltigkeit faum von einem an 
dern Ähnlichen ber Chriſtenheit übertroffen wird und bie Bewunderung ber 
nambafteften Kunſtlenner auf ſich gezogen hat. Die große Zahl der Ges 
mwänder, Vorhänge und Deden aller Art wird erflärlich, wenn man erfährt, 
daß zu einer Zeit bei 32 Kapellen und 17 Altären nicht weniger als 
9% Priefter fungirt haben. Intereffant ift die Bemerkung des Berfoffers, 
daß gerabe die Reformation das geſchützt und erhalten habe, was fie prin- 
üpiell aus ihren gottesbienftlichen Gebräuchen entfernte, da es in ber 
tatholifchen Kirche gebräuchlich gewefen, die liturgifchen Gewänder ben ver- 
fiorbenen Geiftlihen in die Särge mitzugeben oder biefelben nach einer 
älteren kirchlichen Verordnung zum Schuß gegen Profanation zu verbren« 
uen. Die Cammlung ift noch nicht einmal als geſchloſſen zu erachten; 
noch kürzlich fand der Verfafler in verborgenen Kiften und Schränten eine 
große Zahl von Alterthümern biefer Art vor, darunter ein bie Auferſtehung 
Chriſti barftellendes Humerale mit zwei ſchlafenden Kriegsknechten en 
basrelief geftikt und -mit mehr als 1000 echten Perlen geziert und eine 
auferorbentlich. kunftvolle Stiderei vieler Figuren (die ausdrucksvollen Ger 
fihter in Haarſeide genäht) auf fpinnwebenartig durchſteppten goldgewirk⸗ 
tem Fond. Was Alter einiger diefer Paramente geht bis in den Anfang 
des 13. Sahrhunders (circa 1219) zurüd, wo man fich in ber Kirche noch 
der orientalifchen, urfprünglich zu andern Zmeden gefertigten Sunftgewebe 
bebiente, wie ans den Häufig wieberfehrenden arabiſchen Infchriften 
„assulthan alälim“ (der weiſe, gerechte Sultan) oder aus Koranſprüchen 
erſichtlich iſt. Auch die Formen der Kirchengewänder find zum Theil von 
den jegt gebräuglichen ſehr abweichend und weiſen auf eine frühe Zeit zu⸗ 
tät, Abgeſehen aber von dem Intereſſe, welches biefe großartige Sammlung 
fir viejenigen Hat, welche daraus ihre Kenntniß von ben anzäfieen „den 


68 Arttiten und Referate. 


derungen bes lithurgiſchen Theils des katholiſchen Gottesbienftes im Mit 
telalter bereichern können, und für biejenigen Archäologen, welche Haupt 
ſächlich den Kunftwerth der Bildiwerke im Auge haben, kommt fehr weient- 
lich für den Eulturhiftorifer der Standpunkt der Imbuftrie in Unfchlag, 
der hier in ben verfchiedenen Phafen mehrerer Jahrhunderte durch noch 
vorhandene, theilweife gut erhaltene Beweisſtücke tenntlich wird. Darauf 
mit Nachdrud Hingewiefen zu haben, ift nicht das kleinſte Berdienſt biefes 
Schriftchens. Man erfährt baraus mit einiger Beſchämung, daß die Tech⸗ 
nit ſchon vor mehr als 400 Jahren auf einer Stufe ber Vollkommenheit 
ftand, deren Refultate bei allen gegenwärtigen Fortſchritten auf dem Ge- 
biete der mechanifchen Gewerbe nicht allein nicht übertroffen, fondern in 
vielen Fällen ſogar nicht erreicht werben. Namentlich ift die Kunft der 
Vergoldung roher Seidenfäben in der Vollkommenheit, wie fie biefe alten 
Gewebe zeigen, für uns noch immer ein unaufgeffärtes Geheimnig. Den 
kurzen Abriß einer Gefchichte der auf dem Gebiet der Weberei und Sticke⸗ 
vet thätigen Induſtrie wirb Jeder mit Nugen lefen. Wir können Hier na- 
türfich nur darauf aufmerffam machen. Möge Herr Küfter Hinz bald die 
Zeit gewinnen in einem größeren Werke, wo möglich mit photographifchen 
Abbildungen der beſonders hacakteriftiichen Theile der Sammlung oder 
einzelner Stüde berfelben, eine voliftändige Befchreibung ber Paramente 
nah ihrem archäologiſchen und induftriellen Werthe zu veröffentlichen. 
Seine eingehende Beſchäftigung bamit, fowie feine Liebe für den Gegen 
ftand befähigen ihn entfchieben dazu. — © 





Gedichte von Hermann Boehnke. Als Danufcript gedruck. Ber⸗ 
lin, 1865, (IV u. 71 ©. 16.) 

Der Verfaffer biefer Gedichte ift ein junger Hiftorifer, der aus dem 
Erlöfe derſelben die Mittel zur Wortfegung feiner durch mancherlei Uns 
glüdsfälle aufgehaltenen und behinderten Stubien gewinnen will, Er wen- 
det ſich zunächſt an feine Ingendfreunde in Danzig, die denn auch mit 
Erfolg eine Subfeription eröffnet haben, dann aber auch an das größere 
Publikum und fomit an die Deffentlichfeit. Spricht fi mun in den vor⸗ 
llegenden Gebichten auch wicht gerade eine bebeutende dichteriſche Kraft 


Gedichte von Hermann Voehnle. 69 


aus und ermangeln biefelben auch meiftens eigentliher Originalität im 
Form und Inhalt, fo thut bie beſcheidene Weiſe doch wohl, in der ein 
tieferes, poetiſch angeregtes Gemüth ſich in Schmerz und Freude äußert. 
Wir dürfen annehmen, daß die hier ausgeſprochenen lyriſchen Stimmungen 
nicht gemacht oder künſtlich reproducirt, ſondern aus wirklichem Bedürfniß 
nach dichteriſcher Erhebung hervorgegangen ſind. Es kann daher auch die 
Theilnahme des Leſers nicht ausbleiben. Geben wir ſtatt einer kritiſchen 
Beleuchtung zwei ernſte und ein ſcherzhaftes Gedicht zur Probe: 


Der See am Abend. 
Bon kühler Abenddaͤmmrung mild umflofien, 
Hebt leife athmend ſich die Mare Futh, 
Die Sonne hat die Iegte Purpurgluth 
Mit milden Schimmer drüber bingegoflen. 
Vom Waldesgrün, dem duftigen, umfchlofien, 
Auf dem ſchon längft des Dunkels Fittich ruht, 
Sdlaft fie fo ruhig, fhläft fo fromm uno gut, 
Lauſcht träumend nur der Waſſerroſe Sproſſen. 
Und an des Himmels hochgewolbtem Bogen 
Zieht lieblich ftil der Mond die hehre Bahn, 
Vom lichten Sternenkranze rinyd umgeben. 
Eein Bild umrahmen die kryſtallnen Wogen, 
Und wie ein leihtgebauter Silberkahn 
Eiehft du ihn ſchwankend auf den Fluthen ſchweben. 


Ber See in der Macht. 
Finfterniß beſchattet rings die Hügel, 
Scaurig Adhzt der Nachtwind durd) den Baum. 
Grauenvoll, wie ein Geſpenſtertraum, 
Rauſcht die Eule bin mit ſcheuem Flügel, 
Auf des Seees dunlelm Wafjerfpiegel 
Hebt die ſchlafestrunk'ne Fluth ſich kaum, 
Und der Schöpfung unbegrängter Raum 
Tragt der nädht'gen Stille ſchwarzes Siegel. 


Einfam in dem ahnungsreihen Dunkeln 
Fahl ich ein noch nie gekanntes Sehnen, 
Seufzer fteigen aus beengter Bruſt. 


70 Krititen und Referate. 


Bei ver Sterne filberhellem Funleln 
Flieben mir vom Auge heiße Thränen: 
Beugen meines Schmerzes, meiner Luft. ° 
Bir Fangeweile. 
(9m ber PpoAl-Gtunde.) 
Langfam rinnt die Stunde nieder 
Und die Sangemeile dehnt 
Neben mir die fchlaffen Glieder, 
Reibt die Augen fi und gahnt. 
Ad! Bon ihrem Arm umfangen 
Doppelt ſich die träge Zeit, 
Und Minuten dehnt mit langen 
Fingern fie zur Ewigkeit. 
Geht die Zeit denn heut zurüde? 
Langſam jchleicht der Zeiger nur, 
Und nad) jedem Augenblide 
Schau’ ich fehnlih auf die Uhr. 
Kronos, alter Sinderfrefier, 
Ad, verdauft du jept fo ſchwer? 
Warſt doch fonft ein tüdpt'ger Eſſer, 
Nimm dies Stündchen zum Deſſert. 
Horch! Der Glode Töne fallen 
Schöner, als ein Engelslied. 
Vater Kronos hoch vor Allen! 
Hoc aud deinem Appetit! 

Das Biüchelchen ift gegen Einzahlung von nur 10 Silbergroſchen 
durch Herrn Diakon Dr. Schnaafe in Danzig und durch die Herausgeber 
dieſer Zeitſchrift au beziehn. Beſtellungen können auch in ber Gxpebition 
abgegeben werben. © 


Ehoralkunde in drei Büchern von G. Doering, Königl, Mufil-Di- 
rector zc. in Elbing. Danzig bei Bertling 1865. X u. 500 €. 
nebft einem Anhange von fieben flaviichen Melodien aus bem 
16. u. 17. Jahrhundert. 

Nachdem bereits vor einigen Jahren bie beiden erften Lieferungen bes 

obengenannten Werkes erſchienen find, liegt daſſelbe nun vollendet vor und 


Choralkunde von Doering. 71 


mahnt uns, auch vom Standpunkt dieſer Blätter aus auf fein Erſcheinen 
aufmerfam zu machen. Zitel und Vorrede deuten an, baß ber Berfaffer 
eine allgemeine Ueberſicht von ben Reſultaten ver großartigen hymnologi ⸗ 
ſchen Forſchungen in der Gegenwart zu geben beabfidtigt. Er will ven 
Fachgelehrten ein Repertorium, den Gefangfrennden, namentlich den mit 
der Unordnung und Ausführung des Kirchengefanges Benmteten ein Kom- 
pendium des Mitifch und hiſtoriſch Wifenswertheften in bie Hand geben, 
Und das war bei der immenfen Ausbehnung ber in Rede ſtehenden 
Studien feit längerer Zeit ein bringendes Bedürfniß. Nebenher verfolgt 
aber der Verfaſſer zugleich ein befonderes provinzielles Intereffe. Im 
den bisher erfchienenen größeren hymnologiſchen Werken von Winterfelv’s, 
Kocher's u. U. ift nämlich der fehr bebentfame Antheil, ven die Provinz 
Preußen an der Ausbildung des evangelifchen Kirchengefanges genommen 
hat, noch nicht zu feinem vollen Rechte gefommen; namentlich) ift eine 
nicht unbebentenbe Anzahl von Ehoralmelobien bisher nur in Preußen bes 
Iannt. Diefe Lüde in der Wiffenichaft wollte Doering ausfüllen. Und er 
ift unzweifelhaft der geeignete Mann dazu. Denn er hat fi durch feine 
in brei Lieferungen vorliegende Schrift: „Zur Geſchichte der Muſik in 
Preußen“ als den gründlichſten Kenner der muſilaliſchen Literatur unſeres 
engeren Vaterlandes befindet. Er Hat eine Menge der werthvollſten Ma⸗ 
terialien mühſam aufgefucht, treu gefammelt, kritiſch gefichtet und bündig 
infammengeftellt. Er hat ben erften Schritt gethan, die Eulturgefchichte 
Preußens um ben muſikaliſchen Zweig zu erweitern. Einen Theil ber 
Ausbeute diefer Studien hat er nun aud für bie Choralkunde verwerthen 
tönnen. Das Hauptverbienft der legteren befteht aber in.ber ernenerten 
und jelbfiftändigen Durchforſchung aller wichtigeren Quellen der Choral 
literaiur und ber barauf gegründeten kritifchen Nachweiſung über bie Urs 
heber der Melodien, die Zeiten ihres Entftehens, bie älteften Drude ıc. 
Mit welcher Sorgfalt, Treue und Ausdauer ber Verfaſſer auf biefem dor⸗ 
nenvollen und fieinichten Felde gearbeitet hat, berichtet er zum Theil felbft 
in der Vorrede, und ein Blick in das Buch felbft genügt, dies zu beftätt- 
gen. Zwar ftügt fich daffelbe in vielen Punkten auf bie Forſchungen ber 
Vorgänger, namentlich von Winterfelo’s, dem der Berfafler perfänfiche An⸗ 
tegung, Aufmunterung und Foörderuug zu banken befennt, aber er weicht 


12 Aritilen und Referate. 


von dieſem nicht bloß durch eine freiere unb weitherzigere Auſchauung von 
der Kirchenmufif ab, ſondern ergänzt und berichtigt ihn auch in manchen 
Punkten. Vieles hat er aufs Neue begründet ober ſicherer erfaunt; man ⸗ 
ches Zweifelgafte ift entſchieden, manches bisher Unbekannte ans Licht ger 
zogen: unb fo bürfte die Schrift in Zukunft jevem Forſcher ein unentbehr- 
liches Häffsmittel darbieten. Dies gilt namentlich für den Anhang, in 
welchem der Verfaſſer zum erften Male auf Grund neuaufgefundener Can- 
tionalien bie polnifche Choralliteratur in Betracht zieht. Er glaubt das 
ältefte und wichtigfte Cantional des Eefluchan von 1559 entvedt zu haben 
und theilt die höchſt intereffante Nachricht mit, daß die in demſelben bes 
findlichen Original-DMelobien flawifhen Ucſprungs an Zahl den um jene 
Zeit gebräuchlichen deutſchen Melodien kaum nachſtehen (©. 435). Solite 
fih, was faum zu bezweifeln ift, ver Fund beftätigen, fo wäre damit bie 
unfhägbarfte Grundlage gewonnen, auf ber die Herftellung eines kritiſch⸗ 
zuverläffigen polnifchen Choralbudes vorgenommen werben könnte. Daß 
es an einem folchen noch immer fehlt, ift um fo mehr zu bedauern, als der 
urfpränglich fo reiche Kirchengefang der evangelifchen Polen in ber Gegen⸗ 
wart gänzlich zu verfallen und auszuarten broht. Möchte daher der Ver- 
fafler vet bald das von ihm angelünbigte Vorhaben ausführen, eine 
Sammlung flawifcher Melodien herauszugeben. Die in ber Beilage mit- 
getheilten Proben machen uns recht gefpaunt darauf, wenngleich wir ber 
kennen möäffen, daß uns die harmoniſche Bearbeitung nicht überall zuſagt. 

Ohne auf den überaus reihen Inhalt des Werkes näher einzugehen, 
bemerken wir nur, daß das erfte Buch als ber wichtigfte Theil des 
Ganzen eine gebrängte Gefchichte der Choralmelodien enthält, — Wir 
finden diefelben nach Yahrhunderten, Confeffionen, Provinzen, Schulen 
georbnet und jebesmal dem Anfang nad mit Buchſtaben verzeichnet, wo- 
bei zugleich ber ältefte Bunbort angegeben ift. Damit find dann ganz 
turze allgemeinere Eharakteriftiten und biographiſche Notizen über die Ber- 
fafler verbunden. Daran fchließen ſich für jedes Jahrhundert Nachweiſun⸗ 
gen über bie wichtigften Gefang-, Choral- und Melobienbäcer. Ein ber 
jonders intereffanter Abſchnitt Handelt von den in den Kirchengefang aufs 
genommenen Vollsmelodien (S. 150—158). Im zweiten Buch (©. 229 
bie 362) giebt der Verfaſſer mit ausbrüdficher Verweifung auf größere 


Chorallunde von Doering. 73 


Berfe eine mehr regiſtrirende als referirende Ueberſicht über bie Lieber 
und ihre Verfaſſer. Er orbnet biefelßen nach den hergebrachten 6 Perio- 
den (1524-88; 1588—1650; 1660-92; 1692-1757; 1757-1817; 
1817 bis jegt) und innerhalb dieſer nach Echulen und Richtungen. — Das 
dritte Buch (S. 363---428) Bringt unter dem Titel: Theoretifches und Prals 
tiſches lehrreiche Grörterungen, über bie alten Kirchentöne, den rhythmiſchen 
Choral u. A, was namentlich für Geiftliche und Lehrer von Nugen ift. 
Den Schluß bilvet der bereits erwähnte-Anhang über den polnifchen Eho- 
ralgefang. (S. 429— 460). 

Wir find dem Verfaffer zu hohem Danfe verpflichtet für bie äußerft 
fleißige, forgfältige und vollftändige Zufammenftellung eines fat unüber- 
fehbaren Materials und wünſchen baher feinem Werke bie weitefte Ber 
breitung beſonders in bie Bibliothefen ver Geiſtlichen und Lehrer. Jede 
Kirche follte e8 wenigftens befigen. — Doch Hätten wir im Intereffe ber 
minder fachlunbigen Lefer auch wohl diefe und jene Heine Ausftellung zu 
machen. Wir heben hier unter Anderm Folgendes hervor. Im erften 
Buche vermifien wir eine etwas eingehendere Geſchichte der Entftehung und 
Ausartung der Zwiſchenſpiele; dies wärbe der geeigneifte Weg fein, um 
die Streitfrage zu entjcheiden, ob fie fernerhin Anwendung finden bürfen 
oder nicht? — Im zweiten Buche wäre uns ebenfalls aus praktifchem 
Imtereffe eine in kurzen aber anfchaulichen Zügen entworfene Schilderung von 
der Entftehung und Verbreitung ber „verwäflerten" Gefangbächer erwänfcht 
gewefen. Im britten endlich ift uns die Frage ungelöft geblieben, ob bie 
Gemeinden bes ſechszehnten Jahrhunderts wirklich rhythmiſch gefungen 
haben ober nicht? Palmer behauptet befanntlich, daß es nicht gefchehen fei 
amd jagt (Hymnologie S. 286): „den Beweis ift man uns immer noch 
ſchuldig, daß bie Gemeinden wirklich nach diefen Rhythmen geſungen has 
ben." — Möchte der Verfaſſer in einer hoffentlich recht bald nöthig wer« 
denden 2. Auflage feines Werkes biefe wichtige Frage endlich zur Entſchei⸗ 


dung bringen. — 
Saran in Königsberg. 


74 Aeititen und Referate. 
Die Konigliche Bibliothek zu Königsberg. 


Seitdem ich zum erften Male an biefer Stelle über bie Königliche 
und Univerfitäts-Bibliothek berichtet, ift biefelbe wieberum durch eine 
Reihe Toftbarer Acquifitionen und anfehnlicher Gefchente bereichert worden. 
Außerorbentliche Mittel, die das vorgefegte Minifterum hochgeneigt ge⸗ 
währte, machten es möglich, daß wieder eine Anzahl empfindlichſter alter 
Lücken ausgefüllt werben konnte, und babei doch bie neneften werthvollen 
Erſcheinungen (zum Theil auch die des Auelandes) ſich beſchaffen ließen. 
Ic erwähue davon des Beiſpiels halber nur folgende: 

Zenker Bibliotheca orientalis: Petzholdt Bibliotheca bibliogra- 
phica; Büsching Monatliche Anzeigen ; Catalog der Commerz-Biliothek 
in Hamburg; Barack Verzeichniss der Handschriften zu Donaueschin- 
gen; Ergänzung der Leydener Annales academici; Revue germanique: 
Hormayr's Archiv: Thunberg Icones plantarum Japonicarum; Hooker 
London Journal of botany: Elliott Botany of South Carolina; Er- 
gänzungen zur „Flora“; Schreber Saeugethiere; Nathusius Hausthiere; 
Brehm Vögel: Dechen Geologische Karte von Rheinland und West- 
falen; Schlömilchs Zeitschrift für Mathematik; Petzval Integration ; 
Bertrand Caleul differentiel: Helwig Mikroskop; Stilling Gehii 
Bruns Laryngoskopie: Trousseau Clinique medicale; Mnemosyne :; 
Gottfr. Hermann Opuscula; Salinas e Seveso Monumenti sepolcrali ; 
Tyel Ulenspiegel (photolithographirt); Marlowe Works; Clarke Con- 
cordance of Shakspere: Publicationen der Early English Text So- 
ciety; bie Ausgaben bes Dante von Scarabelli, Toımmaseo und ben Be- 
nebictinern von Monte Cassino; bie Collezioni Nistri und Daelli; Cal- 
deron's Comedias von Apontes und bie Werke des Garcia de Resende; 
Abulfath Annales Samaritani; Zunz synagogale Poesie; Tschischka 
Dom zu Wien: Rottiers Monumens de Rhodes; Hübner's Jahrbuch: 
Welcker’s, Conze’s und Hughes’s griechiſche Reifen; Kaempffer Japan: 
Rüppell Abyssinien; Valentijn und Roorda van Eysinga Niederländiſch 
Indien; Marco Polo von Pauthier; Bouquet Recueil des historiens 
des Gaules (vollftändig); Raumer Codex diplomaticus Brandenburgen- 
sis; Lappenberg Hamburger Urkundenbuch; Nijhoff Geldrische und 





Die Königliche Bibliothet zu Kbnigsberg. 75 


Zeerleder Bernerische Urkunden; Fumagalli Codice Ambrosiano: del 
Giudice Codice diplomatico di Carlo d’Angiö; Trinchera Griechische 
Urkunden in Neapel: Bielowski Monumenta Poloniae historica; Nagy 
Codex diplomaticus Hungariae: Curita Anales de Aragon: Capmany 
Marina de Barcelona; Odoriei Brescia; Tytler Scotland: Prinsep Indian 
antiquities; Saulcy Numismatique des croisades; Dick Tower-Inschrif- 
ten; Carpentier Alphabetum Tironianum; Forster Life of Elliot; Gra- 
tianus ed. Berardi; die Assisen von Jerusalem herausgegeben von 
Beugnot; Methodius ed. Jahn; Zezschwitz Katechetik; Ludolphus de 
Saxonia Vita Christi; Theiner Monumente Scotorum et Hibernorum: 
Herrera Alphabetum Augustinianum; Gallia Christiana mit Fortfegung 
von Haureau und viele andere. 

Unter den 1235 Nummern, nm welche die Bibliothek zugenommen 
hat, befinden ſich Aber 160 Gefchenke; die Gönner, welche fie im vorigen 
Jahre bedachten und deren ich in jenem Berichte banfbar erwähnte, haben 
and fernerhin mit gewohnter Weunificenz ihr Gebeihen gefördert. Bon 
andern Geſchenlen hebe ich nur hervor: 

77 Bände Publicationen des Record Office in London (durch gütige 
Verwendung Sr. Ercellenz des Herrn Grafen yon Bernstorff); die Sta- 
tistica d' Italia und bie ſchwediſche Statiſtik (von den betreffenden Bu⸗ 
teaug), die Sammlung der eibgenäffiichen Abſchiede, der Beiträge zur 
ihweizerifchen Statiftit und der Bunbesgefeggebung (von ber Bundes: 
fanzlei in Bern); State papers und verſchiedene Reports des norbamerie 
tanifchen Congreſſes (von Herm von Gerolt in Washington und Herrn 
Conſul Brodmann hier); das Verzeihniß der orientalifhen Handſchriften 
in Gotha (im Auftrage Sr. Hoheit des Herzogs Ernſt II); Grote's Plato 
(rom Herrn Verfafjer); Stirling The secret of Hegel (von den Herren 
Lerlegern) n. ſ. f. Soweit von biefen Werken Fortfegungen in Ausficht 
fiehen, find dieſelben der Königl. Bibliothek gleichfalls zugeſichert worden, 
und darf ich außerdem die Hoffnung ausfprechen, daß uns im Laufe bes 
dahrs 1866 noch eine beträchtliche Anzahl Geſchenke aus dem Auslaude 
zugehen werben, i 

Aber auch den Bewohnern unferer Provinz fei bei biefer Gelegenheit 
ihr einziger literariſcher Centralpunkt aufs neue empfohlen; jede Unter- 





16 j Aeititen und Referate. 


flügung, die fie diefem Inftitute angebeihen laſſen wird bankbare Anerlen⸗ 
nung finden und nicht nur der Bibliothel, fondern der ganzen Provinz 
dauernd zu gute kommen. 

Schon jegt ift die Benugung berfelben in erfreulichfter Zunahme be 
griffen, und mande Werfe, bei deren Auſchaffung ich trog ihres innern 
Werthes zweifelhaft war, ob diefelben jemals in den nächſten Jahren Hier 
verlangt werden könnten, find ſchon wiederholt ausgeliehen worden. Im 
Ganzen hat ſich die Anzahl der verliehenen Werke auf 7624, die ber ver- 
fiehenen Bände — abgefehen von denen, welche die Beamten ber Biblio 
thet felbft entnommen — auf 114°0 belaufen. Darnach ift beren Zahl 
gegen das nächftgünftige Jahr um 10—11 pEt. geftiegen. Der Verkauf 
der Bürgichaftefarten weift gegen 1863 und 1864 (465) einen Zuwachs 
von 71, pCt. nach, ver einestheils von dem regen Streben ber Studiren ⸗ 
den zeugt, anberntheil® aber auch zu bem Zuwachſe ber Univerfität über- 
haupt im richtigen Verhältniſſe fteht. Durchſchnittlich Liegen in dem Bu⸗ 
reau des Eecretairs fortwährend über 1500 Empfangsbefheinigungen, ein 
Sag, der freilich Hinter dem ber Bonner Bibliothek zurücſteht, ven der Bres⸗ 
Iauer aber, bei der 1800-2000 Zettel liegen, verhältnißmäßig bedeutend 
übertrifft. Gegen 120—130 Bände werben täglich zur Benugung bes 
Bublitums geholt, und wird auch ein Theil derſelben im Lefezimmer benugt 
und hernach zurüdgegeben, fe beftef ſich doch im Januar c. bie Anzahl der 
gebuchten Nummern auf burchichnittlich 50 per Tag, alſo gegen 75 Bände, 
Und vor 20 Jahren kamen jährlich kaum mehr ale 3000 Bände zur Ver⸗ 
ansgabung, incl. der bänbereichen Werke, die einzelne Mitglieder der Uni« 
verfität wie ihr Monopol behandelten und fortwährend bei fich behielten, 
nur baf die Zettel mit jedem nenen Jahre nen gebucht wurden. Gewiß 
ein erheblicher Fortſchritt, der aber auch mit ber Zeit vermehrte Ar- 
beitsfräfte dringend erforbern wirb, 

Was das Perfonal anbelangt, fo ift der bisherige Eecretair Dr. Mi- 
chaelis am 1. Ianuar ausgeſchieden und durch den früheren Privatdocen- 
tem ber er in Greifswald, Lio. theol. Klöpper, erfegt worden. 

©. Hopf. 


Die Königliche Deutfche Geſellſchaft im Jahre 1865. 77 


Die Königliche Deutſche Geſellſchaft im Iahre 1865. 


Die Deutſche Geſellſchaft Hat in dem verfloffenen Jahre fünf Sitzun⸗ 
gen gehalten, Sie begann ihre Thätigkeit mit der Feflfigung zur eier 
des Krönungsfeftes am 18. Januar. Nachdem in Abweſenheit des Präfidenten 
der Gefellichaft, des Geh. Reg.-Rath Profefjor Dr. Schubert, der Secretair 
derfelben Profeſſor Dr. Neifelmann einige Mittheilungen über den Stand 
der Geſellſchaftsangelegenheiten gemacht und die in ber Schlußſitzung am 
15. December neu gewählten Mitglieder proclamirt Hatte, hielt Profeffor 
Dr. Schade den Hanptvortrag Über das Thema: „Zur Geſchichte bes 
Hamlet.” — Im ver Feftfigung zur Feier des Geburtstages Er. Maj. des 
Königs, am 22, März, ſprach Profefior Dr. Nitzſch: „Ueber die Quellen 
für die Geſchichte Cäfar’s und die Hiftorifchen Geſichtspunkte für feine Der 
urtheilung.“ — Die ordentliche öffentliche Sigung am 11. Mai eröffnete 
Geh.-Rath Dr. Echubert mit einem Hinweife auf den Hirzlic erfolgten 
Tod des älteften Mitgliedes der Gefellichaft, des Profeflor Carl Friedrich 
Köpfe in Berlin, worauf Pfarrer Dr, Troje den Hauptvortrag hielt: „Ers 
imerungen an ben verftorbenen Dr. Eduard Heinel,”*) — In ber orbent« 
lichen Sigung am 9. November ſprach Hofprebiger Hoffheinz „Ueber das 
Berhältniß der Theologie zu den übrigen Wiſſenſchaften.“ — Die legte 
Eigung wurde am 21. December abgehalten. In dem öffentlichen Theile 
berfelben ſprach Geh.Rath Dr. Schubert „Ueber bie Zahlenverhältnifie der 
ländlichen unb ftädtifchen Bevölkerung in den legten Jahren mit befonber 
ter Beziehung auf Preußen.“ Im der an dieſe ſich anfchließenden geheimen 
Eigung gab derſelbe einige Nüdblide auf die Angelegenheiten der Geſellſchaft 
in Bezug auf das ablaufende Geſchäftsjahr; die in dieſer Sahresfchlußfigung 
übliche Wahl neuer Mitglieder beſchränkte fich auf ein einziges, nämlich ben 
Oberbibliotgelar Profefjor Dr. Earl Hopf, da weitere Vorſchläge nicht einge 
gangen waren. „Dur den Tod hat bie Geſellſchaft die beiden Diitglieber 
verloren, deren Andenken die Sigung wom 11. Mai gewidmet war, Profeſſor 
C. F. Roepfe in Berlin und Archidiaconus Dr. €. Heinel Hier; einen Verluſt 
durch Berfegung einheimifcher Mitglieder hat die Geſellſchaft nicht erlitten. 
— N. 

*) Abgedrudt Altpr. Monatsſchr. II, 364872, J 








18 Rrititen und Referate. 


Alterthumsgeſellſchaft Pruſſia. 

Königsberg 26. Januar. In zahlreich beſuchter Sitzung wird ein An⸗ 
trag auf Veröffentlichung regelmäßiger Sitzungsberichte angenommen, und 
die Altpr. Monatsfhrift zum Organ erwählt. Hr. Rechnungsrath Ulmer 
erftattet den jährlichen Geichäftsbericht, aus dem ſich die günftige Finanz: 
lage des Gefellichaftsnermögens und der Zuwachs neuer Mitglieder ergiebt. 
Die Geſellſchaft befichtigt den von der Deutſchen Gefellichaft geſchenlten 
altertHümlichen Wanpfchranf, (von der Herzogin Anna Maria herrührend) 
den Hr. Provinzial-Arhivar Dr. Medelburg hat in Stand fegen laſſen, 
und deſſen weitere Reſtauration Hr. Prof. Knorre freundlichſt übernimmt. 
An Altertfümern werben vorgelegt: von Hrn. Gntsbefiger Minden ein 
Woffengriff aus Hirſchhorn mit einer geſchnitzten Darftellung bes Todes, 
gefunden 1865 beim Abbruch der Niefenburger Stadtmauer, burch Hrn. 
von Mülverftedt an Hrn, Oberfehrer Elditt gelangt und von dieſem 
der Sammlung der Pruſſia übergeben; ferner buch Hrn. Ulmer ver- 
ſchiedene Gegenftände, die in Wiskiauten (einer bereits wiederholentlich 
ausgebeuteten Zunbftätte, vgl. II, 641), in Mülfen und bei Arys gefunden 
und durch die Herren Prem.⸗Lieut. Wulff, Befiger Albert Robde und 
Lieut. von Streng in den Beſitz der Pruffia übergegangen find. Hr. Prof. 
Knorre zeigt mehrere alte Münzen und Ringe. Dr. Steffenhagen 
ſpricht über das alte „Preußifche Trinkrecht“ (ugl. ©. 56) und legt zwei 
Romiſche Kaifermünzen aus Grüneilen vor (vgl. ©. 86). Schließlich 
theilt Dr. Reide ein Natanger Volkslied mit, das ſich an bie bekannte 
Dänifche Ballade von „Herrn Olaf" anſchließt, und bringt berjelbe ein 
feltenes Drud ⸗Exemplar Scheffner’fcher Gedichte zur Vorzeigung. 

S—n. 


Mittheilungen und Anhang. 


Das ftädtifche Archiv zu Naftenburg und die erfte biöher un- 
gedrudte Handfefte der Stadt Naftenburg vom Jahre 1357. 
Mitgetheilt 
von 
Dr. Fr. Aroſta. 

Das dem Magifirate der Stadt Naftenburg gehörige Archiv enthält 
fine Meine Zahl von Urkunden zum Theil ans der Orbensgeit, zum Theil 
a8 der nachfolgenden. Der Aufbewahrungsort derfelben ift in dem zum 
Orgelchore führenden alten Thurme der St. Georgenkirche. In dem rate 
binslichen Inventarium von 1713 finden wir biefe Thurmftube ſchon im 
Befig des Magiſtrats; wahrſcheinlich wurde fie aber ſchon in früherer 
Seit dazu benugt, ba die Kirche mit ihren feften Mauern ftets den ficher- 
fen Schutz für dergleichen Gegenftände gewährte. Nach einer Verfügung 
vr Königl. Regierung von 1832 wurde das Archiv durch den jegigen 
Etadtfeketär Herrn Kösling nen georbnet und bie nod) vorhandenen Urs 
tunden aufgezeichnet. Ein großer Theil derfelben — welche ift aus ben Alten 
sicht zu erfehen — war ſchon in ben erflen Jahren des zweiten Decen- 
ninms unfers Jahrhunderts nach Königsberg in das Geheime Archiv ger 
kommen. Die Thurmſtube ift in’ ihrem heutigen Zuftande — fie ift allen 
Enfläfen der Witterung ansgefegt, Eulen niften an ben Drathienftern — 
nicht für eine fernere Conſervirung ber Urkunden geeignet. Ich habe in 
dem naffen Sommer 1864 mehrfach Gelegenheit gehabt, dies zu beobach ⸗ 
ten. — Es wäre mithin wohl wünfchenswerth, wenn ver Magiftrat fich 
dazu entfchließen könnte, die vorhandenen Urkunden in das hiefige Geheime 
Icio zu trauslociren. — 


80 Mittheilungen und Anhang. 


Bon ben noch erhaltenen Urkunden, bie weiter unten aufgezäplt find, 
erſcheint bie erfte infofern eines Abbrudes werth, als fie das Funbationd 
Privilegium ber Stadt enthält. I. Voigt Cod. dipl. Pruss. t. III. N. 130 
p. 177 giebt an, baß auch die Beftätigung und Ernenerung dieſer Urkunde 
durch Winrich dv. Kniprode mit dem Eiegel im Original zu Raftenburg 
ſich befinde; ich Habe jedoch die Urfunde nicht mehr finden können, fie ift 
auch nicht in dem gleich nach 1832 angelegten Negiftranten aufgeführt. 

In dem Archive find befinblich: 

1. Original-Handveste und erste Fundation der Stadt Rastenburg v. 
J. 1357. (Unten abgevrudt.) No. I. des Regiftranten, 

2. Privilegium für die neuen Fleischbanken in der Stadt Rastenburg. 
d. Mittwoch nach St. Benedikt (den 21sten März) 1373; ausge- 
stellt vom Rastenburger Rath. No. XI. des Regiſtr. Ohue Siegel. 

3. Der Komthur zu Balga, Friedrich v. Egloffstein verleiht den Bür- 
gern zu Rastenburg über die zwei von Sausen und Sangawen zu 
ihrem Hegewalde von 12 zugekauften Hufen das kölmische Recht. 
d. Balga, aın Martini-Tage 1383. No. III. des.Regiftr. Siegel beſchtidigt. 

4. Der Komthur zu Balga, Ulrich v. Jungingen, verleiht den Bür- 
gern zu Rastenburg für die 6 von Andreas Reimann im Felde zu 
Poblebissen zugekauften Hufen dasselbe Recht, das ihre 14 Hufen 
zu Bürgersdorf haben. d. Balga in den Pfingsten 1402. No. III. 
des Regiſtr. Siegel abgerifjen. 

5. Handfeste über das Dorf Bürgerswald (Prangenau) ausgestellt von 
der Stadt Rastenburg an Johann Prange. d. Rastenburg am Tage 
Martini 1426. No. IV. des Regiſtr. Siegel abgerifien. 

6. Der Hochmeister Paul v. Russdorf verleiht der Stadt Rastenburg 
für deren treu geleistete Dienste 20 Hufen Wald zu ihren Rech- 
ten. d. Rastenburg Freitag vor Marise purificatio 1427. No. V. 
des Regiſtr. Siegel zur Hälfte vorhanden. 

7. Des Fleischhauern Gewerks zu Rastenburg Willkür verfasst und 
bestätigt von dem Rath. d. Rastenburg. Ostern 1428. No. XII. 
des Regifte. Ohne Siegel. 

8. Johann v. Beenhusen, Pfleger zu Rastenburg, verkauft der Stadt 
5 Hufen Wald an der Grenze von Eichmedien. d. Rastenburg. 


Der Siadt Raftenburg Hantvefte. [> 


Donnerstag vor Galli 1429. No. VI. des Negifir. Giögel voll 
ſtaudig. 

9. Willkür des Bäckergewerkes zu Rastenburg. d. Rastenburg am 
Tage der heiligen Dreifaltigkeit 1431. No. XIIL bes Regifir. 
Ohne Siegel, 

10. Privilegium für Hans Bewirstein über das von der Stadt Rasten- 
burg erhaltene Dorf Bürgersdorf von 32 Hufen. Rastenburg am 
Tage Jacobi 1438. No. VII. des Regiſtt. Ohne Siegel. 

11. Freiheiten und Vergünstigungen, die der Hochmeister der Stadt 
Rastenburg dafür verliehen, dass sie dem Orden treu geblieben. 
d. Königsberg. Dienstag vor Martini 1461. No. VIIL bes Regiftr, 

12. Erneuerung der löbl. ohristl. Ordnung und Brüderschaft der Tag- 
löhner und Arbeitsleute v. J. 1589. Vom Magistrat 1615 ausge- 
stellt. No. XIV. des Regiſtr. 

13. Original-Privilegium für das Schuh- und Pantoffelmachergewerk 
zu Rastenburg. Ausgegeben von Friedrich Wilhelm, Markgrafen 
zu Brandenburg ete. Königsberg, 28. Nov. 1650. Ausgefertigt 
vom Kurfürstl. Sekretarist. No. IX. des Regiſtr. 

14. Original-Privilegium für das Schneider-Gewerk zu Rastenburg, 
ausgegeben von Friedrich Wilhelm, Markgrafen zu Brandenburg. 
d. Königsberg, den 13. März 1659. No.X. bes Regiſtr. 


Der Stadt Bastenburg Hantveste, 
Nro. 1. 
Erste Fundation der Stadt. 
(Neuere Särift.) 
(Das Siegel gut erhalten. Zeile 18. 2 Riſſe. 3. 29. 30. 31. in der erften Hälfte ber 
ſchadigt. 8. 8. 28. 32. am Ende Wurmſtiche.) 

Jn dem namen gotis amen. wisfen fullen alle, dy desin brif 
ansen adir lesin hoeren, dy nue lebin odir hinoch kumftig syn. Das 
wir bruder Jo. schindekop kompthur cruer balga und vogit czu 
nattangen mit orlob des erbarn und geistlichen mane brader wynrich 
von knipperode unsers homeisters und ouch mit willen und rate 
unserer brueder czur balga nsgegeben haben eyne stat rastinburc 

amyr. Monsisigeift B.TIL. Hfe 1. 6 


82 Mittheilungen und Anhang. 


genant von czwen huben und hundert. Diselbe stat vorlye wir dem 
erbaren manne heynrich padeluch fcultheiz derselbin stat czu colmi- 
schem rechte czu besitzen mit syn rechtin erbin und nachkuemmling 
czu demselbin rechte erbelich und eweclichen czu besiczen. Der vor- 
genanten huben gebe wir dem almechtigen gote czu lobe und dem 
heilegin heren fent jorgen vier huben dem pharer czu der kirchen 
ewiclichen gehoeren fullen und dem vorgenanten fchultheis und [yn 
erbin und iren nachkumlingin VIII huben vrye; mit dem fchultheis 
ampt und syn hove und hovestat vrye, und vyerezig huben vrye der 
vorgenanten [tat czu gemeyne nuczcze verlye wir ewiclich czu besiczen. 
Den besiczerin der andern huben gebe wir von der gebunge desis 
brifis fumfezen jare vryheit czu gebruchen, in dem fechezendem jare 
und donoch alle jerlichin fullen fy uns und unsern brudern gebin 
und czinsen jo von der huben eyn halb marc und czwey huner alle 
jerlichin uf ſente mertins tage. Aber von den hoven, den ynwonern 
der stat gebe wir sechs jare vryheit von der gebunge des brifes, 
donach in dem febindem jare und alle jerlichin von yclichem hove 
eyn virdung phenning fullen ſe uns und unsern brudern gebin und 
czinsen uf den vorgenanten [ent mertins tag. Ouch welle wir, das 
ein iezlich hoef adir hovestat fechz ruten yn dy lenge und vyr in dy 
breite behalten fal. Und eyn iczlich hoef von den virczig vryen hu- 
ben drye morgen czu em haben fol. Unde dy hove von den morgen 
und di morgin von den hoven nicht sullen gescheidin werdin. Dy 
eleyne gericht iii schilling und dorundir in dem vorgenanten gut dem 
fecholtheisz wir das gebin. Aber groz gericht als do is halz und 
hant der fcholtheis nicht richten fal ane unsir bruder adir ir botin 
ap [y geruchin do ozu [yen; ydoch das in der ftat und von dem 
tore das ken luenburg weit usget vier [eile in dy lenge und uf der 
andern [yete von dem tore ken de mole eyn [eyl in dy lenge dy 
gerichte der [choltheisz richten fal und was dovan gevallen mag, das 
fal man in dry teilen, dem fcholtheis eyn teil, der ftat das ander teil, 
das dritte teil uns und unsern brudern gehoren fol. Und was von 
fulchim gerichte czu nemen oder czu losen ist, das fal der fcholtheis 
ouch lazin. Dy bruche der pruyzin dy do wonhaft syn under den 


Der Stabt Raftenburg Hantweſte. 83 


brudern desfelben gebites, in der dy vorgenante ftat gelegin ist odir 
hirnoch legin wirt der fchultheis mit nicht richten fol, fundir dy 
pruyfen dy under den konigin ader under den lenluyten wonhaft syn, 
ader ander czukumflige pruyzen gwemen under gebrechen in dem 
gericht der vorgenanten ftat und von dem [chulezen und [ynen hel- 
tern ufgehaldin wurden, das fal der fcholtheiz richten, als is recht 
ist; und was von sulchim gerichte gevallen mochte, glichir wyez is 
das czu teilen als hivor geschrebin ftet. Dy burger keine andern 
phannen nicht gebruchin fullin, fundir der phannen, dy czunucz und 
czu fromen der ftat geozuyget ist. Unde was frucht oder nuecz von 
dem koufhuze und von den benken brotes, fleisches, fchue, vische 
und von der badestobe, dy veit gemacht fint ader noch fullen ge- 
macht werden, dem [cholteiz das eyne teil wir geben, der ftat das 
andir teil und uns und unsern brudern das dritte teil wir behalden. 
Vischerye bynnen iren greniczen in der guber in den vlizen und an- 
dern wazzern mit cleynem geczowe, ane das do wer heisit nedin unde 
obin in erin greniczen den yenwonern der (tat wir gebin und vor- 
lyen. Wir wellen ouch ap czu czukumftegin czyeten gut unde nueoze 
wurde di ftat, czu meren un cozu lengen. dy willekuer wir unsern 
bevelen, dy dene dorubir raten. Und was czins von den hoven der 
nuyen fiat gevallen mochte, czwey teil wir uns unde unsern brudern 
behaldin wellin, das dritte teil der vorgenanten [tat czu gehoren fol. 
Wir wellen ouch ap in derfelbin nuyen [tat benke brotes, fleisch, 
fchu, vische ader badestobe gemachit werde, glichir wyez is das czu 
teylen in dry teil; eyn teil uns und unsern brudern, das ander teil der 
ftat, das dritte teil dem fchulezen gehoren fol und das gericht in der 
nuyen ftat als in der alden ftat dem [chulczen und ſynen erbin czu ge- 
horen fal. Ouch fallen dy ynwoner der nuyen ftat gebruchin vryheit 
dergelbin virezegin huben vry als dy ynwoner der aldin ftat. Wir wellen 
ouch, das dy yenwoner der ftat von iclicher huben, de ane dy firezig 
vrye huben eren pharer eynen fchefil rocken und eynen fchefil haber 
vor czeendin gebin fullen alle jerlichin uf martini. do obir von funder- 
licher gnade welle wir, were das czu czukumflegin jaren dy czwue 
huben und hundert gemesfen wurden und das do in der grenicze der 
6“ 


84 Mittheilungen und Anhang. 


vorgenanten obrig vunden worde dy ynwoner der vorgenanten fat 
das obrige ungekouft behalden fullen czu fulchim czinse als ſy ir 
huben besiczen. Dy vorgenanten dinge fint geschen mit orlobe des 
erbarn unde gi®t}iChen manne bruder wyenrich von kAIP!Oge, unsirs 
homeysters unde czu eyner bestetunge henge wir unsir ingesegil an 
desin brif. Des fint geczuige dy "DAR Inyte unsir bruder, bruder 
Jo. von orlemunde, unser huscompthur, bruder otte von wilburt, 
unser waltmeister, bruder Eckard brahe, bruder Albrecht der herezoge, 
Bruder Heynrich von cattenhoven, phleger czuer yela, bruder mar- 
quart phlegir czu rastinburg, brudir reimar von rode unser kumpan, 
bruder heynrich von kranichsvelde, her petir unsir caplan und andere 
ersame luyte. 

datum et actum anno domini MCCClvü. Jn die beati martini 
episcopi et confesforis. 


Die große Orgel in Oliva. 


In den Sahren 1750-80 mwurbe durch den Funftfinnigen Abt Joſeph 
Hyacinth Rybinski im Kloſter zu Oliva ein Gefang- und Inftrumental- 
Chor ausſchließlich aus Klofterbrüdern gebildet, nachdem ſchon 1742 fürm- 
licher Befchluß dazu gefaßt war. Bald überzengte man fi von ber Un⸗ 
zulänglichkeit der vorhandenen Orgeln und beſchloß 1748 ferner, biefelben 
burch ziel neue zu erfegen, Diefe Arbeit wurde benn dem Orgelbaner 
Sohannes Wulff übertengen, welcher, nachdem er 1763 fein Teftament ge- 
macht hatte, als Bruder Michael in ben Orben eintrat und nun 25 Jahre 
fang mit vielen Gehilfen an dem großartigen Prachtwerke arbeitete, ohne 
daſſelbe vollenden zu Können. Erſt der Drgelbaner Dalig in Danzig 
brachte ben Bau zu Ende, indem er zugleich die ſchon feinem Vorgänger 
aufgegebene Verlegung bes Spielſchrankes aus ver Mitte des Orgelchors, 
wo er ben Plat beengte, nach dem nörblichen Flügel bewirkte. Dagegen 
verwarf er bie überfläffige Einrichtung für bie Umftimmung des Wertes 
ans bem Ehortone in den Kammerton, womit Bruder Michael ſich Hatte 
quäfen müffen, ohne bie Hinberniffe (bie vortreffitchen Einrichtungen ber 
pnenmatifchen Maſchinen waren damals noch nicht befanntl) überwinden 


Die große Orgel in Dliva, 85 


zu Können. Einen großen Zeitaufwand hatte namentlich auch der im Roc 
cocoſtyle ausgeführte Profpect mit feinen faft zahllofen aus Blumen, Wol⸗ 
ten, Guirlauden, Engelstöpfen und Engeln in ganzer Figur beflehenben 
Schnigwerf-Berzierungen erfordert, — Die aus biefen langjährigen Be- 
mühungen hervorgegangene Orgel war eine ber großartigften, bie bisher 
überhaupt gebaut waren, umb verbiente ihren weitverbreiteten Ruf, wenn 
man hört, daß fie 83 klingende Stimmen hatte und ein Pebal von 32 
Stimmen mit fünf Zweiunddreißigfüüßern und ſechs Sechszehnfüßern. Schade 
nur, baß biefes gewaltige Wert wahricheinlich niemals fo vollſtändig brauch 
bar gewefen ift, daß jebe Stimme in dem vollen Merle eine ſolche Gel 
tung hätte erlangen können, wie fie dem betreffenden Regiſter zulommt. 
Man Hatte nämlich bie gehörige Winbzufuhr für fo große Pfeifen zu bes 
rechnen unterlafien, und fo mußte bei biefem Winbmangel ber Ton bes 
vollen Werkes nothwenbig etwas Heiferes, Schwinbfüchtiges haben. Zu 
biefen Fehlern der Anlage gefellten fi bald Gebrechen, welche bei bem 
immer größeren Verfall des NKlofters aus dem Mangel an Pflege ober 
durch Natureinwirkungen herborgingen, und nad) einem halben Jahrhun⸗ 
dert ſchon befand fi das Werk in einem Zuftande, ber einen ſchon einem 
Umban nahelommenden Reparaturbau nöthig machte. Derfelbe ift num 
zu allfeitiger Zufriedenheit duch Herrn Kaltſchmiidt in Stettin in ben 
Jahren 1863—1865 für ca. 6000 Thaler, welche von ber Königl, Regie 
rung bergegeben wurden, ausgeführt, Die Winbapparate wurden rabifal 
umgebaut, Reſervoirs angelegt und viele fonftige. burchgreifende Aende⸗ 
tungen vorgenommen, fo baß nicht nur die Erhaltung der alten Or⸗ 
gel, fondern deren wirkliche Brauchbarkeit gefichert if. Die Orgel hat 
gegenwärtig im Ganzen 101 Regifterzüge, 19 Winblaven, 18 Schöpfbälge 
mit einer Windſpannung von 32 Graden, 84 Mlingende Stimmen und 
nicht weniger als 5112 Pfeifen. Dies mag genügen, um auch dem Laien 
eine Andeutung von bem Toloffalen Umfange bes Werkes zu geben, das 
zu den Merkwürdigkeiten unferer Provinz gehört, auf welche diejelbe ſtolz 
fein kann. Wer eingehende Belehrung fucht, Iefe die Heine Bıochüre des 
leider im November v, 9. verftorbenen Lehrers an der Gewerbefchule zu ' 
Danzig Dr. Ferd. Denete „bie große Orgel in Olive, ihr Bau und 
Berfall, fowie ihre Reſtauration durch den Orgelbaumeifter Herrn 3. W. 


86 Mitteilungen and Anhang. 


Kaltſchmidt ans Stettin." (Danzig, 1865. Homann, 446. 8, 8 Sgr.) 
Sie i# nicht nur fachgemäß, fondern auch interefjant geſchrieben und wirb 
den vielen Befuchern Oliva's unentbehrlich fein. — ) 


Nömifche Kaifer-Münzen aus Grüneiken. 
Gal. I, 561.) 

Aus Grüneilen, wo an ber Hebung ber bort verborgenen Alterthums ⸗ 
ſchätze rüftig fortgearbeitet wirb, find mir mit dankenswerther Freundlich⸗ 
teit zwei neuerbings gefundene Römische Katfer-Münzen zugeftellt 
worben, Beide Münzen, noch wohl erhalten, find von ziemlich überein 
ſtimmender Befchaffenheit und Größe, in Silber geprägt und gehören zu 
einem und bemfelben Raifer, genauer beflimmt Eonftantins IL (323... 
861 n. Ehr.). Die Vorberfeite zeigt bie nach”rechts gewanbte Büfte bes 
Kaiſers mit Diadem und Feldherrnmantel und mit ber Umſchrift: D. N. 
CONSTANTIVS P.F. AVG. Auf ber Rüdfeite findet fi ein Lor- 
beerfranz und barin bie Inferift: VOTIS XXX MVLTIS XXXX 
(ef. Eckhel Doctrina numor. veter. P.II. Vol. VIII pg. 483 obe. VD); 
in ber Egerge fteht auf ber einen (etwas größeren) Münze: SIRM (Sir- 
mium), auf ber anderen: C + Y (Oyzicus?). Eine Beſchreibung biefer 
Münzen giebt auch Cohen Descript. hist. des monnaies frappées sous 
Pempire romain Tom. VI. Paris 1862. 8. p. 301 No. 151, wo ihr Werth 
& 6 Francs tariert wird, S—n. 


Univerfitäts-Chronit 1866. 


18. Jan. „Acad. Alb, MDCCCLXVI. L“ Programm in conditi Prussiaram regoi 
memoriam anniversariam (15 ©. 4.) Inest Lobeckii dissertationis de dis ve- 
term adspectu corporam exanimium non prohibitis iterum editae pars prior. 
(©. 3-14.) — Quaestiones literariae civibus academieis in hunc annum ad 
eoncertandum propositae. (S. 15.) 

81. Jan. Medic. Doctordiſſ. von Bud. Buttlewscki (aus Allenftein): De embolia adi- 
poꝛa. (92 6.8) 

5, Febr. Philel. Doctordifi. von Otto Meinerts (aus Berlin): Vindiciae Jurenalianae. 
cc & 


SchulScriſten 1886. 87 
Schul · Schriften 1865. 


Ecdc. Zur öffentl. Prüfung im Kgl. Gymn. am 28. u. 29. Sept. ladet ernebenit ein 
Dr. Carl Schaper, Director. Ebd. Drud v. Rud. Siebert. (40 6.4) II. Eins 
führungsrede des Hrn. Prov.⸗Schult. Dr. Schrader. S.1—5. 2. Antrittörede des Di- 
teetord. S. 6—14. 3. Schaper: Beitrag zur Geſch. der Lyder Provinzialſchule. 
6. 15-22. — Schulnacht.: 12 2. u. 320 Sch. 22 Abit.) 

Narienwerder ... 28. Sept... .. Prüfung... Kgl. Oymn. ... Dr. Zheod. Breiter, 
Dir. Gymn. Ebd. Gedr. bei Fr. Aug. Harich. (20 u. 11 6, 4) L[Oberl. Dr. Herm. 
«(im Tert: A. F.) Zeyas: De vocabulorum Umbricorum fictione. Part. III. S. 3—20. 
Jahreöber.: 12 ©. u. 228 Sch. 10 Abit.) 

euſtadt Weſtyr. Vierter Bericht üb. d. Kal. Kathol. Oymn. . . . Prüfung... 
16. Aug. ... Dir. Prof. Dr. Johannes Seemann. Ebd. Drud v. H. Brans 
denburg. (38 ©. 4.) [Oberl. Heine. Fable: Hydrauliſche Formeln für den Abs 
fluß von Wafler aus Gefäßen. 6.3—26 m. 1Taf. — Schulnadr. 132.u.342 Sch. 
5 Abit.] 

villau. Zur öffentl. Prüfung der Schüler der Höheren Buͤrgerſchule ... d. 10. u. 
11. April ladet ... ein A. Zander, Rector. Pillau. Gebr. bei H. Hartung in 
Kgäbg. (84 6. 4.) IProrector Dr. Kretzſchmar: die Fraglichleit der Grenze zwi— 
fen Zhier: u, Pflanzenleben. S.3—21.— Schulnachr.: 7 2. u. 144 6%. 5 Abit] 

Wafenburg. Jahresbericht des Kgl. Gymn. ,. . Prüfung... 28... . 29. Sept. 
... Director Dr. Tochow. Ebd. (39 ©. 4.) [Dr. Rabts, Quaestionum epica- 
ram specimen I. S. 3—27. Schulnadr.: 12 2. u. 320 Sch. 19 Abit.] 

Xhorn. Kgl, evangel. Gymn. u. Bealsch. 1.0rdn....... 28. u. 29. Sept... . Prüfung 
... Direct. A, Lehnerdt, Ebd, Gedr. in der Rathsbuchdr. (52 ©. 4) [Dr. 
Winekler: Ueber die Art u. den Grad der von Herodot geübten Kritik, S. 3—28. 
Bobulnachr.: 23 2. 473 Sch. 6 Abit.) 

Wehlau. Zur öffentl, Feier der Grhebung hieſiger Realihule zu einer Realſchule 
1. Ordnung, die am 4. Jan. 1866 . . . veranftaltet werben wird, giebt fich bie 
Ehre . . . einzuladen W. Friederici, Schul-Director. Ebd., 1865. Drud v. Carl 
Peſchte. (846. 4) [Dr. Schmitz: Umriſſe zur deutihen Geſchichte. (Fortfegung.) 
(6. 3-18.) — Schulnacht.: 12 2. u. 199 Sch. 2 Abit.] & . 





Bibliographie 1864. 
Bortfegung.) 
Kopli, Kal. Preuß. wirkl. Oberforftmeifter 3. Marienwerber, drei Waldbrande in ber 
Tucheler Haide. lForſiliche Blatt. hrsg. v. 3. Ih. Grunert. 8, Hft.] 
Konitzer, Clemens (natus Valcii i, e, Deutsch-Crone), Quaestiones in Benecam pa- 
trem criticae, Diss, Vratial, (III u. 88 6, at. 8.) 


ss Mitteilungen und Anhang. 


Kofante, Chriftn., Lehr. in Elbing, Gelegenheitägevichte. Eine Auswahl Geburtätags:, 
Neujahrs: u. Weihnachtswunſche, ſowie Hoczeitägebichte, Jubilaums. Glucwanſche 
u. Stammbuchverſe für die Jugend u. ihre Erzieher. Eibing. Neumann«Hartmann. 
(VII u. 184 6. 8.) 12 gr. . 

Kossak, Rud,, Congests et composita, quao ad argenti nitriei usum pertinent, Dis, 
Kgsbg. (Schubert & Beidel) (29 ©. ar. 8.) 4 pr. 

Kreiskarten der Provins Preussen, (Ost- u, Westpreussen), hrsg. nach der von Ge- 
neralstabs-Offisieren u. nach den Generalstabs-Karten bearbeiteten grossen Roy - 
mann’schen Specialkarte der Provinz Preussen, im Maassstabe von 1/200,000 der 

' natärl, Grösse, Berl. u. Glogau, Flemming. 38 Lfge. u. 1 Suppl.-Lfg. (55 Sec- 
tionen) & Lfg. 8 Sat. das Bl. einzeln 5 Sar. 

Kreyhig, 3. A. Th, Ueber bie fittlihe u. voltöthüml. Verechtigung des Ghalefpeare- 
Eultus. Feſtrede, bei der Shaleſpeare- Feier in Elbing am 28. April 1864 gehalten. 
Ebing. Neumannshartmann. (19 6. gr. 8.) 6 Sar. 

— — Shalſpeare's lyriſche Gedichte u. ihre neueſten deutſchen Bearbeiter. [Preuß. 
Jahrbücher. 18. Bd. 5. Hft. 14. Bo. 1. Hft.] 

— — Studien zur feanzöfiihen Cultur- u. Literaturgefchichte. Berlin, 865. (864.) Nie 
colatfhe Buchhdl. (IV u. 528 ©. 8.) 2% Thlr. 

Krohn, dorſtinſpector in Kgsbg., Beitrag zur Erziehung der Bude in Saamenſchlägen. 
ldorſtiliche Blätt. hrsg. v. Grunert. 8, Hft.] 

Kur, Joh. Heint., Dr. theol, u. Prof. 3. Dorpat, Lehrbuch der heiligen Geſchichte. 
Ein Wegweiſer zum Verſtändniß des göttlichen Heilplanes nach feiner geſchichtlichen 
Entroidelung. 10. verb. Aufl. Kgsbg. Gräfe u. Unzer. (X u. 3456. ar. 8.) 27 Sgr. 

Laband, die rechtliche Stellung der Frauen im altröm. u. german. Hecht. [Btichr. f. Böle 
Terpfochologie u. Sprachwiſſenſch. hrsg. v. Lazarus u. Steinthal. III. No. 2.7 

— — Das Serreht von Amalfi. (La Tabula de Amalfa,) Hrög. u. erläutert. [Btfchr. 
f. d. gefammte Holsrecht. brög. v. Prof. Dr. 2. Goldfämibt. VII. Bo. 2/8 Hft. 
S. 296-337.) 

Lämmer, Dr. Hugo, Seriptorum Graeciae orthodoxae bibliotheca select, Ex codici- 
bus mas, partim novis ouris recensuit partim nunc primum eruit. Vol, I. Bect, 
1. 2. Freiburg i. Br. Herder. (V u. 186 ©. gr. 8.) 2 Gar. 

— — (Dr, Subregens u, Consultor), Afinitas nata in infdelitate als Ehehinderniss. 
[Archiv £. kathol, Kirchenrecht, Bd, V. 1. Hft, 6, 150 fi. 

— — Die Interpellatio conjugis infidelis u, die päpstl, Dispens von derselben. 
IEbd. 2. Hft. ©. 248 ff. J 

— — Wechselbeziebungen des Trident, Decrets Tametsi, u. der Benedictiner Con- 
stitution Etsi Pastoralis für die Italo-Graeci.. [Ebv. 8. Hft. 6. 368 ff.) 

— — (Prof, u, Consultor zu Braunsberg) Urbans VIII. Breve Eaponi Nobis und 
Benedicts XIV. Constitution Paneis, [Gbd, Bd, VI. 4. Hft. S.28—39.] 

— — Die Sklaverei u, die Kirche, [&bb, 5. Hft. S. 177-1] 


Bibliographie 1864, 89 


Landmeffer. Pius IX. von M. Louis Veuillot. Aus d. Franzdf. überf. v. Theophil 
Landmeſſer, Priefter, Mitgl. der Academien der Arcabia und ber Quiriten in Rom. 
Mit Autorifation des Verf. Danz., Rafemann in Comm. (68 ©. ar. 8.) 8 Sar. 

Lehre, Karl, Weitere Horatiana. (Forts. v. Jahrg. 1863. &.689--550) [Neue Jahr- 
bäch. £. Philol, u, Paed, 89. Bd, 3, Hit. S. 173—196.] 

— — Das Prodmium der Odyſſee. Verſchiedene Empfindungen an bemielben Orte, 
Rhein. Mufeum f. Philol. N. F. 19. Jahrg. 2. Hft. 6.302—306.] 

Leihen: Predigten an Gräbern u. in Trauerhäufern von einem Landpaſtor. 3. verb. u. 

. verm. Aufl. Thorn, 865 (864). Dr. u. Berl. v. C Lambed. (VI u. 336 6. gr. 8.) 
1 Thlr. 

Reitfaden f. d. theoret, Unterricht des Dſtpr. uiraffier-Regiments No. 3. Kgebs . 
Schulgihe Hofbher. (VI u. 106 S. H. 8.) 

Ienta, A. (aus Graudenz) De Herodiani cum Zenodoto necessitudine deque Horodia- 
nes, quas fertur, editione Homeri, [Philologus. 21. Bd, 3, Hft, ©. 885—394.] 
Lewald, Fanny, Bon Geſchlecht zu Geſchlecht. Roman. 8 Bde. Berlin, Janle, (VI u. 

968 S. 8) Pla Khlr. . 

— — Enaland u. Schottland. Reiſetagebuch. 2 Boe. 2. (Titel-)Ausg. Ebd. (851. 52.) 
(XXI u. 1187 &. 8.) 2%, Thlr. ‚ 

— — Wandelungen. Roman. 4 Bde. 2. (Titel-)Xusg. Ebd. (858). (15826, 8.) 4 Thlr. 

— — Ubele. Roman. 2. (Titel)Yusg. Ebd. (855). (VI u. 282 ©. 8.) 34 Zhlr. 

— — Die Kammerjungfer. Roman, 2 Theile. 2. (Titels)Ausg. Ebd., (856), (626 6.8.) 
12a Zhlr. 

— — Deutihe Lebensbilder. Erzählungen. 4 Bon. 2. (Titel-)Ausg. Ebd. (806). 
877 6. 16) % The. 

Leyde, Reit. Gruft, Fruhlingsblüthen des weiblichen Herzend. Erzablungen und Mär 
en. Der weibl. Jugend getwibmet. Mit 2 (lith. u.) illum. Bildern. Lpz., Luppe. 
(It u. 216 S. 16.) cart. %4 Zhle. 

— — Leſebuch f. Thchterſchulen als Handbuch f. d. gefammten Unterricht In der beutfch. 
Sprache. (In 3 Eurfen.) 1. Curfus. Ebd. (VIII u. 184 ©. ar. 8.) 12 Gar. 

Liederbuch f. frohe u, heitere Kreiſe. 6. Aufl. Thorn, Lambed. (272 ©. 32.) 6 Sar. 

Lipechits, R,, Beitrag sur Theorie des Gleichgewichts eines nicht homogenen flüssi- 
gen rotirenden Sphäroids, [Crelle’s Journal f.d. reine u, angewandte Mathem. 
68, Bd. 4. Hi. ©. 289-295) 

— — De explicatione per series trigonometricas instituenda funotionum unius va- 
riabilis arbitrariaram, et praecipue earım, quae per variahilis spatium fnitum 
valorum maximorum et minimorum numerum habent infinitum, disquisitio. [Cbv. 
63.Bd. 4. In. 6.296—808.] (Auch ald Bonner-Habilitationsihrift. (15 ©. 4.) 

Biffewer, Dr., pract. Arzt zc., Ueber Ozon u. Antozon. Bortrag, gehalten im Bemwerbes 
Verein zu Danzig. Danz, Ziemfien. (16 ©. gr. 8) 34 Sat. 


90 Teittheilungen und Anhang. 


Liffauer, Dr., pract. Arzt ac, Ueber Danziger Trinkwaſſer. Vortrag im Gewerbeverein 
am 25. Febr. 1864. [Danz. Big. No. 2807—2810.] 

Lobeokii dissertationes de metaphora et de metonymia nunc primum editae, Kgebg,, 
(Schubert & Seidel). (12 ©. gr. 4.) 4 Sar. 

— — Dissertotiones de synecdoche, de catachresi, de dissologia e Lobeckii scholis 
nuno primum editae. Ebd, (10 ©. ar. 4.) 4 Sat. 

— — de acyrologia et de diploe dissertationes nunc primum editate. Ebd. (8 ©. 
ar 4) 2 Sar. 

Köfin. Separatvotum des Schuldeputationss Mitgliedes Dr. Loſchin in Betreff einer bes 
antragten Reorganifation des Danziger Voltsihulmefens. (Danzig, Wedelſche Hof: 
bäbr.) (10 €. gr. 4) 

Lus, A. L., William Shatefpeare. Cine Feſtrede, gehalten bei der vollsthuml. Feier des 
300jährig. Geburtstags des Dichterd im Saale des alten Weinberge zu Schidliß. 
Danzig, Ziemſſen. (12 S. gr. 8.) ö 

— — Henriette Bräfin Roffi, gekorne Sontag. Blätter der Erinnerung, feinem lieben 
Luigi u. allen Verehrern der Unvergehlichen gewidmet. Ebd. Selbſtverlag. Drud 
v. Edw. Groening. (36 ©. 8.) 

Wareinowski, Gerichts⸗Aſſeſſor F.. Die Heine Kalende im Bereich des Oftpreußifchen 
Provinzialrechts. Berlin. Agl. geh. Ober-Hofor. (IV u. 68 ©. gr. 8.) a Zhlr. 

Mehler, F,G. zu Danzig, Bemerkungen zur Theorie der mechanischen Quadraturen, 
[Crelle's Journal f, d, reine u. angew. Mathem, 68, Bd, 2. En. &. 152—157.] 

Meier, 5., Beiträge zur Handels: u. politifden Geſchichte Koönigsberas. (Separatabdr. 
aus d. N. Pr. Prov.Bl.) Kasb. Drud von Dalkowsti. (101 ©. 8. m. 2 Tabell.) 

Merleker, Prof. Dr., Annalen des königl. Friedrichs-Collegiums zu Königsberg in Pr. 
Den Goennern u. Freunden desselben gewidmet, 2.umgearb, u, bis in d. neueste 
Zeit fortgesetzte Auf, Kgabg. Schultssche Hofbehhr. (VI 1.106 ©. 91.4.) 1 Xhlr. 

Michelis, Prof. Dr. Frid, De Aristotele Platonis in idearum doctrins adversario 
Comment, oritica. Brunsb, Huye. (36 ©. gr. 8.) 8 Got. 

— — De philosophise vi ac munere, Oratio. Ibid. (16 ©. gr. 8.) 4 Sar. 

Minzloff, Oberbibliothelar Dr. R. Die Himmelſtraze. Eine altdeutſche Pergamenthand⸗ 
ſchrift der Kaiſ. öffentl. Biblioth. zu St. Petersburg. Mitgetheilt von... Nor⸗ 
diſche Revue. 1. Bd. 2. Hft. ©. 172-186] 

Möller, Dr. J. Actenftüde der wider mid; geführten Disciplinarunterfuhung. Gin 
Beitrag zur neupreußiihen Geſchichte. Leipza . D. Wigand. (316. gr. 8.) Ye Thlr. 

— — Immanuel Kant, fein Leben und Wirken, dargeftelt für das Voll, zunächſt für 
Königäbergd Bürgerfhaft bei Gelegenheit der Einweihung de Kant:Dentmals. 
Agsbg. u. Zilfit, Theile's Buchhdlg. (27 6. or. 8.) 3 Sar. — 2. Aufl. Nebit 
1 lith. Abbildung der Kant-Statue. Ebd. 5 Sgt. 

Monumente, Votera, Poloniae et Lithuaniae gentiumgue fnitimarum historiem illu- 
strantia, maximam partem nondum edita ex tabulariis Vaticanis deprompta ool- 


Bibliographie. 1864. 91 


lecta ae serie chronologioa disposita ab Aug, Theiner. Tom. IV. Ab Innocentio 
PP. XIT. usque ad Pium PP. VI. 1697—1775. Romae (XII u. 802 €. fol.) 
2 Üblr. (I-IV, 88 Zhlr.) 

v. Mülverftedt, G. A., Ueberſicht der Stifter, Mlöfter und Orbenshäufer, ferner Hoſpi- 
täler, Kapellen, Ralande, geiftlihen Brüber: und Schweſterſchaften und Kirchenichug« 
patrone in der Altmark:Brandenburg. [14. Jahresbericht des Altmärk, Vereins 
u. ſ. w. 6. 101-121] 

— — Die Edeln von Maketserve und ihre Heimat. [Neue Mittheilungen aus dem 
Gebiet hist,-antiquar. Forschungen hrsg. von d, Thüring,-Bächs. Verein. X. Bd, 
©. 237-258] 

Müttrich, A., Bestimmung des Krystallsystems und der optischen Constanten des 
weinsteinsauren Kali-Natron; Einfluss der Temperatur auf die optischen Con- 
stanten desselben und Bestimmung des Brechungsquotienten des Rüböls u. des 
destillirten Wassers bei verschiedenen Temperaturen. [Poggendorff's Annalen 
d. Physik u, Chemie. Bd. 121. Stück 2. &.198—238. Stück 3. &.398—430.] 

NRacdweifung aller evangeliihen Kirchen und Geiftlihen in der Provinz Preußen. Im 
März 1864. [Beilage zu No. 14 de Cvangel. Gemeindeblatts vom 2. Apr. 1864. 
S. 61-68] 

Neffelmann, Lic. Pred. Die Kennzeichen ver Gläubigen. Berlin. (Bed.) (38 6. 8.) 
Un Wlr. 

— — Wie ſtehen die pſychiſchen Menſchen zum Reiche Gottes? Vortrag. lAllgem. 
Kichen-Ztg. No. 18-16.] 

— -- Der Selbftbetrug de3 modernen Heidenthums. Vortrag. [MBeftpreuß. Zeitung 
No. 134-136.) 

— —. Se di, Scheilh Muslih-eddin, der Roſengarten. Aus d. Perſiſch. überfegt von 
©. H. F. Reffelmann. Berlin. Weidmann. (VII u. 312 S. 8.) cart, 12/3 Thlr. 

Neumann, Carl, Theorie der Elektricitäts- und Wärme-Vertheilung in einem Ringe. 
Halle. Buchh, d, Waisenhauses, (IX u. 51 ©. gr. 8.) a Thlr. 

— — Dr. Maxim, De foenore redituum annuorum emtionis, Dies, Ebd. (VIII u. 
51 ©. gr. 8. m. 2 Tab.) 5 Thlr. 

— — Geschichte des Wuchers in Deutschland bis sur Begründung der heutigen 
Zinsengesetze. [1654.] Aus handschr. n, gedr. Quellen dargestellt. Ebd. 865. 
864.) (XVI u. 638 ©, gr. 8.) 22a Thlr. 

Neumann-Hartmann, 3. W., Das Gewiſſen ald Zeugniß wider den Materialismus 
unferer Tage, Elbing, Neumann-Hartmann in Comm. (27 ©. gr. 8.) 4 Sar. 

ldtieolovius.] 

W. Baur, Geſchichts u. Lebensbilder. Bd. I. Hamburg. Agentur des rauhen 
Haufes. 

Niederftetter, Kal. Bolizeicath 3. D., I, Das Provinzialsecht für Weitpreußen nebft 

den dazu gehörigen Publikations ⸗ Patenten unter Berüdficht. der dazu erlafienen Der 


92 Mittheilungen und Anhang. J 


tlaratlonen u. abänd. Geſetze, ſowie der auf Grund deſſelben ergang. Entſcheidungen 
des Kol. Obertribunals hrög. Danzig. Kafemann. (83 S. gr. 8.) a Thlr. 

Nimz, Fr., Kopfrechenaufgaben für Schüler der Oberllafien in Stadt- und Landſchulen 
Marienwerder. Jacoby. (156. 8.) 12 Sar. Auflöfungen dazu. (36.) 2/2 Sor. 

is ſch, K. W. Romiſche und deutihe Annaliftit u. Geſchichtſchreibung. Eine kritiſche 
Parallele. [Sybel's bift. Ztihr. 6. Jahra. 1. Hft. ©. 1-80.) 

Nobis, A., die Fruchtwechſelwirthſch. in Verbindung mit Stallfütterung od. Weide auf 
Grund der vetrſchied. Bodenverhältniſſe ſowie der Uebergang der Dreifelderwirthſch. 
in die Fruchtwechfelwirthfh. u. deren Folgen auf d. geiſtige Wohl des Landvolles. 
2. Aufl. Mit 8 Fruchtfolge-Tab. Berlin, Schotte & Co. (IV u. 84 ©. 8.) 12 Sgt. 

— —  R, Ober⸗Inſp. der Straf-Anſtalt Gordon, Handbuch für die Aufieher der Ge: 
fängniffe u. Straf-Anftalten u. f. die verforgungäberechtigten Unteroffiziere, welche 
fih dem Dienfte jener Auffeher unterziehen wollen, m. Beifilgung e. beſondern Ca- 
pitels über den Dienft der Auffeberinnen bei den weibl. Gefangenen. Danz., Kafer 
mann. (VII u. 56 ©. 8.) 12 Sgr. 

Oelrichs, Kgl. Reg.-Rath in Danzig, Beiträge zur Statistik des Danziger Handels. 
[Ergänzungsheft I, =, Zeitschr. d. Bgl. Preuss, Statist, Bureaus, red, v. Dr. Ernst 
Engel. Berlin, Decker.] (48 ©. gr. 4.) 12 Sgr. 

omeiam de Immaculata Conceptione B. Marise Virginis cum Offcio Defuncetoram 
et Processione pro Fidelibus Defunctis. Ad usum Fratrum Min, 8. P. N, Fran- 
eisei Reformatorum in Provincia sub titulo: „Immae. Conceptionis B. Mariae 
Virg.“ Weiheropoli. Typis H. Brandenburg Typographi, (Reuftadt in Weitpr.) 
(62 ©. 8.) . 

Oblert, Rector d. höh. Bürgerfh. 3. Gumbinn. Dr. B., Lehrbuch der Mathematik für 
Realſchulen u. Gpmnafien, fowie zum Gelbftunterriht. IL. Abth. a. u. d. T. 
Lehrbuch der Arithmetit. 1. Curfus. Elbing, 865 (864). Neumann-Hartmann. (201 ©. 
or. 8.) Sg Thlx. (I—U, 1. : 15/8 Zhle.) . 

Drtfaftd:Berzeiänig des Ober-Boft-Direltiond-Bezirts Königsberg i. Pr. I. alpha⸗ 
betifch, II. nad) Poft-Unftalten geordnet. Kgsbg. Gebr. in der Böhmerfhen Bchot. 
(8 Bl. u. 268 ©. ar. 8.) 

Dtto, Prof. Dr. D., Interpunltionslehte auf wiſſenſchaftl. Grundlage. Für Schulen: 
2. Aufl. Braunsberg. Peter. (85 S. 8.) 3 Sur. 

Pabſt, A, Das Nothwendigſte zum Gefangunterrit in Gymnafien u. höheren Bürgers 
ſchulen. Nebſt e. Anhange der gebräudlichften Choräle (Kftimmigd, mit beſond. Ber 
rüdfichtig. der neueft. Aufl. der vom Kal. Prov.-Schul-Collegium brön. „80 Kircbens 
lieder f. d. Schule“ fowie der Liturgien. 2. verm. Aufl. Kasbg. i.-Pr. u. Tilſit. 
Theile. (86 ©. 8.) Ya Ahle. & 


Periodiſche Literatur 1865. 1866, ö 98 
Periodiſche Literatur (1865. 1866). 


„Gäleffche Prowinzialblätter. Hrsg. v. Th.. Delsner.“ N. N. 4. Jahrg. Der. 
(Xvi u. 6.725—776.) 5. Jahrg. Yan. (5. 1—64.): Th. Delsner, Andreas Gry: 
phius auf den Brettern. Dr. €. Grünhagen, Prolog 3. Aufführ. der „geliebten 
Dornrofe* v. Gryphius. H. Palm, Bernhard Kamenz; Ganzler Herzogs Heint. IV. 
dv. Breslau, fpät. Bild. v. Meiſſen. Nach d. Schilderung. v. Prof. Anothe aus: 
zugsw. mitgeth. N. Rärger, Nachträgl. z. d. Aufige. „Einiges Ab. d. Leid. u. Krank: 
beiten unf. Vorfahren.“ Zul. Neugebauer, d. Bresl. Stotwage (ShL) Arvin, 
3 Capit. üb. d. fhleht. Wege Schleſ. u. fr. Nachbacſch. Rudloff, d. Preußenlied. 
FJ. Zeh, Noch ein Weihnachtfpiel (Herodesipiel) aus d. Eulengebirge. Th. Delsner, 
Balerius With. Neubet. 3. 100jähr. Gedent. Rob. Schüd, Eine ſchleſ. Aünftler- 
familie. Nachträge 3. d. Gnabenbildern u. Wallfahrtorten. — Th. Delöner, 8. 
Geſch. der Provinzialblätt. Dr. Th. Bad, Beiträge 3. Cultur-Geſch. Oberſchleſ. 
Aus Hippels boicr. Radlafie mitgeth. H. Struſche, Schlefiih. Gerümpel u. Ge- 
rüle. Zul. Neugebauer, d. Begründg. d. faufınänn. Corporation u. d. Reichkras 
mer-Societät 3. Breslau. mit der Stiftgsurt. M. P., d. Heldenfrau eines Schleſ. 
(Frau Nageduſch, Soldat i. J. 1818). Die Königin v. Saba. Aus d. Erinnerung. 
e. alt. judiſch Schlef. Chi, Was fehlt d. meiften Landgemeind. Schlef. u. wäre doch 
unſchwer u. zu groß. Eegen berzuftell.? 1.) Landl. Altenhäufer. Th. Deläner, 
Karl Wild. Immanuel Krahn (Nekrol.) R. S., dfftl. Aufzüge u. Habnenkämpfe in 
Schleſ. Beydelt, Rechtspflege ver Vorzeit. A. T. e. Teufels-Sage aus d. Trebniger 
Gebirge. Menzel, Helden- u. Loblied x, geſung. in Reich-Hennersdorf. z. 3. d. 
bair. Grbfolgelr. Mitgeth: — Stimmen aus u. f. Schleſ. — Literat- u. 
Runftblatt. — Zur Chronik u, Statiftil. — Brieflaften. 


Ueber d. Mauerwert d. Ordensſchloſſer in Preußen. IRomberg’s Ziſchr. f. praft. Bau 
hunft. 1865. Hft. 8.] 

Sinteranficht von Weftpreng. I—II. +4} Rofenberg. Sept. [EIbinger Anzeigen. 
1865. No. 78. 80. 81.) IV—VII. Löban. Oftob. IEbd. 82-84. 86.] 

das Moosbruch (im Kasbg. Reg. B., ehem. „Kurfürftl. Wildniß“ gen., 40,000 Morg. 
groß, zw. den Quelfläfi. des Nemonien: Schaltlit-, Schnedes, Laukur- u. Timber: 
Fluß.) lRgsb. Amtsbl. 1866. No. 4.] 

Die xreus. Centralbahn. [Grandenz. Geſellige 1866. Ro. 1.) 

das Inſterburg · Oletzkoer Eiſenbahnproject. [Pr. Litt. Btg. 1866. No. 2. 6.] 

der König Wilbelm's · Qanal. (Dinge Drawöhne-Schmeltel-Aanal.) [Kasb. Amtobl. 
1866, No. 2] 

% S., Zur hiſtor. Entwidl. d. Schafzucht in Preußen. LBeorgine. 1866. 6. Hft.] 

Der Inſeltenfraß u. feine Folgen, in Bezug auf die Holgbebürfnifie ber bieſig. Vrovimn. 
lSumbiun. Amtsbl. 1865. No. 62.] 


9 Mittheilungen und Anhang. 


Dr. Praͤtorius, die Seidenzucht im Ermlande, [Braunab. Kreisbl. 1865. No. 88. 85.90.) 
—1-— Aus Littauen. (betr. d. roh. Kulturzuſtd. u. d. Demoralifat. unter d. Littauern 
befend. in d. Kreif. Tilſit, Heydekrug u. Memel.) [Sg85. Neue Itg. 1866. No. 14] 

Bon Königsberg nad Pr. Eylau u. Mafuren. [NgS5. Hartungſche Ztg. 1865. No. 302. 
(1. Beil) 1866. Beilagen zu No.1. 2. 6-9.) 

Mafurife Sprichworter. IGraud. Gef. 1866. No. 6] 

Nachrichten üb. d. Bevöllerungs:Berhäktnifie im (Danziger) Reg.-Bez. [Danz. Amtsbl. 
1865. Ro. 47.] 

(Ueber die Ergebniſſe der) Grundfteuer:Beranlagung nad dem Geſt. v. 21. Mai 1861. 
«im Reg.:Bez. Bumbinnen.) [Bumbinn. Amtsbl. 1865. No.50. 51.] 

R., das Korfirmandenhaus in Bäslack (im Kreiſe Raftenburg.) [Evangel. Gemeindebl. 
1865. N0.52.) 

Einweihung des Kreiß-JohannitersRrantenhaufes zu Bartenftein im Reg.-Bez. Kasbg., 
Kreis Friedland am 20. Dez. 1865. [Dftpr. Btg. 1865. No. 306,] 

NR. E., Aus Culim vom 8. Oft. u. d. 22. Ott. [Totn. Wcqhbl. 1865. No, 160, 168.] 

Culm u. d. Klofter der barmherz. Echweftern. IEbd. 1865. No. 205.] 

(Dr. Brup’ Vortrag im) Gewerbeverein (zu Danzig 1. Febr. Ab. e. Cpifode aus ber 
Danzig. Geſch.: die Jahre 1410 u. 1411, m, befond. Berüdfitig. der Letzkau'ſchen 
Rataftrophe.) [Danz. Btg. 1866. No. 8460.] 

Die Entwäflerung ber Stabt Danzig. (betr. die fehr erhebl. Schattenfeiten des Wiebe: 
ſchen Projects.) [Weftpr. Stg. 1866. No. 15. 16.] 

Handelö: u. Gewerbeberichte aus Danzig. Preußiſch. Handelsarhiv 1865. No.9. 12, 
16. 20. 27. 32. 34. 40. 42. 50]. 

Vrfen-Orbnung f. d. Stadt Danzig. [Danz. Amtsbl. 1865. No,42.] 

Mäller-Orbnung f. d. Stadt Danzig. [Chd. No. 43.] 

Das Stiftungsfeit des Gewerbevereins in Danzig. [Danz. Btg. 1866. No. 3426.] 

Naturforſchende Gefellfä. zu Danzig. (Dr. 8. Bericht üb. d. ord. Gikg. v. 2. Jan. 1866. 
Jahresber. f. 1865 erftatt. durch d. Direct. d. Geſellſch. Dr. Bail: 2 Mitgl. geft., 
5 außgetret., 29 neu aufgen,, im Gz. 75 einheim. Mitgl.; 16 ord. u. 12 außerord. 
Sigg.; Fortj. der feit 1862, reſp. 1862 begonnenen meteorolog. Beobachtgen. in Hela 
u. Neufahrmwafler; Hrögabe, e. neu. Hfts. (ei. Mipr. Monatsfgr. 11, 382); Verhdla. üb. 
Begründung e. zoolog. Gartens; Subvention v. 4000 Thlr. durch d. Prov.Landtag; 
Zuwachs der Biblioth. um ca. 140 Bde. meiſtens durch Austauſch u. Geſchenke; 
Titer. Vbindg. m. 78 wiſſſch. Vereinen; erhebl. Vermehrg. d. naturhift. Cabinets durch 
Geſchenle.) [Danz. Ztg. 1866. No. 3438.] 

Statift. Notizen üb. EIbing für d. 3. 1864. [EIbing. Anz. 1865. Beil. zu Ro. 78.] 

Hanveld: u. Gewerbeberichte aus Elbing. [Pr. Hblsarchiv. 1865. No. 16. 19. 21. 26. 
29. 35. 40, 43. 50.) . 

Elbing. (Bum 50jähr. Jubiläum des 8. Wanen:Reg. — j. Oſtpr. Ulanen-Regim. No. 8 


Periodiſche Literatur (1865. 1866). 95. 


genannt — d.29. März 1865. Oberft v. Kroſigk ſtizz. d. Gel. des Regim.) IElb. 
Any. 1865. Ro. 27.] 

Dentfhr. betr. d. Zuſtd. des Weſtyr. Landarmenfonds u. der damit verbund. Beſſergs. 
Anftalt in Graudenz im J. 1864. [Danz Amtsbl. 1866. No.45.] 

X Gumbinnen. (Feier des 50jähr. Beſtehens d. litt. Friedensgeſellſch. zu Bumbinnen. 
18. Jan. 1866.) IPr. Litt. Btg. No. 17.] (Chronit der Gefeih.: 505 Mitgl,, Ka 
pital 12,770 Thlr., Einnahme: 688 jährl. Binfen. 685 Thlr. Jahres⸗Beiträge, zuf.: 
1273 Xhlr., wovon 27 Stipendiaten untftgt. wd. Seit Beftehen d. Geſellſch. im Ganz. 
178 untftgt) lGumb. Amtsbl. No. 4] 

Eine Fahrt v. Elbing nad d. Seebad Kahlberg. [Globus. 9. Br. 7. Lfg.] 

Handelö« u. Gewerbeberichte aus Kasbg. [Pr. Holsarch. 1865. No. 18. 16..19. 22, 29. 
31. 86. 39. 51.] 

Rgebg. (Statift. Ueberficht der Xhätigleit der Feuerwehr im I. 1865.) [Dftpr. Btg. 
1866. Ro. 3.] 

Der Kunftverein (zu Kasbg. vertheilt als Bereinsblatt pro 1866 unt. ſ. Mitgl. den 
Kpfitih. von Troffin nad Leſſing's betendem Monche am Sarge Heinr. IV.) [Ebd., 
1865. No. 306.] 

Berein z. Rettung Schiffbrüchiger zu Kgsbg. (Aufruf vom 5. Jan. 1866. [Ngöbg. 
Hartgſche Btg. u. Dftpr. Btg. No. 9 u. wiederholt. ef. Oſtpr. Big. 18.) (conftis 
tuirt den 26. Jan. mit Anſchluß an den allgem. deutſch. Verein in Bremen.) [Hartg.” 
he Btg. u. Ditpr. Stg. No. 28.) (of. Ebd. No. 86.) 

Die Dede des groß. Saales im Kneipböfifgen Junkerbofe mit dem neu. Mittelbilde 
von Joh. Heyded, lKgsbg. Hartg. Big. 1865. 1. Beil, zu No. 306.] 

Handels: u. Gewerbeberichte aus Memel. [Pr. drihard. 1865. No. 9. 12. 19, 28. 27. 
32. 35. 39. 44. 50.) 

Die JoiotensAnftalt in Raſtenburg. lKgsbg. Kntsöt 1866. Ro. 8.] 

Rüttheilungen üb. d. Irren-Anſtalt zu Schwetz. IDanz. Amtsbl. 1865. No.44] 

Beiträge zur Geld. Thornd. 1. Dr. 2, Prowe, die Miedervereinigung Thorns mit 
Preußen (aus d. Prov.-Bl.) [Tforn. Wchbl. 1865. No. 100-102.) 2. Dr. R. Brohm 
d. Thorner Hocztäorbng. im 17. u. 18. Jahrh. IEbd. 108—105.] 3.2. Plromwe), 
d. Pulvererplofion 3. Thorn i. I. 1807. [Ebb. 106.] 4. 2. P(rowe), Thorn's 
Anhänglt. an Preußen. 5. 2. P(rowe), 3. Geſch. d. Folter in Preußen. Cbd. 139.] 

Eine biftor. Notiz üb. d. Thorner Stabtwappen. (cf. Hans Meininger, Heraldiſches in 
„Beltermann’3 illuſtt. diſch. Mtshften.” 12. Hft. Spt. 1865; mehr Fabel, als ges 
ſchichtl. Bealaubigtes.) IEbd. 149.] 

bandels· u. Gewerbeberichte aus Thorn. (Pr. Hblsarch. 1865. No. 12. 18. 26] 

Eoperniens-Berein zu Thorn. (ord. Sigg. 8. Jan. 1865. [Thorn. Whbl. 6.) 6. Febr. ’ 
122.] dff. Sho. 19. Febt. Geburtätag des Patrons [29.] ord. She. 14. März [44. 
45.) 8. Apr. [55.] 8. Mai [75.) 12. Juni [98.] 3. Juli [106] 7. Aug. [126.] 
4. Spt. [141.] 16, Oct, [164] 6. Nov. [176] 11. Der, [196 





96 Mittheilungen und Anhang. 

Das 25. Stiftgsfeft des Tborner Gingvereins. [T5. WEHT. 1866. No.41.] Bur Felt: 
feier 1. u. 2. Apr. 1865. IEbd. 47. 53.) Zur 25jähr. Fubelfeier. 1. die Adreſſe. 
(Seftgruß an Dr. Wilh. Sgft. Hirſch b. d. 25. Gtiftgäfeft des Thorn. Singer: 
eind.) 2. Jubellied auf Dr. Hirſch (in griech. Spr. vfaßt v. Prof. Dr. Janſon, 
metr. aberſ. vom Bf.) [Ebd. 54.) 3. Das Feftgedicht v. Gymnaſ.⸗Lehr. Dr. Bodſtein 
vfaßt. 4. Die Zeitliever. (Chv. 56.) 

Das 50jähr. Stiftgöfeft des 88. oftpr. Füfilier-Megimentd No. 33 am 12 u. 13. Dec. 1865. 
in Köln (früher in Thorn garnifonirt,) [Ebd. 199. Beil] 

Handels · u. Gewerbeberichte aus Tilft. [Pr. Holsarch. 1865. No. 12. 16. 18. 20, 27. 
31. 35. 40. 42. 49.] 

Das Agl. Hauptgeftüt Trafepnen in Oftpr. IJluſtt. Big. 1865. No, 1172] 

Wehlau. (Eorrefp. betr. d. hiftor., landſch. u. gewerbl. Bedeutſaml. der jeßt ca. 6000 Ein. 
‚Ablend. Stadt.) [Mgöbg. Hartg. Btg. 1866. Beil. ;. 19.) 

Strümpell, A. E. v. Baer's Anfihten üb. Schule u. Schulbildg. [Balt. Monatsſchr. 
12.8. 4. Hft. Det. 1866.) 

Netrolog des Dr. Werd. Deneke, Mitarb. d. Danz. Dampfb,, + 4. Ron. 1865. [Dany 
Dampfb. 260.) 

Ed. Heinel's Ged.v.I. 1825: „Diefe Blattes (scil, „Elbing. Anzeigen“) Glucwunſch 
3 neu. Jahr.“ wieb. abgedr. IElb. Unzeig. 1865. No. 16.] 

Zur Löfhinftiftung. (Loſchin's Erllärg,, daß er d. Zinfen des ihm an fm. Jubilaums ⸗ 
tage v. |. früh. Schülern überreicht. Kapitals v. 1000 Thlr. zur fortlauf. Grgänzg. 
fr» der St. Johannisſchule hinterlaß. Vibliotb. — befond, reich für diſche. National: 
lit. — [Dang. Dampfb. 1865. No. 802. Weſtpr. Stg. No. 808. vol. Dan. Big. 
No. 3388.) 

Amtsjubiläum des Predigerd an Gt. Barbara zu Danzig Earl Ernſt Deblſchläger 
d. 80. Det. [Panz. Stg. 1865. No. 3290. Dan. Bampfb. 254.) 

Z., Amtsjubiläum (des Pfarrers Otto v. Schaewen) in Allenburg. [Ev. Gemeindebl. 
1866. No.5.] 

Pfarrer Schuur in Mühlhaufen +29. Dec. 1865. (Nekrolog.) [Danz. Itg. 1865. No. 3400.) 

Netrolog (des Kgl. Superint. Earl Bottfe. Samuel Thiel, 27. Jan. 1866 in Stras⸗ 
Burg +) [Graud. Gefell, 1866. No.17.] & 


Shizzen aus Zlt-Brenffen. 
Von 
Bernhard Ohlert. 
(Zal. Alipr. Mtsſchr. I, 289—812,) 


I. Bas friſche Haff. 

Hochſt eigentHümliche Bildungen find bie beiden großen Blußmändungs 
ken dicht am Geftade ber Oſiſee, das frifhe und dae kuriſche Haff. Erſte⸗ 
ns iſt ausgezeichnet durch den landſchaftlichen Meiz eines großen Theile 
feiner Ufernmfänmung. An Größe zwar von dem kuriſchen Haff weit 
ibertroffen, ift es doch ein mächtiger Waſſerſpiegel, der, durchſchnittlich 
über eine Meile breit, etwa 12 Meilen lang, einen Flächenraum von faſt 
1 Quarbratmeilen überbreitet. Er verdankt feine Entftehung den Wafe 
fern zweier bebentender Ströme, der Weichfel, die zwei von ihren drei 
Armer, die Nogath und die Elbinger Weichjel mit einer großen Anzahl 
Heiner Wafleradern in feinen ſüdweſtlichen Winkel ergießt, und des Pre 
gele, der ungetheilt in den norböftlichen Winkel einftrömt. Zwiſchen bei- 
den die äußerften Enden bes Eees einnehmenden Mündungen ergießen 
fih noch eine Anzapl zum Theil ziemlich waſſerreicher Flüßchen hinein, ber 
Üking, die Bande bei Frauenburg, die bei Brannsberg vorbeiflteßende 
Pallarge, die Srifhing bei Brandenburg, dazwiſchen Heine Bäde. Bon 
dem Flußchen Friſching, an deſſen Dündung zur Zeit des deutſchen Or⸗ 
dens ein wichtiger Hafen und Anferplag war, rührt wahrſcheinlich ber’ 
Rome her, nicht wie man wohl geglaubt Hat, davon, daß es fpäter als 
das kuriſche entftanden und daher friiches, neues Haff genannt worben. 
Der altpreußiſche Name ift Halibo. Für vie ganze Ufergeftaltung bes 
ftiſchen Haffs if es nun von befonberer Bebentung, daß zwifchen jenen 


keiten Hanptfiromgebieten ein nicht unbebeutender dohenag hier die 
Ungr. Bonatöjgeift Os iu. Dit 2, 


98 Gtizgen aus Altpreuhen 


Waſſerſcheide beider, fich einſchiebt, der von Elbing bis Frauenburg bicht 
an's Ufer tritt, dann etwas zurückweicht und erſt an ſeinem Ende in 
der vorſpringenden Spitze von Balga wieder bis dicht an's Haff reicht. 
Wahrſcheinlich Hat in frühern Zeiten dieſe Trennung bes Weichfel- und 
Pregelgebiets fi bis auf das von beiden Flüſſen gebilvete Wafferbeden 
erfiredt. Der Balgaer Spige gegenüber, unweit Pillau bei Kamftigall 
fpringt gleichfalls das Geftabe beutlich hervor; bie gleichartige Lagerung 
der Schichten an beiden Höhen feheint auf einen früheren Zufammenhang 
zu deuten; von beiden aus erſtrecken fich Untiefen, aus Lehm und Sand- 
ſchichten mit Steinen untermifcht, fogenannte Hafen, weit hinein. Auch 
erzählt der Preußiſche Ehronift Lucas David ausdrüclich, daß früher beide 
Landvorfpränge fo nahe zufammen gereicht, daß nur eine leicht durchwad⸗ 
bare Waflerrinne dazwiſchen geweſen. 

Der ſchmale vorgelagerte Landftreifen, der das Haff von ber See 
trennt, iſt theile die frifche Nerung, von den Mündungen der Elbinger 
Weichſel bis zum Pillaner Tief oder Seegat in einer Länge von 71/, Meile 
ſich erſtredend, theils die Landzunge am Sübweftende ver Halbinfel Sam- 
land von Burg Lochftäbt in der Nähe des Städtchens Fiſchhauſen bis 
Pillen. Beide Theile der Begränzung zeigen dieſelbe Formation, eine 
Breite, die zwifchen 100 bis etwa 500 Ruthen variirt bei wechſelnder Höhe 
über dem Waſſerſpiegel, bie freilich felten weit über 100 Fuß Hinausgehen 
dürfte, und an einzelnen Stellen 5. B. bei Lochftäbt nur 10 bis 15 Fuß 
beträgt. Nimmt man Hinzu, daß fie anf dem größten Theil ihrer Ans 
dehnung nur ans Sandbünen befteht, jo Tann man ermefien, wie ſchwach 
diefe Scheidewand fein muß, Und in der That Hat in ber kurzen Zeit, 
daß wir hiſtoriſch beglaubigte Nachrichten von biefer Gegend haben, feit 
Eröberung des Landes durch den beutfchen Orben, bie Etelle des Durch⸗ 
bruchs verſchiedentlich gewechſelt. Noch am Anfange bes 14. Jahrhunderts 
gab es zwei Meerengen, für das Königsberger Haff das Pregelgebiet bei 
Lochſtãdt, für das Elbinger Haff ganz am Anfang ber Nerung, Elbing 
gegenüber, bei Bogelfang. Beide verfandeten und zwar das Elbinger Tief 
nicht durch ben Kampf feinblicher Elemente, fondern in Folge der Rivalität 
amb Hanbelseiferfucht aweier Städte. Die Danziger verſenkten im ber 
fchmalen Durchfahrt einige mit Steinen belabene Schiffe, der von Sturm 


von Bernhard Oplert, 99 


und Welle darüber gehäufte Sand vollendete das Werk und bie für ben 
Handel Elbings fo äußerft günftig gelegene Fahrſtraße war zerſtört. 
Ob Heflen-Darmftadt die Ibee feiner famofen Biberiher Expedition, die 
ein guter Pendant zu dieſem Etüdchen ift, aus dem Studium ber alten 
Hiftorie von Preußen entnommen, ftelle ich dahin. — Natürlich mußte 
nah Verſchluß beider Mündungen bie fi aufftauende Waſſermaſſe einen 
andern Ausweg fuchen; dies gefchah bei Alt-Tief, etwa zwei Meilen ſüd⸗ 
(ih von Pillen. Auch dies verfandete allmählih um 1456 und es ent 
fandt bei Alt-Pillan etwas nördlich von der jegigen Stadt Pillen ein neuer 
Durchbruch, der ſich mehr ſüdlich erweiterte und 1510 bei einem heftigen 
Norbweftfturm bie Richtung nahm, bie er noch jegt Hat. — Wenn nun 
auch die Fahrſtraße durch die Nerung ſeitdem unverändert geblieben if, 
fo Hat die geringe Etabilität des Walles ſich in anderer Hinficht als ſehr 
rerderblich gezeigt, beſonders feit der befannten Abholzung der Wälver auf 
der frifchen Nerung unter der Regierung Friedrich Wilhelm I. Der weiter 
amd weiter vorrüdende Slugfand hat feitbem nicht allein auf den Nerun⸗ 
gen Aecker, Wiefen, ganze Dorffchaften zerſtört und begraben, fondern vers 
fandet auch die Waſſerfläche der Haffe mehr und mehr in für den Handel 
bedrohlichſter Weife. Die Koften, melde bie Anpflanzungsverfuche zur 
Lerfeftigung der Dünen, das Ausbaggern bes Fahrwaſſers oder die zum 
Schutze deſſelben angelegten Molen bereits verfchlungen haben und noch 
verfchlingen werben, laffen jich nur nach Millionen zählen. — 

Näher auf die intereffanten Berhältniffe einzugehen muß ich mir hier 
derſagen; Übrigens find biefelben fehr eingehend im verfchiebenen Auffägen _ 
ver „Brenkifchen Provinzialblätter” gefchilvert. 

Die Tiefe diefes großen Wafferbedens ift, wie feiner Entftehung nach 
ſchon zu erwarten war, nirgenb bebentend, am ber Pregelmünbung nur 
Up Fuß, fonft wohl zwiſchen 9 und 16 Fuß, bis zw welcher Tiefe ſich 
der Grumd jeboch fehr allmählich abbacht, fo daß man an ben meiften 
Stellen viele hundert Fuß weit Hineingehen Tann. Zahlreiche Haken er⸗ 
freden fich überdies bis tief hinein, fo daß größere Schiffe an eine ſchmale 
dahrſtraße gebunden find, bie mit weißen Tonnen, auf benen Heine bebufchte 
Etämmchen fich wiegen, bezeichnet ift. Zubem fällt und finkt das Niveau 
der Wafferfläche unter dem Einfluß verſchiedener Winde —— ſo daß 

* 


100 Slinen aus Altpreuhen 


die Schifffahrt nicht ohne Gefahr iſt. Für das gewöhnliche Bedürfniß des 
Handelsverkehrs iſt die Tiefe der Waſſerſtraße im Ganzen ausreichend und 
wird durch unermüdliche Thätigkeit auf dieſem Standpunkt erhalten. Nur 
für die mächtigen Dreimafter, Schiffe von 4 bis 500 Tonnen Tragfähig ⸗ 
feit, die der blühende Elbinger Schiffbau Tiefert, genügt bie Tiefe unter 
gewöhnlichen Umftänden nit. Da muß oft Monate lang gewartet werben, 
bis durch ftarke in günftiger Richtung mehende Winde das Waffer zu unge: 
wöhnlicher Höhe aufgeftaut wird, fo daß der Eoloß durch Schleppbampfer 
in die hohe ©ee, fein Element, bugfirt werben kann. — 

Nach diefem allgemeinen Ueberblid möchte ich meine Lefer ein wenig 
längs dem Geſtade herumführen, natürlich nur da verweilend, wo wir es 
intereffant und ſchön finden, einen wirklichen Marſch metlenweit durch ben 
Sand der Dünen feinem von ihnen zumuthend. 

- "Beginnen wir mit bem norböftlichen Winkel, ver Mündung des Pre 
gels, die durch das hübſche Landſchlößchen Holftein, in der Geftalt eines 
großen lateiniſchen H gebaut und in einem anmuthigen Parfe gelegen, 
bezeichnet wird. Längs bes nörblichen Ufers zieht fich mehrere Meilen weit 
und tief landeinwärts fich erftredend bie Kapornfche Haide, ein mächtiger 
Borft, aus Tannen und Fichten beftehend. (Ich bebiene mich hier ber in 
der ganzen Provinz gebräuchlichen Bezeichnung, füge aber hinzu, daß wir 
unter Fichte den in Dentfchland meift Kiefer genannten Baum, Pinus 
eylvestris L. und unter Tanne bie Pinus abies L. ober Abies excelsa 
Dec. verftehen, die anberwärts Rothtanne ober Fichte genannt zu werben 
pflegt.) Dies find die einzigen maffenhaft vorfommenden Nabelholzbäume 
unferer Wälder, fie finden fich felten gemifcht, meift an einer Stelle nur 
die eine ober die andere. Auf dem Schauplag unferer Schilverung herrſcht 
im Allgemeinen im norböftlihen Theil bie Tanne, im fühweftlichen bie 
Fichte vor. Der dichte, hochſtämmige Wald, ferftmäßig bemirthfchaftet 
und durch gerade Durchhaue in Schläge getheilt, ift zwar etwas einförmig, 
beſonders da das Terrain eben if, doch macht die Stille und Einfamteit 
zwiſchen den dicht fich brängenden Hundert und mehr Fuß emporftrebenben 
mächtigen Säulen dem Durchwandernden einen wunberfam impofanten 
Eindrud. Es ift noch etwas von bem altprenfifchen Character in biefer 
Gegend; die hohen Wipfel durchweht noch ein Hauch jener Zeit, wo ber 


von Bernhard Oblert. 101 


Donnergott Perfunos in Heiligen Hainen verehrt wurde. Noch hauſt hier 
das mächtige Glen mit feinem flachen ſchaufelartigen Geweih. 

Mitten in der Haide erinnert ein ſchlichtes Deukmal, vier behelmte 
Haupter mit vier Armen auf bet Spitze eines Hohen Ständers, bie fo 
genannte Bierbrüberfänfe, an eine Epifobe aus einem furchtbaren Kampfe 
der Orbengritter mit den Urbewohnern bes Landes. Die Sage berichtet, 
daß unweit von hier auf feiner Burg Konoweibit Martin Golin, einer 
der deutfchen Einwanderer, mit brei Freunden unzertrennlich verbunden, 
gehauft und von hier aus feine Rachezüge gegen die heidniſchen Prenfen, 
die feine Schwefter graufam zu Tode gemartert hatten, und gegen bie Lit 
thaner unternommen habe, weithin gefürchtet und ihrem Haſſe trogend. 
Endlich wurden bie vier KRampfgefellen allein von einer großen Schaar 
überfallen, Rüden an Rüden gefchloffen, vier kräftige, ſchwertbewaffnete 
Arme jur Bertheidigung ſchwingend trogten fie lange ber Uebermacht und 
lagen endlich nach heldenmüthigem Widerftande, 

Das Norbufer des Haffs verfolgend gelangen wir an das Städtchen 
diſchhauſen (Der Name ift ans Biſchhauſen, Biſchoffshauſen entftanden, 
da Bier von 1289 bis zur Reformation der Sit der Samlänbifchen Bifchöfe 
war), am Grunde einer tief nach Norden einbringenden Bncht gelegen, 
wo das Haff feine größte Breite hat, da das gegenüberliegende Ufer öſtlich 
von Balga wohl brittehald Meilen entfernt ifl. Das unbebeutende Stäbt- 
den bietet nichts Bemerfengwerthes; aber in der Nähe, an ber ſchmalſten 
und niebrigften Stelle der nerungsartigen Ranbzunge, in welche Samland 
gegen Südweften ausläuft, befinden ſich die Ruinen ber Burg Lochftädt. 
Im Jahre 1264 erbant, zu welcer Zeit noch ein Tief an biejer Stelle Haff 
mb See verband, war fie beftimmt. die Einfahrt zu ſchützen. Obwohl 
viel Meiner, zeigt fie ganz den Bauſthl des Marienburger Schloffes, ber 
dauptſache nach recht wohl erhalten. Auch hier finden wir jene Mauern 
mit ragenben Zinnen, jene bogigen Thore, bie. ſchön gewölbten hallenden 
Corridore und vor Allem jene Gemächer und Säle, deren kühn gewölbte, 
hoch emporftrebende Dede auf einem fchlanten Pfeiler ruht, der ſich nad 
oben zu in eine Krone ſchön gebogener Zweige fpaltet, in bie durch bumt 
gmalte Fenſter der Strahl ber Sonne gebämpfte, myſtiſch gefärbte Lichter 
ſendet. Einen um fo ſchwermüthigeren Eindruck macht die überall herein« 


109 Stinen aus Altpreußen 


drechende Zerftörung und das kleinlich⸗dürftige moberne Alltagsleben, das 
fich hie und da im den alterthümlichen Ban eingeniftet. Die einförmig übe 
Gandbüne, noch öber und tobter, feit die lebende Waſſerader, die einft hier 
vorbeileitete, fich ſchloß, iſt eine paflende Umgebung für diefen Eig der 
Bergänglichkeit alles Irdiſchen. — 

Hier in Burg Lochftäbt war es, wo ber edle Hochmeiſter Heinrich 
Reuß von Plauen von feinem Verbränger und Nachfolger Michael Küch-⸗ 
Meitter don Sternberg Jahre lang bis an feinen Tod (1429) gefangen 
gehalten wurbe. Selten wohl hat Undankbarkeit und Egeismus fi in fo 
ſchreiender Weiſe gezeigt, wie biefem Helden gegenüber, deſſen Umſicht, 
Muth und Standhaftigkeit allein der Orden nach der furchtbaren Nieder⸗ 
tage bei Tannenberg (1410) die Erhaltung des Ordenshaupthauſes Ma⸗ 
rlenburg und fomit Rettung des Laudes vor ber Herrſchaft ber Polen zu 
berdanken hat. In ber That, wenn es dem Bolenfönige Jagiel mit feinen 
Totarenhorben bamals gelungen wäre, die Marienburg zu erobern, war 
es nach aller menfchlichen Borausfiht um Preußen als Vormauer deut⸗ 
fer Gefittung gegen ben ſlaviſchen Often geſchehen, war bie Entwidelung 
der Preußiſchen Monarchie in der Weiſe, wie fie ftatt Hatte. eine Unmöglichkeit. 

Zwiſchen hier und Pillau bei dem Gute Neuhäufer ift ein zwar nicht 
großer, aber üppig beftandener Laubwald von Weißbuchen und Eichen, währ 
rend die Gegend ringsum fandig nnd Bde iſt. Wohl vorzüglich dieſem 
Contraſt hat die freundliche Dafe den ſtolzen, Namen des Pillauer Bara- 
diefes zu verbanfen. Ein alter Königsberger Profeſſor freilich hat dieſe 
Benennung ernft genommen unb mit einem Aufwande finpender Belehr- 
ſambkeit unumftößfich aus der Bibel bewiefen, daß hier die Stelle des wirklichen 
Barabiefes gewefen, aus dem Abam und Eva durch ben Engel mit dem 
feurigen Schwerte verwiefen wurden. 

Das Stäbthen Pillen felbft, ein echtes Handels- und Schifferſtädtchen, 
iſt ein wahres Mufter von Sauberkeit und Nettigkeit. Die meift Heinen 
Hänfer, an benen nirgend eine Epur von Baufätligfeit und Verfallenheit 
fich zeigt, mit freundlich lebhaften Anftrich und heilen Epiegelfenftern fehen 
wie die Schiffefafüten in vergrößertem Maaßſtab aus. Auf der vorfprin- 
genden Epige ber Halbinfel fteht der 100 Fuß Hohe, ſchlanke Leuchtthurm, 
ber ſich nach oben zu allmählich verjüngt und mit einer gläjernen gewölb- 


von Vernbard Oblert. 108 


ten Ruppel gefrönt iſt. Seine blendend weiße Eänle ift ſelbſt am Tege 
vou der Haff- wie vom ber Eeefeite her viele Meilen weit fichtbar. Das 
ganze Städtchen liegt Überhaupt auf der vorfpringenben Landzunge in ringsum 
flachet Gegenb wie anf einem Präfentirteller da, weithin einen fehr freund» 
fihen Anblick darbietend, ſowohl wenn man zu Schiff, namentlich von ber 
Elbinger Seite her fi ihm nähert, als and von ber gegenüberliegenben 
hohen Küfte bei Balga, in fat 2 Meilen Entfernung, von wo man mit 
dem Fernrohr bequem in bie geraden Straßen hinein ſehn und ſich an bem 
rüßrigen Treiben ergögen kann. Höchft lohnend ift die Umſchau von der 
Kuppel bes Leuchtthurms. In nächfter Nähe die Stadt mit ihren Feftunge- 
werten und dem Hafen voll großer und Heiner Schiffe, darunter oft ein 
paar Dampfer, die den regelmäßigen Verkehr zwiſchen Königsberg, Dan- 
ig und Elbing vermitteln. Faſt Dreiviertel des Gefichskreifes nimmt bie 
Bafierfläche von See und Haff ein, nur durch den ganz ſchmalen Land ⸗ 
fireifen ber Nerung von einander geſchieden, die hier weithin ans lahlen 
Dänen gelben Sandes befleht, das Meer breite mächtige Wellen mit wei⸗ 
en Shaumlämmen dahinrollend, das Haff in weniger hohen, Kürzern und 
amregelmäßigen Wellen fein gelbliches Wafler in’s Meer mwälgend, wo es 
in unvermifchtem Strome hinfließend bisweilen bis Brüſterort, der Nord⸗ 
weitfrige ber Samlanbs ſich verfolgen läßt, ſcharf abgegrenzt gegen bie 
grünlichen Meeresfluthen. Die gegenüberliegenden Haffufer, die Höhe von 
Balga mit ihrer Burgruine und den ftattlichen Gutsgebäuden, das Stäbt- 
den Brandenburg treten beutlich vors Auge, 

Der nörböftlihe Quadraut des Geſichtskreiſes ift von Land erfüllt, 
und zwar überfieht man faft das ganze Samland; die gegen Norben ven 
Ianfenbe Eeetüfte, anfangs größtentheils kahl und ziemlich flach, fpäter 
darch den faft 300 Fuß hohen Hanfenberg, an beffen Buße das ſchöne 
Kirchdorf German liegt, unterbrochen, an der Epige von Brüſterorth mit 
ihrem fchönen Leuchtthurm endigend. (Hier beilänfig die Bemerkung, daß 
die in preußiſchen Orisnamen häufig vorkommende Endung „orth,“ wie 
in Steinorth, Puſterorth, Sorgenorth nicht Ort (locus), ſondern Spitze 
beventel.) Nach Often hin erblidt man zunächſt die Fiſchhauſer Bucht mit 
dem Städtchen und Burg Lochftäbt, dann ben fchwarzen Tannenwalb ber 
Rapornfchen Heide. Das zwiſchen biefen beiden Gränzlinien ſich auebrei⸗ 





104 Stiuen aus Aitpreußen 


sende Samland iſt im Ganzen eine nur leicht wellige Ebene, nicht gerade 
dicht mit Dörfern und Landgütern beſetzt, bie aber eine, für ben Ueberblid 
recht angenehme Abwechfelung von bebantem Feld, Wald und fogenannten 
Balwen, einem Mittelbing zwifchen Wiefe und Haide zeigt. Im feiner Mitte 
tagt ber faft 400 Fuß Hohe, ſchön bewaldete Galtgarben, die bedeutendſte 
Erhebung der ganzen Gegend recht imponirend hervor. 

Die Feftungswerke von Pillau, deren erfier Grund von Guſtav Adolph 
währenb feines Krieges mit Polen gelegt wurde, follen nur zum Schutz 
der malen Einfahrt durch das Tief dienen; ob fie den furchtbaren Zer- 
flörungswaffen ber Neuzeit gegenüber dies leiften können, muß ich dahin⸗ 
geſtellt laſſen. Seine Hanptwichtigkeit hat Pillau als Hafenftabt Könige 
berga, und wird feinen Zwed, num es mit bemfelben durch eine Eiſenbahn 
in Berbindung gefegt ift, die ſchon Tängft bringendes Bebürfnig war, in 
erhöhtem Maaße erfüllen können. Bei entwidelteren unb Iebhafteren Ver⸗ 
kehrsverhaltniſſen, als fie derzeit noch in unfrer Provinz herrfchen, würde 
übrigens wohl noch eine birectere Verbindung bes Hinterfandes mit ber 
See in's Werk gefegt werben. Pillau gegenüber auf der Sübfeite des Haffs 
zwiſchen Balga und Brandenburg in der Etation Wolitnid ftreift die große 
Eiſenbahnſtraße ganz dicht am Geſtade bes Haffs vorbei. Der Theil bes 
Güterverkehrs, der nicht über Elbing und Danzig bie Verbindung mit dem 
Meere ſucht, würde fie offenbar bier auf dem birecteften und fürgeften 
Wege finden, vorausgeſetzt freilich, baf eine bequeme Fahrftraße durch das 
Hoff andy für größere Schiffe eingerichtet würde. 

Wir laſſen uns über das wenige Ruthen breite Tief auf bie Nerung 
überfegen. Gleich nachdem wir die an ihrer Epige poftirten Zolle und 
Kootfen-Hänechen, in deren Umgebung bürftiges Weibengeftrüpp ſich anger 
niftet, im Rüden haben, empfängt uns ein ſchmaler Damm kahlen, fliegen« 
den Sonbes, meileuweit ſich Hinziehend, felten durch dürftige Unpflanzungen 
unterbrochen. Seltſam ift eine folche Wanderung durch eine Wäfte zwiſchen 
endlos anögebehnten Waſſerflächen. In das großartige aber einförmige 
Bild kommt nur ein Wechſel durch bie verfchiebenen Färbungen und Der 
lendtungseffecte bes Himmels und ihren Widerſchein in den Wafferfpie 
geln auf beiden Eeiten, Kein Laut als das Kniftern des Sandes unter 
unſern Süßen, das Rauſchen ber Meeresiwogen, ab und zu unterbrochen 


von Bernhard Oblert. 105 


durch ben ſchrillen Schrei der Möwe. Der mühfam ben tiefen Sand durch⸗ 
watende Wandrer finkt bisweilen bis unter bie Arme ein, wenn er an - 
eine Stelle geräth, wo früher ein Baum geftanden; ber Stumpf ift vom 
Eande überweht und nach und nad} verrottet, baf bie ſpärlichen Ueberreſte 
den Raum nicht mehr erfüllen. Unweit des Tiefs war (in ben erften vier- 
siger Jahren) bei einem heftigen Norbfturm ein Barkſchiff weit auf bie 
Düne gefchleubert; das wenig verehrte Schiff wurde von einem unternehe 
menden Königsberger Kaufmann für einen mäßigen Preis erftanden. Dafr 
felbe nad} der See zu wieder in’s Waſſer zu ziehen und flott zu machen, 
taran war wegen ber großen Seichtigkeit bes Strandes gar nicht zu benfen. 
Anf der Haffjeite aber führt das Fahrwaſſer mit genügender Tiefe bicht 
bei der Merung vorbei, unb es kam alfo barauf an, ven Koloß über bie 
Rerung herüber ins Haff zu fchaffen. Das fühne Unternehmen gelang mit 
nicht allzu großen Koften und bie verwegene Speculation war geglüdt. 
Vahrſcheinlich ift kaum mehr die Stelle zu erfennen, wo einft Menfchen« 
kaft und Menſchenlunſt nad) milhevoller Anftrengung einen folchen Triumph 
gefeiert, 

daſt ſechs Meilen weit trägt bie Nerung biefen Character völliger Debe 
md Kahlheit durch einige wenige Heine Dörfer und einzeln ftehende Hänfer, 
alle an der Hafffeite, und fpärliche Anpflanzungen von Sandhaargras oder 
Etrandhafer (Elymus arenarius) unterbrochen. Nur ber weſtliche Theil 
von dem Dorfe Kahlberg an ift mit Wald bewachien, bem nach der See 
in allerdings ein Dünenftreifen von wechfelnder Breite vorgelagert iſt. 

Der Name Kahlberg bentet darauf, daß wir auch Hier feine üppige 
Vegetation zu erwarten haben, und noch vor einigen zwanzig Jahren fand 
fih Hier nichts als ein ärmliches Fiſcherdörſchen am Haffufer ſich ansbrei- 
tab zwifchen ziemlich büritiger Kiefermaldung. Zur Babezeit, beſonders 
während der Sommerferien pflegte e8 con einzelnen Elbingern befucht zu 
werben, befonders von Lehrern, biefen vorzugsweiſe erholungsbebürftigen 
and in materieller Hinficht Leicht zu befriedigenden Weſen. Bon irgend 
welchen Bequemlicfeiten war faum bie Rede. Uber ber gerade hier ſehr 
gänftige Badegrund und Träftige Wellenfeplag verbunden mit den Reizen 
der Rage, die ein finniger Naturfreund bald entbeden mufte, machte bie 
wenigen Renner bes Orts zu feinen begeifterten Verehrern. Als nun im 


106 Stiuen aus Alpreuben 


dahre 1840 einige unternehmende Elbinger Kaufleute ans England ein 
Dampiboot fauften, das erfte, welches die Gewäſſer der Provinz Preußen 
befuhr, (mit Ausnahme eines ſchon im Jahr 1827 gleichfalls von Elbingern 
gemachten, aber verunglüdten Verſuchs, da bas Edhiff, der Copernikus, 
gleich bei ber erften Fahrt ftranbete und zu Grunde ging) um regelmäßige 
Fahrten zwiſchen Elbing und Königsberg einzurichten, brach für Kahlberg 
eine neue glänzende Zeit an. Zunächſt durch die Bemühungen dieſer Dampi⸗ 
bootactionäre, beren Beifpiel bald andere Elbinger folgten, wurbe in Kur 
zem aus Kahlberg ein reizender Babeort mit allem irgenb zu wänfchenben 
Eonıfort gefchaffen, der nun in ber Badeſaiſon eine ftets wachſende, zum 
Theil Heilung, mehr aber noch Vergnügen fuchende Bevölkerung aus immer 
weitern Kreifen am ſich zieht. Der vom Haff aus allmählich, anfleigenbe 
Sandberg ift terraffirt und zu üppigen Gartenanlagen mit ben mannigfal- 
tigfien Saubbäumen und Büfchen, einem reichen Biumenflor, herrlichen 
Drangerieen umgewandelt, mit dem eleganten und bequemen Hauptgafl- 
hauſe, dem Belvedere gekrönt. Es verbient feinen Namen. Die Ausficht 
über das Haff, beffen jenfeitiges Ufer gerade an biefer Stelle, wo aus 
dichtem Walde Hoch vom Berge das Kloſter Cadinen herausfchaut, die 
größte Schönheit und Lieblichkeit zeigt, ift wundervoll, zumal Abends, wenn 
die Scheibe bes Bollmonds über dem dunkeln Walpftreifen emporfteigt. 

Eine Menge anderer Logirhäufer oder Villen wohlhabender Elbinger 
find. meiftens mit großem Gefchmad errichtet, wobei in ber Regel bie Ans 
lage des Belvedere zum Mufter gedient hat. Wohl galt es bie ausbau- 
erndſte Arfirengung, hier eine ſolche üppig grünende Dafe hervorzuganbern, 
und wenigftens bei ben Elbingern wird ber Name bes Mannes, dem vor- 
zugsweiſe Anftog und Ausfährnng dieſes Unternehmens zu verdanken ift, 
des Kaufmanns Georg Wilhelm Härtel lange in dankbarer Erinnerung 
bleiben. Bon einem guten Theil der großen Summe frohefter, genußreich⸗ 
ſter Empfindungen einer Menge froher Menfchenherzen kann er fich als 
Schöpfer und Förderer arfehn. 

Allerdings ift durch bie urfprängliche Sage bes Dorfs, bem die neuen 
Gebäude ſich meiftens anreihten, das Kahlberger Leben ein wenig zu fehr 
von der Eee fort nach dem Ufer bes Haffs gerüdt. Der Weg über bie 
hier ziemlich breite und wohl gegen 200 Fuß Hoch aufteigende Nerung 


von Vernhard Oblert. 107 


yum Theil durch Sand tft beſchwerlich. Epaziergänge und gefellige Ber 
gnögungen halten fi meiftens mehr an der Haffſeite. Die Eeeluft kann 
um fehr mittelbar über den bewaldeten Bergrüden in’s Dorf bringen. ' 
Tafür erfreut es fich einer äußerft gefhägten Lage, welche feldft bei fehr 
tauhem Wetter und bis fpät in ben Herbft hinein ein behagliches Wermweis 
Im im Freien erlaubt. Dazu ber würzig-heilfame Hand des Fichtenwal⸗ 
des. — In ber That kann man ſich hier nad) ſüdlicheren Regionen verfegt 
glauben. Iſt doch felbit ein fonft erft im füdlichen Deutſchland und Stalien 
einpeimifcher Schmetterling, ber ſchöne Dleanderichwärmer, hier eingebürs 
gert und kommt Jahr für Jahr aus, — 

Der Botaniker findet auf bieiem characteriftiihen Terrain eine reiche 
Ansbente. Die ſpaͤrliche aber intereffante Flora ber Sanddüne ſetzt ſich 
vernehmlich aus folgenden Pflanzen zufammen: Die Anpflanzungen zur 

‘ Berfeftigung der unbeftändigen Eanbwellen beftehen befonders ans dem 
Sand-Hacrgias (Elymus arenarius) und dem Sandhalm (Ammophils 
arenaria,) deren Wurzeltriebe unter ber Oberfläche weithin nach allen Sei⸗ 
ten ſich erftreden. Ueberhaupt ift weite Ausbreitung der Wurzeln faft allen 
Dünenpflanzen eigenthämlich, wodurch allein bie nöthige Befeftigung im 
Boden und Zuführung ausreichender Nahrung ermöglicht wird. So nament- 
lich höchſt auffallend bei dem Beifuß (Artemisia), wo bie Wurzelauslänfer 
an der Oberfläge zu Tage fommen und wie viefenhafte haarige Spinnen. 
beine ansfehen. Häufig find, wie längs dem ganzen Strande, Stiefmütterchen 
in mannigfaftiger Färbung, Salzkraut (Salsola Kali), Honkenya peploides, 
der Meerfenf (Cakile maritima); ferner Linaria odora (ober Loeselü), 
ſeht ähnlich dem befannten gemeinen Leinkraut (Löwenmauf) Linaria vul- 
garis, nur zierlicher und wohlriehend; von Schmetterlingebläthlern der 
selbe Wandklee (Anthyllis vulneraris, die Epielart maritima) und bie 
font feltene Meererbfe (Pisum maritimum), im Bau ganz ähnlich der 
weißen Erbſe, nur zarter und mit ſchönen roſa Blüthen. Wohl die ſchönſte 
Dünenpflanze ift die ftattliche Stranddiſtel, Seemannstren (Eryngium ma- 
ntimum) mit ihren bläulich grünen ſchön gezadten Blättern. 

Wo auf der Höhe der Düne niebere Fichten mit Inorrigen Aeſten und 
weitausgreifenden Wurzeln fich angeſiedelt haben, ift ber Boden mit einer 
AR unumterbrogenen Dede ber mannigfaltigften Flechtenarten überzogen, 


108 Shiggen aus Alwreuben 


Dieſe zierlichen Gewächſe, die wir ſonſt meiſtens nur den Stamm alter 
Bäume und bie Wände von Felſen und Steinblöden beffeiven ſehn, decen 
bier vafenartig ben Boden, indem ihre lofe dem Sande anfliegenden runde 
lichen Bolfter, ſich dicht an einander brängend, zufammenfließen, und geben 
der Gegend einen ganz nordiſchen Character. Wenn nach einem Regen 
bie fonft ftanubbürren Zweiglein anſchwellen, Iebhafte und fehr mannigfal- 
tige Sarbenndancen annehmen und ihre zierfichen Zädchen und Blättchen 
entfalten, flaunt man über ben Formenreichthum biefes mikroskopiſchen 
Waldes. Beſonders reich vertreten find Arten von Cladonia, die Haupt 
maffe bildet die Rennthierflechte Cladonia rangiferina, bagegen ſcheint das 
fogenannte Isländiſche Moos (Cetraria Islandica) Hier zu fehlen. Uebrigens 
bildet ber Flechtenrafen Hier ein Hauptnahrungsmittel ber vecht zahlreichen 
Rehe, wie in Lappland und ben Sibirifchen Tundren ber Rennthiere, 
Mehr nach der Hafffeite, wo der Boben nicht fo fieril und die Gewalt - 

der Flugſand führenden Winde durch die vergelagerte Düne gebrochen if, 
fireben die Fichten zu mächtigen Säufenfchäften empor, unb zwar um fo 
mehr, je weiter nach Weiten man kommt, in ben Walbgürtel, der bei ber 
Abholzung bes größten Theils der Nerung verſchont blieb, Die Bergfette 
bildet hier eine Menge keſſelförmiger Thäler, in denen ber Boben feuchter, 
die Vegetation üppiger if. Wir finden hier fait alle Eharacterflanzen, 
welche berartigen Socalitäten im nördfihen Deutſchland eigen find, bie 
Blau- und Drunfelbeere (Vaceinium myrtillus und uliginosum), bie 
Breufielbeere (Vacc. Vitis Idaea) in großer Menge, fo baß Hunderte von 
Bäffern davon nach Elbing geſchidt werben, feltener bie zierliche Moosbeere 
(Oxieoccos palustris), beren weitkriecheude Stengel mit ben zierlihen myr- 
thenähnlichen, unterfeits blänlichgrünen Blättchen befonders auf dem Torfe 
moos (sphagnum) Netze ſchlingen und bie Krähen- ober Rauſchbeere (Em- 
petrum nigrum). Häufig ift auch der Porſt (Ledum palustre) mit feinen 
weißen, nicht unangenehm, aber in größerer Menge ftarl betänbenb riechen» 
den Blüthen, wenn er auch nicht, wie in manchen Torfbräcden weite Streden 
überzieht, bie während ber Blüthezeit wegen des betäubenden Geruche zu 
durchwandern nicht ohne Gefahr ift. Ab und zu findet der Botaniker zu 
feiner rende Arten von Pyrola (P. minor, umbellata, uniflora) mit ihren 
zierlichen roſa Glöcchen; und eine feltene Orchidee die Goodyera repens 


* von Bernhard Ohlert. 109 


mit weißen Blüthen. Auch die Linnaea borealis, biefer Liebling aller 
Bflangentundigen von ber Zeit bes Vaters ber Botanik her, von dem fie 
ten Namen trägt, mit ihrem vofa Glödchenpaar und dem feinen Vanilles 
gerudh hat Hier ihren Etanbort. Mächtige Farrenwedel (befonders von 
Pteris aguilina dem Adlerfarrn, Aspidium felix mas, Polypodium vul- 
gure wachſen hier in ungewöhnliger Ueppigleit und Stärke, der Bärlapp 
(Lycopodium clavatum) mit feinen moosarligen, bicht belaubten, immer 
gränen Etengeln friecht weithin durch die Moosbede. Zur Vervollſtändi⸗ 
gung unferes Überfichtlichen Gemäldes ber Pflanzendede füge ich noch Hinzu, 
daß ber meiftens fehr ſchmale Sandftreifen am Ufer des Haffs, foweit er 
nicht von den ärmlichen Garienbeeten neben ven Bifherhäufern mit etwas 
Gemäfe und ein paar bunten Blumen, befonders Gartenmohn und ber 
vohlriechenden ſpaniſchen Wide eingenommen wirb, befonders von Weiden⸗ 
rfträpp, den mächtigen, unterfeits weißlich grünen Blättern des gelbblü⸗ 
henden Huflattigs (Tussilago farfara) und Röhricht, um bas fi wohl 
die Zaunweide mit ihren großen weißen Blumentrichtern ſchlingt, beftan« 
den if, Merkwürdig ift, daß trog ber ſcheinbar fat gleichen Bodenbe⸗ 
fHaffengeit Hier und am Strande des Meeres boch nur wenige ber eigents 
lichen Dünenpflanzen den Kamm ber Nerung überfhreiten, um ſich hier 
amufiebeln, und noch weniger finbet eine Wanderung in- entgegengejegter 
Richtung ftatt. Der weit hinein ſehr feichte Epiegel des Haffs ift am 
Rande von ansgebehnten Wiefen von Simſen (Scirpus lacustris), Bier 
vom Volk allgemein Binfen genannt, umfäumt, dazwifchen bie gewöhnlichen 
Baflerpflanzen, die ſchöne Blumenbinfe oder Waflerhortenfie (Butomus 
wmbellatus) mit ihrer hellroſarothen Blüthenbolbe, die gelbe und bie weiße 
Ererofe (Nymphaea lutea unb alba) auch Menyanthes nymphoides mit 
dem runblichen denen der Mummel ähnelnden aber viel Heineren Blättern 
md ber zierlichen gelben Blumenkrone hat hier eine Fundſtelle. 

Werfen wir noch einen flüchtigen Blick auf bie characteriſtiſchen Er⸗ 
Meinungen der Thierwelt: Ich erwähnte ſchon, daß der zwar ſchmale, 
Aber mehrere Meilen. weit, noch über ben Anfang ber ſchmalen Lantzunge 
der Nerung hinaus ſich Hinziehende Wald von zahlreichen Reben bevölkert 
* Die flinfen, zierlichen Thiere, bie in dem ganzen Revier fehr geſchout 
werben, laſſen fich oft ganz in ber Nähe bes Dorfs fehn, kaum verſcheucht 





110 Sliuen aus Alpreuber - 


vom Plaudern und Lachen einer frohen Gefellichaft. Da, wo ber Dinen- 
und Waldgürtel nicht an bie Oberfläche des Haffs, ſondern an bie üppig 
grünenden Nieberungswiefen ftößt, miſchen fie fih ab und zu unter bie 
plumpen Rinder, die dort weiben, ſchwimmen aud wohl über bie bort 
fehr breite Weichfel, um in den Gärten ber Gehöfte ihren Befuch abzuftatten. 
Einen vielftimmigen, muntern Vögelchor darf man Hier nicht zu finden 
erwarten. Im bem ftilfen, faft nur von Infecten burchfummten Fichtenwalde 
hört man ab und zu bas Hämmern eines emfigen Spechts. Mächtige 
Raubvögel, Habichte, Weiden, auch wohl ber Seeadler (Falco albicilla) 
uub ber Fiſchadler (Falco halisötos) ziehen hoch in ber Luft ruhigen 
Fluges ihre weiten Kreife. Die Familien der Sumpf und Schwimm- 
vögel find Hier gewiß durch zahlreiche Urten vertreten; als bemerfenswerth 
find mir aufgefallen mehrere Meiherarten (Ardea cinerea, stellaris und 
minute), ber gehäubte und ber gehörnte Steißfuß (Podiceps cristatus und 
cornutus) und in ber Nähe des Dorfes Pröbbernan auf einem mit mäch⸗ 
tigen, faft fahlen Fichten beftandenen Dünenhügel niften zahlreiche Kormo- 
tane (Carbo Cormoranus), 

Mandes Charakteriftiihe finden wir endlich aus ber Claſſe der In- 
fecten. Beim Marſche durch die fanbigen Waldparthieen wird man bon 
unzähligen Schaaren Meiner grauer Grillen (Acheta) umhüpft, verſchiedene 
Arten ſchnellfliegender Cicinde len (Maubkäfer) Haben Hier ergiebige Jagd. 
Der aufmerffame Beobamter entdedt leicht im beweglichen Sande bie Heir 
nen Trichter, aus deren Grunde er ficher ift, ben Ameifenlömen, mit auf 
wärts gerichteten Freßzzangen ben Raub erwartend (bie Larve eines Libel- 
lenartigen Thiers Myrmecoleon formicarius) hervorzugraben. Das ber 
fonders am Haffufer fich hinziehende dichte Weidengeftrüpp, überhaupt ber 
Sitz ungezählter Arten von Epinnen, Käfern und anderm Heinen Gethier, 
wird von ungeheuren Mücenſchwärmen durchſummt, daß man fernen Or 
gelffang zu vernehmen glaubt. Cine große, zierlihe Art berfelben, mit 
gränfgillernden Flügeln, die im Dunkeln phosphoriſch ſchimmern, verbreis 
tet fi bes Abends weit Über den Epiegel bes Haffs. Aufgefallen ift mir 
die gewaltige Menge von Gallen, von fehr verfchiedener Geftalt und an 
verſchiedenen Gewächien, an benen man biefe eigenthümlichen, durch den 
Stich verſchiedener Blattwespen hervorgebrachten Umbildungen und Wuche⸗ 


vom Bernhard Ohlert. 111 


nungen fonft nicht zu finden pflegt, jo daß ber Entomolog in biefem Felde 
hier einer reichen Ausbeute gewiß wäre. 

Do wir wollen unfern Blid nicht von biefer Welt im einen, bie 
allerdings viel des Schönen und Intereffanten und wohl nicht bloß für 
den Naturforfcher von Fach darbietet, gefangen nehmen laſſen. Wahrlich 
«6 lohnt Hier, ihn frei in's Weite ſchweiſen zu laſſen. Bon manchen 
Etellen des Dünenfammes lann man See und Haff zu gleicher Zeit ſehen. 
Befonders auf einem Punkte, dem fogenannten Blocsberg jft die Umſchau 
grogartig. Ein ca. 300 Fuß Hoher, ziemlich ifolirt ftehender Berg, auf 
feinem Gipfel mit einzelnen, ruhigen Fichten gekrönt, überragt ben ganzen 
Höhenzug in feiner Umgebung. Beide Wafjerflächen füllen faft den gan- 
nm Geſichtskreis, der Waloflreif in ber Mitte länfe nach ber Pillaner Seite 
hin für das Ange immer ſchmaler zufammen, fo daß Meer und Haff fih 
vert zu vereinigen ſcheinen. Das jenfeitige großentheils bewaldete Ufer 
des Haffs ſchaut mit großer Dentlichkeit herüber. Kings tiefes Echwei- 
gen, nur das Braufen der See ſchallt zum Ohre. Ueber uns zieht ein 
mögtiger Ranbvogel feine Kreife. Hier war einft eine zahlreiche, bunte 
Menge Babegäfte vereinigt, und doch wurbe ber Eharalter feierliche Stille, 
die über der Stätte ſchwebt, kaum durch einen Laut unterbrochen. Alle 
waren in anbächtiges Schweigen, entzücdtes Staunen verjerkt. Es war im 
li 1853, bei der totalen Sonnenfinfterniß, als nach völliger Bebedung 
der leuchtenden Scheibe dies feltfam geheimnißvolle Dunkel am Tage nur 
durch das Licht der Sterne und jenen wundervollen Strahlenfranz erhellt 
nurbe, bis man dem erſten wieder aufleuchtenden Sonnenſtrahl entzüdt 
atgegenjauchzte. Wohl von keinem Stantpunkt aus wird das munberbare 
Phänomen fo in feiner vollen Pracht ſich gezeigt Haben. Die Centrallinie 
der Zone der totalen Verfinfterung, längs welcher bie Dauer ber Verfin⸗ 
fierung die Tängfte iſt, ging faft genau durch biefe Stelle. Und nun bie 
wunderbaren Effecte der Beleuchtung auf beiden Waſſerflächen, ven gelben 
Dünen und bem dunkeln Fichtengrün! Der Geift Gottes ſchwebte über 
den Waflern — Und es warb Licht. Es Tann fein erhabeneres Bild 
diefer Schöpfungsmomente gedacht werben, als ſich Hier dem entzüdten 
Unge aufthat. — 

Die Bewohner von Kahlberg und Pröbbernan find faft einig und 


112 Sligen aus Altpreußen - 


allein anf den Fiſchfang angeiwiefen; felbft das Aufblühen Kahlbergs als 
Badeort hat barin wenig geänbert, ba ber geringe Ertrag ihres Landes 
am Milch, Butter und Obſt den Bedürfniſſen ber Badegäſte gegenüber 
wenig in Betracht kommt, bie vielmehr größtenteils von Elbing her per 
Dampfboot erfüllt werben müffen. Wie wenig das hierwachſende Getreide 
and Obſt zu rechnen ift, fieht man am beften daraus, baß bie eihigften 
und umfihtigften Eteuererheber biefer Confumtibilien, die Epagen, bie 
ganze Nehrung als einen Ort, wo nichts für fie zu holen ift, vermeiden, 
Für die Erhaltung des Heinen Viehſtandes forgt das Haff mit feinen 
Binfenwiefen. Viele Hundert Schritte weit vom Ufer kann man bad 
ſchwerhinwandelnde Hornvieh mitten im Waffer fehn, in ruhigem Behagen 
wieberfäuend, von munter paafenden Enten umſchwommen. Wenn gegen 
Ende des Sommers bie mehrere Ellen hohen Binfen ihre größte Ausbildung 
erlangt haben, gehte am bie gemeinfchaftlihe Ernte. Alt und Jung, Män- 
ner und Weiber befegen bie zahlreiche Haff-Slottille. Wetteifernd werben 
die bicht ftehenden Binfen geichritten, bie Heinen Kühne Hochbeladen an 
den Etranb gefahren, die Binfen werden auf bem Uferfande flach zum 
Trocknen ausgebreitet, und dann fehnell wieder zuräd an bie Arbeit. Denn 
eine Abgränzung bed gemeinfamen Schatzes in gefonderte, bem oder bem 
gehörige Felder tft nicht möglich, und fo ift jede Familie auf Schnelligkeit 
angewieſen, um fich möglichſt viel zu fichern. Es geht babet fröhlich und 
friebfich zu, wie überhaupt bie Bevölferung ftil und gutmüthig ift. Von 
dem fühnen Seemannscharalter anderer Strandbewohner ift aber richt viel 
bei ihnen zu fpüren. Das mag zum Theil feinen Grund barin haben, 
baß fie ihren Erwerb vorzugsweife auf ben ergiebigen Fiſchfang im Haff, 
das bie gewöhnligen Süßwaſſerfiſche, namentlich auch Wale in reicher 
Fülle Tiefert, angewiefen find, wo die Fabrt body nur ausnahmeweiſe be 
fondere Kühnheit und Geſchidlichkeit erfordert. Freilich haben fie auch 
Kühne am Meeresufer, doc) pflegen fie fich nicht weit hinaus zu wagen, 
um $lundern, Dorſch und Strömlinge (eine Art Häringe), ben Haupter- 
trag des Seefiſchfangs zu erbeuten. Auch ber Stör mit feinem wunder⸗ 
lichen Hornpanzer, bisweilen von 12 bis 15 Fuß Länge wird erjagt, weit 
feltener ein Seehund oder auch ein Delphin, ein „Seeſchwiin“, wie bie 
Leute ihn nennen, Zu kühnen Lootfenfahrten ift feine Veranlaſſung. Als 


von Bernhard Oblert. 118 


vor mehreren Sahren bei einem Gturme ein Boot mit fieben Männern 
fon nahe bei der Küfle umſchlug, wagte die Bemannung eines aubern 
Boots in mächfter Nähe auch nicht einmal den Werfuch ber Rettung, und 
ale fieben kamen um, da ſchwimmen zu lernen nie Einem einfällt. Ja 
fie thun es grumbfäglich nicht, da fie meinen, daß einer, ber ſchwimmen 
lann, wenn er in's Waſſer fällt, ſich nur Tänger quälen müſſe; fi) der 
Gefahr durch eigene Kraft zu entziehn, räftig und mit Anſtrengung am 
den Preis des Lebens zu ringen, tft nicht in ihrer Art. An dieſer Enew 
siefofigkelt mag wohl auch ihre Dürftigleit und mangelhafte Ernäprung 
Säulb tragen, — Die Hauptnahrung find Dorſch und Flundern, Kartofe 
ſeln ein Leckerbiſſen, Brod fteht faft gar nicht auf ihrem Küchenzettel. 
Das Babeleben in Kahlberg tft ein fehr munteres und wechſelvolles. 
Der größte Theil feiner Gäfte fucht nicht fowohl Herftellung von ernftli- 
den Leiden, fonbern Erholung, Kräftigung und Vergnügen. Daher brän 
sa fi Tanz, Eoncert und Luftparthieen, theils zu Lande, theils über 
daff nach Reimannsfelde und Cadinen hinüber. Der in Babeörtern fo 
gewöhnliche Luxus beginnt wohl auch Hier feine prätentiäfen Schauftellun. 
gen zu entfalten, doch hat ber fröhliche und ungenirte Ton, ber hier vom 
hertſcht, ihm und einer fteifen Etikette leinesweges das Feld geräumt. Er 
dient vorläufig uur als bunte, wechſelude Gtaffage des reizenden Schau ⸗ 
zlatdes Heiterer, phantaſievoller Luft. Täglich landen Dampfböte an, und 
vermitteln einen lebhaften Verkehr mit Königsberg, Braunsberg, Frauen⸗ 
burg und befonbers mit Elbing, deſſen faſhionables Publicum während ber 
badezeit mehr Hier als in ber Stabt zu finden if. — Cine hübſche Eitte 
berrfeht Hier, daß Ieber beim Schluß ber Babecnr zum Abſchied ben ©dt- 
tm bes Meeres einen ſelbſtgewundenen Kranz zum Opfer barbringt ale 
Meine Gabe des Dantes für Wochen des reinften, froheften Lebensgenuſſes, 
die von Blumen ber Frende, wie in reihen, ununterbrochenen Guirlanden 
freundlich durchflochten waren. 
Doch wir müſſen von dem freundlichen Fleckchen Erde uns losreißen. 
Bir beſteigen das Dampfboot, das nad) Elbing geht; der weit in's Haff 
bis zur Halteſtelle führende Bretterſteig iſt mit freundlich grüßenden Bade 
ften beſetzt; die ſchrille Pfeife des Dampfers ertönt und die Schaufel⸗ 


über ſetzen ſich in Bewegung. @ir uihern une mer und mehr dem 
Bay, Monsttjgeift Di. II Oft. 


114 Shiuen aus Prien 


gegenüberltegenben: Ufer, das mit den fchönen Kammlinien feiner fteil au⸗ 
Reigenben Küfte, gefrönt mit reichen Walbmafien, immer deutlicher hervor 
tritt. -Unf ein vom Mafte herabwehenbes Flaggenſignal Hin kommt von 
Neimannsfelde der reizend gelegenen Wafjerheilanftalt her uns ein Boot 
entgegen, wohl taufend Schritt weit in's Haff hinein. Ich und mein Ge 
yäd find-im Nu eingefchifft und fort brauft der Dampfer, während unfre 
lleine Nußſchale faſt bis zum Umkippen in feinem fchäumenden Kiel⸗ 
waſſer ſchaulelt. Mit langen Stangen von zwei rüſtigen Bootsleuten 
weitergeſchoben iſt der Kahn bald an Land und ich ſieige die mäßige An- 
höhe auf einem bequemen Treppenfteig, von Buchen und auberm Laub⸗ 
hol; überwölbt, bis zu der geräumigen Platte, auf der bie Eur- und Lo⸗ 
Sirhäufer, zwifchen anmuthigen Gartenanlagen voll Blumenftüden und 
ſchattigen Alleen alter Kaftanien und Linden fi ausbreiten. Bon ber 
Friedlichleit und Behaglichleit des Plägchens zeugt bie unglaubliche Menge 
von Schwalben, die überall unter den Gefimſen der Hauſer niſten und 
ſchwirrend bie Luft erfüllen. Freilich iſt kaum eine Gegend günftiger für 
die Thierchen zu erbenten als dieſe Seite des Haffgeftades. Bei ber fort 
währenpen Veränderung in ber Höhe bes Waflerfpiegels finden ſich immer 
Stellen des thonigen Grundes blofgelegt, wo fie das Baumaterial ihrer 
Wohnungen orbentlich kunſtmäßig geichlämmt, aufs befte zur Verarbeitung 
paffenb vorfinden. Um folge Stellen ſchwirren fie denn aber aud fo 
dicht wie Sliegenfhwärme in raſtloſem Hin- und Wiederfliegen. Dicht 
unter ber oberfien Kante bes fteil abftürzenben Hochplatenus Länge ber 
ganzen. Küfte bis zum Cinfluß bes Elbings ſieht man bie Gingänge zu 
ben Neftern ber Uferfcwalben in unglaublicher Menge. Ein wenig mehr 
landeinwarts auf ber allmählich auſteigenden Hochebene erhebt ſich bie ger 
ſchmackvolle Billa des Beſitzers von Reimannsfelbe, von reigenben Gasten- 
anlagen umgeben, bie in ben fchönften Waldpark übergehen. Mit aner- 
teunenswertger Liheralität ift der Eintritt den Babegäften geftattet. Der 
Ziemlich weite, aumuthig durch dichtſchattenden Laubwald, Hügel auf und 
‚ab bis zur Fühlen Quelle führende Weg, ven jeber Curgaſt, deſſen Kräfte 
irgend dazu reihen, zweimal bes Tages machen muß, wirb wohl ba6 
wirlſamſte, jedenfalls das angenehmfte Heilmittel fein, das Reimaunsfelbe 
feinen Veſuchern bietet. Da ih im Uebrigen ganz entſchieden des Glaw 


von Bernhard Ohlert. 116 


bens bi, Waſſer thne- es freilich nicht, möchte ich mir ben fonft höchtt 
tegenden Ort nicht zum dauernden Aufenthalt wählen. Anders wie im 
Kahlberg find bie hiefigen Babegäfte meiftens ernftlich Kranke, unter benen 
m leben für ben Gefunten wahrlich nichts Angenehmes hat, Dagegen 
habe ich einmol ganz in der Nähe währen mehrexer Wochen, die mir im 
behaglichfter Weiſe verftrihen Villeggiatur gehalten, und ich möchte bie 
übrigen Amöflächte, die ich noch in Gefelffchaft des freundlichen Leſers zu 
machen gebenfe, von hier aus uuternehmen. . 

Wenige Hundert Schritte von Neimanngfelve, nad Elbing zw, auf 
bem nächften noch höhern klippenartigen Vorſprung liegt eine Meine Be- 
figung, Hopehill (Hoffnungshägel) genannt. Sie gehörte vor Zeiten einem 
in Elbing wohnenden englifhen Kaufmann. Der poetifche Name deutet 
darauf, daß derſelbe von hier aus Hoffnungsvoll dem Ginlaufen feiner 
Schiffe entgegenzufehen pflegte, die ihm aber nicht einen erſehnten Freund 
sber eine bang erwartete Geliebte, fonbern ganz einfach feine Handel 
gäter, Colonialwaaren oder Häringe zuführen follten. Das von ihm ep 
richtete Landhaus iſt abgebrochen, von ben ehemaligen Parkanlagen Teine 
Epur; nur eine Reihe hoher Pappeln erinnert an die frühere vornehme 
poce. Jetzt wohnt hier ein halb bänerlicher Befiger in einem freund 
lien Hanfe, an das ein Heiner ländlicher Garten ftößt. 

Werfen wir zunächt einen Blick landeinwärts. Ein Paar Schritte 
dom Hanfe gelangt man an eine Meine Erhebung, von der aus man im 
Grunde eine Waffermühle mit ihrem braufenden Wehr au einem Heinen 
Bache fieht, der zu einem mit Röhricht und Waſſerpflanzen umkränzten 
Teich aufgeftant ifl. Drüber weg erheben ſich Hügelreihen, in aumuthigem 
Wechſel bald mit Fichten, bald mit nidenden Birken unb andern Laub⸗ 
baumen beftanden; dazwiſchen Heine Fleckchen üppiger Felder mit wogenden 
Achten, da das vielfach durchſchnittene wellige. Terrain nur unterbrochen 
bie Beaderung zuläßt. So freundlich der Anblid ift, wählen wir doch öfter 
unfern Plag auf dem Vorſprug der Klippe am Haff, deſſen weiter Waſ⸗ 
ferfptegel mit den wechfelnden Effecten der Beleuchtung zu träumeriſcher 
Betrachtung einlabet. Bor uns bat ſich durch das Hervorbrechen von 
Quellungen, bie das lodere Erbreih zum Zuſaumenſturz gebracht unb 
nach und nad weggeſchwemmt haben, eine Heine Zheltag. sell, wie 


146 Stiuen aus Mit-Preußen 


fie ab und zu die ſteile Küſtenwand unterbrechen. Im dieſen geſchützten 
Buöten, wo oft Erdreich von fehr verſchiedener Befchaffenheit zufammen- 
geſchwemmt und unter einander gemifcht wird, wachſen Strände und Blu 
men in üppigfter Fälle und veichfter Manichfaltigleit. Erlengeſtrüpp und 
Weiden, wilder Schneeball, Schleedorn, Hollunder und beſonders wilde 
Nofen in großer Menge und Pracht, dazwiſchen ber buntefte Blumenflor, 
unter benen rothe Waldnellen, blaue Glocken, Haidekraut, Feldthymian 
und ber gelbe Mauerpfeffer (sedum acre) beſonders in's Ange fallen! 
Auf beiden Seiten dieſes Amphithenters zieht fih bie Bergwand fehroff 
und ziemlich kahl Hin, felsähntich mit fühner Geftaltung des Randes, ber 
hie und ba mit einer nidenden Birke oder einem feltfam verwachienen 
Fichtenbuſch befrönt if. Der vorfpringende Landungsplag von Reimann 
felde mit dem weit in's Haff führenden Eteig und einige der dortigen 
Gebände ſchließen nach dieſer Seite die Ausſicht. Der ganze Raum ber 
Tyhalbucht war noch etwa 12 Yahre vorher ein Ackerfeld anf ber Platte 
der Hochebene. Um feinen übrigen Befig vor ähnlicher Einbuße zu fhügen, 
hat der fleißige Befiger den fehroffen Rand dicht mit Weiden bepflanzt 
und dadurch zu verfeftigen gefucht. 

Das Haff breitet fi am dieſer Stelle nicht als eine völlig ununter⸗ 
brochene Wafferfläche aus. Dit am Geftade haben ſich eine Menge 
meiftens faft freisrunder Binfen-Infeldhen gebildet, die theils an fid 
ſelbſt, theils durch ihren Einfluß anf die Kräuſelung und Wellenbewegung 
bes Waſſers anmuthige Ubwechelung >in bie einförmige Fläche bringen. 
Die Anwohner entfinnen fi noch der Zeit, wo biefer Theil bes Ufers 
frei davon war. Weiter nad Elbing zu ift der ganze ſüdweſtliche Winkel 
des Haffs mit geringen Unterbregungen von Binfenwiefen und dichtem 
NRöhricht erfüllt und ein allerdings fehr allmähliches Fortſchreiten dieſer 
Berkrautung mit Sicherheit voraus zu fehen. Alle anftoßenden Ländereien 
erfahren dadurch und durch Ablagerung von Schlamm und Erbe einen 
tm Lauf ber Jahre nicht ganz unbeträchtlichen Zuwache. Da überbem 
ber ganze Theil bes Haffs zwiſchen biefer Küfte umb dem durch Molen 
abgegrängten weit hinein fortgefegten Fahrwaſſer bes Elbings Auferft feicht 
tt, fo liegt ber Gedanke nahe, durch Trodenlegung biefes ganzen Seewin ⸗ 
tele eine beträchtliche Bodenflache ſchönen Wiefenlandes zu gewinnen. Im 


von Bernhard Ober. ur 


Umegung iſt die Sache ſchon gelommen, doch wird bas ziemlich weit⸗ 
ſchichtige Unternehmen in unferer Provinz, bie weber an Capital noch 
Unternefmungsgeift Ueberfluß Hat, wohl noch eine Weile anf feine Reali⸗ 
frung warten müſſen, zumal bie Befigungen vieler verfchiebener Iuterej- 
jenten anftoßen. Vorläufig Haben wilde Enten und andere Waſſervögel 
in ungeheuer Menge hier ebenfo wie in ber ganz ähnlichen Localität des 
Droufenfees ihr Reich. Da aber diefe Vögel fchen find und ſich aus 
dem ſchwer zugänglichen Binfen- und Schilfmeer felten herauswagen, bil 
ven fie nur felten bie Staffage unſerer Seelandſchaft. Das thun vorzugs ⸗ 
weife die Möwen, die im verſchiedenen Arten in gleichfalls unzählbaren 
Schaaren die weiten Waflerflächen unfrer Provinz bevöffern, Mit pfeil 
ſchnellem graziöſem Fluge fieht man fie die Luft burd;fchneiden, wo baum 
die fangen, fpigen, weißſchimmernden Fittige einen ſchönen Contraſt gegen 
die grauen Wollen bilden, in benen der Sturm herangezogen kommt. Auch 
den granen Reiher fieht man ab und zu vorüberziehen in höchſt eigen 
thimlichen Fluge, den langen Hals nicht wie ber Storch gerade vorgeſtredt 
fendern S-förmig rüdmärts gebogen. 

Saft immer fieht man den Spiegel bes Haffs freundlich belebt. Alle 
anfiegenden Ortſchaften treiben hier eine lebhaſte Fiſcherei. Die mäßig 
grozen Böte mit ihren weißen Seegeln fieht man oft in großer Anzahl 
mbig über bie Fläche gleiten; dazwiſchen ab und zu ein größeres befrach ⸗ 
tetes Handelsſchiff und mehrmals am Tage bie Dampfer zwiſchen Elbing 
md Kahlberg, Elbing und Königsberg, Elbing und Danzig, bie hier fo 
nahe vorbeifommen, daß man das Stampfen ihrer Schaufelräder hören, das 
Anffprigen der Wellen fehen Tann. Wunderlich fieht es aus, wenn vom 
ber biesfeitigen Küfte au» ein Schiff belaben werben foll, mit Gen, Ge⸗ 
treide oder Bafchinen, bie in Menge in ben Wäldern hier gefchlagen were 
den, unb beren zur Errichtung und Ausbeſſerung der Nogat- und Weide 
ſeldämme eine ungehenre Quantität erforderlich if. Die Schiffe mäflen 


bei dem feichten Waffer viele Hundert Buß ab vom Geſtade Halten. Bis 


m ihnen Hin wird bie Ladung auf hochbepadten Wagen gefahren, fo dab 
das Waſſer oft ven Pferden bis zum Bug fteigt. 

Dann wieber if’6 herrlich, wenn am fpäten Abend, wenn längft- bie 
Some zur Ruhe ‚gegangen unb ber Widerſchein ihrer legten Steahlen 


118 Slinen auß Au Ureuben 


verglommen iſt, tiefes Schweigen über ber weiten Flache ruht, daß mar 
das Rauſchen der Meereswellen von jenfeits ber Nerung her geheimnif- 
voll gebämpft vernehmen farm. 

Bon „großem Imtereffe ift die Beobachtung bes Himmels unb ber 
Mitterungserfcheinungen von biefer Warte aus, bie einen fo großen Theil 
bes Horizontes überfchant. Die weite Waſſerfläche des Haffs mit feiner 
eigentgämlichen Umgränzung übt einen bebeutenben Einfluß auf das Wet 
ter in weitem Umfreis aus. Ueber ihm’ erheben fich die dichten Haffnebel, 
die oft genug bis Elbing und tiefer in's Land Hinein Regen bringen. Of: 
erſcheint es als eine Wetterfcheibe, indem Gewitter nur bis zur Mitte 
feines Spiegels vorbringen und bort mit großer Heftigleit fich entladen, 
ohne das Ufer zu erreichen. Im täglichen Verlauf der Winddrehung um 
bavon abhängigen Witterungserfcheinungen herricht eine gewiſſe Regelmäßig: 

keit, deren Gefege den anwohnenben Landleuten und Fiſchern wohl bekannt 
find. Furchtbar fchön und erhaben war der Anblick eines Gewitters, das 
gegen Abend aufziehend, bie tief in bie Nacht dauerte, faft ben ganzen 
Horizont umziehend und von verfchiedenen Eeiten her feine grellen Blitze 
verfenbend. An drei Stellen in ber Niederung jenfeits des Binfenmeers 
ſah man den rothen Benerfchein getroffner Gebäude auffteigen. Die phan- 
taſtiſchen Formen ber Klippen in ber momentanen Beleuchtung eines be- 
ſonders helfen Bliges, der Wiberhall des Donners von ber Wafferfläche 
and ben umgebenden Bergen machten einen wunderbaren Eindruck. — 

Wie ich ſelbſt von diejem reizenden Afyl ans nad allen Richtungen 
Yin Gtreifereien unternahm, möchte ich and meine Leſer noch ein wenig 
mit mir führen. Der ganze Theil des Haffufers vom Einfluß des Elbings 
bis in bie Nähe Frauenburgé, auf eine Strede von faft vier Meilen, bie 
tief Is Land Hinein iſt ein Fleck Landes von überrafchenber Lieblichkeit. 
Der bewaldete Berging, ber vom fogenannten Oberlanb her über Preuß. 
Holland bis Elbing zieht und in ber Nähe biefer Stadt fo anmuthige 

"Berg: und Waldparthien bilbet, tritt in feinem weitern Verlauf bis an’s 
Hoff heran, als eine wellige Hochebene, die, wie ſchon erwähnt, gegen das 
Daff Hin faft überall fteil abfällt. Sie wird von einer Reihe von Hügel 
Ietten durchzogen, bie meift ſenkrecht gegen bie Uferlinte bes Haffs ſtreichen, 
uns ab und za nou Däcen durchbrochen, bie fich tiefe, gewundene Thäler 





von Bernhard Oblert. 119 


mit ſchroffen Wanden ausgewaſchen haben und mit ſtarkem Gefälle über 
Kies und Rollſteine dahin murmeln. Characteriſtiſch iſt die Anßerft am 
mathige und manichfaltige Formation biefer Meinen Hügel, an beren gras 
1ö6 geſchwungenen Gontouren man wahre Schönheitslinien ſtudiren kann. 
Ohne Zweifel verbanft diefe Gegend ihre wellige Erhebung vorzugsweiſe 
von innen heraus wirkenden vulkaniſchen Kräften. Uber es ift fein tiefer, 
lang gehaltener Athemzug, kein heftig krampfhaftes Zucken ver alten Erbe 
geweſen, es ſcheinen die leifen Wallungen einer fanft freubigen Regung 
gewefen zu fein, die hier Geftalt gewonnen haben. Die oft ſehr ſteile 
Boſchung mancher Heinen Kuppen tritt uns recht bentlich vor Augen, 
wenn wir ben Baumwuchs auf ihnen betrachten. Namentlich bie gefügigen 
Virlenſtämmchen find, um an ber ſchrägen Wand zu wurzeln und doch 
ihrem Zrieb bes Aufwärtsftrebens zu genügen, genöthigt, bicht über. ver 
Burzel eine krumme Bengung zu bilden. Es kommt dadurch in ihre 
dichten Reihen ſcheinbar eine haflige Bewegung; es ift, als wurzelten fie 
allg den Anhang herab, um zu irgenb einer feſtlichen Verſammlnng ver- 
förifterter Baumgeifter ja nicht zu fpät zu fommen. 

ueberhaupt erhält die ganze Gegend bod ihren Hanptreiz durch bie 
reihe und manichfaltige Bewalbung, in welcher Hinſicht wahrlich wenige 
Gegenden Norb-Deutfchlands fich mit ihr werben meflen können. Die 
Radelbänme, Tanne und Fichte, bie meiftens, Feine anbern Bänme neben ſich 
daldend, in ſtarrer Einförmigkeit weite Streden überziehen, treten bier au 
Zahl zutuck, gerade genug, um buch ihre charaktervollen Geſtalten einen 


" mgenehmen Contraft gegen bie weit Abenwiegende Laubmaſſe zu bilden:- 


Geradezu alle überhaupt in Norddentſchland vorkommenden Laubhblzer find 
hier vertreten. Es bominirt bie Rothbuche, bie einige Meilen. weiter nach 
Ofen, bei Brandenburg, die Gränze ihres. Vorkommens erreicht, ‚aber hier 
gerade noch im voller Pracht fid findet. Daneben bie, Weißbude ober 
dainbuche, befonders in dichten, hedenartigen Wanden das Unterholz bil 


dend. Die Eiche feltener zu ganzen Haiuen vergeſellſchaſtet, finbet fich 
‚  Aberali verſtreut in wundervollen vielyunbertjährigen Stämmen mit mäd« 


tigen Kronen in wunderlich gothiſcher Veräftefung. Die freuudlich wilts 
dige Linde, neben ber Roflaftante befonbers gern in ber Nähe meuſchlichen 
Bohmungen gehalten, hat ſich gleichfalls vielſach in bie Kälber zerfizun, 


120 Stiuen and Kibfreußen 


Ufer ben auch in anbern Gegenben meift häufigen Birken, Eepen, Eichen 
anb Weiben will ich nur hervorheben, daß bie Eller ober Erle hier in 
einer Größe und Mäctigfeit vorkommt, daß fie mit ben ſtärkſten Eichen 
weiteifert, unb baß and die Arten ber fonft fo feltenen Ulme ober Rüfter 
in fchönen, kräftigen Stämmen fich finden. 

Den Höhepunkt erreicht die Schönheit des Waldes in den @ütern 
Panklan und Eabinen. Die Panklauer „heiligen Hallen”, ein wunder 
voller Buchenhain uud bie Panklauer oder Cadiner Ausficht werben vor- 
gugsweife von Naturfreunden aus ber Umgegend aufgefucht und fremden Be 
ſuchern gezeigt. Bon ber legten muß ich, fo mißlich dies auch iſt, eine 
Schilderung zu machen verſuchen. Wir felbft figen von Eichen umfchattet 
nufern des Waldrandes. Vor uns breitet fi ein tiefes Keſſelthal vom 
großer Weite aus mit bem üppigften, manichfaltigften Baumwuchs erfüllt, 
worunter als befonbers characteriſtiſch, gewiſſermaßen das Wahrzeichen ber 
Stelle, noch ziemlich im Vordergrunde fich eine riefige Tanne heranshebt. 
Gegenüber, wo bie Thalwand wieber anfteigt, fieht man das Klofter von 
Eabinen, feit Iahren unbenugt und innerlich im Derfell, aber äußerlich 
wohl erhalten mit feinem Hohen rothen Dach und Heinen Thürmchen. 
Gleich an die bewalbete Bergwand ſcheint ſich ber Haffipiegel zu ſchließen, 
trotz ber bebentenden Verkürzung noch in beträchtficher Breite, von weiß 
ſchimmernden Eegeln belebt. Rechts erſtredt fid eine flache Sandzunge tief 
hinein, auf ber das Heine Stäbtchen Tolfemit mit vothen Dächern ımb 
einem fpigen Kirchthurm ſich erhebt. Begränzt wird das Haff in weitem 
Bogen durch bie zum größern Theil bewaldete Nerung, doch erblidt man 
rechts noch die Tahlen, gelben Sanphügel öſtlich von Kahlberg. Drüber 
weg: aber zeigt fi noch ein breiter Streifen ber See, welcher ben Hori⸗ 
zont ſchließt. — Steigen wir abwärts nad Cadinen zu, anfangs bem 
Rande des Thale folgend, den herrlichſten Baumgruppen vorbei, fo ent- 
Yalıt -fich in immer neuen Durchblicken und Ausfichten, oder vielmehr Ein- 
fichten, feine. bedeutende Ausdehnung und manichfaltige Gliederung. Das 
Nattliche Gutshaus felbft Liegt in’ ber Ebene, vor ſich einen fehr geräumi- 
gen, mufterhaft vein gehaltenen Hof, von den zahlreichen, ſchmuden, ziegel- 
gebedten Wirtbfhaftägebäuben, Wohnungen ber Iuftlente und einem Gaſt⸗ 
hauſe für bie Häsfigen fremden Beſucher umgeben, einen großen Teich in 


vom Bernbarb Oflest, 121 


ber Mitte. Hinter bem Gaſthaus ber große Garten, in fehr ridhtigem 
Verſtandniß nicht parlartig, fonderm in alt-franzöfiichem Geſchmack ange 
legt, mit. breiten, geraden Gängen, bald von uralten Kaftanien- und Lin⸗ 
den-Alleen, bald von -bichten Buchenheden eingefaßt, mit runden Rafen- 
plägen, Blumenrabatten, Orangerien und einem Springbrunnen, daun 
in Terraſſen allmählich bis zu ber beträchtlichen Höhe anfteigenb, auf ber 
wwiſchen riefigen alten Linden, Eichen, Kaftanien und Wallnußbäumen das 
Lloſter ſteht. Jedes Nachlänfteln ber Natur würbe ſich in biefer wunder 
baren Wälverpracht Heinlich ausnehmen. 

Das Aloſter, ein Bernhorbinerkiofter, feit beinahe 40 Iahren aufge 
hoben iſt kein alter Bau, im Bafilikenſtyl, einfach und prunflos, doch 
machen die Kirche, das Refectorium mit feiner flachen Wölbung, bie lau» 
gen, hallenden Eorribore, bie verlafjenen Zellen ver Mönche einen feier 
lichen Einbrud, der nur durch den kindiſchen Muthwillen ber Beſucher, 
die überall an ben Wänden fich durch Juſchriften zu verewigen getrachtet 
haben, geftört wird. Oben an bem nach bem Haff gelehrten Giebel iR 
ein Balcon angelegt, von dem man eine herrliche Ansficht hat. Schöuer 
aber noch ift’s, wenn man den gefährlichen Aufgang über verfallene Treps 
pen nnd Stiegen zu ber Spige bes Thurms nicht ſchent. Man figt dans 
mitten im bichteften Waldesgrün und fchaut den Bäumen über bie ber 
laubten Häupter weg auf ben Spiegel bes Haffe. — 

Diefe ganze Gegend verbankt einen guten Theil ihres Reizes dem 
glädlihen Umſtand, daß fie eine Anzahl größerer Güter umfaft, deren 
Befiger nicht genöthigt ängftlich dem bloßen Erwerb nachzuſtreben, bas 
Bermögen und ben. Stun haben, ihrer Umgebung Reiz und Schönheit zu 
wahren, Auf den ebneren Stellen der Hochebene allerbings, bie einft ge» 
wiß gleichfalls bewaldet waren, fieht man jet üppige Felder ſich breiten, 
aber faft Aberall ſchließt den Horizont ein bicht gränender Laubkranz; bie 
Höhen, auch wenn ihren kräftigen Aderboven gt, Robehade und Pflug 
dem Anbau unterworfen haben, find meift mit einzelnen Baumgruppen, 
die man verſchont hat, gekrönt, um anmuthigen Wechſel in das Bild zu 
bringen. Die mächtigen Eichen des Forft’s, die zum Schiffbau in Elbing 
für enorme Preife verwerthet werben könnten, verweigert ber Gutsherr 
dem brängenben Eifer des Händlers. — Die geihmadvollen Gutshäufer 


123 "Ehen aus An · leechen von Bernharr Oklert 


und Villen, bald auf Hoher Bergfptge mit weiter Umſchan, bald im fit 
iinfeieneten Thal im Schatten alter Bänme liegenb, bon Sartenanlagen, 
bie ſinnig dem Charater ber Umgebung angepaßt find, alles dies zengt 
dafle, daß ber Sinn der Bewohner nicht verfchloffen geblieben für ven 
Odem der Schönheit, ber über das glüdliche Stüd Erbe ergeſſen iſt. 
Möge es ſo bleiben! 

Aber eben ſo characteriſtiſch und nicht weniger reizend ſind einige 
Bauerdörfer, beſonders die dicht am Geſtade liegenden, wie Sukaſe und 
Steinorth. Theils dicht am Röhricht des Haffs, theils Berg hinan in 
verfehiedenen Höhen fiehn die freundlichen, zum Theil ftatilichen Hänfer. 
Ansgebehnte Obfigärten, ber größte Reichthum ber Befiger, bie mit beren 
Erzeugnifſen einen höchſt einträglichen Handel nad, Elbing und mehr noch 
nach Königsberg treiben, wo bie füße Kirſche, die Pflaume faum mehr 
gebeihen, ziehen fich bie Bergabhänge Hinan. ber zwiſchen bie Gärten 
und Hänfer firedt fi; Hier und bort der Walb in voller Naturwüchſigkeit 
hinein, beſonders am Ranbe ber tief eingefchnittenen Hohlwege, bie durchs 
Dorf führen, oder am Ufer ber Meinen Bäche, bie in tiefen Thalrinnen 
dem Haff zuflichen. — 

Doc ich will dem Bilde, das ich zu entwerfen verfucht, Yeinen Pin- 
felftrich mehr Hinzufügen. Mag ber Lefer lieber bald möglichft einen Aus ⸗ 
fing dorthin unternehmen, felbft bie grünen chatten ber Wälder burdy- 
fireifen, und von ben Bergen herab das entzäcte Auge in bie Weite 
ſchweifen laſſen. — 


Die Zahlen-Berhältniffe 
den ländlichen zug fädtifchen Berölherung nach den 


letzten Bolhszählungen des preufifchen Staates. 
Bortrag in ber Deutſchen Gejellfchaft gehalten am 21. December 1865 
von 


F. W. Schubert. 


Die ſtatiſtiſchen Verhältniſſe unſerer Provinz Preußen haben mir in 
dieſem geehrten Vereine ſchon zu wiederholten Malen Anlaß gegeben, durch 
Vergleichung mit ähnlichen Zuſtänden der übrigen Provinzen unſeres Staa- 
tes, wie auch fremder Staaten, nationalskonomiſche Betrachtungen von 
olgemeinerem Intereſſe zu erläutern. Bor 19, vor 12 und vor 9 Jahren 
traf es mit den kurz vorher ansgeführten allgemeinen Vollezählungen zu» 
ſemmen und auch jegt ift gerade ein Jahr verfloffen, nachdem bie letzte 
algemeine Zählung ftattgefunben Hat, von welcher wir erſt jegt bie Haupt⸗ 
teſultate aus offiziellen Berichten Tennen gelernt Haben.) 

Es gehört befanntlih — und glüdlicher Weife — zu ben ſeltenen 
Fllen für die fühlichen Küftenländer der Oſtſee, daß zwei Mißlahre für 
die landwirthſchaftliche Probuftion unmittelbar anf einander folgen, wie 
wir dies leider in biefem Sabre beklagen muſſen, wenn auch partielle Aus⸗ 
ufmen für Meinere Bezirke oder in einzelnen Zweigen ber lanbwirthſchaſt⸗ 
fen CTaltur eine günftige Ausnahme für fich im Anfprisch nehmen kongen. 
Gefbe im ſolcher Zeit empfindet man es am Iebhafteflen, wenn nachhal⸗ 
tige in großem Umfange früher nicht erfannte Uebelftände eine nene koſt⸗ 


bhielige Beſchwerde dem Sande für bie Zulunft aufzudrängen ſcheinen: 





) Gngel: Zeitfährift des ſtatiſtiſchen Bureaus. 1866. Fo. 6 und 11. 


194 Die Sablen-Berhältmifie der landlichen pur Räbtifhen Bevölkerung 


Man wirb natürlich auch in biefem Falle bie Frage fich zuerſt eruſt vor- 
legen müſſen, ift biefer neue Uebelftand etwa nur ein vorübergehenber, 
ober fann man zu feiner Bekämpfung unb vollſtändigen Befeitigung twirt- 
fame Mittel ergreifen? 

Und welchen allgemein gefühlten Uebelftand für die landwirthſchaft⸗ 
liche Induſtrie gedenle ich Hier zur Sprache zu bringen? Es iſt der au 
in unferer Provinz jegt verftärkt ſich einftellende Mangel an. ländlichen 
Arbeitern. — 

Beforgen Sie nicht, m. H., daß ich theoretiſch in biefem mit Univer: 
falheilmitteln fo reich begabten Zeitalter aus meiner Wiſſenſchaft der Sta ⸗ 
tiftif ein Recept ober einen vorwigigen Rathſchlag hervorſuche, um Abhülfe 
zu verfprechen. Die Statiftit hat feinen unmittelbaren Beruf, als Heil- 
wiſſenſchaft zu dienen, aber ihrer ernften Aufgabe ift es vorbehalten, nad) 
allen Richtungen Hin gründlich zu unterfuchen, ob ein angegebenes Ver⸗ 
hältnig wirklich vorhanden if, ob es als vorübergehend augefehen werben 
Yann, ober ob es ale ein allgemeines in ben Zeitzuftänden liegt und bem- 
gemäß durch bie eigenthümlichen Phafen ber Eultnrentiidelung bes be 
zeichneten Landes bebingt ift? Im letzgegebenen Fall — und ich zeige für 
den hier angeregten Fall bies Ergebniß ſchon voraus an — hat man ben 
andauernden Uebelſtand vollftändig anznerkennen und vermag auch nur 
dann von ber fortſchreitenden Entwidelung ber Eufturzuftände wirkliche Ub- 
hüffe zu erlangen. 

Der Mangel an ländlichen Arbeitern iſt factifh gegenwärtig in allen 
Culturlãndern ein fehr ernfter Gegenſtand ber öffentlichen Beiprechung, ich 
brauche wohl ſchwerlich ans unferem engern Baterlante diefe Klage als 
vorhanden noch nachzuweiſen. Uber es dürfte weniger allgemein befannt 
fein, wenn ich für Frankreich mehrere umfaſſende Abhandlungen des 
hiefür fachtundigften Mannes, bes Directors des ftatifliichen Bureaus, 
Legoyt, mitgetheilt 1864—65 in ber Revue contemporaine und dem 
Journal des Economistes, anführe, wenn ich nicht minber auf Leom’s 
ſcharbare Arbeit über die eigenthämlichen Verhältniffe bei dem Wachsthum 
der franzöſiſchen Bevollerung im biesjährigen zweiten Augufihefte ber Re- 
vue contemporaine hinweife, wo dieſer geachtete Schriftfteller namentlich 
hervorhebt, daß im ben legten Jahren in fehr vielen franzöſiſchen Land ⸗ 


von F. W. Schubert. 126 


foften die Magen Über ven Maugel an ländlichen Arbeitern fih immer 
mehr verftäckten. Cine gleihmäßige Erfahrung wird nach ben fehr zuver- 
ffigen ftatiftifchen Arbeiten für das Königreich Belgien feit Jahren beo- 
bachtet; im noch größerem Maaßſtabe wird daſſelbe Ergebniß für das 8 
nigttich der Niederlande unb für England berichtet. 

Der numeriſche Nachweis ergiebt ſich einerfeits aus den Reſnltaten 
der Beweguug ber ländlichen Bevölkerung im Vergleich zur fäbtifchen, in 
dem bei jeber allgemeinen Vollszählung — nach ben in ben einzelnen 
Staaten verfchiebenen Perioden von breis, fünf- bis zehmjährigen Zwiſchen ⸗ 
rimmen — bie ländliche zu Gunſten ber ftäbtifchen entweder entichieben 
fid vermindert Hat, ober doch mindeſtens in einem weit geringeren Grabe 
bei dem allgemeinen Wachsthum ber Bevöllerung ale bie fäbtiiche bethei- 
fit if. Anderſeits wird gleichzeitig der Nachweis geführt werben können, 
Ib die Maſſen ber Arbeiten für die ländliche Bevölkerung durch fehr gün- 
fige Erweiterung der landwirthſchaftlichen Eultur im Terrain, wie durch 
Bergbau, Forſtzucht, durch manche nen Hinzugetretene Induſtriezweige ber 
»hoftichen Cultur ſich anfehnlich vergrößert Haben, alfo gegen frühere Zei- 
ta immer noch einen vermehrten Bedarf am biefen Arbeitskräften hervor- 
gerufen Haben. ö 

Bleiben wir zuerft bei bem DVerhältnig der allgemeinen Bewegung 
wwiſchen der ländlichen und ftäbtif—hen Bevölkerung flehen unb beginnen 
mit den Refultaten für Frankreich, weil biefer Staat im Geſammtver⸗ 
gleich der gegenfeitigen Cultur- und Verkehrsbeziehungen die größte An- 
näherang mit dem preußtichen Staate buchbliden läßt. Im Frankreich findet 
kelanntlich bie Volkszählung alle fünf Jahre ftatt, id; verweile nur bei bem 
dir legten und gebe überdies für bie brei legten Ziffern nur abgerundete 
Zahlen zur leichtern Ueberſicht. 

Die Geſammtbevölkerung dieſes Staates war: 

Im Jahre 1846 . . . . 36,400,000 Eine. 


bavon bie landliche 26,753,000 „ 76,8 pEt. 
" n» ſtadtiſche 8,647,00 „ 240 
Im Yahre 1851 . . . . 35,783,000 
davon bie Ländliche 26,848,000 „ 744 pÜt. 
m m fäbtiihe  9,186,000. „ 2 w 


196 Die BablensBerbältiffe de Ländlichen zur ſtadtiſhen Bevölterung 
Im Dahre 1856 . . . . 36,039,000 Einw. 


davon die landliche 26,194,000 „ 72a pt. 
mn fäbtiihe 9845,00 , 2 m 

Im dahre 1861 . . . . 86,717,000 „ 
davon die Ländliche 26,043,000 „ Tiygpät: 


m ſtadtiſche 10,674,000 23,6 m 
jedoch ohne die Hinzunahme von Savoyen und —* um nicht das &e 
fommtrefultat zu ſtören, wiewohl beide Departements 1861 bereits incor- 
porirt waren. 

Es Hat mithin bie Gefammtbevälferung biefes Staates in 15 Jahren 
überhaupt um 1,317,000 Einwohner fih vermehrt, allerdings eine fehr ge- 
ringe Vermehrung im Vergleich zu der Mehrzahl der europäifchen Staa ⸗ 
ten, nämlich nur 39/4 pEt. bei dem Stamm-Eapital im Sabre 1846, d. h. 
im jährlichen Durcfchnitte 1, p&t. Dabei hat aber die länbliche Bevöl⸗ 
terung nicht nur gar uicht zugenommen, ſondern ſich noch jehr beträchtlic, 
vermindert, nämlich um 710,000 Einwohner; in ihren Verhältnißzahlen 
zur Gefammtbeväfferung fait genau um 41/g p&t,, während gleichzeitig die 
ſtadtiſche Bevölkerung um 2,027,000 Köpfe verftärkt ift, alfo nicht nur bie 
gefammte Vermehrung des Staates in 15 Jahren an ſich gezogen hat, 
fondern außerdem noch um 710,000 Köpfe größer geworben iſt. Betrach⸗ 
tem wir bie ſtädtiſche Bevöllerung in Frankreich für ſich allein, fo Hat fie 
in 15 Jahren um 281/, pCt. zugenommen, oder im jährlichen Durchfcpnitte 
um mehr als 1; pCt. wodurch eben fie in ihrer Verhältnißzahl zur Ge 
fammtbevöfferung von 24,4 pCt. bis auf 28,95 FEt. geftiegen ift, alfo faft 
genan mit 4 pCt. vorgefchritten iſt. Man rechne bies nicht vorzugsweiſe 
anf bie außerordentliche Erweiterung der Hanptftabt Paris, denn die Aus 
dehnung bes Stabtgebiets im Terrain-Umfang erfeheint doch nicht wefent- 
lich in Bezug auf bie Bevöllerung, und Paris hat trog feiner Eoloffalen 
Volksmenge von 1,696,141 Einw. bei ber letzten Zählung im Jahre 1861, 
doch nur eine DVerftärkung von 642,243 Einw. in biefer Zeit erlangt, ba 
es 1846 bereits 1,063,897 Einw. befaß, alſo eine Vermehrung um GO pCt., 
während Lyon mit 318,803 Einw,, Lille mit 181,827 Einw., St. Etienne 
mit 92,250 Einw., Toulon mit 84,987 Einw. in bemfelben Zeitraume ſich 
vollftändig verboppelten, Havre mit 74,896 Einw. ſich fogar verbreifachte. 


von 5 W. Säubert, 127 


&s if mithin eine allgemeine ſtarke Zunahme ber ſtädtiſchen Bevölle⸗ 
rung, von der feine einzige Stadt mit Iebhafter Theilnahme an ben in» 
daſtriellen umb commerciellen Beſtrebungen des Landes ausgefchlofien ge- 
blieben iſt. Marfeille Hat die Zahl von 260,910 Einw., Borbeang bie von 
162,750 Einw. erreicht. Die Zahl der franzöfifchen Städte mit einer Ber 
völferung von mehr als 100,000 Einw. im Jahre 1846 nur auf vier bes 
fgränkt, iſt jett auf acht vorgerüdt; zu ben Stäbten zwifchen 50,000 und 
100,000 Einw. hat fi in derfelben funfzehnjährigen Periode eine boppelte 
Zahl gefellt, die jetzt bereits auf vierzehn fteht. 

Gehen wir nunmehr zu ben Nefultaten für ben preußifchen Staat 
über, fo ſondern wir zuvörberft die Berechnungen für ven gefammten Staat 
von den uns näher fiehenden für bie Provinz Preußen. Indem wir in 
jenen noch mehr übereinftimmende Vergleichspunkte mit Frankreich finden, 
dorzugsweiſe im bejonderer Berüdfichtigung ber weftlichen Provinzen, Sach⸗ 
ſens und and) der Mark Brandenburg, wegen bes hier überwiegenden Ein- 
fufles ber Hauptſtadt Berlin, erlangen wir in den Grgebniffen für bie 
Provinz Preußen auch zugleich eine näher anwenbbare Darftellung für bie 
gleichartigen DVerhältniffe in Schlefien, Pommern und dem Großherzog. 
tum Poſen. 

Die Gelammtbevöfterung des preußiſchen Staates betrug nad ben 
breijährigen zu Anfang bes December angefteliten Volkszäͤhlungen: 

Einw. landl. Bevölt. ſtadt. Bevölt. 
1846 16,112,938 davon 11,608,984 72,02 pPCt. 4,508,954 27,5 pEt, 
1849 16,331,187 11,714,285 Tin: „ 4616,902 28,95 
1852  16,985,420 12,120,214 Tl,gg „m 4,815,206 28,45 
1865  17,202,821 12,234,577 Tin m  4,968,244 28,09 
" 
” 


Du we u 


1868 17,739,913 12,490,715 7001 5,249,198 29,0 
1861 18497458 „ 12,929,726 69,95 6,567,732 30,5 
1864 19,266,1899 „ 13,262,328 68,9 „ 6,002,811 31,0 „ 

Es {ft demnadh in biejen 18 Yahren die Gefammtbevälterung unferes 
Etaates um 3,142,201 Einw. geftiegen, b. i. bei einem Stamm Capital 
von 16,112,938 Einw. tm Jahre 1846 um 19 pEt. ober im jährlichen 
Durchſchnitte um etwas mehr als 1 pCt., b. i. mehr als im vierſach ftär- 
leren Progreffions-Berhältnifie gegen bie Gefommtbevöfterung bes. franzö« 


198 De Zeblen Verhältnife ber Länbliden zur Rüben Vevollerung 


ſtſchen Staates. Aber bei biefer Verftärfung ber Bevälterung tft bie länb- 
liche, ungeachtet der faft dreimal fo großen Kopfzahl im Jahre 1846 gegen 
die ſtadtiſche, faft nur mit der gleichen großen Zahfengnote wie die fäbti, 
ſche betheiligt, denn jeme Hat überhaupt nur um 1,648,344 Ein. mit 14 pCt. 
d. 5. im jährlichen Durchſchnitte noch nicht mit 3/4 pCt. zugenommen, 
während die ftäbtifche Bevölkerung gleichfalls um 1,493,867 Köpfe verftärkt, 
mit mehr als 33 pCt. oder im jährlihen Durchſchnitte fait mit 2 pCt. ger 
wachſen if. Dadurch Hat fi) dann fehr beträchtlich das allgemeine Zah ⸗ 
lenverhaltniß für die fläbtiiche und ländliche Bevölkerung in Bezug auf 
vie Gefommtbenöfterung verändert, denn bie ländliche ift von 72 p&t. ber 
Geſammtmaſſe um 3,, p&t. bis auf 68,5 pCt. veringert, bildet alfo für ven 
ganzen Staat wicht mehr weſentlich viel über zwei Drittel der Geſammt ⸗ 
beodlferung. Vergleichen wir bamit bie oben angegebene Verminderung 
der ländlichen Devölferung in Frankreich, fo iſt dieſe in bem noch fürze 
ven Zeitraume von 15 Jahren um 4,4 pCt. raſcher verringert, bildet indeß 
doch noch einen flärkeren Antheil an der Gefammtbevölferung, nämlich 
Ti,4 pet. 

Die Verteilung ver ftäbtifhen Bevölferung im preußiſchen Staate 
nad dem Provinzen und einzelnen Negierungsbezirken bietet 
indeß noch einen weit ftärkeren Wechſel in ber Zunahme zu Ungunften ber 
landlichen Bevölkerung. Das Marimum der ſtadtiſchen Bevölferung, näm- 
lich mehr als bie Hälfte der Geſammtbevölkerung liefern nur zwei 
Regierungsbezirke. Düffeldorf zählte am 3. December 1864 625,663 Einw. 
in ben Städten und nur 557,070 auf dem platten Sande, aljo 53 pt. 
ſtadtiſche und nur 47 pCt. ländliche Bevölferung, aber aud) bies Verhält⸗ 
niß Hat fih in fo abnormer Weiſe erft in den legten 21 Jahren geftaftet, 
da mad) ber Zäplung des Jahres 1843 hier auf 347,943 ftäbtifche Be⸗ 
mwohner 603,513 landliche famen, mithin jene nur 41 pCt, biefe noch 
59 pCt. ver Gefammtbenölferung bildeten. Noch mehr fällt hier bie aus 
Ferorbentliche Zunahme ber ſtädtiſchen Bevölferung in die Augen, wenn 
man bie abfolute Vergrößerung biefes Regierungsbezirls in den beiben 
Bolfezäplungen vergleicht, die ftäbtifche Bevölkerung ift von 1843—1864 
um 278,720 Köpfe geftiegen, bie ländliche bagegen nur um 53,467 Köpfe, 
5:5. jeme Hat fich feit 1843 faft verdoppelt, um mehr als 80 pEL. vermehrt, 


von 3 W. Schubert. 129 


während biefe in berfelben Zeit nur um 10 pEt. gewachſen iſt. Der zweite 
Regierungsbezirk in Bezug auf das Marimum der fästifchen Bevölkerung 
ift Potsdam, allerdings mit Einfchluß der Hauptſtadt Berlin. Diefer 
war bereitS nach ber Volkszählung von 1843 ber einzige, in: weldhem 
Ihon damals bie ftädtifche Bevölkerung bie ländliche überwog, indem jene 
mit 626,386 Köpfen zn 56 pEt., diefe mit 508,049 Köpfen zu 44 pCt. au 
der Gefammtbevölferung des Regierungsbezirks von 1,134,435 Seelen bes 
theiligt war. Nach der legten Volltzählung betrug in demſelben Regie 
tungsbezirke bie Gefammtbevölferung 1,613,016 Einw., bavon die ftäbtifche 
389,873 Köpfe und die Tänbliche 623,143 Köpfe, mithin jene 61,3 pEt., 
biefe nur 38,, pCt. Zu berüdfichtigen ift inzwiſchen hier die Bevöllerung 
Berlins, die nach der legten Zählung auf 632,749 Einw. geſtiegen tft, 
mithin für ſich allein mehr als bie Ländliche Bevölklerung bes gefammten 
Regternngsbezirts beträgt und etwas über 39 pEt. der Gefammtbevöälferung 
deſſelben für fich in Anſpruch nimmt. Deffenungeschtet ift relativ bie ſtädti⸗ 
fe Bevölkerung im Regierungsbezirke Däffeldorf in einem weit flärferen 
Maaßſtabe als in Potsdam mit Einfluß von Berlin vermehrt, indem 
innerhalb befielben Zeitraums jene um 80 pEt., biefe nur um 58 pCt. ges 
fiegen iſt. Doch bleibt noch zw bemerken, daß ber Regierungsbezirk Pots⸗ 
dam auch mit Ausſchluß von Berlin noch eine hervorragende ſtädtiſche 
Benöfkerung zählt mit 357,124 Einw., d. i. 36 pCt., gegen 623,148 Einw., 
d.i. 64 pCt. an ländlicher Bevölkerung, 

Nächft dieſen beiden Regierungsbezirken befigt ber preußiſche Staat 
noch ſechs Regierungsbezirke, in welchen nach ber legten Volkszählung bie 
Rüdtifche Bevölkerung über ein Drittel der Gefammtbevölferung für fich, 
umfaßt, alfo um mehr als 2 pCt. den Geſammtdurchſchnitt derfelben für 
dem Staat überſchreitet, da wie oben nachgewieſen ift, biefer am 3. Decem» 
bet 1864 nur auf 31,5 pCt. auslief. Dies find bie brei Regierungsbezirle 
bes Herzogthums Sachfen, zwei in Pommern und noch Eöln, welcher letz⸗ 
tere jeboch nur fehr wenig über ein Drittel Hinausgreift, 

Gefammtbevölt. landliche ſtadtiſche 
Magdeburg‘ . 813,348 485,058 59,5 pCt. 328,290 40 pet 
Merfeburg . . 858,399 549,412 64, „ 308,987 36, 


fur ... 372,228 231,445 62, m 140,783 .88, „ 
pr. Monatsjgrift Dd. IL Of. 2 9 


130 ° Die BahlensBerhältniffe ver Ländlichen zur ſtadtiſchen Bevölterung 


Gelammtbevält. landliche . ſtadtiſche 
Stettin.. 677,641 441,789 65, pt. 235,852 36, pt. 
Stealfund . . 216,133 132,204 61, „ 83,929 39, u 
Ein . . . 584,883 389,661 666 195,222 334 n 

Unter den Oberpräfidialbezirfen ober Provinzen erreichen brei für 
die ftäbtifche Bevölkerung mehr als ein Drittel ber Gefammtbevölferung, 
Brandenburg faft ganz genan bie Hälfte, bei ber Geſammtbevöllerung von 
2,616,583 Einw. 1,308,236 Köpfe ftäbtifche, gegen 1,308,347 Köpfe länb- 
liche Bevöllerung, Sachfen bei der Gefammtbenöfferung von 2,043,975 Einw. 
in 38 pCt. ftädtifche Bewohner mit 778,060 Einw. und 62 pCt. Ländliche 
mit 1,265,915 Einw,, die Nheinprovinz bei ber Geſammtbevöllerung von 
3,346,195 Einw. in 34,, pCt. ftäbtifche Bewohner mit 1,143,106 Einw. 
und 65,5 pCt. ländliche mit 2,203,089 Einw. 

Ganz nahe an dem Gefammtdurchſchnitte für ben Staat mit 31,5 pCt. 
und ſelbſt unter venfelben finfend, jedoch noch mit mehr als 25 pt. 
Antheil an ber Gefammtbevölferung, finden wir gegenwärtig bie ſtädtiſche 
Bevölferung in 2 Reg.-Bez. der Provinz Preußen (Danzig, Königsberg), 


In "m Bofen (Bofen), 

In "m Brandenburg (frankfurt), 
Ion ”" n Schleſien (Breslau), 
In "m Wecſtphalen (Arnsberg), 


1 } Pr P} Nheinprovinz (Aachen), 
und außerdem in ber Gefommtbenölferung ber drei Provinzen Pom- 
mern, Bofen und Weſtphalen. 

Gefammtbevölt. ländliche ſtadtiſche 
Reg. Bez. Königsberg 1,034,111 768,626 73,5 pCt. 275,485 26,5 pCt, 
„ Danig . 502,820 348,434 709 „ 154,386 29, 


" 
"  Bolen . . 978,268 702,188 71, „ 276,130 28,5 „ 
w  Franffurt . 1,003,867 685,204 68, „ 318,563 3 w 
w  Breslon . 1,845,377 997,796 67,5 „ 439,580 395 u 
m  Umsberg . 740,961 522,465 706 „ 218,496 29,4 w 
„ Magen. . 472,018 330,821 685 „ 141,197 314 w 

Provinz Pofen . . 1,523,729 1,111,650 739 „ 412,079 279 

"u Pommern. 1,487,375 997,796 689 „ 439,580 31, » 
.Weſtyhalen 1,886,681 1,285,292 74, „ 431,289 29 „ 


von F. ®. Edubert. 131 


Die geringfte ſtädtiſche Bevbllerung befindet fi unter einem 
diertel bis anf ein Fünftheil ber Gefammtbevälterung in je einem Negies 
mngebezirke der Provinzen Prenßen (Marienwerber), Bofen (Bromberg), 
Pommern (Eöslin), Echlefien (Liegnig), der Rheinprovinz (Eoblenz) und 
in zwei Regierungsbezirken Weſtphalens (Münfter und Minden) und 
außerdem in der Gefammtbenölferung der beiden Provinzen Preußen und 
SHlefien, 


Gefammtbevölf. Ländliche ſtadtiſche 

Reg.-Bez. Marienwerder 750,298 593,254 79, pCt. 167,044 29,pEt. 
m Bromberg . 545,461 409,512 75,4 „ 185,949.245 „ 

„  Eislin . . "643,601 423,802 78,5 „ 119,799 220 m 
„Liegnitz . . 972,945 751,565 77,4 m 221,890 2dp „ 
m» Mänfter . . 442,472 343,105 776 m 99867 224 m. 
„ Minden . . 488,148 369,722 76% „ 113,426 28,4 „ 
Coblenz . 542,471 426,600 787 „ 115,871 21,5 „ 
Broving Breußen . » . 8,014,596 2,340,015 77,6 „ 674,580 224 „ 


„ Schleſien . . 3,510,706 2,734,688 78, „ 786,018 214 „ 
Endlich no unterhalb eines Fünftheils ober weniger als 20 pEt. 
befigt am fläbtifcher Bevöllerung der 
Gefammtbevölt, landliche ſtadtiſche 
Veg.Bez. Gumbinnen . 727,866 639,701 88,0p6t. 87,665 12,0pEt. 
w  Dppeln . . 1,192,384 1,003,448 84, „ 183,986 154 „ 
n„ Tier. . . 564,090 498,937 88,4 „ 65,153 17,6 „ 
"m Hohenzollern. 64,958 653,964 83,5 „ 10,994 176 » 
Das Herzogtfum Lauenburg, welches bekanntlich bei der letzten Volls⸗ 
Ahlung dem preußiſchen Stante noch nicht einverleibt war, zählt bei einer 
Bevöfferung von 49,704 Einw. 8298 Einw. in den 3 GStäbten d. i. 
%, pCt. und 41,406 Einw. auf dem platten Sande d. i. 83,5 pCt. 
Bei bem jegt nachgewiefenen verhältnigmäßig weit flärferen Wachs - 
tem der ſtädtiſchen Einw. im Vergleich zu der Bevöllerung bes platten 


' mdes, kommt es indeß weſentlich baranf an, wie tie Bevölferung ber 


tößeren und mittleren Städte, ber Eoncentrationepunkte ber Induſtrie, 

"8 Handels und bes inneren Verkehrs, gleihmäßig fortgefhritten 

kab, denn durch dieſe iſt vorzugsweiſe ober ausſchließlich ber anbauerude 
8 


139, Die Bablen-Berhältniffe ver Ländlichen zur ftäbtifchen Beölterung 


Beſtand ber verftärkten ſtädtiſchen Bevölkerung bebingt, während in ben 
ganz Heinen Städten die Betriebfamleit ihrer Bewohner in fehr ftarker 
Uebereinftimmung mit den Beichäftigungen bes größten Teils ber länd⸗ 
lichen Bevölferung ſehr bedcutſamen Schwankungen unterworfen bleibt, 
die indeß auf die numerifchen Verhältniffe für die Bewegung in ber Be- 
völferung von feinem entjcheivenden Einflufje find. Wenn wir aber gerade 
das gegenwärtige Webergewicht ber ftädtifchen Bevölkerung im preußiſchen 
Staate, wie in Frankreich und Belgien und in noch höherem Grabe iu 
England und Südſchottland, Hanptfächfich durch bie vajche, aber ebenmäßig 
fortfteigende Steigerung ber Population in jenen großen und mittleren 
Eoncentrationspunften der inbuflriellen Cultur ſowie des inneren und aus 
wöärtigen Handelsverfehrs fortgeführt wahrnehmen, fo tft aud ber au⸗ 
haltende Mangel an Arbeitskräften der ländlichen Bevölkerung conflatirt 
und bemgemäß feine Unsgleihung nur auf dem Wege ber Cultur⸗Ent ⸗ 
widelung durch ftärfere Heranziehung ber mechanifchen Kräfte, durch Er⸗ 
weiterung unferer technologiſchen Kenntniſſe, durch vielfache Erfparung der 
menfchlichen Kräfte, fowie durch bie umſichtigſte Verbinbung bes Capitals 
und bes Aſſociatiousweſens nach allen Beziehungen zu erwarten. 

Diefes vorwiegende Verhältniß der größeren und mittleren Stäbte im 
Bezug auf bie Steigerung ber ftäbtifchen Bevölkerung macht ſich aber für 
Preußen feit 1843 in hervorragender Weife Überall geltend, 

Im Jahre 1843 gab es unter ben 979 Gtäten 

gefammte ftäbt. Bevdlt. 

58 größere mit mehr als 10,000 E.; zuf. . 1,669,730 €, — 39,95 pEt. 
282 mittlere zwiſch. 10,000 0.3500 „ „ » 1,254,427 , = 2 
689 Heine Stäbte«) unter 3500600 E;; auf. 1,322,016 „ — 31,14 w 

sufammen 4,246,174€. 

Es umfaßten alſo die 58 Stäbte, über 10,000 Einw. faft %5 ber 
ſtadtiſchen Bevölkerung, unter biefen damals nur 6 große Städte mit mehr 
als 50,000 Eiuw. — 782,027 Einw. d. i. 17,5 pCt. ber gefammten ftäbti- 
fen Benölferung, die mittleren und Heineren Gtäbte, zufammen 921, 
haben noch 60,95 pEt. ber ſtädtiſchen Bevöllerung. 





) Bon biefen waren noch 69 pwiſchen 999 u. 600 Cinw. u. 17 unter 600 Gino, 


von 3. W. Schnbert. 138 


aeſamnue ſtadtiſche Beodlt. 

Im Jahre 1852 finden wir unter ben 
986 Stadten a) bereits 80 mit mehr als 
10,000 Einw., zufammen . . . . . . 2,171,927 Einw. 45, pät, 
die 906 mittleren und Heinen Städte zufam- 
men zwifchen 10,000-—600 Einw. zufammen 2,643,2799° „ b49 

zuſammen 4,815,206 Einw. 

Es Haben mithin in ben 9 Jahren bie Städte über 10,000 Ein. 
bereits 6 pCt. ber gefammten ftäbtifchen Bevöllerung mehr für fih im 
Anſpruch genommen. aefammte ftäptifche Bevdlt. 

Nach abermals 3 Jahren am 3. Decem- 
ber 1855 umfaffen bie 80 Gtäbte über 


10,000 Einw. bereit8 . . 2 2 +». . 2,266,804 Einw. 45, pEt. 
die 906 mittleren und Meinen Städte zwi⸗ 
ſchen 10,000--600 Einw. . » © 2 2. 370190 „ By w 


zufammen 4,968,244 Einw. 

und die nähere fpecielle Berechnung weift nach, daß während ber drei Jahre 
1852-—55 zufammen bie großen Stäbte um 4,,6 p©t., die mittleren und 
fleineren Stäbte nur 2,95 pEt., die ländliche Bevölkerung dagegen noch nicht 
ein pCt. (0,94 pCt.) in der Gefammtbevölferung zugenommen haben. 

Zu ben großen Städten über 50,000 Einw. find wieber zwei nene, 
Etettin und Aachen, zugetreten und biefe 8 Stäbte zählen für fich allein 
1855 bereits 1,024,459 Einw., d. i. 20,5 pCt. ober über ein Fünftheil 
der gefammten ftäbtiichen Bevölferung. Nach ver Vollezählung vom 3. Des 
tember 1858 ift zu den großen Städten über 50,000 Einw. abermals 
eine hinzugetreten, Elberfeld; es find jet bereits 9, welche für ſich allein 
eine Geſammtzahl von 1,106,786 Einw. zählten, alfo bei der ſtädtiſchen 
Gefammtbevöfterung biefes Jahrs 5,249,198 Einw. allein 22 pCt. für ſich 
in Anſpruch nehmen: und zufommen mit der Bevöllkerung ber übrigen 
großen Stäbte (in der Geſammtzahl 87) zwifchen 50,000-—10,000 Ein. 
bereits 2,658,915 Einw. d. i. 48,75 p@t. der ſtädtiſchen Gefammtbevöfferung, 


*) Nldge ift 1846 im Kreiſe Gardelegen zur Stadt erhoben, Gefegfammlung 
1846, Ro. 18. — 6 Gtäbte find in den Hobenzollernfchen Landen hinzugetreten, 


1934 Die Bahlen-Berhältnifie ber laudlichen zur Räbtiichen Weoölterung 


dagegen bie mittleren mnter 10,000 unb bie Hleineren zufammen (in ber 
Geſammtzahl 913) 2,692,283 Einw. d. i. 5l,a; pEt. 

Es iſt ſelbſtverſtaͤndlich, daß bei der ftäbtifchen Bevölkerung die mili. 
tariſche überall mit einbegriffen iſt, ba fie eben für ihre Dienftzeit ken Be 
(Häftigungen für vie ländliche Arbeit entzogen tft. Beobachten wir bie 
ſtadtiſche Bevölkerung nun genauer in Beziehung auf ihre Attractionskraft 
für die Gefammtbevälferung, fo erkennen wir feit diefer Zeit faft ein regel ⸗ 
mäßiges Steigen derfelben, ſowie fie erft für die einzelne Etabt das numeri⸗ 
ſche Verhältniß von 3500 Einw. erreicht haben, wenn nicht außerorbentlice 
Ereigniſſe, wie bie polnifchen Unruhen (bei Rawicz und andern Orten), 
ober bebentjame Criſen für bie Eultur des Berghaus und umfangreihe 
Zweige der techniſchen Iubuftrie diefelbe auf einige Jahre zurüdkbrängen, 
die jebuch dann wieber im kürzerer Zeit nachgeholt werten. 

Die Zahl der Städte bes preußiihen Staat: hat fi nunmehr 
überhaupt auf bie gerabe Summe von 1000*) gehoben, indem einigen 
Ortſchaſten ber weftlichen und mittleren Provinzen in ben legten Jahren 
die fäbtifche Eigenfchaft noch zuerkannt ift. Unter ben 9 großen Städten 
über 50,000 Einw. Hat fi) 1858 Berlin bereits einer halben Million 
genähert (468,637), Breslau und Cöln find ſtark über 100,000 Bewohner 
vorgeſchritten, bis auf 135,661 und 114,477 Einw., wobei zu bemerken bleibt, 
daß bei Cöln jet eben fo wenig Deutz, wie bei Magdeburg nicht mehr 
Neuftadt und Subenburg, in den ftatiftiichen Tabellen zur Bevölkerung 
biefer Stäbte mitgezähft werben, ſondern ihre eigene Stelle unter ben Stäb- 
ten einnehmen. Die näcjftfolgenven beiden Städte gehören unferer Pro 
vinz an mit 87,267 Einw. für Königsberg und mit 76,795 Einw. für 
Danzig, bie allerbings bereits Jahrhunderte lang mit einer Bevöllkerung 
von mehr ale 50,000 Seelen feftgeftanden haben und nun erſt ſchueller 
auch hierin fortzufchreiten beginnen. Dann kommen noch vier große Stäbte 
zwiſchen 65,000 und 53,000 Einw., Magdeburg, Etettin, Aachen und El⸗ 
berfeld. Die nun kommende Stufenfolge ber fa ohne Ausnahme fih 


*) Mit der Incorporation Lauenburg's ift durch die drei Städte des Herzogthums 
ihre Zabl auf 1008 erhöht, das Verhältni der ſtadtiſchen Vevdllerung aber nur buch 
8998 Kpfa vermehet, bei 41,406 Bewohnern des platten Landes. 


von 5 W. Schubert. 138 


taſch hebenden Städte zwiſchen 50,000 und 20,000 Einw. beträgt 1868 
aft 17, davon nur vier mit mehr als 40,000 Einw., Crefeld, Poſen, Bar: 
men, Botedam, ebenfoniel Städte zwiſchen 40,000 u. 30,000 Einw., Halle, 
Däffeldorf, Erfurt, Frankfurt, und neun Stäbte zwiſchen 30,000 u. 20,000 G., 
bie faft gleichmäßig auf alle Provinzen vertheilt find, da nur das Groß. 
herzogthum Pofen darunter noch damals fehlte, — Elbing, Stralfunb, 
Brandenburg, Görlig, Halberftabt, Mänfter, Dortmund, Eoblenz und Trier. 

Daranf folgen 63 Städte zwifchen 20,000 und 10,000 Einw., welde 
nad) ber Stäbteorbnung des Jahres 1803 noch zu bem großen gezähſt 
werben follen; bei biefen find die Provinzen Sachſen, Schlefien und bie 
Rheinprovinz vorzugsweife betheiligt, aber auch unfere Provinz befitt fünf 
davon, Memel, Titfit, Thorn, Infterburg und Graudenz und feit 1861 ift 
noch die fechfte in Braunsberg Hinzugetreten. Bon ben 274 Mittelftäbten 
wiſchen 10,000 und 3,500 Einw. gehören nur 27 zu einer Bevöllerung 
mit mehr als 8000 Einw., 66 zählen zwifchen 8000 und 6000 Einw. und 
181 Stäbte umfaffen noch eine Einwohnerzahl von 3500 bis 6000 Köpfen, 
Die Gefammtbevölferung biefer Mittelftädte gewährte noch 1,663,783 8. 
ober 29,6 pEt., während alle übrigen 642 Heinen Gtäbte nur 1,138,500 €. 
befaßen, ober 21,5 pðt. ber gefammten ftäbtifchen Bevöllerung. Bon bie 
fen gehen inzwifchen verhäftnißmäßig nur fehr wenige zu einer rafchen 
Hebung über: bis zur Volfszählung vom 3, December 1861 Hatten ſich nur 
14 aus biefer Reihe über 3500 Einw. erhoben, und von ba ab bis zur 
(egten Zählung 1864 wieder 16, fo baß gegenwärtig bie Gefammtzahl ber 
Meinen Städte unter 3500 Einw. (bis auf 42 zwifchen 1000 und 500 Einw. 
und 4 noch unter 500 Einw.)*) überhaupt nur noch aus 612 befteht. Die 
Bevöllerung dieſer Sıädte theilt ſtets das gleiche Geſchick mit ber Tänblie 
hen Bevöllerung, fie ift manigfachen Schwankungen in ihrer Bewegung 
unterworfen, und von einer gleihmäßigen, wenn auch nur ſehr geringen 
Zunahme Tann bei ver Mehrzahl nicht der Nachweis geführt werben, uub 
eben fo werig darf ein namhaft beredjenbarer Abzug ber ländlichen Ar⸗ 
beitöfräfte nach biefen Ortfchaften angenommen werben. 


9) Preußen, Bommern und Weftphalen befigen feine fo Kleine Stadte, die Rhein: 
wrooinz 1, Hohenzollern 2, Sachſen 2, Brandenburg 4, Schlefien 13, Bolen 24, 


136 Die Zahlen: Berhältniffe der Ländlichen zur ftäbtiichen Bevbllerung 


. Bär die weitere Erläuterung des noch ſtärkeren Fortſchreitens ber 
ftädtifchen Bevöllerung in den großen und mittelgroßen Städten während 
der beiben legten breijäßrigen Perioden, führen wir zuerft nachſtehende Ex- 
gebniffe an. Nach ber Zählung vom 3. December 1861 waren abermals 
zwei große Städte über 60,000 Einw. vorgeſchritten: Poſen bis 51,232 Einw. 
und Grefelo bis 50,584 Einw., fo daß diefe Kategorie ber großen Stäbte 
jegt 11 zählte, und ihre Bevölkerung allein, wobei Berlin bereits mit 
547,571 Einwohnern fein Uebergewicht darbrachte, in allen eilf Stäbten 
1,341,174 Einw. umfaßte, d. h. fie find bei ber ftäbtifchen Geſammtbevöl ⸗ 
terung dieſes Jahres mit 5,567,732 Eeelen, gerade mit 24 pCt. betheiligt, 
ober wieberum mit 2 pCt. mehr als tim Jahre 1858. Die nächfte Kater 
gorte der großen Städte zwifchen 50,000 und 20,000 Einw. hat fich gleich 
falls um zwei verftärkt, mit Bromberg Ms anf 22,472 Einw. und Eſſen 
bis auf 20,811 Einw.; fie bleibt aber auf der Gefammtzahl 17 ftehen, da 
eben fo zwei Stäbte in bie noch Höhere Stufenfolge der Stäbte mit mehr 
als 50,000 Einw. übergegangen find. Ihre Bevölferung beträgt zufam- 
men 537,444 Seelen over gegen 10 p€t. der geſammten ftäbtifchen Beböl⸗ 
Terung. Die darauf folgende Kategorie ber mittelgroßen Städte zwiſchen 
20,000 und 10,000 Einw. hat ſich noch ftärker, um ndun, vermehrt (Eott- 
bus, Oppeln, Braunsberg, Torgau, Herford, Solingen, Neuß, Rheydt, 
Luckenwalde); fie befteht alfo aus 70, welche zufammen 1861 eine Bevöl⸗ 
lerung von 934,944 Einw. ober über 16 pCt. ber ftäbtiichen Bevölkerung 
umfaßten. Zuſammengerechnet mit ber Bevölkerung ber Städte in erfter 
und zweiter Kategorie, fo wie wir es oben für 1858 ausgeführt Haben, 
erhalten wir für bie 98 großen Städte über 10,000 Seelen die Summe 
von 2,793,562 Köpfen, ſchon etwas mehr als bie Hälfte ber gefammten 
ſtadtiſchen Benölferung, oder 50,5 pEt, während bie übrige Bevölkerung 
der 202 Städte von weniger als 10,000 Einw. nur 2,774,170 Köpfe over 
49,g pCt., mithin ift bie legtere wieber um 1,; pCt. gegen bie gefammte 
Räbtifche Benölferung zurüdgeblieben, 

Unter biefer zweiten geringeren Hälfte ber ftäbtifchen Bevölkerung neh» 
men aber bie 278 Mittelftäbte zwifchen 10,000 und 3500 Seelen wieder 
1,634,170 Seelen oder 29,4 pCt. für ſich in Anſpruch, und es Bleibt dem⸗ 
mach für die 628 Meinen Städte unter 3500 Einw. nur 1,140,000 Köpfe 


von 5. W. Schubert. 137 


ober 20,4, pCt., mithin nur ſehr wenig über ein Fünftheil ver fläbtifchen 
Bevölferung. Die Verhältuife der Mittelſtädte Haben fich inzwiſchen un⸗ 
ter einander bahin verändert, baß aus ber erften Kaffe zwiſchen 10,000 
und 8000 Einw. fieben in bie nächſte höhere übergegangen und zwei Stäbte 
wieder neu eingetreten find, aljo 22 verbleiben, während bie zweite Kaffe 
wiſchen 8000 und 6000 Einw. ſich bis auf 71 umb bie britte zwiſchen 8000 
und 3500 Einw. bis auf 185 verftärft hat. Dagegen hat bie Bevölkerung 
in den Heinen Stäbten unter 3500 Seelen relativ wieber um 1,, pCt. fi 
verringert, unb abſolut Hat fie nur faum um 1500 Einw. für ven ganzen 
Etaat, ober durchſchnittlich um 2 Einw. für jebe Stabt zugenommen, 
Nach der legten Volkszählung vom 3. December 1864 Hat bie Zahl 
ber großen Städte über 50,000 Einw. ſich abermals um eine mit Bar 
men bis auf 59,444 Einw. vermehrt. Sie erreicht alſo gegenwärtig 12, 
darunter Berlin mit 632,749 Einw. ober über ein Zehntel ber gefammten 
Häbtifchen Bevöllerung, die auf 6,002,811 Einw. überhaupt gelangt ift; 
Berlin bietet jet ein Dreißigtheil der Bevöllerung bes ganzen Staates 
dar. Zu den Stäbten über 100,000 Einw. ift jegt in Königsberg auch 
die vierte mit 101,507 Einw. vorgeſchritten, Danzig Hat 90,834 Einw. 
erreicht, Magdeburg und Stettin über 70,000 Einw., Aachen und Eiberfelb 
ſtehen bereits über 62,000 und Bofen, Erefeld und Barmen über 53,000 Ein. 
Die Geſammtbevöllerung biefer zwölf großen Städte beträgt 1,543,744 Einw. 
oder 25,, pCt. ber ftäbtifchen Bevölkerung, alfo relativ wieber über 1,7 pEt. 
mehr als 1861. Die nächſte Kategorie der großen Städte zwiſchen 50,000 
mb 20,000 Einw. ift gleichfals um eine verftärk, mit Bonu bis auf 
22,492 Einw. und anf 17 ſtehen geblieben, welche zufammen 531,106 €. 
zählten, mithin ;jufammengerechnet mit ber Bevölferung jener großen zwölf 
Etädte bereits 2,074,850 Ein. betragen, oder gegen 35 pCt. ber fläbti- 
fen Bevöflermg. Unter biefen finden wir Städte, bie in weniger ale 
zehn Jahren hre Bevölkerung verboppelt Haben, wie Eſſen jest mit 
31,366 Einw., Görlig mit 31,499 Einw. Dortmund mit 27,856 Einw. 
Im ber aãchſtfolgenden Kategorie ber größeren Stäbte zwiſchen 20,000 
mad 10,000 Zinw, ift die Anzahl durch einen Abgang in bie nächſt hö⸗ 
here, fowie durch die Aufnahme drei neuer (Bochum mit 11,766 Einw., 
Bitten mit :0,542 und Düren mit 10,261 Einw.) auf 72 geftiegen, welche 





138 Die Zahlen: Berhältniffe der Ländlichen zur ftäbtifchen Bevöfterung 


insgefammt 976,546 Einw. zählen, d. i. 16,9 p@t., unb zuſammengerech ⸗ 
net mit ber VBevölferung jener 29 großen Städte eine Vollsmaſſe von 
3,851,396 Einw. bilden, bie faft genau um ein volles Procent bie Halfte 
ber gefammten ftäbtiichen Bevölferung mit faft 51 pCt. von 6,002,811 Einw. 
überfohreiten. Die übrigen 899 Stäbte ſchließen mithin nur bie geringere 
Hälfte von 2,951,415 Einw. oder etwas über 49,, pCt. ber ftäptifchen Ber 
völferung ein, find alſo relativ nm 7 10 pCt. zurüdgegangen, welche Vermin ⸗ 
derung in ber abfoluten Zunahme jedoch nur anf Koften ber kleinen Städte 
unter 3500 Einw. geſchehen ift. Denn bie auf bie Zahl von 287 gejliegenen 
Mittelftädte zwiſchen 10,000 und 3500 &inw. befaßen eine Bevölkerung 
von 1,856,215 Einw. ober 30,9 pCt. ber ftädtifchen Bevölkerung, Hatten 
alfo um 1,5 p&t. mehr Antheil an berfelben, wie im Jahre 1861, indem 
bie erfte Kategorie derſelben zwifchen 10,000 und 8000 Einw, um 11 bis 
auf 33 Stäbte gewachſen war, bie zweite Kategorie zwifchen 8000 und 
6000 Einw. auf 67 ftanb und bie britie Kategorie zwiſchen 6000 und 
3500 Einw. um 6 bis auf 187 ſich vermehrt Hatte. Dieſe Mitielftäbte 
befigen zwar noch einen entjchiebenen Einfluß auf die gegenwärtige Zurüd- 
brängung ber länblicyen Bevöllerung Hinter der ftäbtifchen, indem fie oft 
noch eine verlodende Einladung zur Ueberfievelung für ſtädtiſche Betrieb- 
famfeit barbieten, bie nad; dem Tlimatifchen Verhältniſſe, ver wohlgelegenen 
Situation, fowie nach ber verfchiebenartigen Entwidelung der Induſtrie in 
den einzelnen Provinzen und Regierungsbezirken ſehr von einander ab- 
weicht. Aber ber Reſt der ftäbtifhen Bevölkerung, weldter fih in ben Hei- 
nen Städten unter 3500 Einw. bis auf die Heinften mi nur 289 Einw. 
in Trebſchen und 438 Einw. in Lagow, beide im Regierungsbezirk Frank⸗ 
furt, auf Rogowo mit 444 Einw. und Zydowo mit 400 Einw. im Regie 
rungsbezirk Bromberg, überhaupt in 612 Ortfchaften mit 1,095,200 Einw. 
befindet, gewährt nur noch 18,95 pCt. ber ftäbtifchen Bevölkerung, ift alfo 
feit fünf Jahren wieder um mehr als 2 p@t. geringer letheifigt, wenn 
bie. gefammte Maſſe der ftäbtiihen Bevöllerung nad) ihres Stufenfolnen 
mit einander verglichen wird. Sie ift aber and) in ber cbfoluten Zahl 
geringer geworben, indem fie um mehr als 45,000 Einw. fe} verminbert 
Hat, weil die Zahl dieſer Stäbte feinen Zuwachs erlangt, aber gerade bie 
noch am flärkfien bevölterten und über 3600 Einw. ausſchreitaiden zu ben 


von J. W. Scrbert. 180 


Mittelftänten übergehen. Sie wird ſich auch für bie nächſten Zaͤhlunge ⸗ 
perioben in biefem Verhältniſſe erhalten und bemgemäß bei bem fo. ftarfen 
Sortfcreiten der fläbtifchen Bevölkerung nicht gleichmäßigen Antheil neh⸗ 
men, fondern mit der länblichen Bevölkerung zu analogen. Erfahrungen 
vielfach Anlaß geben. 

Zum Schluffe meines Vortrages erfcheint es mir aber im Imtereffe 
biefes Vereins noch einige Nefultate diefer ftatiftiiken Berechnungen auf 
die befondern Zuftände unferer Provinz Preußen hervorzuheben, 
indem ich unmittelbar au meine früheren Mittheilungen aus dem Sahre 
1857 anfnüpfe. Das entfchiedene verhältnigmähige Zurädgehen ber länb- 
lichen Bevölferung Hinter den Fortfchritten der ftäbtifchen Hatte ich damals“ 
alfo berecinet:*) 

Gef.» Ben. d. Prov. Preuß. Gtädtebem. landl. Be. auf 100 Stadtebew. 
1852 2,604,748 551,617 2,053,131 370 Landbew. 
1855 2,610,130 566,644 2,043,486 365 m 

Und num laſſe ich bie Berechnung für die folgenden brei legten Volls⸗ 
jählungen folgen in berfelben Weije: 

Geſ.Vev. d. Brov. Preuß. Stadtebew. landl. Ber. auf 100 Gtäbtebem. 


1868 2,744,600 598,222 2,146,278 359 Landbew. 
1861 2,866,866 632,868 2,233,98 363 „ 
1864 3,014,595 674,580  2,340,015 346 „ 


unb in Procentfägen an ber Gefammibenöfferung ber Provinz: 
1858 für bie ländliche 79,9 pCt., für bie ftäbtiiche 20,, pCt. 
Wr on nn Bam 
1864 un n„ Tun nn Mn 
wobei, wie ſchon angedeutet iſt, ber Regierungsbezirk Gumbinnen wegen 
feiner noch überwiegenden ländlichen Bevöllerung mit 88 p&t. (ba fein 
eigentlicher Hafenplag Memel, zugleich bie am flärkften bevöfferte Stadt in 
dortiger Gegend, aus finanziell-commerziellen Gründen zum Regierungs- 
bezirk Qonigsberg gelegt if), das DVerhäftniß der ländlichen Bevölkerung 
noch auf 77 pCt. und darüber erhalten Hat, während nach Ausſchluß bes 
Regierungsbezirls Gumbinnen die Tänbliche Bevöllerung ber brei Regie⸗ 


*) Landwirthſchaftl. Jahrbucher für Oftpreußen. 1887. Rov.-Dechr..Heft, 


140 Die BablenWerhältuifie ber Tänbfichen zur fläbtiichen Bevbllerung 


rungsbezirke Königsberg, Danzig und Marienwerber auch‘ hier noch auf 
72 pCct. ber Geſammtbevöllerung geftellt werben müßte. 

Die übrigen Verhältniſſe der Ueberlegenheit der großen Gtäbte über 
10,000 Einw. mit ihrer Attractionskraft auf die Ländliche Bevöflerung wir, 
en auch für biefe Provinz ebenmäßig, wie für ven ganzen Staat, und 
rufen mithin and übereinfiimmende Folgen für bie Bedürfnißfrage nach 
Tänblichen Arbeitern hervor. Wenn wir biefür bie ftatiftifchen Zahlen aus 
ven Tabellen vom 3. December 1864 entnehmen, fo erhalten wir bie 
Vollomaſſe ber brei großen Stäbte Königsberg, Danzig und Elbing mit 
219,375 Einw. oder 32,5 pCt. ver ftäbtifchen Bevölkerung ber Provinz: 
mit Hinzurechnung ber 6 Etädte zwiſchen 20,000 und 10,000 Einw. — 
87,704 Einw., gewährt es bie Summe von 307,079 Einw. ober 45,, pCt.; 
dazu fommt die Bevöllerung ber 38 Mittelftäste zwifchen 10,000 und 
3500 Einw. mit 238,401 Einw. ober 35, pEt.; endlich bleiben für bie 
74 Heinen Städte zwifchen 3500 und 1050 Einw. (Rauernid 1050, Garn 
fee 1143, Landec 1100) nur 129,500 Einw. ober 19 pCt. 

Und doch hat zum Glüd für die Wohlfahrt unferer Provinz und Dant 
der Ausdauer und größeren Betriebfamfeit in ber intellectnellen landwirth⸗ 
ſchaftlichen Cultur, die Onantität ber landwirthſchaftlichen Arbeiten mit jer 
dem Sabre in umferer Provinz zugenommen. Es liegt mir ferne, heute 
darauf näher einzugehen; ich will nur bemerken: das Schluß-Ergebniß für 
die landwirthſchaftliche Benugung des Bodens unferer Provinz lag im ben 
Tabellen für 1852 anf 11,308,881 Morgen urbarer Fläche des Aders incl. 
Gärten und 2,479,023 Morgen Wiefen, dagegen befigen wir für 1864 
12,441,339 Morg. urbarer Fläche des Aders incl, Gärten und 2,739,575 M. 
Wieſen. 

Alſo haben wir ſeit den zwölf Jahren mindeſtens für ein Zehntel 
mehr an urbarer Fläche zur landwirthſchaftlichen Arbeit zu forgen und bazu 
den Begehr an verftärkten Arbeitskräften für bie Mittel des Verkehrs aller 
Art zu befriebigen, von ben Eifenbahnen und Chauſſeen bis zu den einfachften 
Verbindungen zwifchen ben Aderflächen, endlich bie verftärkten Arbeitskräfte 
für eine intenfivere Bewirthfchaftung bes urbaren Bodens Herbei zu fchaffen. 
Es ſteht daher auch für unfere Provinz ein anbanernder Mangel an Arbeits 
träften der Ländlichen Bevölkerung in Ausſicht; im Wechſelverlehr können 


von 3. W. Schubert. 141 


wohl Schlefien, das Großherzogthum Poſen und bie öftlichen Kreife von 
Pommern bisweilen Aushülfe gewähren, aber man rechne hiebei anf fein 
Rachbarland, welches eine noch weit dünnere Bevöllerung als bie unfrige 
befigt und ſich erft in ben Anfängen einer höheren intellectuellen landwirth⸗ 
ſchaftlichen Cultur und ihrer Ausgleihung mit der ſtädtiſchen Induſtrie be⸗ 
wegt. Denn bier müſſen ſich Häufig biefelben Bedürfniſſe aus gleichen 
Gründen wie bet uns gleichzeitig einftellen, miüffen ebenfo immer gleich 
zeitig fortgepflanzt werben, unb könuen baher nur zu rivaliſirenden Gegen» 
fügen fich gegenfeitig entwideln, 


Zun Rettung Schiffbrüchiger. 
Rede, gehalten am 26. Januar 1866 bei Gelegenheit der Gründung des 
Vereins zur Rettung Schiffbrächiger in Königsberg i. Pr. 
von 
Dr. Burow jun. 


Meine.Herren! Sie find hente unferem Aufrufe Folge Teiftend 
hier zuſammengekommen, um am biefigen Orte einen Verein zur Rettung 
Schiffbrüchiger zu bilden. 

Da num aber vielleicht Manche von Ihnen durch ihren Beruf und 
Ueberhäufung mit Gejchäften baran verhindert fein mögen, bie meiftene 
in einzelnen Zeitungs und Journalartikeln zerftreuten Nachrichten über bie 
Entwidelung und Fortfchritte des Neitungsweiens in nenerer Zeit zu ver» 
folgen, fo ſcheint es zwedmäßig, Ihnen über biefen Gegenftand einen kur ⸗ 
zen Ueberblick zu geben. 

Erlauben Eie, m. H., daß ih um am fchnellften und überfichtlichften 
zu verfahren, mein Thema in brei Abfchnitte theile, indem ich einmal 
Ihnen eine kurze Geſchichte des Rettungsweſens gebe, zweitens das Noth- 
wenbigfte ans ber Stranbungsftatiftif anführe und brittens Sie mit ben 
Vervolllommnungen ber Apparate zur Rettung befannt made. — 

Meine Herren! Die Zeiten, in denen der Seeman, wenn er in ſchwe⸗ 
rem Sturm fein trenes Schiff dem Wogenfchwall weichen fah, mehr noch 
als die entfefielte Wuth der Elemente die Hinterlift und Barbaret ber 
Strandbewohner fürchten mußte, — bie Zeiten, in denen eben bieje Küften- 
bewohner Echiffe, welche bereits ber furchtbar brandenben Küfte nahe wa⸗ 
ren, durch Aufſtecken faljcher Lichter in’s fichere Verberben lodten, — bie 
Zeiten, in benen bie Pfarrer der Küſtengemeinden von ber Kanzel herab 


Zur Rettung Schiffbräciger von Dr. Burom jun. 143 


um einen gefegneten Strand bitten mußten: biefe Zeiten find, Gott fei 
Dant, vorüber. 

Ein wohlthätiger Umfchlag ift erfolgt: denn heutzutage opfern todes⸗ 
muthig die Anwohner bes Strandes bei Unglüdsfällen ihr Leben zur Ret⸗ 
tung ihrer gefährbeten Mitmenfchen, und achten der Gefahren nicht, welchen 
fie ſich ſelbſt ausfegen, wenn fie nur bie geftrandeten Seeleute dem naſſen 
Grabe entreißen. Alle Geſellſchaften, welche durch Sammlungen von Bei 
trägen um Anfftellung von zwedmäßigen Apparaten an gefährlichen Punk 
ten der Küfte zur Rettung Schifjbrüchiger mitzuwirken gefucht, haben daher 
fets und vor Allem den Eifer der Strandbewohner durch Anerfennungs- 
geichen und Gelobelchnungen nach gefchehenen Rettungsthaten anzufachen 
and zu unterhalten gefucht, da ja eben bie Fiſcher die eigentlichen ansfühe 
tenden Organe bei ben Nettungen find. — 

Wenn nun auch zu allen Zeiten einzelne muthvolle Männer fich bei 
Etrandungen ausgezeichnet haben, fo war es body um das Ende bes vori⸗ 
gen und Anfang biefes Jahrhunderts, daß in biefer Beziehung etwas 
emergifcher vorgegangen wurde unb mit der größeren Zahl ber Strandun⸗ 
gen und öfteren Nettungen zugleich Verbeſſerungen ber Nettungsapparate 
Hand in Hand gingen. 

England war e8, das durch feine infulare Lage und feinen ſchnell 
anwachſenden Welthandel gebrängt, allen anderen Ländern mit glänzenbem 
Beifpiel voranging und wunderbarer Weile war ein Wagenbauer in Lon⸗ 
don, Mr. Lukin im Yahre 1785 ber erfte Erbauer eines Rettungsboo⸗ 
tes, welches er durch fpäter zu beichreibende Einrichtungen „unfinkbar” 
gemacht Hatte, 

Mit BVerbefferung der Boote und Erfindung neuer Apparate wuchs 
ihnell das Intereſſe für die gute Sache und fpeciell auf Beranlafjung eines 
Mannes, deſſen Name in der Gefchichte der Humanitätsanftalten unfterblich 
fin müßte, Mr. Hillary (von ber Infel Man im FJriſchen Kanal) wurbe 

| London 1824 bie „Royal National life-boat Institntion“ (Rönigl, 
Rational Rettungsboot ⸗Geſellſchaft) gegründet, 

Diefe Geſellſchaft, welche von Anfang an nur auf Privatunterflägun- 
gen angerwiefen und von ber Regierung völlig unabhängig war, hat bis 
um heutigen Tage mit immer wachfender Ausbehnung und nicht erlalten- 


144 Zur Rettung Schiffbrachiger 


dem Eifer ihre ſegensreichen Zwece verfolgt, und allen anderen Ländern 
einen Impuls gegeben, auf biefem glorreichen Wege ihr zu folgen. 

Bon iprer Entwidelung erhält man einen Begriff, wenn man bebeutt, 
daß nad) zehnjährigem Beſtehen fie bereits 35 Boote an ver Engliſchen 
Küfte ſtationirt hatte, im Jahre 1860 aber ſchon 90 Boote, und 1864: 
144 Boot6- und 239 Mörfer- (und Rafeten-ftationen, Es find in biefer 
Zeit buch ihre Apparate aus dringender Lebensgefahr burchfchnittlich im 
Yahr 350 Menfchen gereitet worden, im Ganzen feit ihrer Gründung, 
alfo in 41 Jahren 14,266 Menſchenleben, eine Zahl, welche uns wahr 
hafte Achtung vor dem Wirken biefes Vereins einflößen mußl 

Seine Einnahmen Haben fi ftetig gefteigert, jo baß ihm 1868: 
140,000 Thlx., im folgenden Yahre über 200,000 Thlr. zugefloffen find. 
Es werben im Yahresbericht Gaben bis zur Höhe von 25000 angeführt. 

Die Geſellſchaft Hat feit ihrem Beftehen für befonders heroiſche Tha⸗ 
ten bei Rettungen 82 golbene und 745 filberne Medaillen und 2 19,800 
Prämien ausgetheilt.“) — Diefem Beifpiele konnten fi) bie übrigen 
Staaten nicht verfcjliegen. In Dänemark traten Privatleute zufammen 
und gründeten 1847 einen Rettungsverein, inbefien betheiligte ſich hier ber 
Staat lebhaft, und gegenwärtig befigt diefes Heine Land 23 Boots: und 
12 Noletenftationen, welche oft genug bei ber gefährlichen Schiffahrt im 
Sund, Kattegat und Skagerrad in Tätigkeit kommen. 

Mm Preußen (ag bis Ende vorigen Jahres das gefammte Rettunge 
weien in Händen ber Regierung. Es waren bereits 1803 in Englard 
Nettungsboote nach den bamala beften Muftern für die Häfen Memel, 
Pillau⸗⸗) und Siwinemünbe angefofft worden, welche z. Th. noch Heute 
tm Dienft find. Diefe Boote find aber nur in ben Häfen und beren 
allernächfter Nähe ftationirt, und werben bei etwaigen Strandungen von 
. ben Geelootjen geführt. Es find alſo viele gefährliche Punkte, welche fich 

zwiſchen den an ber preußiſchen Küſte fehr weit getrennt liegenden Häfen 
befinden, gänzlich ohne Nettungsmittel und bie Befagungen von Echiffen, 


*) Diefe Nachrichten find den 1865 erfchlenenen Annual Report of the Comitteo 
for 1864, London 14 John Street, Adelphi entnommen. 
*") Diefes Boot, welches fein felbftaufrichtendes ift, kenterte am 11. Auguft 1818 
und es ertrant dabei der Lootſenkommandeur Steenle mit 16 Mann Bejagung. 


von Dr. Burom jun. 145 


welche Hier auflaufen, find in der allerbringenbften Gefahr. Preußen befigt 
gegenwärtig 12 Boots und 9 Mörferftationen; aber ein Blick auf bie 
Rarte lehrt, wie wenig biefe Zahl genügen’ Tann, 

Pillau hat 4 Boote und 1 Mörfer, Memel 3 Boote und 2 Mörfer, und 
hei Bobenwinfel (in der Nähe von Kahlberg) ift ein Mörfer flationirt. — 

Es würte zu weit führen über, die Rettungsanftalten, in Holland, 
Echweden und Norwegen, Frankreich (wo für das Wettungsweien bis 
jegt wenig geleiftet ift) und Rußland zu ſprechen. Ee genlige, daß auch in 
diefen Kändern- meiftns von Regierungswegen und in nicht auereiienben 
Mofe geforgt wird. 

Im Deutſchland conftituirte fih 1860 ber oſtfrieſiſche Berein mit 
feinem Hauptfig in Emben. Er tft Privatverein, bildete ſich ziemlich nach 
kngliſchem Muſter nnd befigt 8 Boots und 1 Mörferftation, vorzüglich 
af den Imfeln. längs der Weftküfte von Schleswig-Holftein in ber. Nord⸗ 
ke; 1861 folgte Hamburg und ftationirte 2 Boote auf Duhnen und 
Snghafen, nnd 1863 Bremen mit den Stationen Bremerhafen. und, Wan 
geroge. Der größte Schritt aber für unfer gefommtes Vaterland geſchah, 
ale am 29. Mai 1865 in Kiel die deutſche Gefellfgaft zur Ret⸗ 
tung Schiffbrüdiger gegründet wurbe, Es traten als Gtamm- bie 
ledtgenannten 3 Vereine ber nenen- Gefellfchaft bei und übermachten der⸗ 


felben ihr bisheriges Gtationsinventar, fo daß bereits Eube 1866:.16 Boote 


and einige Projektile biefer Gefellfchaft angehörten, von denen viele ſcheu 
mit beftem Grfolg in Thätigleit geweſen find.) 

ALS Zweigvereine traten fofort bei: Lübed, Roflod, Hafum, Sie, 
Öremen, Heibe und kurze Zeit nach ber Eonftituirung Danzig und Stettin, 


' mb von vielen Vereinen fteht ber Beitritt in nächſter Zeit, bevor. Der 


allgemeine Verein hat feinen Ei in Bremen, und werben buch alljähre 
liche Verſammlungen ber Delegirien in vorher beftimmten Stäbten bie 
Geſchafte abgemacht. Der Verein bezieht bie Einkünfte ber Vezirkönereine 
und richtet ihnen bafür bie Stationen ein. — 

ie, meine Herren, werben heute darüber abzuftimmen Habe, ob, 


*) So rettete noch in dieſen Tagen das Boot der Gtation duin 15 Pam von 
m am.4. Februar geiftandeten. Huller. Tampfer. Excelsior... .. , . 
Apı. Ronatefgriit Da. LI. Hit 2. 10° 


146 Sur Rettung Schifbruchiger 


voransgefegt, daß bei und eim Verein zu Stande kommt, biefer felbfiftän 
dig, ober als Bezirksverein des allgemeinen deutſchen Vereins ins Reben 
treten fol. — . 

Um mun aber einen rechten Begriff von ber Wirkſamleit und Noti 
wenbigleit biefer Rettungsanftalten zu befommen, muß man einen kurzen 
Bit in die Strandungsfinfifiiken der verſchiedenen Länder werfen. Um 
mit England wieder zu beginnen, fo finben nach einer Durchfchnittorech- 
mung an den Küften von England, Irland und Schottland jährlich 1660 
Gtrandungen ftatt, bei benen trog ber unzähligen Fiſcher⸗ und Lootſen⸗ 
tutter, welche bie Küfte umfchwärmen, über 600 Menfchen ertrinfen. 

Gerettet wurben 1864 durch Apparate und Boote des Vereins 
482 Menſchen, buch Bifcher 266, im Ganzen 698. 

Die Engliſche Statiftil iſt eine ausgezeichnete, die weſentlich durch bie 
Geſellſchaft umb deren Organe unterftügt wirb, beſonders durch Herausgabe 
von guten Wracktarten. Die Gtranbungen find nach Ort, Zahl der Ger 
setteten und fogar nach Grund bes Unglüdsfalls verzeichnet. 

Wie nöthig es aber ift die ganze Küfte mögfichft dicht mit Rettsngs- 
fattonen zu befegen, hat ein tranriges Greigniß am Schluß vorigen Ya 
se6 wieder recht bemtfich bewieſen, wo in einer Nacht in ber Bucht von 
Torbay (in der Nähe von Teigumouth im Canal) mehr als 40 Schiffe 
wm Grunde gingen (worunter auch ein Königsberger Schiff), und nahe an 
170 Menſchen umlamen, 

Wäre an biefer Stelle ein Rettungsboot ſtationirt geweſen, fo Hätten 
viele Menſchenleben gerettet werben Lönnen. 

Dänemark forgt ebenfalls für eine gute Statifiil. Hiernach brach⸗ 
ten wie lehten 7 Jahre 865 Schiffbrüche, alfo durchſchnittlich pro Jahr 122. 
€ würden aber in dem legten 12 Jahren durch Raketenapparate uud 
Nettungeboote 1255 Menſchen, und eine ebenſolche Zahl durch Fiſcher in 
ben letzten 6 Jahren gerettet. Unter ben durch bie Bereinsboote Geret ⸗ 
teten befanden fi allein 186 Preußiſche Geelente, 

Im Jahre 1863 find nur 39 Perfonen bei Gtranbungen ertrunfen, 
dagegen 180 gerettet, wie wir fehen, ein fehr gutes Verhaltuiß. 

Unfer Preußen fieht in Bezug auf Strandungeſtatiſtik völlig zuräd. 
Die Regierung, für welche es ein leichtes wäre genaue Gtatifiklen aufer⸗ 


von Dr. Burow fun. 141 


fgen zu Taffen, Hat fi ganz pafjiv verhalten. Es ift dies aber um fo 
kevauerlicher, als nur zuverläffige Statiftilen es möglich machen, bei Er⸗ 
rihtung nener Stationen bie geeigneten Punkte zu treffen. Auf Veranlafs 
fung des Stettiner Rettungsvereins iſt von Herrn Miesfe eine Wradfärte 
ber Breußifchen Küfte für die Jahre 1867 —64 zufammengeftellt; inbeffen 
ſheint nicht nur der Zeitraum ein zu kurz gegriffener, fonbern es fehlen 
and) gerabe biejenigen genaueren Details, auf welche es hauptſächlich ar» 
tommt, fo beſonders die Vertheilung der Stranbungen auf bie. einzelnen 
Kiflenpninkte, 

Nach diefer Zufammenftellung find in den legten 8 Jahren 384 Schiffe 
weloren. Davon find 105 gejunfen und verſchollen und 281 geftrandet 
ud zwar bie geringite Zahl 1867, nämlich 22, die höchſte aber 1864, 
umfich 49, alſo durchſchnittlich pro Jahr 35. 

Leider ift es aber für den PBrivatmann ſehr ſchwer, wo nicht unmög« 
fh, genane Angaben über geſchehene Strandungen zu erhalten, wenn man 
anf längere Zeit zurüdgehen will und fo babe ich für unfere oftpreußifche 
Kfte nicht bie gewünſchten Zahlen erlangen können. 

Denn während Herr Mieske für die Pillauer Küftenftrede bie zweit, 


höoͤchſte Stranbungsziffer, nämlich 86 (in 8 Jahren) anführt, fo Tonnte, 


ih nur von 21 Strandungen bie Zahl der Geretteten und Ertrunfenen er» 
halten. Es find diefe Schiffsunfälle auf der Strede von Brüfterort bie 
dolsti (friſche Nehrung) erfolgt, und es find 7 Mann und einmal bie 
janze Befagung, alfo ungefähr 5 Mann, im ganzen 12 Mann ertrunfen. 
& iſt noch genauen Feſtſtellungen vorbehalten, bie zur Errichtung von 
Stationen paffendften Punkte zu erwählen, indeſſen bürften von vornherein 
Polski und Krartepellen, letzteres an ber Weftküfte von Samland, eine 
Neile ſüdlich von Vrüfterort, als bie geeigneiften Stellen zu bezeichnen 
kin. Daß überhaupt für Oftpreußen das Bebürfniß vorliegt, Rettunge 
Aationen einzurichten, geht ſchon daraus hervor, daß auf ber ganzen lan- 
gen Küfte non Nenfahrwafler bis Memel nur bie einzige Station Pillen 
firt (mit Ausnahme von Bodenmwintel, weftlih von Kahlberg, und von 
Egwarzort bei Memel, wo je ein Mörfer flationirt find). — 

Benn wir nun auf den britten Punkt, nämlich die Beſprechung der⸗ 


iigen Vorrichtungen übergehen, welche man als bie zweckmäßigſten dur 
10° 


148 . Bu Rettung Shiffortähfger 


Nettung bei Stranbungen conftruirt Hat, fo haben wir hier zweierlei an 
zufüßren, nämlich 1. die Wettungsboste und 2, bie Projektil-Apparate. 

Als in England Ende vorigen Jahrhunderts die Rettungen ſich mehr- 
ten, ſah man. balb ein, daß es meift nicht möglich fei, mit gewöhnlichen 
Booten in ſchwerer Branbung gegen bie durch den brauſenden Sturm auf 
gepeitfchten Wogen abzulommen, gefchweige denn von feftfigenben Wrads 
Schiffbrüchige zu retten. 

Als erſtes Bedürfniß für die Sicherheit ber Rettenden ſelbſt ſtellte 
es fich heraus, die Boote fo zu conftruiren, daß fie nicht ſinken konn 
ten, wie ſchon gefagt 1785 durch Sufin in London. Lufin. erreichte dieſe 
Verbeſſerung, indem er ben Booten durch zwedmäßig innen angebrachte 
Enftbehälter, und zwar Iuftbicht verläthete Tupferne Kaften, einen Ueberſchuß 
von Schwimmfraft (buoyancy) mittheilte, ganı ebenfo wie ein Menſch fih 
dadurch über dem Wafler erhält, daß ex fich Luftblaſen unterbinbet. 

Die nach diefem Prinzip gebauten Boote galten lange Zeit ale bie 
vorzäglichften und noch heute find alle fogenannten Nettungsboote (life 
boats) der Auswanderer · und Dampfichiffe Boote biefer Art. 

Die Rettungsboote find ſtets Ruderboote,“) mit 5 bis 16 Auberem 
befegt. Sie find Hinten und vorne fpig, damit fie gleich gut vor⸗ wie 
rüdwärts gehen Tünnen, und werben aus bemfelben Grunde gewöhnlich 
nicht mit einem Stener, fondern mit einem Ruder geftenert. Sie find fehr 
fefte Boote von 24 bis 30 Fuß Länge, ein Viertel davon als Breite, tra⸗ 
gen 8 bis 18 Mann Befagung und müffen außerdem noch 10 bis 20 Paſſa⸗ 
giere fafjen können, und fo jhwimmfähig fein, daß fie biefe ganze Befagung 
noch zu tragen vermögen, felbft wenn fie bis an ben Rand voll Waſſer 
geſchlagen find. 

Diefe Boote ſanken nun zwar nicht, inbeffen waren fie body, wenn. 
eine Welle darüber branbete und fie mit Waffer füllte, unbrauchbar, und 
die Manuſchaft mußte Gott banken, wenn fie wieder bas Ufer erreichte. 


Mit Ausnahme der großen 40 bis 46 Fuß langen Boote der Stationen an 
der Sufjoll Kaſte (England, nörblih von der Themfe-Mänbung), melde von den weit 
— —— 


von Dr. Vurew jun. 149 


Deshalb gab man ihnen eine ſolche Bauart, daß fie das Hineinge 
ſchlagene Waffer von felbft wieder entleerten. 

Man erreichte diefes, was auf den erften Blick kaum ausführbar er 
Meint, ebenfalls anf einfache Weife. Denken Gie ſich, m. H., ein gewöhn- 
fihes Sieb, welches ich mit den Händen ins Wafler tauche, fo wirb bas 
Rivean bes Waſſers innen und außen gleich fliehen. Hebe ich num mit 
einem gewiſſen Aufwand meiner Kraft bas Sieb aus dem Waſſer in bie 
Höhe, fo wird das Waſſer ablaufen. In ben Booten wurden num 11/, Fuß 
über dem Kiel ein doppelter Boden, geiwiffermaßen ein niebriges Ded, 
maflerbicht angebracht, und burch dieſes Ded und ben äußeren Boden bes 
dehrzeuges oben und unten offene metallene Abzugsröhren befefligt, 6 bis 
12 an der Zahl, von 4 bis 6 Zoll Durchmeſſer. Wenn mm das Boot 
fine entiprechende Schwimmkraft hat, und das Ded genügend hoch ange 
kracht ift, fo wird das Waſſer außerhalb des Boots und in den Röhren 
1ad) dem Geſetz der communicirenden Röhren gleich hoch ſtehen. Es wirb, 
wenn eine geringe Onantität Wafler Hineinfprigt, diefes durch die Abznge- 
Ianäle nach unten abfließen. Wenn aber ver Fall eintritt, daß eine Welle 
das Innere bes Boots ganz vollichlägt, fo wird jetzt mein Vergleich mit 
dem Sieb paſſen. Denn jett hebt die überſchüſſige Schwimmkraft das 
Boot, wie vorhin meine Hand das Sieb, in bie Höhe, und bas Waſſer 
muß der Schwere folgend abfließen, bis das Gleichgewicht hergeſtellt iſt 
ab das Wafler in den Abzugsfanälen und ber freien Meeresoberfläche 
gleich hoch ſteht. Es ift ſelbſtverſtändlich, daß es weſentlich auf genügenbe 
Zahl und Weite der Röhren ankommt, damit bie Selbſtentleerung ſchnell 
geaug erfolge. Man ift meiftens zufrieden, wenn in 30 bis 50 Sehmben 
36 Waffer abgeflofien ift. Etwas Waffer wird natürlich Hierbei, wie in 
jeem Boot zurüdhleiben, welches durch ſchwere Brandung arbeitet.=) 

Ein gutes Nettungsboot muß ferner eine fehr große feitlihe Sta 
bilität Haben, es muß nicht rank fein, damit es nicht leicht Waſſer fhöpfe 
eder umfchlage. Zu biefem Zwede find bie Boote fehr breit gebaut und 


) Es fei noch ermähnt, daß die engliſchen Rettungsboote nahe unter ber oberen 
Oeftnung in den Röhren Bentillappen haben, melde fo equilibrirt find, daß fie nach 
"ben feft fließen, während ein leifer Drud von oben, alfo auch etwas heraufftrömendeg 
Bafer, fie Difnet und fo freien Abfluß gewahri. 


150 Sur Bettung Sätfrligr 


haben einen guten Ballaſt, womöglich in Form eines 3 Bis, 10. Gentner 
ſchweren eifernen Kieles. Auch hat man fie außen mit einen KRorkgüptel 
bekleidet und innen auf beiden Seiten Luftlaften angebracht, in ber bop 
pelten Abficht, einmal bie Seitenftabilität zu vermehren, und. zweitens ben 
etwa eingeichlagenen Waffer weniger Raum zu gewähren und eg auch bei 
heftigen Bewegungen bes Bootes daran zu verhinbern, nad) ben Geiten 
u ſchlagen und fo durch fein Gewicht das Fahrzeug noch mehr nieberzw 


Um im Falle eines Leces nicht die Schwimmkraft des Bootes durch 
dem Ballaſt zu ſehr in Anſpruch zu nehmen, hat man auch Waſſerballaſt 
ijnd Ballaſt in Form von Holzklögen angewandt, Trog aller biefer guten 
Eigenſchaften Tann ein Boot doch in ber Brandung umſchlagen und bie 
Mannſchaft wäre dann verloren. Deshalb fann man auf Abhülfe, und 
1851, confiruirte Beechiug, ein Bootsbauer in Great Yarmouth da 
erſte ſich ſelbſtrichtende (selfrighting) Rettungsboot. Er gab bem 
Boote ein Equilibrium, ähnlich dem bekannten Linderſpielzeug, welches auf 
ben Kopf geſtellt, doch fich ftets ſchnell wieder auf bie Füße dreht. 

Um ben Schwerpunkt möglichft tief unter ben Drehpunkt bes Bootes 
3 legen, baute er dieſes fo, baf ber obere Borbrand fehr flarf nach vorne 
ynd Hinten auf Tief (Eprung hatte), während zugleich an biefen Enden 
große Luftfaften angebracht waren, unb ber ſtarke eiſerne Kiel den Schwer 
punkt mögliäft tief vrüdte. Wenn alfo ein ſolches Boot durch eine ftarte 
Welle völlig umgebreht wird, fo daß es Fieloberit ſchwimmt, fo rupt es 
gewiſſermaßen außerhalb bes Waſſers auf den beiden Endlufikaſten, wäh 
rend ber. Schwerpunkt über ben Drehpunft zu Liegen kommt. Die Folge 
iſt alfo, baf bei ber geringften Geitwärtsneigung durch bie bewegte Ger 
das Fahrzeng dem Beftreben nachgeben muß, ſich aufzurichten, fo daß ber 
Kiel fi wieber nad) unten breht. Verſinken kann das Boot aber nicht 
der Luftlaſten wegen, und es tritt alfo jegt bie Eigenſchaft bes Selbſtent⸗ 
Igerens ein, und das von felbft aufgerichtete Boot. wird fchnell fein Waſſer 
nach unten ausſtrömen laſſen und wieder maneuvrirfähig fein.) 


) Daß folde Dedultionen nicht theoretijch auägeflügelt, fondern vielfad; prakiiſch 
bewährt find, beweifen mande Säle. Go 3. B. bie im Life-boat Journal vom 1. Jar 


von Dr. Buron jun. 154 


Die (Mishüdäen Ceforbernifle eines guten Rettungebootes ind: Der 
iäwinbigfeit, denn ein ſchnelles Boot wird mande Welle durchſchnei- 
den unb mancher Gefahr ausweichen, weldyer ein Iangfames Fahrzeng nicht 
gehen Tönnie; ferner Stärke und Feſtigkeit bes Baues, bamit es 
ohae (ed zu werben bie unvermeiblichen Gtöße beim Anlegen an ein rad 
ad beim Anlaufen des Strandes ertragen Tann, und endlich müſſen außen 
am Boot Sturmleinen befeftigt fein. Man verſteht hierunter ein fin 
gedides Tan, welches in loſen Bogen in Zoifcensäumen von ca. 2 Fuß 
unfen rund herum befeftigt ift, damit bie Manuſchaſt bei etwaigem Um⸗ 
Klagen des Bootes im Waſſer ſich feſthalten kann. — 

Das hier geſchilderte Boot iſt das aus Eichenholz angefertigte ber 
cugliſchen Rettungegeſellſchaft und wird nach dem Exbauer Peale-Boot 
gemaunt. Es iſt für die engliſchen Küfen, welche meiſt felfig find, aber 
Uerall in den allerfürzeften Diftanzen Häfen barbieten, in benen das Boot 
für gewöhnfich Liegen kann, und ans welchen es dann bei Sturm ausläuft, 
das aßlerzwedimäßigfte. Da es aber fehr ſchwer it und über 5000 Bfunb 
wiegt, fo iſt es an fanbigem Strand, wie bie hollandiſche, bäntiche und 
anfere Küfte ihm barbieten, laum verwenbbar, weil hier bie Boote, anf 
soßen Narren ftehend, oft weit bis zur Strandungeſtelle transportirt wer» 
den mäffen. Mau hat deshalb in letzter Zeit bie nach dem Patent bes 
Amerilaner Francis gebauten Boote verſucht. Diele Boote, welche ge 
gemwärtig für Deutſchland bie Fabrik von Mac Donald & Co. in Hau⸗ 
burg Refert, werben aus galvanifirtem (verzinktem) nud cannelirtem (wel 
Ienförmig gepreßtem) bünnen (11/3 bis 21/4 Pfund pro Ouabratfuß fwerem) 
kiſenblech hergeſtellt. Sie haben vor ben hölzernen Booten vor Allem ben 
Berzug größerer Leichtigleit, denn fie wiegen nur etwas mehr als bie 
dalſte der Iepteren; außerdem aber find fie ſehr dauerhaft unb nicht den 
Bitterungseinfläfien ansgefeht. 

Die urfpränglichen Brancis-Boote waren gewöhnliche Boote mit Luft 
laſten; thuen ging alſo die Eigenfchaft bes Selbſtaufrichtens und Gelbft- 


mar 1866, Vol. VI. No. 59, pag. 2. mitgetheille Rettungafahrt, wo am 20. Det. 
‚Rettungsbont ( 


183 Kar Rettung Gäiffbrädtger 


entleerens ab. Auf Vorſchlag bes Danziger Rettungsbereins hat man 
neuerbings eine Combination bes Peale⸗ und Francie-Chftems verfuät 
und ba6 erſte danach gebaute Boot „Dahelm”, gegenwärtig in Leba far 
töntet, Hat fich bei einer im Eeptember 1865 in Hamburg angefteliten 
Probe fehr hut bewährt — es fehlte ihm mur leider bie Eigenſchaft bes 
Selbſtrichtens; bafllr iſt es aber aufs Aeußerſte fteif und wiegt nur 25 Eir. 
Memel Hat bereits ein ebenfolches Boot beftellt und anbere Stationen 
werben ebenfalls das combinirte Syſtem aboptiren. — 

Die Rettungsboote werben in ber Art aufbewahrt, ba fie, wo ein 
Hafen den Stationsort bildet, völlig ausgerüftet unter einem Schuppen auf 
eitier nach dem Wafler zugeneigten Ebene ruhen, von welcher fie im Au 
genblide des Gebrauchs mit ihrer vollen Mannſchaft ins Waſſer gelafien 
werben. Befindet fi die Station aber am Strande, ferne don einem 
Hafen, fo ruht das Boot aufs) einem eigens bazu confiruirten Hocdräd 
tigen Karren, aber ebenfalls unter einem Schuppen. Soli das Boot 
in See, fo wird ber Karren rückwärts ins Wafler gefchoben, und bie Mann» 
oft, welche fertig zum Rudern im Boot figt, muß im Augenblid des 
Blottwerbens bas Boot durch die Brandung zw zwängen fuchen. Es ger 
hört alfo zu einer Station ber Schuppen, ber Karren unb das Boot nebft 
Zubehör, was zuſammen auf ca. 1600 bis 2000 Thlr. veranfchlagt wird. 
Die Bemannung wird von Fiſchern und Geeleuten gebildet, welde pro 
Fahrt bezahlt werben, während nur ber Bootsfährer in jährlicher Beſol⸗ 
dung fteht, welcher fowohl die Führung bes Bontes, als auch bie Berichte 
an ben Vorſtand zu veranlaffen hat. Zu erwähnen wäre noch, baß fein 
Mann an Bord eines Rettungsbootes gehen barf, ohne mit einem Ret⸗ 
tungögärtel befeivet zu fein. Es find biefes aus feftem Segeltuch mit 
bezwiſchen genähten Korlſtüden verfertigte Gürtel, welche auf Art einer 
Weſte Bruſt und Rüden umſchließen und jeden bes Schwimmens unfun- 
bigen Menſchen zu tragen im Stande find, 


* In Pilau liegt das Boot nicht auf dem Wagen, fondern hängt am zwei 
Ketten unter der Achſe, von welcher es beim Flottwerden fchnell losgelaſſen wird, eine 
jedenfalls unzmwechmäßigere Vorrichtung. ©. Zeitichrift f. Baumefen von Grblam. Jahre 
gang IX. Berlin 1859, pag. 411418. Beihreibung der Rettungsapparate in Pillau 
von H. Schulde. ö 


von Dr. Burow jün. 183 


» Bir unfere oſtpreußiſche Küſte (friſche und kuriſche Nehrung und ſam ⸗ 
lindiſchen Strand) eignen ſich die Peale⸗Boote nicht ſonderlich, weil fie 
m Transport Tängft ber Küſte zu ſchwer find. Es fcheinen vielmehr bie 
mobificirten Francis Boote die ‚geeignetften, wenngleich es fehr zu wün⸗ 
fen wäre, daß ihre Eonftruction noch fo weit vervolllommnet werbem 
Könnte, daß fie auch ſelbſtrichtend würden. 

Es bleibt nun noch übrig bie Irojektil-Apparate zu beiprechen. Es 
Gent ſehr nahe, daß wenn ein Schiff mit nach bem Lande wehendem Sturm. 
firanbet, es leichter möglich ift mit bem Winde, vermittelft geworfener ober 
ſchwimmender Gegenftände vom Schiffe aus eine Verbindung nad bem 
Sande Herzuftellen, als im umgekehrter Richtung. Indeſſen tft meift bie 
Mannschaft des Wrades burch überbrechende Eturzfeen bald erfchöpft ober 
das Schiff leidet dermaßen, daß bie Lente aufer Stande find, zu ihter 
Rettung etwas ſelbſt zu thun. Es fam deshalb im Jahre 1808 Capitän 
Mandy in NYarmouth auf bie Ihee, vermittelft einer Kugel eine Leine 
über ein geſtrandetes Schiff vom Lande ans zu ſchießen, um auf biefe Art 
ine Communilation zu vermitteln und erfand fo ben Rettungsmörfer. 
Eeine Idee Konnte er noch im felben Jahre als höchſt brauchbar bemeifen 
amd feitbem iſt der Mörfer in eben dem Maße in Gebrauch gelommen, 
wie das Rettungsboot, fo daß, wie oben gefagt, England bereits 239 Pros 
jeltil Apparate ftattonirt hat, während Preußen deren 9 befitt, 

Dieſe Mörfer-Apparate haben aber einige Nachtheile, denn fie find 
ſchwer transportabel, die Leine veißt leicht am ihrer Befeftigungeftelle an 
ber Kugel in Folge ber ſtarken Anfangsgeſchwindigkeit und bie Kugel bat 
feine fehr große Flugkraft. Ein Mörfer der deutſchen Station Sylt von 
0 Zoll Caliber warf feine Kugel bei 24 Loth Pulverladung 300 bis 
400 Schritt weit, während ber Mörfer in Pillau bet 6 Zoff Caliber und 
22 Loth Pulver 250 Schritte trug. Um biefen Webelftänden abzuheffen, 
lam 1826 Mr. Denett in Newport (Isle of Wight) auf den Gebanten, ' 
bie Leine vermittelft Raketen herüber zu fihießen, wobei man nod ben’ 
Bortheil Hat, daß bei Nacht die Rakete burch ihren Schein das Wrad ber 
leuchtet. Es ift natürlih, daß Hierzu nur ſehr große Rafeten, meift breis 
Ffüntige benugt werben lönnen; biefe follen dann aber u 600 bis 700: 
Egritt weit tragen, 


154 dur Wetiug Schiffbrüdiger 


Wenn ein Sqhiff nahe ber Lufte geſtraudet if und bes Miörfer« ober 
Rabeten / Apparat angewandt werben foll, fo verfndst man mittelſt beffelben 
eine dünne: Leine, welche an ber Kugel reſp. Raletenftod befeftigt, nub zur 
Seite des Apparate berart aufgeringelt ift, daß beim fehnellen Abrollen fie 
fich nicht veriwideln Kaum, über bie Maften des Schiffes zu ſchießen. M 
das gelungen, fo wird an biefer bilunen Leine ein dickeres Tan nachgeze ⸗ 
gen. Diefes kaun nun dazu benugt werben an ihm ein Rettungsboot 
xim Wrack zu ziehen ober aber es wirb biefes bide Tau möglichft ſtraff 
gefpammt, damit ber tiefer hängende mittlere Theil nicht in die Brandung 
weicht, und daſſelbe dann als Leitfeil benutzt für eine Art von Korb ober 
Rettungsboje, in welche je eine Perfon ber zu rettenden Manuſchaft ein 
feigt, um vermittelft eines einfachen Zug ⸗Apparats nach dem Lande gezo ⸗ 
gen zu werben, bis auf dieſe Art alle geborgen find.«) 

Es if felbfiverftänblich, baf an vielen Küften ſolche Brojektilapparate viel 
apedinäßiger find, als Boote, während fie Doch auch zugleich billiger find; ein 
zelne Parthien des famlänbifchen Strandes, wo bie Schiffe meift in allernäd- 
Per Nähe des Uferberges feftlommen, eignen ſich beſonders für Wurfapparate. | 

Sqließlich fet es mir erlaubt, kurz bie fogen. Rettungs · Auker m | 
erwähnen, Es. find, dieſes anferaztige Apparate, melde, völlig zufammen 
auffappen find. und, han wie ein Holen in einen Mörier geladen wer 
ben Yönnen, jm baum. qus demlelhen fo weit ale möglich über bie. Bram 
hung in bie Gen geſchoſſen zu. werben. Der Anler Hanyk im. Binge; aus 
einander, hahrt. ſich im. Grunde feft und an der witgeriſſeuen Seine Tann. 
unten Umftänben, ein. Wettungshont ſich gut üher die Braubung holen. — 

Meine. Hexren! Sie Alle Haben oft, meun ir kunkler Winternacht ber 
Eher, mit Dagel aber Schnee einhprbrange, gedacht, Gon (hfitg. die lin 
gladlichen opf der Seel Teig meine, Hacren, iſt der Augenblick gelorza 
men, dieſen Ghebanlen zur That werhen, zu fafjes. Gründen Eie, Hier 
einen Verein zur Fettung Sipiffkrüniger, bamik fp. weit. «5 in. menſchlicher 
Sraft liegt, hei Strandungen. an unlenen Kuſſe has; aelühhete Lehan ber. 
Seelente gezeiteh werden möge — 

*) 6. die Abbildungen und Befhreibungen in Wagner's „Rautifche Blätter" 


3008, Danzig, Up Wertling, ein- Bud), welches Allen beingend empfohlen werdes mu, 
weidhe ſich für das Gees und Rettungärelen intereffizen. 


use Dr. Burew jun. 155 


Rachſchrift. Nachträglich fei eb use gefkattet mitzutheilen, daß am 
%. Yanmar c. in einer zahlreich Iefudten Verſammlung ber Rettunge- 
verein fi) conftituirt Hat. Die Betheiligung, welche das Unternehmen findet, 
iM erfreulich, denn Eube Zebruar waren bereis 187 Mitglieder eingezeich⸗ 
net, welche 1592 Te. einmalige und 403 Thlr. jährliche Beiträge garan⸗ 
tirt hatten. Hierzu fommen noch ca. 400 Thlr. welche ber Biefige Blotten- 
wereim ber Geſellſchaft übergiebt. Die Provinz Hat fi) babei bis jegt noch 
gar nicht betheiligt, inbeffen fteht bei dem bewäßrten Wohlthätigkeitsfinne 
ber ofiprenßifchen Provinz eine rege Theilnahme zu erwarten. Der Kir 
nigeberger Verein Hat ſich als Bezirksoverein des allgemeinen deutſchen 
Vereins conftituirt und iſt vom legterem bereits bie Einrichtung von zwei 
Stationen an unferer Küfte zugefichert worden. 
„Etwaige Beiträge if} Unterzeichneter gerne bereit am bie Kaſſe abzu ⸗ 


Dr. Bursw jun., ueiph. Langgaſſe No. 37. 


Britihen und Beferate. 

De Aristarchi sindils Hemeriels. Scripeit K. Lehrs, professor Regi- 
- „montanus. Editio recognita et epimetris auota. Lipsise apud 
S. Hirzelium MDCCCLXV. (VIII and 485 €. gr. 8.) 

- Der Name Ariftarchs (er lebte um bie Mitte des zweiten Jahrhun ⸗ 
derts vor Chr. in Alexandrien) war im Altertfum für bie höchſte Meifter- 
ſchaft der philologiſchen Kritik ſprichwörtlich, eine fehr große Schule pflanzte 
feine Methode und feine Lehre fort, feine Einwirkungen banerten tief ins 
byzantiniſche Mittelalter Hinein und fein Anfehn blieb ein kanoniſches. 
Ein fpäterer Commentator bes Homer befennt in einem zweifelhaften Falle, 
es fei am ficherften dem Ariftarch zu folgen, wenn auch bie entgegengefegte 
Anficht richtiger feine. So läßt, wie ein nenerer Schrüftfteller fagt, das 
Gigantiſche, das fein Name in ber Erinnerung der Menfcen behalten, 
ebenfowohl auf eine gewaltige Kraft des Geiftes als auf eine bedeutende 
Berfönlichkeit. fhließen. Doch war biefer große Name in nenerer Zeit faR 
verſchollen, bis 1780 der franzöfifche Gelehrte Villoiſon (berfelbe, bei dem 
bie Herzogin Amalie von Weimar ein Mal griechifch lernte) auf ber Marcus⸗ 
Bibliothel zu Venebig eine Handfchrift ber Ilias entvedte, die mit einem 
Sehr gelehrten altgriechifchen zum Theil aus ariſtarchiſchen Quellen excer- 
pirien Commentar verfehen war. Aber wie fo mande außerhalb Deutſch⸗ 
lands gemachte philologifhe Entvedung, blieb auch biefe ein todter Schag, 
bis ein deutſcher Gelehrter, Friedrich Auguſt Wolf, fie in feinen berühm- 
ten Prolegomena (1795) und in feiner Ausgabe bes Homer verwerthete. 
Wolf ftellte zuerft der Kritik die Aufgabe und löſte fie bis auf einen ge- 
wiffen Grab: dem homeriſchen Tert fo viel als möglich die Geftalt wieder 
su geben, bie er durch Ariſtarch erhalten Hatte, Ungleich mehr wurbe 


Sähietopp, adıt apolog. Vorträge über die Verſon Jefu Chrifti. 157 


biefe Aufgabe durch das 1833 erfchienene Wert von Lehrs „über Ariſtarchs 
homeriſche Stubien“ ihrer Löſung genähert, welches nicht nur für bie hos 
merifche Kritik, fondern für die Maffiiche Philologie. Überhaupt Epoche 
machend geweſen if. Hier war nachgewiefen, daß in bem von Billoifon 
entdedten Commentar etwa zehnmal fo viel von Ariſtarch Herrühre, als 
man bis bahin geglaubt Hatte, und durch biefe überraſchende Vermehrung 
des Materials ein ganz anderes unendlich vollftändigeres Bild von ben 
großartigen Leiftungen bes Mannes gewonnen, als Wolf es hatte geben 
tönen. Zugleich wurbe aber auch Kritik und Erklärung bes Homer aufs 
mefentlichfte geförbert, da es ſich zur Beſchämuug ber modernen Philologie 
herausftellte, daß Ariſtarch in fehr vielen Fällen ſchon vor 2000 Yahren 
das richtige getroffen hatte, wo bie neuern in ber Irre gegangen waren, 

Die erfte Auflage diefes. Hochwichtigen Werkes (bei Bornträger .er« 
ſchienen) war feit einigen Sahren vergriffen. In der glänzend ausgeftat- 
teten neuen Auflage, bie ©. Hirzel in Leipzig veranftaltet hat, erſcheint es 
durchgeſehn und verooliftändigt unb durch eine Anzahl beutfch gefchriebener 
Abhandlungen über homeriſche Kritit vermehrt. Die erfle Auflage war 
Lobed, Lachmann (befanntlic einige Zeit Proſeſſor an der Hiefigen Unis 
verfität) und „bem berühinten Arzte“ Ludw. Wilh. Sachs, bie zweite ift 
dem Anbenfen berfelben Männer gewibmet. 

J. Friedländer. 


Jul, Schiekopp (evang. Religionslehrer am Gymnaſium zu Tiffit), 
acht apologetifhe Vorträge über die Perſon Chriſti. 
Königsberg. (Gräfe & Unzer.) 1866. (XVII u. 359 €. gr. 8.) 


Wenu jegt anf einmal in Dentſchland aller Orten, in Holland, her 
Schweiz, in Fraukreich, England, in Rußland, fo weit es deutſcher Zunge 
if, eine reiche apologetifche Literatur, vorzugsweiſe auf bie. Perfon 
Chriſti gerichtet, hervorwächſt, wenn auf ber Tagesorbuung von Synodal⸗ 
Berfommlungen nnd Paftoral-Eonferenzen feit Jahr und Tag bie apolos 
getifche Aufgabe ber Predigt in einer ober ber anderen Form cine 
Rehende Propofition iſt (vgl. u. 9. Lutharbt in der Zeitfchrift für Pros 
teſtantiemus und Kirche, 1865. Sept.), wenn gleichzeitig eine eigene 
Monatsfchrift für chriſtliche Apologetit („ber Beweis des Glaubens” 


158 Kritiken und Referate. 


von Andrei und Brachmann feit Iuli 1865) begrändet wirb und weithin 
Anklang findet, fo barf damit der Beweis, baß ein ſtarkes chriſtlich⸗apolo⸗ 
getifches Bebürfniß in ber Gegenwart vorhanden ift, für ausreichen geführt 
erachtet werben, umb um ber Sache willen Hat, wer auf biefem Gebiet als 
Mitarbeiter hervortritt, nicht eben nöthig, ſich zu entſchuldigen. Die per- 
Föntiche Qualification zur Öffentlichen Mitarbeit muß biefe ſelbſt rechtfertigen. 

Die vorliegende Arbeit if dieſe Rechtfertigung nicht ſchuldig geblieben. 
Sie reiht ſich ben tüchtigſten unter ben apologetifchen Schriften. würbig an, 
welche der Verfafler in feinem Vorwort (5. XVI ff.) aufgeführt Hat, de 
nen aufer bes Tathol. Hettinger Apologie bes Chriſtenthums, Freiburg 
1863, einige feither erſchienene noch nachzutragen erlaubt fei: Schaff, bie 
Verſon Jeſu Chriſti, das Wunder ber Gefchichte. Gotha 1865.*) v. Zezſch⸗ 
witz, zur Apologie bes Chriſtenthums nach Geſchichte m. Lehre, Leipzig 1866. 
Steinmeyer, bie Wunberthaten des Herrn in Bezug auf bie neuefte 
Kritik. Berlin 1866. 

Die Schrift des Herrn Schiekopp iſt aus Vorträgen hervorgegangen, 
welche er tm vorigen Winter in Tilſit vor einem dankbaren Zuhörerkreiie 
gehalten Hat. Gr legt fie hier, aber vielfach überarbeitet, bedeutend erwei ⸗ 
tert, begtehungsweife andy verkürzt, dem größeren Leſerkreiſe vor. Ein Ab⸗ 
ſchnitt, der ansfägrlichfte von allen, über die Glaubwürdigleit der Evange 
lien des N. T., ift ganz nen Hinzugelommen. Das Buch fucht feine Leſer, 
wie die Vorträge ihre Zuhörer gefunden haben, unter ben gebildeten 
Laien. Findet es diefelben, wie wir bringend wünſchen, reichlich, fo find 
wir um einen großen Segen gründlicher Belehrung und Inftanbfegung 
zum verftänbigen Urtheil über bie höchſten Lebensfragen unbeforgt. Denn 
Unfenntniß, Unwiſſenheit und Urtheilsloſigkeit in den Kreiſen auch ber 
Gebildeten (darin ſtimmen wir bem Herrn Vorrebner biefer Schrift, Gen.» 
Sup. Dr. Moll bei) ift ein Hanptfeind in biefen nen entbrannten Kämpfen 
gegen bie evangelifche Geſchichtlichleit der Perſon Jeſu Eprifit, 

Wenn nur bie Erwartung eben fo gut wie ber Wunfch eines wei⸗ 


9 An dieſer Schrift hat ums beſonders gefallen der Verſuch eines Catelogus 
tetium veritatis aus dem Lager der Gegner, von Pilatus bis über Napoleon hinaus. 
Sin glüdticher Gedante, det einet weiteren Ausführung fähig und werth wäre. 


Schtelopp, acht apolog. Vorträge über bie Verſon Jeſu Chriſti 159 


ten Leſerkreiſes begrünbet wärel Es ift nicht zu leugnen, daß unfer Ber 
jaffer, obwohl er aller Hier überflüffigen Gelehrfamfeit fi) weile und 
naaßvoll enthält, feinen Lefern doch Ernſt und Auſtrengung überall zu⸗ 
muthet; er führt fie in kritiſche Fragen Hineln, deren Erörterung unver 
meiblich iſt, deren Läfung zu umgehen ba auch fein Recht mehr befteht, 
no einmal bie Eriftenz ber Fragen ins Bewußtſein getreten if. Wollte 
Gott, wir irrten mın in ber Annahme, daß biefer Ernft vielen unter unſe ⸗ 
ten Gebildeten fehle, wollte Gott, daß unfere Wahrnehmung auf Tauſchung 
beraße: unfere Gebilveten befigen an ben großen in Rebe ftehenben Bra 
gen gerabe genug Intereſſe, um fie zum Gegenftanbe einer leichten Abend⸗ 
geſellſchaftsdiscuffion zu machen, aber zu wenig, um fie über ben Schwebe⸗ 
punkt hinaus bis auf den Grund zu verfolgen. Wir meinen nicht, daß 
der ©, darum hätte oberflächlicher fein follen; er Konnte es nicht bei 
der Aufgabe, die er ſich geftelit, neben welcher populärere Aufgaben ihren 
Roum und ihr Recht ja Haben unb auch finden. Herr ©. wollte auch 
feinen Amtsgenoffen, ben Männern, welchen heute bie ſchwere, aber 
WHöne und große, bes edelfien Schweißes wärbige Pflicht bes Religions 
anterrichte auf höheren Lehranſtalten obliegt, nüglich werben. Wir unter- 
färeiben, was er (S. XIV) über bie Nothwendigkeit des apologetifchen 
Charalters dieſes Unterricht in der heutigen Beit fagt, durchaus, nur etwa 
mit der Rote, daß bie Hinwelfung auf das Falſche und Verkehrte in ben 
modernen mehr Ent als Darftellungen des Lebens Iefn bei dem Reli 
sionsunterriähte and) in ber Prima doc; mehr inbirect, ohne fortgehende 
asdrũcdliche Polemik geſchehe. Wir meinen (und ftellen uns babei den 
deren Berfafler gar nicht in Oppofitton gegen unfere Meinung vor), ber 
Lehrer gebe feinen Unterricht unter fortgehenber Berüdfichtigung jener 
nenen Evangeliſten und ihrer Tendenzen, als folder, bie auch in ben 
Squlerherzen eine Stätte finden könnten, er lehre nicht, als wenn feine 
die anf Yeinen Widerſtand ftoße, vein thetiſch, trabirend, kerygmatiſch, 
ſendern apologetiſch, aber feine apologetiſche Lehrkuuſt verfahre nach. dem 
Enge: artis est artem celare. Die für den praktiſchen Unterrichtezwec 
wilfome apologetifcge Methode tft bie den apfiorifchen Bekanpfungen 
der wangeliſchen Geſchichte entgegeitshtenbe apoſterisriſche, eracte, wirt) 
Werifge, für welche in Thomas Wigenmaum's Geſchichte Yefa nach 


160 Krititen und Refecate. 


Matthäus, als Selbftbeweis ihrer Zuverläffigfeit betrachtet” ein noch im- 
mer beachtenswerthes Beiſpiel vorliegt. Seitdem Wizenmann (ben Kant 
einen fehr feinen und hellen Kopf nannte) gefehrieben, ift die neuteftament- 
liche Wiſſenſchaft in ihren Negationen und Pofitionen weit vorgefchritten, 
und mande feiner Aeußerungen ift heute nicht mehr haltbar oder bach nicht 
ausreichend, aber anregenb und anleitend, namentlich in methodiſcher Be 
ziehung ift feine von Auberlen, Baſel 1864, wieder herausgegebene Arbeit 
für alle Zeit, 

Auf alle Fälle ift das Buch des Hrn. ©. ſehr dazu geeignet, den Lehrer 
mit dem nothivenbigen apologetijhen Material zu verfehen. Daſſelbe macht 
keinen Anfpruch darauf, ſelbſiſtändige Forſchungen, welche die Wiſſenſchaft 
objectiv zu fördern im Stande wären, zw entfalten, aber es iſt die Frucht 
eines fehr fleißigen und forgfältigen Studiums in ber einfchläglichen Literatur. 
Der Verf. zeigt eine umfafjende Belefenheit in den Schriften der Gegner 
und ber Bertheibiger ber evangelifchen Geſchichte; er veferirt durchweg mit 
gewiffenhafter Treue, mit vielem Geſchick und glüdlihem Tact in der Aus: 
wahl, und in einer überſichtlichen Darftellung. Er wendet eine verftändige, 
maaßvolle Kriti an, und feine Polemik it durchaus ebel, würdevoll, ent- 
ſchieden und doch mild, beſcheiden, frei von Bitterkeit, auch wo bie Ber 
ſuchung dazu nahe lag. Won bejonderem Interefje find für ben Referen⸗ 
ten geweſen, und bärften es für manchen, mit ber neueren Literatur über 
das Leben Jeſu im Allgemeinen auch Wohlvertrauten fein: bie Mittheilun- 
gen ber Anſichten und Urtheile der Franzoſen aus ber neneren Fritifchen 
Säule, Eoquerel’s, Scherer's, Colani's u. U, über Renan, 

Die Anorbnung des ganzen Buchs ift biefes ein einleitender Vortrag 
beſpricht die Stellung Jeſu zur (wir möchten lieber fagen: in ber) Welt 
geſchichte. Es folgt: das Leben Jeſu von D. F. Strauß, das Leben Jeſu 
von E. Renan, bas Characterbild Jeſu von D. Schenkel, die Glanb⸗ 
würbigleit ber Evangelien bed nenen Teflaments, bie Wunder Veſu, 
die Thatſache ber Auferftehung Jeſu, das dreifache Amt und bie gott 
meufchliche Natur (mir möchten lieber fagens Perfon) Jeſu Chriſti. 
Üngehängt find zwei Beilagen über das Leben Jeſu non Balger und 
über den hiſtoriſchen Chriſtus von Keim. 

Vielleicht ließe fich Über Einiges in biefer Anorduuug mit dem Herrn 


Schielopp, acht apolog. Vorträge über die Perfon Jeſu Chrifti. 16i 


Berf, freundlich rechten. Anf ver Referenten machte namentlich ber Ueber⸗ 
zang vom erften zum zweiten Vortrage ben Gindrud eines Eprunges, er 
ewartete nach dem fehr gelungenen einleitenden Vortrage vor Allen ben 
Nachweis, wie Jeſus nun ber fei, ber alle jene Lücken und Brüche des 
vorchriſtlichen Lebens ausgefüllt unb geheilt, und bie verborgenen ober 
offenbaren Hoffnungen der Welt realifirt Habe, er rechnete Hier baranf, 
dem wirffichen Jeſus zu begegnen, ftatt feiner lommt ihm David Strang 
entgegen, Die Beilage über das Leben Jeſu von Baltzer Kann faft über 
flüffig erfcheinen bei der nachgewiefenen Unbebentendheit biefes Buches. 
Hr. ©. wirb zwar vielen feiner Leſer die Bekanntſchaft mit demſelben er 
mitteln, was einige ihm gewiß banfen werben, ba fie ohne ihn kaum Ge 
legenheit zu dieſer Belanntfchaft gehabt hätten. Aber ber Gewinn berfels 
ben iſt ziemlih — Null; denn ver neue Belannte ift die Perfonififation 
der bodenloſeſten fubjectiven Wilführ. Wir wiſſen freilich nicht, ob wicht 
etwa lokale Rüdjichten den Verf. bei Vorführung biefes heiffofen Biogras 
phen bes Heilandes geleitet haben. Von ganz anderem Werthe ift bie 
andere Beilage Über Keim's geſchichtlichen Chriſtus. Der mit Gerech⸗ 
fipfeit und Liebe vom Verf. gezeichnete kritiſche aber doch glanbensinnige 
Standpunkt diefes Theologen ließe fih aus befien Prebigten (Freundes⸗ 
worte zur Gemeinde. 2 Bde. Stuttgart 1861 u. 62, meiftens noch in 
Ehlingen gehalten) noch weiter illuſtriren. Im der Vorrede zu benfelben 
(December 1861) äußert fih Keim fo: „Liebe zu Ihm zu wollen, welcher 
das ewige refigiöfe Ideal des Geſchlechts ift, und in ber Liebe zu Ihm 
einen heiligen Drang zu einer ebefn, Heiligen, lebens- und ewigfeitefähte 
gen Menfchheit zu eatzünden, das ift die Summe unferes Chriſtenthums. 
Mögen Andere andere Wege gehen, andere unb breitere Formeln wählen, 
Tniften werben fie doch nm fein, wenn fie mit uns Iernen, im Leben 
dem Herrn gleich zu werben, — ber feinem größten Apoftel das Wort 
als einzige nnd höchſte Glaubensformel auf bie Lippen legte: fo jemand 
den Herrn Sefum nidt lieb Hat, ber fei Anathemal Auch ift bie Welt 
jerriffen genug, ber Abfall erſchütternd genug — baß man in ber evanger 
liſchen Kirche Grund genug Hätte, über alle anderen Formeln fi zur 
dormel des Apoftels zu fammeln, und Alle als Brüder zu begrüßen und 
in Neben, welche in der Liebe des Herrn zuſammenkommen. Wat das 
tuyt. Bosatsfgrift Bd. IL Oft. % 11 


162 Rrititen und Referate, 


nicht auch die Heilige Hoffnungknospenbe Jugend unferer Reformation? 
Keine weitlänfige Dogmatif, aber ber ſchlichte Glaube an beu Herrn Jefum 
Chriſtum, und die glühende Liebe zu Ihm.". Bon befouderem Interefie it 
es, bie fünf Ofterprebigten im Anfange des zweiten Bandes zu vergleichen, 
tie zur Genüge darthun, baß er bie in Frauenfeld behauptete „Wenbung 
nad) rechts“ zu machen gar nicht nöthig gehabt hat. Er ſteht in ber That 
acht bloß von Strauß und Renan, fondern felbft von bem jegigen Schen- 
tel erlennbar fern, trog feiner, von Herrn Schiekopp &.836 angeführten, 
mehr den Gegnern Schenlels ungünftigen, als Schenkel günftigen, frei 
ich Überfläffig leidenſchaftlichen Aeußerungen. 

In der verwerfenden Beurtheilung Schentels ftimmen wir bem Herrn 
Berf. weſentlich bei. Der von Schenkel nicht ohne Unaufrichtigleit gelenge 
nete Abfall von ihm ſelbſt, würde fich, wenn es daranf anfäme, außer ben 
von Herrn ©. angeführten Belägen noch weiter belegen laſſen durch Ber 
gleihung feiner Vorträge tm Dienfte der innern Miffion (1864), Gefpräde 
über Proteſtantismus und Katholicismus (1852) u. f. w. Uber es iſt 
nicht nöthig, den Schenkel von ehemals gegen den Schenkel von heute anf 
zurufen; ohnehin ift-Unveränberlichleit der Meinung ja ein zweifelpaftes 
Lob. Aber gelegentlich ausgeſprochene Grunbfäge des heutigen Schenkel 
gereichen ihm felbft zur Verurtheilung. Wie befteht er denn z. B. ſelbſt vor 
feinem eigenen richtigen Sage (&. 154 unferer Schrift): „es ziemt bem 
Hiftoriler nit unbegränbete Bermuthungen aufzuftellen“? 
Die lurz vorher (©. 163) ſtigzirte Schenkelſche Darftellung der Anferfler 
gung Jeſu, die mit dem Vaſſus ſchließt: „das irdiſche Fleiſch und Blut 
ließ Jeſus ber Erde zurüd, aber fein unvergänglicher Geift flieg 
ans bem Örabe zur Herrlichkeit eines höheren verklärten Da 
feine empor“ begleitet Herr ©. mit der Bemerkung: bas nennen wir 
aber nicht bie dhriftliche Lehre von ber Auferftehung, fonbern das iſt nichts 
weiter als ber alte ratiomaliftiiche Glaube au die Unfterblichleit. Das 
will une faft zu glimpflich bünfen, wir finden darin, daß Schenkel auf 
den Geift Jeſu begraben fein läßt, einen Nonfene. — Was bie Pro- 
tefte gegen Schenkel als Director bes badiſchen Prebigerfeminare betrifft, 
namentlich bie vielberufenen preußiſchen, fo ſtimmen wir bem Herrn Verf. 
4a der Unverträglichleit, Kiefer amtlichen Gtellung bes Bilduers her evan ⸗ 


Säielopp, adıt apolog. Vorträge über die Perſon Jefu Chrifti. 163 


zeliſchen Prediger eines Landes mit einem religiöfen Standpunkte, wie ber 
in Schenkels füngften Schriften zu Tage gelommene, einfach bei, haften 
aber die Protefte fremdländifcher Paftoren weber für opportun, noch billi⸗ 
gen wir bie Art und Weife, wie fie in Preußen zu Wege gebracht find. 
Zu dem befonbers gelungenen Parthieen unfere® Buches zählen wir. 
die Iehrreiche und am feinen Bemerkungen reiche Darftellung und Beur- 
teilung des Materialismus und feiner Leugnung ber Wundermöglichkeit 
(S. 230 ff.), 3. 9. die Nachweiſung bes Widerſpruchs in Virchow's Behaup ⸗ 
tung von ber Transcendenz als einer Verirrung bes menſchlichen Geiſtes, 
eines Dinges, das doch nicht exiſtiren ſoll. Desgleichen die Darſtellung 
uud Beurtheilung ber romanhaften Behandlung bes Lebens Jeſu durch 
Renan. Cie legt es bem Lefer fehr nahe, bie orbinäre Theorie biefeß, 
bei allem Eeprit, leichtfinnigen Sranzofen, welche ſchließlich offen auf das 
mundus vault decipi, decipiatur hinausfommt, auf ihn felbft und fett 
Buch anzuwenden. Womit will benn ber Mann, ver fi) zu dem Eape 
befennt, daß ohne einen poetifd-phantaftiichen Aufſchwung niemals etwas 
Großes in der Welt zu Stande gebracht worben, und ohne Echmärmerel 
ber Heilige Franz v. Affifi u. ſ. w. und auch Jeſus der Geſchichte nichts 
zu berichten hinterlaſſen haben würden, womit will er ben abweifen, ber 
diefen Satz nicht auf Jeſum, ſondern auf ihn ſelbſt, den phantafirenben 
Biographen Jeſu anwendet, und in feinen Bhantaftereien ein ihm umemts 
behrliches Deceptionsmittel finbet zur Erreichung feines Zieles, das Para⸗ 
die® der Zuknnft mitvorzubereiten? i 
Nar einen Gedanken, den Herr ©. bei diefer Gelegenheit (S. 108) 
ausipricht, teilen wir nicht. Haben wirklich Tauſende vor Renan ger 
dacht, was er auegeſprochen? Wir Halten vielmehr diefe tafchenfptelerifche 
Umwandlung der Geſchichte des Lebens Jeſu in einen Roman, bes ben 
noch Anfpruch macht, Geſchichte zu fein, dieſe frivolen Ulbernheiten ver 
Liebeleien galilaiſcher Mädchen für ein novum petulanter, fentimentaler 
Crotil, und bie Ehre der Urheberſchaft dieſer Lieberlichleiten darf dew 
Breiagner Erneſt Renan nicht befiritten werben. Dieſer Iefus in Man’ 
nipan (mie Schaff fagt, während Renan die Maſſe für reinen weißen Dar 
mor ansgiebt) ift fein eigenes Fabrikat. Anklänge an folgen Unfug mögen 


fich auch fonft finden; wir erlauben uns ein Egempel namhaft zu machen, 
11° 


164 ritilen und Referate. 


das fich doc in fo fern ſehr vortheilhaft unterfcheidet, als Ehrifins ſelbſt 
hier von der Unfauberkeit der träumenden Phantafie verſchont bleibt. Am 
Unegange bes 15. und Anfang bes 16. Jahrhunderts prebigte, andy in 
Frankreich, und zwar zu Paris und Tours, ein Franziskaner Michel Menot, 
deſſen erotifche Bearbeitung ber Geſchichte der großen Sunderin (Luc. 7, 36ff.) 
erhalten if. Diefe if} ihm, wie gewöhnlich, ibentifch mit Marie Magba- 
lena und mit ber Schwefter der Martha. Gr fabelt von ihr Folgendes: 
Erat Domina terrestris de castro Magdalon, tam sapiens, quod erat 
mirum audire loqui de sapientia ejus et prudentia .. . Videbatur, 
quelle fat falle pour regarder.a) Pulcra, juvenis, alta, vermellle pleine, 
vermeille comme une rose, mignenne, fringante. Credo, quod non erat 
nisi 15. aut 16. annorum, quando invenit sic vivere, et 30, quando 
rediit ad bonitatem Dei. Quando pater mortuus fuit, plena erat sus 
voluntate. Martha soror non audebat ei dioere verbum et videbatur 
ei, quod faciebat magnum honorem illis, qui veniebant ad illam. 
Quidquid faciebat, erat vivere à sem plalsir. . . Um pen apres ceite pas - 
re seite abandende erat in castro suo. Le brait ceurait deja par tente 
”a Judöe et le Pays de Galilde. Omnes bibendo et comedendo loquebantur 
de es et de ejus vita. Martha soror timens Deum et amans honorem 
de In lignöe, tente hontense de In heute de sa secur, videns, quod omnes 
!oquebantur de sa secar et de ses’ beaux miracles, venit ad eam dicens: 
0 soror, si pater adhuc viveret, qui tantum vos amabat, et audiret 
ista, quae per orbem agitantur de vobis, certes vens lel mettries la mert 
entre les deaia. Facitis magnum dedecus progenetrici nostree. „Et de 
weit Quid vis dicere?“ Heu, soror, non opus est ultra procedere, 
neque amplius manifestare, Scitis bene, quod volo dicere, et ubi la- 
teat punctus. Les petits enfants em vont à ia meutarde. „© bigeite, de quol 
vous meles vons, beile dame. Et teus les grands diables, (Bien seit banlt) 
non estis magistra mes. Quis dedit mihi eeite valliante dame, pour treubler 
ma viet Vadatis, precor, ad domum vestram. Scio, quod habeo agere, 
ita bene, sicut una alia. Habeo sensum et intellectum, peur me sarelr 





=) Das Grhaltene iſt wohl das Goncept des Ftanzielaner Mönche, daher bie 
Melange von Latein und Branzöfid. 


Säyelopp, acht apolog. Wortzäge über die Berfon Jeſu Chriſi. 165 


pererner. O’esi si belle chose, que de me penser que de sel mimel" Martha 
rogabat eam, ut iret ad sermonem, et consuleret aliquem hominem 
bonae vitae. Magdalena dizit janitori: non dimittas mihi intrare hoc 
castrum ceite enragde de secur, qui me nous amene que touie dissension ot 
riette, ubi non consuevit esse nisi cantus gaudii. — O soror, essetis 
valde felix, si possetis videre unum hominem, qui praedicat in Hie- 
rasalem. Est pulcrior omnibus, quos unguam vidistis, tam gratiosus, 
tam honestus, il a si beau malntien, Il fait si bien son emtretien, vous ne 
rties jJamais de pareil. Credo firmiter, quod si videretis eum, essetis 
amoross de eo; est in flore juventutis suse ..... Illa cepit pulera in- 
dumenta sua, aquam rossceam pro lavando faciem suam, cepit specu- 
hum. Videbatur, quod esset unus pulcer angelus; nullus cam aspexisset, 
qui non fuisset amorosus de ea, Ipss ante se misit mangones, por- 
tantes force de eadreaaz de eramelsin, ut disponerent sibi locum. Martha 
vidit haec omnia, fingens nihil videre, et sequebatur eam, sicut si 
fuisset parva ancilla. Christus jam erat in medis praedicatione vel 
forte in secunda parte. Tunc ipse cepit detestari vitia, pompas, va- 
nitates et specialiter peccatum Iuzuriae ete. Darauf wird Maria ge 
räßrt, wenbet fi) zur Buße, ihre Galane bemühen ſich vergeblich, fie her- 


umzubolen, fie fudht den guten Prediger auf, findet ihn endlich am Tiſhe 


bes Eimon u, f. w. — Diefelbe rofenwäflerige Manier der Behandlung 
der heiligen Geſchichte finden wir andy bei Renan, nur weiter ansgebehut, 
auch anf bie Zeichnung bes Bilbes Jeſn. 

Nach diefer Eyiſode kehren wir aber zu dem Buche des Herrn Schie 
topp zuräd, freilich nur, um dem Verjaſſer zum Schluß für feine treffliche 
Arbeit dankbar die Hand zu brüden. Wir haben uns noch mauche Par» 
thien ſeines Buches angeftridhen, bie es wert find, ala vorzüglich lehrreich 
and treffend in der Widerlegung der uenteftamentlichen Müythen- und Les 
genbentheorien und beftructiv-fritifchen Hypotheſen hervorgehoben zu wer- 
den oder zu denen wir ergänzende, meiſtens beiftimmende Bemerkungen 
mocen möchten. Aber nnfere Anzeige barf nicht zur Abhandlung anwachſen. 
Bir freuen ums, daß unſere Provinz zu bem heutigen Befreiungalapfe 
der evangelifchen Ehriftenheit von bem Soche einer übermüthigen Kritik, 
eines zomanhaften Schwinbels, und einer daracterlofen Halbglaͤubigleit 


166 Arititen und Meferate. 


dieſes ftattliche Contingent geftellt hat. Möchte as Überall bie Aufnahme 
Ruben, bie es verbient; es wirb biefelbe durch Beſchützung ber theuerften 
Lebensgüter redlich vergelten. o. 


de Bruenneck (Borussus), Henr. Magn. Egm., De auctoritatis, qua 
Prussiae ordines sub Ordinis Teutoniei imperio utebantur, 
initio et incremento. Diss. inaug: Bonnae 1865. (1 Bl., 92 S. 
und 1 BL. 8.) 


Nur der. Bollftändigkeit wegen verzeichnen wir biefe neuefte Leiftung 
eines Landom annes anf bem Gebiete unferer Provinzialgefchichte, ohne der 
ſelben einen erheblichen felbftändigen Werth zufprechen zu können. Es 
iſt eine Zuſammenſtellung bes bereits Belannten aus ben geläufigſten Quel- 
len mb Geſchichtswerlen. Indem wir auf eine Kritik im Einzelnen ver⸗ 
sichten, - beichränfen wir uns auf eine kurze Ueberſicht des Inhalts. 

Nach einer voramsgefchidten Einleitung über bie Eroberung Preußens 
durch ben beutfchen Orden und über vie Geſchichte des eroberten Landes 
bis zum erfien Thorner Frieden (1411), Handelt der Berf. im erſten 
Rapitel von ber Verfaflung des Ordensftantes bis auf Heinrich Neuß v. 
Planen (den Uelteren). In dieſem Kapitel werben I. die oberften Landes» 
gewolten (Orden und Bifchöfe) beiprochen, II. die dem Orben untermore 
ſenen Bewohner: A. Adel, B. Städte, C. Bauern, D. Freilehensleute und 
Kölmer; III. wird das Verhältniß zwiſchen ben flänbifchen Rechten unb 
der Ranbeaherrlichleit des. Ordens erörtert in Beziehung auf: a) Yurisbi- 
ion, b) Stenern, 0) Zölle. — Das zweite Kapitel befchäftigt ſich mit 
dem Wachstum der fändifchen Macht, gegenüber dem Verfall ber Orbene- 
herrſchaft, von ber Einrichtung des „Ranbesrathes" (1412) au bis auf den 
Preufiihen Band (1454), über welchen Zeitpunkt jedoch bie geſchichtliche 
Entwidelung hinaus umd bis in das 16. Jahrhundert hinabgeführt wird. 

Im Anßerlicher Hinficht müſſen wir noch bemerken, daß eine größere 
Sorgfalt des Druders in Betreff ver zahlreichen ftörenden Drudfehler zu 


tmänfrgen geweien wäre. 
B . Sn. 


Ultprenhliher Birlas, 101 


Altpreußiſcher Verlag. 


Copernicus und fein Jugendfreund. Cine Erzählung von Adolf 
Bromwe. Mit einem Titelbild: das Copernicushaus in Thor.“ 
Thom 1865. Drud und Verlag v. Eruft Lambed. (IV m 
486. 12.) 


Der Titel konute zutrefiender lauten: Thorn und feine Bürger zu 
Ausgang des XV. Safrhunderts. Was uns hier in fehr anfpruchslofer 
Borm geboten wirb, ift mehr ein mit ſicherer Zeichmung und in lebhaften 
Barben ansgeführtes- höchſt anziehendes Eulturgemäfde ans der Blüthezet . 
einer mittelalterlichen preußiſchen Hanfeftabt mit dem Vordergrunde einer 
damilieungeſchichte ber verwandten Patricierhänfer Koppernigl, Allen und 
Watzelrode, als eine mit erzählenden Elementen durchwebte Biogtapkie 
des berüßmten Aftronomen Copernicus. Diejer Iehtere fängt uns eigent ⸗ 
lich erſt da an zu intereffiren, wo bie Erzählung als ſolche aufhört aber 
nur noch in loderer Berfnäpfung anslänft, nämlich in ben legten Kapi⸗ 
telm; vorher erfahren wir außer feiner Geburt nur ganz beiläufig Hin und 
her, daß er ein ernfter, dem Nachdeulen zugeneigter, lern⸗ und wißbegieriger 
Kuabe und Jungling if. 9a foger die Mittheilung über fein Iugenble> 
ben S. 228, wie zuerſt fein Siun fi auf die Betrachtung der Natur ger 
waudt und eine Ahnung ber höheren Zwede bes Weltalls empfangen 
Habe, Hat ber Verfaſſer verfänmt, an ber geeigneten Stelle in bie Erzäh⸗ 
kung dieſes Sugenblebens ſelbſt einzufügen, und fo darauf verzichtet, uns 
mit poetifcher Lizenz bie ſtuſenweiſe Entwidelung eines Menfchen nadgm 
weifen, defien innere Ausbildung wir uns hoͤchſt eigenartig vorzuſtellen ge 
nöthigt fein würden, auch wenn wir hiſtoriſch nichts mehr von ihm wäß 
ten, als daß er eben der Entbeder eines neuen Weltfyſtems geivefen. Hier 
war es eben bie Aufgabe des Erzählers, der immer mehr ober weniger 
zugleich ein Erfinder fein muß, eine phychologiſche Wahrſcheinlichleitorech⸗ 
mung anzufellen, nicht in der Form einer hiſtoriſch-wiſſenſchaftlichen Hy 
potheſe, fondern in ber Faſſung poetifcher Darſtellung. Der Mangel ge 
ſchichtlicher Weberlieferung Hätte durch bie Phautafie ergänzt, die Entwide 
ang des jungen Aſtronomen mit innerer Nothwenbigleit entweber aus ber 
Wörbernben Mitwirkung ber zujälligen Umgebung auf einen folden Geiſt 


168 Ritilen und Referate 


oter ans bem Gegenfag beider dargethan werben müffen. Andererſeits 
nimmt allerdings bie Mittheilung ber Echicfale Johannes Eeiffarts einen 
verhäftnigmäßig fehr großen Raum für ſich in Anfpruc, ohne daß das 
wirklich Hiftorifche Material in Bezug auf ihn reichhaltiger war; aber es 
iſt ans dem Buche kaum zu erkennen, mit welcher Berechtigung biefer 
Seiffart des Eopernicus Jugendfreund genannt wird, ba beide nur in ben 
loſeſten und rein äußerlichen Beziehungen zu einander ſtehn, von einer 
gegenfeitigen ober auch nur einfeitigen Einwirkung auf bie geiftige Rich⸗ 
tung, welche ber eine oder anbere für das Leben einnimmt, aber nicht bie 
Rebe if. Seiffart nimmt freilich einen Anlauf, als eb er beftimmt wäre, 
einer ber lirchlichen Reformatoren Preußens zu werben, aber fein frei 
geiftiges Streben verläuft ſchließlich nach einigen wüftromantifd,en Kreny 
und Querfprüngen völlig im Sande. Auch Hier hätten wir dem Verfaffer 
gern bie poetifche Lizenz verftattet, der hiſtoriſchen Ueberlieferung nachzus 
Helfen und zu zeigen, wie der Thorner Stabtichreiber für die Befreiung des 
Bürgerftandes von patriciſchem Einfluffe, der Huffite in ben Kämpfen der 
Reformation mitwirkte. Dann erft würden biefe beiden Figuren ihre poe⸗ 
tifche Bufammengehörigfeit nachgewieſen haben, und ber Erzählung als 
ſolcher die nöthige Einheit nicht fehlen. — Aber auch fo bleibt dae Mit 
getheilte Höchft dankenswerth und zeigt wieder, wie reichhaltigen Stoff uns 
fere Provinzialgeſchichte dem Erzähler zur ‚Verfügung ftellt. Das ganze 
weite Feld liegt noch fo gut wie völlig brach und wartet auf einen Bear 
heiter, ber’ fein ganzes ‘Leben lang hinreichende und lohnende Befdhäftigung 
fände Namentlich ift die Gefchichte unferer großen Städte wegen ber 
Bezlehungen zum Orden, zur Hanfa und zu Polen von einer Eigenartig ⸗ 
feit, bie auch in weiteften Kreiſen Interefie erweden muß, wenn fie in ans 
ſprechender Weiſe vorgetragen wird. Wir halten, nachdem bie Wiſſenſchaft 
bisher mit rühmlichem Fleiß das hiſtoriſche Materinl bereits fo reichlich 
jufammengelragen bat, baß zu beffen Kenntnißnahme und geiftiger Durch⸗ 
dringung ein zeitraubendes Quellenſtudium nicht mehr erforderlich ift, ger 
rade bie poetiihe Darftellung am geeignetften für den Zweck, das größere, 
immer auf Unterhaltung betrachte Publikum mit den Refultaten dieſer For⸗ 
ſchungen bekannt zu machen. Wie frei A. Prowe über biefes Maierial 
gebietet und wie glüdlich ihm ber popufärserzählende Ton gelingt, zeigt 


Aterthumsgeielihaft Braific. 169 


diefe Hübfche Arbeit, bie jedem Vefer ein volles und greifbares Bilb bes 
alten Thorn zurücklaſſen wird, an dem nur ber Fachlenner bie vielen Heis 
nen unb Meinfien Stifte bemerkt, aus denen es zu künſtlicher Mofail zu⸗ 
fommengefegt if. — Sehr wenig lobenswerth ift bagegen bie Ausftattung 
bes Heinen Buches, das mit feinem ſchlechten Papier und unfanbern Drud 
von jedem Volfefalender übertroffen wird. Das ift nicht ber richtige Weg, 
dem altpreußiſchen Verlage Eingang in Deutſchland zu fehaffen. Man kaum 
es unter folhen Umſtänden ben einheimifchen Schriftfiellern, bie wirklich 
etwas ZTüchtiges Leiten, wahrhaftig nicht verbenfen, wenn fie fi nad 
auswärtigen Verlegern umfehn, wovon freilich bald bie Folge fein muß, 
daß Alles, was hier gedrudt wird, ſchon ungelefen feinen Weg in ben 
Maculaturkorb der Kritik findet. Wir machen beiſpielsweiſe nur auf Seite 
11, 162, 172 aufmerffjam, um unfern Tadel nicht unbegründet zu laſſen. 
[0] 


Alterthumsgeſellſchaft Pruſſia. 


23. Februar. Dec Vorſitzende (Hr. Gutsbeſ. Minden) eröffnet bie 
Eigung mit ein paar geſchäftlichen Mittheilungens namentlich bringt 
derſelbe ein an bie Gefellichaft gerichtetes gebrudtes Circular der Rebaction 
bes „Annuaire des societ&s savantes dela France et de l’ötranger® 
zur Keuntniß, welches Eircular zu näherer Berichterftattung an Dr. Stefe 
fenHagen abgegeben wird. Nach biefen geſchäftlichen Mittheilungen trägt 
Hr. Minden aus einigen wenig befannten Reiſewerken (unter Anderen 
aus Branb’s Reifen, vgl, Mtsſchr. III, 59 *) mehrere interefiante Bar- 
tien über Königsberg und Umgegend vor. Bon Hrn. Hauptmann 
v. Döring wird eine äußerft fanber in Gold geprägte Danziger Me 
bailte aus ber Zeit des Könige Sigismund III. von Polen vorgelegt, 
ein altes Bamilien-Erbftüd, welches gegenwärtig zu einer zierlichen Broche 
verarbeitet ift (unbeſchadet der urfprünglichen Befchaffenheit), Hr. Ulmer 
macht die erfreufihe Mittheilung, daß er Schritte gethan Habe, bie noch 
vorhandene, zu bem ehemaligen Altäbtifhen Junkergarten gehörige 
Inschrift (Grlent. Preuß. II, 505) für die Sammlung ver Bruffia zu er⸗ 
werben. Dr. Reide giebt ſchließlich Proben aus „Ehriftien Schwargen 


170 Arttiden und Referate. 


Musae Teutonioae Käntgeberg 1705, 1706, einer Saumiung in Diufit 
geſetzter geiftlicher und weltlicher Lieber, deren Verfafler fi) „Hansvoigt zur 
Mäümmel in Preuffen“ nennt. 

23. März. Die Sammlungen der Pruſſia find wiederum durch Ge⸗ 
ſchenle in erfeenlichfter Weiſe bereichert worden. Hr. Pfarrer Wiſchhuſen 
in Momehnen (bei Berbauen) hat mehrere alte Documente einge 
ſandt, u. A. eine Verſchreibungs⸗Urkunde bes Herzogs Albrecht d. d. Qhuigs ⸗ 
berg 28. Ang. 1530. Ein großer eiferner Sporn von mehr als 51/4 Zoll 
Weite, gefunden von Hin, Douglas⸗Ludwigsort auf ber Feldmark fei- 
nes Gutes, tft als Geſchenk des Hru. Dr. med. Henſche eingegangen. 
Berner dur Hrn. Stadtrath Henſche eine Reihe von Fundſtücken (Steig: 
bägel, Sporen, Pferde-Bruftbehänge, eine zierlih gearbeitete Fibula), welche 
bei "Gelegenheit des Chauffeebanes zwifchen Sufterburg und Tilfie in 
einem granbhaltigen Hügel, worin auch Tobten-Urnen, gefunden und von 
Hrn. v. Simpfon-Georgenburg überfendet worben find. Frau Stabt- 
räthin Thimm hat Borowski's Düfte gefchenft. Weitere Geſchenke aus 
der an Alterthümern beſonders reichen Lötzener Gegend find durch Hr. 
Brem.-Lient. Wulff, ein überaus thätiges Mitglied, in Aueſicht geitellt; 
auch bat derſelbe von angeblichen Pfahlbauten Mittheilung gemacht, bie 
Hr. vom Pape anf Wolffee in einem großen Moore feines Gutes ent 
dedt Haben fol. — NIS nene (auswärtige) Mitglieder find dem Vereine 
beigetreten Hr. Rendant Niebios und Hr. Prorector Bigourong, beide 
in Lögen und mit dem freundlichen Verſprechen, das Antignarium ber 
Pruffia durch einige intereffante Altertyumsgegenftände zu vermehren. — 
Aus den fonftigen reichhaltigen Mittheilungen mag nur das Wichtigfte her- 
vorgehoben werben. Hr. Minden zeigt einen bemerkenswerthen Katalog 
der befannten Sammlung bes Gommerzienrathes Saturgus (Königsberg) 
17838. Dr. Reide berichtet über einen von Buchhdl. Cohn an Hrn. Min» 
den abſchriftl. eingefanbten Brief Kant’s an 3.9. Jacobi ans b. 9. 1789, 
der zwar in Beiber Werken abgebrudt if, jeboch mit Weglaffung einer 
Herber’s „Spncretifterei“ ſcharf critifierenben, fowie einer andern Stelle 
von localem Imterefie. Derfelbe macht auf die brudfertige Gefchichte bes 
Graudenzer Kreifes von Fröhlich aufmerkſam, anf welche die Gefell- 
ſchaſt fubferibieren will; theilt zwei Briefe von ber Karſchin an Scheffner 


Alterthumsgeſellichaft Bruffia. " 171 


ans b. 3.1763, 64 mit und giebt ein paar Beläge für bie in ber franzö⸗ 
ſiſchen nicht nur, fondern ſelbſt auch in ber beutichen Literatur noch immer» 
fort herrſchende Unfenntniß in Betreff unferer Provinz, zumal Littauens und 
Mafurens, welche neuerdings mit Kühnaft's ſtatiſtiſchen Mittheilungen nach 
Rußland verlegt worden find. (vgl, Altpr. Mtsfchr. III, 182.) Schließlich 
Tieft Hr. Prof. U. Hagen aus Virchow's nad) Inhalt wie Form glänzendem 


Auffag über Hünengräber und Pfahlbauten vor. 8 
—D. 


Hittheilungen und Anhang. 





Eine littauiſche Hodzelt. 


Es war ein fonnenheller Wintertag, als wir, drei Uhr Nachmittags, 
über ſchimmernde Schneegefilde durch eine Laudſchaft dahinglitten, wie fie 
auch Littauen und zwar grabe im folder Yahreszeit recht aumuthig zu bie 
ten vermag. Die von Wohlhabenheit zeugenden Dörfer ſchauten aus ihrer 
weißen Hülle gar ſauber und traulich hervor, die Heinen Hügel, feitwärts 
unferes Weges, glühten im Etrahl der bereits finfenden Sonne und bie 
vielen ftattlihen Bäume mit ihren nur zur Hälfte beſchueiten Stämmen 
und Zweigen, deren grazibſer Behang wie von bunleln Säulen und Bän 
dern gehalten erſchien, ließen uns jenen, wicht allzuhäufig vorkommenden, 
winterlichen Anbli genießen, wie ihn unſerer Meinung nach, weber ber 
ſtrahlende Reif, noch des Lenzes Blüchen fo prachtvoll und maleriſch zu 
gewähren im Stande find, . 

Unfer Ziel war ein Dörfchen, wofelbft heute eine littauiſche Hochzeit 
gefetert werben follte, der beizuwohnen wir biefe Fahrt unternommen hat ⸗ 
ten, Nach Verlauf einer halben Stunde waren wir an Ort und Stelle. 
Mit uns zugleich trabte ber ans der Kirche kommende Hochzeitszug durch 
die freundliche Dorfftraße; ſechs bis acht Überfüllte Schlitten ſpreugten, der 
Hochzeitsfitte gemäß, in wilder Flucht daher. Es war eigentlich ein Wett ⸗ 
vennen, wo Einer ben Andern zu überholen trachtete. Obhrenbetäubendes 
Sauchzen mit hübſchen Clarinettentönen untermifcht, burchbrang bie Enft 
und machte beinahe unfere Pferde ſchen. — Bor der Feſtwohnung ange 
langt, fprangen bie Männer in frummen Sägen über ben Rand bes 


ine littauiſche Hodızeit. 1173 


ESchlittens und liefen mit einer Eile ins Haus, als wenn ihnen bev Kopf 
brannte, ohne fi) nur ein einzig Mal nad ihren rauen umzufehen. Sa, 
ſelbſt der Bräutigam hatte eine Ausnahme davon gemacht. Baft wären 
wir verfucht geweſen, biefes Treiben als eine natürliche Ungefchliffenheit 
zu beläcdeln, wir erinnerten uns aber bald baran, daß dergleichen durch ⸗ 
ans zum feinen Ton biefer Lente gehöre, und daß bie Littauerin eine 
männliche Hülfe bei irgend welchem Auf- oder Abwärtöfteigen wie ein 
Mißtraun in ihre Geſchiclichkeit, folglich einem Gpott’ ähnlich, betrade 
ten würbe. 

gegt war auch der weibliche Theil der Gefeltichaft, etwas gemäßig- 
ter aber immer noch flinf genug, auf den Schnee mub ins Hans gefprun. 
gen — nur Urte, bie Braut, welche uns perſönlich zu ihrem Ehrentage 
eingelaben hatte, blieb zurüd, warf Tuch und Mantel über ben nädjften 
Zaun, und eilte uns, als ihre vornehmften Gäfte, mit Srenden zu begrüßen. 
Eie trug über einem roth und fchwarzgeftidten Hemdchen einen eigen 
thümlich gewürfelten wollenen Rod von bunten Farben, mit dunkelm 
Miever — Marginne —, darüber eine weiße, ebenfalls roth und ſchwarz 
geſtickte Schürze. Das Haupt zierte ein kurzer, Hintenabfallender mit Sil⸗ 
berband eingefaßter Mouffelinfchleter, ein Myrthenkranz und ſchwere blonde 
dlechten. Die Hübfce Maid ſtand in ihrem fehr kleidſamen, nationalen 
BeR- und Brautanzuge vor uns. Was aber biefer wirklich ſchönen Geſtalt 
noch mehr Schmuck verlieh, war jene, beinahe allen Littanerinnen eigene 
Gewandtheit des Weſens, die man höfiſch zu nennen verfucht fein könnte, 
Das befcpeidene und doch freimüthige Herantreten en mus, das Schüch-⸗ 
terne und zugleich Sichere mit dem fie uns in ihre Hütte führte, und 
manch’ anderer Meiner Zug, trugen im ber That ben Stempel bes Bor 
nehmen an fi. 

Wir traten in den grün befränzten Flur und in bas Zimmer rechts 
ein, welches durch bie Fülle feiner umbergeftedten Tannenzweige in eine 
este Laube verwandelt zu fein fehlen. Friſcher Waldesduft firämte uns 
entgegen. Unter einem Baldachin von Zweigen, in ber beften Ede des 
Zimmers Uni hergerichtet, mußten wir Plag nehmenz es war. bier 
ſes gleichfam der Thronhimmel und Ehrenplag bes Brantpaar’s, Brant- 
winlel genaunt, irogend von Zierrathen in litauiſchem Geſchmac. Ux 


174 Mittpeilungen und Anhang. 


ſeidenen Fäden fehwankten Aepfel, hölzerne Vögel, Papierblamen n. |. w. 
größtentheils in Silber⸗ und Goldſchaum gekleidet; in der Mitte aber hing 
eine Krone mit ben prunkendſten aller Schmuchſachen; biefelbe wird, als 
auoſchließliches Eigenthum ber Braut, vor ber am Schluße des Teiles 
übftsfen Zerflörung des Brautwinkels von vorforglichen Händen in Eicher 
heit gebracht. \ 

Nachdem uns hier bie Übrigen Glieder der Familie, wie bie Köchin 
— welche bei ſolchen Gelegenheiten vem Range einer Hausfrau gleich, 
kommt — ihre Huldigung bargebracht hatten, wurde Kaffee mit Blechfla⸗ 
den, Kropfen- und Näderkuchen gereicht, Die Bauern waren in ben beiden 
Stuben rechts und line vom Flur und im einem MNebenftäbchen vertheilt 
und plauberten bei ihrem Kaffee gar lebhaft, wiewohl mit Anftand, der 
fich beſonders darin fund gab, da nicht alles Durcheinander ſchrie, fondern 
ein Seglicder der miteinander Sprechenden erft bann das Wort ergriff, 
wenn fein Nachbar bafielbe fallen lief. Cine Rüdficht, die man bei fo 
viel Nebfeligkeit wie hier und einer Art von Beredſamleit nicht jelten in 
diefen Klaſſen zu ſchätzen Gelegenheit findet. Sogar einige Großſprecher 
auf biefer Hochzeit, darunter ein Echmieb, der fich im Allgemeinen nicht 
ward) Unfpruchslofigleit hervorthat, fügten ſich willig dem zarten Gebrauch. 

Das Kaffeetrinten währte micht zu lange, da ſtimmten drei Muſikan ⸗ 
tem in ber zweit beflen Ede bes grünen Zimmers einen leidlichen Walzer 
am, ber die ganze Berfammiung, uns ausgenommen, in Bewegung brachte, 
Al und Yung tummelte ſich mit gleicher Munterleit auf dem Tanzplag, 
amb da bie Etube groß war, und unfere Ecke durch einen quer vorge 
ſchobenen Tiſch eine geräumige Loge bilvete, fo konnten wir von bier ans 
mit Bequemlichleit des Anblids einer die Grenzen des Schiclichen nicht 
verlegenden Bolksiuftbarkeit froh werben. Wir ſchlugen vorläufig alle En⸗ 
gagements aus, bie und von ber Brautmutter im Namen und Anftrage 
des Brautigams, des obengenannten Schmied's, des Kreisſchulzen und 
einer andern Notabilitat Höflichft angeboten wurben, und nahmen licher 
Veranlaſſuug, ven hubſchen Menſchenſchlag unferer Heimath zu bewundern. 
Die Männer faft insgefammt zeichnete ein hoher, ſchlanker zuweilen ath ⸗ 
letiſcher Wuchs aus und eine Frijche bes Gefichis und eine kraftvolle Hal⸗ 
tung, ‚bie fo dauernd begränbei in der Rutur biefer Rente zu liegen ſcheiut, 


Cine Kitanifche Hochzeit. 175 


daß ihr felhR das höchſte Alter nur wenig Einbufe zu thun wagt. Unter 
den Frauen, littauiſchen wie beutfchen, mußten wir in mancher Beziehung 
den erflern in Rationaltracht ven Vorzug geben, weniger in Anbetracht ber 
Formen unb des Ausdruds. Die beutfche Bäuerin geht ber littauiſchen 
meift au Schönheit, wie an einem gewiſſen Schein von Jutelligenz -vox 
ms, mehr als in ver bei Weitem hübſchern Kleidung und anmuihigern 
Beweglichkeit der letztern. Das äußere Bild einer Littanerin wird durch 
eine mittelgroße, nicht fehr ſchlanke aber abgerundete Figur, einem von 
blonden Haaren eingefaßten, rothwangigen, immerfreundlichen Geſicht mit 
gutgebanter Nafe, etwas breitem Munde und blauen Angen, weniger ſchön 
als auſprechend dargeftellt. Doch findet man auch wahrhaft junonifche Er⸗ 
ſcheinuugen, wie die Urte's, unter ihnen. 

Bas den Tanz betraf, fo fanden wir ihm taftvoll, aber fleil. Die 
Art abwechfelnb zu tanzen und zu promeniren hätte fich nicht übel gemacht, 
wenu die Tänzer etwas mehr Grazie und weniger Nachläffigkeit affektirt 
Hätten. Doch neu und der Aufzeichnung wärbig dürfte bie von manden 
Berfonen beliebte Aufforderung zum Tanze fein; fie geſchieht in folgender; 
Halb gefuchter Manier. Der Tänzer verfegt fich ſchon ans möglichft wei 
tes Entferuung in eine tanzende Bewegung, wobei er mit ben Füßen ab 
und zn nachdrücklich aufftampft. Die Arme taltvoll Hin und her ſchweulend, 
vie Melodie des Tanzes brummend, ben Oberkörper vorgebeugt, bie Augen 
fer anf die Erkohrene gerichtet — fo naht er ihr bis auf zwei ober drei 
Schritte. Dann bleibt er ftehn, nein, er tänzelt eine Minute lang auf 
ein nud bemfelben Sled, ſtampft mehrmals anf, nun winft er. Aber bier 
fer Wink, die eigentliche Aufforberung, geſchieht nur ſehr oberflächlich, mit 
einem Anflug von Hochmuth, um damit feiner Dame verftänblid zu mas 
en, daß er etwa richt um ihretwillen tanzt, ſondern um zu taugen! 
Nichtedeſtoweniger erhebt fie fich feinem Winke nachzufommen, und indem 
fie mit abgewendetem, Ueberbruß verfündenbem Geſicht, uur wie ans Ger 
falligleit anf ihn zu ſchlendert, glaubt fie für feine ihr nicht unbentlich ger 
weigte Geriugſchaͤtzung Rache geübt zu haben. 

Gleich nach dem erſten Walzer wurde von zweien Tauzbeflifienen, die 
erſt im verfloſſenen Herbſt von der Garde entlaflen, aus Potsbam zurüd- 
gelchtt waren, ein Tanz in Angriff genommen, hen fie. uam dort miigee 


176 Taittheilungen und Anhang. 


bracht Haben wollten, und ben fie „Ertramabur” nannten. Es follte wahr 
ſcheinlich ein Stücken Quadrille fein, deren Ausführung eben fo friſch 
ans ber Luft gegriffen fein mochte, als ver hochtrabende Name, welchen 
legten wir mit ber Grtremabura-Stridbaumwolle in richtige Verbindung 
bringen zu können meinten. Die Touren biefes wunderlichen, im Polla⸗ 
Takt ausgeführten Potodamers Iennzeichneten ſich durch eine Verwirrung, 
gegen welche die babyloniſche eine Regelmäßigleit geweien fein mußte. Aber 
die zeitherigen Garbiften wußten fich zu helfen. Sobald das Durcheinans 
der den höchſten Bunft ver Rathloſigkeit erreicht hatte, riefen fie gebieteriſch: 
„Galuppadl!“ — Die Muſik gehorchte, jeder Herr riß feine Dame in ftür 
miſchem Galopp mit fi herum und ber Knoten war burchichnitten. Leider 
Tonnte unferer Lachluſt fein Genüge geſchehn, denn die Yünglinge fchielten 
wieberholt nach dem Brautwinkel, um bie Kritit ihres modernen Tanzes 
aus unfern Bliden heranszulefen. 

Nach diefer folgte eine nicht minder ergägliche Scene. Der Schmiede 
meifter, Vetter des Hanfes, Großprahler und flotter Tänzer, kam feierlichft 
und nicht abfichtelo® auf eine Frau zugefchritten, die ſich eben bicht im 
unferer Nähe befand. Gr fizirte fie einige Augenblice ſcharf, fegte ſich zu 
ihr nieder, mad fprach bedeutſam, auf plattdeutſch natürlich: „Na Mätter- 
Gen, ſolch' einen feinen Tanz haben Sie auch noch nicht gefehn, Hm? —“ 
Die Frau entgegnete mit Beftimmtheit: „Und Sie andy nicht Meiſterchen!“ 
— Der Schmied warf ſich zurüd und rief Hocherfiaunt: „Ich nit?” — 
Die Frau antwortete lachend: „So ſcheint es mir, Meifterhen!" — 
„Mutterchen — ſprach der Mann ernft — bin ich nicht in Königsberg 
geweſen?“ — „Was thut das?“ fragte fie. „Run — rief er wichtig — 
ba kennt man bergleichen Tänze, beſonders auf ben Generalsbällen!" — 
„Bott füge! — rief bie Frau lachend — Generalsbälle haben Sie doch 
nicht gedrüdt?“ — „Mich nicht?" — Der Schmied riefs und fiarrte bie 
Nachbarin an, biefe fagte ruhig: „Gewiß nicht!“ — 

Der Schmied ſchwieg einen Moment frappirt, dann antwortete er mit 
Bathos: „Frau, wenn ich Ihnen fage, daß ber Gcneralsball mein geringe 
ſter Ball in Königeberg geweſen ift, ich bei andern großen Herrn mindeſtens 
fechs oder fieben Mal zum Ball gelommen bin — fo — „So iſt das 
minbeftens feche oder fieben Mal — . 


Eine litiauiſche Hodpelt. 177 


Die Braun beſchloß mit einem Niden bes Kopfes ben Sag. ber ber 
Schmied zeigte, daf man zuweilen erhaben über jebe Beleibigung fein 
Tann; gelaffen und orbentlich wehmüthig rief er: „Miütteschen, kennen Sie 
alle meine Schichale, die ich als Süngling erlebt Habe?" — „ie follte 
ich das?“ war bie Antwort. „Alſo — ſprach der Schmied — will ich 
Ihnen jegt eine Kleinigkelt darüber mittheilen!“ — „Später!” fagte bie 
Frau abwehrend. „Nein, fogleih! aljo Ar. 1 war id — —“ 

Die Fran erhob ſich mit den Worten: „Ein ander Mall” und ber 
Schmied mußte nothgedrungen ſchweigen und dazu war ihm im Laufe des 
Abende noch eine Demüthigung vor unfern Augen aufbehalten, die wie 
fpäter berichten wollen. 

Jetzt die Schilderung des Abendeſſens, das für die Bauern im Zim- 
mer links vom Flur, für uns im Brautwinlel aufgetragen wurde. Die 
Gerichte diefes Fefteflens, von welchen allen zu geniehen wir von der Fa⸗ 
milie und ihrer Köchin auf bas Liebenswürbigfte bewogen wurden, kann ich 
nicht unerwähnt laſſen. Erſter Gang: Schweinefleiſchbrühe mit Graupe; 
zweiter Gang: Gelochtes Schweinefleiſch mit gedämpften Kartoffeln; britter 
Bang: Gebratenes Spannfertel mit Erbſenbrei, genannt Schuppeniß; vierter 
Gang: Reis mit Pflaumen; fänfter Gang: Schweinefled mit Klößen; 
fechfter Gang: Schweinebraten und Bänfebraten. 

Als Getränf diente der bei den Littauern beliebte „Allans“, von dem 
man aud) uns fredenzte, bis die Köchin den Krug entfernte und feinen 
Inhalt mit ſchlechtem Bier vertanfchte. Denn fie dominirte Hente, wie an 
der Tafel vie eine Sletfchforte. Neben dem Allaus wurbe noch als eine 
Detitateffe fo etwas vom einer Bowle präfentirt, ein Gebräu von eitel 
Brauntwein mit Zuder und Ktefchfaft vermifcht. Es war biefes die foge- 
nannte Brantfuppe, welche theils aus Tellern und mit Löffeln gegeſſen, 
theils aus Gläfern getrunten wird. Als Urte einen Augenblick zu uns 
tam, mußte fie mit uns auf ihr und ihres Bräutigams Wohlergehn anftor 
Ben. Diefes fand Nachahmung, man hörte bald baranf nichts als Mappernbe 
Glaͤſer und Töpfe, wobei Urte ein Pröbchen echt littauiſcher Koketterie zum 
Beten gab. Ste ließ es nämlich den Gratulanten nicht leicht werben mit 
iht anzuftoßen, namentlich mußten die Männer lange Bitten, und immer 


wenbete:fie fü von ihnen ab und ſchob ihr Gläschen- bei Bei; einmal 
Wpr, Monatofgrift Od. I Hft 2. 


178 Mittheilungen und Anhang. 


verflectte fie es fogar. Dabei lachte fie geziert, ertheilte bald biefem, bald 
jenem einen träftigen Schlag und ließ es auch an Scheltreden nicht fehlen. 
Dabei hörten wir manch ſcherzhaftes Wort und manchen Mutterwig, 
Sonft ging außer mehreren littauiſchen Gefängen nichts Merlwürdiges an 
ber großen Tafel vor, die Männer zeigten fih vornehmlich dem Trinken, 
die Frauen dem Eſſen und bie Mäbchen dem Lachen ergeben, wobei wir 
Muße hatten, die Pracht ihrer Zähne zu bewundern. 

get aber, am Ende ber Tafelfrenden, erſchien ein Platzmeiſter, Braut⸗ 
führer, mit einer Schale, bie bis zur Hälfte mit Brautfuppe angefüllt war; 
in biefe Schale mußte jever Gaft ein Geldſtück hineinwerfen und als es 
geſchehn, ergriffen zwei andere Plagmeifter die Braut, während ber erfte 
fie ſcheinbar zwang, den fänmtlichen Inhalt der Schale hinnuter zu ſchlucken. 
Schließlich aber nimmt fie alles als Hochzeitsgabe in Empfang. Der Spelta- 
tel dabei ift etwas angreifenb für civiliſirte Ohren, aber ganz littauiſch. 

Bu gleicher Zeit ſchlichen bie Muſilanten anf ihren Platz tm grünen 
Zimmer und lodten durch einen Heitern Walzer alles was Büße Hatte zum 
Tanz. Mit demfelben Ungeftüm wie früher von ben Schlitten fprangen 
die „Herren“ jegt über Tiich und Bäule, um mit der erften beften „Dame“ 
ein Tänzchen zu machen. Doch Hatten wir feine Urſache noch vor bem 
feierlichen Brauttanze das Hans zu verlaffen, denn wir nahmen feine wirl⸗ 
liche Trunlenheit wahr, fogar unter den Männern nicht, nur gerabe fo 
viel Frohſinn, daß man ſich, wie in bergleichen belebter @efellfchaft immer, 
eher behaglich, als beängftigt fühlen konnte. — 

Allerdings war bie Tanzluft, durch bie fenrige Brantfuppe angefacht, 
noch veger geworben, die alten Männer waren fo munter dabei, baf fie 
den Hut vom Kopfe, bie Pfeife ans vem Munde zu nehmen vergaßen — 
doch nein, vergefien hatten ſie's nicht! es war biefes Verfahren wiederum 
eine ihrer Hauptfineſſen, benn, alfo ausflaffirt, glaubt der an Jahren reihe 
Tänzer männliche Würbe mit kindlicher SHeiterfeit zu vereinbaren. Die 
gute Mutze auf dem Kopf, bie treue Pfeife in ven Zähnen — wer wagte, 
mit fo glänzenden Zeichen ber reinen Vernunft ben Adhtzigjährigen als 
Tänzer zu belächeln? — 

Mit dieſem Freibrief zu jugendlicher Fröhlichkeit anögerüftet, Hatten 
wir das Vergnügen, unfern Schmiebemeifter wieberznjehn. Gobalb ex bie 


Eine littauiſche Hochzeit. 179 
Schwelle des Nebenftübchens überichritten, Hatte er Züße, Arme und Pfeife 
im Walertalt; Müte und Oberkörper ſaßen etwas ſchief, bie Tanzweiſe 
brummte er heifer. Wer foll die Glückliche ſein? — Himmel, er ſteuert 
auf den Brautwinkel zu, feine Blide richten ſich durchbohrend ber Reihe 
nach auf uns, wir wenben uns beftürgt zur Seite — ba ſchwenkt ber ger 
niale Tänzer zu Evchen, Urte's jüngerer Schwefter, Hin. Aber er tänzelt. lange 
vor ihr, denn fein Wint war umbeachtet geblieben, jet ſtampft er heftig 
mit dem Fuß auf und fragt unfreundlich: „Wird's bald?" „Es wirb gar 
nicht!” entgegnet ifm Eva, „Wirft Du kommen ober nicht?" ruft er grim⸗ 
mig. „Ich komme nicht!" — „Dann werbe id Dich Holen!" — „Hole 
mich, wenn Du eine Ohrfeige begehrftl" — 

Dem Schmieb fiel die Müge vom Kopf, er Hob fie auf und breite 
fie bedenklich in den Fingern — wir bejorgten eine Gemwaltthat, fo wäthenb 
ſchaute er die Dirne an. In biefem Augenblit fam ber Brautvater, faßte 
des Schmiede Arm und führte ihn in das Nebenftühchen. Im Fortgehn 
aber rief der Gekränkte no mehrmals: „Faule Grete, rechte!“ — 

Etwa eine Stunde darauf nahm ber Brauttanz feinen Anfang, von 
ihm Tonnten wir uns nicht ausjchließen, da jeber Mann mit ber Braut 
und jede Frau mit dem Bräutigam ein Mal herumzuwalzen bie Ehre hat, 
Zuweilen werben hierbei ber Braut alte Scherben unter. bie Füße gewor- 
fen. Als biefer Tanz glücklich zu Ende war, entfernte fi Urte, um ihren 
Myrthenkranz mit dem weißen, in ben Eden bunt geflidten Kopftuch ber 
verheiratheten Frauen zu vertaufjen — Muteris. — Ihre Abweſenheit 
wurbe dazu benußt, ben Brautwinkel, aus dem wir uns bei Zeiten ent⸗ 
fernt Hatten, mit lautem Zubel zu erſtürmen und vollftändig zu zerflören, 
denn Jeder bemühte fih, irgend etwas daraus zu erhafchen und babet ging 
es wieber fehr unfanft her. — Hierauf erfchten bie junge Frau mit ber 
Muteris auf dem Haupte, bie ihr wohl fand, aber fie weinte unaufhör- 
ih, denn bie Littanerinnen weinen leiht und gern, Urte that, als fei fie 
untröftfich, förmlich zur Ehe gezwungen, und doch liebte fie ihren Johns 
wie irgenb ein zärtlich Herz das andere, — Beim Abſchied von uns zeigte 
fie ſich dagegen wieder recht vornehm Tiebenswärbig. Wir befchenkten fie 
und noch einige andere Perfonen, und dann wurden wir vom ber ganzen 


Geſellſchaft, ſogar mit Mufll, zum Schlitten begleitet. 
13° 


180 Mittdeitungen und Anhang. 


Am Horkzont flieg eben der Mond gleich einer Feuerkugel im bunfeln 
Üether auf. Der Himmel Hatte fein Sternenzelt über uns gefpannt, fein 
Lüften regte ſich — es war eine wunderbar ſchöne, poetiſche Winternacht. 


Aus den Acceffionen der Alterthumsgeſellſchaft Pruffia. 

Der Befiger Albert Rodde aus Mülfen, welcher bereis früher in 
ungewöhnlicher, uneigennügigfter Weife fein Intereffe für ven Verein Bruffia 
betätigte, Hat mir abermals eine große Menge Alterthümer für die Samm- 
lung des Vereins übergeben und find biefelben in bem nachfolgenden Vers 
zeichniß betaillirt. Herr Rodde hat fie eigenhändig zu Tage gefördert und 
zwar auf der Feldmark Mulſen; der Zundort, ein bem Dorfe Mülfen ge 
meinichaftlich gehöriger Kieoplan, liegt Hart am Kranzer Landwege, welcher 
von Mulſen nach dem Badeorte Hinführt, einige hundert Schritt vom Vor⸗ 
wert Pries entfernt. Hügelerhebungen beuten bie alten Grabftätten nicht 
an, einer bloßen Vermuthung folgend, entdecte fie Herr Robbe. Die aufe 
gefundenen Gegenftände, befonbers bie eifernen, find ſtark vom Rofte an⸗ 
gefreſſen. Sie lagen 3 Fuß unter ber Erde, dort nur von einem einfachen 
Steinkranze im Umfang der Gräber umgeben. Der Eharalter und Inhalt 
der legteren ſcheint völlig analog benen bes nahe gelegenen Wiskiauten zu 
fein. Die Urnenfcherben tragen ebenfalls baffelbe Gepräge und finb bie 
Urnen auch ohne Dedfteine, nur von ber aufgeworfenen Erbe bedeckt ger 
wefen, daher jebenfalls durch ben Drud derſelben und bie Feuchtigkeit bald 
zerſtört. Die Bronzen, darunter befonders bie eigenthümlichen kreisförmi⸗ 
gen Gewanbhalter, die Waffenftüde und die eifernen Gloden, fowie auch 
eine Meinere von Bronze, wahrfcheinlich am Zaumgeng angebracht geweſen, 
find ebenfalls durchaus ibentifch mit dem Wiskiauter Funde. — Nach ven 
Angaben des Herrn Robbe tft der Fund bei Mülfen noch lange nicht er⸗ 
ſchopft und verfpridht noch reiche Ausbeute. 

Werzeicuiß des Funden. 

I. Brongen: 1) Ein Sporn. 2) Bier Gewandhalter. 3) Eine Spi ⸗ 
rele von 2 Zoll Durchmeſſer und 3 Gewinden. 4) Eine Meine Glocke am 
Ringe, 6) Ein verzierte Schuh einer Schweriſcheide. 6) Ein Dalin. 7) Em 


Aus den Acceffionen ber Altertpumägefeltfchaft Pruffia. 181 


gewunbenes Draßtftäd. 8) Zwei unbefiimmbare Gtäde, 9) Ca. 20 dünne 
Blehfüde von Gefäßen und Beſchlägen. . 

I. Eifen zc.: 1) Eine Eifenfeule. 2) 17 zum Theil wohlerhaltene 
Speerfpigen, 9 Stück Rubera davon. 3) 12 Mefler, drei Brucftüde, 
4) 8 Schwertftäde. 5) 14 Sporen reſp. Bruchſtüde. 6) 2 Steigbügel unb 
5 Bruchftüde. 7) 5 Gebiſſe und 12 Zaum- und Geicirr-Bruchftäde, 8) Drei 
eiferne Heine Oloden. 9) 2 Schnallen, 2 Scheren, 1 Stahl, 2 Steinperlen, 
2 Stüd, deren Zweck unbelannt. 10) 15 Nägel und Zwingen. 11) 60 flart 
verroftete Eifenftüde, Ueberbleibfel von Waffen und Geſchirr⸗Zeug. 12) Ca. 
40 Stüd Urnenſcherben. 


Üerner find dem Unterzeichneten von bem Lientenant von Streng, 
Mitglied des Vereins, nachfolgende Stüde zur Uebergabe an die Samm⸗ 
fang der Pruffia zugeſandt worben: 

L Eine Parthie Alterthümer, welche Lieut. v. Streng in Gemeinſchaft 
mit Unterzeichnetem in Wisfiauten zu Tage gefördert unb bisher felbft 
afiervirt Hatte, und zwar: 1) 9 Speere. 2) 7 Schwertfläde, zum Theil 
ſehr fchön erhalten und vom Roſte frei. 3) 2 Scheeren. 4) 1 Nitterfpom 
und ein Bruchſtück eines Stachelſporns. 5) 2 Steigbügel und ein Bruch⸗ 
fäd. 6) 6 Bebiß-Stüde. 7) 4 Nägel, 2 Meſſer, 1 Schnalle, 2 Steinperlen, 
6 BromerBruchftäde, 1 Meines Eifen-Gefäß, 10 Bronze-Blehfüde. 


II. Eine Menge höchſt intereffanter Alterthümer, verſchiedenen Zeit. 
altern, bis zur Bronze and Steinperiove hinaufreichend, angehörig. Diefe 
Sachen find neuerdiugs bei den Maſnriſchen Kanalbauten bei Arys aufge 
funden und durch Lient. v. Streng bei feinem Kürzlichen Beſuche in Ma- 
ſuren für ben Verein Pruffia gefommelt: 1) Eine durchbohrte Stein-Agt 
von ſchwarzem Geſtein. 2) Ein Steinmeißel von felbiger Steinart. 3) Ein 
Schneibeftein von Feuerſtein. 4) Drei runde Scheiben, burchbohrt, von 
blauem gebrannten Thon, ca. 4 Zoll Durchmeſſer, 1 Zoll did, Netzbe⸗ 
ſchwerer. 5) Zwei wohl vemfelben Zweck entſprechende große Thon- reſp. 
Ziegel-Berlen. 6) Ein bearbeitetes Hirfähorn-Etüe, 7) Eine fogen. Netz⸗ 
uabel von Fiſchknochen. 8) Zwei fogen. Kattenringe von Bronze, ca. 6 Zoll 


183 Mittheilungen und Anhang. 


Durchmeſſer. 9) Zwei große Bronze-Spiralen, 4 Gewinde, ca. 4 Zoll 
Durchmeſſer; die Enden find öſenförmig umgebogen; in den Defen ber einen 
Spirale ſtedt eine Nabel, welche einen fpirafig gewundenen Kopf hat. 
10) Ein Bronzegriff zum Anſchrauben; Halbmonb und Stern bilden ben 
Griff. 11) Eine Mefferflinge. 12) Ein Scheerenftüd, 13) Ein eifernes, 
wohlerhaltenes Kugelſchloß. 14) Eine mit einem Bohrloch verfehene Eld- 
ſchaufel. — 
Königsberg, ben 10. Januar 1866. 
Wulff, Premier-Lientenant. 


Der Gumbinner Regierungsbezirk in Rußland. 


Wir Deutfchen find es ſchon lange gewohnt, in franzöſiſchen Büchern 
einer verwunberlichen Unkenntniß in Betreff deutfcher Zuftände, Perfonen 
und Localitäten zu begegnen. Gefliſſentlich theilen unfere Zeitungen dergl. 
oft abfurde Notizen aus ber franzöſiſchen Literatur mit, So brachte z. B. 
die Beilage zu No. 48 ber Königsberger Hartungfchen Zeitung vom Jahre 
1810 unter bei Weberfhrift „Tolle Notiz Über Kant“ einen Auszug 
aus der „Gallerie historique“ livr. 23. Paris 1808, nad welcher unfer 
berägmte Philoſoph ſchwediſcher Abkunft, in Pommern. geboren, Sohn eines 
Eorporals in ſchwediſchen Dienften fein, und man feine durch bie Kritil 
ber reinen Vernunft und anbere parabore Schriften aufgeftellte Lehre öfe 
fentlich in den Königsberger Kirchen sous le nom de Christianisme 
National prebigen foll n. |. w. Wirklich ſpaßhaft war das im vorigen 
Yahre durch alle Zeitungen gehende: „II (scil. Bierey) mourut à Asthma, 
pres de Breslau“ bes Herrn Fötis in feiner „biographie universelle des 
musiciens.“ Doch Geographie ift überhaupt — bet der angebornen Leicht- 
fertigfeit ber Franzoſen fehr erklärlich — nicht bie flärffte Seite berfelben. 
Auffallender aber ift es, wenn felbft deutſche Gelehrte von den altherge- 
brachten trrigen un falſchen Vorftellungen über deutſches Land und beutfche 
Leute nicht loskommen können. Zumal unfer Altprenßen erſcheint ihnen 
noch immer wie eine terra incognita, wo bie Zittauer Heine Pferde züch- 
ten, die Mafuren in Erdhöhlen wohnen und auf ber kuriſchen Nehrung bie 


Der Gumbinner Regierungsbezirk in Rußland. 183 


nRräenfceffer" Haufen.s) Mit Littauen und Maſuren wiffen unfre bemt- 
ſchen Brüber im Weften erft recht nichts anzufangen. Doch nimmt es uns 
Wunder, daß Göttinger Gelehrte fie nad Rußland verlegen. Der Fall 
iſt zu merkwürdig, als daß wir Hier nicht Notiz davon nehmen follten. Im 
Zäbingen erſcheint die fehr gebiegene beſtrenommirte Zeitfchrift für bie ge- 
fammte Staatswiſſenſchaft unter Mitwirkung von Männern wie Rau, Mohl, 
Hanffen u. 4. Im dem 4. Heft des 20. Jahrgangs 1864 befindet ſich eine 
fonft fehr verbienftliche ſtaatswiſſenſchaftliche Büdherfhan des 
Jahres 1863 von Prof. Unger und Hermann Müller in Göttin 
gen ſyſtematiſch zufammengeftell. Der IX. Abſchnitt berfelben enthält 
bie Statiftil, zuerſt bie allgemeine, daun bie fpecielle der einzelnen Länder: 
Deutſchland, Frankreich, England, Dänemark, Schweden, Spanien, Ruf- 
land u. f.w.; unter Rußland finden wir ©. 841 verzeichnet: „Kühnaſt, 
ſtatiſtiſche Mittheilungen über Litauen und Mafuren.” (L II. Band. Gum- 
binnen. Sterzel.) — Und richtig wieder nach einem Jahre (21. Jahrgang. 
1865. 4. Heft. ©. 663) in ber biesmal von Herm. Müller aus Göt- 
tingen allein beforgten Bücherſchau für 1864 repräfentirt noch immer 
Kühnaft mit der Fortfegung feiner ſtatiſtiſchen Mittheilungen über Lit 
tauen und Mafuren (III. Bd.) die ruſſiſche Statifil. Herr Kühnaſt, 
jest an das Königsberger Negierungs-Eollegium verjegt, war Regierungs- 
rath in Gumbinnen; fein Buch enthält „Nachrichten über Grundbeſitz, 
Biehftand, Bevölkerung und öffentliche Abgaben ber Ortſchaften nach amt 
lichen Onellen mitgetheilt”, und zwar behandelt ver IL Band Mafuren, 
der II. und IIL Band Littauen.“s) Nun giebt es zwar auch ein ruſſi— 
ſches Littanen, aber kein ruffliches Mafuren; wenn jenes auch ben Göttinger 
Bucherſchauer nad) Rußland weifen konnte, fo mußte ihn doch bie Zuſam⸗ 
menftellung mit Mafuren bevenflich machen und — ber Gumbinner Regie 


rungsbezirt wäre nicht ruſfiſch geworden. R 


) Bol. Allyr. Mtsihr. 1, 289. 
”) Bol. a. a. D. I, 669. Bibliographie. 


184 Wittheilungen und Anhang. 


Geſchenke aus Altpreußen 
an das germaniſche Mufeum in Nürnberg. 
Für das Archiv: 
Mogifttat der Stadt Eulm: 

8801. Berzeihniß ber die Stadt Culm betreffenden Urkunden von 1257 bis 1645. Pay. 

Magiftrat ber Stadt Königäberg: 
3303. Verzeichniß der im ftätifhen Archiv zu Königsberg befindlichen Urkunden 

von 1251 bis 1717. (825 Nummern.) Pap. 
Beilage z. Anzeiger f. Kunde d, deutsch. Vorzeit. 1886. No. 1. 8p. 28. 


, 
Univerfitäts-Chronit 1866. 


9. Febr. Reglement für den alademiſchen Fechtunterrict. (2 BL 8.) 

1%. „ (Kant? Todestag.) Lubw, Kühnaft, stud. jur., Vortrag: „Erläuterung von 
Kant’3 Deduction der elterlihen Gewalt als eines Rechtsverhältniſſes [Me: 
taphyſ. Anfangsgr. d. Rechtslehre 8.28. 29.7.” 

M. „  Bbilol. Doctorbiff. von Walt. Binäfleisch (aus Pomerendorf): De Pausa- 
niae et Aelii Dionysii lexicis rhetoricis. (115 ©. 8.) 

„Acad, Alb, Regim, MDCCCLXVT. II.“ Index loctionum .. . per astatem (sic) . .. 
a. d. XVI. Aprilis,.. [Prorector Dr. Alb. Wagner Med, et Chir. P. P. O. 
(156. 4.) Präfatus est L Friedlaender de titulo Orelliano 2593, (6.3. 4.) 

Verzeichniss der ... . im Sommer-Halbj. vom 16. Apr. an zu haltend, Vorlesungen 
u. der öffentl, academ. Anstalten. (4 BI. 4.) 

18. März. Medic. Habilitationsihriit von Hugo Hildebrandt, M. D, Art, Obstetr, et 
Gyna:col. P. P. O. D.: De Mechanismo partus capite praevio normali et 
enormi. (34 ©. 4.) 

16. „ Phyſ. Doctorbifl. von Alb, Wangerin (aud Pommern): De annulis Newto- 
nianis, (30 ©. 8. m. 1 Taf.) 

9. „ Programm „Acad, Alb, Regim. MDCCCLXVI. III.“ ad Natalicia Princi- 
pis generosissimi Guilielmi I... . celebranda. Inest Lobeokii dissertatio- 
nis de diis veterum adspectu corporum exanimium uon prohibitis iterum 
editae pars altera. (6.5—18.) 4. 

3. „ Philol. Doctorbiff. v. Henr. Babucke (aus Kasbo .): Dissertationis de Quin- 
tiliani doctrina et studiis capita duo, (48 ©. 8.) 

3. „ Lectionem qua quid ophthalmologia adhuc praestiterit historice enarratur 

.a ... Aem. Bertholdo, med. Dr. ad docendi facultatem rite impe- 
trandam ..... in publico habendam indicit Aug, Müller, med, Dr. P.P,O* 
ord. med. h. t. Prodecanus, & 





Bibliographie 1864. 185 


Bibliographie 1864. 
Bortfegung.) 

Parey, G., Landrat de Marienburg. Kreifes, Der Marienburger Kreis. 1. Theil: Sta: 
tiftit u. Topographie nebit Darftellung der Deich u. Entmäflerungs-Berhältnifie in 
den Werdern und Riederungen der Weichſel u. Rogat. Danzig. Kafemann. (XIV u. 
321 ©. gr. 8.) 1, Xhle. 

Pawiowäti, Lehr. z. St. Albrecht J. N., mnemotechniſche Sigel-Säge, mit Berüdfiht. 
ber Gigelgruppen alphabet. geordnet. Gin Hilfämittel zur leiten, ſchnell. u. fihern 
Einprägung ſammtlicher Sigel Worter u. Sigel Zeichen d. Stolzeſchen Gtenograpbie: 
Danzig. Bertling. (14 S. 8) 3 Sar. 

v. Pelchtzim, E, Brem.Lieut. im 7. Oftpr. Inf-Regim. Nr. 44, Inſtruktion für den 
Gruppenführer im Zerrain. Thorn. Dr. u. Berl. v. C. Dombromeli. (82 ©. 8.) 
Yı2 Wr. 

Peris, Max, Qua via insuffcientia renum symptomata uraemica effciat, Diss. insug. 
Kgsbg. (Schubert & Seidel.) (30 ©. gr. 8,) , Thlt. 

Phillips, Georg. Jac. (aus Elbing), Quid jus oatholioum et protestanticam de impe- 
dimento, quod vocatur deficientis conditionis appositae, explicatur. Diss. inaug. 
Berol. (84 S. 8.) 

Bierfon, Will, Preußiſche Geſchichte. Berl, 865. (864). Stille & van Munden. (IV u. 
626 6. Ler.8. m. 1 chromolith. Karte in gr. Fol.) 2 Thlr. in engl. Ginb. 2"/2 Thlr. 

Poetzschke, Th., Elementa puerorum. Lateinisches Elementarbuch. I. Cursus der 
Sexta, Regelmäßige Formenlehre Kgabg. u. Tilsit. Theile. (VIII u. 1896. gr.8.) 
12/2 Ser. 

Solen-Prozeß. Verhandlungen des Kal. Staats⸗Gerichtshofes 3. Berlin in der Unter 
fudungsfade wider den Grafen Joh. Dziatonsti u. Genofien wegen Hochverraths. 
No.1—4. Eulm. (Berl, 3. Schneider.) hoch 4. & 2 Gar. 

voſtbericht des Konigl. Hofr-Boft-Amtes zu Konigeb. in Pr. Schult ſche Hofbuddr. 
1Bl. gr. Fol. 

Preuss, Dr. Ed, Jo. Guil.-Baieri compendium theologiae positivae secundum editio- 
nem anni 169% denuo accuratissime typis exsoribendum curavit, vitam b. Baieri 
ad indices necessarios adjecit, Berl, Schlawits, (XXXVI u. 712 ©. 8) 1 hl. 

— Gerhard, Loci theologiei (et. Altpr. Monatsfgr. I, 766) Lfg. 3. 4. Ebd, (Tom. I. 
6289-610.) & Ya Zhle. 

— — An den Biſchof v. Paderborn Herrn Dr. Conrad Martin. Eine Grwiderg. auf 
deſſen „bifchöfl. Wort” üb. die Eontroveräpunfte. Cbd. (48 ©. ar. 8.) a Thlr. 

[Breugen.] 

Ballen, Th. Geſetze u. Berorbnungen, betreffend das Vollsſchulweſen in der Bro 
vinz Preußen . . . Theil I. Gnthaltend fämmtl. provinz. Geſebe u. Verord⸗ 
nungen. Brandenburg. Wiefite. (179 ©. gr. 8.) Ya Thle. 


186 Nittheilungen und Anhang. 


Miefe, Aug., Srievrih Wilhelms d. Großen Churfürften Winterfelbzug in Preugen 
u. Samogitien gegen d. Schweden im J. 1678—79. Gin Beitrag 3. brandens 
burg. Kriegsgeſch. Mit 1 Karte d, Ktriegsſchauplates in qu. 4. Berlin. Deder. 
(VEN u. 104 ©. gr. 8.) 22/2 Sor. 

v. Treitſchke, Heinz, b. deutſche Ordensland Preußen. lv. Treitſchke, Heinr., Hifter. 
u. Polit. Aufſate vornehmlich 3. neueſt. deutſch. Geſchichte. Lpz., 865. (B6h) 
Hirzel. &.1—68. ar. 8.1 

1. Programm f. d. deutſch. Handwerlerbund. — IL. Grundzüge ſtaatlich anzuerlermen: 
ber beutfcher Hanbwerläredhte. Gebr. bei Agath. Wernid in Elbing. (4 ©. ar. 8.) 

Prolog u. Epilog geiprod. im Saale des Schüpenhaufes bei d. Feflvorftellung z. 300j. 
Geburtötage Shakeſpeares. (Danz., A. W. Kafemann.) (8 BL. 8.) 

Vrotokoll üb. d. Verhandlungen des ProvinzialHandwerler-Tages zu Elbing, am 5, u. 
6. Sept. 1864. lbing. Gebr. bei Agath. Wernich. (8 ©. ar. 8.) 

Badau, R., Sur la formule baromätrique, Paris, Quesneville. [Extrait du Moniteur 
scientißique. 176. livr. 15, Avril.) 

v. Recklinghausen, Prof. F,, Auserlesene pathologisch-anatamische Beobachtungen. 
[Virchow’s Archiv f, pathol. Anat. ee. 30. Bd, 8. & 4.Hf. S. 880-876.) 

Reglement f. d. Droſchten⸗Fuhrweſen vom 23. Aug. 1864. Agsbg, Gebr. u. zu haben 
bei $. Hartung. (12 ©. 8.) 

Reichardt.] 

Söletterer, 5. M., Jobann Friedrich Reichardt. Sein Leben u. feine Werte 
1. Bo. Augsburg, 865 (864.) Schlofier. (VII u. 662 ©. gr. 8.) 3/5 Thlr. 

Brandt, M. ©. W. Leben der Luiſe Neichardt. Nach Duellen dargeftellt. 2. er- 
weit. Aufl. Bafel, 865. (864) Bahnmaier's Berl. (218 6. 8.) 21 Gyr. in 
engl. Cinb. m. Goldſchn. 1 Thlt. 3 Sar. 

Neidgenen, Rudolf, Aus unſern vier Wänden. Mit 66 Originalzeidmungen von Dkcar 
Bletih. In Holz ausgeführt von Prof. H. Burkner. 1. Abth. Wilder aus dem Kin ⸗ 
derleben. 10. Aufl. Pracht. Ausg. Leipz, 865. (864) Grunow. (TI u. 118 6. 4) 
Gleg. cart. Hg Thlr. 

Neinide, Eonfif-R. u. Superint,, Womit wir dem Konige on feinem @eburtötage hul« 
digen. Predigt, nehalten d. 22. März 1864 vor e. Militair: u. Eivil-Bemeinde in 
d. Oberpfarrtirche zu Et. Marien. Danz. Drud von Com. Gröning. 2% Sar. 

Neuſch, TribunaldR. Dr., Syſtem der Preuß. Allgemeinen Gerihts-Orbnung nad Ges 
ſeß u. Praris dargeftellt. 2. Bd. Heft 4-6. (Schluß.) Außerordentliche Civilpro⸗ 
zeſſe 8.47 bis 52 bearbeitet von Marcinowski, Kreisrichter. Ngöbg. u. Zilft, 865. 
(864.) Theile'3 Buchhblg. (VIIT u. ©. 855629. gr. 8.) & Ya Xlr. 

—— Die norbifchen @ötterfagen einfad erzählt. Mit (eingebe.) Holzſchn. nach Zeich 
nungen v. 2, Pietſch. Berl, 865.(864.) Schindler. (IX u. 189€. 8.) cart. Ys Iplr. 

Miöter, Dr. Arth., Die Phantaſie und ihre Schöpfungen. Eine Stubie zur Piyhologie. 
Magdeburg. Ereug. (89 ©. 8.) I Ahle. 


Bibliographie 1864. 187 


Riehter, Dr. Arth,, Ueber Leben u, Geistesentwickelung des Plotin. Neu-Platonische 
Studien. Halle. Schmidt. (IV u. 86 &. gr. 8.) 23 Thlr. 

Nieble, C., Oberfeuerwerker in d. 1. Artillerie-Brigade, Anleitung zur Abfaffung dienſt⸗ 
licher Schreiben, zum Gebraud) für die Aoancirten der Artillerie bearbeitet. Kasbg. 
865. (864.) (Schul’iche Hofbuher.) (28 ©. ar. 8.) 

Biemer, Kol. Landrath, Die Rinderpeft. Cine foftemat. Darftellung u. Zeutheilung der 
zum Schutze geg. die Seude in Preußen beftehenden Beftimmungen nebft Abande- 
runas · Vorſchlagen u. Bemerkung. üb. Schugvereine u. Verſicherungs- Geſellſchaften. 
Stallupönen. C. Wilujti. (VI u. 108 ©. 8.) 122 Gar. 

(Roepell, ©., 2te3 Flugblatt der Vollswirthſch. Geſellſch. f. Oft: u. Weſtpr., behandelt 
„die deutſchen Eine und Ausgangszölle” (Grenzzollweſ. — Zollverein) hrög. v. Bor: 
fand. Gebr. b. Kafemann in Danzig.) 

B(oepell), No, 8. Dctbt. 1864. Flugblatt... . Stadtiſche Steuern und Kommımal:Bub« 
gets. Chr. (12 ©. ar. 8.) 

Beopell, C., Die Bewegung der neun Preussischen Zettelbanken, in d. J. 1857-63 
einschliessl., tabellarisch dargestellt. Ebd. (39 ©. Ler. 8.) 18 Ser. 

Roegmann, Dr., Mathematiich-Phyficaliihe Studien. Analyſe des phyſiſchen Hebels. 
Fall der Körper in der Luft. Geänberte Alwoodiſche Fallmaſchine. Drudv. C. Peſchle 
in Wehlau. Kasbg. Theile in Comm. (44 ©. 8. m. 1 Gteinbrtaf. in 4.) Ya Thlt. 

Rosenkranz, Karl, Kritik der Prineipien der Strauss’schen Glaubenslehre. (N. Tit,- 
Ausg.) Leipzig, (#44) Brauns, (VI u. 70 6. gr. 8) 12 Sar. 

— — Rameau’s Neffe. [Der Gedanke, 5. Bd. 1. Hft. ©. 1-25] 

— — Rede sur Säcularfeier von Fichte's Geburtstag den 19. Mai 1862 gehalten 
in dem Auditorium maximum der Albertina su Königsberg. [Ebd. 5.Bä, 3. Hft. 
©. 170-187.) 

— — Der deutsche Materialismus und die Theologie. [Zeitschrift f. wissensch. 
Theol, 7. Jahrg. 3. Hft, S. 225—287.) 

Nudloff, Dr. Wilh., Gin Erinnerungsblatt zum Andenten an d. Jubelfeier des 300jähr. 
Geburtötages Shafefpeare'3 am 28. April 1864. Danz. Drud v. Edw. Gröning; 
in Comm. bei Th. Anhuth. (8 ©. gr. 8.) 

Sasmann, Dr. Oscar, zu Kgsbg. in Pr., Amaurose beider Augen durch subeutane 
Injection von Strychnin nitr, geheilt. [Deutsche Klinik, No. 44. 45.) 

— — „Die Wasserdouche‘ der Ohrtrompete, eine nene Verwendung des Politzer- 
schen Verfahrens, [Ebd, 52. 1865. 2, 5.] 

v. Saint:Baul, Kgl. Landr. u. Rittergutsbeſ. Ueber Wiefen-Melioration u. Compofts 
Bereitung. Hrsg. 3. Velten der Kronpringftiftung. [Separatabdrüde aus d. „Land« 
wirthſch. Jahrbuchern“ Jahrg. XIT. 1860. April-, Mai: u. JunisHft. u. Jahrg. XV. 
1868. Mai-Heft.] Kasbg. Drud v. €. I. Dalkowski. @ ©. gr. 8) 5 Ser. 

[Samland.] 

Kante, Ober, A., Das Samland. Bortrag, gehalten im Gvangel, Bereinshaufe 


188 Mittheilungen und Anhang. 


zu Brandenburg a. d. 9. am 19. Januar 186. Programm d. Saldern ſchen 
Realſchule in Brandenburg. S. 1-11. 4] 

Sanio, Dr. Carl, Ueber Verdickung des Holakörpers auf der Markseite bei Tecoma 
radicans, [Botan. Zig. No. 8.] 

— — Ueber endogene Gefässbündelbildung. [Ebd. 27. 3.) 

Eqhade, Dätar, Deutſche Handwerlslieder geſammelt u. brög. Leipzig, 865. (864.) Vogel, 
(va u. 80 ©. 8.) 1 Thl. 

Schaper, Stsanw. zu od, Zur Pindologie des Verdachts u. der Ueberzeugung. [Bolt 
dammer’3 Archiv f. Preuß. Strafredt. Bo. XIL. 6. 441-459.) 

— Oberl, Dr. C, in Insterburg, dann Gymnas,-Dir. in Lyck, Ueber die Entstebungs- 
zeit der Vergilischen Eclogen. [Neue Jahrb. f. Philol, u, Paed. 89, Bd, 9. Hft. 
©. 633—657. 11. Hit, 6. 769 -794.] 

Söeele, Wilh. Vorſchule zu ven lat. Klafjitern. Cine Bufammenftellung v. Lern: u. 
Uebgöftoff f. d. erfte u. d. mittlere Stufe des Unterrichts in d. lat. Sprache. 1. Thl. 
Formenlehre u. Lefeftüde. 10. verb. u. verm. Aufl Clbing. Neumann:Hartmann. 
(XIE u. 188 ©. 8.) 10 Sar. 2, Ipl. Saplehre u. Lefeitüde. 6. verb. Auf. Ebd. 
Cit u. 219 6.) 15 Ser. 

Io. Echenkendorf, Mar.) 

Baur, W., Geſchichts- u. Lebensbilver. Bd. I. Hamburg. Agentur d. rauh. Hauſes. 

Säliep (weil. Reg.:R. u. Commiflar. für d. Dei: u. Vorfluths - Reguliergsweſ. in den 
Niedergen der Weichfel u. Nogat), Darftellung ver Deich u. Entwäflergsanlagen in 
den Werdern u. Niederungen der Weichſel u. Nogat Elbinger u. Marienburger 
Kreifes. [Parey, C., der Marienburger Kreis. 1. Theil. 6. 61—292.] 

(Sehmechel, Caes.), Gin oller Grieche, od. Pech u. Wechſel. Komiſch. Lebensbild mit 
Geſang in 2 Abtheilg. Als Micr. gedr. . . . Thorn, Rathsbchor. (Ernst Lambeck.) 
(31 6. ar. 8) 

Sämidt, Dr, A, Miltons dramatiihe Dichtungen. Eine Borlefung . . . Raab. Wilh. 
Koch. (68 ©. 8) Ya Zhlr. 

Schnaaſe, D., Dialon zu St. Johann in Danzig, Offener Brief an den Paſtor von 
St. Johann in Danzig Hm. Jacob Aug. Herm. Hepner zu feiner 2öjährig. Amt: 
iubelfeier ... . am 17. Rop. 1864. Als Mer. gedr. Danzig, Drud v. R. W. Wendt. 
AB. u 19 €. gr. 8.) 

I@ö&openhauer.] 

Haym, R., Arthur Schopenhauer. [Ubgedr. aus d. 14. Bo. der preuß. Jahrbüc.] 
Berl. ©. Reimer. (118, ©. gr. 8.) Ya Ihr. 

Schreiner, Dr. Aug., Immanuel Kant, der Rönigäberger Weltweiſe. Ein Vollsbüchlein 
für Stadt u. Land. Bei Gelegenheit der Aufftellung der Kant-Statue ald Anben: 
ten gewidmet feiner Baterftabt, wie allen Verehrern u. Freunden des großen Mans 
ned, u, die ihn genauer Tennen zu lernen wünſchen. Kgsba., 864. Drud v. E. Rau: 
tenberg. Im SelbftverL d. Berf. (vn u. 7) ©. gr. 8) 5 Sm. 


Veriediſche Siteratur (1866). 189 


Sehriften d. Kgl. physikal.-ökonom. Gesellsch, zu Königsberg. 5. Jahr, 2 Abtheilgen, 
Kgsbg. In Comm. bei W. Koch. VII, 212 u. 36 ©. gr. 4. m. 4 Taf.) 2 Thlr. 

Ecqhroͤder. — Broden. Bon Dr. Sohröder, luth. Paſtor in Thorn. 2. Mittheilg. (Culm. 
Gebr. bei Wilh. Theod. Lohde.) (16 ©. 8.) 

Iehröter (aus Kgsbg., Prof, in Breslau), Ueber die Bteinersche Fläche 4. Grades, 
(Abgedr. aus d, Monstaber. der Berlin, Akad. v. 26. Nov. 1863.) [Crelle's 
Jonrnal f. d. reine u. angewandte Mathem, 64. Bd. 1. Hft. Berl, &.79—9.] 

Säulg, 3. C. Danzig u. feine Bauwerle in malerifh. Originals-Radirungen. 2. Aufl. 
Danzig." Selbftverl. 

Schultz, Jul, De prosodia satiricorum Romanorum capita II de muta cum liquida et 
de synaloephe. Kgshg, Schubert & Seidel in Comm. (66 ©. gr. 8.) "s Zplr. 
Echulze, Lic. Dr. Ludw., o. Prof. d. Theol. 3. Kgsba., Ueber die Wunder Jeſu Chrifti 
mit Beziehung auf d. Leben Jeſu von Renan. Portrag . . . Kasbg, Gräfe u. 

Unger. (VII u. 62 €. 8.) & 


Periodiſche Literatur (1806). 


„@clefifge Provinzialblätter. Hrög. v. Th.. Delöner.” R. F. 5. Jahrg. Febr. 
(6.65-128.): €. Rtone, Beitrag 3. Geſchichte d. Begründg. d. Gteinbruderei in 
Sdhleſ. Erinnerg. ous d. eigenen Leben. Dr. Th. Bach, Beitr. zur Culturgeſchichte 
Oberſchleſ. Aus Hippel’s handſchr. Nachlaſſe. A. Welpel, d. ehemal. Poſtweſ. 
Säle. Rob. Shüd, Ein Beitr. zu d. Ringwäll, Steinwäll. u. Heidenkirchhofen 
in Schleſ. v. Blacha, ein Wort 3. Sprachreinigung. Chi, Was fehlt d. mei, 
Landgemeind. Echlef. u. wäre doch unſchwer⸗u. zu gr. Gegen berzuftell.? 2) Landl. 
Krantenhäufer. %. Kr., die Feuervſicherg. d. Mi. Leute. Sw., zur Geſch. der Stot. 
Kreuzburg DIE. H. Balm, d. Belagerung v. Schweidniß i. d. 3.1767 u. 58, in 
e. mundaril. poet. Schildtg. Th. Delöner, Fr. Wild. Weigner (Nekrol.) A. M. O. 
d. legte Hinrichtg. e. Verbrecher in d. Stot. Liebau. Stimmen aus u. f.Schlef. 
— Literats u. Runftblatt. — Chronik u. Statiftil. — Brieflaften. — 
Anhang. 


4. Stern-Labladen, d. Bildung des ländl. Arbeiters in den landwirthſch. Fortbildungs · 
ſchulen. [Oftpr. Stg. 28.) 

Die fogen. apoftolifähriftl. Gemeinde in Oftpreng. [Karh. Kirchbl. 11.] 

V. Ortönamen im ehemaligen Pomerellen. [&randenz. Seſell. 25.) 

Die Moodbruchſtrate von Betriden nad Schöndorf. lRgebg. Amtsbl. 8. ef. 4.) 

2. Die Weicfeldämme (Notiz üb. d. Brudiahre — 74 feit 189 —) IWeſtyr. Btg. 66.) 

Statiftifce Nachrichten üb. d. Verkehr auf d Dberlaudiſch. Kanal in den B Jahren 
1861-1865. [MRarienw. Aumtobl. 11.) 


190 Mittheilungen und Anhang. 


Die Grandenzer Kreidgeſchichte (v. Kreisger.Secret. Froͤblich in Graudenz verfat; 
drudfertig.) [@raubenzer Geſell. 33.1 

Verzeichniß der Acceſſionen d. Danz. Gtadtbiblioth. i. 3. 1865. (Dans. 24. Febr. 1866. 
Drud v. A. W. Kafemann. 1 DI, fol.) (umfaßt 187 Nrn., darunter 84 Geſchenke.) 
[Beil 3. Danz. 3tg.-3502.] 

aturforſch. Geſellſch. zu Danzig; ord. Verfamml. 7. Febr. (Dr. 8. Bericht üb. Apo⸗ 
theler Helm's Erperimental:Bortrag üb. Stidftoffverbindgn. im Waſſer, deren Nad- 
weifung u. Bebeutg. f. d. menfchl. @efoh., mit bei. Bez. auf d. Danziger Wafler.) 
IDanz. Stg. 3500.) . . . ord. Verfamml. 17. Jan. (9) (Dr. 8. Ber. üb. Aftronom 
Kayfer'd Vortrag üb. d. Methode der geogr. Längenbeftimmg.) [Ebd. 3518.) 

F Elsing, 7. Marz. Mitthle. aus d. Wermaltgäber, d. J. 1864. — Die Mübtife 
Biblioth., leider nur kummerl. v. d. Commune mit jährl. 168 Thlr. auögeftattet, 
iſt dennoch, thls. durch werthvolle Geſchenke, zu e. ftattl. Sammlg. v. 22000 Bd. 
angewachſ.ʒ um für: dieſelben Raum zu gewinn., ſind wiele 3. Theil werthv. Alterthil- 
mer, Seftgöreliefs x. aus dem Lokale entfernt u. follen, auf d. Rathhauſe aufgeftellt, 
den Stamm e. neuen Sammlg. bilven.“) [Danz. Btg. 3512. cf. 3514.) 

Das Gymnaſial-Inſtitut zu Kauernik. Aus dem Löbauer Kreife. IGraud. Befell, 22.) 

Adolph Menzel's Gemälde: die „Huldigung Sr. Maj. d. Kbnigs Wilhelm Lin Kgsbg.“ 
[Die Diosturen. 1.] 

Das Kal. Große Hospital im Löbenicht zu Kgsbg. [Rgobg. Amtsbl. 7. S.50—55.] 

Börfenorduung f. Kgöbg. i. Pr. d. d. Kgsbg. 27. Apr. 1865; genehmigt d. d. Berl. 
12. Juni 1866. [Ziſchr. f. d. gefammte Holschht, hrön. v. Goldſchmidt u. Laband. 
9. Bd. 2.Hft. Erlang., 1865. 6. 328—331.] 

Mäller-Drdnung f. Kgsbg. i. Pr. u. Memel 1865. IEbd. S. 2884 -881.] 

Börfen- Ordnung f. Memel d. d.„Memel 13. Apr. 1865; genehmigt d. d, Berl. 
12. Juni 1865. IEbd. ©. 831—834.] 

Berein zur Nettung Siffbrüdiger in Mgöbg. Iſte ord. Sikg. 12. März. (Konſul 
Kleyenftüber'3 Bericht üb. d. Stand d. Vereinsangelegenhtn.: jegt 326 Mitgl. mit 
einmal, Beiträg, ca. 1800 Thlr. u. jährl. ca. 540 Thlr.; der hieſige Flottenverein 
bat feinen Kaflenbeftand ca, 440 Thlt. übertoiefen. — Vorſchlag weg. 2 zu begründ. 
Nettgöftationen. — Wahl des definitiv. Vorſtands.) [Kgobg. Hartgfde, Dftye. 
u. Kgsbg. M. Btg. 61] 

Die Ipisten-Anftalt in Naftenburg. [Danz. Amtsbl. 6. cf. Kasbg. Umtsbl. 3. 
Sumbinn. Amtsbl. 6. Marienw. Amtsbl. 8.] 

+ Pr. Stargard 7. März. (Mittpeilgn. üb. d. 1339 erbaute, aber nicht vollend, kath. 
Pfarrkirche u. ihre Schähe.) Weſtpr. Btg. 58.1 

Rektolog des Staatsminift. a. D. Rudolf v. Auerswald (t 15. Jan. 1866.) lUnſere 
Zeit. Misſchr. z. Converſ.Lexil. bräg. v. Mub. Gottſchall. 2. Jahrg. 3. Hft. 
6.229281. ei. Hufe, Ztg. 1179] 


Anzeigen. 191 


2. Ein ernſter Gedenktag für unf. Provinz (. . . der 25. Febr., an welchem ver 60 J. 
(1816) d. command. General u. Milit.»Gouvern. d. Prov. Preußen, Bener. d. Inf. 
Graf Bülow v. Dennewis, Befiger v. Grünhof bei Rgöbg, auf fm. Gute Mew 
Saufen bei Agabg. +.) lWeſtyr. Btg. 48.] 

Berihtigung eines Drudfehl. in Preuß u. Better'3 Preußiſch. Kinderfreund bei dem Le⸗ 
bensabriffe Simon Dachs u. einige fpeciellere Notizen zu demſelben (Storch, vie 
Kirche u. d. Kirchſpiel Judiiten, 1861. ©. 59. 61. 66.) [ORpr. Btg. 48] 

(Retrofog der am 21. Febr. verftorb. Frau Oberpräf. Katharina Eichmann geb. Freiin 
v. Görötter.) [Cho. 48.) 

Ueber die Erziehung 3. Wohlwollen. Herbarts allg. Bädagogit. [Monatsblätt. f. wife 
ſenſch. Pädagog. hrög. v. Biller u. Ballauff 1865. No. 2.) 

Ballaufi, üb. einige neuere Fortbildungen der päbag. Grunbige Herbarts [Ebd. No.4.) 

Ed. Hildebrandt’3 oftind. Landſchaſten: „An den Ufern des Ganges, Benares“, und 
„Sin Abend in ven Tropen.” [Die Dioskuren. 1866. 1.) 

Carl Johann Georg Papendied, (Bioge. Notiz üb. d. am 22. Febr. in Berlin ver- 
ftorb. Abgeoron.) Pr. Lit. Btg. 47; Dany. Itg. 3600; Kasbg. M. Btg. 52] 
Nachruf. lHartgſche Stg. 43.) 

Amiga. Ende Febt. Die neuefte Richtung von Scherres u. e. Bild von Wehrendfen. 
Die Dioskuren. 8.) 


Aufforderung. 

Die Herren Gutöbefiger der Provinz werden hiedurch erfucht, bei tieferen Grabuns 
gen oder Bohrungen von Brunnen Schichten oder Bobryroben von 3 zu 3 Fuß Tiefe 
nehmen zu Iaflen, jede derfelben in Papier einzupaden, mit der Tiefzahl zu verfehen und 
mad) abgefchlofiener Arbeit, mit Lolalnotizen verfehen, der unterzeichneten Gefellichaft, zu 
Händen deö Herrn Dr. Berendt, Königsberg, Katholifche Kirchenſtraße 10, gütigft zu 
fenden zu wollen, um dadurch zur Forderung ber geognoſtiſchen Unterſuchung der Bro: 


vinz Die Konigl. phyſikal. dkonom. Geſellſchaft. 


Anzeigen. 


Woflfeile Bücher aus allen Wiſſenſchaften zu haben bei Ferd. Raabe, Antiquar in 
Kasbs · i. Pr., Altſtadt. Lanagaſſe u. Babergafien-Gde No, 71. Ro. 22. (204 6.8.) 
heol. Bred. Erbanungefgr.— Vhiloſ. — Raturw. — Med. — Mathem. — Bautuzf. — Rriegem. 
— Bädag. Difde Epr. Cacdti. Bolrsfär. Iugdfär. — Geſq. Memolr. Ettiifffh, Litgeis. M- 
teth ac — Preuß. Bei. — Geoge, Ref. u. uber, — Marten. — Sabne Tijiigaft, — 
WEuft. Gefang. — Karten, u. Breitfpiele. — Romane. Dramat. Epiele. — Tafgens. — Ralmder. 
— Ulberfgg. — Yurläpr. — Deton. Gewerbe. Hblgt- u. Borfw. Tequel. — Kranz. — Engl — 
Sal. — Span. u. Portug. — Eger, Din. u. Holänd. — Mufttelien.] 


192 Anzeigen. 


Antiquarischer Anzeiger der Theod, Bertling’schen Buch- und Antignar-Handlung in 
Dausig. No, 7. Januar 1866, (8 ©. 4.) [Inh.: Belletristik, — Theol, u. Philos. — 
Neuere Spr. — Gesch, Geogr. Reisen. — Gedanensis. — Mathem. u, Astron.— 
Musik. — Vermischte Werke.] 


Im Verlage der Yartumg’fhen Fuchdruckerei zu Königsberg in Pr. 
find zu haben: 

Beiträge zur Stunde Preußens 7 Bände a 6 Hefte. Herabgefebter Preis für alle 
Bände zufammen 3 Thlr. 15 Sgr. 

Burſchenfeier am 18. Juni 1818 auf der Höhe des Galtgarbens. 8. Geh. 6 ar. 

David, M. Lucas, Preuß. Ehronit, herausgeg. von Dr. Hennig und beendigt von 
Profeſſor Schüg. 8 Bände in 4. 8 Thlr. 

Erinnerungdbud;, alademiſches, für die, welche in den Jahren 1787 bis 1817 die 
Konigsberger Untverfität bezogen haben. 1825. 8. Geh. 10 Sar. 

— — für die, welche in den Jahren 1817 bis 1844 die Königsberger Univerfität 
bezogen haben. Herausgegeben bei Gelegenheit der dritten Gätularfeier der \ 
Univerfität. 184. 8. Geh. 20 Sur. 

Gebauer, Dr. ph. Karl Emil, neuer Wegweifer durch Samland. Gin Wanderbuch 
für Beſucher des Samlandes und für Babegäfte, 4. völlig umgearbeitete und mit 
einer Wanderkarte verfchene Aufl. 1861. 12. in Gallico geb. 15 Sar. 

Hennig, chronologiſche Weberficht der denfoftrbigften Begebenheiten, Todesfälle und 
milden Stiftungen in Preußen, vorzüglich in Konigsberg, im 18. Jahrhundert. 
Fortfegung bis zum Jahre 1827 vom Guperintendenten Schröder in Goldapp. 
8. Geh. 20 Gar. J 

Philipp Melauchthon'd Briefe an Albrecht, Herzog von Preußen. Herausgegeben 
von Karl Faber, Königl. Geheim. Archivar. 1817. 8. Geh. 10. Sar. 

Einige Radriten vom Kriegs: Denkmal auf dem Galtgarbberge. 1840. 11. 8. 
Geh. 5 Ser. 

Reuſch, R. Sagen des Preußifhen Samlandes. 2. völlig umgearbeitete Auflage. 
Herauögegeben von dem literariſchen Ktanzchen zu Konigsberg. 1868. 8. 
Geh. 12%]2 Sat. 

Mister, Beiträge zur Kunde Preußens. Neue Folge. 1. Band. 1 Xhlr. 10 Sar. 

@älstt, Adolf, Regierungsrath. Topographiſchſtatiſtiſche Ueberſicht des Regie 
rungsbesirts Königsberg nad) amtlichen Quellen. 1861. 4. 2 Xhlr. 

Witt, Auguft, Die Ueberſchwemmung der Weichſel. und der Nogat-Riederungen 
in der Provinz Preußen im Jahre 1855. Geh. 10 Sar. 


—— 


Bie Schaufpielkunft bis anf Jeſſing 
Bon 
Dr. E. Gervais.*) 


Tür den Griechen beftand bie dramatiſche Kunft nur im Verbande 
von dichteriſcher Schöpfung und theatraliſcher Aufführung. Bei uns ift 
die Trennung von beiden fo weit gebiehen, daß wir bramatifche Dichtun 
gen zu Kunſtwerken erſter Größe zählen, bie gar nicht für die Bühnenanf- 
führung beftimmt find, andre wieberum nicht lefen, nur fehen mögen, um 
einen Genuß davon zu Haben. Weberhaupt gehen dramatiſche Dichtung 
und Schaufpiellunft nicht mehr Hand in Hand; jene wird von ben Meiften 
hochgefhägt, während nur wenige biefer eine Hochachtung, wie fie bie 
Kunft gebietet, zollen. Die Menge finbet nur im biefer ein Ergögen, ohne 
auf den Werth deſſen zu achten, was fie barftellt. Kurz die Büßne, bie 
Schaufpiellunft Haben eine gefonberte Stellung, bie den Alten fremd war. 
Unter denen, welche letztre Kunft gering fchägen, hat es an Grüblern nicht 
gefehlt, die in ihr den Mangel jedes künftlerifchen Bedingniſſes nachzuwei⸗ 
fen verfucht, und nicht bloß den verachteten Stand ber Schanipieler im 
mobernen Europa, ſondern auch ben ber SHaven oder Breigelafienen bei 
den Römern, ja bie untergeorbnete Stellung bei Ausübung und Erlernung 
der techniſchen Bertigfeiten bei den Griechen als Beweis für ihre Behanps 
tung geltend gemacht. So leugnete noch in meufter Zeit ein über das 


=) Radhſtehende Abhandlung ift ein Abſchnitt and einem größern Werke: „Das 
deutfhe Drama und die deutiche Bühne von den älteften Zeiten bis auf 
die Gegenwart,” deſſen 1.Band mit Leſſing abſchlleßt. Gie dürfte auch für fich ver⸗ 
Ränplich u. von Intereſſe fein. . 
Up, Wenstöigeift Bi. IL Oft 8 13 


194 Die Shaufptelkunft bis auf Leſſing 


Schauſpielweſen wohlunterrichteter Exchriftfteller,«) daß die Schaufpielfunft 
der Alten zu den freien und fchönen Künften gezählt worben fei, ba ber 
angehende Schaufpieler genöthigt war, ſich nicht bloß einem belehrenden 
Unterrichte, fondern noch mancher Beichränfung feiner Perfönlichkeit zu 
fügen. „Der Schaufpieler, der nicht vor zurädgelegtem 3Often Jahre auf 
dem öffentlichen Theater erſcheinen durfte, brauchte eine lange Vorberei⸗ 
tang und Einübung, um in den Befig aller jener Fertigkeiten zu kommen, 
welche fein @efchäft erforderte, und die theils in Declamation, theils in 
Altion beftanden. Zahlreiche Beweiſe zeigen, daß in alter Zeit Declama- 
tion und Geſtikulation einzig und allein mechaniſch erlernte Fähigkeiten 
waren, und ein Künftlerifches durchaus nicht aufzufinden war.” — Ebenfo 
fengnet er, daß es jegt eine Schauſpielkunſt gebe, ja überhaupt eine geben 
tönne, da ihr Selbſterſchaffen und Freiheit abgehe. 

Die Beweife find in Bezug auf die Griechen ebenfo viel Entftellun- 
gen ber hiſtoriſchen als der Fänftlerifchen Wahrheit. Zur Blütezeit ber 
dramatijchen Kunft war der Dichter zugleich der Darfteller, wie ſchon von 
Ueſchhlus bekannt if, und von Sophocles, ber nur durch eim zu ſchwaches 
Organ von ber Recitation abgehalten, in feiner Tamyris in den Steffen, 
wo er fein vollenbetes Citherſpiel und eine ergreifende Situation zeigen 
konnte, die Titelrolle und in feinem vielleicht fatyriihen Drama Naufllan 
bieſe felber ober eine ihrer Mägde fpielte, um feine Geſchicklichkeit in der 
Orcheſtik zu beweifen. So gab es in dem ganzen Umfange ber Schanfpiel- 
kunſt, die allerdings viele unb große Fertigleiten erforderte, Nichte, was 
den Breieften nnd Angefehenften in einem Staate, der Sophocles fogar 
unter bie zehn Feldherren ernannte, entehrte. Denn ben Griechen war 
keine Geſchicklichkeit verächtlich, die ihnen ein reines Vergnügen und Afthe 
tiſchen Gennß bereitete.=«) Daß ber Schaufpieler in großem, ja mitunter 
ſelbſt zu großem Anfehn ftand, iſt eine von dem glaubwilrbigften Eihrift- 
ſtellern beftätigte Thatſache. Anders in Rom. Hier war ſchon ber Zu 

ſtand der dramatiſchen Dichtkuaſt ein bebanernswärbiger. Es gefiel nur 





*) Hebenftreit, das Schaufpielwefen. Wien 1848. 
=) 6. Lelfings Leben des Sophocles. Werte. Thl. VI. ©.282 ff, Rote K. 
6. 34-368. . 


von Dr. C Gervals, iss 


das, was dem Auge und der Sinnlichkeit ſchmeichelte; ber übertriebenfie 
urus ging mit der immermehr überhanpnehmenden Verſchlechterung der 
Sitten und dem Verberbniffe des guten Geſchmads Hand in Hand. Die 
Geringfhägung des Schaufpielers, der in jemer Zeit, wo bie dramatifche 
Kunft bei den Römern zur Erhöhung des Luxus diente, leider zur Beftie⸗ 
digung ber beliebteſten Genüffe ſich bereitwillig hingab, iſt daher leicht bes 
greiflich. Auch die dramatiſche Dichtkunſt blieb Nicht-Römern und Frei⸗ 
gelaſſenen als eine geringgeachtete Beſchäftigung überlaſſen. Was folgt aus 
fo verſchiedener Schätzung der Kunſt und der Künſtler? Doch wol nur, 
daß bei den Griechen bie Kunft zu ungleich höherer Vollendung gelangen 
mußte, was wie bie Hochſchätung berfelen aus bem Naturell des Volles 
ſelber Hervorging.”) 

Bei den modernen Völkern Hat fi die Dichtkunſt meiftens als der 
Ausfluß der Höchftbegabteften Geifter offenbart und darum in ber Höhe 
der Werthachtung erhalten, wenn auch denen, welche in ihr zur wahren 
Vollendung gelangten, oft erft die Nachwelt gerechte Würbigung, Ehre und” 
Ehrendentmäler zu Theil werben ließ. Die Kunft wie der Stand ber 
Schauſpieler waren: und find nach fubjectiven Anfichten oder nad indie 
viduellen Leiftungen höher oder geringer geachtet. Alles dies fteht hiſto⸗ 
riſch feſt. Statt vieler Autoritäten, die gegen dieſe Kunſt geeifert, führe 
ih nur Rouſſeau an, ber zwar das Genie des Schanfpielers nicht beftrel- 
tet, aber meint, daß in demfelben etwas SHavifches und Niedriges liege, 
und daß ber Schaufpieler turch feinen Stand eine Vermiſchung von Ne 
drigkeit, Falſchheit, Tächerlichem Stolze und Herabtofirbigung in feiner Seele 
empfange, wodurch er zur Darftellung aller Berfonen fähig werde, ausger 
nommen ber ebelften Berfon, des wahren Menfchen, aus dem er her⸗ 
austrete. Er behauptet: „die Schauſpieler müßten tugendhafter fein als 
alle anbere Menſchen, wenn fle nicht verberbter fein wollten.” Der phan ⸗ 
taftifche Idealiſt konnte von Niemand beffer widerlegt werben, als von 
dem rationalen d'Alembert. nn 

Bevor wir aber von ber Einwirkung feiner Kunſt anf ben Chäratet, 


*) Bergl. die Widerlegung Hebenftreits in den Wiener Jahrbüchern. Bd, 19, 
S.242 fi. von Deinharbftein, der wir im Folgenden noch manches enfiehnett Yberben. 
13° 


196 Die Sqhauſpleltunſt bis auf Leſſing 


des Schauſpielers reben, laſſen Sie uns das Wefen jener ſelbſt betrachten. 
Aus der Unterorbnung unter bie Dichtkunſt den Mangel an Gelbftän- 
digleit ber Schauſpiellunſt zu beweiſen, ift ein oft verſuchtes, aber wicht 
probehaltiges Experiment, ihrer Würde und Bebentfamteit entgegen zu tre⸗ 
ten. Im jeber Kunft ift das Höchſte und Eigentlichfte ihrer Wirkung das 
Voetiſche. Danach als letztem Zwede fireben alle fhönen Känfte, und nur 
die Mittel zur Erreichung find verſchieden. Die Bildhauerkunſt fucht bie 
poetifche Ioee durch Formung bes Stoffes anſchaulich zu machen, fie if 
eine Poefie in Stein, wie die Tonkunft in Tönen, die Malerei in Farben, 
die Dichtkunft in Worten, die Schauſpiellunſt in Declamation und Gefti- 
tulation. Die legtere ift dem Poetiſchen ebenfo untergeorbnet, als bie 
Dichtkunſt. Sie geht vemfelben Ziele zu, nur auf einem andern Wege. 
Im einer Art der Dichtkunft, der bramatifchen, verbindet fie ſich mit ihr. 
Ledtere konnte ohne diefelbe bei dem kunſtgebildetſten Volle der Welt, deu 
Griechen, gar nicht beftehen, da die Aufgabe der Tragödie in ſchöner Si⸗ 
tuation beſtand, und bie Darflellung biefer durch alle vie ſchwer zu er⸗ 
leruenden Sertigleiten des Gchlanfpielers zu bewerkſtelligen war. Nicht 
bloß die Aneführung des Chors, fondern auch das, was ber Dichter in 
ber Partie der .erften, zweiten und dritten Rolle mehr angebentet als nach 
Art der Neuern allfeitig im Charakter jeder Rolle in Worte gefaßt Hatte, 
fiel ver Kunft der Epieler zu. Man Hat uoch lange nicht genägenb bei 
den alten Tragitern und Komilern darauf geachtet, wie fie abwechſelnd 
bald bie Situation bis zur Erſchöpfung in dem Dialoge ansmalen, bald 
wieder karg im Ansorude find, ja wie im Philoktet, im Aaz n. a. m. 
mur in leidenſchaftevollen Lauten die Handlung begleiten, ‘ober wie fo 
Häufig in ihren Komödien Ariftophanes, Plautus und Zerenz nur ein ober 
ein paar abgeriffene Worte Hinmwerfen, die nicht felten das Gegentheil der 
Handlung erfordern, kurz fo Vieles, und zuweilen Alles, allein der Action 
anheimgeben. So reichte Hier eine Kunft ber andern bie Band; ber 
Dechſel, wo eine bie andre ablöfte, zeigte vom ebenſoviel Cinficht bes 
Dichters in bie eine wie in bie andre Kuuf, bie er beibe auszuüben be- 
ſahigt fein mußte. Auch der Schauſpieler, der nicht Dichter war, biefen 
nicht zur Seite Hatte, mußte mit feiner Qunſt die des lehtern aufzufaflen 
und zu ergänzen verfichen. 


von Dr. &. Garne. 197 


Doch was brauchen wir bis zu den Alten zurüdiugehent uch 
Epatefprare's Gtäde find allein für bie Aufführung gefärieben; feine Zeit 
tannte noch bie Unnatur nicht, das, was draſtiſch ver unſere Augen tre- 
ten ſollte, bloß für Refer anszumalen, Bei der Lectäre feiner Dramen 
fällt die Ungleichheit auf, daß er, der, wie Wieland fagt,>) „unter allen 
Dichtern feit Homer die Menfchen vom Könige bis zum Bettler, vom 
gulius Caeſar bis zum John Falftaff am beften gelaunt und mit einer 
Art von unbegreiflicder Intuition durch und durch gefehen hat,” mitunter 
nur trodene Unriſſe, ſchroffe Zeichnungen und grelle Symmetrie der Eha- 
raltere und Situationen giebt. Bei der Darfiellung machen biefe 
Gfiygirungen gerabe bie lebendigſte Wirkung, und gehen durch gute Dar⸗ 
ſtellung gauz und völlig in wirlſamſte Kunft über. Andererſeits feſſeln 
beim Leſen einzelne Ausführungen Kopf und Herz dermaßen, daß wir bei 
ihnen fort unb fort verweilen, feine reiche Weltkenntniß beiounbern, feine 
maonnigfaltige Weisheit durchdenlen, feine zart ausgemalten Empfindungen 
ange nachempfinden möchten. Der fortfchreitende Gang feiner darge 
ſtellten Dramen, wie er dem poetiſchen Gerippe mancher Geſtalten Fleiſch 
und Leben, ven Gharakteren Mantigfaltigfeit, der ffigenhaften Ganblang 
bie erforberliche Ausführung giebt, fo hindert er unfer Ausruhen auf dem 
Einzelnen, das doch wieder zw lebendig ift, mm verloren zu gehen, hilſt 
uns über alles Kopfbrechen und Nachgräbeln hinweg, befriedigt unſre Eine 
bilbungskraft ohne fie abzufpannen. Kurz die Dichtkunſt und Schauſpiel⸗ 
kunſt, die ja auch Shalefpenre beide im ſich noch vereinte, treten bet ihm 
Hand in Hand, jebe die andre ehrend und das Yhrige jeber überlaffend 
in BWirtfamfeit gleich berechtigt auf. Dies war eine der vielen Einſichten, 
die Leffing dem großen Briten verbankte, und bie vor ihm fein deutſcher 
Bühnenbichter an ben Tag legte. 

Daß bie Gebilde der Schaufpieltunft ſchneller als die andern ſchönen 
Künfte an und vorübergehen, barf uns nicht Geringfhägung deſſen er» 
weden, was, fo lange es beftand, uns mit Theilnahme und Eutzädin er 
fühlte. Bet keinem Kunſtwerke kommt es barauf an, wie lange es beflcht, 
fonbern nur, wie es beſchaffen iſt. Der Bildhauer und ber Maler bie 


*) 6. Ygathon. Bo. IT. 6.198, 


196 Die Saarlviclenſt bis auf Seffng 


des Schanfpielers reden, laſſen Sie uns das Weſen jener ſelbſt betrachten. 
Aus der Unterordnung unter die Dichtlunft ben Mangel an Gelöftän- 
bigfeit ber Schauſpieltunſt zu beweiſen, iſt ein oft verfuchtes, aber nicht 
probehaltiges Experiment, ihrer Wurde und Bedeutſamkeit entgegen zu trer 
ten. Im jeber Kunſt iſt das Höchſte und Eigentlicäfte ihrer Wirkung das 
Voetiſche. Danach als letztem Zwede fireben alle ſchönen Känfte, und uur 
die Mittel zur Erreichung find verſchieden. Die Bildhauerkunſt fucht bie 
poetifche Ipee durch Formung des Stoffes anfchaulich zu machen, fie iſt 
eine Poefle in Stein, wie die Tonkanft in Tönen, bie Malerei in Farben, 
die Dichtlunſt in Worten, die Schauſpiellunſt in Declamation und Gefti- 
tulation. Die letztere ift dem Poetiſchen ebenfo untergeorbnet, als bie 
Dichtkunſt. Sie geht demſelben Ziele zu, nur auf einem andern Wege. 
Im einer Art der Dichtkunſt, der dramatifchen, verbindet fie ſich mit ihr. 
Letztere konnte ohne biefelbe bei dem Tunftgebilvetften Wolle ver Welt, ven 
Griechen, gar nicht beftehen, da bie Aufgabe der Tragödie in ſchöner Si⸗ 
tuatton beſtand, und bie Darftellung biefer durch alle bie ſchwer zu ere 
lernenden Fertigleiten des Schlanfpielers zu bewerfitelligen war. Nicht 
bloß die Ansführung des Chors, fondern auch das, was ber Dichter in 
ter Partie der .erften, zweiten und dritten Rolle mehr angebentet als nach 
Urt der Nenern altfeitig im Charakter jeder Rolle in Worte gefaßt Hatte, 
fiel der Kunft der Epieler zu. Man Hat noch lange nicht genügend bei 
ven alten Tragikern und Komilern daranf geachtet, wie fie abwechfelnd 
bald die Situation bis zur Erſchöpfung in dem Dialoge ansmalen, balb 
wieder karg im Ansbrude find, ja wie im Philoktet, im ar n. a. m. 
nur in leidenſchaftevollen Lauten die Handlung begleiten, ober wie fo 
Häufig in ihren Komdbien Ariftophanes, Plantus und Zerenz nur ein ober 
ein paar abgeriffene Worte hinwerfen, die nicht felten das Gegentheil der 
Handlung erfordern, kurz fo Vieles, und zuweilen Alles, allein ber Action 
anheimgeben. So reichte bier eine Kunſt der andern bie Hand; ber 
Bedfel, wo eine die andre ablöfte, zeigte vom ebenſoviel Einficht des 
Dichters in die eine wie im bie anbre Kunfl, bie er beide anszuüben be 
ſahigt fein mußte. Auch der Schauſpieler, der nicht Dichter war, biefen 
nicht zur Seite Hatte, mufte mit feiner Kunft bie bes lehtern anfzufaflen 
und zu ergänzen verfichen, 


von Dr. &. Gerveis. 197 


Doch was brauchen wir bis zu den Mlten zurüdingehen! Anch 
Shaleſpeare's Stüde find allein für die Aufführung gefchrieben; feine Zeit 
kannte noch bie Unnatur nicht, das, was braftifch ver unfere Augen tres 
ten follte, bloß für Lefer anszumalen. Bei der Lectüre feiner Dramen 
fallt die Ungleichheit anf, daß er, der, wie Wieland fagt,>) „unter allen 
Dichtern feit Homer die Menſchen vom Könige bis zum Bettler, von 
gulins Eaefar bis zum John Falftaff am beften gelaunt und mit einer 
Art von unbegreiflicher Intuition durch und durch gefehen hat,” mitunter 
nur trodene Umriſſe, ſchroffe Zeichnungen und grelle Symmetrie der Eha- 
raftere und Situationen giebt. Bei der Darftellung machen biefe 
Gfyjirungen gerabe bie Iebenbigfte Wirkung, und gehen durch gute Date 
ſtellung ganz und völlig in wirffamfte Kunft über. Andererſeits fefjele 
beim Lefen einzelne Ausführungen Kopf und Herz dermaßen, daß wir bei 
ihnen fort und fort verweilen, feine reiche Weltlenutniß bewundern, feine 
mannigfaltige Weisheit burchbenten, feine zart ansgemalten Empfindungen 
Lange nachempfinden möchten. Der fortfcreitende Gang feiner darge 
ſtellten Dramen, wie er dem poetifchen Gerippe mancher Geſtalten Fleiſch 
und Leben, ven Charakteren Mannigfaltigfeit, der ſtizzenhaften Handlung 
bie erforderliche Ausführung giebt, fo hindert er unſer Ausruhen auf dem 
Einzelnen, das doch wieber zu lebendig ift, um verloren zu gehen, hilſt 
uns über alles Kopfbrecden und Nachgräbeln hinweg, befriebigt unfre Ein 
bilbungskraft ohne fie abzuſpannen. Kurz bie Dichtkunſt und Schauſpiel⸗ 
tanft, die ja andy Shafefpeare beide im ſich noch vereinte, treten bei ihm 
Hand in Hand, jebe die andre ehrend und das Ihrige jeber überlaflend 
in Wirkſambkeit gleich berechtigt auf. Dies war eine ber vielen Einfidhten, 
die Leffing dem großen Briten verbante, umb bie vor ihm fein deutſcher 
Buhnendichter an ben Tag legte. 

Daß bie Gebilde ber Schaufpiellunft ſchneller als die andern ſchönen 
KHünfte an uns vorübergehen, darf uns nicht Geringichägung beffen er» 
weden, was, fo lange es beftanb, uns mit Theilnahme unb Eutzüden er 
füllte. Bei leinem Kunſtwerke kommt es darauf an, wie lange es befücht, 
fondern nur, wie es befchaffen ift. Der Bildhauer und ber Maler bie 


®) 6. Ygathon. Bo. 11. 6.192, 


198 Die Saufpiltung ba auf efinz 


den: dieſelben Künftler, ob ihre Werke im nächften Augenblide nach ihrer 
Entftehung vernichtet werben ober nicht. Wie viele derfelben gehen an 
nnſern Blicken vorüber, wie das Spiel der Bühne, ohne wie dieſes einen 
andern Genuß als ben der lebendigſten Rüderinnerung zurädgulafien. Die 
Wirkung jeder Kunſt ift Harmonie ber Gebanfen und Empfindungen, bie fie 
durch gewiſſe äußere Mittel, fei's Stein, Farbe, Ton, Wort vor unfre 
Sinne, und durch biefe vor bie Seele bringt: bie Erreihung biefec Wir- 
kung tpeilt bie Schaufpiellunft mit ben Übrigen. Ober empfinden wir 
bei der gelungenen Leiſtung des Schaufpielers jene künftlerifche Wirkung 
nicht? Werben wir von ihm minder erhoben als von dem gelungenen 
Werke des Malere, bes Tonfehers, des Bildhauers, des Dichters? Wie 
biefe bringt er eine in uns vorbem nicht beftandene, und bamit eine wirl⸗ 
liche Harmonie der Empfindungen und Gebanten hervor. Er erſchafft das 
Wahre durch Ilufion, und Sufion verlangen alle Künfte von uns, wenn 
fie auf und Eindrud machen follen.“) Die Würben, die der Dühnen- 
Linſtler darſtellt, befleiven ihn nicht wirklich, er tödtet ſich und anbre zum 
Schein, fühlt eine glüdliche oder unglüdliche Liebe nicht felber, Jugend 
and Alter hat ihm nur die Schminke verliehen. Und dennoch fühlen wir, 
fehen wir, beiwundern wir alles, wie Wahrheit, die höchſte Wahrheit, das 
Seal bes Wahrheit! 

Wenn Rrittler jagen: was ber Schaufpieler wirke, fei fein Qunſtwerl, 
fonbern nichts ale ein Körperipiel, fo Tönnte man ebenfogut fagen: bie 
Molerei ift ein Farbenſpiel oder die Tonkunſt ein Tonfpiel. Und man 


*) Bemond de Sainte Albine in feinem Werte le Comedien Paris 1747 ftellt 
die HMufion des Schauſpielers noch über die des Malers. S. hier, was Leffing aus ihm 
Berk.iv. ©. 176 alfo überfegt: „Umfonft rühmt fi die Malerei, daß fie die Leinwand 
belebe; es kommen aus ihren Händen nichts als unbelebte Werke. Die dramatiſche 
Dichtkunft hingegen giebt den Wefen, welche fie fhafft, Gedanten und Empfindungen, ja 
Nogar vermittel des theatraliſchen Spiels Sprache und Bewegung. Die Malerei verführt 
Ne Augen allein, dic Zauberei der Bühne feflelt die Augen, das Gehör, den Geift und 
das Herz. Der Maler flellt die Begebenheiten nur vor, der Echaufpieler laßt fie auf 
gewiſſe Welfe noch einmal geſchehen. Seine Kımft ift daher eine won denjenigen, welchen 
«8 am meiften zulommt, uns ein volftändiges Bergrügen zu verichaffen. Bei den übri- 

Künften, welche die Natur nachahmen, muß unfere Einbildungskraft ihrem Uuver 
— faſt immer nachhelfen. Nur die Kunſt des Schauſpielers bedarf dieſer — 

— Leſſing in einem Briefe an Mendelsſohn weiſt die Illuſion aus der dramatis 

Io Voeſie in die Scaufpiellunft. S. Werte XII. ©. 69. 


von Dr. &, Gewais. 188 


hätte in der Beziehung Recht, daß alle dieſe Künfte durch bie leichte, 
fpielende Weife ihrer Probuctionen dem ernften Geſchäfte der Wiſſenſchaft 
gegenüber ftehen, und in ber Beziehung Unrecht, wenn man wegen ber 
leisten Art der Hervorbringung auf bie Bebentenheit des Hervorgebrach ⸗ 
ten leine Rüdficht nehmen und damit der Würde jeber ſchönen Kunſt zu 
Leibe gehen wollte. Daß Lente ohne fonflige Geiftesbegabung oder ohne 
höhere Bildung ein angebornes Talent der Nahahmung, eine ungewöhn- 
liche Leichtigkeit im Spiel der Geelenträfte mit Anwenbung auf bramatifche 
Dichterwerle befigen, und faft gar feines Studiums bebürfen, ift nicht 
allein bei ber Schaufpielkunft, fonbern bei jeber ſchönen Kunft ber Fall. 
Denn in jeder Kunftleiftung bleibt dae Höchſte und Schöpferiſche das, 
was nicht gelehrt und gelernt werben kann. Der Schaufpieler wird, wenn 
ihn nicht die Natur dazu gemacht Hat, bei allem Fleiße, bei aller Kennt 
niß der mechaniſchen Erforbernifie feiner Kunft immerbar bie Wirfung ver 
fehlen, die eine kunſtleriſche Illuſion in den Zuſchauern hervorruft, Die 
Natur muß den Schaufpieler entwerfen, die Kunft muß ihn vollends aus 
bilden. Auch die fogenannten Verſtandeskünſtler, die doch nicht- in ber 
erften Reihe glänzen, weil ihnen bie eigentliche Hauptſache fehlt, haben 
außer dem Fleiße und dem firengen Stubium eine geiftige Richtung non 
"per Natur erhalten, ohne welche fie nicht auf das Prädikat Künſtler Ans 
ſpruch machen könnten. 

Wenn anbererfeits vom Schaufpieler die vielen mechanifchen Fertig⸗ 
Teiten ein längeres Vorſtudium erfordern, das je nad; bem höhern ober 
niedrern Standpunkte, auf welchem Tragödie und Komödie zu einer Zeit 
ober bei einem Bolfe fliehen, leichter oder ſchwerer fein, wenig oder viel 
Geltung haben wird, jo beweift dies — mas? — Doch wol nur, daß ges 
bildetere Zeiten ober gebilvetere Völler basjenige, was rohere nicht ber 
Mühe werth achten, ober wofür fie nicht Sinn und Geſchmad befigen, 
für unerläßlic anfehen, damit der Genuß am Schanfpiele ein ihrem feinern 
Sinne, ihrem äfthetifchen Geichmade genügender werde. Dann hat wie⸗ 
derum bie Schauſpiellunſt mit andern Künſten gemein, daß fie einer 
ſchwierigen Technik zur Ausübung ihres ſchöpferiſchen Wirlens bedarf. 

Ebenſo theilt der Schaufpieler mit allen Künftlern, daß er vom Bei- 
falle des Publikums abhängig iſt. Einem ungebilveten ober irregeleiteten 


200 Die Schauſpieltunſt bis auf Leffing 


Publikum gefallen Ohren kitzelnde Melodien mehr als Compofitionen, bie 
zur Eeele fprechen, Genrebilber mehr als Darftellung hiſtoriſcher Stoffe, 
Voſſen mehr ale klaſſiſche Werke. Verlieren aber deshalb Tonſetzer, Maler, 
Dichter ihren Werth? Oder iſt der Schauſpieler mehr gezwungen, dem 
verderbten Geſchmack zu huldigen? Hat er nicht wie jeder Künſtler bie 
Freiheit des ehrlichen Mannes, eher feiner Kunſt zu entſagen als fie un 
wärbig anszuäben? 

So ſtellt die kritiſche Beweisführung Heraus, daß es eine Schau⸗ 
fpielfunft gebe, und daß ber, welcher mit Anlagen dazu geboren, fie mit 
ganzer Potenz übt, ein Künftler fei, welcher gleich jebem anbern Künſtler 
unfere Hochachtung und Bewunderung verbiene. Daran änbert nichts ber 
hiſtoriſche Nachweis, daß die Kunft wie bie Perſon bes Schanfpielers fehr 
verfchiedener Würdigung unterworfen geweſen, baß ber Schaufpielerftand 
in bürgerlicher Geltung meiftens weiter Hinter dem anderer Künftler zu- 
rüdgefegt worden ifl. Im Einem nur treffen bie Urtheile ber Kritif und ber 
Geſchichte zufammen, baß bei dem gebifbetften Volle ber Griechen die 
vielfeitigfte Entwidlung der Kunft mit ber perfänlichen Hochſchätzung bes 
Künftlers zufommentrafen. Darans darf wol mit Recht der Schluß gezo- 
gen werben, daß bie Kunft nur da emporbläht, wo ber Künftler in allger 
meiner Achtung fieht. Denn mie fehr and das Genie die hemmenben 
Schranten bes Borurtheils durchbrechen, über bie comventionellen Stanbes- 
Begriffe ſich hinweg fegen mag; wie fehr fein Beiſpiel auch andere zu 
gleichen Eutſchluſſe ermuthigen Tann: er Hat ber Kunft ein Opfer gebracht, 
ohne dadurch fie felbft aus den Feſſeln bes Zeitalter zu einer freien, ben 
andern gleichgeachteten zu machen. Wir ehren feinen Muth, wir beivuns 
dern feine Leiftungen, aber er gehört einem Stanbe an, ber nach wie vor 
durch die Geringfchägung der Welt ein gebrädtes Dafein behält. Nur 
die Öffentfiche Meinung, die Umgeftaltung der bürgerlichen und geſellſchaft⸗ 
lichen Verfättniffe, die Belämpfung falſcher Vorurtheile, vornehmlich bie 
ſittliche Erhebung des verachteten Standes felbft Tann bie freie Schau 
fpieltunft, wie fie einft zu Athen blühte, ins Leben rufen. 

Die Mängel der wirklichen Welt, foweit fie der Kunft Eintrag thun, 
aufgubeden und zu rügen, iſt eine Pflicht ver Kriti, Doch nur ber 


von Dr. C. Gewais. 201 


Kunft felber die Wege zu zeigen, die fie einſchlagen muß, um zum Ziele 
zu gelangen, ift ihre Aufgabe — 

Wir haben bisher a posteriori aus ber Wirkung auf das Borkan- 
denſein einer Schaufpieltunft geſchloſſen, bie durch Declamation und Gefti- 
Ynlation das Poetiſche vermittle, worin alle Künfte ihren gemeinfamen 
ausdruck finden. A priori ließe ſich nur die Wirkung, welche die Echaue 
fpieltunft hervorbringt, ans ihr ſelbſt beftimmen, wenn Gefege und Regeln 
vorhanden wären, deren Befolgung das Künftierifche, wie wir es erfannt 
haben, nothwendig zur Folge Hätten. Doch wir Haben ſchon bemerkt, daß 
das Beſte und Schöpferiiche, was erft eine Produktion zur Kunft erhebt, 
fich nicht lehren und lernen laſſe. Selbſt der mechaniſche Theil, der darch 
Fleiß und Studinm zu erringen wäre, hat, nach Geſchmack und Bilbung 
der Bölfer unb Zeiten, ſowol eine ſehr abweichende Baſis als einen ſehr 
mannigfaltigen Inhalt gehabt, fo daß andy ans ihm Leine ſicher zu beſtim⸗ 
mende Wirkung ſich herleiten läßt. Die Alten zwar feinen ber Kunſt 
des Schanfpielers eine fo umfangreiche Technil zu Grunde gelegt zu haben, 
daß jene zur Anſchaunng zu bringen, bie vollendete Fertigkeit in biefer 
genügte. Wir Nenern müflen es fat aufgeben, das Wefen ber Schau⸗ 
fpiellunft — ober richtiger der Schaufpielerkunft — aus ihren dabei an» 
gewandten Mitteln zu erflären. Wol tft auch unter ben modernen Natio- 
nen vielfach der Verſuch gemacht, fefte Regeln der Kunſt aufzuſtellen. 
Leffing begann ein Werk über bie körperliche Berebfamfeit als Grundlage 
für die ganze Kunft zw fchreiben; er Hat diefe, wie er ſelbſt geftand, nicht 
geſchaffen. Er überfegte zum Theil das Werk des Sainte Albine „le 
Comedien;* er fanb, es nüge dem Schaufpieler nichts und fchabe dem 
Bublitum für die Benrtheilung dieſes. &r empfahl eine Unsgabe bes 
Donatus, die man Schaufpielern in bie Hände geben könne; er gab fel- 
ber die trefflichſten Winle, Auseinanderſetzungen, Beweiſe für das, was 
der Schaufpieler zu thun ober laſſen habe. Alles ohne Erfolg; er über 
Heß bie bentfchen Schaufpieler ihrer Rontine und erflärte, daß es bei uns 
feine Schauſpiel(er) kunſt gebe, daß fie erft gefchaffen werben mäffe. Ebenfo 
vergebens bemühten fi Engel, Ramler, Goethe u. a. m. ben bentichen 
Bühnenkünftlern eine Technik ihrer Kunft zu fchaffen. Wir kommen auf 
Leffings Beftrebungen fpäter noch zurück. Hier nur das Nefultat ber Er⸗ 


203 Die Shaufpieltunft bia auf Leſſina 


fehrung: die Schaufpieltunft fteht auch heute noch wirkſam ba, bie 
Schauſpielerkunſt war allein bei ben Alter eine ſyſtematiſche, auf feſten 
Regeln gegränbete. 

Doc vergefien wir nicht, daß mit ber Kunft bes Schaufpielers zu 
Athen die Zunft des Dichters Hand in Hand ging, wie and) die moderne 
Schanfpielluuft jebesmal in dem Aufſchwunge ber bramatifhen Poefie 
ihren Stutzpunkt hatte. So bietet denn bie entichievene Thatfache, daß 
eine befiere dramatiſche Poefie befiere Schaufpieler hervorgerufen, wenig« 
flens einen Anhaltspunkt, die Kunſt ber legteren zu firiven. Wir wollen 
einen Blid auf die Nationen werfen, welde auf die deutſche Bühne zu 
verfchiedenen Zeiten einen Einfluß übten, um ſoweit es möglich, aus die⸗ 
fem Einfluß bie Geftaltung unferer Schaufpielfunft uns Har zu machen. 

Bei ben Griechen war belanntlich die Tragödie Anfangs wichte als 
ein Gefang verſchiedener Loblieder zu Ehren bes Bacchus. Damit ber 
Chor, welcher dieje Lieder fang, mandmal ruhen und Athem fchöpfen 
Könnte, fiel Thefpis darauf, eine intereffante Begebenheit dazwiſchen von 
einem ans feiner Truppe erzählen ober vorfellen zu lafien. Das war 
der erfie Mime, der durch Declamation und Geftikulation bie Schaufpiel- 
tunft in's Leben rief. Aeſchylus verwandelte bie Erzählung und Vorſtel ⸗ 
Inng, die von einer einzigen Perfon geſchah, in ein ordentliches Geſpräch, 
indem er eine zweite Perfon hinzufügte, unter bie fi nunmehr bie Ge⸗ 
ſchichte vertheifte, obgleich mothiwenbig bie eine Perſon mehr Antheil an 
der Handlung haben mußte als die andere. Der, weldyer bie Hauptperfon 
foielte, hieß der Protagoniftes, der andere der Deuteragoniftee. Es war 
aber darum nicht nothiwenbig, daß das ganze Drama nicht mehr als zwei 
Verſonen haben mußte; ber Deuteragonift konnte verfelben mehr als eine 
vorſtellen, wenn fie nur nicht mit einander zu gleich erſchienen. Sopho⸗ 
ces fand auch biefes noch zu einförmig und fügte, wie bie Vermehrung 
des Chors von 12 auf 15 Perfonen, auch den Tritagoniftes Hinzu, ber 
jedoch kein beſonderer Künftler zu fein braudite, wie denn Demofthenes 
feinem Gegner Aeſchines es Bfters vorwarf, daß derſelbe im feiner Jugeud 
folche dritte Rollen gefpielt habe, womit er nicht etwa einen Vorwurf 
feiner Perſon, fondern feiner geringen Kunftfertigleit machen wollte. Im 
Betreff des britten Rollenjpielers ſcheint es jedoch ſchon bei ben alten 


von Dr. C. Gewais. 203 


Schriftſtellern firittig, ob dieſer von Aeſchylus oder von Sophocles einges 
fährt worden.“) Für die Kunft wichtigere Uenderungen gehören gewiß 
dem letztern an, fo in Bezug auf Koſtüme und Attribute der Spielenden, 
die Einführung bes Kothurns und bes Irummen Stabes ähnlich dem ber 
Yäger, deſſen bei Euripides bie Greiſe ſich fo Häufig und für bie Darftel- 
lung wirkſam bebienten. Daß Sophocles nicht ſelber mehr, wie es nor 
dem gewöhnlich war, in feinen Stüden mitipielte, fcheint ihm mehr nachge ⸗ 
geben zu fein, weil er eine allzuſchwache Stimme hatte; doch ohne Mit 
wirlung, wie wir ſchon erwähnten, blieb er ba nicht, wo feine techuifchen 
Fertigkeiten es geftatteten. Cine Hauptänderung, die er zuerft durchſetzte, 
wenn fie auch nicht allgemeiner Gebrauch blieb, war, daß Drama gegen 
Drama um ben Preis ſtritt, und nicht mehr bie ganze Zetralogie. So 
nannte man bie vier Stüde, um bie damals die tragifchen Dichter zum Wett 
tampf auftraten, und von benen das legte beftänbig ein Satyritüd war. 
Fünf durch Einficht, ven Auf der Rechtſchaffenheit amögezeichnete Richter 
mach abgelegtem Eide, gegen alle Rabalen, Factionen und freunbfchaftliche 
Berwenbungen taub zu fein, urtheilten über bie Wahl der aufzuführen 
den Städe, und fehügten ſolchergeſtalt felbft den Dichter, ans Liebe zum 
Ruhme zweibentige Schritte zu machen. 

So warb in Athen bie höchſte Kunftnollendung durch den Dichter, 
wenige Spieler, zu denen er meiftens felbft gehörte, und vereibete Kunſt⸗ 
richter bewerkſtelligt. Wir Deutſchen haben wiederholentlich Verſuche ge⸗ 
macht, der Einfachheit der antilen Tragödie, ihrer Bühnenrichtung,»v) 
ihren Regeln, auch ihren Stüden Eingaug zw verſchaffen. Der Geſtaltung 
unſeres Buhnenweſens konnte das nur heilſam fein; Eines aber verſuchte 
man niemals von Athen her einzuführen. Doch halt! Leſſing, als er 
dem Miniſterium in Manheim Vorſchläge zur Verbeſſerung des Theaters 
machte, gedachte auch ber griechiſchen Kunſtrichter. Denn er ſchlug vor: 
„daß von Seiten ber Kunft und Moral die Aufficht des Theaters ber 
deutſchen Alademie anvertraut werben follte. Zu dem Ende müfle fie: 


*) Was überhaupt von dem Schematismus diefer Angaben, die ſich bei Arifto« 
tele, Dicaearchus u. a, m. finden, zu halten fei, darüber ſpricht verftändig Droyfen in 
feinen Didaſlalien zur Ueberſetzung von Aeſchylus Werken. Bo. 11. 6.307. 

*®) Bergl, über diefe Droyſens Aeſchylus. 1. 6.188. ff. 


204 Die Schaubbicllunſt bis auf Sefing 


erfiens bie neu herausgelommenen Städe lefen und prüfen und 
diejenigen bavon vorſchlagen, die ber Aufführung am volirbigften wären. 
Zweitens über die Sprade ber Schanfpieler wagen, nud durch 
ihre Erinnerungen fo viel als möglich verhindern, daß weder ühle Ans- 
ſprache, noch grammatifche Sprachfehler fi in das Publikum verbreiteten. 
Es verflänbe fi, daß man ihr zu biefem Behufe eine eigne Loge im 
Theater einränme. Drittens müffe bie deutſche Alademie zu biefer Abficht 
einen Ausſchuß von ſechs ober fieben Gliedern ernennen, ber von jeber 
Borftellung dasjenige vor fie brächte, was einer allgemeinen Berathichla- 
gung wärbig wäre." Leffings Rathſchläge wurben fo wenig in Manheim 
als in Wien, wo Maria Therefia gleichfalls an den einzigen Mann fich 
wanbte, ber, wenn irgend einer, dem bentfchen Theater aufzuhelfen ver⸗ 
ſtanden Hätte, zur Aneführung gebracht. Daß weber Manheim noch Wien, 
noch irgend eine Stabt in Deutſchland ein Nationaltheater, wie Leffing 
es ſich dachte, ins Leben rufen Könnte, war ihm Mar; er fah bas verfehlte 
Unternehmen, als man ihn bazu nach erfler Stadt rief, voraus. Man 
fragte ihn um Rath, aber folgte dem nicht. Was Hätte auch fein Kunſt⸗ 
vichterfollegium in bem vielftantlihen Deutfchland gefruchtet? Exſt nad 
fefter Vereinigung zu einem Ganzen würbe ein wirffamer Areopag für 
dramatifche Kunſtwerke und Kunftleiftungen ernannt werben Tönnen. Man 
fieht indeß Leffings Tendenz, daß er das Theater unter bie Aufficht derer, 
die er für Die competenteften Richter hielt, ftellen wollte. Die bildenden 
Künfte ins Gefammt follten nach ihm unter firenger Controlle bes @efeg- 
gebers fichen, „Ion um des Einfluſſes willen, ven fie auf den Charakter 
ber Nation üben.) Doch nicht der Polizei, fonbern ben Gebildeteſten 
der Nation war das Nichteramt zugedacht. 


*) Hören wir ihn im Laofoon: Unftreitig müflen fih die Gelege über die Wifien« 
haften keine Gewalt anmaßen, denn der Endzwed der Wiſſenſchaft ift Wahrheit. Wahr» 
beit ift der Eeele notbwendig, und es wird Tyrannei, ihr in Befriedigung dieſes wer 
ſentlichen Bebürfniffed den geringften Zwang anzuthun. Der Endzwed der Kunit bin 
‚gegen iſt Vergnügen, und das Vergnügen ift entbehrlid. Alſo darf e3 allerdings von 
dem Gefepgeber abhangen, welche Art von Vergnügen, und in welchem Maaße er jede 
Art deffelben verftatten will. Die bildenden Künfte ins Beſondre aufer dem Einflufie, 
den fie auf den Charakter ver Nation haben, find einer Wirkung fähig, welde die näs 
here Auffiht des Geſetes heiſchet. 


von Dr. C Gewais. . 205 


Wenn und bie Griechen nicht bei unferm fo ganz veränderten ſtaat⸗ 
lichen, bürgerlichen und künfilerifchen Verhältniſſen zu einer Hafftfchen 
Bühne verhelfen Tonnten, hätten wir dem Vorbilde bes ſprach⸗ und geift- 
verwanbten Englands folgen follen. Auch Hier entzündete ſich bie Echau- 
pieltunft an dem Genius großer Dichter. Erſt mußten Shatefpeare, John⸗ 
fon, Beaumont, Fletcher, Dryden, Adbiffon und Moore gewirkt haben, 
bevor von einem Nationaltheater die Rede fein konute. Mit dem Enthus 
fiasmus des Volls für die Werke feiner Dichter erhob ſich die Bühne zu 
einer nie dageweſenen Volllommenheit. Diefe Bühne, obwol fie in Shake⸗ 
fpenres Stüden die Welt bebentete und durch raſchen Ortswechſel heutige 
Maſchiniſten nicht zu Athem kommen läßt, machte nicht, wie bie griechiſche, 
Anfpräche an eine vollendet kunſtleriſche Scenerie. Dagegen verlangte fie 
mehr als drei bis vier Darfteller, und baß von dem großen Perfonal jeber 
ein vollenbeter Spieler fei, ber einer oft nur ſtizzirten Rolle Ansführung 
‚und Leben gebe. Darin aber ſtimmen bie genannten Dichter ins Gefammt 
mit ben griechiſchen Tragilern überein, daß fie mit ben Schauſpielern bie 
hochſte Kunft der dramatiſchen Wirkung theilten, und biefen oft bie ſchwie⸗ 
rigfte Aufgabe Übertrugen. Daher bie größten engliſchen Schaufpieler 
Owen, Wrongten, Zoote und Garrik in einem Zeitraume, welcher bie Dar- 
ftellung jener Werke, nit Andrer, mit Ungeftüm forderte, ſich begegneten 
und vereint mit ben Gchöpfern ber. bramatifchen Dichtkunſt ihre eigne 
ſchufen. Mit des Trauerfpielbichters Boot Ableben (1783) ging bie exftere 
abwärts, die Schaufpieler fanden an ihr keinen Anhalt mehr. 

Wir wiſſen, wie bie englifce Poefie in allen Gattungen ihren Eine 
fin auf Deutſchland ausgeübt hat. Wir Haben gefehen, wie bereits Igu 
Lebzeiten Shalefpenres fogenannte engliche Komdbianten in beutfchen Stäb- 
ten engliſche Stüde mit einer bis bahin nie gefehenen Prächfion auffühe- 
ten, wonach auch deutſche Schaufpielergefellichaften fich bildeten, die zuwei⸗ 
len von Fürften in’ Sold genommen wurben, welche von England ſich 
Gtäde, Garderobe und VBühnenapparat kommen liefen, um beffere 
Thentervorftellungen zu bewerfftellen; wie auch bie Vollsbühne ſich 
nach jenen engliſchen Komdbianten bildete, wie nad) ihren Gtüden nene 
deutſche benaunt wurden, bie freilich große Rohheit zeigen und noch unter 
Uyrers Maqhwerken fanden, fo daß für die Kunft es kein großer Verluf 


206 ° Die Schaufpiellunft bis auf Leſſing 


war, als der breizigjährige Krieg faft alle Bühnen verfchwinben ließ. 
Nach Beendigung deffelben machten, neben ben nach einer Kunftbühne 
ringenden ſchleſiſchen Dichtern, Rift und Klay Verſuche den Geſchmack bes 
Volks durch Schanfpiele zu bilden, die eine reinere Sprache, ergreifenbe Ge- 
genftänbe, eine die äußeren unb inneren Sinne feflelnde Darftellung baten, 
Wirklich gelang es ihnen bie Stüde der Ayrer, Reuter, Ferber und des 
Barbier Vogel, bie nicht nur Gelehrfamteit, fondern auch Bildung und 
Sitte verfpottet hatten, zu verbrängen und von ben höchſten Etänden bis 
zu ben rieprigften Beifall und Ruhm zu erudten. Doch weber bie alle 
gerifirenden -patriotifchen Stüde Riſts, noch die mit allem Pomp und ſce⸗ 
niſchem Aufıwande in Kirchen. aufgeführten getftlichen Stüde Klays konnten 
der Kunft Vortheil bringen, und nichts anders im Volke anregen, ald — 
die Schauluſt. Hätte Gryphins eine Bühne für das größere Publikum 
mit Beihälfe guter Epieler, woran es feiner Zeit nicht fehlte, «) begränbet, 
fo wäre vielleicht fünfzig Jahre früher und im volfenbeterer Weife eine 
Reform des Theaters erfolgt. Gryphins mit Magifter Veltheim, aus defr 
fen wohlgeſchulter Truppe alle Gefellfchaften bis auf bie der Neuberin 
hervorgingen, wäre im Stande gewefen eine regelmäßige und doch iicht 
manterirte Tragödie, eine vollsthümliche und doch nicht platte Komödie 
zu ſchaffen. Doch Gryphius ſchrieb nicht fr die Bühne, und Veltheim, 
der diefe Heben wollte, blieb fich felbft überlaffen, griff bald nach Allen 
umher, was ihm Werth zu haben fchten, veranfafte eine Ausgabe ber 
Moliereſchen Luftfpiele, gab neben biefen franzöftfche Tragödien, benugte 
die Entwirfe von Gherardi's theätre Italien, um fie ans dem Gteg- 
reife von feinen geübten Spielern aufführen zu faflen, fuchte auch regel: 
mäßigere deutſche Städe auf ber Bühne zu erhalten und trat mit Takt, 
ober aus Abneigung, bem Grotesken und Burlesken ber Volteftüde ent 
gegen, das ans dem Norben Deutfchlanbs fich bald mehr in den Süden, 
beſonders Oeſterreich hinzog, wo Wien nacheinander die berühmteflen Bof- 
fenreißer als Hanswurſt und Bernardon glänzen fah, bie fpäter in bie 
lotalen Buffos Easperle, Bartel und Staberle übergingen. \ 


*) Die von Rift gerühmten „ftubirten Leute“, die Theaterunternehmer Gartner, 
Treu, Baul u. a, m. famen zu Gryphs Lebzeiten auch nach Breslau. 


von Dr. €. Gervais. %7 


Den englifhen Buͤhnentypus mit zahlreichen Perfonal, wozu auch 
verwidelte Handlung und reichhaltigerer Stoff kamen, ſuchte auch der Zit⸗ 
tauer Weiſe als Gegenſatz zu ben antikiſirenden unnatürlichpathetifchen 
ſchleſiſchen Dichtern beizubehalten und von dem Zwange ‚aller Kunſtregein 
auf die Nachahmung des gemeinen Lebens hinzuleiten. Wir fahen aber, 
wie er alles Man überfchreitend nur fchlimmere Nachahmer feiner Boefie, 
aber feine befiere Kunft hervorrieſ. Die faum durch Veltheim gehobene 
Bühne ſank zur tiefften Jaͤmmerlichkeit herab und das um fo mehr, ale 
die Zahl der von Ort zu Ort ziehenden Truppen ſich ins Ungeheure ver- 
mehrte. Auch bie befiern fanden weder eine fefte Stätte, von wo ang, 
wie von London und Paris, eine Mufterbühne hätte wirken können, noch 
ſchloſſen fi ihnen dramatiſche Dichter an, bon denen wiederum bie befr 
feren ihre Stüde nicht für die Aufführung fchrieben, uber fie doch nur in 
Kreifen von Freunden barftellen ließen, die, wie ber Diletantismus über 
Hanpt, weder dem technifch zu Erlernenden noch dem Selbftichöpferiichen 
im der Kunſt Genüge leifteten! 

Erft Gottſchebs Bemühungen um die Verbefferung bes Theaters gaben 
dem Schanfpieler Gelegenheit unter Leitung einer weitgebietenden Antori- 
rat, nad) einer geregelten Technik und vornehmlich nach einem im Prin- 
eip fehr beftimmten Repertoir aus ihrem bisherigen Herumfchweifen zır 
einem feften Mittelpunkte, aus ihrem Gewerbe zu einer Kunſt, ans ihrer 
Routine zu einem Selbftberuußtfein Aber bas, was fie fehufen, zu gelans 
gen. Sehr mit Recht fagt ein neuerer bühnenerfahrener Schriftfteller:=) 
der Grand, waram bie Franzoſen gute Schaufpieler in größerer Zahl 
aufzuweifen Haben als die Dentichen, liegt in ber mindern Wandelbarkeit 
eines Bühnenrepertoirs, und in der häufigen Darftellung ver Meifterwerfe 
ihrer Dichter. Nichts ſchadet der Würbe einer Bühne, und mit ihr der 
Achtung der Schauſpieler fo fehr als jene von ber Menge geſuchte Wan« 
delbarleit, wobet der Schaufpieler alles Stubium aufgeben und mit dem 
Memoricen verwechſeln muß.” Ein Hinneigen zu dem franzöfiichen Ger 
ſchmach der mit der ganzen Richtung ber Zeit zu den Gitten, Moden, 
Trachten, fogar zu der Sprache und Denkungsweiſe ber Sranzofen auf 


*) Deinhardftein Wiener Jahrbucher a. a. D. 


208 Die Shaufpiellunft bis auf Leffing 


gleicher Linie fteht, Hatte ſich längft ſowol bei den dramatiſchen Dichtern 
als bei den gebilveten Schanfpielern in Deutſchland bemerkbar gemacht, 
Wie Gryphius und Lohenftein in ihren Tragödien, ſelbſt, wo fie Seneca 
als Mufter wählen, an bie franzöfiſchen Tragiler erinnern, wie biefe den 
Aezandriner, bie Einheit der Zeit, wenn and noch nicht des Orts Haben, 
fo fpielte Veltheims Truppe franzöfifche Tragödien und Komödien, was 
die aus feiner hervorgehenden Schaufpielergefellfchaften gleichfalls thaten. 
Die Neuber hatte bereits im Weiflenfels franzöfiiche Stüde, unter andern 
den Cid bes Corneille, aufführen laſſen, ehe fie mit dem Regulus von 
Pradon unter Gottſcheds Aufpicien die auf franzöſiſchem Fuß eingerichtete 
Bühne eröffnete, welche Jahre lang an dem Repertoir fefthieit, das jener 
entwarf. Sie felber war eine Schaufpielerin, bie von Declamation und 
Geſtilulation Einficht Hatte, Verſe mit Verftand und Kunft vortrug, in ber 
Action nie übertrieb. Nicht bloße Gemwinnfucht, fondern auch das ernfte 
Beſtreben nach Beſſerung bes Schaufptelwefens Hatte fie im Auge, Darum 
ſcheute fie feine Koften, bie beften Talente unter den bamaligen Schau 
fpielern an ſich zu stehen, und zwei derſelben, Kohlhardt und Koch haben 
zuerſt auf einen Nachruhm unter Deutſchlands Bühnenkünftlern Anſpruch. 

Dan muß den tiefen Verfall ber damaligen Bühnenzuftänbe fennen, 
um bie Bemühungen, fie zu beſſern ober wenigftens zu ändern für feine 
Heine Sache zu Halten. Die meiften Schaufpieler waren ans Seiltänzer⸗ 
banben hervorgegangen, in beren Buben Maorionetten mit lebenden Per 
fonen werhfelten. Das ſchauluſtige Publikum, veränderungsfüchtig wie 
zu allen Zeiten, Hatte von ben erbärmlichen Opern unb langweiligen 
Gtaatsactionen feinen Geſchmack jenen zugewenbet, fo baß felbft in Gott- 
ſcheds Glanzzeit ber Führer einer ſolchen Bande, Kuniger, fi noch einen 
großen Auf erwerben Tonnte. Mitunter erfand ein Talent unter fol- 
hen Nunftgenoffen, ober kam von ben Sefnitentheatern in Baiern und 
Deftreich der; wie der nachmals berühmte Schuch in einer Jeſuitenſchule 
feine erſte Bildung, in einem Martonettenthenter feinen erſten Auf erwarb. 
Dort waren neben ihm Stängel und Joſephie vorgebilvet, bie tm Süden, 
wie Schuh, Koch, Schönemann, Adermann, neben letzterm erſt Echof, 
fpäter Schröder im Norben Deutſchlands bie befiere Schaufpielerkunft 
erſchufen. 


von Dr. &, Gewais. 209 


Die erſte Schaubuhne in Deftreih, fo wie in allen katholiſchen Lim⸗ 
bern hatten bie Jeſuiten ins Dafein gerufen. Wie fie ſich beftänbig bes 
füffen, Altes allein zu fein, wie fie allein regieren, unterrichten, Ketzer 
befehren, Sünden vergeben wollten, dachten fie auch, allein das Bolt zu 
beinftigen, Alles zu größrer Ehre Gottes d. 5. zu größrem Anfehen ihres 
Ordens. Sie ließen durch ihre Schüler, unter denen junge Beute aus 
den vornehmften Häufern fich befanden, Schaufpiele, welche Patres nostri 
ſelbſt gemacht Hatten, aufführen und Inden dazu Alles, was reich und vor- 
nehm war, ein. Die Patres nostri forgten dafür, daß bie Schaubühne 
mit den bunteflen Decorationen, and) wol mit Mafchinen, wie man fie 
von ben Hofbaletten her Fannte, zu fliegenden und ſchwärmenden Figuren 
verſehen, und ihre Schäfer — verfteht fi auf Koften der Eltern — in 
bunte und flitternde leider geftedt waren. Es gab ſoviel anzugaffen, 
und bie ſchlauen Nicht-Mönche brauchten unter fo vielen andern Mitteln 
and) biejes, um bem großen Haufen Zumeigung zu ihrem Orden beizubrine 
gen. Gefunden Verſtand, noch weniger irgend einige wahre dramatiſche 
Anlage Hatten ſolche Stüde freilich nicht, Ihre Schaufpiele, die fie aus 
der geiftlichen und weltlichen Geſchichte hernahmen und mit allem Flitter⸗ 
ſtaate kahler Pedanterie und platten Schulwiges aufftugten, verſtießen bes 
fländig wider den gefunden Verſtand. Gottſched und Nicolai haben uns 
von den Yefuttenftäden biefer Zeiten Proben gegeben, die tn Imhalt und 
Form no unter Ayrers Süden ſtehn.“) Ihre Aufführungen banerten 
Bis zur Aufhebung bes Ordens und noch heutiges Tages erinnern darau 
die Bauernfomdbien, bie bibliſchen Stüce, Legenden und Paffionen, bie 
anf Theatern, leicht aus Holz gezimmert, unter freiem Himmel, neben 
einem Wirthshauſe — der Wirth felbft iſt der Ehorage — in der Gegend 
von Insbruck in Ober-Baiern im Ober⸗Ammergau aufgeführt werben 
Anch in proteftantiichen Ländern waren bamals bie geiftlichen Stüde, wie 
fie einft Kay in Nürnberg in’s Leben gerufen, noch nicht aus ber Move 
gelommen. Im Oneblinburg führte man Paffionen und Lebensläufe ver 
Vatriarchen auf, Die Märtyrerftäde, von Gryphius bis auf Kronegk, find 


*) Nicolai, dem ich die Schilderung entlehne, giebt in feiner Reiſe durch Deutfd: 
and und Schweiz THLIV. Beilage XI den Plan von Iſaals Opferung, 
ip. Monateigrift Dp. IIL Oft. 5 14 


210 Die Sqhauſpieltunſt bis auf Leffing 


unverkennbar im Auſchluß, aber zugleich als Veredelung in kunſtleriſcher 
Beziehung entflanden, 

BVerhältnigmäßig beſſer als die Yefniterlomödten waren die Staats 
actionen. Im ben zwanziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts wurden 
beſonders bie Haupt- und Gtaats-Actionen eines gewiſſen Ludovici, aus 
Pommern gebürtig, ber fih in Wittenberg als Magifter aufhielt und im 
Hamburg ſtarb, mit großem Beifall gefpielt. Leſſing befaß noch eine ba 
von ans ber Nenberin Nachlaß, und Nicolai rühmt ihren Inhalt wie die 
Präcifion der Ausführung. Es waren darin nad) damaliger Art zum Er⸗ 
temporiren nur bie Folge und ber Inhalt der Auftritte angegeben, nur 
die Hanptfcene ganz ausgeführt. „Man fieht darans, ſchreibt Nicolai,*) 
daß Ludovici Fein gemeiner Geiſt war, obgleich roh, und daß er Allee 
ams ſich felbft, ohne fremde Auweiſung geholt Hatte. Gr hatte viel Stun 
fürs Vathetiſche und ſtark Rührende, Die Anlage feiner Plane zeigten, 
daß er Empfindung von ber Wirkung auf dem Theater hatte. Ich erin- 
were mich befonbers noch des Grafen von Efier, Cromwell und des Kö- 
nigs Ottolar von Böhmen.” — Doc die Gattung war einmal abgenngt, 
fo wie bie Verkleidungen, Zaubereien und Prägeleffecte in ben Luſtſpielen, 
der Unften in ben Opern. Gotticheb wußte den rechten Moment zu nungen, 
um fie alle von ber Bühne zu verbannen, und feinen regelrechten franzd- 
fiſchen Gtüden eine Zeit Lang bie Herrſchaft zu verſchaffen, bis auch fie 
dem Beflern weichen mußten. 

Ein wefeutlicher Vorteil für bie Schauſpielerkunſt war ber, welcher 
vorhin anf Seiten ber frauzöſiſchen Schaufpieler angegeben wurde. Das 
befcgräufte Repertoir und bie im gleichen Schnitte zugerichteten Stüde, zu⸗ 
mal da fie ein meift Meines Perfonal erforberten, geftatteten zu Studium 
and Sicherheit in der Rolle bie erforderliche Zeit, und ba bas mitzuerzte- 
hende Publikım dem Auſehen Gottſcheds fi gefügig unterwarf, durfte 
nichts Übereilt werben. Freilich waren bie Alteure auch ganz auf ihren 
Vroteltor gewieſen. Denn Borbilver für bie nenüberfegten, neubearbeite⸗ 
ten ober Origtnalftäide fehlten ihnen, and überbieh war eine nene Technil, 
ein ungewoßnter Ders, eine nene Declamation und Geſtilulation zu erler⸗ 





A. a. O. 6.56. 


von Dr. E. Gervais. 211 


zen. Wie man bieß auch nicht von ben feanzöfiihen Schaufpielern. abfer- 
wen durfte, wenigſtens nicht von denen, bie man in Deutſchland ſah, bes 
weiſt eine fehr fprechende Beſchreibung folder franzöfifcher Alteurs, bie 
ein Brief ans Wien vom Jahre 1750 giebt.“) „Die Liehhaberin, heißt es 
darin, macht ihrem Stebhaber eine orientalifche, hriftliche, franzöfiiche Re⸗ 
verenz, beide Hände freuzweis auf der Bruſt, ben Leib tief vormärtsge 
bogen; vom jebem Schritte, ven fie macht, zittert bie Bühne. Der. Lieb» 
Haber umarmt fie mit dem Haupte auf ihrer Bruft, ben linken Fuß über 
den ganzen Bauch — wer ſollte nicht fpeien? Alle Schaufpielerinnen 
machen Katzenbuckel, ſtellen ſich fehr geil an, fenfzen und Heulen, verviel- 
fachen das Affectirte und treiben das Bewegliche bis zum Kigel, Die Hände 
fliegen über bie Scheitel, die Stimme verliert fih in Seufzern. Der linte 
Tuß bleibt wie angenagelt, ber rechte thut zuweilen einen Schritt mit Er⸗ 
fegütterung des Leibes, der Bühne und des Zufchauers; dann beugt fie 
fich vorwärts und zeigt ihre Fletfchbant,”«) 

Da konnte Gottſched ftolz darauf fein, daß es in feinem Leipzig befler 
fand. Und doch wie fange banerte es noch, ehe ein weniger felöftzufrie- 
dener Kunſtrichter an dem Geleifteten ein Genüge fand. Die beflen Scham 
ſpieler konnten ſich nicht, einmal in ben Sinn der fihlechtüberfegten ober 
bearbeiteten Stüde, unter denen bie franzöfichen an Zahl und Auſehn 
voranflanden, finden, Corneille's heroiſche Sentenzen, Racine's Füße und 
ſchmachtende Tiraden und noch mehr Deſtouches zierliche Hoffpradie, 
Marivaur's quintefienzirter Wig krümmten und gquetfchten fi in bem 
Munde veutfcher Alteurs. Auf allen Bühnen war, feitbem man ſich ber 
ertemporirten Stüde entichlagen hatte, ein gezierter, unuatärlicher Ton ein 
geführt worden. Im Tranerfpiele herrſchte ein langjamer, ein eintäniger, 
prebigenber Vortrag, mit bem nur Stoßweife ein connulfivifches Aufbrau⸗ 
fen abwechfelte. Im Luſtſpiele wurde ein gebehntes und ängftliches, um 
gewiſſes Weſen bemerkbar, das den Sinn des Stüdes faft nie traf, Dazu 
woren Sitten und Gefinnungen in ben auslandiſchen Gtäden ben deutſchen 


Neuefteß aus der aninuthigen Gelehrjamteit, III. ©. 689. 


1 


212 Die Schaufpielkunft bis auf Leffing 


Spielern wie ben meiften Zuſchauern fremb, bis erft Leffing ben großen 
Bortheil nachwies, den einheimiſche Gitten in ber Komddie und felbft in 
ber Tragödie hätten, ba fie dem Schauſpieler bie Darſtellung erleichterten, 
bei dem Zuſchauer bie Sinfion beförderten. 

Man ſpielte lauge tu Leipzig und bald in ganz Deutſchland getroſt 
fort, Luftfpiele, Trauerfpiele, ohne zu ahnen, daß man feinem Stüce fein 
Recht thäte. Gottfcheb weibete ſich an dem Triumphe, daß fie alle regel- 
mäßig waren, daß man feinen Namen als ben Namen eines Reformators 
des Geſchmackes pries, feine Stüde in fremde Sprachen überfegte, vom 
Baris bis Petersberg bewunderte. ort unb fort trieb er feine Anfänger 
und Schüler, die Rectoren in Sachſen und Schlefien, ben Abel in Dres- 
den und Wien an, buch neue Stüde fein Repertoir zu erweitern, Dem 
da bie Schaufpielertruppen das Wandern anfgeben follten, darum nicht 
mehr mit einer befchränkten Anzahl Stüde ben Beifall von Stadt zu 


Stadt mit fih nehmen konnten, fo mußte bie Armuth ber bentichen dra⸗ 


matiſchen Siteratur durch bie Thätigfeit ber Dichter verbedt, aber freilich 
aun auch fabrilmaͤßig und übereilt gearbeitet werben. Wie für bie drama⸗ 
tige Poeſie Hat aud für bie Schaufpieler Gottſched das negative Ver» 
dienft, daß ex, indem er am bem Schlechten rüttelte, ohne etwas Beſſeres 
an bie Stelle zu jegen, das Bedürfniß nach dem erhofften Guten anregte. 
Dort wie hier mußte er einem anderen Manne das Werk Heilfomen Schafe 
fens überfafien; dort wie Hier follte er durch feinen Starrſinn fih um 
allen Ruhm bringen, und felbft das Gute, das er gewirkt, verſchwinden 
ſehen. Sein Zerwärfuiß mit ver Nenber tft für bie Bühne von ähnlichen 
Folgen begleitet geweſen als fein kritiſcher Streit mit ben Schweizern. 
Die Zwangherrſchaft feiner Regeln hörte auf. Da das, was vorbem Gel⸗ 
tung gehabt Hatte, wicht mehr lockte oder in feinem Unwerthe erfanut war, 
mußte Nenes verſucht und aufgeſucht werben. 

Für die Bühne aber nnd bie Schanfpieler, die kaum erft ein eifriges 
Streben für bie ihnen geftellte Aufgabe gezeigt hatten, war es ein Uebel⸗ 
fand, daß die fefte Leiterhand ihnen entzogen wurde. Zwar fehlte es 
auch nach Gottſched wicht am ſolchen, bie zur Seitung fi) brängten, aber 
weber beſaßen fie eines Shakeſpeare's oder Moliere's erhebenbe dichteriſche 
Probultionekraft, gepaart mit techniſcher Bühnentenntuif, noch enthielten 


von Dr. C Geronis, 213 


ihre Borberungen Mar ausgefprodjene, faßliche Regeln, beren Ansühung 
einem begabten Künftler von Nutzen werben tonnte, ober gar eine Schau, 
ſpielkunſt zu fehaffen vermochte, deren Erfolg ſicher, deren Technik bindend 
war. So rief denn noch Leffing unwillig ans: „Wir Haben Echaufpieler, 
aber keine Schaufpieltunft” — was wir beffer wol Schauſpielerkunſt new 
‚nen, ba es nicht, wenigftens nicht unmittelbar bie illuſoriſche Wirkung, 
fonbern die techniſche Regel bezeichnen foll. — „Wenn es vor Alters eine 
ſolche Kunft gegeben hat, fo Haben wir fie wicht mehr, fie iſt verloren, fie 
muß ganz von Neuem wieber erfunben werben. Allgemeines Gefdinäg 
darüber hat man in verfdiebenen Sprachen genug, aber fpecielle, von 
jevermann erfannte, mit Deutlichteit nud Präcifion abgefafte Regeln, nad) 
weldyen ber Tadel ober das Lob bes Alteurs in einem befondern Fall zu 
beflimmen fei, beren wüßte ich kaum zwei ober brei, Daher fommt es, 
daß alles Ratfonnement über biefe Materie immer fo ſchwanlend und viel 
beutig fiheint, daß es eben kein Wunder iſt, wenn ber Schaufpieler, ber 
nichte als eine glückliche Rontine Hat, fih auf alle Weiſe dadurch belei⸗ 
biget findet,“ 

Die Schwierigkeit, eine Kunft in Regeln zu faffen, theilt bie Schon 
fpielerfunft mit allen andren. Nur ba fie, troß ihrer eignen Geltung, 
von der Dichtkunſt ihren Aufihwung erhält, macht fie da, wo biefe fehlt, 
fo ſchwanlend und zu einer bloßen Routine ber Schaufpieler ſelbſt. Im 
Deutſchland ging fie nie Haud in Hand mit ver Dichtkunſt. Die zuaft 
fie gewedt, venen fehlte ber belebende Impuls; als unfre großen bramas 
tiſchen Meifter fid) erhoben, waren bie Gpieler, durch ihre Routine an 
bie Darftellung der mannichfachen Charaktere, Situationen, Sitten, Gen» 
tenzen, wie bie gefpielten Stüde aller Nationen fie erheiſchten, gewöhnt, 
nicht Willens fi) von Neuem in bie Abhängigkeit einer Dichtkunſt zu ber 
geben, die in fich felbft bie alleinige Befriedigung ſuchte, und dem bare 
ſtellenden Künftler fo wenig Gelegenheit zu ſelbſtſchöpferiſcher Wirkung 
darbot, oder wol gar ihn für entbehrlich hielt. Goethes und Schillers 
vollendetſte Dichterwerfe lodten bie Schröder und Sfflend zu wenig an; 
diefe hielten fidh fern, weil bie von ihnen und ihren Borgängern gefdjafe 
fene Routine in jenen Werken zu wenig Anregung fand. Der einzige 
deutſche dramatiſche Dichter, ber bilbend auf ben Schauſpieler zu wirken 


24 Die Schauſvieltunſt bis auf Leſſing 


bemüht war und ihm zugleich zu Studium und Selbſtjchöpfung freies 
Feld genug ließ, war Leſſing. Sein glückliches Zufanmentreffen mit einem 
Mann, der ein angebornes Talent mit dem eifrigften Beſtreben, die Kunſt, 
der er es zugewandt, wenigftens im ſich zu geftalten verband, ließ 
zum erften Dale in Deutſchland des Dichters Kunft mit bes Schau⸗ 
ſpielers Kunft Hand in Hand gehen und für einander bie Anfgabe 
ſtellen und löfen. 

Es ift ſchwer und bedenklich ans den fubjectiven Urtheilen über bie 
Leiftungen eines Schaufpielers ber Nachwelt ein Bild von biefem zu ent- 
werfen. Aber wo bie Urteile höchſt verfhievenartiger Mitlebenber faft 
übeseinflimmenb lauten, darf ber Zweifel, ob fo Bebentendes wirklich von 
einem Bone geleiftet worben, nicht das Belehrenbe, bas bie Wirkungen 
der Runft in einem beftimmten Judividuum haben, verlümmern. Gonreb 
GEchof (geb. 1720 zu Hamburg, geft. 1778) wird ber bentiche Garrike) 
oder Roſcins, am beften ber Bater ber beutfchen Schaufpielertunft genannt. 
Er fah es zuerft ein, welche unermeßfiche Forderung man au ben deutſchen 
Schauſpieler machte, daß er franzöſiſche, englifche, italieniſche Stüce ſpie⸗ 
ten follte, bie obendrein meiſt elendiglich ins Deutſche überſetzt waren. Und 
woher Hätte er die Vorbilder für dieſe nehmen ſollen? Der griechiſche 
Schaufpieler wußte, was fein Publikum verlange, wie er feinem ganz na» 
tionafen Etoffe ſich nur anzuſchmiegen Habe, um bie höcfte Kunftwirkung 
hervorzurufen. Der englifhe Mime war von bem mitlebenben Dichter 
in bie feinften Züge des Charakters eiugeweiht, ober fannte bes verſtorbenen 
Sutentionen und des Publitums Forderungen bei ber übernommenen Rolle; 
der fromzöfifhe Acteur fahte leicht die einjeitigen, markirten Züge, bie jeber 
feiner Tragiter oder Komiker gezeichnet, und bie aus befimmten Lreiſen 
und Klaffen des Baterlandes entiehnt waren. Keiner biefer Vortheile ftanb 
dem beutfchen Schanfpieler zur Seite, ver in jeder Rolle ſich zu verleng⸗ 
nen, eine anbre Rattonalität vorzulehren, einen ſchief ober unwahr gezeich 
neten Charakter, eine falfche Sentenz wenigftens wirkungsvoll zu machen, 


*) Nicolai, der ſtrenge und als Kenner urtheilte, fhreibt, als er Echof in Wei 
mar den Oboarbo Galotti fpielen jah, an Leffing: „Es ift wirklich eine Schande, daß 
biefer Mann unter und fo verfannt wird, Garrid kann kaum mehr fein als Cr. ©. 
Yings W. Xun. 6,479, 


von Dr. C Geroeis. 218 


einen holprigen Bers ober geſchraubte Brofe durch ben Vortrag zu ver 
wiſchen Hatte, 

Iubem Echof damit anfing, bie bramatifchen Werke ver verſchiedenen 
Nationen zu ſtudiren, faßte er jede nad) ihren Gitten auf. Mit- einem 
feltenen Scharffinn drang er in ben Charakter des Gtüdes unb deſſen 
feinſte Nuancen ein. Dabei verjämähte er allen Flitterſtaat der Deck 
matton, bie Effecte der Action, er fuchte ben wahren Ausdruck der Natur, 
führte ins Trauerpiel ven fimplen Ton ein, ber der Wärbe und Zarilich- 
Teit gleich fähig ifl, und wußte ihn von ber einfochften Gentenz bis zum 
fenrigften und wüthenbfien Ausbruck zu fteigern. Und ebenfo txaf es im 
Luſtſpiel zuerſt ben ungeswungenen Gonverfationston, Leffing ſagt von ihm: 
nDiefer Manu mag eine Rolle machen, welche er will, man erlennt ihm 
in ber Heinften immer noch für den erften Acteur, und bebauert wicht 
auch zugleich alle übrigen Rollen von ihm fehen zu lönnen. Ein an ihm 
ganz eignes Talent ift biefes, daß er Sittenſprüche und allgemeine Bes 
trachtungen, langweilige Ausbengungen eines verlegenen Dichters mit eis 
nem Anflande, mit einer Imnigteit zu fagen weiß, daß bas Triviaffie von 
biefer Art in feinem Munde Neuheit und Würde, bas Froſtigſte Fener 
und Leben- erhält.“ — Im Bade ber Könige und Helden verfagte ihm 
feine etwas zu Meine Figur und nicht vortheilhafte Körperbilbnug — ex 
hatte hohe Schultern, ſehr bide Hervorragende Kuöchel — bie gehörigen 
Mittel, gleichwol waren auch feine Kobrus unb Kanut bewundernswir⸗ 
dig. Letztern, eine mittelalterliche, norblänbifche Geftalt, fpielte er noch im 
franzöſiſchen GStaatsffeive, mit Stern nud Band, einer Knotenperüce, ber 
treßtem Federhnte und Krüdenflode, aber durch bie bloße Kraft feiner Rebe, 
durch den wärbigen Ausbrud feines Geſichts gebot er bie Huldigungen, 
die er empfing. 

Mfland geſtand noch 1807: daß ein Organ wie Echof es befeffen, 
an bonnernber Macht, Zartheit und Wohllaut feines Gleichen atıf ben 
Bühnen noch wicht gefunden habe. Als einmal Schröver, vielleicht der 
firengfte Mrititer Echofs, in einer heitren Geſellſchaſt alle Manieren ber 
rühmter Schauſpieler und Schauſpielerinnen, bie er gelaunt, in tänfchen- 
der Nachahmung vorüberfährte, rief einer ber Anweſenden lebhaſt: „O, 
um Alles in ber Welt, eine Zeile, eine einzige von Echof.“ Lächelnd fafte 


216 Die Schaufpiellunft bis auf Leifing 


ihn Schröder bei ber Hand und fagte ablehnend: „Geben Sie mir erſt 
fein Organ!" — Echofs Auge, berichtet Iffland, war nicht groß, aber 
von einem Email, welches weit Hinausglängte, und bes heftigften, wie des 
fanfteften Ausdruds Meifter. Er, der im gemeinen Leben faft vernach ⸗ 
laßigt, in einer ungelämmten Perüde, mit gebüdtem Kopfe einherging, 
teng feine Bruft anf ver Bühne mit einem umübertrefflichen Adel, Der 
verftänbige, feltene, immer beftimmte Gebrand, den er von ben Richtun⸗ 
gen bes Haljes, des Kopfes machte, die weile Verwendung feiner Schritte, 
Huge Deutung feiner Händeiprache, alles dies waren Vorrüdungen in bad 
Gebiet, welches er ſich eigen machen wollte. Sanbte er biefen das Geſicht 
nad, traf enblich Blick und Ton auf ven Punkt Hin, wo er wirken wollte, 
fo war ihm ſtets bie Eroberung gewiß. 

Wie die beiben großen Erben feiner Kunft, Schröber und Aland, find 
die competenteften Zeitgenoſſen, Lelfing, Nicolai, Schint, Engel, Kotzebue 
m. a. m, voll von Echofs Lobe, und man müßte die zahllofen Stellen ges 
legentlicher Aeußerungen, Beſprechungen, befonbrer Leifinngen Echofs an- 
führen, um ein vollſtändiges Bild von dieſem Mimen zu geben. Hören 
wir flatt vieler Stimmen die eine Schinks in feinen bramatifchen Frag ⸗ 
menten: „Echof war unter Deutſchlands Schaufpielern, was Leſſing unter 
den bramatifchen Dichtern war. Det Erſte, der Unerreichbare. Wer Yannte, 
wie er, alle Seiten und Falten des Herzens? Wer fo alle Farben und 
Eontrafte der Stände? Wer hatte alle Klänge und Töne ver Leibenfchaft 
in feiner Gewalt? Wer war fo immer ber Menſch und niemals — Eckhof 
der Schanfpieler? Wer machte fo Voltaire's und Corneille's Tobtengerippe 
zu feelenvollen Weſen, Herz und Geift intereffirend? Wer wachte fo für 
den Dichter, wenn er fehlief? Wer that, fo wie er, ber Kunft weder zu viel 
noch zu wenig? Daher kam auch feine gewaltige Tänfchung, mit ber er 
uns hinriß, nach ber er für uns Sipney,*) Vater Rode, ) Dorimund, zer) 


*) Im Greffets Stüd gleiches Namens. 
*=*) Sn Engel dankbarem Sohn. 
ee) Sn der Genie der Frau von Graffigny. Hiezu eine Bemerkung Leſſings, 
als er Edhof geſehen: „Diefe Miſchung von Sanftmuth und Ernſt, von Weichherzigkeit 
unb Strenge wirb gerade in fo einem Marne wirklich fein, oder fie ift es in feinem. 
6. Hamburg. Dram. VAL. S. 148, womit auch S. 11 zu vergleichen, Echof als Evanber. 


von Dr. €, Gervais. 217 


ber Bauer mit ber Exbfchaft,x) Eapeulbet, Lord Ogleby,as) Odoardo Ga⸗ 
lotti, der taube Apotheler,uue) und nie ber Schanfpieler war. Man 
lonnte von ihm fagen, was Pope von Shakeſpeare fagte: er war nicht 
der Nachahmer der Natur, e8 war bie Natur ſelbſt. 

Echofs letzte Rolle, die er fpielte (am 6. April 1778), war ber Geift 
im Hamlet, in ber ihn nur noch Schröder übertroffen Haben mag. Er 
font hinab mit ven Worten: „Gedenke meiner!“ Bedenken feiner mußten 
wir hier und eine genauere Schilderung feines Wirkens geben, weil er 
allen ſtrebenden Talenten nad; ihm bie Richtung vorgeſchrieben, bie in 
Deutfchland als die einzige eingefchlagen werben Konnte, um eine Kunſt 
zur Geltung zu bringen, die, wenn auch nicht von Dichtern ins Leben ges 
rufen, wie bei andern Nationen, doch an bie Werke ber Dichter ſich anzu. 
fließen bemühte, ven Dichter zu ergänzen beftrebt war. Denn an Echof 
unfehlbar dachte Leffing, als er in der Einleitung zur Hamburger Dramas 
turgie ſchrieb: „Eine ſchöne Figur, eine bezaubernde Miene, ein fprechen- 
des Auge, ein reizenber Tritt, ein Tieblicher Ton, eine melodiſche Stimme 
find Dinge, bie fi) wol mit Worten ansprüden laſſen. Dod find es 
auch weber bie einzigen, noch größten Bolffommenheiten des Schaufpielers. 
Schägbare Gaben der Natur, zu feinem Berufe nöthig, aber noch lange 
nicht den Beruf erfüllen! Ex muß überall mit dem Dichter dem 
ten; er muß da, wo dem Dichter etwas Menfhliches widerfah— 
ren if, für ihn benten."}) 

Wie fehr Echof, welcher dem Dichter ſich anzufchließen, mit ihm zu 
denken, für ihm zu denken trachtete, dennoch baran lag, daß ber Schau- 
fpieler ans ſich eine vollenbetere Kunft entwickle, und nicht vom Dichter 
allein ben Vortheil ziehe, um ſich bei ber Menge Beifall zu erwerben, 
dafür giebt einen Beleg feine Beſorgniß, bie er bei dem Erſcheinen von 


* Im Luftfpiel gl. N. 
**) In der heimlichen Heirath von Schröder. 
**) Goldoni’3 verftellter Kranker. 

Y Aud Remond de Sainte Albine verlangte ſchon vom Gchaufpieler, dab er 
nicht bloß dem Dichter folge: „Er muß ihm nachhelfen, er muß ihn unterftügen. Er 
muß felbft Dichter werben; er muß nicht bloß alle Freiheiten der Rolle ausdrüden, er 
muß auch neue hinzuthun; er muß nicht bloß ausführen, er muß felbit ſchaffen. 


218 Die Shaufpielkuuft bis auf Leifing 

Shalefpeare’d Dramen anf ber deutſchen Bühne — deren Zrefflichleit und 
Gewalt ex lebendig fühlte — äußerte: wie nämlich bei ben Schauſpielen 
diefes Gewichte und bemen, welche dadurch veranlagt werben müßten, bie 
Schaufpieler, weldhe ohne ihr Zuthun Beifall erwürben, ſich bann ver- 
nachläffigen würden. Zum Theil find diefe Befürchtungen eingetroffen, 
da noch heute viele Shalefpeare-Darfteller den Applaus der Menge, ben 
des Dichters unvernichtbare Gewalt hervorruft, ihren bis zur Carricatur 
bes Shalefpearefhen Urbilves Hinabfintenben Uebertreibungen beimefien. 
Anbrerfeits ftelit gerabe Shafefpeare an den benfenben Künftfer bie Anfgabe, 
nach alffeitiger Durchdringung feiner Charaktere jeden, auch ven kleinſten 
ober nur ſtizzirien, als ein harmoniſches Ganze durch bie Darfiellung zu 
verkörpern und zu befeelen. 

Eine ſchlimmere Gefahr drohte ben Schaufpielern, bie durch einfeitige 
Talente, durch äußere Gaben oder angelernte Manieren bie Menge bes 
flachen, von Seiten deutſcher Dichter, — als welche freilich bald bie Schau⸗ 
ſpieler ſelbſt glänzen wollten, ohne Shaleſpeare zu fein. — Diefe begannen 
für jene Alteurs — oder für ſich felber — Rollen und Stüde zu fchreb 
ben; verwöhnten dadurch die Spieler und hielten den Beifall, den diefel- 
ben — ober fie felber — ernbteten, für ein Zeugniß ihres Dichtergenies. 
Eckhof wußte es noch Leifing Danf, daß er ihm die Aufgabe, bie er zu 
loſen Habe, nicht leicht madje. Als ihm Nicolai wegen ber meiflerhaften 
Durdführung bes Obvarbo feine Bewunderung ausſprach, entgeguete 
Echhof: „Wenn der Autor tief ins Meer der menichlichen Gefinnungen 
und Leibenfchaften hinabtaucht, fo muß ber Schaufpieler ja wol nachtauchen, 
bis er ihn trifft. Dieß iſt freilich mühfem und mißlich. Aber uur wer 
nige machen es dem Schauſpieler fo ſchwer, wie Leſſing. Man kanu bie 
andern leicht haſchen, fie ſchwimmen oben auf, wie Baumrinde.“ — 

Wenn in dem Protensartigen des Schaffens, an Vielfeitigfeit und — 
Echhofs Organ ausgenommen, — durch äußere Gaben Schröder und 
2. Devrient ben Vater der deutſchen Schaufpielerkunft überſtrahlten, wenn 
ein Ifland, ein Seydelmann und anbre bahingegangene und noch lebende 
Künftler im Stubinm ihrer Kunſt und in dem mühfemen, aber auch miß- 
lichen Streben in jeder Rolle dem Dichter gerecht zu werben, Echof nicht 
nachſtehen: ein Verdienſt zeichnet dieſen vor allen fpäteren aus, und ich 


von Dr. C. Gewais. 219 


möchte es als das größte um bie bramatifche Kunſt felber nennen, daß er 
an ben größten bramatifchen Dichter feiner Zeit fi enge anſchloß und mit 
ihm verbunden das gleiche Ziel erſtrebte. Weber er noch Leffing konnten, 
ja wollten vielleicht nicht fogleich von dem herrſchenden Geſchmade ſich 
frei machen, aber unermüdlich hat auch Echof der Unnatur deſſelben, bie 
ihm drüdendere Feſſeln als dem Dichter auferlegte, entgegengewirlt, um 
eine felbfiftänbige dentſche Kunft zu begründen, die Andre nach ihm zu 
vollenden hatten. Wie Goethe und Schiller zu Leifing, ſtehen Schröder 
und Iffland zu Eckhhof, aber nicht mehr werben bie beiden Dichter von 
den beiden Schaufpielern fo bereitwillig unterftägt wie Leffing von Echof; 
nicht mehr legtere vom erfteren zu Rathe und Hülfe gezogen, wie Echof 
von Seffing; fondern anfänglich; wandelt jeder ber Biere feine eigne Bahn, 
dann Goethe und Schiller vereint und eifrigft bemüht, das deutſche Then- 
ter zu heben, aber nicht durch Herauziehung Schröders und flanbe, ſon⸗ 
bern indem fie fih in Weimar Spieler von geringerer Bedeutung zuſtutz ⸗ 
ten. Auch Schröder und Iffland reichten fi) aus ber Ferne bie Hände, 
aber nicht: als Bühnen künſtler, ſondern — faft in einer Oppofition wider 
jene — zu bramatifchen Bühnenftüden. Hätten alle Bier in vereintem 
Streben der beutfchen Bühne ſich geweiht, das von Eckhof und Leffing ver» 
fuchte Wert einer dentſchen Nationalbühne wäre jenen eher gelungen, we⸗ 
migftens ftünde es Heute um bie dramatiſche Kunft anders, Die Vereinis 
gung geoßer Dichter und Schaufpieler — wenn auch nicht fo wirkam wie 
bie Verfjmelzung von beiden in den griechiſchen Tragilern und in Shale⸗ 
ſpeare — vermöchte in Deutſchland alletu eine deutſche Bühne zu 
ſchaffen, einer veutfhen Dramatik bie Wurzel im Herzen ber Nation 
zu pflanzen, daß ftets neue Schößlinge entiprößen, und von Jahrzehent zu 
Iahrzehent neue Dlüthen und Früchte erfchienen. 

Ein deutſches Nationaltheater ift nie zum Leben gelommen, eine dra⸗ 
matiſche Kunft in Deutſchland ift ein vom Zeit zu Zeit leuchtendes Me 
teor gewefen. Immer noch rächt ſich bie Vereinzelung ſchöͤpferiſcher Dich⸗ 
ter, talentbegabter Schaufpieler und richtig raifonirender Kunſtrichter. 
Auch letztere mußten mehr, als bie beiden Schlegel, Tieck und andere tha- 
ten, fi mit erfteren beiden zu wirkſamerer Thätigleit verbinden, nicht vor⸗ 
nehm ihre Oralelfprüche in dramaturgiſchen Blättern ober Vorleſungen 


220 Die Shaufpiellunft bis auf Leſſing 


vor Refidenzftäbtern zerſtreuen. Erſt wenn eine Kunſtgenoſſenſchaft ver be- 
gabieften und geübteſten Geiſter aller drei Kunſtzweige ihre Thätigkeit ver- 
eint entfalteten; wenn nicht von einer Thenterfpeculation, wie 1767 Leffing 
und Echof in Hamburg, fondern von einer Großmacht in Deutſchland bie 
Berufenen. ihr Wert begännen, würbe das bentiche Nationaltheater eine 
Wirklichkeit werben können. Wie fehlagartig wirkte ſchon jener erſte und 
unznlängliche Verſuch auf die nachfolgende Generation. Welch ein Leit- 
ftern Leffings Hamburger Dramaturgie geworben, weiß jeder. Aber auch 
Echofs Schöpfertalent rief, wenn auch nicht eine zum Verſtändniß aller 
erwachte Kunft, doch geniale Künſtler Hervor. Neben ihm Hatten ſchon 
Koch, Adermann, Borchers, Brüdner, eine Henfel und Löwen geglänzt. 
An ihm entzändete fi) das Genie Schröders, ber wieder Brodmann bil- 
dete, welcher zuerft natürliche Declamation und wahrheitstrene Action nad 
Wien brachte und den manierirten Bergopzomer, ben froftigen Lang und 
ben nach Effekt Hafchenden Stephanie ben Aeltern aus ber unverbienten 
Gunſt des Publitums brachte, Später erft Tonnten in Manheim, Berlin 
und Vresden deutſche Spieler die franzöſiſchen verbrängen; doch als 
fie endlich den Sieg bavon trugen, waren es Jünger Eckhofs, die ben 
franzöfiſchen Muſtern, die wol anſtändig in ruhiger Stellung, aber übertrie- 
ben in ber Bewegung, pomphaft im Ausbrud, ohne Einficht in die Cha⸗ 
taftere und oft felbft in den Sinn ber Worte fich zeigten, bie natürliche 
Geftikulation im Trauerfpiele wie im Luſtſpiele entgegenftellten. — 

Zwei Bemerkungen für die Gegenwart knüpfe ich an bas Anbenten 
Echofs, der für beide den rechten Anlaß bietet. Er war ber erfte, ber bie 
Sitte früherer Schaufpielee und — heutiger Matabore, ſich auf möglichft 
vielen Bühnen fehen zu laſſen, Gaftuorftellungen zu geben und in foge 
nannten Paraberolfen ſich zu zeigen, verſchmähte und lieber in Hamburg 
eine neue Aera für die Schaufpiellunft beginnen wollte, von wo er mur 
in Nachbarſtãdte mit verfelben Truppe zog und fpäter in Weimar eine 
fefte Stellung ſuchte. Schon Schröder und Iffland ließen anf Theatern 
ihre Kunſt glänzen, benen fie nicht bleibend anzugehören dachten. Diele 
Sitte Hat viel Nachtheiliges fowol für ben gaftirenden Helben als für das 
Publikum, dem er ſich zeigt. Jener, gewiſſermaßen auf Eroberungen und 


von Dr. G. Gervais, 221 


Triumphe ausziehenb, will des Sieges auch gewiß fein und wählt Rollen, 
in denen er allein glänzen Tann, feis eine Hauptrolle, neben ber bie Mit 
fpielenden wenig zu Worte fommen, ober eine nntergeorbnetere, ber er 
eine befondere Bebentfamkeit zu geben ſucht. Die Zufchauer find nur anf 
ihn gefpannt, überfehen die Mängel der übrigen Akteure, die um feinet- 
willen oft mit Widerwillen ihr Gedächtniß für Stüde anſtrengen müſſen, 
die mit ihm wieder vom Repertoir verſchwinden; bemerken kaum, daß bie 
gegebenen Stüde 3. B. bie beften Shafefpenreichen, zu wahren Steletten, 
aber mit vollftänbig ansgeprägtem Kopfe, oder wohlgeftaltetem Leibe um» 
gewandelt find; gerathen in Entzüden über die Meifterfchaft in jeder Ber 
wegumg, jeber Stellung, jevem Blick und Wort des Gaftes. Der Hervorruf 
iſt ihm — nebſt einer guten Einnahme — ficher. Was aber Hat er ge 
leiſtet? Ein Kunſtwerk? Gewiß nicht, denn dieſes beruht im Ganzen, Nur 
ein Kunſtſtück, unwürdig feines Berufs, Was hat das Publikum empfan⸗ 
gen, genofjen, gewonnen? Seine Ilufion, mit dem Aufrollen bes Borhan- 
ges in eine Welt verfeßt, welche durch eine Harmonie von Gebanfen und 
Empfindungen, wie die wirkliche Welt fie nicht bietet, die äfthetifche Wir» 
tung ber Kunſt allein auf uns geltend machen will, wird durch Lücken in 
der Handlung, durch die Stümperhaftigfeit ber Ausführung geftört; ber 
Gaft, eine fremde Geftalt unter den befannten, erregt wohl Neugierbe, 
Staunen, Bewunderung, aber nicht Mitleid und Furcht oder Mitfreude 
und Hoffen, die in uns bie Leivenfchaften und Gemütheftimmungen ber 
Hanbelnden erweden follen. Wir jehen ven Vorhang am Schluffe finken, 
lehren ihm den Rüden und benfen — an bie nächfte Vorftellung, worin 
der große Mime wieder ein neues Kunftftüd uns zu zeigen verſpricht. 
Eckhof, ver geborne Hamburger, ließ alle Directionen zu Gewinn und 
Beifall anberwärts fortziehen und blieb mit wenigen Tüchtigen, ihm 
Gleichgefinnten oder von ihm Angezogenen zurück. Das Publikum, mit 
feiner Berfon, feinen Leiftungen vertraut, ließ allein ben Charalter, ven er 
fpielte, auf fih wirken; jeber neue Fortfchritt, jede neue Seite feines Ta⸗ 
Ients erhöhte die Aluſion, griff in bie Seele, begeifterte, rührte, erregte 
Heiterkeit, bildete vor allen Dingen ben Geſchmack, vermehrte das Ver⸗ 
ſtandniß der Kunft in einem Publikum, das nur kam, um das Ganze zu 
genießen, und nur im Ganzen Befriebigung fand. So wenigflens wid» 


222 Die Shaufpieltunk bis auf Leſſing 


mete Echof feine Kunſt dem Ganzen, und durch beibes feinem Publikum. 
Ein umgelehriges, unverfländiges Hätte ihn nnd nachmals Schräber nicht fo 

. banernd gefefielt. Doc fon bie. Meinung folder Schaufpieler, von 
einem großen Theile ihrer Mitbürger geliebt und geſchätzt zum fein, iſt ein 
Wahn, und es wäre fehr zu mwäünfchen, es hielte jeber Känftler Beftänbig 
and mit allem Ernft an ber Uebergeugung feft, auf Verbeſſerung bes Ge- 
ſchmacks und Veredlung der Sitten einwirken zu können. Dann wilrbe, 
was Schiller in ſchöner Begeifterung, von Höheren Idealen gehoben, 
wähnte, die Schanbühne eine Bildungsanſtalt, wirkſamer als Katheber 
umd Kanzel, für bie Menfchheit werben, „So gewiß ſichtbare Darfieb 
lung mächtiger wirkt als tobter Buchſtabe und Lalte Erzählung, fo gewiß 
wirft die Schaubühne tiefer und dauernder als Moral und Gefege.”x) 
„Die Schaubühne tft mehr als jede andre öffentliche Anftalt des Staates 
eine Schule praftifcher Weisheit, ein Wegweiſer durch das bürgerliche Ler 
ben, ein unfehlbarer Schlüffel zu ben geheimften Zugängen ber menſchli⸗ 
Gen Seele.) Dem Schaufpielergente Hat Ronflean, ohne es zu wol 
Ien, ja tm entgegengefegter Abficht die ideale Höhe feiner Kunſt vorgezeich⸗ 
net, durch die oben erwähnte Behauptung: „daß Schaufpieler tugend⸗ 
hafter fein müßten als alle andere Menſchen, wenn fie nicht verberbter 
fein wollten.” — 

Eine zweite Bemerkung betrifft die Wielfeitigleit des Talents. Schon 
vor Eckhof war fie auffallend und an vielen feiner Sünger iſt fie noch 
mehr bewundert worden. Im Grunde kommt es nicht baranf an, baf em 
Kunſtler vieljeitig, fonbern, daß er möglichft volllommen ift, unb man 
zwinge ja micht die eble tragiſche Natur, ber das Naive wicht zu Gebote 
ſteht, zu einer naiven, und bem Künftler, dem bie leicht ſcherzende Muſe 
hold ift, nicht zur tragiſchen Rolle. Aber fehr Häufig Haben angehende 
Schaufpieler noch eine Kenntuiß bes Umfanges und ber Befchaffenheit 
ihrer Kunſtanlagen. Diele irren fih fo ſehr im ihrer Beftimmung, daß, 
wenn man wiſſen will, für welche Rolle fie ſich am minbeften eignen, es 
tn ber Regel bie iſt, welche fie am liebſten fpielen. Im jenen wanbernben 


*) 6. Schiller: vie Sıhaubüßne als moraliihe Anftalt. Werte XI, 6. 82. 
“) Gbenbaj. 6.36. Bergl, auch S. 46. 


von Dr. G. Gervais. 223 


Geſellſchaften, denen in ſeiner Jugend Echof wie Schröder zugehörten, 
ang ſchon die Nothwendigleit und die befepränkte Zahl ber Mitglieder, 
daß jeder mögfichft vielgeäbt fich bewährte... Einer ruhigen Kunſtentwicke ⸗ 
lung entſchiedener Talente war biefes nachtheilig, und bie Beflern bedau⸗ 
gen ſich ein ihnen geeignetes Rollenfach, oder fuchten, wie Echof, einen 
teten Aufenthalt zu gewinnen, nm den Umfang ihrer Kraft aus dem Ur⸗ 
theil des beobachtenden Kunſtrichters zu prüfen, und über benfelben nie 
hinauszutreten. Das tft freilich immer erft eine Folge mannigfacher Ver⸗ 
ſuche, bie in der Jugend gemacht zn haben, eine Neife im beften Lebens 
alter Herbeifühet. Fur ſolche Entwidelung war es vortheilhaft, daß ba- 
mals junge Talente als Tänzer, Sänger, in Mäpchen- und Frauenrollen fich 
m zeigen, ober, was bei Leffing für den Schaufpieler Borchers ein gänfti- 
ges Borurtheil erwedkte, fih in alten Rollen frühzeitig zu verfuchen. „Dieſes 
zeigt von feiner Liebe zur Kunft, und der Kenner unterfcheidet ihn fogleich 
von ben vielen anbern jungen Schanfpielern, bie nur immer auf ber 
Bühne glänzen wollen, und beren eine Eitelleit ſich in lauter galanten, 
liehenswürbigen Rollen begaffen und bewundern zu lafien, ihr vornehmfter 
andy wol äfters ihr einziger Beruf zum Theater if.“ — Zu ben Verſuchen 
in ben verfchiebenften Rollenfächern kommen noch technifche Uebungen, Rei⸗ 
ten, Fechten, Tanzen, muſilaliſche Entwickelung, Spielen auf Inftrumenten, 
mintfche Darftelfungen, Balett u. a. m. Heute geht eine Sängerin mit 
guter Stimme umd Höchftens mufilalifher Ausbildung, die nicht felten ſchon 
iene allzufehr forcirt Hat, zur Oper, fpielt, wenn es mit ber Stimme ganz 
wm Ende gegangen ift, zweite ober britte Liebhaberin — wie es tm ber 
Theateralmanachsſprache Heißt — dann Anflanbe- und Ehreudamen, zu 
kegt Mütter und komiſche Alten, als ob ſich das Alles mit ben Jahren 
Rinde. Ein junger Mann von gutem Wuchſe, ausbdrucksvollen Mienen, 
lebhaften Ange, Hangvoller Stimme glanbt zum Liebhaber geboren zu 
fein, macht auch, fo lange bie Jugend dauert, Glück bei allen Bewunbrern 
jener Gaben; baum beſchließt er den Witzling zu fpielen, was ihm nach 
beffer gelingt; denn, wie Leffing jagt: „Das Lacherliche Tann der Wigige 
amb Unwitzige nachſagen, aber die Sprache des Herzens Tann nur das 
Herz treffen." — Cine Hohe, fleife Geſtalt, ſtarler Gliederbau, rollende 
Ungen, eine Steutorſtimme machen. heute einen Helden und ſcheinen für 


294 Die Shaufpieltunft his auf Lelfing 


Richard ILL, Erommell, Walenftein, Tel bie einzigen Erforberniffe. Doch 
bleiben wir and bei entſchiedenen Talenten, veichbegabten Naturen ftehen, 
bie als erfte Sterne auf unferen Hofbähnen glänzen, und als Gaftipieler 
europãiſchen Ruf haben. Die Einen finden wir einfeitig vorgebildet, ein- 
feitig entwidelt, bie Andern gelten von vornherein für Wunderleute, die 
Alles gleich vermögen, und zum Erſtaunen bes großen Haufens ihre Kunfte 
ftäde machen. Weber biefe noch jene haben Echhof barin nachgeahmt, jer 
den Charakter nach feiner Empfinbungs- und Denkweife, nad Sitten bes 
Volls und der Zeit, foweit e8 der Inhalt des Stüdes erheiicht, anfınfale 
fen, in jedem bis zur höchften Aluſion ein Audrer zu fein, und nicht eher 
zu einem nenen überzugehn, aber auch durch biefen Vorſchritt den Umfang 
feiner Kunſt zu erſchöpfen, „fo daß ex in feinen beften Jahren von ben 
heftigften und innigften tragiſchen Rollen bis zur feinften und niebrigften 
Tomifchen Alles in gleicher Volllommenheit fpielte.“ - 

Nun noch ein Wort von der Einwirkung ber Kunft auf bes Künftlers 
eignes Selbſt, und zwar, wie jene nicht bloß an einem Individuum, 
fonbern an dem ganzen Stande fich offenbart. — Daß durch ein Genie 
wie Edhofs nicht nur bie Kunft, fondern anch ber Stan des Schauſpie ⸗ 
ters in ben Augen ber Welt gehoben warb, beweiſt die Berehrung, welche 
bie Beften ver Nation dem Manne zoliten. Hatte bereits Gottſched, als 
er feine Thätigfeit ver Bühne zumanbte, die Gemeinfchaft mit Schaufpie 
lern für einen Gelehrten nicht entehrend gezeigt, fo fchlofien junge Männer 
von Kenutniffen und Bildung ihnen ſich noch enger an, und Leſſings vor⸗ 
aurtheilsfreier Geift gab auch anbern das Beifpiel, in innigem Verkehr mit 
firebenden Künftlern die Verbeflerung ver Bühne, bie Gottſched mißlungen, 
zu erzielen. Ihm ſchien dazu das Zufammenmwirfen mit benen nicht une 
würbig, welche dieſelbe Münftlerifche Aufgabe, die vor ihnen ber bramatifche 
Dichter zu loöſen verfucht, wieder aufnahmen, fich nämlich in bie einzelnen 
Charaktere feiner Dichtung zu verwandeln, um aus ihnen heraus — nicht 
buch ihr Subject — eine Aluſion der Kunft zu bewirken, 

Leffing fegte zu ber Erreichung feines Zweites auch feine kritiſche Fe⸗ 
ber in Zhätigfeit, unb begleitete die Vorftellungen in Hamburg mit ben 
teefflicäften Bemerkungen, Winken und Andeutungen für bie Schanfpieler. 
Er nahm an, der wahre Küuftler ſei von aller eitlen Empfindlichkeit ent- 


von Dr. C. Gewais. ’ 225 


rat, die. Kunft gehe bei ihm über alles, er Höre gern frei und laut über 
Ad urtheilen und wolle fi) lieber auch dann und wann falſch als feltener 
beurtheilt wiſſen. Uber zu bald nur mußte er erfahren, daß biefe einzige 
Schmeichelei, die er einem Künftler zu machen wußte, von ben Schau- 
ſpielern wie von dem Publikum nicht verftanden werde, daß beide über 
das Weſen der Kunft aufzuffären, verlorne Mühe und ein undankbares 
Unternehmen ſei. Denen, bie ber rauſchende Beifall der oft unverſtändi ⸗ 
gen Menge belohnt hatte, mißfiel es ſich Hinterher befrittelt, im öffentlichen 
Blättern getabelt zu ſehen. Leifing fuchte auch den Verbacht, daß er wehe 
tan wolle, ven Schanfpielern zu benehmen. Deshalb enthielt er fich lie 
ber jeder öffentlichen Bemerkungen über fie nnd entſchuldigte am Schluffe 
feiner Dramaturgie das leicht verlegliche Gefühl der Schauſpieler damit, 
daß es noch keine beftimmte Regeln gebe, wonach Lob und Tadel im ein- 
jelnen Balle zu bemeſſen fei, bloßes NRaifonnement und Kunſtgeſchwätz 
nichts wäge. Gelobt, meint er, werbe ber Schauſpieler fi nie genug, 
getadelt aber allezeit zu viel glauben, Da äftere wird er gar nicht ein- 
mal wiſſen, ob man ihn tadeln ober loben wollen. Ex ſchließt zulegt mit 
einem Erfahrungsſatz: „Ueberhaupt hat man die Bemerkung fchon längft 
gemacht, daß die Empfindlichkeit der Känftfer in Anfehung ver Kriti im 
eben dem Verhältniſſe fleigt, in welchem die Gewißheit und 
und Menge ver Grunbfäge ihrer Kunft abnimmt,“ 

So verziägtete der ſchärfſte Kritiler, der je Schauſpielern bie treffend» 
Pen Lehren in milvefter Weiſe geboten, auf biefe Belehrung, weil er bas 
Recht nicht zu haben glaubte, eine Schwäche des Standes zu kränlen. 
Fragen wir, worin dieſe Schwäche ihren Grund hat, fo iſts bie Eitelleit, 
unfehfbar der verbreitetefte Fehler in dem Schauſpielerſtande. Aber man 
muß and geftehen, daß bie Schanfpieler mehr als andre Mühe Haben ſich 
verfelben zu erwehren. Die angeborene Reizbarkeit ihres Yunern wird 
täglich nem angefacht und erhalten, Lob, Tadel, Kräntung, Ueberfcgägung, 
Mes wirkt baranf ein, und es tft feine geringe Nüchternheit des Verſtan⸗ 
des erforderlich, bei bem tobenden Beifall der Menge in ben Schrauken 
mbiger Selbftfchägung zu bleiben, beſonders wenn Neid und Geringicgägung 
hinterher ſich feindlich entgegenflellen. Darum wäre es der Kritik gezie⸗ 


mender, Lefſtugs Beiſpiel zu folgen und um ber Bersiene witien, die 
uuyı. Benstöjgeift Dr. LIL Oft 8. 


236 Die Schaufplehuß bis auf Leffing 


" großen änfilern yuerlasınt werben miüſſen, Ihre Schwäche zu ſchonen. Eine 
VNeurtheiluug ihrer Leitungen wirb im beflien Falle fie mr verwirren. 

Gau, ein andres iſt es, Städe in ber Weiſe zu beſprechen, daß mit 
Sachlenntuiß und Feinblick auch eine Beleuchtung über die Auffaffung ver 
einzelnen Charaktere darau geknüpft werbe, die den Spieler belehren, ihn 
ins Mare wit feiner Aufgabe fegen könnte. Ohne baß feine Perſon tan» 
girt würde, fähe er dann in eine camera obacura, bie für das Schaffen 
feines Bildes von Nugen fein könnte. Deffentliche Beiprecjungen über 
lebende Küuftler Haben immer etwas Verlegendes; auch fein Lob ift dem 
wirllich großen Künftler nicht angenehm, denn, ba er ber Mittel feines 
Schaffens ih bewußt ift, kennt er auch nur allein ihre ganze Wirkung, 
uud zweifelt minbeflens an ber richtigen Würdigung, bie ihm von Anders 
38 Theil wird, Doc abgeſehn davon ift die Recenfion des Bühnenfpiels 
uuſchidlich. Den Schauſpieler, der auf öffentlichem Schauplage feine Lei- 
fang einem Publikum’ Hinftelit, das feinem Gefühle folgend Beifalt ober 
Mißfallen ausbrädt, muß es darum eben verlegen, wenu das, was er mit 
Gelbfwerleuguung für einen Einflerifcpen Zwed ſchuf, in ganz fubjectiver 
Auffaſſung, oft mit dilettantiſchem Ratfonnement, befrittelt wird. Aufjäl- 
liges Ungeſchich, offenbare Tälentlofigleit der Spieler, Verftöge und Man 
gelhaftigleiten der Aufführang follten nur den Directionen zur Laſt gelegt 
werben, beren Pflicht es ift, nur techniſch geübte und talentbegabte Spieler 
bie Düßne betreten zu laſſen, und fie am rechten Drte zu brauchen. 

.. Neben der Citelleit find Neid, Mißgunft, ver Glaube zurüdgefegt zu 
fein, allgemein verbreitete Fehler in einem Stande, der noch immer auf 
Koften der Kunft und ber Sittlichleit Beifall zu erringen verurtheilt wird. 
Nicht wie in andern Berufökreifen geben dem Künfller feine früfern Lei 
flungen, fein Dienfalter, nicht einmal Glück und Protection Befriedigung 
bes Ehrgeizes ober and; nur beſcheidener Wänſche. Vielmehr wirb jede 
feiner Leiftwugen nad) eignem Waßſtabe gemeflen, das Alter raubt ihm oft 
den wohl errungenen Lorbeer, das @lüd vermag bem Talente keinen Vor⸗ 
Wand zu thun, bie Proteetion wird eher ein Anla zum Mißſallen. Kurz 
auf fig allein in Geber in biefem Stande gewieſen, Barum will Jeber in 
einer: daukbaren Ralle Beifall ernbten. Zwei Uebelſtände erwachſen bar- 
ans für bie Kuuſt felber, ein Dafchen nach Effect und das Mefschen, Die 





von Dr. E. Gewais. : 227 


Nitſpielenden anszuflechen. Beides verwien ſchon Lrifiug. „6: Tännte 
leiht fein,“ fagt ex in der Dramaturgie, „daß füh nufre Schauſpieler bei 
der Mäßigung, zu ber fie die Kunſt auch in den heftigen. Leideuſchaſ ⸗ 
tn verbindet, in Anfehung: bes Beifallg nicht allzu wohl ‚befinden bite 
im. Aber ‚welches Beifalls? Die Gallerie ift freilich ein gryßer Liebhaber 
des Rörmenden und Tobenden, und ſelten wirb fie ermangelu, eine gute 
unge mit lauten Händen zu erwiedern. Auch das deutſche Varierre ift 
aoch ziemlich von biefem Geſchmacke, und es giebt. Acteurs, bie ſchlau ger 
aug von biefem Geſchmace Vortheil zu ziehen willen. Der Skhläftigfte 
“ sfft ſich gegen pas Ende, der Scene, wenn pr abgehen fol, zuſammen, 
tchebet anf einmal bie Stimme und überladet die Action, ghng zu übrr« 
| gen, ob der Sinn feiner Rebe biefe höhere Anfirenguug auch .erfgxbere, 
Richt felten widerſpricht fie fogar ber Verfaffung, mit der er abgehen foll; 
aber was thut das ihn? Genug, daß er das Parterre dadurch erinnert 
dat, aufmerlſam auf ihn zu. fein und, wenn es bie. Güte haben will, ihm 
nechzullatſchen. Nachzifchen follte es ihm! ‘Doch leider iſt es theils nicht 
Renner genug, theils zu gutherzig, und nimmt bie Begierbe ihm gefallen 
za wollen für die That.” An dem zweiten Webelftande ſcheinen bie Schau: 
fpieler minder ſchuldig, weil ihe Bemühen, Alles aus einer Role zu ma 
den, was fie geftattet, eher Lob verbiene. Gleichwol ift es kein Paradogon, 
wenn Leffing von einer vortrefflichen Schaufpielerin, die in Berlin bie Or⸗ 
ina fo ſpielte, daß das Ende bes Stüdes Nicolai'n matt vorkam, ſagt: 
«fe kann aud wol zu vortrefflich gefpielt haben; denn auch das if ein 
' ler, und ein verfläubiger Schauſpieler muß nie feine Rolle, wo es. nicht 
uthig if, zum Nachtheil aller andern Heben!” — Beiderlei Mißbräuchen 
vxermag eine Theaterſchule und eine kunſtverſtändige Direction zu ftenern 
ia fie vermag bie vorhin genannten Fehler, bie mehr ober weniger dem 
Shanfpielerftanbe eigen find, wenn auch nicht ganz zu unterbrüden, doch 
! iren ber Kunſt nachtheiligen Folgen vorzubeugen, Die Theaterſchule 
eſorſche, Bilde und prüfe die zur Künftterlaufbahn befähigten Sänger, jede 
direction ſei gehalten nur ſolche anzuftelfen. 

Dan wende nicht ein, daß bie freie Kunft dadurch in Feſſeln geſchla⸗ 
xn werbe, ober baß das Genie feiner Prüfung und Beſchränkung ſich un. 


Imwerfen dürfe, ba es oft erſt bas nie zuvor Geahnte ſchaffe. Mit der 
\ 16° 


328 Die Schauſpieltunſt bis auf Leffing von Dr. C Gervais. 


Freiheit der Kuuft flieht die Unterorbnung bes Käufllers nicht im Wider⸗ 
ſpruche; und was gelehrt, gewedt, geprüft wird, find bie Nutanwendungen 
der angebornen Anlagen für eine Kunft, bie, abgefehen von allen neuen 
Schöpfungen der Dichter und Schaufpieler, in ihrem letzten Zwece bereits 
Ariſtoteles erfannte, den zu erreichen die Mittel fich finden laſſen, ohne 
daß ihre ganze Wirkſamkeit und Tragweite, bie das Genie unbewußt ent 
dedtt, je erfhäpft werben. 

Daß freilich noch nicht einmal die Mittel im Allgemeinen richtig und 
altfeitig bei ben modernen Nationen zum Haren Bewußtſein und darnach 
zur techniſchen Ausübung gekommen find, beweift, wie wenig uns baran 
gelegen, aus ber dem Genius unbewußt inwohnenden Schaufpieltunft eine 
auf Regeln baſirte Schaufpielerkunft zu gewinnen. Diefe kann erft gefhaf- 
fen werben, wenn neben andern Runftafabemien auch eine Theateralademie 
unter ber Aufficht des Staates und unter Leitung techniſch geprüfter und 
geiftig bewährter Vorſtäude vorhanden if, aus der allein bie öffentlichen 
Bühnen des ganzen Landes — alſo Staatsbühnen — ihre Spieler er 
Halten. Dann erſt wird and) jeder Makel, ver noch dem Stande anlebt, 
ſchwinden. So lange die Hauptbebingung für "das Gedeihen jeder Kunſt, 
Biloung und Leitung, ber Schanfpieltunft fehlt, jo lange Hofbühnen Min 
nern von bilettantifgen Kenntniſſen, bie eine Liebhaberei für bie Kunft 
zeigen, Provinzialbühnen der Speculation, die Meinern privilegirten Herum- 
ſtreichern überlaffen werben, iſt der Schaufpieler feiner eignen und jedes 
Andern Willkür preisgegeben, weber feine Kunſt noch fein Stand gewahrt, 
und nur bie Kraft bes Genies zu bewundern, bie troß ber Wiberwärtig- 
teiten und Gefahren zu Anerkennung, zu Ruhm gelangt. 


Aus Yltprenffens Bechtsgefchichte. 
(®al. IT, 604.) 
Bon 


Br: Emil Steflenhagen, 
Brivatbocenten an. der Univerfiät Aönigaberg. 


m. 
Ber Rulmer Oberhof. 


1. Schon bie erfle Sanbesorbuung, bie ber Orden bei feinem Ein⸗ 
tritte in das Ammerland erließ, bie berühmte Kulmer Handfefle vom 
28. December 1233*) (erneuert 1251), führte bas Magde burg iſch e Stadt⸗ 
recht als Entſcheidungsquelle ein und beflimmte zugleich als Oberhof, von 
weichem Rechtobelehrungen und gefiholtene Urtheile geholt werben follten, 
den Schöffenfiuäl ber vamaligen Hauptſtadt Qulm. art. VI, VII ber 
Handfefte bei Leman Kulm. R. pag. 6: 

VI. Wir seczen ouch in den selben steten Meidebur- 
gisch recht yn allen orteilen ewielichen czv haldene n. ſ. w. 

VII. Is das ouch in den selben steten keines ozwiuelis 
twalm wirt von gerichtis rechte. ader von orteilen gerichtis 
rechtes. des selbes gelides sal man vragen dy ratlute der 
stat Culmen. wand wir dy selbe stat houbtstadt vnd di 
wirdigisten wellen wesen vnder den andern steten u. ſ. w. 

An ven Kulmer Schöffenſtuhl wurden dann bie nen gegränbeten 
Städte und Dörfer in ihren Privilegien noch ausbrädlic; geiviefen (Voigt 





=) Richt 1332! Ueber die richtige Auflöfung des Datums: Töppen Vreuß. Hifter 
riogtaphie ©. 279 und Watterich Orbensftaat ©. 221. 


230 Aus Alwreußens Rechtegeſchichte 


Rechtsverf. Preuß. p. 14). Zwar werben auch Marienwerder, Chriſiburg 
Oſterode, Gilgenburg, Liebſtadt als ſolche Orte genannt, wo benachbarte 
Dörfer und Städte ihre geſcholtenen Urtheile „ſuchen“ ſollten; fie jedoch wa⸗ 
ren nur Mittelgerichte, die ſelbſt um Rechtsbelehrung nach Kulm gin- 
gen, und von benen eine weitere Berufung ebendorthin möglich war (Voigt 
lo. S. 15f. Hartknoch Alt- und Neues Preußen II, 627). Der Kul⸗ 

‚mer Schöffenftugl war alfo die höchſte Inftanz für bie Preußiſchen Städte 
und Dörfer inegeſammt (ſoweit fie nicht nad Lub iſch ein Rechte Iebten),=) 
mit alleiniger Ausnahme von Thorn, das ebenfo, wie Kulm, feinen 
Nechtszug felbftländig nach Magdeburg nahm. Den „Kolm“ haben ober 
das Recht des „Oberkolmes“ bedeutete daher ſo viel, als die letzte Inſtanz 
bilden ([Simfon] Nachrichten über die Erünbung und Yortbilbung d. 
Tribunals zu Königeb. p. 2). . 

2. Bis in bie Mitte bes XV. Jahrh. blieb Kulm der höchſte Ge 
richtehof für Preußen. Als aber in dem Aufſtande des Bundes der Land ⸗ 
fchaft und Städte 1454 Kulm vom Orden abgefallen war, um nie mehr 
wiedetgewonnen zu werden, verlor es auch feine Bebentung als Hanpt- 
fiase und Oberhof. Statt deffen erhlelt bie Altſtadt Königsberg, die 
1485. zum Orden zurücttat, das Hecht des Oberlolmes, und bie Appella- 
tionen nach Kulın Härten auf. Es heißt darüber in ber „Unterrichtung in 
die Aulmer Handfefle* bei dem citierten- art, VII Manafeript Ao. 8 fol, 
der Rönigen, Etabtbibl.®) DI. 10: 


*) Huf diefe' feine Qualität als Oberhof beruft ſich der Aufmer Schöffenftubl in 
zwei Rechtsfragen nad Magdeburg: Stobbe Beitr. zur Geld. d. deutſch. R. 
p. De, 98 Voigt Rechtsverf. 6. 18f. mit N. 34. — In einer alten „Landes: 
‚und Stäbte-Willkte” (Steffenhageri Magdeb. Recht h. 2 R, 8) wird beftimmt: 
Alle, äy gefcholdene orteyla kogen den kolmen ffuren, füllen era 
jrer cserunge vj gutte mark haben vnd nycht mer (cf. Curide Beichreibung 
von Danzig ©. 18 Hanow Geld. d. Calmiſch. R. 8. 51 h) und weiter: 
' Wen ayn orteyl eyn kumpt, das gefchulden jft,.das [al man brechen 
myt des heren borchgrenen wylien, an den js ouch gefchreben fteth, 
vnd der js ouch wndyr feyme [ygel kn dy kolmer fendet u. |. w. 
d) Bol. Schweikart in Kamp’ Jahrbuch. Bd. XX VI, 258 R.25 Simfon lc. 
Note 6 alin. 2. Weber andere HH. f. Monatafchr. II, 659. — Gedrudt ift die 
Unterrichtung“ Danzig, Franz Robbe 1689. 4° (Hanow Geich. des Eulm. R 
$. 40). 


von Dr. Emil Eteffenbagen. 231 


m.» » biefelbige Stabt Colmen iſt auff bie Zeit ein Heudt⸗ 
fiabtt gefeget wordenn, and bis in ben groffen Kriegk echte 
Henpftiftabt gepfieben, Da aber das Landt za Preuffen im fel- 
ben Kriegk [getremnet°)] vnd gerthelfet iſt worden, iſt darnach 
anff diefer Seitten die Alteſtadt Königopergk vor eine oberſte 
Heuptftabt, als vor Zeitten bie Stadt Colmen geweſen, von der 
Oberleitt derorbenet worden, dahin man alle geſcholtiene Vrtheill 
aus ben ahbren Stebten auff biefer Seitten hatt muſſen appelſi⸗ 
ven und bafelbeft rechtfertigen laſſen“ u. f. w. 

Die Zeit, wann biefe Veränderung eintrat, witd verfchteben angege ⸗ 
ben: bald Mmäpft man fie an den Thorner Frieden v. 1466 (Dariknoch 
lc. II, 594 Medelburg zar Chronik des Joh. Freiberg ©. 10 0.48), 
bafo unmittelbar an ben Nüdfali Rönigsberg'si. 3. 1466 (Baber Haupt ⸗ 
und Reſidenz · St. Könige. p. 196 cf. Simfon l.c. &.2, 3). Eine be 
ſtinnnte Entſcheidung läßt fi Hier nicht geben, ba die Verlegung bes 
Oberfolmes auf das MirMkbtifhe Nathhaus in Teinem ausprlcktichen Vri⸗ 
vileg ausgefprodgen iſt (Breiberg’s Chronik v. Mecelburg &. 10 bei R. 81), 
die fpäteren Berichte aber den Zeitpumft mnentfähieben Iaflen 

3. Aus der Rechtspraxis der Kulmer-Schöffen Haben ſich verkii- 
ufgmäßig nee wenig Urtheilsfprüche erhalten. Auter einigen blos gele- 
gentfichen und mittelbaren Zeuguiſſen, ) fiehen zumächft in einer Danziger 
Dandſchrift (Homeyer Rechtsbüch. No. 189 Behrend Magd. Beag. p. II) 
S1BEH ff. and 191° ff. Berichte über je zwei Aulmiſche Rechte⸗ 
ſachen, bie beiben erflen v. 1326, 1391, ber dritte ohne Beitangabe, ber 
vierte v. 1423. — Ferner kennen wir em Weisthum fär die Könige 
berger Schöffen, das in drei HH. Begegnet (Steffenhagen Catalog: 


) Ergänzung aus anderen Handſchriften. 

4 1) Stoffenbagen Catal, No.CXIX, Bo ul. 2, 2) IX Bäder Magbeb. I. 
(Steffenhagen p. 20 Monatsſchr. II, 30). 3) Magdeburger Fragen (Behr 
rend 7.21 R. 11, 11.2. 17. N. 10, 111. 6.2 R. 29). 4) Magpd. Urtels 
ſammlung für Aulm (Stobbe Beiträge zur Geſch.d. deutſch. 3. p. 102, 1101. 
114, 120). — Bapegen IR bie irrige Meinung, wonach man früher Kulmer 
Urtheile im Alten Kulm zu finden glaubte, jept antiquiert. 

«) Die 9. iſt in der vorigen Minhellung 9: 4 «’Dtsiche. 11,607 fi.) bereits ger 
nauer deſqhrichen. 


232 Aus Atpreubens Aechtageſchichie 


No. CLXXII, 9; CLXXV, 8 Monatefäir. I, 78). &s beſteht in allen 
dreien übereinftiinmenb ans 19 Artileln, in ber britten noch mit angehäng 
ten Rechtofägen, bie vielleicht ebenfalls von den Kulmer Schöffen herrüh⸗ 
ren. Die Abfoffang fällt nicht fpäter ale 1444, da bie dritte, ältefte 9. 
dem genannten Jahre angehört,") währen die anderen beiben ans dem 
XVI. Jahrh. ſtammen. 

Das Weistäum ſcheint der Mittheilung nicht unwerth, und wir geben 
es nad) der 9. v. 1444, mit den erheblicgeren Varianten ber beiden an- 
deren, die mit A (— H. der Königsberger Stabtbibl.) und B (= 9. der 
Wallenrodrſchen Bihfiothef) bezeichnet werben. AB liefern ben Tert burg 
Suhalts-Ueberfchriften interpoliert und in meiflens übereinftimmender, vom 
Grundtegte aber Häufig abweichender Geftalt.s) 

Defe nochgefchrebin [schin [cheppin cau koning[berg esum Colmen 
j fich habin lafin vnäirrichten. 

[{1.] Clegit eyn man fchadin vf den andern, der im entftanden (y 
von eyner fachin, dy dor vor gerichte were geweilt, fo fal der oleger 
den ſohadin bewifin, alzo recht ift; jft abir dy fache vor gerichte 
nicht geweilt, fo mag der antwerter der fachin bekennen adir lokin 
mit rechte, vnd der cleger mag den fchadin vff en nicht geczugen. 

[2] $ Item fchilt eyner dy fcheppen, adir reth en an iren eydt, 
alz. das ſy ich mit em vmme dy fache gebin in eyn recht, fo mogin 
dy fcheppin eyn teil vfilteyn vnd clagin, vnde das ander teil orteil 
fioozinde vindin mit rechte, vinme ires felbift fache von rechtis wegin. 

I3] $ Item tedingit eyn man obir foheppin orteil, der fal gebin 
ſyms widdirfachen, kegin deme her orteil fregit, eynen firding, vnd 
dem -richter iiij ſ', vnd ift den fcheppin, noch nymande dorrbir 
pflichtig. , 

[4.] $ Item eyn fcheppe mag heyfchin obir eyne ikliche fache 
oynen fchilling,*) der fachin her gedengken fal,‘) von ‚rechtis wegin. 


1) Steffenhagen Magd. R. p. 6 f. Mmatsfcr. I, 16f4 

©) B ftimmt mit A, nur Smal gebt er, anftatt mit A, mit dem Grundtegte, dmal 
feinen eigenen Weg. 

») AB fh. der pfennige, die de genge felnt, 

#) der... [al] AB vmb das [ie die fache gedencken muſſen. 


von Dr. Emil Gteflenhagen. 233 


[5.] $ Item eyner wundin fulleift, dor blut adir bloe wirt bie 
gelegit, dy fache ift czugbar von rechtis wegin. 

[6.) Item fulleift, alleyne die fache eynlicozigk ift, fteit her nicht, 
man echtit en von rechte. 

[7.] $ Eyne befscezunge [al man vff bieten czu dren dingin, vnd 
cu deme virdin dinge fal mans jm geweldigin zcu eyme pfande, 
Das pfant (al man vff bieten czu dren dingin; jn deme dritten dinge 
Gl mans jm eygenen zcu uorkowffin in deme nheften marktage,*) ap 
es varnde gut iſt; jſt es aber leginde grundt, dy fal man teilen zcu 
haldin ioer vnd tag. 

(8.] $ Eyn richter mag eyn geheigit ding machen mit dren 
(cheppin; ift es aber noetfache, ſo mag her es thun mit czwen fcheppen, 

[O.] Item fechs fcheppin fullin weſin, dor man eynen kundigit in 
dy ochte. 

[10.) $ Eyn richter mag eyn ghehegit ding machin, wor es noet 
tbut, von rechte. . 

[II.] Eyn richter mag mit geheitem dinge heymelichin in gefengnis 
geyn, vnd') vorhoren eynen man von rechtis wegen. 

[12.] $ Item tedingit eyn vorfproahe obir fcheppen orteil, vnd 
das orteil der howbtman nicht voriaet, fo vorbufit der howbtman 
nicht, funder der vorfprache gibt dem richter iiij ſ'; voriset aber der 
howbtman daz orteil, her mus es vorbufin, alzo vorgefprochin ift. 

[13.] $ Item hot eyne frauwe czwierley kinder, alz das das irfte 
kint ift von der muter gefcheidin vnde geteilit ſynes veterlichin erbis 
in rechter vormuntfchaft vnd vorioet vor geheitem dinge; fo ftirbit”) 
denn das erfte kint, das dor mit rechte abegefundert ift: fo erbit ſyn 
gut mit merem rechte vff fyne muter, denn an fyn halp bruder, 
aleyne der halp bruder fteit®) mith der muter vngefundert°) fynes 
veterlichin erbis vngefundert.?) 

%) AB marckte, 

») AB mu 

=) AB [tärbe, 

»)f. AB, 


) AB vogeteilet feint, 
) f. AB, 


234 Aus Miperufpend Reihtögefäichte 


[14.] $ Apfich eyn man czoge an [yne Iyngkouffis luthe, #) vnd der 
ander im des nicht uolgin wolde: ap“) der linckoufs Iuthe geczugknis 
moge mechtig fyn? Her mag nicht mechtig fyn von rechtis wegen. 

[15.] $ Ap czweyne erbe gebuwit weren vff eynen ftenger vnder 
eyme dache, vnd der eyne fyn erbe vorkowfte: ap der ander denn 
das erbe moge by fprachin, adir ap der erfte, der daz erbe vorkouft 
hot, moge eyn gewere [in des erbis? Her mag des eyn gewere fyn 
von rechtis wegin; vor ioet es ouch dy nheſte ‚be, fo'mag es dy 
vorder®) nicht by [prochin. . 

[16.] $ Item ap drij adir virt) lute czins habin vf eyme erbe, 
vnd das erbe vfgegebin wirt vor den ezins: ap der denne, der den 
leften czins ‘hot an*) deme erbe, fal den erften iren czins abeflaen 
vnd lofin,”) ap fy den habin wollin; addir ap ſy ) glich bırwin fullin 
vnd dez erbis“) glich gebruchen?) Sy fullin das erbe") glich buwin 
vnd glich“) gebruchen von rechtis wegen. 

[17.] $ Ap eymer den andern heifit eynen diep, vnd im keynes 
das vf fynen rugken gebunden hot,%) der fal jm“) das vorbufen mit 
eyner lantbufe,#) vnde deme richter iiij [’.°) 

[18.] $ Ap eyn borggrene habe gnade zou thune ane des clegers 
wille? Her hoth nioht gnade zeu thune ahe dez olegers wille, adır 
der oleger ane des borggreue.") 


) AB fh. vmb einen kanfl. 

r) AB fh. denn. 

*) AB fü. ſibbe. 

‘) AB mehr. 

“) AB anf, 

”) a. v,1.] AB ablöfen, 

") AB ff. das erbe, 

»)d. ea) f. AB. 

7) AB fi. oder was rocht fey. 

de). AB, 

=). AB. 

®) vnd .... hot] AB vnd bekennet das vor gerichte. 
%) AB dem cleger. 

44) e, 1) AB eym wergelde. 

 ) ij .] AB fein gewette, von rechts wegen, 
#) d. b,) B den burggrauemn, 


vom Dr. Emil Gteffenhagen. 235 


[19.] $ Wundit eyn man deme andern czwier wundin adir meyr; 
bekennet her des yor gerichte, fo fl her bufin.vor.ikliche fache, die 
dor czugbar ift, dys) haut; jft der wundin meyr, denne der hende, 
eyne ikliche wunde fal her vorbufin mit eym halbin#3) wergelde.4)*) 

[Das Folgende von anderer Hand fehlt in AB] 

[20.] Heifzet eyn man denn anderen eynen meyneyder, vnde 
bekennet her des, zo fall her ig deme clegere vorbufzen mit. eyme 
firdungk, vnd dem richter feyn gewette von rechtis ‚wegen. ö 

[21] Item app .eyn man ortell fohulde vff der baungk eyme 
anderen czw fchaden, ap den der, deme das orteil oru fromen vanden 
was, deme fcheldere widder zcw gebe vnde nicht .liffe awfzgeen: ap 
man deme fcheppen icht vmme das gelohulden orteil bufze fulde 
geben, ader was dorvmme recht moge, feyn? Der das orteil fchilt, 
der {al deme fcheppen das vorbuflenn, vnd deme richter weiten. 

[22.] Item ap eyn vorfproche ſtunde yn dryn ader iiij perſonen 
warte yn eyner clage, vnde itezliohem geteidingkt were eyn vullrecht, 
vnde dy felbin orteil [chullden, vade das gefchulden orteil worde 
vorloren; das fal itezlicher dem fcheppen vorbilzenn mit eynem fir- 
dungk von rechte, vnde deme richter ſo manch gewette von rechte. 

[23.] Item obir nachte wunden, fieet her. nicht, man echtet' en. 

[24.] Item ap man vnde weib, dye elich ozwfamme fteen, vad 
ane kint (eyn, mogen leiprente koffen czw erer beider leben ane erben 
gelobb, alzo das eyns dem anderen dy rente moge erben noch feyme 
tode, ader ap is dy erben mogenn gebrechen von rechte? Sy mogen 
is nicht gebrechen ader geweren von rechtis wegen. 

[25.] Item ap eyn man feynem elichen weibe gunde leiprente 
czw kouffen von ir beider gutter czw irem leibe alleine: ap das dy 
erben von beidenn feiten mogen gebrechen ader nicht? Sy mogen 
is nicht gebrechen von rechtis wegen, 

ss) AB zu, 

iA 

8) A bat am Schluffe die Jahreszahl 1543. 

*) Bol. Monatzfr.I, 73. — Ueber die Geſchichte des Wergeldes in Preußen: 


Malverſtedt Neue Preuß, Prov.Vlaner Die Folge 1858. IT, , 518, 5” 
IV, 298, 430 Voigt Geld. Preuß. IV, 594, 


236 Aus Atpreubens Rechtsgeichichte 


[26.] Item ap eyn man feynem elichen weibe, ader das weibb 
irem elichen manne moge gelt vnd gut geben, ozw entphoende noch 
irem tode czuuoraus vor den erben, ane erben geloub von rechte, 
vnd dy gift gefchee an mechtiger dingftath? Sy mogen is nicht ge- 
thun vs rechte. 

[27.] Item ap eyn man welde feheppen ufftreiben, vnd ander 
fetezen, vnd [y mit rechte obir yn quemen, das ſy fitezen mochten: 
was ſeyne bufze.were von rechte? Itezlichem lantbufze. 

[28.] Item ap eyn man beweilzen fulle awfzradunge [eynes kin- 
des, ader ander gegeben gutter: das fall her beweifen felbfebende mit 
vnuorfprachen leuten noch toder hanth. 

{29.] Item lantbufze fal man beozalen bey dinckezeiten. 

[30.] Item ap eyn man haufzgenofzen ader knechte hette jn fey- 
nem haufze, dy enn vorwunten, ader fey geftule, (ey gebewde, tiffche, 
ader was defz gleichen were, czwbrachen, das ift alzo wol hawfzfrede 
gebrachen, als ander, dy von bawfzen eyn quemen: jft dy wunde des 
ozymmers geledis lang vnd nagels tiff, wem man dor vmme befchul- 
diget, her entgeet felbfebende; ift ſy nicht ledis lang vnd nagels 
tifl, fo entgeet hers ſelb dritte von rechtis wegen. 

[31.] Item eyn man, der fich aus ‘der ocht fweret, do hoth eyn 
vorfproche eygentlich lon von. 

[32.] Item ap eyn man beclageth den anderen mit geozeuge, vmme 
was fache is (ey, vnd der antwerter antwert och mith geozewge; 
wenne den der tag kumpt, das dy eyde gefcheen fullen, vnde denne 
der antwerter nymande kunde gehaben, der em hulffe czw feyme 
rechte: ap her denne ouch elende fweren moge? Hiruff geet das 
recht: Der antwerter fall fweren, als her vorheiffehen hot, mit ge- 
ezewge, vnde moge nicht elende fweren; went das recht dinet czw 
fchaden vnd czw fromen von rechtis wegen. 

4 Sodann findet ſich in einer Königsberger H. des XV. Jahrh. 
(Steffenhagen Catal. No. CLXI, 4) eine größere Zahl von Kulmer 
Schöffenurtheilen, die wir ebenfalls mittheilen. 

Diffe nochgefchrebene fachen [int yndem Colmen gefroget vnde berichtet, 

[1.) Czcu dem erften. Ozwene komen vor eyn geheget ding 


von Dr. Emil Gieffenbagen. 2337 


vode nemen eynen dingtag, vnde der eyne gelteet nicht: ap nu der 
ander dy fache uff en gewonnen habe? Hiruff eyn antwert! 
Nemen czwene eynen dingtag uff flechtis bey der fache ane vulwil- 
korunge, vnde der eyne nicht gefteet, der fal dem richter buflen vnd 
kumpt wedir ozu feyme rechte; wes lich abir eyn mundig vorwilkort 
ja mechtiger fiat, das bricht ym feyn lantrecht. 

Item aliud, 

[2.] Czwene nemen eynen äingtag, bey der lache czu gefteen, 
vnde der eyne gefteet nicht: ap der ander hulffe rede moge geniffen, 
adir was recht fey? Hiruff eyn antwert: Czwene komen vor eyn 
geheget ding vnde haben eynen dingtag nemlich uffgenomen vor ge- 
hegetem dinge, alzo das eyner vorwilkort, bey der fache czu fteen, 
alzo fprechende „Geftee ich nicht den tag, fo wil ich dy houptfache 
haben vorloren“; gefteet her denne nicht: fo meyne ich, her habe dy 
fsche vorloren von rechtis wegen. 

Item, 

[3.] Wen man eynen vorboten fal, yn des gut geolaget ift, czum 
erften, czum andern vnde czu dem dritten mole, vnde czum vierden 
mole: ap man dy vorbotunge fal teylen czu dryn dingen ader czu 
dem virden’dinge, vnde wer dy vorbotunge thun fal, das gerichte 
adir der cleger, der. fin darff, vnde wy man eynen vorboten fal? 
Hiruff [prechen dy fcheppen czum Colmen: Wenne man 
eynen vorboten fal, yn des gut ift geclaget, czweer noch dem erften etc., 
das recht ift vffenbar; wen man eynen abewefenden man fal vorboten, 
dem yn feyn gut ift gefprachen, den fal vorboten der cleger, deme 
bebotunge wirt geteilet, zu dryn dingen; hat der abewelende man 
erbe vnde legende grundt yn dem felbigen gerichte, dor feyn gut ift 
ynne vorfprachen mit rechte, dor eyn fal man den abewefenden man 
vorboten von rechte, vnde nicht vorder. 

Item aliud. 

I4] Ap eyner wurde gewunt yn das oer obene, das dy wunde 
were awlfzgerillen nagels lang: ap das eyn blut fey adir eyne wunde, 
wnde was recht eyn ore hat an wunden oben adir nedene an dem 
lepehen? Hiruff alzo: Ap eyner wurde gewunt yn das oer obene 


288 \ Aus Altpeeubens Nechtsgeſchichte 


adir durch das oerlepchen, das ift eyne wunde vnde fal geczeug 
Item aliud. 

[5.] Ap dy fcheppen phlichtig feyn, eynen toden oau befeen uff 
der galle adir ya dem hawfe, do her geflagen ift, adir ap man yn 
yn des richters haws fal tragen? Hiruff (al man wilfen: Wirt 
eyn man czu tode geflagen uff der gafle adir yn eyme hawfe, vnde 
denne des toden frundelinge yn friffcher tat das gerichte dorumme 
befuchen: fo füllen dy fcheppen mit gehegetem dinge geen vnde den 
toden uff heben noch rechte, Gefchege ouch, das eyn man gewunt 
wurde fo verlichen, das her vor wnmacht nicht mochte komem czu 
gerichte, das man en hefee noch rechte: fo fal der yn friffoher tat 
feyne vnmacht beboten czu gerichte, das der richter dy fcheppen dor 
czu fugen fal, das ſy den gewunten man befeen. 

Item eyns merke. 

[6.] Ap eyner wurde czu dinge geladen mit dem boten czu dren 
dingen, vnde nicht geftunde; ap der ander dy [sche uff yn gewonnen 
habe uff feyne hulffe rede, adir ap her en azmı dem vierden dinge 
laden fulle, vnde wy lange man hulffe rede warten fal, ozu xiiij tagen 
adir czu dren dingen? Hiruff wil das recht: Was ladunge der 
wronebote yn das gerichte ozeuget, das ift mechtig; wurde eyner ge- 
Inden vnde nicht geftunde, dem teylet man dy bulle, czum letezten 
teilet man ym uff’ hulffe rede; brenget her der nicht czu rechter 
dingezeit, fo teilet man yn vorwunden adir obirwunden yn den fachen. 
Brechte eyner ouch hulffe rede, dy van rechte nioht beſteen mochten, 
das were ym vnhulfflich ozu feyme rechte, Wenne vier fachen feyn, 
dy gehulfe not beweifen, dy eyn man cau rechter dingezeit azu dinge 
fal vorboten: alfo feuchbette, der reiches dinft, betefart, vnde sp eyn 
man bawfzen landes were. 

Item eyn anders. 

IT.) Czeyet eyn man dem andesem deube, adir Vocth yın om, her 
fey eyn heler der .deube, vnde kan des uff en nicht volbrengen: har 
ſal en loffen mit eyme gelatozten wergelde, wen dy iacke kampfbar 
ift wnde geet au hawt vnde an ere. 


von Dr. Emil Steſſenhagen. 239 


Item von eyden. 

8.) Wer eyde gelobet vnde leiftet der nicht, uff den ift dy fache 
gewonnen uff feyne hulffrede, vnde [fal] dorgzu dem richter wetten 
vnde dem oleger buflen, ap man js mit rechten orteiln irnordert, 

Item. 
I8.] Vort meer: alfo ufle eyner vellig wirt, also ße vorleuft 
her eyne holunge, vnde fal fo uffte wetten vnde buflen. 
Item. 
£10.} Wirt ber alzo ozu dren molen vellig, her vorleuft feyne fache. 
Item. . 

{11.] Alzo uffte, alzo eyner feyne clage mit vnrechte uf den 
andern vellet, vnde alzo uffte, alzo eyner czu oyner olage vnrecht 
antwertet: alzo uflte mus her dem richter wetten vnde dem cleger 
buffen. Geichiet es czu dren molen, her vorleuft feyne fache vnde 
wirt fchadehafft, 

Item von erbe czu nemen vornym wol , 

(Unter dieſer Weberfchrift folgen in dreizehn Abſätzen Erbrechts 
regeln, die, mit Ausnahme ber legten [Ro. 24], in den Regel-Samm- 
lungen ber Biener’fhen und ber Danziger 9. bei Waſſer ſchleben 
Sueceffionsoren, Anh. B, C ſich wiederfinden.) 

(12.] (B. III art, 22 pg. 141 von die von eynem vater reſp. C. 
IV» cap 33 alin. 1 pg. 161, mit dem Bufage des Danziger Coder [W. 
p- 141 not. jeboch folgendermaßen variterenb; vnde nicht dy kindere, 
dy feyne bruder feyn von des vater wegen alleyne.) 

[13.}] (C. IV® cap. 33 alin. 2,) . 

[14] (l. e. capp. 34 & 35.) 

[{15.) (B. II art.21 p. 141 reſp. C,IV® cap. 30 p. 160; «£. Dagp, 
rag. I. 7, 14.) 

[16 (©. IV? cap. 31 p. 161.) 

017} (. c. cap. 32.) 

[18] (B. Il art. 1 p. 185f. veip. C. IV at. 1 p, 157) 

[19] (B. II art. 2 p. 136 vefp. C, IV art. 2, aber mit bem- Zu⸗ 
fake: dy geczweyt feyn.) 


240 Aus Atpreuens Rechtsgeſchichte 


[20] (C. IV? cap. 28 p. 160 mit B. II art. 22 p. 141 bis Ab 
ich mehr kinder habe refp. mit C. IV® cap. 38 alin. 1 p. 161.) 

[21, 22.] (B. II artt. 7, 8 p. 136 vefp. C. IV artt. 8, 9 p. 157.) 

123.] (C. IV® cap. 29 p. 160, mit der Bariante vettern ftatt vatern.) 

[24.] (Fehlt in den Regel ⸗Sammlungen.) Meynes bruder adir 
fwefter kindes kint, vnde meynes vettern, oemen, mumen vnde walen 
kint, dy lint alle gleiche nohe, meyn erbe czu nemen. 

Von geczoge, dy eyn vorfpreche nympt. 

[25.] Welch vorfpreche eynen czog nympt czu gehegetem dinge, 
den fal feyn houptman vor yoen; fo fal man den czogk teylen vor 
allen orteiln. " 

Von geendeter fache. 

[26.] Welche fache vor gehegetem dinge geendet adir aws der 
hant gegeben wirt, dy fal noch rechte nicht me czur clage komen. 
" Von totflage yn vriffcher tat, vnde volleift. 

[27.) Eyn totflag, der do wirt beweifet yn friſſeher tat, weme 
doruuıme befchuldiget, wil her do vor [weren: ‘das mus her thun 
felb febende; vnde eyn jtezlicher volleifter, dem czu der volleift eyns 
toden wirt gegeben beweifliche tat, alzo eyne wunde, eyn blut, eyn 
bloe, adir fuft ander hindernis, dy muſſen ouch fweren felb febinde. 

Von vriffehen wunden vnde vulleift. 

[28.] Vor eyne vriffche [wunde] fal man fweren felb dritte, vnde 
eyn itezlicher, dem czu der volleift eyner wunde wirt gegeben blut, 
adir bloe, adir ſuſt beweifliche tat, der fal ouch -do vor fweren felb 
dritte. ’ 

Item. 

[29.] Wirt eyn man beclaget vmme totflag adir vngerichte, das 
obirnechtig ilt, den fal man beclagen vnde heifichen czu dren dingen, 
vnde darff en nicht vorboten; kumpt her denne yn dreyen dingen 
nicht, fich ezuuorantwerten, [o mag man en vorboten vnde voruelten. 

Item eyn anders, 

[80.] Ap eyn man beclait wirt vmme volleift kampfbar wunden 
adir tot(lag, vnde der man vorburget wirt uff eyn recht vorczukomen, 
vnde kumpt nicht vor: was der burge leiden fulle dor vmme, vnde 


von Dr. Emil Gteffenhagen: 241 


wy vele her dem richter wetten fulle, vnde wy der, der dy valleift 
ledig werden fulle, ap her feyne vnfcholt da vor bewt? Hir uff 
alſo: Vorburget eyn man den andern vmme volleift eyns totſlages, 
wnde brenget den nicht vor, ſo fal der borge dem coleger eynen vol 
wergelt geben, das fint xviij pfunt, vnde deme [richter] feyn gewette, 
das fint viij fchill. Ift is abir vmme kampfbar wunden, fo gipt der 
eyn halb wergelt, das feyn ix pfunt, vnde dem richter feyn gewette, 
das fint viij (° fulchir pfenninge, als yn dem gerichte fint, Beut eyner 
ouch vnfcholt vor dy volleift, der mag entgeen mit feynes eyns hant, 
adır felb dritte, ap her mit geczeuge beclaget wirt. Bekennet abir 
eyn man vor gerichte, das her yn der vulleift des totflages fey ge- 
welt, adir jn vulleift eyner kampfbar wunden, vnde den totflag adir 
dy czeugbar wunde nicht getan hat: der [al dy vulbort des totflages 
vorbuffen mit vollem wergelde, vnde dy volleift der wunden mit eyme 
halben wergelde dem cleger, vnde dem richter feyn gewette. 
Item aliud, 

[31.] Gefchege ys, das eyn man adir eyne frauwe wurde gefla- 
gen mit wunden adir ane wunden, fo das [y ftorben, vnde das nicht 
beleitet adir beweifet jn friffeher tat, fander wurde obirnechtig: fo 
mag der, der das vngerichte getan hat, do vor ſweren mit eyns hant. 

Item aliud. 

[32.] Gefchege is ouch, das eyn man gewunt wurde, ſo das her 
fo wmmechtig wurde, das her jn gerichte nicht mochte komen; be- 
botet her feyne vnmechtikeit jn vriffcher tat czu gerichte mit feynem 
weybe, kinde, knechte, adir fremden: ſo bleybet der bey rechte, vnde 
alle feyne wunden czeugbar; vnde fturbe der von der wunden, fo 
mag man eynen tot[lag clagen. 

Item aliud. 

[33.] Gefchege is ouch, das eyn man geflagen wurde totliche 
wunden yn eynem velde, fo das her czu gerichte vor vnmacht, vnde 
fo ferre were, nicht mochte komen, vnde feyne wunden fo obirnechtig 
worden: So wil das recht: Thar der gewunte man feyne vnmacht 
mit eyns hant uff den heiligen fweren, fo mag her feyne wunden bey 


vollem rechte behalden, gleich ap her fy yn vrilfcher tat hette beweilet. 
Altyr, Bonatefgeift Bd. IL Oft. 2 16 


248 Aus Mtpoeuhens Nedtögeihichte 


5. Endlich enthält das Qulmer Stadtbuch (Steffenhagen Ca- 
tal: No. CLXI) ©. 168 eine vereinzelte Rechtsentſcheidung ber Rath⸗ 
mannen zu Kulm aus dem 9. 1438, 

Alſo wart gefchr[eben] das orteyl von der Edelen Inte csur Trommenye 
wonende Anno etc. zxxviij. 

Vnfern frundtlichen grus ezuuor, vorfichtige, lieben frunde; euwern 
brief? vs gehegettem dinge an vns neheft gefandt habe wir wol vor- 
namen, jnhaldende, das vor euch jn gehegettem dinge czwey teyl jrer 
fache vnd fchelunge, die fie euch jn fchryften vorbracht haben, mech- 
tiglichen gegangen [eyn, gleiche gefchulden orteyl czu entfcheyden ete.; 
vnd noch alle deme, das wir jn den felben fchryften vnd brieffen be- 
fohreben vynden, fo teylen wir vor eyn recht: Synt der czeith, 
das der houptbrieff vnd beyder teyl vorbrengunge vnd [chryfte wey- 
fen vff vyer vetterkynder, jre erben vnd nochkomelingen, das fie alle 
mit enandir mit eyner klepwaten*) jn dem fee klutezky ſullen 
fyſſehen czu jren tylIchen: [o haben die vier vetter kynder, jre erben 
vnd nochkomelynge recht czu der klepwathe eyn jtezlichir noch [ey- 
nem anteyl vnd noch feyner befytezunge, das her der gebruche, fo 
lange ab jm ymandt feyne befytezunge mit rechte wurde brechen, do 
gee is vort vmme, als eyn recht if, Gefchrfeben] ezum Col men 
vadir vnfer ftadt jngfeligel] am dinftage noch Andree apoftoli 
Auno etc. xxxviij. [2. December 1438.] 

Rathmanne 
Colmen. 


IV. 
Tũbiſche Rechtsweiſungen. 

1. Neben dem Sächſiſch-Magdeburgiſchen Rechte galt in Preußen 
das Lübifche Recht, freilich nur in einem eng begrenzten Gebiete. Wähe 
rend das Magdeburger Recht das ganze Binnenlanb einnahm, herrſchte 
Lubiſches Recht in ben Küftenftäbten, bie mit Zübed durch bie Hanſa ober 


x) „Rleppe, ein diſchergarn“ (Hennig Preuß. Wörterbuch p. 126). 


von Dr. Emil Steffenhagen. 243 


durch Hanbelsverbindungen in Beziehung fanden. Bon Hela auf ber 
Landzunge am Pugiger Wiek reichte das Lübifche Stadtrecht über bie Weft- 
preußifchen Städte Danzig, Dirfhan, Elbing, ferner über die Städte 
Frauenburg und Braunsberg im Bisthume Ermland, bis nah Me 
mel; auch galt es eine Zeit lang in ver Pommerellifhen Stabt Eonik, 
wo es jeboch fehon frühe mit dem Kulmifchen Rechte vertaufcht wurde. — 
Ueber die Bewidmungen ber Preußiſchen Städte mit Lübiſchem Rechte und 
bie ihnen verlichenen ausführlichen Rechtemittheilungen ſoll fpäter befon- 
ders gehandelt werben; gegenwärtig befhäftigen wir uns mit ben Weis- 
thämern, bie anf Anfragen über einzelne Fälle von Lübeck nach Preußen 
ergingen. 

2. Anfänglich, nach dem Elbinger Privileg v. 1246, ſollte keine Bes 
rufung nad) Lubec ſtattfinden; zum Erſatz war bie Appellations-Inftanz der 
„vier Gerichtsbänfe” angeorbnet, in benen „nad; Rath ber Ordensritter“ 
Recht gefprochen werben follte (Codex Diplomat. Warm. I, 21 No. 18): 

Et ne pro Sententiis reprehensis longas vias ad cor- 
rectionem ipsarum facere compellantur, sanccimus, ut ipss 
correctio fiat infra quatuor scampna iudicialia, secun- 
dum consilium domus nostre, 

Zrogbem machte ſich ſehr bald das Bedürfniß näherer Verbindung 
mit der Mutterftadt geltend (Voigt Rechtsverf. Preuß. p. 56 f.), und 
fon im 13. Jahrh. (zwiſchen 1250 und 1300) richteten die Elbinger 
nad) Lubeck die Bitte um Entfcheioung zweier Rechtsfragen (Urkundenbuch 
d. St. Lübeck I. No. 757 und danach Codex Dipl. Warm. I. No. 120).*) 
Es kam fogar zu Streitigkeiten mit dem Orden über bie Appelfation,®) 
bis endlich ein befonderes Privileg 1343 den Elbingern das Bernfungs- 
recht mach Lübed zugeftand, welches Recht dann auch bie Neuſtadt Elbing bet 
isrer Gründung (1347) erhielt (Codex diplom, Prussicus III. No. 43, 52 


2) Um diefelbe Beit (cca. 1260) ſchidte Elbing eine Geſandtſchaft nach Lübed mit 
einer großen Zahl von Rechtsfragen zur Vervolftändigung des urfprünglich 
(1287) erhaltenen Rechtscoder, vgl. Stobbe Beiträge ©. 161 fi. 

d) Darauf deuten die eingeholten jurtftiichen Gutachten über die betreffende Stelle 
des Elbinger Privilegd, Codex Dipl, Warm. I. No, 117, cf. No. 118 und 
No. 108 p. 189 Boigt Geſch. Preuß. IV, 3 R. 1. 

16° 


244 Aus Alwreubens Rechtsgeſchichte 


Cod. Dipl, Warm, II. No. 26, 87 Voigt Rechtsverf. p. 58). Von nun 
an ging ber Rechtezug von Elbing nach Lübel, von den Heineren Stäbten 
3 B. Hela (Voigt Rechten. p. 64) wieder nach Elbing, und wie für 
die Städte des Magdeburger Rechtes ber Oberhof zu Magbeburg,‘) fo 
wurde jegt Lübe für bie Städte mit Lühlfchem Rechte der Centralpunkt 
der Rechtsentwidelung. Es wirb bezeugt, daß bis zum 9. 1612 bie Ap- 
pellationen von Elbing nach Lubeck gingen (Hartinoch Alt und Nenes 
Preuß. II, 583 nad) Eafp. Schutz).9) 

8. Die Zahl ver erhaltenen Lübifchen Rechtsweiſungen für Preu⸗ 
sen ift in feinen Vergleich zu fegen mit den Magdeburger Schöffenſprüchen. 
Fünf Urtheile für Elbing ans ben Jahren 1465...96 enthält der Co- 
dex Ordaliorum Lubecensium zu Lübet (Michelfen Oberhof zu Lübet 
p- 19 f.). Vier davon find gebrudt bei Michelſen 1. c. No, 3, 20, 
211, 234, während das fünfte ebenda No. 3“ nur beiläufig erwähnt iſt. 
Ueber ein Elbinger Berufungsfhreiben v. 1464 f. benfelb. ©. 26 N. 76; 
ein anderes v. 1489 Hat er abgebrudt &.37 ff. cf. S. 26. Zahlreichere 
Rechtoſprüche find mitgetheilt aus den beiden Original-Handfcpriften bes 
Lubiſchen Rechts für Elbing v. 1240 (oder 12607)°) und 1295 (Perg’ 
Archiv XI, 694 f) bei Stobbe Beiträge zur Geſch. bes deutſch. R. p. 164 ff. 
Litt. A, B, C. — Zu dieſen Mittheilungen tritt eine noch unbefannte 
Danziger Haudſchrift (Monatsfehr. IL, 432), welche in größerer Anzahl 
ebenfalls Lubiſche Weisthümer enthält, und deren Kenntniß und Benutzung 
ich ber Güte des Hm. Predigers Bertling verdanke.) 

4. Die Danziger Stadtbibliothek beſitzt unter der Signatur XVII. 
©. 14 fol. einen ſchön gefchriebenen Papier» (nicht Pergament) Codex bes 
Lübiſchen Stadtrechts, welder, zufolge ber Schlußfchrift (BL. 44°), 
i. 9 1488 augefertigt worben ift: 


9 Uber dihen und feine Rechtsſpruche wirb bie nächfte Mittheilung Ausführliches 
res gen. . 

4) Bel. Caſpar Schüs Historia rerum Prussic, (Leipzig) 1599 fol, BI. 4448. 

*) Neumann im Codex Dipl. Warm. I, 211 N. 1 cf, Stobbe Beitt. ©. 161 
mit R. 7. 

2) Eine neu entbedte 5. des Lübifchen Rechtes befigt auch ber Grauenburger 
Verein für Ermlandiſche Geſchichte. Ob dieſelbe auch Weisthümer enthält? 
Meine Bemühungen, bie H. zu erlangen, waren ohne Grfolg. 





von Dr. Emil Gteffenhagen. 245 


Dys buch ift gefehreben yn deme yore Crifti vnfers herren 
Thufendt vierhundert vnde yn deme Achtvndeacht- 
eziglten Jore. 

Ueber den Erwerb des Eober giebt eine Notiz auf dem vorderen Bor- 
fegblatte Auskunft: 

M. Ca[par Schutz®) Emi a nauta quodam in ipfa 
naui, cum Lubeca Gedanum reuerterer, 2/5 f. ' 

Der Coder zählt, einfchließlich der beiven pergamentenen Borfegblätter, 
im Ganzen 51 Blätter, bie, mit Webergehung bes erften, von neuerer 
Hand mit den Zahlen 1...50 bezeichnet find; zwiſchen OL. 26 und 27 
iſt jedoch ein Blatt verloren gegangen. Außer dem Lübiſchen Stadtrecht 
und ben Weisthämern, welche an zwei verſchiedenen Stellen ſtehen (theils 
dem Stadtrecht unmittelbar angehängt, theils weiterhin), finden fih im 
dem Coder noch einige andere Stüde, zufammen Folgendes: 

a) BL. 1*...30° das Lübiſche Recht mit vorausgeſchicktem Eapitel- 
Verzeichniß, in 226 rubricterten und fortlaufend bezifferten Capiteln, zu 
denen noch ein ungezähltes Eapitel (227) Hinzulommt. Wegen bes feh ⸗ 
Ienden Blattes ift cap. 190 und 200 unvoliftändig, und neun Capitel 
(191 ...199) fehlen ganz. Zu Anfang bes Textes, welcher in Deutſcher 
Sprache abgefaßt ift,*) fteht bie Sateinifche Vorrede der Rechtsmittheilung 
für Dirſchau v. 1262 (Gödtke Geſch. ber St. Eonik ©. 67 und ba 
nah Riccius Stadt⸗Geſ. ©. 88 *, fowie Urkundenbuch ber St. Lübeck 
I, 687 No. 269).1) 

b) Bl. 30°...39* „Sragen und Antworten“ zu ohtbiſchem Het 
(erfte Reihe). 

ec) Bl. 33°...34° Schyff recht in 14 „Gefegen”; aus zwei ver- 


®) Ueber Magifter Caſpar Schüß, der feit 1565 (+ 159) Serretär der Gtabt 
Danzig war, vol. Schweikart in Kampt' Jahrbüch. Bd. XXVI, 250 f. R.18 
und die bafelbft angeführte Literatur. 

&) Genaueres barüber bleibt foäterer Mittheilung vorbehalten. 

4) Dirſchau war i. J. 1200 mit Lubiſchem Recht bewidmet worden (Voigt Codex 
&plom. Prussicns I. No. 132 und deſſen Geſch. Preuß. III, 266) und hatte 
1262 von Lübed einen Rechtscoder empfangen, ber nod zu Godtke's Zeit 
(1734), nachdem er inzwiſchen abhanden gelommen, in Dirſchau befindlid, war, 
jest aber dort nicht mehr aufzufinden ift, 


246 Aus Altpreubens Rechtsgeſchichte 


ſchiedenen Beftanbtheilen zuſammengeſetzt, bie teils bem Lübiſchen Recht 
(Cobeg III bei Hach) entnommen find, theils ver Schiffsorbnung für 
die Weichfelfahrt des HM. Konran Zöllner von Rotenflein v. 
3%. 1385 (bei Voigt Codex Diplom. Pruss. IV No. 32, cf. deſſen 
Gef. Prenk. V, 462). Die Zufammenfegung ergiebt fid) aus folgender 
ueberſicht: 


A) 1%&2 — Lub. R. IL 214 
3 = 198 
4..8= 215...219 


B) Von der weyffell verer rechtte. 
9...11 Schiffsordnung alin. 1...3 
23,3 = 5,4 
14 = 6% 

d) 81.35... 42° Item Alhyr noch volget eyn Gefeteze vnde 
haldunghe des allerduroblouchttigiften. Hochmechttigiften vnde al- 
lergenedigilten herren keyfers, Myt (ampt feynen wolweyfen vnde 
schtwirdigen Meyfteren vnde wolgelareten Mannen vnde wolwilfenden 
zethen feynes keyferreyches. Myt vulbordt yn kegenwertigkeyt ſeyner 
Graffen forften vnde herren Eyn [underlich keyfer recht ows 
gelatezet. Durch dy ganteze criftene werllet czu haldene von allem 
volcke, d. i. ans bem „Heinen Raiferrecht“!) ber Prolog und capp. 
1...34 lib. I (in nachſtehender Reihenfolge nad Endemann’s Aus- 
gabe: 1...17, 25, 18...23, 26, 24, 27...84). Dahinter folgt ein 
Gapitel ans unbefaunter Quelle: 

Weer den anderen anfpricht myt geczeuge bynnen lan- 
des adder boufen landes adder ober fee geftrandt; jft, das 
fich der angelprochene man wyrfit vff geczeuge, fo fall her 
den geezeugk geftellen di lebende handt, vnde fall fich das 
myt keynem eyde dirweren. 

©) Bl. 42%...44° „Bragen und Antworten” zu Lübifchem Recht 
Gweite Reihe). 


*) Die übrigen drei Abſate der Schiffsordnung find nicht aufgenommen. 
1) Bol. Monatsſcht. II, 689”, 


von Dr, Gmil Gteffenhagen. 47 


f) Bl. 4%...50° (nach vier leeren Blättern) von anderer, einas 
jüngerer Hand Fifcher czedel. 

5. Die unter b und e angegebenen Weisthümer, welde ois 
„Bragen und Antworten“ bezeichnet werben, ſtimmen zum größeren Theile 
und bis anf unbebentende Varianten mit ben bei Stobbel. c. Lit. C 
(wefp. B) abgebrudten überein, jeboch mit bem Unterſchiede, daß bie dort 
Lateinisch geſchriebenen Antworten und fonftigen Rechtsfäge in unferem 
oder ebenfo, wie bie Anfragen, Deutſch abgefaßt find. Wir verweifen 
bei alfen biefen Stüden auf Stobbe und bruden bie übrigen, noch nicht 
befannten vollftändig ab. 

L Erfte Reihe (25 Rummern). 

Die Nummern 1...5,6 und 8 kehren in ber dweiten Beige No. 3..7, 
10 und 17 wieder, 

1...5 (0. Reihe 3... = Stobbe C.3...7 


6 (I. Reihe 10) =, ,2» 
7 =, „16 

8 (IL Reihe 17) = u „3B 

9, 10 = „ BL | (inC.am Sthluſſe 
11, 12 = u „VLVO wieberholt). 


13. [ef. Stobbe C. 19”)] Ab eyn man fey, der eyn erbe nympt 
von deme anderen vff erbe czyns, vnde das erbe dornoch, wenne ys 
fich vorergerdt, möge widder vff ſaghen, vnde lafen ys legen vor den 
ezyns? — Andtwerdt. Her magk ys wol lafen legen vor den czyns. 

14. Vragbe. Ab eyn man vorkouffte eynem anderen eyn marck, 
yngeldes vmme ozeen marck, vnde dornoch möge komen ezu eyme 
anderen, vnde vorkoyfien ym di marck vmme vümffezehen marck, 
vnde geben deme irften feyn geldt widder? — Her magk ys wol thuen. 

15. Vraghe vnde andtwerdt. Ab eyn man machet feyn 
teftamendt bey feynem gefunden leybe wyſſendtlich ſeyme weybe vnde 
yren vründen; dornoch, wenne der vorftyrbet, fo komen des weybes 
wände vnde fprechen, der man habe der vrauwen gelobet cewey 


=) Diefe Stelle gehört nur vergleichsmweife hierher; identifch mit derfelben iſt 
in unferem Coder Ro. 18 der zweiten Reihe. 


248 Aus Alwrenbens Rechtsgeichichte 


hundert marck, dy vynden ſy nycht yn deme teſtamente: ab man 
das icht [ülle beweyfen myt czwen gefworenen rathmannen? — Man 
mus ys beweyfen myt czwen geſworenen radtmannen. 

16. Vraghe vnde andtwerdt. Ab eyn man nympt eyn weyb, 
eyne vrauwe adder eyne jungkfrauwe, vnde gybbet der aleydere, 
görtyll, adder ander gefmyde: ab dy vrauwe noch des mannes thode 
dy gyfitte ouch fülle widder eynbrengen, vnde dy theyllen myt yres 
mannes vründen? — Dy vrauwe mus ys widder eynbrengen. 

17. Vraghe vnde andtwerdt. Der alde huefere adder erbe 
nympt myt feynem weybe, vnde dy huefere denne beffert: ab man 
deme das geldt nycht fall widder keren, do methe her dy huefere 
myt gebellert hadt? — Man en darb ys ym nicht widder keren, 
fy en feyn ym methe gegeben geleyche gereytten pfhennyngen myt 
vorworten. 

18. Vraghe vnde andtwerdt. Ab eyn man feyn wolgewon- 
nen gudt ycht wegk möge geben, wenne her eyn weyb adder kyndere 
hadt?— Her magk ys wol wegk geben funder vulbordt feynes wey- 
bes, feyner kyndere, adder feyner erben. 

19. Vraghe vnde endtwerdt. Ab eyn man, der do keyffet 
eyne legende grundt adder erbe vff czyns myt feynem wolgewonnen 
gutte, vnde magk her des icht varende machen vor dem rathe, vnde 
das vorgeben geleyche feynem gereydtem gutte funder erueloff? — 
Her magk ys woll weck geben geleyoh feynem gereytten gutte funder 
widder rede feyner erben. 

20. Vraghe vnd endtwerdt. Ab den kynderen ycht fchede- 
lich fey, das der vater nycht myt en fchychtte vnde geteyllet hadt, 
ee her eyn ander weyb nam? — Das düncket vns, das [y vnuor- 
feumet dor ane feyn; man mus en geleyche wol geben, was en ge- 
boren magk, noch Lübiffchem rechtte. 

21. Vraghe vnde andtwerdt. Ab das teftament ymandt 
brechen kunde? — Des düncket vns: Hadt her eyn reddelich 
teftamendt gemachet adder gelatezet, vnde genüget den irften kynde- 
ren, fo magk di vrauwe adder nymandt das teftamendt brechen, wenne 
her der irften kyndere gudt nycht vorgeben en mochtte. 


von Dr. Emil Gteffenhagen. 249 


22. Vraghe. Uordt meer. Ab das teftamendt gebrochen würde, 
wy denne di fchülde ftaen fülden? — So düncket vns des, das dy 
vrauwe czuuoren fülde nemen yren brudtfchatez ows von deme houffen; 
wnde dar negeft, fo nemen di irften kyndere czuuorne ous alfe vill, 
alfe dy lefte brudtfchafft yres vaters gekoft hadt; was denne bleybe, 
das were halb der irften kyndere, vnde halb der letczten. 

23. Uort meer. Ab das teftamendt gebrochen würde, wy ys 
denne fteen ſũlde vmme di fchülde, vnde vmme dy gobe des tefta- 
mentes?— So düncket vns des, das dy irften kyndere myt den 
letezften dy fchülde beczalen müften; meer dy letezften kyndere myt 

der mutter müften dy gobe endtwerten. 
. 24. Vordt meer. Ab das teftamendt an eyme ftücke wurde ge- 
brochen: ab ys denne allezumale fülde gebrochen wefen? — Des 
düncket vns: Were das fache, das das teftament wol an eyme 
ſtũeke adder an czwen gebrochen wurde, hyrımme würde ys nycht 
allezumale gebrochen. 

25. Uordt meer. Ab her feyne erbe, dy ym angeltorben feyn 
von feynes irften weybes vater, vnde ouch vmme das, ab her feyne 
erbe, dy her gekoufft hette vınme feyne gereytten pfhennynge, nycht 
vorgeben en*mochtte geleyche gereydtem gelde? — Des düncket 
vns, das di erbe, dy her gekoufft hadt bey feynes irften weybes le- 
bende, vnde dy ym angeftorben feyn, das her der nycht vorgeben 
en mochtte, wente das ſyndt vorltorbene erbe; funder hadt her dor- 
noch erbe gekoufft, dy mochtte her vorgeben geleyche anderem 
gutte. 

I. Zweite Reihe (19 Nummern). 

Sie wirb mit ben Worten eingeleitet: Umme diffe artykele hodt 
man froghe gethoen an dy Erfamen herren von Lübike: vnde di 
haben yn alfülcherweyfe alfo dorczu geandtwertet yn yren bryfen. 
Diefe Zufammenftelfung bietet keinen unbefannten Sag: fie wieberholt die 
Nummern 1...5, 6 und 8 ber erften Reihe und flimmt noch genaner 
mit Stobbe’s Text C, der, mit Ausnahme von No. 16, 20 umb bes 
erften, zweiten, vierten und fünften ver aus B wieberholten fünf legten 
Säge, ganz wiebergegeben wird: 


250 Aus Atpreußens Rechtsgeſchichte von Dr. Emil Steffenhagen. 
Stobbe C. 1,2 


1,2 = 
3.7 Reel.) = nm Bert 

89 = 0.0.89 

10 (I. Reife 6) = ,.',.% 

11... 16 — 11...18 

16 = u „mM 

17 (I. Reihe 8) =. „ 18 

18») =, 3 

19 = B. V (inC. wiederholt), jedoch 


aur ber erfte Rechtsſatz und ohne bie "Briehung auf „Sifeid de Bolholte.“ 


") Bol oben Note m. 


Mofikleben am Hofe Sriedrich des Groſſen. 


Ein Vortrag, gehalten ben 14. December 1865 anf dem Königl. Schloffe 
bon 


A. Saran.*) 


Hochreehrte Verſammlung! Ich würde es nicht wagen, Ihre Aufe 
merffamleit für den Gegenfland meines Thema's zu erbitten, wenn ſich's 
dabei, wie es einer oberflächlichen Betrachtung wohl erſcheinen könnte, 
lediglich um eine perfönlicye Liebhaberei umfres großen Königs handelte, 
Der Gegenftanb hat vielmehr eine weit Höhere und allgemeinere geſchicht⸗ 
liche Bedeutung. Die Regierung Friedrich's bezeichnet ja nicht bloß in 
ber politifchen, fondern auch in ber Kulturgefchichte unfres Vaterlandes 
eine nene Epoche; insbeſondere aber verdankt ihm die Muſik tiefe und 
nachhaltige Anregungen. Er hat Saaten geſtreut, die zum Theil erft in 
ber Gegenwart aufgehen. Andrerſeits werfen gerabe bie mufitalifchen Be» 
firebungen bes Königs höchſt bedeutungsvolle Lichter auf feine geiftige und 
fittliche Eigenthümlichleit. War doch die Muſik unftreitig die tieffte und 
eigentlichfte Heimath feiner Seele — follte nicht die Art und Richtung, 
in ber er fein Intereſſe baran betätigte, als ein Ausfluß feines innerſten 
Weſens betrachtet werden dürfen? Da jedoch Friedrich nicht minder wie 
jeber große Mann ein Kind feiner Zeit, feiner Erziehung und feiner Um- 
gebung war, fo gewährt uns bie Betrachtung feiner Lieblingsbeſchäftigung 
endlich auch einen Blid in bie Bildungsgeſchichte des vorigen Jahrhunderts. 
Dies find die Gefichtspunkte, nach denen ich verſuchen will, Ihnen eine 


*) Bol. L. Schneider, Geſchichte der Oper in Berlin. 1852. Schletterer, Job. 
Friedr. Reichardt. Augsburg 1865. O. Jahr, Mozart. IM, 351. ff. und die Biographien 
Frierichs von Preuß und Kugler. 


252 Muſilleben am vofe Friedtich des Großen 


Skizze des mufitalifchen Lebens am Hofe Friedrich IT. zu zeichnen. Ich 
vermag bem Renner keine neuen Nefultate barzubieten, fonbern werde 
einfach zufammenftellen, was bie muſilaliſch⸗geſchichtliche Wiſſenſchaft über 
mein Thema erforfcht hat. 

Geftatten Sie mir zunächft einen Blick auf bie Iugenbentwidung 
unfres Monarchen und auf diejenigen muſilaliſchen Eindrücke, welche die 
Richtung feines Geſchmacks für immer unabänverfich feftgeftelit haben. 
Friedrich war, wie viele Glieder unfres Töniglichen Haufes mit einem her- 
vorragenden muftlalifchen Talente begabt. Vielleicht hatte er baffelbe von 
feiner Großmutter Sophie Charlotte ererbt, welche eine fertige und ge 
fhmadvolle Tonkünftferin gewefen war. Seine Eltern fiheinen beide wer 
nig mufifalifch getvefen zu fein. Bon dem Vater wilfen wir nur, daß er 
Händels Mufit fchägte; die Mutter mag hauptſächlich aus Zärtlichfeit bie 
ſchon früh Heroortretende eigenthümfiche Neigung bes Knaben begünftigt 
haben, und zwar nicht felfen zum ernften Mißfallen ihres geſtrengen Eher 
herrn. Diefer ließ nämlich dem fünfjährigen Brig von dem Domorganiften 
Gottlieb Heine Clavierſtunden und theoretiſchen Unterricht ertheilen: AL 
fein des Knaben Neigung wandte ſich bald den einförmigen Pſalmen ⸗Me⸗ 
lobien und bem pebantifchen Kunftvegeln des Generalbafjes entſchieden ab 
und ermählte mit Leidenfchaft die Flöte, welche damals ein beliebtes Solo 
und Konzert-Inftrument war. Seinen Vater riß ber Unwille hierüber einft 
zu ber befannten Yeußerung hin: „Fritz iſt ein Onerpfeifer und Poet und 
wird mir meine ganze Arbeit verberben.“ Aber felbft bie übertriebene 
Strenge des Königs fcheiterte machtlos an dem unbeugfamen Willen bes 
träumerifhen Knaben, — ein bedeutſames Vorzeichen für bie merkwürdige 
Beſtandigleit, ja Ausſchließlichkeit, mit der Friedrich auch in feinem fpä- 
tern Leben biejenige Geſchmadcsrichtung fefthielt, in welche er durch eins 
der folgenfchwerften Ereigniffe feines Yünglingsalters hineinverſetzt wurbe. 
Diefes Ereigniß ift der in Begleitung feines Vaters im Jahre 1728 un⸗ 
ternommene Beſuch am Hofe zu Dresden. Ans ber firengften militairi⸗ 
ſchen Ueberwachnng trat hier ber ſechezehnjährige Süngling zum erften Male 
in die Welt des glänzenbften und üppigften Sinnenreizes. Den Mittels 
punkt ber Hoffefte bildete die ttalienifche Oper, welche damals eben in 
ihrer höchſten Blüthe ftand, Und Dresbens Oper war bie berühmteſte 





von 9. Saran. 253 


and prachtvollſte in ganz Europe. Dort führte Hafie, ber bebeutenbfte 
Dperncomponift ber Zeit feine gepriefenen Werke auf; bort fang bie gefeierte 
Sanftina, vielleicht die größte dramatiſche Sängerin aller Zeiten; bort wirt 
ten im Orchefter Männer wie Ouanz, ber namhaftefte Slötenvirtuofe des . 
dahrhunderts; bort endlich entfalteten itafienifche Decorationsmaler, Tech⸗ 
niler und Maſchiniſten einen faſt märchenhaften Luxus in ber äußeren 
Ausftattung der Aufführungen. Kann es uns wundern, wenn von bem 
Allen der veizbare Süngling bermaßen überwältigt wurde, baß biefer Ein» 
brad für fein ganzes Leben beftimmend blieb? Von jegt an war Haffe's 
italieniſche Opernmufit fein höchftes Kunſtideal; nad) Dresdens Vorbilde 
wollte er einft im Berlin eine italienifche Oper entftehen laſſen, für fein 
Slötenfpiel aber follte Quanz als Lehrer gewonnen werben. Diefe Ger 
banken erfüllten ihn fo, daß er mit Haffe und Quanz in Verbindung trat, 
Aber vor ber Hand ließ fich ja nichts davon reafifiren. Zwar war bie 
Königin nicht abgeneigt, Quanz heimlich in ihre Dienfte zu nehmen; aber 
der Kurfürft von Sachfen wollte ihm den Abfchieb nicht bewilligen, fon» 
bern erlaubte ihm nur, jährlich zweimal nach Berlin zu gehen, um dem 
Kronprinzen die Weihe des Künftlere zu verleihen. Bet einem dieſer Bes 
ſuche trug fi die befannte Unefoote mit Friedrichs franzöſiſchem Schlaf 
tod und Ouanzens rothem Virtuofenrod zu, zwei Trachten, bie bem Könige 
aufs ãußerſte zuwider waren. Während ber ſchweren Zerwürfniſſe, die 
bald baranf zwiſchen Vater und Sohn eintraten, mußte diefer natürlich 
alle Hochfliegenden künſtleriſchen VBläne in tieffter Bruft verfchliegen; und 
in Eüftrin ift ihm bei ben erfcätternben Kämpfen feines inwendigen Men- 
ſchen zu Zeiten vielleicht fogar feine Flöte unten geworben. Sobald er 
jedoch nach erfolgter Ausſöhnung im Jahre 1732 feinen Wohnfig auf dem 
reizenden Schloffe Rheinsberg genommen hatte, konnte ber alte Lieblings⸗ 
plan wenioftens in ſchüchternen Anfängen ſeiner Verwirklichung näher ge 
bracht werben. Bunächft wurbe eine Heine Hofcapelle errichtet. Diefelbe 
beſtaud aber nach ben urkunblichen Mittheilungen Schneiders anfangs nur 
aus Juſtrumentiſten, welche theils als Lakaien, theils als Hoboiften. des 
konprinzlichen Regiments im Etat bes Rheinsberger Hofhaltes figurixten. 
Denn ber König würde für Sänger ober Virtuofen Feinen Heller bewilligt 
haben. Grft 1736 wagte Friedrich den damals berühmten Sänger Earl 


254 Muſilleben am Hofe Friedrich des Grohen 


Heinrich Graun, den bekannten Componiſten des Todes Jeſu, vorüberge⸗ 
hend nach Rheinsberg zu ziehen. Die Anſtellung einer Sängerin aber 
wurde von feinem fittenftrengen Vater ein für allemal rund abgefchlagen. 
Bei biefen beſchränkten Mitteln mußte man fi) denn in den Abendkonzer-⸗ 
ten anfer dem Flötenſolo bes Kronprinzen mit dem inftrumentalen Theil 
ber Opern von Haffe, Telemann, Händel u. |. w. begnügen, und dies mag 
bei der änßerft knappen und farblofen Inftrnmentirung jener Werke nur 
um fo lebhafter die Sehnfucht nach tüchtigen Gefangskräften erregt haben. 
Indeſſen bet ja das Nheinsberger Leben außerdem eine fo reiche Fälle 
der auserwähltefien Genüſſe und Anregungen, daß man über jenen Man« 
gel wohl hinweg fehen konnte. Der Baron Bielfeld fehreibt tm Jahr 1739 
ans Rheinsberg: „Ich verlebe Hier wahrhaft entzüdende Tage. Eine fü 
nigliche Tafel, ein Götterwein, eine himmlische Muſik, köſtliche Spazier- 
gänge ſowohl im Garten als im Walde, Waflerfahrten, Zauber der Künfte 
und Wiſſenſchaften, angenehme Unterhaltung: Alles vereinigt ſich in bie 
ſem feenhaften Palafte, um das Leben zu verfchönern.” 

Wir können bereits Hier eine Bemerkung machen, bie für bie geiftige 
Eigenthümkichkeit Friedrichs charalteriſtiſch iſt. Seine mufifalifje Richtung 
iſt ſchon jegt ebenfo unabänderlich ausgeprägt, wie feine philofophifchen 
Anfhauungen. Während er aber in feinen übrigen geiftigen Beftrebun 
gen mit Vorliebe den Franzoſen Huldigt, find es bemtfche Muſiker, bie 
er um fi fammelt, deutſche Eomponiften, deren Werke er fiubitt. 
Und dennoch lebt nicht der deutſche, fonbern ein frember Geift in 
biefen Werten. Denn jene Opern find nad) Form und Inhalt dem Bor 
bilde ber Italiener nachgeahmt, die von jeher vornehmlich nach melodi⸗ 
ſchem Reiz und virtwofer Gefangekunft, überhaupt nach leichter und an 
muthiger Formſchönheit, fowie nach finnlid-becorativem Schaugepränge 
firebten. Anf ver Flöte aber folgt Friedrich entweber feinen eigenen 
Eingebungen oder ben Virtuoſenſtücchen eines Quanz, über deſſen probuf- 
tine Thätigleit bie Kritif der Gegenwart mit Stillſchweigen hinweggeht. 
Die Werke ver ihm gleichzeitigen großen Heroen deutſcher Tonkunſt, eines 
Bach und Händel find ihm leider ſtets verichlofien geblieben, Wir müſſen 
bies um fo mehr beffagen, als wir kaum umhin können anzunehmen, daß 
Sriebrich feiner geiftigen und mufttatiichen Befähigung nach einer von ben 








von A. Saran. 255 


wenigen war, welche biefe Werle in jener Zeit richtig zu wärbigen ver- 
mochten. Daß es benmoch. nicht gefchehen, erklärt fi zum Theil gewiß 
ns feiner Supifferenz gegen alles Religiöfe, aus ber ſenſualiſtiſchen und ſtep⸗ 
tiſchen Geiftesrichtung, in bie er beſonders den burch Umgang mit Voltaire 
ad deſſen Echriften Hineingerathen war: doch möchten dies bie einzigen 
Gründe wohl nicht fein. Geſtatten Sie mir, über das Gebiet unficherer 
Wahrſcheinlichkeiten Hinmegzugehen und bem Kronprinzen nach Berlin zu 
folgen, damit wir fehn, in welcher Weife er als junger König feine in 
Dresden gefahten und in Rheinsberg mit Vorliebe gehegten Pläne ins 
Bert ſetzt. — Bald nach ber Thronbefteigung fiebelte bie Rheinsberger Ka⸗ 
pelle ebenfalls nach Berlin über, und Quanz trat feinen Dienft als Hof 
componift an. Schon in ben erften Tagen verbreitete ſich das Gerücht, 
der König wolle ein großes Opernhaus bauen laſſen. Uber es verging 
noch beinahe ein Jahr, ehe das pafiende Terrain gefunden unb geebnet 
war, jo daß man zum Bau bes Fundamentes fchreiten konnte. Der erfte 
ſchlefiſche Krieg war es nicht, ber dies Werk bes Friedens Hinberte, denn 
Friedrich ſchrieb aus Schlefien mit bemfelben Feuereifer, der ihn in fei- 
nen erften Schlachten befeelte, an ben Freiherrn von Knobelsborff, er folle 
den Bau bes Opernhaufes möglichft preffiren und baffelbe binnen zwei 
Monaten zur Perfection bringen; aber es fehlte an Bauholz. Denn we⸗ 
der die Königlichen Holzhöfe noch bie Königlichen Forſten enthielten bie Hin« 
längliche Onantität; man mußte baher eine Anzahl Holzfchreiber und 
Zimmermeifter, mit befonbern Päſſen und Zwangsvorfpann verfehen, in bie 
abligen Heiden, nad Sachſen und an bie polniſche Grenze ſchicken. 
Unterbefien war Graun nach Italien gefandt, um gute Sänger zu enga- 
giren, unb ber preußiſche Gefanbte in Paris Hatte ben Auftrag bekommen, 
für Ballettänzer zu forgen. Zwei Sängerinnen trafen bereits im April 
1741 ein; noch waren aber nicht einmal bie Holzvorräthe für das Operns 
haus herbeigeſchafft. Daher befam Knobelsborfj den Befehl, da bie Sän- 
gerinnen nun doch einmal ba wären, „einftweilen ein theatrum im Schlofie 
im bauen, bamit absolutement nach ber Rückehr Sr. Majeftät im De- 
wember ſchon opera gefptelt werben könnte.“ Sofort wurde benn auch auf 
dem Schlofie ein Meines Thenter hergerichtet, ber fogenannte „Comöbienfanl*, 
ix velchem fpäter gewöhnlich frauzöfiſche Schauſpiele mit Solotanz aufger 


256 Mufifieben am Hofe Friedrid des Großen 


führt und bie Proben für das Opernhans gehalten wurben, um bie ſehr 
Toftfpielige Heizung biefes gewaltigen Raumes zu erfparen. Im der Mitte 
des Sommers Tamen auch bie übrigen Sänger und Sängerinnen mit 
Graun in Berlin an, Unter ihnen befand ſich zugleich der Operndichter 
Botarelli unb ein venetianiſcher Decorationsmaler. Man ging fogleih 
mit Eifer an's Malen, Dichten, Eomponiren und Einftubiren, benn die 
NRüdtunft des Königs wurde mit Sehnſucht erwartet, Endlich erfchien er 
am 11. November. eine Ungebuld war fo groß, baß gleih am näms 
lichen Tage Abends 7 Uhr fämmtliche italienifhe Sänger fi vor ihm 
hören lafjen mußten. Sobald nun das proviſoriſche Theater im Schloffe 
fertig war, konnte am 13. December die Oper Robelinde (Compofition 
von Graun) in Scene gehen. „Der Monarch“ — fo heißt e8 in einem gleich⸗ 
zeitigen Bericht Über biefe Aufführung — „würdigte biejes mit fo vieler 
Kunft ausgearbeitete, mit fo großer Geſchicklichkeit ausgeführte Schaufpiel 
feines Hohen Beifall, und bas Publitum ging in Entzücdung verloren vom 
Schauplatz.“ So fehr aber auch die wenig verwöhnten berliner Hof 
Treife befriedigt waren, Friedrich hatte die Dresbener Oper noch zu leb⸗ 
haft im Gedächtniß, als daß er nicht alles Exnftes bie Verbefjerung ber 
ſeinigen und bie Vollendung bes Opernhaufes hätte wänfchen follen. Na 
mentlich hatte er während ber zahlreichen Hoffefte in der Carnevalszeit 
von 1741 bis 1742 ben Mangel eines Ballets gefühlt. Denn biefes ge 
hörte damals ebenfo weſentlich mit zur ordentlichen Ausſtattung einer 
großen Oper, wie bie Oper felbft zu ben Hoffeften und Carnevalsfreuden. 
Freilich bildete der Tanz nicht mehr, wie ehebem, einen wefentlicen 
Theil der bramatifchen Handlung, fondern er füllte nur bie Zwijchenafte 
aus; aber fehlen burfte er nicht, Daher ergingen neue Befehle nach 
Paris, ſobald als möglich Tänzer zu engagiven. Bald barauf begab ſich 
der König nad Böhmen. Uber febft im Kriegegewühl betrieb er mit 
größter Lebhaftigleit bie Verbefferung feiner Oper; wie er benn fowohl 
jet als im zweiten fchlefifchen Kriege ſich mit ber eingehenbften Sorgfalt 
um jedes Detail fümmerte und bie Leitung aller Angelegenheiten ftets in 
feiner Hand behielt. Für ven kommenden Carneval wurben in Stalten 
nene Sänger und in Paris eine Truppe feanzöfifcher Schaufpieler enga- 
girt. Diefe trafen im Auguſt zugleich mit den Tänzern für bie große 


u — — — — — — 


von A. Saran. 7 


Oper ein, mußten aber bis zur Vollendung des Opernhaufes theils "in: 
den Hoſconzerten, theils im Schloßtheater, theils in Charlottenburg auf 
einem im dortigen Orangerieſaal errichteten Theater beſchuͤftigt werden. 
Endlich am 7. December 1742 Abends 6 Uhr konnte bie Erbffnungsoper⸗ 
im Opernhaufe ftattfinden. Noch war dieſes weder von’ außen noch von 
innen fertig. ‘Die Baugerüfte ftanden noch ringsherum; bie angefängere 
Malerei der Dede im Zuſchauerraum mußte mit einer zeltartigen Rein 
wand verhüflt werben, Aber des Königs Ungeduld war zn groß, und bie 
vorhandenen Mängel wurben durch eine außerorbentlich -glänzeribe Be 
leuchtuug zugedeckt. Diefe Beleuchtung Toftete in ben Beiden‘ erften Jah⸗ 
sen an jedem Abende nicht weniger als 2771 Thlr. Auf eine Schilder 
rung bes herrlichen Prachtbaus, ber leider 1844 eingeäfchert wurde, auf 
eine Beſchreibung feiner in jeder Hinſicht ebenfo ſplendiden als praktiſchen 
Einrichtung darf ich mich wicht einlafjen. Hören wir bagegen einen äften? 
mäßigen Bericht über jene erfte Aufführung; er giebt uns eine deutliche 
Borftellung, wie es and fonft gehalten wurde, Gefpielt warb bie Oper 
Caſat und Cleopatra von Graun. „Der König hatte beftimimt, fo erzählt 
Schneider in feiner Geſchichte der Oper in Berlin, baf bie ganze Gene ⸗ 
tafität und alle Sriegsbebiente das Parterre beſuchen ſollten, in welchem 
nur vorne, dicht hinter dem Orcheſter, zwei Reihen Lehnſeſſel für ben’ MdL 
nig und ben Hof fanden. Alle übrigen Perſonen im Parterre mußten 
der Borftellung ftehend zufehen. In den beiden Rängen waren bie Logen, 
beren Übrigens nur drei, höchſtens vier auf jeber Eeite waren, für bad 
Minifterum und das Beamtenperfonal befiimmt, während im 'brittett 
Range Einwohner der Stabt zugelaffen wurden, Die Parterrlogen' waren 
vorzugsweiſe für die in Berlin anwefenden Fremden beſtimmt, und bie 
Königlichen Hoffonrtere mußten fih in allen Gafthöfen erfanbigen, wie 
viele ſolcher Fremden in Berlin gerade anweſend waren, um ihnen Bil 
lets zulommen zu laſſen. Im den äußerſten Logen bes dritten Ranges 
zunachſt der Bühne waren die Trompeter und Pauler ber Garde du Corps 
und bes Regiments Gens d’armes aufgeftellt, welche beim Eintritt bes Rx 
nigs und am Ende ber Oper Tuſch bfiefen. Auf bem Proscenium, rechts 
and links zu beiden Geiten ber Bühne ftanben zwei Grenadiere ber Pots⸗ 


dammer Garde mit Gewehr bei Fuß, welche jedesmal ini etenat ab? 
Cup. Bozstefgrift Bb. UL. fs 


968 Nufifleben am Hofe Friedtich des Großen 


geloſt wurben und ber ganzen Vorſtellung vor den Augen bes Pubikums 
zuſahen; welcher Gebrauch aber nach dem fiebenjährigen Kriege ganz abe 
tam. Um 5 Uhr wurbe bas. Publitum eingelaflen, die Milttairperfonen 
im Barabeauzuge, bie Civilbeamten und Damen im Couranzuge. Selbſt 
bei dem Publikum des dritten Ranges wurde auf eine forgfältige Toilette 
geſehen. — Der König trat buch bie Parterrethür links neben dem Or⸗ 
cheſter ein, grüßte beim Tuſch das Publilnm und fegte ſich ſofort auf ſei⸗ 
nen Armfeflel, Graf von Gotter als Intendant des spectacles ſtand Hin- 
ter dem Stuhle des Königs und gab bem wartenden Eapellmeifter das 
Zeichen zum Beginn der Ouvertüre, ſobald Seine Majeftät ſich gefeht 
hatte. Die Königin und bie Prinzeffinnen befanden ſich in der König 
luchen Mittelloge und zwar ſchon nor der Ankunft des Könige. Allee 
empfing Seine Mojeflät fiehenb und fegte fich erft mit bem Beginn ber 
Duvertüre, 

Im Orcheſter dirigirte Eapellmeifter Graun in einer weißen Allonger 
perüde und rothem Mantel am Blügel. Eben ſolchen Mantel trug auch 
bes Eongertmeifter Benda, Um ben Blügel her ſaßen zunächſt zwei Theor⸗ 
biften (d. h. Lautenſchläger), der Harfenift und zwei Violoncelli, welche 
zuſammen und) bamaliger Sitte bie Recitative begleiteten. Dann folgten im 
Halbkreife bie übrigen Inſtrumente.“ — So weit Schneider. 

Wir fehen, das glänzende und großartige Unternehmen war zunãchſt 
bauptfächlich für ben Hof und bie privilegirten Stände berechnet. Der 
Bürgerftand Hatte nur auf beſondere Ginfabung freien Zutritt. Das 
ganze Mufiktreiben dient vornehmlich zur Erhöhung des fürftlichen Glan⸗ 
zes und zum Vergnügen. Diefe Auffaffung ift charakteriftiich für das 
ganze Zeitalter, — Sie war übrigens auch im Weſen ber italieniſchen Oper 
begründet. Denn, fehen wir von ihrem äußeren Gepränge ab — worin 
beftand eigentlich ber ideale Kern berjelben? In den Figuren ihrer Göt- 
ter und Helden, ihrer Königinnen und Schäferinnen bürfen wir ihm nicht 
ſuchen. Hatte wen auch urſprünglich die Abficht gehabt, dns antile Drama 
ya ernenern, fo war man boch weit entfernt, bie hiſtoriſchen Charakterzäge 
am, Siiugtionen eines Caſar, Hannibal oder Hercules wiederzugeben; ſon ⸗ 
dern wir finden biefe großartigen Geftalten ſämmtlich als moderne Lieb» 
haber, ausfaffirt mit den kleinlichen Leibenfchaften, welche bas Lehen ber 


— ——— — — — — — — 


von A. Saran. 259 


itafienifihen Höfe zerwütteten und ben Charalter ber weuszem Italiener ge 
treufich wieberfpiegeln. Die Liebe aber iſt das Hauptmotiv aller Stüge. 
dehlt es fomit ſchon am dem Haupterforderniß aller ächten Poefig, am ber 
Bahrheit: fo könnte man ein ivenles Moment etwa im ber formellen 
fünftlerifchen Anlage, in der fpannenden Verwicklung und geſchidten LW- 
fung des Gonflicts, in der bramatifchen Entfaltung der einmal gewählten 
Charactere fuchen. Aber auch bamit ift es gar ſchwach beftellt. Die Open 
befteht gewöhnlich aus 20 bie 40 fhulgerechten Arien und einigen Duet ⸗ 
ten und Terzetten, welche zur Ausmalung der Situation und zum Erguß 
der Empfindung dienen. Sie find unter einander verbunden durch ein 
largweiliges Recitativ, welches die dramatiſche Eutwidelung. enthalten fol 
Bon größeren Enjembles und vom Finale feine Spur; der Chor bient 
nur als unentbehrlicher Abſchluß des Ganzen ober eines Altes. So komm 
denn zulegt Alles auf den Sologefang hinaus. Wie fehr man aber auch 
bei diefem von ber äfthetiichen Nothwendigleit uud" non ver pſychologiſchan 
Möglichkeit abſah, charakterifirt Riehl höchſt treffend mit den Worten: 
„Der Mörber erhebt ven Dolch, und bevor er zum Stoß nieberfährt, fingt, 
er eine ganze, regelrecht in drei Theilen aufgebaute Arie." Und dennoch 
it diefer Gefang das einzige wirklich bedeutende künſtleriſche Element dep 
italienifchen Oper; denn er hatte im der Schule zweier Jahrhunderte ping 
außerordentliche formelle Adrundung und einen höchſt anmuthigen- und, 
fügen Wohllaut erlangt. Hieraus erflärt es ſich denn au, wie unfre größ- 
ten mufifalifhen Dramatifer: Händel, Gluck und Mozart gerade vom ber 
itafienifchen Oper ausgehen konnten. Dem Bublitum ber europätfchen, 
Höfe freilich Fam es nicht eben auf ben geiftigen Gehalt ſchöner Tonfor⸗ 
men an, fondern auf realen finnlichen Genuß. Daher das für bie Sit⸗ 
tengefhichte jener Zeit fo bezeichnende Phänomen der gayz enorm bezahle 
ten Caftraten und Primabonnen, welde die Geſangskunſt allerdings zu 
einer faft unglaublichen Höhe erhoben, von benen ſich abend die, ‚fee 
Betrachtung mit tiefem Widerwillen abwendet. 

Dies waren die äußerlich blendenden, innerlich aber wreilich durch u. 
durch morſchen Elemente, mit denen auch Briebrich fich, zu umgeben ver⸗ 
anlaßt ſah. Was konute ihn dazu bewegen? Daß er bie Hohlheit und 
Armfeligleit jenes Treibens far durchſchaute werben wir ſehr bald wahr⸗ 

17° 


960 Mufilleben am Hofe Friedrich des Großen 


nehmen. Daß er fein Herz nie ganz an das Opernweſen King, iſt ohne⸗ 
Yin befannt. Zunäcit bewog ihm unzweifelhaft das Sntereffe an dem 
wirklich idealen Gehalt der italienifchen Mufil. Dazu kam aber der Um⸗ 
fand, daß es eine: deutſche Oper damals garnicht gab; biefelbe war 
nad, kurzem Beſtehen von ber italienifchen verbrängt worben unb zufegt 
als rohe und wäfte- Nachahmung berfelben ganz untergegangen. Nach 
Ed. Devrients Mittheilung verſchwand bie legte Spur biefer alten deut: 
Teen Oper in Danzig im Jahre 1741. Endlich Hatte ber König gewiß 
die Abficht, feine Reſidenz den übrigen europätfchen Hauptftäbten ebenbürtig 
om bie Seite zu ſtellen. Warum hätte er fonft auch fo viele Loftipielige 
Pracgtbanten unternommen? Uebrigens verbient bie höchſt merkwürdige 
Notiz gewiß alle Beachtung, daß ber König 1742 auch ein großes deut- 
ſches Theater bauen laffen wollte; warum es nicht geſchah, iſt aber 
bisher nicht ermittelt worben. — Kehren wir jeboc mach biefer- Abfchweir 
fung gu unferer Erzählüng zurüd, 

Der Tanz in jener erften großen Oper wurbe von: einem nur mäßi- 
gen Perſonal anfgeführt. Denn zur Anfchaffung eines vollſtändigen corps 
de ballet aus Paris wollte ſich der König nicht verftehen, da ihm bie 
Koften zu enorm ſchienen, zumal bie ‘Dekorationen und Koftäme für bie 
wet erften Opern allein 210,000 Thaler getoftet hatten. Da ber Chor 
aus ben Schülern ber Gymnafien gebildet worben war, wobei bie Hälfte 
der Knaben Frauenkleider tragen mußte, fu glaubte der König nach die 
ſem Beiſpiel auch Tänzer für das Ballet ans hübſchen Bürgermäbchen 
und jungen Leuten erhalten zu Können. Sein franzöſiſcher Balletmeifter 
aber weigerte ſich ganz beftimmt, feine Kunſt fo zu profaniren. 

Das Opernhaus follte jeboch nicht bloß zu Opernanfführungen, ſondern | 
auch zu andern Earnevalfeftlichkeiten, namentlich zu Conzerten und Redou⸗ 
ten benugt werben. Zu biefen Sweden waren befonbere Borlehrungen 
getroffen. Gine-Höchft glänzende Reboute wurbe am 10. October 1743 
nach ber Oper in bem nun gänzlich vollendeten Haufe gegeben. Schon 
bei ber Opernvorftellung mußte Alles in Masten erfcheinen: ber Adel in 
zofenfarbenen Domtnos, bie Bürger nach Gutdünken aber ſauber maskirt. 
Mm ber öffentlichen Bekanntmachung bes Hofmarjchall-Amts hieß es: „Da 
Übrigens anf ihrer Majeftät Befehl zu denen Opern weber in Anfehung 


bon 9. Goran. 261 


ber leider noch derer Decorations das Geringfte hat bürfen gefpart wer- 
den, fo ann man ohne Ruhmrebigfeit verfichern, baß nunmehro dieſe, wo 
nit alfe andere, die man gegenwärtig in Europe findet, an Pracht und 
Loſtbarleit übertreffen, doch gewiß Teiner in etwas nachgeben werben.” 
Die Berliner glanbten fih in einen Feenpalaft verfegt und trauten ihren 
Angen kanm, als fi der König ſelbſt in einem Rofa-Domino, aber ohue 
Maske, nicht allein unter das Publikum mifchte, fondern auch am Tanze 
Tpeil nahm. 

Noch Hatten aber bis bahin bie eigentlichen Blanzflerne an bem 
neuen Horizonte gefehlt, nämlich wirklich berühmte und hervorragende 
Kräfte für den Gefang und das Ballet. Zwar waren ſchon bie Leiſtun⸗ 
gen eines Porporino und einer Moltent im hohem Grabe beivunbert wor» 
ben. Allein fie folten auf eine Zeit lang völlig in den Hintergrund tre⸗ 
ten, als es dem Könige gelang, vie itafienifche Tänzerin Barbarina zu 
gewinnen. Die Gefchichte biefer merfvärbigen unb bebeutenben Frau wirft 
ein fo frappantes Licht auf bie Verhältniſſe, umter benen fie öffentlich 
auftrat, daß ich einiges daraus mitteilen muß. Barbarina war vom 
Könige im Venebig engagirt worben, hatte aber, während fie bie Vollzie⸗ 
hung ihres Eontracts von Berlin erwartete, ben jungen Lord Stuart be 
Madenzie kennen gelernt, unb weigerte ſich nun plöglich nach Berlin zu 
gehen, weil fie mit biefem verheiratet ſei. Als Friedrich bies erfuhr, 
verlangte er vermittelft feines Gefanbten in Wien, Graf Dohne, die Ans 
fieferung ber Qänzerin von ber Republik Venedig. Diefe hielt aber bes 
gleichen unter ihrer Würde. Da gerieth ber König in den heftigſten Zorn 
md fieß ohne Weiteres bie Equipagen bes Benetianifchen Gefandten, wel» 
der eben durch Preußen reifte, mit Befchlag belegen, bis die Repnblid 
ifm ven Willen thun würde. Diefer außerordentliche Schritt bes Preußen- 
Könige, welcher bereits nachdrücklich bewieſen hatte, wie wenig er gefon- 
ven fei mit ſich fpaßen zu laſſen, bewog die Republil, unter Höflichen 
Entfägulpigungen gegen Friedrich bie Tänzerin zu verhaften und fie unter 
mifitärifcher Esfarte an bie äfterreichifche Grenze zu bringen. Dort wurde 
fie von einem erprobten Diener Dohnas in Empfang genommen und nur 
mit Mühe vor ben Nachftellungen Madenzies und feiner Genoffen in 
eier verſchloſſenen Kutſche mach Wien gerettet, um vom ba nach Berlin 


262 Nufilieben am Hofe Friedeich des Großen 


transportirt zu werben. Der Lorb war ihr gefolgt und fuchte fie vom 
Rönige frei zu bitten, indem er fie feine Bram nannte; aber er mußte 
fofort Berlin verlaſſen. Barbarina wurde einige Tage nach ihrer Ankunft- 
vor den König befohlen, um in ben Zwiſchenakten einer frauzöſiſchen Cor 
möbie gu tanzen. Ihre außerordentliche Schönheit, wovon bie im König 
tigen Schloß noch vorhandenen Gemälde zeugen, und ihre geiftuolfe Unter- 
haltung fefielte den Rönig fo, daß fie von Stund an fein erffärter Liebling 
wurde. Uber auch ihr Tanz wirb als bezaubernd gepriefen, beſonders in 
dem Ballet Pygmalion, worin fie das alfmähliche Belebtwerden ber ſchö— 
nen Statue darzuſtellen Hatte. Lateiniſche, franzöſiſche und deutſche Ge— 
dichte feierten wetteiſernd ihre Vorzüge; fie bildete in Kurzer Zeit ven Mit⸗ 
telpuntt der feinften Berliner Geſellſchaft; Anbeter aus allen Ständen 
drängten fi um fie; ja fie hielt eine Art Meinen Hofes in ihrer Woh⸗ 
mung. Selbſt der König Tieß fich zuweilen herab, nach der Oper bei ihr 
den Thee einzunehmen ober fie zu einer Heinen ausermwählten Abendge⸗ 
fellichaft einzuladen. Wenn hieraus einige auf ein näheres Verhältniß bes 
Königs zu Ihr haben fchließen wollen, fo bürfte dem das Höchft ſummariſche 
Verfahren entgegenftehen, welches er nach kurzer Zeit gegen fie anwandte. 
Barbarina Hatte nämlich trog ihres hohen Honorare von 7000 Thaler 
Bald bedeutende Schulden gemacht, weigerte fi) aber bei ihrer Abreiſe 
son Berlin, biefelben zu bezahlen. Da ließ der König fie ohne Gnade 
verhaften, bis fie zahlte. Epäter nach Berlin zurüdgelehrt verlobte fie 
ſtch mit dem Sohne des Großkanzlers don Cocceji. Darüber waren ber 
fen Eltern fo unglücklich, daß fie den Lönig dringend baten, die Heirath 
zu hindern. Allein die Liebenden fanden Mittel und Wege, ſich heimlich 
trauen gu laffen und wurden daher nad) Glogau verfegt. Die Ehe foll 
zwar gfüdlich gewefen, aber fpäter tod wieder getrennt fein. Darauf 
gründete bie ehemalige Tänzerin aus ihrem reihen Vermögen ein abliges 
Fränfeiuftift und wurde bafür von dem Könige Friedrich Wilhelm II. in 
den Grafenftand erhoben. Sie ftarb 1799 im Alter von 75 Yähren. — 
So blendend auch ber Glanz war, den fie feit 1745 dem Berliner Hofthen- 
ter gab: derſelbe wurde noch um ein Bebeutendes erhöht, als 1748 neben 
iht vie Tänzerin Eochois, bie Sängerin Aftraa und der Caftrat Salimbent 
auftraten. Nun erſt ſchlen bie Bedentung ber italieniſchen Oper unzwei⸗ 


von A. Saran. 268 


felgaft. Und in ver That — auch der König war zufriedengeſtellt. Der 
Betteifer diefer anferorbentlichen Talente begeifterte ihn zu einem pathetb 
fen Lobgebicht. Die Stimmung bes Publikums über bie Aſtrua erfleht man 
aus folgender Schilderung eines Zeitgenoffen, die uns zugleich eine nicht 
unintereflante Brobe damaliger Kritik giebt. „Ste fegete in der Oper Etma 
mit ihrer Stimme, bie fie volffommen in ber Gewalt hatte und mit wel- 
ger fie ihrer Aktion das wahre Beben gab, ihre Zuhörer in frohes Exftaunen, 
Mit ihr lebte, liebte, ftarb, haflete, flieg man und fühlete fich fallen“ n. ſ. w. 

Alle diefe Genäffe fanden freilich nur im Winter, in ber fogenannten 
Carnevalszeit ftatt. Der König wänfchte aber auch fr die Zeit, wo bie 
große Oper Ferien hatte, einen Erſatz zu Haben und ließ deshalb 1748 in 
Sanſſouci ein Heines italienifches Intermezgo-Theater einrichten. Die Im 
termezzi waren urfprünglic) Tomifche Zivifchenfpiele, weiche zwiſchen den Ab⸗ 
ten ber großen Opern aufgeführt wurden; fie entwidelten fidy aber allmäh⸗ 
li zu ber opera buffa, weldje, was ben bramatifchen Charakter. anlangt, 
bie opera seria entſchieden übertraf. Der König ließ von einer befonbern 
in Potsdam mohnhaften Truppe italienifcher Sänger eine ganze Reihe fol- 
her burlesfen Etüde wieberholt aufführen. In ber Earnevafszeit mußte 
die Geſellſchaft nach Berlin überflebeln und jeben Mittwoch im Comödien ⸗ 
ſaal fpielen. — Doch genug ber Details! Wir fehen den jungen König 
in biefer erfien Periode feiner Regierung eine anferorventliche Rührigleit 
auf muſilaliſchem Gebiet entfalten. Aber er leitet nicht etwa bloß bie Außem 
Angelegenheiten, fonbern er dichtet auch franzöſiſche Operuterte und 
laßt fie nachher ins Stalienifche überfegen; ja, was fehr merhwärbig if, . 
er wählt in bem Text zur Oper Montezuma, König von Mezico, einen 
Stoff, der die traditionelle Bahn der italienifchen Oper gänzlich verläßt 
und ins moderne Leben hineingreift. Ebenſo giebt er dem Componiſten 
die beftimmteften Auweiſungen, breitet ihm Motive umter und corrigitt bie 
Partituren; er felbft componirt fogar Ouvertüren nnd einzelne Arten, Er 
prüft feine Künftler und überwacht bie Proben; er leitet and gewiſſer⸗ 
moßen die Aufführungen, indem er mit bem fcärffien Kenwerbiid dem 
Dirigenten über die Schulter ſieht und die Partitur nachlieſt. Er ver⸗ 
Kimäht es nicht, gelegentlich eine öffentliche Befpredjung in bie Zeitung 
tüden zu laſſen. — Nichte vermag feinen Eifer zu erfälten, Kaum if 


264 Mufitieben am Hofe Friedrich des Grohen 


im zweiten ſchleſiſchen Kriege Dresden erobert, fo läßt er daſelbſt eine 
große Oper von feinem Liebling Haffe mit allen Verzierungen und Bal- 
lets aufführen, lobt und beichenkt den Gomponiften und feine Fauſtina 
and läßt fi von ihm während ber 9 Tage feines Anfenthalts jeden 
Abend in feinem Kammerconzert auf bem Flügel zur Flöte begleiten, 

Aber teog dem. Allen — wie weit ift er entfernt, über ber Muſil 
wichtigere Pflichten zu vergefien! Iu einer höchft charalteriſtiſchen Cabinets⸗ 
ordte, werin er ſich ber allerberbften Ausfälle gegen fein Thenterperfonal 
bebient, Heißt es unter Anderm: „Die canaillen bezahlet man zum plaisir, 
und nicht fecsirerei.vam ihnen zu Haben.” Bald ſollte benn auch bie Zeit 
kommen, wo ec „fein Geld zu Kanonen ausgeben” mußte und „nichts 
vohr Hafelanten“ verthun kounte. Der fiebenjährige Krieg nämlich löſte 
die italieniſche Oper völlig auf. Die Sänger und Tänzer, ſelbſt ein Theil 
der Mufiler zerſtreuten ſich, weil fie feine Gehälter mehr befamen. Die 
Aftına. ging ab und flarb 1758. Die Decorationen, welche auf dem 
Soden bes Opernbanfes aufbewahrt wurben, verbarben durch ben einbrin- 
genden Regen, ba das Bombarbement der Ruſſen Loöcher in das Dach ge 
ſchlagen hatte, nm die ſich Niemand kümmerte. Auch ver Kapellmeiſter 
Gramm farb 1759. Wenngleih der König Haſſe's Opern ben feinigen 
bebentenb vorzog, weil fie ein kräftigeres Pathos enthielten als bie oft 
fentimentalen Melodien Grauns, fo foll er doch, als er bie Todesnachricht 
in Dresden erhielt, weinend ausgerufen haben: „Solchen Mann bekomme 
ich nie wieber!” 

Nach dem Hubertsburger Frieden wurde bie Wiederherſtellung ber 
gooßen Oper von Friedrich nicht mit dem Eifer und Nacbrud betrieben, 
ven die nach den alten gewohnten Genäffen lüfternen Berliner erwartet 
Yatten. Die ernſten Rriegsereigniffe Hatten ben König felbft ernfter gemacht, 
und die Erfchäpfung feines Landes bewog ihn zu großer Sparſamkeit. Auch 
wollten ihm weber bie nenen Sänger noch bie Opern feines neuen Kapell- 
meiſters Agricola gefallen. Es mußten immer wieber bie alten Bekannter 
von Haffe und Graun vorgenommen und burd neue Einlagen und Arien 
wufgeftugt werben. Unter ſolchen Umſtänden waren benn bie Jahre 1764 
bis 1771 für die Oper in Berlin fehr trübfelipe. Einen neuen glänzen 
den Aufſchwung aber gewann biefelbe wieber, ala 1771 die berühmte 


von A. Saran. 265 


deutiche Sängerin Eliſabeth Gertrub Schmehling gewonnen wurde. Sie 
ift belannt unter dem Namen der Mara, weil fie bald darauf bie Eemah⸗ 
fin des Königl. Violoncelliſten Mara wurde. So fehr fi Friedrich an⸗ 
fangs gegen ihr Engagement gefträubt Hatte, weil er, wie er fi aus 
brädte, „fich lieber von einem Pferde wollte eine Arie verwiehern lafien, 
als eine Deutſche in feiner Oper ais Primadonna Haben“ — fo mwurbe 
nicht nur diefes Vorurtheil ſchon bei ber eıften Probe, die ihr der König 
am Klavier perſönlich abnahm, gänzlich befeitigt, fondern fie errang and 
beim Publikum größere Lorbeeren als irgend eine ihrer Vorgängerin- 
nen und hob für einige Zeit die Berliner Dper wieber auf eine glän- 
zende Höhe. Doch die Zeit erlaubt mir nicht, hierüber noch Genaueres 
mitzutheilen. 

Bevor wir nen einen Blick auf bie übrigen mufifalifchen Beftrebun« 
gen Friedrich's werfen, ſei es geftattet, ganz kurz daran zu erinnern, daß 
die kirchliche Mufit ihm feinerlei Förderung verdankt, was uns bei 
feiner Stellung zur Kirche nicht Wunder nimmt. Doc; werben mehrere 
Verorbnungen an fämmtliche Confiftorien umd Regierungen erwähnt, man 
folle dafür fergen, daß bie Singekunſt in Schulen und Gymnaſien beſſer 
tractirt werbe. Auch ſcheint Friedrich für feine Perfon der kirchlichen Mu- 
fit nicht ganz unzugänglich gewefen zu fein, Wenn ber Singchor bes, 
Kölnifhen Gymnafiums vor ben Häufern am Schloßplag fang, trat er 
gewöhnlich ans Fenfter und hörte aufmerkſam zu. Und als nach bem 
fiebenjäpriger. Kriege das große Friedensfeſt gefeiert wurde, foll er ber 
lanntlich das Graunſche Te Deum in Charlottenburg für ſich allein Haben 
aufführen laſſen und dabei Thränen vergoffen haben. Preuß beftreitet 
war bie gefchichtliche Wahrheit biefer Thatſache, fagt aber: „Jenen ſchönen 
Einbrud mag Graun's Te Deum alferbings auf den König gemacht haben; 
wenigfiens fagte er einft zu Faſch, indem er mit dem größten Ruhme von 
Graun's Baffionsmufit ſprach: „Sein TeDeum Hat mir damals in mei» 
ner Lage fehr gut gefallen, obgleich es mitunter auch fehr Luftig barin 
hergeht; denn felbft die Freude muß in ber Kirche einen Ernft behalten, 
ber dem geheimnißvoliften Wefen zulommt.“ Belannt ift auch, baß Frie⸗ 
drich den größten Tondichter der evangel. Kirche, Joh. Geb. Bach nad 
Potsdam kommen ließ und. ihm bie höchſte Bewunderung zollte. Diefe 


266 Muſilleben am Hofe Friedrich des Großen 


bezog fich freilich, wie allgemein im jener Zeit, wohl mehr auf Bade 
Virtuofität mad Meiſterſchaft in der Form, als auf ven kirchlichen Geift 
feiner Kunſt. Wer möchte inbeffen darüber ein abfchließendes Urtheil wa⸗ 
gen? Wolfen wir einen tieferen Blick in bes Königs Herz thun, fo müfe 
ten wir ihn als probucirenden und ansübenden Künftler auf der Flote 
belauſchen. 

Er pflegte befanntlich in ben Pauſen zwiſchen feinen Berufsgeſchäf⸗ 
ten, namentlich am Vormittag ftundenlang phantafierend in ben Zimmern 
anf- und abzugeben. Dabei überlegte er allerlei Sachen, ohne eben baran 
zu denken, was er blies. Nicht felten kamen ihm gerabe Hier bie glüd- 
fichften Gedanken, ſelbſt über Staatsgefchäfte, und dieſe feinen Geift er: 
hebende und befieiende Wirkung der Kunſt warb ihm fo unentbehrlich, 
daß feine Flöte in allen, auch den verzweileltfien Tagen feines fpätern Le⸗ 
bens feine trene Begleiterin und Tröſterin blieb, — Für gewöhnlich fand 
jeven Abend um 6 Uhr in einem höchſt geſchmadvoll becorirten Mufit- 
zimmer ein Kammerconzert ftatt, zu welchem nur wenige, beſonders geladene 
Zuhörer Eintritt hatten, Der König blies bie Flöte und lieh ſich entwe ⸗ 
der von ben bedeutendſten Künftlern feines Orcheftere oder von feinem 
Gembaliften auf einem ſchönen Silbermann’fchen Flügel begleiten. Wäh- 
rend die Künftler (Onanz, Benba und Ph. Em. Bad an der Spige) im 
Vorzimmer warteten, hörte man Eeine Majeftät Solfeggien fpielen und 
fi) fo lange mit fehweren Paflagen üben, bis ein Lakei das Zeichen zum 
Eintritt gab. Jeder Muſiker fand fein Pult bereits mit einem Notenblatt 
belegt, das ber König eigenhändig ihm zugetheilt hatte. In früheren Iahe 
zen pflegte Sriebrich 5, fpäter bei mangelndem Athem nur 3 Blötenconzerte 
zu blafen, die entweder Quanz oder er felbit componirt harte. Sein Ee⸗ 
fchmad blieb auch Hier, wie in ber Oper, fein Leben lang berfelbe. Quanz 
hatte für den König über 300 Gonzerte componirt, welche nach der Reihe 
aufgeführt wurden. Friedrich's eigene Compojitionen waren von geſchmad⸗ 
voller Erfindung; wenigſtens läßt ſich das aus dem befannten Fugen Thema 
ſchließen, welches er dem alten Bach vorlegte; auch follen fie eine große 
Gewandheit in bem ſtrengen Styl feiner Zeit befunbet Haben. Es wird 
fogar erwähnt, Sriebrich Habe, feiner Zeit vorgreifend, das Recitativ in bie 
Inftrumentab Eompofition einzuführen gewagt. Jedenfalls ift es bezeich⸗ 


von A, Saran. 267 


nend für fein künſtleriſches Schaffen, daß er einft in einem Recitativ 
Soriolans Mutter hatte barftellen wollen, wie fie auf den Knieen ihren 
Sohn um Schonung und Frieden für Rom bittet, — Originell war bie 
Art, wie er componirte. Er fchrieb gewöhnlich nur bie Oberflimme in 
Noten auf und bezeichnete dazu mit Worten, was ber Baß ober die ber 
gleitenden Stimmen haben follten; z. B.: Hier geht der Baß in Achteln, 
hier die Violine allein, Hier Alles unisono u. |. w. Diefe muſikaliſche 
Chiffreſprache mußte bann der Capellmeiſter Agricola in Noten umfegen. — 
Sein Vortrag war nad dem einftimmigen Urtheil ber Zeitgenofien im 
Adagio überaus feelenvoll und ergreifend, feldft im hohen Alter noch; 
im Allegro konnte er dagegen nicht recht Tact Halten. Hören wir dar- 
über ein paar Stimmen fachverftändiger Beurtheiler. Der Engländer 
Burney, der ihn 1771 hörte, rühmt von ihm: „Sein Anfag war Har und 
eben, feine Finger brillant, unb fein Geſchmac rein und ungekänftelt; ich 
war fehr erfrent und fogar erftaunt über bie Nettigkeit feines Vortrags in den 
Allegro's ſowohl, als über feinen empfindungsvollen Ausdruck in ben Ada- 
gios.“ Reichardt, der 1774 von Friedrich zum Eapellmeifter ernannt wurde, 
fagt in feinen höchſt inierefianten Mittheifungen über den König: „Im 
Adagio war er wirklich ein großer Birtuofe; er hatte feinen Vortrag nach 
den größten Sängern und Inftrumentiften feiner Zeit, befonbers nach bes 
alten Benda herzrührendem Geigenfpiel gebildet. Unverfennbar war es 
aber and, daß er felbft fühlte, was er blies; fchmelzende Uebergänge, 
höchſt feine Accente und Heine melodiſche Verfehnörkelungen fprachen eim 
feines und zartes Gefühl fehr beftimmt aus und ſtanden nie vereinzelt da. 
Sein ganzes Adagio war ein fanfter Erguß und reiner, anmuthiger, oft 
rührender Gefang — ber ficherfte Beweis, baß ber ſchöne Vortrag ihm 
aus ber Seele fam. Im Allegro war er bafür deſto ſchwächer; feinem 
Epiele fehlte Fener und Kraft, in ben Paſſagen blieb er oft zurüd, uner- 
achtet er fie jebesmal, ehe die Gapelliften Hineingerufen wurden, fleißig 
ubte, auch lange Zabellen von Rungen- Zungen und Fingeräbungen täge 
fi mehrmals abblies. Aecht Lönigfich trat er bei foldhen fchleppenden 
Stellen und Berrädungen im Zeitmaße, bie nicht felten vorlamen, mannlich 
den Tact, als wären es bie Begleiter, bie da wankten ober eiften, unge 
achtet fie ihm mit großer Kunft und Discretion folgten.“ 


268 Mufitteben am Hofe Friedrich des Großen 


Natürlich wagte Niemaud von den Mufilern vergleichen zu bemerken, 
felbft Quanz nicht, der fonft eine fehr bevorzugte und einflußreiche Etel- 
fung einnahm und allgemein der „Papft ber berlinfhen Muſik“ genannt 
wurde. Diefer pflegte, wenn fein königlicher Schüler fehlerhaft fpielte, nur 
ben Bravo-Ruf zu fparen, ber ihm — und ihm alfein — verftattet war; 
bei einem beſonders eclatanten Fall jedoch foll er mehrmals vernehmlich 
geräuſpert haben, worauf ber König feinen Fehler verbefferte mit ven Wor⸗ 
ten: „Wir bürfen. doch Ouanz feinen Katarrh zuziehen.“ Friedrich hatte 
eine befondere Pietät ‚gegen feinen alten Jugendlehrer, ber dieſe Gunft 
niemals mißbrauchte. Er befam 2000 Thaler Gehalt, auferdem Honorar 
für feine Compofitionen und für jede neue Flöte, die er bem Könige ver» 
fertigte, 100 Dukaten. Diefe Flöten zeichneten ſich durch eine eigenthüm⸗ 
liche Technik aus, auf deren Erfindung ſich Quanz etwas zu Gute. that. 
As er im Yahre 1773. ftarb, ließ ihm der König auf dem Kirchhofe vor 

dem Nauenſchen Thor in Potsdam ein ſinniges Denkmal errichten. — 

Es konnte nicht ausbleiben, daß die mannigfaltigen muſikaliſchen Be 
ftrebungen des Königs vielfach anregend wirkten auf feine Umgebungen. 
Dies zeigt fich denn auch zunächft in ber königlichen Familie felbft. Geber 
preußiſche Prinz unterhielt eine eigene Kapelle. Die vorzüglichfte derſelben 
war bie bes Prinzen Heinrich, der Übrigens einem etwas andern Geſchmad 
huldigte ale fein Bruder und bie neueren Italiener befonbers liebte. Auch 
die Prinzeſſin Amalie war. eine treffliche Kennerin der Muſik und fpielte 
ſehr gut Clavier. Der Kronprinz und nachherige König Friedrich Wile 
beim II. fpielte mit ungewöhnlicher Wertigkeit das Violoncell. Wie eifrig 
überhaupt die Muſik zu. damaliger Zeit in ben höchſten greifen . geübt 
wurbe, bavon giebt uns ein Hofconzert Zeugniß, welches Friedrich 1770 
in Potsdam beim Beſuch der verwittweten Kurfürftin Antonte von Sachſen 
veranftaltete. Die Kurfürftin fpielte den Flügel und fang. Friedrich von 
Quanz begleitet, blies bie erfle Flöte; der .Erbprinz von Braunſchweig 
fpielte bie erſte Violine, der Prinz von Preußen das Violoncell. Solche 
Erſcheinungen find harakteriftiich für das vorige Jahrhundert, befonders 
in Deutfchland. Nachdem: fi die Muſik der mütterlichen Pflege der Kirche 
entzogen bat, muß fie zunächft bet ben Großen ber Erbe ihre Zuflucht 





von 9. Saran. 269 


fuchen, um bie nöthige Ausräftung zu geivinnen für den großartig freien 
md fhnen Flug, den fie-fpäter nehmen follte, 

Friedrichs Anregungen erfiredten fi) aber auch auf viel weitere 
Kreife. Durch feine Eongerte bilvete ſich nämlich in Berlin gegerüber 
ter italieniſchen Oper eine eigenthümlihe Inſtrumentalmuſit aus, 
melde wefentlih auf ber deutſchen Schule beruhte. Welchen Elnfluß 
Quanz auf die Berliner. Mufit ausübte, wurde ſchon erwähnt. Ihm zur 
Eeite flanden als Violiniften erfien Ranges Franz Benda und befien 
Eöhne, fowie der Conzertmeifter Graun, ein Bruder des Eapellmeifters. 
Diefe vorzäglichen Künſtler ſchulten das Orcheſter und hauchten ihm jenes 
gelang- nnd ſeelenvolle Spiel ein, woburd die Berliner Eapelle lange 
Zeit nnerreicht neben ber Dreöbener fand, Noch entfchiedener war bie 
Säule Seh. Bachs vertreten. Sein Sohn Phil. Emanuel ſtand 29 Jahre 
als Eembalift in des Königs Dienft und -galt unbefiritten als ver beden⸗ 
tendfte unter den Berliner Künftlern, ſowohl als Birtuos auf dem Flügel 
wie als Componiſt. Jahn nennt ihm mit Recht ben Vater bes neneren 
Slavierfpiele, Denn er verband bie techniſche Epielart feines Vaters mit 
einer freieren und: melobiöferen. Erfindung. Friedrich hat auffallender Weife 
nie eine Note von ihm gefpielt. Diefe unverbiente Zurüdfegung und bie 
abfprechenben Urtheile des Königs verbroffen ben Künftler, der ſich feines 
Wertes wohl bewußt war, und er fiebelte daher 1767 nach Hamburg 
über. Auch ber durch Brachvogels Roman nenerlich bekannter geworbene 
Friedemann Bad, ein noch genialerer Mann als fein Bruder, brachte 
feine beften Lebensjahre in Berlin zu und wurde wegen feiner Phantafieen 
auf der Drgel und dem Elavier ebenfo bewundert, wie er ſich burch feinen 
Hochmuth und feinen liederlichen Lebenswandel verächtlih machte. Ein 
Baar noch treuere Schüler des alten Bad; waren ber Gapelimeifter 
Agricola und der gelehrte Eontrapunktift Kirnberger, Gembalift bes Prin- 
ien Heinrich. 

Die genannten Männer waren ber Mehrzahl nach auch als muſilali⸗ 
ſche Schriftſteller thätig. Die Titerarifche Regſamleit, welde wir unter 
driedrichs Regierung in Berlin wahrnehmen, kam aljo auch ver Mufit 
in Statten. Bon großer Wichtigkeit hiefür war ber Umftand, daß fih den 
dachmannern ein Kreis gebilveter Dilettanten anſchloß, welche die zünftige 


270 Muſilleben am Hofe Friebric des Großen 


und nicht felten pebantifche Wiſſenſchaft jemer unter allgemeineren Geſichts⸗ 
punften aufzufaflen und fie ben weiteren Kreifen der Gebilveten zu über: 
mitteln im Stande waren. Unter diefen Männern verbient namentlich ber 
Kriegsrath und Lotteriedirelter Marpurz Erwähnung. Er war ein Frenub 
Leſſings, fein gebiltet als Weltmann, ſcharfſinnig als Kritiker und gründ- 
lich als Theoretifer. Ebenſo der befannte Buchhändler Fr. Nicolai, ber 
als feiner und geſchmackvoller Kenner galt. Er nahm Abhandlungen von 
Kirnberger u. U. in bie allgemeine deutſche Bibliothel auf und verfchafite 
dadurch der Berliner Kritik in ganz Deutfchland Gewicht und Anfehen. 
Beſondere Mühe gab er fih um das fogenannte Riebhaberconzert, 
welches feit 1770 alle Freitag Abend in einem Privathaufe ftattfand. Hier 
tamen alle bebeutendften Kräfte zufammen, um Virtuoſen zu hören, oder 
Orcheſterwerke und größere Gefangscompofitionen aufzuführen; Hier wurben 
auch zuerft Händelfche Werke zu Gehör gebracht. 

So gruppirten fi um den großen König eine Menge der bedeutſam⸗ 
fien Beftrebungen, die theils bireft, theils indirekt durch ihn hervorgerufen 
waren. Trog mander Heinen, ja Heinlichen und gehäffigen Differenzen, 
die wir unter ihnen wahrnehmen, bilbeten fie in ihrer Gejammtheit 
dennoch eine geſchloſſene, gleichſam patriotifche Macht, welche ſich mit 
ſtolzem Selbftgefühl allen andern Richtungen, namentlich aber der men, 
auffeimenden fübbentfchen gegenüber ftellte. Die Berliner Kritik nahm ,oft 
genug ben fonverainen Ton an, ber bie allgemeine beutfche Bibliothek cha⸗ 
ralterifirt. Es ift begreiflich, vaß Preußens Hauptſtadt auch in muſilali⸗ 
ſchen Dingen die gebietende Stellung zu behaupten wünſchte, welche Frie⸗ 
drich ihr im politifcher Hinficht gegeben Hatte. 

Dennoch wußten fi manche neuen und frembeu Glemente allmählich 
Geltung zu verichaffen, und es ift höchſt intereffant zu beobachten, wie 
fih das ganze Berliner Muſilleben gegen Ende der Regierung Friedrichs 
einem Umſchwunge zuneigt, 

Der König felbit zwar blieb feinem Geſchmack unabänberlich treu. 
Alle Verfuche, ihn zw der neueren italieniſchen Oper ober aud nur zur 
franzöfifchen Operette zu befehren, waren vergebens. Selbſt bie fchönften 
Scenen aus Glucks Alcefte, welche ihm einft (freilich in mißlungener Con 
zertdarſtellung) vorgeführt wurden, reisten ihn zu heftigen Schimpfmorten. 


— — — — 


von A. Sara. 2371 


& ließ nach wie vor feine alten Lieblinge durch neue Rollen und Ginla- 
gen verjüngen und fammte zu biefem Zweck feinem Gapellmeifter wohl bie 
gewünfchten Melodien ſelbſt vor. Eeit dem bairiichen Erbfolgefriege warb 
er immer fparfamer und mißtrauifcher; feine Theaterlente, befonbers aber 
das leichtfinnige Mara'ſche Ehepnar machten ihm viel Verdruß; die allmäh⸗ 
lich erwachenden Stimmen mißbilligender Kritif ärgerten ihn, fo daß ex 
1782 jede Recenfion Über bie italieniſche Oper aufs frengite verbot — 
zuletzt befuchte er das Opernhaus gar nicht mehr, Neicharbt fehreibt: „Jeder⸗ 
mann weiß es, daß die berlinifche italienifche große Oper in ven legten 
Jahren der vorigen Regierung zu einer ſolchen Schlechtigleit herabfauf, 
daß fie auch von feiner einzigen Seite mehr für den Künftler wahren 
Berth Hatte. Der König fah fie gar nicht mehr. Die Eonzerte hörten 
ebenfalls auf; der König, der bie Vorberzähne verloren hatte, und dem 
die Hände zu zittern anfingen, konnte überhaupt bie Flöte nicht mehr 
fielen. — Uber gefegt auch, es wäre beim Alten geblieben: Friedrichs 
Geſchmack Hatte fi überlebt! Er fand zulegt faſt ganz iſolirt das bie 
Sunftgenoffen früherer Jahre waren meiftens geftorben; die Zeit war 
maufhaltfam fortgefchritten und hatte auch feine neuen Umgebnugen mite 
genommen. Durch die Gapelle des Prinzen Heinrich waren die Sym⸗ 
Phonien von Joſeph Haydn in Berlin befannt geworben und riefen eine 
bebeutende Gahrung hervor. Noch eingreifender war ber Einfluß, ven 
das deutſche Theater je länger je mehr auf ben Geſchmack ver 
Berliner ausübte, Der Bürgerſtand nämlich, welcher ber italieniſchen 
Oper immer ziemlich fern fand, hatte ſich von jeher mehr zu ven Auf⸗ 
fhrungen deutſcher Schaufpielertruppen hingezogen gefühlt, welche, fo 
eleud auch anfangs ihre Leiftungen waren, durch Leſſings und Ramlers 
Bemühungen allmählich eine nicht unbebeutende Höhe erzielten und nach 
einigen verfehlten Verſuchen feit 1771 auch Singfpiele gaben. Als nun 
die itafienifche Hofoper ihre künftlerifche Bebentung einbüßte, wandte ſich 
ud das Publikum der höhern Stände ber gefälligen deutſchen Oper zu, 
md diefe gewann balb einen umbilvenden Einfluß anf den Geſchmack. 
Nach einer andern Seite hin wurde bie Thätigleit Neicharbts von 
Bichtigkeit. Er war 1752 in Königsberg geboren, durch Studien, Reifen 
mb die Bekanutſchaft bebeutender Männer fehr vielfeitig angeregt, und 


272 Mufitleben am Hofe Friedrich des Großen von A. Saran. 


als er 1774 in Friedrichs Dienfte trat, erfüllt mit al? den neuen Meen, 
die in der Sturm» und Drangperiobe die Gemüther bewegten. Zwar 
wußte er ſich in feinen amtlichen Funktionen dem Gefhmad feines Gebie⸗ 
ters mit Gewanbheit anzubequemen, trug aber fonft durch feine geiſtvollen 
Schriften, durch gefhägte Compofitionen und namentlich durch ein öffent 
liches Gonzertinftitut nicht wenig dazu bei, einer neuen Periode ber Kunft 
aud in Berlin den Weg zu bahnen. 

Schon war ja diefelbe in Wien angebrochen. Schon nannte alle Welt 
mit Bewunderung die Namen Glud, Hahdn, Mozart. Die claffifche Zeit 
der Muſil war gekommen. Friedrich hatte es nicht geahnt; er Hatte dies 
noch weniger geahnt ale bie gleichzeitige Blüthe der deutſchen Poeſie, 
bie er, wie Mofes das gelobte Land, wenigftens von fern zu fehen glaubte. 
So bebentenb er auf bie Entwidelung ber Tegteren eingewirkt hat — auf 
bie exftere hat er keinerlei Einfluß ausgeübt. Und doch wirb ihm in ber 
Geſchichte der Mufil allezeit ein Ehrenplag eingeräumt werben müſſen. 
Denn er hat durch feine großartigen Anftalten, durch fein perſönliches 
Beijpiel, durch feine weitgreifenden Anregungen ven erſten Grund gelegt 
für die Hervorragende Bedeutung, weldje bie Hanptftabt unferes Bater- 
landes als Hort und Heerd aller ächten Tonkunſt in der Gegenwart ein- 
nimmt, Ihm vor Allen ift es zu banfen, wenn in Berlin bis auf bie 
neueſte Zeit die unverfälfchte Tradition der Bachſchen Schule bewahrt ge 
blieben ift, alſo daß im Jahre 1829 Felix Menvelsfohn in der bortigen 
Cing-Alademie das erhabenfte Werk bes größeften Tonmeifters, bie Pal 
fions-Mufit von J. Seh. Bach zum erfien Dial wieder aufführen konnte 
und damit einen Schag zu heben begann, der nicht allein der Mufik, fen 
bern auch ber evangeliſchen Kirche bis in bie fpäteften Zeiten reichen 
Segen briigen wird. 





Gritihen und Referate, 


Alterthumsgeſellſchaft Pruſſia. u 
(&al. un, 169.) 


27. April. Als neue Mitgliever find beigetreten: die Herren Kaufm. Reich und 
Hotelbef. Braune (beide in Infterburg) und Privatdocent Dr. Cohmeyer hier. An 
Gefchenten find eingegangen: ein Rußiſcher Pak aus der Zeit der Ruß. Invafion, vom 
I. 1762, (duch Hm. Prof. Cholevins) und eine Silbermünze von Georg Wilhelm, 
sefunden zu Infterburg auf vem in der Golbapper Straße gelegenen Grunbftüd des 
Hm. Kaufm. Daume. Zur Vorzeigung kommen folgende Gegenftände: ein fehr be— 
mertensroerther Trend ſcher Becher (deſſen nenauere Beſchreibung zu erwarten fteht), 
Magdeburg 1763 im Mai“ datiert; ferner (aus dem Beſihe des Hrn. Prof. von Wittid) 
eine Sammlung 19 verſchiedener Porträts von Kant, nebit Entwurf zu einem Grabmal 
für Kant, letzterer von J. Koch, fowie cin Porträt Simon Dach's, 1730 nah P. Weſt- 
hal von W. P. Kilian in Kupfer geſtochen. Aus Briefen eines nefhägten Mitgliedes 
werden Mittheilungen gemacht: fiber ein uraltes Metall-Beden, bei Saalau gefunden, 
tim Befige des Hrn. Appell.»Ger.:Ratb Barnheim in Infterburg) und über einen 
alterthämlichen zinnernen Humpen, welcher mit der oben genannten Münze an ber ats 
gegebenen Fundſtätie unter altem Brandſchutt zu Tage gefördert worden ift (vgl. Altpr. 
Mtsſchr. III, 282). Daran fließen fidy noch Mittheilungen, betreffend eine fouft nicht 
betanute gedrudte Preußiſche Chronit von Abraham Lebzelter reſp. Abrah. 
Hofmann (nah Bolduanus Bibliotheca historica Lips. 1620), Baczto'3 Preußi- 
Ihe Bibliothek (an das hiefige Provinzial:Arhiv übergegangen) und die „Metamorphofe” 
des Kantiſchen Haufes in ein Kaffeehaus, wobei namentlich ein darauf bezügliches „Trink 
lied“ (Breubif:Brandenburgiihe Miszellen 1804. II, 109) vorgelefen wird. 

“ 8-n 


Wupe. Monetsfärift Bd. ITL Oft. 3. 18 


Mittheilungen und Anhang. 





Das definitive Mefultat der Volkszählung in Altpreufen 
am 3, December 1564. 


(Bgl. Zeitschrift des Königl, Preuss, statistisch, Bureaus redig. von Dr. E. Engel, 
© Jahrg. V. 1865. No. 11.) 


A. Kegierungsbezirk Königsberg. 


Rreif 


1. Memel 
11. Fiſchbau 


1, Stadttrei 
IV. Landkrei 
V. Labiau 
vi. Wehlau 
VII, Gerdaue 


VI. Raſtenbu 


1X, Zriedlan 








l 113,291] 651 29,808 — 1 43,099] 


®) Die den Ramen von 20 Stäbten beigefügten Zahlen (4- 1) bis (+ 10) bezeichnen 
die 10 größten, (— 1) biß (— 10) die 10 Heinften Städte. 





Das definitive Refultat ver Volksſahlung in Mtyr. am 3. Dechr. 1864. 315 





Wamen der 








Benölterungs:Babl: 
bes 











Kreife. 


x. Eylau 


x1. Heiligenbeil . 


XIT, Braunsbeig . 


xım. 


XIV. 


xV. Allenftein 


XVI. 


xvii. 


xviii. 


xIX. 





w. Er 


Ortelsburg . 


Neidenburg . N 
Dlterode . 


Mohrungen . | 


. Pr. Holland . N a7. 


Städte 





18. Br. Eylau 
19. Landsberg 
20. Kreuzburã 


21. Zinten . . . 
22. Heiligenbeil 


3 Wormditt . 
25. Mebliad . 
26. Frauenburg .. 





27. Heiläberg . 
28. Öuttftadt . 


29. Bihofeburg . , 
3%. Büichofftein - © 
31. Röfel . 

32.Seeburg - . - 





33. Alenftein . . . 
34. Wartenburg . . 


J 
35. Willenberg 

36. vaſſenheim 
37. Ortelsburg 

38. Neidenburg 
Soldau 


40. Ofterode 
{ 41. Hobenitein 





42. Ciebemübl . 
43. Öilgenburg . . 


44. Mobrungen . » 
2. Caalfeld . . 
46. Liebflatt . . 


r. Holland . - 
48. Vahlhauſen - . 


2 [1 St +6) . 
. 19.9 aut B 





23. Braunsberg(+ 9.) 10,571 





4,791 






























16,856 Ar: 
3,575] 1: 


48,783] 


51,306) 











21 


151 





976 Mittheilungen und Anhang. 









Kreiſe. 




















ilfalen . 


. 3 .. 
V. Vittalen . . 2 nei 2; 


46,054: 39 
VI. Stallupönen . | 5.Stallupönen . . 44,356, 46 
vl. Gumbinnen . | 6. Gumbinnen(+ 10. 46,552: 579 
van. apflerburg «| 7. Snfterburg (+ 8.) 612 54: 
1X. Dartehmen . | 8. Darlehmen . 306 29 
x. Angerburg . | 9. Angerburg 37,956, 30 
Al. Goldap . . 110.Colbap . . - 43,277 39 
X, Dlepto. . . |11.Dieho . . . . ‚543 37 
xm. ... 3 Men: ... 43,525; 3 
xiv. Loben . . | 14. RHEIN...» 






A 31,151, 







15. Senäburg . - 
xv. Senebug. „ie. Sillatten . . 


xvi. Jobannisbi Ins SE 
. misbur . Bialla (— 6. . 
Re. - 





39,616 
















C. Regierungsbezirk Banzig. 





u a 5 * 
. cbins .. 3 2 rs En 
. 3,021) 3] 64200l 406 
nn — 
48,334 18] 58110 62 
m, Stabttrei® . | 5.Donzig (+2) . — — |— | 90,334|12,203 
N er 72,22] 14] 73622) "14 
AU 2. 
V. Stargard . -| 7.Stargard . » 
2.8 62,337] 1e| 64,164] 364 
. Berent . . 
VI. Berent. . | 9:Schöned - 
34587] sol 31 
vn. Rartbaus. . = - .—- — — 541011 16 54,104] 16 
vmi. Reuftabt . ie getan vn 
52,429] 16 





7 F Rele. | 11 Städte 1104,386]15,021008,434 
D. Regierungsbezirk Marienwerder. 


1. ... 3,3561 
i. Stuhm. | 2 
aa boiſ 13] 39,846) 


— 








5,256] 2 


Das definitive Refultat der Vollszäblung in Altpr. am 3. Dechr. 1866. 277 


j 1 13,002] 39 47,714| —I 60,716| 89 


278 Voittheilungen und Anhang. 










Namen der 
KAreife | Städte. 


as . art. „grone 
Xu. Diſch. Krone . a. t. Friedl d: 
ih. Arone 268 Bir Bahn lan 


Bevdlterungs: Zahl: 












BevölterungssBabl: 
täptifche Übehen” | Tanotice [anenen 
























Rönigebern . . 275,485 | 9,992 | 758,626 1osanıı | om 
Zumbinnen .. 87,665 2,749 | 639,701 365 727,366 | 3,114 

! 156,286 | 13,092 | 348434 | 70 : 
Da eide_! 187044 6416 | 598,254 | 165 


Handfhriftliche Bunde aus Mönigsberger Bibliotheken. 
Gol. II, 658.) 
7. Hafıs! Biwan. 

Nefielmann in feiner jüngft erſchienenen Weberfegung von Hafis’ Diman 
Gal. Monatsfcr. II, 752) erwähnt p. VI unter feinen Hilfsmitteln aud einen auf der 
Königl. Bibliothet befindlichen ſchönen Ccder der Lieder jenes Dichters (t 1389), in der 
nen „die Perſiſche Lorik den höchften Grad der Formvollendung erreicht hat.“ Auf die 
fen ausgezeichneten Goder, „einen Schatz, den wenige Vibliothelen aufweifen Lönnen,“ 
batte bereits Jo h. Gottfr. Haffe (bekannter Drientalift und Profeſſor zu Königs 
berg, + 1806) 1791 in einem öffentlichen Vortrage die Aufmerfamteit hingelenkt (Preus 
hifches Ardiw. Hrög. von der Kol. Deutih. Gefellih. 1791. 1, 400);*) andy hatte der: 
ſelbe eine „Erktifche Befchreibung” diejes „orientaliſchen Prachtſtüdes“ anderweitig mitgetheilt 
Gibliſch⸗ oriental. Auffäge Königsb. 1793 ©. 1 ff, unl. Hartung’s Kritiihe Blätter 
1793. IV, 309). 

Und in der That ift der in Rede ftehende Coder ein unfchägbares „Kleinod“, dad 





*) Schon früher nab eine kurze, aber verkehrte Notiz Lilienthal 1724 im 
Grleut. Preußen 1, 757; vgl. auch Bernouilli’3 Reifen durch Brandenburg, Pommern, 
Preußen x. 111, 55 f. 


Handſchriftliche Funde aus Anigäberger Bihliotheen. 219 


durch die wunderbare Pracht feiner Ausſtattung das Yuge bes Beſchauers in hohem 
Grade anzieht und ſeſſelt. Schon der Ginband, eine mappenähnlice Bappbede, außen 
mit einem ſchwarzen Lad⸗Ueberzuge verfehen, der mit goldenen und farbigen Blumen in 
feinfter Zeichnung überreih geihmüdt ift, innen mit braunem, kunſtvoll durchbrochenen 
und auf blauem und grünem Grunde auögelegtem Geber überzogen, verräth echt orienias 
liſchen Euyus. Der Eoder felbit, auf goldgefprenteltem Bergament-Bapker in Folio Format 
mit handbreitem Rande geichrieben und mit allerlei Verzierungen und Miniaturen ver» 
ſchwenderiſch auögeftattet, ift von einer Sauberkeit und Splendiditat der Schrift, von 
einer Farbenfriſche und Feinbeit der Zeichnung, die nicht genug bewundert werben Tann. 
Gleich zu Anfang, vor der erften Ode, findet ſich ein überaus kunſtreiches Kopfftüd auf 
duntelblauer Grundlage und mit golvenem, von farbenprädtigen Blumen und Ranten 
durchwebtem Auftrage, in deſſen Mitte mit weißen Buchftaben in Arabiſcher Sprache bie 
orte zu leſen find: „@ott fei dem Hafis anädig.“ Mit ähnlichen, nur kleineren Kopf⸗ 
ftäden find aud alle übrigen Oben geziert; jedes berfelben trägt mit golbenen Berfilchen 
TZalits· Duchſtaben eine Infrift, wie: „Bott hat ihm (Hafıs) feine Günden vergeben“, 
„Bott hat feine Schuld bevedt” u. ſ. w, alfo ein Stoßgebet. Veſonders prächtig durch 
ihre herrlichen Farben und faubere Ausführung find ein paar Gemälde, die an zwei 
verſchiedenen Stellen in den Xert gezeichnet find. Am Ende des Coder feht auf golde ⸗ 
nem Grunde eine Arabiſche Schlußfhrift des Inhalts: die Vollendung der Abſchriſt bie‘ 
ſes Diwans fei geſchehen in ben Ichten Tagen des erften Tſchumada Cd. I. bed fünften 
Monats, oder unferes Februars) im Jahre 891 der Flucht des Propheten ed. b. im J. 
Chr. 1486). 

Zwei Einlagen endlich dürfen nicht unerwähnt bleiben. Die eine ift ein Bildchen 
des Sultan Osmanz bie andere, ein langer Streifen Pergament: Papier, enthält, 
wie es ſcheint, das ®ebet eines mohammedaniſchen Pilgers nebft einer Perſiſch en 
Erklärung einiger Arabien Worte, . 

Der Coder, feiner Koftbarteit wegen bei der von Herzog Albredyt herrührenden ſog 
„Süberbibliothel* (ogL. über diefelbe Bod in feinem Leben des Herz. Albrecht 6.608 f},) 
aufbewahrt, gelangte nach einer wahrſcheinlichen Vermuthung mit noch zwei anderen 
Arabiſchen Codices, bei der Croberung von Ofen durch Deutſche Truppen (1683), in 
die Hände des Preußiſchen Feldyredigers Johannes Brislorn und von biefem 
als Geſchenk an die Kdnigsberger Bibliothel. 


8. Ein neu entderktes SachſenſpiegelFragment. 

Unter den Manufcripten der Gotthold ſchen Bibliothel fand Ref. ein als Umſchlag 
vermenbetes Membranblatt aus dem britten Bude des Gadfenipiegel-Lands 
rechts. Dafielbe ftammt der Schrift nad aus dem XIV. Jahrh., iſt in Heinem Folio⸗ 
Format, boppelipaltig, die Spalte zu 29 Zeilen geichrieben und bietet einen oberſachfiſchen 
Zert der vier Artilel 63, 64, 66 und 67 (vom lip 68 $.3 bis angewinnet 67) im Bers 
glei) zu Homeyer's Ausgabe. — Die Merkmale zus Gaffificierung dieſes Teries, 


280 Wittpeilungen und Anhang. 


ſoweit fie Mar erfichtlich find, reihen nicht aus, ihn einer beftimmten Homeyer'ſchen Zert: 
claſſe mit Sicherheit zuzuweiſen: 1) der Zert entbehrt der Gloſſe, 2) er bat bereits 
die vollere, über bie urfprüngfiche Form des Sſp. hinausgehende Geftalt, wie fih 
aus dem Vorhandenſein der Hauptftelle Verliet .. . dorve 64 $. 5 ergiebt. Db das 
veitte beftimmende Moment ver Büchereintheilumg nnferem Zerte eigen mar 
oder micht, iſt nicht zu entſcheiden. Dürfte man aber aus dem Fehlen der Buchzahl am 
Rande des Blattes auf mangelnde Büchereintheilung fchließen, fo würde das Fragment 
der I. Glaffe, und zwar der 2ten Ordnung zuzurechnen fein (Homeyer Genealogie 
p. 8 fi, in den Abhandl. d. Berliner Alad. v. 3. 1859). Hinſichtlich der Vollzad 
Tigteit. zeigt unfer Tert zwei Lüden: es fehlen 64 88.6, 7 und in Uebereinftimmung 
mit den Terten Bgqu (Homeher L. e. ©. 108) der ganze art, 65. Die Capitel 
theilung erſcheint völlig fingulär und ift in ber Ho meyer’fden Synopfe (p. 188 fi.) 
nirgends wadweißbar; bie einzelnen Abſchnitte (12 an der Zahl), mit Rubriken verichen, 
aber ohne Numerierung, ftellen fi zur Bulgata in folgender Weile: &) unvollftändig 
68 8.3; b) 64 88.1 & 2; 0)64 8. 3; d) 64 88. 4 & 5 biß gelegen is; e) 64 8. 6 
Verliet.(8$. 6, 7 fehlen); f...i) 64 88 8... 11 (65 fehl); k) 66 88. 1...8; 1 66 
8. 4; m) unvollftändig 67. An Lesarten gewährt das Fragment feine nennend: 
werthe Ausbeute. Rathſelhaft ift die Zahl xx vwiii, melde der Vorderſeite des Blattes 
cum oberen Rande mit rother Farbe übergeihrieben ift; wollte man fie als Blattzabl 
deuten, fo würde nach Maßgabe des Raumes auf den vorhergehenden 27 Blättern nicht 
wiel über 25 von dem wirklichen Inhalt des Sſp. haben Plag finden können; vier 
fol die Zahl die Lage bezeichnen. 

HR nach dem Gefagten dem gemachten unbe ein bedeutender wiſſenſchaftlicher werh 
nicht beizumeffen, fo bleibt er doch von Wichtigleit als Denkmal einer untergegangenen 
Sachſenſpiegel: Handſchrijt und zugleich als neuer Beleg für die Verbreitung jenes mittel: 
altetlichen Rechtebuchs in unferer Provinz (vgl. Monatsſchr. II, 604 ff.). Zumal für 
unfere Bibliothek iR das Brudftüd ein um fo werthvollerer Beſih, ald dieſelbe din 
Sachſenſpiegel Handfehriftlic bisher nicht aufzumeilen gehabt hat. 


Alterthumsfunde, *) 
Gol. II, 765.) 
20) Im der Sitzung des Copernicus-Vereins am 16. October v. J. referierte Herr 
Dr. Browe über eine heidnifhe Grabftätte auf dem Gute Kiejemo bei 
Gniewkowo. Die an's Tageslicht geförderten Urnen waren fehr roh gearbeitet, ohne 
Ornamente, nicht einmal gebrannt, fondern an der Luft getrodnet. In denfelben fand 
ſich nichts als Knochen und Erde vor. In der Nähe der Urnen entvedte man auch ben 


*) Die in den Sitzungsberichten der Pruffia ertähnten Alterthumsfunde werden 
bier nicht befonders verzeichnet, weshalb auf jene ein für allemal verwieſen fein mag. 





Alterthumofunde. 281 


aus Steinen hergeſtellten Heer d, auf welchem — das bekundeten wie dort gefundenen 
Ueberrefte — die Leihen verbrannt worden waren. [Ihorner Wochenblatt 1865. Ne. 164.) 

21) In der Sikung defielben Vereins am 11. December überreichte Hr. Kaufmann 
Adolph zwei Geſchenle für das ftädtifche Mufeum: ein zu Wengorzin gefundenes 
ſchönes Beil aus Feuerftein und einen zu Bapan gefundenen Meiſſel, ebenfalls 
aus Feuerftein. — Hr. Böthke ftattere Bericht ab über eine heidniſche Grab: 
fätte in Orzymna bei Gulmfee. Man fand in derfelben mehrere Urnen, von wel⸗ 
chen eine für das ftädt. Mufeum zugeſchidt worden it, und Geräthicaften aus Bronce 
und Gifen, welde zur Befeitigung von Kleidungsitüden und zu anderen Zwecen dienten. 
Thorner Wocyenblatt 1865 No. 196.] 

22) „Römifche Kaifermänzen aus Grüneifen.” [Altpr. Monatsſchr. II, 86.) 

23) „Aus den Acceſſionen der Alterthumsgeſellſchaft Pruſſia.“ IMtsſchr. II1, 180.) 

24) Dem ftäptifben Mufeum zu Danzig find ald Geſchenke übermadt worden: 
ein aus früherer Zeit Danzigs ftammendes Eremplar der jteinernen Dradenköpfe, melde 
unter dem Namen Wafferipeier befannt find; für die Abtheilung der vaterftäti- 
ſchen Alterthümer mehrere ca. 200 Jahre alte Bofaunen, desgleichen zwei alter: 
thimlide Treppenpfoften und Trallien mit Schnipereien, ſowie für die kunſt- 
newerbliche Abtheilung einige alte Eiſenbleche mit aus freier Hand getriebenen 
Basrelief3. Ferner find der Abtheilung für heidnifhe Alterthumer der Brovinz 
eine Fibula und andere.Gegenitände, ald ein Spindellnopf, Berlenn. f. mw. 
überwwiefen werden. [Meit-Preußiihe Zeitung 1866 No. 81 u. 86.] 

235) „Der Ringwall in Jablonomo.” [Neue Preuß. Prov.-Blätter 3. F. 
1866 XI, 113 mit einer Zeihnung.) Val. Alterthumsfunde No. 9 (II, 755). 

26) „Eine alte Steinplatte” (in dem Garten des bei Ragnit gelegenen Kal. 
RemontesDepot:Gutes Neuhof). [Meue Preub. Prov.Blätt. 1. c. S. 118 mit drei 
Figuren Abbildungen.) “ 

27) „Ein Münzfund“ (angeblih bei Marienburg). Il. c. ©. 120.) Bol. 
Alterthumsfunde No. 4 (11, 377)7 

28) Cin Denkmal aus alter Zeit befigt die Kirche Alt:Chriftburg in ihrer 
Taufihäüffel. Gie ift von Meffing mit einem breiten, geſchmiedeten Rande, während 
ter Boten mit feinem Basrelief gegofjen und fehr maſſiv ift. Hier ſieht man die Ver— 
tündigung Mariä dargeftellt. Rings um das Bild her, noch auf dem Boden, iit eine 
sierlihe Blumenguirlande, in welcher Buchftaben (fünfmal Ave Maria!) eingeflohten 
find. Es find Minusfeln, aber nod nicht aus der Zeit ihres allgemeineh Gebrauchs — 
um die Mitte des 14. Jahrh. — fondern aus ber Zeit des Uebergangs von der Majus: 
telihrift zur Minuskelſchrift. Es ſtammt mithin die Schüffel aus den eriten Jahrzehn⸗ 
ten des 14. Jahrhunderts. [Weif’ Evangel. Gemeindeblatt 1866. No. 16.) 

39) Alterthumsfund zu Infterburg. [Altpr. Misſchr. In, 282.) 

B Sn. 


282 Mittheilungen und Anhang. 


Alterthumsfund zu Infterburg. 


%. April 1866. Am heutigen Tage wurbe auf dem dem Kaufmann Hrn. Daume 
gehörigen Grundftüd in der Goldapper Strafe, mofelbft ein altes Haus abgebrochen und 
das Fundament zu einem neuen ausgehoben wird, in einer Tiefe von ca. 6 Fuß unter 
altem Brandſchutt ein fehr intereffanter Fund zu Tage gefördert: ein Humpen mit Alapp- 
dedel von Zinn, ec. 1 Fuß hoch und 4 Zoll Durchmeſſer, etwa 1?/z Ouart fafiend. Die 
äußeren Wände de3 Humpens find über und über mit feinen Arabesten und Vlumen 
verziert; auf der Vorberfeite find zwei fehr fein gravirte Figuren, etwa 4- 5 Boll hoch, 
darftellend eine Edeldame in der Tracht der Maria Stuart, auf dem Kopf ein Barret 
mit Reiherfedern; und baneben einen Edelmann in polniſcher Rationaltracht, den polni: 
fen Krummfäbel an ber Seite. Cine Jahreszahl ift nicht vorhanden. Ueber den Fir 
guren fteht cin jedenfalls fpäter eingravirter Name: Hans Reckerling, wahrſcheinlich 
Imfterburger Bürger; denn auf der Wetierfahne des abgebrochenen Hauſes ftehen bie 
Anfangsbuchftaben: G. R. 1690. Der Humpen trägt übrigens, obgleich er, zwar etwas 
verbogen, doc fonft fehr gut conſervirt ift, die Spuren des Feuer? an feinem obern 
Rande. Es iſt Ausſicht vorhanden, daß der Befiger deſſelben, Hr. Daume, ihn der Alter- 
thumsgefellibaft Pruſſia überlafien wird. — Gleichzeitig mit dem Humpen wurde noch 
ein fog. Tompf (Aıhtzehner) aus der Zeit des Kurfürften Georg Wilhelm (1619— 1640) 
ohne Jahrszahl nefunden. Das geharniſchte Bruftbild nach rechts gewandt mit ver 
Krone auf dem Haupte, in kurzen Haaren, mit Spigbart, krauſem Kragen und umgehan- 
‚gener Feldbinde, den Scepter in der rechten Hand und das unterwärts gelehrte Schwert 
in der inten haltend, umgiebt die Umfcrift: GEORG: WILHELM: V:on G:ottes 
G:naden M:arkgraf Z:u BRAN:denburg. Reverd: Dies H:eiligen R:ömischen 
R:eichs ERT:z C:ämmerer V:nd CHVRF:ürst I:n P:reussen Z:a G:ülich C:leve 
B:erg H:ersog. Zu beiden Seiten des preußiſch⸗brandenburgiſchen Wappens won vier 
Feldern je ein Z. — Der Humpen fowol wie das Gelbftäd, welches jegt der Mänzfamm: 
lung der Pruſſia angehört (vgl. oben S. 273) find jedenfalls bei dem großen Brande 
am 24. Juli 1690, durch welden die ganze Stadt bis auf die Kirche, das Rathhaus 
und 24 Häufer eingeäjcbert wurde, verſchuttet und fo der Nachwelt erhalten worden. 

wt. 


Univerſitäts · Chronik 1866. 


N. April. Philol. Doctor-Diſſ. von K. Arth. Ludwich (aus Lych: Quaestionis de 
hexametris poetarum Graecorum spondiacis capita duo. Halis. (32 ©. 8.) 
Nach dem Etat des Minifteriums der geiftl, Unterrichts» und Medicinal- Angelegenheiten 
für 1866 (vgl. Staatd-Unzeiger No. 101.) bezieht die Univerfität zu 8 
nigsberg aus Staatsfonds 100,789 Thlr. und an eigenen Ginnahmen 5138 Thlr. 
Sie verausgabt hiervon 8958 Xhle. für die alademiſche Disziplin und Bervaltung, 








Lyceum Hofianum in Braundberg. — Bibliographie 1864. . 283 


41,721 Thlr. zu Befoldungen der Profefioren und Lehrer, nämlich 5787 Thlr. für die 
evang.theol., 5794 Thlr. für die jurift., 8200 Thlr. für die medic. und 21,540 Thlr. 
für die philof. Fakultät, ſowie 400 Thlr. für Leltoren zc., ferner 38,027 Tple. für 26 ver: 
ſchiedene Inftitute und Sammlungen, und 17,221 Thlr. für fonftige Bedurfniſſe — 


Lyceum Hosianum in Braunsberg 1866. 

Index lectionum ... per aestatem a die IX April... instituendarum (h. t. Rector: 
Dr. Andr. Menzel, P. P. O.) Brunsbergae, typis Heyneanis, (18 ©. 4.) [Prae- 
eedit Dr. Andr. Thiel de decretali Gelasii Papae de recipiendis et non recipien- 
dis libris et Damasi concilio Romano de explanatione fidei et canone scripturas 
sacrae Articulas III. S. 3—14.] 

Das Lyceum Hofianum in Braumsberg bezicht aus Staatsfonds einen Bus 
ſchuß von 2140 Thlr. & 


Bibliographie 1864. 


EGchluß.) 
eamng Bo Rob. A „Getirg un und Thal. Novellen. Berlin, Lüverüg’ Verlag. (III u. 


ra and Senfefer, Rovelln. Ch, 865. (864) (HT u. 384. 8) 1a Zr 

ftern, bie Göttin Oftara und tie Oftereier. [Correipondenzblatt d. Gelammt: 
vereing b. otih, Oel ‚gel Bel: u. Alterthövereine. No. 5. 6. — Aus dem Magazin f. d. Bit. 

Säwerin, Agnes Gräfin, Theuer ertauft. Crzäblung in Briefen. Be Fünfhaufen. 
(um u. 170 €. gr. ig /a Thle. in engl. Einb. m. Goldfhn. 

Senftleben, Dr. Hugo, © abnungen Liebig’3 zur Vernerthung Ya Aioateninhalts 
vom nationalölonom., —— u. fantetspolheiih, Standpuntte betrachtet. 
Beriat, amtlicher, üb. b. mml. diſch. Sands u. Forftwirthe zu Raabe. 

dv. D. Hausburg. ©. 2621 

— — — unferer Arbeiter mit ſtaatl. Unterftügung reſp. Reformen in 
unten Arbeitenverbaltif iſen ahrbüder Kante, aus Oftpr. ©.430-—436.] 

Serregatt, S. ya ee tt. Akademie Proztau. Berl. BWiegandt & Hempel. 

u er) Aa & 

Simon, Prof. a eb, die Vraneplstik mit hesond. Berücksichtigung der Mittel 
zur Wiederherstellung e. reinen [nicht näselnden] Sprache. [Aus d, Greifswal- 
ler liein, 


8) 9 
Simfon, Dr. B. Co. in —F Ueb. die Annales Sithienses. lForſchungen zur Deutſch. 
. Bo. IV. 3, ft, Götting, ©. 575—586.] 
ie Prof. Dı 'gsbg., Bericht üb. d. Leistungen in der Gebartshälfe 1863. 

[Canstatt's —S üb, d. Fortschr. d. gesammt, Medie.... . 1868. 
IV. Ba. (N. F. 18, Jahrg. IV. Bd) Würsburg. ©. 869—428.] 

Spirgatis, Prof. Dr. ‚in Keabg., Ueber das Turpeikbare. (Aus d. Gel, Ann. d. K. 
bayer. Acad. d. W. 1864.)- [Journal f. prakt, Chemie. 92. Bd. Hft.2. 6. 97-108. 

Stadie, Pred. Bernb., Gef der Stadt Stargard, aus vielen, bish. ee archival 
Quellen, u. älteren m fowie aus arößern Geſchichtswerlen ımmelt und 
bearh. Bei ein Beitrag 3. Geld. des Streied. Pr. Stargard. Kienig. (192€. 
gr. 

v. Staegmann, W. A., Die Theorie des Bewußtfeynd im Weſen. Berlin. Herb. 
(XIV u. 703 ©. gr. 8) 3 Thlr. 











eiträgen abgedr.] Mit 3 lith. Taf. Danzig. Ziemssen. (82 ©. 

















284 Mittheilungen und Anhang. 


Steonke, Statiſtiſche Nachrichten über den Verkehr auf dem oberfämbifchen Kanal in den 
vier Jahren 1861—1864. (Morungen. W. E, Harid.) (2 BL. gr. 4.) 

Steffenhagen, Dr. E. Noch einige Nacträge und Notizen zu Some, die, beutfchen 
Rechtsbucher des Mineaters u. ihre Handſchriſten. |Beitiähr. f. Rechts, Han. 
vd. Dr. Auborff. IV. Bo. 1. Hft. ©. 178—185. 

— — Siteräraeldichtlihe und „aratebilterife Mittheilungen aus Königsberger Hand: 
Ihriften. |Cbv. €. 186—204.] 

Stein, Dr. Heinr., Oberlehr. in Konitz, Ueb, das Eisengeld der Spartaner. [N. Jabr- 
bücher f. Philol, u. Paed. &9. Bd. ©. 332-338. 

Steinwender (aus Siebwalde bei Chriſtbura) Die Wahrheit wird euch frei maden. 
(Ich, 8,32.) (Elbing, Agath. Wernich j (12 ©. 8.) gratis. 

Stern, D., "Das Leben. Ein Auffag mit dem echte Beweiſe der Einheit von 
Geiſt uno Sn im Dinge. Cine Umarbeitung des urfprüngl. Aufſatzes. (Dieler 
Lihe fließt fi dem Auffage_„der Menſch und die Erde“ genau an.) Koebo. 

Selbit:Berl. (92 S. ar. 8. ın. 1 Figurentaf.) 

Stobbe, O., Geschichte d, deutsch. Rechtsquellen. 2. Abth. a. u. d. T.: Gesch, d. deutsch. 
Rechts in 6 Bden. Bearbeitet von G. Beseler, H, Hülschner, J. W. Plauck, 
Aem. L. Richter u. O. Stobbe. I. Bdes 2. Abth. Braunschweig. C. A. Schwetschke 
u. Sohn. (M. Brahn,) (XII u. 516 ©. gr. 8) 2 Thlr. 16 Egr. 1. Ba. complt. 
5 Thlr. 16 Sar. 

Strehlke, Direct, u. Prof, Dr. rn Danzig, Ueber die n!en Näherungswerthe der perio- 
dischen Kettenbrüche udl | 


Ar... "+74 1 





[Archiv der Mathem. u. Phys, Hrsg. v. Grunert. 42, Thl. 3, Hi . 343. 344.] 
Theilung, dic, Bolens in den J. 173, 1793, 1796 u, 1815 nebit e. Drrafienänf, ber 
Könige von Polen und der Wiener Congreb im I 1815. Bon $.v. Berlin. 
Atadem. Bchbol. (XXVI u. 294 ©. ar. 8) 1 Thlr. 
Zieß, — Aus vergangenen Tagen. 1. Die heiden legten Zoöpfe. (Wajor Baron 
rofte u. Hptm. v. Lietzen in Kosbg.) [Der Vollsgarten Ro. 16.) 2. Der graue 
Mann, (Pafewald od. Paſewalt in Knsbg.) iEbd, 22.] 3. Diplorb Ih. (David 
gar John, Sohn des Kammerferret, John.) [Ebd. 32,] 4. Der Onfel Hinderfin. 
( er in Billtalen.) [Ch 
— — Dönifhe Kanonen im — zu Berlin. Ebd. 841 
—— 3 zwei Liedern, Schwank in 1 Alt, nach d. San Beat s, L. W. 
Bübnen:Repertoir d. Auslgndes. No. 235. Berlin. a 176 8] 
— — Nur N ängftlih! Voſſe in 4 Anfzügen. lJabrbch. deuticer Bühnenfpiele. 
t De F. W. Gubih. 44. Jahrg. f. 1865. Berlin, 865. (864.) Vereinsbchh. gr. 12.] 
v. der Trend. 
Berthold, G. Leben und Aventeuer des Freiherr Friedrich ” d. Sat Hiftor. 
Noman, "Dit color. Bild. Dresden, Dreyer. (126 ©. 4.) 24 
Veberweg, Dr. Friedr., Grundriss der Geschichte der Philosophie von Tan bis auf 
die Gegenwart, 11. Theil: die christliche Zeit, 1.Abth. a. u. d. T.: Grundriss 
der Gesch, der Philos, der patristisch. Zeit, Berlin, Mittler & Sohn, wu 
101 ©. gr. 8.) 213 Thlr.— . .. 2, Abth. a, u. d, T.: Grundriss der Gesehichte 
der 1 bite, der scholastischen Zeit. Ebd, (VI u. 112 ©.) 25 Xhlr. 1-1, 2: 
2 Ihlr. 16 Sr. 
— — Die Schidlalsidee in göilers Dihtung u. Reflerion. Ptroteſt. Monatsblätt. 
v. 9. Gele. 23. Bo. 3. Hft.] 
ae Parmenides. [Neue Jabrb, f, Philol. u, Päed, 89. Bd, 2, Hi, 
Berbenölungen des 17. Provingial Landtages der Provinz Preußen im J. 1864. v. 
Scultzſche Hofbuchdr. 
Verordnung, die neue, ber die Eintheilung der Stadt Kgsbe. in 2 Reinisungsbejirte 
nebit den noch geltenden Beftimmungen der Straßen-Orbnung vom 20. März 1835 
u. den darauf bezüglichen bis auf die neueſte Zeit erlafienen Polizei» Berorbnungen. 
grlammen, eftellt auf Grund amtl. Bekanntmachungen des PolizeisPräfid, Kyöbg. 
Rautenberg. (63 ©. 8.) 4 Sar. 











Bibliographie 1864. . . 286 


Verwahrung gegen einen ftäbtiich. Kreisſchulinſpektor in Elbing. Separat- Abdr. aus 
d. „Jeuen Elb. Anzeiger.”] Elbing. C. nenteihner. (47 ©. 8.) 3 Sar. 

Biol, ‚Aler. Rz Neringia oder Geſch. der Danziger Nerung. Mit Ei Illuſtr. u. 
1 dith.) Specialtarte der Nerung in Fol. Danzii Fra Drud v. Kaſe 
mann. (6 DL. u. 200 ©. ar. 8. Dit e. beſond. h J 

Bolköbücher, Preußiſche. No. 
berg. 12. KSmpaltz Et Du: jelbmar| 

hate nenn Sad zubertäf Bert 
® ware Sen aus der ‚Sramofeng it u. 
*. 38, Friedt. d. Or. u. taı jen m. b. 

—F Eh, a a En 

En "uf. Sagact. (is ©) 6er 36. 

Yang im he Zu. 44. — jovelle v. Maria v. Rostomi 

Grdblangähren, 80. 2) — 36. Gin Baterpery, ober: DR a. Müller. Original- 

Frau. Altweg. Inn 6 Ser] 

Borilige au Sipänterungen der neu, tedigieten Abfhäbungs:Örundfäge der Ama. 
Landſchaft. Behufs Einführung einer neuen Form der Tare. Rgöbg. Gebr. b. 
Ab. Rosbah. (64 ©. gr. 4.) 

Waldeyer, Dr. Amsistent des physiolog. Instituts zu Kgsbg. i. Pr., Anatomische 
u. physiolog; Untersuchungen üb. die Lympliherzen der Frösche, (m. 1 Taf.) 
(Zeitschr. f, rationelle Medic, 3, Reihe XX1. Bd, ©. 103—124.] 

Wanderfeſt, das viert‘, des Hauptvereins Weftpreuß. Landwirthe zu Danzig in den 
Tagen dv. 24. bis 27. Aug. 1504. Dit 1 Grundplan des Schaufeldes.) Danzig. 
Drud v. Rafemann. (36 ©. 9 

Baperungen, 8 Jeſu mit — Sans Ein Eyklus chriſtl. Voltslegenden, Memel. 

4 Bi. u. 95 ©. 16) 121 Sur. 

de conditione Italiae inferioris iegorio Septimo Pontifice. Diss, 

it. Kgsbg, (Schubert & Seidel gr. 8.) Yz Thlx. 

Bit, rl Dr. B., Die Rebeitüde des a) —R Datäus, VYñt befond. Verädi. 
von „Dr.  Selkmann, die fonoptiichen Doangelien, dr | ‚Urfprun u. geſchichti. 

Charatte: Dal ng . die ger 9. 2. 1. Hft, —140. 

Weiß, Eonfift.- ar Dr. ©. B. Dr. Dart. Luther's einer NEN nebft 
turzer Auslegung. 20. Aufl. Fe "Hartung. 21. Aufl. Ebd. (52 

-- — Auslegung, | ober ne Meltionalel te nad) Dr. art. — eh, Ka⸗ 
tebismus. 4. Ausg. (8. Aufl.) Ebd. (160 €. 8.) 

Werther, Prof. G., Quantitative Bestimmung des Thaltume. [Zeitschrift f. analyt, 
Chemie. 3, Jahrg. . 1. At. ©. 1-4] 

- — "Jourasl f. prakt, Chemie hrag. v. O. L. Erdmann u. Gust. Werther. 
31. Jahrg. od, Bd. 91—93. 24 Hefte. Leipz., Barth. gr. 8, 8 Ihlr. 
Wiedemann, Dr. Th. (in Kgsbg.), Appian üb. d. catilinarische Verschwörung. [Philo- 

Iogus. 21. Bd. 3. HR. ©. 473—480.] 

—— Meber F Quelle von Tacitus Germania. lForſchungen z. deutſch. Geſchichte. 
4. ®b. 1. Hft. ©. 171- 184. 

Binfomm, Die Snfettenperheer ungen in Oftpreußen u. die durch diefelbe a 

eftaltung der ojtpreuß. Forften u. ihrer Demirtbicaftung, [i — 
Fr% Atad. f. Forft: u. Landwirte zu Tharand. 16 Bo. 

". Wittieh, Prof, Dr. u. Dr. Golts, Bericht ib, d. Leistungen in 8 rel, Anato- 
mie. [Canstatts Jahresber. üb. d, Fortschritte d. ges. Med. im J. 1863. 1. Bd, 
(N. F. 13 Jahrg.) ©. 108—116.] 

itze, Die ländlichen, Schlösser u, Residenzen der ritterschaftl, Grundbesitzer 
in der preuss, ie Arzg. v. En Danker. Provinz m Bi Lfg. 
Berlin. A. Dunker. (3 Chromolith. und gr. Fol.) 18/12 Thlr. 

Bokmungs-Aineiger, Allgem, von Danzig und. dei en Bochünfn 1864. . von 

Jahrg. Danzig. tunier Mer Comm. @ Bl, 88 s Ho © 
or. 8.) 1a Thle. 


-- pro 1864165 nebft Rang. u v. 0. BE, Eyfl. 15. Jahrg. Ebd. (2 Bl, 
128 u. 110 ©. or. 8.) 1 alle 

-- ‚Stbinger Kir. er für 1864. &* Ye ch, 3 3, Ypnmar 1806 vervollftänd. v. C. Meißner. 

Bolfs, Yu a Sarnen u und "nachgelaffene Schriften. Dresden. Runge, (VII u. 
%0 ©. ar, 8) 1 le. 























RR Saga} 
25—42: Zugabe. 














wein 8. 

















286 Mittheilungen und Anhang. 


, Dr. Otto, Garnifon a. Stötpfarr. in Billau, Mittheilungen üb. das fociale 
u; kirchliche geben in ver Bent an Berlin. Herb. Av u 444 €. 8) 
2 
Zoiör, Piefni kofcielaych, dia näytku saköl polsko-katolickich elementarnych. Toroc. 
Siegler Mar ci, "ey Eoangelien zuf ſtelte pe 
farrer in sehlau, ie ai en vier ingelien zulammenge} te heil 
— Honegefhihte „8. verh. Aufl. Mehl Brad o. D Mrlate (se ie) 


(- —— Gottesdienſt am heiligen Abende des Weihnachtsfeſtes. Ebd. 
— Er Weihnachtswunſch. Ebd. (2 Bl. gr. 8.) & ! 


Periodiſche Literatur (1866). \ 


„Bälehtse rssingiatbtätter, re, —h. Delöner.” N. 3. 5. Jahrg. ! 
(pril. (€. 129—272.): Boehm, Schlel. nach ft. Bebeutg. f._ Preuß. in A 4 
—— veneba. Ir. Spgitonett,, Nacır. dv. d. ehemal. Franzistarerlloiter 3. 
Band, in } Raum. d. 29. Apr. 1816 d. jeg. Gymnaf. eröffn. wurde. C. Krone, 
jründg. d. Steindruderei in Schlel. (dort. u. Sal.) Chi, 
Ss ft den "nei, 'andgemeind. Schleſ, u. wäre do unfämer u "u ar. Segen 
vn uftell.? 3. Cändl. a a Frig Herring, d. vaus zu den 
Igen. Griminal-Geid. aus Neil —ER Säleier im Auslande: Feldmarſch⸗ 
Hin: jeiäberg. Baron Garl v. d. Deden. M. K., ‘oh. Gottl. Fichte in Edle. 
Exlel.\ waftellan. im 3.1866. Schleſ. Briefe. (Fortf.) — 7, Zur Feier d. 5Ojähr. 
Veſteh. ver Kgl. Rep. 3. Oppeln. 3. Neugebauer, Geich. d. Breslau. biärgerl. 
Scehuläge. &. Sojäbr. Suhl, bend. Echehfefte ber Seen u: Gemerte. 8, 
ZJubelfette d. Vürgerberges 3. Goldberg. Dr. Bad, Fedde, Rövdelius, % ich 
üb. d. V. Vſamml, v. Turnlehr., Turnwarten u. Bertret, d. I. diſch. Turntreifes. — 
Lit» u. Kunftblatt. — Chronit u. Statiſtit. — Brieftaften. 





Schriften der Kgl. physikalisch-ökonomisch. Gesellschaft su Königsberg. 6. Jahrg. 1865. 
2. Abth. Kgsbg. 1865. In Comm. bei W. Koch. (6. 77—215. 31—48. 23 ©. 
Beil. u. Taf. IV. V.): Beiträge zur Flora des Königreichs Polen. Von C. Bänitz 
in Bromberg. 77-103. Beobachtungen üb, die Arten der Blatt- u, Holrwespen 

won C.G.A. lirischke u. Prof.Dr. Zaddach. (II. Abhälg.) (Hiezu Taf. IV.) 

104-202. Marine-Dilı Westpreussen. Von Dr. 5, Berendt. (Hiezu 

3 d. Bernstein-Sammlung der Gesellschaft. Von 

= — Sitzungsberichte pro Oct,-Decbr. 1865. 31—36. 

Bericht £. 1865 üb. d. Bibliothek d, Kgl. phys,-ökonom, Gesellsch. v. Prof. Dr. 

Rob, Caspary. 37—48. Anhang: Bericht üb, d. geognoftiic. Unterfucgungen 1 » 

ie. deile dem hob. Zandtage ber Prov. Preußen überreicht von d. Kyl. phnl.- 

ton. Gefelfh zu Spöbg. 1-5. Deilaye A. Berlkt an d.stal.pboföfon. Beielld. | 
ungen, . die geognoſtiſch. Kartenaufnahmen d. J. 1865 innerh. d. Prov. Preußen 
erend. 6-12. Beil. B. Kit, von of. —E——— 13—19. (E⸗ 
Mir b —— ) 20. m. I Eu Abbild. Beil C. icht üb. d. Sammlungen d. 
phnfeston. Seel iſch. v. Dr. A. Henſche. 1-8. 













Die jende von 1829 gegenüb. dem liturg. Bildasſtandpkt. u. Bedurfn. d. Gaw. 
Sie Berkei, ve Danmmiles in 3 Beov. . Bom Rol. Br. wirkt. Sorftmeift 
ammwil om t. # 
I * innen | —— Aug. 1864. Forſtl. Blatt. brög. » ET Grunert. 12. Hit. 
& Ueb, Unntaasille 2 an d. Preuß. Offee:Küfte 1065 nad amtl. Ermittign. l Weſtpr. 
—— et Ks Amts. 16 Von ü 2.» 
_e, ienbilder ar ehrung. (m. eichnan. v. jenner. 
ne ® 














Beriobifche Literatur (1868). 287 


ben Kr Neben: u. Ausflüfien in d. kuriſche und friſche Haff. lagsba. 


Veſtrebu⸗ "es ei al-:Zurnverbandes. [D. 
8 "en — — —* — Fer. Bn waren im ee —E Streit: 
anhäng! Weftpr. 
Die oüı Bänfbenäwertbe Ci ultivirung der Rohrnupg. (im Dany. ne Bez.) betreif. [Danz. 


2 — Sntmäffrung %. Day. Beust, Be Btg. 3601 
Strohbädher in d. Städten des N4.B,. — Amtöbl. 13. 
EG Notizen über den telegtaph. Bertehr im 3. 1865 im Marienwerd. AegBez. 
[Marienw. Amtöbl. 14.] 
Alösbarkeit 34 in 2 —55 . Werdern unt. d. Bezeichnung Salende u. Bi- 


MH [Btfcr. f.d. Sandestulturs@elepgebg. d. Preub. Staat. 
—3 a 
Fr jur — Kreiſes. (Weſtyt. Itg. 75. 


enbern in Denkmal m aus it (e. Zanffhüfiel aus d. erft. Jahrzehnden tes 
14. ehrt. in d. Kirche zu al Zei briktburg, a REN eh 
Vie Etadt a 8 in Narr. u. ihre —X kezügl. ihr. Verkehrämittel. [Kgöbg. 
6. il 
3. Ein mic Mn, Gedentiay ir Vemig (ver 28. März 1788 als es an Preußen kam.) 


Beftpr. 
dur —A u Stadt De [Danz. Amtsbl. 11.12. opl. Weftpr. 
Big: 7, na Bi Bahl —R — Bitorb. in all. ftatilt. — viel zu 
body angegeb. wirt 
gut uf d, Getzeibehdt. Damigs im jahre. [Danz. Dampfb. 16. 
23 pi iin. Bi Bild —— vs a u m ya = Buſſe. 
It. Zig 
ala an Di .) [Ebb. 81. 85. 86.] 
Bear Betr (&. zu Danzig; orb. Gibg. 7. März. Br 3. Beriht über Dr. 
berg's Bortr. üb. einige Vollötranth. a MÜlt. nah Heder u. Hirf u. 
i. Anftellg. v. Grundmwafler:Beobadhtg. in Danzig. — ord. Berlamnl. 21. März. 
Dr. Abegg bericht. unt. Vorzeigung einig. Präparate u. verſchied, Abbilog., Belond, 
Pr jener Physiol. v. A. Eder u üb. d. Etand d. Atniß der Entroidl [98 


namentl. d. Säugetb. u. — 18 El 
: . Vereins Meitm 4 fuer (ECommerz:R. 





ı snelderlmn Dany. Ber: 
Biſchoff als Bari ern. Seit ". % et eins — ſ. 1jähr. 
ehens: 25 Sibge en: Qabredeinnahmen. 5517 Cr. 18 Sgr. 4 Pf. darunter: 
—— ist, Weberigub. 2080 &hle. 10.A Ben —* — 
t. el uf r. igefteuert auf 
Danz. nur d. Kreile Marienm., rast Marienb., Stargardt u. Neuftabt u. die 
Etädte Graudenz, Thorn, u. Elbin, elbft ſich ein "befond. Localverein conftit. hat. 
Durch Corvettencapt. Werner —ã faınmelte u. überwied bie Redact. d. Ziſchr. 
„Daheim“ dem Berein 1650 Thlr. u. die Königin Augufta übermitt. 100 Tplr. — 
3 Rettungftation. Reba u. Keppalin mit * men; 2 bei NiDonald in Hams 
burg gefert. * (zuf, für 2450 Thle.): „Daheim” in Leba Im Eept., „Augufte 
Berner” im Nov. in Koppalin aufgeſteilt — Raleten-Apparate find in d. 
werfölaborator. in Ehandan 3 —— beftellt. — Al a uäcte Stationen 
find eln u. Bodenwintel in Auaficht genommen, zu deren Errichtung d. diſche 
—8 — ae — — (in Bremen), an deren Kaſſe ver Danz. Verein den 
jeführt, 3200 She, zur Verfügung ftellt. — Jahresber. 
—— — a wer ben, St 06 
Ei, im en. a. (u.a. 1 nflihrirung d. Posal Bereine Reitz. 
(uß an ben Danz. Bezirt3-Verein d. 30. mi iR eig 


ar in Jabt 1 3. x1, 118-118, 
SE —* —RA are Bee mat > en 


dm; "2 gi U t. Big. Beil, zu 79—82.| 
u aus em ben. Bl — in Dat. Ste. " ' 


288 Mittheilungen und Anhang. 


ilau, 27, März. (d. Kgsbg, Verein 3. Retta. Schiffbr. bt. beſchloſſ. 2 eiſ. Nett; 
a Bla, zu bauen u. in Frotepelen v. Alttief auf d. Nehrung aul auftell.) den. 


‚Itg. 3645.] 

— — Pfari. in Pröbbernau, Thurmbau in Reukitch. [Evang. Gemeindebl. 12.) 
2 arme d. Zhorner Blutbuch v. 1566-1669. [R. Br. Brov.. WI. XI, 121—123.] 
D. 3i. —8 d. Direct. d. groß. Hoſpitals im Loͤbenicht Ernit Bandifd. [Ofor. 


3tg. 89.) 

Ein pre. Veteran (Nekrol.’ oh. Ant. Beltzer's geb. ;_ Braunsberg, 19. Eept. 1789, 
+ 25. März 1866 in Et. Albrecht b. Danzig) rede. Btg. 87.1 

Aus Cüpbrafilien. (Aus ein. Bericht ub. „d. Deutihen u. die diſch.evangel. Kirche in 
Sürbrafilier“ in_d. Str. fd. Diic.z ZRVang. Miſſion in Amerika von unferm Land:: 
mann Pr. Borchard, jeit 1864 Paſtor h. dtidrev. Gemde. zu Et. Leopoido in d. 
Prov., Rio Grande do Eul in Eüpdbrafil.) (Evang. Gembebl. 14.] 

Boromäti, Ton db. Cdönbeit d. chrültl. Todes, Rede, am Sarge des Freicorporals 
beim Lehwaldiſchen Negimente, Herrn Friedrich von der Brinden, zu Döbeln in 
Sadyfen 1762 d. 14. Nov, nehalten (aus ein. hoichr. Samml. . erftenmal abgetr. 
Ebd. 14. vgl. 15. 16.] Jordan in Ragnit, ein kurzes Wort der Erinnerung. an 
Botowski |18.] 

Merleker, Rey —X Ton Wegen des Aengchen von Tharau (von Simon Dad) [ün: 
terhaltg. tränzch. in Koeba. 11. 12. 

* Yuc ein Jul Am (d. 25j. des Kgsbg. Goran, Localrefer. u. Eorreip. f. d. meiſt. 

Brovinzialblätt. Or Wiſer Fyrrad Flögel, der 1841 Mitarbeit. d. Hartl. 
ta. ide.) [Kgöbg. M. Ztg. 11 

€. v. mi Sklf Gottſchall Dramatiter, [Dih. Muf. 10 f.] 

Muſi Lem. Sranzin „Orsanift d. St. Job. Kirche in Danzig) + 30. Apr. 

“cs 3. alt. (Ban. Ita. 3597.] 

mo, a Ki Kampi um Rom. Ferdinand Gregorovius gewidm. (Gedicht. 

J 

Herder üb. d. Kaiſer Leopold II, Bremen Sonntagsbl. 9.) 

Empfehlung d. (v. Pfarr, Karpowig in Kraupifchfen, Ar. Ragnit zu bildenden) Kar: 
powit Vereins 4 Untitgg. unwerheir. Töchter vftorb. Geiftl. in > Brov. Preußen. — 
Statut. [Amtl. Mittheilg. d. Sal. Konfilt. 3. Kosbg. i. Pr. 4. Stid. No. 523.] 

Nachr. üb. d. erfreul. Fortgang der von Dr. Mannbardt Unternomm. Samml. agra: 

tif. Gebräuche, — der Ernteſitten. ais Anfang e. Quellenſchahes der germa- 
a ee (Correipondenzbl. d. Gefammtvereins d. diſch Gef. u. Alteı- 
JsVereine. 

LP. Die berliner heine. (Notiz über ten aus Kgsbg. nebürt. Bildhauer 
Siemering, e. Schüler Bläfers.) (Die Grenzboten, 13. ©. 503. 

N, 2 en (des 79. Pfarr. Weber zu Döbern, Diöz. Br. Holland.) 1Evan. 





















Anzeige 


Antiquarischer Anzeiger der Theod. Bertling’schen Buch- und Antiquar-Handlung iu 
Danzig. No. 8. Febr. Mürz 1866. (8€. 4.) [Inh.: Belletristik, — Theol. u. Philos. 
— Rechts- n. Staatsw. — Medic, u. Naturw. — Neuere Spr.— Gesch. (ieogr. 
Reisen. — Mathem, u, Astron. — Haus- u, Landwirthsch. Thierheilk, — Ver- 
mischte Werke.) 


Ürbey den Hord-Offee-anal und dig verfchiedenen 
dazu in Borfchlag gebrachten Finien, 


Ein Vortrag, gehalten im Kaufmänniſchen Verein zu Königsberg am 
18. April 1866 


von 
Conſul I, 9. Brodmann,*) 
(Dit einer autographirten Karte.) 


Nachdem feit Jahrhunderten eine directe Waflerverbindung zwiſchen 
ber Nordſee beabfihtigt und im beſcheidenen Maaßſtabe auch wirktich zu 
Stande gebracht worden, tft feit 1848 und namentlich in neuefter Zeit, 
wo die Oftjechäfen wieberum durch die Däniſche Blockade gewaltig in 
isren Handelsintereſſen gefchäbigt wurben, bie Ausführung eines Canals 
don Deutfchen der verfehtedenften Partheien eruftlich angeftrebt worben. 
Diefe Wafferverbindung ſoll nicht, wie der Stednig-Ganal und der Eider- 
Canal nur für Heinere Fahrzeuge benugbar, fonbern auch den größten 
Kiegs- und Handelsſchiffen eine ſchnelle und fichere Durchfahrt zu gewäh- 
m im Stande fein. 

Unter ven verfchievenen in Vorſchlag gebraten Richtungen hebe ich 
wmmächft die von ber Mündung ber Elbe nad) der Mündung der Trave 
und ganz befonders von St. Margarethen nach Travemünde hervor. 

Schon eine kurze Beleuchtung dieſes Eanal-Projects und eine unpar⸗ 


*) So fehr der politiihe und nationale Standpunkt, den man bei Grörterung 
des obigen Themas wiederholt und ausfclieklic eingenommen hat, feine Berechtigung 
verdient, fo wird man es dem geehiten Herm Verf., einem Kaufmann, wol Dank wifien, 
dieſe wichtige Frage nun aud einmal von der merlantilen und internationalen Seite be- 
lenchtet zu haben. D. 8. 

cuyx. Vonatejqriſt Br. IIL Öft. a 19 


290 Weber den Nord Oftſee Canal 


theiiſche Vergleichung mit den andern Linien, wird die Vorzüge deſſelben 
bald hervortreten laſſen und zeigen, daß gerade dieſe Waſſerſtraße im 
Stande ſein würde, alles das zu leiſten, was von einem projectirten 
Nord» Oftfee-Eanal verlangt wird. 

Der Hanptzwed bes Eanals ſoll fein: bie Nord⸗ und Oſtſee in vor- 
theilhafterer Weife zu verbinden, als ſolches durch ben vom der Natur 
geihaffenen Weg durch den Sund, die Belte, das Cattegat und Skager⸗ 
rad gefchieht; und zwar aus bem Grunde, weil bie Fahrt durch bie ge: 
nannten Gewäfler für ven gefammten Schiffsverkehr zwiſchen der Oſſſee 
einerfeits und ber Nordſee, fo wie ben bahinterliegenden andern Gewäl- 
fern andererſeits, gefährlich und für ben größten Theil bes. Verkehrs fehr 
zeitranbend if. — 

Die Entfernung von Travemünde nad) ber Elbemünbung beträgt in 
geraber Linie circa 16 deutſche Meilen, dagegen die durch den Sund 
160 ventfche Meilen, aljo 144 Meilen mehr. Bei ſämmtlichen Holftein- 
fen, mealenburgichen, preußiſchen, ruſfiſchen und ſchwediſchen Häfen 
bis herunter nach Yflabt iſt die Abkürzung des Weges 118 Meilen; für 
Häfen von Yſtadt ab bis Hinauf nad) Göteborg, für die ſchleswigſchen 
md daniſchen Häfen ift dieſelbe je nach der Lage verſchieden; fie nimmt 
nach Norden allmahlich ab und bürfte bei Cap Skagenshorn faft gleich Null 
fein, Umgelehrt beträgt für bie meiften und wichtigſten Häfen ber Nor 
fee und der mit der Norbfee in Verbindung ftehenden Gewäfler die Ab⸗ 
Mirzung nach ber Oſtſee 60, 80 bis 100 beutfche Meilen. Die Häfen 
der deutſchen Norpfeekäfte, die holländifchen, belgiſchen, franzöftichen und 
überhaupt alle vom Canal füblich gelegenen Häfen, werben aljo der Oſtſee 
durch den Norb-Oftfee-Canal bebeutend näher gerüdt; besgleichen alle 
überfeeifchen Pläge, von denen ausgehend bie Schiffe ihren Weg nach ber 
Nordfee und der Oſtſee regelmäßig durch den englifgen Canal nehmen. 
Für die englifchen Häfen bis Hinauf nach Hull und Newcaftle tritt die 
felbe Zeiterfparnig ein, von da ab bis nach ber Norbfpige von Schottland 
wird bie Differenz immer geringer und hört bei Gap Duncansbyhead, ber 
änferften Noröfpige von Schottland ganz auf. — 

Daß, je füblicher der Canal angelegt wirb, deſto Türzer ber Weg und 
befto größer daher ver Nutzen für bie Schifffahrt wird, zeigt ein Blid anf 


3. 9. Brodmann. * . 291 


| die Karte. Wenn wan nun noch in Erwägung zieht, dag ein Segelſchiff 
bei mittlerer Gefchtwindigfeit und günfligem Winde zu 150 Meilen circa 
| 10 Stunden, ein Dampfer von mittlerer Geſchwindigkeit circa 65 Gtun- 
den braucht, jo wird es Mar genug, daß ber Weg durch ben Canal den 
Egiffen einen bebeutenden Zeitgewinn fichert, 
Der inbirecte Gewinn ift indeß namentlich bei Segelſchiffen noch ber 
dentend größer, indem berjelbe Wind, ver das Schiff zum Eingang bes 
Canals gebracht hat, es auch auf vemfelben befördert und beim Ausfkitt 
aus demſelben weiter treibt, während die Schiffe bei ihrer Fahrt um die 
Rordfpige von Juütland — in dem Sunb, bem Cattegat und Glagerrad — 
den Wind ans verſchiedenen Richtungen haben müſſen. Diefe verſchiedenen 
Binde ftellen ſich aber nicht immer nach Bebarf ein und bie Fahrt durg 
den Sund wird oft Tage und Wochen lang verzögert. Den Segelſchiffen 
gewährt der Eanal ferner auch noch ben befondern Vortheil. daß fie. fig 
ſelbſt bei ganz conteairem Winde bugſiten laſſen Können, um bei erſter 
gänftiger Gelegenheit bie Reiſe fortzuſetzen; ebenſo Können auch Dampfe 
iHiffe bei ganz ungänftigem Winde auf dem ruhigen Waſſer des Kanals 
noch verhältnigmäßig fehnell vorwärts kommen. . 
As ein fernerer Gewinn, den ein Canal gewährt, ift bie größere 
Eicperheit der Schifffahrt durch denfelben zu beachten. Die Fahrt um 
die Norbfpige von Jütland gehört bekanntlich zu allen Zeiten, namentlich 
aber im Herbft, Winter und Fruhjahr zu den gefahroolften. Die Dünen 
| von Skagen tragen mit Recht den Beinamen „Kirchhof der Schiffe“, fie 
! haben ſchon taufende von Fahrzeugen untergehen fehen; unb ebenſo ‚bietet 
die Weftküfte von Jütland, auch „Eiferne Küſte“ genannt, gleichfalls in 
ihrer ganzen Ausdehnung ben Schiffern nirgends einen Zufſuchtsort. — 

Die Folge davon ift die Steigerung ber Affecurang-Prämie für. bie 
Schiffe, welde ven Weg durch den Sund und das Gattegat nehmen. Die 
Prämie iſt für ſolche Fahrten, obgleich das Land faft nie ans dem Auge 
valoren wird, dennoch Höher, wie fir Reifen über den allantiſchen Ocean. 

Im höherer volfswirthfchaftlicher Beziehung aber wiegt, außer dem 
mähernd zu berechnenden Verluſt von Schiffen und Wagren, bie alijahr⸗ 
ich bei dieſer Fahrt zu Grunde gehen, noch der unſchätzbbare Pain. J 
Menſchenleben beſonders ſchwer. 





is⸗ 


993 lieber den Rord · Oftſee ⸗ Canal 


Die beiden großen Leiſtungen des Nord⸗Oſtſee-Canals — größere 
Schnelligleit und größere Sicherheit der Fahrt — kommen nun fowohl ber 
Hambelss, wie auch ber Kriegsmarine aller beutfchen und befreundeten 
fremden Staaten zu Gut. Ein befonderer Bortheil für die deutſche und 
befreunbete Kriegsflotte entfteht ans ber Leichtigkeit, mit welcher vermit- 
telft des Canals bie Kriegeſchiffe von ber Dftfee in die Norbfee und ums 
gekehrt paſſtren können, während feindliche flotten ben Weg um Cap 
Stagenshorn nehmen müſſen. Berner Tiegt eine Flotte im Canal ſelbſt, 
allen feindlichen Angriffen entzogen, ſicher, Tann von bort ans im fehr 
kurzer Zeit ſchlagfertig in der Norbfee und wieberum in ber Oftfee erfchei- 
nen, ebenfo fich jeden Augenblid wieder zurüdziehen, wenn Stürme ober 
feindliche Uebermacht dazu zwingen. — Die Zahl ber Kriegsichiffe, welche 
zum Schu ber deutſchen Küften und der deutſchen Schifffahrt in ber 
Oſtſee und Norbfee erforberfich ift, kann auf biefe Weife ein Bebentendes 
geringer fein, wodurch bie Koften der Kriegsmarine außerordentlich ver- 
ringert würben, 

Aber alle diefe großen Vorzüge, welche einen Norb-Oftfee-Eanal im 
Vergleich mit dem Cattegat anszeichnen, kann derfelbe nur bann im vol 
ten Umfange zur Geltung bringen, wenn er 

1) die nöthige Tiefe von 25 bis 30 Fuß Hat, damit Schiffe jeden 
Tiefganges denſelben pafficen können; 

2) wenn fein Lauf nicht durch Schleufen unterbrochen wird, ſondern 
böchftene an ben beiben Enbpunkten folche angelegt werben; 

3) wenn bie paffendften Ein- und Ansgangspunfte gewählt werben 
und zwar nicht nur allgemein im nautifcher, fonbern auch in firategtfcher 
Beziehung (man muß von ben Enbpunften aus fofort in das große freie 
Sahrwafler der Oſt⸗ und Norbfee gelangen); 

4) wenn er foweit, als möglich füblich Liegt, um vor feindlichen An⸗ 
griffen vom Lande aus beffer gefhägt zu fein, und weil dem größten 
Theil der Schifffahrt der Canal um fo bequemer legt, je ſüdlicher ex ans 
gelegt iſt; 

5) wenn er im der Richtung von Oſten nach Weſten geht, weil 
die ben Canal benugenben Schiffe fi im biefer Richtung ober umge 
kehrt bewegen. 


von I. 5. Brodmann. 293 


Mit mehr oder weniger Nüdfict auf dieſe Vortheile und bie Erfor⸗ 
derniſſe eines Nord ⸗Oſtſee⸗Canals find eine ganze Reihe von Linien im 
Vorſchlag gebracht, wobei jedoch von ben alten beſtehenden Wafferverbin- 
dungen ganz Abftend genommen worben ift. Warum bas gefchehen, möge 
folgender kurzer Ueberblick zeigen. 

Der Eider⸗Canal, 1777 bis 1778 erbaut, beginnt bei Tönningen, 
berührt Rendsburg und endet bei Kiel. Ihn Können nur ſolche Schiffe 
beungen, welche nicht über 94, Fuß Tiefgang Haben. Eine Vergröße 
nung beflelben ift vielfach angeregt, body find bie Hinderniſſe, ihn zu einem 
bedeutenden Norb-Oftfee-Eanal zu machen, fehr fchwer, vielleicht gar nicht " 
in überwältigen und zwar wegen ber vielen außerorbentlich ſtarken Krüm ⸗ 
mungen und hochſt nngünftigen Beſchaffenheit des dahrwaſſers vor ber 
Mündung der Eiber. 

Der Stednig-Eanal, einer ber älteften Eanäle in Europa; 1891 bis 
1398 von Lübel gebaut, hat nur eine fehr umbebentenbe Tiefe und zu 
einer Erweiterung bürfte der Enbpunft Lauenburg zu ungänftig fein, weil 
bie Elbe daſelbſt nur eine geringe Normaktiefe hat. . 

Hiſtoriſch ſei noch der Alfter-Trave-Eanal genannt, ver 1526 Haupt- 
ſachlich durch Beihulfe Lübeds zu Stanbe gebracht wurde, Im Sahıre 1650 
hörte jedoch auf dieſem Canal die Schifffahrt wieber auf. Das Bett deſ⸗ 
felben ift mod) heute unter dem Namen Alte Alfter, Weftergraben, Alfter 
Canal bekannt. Cine Erneuerung iſt allerdings angeregt, jeboch ſcheint 
gegen diefelbe ber Umſtand zu fprechen, daß bie Elbe bei Hamburg zwar 
für große Segelſchiffe paſſirbar if, jebod) nur für rote, bie wicht über 
18 Fuß Tiefgang Haben. 

Die neuen Eanal-Projecte finb: 

Ripen-Rolbing, 

Ripen-Habersiehen, 

Ballum-Apenrabe, 

Hoyer-Tondern- Flensburg, 
Büfum-Renbeburg-Ecternförbe, 

Stoerort-giel (nur für bie Heine Schifffahrt berechnet). 

Diefe Hat man jedoch in lehter Zeit ganz bei Geite gelegt und bie 
Profectes 


29 Uber den Nord · Oftſee Canal 


Huſum · Schleswig · Ecernforde, 
St. Margarethen⸗Ecernförde, 
Brumsbüttel-Riel, 
St. Margarethen-Travemände, 
vefp. Stoerort-Travemünde 
aufgeteilt. 

Näher betrachtet ftellen ſich bie Verhältniße alfo heraus: 

1) Hufum-Schleswig-Edernförbe, die fürzefte und billigfte von allen 
Eanal-Projecten, circa 71/5 Meilen lang, koſtet etwa 9,000,000 Thir, 
jedoch find darin nicht inbegriffen die in den Watten bei Huſum herzu⸗ 
fellenden Häfen und Canal-Einfahrt, Die Tiefe ift nur anf 22 Fuß 
projectirt. Bei größerer Tiefe wärben natärlich auch die Koſten beveu- 
tenber fein. 

Det Vorzügen ber Billigfeit gegemüber find aber bie Nachtheile zu 
Gebeutenb. Diefe Linie erfült wicht bie Anfprüche, welche .an einen Nord⸗ 
Oſtſee⸗Eanal geftellt werben. 

Vornehmlich liegen die Eadpunkte des Canals, was doch eine große 
Daupiſache ift, ſehr umgünftig. Auf ber Weftfeite ift ber Zugang nad) 
Huſum befonders gefährlich, derſelbe ift mar anf einem [malen 6 Meilen 
fangen Wattenftcom, ber ſich zwiſchen Wattgränden und Sanbbänfen hin 
fhlängelt, zu erreichen. Die Tiefe biefer 6 Meilen langen Paſſage ift nad 
Angabe ver Teichinfpectoren und nad) den Seekarten uur 13 Fuß. 

2) St. Margarethen⸗Cckernförde; Länge 11/4 Meilen, Bauloften etwa 
über 28,000,000 Thlx., erhält eine Schleufe an der Elbe, zum Schutz 
gegen Ebbe und Fluth. 

Die Lage von St. Margarethen bürfte wohl genägen, Edernförbe 
liegt indeffen als Enbpunft des Canals zu weit nördlich und für ben Ber- 
tehr, dem ein Canal doch nügen fol, zu fehr verfedt, als daß Edernförde 
ernftlich in Frage kommen Könnte, 

3) Brunsbüttel- Kiel; Länge circa 12 Meilen, Bantoften circa 
17,000,000 Thlr, ift 25 Fuß tief und mit 6 Schlenſen projectirt. Diefer 
Koſtenanſchlag erſcheint fehr gering, wenn man bebentt, daß bie St. Mar- 
garethen-Gdernförber-Linie auf circa 28,000,000 Thlr. veranfchlagt ifl. 
Nah der Berechnung des Oberbaurath Lenge würde ein nach Kiel anftaıt 


von 3. 9. Vrodisamn, 298 


nach Ederuförbe geführter Canal circa 11,000,000 Thule. mehr Toften, ala 
ber St. Margarethen-Edernförber-Eanal. Hiernach würde aljo ber Kieler 
Canal, wenn ex in bemfelben Maaßſtabe, wie ber St. Margarethe 
Edernförber-Eaual und mit nur einer Schleuſe ausgeführt wirb, circa 
39,000,000 Thlr. und darüber koſten. 

Der weſtliche Enbpunft Brunsbüttel, ver Mündung ber Eibe ziem⸗ 
lich nahe gelegen, würbe einer ber beften Eubpunkte fein, ebenfo wie 
St. Margarethen. Der öftliche Endpunkt Kiel dagegen liegt ſehr uugünſtig. 
Diefes Project hat allerdings den Vorzug, baß es ben augenblidlih an 
and für ſich beften Oſtſeehafen hat. 

Das ift aber auch ber einzige Vorzug; jedoch höher, als biefer Bor- 
zug iſt der Rachtheil der verfiedten Lage des Drtes anzufchlagen, welcher 
die Anfegelung Kiels für den großen Schifffahrts ⸗Verklehr unbequem, ges 
fährlich und zeitranbend macht, 

Bom bentfcheftrategifchen Geſichtopunlte aus erfcheinen ferner ſowohl 
bie in Edernförde, wie in Kiel münbenden Linien, als auch bie an ben 
Endpunlten anzulegenden Kriegshäfen zu nördlich gelegen. 

4) St. Margarethen Travemünde. Gleichzeitig mit dieſem Projed 
hat man das von Störert-Nerig-Travemünde in Anregung gebracht. Gel 
biges ftimmt ziemlich mit dem St. MargarethenTravemünber überein, nur 
iſt Störort nicht mehr ganz fo gänftig gelegen, als St. Margarethen. 

Das Project St, Margaretfen-Travemünbe dürfte wohl vor allen 
ben meiften Verzug verbienen, beshalb möge auf bafielbe näher eingegan⸗ 
gen und es mit ben anbern Linien verglichen werben. Die Länge biejes 
Canals beträgt etwas über 16 Meilen, Er ift mit 2 Enbfchleufen pro« 
jectiet uud die Baukoſten würden faft 50,000,000 Thlr. erreichen. Er 
beginmt in ber Mündung ber Elbe, wo bie meiften in Betracht kommen ⸗ 
ben Linien ihren Anfang nehmen. — Die Anfegelung ber Elbe if verhält 
nißmäßig noch immer bie bequemfte und ficherfte, bie fich für einen Nord⸗ 
Oſtſee⸗Canal an der Weftfeite barbietet. Die Tiefe des Fahrwaſſers vor 
ber Elbe und in berfelben bis St. Margarethen ift bebentend unb frei 
von Ganbbänfen, die häufigen Veränderungen unterworfen find. Der 
Canal if projectiet mit nur einer Endſchleuſe bei St. Margarethen und 
einer nur in Ausnahmefällen zur Verwendung kommenden Echupichlenfe 


296 Ueber ben Norb:Oftfe-Eanal 


in ber Rühe des öſtlichen Enbpunftes, Die Schiffe würden aljo im ber 
Negel nur eine Schleufe, nehmlich bei Et. Margarethen unb nur bei ber 
fonbers niedrigem oder befonbers hohem Waſſerſtande in ver Oftfee, wäre 
die Schutzſchleuſe den Eanal gegen die Oftfee abiperren und bie Schiffe 
in diefem Falle alfo 2 Schleufen zu paffiven Haben. 

Der Canal geht circa 12 Meilen auf Holfteinfhem und circa 4 Mei- 
fen auf Lübedjchem Gebiet. Der Lauf tft fehr gerade unb es kommen 
nur höchſt ſchwache Krümmungen vor. Das Terrain, welches er burd- 
ſchneidet, fteigt auf ben erfien 9 Meilen von 3 bis 118 Fuß und nimmt 
alsdann bis Travemünde allmählich wieder ab. j 

Hinter Lübe geht der anal, der fi im Thal ver. Trave befindet, 
in bie Pögniger Wyck. Aus biefer geht weſtlich bie Trave in bie Oſtſee. 
Dem Canal wird jedoch noch eine andere Mündung öſtlich gegeben, wo 
er bie Heine Landzunge, ber Privall genannt, durchſchneiden foll. Auf die 
fer Stelle hat nach den Angaben ber Chronik die Trave in den Jahren 
1234 bis 1286 ihre Mündung gehabt. 

Bei Travemünde ift alfo der Punkt, wo ber Ganal in bie Oſtſee 
münbet und von bort führt der Weg ſchnurgerade in das große Fahrwaſ ⸗ 
fer ber Oſtſee. 

Unter allen vorgeſchlagenen Münbungen bes Canals an ber Oftfeite 
ift feine günftiger gelegen, als gerabe bie bei Travemünde. Während alle 
andern in Vorſchlag gebrachten Punkte verftecdt und aus der Richtung zu 
weit nach Norden Liegen, bietet das Lübiſche Fahrwaſſer Keine Hinbernifle; 
bie Fahrt nach Travemünde ift bequem nnd frei und auch ber Weg bahin 
ber kürzefte für die große Schifffahrt und Travemünde felbft ber ſüdlichſte 
denlbare Endpunkt eines Nord ⸗Oſtſee⸗Canals. 

Hiebei mag noch erwähnt werben, daß von dem Lubiſchen Fahrwaſ⸗ 
fer nach der Münbung der Elbe ein Canal hergeſtellt werben könnte, ver 
circa 2 Meilen kürzer iſt, als ber zulegt erwähnte. Es Liegt auch baflr 
ein Project vor, nehmlih von Haftrug nad Brunsbüttel. Haftrug liegt 
auf dem Halben Wege zwiſchen Travemünde und Pelzerhafen, aljo an ber 
ſudweſtlichſten Ede des Lühtfchen Fahrwaſſers. Diefe projectirte Verbin 
dung koſtet circa 47,000,000 Thlr. und kann nur mit 6 Schleuſen herge ⸗ 
ftelit werben, weil das Terrain, welches von ben Pinien St. Margarethen- 


—— — — — — — — ——— — — — 


von J. H. Brodmann. 297 


Travemünde, Brunsbüttel-Liel und ber Oftfee begrenzt wirb, für bie Her 
ſtellung eines Canals höchſt ungünftig if, ans welchem Grunde wohl auch 
das Broject Störort-Riel nur für bie Heine Schifffahrt berechnet ift. Es if 
daher von dem Project Brunsbättel-Haftrug ganz Abftand genommen. — 

An umd für ſich entfpricht der St. Margarethen-Travemünder-Canal 
von allen vorgefchlagenen Linien am meiften ben Anforderungen, melde 
an einem Norb-Oftfee-Canal zu ftellen find. Nur darin ift das Project 
ungünftiger geftellt, als die meiften übrigen, daß zu deſſen Ansführung 
ein größeres Capital gehört, als für andere. Indeſſen iſt in erfter Reihe 
doch nur darnach zu forfchen, welche Linie in nantifcher und commercieller 
Beziehung die vortheilgaftefte if. Der Koftenpunkt, wie wichtig er auch 
immerhin fein mag, Tann bei einer Anlage, welche ben internationalen 
Interefjen Deutfchlands und dem Welthandels ⸗Verlehr dienen foll, immer 
erſt in zweiter Reihe in Betracht kommen. — Es würde alfo nur bann 
von ber thenveren Linie abzuftehen und ftatt deren bie bilfigere zu wählen 
fein, wenn ber erftern nicht fo entfchlebene Vorzüge zur Eeite fländen, 
daß dadurch der erforberliche Mehraufwand gerechtfertigt würde. 

Eine im Jahre 1863 in Schleswig erfchienene Schrift, betitelt: „Durch⸗ 
fi) der Hoffteinifchen Landenge zwifchen Oftfee und Norbfee” fagt in Ber 
treff der öfllichen Ansgangspunftes „So trefflich and) die Häfen Kiel und 
Edernförde immerhin fein mögen, fo ift doch nicht zu verfennen, daß bie 
felben in einem fehr unbequemen Winkel der Oftfee liegen; in einem Fahr⸗ 
wafler, das durch bie Strömungen ber Belte für ven Seefahrer läftig und 
durch die Nähe der Däniſchen Infeln und Fehmarns gefährlich wird. — 
Es ift am ber ganzen deutſchen Oftfee feine Bucht bebeutfamer für bie 
Schifffahrt, als die Neuftäbter Bucht — das Lübiſche Fahrwaſſer. Sie 
teicht am weiteften in das Land Hinein; fie tritt bem breiten Buſen ber 
Elbe am nächſten; fie alfein Hat völfig freien Zugang bie au ihrem inner» 
fen Winlel: fie allein ift bei jevem Winde zu erreichen und zu verlaſſen. 
Sie hat eim überall freies, durch feine Untiefen unterbrochenes Fahrwaſ⸗ 
fer. Sie ift die einzige vom biefen Buchten, welche faft beſtändig, wenn 
nit die Oftfee felbft geftiert, den ganzen Winter hindurch frei vom Eife 
bleibt, Sie ift in gleichem Mafftabe gegen Dänemart, Schweden, Ruß ⸗ 
laud und bie deutſche Nüfte geöffnet, Sie genießt alle Vorzüge, welche 


298 Ueber den Rord · Oſtjee⸗Canal 


die Anſegelung ber alten Hanſeſtadt Lubeck hatte und welche dieſe zur Ber 
herrſcherin der Oſtſee machten. Auf die Fahrt nach Lübed find alle mas 
ritimen Einrichtungen ber Oſtſee zugeftellt. Die gegenſtehenden Leuchtfener 
von Darfer-Ort und Gjebfer-Obbe führen burch bie Enge zwiſchen Däne 
mark und Preußen; bie Lichter von Fehmarn und Warnemünde bezeichnen 
die größte Breite des Fahrwaſſers und bie Leuchtthirme von Pelzerhafen 
und Travemünde ſtehen gleichjam als Thorſäulen am biefer prachtvollen 
Meeresbucht.“ 

Auch die im Juli 1864 in Danzig- ftattgefundene Verſammlung ber 
bortigen Schiffs-Eapitaine und fonfligen Mitglieder des Seefchiffer-Vereins 
entſchied fich in ihrem Gutachten über die Rord-VftfeeCanal-Projecte ein- 
ſtimmig für die Elbe einerfeits und das Lübiſche Fahrwaſſer audererjeits. 

Wie bereits erwähnt, ift ber Weg über Travemünde bei Weiten ber 
fürzefte und bie Fahrftraße frei von allen Hinderniffen, als Mippen, Un 
tiefen und Strömungen, wobei ald Beweis für die große Sicherheit des Lü- 
biſchen Fahrwaſſers nur bie Thatfache anzuführen ift, daß feit circa 30 Jahr 
ren fein Schiffbruch in bemfelben ftattgefunden hat. 

Da bie Hauptrichtungen der Winde in den Gewäflern ver Oſtſee 
und Nordſee Weſt⸗Süd⸗Weſt und Oft-Rorb-Oft find, fo ift Travemünde 
von einem oftwärts kommenden Schiffe am leichteften zu erreichen unb im 
umgelehrten Falle zu verlafien. Selbft bei weftlichen Winben können bie 
nach der Neuftäbter Bucht beftimmten Schiffe, von Strömungen unbehin 
dert, nach Ihrem Reifeziel aufkreuzen. 

Sehr ſchwierig und gefahrvoll ift dagegen bie Fahrt nörblich von 
Fehmarn, wie biefes durch bie vielen Unglüdefälle beftätigt wird. Die 
Ronte ift bebeutend beſchränkter und namentlich bei Nord, norböftlichen 
and norbweftlihen Winden ift der Stromlauf aus ben Belten und ber 
Seegaug aus ber Kieler Bucht mitunter fehr ſtark und das Auflaviren auf 
dieſer Strede fehr zeitraubend, häufig fogar unmöglich, fo daß die Schiffe 
gezwungen find, unter Fehmarn zu ankern, um andern Winb und andere 
Stromrichtung abzuwarten. . 

Der Hauptzweck — Zeiterfparniß — würde aljo auf biefer Tour nicht 
erzielt werben. Wenn gleich durch Errichtung mehrerer Leuchtfener, bie 
anf die daniſchen Inſeln kommen müßten, etwas die dahrt erleichtert 


von I. 8. Brodmann. 299 


sürde, fo bringen beengte Fahrwaſſer doch immer größere Gefahren. 
Benn daher dem Seemann auf einer nem einzufchlagenden Route nicht ein 
Arguivalent durch Vermeidung folder Paſſagen geboten wird, fo würde 
er von Often kommend, ftatt gegen Weſt- und Süd⸗Weſt ⸗Winde mit Ger 
fahr aufzulteuzen, doch lieber dieſe für die Fahrt durch den Sund günfti» 
gen Winde benugen und norbiwärts gehen. 

In deuiſch ⸗ſtrategiſcher Hinficht bleibt zu erwähnen, daß fämmtliche 
nördlich von St. Margarethen⸗Travemünde projectivten Linien zu wenig 
geſchũtzt find. 

Bei jebem erfolgreichen Angriff von Norden Her, müßte ein Canal, 
der ſoweit nach Norden vorgeſchoben Tiegt, entweder preisgegeben ober 
ſelbſt zur Operationsbafie für bie weitere Vertheibigung gemacht werben 
mäffen. Im dieſem Falle wäre alsdann eine Benugung des Canals un 
möglich. Ya, felbft wenn ein Angriff zu Bande auch nicht erfolgreich wäre, 
fo Sefinden fi) doch die Häfen Kiel und Edernförde als Enbpuntte für 
den Canal zu fehr in den däniſchen Gewäſſern. Der Zugang zu benfel- 
ben führt von ber Höhe von Fehmarn ab über 10 Meilen weit durch 
eine enge Meerespaffage, die von ben bänifchen Imfeln, deren Häfen und 
Durchfahrten gänzlich in die Flanke genommen ift, was bei einer Verbin 
dung zwifchen Travemünde und ben Öfllichen Häfen nicht flattfinden fan, 
denn ba geht bie Fahrt zewiſſermaßen unter ben Kanonen ber dentſchen 
Kifte Hin. Die Punkte Kiel und Edernförbe würden fi; alfo gerade im 
entſcheidenden Moment, in Kriegszeiten nutzlos erweifen. 

Während auf dem Wege über Lübed ſich tie deutſche Rorb- und 
Oftfeeflotte von ihren Hauptrevieren, der Helgoländer Bucht und ven 
Nügenfchen Gewäfjern aus am leichteften ftets raſch bie Hand reichen 
fönnen, iſt bei einer auf bie Kieler Bucht hinausmündenden Canallinie 
die Verbindung nur mit einem emgen vom Feinde beherrſchten Meeres» 
theile eröffnet, ber in Kriegszeiten nur buch ben fehr engen und gefähr⸗ 
fihen Fehmarn ⸗Sund zu erreichen und zu verlaffen fein würbe, 

Ein Kriegshafen bei Travemünde angelegt, beherrſcht heute mehr, 
ale einft in der Bläthezeit ver Hanfa bie Oftfee, einer bei Kiel bagegen 
wur die Binnen-Gerwäfler zwiſchen den Herzogthümern und ben bänts 
cen Inſeln. 


300 Ueber den Norb-Oftfee-Ganal 


Es ift noch ins Defondere ins Auge zu faflen, welcher ber zu ver⸗ 
theibigenden Münbungspunlte der projectirten Canäle gegen einen Angrifj 
von der See aus am beften geſichert werben kann. Hier erſcheinen auf 
den erften Blick Kiel und Edernſörde wegen ihrer engen Einfahrten ben 
Vorzug vor Travemünde mit feinem offnen Lübiihen Fahrwaſſer zu ver- 
dienen. Faßt man aber die Lübifche Bucht als das auf, was fie nad) 
Vollendung bes Eanals fein wirb, nehmlich als eine Außenrhede, beren 
Anlergrund vortrefflich ift, und die Pötznitzer Wyk als den eigentlichen 
Anferplag ber feefertigen Schiffe, fo Hat man vor Travemünde eine ge- 
ränmige Rhede, auf welcher man den Schiffen vom Hohen Strande ans 
aufs Beſte zu Hülfe kommen Tann und gleich Hinter berfelben hat man 
einen geräumigen ſchönen Hafen. 

Travemũnde, das bekanntlich ſchon in früheren Zeiten einmal befefligt 
war, eignet ſich fehr gut zu einem Kriegshafen und bie babei liegende 
Fögniger Wit Hat Raum genug für jegliche Kriege- und MarineEin- 
richtungen, 

Was die Rentabilität des Canals anbelangt, fo dürften wohl durch 
Erhebung einer verhältnigmäßig geringen Abgabe fowohl bie Unterhal- 
tungsfoften, als auch bie normalen Zinſen bes Aniage-Capitals gebedt 
werben. Daß ferner der neue Canal eine lebhafte Küſtenſchifffahrt zwi ⸗ 
ſchen den deutſchen Ufern der Nord⸗ und Oſtſee ins Leben rufen würde, 
iſt anzunehmen und würden durch eine folche bie Einnahmen natürlich be 
beutenb vermehrt werden, ebenjo auch durch bie Benugung bes Eanald 
durch die Kriegsmarine, ' 

Es verfteht fi von ſelbſt, daß bie Rentabilität bavon abhängt, in 
welcher Weife bie Abgaben erhoben werben. 

Zu empfehlen wäre für die Schiffe ſelbſt eine Tonnenabgabe, je nach 
dem, ob Dampfe oder Segelichiffe, ob beladen oder in Ballaſt. Kür 
die Ladungen bagegen müßte ber Werth ben Mafftab zur Verzollung ger 
ben. Die Erhebung einer Canal-Abgabe für Schiffe und Ladung, fo daß 
jedes Schiff ohne Nüdficht auf den Werth ver Ladung nur nach bem Kon- 
nengehalt verzollt würbe, wäre ungerecht und unpractiſch, da daun bie 
werthvolleren Ladungen ganz anfer Berhältniß begünftigt, bie Waaren von 
geringerem Werth Hingegen wie z. B. Gteinfohlen, Holz ıc. übermäßig 


von J. 5. Brodmann. 301 


hoch belaftet wärben; was zur Folge hätte, daß ein fehr großer Theil ver 
Schiffe den Canal alsdaun nicht benugen würde, 

daßt man ſchließlich das Geſagte zuſammen, fo ergiebt fich, daß der 
inte St. Margarethen-Travemünde wohl ber Vorzug vor allen anbern 
zuzuerlennen fei, Da ferner bei ber Unsführung biefes Werkes vor Allem 
der allgemeine Welthandel, nicht ber einer befondern Nationalität in Ber 
trat kommen muß, fo folgt von ſelbſt, daß bie Höhe des Koftenpunftes 
als Abſchredungsmotiv nicht auflommen darf; ebenfo muß aud das Ber 
harten beim Hafen einer einzigen Stabt nicht feftgehalten werben, ba zus 
fänftige politiſche GEreigniffe die Bedeutung mancher fo hoch gepriefenen 
Oftfechäfen für deutfche Intterefien in Frage ftellen könnten, 

Dürfte auch gegenwärtig die Ausführung ber projectirten Waſſerver⸗ 
binbung vorerft von ber Tagesorbnung geſtrichen werben, fo bleibt es doch 
immerhin von Nuten, bie Projecte andy jetzt zu beſprechen und ber weites 
en Erörterung anheim zu geben. 


Dig Einrichtung 
deq &lementarfchulen im Ortelsburgen Bauptamtg unter 
den Regierung Bünig Sriedrich Wilhelms J. 
Bon 


Br. M. Töppen. 


König Friedrich Wilpelm I. Hatte für das Kirchen und Schulweſen 
ein äußerft reges Intereſſe. Er fand aber auf biefem Gebiete in ver That 
noch fehr viel zu thun. Hatte es auch feit dem Zeiten der Reformation 
ziemlich in allen Gegenden Preußens Kirchſchulen gegeben, fo reichten biefe 
doch lange nicht Hin, um ben Grab ber Bildung unter ber Menge ber 
Bevölferung zu verbreiten, welchen das kirchliche Leben ber Evangelifchen 
nothwendig vorausſetzt. Man Hatte im fiebzehnten Jahrhundert dadurch 
zu helfen gefucht, daß man ven Pfarrern wenigftens in den größeren Kirch⸗ 
fpielen Diakone zur Seite ftellte; dies war noch vor dem Tartareneinfall 
in folgenden Kirchen der polnifchen Aemter geſchehen: Arys, Edersberg, 
Nicolaiten, Wieligten, Bendheim, Milden, Kalinowen, Czichen, Kumilsto 
(Arnolot Kirchengeſchichte S. 480); nach demfelben in Aweiden (Oweiden? 
Arnoldt S. 562) und in ven Vifitetionsartifeln von 1666 unb 1699 wird 
den Ricchenvifitatoren ausbrüdlich aufgegeben, namentlich in den Litanifchen 
und polnifchen Aemtern zu unterſuchen, wo bie Einfegung eines Diaconus 
neben dem Pfarrer ſich noch weiter empfehlen möchte (Grube corpus con- 
stitut. I. p. 76). Auch brang König Friedrich I. daranf, daß die Geift- 
lichen in den litanifchen und polnifchen Aemtern ebenſowohl wie im ben 
deutjchen jeben Sonntag Katechifationen halten ſollten, 22. Auguft 1701 
(Sacobfon Quellen des evangelifchen Kirchenrechts der Provinzen Preußen 





Die Einrihtung ber Elementarſchulen im Ortelöburger Hauptamte. 308 


und Bofen, Beilage &.96). Über die Hauptſache, bie Vermehrung ber 
Elementarſchulen, betrieb erft König. Friedrich Wilhelm I, energifh und 
mit dem fichtbarften Erfolge. Schon vom Jahre 1718 an, in welchem 
er Litauen bereifte, beginnt bie Reihe ber anf dieſe wichtige Angelegenheit 
begäglichen Maaßnahmen, im Jahre 1722 wurbe eine eigene Kirchen- und 
Schul⸗Commiffion eingefegt, im Jahre 1728 von ber theologiſchen Facul⸗ 
tät in Königsberg Vorfchläge zur Verbeflerung des Kirchen⸗ und Schul 
weſens eingefordert. Es folgte bie Einfegung der perpetuirlichen Kirchen: 
commiffion oder des SKirchencollegiums vom 27. März 1734, die Verorb- 
nung Über das Kirchen und Schulwefen in ber Provinz Preußen nom 
3. April 1734, welche befonbers das Elementarſchulweſen, und eine zweite 
vom 25. October 1735, welche beſonders das höhere Schulweſen betraf, 
dann bie Principis regulativa vom 30. Juli 1736, in welchen die äufe- 
en Berhältnifje ber Elementarſchulen vorgezeichnet werben, die Grüudung 
bes Mons-Pietatis-Fonds von 50,000 Thalern, deſſen Zinſen nach ver 
Stiſtuugsurkunde vom 21. Februar 1737 zu Lehrerbefolpungen verwandt 
werben follten und die Vifitationen in den legten Jahren ber Regierung 
des Königs. (Vgl. über dieſe Manfregeln Jacobſon a, a, O. ©. 88 ff, 
Schmidt der Angerburger Kreis ©. 118 ff. Wir benugen außer ben gebrud- 
ten Quellen namentlich noch ein Altenſtück ber Kirchenregiftratur zu Klein 
derutten: „Acta generalia ber Ortelsburgichen Kircheninſpection, betref⸗ 
fend die Schuleinrichtungs Protokolle.“) 

Nur in wenigen Aemtern des Landes fand der König einen fo eifri⸗ 
gen und geſchickten Diener und Helfer in feinen Beftrebungen als den 
„Benmten, Sammerverwandten und abligen Gerichtsfchreiber” Fiſcher in 
Drteloburg, welchen der Erzpriefter Dr. Pauli in Saalfeld, zu deſſen In⸗ 
ſpection damals das Ortelsburger Hauptamt gehörte, nicht nur vor] an» 
dern in Kirchenangelegenheiten zu Rathe zog, fonbern auch ala „einen 
rechten Nehemia unferer Zeiten“ bezeichnete, Schon am 17. October 1728 
tonnte Fiſcher dem Erzprieſter über bedeutende Erfolge in bem Ortels⸗ 
burger Amte berichten. Er ſelbſt war nnermäblih von Dorf zu Dosf 
gereift, um bie Einrichtung neuer Schulen zu betreiben, die Gubfiftenz- 
mittel für bie Lehrer zu befchaffen, die Hinderniſſe, welche ſich dem Fort⸗ 
gange des Untersichts entgegen ftellten, aus bem Wege zu räumen. Gr 


304 Die Einrichtung der Elementarfäulen im Ortelöburger Hauptamie 


benutzte jede Gelegenheit, um auf bie Amtseinwohner und auf bie Sehter, 
ja auch auf die Geiftlichen einzuwirken. Er ging babei fo weit, ben 
Bauern vorzureben (mas er als mendacium licitum felbft anführt), des 
Königs Wille gehe dahin, daß diejenigen, welche im Chriſtenthum wohl 
informirt wären und lefen Könnten, zu Befegung ihres väterlichen und 
anderer Gründe vor allen andern ben Vorzug haben follten. Cine ber 
teächtliche Anzahl von Schulen war gegründet; bei mehreren wie 3.0. bei 
Willamowen, Schwentainen, Liebenberg waren verheirathete Lehrer ange 
ſtellt, welche für jedes Rind ein Quartal⸗Schulgeld von 7 Groſchen 
9 Pfennigen, außerdem 20 Stof Korn, 5 Stof Gerfte, 5 Stock Griden, 
1 Stof Erbfen, 1 Stof Salz, 1 Pfund Sped und 1 Hahn nebft 6 Stüd 
Eiern, und halb fo viel von jedem ber Wirthe, welche feine Kinder zur 
Schule ſchicken, erhielten, bei anderen freilich nur ſolche unverheirathete, 
welche ſich mit freier Koft reih um bei den Dorfeinfaffen (mensa ambu- 
latoria) begnügen mußten. Cine wichtige Unterftügung gewährte die Ar- 
menlaſſe, welche feit dem Jahre 1725 in ben Dörfern, im Amte ſchon 
früher eingerichtet war, und in welche jeder Wirth monatlich einen Schil- 
fing, der Schulz aber gewiſſe Strafgelver, welde bishero zum Verſaufen 
deſtiniret,“ einlegte. Aus berfelben wurden hie und da einem Schul 
meifter Kleider angeſchafft, für arme Kinder das Quartal bezahlt und 
Bücher gelauft, und den Schullindern, wenn fie in Gegenwart ber Dorf- 
einſaſſen eraminirt waren, „Schillinger ausgetheilet.” Die nöthigen Bücher 
wurden anfange felbft denjenigen, welche fie Hätten bezahlen können, wenn 
fle ſich ſchwierig zeigten, umfonft gegeben, „worauf denn ein folder Zu- 
lauf nad den Büchern gewefen, daß man in einem Jahr auf 100 Thaler 
für Bücher allein ausgegeben und fie bergeftalt unter die Leute gebracht. 
Später verftanden ſich auch die morofeften dazu, fie zu bezahlen. Als 
ſehr nüglich wurde fpäter erkannt, bie Bücher zur Stelle in Vorrath zu 
haften und, wo es geiwünfcht wurde, auf Erebit zu geben. „Um aber in 
den Dörfern mehr Liebe zum Gottes Wort zu fchaffen, tft von jedem Dorf 
eine polniſche Bibel angefchafft und ihnen ausgetheilt, welche bereits aus 
den Dorfs-Armenfafjen vergütet worben. Ich habe zwar and, fährt ber 
Berichterftatter fort, 50 Eremplaria von des befannten Dambrowsky nen 
aufgelegten polnifchen Poftil über die evangelia praenumerando- vor bie 





von Dr. M. Töppen. 305 


Dorſſchulen acquirirt; da ich aber inne worben, daß bes feL Her 
M, Sanghanfen Kinderpoftill, weil fie dem Vernehmen nach gebrudt wer 
ben foll, für die einfältigen Leute convenabler wäre, fo Halte bamit an, 
folde Dombrowstg-Poftill auf die Dörfer zu geben.” Es war die Ein⸗ 
richtung getroffen, daß der Schulmeifter jeden Sonntag bie Vesper hielt, 
wobet die Bibel vorgelefen und Lieber gefungen wurden; an langen Üben» 
dem unterrichtete er das Gefinde, das bei ihm zufammen kommen mußte, 
im Beten und im Chriſtenthum. Man Hatte auch die Einrichtung ver⸗ 
ſucht, daß alle Dorfeinfaffen fih Sonntage zum gemeinſchaftlichen Kirch— 
gange beim Schulzen verfammeln jollten, damit man die fehlechten Kirch“ 
gänger fogleich auffuchen und zum Rirchgange aufmuntern könne. Diefe 
Einrichtung war aber nicht durchgeführt. Ueberhaupt klagte Fiſcher über 
den Mangel an Eifer bei den Geiftlichen und Subalternbeamten des Amts; 
er hoffte, wenn bie Lehrer wöchentlich wenigftens einmal von ihren Ins 
fpectoren für ihren Wochenunterricht informirt würden, beffere Refultate, 
und wenn die Kirchſchul ⸗Rectoren von ihren Infpectoren zu größerem Ernft 
gehalten würben, aus ſolchem seminario fünftig beſſere Dorfichufmeifter 
zu erlangen. (Fiſcher's Bericht vom 17, October 1728 in dem genannten 
Attenftäd, leider nicht vollftändig.) 

Die Vorſchläge wegen Verbeſſerung des Schulweſens, welche bie 
theologiſche Falultät dem Könige um eben biefe Zeit machte, welche ber 
König am 14. September 1729 beflätigte und dem Amt Orteleburg am 
14. December 1729 zur weiteren Veranlaffung zufertigte, gingen dahin, 
daß 1) möglichſt tüchtige Lehrer beftellt werden follten; namentlich follten 
in ben Kirchdörfern ſolche studiosi angenommen werben, welche mit ber 
Zeit zum Prebigtamte beftellt werben könnten; „in ben andern Dörfern“, 
fährt das Gutachten Heinlaut fort, „werben wohl andere und zum Theil 
Handwerker, als Schneiber, Leinweber, Altflicker, Radmacher angenommen 
werben mäflen.” Die Ortsprebiger follten bie anzunehmenden ober ſchon 
angenommenen, aber untüchtigen, zu ſich nehmen nnd für ihren Beruf ger 
hörtg informiren zc. 2) In jedem großen Dorfe müße billig ein Schul 
meifter eingefegt werben und von ben Heineren Dörfern müßten zwei bi6 
drei nahe gelegene, welche vom Erzpriefter oder Probfl, dem Prebiger 


und Beamten [d. 5, Domänenamtsvertwalter] zu beſtimmen feien, zuſam ⸗ 
Uspz, VNoxateiqriſt Dr. 1IL Sf & 20 


906 Die Einrichtung der Elementarfänulen im Ortelöburger Hauptamte 


men einen Schulmeifter Halten. Wo es namentlich in großen Lirchſpielen 
außer der Kirchſchule noch Feine anderen Schulen gebe, follten für den 
Anfang doch wenigftens brei bis vier eingerichtet werben, bi man mit 
ber Zeit mehr thun Yönne, 3) Jedes Kind follte die Schule vom ſechsten 
ober fiebenten Jahre Bis zum neunten oder zehnten Jahre oder im Noth ⸗ 
falle noch länger, bis es eine Prüfung vor dem Erzpriefter beftanden und 
einen Schein barüber erhalten habe, beftänbig, nach biefer Zeit bis zur 
Sonftemation doch noch einige Stunden beſuchen; bie erfteren follten in 
den beiden Winterguartalen Bor- und Nachmittags, in ben Sommerquar- 
talen einige Stunden wöchentlich unterrichtet, auch follten fie Morgens und 
Abends zum Singen und Beten, Sonntags nach der Predigt zur Theil- 
nahme am der Ratechifation gehalten werben. Die Prediger follten genaue 
Berzeichniffe ihrer Zuhörer, fowie der Kinder und bes Gefinbes berfelben 
halten, zur Beichte nur ſolche, welche lefen, zur Trauung und zur Gevat ⸗ 
terſchaft nur ſolche zulafien, welche von ihrem Chriſtenthume bie nöthige 
Antwort geben könnten. 4) Biel bes Unterrichts follte fertiges Leſen, 
Kenutuif von Luthers Katechismus und einige Bekanntſchaft mit der Bibel 
fein, von welder jede Dorfihaft ein Exemplar anfchaffen fol. Sie ſoll- 
ten auch im Beten unterrichtet und auf jebe Prebigt des Geiftlichen zum 
Voraus vorbereitet werben. Die Bearbeitung eines methodiſchen Leſebuchs 
für diefe Zwede ſei wünſchenswerth. Die Prediger follten die Schulen 
minbeflens monatlich einmal revidiren. 5) Zu feinem Unterhalt follte ver 
Schulmeiſter ein Haus und einen Heinen Stall und freies Brennholz, 
wobei event, bie Königlichen Forſten in Anſpruch zu nehmen wären, auch 
das Recht erhalten, ein paar Kühe und Schweine frei auf die Dorfweibe 
gehen zu laſſen; er follte außer ben Schulſtunden fein Handwerk treiben 
dürfen und von allen Abgaben und Laften frei fein. Ueberdies folle ber 
Schulmeiſter von jedem Kinde wöchentlich zwei polniſche Groſchen laut 
Verorduung vom 6, December 1717, im Falle des Unvermögens einzelner 
aus ber Kirchen ⸗ Armen⸗ oder einer eigens hiezu zu errichtenden Schullaffe 
erhalten. Eine Hufe ober eine halbe Hufe fet für die Schulmeiſter ſchon 
tm Jahre 1728 in Ausficht geftelit, auch eine gewiſſe jährliche Zulage au 
Getreide fei noch wünfchenswerth. 6) Endlich folgten noch allerlei Vor⸗ 
ſchlage über bie Ausführung biefes Gutachtens. Der Anfang ſollte mit 


von Dr, M. Tippen. so? 


drei bis vier Aemtern „v. gr. Infterburg, Raftenburg, Orteleburg nud 
diſchhauſen gemacht, die Prebiger, Erzpriefter, Eonfiftorien, Amtshaupt- 
lente, Kreisftenerräthe und Beamte” (f. o.) zu eifriger Beförderung bes 
Werkes aufgefordert werden. (Das Gutachten als Beilage der königlichen 
Berorbnung vom 14. December 1729 bei den bezeichneten Akten in Klein 
Serutten.) 

Der Amtshauptmann zu Ortelsburg, Oberfllientenaut v. Gaudeder, 
welchem. der Königliche Befehl zuging, hienach im Einverfiänpnig mit dem 
Adel und mit der Geiftlichleit des Amtes die Dörfer zu beflimmen, im 
welhen Schulen angelegt werben follten, und wegen des Unterhalts ber 
Schullehrer die nöthigen Vorſchläge zu machen, Konnte ſich darauf beſchrän⸗ 
ten zu berichten, was in bem Ortelsburger Amte in dieſer Hinficht ſchon 
geleiftet fei (11. Februar 1730). Er konnte eine Tabelle über eine große 
Anzahl von Dorfichulen und beren Verhältniſſe einreichen, und verficherte 
überdies, daß bisher alle Kräfte darauf gewendet feien, das Schulweſen 
in dem Amte zu heben, daß „nicht nur alle Kinder ohne Unterſchied vom 
Armen und Reihen von ſechs bis dreizehn Jahren, ja fo lange, bis fie 
leſen gelernt und in der Erkenntniß Chriſti (wozu bie Schulmeifter von 
ihren Imfpectoren alle Sonntag hinlängliche Information befommen follen) 
gehörig und richtig nachgehends weiter präpariret werben, daß fie publice 
examiniret ımb ad sacra zu gehen confirmiret, dabei aber auch bie Ein- 
faßen angehalten werben, daß bei Winters Zeit alle Morgen und Abend, 
wenn fie nicht felbft, fo doch ihre Kinder und Gefinbe in die Betftunde, 
Sonntags ‚aber vor und nad dem Gottesbienft gleichfalls zum Beten, 

- Gingen and Bibellefen gehen müfjen. So unterläßt das Amt auch nicht, 
veshalben die Prebiger zu erinnern, damit fie bie Schule oft befuchen und 
der Gemeine ben befonderen Nugen, ben fie in specie an ihrer und ber 
ihrigen Seelen⸗Seeligleit durch das Schulweſen Haben, wohl inculciren 
möchten, als woran am meiften gelegen; ja es werben auch am bie 
Amtswachtmeiſter, Landlämmerer, Schulen offene‘ monitoria und ordre 
ausgegeben, damit fie unermübete Vigilanz brauchen möchten, um biefes 
gute Wert nicht ins Stoden gerathen, fonbern mehr und mehr in bie ber 
ſtändige Uebung bringen und in gutem Stande beibehalten zu laſſen.“ 


Der Beriht hebt als Mängel nur hervor, daß 1) bie Zugend von ben 
20° 


308 Die Einrichtung der Clementarfdulen im Örtelöburger Hauptamte 


Magifträten in ven Gtäbten nicht mit ber nöthigen Sorgfalt zur Schule 
gehalten werbe; 2) daß das polnifche Geſangbuch fo thener fei (nämlich 
54 Groſchen); die Bearbeitung eines weniger umfangreichen aber billigeren 
(etwa für 30 Groſchen) wäre fehr wünſchenswerth. 3) Auch wärbe in 
den Städten für die Armenlaſſen ſchlecht geforgt. 4) Bon ben abligen 
Dörfern Hätten Jablonken durch ben Oberfilientenant von Collrepp und 
Moitinen durch Küchmeifter v. Sternberg Schulen erhalten, bagegen fei in 
Malföwen unter der verwittweten Eapitain v. Haubig, in Gilgenau unter 
dem Fãahnrich Küchmeiſter v. Sternberg, in Erben unter dem Moitinenſchen 
Küchmeifter v. Sternberg und in bem Halb abfigen Halb königlichen Dorf 
Pfaffendorf für das Schufwefen noch nichts gethan. (Gaudecker's Bericht 
vom 11. Februar 1730 in RI. Jerutten a. a, O.) 

Nach der von dem Amtshauptmann eingereichten Tabelle gab es ba, 
mals im Amte Ortelsburg „auf dem Lande” folgende Schulen. Im Kirch 
fpiel Ortelsburg: 1) Bienerborf, 2) Lehmanen, 3) Seelonten für Seelon ⸗ 
ten und Achodden, 4) Romahnen für Romahnen und Caſpersgut.“) Im 
Kichipiel Schöndameraus 1) Leynau, 2) Alt Kepkutt, 3) Nen Keykatt, 
Im Kirchſpiel Mensgut: 1) Wapendorf, 2) Sczepanken, 3) Rummy, 
4) Samplatten. Im Kirchſpiel Therwiſch: 1) Olſchöwken, 2) Ruttkowen. 
Im Kicchfpiel Kobulten: 1) Hafenberg, 2) Bothowen, 3) Rubzisfen (vor⸗ 
länfig mit Kobulten verbunden). Im Kirchipiel Rheinsweins 1) Jellenowen, 
2) Margöwen, 3) Mingfen. Im Kirchſpiel Paſſenheim: 1) Groß Rauſchlen, 
2) Narreyten, 3) Schügenborf, 4) Waplig, 5) Schwirgftein, 6) Grammen, 
7) Lelefzten, 8) Scheufelsdorf, 9) Michelsporf, 10) Krzimonoggen, 11) Gon⸗ 
ſchorowen. Im Kirchſpiel Klein Serutten: 1) Olſchienen, 2) Wawrochen, 
3) Groß Yerutten, 4) Piaſutten, 5) Schwentainen. Im Kicchfpiel Fried⸗ 
richshof: 1) Willamowen, 2) Farinen, 3) Puppen, 4) Spalienen, 5) Lie 
benberg. Die Zahl ber Schulkinder war fehr verſchieden, meift zwiſchen 
10 und 40, felten darunter oder darüber, Die Einnahme ber Schuliehrer 
war an jedem Orte nad) den Umftänden feftgeftellt; das Quartalſchulgeld 
ſchwankte zwiſchen 6, 9, 12 bis 16 Groſchen, mehrere Lehrer Hatten eine 
freie Hufe, von ber fie aber nur einige Thaler Pacht zogen, andere erhiel- 


®) a der Tabelle find Lemahnen und Romahnen offenbar verwedhfelt. 


von Dr. M. Täppen. 809 


ten ungefähr ebenſoviel, etwa 3 Thlr. 30 Groſchen direct ans dem Ant; 
viele Hatten nur ben freien Tiſch bei den Bauern, anbere erhielten Ge⸗ 
Getreide, Sped und Ealz, theils in einer für das ganze Dorf feftgeftellten 
Quantität (3. B. der Lehrer des Bienerborfs 10 Scheffel Korn, 3 Sch. 
Gerſte, 3 Sch. Griden, 1 Sch. Erbſen, 12 Pf. Spech, theils in gewiſſen 
Heineren Ouantitäten von jedem einzelnen Rinde (3.3. der in Willamowen 
20 Stof Korn, 10 St. Gerfte, 106. Griden, 1 Pfb. Sped, 1 St. Sal). 
Die Schulgebäude waren meiftens fertig oder doch im Bau begriffen. 

Oberftlientenant Gaudeder erhielt auf feinen Bericht von bem Könige 
am 1°. September 1730 ven Befehl dafür zw forgen, ba auch in ben 
Stäbten auf die Schulen beſſer Acht gegeben und daß and, bie noch fehr 
lenden Schulen in dem Amte ausgebaut wärben. 

Als Normalfäge für das Gehalt der Schullehter wurben in ben Prin- 
cipia regulativa vom 30. Iuli 1736 folgende aufgeftellt. Außer Wohnung 
und Stallung, zn beren Bau ver König das Bauholz bewilligte, und dem 
Brennholze, welches er ebenfalls Hergab, follte der Schullehrer einen von 
der Schulfocielät zu bearbeitenden kulmiſchen Morgen, einen Küchengarten, 
ferner ein Viertel Scheffel Roggen und 2 Met Gerfte pro Hufe, minbe 
Rens aber im Ganzen 12 Scheffel Roggen und 6 Scheffel Gerfte, ferner 
für jedes Schulfind von 5 bis 12 Yahren von Bauern und Juſtlenten 
Hier jedoch höchſtens für zwei) 4 gute (— 15 poln.) Groſchen, von Kol⸗ 
mern 6 gute (— 221), poln.) Groſchen jährliches Schulgeld, den zweiten 
2 lingbeutel, 4 Thaler jährlich aus der Kirchenkaſſe, fowie Weide für eine 
Kuh nebft Kalb, ein paar Schweine und etwas Federvieh, endlich zwei 
Fuder Heu und zwei Fuder Stroh erhalten follte. Dabei wurbe freilich 
ach auf Nebenverbieuft des Schullehrers zu feiner Eubfiftenz gerechnet. 
Denn es heißt unter andern: „Iſt der Schufmeifter ein Handwerker, kaun 
er ſich ſchon ernähren; iſt er Feiner, wirb ihm erlaubt, in der Ernte ſechs 
Wochen auf Tagelohu zu gehen. (Die Principia regulativa find gebrudt 
bei Bord, Kirchen und Schulgeſetzgebung.) 

Am 3. Februar 1738 verfommelte fi zu Ortelsburg zur „Unter 
fuchung und Einrichtung bes Landfchulen-Weiens” eine Commiſſion, ber 
ftehend ans folgenden Perfonen: Kriege- und Domänenrath Rieger, Apr 
pellstionsrath von Sounentag als Königliche Commiſſarien, von Seiten bes 


810 Die Einrichtung der Clementarfhulen im Ortelöburger Hauptamte 


Hauptamts und des Adels der Amtsverweſer v. Wildenheim, v. Sternberg 
im Namen ber Breiin v. Collrepp auf Sablonfen und wegen feiner Rheins⸗ 
weinſchen Güter, Lieutenant v. Wawrowski anf Pfaffendorf, Erzpriefter 
Dr. Bauli, fämmtliche Prediger bes Amtes und Kammerverwandter Fiſcher. 
Nachdem der von dem Könige approbirte Plan vorgelegt war, wurde ber 
bisherige Zuſtand ber in ben 9 Kirchfpielen von bem Kammerwandten 
Fiſcher eingerichteten Schulen unterfucht. Es zeigte fi), daß das Amt 
mehr Schulen Hatte, ala nach dem königlichen Plane einzurichten geweſen 
waren, baß bie Amtseinfaßen für biefelben mehr zu leiften Hatten und bie 
Einnahme ber Lehrer doch geringer war, als es nad eben biefem Plane 
der Fall fein follte. Allein die Verminderung ber Zahl der Schulen ſchien 
ben zumächft betheiligten theils weil bie Erbauung nener Schulpänfer neue 
Koften machen würde, theils weil die Schulfinder unmöglich ſchlimme 
Wege zur Schule durch Brüche und Wälder paffieren könnten, nicht rath- 
ſam. Die Dorfeinfafien Hätten fi an die Schulabgaben feit 15 Jahren 
gewöhnt und Hätten felbft darum gebeten, baß in benfelben keine Weränbe- 
rung vorgenommen werben möchte. Das Gehalt mehrerer Lehrer ſei al» 
lerdings niedrig (e8 war bei vielen nur auf 10 bis 12 Thaler beredjnet, 
während es nad) bes Königs Willen auf 30 Thaler gefegt werben follte), 
allein in dem Amte fei alles wohlfeil, wie man benn hier mit 1 Thaler 
weiter fomme, als im Deutſchen mit 5 Thalern, ber Kammerverwaudte 
Fiſcher Habe ihnen ab und zu einen Zuſchuß ans ver Armenkaſſe gegeben 
und fie hätten ſich beholfen. Wenn es möglich wäre ihr Gehalt durch 
einen Zuſchuß aus dem Mons-Pietatis-Fonds auf 16 bis 20 Thaler zu 
bringen, fo würben fie beffer ftehen, als die Lehrer mit 30 Thaler Gehalt 
im Dentſchen. Die königlichen Commiſſarien fanden diefe Vorftellungen 
tm Allgemeinen begründet, Nur wurben bie Berhältniffe der einzelnen 
Säulen erwogen, man fanb aber dabei nur wenig zu bemerlen. Die Schule 
in Sedanzig war eingegangen, bie Kinder wurben von borther in bie Or- 
telsburger Schule gefchidt, dagegen waren nun ſchon mehrere ablige Dör⸗ 
fer mit Schulen verfehen, im Kirchſpiel Rheinswein allein drei; es fehlten 
noch Schulen in dem Paffenheimer Kämmereivorfe Kulukswalde und in 
den abligen Dörfern Jablonken, Damerau (ver Freiin Collrepp gehörig) 
Gilgenau, ferner Therwiſch Wola (dem Umtsverwejer Wildenheim gehörig). 


von Dr. M. Töppen. 311 


Der Verbefferung befonders bedürftig erfchtenen bie Lehrerftellen in Neu 
Kepkutt, Leynau, Narepten, Wawrochen, Spaltenen, Marxöwen, und unter 
den Kirchſchulen die zu Kobulten, Therwiſch und Rheinswein. Im ber 
zweiten Sigung am 4. Febrnar kam die Eommifflon um Schluß: 1) Da 
zur Berbefferung der Schuliehrerftellen eine ziemliche Summe nöthig ſchien, 
follten durch Einführung von Eopulations- und Confirmationsgebühren nach 
Anleitung ber Principis regulativa bie Kirchenkaſſen in ben Stand geſetzt 
werden, Zufchäfie zu leiften; man hoffte ans denſelben zuſammen etwa 
87 Thaler 40 Groſchen für diefen Zwed entnehmen zu können. 2) Die 
den Schulmeiftern accorbirten wüften Hufen Hätten wenig eingebracht, wä- 
ren and) bei ber fchlechten Befchaffenheit des Bodens und ber Armuth ber 
Leute ſchwer in Pacht zu bringen. 3) Sie ſchlagen vor, baf vom jeber 
Erbtheilung unter Kölmern und erbfreien Bauern, die über 200 Gulden 
fleige, 1 Gulden zur Unterhaltung ber Schulmeifter gezahlt würde. 4) Sie 
erbitten einen Zufchuß von 40 bis 50 Thalern von bem Mons pietatis. 
Der König ſcheint diefe Unträge genehmigt zu haben; wenigftens bezogen 
mehrere Schullehrer ſchon feit October 1738 Zuſchuſſe ex cassa montis 
pietatis. , 

Wir haben bie Schuleinrichtung in einem ber polnifchen Aemter an 
führlicher bargeftellt, um eine Borftellung von ber Bedeutung und Wichtig- 
feit des Werkes zu geben, welches in eben jener Zeit in allen übrigen 
Aemtern mit gleichem Gifer und gleichem Ernſte betrieben wurbe, müſſen 
aber daranf verzichten in das Detail dieſer Anorbnungen und Beſchlülſſe 
für andere Kemter uns weiter zu vertiefen. (Für ben Angerburger Kreis 
hat Schmidt S. 118 ff. ausführliche Mitteilungen gemacht. Piſanski, 
Collectanea S. 57°, zählt bie neuen Schulen anf, die damals im Kirchſpiel 
Iohannisburg geftiftet wurden: Pilchen, Roſtken, Sdorren, Trözonten, 
Mittel-Bogobien, Prsziroſcheln, Jaſchlowen, Dietrichewalde, Pietrocziden, 
Ribittwen, Kallenczinnen, Keſſel.) 


ber Bants Hosmogonig. 
Bortrag, gehalten den 22. April 1866 in ber Lant ⸗Geſellſchaft 
von 


Dr. E. Say. 


Hochgeehrte Herren! Nicht eigene Wahl, der Zufall, hat mich 
beftimmt, einige Worte zur Erinnerung an ben Mann, zu beflen Geburts- 
tagsfeier wit heut verfammelt find, an Sie zu richten. Weit davon ent⸗ 
fernt, verfuchen zu wollen, Ihnen Kants Bedeutung als Philofophen ins 
Gedãchtniß zu rufen, wozu andere mit mehr Sachlenntniß und Talent be- 
gabt ſich berufen fühlen mögen, will ich mid darauf beſchränken, Ihnen 
einiges über feine naturwiſſenſchaftlichen Beſtrebungen, Anfihten, Urtheile, 
Behandlungsweiſe, namentlich aus feiner berühmt gewordenen Rosmogonie, 
mitzutheilen. 

Wir werben es aus ber Geiftcarichtung Kant's begreiflich finden, daß 
er, in vollem Befige ber naturwiſſenſchaſtlichen Kenntniſſe feiner Zeit, fein 
Bedurfniß nach Naturerfenntniß nicht durch Beherrihung des ſyſtematiſch 
geörbneten Stoffes befriebigt fühlt. Das vorhandene Material wurde ihm 
theils Grundlage philofophifcher Behandlung der Natur, wohin feine 
Abhandlungen von ber Schägung ber Tebenbigen Kräfte, Bewegung und 
Ruhe u. a. m. gehören, in denen er bie von ihm aufgeftellten Lehren aus 
mathemathifchen und phyſilaliſchen Sätzen herzuleiten fich bemüht, — theile 
Ausgangspunkt für das, was er im Gegenfage zur Naturbefchreibung bie 
Naturgefchichte, ein phyſiſches Syſtem für den Verſtand, nannte; welches 
die Naturbinge nicht, wie fie jegt find, fonbern, mas fie ehedem gewer 
fen find, und durch welche Reihe von Veränderungen fie burchgegangen 


Ueber Kant’3 Kosmogonie von Dr. E. Hay. 313 


find, nm an jedem Orte in ihren gegenwärtigen Zuſtand zu gelangen, 
lennen fehren foll. In der Kosmogonie hat Kant dies für die Bildung 
des Weltſyſtems durchzuführen unternommen. 

Kurz und kühn bezeichnet er feinen Stanbpunft in dem Ausſpruche: 
nGebt mir nur Materie und ih will Euch eine Welt daraus bauen.” 
Als die einfachfte Form, in welcher bie Materie, ein Schöpfungsprobukt 
Gottes, unmittelbar an das Nichts ſich anfchließend, den Raum urfprüng- 
lich erfüllend gedacht werben Tann, ift die bes Chaos. Alle Materien, 
daraus bie Kugeln, bie zu unferer Sonnenwelt gehören, alle Planeten und 
Rometen beftehn, erfüllten im Anfange aller Dinge in ihren elementaren 
Grundſtoff aufgelöft ven ganzen Raum des Weltgebäubes, darin jegt biefe 
gebilveten Körper herumlaufen. Diefer Zufland der Natur, wenn man 
ihn, auch ohne Abficht auf ein Shftem, an und für fich felbjt betrachtet, 
ſcheint nur der einfachfte zu fein, der auf das Nichts folgen Tann. Da 
nun biefe den Grundftoff bildenden Elemente, welche in gasfürmiger Ge 
alt urſprünglich ſchwebend gebacht werben, unter ſich verſchieden, verſchie⸗ 
den in ihrer Dichtigkeit und deshalb Anziehungskraft zu einander ſind, ſo 
haben fie weſentliche Kräfte einander in Bewegung zu ſetzen und find ſich 
felber eine Quelle des Lebens. Es bebarf nicht mehr der Zauberformel 
ver Schöpfung: es werbe. Die zerftreuten Elemente bichterer Art ſam⸗ 
meln, vermittels der Anziehung aus einer Sphäre rund um ſich alle Ma⸗ 
terie von minder fpecifiicher Schwere: fie felber aber, mit der Materie, 
bie fie mit fich vereinigt haben, fammeln fi in den Punkten, wo bie 
Theilchen von noch bichterer Gattung befinblich find, dieſe gleichergeftalt 
zu noch dichtern und fo fort. Auf biefe Weile entftehn Gentralförper mit 
ihren dem Centrum zuftrömenden Zonen, aus unendlichen Fernen bie vers 
ſchiedenen gasförmigen Elemente an fich heranziehend, Wir würden fo ale 
bald eine Maſſe, um nicht Syſtem zu fagen, von Molecularwelten erhalten, 
bie einmal dem Gefege der Anziehung entſprechend gebildet, allmählich zu 
ewiger Ruhe gelangten, wenn nicht durch eine andere Kraft, bie Zurüd- 
Koßungskraft (Elafticität) bie zu ihren Anziehungspunften ſinkenden Cie 
mente von ber gerablinigen Bewegung feitwärts gelenkt würben, unb fo 
ber ſenkrechte Ball in eine Kreisbewwegung umſchlüge. Dies geſchieht bar 
durch, daß die Elemente bei ihrer nach einem gemeinfchaftlichen Centrum 


814 Ueber Kant’ Koßmogonie 


convergirenben Richtung aufeinander ftoßen, und num am ben mehr ober 
weniger feitlich gelegenen Berührungspunften bie Elafticität als eine be⸗ 
wegende Kraft frei wird; woraus eine neue Richtung der Bewegung, als 
Nefultante der urſprünglich centralen und biefer jegt entflandenen, für ben 
bewegten Körper eingeleitet werben muß. (Ich erinnere an das Parallelos 
gramm ber Kräfte.) Da nun aber bie Elemente aus verfchiebener Höhe 
ftammen, beshalb mit verſchiedener Geſchwindigleit an diefen Punkt ange 
langt find, deshalb und weil fie verfchiebene Dichtigfeit befigen, mit ver» 
ſchiedener Kraft auf einander wirken, fo wird zunächft ein wirres Durchs 
einander von feitlichen Bewegungen entfiehn. Indeſſen find biefe auf 
mancherlei Art unter einander ftreitenden Bewegungen natürlicher Weife 
beftrebt, einander zur Gleichheit zu bringen, d. i. in einen Zuſtand, ba 
eine Bewegung ber andern fo wenig als möglich hinderlich ift. Diefes 
geichieht erftlich, indem bie Theiichen, eines bes andern Bewegung fo lange 
einſchränken, bis alle nad) einer Richtung fortgehn; zweitens, daß bie Bar- 
tilelcjen ihre Vertilalbewegung, vermittelft ber fie fih dem Centrum ber 
Attraction nähern, fo lange einfchränfen, bis fie alle Horizontal, d. 5. in 
parallel laufenden Eirfeln um bie Sonne als ihren Mittelpunkt bewegt, 
einander nicht mehr durchkreuzen, und durch bie Gleichheit ber Schwung. 
traft mit ber fenfenden ſich in freien Cirkelläufen in ber Höhe, ba fie 
ſchweben, immer erhalten: fo daß endlich nur diejenigen Theilchen in dem 
Umfange des Raumes ſchweben bleiben, bie durch ihr Ballen eine Ge- 
ſchwindigkeit und durch bie Widerftehung ber anderen eine Richtung befom= 
men haben, baburdy fie eine freie Cirkelbewegung fortfegen Können. Die 
andern Elemente, deren feitliche Bewegungen durch entgegenwirkende pa- 
ralyſirt werben, finfen ihrer urfpränglichen Bewegung folgend, dem Gen» 
teallörper zu. 

So entfteht die Sonne mit einer um fie kreiſenden Zone gasförmie 
gen Urftoffee. Im biefem kreiſenden Gasgirkel werden wiederum einige 
dichtere Elemente aus ber nnenblichen Mafje der gegen einander im Zu⸗ 
ftanbe ber relativen Ruhe befinblichen ala Gentralpunfte ver Anziehung auf 
die andern wirken; und wie fih urſprünglich ver große Gentralkörper, bie 
Sonne, ans der gefammten Maſſe bes vorhandenen Stoffes durch Anzie- 
Hung ber übrigen bilbete, jo entftehn hier neue Gentraflörper, bie Plane- 


von Dr. €. Hay. 316 


tem, durch bie Berbichtung bes um bie Sonne freifenden Stoffes; nach 
bemfelben Gefege und aus bemjelben Grunde wieder bie Monde un bie 
Planeten. Nicht anders werben wir uns bie Entftehung ber Eonnen- 
fofteme der Figfterne und die wahriceinfich noch heute fortgehende Bil- 
dung neuer Welten in ben Nebelfleden denken. Wenn run alle Welten 
und Welterbnungen biefelbe Art ihres Uriprunges erkennen, wenn bie Anz 
ziehung unbefchränft und allgemein, die Zurüdftoßung ber Elemente aber 
ebenfalls durchgehends wirffam, wenn bei dem Unendlichen das Große 
und Kleine beiberfeits Hein ift, follten nicht alle bie Weltgebände gleicher» 
maßen eine beziehenbe Berfaffung und foftematifche Verbindung unter ein» 
ander angenommen haben, als bie Himmelstörper unferer Sonnenwelt 
im Rleinen, wie Saturn, Iupiter und bie Erde, die für ſich infonderheit 
Syſteme find, und dennoch unter einander als Glieder in einem noch 
größern zufammenhängen? Wenn man in bem unermeflichen Raume, dar⸗ 
in alle Sonnen der Milchſtraße fich gebilvet haben, einen Punkt annimmt, 
um welden bie erfte Biloung der Natım ans dem Chaos angefangen hat, 
fo wird daſelbſt die größte Maffe und ein Körper von der ungemeinften 
Attraction entftanben fein, ber dadurch fähig geworben, in einer ungehen- 
ven Sphäre um ſich alle in der Bildung begriffene Syſteme zu nöthigen, 
fich gegen ihn, als ihren Mittelpunkt zu fenken, und um ihn ein gleiches 
Syſtem im Ganzen zu errichten, als derſelbe elementarifche Grandftoff, 
der bie Planeten bildete, um bie Sonne im Kleinen gemacht hat. So 
hat ſich das ganze Weltfuftem durch Differenzirung bes chaotiſchen Stoffes 
zu einem gefegmäßig geglieberten Ganzen entwidelt. 

Dies ift der Kant eigenthümliche Grundgedanke in ber Kosmogonie. 
Gewöhnlich wird zugleich mit Kant Laplace, und bie jegt geltende Theorie 
der Weltbilbung die Rant-Laplacefche genannt. Indeſſen hat Laplace für 
das Ganze die Entftehung angenommen, bie uns Kant für bie Bildung 
der Ringe des Saturn giebt, daß nämlich nach Bildung und Verbichtung 
eines Weltkörpers nach bem Gefege der Attraction, durch die Schwung. 
kraft (Gentrifugalkraft) vermöge der Achfenbrehung ſich um die Aequatorial⸗ 
gegend eine Zone gasförmigen Etoffes loslöſt, aus welcher dann fpäter 
nach demſelben Gefege fi die Planeten, Monde zc. löſen. 

Den weitern Inhalt ver Abhandlung bildet ber Verſuch, die Theorie 


316 Ueber Rant'ö Rodmogenie 


in Einklang zu bringen mit ben bis bahin gelieferten Refultaten ber exac⸗ 
ten Wiſſenſchaften Phyſil und Aſtronomie, namentlich bie Erſcheinungen 
der Egcentricität ber Planetenkreife, die Keplerichen Geſetze, das Abhängig- 
leitsverhãltniß ber Dichtigfeit der verfchiebenen Körper von bem Centrum 
der Bewegung u. ſ. w, und zivar, wenn wir ben Bacantoritäten Glauben 
ſchenken, mit volllommenem Erfolge. 

Suchen wir nun das Charakteriftifche der Kantjchen Kosmogonie zu 
beftimmen, fo möchte ich fagen, daß, während Democrit dem Zufall es 
überließ, daß die Atome aus ihrem Durcheinander bie harmouiſche Bewe- 
gung und Fügung erlangten, wenn ber große Newton neben ber Öravita- 
tion ber Haud Gottes beburfte, bie ven Weltkörpern eine feitliche Bewe- 
gung ertheilte, — Kant durch bie der Materie überall inhärtrenden Eigen: 
ſchaften, Attraction und Elafticität, ohne welche Materie überhaupt nicht 
gebacht werben Tann, die Entftehung ber Welt, die Bildung ber Weltlörper, 
ihre ſyſtematiſche Bewegung begreift unb begründet. Die Kraft, durch 
welche das Weltiyftem geworben ift, ift die Kraft der Materie, ober, da 
Kraft und Materie doch nur verſchiedene Bezeichnungsweiſen für baflelbe 
Weſen find, das Weltſyſtem ift die Materie in ihrer durch fie ſelbſt gege- 
benen Entwidelung. Nicht der Zufall, nicht die Hand Gottes hat das 
Syſtem geerbnet, bie mit ber Materie fließende Nothwendigkeit. Das Ger 
ſetz, nach welchem das Syſtem ſich vervollftändigt, nad; welchem es ſich 
erhalt, iſt daſſelbe feiner urfpränglichen Bildung. Wie ſehr man nun auch 
geneigt fein möchte, in conſequenter Durchführung ber Lantſchen Ideen 
die pantheiſtiſche Anſicht zu hegen, daß der Kosmos nur eine nothwendige 
Daſeinsweiſe eines Attributs Gottes, daß die Materie mit Bott eis in 
gleicher Ewigkeit mit ihm beftanben, Kant ſpricht ſich eutſchieden in an- 
derem Einne barüber ans. Die Materie, wie fie einmal gegeben ift, Tann 
nad ihm nicht anders als zu bem bezeichneten Ziele gelangen, fie bebarf 
feines weitern Eingreifens, ja fie ift einer andern Beſtimmnng nicht ein» 
mal fähig — aber, daß dem fo iſt, ift nur, weil fie eine Schöpfung ber 
höchſten Weisheit if. Der Glaube an einen ſchaffenden Gott wird in dem 
bibliſchen Sinne feftgehalten; aber er ift durch bie wiſſenſchaftliche Be 
handlung ber Natur geläutert. Gott Hat die Materie mit ihrer Fähigkeit 
zur Gntwidelung einer harmoniſchen Weltbildung aus einer ungeordueten 


von Dr. €. Hay. 817 


Maſſe gefhaffen, aber er dirigirt nicht immer und immer wieber bie wiber- 
ſtrebende ober träge Materie nach feiner höchſten Einficht, feine Weisheit offen« 
bart fich nicht in dem fortgefegten perſönlichen Regimente, feine Macht 
nicht in erneuertem Eingreifen in ben Ablauf ber Erfcheinungen. Sein’ ein 
maliges Schaffen, das ber Materie, war fo volllommen, daß das Geichaf- 
jene in fich ſelbſt die Bebingungen feines ferneren Werbens in ansreichen« 
dem Maße enthält, daß es fruchtbar in fich felbft ununterbrochen Bewe⸗ 
gung und Leben erhält und erzeugt. Auf diefe Weife läßt fich ſehr wohl 
der Glaube an einen perfönfichen Gott, einen Schöpfer, mit firenger na- 
turwiſſeuſchafilicher Forſchung vereinigen, wie wir dies benn auch nament- 
lich bei ben bebentenbften englijchen Naturforfchern vereinigt antreffen; ih 
fage vereinigen, d. 5. die beiden Gedankenreihen können, ohne auf Wider» 
fprüde mit eimander zu fioßen, in bemfelben benfenden Individuum mit 
einander verknüpft werben; ob aber bie Naturforihung aus ſich felbft auf 
jene religiöfe Anſchauung oder zu einem andern Nefultate führt, ift eine 
Frage, deren Beantwortung erft verfucht werben Tünnte, wenn man bie 
Berechtigung für bie Natinwillenichaft nachgewieſen hätte, ihre eigentliche 
Aufgabe, die Erſcheinungen der Natur in ihrem inneren Zufammenhange 
aus ben wirkenden Urfachen zu begreifen, bis zur Erforſchung ber erften 
Urſache aller Dinge zu erweitern, Wenn fie baher mit Kant anerkennt, 
die Welt ift eine ſyſtematiſche Orbnung, weil fie aus Materie entftanden, 
und bie Materie ift, weil ein Gott ift, fo Läßt fie bie weitere Trage, 
ob die Materie eine Schöpfung oder ein Attribut Gottes als nicht in das 
Gebiet ihrer Forſchung gehörig ununterfucht, 

Betrachten wir nun bie Kantſche Theorie ala das, was fie fein foll, 
als eine phyſilaliſche Erklärung des Weltfyfteme, fo bürfen wir nicht ver» 
tennen, daß genau genommen bie Theorie über bie Bedeutung und ben 
Werth einer Hypothefe erft durch die mit mathematifcher Schärfe geführten 
Beweiſe eines Laplace und fpäter Gruſon erhoben ift, indeſſen erklärt fie, 
inbem fie von ben nicht zu bezweifelnden Eigenfchaften der Materie aut 
gebt, fireng nad) dem Princip der Eaufalität bie Erſcheinungen, ohne ber 
Vhyſik oder Mathematil Zwang anzuthun. Möglich immerhin, daß fie, 
die gegenwärtig in bie Wiſſenſchaft eingereiht iſt, bereinft, wenn unfere 
phyfilaliſchen Kräfte als abgeleitete, ober vielmehr umgefegte ans einer ein. 


318 Ueber Kant’8 Rosmogonie 


sigen begriffen werben follten, einer andern wirb weichen müſſen; gegen- 
mwärtig Hat fie, nicht nur in Ermangelung einer befiern, fonbern weil fie 
durchgehend mit den Gefegen der Phyſil übereinftimmt und bie Erfcheinun- 
gen vollkommen phyſilaliſch möglich begründet, wiſſenſchaftliche Geltung. 
Ia die bedeutenden Entvedungen ans ber Zeit nach Kant, joweit fie ſich 
auf dieſen Gegenftand beziehn, beftätigen die Hhpothefe ber Kantſchen Ro 
mogenie. So bie Entvedungen, daß die Figfterne, die Sonne unb bie 
andern Himmelstörper aus benjelben Stoffen gebilvet find, aus denen bie 
Erde befteht, die allmähliche Verdichtung ber urſprünglich gasförmigen 
Subftanzen zu bichten Körpern im Himmelsraum n. |. w. Würde aber 
die Theorie felbft in ihrer Gefammtheit bereinft aufgegeben werben müſſen, 
fo wärbe fie in Unfehung ihrer phyſilaliſchen Richtung, ven Zuſammenhang 
ber Natur aus den wirkenden Urfachen zu verftehn, immer in ber Gefchichte 
der Wiſſenſchaft eine bebeutende Leiftung und ein Vorbild für naturwifien- 
ſchaftliche Behandlungsweiſe bleiben. 

Im dieſe phyſilaliſche Anſchauung hat ſich Kant fo vertieft, daß aus 
ihr auch das Verhältniß der organifhen Natur namentlich des Menſchen 
zu den Weltkörpern betrachtet wird. — Im ber Abhandlung über bie Des 
wohner ver Geftirne, welche als Anhang zu ber Kosmogonie erſchien, und 
in demſelben Sinne, wie dieſe gefehrieben ift, erörtert er bie Mobificatio- 
nen in ben Weſen ber Bewohner ber andern Himmelskörper, welche er, 
allerdings ohne pofitive Gründe anzugeben, als egiftirend annimmt, infor 
fern diefelben durch die Beziehung ihres Ortes in bem Weltgebäube zu 
dem Mittelpunfte beftimmt werben. Denn es ift gewiß, fagt er, baß bie 
Sonne als Mittelpunkt unferes Shftems, unter deu Materien ber Him⸗ 
melstörper, nach Proportion ihres Abftandes, gewiffe Verhältniffe in ben 
Beftimmungen der Bewohner mit fi führt. Der Menfch, welcher unter 
allen vernünftigen Weſen basjenige ift, welches wir am beutlichften ken⸗ 
nen, ob uns gleich feine innere Beſchaffenheit annoch ein unerforjchtes 
Problem if, muß im diefer Vergleihung zum Grunde und zum allgemei- 
nen Beziehungspunkte dienen. Des unendlichen Abftandes ungeachtet, wel 
Ger zwiſchen der Kraft zu denken und ber Bewegung ber Materie, zwi⸗ 
ſchen dem vernünftigen Geiſte und dem Körper anzutreffen ift, fo ift es 
doch gewiß, daß ber Menfch, der alle feine Begriffe und Borftellungen 


von Dr. @. San. 319 


von den Einbräcden her hat, bie das Univerjum, vermittelft bes Körpers 
in feiner Seele erregt, fowohl in Anſehung ber Dentlichfeit berfelben, als 
auch der Fähigkeit, diefelbe zu verbinden und zu vergleichen, welche man 
das Vermögen zu benfen nennt, von ber Beichaffenheit biefe Materie völ⸗ 
tig abhängt, an die der Schöpfer ihn gebunden hat. Der Menſch iſt er⸗ 
ſchaffen, die Einbrüde und NRührungen, die bie Welt in ihm erregen fol, 
durch denjenigen Körper anzunehmen, ber ber fihtbare Theil feines Weſens 
ift, und deſſen Materie nicht allein dem unfichtbaren Geifte, welcher ihn 
bewohnt, dient, die erften Begriffe der äußern Gegenftände einzubräden, 
fonbern auch in ber innern Handlung biefes zu wiederholen, zu verbinden, 
kurz, zu denken, unentbehrlich if. Der Stoff, woraus die Einwohner vers 
ſchiedener Planeten, ja fogar die Thiere und Gewächfe auf benfelben, ger 
bildet find, muß überhaupt um defto leichterer und feinerer Art, und die 
Elaſticität der Faſern ſammt der vortheilhaften Anlage ihres 
Bau's um befto volffommener fein, nach dem Maße, als fie weiter von 
der Sonne abftehn. Die Trefflichleit der denkenden Naturen, bie Hurtig- 
teit in ihren Vorftellungen, die Deutlichleit und Lebhaftigleit der Begriffe, 
die fie durch äußerlichen Eindrud befommen, fammt dem Vermögen, fie 
zufammenzufegen, enblich aud die Behendigfeit in ber wirklichen Aus⸗ 
übung, kurz der ganze Umfang ihrer Vollkommenheit fteht unter einer 
gewiſſen Regel, nad; welcher diejelben, nach dem Verhältniſſe des Ab- 
flandes ihrer Wohnpläge von der Sonne, immer trefflicher und vollfom« 
mener werben. 

Die Behanptung, daß auf ben andern Himmelskörpern Wefen 
exiftiren, bie mit ben unfee Erbe bewohnenden und in ihr wurzelnden 
analoge Bildung haben und deshalb Vergleichungspunkte bieten, ift aller- 
dinge durch nichts wahrſcheinlich gemacht, Aber fie ift für uns deshalb 
von Intereffe, weil fie uns zeigt, in welcher Eonfequenz ber einmal ge 
wonnene Gebanle über ven urfprünglichen Gegenftand Hinans auch auf 
weitern Gebieten durchgeführt wird. Faſſen wir bie im Obigen citirten 
verfchiedenen, im Zufammenhange unter ſich gebachten Säge, in eine alle 
gemeine Formel zufammen, fo wärbe dieſe heißen: bie Formen bes mate- 
riellen und geiftigen Inhalts bes gewordenen und werbenden Kosmos find 
befiimmt durch die ons immanenten Kräften fich entwidelnde Materie. So 


320 Ueber Kant’3 Kosmogonie 


reicht Kant mit feiner Theorie ummittelbar in bie Gegenwart hinein, in 
welder der Grandfag, daß in ber materiellen Welt bie Materie ſelbſt die 
Urſache des Wirkens enthalte, daß bie Kräfte die Erſcheinungen ber Ma- 
terie, baß die Gefege die durch Abftraction gewonnenen Normen ber Noth ⸗ 
wenbigfeit find, in welcher bie Erſcheinungen ablanfen, die Vorausfegung 
jeber Naturforichung bildet. Im biefer Ioee und durch fie geleitet hat Kant 
für ven bie phyſiſche Welt erfennenden Verftand eine großartige Eroberung 
gemacht, wie deren bie neuere und neueſte Zeit auf verſchiedenen Gebie- 
ten der Naturwiffenfchaft erworben, indem fie auf Grund der ftetig wirs 
enden Kräfte als Phafen in der Entwidelnng und Bildung ber Objecte 
der Natur dem Berftande begreiflich gemacht haben, was bisher, unbe⸗ 
greiflich, als unmittelbare That ber Schöpfung angenommen war, 
Wenn nun aber Kant in dem oben genannten Aufſatze eim foldes 
Abhängigfeitsverhältniß der organifhen Natur, felbft in ihrer höchſten Er⸗ 
ſcheinung, in der des menfchlichen Geiftes von ben fogenannten phyſikali⸗ 
ſchen Kräften, beren enbliche Wirkung ja bie Bildung des Weltſyſtems if, 
im Principe anerkennt, fo entwidelt er biefen Gedanken in ber fpätern 
Zeit nicht nur nicht weiter, fonberm verläßt ihn ganz und gar. Der Wurf 
bewegung, welche Newton als eine von Gott unmittelbar gegebene neben 
der Gravitstion zur Begründung feines Syſtems annahm, hat er bie der 
Materie inhärirende Abſtoßungskraft ſubſtituirt, für die Bewegung, welche 
der in dem Kreife des organifchen Lebens fi bewegenden Materie einen 
eigenthümlichen Schein verleiht, hat er feine entſprechende phyſilaliſche An⸗ 
ſchauung gefunden, und nicht finden können, weil er fie nicht gefucht; nicht 
geſucht, weil er eine foldhe nach feiner Begriffebeftimmung bes Organtemns 
für unmöglich hielt. Der Organismus, fagt er, ift ein materielles Weſen, 
welches nur durch bie Beziehung alles befien, was in ihm enthalten iſt, 
anf einander als Zwed und Mittel möglich iſt. Eine Grundkraft, durch 
bie eine Organifation gewirkt würbe, muß alfo als eine nah Zweden 
wirkende Urſache gebacht werben, und zwar fo, daß biefe Ziwede ber Mög⸗ 
lichkeit der Wirkung zum Grunde gelegt werben müffen. Wir Tennen aber 
dergleichen Kräfte iprem Beſtimmungsgrunde nad, durch Erfahrung, 
une in uns felbft, nämlich an unferm Verſtande und Willen. Verſtand 
and Wille find bei uns Grunbfräfte, von benen der letztere, fofern er darch 


von Dr. C. Hab. 321 


den erften beſtimmt wird, ein Vermögen iſt, etwas gemäß einer Ibee, 
die Zwed genannt wirb, Hervorzubringen. Unabhängig von aller Exfor- 
ſchung aber follen wir uns feine neue Grundkraft erdenlen, bergleichen doch 
biejenige fein würbe, bie in einem Weſen zwedmäßtg wirkte, ohne doch 
den Beftimmungsgrund in einer Idee zu haben. Alſo tft der Begriff 
von bem Vermögen eines Weſens aus ſich felbft zwedmäßig, aber ohne 
Zwed und Abfiht, die im ihr oder ihrer Urfache lägen, zw wirken, — 
als eine beſondere Gruudkraft, von der die Erfahrung fein Beifpiel giebt, 
völlig erbichtet und leer, d. 5. ohne bie geringfte Gewährfeiftung, daß ihr 
überhaupt irgend ein Objeft correfponbiren könne, Wir müſſen baher ent- 
weber aller Beftimmung ber Urſache der organifirten Wefen entfagen, ober 
ein intelligentes Wefen uns dazu benfen, weil wir, um eine anbere Urs 
ſache mit Ausichliegung der Endurfachen zu Grunde zu legen, uns eine 
Gruudkraft erdichten müßten. Alfo ift nur eine teleofogifche, nicht eine 
phnfifchemechantfche Extlärungsart, wenigftens der menſchlichen Bernunft 
möglich; aus bemfelben Grunde ift ber erfle Anfang ber Organifatton, 
wicht durch die Naturwiſſenſchaft, ſondern außer ihr in ber Metaphufit 
zu erflären. 

Wie viel Kant dazu beigetragen Hat, die Vorftellung, daß bie Orga 
nifation durch eine befondere Grundkraft, eine organtfatorifche Kraft, eine 
Lebenskraft, bewirkt werbe, als eine irrige, auf Erbichtung beruhende, wie 
aus der Wiſſenſchaft überhaupt, fo and aus der Naturwiſſenſchaft zu bes 
feitigen, ift ſchwer zu beftimmen. Sie hat für uns ale eine glüdlich über. 
wundene nur hiſtoriſches Interefie. Wenn aber Kant fagt, daß die Orga⸗ 
nismen als ein Syſtem vo Endurſachen, eine gemäß einer Ihee, bie 
Zwed genannt wird, wirlende Urfache, deshalb ein intelligentes Weſen 
vorausſetzen, fo wird hieburch allerdings ber Anfpruch der Metaphyſil bes 
gründet, den Organismus zum Gegenftande ihrer Unterfuchung zu machen, 
vielleicht auch biefe Seite der Frage ber Naturwilfenfchaft zu entziehn. Da 
aber die Iee in ber Materie fich durchführt, fo ift bie Wee, wollen 
wir ihr wicht die Macht zuſchreiben, phyſilaliſche Kräfte zn vernichten, an 
die Kräfte ber Materie und bie Gefege ver Phyſik gebunden; ber Orga- 
nismus baher, obwohl ein Syſtem von Endurſachen doch auch nur mög 


lich als ein Syſtem von phyſikaliſchen Kräften mit ihren zuritpeiiennen 
Gays. Renatöfgrift Ds Lil. HE & 


923 Ueber Kont's Acenwgonie von Dr. E. Hay. 


Gubftraten, daher einer phyſiſch⸗mechaniſchen Analyfe amterwerfbar. Und 
ſollte der menſchliche Verftand das von ber Naturwiſſenſchaft ins Auge ger 
faßte Ziel, in befien Berfolgung bereits bebeutende Schritte gethan, er- 
reichen, durch fortgefegte aualytiſche Unterſuchung umter Koutrole des fünther 
tiſchen Experimentes bie in bem Organismus erſcheinenden Kräfte in bie 
einfachen Grunbkräfte der Natur anfzulöfen, ven Antheil jeder einzelnen 
zu beſtimmen, dan werben wir in ber befondern Art bes Zuſammen ⸗ 
wirlens biefer Kräfte in einer Einheit eine phyfiſch⸗mechaniſche Grfärung 
des Organismus gefunden, und für bie organtfche Welt das geleiftet haben, 
was Kaut für feinen Kosmos. Dann wird es möglich fein auch für ben 
ſtreugen Naturforſcher die Frage nach der Entftehung der organifirten We 
fen nicht mehr mit ber bis jegt allein beobachteten Thatſache einer Eon 
tinwität der organifchen Zeugung abweifend zu beantworten. Dann wirb 
vielleicht die Idee, die Kant feiner Zeit einen Traum nannte, die heute 
bereits ein wiſſenſchaftliches Problem geworben ift, eine durch Thatſachen 
wiſſenſchaftlich begründete Geltung haben; bie Idee von ber kreißenden Erde, 
welche Tiere und Pflanzen, ohne Zeugung von ihres Gleichen, aus ihrem 
weichen vom Meeresfchlamme befruchteten Mutterfhoße entfpringen lieh 
unb bie baranf gegründeten Lokalzeugungen organticher Gattungen hervor- 
beachte, von ber hievon abgeleiteten Verwandiſchaft aller organtfchen Weſen 
in eimer unmerklichen Abftufung vom Menſchen zum Wallfiſche u. ſ. w. 
hinab, vermuthlich bis zu Mooſen und Flechten, nicht im Vergleichungs ⸗ 
fofteme, fondern im Erziehungsſyſteme aus gemeinſchaftlichem Stamme. 
Aber auch dann noch werben wir ben Namen Kants, deſſen wahre Beben- 
tung weit ab anf einem anbern Gebiete zu fuchen ift, in ber Entwidfungs- 
geſchichte auch biefer Gebanfenbewegung verzeichnet finben. 


Sagen aus dem Kreiſe Karthaus. 
Von 
Wilhelm Mannhardt.*) 
1 Bie Burgjungfran am fillen Ser. 

Auf einem Berge bei Karthaus lag in alter Zeit ein Schloß. Das 
ragie ſtolz mit feinen Thürmen empor und fpiegelte fi) in ben Wellen 
bes Burgſees oder fiillen Sees. Jetzt iſt es verwünſcht und es mag noch 
lange dauern, bis ber Netter, fich findet ver es erlöfen wird. Denn ver» 
fucht Hat es ſchon mandjer, aber noch nie Fam ber Rechte, So weidete 
vor etwa 40 Jahren ein Hirt feine Heerde am Fuße des Berges. Da 
fieht er plöglich eine fchneeweiße Jungfrau vor fich ſtehn. Sie ſprach, er 
folfe fie in den See tragen, fein Schade werbe das nicht fein. Er möge 
fich aber Hüten, rüdwärts zu bliden. Der Hirte verfpra das und hob 
die Zungfean auf feine Schultern. Im Gehen aber hatte er einen moorigen 
Grund zu durchſchreiten und ba wurde fie ſchwer und ſchwerer, ſo daß 
er bald bie und da einſank, ftilftehen und ausruhen mußte. Endlich 
konnte er nicht weiter. Ungeduldig vergaß er des Verbots und ſchaute 
fig um. Da ftand das alte Schloß beinahe bis ans Dach erhoben vor 
ihm und fah ſtolz ins Thal hinab. Uber jegt fant es, wie es gelommen 
unter die Erde zurüd. Auch die Iungfrau war verſchwunden. 

Der Hügel am Burgſee oder ſtillen Eee trägt vie Reſte einer heidni⸗ 
jchen Wendenburg. Bol. R. Preuß. Provinzialbl. 1866 VIII. 49. Wie 


*) Nach) eigener Aufzeihnung in den Jahren 1849, 1850. Ginige Bruditüde 
dewen habe ich bereits im Danziger Dampfboot 1860. No. 4 mitgetheilt. ’ 
21° 


329 Veber Nonrs Rökmangmmie von Dr. E. Hay. 


Subſtraten, daher einer phyfiſchmechaniſchen Analyfe auterwerſbar. Und 
ſollte der menſchliche Verſtand das von ber Naturwiſſenſchaft ins Auge ger 
faßte Ziel, in deſſen Berfolgung bereits bebeutende Schritte gethan, er- 
veichen, durch fortgefegte analytiſche Unterſuchung unter Kontrofe des funther 
tiichen Erperimentes die in bem Organismus erfcheinenden Kräfte in bie 
einfachen Grundfräfte ver Natur aufzulöſen, den Antheil jeber einzelnen 
zu beſtimmen, dann werben wir in ber befonbern Urt bes Zuſammen ⸗ 
wirkens biefer Kräfte in einer Einheit eine phyfiſch⸗mechaniſche Erkärung 
des Organismus gefunden, und für die organifche Welt das geleiftet haben, 
was Kant für feinen Kosmos. Dann wird es möglich fein auch für ben 
firengen Naturforſcher die Frage nach der Entflehung ber organifirten Wer 
fen nicht mehr mit der bis jegt allein beobachteten Thatfache eimer Con⸗ 
tinwität der organifchen Zeugung abweifend zu beantworten. Dann wird 
vielleicht die Ioee, bie Kant feiner Zeit einen Traum nannte, bie heute 
bereits ein wifienfchaftliches Problem geworben if, eine durch Thatſachen 
wiſſenſchaftlich begründete Geltung haben; die Idee von ber kreißenden Erde, 
welche Thiere und Pflanzen, ohne Zeugung von ihres Gleichen, aus ihrem 
weichen vom Meeresſchlamme befruchteten Mutterfhoße entſpringen lich 
unb bie barauf gegründeten Lokalzeugungen organiſcher Gattungen hervor 
brachte, von ber hievon abgeleiteten Verwandiſchaft aller organiſchen Weſen 
in einer unmerklichen Abftufung vom Menfchen zum Wallfiſche u. f. w. 
hinab, vermuthlich bis zu Mooſen und Flechten, nicht im Vergleichungs ⸗ 
fofteme, fondern im Erziehungsſyſteme ans gemeinfchaftlichen Stamme. 
Aber auch dann noch werben wir ben Namen Kants, deſſen wahre Beben 
tung weit ab auf einem anbern Gebiete zu fuchen ift, in ber Entwicklungs⸗ 
geſchichte auch dieſer Gedankenbewegung verzeichnet finden. 


Sagen aus dem Freife Karthaus. 
Von 
Wilhelm Mannhardt.*) 


L Bie Bargjungfray am füllen Ser. 

Auf einem Berge bei Karthaus lag in alter Zeit ein Schloß. Das 
zagte ftolz mit feinen Thürmen empor und fpiegelte fi in ven Wellen 
des Burgfees ober fiillen Sees. Jetzt ift es verwünſcht und es mag noch 
lange dauern, bis ber Metter, fich findet ber es erlöfen wird. Denn ver» 
fucht Hat es ſchon mander, aber noch nie kam ber Rechte, So weidete 
dor etwa 40 Yahren ein Hirt feine Heerbe am Fuße des Berges, Da 
fieht er plöglich eine fehneeweiße Jungfrau vor fich ſtehn. Sie ſprach, er 
ſolle fie in den See tragen, fein Schade werbe das nicht fein. Er möge 
fih aber Hüten, rüdwärts zu bliden. Der Hirte verſprach das und hob 
die Zungfrau auf feine Schultern. Im Gehen aber hatte er einen moorigen 
Grund zu durchſchreiten und da wurde fie ſchwer und fchmerer, ſo daß 
er bald hie und da einſank, ftiliftehen und ausruhen mußte. Endlich 
konnte er nicht weiter. Ungednldig vergaß er des Verbots und ſchaute 
fh um. Da fland das alte Schloß beinahe bis ans Dach erhoben vor. 
ihm und fah ftolz ins Thal hinab. Uber jegt ſank es, wie es gelommen 
unter die Erbe zurüd, Auch bie Iungfrau war verſchwunden. 

Der Hügel am Burgſee oder ſtillen See trägt bie Reſte einer heidni⸗ 
ſchen Wendenburg. Vgl N. Preuß. Provinzialbl. 1865 VIIL 49. Wie 


*) Nach eigener Aufzeihnung in den Jahren 1849, 1850. Ginige Brudiiäde . 
dewen habe ich bereits im Danziger Dampfboot 1860. Ro.4 mitgeifeilt. 
21° 


324 Gagen aus dem Kreife Rarthans 


febenbig ber Glaube an die weiße Schloßjungftau im Volle lebt, zeigt 
lolgender Vorfall, Bor etwa 15 Jahren ertranf eine fremde Dame, bie 
fi bei Verwandten in Karthaus aufhielt, im flillen Eee. Sic badete 
dort und bekam während deſſen einen Zufall. Ihren Hilferuf hörten 
Holjarbeiter in der Nähe, flohen jedoch, von weitem bie weiße Geftalt 
Sehen, ftatt zur Hilfe zu eilen davon, in ber Meinung es fei bie weiße 
Yungfran. Im Uebrigen iſt obige Sage bie Localifation eines weitverbrei ⸗ 
teten Mythus, von welchem U. Kuhn in d. Zeitſchr. f. d. Myth. u. Eittenf. 
II. 868 fg. eine zwar über bie Geltung einer Conjeltur uoch nicht er- 
hobene aber ducch viele innere Gründe geftügte Dentung anfgeftellt Hat. 
Im itzren fpeciellen Zügen ſchließt fie ſich zunächft an Ueberlieferungen wie 
Schambach und Müller Riederfähf. Sagen No. 107, 2. 117; Pröhle Un 
terharzfogen 108, 269. Zemme Vollsfagen von Pommern und Rügen 
S. 248, 208. Wichtig ift der Zug, daß das verwünfchte Schloß mit dem 
dortjſchritie der Erlöfung ans der Tiefe feige. Vgl Schambach und Mät- 
ler No. 117. 2. Zurüdihanen macht bie Entzanberung unmöglich. Scham 
bad und Müller S. 112 No. 138, 12. Grohmann Sagen aus Böhmen 
S. 206. 183. Temme a. a. O. S. 247. — 


2. Aoferfhähe. 

Im Korthäufer Klofterfee liegt ein ungehenrer Bernfteinblod begraben, 
der ben Werth von halb Kaſſuben aufwiegt. Wenn bie Kirche fo arm 
fein wirb, baß bie Pfarrlänbereien nur mit einem Pferde und einem Och⸗ 
fen beadert werben, findet fi) der Schag, und das aufgehobene unb ver» 
fallene Kofter wird im feiner alten Größe wiebererfiehen. Das Aloſter 
ſoll durch einen unterirbifchen Gang mit dem Epigberge in Berbinbung 
flegen, einem Hügel, der einige tauſend Schritte abſeits liegt und eine 
jedt faft ganz abgetragene Kapelle trägt. In biefem Gange liegt von 
der Klofterzeit her ein Schatz unter ber Obhut ber Heinen Lente ver 
ſtedt, der ans Münzen und ſchimmerndem Hausrath von Gold und Sil⸗ 
ber beſteht. Im früheren Iahren öffnete fi mitunter der Eingang, und 
die Koftbarkeiten wurden fihtber. Bei Hohen Kirchenfeften oder Hochzeiten 
entlichen bie Orteeinwohner zuweilen von ben Unterirbifchen Kleider und 
Geräte, die aber pünktlich in drei Tagen wieder abgeliefert werden muß 


von Wiheln Nannhardt. 326. 


ten; auch arbeiteten bie kleinen Leute gegen geringen Lohn bie kunſtreich 


Men Dinge. Man trat dann an den Gang und rief, was man zu haben -. 


wänfde. Darauf öffnete fi unvermuthet eine Meine Thür und bie Kleir 
nen braten das Gewünſchte herans. Seit aber ein Burſche eine Pfanne 
nicht zu rechter Zeit zurüdftelite und ein anderer einen golbenen Löffel 
fir ſich behielt, Hat niemand ben Gang offen gefehen. Cinft lam einer 
von dem Unterirbifchen zum Priefter umb fagte ihm, wenn er am folgen 
ben Morgen eine voliftändige Broceffion in ben Gang führen würde, ohne 
daß etwas babet verfehen ober vergefjen fei, jo müßten fie ber Kirche alle 
Schãatze ans Tageslicht herausgeben. Die Proceffion wurde fehr groß und 
alles jhien aufs befte in Orbnung. Man wunderte fi über die umäp- 
lige Menge goldener und filberner Gefäße, loſtbarer Meßgewänber unb 
anderer NKleinobien, mit benen unten bie Wänbe vom Boden bis zum 
Gewölbe hinauf bebedt waren, und ſchon begaun ber Priefter ben legten 
Segen zu lefen. Aber bie Lichticheere einer Wachskerze war wicht blauk 
geputzt. Darum verſchwand mit einmal bie ganze Herrlichkeit und der 
Zug ftand oben unter freiem Himmel, 





Alle mythiſchen Züge diefer Sage find wieberum and aus dentſchen 
Landſchaften belegbar, Es genügt an biefem Orte einige zumächft ſtehende 
Barallelen nachzuweiſen. Die Zwerge und anbere elbifche Wefen leihen 
den Menſchen Geräthe, zumal Branpfannen zu Hochzeiten und Rinbten- 
fen. Harrys Vollsſagen Nieberfachfens I. &.20 No. 6. IL. &. 74 Ro. 80. 
Harrys Zwergfagen ©. 61. Pröhle Harzfagen S. 47, 1. Pröhle Unter 
harzſagen S. 60, 149; 102, 247. Kuhn Nordd. Sagen No. 189,6. Kuhn 
Weſtphãl. Sag. I. 200 No. 224; 213 No.239. Zwerge und Nige ſchmie ⸗ 
den gegen geringen Lohn das Funftreichfte Geräth. Zeitſchr. f. vgl. Sprach⸗ 
forſch. IV. 96 fg. Kuhn Weſtph. Sag. I 41 No. 36. 47, 40. 62, 49. 
66, 52. 84, 76 fg. Schambach und Müller ©. 116 Ro. 140, 13, Diefe 
und andere alte mythiſche Züge find aber durch bie Volfsphantafle in Be 
ziehung zum Klofler Marienparadies gefegt, das Iahrhunberte ben geiſti⸗ 
gen und politifhen Mittelpunkt der ganzen umliegenden Lanbichaft dar⸗ 
ſtellte uud noch Heute im Vorbergrumbe ber Erinnerungen und bes Inter ⸗ 
efles bei der umwohnenden Bevölterung fleht, 


D 


326 Sagen aus dem Kreiſe Karthaus 


3. Tenſels ſteine. 

Auf der Landſtraße nach Danzig liegt nahe bei Karthaus ein mäch ⸗ 
tiger Stein, ber die deutlich wahrnehmbaren Eindrücee eines Hufeiſene 
tragen ſoll. Hier ſpielte einmal Doftor Fauſt, als er in unſere Gegenb 
tom, mit dem Zeufel Karten. Lange ſchwaukte das Glüd Hin und Her, 
aber feiner gewann, bis ſich endlich ber Zeufel überliften ließ und bie 
Wette verlor. Darüber ergrimmte er fehr und ſtampfte mit feinem Pferde ⸗ 
ſuße anf einen Stein, fo daß fi das Hufeifen gleich darin abprägte. Bei 
Matemblewo fol ein ähnlicher Stein liegen, auf welchem Doltor Fauft 
mit dem Zenfel Karten geſpielt hat. Ebenſo Hat ver Teufel einft auf 
einem Steine bei Ezapiellen Karten geſpielt und feine fünf Singer baranf 
"abgebrüdt. Auch bei Novahutta fieht man einen Blod, groß genug, um 
Eine kaſſubiſche Hütte daraus zu bauen. Um benfelben läuft ein Ming, 
wahrſcheinlich ein Quarzgang, ber zur Befeftigung ber Kette diente, mit- 
telft welcher einft der Teufel den Block durch die Luft getragen. ine 
Ahnliche Sage geht von einem Teufeleftein bei Bufchlan. Die Eage aus 
Navakıtta bei Menge, Geologifhe Abhandl. Progr. ber Petriſchule zu 
Danzig 1850 S. 30 Anm. 14. Bol. Kuhn Norbd, Sag. ©. 484 Anm. 152. 

: Beterfen Hnfeifen und Roßtrappen 1865 ©. 86 fg. — Auch fonft find 
Steine mit vermeintlichen Einbrüden bämonifcher Füße in pommerellifcher 
Sage bekannt. Gin bemertenswerthes ſchon in wendiſche Zeit Hinanfe 
reichendes Beiſpiel bietet ein großer erratiſcher Blod zwiſchen Gr. Doma- 
tan und Schwegin Mr. Neuſtadt in der Nähe bes Zarnowiger Eees, ber be 
reits in ber VBeftätigungsurfunde ber Befigungen bes Kloſters Oliva nom 
Hocdmeifter Lubolf König d. d. 10. Okltob. 1323 als Grenzftein aufge 
führt und (offenbar nach alter Volkstradition) Bozastopka (Gottesfüh- 
et) genannt wird. S. Rzyszezewski u. Muczkowski Cod. dipl. Pol. III 
679. 680, Heutzutage erzählen die Ummohner von ihm: bie Kaſſuben feien 
verſtodte Heiben gewefen. Da hätte Gott einen Engel gefanbt und biefer 
predigte von jenem Steine herab das Evangelium. Als aber das Bolt 
auch jet noch ungerährt bfieb, flampfte ber Engel in feinem Eifer auf 
den Stein und fiehe ein Abbrud feines Fußes blieb darin zurüd, Da 
glaubte das Volt und ließ ſich taufen. 


von Wilhelm Honnharbt. E14 


4. Bas Spielmammskreng bei Greyns 

Auf einem Dorfe bei Karthaus wohnte ein Spielmaun. Dee hate 
fih dem Teufel verichrieben unter ber Bebingung, daß Niemand ihn am 
KRunftfertigfeit übertreffen folle. So Hatte er einen großen Ruf erlangt 
unb gegen ihn konnte fein anderer Geiger anflommen. Tagtäglich war 
er auf Hochzeiten, Kindtaufen und Tanzgelagen beichäftigt und verbiente 
ſchönes Geld. Er Hätte ein reicher Mann werben können, wenn er zu 
fparen verftanden Hätte. Als er fein Honbwerk viele Dahre getrieben, 
fpielte er einft im Kruge zu Larthaus zum Tanze auf. Da trat ein frem- 
ber Geiger ein und bat mm bie Erlaubniß ſich Hören laſſen zu dürfen. 
Der einheimifche College Hatte nichts dagegen, denn er hoffte num einmal 
recht feine größere Meiſterſchaft zeigen zu köunen. Aber wie wimberte ex 
fi, als ver Fremdling eine fo liebliche und uubelannte Weiſe aufkrich, 
daß die Bauern immer mehr von ihm Hören wollten. Wetteifernb fpielte 
andy ex feine beften Stüde, aber Niemand achtete auf ihn und alle verlang- 
ten ein neues Stüd von bem Fremden. Doch dieſer lehnte es ab, ſam⸗ 
melte feinen Lohn ein und ging in bie Macht hinaus, ben Weg nad 
Sraybno am Rande des Sees entlang einſchlagend. Bon wahnfinniger 
Eiferfucht gefaßt folgte ihm der Karthänfer Spielmann und forberte ihn 
yaftig auf, mit ihm einen rechten Wettkampf zu beginnen. Der Brembe 
ſchwieg und wanderte weiter, während jener immer dringender und hefti⸗ 
ger feine Aufforderung wieberhofte, und endlich an einem Heinen Wache, 
der ſich anf dem halben Wege nach Erzybno in ben See ergießt, ihm ben 
Vaß vertrat. „Ih laſſe Dich nicht, Du mußt mit mir kämpfen und wenn 
es mein Leben Toften follte,“ fagte er. Der Fremde machte jegt Halt, 
erhob feine Geige uud beide begannen ein Wettſpiel, das immer lauter 
und mäcjliger durch die Stille der Nacht Hang. Immer wilder und lei⸗ 
venfchaftlicher wurden ihre Weifen, das Spiel des fremden wurbe fo 
ſchaurig, daß felbft fein Gegner babei zuſammenſchauderte. Und unmerklich 
wuchs bei den Tönen feiner Geige ber halbansgetretene Bach; feine Flu-⸗ 
ten fliegen höher und höher, bis fie ben Kämpfern an bie Bruſt reichten. 
Des Fremden Geftalt ſchoß riefig in die Höhe und zugleich legte fich ein 
other Mantel um feine Schultern. „Erlenuſt Du mid jegt, Deines 
Meiſter?“ fo rief er, „Deine Zeit iſt um!“ Schon bebedte ber ange 


328 Sagen aus bem Kreiſe Karthaus 


ſchwollene Gießbach mit feinen Fluten den unglädlichen Spielmann, Am 
anderen Morgen fand man feine Leiche. Man errichtete mehrmals an 
jenem Orte ein einfaches Kreuz. Aber jevesmal trat ber Bach aus feinen 
Ufern und fpülte es hinweg. 

Bol. Alpenburg Alpenfagen No. 111. 


5. Gefpenfiige Kälber. 


Einem Kaſſuben, der an ben Rabannenfeen zu Hanfe war, begegnete, 
als er mit feinem Sohne Abends bei Mondfchein durch Czapiellen zu 
Haufe fuhr, ein Mann, welder zwei twiberfpenftige Kälber mit einem 
Steden wor fich hertrieb und fluchend klagte, daß er biejelben nicht von 
ber Stelle au bringen im Stande fei. Er fei ber Mühe längft überbräßig 

und biete fie zum Geſchenk aus. Der Kaffube ließ fi) das nicht zweimal 
fagen, bebantte fich ſchön, band bie beiden Kälber und Iegte fie Hinter das 
Gefäß ins Stroh. Im Fahren wurde der Wagen ſchwer und ſchwerer, 
fo dag bie Meinen Pferde ängftlich Yeuchten. Als man kaum ben erfien 
Radaunenſee erreicht Hatte, fprangen zwei ungewöhnlich große Fiſche Hin- 
ten vom Wagen herab in das Waſſer. Die Kälber waren verſchwunden 
and das Stroh leer. 

Bgl. Harrye Vollsſagen Nieberfachiens I. 7, 2. Kuhn Weſtphäl 
Sagen I. 324, 1. und bazu €. Meier Schwäbiſche Engen ©. 139. 
M. Germ. Myth. 95. 


6. Bie Brautfleine bei Stangenwalde und Fitfckan. 


In Gtangenwalde lebte vor langer Zeit eine fteinalte Fran. Die 
hatte eine bildhübſche Tochter, nach welcher viele Burſche freiten. Allein 
fie mochte fie alle nicht, denn fie Hatte den Förſter lieb. Als ber endlich 
Tom nnd nach ihr fragte, fagte fie freubig zu. Der Pfarrer tramte fie, 
fie feierten eine vergnügte Hochzeit und Iebten ſehr glücklich. Das alte 
Weib aber war eine Hexe und mochte vor fcheelem Neid das Glüd ber 
jungen gente nicht fehen. Als fie einft allefommt auf dem Felbe waren, 
gerieth fie fo fehr in Aerger, daß fie den Tochtermann und bie Tochter in 
einen Stein verwandelte. Der fteht noch da. Wenn man ihn beſchädigt, 
fließt natürliches Blut Heraus, wie von einem Menſchen. 


von Wilhelm Mannhardi. 3239 


Im Fitſchlau follte eine Hochzeit fattfinden. Die Brautleute und mit 
ihnen die Gäſte waren ſchon zur Trauung nad) ber Löblauer Kirche gegan- 
gen und die alte Mutter, bie zu Haufe geblieben war, wartete mit Schmer- 
zen ihrer Wiederkunft. Uber fie harrte lange vergebens, Stunde auf 
Stunde verrann und fein Brautzug ließ fi bliden. Da warb fie un. 
willig und rief: „Ihr Teufelspad, daß Ihr doch allefammt zu Gteinen 
mürbet!" Als fie das fagte, waren bie Leute ſchon auf bem Heim⸗ 
wege und Hatten Fitſchkau beinahe erreicht. Da fühlten fie plöglich ihre 
Süße Talt und ſchwer werben. Ihre Glieder erftartten, wurzelten am 
Boben feft und wurden zu Stein. Noch heute fieht man am Wege ihre 
feltfamen Selsgeftalten. 

Vgl. Kuhn Weftphäl. Sag. I. 30. Alpenburg Mythen und Sagen 
Tyrols ©. 227 No. 4. 


7. Die Schloßjungfran' in Marienfer. 

a) Ein hügeliger Infeloorfprung im Marienfee bewahrt auf feiner 
Spige die Spuren einer alten Burg. Darin follen einmal Raubritter ges 
hauſt Haben, die vie Banern und Einfafien rings umher und friedliche 
Handelsleute, die auf ber Straße nad Bütow zogen, branbfchagten und 
plünderten, bi8 man fie einft in ernflem Anlauf bebrängte und ihre Veſte 
gewann. Geit ber Zeit find die Raubritter aus ber Gegend verſchwun⸗ 
den, aber in ben Ruinen ihres Schloſſes zeigt fih Nachts eine weiße 
dungfrau. Sie ſitzt auf einem Steine und ſchaut Hänberingenb auf bie 
mondbeftrahlte Fluth des Sees hinab. Der Stein iſt vom vielen Sitzen 
ganz ausgehöhlt. 

b) Am Marienfee Hat ein Schloß geftanden. Das ift mun tief in 
ven Berg entrüdt und bleibt ba, bis es einmal erlöft wird. Dann wird 
es herrlicher, als es gewefen, wieder emporfteigen. Vor Jahren war noch 
ein alter KXellereingang ſichtbar und eine Halbzerfallene Treppe, die auf 
brodlichen Stufen in bie Tiefe führte. Hier zeigte ſich oft eine Hohe 
Jungfrau. Im Sommer war fie ſchwarz wie ein Rabe, im Winter weiß 
wie Schnee. Oft führte fie einen zottigen Hund mit fich, ben fie auf ben 
Schoß nahm, ftreichelte und kämmte. Sehr viele haben ſchon verſucht das 
Schloß und die Jungfrau zu erlöfen. Das iſt aber ſehr ſchwer und alle 


830 Sagen aus dem reiſe Karthaus 


Mühe bleibt vergeblich, wenn ber Retter es auch nur an einer Meinigfeit 
fehlen läßt. Einer, ber ſchon Alles vollbracht Hatte, was zur Erlöfung 
nothwendig war, vergaß zuletzt fich die Hände zu wachen und das Wert 
mißlang. Einem Anderen, ber ſich erbot bie Jungfrau zw erlöfen, zeigte 
biefe im Gemäuer manderlei Dinge und befahl ihm, biefelben der Reihe 
nach zu küſſen. Da lagen Tücher und Kiffen vom bunfeler Seide und 
noch mehrere anbere Gegenftände verſchiedener Art. Er küßte jegliches 
Ding ber Reihe nad. Nur eine alte Schorffröte vergaß er, welche ge 
dudt in einer Ede kauerte. Schon glaubte er fein Werk vollbracht, ale 
mit einem Male die ganze Erſcheinung um ihn Her verſchwand und er 
mutterfeelenallein im öpen Gemäuer baftand. 

Seit ber Zeit erſchien die Jungfrau feltener. Die Leute Hatten fie 
faft ganz vergefien. Da vermißte einmal ein Hirte, ber am See weibete, 
zwei Schafe und fuchte fie in den Gebüſchen des Schloßberge. Wie er 
nun fo fucht, fteht plöpfich ein eines granes Männchen vor ihm mit 
langem Bart und heißt ihn ruhig und unbeforgt um fein Vieh fein, er 
ſolle nur morgen um zwölf Uhr wieberfommen. Der Schäfer ftellte fich 
pänftlich ein und fand das Männchen fon anf dem Play, welches ihn 
alsbald über bie verfallene Treppe in bie unteren Räume bes Schloſſes 
führte. Sie kamen durch viele bald gerade, bald gewunbene Gänge bie 
auf einen hellen geräumigen Hof. Hier gruften bie verlorenen Echafe 
fröhlich und wohlbehalten. Hinter dem Hofe ſtand eine Thür offen, ans 
welcher ein uubejchreiblicher Glanz hervorftrahlte. Der Schäfer eilte auf 
fie zu und trat in ein hohes Gewölbe, das mit alterthümlicher Pracht ger 
ſchmüct war. In der Mitte deſſelben faß die Schloßjungfrau, kohlſchwarz 
anzufehn und regungelos, als wäre fie von Stein. Weiterhin ſah man 
noch mehrere Räume. Nach einigen gleichgiltigen Bliden auf bie Jung⸗ 
frau wollte der Schäfer neugierig vordringen. Da warf das Männchen 
die Pforte vor ihm zu und fprach: „Küffe die Jungfrau hier, fonft bes 
tommft Du Dein Vieh nicht wieder.“ Der Hirte meinte, das könne er 
ja wohl thun und bücdte ſich zu ber ſchwarzen Geftalt hinab. Aber fo- 
bald er fi) nahte, wurbe dieſe fo graufig, daß er erſchreckt Kehrt machte 
amd über Gänge und Treppen bavon fiel. Im Hofe fah er fich nad} fei- 
men Schafen um. Sie waren verſchwunden. Das Männchen rief ihm 


von Wilhelm Nannhardt. 331 


nah, er bürfe morgen noch einmal und übermorgen jum britten Male " 
wieder fommen. Wenn er aber dann noch nicht bie Sungfran gefüßt habe, 
fo feien feine Thiere unwiederbringlich für ihn verloren. Zaghaft ſchlich 
ber Mann davon; hernach aber faßte er wieder Muth und ftellte ſich Tags 
barauf zur beftimmten S:unde am Schloßberge ein. Das Männchen ere 
wartete ihn ſchon und führte ihn wieber durch bie vielen verworrenen 
Gänge und über ven helfen Hof, anf welchem feine Schafe fröhlich wei⸗ 
deten. Diesmal nahm er fi) ein Herz und ſchon berührte fein Munb 
ganz nahe bie Lippen der Iungfrau, als biefelbe plötzlich Kröten und 
Schlangen hervorfpie. Da wurbe ihm Himmelangit und er ftärzte Hals 
über Kopf yon bannen. Auch zum britten Male ging es ihm nicht befier. 
So mußte er benn auf feine Schafe Verzicht leiſten. Seit ver Zeit ver- 
mieb er gerne bie Gegend, in welcher ihm biefe Exlebniffe begegnet wa⸗ 
ven und niemals ift e8 ihm eingefallen ben Eingang zum alten Schloſſe 
wieder aufzufachen. 

c) Ein junger Burſch Hatte viel von der Schloßjungfrau gehört und 
ber lebhafte Wunſch bemächtigte ſich feiner, ihr Erlöſer zu werben. Tage 
lang kroch er im dichten Buſchwerk herum, weldes die Etätte der alten 
Burg bebedte. An einem Maimorgen früh fand er unter wilden Ge⸗ 
ſtrüpp eine niegefehene Pforte. Er gelangte durch diefelbe in das Schloß 
and kam zu dem Saale, in welchem die kohlſchwarze Jungfrau regungslos 
ſaß. Er fah fie lange voll Mitleiv an und Hoffte, fie werbe ihm einen 
Auftrag geben. ber fie ſchwieg und er ging langfam wieder fort. Um 
die Mittagsftunde wagte er ſich noch einmal in die Burg. Da war bie 
Jungfrau nicht mehr kohlſchwarz (denn ein Ehriftenmenfch Hatte fie ange 
fehn), fendern ihr Oberleib zeigte ſchon graue Farbe. Jetzt rebete ber 
Yüngling fie an und fragte, was er thun dürfe, um fie zu erlöſen. Gie 
antwortete noch einmal nicht und traurig fchlich er von bannen. Am 
Abend befchloß er, e8 zum legten Male zu verſuchen. Da war bie Jung« 
frau ſchon beinahe am ganzen Körper grau, nur bie Füße hatten bie 
Schwärze noch nicht verloren. Auf die wiederholte Bitte zu fagen, wie 
er ihr Helfen könne, blieb fie Anfangs nach wie vor ftumm. Als aber 
der junge Burſch noch weiter fo infländig bat, wurben auch ihre Füße 
grau. Da ftel fie ihm um ben Hals und fagte: „Zur Hälfte haft De 


332 Sagen and dem Kreife Karthaus 


mich num erlöſt, aber ber ſchwerere Theil der Aufgabe ift noch übrig. 
Geh durch jene Thüre weiter, fo wirft Da durch zwölf Säle kommen, 
von benen einer immer ſchöner ift, ald ber andere. Der legte ift mit 
lauter Diamanten ansgelegt. Dort hängen von ber Dede brei Pflug: 
fcharen herab. Rannft Du bie ohne Geräuſch bis an bie Dede heben, fo 
haft Du mid) erlöft und das Schloß dazu.” Das will ich ſchon machen, 
meinte ber Süngling, aber bas Fräulein ermahnte ihn zur Borfiht unb 
führte ihn durch die zwölf Säle. Bon benen war ber eine von Silber, 
der unbere von Gold, der britte glängte von Ebelfteinen und ber zwölfte 
war mit eitel Diamanten gefhmüdt. Da hingen an ber Dede bie brei 
eifernen Pflugicharen an ftählernen Ketten. Mit vieler Behutſamkeit hob 
ber Züngling bie erfte Pflugfchar in bie Höhe, ohne anzuſtoßen. Da fah 
er bie Jungfrau von Angefiht und Bruft ſchneeweiß werden. Jetzt hob 
er auch bie zweite Pflugſchar glücklich und lautlos bis ans Getäͤfel. Die 
Jungfrau wurde bis anf bie Füße weiß. Auch bie britte Pflugfchar war 
ſchon halbweges bis zur Dede und bie Füße ber Yungfrau fingen ſchon 
an ins Lichte Überzufpielen. Da entſtand ein furchtbares Rumoren und 
Raſſeln, wie wenn taufend Solpaten mit ihren Waffen zufammenfchlagen. 
Eine glühende Hige verbreitete fi im Gemad und aus der Wanb trat 
der Zenfel felbft hervor, ber gar Schredliches drohte, wenn ber Jüngling 
nicht augenbliclich die Vflugſchar fahren laſſe. Darob erſchrak derſelbe und 
hob in feiner Angſt das Eiſen zu haſtig in bie Höhe. Es ſchwankte und 
Meß im Vorbeigehen an einen Ballen, Alsbald hörte man einen jänmer- 
lichen Schrei; ein betänbenber Krach folgte, wie wenn das ganze Schloß 
ans ben Fugen fpringe. Der Yüngling ſank ohnmächtig zu Boden und 
erwachte erſt nach mehreren Stunden oben im gränen Grafe. Die Pforte 
zur Burg hat er nie wieder gefunden, 





Zu a. Auch Frau Holle figt im Walde bei Andreasberg nächtlich 
auf ben Dreibrotfteinen und weint, Pröhle, Harzfagen S. 135. Auf dem 
Frauhulliſtein zwifchen Hasloch und Faulbach ruht Frau Holle aus. Zwei 

Locher haben ſich vom oftmaligen Sitzen in ben Stein gebrädt. ©. Zeit. 
ſchrift f. d. Myth. u. Sittenk. I, 24. Herrlein, Sagen des Speflarts. 182. 
Panzer, Beitr. z. D. Myth. II, 115. 


von Wilhelm Nannhardt. 333 


Zu b. Die verwünſchte Jungfrau erſcheint oft ala ſchwarz von 
darbe ober nur (mas eine Abſchwächung ber nrfprünglicden Sage ift) von 
Kleidung. €. Kuhn, Norbd. Sag. 45, 47. 23, 30. 9, 10. Zingerle, 
Sagen, Märchen und Gebr. ans Tirol No.386, 398. Alpenburg, Alpen« 
fagen Ro. 147. Rochholz, Naturmythen 161, 9. Der zottige Hund, ben 
die Sungfran auf dem Schoße Hält, ift ihr gewöhnlicher Begleiter in ber 
Soge. Er liegt auf dem Schage, der ver Verwünfchten gehört. Bgl. 
Bingerle, a. a. D. N0.377.393. Alpenburg, Alpenfagen No. 11.13. 15. 
23. 116. Schambad und Müller No. 120. 133, 1. 184 u.f.w. Rode 
holz, Sagen des Wargaus II, No. 386. Die Erlöfung der Jungfrau ift 
daran gebunden, daß der Befreier fie küßt, während fie fich in bie Geftal- 
ten einer Kröte, Schlange u. f. w. verwandelt. Vgl. Kuhn, Nordd. Sa- 
gend, 9. Rochholz, Naturmythen 160, 8. Schambach u. Müller 104, 182. 
Die Kröte, welche nach unferer Verfion ber Netter küſſen fol, ift aljo bie 
Jdungfrau jelbft. Im ben ſeidenen Tüchern, die er im alten Gemäner fin- 
det, bewahrt die Marienfeer Sage bie alleinige Erinnerung bes Schatzes; 
denn auf ſolchen Tüchern pflegen die verwünfchten Sungfrauen ben Hort zu 
fonnen, Weber die verlanfenen Schafe vgl. Kuhn, Weſtphäl. Sag. I, 827. 
Bingerle a. a. O. 220, 891. 

Zu c. Den zwölf Sälen vergleichen fich die neun Kammern (Echam- 
bach u. Müller 94, 120), die von ber Dede Herabhängenden Pflugfcharen 
dem großen Stein, der in ber verwünfchten Burg von bem Gewölbe her⸗ 
abzuhangen pflegt (Kuhn, Weſtphäl. Sag. I, No. 57. ©. 70). Unter den 
Schägen ber verzganberten Iungfran wird mitunter auch ein golbener Pflug 
genannt. (Bingerle a. a. D. 218, 389.) 

Danzig. 

Wilgelm Mannhardt. 


VNeber den heutigen Stand deq Sorfchung auf dem Gebiete 
unſerer Provinzialgefchichte. 


Habilitationg-Vorlefung, gehalten den 2. Juni 1866 au ber Königl. 
Albertus⸗Univerſität zu Königsberg 
von 


Privatdocent Dr. Carl Lohmeyer. 


Geftatten Sie mir, H. A., Ihnen in kurzen Umriffen einen Ueberblid 
über den heutigen Stand der Forſchung auf dem Gebiete unferer Provin⸗ 
sialgefchichte zu geben, Ihnen die Ziele zu zeichnen, welche biefelbe ſich 
als die nächftfiegenben zu fteden hat, auf welche wir für jegt Hinzuarbeis 
ten haben. — 

Ich muß aber nod; die Bemerkung vorausſchicken, daß ich im Fol- 
genden lediglich die Geſchichte unferer Provinz im Mittelalter, alfo bie 
zum Untergange ber Ordensherrſchaft, ins Auge fafien werde; denn ihre 
neuere Geſchichte, bie ſchon an und für fi von fo ganz anderer Art ifl, 
wäre doch auch, zumal feit ber Vereinigung mit Brandenburg, für fi 
allein, ohne Eingehen auf die Geſammtgeſchichte des preußiſchen Staates 
nicht wohl zu behandeln. 

Im dieſer Beſchränkung muß, wie bie Sache bei uns für jet fteht 
und wohl auch noch eine geraume Zeit ftehen wird, eine ſolche Auseinan⸗ 

vie ich fie eben zu geben beabfichtige, immer barauf hinaus 
zeigen, wie wir uns bemjenigen Werke gegenüber zu verhalten 
jes jenen Theil der preußifchen Geſchichte zulegt in aller Aus 
ind Vollſtändigkeit behandelt Hat, und das gleich nach feinem 
iberall als untrügliche, unangreifbare Onelle aufgenommen 
auch jegt noch meift als ſolche gilt. 


Ueber die heutige Provinzinlgefchichteforihung von Dr. Earl Lohmeyer. 335 


Ratürkich meine ich hier kein anderes Werl als Johannes Voigt's 
Geſchichte Preußens, von ben älteften Zeiten bis zum Untergange ver 
Herrſchaft des Deutſchen Ordens“, welche von 1827 bis 1889 in 9 Bän- 
den erſchienen iſt. 

Um aber den Werth dieſer einzig in ihrer Urt daſtehenden Landes 
geſchichte richtig zu würdigen, will ich vorerft verſuchen die Stellung zu 
charalteriſiren, welche daſſelbe bei feinem Erſcheinen einnahm, feine willen- 
ſchaftliche Bedeutung für jene Zeit feftzuftellen. 

Bon der Urgefchichte unferes engeren Vaterlandes, d. i. vor der An 
Tunft des deutſchen Ordens, durch welchen es ja erft in dauernde Verbin- 
dung mit dem Weſten gebracht wurbe, haben wir nur bin und wieber 
ſeht vereinzelte Notizen bei ben Schriftftelleen anderer Völker, birefte 
Nachrichten fehlen uns ganz. Was bann bie älteften Orbenschronifen da⸗ 
über enthalten, ift noch weniger geeignet uns aufzullären; bie eigene Un» 
lenntniß der Verfaſſer — fie waren ja ſämmtlich Frembe — paarte ſich mit 
blinder Einſeitigkeit und abfichtlichem Verſchweigen. Erſt im 15. Jahrh., 
beim Erwachen eines neuen wiſſenſchaftlichen Strebens, ſtellte ſich dae Ber 
bürfniß ein, auch von dem alten Preußeulande etwas zu erfahren, und 
die gelehrten Herren jener Zeit, voran Yenens Sylvins, machten fi daran, 
wo fe nichts fanden, mit Hülfe klaſſiſcher Brocken wenigſtens zu erfinden. 
Wenn damals für Städte wie Nürnberg und Augsburg ein Alter gleich 
dem Roms nicht genlgte, wenn man ihre Gründung bis auf die Aus 
wanberung der Trojaner, ja noch Jahrhunderte weiter zurädfährte, fo 
durfte e8 doch wahrlich nicht zu gewagt erfcheinen, auch Romowe, das Haupt- 
heiligthum ber alten Preußen, mit Rom in Verbindung zu bringen. Doc 
folge Spielereien wären noch zu ertragen. Daß weiterhin bie Gefchichte 
des Ordens, feiner Kriege und feiner Herrfchaft von feinen Anhängern 
fo erzählt wurbe, baß fein Ruhm nicht barunter litt, daß baneben, als ber 
Zwiefpalt zwiſchen Osden und Land ſich entwidelte und zulegt zu offenem 
Bruch und Bürgerkrieg führte, noch eine andere Tradition ſich heransbil- 
dete unb Hauptfächlich in ben Städtechronilen ihren Ausdruck fand, eime 
Tradition, bie ſich mit ber polniſchen vielfach berührt, iſt ber gamz natür⸗ 
liche Verlauf. Wo da nach der einen ober ber anberen Seite hin Vers 
letzungen ber Wahrheit vorloumen, ſind fie darch die unmittelbaren Quellen, 


336 Ueber die heutige Brovinzialgeihictsforihung 


durch das urkundfiche Material, das ung in einer Fülle wie wohl nirgends 
fonft zu Gebote fteht, leicht zu erfennen und auszumerzen. Aber bie Ge⸗ 
ſchichte unferer Provinz iſt von einem Mißgefchid eigenthümlicher Art bes 
teoffen, an deſſen Folgen fie noch heute ſchwer zu leiden hat; wir haben 
neben aller anderen Arbeit noch immer — verzeihen Sie bas Bild — mit 
ber Austreibung eines böfen Geiftes zu thun, ber vor miehr als 300 Jah⸗ 
ren in fie gefahren ift und noch heute wie ein Alp auf ihr laſtet. In 
den zwanziger Yahren des 16. Jahrhunderts verfaßte befanntlich der Pre 
bigermönh Simon Grunau eine umfangreiche Chronif des Landes 
Preußen, welche bie preußiſche Gefchichte von den nrälteften Zeiten ab 
bis auf die Tage bes Verfaffers mit größter Ausführlichkeit erzählt, Eben 
diefe Genauigkeit und Eicherheit, die er zur Schau trägt, maßte ben arg. 
loſen Lefer beftechen. Er fixirt jede Thatſache durch ein Tagesdatum, er 
weiß die Stärke ber Heere, die Zahl der Gefallenen in allen Zeiten ganz 
genau anzugeben, überall reiht er eine Unzahl von Namen auf; dazu 
fpricht er zuerſt von vielen Dingen, die das höchſte Imtereffe erregen 
mußten — fo liebt er es beftehenben Einrichtungen ihren Urfprung nach⸗ 
zuweiſen; unb alles biefes belegt er durch eine anfehnliche Anzahl von 
Quellen, befannten freilich und unbelannten. Schon Lucas David in 
der zweiten Hälfte des 16. und Hartknoch am Ansgange des 17. Jahr⸗ 
hunderts hatten ſich Hin und wieder zu Zweifeln an ber Tradition erhoben, 
aber weiter als bis zu folchen ſehr beſcheidenen Zweifeln, als bis zu ber 
dunklen Ahunung, daß es mit ber hergebrachten Erzählung doch nicht über 
all und immer feine Richtigkeit haben könne, hatten fie es nicht gebracht, 
ja nicht bringen können. Und im biefer Rüdficht ſtand es ein Jahrhnn ⸗ 
Hundert fpäter, ale Baczko feine „Geſchichte Preußens“ ſchrieb, nicht 
wefentlich befier: ihm fehlte ebenfo wie Jenen das Material und bie Mer 
thode. Das Einzige, was ihn über feine Vorgänger erhebt, das iſt der⸗ 
freie Geift, ver durch fein Werk weht, dae ift ber freie Blich, mit dem er 
an bie Sache Herangetreten iſt. Der Kurioſität wegen will ich eine gleich⸗ 
zeitige „ältere Gefchichte Preußens", welche ſich gleichfalls durch und buch 
als ein Kind bes 18. Jahrhunderts, freilich als ein Kind ber ſchlechteren 
Art, manifeftist, wenigftens erwähnen. Es iſt ber Herr v. Kogebne, ber 
mit diefem Werte, welches glüclicherweiſe ſchon zu den halbverſcholleuen 


von Dr. Earl Lohmeyer. 831 


gehört, auch einmal unfere Muſe entweiht Hat. — So war benn, ale 
Boigt hierherlam, nicht weniger als alles zu thun; und er hat geleiftet, 
was ein Einzelner nur immer zu leiften vermochte. Durch bie Aufgabe, 
welche ihm fein Amt entgegenbrachte, fah er ſich mitten in das volle Ma⸗ 
terial Hineingeftellt, er erfannte bald, daß eim ganz nener Weg einzufchlar 
gen fei, daß mittelft der Urkunden unferes Archivs an eine Emancipation 
don ber auf ben fpäteren Chroniken beruhenden Zrabition gegangen wer- 
den müffe, und glaubte, daß eine ſolche auch würde buschgeführt werben 
tönnen. Er ſelbſt hat dann die mühenolle Robung des nenen Weges ber 
gonnen und ift ihm felbft eine Strede vorangegangen. Wenn je eine fo 
alfeitige, einftimmige Anerfennung, die ihm willig den Namen bes Vaters 
unferer provinziellen Geſchichtsſchreibung beigelegt hat, auf richtiger Schägung 
beruft, fo ift es hier der Fall. Wohl Tann id. mir denken, bag einmal 
eine Zeit kommen Tann, wo keines ber einzelnen Reſultate, zu welchen er 
gelangt ift, mehr unangetaftet dafteht, aber dennoch wird man noch immer 
mit Ehrfurcht zu ihm emporbliden können und fich aller Frivokität, mit 
der wohl jegt bisweilen feine Schwächen angegriffen werben, zu enthalten 
die Pflicht Haben. 

Aber darf auch ſelbſt die hentige Forſchung ihn noch immer als 
durchweg auverläffig betrachten und behandeln? Dürfen wir feinen fach 
lichen Imhalt, die Reſultate der Forſchungen des Berfaflers bei wifjen- 
ſchaftlichen Unterſuchungen auch heute noch mit Vertrauen zu Grunde le⸗ 
gen? Dürfen wir ihnen ohne zu große Gefahr irre zu gehen noch immer 
folgen? Das ift nicht mehr der Fall. 

Ich bin mir fehr wohl bewußt, daß ein folches Urtheil mir fehr Leicht 
von vielen Seiten her den Vorwurf ber Impietät gegen ben Begründer 
unferer heimatlichen Geſchichtsforſchung zuziehen Tann; ich weiß fehr wohl, 
daß, wer zum erften Mal eine bis dahin allgemein anertannte Autorität 
in ihrem ganzen Wefen und Werth angreift, immer ein gewiſſes Odium 
anf ſich nimmt. Aber id ſpreche ja nur aus, was jebem Kunbigen längft 
belaunt tft. Wenn wir wohl bisher Alle, bie wir ja noch fämmtlih unfe 
rem Altmeifter perfünlich nahe geftanden haben, bewußt und unbewußt eine 
ſehr wohl erflärliche und gerechtfertigte Schen uud Zurüchaltung iym ger 
genäber uns auferlegt haben, fo tft es doch endlich an der Sei daß wir 

Atpe, Monstejgrift Dr, un Sf. a 


838 Ueber die heutige Vrovinzialgeſchichtsſorſchumg 


dieſelbe — was ja auch ohne Verlegung ſchuldiger Ehrfurcht immerhin 
gefchehen kann — fahren Iafien und ofien bekennen was wir wollen, was 
wir wollen mäflen. Nicht bloß in weiteren reifen lebt man noch allge 
mein in bem guten Glauben, daß wir ja alles nur irgenb Erreichbare er- 
zeicht Hätten, daß, ſeitdem Voigt bie Feder niebergelegt bat, für weitere 
Sorfhung nichts mehr zu thun übrig geblieben wäre. Selbſt von Fach⸗ 
gelehrten, von Männern ver Wiſſenſchaft ſelbſt wirb, wo fie auf die Ge 
fhichte Preußens zu fprechen kommen, von ben Förderungen, welche bie 
felbe inzwifchen erfahren Hat, nur felten Notiz genommen, immer wird 
ohne Bedeulen auf Voigt zurüdgegangen; und doch befinden wir uns für 
ven Augenblid mit der Erforfchung der Geſchichte unferer Provinz wieder 
iu ben erfien Anfängen, und doch fiehen wir eben im Begriff, einen ganz 
neuen Anlauf zu nehmen. 

Boigts Ausbildung gehört einer Zeit an, in welcher man von bem 
neuen Geifte, ber unfere Wiflenfchaft umgeftalten folite, kaum erſt eine Ah⸗ 
nung hatte; als er baun im hiefigen Archiv, durch die weite Entfernung 
aus aller Verbindung mit ven wiflenfchaftlichen Kreifen und Strebungen 
Deutſchlands herausgerifien, bie Vorarbeiten für fein Hauptwerk ausführte, 
wurden bie Grunbfäge freier kritiſcher Forſchung eben erſt entdeckt, und fo 
lange ex an ber Geſchichte Preußens felbft ſchrieb, lam ihre Handhabung 
noch immer nicht fehr über bie erfien Anfänge Hinaus, fie waren und 
blieben noch immer zu fehr Neuerung, als daß fie auf ihn einen wirl⸗ 
ſamen Einfluß hätten ausüben, als daß fie ihn ans bem einmal betretenen 
Geleife Hätten heransbringen können. Auch ihm kommt es 3. B. no 
weſentlich barauf an, felbft die Zeiten des graneften Alterthums mit feften 
Geſtalten zu beleben, durch bie Fülle der Thatſachen fie anfchanlicher zu 
machen unb unferem Blide näher zu bringen. Er beginnt fein Wert mit 
einem ausgeführten Bilde von ber älteften Geftaltung und Befchaffenheit 
mujeres Landes und von ber Herkunft und Nationalität, von ber Stantsr 
verfaffung, Religion und Sitte feiner Urbewohner, obwohl er weiß, daß 
Lucas Davib, anf ben er fi) gewöhnlich dabei beruft, ben Suhalt ber 
enfen Bicher feiner preußiſchen Chronik lediglich aus Gruuau entlehnt 
hat, und obwohl er Grunaus Weſen und Werth ganz richtig keunt. Und 
weites, bie. magere uadte Notiz non. einem Viliugerzuge ber Dänen nach 


von Dr. Earl Lohmeyer. 339 


Samland oder zur Dünamändung, von einem Ranbeinfalle ver Bolen ins 
Bruzgenlanb ober von einer Plünderung Mafoniens durch bie benachbarten 
Heiden, wie fie wohl ein zeitgenöffticher Monch im dem Dahrbuch feines 
Mofters anmerkte, genügt ihm wicht: bort giebt bie nordiſche Gage ben 
Stoff zur detaillirten Ausführung, bier werben bie romanhaften Schilderun. 
gen eines Dingofz wieder vorgeführt. Solchen anfcheinend auf Thatſachen 
berahenden Angaben folgt er faft unbedingt; denn ihm fehlt — umb das 
iſt weſenlich für Boigto kritiſches Verfahren — jeder pofitive Bepenbeweis, 
ohne welchen er fi) noch nicht ans dem Banne der Tradition zu befreien 
im Stande it. Ebenſo vermag Voigt auch für bie fpäteren Zeiten, ich 
meine nach ber Unkunft des deutſchen Drbens, feine fchriftfiellerifchen Quel⸗ 
len nur fo weit zu koutrolliren, als ihm Urkunden zu Gebote fliehen; if 
dieſes ber Fall, fo giebt er ihnen natürlich den Vorzug, wo fie aber feh- 
len, vertraut er wieber ohne Anſtoß zu nehmen deu Chroniſten, bie er 
dann wohl bei Widerſprüchen gegeneinander nach guter alter Weife aus 
zugleichen fi bemüht. Kurz, feine Kritik iſt uur erſt anf das Aeußerlicht 
befchräntt. Die innere Natur der Chronilen bes Mittelalters, bie Art 
ihrer Entſtehung, bie Ummanblungen, bie fehr viele erlitten Haben, waren 
ihm noch ganz unbelannt und verichlofien; ex verſtand es noch nicht fie ig 
ihre Beſtandtheile aufjulöfen, das Authentiſche von dem mittelbar Ueber⸗ 
lieſerten, die Berichte über Geldfterlebtes von dem zu nuterſcheiden, was 
den Berfaflern anderweitig überlommen war, ober mas fie ſelbſt zur 
Ausſchmücung willkürlich zugefeht Haben. So citirt er durch fein ganzes 
Wert als zwei für alle Zeiten faft gleichmäßig zuverläffige Quellen die for 
genannte Hochmeiſterchronik und eine Handfchrift, welche er als olinner 
Chronil bezeichnet; jene aber Yaun in ihrer jetzigen Geftalt nicht vor dem 
ewigen Frieden von 1466 entftanben fein, diefe beftcht aus nicht weniger 
als 5 nicht gar ſchwer voneinander unterfcheinbaren Werten, von denen 
das alteſte bald nach 1256 niebergefchrieben ift, währen bas jüngfte ſich 
felbft unverholen als eine Arbeit des 17. Jahrhunderts zu erfeunen giebt, 

An die Behandlung, welche Voigt ben Urkunden angebeihen läßt, 
it voch immer, um bei jenem Ausbrude zu bleiben, eine sein äuferliche. 
Gewiß find die Schilderungen, welche er von ber Gntwidelung des inner 
vun Berhälpnifie unſerer Provinz, ber ſtaͤdtiſchen, Aneiiten, gemahlen, 

2 


340 eher die heutige Brovingialgeihtihtsforfhung 


focialen, bei denen ja lediglich urkundliche Beugnifie in weſentlichen Be⸗ 
tracht kommen, entwirft, von höchſtem Interefle, indem fie uns zum erflen 
Mole einen Blid in biefelbe thun laſſen. Man kann auch nicht eben 
fagen, daß Voigt in feinen Refultaten gar zu weit von der Wahrheit ab- 
tert, Es eutſteht und entwidelt ſich eben in unferem Lande faft Alles 
deutlich vor unferen Augen; faft nirgends bemerken wir ein allmähliches 
Dervorgehen aus dem urfpränglicden, natürlichen Zuftande, das fich immer 
in Duntel verhäflen wird, bie ganze Kultur beruft Hier auf künftlichem, 
beabfichtigtem Hereintragen fremben Weſens und anf bewußtem Beibehal- 
ten einheimifcher Elemente. Dazu kommt, daß fi, man könnte fagen, 
jede, and; die unmerklichfte Wandlung urkundlich belegen läßt. Geht mau 
aber Voigts Forſchung im Einzelnen nad, lieſt man bie betreffenden Ab- 
ſchuitte aufmerkſamer, fo fpringt es Har in die Augen, daß er immer nur ‘ 
das gefehen hat, was oben anflag, man vermißt tieferes Einbringen, geiſti⸗ 
ges Verarbeiten. Boigt vermochte uoch nicht der inneren, organifden 
Entwidelung Schritt für Schritt zu folgen, 

So viel über Voigts Kritik und ihre ſchwache Seite. — Der andere 
große Fehler, in den Voigt verfallen ift, betrifft die Auffafjung, von wel 
Ger er amsgegangen ift. Es ift ber Staudpuult bes Ordens, anf ben 
Boigt ſich geftellt Hat, unb ben er von Anfang bis zu Ende, vom Ein⸗ 
tritte des Ordens bis zum Untergange feiner Herrichaft über Preußen, in 
beſchrãulteſter Einſeitigleit ſeſthält. Das lag aber einmal ſchon in bem 
Mangel des von ihm benutzten Materials: fo überreich baffelbe floß, es 
geftattete ihm doch immer nur bie eine Partei zu Hören, denn er fchöpfte 
ja fo get wie ausſchließlich aus unferem Orbensardive, er Taunte ja 
außer Grunau nur bie Orbenschronilen. Sonft haben ihm Urkunden 
aus anderen unſerer Provinz angehörigen Sammlungen unr ſehr verein 
zelt zu Gebote geftanden (fo werben hin und wieber einige thorner citixt); 
ansländifche Archive vollends Hat er für feine preußiſche Geſchichte noch 
gar wicht durchforſcht, und gebrudte Sammlungen von Belang gab es noch 
nirgends. Erinnern wir uns nun aber baran, daß, von ber Eroberung 
und Rultivirung bes Landes abgefehen, die Geſchichte der Orbensherrichaft 
in Preußen hauptſächlich von ben Streitigkeiten erfüllt ift, in melde ber 
Orden nach allen Seiten Hin theils fich felbft verwidelte, theils burd bie 


von Dr. Garl Lohmeyer. 341 


Umftänbe vertidelt wurbe: mit ber Kirche und ben Landesbiſchöfen, mit 
den Nachbarfürften ringsumher, endlich mit ben eigenen GStäbten unb Un⸗ 
terfafien, fo bebarf es keiner weiteren Ausführung, um darzuthun, ba bie 
völlige Hintanfegung ber gegnerifchen Ausfagen eine einfeitige Auffaſ⸗ 
fung, ein falfches, parteiiſches Urtheil zur Folge Haben mußte, daß allein 
die Urkunden und Altenſtüde, welche ber Orben anfbewahrte uber viel 
leicht aufzubewahren für gut befand, unb allein bie Aufzeichnungen, welde 
ihm anhängende, von ihm beeinflußte, ihm ſelbſt angehörende Männer 
niederſchrieben, unmöglich geeignet fein können ein wahrkaftiges Bild zu 
geben. Und doch wären bie engen Schranfen, innerhalb deren ſich Voigt 
mit feinen Onellen bewegt, ihm nicht gar fo ſehr gefährlich geworben, fie 
hätten feinen Blick nicht fo fehr einengen Können, wenn er nicht von vorn⸗ 
herein mit einer vorgefaßten Meinung an bie Sache heramgetteten wäre, 
Die im Punkte der Kritik, ebenfo wenig kounte ex ſich in NRüdficht der 
Auffoffung der Geſchichte des Mittelalters über den Geift erheben, ven er 
bei feinen fräheften hiſtoriſchen Univerfitätöftubien eingefogen hatte, und 
am fe weniger als biefer Geiſt noch lange ber vorherrſchende blieb. 
Luden war in Iena Voigts Geſchichtelehrer geweſen und hatte ihn 
fölteglich bewogen, fein Fachſtudium, bie Theologie, aufzugeben und ſich 
ganz der Geſchichte unb der alademiſchen Laufbahn zu widmen. Damit 
war Voigt in die romantifche Richtung hineingerathen. Allerdings, es bes 
fleht ein himmelweiter Unterſchied zwiſchen ber Art, wie bie Richtung jener 
Zeit fich in feiner Erfilingsarbeit äußert, und dem Grunbten, der in ber 
„Geſchichte Preußens“ herrſcht. Dort Hat Voigt, ber firenge Proteflont, 
der ſchon mehrmals prebigenb anf ber Kanzel geftanden Hatte, einen Gre⸗ 
ger VII. in folder Weije ſchildern Lönnen, daß Glaubensgenoffen ihm bem' 
Berwurf des Kryptolatholicismus faſt ins Geſicht fagten, und daß men 
ihn von latholiſcher Seite in vollem Ernſte anfforbern durfte, nun and 
die äußere Maske fallen zu laſſen und mit dem Nüdtritt in die alleinſe ⸗ 
ligmachende Kirche, der er ja doch mit feiner Ueberzengung angehöre, 
wicht länger zu fäumen. Ob und wieviel biefer ungeahnte Erfolg mit ba- 
zu beigetragen haben mag in Boigts Geifte eine gewiffe Umwandlung 
hervorzurnfen, vermag ich nicht zu eutſcheiden. Genug, ans bem Verthei⸗ 
diger und Lobredner des Papſtthums, wie Hilbebranb es erſtreble, wurde 


ur Ueber die heutige Provingialgeichiehtöforichung 


ei ebenfo entichiebener Gegmer ber römiſchen Kurie. Doc; reichte der 
Auſtoß nicht ans, um ihn bas Verkehrte der eingeſchlagenen Richtung ganz 
erkennen zu laſſen, um ihn von den Regungen, bie ihn bisher bewegt 
heiten, ganz abzuwenden. Gr kam nicht weiter, als daß er feine Vorliebe 
einem, anberen Prodult jener „romantifchen" Seite bes Mittelalters zu- 
wonbte und auch biejes dann in dem helften, glänzendſten Lichte darzu⸗ 
flellen ſich bemũhtte. 

Bir geſtehen gewiß alle gern und mit voller Ueberzeugung bie hohe 
Verechtigung zu, bie ber deutſche Orben zum Kampfe gegen bie heidni ⸗ 
ſchen Urbewohner uuferer Heimat mit ſich brachte, und folgen darum den 
einzelnen Kriegejägen trotz ihrer Einförmigleit und der mitnnterlaufen- 
den Rohhelten und Grauſawleiten, wie fie die Vorftellung ber Zeit von 
dem bem Heiden anhaftenben Mangel der Menfchenmürbe wenn nicht 
rechtfertigt, fo doch entſchuldigt, dennoch mit ganzer Theilnahme, Wir 
begreifen, wie ber Orden, fobelb er eine politifhe Macht geworben 
war, andy darnach fireben mußte fi aus ben Feſſeln, in welchen bie 
Kirche ihn gern für immer fefigehalten hätte, zu befreien, und gewab⸗ 
ven. mit Genugihuung, wie es ihm gelang ſich thatſächlich ſelbſtſtändig 
zw machen. Wir Haben von unferem deutſchen Standpunkte aus alle 
Unſache die zähe Feſtigkeit und Ausdauer anzuerkennen, mit welcher ber 
Orden. fid) ben ſlaviſchen Nachbarn entgegenwarf und fpäter, als fie nach 
dem wohlhabenden Küftenlande und den gewinnverheißenden Handelsſtäd⸗ 
tes lüftern wurden, ihnen wicht ohne allen Erfolg Wiberftand leiftete, 
Die mit ſicherem Blid geleitete unb burchgeführte Koloniſation von Stabt 
ua Sand, bie Handhabung ber Rechtspflege, bie Thätigleit für Handel 
uud. Gewerbe, bie mufterhaft geregelte Finanzwirthſchaft, kurz, bie ganze 
innere Verwaltung entlodt uns bereitwillige Bewunderung. Geber muß. 
Boigis Enträftung über das Gebahren ber leitenden Kreiſe in den Bür⸗ 
gerſchalten und im Landesadel theifen, wie es fo ohne alle Scham zu 
Toge trat und zum Bürgerfiege trieb. Niemand wird es bem Orden 
verargen, wenn er nach bem ewigen Ürieben von Thorn, ber ihm Lebens 
geſaͤhrlichen Verluſt brachte und ihm dem Erbfeinde entkräftet unb wehr⸗ 
108 zu Bühen warf, das wefprängliche Verhaltniß zu Kirche und Reich, am- 
welchen feit Menſchenaliern laum noch im. Gruft gedacht war, immer: wige 


“DM Dr. Cau vohmever. 348 


ver hervorhob md als Argument gegen bie Rechtmaßigleit jenes Friedeus 
anzog, wenn er immerjort barauf ans war das verlorene @eblet wieder⸗ 
ngerwinnen und die räumliche Verbindung mit bem Reiche wiederherzu⸗ 
flellen, bie anfgezwungene Botmäßigfeit abzuwerfen. In allem biefent 
wird und maß man Boigt Recht geben, aber es fehlt in feiner Darflel- 
lung die Kehrſeite, wie fie die mubefangene Betrachtung und bie Ber 
nngung aller Quellen kennen (ehrt, 

Baffen wir nun unfer Urtheil über Voigts preußtfche Geſchichte noch 
einmal furz zufammen, dahin: daß feine Kritik unzureichend, das vom ihm 
benngte Material umvollftändig und Lüdenhaft, feine Auffaſſung endlich 
eine einfeltig beſchränkte war, fo ift damit auch zugleich bie Richtung ge- 
geben, welcher wir bei weiteren Forſchungen konſequent zu folgen haben: 
Ergänzung und Mitifche Bearbeitung bes Quellenmaterials und Ausmerzung 
jeder Art von Tradition find diejenigen beiden Punkte, auf melde ich bus 
Hauptgewicht legen zu mäflen glaube. Nach beiben Richtungen hin aber 
haben Sammlung und Forſchung während bes letztverfloſſenen Menfchen« 
alters unferer Landesgeſchichte beträchtliche Forderung gebracht. Gleith 
nad) dem Erſcheinen ber erfien Bünde bes Boigtſchen Werkes wurbe eine 
ganze Reihe von Verfehen und Ungenauigfeiten nachgewieſen, wie fie bei 
einer erften Arbeit, bie fo große Schiwierigfeiten zu überwinden hatte, wicht 
ansbleiben konnten; aber das waren nur Einzelnheiten. Dann folgte von 
allen Seiten her, von katholiſch⸗kirchlicher, wie von nationaler and politi⸗ 
ſcher, bald gelegentlich, bald in befonderen Arbeiten fanter Widerſpruch 
gegen die panegyrifche Schilderung, welche Voigt vom Orden entwitft; 
diefe Gegner aber braten im Allgemeinen die kritiſche Forſchung nicht 
um einen Schritt weiter. Ste beutelfen entweder nur an bem borgefunbes 
nen Zhatfachen herum ober fie gingen gar noch zurück: kirchliche Schrift: 
ſteller hielten um jeben Preis an Grunan feft, ber ja auf ihrer Seite fteht, - 
und polniſche Hifiorifer, jelbft ber neueften Zeit, nährem ihren nationafen - 
Haß nad) wie vor ans ihren Gfribenten bes 15. nnd 16. Iahrfunberts. 

Den erften Schritt zum Befferen, die erfte Antvenbung ber weiteren: 
Grumsbfäge ber Kritik machte bei und umb trat bamit öffentlich hervor 
Töppen; er ging zuerſt dem tolfemiter Mönch energifch zu Leibe. Im 
dem ex jeue Chronik des erſten prempifchen Biſchofs Chriſtian ans Oliva, 


344 Ueber bie heutige Provingialgeldictsforfhung 


auf welche ſich der Mönd, für feine Darftellung ber Urgefchichte unſeres Lan- 
des vorzugsweife beruft, und bie auch noch Boigt für echt Hielt, als eine 
geradezu theils Tächerliche theils unverfchämie Biltion nachgewieſen Hat, 
hat er ihm für den erfien Teil feines Machwerks ben Boden unter ven 
Füßen fortgezogen. Faſt gleichzeitig wies Röpell nad, daß bie andere 
Quelle, welche den Stoff zur Ausſchmuckung unſerer älteften Geſchichte 
hergegeben Hat, bie historia Polonica bes dem 15. Jahrhundert angehöri- 
gen Johann Diugofz, gleichfalls bei eingehender Prüfung nicht Stand Hal- 
ten kann: er that bie kritikloſe Geſchwätzigkeit, bie nationale Einfeitigleit 
ihres Berfaffers fo unwiberleglich dar, baß von einer Berufung auf ihn 
allein nicht mehr die Rede fein barf. Endlich, gegen eine ganze Gruppe 
von Quellen, bie römifchen und griechifchen Schriftfteller, bei welchen man 
Nachrichten über die Küftenlänber der Oftfee zu finden glaubt, muß man 
zum mindeften fehr auf ber Hut fein; denn einen Plinins, einen Ptole- 
mäns und für fo entlegene Gegenden felbft einen Tacitus für etwas mehr 
als Quellen zweiten Ranges, als abgeleitete Quellen zu Halten, tft heut ⸗ 
zutage doch unftatthaft. Bevor nicht die Philologen fie auch in Bezug 
auf ihren Inhalt einer zerfegenben Kritik unterworfen und nachgewwiefen 
Haben, wo jene Notizen herrühren, darf man fie nicht weiter fo unbedingt 
anziehen. Auch bie Archäologie, welche bei ber großen Maſſe ver dem 
Boden entnommenen Alterthümer wohl Aufklärung geben könnte, liegt bei 
und noch fehr im Argen; fie ift bisher wiſſenſchaftlich noch niemals ber 
handelt worden, es haben fich ihr immer nur Dilettanten zugewandt. Eo 
bleibt denn Herzlich wenig übrig. Nicht mehr mit den Phönizierfahrten 
und was bamit zufammenhängt, bürfen wir bie Gefchichte unferer Provinz 
beginnen. Die erfte, auch zeitlich feſtſiehende Thatſache ift die nicht vor 
die Mitte des 2. Jahrhunderts fallende Einwanderung besjenigen Volkes, 
welches die chriſtlichen Apoftel und fpäter ber beutiche Orben als Pruzzi 
zwiſchen Weichfel und Pregel vorfanden. Mehr als daß vor ihnen bie 
Gothen hier gefeflen Haben, willen wir nicht. Doc dieß nur als eim 
Beiſpiel. 

Wie aber ſoll ih Ihnen nun mit wenigen Worten das zuſammeuſaſ ⸗ 
fen, was feit Voigt für die @efchichte der Orbensherrfchaft ſelbſt geteiftet 
iM? Die Zahl der Arbeiten iſt feine geringe, und ihr Inhalt ift von 


von Dr. Garl Lohmeyer. 345 


erheblichem Werth; aber es find doch immer uur vereinzelte Punkte zur 
Unterfuhung gelommen. Der braunsberger Profeflor Watterich hat vor 
einigen Jahren (1857) die Geſchichte der „Gründung des deutſchen Or- 
densftantes in Preußen“ in einer. Monographie beleuchtet, deren thatſäch⸗ 
lichen Nefultaten man meift zuflimmen kann, nicht fo ihrer Auffafiung: 
ſchon für jene Zeit, gleich nach feinem Erfjeinen am ber Weichfel, ſchreibt 
Batterih dem Orden Feine andere Politik zu als eine auf Betrag, Hin- 
terlift und Verrath beruhende, und bei ber Art, wie er feine Onellen hand⸗ 
habt, einem Berfahren, welches von Fälſchung nicht gar weit entfernt iſt, 
wird es ihm nicht ſchwer ben Beweis bafür zu führen. Dann will ich von 
größeren Arbeitens Boßberg, Geſchichte der preuß. Münzen während der 
Herrſchaft des deutſchen Ordens; Töppen, Hiftorifch-comparative Geogra- 
phie von Preußen; Fabricius, die Herrſchaft der Herzoge von Pommern 
in Danzig; Hirſch, die Ober⸗Pfarrkirche von St, Marien zu Danzig und 
Danzige Hanbels- und Gewerbsgeſchichte unter der Herrſchaft bes bent- 
fchen Orbens wenigftens erwähnen. Was durch dieſe Schriften und bie 
zahlreichen Meinen Abhandlungen, welche in ven Zeitichriften unferer Pros 
vinz zerfireut find, im Großen und Ganzen erreicht ift, liegt ja ſchon mit 
in dem ausgefprochen, was ich Ihnen über Voigts und feiner Vorgän⸗ 
ger Werth entwidelt Habe. Ich will daher Hier nur noch auf das Hin 
weifen, was neuerdings ſpeciell zur Förderung ber Quellenkritik bei uns 
geſchehen iſt. 

Wir haben den großen Vortheil vor Voigt erlangt, daß wir in den 
Stand geſetzt find, auch bie Stimmen ber Gegner bes Ordens zu hören. 
Die Archive einiger Städte unferer Provinz, vor allen das banziger, bes 
lehren uns über die Eingriffe bes Orbens in bie den Stäbten gewährten 
tommunalen Freiheiten und lafien uns bie Magen über die laufmänniſche 
Betriebfamteit des Ordens vernehmen, durch welche die Stäbte ihren eige- 
nen Erwerb und Wohlftand gefährbet glaubten. Auch finden wir bort 
ergänzende Aufklärung über bie Beziehungen unferer Stäbte und bes Or⸗ 
dens felbft zum Hanſabunde, welche bie Politik ver Hochmeiſter eine ges 
raume Zeit geradezu beherrſchten. Die nie enbenben, oft fehr erbitterten 
Streitigkeiten mit ben Biſchöfen von Ermland, denen es gelang, fich allen 
Angriffen zum Trog dem Orben gegenüber ziemlich ſelbſtſtändig zu erhal⸗ 


346 Ueber bie heutige Brovinzialgeidhichtäforfähung 


ten, bürfen ohne Durchmafterung der beiden ermländiſchen Archive (des 
Biſchofs und des Kapitels) nicht mehr bargeftellt werben. Die Schätze 
der letzteren werben jet durch bie gelehrten Mitglieber des franenburger 
Domkapitels als befonverer Codex diplomaticus Warmiensis, ber eine 
wahre Mufterarbeit geworben ift, allgemein zugänglich gemacht. Für bie 
Beurtheilung ber auswärtigen Politik des Ordens endlich flehen ans allen 
Ländern neue Urkmdenfammlungen zu Gebote, für das polniſche Reich 
allein ſechs. An einen nenen vollfänbigen Koder für Preußen felbft, ver ben 
Anforderungen der Wiffenfchaft entipricht, dürfen wir freilich vor der Hand 
niet denfen, da Voigts Codex diplom. Prussicus, ber bis zum Jahre 1404 
hinabreicht, denn doch zu neu ift, um ihn jegt fchon ganz zu verwerfen. 
Voigt hat aber leider nur Urkunden des konigsberger Archivs darin aufge 
nommen unb zwar wiederum nur ſolche, welche vorher noch nicht gedruckt 
waren, obgleich er ganz wohl wußte, daß die alten Drude durchaus um 
braufbar find. Vielleicht übernimmt es Jemand uns wenigftens Regefter 
zu liefern; doch ich fürchte faft, daB auch biefes ein frommer Wunſch 
bfeiben wirb, 

Was nun die Chroniken zur Geſchichte des Ordens felbft anbetrifft, 
fo war ber Erfte, der an fie die Sonde der Kritil anlegte, Theod. Hir ſch 
in Danzig, der leider jegt unferer Provinz den Rüden gelehrt hat. 1850 
wies er in einer Abhanblung „über dad Chronicon Olivense und fein 
Berhäftniß zu ben übrigen olivaifchen Geſchichtsdenkmälern“ bie wahre 
Natur jener Handſchrift nah, von welcher ich ſchon einmal gelegentlich be- 
merkte, daß Boigt fie ohne Bedenlen als eine einige olinaer Chronik bes 
trachtet und benngt hat. Diefes Programm und jene Differtation Töp- 
pens über den liber filiorum Belial find fomit als die Grundfteine un⸗ 
ferer nenen Quellenforfchung zu betrachten. Beide, Hirſch und Töppen, 
faßten man ben Gedanken, alfe preußiſchen Chroniken einer gleichen Prä- 
fang zu unterwerfen und fie bann in einer Sammlung herauszugeben. 
Man fuchte deßhalb in den Archiven, einheimifhen und answärtigen, nach 
neuen Handſchriften vorhandener Chroniken und nach Hanbfchriften folcher, 
die bisher für verloren gegolten Hatten. Und man fanb eine nicht ganz 
geringe Ansbente, vernehmlich an fläbtifchen Chroniken, welche meift von 
Männern im Amt aufgezeichnet und daher für die Geſchichte des 15. nub 


von Dr. Earl Lohmeyer. 347 


16. Sahrhunderts von um fo größerem Werthe find. Um nicht ungerecht 
zu ſcheinen, darf ich nicht unerwähnt laffen, daß auch von anderen Seiten 
aenes Material herangebracht wurbe; fo fand und veröffentlichte der jetzige 
Vorſteher unferes Archive, Dr. Medelburg, die Chronik des altjtäbti- 
fen Rathsherrn Johannes Freiberg, welche in ihrem felöftftändigen 
Theile die legten 15 Jahre der Ordensherrſchaft mitumfaßt. Noch ehe 
alfe Vorarbeiten vollendet waren, ſchrieb Töppen feine Gefchichte ber 
preußifchen Hiftortographie, welche ans eben biefem Grunde noch an man- 
nigfacher Unvolltommenhett und Unficherheit leidet. 1861 erfchten dann 
enblich ber erfte Band ber Scriptores rerum Prussicarum, eines Wertes, 
welches für alle Zeiten feinen hohen Werth behalten wird. Als Mitar 
beiter ift befannilich noch ber berliner Ardivar Dr. €, Strehlfe, ein 
geborner Danziger, Hinzugezogen. Man hat wohl bisweilen bie große 
Fülle ber jachlichen Anmerkungen getabelt, doch Hätte man, meine ich, bei 
der Beichaffengeit unferes urkundlichen Quellenmaterials — denn baranf 
beruhen jene ausſchließlich — eher alle Urſache die mühevolle Arbeit danl⸗ 
bar anzunehmen; benn erft durch fie iſt bie Kontrolle ber einfeitigen Chro⸗ 
niften möglich gemacht. Wir können nunmehr, nachbem auch ein zweiter 
Band diefes Wertes erſchienen ift, die Geſchichte des Ordens bie in bie 
Zeiten Winrichs hinein mit größerer Unbefangenheit und Marheit überfehen. 

Damit, v. H., geftatten Sie mir zu ſchließen und noch dem Wunfche 
Worte zu leihen, daß es mir eimft vergännt fein möge, auf meine afabe- 
miſche und wiſſenſchaftliche Thätigkeit, trog meiner geringen Kräfte, als 
anf eine nicht ganz unfruchtbare zurüdzubliden, 


Gritiken und Beferate. 


9.8. Iacobfon, Das Evangelifche Kirchenrecht des Preußiſchen 
Etaates und feiner Provinzen. Zweite Abtheilung. Halle, 
€. €. M. Befier 1866. (VIII S., 1 BL und S. 339...748. 80.) 
Im Auſchluſſe an die Anzeige ver I. Abtheilung (Monatoſchr. II, 373) 
zeigen wir nunmehr das Erſcheinen ber II Abtheilung in Kürze an, womit 
das obige, anerlannt treffliche Wert zum Abſchluß gelangt iſt. Um mehr 
ala 70 Seiten ſtärker, wie bie erfte Abtheilung, behandelt bie zweite das 
Berwaltungs- Recht ber evangeliſchen Kirche Preußens, in folgenden 
vier Abſchnitten: 1) bie Provifion der kirchlichen Aemter, 2) das kirch⸗ 
liche Leben, 3) die Kirchliche Aufficht und Disciplin, 4) das kirchliche Ber- 
mögen. Diefe Anorbaung des Gtoffes ift von ben hergebrachten Darftele 
lungen abweichend, wirb aber gerechtfertigt durch bie „Verſchiedenheit ber 
Objecte der lirchlichen Verwaltung ſelbſt.“ — Am Schluſſe folgen „Rad 
träge und Verbeſſerungen“ zu beiden Abtheilungen (S. 721 ff.), ein Nach⸗ 
weis ber ans dem allgemeinen Landrecht berüdfichtigten Stellen” (&. 726 ff.) 
unb endlich ein forgfältig gearbeitetes „Inhalts-Regifter” (S. 732 ff.), wo- 
durch der Gebrauch dieſes mühevollen und reichhaltigen Werkes weſentlich 
erleichtert werben wird. Unb bamit ift denn ber Aufbau eines Syſtems 
umferes vaterländifchen Kirchenrechts zum erften Male in wahrhaft Grund 
legender Weiſe vollendet. S-n. 
Dtto GSlagau 1) Spaziergänge burd Lauenburg und Lübed. 
Verlag von Lemke & Eo. Berlin 1866. 2) Brig Reuter und 
feine Dichtungen. Berlin. Berlog von Th. Lemle. 1866. 
Wir wollen unfern Landsmann nicht mit dem Maßflabe meilen, ven 
ex felbft in etwas übermäthiger Weiſe an bie gefammte meberne Literatur 


Wagau, Spaziergänge x. — eig Reuter x. 349 


anlegt. Laſſen wir jeden Vogel fein Lieb fingen und verlämmern wir 
uns das Vergnügen am Bintenfchlag nicht, weil es fein Nachtigallengefang 
if. So lebhaft er gegen bie literariſchen Fabrilanten eifert, fo fehen feine 
Bücher, namentlich das erftere, body fehr ſtark nad; Sabrifarbeit aus, ja 
er leugnet ſelbſt bie Beftellung gar nicht und läßt feinen Verleger, ber 
ihm anf Reifen begleitet, offen feine Verwunderung barüber ausſprechen, 
wie fo ein Bogen nad) dem andern aus Nichts zufammenkommt, wonach 
fich ſchließen läßt, daß der Verfafler nicht anf Accord, fondern nad ber 
Stüdzapl — bugenweife — gearbeitet hat. Uber mag fein! Er Hat einen 
praftifhen Blick für das, was in der frifhen Gegenwart intereffirt und 
holt fich fein Material von den Orten herbei, auf bie gerade aller Augen 
gerichtet find. Da heißt es: ſchnell fein, ehe ein anberer zuvorkommt, 
und ebenfo freilich andy: bis dat qui cito dat; benn man will der Sache 
nicht tief zu Leibe gehn, fonbern geſchwinde orientirt fein. Im einer Zeit, 
die fo ſchnell lebt, hat felten Jemand Zeit, ſich bei gelehrten Abhandlun⸗ 
gen aufzuhalten; man erhafcht aber wol ein Stünbchen um ſich zu raſchem 
Rüd- und Ueberblid auf die Höhenpunfte der Situation führen zu laflen 
und dankt dem gefälligen Führer, wenn er nus durch recht kurzweilige Ber 
lehrung angenehm unterhält. Im folder Art geleitet Dito Glagan uns 
durch Lauenburg und durch die Reuterſchen Dichtungen. 

Lauenburg, dieſes Schooßlind des deutſchen Michels, dem es vergönut 
war in deſſen weiße Zipfelmüge gehullt bie letzten Jahrhunderte hindurch 
unbehelligt vom Geiſte des Fortſchritts ben Schlaf der Gerechten zu ſchla⸗ 
fen, iſt plöglich zu einer Urt von Berühmtheit gelangt, indem es über 
Nacht preußifch wurde. Nun tft es ſicher Niemand zu verdenlen, wenn 
er die nenefte Errungenfchaft näher Tennen lernen will, und bazu giebt 
das oben angezeigte Buch „Spaziergänge durch Lauenburg unb Lübel” 
bie befte Gelegenheit. Allerdings ift Lubeck noch freie Reichsſtadt, hat 
andy vorlänftg gar feine befonbere Neigung ſich gleichfalls annectiven zu 
laſſen, ſteht aber gleichwohl mit Lauenburg, wie ber Verfaſſer ausführt, 
in engerm Zuſammenhange, ba es für das Heine Landchen bie Beben 
tung einer Hanptftabt hat und das geſchaftliche Leben in bemfelben völlig 
beeinfluft. Es war daher ganz in ber Orbnung den Spaziergang bis 
dahin auszudehnen. Das ganze Herzogthum Lauenburg hat faum bie 


350 Kritien und Referate. 


Größe eines mäßigen Tanbräthlichen Kreifes in Preußen; es enthält etwa 
19 DMeiten mit 60,000 Bewohnern (bie Hälfte der Einwohnerzahl ber 
Stadt Königsberg). Auf der DMetie leben nur 2600 bis 2700 Perfonen, 
was feine Haupturfache in den fehr ausgebehnten, den fünften Theil des 
Bodens bebedenden Waldungen und Torfmooren hat. Die drei Stäbte da 
ben zufammen 9000 Einwohner; bie jegt königl. Landdiſtricte umfafjen 12/5, 
bie abligen Güter (22 an Zahl) 6%4 OMelien mit reſp. 28,000 und 
13,000 Einwohnern. Auf dem platten Lande find die Frauen um faft 1000 
in der Minverzahl. Verwaltung und Yuftiz find für die untere Inflanz 
im ganzen Lande noch ungeſchieden; beide werben in den Städten durch 
die Magiftrate, in den 4 Königlichen Aemtern durch landesherrliche erfte 
and zweite Beamte, in ben abligen Gütern, welche rüdfichtlich der Yuftiz 
und Adminiſtration gefchloffene Diftricte bilden, vom ben Gutsbefigern refp. 
in ihrem Auftrage von Iuftiziarien und Polizeibeamten ausgeübt. Die lan- 
desherrlichen Forſte umfafien 2%, Meilen, find in 16 Reviere von un⸗ 
gleicher Größe (1080 bis A000 Morgen. In Preußen circa 12,000 Mor- 
gen) eingetheilt und fiehen unter ber Verwaltung von nicht weniger als 
37 Forſtſchutzbeamten, darunter zwei Oberförfter, welche zum Theil ſehr 
beträchtliche Dienftlänbereien (bis 160 Morgen groß) benntzen. Die 
Forſten und Moore werfen eine Nettointrabe von jährlich 100,000 Thlr. 
ab, was nur 2 Thlr. Reinertrag pro Morgen giebt. Yuf ben abligen 
Gütern fungiren noch 21 Forſtbeamte. Auch fonft iſt das Mißverhältniß 
zwiſchen ber großen Zahl der Beamten unb ber geringen Bevölkerung 
hachſt auffallend. „Rechnet man nur die Bebiennngen und Unftellungen, 
welche eine Univerfitätebilvung erfordern, fo finden fich allein folcher im 
Sandchen etwa 120, fo bak auf circa 417 Bewohner ſchon ein gelehrter 
Beamter (meiftens Schleswig-Holfteiner) kommt.” Die Bauern in den 
9% Dörfern find nicht freie Eigenthämer ihrer Grundftäde, fondern haben 
daran nur das fog. Meierrecht, d. 5. ein vollſftändiges Rutzungsrecht mit 
beichräntter Dispofittonsbefugniß über die Subſtanz fewohl unter Leben 
den als von Tobeswegen. Die Meiergefälle betragen übrigens nur civca 
80 Thle. von der lönigl. Hufe; eine Ablöfung des Meierrechts wilde 
ficher vie Staatseinnahme vergrößern. Die fonfligen Abgaben find fehr 
gering und geben nur eva 1 The. 13 Sgr. pro Kopf (in Preußen über 


Glagau, Spaziergänge x. — Brig Reuter x. 361 


4 The.) Die Landesſchuld betrug 1859 nur 781,000 Thlr. Die Be 
wohner find faft durchgängig wohlhabend und bie Sparlaffeneinlagen laſſen 
fi auf den Kopf mit cisca 20 Thlr. berechnen. Dennoch find bie Zur 
Hände höchſt ungefund zu nennen. Freizügigleit, Nieberlafjung, Erwerbung 
des Heimathsrechts hängen bei Nichtgrundbefigern von der polizeilichen 
Billfür ab; ohne obrigkeitlichen Confens fann feine Trauung vollzogen 
werben; der Gewerbebetrieb unterliegt den härteften Befchränfungen. Unter 
folchen Umftänden Tann es nicht auffällig erſcheinen, wenn bie Zahl ver 
unehelichen Geburten enorm groß ift, nämlich nicht weniger ala 21 pCt. 
(in Preußen 71/3), Die adeligen Gutsbefiger haben ſowohl ber Lanbes- 
herrſchaft als ihren Gutseinfafien gegenüber eine völlig excluſive Stellung; 
über ben legteren fiehen fie wie Heine faft fouveraine Fürften. Auch in 
der fändifchen Landesvertretung dominiren fie; zwar haben fie im Land- 
tage nur wie die Stäbte und Bauern 5 Abgeorbnete, aber es treten von 
ihrem Stande noch 3 Mitglieder Hinzu, nämlich der Erblandmarſchall (feit 
Jahrhunderten aus der Familie von Bülow) und 2 Landräthe. Uebrigens 
hat bie Lanbesvertretung fehr weitgehende politifhe Rechte, wie ja in 
diefer Beziehung die Feudalſtäude im Mittelalter faft überall glädlicher 
fitairt waren, als manche conftitutionelle Repräſentation. — Hat ber Ver⸗ 
fafler diefe Notizen, die wir ihm bier nachſchreiben, gleichfalls größtentheile 
ans Büchern entnommen, welche er übrigens in ber Einleitung gewiflen- 
baft anzeigt, fo hat er doch auch viel mit eigenen Augen gefehn und fi 
angenfceinlich große Mühe gegeben, fich bei ben Bewohnern felbft gründ⸗ 
lich zu informiren. Gr beſucht die Stabt Lauenburg, macht eine Fußreiſe 
durch ben fog. Sachſenwald, fommt nah Mölln, Hält fih am Schallſee 
auf, befichtigt Nageburg, ſchließlich das Amt Steinhorft, und ſchildert überall 
recht lebendig und anſchaulich die fehr eigenthümlichen Verhältniffe. Hier 
können wir ihm nicht in’s Einzelne folgen, verweifen bagegen den Lefer 
an das Bud, welches felbft da nicht ohne Intereffe ift, wo ber Werfafler 
mit feuilletoniſtiſcher Breite weniger charalteriſtiſche als rein zufällige Ber 
gegniſſe ohne Bedeutung recapitulirt. Mit zum Beſien gehört die Ber 
fchreibung bes alten, von feinem ehemaligen Glanze ſtark heruntergelom- 
menen, aber noch immer höchſt eigenartigen und würdigen Lübeds in der 
Beigabe, ſowie die Parallele deſſelben mit dem mach immer jugendlichen 


362 Reititen und Referate. 


Hamburg. übe iſt bie Ruine ber Hanfa. — Das Buch hat ber Ber 
foffer „feinen lieben Freunden im Bfarchaufe zu Quednau bei Königs 
berg i. Pr.” gewidmet und dadurch noch fefter an feine Heimath geſchloſſen. 

Brig Reuter und feine Dichtungen“ find Lieblinge des 
dentjchen Volkes geworben; wer fi) alſo mit ihnen liebevoll befchäftigt, 
wird auf Dank rechnen können. Es kommt bazu, daß die plattdeutſche 
Mundart ven berfelden Unkundigen (und das ift die große Mehrzahl der 
Leſer) das Verſtändniß und damit das Vergnügen erfchwert, endlich daß 
Brig Reuter gerade in ben wichtigften feiner Dichtungen faft nur ans dem 
eigenen Leben fchöpft und alfo zur näheren Ergründung der Quelle felbft 
auffordert. So erflärt ſich's, daß ſchon jest, abgefehen von der Schaar un« 
eigennügiger Privatvorlefer, nicht nur mehr als ein halbes Dutzend öffent 
licher Lektoren durch ben Bortrag Reuterſcher Dichtungen reichlich fein 
Brod verdient, fonbern auch ein Buch, wie das vorliegende, auf ftarten 
Abſatz zählen darf, zumal ber Verfaſſer fich felbft in der Vorbemerkung 
„an das große Publikum“ wendet, d. 5. alfo fein Buch fo einzurichten 
verfpricht, daß es dem großen Publikum behagen Tann. Dito Glagan 
fängt denn auch fofort und ohne gelehrte Einleitung mit dem Wichtigften an, 
namlich mit der Biographie Brig Reuters, die er fehr zutreffend unter 
den Gefichtepunkt jenes Kernſpruches des Cornelius Nepos flellt: „das 
Schidjal des Menſchen hängt von feinen Charakter ab." Ob bei dieſem 
Abſchnitte Wahrheit und Dichtung bereits überall gehörig geſondert if, 
Tann dahin geftelit bleiben, da weniger das Thatfächliche an fich, als bie 
Auffaffung, welche der Dichter demſelben zuträgt, und die innere Geftal- 
tung bes Moteriell-Heußerlichen zu einem idealen Gefammtbilde intereffirt. 
Glagau befchränkt fi daher mit gutem Grunde faft nur baranf, ben Stoff 
zu feinen Mittheilungen aus Reuters eigenen Dichtungen zu fammeln und 
ftelit fo jedenfalls die dichteriſche Perfönlichkeit des berühmten Humoriften 
am fiherften feſt. Zugleich führt er dadurch aber auch in bie Dichtungen 
felbft ein, bie nun, was fie follen, im fubjektioften Zufammenhange mit 
ver Perfon des Autors felbft ericheinen. Es folgt dann eine ziemlich fpe- 
cielle Iuhaltangabe ber Reuterſchen Werke nach ber Zeitfolge ihres Gr- 
ſcheinens nebft einer kritiſchen Beleuchtung berfelben. Der Verfafler macht 
hier den ſehr anerfennenswertfen Verſuch, ven dortſchritt prinzipiell nach⸗ 


0 MR Zn mn —— — 


Glagau, Spaziergänge x. — Frig Reuter x. 553 


zuweiſen, der fi in Reuters Schaffen bemerklich macht, und die Grenzen 
zu ziehn, innerhalb deren ſich feine ſchöpferiſche Kraft frei bewegt. Er 
nimmt ungezwungen brei Perioden an: zu ber erften vechnet er bie „Län 
ſchen un Rimels,“ Studien und Vorarbeiten zu den fpäteren Dichtungen, 
zur zweiten bie brei Erzählungen in Deren, „in welchen ſich ein Experir 
mentiren bes Dichters mit feinem Talente und in ganz verfchievenen Re 
gionen verräth,“ zur britten enblich bie Profabichtungen, „bie uns ben 
Dichter im richtigen Fahrwaſſer zeigen.” Den Werth der Läufchen und 
Rimels fieht der Kritifer nicht darin, daß hier alte Anefvoten und Schuur- 
ven in's Plattbeutfhe und in den Reim umgefegt find, fondern in ber 
Charakter- und Situationsmalerei, in der getreuen Schilderung von Land 
und Senten, denen er nad der Lutherſchen Regel „brav aufs Maul ge 
ſehn“ Hat. Sie find nicht nur plattdeutſch gebichtet, fondern auch platt- 
deutſch gebacht und empfunden und daher in Etoff und Form völlig ein 
heitlich. Ein Vergleih mit Klans Groth führt zu dem Ausfpruche, daß 
Fritz Reuter ein bei Weitem Träftigeres und vielfeitigeres Talent als die 
fer fei, was zugegeben werben fann, auch ohne Klaus Groth's Bemühnn- 
gen, die Empfindungsweife feiner Landsleute zu veredeln, zu nahe zu tre- 
ten. Die Erzählungen in Verſen (1855, 1857 und 1859 erfchienen) be 
ginnen mit „be Reif’ nad) Belligen” einer Art von komiſchem Epos voll 
töftlichen Humors. Doch merkt ber vorurtheilsfeeie Kritiker dieſem font 
fo Terngefunden und urluftigen Gedichte ſchon ein bebenfliches Gelüſt her⸗ 
ans, auf Rährung und Empfindſamkeit hinzuarbeiten, und zwar an ganz 
unpaffenden Orten. Er giebt dafür fchlagende Beiſpiele. Faſt nur Tadel 
Hat er für die zweite Dichtung: „Kein Hüſing“, welche er ein wüftes unb 
abgeſchmacktes Nachtftüc nennt, in welchem „Sünde und Verbrechen, Elend 
und Schande, Flüche und Verzweiflung gleich büfterrothen qualmigen 
Seuern emporfladern und die Atmosphäre mit Rauch und Geſtank erfüllen“. 
Namentlich ift die Motivirung und Charakteriftit fehr ſchwach, bie ganze 
Anlage verfehlt. Eine Rückehr zu den fonnigen Regionen bes feinften 
Humors bezeichnet jedoch die dritte Erzählung „Hanne Nüte un de lütte 
Budel“, eine prächtige Menſchen⸗ und Vogelgeſchichte, bie nur theilweife 
dur criminaliſtiſche Auswüchſe ſtark entftellt wird. Diefe Fehler vermei⸗ 


den die proſaiſchen Dichtungen der dritten Periode, in denen ſich Reuter 
auyt. Monateigrift Bd. IL Oft, 4 23 


554 eitilen und Referate. 


in ein ganz perfönliches freundſchaftliches Verhältniß zu feinen Landslen- 
ten ſtellt und meift ſelbſt eine bebeutende Rolle fpielt. Doch find auch 
diefe Arbeiten unter ſich ungleich. Die erſte Erzählung ber „Ole Kamellen“: 
„Woans if tan 'ne Fru kamm“, ift in ber Unlage und Ausführung ftart 
verſchwommen und ohne rechten Kern, um fo lebensnoller und abgefchlofier 
ner dagegen bie zweite: „Ut be Franzoſentid“, zugleich and ber Compd⸗ 
fitton nach das befte Probuft Reuters. Theilweife von fehr untergeorbne- 
tem Werth find bie Sachen, bie in „Schur-Murr“ gejammelt find, 
angenfcheinlich nur zu dem Zwed hervorgefucht, um einen Band zufammen- 
zuftoppeln, wie Glagau meint. Er nimmt bavon nur ben „miffingfchen“ 
(in einer Miſchſprache von Hoc» und Plattdeutſch) abgefaßten Schwank 
„Abendteuer des Entſpelter Bräfig“ und allenfalls den Artikel „Meine 
Vaterſtadt Stavenhagen“ aus. Durch intereffanten Inhalt und milde Ge- 
flanung ausgezeichnet tft dagegen das Bud „Ut mine Feſtungstid“, und 
anf ber Höhe des Humors fteht das legte Werk: „Ut mine Stromtid“, 
wo auch bie Figur bes Imfpektor Bräfig abgefchloffen ift. Die Eompofi- 
tion freilich ift auch Hier, namentlich im britten Bande, etwas loder, was 
man jedoch dem Humoriften zu verzeihn gewohnt iſt. 

Soweit bewährt fi Otto Glagau durchweg als ein Mann, der zwar 
feine Neigung für den Autor, Über ven er ein Buch fchreibt, in warmer 
Weile zu erkennen giebt und entfchieben befien Partei gegen polemifche 
Angriffe nimmt (fo in dem Streit mit Klaus Groth S. 97 ff.), der fi 
aber doch im Ganzen ein unbefangenes Urtheil bewahrt und überalf ge: 
meigt tft die Spreu von bem Weizen kritiſch zu fonbern. Leider Täßt er 
fi in den Nachträgen von ©. 241 ab, um Fritz Reuter himmelhoch über 
bie gefammte moberne beutfche Literatur zu erheben, verleiten, in ober- 
flächlichſter Weife Aber alle übrigen, und zum Theil bie geachtetften Schrift 
fteller einfeitig abzufpredhen. Bon dem gewählten hohen Stanbpunft aus, 
auf welchem jür ihn „bie deutſche Literatur überhaupt bisher weder ein 
eigentliches Drama noch einen wirklichen Roman aufzuweifen hat,” Tann 
freilich anch Reuter nicht ganz für voll angefehen werben, aber auch nur 
von biefem Stanbpunft aus, denn er kommt bem Ideal des Kritilers ganz 
nahe uub läßt alle übrigen tief unter ſich zurück. Cr allein fchafft Kunft- 
werte, er allein Hat wahren Humor, er allein ift ein Dichter von Gottes 


Glagau, Spaziergänge ac. — Fri Reuter ic. 356 


Gnaden. Außer ihm giebt es in ber deutſchen Literatur feit länger als 
30 Iahren nur noch „Penfionäre (von Fürften, wie bie Mitglieder ber 
„Rlein-Dichter-Bewaßranftalt” zu München, oder von Dichterftiftungen) 
und Fabrifanten”. Bon legterer Gattung werben allenfalls nur drei 
Männer ausgenommen, Auerbach, in deſſen Dichtungen aber „eine fünftliche 
Luft weht, die und ben Athem beengt und das Herz beklemmt,“ Guſtav 
Freitag, deſſen „Wolfen aber größer ift als fein Können, welches an einer 
bürftigen ſchwächlichen Phantafie ſcheitert,“ und Paul Heyſe, „ein ganz 
formelles Talent, ein Miniaturpvetlein”. Auch ihre Werke werben Macus 
latur werben, nur etwas fpäter als bie aller Andern; nur Fritz Nenter 
wird bleiben. Wir gehören gewiß zu ben Verehrern der Reuterſchen Muſe 
und unterfjreiben gern das Lob, das O. Glagau feinen Dichtungen zolit. 
Aber das Gebiet, auf bem er thätig ift, erſcheint uns als ein fo eingefchränft 
felpfiftändiges, daß ein Vergleich mit den Beftrebungen anberer Autoren 
laum zu anbern als ungerechten und unbilligen Schlaßfolgerungen führen 
Tann. Er felbft muß zugeben, daß Alles, was Reuter bisher in hochdeutſcher 
Sprache geſchrieben Hat, äußerſt bärftig ift und mit feinen plattdeutſchen 
Sachen nicht entfernt einen Bergleich aushält, daß er auch höchſt wahr 
ſcheinlich nie zu feiner jeigen Bedeutung gelommen wäre, wenn er feine 
Gedanken von Anfang an hochdeutſch niebergelegt Hätte. Auch muß er zu- 
geben, daß man ben Reuterſchen Urbeiten feinen größeren Schaben zufü- 
gen kann, als wenn man fie ins Hochdeutſche überfegt. Es muß doch 
alfo da irgend ein Mangel vorhanden fein, ber fi nur eben beim Ger 
brauch ber plattveutfchen Sprache nicht bemerflich macht ober gar bort 
tiebenswürbig erſcheint. Denn wenn es auch ganz richtig iſt, bag jede 
Ueberfegung hinter dem Original mehr oder weniger zurücbleibt, fo wird 
doch Keinem bei Vebertragungen aus dem Englifchen, Sranzöftfchen u, |. w. 
die Einbuße fo groß ſcheinen, daß er bavon ganz Abfland zu nehmen ay- 
rathen follte; geht auch manche Eigenheit ber Form und Ausbrudsppife 
nothwenbig verloren, fo bleibt doch der Gedaukengehalt im Wefentlichen un⸗ 
verfehtt. Anch bei Ueberſetzungen aus dem Holländiſchen, Daniſchen u. . m, 
Sprachen, welche ber plattdeutſchen Mundart in vieler Beziehung nahe ſſehn, 
und Berfonen, die fich nur in Kreifen beivegen, in denen hochdeutſch goſprochen 
wird, nicht erheblich ſchwerer verkänblich find als das Reuterfche Platt, dar ⸗ 
23° 


566 rititen und Referate. 


am ſich aber it fo geeigneter für ben Vergleich erweiſen, wird daſſelbe ftatte 
finden. Warum alfo gerabe bei Reuter fo große Verlufte, warum erfcheint 
uns gerabe fein Platt amäfant und fein Hochdeutſch platt oder wenigſtens 
fehr gewöhnlich? Wir möchten antworten, weil fein Ideengehalt nicht groß 
ift, weil er hauptfächlic bie Wirklichteit abſchreibt und weil biefe Wirklichkeit 
leicht roh erfcheint, wenn fie fich in derjenigen Sprache äußert, welche ihre 
Ansbildung in ber Schule der „Nation von Denkern“ erhalten hat, Man 
erinnere fi 3. B. am bie fortwährend wieberlehrenden Schimpfworte, mit 
denen fich in größter Gemüthlichleit bie beften Freunde, Verwandte, Ehe 
gatten u. |. w. belegen. Man lacht darüber, weil man ein getrenes Gon- 
trefey der Wirklichkeit findet und weil ber Kontraft zwifchen jener urwüch⸗ 
figen und unſerer conventionellen Anebrudsweife reizt, aber wenn biefe 
Leute in derſelben Weife hochdeutſch ſprechen follten, würden fie uns un 
ausſtehlich roh oder langweilig erfcheinen. Ein guter Theil der Wirkung 
der Menterfchen Komik befteht in nichts anderem, als in dem Kitel, wel- 
en ftets das Selöftgefühl fuperiorer Bildung erregt, wie wir ja auch im- 
mer wieber herzlich Iachen, wenn wir auf der Bühne in Poflen und ber 
gleichen Perfonen vorgeführt fehn, bie das Mir und Mich verwechfeln oder 
Fremdwörter falfch brauchen, fo billig auch biefes Mittel Heiterkeit zu 
erregen geworben fein mag, ober wenn ein manfchelnder Jude auftritt. 
Man laſſe diefe Leute ordentliches Deutſch ſprechen und fie hören über 
haupt auf komiſch zu fein. Ans bemfelben Grunde erfcheint dem Hoch⸗ 
deutſch · Gebildeten das Platt am fi fon komiſch, am meiften komiſch 
aber, wenn barin etwas gefagt wirb, was fonft nur in hochdeutſcher 
Sprache gefagt zu werben pflegt, weil hier zu dem borhinerwähnten Kon- 
traft ber ſelbſtbewußten fuperioren Bildung gegenüber dem Ungelehrten 
noch der innere Kontraft zwifchen Form und Denkweife oder zwiſchen 
dem Objelt ver Betrachtung und ber Manier bes Betrachtenden hinzu⸗ 
kommt, Wir find weit entfernt zu behanpten, daß die Reuterſche Komil 
nur mit biefen Mitteln ihre Wirkungen zu erzielen fucht, find aber ber 
Anficht, daß gerade bie Theile ber Neuterfchen Dichtungen, in welchen fie 
zur ausgebehnteften Auwendung gebracht find ober in denen es bem Ber 
faffer lediglich auf eine 'ganz realiſtiſche Eharakteriftit der rohen Wirklich“ 
Teit in dem plattdeutſchſprechenden unteren Schichten des Volls anlommt, 


Dr. Rubelph Brohm, Die Taubſtummen. 367 


unübertragbar find, baß bagegen ba, wo ein feinerer und freierer Humor 
obwaltet, die Einbuße bei der Ueberfegung nicht zu groß fein könnte. Wir 
machen aber ebenfo wenig, ald Otto Olagan, von bem Ausfall eines fol- 
Ken Verſuchs den Werth des Dichters abhängig, wir erfennen willig an, 
baß er auf feinem Felde Vorzügliches geleiftet hat, daß er in ber humo⸗ 
riſtiſchen Schilerung deſſen, was er ſelbſt durchlebt und beobachtet Kat, 
groß iſt und daß er wirklich ein bebentenbes Stück deutſchen Vollslebens 
fiterarifch fixirt Hat, aber wir können nicht begreifen, warum deshalb ben 
Männern zu nahe getreten werben muß, bie anf ganz anderem Selbe und 
ohne jebe Concurrenz gearbeitet und fi bemüht Haben in dem verfchieben- 
ften Formen ben Ideengehalt der Zeit auszufprechen und bie in anderen 
Kreifen ber Geſellſchaft herrſchende Bewegung zum Ausdruck zu bringen. 
Daß Reuter als Dramatiter Hinter dem ſchwächlichſten Poflenfabrifanten 
zurücbleibt, Hat feinem Kritiler wenig zu bebenten; bafür ift ihm aber 
3. B. Gutzlow mit feinem „Uriel Acoſta,“ „Zopf und Schwert” u. ſ. w. 
nichts als ein erbärmliher Faiſeur und Paul Hefe ein Miniaturpoetlein 
der Münchener Meindichterbewahranftalt und mit feinem „Hans Lange” in 
der Schule der Birch⸗Pfeiffer. Für Fritz Reuter Hot er nur Lob, wenn 
derſelbe den mellenburgifchen Bauer, wie er leibt und lebt, ſchildert; aber 
Guftao Freytag befommt einen Hieb bafür, daß berfelbe in feinem „Soll 
und Haben“ das Leben und Treiben des deutſchen Bürgerftandes vorführt, 
das Volk bei feiner Arbeit „unter Kaffeefäden und Schaaffellen” anffucht, 
Wir könnten die Beläge leicht vermehren, glauben befien aber überhoben 
zu fein, Geradezu wunderlich macht es ſich, den Verfaſſer mitten in die⸗ 
ſem kritiſchen Blutbade ohne erflärliche Veranlaſſung für einen neupreußi⸗ 
ſchen Staatsmann (S. 274) und für bie Zeitſchrift „Daheim" (S. 301) 
eine Sanze brechen zu ſehen. Es hätte ſich wohl irgendwo fonft eine paſ⸗ 
fendere Stelle dafür gefunden. © 


Die Taubftummen, Luftfpiel in 3 Akten nach einer Erzählung von 
Lenin Schücing von Dr. Rudolph Brohm. Bromberg 1866. 

(42 ©. 8.) 
Diefes, wie es ſcheint, als Manufeript gebrudte, aber uns zur Bes 
ſprechung eingefenbete Vüchelchen zeigt recht bemtlich, daß eine hübſche Er⸗ 


358 Aritilen und Referate. 


zahlung noch lange nicht ohne Weiteres in ein geſchictes Luflfpiel umzu⸗ 
ſchreiben iſt, und daß ein für bie Erzählung intereſſantes Geſpräch noch 
durchaus nicht als Dialog eines Luſtſpiels übernommen werben kann. Die 
Gruubibee iſt gar nicht fo übel und ficher auch für das Drama verwend⸗ 
bar: zwifchen dem Dichter, ven fi) die Phantafie des Lefers aus einem 
Bande gefühlooller Iyrifcher Gebichte conftruirt, und dem Verfaſſer derſel⸗ 
Sen, fomeit er im Alltagsleben, eben wie jeber Andere, Menſch, Bürger, 
"Familienvater u. ſ. w. ift, gähnt eine weite Kluft. Sept man mın einem 
ſolchen Poeten, der ganz gemüthlich und etwas hausbacken fein Leben ge 
nießt, eine Berfon gegenüber, die mit der Erwartung eine durchaus genia- | 
liſche Natur zu finden an ihn herantritt, fo Tann es an einer komiſchen 
Wirkung nicht fehlen. Zu einer ernſtlichen Erprobung berfelben fommt 
es jedoch Hier nicht; denn bie zur Eiferfucht geneigte Fran bes Dichters 
Hellborn, welchem eine unbelannte Enthuftaftin ihren Beſuch ankünbigt, 
fest den Vorſchlag durch, daß ein Neffe, Aſſeſſor Arthur Hellborn bie Dame 
empjange und ſich für dem Dichter ausgebe. Damit gelangt das Luftfpiel 
in die Expofition einer neuen komiſchen Situation, benn Arthur Hat nie 
in feinem Leben einen Vers gemacht und Hält ſich dazu auch gänzlich außer 
Stande, fcheint alfo wenig geeignet zu fein, den Vorausſetzungen feiner 
heimlichen Verehrerin zu genügen. Aber auch diesmal reißt ber Faden 
ab, zleich nachdem er gefnüpft ift; zwifchen ber jungen Dame nämlich, 
welche wirklich anlangt, und dem Brief, welcher auf ihre Ankunft vorbe⸗ 
reitete, ift ungefähr ein ebeuſo großer Unterfchieb, als zwiſchen bem Guts⸗ 
befiger und bem Poeten Hellborn; fie zeigt fich als eim ganz einfaches 
und ziemlich, gewöhnliches Mädchen, bei dem ber excentrifche Schritt, einen 
Dichter zu befuchen, ganz unbegreiflich feheint. Die Sache Härt ſich denn 
and, dahin auf, daß fie in Wirklichkeit nicht die enthuſiaſtiſche Briefftelle- 
rin, fondern beren Nichte ift, bie nun in Arthur zwar nicht einen Dichter, 
aber einen Bräutigam findet. Um Hieraus ein wirlſames Luftfpiel zu 
machen, Hätten die harafteriftiichen Gegenfäge der gegen einander agiren- 
den Perfönlichkeiten viel ſchärfer und einfeitiger ausgeprägt werben müllen, 
als dies für bie Erzählung nöthig war; erft fo wäre bie erforberliche 
Spannung in die Handlung gelommen, bie ‚jet einen viel zu ruhigen 
Verlauf nimmt, weil Teine einzige Situation gehörig und nach allen Sei- 


Alwreubiſcher Berlag. 359 


ten bin ausgenngt werden Tonnte. Der Dichter Hellboru und feine Frau 
treten nämlich fo gut wie ganz ans, weil fie ſich beftimmen laſſen, die 
Taubſtummen zu fpielen. Die Motivtrung biefer Grille ift äußerft ſchwach, 
aber auch die Folgen biefer neuen Knotenſchürzung find ganz unbebentend 
und ohne Intereſſe. Es entſteht Yeine eigentliche Verwickelung barans, 
keine nennbare Berlegenheit, feine Hemmung ober Förderung; bie beiden 
Taubſtummen vermehren eben nur bie Zahl ber Zufchauer um zwei, und 
das ift das Schlimmfte, was Lenten pafftren kann, bie anf dem Perfonen- 
jettel eines Luftfpiels obenan ſtehn umd in ber Grpofition erſte Rollen 
fielen. Den Erzähler genirt dies wenig; feine Lefer nehmen gern auch 
eine Heine harmlofe Epifobe mit. Aber ber Luftfpielvichter, ver fein Stü@ 
auf diefe an ſich ganz unnöthige Zuthat zuſpitzt, kommt bei den gefoppten 
Zuſchauern übel an, die ihren Haupticher; gerade von den Taubſtummen 
erwarten. Iſt Hier ein Fehler in ber Unlage, fo läßt auch die Ansfüh- 
rung auf Mangel an Bühnentenntniß jchließen; der Dialog iſt viel zu 
breit, viel zu gemächlich, nicht concentrirt genug. Der Rothftift des Re⸗ 
giffeurs würde furchtbare Breſchen einreigen müffen, wenn das Publikum 
Geduld behalten follte das Ende abzuwarten. Wahrſcheinlich würbe ver 
Berfafjer ſelbſt der erfte fein, der und Necht gäbe, wenn er fein Stikd, fo 
wie es jegt if, aufführen fehn möchte, und vom Standpunkt der Bühne 
aus haben wir es vornehmlich einer Prüfung unterzogen. Daß es fich 
fiellenweife ganz gut lief, Tann ſonach nur für ein bebingtes Lob gelten. 
[0] 


Altpreußifcher Verlag. 

Scherz und Ernſt für Schwefternfefte Klänge aus ber Loge 
Auguſta zur Unfterblichkeit in Pr, Stargard. Bon 2. Kubls, 
Verfaſſer von „Luft und Leid,” Pr. Stargard. Verlag 
von F. Rienig. 1865. (VIII u. 108 ©, 8.) 

Eine Heine Sammlung von Liebern und dramatiſchen Scenen, welche 
in den Geſellſchaften, die der Dichter vor Angen hatte, ihren Zwed „ben 
Sähwefternfeften, welche in ben Logen gefeiert werben, ein maurerifches Ger 
päge zu geben unb fie dadurch vor gewöhnlichen Bergnügungen auezus 


360 Arititen und Referate, 


zeichnen,” erreicht Haben. Ein Gelegenheitsgedicht erreicht ſehr leicht feinen 
Zwed, von dem Kreife, für welchen es unter inbivibuellen Vorausfegun 
gen gebichtet warb, in dem voransgefegten Momente beifällig aufgenom⸗ 
men zu werben. Anders fleht es datum, wenn eim ſolches Gedicht vor 
das große Publicum tritt, dem alle jene individuellen Vorausfegungen ſeh⸗ 
len und welches nur den objectiven Werth des Gedichts beurtheilen Tann, 
Da fällt das Kleid der günftigen Gelegenheit ab, und ber Lefer fieht um 
— regelrechte Verfe in ihrer Nadtheit. Auch bie von Herrn Rupie mitge · 
theilten Lieber ſcheinen uns, fo gut fie gemeint find, für bie Verbreitung in 
fremden Kreifen nicht bedeutend genug. Indeß tritt das Büchelchen fo 
harm⸗ und anſpruchlos auf, daß es bie Kritik in keiner Weiſe herausfor⸗ 
dert; fo möge fie denn ſchweigen. Im bes Verfſaſſers „Luft und Leid“ 
(Königsberg 1865) Haben wir Gediegeneres gefunden. N. 


Alterthumsgeſellſchaft Pruffie. 
Gol. I, 273.) \ 

25. Mai. Die Geſellſchaft beklagt den Tod eines fehr werthen Mitglie 
des und zugleich eines ihrer Stifter, deſſen veger Teilnahme fie bis zum 
letzten Augenblide ſich zu erfreuen hatte, bes Hrn. Regierungs- und Stabt- 
rathes Bartiſius ( 9. Mai). — Als neue (auswärtige) Mitglieder 
werben proclamiert: die Herren Pfarrer Brezoska in Neuhof (Kreifes 
Lögen) und Rittergutsbef. Balduhn auf Krzywen (bei Neuhof). Beide 
Herren haben eine Sammlung Mafurifeher Alterthümer in Ausſicht ge 
ftellt, mit der Bedingung, daß diefelbe unter den Beſitzthümern der Pruffia 
gefondert aufgeftellt werde. Die Gefellihajt nimmt biefe Bedingung 
gern an und beftimmt zur Bewahrung ber künftigen Maſuriſchen Alter: 
thümer den alten Wandſchrank der Herzogin Anna Marie (Mehr. III, 78). 
— An Gefchenken find eingegangen: von Hrn. Nittergutebef. Stellter 
auf Gr. Mifhen (bei Königsberg) Fundſtücke aus einem Grabe auf ber 
Feldmark feines Gutes, beftehend in zwei Schmudgegenftänden aus Bronce. 
Das aufgebedte Grab war mit einem künftlich ausgehöhlten Steine belegt, 
welchen ber freundliche Geber nachzuliefern verfprochen hat. Werner hat 
Hr. von Kurowsky auf Trudien (Rr. Lügen) eine in feinem Ader ge 


Königl. Deutſche Geſellſchaft zu Kdnigsberg. (Nekrolog.) 361 


fmmbene Silber ⸗Münze des Herz. Albrecht d. a. 1545 geſcheukt. Die Vor- 
derfeite der Münze trägt das Bildniß bes Herzogs mit der Umfchrift 
IVSTVS * EX * FIDE * VIVIT * 1545; bie Kehrſeite hat den Ad⸗ 
fer mit ber Legende ALBERI[tus] * Dfei] * Gfratia] * MAR[chio] * 
BRAN[denburgensis] * DVX * PRVSSf[iae]. Genau die gleiche Münze, 
nur mit ber Jahreszahl 1543, ift abgebilbet bei Hartknoch Alt. u. Nenes 
Preußen, Munzentafel zu II, cap. 6. — Als Nachtrag zu der früher vor» 
gelegten Sammlung Kantiicher Porträts (Mtefchr. III, 273) zeigt Hr. 
Gutsbeſ. Minden ans feinem Befige ein nach Vernet geftochenes Por» 
trät Kante. Derfelbe verlieft ans den „Denkwürdigkeiten des Domherrn 
Grafen von W.“ (Leipzig 1864 ©. 27 ff., 2te Aufl. 1866) eine Stelle über 
Königsberger Zuftände im 3.1805. Das anonyme Werk hat den unlängft 
verftorbenen Neigebaur zum Verfafler und enthält deſſen eigne Memoiren 
im Gewande der Satire anf den Abel, die gerabe an ber in Rebe ſtehen⸗ 
ben Stelle befonbers greifbar hervortritt (of. „Uniere Zeit" N. Folge 
II, 625.). — Hr. Dr. Lohmeher macht Mittheilungen aus einem ches 
miſch⸗ antiquariſchen Auffag von Dr. Ferd. Wibel in Hamburg „die Cul⸗ 
tar ber BronzerZeit Nord» nnd Mittel-Entopas” (abgebrudt in dem 26ften 
Bericht der Schl. Holft. Lauenb. Geſellſch. Kiel 1865). S-n. 


Königl. Deutſche Geſellſchaft zu Königsberg. 
Netrolog. 
Auswärtige Mitglieder: 

1. Dr. Georg Bärſch, geb. 1780, während bes Krieges 1806/7 
in Königeberg Officier, dann bei Hiefigen Behörden befchäftigt und eifri- 
ges Mitglied des hier geftifteten Tugendbundes, über welchen er fpäterhin 
auch intereffante Mittheilungen gegeben hat. In bem Befreiungskriege 
1213 bis 1815 lebhaft als Mitkämpfer betheiligt, wurbe er nach bem 
drieden Laudrath in der Rheinprovinz, verwaltete biefes Amt in mehre 
ten Rreifen über 30 Jahre, bis er vor einigen Jahren als Geheimer Re 
gierungsrath in ben ehrenvollen Ruheſtand gefegt wurde und feinen Wohn- 
ft in Coblenz nahm, wo er am 11. Januar 1866 verſtarb. Als Fort 


362 Kritilen und Referate. 


feger ver Eifelia illustrata hat er fich einen ehrenvollen Namen unter ven 
Forſchern der Rheiniſchen Gefchichte erworben. — Es mag hier noch, zu 
gleich im Intereſſe unferer Provinzial-Literatur, bemerkt werben, daß 

G. Bärſch in den Jahren 1808 und 1809 Hier eine Wochenschrift herans- 
gab u. d. X: „Der Volksfreund, eine Wochenfchrift zur Erholung, 
Belehrung und Verbefferung des Zuftandes des Volles, für bas Belt 
und für diejenigen, denen fein Wohl aufrichtig am Herzen Liegt.” Cie 
erſchien jeden Sonnabend 1 Bogen 4. in ber Degenfchen Buchbruderei; 
die meiften Artikel hat Bärſch felbft gewöhnlich unter ver Chiffre B. ge 
Kiefert; genannte und ungenannte Mitarbeiter waren außer hieſigen Ge— 
lehrten, wie 8. v. Baczko, Prof. Hoffmann zc. auch General v. Gneifenau, 
Major v. Boyen und Minifter v. Schrötter. 

2. Dr. 305. Dan, Ferd. Neigebaur (eigentlich Neugebauer) 
geb. 24. Suni 1783 zu Dittmannsborf bei Frankenſtein (Schlefien) im 
evangelifchen Pfarrhauſe; ftubirte zu Königsberg zuerft Theologie, dann 
Surisprubenz; Aſſeſſor bei den Obergerichten zu Breslau und Marien 
werber; 1813 Hauptmann im Lütorfchen Freicorps, verwundet im Ger 
fechte bei Lauenburg und Triegsgefangen nach Limoges gebracht, wo er 
die dortige Afabemie befuchte. („Briefe eines preußifchen Officiers während 
feiner Kriegsgefangenfchaft in Frankreich in den Jahren 1813 und 1814“ 
Köln 1816—18. 2 DBbe,, feine erfte (anonyme) Schrift); 1815 Preuß 
ſcher Präfect in Luremburg; 1816 Oberlandesgerichtsrath in Cleve; 1820 
besgl. in Hamm; 1822 in Münfter und 1826 in Breslau; 1821 Dr. 
Philos. honoris causa von ber philof. Facultät zu Königeberg und Mit- 
glied der Deutichen Gefellihaft; 1832 Oberlandesgerichts- Direct:r in 
Branffurt a. d. O. und 1835 bis 1841 in berfelben Stellung zu Brom 
berg, wo er feinen Abfchieb nahm; 1842 bis 1845 Preuß. General-Eon- 
ful in Buchareſt und feit diefer Zeit viel in Italien und zulegt in Bres⸗ 
lau. — Sehr fruchtbarer (meiftens pfenbonymer) Schriftfteller auf dem 
Gebiete der Rechtswiſſenſchaft, ver Politik und des Staatsrechts, der Gen 
graphie und Reiſehaudbücher; Verichterftatter über Italienifche Literatur 
in ben Heidelberger Jahrbüchern, in den Blättern für literarifche Unter- 
haltung, in Hilbebranbs Jahrbüchern für Nationaldfonomie und Statiftik; 
leichter Eompilator, aber gerade und offen feine Meinung gegen Jeder ⸗ 


Konigl. Deutiche Geſellſchaft zu Königsberg. (Nekrolog.) 363 


mann ausſprechend. Er farb den 22. März 1866 zu Breslau. Bon fei- 
nen mehr als 100 größeren und Hleineren Schriften — bie fehr vielen 
vereinzelten journaliftifchen Auffäge nicht mitgerechnet — führen wir nur 
eine feiner legten an: „Denkwärbigkeiten des Domberrn Grafen von 
Vlengerfli?), vom Beginn ver erften franzöfiichen Revolution bie zur 
neueften Zeit” (Leipzig 1864; 2. Aufl, 1866); „fie enthalten feine eige- 
nen Memoiren, aber im Gewande der Satire auf ben Adel. Er macht 
es dem Publitum leicht, den Wolf im Echafpelz zu unterfcheiden.” (ſ. 
„Unfere Zeit" 2. Jahrg. 1866. 8. Hft. ©. 622—626. Illuſtr. Ztg. Petz- 
holdts’s N. Anzeiger 1866. Hft.5. ©. 1685.) 

3. Profeſſor Dr. Friedr. Wilh. Genthe, Oberlehrer am Gym⸗ 
nafium zu Eisleben, hochgeſchätzt durch feine Arbeiten in der neueren 
Literatur; feit 20 Jahren Mitglied der Deutſchen Geſellſchaft; ftarb 
19. Sprit 1866. 

Heimifdes Mitglied. 

4. Carl Bartifins, geb. zu Königsberg 1797, vereinigte in reicher 
Thätigfeit feine ausgebreiteten Senntniffe in ber ſchönen Fiteratur mit der 
angeftrengten Pflichterfüllung feines amtlichen Berufs als Regierungsrath 
bei der biefigen Megierung unb fpäter bei dem Magiftrate, bie ein hartes 
törperfiches Leiden ſchon vor Jahren feinen Rücdtritt aus dem öffentlichen 
Reben verlangte, Um die Deutſche Gejellihaft hat er fi mehr ale 
20 Jahre als Kaſſenverwalter verdient gemacht. Er ſtarb 9. Mai 1866 
im Königsberg. 8. 


Blittheilungen und Anhang. 





Gründung einer Mufitalien-Bibliothek für die Provinz 
Preußen. 


Als die Muſilaliſche Akademie zu Königsberg fih genöthigt gefehen 
hatte, dem Beifpiele der Berliner Sing-Afademie zu folgen und ihren 
Notenſchatz dem Gebrauche anderer Singvereine ber Provinz zu verſchlie⸗ 
Ben, verfiegte für dieſe legtern eine Hauptquelle, aus welcher fie die zu 
ihren Uebungen und Aufführungen nöthigen Muſilalien leihweife bezogen 
hatten. Ans eigenen Mitteln aber allen ihren Bedarf ſich anzufchaffen, 
find folche Heine Vereine bei ber meiftens nicht großen Zahl ihrer Mit- 
glieder und ber beſchränkten Höhe ber von denſelben zu zahlenden Beir 
träge felbft dann nicht recht im Stande, wenn, wie gewöhnlich, ihr Leiter 
ein Gehalt nicht bezieht. Es erſchien alfo im Interefie der Pflege des ge- 
mifchten Gefanges, ber in ber legten Zeit durch den Männergefang nur 
zu fehr zurücdgebrängt wirb*), geboten, hier anbermeitige Hülfe zu fchaffen. 
Der Unterzeichnete fchrieb daher ſchon vor mehreren Jahren an felde 
Bereinsvorfteher, die fih gegen ihn als den Obervorfteher der Mufifali- 
ſchen Akademie über ben Beſchluß der legtern beffagten und benfelben rüd- 
gängig zu machen baten, daß biefes aus Gründen ber Konfervirung ihrer 
eigenen Notenfommlung nicht möglich, daß aber durch vereinte Kräfte, 
wie überall, jo auch hier, ben Heinen Vereinen gelingen werke, was ben 
einzelnen unmöglich’ fei, und flellte ven Plan auf, auf folhe Weife eine 


*) Das Verſchwinden gemifchter Gelangvereine in mehreren Provinzialftädten, 
die jept nur Männergefangvereine enthalten, beweiſt dieſes zur Genüge, 


| 
j 


Gründung einer Muſilalien⸗Vibliothel für die Provinz Preußen. 366 


allen zu diefem Zwed zufammentretenden Vereinen gemein. 
ſchaftlich gehörige Bibliothek zu gründen. Dies geihah ſchon 
geraume Zeit dor dem auf Veranftaltung der Mufilalifchen Alademie zu 
Pingften 1863 in Königsberg Statt findenden Mufiffefte. Bet diefem ſoll⸗ 
tem nach ber Abſicht bes Unterzeichneten die Vorfteher der zu bemfelben 
zuſammen kommenden Vereine bie Angelegenheit gemeinfam befprechen und 
bie nöthigen Beichläffe fallen; zu welchem Ende er allen den gedachten 
Plan in allgemeinen Umriffen fchriftlich mittheilte. Aber die Proben und 
Aufführungen des Feſtes nahmen die kurze Zeit bes Beifammenfeins fo 
ſehr in Anſpruch, daß eine Berathung über den in Rede ftehenden Gegen- 
and nicht zu Stande kam. Es blieb alfo nichts übrig, als denfelben in 
brieflichen und gelegentlich aud mündlichen Beſprechungen mit einzelnen 
u fördern, Diefes gelang in der Weife, daß diejenigen Vereinsvorſteher, 
melde zu dem Muſilfeſte des Jahres 1865 ſich mit der Muſikaliſchen Ala- 
demie vereinigt hatten, fo weit ihre Erklärung nicht ſchon früher erfolgt 
war, bei diefer Gelegenheit ihre Zuftimmung zu dem Plane und ihren 
Beitritt zu dem zu gründenden Verbande nach ben von dem Unterzeichne- 
ten anfgeftellten Grundſätzen erklärten. Das geſchah, außer der Muſilali⸗ 
ſchen Akademie, namentlich) Seitens der Vertreter von Gefangvereimen in 
Thorn”), Elbing, Pillau, Wehlau, Mohrungen und Raften- 
burg. — Die angebenteten Grundzüge aber find folgende: 

1) € wird eine Preußifhe Provinzial-Mufit-Bihliothet 
and zwar in Königsberg begründet. 

2) Diefelbe iſt gemeinfchaftliches Eigenthum ver zu biefem Zweck zu- 
fammentretenden gemifchten Gefangvereine ber Provinz. 

3) Jeder biefer Vereine ernennt einen in Königsberg dauernd befinb- 
lien bevollmächtigten Repräfentanten; biefe Repräfentanten Teiten gemein 
ſchaftlich alfe die Bibliothek betreffenden Angelegenheiten. Namentlich er⸗ 
wählen fie einen Vorfigenben, ſowie bie etwa fonft erforberlichen Beamten, 

*) Es verdient rühınend angemerkt zu werben, dab Thorn bei diefer Mufile 
angelegenbeit einen hervorragenden Eifer an den Tag gelegt hat. Auch wurde von dort 
don vor längerer Zeit ein bierauf bezügliher ausführlich detaillirter „Borfhlag“ für 
die Altpr, Mtöfchr. eingefandt, der nur deshalb nicht zum Abdrud gelommen ift, weil 


keregter Gegenftand, wie unfer geehrte Mitarbeiter oben auseinanderfept, bereits debat« 
fit und faft ſpruchteif geworben war. D. 5. 


366 Mütheilungen und Anhang. 


4) Bon ihnen werben ben Bebürfnifien und Wünfchen ver von ihnen 
vertretenen Vereine entfprechende Vorfchläge zur Anſchaffung von Mufila- 
lien dem Borfigenden eingereicht und die Aufchaffung in vom bem Vor⸗ 
figenden hiezu berufenen Verſammlungen ſämmtlicher Repräfentanten nad) 
dem Ergebniß der Abſtimmung befchloffen ober abgelehnt. 

5) Die Beitragszahlung ber Vereine geſchieht nicht zu gleichen Thei⸗ 
len, ſoudern durch Repartition nad) Verhältniß ihrer Größe, zu welden 
Zwede jeder Berein eine Normal-Mitglieverzahl und bemgemäß eine Ror- 
malzahl der für ihn erforberlichen Singftimmmen aufzuftellen hat. 

6) Rüdfichtlih der Dedung der Koften der Noten-Anfhaffung werben 
bie Vereine in zwei Klaſſen getheilt: 

a) ſolche, welche Aufführungen mit Orchefterbegleitung veranftalten, 
b) folche, welche ohne dieſelbe (nur mit Klaviere ober Orgelbe⸗ 
gleitung). 
Sämmtlihe Vereine tragen gemäß der nach No. 5 anzuftellenden Berech-⸗ 
nung bie Koften für Klavier-Auszäge und Singflimmen; bie Koften für 
die Partituren und Orcheſterſtimmen nur bie unter a) angeführten Vereine 
au gleichen Theilen. 

7) Die Anfchaffung der Stimmen muß dem Bedürfniß des größeften 
der Theil nehmenden Vereine eutfprechen. 

8) Die Benugung der Mufilalien wird durch ein befonderes Regu⸗ 
lativ beſtimmt. 

Dieſes die Hauptzüge. Alles übrige wird der Beſchlußfaſſung der 
Repräfentanten-Verfommlung vorbehalten, 

Ob bei der Gründung ber Bibliothel, oder andy fpäter, Muſilalien 
ſers ale Geſchenke, ſei's uuter Anrechnung ihres durch Abfchägung zu er- 
mittelnden Werthes auf zu leiftende Beiträge anzunehmen, bürfte haupt ⸗ 
fachlich davon abhängig zu machen fein, ob fie hiezu nach Inhalt und Form 
geeignet erſcheinen. Schließlich wärbe auch hierüber die Enticheibung von 
ber Repräfentanten-Berfammlung zu treffen fein. — 

Als befonbere Vorteile einer folchen gemeinfamen Bibliothek mag 
noch zweierlei Erwähnung finden. Erſtens nämlich bleiben auf dieſe Weiſe 
die Heinen Vereine vor einem Uebelftande bewahrt, von dem mancher der⸗ 
ſelben eingeftandener Maßen früher nicht felten betroffen wurde, nämlich 


— 


Gotthilf Loſchin s Jubiläum. 367 


Eachen zu üben oder gar ſich anzuſchaffen, bie deſſen nicht werth waren. 
Zweitens dürfte eine ſolche gemeinfame Bibliothek ben Weg zu ven Pros 
vinzial⸗Muſikfeſten ſehr erheblich ebnen. — 

Nach der Veröffentlichung vorſtehender Darlegung wird ber Unter- 
zeichnete die oben genannten Vereine einladen, Repräſentanten zunächſt für 
eine Tonftitutrende Berathung und förmliche Gründung des Bibliothel- 
Verbandes zu ernennen. 

Königsberg, den 13. Juni 1866, 

Dr. Fr. Bander, 
Obervorfteher der Muſilaliſchen Akademie, 


Gotthilf Loͤſchin's Jubilaum. 


Selten hat das Amtéjubiläum eines einfachen Schulmannes bie 
Aufmerffamfeit fo weiter reife in Anfpruc genommen, als das am 
5. December 1865 gefeierte des würbigen Direltors ber St. Johannes- 
ſchule zu Danzig, Dr. Gotthilf Löſchin. Die Beſchreibung ber erheben- 
den und von ber allgemeinen Achtung, in welcher ber Iubilar fteht, ehren⸗ 
des Zeugniß gebenden Yeierlichteit mit beim Neben ber Vorgefegten, Freunde, 
Collegen und Schüler des Iubelgreifes und deſſen von feltener Friſche und 
Rebenbigfeit des Geiftes biktirten Antworten füllt ein ftattliches Quartheft 
don 21 Seiten unter dem Titel „Blätter der Erinnerung an das funfzig- 
jährige Amtsjubilium des Herrn Director Dr. Gotthilf Löſchin in Danzig.” 
Die Realſchule zu St. Johann wibmete ihrem Director ein eigenes Pro- 
gramm; es enthält ein lateiniſches Carmen von Dr. Brandt. (Der zehnte 
Herameter ift in: Ergo genus triplex conjungitur ordine multo abzu- 
ändern) unb ein hebräifdes von Hardt; Dr. Bauten ſchrieb, Bezug neh 
mend auf die Bemühungen Löſchins für die Gefchichte Danzigs und im 
Anſchluß am eigene Arbeiten über venfelben Gegenftanb, eine höchſt interefe 
fante Abhandlung „Beiträge zur hanſeatiſch-⸗engliſchen Handelsgeſchichte. M,“ 
worin er überall auf genaueſtes Quellenſtudium fußend zunächft einen Ueber- 
bit über die Beziehungen ber deutſchen Hanfa zu England im 14. und 
15. Jahrhundert giebt und bann bie Gtreitigleiten ausführlicher behandelt, 
bie bei dem erwachenden eigenen inbuftriellen Leben in England gegen bie 


368 Mittheitungen und Anhang. 


Mitte des 16. Sahrhumberts Hin zwiſchen dem Stahlhof (dem Comtor ber 
Hanfa in London) und ber City und in Folge deſſen zwiſchen dem Hanfı- 
bunde und dr englifchen Regierung entftanden und mit dem Berluſt ber 
Privilegien des deutſchen Handels endigen mußten, da die Forberumgen ber 
Hanfa dem nationalen Bedürfniß Englands wiverfprechen und nicht mehr 
wie früher mit den Waffen in der Hand behauptet werben fonnten. wer 
Diacon zu St, Johann, Dr. Schnaaſe, widmete dem Subilar eine eigene 
Schrift: „Johann Placotomus und fein Einfluß auf die Schule in Danzig," 
über welche biefe Zeitſchrift demnächſt ausführlich berichten wird. Dieſen 
werthvollen Gaben ſchließt fih aufs Würdigſte ein Schriften an: „Aus 
dem Leben eines Amts-Jubilares. Danzig. Webeliche Hofbuchdruderei“ befien 
Verfaffer der Yubilar ſelbſt ift, der Hierin nicht nur feinen vielen Freunden 
und Schäfern eine Mittheilung Über feine Erlebniſſe Hinterläßt, ſondern and, 
was nicht mindern Dank verbient, aus eigener Anſchauung ein lebhaftes 
Bild der Schulverhäftnifje feiner Vaterftant Panzig am Ende des vorigen 
und Anfang bes jegigen Jahrhunderts enirolit, das bleibenden Werth Hat. 
Wir geben daraus einige Notizen: Gotthilf Löſchin wurde am 24. Te 
bruar 1790 zu Danzig geboren. Sein Vater war ein wenig bemittelter 
Borbingrheber, der meift außer dem Haufe beicäftigt war, und bie Erzie: 
Hung ber Kinder der Mutter überlafien mußte. In feinem ſechſten Jahre 
trat er in eine Warteſchule ein, in der bie Kleinen die ſchwere Aufgabe zu 
töfen Hatten, tobtftille auf ihren Stühlchen zu boden und mit ber fürditer- 
lichſten Langweile zu kämpfen, ba fie nur einmal Bor- und Nachmittags 
an das Pult ber „Mamfell* gerufen wurden, um ihr 4. B. C. aufzu⸗ 
fagen. Eine wahre Erfrifhung war's, wenn „Mabame,“ die erfte Lehrerin 
ſich herbeiließ, die Gedichte der Entführung des Königs Stanislaus Au: 
guſtus (1771) zu erzähfen, die ihr irgentwo näher befannt geworben fein 
mochte, Acht Jahre alt kam er in bie St. Marienſchule, welche fünf 
Klaſſen Hatte, von denen jebe einzeln eigentlich eine Schulanftalt für ſich 
bilvete, da fie einen befondern Lehrer Hatte, welcher ſelbſtändig Schüler 
aufnahm und entlieh. Im ber Tertin wurbe durch den freundlichen Leh ⸗ 
er Hoffmann feine Aufmerkſamkeit auf bie deutſche Poefie rege gemacht, 
indem berfelbe ein Gedicht von Haller vorteng. Auch führte ihn der ge: 
wöhnliche Beſuch der mit Hiftoriichen Denkmälern fo reich gefhmüdten 


Gotthäf Afchin’s Jubilaum. 369 


Marienlirche in den Schulpaufen zuerſt auf geſchichtliche Stubien über bie 
Danziger Vorzeit. Die offene Feindſeligkeit zwiſchen dem Lehrer ver Se⸗ 
cunda und bem Rektor veranlafte ven erfieren feine Schüler dem letzteren 
zum Tort nad) ber Prima der St. Petriſchule zu fpebixen, und fo machte 
Loſchin dieſe durch. Nach der Beftimmung feines Vaters follte er num 
bei einem Kaufmann in bie Lehre treten; da er jedoch feine Neigung zum 
dandelsſtande hatte, fegte er es mit Hilfe feiner Mutter durch, daß er 
1805 in das Danziger alademiſche Gymnaſium gebracht wurde, um dort 
für ven Gelehrtenftand vorgebildet zu werben. Dieſes Gymnaſium, 1668 
in der Abſicht geftiftet, den damals noch mit großen Schwierigleiten ver» 
bundenen Univerfitätobeſuch allenfalls entbehrlich zu machen, Hatte unge 
fähr die Einrichtung einer Hochſchule erhalten und behauptete dieſelbe noch 
jegt unter fo ganz veränderten Umfländen. Es hatte nominell für jede 
der vier Fakultäten einen Profefior und daneben auch Lehrämter für Na⸗ 
turwiſſenſchaft, Mathematit, Beredſamleit und Poeſie, griechifche und orien» 
taliſche Literatur, Doch waren bie Privatſtudien mit gleichgefinuten Freun ⸗ 
ben das befte Mittel zur Weiterbildung. Die Scholaren hatten Freiwoh⸗ 
mung in ben Mönchszellen des alten Sranzisfanerllofters, trugen große 
Klapphlite mit Federn, ſchwarze oder weiße ſeidene Strümpfe, auf Prima 
fogar einen Stahlvegen, und kalendirten zu Weihnachten in fämmtlichen 
Hänfern umher. Schon als Gymnafiaft hielt Löſchin, der Theologie fin 
birte, feine erfte Predigt in der Kapelle zu Grebin. Nach ber Einnahme 
ber Stadt durch die Franzoſen kam fein Vater in argen Bermögensverfall, 
ſodaß fein Sohn 1809 nur in fehr kümmerlichen Verhältniſſen die Unis 
verfität Kiel beziehn Konnte. Er lebte Hier längere Zeit buchftäblich von 
Brod und Wafler und Tämpfte in Folge biefer ungenügenden Nahrung 
wit fortwährendem Fieber. Gnpli brachten gute Menfchen eine Unter 
fügnng von 100 Thlr. für ih auf, welche ihn in ben Stand fette nach 
Halle überzuſiedeln. Dort beſſerten ſich feine Verhältniſſe, indem einige 
Danziger Stipendien fläffig geworden waren und Prof. Hensler ihn ale 
Amannenfis zn fi nahm, Nach abfolvirten Studien kehrte er über Berlin 
nach Danzig zuräd und ertheilte hier mit beſtem Erfolg Privatunterricht, 
bis ihn ber Kaufmann Uphagen als Hauslehrer feiner Kinder nach Ber- 
in,.wo ex fleißig das Thenter Betußıe, das ihm ſchon fekh crohes Bar 


URyı. Moustöfärift Bb. TIL dn · 


870 Mittgeliiungen und Anhang. 


guügen bereitete, und bemmächft nach feinem neten Wohnſitz Elbing mit 
nahm, Zum Oberlehrer an bie St. Barbaraſchule nad) feiner Vaterſtadt 
Danzig berufen, machte er 1815 die Prüfung für das Höhere Echutemt 
und hetrathete Luife Angufte Müller, mit ber er noch im gladlichſter Ehe 
derheitathet iſt. Er betrieb mm auch eifrig Schriftſtellerei, gab ein Wochen⸗ 
blatt „Webane, Uutethaltungsblatt fiir die gebildeten Stänbe Dauzige“ 
herand, das aber wegen Margel — nicht an Abonnenten — ſondern an 
Mitarbeitern nad) dem zweiten Jahrgange aufgegeben werben mußte, uab 
ebirte dann 1822 und 1828 nach fünffährigen eifrigen Quellenſtudien feine 
Geſchichte Danzigs“ ta 2 Bänden. Außerdem ſchrieb er Erbaunngeſchrij- 
ten fowie regelmäßige Jahresberichte und hielt Vorleſungen. Die Umiver- 
ſitat Marburg ertheilte ihm bie Doltorwärbe, woranf er 1824 Direltor 
ber erweiterten und weſentlich reformirten St. Iohannesfjufe wurde, in 
welchem Amte er aufs Gegensreichfle wirkte. Im Ganzen berechnet er 
die Zahl feiner Schüler anf 6027. Er war 34 Sahre lang auch Gtabt 
bibliorhekat und ift feit 1888 Mitglied ver ſtadtiſchen Schuldeputation. 
Er ſelbſt Hat während feines thähigen Lebens eine reiche und in feltener 
Weife volſſtundige Bibliothel für deutſche Nationalliteratur zufammenge 
Werft und dieſelbe ieſtamentariſch der St. Johanuesſchule beſtimmt, aber 
andy Bedacht darauf genommen, daß dieſelbe von Literarhiſtorikern zu ger 
lehrten Arbeiten benutzt werben Tann. An feinem Oubiläumstage wurde 
At vie Freube zu Theil, daß feine Schüler ihm eine beträchtliche Summe zu 
einer beliebigen Stiftung übergaben. Er wendete biefelbe ber ihm meit Recht 
fo theitern Bibliothek zu und Hat dadurch für deren zwedmaßige Erhaltung, 
Bervolftäinbigung und Erweiterung gefergt. Noch in fpäteften Zeitem wird 
man ihm dankbar file diefes geiflige Vermächtniß fein, von dem nun fein 
Neme unjertrenulich iſt. Möge er fich noch lange der Erfolge feiner humanen 
Veltrebungen erfrenn! © 
Dandſchriftliche Bunde aus Königsberg. 
(Ref. m, 278.) 
9 Onehen pic Sihiekfiren, Wolnifihen, Preuhiäten. Geſchichte. 


Mit: beſonderer Freube nehmen wir bavon Kemmtitig, daf num auch 
in dem großen Natlonakwerke der Pertz ſchen Mohnmenta Giermanine 


Sanpferiftige Funde aus Abnigäberg. am 


Rönigöberger Haudſchriften benugt worden find. Der unlängf erfchieneng 
19te Band der Scriptores (Hannoverae 1866) enthält unter Anderen 
Schleſiſche, Bolnifhe und Preußiſche Annalen, mit deren Herane- 
gabe uufer Landsmann Dr. phil. Wilhelm Arndt (aus Kulm) betrant 
worden if. Bür dieſe Annalen haben vier unferer hiefigen HH., 2 ter 
Königl. Bibliothek (unten No. I m. 4) und 2 bes Provinzial 
Archives (Ro.2 u. 3 B), werthvolle Ausbente ergeben. 

1) Zunächſt werben (p. 552 f.) aus dem Gober 1150 Per Königl. 
Bibl. Annales Silesiae superioris mitgetheilt, welche auf der letz⸗ 
sen Seite Ausgangs bes. 1dten Jahrh. geichrieben find, Sie begreifen in 
geringer Zahl kurze Aufzeichuungen aus ben Iahren 1071 bis 1290. —. 
Der Coder ift derſelbe, welcher durch die interefiante Epitome iuris 
eivilis „Exactis a romane cinitate regibus“ (Steffenhagen Cata- 
log. No. XXXV), dur ein anderes juriſtiſches Gloſſarium (Mu- 
ther Sahrkuch des gem. deutſch. N, II, 96 N. 94), beſonders aber durch 
die von Giefebrecht entvedte „Königsberger Weltgronil" (cf 
BWaig Ueber eine ſächſ. Kaiſerchronik Göttingen 1868 ©. 11-ff.) bereite im 
weiteren Kreifen belonnt war. 

2) Der Coder B.28 des Prov. Archives (bekannt durch bie eben 
ſetzung ‚der Ehronit Wigand’s von Marburg) biete auf ben drei leh⸗ 
ten Blättern Annales Polonorum, um 1466 gefchrieben, welche nad 
dieſem Coder (ef. p. 610 u. 609) und anderen Hilfsmitteln in vier ein 
mber verwandten Formen abgebindt find (p. 612 ff). Die Form unfe 
res Coder iſt hier ala die zwei te bezeichnet, ohue daß jeboc über bie 
Priorität der einzelnen Formen eine fihere Beftimmung gegeben wer⸗ 
den kounte. 

3) Unter ver Bezeichnung Annales Prussici breves werden zwei 
So-men berfelben mitgetheilt (p. 693 ff.): A) eine ansführliere Form 
nad einem Manuſtript des Wiener Deutichorbens-Archives ans bem 16ten 
dahrh. (auch abgebrudt von Strehlte Scriptores rerum Prussicarum 
UL I ff)9); B) auf Grund eines zweiten Gobex des hieſigen Provinziak 
Arhives, Ber XIV No. 612, die fogen. Annales P.elplinenses (der 


*) Ueber viefen Band unferer Scriptores foll im nächften Hefte berichtet werden. 
2° 


sn Mittheilungen unb Anhang. 


zeits zweimal Heransgegeben von Töppen Scriptores rer. Pruse. I, 270 
und ®oigt Codex Diplom. Prussicus VI, 1). 

4) Exndlich folgen Canonici Sambiensis Annales (p. 696 ff) 
nad) der aus zwei verfchiebenen Codices (sec. XIV exeuntis) zuſammen-⸗ 
gebundenen Handſchrift No. 1119 der Königl. Bibl. Diefelben nehmen 
in dem zweiten Eobex die letzte Stelle ein, find ſchon von Täppen zwei 
mal und werben hier aufs Nene in berichtigtem Abbrud herausgegeben. — 

Beilänfig mag noch bemerkt werden, daß Dr. Arnbt (p. 691 fi.) 
unfere provinzielle Geſchichtſchreibung aus einer nicht Vreußiſchen 9. 
durch Annales terrae Prussicae, 1029...1450, bereidjert hat; unter 
Benugung ber Annales Franciscani Thorunensis, welde Strehlfe 
(8S. rerum Prussic. III, 57 ff.) hat im Druce erſcheinen laffen. 

10. Iohann a Fasıs. 

Ein Nieberländer, Dr. theol. U Quyper, hat es unternommen, bie 
Berle, gebrudte wie ungebrudte, des bekannten Volniſchen Reformators 
Iohann a Lasco (+ 1560) in würdiger Ansflattung an das Licht zu 
ſtellen. Von biefer Sammlung, bie ver Herausgeber auf 3 Bände berech⸗ 
net hat, find bie beiden erften im Drude erſchienen: Joannis a Lasco 
opera tam edita quam inedita recensuit vitam auctoris enarravit 
A. Kuyper. Tom. I, II. Amstelodami, Hagae-Comitum 1866. 80, 

Unter ven vielfach zerfireuten Hilfsmitteln, die Dr. Quyper mit ben 
größten Schiierigfeiten zufammengebracht hat, nehmen aud bie Schäge 
unferes Prov. Archives eine fehr nennenswerthe Stelle ein. Im ber 
praefatio p. IX ff. erfolgt darüber nähere Auskunft. Ipnen verbantt ber 
Herausgeber eine Reihe bisher ungebrudter Briefe von a Lasco, welde 
im 2ten Bande (p. 547 ff.) unter anderen ihren Pla gefunden Haben. Bor 
züglich aber ift es ein von unferem gefcägten Archiw Director Dr. Meckel⸗ 
burg twieberentbediter Coder (of. praef. p. LII und XLVII), ans welchem 
zwei verfchollene Werte bes a Lasco im Iften Bande (p. 481 ff, 557 fi.) 
aufgenommen finb: bie Epitome doctrinae ecelesierum Phrisise Orien- | 
talis und bie Epistola de coena domini, beibe ans bem 9. 1544. — Bon 
einem zweiten Coder bes Archives, welcher ebenfalls bie Epitome enthält, 
wird nebenher (p. LII) bloße Nachricht gegeben, 





‚Hanbfhriftliche Junde aus Aönigeberg. 873 


1. Bonaleitis. 

Der Mumificenz der Kaiſerl. Alademie der Wiflenfchaften zu Et. Be 
tersburg und ben Bemühungen bes auch um bie Litauiſche Sprache ver- 
dienten Forſchers Auguſt Schleicher verdanken wir bie erſte vollſtändige 
Ausgabe der Dichtungen onn Ehriftian Donaleitie, dem „einzigen 
| nationalen Runftoichter der Litauer“ (} 1780). Die Ausgabe führt den Titel: 
Christian Donaleitis litauische dichtungen. Erste volständige aus- 
gabe mit glossar. Von Aug. Schleicher. St. Petersburg, 1865. 80. 

Die Grundlage biefer Ausgabe bilden, außer bem früher gebrudten 
RHefa’fijen Texte, vorzugsweiſe handſchriftliche Hilfsmittel, die dem Her 
ansgeber nachträglich theils aus dem Prov. Archive, theils aus ber 
Bibliothek der Alterthumsgeſellſchaft Pruſſia zugegangen find (vgl. Ein- 
leitung S. 17 ff.). Es mag als ein ebenfo erfreuliches, wie ehrendes 
Zengniß der Beſtrebungen unferer Pruifia gelten, daß ber jüngft erworbene 
Coder (Monatsfchr. 1,278), weldyer bie ſammtlichen befannten Litauiſchen 
Dichtungen des D. enthält, für die neue Ausgabe fo förberlich geworben 
it, Freilich erfahren wir erft aus ben Nachträgen bes Herausgebers 
(6.339), daß dieſer Coder nicht dem Prod. Archive, wie es nah ©. 17 
feinen Könnte, fonbern eben ber Praffia angehört. 

1, Preußiſches Seeregt. 

Auch unſere Altpreußiſche Rechts geſchichte iſt durch eine nene, meiſt 
auf Königsberger HH. geſtützte Abhandlung bereichert worden: Gueter- 
bock De jure maritimo quod in Prussis saeculo XVI et ortum est 
& in usu fait. Regim: Pruss. 1866. 4%, Indem wir ein näheres Ein» 
gehen auf biefe verbienftliche Arbeit und vorbehalten, bemerken wir an ges 
genwärtiger Stelle nur, daß ber Verf., außer bem L'Eſto cq' ſchen Abdruck 
des Preuß. Seerechts, im Ganzen acht handſchriftliche Texte zuſammen ⸗ 
gebracht Kat, von denen zwei in ber Danziger Stadtbibliothek, die übrigen 
ſechs zu Königsberg (Königl. Bibliothek, Stadtbibl. und Prov. Archiv) bes 
findlich find, und zwar einſchließlich des Ofteroder Codex, welcher neuere 
dings in ben Befig der Königl. Bibl. übergegangen iſt. Bon biefen 6 
Rinigaberger HH. waren 2 ſchon früher in Steffenhagen's Katalog, 
2 im zweiten Banbe ber Monatöfczrift befchrieben, und 2 (bes Archivee) 
anderweitig noch nicht befannt. S-n. 


374 utheilungen und Anbang 


Ein orientaliſcher Münzfund. 


Es iſt bei Funden orientaliſcher Münzen, bie in ben Sftfeelänbern 
fo Häufig vorfommen, eine alltügliche Erſcheinung, daß unter ber Maſſe, 
die an einer Stelle bem Boden enthoben wird, fich andy Bruchſtüde vor 
Anden, deren Erſcheinen unzweifelhaft baher rührt, daß bei Zahlungen be 
hufs der Gewictansgleihung eingelne Stüde zerſchnitten wurben, was 
bei ber Dünnkeit dieſer Münzeit fehr leicht zu bewerkftelligen war. Zum 
erftenmal aber if meines Wiſſens ein Fund von Iauter Bruchſtücken vor 
gelommen. Am 24. März d. 9. nämlich haben auf der Feldmark bes zu 
den Pröckelwitzſchen Gütern im Kreiſe Pr. Holland gehörigen Vor 
werls Storchneft Kinder einen Topf mit 123 Bruchftüden, (meift Heiner 
als die Hälfte) arabifcher Khalifenmünzen gefunden, welche durch ven Br 
figer jener Güter, derrn Grafen zu Dohna⸗Schlobitten, dem Unten 
zeichneten zur Anſicht und Beſtimmung vorgelegt worben find. Wie zu 
warten, find von vielen Stüden gerabe biejenigen Partieen weggefchnit- | 
ten, welche die Data (Prägeort und Jahr) enthielten; trotzdem aber iſt 
es gelungen, noch 99 Stüde unter den 123 Hinlänglich genau zu beftim- 
men unb ihren Münzherren zuzuweiſen. Es finb folgende: - 

No. 1—3. Drei Münzen mit dem Gepräge ver Khalifen ans bem 
Haufe Umajja; zwei bavon zeigen fehr deutlich als Prägeort die Stadt 
Waſit, aber Feine volfftändige Jahrzahl; bie eine if vom Sabre 112 ober 
122 der Hidſchta (730 oder «40 n. Chr.), alfo jebenfalls von dem Ehe 
lifen Haschäm, Die dritte, ohne Prägeort, giebt Dagegen die vollſtändige 
Sahrzahl 130 d. H. (74/5 n. Ehr.), iſt alfo von dem legten Umajjeben 
Merwän II. - 

Die übrigen 120 Stüde gehören ben Abbafidiſchen Khalifen an; fol⸗ 
gende haben ſich näher beſtimmen laſſen. 

No. 4 ohne Ort, Jahrzahl 134 d. H. (75%, n. Chr.), alſo von 
Albul-Abbäs. 

No, 5—12. Acht Stüde von Al-Manszür; bie eine geprägt in 
Bafra -i. 9.188 d. 9. (755 n. Chr.); bie zweite in Muhammebija i. 9. 
148 d. 9. (765 n, Ehr,), bie britte ebendaſelbſi i, 9. 161 d. H. (768 


Gi xienualuche: Martund. 375 


m Chr.), bie mierie in Magbap 1. J. 154 d. 9. (770 m. Ehr.), bie vier 
übrigen find ebenfalls aus Bagbäb, aber ohne Jahrzahlen. 

No. 18—38. Sechsundzwangig Stüde von Al-Mehdi, barumter eine 
ame Ort, ans d. 9. 161 d. H. (772); zwei v. 9. 169 d. 9. (77% 
2. Chr.), wovon eine beutlich aus Bagdad; zwei v, J. 163 d. H. (7960 
x. Chr.), wovon eine mit Bagdad bezeichnet; drei 6.9. 164 6.9. (7804 
2. Chr.), wovon zwei wit Bagdad bezeichnet; außerdem noch neun Gtüde 
mit bem Prägeort Bagdad und eine mit bem Prägeorie Kirman, aber 
ale zehn ohne Jahrzahl; endlich noch acht Stüde ohne Ort und Jahr, 
aber unzweifelhaft von Al-Mehdi. 

No. 39—54. Gerhszehn Stüde yon Harün al-Raschtd; darunter 
eine aus Muhammebija v. 9. 171 d, H. (7824 u. Chr.); eine aus Bag. 
did v. 9. 176 b. 9. (792 m. Chr.); eine aus Magbab v. 9. 182 d. H. 
(198 n. @hr.); eine aus Muhapımebije v. 9. 182 d. H.; zwei ohne Ort 
v. 9. 184 b. 9. (800 u. Chr.), eine aus Baghad v. 9. 187 d. H. (808 
a. Chr); zwei aus Bagdad v. 9. 188 d. H. (804 m. Chr.); eine ang 
Muhammedija und eine ohue Ort, beide v. 3. 188 d. H.; eine aus Mu- 
hammebija und eine ohne Ost p. 9. 189 d, H. (806 m. Ehr.); eine aug 
Bagdad v. I. 19% (bie Einerzahl unleferlih); eine aus Samarkand v. 
3 (193 d. 9. (809 m. Chr.), indeß iſt aur bie Einerzahl dentlich; eine 
von dem 9. 198, aber ohne Prägenrt. 

No. 55—64. Zehn Stücke unter Harüns Regierung von feinem 
Sohne Al-Amin geprägt; barunter eine ans Bagdad und eine ans Mu⸗ 
hammebija, beibe v. 9. 180 d. H. (796 n. Ehr.); eine aus Ballh vom 
% 187 d. 9. (808 n. Ehr.), eine aus Bagbäb ohne Jahr; endlich ſechs 
ohne Ort und Jahr, aber mit bes Thronfolgers Namen. 

No. 65. Ein unter Harüns Regierung von feinem Sohne Al-Mämtin 
geprägtes Stüd, und zwar ans Nischäpür d.9. 193 d. H. (809 n. Ehr.), 
Demnach find aus Harün’s Regierungszeit überhaupt 27 Stüde vorhanden. 

No. 66— 72. Sieben Stüde von Al-Amin als Khalif, und zwar eine 
aus Bagdad v. 9. 194 d. H. (809,0 n. Ehr.), eine ebenbaher vom X. 195 d. 9. 
819, n. Ehr.), eine ohne Ort v. 3.196 d. 9. (811, n. Ehr.), jebenfalls aber 
us Bagbäd; eine ans Bagbäb ohne Jahr, und brei ohne Ort und Jahr. 

No. 73, Eine unter ber Regierung bes Al-Amtn von feinem Bru- 


376 Mitteilungen: und Uinhang. 


der Al-MAmän geprägte Mänze, und zwar aus Samarland v. I. 196 
d. 9. Gl n. Chr.) 

Alfo zuſammen acht Stüde aus Al-Amin’s Regierungszeit. 

No. 74—77. Bier Stüde von Al-Mämtn als Khalif; eine ohne 
Ort v. 93. 198 d. 9. (8134 n. Ehr.), eine aus Hpahan v. 9. 199 0.9. 
(814/5 n. Ehr.); zwei ohne Ort unb Sahr, darunter aber bie eine lennilich 
als ein Exemplar der feltenen Münze des Emir Ali ben Müsa al-Ridhä, 
die im 9. 202 d: 9. (817/g.n. Ehr.) in Samarland geprägt worden if. 

Außerdem befinben fi in ber Sammlung mit beutlichen Ortsnamen, 
aber ohne Jahrzahlen und Khalifennamen noch folgende Stüde: 

No. 78-80. Drei aus Küfa, 

No. 81. 82. Zwei aus Baſra. 

No. 83—99. Siebzehn ans Bagdab. 

Da das jüngfte beſtimmbare Stüf der Sammlung vom Jahre 817 
ober 818 n. Chr. herrührt, fo läßt das Fehlen fpäterer Münzen ſchließen, 
das gerade um biefe Zeit bie vorliegenden Münzen aus ihrer Heimath 
gegangen und wahrſcheinlich nicht fehr viel fpäter nad) Preußen gefom- 
men find. Uebrigens find bie Stüde mit einigen fehr vereinzelten Ans- 
nahmen ganz vortrefflich erhalten. Merkwürdig ift noch, daß von fämmt- 
lichen 123 Brucftäden nicht ein einziges Paar ſich zu einer Münze zu 
fammenfegen läßt. G. 9. F. Aeſſelmann. 


Rekrolog für 1865. 
(ef. Aupr. Mtsſchr. il, 465.) 


12. Febr. Prof. Dr. Carl Ludw. Paul zu Thorn (geb. 22. Oct. 1803 zu Schwedt a. 
d. Ober), 62 Jahre alt, faft 88 I. hindurch an d. Gymnaſ. thätig. (Thorn. Wochbl. 
1865. No. 25. Nektolog. Ebb. Ro. 28.) 

11: Aug. Dr. theol. Joh. Heint. Ludw. Schröder zu Thorn im Alter v. 60 Jah 
ven. Als jung. Burſche hatte er e. Handwerk zu erlern. begonnen, dann ab., un 
terftügt v. fr. Samilie, befuchte er d. Gomnaſ. (zu Thom), fpäter e. Uninerfität u. 
ſtud. Theol.; war bis 1840 zweiter Prediger bei d. evangel. St. Georgen-Gemeinde 
auf d. Neuftabt in Thorn; fehied dann aus d. evangel. Landeskirche, begrünb. in 
Wormn e. altluther. Gemeinde u. verwaltete lärg. Zeit hindurch das Amt eines Eu: 
perintenbenten dieſes Velenntniſſes. Mit d. allerneueft. Richtung altluther. Geifte 
lichen üb. d. Kirchentegiment nicht einverftanden befämpfte er fie in e. Schrift unt. 


— —· —— — —ñ —ñ 


Retrolog 1865-1866. 377 


d. U: „Broden. 1. u. 2. Mittheilung.” (Culm, 868. 864. bei Lohde) u. Iegte fein 
Amt wieder. (Danz. Big. 1865. No. 3168. Graudenz. Gefell. 5. Kal. Preuß. 
Staats · Anzeiger 192.) 

23. Aug. Freiherr Maximilian v. Kasler, tgl. Lieut. a. D. zu Neufabrwaſſer. Sohn 
d. Gouverneurs v. Danzig, Gen. Lieut. F. v. Kugler, Enkel eines im Tjähr. Kriege 
ausgezeichnet. Freicorpsführers unt. Friedrich d. Gr. Cr nahm 1846 |. Abſchied, 
um ausſchließl. fr. Lieblingsneigung, geogr. u. fprachl. Studien z. leben. Er verfaßte 
waniſche Epigranme, Satyren u. Letrillas, dem Don Josef Iglesias de la Casa nad 
gebildet.” (Danz., 862. Doubberd.) ef. Altpr. Mtsſchr. I, 165. (Weftpr. Ztg. 1865. 
No. 199.) 

9. Sept. Prof. Dr. Joh. Friedrich König, erft. Oberlehrer des Aneiphöf. Gymnaſ. 
67]; F. alt, an e. Lungenſchlage zu Königsberg. Geb. 1. Apr. 1798 zu Labiſchin 
bei Bromberg, wo d. Vater Paſtor war; vom Friebe. Colleg. 1818 entlafien, ftud. 
er unt. Beſſel Mathematil u. besann bereit? 1819 an d. hiefig. Domſchule (jept 
Aneiphoſ. Gymn.) zu unterricht,, fo daß er 46 J. an ihr gearbeitet hat. Von ihm 
And mehr. mathem. Abhandl. in d. Gymnaf.-Programm., 3. Theil aud in Grunerts 
Archiv j. Mathe. u. Phyſ. erſch. (Nachruf. Oftpr. u. Hartaſche Big. 1865. No. 218. 
Progr. d. Kneiphöf. Gymn. pro 1865/66. 6.35. |.) 

Octob. Dr. med. Hermann Lin? (cus Danzig) in Dftafrica als Mital. der Erpebi« 
tion d. Baron v. d. Deden. (Todesanz. Danz. Big. 1866. No. 3530.) 

18. Octob. Adelheid Günther, Sängerin u. Schaufpielerin von ehrenvoll. Ruf (zu 
horn 12. Juli 1834 geb.) zu Töplig bei ihr. Gönnerin, der Frau Fürftin Collo⸗ 
redo. Alfr. v. Wolzogen gab in fm. Werke „Ueber Theater und Mufit“ ihr „Künfts 
lerbifo“ noch bei ihr. Lebzeiten. Die Bredlau. Ztg. widm. ihr ein. ehrend. Nachruf. 
(horn. Wochbl. 1865. No. 182.) 

39. Dec. Pfarrer Heine. Wilb. Alb. Schuur zu Mühlbaufen (geb. 29. Nov. 1806.) 
Verf. mehr. pratt. theol. Schriften u. Mitarbeiter des vom Pfarr. H. Thiel vedig. 
Kirchenblatts f. d. evangel. Gemeinde inäbef. der Prov. Preußen. (Racıruf. Kgöbg. 
Hartg. Big. 1866. Ro.I. Cvangel. Gemdebl. No. 2.) 


1866, 

15. Jan. Etaatöminift. a. D. Mudolf v. Auerswald an e. Herzübel in Berlin. Geb. 
1.6ept. 1795, 2er Sohn des thatträftig:patriot. u. freifinn. Oberpräf. u. Landhofm. 
des Rgr. Preußen Hans Jacob v. A., eines Freundes von Kraus u. Schefiner, vers 
Iebte ſ. Jugend z. Theil mit den kal. Prinzen während d. Aufenthalts d. Hofs zu 
Ruöbg., bezog 1811 d. hief. Univerf,, machte 1812 als ſchwarzer Hufar d. preuß.⸗ 
franz. Gampagne in Rurland mit, fpöter d. Befreiungskriege u. erfocht ſich d. eiferne 
Are. 1818 Landrath d. Heiligenbeiler Kreiſ, 1837 Oberbütgermeift. v. Kasbg, 
1942 Reg.-Bräf. in Trier, 1848 Oberpräf. v. Preub. u. nad) Eamphaufens Küdtr. 
Sch, d. Miniſteriums Hanfemann-Kühlmetter-Echredenftein u. Miniſt. d. ausw. 


378 Mütfeilungen und Anhang. 


Angel, 1849 Praf. d. Herrenhauf., 1850 d. Staatenhauf. z. Crfurt, dann Oberöf. 
d. Rheinprov. 1858 Gttöminift. u. Mitgl. d. Gttömintfterimms Hohenzollern ohne 
Bortefeuille, ftellvertr. Borfigd. des Minifter., Leiter d. Schates, d. Archtos u. der 
Gentralpreßftelle u. Die Seele der „neuen Aera“; Oberburggraf v. Marienburg. Ein 
liebenawürbig-humaner, all, Fortfchritten d. Kunſt u. Wiſſenſch. offener Charatter. — 
Seine Leiche wurde d. 19. Jan. in d. Patronatsgruſt der alt. Deutſchordenskirche zu 
Deutſchendorf in d. Grafſch. Dohna feierlichſt beigefeßt. (Oftpr. Big. 1866. Ro.14 u. 
20. Nekroloq |. Unfere Zeit. R. 3. 2. Jahrg. 3. Hft. ©. 229-281. Jluſtt. Big 
Ro. 1179.) 

27. Jan. Guperintendent Earl Gottfr. Samuel Thiel an d. Lungenentzündung zu 
Strasburg 71 J. alt, feit 36.3. Pfarrer d. evang. Gemde. daſelbſt. 14. Sun. 1795 
auf e. Dorfe in Echlef. geb., befuchte d. Gyn. in Schweibnig, trat ab. bei Beginn 
d. Freiheitöfriege in d. Lahower Corps ein, wurbe bald Oberjög. u. ald folher in 
e. ber leßt. Treffen dj. Corps dur e. Schuß in d. Hal lebensgefahrl. verwundet. 
Der Frauenverein in Gaflel pflegte u. unterftügte ihn. Einige Jahre Hauslehr., 
bezog fpät. d. Univerf. Marburg. In e. befreund. Familie lernte er den Schulrath 
Dinter kenn. durch defl. Vermitilg. er d. Rectorftelle in Gerdauen erhielt, darauf 
%ter Prebig. in Pr. Stargard u. im Hug. 1829 nach Strasburg berufen. (Netrolog 
f. Graud. Gefell. Ro. 17.) 

2. Febr. Frau Oberpräfid. Kathar. Eichmann, geb. Freiin von Gchrötter in ihr. 
48. 3. an Lungenſchlag zu Kgsbg. Wirkte mis liebevoll, fürforgenb. Herzen viele 
Jahre al Ober-Vorſteherin d. Krantenhaufes d. Barmherzigkeit. (Hartaihe u. Oftpr. 
tg. No.46. 48.) 

22. Febr. Umtmann Carl Job. Georg Papendied:Liep, Abgeordnet. für Kasbo 
zu Berlin in Folge eines Schlagfluſſes. Ein rüitig. u. intelligent, Mitarbeiter, 
Mitgl. d. Vorſtands u. Schagmeift. d. Oftpr. landwirthſch. Gentralvereind. (Nachruf 
Hartaſche u. Dftpr. tg. Ne. 48. Biogr. Rotiz. Pr. Lit, Big. 47. Dany. Zt3. 3500. 
Rosbg. N. Big. 52.) 

21. März. Pfarrer Joh. Earl Wilb. GSlogau im 75. Lebensi. zu Gr. Arndderf an 
Entträftung. (Ditpr. Ztg. 71.) 

16, Apr. Oberftlieut. a. D. Franz v. Schenck, Chrenfenior d. eilernen Kreuzes 2. RL, 
fajt 89 J. alt, zu Pr. Eylau. Im Herzogthum Naſſau 1777 geb., hat er dem 
preuß. Heere und zulegt dem 1. Oftpr. Regim. 1789—1814 angehört und mit dem⸗ 
felben die prüfungsreich. Vorgänge v. 1806, jo wie d. rubinvolle Erhebung v. 1813 
geteilt; in der Schlacht bei Gr. Görfhen 2. Mai 1813 wurde er durch d. Verluſt 
eines Deines dienftunfähig. (Nadruf: Oſtpr. Ztg. 92.) 

19. Apr. Kurheſſ. Legationsrath Earl Baron Kaltenborn von Stachau, von 1852 
bis 1864 an d. Agsbg. Univerſ. Prof. f. deutit. u. öffentl. Recht, im 49. Lebensj. 
zu Kaſſel an einem typhäf. Leiden. (Rekrolog von feinem Freunde Th. Muther |. 

Oftpr. Big. 113 Beil.) 








Untverfitäts-Ehronik 1866. 879 


8 Mai. Dr. W. Meeberg, pralt. Arzt, im 62. I. zu Agebg. (Nachruf v. Vorſtand 
des Handwerlervereins ſ. Hartungſche Big. 108.)*) 

9. Mai. Reg. u. Stadtrath a. D. Earl Heinrich Bartifius in feinem 69. Lebensj. 
zu Kssbs.* . 


Univerfitäts-Chronit 1866, 


12. Mai. „Acad, Alb. Regim. 1866. IV. Diss, qua nonnulla seriptorum Graecorum 
de artibus pingendi fingendique judicia recensentur, qua orationes ad celebr. 
meınor. vir. ill, Jac, Frid. a Rhod, Frid. a Groeben, Joh. Dit, a Tettau dieb, 
XXI et XXIII Maj. et XXIII Jun... habendas indic, Lud, Friedländer, 
P. P. 0. (6 €. 4) 

26. Mai. Med. Doctordiff. v. Rich. Hermann (aus Grünhoff bei Roſſel): De meningi- 
tide cerebro-spinali exorta exotitide interne, (30 ©. 8.) 

No, 74. Amtlihes Verzeichniß des Perſonals u. der Studirenden . . . für d. Som: 
mersSemefter 1866. (18 ©. 8) [61 Doc. (6 theol. — 9 jur. — 15 me. — 28 philel. — 
3 Epr.- u. Egercitienmeifter) und 801 Gtud. (87 Theol. — 81 Far. — 108 Red. — 199 Phil — 
21 Pharm. u. 5 mit Genehmigung d. Prorectord.)) 

39. Mai. Hift. Doctordiſſ. v. Bad, Hanncke (cuS Zilfit): De M, Alberti Argentinensis 
chronico, (82 ©. 8.) 

3%. Mai. Med. Doctorbiff, v. Alex. Loowenthal (aus Rgöbg.): De resectionibus eu · 
biti partislibus atqne totalibus, (36 ©. 8.) 

31. Mai. Juriſt. Habilitationsſchrift v. J. V. Dr. P. P.O,D, Carolus Känardus Guster- 
boek: De jure maritimo quod in Prussia saeeulo XVI. et ortum est et in usu 
fait, (85 ©. 4.) 

2. Juni, Lectionem qua quid in provineise nostrae histeriae persorutands adhus 
praestitum sit enarratur ... a... . Oarolo Lohmeyer,***) philos, Dr, ad docendi 
facultatem rite impetrandam . .. in publico habendam indicit Ed, Luther Phil. 
Dr. Astron. P, O. H. T. Prodecanns. 

16. Juni. Diedic, Thefen von Hermann Bertholät (aus Wehlau). 

nm Medi. Theſen von Carol. Kannenberg (au Stuhm). 

Medic. Theſen von CaroL Henr. Lange (aus Oftpreußen), 

Medic. Theſen von Joseph, Armin. Mekus (aus Paderborn). 

Medic. Theſen von Isid. Freymuth (aus Labiau). 

Medic. Tpefen von G. 0. Ernestus de Luäwiger (a3 Königsberg). 

Medic. Theſen von H. Guill. Oscar Schweiger (aus Inſterburg). 


18. 


aaa 





*) Bir hoffen in einem ber nädften Hefte feinen Nekrolog mittheilen zu konnen. 
**) Das nächfte Heft wird feine Biographie bringen, D. 8. 
+) Abgedt. Altpr. Misſchr. II, 801 847. 


880 Mitteilungen und Anhang. 


Bibliographie 1965. 
Malin, Lehrer I, no Beute Spradlehre für Elementarſchulen. 3. Aufl. Braundberg. 


ee der ae u Kr ſidenzſtadt 1865. Auf Grund amtlicher Ma- 
item u. shi, Breiten ein. 6. Rürmberger. Agebg. Nm, 
er. 8 
Aegiiı. Das Staatsarchiv. Bamml. der offciell, Actenstücke zur Gesch. d, Gegenw. 
Inf fortlaufend. monatl, Heften hrsg. v. Ludw. Karl Asgidi u. Alfr, Klanhold. 
— 1306. Jan. bis Decbr. 12 En —5 O. Meissner. Bd. Viu. vi 
IX. (XIX u. 

-o SB ae we San u Me def 108; an unt. Mitte, u v. W. E. br 

Fr Euer u —— J wangloſen 1. ‚brög. von 
a I . (118 ©. gr. 8) 2. an 190219) 


va 

gar E geriffe — im atebem- Rehisfubium. Lee, fi Et 

u ren ih. Bun 5. An 11) 

— — Der erſte — et one oer N gonferenzen ıf dad Gabinet von St. Peters: 
burg. [öiftor. Ztfhr. brög. v. Shbel. 7. Jahrg. 3 ge &. 189-150.) 

— — (der Rechte Dr., Prof. d. Gesch. d, Z. Rector am Hamburgisch, Akadem. 
u. Real-Gymn.) Aus der Vorzeit des Zollvereins, Beitrag s. Dentsch, Gesch. 
Hamburg. (Programm.) [132 €. at. 4] 

— — Unser akademisches Gymnasium. Ein ausserordentl, Programm. Ebd. Boyes 

er. (15 6.4.) 6 Egr. 

Arları Fr id. 1 auge (a (aus Etallupönen), De intoxicatione sulfarica, Diss, inaug. med 

'erol 

v. — Ser Zandhoimeiſter v. Auerswald zu Anfang des — 1818. Mit: 

tbeilg. von deilen Söhnen, dem Saminiter, Dberburpra] dolf u. Wirtl. 
NR. Alfred v. Auerdwald. [Perg, d. Teb. dmarihans Graf. Neithardt 
v. 2. Bd. Berlin. Beil. VII. S. eh 

Azt’s Taschen-Notizbuch für Seeleute auf d, Jahr 1865. Memel. Verl, v. Joh. Ast. 
(VIE, 440 u. 74 ©. gr. 16.) 1 Thlr. 

Baden, Danke Entoedteg Gebeimnib der Bibel, zum, ni dr Zi 

— under der Hoffentliden Zu Bimmlifpem erufalem: 

. Mertirift an Solde, die fih an Gottes a Bl beieben, 
ion Si, Badler,.. Verf. von mandperlei Schriften, zu Laug allen bei 

— (auch Senaweihn) ) in Oftpreußen, auf Fänge 89 45‘ und Breite 450 

A an Saller Bad Bad . . . Zilfit. Drud v. H. Poft. Im SGelbftverl, des Berf. 
©. ar. 8.) 


'hrichten üb. Leben u, Schriften des Hrn. Geh, R. Dr. Karl Ernst v. Baer, 
von ihm selbst. Veröffentl. bei Gelegenh. seines 50jähr, Dootor-Jubi- 
Ikums am 29, Aug. 1864, von der Ritterschaft Ehstlands. St, Petersburg, (VI 
u. 674 ©, 2er. —* mit Portr.) 
— — Das — Doctor-Jubiläinm des Geheimraths Karl Ernst von Baer, 
Fra 1864. Ebd. 1128 ©. gr. 4 m. Bortr. u. 
Bartitus, 6, , Dr. Eduard Heinel, (Separataber. aus d. Verfaffungäfteund.) (Ngebg., 
db. Gruber & Yongrien.) (16 ©. 8, 
—* Bei Fr., Die Magdeburger Fragen. Be Guttentag. (L u. 330 ©. gr. 8.) 
6 ir. 
Beinlich, Paul Ad. Geo, (aus Ana) Nonnulla de morborum cordis diagnosi. Diss, 
Wem. Röbıl per Imbnd ye are Iroingionereit NA Rawelio 3. X. 
em. ra ip, madinameji in icdelio 
Vemo. zum. Keane (31 ©. 8.) ai 
" Joseph., phil, Dr. et Prof. publ, ord, De veterum Pratenoram diis, Diss, 
hist, critica, Eronsbergae L. R. Huye. (26 ©. ar. 8.) 4 Sgr. 
Beobschtungen, astronomis: auf der Kgl, Univeraitäts-! Sternwarte zu Kgsbg. Hı 
BR Di, mt Dr. Ed, Luther. 35. Abth, Kgebg. (Leips, Rein,) (IV u. €. 
Ir. 

















Biblisgraphie 1865, 381 


Bütter der Erinnerung an den Ober-Fischmeister Wilhelm Beerbohm, für seine 
ende ‚sammelt. o.J, (Dr. u. Verl. v. F. W. Siebert in Heydekrag. (62 6.8.) 
tinnerung an d. 50jähr. Antajubiläum des Hrn. Director Dr. Gottbilt 
Be ni in Danzig. Am 5. Dec. 1865. Danzig. Groening in Comm. (21 ©. gr. 4.) 
Beh, . P. eriter Predig. zu St. Trinitatis: en Sem Möreiben an die Hebräer in 
50 huzzen gen Docenpreigten erläutert, Danz. Anhuth in Comm. (I u. 
312 ©. gr. 8) 2 


Böhme, Chestosophia ober Den zu Chrifto — in 9 Buchlein, nun in 83ſ. ge; 
melde bin. von wahrer Buffe, u. vom Schlüfjel Göttliher Seheimnies vom 
von der wahren Gelatienbeit; won der Wiedergeburt; vom überfinnl. 
von —ã Beſchaulid keit; nebſt einem Gefpräch einer —ãA u Amel: 
ten Seele; und dann von den vier Complericnen. us Göttlihem Er⸗ 
Knie durh ‚Jalob Bopmen von Alt-Seidenberg, fonften Teutonicns Philosophus 
—* Nebft geiftreihen Summarien u. einer Zugabe der auserleſenſten Kern: 
rüche aus allen Schriften de3 Autoris, aud einem bienlihen Regiſter. Gebrudt 
de8_außgebornen großen Heil 1731. Unveränderter Abbrud: Raabg. 1865. 
© dp. v. Gräfe u. Unzer, (Dr. u. Comm.Berl, v. H. Hartung.) (XVI u. 391 ©. 


2 ort. It. 
Boehn ae et Manufeript gebt.) Berlin. Drud von Carl Jahnde. 


v. Boßlen, Agnes, Das Bud der Mutter f. Haus u. Erziehung. 2. durchge. Auf 
Berlin, 866. (865.) Springer. (VI u. 370 & 8) cm Re —R no g. 
Otto (aus Pr. Hcland), De aorne anenrysmatibus adjecta morbi histo- 
ris, Diss, inang, med. Berol, (36 ©. 8. 
Brobm, Dr. Rud., Chronik des Thorner & wereins. Zur eier feines 25jähr. Ber 
3 auf Beranlafig. des Vorftandes verfaßt. Thorn, E. Lambed. (87 €. 8.) 

— 3 ai zauinmen, Su Luftfpiel in 3 Acten nad) e. Erzählung von Levin Schüding. 

ron 

-— und Öymn. Biof, D u. in, PA Shut u. Turxn-Liederbuch. 3, verm. Aufl, 
(2. Abbe.) 868. (865) © bed. (96 ©. ar. 8.) 5 Zhlr. 

Hear, "Mage, Eı ‚gm, (aus —E je auctoritatis qua Prussise or- 
dines sub ordinis apa imperio utebantur initio et incremento, Diss, inaug. 
Bonnae, (9 ©. gı 

Bruno, Rich, Frid, (ons Binlien bei Gumbinnen), De epilepsiae causis. Diss, inaug. 
med, Berol, (82 ©. 8.) 

Basttner, Gust. Ad. (au Rg8bg.) De morbo Brightü, Diss, inaug. med. Berol, (32 €. 8.) 

Burdach, O. Kgl. Commerz.: u. Apmiral,Rath, Alphabetiſch. Keen (em fämmtl. in d. 

een des Kal. ms u. Admtral,-Collegiums u. Kreisgerichts m 
bg. 1. Pr. eingetragenen Yandelöfirmen, — Procuren, nach 
amtl. Quellen zii helle im Juni 1865, Rei firmens, Gejelliftö: u. Pro⸗ 
auemedeni- v al Rn Kreisger.-Deputation zu —E . Rgöbg. E. Rautenberg. 

Burow sen, Weiche Bedeutg, haben die Nummern unserer Brillen? [Deutsche Kli- 
nik. } —3— 16. 

—— ır Lehre voı Ps — ation der Kehlkopfspol; [Ebd. No. 17.] 

—E —ã erftellg. einer Bafferleitg, In Rosie aus a gedr.) 
—A in der Kol, id. Bhörderei. (32 ©. 4. 

Eaftel Margarethe Fullerzi joli. Ein —8 Frauenbild. Berlin, 866. 
(865). Sghlingmann. (V u. 270 ©. 8.) 1 Thir. 

Cenovs, Dr. Florian, Sto frantovek z Poludnjoväj eagöcj Pomorza Kassubäkjego, 
onoblivje z — — ojecjc Krajni, Koczevja i Bor6v. 8 dodatkjem traech prosb 
na vesele, (Hundert Schelmenlieder aus dem südlichen Theil des kaschubischen 
Pommern, besonders aus d. Gegend von Schwets, Nakel, Mewe u. Tuchel. — 
u) — von 3 Hochzeitseinladungen,) Danzig. Bertling in Comm, 
K 2 Zhle. 

J., Prsyjaciel polskich dsieci, Csgöd 1. Gäahisk, naklad autora, (128 6. 8.) 

Bolaslaw Prawäzic, Rzut oka na Handel, Chelmno, Jgn, Danielewski, 


Chotomaki, 
(43 6. . 8). 7a Sgr. 





382 Mittheiungen und Anhang. 


Gabsch, A. (au Giessen) Ueber diejenig. Curven, deren Coordinaten sich als allip- 
tische ‚Functionen eines Parameters darstellen lassen, [Crelle’'s Journal für die 
reine u, angew. Mathem, 64. Bd. 3, Bft. ©. 210270, 

— — Ueber einige von Bteiner behandelte Curven [Ebd, S. 288—293.] 

fOopernikus.] 

Les Fondateurs de l'astronomie moderne, Oopernis — Tycho Brahe — Kepler 
— Galilee — Newton; par Joseph Bertrand, membre de l’Institut. Paris. 
Betzel, (XVI u. 391 .B) 6 fr. — 2. dait, Ibid, 6 fr, 3, &dit, Ibid, 3 fr. 

K, 0. Kopernika, slavndm polskem hvönddri. Z — prälokil, 
aspolu i polskym — pismem wöeslovanskym vydal F. J. Jenbers, 
Praga, Jerbera (16 8.) 4 Sr. 
Seiminal-Progeh Behrendt, De % v J Verfentung des Barkicifie Alma 

18. April 1864 unweit der Ecilly:Infeln. Stenographilh. Bericht über Die En 

mel vom 10-14. Juli 1865 ftattgerund. Sicermanı Et. Hemd eg. den 

theber Behrend! Bi u. Steuermann Bad. a Au] un 

9. B. Schmidt in .) (IV u. 239 ©. 8. I ag 

enthaltend die in der Verhandlg. verlefenen mic —* it. ofumeri, —— u.Cu 

teipondenzen. Ebd. (Drud v. J. W. Siebert in me) 48 

Ourtze, Ueber d. geometr. Principien des Zeichnens, —8 a — der Asono- 1 
metrie. Aus d. Vorlesungen üb. Anwendung der 6 Geometrie auf d. Künste ge- 
halten im J. 1866 am Kgl, technisch. Institute zu Turin von Quintino Bella, Fi- 
nanzminister d. Kgreichs Italien. Deutsch von Maximil. Curtse, ord, Lehr. am 
kgl, Gymnas, su Thorn, Mit 4 lithogr. Taf. in gr. 4. [Archiv d. Mathem. u, | 
Phys, hrag. v. Grunert, 43. Thl, 3,HA, 6.245289 Aud als Sevaramübe 
drud . . . Greifswald, Koch’s Verl, (48 ©. gr. 8.) 1a 

— — L Oremona, Einleitung in e. geomtr, Theorie der ebenen Curven, Nach e. 
für die deutsche Ausg. vom Verf. zum Theil umgearb. Redaction ins Deutsche 
übertrag. von M. Curtze, Greifswald, Koch's Verl, (XVI u. 299. gr. 8. mit e. 
lith. Taf. m au Dr Fl 12]a Thlr. 

Cserwinski, Alb., (Mitgi, d. Tanzakad, su Paris u. Tanslehr. in Dansig), Contretans- 
Büchlein, Anleitung sum richtigen Verständniss dieses Tanzes, der Lanciers u. 

—SS —— 2. verm, Auf. Dansig, Saunier 

4 r, 

» Rgöbg.), Die Grenzen u. d. Urfpı ung der menfchl. 

4 Kant u. Hegel. ——— Ihe Bush um 
. 294. gofenoble ( —*— 


—— nah al euen, befannten u. 2 
a bearbeitete 1 Säiphunge, Tdeorie. im © Sähnell: 
U2 
in Heiland? von Dr. 2, Detroit, dei 
holland.dtjch. Concregetiete in Pivorno, en D & Longrion. a nr. » { 














& 
Keriodifhe Literatur (1866). } 
Ba a 


‚auen:Bildungöverein. Bannewig, Schonung | 

Dante, Crnnerg- an d. Vtheidigg. d. :eölau 
Adolf Cohn, Piaſten u. Wettiner. Ehpientel 

Sn d. Haus zu d. 7 Galgen. Erim.:Gefch. aus ' 

tie, Leil —F Breslauer Kaffeetaf fen JR. Hoff 
üttner, Schinge Latare. Th. Delöner, Hand: 
ragen, Anreoun en, Antworten. 


1. d. Hellenen; IT. 
h. * — % San ke ——— _ 


Anbang. 





Veriediſche Literatur (1866). 383 


5 Sad d. Bernftein-Regals in Preußen. [Ngäbg. Dartgſche 
Bee 1 


. Du u Muf R. BL. XI, 262-271, 
—— — engen 
ua Juni — * En 3 worbergebenn | nd EL teuß. war. 1881. 86. 41.) 


—— — za Re 5, 66 
Eu er, Die Salinjel Gela,, [Blobus. Bo. K. &o.3] 
". pe telegraph. Vertehr im s 1865 im Reg.Bez. Mgöbg. lAgobg. 


J — — — [Graudeny. 
Sifewins, Einige bei Geburt u. Kindtaufe * etlich. Decennien übl. Gebrauche d. 
Kittaner. [R. Br. ProuBL PR —262.] 
Sittanifge Sagem, PR fen von A. G. —EeS Wichte u. Elbe. lunterhal⸗ 
ur lit rän; 
Der rg mit fein. ne u. Ausftüflen in d. kuriſche u. friſche Haff. 111. [Rgöbg. 
5 —— tef. 14. is 
Die Statuten der Bierbrauerzunft zu Culm. [R. Pr. Prov. Bl. XI, 


—— Stars, a Banig; ord. Sigg. 2. Mat. 2; 8. Bericht üb. Briſchkes 

ab. nügl, Käfer, u. Dr. Lampe s Diitthig. üb. eine aittonom. 

a d ee "ans ı in "Cambridge, nach welder d, mittlere —AãA gegenw. 
Ei um ee Secunde länger ift, Pr vor 2000 3.) (pa nz. Itg. 8642.) 

fbrüdiger in Danzig. (Aus d. d. Üorfiehers der Ket⸗ 

tungs| —E Burgermeiſt. Sal ahzeen in Leba üb. e. Rettung aus Sees 

N durd das Nettgöboot Dabeim. [Cbv. 3629.) 
an w — Die neue Orgel der St. Marien⸗Kirche in Elbing. 


Mr Drgelt eh: (22. d er. m 20. M 
2 2 —— — ante ai 


Kuflen u N Deferreier Barden wi — de —— & 


ZeierL FH & * lwovinzialbl nbeninffitut Robbe. 
4. Juni. (geihihtl. Notiz üb. En » Inden, Öntereig) 
Suhl * sta Ohr. &* 2 —F Me Sig 106. 18. Beta: 


Die u Raten! ienburg ee, Reotfionsoßtt. 12. Mai. — In d. An 
talt % ehe A — von denen 8 provinzialftänd. 
er ne En 

— — | in — (era. —* ment —X 
ie 





Dr, S. Bi D. Ruine Mi aus d, Geld. d. Die. —z m. 1Ab⸗ 
big. IR. Ren, Brov.. z Pag 200—213.] 
Srtract It. Sanbermen-Kattelt zu Tapiau f. d. Jahr 1865, 


aus 
Dr — —— Beil. 6 zu Ro. 
me ER Weber ã— und d. Sradhane des Eoperniens, [R. Pr. 
en Wiederabtr, der Dombrowskiſchen ori in poln. Sprache. lAutl. 
eb. & zu Kasbg. 5. Stüd. 
Riffioner Senne (a (aus — — — in Ofter.) —*— aus 3 Miſſionsſtation Srehtatl 
Seiften 





Dr. 5.8 . 
“ — Bee * 
———— 
Im; Sadner Rofg, —— © Di 
Sant. Ann Drau —— em 81. Sul i 
., Nerolog Oougo Rh, Friede. Markus’ Es bei 
a Be he In Dr kei) a der Lardtihe Monet 


384 Mittheilungen und Anhang. 


Prozesky (au Brandenburg in Dftpe.) (Brief aus Afrite, Wartburg 

ae Bat Sait® Dr. Web. [Kaebs. Miffionsbl. 10.) 

Songfellom's Epaniiher St Bartrag von d Sabricius. (Vorführung einer Weber: 
ie jelben von eerichter wmanski in Barten.) [Unterhaltgen d. I. 


an 
— er Otto der Dritte. Trauerſpiel in 5 Alten. Akt 1. (Ebd. 14] 
















Anzeige 


Preisfrage der Fürstlich Jablonowski'schen Gesellschaft 
zu Leipaig für das Jahr 1888, 


Bei der absolut hohen Bedeutung, welche der internationale Getreidehandel nicht 
bloss praktisch für das Wohl und Wehe des kaufenden wie des verkaufenden Volkes 
besitzt, sondern auch als Symptom der allgemeinen Kulturentwickelung auf beiden 
Seiten; sowie bei der relativ wichtigen Stellung, welche gerade im polnischen Handel 
seit Jahrhunderten die Getreidesusfuhr eingenommen hat, wünscht die Gesellschaft 

eine quellenmässige Geschichte des polnischen Getreide 
handels mit dem Auslande. 

Die Zeit vor dem Untergange des bysantinischen Reiches wird dabei nur als 
Einleitung, die neuere Zeit seit der Theilung Polens nur als Schluss zu berücksich- 
tigen sein, das Hauptgewicht aber auf die dazwischen liegenden drei Jahrhunderte 
gelegt werden müssen, (Preis 60 Ducaten.) 

Die Preisbewerbungsschritten sind in dentscher, lateinischer oder fr. 
zösischer Sprache su verfassen, müssen deutlich geschrieben und paginirt, 
ferner mit einem Motto versehen und von einem versiegelten Zettel begleitet sein, 
der auswendig dasselbe Motto trägt, inwendig den Namen und Wohnort des Ver- 
fassers angiebt, Die Zeit der Einsendung endet für das Jahr der Preisfrage 
mit dem Monat November; die Adresse ist an den zeitigen Secretär der Gesell- 
schaft su richten, Die Resultate der Prüfung der eingegangenen Schriften werden 
jederzeit durch die Leipaiger Zeitung im Mürz oder April bekannt gemacht, 









Druckfehler. 
6.289 3.2 v. oben (im Xezt) binter Nordſee lies und der Oftfee. 
6.297 8.7 v. oben ftatt einem lies einen. 


— — 





vaio, Google 





Aberglauben aus Maforen. 


Mitgetheilt von 
! Dr. M. Zöppen, 


Die nachfolgende Sammlung volfsthümlicher abergläubifcher Weber 
fieferungen aus Mafuren Tann auf Vollſtändigkeit leinen Anfpruch machen, 
bärfte aber als ein Beitrag zu ähnlichen Sammlungen und als eine 
Grundlage zu weiterer. Nachforſchung nicht ganz ohne Intereffe fein. Auch 
in Maſuren fangen die volksthümlichen Meberlieferungen, wiewohl fie hier 
noch lebendiger find, als anberwärts, doch auch ſchon am fich fehr zu ver⸗ 
dunleln; es iſt alſo hohe Zeit, für ihre fehriftliche Sirirung und Erhal- 
tung Sorge zu tragen. Es wäre zu wänfchen, baß andere, welche Hiezu 
noch günftigere Gelegenheit haben, als ver Einfender biefer Mittheilungen,- 

* namentlich folche, die mit dem wiſſenſchaftlichen Intereſſe eine recht gründ« 
liche Kenntniß der polnifchen Sprache und bes mafurifchen Idioms ver» 
binden, bie Mühe einer noch eingehenderen und umfafienderen Rachforr 
(hung anf ſich nehmen und die Früchte diefer Bemühungen ebenfalls ver⸗ 
öffentlichen möchten. 

Der. Name Mafuren ift vielventig; im engeren Sinne umfaßt er nur 
bie vom Ortelsburger Kreife Bftlich gelegenen Kreife polniſcher Bevölle⸗ 
rung; im weiteren Sinne bezeichnet er aber auch bie polntfchen Kreife des 
sum Regierungsbezirk Königsberg gehörigen Oberlandes. Im biefem wei⸗ 
teren Sinne ift er hier gebraucht, de bie Hier niebergelegten Mittheilun⸗ 
gen zum großen Theile gerabe in biefen legtgenannten Rreifen gefammelt 
find. Sehr ſchätzenswerthe Mitteilungen kamen jedoch auch aus jenen 
;  Öfllicheren Gegenden bazu, und ein Unterfchieb der Boltsäberlieferungen hier 
und dort macht ſich nur in untergeorbneten Einzelnheiten bemerkbar. 

Wipr. Re nateiqriſt Bd, II Hfte 5» 25 


386 Aberolauben aus Rafuren 


Einige ältere Schriften über altheidniſche oder aus dem Heidenthum 
überlieferte Gebräuche und Vorftellungen find benutzt, bie älteften aber, 
wie die Chronilen Simon Grunan's und Lucas Davids oder bie Schrif-⸗ 
ten von Johann Meletius und Hieronymus Meletius, welche uns über bie 
Fortdauer des Heidenthums in Preußen während bes fechszehnten Jahr⸗ 
hunderts fo ansführliche Mittheilungen gemacht haben, nur an wenigen 
Stellen und mır um das Gegenwärtige an das Vergangene anzufnäpfen; 
Referent glaubt in dieſer Hinficht amf feine vor zwanzig Jahren geſchrie⸗ 
bene, in ben Neuen Preußiſchen Provinzialblättern Jahrgang 1846 Band 2 
abgebrudte Abhandlung über bie legten Spuren bes Heidenthums in 
Preußen verweiſen zu dürfen, zu welcher bie gegenwärtigen Mittheilungen 
in gewiſſem Sinne eine Fortfegung bilden. Dagegen ift Piſanski's vor 
etwa Hundert Jahren in ven Wöchentlichen Königsbergifchen Frag- und 
Anzeigungsnachrichten Jahrgang 1756 No. 2125 veröffentlichte, zum 
ſchon fehr ſchwer zugängliche Schrift „Won einigen Weberbleibfeln bes 
Heibentfums und Pabfitfums“ forgfältig benugt und zum Vergleiche her⸗ 
angezogen. Pilansti hat zwar wie einige Einzelnheiten in feiner Darftel 
tung zeigen, wicht Mafuren ausſchließlich im Auge, aber doch, was ebenfo 
gewiß ift, vorzugsweiſe. Piſanski ift ein geborner Maſure, hat alſo jene 
heibnifchenbergläubifchen Weberlieferungen vorzugweife in Mafuren lennen 
gelernt, weift gelegentlich ausbrüdtich auf biefe Gegend, und zeigt auch in 
anderen Schriften, baß er für bie vollsthümlichen UWeberlieferungen ber 
Mafuren Sinn und Intereffe hat, wie er bemn faft ber einzige Schrift, 
ſteller ift, der für die Kenntniß des mafurifchen Altertfums etwas Exheb- 
liches geleiftet Hat. Cinzelne Notizen entnehmen wir and; einigen andern 
Schriftftellern, welche wir ihres Ortes anführen werben. Hervorzuheben 
unter ven benußten Quellen find nur noch bie auf Grund amtlicher Be | 
richte ber evangelifchen Geiftlichen herausgegebene, ſehr inhaltsreiche Schrift 
von C. ©. Hing: die alte gute Sitte in Altpreußen, Königsberg 1862, 8. 
und ein intereffant gefchriebener Aufjag „Won Königsberg nad) Preuß. 
Eylau und Mafuren“ in dem Feuilleton der Königsberger Hartungfchen 
Zeitung Iahrgang 1865 No. 302 und Yahrgang 1866 No.1. 2, 6—9. 

Es fchien uns zwedmaßig einleitungsweife einen Blick auf das kirch⸗ 
liche Leben der Maſuren zu werfen. Daun handeln wir in vier Hauptab⸗ 





von Dr. M. Täppen. 381 


nitten 1) von dem bämonifchen Mächten, 2) von der Zauberei unb den 
Berfegnungen, 3) vom Wahrſagen und vom Kalender, 4) von dem Aber 
glauben, welcher ſich an verſchiedene Lebensverhältniſſe, befonders an bie 
Taufe, die Hochzeit, die Wirthſchaft und ben Tod, knüpft. Im biefem 
legten Abſchnitt war es nicht wohl zu umgehen die Hochzeit, Ernte- und 
Begräbnigfeierlichteiten überhaupt zu befchreiben. 

Hohenftein, den 17. Mai 1866. Dr. 3. Töppen. 





Einleitung. 
Ein Blid anf das firhliche Leben ver Mafuren. 

Die lirchlichen Zuftände Mafurens und überhaupt der poluiſchen Ger 
genden in Preußen haben manches Eigenthümliche, Die Bewohner ber 
felben gehören faft ohne Ansnahme des evangelifchen Eonfeffion an, wäh- 
rend ihre Stammverwandten in Polen umb im Ermlande eifrige Katholi— 
ten find. Man rühmt ihnen fehr kirchlichen Sinn nad. Es wird allge 
mein auerkannt, baß fte fleißige Kirchengänger find, daß fle eifrig allen 
firhlichen Handlungen beiwohnen, daß fie bie kirchlichen Geremonien forg- 
fältig beobachten. In der That ver Gottesbienft der Maſuren Hat ſeine 
ſehr amziehenben, ja erhebenben Seiten. 

Im einem fehr Iehrreichen Auſſate „bie evangelifchen Bolen im Preufi- 
ſchen Stante (in dem von dem Militär-Oberprebiger Bord zn Pofen her- 
ansgegebenen Evangeliſchen Jahrbuche, Jahrgang 4) wirb herborgehoben, 
daß in Mafuren fi) eine Unmittelbarkeit und Junigkeit ber veligiöfen : 
Empfindung kund gebe, welche ven Lälteren zur Neflerion geneigten Deut 
ſchen ganz abgehe. „Wurzelt doch das Geiſtesleben des Mafuren bei ber 
Abgefchievenheit des Volles von den Heerſtraßen ber Welt, weſentlich im 
dem Gebiete der reltgiöfen Auſchauung, und Hat daſſelbe feine Nahrung 
bisher faft ausſchließlich aus der Bibel, dem Gefangbuche und dem Kater 
YHiemus, aus dem gehörten Prebigtworte und ans ber vielverbreiteten 
Dombrowefifchen Prebigtfammlung empfangen.” „Ueberall volle Kirchen 
und in denſelben eine Inbrunft, eine Devotion, eine Empfanglichleit für 
das Wort, wie fie in deutſchen Gemeinden nicht gefunden wird. Dabei 
eine Liebe zum Gefange, bie glei; beim Eintritt zum @ingen treibt, fo 
daß der Gottesdienſt gar nicht abgewartet wird. Sodann fingt bie ganze 

25° 


388 Aberglauben aus Mafuren 


Gemeinde bie Refponfa, die Liturgie, fpricht das Glaubensbelenutniß laut 
mit, wirft fi beim Water unfer auf bie Kniee und nimmt bie Ein 
fegungsworte und den Schlußfegen dem Geiftlichen gleichfam fingenb ans 
dem Munde. Alles iſt dabei Leben, Neceptivität und Altivität.“ Yus ber- 
felden Schrift lernt der Uneingeweihte bie polniſchen Nationalliever als 
folche lennen, in welden ſich „die Grundzüge des Nationalcharalters ger 
ten Herausfpiegeln, ber heitere nngezivungene Ton, ber weniger bei ber 
Verlorenheit, als bei der Erlöfung des Menichengefchlechts, verweilt, das 
ſtolze Hervorheben und die Ausmalung bes Königthums Ehrifti, das Friege- 
riſche Woplgefallen an dem Kampfe des Herrn mit dem Teufel und an 
deſſen Ueberwinben, unb ber freubige Stolz, mit welchem die Mitherrſchaft 
und die Mitvegentfchaft der Exlöften, neben Gott unb Chriſto in ber ewi⸗ 
gen Herrlichkeit, als ein Exbtheil des armen Bauern und Bürgers nicht 
minder, wie bes Ebelmanns, gepriefen wird.” (Vgl. ©. Döhring Choral 
tunde, Danzig 1866, ©. 459.) 

Es iſt ganz richtig, der Nationalcharalter ver polnifchen Bevölkerung 
und ihre Holtrung von ben großen Strafen des Verkehrs finb für bie 
Auffoffung des mafurifchen Gottesbienftes vorzugsweiſe in Anfchlag zu 
bringen. Die geiftige Bildung der Maſuren fteht auf einer niedrigen Stufe; 
man Tann von ihnen nicht verlangen, baß jie reflectiren wie bie Deutfchen, 
ebenfo wenig, als man verlangen kann, baß die Deutfchen zu ber niebern 
Stufe des Phantafielebens und ver Gefühlsſchwärmerei zurückehren follen. 
Über die großen Schattenfeiten einer ſolchen Religiofität bürfen nicht ver» 
kaunt werben; fie bietet dem chriftlichen Glauben nur ſchwache Stügen 
und verleiht keine befonbere ſittliche Kraft; fie läßt dem Aberglanben den 
weiteften Spielraum. Neben ben oben genannten kirchlichen Erbauungs ⸗ 
buchern werben auch Schriften wie der Himmelefchläffel, welcher anfängt 
mit dem „Himmelsbrief, den Gott ber Herr im Himmel mit feiner Hand 
geichtieben, mit goldenen Lettern; berfelbe wurde gefunden auf dem Eich⸗ 
berge in Britannia vor bem Altare bes heiligen Erzengel Michael; kein 
Menſch wußte vordem um ben Brief, und von wo er hergekommen,“ mit 
Heißhunger gelefen. Wenn man ſich in ver Kirche erbaut hat, befchäftigt 
man fi) mit demfelben Ernſte und berfelden Hergenstheilnahme mit ber 
Verſohnung der vüfleren Mächte, unter beren Einwirkung bas Leben flieht, 


von Dr. M. Töppen. 389 


durch allerlei Hofuspofus und Zanbermittel, und diefelbe Ehrerbietung, mit 
der man ſich feinem Pfarrer naht, wird auch dem Verſegner ober Wahr⸗ 
ſager oder dem Verzückten zu Theil, 

Dem Mafuren ift, wie bem Polen, ein lebhafter äußerer Ausdruck 
feiner Empfindungen und fo and bie äußere Bezeugung feiner Devotion 
(&gl. €. G. Hing bie alte gute Sitte in Altpreußen, Königsberg 1862, 
&.3) ganz befonbers eigen. Das Küffen des Geſangbuchs tft bei ben 
Maſuren eine allgemein verbreitete Sitte, wenn es zugemacht wird, wenn 
ein Lied zu Ende gefungen ift, überhaupt bei jebem Gebrauche unb ganz 
befonders, wenn es durch Unvorfichtigfeit auf bie Erde gefallen if, beim 
Aufgeben (ding ©. 7. 8). Ebenfo Kann man bei jebem polnifchen Got 
tesbienfte ungewöhnlich Hänfiges Neigen des Hauptes, Beugen ber Aniee, 
an die Bruft ſchlagen und fich befreuzen wahrnehmen. Dies find zwar 
an fi) Mittelvinge, welche weder ein günftiges noch ein ungünftiges 
Vorurtheil für die Religioſität bes Menfchen erweden Können. Aber fie 
haben doch bei den Maſuren ihre fehr bedenkliche Seite, weun ſich an 
diefelben die Vorftellung befonberer Wirkſamkeit knüpft. Schon Bifanskt, 


“am bie Mitte des vorigen Yahrhunderts, bemerkt, „vas große Vertrauen 


auf bie bloße Beobachtung einiger Außerlichen Pflichten und gottesbienft- 
lichen Handlungen, ohne daß ein geänbertes Herz und ber barans fließende 
Gottesdienſt im Geift und in ber Wahrheit bamit verbunden wäre," mache 


‘ bei dem größten Theil ber Päbſtler das Hanptftäd ihrer Religion aus, 


und diefen gefährlichen Wahn habe bie enangelifche Kirche, aller angewand» 
tm Mühe ungeachtet, noch nicht bei allen ausrotten fönnen. Er verwirft 
daher unbebingt bie — noch in unferer Zeit fortbeftehende — „Einbilpung, 
al erhielte das Gebet, wenn es auch nur bei verfchloffenen Kirchenthäiren 
durch das Schlüſſelloch Hineingebetet wirb, eine vorzügliche Kraft,“ ferner 
„die unnüge Ehrerbietung, fo das gemeine Bolt ven Altären beweifet, 
indem es fich gegen biefelben neiget, oder wohl gar auf bie Kuiee nieber- 
fällt“, enbfich bie abergläubtiche Anwendung bes Kreuzeszeichens unbebingt. 
„Durch die von ben Päbftlern vorgegebene Wunderkraft fagt er, Täffet ſich 
die Einfalt auch unter unfern Glaubensbrüdern berüden, fo oft ein Kreuz 
vor ſich zu ſchlagen, als ein bevorftehendes Unglüd abzuwenben, ober et- 
was zu unternehmen ift, was gefährlich fein Könnte, Die Fuhrleute thun 


390 Aberglaube aus Mafuzen 


es mit ihren Geißelftöden vor ven VBorberpferben, wenn fie aufbrechen 
wollen, bamit fie fein Rab zerbrechen; andere vor der Mahlzeit über den 
aufgetragenen Speifen, bamit folche, wenn fie etwa bezaubert wären, ihnen 
unſchãdlich mwürden.” (Pifansli a. a. DO. Nr. 23 8. 11.) Was Pifansfi 
von ber aberglänbifchen Anwendung bes Kreuzeszeichens anführt, fieht 
man noch jegt in Maſuren täglich. 

Noch näher an ben Katholicismus fireifen bie Gelübbe und Opfer ver 
Mofuren. Ihre Gelübde find mannigfacher Art. Sie geloben bei Krank⸗ 
heiten und in anderen Nothfällen für bie Genefung ober Befreiung, an 
gewiffen Tagen z. B. an allen Freitagen der Faſtenzeit zu faften ober die 
Kirche zu beſuchen ober Opfer in ver Kirche barzubringen. Mäbchen ges 
loben auch gewiſſer Farben 3. B. des Rothen ſich zu enthalten. Nicht 
felten ift das Gelübbe, an beftimmten Sonntagen z. B. an ben Beichttagen 
ober nach vollendeter Ernte, uz iszlaikema d. 5. zur Erhaltung, regel 
mäßig alle Jahre ein Opfer zu wieberholen, — wie wenn man fi) ba 
durch einen Sicherheits, oder Schutzbrief für alle Zeit erkaufen wollte. 
Auch ganze Dorffchaften, wenn fie vom Gewitterfhaden, Hagel oder anderen 
Unglüdsfällen betroffen werben, thun ſolche Gelübde (Vgl. Hintz ©. 13, 
14, 42, 117). So haben z. B. bie Einwohner bes Dorfes Bartofchten 
gahre lang am Sonnabende nicht gearbeitet. In einem andern Dorfe, 
weldyes durch Hagelfchlag viel gelitten Hatte, machte der Schulze äffentlich 
belannt, e8 müge Jedermann am Eonnabend Nachmittag fich gänzlich ber 
Feldarbeit enthalten, damit Gott in Zukunft vor ähnlichem Schaben ber 
wahre (ding, ©. 13). Beſonders geloben fie an den Üpofteltagen und 
ſolchen Zagen, welche bie Katholilen feiern z. B. am Jacobitage, an Chriſti 
Verklärung, an ven Marientagen u, ſ. w. nicht zu arbeiten. An ben be- 
zeichneten Tagen vermeiden fie Übrigens nur die elbarbeit, nicht andere 
Arbeit! oft auch nur die Feldarbeit auf eignem Felde, während fie fich 
nicht ſcheuen bei andern für Lohn Feldarbeit zu verrichten. Als vor eini- 
ger Zeit der Pfarrer D. in 2. an einem foldhen Tage auf dem Felde ars 
beiten ließ und unerwartet Hagelwetter eintrat, fammelten die Bauern 
einige Metzen Hagelförner, brachten fie fehleunigft zum Landrath nach 
Neivenburg und verflagten ben Pfarrer, deſſen Gottlofigfeit fie burch bie 
Hagelkorner zu beweifen meinten. Aehnliches erzählt die Gemeinde zur 





ven Dr. M. Zöppen. 301 


Reätfertigung ihrer Gelübbe von dem Pfarrer in I. Dieſer ſchickte trot 
ber Abmahnung des Schulzen am einem ſolchen Tage feinen Knecht anf 
das Feld; ba flieg ein Gewitter auf und ber Slitz ſchlug gerade bemi 
Harrer zum Schornftein ein — fir biesmal noch ohne weiteren Schaden 
enzurictem Gebr üblich find enblich andy noch Die Gelühte, an brei 
Kirchen, wobei gewöhnlich zwei evangeliſche und eine latholiſche ausge⸗ 
mäßlt wird, zugleich Opfer barzubringen, 

Die Opfer, welche bie, Mafuren auf dem Altare nieberlegen mb bie 
Gaben, welche fie den Hofpitaliten zufenben, werben fehr oft nicht ans 
teinem ebelem Herzen, fonbern mit beredjnendem Stun — als gnte Werke, 
denen die Vergeltung auf ber Spur folgt — und oft mit ſehr aberglän- 
biſchen Nebenvorftellungen dargebracht. Pie Opfer an bie Kirche kommen 
fehr oft vor, aber faft ausſchließlich doch nur dann, wenn man befonbere 
Bürbitten und Dankjagungen in ber Kirche wünſcht, ober wenn man zur 
Eommunion geht. Ienen Fürbitten und Dankffagungen aber geben fle 
eine faft ſchrankenloſe Ausdehnung, indem fie alfe Erlebniſſe und Erfah 
rungen, äußere und innere, leibliche und geiftliche in ben Kreis berfelben 
Sineinziehen, wie Wohnungswechſel, Störungen in ber Wirihſchaft, Kranl- 
heit zc. (Bgl. Hing. ©. 12). Bei Eommunionen ift der Altar von ihnen 
wie belagert, bis jeber feine Gabe Hinanfgelegt Hat. Was es bebente, 
wern bie Mafuren bei Augenkrankheiten Lichte opfern (vgl. Hink ©. 14), 
iſt leicht zu erkennen, unb war baher ehemals als heidniſch firenge verpbnt. 
Die Opfer an brei Kirchen, unter welchen wie gefagt, eine katholiſche zu 
fein pflegt, find ſehr Häufig. So brachte vor Kurzem eine gelbſüchtige 
Gran den beiben evangeliſchen und dem katholiſchen Geiſtlichen in O., um 
ihre Gefundheit wieberzuerlangen, Mehl, Wachs und Geld. In Kr. opferte 
eine Fran fünf Silbergroſchen anf das Hofpital für den Mann, deſſen 
Seele Teine Ruhe findet, und ſprach babei bie Hoffnung aus, baf eine 
glüdliche Seele diefe fünf Silberzroſchen finden und in einer glüdlichen 
Stande durch Gebet die arme Seele erlöfen möchte. Sie theilte dem 
Porrer mit, baß fie auch noch anf drei Kirchen, zwei edangeliſche und 
eine latholiſche opfern wolle, um des Erfolges deſto geiviffer zu fein. Der 
Parrer fragt: „Slanbt Ihr denn das?" Cie antwortete: „Nun ja, wir 
dente gemeinen Gtandes plauben doch das!“ Daf eine ven ben brei 


392 Aberglauben aus Maſuren 


Kirchen eine Tatholifche fei, halten fie nicht gerade für nothwendig, aber 
fie meinen doch, Daß das Opfer fo wirkjamer fei. Die Hospitäler beven- 
ten die Maſuren oft, wie denn Mitleid bei ihmen leicht vege wird. Aber 
es Inüpft ſich an dieſen Alt der Wohlthätigleit fogleich auch ber Aberglau- 
ben. Ste geben z. B. dem Hofpital das erfie Kalb ber Stärke ober bie 
erſte Butter von ber Kuh, welche zum erfien Mal gemelkt wird, weil fie 
feft daran glauben, das gebe Glüd. 

Mm der Art, wie fie die Firchlichen Feſte feiern, weicht manches von 
ven Gebräuden ber anderen evangelifchen Chriften in Preußen ab. 

Am erften Weihnachtöfeiertage wird in ben Kirchen Mafurens und in | 
ben Dörfern, welche feine Kirchen haben, in den Schulen während bes | 
Fruhgottesdienſtes eine. ſehr eigenthümliche und fehr beliebte Feier veran | 
flaltet. Die Schulkinder, welche barauf von dem Lehrer wochenlang vor | 
her vorbereitet find, fptelen babei, ſchon äußerlich durch einen weißen An- 
zug — meiftens Baters Hembe mit einem bunten Bande um bie Taille — | 
und durch Hohe Kronen aus Papierblumen mit Goldſchaum — bei ben | 
Madchen ftatt deſſen Kränze — als Engel kenntlich gemacht, die Haupt | 
rolle. Sie erfcheinen, Lichte (früher Wachslichte) oder Tannenbäumchen | 
mit Lichten in den Händen tragend, in der Kirche, ziehen um den Altar, | 
nehmen dann theil® am Altar theils auf den Chören ihre Pläge ein, nub | 
führen nun Wechfelgefänge auf, tragen einzeln ober im Chor bie Feſtevan⸗ 
gelien vor, ober fagen einzeln die für diefe Beier eigens feit alten Zeiten 
überlieferten Verschen (d. h. eine oracya) her. Es ift Sache des Schul 
lehrers, dieſe Verſe einzuäben und alles recht bramatifch darzuftellen, An 
dieſer Beier, welche man jutrznia (Morgenftern) nennt, nimmt bie ganze 
polnifche Bevölkerung, ja auch viele Dentiche, den lebhafteſten Antheil; 
ſchon von 2 oder 3 an wirb alles in ben Häufern lebendig, bie Feier bes 
ginnt etwa um 4, don ben Polen fehlen bann in ber Kirche nur bie 
Kranken und Schwachen. Bon vielen Seiten Her wirb verfichert, daß bie 
deier fehr erhebend und erbauend wirfe; gewiß ift, daß bie im Ganzen 
weichen Gemüther ber Polen durch diefelbe fehr gerührt werben, und daß 
namentlich die Waifenkinder durch ihre Verschen bie regſte Theilnahme 
erwedten. (Nahere Beichreibungen biefer eier bei Roſenheyn Reiſelizzen 
ans Oft und Weſtpreußen. Danzig 1858 Bd. 2 ©. 114 ff. Hintz Alte 





von Dr. M. Typen. 8398 


gute Sitte ©. 43 |.) Die Feier if uralt; Piſanski erwähnt in feinen 
handichriftlich erhaltenen Johannisburger Eolfectaneen, daß fie in der Stabt 
dohannisburg um 1735 abgeſchafft fei; gegenwärtig bürfte fie überhaupt 
in Städten nur noch äußerft felten vortommen. 

An die vormalige Herrſchaft der römiſchen Kirche und ihre Earnevale 
erinnern allerlei Vermummungen, Narrheiten und Ansichreitungen, ja hie 
und da Ausbrüche wilder Bacchanalien vor Eintritt der Faſtenzeit, mit 
deren Befeitigung bie evangeliſche Kirche viel zu Tämpfen hat (Hiutz ©. 46). 

Der Einfluß der latholiſchen Kirche "zeigt ſich beſonders deutlich in 
der bei den Maſuren von alten Zeiten her beibehaltenen Gewohnheit, ven 
Sharfreitag nicht als rechten Feſttag zu betrachten; während fie fonft ſo 
forgfältig die Arbeit an Feſttagen vermeiden, wurbe an dem Eharfreitage 
doch wenigſtens vor nicht langer Zeit noch gearbeitet; ja viele ftellten for 
gar den Grünbonnerftag höher als den Charfreitag. Es ſoll darin ges 
gegenwwärtig im Allgemeinen eine Yenberung eingetreten fein. (Bgl. Hink 
©. 48 ff). 

Der Trinitatisfonntag (ber nächſte Sonntag nach Pfingften) gilt bei 
den Mafuren als ein Hauptfetertag und wird oft feftlicher als das Pfingft- 
feft begangen, was ſich auch barin zeigt, daß an ihm die meiften Opfer 
und Donative für bie Kirche gefpendet werben. (ding ©. 53.) 

Die Polen feiern ein boppeltes Erntefeit, nämlich außer dem feſtſtehen⸗ 
den und allgemein üblichen noch eins am Sonntage vor bem Beginn ber 
Ernte, dem Sonntage vor Yacobi, An diefem wird ſtets das ungemein 
beliebte, an Inhalt und Melodie ganz eigenthümliche, Acht polniſche Lieb 
Pola juz biste (d. h. ſchon find die Felder weiß) gefungen. (Hink ©. 54,)*) 

Den Buß- und Bettag betrachten die Mafuren, welche gerade hier 
durch ihre Anhänglichkeit an das Altüberlieferte and in Kirchenfachen bes 
zeugen, als einen Feiertag, mit dem bie Kirche im Grumde nichts zu 





*) Diefes Felt vor Beginn der Ernte ſcheint aus uralten, heidniſchen Zeiten 
übirliefert zu fein. Meletius de sacrificiis veterum Prussorum, in Act, Bor. T. II, 
p- 403 jagt: Quando jam segetes sunt maturae, rustici in agris ad sacrificium con- 
gregantur, quod lingna Rutenica sacainek vocatur, id est initium messis. Hoc sacro 
peraeio, unus & multitudine 5 messen auspicatur, manipulo demesso, quem 
domum adfert, Postridie omnes, primo illius domestiei, deinde caeteri, guicungue vo- 
hat, messem faciunt, 






394 Aberglauben au Maſuren 


ſchaffen Hat; weil er vom Staate angeorbnet ift, nennen fie ihn kurzweg 
Krolowskie swieto d. 5. fönigficher Feſttag. Die Menge verhält ſich ihm 
gegenüber Kühl und gleichgültig. Dem auf ähnliche Art entftandenen Tod⸗ 
tenfefte wenbet fie ebenfo geringe Beachtung zu, ja im manchen Gegenden 
fol dafjelbe wie eine Art Carneval in lärmenden Luftbarkeiten verbracht 
werben, zur Entſchädigung für bie in ber Adventszeit zu beobachtenbe und 
gewiſſenhaft beobachtete Stille und Zurädhaltung. (Hing S. 41 f. 54.) 

Die Anrufung ber katholiſchen Heiligen, felbft der Jungfrau Maria, 
ſcheint in Maſuren nirgends üblich zu fein.”) Doch wird ber von katholi⸗ 
ſcher Seite her verbreitete Schlüffel wichtiger Geheimniffe, in welchem anf 
die Fürbitten ber Jungfrau Maria großes Gewicht gelegt ift, mit gläubi- 
gem Sinne viel gelejen, und eine Anzahl ber latholiſchen Feiertage, be- 
ſonders mehrere Marien- und Apofteltage, ber Frohnleichnamstag, und vor 
allen ber Tag ber Verklärung Chriſti (6. Auguſt) werben, wie im vorigen 
Iahrhundert (Piſanski No. 25 $. 16), fo noch jet, theils in Folge von 
Gelübben, theils aus alter Gewohnheit in vielen Gegenden Mafurene 
mitgefeiert. Der Tag ber Berflärung Chriſti ift ben Maſuren zugleich ber 
Tag der Umwandlung bes Herrn (Panskie przemienienie) und der Um- 
wanbelung feiner Roth und feiner Leiden, es ift ihm ber Tag ber Hülfe 
und GErrettung und feine Opfergaben fließen an biefem Tage an evangeli« 
ſche und katholiſche Kirchen am reichlichſten. (Bgl. Hiny ©. 56 ff... 

Was die evangelifhen Bewohner Mafurens aus ber Zeit ber Herr- 
ſchaft bes Katholicismus am zäheften feftgehalten haben, und was fie noch 
jegt am meiften an ben Katholicismus fefielt, das find bie Wallfahrten. 
Der Aberglaube, welder ji an das Tannenberger Schlachtfeld knüpft, 
ſtammt fiher aus ber Zeit des katholiſchen Kirchenregiments und ift and) 
gegenwärtig unter ben Ratholiten fehr verbreitet. 3. S. Bod ſchreibt in 
feiner wirthſchaftlichen Naturgefchichte von Prengen, Deflau 1783, Bp. 2 
©. 14 fü: Nahe bei ven überbliebenen Mauerftüden ver ehemaligen tan- 


*) In einem Vifitationdreceß der Paffenbeimer Kirche von 1667 kommt die Notiz 
vor: „Jan Samplali von Groß Rauſchlen hat nebft dem chriſtlichen Glauben das Ave 
Maria gebetet, ſprechend: Jeſus kann ohne Maria nicht fein.” Piſansti No. 4 $.15 er 
wähnt um 1756 nur, daß mandye ihren Namen bei leihtfinnigen Schwuren und Betheue · 
tungen nennen, ober ihn ald Ausruf der Verwunderung gebrauchen. 


von Dr. M. Töppen. 895 


nenbergifchen Kapelle, anf einer beträchtlichen Höhe iſt ein vermuthlich von 
Menſchenhänden gegrabener Teich, deſſen Wafler man von langer Zeit ber 
eine beſondere Kraft zugefchrieben, welche Meinung auch noch nicht bei 
den Zenten, befonbers von ber römiſch⸗katholiſchen Kirche, aufgehöret Hat, 
die fi) mit Erzählung vieler Wunderkuren, die durch baffelbe follen bes 
merfftefliget fein, unterhalten. Viel gemeines Bolt ans Polen, auch wohl 
ans Preußen, findet fi) am anderen Pfingfitage ein, ſich in dem Teich zu 
waſchen und zu baden, worauf fie manche Kleivungsftäde an Hemden, 
Mögen, Hauben, Tüchern u. dgl. im Waffer zurücklaſſen: Es reifen and 
bisweilen Perfonen vom Stande, aber des Nachts dorthin, weil fie fih 
ihres Aberglaubens ſchämen, und halten daſelbſt ihre Wallfahrten und Ges 
lũbde.“ Ganz in derfelben Weife dauern biefe Wallfohrten noch bis auf 
den hextigen Tag fort. 

Die Evangeliſchen reifen aber aus Maſuren oft andy nach ven Kirchen 
ber Katholiken, wo Ablaß ertheilt wird und Wunberfuren vor fich gehen. 
Schon Piſanski (Mo. 248.14) klagt hierüber, „Es gefchieht nicht felten,“ 
fagt er, „daß andy umter den Evangeltichen Einfältige ſich bereben laſſen, 
in gefährlichen Kranfgeiten und anderen mißlichen Umftänben das vermeinte 
Wunderbild der Linbifchen Maria anzutreten.” Anch erzählt er bann von 
der Reife eines mit epileptifchen Zufällen behafteten Knaben bahin, bie an⸗ 
geblich den beften Erfolg gehabt haben follte. Bon Maſuren ans aber find 
von jeher und bis auf den heutigen Tag bie Wallfahrtsorte Heilige Linde, 
wo om Tage Peter Paul (29. Juni), Zluttowo bei Löbau, wo am Tage 
der Verklärung Chriſti (6. Auguſt) und Bialntten bei Golden, wo zu Iar 
tobi (25. Juli) Ablaß und Markt ftattfindet, zahlreich und regelmäßig be» 
fügt. Es ift allerdings Hanptfächlich der Markt, welcher bie Menge bort- 
hinzieht und welchen fie nicht entbehren Können, befonbers ber Leinwands ⸗ 
markt in Linde und Zluttowo, ber Pferdemarkt in Bialutten (vgl. Hing 
€.56), allein fie nehmen doch biefe Gelegenheit vielfach wahr, um bort 
Opfer darzubringen, Wein ſegnen zu laſſen, ja wohl gar einen Ablaß zu er- 
halten. Katholiſche Geiſtliche erzählen davon feltfame Dinge. (Bgl. auch 
Rolberg Geſchichte der Heiligen Linde, in ber Zeitſchrift für bie Geſchichte 
mp Alterthumekunde Ermlands Bd. 3. Mainz 1864, ©. 93.) Wie zahl 
teich aber bie proteftantiiche Bevöllerung nach jenen Wallfahrtsorten zieht, 


396 Aberglauben aus Mafuren 


möge man barans erfehen, daß einft als ber evangeliſche Superintendent 
die Kirhenvifitation in Mühlen und Tannenberg auf den 6. Auguft ange 
fegt Hatte, biefer Termin auf den folgenden Tag verſchoben werben mußte, 
weil am 6. Angnft ein großer Theil ber Schullinder mit ihren Eltern ſich 
anf dem Ablaßmarkt zu Zluttowo befand. 

Wie fi) ber Aberglauben bei den Mofuren unmittelbar an Chriften- 
glanben und Kirchendienſt anflammert, davon mögen gleich Hier folgende 
Proben angeführt werben. 

Eine befonbere Kraft wohnt, wie bem Mirchengebete, welches bie Mar 
ſuren überaus Häufig für fi) in Anfpruch nehmen, und anderen kirchlichen 
Handlungen, fo auch ben für firchliche Zwecke geweihten Gegenftänben bei. 
Schon Piſanski (No. 23 8.11) erwähnt den Überglauben, daß das Gebet 
in ber Kirche wirkſamer fei, als außer derſelben, welches Abergläubiſche 
veranlaſſe, bei gefchloffenen Kirchthüren durch das Schlüſſelloch in die Kirche 
hineinzubeten. Eine Spur biefes Aberglaubens fheint fich erhalten zu haben, 
Als Mittel gegen bie engfifche Krankheit wird nämlich folgendes angegeben: 
Das kranke Kind fol dreimal um bie Kirche getragen und jedesmal, wenn 
man an bie Kirchthur kommt, Hineingehaucht werden. (Hobenftein.) 

Bisweilen kommt ber Fall vor, daß jemand um ein kurzes Ölodengelänte 
bittet, weil ihm etwa ein Pferd geftohlen ift, in dem guten Glauben, doß 
der Dieb nicht von der Stelle könne, ſobald bie Glode läute. (Hintz ©. 4.) 

Wenn einer einen Meineid leiftet und im ber Nähe befindet ſich ein 
gelabenes Gewehr, fo geht bies los und: bie Kugel trifft ihn. Daher bie 
ganz gewöhnliche Bethenerungsformel: „Das kann ich bei Hundert Flinten 
beſchwören.“ 

Wird der Meineid gar vor dem Altar und bei erleuchteter Kirche ge⸗ 
ſchworen, fo ift das augenblidliche Verderben des Meineidigen noch ge 
wiſſer; daher ähnliche Betheurungsformeln wie: „das kann ich beſchwören, 
wenn bie ganze Kirche erleuchtet iſt.“ 

Wenn aber beim Eide die erhobenen Finger nicht dem Schwörenden 
zugewendet, fonbern von bemfelben abgewendet werben, fo kann man falſch 
ſchwören, das ſchadet alsdann nichts (Soldan). 

Anh das Einfneifen des Daumens Hilft dem Schwörenden beim 
Meineide. Er nimmt auch wohl während bes Schwörens Steine in ben 


von Dr. M, Tippen. 397 


Bund und fpeit fie fpäter mit bem meineibigen Schwure aus. (Roſenheyn 
Reifeflizgen Bd. 2. ©. 92). 

Gefegneter Communionwein wirb bei allen Krankheiten als höchſte 
und legte Inſtanz benutzt. Um folchen bitten bie Mafuren ihre Pfarrer 
oft. Wenn dieſe ihnen benfelben nicht geben wollen, gehen fie zu Tatho= 
liſchen Bfarrern, die ihn, wie mir gefagt wird, ganz ohne Bebenten geben. 
Oft laſſen fie fid) ven Wein an ben katholiſchen Ablaßorten fegnen. Manche 
denken fogar, ber Communionwein aus latholiſchen Kirchen ſei Träftiger, 
als ber aus evangelifchen. Doc kommen auch Katholiken zu evangelifchen 
Pfarrern, um Communionwein zu erhalten. 

Gelbfühtige laſſen fi) den Abendmahlskelch Holen und fpiegeln fi 
in demfelben, oder thun daſſelbe auch wohl in der Kirche -und meinen ba- 
durch ihre Geſundheit herzuftellen. 

Nicht felten kommt es vor, daß bie bei ber Abendmahlsfeier empfan- 
gene Oblate aufbewahrt und mit nad) Haufe genommen wird. Eine ſolche 
Oblate im Haufe ift ein Mittel gegen Krämpfe. (Johannisburg.) Es ift 
befonvers bei den Katholiken z. B. in Schleſien in Gebrauch. 

Eine Schankdefigerin in Nicolailen Hatte unter dem Grapen, in wel 
Gem ver Branntwein gebrannt wurbe, eine Oblate einmauern laſſen. Seit 
dem firdömten die Menfchen in den Schanf, wie in eine Kirche, und fie 
wurbe reich; aber fie Hatte nach ihrem Tode Teine Ruhe, bis fie ihrem 
Manne durch ein Sonntagskind bie Sache angezeigt und biefer bie Oblate 
aufgefunden und nach ber Kirche gebracht Hatte. (Nicolaiten.) 

Wenn ein Jäger einmal nad) einer ſolchen Oblate geſchoſſen Hat, fo 
lann ex befehlen: „Hafe komm“ und ver Hafe ift da und wirb geſchoſſen. 
(Hohenftein.) — Ein Wilddieb Hatte eine Flinte, mit ber er immer traf, 
er wolite fie aber Niemand in bie Hand geben. Als er auf einer Jagd⸗ 
parthte eingeſchlummert war, nahm fie ein Cumpan und zielt. Wie war 
er erftaunt, als er nun einen Knaben mit einer rothen Mütze gewahr 
wurde, ber ihm vor bie Mündung des Laufes einen Hafen hielt. (Willens 
berg.) — Manche tragen bie Oblate mit noch andern Dingen im Kolben 
der Flinte, um ficher zu treffen. (Willenberg.) 

Hexen brauchen die Oblaten zum ,Beſchütten“ (ſ. u.). Schon Piſanski 
(Ro. 24 8. 13) jagt: Eine entſetzliche Bosheit Hat zuweilen einige dahin 


398 Abragbauben aus Dafuren 


verfeitet, die tim Heiligen Abendmahl empfangene Oblate jn verruchten 
Abfichten zu gebrauchen. 

Wer nad dem Empfange bes Abendmahls Hinter dem Wltore mit 
einem Peitſchchen (das er zu biefem Zwede unter dem Rode in Bereitſchaft 
halt, auch nach gefchehener That gleich wieder werftedt) knallt, der lann 
fortan hexen. (Hobenftein.) 

Das Kirchenwachs, befonders das von den Kirchenlichtern ablamjenbe, 
ſuchen viele, da fie es gegen die Epilepfie für wirffam Halten. (XTöppen 
in ben R, Pr. Prov.-Bl. 1846 Bb.2 ©. 471.) 

Angentranfe ſchenlen ber Kirche Wachslichte, inbem fie abergläubiſch 
das Licht der Augen und das Wachslicht in einen geheimnigvollen Zuſam⸗ 
menhang bringen. (Ging ©. 14). 

Das Evangelium Johannis, ſagt Pifanski (No. 24 8.16) ift uns zu 
einem viel höheren Gebrauch gegeben, als baf ber Aberglaube durch ſel⸗ 
biges das Fieber vertreiben, ober wenn er einen Exbfchlüffel dazu genom- 
men, Diebflähle entveden fol. Die Bibel wird aber auch jegt noch oft 
zu folhen Dingen gebraucht (ſ. u.). 

Es if üblich dem nengeborenen Rinde ein Geſangbuch unter den Kopf 
zu legen, damit nicht der Teufel komme, das Kind fortnehme und an 
Stelle feiner einen Wechſelbalg in bie Wiege lege. (Hink ©. 74). 

1 Bie dämsnifcen Märkte. 

Duntele geheimnißvolle Mächte üben Aber die Maſuren einen mächtigen 
Einfluß. Böfe und gute Tage, böfe und gute Himmelszeihen, Menfchen mit 
gutem ober böfem Blide präformiren unabänberlich das künftige Schickſal 
des Nengebornen.“) Was man auch unternehmen möge, aller glückliche 
Erfolg Hängt doch weſentlich von ber guten Stunde ab, in welcher man 
es unternommen bat. Alles, woran man feine rende hat, muß man 
wohl hüten vor dem böſen Blid, felbft der befte wohlwollendſte Freund 
kann es, ohne es zu wollen und zu wiſſen, durch ben böfen Blick verder⸗ 
ben md vermichten. An beftimmte Drte muß man fich begeben, um jenen 
dunleln Mächten und ihren Wirkungen näher zu fein. Die änferlichften 
Formen umd Zeichen ftehn mit ven wimberbarften Erfolgen in nothwendigem 


*) (ang. Gemeindeblatt von Weib 1867 6. 229. 





von Dr. M. Züppen. 398. 


Zaſammenhauge, gewiflen Sprüchen unb Bormeln, fowie gewiſſen oft feltja- 
men Handlungen wohnt eine unglaubliche Kraft bei, und es ereiguen ſich in 
Mofuren vor aller Augen Dinge, welche in aller übrigen Welt unerhört find. 

Der alte GBötterhimmel freifich ift fo ziemlich ansgeftorben. Wenn 
man noch im fechözehnten Jahrhundert trog chriſtlichem Bekenntniß und 
chriſtlicher Kirche die Hauptgätter des Heidenthums Perkunus, Patollus, 
votrimpue, Pergrubrius, Pilvitus n. ſ. f. aurief und ihnen öffentlich Opfer 
darbrachte, an denen zahlreiche Dorfſchaften Theil nahmen, fo iſt daran 
jetzt freilich nicht mehr zu benfen,=) 

Hie und de tritt an bie Stelle jener alten Götter geradezu der Ten 
fel, man umgeht aber bie Nennung befielben lieber und begnügt ſich zu 
fagen: „to nie dobre“ d. h. das ift nichts gutes, ober man fpricht von 
nböfen Menſchen“, die irgend etwas angeftiftet Haben und meint damit 
Menfchen, die mit dem Böfen im Bunde flehen. Der Ansprud Teufel oder 
der Bäfe ift aber offenbar da, wo man von ben angenommenen höheren 
Mächten etwas Gutes erwartet, nicht anwendbar und in biefem alle Hört 
man ben merhvrbigen Ausbrud, man wenbe fi) au bie bozki b. h. Götter» 
en, wovon die Oötzen ber Bibel ganz verſchieden find (Götze Heißt baldan), 


*) Den Namen Perkunos kennt das mafuriiche Vol nicht mehr. Gin aus ber 
nach Mafuren gelommener Miffionspreviger erzählte mir zum Beweiſe, wie leben ⸗ 
ig bier noch altheidniſche Weberlieferungen feien, er fei mit einem Mafuren eine Strede 
ftürmifhem Wetter zufammengefahren, der Mafure etwas angetrunten, habe, da bie 
ge verſchneit, der Abend dunkel geweſen wäre, ſich vom rechten Wege verirrt und zus 
gefluht und gefeufzt: o Potrimpus! o Potrimpus! Ich fehte fofort ſtarle Zweifel 
die voltäthfimliche Meberlieferung dieſes Ausrufs, der allen meinen bisherigen Crfah- 
ingen wiberfprad. Nachtraglich fand fich, der Wagenbefiger war ein Schullehrer ges 
weſen, der feine Kenntniß wahrſcheinlich aus Heinel geihöpft hatte; und aller Nachfor⸗ 
Kung ungeachtet habe ich feine Spur entbeden fönnen, daß Perkunos nod im Munde 
des Volles fortlebe. Der Name Pitullus, der übrigens mit dem Namen Patollus nicht 
einmal identiſch, fondern erft in chriftlicher Zeit zur Bezeichnung des Teufels oder Höllen« 
aottes gebilbet fein foll, Bender de veterum Prutenorum diis, Brunsbergae 1865 p.10, ° 
bezeichnet bei den Mafuren wie überhaupt bei den Polen etwa fo viel ald Gefpenft oder 
auch eine vermummte pußige Geftalt. Wenn zur Weihnachtsbeicherung gellingelt wird, 
fo fogt man Bikullus hat geffingelt (wo er alfo etwa dem Knecht Ruprecht gleich reis 
man bevient ſich biezu meiltens thönerner Glocen, welche daher aud am 

Menge feilgebeten werden); auch die häßlihen Figuren, welche der Mummenfdanz vn 
Gaftenzeit zu Tage fördert, nennt man Pilullus; auch ift der Name ein beliebtes Schimpf · 
wort, defien fh befonbers die Frauen bebienen, um eiwas al haßlich zu bezeidmen. 


gpErF 


FE 


400 Aberglauben aus Maſuren 


Nur einige freundliche oder feindliche Geifter nieberer Ordnung wer» 
den perfönlich gedacht und mit beftimmten Namen bezeichnet, Am Häufig 
fien die Cobolde oder Alfe. Die Weberlieferungen über biefelben, welche 
im ſechszehnten Jahrhundert fo reichlich fließen, laſſen fich leicht bis in bie 
neueften Zeiten verfolgen. Nur ber Zug, daß fie feurig durch bie Luft 
fliegen, und daß fie auch Alfe genannt werben, ſcheint im fechszehnten 
Iahrhundert nicht aufgezeichnet zu fein. Im Dr. Bernhard Derſchows 
chriſtlichem Bedenlen von der Peftilenz, Königsberg 1628, 4. p. 264 heißt 
eon: „Der Alph ober der Teufel würde Dir das Deine wohl zufrieben und 
unweggetragen laſſen müffen, wenn ihn Gott ber Herr nicht zuvor über 
Dir verhängen thäte.“ Chriſtoph Piſanski in der Echrift von einigen 
Ueberbfeibfeln des Heidenthums und Pabſtthums in Preußen 1756 No. 21 
8.4 bemerkt: „Die abergläubifche Einfalt ftellet fih unter den Alfen eine 
Gattung böfer Geifter vor, die in Geftalt feuriger Draden bes Nachts 
durch die Luft fliegen, ihren Verehrern allerlei an Geld und Lebensmitteln 
zuſchleppen, aber auch ben ihnen angethanen Schtmpf durch das Abbren- 
nen ber Häufer, Ausleerung ber Schennen unb andere zugefügte Unglücks⸗ 
fälle rächen... .. In den Städten vernimmt man zwar vom biejen flie⸗ 
genden Geiftern ſchon felten etwas, hingegen in ben Wleden und Dörfern 
wirb noch jego mancher durch fie reich und arm und dadurch den lieblo- 
feften Beurtheilungen feiner Nachbarn bloßgeftellt.” Noch gegenwärtig treie 
ben bie Eobolde ihr Wefen in den polnifhen Gegenden Preußens recht 
geihäftig. Mir find darüber folgende Mittheilungen gemacht, 

Der verftorbene B. in Hohenftein Hat einen Cobold gehabt, Den 
haben viele Abende ausfliegen fehen. 

Auch der verftorbene R. in Hohenftein Hat fo einen Cobold gehabt, 
und wenn fo ein Eobold ober Alf geflogen ift, ift Hinter ihm immer ein 
Wiſch Teuer nachgezogen. Man Hat bei R. oft ben Eobold in ben Schorn- 
ftein fliegen ſehn. . 

Alte Leute in Hohenftein fagen: Der Cobold ift eine Art Vogel, 
welchen man heimlich — etwa auf dem Boden in einer Tonne Hält und 
gut mit Keulchen füttert, Im ber Nacht fliegt er weg und bringt für ben, 
welcher ihn Hält, Geld mit, 

Tiſchler ©. in Willenderg hatte die Pumpen in Orbmung zu halten, 





von Dr. M. Tippen. 401 


im Winter mußte er oft mit glühenbem Eiſen nach ber Pumpe. Da fag- 
ten bie Sente, er habe einen kolbuk (— Eobolo), bis fie fahen, daß es 
ein glühenbes Eifen war, 

Wenn ber kolbuk burd die Luft fliegt, und man ſieht bie Funken 
von ihm fprähen, fo muß man unter das Dach laufen, fonft wird man 
mit Länfen und Ungeziefer beſchüttet. (Willenberg.) 

Der kolbuk wird gewöhnlich auf dem Boden verftedt, daß ihn Nies 
mand fehen fol. Er muß gut gefüttert werben z. B. mit Spirkeln und 
Nüßreiern, und muß ein weiches Bette haben. Bei Tage verftedt er ſich 
unter ber Zubede, in ber Nacht treibt er fein Wefen. Man ftellt ihn ſich 
als ein Heines Kind in rothem Rode vor; fo fah ihn eine Frau, bie un, 
vermuthet auf ven Boden kam, im Bette figen. (Willenberg.) 

Bon ben Unterirbfchchen weiß das Volt im Drtelsburger Kreife nichts; 
der kolbuk ift befannt, Er ift in der Wirthſchaft behülflich, ſchleppt zu 
ſammen. Wer ihn hat, bei bem iſt immer Getreide. 

Eine Henne lam bei Regenwetter in ein Haus; man wollte fie Hin. 
ansjagen, fie blieb aber body und wurbe gelitten. Man gab ihr ſchließ⸗ 
lich etwas zu freſſen und behielt fie über Nacht. Am nächſten Morgen 
lag anf dem Plate, wo fie gefeflen hatte, ein Haufen Getreibe, und auch 
fpäter forgte fie für bie Lente, bei denen fie Obdach gefunden hatte, daß 
immer vollanf Getreide in dem Hanfe war. Das war auch ein kolbuk, 
Willenberg.) 

Der Eobold Hat die Geſtalt eines Affen. Wenn er etwas trägt, fal⸗ 
ien Sunfen, wenn er nichts trägt, ift er nur ein Meines Flammchen. 
(RL. Serntten.) 

Eine Kanfmannsfran in Neibenburg Hatte einen Vogel, wie eine Eule, 
der ihr Reichthümer verichaffte, wie fie denn auch einen großen Aufwand 
machte. Nach ihrem Tode foll die Eule durch den Schornftein zu einem 
Berwanbten geflogen fein. Der Mann fand nach ihrem Tode einige tau⸗ 
ſend Thaler und Koftbarkeiten aller Art, golvene Uhren, Ketten, koſtbare 
Aleiderſtoffe 2c., wovon er früher nichts gewußt Hatte, wodurch die Sache 
beftätigt wurde. 

Eine Tran bei Soldau Hatte eine große Katze und pflegte fie aufs 


Befte. Durch dieſelbe hob ſich bie fehr heruniergelenm·ne Wirthſchaft 
Mtye, Venetoiquint vd. TIL du.6. 


408 Aberaleube cus Mafusen 


zuſehends. Als die Kate getöbtet wurde, ging es mit der Frau wieder 
rüdwarts. 

Ein Bauer in Friedrichshof wurde durch einen Cobold wohlhabend. 
Der flog gegen Abend durch den Schornſtein feines Hauſes aus und ein. 
Wenn er heimfam, Hatte er einen langen Schweif, aus bem bie Zunlen 
fprühten. Der Cobold foll Menfchengeftalt Haben, wenn er in das Hans 
kommt, aber wenn er fliegt ift es eine Art vom Drachen. An einen fol 
chen Cobold verkauft mancher feine Seele und macht mit ihm ab, daß er 
ihm eine Zeit lang dient und zuträgt. Ein Dann, ver dies in Friedrichs⸗ 
hof gethan hatte, farb plöglich, und man fagte nun allgemein, der Eobold 
Hat ihn geholt, 

Am auffallendften dürfte folgende Mitteilung ans ber Soldauer Ge⸗ 
gend fein, bie ich doch nicht als durchaus vollsthümlich verbürgen möchte. 
Der kolbuk verlangt für feine Dienfte, daß man ihm ein Zimmer ein 
raume, welches ſchwarz angeftrichen oder mit fchwarzem Zeuge ausgefchla- 
gen fein foll, Diefes Zimmer barf Niemand betreten, als der Hauseigen⸗ 
thumer bei Mitternacht, um ihn zu füttern. Der kolbuk verlangt aber 
gute Speifen und verſchmäht auch Wein nicht. Er hat bie Geftalt einer 
Heinen menfchlichen Figur und ift von Glas!! Wenn der, welcher ihn be 
fügt flieht, fo fliegt er durch den Schornflein fort, begiebt fi dann aber 
meiftens zu einem Verwandten bes Verftorbenen. 

Wenn ber Cobold nicht gut gepflegt wird, verläßt er ben, bei welchem 
er fi fo lange aufgehalten hat, und ſchleppt allmählig auch dasjenige 
fort, was er ihm bisher zugebracht Hat. Nach dem Tode feines Pflegers 
geht er gewöhnlich zu defien Verwandten. (Hohenftein.) 

Die Hausgeifter, von welchen wir bisher geſprochen haben, Haben 
das GEigentHümliche, daß fie fenrig durch die Buft fahren, um ihren Pfler 
gem Reichthümer zu verſchaffen. Pifanski legt ihnen nur den Namen Alf 
bei und unterfcheibet von ihnen gegen ben noch gegenwärtig herrſchenden 
Gebrauch andere unter bem Namen Cobolde oder Erbmännlein. Der 
Unterſchied iſt ſchwerlich aufrecht zu erhalten, doch erzählt er von den le» 
teren, daß man fie ſowohl in ben polniſchen als in ben beutfchen @egen- 
ben Preußens noch fehr wohl kenne. „Noch heutigen Tages, fagt er, ift 
man beim Wochenbette ihrethalben nicht ohne Beſorgniß. Nimmt bie Wär- 





von Dr. M. Lippen. 408. 


terin ben Säugliüg befonbers vor empfangener Taufe nicht genau. in Acht, 
fo foll e8 wohl mehrmalen gefchehen fein, daß das fpannenlange Männ- 
fein mit dem langen Bart das Kind aus der Wiege gehoben unter bie 
Ofenbank geworfen, und wenn man es nicht zeitig bemerkt hätte, mit ſich 
im die unteriebifchen Klüfte würbe getragen haben.” (Piſanski Ro. 228.5. 
Die oben angeführte Unterſcheidung Piſanski's beftätigt weder Meletius 
noch Hartknoch Diss. VIIL $.5.)- 

Auch gegenwärtig ift die Furcht vor Verwechſelung des eigenen Kin⸗ 
bes mit einem Wechſelbalge fehr verbreitet und fehr vege — man fucht 
das Rind dagegen zu fügen, indem man einen Stahl in die Wiege legt. 
Eine fehr alte polnifche Bäuerin aus der Gegend von Hohenflein berich- 
tete, daß der Wechfelbalg gewöhnlich einen fehr großen Kopf habe, Aber, 
fügte fie Hinzu, es giebt doch auch ein Mittel, das eigene Kind wieder zu- 
rädzuerhalten. Man muß nämlich das untergefchobene Kind nehmen und 
tüchtig burchprägeln und auf ben Mift werfen. Dann bringen bie Uuter- 
erdſchchen das rechte Kind wieder, freilich auch tüchtig zerprägelt. Je befier 
man ſchlägt (auch Blut darf man nicht fehenen), deſto fchneller bekommt 
man fein Kind zurüd, (Lubainen bei Ofterobe.) 

Die Unholde, welche neugeborne Kinder mit Wechſelbälgen vertanfchen, 
bezeichnet man als Eobolve. (Hohenftein.) Auffallend war es mir daß in. 
einem Falle dieſe Unholve, welche die Kinder verwechſeln, krazno ludki 
genannt werben, was fo viel bebeuten foll, als „Fettleute“, während bie» 
ſer Name in biefem Zuſammenhange anderweitig völlig unbelannt iſt. 
(Eubainen.) Der Eobolbglauben, welcher noch im Anfauge dieſes Jahr⸗ 
hunderts allgemein war, iſt jetzt ſehr im Abnehmen. 

Selbſt in den Leib fahren die böſen Geiſter dem Menſchen, ihn zu. 
quälen. 

Die Untererdſchchen oder krazno lutki neden und plagen bie Men- 
ſchen cobofbartig nicht nur von außen her, fonbern treiben .oft fogar ihr 
Befen in dem Bauche des Menſchen, was ſich dem Gefüßf‘ durch größere 
oder geringere Leibesbeſchwerden, dem Gehör aber durch ein froſchartiges 
Quaden und Gutgeln bemerkbar macht und ſobald wie möglich verfeguet 
werden muß, wenn es nicht fehr fchlimm werben fol. (Lubainen bei 


Ofterode) 
26° 


404 Aberglauben aus Naſuren 


In ber Hohenfteiner Gegend find bie krazno lutki fehr befannt, mäß- 
rend ich im Ortelsburger Kreife nach benfelben bis dahin vergeblich fragte. 
Im der Hohenfteiner Gegenb Heißt es, bie krazno lutki find ganz Heine 
rothe Würmer, welche in den Eingeweiden ven Menfchen quälen und ihn 
allmahlig verzehren, fo daß er zulet ganz troden wird. Man kaum fie 
aber vertreiben. Man brennt zwiſchen Weihnachten und Neujahr Aſche, 
denn nur foldhe Afche if} dazu gut. Das Zimmer, in dem fich ber Kraule 
aufgätt, wirb rein ausgefegt, ein Lalen ausgebreitet, ver Kranfe darauf ger 
legt und mit ber bezeichneten Aſche befiebt. Dabei werben Segensformeln 
geſprochen und Kreuze geſchlagen, dann gehn bie krazno lutki durch. Es 
giebt im und bei Hohenſtein mehrere Perſonen, welche ſolche Heilungen 
ausführen. 

Es giebt auch ein Epiel, bei welchem krazno ludek gerufen wird. 
Es iſt fo ahnlich, wie das befannte: „Der Plummfad kommt.“ Der Runde, 
der die andern mit dem Kantſchn jagt, if} der krazno Iudek. (Gilgenburg.) 

Im Hohenftein gab es einen jungen Menfchen, den ſchon Yahre lang 
bie krazno lutk; quäffen. Ein berühmter Verſegner wurde herbeigerufen. 
Der firente Aſche auf den Boden, ver Kranke legte ſich anf bie Aſche mit 
dem Wefichte nach unten. Alsbald gingen ihm eine Menge von Würmern 
ab, die von fehr verſchiedener Größe waren, einige kaum zolllang, andere 
wohl fingerlang. Sie waren fehr Häßlich anzufehn: denn fie Hatten fehr 
dicke Köpfe und die Köpfe waren von verfchiebener Farbe fhwarz, roth, 
grün m. |. w. Die Würmer ſchoſſen durch die Aſche nach ben Wanden 
und verkrochen fich unter ven Möbeln. Einer ging dem Kranken durch 
den Mund (Motabene, durch ben Mund waren alle herauegekommen) twier 
der zurüd. Das war ein ſchlechtes Zeichen. Diefe Würmer haben näm- 
lich einen König; wenn ber mit Hinausgelommen wäre, würbe fein ande 
ver zurädgegangen fein. Wenn aber nicht alle hinaus find, dauert die 
Kraufpeit fort. dohenſtein.) 

Wenn einer, der bie krazno lutki hat, verſegnet werben ſoll, fo wird 
bie Stube gefegt, der Krante im Dunkeln nadt hingelegt. Dann flebt ber 
Verſegner mit der (wie oben) dazu geeigneten Aſche einen reis ringe 
um ihn. Nach einiger Zeit wird Licht angeftedt und man findet anf ber 
Ace Würmer, and) Haare, ſelbſt Wanzen. Gehen bie Würmer von dem 





von Dr. M. Lippen. 405 


Menſchen, fo wird er gefunb, kriechen fie nach ihm, fo muß er flerben. 
Getoürme und Haare ſammelt der Verfegner auf und verbrennt fie. (dor 
beaftein.) ' 

Die Verfeguungen gegen bie krazno ludki werben zu feiner anderen 
Zeit als Donnerftag Abende vorgenommen. (Hohenftein.) 

Mit den Fettlenten find noch die weißen und bie lalten Leute zu⸗ 
ſammenzuſtellen. 

Nach der Kirchenchronil zu Friedrichshof Hatte fich ein Pfarrer diſcher 
daſelbſt um das Jahr 1741 die Aufgabe geflellt, ven Aberglauben anszus 
votten, Er fpärte unter andern einen alten Kerl auf, welcher fi zum 
Verſegnen und zu feinen Wunderkuren folgender einfachen Formel bebiente; 
ex betete zuerfi das Vaterunſer und ſprach dann: „Weiße Leute, Talte Leute 
(„ober, wie fonften die Deutſchen fagen: Heine”) weichet von dieſem. Es 
dürfte aus biefer Weberlieferung deutlich hervorgehen, daß auch bie weißen 
und Falten Leute zu ben Unterirdſchchen ober Cobolden zu rechnen find. 

Wenn einen Kranken bie weißen Sente (biale Iudzie) quälen, wird in 
Bolen Freitags (?) ein Lager von Erbſenſtroh gemacht, Lalen geipreitet und 
der Krane darauf gelegt. Dann trägt einer ein Sieb mit Aſche auf bem 
Rüden, geht um den Kranken herum und läßt bie Aſche auslaufen, fo daß 
das ganze Lager davon umſtreut wird. Früh Morgens zählt man alle 
Striche auf der Aſche, und ſtillſchweigende, ohue unterwegs zu grüßen, 
Hinterbringt fie einer ber Mugen ran, bie nun Mittel vorſchreibt. Im 
der Aſche brüden ſich bie Spuren ber Geifter ab, wie man auch den Erb» 
männfein Aſche firent. (Grimm, deutſche Mythologie S. 1117. Bieſter, 
Reue Berliner Monatsfhrift 1802. 8. ©. 230.) 

Ob Jemand mit weißen Senten behaftet fei, erfennt man in Maſuren 
fo: Man nimmt drei Kirſchruthen zufammen und ſchneidet fie in Heine 
Studchen, indem man ſpricht: Eins nicht eins, zwei wicht zwei m. f. w. 
bis neun nicht nenn! und biefes Verfahren dreimal wiederholt, fo daß 
man dreimal 27 oder 81 Meine Stäbchen erhält. Diefe Stäbchen mun 
wirft man in eine Schale voll Waffer, das man betenb bekrenzt und feg- 
wet. Der Gegen, in welchem ber Borname bes Kranken, z. ®. Gottlieb, 
genannt werden muß, Iantet: „Weber den Gottlieb getanften komme Bott 
Vater, ber Sohn umb der heilige Geiſt.“ Amen wird nicht Hingugefeht. 


406 Aberglauben aus Maſuren 


Bleiben alle Stäbchen ſchwimmen, jo ift ber Genannte von weißen Leuten 
feei, geht aber ein Theil berfelben unter, fo ift er mit ihnen behaftet und 
war in beim Grabe, als das Verhältwiß der untergegangenen zu ben 
ſchwimmenden Stäbchen angiebt. Zur Bannung der Krankheit tft alsdann 
folgender Zauberfpruch mächtig: „Weicht ihr weißen Leute von biefem ger 
tauften Gottlieb, fort aus feiner Haut, aus feinem Leibe, aus feinem But, 
aus feinen Adern, aus feinen Gelenfen, aus feinen Glievernl ern im 
Meere ift ein großer Stein, bahin gehet, dahin fahret, bort trinfet, bort 
zehret! Durch die Macht Gottes, durch ben Sohn Gottes, durch ben hei⸗ 
gen Geiſt.“ Diefer Spruch wirb dreimal wieberholt und zulegt and 
nod Amen Hinzugefegt, während man, bie Schale in ber linfen Hand hal⸗ 
tenb, das Waſſer nebft ven Stäbchen mit ber rechten auf ben Heerd ver- 
ſpritzt, fo daß beim Schluſſe alles Waller ansgegofien iſt. Die Kranfen, 
welche bleich ausfehen, unluftig zur Arbeit find, an Schlaflofigkeit und Er- 
ſchlaffung der Glieder (Bleichſucht) leiden, werben dadurch wieder geſund. 
(Mit:yeilung dee Gutsbefigers Hafienftein in ven N. Pr. Prov.Bl. 1847. 
Bd. 1. ©. 473 f) 

Unter dem Namen bleiche oder kalte Leute iſt auf dem Lande eine 
innere rantheit belannt (etwa Bleichſucht). Frauen leiden an derſelben 
beſonders und ſehen daun bleich und abgemagert aus. Man hielt früher 
für wahr, daß die Kranken von menſchlichen Weſen, die ſich in kalte, bleiche 
Gnomen ꝛc. verwandeln können, beſeſſen ſeien. (Oletzko.) 

m manchen Gegenden habe ich nach den Fettleutchen und nach ben 
weißen Leuten vergeblich geforicht, während man bafelbft die falten Leute, 
zimne ludze, fehr wohl fennt. „Er Hat die falten Leute” ift eine Be- 
zeichnung für manderlei Krankheiten. Die zimne ludze, heißt es Bier, 
find Heine Thierchen, nur etwa fo groß als Stednabelföpfe, welche reis 
henweiſe im Walde hinziehen und bie Krankheit bringen, welche ſich ber 
fonbers durch blaue Nägel verräth. Man hütet ſich um ihrer Willen fehr 
dor ben Wagengeleifen. (RL Ierutten.) 

Eine Fran, welde in der Johannisburger Gegenb lange gewohnt hat 
und jet bei Hohenftein wohnt, verſicherte mic, daß man bort mit bem 
Nomen zimne lutki daſſelbe bezeichne, was Hier krazno lutki heiße. Es 
ſeien kleine Leuicher, fo Hein, daß man fie kaum fehen könne. Sie treiben 





von Dr. M. Täppen. 407 


dr Weſen im Kopfe unb verurſachen Fieberfroſt und Schmerzen. Donnerftag 
nach Abenbbrod mäüffen fie verfegnet werben, 

Die krazno lutki find etwa fo groß wie Mücken ober wie Meine 
Städchen einer Stednabel mit braunen Köpfchen. Man muß fie nah Ab» 
nahme des Mondes an einem Donnerflag beſprechen. Der Kamin wird 
zugemacht, ba es in ber Stube dunkel wird. Die Aſche wirb mit einem 
Haarſieb rund um ben Kranken geſiebt, das Haarfieb aber dabei nicht, wie 
gewöhnlich, rechts um, ſondern linls um gebreht. Dann wird der Kamin 
fehnell geöffnet, ein Kiehnſpan ſchuell angezündet und num nach ben Gäns 
gen gefehen, auf welchen die Würmer burch die Aſche gezogen find. Findet 
man feine, fo Heißt es, bie Würmer find wieder in ben Kranken zurückge⸗ 
gangen und ihm tft nicht mehr zu Helfen; gehen fie aber von dem Kran 
ten ab, fo ift dies ein gutes Zeichen. (Hohenſtein.) 

Macica ift nad) Einigen Magenkrampf, nad) Anderen Kolik; wieder 
Andere fagen, das Wort ſei umüberfegbar, weil ber Deutfche die Kranlheit 
nicht Tennt. Unfer gemeine Mann denkt fi unter Macica einen mit 
ſcharfen Krallen verfehenen Wurm, ber fi) im Cingeweide bes Menſcheu 
befinbet und durch befonbere Veranlafjung aufgeregt und geärgert, mr 
dem Menfchen zufegt und ihn quält und peinigt. (Eolban.) 

Jeder Menſch Hat in feinem Leibe eine Macica, bie ihn oft fürdhter 
lich quält. Wenn fie aber abgeht, muß er flerben. Jemand, ber eine 
ſolche Macica gefehen Hat, beſchrieb fie mir. Es if ein Wurm mit rum. 
dem Leibe und zahllofen Füßen, fo daß er faft ansfleht wie eine Quaſte, 
und ift etwa fo groß, wie ein Thaler. (Hobenftein.) 

Einem Mann mwurbe bie Macica nach feinem Tode lebendig anages 
ſchnitten, und man fuchte fie zu töbten, indem man fie mit heißem Waſſer, 
mit Scheivewaffer 2c. begoß. Ste wurbe dadurch aber immer größer. End» 
lich begoß man fie mit Rinderfuppe; in Folge davon zog fie ſich ganz Mein 
zuſammen und farb. Cie ift fo groß als eine Hand, und hat and) Glie⸗ 
ber wie Finger, mit benen fie kneift und zufommenzieht. Auch in Onappen 
finden fi ſolche „Dinger“, aber Heiner, und bie gemeinen Leute frenen 
fich ſehr, wenn fie eim ſolches antreffen. Es wird dann herausgenommen, 
gewocknet, pulveriſirt und im biefer Geftalt mit dem beften Erfolge gegen 
bie ben Menſchen quälende Macica eingegeben. 


408 Aberglauben aus Mafuren 


Sehr verbreitet ift ber Glaube an bie Maren. Schon Pifanai er- 
wähnt biejelben als eine Urt der Alfen. „Diefes ſchädliche Unding fagt 
ex, befchäftigt fi) mehr bamit, daß es den Körper bes Meuſchen angreift, 
als deſſen volle Schennen plündert. Es drüdet öfters unſchuldige Per- 
fonen im Schlafe fo unbarmherzig, baß fie für Engbrüftigleit und Angf 
vergehen möchten. Sie willen bes Morgens darauf nicht Worte genug 
zu finden, die Marter, fo fie dabei ausgeftanden haben, zu beſchreiben. 
rzeneien und Hausmittel werben bawiber vergeblich angewandt, nur ge 
wiſſe Beſchwörungen eines alten Mütterchens vor bem Schlafengehen 
äußern eine gute Wirkung. So verwirrt ift die Vorſiellung Hiervon! 
Niemand weiß dies plagende Geſchöpf zu befchreiben; niemand Hat es ger 
fehen und betaftet; und barum muß es ein Geiſt fein” (a. a. O. No. 218.4). 

Meine Nachforfhungen namentlich in ber Soldauer Gegend ergänzen 
biefe allgemeinen Andeutungen burch wefentliche Züge. Sowohl männliche 
als weibliche Perſonen erfcheinen als zmora, Mar: benn die Menge 
dent fi unter Maren verzauberte Menfchen, melde die Geftalt von 
Katzen oder Hunden haben. Sie kommmen in der Nacht die Schlafenden 
zu quälen. Sie legen ihre Pfoten um ben Körper ber Schlafenden unb 
drücken ihn, daß er kaum noch athmen Tann, indem fie ihn zugleich küffen 
and beleden. Die zmora pflegt ihre Befuche in beftimmten Zwichenrän- 
men zu wieberholen, jo daß man ihr Kommen ziemlich gewiß vorausſehen 
kann, Ein Dittel ſich gegen fie zu felgen if, daß man fi auf ben 
Bauch legt; wenn bann die zmora fommt unb füßt und merkt, daß fie 
nicht das Geficht Tüßt, wird fie ärgerlich und geht davon. 

Die Mar ftedt demjenigen, den fie brüdt, bie Zunge in den Mund, 
daß er nicht fehreten Tann. (Hohenftein.) 

Während des Drudes Hat der Menſch die volle Befinnung, kann aber 
kein Glied rühren. Dann foll er verſuchen bie rechte große Zehe zu ber 
wegen, und ber Alp muß weichen. Während des muß man nach ihm 
greifen und man behält öfters etwas in ber Hand, z. B. einen Strohhalm, 
eine Ruthe, einen Apfel u. |. w., worin ſich der Ulp verwandeln kann, 
Man bittet ihn zu Frühſtück, laßt and, beim Frühſtücken für ihn eine 
Stelle leer, besgleichen Teller und Löffel. Er fommt gewiß; er muß kom- 
men und man weiß, wer er iſt. (Willenberg.) 





von Dr. M. Täppen. 409 


Ein Tiſchler, der von ber zmora gebrüdt wurbe, faßte fie, rang mit 
ihr, töbtete fie durch einen Schlag mit dem Hammer und warf fie auf 
ben Miftgaufen. Am folgenden Morgen fand man hier einen menfchlichen 
Leichnam mit der Wunde von dem Hammerfchlage. Dergleichen ift öfters 
geſchehen. Meiftens erfuhr man benn auch bald, daß in ber Umgegend 
vielleicht einige Meilen weit von dem Ort, wo bie Mar getöbtet war, 
ein Menſch verſchwunden fei, und fand bei weiterer Nachforfchung, daß bie 
vorgefundene Leiche bem Verſchwundenen angehörte. (Vgl. das Geſchicht ⸗ 
chen aus Königaberg in den N. Pr. Pr.-Bl. 1846 Bd. 1 6. 394.) 

Man denkt fi bie zmora als Perſon, ladet fie, wenn man willen 
will, wer es ift, zum Srühftüd ein, ftellt dann ben Beſen verfehrt in bie 
Ede und hindert fie dadurch am Fortgehen. Wenn die fo Gefangene nun 
bittet, man möchte fie Hinauslaffen, dann nimmt man den Bejen und 
wallt fie tüchtig durch. Ste fommt dann nicht wieber, (Hohenftein.) 

Die Mor drückt auch Vieh und Pferde. Sie fliht ben Pferden 
auch Zöpfe. (Hohenftein.) 

Ein Vater Hatte brei Töchter, welche alle als Maren gehen mußten, 
die eine mußte bie Dornbüſche im Walde brüden, bie zweite das Wafler, 
die britte Pferde. Der Vater wußte es aber nicht. Im einer Nacht ale 
fie von ihrer Wanderung nach dem Heuboden, wo fie zufammen fchliefen, 
zurüd gekommen waren, klagten fie einander ihre Noth. Die eine war 
von den Dornen zerſtochen, bie andere von ben Wellen bes Waflers zer- 
peitſcht, bie britte von ben Hufen ber Pferbe zerfchlagen. Der Vater hörte 
die Unterredbung an und kam num erft Hinter das Geheimniß. Sie waren 
aber ganz unſchuldig dazu gelommen, daß fie ala Maren gehen mußten, 
denn ihre Pathen hatten während ihrer Tanfe daran gedacht. Sogleich 
nahm der Vater andere Pathen und lieh bie brei Töchter umtaufen. Nun 
waren fie von ber Umwandelung in Maren frei. Diefes Mittel wen⸗ 
bet man Überhaupt in dergleichen Fällen an. (Hohenſtein.) 

Dergleichen Geſchichtchen werden mehrere erzählt. So wurden in 
einem Wirthehanfe drei Schweftern von einem Wanderer belanfcht, als 
fie, von ihren nächtlichen Wegen zurüdgefehrt, darüber fprachen, welche 
von ihnen es am Schwerften Habe. Die eine Hatte als Mar Vieh zu 
brüden, bie andere Menfchen, die dritte Bäume, Die erfte hatte es offen» 


210 Aberglauben aus Maſuren 


bar leichter als die zweite, da es leichter ift in Ställe zu Tommen, als in 
die Wohnungen der Menfchen, aber am Schwerften hatte es doch bie 
britte, welche die Bäume erft erflettern mußte, um fie zu drücken. Das 
Gefpräh wurde dem Vater hinterbracht und die Mädchen umgetauft. 
(Hodenftein.) 

Wenn man von der Mar gebrüdt wirb, foll man fie feſthalten und 
nicht loslaſſen. Sie nimmt dann alle möglichen Geftalten an, indem fie 
ſich 3. B. in eine Schlange, einen Froſch, einen Strohhalm verwandelt. 
Aber thun kann fie nichts, wie grimmig fie auch ausfieht und enblich 
muß fie ſich in ihre menſchliche Geftalt verwandeln. Wenn fie fi) dann 
auf einen andern Namen umtaufen läßt, fo ift fie vom dem Weſen frei. 
(Bohenftein.) 

Selöft Krankheiten foll die Mar veranlafien. Wenn Jemand an 
Kolik des Kopfes ober Magens leidet und fich beſprechen laſſen will, fo 
faßt der oder vielmehr die Beiprechende (denn am Beſten wirkt eine Fran 
und zwar eine alte) die Magen- oder Kopfgegend, an welcher der Leidende 
Schmerz empfindet und brüdt fie feft zufammen, fo oft fie paffende Worte 
dazu fpricht. Diefe Bannformel wird neunmal wieberhoft und nach je breis 
maligem Herfagen das Vaterumfer einmal gebetet. Sie lautet wörtlich: 
„Im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes unb bes heiligen Geiſtes. 
Amen. Frau Mutter ich packe bich, ich drüde bich, geh bu nur zur Ruhe 
in beine Kammer, wo bich der Liebe Gott erfchaffen Hat!" Nach dem Alte 
des Beſprechens verliert fi) ber Schmerz bei dem Kranken etwas, bald 
darauf ganz und fehrt fpäter nie mehr zurüd, wenn das Beſprechen ge 
höriger Art geweſen und von einer dazu eingeweihten, fi) bafür eignenden 
Perſon geſchehen if. Denn nicht jeder eignet ſich für dieſe Kunft der 
Nennen. Hilft einmaliges Beſprechen nicht, fo kann's noch einmal wieber- 
holt werben; öftere Verfuche aber dürften nicht lohnend fein. Weber bie Ber 
deutung ber Frau Mutter hat der Berichterftatter (Gutöbefiger Haflenftein) 
die Erzählerin befragt und zur Antwort erhalten, e8 werbe bie Mutter Got 
tes bamit angerebet. Der Berichterftatter urtheilt mit Recht, dies fei falſch, 
denn bie Fran Mutter werde ja jelbft gebannt, und glaubt annehmen zu 
dürfen, e8 fei die Mar. (M. Pr. Pr. BL 1847 Bd. 1 S. 472.) Ob nicht 
vielmehr au bie macica zu denken ift? 





von Dr. M. Töppen. 411 


Der Mar verwandt tft der Werwolf, wilkolek, fofern beide Un⸗ 
holde durch Verwandelung von Menfchen entfiehen. Schon im fechzehnten 
Jahrhundert Hat: Georg Sabin von einem Werwolfe Nachricht gegeben. 
Es warb nämlich zu feiner Zeit ein Menſch, ver für einen Werwolf ge 
haften wurde, von ben Bauern gegriffen und an ben Herzog Albrecht nach 
Königsberg gebracht. Seine verwilberte Geftalt machte ihn freilich einem 
Thiere ähnlicher, als einem Menfhen. Im Gefichte Hatte er verſchiedene 
Wunden und Narben, die feinem Vorgeben nach von den Biſſen der Hunde, 
da fie ihn als einen Wolf verfolgt, hergekommen fein follten. Der Herr 
30g ließ mit ihm ein genaues Verhör anftellen. Gr befannte frei, daß er 
zweimal. des Jahres, nämlich um das Weihnachts- und Iohannisfeft, in 
einen wirklichen Wolf verwandelt und um dieſe Zeit durch einen innerlichen 
Trieb gezwungen würde, fi in den Wäldern mitten unter ven Wölfen 
aufzuhalten; ob er gleich eime große Beängfiigung am Gemüthe und 
Schwachheit am Leibe empfinden müßte, ehe bie Hanre ausbrächen und er 
einen Wolfspelz anzöge. Man glaubte ihm bies fo lange, bis man eine 
Brobe davon würde gejehen haben, und er warb im Königsbergiſchen 
Schloß forgfältig verwahrt. Die Zeit feiner Verwanbelung kam heran; er 
blieb aber ein Menſch. Man wartete noch länger, und er blieb derſelbe. 
Giſansli No. 25 8. 17 nad) Sabin. Metamorph. I. v. 232 sq. Töppen 
Leben des Georg Sabinus, 1844. 8., ©. 274). 

Dennoch lebt der Glaube an Werwölfe in Preußen fort. Reltor 
Gerß in Gr. Stürlad erzählt darüber folgendes: Der Werwolf foll an 
einem kurzen Schwanze, den er am Srenze hat, Tenntlich fein und ben. 
jenigen Leuten, bie ihn beleidigt haben, aus Rache das Vieh ermürgen, 
Ein fchlaner Bettler gab fich für einen Werwolf aus, gewiß barum, 
damit man ihn beim Beiteln reichlich bevenfen möchte, Aus Furcht, 
feinen Zorn anf fi zu loben, gaben ihm die Bauern Sped, Ge 
treide u. dgl. ſehr reichlich, Welche fürchterliche Folgen biefer Aber- 
glauben Haben Tann, geht aus folgender Erzählung hervor. Im ein Dorf 
Mafurens Fam am hellen lichten Tage ein waſſerſcheuer Wolf gelaufen. 
Die Bewohner des] Ortes wähnten, daß es ein Werwolf fein mäßte, 
da ein gewöhnlicher Wolf im Sommer am Tage ins Dorf nit kommen 
werde. Unglüdlicher Weife wohnte in einem benachbarten Dorfe ein 


412 Aberglauben aus Maſuren 


Menſch, der für einen Werwolf gehalten wurde, und fo glaubte mau 
ſteif unb feft, daß er in bem Wolfe ſtecken müſſe. Man beſchloß an 
ihm ein Erempel zu ſtatuiren, trieb ihn in bie Einfohrt bes bortiggn 
Kruges, verihloß die Thüren und drang, mit Heugabeln, Mififorfen, 
Stangen u. dgl. bewaffnet, in biefelbe hinein, um ihm ben Garans 
zu machen. Dies gelang, aber erft, nachdem ber Wolf mehrere Men- 
ſchen verlegt Hatte, die auch Hinterher an der Waflerfchen farben. (N. 
Pr. Br.-Bl. 1850 Bo.1 ©.468. Eine Notiz aus Litauen. N. Br. Br.» 
DL. 1846 Bb.2 ©. 379.) 

Die Menſchen, welche auf dem Kopfe zwei Wirbel (Stellen, wo fi 
bie Haare drehen) Haben, ftehen in dem Verdachte, bag fie fich in Wölfe 
verwandeln, allerlei Schaben anrichten und felbft Menfchen frefien können. 
CHoHenftein.) 

Der zu Liſſa im Poſenſchen erfcheinende Hansfrennd lehrt: „Um ben 
Werwolf zu erfennen und fi) von ihm Weberzeugung zu verichaffen, foll 
man eine Krufte Brob in den Mund nehmen nnd biefelbe unvermerkt im 
Munde haltend, dreimal um ben vermeinten Werwolf herumgehen. Bei 
diefem Verfahren verliert er die menfchliche Geftalt und nimmt bie Wolfe- 
geftalt an.“ (Przyjaciel ludu z Leszna, Volksfreund aus Liſſa, Yahı- 
gang 1837 ©. 75 angeführt von Ger a. a. O.) 

Wenn mande Menſchen fi in Werwälfe verwandeln müſſen, fo 
find daran die Pathen Schuld, welche während der Taufe an folche Dinge 
gebacht haben. (Hohenflein.)*) 

Bon perfönlich gebachten dämoniſchen Wefen werden öfters erwähnt 
die Waffergeifter, welche Menfchen in das Wafler Hinabziehn, bie foger 
nannten topich. Im Marghöfer See (Ortelsburger Kreifes) find zwei 
topich, Meine Jungchen mit rothen Mügen. Die tandhen anf, Hatichen 
drei Mal in bie Hände, und verſchwinden wieder. Dann ertrinft jemand. 
(AL. Ierutten.) Auch im Ommleff-See und im SchwentyGee (bei Kurken) 
giebt es ſolche Topichs. 


*) Die Metamorphoſe der Menſchen in Maren und Werwölfe erinnert an 
eine noch merfoürdigere. Die Mafuren können aus Gägefpähnen Flöhe machen. 








dom Dr. M. Zäppen. 418 


Wenn einem etwas, was man fo eben noch in ber Hand gehabt Hat, 
unter der Hand verſchwunden if, und man fucht und fucht e8 vergebens 
mb Kaum’ nicht finben, fo fagt man „Pokusza wiela“, die Verſucherin 
hats genommen. (Hohenftein.) 

Damoniſche Kräfte find im Spiele, wenn Wirbelwind ansbriät. Man 
hört dann in Mafuren ganz gewöhnlich ven Ausbrud: „der Teufel fährt 
zur Hochzeit.” Wenn ber Wirbehvind fo flark if, daß auch Erbe aufge 
rührt und mitgeführt wird, fo fagt man: „Ein Pferd fliegt durch bie Wol⸗ 
ten" — Unsprüde, die fehr lebhaft an Wodans wilde agb erinnern, 
Uebrigens entfeht auch Sturm, wenn ſich jemand erhängt. (f. u.) 

Manchmal fagen die Leute anf dem Felde: „Da brennt ein Schatz;“ 
„Ich Habe ein Feuerchen gejehen!" Man meint, wenn man gleich hin⸗ 
ginge zu graben, fo würde man einen Schatz finden; fie find aber furcht- 
fom. (RL Jerutten.) 

Eine blane Flamme, welche aus dem Ader auffclägt und bald ver⸗ 
ſchwindet, bezeichnet die Stelle, wo ein Schag vergraben liegt. Wer fie fieht 
muß den Schuh ober "Stiefel vom linlen Fuß fehnell abziehen und Hinter 
fich werfen, Wenn das nicht gefchieht, fo verfinft der Schaz. Wenn man's 
aber geihan Hat und am Mitternacht hingeht und gräbt, fo findet man einen 
Topf oder Keſſel mit Gold» oder Silbermünzen oder beiden zufammen, 
Bei Kyſchienen in der Nähe von Soldan gab es einen gelähmten Hirten, 
dem foll das Geld gebrannt haben, und man glaubte fo allgemein bavan, 
daß er einen großen Keſſel mit Golfläden gefunden habe, daß man ihn, 
ba er das Gelb nicht herausgeben wollte, feftnahm und lange fefthielt. 
Eoldan.) 

Die vergrabenen Schaͤtze müſſen ſich alle ſechs Jahre reinigen; ba 
fieht man denn, wie fie in hellblauen Flammchen brennen. Haben fie 
ansgebrannt, fo finken fie wieder tief in die Erde hinein. Wer bie Flamme 
fieht und dann feinen Bantoffel, feinen Stod, ober fonft etwas, was er 
bei fih trägt, vom fich wirft, kann dadurch bewirken, daß bie Flamme er» 
liſcht, und der Schatz nur fo tief in die Erbe finkt, als ber Stod ac. wege 
geworfen wurde, und ann dann den Schatz mit Sicherheit ausgraben. 
Gillenberg.) 


44 Aberglauben aus Mafuren ven Dr. M. Töppen. 


Glucksgroſchen ober Glüdsgulven kehren zu bem Befiger zuräd, wenn 
man fie nicht ganz ausgiebt. Das Geld ift eine Gabe des Böfen und 
Tann auch Gefahr bringen. Einer, der einen folden Glücksgroſchen 
108 werben wollte, konnte bies nicht erreichen, bis er erfuhr, man müſſe 
ſolches Geld genau anf bie Stelle Hinlegen, wo man es gefunden hat, 
Gohenſtein.) 

Gortſetzung folgt.) 





Weofipreuffifche Studien. 
8. von Binder. 


Dorthin, wo bie Wellen zweier Völkerſtämme einander noch immer 
berühren, wo ba8 deutſche Imterefje dem polnifchen zuerft in den Weg 
trat, wo fich heute noch die beiden Nationalitäten, Siaven und Germanen, 
am ſchroffſten gegenüberftiehen, wollen wir unfere Blide richten. 

Es muß wohl ein tiefes Interefje erregen, bie werhfelfeitigen Ueber⸗ 
finthungen des einen Volles durch das andere in ben Gegenden zwiſchen 
Elbe und Weichfel näher zu verfolgen, bie Nachrichten über jene Slaven 
zu fammeln, welche einft den urſprünglich deutſchen Norboften Jahrhun⸗ 
derte lang befiebelten, dann aber dieſen in Folge deutſcher Rüdftrömung, 
durch Schwert und Pflug an bie Germanen wieder verloren. Jene feit 
beinahe taufend Jahren thätige Rüdftrömung ift noch Heute in vollem 
Gange und kämpft gegen bie weftlichen Vorpoſten des Slaventhums in 
Böhmen, Pofen und Weftpreußen an. 

Wir haben uns zur Aufgabe geftellt, die Geſchicke der Bewohner bes 
legtgenannten Landes zum Gegenftande einer eingehenden Betrachtung zu 
machen und beabfihtigen die Gründe zu entwideln, bie einen zum zweiten 
Mal (wenigftens dem größeren Theile nach) germaniſirten Boden, unähn⸗ 
ich den Landſchaften zwifchen Saale und Ober, wieder von Neuem bem 
Slaventhum verfallen ließen. 

Im den früheften Zeiten, als bie Einführung des Chriſtenthums das 
timmeriſche Duntel, welches die Gefchichte Weftpreußens verhüllte, aufzu⸗ 
hellen begann, wurbe das Küſtenland zwifchen Wipper und Etolpe einer 
fetts und ber Weichfel und alten Nogat andererfeits von ben polnifchen 


416 Weſwreußiſche Stubien 


Schriftſtellern Caſſubien genannt, welches ſüdlich durch bie Kamionla und 
Dobrinta von dem Grenzlande Kraina, das fi bis an bie Nege und Küd⸗ 
dow erftredtte, gefchteben wurbe. Beide Landſchaften zuſammen bezeichnete 
man mit dem Namen Bommerellen.x) 

Oeſtlich der Weichſel und Nogat lag Pomefanien und das Kulmer⸗ 
land, deren urfprängliche Bewohner (in jener Landſchaft Preußen, in bier 
ſer eine aus Polen und Preußen gemiſchte Bevöfterung) durch ben beute 
ſchen Orden faft vollſtändig germanifirt waren, wohingegen in Caſſubien 
eine ſchwache, in ber Kraina fich nur eine theilweife Germanifirung Hifto- 
riſch nachweiſen läßt,==) 3.8. das Kloſter Koronowo fegte ſchon im breis 
zehnten Jahrhundert deutſche Bauern in feinen Dörfern an. Werner ge 
ſchahen deutſche Bürgeranfievelungen in Dirſchau (1260), in Nakel (1299), 
Bromberg (1346); auch wurben Keime deutſcher Bildung von Danzig ans, 
fowie durch die von deutſcher Geiftlichleit gegründeten Abteten zu Oliva und 
Pelplin und bie öfter zu Zudau, Zarnowig und Budom gepflegt.e«) 

Mit dem Ausfterben ber pommerellifchen Herzöge 1295 ward ihr Land 
ein Zankapfel zwiſchen dem Orben und ber Krone Polen; erflerer war 
von 1308 bis 1843 in faktiſchem Befig von ganz Pommerellen, doch bie 
Friebensfhläffe von Wiffogrob 1335 und Kaliſch 1343 brachten bie Kraina 
in ben umbeftrittenen Befig Polens, während bas übrige Pommerellen 
dem Orben verblieb, 

Die polnifhen Könige, fowie die Polen überhaupt, hatten Anfangs 
die deutſchen Anfiebelungen mit günftigem Auge betrachtet. 

Die polnifhen Städte find zum größten Theil aus Dörfern entftan« 
ben und in übertwiegender Mehrzahl von deutſchen Einwanderern angelegt. 
Im 13. 14. und 15. Iahrhundert kamen unaufhörliche Züge von Anfied- 
fern ins Land, bie entweber als Aderbauer ober als Handwerker ſich nie⸗ 
verliehen. Bis nad) Podlachien und bis ins weftliche Lithauen find in ber 


*) Diefed Sand hatte ftet3 nur nach zwei Richtungen fefte Grenzen, die Oftiee 
gegen Norden, die Weichſel gegen Often (ihre Inſeln gehörten noch zu Pommerellen), 
gegen Süben und Weiten meiftend ungewiß und wechſelnd, 3.8. gegen Welten bis 1140 
die Leba und bon da biß 1295 bie Wipper, zeitweile auch die Perſante. 

**) Möpell, Geſch. Polens I. Beil. 18. 
er) Bomerell, Stubien von Dr. Hitſch. 


von B. von Windler. 417 


erften Hälfte des 15. Yahrhunberte die Dentfchen vorgebrungen, und in 
der Haupt und Krönungsſtadt Krakau felbft war bie deutſche Bevölferung 
fo zahlreich, daß unter ben Syndilatsalten derſelben alle Schriftftüde bis 
zum Jahre 1583 entweder deutſch ober Inteinifch abgefaßt find; erft von 
dieſer Zeit an kommen auch polnifche vor. 

Die langjährigen Kriege mit den Orbensrittern erzeugten aber einen 
furchtbaren Haß gegen bie Deutfchen, ber feit dem Eintritt der Reforma⸗ 
tion neue Nahrungsftoffe empfing. 

In ber Regel wurden bie Letzteren Intherifch, die Polen verblieben 
aber katholiſch. Zwar erlitt diefe Regel bedeutende Ausnahmen von beiden 
Seiten, jedoch genügten fie nicht, um zwifchen dem Begriff „polnifch und 
latholiſch“ einerfeits und „deutſch und evangeliſch“ andererſeits, irgend ei- 
nen Unterfchieb zu firiren, und noch bie auf die gegenwärtige Zeit werben 
viefe Begriffe im Munde des Volles in concreto beftändig verwechſelt. 

Alle diefe Verhältniffe beftimmten auch die Zuftände Weſtpreußens. 
Zuvörberft war der entfegliche breizehnjährige Bürgerkrieg 1454 bis 1466 
das Unglüd des Landes. Der preußifche Bund hatte auf einige Zeit er- 
tungen, wonach er firebte: Unabhängigkeit, aber andy nur auf kurze Zeit, 
um baranf in befto tiefere Knechtſchaft zu verfinken, Es liegt aufer ben 
Grenzen biefer Blätter ausführlich zu berichten, wie bie vom ter Krone 
Boten (1466) geflellten Einverleibungsbedingungen, *) ſowie bie der Pror 
vinz zur Wahrung ihrer politifchen Abfonderung feierlich gegebenen Ver⸗ 
heigungen nad) und nad) befeitigt worden find; bie verwäflenden brei 
Schwedenkriege, bie veligiöfen Verfolgungen, welche ver erften Theilung 
Polens vorangingen, fowie bie unter bem Namen ber Eonfüderationen ber 


*) NRamentlih war ausbedungen und bewilligt worden: 

„daß die polniihen Reichstagsbeſchluſſe nicht ſchlechthin, ſondern nur in Folge der 
auf den preußiihen Landtagen geſchehenen Noftrification verpflichtende Kraft gemwins 
nen ſollte; 

daß auf biefen Landtagen die inneren Angelegenheiten der Provinz unter oberhos 
heitlichem Einflufie des Königs georbnet werden follten; 

daß die preußtiche Bewohnerſchaft nicht von polniſchen Wehörben Urtheil und Recht 
zu nehmen gehalten fein folle; 

daß die Großwurden und Reichsrathſtellen des Landes (Wohwoden, Amtshaupt-⸗ 
leute, Biſchoſe) ziwar vom Könige, aber nur an preußiſche Indigenen verliehen wer ⸗ 
den follten.” (engnich, Geſchichte von Poln. Preußen.) 

Mipı, Ronatsiärift vd. TIL. Hft. b. 27 


. 


418 Weſwreudiſche Studien 


tannt gewordenen häufigen Zuſammenrottungen vernichteten allen Wohl 
ſtand und verwiſchten alle Spuren deutſcher Bildung und Sprache, bie fi 
unter ber Orbensherrfchaft über Pommerellen allgemein verbreitet hatte. 

Der Bruch der Friebensbedingungen«) berührte zuvörderſt ben im 
Sande reich hegüterten Abel. 

Um bie rafche Entnationalifirung deſſelben erklären zu können, mäfjen 
wir uns etwas eingehender mit den inneren Zuftänden des Polenteiches 
beijäftigen. 

Auf der breiten Grundlage eines mit vielen Dienften und Abgaben 
belafteten Bauernftanbes erhob fih hier ein im feinem Grunbbefig freier, 
in ſich gleichherechtigter Mriegerifcher Adel als allein freier Stand, weldem 
nur noch bie Kirche als freie Grunbbefigerin am die Seite trat. Der 
Adel lebte in einem ſehr Iange feftgehaltenen, firengen unb umfaflenden 
Familien ⸗ ober Geſchlechtsverbande, ber das Eigenthum ber Familie mit 
Ausſchluß der Töchter nur zu Gunſten der Brüder und aller Geſchlechts⸗ 
vettern vererben burfte. Bei ber rechtögüitigen Anficht, daß alle Abele 
familten, welche, fo groß aud ihre Zahl fein mag und fo wenig auch bie 
Verwaudtſchaft nachgewieſen werben Tann, ein und daſſelbe Wappen füh 
zen, ein einziges Gefchlecht bilben,=“) konnte man dieſe Einrichtung füg- 
lich als die Grundlage betrachten, aus weldher bie weitere Geftaltung aller 
Privat und öffentlichen Rechtsverhältniſſe ſich organiſch entwidelte. ur) 

Soweit die urkandlichen Dokumente zurüdkeichen, exiſtirte niemals in 
Bolen ein einheimiſcher freier Banernftand neben bem Abel, baflr hat 
unter bem Legteren bei bem Mangel aller Lehnsverhältniſſe eine faft de 
wokcatifch zu nenuenbe Gleichheit der Rechte geherrſcht. 

Wohl kein Land in Europa zeigt einen nad) Mafgabe ver Bevölle⸗ 
rung fo zahlreichen Abel als Polen. Alle diejenigen Unterſcheidungsmerl⸗ 


*) Der Lubliner Reichstag verfügte 1569 die gänzlie Aufhebung der Selbſt⸗ 
Ränpigleit der Provinz Preußen. 

**) 3.8. zu dem Wappen Ralez gehören 152 Familien. 

wer) Mer fih näher unterrichten will, wie die beiden Hauptbezeichnungen in ben 

Wirkungen eines ſolchen urfprünglichen Geſchlechtsverbandes im Rechte heruortreten, eins 
mal in den Berhältnifien der Beihlehtöglieder untereinander, ſodann in der Gtellung 
u andern, nicht zum Geſchlechte Gehörenden, zu dem Allgemeinen überhaupt, der leſe 
nach Röpell’s Geſchichte Polens L Beil 


von B. von Windler. 419. 


male, welche für den deutſchen, engliſchen oder romauiſchen Adel gelten 
tönuen, treffen Hier in keiner Weife zu, wo bas Nitterwefen und has Rit- 
terthum bes Mittelalters nur einen ſpärlichen Anſatz genommen hatte, 

Betrachten wir bie perfönlichen und geiftigen Eigenfchaften bes Bauern 
und bes Evelmannes, fo wird man nimmermehr zugeben, daß Beide, un 
geachtet fie ein und diefelbe Sprache fprechen, derſelben Nation angehören, 
fo ganz verſchieden ift ber Typus ihrer Erſcheinungen. 

Indem wir biejes als allgemein bekannt vorausſetzen, ftoßen wir bei 
der Betrachtung biefer Unterſchiede auf das Ergebniß, daß bie Individua⸗ 
fität des Bauern eine folche if, die mit Klima und Bodenbeſchaffenheit 
des Landes, in welchem fie ſich findet, in Uebereintimmung fleht, daß da- 
gegen ber Abel entichteven anf einen anbern Urfprung hinweiſt und das 
forſchende Ange eutſchieden nad) dem Süden lenkt. 

Bir konnen wohl in Polen ganz beflimmt trag ber einheitlichen 
Sprache eine zweifache Nationalität, fowie das innere Wiberfireben. zweier 
verjchiebener Arten ober Gattungen annehmen, 

Der Hiſtoriler foll noch geboren werben, welder die frühefien Wan- 
derungen ber ſlaviſchen Stämme zur Maren Anſchauung bringt; hier aber, 
liegt uns mit größter Beftimmtheit ein Ergebniß vor Augen, das offenbar 
eine Ueberſchüttung eines nordſlaviſchen Stammes von einem füdflavifchen 
lennzeichnet. Der letztere war und blieb ber Sieger, darum vollzog ſich in 
feiner Mitte ausfchlieglich der ganze Prozeß ber Staatsbildung, der ſtaat ⸗ 
lichen Entwidelung und Auflöfung, während ber befiegte Stamm zu allen 
Zeiten nur ein Regierungsobject blieb. So oft aud dem polnifchen Adel 
das Mefjer an der Kehle ſtand, niemals konnte er fich dazu entfchließen, 
die Abwendung ber Gefahr durch Emancipation bes befiegten Stammes 
iu erlaufen. Die hartnädige Weigerung bes Abele, aus dem Bauernvoll eis 
uen ſelbſtthätigen Stantsfactor zu machen, z. B. noch in der Revolution vom 
Jahre 1831, erfolgte aus dem inſtinktiven Bewußtſein, daß damit ein Selbfu⸗ 
morb, eine Auflöfung ber eigenen Individualität vollzogen werde. Deun 
der mit Klima und Bobenbefchaffenheit in natürlichem Ginklange ſtehende 
Baner würbe, frei geworben, geläft von ber Feſſel, weiche bie Vorzeit um 
ihn geſchlungen, ſehr bald ben ehemaligen Sieger Überwuchert und durch raſche 
Entfaltung und Erhebung bie Gewalt vergangener Zeiten entgolten Haben. 

27° 


42ö Beitpreufifge Studien 


Wie fehr daher auch eine Auferliche Uebereinftimmung zwiſchen bem 
polniſchen und dem deutſchen Edelmanne obzuwalten fcheint, jo beftimmt 
doch die Verfchiebenheit ihrer Ansgangspunfte die Verſchiedenheit ihrer 
Natur, Der deutſche Edelmann ift das Ergebniß eines organifchen Pro 
zeſſes; der polniſche Ariftofrat dagegen iſt bie übermindenbe Macht eines 
gewaltſamen Vorgangs. Jener hat baher alle Stufen und Grabe ber 
Macht und Bedeutung mehr ober minder durchgemacht und zum Theil 
Hinter ſich gelaffen, biefer aber überlaftete ven früheren Bewohner ohne 
innere Affimilation, ohne geſchlechtliche Miſchung. Darum gab es in 
Deutfchland von jeher einen Mräftigen, kulturtragenden Bürgerſtand, wäh 
rend Polen zu allen Zeiten bei ben Tümmerlichften Anläufen zu eimem fol 
chen ſtehen geblieben ift.=) 

Daher mußte ber polniſche Staat, zufegt ein Wahlreich, ein Spiel⸗ 
ball innerkr Baftheitingen, zu Grunde gehen. Er ging zu Grunde an feir 
net nuruhigen Abelsvemofratie, an der religiöfen und politiſchen Unduld⸗ 
famfeit, an dem Zwange, welcher anf ſolchen Staatsangehörigen laſtete, 
die nicht zur polniſchen Nationalität gehörten. Er ging zu Grunde an 
dem Drud, ber den Teibeigenen Bauer beſchwerte, an ber Indolenz und 
an dem Luxus bes Adels, an dem Mangel eines Bürgerftanbes; dem 
ganzen Staatsweſen fehlte der innere Halt, bie Adelsdemokratie Hatte nicht 
das Zeng in ſich, ans den zufammen eroberten Landſchaften einen organi- 
ſchen Staat zu fehaffen und ihn ethifch zu burchbringen; alles war ein 
mechanifches Nebeneinander. — 

Diefe Zuftände waren der Grund, daß bie Weltgeſchichte mit eifer- 
nem Schritt über Polen hinwegging. Und doch erfüllt das unabwendbare 
Ende eines durch feine glänzenden Triegerifchen Eigenſchaften unter ben 
Nationen Europas Hervorragenden Volkes das Herz bes Menfchenfrenndes 
mit tiefer Wehmuth. Wo find bie Enfel jener tapfern Krieger, bie dem 
Anftärmen det Osmanen und Tartaren fiegreich widerſtanden, wo finb 
die Nachkommen jener ritterlihen Helben, vor denen ber Halbmond fanf, 
als ihre Schwerter Wien befreiten? Cie irren verbannt, vertrieben von 
Land zu Sand! Go zerftrent das Harte Geſchick Polens feine edelſten Ger 


"= Dr. Garos Briefe über Polen, 





von B. von Windler. 421 


ſchlechter und fremde Erbe giebt ihnen bie Ruhe, welche bie Heimath 
verfagt. 

Doch wir wollen uns nicht weiter anf das Feld allgemein Hiftorifcher 
Betrachtungen verlieren, fonbern unfere Aufgabe im Auge behaltend, das 
Schidfal der deutſchen Bevölkerung Weftprenßens unter ber polniſchen 
Herrſchaft zu ſchildern verfuchen, obgleich bie Quellen über biefen Zeitraum, 
namentlich bie, welche bie innern Zuftände bes Laudes betreffen, höchſt 
mangelhaft find.x) 

Mit Ausnahme nur weniger Stäbte, welche durch ihre alten Bezie⸗ 
Hungen zum Hanſabunde oder durch ihre Lage an ben Mündungen ber 
Ströme und durch ihre Hanbelsverhältniffe mit dem Auslande mehr ges 
ſchützt waren, litten bie Städte außerordentlich. Ihre Blüthe ſchwand raſch 
dahin, ba die polniſche Krone behufs völliger Annectirung der Provinz zu⸗ 
erft das alte kulmiſche Recht, fowie die Privilegien der Stäbte zu Guuſten 
der polnifchen Ebelleute anf dem Lande befeitigte und durch ben vermehr- 
ten Steuerbrud jebe Entwidelnng, jedes Fortſchreiten hindert. Im Folge 
biefer Uebergriffe, welche unzählige Klagen hervorriefen,s«) bie aber anf 
den Landtagen fruchtlos verhallten (auf dem Lanbtage zu Granbenz 1619 
wurden bie Vertreter ber Heinen Städte gänzlich aus ber Sitzung gewie⸗ 
fen), wanderten bie meiften deutſchen Bürger nach und nach aus, ben her⸗ 


*) Die Richtigkeit dieſer Bemertung laßt fih am deutlichſten aus dem Geſchice 
zweier Städte entnehmen. Es konnten zwei in früherer Beit wichtige Stäbte, an dem 
Ufer der Weichſel gelegen, ſpurlos verſchwinden, ohne daß irgend eine Chronik die Art 
ihres Unterganges erwähnt. Eeit dem Jahre 1466 war über Zantir (Gig des Biſchofs 
Chriſtian von Preußen) nichts au ermitteln. (Dr. Bender, Ueber die Lage von Zantir in 
Zeitſchr. für Gefch. Ermlands Thl. I. 6.192 ff.) Ebenſo entzieht ſich Wyſſogrod — eine 
Refivenz der Pommerelliſchen Fürften, fpäter Hauptort einer Kaftellanei — bereits im 
14. Jahrhundert jeder Erwähnung. cofr. soript, rer. Pruss, I. 689 wo Hirſch für eine 
Grengburg bei Fordon es angiebt. Die Lage von Wiſſegrod befchreibt die ältere Chronik 
von Dliva (script, rer, Pruss. 6.752) alſo: Ubi vero ventum est ad Auvium, qui 
junctus Visiae Aumini castellum illud in angulo situm fluriorum ab eis ex altera 
parte dividebat, ali fuvinm illum cursim, aliu ante alium transnatebant, ali vero 
Mazoviensiam per Vislam fluvium narigio veniebant. Ncch script. rer. Pruss. II, 468. 
eine Burg bei Fordon an der Brahe. Töppen Compar. Geogt. 6.49 hält die alte 
Schanze bei Fordon dafür. Quandt Balt. Gt. 1858. 6.165. Aus der Olivaer Chronik 
ift erfichtlich, daß Wifſegrod oder Willegrad dort gelegen hat, wo vie Brahe mit ber 
Weichſel zufammenfließt, 

Man leſe in Lengnich Bd. I. das Nähere, 


422 Weſtpreußiſche Stubien 


angiehenden Tuben. das biöher von ihnen bebaute Feld bes Handels und 
der Gewerbsthätigleit überlaſſend. Der Zuzug aus Dentfchland hatte 
längft aufgehört und in die burch Peft und Krieg entvölkerten Laudſchaften 
zogen Bolen ein, worin auch bie auffallende Erſcheinung ihre Erklärung 
findet, daß in den Kirchſpielen mit beutfchen oder altpreußiſchen Ortsnamen 
Coorzugsweife auf bem rechten Weichfelufer) bis heutigen Tages polniſche 
Sprache herrſchend geworben. 

Nur das einft reiche, freie Danzig, deſſen Denkmäler bie hohe Blüthe 
ber Kunft, die im Mittelalter in Preußen gepflegt worden, noch heute dem 
flaunenben Ange befunden, Hatte bie Aufgabe aller der anbern germani- 
ſchen Städte an den Mündungen der Flüſſe in das baltiſche Meer: dem 
immer mehr einbringenben Slavismus zu wiberftehen und deutſche Sitte 
uud Freiheit zu bewahren, unter vielen äußern Kämpfen zu löfen gewußt 
amd blieb daher eine mächtige germanifche Kolonie unter Slaven. Anders 
entwidelten ſich die Verhältnilfe am rechten Ufer der Weichjelmünbungen. 
Hter war am ber Küfte ber See das Slaviſche nicht vorgebrungen, das 
Deutſche Hatte Über das vorgefundene Altpreußiſche im langen Vernichtunge 
progeß obgefiegt, letzteres niebergeiteten, zum größten Theil ausgetilgt. 
Daher hat hier das deutſche Element auch unter polnifcher Herrſchaft aus 
dauernd widerflanben, 

Das Gefühl der Verlaffendeit von feinem Stammlande, das in por 
litiſcher Verlümmerung mar durch Heinfiche Intereffen bewegt wurde, fo wie 
bie zunehmende Schug- und Re:;tlofigfeit zwang auch ben an feine Scholle 
gebundenen beutfchen Abel, durch die Polen aus den höheren Verwaltungs 
ämtern bald verbrängt, ſich der neuen Herrſchaft näher anzuſchließen, um 
‚nicht alles Einfiuffes, allen äußern Lebensftellungen nach und nad) gänzlich 
verluſtig zu werben. 

Zu biefem Anflug führten am nächſten bie Anfnüpfung verwandt 
ſchaftlicher Beziehungen, bei denen in ber Regel eine Recipirung im ben 
Eingangs geſchilderten feften Eyclus von Wappenbilvern erfolgte, wodurch 
innerhalb bes Gefchlechteverbandes bie Solibarität der Interefien das Mit 
tel zur Verſchmelzung warb. Wo dies ſich nicht gerade barbot, fuchte öfe 
ters ber Dentfche baffelbe zn erlangen, indem er feinen Familiennamen 
auf mancherlei Weiſe transformirte; er nerfteddie benfelben durch Ueber · 





von B. von Windler. 423 


fegung ober durch Zufäge, gewöhnlich in bamaliger polniſcher Art und 
Weiſe durch Benennung nach feinem Grundbefig. — 

Und fo warb im Berlauf von drei Jahrhunderten eine Wandlung 
vollbracht, welche eine nicht geringe Zahl alter Gefchlechter ihrer urfprüng- 
lichen Heimath entfrembete, ja in vielen Familien das Bewußtſein ihrer 
Abſtammung gänzlich erlöfchen ließ. 

Die politifchen Ereigniffe der Neuzeit gewährten dem benlenden Ge- 
ſchichtsfreunde das eigenthümliche Schaufpiel, daß namentlich aus ven Nach⸗ 
tommen biefer deutſchen Eroberer ber wilde feurige Sinn ihrer polniſchen 
Mütter die Hingebendften Kämpfer für bie Wieberherftellung Polens ſich er- 
zogen Hatte. — 

Schließlich mäffen wir noch einen wichtigen Factor hervorheben, deſ⸗ 
fen ſich die polniſchen Könige bebienten, um bie Befeitigung bes deutſchen 
Elements fchneller herbeizuführen. 

Außer der Befegung der höhern Verwaltungsftellen, ver Biothümer, 
Abteien 2c. durch eingeborene Polen, außer ber Niederlaffung angefehener 
Familien aus dem Königreich, warb auch eine umfaſſende Edlonifation 
polnifcher Edelleute unternommen, ba ber urfprünglich ſlaviſche Adel Pom⸗ 
merellens gleich bem pommerfchen bereits germanifirt war, 

Indem wir nachftehend ein möglichſt vollſtändiges Verzeichniß ber 
eingebornen Pommerelliſchen Geſchlechter Liefern, muß babei bemerkt wer ⸗ 
den, daß viele derſelben — ungeachtet ihrer „rein polniſch klingenden“ 
Namen zu bem indigenen Abel Pommerellens gehören, denn nad bem 
von den bewährteften Heraldifern aufgeftellten Princip, baß ein Gefchlecht 
da als zu. Haufe betrachtet werben müffe, wo wir ihm zuerft in Urkun⸗ 
den oder auj gleichnamigem Befig=) begegnen, find biefe Familien als 
hierher gehörig anzunehmen und um fo mehr, als fie von bem gleichna⸗ 
migen pofnifchen Übel durch ihre Wappen gänzlich unterfchteben find. 


*) 8.6. Selaſinsti zu Zelaſen. Zeromsti zu Zeromin. Goftinsti zu Goftin 
Ropydi zu Kopittoroo. Donimierski zu Donimierz u. |. f. 


424 . Beitpreukife Studien. 


Yerzeiczuik der eingebsrnen Pommerelliſchen Geſchlechter. 

Bialfe, Bielsli, Bochen, Bojan, Bonjewig, Borsken, VBorzestoweli, 
Borzysloweli, 

Chinow, Ehmelenz, Ezarnoweli. Chelmowoli. 

Dargufz, Demminski, Diezelefi, Donimiersfi, Damerkow, 

Glowczewski, Gonſchen, Gobbentow, Boszinsfi, Goſtkow, Gofttoweli, 
Grabla, Grella, 

Janewitz, Iarzembinsk, Jatzkow, Jorken (Jarke, York). 

Aczewoli, Kaweczhuski, Kidrowsli, Kiftoweli, Konopat, Koß, Kopylsli, 
Kopydi, Kosloweli, Koſſobudzli, Krokow, Krupodi, Kotomiersli, 
Kunter, 

Lantow, Liſſow, Lettow, Luszkowski, Lubtow, Lukowih, Lutopin. 

Mad, Malfchigki (auch Kokoſchlen genaunt), Maſſow. 

Napolsli, Nieweczinski. 

Oſtrometzki, Oſtr owsli, Owidzki. 

Paſchen (Paſchwitz), Paszte (Paszki), Pawelsz, Perlow, Pirch, Pislarzewski, 
Plochnitz (Plochenz, Plochnigfi), ‚Plutoweli, Podlasli, Prebentow, 
Prondnitzki, Przytarsli, Puttlammer. 

Reple, Rexin, Robakowsli, Roggenpan, Roſtken, Ruſtke (Ruſtkowski) 
Ruloczin, Rynkowski. 

Sabotke (Sobotla), Sarpsle, Schwetzlow, Schwichow, Schlochow, Schlu⸗ 
ſchow, Sdunen (Zdunen), Schwenfigfi, Selaſinski, Stiwigfi, Stenbel, 
Stoske, Spengawski, Somnitz, Strzebilinski, Sulidi, Szarlinski. 

Tauenzin, Tempsli, Thadden, Tretzka, Tucholka. 

Velſtow. 

Woedtle, Wundeſchin, Wuſſow. Warſzewsli. 

Zawadzki, Zounowsli, Zechlin, Zeromsli, Zetzle, Zitzewitz. 

Durch den Frieden von Thorn hatte zwar Polen dem deutſchen Or⸗ 
den bie Meſtwinſche Erbſchaft — die Laudſchaft Pommerellen — nebſt 
einem Theil Preußens abgenommen und dadurch bie Verbindung bes Or⸗ 
dens mit Deutſchlaud abgeſchnitten, doch hegte König Caſimir IV. bie 
Beſorgniß, daß der Hochmeiſter zur Wiederaufrichtung ſeiner geſunkenen 
Macht neue Kriegsſchaaren in Deutſchland anwerben und den Kampf wie 
der aufnehmen würde. 





von B. von Windier. 425 


Um ſolchen Zuzug abzuwehren, gründete er in ben verwüſteten und 
verlaffenen Domainen und adlichen Gütern Tängs der Pommerfchen Grenze, 
namentlich zwifchen Hammerftein und Neuftabt Militairkolonien; er ſchuf 
die zum Theil noch vorhandenen Meinen adlichen Gutsantheile, beſetzte fie 
mit verdienten Kriegern und legte ihnen bie Verpflichtung zur Heeres 
folge auf. 

Es dürfte für fo manche noch im Lande bfühende Familie ein reges 
Interefie Haben, ihre früheren Beziehungen kennen zu Iernen und fo wol 
fen wir die wichtigften biefer Verleihungen bier verzeichnen, nehmen 
aber Hierbei Anlaß, der allgemein verbreiteten Sage zu wiberfprecdhen, daß 
König Johann Sobiesfi eine Menge berittener Kmetonen (Freibanern) zu 
Rittern gefchlagen und aus biefen der gegenwärtige weſtpreußiſche foger 
nannte lein-Abel entftanden fei. Diefer Adel ift augenfcheinlich älter, 
denn ſchon in ben polniſchen Reichetagsconftitutionen von 1526 und 1538 
finden fi) Verbote, die armen Ebelleute ans dem Tucheler Diftrikt zu 
Hand- und Spannbienften zu zwingen.*) 

Die wichtigften diefer Kolonien find: 

Lipnica bei Schlochau. Nach biefem Orte führen mehrere angefiebelte 
Familien verfejiebenen Namens und Stammes ben Namen Lipinsti 
(au Lipski) und zwar die Santa, Kospot, Pazontka, Papka, Pych, 
Roman, Suchh, Szur und Wnud. 

Brzesno (Briefen bei Schlochau) gab ven Namen Brzezinsli den Bamis 
lien Myd, Baftien, Spiczak und Swientek. 

Brondzona bei Schlochau. Gefchlechter verſchiedener Abkunft als bie 
Depka, Aubracht, Eiminsti, Pluto und Pych nannten fi nach dies 
lem Dorfe Prondzinski. 

Dombrowo bei Garthaus verlieh den. Namen Dombrowski Familien 
verſchiedener Abkunft: Komaliel, Klopotol, Dambrowski oder Doms 
browoli, Wnuck und Mondry. 


*) Hingegen iſt es eine begrandete Thatſache, dab mehr als 20 laſſubiſche Ges 
ſchlechter zum ewigen Anbenten an bie glänzenden Siege über die Türen bei Eicora und 
Choczim (1620, 1621) den Halbmond und Sterne in ihre Wappen aufgenommen haben, 
(Cramer, Geſchichte von Butow und Lauenburg.) 


426 Weſwreußiſche Studien 


Gofomie (Carthaus). Die Familien Baba, Ialafz und Storka nann- 
ten fi hiernach Goftomsti.“) 

Glisno bei Echlohau gab den Namen Glisczinski ben Gefchlectern 
Dejanicz, Eiminski, Jaſtrzembiec, Chamir (bie Chamir nennen fich 
jegt franzöjirt Chamier), Zamel, Glisczinski, Buchon, Jutrzeula, 
Spot und Mroczel. 

Auch wurden verfchievene Gefchlechter in bem Dorfe Wenfiory bei 
Carthaus angefievelt. Sie hießen Belina (gegenwärtig Grafen Belina 
Wenfiersfi), Szpak, Gruchala, Dullak, Cieszyca. 

Ein Gleiches geſchah bei Bütow in Trzebiatkow, Zweigen ber Fa⸗ 
milien: Jutrzenka, Malotki, Wrycz (oder Ritz), Zmuda (jegt Schmude), 
welche ven Namen Trzebiatowski führen, j 

Die Bezeichnung Czapiewski erwarben die Gefchlechter Grzon, Za⸗ 
mel, Zieſiewskli, Zloscz und Zurod von dem Orte Ezaptewice bei Eo- 
nig, fowie Rekowski die Familien Abdank, Styp, Glinz, Wentoch und 
Wrycz durch ihre Anfievelung in dem Dorfe Rekow bei Bütow. 

Ebenfo wurden Gutsantheile mit ablichen Rechten den in bemfelben 
Kreife zu Stüdnitz angeftevelten Familien Kuyd, Cahrcon, Mondry und 
Vaczki verliehen, welche fich Hierauf Studzienski nannten. 

Berner nennen fi nad Podjaſie bei Neuftabt die Gosk und Malek: 
Vodjaski, fowie nah Zemmen (Ezemno) bei Bütow bie Familien 
Derzyn und Chamir: Zeminsti au Ciminski. 

Diefe fogenannten Heinen Edelleute breiteten fich fpäter weiter aus, vor» 
züglich in den Kreiſen Conitz, Schochau, Berent, Carthane, Neuftabt, Lauen- 
burg, Bütow und Stargardt, dabei zum Theil auch ihre Namen nad 
den inzwifchen erworbenen Befigungen von Neuem wieber veränbernd.««) 

Wir wenden uns jeht zu bem theils eingebornen altpreußifchen uub 
pommerellifchen, theils eingewanberten deutſchen Gefchlechtern, welche durch 


*) Mitglieder diefer Familien find gegenwärtig noch Beſiher von Gutsantheilen 
in Goftomie, Briefen, Kietrewice, Lonten, Prondzona bei Schlochau, fo wie Osla Dames 
rau, Trzebiattom im Butowſchen und zu Oſſowo, Karczyn x. bei Coniß. 

=) 3.8. die Janta-Poleynsli, die Zmuda-Goſtlowslki, Zuroch⸗Oſſowsli, Zuchta⸗ 
Balbigti und Zuchta⸗Oſſowslki, Menzyk-Sikorsti, Menzhl-Klonczynsti, Jutrzenla von 
Morgenſtern, WrycyVorzychowski, Klopotel⸗Glowczewsli, Grzon-ghchdi. 


von B. von Windier. 427 


die bereits gefchilverten Berhältnifie gezwungen, ihre urfprünglichen Namen 
verändert Haben. Hierzu ift bas (bis jegt reichhaltigſte) Adels⸗Lexicon des 
Freiherrn von Lebebur benugt worben, fowie Voigts Hiftorifche Werke, 
auch Haben bie in ben Pr. Provinzial-Blättern enthaltenen Forſchungen 
des von Müloerſtädt vielfach Beachtung gefunden. 

Um bie enggezogenen Grenzen biefes Anffages nicht zu überjchreiten, 
warb nur derjenige Beſitz bezeichnet, welcher ber betreffenden Familie ent 
weber ben urfprünglichen Namen gegeben oder der zur Erklärung bes 
fpäter angenommenen polnifchen Beinamens dienen Tonnte, Da bei den 
polnifchen Geſchlechtern — wie bereits im Eingange erwähnt — ſich ein 
fefter Eyelus von Wappenbildern auf Familien verfchiebenen Namens und 
verfehiedenen Urfprungs erftredt, fo warb zur Feſthaltung der Kürze nur 
ber Name besjenigen Wappenbilves erwähnt, zu deſſen Annahme die bes 
zügliche Familie fi) aus ben vorhin angebenteten Gründen veranlaßt ges 
fehen hatte; dagegen burfte bei ber Befchreibung der andern Wappen nur 
eine kurze Andeutung dee Schilvinhaltes als dem Zwed entſprechend er- 
achtet werben. =) 


Verzeichniß der theils eingeborenen pommerelliſchen und altpreußiſchen, 
theils deutſchen Gefihlechter, welde in Weſtpreußen nach dem Frieden 
von Thorn Polniſche Mamen angenommen haben. 


v. d. Bach.“2) v. Bad, dv. Baden. v. B. Gowinsfi. (Gr. Gowin bei 
Neuſtadt), Lewinski (Lewino ibid.), Paraski (Paraſchin bei Laueuburg), 
Zelewski (Zelewo oder Selau bei Neuftabt).«r) Pobolski (Pobolce 
ibid.) Wappen: Ein wachſender goldener Hirſch aus einem Halb⸗ 
monde; auch ein goldener Hirſch ſpringend aus dem Schilf. 

Baumann auch Boumann. v. B. Zaleskli. Wappen: Godziemba. (Zaleſie 
bei Straßburg.) 


*) Es durfte nicht überfläffig fein die Bemerkung beizufügen, tie die Rechtſchrei⸗ 
bung polnifher Namen ſich nicht gramamticalifd begründen läßt; der gegenwärtige 
Sprachgebtauch hat über die Form entſchieden. 

**) Nic. v. Bach war der vorlegte Groß-Comthur des Ordens in Preußen, 
*er) Nicht zu vermechfeln mit der Familie Zelewsli (W, Dolenga). 


428 Welwreubiſche Stubien 


Baugenborf.x) v. B. Kenſowsli. Wappen: Voray. Diefe Familie befag 
Butzendorf und Kenſau (Eonig.) 

Bayſen.“*) B. Bazensli. Wappen: Rothes Eichhorn. 

Biber.“x) v. B. Palubigfi.}) Wappen: Auf einem Baumaſt ein gol⸗ 
dener Falle (Pallubin bei Berent.) 

Bihau.rf) Bich ow, Bychow. B. Bichowski (Bychow bei Lauenburg). 
Wappen: Ein goldener feuerſpeiender Löwenkopf. 

Bieberſtein. B. Rogalla, Oſtrowski, Zawadzki, Bialkoweki, Orzichowe, 
Blonsli. Wappen: das Bieberſteinſche (Hirſchhorn.) 

Bochen. Begesken. Bochenski v. Bochen gen. Lauodorf. Yu Boden 
Barazinski, B. v. Bozepolett. Wappens In Silber ein grüner Papagei. 

Bojan. B. Puchrewsli (Pucdrowo bei Karthaus). Wappen: Widder in 
rothem Selb. 

Bordertsporf. B. Rembowski. Zwei golvene Pfeile mit Lanze im 
Bappen.trf) 
Bronfen. Bronki. Bronski. Auch Bruneken, Brunilen. Wappen: Im 
blauen Felde ein aus einem Brunnen hervorſpringender Hirſch. 
Buchwald.“f) B. Straczyneki, Führen das Wappen ber B. aus Mel- 
lenburg und Holftein. (Stradin bei Danzig.) 

Byftram. B. Zajonczkowski. Wappen: Tarnowa. (Zajonczkowo bei 
Löbau oder Zajonczkowo (jet Liebenhof bei Dirſchau). 

Canden. C. Trzcienskti. Wappen: Zwei Jagdhunde, barüber ein golder 
ner Halbmond und goldene Sterne. (Trzezyn bei Läban.) 

Carlowitz. Karlinsli v. C. Wappen: Oftoja, 


Aler. v. K. Abt zu Oliva 1641 bis 1667. Alex. Baugendorf Kenſowski 
Staroft von Borzechow 1683. 

*#) Weber die hervorragende Familie Bayfen lefe man Voigts Gefchichte der 
Eidechſen · Geſ. und v. Mülverftädt N. Pr. Prov.⸗Bl. A. 3. II, ©. 97 fi,, beſonders auch 
Wölly in Monum. hist, Warm. I. S. 141 ff. 

Nicht zu verwechſeln mit den Zuchta Balubigfi (Wappen: Brochwiß). 
+) Math. v. Biber war 1899 Kumpan des Hochmeiſters. 

+9) ob. v. Bichau war 1413 Comthur zu Ofterode, dann zu Danzig. Job. 
v. B. 1422 Voigt in Roggenhaufen. 

+tr) Nicht zu verwechſeln mit den Rembowsli (Wappen: Slepowron), 
4) Micoel v. B. Mitglied der Eidechſengeſeliſchaft 1450. 





von B. von Windler. 429 


Elementen.“) C. Plemieneh, Wappen: Ein filberner Querbalken mit 
drei Rofen (Plemiento bei Graubenz). 

Ezegenberg auh Ziegenberg.““) Wappen: In Roth ein filbernes 
Ochſenjoch. Diefe Familie führte nach ihren Befigungen bie Beinamen: 
v. d. Lunau, Wollen v. d. Wolkowoki, Eicholeweli, Orloweli (Or 
lowo bet Culm), Suchotrzysti und Zalesti (Zaleſie bei Graudenz.) 

Dorfen, Dorzyn-Dorzunsli, auch Darſen⸗Cieminsli. Darfide, Wappen: 
Im Roth und Grün ſchräg getheilt, oben ein wachfender goldener Löwe. 

Damerau.⸗»x) D. Wojanoweit auch Woinoweli, Wappen: Leliwa, 
(Wojanow bei Danzig.) 

Delck. D. Poblodi. Wappen: Springenver Hirſch mit goldenem Halb» 
mond und Sterne, (Pobloce bei Neuftabt.) 

Dorpuſch. D. Dorpoweli. Wappen: Leliwa. (Dorpufch bei Culm.) 

EihHolg.}) E. Iablonoweh, Eichholtz (Kreis Heiligenbeil) iſt bas 
Stammhaus. Wappen: Drei goldene Sterne (Iablonowo bei 
Strasburg.) 

Elfenan.}}) E. Elzanowski auch Elſanowski. Wappen: Im rothen Felde 
filberner Geterfopf. Der Helm mit 2 Büffelhörnern. 

Ende. E. RKoniedi, Wappen der Ende ans Sachſen. 

Eppingen.trf) Eppinger. €. Boreczoweli. Wappen ber Eppinger aus 
Baden, (Boroſchau bei Stargarbt.) 


9) Kunze v. El. in der Geſchichte der Eidechſengeſellſchaft 1411 genannt. 
Jeroſchins Chronif erwähnt ein castrum Clementis (1277): Dusburg Chronica terrae 
Prussiae pars III. 192 script, rer. Pruss, I. 137, 282, 494, 495. Nach Voigt 3, 362 
Plement zwiſchen Rheden und Graubenz gelegen. 

) Ueber daS berühmte Geſchlecht der Czegenberg |. Voigts Geſchichte der 
Eidechſengeſellſchaft. Joh. v. Czegenberg Zalesti (+ 1679) Poln. Schwerurager und 
Kronküchenmeifter. Nic. v. Cjegenberg Wultowäti (t 1541) Woiwode von Pommerellen. 

*) Hans v. d. Damerau Eidechſenritter. Chriftoph v. D. W. auf Wojanom, 
war 1490 Gaftellan von Danzig, und Pater v. D. W. auf Kleſchtau Stareft von Grau · 
denz. (Die Damerau-Dombrowsk kommen in Oftpreußen vor.) 

» ob. v. Eichholß wird unter den Eidechſenrittern genannt, Die Polniſche 
damilie Jablonoweti führt das Wappen Brambzte, 

+ Zucas v. €, war 1629 Kaftellan von Eulm. Poleste v. Elſenau Mitalied 
der Eided ſengeſellſchaft 1468, 
ttt) Andr. v. E war 1499 Raftellan von Pommerellen. Wilb. v. Epp. Voigt 
zu Gothland 1404, Wi. v. Epp. war 1471 GroßrEomthur, 


430 Beftpreufikhe Studien 


Erbberg. E. Krzencieweli. Wappen: Rola. 

Eſtlich.«) €, Oleskti. Wappen: Grzymala. 

Falten. F. Plachedi. Ein redendes Wappen: Fliegender Falle. (Plachth 

bei Berent.) 

v. d. Feldes) dv. Felden. v. d. F. Wypczynsli (Wypcz bei Thorn.) 
Wappen ber Felden aus dem Brauuſchweigſchen. v. d. F. Zadrzeweii. 
Wappen: Drei Baumäfte mit grünen Blätterzweigen.*x) (Zackrzewo 
bei Graubenz ober bei Neuftabt.) 

Brand v. d. Franze. Frandi. Wappen: In Roth ein ſchräger verfohl- 
ter Baumſtamm mit drei geſtümmelten Aſtenden. &uf dem Helm 
wiederholt ſich der Baumſtamm in aufrechter Stellung. (Fronza Kreis 
Marienwerder.) 

Freyhold. F. Uflarbowel. Wappen: Im Silber ein rother Schräg ⸗ 
balten, mit drei goldenen Sternen belegt, auf dem Helm drei Strauß ⸗ 
febern. (Uſterbau bei Nenftabt.) 

Giſe. Tanbeneder v. Giſe. Gewöhnlich nur Gife genannt, Wappen: 
Quer getheilt, oben in Silber ein rother Löwe einen golbenen Schlüf- 
felring haltend, unten blan und Silber ſechsmal quer geftreift, auf 
dem Helm der rothe Löwe mit dem Ringe. Zweige biefes Gefchlechts 
nannten ſich nach ihren Befigungen auch v. Thumberg, Novowieyski, 
auch v. Neuborf und Thumberg.) 

Glafan.rf) Glaſen. Gl. Glazejewski führen im ſilbernen Felde einen 
Schrägballen mit drei goldenen Sternen. (Glazejewo oder Glaſau 
bei Culm.) 

Glaſenapp. Gl. Glizminsli. Wappen der Pommerſchen Familie Glaſenapp. 

Glauch. GI. Gluchoweti. Wappen: Preuß II. 


* Georg v. &, D. (+ 1571) war Kaftellan von Culm. 
”) Joh. v. F. 1881 Voigt zu Stuhm, dann zu Bütow. Daniel v. F. wird 
unter ben Eibedhfeneittern genannt 1411. 
er) Nicht zu verwechleln mit den Badızeimäli, melde zu ben Wappenbilvern 
Drywa, Ogonczpl, Bomian und Wyſſogota gehören. 
» Thidemann dv. Gife 1597 Biſchof von Culm und 1549 Biſchof von Erm⸗ 
land. Sacob v. Novowieysli war 1770 Staroft von Berent. 
+) Simon v. Glaſau wird unter den Gidechfenrittern genannt. 





von B. von Windier. . 431 


Gleißen. GL. Dorengowsli. Stammen aus Gleißen Kreis Sternberg. 
Bappen: im rothen Felde zwei goldene Jagdhörner. 

Gnadkau. ©. Golembiewsli. Wappen: Prawdzie. (Golombiewko bei 
Graudenz.) 

Gögen.s) Götzendorf ⸗-Grabowsli. Stephan v. Götzen warb 1354 mit 
Gögenborf bei Eonig umd 1374 mit Grabowo bei Schlochau belehnt. 
Früher das Wappen der Bögen (im filbernem Felde ein ſchwarzer 
Adler), jegt das Wappen Zbieswicz. 

Goltftein. ©. Koſſowsli. Wappen: Jelita. Die Goltfleinfche Linie in 
Dfipreußen behielten das Wappen bes rheinlänbifchen Geſchlechtes 
Goltftein bei. (Koſſowo bei Schwetz.) 

Gonſchen. ©, Czerniewsli. Wappen: ein halber rother Biegenbod, 
(Czernan bei Damig.) 

Grabla. Gr, Mſcißewsli. Wappen: In Blau unter zwei filbernen 
Sternen ein flberuer Halbmond, zwiſchen befien Hörnern ein filberner 
Pfeil mit der Spige nach oben gelehrt. Auf dem Helm ein Pfauen- 
wedel mit Pfeil belegt. (Mfcigewice bei Carthaus.) 

Grebin. Grzebin. Wappen: Eine rothe Roſe mit brei rothen Herzen 
tm filbernen Felde. (Herren Grebin bei Danzig.) 

Gruben. Gr. Krempiechowsli (Kremplewig bei Bütow). Gr. Niezu⸗ 
chowsti auch Nesnachoweli (Neonachow bei Lauenburg). Wappen: 
Im blauen Felde ein goldener Löwe, 

Gut, G. Dargolewski. (Dargolewo bei Neuftabt) ©. Zapendowsli (Za- 
penbowo bei Gonig). Wappen: Im blauen Felde ein filberner Halb- 
monb und barunter ein Schwert mit zwei filbernen Sternen. 

Hagenau.“xs) H. Zalinski. (Zalno, jest Seehlen bei Eonig.) Wappen: 
der Meklenburgſchen Hagenow: im blauen Felde eine rothe Roſe. 

Halt. H. Lebinsli. Wappen: Salawa. (Lebno bei Nenſtadt.) 

Haugwitz. H. Pawloweli. ur) Wappen der ſchleſiſchen Haugwitz. 
Gaulsdorf bei Marienwerder.) 


*) Raßyar v. Gbten Pfleger zu Barten 1440. 
) M. v. Balinsli (+ 1602) auf Dembnica (jet Damnig bei Schlochau) 
Raftellan von Pommerellen, fein Sohn Samuel (+ 1630) Woiwode von Diarienburg. 
“er 1829 warb Ulrich v. 5. Komthur zu Stolpe. 


432 Weſtpreußiſche Stubien 


Helden. H. Sarmowstt, Wappen der Helbn aus Braunſchweig. H. Go— 
fioroweli, 9. Prziſiorowsli, H. Komarczeweti, (diefe drei Familien 
führen das Wappen Sleprowon) und H. Gowarczewski mit dem 
Wappen Prawdzie. (Sarnowo bet Earthaus.) 

Heſelicht.«) H. Leski. Wappen: Im rothen Selbe zwei filberne Wind: 
Hunde, (Leßcze bei Thorn.) 

Hirſch.««) P. Pomoysli, auch H. Pomeisle. Ein ſprechendes Wappen: 
Wachfender Hirſch, wie die Familie Hirſch in Schlefien. (Er. Po— 
meiste bet Bütow), 

Holdau. H. Lubodzki. Wappen ber fächfifchen Holdau. (Rubobzin bei 
Conitz.) 

Horn. H. Rogowski. Wappen: Dzialoßa. 

Howenburg. H. Szeliski. Wappen: Lubicz. 

Hutten.«x) H. Czapski. Blühen in den Linien Benkowo, Bobrowo und 
Smentowo. Zur Zeit des deutſchen Ordens nannte ſich dieſe aus 
Franken ſtammende Familie von Smolangen nach einem Gute bei 
Stargardt Getzt Smolonk.) Wappen: Leliwa. 

Janitz. I. Lipowoli. Wappen: Im blauen Felde ein Luchs. (Liepen 
bei Stolp.) 

Kalkſtein. K. Kobilinski.}) Wappen: Drei rothe Querballen im filbernen 
Telde, K. Stolinsfi und K. Dslomsli, (Oslowo bei Schwetz.) 
Kintenan.t}) 2. Kitnowski. Wappen: Cholera. (Kitnowko bei Rehden, 

früher Kynthenau.) 

Koberfee.tit) K. Kobierzydi. Wappen: Pomian. (Kobierczyn im Dir 


*) Franz v. 9. 2. mar 1463 Polnifcer Feldhert, desgleichen Paul 1478. 
Johann war 1511 poln. Kronreferendar; Adalbert Stanislaus (+ 1758) als Biſchof von Culm. 
**) Ym Jahre 1890 wird bereits ein Hirſch als Befiger von Pomeisle genannt. 
“ee Gerhard v. Hutten Abgeordneter von Danzig auf dem Landtage zu 
Ebing 1450. Ein v. Smolog auf Wabcz ftiftete 1618 eine Yundation bei der Schule 
in Eulm. 
+ Nicht zn verwedfeln mit den poln. Familien Kobilinsti, welche ſich der 
Wappen Lodzia und Dombrowo bedienen. 
+H Ric. und Joh. v. Kynthenau auf dem Gute geb. N. bei Aheden ftifteten die 
Givechiengefellihaft 1397. Ein Georg v. K. wird 1454 ermähnt. 
+4) Peter v. Rob, 1634 Hauptmann von Neidenburg, ebenfalls Rufus v. K. 
(t 1564). Stanislaus v. 8. war 1658 Woiwode von Pommerellen. 


von B. von Binder. 438 
ſchauiſchen Gebiete war im Beſitz Peter v. Koberſee zur Zeit des 
Bundeskrieges.) 

Lochenſtein.«) Kochansli. Kuchansti. Wappen: Ogengt. 


"Konopats*) Konopagfi. Wappen: Odwaga. Konopat bei Schwetz iſt 


das Stammhaus.) * 

Konyad.ee) Konojadzki. Wappen: Prawdzie. (Konojad bet Strasburg 
und Rehden) 

Koſpoth.f) E Pawlowski. Wappen' ber ſachfiſchen umb ſchlefiſchen K 
aulsdorf bei Roſenberg.) 

Kofe.+) K. Szemirowski. (Schimmerwitz bei Bütow.) K. Borski. ( Borſcz 
bei Carthaus.) Im blauen Felde zwei ſilberne Windhunde, die ſchräg 
übereinander ſpringen. Es giebt eine zweite Familie v. Koß (auch 
Koſſeklen genannt) mit dem Wappen: Bon Roth und Site fechsmal 
ſchrag getheilt. 

Kottwitz. Iif) K. AKrzydi. Wappen der K. in Schlefien. 

Karpitz. K. Charpitzli. Wappen: Rola. 

Legendorf.«f) L. Mgowsli. Wappen: Im ſilbernen Felde ein rother 
Baumſtamm. (Mgowo und Rybiniec bei Culm.) 

Lehwald früher Lawalde. L. Plachecii (im goldenen Felde ein Arm, ber 
einen Ring hält), die L. Guroki, Powalski und Jezierski führen das 
Wappen Rogalla over Bieberftein. (Powallen und Jeſierlen bei Conitz.) 


*) Georg. v. Kochansti war 1616 yoln. Gefandter in Ronftantinopel. 

**) ob, v. 8. (+ 1530) Biſchof von Culm. Sein Bruder Georg (+ 1644) 
war Woiwode von Bommerellen. Graf Math. X. war 1610 Woimode von Culm. Sein 
Sohn Jacob 1649 Kaftellan von Elbing, und deſſen Sohn Stanislaus auf Ryntomo und 
Komopat 1697 Kaftellan von Eulm. 

er) Otto v. Konyad 1408 Borftand der Eidechſenritter. 
+) Job. v. Kosp. Pfleger in Infterburg 1891. 

+) Job. v. Koß war 1685 Staroft von Borzechow, 1648 KRaftellan von Mas 
tienbirg und 1648 Woiwode von Culm (} 1699), deſſen Söhne Joſ. Andr. (1707) Woir 
mode v. Smolenst u. Joh. CH 1718) Woimode von Liefland und fpäter Biſchof vor 
Culm, Joh. v. 8. (t 1756) war Raftellan von Gulm. 

+) Hans v. Kottwig war 1505 Pfleger in Ortelöburg. 

*) Joh. v. 2. war 1485 Landrichter von Culm, gleichzeitig Jacob Kaſtellan 
von Elbing. Fabian war 1477 Woiwode von Bommerellen und Paul (1467) Biſchof 
von Ermland. 

Mipr, Monstefgrift Bd. TIL. Oft. 5 28 


434 Beitpreugüihe Studien 


Made) M. Mahowelt, M. Bodjastt. (Podjas bei Carthaus.) Wappen: 
Im blauen Felde ein Halbmond mit drei filbernen Sternen, 

Mantenffel. M. Kielpinsli. Wappen der Manteuffel in Pommern. 

Mark, M. Modrzewski. Wappen: Im geiheilten Schild eine weiße Rofe 
und brei goldene Sterne 

Merllihenradess) auch Luzeinen und Lufian. Luzeinen ⸗Luzianski. Wap⸗ 
pen: Im rothen Felde zwei ſilberne Hechtzähne. 

Mortangen.uer) M. Mortendfi. Wappen: Zwei golvene Adlerfüße. 
Mortangen bei Lobau war dns Stammhaus.) 

vd. Mülbe v. d. M. Mileweli. Wappen: Eine rothe Bnrgmauer 
mit drei Thärmen, wie das Wappen ber Mülbe, 

Mumm. M. Starzewski. Wappen: Im blauen Felbe zwei Ablerflügel. 

Notterfeld. v,N. Zmijewsli. Wappen: Siepowron, 

Nofig.t) N. Tolarsli, N. Bontlomsli, N. Ialoweli. Wappen: Rys. 
(Die Bontloweli find aus Bontken bei Marienwerber.) Die Noftik 
Drgewiedi gehören dem Poſenſchen an. 

Olſchau. O. Szarczewski, auch Olſziewo⸗Sarfiewsti. DO. Olſchoweki, 
O. Ziganski, O. Trupelski. Wappen: Dolenga. (Olſchau oder Ob 
ſziewo bei Marieuwerder, Scharſchan bei Roſenberg, ebendaſelbſt 
Traupeln und Ziganen bei Marieuwerder.) 

Oſtau. v. O. Luisli. Wappen: Zwei golbene Haldmonde mit großem Stern. 
(2yniec bei Culm.) 

Dtterfeld.t}) O. Rybinski. Sprechendes Wappen: Eine auf einem Baum 
ſtamm liegende Fiſchotter im rothen Felde. (Rybiniec bei Enlm.) 


*) Made oder Macco der Sohn des Pomeſaniſchen Edlen Bipin auf Tropen 
bei Marienburg 1242 dürfte vieleicht hierher gehören. 

**) Johann v. 2. (+ 1550) Woiwode von Culm und deſſen Bruder Fabian 
(t 1528) Bifhof von Ermland. 

w Ludwig v. Mortangen 1454 Gidedjfenritter. Ludwig (t 1480) Woiwode 
von Culm, Ludwig (+ 1540) Raftellan von Marienburg, Meldior 1568 Lanblämmerer 
von Eulm und defien Sohn Ludwig (#1616) der Iegte feines Geſchlechtes Woiwode von 
Bonmerellen und Gulm. 

+) Cafp. v. Noftig, Ordens: Hauptmann in der Schlacht bei Pusig 1462. 
Chriftoph v. N. B. (t 1625) war Unterlämmerer von Pommerellen, Joh. Janap v. RV. 
1677 Woiwode von Marienburg unddeſſen Sohn Stanisl. 1697 Unterlämmerer von Culm 

tr) Yacob v. O. Rybinsli (F 1725) Woiwode von Culm und Joſeph Hpadnt 
(1782) Abt zu Dliva, 





om B. von Winkler. 438 


Breilsporf.“) B. Pilawsli. Wappen: Pilawa. (Pilewite bei Enten) 

Bird. P. Pierchowsli, Pierſchowa. Wappen der Pommerſchen Pach 

Platen. PB. Luisti Wappen der Platen. (Linowo bei Serent.) 

Prebentow. Prebendowski. Przebendowsli. Wappen: Im goldenen Felde 
ein Marder. Stammhänfer find‘ Prebentow bei Stolp und Preben⸗ 
dow bei Lauenburg. 

Preuß. Pr. Pruski, Pr. genannt Pruſzal. Wappen: Leliwa. 

Battlammer. P. Klezczynsli erhielten 1685 das Poluiſche Indigenat. 
Stammhaus Nleſchinz bei Stolpe. Wappen ver Puttlammer. 

Quoß. Q. Trzebsli. Wappen ver Schlefifhen und Preufißhen Familie 
gleigen Namens. (Trzebez bei Culm.) 

Rabenftein.as) NRabenfteiner. R. Gnoynicki. Zur fränkiſchen Reicpsritter- 
Ihoft gehörig. Wappen: Ein Mabe auf einem Berge. 

Rantemberg.ner) R. Garczynsli. Wappen: Im biauen Felde ein filberner 
Halbmond und filberner Pfeil mit zwei goldenen Sternen. (Garcayı 
bei Berent.) 

Rantenberg.}) R. Klinsi. Wappen: Junocza (Rlinz bei Berent). 

Reimann. R. Golembiowsli. Wappen: Im rothen Selbe eine ſilberue 
Mauer mit Zinnen. (Golembiewo bei Granbenz.) 

Rembow. Rembau. Identiſch wohl mit den v. Borchertsdorf⸗Rembowoli. 
Die R. Sabinsti (Szabinski) führen daſſelbe Wappen, dagegen bie 
R. Szablinstt das Wappen Poray (Salno oder Szadlo bei Grau—⸗ 
denz, Seblinen bei Marienwerber. 

Renten, R. Szynwecki. Wappen: Im rothen Selbe ein geharnifler Rit · 
ter auf ſilbernem Pferde. 

Rohr. Trezinsti. Wappen: Rawicz. 


*) Nicol. v. Pf. befand ſich unter den Givechfenrittern. 1476 wurden mit Zu— 
ftimmung eines Nicol, v. Pf. alias Felsdorf, genannt Pilawski, gewiſſe Rechte bei Lie: 
benhoff dem Biſchof v. Cujavien eingeräumt. Nach v. Mülverftäbt find die Pfeilsdorf 
eines Stammes mit den Stanges und Legendorf. 

=) Heinrich v. R. war 1435 Komthur zu Schlochau, fpäter zu Thom. Hein⸗ 
rich v. Rab. 1440 DberftSpittler. 
eh) Samſon v. G. + 1667 als Landfähndrid non Gulm. 

» Georg v. Klinati war 1598 Landrichter in Dirſchau. Bazh, v. N, grün. 

det 1297 Rau! enberg bei Braundberg. ge 
2 


436 Weſwreußiſche Studien 

Nolbel. R. Rolbiedi. Wappen: Im rothen Felde zwei ſilberne Pfeile 
über einem goldenen Halbmond. 

Rongelin. R. Pifiensli. Auch Renglinen-Pyichinsfi. Wappen: Im ſilber⸗ 
nen Felde eine rote Roſe. (Pinſchin bei Stargardt.) 

Rofenberg.*) R. Gruhayneli. R. Lipinsli. R. Mojaczewsli. Wappen: 
Boray; ähnlich dem Wappen der böhmifchen Roſenberge. 

Rostan. R. Bajereki. Wappen: Zur Zeit bes Orbens nannte fich dieſes 
Geſchlecht v. Bajerfee nad) dem Gute gleichen Namens bei Culm. 
Wappen: Drei golbene Sterne auf einem Schrägbalten, 

Rospert. R. Rospiersfi. Wappen: Nabran. 

Rubach. R. Pluskowensli. Wappen: Im blauen Felde drei grüne Kuos⸗ 
pen. (Plustowenz bei Strasburg.) 

NRüdiger.s«) R. Modlibog. Wappen Ein mit einem Schwert burchbohrter 
ſchwarzer Büffelkopf im roth- und golbgnabrirten Felde. Thorner 
Batricier Geſchlecht, aus welchem Joh. v. R. 1522 die Polniſche In⸗ 
colat erhielt. Gegenwärtig als Grafen in Sachſen. 

Rügen. R. Koziczkowsli. Wappen der Rügen in Pommern und Brans 
denburg. (Rozif bei Carthaus.) 

Ruthendorf. R. Przewosli. Wappen: Im blauen Felde drei grüne 
Rutgenbünbel, (Przewos bei Carthaus.) 

Ruttkowitz. Ruttloweli. Wappen: Pobog. (Ruttlowig im Strasburgfchen.) 

Sangershauſen. ©. Zengwirsti. Wappen: Pobog. (Zengwirz bei Thorn.) 

Shedlin.uee) Schedel, Schäbel, v. Scheblin-Ezarlinski, auch v. Schebel- 
Ezarlensti, auch Scheblinsti,f) Wappen: Im roten Gelbe eine Eule 
auf grünem Boden, Eine Linie nannte ſich andy Schedl. Kuybaweli. 
(Sarlin und Kuiebau bei Stargarbt.) Im Mohrungſchen hießen fie 
Schebfineti. 


=) Gera v. Rof. 1899 Komthur zu Ofterode, Wilh. v. Rofbg. Romthur zu 
Memel 1402, dann zu Papau. Eglof v. R. 1444 Kumpan des Hochmeifters. 

=) Mathias Moblibog 1508 Staroft von Gtargardt. 

ww) Nicht zu verwechſeln mit der Familie Szarlinsli oder Gzarlinsfi (Ezarlinen 
bei Berent) mit einem anderen Wappen: Geharnifchter Arın, welcher 2 Pfeifen hält. 

1) Rad der Echentungäurkunde von W. v. Orfeln über Gchliemen 1828 heibt 
das heutige Czarlin noch Schabelin. 








von B. von Winkler, 437 


Schleinitn. ©. Pleminski. Wappen ber fächflfchen Schleinitz. (Plementa 
bei Graudenz.) 

Schlewig.x) Schlewig Konarefi, Wappen: In Gold eine filherne Nabe 
folge. (Konarczyn bei Berent.) 

Schmoltz. Schm. Michoroweli. Wappen der ſchleſiſchen Schmoltz. (Mi- 
chorowo bei Culm.) 

Schönfeld.) Sch. Krupodi. Wappen ber Schönfelde in Schleſien. (Kru- 
poczyn bei Schwetz.) 

Schönwiefe.) ©. Szhuwesli. Wappen: Im rothen Felde ein gehar- 
niſchter Nitter auf filbernem Pferde, in ber rechten Haud zwei abge 
brochene Speere und einen Jagdſpieß haltend. \ 

Schor faß. S. Wyczechowoki. Wappen: Im blauen Felde zwei fich kreu⸗ 
zende Schwerter mit goldenem Halbmond und golbenem Stern, 

Schorſee. ) Szorc. Stammen ans Holſtein. Wappen: Im Roth ein ges 
harniſchter Mohr. 

Sähwarzenbad..S. Czernieweli. Wappen: Im blauen Felde ein Baum ⸗ 
ſtamm mit einem Staar. 

Schwarzhoff. ©. Ezarnolensfi, Wappen ver Schwarzhoffe — eine 
ſchwarze Lowentatze. 

Schwierkotſchin.F)) Swierkoczin. Wappen: Im blauen Felde ein gol⸗ 
dener Stern mit drei goldenen Weckern. (Schwierkotſchin bei Graudenz.) 

Seibersdorf. ©. Sartowski. Wappen: Bon Silber über Roth mit drei 
Stufen ſchräg getheilt. (Sartowit bei Schwetz.) 

Senstau.tt) ©. Senskowski. Wappen: Prambzie. 








*) Dito v. Ehlereig war Komthur zu Thorn 1255. Ein Konarski war 1590 
Staroft von Schöned. Micael(t 1613) Wolwode von Bommerellen, Stanislaus (+ 1625) 
und Samuel (+ 1641) v. Schl. Konarsti Weiwode von Marienburg. Stanislaus war 
1688 Raftellan von Kowal. 
**) ob. v. Sch. 1892 Komthur von Brandenburg, fpäter von Dfterode und 
Danzig. Die Schönfelde werden auch unter den Göldnerhauptleuten genannt. 
6%) Bened. v. Schöniwiefe 1451 unter den Eidechſenrittern genannt. 
» Job. v. Schorfee (+ 1601) Staroft von Kiſchau. 
+r) 1386 kommt ein Schw. bereit3 vor. Hans v. 6.1411 fiehe Geſchichte der 
Eidechſengeſellſchaft. 
+) Heine. v. Senslau Komthut von Brandenburg 1816. Friedr. v. Senslau 
Vfleger in Pr. Mark 1872. Nicol. v. Senslau Landrichter von Culm, war ein herpor⸗ 
tagendes Mitglied der Eidechſengeſellſchaft. 


438 Welwoenßiſche Studien 


Silberſchwecht. ©. Laſzeweli. Wappen: Orzymala. (Laſzewo bei Schwetz.) 

Sislau. ©. Zelslawsli. Wappen: Domb. 

Sultzen. ©. Stryſzewsli. Wappen: Zwei goldene Halbmonde mit gelb- 
nem Stern. (Rriffen bei Earthans.) 

Stangen») St. Meldzynski. Wappen: Drei rothe Querbalten mit zwei 
ſchwarzen Vögeln. (Meldno⸗Melno bei Graudenz.) 

Stauden. St. Iaromiersft. Stammhaus Stauden bei Bretten. Wappen: 
Samfon. 

Stein.) Gtein-Raminsti. Wappen: Jaſtrzembice. 

Steppholg. St. Lyskowsli. St. Wisniewoli. Wappen: Im blauen Selbe 
auf einem Schrägbalfen fünf rothe Roſen. (Wisniewo bei Löbau, 
Lislowo bei Tuchel) 

Stojenthin. St. Wonglilowsft. Wappen ber Pommerſchen Stojenthin. 
Bonglitowo bei Berent.) 

ZTallen. T. Wilgeweli. Wappen: Traprable. (Wilczewo bei Stuhm.) 

Teſſen. T. Wenfiersli. Wappen: Ein filberner Gemabod wie die Pom ⸗ 
merfchen Teflen. 

Teffmannsporf aud Teſſmeredorf.“*) PREISEN, Wappen: 
Rogala. (Teſſendorf bei Stuhm.) 

Teplaf-Regamati. Wappen: Im großen Felde an einem blanen Gieraffen 
ein weißer Grabſtein mit Kreuz. (Rekan bei Neuftabt.) 

Tieffenan.t) T. Golodi. Wappen: Im rothen Felde Treuzweis zwei 
blanke Schwerter. Stammhaus Tieffenau bei Marienwerder. (Go⸗ 
loth bei Eulm.) 

Troſchke. Troczkar Lotynsli. Wappen ber Trofchfe in der Mark und Schle- 
fien. (Lotyn bei Eonig.) 


*) Dietrich und Gotobor v. St. werben als reihe Ritter Pomeſaniens bezeich- 
net 1998. Gebaftion, Raftellan von Rypin, war 1780 Marſchall des Pr. Generalland: 
tages. Heinrich v. Gt. 1250 Komthur in Chriftburg. Konr. v. Et. 1292 Komthur zu 
Ragnit, dann in Thorn. 

*) Ant. v. St. mar 1440 Pfleger zu Grunhof. 
*) Paul v. T. unter der Eidechſengeſellſchaft genannt. 
D Dietrich v. T erhielt 1236 breifundert flämifhe Hufen bei Marienwerber. 





vom B.-von Winkler. 485 


Benediger *) V. Wenedi. Wappen ber Oſtpreußiſchen Venebiger: eine 
fliegende Taube. 

Balbad.s“) Walbadj-Bartlinsfi. Wappen: Genkrecht getheilt, vorn im 
blauen Felde ein filberner Bach, Hinten in Gold ein fpringenber 
ſchwarzer Ziegenbod. (Bartlin bei Berent.) 

Walden. W. Luzinski. Wappen: Ein golvener Baumſtamm mit brei 
Blättern, auf dem Helm eine wachſende Sungfrom mit fliegenden 
Haaren. (Luzino bei Reuftadt.) 

Waldorf«n) W. Wolicki. Wappen: Nabram. 

Wandtkau. W. Watkowoli. Wappen: Nalenz. 

Wedell. W. Tuczyuski. Wappen der Wedell. (Tuczin bei Schwetz.) 

d. d. Weiden. v. d. W. Butowski. Stammen ans bem Brandenburg 
ſchen. Wappen: Im ſilbernen Felde auf grünem Hügel ein Weiden⸗ 
baum. (Bauten bei Marienwerber.) v. d. W. Wierzbowelit) mit 
dem Wappen Dolenga. (Wierzbowo bei Culm.) 

Benfing. Auch Wenfing, genannt v. Kramptenherr. W. Waldoweki. 
Stammen aus Baiern. Wappen: Im rothen Felde ein ſilberuer 
Spieß. (Waldau bei Roſenberg.) 

Werden.f) Werda. Wappen: Bon Silber über Roth quer getheilt, 
darin ein ſchwarzer Falle. Ein Danziger Patriziergeſchlecht, das 
unter Polniſcher Herrſchaft zu dem Wappen Odrowonz aufgenome 
men wurde. 

Berned.tt}) W. Wernikowsli. Wappen: Lagoda. 

Wieſe.“f) W. Wyſieci auch Wiſchetzli. Wappen: Rownia. (Wyſiecin bei 
Neuſtadt.) 

Wildſchütz. Wirydi. Wilczicz. Wappens Nalenz. 





*) Georg V. war 1564—1574 Biſchof von Pomeſanien und zulegt auch von Culm. 
Caſ. v. B. W. mar 1645 Staroft von Mewe. 
“ Tpeoph. v. W. war 1830 Erzbiſchof von Poſen und Gneſen. 
+) Nicht zu verwechſeln mit den Wierzbowsli ohne den Beinamen v. d. W. 
mit dem Wappen Zaftrzembice. 
+ Ulrich v. W. 1441 Boigt zu Dirfhau. Joh. v. W. 1655 Staroft von 
Neuenburg und Unterlämmerer von Pommerellen. 
+) Joh. v. Wernet 1344 Boigt zu Lauenburg, fpäter zu Samlarıd, 
+) Wilh. v. Wieſe 1415 Pfleger in Neivenburg, 


440 Weſwreußiſche Gtubien von B. von Winkler. 


Villen. Wille W. Willoweli, Wappen: Grzymala. (Willen bei 
Martenwerber.) 

Winded. W. Grzyboweli. Wappen: Preuß IL (Als Heimath wird 
Baiern genannt.) 

Wittken. W. Jezewali. (Jezewo bei Lanenburg.) Auf grünem Boden drei 
rothe Tulpen, auch fiatt der Tulpen brei Pfeile, 

Wolfram. W. Ciefzynefi. Wappen: Junoſza. 

Wohqnar. W. Swarozynsli. Wappen: Im rothen Felde eine Meerkatze 
mit Goldgürtel. (Swaroczin bei Stargardt.) 

Brante W. Dominsli. Wappen: Im ſilbernen Felde ein rother Hirſch⸗ 
Topf. (Demmin bei Schlochau.) 

Zanthier. 3. Woiski. Wappen ber Zanthier ans dem Anhaltſchen: Drei 
BZanberköpfe. 

Zehmen.«) Tzemen. Wappen der Zehmen in Sachen, 

Aachtrag. 

Becer. B. Gotkoweli. Wappen: Im blauen Felde ein ſilberner Stern. 
(Gotlau bei Schlochau.) 

Aleinfeld.“x) Kl. Krupocki. Wappen: Senkrecht getheilt, vorne Silber 
und Roth, hinten Roth und Silber achtmal quer geſtreift, auf dem 

Helm ein ſilbernes und ein rothes Hirſchhorn. (Krupocin bei Schwetz.) 

Thuren. Thurer. Furznicki. Wappen: Oſtoja. 

Trach. xxx) Tr. Gninski. Wappen ber ſchleſiſchen Trach. (Gnin bei But.) 

Wattlau. v. d. W., eigentlich v. Hafe. Watlewoky auch Watlowski. (Wat⸗ 
lau bei Wehlau.) Wappen: Im blauen Felde ein ſilbernes Hufeiſen, 
in demſelben ein ſilbernes Kreuz. Auf dem gekr. Helme ein goldenes 
Krenz, auf welchem ein Rabe ſitzt, der im Schnabel einen goldenen 
Ring Hält. 


*) Achatius v. 8. (41565) Woimode von Marienburg, Fabian (+ 1580) Woir 
mode von Pommerellen, Achatius (+ 1570) Woiwode ebendafelbft, Fabian (f 1629) 
Woiwode von Marienburg, aud Staroft von Graudenz und Stuhm. Ein v. 3. war 
1795 Weihbifhof in Frauenburg. 
*#) Georg v. Aleinfeld war 1698 Burggraf von Danzig. 
er) ob. v. Zr. G. (+ 1708) war Woiwode von Pommerellen. 


Geben Kunt's Boctey- Biffertation de igne vom 
17. Aprit 1755. 


Tiſchrede an Kant's Geburtstag ben 22. April 1865 in der Kant-Gefell- 
ſchaft zu Königsberg gehalten 
von 


Profeſſor Dr. Guft. Werther. 


Verehrte Brüder in Kant! Mic; Hat der blinde Zufall mit einer 
hohen Ehre betraut und nichts bedaure ich mehr, als bag ich mich dere 
felben fo unmürbig fühle wie einft Saul unter den Propheten. Den paar 
Worten, mit denen ich heute das Andenken bes unfterblichen Königsberger 
Profeſſors meihen foll, möchte ich gern eine captatio benevolentise 
vorausſchicken, aber Sie werben mir erwiebern: warum Haft bu bie Bohne 
dir genommen? Und ich werde mich in mein Schidfal finden und meine 
Aufgabe löfen fo gut ich es fann. 

As Grundlage für meine heutige Tiſchrede habe ich das Schriftchen 
gewählt, welcher Kant am 17. April 1755 ber Hiefigen philofophifchen 
Facuftät zur Prüfung überreichte als DoctorsDiffertation. Betitelt ift es 
Meditationum quarundam de igne succincta delineatio und in bem 
Vorwort fagt er: es feien veluti primae lineae Theoriae, quae si per 
otium licuerit uberioris tractationis mihi segetem subministrabunt, 

Wenn der heutige Chemiker Kants Anfichten als Chemiler kennen 
lernen möchte, fo wärbe er vermuthen mäflen, in einer Schrift, melde 
de igne betitelt ifl, bie chemifchen Fundamentalanſchauungen bes Berfaf- 
ſers anzutreffen. Dein feit dem älteften Zeiten hat der Verbrennungs ⸗ 
proceß nicht nur als ein fehr finnenfälliges Naturphänomen, fondern auch 
als eines der Mräftigfien Agentien für fpeciell chemiſche Wirkungen das 


442 Ueber Kants Doctor-Differtation de igne vom 17. April 1755 


Nachdenken der Naturforfher im Hohen Grade befcjäftigt, berartig, daß 
am Schluß des 17. und Beginn des 18. Jahrhunderts auf die Eıflärung 
dieſes Prozefles ſogar das erfte einigermaßen umfaſſende chemiſche Lehr- 
gebäube ſich ſtützte, welches faſt ungetheilten Beifall fand und zur Zeit, 
wo jenes Schriften Kant's eingereicht wurbe — nur 21 Jahre nach 
©. €. Stahl’8 Tode — beinahe bie ganze wiſſenſchaftliche chemiſche Ge⸗ 
danfenwelt beherrichte. 

Wenn alfo in Betrachtungen über das Feuer vom heutigen Stand» 
punkt ans zunãchſt eine Erflärung bes bei ver Verbrennung vor fic) gehen- 
den chemiſchen Prozefies vermuthet werben durfte, fo verftand es fich bei 
einem Philofophen von felbft, darin auch bie wefentlichen Grundzüge fei« 
ner Vorftellungen über jeden chemiſchen Prozeß und vor Allem natürlich 
in Tegter Inftanz auch Über die Natur ber Materie anzutreffen — mit 
einem Wort diejenigen philofophifchen Anſchauungen, welche bie Reinltate ber 
exacten Naturforfchung feiner Zeit in feinem hellen und ſchöpferiſchen Geiſte 
gebären mußten oder mindeſtens diejenigen, welche bie Harfien Köpfe un. 
ter feinen Zeitgenoffen hegten, auf feine eigne Weiſe verarbeitet. 

Man wird nun zwar in feiner Erwartung in fo fern getäufcht, ale 
die Erfcheinungen bes Feuers nicht zur Grundlage fpeciell chemifcher Be: 
trachtungen gemacht werben, noch weniger zur Begründung eines Syſtems 
philofophifcher Naturanfhauung vom chemiſchen Etarbpunlte aus dienen. 
Aber wir treffen in jenem Epecimen einen Theil der fundamentalen Erörte- 
rungen über bie Natur der Materie an, bie ber große Philoſoph mit An- 
wendung anf bie chemiſche Seite fpäter in feinen metaphyſiſchen Anfanger 
gründen ber Naturwiſſenſchaft ausführlicher niebergelegt hat. 

Es kann nicht meine Abſicht fein, Ihnen Kant's Bedeutung ale Che 
miler vorführen zu wollen, obwohl er, wie Sie wiflen, der Gründer einer 
confequenten und für bie bamalige Zeit höchſt befriebigenden Theorie 
wurde, Als Yünger meiner Wiſſenſchaft, wie fie heute fundamentirt bar 
fteht, würde ich zur gerechten Würdigung feiner Bedeutung als Naturphi« 
loſoph vielleicht nicht unparteiifch genug und jebenfalls nicht — wie er 
es felbft von den mit Naturforfchung ſich befcäftigenden Philoſophen 
verlangt — als philosophus emunctioris naris mic) fühlen. Als Kind 
meiner Zeit vermag ich ber dynamiſchen Theorie nicht das Lob zu reden; 


von Profefior Dr. Guft. Werther. 443 


fie Hat denjenigen Chemilern, bie fowohl philosophi wie rerum natura- 
kum serutatores mit ungeſchnäuzter Naſe waren, einen Tummelplag 
für ihre Umviffenheit und Ungefchidlichfeit geebnet, wie feine andere und 
fie ift, freilic) ganz wider Willen, bie Erzeugerin berjenigen Naturphilofo- 
phie geworben, welche die exacte Naturforfhung lange — zu lange in 
traurigen Banden gefeffelt hielt. Und doch gerade auch Hierin zeigte ſich 
die ungewöhnliche Bebentung und Ueberlegenheit der philofophiichen Me 
thode, welche unfer großer Landsmann als Leuchte der Forſchung aufftedte, 

Indem ich num zur würbigen Erinnerung an das helle Feuer, das 
vor aun 141 Yahren hier aufglimmte, mein Scherflein beizutragen im 
Begriff bin, hoffe ich Ihres Beifalls nicht ganz unmerth zu fein, wenn ich 
eine gebrängte Ueberſicht des Inhalts jener Heutzutage gewiß nur wenig 
beachteten atabemifchen Abhandlung de igne gebe. Diefe giebt ung vor« 
nämlich Aufihluß über den Standpunkt Kants gegenüber der bamaligen 
mechaniſchen Naturforfhung (mie wir uns jegt ausbrüden würben) und 
zeigt ihn — wie es von folchem Geift zu erwarten ift — anf ber höch⸗ 
ſten Höhe im alffeitigen Beſitz der Errungenfchaften eines Newton, Hales, 
Boerhave, Leibnig u. A. Nur eines einzigen Naturforſchers Namen und 
Arbeiten vermißt der Chemiker ungern, ben von R. Bohle. Es ift nicht 
anzunehmen, daß Kant bie reichhaltigen Schriften dieſes geiftvollften und 
exacteften Naturforfchers des 17. Sahrhunderts nicht gefannt haben ſollte. 
Denn Newton bezieht ſich auf einige ber wichtigften Verſuche Boyle's und 
theilte feine Anfichten über das Wejen ver Materie. Uber man Tann fi 
wohl vorftellen, daß wenn auch Kant Boyle's Anfichten über bie legten 
Urfachen, die den chemifchen Erſcheinungen zum Grunde liegen, fannte, er 
fie von vornherein perhorrefcirte, als mit feinen fpeculativen Anfichten 
über das Weſen ber Materie in diametralem Gegenfag ſtehend. Kant, 
felbft nicht experimenteller Forſcher, Tonnte unmöglich bie fpecwlativen 
Anfichten eines Chemilers richtig würdigen, bie einzig nur in ber Wahr⸗ 
heit der bedeutſamen Experimente ihren berechtigten Grund haben und 
biefen hat ja eigentlich erft die neuefte Zeit ihre volle Beftärigung gebradit. 
Wie hätte eine Theorie, die bem überwundenen Stanbpunft eines Leucipp 
und Epicur fo ähnlich fah, wie ein Ei dem anbern, für Kant Objekt ber 
ernſien Beachtung oder gar Grundlage weiterer Entwidelung werben lönnen? 


444 leer Kants Dochor-Differtation de igne vom 17. April 1765 


Und fo vernehmen Sie denn, was jene Schrift, eine Doctor-Differ 
tation von feltenem Schlag, enthält: 

Bon den zwei Abfchnitten, in bie fie zerfällt, Handelt der erfte über 
die Natur der ftarren Körper und der Ziäffigfeiten, ber zweite über bie 
Feuermaterie und deren Mobificationen Wärme und Kälte. Kant beginnt 
deu erften Abſchnitt mit der Affertion: „bie Släffigleit der Körper kann 
nicht aus einer Zertheilung ber Materie in änferft feine glatte und fehr 
loſe zufammenhängende Theilchen erklärt werben, wie bie meiften Phyſiler 
mit Cartefins annehmen,” und fucht bies durch einen mathematifchen Be- 
weis zu erhärten, der barauf hinausläuft, daß (ich bräde es annähernd 
im Groben aus) die Körner einer Pyhramide aus Sand, wenn fie zufam- 
menrutfchen, ‚feine ebene, foubern Tonifche Oberfläche bilden. Das ger 
ſchieht befanntfich bei Släffigfeiten nicht und der Grund davon liegt nad 
Kant darin, daß bie Elementartheile ber letzteren von einer anderen unb 
zwar elaſtiſchen Materie umhülllt find, vermöge beren fie das Moment bes 
Gewichts überall Hin gleich verteilen Finnen. Da aber bie ftarren Kör⸗ 
per häufig aus flüffigen ſich bilden, fie außerdem durch Compreffion ihr 
Volum verfeinern und durch Ziehkräfte vergrößern können, ohne ihre 
Cohãſion zu verfteren, fo müfjen auch ihre Elementartheile (Atome, Mor 
fechle) mit einer elaftifchen Hülle umgeben fein. Der Haupiſchluß biefer 
erften Abtheilung ift daher: jeber Körper befleht aus feften Theilchen, 
die mit einer elaftifchen Materie wie einem gemeinfamen Bande umhüllt 
find. Vermöge biefer ziehen fi die an unmittelbarer wedhjelfeitiger 
Berägrung gehinderten Atome gegenfeitig an und vielleicht inniger, als 
bet unmittelbarer Berührung. Denn da Kugeln fih nur in einem 
Buntte berühren (Sie bemerken, daß Kant ſich bie Atome von fphär 
ſcher Geftalt vorftellte), fo ift bie Attraction ſchwächer als die von einer 
größeren Oberfläche. Auf, dieſe Weife wird es begreiflich, wie unbefchabet 
* der Cohäfion Volumenverminberung ober was bafjelbe ift, Annäherung 
der Atome in Folge des Weggangs eines Antheils jener elaftiichen Hülle, 
anbererfeits Bolumenvermehrung in Folge von Vermehrung, fei es ber 
Quantität, fet es ber Elaſticität der Hülle ftatt finden Tann. 

Dergleichen Veränderungen, wie fie zulegt namhaft gemacht finb, 
bringt nun befonbers das euer ober die Wärme hervor und biefe bes 


von Prefefior Dr. Guſt. Werther. 445 


Tannten Erſcheinungen beichreibt Kant in ber erfien Propofition bes zweiten 
Abſchnittes unter ber Ueberfchrift experientia etwas genauer. Darauf 
folgt der Sag: die Feuermaterie ift nichts anderes als bie elaſtiſche Hülle, 
welche die Elemente aller Körper, zwifchen denen fie ſich befindet, verbin⸗ 
det Gufommenhält) und ihre Wellenbewegung ift der unter bem Namen ber 
Wärme belannte Vorgang.*) Denn da bie Wärme alle Körper gleichmäßig 
ausbehnt und biefes ohne eine die Molecüle umgebende elaftiiche Hülle 
nicht denkbar ift, ba ferner dieſe, fobald fie z.B. burch Reiben oder Stoßen in 
unbulatorifche Bewegung geräth, alle Phänomene der Wärme barbietet, fo 
muß fie mit dem Feuer identiſch fein. Dafür dienen auch bie Erſcheinun⸗ 
gen bes Stevens zum Beleg. Ueberſchlagen wir biefe Betweisführung, fo 
ſtoßen wir auf ven Sag: ber Wärmeftoff ift nichts anberes als der Aether 
ſelbſt (d. h. die Lichtmaterie), durch Fräftige Attractions- oder Adhäfionge 
traft der Körper zwifchen die Zwiſchenräume berfelben zufanmengepreft. 
Es ergiebt fih alfo nach Kant: elaftifche Hülle — Feuer = Wärme — 
Fichtäther. Der legtere ift nicht der von Euler ſupponirte Aether, von bem 
auch Kant ſchon Notiz genommen, fondern Newtons ponberable Materie, 
ebenfo find natürlich aud Feuer und Wärme ponderable Stoffe. 

Bor Kant finden wir ſchon bei den hervorragendften Phufifern ber 
ſtimmte Ausſprüche über Ipentität von Feuer und Wärme einerfeits und 
Feuer und Licht andererjeits, und unbentliche Vorftellungen von ber Bezie⸗ 
Jung der Wärme zum Licht, aber nur bei Voltaire ift eine Andentung 
von ber Beziehung derſelben zu ber Hülle der Molecäle vorhanden. Denn er 
behauptet von ber Feuermaterie, daß fie als elaftifcher Elementarftoff in 
den Poren der Körper wohne. So ſcharf wie Kant Hatte zuvor fein Nas 
turphilofoph die Identität jener vier ponberablen Materien ansgeiprochen. 

Bon den Beweiſen für bie Einerleiheit der Wärme und bes Lichts hebe 
ich nur einen, ber ben chemiſchen Standpunkt Kant's Tennzeichnet, hervor, 
er iſt aus ber Durchfightigkeit des Glaſes entlehnt. Das Glas ift, jagt 
Kant, aus Pottaſche d. h. dem ſtärkſten Allalifale buch Zuſammen⸗ 


*) Kants ſammil. Werke brög. v. Rofenkcanz u. Schubert V, 243 (Propositio VIN 
ift elemento in elementa und das finnentftellende „inde est‘ in id est zu corrigiven; 
fo hat Kant ſelbſt geſchtieben und fo Heft aud; Hartenftein in feiner Ausgabe von 8.3 
Werlen VI, 898, 





446 Ueber Kants Doctor-Differtation de igne vom 17, April 1756 


ſchmelzen mit Sand entftanben. Da nun bie Pottafche im Folge des lan⸗ 
gen und heftigen Erhitzens bie Fenermaterie reichlich in fich anfgenom- 
men hat, fo wird fie da, wo fie mit dem Sande vereinigt if, dieſes 
elaftiner Feuerprincip durch die ganze Glasmaſſe verigeilen. Nun iſt es 
aber nicht wahrfcheinlich, daß ein ans einer Flüffigkeit erſtarrender Kör⸗ 
per überall für den Lichtourchgang offene und gerablinige Wege befige, 
vielmehr ift vernünftiger Weife anzunehmen, daß bas Volum deſſelben 
mit eigentlicher Materie erfüllt fei. Da nun aber dennoch ber Lichtimpuls 
durch die Glasmaſſe fortgepflanzt wird, fo muß die Lichtmaterie felbft ben 
Theilen der Glasmaſſe beigemifcht und ein Theil der Maſſe felbft fein. 
Wenn bemnad die Feuermaterie einen nicht zu verachtenden Theil bes 
Glaſes ausmacht und durch deſſen bichte Elemente überall verſtreut ift, jo 
darf man kaum zweifeln, daß ber Wärmeftoff mit dem Aether (Lichtele⸗ 
ment) identiſch fei. 

Im den folgenden Propofitionen befpricht unfer Philofoph das Meſſen 
ber Wärme, bie Verminderung bes Siebepunfts unter geringerem atmo: 
ſphäriſchen Drude und zeigt ſich im Beftg ber zw feiner Zeit geläntertften 
Anfihten Über biefe Sachen. Aber über die Natur ber Dämpfe (er verfteht 
darunter nur Wafferbämpfe) und deren Beziehung zu ben Gafen, welde 
bie atmofphärifche Luft ausmachen, hegt er ganz eigenthümliche Anfichten 
und bekämpft fogar die des Hales, welder den Unterſchied wohl Tannte 
und richtig ins Licht gefegt Hatte, auf Grund ber alten chemiſchen ganz 
eonfufen Borftellungen über bie Verbindung des acidums mit ber Materie. 
Den Schluß machen Erläuterungen über bie Erſcheinungen ber Flamme, 
welche fi) auf die vorhergehenden Grörterungen über Dampf und Luft 
fügen und als Nahrung ver Flamme, jenes für die elaftifche Bewegung 
thätigfte Princip, nämlich oleum atque acidum, annehmen. Wir wollen 
fie teiner näheren Zerglieberung unterwerfen. 

Laßt man nun bie für Kants Zeit unvermeibfichen Irrtümer, bie anf 
falſch verftandenen Naturanſchauungen beruhen, unberüdfichtigt, fo wird man 
beim Lefen dieſer Differtation von einem friſchen Hauch angeweht und 
von Bewunderung erfüllt über die umfafjenden Kenntniffe des 31jährigen 
Sünglings in ben Reſultaten der Naturforſchung feiner Zeit, über ven 
Scharfſinn in ber Combination, über die Kühnheit der Speculatien. Aber 


von Profeffor Dr. Guft. Werther. 447 


wir ziehen auch daraus die über Alles fruchtbare Lehre: keine Speculation 
auf dem Gebiet der Naturphilofophie Tann zu erfprießlichen Nefultaten zu 
gelangen Hoffen, wenn fie nicht durch ein reiches Material genauer Beob- 
achtungen, auf inbuctivem Wege gefammelt und gefichtet, unterftügt wird. 

Doch ich ſchließe mit Kant's Conclusio jener Differtation: non diu- 
tius moror Viros officiis gravioribus districtos. 

Und fo ehren Sie denn mit mir das unvergängliche Andenken unferes 
großen Denkers durch einen Weihetrunf. Sein heller Geift erleuchte immer- 
dar den Pfad eines jeden Wanderer im Reiche des Denfens, möge 
derſelbe forfhen über die Anſchauungen der ewigen Naturgefege in den 
Verrichtungen des menfchlichen Geiſtes, möge er fie auffuchen in ben Er⸗ 
ſcheinungen ber Materie. 


3. 8. Schultz in Daneig. 
Bon 
N. Bergen, 


Motto: „Fra’ pin dolei sentimenti, che s'infondono 
nel cnore umano, stanno Ia venerazione per gli 
uomini benemeriti della patria, delle lettere, delle 
arti o la gratitudine, ehe ne consguista per le loro 

opere.“ Conestabile, 
Yohann Carl Shulg wurde am 5. Mai 1801 zu Danzig, wo 
fein Vater Kaufmann war, geboren, erhielt ben erften Unterricht im Zeich⸗ 
nen in ber Kunſiſchule feiner Vaterſtadt durch den Direftor berfelben, 
Brofeffor Adam Breyſig, begab fi) aber dann im Jahre 1820 nad 
Berlin, wofelbft er drei Sahre lang bie Kunſt⸗Alademie, bamals unter 
Joh. Gottfr. Schadow's Leitung, befuchte, und im Atelier bes durch 
fein Lehrbuch ber Perfpective befannten PBrofefior Hummel malte. Schon 
hier zeichnete er ſich durch feine landſchaftlichen Gemälde aus, bei benen 
die Architeftur aber ftets bevorzugt wurde. Erhalten find aus biefer Zeit 
nur einige Copien nach Ludtke und Schinkel, Befonderen Fleiß vertvandte 
Schultz als ein treuer Schüler Adam Breyſig's«) auf perſpectiviſch ric- 
tige Zeichnung. Bald widmete er ſich ganz ber Achiteftur-Maleret, ein 
damals noch wenig angebautes Feld. Seinen erften größern Ausflug 
machte er mit Blechen nach Dresden und Meiffen und ging banı zu weis 
terer Ausbildung nah München, wohin ihn ber damals ſchon berühmte 
Architelturmaler Dominic Quaglio zog, mit welchem zufammen er ein 
Yahr lang arbeitete. Im dieſer Zeit malte er ale erfte felbftftänbige Bilder 


*) Brevſig war Erfinder der Reliefperfpective und der Panoramen. Dal. über 
ihn Unger in den neuen Preuß. Provinzial Blättern 1850, Bd. X. 6. 97 ff. 





von R. Bergan. 449 


das Innere des Doms von Meiffen, ben Dom von Regensburg n. A. 
Im Herbfi des Jahres 1824 ging unfer Künſtler mit Grüneiſen Getzt 
Ober-Eonfiftorialrath in Stuttgart) auf Reifen, um Stoff für neue Bilber 
u fommeln. Ueber Mailand und Genua eilte er fchnell nad Rom, wo 
ex bie würbigften Gegenftände im Uebermaß fand. Aber gerabe biefe 
Maſſe wirkte erdrückend auf den Künftler. Daher wurde im erften Jahre 
viel gezeichnet, wurben Studien aller Art gefammelt, aber kein felbſtſtän⸗ 
diges Werk gefchaffen. Bet ber flüchtigen Reife durch Mailand Hatte der 
dortige Dom fo großen Eindrud anf unfern Künftler gemacht, daß er da⸗ 
hin zurädeilte, am Dom die verfchiebenften Stubien machte, mit gefällter 
Mappe nad) Rom zurädkehrte und nun eine große innere Anficht bes 
Doms von Mailand malte, ein Bild, das in Rom allgemein das größefte 
Anfjehn erregte, ihm die Achtung der bafelbft lebenden Künſtler Führich, 
Fr. Overbeck, Rod, Schnorr, Ph. Veit (Letztere malten bamals 
in ber Billa Maffimo), Reinhard, Thorwalbfen, v. Kloeder, 
E.Wolff m. A, verſchaffte und feinen Künftlerruf begründete, Das Bild 
lam zur Ausſtellung nad) Berlin und fand auch bier ‚allgemeine Anerlken ⸗ 
nung. Der Kronprinz, fpäter König Friedrich Wilhelm IV, kaufte es. 
Der damals ſchon eifrig fammelnde, jegt verftorbene Eonful Wagner in 
Berlin, beftelte bei Schultz eine Wieverholung bes Bildes. Daflelbe 
kommt zur Ausftellung nad) Berlin. Da aber Friedrich Wilhelm III. bie 
Erwerbung des Bildes wänfcht, muß Wagner zurüdtreten, ber bei dem 
Künftler eine britte Wiederholung beftellt und auch erhält, fu wie eine 
Anficgt „anf dem Dache des Doms zu Mailand." Beide Bilder ber 
finden ſich Heute in der Preußifchen National-Gallerie zn Berlin. Schultz 
weilte vier Jahre (1824 bis 1828) in Italien, befuchte mit W. Zahn 
and Iulins Schnorr v. Earolsfeld aud Neapel und Sicilien und 
fammelte einen großen Schag von Zeichnungen. Befonbers ausgezeichnet 
unter den Studien iſt ein 1828 gemaltes großes Panorama) von Rom, 
geſehen ans den Farneſiſchen Gurten des Palatin, mit großer Sorgfalt 
im Aquarell ausgeführt, trefflich in ber Zeichnung und von bewunde 
rungswürbiger Wahrheit in der Farbe (das Panorama von dem Künftier 


* — 
uoc. Rensteigrift OB. 11T. din 5. 





460 3. € Säulg in Danzig 


als Delgemälve ausgeführt, befinbet ſich tm Befig bes Herrn Albers auf 
Traupel in Weftpreußen und zum zweiten Mal in England.) Zu gleicher 
Zeit malte er andy noch mehr ausgeführte Bilder, darunter ich nur nen 
nen will eine Anſicht des Campo vaccino*), das Innere von Gt. Peter 
zu Rom (beide im Befig des Königs Friedrich Wilhelm IV.), bie Piazıs 
del -Granduca zu $lorenz, eine Anfiht von Siena von S. Domenico 
aus (bei Deder in Berlin), die Hintere Fagade bes Doms von Siem, 
das Imnere des Doms von Orvteto (für R. v. Frantzius in Danzig). A 
Ans Italien in das bentiche Vaterland zurüdgefehrt, erhielt ber Känftler 
1830 in Berlin an ber unter ber Direktion von Benth und Schinkel neu 
erblähten damaligen Allgemeinen Bauſchule (an Wild. Stier war fo 
eben berufen) eine Anftellung als Lehrer für Perfpective. Im ber erſten 
Zeit in Berlin malte er n. A. (anf Beftellung Schintels für ven Berliner 
Kunft-Berein) bie Hälfte des erwähnten Panorama von Rom, (das ſpater 
in Bunfens Befig am), zwei innere Anfichten der Werberichen Kirche iv 


Berlin (für König Friedrich Wilhelm IV.), ven Hof der Burg ber He | 


henzollern (für den Fürſten von Hohenzollern). — Bald aber rief ihn 
feine Baterftabt Danzig, um dort, nad) bem am 29. Auguft 1831 erfolgten 
Tode A, Breyſig's, die Stelle als Direktor der Kunſtſchule zu übernehmen. 
Schultz folgte dem ehrenvollen Ruf, fiebelte im Jahre 1832 nach Danzig 
über, wofelbft ‚er ſeitdem ununterbrochen eine fegensreiche Thätigfeit „als 
Lehrer, als ausübender Künftler und als Bewahrer und Schüger ber al 
terthümlichen Kunſtwerle feiner ehrwärbigen herrlichen Vaterſtadt ausübt 
Noch einmal im Jahre 1839 folgte er dem allgemeinen Zuge ber Künfle 
ler nad Rom, war aber nur fieben Monate abweiend. Im biefer Zeit 
feines zweiten Aufenthalts in Italten malte er vier verſchiedene innere 
Anfichten der Lateraniſchen Bafilica zu Rom, eine Anficht des Coloſſeum, 
mehre Anfichten aus Ancona ꝛc. 

Seitdem weilte der Künftler, einige Ausflüge in bie benachbarten 
Städte abgerechnet, ſtets in Danzig, malte Hier nach feinen heimgebrachten 
Studien viel Italieniſches, fehenkte aber auch ben Denkmaͤlern jeines Bo 


*) MB Verfuch hat Sch. diefelbe Anfict 1830 auch lithogtaphirt. Auch hat er 
eine Anſicht der Basilica dei quattro coromati zu Rom lithographirt. 


von R. Bergau. 451 


terlaudes befonbere Aufmerkamteit, fieferte eine Anſicht des herrlich am 
hoben Ufer des frifchen Haffes gelegenen Doms von Frauenburg (bie ſpu⸗ 
ter nad) Amerika am), eine innere Anſicht deſſelben Doms (im Befig der 
Brinzeffin Marie v. Hohenzollern in Danzig), eine innere Anfiht bes 
Doms zu Königsberg“) (in der ſtädtiſchen Bemälde-Ballerie daſelbſt), das 
Innere des Artushofes in Danzig (für König Friedrich Wilhelm IIL und 
für Herrn Albers auf Tranpel). Lange feflelte unfern Künſtler das Schloß 
Marienburg. Das Ordenshaupthaus des deutſchen Drbens, defſen 
wärbige Reſtauration, beſonders in Folge Schenkendorffs Nothſchrei, 
wir der unermüblichen Thätigfeit des 23. guli 1856 verſtorbenen Stante- 
Miniſters von Schön verbanfen, mit dem unfer Fünftler bald befreun⸗ 
bet wurde. Schultz malte ſechszehn verfchiebene innere und Aufßere An- 
fihten#«) des Schloſſes in Aquarell, theils Skizzen, theils forgfältig und 
meifterhaft ausgeführt (jet im Schloß ⸗Archiv zu Marienburg), nad) wel 


; der der Kronprinz (König Friedrich Wilhelm IV.) dann neun große Del 


gemälpesw«) beftelfte, welche ſich Heute theils im Königl. Schloſſe, theils 
im Schloſſe Bellevue zu Berlin befinden. Zwei andere Anfichten aus 
Marienburg von dem Künftler felbft auf den Holzftod gezeichnet find in 
Witts Werk über Marienburg (Königsberg 1854) enthalten, 

Beſondere Sorgfalt wandte Schulg den malerifch und architektonifdh 
beveutfamen Dentmälern Danzigs zu. Er Hat einen großen Theil derſel⸗ 
ben gegeichnet und in Bolge einer Auregung durch König Wilhelm J. von 
Würteniberg ſelbſt in Kupfer radirt. Sie find in groß Folio feit 1845 " 
in zwei Serien (davon die erſte 24, die andere 18 Blätter zählt) mit 
Tert erſchienen und tragen nicht wenig zum Ruhm unſerer altehriwürbigen 
Stadt: bei. Diefe ftets maleriſch aufgefaßten, küuſtleriſch burchgeführten 
Darſtellungen geben ein charakteriftifches Bild ber Stadt Danzig nach allen 
Richtungen hin.) Wir finden barin zwei verſchiedene Gefammt-Anfhten 


*) ' Diefelbe ift in dem Bilderheft zu ‘ver Veſchreibung des Doms von Königd 
berg von 9. Hagen lithographiſch vervielfältigt. 
*) Meift in Holzicnitt reproducirt in dem Beinen Bud) von Mar Rofe nhayn 
über die Marienburg · 
ee) Zwei dieſer Gemalde hat Witthoefft trefflich in Kupfer und Stahl geſtochen. 
+) Gine Anſicht der Stadt, mit Allem was für dieſelbe Gehe befindet 
2 


452 I. 6 Säuls in Danzig 


ber Stadt, Anſichten der bebentendften Straßen und Pläe, des langen 
Marktes, der Langgaffe, der Frauengaſſe, der langen Brüde an ber Mob 
Ian. Daran fließen fich einige befonders malerifche Gtadt-Brofpede, on 
welchen Danzig befonders reich ifl, wie bie Veinſtube mit dem Stocthurm, 
wwei Anſichten des Gtabthofes, die Rabanneninfel u, f. w. Außerdem if 
natũrlich allen öffentlichen Monumenten der Stabt, ben Kirchen (auch er 
ige innere Anfichten), dem Urtushof, dem hohen Thor, dem Zeughaus, 
den Rathehänfern eine eingehende Darftellung zu Theil geworben. Bon 


beſonderem Intereffe und hoher Schönheit find bie fünf Blätter, melde | 


Iuterienrs bes Nechtftäbtifchen Rathhauſes darſtellen. Daran ſchließen 
ſich zur näheren Erklaͤrung einige Blätter mit Grunbrifien, geometriſchen 
Anfriffen und Details. Enpli ergänzen die Anficten von Privatkäufen, 
fowopt ihrer Bacaden als ihrer Beifchläge bie Sammlung zu einem voll⸗ 


Ränbigen Ganzen.) Bei Abbildung ber innern Räumlichkeiten war zw 


gleich Gelegenheit, bie in Danzig noch zahlreich vorhandenen Möbel, be 
ſonders die großen Schränke, Tiſche, Stähle, Epiegel, Treppen ıc. alle 
lunſtvoll in Holz gefehnigt, zu zeigen. Im neufter Zeit hat ber Künftier 
beſchloſſen, eine Bortfegung des Wertes zu liefern, worüber geuamere Nach⸗ 


richt in No. 86 und 44 der „Dioskuren“ von 1868 zu finden.) Wir 
Haben noch Blätter vom hoͤchſten Intereffe zu erwarten, welche bem Werle 


anch in Hiorifper Beziehung eine gewiſſe Vollſtandigkeit verleihen. Die 
Nadirungen fanden allgemeinen Beifall. Der König belohnte ven Künft 
ler mit der.golbenen Medaille für Kunft und Wiſſenſchaft, bie Kunf-te 
- bemien zu Berlin und Petersburg ernannten ihn zu ihrem Mitgliede. 
Mehrere der genannten Unſichten Hat ber Künftler andy als Delgemälbe 
ausgeführt, fo z. B. bie Geueral⸗Anſicht von Danzig, welche den Saal 
des Rathhauſes in Danzig ſchmudt, bie Gommer-Nathfube bes Nathhan⸗ 
tes (noch im Beſitz des Kunſtlers), das Innere ber Kirche von St. Rice 


Ai nad Ghnls Belnumg in Sein ade, I de Bear Serien Ze 


7 Ber. Abe Met et: Wiener —e 1004.30, Ein genaues 
Verzeichnib biefer fümmtlien Rabirungen unferes Kanſtlers, wird in dem Werke „Die 
Dentichen Waler-Babirer üm 19. Jahrhundert” des Dr. A. Audreſen erſcheinen 

®®) Ga chen int die erſte Cieferung, in 6 Blau befiehenb, erkhienen. 


wem 19. November 





von R. Bergau. 453 


Ions, das Innere des Artushofes m. ſ. w. Biele Dilder Yanfte König 
Briebrich Wilhelm IV. Mehere derſelben wurden auf feine fpecielle Be⸗ 
fellung gemalt, wie denn überhaupt unfer Künſtler biefem kunftfinnigen 
Färften einen großen Theil feines Erfolges und feines Rufes ſchuldig zw 
fein, daulbar anerkennt, Außerdem aber malte er auch das Münfter von 
Gtrasburg, das Imnere des Chors vom Dom zu Eöln (für &. Baum in 
Danzig), das Iunere bes Doms zu Ulm (bei Bannenberg in Danzig) eine 


Auficht von Agrigent (bei Seidler in Danzig) sc. 


Ein beſonderes Feld feiner! Thatigkeit war aber, wie ſchon ange: 
deutet, das ber Erwedung und Ausbildung bes Kunflfinnes (er fliftete 
and; 1835 den Danziger Kunft-Berein) unter feinen Mitblrgern, bie den 
profaifchen Niüglichleitsbeftrebungen unferer Tage alle architeltoniſche und 
malerifche Schönheit ihrer fo originellen Stabt zu opfern bereit find, 
Schultz fuchte dieſen Beſtrebungen nach Zerfiörung bes guten Alten mit 
allen ihm zu Gebote ſtehenden Mitteln und mit aller Kraft entgegen zu 
treten. Schon im Jahre 1841 hielt er eine üffentliche Borlefung „über 
aterthümliche Gegenflänbe ber bildenden Lunſt in Danzig,” welche auch 
gedrudt warb, (jet aber ſchon felten if) und im Yahre 1856 fliftete er, 


: indem er gleiähgefinnte Männer zu vereinten Arbeiten zuſammen berief,- 
: einen „Verein zur Erhaltung ber alterthümlichen Kunſtwerle Danzige“ 
: Gergl. Ro. 39 der „Dioskuren“ von 1863), ber feit zehn Iahren fegene- 
- mich wirkt. Da ber Verein aber Feine Zwangsmittel in Händen, und Zu⸗ 


seven nicht immer Hilft, hat der. Künftier nicht felten ven Gchmerz erlebt, 
die [häufen Sachen vor feinen Augen zerſtbren fehen zu müflen (in nen 


; Mer Zeit foger fein Geburtshaus Yopengaffe No. 25). Zuweilen war es 
Am noch geftattet, vorher eine Zeichnung zu machen, — bem verbanlen 


wir z. B. das ſchöne Dlatt „Flur eines Bürgerhanfes" (Radirungen. 
dolge II. 81.12) — oft aber konnte ber intereflantefte Gegeuſtand auch 
nicht einmal im Bilde erhalten werben. 

Mögen die unfterblichen Götter biefem trefflichen Käufiler uud Tichene 
mürbigften Manne noch lange im gemüthlichen Kreiſe feiner Bamilie eine 
lleich ſegenoreiche Thätigleit gewähren! — 

Damig. R. Bergen. 


Kritiken und Referate, 


Christian Donaleitis litauische dichtungen. Erste vollständige 
Ausgabe mit glossar, von Aug. Schleicher. St. Petersburg 
1865. (Buchdruckerei der kaiserlichen Akademie der Wis- 

senschaften.) (gt. 80. 336 Geiten.) 

. (gl. Monatsſchrift I, 273, II, 373.) 

Die Hinweifung auf die beiden Stellen dieſer Monatsichrift, an wel 
Gen von Donaleitis und feinen Dichtungen bie Rebe ift, überhebt ben 
Referenten ber Mühe, das bort gefagte hier noch einmal zu wiederholen. 
Herr Schleicher Hat für feine Ansgabe benugen können: 1) Rheſa's Aus 
gabe bes größern Gedichtes „das Jahr“ (Königsberg 1818),. 2) befielben 
Ausgabe ver ſechs Gabeln (Päsakos) in feinem Aisöpas (Rönigeberg 1824), 
3) des Dichters eigenhänbige Handfchrift der beiben erften Gefänge bes 
„Jahr,“ welche mit Rheſa's Nachlaß in das hieſige Geheime Archiv ge 
tommen ift, und 4) eine von einem Pfarrer Hohlfeld genommenene fehr 
correcte Abſchrift ſämmtlicher Dichtungen des Donaleitis, welche vor etwa 
zwei Jahren für die Bibliothek der Alterthumsgeſellſchaft Pruſſia hieſelbſt 
erworben warb. (Hiernach ift bie Vermuthung, welche Monatsfchrift 
1,.278. über biefe Handſchrift ausgeſprochen ift, zu berichtigen.) — Daß 
von ſolchen kritiſchen Hilfsmitteln unterftügt aus Herrn Schleichers Hin 
den ein Text hervorgehen würde, ber, was bie höchſte Afribie in Accen- 
tuirung und Rechtſchreibung anlangt, nichts zu wünfchen übrig läßt, ftand 
zu erwarten unb wird den nicht überraſchen, ber dieſes Gelehrten frühere 
Schriften und feine ganz finguläre Geiſtesrichtung lennt. Herr Schleicher 
Hat es fi) nicht verbrießen laſſen, behufs ficherer Feſtſtellung des einen 
und bes anbern Accents von Yena aus wieberhofentlich nach Königeberg 
amd felbft nach St, Peterburg zu correfponbiven, Zu bebauern aber wäre 





Chriſtian Donaleitis litauiſche Dichtungen. 466 


es, wenn dieſe außerordentliche Sorgfalt für Accent und Orthographie 
bie Aufmerkſamkeit des Herausgebers ganz abſorbirt Hätte, fo daß ihm 
nicht Kraft und Zeit übrig geblieben wäre, an bie materielle Feſtſtellung 
des Textes dieſelbe Afcibie zu verwenden, bie jenen Minntien zu Theil 
geworben iſt. Da Referent noch nicht Muße gehabt Hat, das ganze Werk 
mit Nücficht auf Textvergleichung genau zu burchmuftern, fo muß er fein 
Urtheil über die ganze Arbeit im biefer Beziehung noch zurüdhalten; nur 
bie ſechs Päsakos hat er bis jegt einer genauen Prüfung unterwerfen 
lonnen, und da hat fich das Nefultat ergeben, daß Schleichers Text leider 
nicht überall „Io reinlich und fo zweifelsohne” ausgefallen if, wie zu 
mänfchen unb bei fo trefflichen Hilfsmitteln zu erwarten geweſen wäre, 


Einige Beifpiele mögen biefes Urtheil begründen. 


Pas. III, 10 lautet bei Rhefa: „Dienos Widdurij i Säulele lodawo 
suilta.® Dagegen bat Cod. H. „O dienos widdurij i Saule lodawo 
szilta,* und bezeichnet ausdrücklich das Wort widdurij in gewohnter Welfe 


(1,273) als Anapäft, Here Schleicher läßt mit Rheſa ohne erficht ⸗ 


lien Grund das beginnende „O“ weg, welches Sinn and Metrum nothe 
wenbig forbern, und giebt: „diends viduryj i säule lödawo szilta,*) 
was feinen Hexameter hergiebt. 

Pas, III, 31 fieft der Cod. H. „Kentek, kad skauduli spandzia.“ 
Rheſa Hat, wie es ſcheint, die Worte nicht verftanben, und fegt für akau- 
duli (ace.) ein in der Sprache nicht vorhandenes spaudulis. Geltfamer 
Weiſe nimmt Schleicher bie Rheſaſche Eorruptur auch in feinen Tert auf 
und ſchreibt tm Gloſſar: „Späudulis ete. III, 31 [fol heißen Pas. III, 31] 
(mir nur ausz diser stelle bekant) bedrücker, bedränger.“ Späudulis 
würde als Ableitung von spaudzu vielmehr Bedrückuug als Bedrücker 
fein, es ift aber in der That gar nichts, unb ber ganze Artikel im Gloſſar 
wm ſtreichen, bagegen im Xexte die Leſeart des Cod. H. pure herzuftellen, 
die gar keine Schwierigkeit bietet, wenn man späudza und, das folgende 
nuplöszia als Pluralia auffaßt und das täv ber legten Zeile auch auf 


*) Aus Mangel an den erforderlichen Drudtgpen lann ih Schleichers Ortho 
rapbie nicht wiedergeben; ber Kenner wird fie fi) leicht ergänzen. Ich gebe daher für 
das e mit zwei Punkten in alter Weile ie, für e mit einem Punkte & und laſſe die Ras 
Ialm unbezeichnet, ebenfo mehrere Accente, 


466 Krititen und Referater 


bie vorletzte bezieht; der Sinn ift dann: „Sei gebulbig, wenn fie bir das 
Geſchwür (die ſchmerzhafte Stelle) vrüden und bir den leiten Wegen vom 
Bel; abreißen.“ „Das Geſchwür drücken“ Heißt foviel wie „Schmerzen 
verurſachen.“ (Bergl, die ganz ähnliche Verbindung skaudulius glosto 
Pas. I. 59.) 

Sehr übel iſt es beiden Herausgebern mit ber Stelle Pas. IV, 31 
ergangen. Cod. H. Hat bie ganz leichte, nicht einen Schein von Schwies 
tigleit bietende Lefart szelmyste waryti. Rheſa las unaufmerffam wargti 
flatt waryti, und da num biefes mit bem vorhergehenden szelmyste feinen 
Versausgang bot, fo veränderte er szelmyste eigenmächtig in szelmysteje; 
nun hatte er einen richtigen Vers, aber leider keinen Sinn; beun was 
foll das Heißen: „Sollte ich jegt noch in Büberei elend werben?! Dar 
gegen giebt bie wirkliche Leſſart des Cod. H. den einfachen Sinn: „Sollte 
ich (ber ich, nad) dem Vorhergehenden, von je bemüht geweſen bin mid 

ehrbar zu führen) jegt noch Büberei treiben?“ Leider hat Schleicher hier 
Rheſa's Augen mehr getraut als feinen eignen und das finnlofe und durch 
nichts begründete szelmysteje wargti auch in feinen Text aufgenommen, 

An Rleinigleiten bemerfe ich noch: Pas. I, 14 Hat Schleicher nicht 
angemertt, daß bei Rheſa tiktu im Xerte zweimal fteht, offenbar als 
Drudfehler. — Pas. VL, 3 leſen Schleicher und Rheſa laizyba laimejes, 
während Cod, H. Lazyba laimejes Hat; eine Note bei Schleicher fagt 
tmthümfich: „VI, 3 Lazyba Rh.“ flatt „Latyba H.“ — Pas. IV, 45 if 
unterlaffen zu bemerken, daß ftatt des aus Rheſa beibehaftenen paszlüsiti 
Cod. H. pasluziti lieſt. 

Das ift die Ausbeute von etwa zehn Seiten, Wenn es erlaubt ift 
von dieſer Probe einen Schluß auf das Ganze zu machen, jo bärfte ſich 
leichtlich das Refultat ergeben, daß trog ber großen Vorzüge, welche vor 
liegende Ausgabe des Donaleitis nad) einer freilich einfeitigen Richtung 
Hin bietet, doch bie Kritil bes Textes bes Fitanifchen Dichters mit dem 
Erſcheinen dieſer Ausgabe noch keinesweges als abgeſchloſſen zu betrachten iſt. 

Zum Gloſſar will ich noch einige Bemerkungen machen. Das Citat bei 
alöju ſtimmt wicht. — Ruhig I, 10 accentuiri audeklas. — Didgalvis, in 
der Ueberſchrift von Pas. III, fehlt im Gloſſar. — Zu laükis: Bleſſe 
(Btäffe) befteht meines Wiffens nicht in einem weißen Fled auf ber Stirn, 





Spriftian Donaleitis Itauifhe Dichtungen. 467 


fondern in einem weißen Streifen über Stirn und Nafe. — Ruhig accen- 
tuirt märszkonis. — Moteriszke foll Ehefrau im verächtlichen Sinne 
bedeuten? — Obrys findet ſich in Oftermepers Grammatik ©. 19 als Yhra- 
ham gebeutet. — Rüdikis ift vielleicht vergleichbar mit bem Lettifchen rud- 
dihsch „ein Hundsnahme wegen ber fuchsrothen Farbe" (Stender unter 
„ruds, röthlich falb,“ auch von fuchsfarbiger Wolle gebraucht). — Svötas 
it im Gloſſar ungenau erflärt; svötai bezeichnet das Verwandtſchaftsver⸗ 
hältniß zweier Männer, beren Kinder mit einander verheirathet find; jis 
yr' mäno svötas, b. h. fein Sohn refp. feine Tochter iſt mit meiner Tod 
ter vefp. meinem Sohne verheirathet; fpäter iſt Das Wort auch auf Ver⸗ 
wanbte im allgemeinen unb auf Hochzeitgäfte übertragen worben. — Gerkle 
unb stemple ſcheinen im verfchievenen Gegenden mit einander vertaufcht 
au werben; Szyrwid überſetzt das polnifche krtat durch gierkle, stimple, 
b. h. er nimmt fie als Synonyma für Luftröhre; Ruhig und Mielte ger 
ben jebem von beiden beide Bebentungen, Luftröhre, Speiferöhre; Bro» 
dowsli verhält ſich meiftens wie Szyrwid, ſchwankt aber; Rebensarten, 
wie „viss per gerkle perleisti, alles durch den Schlund jagen“ unb 
der Hinblid auf gerti, trinken, machen es mir wahrfcheinlicher, daß 
gerkle bie Speiferöhre fei; ber gemeine Mann mag wohl für gewöhn- 
lich beide Nöhren nicht fo genau von einander unterſcheiden. [Profeſſor 
A.O. Ugiansfi aus Kafan, ein geborner Littauer, der mich Tärzlich bes 
fuchte, beftätigt meine Anſicht, daß das Volk den Unterſchied zwiſchen 
vuft · und Speiſerohre nicht made. Nach feiner Auffaſſung bezeichnen 
beide Worte beibes, aber mit dem Unterſchiede, daß gerkle nur von Men» 
fen, stemple (over wie er das Wort ausſpricht stempelis) nur von 
Thieren gebraucht wirb.] 

Die äußere Ausftattung bes Buches ift höchſt ſplendide, faft verſchwen⸗ 
deriſch, wie man es von einem auf Roften ber kaiſerlich ruſſiſchen Alademie 
ber Wiffenfchaften gebrudten Werke nicht anders erwarten konnte. 

Es war anfangs meine Abficht, biefem Neferate ein Stück Königs 
berger chronique scandaleuse, in Bezug auf bie Hohlſeldſche Handſchrift, 
beizugeben, wozu ich allerbings ein begrünbetes Recht gehabt Hätte. Da 
aber eine wahrheitsgetene Darfiellung bes Sachverhältniſſes nicht gut 
möglich war, ohne allgemein befannte und fonft geachtete Perfönlichleiten 








458 Krititen und Referate, 


gar arg zu compromitticen, fo babe ich nach reiflicher Weberlegung mein 
Vorhaben aufgegeben. Habent sua fata libelli. 


G. 3. F. Meffelmann. 


D @neterbeck, Carolus Eduardus, De jure maritimo quod in 
Prussia saeculo XVL et ortum est et in usu fuit, Regi- 
monti Prussorum 1866. Schubert & Seidel. (35 SE. 4.) 


II) Jura Pratenerum saeculo XIV condita nunc primum e libris 
manuscriptis edidit Paulus Laband, Regimonti Pr. 1866. 
(22 SS. 40,) 


Durch die vorliegenden verbienftlihen Arbeiten (beides alademiſche 
Gelegenheitsfchriften zu gleichem Zwecke) empfängt unfere Altpreußiſche 
Rechtsgeſchichte neue, fehr dankenswerthe Bereicherung. Beide find gerich⸗ 
tet auf Altpreuß. Rechtsquellen, jene bietet eine quellengeſchichtliche 
Unterfuchung, dieſe einen Tert-Abbrud, 

L 

Die erfte Arbeit (don Prof. Güterbod) Hat zum Gegenftanbe bie 
in Preußen im XVL Jahrh. abgefahte Seerehts-Sammlung, von 
welcher felbft Pardeſſus nur ungenügend gehandelt und L’Eftocg 
den Abbrud einer einzigen Handfchrift geliefert Hatte. Imbem ber Berf. 
eine neue, kritiſche Ausgabe verheißt, befchäftigt er ſich in ber gegenwaͤrti⸗ 
gen Abhandlung mit einer genaueren Unterſuchung biefer bisher nicht ger 
nügend befannten Quelle, 

(5. I) Die Grundlage der Unterſuchung bilden alle vorhandenen 
Hilfsmittel: ber bei L’Eftocq gebrudte Text, deſſen Original wir nicht 
mehr befigen, und acht Handſchriften, von benen zwei nenerbings in bie 
fen Blättern befchrieben find, zwei reſp. brei anderweitig noch nicht be 
Tanut waren. Alle diefe Texte werben mit eingehender Sorgfalt beſchrie⸗ 
ben, mit einander verglichen und, einſchließlich des L’Eftocg’fchen Ter 
tes, in vier verfchiebene Klaſſen gebracht. Ganz auszeſchieden wird bavon 
ver VIII. Eoder (Ambrof. Adler), weil er eine vom unferer Quelle abs 
weichende felbfländige Compilation enthält, bie im Berfolge unberüd⸗ 
fichtigt bleibt. Dennoch können wir ben Wunfch nicht unterdrüden, auch | 


Gueterbock, De jare maritimo, 459 


diefe Compilation in ber nenen Ansgabe aufgenommen zu fehen, um beibe 
Preußiſche Seerechte beifammen zu haben. 

(8. I.) Anf Grund der in 8. I zufammengeftellten Hilfsmittel wirb der 
Text in vier gefonderte Beftanbtheile zerlegt: 1) das „Wafjerrecht” 
capp. 1...22, 2) bie „Orbinantia* capp. 23...48, 3) eine waſſerrecht ⸗ 
liche Entſcheidung vom 9.1522, 4) ſechs nachträgliche Eapitel, Die 
fucceffive Vereinigung der genannten Beftanbtheile erfolgte in brei Recen⸗ 
fionens (1.) (2), 1.) (2) (B.) und (1.) (2.) (8.) (4) reſp. (12 (2) (4) @.). 
Die erflere der letztgedachten beiven Formen britter Recenſion tft bie gang« 
barere, jeboch ift ihr die letztere als bie urfprängliche und beſſer georbnete 
vorzuziehen. — Als Grundtert für bie Tünftige Ansgabe empfiehlt fi 
der Coder S. 10, 41 ber Königsberger StabtbibL, daneben ver ihm ver⸗ 
wandte Bolz'ſche Eober im Königsb. Prov. Archive No. 40. 48. 

@. III) Zeit und Ort der Abfaffung werben dahin beflimmt, bie 
Compilation fei um 1522 zu Königsberg entſtanden. Die Beranlaf- 
hung dazu wirb in bem Umſtande gefucht, daß nad) dem Berlufte Weſt⸗ 
preußens wahrfcheinfich Königsberg als oberfte feerechtliche Inftanz an bie 
Stelle Danzig’s getreten ſei. Diefe Annahme erfceint um fo wahrfdein- 
licher, als in ähnlicher Weife auch das Recht des „Oberkolmes“ auf ven 
Rath der Altſtadt Königsberg übergegangen war (Monatsfchr. III, 230). 

@. IV.) Hinfitlih der Quellen, aus welchen die Compilation ger 
ſchöpft iſt, -ergiebt ſich zumächft ihre Webereinftimmung mit bem Slan- 
driſch⸗Holländiſchen Seerecht, ſowie mit dem Wisbher Recht, wel⸗ 
ches letztere aus erſterem hervorgegangen iſt, unter Hinzufügung gewiſſer 
dem Lubiſchen Recht entlehnter Artikel (vgl. die Einleitung p. 4ff.). Es 
ſtimmen capp.1...22 mit dem Flandriſchen „Waterrecht“ reſp. mit capp. 
16... 39 des Wisbyer Rechtes; capp. 23...48 mit dem Hollänbifchen (ober 
Amfterbamer) Seerecht reſp. mit capp. 40...64 bes Wisbyer R. Die ſechs 
Bufag-Rapitel ftammen aus dem Lübifhen Recht und finden ſich, mit 
Ausnahme des fechsten, im Wisbyer Seerecht wieder. Neben biefer 
ebereinftimmung zeigen fich aber auch mandyerlei Abweichungen, bie ver 
Berf. näher angiebt, 

(5. V.) Es entfteht die Frage, welche von beiben übereinſtimmenden 
Quellen unferem Preußiſchen Seereht zum Grunde liegt: ob das Flan⸗ 





480 Krititen und Beferate. 


driſch⸗ Hollãndiſche, oder bas Wisbyer Necht? Entgegen ber von Barbefins 
aufgefteliten Anficht, vertritt und beweiſt ber Verf. das wichtige Schluß 
Nefultat, daß das Preuß. Seerecht eine hochdeutſche Ueberfegung fei 
nicht des Wisbyer, fonbern bes Flandriſch⸗Holläudiſchen Rechtet. 
Die Gründe dafür entnimmt er ber Äußeren Form, wie ber inneren Be 
ſchaffenheit und ber Entftehungszeit der in Betracht kommenden Terte. 
Der Beweis darf hiemit als vollgiltig erbracht angefehen werben, unb 
Tonnte im Hinblid auf die Lubiſchen Artikel noch ein Zweifel übrig bier 
ben, fo beftätigt ber neuerlich in ber Monatsfchrift (III, 245 f.) beſpro⸗ 
heme „Danziger Codex, baß jene Artikel nicht durch Vermittelung bes 
Wishyer R., fonbern birect ans dem Lubiſchen R. in unfere Eompilation 
übergegangen find. — 

So gewinnt denn das Preußiſche Seerecht neben dem Wisbyer R. 
als ſelbſtaändige Recenſion bes Flandriſch⸗Hollandiſchen Seerechts eine 
erhöhte Bebentung. Um fo dringeuder wänfchen wir, daß es dem geehrten 
Verf. möglich ſein möchte, recht bald die verſprochene Ausgabe zu vollenden. 

I. 


Seitdem zuerft Hanow Über das „Mecht ber Preußiſchen Laud⸗ 
faffen“ nähere Mittheilungen gemacht Hatte, war bie Keuntniß deſſelben 
durch bie beiläufigen Bemerkungen von Schweilart und Töppen und 
durch Nachweifungen einzelner Handſchriften nicht weientlich geförbert wor» 
den. Bon biefem „Preußen-Rechte” erhalten wir jegt durch Prof. Saband, 
dem wir and) bie Herausgabe ber Duelle unferes Kulmiſchen Rechtes ver 
danlen (vgl. Monatsfchr. I, 74), die erſte vollſtändige Ausgabe. 

Der Herausgeber verzeichnet fieben vorhandene Handſchriften, obenan 
4 Königsberger, dann 2 Danziger, und eine im Privatbefige zu Elbing. 
Nur die Königsberger HH. wurden für die Ausgabe verglichen; bie übrigen 
find nicht benngt, bis auf diejenigen Stüde, welche Hanow aus einer 
der beiden Danziger HH. abgebrudt hat. — Die vier benutzten HH. zerfallen 
in zwei Klaſſen, nad) Verſchiedenheit der Tert-Geftalt. Die erfte Klafſe 
vertritt. ein einziger Coder (S. 10. 42 ber Gtabtbibl.), derſelbe, welcher 
auch für bas Preuß. Seerecht von hervorragender Wichtigkeit iſt; die zweite 
bie brei auberen. Jene begreift im Ganzen 127 Eapitel, vom ]12tes an 
jedoch fpäter Yinpugefügt; biefe enthält nur capp. 1...98 und 102... 106. 





Upreubtiäier Berlag. 461 


Die zweite beider Bormen tft zugleich die fpätere, weil fie bie ur⸗ 
fprünglich unſhſtematiſch an einander gereihten Capitel nach Materien ord⸗ 
net, wobei innerhalb der einzelnen Materien bie nrfprüngliche Folge bei⸗ 
behalten iſt. Da ihr aber die nenn Gapitel 99...101 und 106...111 
abgehen, fo waren auch dieſe anfänglich nicht vorhanden, fondern wurden 
erſt nad) Vollendung der ſyſtematiſchen Recenfion beigefügt. Demnach ift 
die in Rede ſtehende Onelle aus drei Stüden erwachfen: capp. 1...96 
und 102...105 als ältefle Beftandtheile, capp. 99...101 und 106...111 
in zweiter Linie, und zulegt capp. 112...127. 

Für die Zeitbeftimmung ergiebt der Coder erfter Kaffe in ber Ueber» 
ſchrift das Jahr 1340 „und darnach“. Damit kommt überein, baß in 
cap. 25 Dietrih von Altenburg erwähnt wird, welcher 1835 zum 
Hochmeifter erwäglt wurde. — 

Diefes der weſentliche Inhalt der vorangeſchidten Einleitung. — Der 
Tert-Aborud fügt fi) anf den Coder erfter Klaſſe, mit den Varianten ber 
anderen HH. Am Schlufle find noch zwei Eapitel angehängt: ein bereits 
von Töppen mitgetheilter Zufag im Reidenitz' ſchen Coder (am Rande 
zu cap. 1) und die in zwei HH. befindliche Notiz Über das „Preußiſche 
Triutrecht· (worüber vgl. Donatsfchrift ILL, 66 fi). 

Möchte nun auch die von anderer Geite in Ansficht geftelite mate- 
vielle Verwertung biefer Altpreußiſchen Rechtsquelle (Mieſchr. IL, 419) 
nicht mehr allzu lange anf ſich warten laſſen! S—n. 


Altpreußifcher Verlag. 


Gedichte von Eduard Heinel. Aönigäberg, 1865. Drud der Untverfitäts-Buch- 
und Gteinbruderei von €. 3. Dallowski. 


Der Herausg., der verit. Regierungdrath K. H. Bartifius, glaubt mit Recht, „nicht 
allein dem verjtorbenen Freunde ein Andenken zu ftiften, fondern aud den wohlwollen⸗ 
den Beurtheilern der Heinelſchen Mufe einen willlommenen Dienft zu erweilen, wenn 
er ihnen biemit eine Auswahl aus deſſen hinterlaffenen Gedichten darbietet.“ Heinel 
itt nicht nur durch feine Preußiſche Geſchichte in weiteften Kreiſen belannt und geſchatt, 
fonbern auch viele feiner alteren lyriſchen Gedichte, namentlich aus dem ſchon 1828 hier 
erfäjienenen Bucheichen „Rränze um Urnen Preufstfcher Borzeit“ find in Schulbucher und 
Gerictfummlungen übergegangen und haben fomit die weitefte Verbreitung erhalten, Gr 


462 Kritilen und Referate. 


bat die. Heldenzeit des deutſchen Ordens nit nur als: Hiſtoriler in das Gedächtriß ber 
Jugend eindringlid) zurüdgeführt, fondern auch dichteriſch mit aller Wärme zur. Darftel- 
lung gebracht und der Poefie dadurch einen ganz neuen Stoff zugeführt. Diefe Schöpfun- 
gen werden fein Andenken zu einem bleibenden machen, auch wenn man feine ibpliihe 
Erzählung „Tobias” (1832) und feine erzählende Dichtung „das Pfingftfeft“ (1833) ver: 
geſſen haben wird. Vielleicht wäre es möglid) geweſen, die genügende Zahl von Abon⸗ 
nenten zufammenzubringen, um die Herausgabe feiner gefammten poetiſchen Erzeugniſſe 
in zwei Bänden lohnend zu machen, aber auch fo ſchon verdient es Danl, daß fein recht 
veichhaltiger Nachlaß nicht unbenugt geblieben ift, zumal ſich in demfelben, auch abgejehn 
von jedem perlönlihen Intereſſe, manch fhönes Gedicht vorfand. Ueber die Auswahl 
felbft, fo meit fie unter den als Manuſcript vorgefundenen und früher nur als Manu⸗ 
feript gebrudt gemefenen Gedichten erfolgt ift, innen wir natürlich micht urtheilen, da 
wir den Neft nicht lennen; doch glauben wir gern, daß alles nur einigermaßen Bedeu: 
tende gewählt if, da ſchon unter bem verwandten Material felbft der wohlwollendſten 
Aritit Einiges als an fih ſchwach erfheinen muß; dagegen ließe ſich mit dem Her- 
außgeber darüber rechten, ob es nicht vielleicht angemeffen gervefen wäre, diejenigen 
Gedichte, welche der Verfaſſer ſelbſt der Veröffentlihung würdig erachtet hat, ſammtlich 
in diefe Sammlung bherüber zu nehmen, wenn fie nicht ſämmtlich, als nicht eigentlich 
zum Nachlaß gehörig, fortgelaffen wurden. Heinel gab nämlich bei feinen Lebzeiten für 
mehrere Jahrgänge des Altpreußiſchen Muſenalmanachs eine Anzahl Gedichte her, und 
von biefen fehlen viele, z. B. „Sommernadhtreife‘, „An Kants Grabe“, „Das Kreuz“ 
und‘ das allerliebfte „Nichts“ aus dem Jahrgang 1859, „Die Weiber von Elbing“, 
rinllied“ u. f. w. aus dem Jahrgang 1861, während das dafelbft unter dem Titel 
„Der deutiche Nationalverein“ abgedrudte zwar in die neue Sammlung übernommen, 
aber in „Deutſchlands Einheit” umgetauft ift. Das Prinzip, wonach hier gegangen ift, 
laßt ſich nicht leicht erkennen, denn an fi) gehören‘ diefe mendelaffenen Gedichte me: 
nigftens größtentheils zu den beften und dichteriſchſten, die Heinel überhaupt verfaht hat. 
Möglich, daß der burſchilos⸗ſcherzhafte Ton einiger, namentlich ber „Sommernadtreife‘, 
bei welcher es zwei fich Trennenden zur glüdliden Stunde einfällt, ihr Bundniß mit föft: 
lichen Wein zu fegnen, worauf fie dann: - 
Die Flaſch' an der Lippen Rand, 
Einmal um das andre in's Sternenland 

ſchauten,“ dort „Wunder auf Wunder“ wahrnahmen, „ftet3 näher und näher dem fun- 
kelnden Plan fih bie erfennende Seele hinan” ſchwingen fühlten, die Sterne im doppel 
ten Glanz fahen „und, al8 fie nun zur Herberg’ einfuhren, beide — im Himmel zu fein 
ſchwuren“, ferner des „Trinfliedes* und des „Nichts“ troß ihrer Harmlofigfeit dem geift: 
lichen Charakter des Dichters nicht ganz angemeffen erſchienen ift, womit wir um fo 
weniger übereinftimmen tönnten, als Heinel felbft feinen Anftand genommen bat, damit 
vor das Publikum zu treten, feine Mufe auch gerade durch diefen heitersgemüthlichen Ton 
charalteriſirt iſt; auch erllärt ſich die Fortlaſſung der ernften Gedichte dadurch noch nicht, 


Attpreubifcher Verlag. 463 


wie denn anbererjeitS auch wieber Heine Scherze, 3.8. „Sähulbenlaft“, S. 107, Aufnahme 
gefunden haben. — Gehen wir von den Gelegenheitögebichten ab, die ſich lediglich auf 
Brivatverhältniffe beziehn und benfelben angepaßt find, fo laflen ſich die Stoffe der 
beinelſchen Mufe hauptſachlich in drei Gruppen fondern: kirchliche, patriotiſche und all: 
gemein ethiſche, wiewohl häufig aud eine Verbindung oder Vermiſchung ftattfindet. 
‚Heinel liebte fein Prebigtamt und war durch und durch Proteftant; fo erhielt auch feine 
Voeſie eine geiftlüche Färbung und einen Iehrhaften Ton, felbft wo fie ſich nicht gerade 
auf tirchlichem Gebiet erging. Schon die Ueberſchriften „die Bibel”, „an Luther“, „Luthers 
Becher", „der Glaube‘, „bie heilige allgemeine Kirche“, „am Pfingitfeite‘, das er als 
der Kirchen Ehrentag“ preift, „Auferftehung“ und viele andere laſſen auf den Inhalt 
ſchließen. Doch halten fi alle viefe Gedichte von eigentlihem Dogmatismus fern, 
ſprechen überall der freien Forſchung des Menſchengeiſtes das Wort, vertreten bie Ver— 
nunft gegen Wahn und Aberglauben und verfuchen eine poetifhe Darftellung der humas 
nen Lehren des Chriſtenthums. Immer wieder bringt er auf ein geiltiges Einkehren in 
ſich felbft, auf eine Veflerung von innen ber, jo ©. 2: 
Soll es endlich beſſer werden, 
Sucht die goldne Zeit in euch: 
oder ©. 54: Spiezelt innen fi der Himmel, 
Muß ein Himmel außen fein. 
S. 114: 
Zief im Herzen mußt du's haben, 
Was befeligt und erfreut. 
ähnlich auch S. 199: 
Nicht draußen im Strudel verrauſchender Luft 
Ermwarte, das Glud Dir zu finden: 
Die Seligleit wohnt in der eigenen Bruft, 
Hier mußt Du fie ervig begründen. 
und glei) darauf: 
Der wahre Glauben wohnt nicht in Gebärden, 
Kein außerlich Belenntnik ſchließt ihn ein: 
Das Streben ift’3, Gott ähnlicher zu werden; 
Und Tiebend fid) der Menſchheit Heil zu weih'n. 

Auch fpeciell die Altſtadtſche Kirche, bei welcher er feit 1842 als Prebiger ſegens⸗ 
reich wirkte, gab feiner Mufe Beranlaffung zu gelegentlichen poetiſchen Graüfien. Die 
Gerichte: „bie alte Kirche, „der Kirchenplat“, „bie neue Kirche“ und die „Gantate zum 
Bfingftfefte 1866° beziehen fih auf fie. Ebenſo ſchrieb er die Zerte zu den lirchlichen 
Ruflaufführungen, die zur Feier des dritten Säcularfeftes ber Albrechts-Univerſitat und 
der Legung des Grundſteins für das neue Gebäude veranftaltet wurden. Die Schule 
lann er fid nicht ohne religidſe Grundlage denken, und fo iſt ihm Dinter, deſſen Jahres⸗ 
feit er gewöhnlich durch ein Gedicht begrüßte, der Dann, 





464 Kritilen und Referate. 


der der Jugend zarte Bläthen 
Im Gottes Garten fromm gepflegt, 
defien „Wen das Gvangelium” war, den man nur „die Wege Gottes wandeln ſah', aber 
zugleich auch der Mann des Volls, ver „vor keinem Ordensſtern erſchrad“ und „feiner 
Zeit das Licht gebracht· hat. Es gelang ihm vortrefflic bei diefen zum Abfingen bei 
der Fefttafel beftimmten Gedichten zugleich der ernften Bedeutung der eier und dem 
beiteren Charatter in der Begehung derfelben Ausſprache zu geben und überall die reh- 
ten’ Schlagworte zu treffen. — Heinels Patriotismus giebt ſich dichteriſch in Gefängen 
zu ertennen, die ſich, überall getragen von einem liberalen Geiſte und männlichen reis 
muth, aber andererfeit3 wieder jeden Parteiſtandpunkt in politiihem Sinne ausſchließend, 
theils auf das allgemeine deutſche Waterland, dem er die frühere Neichdeinheit unter 
einem mächtigen Raifer wunſcht, theils auf Breußen, das „Vorwärts“ foll und muß, und 
feine großen Regenten, die Hohenzollern, durch die „Preußen groß und ſtark“ geworden 
und denen er mit innigfter Liebe zugethan ift, theils auf unfer engeres Vaterland Preu⸗ 
ben, defien Geſchichte ihm ehrwürdig ift, das fo viel für Deutſchland gethan, „das Licht, 
das es empfangen, dreifach zurüdgegeben”, für Deutichlands Befreiung in den Borter: 
reihen gelämpft.hat. Was war fein Lohn dafür: 
Für mande Todeswunde, 
Für manden Heldenftrauß 
Schloß man vom deutihen Bunde 
Did) kalt ald Fremdling aus, 
Und Deutſchland überzählet, 
Mit Stolz die edlen Gau'n; 
Doc Preußen — ad) es fehlet, 
SH drunter nicht zu ſchaun. 

Die Gegenwart erſcheint ihm in ihren Beitrebungen Heinlic, wenn er an bie grobe 
Heit zuruddenkt, to die Kreuzherren bier ihr neues Culturreich im Rampfe für das 
Kreuz errichteten, und er brüdt biefen Gegenfog faft epigrammatiſch zugeſpitt und nicht 
ohne beißende Ironie am Schluß des bezüglichen Gedichts dahin aus: 

Die Welt ift arm geblieben, 

Un hoher Begeifterung Teer. — 

Wohl giebt es noch Herren mit Kreuzen, 
Doc keine Kreuzherren mehr. 

Weiter aber, als In vielen mehr allgemeinen Beziehungen, ſpricht ſich feine Beichäl: 
tigung mit den Tageßfragen nicht aus. — So wie allen diefen Gedichten kirchlichen und 
vatrintifchen Charalters ein ſtarkes ethiſches Clement beigemticht iſt, fo hat eine Reife 
anderer lediglich diefe Grundlage. Selten nur fommt eine lyriſche Stimmung durcch fih 
ſelbſt zur poetiichen Berwertfung; meifthin ſucht der Dichter aus berfelben den Uebergang 
sur moraliihen Betraditung, immer ben inneren Menfchen zur Selbfterziehung und Weiter: 
bildung in der engften Anlehnung an die Natur auffordernd. Hier offenbart fich feine 





Alierthumsoeſellſchaft Bruffia, 466 


ganze Liebenswurdigleit und Milde des Urteils, zugleich aber auch die ihm inwohnende 
Kräftigleit der Gefinnung. — Was die Form anbetrifft, fo unterſcheiden ſich leicht Lieber, 
zum Gingen beftimmt und höchſt fingbar gefchrieben, Gedichte ohne niefen gZwed und 
baladenartige Erzeugniſſe. Zu letzteren laſſen ſich zählen „Friedrichs Degen“, „Guftav 
Adolph in Münden“, „Luthers Becher“, „ver Dammbruch“ und „vie Eiswacht“. Sie 
mürben fämmtlic von größerer Wirdung fein, wenn fie nicht etwas zu weitſchweifig und 
wortreich, zu genau in der Schilderung der Situation und zu wenig concentrirt in der 
Anlage wären. Auch verleugnet ſich bier meift ein Iehrhafter Grundgedanfe nicht, ſodaß 
fi das Ergreifende der Handlung night leiht ganz rein empfinden läßt. Der Vers ift 
in allen Gedichten correlt, die Sprache zwar ohne bebeutenden Schwung, aber überall 
gefällig und frei von Auswüchſen, der Bilderreichthum nicht groß, aber paſſend verwer⸗ 
thet. Alles in Allem find wir überzeugt, daß das Bud) nicht ‘nur den alten Freunden 
Heinels eine liebe Erinnerung an den Geſchiedenen fein, fondern ihm aud in Stadt 
und Land noch viele neue Freunde erwerben wird. Nochmals aljo dem Herausgeber 
beften Dan. © 


Alterthumsgeſellſchaft Pruſſia. 
Gol. III, 360.) 

29. Iuni. (Leite Sigung vor den Ferien.) Als Gefchent empfing 
die Gefellihaft von Hrn. Sandrath von Goßler in Darkehmen (duch 
Bermittefung des Hrn. Stadtrath Dr. Henjche) einen broncenen Schild⸗ 
budel nebſt fünf broncenen Römiſchen Kaifermünzen, gefunden in einem 
alten Grabe zu Schadumehlen (Kirchſp. Wilhelmsberg, Kr. Dartehmen). 
Der Schildbuckel, bis auf die fehlende Hälfte des Nanbes wohl erhalten, 
mißt 24 Zoll Höhe und 73/4 Zoll Durchmeſſer mit Einfluß des Ran 
des, ohne dieſen Alf, Zoll Durchmeſſer. Die noch erhaltene Hälfte des 
Randes Hat 3 Löcher; im zweien ſtecken die Nägel, mit denen ber Buckel 
befeftigt war. Im der Wölbung bes Budels Ingen bie angegebenen fünf 
Münzen, deren Gepräge durch Feuer völlig zerſtört ift; nur die Buchſta⸗ 
ben S C (Senatusconsulto) find auf mehreren leſerlich — Hr. Weffel 
zeigt eine fchön erhaltene Türkiſche Goldmünze, welche mit mehreren an- 
beren Golbmänzen von einem Bauer in ber Gumbinner Gegenb auf ſei⸗ 
uem Beſitzthum gefunden worben iſt. Die Beſchreibung ber Münze von 
fadverftändiger Hand mag hier beigegeben werben“) — Cine aus 


*) „Die mir vorgelegte Goldmünze, etwa in Ducatenwerth, a ein tirliſcher 
Mayr, Monstsfgeift Bd. U. Sf, .. 


466 Weititen und Weferate, 


Iufteröurg eingegangene Unlanfsofferte von 84 Stüd verſchiedener Min 
zen wird abgelehnt, weil diefelben nur zum geringften Theile unfere Pro 
vinz betreffen. — Dr. Reicke legt Zeitungen vor, aus ben erften Jahren 
des BOjährigen Krieges, in Königeberger Nachoruden bes Joh. Fabricius. 
Eben derſelbe teilt eine Drudichrift mit, bie folgenden Titel führt: „Eine 
Warhafftige Geſchicht Wie den 8. Zulij dieſes jetzt lauffenden 1618. Jahrs 
ein Magdlein vom einem, geſtaltet wie ein Eißgrawer Mann in deß Teuf⸗ 
fels Hoffart Stube getragen, und jhm daſelbſt allerley Hoffertige Kleider, 
damit etliche Hohes vnd niebriges Standes Perfonen einher prangen, ge | 
zeiget, und bie Lente dafür zu warnen befohlen worden. Gebrudt zu 
Königeberg im Yahr, 1618." Daran fließen fi Mittheilungen bes 
Genannten über Philipp Kayſer (Keifer) oder Eäfar, ben Sten Par 
ter ber Altftäbtifchen Kirche zu Königsberg (1669...76 ch, Arnoldt's 
Nachrichten von ... Prebigern hreg. v. Benefeldt I, 32); insbeſondere 
veclieft Dr. R. ein in berben Anobrüden gehaltenes (Lateiniſches und 
Dentfches) Epigramm auf jenen umbeltebten Theologen, von einem Zeit: 
genoffen abgefaft, mit angehängter Notiz über Caſar's Lebenswandel, 
Beide Stude finden fi) haudſchriftlich in einer Druchchrift Caſars (Ri 
wigsberg 1675), Sn. 


FondAk von Sultan Aurad III, (reg. 1675...1594) aus Amafia in Kleinaſien. Die 
alqhriften lauten: 
Av: Der Präger des Goldes, der Inhaber der Macht und des Sieges zu Lande 
und zu Meer (ift) 
Rev: Sultan Murad ver Sohn des Gelim Chan. Groß ſei fein Sieg. Minze 
von Amaſia. Jahr 983. 

983 der Hidſchra (1575 n. Chr.) ift das Jahr des Regierungsantritts Murkd dei 
Dritten. Auf allen älteren Türtenmünzen findet ſich nur das Jahr des Regierungsan: 
tritis des Sultans, Auf den neueren Münzen Sefinnet fih außerdem an gend nem 
ſchicllichen Plage das Regierungsjahr des Sultans.” 


Mittheilungen und Ynhang. 


Urkunden · Funde. 


Im ähnlicher Weiſe, wie wir für die „Handſchriftlichen Funde ans 
Königsberg” eine laufende Rubrik eröffnet haben, werben wir num auch 
gelegentlich gefundene Urkunden mittheilen, welche zu alten Bücher⸗Ein ⸗ 
bänden verwandt worben find. Indem wir auf zwei frühere. Funde biefer 
Art (Steffenhagen Catalogus not..40, Haupt’E Zeitſchrift ZI, 546) 
Bezug nehmen, beginnen wir mit bem Abbrud einer Danziger Urkunde. 


1 Ein Daniger Seebrief 1448, 


Original auf Pergament, mit der Giegel-Stelle auf ver Rüdfeite. Ausgeloſt aus 
dem Drudbande 8. 489. 4to der Königl. Bibl, wo bie Urkunde als hinteres Worfegblatt 
eingeheftet war. Rechts etwas befchnitten, wodurch nur wenige und leicht zu ergängenbe 
Buchſtaben verloren gegangen find, Stellenweife bis zur Unleferlichteit abgerieben, ad 
die drei erften Zeilen in Folge des Ginbeftens verſchmutt; durch Anwendung eines de: 
wifchen Reagens — ver Giobert ſchen Zinchrr — konnte jedoch Alles mit Sieh 
entziffert werben.) 

Vor allen vndeltcaliken, de dielfen Breff aean, horen, adder lefen, Bekennen {wy] 

Borgermeifter vnd Rathmanne der Stat danczik, mit erbedinge frundlikes 

‚grotes vnde vormogen alles gudes, begerende witliken to fiende, vnde tugen 

opembar In nd mit deffem vofem Breue, dat Schipper Mathis Neglen]- 

dangk, delle bewifer, wnfe medeborger is, vnde dat Schipp, dat he nw 
tortyt foret, mit den guderen Aarlone wefende, em vnd vnfen Borgeren 
tobehoreth, Bo dat nymandes van huten landes parth, nach deel daran 
hefft, denne fe alleyne, Worrmme alle Erwirdige vnde Iruchte vorftefer] 
vnde herren Geißliker vnde wertliker achte, ffogede, houstiade, Ridderfe,) 
knechte, ‚Richtere, ‚Borgermeilter, -Ratbmanne vnd gemeynde ‚In Stedelu] 
Blogen, offt ‚In dorpperen vnd „gemeynliken, ul A J 





468 Mitteilungen und Anhang. 
guden frande, de myt deffem vnfem breue befocht, ermaneth vnde angfero-] 
pen werden, wy mit befunderem vlite, deger frundliken Bidden, dat I[e] 
den ergenanten Mattis Negendanck mit {yme Schepe vnd gude dore[h] 
ere lande, Stede, hanenne, Strome vnd gebede fredefam, velich, vmb[e-] 
fchedeget vnde vngehinderth widder vnd forth theen, faren vnd Begelefu] 
Iaten, vnd em In Iynen handelingen vnd gefchefften forderlik, hulplik 
vnd byltendich (yn wellen, wor em des to watir, offt to lande noth vnde 
behoff doen, ‚dat vorfchulden vnd vordenen wy alle wege gerne kegen 
fe alle vnd eynen Itesliken befunderen In fulken nd grotteren faken, 
wor my mogen. Im bekentuife der warheit is vnfer Stat Dancaik 
Beeret torugg (torugg) hirvp gedrucket, Im jare vafes herren vear- 
tbienhundirt wnd Achtvndioerich, am dingefdag na Afcenfio domini. 
Zur Erläuterung ber vorfiehenden Urkunde bient eine Abhandlung 
von Joh. Ernft von der Linde (f 1721 cf. „Das Gelahrte Preußen‘ 
1, 170 ff.) „Aurtze jedoch gründliche Vorftellung bei der Stadt Dangig 
in .Puncto ber Schiffarth und Außgebung ber See-Brieffe competizen 
den Rechtens“, in feinen ungebrudten Opuscula (handſchriftlich in ber 
Abnigl. Bibl. Ms. 1954) Pars I pag. 177 ff. (vgl. „Preußiſche Samm- 
tung" II, 644). Sn. 


Ein Kaſchubiſch · Deutſches Wörterbuh 
beabſichtigt Dr. Florian Cendva zu Bukowitz bei Terespol in 
Weſtpr. (laut Anzeige vom 1. Zuli 1866 in ber Danziger Zeitung No. 3704) 
im Laufe des folgenden Jahres bei d. 3. Bönig in Danzig Heranszuge 
ben und erſucht daher alle Kaſſuben und Freunde ver Taffubifch-flowini- 
ſchen Sprache, ihn mit Sammlungen von Wörtern unterftägen zu wollen. 


Dandſchriftliche Funde aus Königsberg. 
Gol. 11, 870.) 
18, Preußiſche @efdrichtsgnellen. 

Soft gleichzeitig mit dem 19ten Banbe ber Scriptores ber Monu- 
menta Germanise (Hanbfcriftl, Funde No. 9 Monatöfche. III, 371) 
iſt auch der britte Banb umferer „Scriptores rerum Prussicarum® 
erſchienen, in alt bewährter Weiſe von zweien ber drei Herausgeber, 


Handjchriftliche Junde aus Koniasberg. 469 


Strehlte und Täppen, bearbeitet, Wir könuen den veidhen Inhalt bier 
fes Bandes, unferem Plane gemäß, hier nur foweit in Betracht ziehen, 
als darin Königsberger HH. benugt worben find. 

1) Zuerſt at Dr. Strehlke bei feiner Ausgabe Johann's von 
Bofilge (No.IV) von einer Reihe von HH., theild des Prov. Archives, 
theils der Königl. Bibliothek, beiläufigen Gebrauch gemacht. Wir bemer 
fen beſonders folgende ſechs. A) B) Die beiden Privilegien-Samm- 
lungen bes Bisthums Pomefanien (A. 205 und 204 bes Archives), 
welche kurz befchrieben (S. 31f. N.1) und zur Befiftellung ver Reihe Po⸗ 
meſaniſcher Officiale benngt werben (S. 32 ff.). — Berner find zu dem 
gleichen Zwede für eine zweifelhafte Lesart in ven Pomeſ. Synodal⸗ 
. Ratuten v. 1411 drei weitere HH. Yerbeigezogen (S. 32 f. N. 3): 
©) Archiv Schiebl. LXV und D) E) Königl. Bibl. No. 93, 488 (of. 
Steffenhagen Catalog. No. XXXIL, XXXIM)*) — F) Enplig 
aus ben Annales Silesiae superioris, welche auch in ben Monumenta 
Germanise abgebrudt find, (Ms. 1150 ver Kgl. Bibl. cf. Mteſchr. III, 371) 
: werden ein paar Stellen mitgetheilt (S. 423). 

2) Bon Eonrad Bitfhin, dem Kulmer Stadtſchreiber, defien wir 
bereits gelegentlich gedachten (9. Bunde No. 5 Mteſchr. II, 658), von 
feinem Leben und feinen Schriften, erhalten wir jegt buch Dr. Töppen 
(No. VI) die erſchöpfendſte Nachricht. Indem dev Herausgeber in ihm 
ben Berfaffer einer Fortfegung zu Dusburg (welche er nach einem 
Thorner Manufeript abdruckt) Bis zur Evidenz nachweift, verbreitet er fich 
in der Einleitung (S. 472 ff.) auch über bie übrigen Schriften Bitſchiu's, 
die uns in 3 Königsberger HH., des Archives und ber Königl. BibL, 
überliefert find. Die Schriften find, außer A) dem ſchon mehrfach er» 
wähnten und benugten Kulmer Stadtbuch (Archiv A. 78), vorzüglich 


*) Die von Strehlke gemachte Bemerkung über die H. an dritter Gtelle (E), 
daß „diebiihe Hände“ (ſeit ihrer Benugung durch Jacobfon) fie verftümmelt hätten, 
bedarf nach zwei Seiten der Berichtigung. Einmal bezieht fih jene Bemerkung in Wirk 
\ihteit auf die zweite 5. (No. 93), fodann aber find die fehlenden Stüde, wie ſich bei 
genauerer Unterſuchung berausgeftellt hat, dem Prov. Ardine überwieſen worden 
(Shiebl. LXV- No.111...185). Wir vermiflen dieſe Berichtigung. unter den Radıträs 
un des Herauögebers (6.727) und ſprechen den Wunſch aus, daß das Verſaumte feiner 
dat nachgeholt" werden möge. 


40 Vattheilungen und Anhang. 


BJ O feine „Libri de vits coniugali@® in zwei HH. ber Kgl. Bibl 
Ro. 1762 und 1310), ferner die „Epistola ecolesie deplanctoria* 
ımb bie „Exhortacio ad universos prelatos“ eto. (beide dem Werle 
de vita coningali in Ms. 1310 angehängt). 

Aus dem Kulmer Stadtbuch (vgl. barüber ©. 472, 477) veröffent- 
licht ber Herausgeber zur Lebensgeſchichte Bitſchin's zwei Notizen, nament⸗ 
lich eine Intereffante Urkunde über eine kirchliche Stiftung deſſelben 
(S. 474 N. 3, 4). — Im der Beilage zu Bitſchin's Chronik (S. 507 fi) 
folgen die „iterärifch bedentende“ Wiomungsepiftel, ſowie geſchichtlich 
wichtige Stüde aus ben Libri de vita coniugali*) (cf. S. 472 f., 475 ff.) 
uhb aus der gebadjten Epistola (cf. S. 477). 

3) Un letzter Stelle endlich (No. VII) liefert Tüppen eine kritiſche 
Mndgabe der fräßer fog. Zamehl'ſchen Chronik, die er pafiender, ale 
„Vorbild und Grundlage bet fpäteren, allgemein fogenannten Hochmeiftere 
RR“, mit dem Namen der „älteren Hochmeiſterchronik“ bezeichnet. 
riuter der großen Zahl von HH. find hiezu auch 3 Königsberger bemuht, 
von benen bie erfte unter ſämmtlichen HH. ben vornehmften Plag ein, 
niiumt: A) Königl, Bibl. No, 1558, der „ältefte und beſte“ ober 
(&. 519 f., 639) und darum ber Ausgabe zum Grunbe gelegt; B) Ar- 
chid No. 11 fol. (6.528, 638); C) Agl. Bibl. No. 1557 (6.526). 


14. Mniverfläts- und Gelehrienleben im Keformations-Beitalter. 

Unter obigem Titel (Erlangen 1866. 80) Hat Prof. Muther (früher 
in Königsberg) eine Sammlung theils in Roſtock, theils in Königsberg 
gehaltener Vorträge bekannt gemacht, von benen bie meiften bereits anber- 
weitig (und zwar zum größeren Theile in ben „Neuen Preuß. Prov- 
Blättern“) veröffentlicht waren. Unter biefen Vorträgen (IX an ber Zahl) 
find mehrere von fpeciellem Imtereffe für unfere Provinz: fo No. V über 
Chriſtoph Kuppener, ber feiner Geburt nach ein Altpreuße ift („Pru- 
tenus de Lobaw“); No. VII/VIII über Johann Apel und No. IX 
über Anna Sabinus, welche beiden durch Aufenthalt und Wirken un 


*) Darunter aus ib. VIII cap. 41 auch eine juriſtiſch intereffante „questo“ 
über das Steuerbewilligumgsrecht der Stände, worin auf zwei Stellen des Decretam 
Grasiani Bezug genommen wird (6,512). 





Hanbferiftfihe Funde aus Kbniesberg. 471 


ſerer Provinz angehört Haben, jener als Kanzler des Herzogs Albrecht, 
diefe, Melanthon’s Lieblingstochter, als Gattin des erften Rectors ber 
Albertina. Ein näheres Eingehen auf das Einzelne bes vorliegenden 
Buches, das ebenfo anziehend gefchrieben if, ale es voligiftiges Zeuguiß 
grundlichſter Gelehrfamteit ablegt, müfjen wir uns hier verfagen: mar bie 
benutzten Königsberger HH. haben wir aus dem reichhaltigen Quellen 
Apparat (worunter auch viele feltene Druckwerke der Königsb. Bibl, ) 
fowie Urkunden bes Prov. Archives) herauszuheben. 
| D Im dieſer Beziehung iſt vorzüglich wichtig gleich bie erfte (vorher 
noch nicht gebrudte) Nummer: „Bilder aus dem wittelalterlichen Univer- 
ftätefeben.“ Pier findet ſich (©. 7 ff.) mad) einem and; fonft intereflan 
tem Coder ber Königl. Bibl. (Mo. 161 cf. Zeitſchrift für RG. IV, 187) 
ein fehr bemerfenswerthes Schriftſtück aus ver Mitte des Ihten Jahrh.: 
„Ein jehr fehöner Brief von einem dummſtolzen Beanns [Schulfude, 
Mofterfcgäler) und einem bemüthigen Studenten.” Die Erlänterungen, 
mit denen der Heransg. ben „fehr ſchönen Brief“ begleitet, bieten unter 
. Anderem erwänfchten Aufſchluß (S. 21) über ben Urfprung bes fog. Si- 
guum depositionis (jegt initiationis) an ber Königsberger Univerfität. 
2) Für die Biographie Anppener's (S. 129 ff. vgl. Jahrbuch des 
gem, diſch. Rechts VI, 149 ff.) ift eine überaus werthvolle Hauptquelle 
eine eigenhänbige Sammlung Kuppener'ſcher „Eollectaneen" in dem 
Manufeript No. 34 fol. bes Prov, Archives, Den Werth ver Sammlung, 
welche in der Beilage (S. 396 ff.) beſchrieben wird, beweiſen zahlreiche 
Auszüge und Eitate an verſchiedenen Stellen der Biographie. Anderwei⸗ 
tige Nachricht von bemfelben Mannfeript findet mans N. Preuß. Prod. 
Blätter 3. Folge VIII, 268 ff. und Zeitfchrift für Rechtsgeſch. IV, 195 ff. — 
Ein „Nachtrag“ (S. 406 ff.) giebt Auskunft über Kuppener'ſche „Bami- 
lienpapiere“, bie fi) zu Königsberg im Privatbefige befinden. 
3) Im der Biographie Apel’s (6.230 ff. ck N. Preuß. Prov. Blät« 
j tee 3.5. VIE, 1 ff.) find verſchiedene Manuferipte des Prov. Archives ber 


*) Hiezu eine beiläufige Bemerkung. Der feltene Rönigäberger Wiederabdruck 
der Defensio A pelli pro suo coniugio (von bem erften Rdnigäb, Druder Hans Wein 
reich, 1524), welchen M. nicht hat zu Gefiht befommen können (6.256, 455 f.), ift von 
Dr, Reide in ber Gotthold ſchen Bibl. (Ca, 30. 482) gefunden worden. 


412 "Rittheilungen und Anhang. 


nutzt; außerdem wird gelegentlih (S. 294 m. N. 218) auch bie H. bes 
Brachylogus (Ro. 56°) ber Königl. Bibl. Steffenhagen Catal. 
No. XLIX) berüdfigtigt, welche mit ber von Apel zu Königsberg ent 
dedten H. biefes Werkes nicht identiſch ift. 

15, Recht der Preußiſchen Tandfaffen. 

Bier Königsberger HH., je 1 der Wallenrobrfchen und ber Stadt⸗ 
BibL, 2 der Königl. Bibl,, find bemugt in ber oben (S. 460 f.) angezeigten 
erfien Ausgabe bes „PBreußen-Rechtes“ (Jura Prutenorum edid. Laband. 
Regimonti Pr. 1866. 49%), 

16. Stroband's Gedenkbud;. 

Mit wenigen Worten verzeichnen wir endlich eine nene Erwerbung 
der Königl. BibL, wodurch eine lange verſchollene H. zu ficherer Aufbe⸗ 
wahrung gelangt iſt. Heinrich Stroband (ber dritte biefes Na 
mens), Bürgermeifter zu Thorn, (1657) hinterließ ein „Gebend Buch“, 
worin er vom Jahre 1601 bis zu feinem Tode bie wichtigften Begeben- 
heiten aus feinem und feiner Familie Leben, fowie ans ber Thorner 
Stadtgeſchichte niedergeſchrieben Hatte. Dieſes Gedenkbuch, ſpäter von 
Zernecke in feiner „Ihornifchen Chronica“ (2. Aufl. Berlin 1727. 40) 
vielfach excerpiert und im „Gelahrten Preuſſen“ (Thorn 1723) II, 165 ff. 
furz befchrieben, befindet ſich jegt unter ven Manufcripten ber Kgl. Bibl. 
Mo. 1982). Außer dem Stroband'ſchen Gedenkbuch enthält der Eober als 
willfommene Yortfegung noch ein zweites „Gedend⸗Buch“ bes vorhin ge 
nannten Zernede über die Jahre 1672 bis 1741, mit vielen originalen 
Briefen. Beide Werke find für die Thorner Stadtgeſchichte, wie für bie 
Geſchlechter⸗Geſchichte der Strobande und Zernede gleich wichtig. 

S-n. 


Vergebliches Suchen, 


A. Franck (F. Vieweg) in Paris sucht antiquarisch: 
1 Granau, Simon, Talhmitenus, Chronicon Prussiae, Danzig 1550. [sic!} 
fe Boͤrſenbl. f. d. diſch. Vchhol. 1866. No.86. &,1490. [13608.] 


*) Nicht 50, wie ſowohl am der angegebenen Stelle, als auch in den Preuß. 
Prod. Blättern 1. c. 6.100 durch einen Drudfehler gefagt if. 


Univerfitäts-Ehronit 1866. 4713 
Univerfitäts-Chronik 1866, 


30. Juni. Med. Doctordiſſ. v. Arth. Kittel (aus Bolmin): De amputatione in tertia 
femoris parte a Gritti proposita. (32 ©. 8.) 

11. Juli. Med. Doctordiſſ. v. Ewald. Hecker (aus Halle): Nonnulla de tuberculosis 
pulmonum et aetiologia et therapia. (31 ©. 8.) 

— — Phil. Doctordiſſ. v. Otto Ritter (aus Berlin): De Roberti Groeni tabula: Friar 
Bacon and Friar Bungay. Thorani Typis expressit Ern. Lambech. (38 6.) 
(in engl. Eprade.) 

133. Juli, „Bekanntmachung“ der von den Facultäten geftellten vier Aufgaben zur 
Vererbung um die von dem Gomitd ehemaliger Univerfität3:Genofien zur Verfu⸗ 
gung geftellten vier Prämien & 100 Thaler. Ablieferungstermin 24. Juni 1867. 
Brämien:Bertheilung 20. Juli 1867. 

1. Theol. Facult.: Sanctitatis notio e Pentateucho ceterisque libris Vet, Test, 
diligenter eruatur. 

2. Juriſt. Facult.: Die Lehre vom Rüdfall. 

3, Medic. Facult.: Mit Bugrundelegung von Pfläger’3 Unterfuchung über die 
Nervenendigungen in der Glanduls submaxillaris, u. unter Benugung der 
von demfelben empfohlenen Unterfuhungsmethoven follen die Nervenverbre: 
tungen u. Nervenenbigungen in der Glandula Parotis erfotſcht werben. 

4. Bilof. Zacult.: Ueber auslänbifhe Gottheiten u. deren Verehrung bei den 
Griechen. 

Die 4 hacuitaäten Rellen für d. Bearbeitung ben Gebrauch ber deutſqh. Sprache frei, bis philel. 
Facult. verlangt aber, daß bie Belegelen in ber Urfprace angeführt werben. 

17, Zuli, Med. Doctordiff, v. Maur. Sigism. Weintraub (aus Ngäbg.): De duplicitate 
quadam monstrosa in capite vitulino animadversa. (32 ©. 8, mit 1 Gteindriaf.) 

2%. Juli, Med. Doctorbifl. v. Berthold, Benecke (aus Elbing): De vi acidi pieroni- 
triei_ physiologica, (30 ©. 8.) 

2. Juli, Jahrestag der Cinweihungsfeier des neuen Univerfität3-Gebäudes. Prämien: 
Vertheilung an stud, theol, 3. C. Lehmann, stud, med. 5. %. Bille u. stud, math, 
3.3.9. Th. Mever. 

21. Zuli. Zur. Habilitationsfgrift von Paul, Laband, utr, jur. Dr. et P. P, O, d.: 
Jura Prutenorum saeculo XIV condita nunc primum e libris manuscriptis edi- 
dit, (22 ©. 4.) 

21. Zul. Phil. Habilitationsfhrift von Oskar Schade phil, Dr, P. P. O,: Fragmente 
carminis theodisci veteris nuns primum edidit. (17 ©. 8.) [Oratio public de conso- 
nantia finali quomodo in poesi Germanorum evaluerit jam die XXIX mensis Ootobris 1864 habita 
et (ei. Alte, Mefhe. 1864. ©, 667.)] 

2. Juli. Phil. Habilitationsſchrift von Oarol. Hopf, phil. Dr. et P. P. O.: Leonardi 
Chiensis de Lesbo a Turcis capta epistola Pio papae II missa ex cod, ms, Ti- 
einensi primus edidit, (15 ©. 8.) [er Mitpr. Mtsfär. 1965. S. 280. (81. Märy.)] 


474 Mitteilungen und Anhang. 


23. Juli. Philol. Docterbifl. v. Herm. Pietksa (aus Gibing): De carminum Hesiodeorum 
alque hymnorum quatuor magnorum vocabulis non Homericis. (4 Bl. u. 60 ©. 8.) 

3. Juli. Philol. Thefen von Joh. Hübner (aus Barten). 

n Phil, Thefen von Alb, Tribukait (aus Angerburg). 

m Med. Thefen von Jal, Bloch (aus Wilna). 

nm Med. Xhefen von Isaao Bogow (aus Wilna). 

"m Med. Thefen von Phil, Thal (aus Schönbrud)). 

nn Med. Ihefen von Arth. Wiewiorowaki (aus Hohenftein). 

n » Med. Thefen von Sigiem, Wolkowissky (au Wilna). 

.  Bbilol. Doctorbiff. v. Walth, Frenzel (aus Lych: De Andocidis de pace 

oratione, (29 ©. 8.) & 





Bibliographie 1865. 
(Bortfegung.) 


Delter· Kritik u. Abfertigung der Schrift: „ber religidſe Unterrichtsſtoff fr 1-, 2°, 34, 
= u. 6ffaflige Boltafhulen in Stadt u. Land, ausgenl it u. uerteit von 
Dr, Sactdom, in Gemeinfhaft mit @. Meyer, Baftor, u. jüller, —— 
rer,“ vom praltiſchen Standpunkte u. lediglich mit dt, a die_einklaffi ffge 8 
f&ule. Eine Denkihrift von J. 3. Delger, ev. Voltsihullehrer. Elbing. mar: 
Hartmann. (64 ©. 8.) 6 Egr. 
Denekk, Dr. Rn (Lehrer an d. 9 Genen! ſchule in Danzig +), Die große Orgel in 
Dliva, ihr Bau u. Verfall, ſowie ihre Reftauration durc den Dige garmeifer derm 
3 W. Kaltimidt aus Stettin. Danzig. Homann.) (44 ©. 8 

PR, Carl. jun., Ueber den Werth u, die Nothwendigkeit —E KRxebe. 
Druck v. E, J. Delkomki) 

Döring. Choraltunde in 3 Bücern von ©. Döring, Kol. Muſit. Direct. u. Chrenmtol. 
der Aierbändelie, Gate Cantor u. Präcentor ber evangel. Saunticde En 
©t. Marien in Clbing u. Sefonglehrer am Apl. Gymnaf. dafelbit. —A 
ling. (X u. 5005. m. e. Beigabe: Sieben Hanrice P en )2 ven. 

— Sieben Hantide Melovieen aus dem 16, RUSS; ji Sie — 

Terten ver jehen. orläufer einer em Se ig ſlawi oeiſtli 
——“*8 u. Lieder aus alter Zeit mit Deigi inal:Zerten u, deren deutſchen Ueber: 
feöungen, Beinabe zu u ©. Dörin,’s_Choraltunde. Ebd. (8 S. ar. 8.) 3 Ser. 

— — 2ieberbud für Zurner u. für Schule u. Haus. Zum 2:, 3 u. — Ge 
hrand je eingerichtet u. brap. 2., und mit befonderer Aüdficht "auf Säule, Haus u u 

een verm. Aufl. Sing. Neumann:Hartmann. (VE u. 162 ©. gr. 


—— rn, litauische Dichtungen. Erste vollständ. Ausg. m. Glossar. Von 











A: . Schleicher, St. Petersburg. Leipzig. Voss. (336 5. 2er:8.) 1 Thlr. 18 Egr. 
Dal, 4. gr der Chriſt. En Stüd für die Doltsbühne, in 9 Handlungen mit 
e. Ka iel Suttg, Ebner. (VIII u. 280 €. gr. 1 Tolk. 


gut ae Eersftveribeidigung. ee MH Ditheig. üb. Theater und 


Cie, Ps Sara u. die Kindertaufe. Gin Hirtenruf an die Gemeinde von 
. Jul, Friedt. — Ebrhart, Pfarrer_vder Culmer Amtsniederung in Weftpr. 
Cal Gebr. bei C. Brandt. (1 BL. u. 18 ©. gr. 8. 
Dr. Otto, De cohortibus urbanis imperatorum Romanorum. Accedunt ti- 
tuli cohortium urbanaram. Dans, Anhnth, (24 ©. 4.) !/s Zhlr. 
— — Zwei epigraphische Untersuchungen. I. Die Procnratores jure gladü der 
römisch, Kaiserzeit und die Veränderungen in der Verwaltung der früher pro- 


Bibliographie 1865. 475 


saratorischen Provinzen, II. Die Procuratores castrenses der römischen Kaiser- 
zeit. [Nene Jahrbüch. f. Philol. u. Paed. 91. Bd, 2. & 3. Hft. ©. 197—213.] 

Ellendt Gymn.Dir. Dr. —2 — f. d. unterſten Klaſſen der, Gym: 
nafien. ib. N v Sul, Mit: Alphabet. geordnet. Wörterverzeihni von 
Oberl. Dr. . Gebr. Bornträger. (X u. 192 u. 686. 8.) 
Sana si = ne, a. U Sitde geordnete Wörtevericnib 

— Daſſelbe. it ge der geort rzeichniß von 
Dberl. Dr. €. 5. ®. Müller. Ch. (X u. 192 u. 68 ©.) 

— Georg, De Hagenos — getiom civitate Palatina. Kgsbg. (Schubert & 
Seidel.) € gr. 8) 5 Xp 

Erinnerungen aus dem Leben Fe "findifchen Miffionars (aus Oftpreuß. gebürtig). 
Halle. ride. (VI u. 470 ©. 8) 1 Zhlr. 712 Gar. 

Erienife eines 2 areußifen Rt Kaufmanns während des MWienſchen Aufftandes i. J. 1846. 

re: zb oten. 

v. fen, Aus a Bentibrit ib. d. Anlage, v. Nuntefrüben:Fabriten im Weichſel⸗ Nogat⸗ 

Verbbig. des Comite’ a weldes am 22. PET cr. zu Marienburg 
tagte, euer. (Danz. Drud dv. A. W. Kafemann.) (8 

Fabiani, ks. kan.K,, Kazania na niedajele ealego roku dia A] JJ. XX. kaunod- 
ziejöw na nowo do druku podane przer ks, E, Biernackiego. Tom I. Brodnica, 
C. A. Köhler, (374 ©. 8.) — A 

Fahle, H. (Oberl. in Neustadt in Westpr.), \Aphoristische Bemerkungen üb. d. Un- 
terricht in der Mathematik. [N. Jahrb. f. Philol. u. Paed, II. Abth. Rd, 92, 
Bft. 4. 6. 181—194.] 

Fasbender (Professeur & Thorn), Construction du carr6 dont les cötds passent par 
quatre points donnds. [Archiv d. Mathem. u. Phys. hrsg. v. Grunert Theil 43, 
Bft. 4. ©. 472. 473] 

Foläng, der, von 1859 in Italien, bearbeitet von einem preuss. Offizier. III, Theil. 

Hälfte. Mit e. Plane in 1:50,000 Maasstabe. Thorn, Lambeck. (X u. 
& 175-647.) cplt, 62/s Thlr. 
ve Ro. 4 der vollswirtbfhaftl, Arena. für Oft u. etereuben, Wirtbſchaft⸗ 
übe Beradtungen üb. d. preuß. Sttöhaushalt3-GtatSentrourf für 1865. Danzig, 
Verl. B. Rafemann. Sa N9.5. Zur Arbeiten ka. ie. Ebd. (14 6.8.) 
Er — ee Seh. u Genehunde, un mir Eng urn Dr jen, 
t, Preuß, Lv. Rante u. Kiel dregz m. Prof, Dr. do br. 
ech — le Rn and Auerthine Afige im ekemal, Franzis 
a; ut ), jen zur Kunſt- un tt ums‘ —* a ebemal anzii ar 
tag u. zu der mit dem —X verbund. Unterrie rgieſtage —— * 
win dem — — DOber-Bürgermeifter, Geh.:R. v. Winter. Danzig. hut in in 
omm. ( 

Sriedländer, Prof. Cow., Darftellungen aus der Sittenpefeicte Roma in ber Zeit von 
Auguft bis zum Ausgang der Antonine. 1. Xheil. 2. verm. Aufl. Leipz. Hirzel. 
(XIL u. 398 ©. gr. 8.) 214 Zhlr. 

— — Moeurs romaines du rägne d’Auguste & la fin des Antonins. Tradaction 
libre faite sur le texte de la 2° &dit, allemande, avec des considärations 
rales et des remarques, par Ch. Vogel, membre de la Bocietd deconomie poli- 
tique de Paris. Tome I, Paris. Reinwald (XLVIII u. 436 ©. 8.) 

Frievcie, Privatdec, Dr. Ernft a — Das — hohe Lied — od. vielmehr 

ai tell} 





das Be Feomatin mit” parc tjh aus dem Hebrälfchen ins Deut- 
Ice Mdrud aus d. Altpr. Misicr. Apsbg. Br. 866. (865.) 
en . D. en & Geidel. (2 Bl. u. 54 ©. gr. 8.) 23 Thlr. 


—J len DE Be 
sun Rud. Beil Bel EN len, Ste beachtet Lfa. 1. Neuſtadt. 
Weſtpr. "Berl’v, v. 9. Bram! rg (Th. Anhuth in Danzig in Comm.) (IR u. 596. 

diuec PA Ein Wort für die Verordnungen 1. Juni 1 
2a. Full 1a u — — Yen — re Be in bürgerl. —E 


416 Mittheilungen und Anhang. 


Genthe, Herm, (in Memel), Zu dem Berliner Scholiasten des Lucanus. IN. Jahrb. f. 
® Bar 1 eh Ba, 3 Aft. — —— hi Hufenft wer 
ersdon Waſſerbau· Inſpector) Nachweilung des biäher. nftandes u. 

bisher. Deiclaften für Di einzelne Drtfchaft Im ont Del Aufftellg- 
des fünfig, Deichlatafters u. Berechnung der etufüoen Deidlaiten. (dat: Narien 
‚burg, d. 1. Sept. 1865.) (Danzig. Drud v. A. W. Kafemann.) (10 BL fol) 
fänge z. Einweibun, des Tempels in a nlerinlet am 2, Elul 5625 — 18.60 
tember 1865. Tilſit, gebt. bci J. Reyländer. (8 ©. gı 
Giſevius Otto, alt Sandrath bes Kreifee — Sn — auf die Denhchrin 
des Comitd'3 in Thorn: ee iſt die Cifenbahn po: önigeberg (Bartenftein) am 
fopnellften u. stiften berzuftellen?“ Allenftein. der. bei U. Harih. (28 ©. 8.) 
Glat u Huo Brig er v*ᷣ feine Dichtungen. Berlin. Th. Lemle. (Vu.3116. 8.) 
It. eleg. geb. 11, lc. 
But, gabehüber für a annlächd. und Gtaatörifienihaften. Hrsg. von Prof. Dr. 
Ölafer. 12 52fe. Di au IV. Jahrg. 1865. ar. 8. Berlin. Erpeb. & Bd. 3 Xhlr. 
— — Bf. Dr. 3% Grhebung des rbeiterjtandes a wirfäcfl, Seht: 
ftändigfeit mit nern Radhät auf die Verhältnifie in ‘Preußen. 
« alten | im Berliner Buchbrudergehilfenverein. Berlin. Gelbitverl. 4 © [9 
12. 
-—_ Nebtlihe Benenten, betrefi. die Anfprüde auf Sucel in bie Seripgtbäner 
Salem leswig u. Sauenburg. [Abdr. aus d. Jahrbüd. |. Geſeüſch⸗ u. Staats: 
TER — u gl 2er.:8.) 2 * 
— der Wirthihafts:Verhältnifie vi! den Griechen. [Abor. aus 





So N ——— —8 Kelch bass. vr Dr. 9. 0 tofhmidt 
ol mi eit 14 ſammte ni rei rög. v. Dr. Ll mi 
u. Dr. P. Laband, Proff. ‚yur® 4. Hfte. Na Enle's Berl. gr. 8. 


3 Thle. 18 Spr. IX. Bb. 1. Hft. Bi. 
— — Üeber den Erwerb dinglicher Rechte von dem Nichteigenthümer u. die Beichrän- 
HA der dinglichen Rechtsberfolgung, inbefondere nach handelsrechtl. Grundit 
dr. f. d. gefammte Holöredt. dd. vn, ©. 225—343. Bv. IX. 6. 1— YA 
PM Dr. (in Kgsbg.), Bericht über die Leistungeu in der speciellen Anatomie. 
[Canstatts Jahresbericht über d. Fortschritte der gesammt, Medio. im J. 1864. 
Bd. I. Würzburg. S. 117-126, 
Gott, Beounil 2 Das Intewen und die Kneip · Genies. Berlin, 866. (865.) ante. 


Spielberg, ad Dinmel u. Höllenfahrten eines Kleinſtädters. Leipzig. Luppe. 
(vit u. 64 ©. 8) 9 Eat. 

v. d. Goltz, Lehr. Dr. — "Baumeister W. Kinzel, ländliche Arbeiterwoh- 
nungen od, Darstellung der Nothwendigkeit o. Verbesserung der ländl, Arbeiter- 
wohnungen nebst Vorschlägen u. Zeichnungen zu il —** Ausfüb- 
rung, Gekrönte Preisschrift, Kgsbg. u. it, Theile's Buchh, ©. 2er. 
m. 21 Steintof.) 1/g Thit 





— Aa alt 
Bel Ba mi Do — * 
a — — —— — aufge Ba ur el w 5 sn igen. (182 24 


-- Sebantenbarmonie aus Goethe und " Säilter. Lebens: u. Weis! —— 
deren Werten. Ihrer durd daß Leben und die fittlihe Tr [4 8 aan 
Yarbendr. Silben 6 d. Jules Vogel. 3. weientl. verm. u. verb. A Er 
Br Amelang._ (X u. 302 ©. 8.) In engl. Einb. m. — 22 Ihlr. 
— — Unfere Zeit. Deutii de Revue der Gegenwart. Monatsſchrift zum Converfationd- 
Serilon. Neue Rau Delme es % ae Ru Sertihall: Ru Jahrg. 12 Hefte (a5 Be.) 


_ & Heft 
lätter für literar. este, 38 v. Bub, Soitidell Jahrg. 1865. 
52 Nm. Ch 2 By.) ob. 12 Die. gr 4. Chb. 10% 
Graf, Mar (as Shroeh), De phthisi tuberoulosa ehren Die, inang, med, Berol. 
(32 

Sregorovius, Ferd. Geſchichte der Stadt Rom im Mittelalter. Vom 5. Jahrh. 

— a a ah. de 

17 t.) 





Biblioaraphle 1866. 417 


wind, Ferd. Wandeı in Italien. Bo. III. Siciliana. Wandern Neapel 
—— *7 — —— (X11u.396 6, 8.) Perg Ser. 


im engl. 

Sromate —E rutawota prie Aug. Stobbe i Klaipẽdoj.) (4 €. gr. 8.) 
Gronau, Prof, J. F. W., Theorie u, Anwendungen der hyperbolischen Functionen, 
vornehmlich Bestimmung d. Widerstandscoeffcienten aus Fallversuchen, [Ans 
d. Schriften d. naturf. Gesellsch. z, Danzig f. d. J. 1865 abgedr.] Danzig. (An- 
hath.) (80 ©. 2er.8. m. 1 Gteintaf.) 2/s Thlr. 

Grünhagen, Dr. A. in Kgubg. i/Pr, Bemerkungen üb. d. Summation von Errej 
in der Nervenfaser. [Zeitschrift f. rationelle Medic. hrag. v. Henle u, Pfeufer. 
3. Reihe, 26.Bd. 1. u. 2. Hft. Lpz. u. Heidelb, S. 190224. 

Haase, Eug.Ern. (aus Tilfit), De febri scarlatinosa Diss, inaug. med. Berol, (32 ©. 8.) 

Hagen, A., Sendſchreiben über die Madonna della Sedia an Sem: Weigel. Mirco 
f.d. geichnenben Künfte. Hrsg. v. R. Naumann u. R. Weigel. 11. Jahrg. 2. Hft. 

Hagen, (Geh. Oberbaurath Dr.) G., Handbuch der RA ei Ag 3. Theil, Das 
Meer. 4. Bd. A. u. d. T.: Seeufer- u, Hafen-Bau, 4. Bd. Mit e. Atlas von 9K 
in Fol, u, e, Inhalte-Nachweisung der 4 Bde. Berlin. Ernst & Korn. (I 
398 ©. gr. 8.) 42a Thlr. (II: 42 Thle. 28 Egr. 

Hahn, Car. Max Bug; (au8 Ortelöburg), De carcinomate uteri, Diss, inang. med, 
Berol, (32 

Sannemann, €. RR Golzhandler), Cubit-Tabellen für Bretter, Bohlen, Mauerlatten, 
Ballen ı. Kunpheh. Danzig. C- Doubberd. Drud u. ADB. Rafemann. (64 ©. 8.) 
eleg. 9 


Sar. 
-—o Gäbittellen für runde Höher in ganzen u. halben Zollen u. nad Umfang. 
Ebd. (6.45—64. 8.) eleg. geb. 10 Sar. 
’s v. Holdrangen, Hochmeisters des deutschen Ordens, Bericht üb, die Ver- 
einigung d. Schwertordens m. dem deutsch. Orden u. üb, die Erwerbung Liv- 
lands durch den letzteren. Hrsg. v. Ernst Strehlke, [Abdr. aus d. Mittheilun- 
gen aus d. Gebiete der Geschichte Liv-, Ehst- u, Kurlands.] Riga. (Kymmel,) 
(29 ©. gr. 8.) 6 Sr. 
Heermann, evang. Alanıer u Neuteich, die Arbeiterfrage in unferm NKreife. Vortrag 
gehalten 3 der Sigung des —e— Vereins zu Reutel am 10. Jan. 1865. 
Heiden, Dr. Ep. (Lehr. an d. landw. Alav. in Waldau), die Phosphorfäure in itren 
Beiche Sandwirthicaft. Hamm. (Berlin, Grote). in u. 136. 91.8.) 18 Ser. 
Heidenhain. Studien des physiologischen Instituts zu Breslau, Hrsg. von Prof. Dr. 
Bud, Heidenhein, Hft, 3. Leipz. Breitkopf u, Härtel. (183 &. gr. 8. m. 2 litb. 








N sebi Kasbg., Gedrängte Uebr it der vaterländ! Geſchichte, 
Gen a Fat 
Breuß 4 das Volt u. die Jugend. 13. verm. uf Kasbs. Aug. Wilh, Unger. 


——— 
——z—8 von K. 5. Bartiſius) Kasbg. Drud von €. J. Daltonsti. 





Alliın, F, H. Th,, Beleuchtung einer Beurtheilung der Philosophie Herbart's 
vom vermeintlichen katholisch, Standpunkte, [Zeitschrift f, exacte Philos, 
Bd, V. Hft, 3. Lpz. &.312—331.] 
Leander, P. J. H., Framställning och Granskning af Herbarts filosofske stand- 
punkt. Äkodemisk Afbandling, Förra Häftet, Lund, (137 ©. 4.) 
Oscar, Docent vid Universitetet i Lund, Om Betydelsen af Herbarts 
philosophiska standpunkt. Akademisk Afhandl, Lund. (39 ©. 4. 
Sevelte, — —A— au Bartholomäi, der Herr hilft in der Noth gelbe u. der 
Seele. Brebigt gel J am Sonntage Latare 1865 üb. das Enangel. Joh. 6 1-15 
Inder Satz #7 St. Bartholomäi. Auf aurzlangen zum Drud gegeben. Danzig 
mi 


Sue, 9, dei elndee Stel as dem Chwntilgen, Ryäbg, 864 
er, ii ner el r (verbrudt 
865) Hübner & Map. Ye 16.) u: ” vr 


& 


«78 Mitkalamam a) Aahano. 
Veriodiſche Literatur (1868). 


1 wi talblätter, Delöner. R. 3. 5. Jahre 
ET —— 
ud Veribekhr [5 to. Breslau währd. d. — v. 1806/7, — Ei = 
en Ban Ma 5 Se, Deine, Menapte Kir 
er u. die Leute, empor 
altes dem Arthur Zur. van — ailenhaus, ua. Öeneral Buld. 


PRER Eine theure Geld. d. heimathl. Gaunerd. 
ei, geb —8 d. —— ee Brief des Lehr. Knorr i in 

jacot — an Schlefiens ang. —2 Th, Delöner, d. jhlei. 

rein in 25j. Belteben. Sul. — IT: ee: 
rat v. Rector Dr. Bad Fü Turnens in d. Land⸗ 
faul. Schle."— R. Dreiben, One ung’ oltei’8 Briefe an 
Aug. Rablert. ab ‚Del Sner, Bertermann, Schneider u. Dichter, *8 e flieg. 
Blatt aus d. Befr, d a v. fr. Rüb3. mitgeth. v. Schmidt. 


+ R. Hof d. Grabmal d. J N inet Strujde, 
Kai Eileen Bat Aushe — De net, Repra ve — al 


— an n, Anregungen, Antworten. — Lit: Bea Bur Ehronit 
u Saufen Brieflaften. — Anhang. 


Schriften der Kgl. physikalisch-Skonomisch. Gesellschaft zu Königsberg. 7, Jahrg. 1866. 
1.Abth, Kgsbg. In Comm, bei W.Koch, (VII, 130 u. 11&.4. 2. mit Zafı 1-11): 
Verzeichn. der Mitgl. am 1. Juli 1866. ©. I-VII. Versei der in Brom- 
berg’s Umgegend wild wachsend, phanerog. Pfanzen v. L.Kübling. &.1--2. 
Bericht üb. d, Versamml, des preuss. botanisch. Vereins in Tilsit am 6. Juni 1865. 
Vom Vorstande. (m. Taf. 1.) ©. 30-66. Metsorolog. Beobachtgen in Crans 
v. 15. Juni bis 20. Sept. 1865 angestellt u, mitgetb. von Dr. med. G. Thomas. 
S 67-70, Vorbemerkungen zur geologisch. Karte der Prov. Preussen v. Dr. 

rendt. (m. Taf. I.) ©. 71-80. Beitrag =. preussich, Ornithologie von 

Pro G.Zaddach. 6.8184. Zweiter Nachtrag sum neuen Verzeichniss der 

Preussisch, Käfer Königsberg 1857 v. Dr. Lentz. 6.8598, Dritter Nachtrag 

su Mollusken-Fauna Preussens v.Dr.A. Honsche &.99—106. Die Bernstein- 

en u, ihre Gewinnung v. Dr. G. Berendt (m. Taf, III.) &.107— 130. 
—E £.d. ã. 1866. ©. 1-11 











—— Hochmeiſt. d. deutſch. Ord, Bericht üb. d. Wi . de 
ee Sie Drben u. üb. d. Errvecbg. Linlands durch denielben; 
Be, v. Strebike. [Mittheil . aus dem Gebiete d. Gesch, Liv-, Est- u. 
hrag. v. — f. ichichte u. Alterthsk. d. Ostsee-Provinzen 

Russlds. 11.Bd. 1.Hft, Riga, 866. Kymmel, (Leipz., F. Fleischer] 
Bättnen, alt, 5 Zeremnioo · des 3 Moländ. Scähwertbrüberord. mit — Ord. [Ebd 


Betutlife ver Alpe theile des Ngl. 3. 1866, 
wie fie am Sage IR der —— ein Em. ih. 3. I. ok tg. Bei 
zu 167 u. 168. — bis zum [i eingegang. iſt. Vr. Sits⸗An— 


seien. 188. a 
Berluftliften der Fe Gomer, fomeit fie ar —A u uf. 
ET Ha [{ 173—174. bis ’d. Ertrabl. v. 
KR Ar Nybegh 
de3 Dammmildes in % Seo, Breußen. erh Seen brög. ©. 


Die — a ah Diferfüte betreffo. [Danz. Amtsbl. 18. 19. Preuß 


SE ber In benfien gb Kinder. Aus; as > de 
RES CHT 





22 





Veriodiſche Literaten (1866). 479 


3 1864 . . . 
3. De a Ri 3 d. a Sreufen). IAmtl. Mittälg. d. Kal. Konfit. zu 


ER in dam) Entwidig. der Tandw. bild, len im 
* Senfralfelte währb, d Pinters fer —X forſt · 
J 


wii * : Bunt. Derfät Tg (Beil.).] 
Die —— Benuß. Irland: Eanals. [Rodbg. Amtsbl. 26. 


erlebt auf d. Be Eanal in 1865. [Breuß. Holsarchiv. 1. Hälfte. 6. ©. 158.] 

PS Dentler, die Kämpen zw. Rogat u. Weichfel. [Ölobus. 10. Br. 6. Lfg.] 

Echwes, 1. Juni. (Weber v Deicverhältniffe der Schweg-Reuenbu ger Biiperung.] 
[&raud. Befellige. 68.1 Inſerat v. Ed. Krüger-Gr. Sanskau (ergebe u. fachge: 
mäß. Entgegnung auf obit — ttitel.) [Ebd. 79.] 

Summarifde ie Ueber, aus d- Sat nung en d. Den: StädtesFeuer-Sozietät in 
dv ya —— u Sen ed —8 ihen u. Gumb. Amtsbl. 26.] 

9. Be3. 


Dr. 





Feuer-Societät in d. 'arienw. u. Danz. pro 1866. 
Di — Egsba. (Ende — * Spartafl. u ar. 
ie jen im 5 parlaſſ. m. r. 
—e— Gyr :hlr. “2 Ktasbg : 92 Ihlr. Memel: 187,407 
Er Thlr. Raftenburn: 14,470 Er * I Spartofenbäih. find im 
11010 ER in Einlagen bis —2 bis 50 le. 2677, ete 


Thlr.: 1000, über is Sinn. Die Bzinfg. erfolgt zu 3, 3" 
Kl Er) (Ab, Mtsbı. 25 Ha rt u 3 Sa 


. 26.) 
fe fammelt v. A. ©. — (Die Seejungfrauen im Teiche bei 
Rotalna. Tlntgattg. d. liter, Stränge. 1 
© in n Sur m In. Srhanun fit. (beit. d. Me im Aufte. d. Evang. Dbertichenzath 
art, det in Driels —8 bei E. Lambed 9 Thorn erſchien. Ausg. d. 
Lofle des Sam. Dombrowsfi,) [@v. Gembebl. 31.) 
Grinnerung a era 1—IV. [Braunsb. Kreißbl. 7. 11(Beil.). 
Eulm, 12. Juli._(Ginweihungs:Seier, des neuen Lehrgebäudes des el; me 
Die und 1 Eulm 9 . U. “ vn 1866.) — — Kir A or 
ftgßfeier d. Danziger, Deaierung, (1. Juli im Saft ee ie Kal. 
Er h Sing Verleſung d. Cifigen tt. Kabinets Ordre v. 14. Apr. 1816, An: 
ade a, es, v. Britteib; si Grill I; des vom ai ——— — Bildes 
9. €. * elri⸗ Erinnerungs 
Kon. Pe feit d. J. "1Ei6, * ER ey we eb 8) [Danz. Btg. 3698. 
Weftpr. Ste. 150. cf. Band: u. 
Handels 8 — aus ut Th Kharcio. 1. Hälfte. No. 6. 8. 9, 


Der Handel Danzig in Bezug auf d. Landwirthſch. [Rand- u. forſtw. Btg. d. Prov. 


General» — der Ausgaben d. Stadt Danzig in Contributiond:, Requifitions: und 
and. Ungelegbten v. 38. Mai 1807 Be Er ha 1813. (ca. 40,746,538 Danz. Fl. 
== 10,186,633 Aue) ‚an. a 

(Bericht üb. d. Berfammi. hercbfehunde 15. mi in d. Räumen des Frans 
eis ofters zu En und d, Anfprade des Bildhauers Freitag. Weſtpt. 


dur Erhaltung der Kunſtdenkmale Danzigs. [Danz. D . 141.) 
En Be Die (von Kaltihmidt aus Stettin) reitaurirte Orgel in r Lok. kolaikirche 
ırzmöndenlicche") zu —8* Btg. 3724. vol. Weſtyr. 


War B- 
176] 

3 ögefellfg. ( 2 fi . 1816 t. d. B 
8—— 
Ausz Eu Ge des zeit. Sa —* b. Seh v 50 "im: 

Handel. u. Gnverheberichte kur Cie, —— Asarqiv. 1. Hälfte. 5. 12. 92. 
Infter! Aus d. Jahreöber. d. olklanımer erburg pro 1865. [Infterdg. 


—8 Oeherbeberiäte aus Kgöbg. [Br. Hdlsarch. 1. Hälfte, 7. 11, 14. 21. 25) 


480 Mittheitungen und Anhang. 


Ein u. Ausfuhr von Kgsbg. im J. 1865. IChb. 10] 
Dr. Hagen’d Vortrag (ind. ee le — v Fr Yu üb. d. Refultate der 
am 3. Dec. 1864 in Kgsbg. vorgenommenen Boltszähl |. der in Ber: 
lin gewonnenen Refultate) auf Grund der von Alle er N oe gefertigt. Zufam: 
menftellung der Zabellen der Bählg. v. 3. Dec. 1764 in Kasbg. [Kgabg. Hartgfhe 
Sta. 172. Oftpr. Btg. 174 (Beil). 
dls u. Gemerbeberichte fr Memel_ (Preuß. Holsard. 1. Hälfte. 6. 9. 13. 17.) 
Glodenweihe in Mohrungen (am Pfingitieite 20. Mai 1866. 1er Gewdebl. 25.) 
dls . u. Gewerbeberihte aus Thorn. [Breub. Sekard, 1. Säle 6 

.: U. Oeneräeheriäne aus zum 1Cbv. 1. Hälfte. 6. 9. 13. 17.] 

— Kosbg., 26. Juli. (Beriht üb. den von Zaue, Beliper der Finnauer Mühlenwerke 
bei Wehlau unt. hen Mühen u. Defern ca von 20,000 Zhlr.) unternommenen u. 
2%. Juli fertig gemord. u. feier, eingeweiht, Ren bau der Pinnauer Schifffhleufe. 
1pr.Litt. Ztg, 174. cf. Dftpe, Big. 175.] 

Die Gruppe v. Reinhold Vegas: Venus tröftet den yon einer Biene geftochenen Amor. 
[Unfere Zeit. N. 5, u —* Bd. 13, Hft. ©. 781 

Boyfd (in u), Au innerung an Borowski. [Ev. erg 3] 

tor (in Jubitten), Er — ie Erinnerung an Borowoti. Ebd 

Zum serie Borewätis. 6 a Carmen des Pfarr. Dr. —E ri d. trage 

A — — gep abilch. v. B. am 17. Juni 1880 zu fm. 9Mjähr. Geburtstage 
mei 
5 aus Dinters Neben. 1. (Der Bolksſchulfreund. 12.] 

Fa Bericht über d. Heg Amts jubildums⸗Feiet des Direct. des in Danzig 
Dr. — ngelbardt am 2. Juli 1866. [Da: ‚atg, 9698 

Hafenom, ariihe Chculargebähtmif, 1. Gottjſched 1 feine attin. ESonntan 

— X — N. 3 na. def Al. 1 J Eit bart 

il in Urtheil al üb. d. nad 
— f. exaote Philos. Bd, VIL, HR. 1. BE: 4 de 
Salar ee + ekeolog.) ID Dftpr. 1 öde ef Mitge, nn 
tel_von, me Karihin“ an effner. Mit von Dr. ide. 
ef. Provinzialblätt. Juni. ©. 354 ° ei 
& 





Anzeige. 
Samland! 


Aus unferm Verlage empfehlen wir: 

Gebauer, Dr. ph. Karl Emil, Neuer Wegweifer dur; Samland. Ein Wanderbuh 
für Befucher des Samlandes und für Babegäfte, Vierte völlig umgearbeitete und 
mit einer Wanderkarte verfehene Auflage. Im Callico gebunden 15 Egr. 

Die Wanderkarte durch Samland apart 5 Sar., auf Leinwand und in Futteral 
Tja Ser. 

MR. Reuſch, Sagen des Preußiſchen Samlandes. Zweite völlig umgearbeitete Aufs 
lage, herausgegeben vom literarifchen Kränzchen zu Königsberg. 8ro. Geheftet 
122 Sar. in Eallico gebunden 17! Ggr. 


Yartung’fhe Zuchdruckerei. 


— — —— 





Aberglanben aus Alaſuren. 
Mitgetheilt von ° 
Dr. M. Toͤppen. 
Bortfegung.) 


2. Bie Banberei und die Berfeguungen. . 

Das. Perfonale, welches die Vermittelung zwiſchen ber ama den 
Menſchheit und den dunkeln Mächten beſorgt, die Waidelotten, Signoten 
und Zauberer haben ſchon Lucas David und bie beiden Meletins "im 
ſechezehnten Jahrhundert treffend gezeichnet. Durch alle Jahrhunderte fort 
hat ihr Geſchlecht ſich erneuert. Im einem Viſitationsreceß ber Pafiehhei- 
mer Kirche von 1667 (in ber Kirchenregiſtratur zu Paflenheim) wird um- 
ter andern gefagts „Man weiß in der Gemeinde von feinem Zantler. noch 
Wahrſager, aur Eins Schawitza wirb wegen eines Segenſprechens ange 
geben, hierauf vorgeforbert und bei großer Strafe ermahnt, ſolches hin⸗ 
fort nicht mehr zu treiben.” Der Segenöfpruc war den Aften beigelegt, 
iſt aber feider verloren. Bon einem Verſegner zu Friedrichshof um 1741 
war in ber Mittheilung über die weißen und kalten Lente bie Rebe. Um 
1756 war das Berſegnen nach Piſanski (No.24 8.12) bei ben Landlen⸗ 
ten hin und wieder, wo nicht offenbar, doch heimlich, in Webung. Zum 
Biehfegnen, fährt er fort, laſſen ſich mehrentheils päbftliche Beſchwörer ge 
branden, die wohl ehe auf Untoften einer ganzen Intherifchen Dorffchaft 
dom weit her zu biefer Handlung geholt worden. Bor etwas mehr, ‚als 
zwanzig Jahren geſchah ſolches im einer namhaften Gemeinde biefes Kö⸗ 
nigreiche, als in ber Nachbarſchaft vefielben Dorfs ſich eine Senche unter 
bem Bieh äußerte. Die Sache warb verraten und die Schuldigen mühe 
tem deshalb anf Befehl der Oberen wegen biefes geaehnen Aergerniſſet 

Mayr. Monetsigeift Ba, TIT. Of 6. 





482 -  Werglaiben and Bafuren 


öffentliche Kirchenbuße tun. Die Prediger gaben fi babei alle Mübe, 
ihnen bie Ungereimtfeit und Sundlichkeit ihres Verfahrens vorzuftelien, und 
es ſchien auch, daß fie durch den erhaltenen Unterricht davon wären über 
fahret worden. Allein ber Erfolg, nad) welchem dieſe Art Lente bie Eitt- 
lichteit einer Hanblung viel fidjerer, als nach ben bünbigfien Beweisgrän, 
den zu beurtheilen glauben, mußte fie in ihrem Irrthum beſtärken. Die 
Seuche räumte das Bieh in der rund umher liegenden Gegend ſtark auf; 
ihr Dorf Hingegen blieb verſchont. Was aber das Merhobigfte war, 
fo fiel zwar ein einziges Städ in demfelben, aber eben dasjenige, fo fich 
dajumal verlaufen Hatte, als mit ber äbrigen verfammelten Heerbe bie St | 
nungsceremonie vorgenommen warb, und welches alio ihrer Meinung nach 
Beinen Anteil an dem Segen hatte, Hier war es nun ben unsmfllß | 
lichſten Borftellungen unmögliih, etwas anszurkhten,“ 

Und gegenwärtig noch giebt es Waibeler, Signoten, Zauberer, Zant 
ler, Wahrſager, Berfegner, Hexen oder wie man biefe Leute fonft nennen 
will, in Menge, 

Bronen, die rothe Augen haben, befonders alte, find fhliimme Leute; | 
He Tönnen hegen, und vor ihnen nimmt fi Das ganze Dorf im Acht. 

Im jevem Dorfe giebt es eine oder ein Paar Perfonen, meiſtens 
Grauen, aber oft and Männer, die in dem befonderen Ruſe ficken, bie 
Lunſt des Berfeguens zu verſtehu. Es find oft gebrechliche ober fonf durch 
Beperliche Schäden auffallende Berfonen, in K. bei Hohenflein 3. B. iR es 
ein Zwerg. Gie leben meift im bürftigen Berhältnifien. 

Oft wird ihre Hüffe ganz fo, wie Piſansti vor mehr als Hundert 
Iahren ſchildert, von einer ganzen Dorfiihaft ober von mehreren in An- 
ſpruch genommen. Ws es noch Gelammthätungen gab, wor 68 Regel, 
Dah das Vieh zu Mariä Verkündigung, Matka bota (25. März) ange 
trieben werben mußte, die Witterung mochte fein, wie fie wollte, wenn 
auch nur auf eine Stunde. Daun mußte die Heerde gegen ben Wolf and 
gegen Krankgeiten verfeguet werben. Hiezu wurde eis Mann, ber bies 
werftand, für eim oft recht auſehnliches Honorar beſtellt. Sobald es am 
taz, ging er um bie Heerbe herum, ſprach feinen Gegen, und ſahr baum 
ſhleunigſt weiter, wenn er dafielbe auch noch an andern Orten zu tum 
Yalte, wie es gemähmfich der Fall war. 


von Dr. M. Tewven. 488 


Für dieſes Gefhäft fo wie für ſchwerere Kranlheiten bepurfte man 
eines befonhers erfahrenen, gewillermaßen eines Oberzauberers. Von bie 
fen Oberzauberern, ſchreibt ber ehemalige Pfarrer Zrolczyl iu Nurken (ie 
ewangelijchen Gemeindeblatt Jahrgang 1857 No. 50), welchen färtere bäfe 
Geifter zur Verfügung fiehen, nietmt man in ber Regel as, daß fie nic 
bezaubern, fonberu nur entzaubern. „Jedoch ift mir, fährt bexfelbe. fars, 
auch [hen von ſolchen erzäpkt, die ipre Macht nach beidan Seiten Hin am 
menben und zwar den näher Wohneuhen zum Schahen und ben autfern⸗ 
ten zum Segen. Sie ſchaden auch ſolchen, die ihnen ‚geringe Geſchenle 
aber keine bringen. Wer van felden Zauberern mit riney Kranlhait be⸗ 
bert iſt, der ift übel daran, Gr muß bann oft.1Q bis 15 Meilen zu 
einem. befonders berühmten Zauberer hin, befien Ruf größer if, ala ber, 
der ihn behert hat, Die Lente wiſſen auch viel von dem heftigen Dial 
gen zwiſchen den dienftbaren Geiflern ber beiden Zauberer zu exzählen, 
Gewöhnlich finden dieſe in der Küche, und am beften um Witternacht, ſaußf 
auch vor Gonnenanfgaug und nad Sonnenuntergang ſtatt, mo bie Be 
fpreiungen in der Regel vorgenommen werben. Im Meipeuburger reife 
find ſolche Zauberer anſaßig, fo viel mir helaupt if, in S. (Kirchipiel 
Soßan), in G., einem Vorwert vor 3. (Richipiel von Nqufchten), iu G. 
(Rirgfpiel Jedwabno, jetzt feit einem Jahre peoniforiic zu Kurkon geſchla⸗ 
gen). Ihre Pragis erſtredt ſich anf einen weiten Umtreis, oft: 8 bis 
4 Meilen weit. Der Oberzauberer von G. Hält fich Pferde, und bereiſt 
bie ganze Umgegend bis nad; Allenfiein und Gilgenhurg zu. Er hat bieje 
Praxis von einer Oberzauberin aus Neu-Barteleburf (Breig Allenſtein 
Wircgfpiel Jedwabno, jet Gelguhnen) Namens N. Dice, fo wie ſchon 
vor ihr Die Mutter, bereiſte 4 Mreife, deu Neidenburger, Allenſteiner, Ofie 
roder und Ortelburger. Sie gab fich aufer dem gewöhnlichen Zauberge 
fgäfte namentlich auch mit Wahrſagen und Schatheben ab, Vor circa 
he Jahren wußte fie mit Hülfe eines evangeliſchen Lehrers, ber dabei 
als katholiſcher Geifilicher fungiste, einen wohlhabenden Wirth. in P. (Rinde 
friel Saberau) beinahe um fein games Grunbftit zu hringen, indem fie 
ihm verſprach, auf feinem Gehöſte einen Schatz zu heben, Dafür kapy fir 
deum, ſowie ber faubere Lehrer, ins Zuchthaus. Wo fie iur iR vaiee Don 


Ybguhigen ober Kobten, weiß ich wicht.” oa 
31° 


484 Aberglauben aus Mafuren 


Die Hexen oder Hexer (fo fagt man Hier oft) Können dem Menſchen 
alles mögliche authun (uczynek), durch ben böfen Blid, var Au 
hanchen, durch Beräßren, durch Befhätten uud dadurch, daß fie ihm eiwas 
au effen geben, 

Sehr gefliräitet ift der böfe Blick. Jeder Weichſelzopf und jede 
plöyliche Berkräppelung wirb dem böfen Blick oder dem Beheren zugefchtie 
ben, und wenn man fi) bavor hüten unb fichern will, muß man fidh feg- 
nen und mit bem Zeichen des Kreuzes befcenzen. (Wallendorf.) 

daſt alle ſchwereren Krankgeiten, offenbare äußere Verletzungen und das 
gewöhnliche alte Fieber abgerechnet, werben als Anthun bezeichuet und ge 
wöhnlich Frauen ans der nächſten Belanutichaft, ja Verwandtſchaft, wenn 
fie rothe Augen und etwa noch ein verſchloſſenes Weſen Haben, zugeſchrie 
ben, ' (Rrolcpt.) 

Wenn man von einem, ber nicht gute Augen hat, angefehen wir, ſo 
befommt man urok. (Wallenbori, Hobenftein.) 

Wenn einem plotzlich unwohl wird, da ihm das Blut zu Kopfe 
ſteigt, fo ſagt man, er Habe urok. (Hohenfteln.) . 

Der urok tft die Folge von allerlei böfen Eiufläffen, fagt ber ehemalige 
Porrer‘ Keolczyk in Qurken, und wird nicht immer auf böfe Menfchen zu 
rüdgefüßet, ſondern ſcheint viel mehr unfichtbaren Mächten zugeſchrieben zu 
werben. Denn daß das Wort „Beherung, Bezanberung" Heißt, habe ich 
erſt ans dem Lexicon erfahren, wenngleich ich nach der Angabe meiner 
tern oft diefen urok gehabt haben fol. So viel weiß ich mod, daß 
Uebelteit, Kopfichmerzen und Schwindel dafür gehalten wurden. 

Der urok lommt davon her, wenn eine ober mehrere Franen zu viel 
einen Mann angejehn, oder umgelehrt, wenn eine Frau von einem oder 
mehreren Männern zu viel angefehn wird. (Willenberg.) 

Wird dem Bauern ein Stüd Vieh krank, paſſirt in feinem Haufe ein 
Ungläd, fo tft beftimmt eine Hexe daran Schuld, namentlich find die Lin⸗ 
ber dem Behexen durch den böfen Blick ansgefeht. (Solbau.) 

Manier Hat einen boſen Blid ohne es zu willen und ohne Boſes 
anrichten zu wollen. Schon Simon Grunan fagt: „Wenn eine Frau in 
Wochen liegt und von anderen Frauen befucht wirb, und biefe bas Mind 
beſchauen und ſprechen bloß: Ci, das iſt ein ſchones Kind, fo Halten fie 


von Dr. M. Täppen. 485 


dafür, es fei berufen und verberbe fo.” (Xöppen, Leite Spuren ic. &. 837. 
Ueber den böfen Blid vgl. die Abhanblung in ben N. Pr. Prov⸗Bl. 1846. 
®.1. ©. 391. Grimm, deutſche Mythologie ©. 1063.) 

Ein Gutsbeſther belam Beſuch von feinem Freunde. Er erzählte ihm 
unter andern: Ich habe ein Neft voll wilber Enten-Eier ansbrüten laſſen; 
es find alierliebfte Dingerchen; komm fie fehen. Der andere antwortete: 
Ih Habe nicht gute Augen; fie werben alle verberben, wenn ich fie ſehe. 
uf weiteres Zureden ging er mit und befah bie jungen Guten, bie mm 
wirklich bald darauf alle flarben. Auch das war urok. (Wallenborf.) 

Oft laſſen die Hexen, was fle einem anberen Menfchen authun wollen, 


wit dem Winde auf ihn gehen. (Hobenflein.) 


Sehe gefüräjtet iſt das Beiihätten (obszipke). Die Degen beiäften 
nämlich den Menfchen mit einem gewifjen Pulver, unb er belommt daun 
einen Ausſchlag, eine Art Flechte auf Händen und Füßen, welcher eben⸗ 
falls den Namen Beſchüttung führt. Ex kommt befonders bei älteren Lens» 


: tem vor. (Hohenftein.) 


Das Pulver zum Befätten macht die Hege, indem fie eine ſchorfige 


: Nöte verbrennt. (Wallendorf.) 


Sie machen es aber andy anders. Gie gehen zur Eommmnion, vers 
ſchluden aber bie ihnen bargereichte Oblate nicht, ſondern bewahren fie, 


» hängen fie auf nnd legen ein Stück Brod darunter. Dann tränfelt das 


Blut Chriſti auf das Brod, und wenn das Brob getrocnet iſt, brauchen 
fie es zum Beſchütten. (Dohenſtein.) 

Oft richten die Hexen am einer Stelle etwas an, was ben befallt, der 
dieſe Stelle berührt. Das find „böſe“ Stellen. (Hohenſtein.) 

Doch kommen „böfe” Stellen and ohne Zuthun „böfer” Menſchen 
vor. ( Arolczyl) 

Wenu Jemand krauk geworden iſt, ſagt man: „Er kroch über eine 
böfe Stelle.” So ver Meine B., welcher vor einigen Jahren das Gym ⸗ 
naftum zu Hohenftein beſuchte, nachmals aber feiner Kranlkheit erlegen if. 
(Hoheaftein.) 

Wenn eine Here einen andern beheren will und bringt es wicht zu 
Stande, fo muß fie es fich ſelbſt antun. So z. B. eine Here in Mit 
pelſee bei Hohenflein. 


486 Aberglauben aus Mauren 


In der Nähe von Hohenftein giebt es einen Oberherer, der hat einen 
Spiegel, in welchem man bie Here fehen fan, von ber man behert if. 
Viele Beherte beiuchen ihn deshalb. Dann fragt er ben Kranken: Wilf 
du, baß ich bie Here zeichne? Wenn man bies verlangt, fo ſchneidet er 
der Here im Spiegelbilde am Ohr ober an der Mafe etwas weg, mit dem 
Bebeuten: „Run werdet ihr bie Heze fehon Kennen.” Auch ſchneidet er 
der Here auf Verlangen den Hals ab, aber viele verlangen nicht, daß ber 
Here fo übel mitgefpielt werde. Vorzeigung bes Spiegelbildes und Ope 
ration foften 1 Gulden. 

In einem Dorfe bei Hohenftein ſtarb eine Frau an einer Krankheit, 
die ihr angehert war. Als fie beerbigt war, lehrte man bie Bahre um, 
mit ben Füßen nad) oben, um bie Here zu ermitteln; man meint, daß bie 

‚ Hexe dies nicht ertragen könne, fonbern komme und die Bahre wieber in 
bie gewöhnliche Lage umlehre. | 

Wenn man eine Grau kommen fieht, von ber man meint, es fei eine | 
Here, ſo ſchmeißt man ven Befen vor die Thür Hin; dann kann fie nicht 
hinein. (Hohenftein.) 

Bettler find oft Herer und man muß ſich fehr vor ihnen in Acht neh 
men. Wer ihnen nicht reichlich giebt, dem wänfchen fie nft etwas an. So 
iſt von ihnen manchem Ausſchlag angehert. (Soldau.) | 

Uebrigens If das Anwünſchen auch von ſolchen zu fürchten, welde 
nicht in die Hexerei eingeweiht find. Schon im Anfange bes ſechszehnten 
Yahrhunderts berichtet Simon Grunan in feiner Chronik von Preußen: 
dies halten fie feftl, was man einem wünſcht, daß bies einem beflche, 
wo er ſich nicht fegnen läßt.“ (Toppen Lepte Spuren ꝛc. S. 337.) 

Andy Tanz man in einzelnen Fällen einem anbern leicht einen Heinen 
Dentzettel appliciren. Wird über jemand in feiner Abweſenheit geſchän⸗ 
ver, fo: niftert und Enalit das Feuer im Kamin. Nun barf ber Befhän- 
dete nur ſchuell Salz ine Feuer fireuen, jo hört das Kniftern und Küallen 
auf and biejenigen, welche ihn beſchändeten, haben Blafen anf ber Zunge. 
(Hohenfkein.) 

Wenn man Blaſen anf der Zunge hat, wirb man beſchändet. Dann 
muß man breimal in das Taſchentuch ſpucen, aus demſelben einen Luo⸗ 
ten machen und mit ber Hand baramf ſchlagen. That man uns, fo fat 





von Dr. M. Xöppen. 487 


mörgen ber Beſchaͤnder bie Blafen. (Mittheilung aus ber Nachbarichaft 
von Hohenftein. Schon Grunan in ben N. Pr. Prov.-BL 1846. Bo. 2 
©. 337 erwähnt den Aberglauben: „Wenn einem eine Blatter auf ber 
Zunge auflänft, fo glaubt er, er fei ſchanblich belogen.) 

Wenn Kinder nach alter fihlechter Gewohnheit an Gtellen ihr Bes 
dirfniß verrichten, wo bas nicht Hingehört, fo darf man ben Unrath nur 
mit heißer Aſche befivenen, fo bekommen fie Blafen auf dem Hintern. 
(dogenftein.) 

Wenn einer fehr erbittert gegen ben ambern iſt, daß er feinen Tob 
wänfcht, fo Tann er dies erreichen, wenn er ein geiſiliches Lieb ein Jahr 
lang Morgens und Abende fingt, daun ſtirbt ber verhaßte gewiß. Im 
Oletzkoer Kreife foll dies Mittel oft und mit ficherem Grfolge angewandt 
fein. (Oletzko.) 

Auch bei Hohenſlein ift das Tebtfingen (pospiewac) belanut Das 
Lied welches man zu dieſem Zwed ein Jahr lang Morgens und Abends 
fingen muß, fteht im polniſchen Geſangbuch. Man bezeichnet hier eine 
Familie, in welcher Mann und Sran zu Tode gefungen find. Die Here 
die es gethan Hatte, war ben Tag vor feinem, unb fo auch wieder ben 
Tag vor ihrem Tode in bem Gehöfte erſchienen. Dies foll dazu gehören, 
daß ber Zanber wirle. (Oohenſtein.) 

Wenn einer den andern zu Tode fingen will, fo muß er ein ganzes 
Yahr hindurch täglich des Morgens um 6 Uhr und bes Abende um 6 Uhr 
an einer und berfelben Stelle in einer und berfeiben Stellung einen Pſalm 
— ih glanbe 94 — dreimal rädwärts beten und jebesmal bas Bater- 
unfer daran Mnüpfen, zweimal ohne Amen; das legte Mal wird mit Amen 
geſchloſſen. Hält der Beter nicht pänftlich bie Zeit ein, ober wechſelt er 
die Stelle und Giellung ober verfpricht er fich während bes Betens, fü 
teifft der bem andern angewünfchte Tod ihn ſelbſt. Am letzten Jahres⸗ 
tage der Betzeit muß ber Tod eintreten. Viele Leute Haben davor ſolche 
Angft, daß fie ſchon darum krank werben und flerben. Diefe Gebete wers 
den gewöhnlich im Keller verrichtet. (Willenberg.) Das Tobtfingen ift ſehr 
belanut und verbreitet 3. B. and) in Ortelsburg, Sohannieburg x. 

Es iſt gut gegen böfe Einfläffe fi) im Voraus zu ſchutzen, und fie 
fen zu halten. Scäupmittel gegen biefelben find 3. B. folgende: 


488 Aberglauben aus Mofuren 


Ein nengebornes Kind wird ängſtlich vor fremben Augen gehütet, ba 
aber das Abfperrungefpftem doch nicht ganz burchgefährt werben ann, fo 
weiß man es nicht anders zu fihern, als durch Anwendung von Am 
letten. Silberne Medaillen, Ringe ober Goldſtücke, fo wie rote Bänd⸗ 
chen nm ben Hals werben für befonders wirfiam gehalten. Letztere pflegt 
man auch jungen Füllen und Kälbern zur Sicherung gegen ben böſen 
Bid um die Hälfer zu binden. (Krolczhl.) 

Wenn ein Haus geweißt wird, macht man rings um bie Hansthär 
eine Anzahl Pinſelklexe, bamit ber Teufel fern bleibe. (RI. Ierutten.) 

„Am Iohammisabenb oder am Abend vor dem Tage ber heiligen brei 
Könige macht man an der Thür des Viehſtalls von außen brei Kreuze. 
&6 wird dadurch vor Hegerei bewahrt. (Hohenſtein, Soldau.) Im ben 
Ermländifchen Kreifen wird die Kreide hiezu kirchlich geweiht! (Nach dem 
Vollskalender in den N. Pr. Prov.-Bl. 1848 Bb.2 ©. 220.) 

Sicherheit und Glüd blühen bem Dorfe, das mit zwei ſchwarzen 
Nähen umpflugt iſt. (Hart. Zeitung 1866 No. 8.) 

Gegen den böſen Blick, durch welchen befonbers alte Franen gefährs 
lich find, kann man ſich fügen, wenn man Hinter fie tritt und hinter 
ihrem Rüden ohne ein Wort zu fprechen, breimal mit dem Zeigefinger 
ber linken Hand winkt, (Solbau.) 

Bgl. oben das Mittel, ven Werwolf zu erfennen. 

Wer fih nicht bangen will, fieht da, wo er zuerft Hinfommt, in ben 
Ramin. (Dohenfein.) 

Auch die Komdbianten (d. h. Seiltänzer) halten fie für Hexenmeiſter, 
die nur Augenverblendniß bewirken (omaniene). Wenn man wiffen will, 
was fie eigentlich vorführen, jo muß man ben Rod verkehrt anziehen. 
Eine Fran welche diefes that, als ein Comödiant einen großen Ballen zu 
tragen ſchien, fah, daß er einen Strohhalm trug. (Hohenftein). 

As eine Art von Amnletten galten wenigſtens noch im vorigen dahr⸗ 
hundert bie fogenannten Donnerfeife. Piſanski bemerkt über die Anwen ⸗ 
bung berfelben Folgendes: ziehen ſich Gewitterwollen zufammen, und 
broßt ber immer ſtarkere Kuall fi ihrem Scheitel zu nähern, fo fteden fie 
ben Singer durch das Loch, fo am dergleichen Steinen von ber größeren 
Gattung befindlich iſt, drehen dem Gtein. dreimal herum, ſprechen dabei 





von Dr. M. Täppen. 489 


einige aberglänbifche Worte, werfen ihn mit ber gräßefien Gewalt an bie 
Etnbenthüre und glauben auf biefe Weife ihr Haus vor bem Wetterſtrahl 
in Sicherheit geftellt zu haben. Sie legen ans einer gleichen Abficht biefe 
Donnerfeile den Heinen Kindern in die Wiege, Ja fie trauen ihnen auch 
in Borfällen, bie mit dem Donner nicht die gringfte Verwandtniß haben, 
eine verborgene Kraft zu; indem fie durch die Deffnung berfelben bie 
Rüge zu mellen pflegen, wenn mit der Mil zugleich Blut aus ben Eu. 
tern fließet. (Pifanski Weberbleibfel zc. No. 28 8.8.) 

Bon ber heilfamen Wirkung des Stahles werben wir noch oft zu 
teben haben. Er Hält alle Einwirkungen ver Hexerei fern. (Hohenftein.) 

Ein Hufeifen, welches man gefunden hat, anf ber Schwelle der Haus 
tpüre, mit der Epige nach Außen angenagelt, bringt Glüc, dem Kaufmanıı 
3 B. zahlreichen Beſuch und reiche Käufer. (Lubainen.) 

Das Hauptmittel gegen allerlei Krankheiten ift bas Berfeguen.”) 
Ein Arzt ift den Mafuren ein burhaus unnöthiger Menſch, ver nur nach 
ihrem Gelde trachtet. Ihre Ausrede bei Borhaltungen von Verfäumnifien 
dieſerhalb lauten übereinftimmenb: „ba und bort hat er auch nicht helfen 
tönnen.“ (Rönigeb. 3. 1866 No, 8 vgl. Hing ©. 117.) Manche meinen 
auch, bie Hälfleiftungen der Aerzte, wie ber Bligableiter, feien Eingriffe 
in die Rechte Gottes, (Solban,) 

Die Verſegnungen haben nicht bloß unter ben Bauern, fondern auch 
anter ben aufgeflärten Gutsbeſitzern warme Vertheidiger. So erzählte ein 
fonft von allem Aberglauben freier Daun, ihn habe einmal ein altes 
Weib, welchem er bafür lachend und höhnend 5 Thaler verfprochen, den 


*) Das Verfegnen iſt eine uralte heidniſche Sitte, wie denn eins der allerälteften 
Denkmäler der beutihen Sprache ein heidniſchet Segensſpruch ift. Diefe Sitte wurde 
von der katholiſchen Kirche in ziemlich ftarfem Umfange recipirt und gelitten; fo war 
nad einer Bafeler Ueberlieferung aus dem 14. Jahrhundert in Haupt's Zeitſchrift für 
deutſches Alterthum Bd.5 S. 676 damals von der gemeinen Ghriftenheit angenommen: 
Aſchen⸗, Balmen:, Taufs, Lichter, Waflere, Salz, Fleifh- und mander andere Gegen, 
verworfen dagegen Haupt:, Augen, Pferdes, Wunden-Segen. Noch jet giebt es in den 
tatholiſchen Kirchen des Ermlandes Hafer, Jchannistrunk, Kreide, Balmen: Kraut und 
andere Gegen (Val. Vollst. No. 22, 28, 58, 224), melde viel dazu beitragen, alten 
Aberglauben zu erbalten. Die evangelihe Kirche hat dagegen eifrig angelämpftz ſchon 
1526 wurden die Lichtweihen, Sladenweihen u. dgl. mehr ausdrüdlic verboten. Jacobſon 
Quellen des evangellichen Kishensehts Bd. 2. ©. 26. 


4 berglauben aus Mafuren 


fogenannten Mehltau verſegnet — eine fonft unheilbare Getreidekraulheit — 
unb zwar mit bem beften Erfolge. (Lubainen bei Ofterobe.) 

Ein anderer ebenfo von allem Aberglauben freier Gutsbefiger erzählt, 
er habe felbft gefehen, wie ein Arbeitsmann, ber ſich mit der Art eine 
ſchwere Wunde in den Buß geſchlagen, lange vergeblich ſich bemüht habe, 
das Blut zu ſtillen. Da fei eine alte Frau zum Verſegnen gerufen und gleich 
nach ber Berfegnung habe das Blut, wie abgefchnitten, zu fließen aufgehört. 

Alle Verfeguungen werben ſtets dreimal vor Sonnenuntergang vor- 
genommen und es bürfen bamu in der Nähe bes Verſegners weder Kate 
noch Hund fein. Daß man daran glaube, iſt nicht nöthig, man braucht 
nur einem, ber baran glaubt, bie Hand zu geben. (Rubainen.) 

Das Berfegnen geht auf folgende Weiſe vor fi. Der Krante mus 
fid) mit dem DVerfegner allein in einem Zimmer befinden. Der Verfegner 
ſchlägt zuerft drei Krenze Über dem Kranken, fpricht dann eine gewifle 
Bormel, wobei er jedoch das Amen weglafien muß, wenn bag Verfegnen 
helfen foll. Nachdem das gefchehen ift, fchlägt er noch drei Krenze über 
dem Kranken. Beſonders werben bie Verſegnungen angewendet, um ben 
Fluß des Blutes zu ftillen, bei Geſchwulſten, Zahnſchmerzen, Reihen 
u dgl. m. (Soldan.) 

Bon einem gewiſſen Segensſpruch gegen die Rofe wurbe mir ge 
fagt: er muß breimal vor Sonnenuntergang, dann am nächſten Tage drei⸗ 
mal vor Sonnenaufgang und noch drei Mal vor Sonnenuntergang ger 
ſprochen werben. (RI. Jerutten.) 


Verfegnungen verfcjiedener Rrankheiten und übler Bufälle. 


1. Berfegnung des Biutfinffee. 

Ich verfegne dich mit der Kraft Gottes und der Hilfe des Herrgottes. 
Magdalena Hatte drei Töchter, die erſte ſprach: Gehen wir fort von hier 
und wandern wir; bie andere ſprach: Stehen wir; bie dritte ſprach: Siehe 
wir wollen umlehren, bleiben wir bier und fegen uns. Und fo ſollſt aud 
du Blut fiehen bleiben buch den Herrn Jeſum Gottes Sohn, burdy fein 
Mätterchen und durch bie ganze hochgelobte heilige Dreifaltigkeit und durch 
die Heiligen Engel im heiligen Geift. Im Namen Gottes des Vaters, des 
Sohnes und bes Heiligen Geiſtes. Vater unfer ıc.2c, bis zu Ende zu belen. 





von Dr. M. Zöppen. 491 


2. Verfegnung der Epilepfie (wielka choroba). 

As unfer Herr Jeſus EhHriftus wanderte mit feinen Sängern, baten 
fie ihn und riefen zu ihm, und wenn er bie Epilepfie und Geidhwäre 
heite, befahl Jeſns und ſprach: Auf die Kranken ſollt ihr die Hände le 
gen. Das Waſſer ftanb flille, als Mäütterchen Gottes ihren Sohn babete. 
So fol auch dies Geichwär, biefe Krankpeit ſtille ſtehn, das Mark nicht 
berüßren, die Knochen nicht brechen, bie Sehnen nicht verrenfen. Ich bitte 
dich, meibe bie Stelle (b. i. ben Leib) biefes Menfchen, durch Gottes Macht 
und des Sdhnes Gottes umb des heiligen Geiftes Hilfe. Im Namen 
Gottes bes Vaters, des Sohnes und Heiligen Geiſtes. Vater unfer n. |. w. 

3. Berfegnung des Schlangenbiffes. 

Man fol das Vater unfer beten und daun weiter ſprechen: Ich ver» 
ſegue euch durch Gottes Macht und bes Herrgottes Hilfe, ihr Schlangen 
und weibliche Schlangen (weze, wezyce), ihr Ottern und weibliche Ot⸗ 
tern (2mije, Zmijice), ihr Welbiwärmer und fämmtlihes Gewürm. Aus 
der Bluthe (???) biſt du geboren, der Tenfel Hat dich geichaffen, unfer 
Herr Jeſus gab bir ben Geift, aber er gab bir Hein Gift und feine 
Macht. — Durch Gottes Macht und des Sohnes und des heiligen Geiſtes 
Hilfe, wie das Waſſer dahin fließt, fo fol andy dieſer und biefes dahin⸗ 
fließen, im Namen Gottes bes Baters, Sohnes und heiligen Geiſtes. 
Dann hauche breimal anf die Wunde, begieße fie mit Waſſer oder 
wafche fie aus. 

4 Gegen den Biß des tollen Hundes, 

Sprich das Gebet des Herrn. Unfer Herr Iefus Chriſtue, als er 
mit feinen Jüngern wanderte und fie ihn baten, baß er von dem Biß bes 
tollen Hundes und der Hündin heilete, ſprach er: Heilet mit Gottes 
Macht und mit des Sohnes Gottes und des heiligen Geiftes Hilfe. Das 
Wafjer im Meere ftand ftille, ale Gottes Mütterchen ihren Sohn babete, 
fo möge venn das Thier ſtille Hegen o Monaten Mai (? ??) und bas 
Gift von ſich geben durch Gottes nnd des heiligen Geiſtes Hilfe, im 
Namen Gottes des Vaters, bes Sohnes nud bes heiligen Geiſtes. (Du 
ſollſt die Hände gefaltet dreimal ben Kranken umgehn, ein anderer muß 
vor bir alle Hinberniffe wegräumen.) 


493 Aberglauben au Mafuren 


5. Gegen kalte Leute (kaltes Fieber). 

Im Namen Gottes des Baters, Sohnes und heiligen Geiſtes. Es 
ging Gottes Mutterchen durch einen Kaflanien-Wald, auf dem Wege be- 
geguet ihr ber Herr Jeſus ſelbſt. Wohin gehft du, meine Mutter? id 
sehe zu biefem Getauften, um zu heilen bie falten Lente, die weißen (blaſſen) 
Lente. Weichet von diefem Getauften, ans feinen Sehnen, ans feinem Matt, 
aus feinem Haupte durch bie Macht Gottes und des Sohnes Gottes und 
des Heiligen Geiftes Hilfe, ich treibe euch aus unter bie Steinwurzeln in 
wäfte Wälder, auf wäfte Selver, wohin nichts kommt, Vaterıfnfer ıc. ꝛc. 

6. Die Länfe bes Viehs zu verfegnen. 

Ich bin zu bir gelommen bu finmmes Vieh, bamit ber Herr Jeſus 
ſelbſt von bir die Läufe entferne durch Gottes Macht und bes Sohnes 
Gottes und bes Heiligen Geiftes Hilfe. Vater unfer ac. ac. Bei biefer 
Berfegnung muß man mit einem Feuerſtahl dreimal von jeder Seite vom 
Kopfe nach dem Schwanze des Viehs hinwegfahren. (In andern Tegten 
ſteht Blahſucht ftatt Läufe.) 

7. Hagelwolten zu verfegnen. 

Die Hagelwolke auſchauend mußt bu dich fegnen im Namen Gottes 
des Batere, des Sohnes und bes Heiligen Geiſtes; dann ſprich Vater 
unfer ıc. und baranf bies Gebet: O ihre fehänblichen Hagelwollen, es bes 
flehlt euch Chriſtus der Herr, der Mann Gottes, durch mich feinen un 
wärbigen Diener, ihr follet hinwegziehn nad; andern wüften Orten und 
dort zerftieben, auf daß ihr ben Dörfern, den Gärten, ven Feldern kei⸗ 
nen Schaben thuet durch Gottes Macht und mit des Sohnes Gottes unb 
des heiligen Geiftes Hilfe. 

8. Das Feuer zu verfegnen. 

Bater unfer zc. Feuer, du glühende Flamme, es befiehlt bir Chriſtus 
ber Herr, ber Mann Gottes, durch feinen unwürdigen Diener, du follſt 
dich weiter nicht ausbreiten, ſondern anf biefer Stelle bleiben, was bu er⸗ 
faßt Haft, das behalte durch Gottes Macht und des Vaters, des Sohnes 
und des heiligen Geiſtes Hilfe. Das Feuer muß dreimal umtreiſet 
Camlanfen), bei jebemmale das Vaterunfer gebetet werben. 

9. Gegen den grauen Staar im Ange 
Morgens. Wie hier bie dunkle Nacht dem hellen Tage weichet, fo ſoll 


von Dr. M. Täpyen. 498 


auch von biefem Getauften (hier ift der Name ber kranfen VPerſon zu 
nennen) ber Staar entweichen, von feinem Ange, von feinem Augapfel, 
von bem Weißen feines Anges, und biefe Geſchwüre, fie follen vertroduen, 
verfchwinben, niemand foll wiflen, wo fie geblieben, durch Gottes Macht, 
des Sohnes Gottes und des heiligen Beiftes Hilfe. 

Abends, Abenbröthe, Abendröthchen bes Heren Iefu Diener, ihr bie: 
net bem Herrn Chriſtus bei Tage bei Nacht, fo bienet auch biefem Ge⸗ 
tauften (bev Name bes Kranken iſt zu nennen) damit ihr den Staar von 
felnem Auge, feinem Augapfel und dem Weißen feines Auges befeitigt 
durch Gottes Macht, des Sohnes Gottes und bes heiligen Geiſtes Hilfe. 
Hierauf dreimal Amen. 

10, Gegen bie macica (Kolif), 

Sprich zuerft das Vater unfer ıc. Es ging Gottes Miütterchen bei 
übelem Befinden zu Heilen und zu flillen bie macica, Wie biefer Stein 
in der Erbe liegt, und nimmer gerührt wird, fo foll auch fofort Die maoiea 
bei biefem Getauften (dev Name ift zu nennen) ſich nicht wieder aufrüh 
ven. Durch Gottes Macht, des Gohnes nad bes heiligen Geiftes Hilfe 
ſoll fie fich beruhigen, gang ruhig und file fein. Du macica fofert Haft 
bu ein aufgemachtes Bette (?), baram ſollſt bu ruhen bei biefem Ge 
tauften (ber Name tft wieder zu nennen) und ſollſt dich nicht mehr anfe 
zühren, ihn auch nicht quälen. Durch Gottes Macht, des Sohnes Got- 
tes und bes heiligen Geiftes Hilfe. Im Namen des Baters, des Sohnes 
and heiligen Geiftes. Amen, Amen. Amen. 

11, Gegen den urok. 

Es ging Gottes Mutterchen durch einen Kaftanien- Wald, es begeg- 
uete ihe Herr Jeſus ſelbſt und fragte fie: Wohin gehft du meine liebſte 
Mutter? Sie ſprach: Ich gehe zu biefem Getauften (der Rame iſt zu nen 
nen) breimal neun uroki zu verfegnen. Eprach zu ihr Herr Jeſus: Gehe 
hin und verfegne durch Gottes Macht, des Sohnes Gottes und bes hei⸗ 
lügen Geiftes Hilfe und durch das Heilige Evangelium. Im Namen Got- 
tes bes Vaters, bes Sohnes und bes Heiligen Geiftes. Amen. Amen. Amen, 

12. Gegen Zahuſchmerz. 

Durch Gottes Macht und des Herrn Iefn Hilfel die Eiche im Walde, 

der Gtein im Meere, ber Mond am Himmel, fo lange biefe drei ſtarlen 


404 Mberglauben aus Mafuren 


Brüver ſich wicht vereinigen, fo Lange mögen bie Bühne mich wicht füme- 
gen, Durch Gottes Macht, des Sohnes Gottes und bes heiligen Geiles 
Hilfe und durch die Heiligen Gngel, durch feinen hochgelobten Leib und 
durch die heilige Dreifaltigkeit. Im Namen Gottes des Vaters, bes Soh⸗ 
nes und bes heiligen Geiſtes. Amen. Amen, Amen. 

(Diefe 12 Berfeguungen find ans dem polniich geſchriebenen Him- 
matfäfäfiel überjegt.) 

Wir laſſen Hier noch ein Beifpiel folgen, wie in Dörfern das Bich 
verſegnet wird. Man ſtellt fi) vor das behezte Stüd Vieh und beiet 
mit grfalteten Händen zuerſt das Baterunfer ohne jebod Amen zu fagen. 
Sodann wird folgende Zauberformel: „Than fiel nom Himmel nem 
Steine hinab auf bie Erbe. Wie biefer Than verſchwindet, verſchwand, 
in ber Laſt derwehet, fo mögen auch die breimal neun Zauber verfdhiwin- 
ben, vergehen in ber Luſt und verweht werben“ — breimal wieberhult, 
nach dem beiten Male das Städ Vieh bekreuzt und endlich Amen ge 
ſprochen. Diele Beſprechung ſichert fowohl vor dem bäfen Blic Curok, 
urzec), als auch heilt fie deſſen ſchon eingetretene Folgen. (Haflenftein, 
R. Pr. Prob Bl. 1847 Bd. 1 S. 474 |. Mehrere Berfegnungsformein 
ans Nataugen bietet I. Gottfhalt in ben N. Pr, Prov.BL. 1857 Bo. 1 
©. 187 f) ' 

Mit dem Gegenefpruc werben meiftens gewiſſe Geremonien verbum- 
den. Oft find biefe begleitenden Hanplungen das Wichtigſte, oft 
helfen fte allein. Hie und ba werben daueben auch materielle Heilmittel 
angewandt. 

Wenn Jemand eine ſchwere Krankheit Hat, fo reißen fie ein Süd 
von dem Hembe bes Kranken ab und hängen biefes ober andy das ganze 
Hemde an einem Kreuzwege an einen Baum ober an ben Wegweiſer. Im 
daffelbe ſteden fie eine Näynabel, barunter legen fie ein Gelbfläd. So 
meinen fie wirb bie Krankheit von dem Krauken genommen. Die Bor 
übergehenden Häten fich wohl, bie Lappen anzurühren ober das Gelb zu 
nehmen, ba fie fonft die Ryaufheit mitnehmen würben. (RL Yerutten.) 

Der Pfarrer Krolczyt in Kurken erzählt von der Heilung bes urok 
aus feinen Ingenbjahren: „ALS ich einmal vom Gtmuaflum zu km Be- 
rien nach Haufe Tem und von urgk befallen in bie Uutnanbung herr Dame 


vor Dr. M. Töppen. 495 


bermitteln wicht willigen wollte, vielmehr mich ſchlafen fegte, nm fo bie 
Kopfichmerzen mit ben begleitenden Nebenbefchwerben zu verlieren, wiſchte 
man mir im Schlafe dreimal mit einem ſchon gebrauchten Haudtuche über 
das Geficht mit den Worten: „Im Namen bes Bates, des Sohnes und 
des heiligen Geiftes, Amen. Amen. Amen.” Da ich aufwachte und mich 
wie gewöhnlich wohl fühlte, wurde mir bie wermeintfiche Urſache meiner 
Genefumg angegeben. Souſt bedient man ſich hiezu noch eines wirkſameren 
Mittele und zwar bei Männern der Brauenfleider, bei Frauen der Män- 
nerlleider.“ 

Wer von urok befallen in, dem muß man mie neun verſchiedenen 
Züchern ober Rappen über das Geficht fahren. Auch in einem Pfarrhauſe 
iR dies Mittel mit gutem Grfolge angemanbt. 

Wenn der Mann oder die Frau von urok befallen iR, fo wiſcht bie 
Frau dem Manne mit Weiberfleivern, ver Mann ber Frau mit Männer 
tleidern über das Geficht und ſpuct dabei dreimal aus. (Dohenſtein.) 

Mittel gegen die englifhe Krankheit (ogl. o. ©. 396). Man 
badt einen großen Fladen von Roggenmehl, fchneibet in denſelben ein 
großes Boch, zieht das Lird da hindurch, umb trägt es dann breimal um 
bie Kirche, wobei breimal Baterunfer gebetet ober dreimal in das Schlut⸗ 
ſelloch der irchthür gehaucht wird. (Hohenftein.) 

Die englifche Krankpeit foll daher rühren, baß dem Kinde Katzen ⸗ 
haare in den Magen gelommen find. Man foll, um viefelben zu entfere 
nen, einen Hahn braten, den Magen zerreiben nub biefen Staub mit 
Rothwein dem Linde eingeben. (Hohenflein.) 

Mittel gegen bie Anszehrung. Zwei alte Frauen nehmen das kranke 
Kind, die eine reicht es ber andern durch den Zaun (Mädzaun) und erhätt 
es über den Zaun zurück. Dies wird dreimal wiederholt. (RI. Serutten.) 

Mittel gegen Fieber. Drei Myrthenblätter aus dem Brautkranze finb 
gegen das Bieber gut. (Lubainen.) 

Desgleichen. Man muß auf einem Beſen aus dem Haufe hinauereiten 
auf den Kreuzweg, bort den Befen liegen lafien und wieder nach Hauſe 
eiten, ohne ein Wort zu ſprechen. (Hohenftein.) 

Desgleichen, Man gehe auf eineu Exenzrain, ſchneide ein Loch in den 
Raſen, ange dreimal hinein und weropfe es ſchuell wieder. (Hehenftein.) 


496 Aberglauben aus Mafuren 


Desgleichen. Man geht in einen Birkenwald, ſchüttelt an einer gu 
wiſſen Zahl von Birken und ſpricht: (Die Worte wußte ber Berichterftatter 
leider nicht, der Inhalt war etwa ber:) Schuttle mich, wie ich dich, dam 
höre auf. (Hoheuflein.) 

Deögleichen. Wenn der Fieberaufall und bie Hige vorüber ifl, je 
ben fie das Hemde aus und tragen es Abends nach Sonnenuntergang 
ober Morgens vor Sonnenaufgang, wenn möglich an einem Donmerflage, 
nach einem Krenzwege und hängen es bort am Wegweiſer auf. (Walfendorf.) 

Desgleichen. Un manden Orten hängen bie Gloden in einem ofie 
nen Glocenhauſe und der Glocenſtrang hängt jevem zugänglich herunter. 
Man dreht ein Gelbftük in den Glodenfirang gegen das Talte Fieber. 
allendorf.) 

Man wirft dem Fieberkraulen mit einem Topf nad, um ihm zu er 
ſchreden, oder man broht, ihn in ben Brunnen zu werfen, ans bem 
gleichen Grunde. Es ift begreiflich, daß beide Mittel unter Umftänden 
helfen. Hauptmittel gegen bas kalte Fieber if bei den Mafuren überdies 
ber Schnape.] 

Pifansti No. 24 8.15 erwähnt, daß man früherhin and das Evan⸗ 
gelium Johannes benugt habe, mm durch daſſelbe das Fieber zu vertreiben. 

Piſansli (No. 22. 8.6.) fehreibt um bie Mitte bes vorigen ZJahrhun⸗ 
derts in Betreff bes Mondes: „Es Affet ven Pöbel noch Hin und wieder 
ein wahrhaftig heidniſcher Aberglanbe, nach welchem er biefem Geftime 
wirklich bie Ehre der Aubetung erweiſt. Beim Yalten Sieber, heftigen 
Ungen- und Zahnſchmerzen und einigen anderen Krankheiten beobadjten bie 
damit behafteten genau ben Anfang bes Neumonbes, treten alebann au⸗ 
dachtig und mit gefalteten Händen vor benfelben und richten ein in (pe 
piſchen Kuittelreimen abgefaßtes Gebet an ihn, in ber feften Hoffnung 
hiedurch von ihrem Uebel befreit zu werben. Werräth fi Hier wicht 
das Heidenthum?“ Sollte Piſanski Hier etwas anderes als Berfegnungen 
meinen? 

Mittel gegen Gelbſucht. Gegen bie Gelbſucht Hilft Ungeziefer auf 
Butterbrod. (Hohenftein.) 

Mittel gegen Qopfſchmerzen. Man legt (ſetzt) dem Leivenben ei 
nen Topf mit Waſſer auf ven Kopf und legt einen Stahl hinein. 


vdn Dr. M. Wopen. 497 


Mittel gegen Zahuſchmerzen. Piſanski (No. 22. 8.6.) führt folgen- 
bes an: Man ſchneidet aus einem Hollunberbaum einen Splitter unter der 
Rinde aus, ftochert mit bemfelben das Zahnfleiſch fo lange, bis es blutet, 
fpänbet ihn fobann wieber in feinen vorigen Ort ein und läßt ihn verwachfen. 

Das erprobtefte und einfachfte Mittel gegen Zahnichmerzen ift, ben 
Neumond anzufehen und unbeweglich ftille zu ftehen. (Hohenftein.) Im 
deutſchen Gegenden ſpricht man dabei dreimal bie Worte: Liebes neues 
Licht, nimm ab meine Gicht, im Namen Gottes bes Vaters, des Sohnes 
und bes Heiligen Geiftes. 

Gerftentörner heilt man durch bdreimaliges Beſtreichen mit bem 
Trauringe der Mutter, (Lubainen.) 

Der ſchwarze Umlauf am Finger (strzelany wrzöd) wird nicht 
eher heilen, bis über ihm ein Gewehr abgefchofien wird. 

Auswüchſe am menſchlichen Körper, weldre man „Rnödel” nennt, 
werben auf folgende Weife geheilt: 1) Man geht in ein Haus, in dem 
eine Leiche ift, nimmt ohne ein Wort zu fagen, bie Hanb bes Tobten unb 
bebrädt breimal mit bem Todtenfinger ben Auswuchs. .2) Kommt ein 
Bettler ins Hans, fo wird ihm, auch ohne ein Wort zu fagen, der Stock 
aus ber Hand genommen, unb ber Answuchs mit bemfelben breimal be 
drüdt, 3) Sindet man auf dem Felde in einem ansgehöhlten Knochen 
oder auf dem Kuhmifte Regenwaſſer, jo wirb ver Auswuchs mit biefem 
Waſſer breimal beftrichen, worauf man ohne fich umzuſehen und ohne zu 
ſprechen, nach Haufe geht. 

Mittel gegen Warzen. Man tippt auf jeve Warze mit einer Erbſe 
und feättet biefe Erben in ven Badofen. Dann läuft man ſchnell fort, 

bamit man feine nalen hört. Dann vergehen fie... (Dohenſtein.) 

Desgleichen. Um Warzen zu vertreiben muß man fo viel Erbſen ale 
man Warzen hat, wenn das Brob ans bem Badofen genommen iſt, in 

ben Badofen werfen, aber jo, daß man das Fallen derſelben und ben 
Knall, wenn fie zerplagen, nicht hört. (Wallenborf. Noch andere Mittel gegen 
Warzen werben angegeben in ben N. Pr. Prov.Bl. 1846. Bp. 1.6. 182.) 

Desgleihen. Man benegt die Warzen mit Regenwaſſer, das man 
auf Steinen findet, und geht ohne zu ſprechen und ohne iu) umpafehen 
weiter. (Hohenflein.) 

Witt, Monetöfgrift vd. M. Sf. 6. I 


298 Hberglauben aus Maſuren 


Desgleichen. Man betupft die Warze mit geftoßlenem Fleiſch und 
vergräbt dies unter der Traufe. Wenn das Fleiſch verfanlt, vergehn bie 
Warzen. (Hohenftein.) 

Desgleichen. Man ſieht den Vollmond an und fagt dreimal: „Da 
M was und bier (indem man bie Warze berührt) ift nichts.” Das wie 
derholt man brei Tage hintereinander, Dies ift ein ſehr ſicheres Mit 
tel gegen die Warzen. (Hohenftein.) 

Freitag vor Vollmond foll man ben Monb anfehen und ſprechen: 
Was ich anfehe, nehme zu, und was ich anfafje, nehme ab.” Dies wie 
berholt man breimal Hintereinander, immer Freitag vor Vollmond, (Ho⸗ 
henſtein.) 

Wenn ein Berſtorbener beſtattet wird, und bie Glocken werben eben 
geläutet, fo foll man an ein fließendes Wafler gehen und bie Warzen mit 
dem Waſſer beipäßlen. (Hohenftein.) 

Man Mnüpft fo viel Knoten in einen Saben, als man Warzen hat, 
und wirft biefen Baden einem Hauſirjuden an den Sad. Dann verſchwin⸗ 
den bie Warzen. 

Mittel gegen Ansfchläge. Siehe ven Volkskalender unten. 

Mittel gegen Flechten. Die Flechten beftreicht man mit Fenſier⸗ 
ſchweiß, den man mit ben Fingern abgenommen hat, unb fpricht babei: 
nGuten Morgen, Herr Liſſai Cd. h. Flechte), ſei nicht morgen, nur heute.“ 
(Diefe Worte bilden im Polniſchen einen Reim.) (Hohenftein.) 

Mittel gegen Bernegrund. Bernegrund (ogni piura b. h. eigent- 
lich Benerfeder) if eine Art Ausſchlag bei Kindern, Während die Leute 
nach der Kirche gehen, geht die Mutter mit dem Kinde an eine Stelle, 
wo Holz gehanen wird, ftellt fi mit dem Rüden gegen bie Kirche, nimmt 
dreimal von ber Spahnerde, fehüttet fie dem Kinde auf ben Bernegrund 
unb fpricht habei etwa fos „Wie bie Leute jegt nach ber Kirche gehn, fo 
gehe du vom Kopfe.“ Dann vergeht der Ansichlag. (Hohenftein.) 

Mittel gegen Krämpfe. Die Krämpfe nennen fie eine Strafe Gottes. 
Auch fagen fie bet Krämpfens „Der Herr Iefus hat ihn gefunden.“ Wer 
das erſte Mal diefe Kranfpeit an Iemand fleht, rigt ihm mit ber Nabel 
ein Kreuz auf die Bruſt, daß das Blut hervorquillt, damit fie vergehen. 
ohenſtein.) 





bon Dr. M. Löpperis 239 


Die Mutter bevedt ben von Krämpfen Befallenen mit ihrem Tranungs« 
Heid. GHohenſtein.) 

Wenn man fich verbrochen ober verhoben Hat, Brandt man Sarg- 
frähne mit Schnaps, ober Staub von dem fogenannten Stein gegen das 
Verheben (kamien od porusonie) — lapis haematitis, bei den Apothe⸗ 
tern zu haben — meiftens wiederum mit Schnaps gemifcht. 

Mittel gegen ben Weichfelzopf. Eine der gefürchteteften und 
häufigften Kranfgeiten ift ber Weichfelzopf (kottun). Mit ihm beichäfti- 
gen fi) die renommirteften Oberzauberer z. B. der in ©, Diefer Obers 
zauberer in ©. kurirt in ber Art, daß er alle möglichen Krauffeiten in 
einen Weichfelzopf ableitet. Er braucht babei Verfegnungen aber auch 
allerlei Kräuter. Dan kann im Voraus ziemlich ficher fein, daß alle Par 
tienten, die ihm befuchen, drei oder vier Tage nach ihrer Rückkehr aus ©, 
den Weichſelzopf ftatt ihrer früheren Krankheiten haben. Diefen aber 
nimmt ihnen der Oberzauberer feiner Zeit gefahrlos ab. (Kurken.) 

Die alfermeiften Krankpeiten namentlich Rheumatismen und Angen- 
franfheiten find angehert. Sie laufen alle in kottun (Weichfelzopf) aus. 
Der von einer Krankheit Befallene ſchneidet etwas von feinem Haupthaare 
ab, widelt dies abgefchnittene Haar in ein Stüd Papier, legt es entwe ⸗ 
der auf die Herzgrube oder unter den Arm und läßt es dort 24 Stunden 
liegen, If nach dieſer Zeit das Haar verfilzt, fo iſt dies ein ficheres 
Zeichen, daß der Kranke behert ift. Er wird dann nicht mehr gekämmt 
und befommt bann innerhalb 4 bis 5 Wochen, wie natürlich den Weich 
ſelzopf. Diefen Weichfelzopf können nur beflimmte ganz allgemein ale 
Hexen befannte Perfonen heilen. Diefe Hexen können aber auch Yeman- 
den ben kottun beibringen oder eingeben. Wie mandje glauben tft der 
Saamen ber Klette oder auch der Diftel vorzugsweiſe geeignet, durch fel- 
nen Genuß ben kottun zu erzengen. Bei der Heilung des kottun wird 
dem Patienten von ber Here ein Trank eingegeben, der auf das Reif 
werben bes kottun hinwirkt. Tritt nad) einer beftimmten Zeit biefe Reife 
ein, fo wirb ber kottun vom ber Here abgenommen, aber nicht mit einer 
Schere ober einem Meſſer, fondern mit einem ſcharfen Steine vom Kopfe 
fürmfidh abgequetſcht. Mit dem kottun verſchwinden and) ve tech, 
die ihn zu Wege gebracht haben. (Solvan.) . 

32 


600 Überglauben aus Maſuren 


Das wichtigfte Gefchäft der Herenmeifter nächſt dem Verfegnen iſt das, 
dem Beftohlenen feinen Dieb ausfindig zu machen Das be 
liebtefte Mittel zu dieſem Zweck ift die Veranftaltung, weldhe man Sieblan- 
fen nennt, und welde ſchon vor Hundert Jahren Bifansfi erwähnt, „Das 
Sieblaufen und andere abgeſchmackte Künfte, deren man fich bedient, einen 
verborgenen Dieb zu entbeden, und bie nicht nur von Zigeunerinnen, fon- 
dern auch von anderen häufiger getrieben werben, als man meinen follte, 
find offenbar aus ber Abgötterei unferer Vorfahren entlehnt. (Mo. 238.9. 
Ein anderes Mittel erwähnt ſchon Meletius im Erl. Preußen p. 719, 720.) 

Das Steblaufen wird mir fo beſchrieben. Man nehme am Donner 
lage nach dem Abenbefjen ein Buch religiöfen Inhalts und zwar eins aus 
ver Hinterlaffenfchaft eines Verſtorbenen, der im Rufe der Ehrlichkeit ges 
fanden, ſtede zwifchen bie Blätter bes Buchs einen langen Schlüffel, fo 
daß biefer, nachbem das Buch gefchlofien if, mit dem einen Enbe etwas 
Hervorragt. Das Buch wird an ben Rand bes Tijdes gerädt. Hierauf 
hängt man ein leichtes Sieb anf das Schläffelende und nennt bie Namen 
berienigen Perfonen, von benen man vermuthet, baß fie ben Diebftafl 
verübt Haben können, indem man fagt: „Siebchen, Siebchen fage mir 
alles!" Bet der Nennung bes wirklichen Diebes bewegt ſich das Sieb, 
während bafielbe bei bem Aufruf ber Namen unſchuldiger Perfonen ſich 
durchaus nicht rührt. Auf eben biefelbe Weife läßt ſich auch ermitieln, 
wo ber Dieb das Geftohlene verwahrt Hat, indem man bie vermutheten 
Bergungsorte nennt. (Qurken.) 

Die Procebur ift nicht überall dieſelbe. Im Grunden war ich zuge 
gen, ſchreibt ein Augenzenge, als eine alte Frau einen Dieb ausfindig 
machen wollte. Auf einen Erbtiſch wurde eine Erbbibel und anf biefe ein 
Erbſchluſſel gelegt; über letzteren wurde ein Sieb mit einem Faden an ben 
Ballen freiſchwebend befeftigt. Die Beſchwörerin rief baranf breimal ben 
Ramen Gottes an und hierauf nannte fie in Meinen Zwiſchenräumen bie 
Namen aller verbächtigen PBerfonen, bie möglicherweife den Diebftahl, ber 
ein Schaaf betraf, verübt Haben konnten, Bei Nennung bes Diebes follte 
fich das Sieb bewegen; da biefes nicht erfolgte, erflärte bie Frau, daß 
ber Dieb ein ihr völlig Unbelannter fein mäfle, und war wegen ihrer Um⸗ 
gebung und Belanntfchaft beruhigt, (N. Pr. Prov. Bl. 1847, Dh. 1. ©.471.) 





von Dr. M. Töppen, 501 


Eine andere Art den Dieb zu erforfchen, heißt gleszyc. Man braucht 
dazu ein Geſangbuch und einen Schläffel; beides müſſen Erbſtücke fein. 
Man ftedt den Schlüſſel in das Gefangbuch und bebindet dies mit einem 
Bande. Der Verfegner und ber Beftohlene legen den Zeigefinger unter 
den hervorſtehenden Ring bes Schlüſſels, fo daß biefer mit dem Geſaug ⸗ 
buch herabhängt, Der Verſegner ruft dreimal ben Namen besjenigen, 
welchen man wegen bes Diebſtahls in Verdacht Hat. Dreht fi ber 
Schluſſel, jo iſt es der Schuldige. (Hohenflein.) 

An andern Orten braucht man ſtatt des Schlüffels eine Schaafſcheere, 
an welche das Sieb gehängt wirb, und verfährt übrigens wie vorher. 

Wenn in einem Hanfe ein Diebftahl verübt wird, und man vermm- 
thet den Dieb unter ben Hausgenofien, fo läßt der Hausherr diefe fänmmt- 
lich zufammentreten und vertheilt unter fie Strohhalme von gleicher Länge; 
nach einer Viertelftunde werben bie Strohhalme unterfucht, wo dann ber 
in der Hand des Diebes gewefene gewachſen fein foll. In Blandau wurbe 
dieſes Verfahren angewendet und fiche ba, bei der Unterfuchung war ber 
eine Strohhalm (und wie ſich nachher ergab, der vom Diebe gehaltene) 
kürzer geworben, Der Dieb hatte nämlich befürchtet, daß fein Strohhalm 
wachfen wärbe unb deshalb Heimlich ein Stüd davon abgerifien. (N. Pr. 
Prov.Bl. 1847. Bo. 1. ©. 472.) 

Man zwingt feinen Dieb das Geftohlene wieberzubringen durch Dro- 
hungen, die ihm irgend wie ſchon zu Ohren kommen, oft mit bem beften 
Erfolge. Man droht ihn tobt zu fingen (f. 0.) ober man droht einen zus 
fällig geretteten Theil bes geftohlenen Gutes, Zeuges, Holzes 2c. auf dem 
Kicchhofe zu vergraben, was dann bie Folge hat, daß ber Dieb fterben 
muß. Ueberhaupt erreichen bie Hexer viel durch Furcht, welche fie ein 
jagen; denn in biefer Beziehung find bie Mafnren feigherzig. (Hohenftein.) 

Viele machen ein Geheimniß daraus, wie man ben Dieb zwingen 
könne, das Geftohlene wieber zu bringen. Belannte Mittel find biefe: 
Ein Theil der Sachen, von welchen ber Dieb geftohlen Hat, wird in ein 
eingebohrtes Loch hineingeſtedt und vernagelt. Oder: Der Reſt der Sachen 
wird in einem Säckhen in ben Schornftein gehängt. Ober: Der Reſt ges 
ſtohlener Sachen wird am Donnerftage in ein friſch anfgeworfenes Grab 
gebracht, ohne daß babet bie betreffende Perfon auf dem Hin- und Rüde 


502 Aberglauben aus Mafuren 


wege einen Laut von ſich giebt. Dann Hat ver Dieb keine Ruhe, bis er 
das Geftohlene bem Eigenthümer zurückbbringt. (MWillenberg.) 

Man laſſe fi) einen Bohrer machen, ber, nicht wie gewöhnlich reits 
um, fondern linfsum gebreht, in Holz oder dergleichen einbringt. Mit 
biefem Bohrer gehe man rüdwärts bis an eine spe, bohre in biejelbe 
ein Loch, flede in baffelbe etwas von bem Gute, von bem ber Dieb ger 
ſtohlen Hat, und verfeile es mit einem Pfloc von bemfelben Holze. Bald 
wird ber Dieb zittern, wie das Espenlaub und das Geftohlene zuräd- 
bringen, (Hohenftein.) 

[Ein ähnliches Mittel aus Natangen befchreibt I. Gottſchall in ben 
NR. Pr. Prov.Bl. 1857. Bd. 1, ©. 158: Dan made in einen Birnen 
ober Pflaumenbaum ein Loch mit einem Bohrer, Das Loc, bohre man 
bis zur.Hälfte ber Baumesftärte und ſtecke barin etwas von bem geſtohle⸗ 
gen Gute. Dann mache man von bemfelben Baum einen Nagel und 
lage ihn in das Loch. So wie das in ben Baum gefchlagene geftohlene 
Gut verdirbt, fo verbicht ber Dieb. Will er nicht ſierben, fo bringt er 
das geftohfene Gut zurück. Wird ber Nagel in das Loch aber ganz Hin 
eingeſchlagen, fo ftirbt ber Dieb in 8 Tagen.] 

Wenn man etwas Erhaltenes von geftohlenem Gut in einen Garg 
legt, um ben Dieb zu verberben, fo muß man ſich fehr in Acht nehmen, 
daß man nicht auf den eigenen Schatten tritt. Geſchieht bies, fo Hat man 
ſelbſt den Tod innerhalb eines Jahres zu gewärtigen. (Hohenftein,) 

Dan meint, daß der Dieb nicht von ber Gtelle könne, fo lange bie 
Kirchenglocken länten. Doch giebt es auch Zauberſpruche, durch welde 
man biefes bewirkt. (Einen folhen aus Natangen theilt Gottſchall mit 
in den N. Pr. Prov.Bl. 1857. Bo. 1. ©. 157.) 

Am allervorfichtigften find diejenigen, welche ihr Eigenthum fo be- 
ſprechen laſſen, daß es überhaupt nicht geftohlen werben kann. Kommt 
ber Dieb und will etwas davon nehmen, fo bleibt er daran feit und faun 
nicht eher fort, als bis ber Eigenthümer felbft ihn freiläßt. — Solde 
Beſprechung bes Eigenthums Hat wenigftens das Gute, daß fie Unfiher- 
heit und Furcht bei abergläubifchen Dieben bewirkt. (Hohenftein.) 

Hierbei bebient man fi folgender Formel: Es ging die allerheifigfte 
Iungfran in den Garten, Ihr dienten brei Engel, ber erfte hieß Et, Per 


von Dr. M. Zäppen. 603 


tra, der andere St. Gabriel, ber britte St. Zachariel. Diefen begegnen 
brei Diebe, welche das Kind Yefus fpielen wollten. Petrus ſpricht zum 
Zachariel: Gehe und feflele fie mit Strang, Ketten und Gottes Wort, da⸗ 
mit felbige ftehen, unbeweglich wie Säulen. Ste follen bie Sterne am 
Himmel zählen und nicht eher von der Gtelle können, bis mein Mund 
und meine Zunge fie löſet. Vater unfer ꝛtc. 

Ber beftohlen ift, widelt etwas vom dem Gute, von bem ihm ein 
Tpeil geftoplen if, 3.8. ein Stüd Leinwand um ben Nlöppel der Glocke. 
Das zunächft folgende Glodtengeläute mahnt ben Dieb das Geftohlene 
mieberzubringen; beim zweiten @lodengefäute ſtirbt er, wenn das Geſtohlene 
nicht inzwiſchen dem Eigenthümer wiedergebracht ift. (Hohenftein.) 

(Schluß folgt.) 


Erinnerungen vom Fa Blnta. 
(Nachtrag zu feinem Werke: „Mitteilungen über das fociale und lirchliche 
Leben in der Republik Uruguah.“) 
Bon 
Dr. Otto Woyſch. 


Es bot ſich uns jedesmal ein höchſt belebtes Schauſpiel dar, wenn 
wir auf einem argentiniſchen oder engliſchen Dampfer, zuweilen auch an 
Bord eines Kriegsdampfers, von Paraguay ober Frankreich bie Innenrhede 
Montevibeo’s verließen, um über ben meerartigen Strom 2a Plata nah 
Buenos Aires hinauszuſchiffen. Die legten Sonnenftrahlen brachen fih 
durch bie Meeresmwellen; auf den zahlreichen Kriegsichiffen der Außen⸗ und 
Iunenrhebe bereitete ſich alles vor bie untergehende Sonne mit Salven 
und Mufit zu begleiten, und es flogen zahlreiche Heine Böte an das Ufer, 
um nod vor dem frühen Sonnenuntergang ben Hafen zu räumen. Bor 
uns brangen andere Dampfer auf dem majeftätifchen Fluß ins Herz Ameris 
las hinein, wir fahen bie vor uns eilenden Dampfer und ihre mächtigen 
Rauchwollen. Sie fuchten auf bem oft gewaltig ſchäumenden La Plata und 
feinen Nebenfläffen dem Uruguay, dem Parana und Paraguay die Häfen 
ber argentinifchen Konföberation, ber Republit Paraguay unb ber innern 
Provinzen des mächtigen braſilianiſchen Kaiſerſtaates zu erreichen, benn 
nur auf biefem Wege kann man von Rio Janeiro aus nad ben reihen 
unb wenig erforſchten Provinzen gelangen, welche im Innern dieſes Reiches 
liegen. Eine Nacht nur — und man fieht das weit ausgebehnte Buenos Aires 
mit feinen alten fpanifchen Kirchen und Konventen vor ſich liegen. Ein 
gehullt in den Schein der Morgenröthe Ienchtet bie Kuppel ber Rathebrale, 
firahlt der Thurm der Franziskaner, währen bie Gloden ber Dominic 





Grinnerungen vom La Plata von Dr. Dito Woyſch. 505 


faner unb ber Mercedkirche bie andächtigen Damen ber Stadt bie por- 
tehas zur misa bes frühen Morgens rufen, La perla de America nannte 
man in ben Zeiten der fpanifchen Herrſchaft diefe urſprünglich Puerto de 
Santa Maria de Buenos Aires getaufte Stadt. Am 2. Februar 1535 
war fie zum erften Dial gegründet worben durch den Don Diego de Mendoza. 
Man hatte nämlich) am 1. September 1534 von San Lucar in Spanien 
aus eine Expebition nach dem La Plata ansgefandt, damit man von 
hier aus auf dem Landwege in das Reich ber Inkas gelange. Die am 
29. Auguft 1533 ausgeführte ungerechte Sentenz des Pizarro, durch welche 
Atahualpa das Leben verlor, hatte in Spanien eine große Bewegung here 
vorgerufen, und man hoffte bie Vortheile der Entdeckungen durch neue 
Expeditionen zu vermehren. Don Pedro de Mendoza wurde mit 20 Schif- 
fen, 2000 Kriegern, unter denen fi) 150 Deutſche befanden, und einigen 
Leuten von Diftinktion, wie fein Bruder Don Diego, nach den Gegenden 
geihiet, welche von dem unglüdlichen Juan Diaz de Eolis entbedt und 
von Eebaftian Gaboto 1526 genauer durchforſcht waren. Man hatte den 
Ausflug des Rio de la Plata urfpränglich mardulce ſüßes Meer genannt, 
während man ben beiden großen Zlüffen, aus denen er zufammenftrömt, 
den inbianifhen Namen ließ, Parana d. 5. in ber Sprache der Guarani 
großer Strom und Uruguay d.h. Strom ber Vögel Als Gaboto einige 
Silberſtücke, die er von ben Agaces und Guarani's empfangen hatte, 1528 
nach Spanien fejicte, zum Zeichen, daß das Land reih an Metallen fei, 
erhielt der 2a Plata feinen jegigen Namen Silberfluß, nicht von ber fil- 
berfarbigen Art feiner Wellen, wie man e8 gewöhnlich in Europa glaubt, 
denn bie fließen in einem trüben Gelb, das durchaus nicht zu dem Vers 
gleich mit Silber Veranlaffung geben kann. 

IH will Sie nicht durch Einzelheiten ermüben und nur anführen, daß 
Santa Maria de Buenos Aires wieder aufgegeben werben mußte und erft 
am 11. uni 1580 zum zweiten Male ber Grunbftein von Buenos Aires 
gelegt werben konnte. Es war an einem Mittwoch als Don Yuan de 
Garah Santa Maria de Buenos Aires ernenerte und ihm den Namen 
Ciudad de la Trinidad de Buenos Aires alſo Stadt der Dreieinigfeit 
von ben guten Lüften gab. Der Name Buenos Aires, ber ſchon ber 
erften Gründung gegeben warb, flammt von einem Ausruf her, ben am 


506 Grinnerungen vom La Plata 


2. Februar 1535 der Eapitain Sancho Garcia that; als er als Erfter bei 
ber Erpebition des Mendoza ans Land flieg, rief er auf: „que buenos 
aires son los de este suelo“ wie gut find bie Lüfte dieſes Landes. 
Altmählig erhoben die Neichtyümer und bie Blüthe des Handels biefe 
Stadt glücklicher Einwohner zu bemfelben Range, wie Mejico, Lima und 
Bogota. Vielfach begehrt von den Königen bes alten Europas, bebroht 
don den Holländern, belagert von ben Engländern, zeigte es ftets ben 
Muth feiner Söhne. Das ſchöne Buenos Aires trinmphirte bei mandem 
Angriff und hat nie bie Schmach einer ausländifchen Eroberung zu eitra⸗ 
gen gehabt. Hier erhoben fi) auch zuerft jene eblen und energiſchen Stim- 
men, welche das Recht für Südamerifa in Anſpruch nahmen, frei zu fein. 
Hier warb allen Völkern in ber Welt bes Kolumbus bie erfte große 
Leltion in ber Freiheit gegeben, welche für alle eine neue Aera glänzender 
Hoffnungen wenigftens erwecte. Oft hat man es ausgefprochen, daß wenn 
die Gründer der amerifanifchen Unabhängigteit aus bem Grabe fteigen 
und bie Folgen ihres Werkes ſchauen könnten, fie gern wieber ins Grab 
zurüdfteigen würben, erbrüdt vom Gefühl des Schmerzes, bes Unwillens 
und der Scham. Denn an bie Seite der glorreichiten Thatfache, melde 
die Gefchichte der fübamerifanifchen Länder dem Tribunal ber Denker und 
Forſcher vorführt, ihr Umabhängigfeitsfampf, reihen ſich andere Ereigniſſe 
an, weiche bes lichten Gedankens unwürdig find, ben jene großherzigen 
Männer faßten und ausführten. Die unebelften Leidenſchaften fingen an, 
dieſe Bölfer zu beivegen, fie ſtürzten fie in blutigen Streit, bie öffentlichen 
Antereſſen wurden zum Nachtheil der Bevöllerungen von dem Ehrgeiz un 
patriotifcher Männer und von ber Leivenfchaftlichkeit kraftvoll angelegter 
aber unerzogener Perfünlichfeiten ansgebeutet, ber Staatsſchatz diente ſtets 
dem Ehrgeiz, ber fich feine Zwede vorfegte, die Nationen wurben von 
obsturen Perfonen vertreten, bie auftauchten und untergingen, fo daß 
die willlürlichſten Ungerechtigkeiten ephemerer Obrigfeiten allmählig eine 
Sklavenkette bildeten, bie brüdender und ſchmachvoller auf ben Völkern 
Süpamerilas Iaftete, als bie fpanifche Kolonialherrſchaft, zerbrochen von 
ben Vätern ber Umabhängigfeit unb Freiheit als fie das Werk ber Eman« 
cipation mit ber Freudigkeit begannen, bie in ber Morgenrötge geichicht- 
licher Eutwidelungen mit ihrem Olodengeläute den fommenben Tag begrüßt, 


von Dr. Otto Boyfh. 507 


Auch mit ber Revolution in Buenos Aires wuchſen alle die Princi⸗ 
pien auf, welche die Geſellſchaft zerftören und die Staaten an den Rand 
des Abgrundes führen. Mit einem Enthuſiasmus fonder Gleichen prokla— 
mirte man die Bolfsfouveränität, man ließ eine unwiſſende, aber zu ger 
horchen gewohnte Menge im Schwindel der Illuſionen glauben, daß das 
Brincip der Autorität und der Gefege in ihr ruhe und daß fie die Träger 
der Amtsgewalt nad) Willfür ein» und abfegen könne. Hieraus entſtanden 
unzählige Uebel. Der Soldat, welcher zur Befreiung feines Vaterlandes 
bie Waffen ergriffen Hatte, wandte ſich gegen die Mitbürger, welche ein 
Hinderniß feiner Herrfchfucht waren. Der Beamte, welcher die Gerechtig⸗ 
keit darftellen follte, hörte auf unparteiiſch zu fein, indem er am ben poli⸗ 
tiſchen Leibenfchaften feiner Mitbürger Antheil nahm. Diefe, welche bie 
Opfer ber Unorbnung waren, trachteten nun bahin, eine unerträgliche 
Tyrannei los zu werben. Das ift ber wahre Grund ber bis anf ben 
heutigen Tag verlängerten Unruhe, bie ihre höchſt intereflanten Epifoben 
und farbenreichen Gemälde gegen einander kämpfender Interefien gewährt, 
aber bie bortigen vielfach fo intereffanten Gejellichaftöfreife niemals ans 
dem Teuer politifcher Aufregungen herausfommen läßt. 

Außerdem that man in ben erften 20 Yahren der Unabhängigfeit 
alles, um bie Religion in den Augen der Bevölferungen herabzufegen, kein 
Gouvernement im fpanifchen Amerika war damals ber latholiſchen Kirche 
fo feinblich gefinnt, wie das argentinifche, keins infultirte fo öffentlich die 
Glaubensmeinungen bes Volle. Der Kreole, welcher baran gewohnt war, 
nach ben Ueberzeugungen feines religiöfen Gewiſſens zu Handeln, hörte, 
daß biefes eine Chimäre fei, und das mit Inbianerblut ſtark vermifchte 
Volk der ländlichen Gegenden vernahm aus dem Munde feiner neuen Ob⸗ 
tigfeiten, baß die Religion eine Babel und ihre Vorſchriften ſchöne Parar 
doxien feien. Die aufrührerifchen Bewegungen, ber Etreit zwiſchen Volt 
und Obrigleit, bie Machtloſigkeit aller Autoritäten, bie Unbeftänbigleit ber 
Gefege, kurz die Anarchie war die traurige Folge davon. 

In feinem fübamerifanifhen Lande nahm ber Bürgerkrieg einen fo 
blutigen und graufamen Charalter an. Zwanzig Jahre lang herrfchten 
Häuptlinge fogen. Caudillo's, deren Schwert das Gefeg war. Das Leben 
der Bürger und das Geſchick der Bevöllerungen hing von Tyrannenlaunen 


508 Grinnerungen vom La Plata 


ab, die fich in ihrem gräulichſten, an Wahnfinn ſtreifenden Raffinement bei 
Roſas in Buenos Aires und Francia in Paraguay zeigten. Während dieſer 
ganzen Zeit bot die Kirche das Schaufpiel eines tobten Leichnams ohne 
Bewegung bar, bie Regierung mifchte ſich in Alles, ordnete die Geremo 
nien des Kultus und ging fo weit, aus bem Schmud der katholiſchen Kir, 
hen bie Farben zu entjernen, welche auf den Bahnen ihrer politifgen 
Gegner als Abzeichen ſich fanden. 

Roth und weiß pflegen bie Bartheifarben zu fein, blancos Weiße und 
colorados Rothe nennen ſich noch heute bie Partheien, bie mit einer ro 
mantifchen Unbeftimmtheit mehr für eingewurzelte Partheitraditionen, we 
niger für irgend ein faßbares politifches Princip kämpfen. Wenn nun bie 
Rothen an die Regierung kamen, fo durfte fein Altar und fein Heiligen: 
bild fi in den Schmud der weißen Seide einhüllen und die Himmels⸗ 
tönigin durfte fein weiß ſchimmerndes Diadem ihren Anbetern zeigen. Zur 
Zeit des Rofas trugen alle Männer rothe Weften und lange rothe Bän- 
ber, weil das feine Partheifarbe war. Je breiter das rothe Band am Hut 
eines geängftigten Argentiners war, befto größer war feine Anhänglichleit 
für den Diktator, Die vornehmen Damen ber Stadt, die ben Tprannen 
vielfach überfahen, bie zu ber von ihm ſchmählich unterbrädten Parthei 
gehörten, deren vorzüglichſte Talente, Stantsmänner nie Generale, er hatte 
töbten laſſen, trugen nicht bie abgefchmadten rothen Bänder und- bie thö⸗ 
richten rothen Kofarben der Schmeichler jenes Tyraunen. Was that Rojas? 
As die Hanptmeffe eines Sonntags vollendet war, zu der alles was ele⸗ 
gant und vornehm ift, Mittags Bineilt, flanden eine Anzahl wilder 
Soldaten vor jeder KirchentHüre und klebten vothe Kokarden mit dem un 
edlen Pech an bie feinen Stirnen der geängftigten Damen ber weißen 
Parthei, und bie zahllofen eleganten Stuger, welche Sonntags vor ber 
Kathedrale ftehen, rührten nicht ihre feinen Parifer Spazierftöde, um ihre 
Damen zu befhügen. 

Es war damals in Buenos Aires eine Zeit, in ber man fih daran 
gewöhnt Hatte eine Kunft auszubilden, die zu ben Bedingungen bes ſocia⸗ 
len Lebens in allen von Diktatoren vegierten Republilen zu gehören pflegt, 
es ift die Kunſt nichts zu fehen. Ueberfüllt find bie Gonfiteria’s in 
Buenos Aires zu allen Zeiten gewefen, etwa fo, wie die Raffeehäufer in 





von Dr. Otto Woyſch. 609 


Bien und in Paris, Die weiten und geräumigen Lofafe entſprechen un⸗ 
fen Konditoreien, doch find fie zugleich die Reſtaurants. Drangen nun 
Mitglieder ber mashorca — einer geheimen Geſellſchaft von Mörbern, die 
Rofas fih Hielt und die aus feinen ergebenften Anhängern gebildet war — 
vermummt in ein ſolches Lokal, ergriffen fie einige Anweſende und führten 
fie hinaus oder flachen fie ſogar im Lofal ſelbſt nieder, fo thaten hunderte 
von Menfchen fo, als jähen fie gar nichts, fpielten mit erfünftelter Gleich⸗ 
giltigleit Domino, Billard und ihre fonftigen Spiele weiter fort; niemanb 
wagte, wenn bie mashorca das Lolal verlaffen Hatte, einige Worte zum 
Nachbar über die ſchreckliche Scene zu fagen ober auch nur mit ben Au⸗ 
gen Zeichen zu geben, denn Spione Rofas befanden ſich überall, Man war 
nicht fiher, daß der nächfte Nachbar, mit dem man unbefangen Domino 
fpielte, ein afiliado der mashorca fei, und Rofas befaß für alles, was in 
ber Stabt gegen ihn gefprochen wurde, ein unglaubliches Gebächtniß, er- 
fuhr alles, ließ eine Zeit lang fein Opfer unangefochten, fchläferte es wohl 
gar mit Ehrenbezengungen ein, bis endlich ber Sichere und Getäufchte von 
feinen Krallen erfaßt wurde. 

Oft geſchah ſolches auf einem Balle, den Roſas im feinem eleganten 
Landhaus Palermo gab, und während im Nebenzimmer ver Dolch zudte, 
fächerten fi im Saale die Damen, und manch europäiſcher Attaché Heis 
dete eine buftige Albernheit in ein Bouquet von Phrafen ein, das lächelnd 
die Damen auffingen, die, beherrfcht vom Blick des Alles überjehenben 
Diktators, nur lächeln und tanzen durften, während bie Opfer bes Rofas 
erfchoffen ober erboldt wurben. Zuweilen präfentirte man bie Ohren bes 
Ervdolchten auf einer verbedten Schüffel befreundeten Damen bes Opfers. 
Selöft die milde Tochter des Rofas, bie viel gefeierte Mannelita mußte ſich 
mit thränenden Augen zum Herumtragen folder Schredlichleiten hergeben, 

Detzt liegt das viel berühmte Landhaus Palermo, in dem Graf Wa- 
lewslti unb anbre franzöfiiche Diplomaten fo mandesmal mit ven Schön- 
heiten des 2a Plata getanzt Haben, ode und verlaffen ba, Die weißen 
Flügel des einftödigen Gebäudes ſchauen ſchwermüthig aus einem großen 
verwilberten Garten herans, in welchem alles wäft burcheinander wächft, 
die herrlichen Bäume des Landes und bie eingeführten europäifchen Zier- 
pflanzen, Iſt man im Eifenbahnwaggon, der nad) San Fernando oder 


510 Erinnerungen vom La Plata 


San Hioro führt, auch noch fo ſchweigſam, an Palermo wirb alles leb⸗ 
haft, jeber erzählt Anekdoten vom Diltator. Mit Abficht läßt die argen- 
tinifche Regierung dieſen fteten Aufenthalt des Rofas verfallen, damit bie 
Bewohner von Buenos Aires fich ftets durch das Gefühl ihrer wiederer⸗ 
langten Freiheit erhoben fühlen, fobald fie an Palermo vorübereilen. 
Verſchwunden ift ber zahme Löwe, mit dem Rofas zu fpielen pflegte, ver- 
ſchwunden find die jungen Pferbe, die fogen. potros, bie er als berühmter 
Gaucho und Pferdebändiger au zähmen verftand, wenn ihre aus ber Pampa 
flommende Wildheit und ihr Ungeftüm ſelbſt den muthigften Gaucho zur 
Verzweiflang brachte, verſchwunden ift der Priefter, der bie Meſſe las, 
dem Roſas als Chorknabe affiftirte, was zu feinen Tyrannenlaunen ge 
hörte, verſchwunden find die reich vecorirten Säle, die manches Ungehente 
gefehen Haben. Roſas nannte feine Gegner „wilde Unitarier” salvajes 
unitarios, und wenn in Palermo ein folder erbolcht war, mußten fogar 
die Begräbnißzettel in diefer Form ausgeftellt werben: es barf ber wilde 
Unitarier Don N. N. begraben werben, und es war häufig ein zierlicher 
und nichts weniger als wilder Mann gewefen. 

Doch ich will nicht durch eine weitergehende Schilderung ber Ver 
Hältniffe unter Roſas Sie ermüden. Genug die 14 Stanten ober Pro- 
vinzen, welche die Konföberation bilden, 75,000 Meilen groß find, alſo 
viermal fo ausgedehnt wie Frankreich find, ertrugen lange feine Dittatur, 
Man tonfpirirte viel gegen ihn, bie berühmteften Generale, wie Quiroga, 
verfuchten in den Provinzen fein Anfehn zu brechen. Auch in ber Haupt 
ſtadt fehlte es nicht an Racheverſuchen von Seiten ber Söhne, deren Bär 
ter durch Roſas meift Hinterliftig aus dem Wege geräumt waren, inbeh 
die mashorca, zu ber Generale, höhere Beamte, Spefulanten, Saladero⸗ 
befiger und andere Kreaturen des Rofas aus ben unterften Geſellſchafts⸗ 
ſchichten gehörten, hielt alles in Schreden. Es würde mich heute zu weit 
führen, wenn ich das allmählige Erblaffen des Glüdfterns bes Rofas 
ſchildern wollte und ven Iubel ber noch lebenden Augenzeugen, als er mit 
feinen Schägen und mit feiner Tochter Manuelita auf ein englifdhes 
Kriegeicgiff flüchten mußte, Ich will nur hervorheben, daß viele reiche Mit 
glieder des mashorca nad) dem Sturz ihres Proteftors in bie Nachbar 
ſtadt Montevideo zogen, wo ih fie in den feinften Geſellſchaftskreiſen noch 


von Dr. Dtto Woyſch. 611 


vorfaud. Ja einige machten große Häufer, und bie Fremden, deren es im⸗ 
mer viele dort giebt, ließen ſich bei ihnen vorſtellen. Die beſchäftigten 
und die unbeſchäftigten Diplomaten, die Offiziere der ſtationirten Kriegs⸗ 
ſchiffe, Auffen, Spanier, Italiener, alle durchreiſenden Naturforfcher, ließen 
fi den Damen eines Haufes vorftellen, deren Familienhaupt ein Mitglied 
ber mashorca gewefen war. Der Mann war urfprünglich Nachtwächter 
oder vielmehr Chef der Nachtwächter, ber fogen. serenos gewefen, war als 
folder mit Rofas befannt geworben, viel von ihm benugt und reich be» 
ſchenlt. Auch er errichtete einen Saladero d. i. eine große Rinderſchläch- 
terei. Roſas verfchenkte die Heerben feiner politifchen Gegner an feine 
Anhänger ober verkaufte fie für ein geringes Geld, dann wurben taufende 
bon Rindern nad ben Saladeros getrieben, bort gejchlachtet und ihre 
Hänte nach Europa gefchidt. 

Ich Habe ſchon zweimal das Wort Saladero gebraucht. Zu ben eis 
genthümlichen Erſcheinungen am La Plata gehören dieſe großen Rinder⸗ 
ſchlachtereien, wie es denn wohl nirgends fo viel Millionen Rinder giebt 
als am Sa Plate. Sie machen ben Reichthum des Landes aus, ihre Häute 
werben in bie ganze Welt auegeführt, und wenn man in Rußland von 
einer Braut fragte: wie viel Seelen hat fie, fo fragt man hier: quantas 
vacas tiene ella, wie viel Kühe hat fie. Erlauben Eie, daß ich fie mit 
einem Salabero ein wenig befannt made. Zur Einrichtung eines Sala⸗ 
dero'8 braucht man große Rapitalien, weßwegen bie meiften Afjozintionen 
angehören; Engländer, Brafilianer, Italiener pflegen ſich mit Geid bei 
einem Saladero zu betheiligen. In früheren Jahren töbtete man in ben 
argentinifhen Staaten bie zahlreichen Rinder nur wegen ber Haut, man 
trieb über die weiten Ebenen bie Rinder zu Hunderten zufammen, töbtete 
fie und nannte eine ſolche Schlacht matanza. Das Fleiſch ließ man auf 
der Ebene liegen für bie Hunde, für die Geier, für die Möwen, bie ich 
fo Hänfig in unermeßlichen Schaaren um bie Pläge habe kreiſen fehen, wo 
viele Saladero's angelegt find. Heutzutage weiß man bei ben lebhaften 
Hanbelsverbindungen mit allen Theilen ver Welt auch bie andern Ber 
ſtandtheile ber Rinder zu benugen, nicht allein bie Haut, fondern and 
das Fleiſch, die Knochen, das Bett, die Haare, und bie Salzsero’s find 


512 Erinnerungen vom La Plata 


bie Anftalten, in benen man alles dies zum Verkauf und zur Ausfuhr in 
fremde Länder zurechtmacht. - 

Wenn man einen Saladero anlegen will, jo muß man auf mandes 
achten, Hauptbebingung für einen Saladero if es, daß er im ber Nähe 
des Meeres oder eines ſchiffbaren Fluſſes liegt, damit bie Fahrzeuge von 
ihm ans bie Produkte nach den großen Schiffen bringen können, welde 
bie Häute, bie Knochen, die Hörner nad Europa und Nordamerila, das 
getrodnete oder gefalzene Fleiſch nach Brafilien oder nach Kuba führen. 
Im Kuba wird das getrodnete Fleiſch, das carne seca von ben Negern 
genoffen, in Braſilien auch von den meiften Weißen, fie genießen es mit 
den fchwarzen Bohnen zufammen, die vortrefflich find und bort wie am 
2a Plata das vorzüglicfte Gemüfe abgeben. 

Es liegen bie Hauptſaladero's am Uruguay, am Parana, am La Plata 
und im Umkreis ver fchönen Bai von Montevideo, jeboch in beträchtlicher 
Entfernung von ber Stabt, denn ein Salabero ift fein mit Rofengebüfchen 
umgebenes Etablifjement. Wenn ber Götheſche Aleris die Göthefche Dora 
aus ber Elegie bort getroffen Hätte, fo hätte er nicht rufen können „und 
die Myrthe bog blühend ſich über uns Hin.” Sie verleihen ber nächſten 
Umgebung etwas triftes und häßliches. Zuweilen breitet ſich der Blutge⸗ 
ruch von ihnen aus über weite Streden und kein Dichter würde fich ihre 
Umgebung zum geweihten Play nächtlicher Hoher Gedanken erwählen, wenn 
zu ben Reihen der Nymphen verfammelt in Heiliger Mondnacht ſich die 
Grazien heimlich herab vom Olympus gefellen. Die Infelten mehren fih 
hier in einer ganz abſcheulichen Weife, namentlich die liegen, das viele 
Blut und das viele Fleiſch, das nutzlos liegen bleibt, nährt zahlloſe 
Schweine. Fliegen, häßliche Schweine und verfrüppelte Ombubäume be 
ſtimmen den landſchaftlichen Charakter eines Saladero's. Hinweg von 
hier, vief mit Entfegen eine belgifche Malerin aus, die wir einft nach ben 
Saladero’s führten! Sie hat fpäter einen Batb „Schneeglödchen" Heraus 
gegeben, damals überſetzte fie einiges von Victor Hugo neben ihren Zeich-⸗ 
numgen, und ber Unterfchied zwiſchen Amerika und Europa leuchtete ihr 
beim Anblick der Saladero's fo ein, daß fie nad; Curopa mit allen Mu 
fen im Herzen heimfehrte. Ihr Bruder ift ein reicher Kaufmann mit Rinder⸗ 


von Dr. Otto Woyſch. 613 


Hänten geworben, einmal fagte er zu meinem Kollegen in Buenos Yires 
„ihre Saladero's liegen bort oben.“ 

Eine andere Bebingung für bie Anlage eines Saladero's ift ein wei 
tes Feld mit vielem trinfharen Wafler. Die fogen. Tropillas, bie Rinder⸗ 
heerden, welche ans dem Junern des Landes oft viele Tagereifen weit 
herangetrieben werben, bamit fie täglich zu vielen Hunderten geſchlachtet 
werben, find bei ihrer Ankunft ſehr müde und müſſen eine Zeit lang trin⸗ 
fm und weiden, bis man fie abſchlachten Tann. Das Fleiſch des ermübes. 
ten Thieres Hat einen geringen Werth, doch dies würbe ben Galaberiften. 
nicht beftimmen, ben Tropillas einige Zeit zu gönnen, um burch der Blu 
men friſchen Than zu weiben, wie der Dichter fagt: „Du wanbelft durch 
der Blumen friichen Thau, pflüdft aus dem Ueberfluß des Waldgebüſches 
dir gelegene Speife, legeft ben leichten Durft am Silberquell,“ wohl aber 
hält es ſehr ſchwer die Haut vom magern und müben Thiere kunſtvoll 
loszulöfen. Man kann fie dann leicht verſchneiden und bie Goldunze ift 
verloren, bie man unter Umftänden mit der Haut verbienen Tann. 

Außer der Lage am Wafler und außer dem Weideland find num auch 
eine Anzahl Gebäube nöthig, bie auf dem frifchen Wiefen und an ven hel⸗ 
len Gewäfjern zu liegen kommen, ein Salzdepot, aber ohne Beamte in 
Uniform und ohne Dienfiftunden, fogen. Baraden für Fleiſch, für bie 
Hänte. Jeder Anflug von Poefie geht ihnen ab. Auch das Gebände, in 
welchem bas Fett gewonnen wird, zeichnet ſich burch bie Unfchönheit feiner 
Formen aus, von dem Unblid bes Innern gar nicht zu reden. Würde bie 
ſchönſte Spanierin Hineintreten, man würde fie kaum mehr fehen, benn, 
fagt der Dichter, ſcheint das Licht anf einen ſchwarzen Grund, fo ficht 
man nichts mehr von dem Lichte. Schoppen für das Zerfchneiven und 
Einfalgen des Fleiſches fehlen auch nicht. Sobann werben fo einfach wie 
möglich Wohnungen für den Patron d. i. der Beſitzer, für feine Auffeher 
und für alle feine Knechte die fogen. Peone eingerichtet. Auch Eomtotre 
befinden fi} in folcher Anftalt (vielleicht fieht man auch hie und ba einen 
verlaffenen gelben Handſchuh, Marke Jouvin). Die Führer der Meinen 
Bahrzenge, meiftens verfchmigt ausfehende aber trenherzig rebende und viel 
geſtikulirende Genovefen, welche die Hänte aufladen, bie Kuechte, welche 
don ber Sonne gebräunt arbeiten, die Gaucho's, welche m en langen 

Altz:, Ronatejqriſt Bd. TIT. dſt. 6 


814 Crinnerungen vom Su Plata 


Vilen unb unter fantem Geſcheei ber ſpaniſchen Schiupfwortr, ben fogm. 
malas palabras, die Rinderheerden herantreiben, bie Baraqueres: ans ven 
Städten, welche Hänte auflaufen, um fie in ihren Baraden file Sabungen 
zu ſaumeln, die fogen. Häntemäffer kommen und gehen ober vielmehr 
zeiten hinein unb reiten ab, Gtets fleht man an einen Saladero Reiter 
in Kißuftem Sing Jeranfprengen, Auf ben Ebenen fieht bas hchſt maleri 
aus. Die weiten Poncho's ver Gaucho's, ihre Mäntel, wehen farbenreich 
tm Winde, und das hohe Gras beugt fi) und wallt unter bem wilden 
Neiter, deſſen Heiner runder Hut, filbere Sporen, weite weiße geftidte 
Beinkleider, rother und blauer Poncho, weiche Pferbebeden, wunderbar 
hoher Sattel, recado genannt, über bie Difteln der Ebene ſchimmern ober 
über bem röthlichen Geſtein erſcheiuen, das hie und ba aus bem Erdbo⸗ 
ben herdorſchimmert, Syenitgrund anzeigend. Stalientfche Bootslente hört 
man mit brafilianifchen Peonen ftreiten, gelbe Mulatten find es, bie leicht 
wüthenb werben. Unbre fpielen mit unfcheinbaren Karten unter einem ho ⸗ 
hen Karren, careta genannt, unter weldhem für eine ganze Geſellſchaft 
Play if, denn bie careta ruht auf zwei Toloffalen Rädern, weiche ven 
Karren mit jenen Probuften durch bie zahlreichen Flüßchen bes Landes 
hindurchführen. Das Gebrälf ber dem Tode entgegengehenben Rinder 
ſchmettert dazwiſchen und lautes Geſchrei vielfadher Befehle tönt aus bem 
bunten: Getreide hevans, wenn eia Galabero arbeitet, denn wie eine 
Dampfmaſchine arbeitet, fo arbeitet auch ein Saladero. 

Es giebt gewiſſe Jahreszeiten, in denen bie Saladeros beſonders ar⸗ 
beiten. Bon dem Arbeiten ber Saladero's hängt vielfach das kaufmanni⸗ 
ſche Gefchäft in Bnenos Aires und Montevibeo ab. Arbeiten die Saladero's 
nicht, fo ſchweigen allmählich alle übrigen Geſchäfte, es fehlt das Gelb 
und es ſchwindet ber Unternehmungsgeift. Die Schiffe können keine Frach ⸗ 
ten finden. Arbeiten bie Saladero's, fo verdienen die zahlreichen italieni⸗ 
fen Bootsführer viel Gelb mit dem Ueberfchiffen der Häute, fo können 
die. Erporthänfer unter den Kaufleuten bie Schiffe befrachten, fo Künnen 
auch bie Geifenfahrilen und bie Sichtfabrilen arbeiten, weil fie wohlfeil 
ihren Rohſtoff einkaufen, fo werben and bie Eſtancieros ihre üben 
flüßigen RNindertropillas 108, unb es läßt fi im Allgemeinen ein großer 
Nnſſchwung in ber Siabt merken. Es wird ſelbſt in den Tiendab mehr 








von Dr. Otto Wi, 515 


gelanft, in denen bie feinften und thenerfien Parifer Modeftoffe jeden 
Abend unter herrlicher Beleuchtung für bie sehoras und sehoritas, rauen 
und Sräuleins, von franzöſiſchen Sünglingen ausgebveitet werben. 

Damit der Salabero arbeiten laun, braucht er brei Coralle. Corall 
nennt man einen. runden Play, ber mit fehr ſtarken Pfählen eingezäuns 
if, die fo nahe an einanderftehen und fo hoch find, daß dns Vieh nicht 
hindurchlann. Nur einen Eingang hat fold ein ganz runder Coral, Der 
größte der drei Coralle wird buch eine Umzäunung von ſehr ſtarken 
Pfaͤhlen aus. Nandubeyholz oder durch Steinmazern eingefaßt. Häufig 
tommt es vor, daß bie Umzäunung aus taufenben übereinander gelegter 
und verflachtener Rinderhörner befteht, was einem’ folden großen Plage 
ein merfwürbiges Anfehen giebt. Ein breiter Eingang empfängt die Heer⸗ 
ben, bie bier zuerft Hineingetrieben werben. Die maleriſch koſtüwirten 
Gaucho's, welche fie ans dem Innern bes Landes berantreiben, find mis 
langen Bilen verfehen, um einzefne Kinder, bie wiberfpenftig werben, amf 
den geraden Weg zurüczubringen und jeden originellen Einfall einer m 
travaganten Kuh zu verhindern, bie häufig links und rechts in bie Ge 
baſche eilen. Namentlich wenn bie Heerben durch einen Fluß getrichen 
werben, fucht eine und bie andere Kuh bie Geitengebüfche zu erreichen, 
aus benen ber Quebrachobaum mit feinen trauerweibenartigen Blättern, 
mit feinem weißen Hol; und feinem glänzenden Grün herauoſchaut, oben 
and) ber Tala mit feinem eichenähnlichen Aeußern, feinem bichten Laub, 
feinen vielfach verſchlungenen Dornenzweigen und feinen rothen Bluthen⸗ 
bäfcheln fammt den zahllofen Schlingpflanzen und Blüthen lockt. Ein 
tomantifher Zug ind Ungewöhnliche Hinein fcheint die Kuh zu loden, 
dorthin, wo bie Walbfafanen über den Buſchen ſchweben und zierliche 
violette Turteltauben aus dem Espinillobufch herausſchauen. Raſch aber ex 
veicht fie die Pilenfpige des Gefeges. Die reitenden und ſchreienden Beone 
treiben fie in die raſch eilenden Fluthen den Laufenden nach, die ſchwim⸗ 
menb das andere Ufer erreichen unb ohne einen Blick auf bie laudſchaft 
lichen Schöngeiten ver Finfufer zu werfen, gleich weiter traben. Sie Mine 
mern ſich auch nicht um das Aroma, fo nennt man bie wie gelbe Gelbe 
ſchimmernde und köſtlich buftende Bläthe des Eapinilio, ber bie Shskmfer 


umvankt, Es if für jeven Argentiner ein herzechebendes Gchaufpiel, jo siehe 
33° 


616 Crimerungen vom La Plata 


Ninber beifammen zu fehen, rothe, ſchwarze unb weiße. Wenn man fie auf 
der weiten Ebene traben fieht, ſcheint ihr Blick intelligenter zu fein, wie 
der unſerer armen Rinder, bie in Gtällen eingefpertt, bie Parias unter 
den Stieren bes Erbrunbes find. Das Bewer ber Wildheit glänzt im Ange 
bes Pampaftieres, und ber Argentiner ruft mit Entzüden ans: que linda 
tropilla, welche liebliche Heerbel Gein Herz bewegt ſich Ahnlich wie das 
Herz der Berliner Geheimrathstochter, bie durch böhmiſche Berglaudſchaf⸗ 
ten fliegend vom Coupe ans plöglich einen befonbern Berg fucht und mit 
GEntzüden ansrufts anf jenen Berg ba find wir vanfgeflettert! 

Anf meinen Reifen mit ven Diligencia's, welche alle argentinifchen 
Provinzen, ſelbſt Imbinergebtet, durcheilen, lam es Hänflg vor, baß ein 
Paſſagier ansrief: miran Ust. una tropilla, fehen fie meine Herrſchaften 
eine Heerde, und ſchnell mußte der Mayoral, wie man ben Führer einer 
Diligencia nennt, ſtillhalten. Mon genoß mit Entzüden das Schauſpiel ber 
mit bumpfem Gebröhn vorbeieilenden Rinder. Ihre Größe, ihr Werth, ber 
Saladero, für den fie beſtimmt waren, alles wurbe mit anmuthiger Reini» 
tät befprochen. Und im Innern der Diligenciae, anf ven tagelangen Reifen, 
lernt man am meiften über Politit, Geſchichte, Verlehrsieben und Zu- 
fände bes Landes. 

Bon dem menſchenhohen Pampasgras, durch das fie viele Tage 
laufen mußten, von ben ſaftigen Dieſteln und von den feinen Flußchen 
träumen nun nichts bie Rinder, die im erſten Corall das Ende ihres Er⸗ 
denlebens abwarten. Auf biefen erften Corall folgt ein zweiter, welcher 
durch eine Thur mit ihm aufammenhängt. Im biefen zweiten Gorali führt 
man nun eine beſtimmte Anzahl Thiere Hineln, fo viele als am aubern 
Morgen geſchlachtet werben follen. Sind fie aus dem erften Eorall mit@er 
ſchrei und Aufmunterungen durch bie Pike in ven zweiten Kineingetrieben, 
fo ſchließt man bie Zwiſchenwand. Endlich ſchließt fi) ein dritter viel 
Heinerer Eorall an, welcher immer nur 20 Stüd Rinder beherbergen Tan. 
Er enbigt in eine Art Engpaß ober Gang, in welchem ein auf Eiſenſchienen 
zollender Wagen als Platte genan Play hat. Diefe bewegliche Platte hat 
gen) Heine Mäder und erhebt fi nicht viel über bie Erde. Um dieſen 
einen Corall zieht ſich eine Hohe Galerie, auf ber man einhergehen kann. 
Sie wird über dem Engpaß zu einer Brüde, Durch eine Flugelthier iſt der 





von Dr. Dito Woyſch. 517 


Gang verfehlofien. Oben auf biefer Brüde flieht der granfame Mann mit 
dem Laſſo, ber mit prüfendem Blick feine Opfer bie unwiſſenden Ochfen 
anſchant. Das eine Ende bes Laſſos, das eine lange Schlinge zum Werfen 
iſt, befindet ſich außerhalb ber Flügelthüren des Coralis, an dem Voch 
zweier Ochſen, die ein Knabe leitet. Den Knoten mig ber eigentlichen 
Schlinge Hält der Mann oben in ber Hand unb wirft bamit nach bem 
erfien beſten ber 20 Todeslinder. Sobald ber Laſſo ben Stier gefaßt hat, 
giebt der Gallerieherrſcher dem Knaben mit ben Ochſenjoch ein Zeichen, 
ber treibt feine Ochſen an, und raſch iſt ber vom Laſſo umſchlungene Ge⸗ 
fangene auf ben eifernen Wagen gezogen. Er währt ſich, er ftößt um fich. 
Wie es feine Natur mit ſich bringt ſtößt er mach vorne, ſtößt mit feinen 
Hörmern gegen bie verfchloffene Thür und bleibt einige Angenblide ruhig. 
Diefe Augenblide benugt der Mann auf ber Gallerie, um von ber Brüde 
aus fich nieberzubengen umb fein langes Mefler, das einem fcharfen 
Schwerte ähnlich iſt, dem Ochſen in den Naden zu ftoßen zwifchen bem 
Hinterlopf nnd bem erfien Rüdenwirbel. Der Ochfe ftürzt Hin wie vom 
Blitz getroffen, raſch äffuen ſich die Flügelthüren bes Unsgangs, zwei 
Männer stehen bie eiſerne Platte heraus, auf welchem der Ochſe abſchei⸗ 
det und raſch ſchließen fidh bie Flugelthuren wieder. Man legt den todten 
Körper des Windes auf hartgetretenen Boden und ſchiebt die eiſerne 
Schleife wieder in ben überbrädten Engpaß hinein, ſchließt bie Thüren 
und ſucht ein neues Schlachtopfer. Mit unglanbliher Schnelligkeit ger 
ſchieht das alles, bie Kuuſt des gefchidten Laſſowerfens iſt bei den korper⸗ 
lich behenden Urgentinern, namentlich ben fog. Gauchos, ungemein aus⸗ 
gebildet, und bie Eleganz ihrer Bewegungen macht ihre Leitungen zu 
einem angenehm berühtenden Schanfpiel, zumal ba es meiftens fchöne 
Geſtalten mit ſchwarzem Haar und gebräuntem Antlig mit dunklen Haren 
Angen und äuferft zierlichen Händen und Füßen find, Und nad ber 
Zierlichteit des Fußes beftimmt ja Burmeifter ben Abel bes Menſchen in 
der Societät! In Buenos Aires fiel es auf, daß Burmeiſter zuerft immer 
ven Buß desjenigen anfah, mit bem er befannt gemacht wurde. nf ben 
Eindrud der Komverfatton gab er weniger und er meinte: Ueberzeugung 
ſoll mir niemand tanben, wer es befler weiß, ber mag es glauben, 

Das heransgezogene Thier läßt man zu Aber, das Blut leitet man 


618 Erinnerungen vom La Plata 


durch einen Kanal nad) einem Teich. Wan verfucht wohl fchon hie und 
ba einen kunſtlichen Guano daraus zu machen. Dann nehmen bie ſog. De 
folabores beu Körper bes Rindes vor, um bie Haut abzuziehen, was mit 
einer fabelhaften Schnelligleit geſchieht. Sofort wird das Fleiſch im vier 
Theile zerlegt, nqch einem Schoppen gebracht und anf Hacken aufgehängt 
Man fchneidet num gefchidt das Fleiſch ab, fo daß nur bie Kuochen zu 
rüdbleiben, umd ſchichtet das Fleiſch mit diden Lagen Salz zu großen 
Haufen auf. Gin Theil des Fettes iſt ſchon abgetrennt und das übrige 
wird baburch gewonnen, baß 25 bis 30 Dehfengerippe im große Holzkufe 
fen gebracht werben, welche durch glühende Waflerdämpfe und Röhren er 
hitzt werben, bie aus einem glühenben Ofen kommen. Wenn man bie 
Stelette aus dieſen großen Kuffen zieht, fo haben fie alles Fett verloren. 
Die Kuochen, welche noch zu Drechslerarbeit dienen lönnen, werben in ver⸗ 
flänbig geleiteten Saladero's, bie auch das Kleine nicht verachten, geſam⸗ 
welt, Die andern wirft man ins Feuer, um bie Keffel und Kuffen zu Hei- 
gen, welche das Fett anstreiben. Die bann noch übrighleibende Knochenaſche 
egpebirt man nach Europa. Biele Laufen Knochenaſche auf. Ich wohnte 
einmal mehrere Wochen, um ungeflört arbeiten zu können, im Dertchen 
Buceo am Meer, berühmt buch bie Brandung ber Wellen. Der Mann 
qus Minorca, bei dem ich wohnte, häufte Berge von Kuochenaſche vor ſei⸗ 
nem Haufe auf, und es ſah gar nicht fo unpvetiich aus, wenn bie Gaviotas 
ber Rippen und Infelchen heranflogen, um auf ber Knochenaſche über ben 
Unterſchied von Meer und Land Betrachtungen anzuftellen, zumal wenn ans 
ber bumpfen grauen Ferne leifewandelnb fi) ver Sturm anlünbigte. Das 
aufgehäufte Fleiſch ift nach einigen Tagen ganz von Salz durchzogen uud 
taun auf dem Tendal getrodnet werben, fo nennt man eine Einrichtung 
mit horizontalen Stangen, Iſt es einmal ganz getrodnet, fo legt man 
es unter freiem Himmel auf einen ausgemauerten Boben und bebedt es 
mit Hänten, bis es verkauft wird, Man töbtet in ben Saladero's bed 
2a Plata tm Ganzen 800,000 bis 900,000 Rinder. So werben alſo 
800,000 bis 900,000 Häute exrportirt, wozu noch 400,000 aus bem ger 
wöhnligen Verbrauch außerhalb der Saladero's kommen, bean man ber 
wahrt nad; Schlachtung eines jeben Kindes forgfältig die koſtbare Haut 
auf. Faſt 11 Million Häute werben vom 2a Plota nach. allen Theilen 


won Dr. Ono Werſch. 610 


der Belt verſchifft, welche einen Meng mon faſt 20 Millionen Thaler 
nach unferm Geld vepraſentiren. Taglich werden durchſchnittlich 400 Kin 
der auf einem Saladero geſchlachtet. 

Woliten wir in Montevibeo eiumal einen Saladero arbeiten fehen, 
wovor wir an Stiergeſfechte gewöhnt richt zu ſehr zurückſchreckten, fo muß⸗ 
ten wir uns ſehr früh aufmachen, wenn noch Sein mächtiger Sonnenſtrahl 
he weißfegimmernben platten Dächer unſerer Wohnungen traf. Gewöhnlich 
fegelten wir auf Heinen Böten über bie herrliche Bucht, bie mit großen 
zud Heinen Segeliiffen, Rriege- und anbern Dampfern überfät war, fo 
Dub wir bie Flaggen vvn Grafilien und Nord⸗Amerila, von Chili und 
Bern, von Dialien und Rußland, von Belgien und Hamburg im wohl 
tätig Zülenden Morgenwind aus ber Nähe betrachten konnten. Dann Ian- 
deten wir am Cerro einem MBerge, der Montevideo gegenüber liegt unb 
die Bulht maleriſch abſchließt, und auf deſſen Abhängen außer einer Heir 
ven Stadt auch die blühendſten Salaberos liegen. Bei Tagesaubruch be⸗ 
ginnen bie Arbeiten in den Salabero's und fie müſſen am 11 Uhr ſpäte- 
Pens um Mittag mit dem Tödten ber Rinder fertig fein. Der Reſt des 
Dages wird ausgefüllt durch das Zerſchneiden und Einſatzen bes Fleiſches 
unb ber Haute. 

Die Zeit des Jahres, in welcher bie Saladeros am eifrigfien arbei⸗ 
ten, if} ber Frühling. Namentlich im November am Ende bes Frühlinge 
Find die Kinder am fetteften and iſt das Abſchlachten am gewinnveichflen. 
Der Salaberift hat feine Agenten, welche auf bem Lande umherreiten und 
gegen baare Bezahlung von den Gftanziasbefigern bie Tropillas Tanfen, 
deren Transport nad) einem Salabero eine mühſame Arbeit if. „Dinter 
ben Ochſen herreiten,“ wie man bort fagt, iſt eine mähfeme aber ſehr ge 
ſuchte Beichäftigung. Auch wohlhabende junge Leute Rberischmen es gegen 
Mord Tropillas nach einem Saladero zu treiben, Man macht kurze Ta⸗ 
gesreifen, ſchlaſt unter freiem Himmel, haͤlt Mittags Sieſta an einem 
Fuß, teifft gute Bekannte und reitet daun verguägt und raſch vom Gala 
bero wieber heim. Die bie ganze Woche hindurch Ochfen angeichrieen haben 
tanzen Sonntags mit feinften Anzug auf einer Tertulia, wie man bie 
dortigen Geſellſchaften nennt, ober fingen zur Zither ihre einfürmig Tin 


520 Erinnerungen vom 2a Plata 


genben Weifen unter einem Ombubaum nor bem Haufe, währenb bie fiets 
in Seide gefleiveten Töchter bes Landes Mate trinfen und träumen. 

Bei dem Treiben ber Tropillas geſchieht es zumeilen, baß ein paui⸗ 
ſcher Schreden die ganze Heerbe ergreift, und trog aller Wachfamkeit ber 
Beone kehrt fie um und trabt in wilder Haft meilenweit zuräd. Alte Rei 
ter jagen nach um bie Tropille zum Stehen zu bringen, Wenn eine flie⸗ 
hende Tropilla an einem Ort voräberjagt, werfen fich alle jungen Leute 
anf bie ſtets gefattelt vor ben Häufern ſtehenden Pferde, um mitzuhelfen 
und mit zu ſchreien. Oft bringt erft ein Fluß bie Heerbe zur Vernuuft 
mid. Sie ſchwimmen langfam und bie Reiter ſchwimmen mit ihren 
Pferden raſch hindurch, ſtellen am jenfeitigen Ufer ſich auf unb jagen 
nun wenn's gelingt bie Heerden zurück. Die Flußufer des Santa Lucia 
find 15 Minuten von dem Städtchen gleichen Namens entferst. Diefe 
kurze Strede Hatte ich einmal in Geſellſchaft eines franzöftichen Naturfor⸗ 
ſchers und eines Schweden eben zurüdgelegt. Wir hielten ganz vergnügt 
Siefte, nachdem wir ben ganzen Morgen an ben feichten Webergängen 
des Flußes Bohrverſuche gemacht und viele Mineralien gefammelt Hatten, 
als ein Geräufh, wie fernrollender Donner uns aufſchredte. Wir eil⸗ 
ten aus unferm malerifchen Raucho und fahen über bie Ebene, bie wir 
fo eben forglos unter Geſprächen durchſchritten hatte, taufenbe von Stier 
ren mit vorgebengtem Kopf und hoch aufſchlagenden Füßen nach dem 
Fluß fi ſtürzen. Hunderte von Reitern jagten in einiger Entfernung nach, 
doch hatten bie Kinder einen höchſt bebeutenden Vorſprung. Der Ger 
danke war nicht fehr angenehm, daß wenn wir etwas fpäter vom Fluß 
heimgelehrt wären, wir unfehlbar von ber fliehenden Heerde erreicht wor- 
den wären. Sie fuchten ihre Querencia, wie man bie Pampagrasfläche 
nennt, auf ber bie Rinder erzogen und geboren find. Dort finbet man eine 
burchgegangene Heerbe fiher wieder und mit Worten wie locos canal- 
las hijos de perros, diablos, Narren, Kanailien, Hunbeföhne, Tenfel und 
anbern ganz unausfprechlichen Ausdrucksweiſen werben bann bie ruhig 
wieberfäuenben Thiere von ben mübgerittenen Peonen begrüßt, wenn fie 
fie enblich nach Tagen wieberfinden. Dann muß man von ber Eftanzia 
fie zum zweitenmal nach dem Salabero führen. 

Das Wort Eſtanzia ift ſchon mehrfach ausgeſprochen worben nnd es 





von Dr. Otto Boyfh. 521 


iſt befonnt, daß bie großen Sanbbefigungen, bie Weideterrains fo benannt 
werben, bie fi um ein Haupthaus oft meilenmweit ausbreiten und von 
Jahr zu Jahr einen größern Werth bekommen, 

Bom Saladero Abfchied nehmend führe ich Sie jegt zur Eftanzia. Das 
Bort Eftanzia und das Wort Freiheit verknüpft fi unwillkürlich in mei⸗ 
zen Erinnerungen. Will man freie weite Welt, ungefeflelte Natur, weite 
Blicke, Haren Himmel, eine Laudſchaft im Weberfluß des hohen Graſee 
fehen, jo muß man fi in Buenos Aires und in Montevideo das Roß 
fatteln laſſen und an eimem lichten Morgen, wenn ver Than an allen 
Blumen weint, hinauseilen auf eine Eftanzie. Sie umfaßt gewöhnlich 
mehrere Onabratmeilen, auf denen außer ben freien Thieren bes Feldes, 
zahlloſen Vögeln, Dammhirſchen und Stranfen, Zwergenlen und Gürtel 
thieren, wilden Raten und Pampaskaninchen, das Heerbeneigenthum bes 
Beſitzers weidet. Der reitet von feinem Haupthauſe aus nach allen Theilen 
feiner Befigung. Das thun auch feine Beamten, wenn das Wort Beamter 
eine richtige Vorftelling von fübamerifanifchen Verhältniſſen geben könute. 
Es Hingt dort fo wie uns das Wort Gancho ober Kazike, und wenn une 
amerilanifche Zuftände wunberlich vorkommen, fo kommen bie enropätfchen 
Berhättniffe den dort aufwachſenden Menfchen auch wunberli vor. Die 
herangewachſenen Knaben meines Kollege im Alter von 14 Jahren waren, 
wie ich zufällig einmal erfuhr, alle der Meinung, baß bie enropälfchen 
Könige mit Krone und Purpurmantel fpazieren gingen. 

Ih bemerke, das es Rindereſtanzias, Schafeeſtanzias, auch Pferdes 
eſtanzias giebt. Ueber dieſe letzteren will ich nicht ſprechen und mich 
nur mit den Rindereſtanzias beſchäftigen. Doch dazu muß ich au ben 
Gang ver Kultur von Often nach Weften erinnern. Auch bas Rind 
iſt von Often kommend hier eingewanbert. Bor ber fpauiihen Erober 
tung hatten bie Indianer, welde bie Gegenden bes La Plata bewohn⸗ 
ten, fein befonderes Hansthier. Nur auf ven Abhängen ber Anden ber 
nutzten die Quichuas und Aymaras das Lama als Hausthier. Die 
ſpaniſchen Eroberer, die ja große Mitter waren, brachten das Pferd mit, 
Das vergaßen fie niemals anf ihren Entdeckungen und Groberungen, 
Heutzutage wärben fie vielleicht Operngläfer und feine Hunde mitbringen. 
Ich bemerkte ſchon, daß der Gang ber Kultur von Often nach Weften führt, 


622 Erianerungen vom La Plata 


uud fo wurden and) im Sabre 1568 die erſten Mühe und ein Gtier von 
Brafilien ans nad) Paraguay eingeführt. Bon dieſen geſchichtlich mechuir 
digen Exemplaren flammen bie Millionen Rinder her, welde jet bes 
Entzüden der Eſtanziero's, Saladeriſtas und aller Kaufleute find, welche 
ein reiches und geachtetes Dafein durch das Rind fich erwerben. Alvar 
Numez Cabeza de Baca veifte damals von ber brafilifchen Iufel Santa 
Catalina ans nach Paraguay, Nachdem er ben Weg entdedt Hatte, folgte 
ihm bald Meljarejo, einer der Koloniften von San Vicente. Ein Teil 
der Koloniften begleitete ihn, barunter bie Geſchwiſter Goes, welde 
letztere bie berühmten Kühe und den noch berühmteren Stier nad) Para 
guay brachten. Der Spanier Jrala herrſchte damals in Paraguay umb 
mit dem größtem Enthuſiasmus nahm er die fühnen Reiſenden auf, mit 
noch größerm bie acht Kühe und den Stier, welches weit gereifte Rinder 
waren. Die Rinder haben aljo ihren Einzug in bie La Plata⸗Länder von 
Braſilien ans gehalten, die Echafe und bie Ziegen bagegen wählten ihren 
Weg von ber Weftkäfte aus und famen von Lima nach Afjumption, ber 
Hanptftabt von Paraguay. Ihre Ankunft war das glüdtiche Reſultat einer 
diplomatiſchen Mifften. Es Hatte nämlich der in Affumption herrſchende 
Irala einen Spanier Namens Nuflo Chaves nad) Lima entfanbt, um den 
dortigen interimiftiichen Vicekönig Lagasca zu bekomplimentiren und ale 
biefer 1560 heimkehrte, brachte er einige Schafe unb Biegen mit, beven 
Nachkommen heut im ganzen Baffin bes 2a Plata hüpfen und tanzen unb 
fid) des Alfalfa freuen, des faftigen Luzernklees (Medioago sativa, eine 
Papilionaceenart). * 

Die eingeführten Stiere, bie une jegt beſonders befhjäftigen, famen aus 
dem Süben Spaniens. Dort zeichnen fie ſich durch ihren ſchönen Wuchs 
aus, den fie ſich auch in ihrer neuen Heimath zu erhalten wußten. Aber 
wenn fie auch vom 32. bis 42, Grab fünlicher Breite dieſelben blieben, 
fo entfaktete fidh doch bie Krone ihrer Schönheit in der Banba Oriental, 
im Staate Urnguay, wie e8 jeber Beobachter biefer zahlloſen Heerben 
finden muß, von denen ber Dichter fagt: Überall findet's was Kräuter und 
thauig Gras, wandelt und fieht ſich um, trippelt, genießet ſtumm, was es 
bedarf. Es ſind dieſe Rinderheerden ein herrlicher Anblid, wenn man bie 
vom ihmen belebte weite weite Hügelfläche Aberſchaut, aud fie Haben eine 





von Dr Otte Boyfe. ses 


eigenthümliche Sehnſucht mit den frembartigen Erſcheinungen ihres Lebens 
gebietes ſich bekannt zu ‚machen, namentlich wenn fie auf verwahrloften 
Eſtanzias Halb verwilbert ein unabhängiges Leben führen, nur den Himmel 
mit feinen Wollenbilvern, nur bie Erbe mit ihren Grasguellen und ihren 
Flächen ſchauen. Ich eriunere mich mit vielem Vergnügen an eine Tages 
reife, bie ich in Begleitung eines Dr. Bleek aus Bonn durch ein meifk 
verlaſſenes Land von ber Eftanzia Nueva Alemania nach der Eſtauzia be 
108 Cerros de San Iuan machte, auf welcher Eftanzia ic; meilenweit her⸗ 
beigefommenen Deutſchen zu prebigen, and fieben Kinder zu taufen, zu 
konfirmiren, bas Abendmahl ansjutheilen und ein neues Hans einzumel- 
ben Hatte. Wir fahen auf biefer Tagesreife, bie wir auf einem zweirädri⸗ 
gen von einem Pferde beipannten Wagen zurüdiegten, feinen Menfchen, 
Ein junger Knecht lenkte den Wagen, ſuchte auch nad Gutdünken einen 
Weg durch das Hohe Gras. Tiefes Schweigen ruhte auf ber Lanbfchaft. 
Die meiften Vögel ſchweigen bort unb bie wenigen Vögel, bie Töne von 
ſich geben können, thun es in einer leiſen zurüdhaltenden Weiſe.  Geifter- 
haft ſitzt hie und da die kleine Zwergeule, die Lechuſa, auf den hohen 
Diſteln und ſieht ſich mit Tagesaugen begabt die Gegend an. Schrie nicht 
der Vogel Tirotero wie ſein Name nach dem Geſchrei Tiro⸗tero heißt, 
man mäßte trotz bes unendlich freien nnd weiten Blickes ein drückendes 
Gefühl aus der gleichfam zum Schweigen gebannten Ratur empfangen. 
Es verurſachte uns viel Mühe und viel Erſchütterung mit unſerm Karren 
durch bie Heinen Flüßchen hindurchzulommen. Sie Haben gewöhnlich einen 
ſumpfigen Untergrund und fehr häufig finfen bie Fuhrwerke tief ein und 
bleiben fteden. 

Das ift mir auf meinen Neifen häufig begegnet, daß bie Diligencias 
des Staats, welche anf ungemein hohen Rädern ruhen und mohl zwanzig 
Verſonen aufnehmen können, mitten in einem angefchwollenen Fluß fteden 
blieben, fo daß die Pferbe loßgelöft werben. mußten, beren 6 bis 8 vor 
jeber Diligencia angefpannt find, was bie ſtets begleitenden Reiter thun, 
woranf denn fämmtliche PBaflagiere zu Pferde nach dem jenfeitigen Ufer 
gelangen. Un tiefen Stellen ſchwimmen bie Pferbe. Endlich wird bie fo 
erleichterte Diligencia, oft erſt nachdem 15 Pferde an leichten Leinen 
und fo daß fie ſchwimmen können, vorgeipannt find, mählam aus bem 


524 Grinnerungen vom La Plata 


inf Heransgezogen. Da and bie Damen in jenen Länder höchſt geäbte 
Neiterinnen find, fo geht eine folhe Scene ohne Umflänbe und ohne 
Vroteſte vorüber. Mau läßt fi am andern Ufer nieber, erzählt ſich in 
heiter ftimmender Luft, wartet im Schatten anmuthiger Gebüfdge ruhig 
ab, bis das gewaltige Auffchreien der Knechte bie Pilen ver Gauchos und 
das vereinigte Ringen ber Thiere das Gebäude ber Diligencia aus bem 
Flußbett herausgezogen und anf bie fanbigen Flußufer hinaufgeriſſen haben. 
Man ift an fo etwas gewöhnt und bie bortigen Leute finb ſehr heiter 
and liebenswürbig anf Reifen. Wir haben uns oft gegen eine Stunde bei 
folder Scene mit wahrem Vergnügen gebulvet, und uns um ben fteifen 
Engländer nicht gefümmert, ber nie ſich um feine Mitretfenden bort ber 
mäht, fonbern abgefonbert mit feinem Augenglas bie ſich heransarbeitende 
Diligencia und die im Schatten bes Gebüfches freundlich ſich erzählenden 


Neifenden ftier auſchant. Mit mancher politifcgen Größe am La Plate 


Habe ich anf folden Reifen und unter ſolchen Umftänben eine herzliche 
Bekanniſchaft geſchloſſen. 

Einmal lagerten wir uns an einem ſolchen Flußufer, während unire 
Beone zurücgeritten waren um nene Pferde und mehr Menſchen zum 
Herausbringen der friedlich im Fluße ftedenden Diligencia zu Helen, in 
der nur ein Torpulenter Italiener Narizano mit Namen figen geblieben 
war. Es war ihm zu mühfem zu Pferde das jemfeitige Ufer zw erreichen. 
Ein Engländer, der aus Spekulation Land laufen wollte, mit unpraktiſchem 
Hohen weißen Hut und bem ganzen lächerlichen Anzug hielt fi finnenb 
von und getrennt auf, als plöglich ein Eftanziero mit feiner ſchönen Toch⸗ 
ter zu Pferde anfam. Sie follte nach der Stadt San Joſe und ber Vater 
empfahl fie unter ven üblichen ſpaniſchen Romplimenten dem Schuß ber 
ganzen Gefellfchaft. Die aber überwies bies Schutzamt mir, unter dem Bor- 
wanb es un padre, es ift ein Priefter, worauf ich fagte pero protestante, 
aber ein proteftantifcher, was bie ganze Gefellichaft zu verfichern beftimmte 
somos todos prostestantes, wir find alle Proteflanten, anfptelenb anf 
die heimliche Oppofitton vieler gegen bie römiſche Priefterherrichait. Sie 
wäßten, fagten fie, daß ich zur iglesia gothica gehöre, zur gothifchen Kirche, 
wie fie die deutſche Kirche in Buenos Aires nennen, bie ihnen zuerſt Ach⸗ 
tung für ben Proteflantismus einflößte, weil Kreuz und Altar in ihr ih 





von Dr. Otto Worſch. 626 


fand, was in andern proteflantifchen Tempeln der Methobiften, Schotten 
and Angfifaner nicht der Ball war, die das Volk für Juden Hält. Wir 
lamen allerdings viele Stunden fpäter in der freundlichen von einem 
Basten gehaltenen Fouda zu San Ife an, hatten aber unter freundlichen 
Gefprächen dem augeſchwollenen Fluß für feine Unart nicht gezärnt. Mir 
brachte ber Schutz eine Rofe efn, bie ich einem jungen Spanter zu feinem 
höcften Entzücken fipenkte, ber ab unb zu fpäter mich wieber erkannte 
and mir aus Freundſchaft alles anbot, was er Hatte. Doch ich will nicht 
in den Fehler des Einfchachtelns zurädfinfen, ven mein Recenfent in ber 
Augsburgifcden Zeitung mic zum Vorwurf macht, und nur bemerken, baß 
das Anfchwellen der Heinen Fluſſe im Brühling und Herbft ven Fluß⸗ 
ijern auf eine Biertelmeile Hin das anmuthigfte Grün ver Gebüfche ichenkt, 
das ſelbſt in ber Heißeften Jahreszeit nicht verblakt und aus dem bunlel- 
Ren Sarbenton zum hellſten durch alle möglichen die Augen erguidenben 
dwiſchenſtufen abfällt. 

Wenn man nun aber mit einem Karren unb mit einem Pferde unb 
wit einem Peon tm Fluße fteden bleibt und meilenweit fein Menſch zu 
Inden ift, fo verliert das fonft fo angenehm abwechſelnde Abenteuer fei- 
ven ungefährlichen Reiz. Uns Half jedoch, um anf meine Reife von einer 
Manzia zur andern mit Dr. Bleek zurüczufommen, vie Geſchidlichkeit 
wjers Meinen Pferdes hindurch. Wir entbedten ein Neft mit zwanzig 
Straußeneiern, das war das einzige Abenteuer, Strauße und Damm- 
irſche beleben nämlich die weiten Grasflächen, fie fliehen links und rechts 
neeinanber, fo bald man ſich ihnen naht. Diefe Sträuße find ehr nütz⸗ 
de Vögel und ihre Eier find ein fehr gewöhnliches Eſſen. Zum Vergußs 
a werben fie vielfach mit dem Laffo gejagt. Namentlich thaten ſolches 
e Soldaten in ben Bürgerkriegen. Sie rotteten biefen nüglichen Vogel 

ganz aus, bis er in den Friedenszeiten wieber von Norven aus ſich 

tete und bis auf 20 Meilen ben Hanptftäbten ſich näherte, 

Der Europäer, welcher von einer Diligencia aus zum erſtenmal einen 
erblidt, iſt gewöhnlich Aber deſſen Natur und Wefenheit ſehr wißß⸗ 
und bie Mitreiſenden belehren ihn über dieſe Gallina, denn fie 

ien dieſen gewaltigen Vogel ein Huhn. Ad ein Strauß, tiefer Aus- 

freubiger Ueberraſchung, war ben Einheimiſchen unerflärlig, ale ob 


526 Erinnerungen vom Sa Plata 


wir im Poßtwagen ausrufen wärben, ein Hund, ein Hund, feht einen 
Hund. Im meiner Schule gab der Strauß zu vielen Verwechſelungen 
Veranlaffung, Häufig ſtand in ven ſpaniſchen Ueberfegungen entro la se 
Norita con el ave struz en el mano, das drdulein trat herein mit dem 
Bogel Strauß in der Hand, ftatt mit dem Bonquet in ber Hand. 

Es ift diefer ſüdamerikaniſche Strauß Meiner und weniger farbe 
reich als fein Verwandter in Afrika. Gr liebt außerordentlich bie Ebenen 
und graft in einer gebulbigen Weife geſellſchaftlich. Merkwürbiger Weile 
iſt der Nandn, der fübamertfanifche Strauß ein Vogel, ber bie üſſo— 
ciationen liebt. Es fuchen fich nämlich Häufig mehrere biefer Sträufe 
einen gemeinfamen Play zum Brüten aus, gewöhnlich eine fanbige Ber 
tiefung unter einem Buſch und nım legen fie 30 bis 40 &ier zufammen. 
Die Männchen figen und brüten, doch thut bie Sonne das Meifte. Im 
Oktober fangen fie an bie Eier zu legen, und wenn bie junge Nachlom⸗ 
menſchaft das Bebürfniß des Efiens fühlt, jo find Infelten und junges 
Gras in Fülle da. Rings um ein Straufenneft findet man ftets einigt 
zerbrochene Eier, bie alten Stränße zerbrechen fie mit Abſicht, um bie Ye} 
fetten Heranzuloden und auch nm bie andern Eier im Neſt vor ba 
ränberifchen Unfällen hungriger Thiere zu fügen. Der Nandu ift eu 
fehr fchener Vogel, Auf Eſtanzias, auf benen ein firenges Verbot Herriät, 
ihm irgendwie etwas zu leide zw thun, wird er ziemlich zahm, und es 
bitefte ihm vielleicht in fpätern Zeiten, bie mehr Bebürfnifte Haben 
darum auch größere Weisheit probuciven werben, bie Rolle eines 
thiers zufallen. Jetzt gönnt ihm noch ber Menfch ber Pampas fein 
mantifches Freiheitsleben. 

Nachdem wir fo viel Stranfeneier als möglich gefammelt hatt 
festen wir unſere Reife durch die ſchweigende Wildniß fort und erreicht 
Grasflähen, von denen wir durch bie Mittheilungen unferes jugenblih 
Bührers erfuhren, daß fie herrenlos feien, weil feit Jahren um ben & 
biefer Ländereien ein Prozeß geführt werde. Nach ben in meinem 
gemachten Mittheilungen können Häufig mehrere Perſonen Befigtitel 
biefelben Quadratmeilen anfweifen. Natürlich Hatte ſich während bi 
Zeit niemand um bie Rinderheerben gekümmert. Sie führten eim fit 
Leben, weideten mit fanften Schritten, fo wie es bie Stunden gebe! 












von Dr. Dite Wovſch 627 


das Gras ab. Wir erreichten hier eine Rinderheerde, bie wohl aus tau⸗ 
fend Stück beftanb, und bie Ankunft unferer Earete erregte bei ihnen eine 
allgemeine Seuſation. Weiter zu Pferde mochten fie ab und zu gefehen 
haben. Wohl führte ab und zu ben Gando fein Weg auch durch bies 
gragreiche Land, Über ein Karren mit einem Pferde bavor, das war für 
diefe Tanfende eine ganz unerhörte Exfcheinung, bie ben Geſetzen des na⸗ 
türlichen Riuberverfiandes burchans nicht entiprechenb war. Miles richtete 
fih anf, auch die Rinder, bie fich bequem ins Gras geftredt Hatten, er- 
hoben fich mit gefpanntem Intereſſe, und unter den Zeichen tieffter Auf⸗ 
regung und Verwundernng folgte uns wohl bie ganze Geſellſchaft eine 
Biertelmeile lang. Eine totale Sonnenfinfterniß Tann feinen größern Ein- 
druck auf Menfchen machen als unfere befcheivene Careta auf biefe Rinder, 
Und es waren nicht wilde Stiere, ſondern nur verwilberte, feine fog. Al⸗ 
zados, die ſich heute nur noch felten finden. 

Zu ihrer Gefchichte fei folgendes gefagt. Es war bas 17. Jahrhun⸗ 
dert für bie Ninder ein fehr wichtiges, denn in biefem Jahrhundert ver- 
breiteten fich die Nachkommen jenes einen Gtieres und jener 8 Kühe über 
bie damals noch von Imbianern bewohnten Pampasebenen. Die Indianer 
beachteten fie wicht, Ternten zwar raſch das Pferd benupen, wurben kühne 
Reiter, ja fingen auch an Pferbefleich zu efiem, behandelten aber das Rind 
mit einer fehr großen Geringſchäzung. So wurben bie Rinder Alzados 
wilde Rinder. Noch vor einem Yahrhundert Hatten die Eftanziasbefiger 
nur einen Heinen Theil ber anf ihren Befigungen lebenden Rinder zahm 
gemadit, was man fo zahm nennt, fo daß fie Amanzados gezähmte Stiere 
wurben, body die Alzados überwogen bebentend. Yet Hat fi das Alles 
geändert, es tft Civiliſation, es ift Fortſchritt da, bie ftändifchen Unterfchiebe 
swifchen Alzados und Amanzados find volftänbig gelöſcht. Um num bie 
Rinder einer meilenweiten Eſtanzia an bie Herrſchaft des Menfchen zu 
gewöhnen ober fie im Unterthanengefühl zu erhalten, macht man zuweilen 
einen Rodeo, ber befteht darin, daß an einem ſchönen Tage, wenn bie 
toten unb weißen Verbenas füß über das Feld Hinbuften und in ben 
zahlreichen dunkelrothen und gelben Kaltusblüthen ber Than perlt, alle 
Rinder der mellenweiten Eſtanzia auf einen Punkt zufommen getrieben 
werben. Welch eine Luft if das für die Knechte, wie fprengen fie maleriſch 


528 Erinnerungen vom 2a Plata 


in fröhlichem Geſchrei hinter den aufgeregten Heerben Hin. Eudlich (ft 
man bie Heerben raften. Diejenigen jungen Thiere, welche noch nicht bie 
Marke des Befigers tragen, werden bamit verjehen, Dan Hält eine Naht 
bie Heerben zufammen, bann treibt man fie wieder anselnanber, And) 
fonft reiten die Aufſeher vielfach durch die Heerben hindurch. Wird dies 
vernadjläßigt, jo werben bie Heerben in wenigen Monaten wild, fliehen 
dann beim ungewohnten Aublick ver Reiter und müſſen mit großer Mühe 
wieber zahm gemacht werben, Nach lang anbauernden Bürgerkriegen 
wurden häufig bie Heerden wild, man mußte nad) gewonnenem Frieden 
die alten Stiere töbten und die Heerden wieder an beftimmte Grasfläden 
gewöhnen. 

Es ift mertwürbig, welche Furcht die Rinder vor einem Reiter ha⸗ 
ben. Ein einſamer Gaucho, ber durch Heerden zahllofer Rinder fprengt, 
läuft eine Gefahr, alles weicht ihm aus, auch wenn er einen rothen 
Poucho umgeworfen Hat. Zu gewöhnlich iſt dieſe Bekleidung, als daß fie 
ben Stier irgendwie irritiren lönnte. 

Eine große Bedeutung haben aber auch für bie Eſtanzia bie Arbeits 
ochfen. Haft der ganze Verkehr, bie Sendung aller Probntte ans dem Iur 
mern, vermittelt ſich durch ſie. Geht man z. B. durch die ansgebehnten 
Vorftäbte von Buenos Aires und Montevideo, fo findet man bie Auferften 
dem Felde zugewandten Pläge ganz mit Ochſenkarren überfät. Sie ruhen auf 
zwei ungemein hohen Rädern, um durch die Flüffe hindurch zu kommen. 
Man fpannt 6 bis 8 Ochfen vor und bebächtig geht das fürchterlich kuar⸗ 
ende Fuhrwerk, eine primitive Erfinbung bes Menfchengeiftes, mit Häu⸗ 
ten, mit Wolle, mit andern Rohprobuften nad der Stadt. Man bricht 
bald nach Mitternacht auf. Unbeſchreiblich köſtlich ift daun bie Luft, fat fo 
toſtlich erfchten fie mir daun immer wie im brafilianifhen Urwald, Bis 
Mittag fährt man langfem, dann ſpannt man bie Ochfen ab und läßt fie 
für den Reſt des Tages weiden. Die Earetero’s, die Führer, legen ſich 
unter bie Karren fchlafen oder fie fpielen zufammen Karten, gewöhnlich 
ſuchen fie ſich eine Stelle am Fluß ans. Oft Hält es dann Mühe gegen 
Morgen die Ochſen zu finden, man muß weit reiten, um bie vergnügt 
Grafenden zu finden. Zuweilen find die Straßen, die nach ben Haupt ⸗ 
ſtadten führen, durch biefe Ochſenkareten fehr belebt, man trifft oft fünfzig 





von Dr. Dtto Wopid. 529 


zuſammen an, bunte Reiter begleiten fie, ihre Geftalten ragen empor aus 
bem Staub ber Laudſtraße. Viele Caretero's find fehr reich geworben, 
Im Städten San VJoſe waren bie vornehmften Familien Familien ches 
maliger Caretero's. Sie Hatten durch bie Frachten fo viel verbient, daß fie 
Häufer und Eſtanzias kaufen konnten und fragte man in Bezug auf die 
ſchöne Enriqueta oder auf bie prächtige Lola: quantas vaccas tiene ella, 
jo war bie Antwort Höchft reſpeltabel. Es ift noch nicht lange her, ba 
verſchmähten bie Earetero’s ben Gebrauch ber Stiefel, die abgezogene Haut 
eines Pferbefußes genügte. 

Der Odfe felbft, der am ber Careta zieht, zeichnet ſich durch eine 
Haffifche Ruhe unb durch eine philoſophiſche Geduld aus. In den Grenzen 
feiner Thierheit weiß er es, daß er nad) ewigen, unabänberlichen Geſetzen 
feines Dafeins Kreife vollenden muß. Wenn bei ben berühmten Stier- 
fämpfen, bie Alban Etolz fo ſchön und fo vernünftig beſchrieben und ber 
urtheilt Hat, ein Hineingeführter Stier nicht Tämpfen wollte, wenn bie 
Bicabores vergeblich alle ihre Nedereien in Anwendung brachten, um das 
verblüffte Thier zu einem Ausbruch ber Wuth zu bringen, unb wenn es 
nur mit einer ftieren Befangenheit linls und rechts langjam bie Hörner 
zeigte oder wohl gar mit ben Spuren einer unverfennbaren Sehnſucht 
wieder aus dem gefährlichen Plag herauszukommen bie Thür beroch, 
durch welche es auf ben Kampfplatz geleitet war, fo riefen tauſend un 
gebulbige Stimmen, bie Blüthe ber jungen Damenwelt, wie bie alten 
Generale aus den Bürgerkriegen, bie Italiener in ſchwarzen Sammetjaden, 
wie die Basken mit ihrer fonderbaren Sonntagstracht, einzelne zerſtreute 
deutſche Commis, wie Engländer in ihrer Nationallleidung, ſo rief Poncho 
wie Plaid a las caretas! 

Eine eigenthümfiche Erſcheinung auf den Eſtanzias Mn es, daß trotz 
der unendlichen Ninderheerven fo wenig Milch und Butter im Lande zu 
ſehen iſt. Die Kühe geben nämlich nur fo lange Milch, als bie Jungen 
fangen, das ift 3 bis 4 Monate, und Niemand Hat Zeit felbft während 
diefer die Kühe zahm zu machen. Nur in ſolchen Eſtanzias, bie von Eu⸗ 
topäern geleitet waren, machte man wohl ein paar Kühe zahm, band 
fie am einen Corall und Hatte fo frifche Milch. Die Einheimifchen bager 
gen machen ſich nichts aus Milh und Butter, 

itpr, Monatsjgeift Br. TIL. Hft.& 34 


630 Erinnerungen vom La Plata 


Nachdem ich nun bereits durch bie vorangehenden Schilverungen Sie mit 
den Eigenthümlichleiten einer Eftanzia befaunt gemacht habe, will ich auch 
einiges über bie Urſprünge bes Eftanziawefens hier mittheilen. Als bie fpani- 
fen Anftebler in die La Plata-Länder kamen, fchenkte die Regierung ihnen 
ausgebehnte Lanbftreden. Was kam es auf ein paar Meilen au, bie meiftens 
noch den Guaranis und andern Indianern abzugewinnen waren! Indeß 
fpäter wurde die Zahl derer, welche um Lanbesbefig baten, größer, und 
deshalb mußte man mit dem Ueberlaffen des Landes fparfamer umgehen. 
Man führte ein gewiſſes Maß ein, die ſogen. Suerte, es find 3/4 Quadrat⸗ 
meilen, die wurbe ben Anfieblern von ber großmüthigen Regierung ge 
ſchenkt. Später kauften nun bie Befiger andere Suertes Hinzu ober theilten 
auch bie ihrige, fo baß es Eſtanzias von den verſchiedenſten Größeverhält- 
niffen giebt. Heutzutage können bie 2a Plata-Megierungen keine Konzef- 
flonen zur Einrichtung von Eſtanzias mehr geben, weil alles Land ber 
Republiken bereits in ben Händen fefter Befiger if. Nur der Staat Buenos 
Ares kann an feiner Sübgrenze in ben Inbianergebieten noch Konzeffionen 
austheifen, und es giebt auch immer kühne Menfchen, welche ſich ber Ge 
fahr ausfegen und in den nur wenig durch Militairpoften und Blochhäuſer 
gefigerten Grenzen gewagten Unternehmungen fi) Hingeben. Der Sb 
den bes Staates Buenos Aires liegt nämlich allen Angriffen ver Im 
bianer ausgefegt offen ba, weshalb bie patagonifchen Indianer Häufig 
Rindereſtanzias wie Schafeftanzias ausplündern, bie Männer töbten und 
die Frauen in die Gefangenschaft abführen. Zuweilen nehmen fie aud 
die Männer mit und zwingen fie, in ihrem Stamm ſich zu verheirathen. 
Ich Habe felbft Männer geſprochen, Deutſche wie Engländer, welche von 
ihnen gefangen genommen wurben, Jahre lang mit ihnen lebten und bann 
durch eine lebensgefährliche Flucht ſich zu retten wußten, obgleich man fie 
mit allen Auszeichnungen behandelte. Abgelanfene Matrofen follen viel 
jach Kazilen unter den patagonifchen Indianern fein. ebenfalls ſprechen 
die meiften Razifen fpanifch. Zuweilen wurben bei Streifzügen der Re 





gierungstruppen, welche inbianifche Lager zerftörten, ſpaniſche Damen aus | 


der Gefangenſchaft ber Imbinner gerettet, bie Tänger als 20 Jahre unter 
ihnen hatten leben müſſen. Man brachte biefe unglücklichen Frauen, beren 
Bamilien meiftens ausgeftorben waren und bie nad ihren Erfahrungen 


von Dr. Otto Boyle. 631 


für das gefellichaftliche Leben tobt waren, in ben Konventen ber Stadt 
Buenos Aires unter. Achtzig Meilen Hinter Buenos Ares beginnt ſchon 
das unfichere Land, und je ſchlechter die Regierung von Buenos Ares ift, 
deſto häufiger finden die Inbianereinfälle ftatt. Ja Generale oder Präfiden- 
ten der anbern argentinifchen unter ſich Tonföberirten Staaten, wie z. B. 
von Entre-Rios, fegen ſich mit biefen Indianern in Verbindung, wenn fie 
dem Gouvernement von Buenos Aires Schwierigkeiten bereiten wollen. 
Die Indianer achten nicht auf bie Forts Mercedes, 25 de Mayo, Azul, 
Zandil, Bahia Blanca und auf das noch füblichere Earmen, unter deſſen 
Schutz fih auch Mifftonäre der briftoler Geſellſchaft aufhalten. Sie war 
ten fehr erfreut, als fie auf ihrer Reiſe borthin in meinem Haufe zu 
Montevideo eine Abbildung Carmen's, ihres zutünftigen Beftimmungsortes, 

ſehen Eonnten. Fällt ein Schuß aus den Forts, fo ift dies ein Zeichen, 
daß alle Anfiebler der Heinen Häufer rings umher, alle Eofoniften, auch 
alle Fremden z. B. Kaufleute auf das Fort eilen müſſen, um es gegen et- 
waige Angriffe herannahender Indianer vertheibigen zu helfen, 

Mag nun die Eftanzia anf fiherem ober auf unficherem Lande fi) 
befinden, man braucht weite Ausdehnung, gutes Gras und reichliches 
Waſſer. Auf die Gebäude kommt es weniger an, man wohnt in Erbhütten, 
Rancho's, bis Zeit ift ein Hans zu banen. Der Eftanziero fagt auf fei- 
ner Eftanzia mit bem Dichter: nur wenig iſt's, wae ich verlange,. weil 
eben alles mir gefällt, und biefes wenige, wie lange giebt mir's gefällig 
fhon die Welt, Fühlt er aber das Bedürfniß ein Haus fi zu bauen, 
ſo fucht er dazu eine Erhöhung aus, von ber er feine Ländereien über» 
fehen kann, am liebften in der Mitte ber Eſtanzia. Iſt bie Eftanzia mehrere 
Quadratmeilen groß, fo ift diefes trog der meift baumlofen Gegend doch 
nur in befchränktem Maße möglich. Die Republik Uruguay und von den ans 
dern Fonföberirten argentinifchen Staaten Entre-Rios und Eorientes zeichnen 
fich durch wellenförmige Hügel aus, dies iſt bei Anlegung von Eſtanzias 
em großer Vorzug. Man liebt auch nicht die Nachbarſchaft von Waldern 
anb Gebüſchen, benn in ber heißeften Jahreszeit begiebt fi das Vieh in 
die Gebe am Kühlung zu finden, nimmt bamit aber and) einen Haug 
zum Wildheit an. Es muß alfo das Holz, welches man zum Etablifſement 
braucht, fo weit entfernt fein, baß man das Vieh bequem davon abhalten Tamm. 

34 


533 Crinmerungen vom La Plata 


Alle Argentiner lieben bie Ebenen, ben campo limpio, auf welchem 
der Blick weite Strecken umfpannt und da auf ben mellenförmigen Hügeln, 
die oft ganz röthlich von ben Verbenablumen ſchimmern, unendliches Gras 
wachſt. Die Wolken werfen Schatten auf biefe Hügel und immer wechſelt 
bie Beleuchtung. Der Sonnenſtrahl fenkt fich nieber auf das wogenbe Gras 
und flieht e8 wieder und wenn man fo durch die Ebene reitet ober fährt, 
tann man ſich ähnlich beſchäftigen wie auf dem Ocean mit bem Unfchauen 
der Wellen, es ift immer etwas Nenes zu fehen. 

In den alten Zeiten war — und vielfach ift das auch jet noch der 
Fall — das Hans der Eftanzia eine Erbhütte. Auf ungebieltem hartge⸗ 
trerenem Boden ftanden bie nothdürftigſten Möbel oder gar feine. Auf 
einer Rinderhant ſchlief der Eftanziero, auf einem Ochfenkopf faß er. Er 
tan feinen Mate aus der Bombilla, ober er rauchte feine Papier-Eigar- 
vette, oder er aß feinen Aſado, ein auf dem Spieß in freier Luft gebrate 
nes Stüd Ochſenfleiſch. Mit einem langen Meffer ſchnitt er ſich die Stüde 
herunter, Brod und Gemüfe gab es nicht. Die Fremden haben andere | 
Eitten mitgebracht, ohne bie Eigenthämlichleiten ber urfprünglich argenti 
niſchen Sitten zu verwiſchen. Es wird z. B. ber Afabo, ſowohl ber vom | 
Rind wie ber vom Schaf, namentlich der Afabo auf ber Hant gebraten, 
ber asado con cuero, niemals von ben Eſtanzias verbrängt werben. E6 | 
macht viel Verguügen ihn im Freien zu bereiten, wo ber meite Geſichts⸗ 
frei und bie herrliche Luft, bie Sorgenfreiheit des bortigen Lebens und | 
das bei allen Hervortretenbe ruhige Gemäth ein fo friſches und ſtarkes | 
Lebensgefühl erweden. Das Klima jener Gegenden bewirkt biefe Ge 
mũthsruhe, diefe Heiterkeit, bie felbft dem vom Unglück betroffenen raſch 
ein Vergeſſen ſcheult. 

Um das Hauptgebäude ber Eſtanzia, welches vom Beſitzer, el patron 
genannt, bewohnt wirb, Tiegen nun bie Rancho's, in benen bie Peone 
wohnen, Diefe Arbeiter auf ber Eftanzia haben es wahrlich leicht. Was | 
Arbeit im Schweiße des Ungefichts iſt, kennt man überhaupt bort gar 
wicht. Auch geringe Arbeit wird thener bezahlt und bie Arbeiter arbeiten 
mit bem Gefühl, baffelbe wie ihre Herren zu fein. Tanſend Höflichfeiten 
umranfen das DVerhältniß von Arbeitgeber und Arbeiter. Den ganzen 
Tag anf jungen unb alten Pferden reiten, bie Pferbe dabei ausprobiren, 


vom Dr. Otto Woyſch. 533 


Ochſen einfangen, höchſtens Baumſtämme zu einem Corall in bie Erbe 
eintammen, auf bie Jagd gehen, Schafe vergiften, um durch das vergiftete 
Self den Puma, den dortigen Löwen anzuloden und zu töbten, bie 
Blerde in ven Corall einjagen und ausjagen, bas tft gewiß Teine ſchwere 
Arbeit. Gute Nahrung ift dabei und ihren Arbeitslohn können fie nicht 
ausgeben. Höchſtens reiten fie an Gonn- und Feiertagen, beren es bort 
eine gute Anzahl giebt, in die nächſte Meine Stadt, ſei es auch 7 Meilen, 
wo die pulperias und fondas, wie man bie Gafthäufer nennt, ihnen ges 
ſahrlich werben. 

Die Ausländer pflegen um die Eftanzia auch einen Gemüſegarten 
anzulegen. Viele größere einheimiſche Beſitzer machen es ihnen nad. Ich 
habe anf Eſtanzias Gemüfegärten angetroffen, über welche jede deutſche 
Hausfrau in Entzüden gerathen wäre, unb ich erinnere mich namentlich 
eines Gemüfegartens, aus dem wir eines Abends ganze Körbe ber herr⸗ 
lichſten Erbbeeren fammelten, während zahlreiche Strauße zahm nm uns 
herum weideten. Ruhig verzehrten fie bie Infelten. Eine fehr große Pracht 
entfalteten die Melonen, bie mit weißem, grauem und gelbem Fleiſch zur 
borzüglichen Süßigkeit und Milde fih Hier geftalten. Der Mais, deſſen 
halbreife Kolben man zum fog. Puchero ift, ein Nationalgericht, das aus 
dleiſch und vielen Gemüfenrten befteht, zeigte fih auf vielen Beeten im 
einer ungewöhnlichen Höhe. Man nennt biefe zarten Kolben Choclo. In 
wagerechter Haltung ftanben bie Bohnenbeete ba, und auch die allerliebften 
Taſchenkürbiſſe ſchauten nedend ans ihrem Grün hervor. Die große ein 
heimifche Bohnenart hat fi mit den zahlreichen aus Europa eingeführ- 
ten vermengt, fie heißt Dolichus, und fo giebt es zahlreiche Bohnenarten, 
eine fchöner als die andere, Der Taſchenkürbis Heißt Zapallo und wirb 
namentlich in der Banda Oriental mit vieler Zärtlichfeit behandelt. Wem 
der Zapallo ſchmect, der bleibt im Lande. Man kann nirgends fo glüd- 
lid, fein, wie in feinem Land, meint ber Ortentale, ber Einwohner in 
Uruguay. Soy oriental ruft er mit einem ſtolzen und glüdfichen Selöfl- 
gefühl aus. Ißt nun ber Fremde Zapallos, fo ift das ein ſicheres Zei⸗ 
den, daß er fich verheirathen und im Lande bleiben wird. Gewöhnlich 
lieben auch bie Fremden ſchnell das Land und was im Sande ifl. Die 
Zapallo's werben das ganze Jahr hindurch in freier Luft aufbewahrt, 


534 Erinnerungen vom La Plata 


Man ftelit fie auf die Terraſſen ber Häufer. Sehr häufig ſieht man in Mei- 
nen Städten und auf dem Lande einen Vorrath diefer populären Früchte 
auf ven Terrafien aufgeftell. Die Ananas, welde bie Jefuiten bereits 
in ihren Miffionen anpflanzten, waren auch in biefem vom Vogel Strauß 
umweibeten Garten zu finden. 

In allen argentinifchen Ländern liebt man ungemein bie Salate. Zu 
jedem Afabo gehört ein Salado. Unfere Arbeiter würden fi wundern, 
wenn bie gewohnte Geftalt der Kartoffel aus ihrem Lebenskreife plöglic 
verfhwände. Der Gaucho, der Peon ber argentinifchen Pampas würde fih 
fehr wundern, wenn bie Küche einer Heinen Landfonda, die verloren gleid- 
fam im &rasmeer liegt, ihm einen Afado ohne Salado präfentiren würde. 
Zu den feinen Salaten aber gehört bie Kreſſe, bie wie alle Kruciferen 
auch wild am La Plata wächſt, hier aber im Garten ber Eftanzia mit 
kunſtvollem Verſtande erzogen wurde. Mit einer ftiefmütterlichen Herzlofig 
teit behandelt man dagegen in biefen Ländern bie Kartoffeln. Sie find viel 
fach von Europa ans nach Hier zurüdeingeführt morben, doch weil alle 
Alaſſen der Bevölkerung in ben Städten fich viele andere ſchöne Gemilfe 
arten kaufen können, fo find fie nicht verbreiteter, ald Erben, Bohnen und 
füße Wurzeln. Im denjenigen argentinifchen Provinzen, welche am Fuß 
der Gorbilleras liegen, follen noch einheimifche Kartoffeln vorkommen. Sie 
find dort von einer ſehr Heinen Form aber ausgezeichnet im Geſchmad. 
Wie oft ſchüttelten bie eben angefommenen Einwanderer aus Medlenburg, 
aus Holftein, aus Pommern ven Kopf wenn fie über ben Frucht- und 
Gemäfemarkt ber Hauptftabt fchritten, Unter dem anfgehäuften Orangen, 
Eitronen, Quitten, Ananas und Melonen, unter reifen Zeigen und Trau- 
ben, herrlichen Artifchofen und röthlich ſchimmernden Liebesäpfeln ſuch⸗ 
ten fie ängſtlich bie Kartoffel, Auch Tonnte ihnen nie ber Strauß ben 
Storch erfegen. 

Es mag noch bemerkt werben, daß bie von Europa eingeführte Lar⸗ 
toffel groß und waflerhaltig wird, alſo ift fie nicht zu wohlſchmedend. 
Wenn aber Henfchredenfhwärme ganze Provinzen des Grüns beranbten, 
if fie häufig das einzige Gemüfe geblieben, das ben Berheerungen ent 
gangen war, 

Doch id} entferne mich vom bem Gemüfegarten, der aus ben Gras⸗ 





von Dr. Dito Woyſch. 538 


flächen der Pampa's anmuthig vor meiner Erinnerung auftaucht, und wo 
ich ermübet an einem Abend angelommen war, nachdem ich Tages vorher 
in einer Heinen katholiſchen Kirche flundenlang der Beierlichkeit einer apofto« 
liſchen Vifitatton Hatte beiwohnen müffen. Wir unterhielten uns beim Erb» 
beerfammeln über Chili, in deſſen Urwald bie Familie gelebt hatte. Haus 
and Möbel Hatte man bort fi felbft gezimmert, fpäter auch viel Gelb 
verbient, 

Wenn id) durch die Beete eines ſolchen Gemüfegartens Ste weiter 
führe, fo muß ich auch bes fpanifchen Pfeffers gevenfen, ohne ven Süb- 
länder nicht leben können, ber in großen uantitäten jeder Suppe bie 
Moländifche Färbung giebt. Man nennt ihn Agi und er iſt heimiſch auf 
den Antillen wie in Brafilien, in Bolivia wie in Uruguay; ich müßte 
auch an bie Tomates denken, beren röthliche Früchte, Liebesäpfel in Europa 
genannt, fo ſchöne Salate geben und die auch fonft fo vielfach in den ar 
gentifchen Küchen zur Verwendung kommen. Bor wenigen Wochen Hatte 
ih Gelegenheit diefe ſchöne Frucht auf dem Kohlmarkt in Wien zu fehen 
und fie erinnerte mich an bie Länder am 2a Plate, in denen Solamen 
Lycoperſicum fo allgemein beliebt iſt. Eine befondere Pflege nehmen in 
den Gemäfegärten auch bie füßen Patatas in Anfpruch, man nennt fie 
mit Unrecht füße Kartoffeln, denn biefe fügen Knollen find aus dem Haufe 
Convolvulus, Haben ihre Seitenzweige bis nad Spanien verpflanzt und 
finden fi auf den Gemüfemärkten ver 2a Plata-Hauptftäbte ebenfo zahl» 
reich vor wie bie eigentlichen Kartoffeln. Habe ich bereits von ben Mer 
Ionen gefprochen, fo kann ich auch nicht an ben Stärkungsmitteln in ver 
Hige für alle ärmeren Lente am La Plate, an dem Erfrifchungsmittel für 
Beone und Gaudyos, für Mulatten und italieniſche Bootsleute vergeßſam 
vorübergehen, es ift bie von Deutſchen Wafjermelone genannte Sanbia. Die 
Arbeiter und bie Kinder eſſen ihr füßes friſches Fleiſch zu jeder Tages 
ſtunde und nur biejenigen verfhmähen fie, Die höhere Genüſſe namentlich 
das in unglaublichen Onantitäten verbrauchte Eis kennen. Von Januar bis 
April wachſen immer nene Sandias, welche man ben Kindern wie bei und 
die Aepfel giebt. Die Landleute beſonders können ohne Sanbias nicht leben. 

Anf jeder Eftanzta iſt bie Anweſenheit von Fruchtbäumen ſelbſtoer⸗ 
flͤndlich, namentlich find bie Pfirſiche überall zu finden. Selbſt ver Gaucho, 


636 Grinnerungen vom 2a Plata 


ber ſich mit ſolchen mnritterlichen Dingen wie Baumpflanzen nicht abgiebt, 
pflanzt den Pfirfich, weil er fo unendlich wenig Mühe macht. Sie werden 
nicht ſehr hoch und bilden raſch Meine Wäldchen, bie viel Freude bereiten 
und faft immer einen Ueberfluß angenehmer Früchte fchenten. Neben den 
Gemüfepflanzen und ben Pfirfichhäumen feflelt der ungemeine Neichthum 
an Vögeln ven Blick bes europäifchen Kulturmenſchen, wenn er auf dieſen 
ins Große angelegten und meilenweit ſich erſtreckenden Eſtanzias weilt, 
wo unfer zufammengepreßtes emropätfches Sklavenleben fo Hein vor ber 
ungefefielten Wiloniß ihm erfcheint. Im der Nähe der Eftanzia auf allen 
Corallen und bis dicht an die Wohnungen heran bewegen fih Schwärme 
von Vögeln und beleben die Landſchaft. Es wäre unmöglich, vom Heinen 
grünen Kolibri bis zum großen Nandu alle auch nur anzuführen. Die 
Heinen Tauben, wild in ber Natur, zierlich von Geftalt, mit Hellgrauer 
ober violetter Farbe finden ſich zu Hunderten ein, und fo viele auch ge- 
ſchoſſen werben, es ift nie eine Abnahme zu bemerken. Sie zeigen ihr 
freundliches Köpfchen überall, und es ift fehr hart von ben jungen Damen 
ber Meinen argentinifchen Städte, baß wenn fie auf bie Jagd gehen ober 
reiten, fie gewöhnlich nad biefen zutraulichen und leicht zu erlegenber 
Heinen Täubchen zielen. Mande Dolores und Anita, Joſefa und Filo⸗ 
mela gab fi) biefem granfamen Sagbvergnägen hin, Als Kinder fingen 
fie in Schlingen die harmlofen Nebhühner. Cine eigenthümliche Art von 
Vögeln, die in Schaaren ſich um bie Eſtanzias fammeln, find bie Car 
rancho's, eine Geierart. Eie leben von Aas und von jungen Thieren. Es 
iR ein fehr verhaßter und fehr kluger Vogel, ber ebenfo wie feine euro⸗ 
päifchen Vettern die Hühner von ben Höfen raubt, aufpaßt, wenn ein 
Schaf ein Lämmchen verliert und dann mit zwei ober brei Genoffen zu⸗ 
fommen bas Thierchen raubt. Hat er einmal einen Kameraden fallen 
jehen, fo kommt er den ganzen Tag über nicht mehr zum Vorſchein. 
Wenn eine Kuh geſchlachtet wird, fo flürzen fie von allen Seiten heran, 
man überläßt ihnen bie Theile, die nicht zu brauchen find. Sie find fo 
zahlreich wie in unfern Gegenden bie Krähen und fie gehören gleichſam 
zur Eſtanzia. Uber ee fallen auch Tieblichere Vogelgeftalten dem ſpähenden 
Auge im Umkreis einer Eftanzta auf, nad) deren Namen und Eigenthüm⸗ 
ligteiten man fi} gern. erfunbigt, Da giebt es einen fehr Heinen und 





von Dr. Otto Wobſch. 637 


höhft eleganten Vogel mit weißem Bauch, grauem Rüden und ſchwarzem 
Kopf und fehr langen Schwanzfebern, die maleriſch ſich ausbreiten. Er 
heißt die Wittwe, La Viuda, das Volt nennt ihm aber auch Häufig bie 
Heine Nonne Monjita wegen feiner ehrbaren Federn und Herifalen Farbe. 
Diefes Kleine Geſchöpſchen haft wüthend den eben genannten Carrancho, 
der dreimal größer und ſtärker iſt. Es verfolgt ihn, fliegt um feinen 
Kopf, pidt ihm am Halfe und zwingt ihn zu fliehen. Ex flieht vor ber klei⸗ 
nen Nonne wie vor einer Bremfe. 

Andere Bögel find reicher an Farbe. Da wir ſchon beim Merus unter 
ben Vögeln find und uns in Geſellſchaft der Heinen grauen Nonne befin- 
den, fo können wir unmöglich bie Kardinäle vergefien. Es giebt deren 
‚wei Arten, bie eine ift ftahlgran mit vothem ftark befiebertem Kopf, bie 
andere gelblich grün mit einem fchönen grünen Kopf. In Montevideo 
und Buenos Aires find biefe ſchönen Vögel zahlreich auf ven Markt zum 
Verkauf ausgeftellt, Die Kinder halten ſich Karbinäle in Käfigen, fie fingen 
etwas, werben aber wenig zahm und haben auch im Käfig ein abfiogen- 
des, unhumanes Weſen. Ihr Barbenglanz ſchimmert angenehm im hohen 
Gras. Häufig jet ſich ein bunter geringelter ober rother Vogel auf eine 
poefielofe Kuh und während fie das Gras abmäht, ruht er fih mit Würbe 
aus, Ein ziemlich großer ſchwarzer Vogel mit gelbem Schnabel, deſſen 
tief dunkles Schwarz ins bläuliche abjchweifte, flog in Schaaren von zwan⸗ 
sig und mehr um die Stiere und feßte ſich auch auf fie. Dan konnte fie 
überall finden und man fagte mir, baß es Staare feien. Es giebt auf 
jeber Eſtanzia einzelftehende Ombubäume. An ihnen fieht man oft eigen 
thümliche Nefter ähnlich unfern Schwalbenneftern, nur daß fie größer find. 
Diefe fehr feften Nefter Haben bie Eigenthümlichkeit, daß fie aus zwei 
Zimmern beftehen, fo daß ber Vogel, ber im zweiten Zimmer wohnt durch 
eine Zwifchenwand, bie Hart wie Stein wird, vor jedem Ungriff eines 
großen Vogels ficher ift. Diefer Vogel ift ein fehr heiter Herr und lacht 
viel. Die Töne, die er von ſich giebt, gleichen fröhlichem Gelächter und 
feine Größe ift die einer Amſel. Diefer rothgelbe Vogel Heißt Tornero, 
Töpfer. Er ift ein Hausfreund der Eftanzias, er liebt die Nähe bes Men- 
ſchen, er figt vergnügt auf den Terraſſen ber Häufer, und ba er nur In⸗ 
fetten und Heine Würmer genießt, fo iſt er eim gern gefehener Gaft auf 


538 Erinnerungen vom La Plata 


jeber Eſtanzia. Er wird fehr bewundert von den Kindern wegen feiner Nefter 
und des geſchickten Arrangements feiner Häuslichkeit. Seinem fröhlichen 
Gelächter und feinen familtären Sitten entgegengefegt ift das ſcheue Weſen 
eines anbern Vogels, der mid das erfte mal, als ich an einem bufti- 
gen Morgen feine Bekanntſchaft machte, fehr überrafchte. Ich trat ans 
dem Hanfe einer Eftanzia heraus, um nad; dem nächften Heinen Fluß zu 
eilen, in deſſen fühlen Wellen man erfriſchende Bäder nahm, als ans er 
nem Gebüſch der Ruf Bienteveo, „ich fehe dich wohl“ ertönte, Bienteneo 
Bienteveo tönte es fort und fort. Diefer Vogel heit bald Bienteveo, 
bald Teftige, Zeuge. Profefior Burmeifter fagte, daß es ein Citronens 
vogel fei. Seinen anregenden Unterhaltungen verbankten wir alle am La 
Plata fo viele Belehrungen! Es Hatte etwas beruhigendes und freund: 
liches auch am einfamen Flußchen und auf ber menfchenleeren Grasfläde 
im Thau des freundlichen Morgens, ans Vogelmund ein freundliches 
Willkommen zu vernehmen, Bienteveo Bienteneo flang wie die Stimme 
treuer Freunde in jenem Lande des Wohlwollens und der Gaftlichkeit. 
Aber man fah in dieſen mit Blüthen und Dornen überfäten Efpinillos 
Gebüfchen ben freundlichen Vogel nicht. Dagegen ſchwebten bie zahlreichen 
Kolibris durch die Blüten. Wie bie Königin Maria die Wollen nannte, 
fo kann man auch biefe Heinen gracidfen Vögel nennen: Segler ber 
Lüfte. Im anmuthiger Welfe nennen die Spanier fie Picaflor, Derührer 
der Blumen, Mit einer höchſt eleganten Bewegung fangen fie nämlich ben 
Zuder aus ben Blumen ober umſchweben fie. Sie bewegen fo ſchnell 
ihr Gefieder, daß man nichts ſehen kann und erfcheinen fo wie ſchwebend 
durch die Lüfte. Die Nefter find ſcherzhaft Hein, wit weichen Federn be 
likat ansgeftopft und enthalten vier Eier, fo groß wie große Maislörner. 
Diefe von Blumenfaft genährten Vögel ftellen ſich überall ein wid maden 
gegenüber den aaseſſenden Carranchos und andern Bögeln von groben Sit- 
ten einen verföhnenden Eindrud. Die Kolobrivame braucht übrigens nur 
zwölf Tage um bie Eier auszubräten. Ihr Neft wie ein Schmudfäftchen 
führt mich auf das Neft eines anderen fehr geſcheuten argentiniſchen Bo- 
gels. Derfelbe macht nämlich daſſelbe aus harten Pflanzen in ber Form 
einer Börfe mit breitgehädelten Maſchen, hängt es an bie blnnften 
Zweige ber Trauerweiden und anberer Bäume, bie ihre Arme über bie 


von Dr. Dito Woyſch. 539 


Slüße breiten, und ba ber Eingang zum Neft von oben her ift, fo kön⸗ 
nen ihm bie Raubvögel nur mit Mühe ober garnicht die tief unten in 
ber Börje liegenden Eier rauben. Da die Trauerweiden jehr Hoch wer⸗ 
den und bie über bie Flußwellen Hin» und herſchwankenden Zweige 
fehr dünn find, fo Hält es ſchwer, fi eim ſolches Neft zu verfchaffen. 
Im Allgemeinen find bie Vögel am La Plata fehr geſcheut wie dieſer 
börfenflechtende Sperling ober Kreuzſchnabel. Er iſt noch nicht enbgül- 
tig klaſſificirt und Hat ſich mod; wenig Anerkennung in ber willenfchaft- 
lichen Welt verſchafft. Ebenfo unbelannt dürfte ein anderer Vogel fein, 
der jih an ben Meinen Flüßchen aufhält, die die Umgebungen ber Eftanzias 
anmuthig machen, Man nennt ihn Martin den Fifcher. Er beſchäftigt fi 
damit, anf ben Baumfpigen an ben Flüßen zu figen und unverwandt bie 
geſchwätzigen Flußwellen anzufchanen. Sobald ein Meines Fiſchlein an bie 
Oberfläche kommt, ſtürzt er mit Eile herab. Wohl 12 bis 15 mal hinter» 
einander fieht man ihn pfeilgefhwinde ins Wafler fchießen, um zu fiſchen. 
Wenn ich mit meinen Schulfnaben zuweilen in bem zwölf Meilen hinter 
Montevideo gelegenen Fluß Santa Lucia, Curbinas und Bagre's fiichte, 
fiſchten zum Ergötzen meiner freundlichen Kinder immer einige Martine 
mit. Während wir bie Curbina Negra, eine Art Salm, und den Bugre, 
eine Art Wels, einen Fiſch der dem netten Namen Lifa führt und andere 
Fiſche in den ungemein fiſchreichen Flüſſen fingen, thaten bie Martine ben 
Heinen Fiſchen ein gleiches an. Es Tann der Anfenthalt auf einer 
Eftanzia zur befondern Vorliebe für bie reiche Vogelwelt führen, bie bis 
in die blüthenreichen Gebüfche an den Flüßchen hinein die menfchenleere 
Grasgegend mit Leben und Bewegung erfüllen. Dagegen werden wieber 
andre Vögel, die man in Europa ſchätzt, Hier entſchieden unangenehm, 
Dazu gehört namentlich ber Cotorra, ber bortige grüne Papagei, der durch 
fein umangenehmes häßliches Gefchrei einen wibrigen Einbrud macht. Es 
fliegen immer ganze Geſellſchaften laut ſchreiend und fich zanfend umher, 
Auf den höchſten Bäumen bauen fie am liebſten ihr Neft, und es wirb 
tofoffal, denn bie 10 Paare vereinigen fi, um ihre eingängereiche Woh⸗ 
nung oben im Winde aus Holz und Dornen wie einen Höhenpallaft zu 
bilden. Dancer alte abgeftorbene Baum ift mit biefen unförmlichen 
Reftern ganz Überfät. Im Frühjahr vereinigen fi gern bie Peone um 





540 Erinnerungen vom Sa Plata 


die Nefter dieſer Vögel zu zerftören, weil fie den wenigen Mais- und 
Weigenfelvern, die man angelegt hat, mit gefräßiger Raubgier ſchaͤdlich 
find und ganze Saatfelder verberben. Diefe Heinen grünen Papageien 
nennt man Cotorra ober auch Loro, fie lernen nicht jo gut fprechen wie 
die größern Arten, ſchmeden aber ganz gut. Auf der Reife von Bernams 
buco nad) den Cap Verdeſchen Infeln lernte ich einen Papagei aus Chili 
lennen, der nicht müde warb, ber ganzen Schiffsgefellichaft die Verſiche- 
rung zu geben, baß er fich verheirathen wolle. Que quieres loro, was 
willſt du Loro, fragte man ihn yo quiero casarme, ich will mich verhei⸗ 
rathen, war feine ſtereotype Antwort; fehr oft fragte er fich ſelbſt: que 
quieres lorito, er wechſelte zwiſchen Loro und Porito, Meiner Roro und 
gab ftets dieſelbe Antwort, Ueber den Gebüfchen an ben Flußufern 
ſchweben auch große ſchwarze Hühner. Waldfaſanen habe ich fie in meir 
nem Buche genannt, man nennt fie dort Pavo del monte und fie fallen 
durch ihren ruhigen, faft erhabenen Flug auf. Im Guarani nennt man fie 
Yakı. Doc ich will Ihre Geduld nicht noch mehr ermüben und über 
andere Vogelarten ſchweigen, Höchftens nur noch den Kiebig der dortigen 
Gegenden anführen, der zu ben gewöhnlichſten Erſcheinungen des Landes 
gehört und auf allen fprindigen Gründen feinen Ruf Tirotero erſchallen 
läßt. Ich will dafür noch einzelne andere Einrichtungen auf einer Eftanzia 
ihnen vorführen. 

Wenn bie Eftanzia eine fehr große Oberfläche Hat und das Vieh zahl- 
reich ift, fo etablirt man in einiger Entfernung vom Hauptgebäude fog. 
Pueſtos, in benen ein Peon mit feiner Familie ober zwei einzelne Beone leben. 
Sie erhalten einen beftimmten Theil des Viehs, weswegen ein Corall bicht 
neben dem Puefto iſt. In biefen wird das Vieh ab und zu hineingetrieben, 
damit es überfehen werben Tann und ja nicht fein Abhängigskeitsgefühl bei 
ber Freiheit feiner Lebensweiſe verliert. Um einen Maßſtab zu haben, wie 
man bie Viehheerben vertheilen muß, nimmt man an, baß auf einer Qua⸗ 
bratmeile 3000 Köpfe Vieh leben können, wenn das Land eine gute Weide 
giebt. Man rechnet dann die Pferde und Maulthiere mit ein, welche zur 
Bewachung und Leitung ber Viehheerden nöthig find. Auf 1000 Köpfe Bieh 
rechnet man 2 bis 4 Peone, je nachdem das Vieh wilder unb zahmer iſt. 
Bon diefen Peonen ift es befannt, daß fie faft nie vom Pferde herunter: 





von Dr. Otto Woyſch. 641 


kommen, daß fie leidenſchaftlich in ihren Bewegungen find, ſehr wild aus⸗ 
ſehen ohne eigentlich fo böfe zu fein. Dan unterſcheidet ſolche, welche mit 
Botros umzugehen verſtehen — Potros find die wilden jungen Pferde — 
und ſolche, welche nur mit zahmen Pferden umzugehen wiſſen. Jene erhal 
ten circa 15 fpanifche Thaler den Monat biefe nur 10. Da ihnen ber 
Lebensunterhalt nichts koſtet, fo Können fie bei einigem Fleiß in kurzer 
Zeit zum eignen Heerbenbefig kommen. Mand ein ehemaliger Peon ift 
jest ein reicher Eftanziero und taufcht wahrlich nicht mit einem kummer⸗ 
vollen Rultur-Europäer. Ich Habe geweſene Offiziere und Neferendarien als 
Peone auf Eftanzias angetroffen. Freilich waren es Schafeftanzias, beren 
Behandlung eine andere ift, und fie vermißten, im ber Hoffnung nach ei- 
nigen entbehrungsreichen Yahren zu etwas zu Kommen, wahrlich nicht 
unfere Ehren und unfere Salonfreuden. Manche zehrten freilich noch an 
alten bittern enropätfchen Erinnerungen. Ich traf einmal einen Deutſchen 
anf einem Ochſenkopf in einem Rancho figend als Peon an. Er war 
der Sohn eines Oberamtmanns aus Batern, fein Vater hatte ihm feine 
Braut weggeheirathet, und trotz ber Anerbietung für feine verforne Braut 
und gegenwärtige Stiefmutter ein Gut anzunehmen, war er grollend noch 
Amerila gegangen unb leiftete lieber Knechtsdienſte. Er ärgerte ſich noch 
ua Iahren über feinen Vater und grollte über fein Gefchid beim An- 
bit der ihm anvertrauten Ninberheerven. Auch für verlommene Euros 
päer ift es eine legte Zuflucht Peon in einer Eſtanzia zu werben. Sie ar 
beiten ſich oft wieber in bie Höhe, wenn fie Ausdauer und Fleiß Haben 
und ber Cana — ber bortige Branntwein — oder bie halbindianiſchen 
Frauen fie nicht mit ihren Netzen umſtricen. Sehr oft, wenn ich herun⸗ 
tergelommene Deutfche, 3. B. junge Kauflente und Lehrer nach einer 
Eſtanzia gefchidt Hatte, fehrieben fie bald, fie wollten ſich verheirathen. 
Irgend eine China, wie man bie Srauen mit gemifchtem Blut nennt, hatte 
fie gefefielt, vann war es mit ihrem Emporlommen zu Ende, fie verwil- 
besten immermehr und vergaßen bald ihre Aſpirationen. Im ben Zeiten 
der Bürgerkriege wurden fie wohl gar Halsabfchneiber, und der Dolch 
fpielte in ihrer Hand, Das Haupt ber Peone auf einer Eftanzia tft der 
Capataz. Derjenige, ber die Intereffen bes oft abweſenden Herrn vertritt 
heißt der Mayordomo, Sehr oft fefielt man ihn dadurch, daß man ihm ei- 





542 Erinnerungen vom La Plata 


nen Antheil am Geſchäft der Eftanzia giebt. Seine Anhänglichkeit und 
Treue ift namentlich bort nöthig wo ber Patron d. h. der Befiger mit feiner 
Familie den größten Theil des Jahres in ber Hauptſtadt verweilt. Geht 
häufig werden die Worte Peone und Gaucho verwechſelt. Der eigentliche 
Sandmann, mag er Peon oder Heiner Gftanziero fein, wird Häufig von 
dem Stäbter mit dem Worte bezeichnet es un gaucho! Damit will man 
feine ländlichen groffieren Sitten firafen. Der eigentliche Gaucho iſt weder 
der Landmann im Allgemeinen noch ber Knecht einer Eſtanzia in feiner 
kraftvollen Natürlichkeit. Es ift der Umhertreiber ber Ebenen, der nur 
feine Kleidung und fein Pferb Hat. Letzteres hat er ſich gewöhnlich geſtoh- 
len. Häufig von einem armen Neger, ver neben feinem Pferde ſauft ſchlief, 
und als er erwachte, weber Pferb noch Sattelzeug fand. Diefer eigentliche 
Gaucho ift immer im Kampf mit ber Obrigfeit, die noch das meifte ihm 
durchgehen läßt. Bald Hat er ein Pferb, bald eine Fran geranbt, bald bei 
irgend einem Streit in einer Landfonda einen Meſſerſtich ausgetheilt. Man 
fogt dann, ber arme Mann habe ein Unglüd gehabt una disgracia. 
Fängt man ihn, fo wird er zum Militair verurtheilt. Er kommt unter bie 
berittene Landmiliz. Sehr oft entflicht er und lebt dann in einem Gehölz 
von Raub, ftiehlt dem benachbarten Eftanziero Kühe, verkauft die Zelle, 
reitet raſch meilenweit fort, verbringt fein Gelb, fcyügt ſich durch Dold- 
ſtöße und durch die Schnelligkeit feines Roſſes. Sehr bald find feine Mifie 
thaten vergeflen. Er arbeitet auch wohl eine Zeit lang als Knecht, zieht 
es aber vor zu fehlen. Man findet ihn gemüthlich ſich erholend in 
den einfamen Lanbfonda’s. Im den Bürgerkriegen ftellt er fich freiwillig, 
die Ausficht auf Plünderung führt ihm jedem aufſtändiſchen General zu. 
Man muß alfo die Peone auf den Eftanzins nicht mit ihnen verwechſeln, 
obgleich die äußere Erſcheinung, Tracht und Sitten oft biefelben find. 
Die Beone auf ben Eſtanzia's müſſen täglich in weiten Kreiſen um bie 
Rinderheerden reiten, damit das Vieh nicht über die Grenzen anf frembes 
Gebiet geht. Sehr oft werben auch die Minderheerben auf irgenb einen 
beftimmten Punkt ber Grasebene zufammengetrieben und fie müfjes dann 
eine Nacht zufammen bleiben, bamit fie nicht anfangen Alzados ober Ariscos 
zu werben, was fofort eintritt, wenn bie Aufſicht des Peons fehlt. Da- 
zum find den Eftonzia’sbefigern die Bürgerhiege fo unangenehm, weil fie 


von Dr. Otto Woyſch. 543 


nicht allein die Launen ber kommandirenden Generale erfahren, welche fo 
viel Rinder requiriren, wie fie wollen, fonbern weil auch die meiften 
Beone von der Regierung ober von ben Infurgenten mitgenommen wer 
ben. Sehr gerne ziehen fie zu biefen Landmilizen, die Hunderte von Meir 
len hin⸗ und herreiten, und im Umfreife ber Meinen Städte unb ber 
Eſtanzia's oft bie romantifchften Abentener haben, Die Zaufende ber 
Ninder gewöhnen fi dann bald an ein ungebunbenes Weiden und es 
mäüfjen fpäter viele Pferde buchſtäblich zu Tode geritten werben, um ben 
Widerſtand zu brechen, ven die Alzados leiften. Es ift aber eine Luft 
für bie Einheimifchen — wenn e8 aud) monatelang banert — das verwilberte 
Vieh aus den Gebüſchen Herauszutreiben. Um nun das Cigenthumsrecht 
zu behaupten hat jede Eflanzia eine Marke, welche durch ein heißes Eiſen 
den Thieren anfgebrädt wird. Dieſe Marken find in den Regierungsge 
bänden ber einzelnen Hauptſtädte der Departements beponitt, und unter 
ihnen find mande fo alt wie bie fpanifche Eroberung. Werben num Thiere 
von einer Eſtanzia zur andern verkauft, fo müfjen fie auch umgemarfet 
werben. Einmal im Jahre werben die jungen Stiere mit der Marke 
verfehen. Das ift immer ein großes Feft für die Eftanzia, da glänzen bie 
tühnften Lazzowerfer, die gefchit heranreiten und dem fliehenden Stier 
trotz feiner Sprünge ben Lafjo mit bewunderswerther Kunft um ben Hals 
werfen, It das Werk vollbracht, jo endet das Feſt mit Reiterfpielen, die 
man Carreras nennt. Jeden Tag wirb mindeftens ein Stier zum Ge 
brauch der Eftanzia gefchlachtet, dad Thier wird von einem Peon nach 
einem beftimmten Plag in der Nähe des Hauptgebäudes ber Eftanzia ger 
jagt und mit bem Lazzo niebergeworfen, dann wird mit einer flannener- 
regenben Schnelligkeit die Kant abgezogen und alles zerlegt. Kaum hat 
man das mit dem Lazzo gefeffelte Thier ſich noch mwüthend wehren und 
fpringen fehen, fo wirb auch ſchon fein zertheiltes Fleiſch auf Heinen 
Schleifen nach ben einzelnen Pueftos der Eftanzia gefahren, um ben Peo⸗ 
nen zur Nahrung zu dienen. Außerdem verfauft man einzelne Stücke 
Vieh für die Matadero's oder Schlächtereten in ben einzelnen Heinen 
Städten, Der Preis des Viehes in deu Küftenprovinzen ift durch ben 
Preis der Haut auf ben enropäifchen Märkten beſtimmt. So \wirken bie 
Nachrichten die mit dem alle 14 Tage einmal von Southhampton und 


544 Erinnerungen vom La Plata von Dr. Otto Woyſch. 


das andere Mal von Borbeang kommenden Padetdampfſchiff anfangen, 
durch fämmtlihe Handelshäuſer ber Hauptftäbte auf alle Eſtanzia's ein, 
Die argentinifhen Provinzen Corbova, San Luis, Rioja, Catamarca 
verfaufen ihre Rinder nach dem immermehr aufblühenden Chili, die Pro 
vinz Salta fendet ihre Rinderhäute nach dem rinberarmen Bolivia. € 
tft merkwürdig, daß dieſe Millionen Rinder alle ihre Herren haben, troh 
der gewaltigen Ausdehnung ber Länder. Der Staat aber Hat feine Eigen- 
thumsrechte auf Heerben. Eine Ausnahme macht nur ber Staat Buenos 
Ares, dem im Süden bie durch Inbianereinfälle wilb und herrenlos ge 
worbenen Rinder gehören, Mit ber Zeit werben auch biefe Länder bewohnt 
werben, bann werben bie meiften Eigenthümlichkeiten bes bortigen Land 
lebens dahinſinken. Ob bie Menſchen der Eivilifatton dann glücklicher fein 
werben, ift zweifelhaft. Ich glaube, daß der Eftanziero ein Mann ifl, dem 
die göttliche Vorſehung ein fehr glüdfiches Loos geſchenlt Hat und daß in 
den vielfach falſch bewrtheilten Pampas ein Stüd von gefundem Vollsleben 
trog befremdender Einzelheiten gefunden wird. 





P. Kaers Brofpert den Stadt Banzig. 
Bon 
R. Bergau. 


Der Güte des Herrn Direktor Löſchin hierſelbſt verdanle ich die 
Kenntniß eines großen Proſpectes der Stadt Danzig, welcher der Aufſchrift 
zufolge im Jahre 1618 von einem gewiſſen Petrus Kaerins zu Amſter⸗ 
dam publicirt worden iſt. — Es ift der größefte, werthvollſte und zugleich 
feltenfte aller mir befannten Profpecte unferer Stadt. Hoburg«) kennt ihn 
gar nicht und F. v. Eelafinski«") nur nach einem beſchädigten Eremplar 
bes Geheimen Archives zu Königsberg. Denn es unterliegt wohl feinem 
Zweifel, daß der von Selaſinski unter No, 4 aufgeführte „Profpect von 
Danzig vom Bifchofsberge aus gezeichnet, ohne Jahreszahl, eine Radi⸗ 
rung“ troß ber Angabe, daß er ans 7 Blättern beftehe und ohne Namen 
und Jahreszahl fei, ver Kaerſche Profpect, freilich in anderer Ausgabe 
iſt. — Das Lüfchinfche Exemplar, verhälmißmäßig fehr gut erhalten, auf 
Leinwand gezogen, befteht nämlich unzweifelhaft (bie Plattenränder find 
noch deutlich erkennbar) aus 4 Blättern, à 143/4 Zoll hoch und 201/4 Zoll 
Tang, fo daß der ganze Profpect eine Länge von 6 Fuß 9 Zoll Hat. Daß 
das Königsberger Exemplar einen deutfchen Titel „Wahrhafftige contra- 
factur der fvrtreflichen vnd weit bervmten sestadt dantzig in preus- 
sen wie dieselbe vom bischofsberge eigentlich anzusehen ist. dazu- 
gleich vnten an alle Kirchen vnd fvrnembste gebewe mit sonderlichen 
bochstaben verzeichnet vnd genennet werden.“ Habe, welcher auf dem 


*) Berzeichniß von Stabtprofpecten in Hoburg Rathbaus der Rechtſtadt Danzig S. 46. 
9) Preuß. Provinzial Blätter 1848. Bo. VI S. 464. 
udt. Monatsjgrift Ob, TIT. Sf. 6. 36 


546 V. Aaers Profpert der Stadt Danzig 


Loſchinſchen Eremplar fehlt und über ven wichtigften Gebäuben Buchſtaben 
ſtehen, welche unten mit ber Grflärung wiederholt find, während Hier 
über jevem Gebänbe die vollftändige Bezeichnung fteht, kann nicht auffal- 
Ten, da im 16. u. 17. Jahrhundert Stadt-Profpecte fehr beliebt waren, 
vielfach erfchienen, ber vorliegende, als ber bedeuteudſte von Danzig alſo 
auch in verſchiedenen Ausgaben vorhanden fein fann. Oben, links und 
rechts befinden fi zwei Schriftſchilde mit zopfiger Einfaſſung nad da 
maligem Holländifhem Gefhmad, Rechts ftehn darin 8 Lateiniſche Verſe 
and bie Bemerkung „Petrus Kaerius Caelavit et Excud. Amstelodami.“ 
Links aber fleht die Widmung: 
Nobilissimis, Amplissimis, Consultissi- 
mis ac Prudentissimis D. D. Consiliarijs | 
Thalassiarchis, Hollandiae, Zeelandiae et Frisiae 
Necnon Magnifieis ac Clarissimis D. D. Con- 
sulibus celeberrimi Emporij Amstelodami, 
Petrus Kaerius 
humillimus Cliens L. M. Q. 
dat, dicat, dedicatque. 
Anno Do. 1618. 

Ueber die Lebensverhältnifie und die Werle diefes Künftlers find wir 
nicht unterrichtet, Unter allen mir zugänglichen«) Werken (Bartſch, Pas 
favant, Andreſen) habe ich feinen Namen (auch Kerius gejchrieden) nur 
in Naglers Künftler-Lericon (Bb. VI ©. 558) gefunden, welches angiebt, 
ex habe zwiſchen 1590 und 1620 gearbeitet und von feinen Werken außer | 
zwei figurfihen Darftellungen, nur nod eine Anfiht von Nürnberg mit | 
ber Sahreszahl 1619, alſo wohl ein Geitenftücd zu unferem, (von Nagler 
nicht gefannten) Profpect anführt. — Oben mitten im Profpect fleht auf 
einem fliegenden Bande mit großen Lateiniſchen Buchſtaben „Dantzigk“. 
Darunter das Wappen ber Stadt. Links und rechts davon befinden fih, 





*) Ich muß dankbar anerfennend gebenten, daß Herr Stabtrath Blod die Be 
nußung feiner für Kupferſtich-Kunde reihen Bibliothek mit größter Ciberalität mir eftat: 
Hit Fra Bibliothek find gründliche Arbeiten auf diefem Gebiet in Danzig 

ich. 


von R. Bergau. 647 


je von zwei ſchwebenden Engeln (ober Amoren) gehalten, bie Mappen 
von Polen und Polnifch Preußen, ‚ 

Ueber den ganzen Profpect zieht ſich ein Schriftfries, große lateini- 
ſche weiße Buchftaben, auf ſchwarzem Grund „Gedanum, sivé Dantiscum, 
Emporium opulentissimum, amplissimum et venustissimum.* Doch 
ift diefe Schrift nicht gebrudt fondern gemalt, und ber ganze Papierftveif 
aufgeffebt. Unter demfelben köunte wohl noch die von Eelafinsfi ange: 
führte Deutſche Infchrift befindlich gewefen fein. 

Die Anficht ift vom Biſchofsberge aus genommen und giebt ein Bilo 
ber ganzen Stabt von dem (jegt nicht mehr vorhandenen) Heilig Reiche 
nam-Thor bis zum Legen-Thor, und nad) allen Eeiten hinaus bie nächte 
Umgebung. Man fieht rechts in die etwas zu hügfich bargeftellte Nieder 
tung, gerade aus und rechts auf das viel zu nahe erſcheinende Meer. 
Die Anſicht ift (ganz im Gegenfag zu Berings Profpect von Königsberg) 
nicht ohne künſtleriſches Gefühl arrangirt, im Allgemeinen forgfältig ge 
zeichnet und giebt, obgleich an vielen Etellen das Verſtändniß der archi— 
teftonifchen Formen gemangelt hat, den Charakter der Stadt ſehr gut 
wieder. Es ift dabei aber nicht zu verwundern, daß ber Supferftecher, 
welcher Danzig vielleicht gar nicht aus Augenschein Tannte, in ber ihm vor⸗ 
Viegenden Zeichnung mancherlei falfch verftanden Hat. So erſcheint z. B. 
dag Gebäude ber Heutigen Kunſtſchule, hier no „Junker Schis Garten“ 
genannt, zu ſchlank und faft achtecig. Der auch ſonſt falſch gezeichnete 
Rathsthurm ift befonders im Verhältniß zum Marienthurm (der aud) hier 
ſchon mit zwei Sattel-Dächern abgeſchloſſen ift) viel zu did. Die Giebel- 
Tagade ber Trinitatis-Kicche ift zu ſchlank, die drei Tunftvollen Giebel der⸗ 
ſelben viel zu klein. Auch das „Zeighaus“ erſcheint mit ſeinen vier Gie⸗ 
bein winzig Hein. Auffallend iſt, daß bie Bezeichnungen „S. Barbara 
Hospi, S. Petri und Gimnasium zur H. Dreifaldikeit“ an einer fal 
ſchen Stelle zu weit nach links (über dem Englifhen Haufe) ftehen. 

Diefer Profpekt ift auch in bangefchichtlicher Beziehung wichtig. Der 
Thurm don St. Catharinen Hat noch feine alte Spige mit zwei Sattel- 
dächern und Dachreiter. Die neue wurde nad) Euride (S. 326) erft im 
Jahre 1634 anfgefegt. Die Kunſtſchule hat noch ihren Thurm mit dem 


St. Georg, welche erſt 1832 abgebrochen wurbe. Das „Langgassen Thor“ 
35* 





548 B. Kurıs Profpert der Gtodt Danzig 


iſt noch ohne feinen Statuen-Schmud, den es erft 1648 erhielt. Im ben 
Hauptſtraßen fieht man noch viel gothiſche Bagaden, u. A. auch auf dem 
langen Markte an ven beiden Häufern zwiſchen dem Arthushof und dem 
1609 erbauten Steffensſchen Haufe. Viele andere interefjante Thatſachen 
finden fich gelegentlich bei Spezial-Unterfuchungen. 

Diefer Profpect bilbet eine willlommene Ergänzung zu ben 14 An— 
ſichten von Danzig vom Jahre 1617*), davon ein gutes Exemplar fid im 
ſtadtiſchen Archiv zu Danzig befindet. 

Der Iange, für ſolche Profpecte ftets ſchwierige Vordergrund iſt mit 
Geſchick angeorbnet und mit großer Sorgfalt durchgeführt. Man fieht 
anf bie Gebäude und Gärten ber Vorftäbte, fieht auch vielfache Staffage 
an allerlei Wagen, Neiter, Fußgänger, in ben für jene Zeit dharakteriftir 
ſchen Eoftümen, Das Meer im Hintergrunde und ber Fluß find mit 
Schiffen bejegt. — Im ber linken Ede des Vordergrundes befinden fih 
auf einem gemeinfamen, architeltoniſch fiylifirten Poflament 8 ſtatuariſch 
behandelte Perfonen, 4 Männer und 4 Frauen von faft 4 Zoll Höhe, 
welche beftimmt find, das malerifche Coſtüm ber Danziger und der Polen 
jener Zeit zu veranfchaulichen. Zu bemerken iſt, daß bie beiben Ehepaare 
genau in berjelben Stellung auch anf dem Titelblatt jener erwähnten An 
fihten von 1617 vorkommen, ver eine Künſtler alfo wahrfcheinlich von 
dem andern copirt hat. Weil nun aber der Künftler ber Blätter vor 
1617. alle feine Staffagen befjer, mit mehr Verſtändniß gezeichnet hat, als 
Kaerius, bin ich geneigt anzunehmen, daß Kaerins nach jenem ungenann 
ten Künftler gearbeitet hat, wenn nicht etwa beiden Künſtlern die Drigi- 
nale eines britten Künftler6=) vorgelegen Haben, was ich bis jegt nicht 
habe feftitellen können. 


Sa *) Bergl. meinen VBericht darüber in No. 148 des Danziger Dampfboot vom 
Jahre 1864. 

*) Ich dachte zunähft an Anton Möller der belannilich im Jahre 1601 
zwanzig Blätter Danziger Trachten in Holzſchnitt publicirt hat, die jeßt überaus felten 
Rad. (Berg. Hirſch Preuß. ProvinzsBlätter 1847 Bd. IV ©. 239 und A Hagen 
daſelbſt 6.466. Das von Hiridh beſchriebene Ern ſtſche Cremplar ift 1852 in der Aw 
ktion — man weiß nicht an wen — verfauft worben.) Doch geht aus dem von Hirſch 
gegebenen Verzeichniß hervor, daß die Eoftüime unjeres Bildes nicht nach Möler gefer: 
tigt find. Sie find vielleicht einem der vielen in jener Zeit fehr beliebten Coſtümbucher 
entnommen, davon ber Zufall gelegentlich Kenntniß geben wird. 





von R. Bergau. 549 


Bon befonderem Intereſſe tft das Verhältniß biefes Profpectes zu 
einem bebentenb Heineren (74, Zoll body, 18 Zoll lang), welcher ſich in 
der 1652 zu Frankfurt a. M. erſchienenen Topographia Prussise et 
Pomerelliae des Merian befindet. Derjelbe ift offenbar nach dem Kaer⸗ 
fen Profpect und zwar wahrſcheinlich nach der andern Ausgabe (bie in 
Königsberg) gefertigt.“) Denn bie Bezeichnung ber Gebäude fteht bei 
Merian unter nicht in ber Anſicht. Doch ift Merians Profpect an ben 
Exiten verkürzt und der Horizont ift Höher gelegt als bei Kaer. Außer⸗ 
dem find die landſchaftliche Behandlung ber Niederung und bie Staffage 
verändert. Im Uebrigen ſtimmt Alles, Bei Merian ift aber die Füh- 
zung ber Rabirnabel ficherer und dadurch erfcheint bie ganze Anſicht cor- 
zecter und fauberer. Durch biefes Verhältniß ber beiden Profpecte zu 
einander erklären fi denn auch manche Unrichtigfeiten bes Merianfchen 
Bildes im Zufammenhange mit bem bazu gehörenden Text, daß 3.8. auf 
demfelben, obgleich erſt 1652 publicirt, der Thurm von St. Eatharinen 
nad} feiner Geftalt von vor 1634, das Langgafler Thor von vor 1648 
hat, Die Fehler in der Zeichnung der Giebel von St. Trinitatis und 
des Gebäudes der Kunſtſchule, welches bei Merian ſchon unzweifelhaft 
achtedig erſcheint, treten hier um fo auffallenber hervor. Die Eoftäm- 
bilder und tie Infchriften fehlen bei Merian, 

Intereffant ift ſchließlich noch die Vergleihung ver Kaerſchen und ber 
Merianſchen Anſicht von Danzig mit ber von faft bemfelben Standpunkte 
aus genommenen, welche das Titelblatt zur zweiten Serie der Rabirungen 
unferes Prof. Schultz bildet. 

Danzig, Funi 1866. A. Bergen. 


*) Merian bat für feine Anficht in Königsberg ebenfalls den älteren Beringe 
ſchen Profpect benupt. Bergl. A. Hagen Preuß. ProvinzBlätter 1847 Bd. IV S. 460. 


Aritiken und Beferate 


Altpreußifcher Verlag. 
Die Grünen und bie Blauen oder die preußiſchen Dlutzengen. 


Dramatifches Gemälde in 3 Aufzügen von Heinrih Schulz. 
Selöftverlag. Sensburg 1865. 


Es ift ein wunderliches Stüd Arbeit, das Hier gebrudt vorliegt. Ein 
Freund, dem Referent ein Ende aus bem Buche vorlas, bildete ſich feif 
und feſt ein, baß es ſich um eine auf ber Bibliothek aufgeftöberte alte 
Schauertragödie aus dem fiebenzehnten Jahrhundert handele und Tam nicht 
aus dem Lachen Heraus. Er glaubte fich zum Narren gehalten, als ihm 
gelagt wurbe, daß das Stück 1865 in bie Welt geſchickt ſei. Es ift der 
Tragdvienftiel, der in Shafefpeare's Pıramus und Thysbe ſo ergötzlich 
parobirt ift, dem wir hier ven ber erften bis zur legten Geite begegnen. 
Schon der Prolog giebt eine nicht üble Probe, wenn Boruffia im Trauer 
gewand alfo fpricht: 

Im. Kampf der ftreitenden Parteien 

Wenn Brüder hadernd ſich entzmweien 

Und Sohne, die von einer Bruft gefogen, 

Eich wirbelnd ſhaumen in der Zwietracht Schredensmwogen u. |. w. 
Der Dialog im Stüd ſelbſt ift Profe, aber welche Profa! Nur für das 
Ange; für das Ohr zerhadte Jamben mit eingeftreuten Reimen, ein mäfter 
Bombaft ungeheuerliher Redensarten, geſchminkte Phrafen und zufammen- 
gelejene Citate. Gleich in der erften Scene tritt Eveline, bes Hector En 
binus Tochter, auf offener Straße ber Schloffreiheit auf und ſpricht: „Wo 
nur der Jonas bleibt! die fünfte Morgenftunde Halt vom Dom in bums 








Atgreubilger Berog. 551 


pfen Schlägen nieber und zitternb harr' ich des Geliebten hier: mir if’e, 
als ob ich meines Vaters Stimme höre, der bang nach mir verlangt, mich 
warnt vor brohenber Gefahr. Ach! fein gedankenſchwerer Ernft, bie düſtern 
Falten feiner forgenvollen Stien — fie ſcheuchen mid von ihm und hal- 
ten mich von feiner Mufe fern: mein Herz, er kennt es nicht, mein lie 
bend Sehnen und täglich öffnet fi) die Wunde, die des Todes kalte Hand 
geſchlagen, der eine theure Mutter mir entriß m. f. w.“ Sie wirb von 
einem Nachtſchwaͤrmer aufgegriffen und vom Prinzen Albert Briebrich ber 
freit, Der Prinz ift über die Sittenlofigfeit der Welt trübe geftimmt und 
philoſophirt unter Andern: „Kennft bu, Genoſſe meiner Iugend, ben Drei» 
Hang nicht der Seufzer, ber durch der Herrfcher Mund die eitle Nichtig- 
feit des Staubes lehrt: „Quid est monarhia, niei triplex suspirium ob- 
tinendi, retinendi, amittendi?“ Wohl uns auf unfrer fteilen Höh, wenn 
uns ben fremden Jammer ftillend, das eigne Weh verfiegt, wir keinen 
Tag verlieren, des Kummers harte Furchen mit frifchen Rofenbläthen zu 
beſtreuen!“ Endlich kommt der erwartete Geliebte und monologifirt: 
„Wie werd ich Eveline finden, bie heißgeliebte Wonne meiner Tage, mein 
Lebenslicht, die Heit’re Kränze flicht dem armen Burſchen in ber üben 
Naht der Pilgerbahn!“ Im dieſem Stil geht's weiter. Wenn man etwa 
glauben folfte, daß der Prinz als ein Gelehrter habe charaltexiſirt werben 
ſollen, der gern feine Weisheit vor ben Leuten auskramt, fo wärbe man 
fehr irren. Saft jede Perfon im Stüd bis herunter zum Nachtwächter 
ſpricht in lateiniſchen Citaten. Ja felbft der Schloßvoigt von Merenthin, 
ein wilder Heide’ der anf feiner famländifchen Burg zu Wursfaito und 
vilollos und ben andern alten Preußengöttern betet (nebenbei bemerkt: in 
der zweiten Hälfte des 16. Yahrhundertsl) tritt gleich mit dem homeri⸗ 
ſchen Bers ein: Einft wirb kommen ber Tag, wo Ilium finft und Priamus 
: hohes Geſchlecht — citirt dann: Hlic Rhodus, hie salta, gelegentlich aber 
auch: Chacun a son gout ober gar l’etat c’eest moil Herzog Albrecht, 
ebenfalls wohl belefen, pfufcht ohne Bedenken feinem Nachfolger, dem 
weiten Könige von Preußen in’s Handwerk und veripricht die Landes⸗ 
fouverainetät auf ben Naden des Adels zu thürmen, wie ein rocher de 
bronze. Scenen, wie bie zwiſchen Wolkenſchießen und Emmerich) ©. 38 
find verhältnigmäßig natürlich und Können als eine Erholung gelten, Wie 


552 Krititen und Referate. 


alle Perfonen in berfelden Manier ſprechen oder eigentlich linguiſtiſche 
Burzelbäume fchießen, jo find fie auch im übrigen fo ziemlich aus bemiel- 
ben Holze gefchnitten; von pfychologifcher Durchbildung iſt nirgends die 
Rebe. Man kann nur mit bem Dichter fagen, daß fle ſämmtlich „fd 
wirbelnd ſchäumen in ber Zwietracht Gchredenswogen.” Damit iſt zu 
gleich auch der Inhalt diefes dramatiſchen Gemäldes angegeben, in dem 
es fo bunt hergeht, daß man fi von Zeit zu Zeit am ben Kopf fallen 
muß, um ſich zu vergewiſſern, daß man ihn noch hat. Dem Lefer wird 
von ber erften bis zur legten Seite grün und blau vor Augen und fo it 
benn ber Titel bes Stüds allerdings für ben Inhalt bezeichnend, Die 
Bühnen machen leider mit bemfelben keine Acquiſition. © 





Mittheilungen und Anhang. 





Ein Danziger Rathsedikt vom Jahre 1520 als ältefter 
Druck aus der Weinreihihen Officin zu Danzig. 


Mitgetheilt von 
Dr. A. Keike. 


Die Danziger Stabtbibliothef, befonders reich an feltenen auf bie 
Danziger Lofalgefchichte bezüglihen Druden, befigt unter der Gignatur 
XV. p. 17 ein, vielleicht das einzige, Exemplar eines Einblart-Drudes 
ans bem Jahre 1520, enthaltend ein Ausſchreiben von Bürgermeifter 
und Rathmannen ber Stadt Danzig. Obgleich daſſelbe weder Drudort 
noch Druder angiebt, läßt ſich doch aus der Uebereinflimmung ber Typen 
biefes mit allen übrigen beutfchen Druden auf das beftimmtefte nachwei⸗ 
fen, daß es aus der Officin des Buchdrucders Johann Weinreich her- 
vorgegangen tft. Dies behauptete, fo viel ich weiß, zuerft auch Löſchin 
in feiner „Geſchichte der Danziger Buchbrudereien" (Danzig, 1840. 4.) 
S. 4. Weinreich drudte befanntlich abwechfelnd, vieleicht eine Zeitlang 
auch zu gleicher Zeit, in Danzig und Königsberg; bort gilt er als ber 2te, 
hier als ber erſte Druder. Das ältefte Probuft feiner Druderet, als 
welches eben biefes Rathsedikt von 1520 bis jegt bekannt iſt, erſchien zu 
Danzig als 1Blatt, das legte berfelben, „Spiegel der Juden von Philipp 
Wolff,“ 154, Bog. ftart, 1655 ebenfalls zu Danzig. Seine Königeber- 
ger Drude reichen von 1524 (oder 15237) bis 1553. Ueber feine Per⸗ 
fon iſt nichts aufzufinden gewefen. Ein Verzeichniß feiner fämmtlichen 
Drnde, foweit fie mir zu Geficht gefommen, ober fonft befannt geworben 
find, Hoffe ich in nicht zu ferner Zeit veröffentlichen zu Können, 


554 Teittheilungen und Anhang. 


Wenngleich bie Bebentung bes in Rebe flehenben Edikts in Hifteri- 
ſcher Beziehung nur eine geringe ift, fo bürfte doch ein getreuer Wieder⸗ 
abbrud deſſelben an biefer Stelle durch bie typographiſche Bedeutſamleit 
ganz wol gerechtfertigt erfcheinen. Die bemfelben vorangeſchickte, mir auf 
meine Bitte von geſchätzter Hand zugeftellte Hiftoriiche Einfeitung wird ben 
Lefern als zu ihrer Orientirung dienlich nicht unlieb fein. Ueber bas 
Aeußere des Blattes Habe ich nur noch Folgendes mitzutheilen. Da es 
nur auf einer Geite bebrudt tft, fo läßt fich annehmen, daß der Dani 
ger Rath es als Plakat an öffentlichen Plägen zur allgemeinen Kenntniß⸗ 
nahme des Publikums anheften ließ. Das Papier des vorliegenden Erem- 
plars if 1 Fuß 13, Zoll breit und 9%4 Zoll hoch; die Schrift mit der 
Initiale ber erften Zeile und berjenigen ber Unterfchrift iſt 10%, Zoll 
breit und 8 Zoll Hoch, ohve die Initialen 8 Zoll breit und 6 Zoll had; 
ohne bie Unterſchrift enthält es 21 Zeilen — 31, Zoll hoch. Das 
auffallend große geſchnörkelte B zu Anfang fieht 10 Zeilen über nud 
15 Zeilen unter der erften Zeile. Die gothiſchen Lettern find von gefällie 
ger Som. 

Nach dem ewigen Frieben von Korn ( (1466), welcher bie Hegmeite 
bes beutfchen Ordens zu Vaſallen der polnifchen Krone gemacht Hatte, 
ging das politifche Streben Jener immer barauf hinaus ſich biefer Ab 
Hängigfeit von dem alten Erbfeinde zu entziehen. Nur Einer von ihmen, 
Heinrich Reffle von Richtenberg (1470 bis 1477), Teiftete in ber richtigen 
Erenntniß der Schwäche und Häfflofigfeit feines Ordens ben Huldigungs ⸗ 
eid frehvillig, bie Übrigen bagegen immer nur erft, wenn fie in irgend 
einer Weife dazu gezwungen waren. Der Hochmeifter Herzog Friedrich 
von Sachſen (1498 bis 1510) entzog ſich dieſer Pflicht dadurch, daß er 
Schließlich das Land verlieh. Sein Nachfolger, der Markgraf Albrecht von 
Brandenburg hatte die Wahl zum Hocmeifter nicht cher angenommen, 
als bis ſich Kaifer Marimilian in beftimmter Weife zur Unterftügung bes 
Ordens verpflichtet Hatte.*) Wergebens fuchte Albrecht ben Polentönig 
Sigismund unter Berufung auf ihr nahes verwandiſchaftliches Verhalt⸗ 


*) Bol. Dropfen, Geſch. d. Preuß. Politit II, 2. S. 84 fo. 


Ein Danziger Rathsedilt vom Jahre 1520. 555 


ng — ber König war bes Hochmeifters Mutterbruber — zum Uufgeben 
feiner Forderung zu bewegen, Der König gleich wie die polnifchen Sena⸗ 
toren und Edelleute „wollten lieber das Aeußerſte erbulden, als etwas 
von dem fich nehmen laſſen, was fie beſaßen:“ jener thorner Friede ber 
gründete in ihren Augen — und man kann nicht fagen, daß fie bamit im 
Unrecht gewefen wären — ihre Anſprüche zur Genüge, Wie wenig aber 
den Zufagen des Kaiſers zu trauen war, zeigte ſich ſobald es ihm gelang 
bas Hauptziel feines Etrebens zu erreichen: in dem Erbvertrage mit ben 
Iagellonen (1515), welcher dem habsburgiſchen Haufe ben Anfall der 
Kronen von Böhmen und Ungarn in Aueſicht ftelfte, verfprach ber Kaiſer, 
ben Hochmeifter zur Leiftung feiner Pflicht zu mahnen und ihn in feiner 
Weiſe mit Rath ober That gegen Polen zu unterftügen. Einige andere 
Bedingungen biefes Vertrages aber ſchienen dem Hochmeifter auch jetzt 
noch nicht alle und jede Hoffnung zu rauben, und er beharrte bei ber 
Verweigerung ber Eibesleiftung, war es ihm boch nicht lange vorher ger 
lungen mit dem Czar von Moskau in ein Angriffebünpniß gegen Polen 
zu treten. Schon ergriff er mehrfache Mafregeln, um bei ausbrechendem 
Rriege nicht wehrlos überraſcht zu werben. — Daß bei biefem Berhälts 
niß zum Nachbarlande, bei der feinbfeligen, erbitterten Stimmung gegen 
einander Handel und Verkehr zwifchen Preußen und ben polnifchen Lan- 
den überhaupt ſchon ſchweren Eintrag erlitt, ift wohl felöftverftändlich; fo- 
bald nun aber ber Ausbruch des Krieges feldft immer näher heranzuräden 
ſchien, trat man von beiden Seiten mit unmittelbaren Handelsbeſchränkun⸗ 
gen Hervor. Zuerft verbot ber Hochmeifter, durch Vexationen ver Polen 
und turch brohende Theurung veranlaßt, bie Getreideausfuhr über bie 
polniſchen Grenzen. Die Polen antworteten mit dem vollftändigen Ver⸗ 
bot alles Handels nach Preußen. Den darauf bezüglichen Beſchluß faßte 
der Frafauer Reichstag, welcher zu Anfang 1518 bei Gelegenheit ber zwei⸗ 
ten Verheirathung bes Königs, bei feiner Vermählung mit Bons Sforza, 
abgehalten wurde. Der Erlaß des Königs an alle Beamten und Städte 
in den polnifchen Landen batirt vom Tage Johannes bes Täufers 1518*) 


*) Eo hat das Datum Schü und ebenfo ein gebrudtes Eremplar des Mandats 
(auf Papier mit Siegel), welches fi nad einer freundliben Mittheilung im Danziger 


656 Mitteilungen und Anhang. 


And, im Weiteren hörten Berfuche zur frieblichen Ausgleichung nicht auf, 
Aber weder bie Bermittlungsverfuche befreundeter Fürſten auf bem Reihe 
tage zu Augsburg (1518), welchen beide Parteien befchieten, noch die Be 
mühungen eines päpftlichen Legaten, welcher mit Nüdficht anf eimen von 
Rom ans beabfitigten Turkenzug am polniſchen Hofe zum Frieden 
mahnte, hatten Erfolg: der Hochmeifter follte ſich unbedingt fügen, ober 
er und fein Orden Preußen verlieren, das war und blieb ber Kern ber 
polnifcgen Forderungen und Abfichten, Nur bie Rüdficht auf bie römiſche 
Kurie und bie Furcht vor den Angriffen ber Tataren und Mostowiter 
hielten ben König ab fofort loszuſchlagen. Konnte das polnifche Reich bei 
der weiten Ausbehnung feiner anderen Grenzen bie völlige Sperre bes Han 
dels mit Preußen eine Zeitlang wohl ertragen, fo war ein Gleiches für 
Preußen Polen gegenüber unmöglich: bem räumlich beichränkten, auf feiner 
ganzen Sandgrenze non polniſchem Gebiet umgebenen Orbenslanbe ben Han- 
delsverlehr mit Polen und Littanen verbieten, das hieß nichts anderes als 
feinen ganzen Hanbel todt legen. Daher gab der Hochmeiſter ohne Räd- 
ficht auf das feindfelige Verhältniß durch einen Erlaß vom 26. Decem ⸗ 
ber 16184) ben Handel nach Polen und Littauen, fo wie ben Durchzug 
der von borther kommenden und borthin beftimmten Waaren völlig frei; 
nur verorduete er, ganz und gar der bamals allgemein üblichen Handels 
politit gemäß, daß alle Waaren in Königsberg Niederlage halten und nur 
buch das dortige Tief feewärts ausgeführt werben follten. Es fcheint, 
als ob die Polen trog jenes Verbotes ihres Könige und ihres Reichstages 


Stadtarchiv befindet. Wenn die Acta Tomiciana (IV, 149) daſſelbe ohne Angabe des 
Datums den Akten bes Jahres 1517 einreihen, fo ift dies eines der Verfehen, an welchen 
der Abdrud diefer fo wichtigen Sammlung leider nicht arm ift. 

*) Das Original diefes Mandats führt zwar das Datum: „Geben zu lonasverg 
am tage Steffani Im we. und Fig Jare.“ gehört aber offenbar noch in das Jahr 1518, 
denn: 1) Der Hocmeifter erließ bereit8 in den erften Tagen 1519 zwei auf dieſe Ber 
ordnung bezugnehmende Schreiben nad; auswärts, am 9. Januar an die wendiſchen 
Stäbte der Hanfa und am 10. an den livländiſchen Meifter (Voigt IX. 554, 4 u. 2); 
2) Eine erneuerte Bekanntmachung erfolgte am 31. Mai 1619 (N. Br. Prov.Bl. 1846 
1.140, 12). 3) Ein anderes Beifpiel dafür, daß in jener Zeit bie Anwendung der Weib: 
nachtsjahre (Fahresanfang 25. December) in der hochmeifterlichen Kanzlei noch nicht 
außer Gebrauch gelommen war, findet man bei Voigt IX. 527, 2, — Einen Gtephand« 
tag in der erften Jahreswoche habe ich nicht auffinden Können, 





Ein Danziger Ratheebitt vom Jahre 1520. 557 


diefe Freigebung im Nachbarlande tüchtig benugten. Denn nachdem ber 
reits ber Krieg wirklich begonnen Hatte, fah fi der König durch ben Un» 
gehorfam feiner Unterthanen genöthigt, das Handelsverbot unter Andro» 
hung der Todesſtrafe und des Verluſtes der beſchlagenen Kaufmannsgüter 
iu ernenern, wie es fcheint in bem erften Tagen des Yahres 1520.) Im 
biefen Bufommenhang gehört nun bie nachfolgende Verordnung ber dan» 


m fruntlichenn gruth mit erbebinge allen godes ſtedes thonoraz 
Erfamme Vorßynnighe sand Wyße hernü Gnufige || Code fennde 
sund gennere Io sub als denne de Alerdurchlachtigeſte Hoch- 
gebsne fsıfle sund Grothmechtigeſte Here Heise || Sigifmandus 
son Godes guoden Aönyugh the Yalck Grothlorſte in Fettawen / 
Unfen uud rufen ıct. Here vñ Eruelgugh || uufe Allerguedigeſte 
here, oth mañichtoldigen ſwaren vud vichtigen tonsdigen vñ 
bebrangniffen. fo fyue As. Moieſtat. ann ſynen vnderßaten / von 
dem Irladpten vi SHochgebarnen Sorten und Hera) Albrecht / 
Pütfhes ordens Hedmeifer 1 Yand || van den fonen erleden / Pat 
Dean alle fone Königliche Maieſtat / lange tydt heer / mit dem 
beften buerßehũ / fich daeruth / mo ein || hamfdich Aonigk vñ Gere] 
beteringe vorndende Wand doch der wegen nichts gelolgett / Hefit ſyne 
As. Say] Vaße Aller guedigeſte Gere] mit nichte sÜrbegengh heben 
usgen] ſyne Herſchopie / Sande vñ Sude/ vor gemolt| (deden vñ 
vngerech⸗ || ticeit/ daeruth degli mehr vnd mehr entfpzetenbe] who 
ein kriflicher Annigh ts ſchutten und ts befhermen Bad sth an-|| 
dernũ waren orfachen| weder vi tegenn den folnigen Kern Hor- 
meiter| ſynen / Orden / Vnderßaten / Sande] vnd Füde / alßo || her 


*) Das Unigliche Edilt, welches neben anderen Beftimmungen auch das erneuerte 
Sandelsverbot enthält, ift abgebrudt in ben Act, Tomie. V, 162 fg. und führt dort das 
Datum Thorunii die 8, Valenti (1520), Das verftümmelte Valenti dürfte wohl aller 
Wahrſcheinlichteit nach durch Valentini episc, Passav. (7. Jan.) aufzulöfen fein, da bie 
Zage der übrigen Heiligen, welde die Namen Balentinus oder Valens führen, nach dem 
%0. Januar, dem Datum unferer danziger Rathsverordnung fallen. 


568 Mittheilungen und Anhang. 


apenbaren fheide/ dar inne fgne As. May. mit fgner hochselancden 
hrone to Yalen. itzunder fleidt/ is gedrungen. %Whor- || vMbe sth 
befehel As. Stay. unfen Alergnedigeften hernn banen gemelt Iur 
Erßamd' bidden / dieße isgenwerdige waerſchowyn || ge/ Iwen Erß 
dorgern / hoplhden vad innewaneren vñ ſaſt allen aydern mat Standes 
de fien mogen jun erer Statt vñ gebeden || wanhaftih] Im beſten 
nicht the vorholen/ Dunder gutlichen apenbaren vi vorwitliden 
deffoluigen Hern Hormeifters vn Or dens Sande] Steden/ Borper] 
Yleche] Porten / Stroͤme vñ Hauenynge mit keynerley af ader theloer/ 
iu dieſſer tidt / des iegen ſſ werdigenn Krnges to befsken/ adder 
erkeynerley wyße oud mathe to ſtarchen Idt fie mit welche] Schepen] 
Puſſen / Harniſche/ || Yrofante/ ader mit erkeyner anderen Dingen 
Io dat ime E. W. vnſem Allergnedigeften Gern the Gunderlihk 
eren und gefallenm. || aha vermögen diefer warngnge fih mit eren 
borgern koplueden und vorwantten hier ts gutlich willen bequemen: 
Ben: henne||HDt gott: eynes elchen ſchaden / de fih hiertegen⸗ 
doende/ begeuen machte] gerne verhset fegen. In gliehem sa 
grsterem. wo || dat giner geloech vñ flelle het. uus erbebende Imen 
€. W. wederombe 15 fruntlihem willen thowerdra. Gegenen the 
Daubi ke Am foß vundtwintigeften dage Ianuarij Ma Chrifi 
unfers hern geborth Vuſent fill hundert vad ım twintigeſten Jart 


Brunnen sund Hathmann 
der Stath Panttigk. 


Die Kirche zu Kumehnen in Samland.*) 


€. Gebauer theilt in feiner „Kunde Samlands“ (Seite 106) mit, 
daß der Biſchof Heinrich IL, im Jahre 1390 bie Kirche im Dorfe Bifhoie 
dorf, jet Kumehnen, gegründet habe, Und in ber That gehört ber Chor 


*) Cine zufammenfaflende Arbeit über die noch ziemlich zahlreih erhaltenen 
Bauten des Deutfhen Ordens in Samland läßt ih nur nad) forgfältigfter Un- 
terfuhung aller einzelnen Denkmale im Zufammenbang mit archivaliſchen dorſchungen 
und nad) Senntniß aller andern bedeutenden Bauten des Ordenslandes Preuben anfer: 
tigen. Eine folde Arbeit habe ih mir vorgejept. Weil aber Forihungen im Archiv 





Die Kiche zu Kumehnen in Samland. 559 


der jegt in Kumehnen vorhandenen Kirche, wie aus den Runftformen zu 
föließen, noch dem Ende bes 14. ober Unfang bes 15. Jahrh. an, wäh. 
tend Langhaus und Thurm fpäter, wahrfcheinlih erft am Ende bee 
15. Jahrh. in andern, roheren Kunftformen und in weniger forgfältiger 
Technik ausgeführt worben find, daher denn aud das Gewölbe des Lang: 
haufes, wie aus einer Notiz in den Kirchenaften hervorgeht, ſchon 1667 
ſeht fchabhaft war, während das Gewölbe des Chors noch heute ſteht. 
Denfelben Alten zufolge wurde im Jahre 1697 befchloffen das Gewölbe 
abzubrechen und daſſelbe burch eine Holzdecke zu erfegen, welche noch vor» 
handen ift. Ich bin geneigt anzunehmen, daß kurz vor dem Jahre 1697 
der größefte Theil der Kirche durch eine Feuersbrunſt zerftört worben, denn 
Fties und Gefimfe fehlen überall und ſämmtliche Dächer von Thurm, 
Langhaus und Chor fieht man jegt in veränderter nicht urſprünglicher 
Form. Nach diefem Brande wurbe bie Rice in noch ſchlechterer Technik 
ausgebaut, bie obern Theile der Umfafjunge-Mauern und wahrſcheinlich 
auch die Dächer nur in nothbärftigfter Weife Hergeftellt, und oft erneuert, 
denn die jegt vorhandenen Dächer, welde viel au niedrig find und bie 
zopfigen Hauptgefimfe aus Holz (IH) gehören wahrſcheinlich dem Anfang 
unferes Jahrhunderts an. Im legten Jahrzehnt endlich iſt bie Rice 
wieder ausgebefiert, aud; mit bunten Senftern verfehen worden, 

Die Geſammtanlage der Kirche ift fehr einfach und Mar, dem Be— 
brfniß des Tatholifchen Cultus entſprechend und im Allgemeinen überein 
ſtimmend mit ben meiften Heinen Kircheubauten des Ordenslandes Pren- 
gen.*) Sie befteht in Grunbriß und Aufriß fehr deutlich charakterifirt in 
der Richtung von Oft nach Wet an einander ſich anfchließend, und an 
Höhe zunehmend aus brei verſchiedenen Theilen, dem Chor (Altarhaus), ale 
Raum für den Hauptaltar mit bem celebrivendeu Priefter, dem Langhaufe, 
als Raum für die Gemeinde und dem Glockenthurm. Gegenwärtig, ba 





nicht in mein Bereich gehören, würden die Konigsberger gelehrten Hiftorifer mich zu bes 
fonderem Dank verpflichten, wenn diefelben gelegentlich gefindene Notizen, felbft ſolche, 
welche fheinbar ohne Werth find, über Bauten in Samland (oder auch andere) mir zu: 
neben laſſen wollten. 

*) Vergleiche meine Charakteriftit ver Meinen Dorflirhen in Pommerellen im 
„Organ für Epriftlihe Kunft“ 1865 No. 104,11. 


560 Mitteilungen und Anhang. 


bie Kirche ben Proteftanten gehört, tft — wie leider auch im vielen katho⸗ 
liſchen Kirchen — ber Unterſchied in ber Benugung von Chor und Lang 
haus gefallen. Doch muß ich Hier, bei Beichreibung des Gebäudes, die 
fen Unterſchied als einen wichtigen Punkt in dem Programm bes Baus 
feſthalten. Ohne Renntniß des Programme aber ift die Beurtheilung 
eines Kunſtbaues geradezu unmöglich. 

Die ganze Kirche mit Chor und Thurm ift etwa 130 Fuß lang und 
im Sanghaufe ewa 40 Fuß breit. Der geradlinig«) gefchloffene Chor 
(35 Fuß lang) beftcht aus zwei Jochen, welche durch einfache Sternge 
mwölbe ebler Bildung überbedt find. Die Gewölbe ruhen auf Eonfolen, 
ganz ähnlich benen, melde im Kreuzgang bes Hauptſchloſſes Marienburg 
noch erhalten find. Diefe Confolen, fowie auch das Profil der Rippen 
Getzt leider dick mit Kalltünche überflebt) zeigen bie Formen ber beften 
Zeit der Orbensbaufunft in Preußen. Diefes Gewölbe befonders veran 
laßt mid, ven Chorbau noch in das Ende bes 14. Jahrh. zu fegen. In 
der Oftwand befindet ſich ein, durch ben Hohen zopfigen Altar leider gam 
verbedte® Fenſter, deſſen Laibungs-Profil ebenfalls bie edle Bildung der 
guten Zeit zeigt. In der Südwand befindet fi, ber Regel gemäß, in 
jedem VJoch ein Fenſter. 

In dem Winkel zwiſchen ber Nordwand bes Chors und ber Oftwand 
des Langhaufes findet fi, wie gewöhnlich eine Heine Sacriſtei, welde 
hier jegt ohne künſtleriſchen Werth iſt. 

Un den Chor fehließt fi nach Weften Hin, von bemfelben durch ben 
ziemlich ſchlanken, fpigbogigen Triumphbogen getrennt, das Langhaus an 
(80 Fuß lang). Daffelbe befteht aus fünf Jochen. Doch fehlen wie ge 
fagt, feit 1697 die Gewölbe, Man fieht an den Wänden uoch einige 
Confolen mit den Anfängen ber Rippen, welche Formen zeigen, ähnlich 
denen im Chor, doch aber deutlich erfennen laſſen daß fie pur unverftan- 
bene Nachahmungen ber älteren find, Die Widerlager find noch auf allen 
Seiten fichtbar, freilich in einer, bei Gelegenheit ber letzten Reſtauration 
modificirten, für bie Meiften wohl unverftändlihen Form, Strebepfeiler 


*) Beide Arten des geraden und des polygonen Ehorfchluffes finden fih 
bei den Preußiſchen Kirchen ber älteren Zeit ziemlich gleich häufig. In der fpätern Zeit 
ſcheint der gerade Chorſchluß vorherrſchend geworden zu fein. 





Die Kirche zu Kumehnen in Samland. 561 
befinden fid) auffallender Weife nur auf ber Norbfeite und zwar im Fur 
nern, Diefelben find ans Ziegen hergeftellt, während bie Rorbwanb ans 
toben Granitblöden aufgeführt if. Man orbnete dieſe Strebepfeiler 
mahrfcheinlih an, weil man der Norbwand uicht fo viel Stabilität zur 
traute um ben Schub der Gewölbe aushalten zu können, Bei ber zum 
größeften Theil ans Ziegen hergeftellten Südwand erſchienen Strebepfeiler 
nicht nothwendig. — Die Dede befteht jet aus Brettern und ift gejchmad- 
108 bemalt. Der Fußboden tft überall mit Ziegeln gepflaftert. — Auf der 
Süpfeite find, den 5 Jochen entipredjend, 5 Fenſter; anf der Norbfeite 
gar keine, eim bei Heinen Dorflichen Preußens nicht feltener Kal. — 
Außer dem Hauptportal und ber Vorhalle unter dem Thurm Hatte die Kirche 
noch 2 GSeitenthüren, auf der Nord» und ber Südſeite des Langhanfes, 
davon bie fübliche jegt vermanert, die nörbliche mit einer ganz modernen, 
höchft unwürdigen Borhalle umbant iſt. Die Laibung biefer nördlichen Thüre 
hat ein einfaches ſchönes Profil, ähnlich dem bes großen Oftfenfters. — 

Den weftlichen Abfchluß des Gebäudes bildet ber in der Age ftehenbe, tm 
Grundriß quadratiſche Glodenthurm. Sein unterftes Geſchoß, das früher 
ebenfalls überwölbt war (figurirte Eonfolen find noch vorhanden), bildet bie 
Vorhalle der Kirche. Im berfelben befinden fich alfo zwei fpigbogige Portale, 
eins nad) dem Innern der Kirche, das andere nach Außen führend. Die 
Brofile der Laibungen, foweit fie erhalten, find nicht mehr fo eiufach ebel, 
wie im Chor, verraten ſchon bie fpätere Zeit ihrer Entſtehung. — 

Die änfere Phyſiognomie des Gebäudes ift vorzüglich durch das zum 
Ban verwendete Material bebingt, denn baffelbe tft auf Eonftruction und 
Bildung ber Runftformen von dem allergrößeften Einfluffe. Da die ganze 
Provinz Preußen Teinen Hanftein hat, ift man bei Conſtruction der Mauern 
nur auf bie zahlreich vorkommenden erratifchen Granitblöde, welche, ihrer 
Härte wegen, zur Herftellung von Kunftformen nicht geeignet find, und 
auf gebrannte Ziegel angewiefen. Weil nun für ben in Rede fehenden 
Bau reichliche Mittel wahrſcheinlich nicht vorhanden waren und bie Ans 
fertigung einer großen Anzahl von Ziegeln doch Immer erhebliche Koften 
verurfacht, hat man einen großen Theil des Mauerwerks — fo weit ſich 
der Anwendung biefes Materials nicht eben erhebliche Schwierigkeiten ent 


gegen ftellten — ans unregelmäßigen, nicht geiprengten un Ku behaue · 
nupt. Ronate riſt Bd. IL Oſt. 6 


562 Mütheilungen weh Anhang, 


nen Granitblöden hergeſtellt. Wir finden denenach bie Inmfaffungswänbe ves 
Chors und die Sübwanb des Langhaufes bis zur Höhe der Fenſterbruſtung 
die fenfterlofe Nordwand unb die Umfeflungewänbe bes Thurms bis zur 
Höhe des Hanptgefimfes — in guößere Höhe wärbe das Heben der großen 
©ranitblöde zu viel Arbeitskraft in Anfprucd genommen und zu fefle Ge 
rüfte erfordert haben — ganz aus Granitfüden Hergeftellt, dabei bem 
irgenb welcher Schmud fich nicht anbringen ließ. Die Thie-Einfaflungen 
dagegen find natärfich von Ziegeln, und zwar, weil man ein reicheres 
Profit dabei befonders liebte, aus forgfältig bereiteten Formſteinen, deren 
Fabrikation im Mittelalter fehr allgemein betrieben wurde und zw einer 
Hohen Gtufe der Bolllommenheit ausgebildet war. Alle anberen Theile 
des Bauwerls d. h. die Wände vom Chor und bie Gübwand bes Lang 
haufes von ber Fenfterbräftung ab — benn aus rohen Granitblöden Lafien 
fich war lange Mauern ohne Unterbrechung (Benfter) und ohne viel Eden 
(Strebepfeiler zc.) herftellen — uud bie innern Strebepfeiler der Norbwand 
beftchen aus Ziegeln. Im biefem Material lieh ſich bes einfache Schmud 
ber a Fuß tiefen fpigbogigen Niſchen, welche mit bem Fenſtern gleiche 
Form und Größe haben, mit Leichtigleit herftellen, und man that es um 
fo lieber, al& man neben ber beabfichtigten Belebung ben Flächen zugleich; 
eine Eriparnig an Material erlaugte, ohne ber Feftigleit ber Mauern zu 
ſchaden. Diefe Niſchen ſieht man, in nicht befonders künſtleriſcher Weite 
dicht an eimander gereiht, auf bev Ofi- und Südſeite. Bon bem Mittel 
giebel und dem eimft gewiß reich ausgebildeten Oſtgiebel if nichts mehr 
oshalten, Auch ber Thurm iſt in feinen obern Theilen in durchaus ent 
ſprechender Weife mit größern und kleinern ſpitzbogigen Niſchen verjchem, 
darin bie Licht, uub Schallöffnungen ſich befinden. — Die Zeegel haben, 
wie bei allen älteren Bauten, ein großes Format (12 Zell lang zc.) umb 
find im fogenannten Wenbifchen Verband verfegt, d. h. es wechſelt in je 
ber Schicht ein Läufer mit einem Gtreder. 

Der Thurm hat am feinen Weil-Mauern zwei diagonal geftellte 
Strebepfeiler. Die alte Thurmſpitze fehlt. Die moderne ift eine ſtumpfe 
vierfeitige Pyramide. Wahrſcheinlich war ber Thurm, nad ber im gan. 
sem Gebine des Ordenslandes Preußen fehr beliebten Weiſe, mit einem 
Satteld ach zwiſchen zwei veich becorirten Giebeln verfehen, etwa ähnlich, 


Die Kirche zu Kumehnen in Gamland. 863 


wie an ber fehr viel fpäter erbauten Kirche des nahen Dorfes Thieren⸗ 
berg«) noch Heute zu fehen. 

Kehren wir jegt nach dem Innern zurüch, um bie Gegenflänbe ber 
tirhlichen Ausräftung näher zu betrachten. 

Haupt-Altar und Kanzel wurden ber Juſchrift zufolge 1676 im 
jenem befannten Hollänbifchen Zopffiyl ausgeführt, der in faft allen öffente 
lichen Denkmalen unferer Provinz, oft zum großen Nachtheil des befieren 
Alten, ſich eingeſchlichen hat. — Doc if auch ber alte Haupt ⸗Altar, ein 
teich geſchnitzter, vergoldeter und bemalter Altarſchrein, freilich fragmentirt, 
noch ziemlich gut erhalten. Er hängt jetzt unbenutzt an einer Seitenwand 
des Chors. Im Mitteljchrein find bie Statuen von Maria mit dem Finde 
und St. Anna. Im Hintergrunde fieht man vier Heilige in Bruſtbildern. 
Ueber dem Schrein befinden ſich umter zierlich in Holz gefchnigten, eich 
vergolbeten Baldachinen, Chriſtus am Krenz, zwiſchen Johaunes und Maria, 
Die Seitenflägel fehlen. — Eine Jahreszahl habe ich am biefem Altar 
nicht anffinden Lönnen. Doch ift derfelbe ohne Zweifel in der letzien Zeit 
der gothiſchen Kunft, am Anfang des 16. Jahrhunderts angefertigt werben. 
Aehnliche Altäre finden fidh in mehr oder weniger gut erhaltenem Zuſtande 
in noch mehren Kirchen Samlands und auch fonft häufig in anberm Thei- 
len unferer Provinz, fowie in Pommern, Sachen u. ſ. w. Bon fowfligen 
Gegenftänden der innern Ausrüftung hat fi) im Ehor noch ein ſehr Hübich 
und zierlich in Schmiebeeifen gebilveter Wandleuchter erhalten, der ches 
mals wohl (nebft 11 ähnlichen) vor einem ver zwälf Weihelrenze ſich be» 
fand, und ein altes Weihwafferbeden aus Granit. Der Härte bes 
Materials wegen Tonnte daffelbe nur wenig Kunftformen erhalten, erfcheint 
deshalb alterthümlicher als es wirklich ift (etwa um das Iahr 1400 an⸗ 
gefertigt). Ganz ähnliche Weihwafierbedten haben ſich auch fenft noch in 
Samland, in Weftprenfen zc. erhalten. 

Zu bemerlen ift endlich andy noch das große Bild bed Pfarrer Gottfr. 
Bilamovins, welcher 1687—1726 an biefer Kirche gewirlt hat. 

Georgenswalbe, Iuli 1866. R, Zergau. 


*) Gebauer (Runde Samlands 6. 113) hält dieſe Thurm-Enbigung ſonderda ⸗ 
ter Weife für ein „Nothdach. 





36° 


664 Mittheilungen und Anhang. 
Urkunden-Bunde, 


Gol IT, 467.) 

Die nachſtehenden beiben Urkunden, als Vorfegblätter verwandt, wur⸗ 
den einem Sammelbande alter Drude in 8" entnommen, welcher unter ben 
Manuſcripten der Könige, Bibl. No. 166° aufbewahrt wird. 

2 
(Original auf Pergament, mit den Ginfchnitten für das Siegel.) 

IN’Os Lvcas, dei et apoftolice fedis gracia Epifcopus War- 

mienfis, Significamus tenore prefencium, quibus expedit, vniuer- 

fis: Quod, dum ftatutis ad hoc a iure temporibus et fucoeffiue 
infra miffarum folennia Sacros clericorum ordines celebraremus, 

Dilectum nobis in chrifto Bartholomeum Ryngefzkrol de 

Elbingh, acholitum dyocefis noftre, rite examinatum et idoneum 

compertum, Ad prouifionem fuorum parentum, videlicet Cafparis 

Ryngefzkrol et Catherine, coniugis fue, promouimus grada- 

tim in Subdyaconum, Dyaconum et prefbiterum, diuina nobis 

gracis mifericorditer cooperan. Indulgen. fibi, ut extra dyocefim 
noftram officium omnium predietorum ordinum, dum canonicum 
non interuenerit impedimentum, poſſit exercere. Harum quibus 
pro teftimonio noftrum Secretum appenſum eft vigore literarum. 

Datum in Caftro noftro Heilfbergh, Sabato Quatuor temporum, 

quo in ecclefia Introitus miffe Charitas dei confueuit decantarj, 

Anno domini Millefimo Quadringen, Nonagefimo primo, 

3 
(Original auf Pergament.) 
hu. xpo. deo, deuoto domino Bartholomeo Stregener fa- 
cerdoti ffrater Nicolaus lackman, facre theologie profellor 
fratrumque minorum provincie Saxonie minilter et ſeruus, Salu- 
tem et gracie incrementa fempiterna. pijs veltris precibus, cum 
ad falutem anime pertineant, inclinatus deuocionemgue, quam ad 
ordinem fancti patris noftri ffrancifei geritis, in domino oommen- 
dans ao vicillitudinibus falutaribus recompenfare defiderans, aucto- 
ritate apoftolice mihi in hac parte fpecialiter indulta, vos ad 
vniuerſa noftre religionis (uffragia in vita recipio pariter et in 





Alterthumefunde. 565 


orte, Concedens vobis prefentis tenore plenam participacionem 
Miffarum, Vigiliarum, Orationum, Jeiuniorum, Caftigacionum ac 
aliorrum omnium bonorum operum, que per fratres noftri ordinis 
et forores ordinis ſancte Clare per totum orbem in bis mille cen- 
tum octoginta [ex monalterijs domino digne famulantes operari 
dignabitur clemencia nostri faluatoris, Adiciens fingulariter, quod, 
cum obitus vefter per diuinum prefidium diu differendus noftro 
generali aut provinciali capitulis fuerit nuncciatus, pro uobis ta- 
ia ordinabuntur defunctorum fuffragis, qualia pro fratribus noftri 
ordinis et ordini peculiaribus i’d. [itidem?] recommendatis ab anti- 
quo oonfueuimus ordinare. Infuper et animas omnium confangui- 
neorum veltrorum in xpo. feliciter defunctorum ad memorata reci- 
pio fuffragia premifforum. Datum gedani, Anno domini 1415, 
8. nouembris, officij mei fub figillo prefentibus appenfo. 

B Sn. 


Alterthumsfunde. 
(al. IT, 280.) 

30) „Ein ortentalifger Münzfund.“ [Misſchr. III, 374] 

31) Ende April d. J. wurden auf ber Feldmark Rogehnen (Befiger 
Kühn) (Ar. Fiſchhauſen), nah Schorſchehnen zu, anf einem Hügel, 
„Blodsberg” genannt, durch Pflügen Steine von bebentenber Größe blos- 
gelegt. Beim Ausgraben derſelben fand man 1 große, 4 mittelgroße 
Urnen und 1 Heine (Thränentöpfchen), alle von roher Arbeit und bem 
befannten rohen Material, Sie zerfielen, bis auf bie größte, beim Aus- 
Heben. Die Urnen enthielten, außer Afche und Knochenreften, folgende 
Gegenftände: (von Bronce) 2 Schnallenfragmente, 1 verzterten Gewand⸗ 
Halter (Spange) mit Ring, 1 Dorn einer Schnalle, 1 Fragment eines 
Ringes; (von Eifen) 1 Fragment einer Lanzenfpige, 3 Mefjer, 1 unbe 
ftimmbares Fragment. [Nach münblicher Mittheilung.] 

32) Bei Barten, 14 Meile von ber Stadt, unweit ber Mofer’fchen 
Befigung, hat man beim Steinſuchen zum Chauſſeebau alte Preußen- 
gräber entbedt. Der Ort bes Fundes tft ein Hügel, welcher nach zwei 
Seiten fanft abfällt und Hier beadert iſt, während er nach ber anderen, 


[77] j Nittheilungen und Anhang. 

bewaldeten Seite ſteil abfällt. Auf dem unbewaldeten Theil befanden ſich 
die Gräber. Man fand darin, außer zahlreichen Urnen, breierlei eijerne 
Zangenfpigen, und oben auf dem Hügel bie Hälfte eines fleinernen Streit⸗ 
Yammers. Nach brieflicher Mittheilung.] 

88) Dicht an der Buyliener Forſt (Kr. Gumbinnen) iſt im Felde 
ein kupferner Mefiel mit Tupfernen Römischen Münzen ausgegraben, 
{Bürger- und Bauernfrennd 1866. No. 33.] 

34) Bei den Baggerarbeiten im Pregel (Königsberg) ift dieſer Tage 
wie ‚obere'Häffte eines alten eifernen Schwertes heranf geförbert wor: 
sen. Unter ber Stange befindet ſich ein in das Eiſen eingelafjenes, durch 
mb durch gehenbes Zeichen vom echtem Golde, wie es ſcheint, im roher 
Zeug „Slaube, Liebe, Hoffnung“ darſtellend. [Oſtpreußiſche Zeitung 
1866. Ro. 217.7 Sn. 


Univerfitäts-Chronit 1866, 
14. Aug. Math.phrf. Doctordiſſ. von Onrol. Von der Muehll (aus Bafel): Ex ipsis 
praeceptis mechanicis dueantur leges, quibus lueis undae in plano, quod finis 
sit duorum pellucidoram mediorum, reflexae et refractae pareant, (28 ©. 4.) 


Schul · Schriften. 

DBraunsberg. Jahresbericht üb. d. Mgl. katbol. Gymnaſ. in dem Schuljahre 1865—66 
... 9. Aug. ... Prufung ... Direct. Prof. I. I. Braun. Ebd. "Gebr. bei 
€. A. Heyne. (12 S. 4) [Schulnadr. (13 L. 296 Sch. 3 u. 14 Abit.)] 

Deutſch· Trone ... Kgl. Katbol. Gymnaſ. in dem Schulj. 1865-66 . . . Prüfung 

.. 9.... 10. Aug.... Direct. Dr. Pranz Peters, Nene Folge XI. Etd. 
1866. Drud v. P. Garms. (30 ©. 4) [Infinence des dlments germaniguss 
sur le vienx frangais proprement dit, relativement aux autres diöments. Ben 
Gymnaſiallehr. Dr. Hein. Bludau. S.3—15.— Schulnacht. (deutſch u. poln.) 
(12 2. 252 Sch. 10 Abit.)] . 

GEulm. Programm des Kgl kathol. Gymn. f. d. Schulj. 186566. Dir. Dr. Loäyraki. 
XXVIII. Danzig. Gedr. in d. Buchdr. v. H.F. Boenig. 1866. (28 u. 16€. 4) 
[8scra sollemnia quibus Gymn. regium cathol, Culmense a Guilelmo I. Boruss. 
rege augustissimo extructum d. X. mensis Julii a. 1866 inaugurabitar pie 
celsbrands indieit Bector et Collegium Magistroram, Inest Josephi Hasgelli 
de pronomine ipse cam pronominibus personalibus juneto quaestio grammatica, 
16 &. — Schulnschr. (Beichreibung d. Einweihungsfeiet d. neu. Gymnaſialge⸗ 
bäudes 6. 18—22. — 19 2, 531 Sch. 2 u. 19 Abit.)] 


SchulSciften. 667 


Progr. d. höh, Bürgerseh. £. d. Schulj. 1885-66 . . . 3. Aug... . Priifung . 

7. Mothill, Vertreter d, Rectors. No.86. Ebd. 1866. Gedr. "nei Ignacy Da 
nielewski, (18 ©. 4.) [Oberl. J. Mothill, Ein Dreieck zu zeichnen aus der 
Grundlinie g, der Summe der beiden andern Seiten s und der zur Grundlinie 
gehörenden Höhe h. S. 3—7. Schulnachr. (7 £. 108 &d.)] 

Danjig. Programm ... 27. Mürs 1866... Prüfung .. . städtisch, Gymnas. . . . 
Dr. Fr. Wilh. Engelbarät, Direct, Ebd,, Druck von Edw. Groening. 1866. 
(82 u. 12 &. 4.) [Ueber d. Bewegung einer Kugel, welche in e, reibenden 
Flüssigkeit um einen senkrechten Durchmesser als feststehende Axe rotirend 
schwingt, Ein Beitrag =, Theorie der inneren Reibung der Flüssigkeiten von 
Dr. 0.3. H, Lampe. 32 S. — Schulnachr. (18 2. 467 Sch. 24 Abit.)] 

Real⸗Schule zu St. Johann. Ihrem. . . Director... Dr. Mathias Gotthilf 
Loſchin . . . widmen bei feinem 50jähr. Amts-Jubilaum am 5. Dechr. 1865 . . . 
diefe Feſtgabe die Lehrer der Anſtalt: ... Ebd. Wedelſche Hofbuchdt. 1866. 
6 Bl. u. 31 6. 4.) Latein. Carmen von Dr. Brandt. — Hebr. Carmen mit 
deutſch. Ueberfepg. von Gardt.— Beiträge zur hanſeatiſch-engliſch. Handels-Ge— 
dichte. III. Bon Dr. Panten. 31 ©.) 

(45,, der 3. Folge 7.) Bericht üb. d. zur 1. Ord. gehörende Real-Gäule zu St. Jo⸗ 
baun ... 23. März 1866... . Prüfung . . . Dir. Dr. Löſchin. Ebd. 1866. 
(@0 u. 34 S. 4.) [Die franzdfiihen Yrembwörter in unferm heutigen Verlehr 
von Dr. Zaubert. 34 6. — Schulnacht. (Bericht üb. d. 50j. Jubil. d. Direct, 
von Dr. Banten. ©. 18. 14, — 17 2, 517 Sch, 10 Abit.)] 

Progr. d. Realsch. 1. Ord. zu St. Petri u, Penli.. . 26.Märs 1866... . Prüfung 

. Dr. F. Strehlke, Dir. Ebd, Druck von A. W. Kafemann, 1866. (89 6. 4.) 
{Der krissäische oder der erste heilige Krieg in Griechenland von Dr. Möller. 
©. 3--33. — Schulnachr. (17 2. 467 Sch. 4 Abit.)] 

Jahresbericht üb. d. stäät, höhere Töchterschule .. . 28. März 1866... . Schul- 
prüfung .. . Direct, Dr. Grübman. Ebd. Druck von Edw. Groening. 1866. 
(10 ©. 4.) [6 Lehrer. 6 Lehrerimnen. 263 Sch] 

6. Bericht üb. d. neu errichtete Mittelfäule . .. 16. März... Prüfung... 
Nector Dr. Peters. Ebd. Wedelſche Hofbuchdr. 1866. (86. 4.) [4L. 2276.) 

Elbing. .... öffentl, Prifung der Schüler d. Gymassiums ... 26....27. März... 
Dr. ‚Adolph Benscke, Prof, m. Dir, .... Ebd, 1866, Druck d. Neumann-Hart- 
mennschen Buchdr. {18 u. 196. 4.) {Bchulnachr. pro 1864-66. (1865: 112. 
307 Sch. 10 Abit. 4866: 122. 311 Sch. 9 Abit.) — Bestimmung der Beitenfliche 
des schiefen Kegels mit elliptischer Basis. Von Dr. Sahindier, Prof. (19 &.)] 

u... Staͤdt. Realſchule. 26.... 27 März 1866... . Dir. Mreppig. Ebd. 
1866. (26 u. 15 6.4.) [Schulnadhr. 1864-66. (142. 477 Sch. 12 u. 5 Abit.) 
— Die hiſtoriſchen Schriften Enharde. Ein kcitiſcher Verſuch von Dr. Mobert 
Dorr. (15 .) 


568 Mittpeilungen und Anhang. 


. altkädt. Tödterfäule . . . 20. März 1866 ... . Btraube. Ch. 1866. (86.4) 
[10 Lehr. u. Lehrerinnen. 853 Sch.] 

SBobenſtein. Progr. d. gl. Gynmaſ.... Brüfung...28. Sept... Dr.M, Tooppen, 
Director. Allenftein 1866. Gebr. in der Harih’ihen Buchdr. (55 ©. 4) lor. 
M. Zöppen, Die preuß. Landtage während der Regentſchaſt de Markgrafen 
Georg Friedrich von Ansbach. Nach ven Landtagdakten bargeftellt. (Fort) 
©. 1-40. Säulnadır. (11 2. 189 Sch. 13 Abit. No. 77-89.) 

Kauernik. Programm des Inftituts . . . 23. März 1866... . Prüfung. . . Stifter 
und Dirigent der Anftalt Marrer Anton Pr B. Hunt, Dre v. Aug, Kuran in 
Neumark. (21 6. 4. deutſch u. polniſch mit Stundenplan.) (Borwort 6. 4-9. 
Schulnacht. (7 2. 109 Sch.)) — Programm . . . 30. Aug. 1866 . . . Prüfung 
... Ebd. (28 6. 4. deutſch und polnifh mit 2 StundenpL) ſVorw. 3-11. 
Schulnacht. (8 2. 110 Sch.)] 

Königsberg. Bericht üb. d,Altstädt, Gym... . . 1865... . 1866... . Prüfung ... 
26.... 27.Mürs ... Dir. Prof. Dr. R. Möller. Ebd, 1866. Druck der Uni- 
versitäts-Buch- u. Steindruck. von E, J. Dalkowski, (52 ©. 4.) [Oberl. Dr. 
0. Retslafl, Proben aus einer Homerischen Synonymik, ©. 1-32, Schul- 
machr. (17 2. 450 Sch. 15 Abit.)] 

Bericht üb. d. Kneiphöfische Stadt-Gymnas, .. . 1865—1866 . . . 27. u. 28. Mirs 
.. Prüfung . .. Dr. Bud, Ferd, Loop. Skraocaks, Dir. Ebd. 1866. (38€. 4) 
[Skrsesıks, Zweiter Beitrag sur Geschichte des Kneiphöfischen Gymnas. im 
17. Jahrh, ©. 1-22. Nachr. (Beschreibung der feierl. Uebergabe des neuen 
Schulgebändes 12. October 1865. &.-32—85. — 172. 318 Sch. 13 Abit. 
No. 420—432.)] 

Programm der fädtifh. Realſchule ... Prüfung . . „27... . 28. März... 
Dir. Dr. Alexand. Schmidt. Ebd. 1866. (29 S. 4) I[Dr. Alex. Schmidt, 
Ein Denkftein geſezt den Manen des Dichters William Eomonftoune Aytoun. 
©. 1-21. — ahreöber. (14 2. 321 Sch. 3 Abit.)] 

Mariendurg. Städtisches Gymnas,... 26. Mürs 1866... Prüfung... Dr. Fr. Strehlke, 
Dir. Gymn. Ebd. Druck von M. Kanter. (47 ©. 4.) [Prof. H, 6, Doerk, 
Sammlung stufenmäasig geordneter u, vollständig berechneter Aufgaben ans 
der reinen Differensialrechnung. &,3—34. Jahresber. (152. 380 Sch. 6 Abit. 

villau. ... Prüfung ... Höheren Bürgerfäule ... 26. ... 27. März... 
A. Zander, Rector. Pillau 1866. Gebr. bei H. Hartung in Kasba. (25 6. 4.) 
[Ueber Meereöftrömungen. Vom Gonrector Dr. Lampe, 6. 1-18. — Edul: 
nacht. (7 2. 130 Sch. 4 Abit) Am Schluß find die weſentlichſten Punkte der 
Schulordnung den Eltern u. Angehörigen der Schüler in Grinnerung gebradt.] 

Anm.: Das vorjähr. Programm, Ebd. 1865 (846. 4.), enthält die Abhand- 
lung von Prorector Dr. Kregfämar, die Fraglichleit der Grenze zwilden 
Wier⸗ und Pflangenleben. ©. 3-21. 


Biblioaraphie 1865. 569 


Thorn. Bericht über die Knabenſchulen ... für die Zeit v. Ofiern 1865 bis Oftern 
1866 . . . Prüfung . . . 27. März . . . Rector A. Hoebel, Ebd. 1866. Schnell: 


preffendrud der Rathsbuchdt. (26 6. 4.) 16Hoebel) Ueber ven Unterricht im 


Deutſchen in der Bürgerfhule. S. 8-17. — Racht. (11 2. 545 Sch.)] 

Jahreöbericht üb. d. jüdifche Gemeinde-Behule . ... 25. März 1866 . . . Prüfung 

« Rabbiner Dr. M. Rabmer. Ebd. 1866 gebr. bei C. Dombromäti. (16 6. 8.) 
[Rahmer, Auszug aus Dr. 3. Frankel's Auffag in der Monatsſchr.: „Gelb. u. 
Wiſſenſch. des Judenthums“: „Die veligiöfe Duldung nad) der europätich. Völter- 
tafel.“ 6. 3-6. — Nacht. (5 2. 190 Sch. 

Tilſit. ... Kal. Gymnaſ.... Prüfung... 26.... 27. März... Dir. ottl 
Thood. Fabian. Ebd. 1866. Drud von 9. Repländer, (102 ©. 4.) [Beiträge 
zur Geſchichte des Kal. Gymnaſ. zu Tilſit. 1. Etüd. Balentin Tenner, Rektor 
der fürftl. Schule zu Tilſit 1586-1598, von Oberlehr. Heinrich Pöhlmann. 
786. — Schulnacht. 1864—66. (182.476 Sch. 16+2 +8 Abit. No, 212—: Fra 

22. Jahresprogramm ber ſtädt. Realfule 1. Ordu.... Prüfung . 

27. März 1866 .... Dir. 2. Koch. Ebd. 1866. Ser. bei 9. Bol. ne u 
[Die Behandlung der franzdſiſch. Conjugation in den mittleren Klaſſen von Lehr 
M. I. 9. Voelkel. 22 S. — Schulnacht. (13 2. 339 Sch. Michael 1864 bis 
Dftern 1866: 7 Abit. No. 77—83.)] 

Jahresbericht üb. d. Mädt. höhere Toͤchterſchule ... brög. von db. Direct. Adolph 
witt, Ostern 1866. Ebd. Drud von 3. Reyländer. (22 ©, 4.) (Rich, Förtsch: 
On the dramatie style of J. Dryden. 10 S. — Schulnachr. (52. 4 Lehrerinnen. 
212 Sch.)] 

Kurzer Jahresbericht üb. die Stadtſchule ... Prüfung . . . 20. März 1866... 
Carl Theod Gebauer, Rector. ( Ebd. Drud von J. Reyländer.) (8 S. 8.) [10 8. 
u. Lehrerinnen. 229 Knab. 216 Madch. = 445 Sch.] 


Bibliographie 1865, 


(Bortfegung.) 

Bilder, ©, Bis Abendmahlskinder. Gedicht von Tegnoͤt aus dem Schwediſchen. Kasbq. 
Hfbner & Map. (30 6. 16.) "s Thlr. 

Binz. Die Ober: Sarrticche zu St. Marien in Danzig u. deren feltener u. reicher 
Schag von mittelalterl, Baramenten. Sn urn gehalten im Saale des Ge: 
Terbehaufeh, am 25. Yan. 1865 von &. ing, Hüfee an d. gen. Kirche. Danz. 
Drud v. Ew. Gröning. (26 ©. ar. 8.) 

Sipler, De "Franz, Subregens des —5* zu Vraun sberg Meile Johannes 
Marienierder, PBrofeflor der Theol, zu Prag u. die Klausnerin Dorothea von 
ontau. Ein Lebensbild aus d. Kirchengeſch. des XIV. Jabrh. Aus d. Ihſhr. f. 

d. Geld. Crmlanda befond. abgebr. Braunsb. Cd. Peter. (135 ©. gr. 8.) 24 Ser. 

» Sippel, Carl, PBilan; möparaltere (Die Kiefer in der nordbeutichen eibe x) RR 
Si, ER & ‚Sale Je Sure heat rum 

v. r as ien. y allerie aſe ſcher Charal je ml 

fünftlers ſtizzirt. Abg, 866 E & Map. (83 ©. gr. 8. 





679 Mittheilungen und Anhang. 


Hirsch. Die grossen Volkskrankheiten des Mittelalters. Histor.-pathol. Untersuchun- 
gen von J. F. C. Hecker. Gesanmelt u. in erweitert. Bearbeitn: . von 
Dr. Ang. , Prof, d, Medic. an d. Univers, », Berlin, Fr win 
u. 432 ©. or. 8.) 2%, Ihr. 

— Jon Arm. (muß Danzig), De hepenatore era. Dis. insg, chirug. Br 


voſhan ö a, Dofbrebiner, das Verhaltniß ber Zhreologie a zu den übrigen Wiſſen⸗ 
(alten. En Berry ——— 
Kasbg. i. Pr. am Mr top. 1865. Kosba. Drud v. E. J. Daltowsti. (19 ©. gr.&.) 

Oeuvren complätes, Contes Gen frären S&raphin, par Hoffmann, Tra- 

duction de La Bödollitre. Illustre par Foulquier. Paris. Barba, (grand in & 
a 2 col,, 80 p.) [Pantheon populaire il Mrd] 

— — Histoires fantastiques, par Hoffm ron, Walt, Beott, Ch. Nodier. 
Arigoon. Chaillot, (117 p. 18.) [Collect ire et amusante.] 1 fr. 

— H. Kreisbaumeift. a. D. in Neuftot in Weſtpt., Mittheilungen üb. Ringöfen 
nad dem Patent von Hoffmann & Licht zum Brennen von Biegeln, Kalt, Gement 
u. allerlei Alonmaaren: —S aus No. 50 der land: w ſoiſtw. Zig. fd. 
Prov. Preuß. Kbg. Drud v. €. J. Daltkowsti. (19 ©. ar. 8, 

Bopt, Dr. Karl, Historisch-genealogischer Atlas seit Christi Geburt bis auf unsere 
Zeit, Abth, I: Deutschland. Bd. Lfg. 3. Gotha, 866. (865.) F. A. Perthes. 
(6. 81I—1%0. Fol.) 2 Thlr. U, 3.: 20 Thlr.) 

— — Grandes. [Allgem. Encylop. d. Wiſſenſch u. Sänite | —8 v. Erſch u. Gruber. 
1. Section, 79. Theil. &p; Brodbaus. ©. 192 - 25) 

-o- Denenig, ei Rath Ber hr —— Raumers bift. Taſchen 


6. 

Hoppe, Re ., Chrüftus mein eben. Katholiiches Geb. Auszug aus 

* —— Imre 1 tb u. — Brrinsbere 6. Bar 
w 

th, Dr, Low. Oberl. am Oymn., au der Weltgeſch. für Sumnaßen u u. Recl: 

» Keule u. vun zum ‚ Sehfunterät Ze Lu) Mittl. u. neue Geh. Lyd. Selbftulg. 

8.) ft. (1. TI: 1%]g 

Huth, R., an 1. Klaſſe zu Neuteich, Zum Vferdehandel. Ein Vortrag, asian 

In nm, Seen jzu — am 14. Febt. 1865. (Danzig. Drud v. 
afemann.) ( 

Jaeobfon, Brof. Dr. 9. %., Das Srangelifde Girenedtt des ‚Breußiicen Staates ı. 
feiner Vrovinzen dargeftelt. 2. Abtb. 1. La. (©. 338—862.) Halle, 866. (865.) 

Jacobson, Prof, J., Zur Lehre v. der — ae mit Lappenschnitt (Ueber 
d. Zulässigk. des Chloroforms bei Staarextractionen), [Archiv f. Ophthalmel. 
Bd.X1. Abth. 1. 6. 114—128.] 

— — Verletzung des Auges durch einen bis in die Nähe des Sehnerven durch- 
dringenden romden Körper. Eigenthüml, Verhalten der Linse u. d. Glaskörpers. 

1 1 

Jacoby, Br h., vor dem Griminalfenate des Kaumergerichts. Am 9. Jan. 1865. 
2p3. D. Winand. (29 ©. gr. 8.) 4 Sr. 

— — ud. Kirchmann, Ob ftebenbes —— ob Voltsweht 2 Reden im preuß. 
Abgeorbneten-Haufe anal am 29. Apr. 1865. Ebd. (16 ©. 8.) U 

— — Heinrih Simon. Cin_Gebenl für das beutiche Bolt. 2 Zheile, Berlin. 
Springer. (XIV u. 548 ©. gr. 8. m. It. Porte. u. 1 Steintaf,) 2 Ihr. — — 
2. — Aufl. Ebd. (IT u. 392 ©. gr. 8. mit uth. Portr.) 1 Thlt. 

Jastrowits, Maur. (aus Cöbau), De fistula vesico-vaginali, Diss, inang, med.-chi 

8.) 


Berol. (32 

Jebens, Der Torreſpondentrbeder nach den Beftimmungen d. ns . [Eentral- 
ara f diſch. A u. Vehfelreht. N. 5. 1. 2b. 3. Hft. 

— — Das Preuß. oieh, Ieietenn, bie m die Kechisverhalmiſſe der —S——— auf 

den Seeſchiffen v. 26. März 1864. IEbd. S.525—545.| 

— — Schaden durch Zufammenftoß on Schiffen, abordage, Buſch Archiv f. Deot. 

* KR —8 ieh On afüenae) Gel Edle ed, iehungslebre_f. d. Eduk u 
Driginalft iehungälel 

d. Haus ober dieen Xheorie die ur u. Kinder {a Schule u. Haus folgfam u. 





































Bibliographie 1868. 671 


fleißig zu machen. bei ihnen gut. Willen z. ſchaff. & u Allem was Lehrer u. Eltern 
v. ihnen wünf. u ihnen bein ibr. ‚Bit. Hr ir jevächtn. zu bekräft. zum leicht. 
Auffofl. u. Ausmwendiglernen, ihnen d. Schul: rbeitftund. angenehm 3. mach., 
bei ihnen wirfl. Liebe u. Adhtg. f. 2 








et. "ir — fie 3. untadelhaft. 






jutrau. u. Vertrau. erwedd. gen Binzufübr., ihr. Willen 3. nei alles 
In frei u. fie zum Dienen wie zum Herrich. fähig mad, alſo fie in allen 
Ständen zu Kein u. nügl. Menſch. zu sieben, de reis ift 10 Ear. u. d. Err 


trag bau) ac 3 Dmude der 2. u. größ. Ausg » philoſ. Originalfgft. beftimmt. 
Danzig. A. DW. Kafemann. (15 ©. ai 

— —* eines Dampfteſſels — Verl. u. Dr. v. Edw. Grö—⸗ 
ning 

John, Prof. Dr. Nic. Ev: Ueber, Gerganttlten. Ein populärer Vortrag. Berlin. 
Yüverib. (IV u. 38 ©. or. 8 

Jolowies, Dr. N. Ueber das Wen a. — Vortrag, gehalten in d. ord. 
Siteg. d, Gabelsberger Stenograph.-Central-Vereins zu ı Kan am 20. Jan, 1865. 
(Brenogeaphirt) [Beilage rur Pr. Stenographen-Z; ve 9—12 ar. 8] 

— = Gebete u. Gefänge für das Neujahrs: u. Verl — —E u. 
Jomtippur) Zum Gebr. f. den geregelt. jud. Gotlesdienſt in Rnsbg. i. Br. hrag. 
(Als Difer. gedr.) (Rasb. gebr. b. Gruber u. Longrien.) (64 ©. 8.) 

— — Britisch diamonds. A »tandard selection from tke modern "glich poets, 
shit Ting, 2. Er Dresd,, 866, (865.) Ehlermaun, (XXX1 u. 238 ©. gr. 8.) 

v. 1 
— — Nirael Jatob, ein itbifer Charalter aus der jüngft. Bergangenbeit, lSilberg s 
u —— . d. gef. Intereſſen d. Jidenthums. iI. 3. Dechr. 1865. 
J 8] 

Jordan. Shateiprare's Romeo u. Julie. Beutd v. Wilh. Jordan, [Biblioth. aus: 

us acer in en euticher Uebertrag. 5. Bd. Hiltburghaufen, bibliogr. Inſtit. 
8. Is 

=. Shetefo. König ein (Ebd. 20. Bo. (166 ©.)] 8 Sar. 

Journal des Theaters in aan unter Peitung des Hi Be Diner Herın Herrmann 
Meinhardt ,.... Tiljit. Drud v. 3. Repländer. (2 Bl. 

Kant. — Prolögomänes & toute mötaphysique future qui 8 le droit de se prösen- 
ter comme sofence, de deux antres fragments da mäme auteur relatifs 
& la critique de la raison pure, Onvragen traduits de allemand d’Emmanuel 
Kant, par J. Tissot, professeur de philosophie. In-8, 484 p. Dijen, impr. 
Rabatot, Paris, libr. Ladrange. 6 fr. 50 c. 

Liebmann, Dr. Otto, Kant u. die yigonen, Eine tritifhe Abhandlung. Stutte 
gart. Schober. (220 ©. ar. 8.) 1 Ihle. 3 Spr. 

Baul, a, Dr. Lydw. Kant's Lebre vom Tabicalen Böfen. Sin Bergleih mit 
der Sehre ber Nicche. Halle. Bfeffer. (KIL u. 98 ©. ar. 8.) 4, Zhk. 
Miöter, Dr. Arthur, "Immannel_Kant's Anſichten über rlchumn. — dv 

Kal. Dom pmnaf. 3. Halberitadt zur ‘Feier des 50jähr. Amis juvilaums des 
Hm. ©. W. Müller, Brobftes u. Direct. des Padagog. am Koft. U. 2.5. 
zu —E Hall dt, Franßz in Comm. (28 ©. ar. 4.) 8 Sar. 
Seisset. — Le Scepticisme, Aendsidöme. Pascal. Kant. Etodes ponr servir 
& Vhist. crit. du soepticisme ancien et moderne; par Emile Baiss 
membre de l'Institut, prof. de phil. 3. &dit, In-8, XV—467 p. Paris, 
impr, Bourdier et Ce, libr. Bidier et Co. 
el. Paul Janet. le scepticisme moderne. [Rdvae des deux menden. T. 56. Live. 2. 
©. 489497.) 

Karte der Schiffbrüche u, Strandungen an der Preuss, Ostseeküste, in den Jahren 
1857—18#4. Debit von Leon Saunier in Stettin. 1 XThlr. 10 Sr. 

Karte, Topographische, vom Preussischen Staate mit Einschluss der Anhaltischen u. 
Thüringischen Länder, östlicher Theil. Bearbeitet in der topopraph. Abtheilg. 
des Kgl. Preuss. Generalstabes, Maasstab 1:100,000. Section 16. Labiau. 
1. Crottingen, 14. Cumehnen. 27.Pillau. 17. Gr. Skaisgirren. 13, Schwarsan 
(Kr. Nenstadt, Reg.-Bes, Danzig). 42. Tiegenort, 3. LaugaHen. 8. Kaukehmen. 
Berlin, Schropp. Lith. u. col. Fol. Section 18 u.42 4 nn, 8 Bgr. Die Obrigen 

on, 14 Sgr. 




















572 Mittheilungen und Anhang. 


Karte der Umgegend von Danzig. Aufgenommen u. hrsg. v. d, topogr. Abthlg. des 
Kgl. Preuss, Generalstabes, Ebd, 11, Thlr. 

— von den Postverbindungen des Ober-Post-Directions-Besirk’s Königsberg. Nach 
amtlichen Quellen angefertigt im August 1865. 

Katalog der zu —2 von dem Schafzi fauätenBerein für die Provinz Preußen ar: 
zangizten, mn nl 1865 beginnenden Schafihau. Kgsbg. Schuißſche Hofbapr. 

gt. h. 

Kliewer, Heinr., Oberon's Versöhnung mit Titanie. Dramatisches Festgedicht zur 
goldenen Hochzeit dem Löschin’schen Ehepaare ehrfurchtsvoll gewidmet von 
d. Prima der St, Johannisschule. (Danzig. Druck v. A, W. Kafemana. (7€. Fa 8) 

— — Ode, dem Director Herrn Dr. G. Löschin, Ritter etc. etc, bei seinem 50jähr. 
Amtsjubiläum. in dankbarer Hochachtung geriämet von seinen Schülern. 
— den 5. Decbr. 1865. (Ebd.) (2 Se 

Stabtrichter R. in Danzig, Der Entwu— can an Brock Oranune, und bie 


Entigeidun iträge 
"ernge Bruch — 2 Alena 2. Hft. © ee e vun 
— — Band 51 der Ent —æe — —— Ober⸗ tie 
3,1 1865. Ro. 6 


5] 
-- .G.B. Art. 37-349. (Central d. diſhe Odls.- u. Wedel 
red, RATEN A a 


Ueber d. Bebandig. der, He Vereine nach Handeläreht. — Ueber Eonfum: 
u: getan. orie u. Praris d. allg. dtih. Holörehts, Hrög. v. 5. 2. 


©. 46-68. 
— — Nietbe ohne Zind:Abrede. [Chd. V. ©. 205—210.] 
2b. (Gymn.:Dir. in Memel), Die — Kaiſer Hadrian. [Neues 
wi — Muleum, 5, Sabıg. 2. Sit „© 1007166] 

— — Guripides jämmtlihe Trandvien. übertragen v. tz. Yrige, vollendet 
v. Thor. Rod. 16.2fg. (Br. IIE, S. —— rt. 8.) Bein, indler. a ar 
(Bnbalt: Der vafende Geraties. Metrif TV 0. &4 ©.) einjeln 

aöbler, a 8, Die ii fpielte man vor göndel um Bach —S —E u. Sit 

it. u. 


Mufit. 1865. Rı 
Ku. Prof. Dr. F. (Oberl. am kneiphöfseh. Gymn. =. Kgsbg. i. Brh Beweis eini- 
ger geometrischen Bitse. [Archiv d. Math, u. Phys. hrsg. v. Grunert, 43. Thl. 


ER. 
(aus F b. Pebein. Ei alienblatt te. (in ein- 
ii ea" —8 — ———— 
Nrn. Bog, gr. 4.) Gere. Viertelj. Ye an 
Siena Kat Ich siinhalingen, Sande &, Iefmiifä, Bi d. Pam. 
m. No. 
— Das Huffelen von, Rafentfen nad, Medien. Hub dem er, Radlfe 
des Mit. Ober et ee borhi Hide 


Kot! e Mu 2 ig 6 bu tathol. Schule Eine Sammlı 
® 3 Sich * 2 Shut "de — Ausg —— 
in 
The nt araeat Seifen, 9. men. Be 
d. Gefangunterrict3 in d. Volkaihule. bb. 6.8.) 8 Sur. 
7 rmogfahter Seit — —8 mei, Ba, — —S in d. Volleſchule. 


. 8.) 
Kopebne, Aug. v., —8 en — Alft. Richter. (Drud v. R. Grabmann 
in Stettin) (8 ©, 16). 2ia ©gr. 
mode, die am 13. Gept, 1865 zu Marienburg verjammelte, an die evangeliichen 
aubenägenafe im Marienburger Kreife. (Danzig. Drud von A W. Kafemann.) 


©. 8.) 
Seel der. Eine Sammlung der wicti — u. Berorbnt 
ale  Rreistondmitglicbern u, Allen, et ein an ——— 
merlaßlid 5 Mt. Zunädt mit at auf die "Berhäftniffe in der Provinz 
Green bar Zain, 1866. (1666) 9. -Rafemam. (66 ©. 16) den 
2. unveränd, Auf Er. 


Bibliographie 1866. 573 


Kretschmaun, H., De latinitate L. Apulei Madaurensis. Kgsbg. Schubert & Seidel 
— *8 de Quhıbih 16. Pb. 4. u. 5. Sft, April Mei) 
Iyron. Li ud t. al. 
Ib. der frangöri. is iteratur von ihren Infängen bis auf die neuefte 
Bait. 3. verb. u. 2 2fg.) 1. Lig. (160 ©. gr. 8.) Berlin 1866, 
(1865.) Nicola + »f 


— — Borlefungen über Göthe'3 u Ebd. 1866. (1865.) (XVI u. 255 S. 8.) In 
engl. Einb. m. Golofchn. 12/3 

Krobm, Bl Preuß, En » oate, Das Schütten der Kiefern. [Forftl. Blätt. 

Koss, 1 — Homericae partie. I, Dies, inaug. philol, Xgebe. Schubert 
& Beidel in Comm. (50 ©. gr. en Ya Zhlr. 

Kubls. Scherz u. Gruft für Schre hm, Klänge, aus der Loge Augufta zur Un: 
fterblichleit zu Br. —S Von uhls Berfofer von „Quft u. Leid.” Br. 
a end, (Drud v. Wilh. Sen eipjig.) (B BL u. 108 ©. 8.) 

Kuhnke, Eud. (aus enden bei RaftenLurg), Deiphice. P Bar . „ Peiphoram reipubli- 
23 C. De Sa ne ehlnbng &hrigseree mit Sen Srnerm Mulende He 

Mu ie Handelöverbindung Kömigsberg& mit dem Innern lands 
nl Don. ey Rat en Mankane. As Als Manufcr gebt. Kosbg. © ehr 

artung 

Labend, Das hau me Aue und oBetentiontseät. lZeitſcht. f. d. gefammte 
Holaredtt. re d. 3/4. Hft. ©. 425—502.] 

Lämmer, Canon. Prof. im. —8* ind Terre eoncili Ruthenorum Zamdheiensin ani- 
madversiones theologico-canonicae, Freiburg i. Br. Herdersche Verlagshandl, 
(63 ©. hoch 4.) 28 Sur. 

— — Seriptorum Graeciae orthodoxae bibliothecae selecta. Ex codieibus mann- 
scriptis partim noris curis recensuit partim nune primam eruit, Vol. I, Bect. 6, 
Ibid. — t. 8.) 26 Gar. (I, 1-6: 2 Thle. 24 Gar.) 

Landmeſſer. 08 Kalk atholfihe Gebet, und jangbudh zum Gebraudhe bei dem öffentl. 
Gotiesdienſt bearb. von Fr. Landmeſſet, Pfarrer zu St. a in ee 
caplar Sr. Heiligt, Pius IX., Kal. hun mie der 
gaklım in Dom, ilter de des Ordens nom heiligen abe 8 Fr 'p unveränd. Aufl. 

anzi . 

Landsberg, Dr. M. in Danzig, "heitrag sur Casuistik der Tamoren, Mit 1 Abi.) 

Varchir £. Ophthalmol. "Bd, XI. Abth. 1. ©. 68— 








— — Zur — der muskulären Asthenopie, ©. 69--88.] 

Baubert, | Dr, € Genfer See, Die Infel a ——— 2. ai Danzig. 
A. W. Kafemann. ER ©. gr. 16.) 15 Ser. (1. 

Beben! efäl —* des a der Ver. Staaten Norbamerita’?, ulm Lincoln, 


oe —— —X — anaaufpeer an vyeih am 
Sherfeiteg b8. 


Bebmenn, Guam. SS. Brof. Dr. Yun D. a een jebı ir —S und 
Realiulen. 1. Zhl. Yür bie unteren Klafien. Sing a ee Aufl. 
Danzig 1866 (1865). Anhuth. (XXVI v. 378 € * % Geb. Yu Whl 
Lehrs, Prof. K,, De Aristarchi studiis Homericis, Editio recognita Fr le aucta, 
Leipsig. Hirzel, (VIIT u. 486 ©. gr. 8.) 2 Thlr. 12 Egr. 
Leonhardt, Ferd. (aus Rgöbg.), De plenritide. Diss, inaug. med, Berol. (32 ©. 8.) 
Leite (a (us em), Ueber d. "Beweistaft beim n Bertauf na Probe im Settungsbe ixte 
— did. HolB.: u. Wedjelreht, X. F. 180 ] 


_ Bine a Kt as D50-D pen ne Th 
_ are Sen Im Saba och. [Difhe Gerictäptg. VIL. Ro. 16] 


— äge von $) han lan ae ur and under ber 
in an blich gi 
— Sn auf — —R Aden le —8 * dich. vdlsrechts. 


jent. 2 Bde. x 706 ©. 8.) 
el a guae furge Schaffhaufen. Hurter. (XVII u. S. 8) 


57% Mitteilungen und Andang. 


Lewald, Aug, Clarinette. Schilderingen uit de moderne samamnleving. Uit hekHeogi, 
vertaald door H. A. Banning. 3 —8 Amsterdam, C. L. van Langenhuijsen. 
(VII u. 256, IV u. 271, 4 u. 264 ©. 8.) £. 3, 

Lewald, Fanny, Die Neifegefäbzten. Roman, ne 2. (Titel) Po Berlin. (1858) 
ante. (856 ©. 8.) 2%, 

En Seleicht zu Ocdledt. Homan, 2.96. a. u.d. %.: Der Guportinn 
ling. 5 Bode. Ebd. 1866 (1865). (1468 ©. 8.) 6], Ihr. u 2. Aa 113 Thlr. 

Leyden, Prof. Dr. E., Beiträge zur Pathologie d, Icterns, Berl. 1866 (1865). A, Hirsch- 
wald, (Vu. 310 €. gt. 8.) 1a Thle. 

Liebreich, Math. Eug. Oscar (a6 Ag5bg.), Duo deseribuntur specimina emboliae ar- 
terise kennen ‚ructurae mutationibus valvalarım cordis effeetae. Diss, inaug. 
Berol. (32 ©. 8. 

— — Ueber die Entstehung der Myelin-Formen, [Archiv f. pathol, Anatom. und 
Physiol, ete. 32. Rd, 3. Hit. ©. 387—389, 

— Recneil des travanx de la BocidtE medicale allemande de Paris, publ. par 
R. Liebreich et L. Laqueur. 11 mars 1864-11 mai 1865. Paris. Masson 
et üls, (xxviii u. 158 ©, 8.) 

Lilienthal (in_Röfel), Ueber d. Eielung des Aus bei zwei bei que i od. mehreren Su Subftan« 
tiven im Lateiniſchen. lJacobs u. Rüble, Ziſchr. f. ipmnafiafmelen. Ro. 4.] 

Lincke, Dr. Max, De Aclio Dionysio Halicarnassensi et Attiei conditore. Kgsbg. 
(Berlin, Calvary & Co) (14 S. 4) 8 Sgr. 

Lipsehits, Prof. Dr. R., Beiträge zur Theorie der Yerintion der ginfnchen Integrale. 
Journal £. d, reine u. angew. Mathem. 65, Bd. 1. Hft. 26 

Lobeok, Auswahl aus Lobecks akademischen Boden, Hrag. v. Alb, el hnerdt, Di- 
Teetor d. Kgl, Gyma. », Thorn. Berlin. Weidmannsche Bachh, (VII m. 230€. 

or. 8.) 18 Thlr. 

Loch, Ed., De usu alliterationis apud poetas latinos, Diss, inaug. philol. Halle. 
(Kgabg. Schubert & Beidel.) (60 ©. 8.) 9 Egr. 

Lndwicb, Arth., Didymi negi vis Agsorapyelov diogdocewg fragmenta ad JI. 
A — —** et explicata, Kgsbg. Schubert & Seidel in Comm, (18 S. 
91. 4) 6 Sor. 

Mannharät, Wilh,, Roggenwolf u. Roggenhund. Beitrag zur germanischen Sitten- 
kunde. Danzig. Ziemssen, (51 ©. gt. 8.) 2te verm. Aufl. Ebd. 1866. (XIII 
u. 74 ©. gr. 8.) 25 Ile. 

— — Vortrag, gehalten in ber erften Generalverfammlung des Gefammtvereins zu 
Halberftadt am 18. Sept. 1865 (betr. die vom Redner fit. „Sammlung der 
Kiss Gebräude u. zwar befonder3 der Erntefitten als Anfang” eines — 

—— der germaniſchen Vollsuberlieferungen (Monumenta mythica Germaniae).”) 
rreipondenzblatt d. Gejammtvereines d. — Geſchichts· u. iltgepumevereine. 
I u 0. 11. Novbr. S. 81-88. No. 12. Dechr. S. 9193, 

Mareinond 1 Areisrit in Schippenbeil), Die Rompenfation im ade des Straf: 

u wärs, 1 1ur& di für Preuß. Strafrecht hrög. von Goltbammer. 13. Bo. April 


ir bin. Dr Hochmeifter von Marienburg (1410). Romantifhes Di 
4 Aufn, ’ I. deffelben: Dramatiiche Bilder cus deutiher Geſchichte. ai, 


Maroiisak, Marc. (aus Dt. Eylau), De chlorosi. Diss, inaug. Berol. (32 ©. 8.) 
Maroukr, Bas gu Raftenburg), De ulcere ventricali chronico. Diss, inaug. 
m 
Medelb he Se oberer Chromifen aus der Zeit des Herzogs Albrecht nad; den 
r eier m —A hrsg. mit einer literär- weiss Einleitung von Dr. 
U urg, a en — —ãA u. ftädtiich. Bibliotbefar zu Kosbs. 
ei 8) 13, Thů. 
PR IN —8 e Arzt d, PR In en u Eee, aa u, des Land. 
Krankenhauses su Schwetz), Die paralytische Geisteskrankheit u. ihre organisch 
Grundlage. [Archiv f. pathol, Anat, u. Physiol, etc, 34, Bd, 1/2, Hft, Eu) 














Berisnifäe Sitenader: (2068). 375 
Periodiſche Literatur 906). 


„Gölefige Yrovinzialblätter. Hrög. von 35. Delöner. N. 3. 5. aber. Auguft. 
(&. 457-512): 4. —— " Laurentius Sal, u. d. erfte botan. Garten in 
Breslau. Mente, Grinnerg. an d. Bertheidig. d. Zeitg. Breslau währd. d. Ber 
lanerung v. 10001 Ku Holtei’s_Briefe an Ang. Rablert, (Fortl. Balm, 
Rachtragt. 3. Geſch. d. Münzwirren in Schlei. a Delöner, 3. Geld. d. 30tän. 
Krieges v. 1866. anna e. erob. öftr, Yelbpoft.)_. J Bra} 90 Fan Eicher 
im Yuslande: Felomaric.Lieut. o. Zeisberg. C. v. Daltel , 8. d. jolei. Sprüd: 
wört. eu, 6 Semeihniber —— us, Das —— in 
vorrewei Shritan Günther's Kopf. — Fragen, Anregungen, 
—— — a 8 l. — Zur Ehronit u. 1. Statiltil. — Anhang. — 

rieflalten. 


R.M. Betrachtgen üb. d. Fuhrg. d. 1. preuß. Armeecorps im legt. juge. I. Sdlacht 
bei —S u Sig. 200, 28001 14 1. Bon —e be ——— 8813.] 
Bericht des 1. —— deſſe in —Se an d. Schlacht bei Königaräg am 
3. Juli — Dſtwr. Sta. 192 (Beil). Weftpr. Stg. 208. val —— —2 








eftliiten d. Kol, pr. Armee, ſoweit fie bis zum 23: Juli Kingegan., find u. anfee 
Provinz betreff. Sort IOfpr. Btg. 188. 189.) gl. zum 5. Aug, 

187 (Beil) Desgl. bis 3. 20. Aug. IEbd. 201. 207.) — Nad) d. in der. — — u 
mitgeteilten Statiftit der Denichenopfer, —8X die einzelnen Provinzen für den 
Krieg oebracht haben, fommen auf die Bro Preußen: 1108 leicht, 628 ſchwer 
ee 358 Tote, 344 DVermißte, 1 fanıntz überhaupt 2494 Berlufte. 


— Mannicaften der I. 12. Komp. 6. Di nf No. 48, 
die in % FR bei Zrautenan 27. Juni 1808 defall, —E a find. 


Winden. kr zahlung von Altern Schriften, worin. culturs u. naturbift. Notizen über 
Sreußen enthalten find.) [Schriften d. physik.-ökon. Gesellschaft au Kgsbg. 
7. Jahrg. 3 Abth. Sitsgsberichte, ©. 8—9.] 

. Die vom Jahre 1709 (in Preuß. u. Littau., beſonders m. Bez. auf Kasba. 


Ispeis oh, 200. Abend Ausg.] 
— — J Vwalig d. —— i in Preußen. IT. (Kgsbg. Amtsbl. 33, 


rt: A eigenthüml. Bernfteinfund bei Namsl El € 
um el Cafe: ol Sach Che: D 1. Dec 106% Wim KIN and m Ber ai 
en u. mit —T e. 1748 erſch. Abhdlg. „üb. d. Bernſteinhandel in Breub. 
3 FR ‚con Ynkunft). [N. Jahrb, £. Mineral, Geol, u. Palaeontol, 4. Hft, 


Bing) B der. a A eauät audgeftellt; entnommen dem „Eporn“ No. 38 
5 Spifamnl, d Behelet 1 Bereind fd. Prov. Preuß. lESchulbl. f. d. Vollsſchul⸗ 


Vrov 
——— Ueberſ. aus d. Jahres · Rechnungen Des Dikpe: Tin. Feuerfozietäts: Fonds 
io 1 . — 
Rud. tt © Die litauife he Sprahfamilie. [Slobus. 10. — Eu &a.] 
Jaegni a in Diemel, Die Förderung der Schullinder Littan. Gltern in d. Kinß. 
ud bei OB Vortrag auf d. KreissLehrer-Eonferenz in Nemel. [Der 


—5 
Döring —— Wie zu man d. Deutfche in e. litth. Hl (Bortr.) [Ebd. 16.) 
die Noth der ee einden, [&vang. GemdbL 83. 34.] 
m Ganlaı 





Utalen, 14. %ı een om 18, — 
si * Be — —— er ai. Era 
Suede Er —8 — 5, Breit (nähe. Suhte 1864 bie 1862 


576 Mittheilungen und Anhang. 


Feier d. Srunbfeintegung am Seminare 3. Angerburg. (1. Sept.) [D. Volksſchul 


Danzig, :. in. Verzeichniß derer fo bey graffirender Veſt in Dansig ‚geitorben Anno 
1709" beigefügt einem Senbihreiben des Joh. Kanold, Med, Doct. & Pr. Vr. zu 
Breslau, von der A. 1709 in Danpig graßireten Beltileng x. gedrudt im Jahre 
1710. 2 Dan; anf tg. 3763.] 

(Aus Dr. De: [23 fr) —X eb.) Gedichten:) Konrad Letzkau. — Das 

üngfte Gericht. Weſtpr. Btg. 

Die — ‚zum Empfange der amt jontruppen in Danzig. 15 u. fi. September. 


Bericht üb. Ar —— des in Danzig garniſon. Pionir-Bataill. in dem letzten Kriege. 


Dany. St; 
Börfen: Dehnung f f. d. Stot. Danzig d. d. Danz. 14. a ‚genehmigt d. d. Berlin, 
z. 90 Sept. —* Kraft getret. 1. Oct, 1865. Ziſcht. f. d. geſammie Holsrecht. Bo. X. 


a On a. d. Stdt. Danzig nebit —— f. d. Handels⸗Makler in Dan- 





ig. Ebd 117—121.] 
— DE a Me EEE, am u 
it 
ar Bl. 12. 13. We Fr 3.2. ss ul Be " 
Ri —8 Dig. 212 (Beil).] 
sehe FL “es ae itöfriegen rüdtehrenden Truppen in Kgöbg. 
a —A bg. 17. Sept. 1866.) [Oftpr. und 
je Si PAR 121 x. Litt. Btg. nn Räl. 2a! u 


ern au) & Rai. bertus: net 3. Kgöbg. in Pr. A Winterhalbj. vom 
zu_baltenden Barlefungen, u. d. öffentl. atademifchen Anitalten. 
{Rgöbg. — 3. Außerorb. Beil. No. 9. 

Zwei dich, Recepte (in deutih. Sprache aus e. Vapierhoſcht. d. 16. Jabrh. in der 
Kal u. Unfoert 43, 3. miigetheilt v. J Zacher. (1. ow's Archiv. 
xxxii. 1868. eier, u, "sie, [Haupt's Ztschr. f. dtsch. 
— Kann an 5 Sin rtrantt. u. geftorb. Perf 

li t (üb. d. in md jolera e1 ge jonen feit 22. Juni 

» Ir ». nt nad —8 der amtl. Liſten: 0 anti, 1564 en ji — 


Der u jur reformirt, Kirche in Pillen. ICvang.:reform. Kirchenztg. Maiheft.] 











reuß. landwirthſch. Alad. bei Kgsbg. in Pr._Vorlefungen, Uebungen 
ationen im Winter-Semefter 1866/67. Ienb Er Bmieil, 3. Marienw. 
& Amnbil oje ve Man — 35, land» u, feet Ki irthſch. eis, Er 
mis} jarr. Anderfon-Blumenau i.) [&v. Gembebl, 34. 
Ss Arntsjubil. de Superint. Böhnte in Heilsberg. [Chi 1 
General v. Bonin, Commanbeur_d. 1. preuß. —Se nn, gu 1209.] 
Wieder etwas z. Crinnerung an Borowski. |Evang. Best 
Eee Beine EI: 8. Glnvfenih 1, 1,9. Qui zu Diet in Mi 
nerallieut. t. Wild. v. Elaufewig. i zu eitſch in ‚en an d. 
ee etrolg), [ünfere Zeit. N. 3. 2. Jahre. 17. Hft. ©. 385. 386, 
abe; Jubil. des 1. Lehrers der Danzig, vorfiäbt. — Michael Eboff 
N, ug. aba, Danz. Btg. 3782. Weftpr. Sta. 19% 
täfid. d. preub. Abgeordnetenhaufes. iHlluſtr. tg. 1209] 
rn (geb. 18. Febr. 1800 zu Lölhau in Oftpr., Gayüler der 
Kr zu Rasbı. trat ibıs ind. Kal. 4. Fnf-Regim. zu 
Danzig ein . 


8 % * Kal. Steuer: oeber 
* #3 = Yug. zu Fe BA en ET * m" 
Yuli I . 
a DE, ton RS: jent if. log.) Pas 


— 


Aberglauben aus Mafuren. 
Mitgetheilt von 
Dr. M. Zöppen, 
Bortfegung.) 


3. Das Wahrfagen und der Kalender. 


Die Gegenwart fieht mit der Zukunft in geheimnißvolem Zuſam⸗ 
menhange. Oft hängt alles von dem Zeitpunkt ab, in welchem ein Un- 
ternehmen begonnen wird; wie wichtig ift es alfo, ihm zu treffen! An 
gewifien beſonders Heiligen Tagen befommt alles, was geſchieht und was 
man unternimmt eine befondere Bebentung; da muß man bie Vorgänge 
beobachten, die Gelegenheiten nicht verfänmen. Aber freilich manchem 
wird durch irgend melden Vorgang, deſſen Eintreten von feinem Wiſſen 
und Wollen durchans unabhängig ift, für lange Zeit oder für immer un. 
abänberli fein Schidjal befiimmt, Am allerwichtigften find in biefer 
Beziehung die Zwölften d. 5. bie zwölf Tage von Weihnachten bis zum 
Tage ber heiligen brei Könige. 

Schon Piſanski Tante biefe Bedeutung ber Zmwölften und anderen an 
diefelben ſich Infpfenden Aberglauben fehr wohl und urtheilt über denſel⸗ 
ben fo ſcharf ab, wie der es muß, dem es an allem Iutereffe für volle 
thämlidhe Ueberlieferung fehlt. Er fagt (Mo. 25 8.16. Wir vergleichen 
hier und im Folgenden ven in ven NPPB. 1848. Bb. 2 ©. 206 fi. 1860 
Bd. 2 ©. 116 fi. und 1853 Bd. 1 ©, 201 abgebrudten Vollskalender): 
Bas für Hirngeburten haben nicht die fogenannten Zwölften hervorgebracht. 
Dan muß alsdann, aus bekannten Urfachen, den Wolf nicht nennen, feine 


Ebſen und Bohnen eſſen, wo man nicht Geſchwüre zur Belohnung be , 


tommen will, und andere läppifche Beobachtungen. durchaus nicht Übertreten, 


Bornehmlich aber follen diefe zwifchen dem erften Be und Drei» 
Mitzr. Mesatsigeift Bd. TIT. Hft. 7. 


578 Aberglauben aus Mafuren 


Tönigenfefte eingefchloffenen zwölf Tage untrügliche Bedeutungen bes Bet: 
ters fein, fo fich in jebem Monate bes folgenden Jahres äußern wir. 
Auch erzählt Piſansli von einem älteren Hofpitaliten, der fi mit Beob- 
achtung bes Wetters bei Tage und Nacht zu allen Stunden der Zwöliten 
recht große Mühe gab, ſolches nach feiner Art genau aufzeichnete und 
nachher das ganze Jahr hindurch als ein Orakel großen Zulauf von lern 
begierigen Berfonen Hatte, 

Sehr ausführliche „Prophezeiungen aus den Tagen bes Geburtsfefes 
und den eilf Hinter biefem Tage folgenden Tagen und Nächten für bat 
ganze Jahr“ enthält der mehrerwähnte Himmelsſchlüſſel. Trifft der 
Weihnachtstag auf einen Sonntag, dann wirb der Winter warm, bat 
Frühjahr naß und warm, der Sommer angenehm, troden unb ſchön, 
ber Herbft naß und winbig; Getreide giebts im Ueberfluß, Honig geni- 
gend; der Tod Hält fich hauptſächlich an den Schwangern; Frieden im 
Eheſtande. Aehnliche Prophezeiungen für ben Fall, daß ber Weihnachtstez 
ein Montag, Dienſtag ꝛc. fl. Wenn am Weihnachtstage ſchön Wetter 
iſt, Bringt das darauf folgende Jahr fehr viel gutes und ſchbnes Ge⸗ 
"freie. Wenn am erften Tage nach Weihnachten ſchön Wetter tft, bringt 
das baranf folgende Jahr viel Zänkereien und Spaltungen unter ber Geifr 
lichleit ze. 2c. für alle zwölf Tage, immer ben Ball gefegt, daß es an ben 
felben fchönes Wetter if. Wenn die Nacht der Gottesgeburt ſtürmijch 
iſt, droht der Tod den großen Herren. Wenn bie erſte Nacht nach Weih⸗ 
nachten ſtürmiſch if, folgt ein friebliches von Bänkereien freies Jahr um 
ter ben Herrſchern zc, zc. für alle zwölf Mächte, wobei immer vorausge 
ſetzt wird, daß diefelben ſtürmiſch find, Wir theilen biefe Prophezeiungen 
im- Einzelnen nit mit, da fie nicht anf mythologiſcher Ueberlieferung, 
fondern auf willkürlicher Erfindung zu beruhen fcheinen. 

Der Zufammenhang ber Witterung in den Zwölften mit der Witte 
tung des nächſten Jahres wird anderwärts — uud fehon in alter Zeit — 
fo dargeftellt: Jeder Tag ber Zwölften fagt bie Witterung eines Monats 
voraus, ber 25, December für den Yannar, ber 26. December für ven 
.  Bebrnar ꝛc. zc. Jeder Tag der Zwölften wird überbem tn vier Theile 

- (von 6 Uhr Abends bis 12 Uhr Mitternacht, bis 6 Uhr Morgens, bis 
12 uhr Mittags, bis 6 Uhr Abende) zerlegt und jedes ſolches Biertel 





von Dr, M. Toppen. 879 


giebt die Witterung für ein Viertel d. 5, eine Woche des beftimmten Mo: 
mars. Hohenftein. (Vgl. Volkskalender No. 18.) 

Welches nun aber ver Zufammenhang auch fei; anf bie Witterung in 
den zwölf erften Togen nach Weihnachten wird fehr genau Acht gegeben; 
von berfelben hängt das Schidfal des ganzen Landes während des lom⸗ 
menden Jahres ab. (Soldau.) 

„Die Zwölften machen dem bekümmerten Sandmann wegen feiner 
Heerde eine neue Furcht vor ben Werwölſen. Der in ber Zeit Herzog 
Albrechts eingefangene Menſch, ber für einen Werwolf gehalten wurde, be- 
hauptete, regelmäßig um Weihnachten und Iohannis fi in einen Wolf 
verwandeln zu müfjen.” (vPiſanski No. 25 8.16.) 

Im den Zwölften darf man nicht fpinnen. Wer es thut dem fällt 
ber Wolf in bie Schanfheerbe. Die gewöhnliche Befchäftigung zwiſchen 
Weihnachten und Neujahr ift Federn ſchließen. (Hohenftein.) 

Wenn zwiſchen Weihnachten und Neujahr große Schneefloden fallen, 
jo fierben vorzüglich alte Leute, wenn Heine Schneeflloden, vorzüglich junge 
Lente. CHohenftein.) 

Zwiſchen Weihnachten und Nenjahr kocht man nicht Exbfen, wenig 
ſtens mag das Gefinde fie nicht, weil diefes dann in Gefahr kommt, von 
ber Herrſchaft im nächſten Jahre Prügel zu befommen. (Hohenftein.) 
Nach andern vermeidet man Erbſen in biefer Zeit, weil fonft Geſchwüre 
im Haufe herrfchen würden. (Willenberg.) 

Zwiſchen Weihnachten und Neujahr brennt man Afche, die zu gewiß» 
fen Verfegnungen erforderlich ift, wie ſchon oben erwähnt wurbe. Auch 
brancht man biefe Aſche bei ber Ausſaat; (Volkslalender No. 168.) des 
gleichen zur Vertilgung bes Ungeziefers beim Vieh und der Raupen auf 
Kohl und Bäumen. (Hohenftein.) 

Sämmiliche Aſche aus Ofen und Kamin wird in ven Zwölften auf 
gefammelt und zu ben eben bezeichneten Zweden auf dem Boden bewahrt, 

Zrömme, welche man zwifchen Weihnachten und Neujahr Hat, gehen 
in Erfältung. (Hohenſtein. Grunau in den N. P. P. Bl. 1846. VBd. 2. 
S. 337 ſagt von den alten Preußen ſogar: „Bon den Träumen halten fie 
fell, daß es einem wiberfahre, wie er geträumt hat in feiner Ruhe“ ohne 
alle Einſchränkung auf gewifle Tage.) 

37° 


ihm. 


580 Aberglauben aus Mafuren 


Am Sylvefterabend (31. December) wird bie Stube gereinigt, mit 
Eand und Tannen geſchmüdt und gut geheizt, bamit bie nieberfleigenden 
Engel es darin behaglich finden follen. (Hin S. 118.) 

Am Splvefterabend wirb der Ofen ſtark geheizt, damit bie Todten fih 
wärmen können. (Bollslalender No. 159.) 

Wenn man in der Weihnachtsnacht zwiſchen 11 und 12 im Die 
Teuer anzündet, eine Bank an venfelben ftellt und fie mit Aſche beftrent, 


"fo findet man am Morgen bie Epuren des Todten im ber Aſche, der fih 


Nachts’ gewärmt Hat. (Ebenda No. 160:) 
Auch fegt man wohl 'einen Stuhl mit einem Handtuch in bie Stube, 
wie nad) einem Begräbnifie gefchieht. (Dohenſtein.) 


Benn fie am Sylveſterabend in die Kirche gehen, fehen fie nach den 


Schatten. Eine Perfon, deren Schatten dann keinen Kopf hat, muß fr 


ben. (Aehnliche Mittyeilung ans Samland in dem Bolfslalenber Ro. 36.) 
Am Eylvefterabend muß bas Hädfelmefier abgenommen unb das Streh 

zuſammengebunden in bie Lade gelegt werben, fonft findet man in ihr 

Morgens einen Menfchen ohne Kopf. (Bolfskalender Ro. 161.) 

- Das Glüdgreifen in ber Sylveſternacht, ſchon von Pifansfi (No. 3 
8.16) erwähnt, ift fehr üblich, doch befchränkt man ſich in Mafuren nicht 
auf die fonft (3. B. in Samland und Litauen, Volkskalender No. 24) 
Übfiehe Neunzahl von Gegenfländen. Die Zahl derſelben ift unbeſchranlt 
Außer Gelb, Kind, Brod, Ring, Leiter, Himmelsichläffel, Todtenkopf wer- 
den namentlih Männer ans verſchiedenen Ständen, Wirthe, Schneider, 
Schuhmacher zc, auch Teufel in Teig bargeftellt und unter die Schüffel gelegt 

Auch Zinngießen und Pantoffelwerfen als Mittel, die Zukunft zu er 
forſchen, find fehr befannt. (Boltsfalender No. 25. 26.) Bemerkenswerth 
iſt die Notiz, daß derjenige, welcher fein Schicſſal durch den Zinngus 
erfahren will, die Schäffel mit kaltem Waffer, in welche ein anderer bas 
geſchmolzene Zinn Hineingießt, felbft über feinem Kopfe hält“) 

Zum Pantoffelwerfen kann nur ber linke Bantoffel gebraucht werben. 


-Man wirft ihn rüdwärts über ven Kopf. Kommt bie Epige beffelben ge 


9) Diefe fo wie einige andere Notizen entnehme ich einer mir nachträglich freund · 
lichſt mitgetheilten Gonferenzarbeit eines Lehrers Im Willenberger Kirchſpiele 


von Dr. M. Tippen. 581 


gen bie Thür zu fliehen, fo wird ber ober bie, welche ihn geworfen hat, 
im Laufe nächften Iayres das elterliche Haus verlaſſen: 

Wenn man in ber Splvefternacht, ohne zu fprechen, in ben Ofen 
fieht, fo wird man darin etwas Gutes oder Schlimmes ſehen, das man 
in bem nachſten Jahre zu erwarten Hat. (Vgl. a. a. O. No. 82.) 

Man fchlägt aufs Gerathewohl Geſangbuch ober Bibel auf, nachdem 
man vorher beftimmt Hat, ob auf ber Seite rechts ober links, und welche 
Zeile ober welcher Vers gelefen werben ſoll. Die fo gefundene Stelle 
giebt Aubeutungen über das Schidfal, welches der Anfragende im nächſten 
Jahre zu erwarten Hat. (Etwas abweichend a, a. DO. No. 37.) 

Dver man legt am Sylveſterabend ein Geſangbuch unter das Kopf 
Affen und fchlägt daſſelbe beim Erwachen auf und erhält dadurch Auskunft 
Über ſein Seife: (Hart. Zeitung 1866 No. 8.) 

In fehr alten Ausgaben des Gefangbuchs ſteht das Lied bes golber 
nen A. B. C. „Allein auf Gott ſetz Dein Vertraun“ zc., deſſen 25 Berfe 
mit ben 26 Buchſtaben bes Alphabets anfangen. Nun werben in ber 
Sylveſternacht die 25 Buchftaben einzeln auf Zettelhen gefchrieben. Man 
zieht drei‘ biefer Zettelchen und die brei baranf ftehenden Buchftaben bes 
zeichnen nun bie Verſe jenes Liebes, die man befonders zu beherzigen hat. 
(Dtegto.) 

Man wirft Gelvftüde ims Wafler. Nach dem Klange erkennt man, 
ob jemand Krankheit bevorſteht. Springt es aus ber Schüffel, jo beben- 
det dies Tod. (Soldau.) 

Beſonders zahlreich find die Schicſalsproben, welche heirathsluſtige 
junge Mädchen anftellen. — Sie gehen an ein offenes fließendes Waſſer 
mit hartem kieſeligem Grunde und greiſen eine Hand voll ans bemfelben, 
aub bringen das Gegriffene in bie Stube und ans Licht, wo es guf einen 
Zeller gefgättet und forgfältig unterſucht wild. Sind bie gegriffenen 
Steinchen paar, fo wirb das Mäbdchen im Laufe bes Tinftigen Jahres 
heiraten, find fie unpaar — ledig bleiben; und ift fogar ein BWirmden 
dazwifchen, dann befommt das Mädchen ein Kinn, ohne zu heirathen. 
(Olegto.) 

And greifen die Mäpchen in eine Wuhne bis anf den Grund des 
Waſſers. Was fie dann greifen bezeichnet den Stand ihres Zufünftigen, 


583 Aberglauben aus Mafuren 


M es ein Stüd Eifen, fo wird ein Schmidt, ift es Holz, fo wird ein 
Tiſchler, ift es ein Strohhalm, fo wird ein Landwirth fie heirathen. 
(Hohenftein.) So bebeutet Glas, Ziegel, Stein, Muſchel eineu Glaſer, 
Ziegler, Maurer, Fiſcher. (Willenberg.) 

Eie gehen der Reihe nach an einen Zaun, jede an eine anbere Stelle 
und fchreien laut in die Nacht Hinein: „Kommft? 3a?" Antwortet nun 
das Echo: Ja, dann heirathet das Mädchen; hierbei paßt fie aber ſeht 
auf, aus welcher Gegend das Ja geantwortet wurbe: deun aus berfelber 
Gegend wirb ber Erwartete fommen. (Oletzko.) 

Zunge Sente rütteln in der Splvefternaht am Zaun, und cauſchn 
aus welcher Gegend dann bie Hunde bellen; denn von dorther kommt ber 
ober bie Zufänftige. (Lubainen.) 

Die Mädchen gehen im Finſtern in den Schafftall und. greifen Schafe, 
was don jeber nur einmal geichehen barf. Wird num ein Hammel oder 
fogar ein Bod gegriffen, dann ift die Heirath ſicher; ein Schaf — bedeu⸗ 
tet noch längeres Berbleiben im lebigen Zuftande. Ein Lämmchen grei- 
fen die Mädchen nicht gern, denn es bedeutet ein Kind, (Oletzko. Vergl. 
die ähnliche Probe im Gänfeftall. Volkskalender No. 40.) 

Sie gehen nach einem Holzſchuppen, raffen ungezählt einen Arm voll 
kleingemachten Kaminholzes auf und bringen es in bie Etube, wo es ge 
gesählt wird. Iſts paar, fo folgt die Heirath, iſts unpaar, fo bleibt fie 
umverheirathet. (Bgl. a. a. O. Ne. 42.) 

Auch zupfen fie Strob aus dem Dade. Sind in ben ausgezupften 
Aehren noch einzelne Körner, fo bedeutet dies, fie befommen einen Bauer 
zum Manne, fonft einen Iuftmann. (Vgl. a. a. O. N0.43.) 

Eine Schäffel wird mit Waſſer gefüllt, welches man friid aus dem 
Brunnen geholt Hat, ohne zu ſprechen und ohne fich umzufehen. In bie 
fem Waſſer läßt man zwei Kohlen ſchwimmen, von welchen eine ein 
Mäpcyen, die andere den Geliebten vorftellt, Wirb bie erftere von ber 
letzteren eingeholt, jo kommt die Heirath ficher zu Stande. Auch werden 
mehrere Kohlen, welche junge Mädchen vorftellen, unb eine, bie einen 
tungen Mann bezeichnet, in die Schüſſel geworfen; man achtet dann dar: 
auf, welche Kohle von ber letzteren eimgeholt wird, und entnimmt baraus, 





von Dr. M. Toppen. 583 


zu welchem ber Mädchen der junge Daun bie größte Neigung hat. (Aehn ⸗ 
lich das Lichtſchwemmen a. a. D. No. 28.) 

Wenn man in der Sylveſternacht um Mitternacht, ohne zu fprechen, 
in den Epiegel fieht, fo fieht man bie Zulänftige ober den Zufünftigen, 
(&gl. a. a. D. Ro. 47.) 

Auch einige wirthfchaftliche Prophezeiungen gewährt Sylveſter. Man 
zupft eine Anzahl Strohhalme ans dem Dache. Findet man in ben 
Achren noch Körner, jo hat man im nächften Jahre Brod in Fülle; findet 
man feine, fo wird man Mangel leiden, (Willenberg.) 

Wem am Sylveſtertage zuerft ein Mann einen Beſuch macht, dem 
werben tm nächften Jahre Kühe und weibliche Schaafe geworfen, wen 
zuerſt ein weibliches Weſen, dem männliche Thiere. (Wallenvorf.) Faſt ent- 
gegengeſe tzt ift folgende Mittheilung: Kommt am legten Morgen vor Neujahr 
ein Maun ins Haus, fo Hat die Kuh, die zuerft nach Neujahr kalbt, ger 
wiß ein Bulllälbchen; kommt eine Fran, fo ifts ein Kuhlalb. (Willenberg.) 

Am Splvefterabend geht man auch den Grenzzaun fchätteln, wobei 
man folgende Worte fpricht: „Die Eier find für uns und das Krakeln für 
euch." Die Folge davon if, daß die Hühner des Nachbarn zu ihm Toms» 
men, um bie Gier hier hin zu legen und — bort krakeln gehen. (Hart. 
Zeitg. 1866 No. 8,) 

Auch glaubt man, daß in ber Neujahrsnacht von 11 bis 12 Uhr alle 
Thiere fprechen köunen, was — fo verfichern bie Leute mit ernfthaftem 
Geſicht — ſchon mancher gefehen hat. (Lubainen. Dies wird anderwärts 
von der Weihnachtsnacht behauptet. Volkskalender No. 14. Ebenfo in Li⸗ 
tauen. Beitr. zur Kunde Preußens Bd. 2. ©. 130.) 

Bom dem Teig, aus welchem Glüd gebaden wirb, badt man auch 
Heine Brödchen und giebt fie dem Vieh in der Shlvefternacht zu freſſen, 
damit es gebeihe. (Hohenftein.) 

Im der Splvefternagpt windet man Strohbander um junge Bäume, 
damit fie gedeihen. (Hohenftein.) 

Aus dem Nenjahrsteig werben bie fogenannten nowelatka (Neujahrs- 
puppen) gemacht, getrodnet und forgfältig, fir das ganze Jahr aufbewahrt. 
Bei Viehkrankheiten, beim Kalben der Kühe, beim Lammen ber Schaafe ac, 
werben fie gebrancht. (Willenberg.) 


584 Aberglaube aus Mafuren 


Der Teig dazu wird in einer großen Mulde auf Stroh gefnetel, 
Mit diefem Stroh bebindet ver Hausvater feine Obſtbäͤume. Wer mit 
ber Mulde auf dem Kopfe die Dadhleiter rückwärts Hinanffteigt und von 
oben in den Schornftein Hineinfleht, der erblidt da alle, bie im kuuftigen 
Sabre fierben werben. „Ein Schmied, den ich kaunte,“ fchreibt ein Lehrer 
des Wilfenberger Kirchſpiels, „Hat biefes Wageftüd ausgeführt, kom mit 
Bittern bie Leiter herunter und ſtarb nach wenigen Tagen. Er foll fid 
felber in bem Schornftein gefehen haben.” (Willenberg.) 

Der am Neujahrstage zuerft aus ber Kirche kommt, ber wird in die 
fem Jahre zuerft mit der Ernte fertig. Daher die große Eile, mit ber 
man fich an biefem Tage aus der Kirche entfernt. (Hohenftein.) 

Wenn bie Sonne am Nenjahrsiage zum Vorſchein kommt, gerät 
der Flachs, und bliebe fie auch nur fo lange fichtbar, daß fich ein Mann 
in ber Zeit gerade aufs Pferb ſchwingen Yan; fonft nicht. (Hohenſtein.) 

Wenn es zu Neujahr windig ift, fo giebt es viel Oft. Wenn es 
in ber Neujahrsnacht ſchneit, bann giebt es viel Bienenfchwärme, Wenn 
in ber Neujahrsnacht viele Sterne feinen, dann legen bie Hühner viele 
Eier. (Hohenftein.) 

6. Sannar. Am Abend vor dem Tage ber heiligen brei Könige 
müſſen an der Thür des Viehſtalles drei Kreuze gemacht werben, ( Hohenſtein.) 

25. Januar. Pauli Belehrung die Hälfte des Winters, bes Brodes 
und des Futters. An demfelben Tage legt fih das Gewürm (im Wipter 
ſchlaf) auf die andere Seite. An diefem Tage fpinnt man nicht, bamit 
die Maulwärfe nicht das Feld zerwühlen. (Wallenborf. Vgl. auch Volls⸗ 
talender No. 61, 169, 170 uud Hintz ©. 112.) 

2. Februar. Lichtmeß oder Marti Reinigung, Wer Flachs gefät 
hat, muß an biefem Tage fpazieren fahren, wenns aud nur eine Meine 
Strede wäre, bann geräth ber Flachs befier. (Wallendorf.) 

Die Wölfe tommen am Nicolaitage zufammen und gehen zu Maria 
Lichtmeß wieder ans einander. Im biefer Zeit iſts gefährlich zu reifen. 
Gohenſtein.) 

Zu den Faſtnachtsſchmauſerclen wird Geld zuſammengelegt (Hohen⸗ 
fein). Sie ‚arten hie und da in Bachhanalien aus (Hintz S. 46). Bi: 
rend des Tanzes werben bie Tänzerinnen „übergejegt." Ein mit Bändern 


D 





von Dr. M. Täppen. 585 


geſchmückter Reif wird ihnen über ven Kopf geichlagen und bann werben fie 
aus bemfelben heransgehoben. Sie müffen bafür ein Geſchenk an Gefde 
geben. Wer viel zahlt wird öfters Übergefegt. (Mäheres über dieſen auch 
in andern Theilen Breußens befannten Gebrauch giebt der Boltsfalender 
0.69, 70, 173, 218.) 

Zu Faſtnacht muß getanzt werden, dann geräth ber Flache. (Wallenvorf.) 

Wer guten Flache Haben will, muß zu Faſtnacht Schlitten fahren. 
(Billenberg. Vgl. Vollskalender No. 74. Hink ©. 112.) 

Am Aſchermittwoch Abends verfammelt ſich die Ingend und zieht mit 
großem Gefchrei duch das. Dorf. Sie führen Afche in einer Tonne anf 
einem Halbiwagen mit fi) und werfen biejelde den auf das Geſchrei Her- 
beieifenden in bie Augen, (Willenberg.) 

24. Februar. St. Matthäus Iegen die Ganſe Eier. W Macieja 
gesi niosa jaja. (Friſchbier Preuß. Sprichwörter 2. Aufl. S. 808.) Wer 
an diefem Tage fpinnt, dem gehen bie Gänſe nicht zur Hand. (Hohenftein.) 

12. März. Die Maſuren fagen, am Gregorinstage geht der Winter 
zum Meere; Gregorza idzie zima do morza. (Friſchbier Preuß. Sprich⸗ 
wörter, 2. Aufl. ©. 301 hat Gregorza ucieka ànieg do morza.) 

Am Gregoriustage findet man unter ben Blättern des Kohlkopfes 
Saamen, ber fi ganz vorzüglich zur Saat eignet. (Gilgenburg.) 

25. März. Mariä Verkündigung. An dieſem Tage wird bie erfte Furche 
mit dem Pfluge gezogen, baher Heißt die Iungfran Maria Matka otworna 
d. 5. bie öffnende. Bisweilen iſt aber am Tage der Matka otworna 
der Boden noch nicht fo beichaffen, daß der Pflug in die Erde kam. 
Man weiß diefes ſchon lauge vorher; es hängt nämlich davon ab, ob an 
gewiflen Tagen vorher Froft ober flaues Wetter ftattfindet. (Mol. Volle 
talender No. 177.) 

An Mariä Verkündigung kommen die Störhe, Bartholomät ziehn fie 
wieder ab. (Bgl. Voltslalenver No. 222.) 

An Marid Verlünbigung muß das Vieh ausgejagt und verfegnet 
werben. (ſ. ©.) 

Gründonnerfiag nimmt man Ableger von Blumen. 

Charfreitag wird nur hie und ba in Maſuren als Feiertag gewürbigt. 


686 Aberglauben aus Mafusen 


Am Eharfreitag und Ofterfonntag foll man fich nicht kämmen; fonft 
tragen bie Hühner im Garten. (Hohenftein.) 

Am Ofterfonntag geht die Sonne fpringend anf, denn das Ramm 
Gottes freuet ſich über die Anferfiehung Chriſti. (Bgl. Bolkokalender 
No. 230.) Biele fiehen früh anf um biefes Schaufpiel zu fehen. 

Dos Waſſer, weiches man an biefem Tage vor Sonnenaufgang 
ſchöpft, befigt eine wunderbare Kraft. . 

Viele waſchen fi an biefem Lage vor Sonnenaufgang in einer fti« 
ſchen Quelle, um Ausſchlag, Angenübel und andere langwierige Kraulhei ⸗ 
ten zu vertreiben. Man geht reiht früh ans, forgt möglichft dafür, wicht 
geichen zu werben, antwortet niemand, von bem man angerebet wird, 
danft nicht einmal dem Grüßenben. Wer fo glüdlich if, daß er zu gläd- 
licher Stunde aus dem Haufe tritt, wird das Uebel los, wenn nicht, ſo 
erhält er die Kranfyeit and wohl noch ärger. (Wallendorf.) 

Lente, melde an Flechten und andern Auefchlägen leiden, gehen am 
erſten Ofterfeiertage gleich nach 12 Uhr früh Morgens in das Wafler und 
tauchen ſich ganz unter. Sie bemühen ſich, andern, bie ben gleichen eg 
nad dem Waſſer machen, zuvorzulommen, Beim Hin- und Hergehen 
darj fein Wort geſprochen werben. 

Es giebt gewifle Gewäfler, welche in biefer Beziehung in dem Ruhm 
befonberer Heilkraft ftehen, wie z. B. ein Dümpel nahe bem Tannenber 
ger Schlachtielve, 

Das Pferdeſchwemmen in ber Ofternacht wird ſchon im vorigen Jahır 
hundert erwähnt. (Pilansfi No. 25 8. 16.) 

In der Oſternacht verwandelt fi Waſſer in Wein. 

Ieber Dienftbote erhält eine Anzahl Eier. (Boltslalender No. 182.) 

Am Oftermontag, aber wohl auch ſchon am Ofterfonntag, ift das ber 
taunte Schmadoftern üblich. 

Am Dftermontag, aber wohl auch [don am Ofterfonntag, begiehen 
Mäpchen und junge Lente einander — was ebenfo wie bas Schmadoftern 
als eine Art von Anfmerkfamteit gilt, (Vgl. Volkslalender No. 238, 234) 

Der Hausvater befprengt bie Yamilie, foger das Vieh im Stall mit 
Waſſer (am Sonntag? oder Montag?). Man fagt, wenn man einen ber 
fprengt, ber werbe fleißig. (Oohenſtein.) 


von Dr. M. Arven. 587 


28. April. Der Georgstag, an welchem der gränenbe Roggen nach 
der Rede der Litauer ſchon fo Hoch fein muß, daß bie Lerche ſich im ihm 
verbergen Tann, gilt für einen bebentfamen Zeitabſchnitt. (M. P. P.B. 1849 
3b. 1 ©.386.) An dieſem Tage brachten die alten Priefter ihrem Feld⸗ 
gotte Pergrubins ein Opfer dar. (I. Meletins ©. 402.) 

24. April, St, Übalbert ift des Ochſen Freude. Wojciecha wolowa 
pociecha — nad einigen, weil ſchon Gras fprießt, andere geben folgende 
Erklärung: An biefem Tage gönnt ber maſuriſche Landmann feinen Ochfen 
völlige Ruhe; er if ihr Beiertag, wie der 28, April (St. Georg) der 
Ruhetag der Pferde ift, (Friſchbier Preuß. Sprichwörter 2. Aufl. ©. 298.) 

Am St. Albrechtötage kommen aud bie Schwalben an. (Hohenflein.) 

1. Mai. Walpurgis. Mitt der Hexen nach dem Blodeberg. Eine 
nad) der polnifchen Grenze Hin verlegte Geſchichte der Art wird erzählt in 
den Pr. Provinz BL. Jahrg. 1846. Dh. 1. S. 228. 

Der Buf- und Bettag wird von den Mafuren als königlicher Feier⸗ 
tag wenig äftimirt, 

Zu Himmelfahrt fegt man Topfgewächſe um und ftedt Gurken und 
Bohnen, 

Zu Pfingften wird eine Ochfe, mit grünen Kränzen behangen, mit ber 
Heerde aufs Feld getrieben. (Bolfslalender No. 237.) 

An ven Sonnabend Nachmittagen bon Pfingften bie Jacobi wird an 
vielen Orten in Mafuren keine Feldarbeit ausgeführt. (Hiny S. 117.) 

Sonntag nad Pfingften, der Trinitatistag, gilt den Mafuren als 
einer ber höchften Beiertage, in höherem Grabe, als z. B. Pfingften. 

An (welchem?) Tage fpringt der Hirfch ins Waſſer. Won der Zeit 
an fol man baden gehn. (Hohenſtein.) 

8, Juni. Medardus. An dieſem Tage foll man Flachs fäen. (Wallendorf.) 

24. Juni, Am Iohannistage gegen Abend, fagt Pifansfi (No. 22 
8.7) — er meint aber wohl ven Abend vor Johann — verfammeln ſich 
die Einwohner des Dorfes, befonbers bie jüngeren, tragen allerlei troce⸗ 
nee Stau, Reifer und Stroh zufammen, zünden biefen Haufen an und 
tanzen nm denſelben mit Singen und Jauchzen herum. Un einigen Or- 
ten unſeres Landes hat man an biefem Tage eine andere Gewohnheit, 
Es wird um bie Abendzeit alles Feuer im ganzen Dorfe ansgelöfcht, dar⸗ 


588 : Aberglauben aus Nafuren 


auf ein eichener Pfahl in bie Erde befeftigt, auf felbigen ein Rad geſtect 
und biefes von den Bauerfnechten, die einander bei ſolcher Arbeit ablöfen, 
fo lange ſchnell Herumgedreht, bis ſich der Pfahl von dem ftarten Reiben 
entzündet; da alsdaun ein jeder einen Brand mit fich nach Haufe nimmt 
und dae Feuer anf dieſe Weife im Dorfe wieder angefchärt wird. (Die 
ſes und einiger anberer Johannisgebräuche erwähnt andy ſchon C. Hennen ⸗ 
berger in ber Erflärung der Landtaffel S. 323, wo auch ber Zanberfor 
mel, die man beim ‚Feuerziehen“ ſpricht, und der Wirkungen des Feuer: 
ziehens gegen SHezerei, Milchbenehmung, Gewitter ıc. gedacht wird.) 

Noch ladet fie — die Mafuren — ſagt Preuß (in feiner Preuß. Lan _ 
bestunde 1835 ©. 235) ber Vorabend bes Johannistages zu allgemeiner 
Feier und freudiger Luft ein. Der gewöhnliche Sammelplag iſt eine Au- 
höhe, auf ber ein mächtiges Feuer angezündet und bie Nacht hindurch um 
ter allerlei ſcherzhaftem Zeitvertreibe brennend erhalten wird. Im ber 
Frühe des Iohannistages, welcher wachend erwartet wird, ſammelt jeber 
eine Menge verfchiedener Kräuter, deren Gebrauch bei Krankheiten ber 
Menſchen und Thiere für befonders Heilfam gehalten wird. 

Am Sohannisabend pflüdt man neunerlei Kräuter, worunter einige 
beitimmte Arten, wie Kamillen und weißer lieder, nie fehlen bürfen, 
und windet aus benfelben Kränze. Beim Pflüden ver Blumen und beim 
Winden der Kränze barf kein Wort geiprochen werben. Sole Sränze 
haben eine befonders heilbringende Kraft und werben forgfältig bewahrt. 
Ans den einzelnen Bläthen deſſelben kocht man Thee, gegen allerlei Kraul 
heiten. ( Dohenſtein. Näheres über biefe Johanniskräuter Vollelalender 
No. 116, 117, 194 auch Hintz ©. 55.) Am Iohannisabend wird Zohan 
nisfrant gepflädt; es muß von 9 verfdlebenen Arten fein. Diefes wird 
unter dem Kopflifien getrodnet uud nachher als Arznei bei Biehkranteiten 
gebrannt. (Willenberg.) 

Vom Tobtenkraut werden fo viele Hefte geflüdt,-als das Haus da⸗ 
milienmitglieber zählt und Hinter den Balken geftedt. Wellen Aſt am 
folgenden Tage welt Herunterhängt, ber ftirbt im Laufe bes Jahres. 
Gillenberg.) 

Mm der Johannisnacht pflückt man zwei Eremplare von ber „fetten 
Henne”. ohne ein Wort babei zu ſprechen und ftedt bie unter einen Dale 





von Dr. M. Täppen. 689 


fen der Stube. Der junge Mann, ber das unternahm, fpricht fobamm: 
Ihr flellt mich und meine Braut vor. — Bereinigen bie Pflanzen fi bei 
ihrem fortgefegten Wachen, fo heirathet ſich das Paar noch in dem Jahre; 
trifft das aber nicht zu, fo wird aus ber Heirath nichts; vertrocknet num 
gar eine der beiden Pflanzen, fo ſtirbt bie Perfon, für bie fie gefedt war. 
(Hohenftein. Vgl. Hartg. Zeitg. 1866 No. 8.) 

Am Abend vor Johannis werben ſchweigend verfchtedene Feldblumen 
gepflüct und zu einem Strauße vereint. Dann nimmt man in ber Mitter⸗ 
nachtſtunde ein Glas Wafler ſammt Blumenfiraug und fpricht: Der Liebſte 
tommmt zu trinken, vefp. bie Herzalierfiebfte komme und reiche mir zu trin⸗ 
ten. Soll der Herzenswunſch in Erfüllung gehen, fo zeigt der Waſſer⸗ 
fpiegel das Bild des herbeigeſehnten Schages. (Hartungfche Ztg. a. a. O.) 

Die Madchen winden Kränze und werfen biefelden rückwärts über 
den Kopf gegen einen Baum. Bleibt der Kranz an dem Baume hängen, 
fo heiräthet das Mädchen, welches ihn geworfen Hat, im nächften Jahre. 
&o oft er aber Herunterfällt, fo viele Jahre bleibt es noch unverheirathet. 
(Hogenftein, Willenberg.) 

Man fchneibet zwei Halme Zwieblauch gleich hoch ab; ber eine ber 
deutet Glüd, der andere Unglüd; welcher von beiden am folgenden Tage 
höher gemachfen ift, der zeigt dem Fragenden fein Schidfal im folgenden 
Yahre. (Willenderg.) Mädchen benfen fi unter den Halmen auch junge 
Leute, welche Heiratheabfichten haben Tönnten und ermitteln fo ben rechten. 
CHobenftein.) 

Zwiſchen 11 und 12 Uhr in der Johannisnacht geht man mit einem 
Tuche zu dem Hartrigelftrauche, der aber ſchon 7 dahre alt ſein muß, um 
deſſen Blüthen aufzufangen. Gelingt dieſes, fo werben bes Unternehmers 
Wuünſche alle in Erfüllung gehen. (Hartungſche Big. a. a. O.) 

Ein gewiſſes Krant, Schlangenfrant genannt, blüht nur in ber Jos 
hannisnacht und nur kurze Zeit. Wer die Blüthe deſſelben bei ſich trägt, 
dem verleigt fie wunderbare Kräfte. Ein Bauer, dem ein Pferd geſtohlen 
war, ſtieß mit feinem Riemenſchuh (chodak) an biefes Kraut, die Bläthe 
fiel in feinen chodak, daß er fie mit ſich trug, und fogleidh wußte er, wo 
das Pierd ſich befand. Aber bald fiel fie zu Boden und nun war auch 


590 Abengiauiben aus Mafuren 


alle Wiſſenſchaft vom bem Pferbebiebe ihm wieder entſchwunden. (RL. de 
rutten. Etwas ähnliches meint auch ber Vollslalender Ro. 112.) 

In der Johannisnacht blüht das Farrenkraut in der Mitternachtſtunde 
Wer fo glädlich if, die Blüthe zu finden, weit von allen vergrabenen 
Schatzen. Ea wagt fi) aber felten einer in biefer Nacht Hinauszugehen, 
um nicht ein Opfer ber Heren zu werben. 

Man fiht den Raſen an einer Stelle aus und hebt ihn auf, 
legt ihn dann aber wieder ein. Um nächften Morgen kommt man 
wieder, hebt ihn auf und ſieht. Findet man num 5.9. vothe ober gräne 
Mifer, fo bedeutet das Liebhaber mit rothem ober grünem ragen. 
(Hohenftein.) 

I der Johannisnacht hat man Träume für das ganze Jahr [fo]. — 
Der Kranz von neimerlei Kraut wird unter das Kopflifien gelegt; was 
man daun träumt, tft wahr. (Bon Träumen fpricht auch Volksk. No. 116. 
117. 140.) 

Am Iohannis- und Yacobitage darf nicht gearbeitet werben; das iſt 
Sünde. Wenn es doch gefchieht, fo zerreißt entweder der Wolf das Vieh, 
mit bem gearbeitet worben, ober ber Blitz fchlägt ein und verbrennt Hans 
and Hof. (Soldan. Bol. Volkskalender No. 125.) 

Am Iohannisabend macht man an ber Thüre des Viehftalles (von 
außen) brei Kreuze, um es dor Hexexei zu fichern. (Vgl. Vollskalender 

-Ro. 119— 122. Hintz S. 118.) Oft braucht man dazu Theer. (Hohenftein.) 

Am Iohannisvorabend müſſen wenigftens drei Kumſtpflanzen behäu- 
felt werben, wenn er gerathen foll. (Hoheuftein,) 

Nicht immer ift St. Johann. Nie zawsze ’swietego Jana. (Friſch-⸗ 
bier ©. 802.) 

29. Juni, Peter Paul trocknet die Wurzeln bes Roggens. (Hohenftein.) 

2. Yult, Mariä Heimſuchung. An diefem Tage darf feine Feldarbeit 
unternommen werben. (Hintz ©. 117.) 

Sonutag vor Jacobi. Exntefeft der Mafuren vor der Ernte, 

25. Zuli. Am Iacobitage muß alle Arbeit ruhen. (Vgl. oben 24. Juni 
und Boltelalender No. 127.) 

6. Anguft. Verllarung Chriſti. Hanpffeier- und Hauptopferteg ber 
Mafuren, 


von Dr. M. Typen. 591 


24. Unguft, Zu Bartholomdi ziehn bie Störche ab. (Bgl. oben 
Mariä Verkündigung.) 

Bartholomät Habe den Saamen. W. Bartlomiej, nasienie mid). 
(Friſchbier ©. 298.) 

29. September. Michael ſtößt die Leute hinaus. Michal ludzie 
wypychal. (Zu Michaelis werben die Wohnungen gewechſelt.) - (Brifch- 
bier ©. 303.) 

6. November. Am Nicolaitsge fommen die Wölfe zufammen. (gl. 
Lichtmeß.) 

Bon einigen wird der Nicolaitag als des Schutzpatrons ber reißen- 
den Thiere gefeiert, um beefalfiges Ungläd zu verhüten. (Hing ©. 117.) 

Un diefem Tage fpinnt man nicht, damit der Wolf nicht in bie 
Heerde falle. (Hohenſtein.) 

In der ganzen Adventszeit jeden Sonntag und bann am heiligen 
Abende vor Weihnachten durchzieht die eingeſegnete Jugend mit dem trans» 
parenten Stern das Dorf. (Bgl. Hink S. 40. Vollskalender No. 3.) 

24. December. Am Weihnachtsabend muß jeder feine ansgelichenen 
Sachen (ausgenommen Geld) zurüderhalten. (Willenberg.) 

Am Weihnachtsabende geht ver fogenannte Heilige Chriſt d. h. ein in 
einen umgelehrten Pelz gefleiveter und mit einem Knittel bewaffneter Kerl 
umher, ber bie bebenden Kinder eraminirt. Sind fie fleißig geweſen und 
tönnen daher gut antworten, fo erhalten fie nach feinem Fortgehen &e- 
ſchenle, wogegen für die Faulen am Weihnachtsbaum eine vergolvete Ruthe 
hängt. Die Wirkjamteit diefes heiligen Ehriftes beichränft fich jedoch nicht 
allein auf das Einfchüchtern der Kinder, ſondern auch bie Dienftboten, be⸗ 
ſonders die weiblichen, werden von ihm heimgefucht und gerne zerbläut, 
(Bolfslalender No. 5.) 

Sehr Häufig erfcheint ftatt feiner auch ein Bär, ber ebenfalls einen 
umgelehrten Bel; trägt und einen Aermel deſſelben als mächtigen Schwanz 
nachſchleppen läßt. Brummend zieht er umher und forbert die Kinder 
anf, ihren Weihuachtswunfd aufzuſagen. (Volkstalender Ro. 6.) 

Im der Heiligen Chriſtnacht zwiſchen 11 und 12 Uhr tft das Walker 
Wein. (Lineman bei Pifansli No, 26. 8.16. Vgl N. B. P. B. 1846, 
Bp. I. 6,3%.) 


692 Mberglauben aus Mafuren 


Zur Weifuachtsfrähprebigt nehmen viele in ben Taſchen etwas von 
allerlei Getreidearten mit. Solches Getreide gebeiht befler, wenn es ge 
ſat wird, und giebt mehr Mehl, wenn man es als Brodgetreide Brandt, 
Gillenberg.) 

Auch einzelne Wochentage haben ihre beſtimmte Bedeutung, wie wenn 
es z. B. heißt, Bohnen ſolle man nicht an demjenigen Wochentage ſtecen, 
an welchem ber erſte Schnee gefallen iſt. 

Montag. (Man vergleiche ven Wochenkalender in ben N. P. PB, 
1848. 85.2. S. 280 ff.) Bon großem Einfluß auf die Ereigniffe des fol- 
genden Jahres ift es, ob ber erſte Weihnnchtöfeiertag auf Montag oder 
Dienftag oder Mittwoch zc. fällt. 

Wenn am Montag zuerft eine weibliche Berfon in das Haus tritt, 
fo bebentet das Unglüd, 

Dienftag. Geburt an dieſem Tage präbefliniet zur Spitzbüberei. 
rotay) . 

Mittwod. Weizen muß mau weder am Tage noch in ber Nacht, 
fondern Mittwoch fäen. 

Donnerftag. Am Dommerfiag Abend wirb nicht gefponnen, über 
haupt mandjerlei alltägliche Befchäftigungen vermieden. Hink ©. 111. 
Vollskalender No. 204. 

Ein geroifjes Mittel gegen das Fieber (f. o.), fo wie auch gegen bie 
krazno lutki (f. o.), gegen das Unfrant (f. u.) foll Donnerftage ange 
wenbet, an bemfelben Tage das Sieblaufen (f. o.) veranftaltet werben. 
(Bgl. auch Schleicher, Litauiſche Märchen xc. ©. 94—97.) 

Wer Donnerftag in den Dienft tritt, wird von Gefhmwären und an 
bern bergleihen Krankheiten zu leiden haben, Denn es ift ber Fleiſchtag 

Freitag. Wer Freitag geboren und Sonntag getauft ift, lann Gei- 
ſter ſehen. (Xrolczyt.) 

Freitag iſt ber rechte Tag zur Hochzeit. (Hohenftein.) 

Freitag wird lein Brod gebaden. (Willenberg. Vgl. Hintz ©. 112.) 

Freitag dor Vollmond iſt ein gewiſſes Mittel gegen Wanzen anzu 
wenben (f. 0.); an bemfelben Tage bie Verfegnung ber weißen Leute (ſ. 0.) 
. Sonnabend. Geburt am Sonnabend präbeftinirt zur Heuchelei 
und Lüfternheit. 





von Dr. M. Zäppen, 593 


Dienfiboten treten ihren Dienft am liebſten Sonnabend an, weil 
ihnen das Dienftjahr dann nicht lang erfcheinen wird. 

Sonntag. Sonntagslinder können Geifter fehen. (Hohenſtein.) 

Sonntags muß man die Kuh ftehen lafien, wenn man Haben will, 
daß fie am Tage Falbt. (Willenberg.) 

Eine in fo beftimmter Form bei andern Völkern nicht hewortretende 
Eigenthũmlichleit des polniſch ⸗maſuriſchen Kalenders iſt die ausdrüdliche 
Bezeichnung der zahlreichen Unglückstage, die man doch im Weſentlichen 
wohl als Faulenzertage auznſehen hat. Im einem alten geſchriebenen Buche 
zu Borken bei Willenberg werben fie aufgeführt unter der phantaftifchen 
Ueberfchrift: „42 unglüdlihe Tage im ganzen Jahre, welche ein griechi- 
ſcher Autor der löniglichen ägyptiſchen Majeftät bekannt machte, und weiche 
dieſe auch als Wahrheit anerfannte.” Auch ber Himmelsſchlüſſel führt die 
Unglüdstage auf, aber ſchon in etwas vermehrter Auflage. Die fhlimm- 
ſten der böfen Zage find ver 1. April, an welchem ſich Iubas, ver Ber- 
zäther erhängt hat, der 1. Auguft, an welchem Kain feinen Bruder Abel 
erfchlug, und der 1. December, an welchem Sodom nom Erbboben vertilgt 
wurde. Die Unglüdstage find: 


im Monat: nad der Vorkener Handichrift: nad dem Himmelihläfiel: 
Januar 1.261.728 1.28 4 611.12 
Gebrnar 8 16. 17. 8 8. 16. 17. 

März 1. 12, 13. 16. 1. 12. 13, 16. 

April 1. 3. 15. 17. 18, 1. 3. 16. 17.19, 

Mai 8 10. 17. 30. 8 10. 11. 17. 30, 

uni 1. 7. 1. 7. 

Halt 1.56 4 5. 6. (Rene Aufl. 1. 4. 6.) 
Anguft 1, 3.18. 20. 1. 35.17 20. 
September 15. 18, 30. 18. 15. 29, 30. 
October 16. 17. 16. 17. 

November 11, 17, 1.71. 

Decemba 1. 7.11. 1. 7. 11. 


Die durch ben Drud hervorgehobenen Abweichungen ber beiden Ueber⸗ 
tieferungen find aljo. nicht unerheblich. Es wird ausdrüclich hernorgeho- 
ben, daß bie an biefen Tagen geborenen eutweber früh — ober ‚unit: 

Wr:. Monsisigeift Bo. IT. OR. 7. 


694 Aberglauben aus Mafaren 


Noth und Elend kampfen, ihre Ziele nicht erreichen würben, und daß man 
an biefen Tagen weber heirathen, noch eine Reife antreten, noch Bich ab» 
fegen, noch jäen ober pfropfen ſolle. 

Hier folgen einige Begegniffe, aus welchen man bie Zukunft erten- 
nen Tann. 

Wenn man ausgeht und begegnet einem Weſen weiblichen Geſchlechte, 
namentlich einer alten Frau, fo bebentet das Ungläd, wenn einer 
Mannsperfon, Gluck. (Soldau, Willenberg.) 

Käuft einem Banern ein Hafe über ben Weg, ober begegnet ex einem 
alten Weihe, fo bebeutet das Unglüd, (Rofengeyn Bb.2. ©. 91. 92.) 

Wenn ein Hafe über den Weg läuft, beventet das Unglüd, namentlich 
Teuer. Ein Hund, der quer über den Weg läuft, bebentet auch Ungläd(?). 

Läuft ein Wolf ober Fuchs über den Weg, das tft Glück. (Soldau) 

Wenn einer fährt ober reitet, umb eim Buchs ihm über den Weg 
läuft, fo fall ihm ein Schabe entfliehen. So fagt der alte Chroniſt Simon 
Grunau im jechsgehnten Jahrhundert. (N. B. P.-Bl. 1846. Bd. 2. ©. 338.) 
° Ein Dann, ein Abler, ein Hund, ein Wolf, ein Bettler bebeuten dem 
Reifenden Gluc. (Willenberg.) 

Denn bei Krankpeit der Angehörigen ber Hund fi fo niederlege 
daß er mit ber Schnauze ber Thüre zugewendet erſcheint, fo deutet bies 
anf den Ausgang bes Lebens. (Hiny ©. 118.) 

Hundeg ehenl vor einem Hanfe verkündet gleichfalls ben Tob eines 
Hausgenoſſen vorher. (Bing ©. 118.) 

Das Biden des fogenannten Todtenkäfers zeigt ſicher an, daß halb 
Iemand tm Haufe flerben werde. (Solban.) 

ine Kröte in der Stube bebentet Unglüd. 

Wenn ein Hund unweit bes Fenſters heult, fo fiirbt Semanb in dem | 
Hanfe nad) kurzer Zeit. Dan barf ihn nicht berufen, denn er fieht ben | 
Tod, der Jemand abzuholen kommt. Vielmehr befveuzigt fid) daun alles. 
Wenn man, während ber Hund heult, hinter benfelben tritt, unb zwiſchen 
feinen Ohren hindurch ‚über feine Schnauze fieht, fo fieht man den Tod 
and. (Lubainen,) 

Wenn Katzen in der Nähe bes Haufes Heulen, das bedentet Spekta .· 
lel im Haufe, 





‚von Dr: Rippen. . 52 


Sehr alt find die Neberlieferungen über Weiſſagung aus Bogelgefchrei. 
Schon ber Ehronift Simon Grunan im Anfange des ſechezehnten Jahrhun⸗ 
derts ſagt: 

Benn eine Elſter vor dem Fenſter ſchreit, fo ſprechen fie, es find 
Säfte vorhanben, die man nicht gern fieht. (Simon Grasan in ben N. 
v. ſ. Bl. 1846. Bb.2. ©. 337.) 

Wenn eine Henne kräht, jo ſprechen fie, die Franen Nachbarinnen 
werden mit einander habern. (©. Gruman a. a, O.) 

Wenn ber Bogel, Uhn genannt, brei Nächte auf einem Haufe ſchreit, 
fo meinen fie, aus biefem Haufe müfje Jemand fterben. (S. Grunan a. a. D.) 

Keinem Storche laſſen fie ein Leib thun, deun fie halten es dafür, 
daß die Störche anderamo Menſchen find. (S. Gruuau a. a. DO.) 

Wenn bie Hühner kirren, fo follen fie einen Geiſt fehen, ver ba wan⸗ 
fet und will bei den Menfchen fein. (S. Grunau a. a. O. ©. 388.) 

Hieran reihen ſich die Angaben Pifanski’s über Prophezeifung aus 
Bogelgefsgrei und Bogelfiug (No. 23. 8.9). „Er ein unglucliches Beir 
Gen, fagt er, nimmt man es an, wenn eine Henne krähet und dieſe un. 
ſchuldige Prophetin muß ſodann ihre Verwegenheit gemeiniglich mit dem 
Berlufte des Rppfes bezahlen. So finben ſich andy noch Spuren von dem 
Wahrſagen ans dem Fluge der Vögel. Denn verfammelte Schaaren gra« 
Ber Raubvoögel find Vorboten des Einbruchs zahlreicher Kriegeheere. Das 
Streiten ber Bögel in ber Luft beventet gleichfalls Krieg. Verläßt ber 
Storch auf einem Haufe fein Neft, fo muß biefes auch in bemfelben Jahre 
abbrennen. Diele halten es für eine Sünde eine Schwalbe zu töbten.“ 

Krägt ein Huhn, fo bebeutet das großes Ungläd. Das Huhn ift un- 
rettbar verloren; ihm wird ſogleich der Kopf abgehadt. (Soldau.) Auch 
eine fehreiende Krähe bebentet Unglüd. (Willenberg.) 

Wenn eine Eule fi) aufs Hans fegt, und in klagendem Tone ruft: 
puse (b. 5. Laß mid), dann ftirbt Jemand, wenn fie in lachendem Tone 
kolys (d. 5. Wiege) ruft, giebts Kinbtaufen. . 

Liunks und rechts macht bei ber Prophezeiung einen großen Unter- 
ſchied. Was links geſchieht, bebentet Gutes, was rechis nicht Gutes. 

Wem bie linke Hanb judt, der nimmt Gelb ein, wem bie rechte, dee 


giebt Geld aus, 
38° 


696 Überglauben aus Mafuren von Dr. M. Täypen. 


Wem das linke Unge juct, der wird lachen, wen das veht, ber 
wird weinen, 

Wem bie linke Bade glüht, der wirb belobt, wem bie rechte, ber 
wird befchänbet. 

Daher muß man, wenn man einen Echat brennen fieht, den Sqhuh 
vom linken Fuß Hinter fi werfen, um ihn feftzuhalten, und den Zeige | 
finger der linken Hand gebrauchen, wenn man fi} gegen ben böfen Blid 
einer Here {hügen will. 

[Doch ſoll nicht verſchwiegen werben, daß der Chroniſt Simon Grunan, 
der biefe Sache ſchon im Unfange bes fechszehnten Jahrhunderts berühtte, 
das Entgegengefegte überliefert. Gr fagts 

„Wenn einem ein Ohr klingt, iſt es das rechte, fo fpricht er: Man 
gedentt meiner zum Beſten; ift es das linke, fo fpridt er, man beläge 
ihn oder man wolle ihm böſe.“] 

Ferner: „Wo einer zum erfien im eine Stabt, ein Dorf ober ein 
Hans gehet und mit dem linken Fuß eintritt, fo Hält er bafür, daß es 
da wird übel gehen; wo aber mit dem rechten, fo tft alles Gluck mit ihm.’ 
(&. Grunau in den N. P. P.-BL. 1846. Bb.2. S. 337.) 

Der Vorzug der linken Seite wird auch beim Eintheeren bes Wagens 
beobachtet (ſ. x.) 

ESchluß folgt.) 








Die 
Yntafrophe des Banzigen Bürgermeiflers Gonrad Fetzhan, 
Bon 


Dr. Hans Prutz. 


Häufiger noch als in ber Gefchichte ganzer Staaten und ihrer freund» 
lichen und feindlichen Berührungen mit einander finden wir in ber Spe⸗ 
cialgefhichte gerabe einzelner Städte und Meinerer Gemeinweſen Punkte, 
wo bie verfchiebenen Hiftorifchen Weberlieferungen in einen, wie es fcheint, 
unslösbaren Widerſpruch gerathen und einander biametral entgegengefegte 
und in feiner Weiſe zu vereinigerbe Nachrichten mit gleicher Sicherheit 
und gleich großem Anfpruche auf Geltung und Glanben auftreten. Währ 
rend wir in ber allgemeinen Geſchichte wohl Hier und da auf Greigniffe 
ſtoßen, beren Berlauf im Einzelnen von den babei Betheiligten verſchieden 
anfgefaßt und daher auch verſchieden berichtet worden iſt, und während 
wir die darin handelnd auftretenden Perfönlichkeiten ihrem Charakter nach 
oft eine je nach bem Parteiftandpunfte ganz entgegengefegte Beurtheilung 
erfahren fehen, jo hat ſich doch im Laufe der Zeit in allen biefen Streite 
fragen ein gewiſſer mittlerer Stanbpunft als derjenige ergeben, von bem 
aus man bem wahren Sachverhalt am nächſten kommen zu können hoffen 
darf." Die große Zahl der dem Hierbei in Betracht kommenden Partei 
interefje fern ftehenden, welche gerade in berartigen Dingen ein fo ent- 
ſcheidendes Gewicht in bie Waagichale zu werfen und einen fo hervorras 
genden Antheil an der Bildung bes ſchließlich allgemein gültigen Urtheils 
haben, ſchleift die Gegenfäge allmählich ab, milvert das von ben einander 
zunãchſt feinblich gegenüberftehenden Parteien zu Kart und fchroff Gefaßte 


598 Die Kataſtrophe des Danziger Bürgermeifters Eonrab Letkau 


ober abfichtlich Uebertriebene und Gefälſchte. Ganz anders bagegen iR 
es mit folchen Ereigniſſen, welche innerhalb des kleinen Kreiſes, in bem 
fie fich zugetragen und für den fie zunächft von Bebentung find, fchon eine 
teiberfprechenbe Beurtheilung finden: wo bie Parteien einander fo un 
mittelbar gegenüber ftehen, unb bie vermittelnbe und ausgleichende Beur- 
theilung einer in ber Hauptſache neutralen Majorität fehlt, ba behartt 
jeber von ben Streitenden um fo zäher und eigenfinuiger auf feiner Mer 
mung, und in ber Hige des Kampfes irrt man, nach nenen Docnmenten 
unb neuen Beweifen fuchend, mehr und mehr von ber Wahrheit ab. Der 
artige Kämpfe nun befchränfen fich nicht auf bie Zeit, im welche das fie 
veranlafiende, ben Streit der Parteien zunächft entfeſſelnde Ereigniß gehört, 
fie fegen ſich weit darüber hinaus fort und werben von fpätern Geſchlech⸗ 
tern zuweilen mit faft noch leidenichaftlicherem Eifer geführt, als es bie 
erſten thatfächlich kämpfenden erfüllte. Während einft um eime reale Frage 
mit Erbitterung gerungen wurde, ftreiten dann bie Nachkommen ber beiden 
Kämzier mit noch größerer Erbitterung, ob der ober jener Recht gehabt 
habe, ob die im Rampfe angewandten Mittel erlaubte oder unerlaubte ge 
wefen feien n. ſ. w., und bas Ergebnif eines fo noch nachträglich geführ- 
ten Kampfes ift dann regelmäßig biefes, daß man von bem einen fraglichen 
Ereigniß zwei Darftellungen hat, welche einander gerabezu entgegengefeht 
find amd berem jebe in faft jedem Punkte das birefte Gegentheil von bem 
behauptet, was die andere als fattifch überliefert. Ganz befonders pflegt 
dieſes bie Sage ber Hiftorifchen Weberlieferung ba zu fein, wo es ſich um 
Gegenfäge handelt, die nicht bloß in jenem einen fireitigen Ereigniſſe in 
Conflilt geriethen, ſondern bie auch in der folgenden Zeit Hart und wild 
mit einander gerungen haben. Der alte Barteihaber ruht auch dann noch 
nicht, wenn ber Gegenftand, um ben man einft zu fireiten hatte, Läugft 
befeitigt ift, wenn bie Verhältniſſe ganz andere geworben find: das einft 
Geſchehene findet auch in ber von ganz anderen Imterefien beivegten Ge 
genwart noch feine Widerſacher und Vertheibiger, und in ber hiſtoriſchen 
Erforſchung der Vergangenheit ernenern ſich dann thatſächlich bie Vartei⸗ 
leidenſchaften und Beftrebungen, bie einft im Kampfe um wichtige Bragen 
erregt worben find. Gerade bei Eontroverfen aus der Geſchichte Heinerer, 
in abgefchloffener Entwidelung ſtehender Gemeinwefen pflegt bies zu ge 


von Dr. Hans Pruß 899 


ſchehen, und zwar um fo nahbrüdlicher und eifeiger, je mehr ſich in ben» 
ſelben auch der Geift und bie Gefinnung, welde in ber Vergangenheit 
herrſchten, wirkſam erhalten haben. Denn mit um fo größerer Liebe hängt 
tan dann an ber Vergangenpeit, an einzelnen befonders glänzenben oder 
befonders trüben Ereignifien, und man vertheibigt bie einmal überkommene 
Auficht von ihnen mit um fo größerer Leipenfchaftlichleit und Ansbaner, 
je mehr fih in einzelnen Kreifen andy bie entgegengefegte Auffaſſung herr 
(hend erhalten hat und je mehr ſie Geltung zu gewinnen ſucht. 

Die Gefchichte faſt eines jeden Parteilampfes beftätigt biefe Sätze, 
und nirgends werben wir anf mehr von einander abweichende Traditionen 
und einander fehroffer entgegengefegte Berichte treffen, als da, wo es ſich 
um bie Darftellung eines im Imnern eines Gemeinweſens geführten 
Kampfes Handelt. Haß und Liebe, welche bie im Kampfe miteinander rin⸗ 
genben Gegner erfüllen, finden nicht bloß in ber Bruft der Zeitgenoffen 
und ber Zengen bed Kampfes Wieberflang, ſondern fie leben auch in ſpä⸗ 
teren Gefchlechtern noch fort und veranlaflen baher auch ganz natürlich 
eine mehr ober weniger abfichtliche Faͤlſchung des thatfächlichen Verhält- 
niffes; und indem bann an bie einmal zunächft aus Partelinterefie began⸗ 
gene Abweichung ſich flets neue anfegen, befommen bie Darfiellungen, 
weiche von verfchievenen Seiten gegeben werben, allmählich eine fo ganz 
und gar von einander abweichende Färbung, daß man faum noch das ih⸗ 
nen wirklich Gemeinfame herauszufinden vermag. Und gerade an foldhen 
Darftellungen, die erft im Laufe ber Zeit erwachſen und fi aus immer 
nenen Zuthaten, wahren und falfchen, zuſammengeſetzt haben, hängt man 
ganz befonders, und nichts tft ſchwerer, als die zunächft babei Intereffirten 
von ber Unrichtigleit deſſen zu Überzengen, was fie bisher mit einem ge- 
wifien Gefühle ver Genugtäuung und des Stolges für wahr gehalten und 
als eins der glänzenbften und merfwürbigften Ereigniffe aus ber Geſchichte 
ihrer Vorfahren mit befonberem Wohlgefallen Hervorzuheben pflegen. Nir⸗ 
gende findet ſich daher der Hiftorifer fo oft in ber Lage mit kritiſcher 
Schärfe gegen eine allgemein als wahr angefehene und befonders gem 
gehörte und erzählte Geſchichte vorzugehen und diefelbe als ein Conglo- 
merat unabfichtlicher und abfichtlicher Unrichtigkeiten, verzeihlicher Irrthũ⸗ 
mer, offenbarer tendenziöfer Erfindungen und allmählich entftandener Local 


608 Die Kataſtrophe des Danziger Bürgermeifters Conrad Letlau 


fage barzuftellen, als gerade bei der Specialgefchichte einzelner Gtäbte und 
Heinerer Zaubfchaften: faft in jeder berfelben wird ſich zum wenigften ein 
Bunkt nachweiſen laſſen, wo bie Hiftorifche Wahrheit ganz ober zum größ- 
ten Theil in Vergeſſenheit gerathen ift und ber einmal zur Anertennung 
gefommene und allgemein verbreitete Bericht nichts ift, als eine bunt ans 
geiämüdte Sage, in der Wahres und Unmahres durcheinander geworfen 
und fo ein Bericht entftanden ift, wie er ber Parteiftellung der Majorität 
und ben auch noch die Nachwelt beherrſchenden Sympathien am meiften 
entſpricht. 

Auch in der Geſchichte Danzige, die an großartigen Ereiguiſſen und 
vielfeitigen Beziehungen fo außerordentlich reich ift und in der wir bie 
gefammte Entwidelung getragen und getrieben fehen von mächtigen Im 
pulfen und herrlichen Beftrebungen, fehlt es an folden ihrer Glaubwär 
bigfeit nach im höchſten Grade zweifelhaften Darftellungen einzelner Ereig 
uiffe night, und auch hier Hat ſich ein fehr verzeihlicher, eigentlich fogar 
töblicher Localpattiotismus gerade mit beſonderer Vorliebe an diejenige 
Faſſung gehalten, welche den Danzigern den meiſten Ruhm zuſtrahlt, in⸗ 
dem fie die Gegner in recht ſchwarzen Farben und einem überans ungün⸗ 
fligen Lichte erfcheinen läßt. Charalteriſtiſch ift es und ſtimmt volfländig 
zu dem im Allgemeinen Über berartige Erfcheinungen Gefagten, daß es fih 
auch Hier meift um Greigniffe Handelt, welche der Zeit angehören, in ber 
die Parteileidenſchaft am meiften entfefjelt war, wo ber lange verhaltene 
Groll zwiſchen den Danzigern unt den Orbensherren zum Ausbruch fam 
und damit jener furchtbare und mit ber größten Heftigfeit geführte Lampf 
begann, durch ben fchließlich die Ordensherrſchaft gebrochen umb Damig 
eine freie Stadt wurde. Dieſer ſchließliche Ausgang bes Kampfes, ber 
Sieg der bürgerlichen Freiheit Über bie zur Tyrannei entartete Herrſchaft 
des Ordens hat wohl weſentlich bazu mitgewirkt, ven Mann, in welchem 
fich diefer Eonflikt ſchon früher gleichfam verkörperte und der ein Opfer 
der gewaltfamen und bintigen Ordensherrſchaft wurde, in den Augen fpär 
terer Gefchlechter als einen Helden and Märtyrer ber Freiheit erfcpeinen zu 
laſſen. Denn bas ift die Vorſtellung, welche noch heute jeber Danziger 
mit bem Namen des Bürgermeifters Conrad Letzkau zu verbinden pflegt: 
er ift der Danziger Freiheitsheld, der Repräſentant ber bürgerlichen Geld 


von Dr. Hans Brus. - 601 


flänbigkeit gegenüber der Thrannei einer entarteten Adelskaſte, feine Ex- 
morbung bie Schuld, für welche dem beutfchen Orden in dem Gtäbtefriege 
und ber ihm ba zugefügten totalen Demüthigung bie gerechte Etrafe er⸗ 
eifte, und patriotifcje Geſchichtsſchreiber ſtellen es am liebſten fo bar, ale 
ob ans dem Blute Conrad Letzkau's, der ſchmachvollem Meuchelmorde 
zum Opfer fiel, ber junge Baum der Danziger Freiheit unmittelbar auf⸗ 
geſchoſſen ſei. Im bildlichen Sinne mag man das gelten -faflen, aber 
auch nur in biefem, denn in Wahrheit verhält es ſich doch fehr viel ans 
ders und ſteht bie Befreiung Danzigs mit bem angeblichen Opfertöbe 
Conrad Letzkau's gar nicht in einem fo unmittelbaren Zufammenhange, 
jedenfalls aber fanıı von irgend welchem Gaufalnerns zwifchen beiden nicht 
die Rede fein. Und auch mit dem „Opfertode”, mit ber meuchleriſchen 
Ermordung Letzkau'e, feiner völligen Unſchuld und ber allein anf bem 
Danziger Orbenscomthur ſchwer laftenden Schuld Hat es, wie es ſcheint, 
denn doch eine etwas andere Bewandtniß, als man gewöhnlich annimmt, 
wenn anch nicht gerabe eine vollftändige Umkehrung in ber Vertheilung 
von Schuld und Unfchuld das Richtige treffen wird, Denn im Gegenfag 
zu ber fonft üblichen Darftellung vom Tode Letzkau's, welche ihre eigenthlim- 
liche Färbung dem patriotifchen Sinne ber Danziger verbankt und bie ihre 
vollſtãndige Erflärung findet in dem leidenſchaftlichen Kampfe, der mehr 
als ein Menſchenalter fpäter zwiſchen ihnen und dem Orben geführt wurde, 
iſt auch von anderer Seite für ben Orben Partei ergriffen und ein Bes 
richt geliefert worden, wonach alle Schuld auf Seiten ber Danziger, alles 
Recht auf Seiten des Ordeuscomthurs gewefen fein foll. Diefe Auffaffung 
finden wir vertreten durch ben Geſchichtſchreiber der Ordensherrſchaft in 
Preußen, 3. Boigt#), und Heinela«), während die entgegengefegte, ganz 
zu Gunften der Danziger gewenbete in den älteren und neueren Darftele 
lungen der Gefchichte Danzigs gegeben wird, bald mit einigen Zweifeln«s), 
bafd ganz ohne folhet), bald vollftändig und mit Aufnahme aller, auch 


*) %. Voigt, Geſchichte Preubens Bo. VIL, p. 139 fi. 
**) Heinel, Geſch. Preußens Bo. I, p. 619 fi. 
—) Kotzebue, Geſch. Preußens Bd. II, p. 139—142 und p. 388, 
» Gralath, Verſuch einer Geſchichte Danzigs. Thl.1, p. 119 ff. ©. Löfhin, 
Gejchichte Danzigs Bo. I, p. 52 ff. 


602 Die Kataſttevhe des. Daltziger Bargermeiſters Conrad Leplau 


bed auf ben erſten BL unwahrſcheinlichſten Einzelheiten, bald nit AI 
Idpweigender Weglaffung derjenigen, bie das Gepräge der Erfinbung alla 
beutlich an ſich tragen. Gegen die kritiſchen Bebenfen Voigt’s und Heinele 
hat baun ber verehrte Senior der Danziger Geſchichtsforſcher, Gotthilf 
Löfhins), der Ianbesäblichen, von Danziger Patriotiemns durchhauchten 
umb getragenen Darftellung zn banernder Geltung verhelfen wollen, ohne 
daß es ihm, wie es uns fcheinen will, gelungen wäre, wirklich überzen- 
gende Gründe für biefelde vorzubringen. Damit foll nun aber leineewege 
gefagt fein, daß wir die Anffaflung von Voigt und Heinel für die richtige 
halten und mit ihnen das Recht allein anf Seiten bes Orbens, bie Schuld 
allein auf Seiten ber Danziger ſuchen. Vielmehr glauben wir, daß bei- 
ven Geſchichtsſchreibern ganz daſſelbe begegnet ift, wie ben Danziger Hi- 
ſtorilern, welche Conrad Letzlau als einen ſchmäͤhlichem Verrath zum Opfer 
gefallenen Freiheitshelden verherrlichen. Denn fo ernſt und aufrichtig ber 
Hiſtoriler danach ſtreben mag, wirklich sine ira et studio zn ſchreiben, 
vollſtändig wird es ihm nur felten gelingen, und je eifriger umb mit je 
größerer Liebe und Hingebung er fich in feinen Stoff vertieft, um fo leid. 
tee wirb es ihm begegnen, baß er gerabe bei jo controverſen Punkten, wie 
der hier vorliegende, ganz unwilllürlich die Dinge von einer Seite anfieht 
und barftellt, welche ber den Mittelpunkt feines Werkes bildenden Sache 
die gänftigfte if. So konnte es Kommen, baf Voigt die firenge Kritil, 
mit welcher er das über Conrad Letzkau Ueberlieferte präfte und fichtete, 
nicht foweit ansbehnte und ansfährte, daß er num auch ben von ihm ale 
gäftig und richtig anerfannten Bericht in materieller Hinficht gepräft Hätte 
und ben tieferen Motiven nachgegangen wäre, welche in ber Danblunge 
weife Conrad Letzkau's ſowohl wie des Danziger Orbenscomthurs als 
mächtige Triebfebern mitwirkten: erſt wenn bie Berechtigung biefer gepräft 
it, wird fich ein Urtheil abgeben laſſen über Recht unb Unrecht, Schulb 
amd Unſchuld, erft dann wird das Verfahren beider Theile, des obflegen 
den fowohl wie bes unterliegenben, in bem richtigen Lichte erfcheinen. Und 
dann wirb fi), fo glauben wir, zeigen, baß auch Hier wie fo oft das Un- 


*) Beiträge zur Geſchichte Danzigd and defien Umgebungen . . . von Dr. 
G. — Sit. 8, p. 77 fi. 


von Dr. Hand Prup. 803 


richtige allein in einer einfeitigen, von einem: extremen Gtanbpımit aus⸗ 
gehenden Auffaffung feinen Grund hat und daß bie Wahrheit, die beiben 
Parteien Gerechtigkeit wiverfahren Täßt, in der Mitte liegt. Im biefem 
Sinne ſoll in dem Folgenden bie Kataſtrophe Conrad Letzlau's auf Grund 
des uns Ueberlieferten einer kritifchen Prüfung unterzogen, zugleich aber 
and) der Verſuch gemacht werben, von ber allgemeinen Lage beider Bar 
teien, in welcher ihre Haudlungsweiſe zunächft ihrem Grund hatte, ein Bilb 
zu entwerfen, welches Licht und Schatten gerecht vertheilt und feine Be 
urtheilung nicht bloß anf den ſchließlichen Erfolg, fondern aud auf das 
Gewollte und Erſtrebte, bie Rechtmäßigkeit oder Verwerflichkeit deſſelben 
grünbet. 

Die Zeit der höchſten Blüthe des deutſchen Drbens im preußiſchen 
Lande war längft dahin, und von bem Glanze, der biefelbe nnter Winrich 
don Kuiprode nach innen und außen umſtrahlt hatte, waren nur noch 
wenige bürftige Reſte übrig geblieben. Die Eintracht zwiſchen Herrſchenden 
und Beherrfchten war dahin, und zu den ſchweren Eonflikten, bie fih im 
Iunern vorbereiteten, lam die dringende Gefahr, welche von außer her ben 
Beſtand ber Ordensherrſchaft bedrohte, ſeitdem Polen mit Litthauen um. 
ter bem erſten Yagellonen vereinigt dem preußiſchen Lande ein übermäch 
tiger, höchſt furchtbarer Nachbar geworben war. Die Stellung bes Ordens 
zum Polenfönig war bald eine folde, daß es ber ganzen Umſicht und 
Gewandtheit des friebfiebenden Hochmeifters Conrad von Yungingen bes 
durfte, um einen feindlichen Zuſammenſtoß zu verhindern. Nach feinem 
Tode (30. März 1407) brach das Verhängniß ſchnell über das preußiſche 
Land herein. Vergebens hatte Conrad noch anf feinem legten Krauken⸗ 
beit bie @ebietiger bes Orbens dringend gebeten, nach feinem Ende bie 
Würde eines Hochmeifters nur ja nicht feinem Bruber Ulrich zu Übertragen, 
von deſſen Heftigkeit und ſtürmiſchem, unbebachtem Weſen er für ven Orden 
das Schlimmfte fürchten zn müflen glaubte; feine Warnung war unbeach⸗ 
tet geblieben und am 26. Juni Ulrich von Sungingen zum Meifter des 
Deutfchen Ordens erwählt worden. Des Großfürften von Litthauen, Witowd, 
uUmtriebe und Imtriguen, der durch ihn mit veranlaßte und heimlich 
geförberte Aufſtand ver Gamaiten gegen ven Orden und das Auftreten 
des Polenkönigs Wladislaw IL. zu Gunften Litthauene machten endlich 


604 Die Kataſtrophe des Danziger Bürgermeifters Conrad Leplau 


den Zufammenftoß unvermeidlich; ſchon im Jahre 1409 entlud fid die 
gewitterfhwälle Luft, bie fo lange anf Preufen gelaftet Hatte, in Kämpfen 
gegen Polen. Zwar kam es bald zu einem Waffenſtillſtand und zu einem 
‚Bermittelungsverfuche des Königs Wenzeslaw von Böhmen, welder in 
feinem Schiebsfpruche zu Gunften bes Ordens auftrat; doch war ber Kampf 
damit nur binausgefchoben, und nachdem auch bes Königs Sigismund 
von Ungarn Bemühungen um Aufrechterhaltung bes Friedens geſcheitert 
waren, erfolgte im Jahre 1410 ber gewaltige Zufammenftoß. Am 15. Juli 
lam es zu ber entiheibenden Schlacht bei Tannenberg: fehon hatte ber 
linke Slügel bes Orbensheeres über bie Litthauer unb deren Hilfsvöller unter 
Witowd bedeutende Vorteile errungen; ftatt nun aber bem mit bem Polen 
König noch Hart ringenben rechten zu Hülfe zu kommen, gab er fich übereifrig 
der Verfolgung und dann beutegierig der Plünberung hin. Das entfchieb 
das Schiäfal bes Tages: ber anfängliche Sieg verwandelte ſich in eine totale 
Niederlage des Orbensheers; 200 Mitglieder des Ordens, darunter Ulrich 
von Iungingen und alle höheren Würbenträger, überhaupt 600 Ritter 
und im Ganzen nicht weniger als 40000 von dem gemeinen Kriegsvolle 
deckten die bintige Wahlſtatt. Der Schlag war für den Drben und feine 
Herrſchaft ein vernichtender. Vollſtändige Entmuthigung und ein pantfcher 
Schred bemächtigte ſich tes ganzen Landes, welches ber fiegreiche Polens 
könig zur Unterwerfung unter feine Herrſchaft anffordern Tieß, indem er 
diejer Aufforderung zugleich durch eine grauenhafte Verwüſtung des ganzen 
Landes den furchtbarften Nachdruck gab. Mit nnerhörter Barbaret hauſten 
bie zügellofen Schaaren der Polen und Litthauer, Tataren und Rufen in dem 
unglüdlichen, ihrem Wüthen widerſtandslos preisgegebenen Lande. Kaum 
ſchien es noch eines Kampfes zu bebürfen, um bas gefammte Preußenland 
der polniſchen Krone dienftbar zu machen. Da wurde ber Komthur von 
Schwetz, Heinrich von Plauen, fein Netter vor polniſch⸗litthauiſcher Bar- 
barei, Die geringen Streitfräfte, die dem Orben noch geblieben waren, 
raffte er zufammen, warf ſich in bie Marienburg, in welche er alle Bor 
räthe ans ber ganzen Umgegenb zufammenbringen ließ. Die Stabt wurde 
zur Erleichterung ber Vertheibigung niebergebrannt, und ihre Bewohner 
verflärkten die Zahl der Beſatzung ber Burg. Auch aus ben vom deinde 
noch nicht befegten benachbarten Stäbten entbot man Hüffe: Danzig ſchicte 


von Dr. Hand Pruß 606 


dem bebrohten Ordenshauſe 400 „Echiffekinder”, d. h. mit Harniſchen 
und Etreitägten verfehene Matrojen zur Unterflägung, jo daß damit die 
Zahl der Vertheidiger der Marienburg auf ungefähr 4 bie 5000 flieg. 
Noch aber ſchien dem Helvenmuthe Heinrichs von Planen auch nicht bie 
geringfte Ansficht auf einen glüdlihen Erfolg erſchloſſen zu fein. Lange 
fam wälgte fi; das gewaltige polnifch-litthanifche Heer gegen bie.Marten- 
burg heran; ſchlimmer aber als die Uebermacht deſſelben und bie beiipiel- 
ofen Gräuelthaten, durch die es feinen Weg bezeichnete, war die Ein- 
mäthigfeit, mit der faft das ganze Land vom Orden abfiel und des Polen» 
tönige Gebot zur Unterwerfung Gehorfam leiftete. Wie aber hätte es an- 
ders fein können, ba jelbft viele von ben Mitgliebern bes Orbens, viele 
von den Befehlshabern ber Orbensburgen mit bem Beiipiele feiger Flucht 
oder friechender Unterwäürfigleit gegen ben glüdfichen Sieger vorangingen? 
Die vier Biſchöfe des preußiſchen Landes huldigten dem Polenkönig und 
geboten ihren Unterthanen ein Gleiches. Die Stäbte folgten dieſem Bei 
fpiele, obenan die beiden wichtigen, Danzig und Elbing: ohne daß ein 
Feind vor ihren Mauern erſchienen wäre, fchlofien fie fi ben Polen 
an und brachen bie dem Orden gelobte Treue, während Thorn es ſchon 
früher, aber nad) der Schlacht bei Tannenberg unmittelbar bebroht, ge 
than hatte. 

Seit bem Ende des Juli hatte die Belagerung der Marienburg ihren 
Anfang genommen. Während der Daner berfelben, fo lange man ben Fall 
des Hanfes und damit bie gänzliche Vernichtung ber Ordeneherrſchaft er⸗ 
warten konnte, entwidelten die offenen und geheimen Geguer bes beutfchen 
Ordeus eine raftlofe Tätigkeit, die einen mehr, bie anbern weniger vor⸗ 
fichtig, fo daß bei dem ſchließlichen Scheitern bes Angriffs und bem. Ahr 
wuge bes polniſch- litihauiſchen Heeres bie einen ſich mit bem Drange ber 
Moth entſchuldigend ungeftraft unter bie Orbensherrichaft zurückehren konn ⸗ 
tem, bie andern aber fo entſchieden compromittirt und bem Orden gegen- 
über bes Verrathe ſchuldig daſtanden, daß weber fie felbft vollſtändig in 
ihr altes Unterthänigfeitsverhäktniß zum Orden zurückkehren mochten, noch 
diefer fie anders ala mit dem anßerſten Mißtrauen und bem Vorbehalte 
einer Örengen Züctigung und nachträglichen Demäthigung unter feine 
Botmäßigkeit aufnehmen konnte, . 


606 Die Kataſtrerbe des Danziger Bürgermeifter Conrad Leplau 


Unter dieſe Stäbte num gehört in erfler Linie Danzig. Zwar waren 
von bort ans, wie ſchon erwähnt, dem Komthur Heinrich von Planen 
400 Schiffsfinber zur Vertheivigung ber Marienburg geſchickt worden; 
auch wurben die nach Ueberjchreitung ber Rogat in das Stüblauer Werber 
einbringenben Littyaner und Tataren durch ein Danziger Schiff und Daw 
niger Mannſchaft an der weitern Ansbehnung ihrer Ranbzüge in biefer 
Nichtung gehindert; dennoch aber Tann man bie Stellung, welde Damig 
in biefer Zeit zum Orben einnahm, nicht anders bezeichuen als eine im 
höchften Grabe zweideutige, ja eigentlich offen verrätheriihe. Denn bie 
dem Orden geleiftete Hülfe unb bie Vertheibigung bes Stüblauer Werbers, 
bie überbies michte war als eine That ver Nothwehr gegen Raub uud 
Mord, wurden vollſtändig illuſorijch gemacht und aufgehoben burch das, 
was gleichzeitig in Danzig und von Danzigern geſchah und eben nur 
Abfhättelung ber Ordensherrſchaft und Unterwerfung unter polniſche Schutz⸗ 
hoheit bezwecken Tonnte, Wäre das Glüd dem heivenmüthigen Vertheidi⸗ 
ger der Marienburg nicht hold geweien, ſchon damals Hätte fih dann das 
zugetragen, was 44 Jahre fpäter beim Ausbruche bes Gtäbtelrieges ge- 
ichah. Die Stadt Danzig fpmpathifirte ganz offen mit ben Polen; nicht 
genug, daß Danzig, dem Beiſpiele von Thorn uud Elbing folgend, dem 
Bolenkönig, ohne durch Gewalt der Waffen dazu gezwungen zu fein, bie 
Huldigung leiftete: die Bürgerfehaft unter Leitung Conrad Letzkan's fland 
andy nicht an, bie Looſagung vom ber Ordensherrſchaft und ven Bund mit 
den Polen durch fofortige Eröffnung der Beinbfeligleiten gegen ihre ein- 
ſtigen Gebieter zu bethätigen. Der Romthur ber Danziger Orbeneburg 
wurde zur Räumung berfelben aufgefordert, und als eine Abtheilung pol 
uifcher Truppen, ehrenvoll und feftlih empfangen, in ber Stadt erſchien, 
drohte Letzlau offen mit Einfchliegung und gemaltfamer Weguafme ver 
Burg. Die heftige Feindſchaft, die fi in biefen Maßregeln fand gab, 
Hatte ſich ſchon vor ber polniſchen Invafion in vielfachen Streitigkeiten umb 
Neibereien bethätigt, ja zeitweife hatte zwiſchen ber Danziger Bürgerfchaft 
und ben Beamten bes Orbens in ‚ber Stadt unb ber Umgegenb ein Zu- 
Raub offener Fehde geherrſcht.) Welche Motive biefem Widerwillen 


9) I Bolst, Geſch. d. Pr. Did. VO, 6.10. 


von Dr. Hand Brus- " 697 
Danzigs gegen die Orbensperrfchaft zu Grunbe Tagen, lam nicht weiter 
zweifelhaft fein, Bei dem Reichthum nnd ber großen commerciellen Be⸗ 
deutung, welche Danzig bereits erlangt hatte, war auch das Gelbfigefühl 
der Bürgerfchaft und ihr Streben nad) Selbſtändigkeit bio zu einem ho⸗ 
hen Grabe entwidelt; die Danziger, zum Bewußtſein ihrer Kraft und Ber 
deutung gelangt, mußten ſich ber Bevormundung durch beu Orden doppelt 
ungern und widerwillig fügen, ba fi) im Orden ſelbſt eine Zerfegung zu 
vollziehen anfing, ba bie alte Zucht und Sitte Längft von ihm gewichen 
amd das gute Regiment, wie es das erſte Jahrhundert nach Vollendung 
der Unterwerfung geführt worben war, in vielen Stüden gerabezu zu einer 
hart bebrüdenben Gewaltherrfchaft geworben war. So Tonnte es bean 
nicht fehlen an fortwährenden Gonflikten zwiſchen dem kühn auffirebenden 
Selbftgefühl der Danziger Bürger wie ber ber preußiſchen Städte übers 
haupt nnd den Gemwalthabern des Ordens, der fehr wohl bemerkte, daß 
feine Herrſchaft zu wanken begann, aber eben deshalb mit doppelter Rüde 
ſichtsloſigkeit feine Unterthanen iu ihrer alten Stellung zu erhalten bemuht 
war. Wie die Dinge im Preußenlande bamals lagen, kanun man bem 
Orden aus dieſem Streben ſchließlich ebenfo wenig einen Vorwurf machen 
wie den Danzigern aus ihrem Wunſche fich zu befreien: bevartige Kämpfe 
liegen eben als notwendig zu paffirende Stationen auf bem hiſtoriſchen 
Entwidelnugsgange aller ähnlicher Staateweſen. Anders möchte man ſchon 
den Auſchluß des vom Orben abfallenden Danzig an das polniſche Reich 
anffafien und beurtheilens Danzig war, wenn auch als Pflanzftätte hin 
ausgeſchoben in bie Mitte flanifcher Stämme, doch immerhin eine deutſche 
Stadt, ihre politiſchen und juriſtiſchen Inftitutionen waren deutſchen Ur⸗ 
fprungs und bie Vertretung und. Geltendmachung bes dentſchen Weſens 
in den Veichfellänbern war bie große Aufgabe, bie ber Stadt Danzig von 
der Geſchichte geftellt war. Im dem 1410 verfuchten Auſchluß an Polen 
lag: m Abfall von Deutſchland und feinem nationalen Berbanbe, bem 
Danzig bei aller ränmlichen Trennung doch unldobar angehörte. Und 
auch als Danzig mehrere. Jahrzehnte fpäter, als ber vollends herunterge - 
Inmasmane beutfche Orden feine einſt übernommene nub fange Zeit zeit 
glauerdſiem Erfolge gelöfte Aufgabe, nämlich ein Borkämpfer der beutfhen 
Caliun ami deu Slaven zu fein, nicht mehr zu erfällen Im Staude mer, 


608% Die Kataftrophe des Danziger Bürgermeifters Conrad Leplau 


fi) von ihr losriß und unter polnifchen Schutz fiellte, hat es feine Tren ⸗ 
nung von Deutſchland ſchwer gebüßt, und mühenoller Kämpfe hat es ber 
durft, um die num erſt recht lieb geiworbene deutſche Nationalität gegen 
bie Berpolonifirung zu fügen und fie überhaupt zu bewahren, 

Gerade nach der Tannenberger Schlacht aber, wo bie Polen im Bunde 
mit völlig barbarifchen Horben in Preußen einbrangen und in dem nm 
glüdlichen Sande nicht bloß als Feinde des Ordens, fondern als Feinde 
aller und jeber Gefittung und Cultur hauſten, muß der Abfall Danzigs und 
fo vieler anderer Städte doppelt verwerflich erſcheinen, weil er einen Abs 
fall von der deutſchen Cultur enthielt, die fo mühfem und unter fo heißen 
Kämpfen erft in jenen Gebieten gepflanzt worben war. Daf in jeuem 
Augenblide dergleichen geſchehen konnte, beweift eben nur, wie tief ſchon 
bie Muft war, bie Herrſchende und Beherrſchte trennte, und wie bie Leir 
denfchaftlichkeit des in ben bebrüdten Unterthanen glühenden Haſſes wicht 
bloß die fonft fo mächtige Stimme des Nationalitätsgefühls volftändig ers 
ſtidt, fondern andy den Mahnruf politiſcher Klugheit und Berechnung zum 
Schweigen gebracht hatte. 

Die Belagerung der Marieuburg zog fich unerwarteter Weife in die 
Länge, wenn bie Polen auch den Gedanken an ein gänzliches Misglüden 
derfelben noch nicht auflommen ließen. Deſto eifriger wurben in biefer 
Zeit die Verhandlungen betrieben, welche bie Unterordnung Preußens unter 
polniſche Hoheit zum Zwecke Hatten. Den Vermittler dabei machte Biſchof 
Iohammes von Enjavien: nachdem er erft beim Ausbruche bes Kampfes 
dem Orben feierlich Treue gelobt Hatte, machte er bem Polenkönig Mit ⸗ 
theilangen über ben Stanb ter Dinge in bem belagerten Haupthaufe, ges 
wäßrte ben nom polniſchen Heere aus das Land durchziehenden Räuber 
und Mörberbanden auf feinem Schloß zu Sublau gaftliche Aufnahme and 
bot amd) bereitwillig bie Hand das blühende Danzig in eine polnifde 
Stadt zu verwandeln. Im feinem Geleite kam fogar der Danziger Bür- 
germeifter Conrad Leplan bei Nacht in das polnifche Lager vor Ma 
rienburg und unterhanbelte mit dem Könige in einer perfönfichen Zufam- 
mentunft über ben Abfall Danzige vom ‚Orden, Glänzender Gewinn und 
bedentende Vortheile wurden vom Könige ber Stadt für ihren Webertritt 
geoi in Ausſicht gefiel, und ſchon damals mag man the eine ähnliche 


von Dr. Hans Prup. 609 


Stellung zur polnifchen Krone angeboten haben, wie fie dieſelbe 1454 er- 
langte: benn ſchon unmittelbar nach der Schlacht bei Tannenberg, als er 
bie Stäbte des Culmer Landes zur Unterwerfung aufforberte, hatte Wla⸗ 
dislaw IL denſelben die Aufrechterhaltung, ja bie Vermehrung ihrer Rechte 
und Freiheiten in Ansficht geftellt, 

Der ganz entfchieben vorbereitete Abfall Danzige von der Orbensherr- 
haft wurde verhindert durch den unglädlichen Ausgang, ven bie Belage- 
sung Morienburgs für das polniſch⸗litthauiſche Heer nahm: die ſchlechte 
Verpflegung und die Hige erzeugten unter ben bicht zufammengebrängten 
Belngerern bösartige Krankheiten, tauſende von ihnen erlagen ver Ruhr; 
dazu lam, daß König Sigismund von Ungarn dem bebrängten Orben nahe 
drüdfiche Unterflägung in Ausſicht flellte.e Um 19. September zog bas 
deer ab und trat den Rücweg nad) ber polniſchen Grenze an. Im ben 
fret geworbenen Gegenden beugten fi) Burgen und Gtäbte dem imerwar- 
teter Weife aus der bringendfien Gefahr befreiten Orben von Neuem, unb 
indem fie ihren Abfall als eine Folge bes auf fie geübten gewaltigen 
Drudes darzuftellen wußten, erhielten fie Verzeihung für das Gefchehene; 
der Orden gewährte biefelbe auch in biefer Form um fo bexeitwilliger, 
als er in feiner augenblidlichen Lage ver Beihülfe und thatkräftigen Unter» 
ſtützung von dieſer Seite ganz beſonders beburfte. Ganz anders war bie 
Stellung bes Ordens zu Danzig. Danzig war zu weit gegangen, als daß 
es auf diefem einfachen Wege in die alten Verhältniffe wieber hätte ein 
tenten können: auch nach dem Abzuge der Polen ans feinen Mauern und 
nach dem Aufbruche des großen Belagerungsheeres von Marienburg kehrte 
Danzig nicht unter die Botmäßigkeit des Ordens zurüd, orbnete ſich nicht 
durch eine fürmliche Ungültigfeitserflärung in Betreff der dem Polenkönig 
geleifteten Huldigung feinem früheren Landesherrn aufs Neue unter, im 
Gegentheil ließ es auch jegt nicht ab- von offenen Beweiſen feiner Abneir 
gung gegen die Ordensherrſchaft. Daher erhielt die Stadt, als in ihrer 
Xrene unzuverläffig, denn auch eine ſtärkere Beſatzung. 

Mit der Befreiung des Orbenslandes von der furchtbaren polnifchen 
Impafion war aber nur des Heinfte Theil der Arbeit gethan und bie ſchlim⸗ 
men Folgen des verwüftenden Krieges follten ſich nun erft vecht geltend 
machen. Am 9. November 1410 wurbe ber enemnucie· Vertheidiger 

auor. Bonatöfgeift Br. 111. Oft. 


610 Die Kataſtrophe des Danziger Biirgermeifters Conrad Leplau 


der Marienburg, der Retter bes Drbens, zum Hochmeifter gewählt. Ihm 
gelang es von Wladislaw II. einen Waffenftilifiand zu erhalten umd am 
1. Februar 1411 den Frieden von Thorn zum Abſchluß zu bringen, durch 
weldjen der Krieg mit dem König von Polen und feinen Bundesgenofien, 
dem Groffürften von Litthauen und den Herzogen von Maſovien uub von 
Stolpe beendigt wurde, ohne daß der ſo ſchwer geſchlagene Orden irgend 
welche nennenswerthen territorialen Einbußen erlitten Hätte. Ein beſonderer 
Bertrag dagegen bezog ſich anf bie Gefangenen, für beren. Befreiung ber 
Orden ſich verpflichten muäte, an Bolen 100000 Schod Groſchen zu erlegen. 
Die Erſchöpfung des Ordens durch ben verzweifelten Kampf fleigerte 

fi noch in Folge der finanziellen Bebrängniffe, in welche er nad dem 
Abſchluß des Friedens gerade durch diefen Vertrag Über bie Löſung ber 
Befangenen gerieth. Zur Aufbringung bes nöthigen Geldes mußte man 
eine allgemeine Landesſteuer, einen „Schoß“ ansfehreiben, zu deſſen Zah⸗ 
kung Bürger und Bauern, Geiftlihe und Mönche gleichmäßig herangeze ⸗ 
gen wurden. Der Orben mußte ſchwere Opfer von feinen Unterthanen 
fordern, aber fie wurden gebracht, auch von all den Städten, die ſich erft 
den Polen unterworfen hatten: auch hier war es das eine Danzig, bas 
vie Zahlung des ansgefchriebenen Schoſſes eutſchieden verweigerte. Diefer 
neue Etreitpunft kam zu den von früher her zwiſchen ber Stabt und bem 
Orden fchwebenben noch Hinzu, er wurde die Urſache eines neuen, mit 
der Außerften Erbitterung geführten Heinen Krieges, Ja, bie Danziger 
ſchienen es auf einen ‚offenen Kampf ankommen lafien zu wollen: fie be 
feſtigten bie Etadt, namentlich nad; der Eeite gegen bie Burg Hin umb 
pflanzten auf ben Mauern Gefchüge anf. Erſt das entfchiebene und fehr 
firenge Durchgreifen bes Hochmeiſters gebot ben Danzigern auf dem Wege 
au offener Rebellion Halts die Eperrung der Weichfel, die Verlegung bes 
Stapels nach Elbing und die Verhinderung aller Zufuhr an Lebensmitteln, 
jowie bie Eonfiscation alles ftäbtiihen Cigenthums bracyen ihren trogigen 
Stun. Aber nur für kurze Zeit wurde das Verhältniß zwiſchen bem Or 
ben und ber Stadt ein befieres. Denn einmal fam es zwiichen dem Rathe 
und bem Danziger Comthur Heinrich von Plauen dem jüngeren, einem 
Sruder des Hochmeiftere, zu einem neuen, exbitterten Gonflifte über bie 
tm Hebruar 1411 flattfinbenbe neue Rathewahl, bei welcher ſich das Stre⸗ 


— — — — — — — — 


von Dr. Hans Prup. 611 


ben bes mächtigen Stadt nad Befreiung vom Ginflufle bes Ordeus uq⸗ 
mentlich anf ihre inneren Angelegenheiten aufs Neue geltend machte; dann 
aber erneuerten auf einer Zuſammenlunft des Hochmeifters mit den Ber 
tretern der Stäbte zu Dfterode die Gefanbten Danzigs ganz entichieden 
die Weigerung ben ausgefchriebenen Schoß zu zahlen umb verließen trogig 
die Berfammlung. Gin Verfuch des Hochmeifters burch ein zuhiges und 
verfähnliches Schreiben ben ſtarren Siun ber Bürgerichait zur Nachgiebig- 
teit zu beflimmen, blieb gleichſalls ohne Grfolg, denn ſchon war inzwiſchen 
* der Danziger Roh mit feinen Feindſeligleiten weiter gegangen: an ben 
Ordensvoigt zu Dirſchau Hatte ver Nash ein offenes Abſageſchreiben ge- 
richtet unb ihm borin Fehde angehändigt. Diefe That unmittelbar führte 
nun ben blutigen Unsgang des Gtreites herbei, dem andy Conrad Letzlau 
zum Opfer fiel. : 
Blicken wir, bevor wir zur Unterſuchung des über den Tod Letzkau's 

und feiner Gemofien ſelbſt Berichteten übergehen, hier einen Augenhlid 
- zmüd, fo fepeint uns zur richtigen Beuztheilung ber ganzen Angelegenheit 
namentlich Folgendes wohl feftgehalten werden zu müffen: „Danzig hatte 
fi in den Zeiten der höchſten Noth gegen den Orden euſchieden verräthe- 
riſch gezeigt; es hatte fein Widerſtreben die Ordensherrſchaft ferner zu ep 
tragen deutlich genug bethätigt, indem es ſich nach bem Abzuge ber Polen 
nicht wieber unterwarf, ſondern offen auf dem einmal eingeichlagenen 
Wege des Abfalls beharrte; es hatte ſich offene Feindſeligkeiten gegen bie 
Ordensburg bei der Stadt zu ſchulden kommen lafien, dann feine Theil- 
nahme an ben Laften, die doch das ganze Land trafen, entſchieden verwei ⸗ 
gert und endlich hatte es gegen einen ber Ordensbeamten offene Fehde er- 
hoben. Es war aljo feine geringe Schuld, welche Danzig dem Orden 
gegenüber auf ſich geladen Hatte: ganz beſonders ſchwer aber traf dieſelbe 
den Bürgermeifter Conrad Letzlau und einige mit ihm näher verbundene 
Rathsherren. Gerade die legten entſcheidenden Maßregeln ber Feindſelig⸗ 
keit, den Erlaß des Zehdebriefs gegen den Dirſchauer Voigt, hatten fie 
getroffen, ohne daß der ganze Rath barum gewußt. Denn als der Com⸗ 
thur non Danzig, welchem jener Abſagebrief mitgetheilt worden war, bie 
Rathsherren vor fi) auf bie Burg beſchied und ihnen bie Frage vorlegte, 
ob der Brief mit ihrem Willen geſchrieben fei, ha waren 28, währgnb alle 

39 


612 Die Kataftrophe des Danziger Bürgermeifters Conrad Leplau 


anberen Nein fagten, vier, die ſich led ala Urheber jenes Schreibens be 
Tannten und obenein noch drohende Reben ansftießen, die eigentlich dent 
lich daranf Hinmwiefen, daß man bei nächſter Gelegenheit bie Ordensburg 
nehmen, bie Befagung unb ben Komthur verjagen werde, „wie Füchſe 
aus ihren Löchern.” Auch trugen einige ber erſchienenen Rathsherren nuter 
ihren Kleidern verborgen Waffen: eine deshalb angeorbnete Unterſuchung 
führte zur Verhaftung ver beiben Bürgermeifter Conrad Leplau und Ur 
nold Hecht, und ber NRatheherren Bartholomäus Groß, Letzlau's Schwie ⸗ 
gerfohn, und Tievemann Huzter. Offenbar waren es auch biefe bin’ 
gemefen, weldye jenen Fehdebrief an ben Boigt von Dirſchau gefanbt hatten, 
ohne daß die übrigen Mitgliever des Rarhes etwas davon gewußt hatten. 
Die drei erfien wurben auf ber Burg hingerichtet, Hurter allein kam mit 
dem Leben bavon. . 
Dos if die Darftellung, wie fie ſich nach ven gleich zeitig en Na 
richten vom Tode Letzkau's und feiner Genofien ergiebt, wie fie von dem 
Geſchichtſchreiber des deutſchen Ordens, I. Boigt, auch den entftellten und 
an inneren Unwahrſcheinlichkeiten aller Art leidenden Berichten von ber 
Danziger Seite mit Nachdruck entgegeugehalten worden if. So ergieht 
ſich der Sachverhalt ans ber Chronik Lindenblatt's, bes Ueberfegers 
der Iateinifch gefchriebenen Chronik bes den in Rebe fiehenben Ereigniſſen 
gleichzeitigen Johann von PBufilje, Officials von Riefenburg (1360 bis 
1419), aus ben ebenfalls gleichzeitigen „Urtideln wider die Stabt Danzig“ 
und aus dem uns erhaltenen Schreiben des Hochmeiſters, weldyes ben 
Hanfaftäbten über das Verfahren Danzigs eingehende Nachricht giebt. 
Halten wir biefer Darftellung nun einmal diejenige entgegen, melde 
in fpäterer Zeit von den von übermäßigem Localpatriotismus erfüliten 
Danziger Geſchichtſchreibern gegeben wird, fo wirb ein jeber gleich auf 
den erften Blick eine ganze Reihe von Punkten in berfelben bezeichnen 
tönnen, die ihre Entſtehung entweber einer abfichtlichen Fälſchung oder 
Erfindung oder dem allmählichen Anwachfen einer üppig wuchernben Local- 
fage verbanfen, Nach diefer Ianpläufigen Erzählung nämlich verhält es 
fich mit dem Tode Letzlaus folgendermaßen“) Die Gelonoth, welche dem | 


*) Bol. Oralath 1, p. 11 fi 


von Dr. Hans Vrut 613 


Thorner Frieden von 1411 folgte, veranlaßte den Hochmeifter zu einer 
Verringerung bes Munzgehalts: er ließ ſtatt breizeßnläthiger nur drei» und 
vierlöthige Pfennige ausprägen. Er bebiente ſich dazu des Benebict Pfennig, 
der damals regierenber Bürgermeifter in Danzig war, zugleich bei dem 
Komthur in hoher Gunſt ſtand und biefe Stellung benutzte, um benfelben 
von ben inneren Angelegenheiten des Rathes verrätherifher Weife zu un 
terrichten. Diefer Pfennig, „ein Mann, der nad) feiner boshaften Ge 
müthsart zu den größten Verbrechen fähig war, und ber um Gigennuy 
and Menſchengunſt bie Pflichten feines Amtes ohne Errdthen verlegte" =), 
erhielt das Ansprägen ber verringerten Münze vom Orben in Pacht und 
machte dabei natürlich einen recht bedeutenden Gewinn. Als der Unwillen 
des Volls wegen ber Munzverſchlechterung aber immer lauter wurbe mb 
fh gegen den Nath als den vermeintlichen Urheber berfelben waudte, 
wurde Pfennig in der Rathsverſammlung namentlich durch bie Bürger 
meifter Letzlau und Hecht hart zur Rebe geftellt; aus Rache ſchwärzte er 
nun ben Rath und befonvers Letzlan beim Ordenskomthur an, indem ex 
dem Bürgermeifter bie fejmähenbften Worte gegen ben Orben unb ben 
Hochmeiſter und den Komthur in den Mund legte, „deren ſich biefer gar 
nicht bebient hatte.” Im Folge ber nun bemtlicher zu Tage tretenden 
deindſchaft des Komthurs, über deren Veranlaffung kein Zweifel weiter 
fein konnte, kam vie Sache im Rathe nochmals zur Sprache; ber ſich 
wilden den Rathsherren und Pfennig entfpinnende Wortſtreit wurde end⸗ 
lich fo Heftig, daß man über ben verhaften Mann herfiel nnd ihn zum 
Fenſter hinauswarf. Daß Bfennig Arme und Beine brach, feiner Ehren 
und Yemter entfegt, fein Namen aus ben Verzeichniffen ber obrigkeitlichen 
Berfonen geflrichen wurde, verfteht ſich von ſelbſt. Diefes getwaltthätige 
erfahren gegen den Liebling bes Komthurs führte nun, fo erzählen bie 
Danziger Hiftorifer weiter, den Bruch herbei, zumal ba ſich bei ver aufs 
dochſte gefpannten Mißſtimmung die Gtreitpuufte- bald noch bebentenber 
vermehrten: die Weiternngen über bie Erbanung eines neuen Krahns ver- 
geößerten bie Erbitterung, und baß es Letztau gelang, bie feitens bes 
Ordens begonnene Aufführung eines Thurms „im Winkel beim Fiſch⸗ 


*) Bol. Oralath I, p. 120. 


614 Die Rataftrophe des Danziger Bürgermeifterd Conrad Lepkau 


Hart”) wirtlich zu verhindern, forderte ben Groll des Komthimd noch 
mehr heraue. Dagegen feigte Letzkau trog ber vom Komthur ihm bereite 
ten Hinderniſſe ven Ban eines befeftigten Thurmes an ber Etabimaner 
Bei dem Dominikanerflofter durch, der noch heute fleht und im Munde 
des Volls den bezeichnenden Namen des „Kiek in de Köck“ führt. Rod 
einmal gelang es dem Hochmeiſtet durch feine perfünliche Bermittelung 
eine Ausgleihung herbeizuführen: am Altare der Marienlkirche fand eine 
feierliche Ansföhnung zwiſchen dem Rathe nub dem Orbenslomthur ftatt. 
Die neuen Geloforderimgen des Ordens aber und ber Gonflift mit vem 
Dirfchauer Voigt Tiefen den Frieden jedoch nur von kurzer Daner fein. 
Zu dem war die VBerfögnung von Geiten des Komthurs mur eine erhen- 
chelte geweſen: „er ergriff bie nächfte Gelegenheit anfs neue die Schwaͤrze 
ſeinee Charakters zu zeigen unb übte eine Frevelthat ans, bie im ber 
Menſchengeſchichte zu den feltenften Ausbrüchen der abfchenlichften Rachgier 
gehöret.” Letzkau war eines Tages mit Arnold Hecht, Tiedemann Huzter 
and Bartholomäus Groß bei dem früheren Großfcheffer von Marienburg, 
Küdele Palfart, der im Orden felbft feines biedern und ehrlichen Sinues | 
Wegen nicht Seltebt war, zu Gaft geladen: dort erhielten fie für ben Balm- 
fonntag vom Orbenstomthur eine Einlabung zur Mittagsmahlzeit uach bem 
Schloſſe. Nichts Böfes ahnend nahmen fie biefelbe an und gingen zur 
beſtimmten Zeit zufammen nach bem Gchloffe. Unterwegs redete fie bes 
Komtäurs Hefnarr“ an und meinte lachend, wenn fie wüßten, was für | 
eine Mahlzeit ihnen bereitet jei, fic wärben gewiß nicht dahin gehen. Ans | 
diefen Worten ſchöpfte Tiedeman Hurter Verdacht und Tehrte unter einem 
ſchnell erfonnenen Borwande wieder um. Die anderen brei ſetzten, unge 
achtet der auch im Hecht anffteigenben Bedenken ihren Weg ruhig fort. 
Auch als das Burgthor Hinter ihnen gefhloffen wurde und ber Hofnen 
ausrief: „Diefe bret Wögel find gefangen, ber alte war zu liſtig und in 
dem Neg entwiſchet“ — auch ba fchöpften fie noch Leinen Verdacht. Beim 
Eintritt in den Saal aber wurden fie vom Komthur und ben Rittern mit 
Sqchmahungen empfangen umd mit ben ſchwerſten Anfchnlpigungen beftürmt. 
*) Der Komthur foll gefagt haben: „Wohlen, haben fie ven Krahn, fo wollen 


wir bauen den Schwan” — danach foll der Thurm der „Schwan“ genannt worden fen. | 
Gralath 1, p. 125. " 


von Dr. Hund Prus. \ 615 


Geplau’s wurdevolle Gegenrebe blieb ohne jeden Erfolg: fein und ſeiner 
Genoſſen Schitjal bonnte nicht weiter zweifelhaft fein. Der auf das Schloß 
berufene Scharfsichter ven Elbing aber weigerte fi den Blutbeſehl bes 
Komthurs auszuführen: währenb er bafür hart miphandelt wurde, wurden 
bie brei Gefangenen im. Thurme eingeferkert. „Den übrigen Tag bis in 
die Racht hinein brachten der Komthar uud feine Mitgenofien in der üp⸗ 
pigfien Schwelgerei zu und fuchten fich gleichſam zu ben Mordthaten 
Muth einzuſaufen, die fie nun eigenhändig zu verüben entichloffen waren.“ 2) 
In der folgenden Nacht wurden dann Letzkau, Hecht und Groß in ber dar⸗ 
barifchften Weiſe niebergemegelt. Den Bürgern gegenüber hielt man bie 
Mordthat natürlich geheim, fo daß biefe ber Meinung waren, bie brei 
Rathsherren ſeien anf dem Schioffe als Gefangene fefgehaften werben, 
während ihre Leichname doch ſchon von ben Mördern unten dem Mifte ver 
ſchaxxt worden waren, Ya fo weit ging bie Ruchloſigkeit der Drvensritter 
und ihrer Helfershelfer, daß fie das Eſſen und ven Wein, welde bie 
Gattin. des Nathöheren Groß demfelben auf bie Burg ſchicken ließ, annah⸗ 
men, im Namen bes Arreſtanten dafür bankten und einige befondere Lecke⸗ 
teten beflelkten. . 
Soweit der Bericht der Danziger Geſchichtſchreiber, ben wir, ehe wie 

zu einer Betrachtung bes ferner Erzählten gehen, einer genaueren Prüfung 
unterwerfen mäljen. xaum ift es nöthig noch ansbrädlich auf bie angen- 
fälligen groben Unwahrſcheinlichkeiten hinzuweiſen, von benen biefe Dar 
ſtellung wimmelt. Gleich das it wohl zu beachten, daß bie verrätheri 
ſche Verbindung Danzigs mit dem Polenkönig, bie demſelben bereitwillig 
geleifiete Huldigung und die hervorragende Betheiligung gerabe Letlau's 
dabei ganz mit Stillſchweigen übergangen wird, fo daß bemmad bie 
Strenge des Ordenskomthurs als eine ganz ungerechtfertigte unb völlig 
grundloſe erfcheinen muß. Statt beflen werden Geſchichten erfunben, 
welche don vornherein alle Schuld und Schänblichleit anf den Orben, na⸗ 
mentlih auf den Danziger Komthur Häufen. Dahin gehört zuerft Die 
Geſchichte vom dem Benedict Pfennig, — einer Perfönlichkeit, bie dem 
hiftorifchen Gebiete gänzlich fremd if, welche eigentlich ſchon durch ihren 


") Gralath I, p. 188. 


616 Die Aataſtrophe des Danziger Bürgermeifters Conrad Leplau 


Namen und bie Beziehung deſſelben anf die Münzenlamität als eine er⸗ 
bichtete gefennzeichnet wird. Auch erinnert dad Hinauswerfen aus dem 
Feuſter und ver ganze Borgang allzufehr an ähnliche Ereigniſſe einer jehr 
viel fpäteren Zeit, welche dann umwillkürlich als Vorwurf zur Ausmalung 
des fo und fo viel Jahrhunderte früher Gefchehenen benutzt worden find, 
Die wieberholte Weigerung Danzigs ben ansgefchriebenen Schoß zu bezah⸗ 
Ten wird, wie alles, was gegen die Sache Letzlaus ſprechen lönnte, einfach 
verſchwiegen; bafür werben fehr nebenfächliche und im Verhältuig zu bem 
damals in Wahrheit obſchwebenden Streite kaum neunenswerthe Berwide 
tungen als Urfachen des fo blutig ausgehenden Confliktes geltend gemacht. 
Und biefe Urfachen find ſchon deshalb mit großem Mistrauen zu betrachten 
und einer höchft argwöhniichen Kritik zu unterziehen, weil fie in fo eigen 
thümlicher Weife mit der auf bie Bauwerke ber Stadt bezüglichen Localſage 
verflochten find. Wie gegründet biefes Mistrauen ift, beweift gleich ber eine 
Umftand, daß die Erbauung bes fogenannten „Kiel in de Kök“, welde 
angeblich von Conrad Letzkau gegen ben Willen bes Ordenslomthurs durch⸗ 
geſetzt fein fol, gar nicht in dieſe Zeit gehört. Der achteclige Thurm, ven 
man noch heute am Dominitanerplage fieht und den der Vollemumb nod 
heute mit jenem eigenihämlichen Namen belegt, ift jehr viel früher erbast 
worben: bereits im Jahre 1884 wurde den Dominilanern, wie eine noch 
erhaltene Urkunde beweift, die Erlaubnig zum Bau eines Thurmes gege 
ben und im Jahre 1389 wurde biefelbe mit einigen Erweiterungen er- 
neuert. Wenn man demnach auch noch immer annehmen könnte, baf der 
Thurm im Jahre 1410 erhöht worben jet, fo fällt biefe Angelegenheit 
denn doch für die hier in Betracht kommende Stage ganz aus; auch hat 
ber Thurm offenbar niemals einen fortificatorifchen Zwed gehabt, es kann 
alfo auch in feinem Ban ober feiner Erhöhung keine Feindſeligkeit und 
fein Angriff anf die Orbensburg gelegen haben; ber fogenannte „Rief in be 
Köt” fcheint eben nur dazu gebient zu haben, den Dominifanern bie Be- 
nugung ber unten vorbeifließenden Rabaune zu erleichtern, und erft in fpär 
teren Zeiten find feine Räume als Gefängniß verwandt worden.«) So 
fepeint denn die Hineinziehung biefes Thurms nnd des fogenannten 





*) Bol. Hoburg, Geſchichte der Danziger Befeftigungäfberte. 


von Dr. Sans Brus. 17 


„Schwaus“ in bie Geſchichte Letzkau's nichts zu fein ale ein Produkt fpä- 
ter entftanbener Localfage. Weiterhin wird dann der Weigerung Danzigs 
feinen Antheil an ber allgemeinen Zandesftener zu zahlen feine Erwähnung 
gethau. Ganz befonders ſchlimm aber fteht e8 dann mit der Erzählung von 
der Blutthat ſelbſt: Tennzeichnet fi) der angebliche Warnungsrnf, welder 
den vier Rathsherrn zu Theil wird und ben alten Önzter auch zur Umkehr 
veranlaft und fo wirklich dem Verderben entgehen läßt, ſchon ohne Weiteres 
als eine von den Zuthaten, welche bei all berartigen Begebenheiten freis 
gebig als höhere Würze Hinzugefügt werben, fo wird bies vollftänbig zwei⸗ 
fellos durch den lächerlichen Anachronismus, den ſich der Erfinder, wer es 
num auch fein mag, hat zu Schulden kommen laffen, indem er nad) Ana- 
logie ber Meinen Fürftenhöfe des 16. und 17. Yahrhunderts den Ordens 
tomthur von Danzig einen „Hofnarren“ zum feiner Erluftigung haben läßt! 
Diefer eine Umſtand ſchon veruriheilt dieſen Theil der Erzählung als ein⸗ 
fach erfunden. Auch ſolche Züge wie ber von ber Weigerung bes Elbtuger 
Scharfrichters, den ihm gegebenen Blutbefehl zu vollziehen, finb ihrer 
ganzen Färbung nach fehr romanhaft und baher zum wenigften verdächtig. 
Die detaillirte Schilderung, welche dann von ber Niedermegelung Letzlau's 
und feiner Genofjen gegeben wird, bemüht ſich offenbar, das Verfahren 
der Nitter in ein möglichft ungünftiges Licht zu fegen und möglichft grauen. 
Haft erſcheinen zu laffen, und bann Tann man ihr mit Grund mit ber 
ber Frage entgegentreten, woher beun das alles fo genau befannt if, daß 
man Reihenfolge, Zahl, Ort der Vermundungen fo ſicher angeben kann, 
da doch feine Zeugen bei der That zugegen geweſen, wenigftens nicht folche, 
welche hierüber ein fo eingehenves Zeugmiß abgelegt haben würden? Kurz, 
alles weift unwiderleglich darauf Hin, daß wir es hier mit einem Gewebe 
der mannigfachften und zu ben verfchiebenften Zeiten entftandenen Sagen 
zu thun haben, welche ſelbſt ven noch vorhandenen hiſtoriſchen Kern nur 
noch in fehr ungenauen und unbeflimmten Umriſſen erfennen laſſen. Es 
iſt intereffant zu fehen, wie fi erft allmählich die zu verſchiedenen Zeiten 
and aus verfchiebenen Anläffen entftandenen Einzelzüge zu einem einheit- 
lichen Bilde zufammengefunden haben und wie in früheren Verſtonen noch 
ſehr wichtige fpätere Zuthaten gänzlich fehlen, wie in ihnen bagegen andere 
Punkte befonders hervorgehoben und mit offenbarer Vorliebe behandelt 


618 Die ataſtrophe des Dartpiger Bargermeiſters Conrad Leplan 


werben, welche man ſpäterhin entweder ganz fallen ließ ober doch nur 
beilänfig erwähnte, Wie das Ende Conrad Leplau's vom ber patriotiſchen 
Sage ansgefhmädt if, fo Hat dieſelbe auch fein früßeres Leben in ein 
beutlicheres Licht zu ſetzen gefucht und zwar fo, bag anf den Orben und 
befien Vertreter gleichzeitig ein möglichft dunfeler Schatten fiel: nicht Heß 
ungerecht und tyrannifch mußte ber Orben handeln, fonbern er mußte fih 
auch bes fchwärzeften Undanks ſchuldig machen. Go entfland deun eine 
Erzählung von alle dem, was Letzlau bem Orden vor jenem legten Gon- 
flilte Gutes und Nägliches erwiefen haben follte, und gerabe biefe Geite 
iſt es, melde in einer uns erhaltenen, auch fonft charakteriftiichen und 
intereflanten Darftellung nom Tode Letzlau's befonbers betont wird, Die 
felbe mag daher, zumal ba fie einer, fo viel wir willen, bisher nicht näher 
befannt geworbenen und noch ungebrudten Handſchriſt angehört, hier einen 
Blog finden. 

Unter den Mannferipten der Danziger Stabtbibliothel«) befindet ſich 
eins auf Papier mit dem Titel: „Coronica Deutzes ordenns in prew- 
szenn angehaben zw schreibenn Im jare 1529**),“ Weber den Schrei⸗ 
ber des vorliegenden Eremplars giebt am Anfange befielben bie Rotiz 
unbe: „Ich Karle Rosennbergk, der geburt aws der Schleszie von 
Breszlaw, habe dysse Coronica dewthschens ordenns In preussen mith 
meiner eigenen hanndt geschrieben Anno 1542. Mors omnis equat.“ 

Im Beyng anf Conrad Seplan feiht es in dieſer haudſchriitichen 
Ehronif Fol. 8 extr. ſo:⸗⸗e) 

„Henrich von Plawen was der xxiiii hoomeyster, vndt also nu 
dyeser schade /jol. 8.] im lande gescheen was bey meister Ulrichs 
zeithen von den polen, vndt der konyngk von polen was wider aws 
dem lande geruckt vnd walde vffs newe mit grosser macht wyder 
ins land czyen vndt das gewynnen, hirumme der orden sere betrübet 
was vundt suchte hir gutten radt derkeigen. Dysz was im iar 1410. 
Vmb sanct Marthen do lys her hynrich von Plawen der hoomeister 


®) Mic. LE. q. 109. 

“®) Correltur aus 1119. 

wer) Die Orthographie iR, abgeiefen von gar zu argen Eonfonantenhäufungen 
nech dem Nanuſcr. beibehalten. 





von Dr. Hans Vruß 619 


vor sich vorbothen eynen burgermeister von Danozick, Conradt Leoz- 
kaw genanth. Dysser war eyn herlicher man an der perschonen, 
weyse vnd wol redende, vndt hatte von junger jugent bey dem orden 
gedienet, dazu was er offte vnd vil mael in des ordens geschefften 
bawssen landes gesanth zu vilen tagefarten gewesen, also nemlich 
zum alden konynge von Dennemarken vnd zu anderen fursten vndt 
herren vndt doruber gefangen vndt gewundt vmb des ordens willen. 
Do nu dyser Conradt Letzkaw vor den hocmeister qwam, sprach 
der meister: Wir bitten dich, dasz du vnns woldest eyne reyse thun 
bawssen landes vndt bryugen vff alle fursten vndt herren, /fol. 9e.] 
rytter vndt knechte, so vile du vffbringen mugest, vndt sparen keyn 
gelt Conradt Letzkaw sprach wider: Grenediger herre, E. D. 
sal nicht bitten, szondern gebieten; aber wy sal ich aws dem 
larde kommen, wente polen vnd pommern seynt vns nu geschlossen, 
vndt zur see werth kan man och nu nicht sygelen? Der meyster 
sprach: Lieber herr burgermeister, thutt wy ir kundt, das ir vns 
dyse reyse thut. Item, Conradt Letzkaw fuer keigen Dancæk vnd 
ansagte dyser sache seinen tochter man, Barthelmes Grothen, eyn 
giyet des radts. Dyser Barthelmes Grothe, der koffte bethlers klei- 
der, dy czok an Conradt Letzkaw mit seinen knecht vnd jungen vor 
der stadt Danczigk des morgens vor tage vndt namen steebe vfl ire 
helsse und bettelthen das broth durch Prewssen vndt durch das stol- 
per landt wy beihlers vndt pylgryme. Item, do sy nu qwamen zu 
Wolgast, do brochte Conradt Letzkaw vff den herzogk von Wolgast 
mit all seyner mannschaft. Er ozogk fort zu herrn Bunow, den 
Bischoff zu Camyn, den brachte er vff /fol. 9.] mit vilen mannen, 
Weiter ezogk er zu dem herczoge von der Lowenborgk, den fursten 
bracht er vff mit all seyner mannschafft. Er zogk fort zu dem her- 
zogk von Lunenborck, den brochte er och vff mit aller seyner man- 
schafft. Item, alse nu herr Conradt dyse herren vffgebracht hatte 
mit grosser mühe vndt arbeith vnd solden zu Thorn ankomen, in 
diser selbigen Zeit was der hocmeister zu Thorn in der stadt vndt 
lyer das schlosz sturmen, wenthe dy polen hattens yngenomen vndt 
der hocmeister mit all seinen gebittigern ryt’h denselbtigen herren 


620 Die Kataftrophe des Danziger Bürgermeifters Conrad Leplau 


vnd fursten entkegen vndt entpfyngk sy in dem felde. Do dys ge- 
scheen was, sprochen dy herren vndt fursten zum bocmeister: Hett 
ir vns gesannth 4 deräbesten gebittigers, dy ir’ habet, dy hetten vns 
nicht vfigebracht, aber Conradt Letzkaw seyn wir gefolget. Do sprach 
der hocmeister zu Conradt: Dys wolle wir umb dich vndt dy deinen 
vorschulden.“ 

Diefes abfichtlihe Hervorheben ver Berbienfle, die fi) Letzlau um 
den Orden erworben haben follte, Hat offenbar ven Zweck, das fpäter zu 
Beritende in einem bem Orben ganz ungünftigen Lichte erfcheinen zu 
laſſen. Denn nad einem kurzen Bericht über ben ferneren Kampf und 
über ben Abſchluß des Thorner Friedens Heißt es weiter, Fol. 10%: 

„Im iare vnsers herren 1411 vierzehn tage nach trium regum 
vndt alse nu dyser fride gemacht wart. beleythe herr Conradt Letz- 
kaw dy vorgeschrebenen herren bas kegen Szlochow vndt czog wider 
keigen Danczigk. 

„Item in dyser zeit was hawscompthvr zu Danzke einer mit na- 
men hynrieh von Plawen, der hatte etzliche schedunge vndt zwetracht 
mit dem rathe, scheppen vndt gemeyne der rechten stadt Danczke. 
Dyse schedunge vndt zwetracht worden von beiden theilen entschei- 
den vndt hingeleyt nimmer zu gedenken ane argelist. Kortz hirnach 
qwam herr Ludyeke Polsarth, grosschaffer czu Margenborgk, eyn 
herre des ordens, in vnser liben frawen kyrche zu Danczke vnder 
der hoemessen in den rathstul gehende ezu Conradt Letzkaw /fol.10®.] 
vndt Arent Hecht, beide burgermeister, zu ynhe sthende Barthelmes 
Grothen, och eyn gelidt des raths, vndt badt sy zu gaste in seyne 
herberge zu Niclas Thomas, och eyn gelidt des radts. Vff dy vor- 
gedachte voreynunge vorlyssen sich dy Burgermeisters vndt aszen 
mit dem grosscheffer, vndt vber demselbige tysche lys sy vorbotten 
der comptvr Heinrich von Plawen vor ym vff das schlosz zu kom- 
men in guttem vertrawen vndt gelobte in christlich geleyte. Dem 
gehorsam nach gyngen sy zum comptvr vff das haws vndt nemen 
mit sich 12 erbare gesessene burger aus der gemeyne. Do sy vf 
das haws qwomen bey 2 stund nach mittage, do (nam) man Con- 
rad Letzkaw, Arent Hecht vndt Bartelmes Grothen vndt legeten sy 





von Dr. Hans Prus. 621 


gefangen bys zu 8 stunden in dy nacht, do namen sy Conradt Letz- 
kaw aus dem thvrme vndt bunden ym dy hende vndt thaten ym 
eynen knebel in den mundt vndt stochen ym 10 wunden in seinen 
leib, dornooh stochen sy ihm dy keele ab. Darnach thaten sy Arent 
Hecht desgleichen 6 wunden in seinen leib, mit der. 72 dy keele ab. 
Desgleichen thaten /fol, 11°.] sy Barthelmes Grothe 16 wunden in 
seinen leib vndt mit der 17: dy keele ab. Mit sulcher geweldiger, 
boszhafftiger vndt schmelicher tadt vnder guttem geloben vndt christ- 
lichen fryde bey nachtschlaffender zeit, ihm nicht gegunnt zu beich- 
ten, noch testament zu setzen, das ınan doch juden vndt heiden zu 
sulcher stunde nicht vorsagen wvrde, so sy es begerthen, sy, dy beide 
burgermeisters vndt och Barthelmes Grotben an alle recht so schent- 
schemlichen getöth haben. Hir ist. offenbar vndt landt kundigk ge- 
worden, wy der getrawe dynst, grosse mühe vndt arbeit, dy herr 
Conradt Letzkaw bey dem orden von junger jugent vff gethan, im 
gelonet ist worden. Item, do sy gemordt seyn worden, do scharren 
sy dy todten leichnam in den myst vndt sandt vndt behilden dy also 
bas in den 8*= tag, vndt dy burger in der stadt meynethen, sy saszen 
noch gefangen vndt hir was gros murmelen vnder den burgeren, vndt 
herren Conradt Letzkaw tochter, Barthelmes Grothen hawsfrawe, 
sandte vff das hawss weyn vndt krewde, das nomen die herren zu 
sich vndt behildens vndt sprochen, das /fol. 11°.] dy gefangen lebe- 
ten vndt sy woldens yn geben, also lockenden sy den mordt. Dornoch 
am montage zu ostern, do goben sy dy todten leichnam vom hawse, 
do worden sy besehen, wy sy gemordt woren, alse vorgeschriben. 
Dy gemeyne hir sere vmme murmelthe, doch so thorste sych ny- 
mandt hir keygen strengen. Also nu das gescheen was, so was herrn 
Conradt Letzkawen tochter, Barthelmes grothen eliche hawsfrawe, 
vaterlos, manlos, witwe vnd weese geworden. An deme Iyssen sich 
dy herren nicht genügen, sunder sy tryben sy aus hause vndt hofe, 
bynnen 14 tagen, vndt nomen ir all yr gütter, beweglich vndt wnbe- 
weglich one alle betedinge des rechten.“ 

Diefe Berfion, wie fie alfo im 16. Jahrhundert gang und gebe war, 
weicht, wie man flieht, von ber fpäterhin üblich gewordenen infofern fehr 


622 Die Rataftrophe des Danziger Büsgermeifters Conrad Lezkau 


wefentlich ab, ale fie fehr wiel einfacher iſt und ihr gerabe bie abentener- 
lichſteu und unwahrfceinlichften Hinzufügungen noch fehlen. Es liefert 
biefer Umfland den Beweis, daß bie Erzählung von ber Ermorbung 
Conrad Letzlau's wie oft dergleichen Sagen im Laufe der Zeit mehr uud 
mehr ansgefhmüdt und mit immer nenen Zuthaten verbrämt worben if; 
und da bie Fortbildung und Weiterentwidelung dieſer allmählich ganz zur 
Sage gewordenen Erzählung der Stadt Danzig felbft angehörte und fih 
in ihr ſelbſt vollzog, fo iſt es nur gauz natürlich, daß alle fpäteren Zu 
füge einen entichieden zu Gunften ber Danziger gefärbten Charakter Haben, 
alle gleigmäßig beſtrebt find, den Orden in einem möglichft ungünftigen 
Lichte ericheinen zu Lafien. Diele von biefen ausſchmückenden Zufägen 
find natürlich unwillkürlich und ohne jede Abſicht einer Färbuag zu Gum 
fen Danzigs entftanden: fie Haben ihren Uriprung wirklich in der Sagen 
bildung; bei anderen bagegen kaun eine abfichtliche Erfindung oder eine 
bewußte Falſchung nicht zweifelhaft fein. Zu ben erfleren vechuen wir 
alles dasjenige, was mit ben localen Verhältnifien Danzigs in unmittel 
barer Beziehung flieht: fo das Hineinziehen des „Riek in de Köl“ und 
anberer Danziger Locafitäten; zu ber zweiten Gruppe fpäterer Zuthaten 
gehört alles dasjenige, was ſich auf bie Motivirung ber eigentlich politi⸗ 
ſchen Geite der ganzen Begebenheit bezieht, in erſter Linie alles, was über 
die Stellung Danzigs zu bem einbringenben Polenlänig und gleich danach 
zu bem Orden eine ber Stabt günftige Exflärung geben kann. Wo bie 
Schuld fo ganz allein auf der Seite des Ordens gefucht wird und bie 
Stadt Danzig als völlig unſchuldig und nur für ihre Treue mit graufem 
Unbanf belohnt erfcheint, da haben wir allen Grund eine meift wohl ab- 
fiptliche Veränderung und Umgeftaltung bes eigentlihen Thatbeſtandes 
anzunehmen. Wir können dies mit um fo mehr Recht, da bie fpätere 
Stellung Danzigs zum polnifchen Reiche ja nur eine Verwirklichung deſſen 
wer, was Lepfan unb feine Genofien allem Anfcein nach erſtrebt Hatten. 
Die Folge davon mußte ja bie fein, daß man bie Politit Danzige, wie 
ſie Conrad Letzlau im Jahre 1411 vertrat, für eine für bie bamalige Zeit 
ebenfo angemefiene und richtige Hielt wie man in ber Gegenwart bie erge 
Verbindung Danzigs wit Palen als eine Grundlage feiner Criſtenz ammu · 
leben gewohnt war. Per leibenfihoftlisge Hab, welcher mit: bem zur 


von Dr, Hans Prug 628 


menden Verfall des Ordens nnd ber fleigenben Erbitterung und Oppofition 
der Städte zwilchen den einft einträchtig neben einander lebenden Herr- 
ſchern und Beherrſchten aufzulodern begann, bie trüben Erinnerungen, 
welche fich wie für die meiften Städte, jo auch für Danzig an die legten 
Zeiten der Ordensherrſchaft Inüpften, die Bintigen Kämpfe und ſchweren 
Opfer, mit denen endlich bie Befreiung davon errungen wurde, — alles 
das mufte den Danzigern fpäterer Generationen Gonead Letzlau erſcheinen 
laſſen als einen kühnen Borkämpfer, ver fchen far fünfzig Jahre vorher 
dasjenige zu erreichen bemüht war, was man fpäter mit fehr viel mehr 
Mühe und unter fehr viel größeren Verluſten wirklich erreichte: die fpäter 
gluctlich durchgefochtene Befreiung von ber Ordensherrſchaft ließ auch ſchon 
Letzlau als einen Helden und als einen Märtyrer der Freiheit erſcheinen. 
Es ift das ganz natürlich und enthält durchaus leinen Vorwurf: ahuliche 
Borgänge, ähnliche Umbildungen fräherer, aus ihrem ganzen Zuſammen ⸗ 
hange von einem ganz anberen Geſichtspunkte aus gu beurtheilenber Er ⸗ 
eigniffe ließen fich in ziemlicher Anzahl aufführen. Umbelannt ober doch 
nur mangelhaft befannt mit ben Verhältuifien, unter benem ein berartiges 
früheres Ereigniß ſich zugetragen hat, pflegt eine fpätere Generation es 
von bem Geſichtspunkte aus zu beuxtheilen, welcher ſich für fie aus ihren 
eigenen Berhältnifien ergiebt: Haß und Xiehe ber Gegenwart werben auf 
bie Vergangenheit übertragen, und wenn fo einmal bie Stellung bes in 
Rede ſtehenden Exeigniffes ganz verrückt worben ift, bann fegen ſich auch 
an jede Seite befjelben fpäter entftandene Ausichmädungen und Zuthaten 
und fagenhafte Elemente aller Art an, jo baß ber hiſtoriſche Kern bes 
Ganzen bald fo total umſchlungen und überwuchert iſt, daß man ihn kaum 
nach zu erlennen, jedenfalls aber wicht an der Stelle in das hiſtoriſche Ger 
füge ver Vergangenheit einzufegen vermag, wohin er gehört. So liegen 
die Dinge auch in Betreff ver Iandesüblichen Erzählung vom Tode Eon- 
rad Letzlan's: daß dieſelbe und die in ihr herrſchende Auffafjung ber gan- 
sem Begebenheit keineswegs zu allen Zeiten bie übliche geweſen ift, daß 
auch ber wirkliche Sachverhalt nicht ganz im Bergeſſenheit geraten unb 
wenigftens hier und ba noch die and den Zeitverhältnifien ſich als richtig 
ergebende Beurtheilung gefunden Hat, ift an fich nicht weiter zweifelhaft, 
mag aber bier worh belegt werben durch eine kurze and ſehr ſcharfe Aeuße ⸗ 


624 Die Kataſtrophe des Danziger Bürgermeifters Conrad Leplau 


rung, wie fie ſich in der „Ordenschronik“ findet und wie fie 9. Boigts) 
mittheilt. Da heißt es: 

„Er hatte 7 oder 8 burger czu Danczke des rates lassen fangen 
vnd vff das schlosz Dantzck bringen vnd yre heupter lassen abslahen, 
schickte sy wyder in dy stad vnbegraben, dasz sy da begraben wur- 
den vnd aus vrsachen, so er sy überbracht, dasz sy verreter, velt- 
fiüchtigk vnd meineidygk yrem heren aus dem velde geflogen waren, 
machten auch andere flüchtigk vnd überlieferten etzliche stedt wnd 
slosser yn der heyden hende. —“ 

In den kurzen Worten dieſes Berichtes liegt eine Meine Uebertreibung 
nach der anderen Seite hin, dennoch giebt er die thatjächlichen Verhält- 
aiffe ihren Grunbzügen nach richtiger wieder, als die Berfion, welche alles 
zu Gunften der Danziger zu wenden bemüht ifl. Denn biefe ſucht nicht 
bloß jede Schuld von den Danzigern zu entfernen, fonbern fie fügt noch 
eine Menge einzelner Züge Hinzu, welche ſich dadurch, daß fie mit ber 
ganzen Zeit, in bie fie verfegt werben, im größten Wiberfpruch ſtehn und 
gar nicht in biefelbe paſſen, auf ven erflen Blick als fpätere Zuthaten 
tennzeichnen. Manche von benfelben find gewiß, wie es mit bergleichen | 
zu gefchehen pflegt, aus dem Volle ſelbſt erwachſen und verbanlen ihren | 
Urfprung ber ſtets regen und wirffamen Gagenbildung: fie alle zu einem 
Bilde vereinigt und ihnen unter Hinzufügung eigener Zuthaten und felbft- 
erfundener Ansihmädungen Weg in bie Hiftorifhe Literatur und bamit 
anch noch in die nemeften Darftellungen ber Danziger Geichichte gebahnt 
zu Haben, ift augenfcheinfich das höchſt zweifelhafte Verdieuſt zweier dem | 
16. Yahrhundert angehörigen Geſchichtſchreiber oder befier Gompilatoren. | 
Der eine it Simon Grunau von Tullemit (am friſchen Haff), weicher 
als Prebigermönd in dem polnifen Theile von Preußen zu Anfang bes 
16. Yahrhunderts lebte und den Hanpttheil feiner prenßifchen Gefchichte 
um das Jahr 1521 vollendete. Von dem fchriftfielleriihen Ruhme, ven 
ihm feine Verehrer vindicirt haben, bleibt angefichts einer firengen Kritites) | 
nichts übrig; fie ergiebt vielmehr, daß Grunau, ein ſchlichter Mann und 


9 Bv. I, p. 148. Anm. 1 gegen Ende. 
) Bol. Toppen, Geld. der preuß, Hiforiographie p. 122 fi. 


von Dr. Hans Prup. 826 


ohne jede befonbere Bilbung, dennoch erfüllt geweſen ift von einem ganz 
außerorbentlichen fchriftftellerifchen Hochmuth, und in dem Beftreben mehr 
zu willen als alle anderen nicht bloß zum Schwäger, fondern auch zum 
Erfinder umb Lügner geworben ifl, dem es auf eine willkürliche Verdre⸗ 
hung ber Thatfachen, Entftellung und Färbung derſelben durch Weglaffun⸗ 
gen und Hinzufügungen ebenfowenig angelommen iſt, wie er fih aus 
offenbarer Erfindung und Falſchung von Namen jemals ein Gewiſſen ge 
macht Hat. If fein Bericht daher an ſich ſchon mit großem Mißtrauen 
zu behandeln, fo wird feine immer geringe Glaubwürbigfeit vollends zu 
nichte werben, wo es fi) um fo controverfe Punkte handelt, wie ver uns 
hier befcäftigende einer ift, und gerade Hier wird neben allem anbern 
auch der Umftand wohl in Betracht zu ziehen fein, daß Grunan fein 
Machwerk „dem Könige zu Polen und natürlichen Erbherrn zu Preußen“ 
widmet. Schon biefe Widmung mußte ihn Hindern, den Anflug Dan- 
zigs an Polen und feinen Abfall vom Orben fo anzufehen, wie es jedes 
Unparteiifche thun wird. So vereinigt denn Grunau in feinem Bericht 
vom Ende Letzlan's in ber allerwilffürlichften und nnorganifchften Weiſe 
die Erzählung, welche Lindenblatt auf Grund der Ehronif des Johannes 
von Bnfilje giebt, und die, wie wir oben gefehn, ben Sachverhalt im We⸗ 
fentlichen richtig auffaßt und wiedergiebt, mit ber gerabe vom entgegenger 
festen Stanbpnnft aus gefärbten Danziger Localfage, und da biefe beiden 
.  Beftanbtheile natürlich nicht fo ohne Weiteres zufammenpaffen, fo erfindet 
ex, um fie wenigſtens einigermaßen mit einander in Verbindung zu fegen, 
die Figur des „regierenden Bürgermeiſters“ und Salichmünzers Pfennig. 
Wie fo viele Ungeheuerlichkeiten, fo ift auch biefes Monſtrum von angeb- 
lichem hiſtoriſchem Faltum aus ver Chronik Grunan’s in bie fpäteren 
Ehronifen und in die Darſtellungen namentlich ber Danziger Geſchichte 
übergegangen. Eine fo von Unwahrheit und Erfindung aller Art durch⸗ 
drungene Erzählung giebt nun aber einen trefflichen Anhaltspunkt zu wei- 
teren Erfindungen unb nenen Unwahrheiten. So iſt es auch hier gefchehns 
Caſpar Schäg, welder 15651594 Stabtfecretär zu Danzig war und 
eine Überans unkeitifche (namentlich in den früheren Perioden von Fehlern 
wimmelnde) „Historia rerum prussicarum“ oder „Wahrhafte Befdgreibung 


ber Bande Prenfen“ verfaßt Hat, giebt nicht nur ben feiner Eriteens nach 
Wr, Monstsfgeift Dh. TIT HM. 5. 


626 Die Rataftrophe des Danziger Bürgentteifters Conrad Qeptau 


bereits hinreichend gefenuzeichneten Bericht Grunau's wieder, fonbern er 
überbietet Grunau eigentlich noch am hiſtoriſchem Nonfens, indem er durch 
Pingufügung des „Hofnarren” bes Danziger Ordenskomthurs ber ihm fo 
noch nicht pilant genug feheinenden Erzählung einen neuen Schmnd zu 
geben weiß! 

Das tft die Geueſis des Berichtes, wie er in alten umb neueren Ge: 
[dichten Danzige vom Tode Conrad Letzlan's gegeben wird. Was man 
von ihm zu halten hat, kann danach nicht weiter zweifelhaft fein. Sollte 
aber dennoch jemand bie völlige Unſchuld Letzlau's und feiner Genofien 
behaupten und geltend machen wollen, daß in dem Verhältniſſe Danzigs 
man Orden im Sabre 1411 gar feine nennenswerthe Störung flattgefuns 
deu umb Danzig feinem Landesheren gegenüber keineswegs eine befonbere 
Schald auf ſich geladen, alfo auch keine befondere Strafe verbient Habe: 
der werfe boch einen Blik auf das, was nach bem Tode Letzkau's zwifchen 
dem Orben und ben Danzigern ferner verhandelt und geſchehen ift, Hätte 
der Drben eben nur einen Mord begangen, indem er bie brei Rathsherren 
hinrichten lieh, und wäre Letzkau und mit ihm bie Stabt Danzig wicht 
wirklich eines ſchweren Vergehens ſchuldig gewefen, fo hätten die Dinge 
nach jenem. bintigen Balmfountage unmöglich fo verlaufen Können, wie fie 
thatfächlich verlaufen find. 

Auf die Nachricht von ber Hinrichtung Letzkau's, Groth's und Hechfs 
ſchickten die Danziger eiligft eine Geſandtſchaft an den in Königsberg ver 
weilenden Hochmeiſter. Die einzige Antwort aber, welche dieſer auf ihre 
Vorſtellungen und Beſchwerden Hatte, war der Befehl die Geſandten ein- 
zulerlern. Dies Verfahren des Hochmeifters überzengte bie Danziger 
Bürgerkhaft, daß derſelbe entichloffen fei, ohne Ruchicht und mit ber aller⸗ 
größten Entſchiedenheit durchzugreifen: die Folge biefer Erkenntniß war, 
daß bie Danziger plöglich einlenften und fidh dem Drben aufs Nene une 
terwarfen. Auf dem bald danach gehaltenen allgemeinen Lanbtage ſchien 
Danzig für feine Treuloſigkeit noch eine befonbers ſchwere Strafe treffen 
zu folen: bie bort verſammelten Vertreter ber Stäbte und des Abels leg- 
ten aber bei bem firengen Hochmeifter Färbitte ein, und Danzig wurde 
begnadigt. Ganz firaflos ging die Stabt dennoch nicht aus: denn einmal 
mußte fle von bem durch das ganze Land ausgeſchriebenen Schoß nicht 


von Dr. Hans Pruß. 627 


weniger als 14,000 Schock Groſchen zahlen, und baun wurde der an bem 
Abfallverfuch wohl durchweg mehr oder weniger mitſchuldige Rath ent⸗ 
feßt und eim neuer Rath gebildet, deſſen Mitglieder ver Hochmeiſter ſelbſt 
ernannte; andy einen neuen Bürgermeifter ernannte ber Hochmeifter, indem 
zugleich für die Zufunft die Beftimmung getroffen wurbe, daß kein Bür- 
germeifter ohne Zuftimmung des Ordens gewählt werben follte, 

Das find Vorgänge, welche über die Rechtsfrage, die dem ganzen 
Conflilte zu Grunde lag, faum noch einen Zweifel übrig laflen. Kommen 
wir daher zum Schluß, fo ſcheint une nach allem Gefagten zweierlei feh- 
zuſtehen: einmal nämlich ift bie laudesübliche Erzählung von dem Tode 
Conrad Letzkan's und feiner Genoſſen voll von Unrichtigleiten und fpäteren 
Zufägen, ſowohl unwillkürlich im Anſchluß an einzelne erhaltene Denkmäler 
jener Zeit entſtandenen Localfagen, als auch abſichtlichen, bewußten und 
tembenziöfen Erfindungen; biefelben haben bann ferner ihren Grund in 
einer, bei ben einen abſichtlichen, bei den andern ebeg nur nachgeahmten 
unb mitäbernommenen Verbrehung des Rechtsſtandpunktes, indem bie einen 
abfichtfich jede Schuld der Danziger und ihres Bürgermeifters ignorirten, 
die anderen buch ein übertrieben lebhaftes patriotifches Gefühl und durch 
eine unwillfürliche Webertragung ber Verhältniſſe und ber Parteiftelung 
ihrer Zeit auf bie Vergangenheit zu bemfelben Fehler verleitet worben 
find. Müſſen wir demnach den Bericht, wie er von ber Lataſtrophe Con⸗ 
rad Leplan’s gewöhnlich gegeben zu werben pflegt, als unrichtig verwerfen 
und aus den fünftigen Darſtellungen ver Danziger Geſchichte ſtreichen, fo 
wollen wir damit body nicht bie Bedeutung bes Mannes vernichten, der 
noch heute in der Erinnerung ber Danziger, foweit fie von ber glänzenben 
Hiftorifchen Vergangenheit ihrer Stadt ein beutlicheres Bild haben, eine fo 
Herorragenbe Stelle einnimmt und von ihnen mit einem gewiſſen Stolze 
unter ber Zahl ihrer Helden namhaft gemacht wird. Gänzliche Schuld⸗ 
Lofigteit uud vollftänbig grundloſes Märttrertfum find boch wahrlich nicht 
die Kennzeichen ber hiſtoriſchen Größe eines Mannes. Diefe wirb immer 
nur von bem erworben, ber wagt; wer aber wagt, gewinnt leineswegs 
immer, am wenigften, wenn er feiner Zeit voranseilend non ihr ein Re⸗ 
fnltat erlämpfen wi, für das fie noch nicht reif iR, wenn ex bie einft zu 
Töfempe Aufgabe und das einft zw erzeihenae Ziel richtig erkeunt, bie Ber 

40° 





698 Die Rataftrophe des Danziger Birgermeifterd Conrad Leplau 


haltniſſe feiner Zeit aber fo fehr verfennt, daß er im ihnen ſchon bie Ber 
dingungen gegeben glaubt, welche zur Löſung jener Aufgabe und zur Cr⸗ 
veichung jenes Ziels unerläßlich nothwendig find. Zu ben Männern dieſer 
Urt gehört Conrad Letzlan und baher ift fein Schiäfal auch dasjenige ge 
weien, was folche zu treffen pflegt, und es iſt das immer ein im eigen 
lichen Sinne des Wortes tragiſches. 

Die Herrichaft des deutſchen Orbens konnte nach der Entſittlichung 
unb bem tiefen Verfall, ver über die einft fo blühende und mächtige Ger 
meinfchaft hereingebrochen war, nicht all zu lange mehr beftehn; fo lange 
fie beftand, Hatten die unter ihrem Schuge zu ſtolzer Selbſtändigkeit er- 
wachfenen Gemeinwefen, bie durch ihren Handel und ben hoffnungsvollen 
Freipeitsfiun ihrer Bürgerſchaft zu einer glänzenden Zukunft berufenen 
Städte nur Beeinträchtigung unb Hinderung, Kampf gegen ben Unter 
drüder und vielleicht eine noch lange Kuechtfchaft zu erwarten; fräher ober 
fpäter mußte daher ber Zufammenftoß erfolgen, welcher zu ihrer Rosreißung 
von ber Orbensherrichaft führte. Diefes Hatte Eonrad Lepfau richtig er 
tannt, das geht ans feinen Veftrebungen zur Genüge hervor, fo dürftig 
auch fonft unfere Kenntniſſe über feine Perfon und feinen Gharakter fein 
mögen. Darin und in feinem Verſuch das als notwendig Erkannte num 
anch zu verwirklichen, Ktegt fein Verdienſt. Geine Schuld und bie Urſache 
ſeinee Unterganges liegen in ber rt, in ber er ben Verſuch einer ſolchen 
Verwirklichung machte, und in bem Verkennen bes bazu geeigneten Zeit 
punkte, fie liegen darin, daß er für bie Freiheit Danzigs kampfend zum 
Verräther an dem deutſchen Weſen und ber deutſchen Cultur wurde, auf 
denen Danzigs eigene Bebentung beruhte unb bie zu bewahren und aufs 
recht zu erhalten damals wie fpäter bie Hauptfächlichfte Aufgabe Danzigs 
geweſen if. Die Art nämlich, in der Letzlau fein Ziel zu erreichen und 
Danzig von ber Ordensherrſchaft zu befreien fuchte, war verwerflich, weil 
er ftatt eines offenen, des nad) Freiheit ringenben allein wärbigen freien 
Auftretens feine Zuflucht nahm zu Bweibentigkeit, Züge und Werrätferei. 
Der Augenblid, in dem er bie Verwirklichung feiner Pläne verfuchte, war 
ein ungeeigneter, weil bie Stellung Danzigs zum Orben bamals noch feine 
ſolche war, daß nur biefer eine Schritt die Zukunft Danzigs retten Tomte. 
Zum Berrätger am Deutſchthum wurde Letzkan deshalb, weil die Macht, 


von Dr. Hans Brug. 629 


unter deren Echug er Danzig nach dem Abfalle vom Orden ftellen wollte, 
gerade damals nicht bloß ben Beſtand der Orbensherrichaft, fondern auch 
ben ber einft fo mühfam gepflanzten deutfchen Cultur im Preußenlande 
im Frage ftellte, ja durch ihr Hereinbrechen im Bunde mit ben barbarifchen 
Horben ber Lithauer, Tataren und Ruſſen und durch das grauenhafte 
Wüthen derſelben aller Civilifation Hohn ſprach und dem Untergang drohte, 
Auf fi und die von ihm geleitete Stadt hat Eonrab Letzlau eine Schuld 
geladen, indem er trog allebem in jener Zeit gerade an die Gewinnung 
der Selbftändigkeit für Danzig Hand anlegte; er Hat fie gebüßt und ge 
fühnt, indem er unter bem Schwerte ber von ihm verrathenen Drbene- 
ritter endete, Danzig, indem es fi) dem Joche aufs Nene hat beugen 
unb baffelbe noch Jahre lang in feiner noch vermehrten Schwere hat 
tragen müſſen. 

In diefem Sinne möchten wir das Schichſal Conrad Letzlau's ein 
tragiſches nennen, in dieſem Lönnen bie Danziger ihn mit Recht ven Hel- 
den ihrer ftäbtifchen Geſchichte beizählen. Wäre er ganz ſchuld- und 
thatenlos don ben Orbensrittern Hingefchlachtet worben, fo läge barin 
eine furchtbare Anklage gegen bie bintigen Mörder, für ben Gemordeten 
aber erwüchfe damit noch fein anderer Anſpruch als ber auf Mitleid, ger 
wiß nicht der auf Hiftorifchen Nachruhm und auf einen dauernden Ehren- 
play in dem Gebächtniß der Danziger fpäterer Generationen. Wenn man 
aber in Conrad Letzkau den erfien Vorläufer und Borfämpfer ver fpäter 
beginnenden freiheit und ber darauf beruhenden glänzenpften Machtent- 
faltung Danzigs fleht, wenn man ſich der Erkenntniß nicht verſchließt, daß 
fein Streben als zur unrechten Zeit und mit unrechten Mitteln vorgehend 
ſcheitern mußte, dann und in biefem Sinne fann man benfelden mit ben 
erften und herborragendften Figuren Danzigs zuzählen, bann erft würbigt 
man die ganze Größe und Bedeutung des Mannes, in dem ſich die Be- 
firebungen und Kämpfe, die ungelöften Conflikte und Ierthümer feiner 
Zeit gleichſam verkörperten, und ver mit vollſtem Rechte als der eigent- 
liche Repräfentant Danzigs zu Beginn des 15. Jahrhunderts in aller Ge⸗ 
bädytniß fortzuleben verbient! 

Danzig, Ende Auguſt 1866. - Dr. Gans Yrot. 


Bis Iheilung den Biöcefg Ermeland zwifchen dem Betfchen 
Orden und dem ermländifchen Bifchofe. 


Bon 
Dr. M. Zöppen, 


Die Erfolge, welche ver deutſche Ritterorven im Kampfe gegen bie 
heidniſchen Preußen errang, waren überraſchend ſchnell und glänzend, fo 
daß der päpftliche Legat Wilhelm von Mubena ſchon im Jahre 1243 bie 
Eintheilung Preußens in vier Bisthümer ausführen konnte.i) Uber eben 
diefe Erfolge erregten anf allen Seiten Giferfucht. Benachbarte Fürften, 
ſowohl polniſche als ruſſiſche, trugen Verlangen au ben Früchten der Siege 
des Ordens Theil zu nehmen, und Albert Sanerbeer, früher Erzbiſchof 
von Armagh, weicher durch päpftlihe Unorbnung im Jahre 1246 zum 
Etzbiſchof von Preußen und Livfand erhoben und mit ber Legatengewalt für 
einen ſehr großen Theil des nörblichen und Bftlichen (namentfich auch ruf- 
ſiſchen) Europa bekleidet wurbe,2) glaubte fich bei der anferorbentlichen 
Gunft, welche ihm ber Papft bewies, berufen, ven Orden zum überbieten 
und zu verbunfeln. Die Umſtände waren ben Entwürfen bes legteren in- 
fofern günftig, als die ruſſiſchen Fürſten, namentlich auch Daniel von 
Halicz, angefichts der großen Gefahren, welche ihnen von dem vor Kur⸗ 
zem im fübäftlihen Europa gegründeten mongoliſchen Reiche drohten, ſich 


>) Das ungewöhnlich bezeichnete Datum der Theilungsurkunde Cod. dipl. Warm. I 
No. 5: XLIII guarto die stantis Julii bezeichnet nach Strehlle 88. rerum Prass. III 
p-464 den 28. ober 29. Juli 1248, 

2) Bunge Livl. Urdundenbuch I No. 188-191. 


Die Theilung der Didcefe Ermeland vom Dr. M. Töppen. 6 


den Mächten ber lateiniſchen Kirche näher anzuſchließen, ja wohl ſogar 
bereit ſchienen, felbft zur lateiniſchen Kirche überzutreten. Sauerbeer ar⸗ 
beitele eifrig an der Belehrung derſelben.) 

Ohne Zweifel ift es derſelbe Albert Sauerbeer gewefen, welcher 
Daniel auf den Gedanken brachte, einen Theil der jabzwingifchen, ja viel- 
leicht ber prenfifchen Lande bem Orden vorwegzunehmen und an fidy zu 
bringen. Daniel verband fi zu biefem Zwede mit ven Herzogen von 
Mafovien, ven alten Feinden ver Prenfen und Yabzwinger, und überzog 
die feßteren, einmal ſchon vor dem Tode bes Herzogs Eonrab (} 1247), 
einmal bald nad dem Tode feines Sohnes Bolesiam (+ 1248)*) mit 
Krieg. Erzbiſchof Albert, welchem es beſouders darauf anfam, dem Orben 
in Zeiten einen Damm entgegenzuftellen, benugte biefe Umftänbe, für das 
Yabzwingerland (Sudanen) einen eigenen Biſchof Heinrich einzufegen, wäh. 
rend er fich doch beharrlich weigerte, für das ermelänbifche Bisthum (deffen 
Oſtgrenze noch nicht fefigeftellt war) einen Biſchof zu ernennen (1249)°). 


3) Nöpell Geſchichte Polens Bd. 1 6.517. Göge Albert Sauerbeer. Peteröburg 
1854. 6.14, 19f. 

*) Sijögren über die Wohnfige der Jatwägen. Petersburg 1858, ©. 10, 11. 
Val. au Raramfın Geſchichte des ruffifhen Reihe Bd. 4. ©.67. 

3) Cod. dipl, Warm. I No. 15, 20, 21. Prof. Benber fpricht in der Grmelän, 
diſchen Zeitfhrift Br. 2. & 368, 373 ff. die Anfiht aus, daß das Jadzwinger Land ſich 
nordwärt3 au über die untere Memel hinaus in das nadhmalige Samaiten hinein 
eftredt habe, und daß der Predigermonch Heinrich gerade für dieſe ndrdlichſten Theile 
des Yadzwingerlandes zunächft zum Biſchofe ernannt fei. Der erftere Gap gründet ſich 
auf die Worte einer Urkunde Mindowes von 1259: Denowe tota, quam etiam qui 
Jetwesen vocant, und auf die Vorausfegung, dab Denowe in dem nadhmaligen Sa- 
maiten zu ſuchen fei, da die zu Denowe gehörige terrula Crosinen auf das ſamaitiſche 
Aroſchy, und die ebenfall® zu Denowe gehörige villa Gribunthina auf das ebenfalls für 
famaitifch erflärte Grzyßlabudzie in dem unteren Knie der Diemel weile, Denome felbft 
aber öfter8 mit famaittihen Gebieten zufammen genannt werde. Hiergegen ift zu bemer ⸗ 
ten, daß die Namen Grofinen und Gribunthina nur auf falfher Leſung beruhen, während 
das Original Cresmen und Gubiniten oder Gribiniten nachweiſt (Raczyhski Cod, dipl. 
Lith. No. 10 Strehlke SB. rerum Pruss, T. II. p. 138) und daß, wenn Denoive in eis 
nigen Urkunden mit famaitiihen Ortſchaften zugleich genannt wird, jene Denowe tota, 
quam etiam quidam Jatwesen vocant, in einer Reihe mit Seymeten (Samaiten) und 
Schalowen (Schalauen) ftebt. Da nun alle übrigen Quellen (außer der in der bifl.- 
compar. Geographie von Preußen ©. 29 ff. genannten noch einige andere z. B. die Zeu⸗ 
genausſage in den SS. rerum Pruss, T. II p. 709) beweiſen, daß das Jadzwingerland 
über die untere Memel norbiwärts nicht hinausgereicht habe, der Name Denowe aber fo 
ſehr häufig vorkommt — man erinnere ſich auch des Denowſees bei ber heiligen Linde — 


632 Die Tpeilung der Dibceje Cemeland 


Das veranlafte böfe Neibungen zwiſchen dem Orden uud bem Erzbiſchofe, 
in welchen der Papft ſich enblich des erſteren energifch annahm.‘ 

Die Unterhandlungen Alberts mit Daniel über deſſen Uebertritt zur 
tatholiſchen Kirche zerfchlugen ſich zwar (1249), da der PBapft, der Groß 
fürft, ja and; ber Erzbiſchof, jeder feine beſonderen Ziele im Auge Hatte, 
aber nach einigen Jahren näherte ſich Daniel dem Papfte abermals,?) und 
ſogleich begann er auch wieder den Kampf gegen bie Jadzwinger und ihre 
Nachbarn, Er drang im Jahre 1252 über ven Lydfiuß bis am bie Greme 
Bartens, 1253 bis Raygrod, 1254 bis in bie Gegenden ber Pregel- 
quellen,®) ja vielleicht bis nach Ragnit.) Gleichzeitig fuchten außer dem 
Herzog Ziemowit von Maſovien andy bie Herzoge Cafimir von Enjawien 
und Boleflaw von Krakau als Heidenbelehrer in den Grenzlanbfchaften 


fo ift es nicht rathfam von dem fraglichen Denowe aus auf bie Lage des Jadzwinger. 
landes zu fließen, fondern man muß vielmehr von dem befannten Jadzwingerlande ans 
auf das bier nemeinte Denowe fließen. Wollte man aber auch einen Augenblid zuges 
ben, daß dieſes Land Denowe, q. e. q. Jetwesen v, in dem nachmaligen Samaiten ges 
legen habe, fo würde das im Jahre 1249 gegründete Bisth um Jadzwingien keinesweges 
verzugsweiſe in diefem Denowe zu fuchen, fondern als das ganze Jadzwingerland um 
faflend zu betrachten fein, fojern teine engere Begrenzung ausbrüdlid angegeben wird. 
Auf eine folhe engere Begrenzung weilen die Worte der päpftlihen Bulle von 1249 
Cod, dipl. Warm. No. 21: predicta terra, prout auctoritate literarum nostrarum ad 
diefam archiepiscopum spectabat, teinesweqes, da prout nicht in räumlihem Einne „fo 
weit es zum Sprengel des Grzbiihof3 von Preußen und Livland gehört,” wie Bender 
6.373 überfegt, fondern „Sofern (dem Umftande gemäß, daß) es zum Sprengel x. gehört” 
bedeuten. Einen biitoriihen Anbaltspunkt aber, weshalb im Jahre 1249 gerade hier 
ein Biöthum gegründet fein follte, wie wir ihn für das wirkliche Jadzwingerland am 
linten Ufer der Memel nachgewieſen haben, giebt es nicht. Vielmehr ift es hödhft ums 
wahrſcheinlich, daß der von dem päpftlihen vollmächtigen Legaten in feinem eigenen 
Sprengel eingefehte, vom Papfte ausbrüdlich anerfannte Biſchof des Jadzwingerlandes 
(nad) Bender 6.374: Sameitene), den wir noch 1262 am Leben finden, ſchon wenige 
Jahre nad) feiner Cinfegung, etwa 1253 und 1254, fo vollftändig ignorirt fein joll, daß 
man feine Diöcefe ohne Weiteres an einen anderen Biſchof, den Bilhof Epriftian von 
Litauen (nad Bender S.375) übertrug — ein erheblicher Einwand, ber gegen die im 
Terte gegebene Darftellung nicht erhoben werben kann. 

© Urtunde vom 10. Januar 1249 bei Baczlo Preuß. Geſch. Bd.1. 6.259 und 
vom 24. Februar 1251 bei Kohebue Preuß. Geih. Bd. 1. S. 420. Uns fcheint, daß auf 
dieſe Urkunden durch die obige Darftellung ein neues Licht fält. 

7) @öge Albert Sauerbeer ©. 24, 135, 

9 Sidaten a. a. D. 6.15, 28, 25. Die topographiſchen Beitimmungen haben 
bier freilich ihre Vedenlen. 

9) Dusburg Chron, Prass, III, c, 181, 


von Dr. M, Zöpyen. 633 


Löbau, Saſſen, Galinden und Pollerien ſich auszubreiten;'") und während 
ber Papſt anf Grund ber Belehrung Mindowe's durch die Ordensritter 
ein neues Bisthum Litanen begründete und einem Priefterbruber des beut- 
ſchen Ordens, Chriſtian, überwies, wurbe auch von Polen her durch ben 
Ezbiſchof von Gnefen ein Prebigermänd Vitus zum Biſchofe für Litanen 
geweiht, 1253.) 

Der Orben beeilte fich deswegen, den Beſitz von Groß-Barten und 
Galinden, welche wahrfcheinlich 1253 von ihm unterworfen oder doch 
durchzogen waren, ſich durch den Papft ausdrücklich zufichern zu laſſen.) 
Dem Großfürften Daniel und dem Herzog Ziemowit von Majovien über- 
ließ er in bem Bundesvertrage zu Raczaus 1254 ein Drittel bes Jad⸗ 
wingerlandes,) jedem, wie es fcheint, ein Sechſtel.“) Herzog Eafimir 
entfagte feinen Anſprüchen auf Galindien und Pollexien nad) ſchiedsrichter⸗ 
licher Entſcheidung 1265, '°) und zwei Jahre darauf, am 4. Augnft 1257, 
lam es zu Altleßlau zum Abſchluß eines allgemeinen Friedens. Der Her- 
zog verfprach, auf feine ber gegenwärtigen Beftgungen bes Ordens, auch 
auf kein Land, welches er mit Waffengewalt oder auf irgenb einem ande 
sen gerechten Wege gewinnen würde, Anſprüche zu erheben; ins Befon- 
dere entfagte er allen Anfprüchen anf das Sand Saſſen.“) Auch Herzog 
Ziemowit von Maſovien erkannte in eben jenen allgemeinen Ausbrüden 
den gegenwärtigen und zufänftigen Befigftand bes deutſchen Ordens an, 
4. Auguft 1257.) Der Bifchof Heinrich von Jadzwingien hatte inzwi⸗ 
fen wahrſcheinlich Warſawice in dem vom Orden abgeiretenen Pollexien 
za feinem Sitze auserſehen; wenigftens giebt es feine wahrſcheinlichere 
Erflärung für das im Jahre 1255 als zum Erzbisthum Riga gehörig ger 

%) Raynald Hist, ecoles. 1253 No. 25. 

A) Boguphal. 66. ®gl. 88. rerum Pruss.T. I p. 758. Wohltrüd Geſchichte von 
Lebus. Berlin 1829. Bb.1. 6.134. und Strehlte in den SS. rerum Pruss. T.II p.48. 
Hierher gehört auch wohl die Notiz bei Raynald Annal, eccles. 1264 Ro.26 über bie 
Gründung eines Bisthums in Ludow. 

=) Bulle vom 10. Mai 1254 Cod. Pruss. I No.96. Cod. Warm. I No. 30. 

#) R. et M. cod. dipl. Polon. III No. 30. 

%) Cod. dipl. Pruss, I No. 129. 

) Cod, dipl. Pruss, I No. 102. 


) Dogiel cod, dipl, Polon, IV No, 30. 
") Coä, dipl, Pruss, I No. 110, 


634 Die Theilung der Dideeſe Ermeland 


nannte Werſowiſche Biothum.) Biſchof Heinrich erſcheint als Biſhoj 
des gJadzwingerlandes noch 1259 und 1262.) 

Bon dem Erfolge, mit welchem ber Orden ben Eroberungsgefäften 
der Nachbarn und den Belehrungsverfuchen bes Erzbiſchofs Albert entze 
gentrat, Bing wejentlich befonders ber Umfang der Didcefe Ermeland ab. 
Wilhelm von Modena Hatte in allgemeinen und deshalb nnbeflimmten 
Auspräden angeorbnet, daß fich bie Didcefe Ermeland zwiſchen dem Fre 
gel einerfeits und dem Draufenfee und dem Flufſe von Pazlok (der Weesle) 
andererſeits, vom frifchen Haf bis zu ben Grenzen ber Litauer erfireden 
folle. Kam im Lande ber Jadzwingen (Gubauen) ein eigenes Bistum 
zu Stande, ober fiel Galindien in bie Hände frember Mächte, fo war bie 
Beftimmung, daß bie Diöcefe Ermelanb fich bis zum Lande ber Litaner 
erftreden follte, unausführbar. Bei biefer Unbeftimmtheit ber Oſtgrenje, 
welche nur im Laufe der Zeiten firirt werden konnte, theilte ber Orden, 
welder nad Wilhelms Beftimmung in jeber Diöcefe dem Bifchof den brit 
ten Theil des Gebietes abzutreten hatte, mit dem ermländifchen Bifchofe im 
Sabre 1251 zunächſt nur bie weftlichen Landfchaften biefer Diöcefe, welche ſchon 
vor 1239 unterworfen und bamals, 1251, nach dem erften Abfalle der Preu⸗ 
Ben ohne Zweifel auch ſchon wieber unterworfen waren, Ermeland, Voge⸗ 
fanien, Natangen nnd einen Theil von Barten, Der ven Biſchof treffende 
Theil erftredte ſich zwiſchen gewiſſen Linien im Norboften und Südweſten, 
deren Nachweiſung keine erhebliche Meinungsverſchiedenheit hervorgerufen 
hat, vom friſchen Haf, das er in ber Gegend ber Paflargemändung mit 
einem ſchmalen Striche berührte, oſtwärts an Breite zunehmend, Bis zu 
dem See, aus welchem die Baflarge ihren Urfprung nimmt, im Südoſten, 





bis zu bem Walde, welcher Groß⸗ und Mlein-Barten trenat, im Nor | 


often.) Wo ber Urfprung ber Pafjarge im Stun dieſer Urkunde zu fuchen 
fei, ift nicht ganz beftimmt; bie Paſſarge hat ihren Namen doch wohl von 
dem Sarungfee, und fo könnte wohl biefer als der See ihres Urſprunges 


8) Cod, dipl, Warm. I No, 35 mit Note 97. 

3) Heinrich Biſchof von Jatweſia 1259 zu Saarburg. Strehlke 88. rerum 
Pross, II p. 43 u. Heinricus epiesopus Jatwesonie 1262. Pertz Monum, Germ. 88. 
XVII p. 380 angeführt von Bender a. a. D. 6.874. 

®) Cod, dipl, Warm, I No, 26, 


von Dr. M. Zöppen. 635 


genannt fein; aber vielleicht ift der Meine Eee gemeint, welchen bie Paſ⸗ 
farge wenige hundert Schritte nach ihrem Urfprunge durchfließt. Der 
Grenzwalb zwifchen Groß- und Klein⸗Barten war ber Wald Linbenmebie 
in der Gegend von Wußlad, Plauſſen und Bifchofftein; der Name Klein 
Barten (Plica Barta) hat ſich in dem Namen bes Dorfes Bleichenbart 
fübmeftlich von biefer Gegend noch erhalten?!) Zieht man num eine Linie 
von dem Sarungfee oder immerhin von bem Heinen See bei Hohenftein 
nach dem Weftende des Lindenmebie — auf ber Karte leicht erfennbar an 
dem einfpringenben Winkel ber Heutigen ermeländifchen Grenze bei Trau⸗ 
tenau, norbwetlich von Biſchofoſiein — fo bilvete dieſe Linie bie Oſtgrenze 
des damals dem Bifchofe Übergebenen Landſtrichs. Man erfieht aus bie- 
fen Beflimmungen, daß die Territorien von Bertung und Gunlaulen, fo 
wie die zu Groß-Barten gehörige Gegend von Biſchofsſtein und Röſſel 
noch außerhalb des Biſchofstheiles fielen. Es ergiebt ſich aus der Thei⸗ 
lungsurkunde ferner, daß Galinden damals noch vollftändig von ber Their 
fung ansgefchloffen, aber den getheilten Landſchaften unmittelbar benachbart 
war: benn in Betreff eines noch ungetheilten Stüdes von Groß-Bartın 
behielt fich der Biſchof fein Recht anf eine fpätere Theilung ausdrücklich 
vor, in Betreff Galindens ift kein Vorbehalt der Art ansgefprochen, was 
ficher gefchehen wäre, wenn ein Theil Galinvens, etwa Gunlaufen (von " 
welchem wir aus andern Quellen beflimmt willen, daß es zu Galinden 
gehörte) zur Verteilung gelommen wäre. Endlich wirb es in biefem Zur 
fammenhange ſehr wahrſcheinlich, daß das Territorium Bertung, ebenfo 
wie das Territorium Gunlaufen, zu Galinden, und nicht zu einem ber 
weſtlicheren Landſchaften (3. B. nicht zu Pogefanien, denn an Warmien ift 
wohl überhaupt nicht zu benfen)?) zugehörig war: hätte e8 zu einer ber 





2) Bol. Saage in der Ermel. Zeitihr. Bd. 1. S. 49. 

2) Der Titel Advocatus Pogesanise, welchen nad zahfreihen in Cod. Warm. 
T. 3. II gebrudt vorliegenden Urkunden ein ermelandiſcher Beamter träyt, macht es doch 
wohl wahrſchein lich, daß ein jehr großer, ja vielleicht der größte Theil des alten Poge⸗ 
fanien zum Bisthum Crmeland netommen fein muß. Es wird mir auf Grund diefer 
Urkunden nunmehr wahrſcheinlich, daß Heildberg im Jahre 1273 nicht bloß worüberge- 
benb (Dusb. III c.171) in der Hand der Pogeſanen fi befand, fondern auf altpoge- 
fanifchem Boden ftand. Zur hiſt. comp. Geoor. S. 14. 88. rerum Pruss, T. I p. 52 
Not 4, 


636 Die Teilung ber Diöcefe Ermeland 

weſilichen Landſchaften gehört, fo würbe es, ba es von ber Theilung aus 
geſchloſſen blieb (ber Biſchof erhielt es nicht, ba es außerhalb ber eben 
befchriebenen Oftgrenze bes Ermelandes lag, ber Orben nicht, da es we 
nige Jahre darauf zu weiterer Ausftattung des Biſchofs bisponibel war), 

abermals einen Vorbehalt der bezeichneten Art nöthig gemacht haben. 
Aber fon kurze Zeit darnach, im Jahre 1254, wurbe die Theilung 
ber Diöcefe vervollſtändigt. Groß-Barten war inzwiſchen völlig, fo dah 
feine Bewohner Geiſeln flellten, Galinden wenigftens ſcheinbar unterwor- 
fen. Der Orben beeilte fi ben zahlreichen Rivalen, welche ein Auge 
namentlich auf Galinden geworfen Hatten, bemerklich zu machen, wo bie 
Grenzen feines Ackers ſeien. Er ertrahirte bie jchon erwähnte Bulle des 
Barftes vom 10. Mai 1254, in welcher den Biſchöfen von Eulm, Bome 
fanien und Ermeland aufgetragen wird, ihm mit Rath und That und nöthi 
genfalls mit kirchlichen Genfuren zur Seite zu ftehen, bamit er in Betreff 
ber zur Diöcefe Ermelanb gehörigen Landſchaft Großbarten und in Betrefj 
der Landfchaft Galinden von Niemand beeinträchtigt werbe. Im dieſer Bulle 
iſt Barten als zur Diöcefe Ermeland gehörig ausbrüdlic erwähnt, Galin- 
ben nicht, offenbar nur deshalb, weil Galinden bei ber Theilung von 1251 
noch‘ unberüdjichtigt geblieben war. Dies Hinderte aber nicht, es nad 
+ dem Laute der Theilungsurfunde Wilhelms von Modena zur Didcefe 
Ermeland einzuziehen, wenn man an Ort und Stelle dies bereits für than 

lich und zwedmäßig hielt; und bies geſchah wenige Monate baranf. 
Der Sinn der Theilungsurkunde vom 27. December 1254”) ift mei 
nes Erachtens von ben neueren Geſchichtsforſchern nicht richtig erkannt. 
Es ift nicht beachtet, daß die Didcefe Ermeland damals durch Einverlei- 
bung Galindens diejenige Ansdehnung erhielt, welche fie nach Lage der 
Dinge, ba Subanen bereits einen eigenen Biſchof hatte, Nadrauen ber 
Diöcefe Samland nicht wohl abgefprochen werben durfte, im Ganzen und 
Großen vorausfichtlich überhaupt erhalten Tonnte, und daß ber Bifchef 
Anfelm die noch nicht getheilten Landſchaften feiner Diöcefe, nämlich das 
früher ausgeſchloſſene Städ von Groß-Barten und ganz Galinden, mit 
dem Orben nun in dem Gimme theilte, baß er ſich für feine gefammten 


=) Cod, dipl, Warm, I No.31. 





von Dr, M. Toppen. 637 


Anfprüche anf ein Drittel ber Diöcefe, durch diefe zweite Theilung befrie- 
bigt erflärte, Es ift aber das größte Gewicht hierauf zu legen, und bie 
Sache ift unzweifelgaft, da Biſchof Anfelm in der Grenzbeſchreibung des 
ihm nun zugefallenen Gebietes biefes nicht als ein Drittel der bis dahin 
anterworfenen Landfchaften der Disceſe, überhaupt nicht als ein Drittel 
einer Quote ber Diöcefe (pro quadam tertia parte, wie 1251) oder als 
eine vorläufige Abfindung auf das ihm zulommende Drittel, fonbern 
ale das von ihm erwählte Drittel der ermelänbifchen Diöcefe bezeichnet. 

Bei biefer nenen Theilung wurde das dem Biſchof früher zuge 
fallene Laudgebiet nad Often Hin durch unmittelbar anftoßende Lands 
ſtriche erweitert. Man verlängerte bie früher feftgeftellte Süpweflgrenze 
defielben über bie Paſſargequellen eine Meile aufwärts (Ianbeinwärte) bie 
nach dem Gefilde Kurchfabel, die Norbofigrenze Über den Wald Linden · 
medie hinaus bis zum Walde Krakotin und verband die beiden Endpunkte. 
Hiedurch erhielt das Bisthum Ermeland im Allgemeinen die Ausdehnung 
des heutigen Ermelandes d. h. der Ianbräthlichen Kreife Braunsberg, 
Heilsberg, Allenſtein und Röſſel — wiewohl bie Süboſtgrenze noch nicht 
vollftändig ficher bezeichnet war. Der Laudſtrich, welchen ber Biſchof bei 
der Theilung von 1254 zu feinem früheren Gebiete hinzuerhielt, umfaßte 
bie Territorien Bertung nnd Gunlaufen als feinen Antheil an Galinden 
und einen beträchtlichen Theil von Groß-Barten in der Gegend von Röf- 
fel und Biſchofsſtein. Der Antheil des Bifchofs an Galinden war aller- 
dings noch lange fein Drittel; dies if aber Fein triftiger Einwand gegen 
die Richtigkeit unferer Auffaſſung, da Wilhelm von Modena in ber Etif- 
tungsurkunde der preußiſchen Didcefen bie Theilung ber freien Einigung 
der Biſchoſe und des Drbens überlafien Hatte, Bifchof Anfelm aber über 
haupt fi Außerft entgegenlommenn gegen ben Orben zeigte, und überbies 
bie ihm jetzt zugefallenen Landſtriche einen unvergleichlich viel höheren 
Werth Hatten, als bie noch weiter öfllich gelegenen, deren Cultur wegen 
ihrer Entfernung von ber Küfte und wegen ber Nachbarſchaft ber Heiden 
viel ſchwieriger war und in ber That erft viel fpäter gelungen iſt. Uebri- 
gens ging es anbern Biſchöfen bei ber Theilung nicht befier; ber von 
Samland erhielt im Jahre 1268 nur ein Drittel eines kleinen Theiles 
feiner Didcefe, und eine zweite Theilung (bie mit ber zweiten Theilung 


638 Die Theilung der Dibcefe Ermeland 


des Ermelandes etwa gleich ſteht) erreichten feine Nachfolger erſt Hundert 
Jahre fpäter (1352); der von Pomefanien, welder ſchon 1250 ein Dris 
tel des weftfichen und nördlichen Theiles feiner Diöcefe erhalten hatte, 
gelangte nie in den Beſitz eines Drittels vou Saſſen, obwohl dieſes Sand 
zu feiner Diöcefe gehörte — weil diefee Drittel angeblich ſchon zur Aus 
ſtattung des culmiſchen Biſchofs verwendet war.?*) 

Bald nach der Theilung von Galinden follte der Krieg gegen bie 
Jadzwinger (Subauer), wie eine Anzahl päpftlicher Bullen über die Kren: 
prebigt gegen bie Jadzwinger und Sitauer vom Jahre 1257 beweift”) 
emergifch betrieben werben. Von ven nächften Erfolgen deſſelben if wenig 
überliefert, doch Hören wir die Ordensritter Über Herzog Cafimir’s Ränte 
Hagen: bei ihm habe es geftanben, daß ihnen das Land Lyckon micht über 
geben, und zwei Expebitionen gegen bie Sabzwinger behindert feien, er 
ehe im Bunde mit ben Litauern und mit den Abtrännigen und. dgl”) 
Seit dem Yahre 1260 gerieth der Orden durch einem neuen Abfall der 
ſchon unterworfenen Landſchaften in große Verlegenheit und von biefer Zeit 
an leifteten die Jadzwinger (Subauer), welche ſich bis dahin um bie Kriege 


des Ordens wenig gekümmert hatten, den Abgefallenen eifrige Hälfe”) | 


Der Kampf z0g fi in die Länge und der Orben fchloß wit dem thaten- 
luſtigen und mächtigen Könige Ottolar von Böhmen, welcher ihm einft 
das Samland unterworfen hatte, einen Vertrag, durch welchen berfelbe ſich 
von Neuem zum Rampfe gegen bie Heiden verpflichtete, ſich aber zugleich 
bie Frucht diefer Anftrengungen ficherte. Er verſprach den Orden in dem 
Befige derjenigen Landſchaften, welche er jegt in feiner Gewalt Hätte ober 
doch fhon früher einmal in feiner Gewalt gehabt Hätte, in einer Weile 
zu beeinträchtigen, ihm vielmehr zur Unterwerfung ber Ubgefallenen Bei 
ſtand zu leiften; dagegen mußten die Orbensritter ihm ihren Beiftand zur 
Eroberung von Galinden, Jatweſen (Jadzwingerland) und Litauen zufichern, 
um biefelben dem Chriſtenthume und feiner Löniglichen Herrſchaft zu um 


*) Siſt. comp. Geogr. 6. 115. 

3) Bullen vom 5. Januar, 6., 7., 8. Auguſt 1257 bei Raynald No. 22. Hennig 
de Jasyg. p.42, 43. Bunge, Livl. Urtundenb. Bd. 1. Ro.310-314. Ejögren, 6.4. 

3) Cod, dipl, Pruss, I. No, 145, 

2) Dusburg in ben 88. rerum Prpss.,. T. I. p. 127. Not 2. 


von Dr. M. Tüpyen 639 


terwerfen, 19. September 1967. Der Papft beflätigte biefen Bertrag, 
31. Jamnar 1268.) Ottolar verfolgte dabei zugleich den Gedanken, das 
Bistfum Olmüg zur Metropole über die zu erobernden Länder zu erheben. 
Der Bapft, welcher ihm dieſe Bitte ohne Beeinträchtigung des Erzbiſchofs 
von Mainz, zw deſſen Sprengel Olmüg gehörte, nicht erfüllen konnte, er» 
öffnete ihm jedoch die Ansficht, in ben eroberten Ländern eine eigene 
Metropolitauficche zu errichten, 20. Januar 1268.) Im der That unter- 
nahm Ottofar 1268 einen zweiten Zug nach Preußen, aber er zog zuräd 
shne das Mindeſte ausgerichtet zu haben”) und ber Orben unterbrüdte 
and ohne feine Hälfe nicht bloß den Aufftand der fchon früher unterwor- 
fenen Landſchaften, 1274, fondern eroberte num ftetig fortfchreiiend auch 
bie Übrigen, zuerſt Nabrauen und Schalauen, dann nad) längerem Wider 
ande, 1277—1283, auch Sudauen ober das Jabzwingerland. Schalauen, 
Nadrauen und Sudauen wurden veröbet, wie Galinden es ſchon längft 
war); feitbem wurde der weftliche allein bebante Theil Preußens von 
Litauen durch eine gewaltige Wildniß getrennt, in der ſich nur noch hie 
und ba ganz vereinzelte därftige Anſiedelungen vorfanden. *) 

Diefer in der Geſchichte civilifirter Völker äuferft abnorme Zuftand, 
welcher an Urzeiten gemahnt, in welchen nach Cäfar bie germanifchen Völ⸗ 
ter es für ehrenvoll Hielten, ringe um ihre Wohnfige her das Land fo 
weit ala möglich zu verwüften, das Vorhandenfein einer mehrere Tage- 
teifen breiten Wilonißfzwiihenfver Epriftenheit und Heibenfchaft, erflärt 
eine für bie Theilung des ermeländifchen Bisthums bedeutſame Frage, Wir 
erfahren nämlich aus einer Aufzeichnung, welche von ermelänbifcher Seite 
wohl noch im 14. Jahrhundert, etwa währenb bes Procefies zwifchen dem 
Biſchof und dem Orden 1370 ff. abgefaßt if, daß die ermelänbifche Kirche 
lange Zeiten in unangefochtenem Befige zahlreicher Landſtriche und Seen 
ienfeite ber ermelänbifchen Eüboftgrenze in den heutigen Kreifen Ortels⸗ 


dipl, Pruss, I, No. 157. 

dipl, Fran. 1. No, 156. 

. HIT. c. 125 und tie Reimchronik in 88. rerum Pruss 1. p. 250, 
8 an. e. 4, 179, 188, 219. 

je Verhältniffe gedenle ich an einem anderen Orte weiter auszuführen. 


32833 
Hs 


* 


640 ö Die Theilung der Didcefe Grmeland 


burg und Sensburg gewefen fei.”) Man fragt mit Berwunberungt Wie 
iſt fie in diefen Befig gelommen? Bon einer neuen Lanvestheilung if 
nirgend bie Rebe’); der neue Herausgeber der ermelänbifchen Chronil 
von Plaftwig, *) vermuthet, daß ber Hochmeifter Anno von Sanger&haufen, 
auf deſſen literae in dem eben erwähnten Proceß einmal Bezug genoms 
men wird, *) um 1263 ben fraglichen Landſtrich, um bem Bisthum ge 
recht zu werden, nicht durch förmliche Theilung, fondern durch einfahe 
Ueberweiſung bemfelben abgetreten Habe, Allein gegen dieſe Auffaſſung if 
vor allem einzuwenden, baf bie ermeländiſche Kirche, nachdem Anfelm ein- 
mal die Theilung von 1254 genehmigt Hatte, michts mehr zw forberm hatte. 
Sodann ift Gewicht baranf zu legen, daß bie in Rebe flehenden Befigım- 
gen ber ermelänbifchen Kirche keineswegs ein zuſammenhängendes, feflbe 
grenztes Gehtet ausmachten, fondern daß fie in einer Reihe von einzelnen 
Lanbftrihen und Seen beflanden. Wären biefe Befigungen ber ermelän- 
diſchen Kirche verfchrieben, wobei einfache Anweiſung oder förmliche Thei⸗ 
lung nichts zur Sache thun, fo würden Zuſammenhang und Begrenzung 
derſelben Hervorgehoben fein mäüffen, ba aber beides entſchieden fehlt, ſo 
if an eine Verfchreibung fehwerlich zu denken. Biel natürlicher und wahr 
ſcheinlicher dürfte bie Annahme fein, daß bie von dem Orden vorerft ver- 
nochläffigte Wildniß durch ihre Seen, ihre Jagd, ihre Beuten gerabe ans 
dem zunächft gelegenen Ermelande Fiſcher, Jäger, Beutner, zunächſt zu 
vorübergehender Thätigkeit, dann auch zur Anfievelung herbeigelockt, und 


3) (od. dipl. Pruss, IV. No. 126. Plastwig in den 88. roram Warm. p.28 
und 66, mo in Anmerk. 33 die meiften der Seenamen auf der Reimann'ſchen Karte 
nachgewiefen find. Beanftanden möchten wir nur vie oentificirung von Ruske und 
Reinsle (poln. für Rheinswein); auf den Gee bei Rheinswein, neben weldem auch 
Rallenzien liegt, dürfte eher ver Ramen Galinge, der Name Rusle auf den See bei Rauſch 
ten zu beziehen fein; Nerbingi möchten wir auf den Narthener See, Skiten major und 
minor auf die Seen bei Schutſchen, Cromaw auf den in einer Paſſenheimer Urkunde von 
1412 erwähnten, nicht fern von Paſſenheim gelegenen Eromomwin, Yellow auf dem ober 
halb des ermelandiſchen Dorfes Gillau nod im Ortelöburger Kreiſe gelegenen See Gilleu 
deuten; wir glauben aber vor Allem, daß bie Seen Swerlbinte, Burde und Arigine 
innerhalb des heutigen Ermelandes zu ſuchen find, wovon weiter unten. 

*) Aud) nicht bei Plaftwig. S. befonders p. 72. 

3) Plaſtwig, p. 64. 65 mit der Anmerk, J 

%) Cod. dipl. Warm, II. No, 496. 


von Dr. M. Zipper. 64 


daß ber Orben biefe gewerbliche Thatigkeit und biefe Anfiedelung auf feir 
nem Grund und Boden, welche ſchließlich ihm zu Gute kommen mußte, 
comniviet, ja mit gutem Bedachte gefördert Habe.) Der Streit zwiſchen 
ihm und ber Kirche entftand ohne Zweifel erft ba, als von ben Anfiedlern 
in biefen dem Feinde am meiften ausgefegten Gegenden nun doch Abga⸗ 
ben und Noturaldienfte geforbert wurden.. Endlich, hätte Anno von Ean- 
geröhanfen der ermelänbifchen Kirche wirklich den Befitz irgend welder 
Landftrihe und Seen verichrieben, wobei bloße Anweiſung und wirkliche 
Teilung wiederum feinen Unterſchied machen, fo wäre es völlig unmög- 
lich gewefen, eine ſolche Verſchreibung abzuftreiten oder zurüdzunchmen; 
es hätte baum nicht ein zweifelgaftes Recht Anlaß zu dem mehrerwähnten 
Proceß gegeben, ſondern eine offenbare Wortbrüchigkeit und Gewaltthat, 
deren ber Orden aber’ thatfächlid von feinen Gegnern wicht amgeflagt iſt. 
Welche literae Anno’ aber bei dem Proceß zur Sprache kamen, darüber 
bietet fich eine andere fehr wahrfcheinliche Vermmthung bar. 

Erſt in dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts konnte ber Orben 
bie Coloniſation und den Anban ber Wildniß ernftlih in Angriff nehmen. 
As Centralpunkte diefer Thätigleit gründete er, von Weften nad Often 
vorfchreitend, Seunenburg 1326, Ungerburg 1336, Lügen umgefähr zu ber 
felben Zeit, Aaftenburg vor 1344, Johannisburg 1845. „Seitdem aber 
die Schlöffer Johannisburg und Naftenburg erbaut und ein Gomvent in 
Lennenburg eingefegt war,“ Heißt es in dem Verzeichniß der vom ber er 
meländtfcgen Kirche in Anſpruch genommenen Befigungen jenfeits ber Oft 
grenze bes Ermelanbes, „feitbem werbe die Kirche allmählig nom Iahr zu 
Jahr dieſer Befigungen beraubt,“ d. h. ber Orben reclamirte nun fein 
Eigenthum. 

In eben dieſe Zeit fällt die definitive Feſtſtellung der Didcefangrenzen 
ber ermeläubifchen unb famlänbifchen Kirche. Die Beftimmung Wilhelms 


7) m der Urkunde über die ber ermelänbiichen Kirche zugehörigen Seen x, 
wird hervorgehoben, daß fie ihre Wartleute am Kurwithſee lange Zeit gehalten babe. 
Dies ift natürlich fein Beweis, daß ihr der Landſtrich bis dorthin gehörte. Schon der 
eigenen Sicherheit wegen mußte fie ihre Wartleute weithin in die Wildniß vorſchieben. 
Diefe Aufftellung von Wartleuten und Vorrichtung anderer Sicherungsmaßregeln gegen 
feindliche Einfälle wird der Orden den Ermeländern meit über die Grenzen bes Grme 
landes hinaus nicht bloß geftattet, fondern zugemutbet haben. 

U: Wonstöigeift DB. TIT. Sf 1. 4 


642 Die Theilung der Dibeefe Ermeland 


von Modena, daß biefelbe durch den Pregel gebilbet werben follte, reichte 
nicht ans, fo wie man über den Zufammenfluß von Imfler und Augerappe, 
welche gemeinfchaftlich ben Pregel bilven, oftwärts hinaus will; Anfelme 
Auſchauuug, daß Nabrauen ber ſamländiſchen Kirche nicht vorenthalten 
werben könne, beburfte doch wenigftens urkundlicher Feſtſetzung. Eudlich 
einigten fich die Bifchäfe Hermann von Ermeland und Johann von Sam ⸗ 
land in Gegenwart des Hodmeifters Dietrich vom Altenburg bahin, daß 
die Grenze an ber Angerappe bis zu ihrem Ausflufie aus dem See 
Swolislen, (welcher mit anderen Seen vereint, den heutigen Manerfee 
bildet) und von hier am oftwärts bis zu bem &rengen ber Litauer 
gehen folle, 1840.) 

Ungefähr um biefelbe Zeit gränbete der Hochmeifter Dietrich von Al⸗ 
tenburg die Komthurei Ofterode und nahm davon Veranlaſſung einer 
Grenzsegulirung zwiſchen deren Gebiet und dem Bisthum Ermeland. Es 
handelte fi um Feſtſtelluug ber Sübofigrenge des legteren auf dem delde 
Kurchſadel, welche nach der Urkunde von 1264 eine Meile oberhalb der 
Paflargegnelle liegen follte. Der Hocmeifter rüdte fie ganz nahe ber 
Ale d. 5. etwa 11, Meile oberhalb der Pafjargequelle, bewilligte alfe 
mehr, als wozu er verpflichtet war. Er flellte darauf an die Vollmaͤchü⸗ 
gen des Biſchofs und Domlapitels von Ermeland, mit welchen er an ber 
Greuzfäule zufammengelommen war, bie Stage, ob biefe Grenze ihnen ger 
uüge, und ob fie mit derſelben zufrieden fein würden jeft, immer und für 
alle Zeit, worauf fie in Vollmacht und mit Genehmigung des Biſchoſs und 
des Kapitels antwortetens Ja! 26. Auguft 1341.) Da bie Kurlener 
Grenze eine Ortgrenze (Edgrenze) war, jo war mit ber Feſtſtellung der 
felben zugleich auch die Oſtgrenze von Neuem anerkaunt, was von erme 
landiſchen Unterthanen bis dahin jenfeite derſelben occupirt war, als rechtes 
Eigenthum bes Ordens anerfannt. Auf Grund dieſer Verhandlung geſcheh 
es offenbar, daß num bie Pfleger von Iohannisburg, Raftenburg und Lew |. 
nenburg bie Grunbredte bes Ordens in jenen Gegenden zur Gel 
brachten. 


%) Coad. dipl, Warm. I. No, 811. Ueber den Mauerſee behalten wir und ab 
here Nachweiſungen für eine andere Gelegenheit vor. 
®) Cod, dipl. Warm, II. No. 10, 





von Dr. M. Torven. 643 


Man giebt nit gern Tangjährige Gewohnheiten auf, noch weniger 
Ingjährigen Vefig, und fo fühlte ber Biſchof und das Kapitel bes Erme ⸗ 
landes hier die Herftellung des alten Rechtes ale Beeinträchtigung. Es 
lam dazu, baß ber Biſchof von Samland bald darauf, 1353, eine Thei ⸗ 
lung eines zweiten Abfchnittes feiner Diöcefe mit dem Orden, auf bie er 
unzweifelhaftes Recht Hatte, wirklich erlangte, uud man Befanm ſich im 
Ermelande num, ob nicht and) bie ermelänbifche Dißcefe noch einen un⸗ 
getheilten Abſchnitt enthielte. Wenn aber von biefer Seite etwa geltend 
gemacht wurde, daß Anfelm die Ausfchliefung Sudauens und Nadrauens 
von ber ermelänbijchen Diöcefe vorausgefeßt habe, nun bed) aber das fil- 
dauiſche Bisthum nicht in Beſtand geblieben und ein Theil Nabrauens, 
bis zur Ungerappe, wirklich zur ermeländiſchen Didcefe geſchlagen ſei, fo 
durften die Vertreter des Ordens dagegen geltend machen, baß bie Thei⸗ 
Iungsurfunde von 1254 keine biefer Vorausſetzungen zur Bedingung ihrer 
Gältigleit made, und daß bimch biefelbe die Theilung der Diöcefe ein für 
alle Mal feftgeftellt und abgethan ſei, daß äbrigens durch bie Grenzregur 
firung gegen bie Didcefe Samland ver größte Theil Sadauens zu biefem 
Bisthum gewieſen, ) enblich, daß ber Veſitz Sudauens noch immer feis 
nesweges gefichert ſei. 

Biſchof Johann II. ließ ſich im Yahre 1865 von Papft Sunsceg VL 
und im Jahre 1357 vom Ratfer Kari IV. die Urkunden über die Dideeſan⸗ 
eintheilung Preußens wohl in keiner andern Abſicht beftätigen, als ſein 
Recht auf eine nene Lanbestheilung befto fiherer zu begründen.) Um 
diefelhe Zeit wurden eine Anzahl eingeborner Preußen über bie Grenzen 
Galindens vernommen, über bie fie nad den Ausfagen ihrer Vorfahren 
and berer, beren Borfahren in Galinden ſelbſt gewohnt hatten, Beſcheid 
geben konnten, *) Man mußte ben Umfang Galindens fennen, wenn max 


=) Nach Hennenberger, Rurze Beihreibung xc. BI. M. Tante Lucas David noch 
eine Urkunde, nach welder der Biſchof von Ermeland ein Drittel von Sudauen verlangte. 
Hift. comp. Beogr. 6. 129. Es ift nach dem Obigen möglich, daß es eine ſalche ger 
geben habe. Es ift aber hochſt wahrſcheinlich, daß diefe Urkunde keine andere war, als 
die Nachweiſung bei Plastwig p. 71-73. Bol. Geogt. ©. 39. Anmerk. 148. 

“) Cod. dipl. Warm, II, No. 229, 280 und 256, 257. 

@) Plastwig p. 74 mit Note 50. . 

4a 


644 Die Tpeilung der Dibeeſe Ermelanb 


nachweiſen wollte, wie gering ber Antheil des Bisthums an biefer Land- 
ſchaft ansgefallen fei, oder wenn man doch meinte beweifen zu Können, 
daß Galinden im Jahre 1254 noch nicht zur Diöcefe gerechnet, alfo über 
adupt noch wicht zur Theilung gelommen fei. Zu diefem Nachweiſe ge 
wäßrte bann auch ber Bertrag des Hochmeiſters Anno von Sangershauſen 
mit dem Könige Ottokar von Böhmen, in welchem biefem Galinten alb 
noch wicht unterworfene Landſchaft unter gewiſſen Bebingungen vom Dr 
den überlafien wird, einen nortrefflichen Anhalt) — eine Urkunde, melde 
nachmals in dem Proceffe bes ermelänbiichen Biſchofs gegen den Orden 
hochſt wahrſcheinlich wirklich producirt tft, 

Nun kam aber endlich, und das war für bie ermeländiſche Kirche das 
Empfinbficäfte, die Richtung ber Grenzlinie von Lurken gegen Röoſſel hin 
in Frage. Sie ſcheint früher ungebrochen bis in bie Gegenb von Pülk 
(früher Burchardshagen) fortgelaufen zu fein, fo daß der Denowſee zwifden 
Pülg und Heilige Linde, auch bie Gegend dieſes berühmten Wallfahrtsortes 
innerhalb des Bisthums lagen, wie denn bie Berfchreibung für Pälg im 
Jahre 1340 von dem biſchöflichen Voigte Heinrich von Lutter ansgeftellt 
iR) und biefe Richtung iſt mit der Circumſcriptionsurkunde vom 1254 
auch wohl vereinbar, da es im berfelben heißt, daß bie fragliche Linie von 
Nöffel, gegen Polen zu, eine Meile entfernt bleiben folle; — nämlich, 
fofern man bie. Meile von Röſſel gegen Süboften mißt. Wenn aber ber 
Orden barauf beftand, biefe Meile von Röflel Direct nach Süden zu meflen, 
fo wurde dadurch nicht bloß die Gegend von Heilige; Linde und die Um- 
gebung des Deunowſee's für ben Orben abgefchnitten, fondern bie ganze 
Grenzlinie von Kurken bis Krakotin, wie ein Nadine, der in Kurken ale 
dem Sreismittelpuntte feft iſt, etwas nad; Weiten verſchoben. Hiedurch 
aber wurbe auch in einer Gegend, weldye ſchon näher an Lurken als an 


4) Die betreffende Urkunde Ottokar's ift oben erwähnt; eine Gegenurhunde Anno's 
in fiher anzunehmen; auch wird er über die Sache mit dem Bildof des Ermelandes 
verhandelt haben. 

) Cod, dipl. Warm, I, No.308, Vol. Rolberg in der Ermel. Zeitiär. B- 3. 
©. 46, 46. Ob aber auch die Verſchteibung von 1351 über ben Arug bei Rn, Cod. 
Warm, II, No. 170, hieher gehört, wie Kolberg ©. 46, Unmert, 86 nachzuweien fucht. 
ÜR doch wohl noch zweifelhaft, 


von Dr. M. Typen. 645 


Röffel Tag, der Beflk ber Gern Purde (bei Mein-Purben), Sirwind und 
Aringine (beide nörblich vom vorigen) zweifelhaft gemacht. *) 

Die Streitigfeiten wegen der Oftgrenze tauchten wohl nicht vor bem 
Jahre 1361 anf, in welchem ber Biſchof noch Fiſcherei in dem See Willike 
oder Wille (füdlich von Heilige Linde) verfchreibt, welcher nachmals außer⸗ 
halb des Bisthums zu Tiegen kam. ) Der Hochmeifter Winrich von Knipe 
tode und ber Biſchof Yohann IL Striprod famen am 24. Juni 1869 in 
Neukirch bei Frauenburg zufammen, um eine Einigung zu Stande zu brin- 
gen; aber ber Riß wurbe nur ärger, Nach dem Berichte eines bem Or⸗ 
den ſehr feindfeligen Schriftſtellers, Plaſtwig, welder etwa hundert Dahre 
ſpater eine Chronik der ermeländiſchen Biſchöfe ſchrieb, fol der Hochmeiſter 
eine Waffe gezogen haben, den Biſchof zu ermorden!! Der Biſchof ver 
Magte unmittelbar baranf ben Orben bei dem Bapfte Urban V. wegen 
Occupation einiger der ermelänbifcen Kirche gehörigen Beftgungen. ) 
Trotz der Abmahnungen bes Papfles z0g ber Orben auch jet noch Län⸗ 
dereien ber Kirche ein.) Die Schiebsrichter, welche endlich zur Entſchei⸗ 
dung ber Sache eingefegt wurden, erhielten den boppelten Auftrag, bie 
bon beiden Theilen vorgelegten Urkunden zu prüfen, die Grenzen bes Bis⸗ 
thums nad) der Circumſcriptionsurkunde Anfelms feftzuftellen und zu un 
terfuchen, ob nad) Ausweis ber erfleren der Kirche fonft noch etwas ger 
bühre.@) Der Proceß zog ſich Jahre lang Hin und wurde erft nach des 
Biſchofs Johaun's II. Tode durch Compromiß des Hochmeifters mit bem 


4) Dieſe Sen werden in dem oft ermähnten SWerzeidmiß;.Cod. Pruss. IV. 
No, 126 erwähnt. Burde auf den See Burdunel beim Dorfe Burdungen zu deuten, wie 
zu Blaftwig S. 66, Note 38 gefchieht, ſcheint weniger natürlih. Statt Serwynte hat 
Blaftwig irrthumlich Swerlbinte. Aringine ift wohl der See, aus welchem der Fluß 
Ardinghenen abfliekt; vie Flüffe Sirwinthen und Ardinghenen aber fließen dicht neben 
einander. Cod. Warm. Il, No.357. Die Erwähnung gerade biefer Seen macht es mir 
wahrſcheinlich, daß das Seenverzeichniß alt und ächt ift. 

4) Urt. von 1344 und 1361. Cod. Warm. II, No. 32, 809. Bgl. Kolberg 
©. 46, Anmerk. 35. Die Verſchreibungen über Fiſcherei im See Weder bei Widrinen 
von 1344 und 1359, Cod. Warm. II, No, 32, 285, find bier zu übergeben, da biefer 
See auch nad der Ausgleihung der Parteien zum Theil dem Biöthum verblieb. 

=) Bulle vom 15. März 1370. Cod. Warm, I. No, 441: super spolistione 
&t oceupatione nonnullaram terrarum ad... . Warmiensem eoclesiam speotantium, 

©) Bulle vom 2. September 1371. Cod, Warm, II. No, 449. 

=) Urkunde vom 15. April 1872. Cod. Warm, II. No, 459, 


646 Die Tpellung der Dibeeſe Crmeland 


Biſchof Hetarth TIL. Sorbom vom 18. Sunt 13744) und Ansfpend dr | 
Schiedorichter vom 28. Juli 1374, °') der die päpftliche Beftätigung erhielt, | 
beendet. Die Grenzen des biſchöflichen Territorinms wurben nöher be 
ſtimmt, als dies früher geſchehen war, blieben aber im Ganzen umveriu- 
dert. Was die Ofigrenze betrifft, fo wurde num eine Meile, wie ber Orden 
wollte, von Röffel fühwärts bis zum See Weber (bei Wibrinen) gemeflen; 
die Oſtgrenze follte von Kurken durch biefen Punkt nach dem Walde Ara 
lotin in geraber Linie fortgehn. Sie ift aber zu Gunften des Bisthums 
zwiſchen Nurlen und dem Weberfee doch etwas auswärts gebogen, fo daß 
in ber Gegend ber Seen Purde, Sirwint und Aringine nichts verloren ging. 
Die Anficht, welche der ermeläubifche Geſchichtſchreiber Plaſtwig in ber 
weiten Hälfte des fuafzehnten Sahıhunderts ausfpricht, ) daß Bis zu ber 
Beit des eben berüßzten Progefies überhaupt nur ber weſtliche Abſchnitt ber 
Didcefe vom frifchen Haff bis zu der Linie Kurfen-Infterburg zur Theilung 
gelommen fei, und daß der Biſchof von biefem Abſchnitt kaum bie Hälfte 
bes ihm zuſtehenden Drittel erhalten habe, mag ſchon von ben Zeitgenof- 
fen des Biſchofs Johann II. aufgeftellt fein; fo ſelbſtverſtändlich erfcheint 
bie Vorausſetzung über das Object ber Theilung von 1254 dem, welder 
Über den wahren Sachverhalt nicht unterrichtet iſt, und fo unzureichend 
aub bürftig erſcheint ber Antheil der ermelänbifchen Kirche, mit welchem 
ber Biſchof Anfelm in maßvoller Gefinnung und billiger Berädfichtiguug 
her Umftände, fich befriedigt erflärte, demjenigen, ber bei ber Theilung ein 
Dutereſſe Hatz aber jene Boransfegung ift falich, und das Recht des Orbens 
iR duch Unfelms Genehmigung trog alles Querulirens fpäterer Zeit feſt⸗ 
geſtellt. Was dagegen Plaſtwig Über den noch zu theilenben Abfchnitt ver 
Diöcefe fagt, ift doch fo Haltlos,®) daß es ein Zeitgenofie bes Biſchofe 
Sohann II, und wenn er noch fo parteiiſch für bie ermelänbifche Kirche 
gewefen wäre, nicht wohl gefehrieben haben kann. Er fagt, ber zu thei⸗ 
lende Abſchnitt fei faſt doppelt fo groß, als der getheilte, 25 Meilen breit 





=) Blaftnig 6.69-71. 
8) Denn verworren kann ich es mit dem Herausgeber ber Chronik S. 71 Anm. 41 


von Dr. M. Täppen. 647 


uud 30 Meilen lang; bie Breite von 25 Meilen mißt er offenbar von 
Surlen bis Iufterburg, wo angeblich die erfte Theilung fiehen bfieb, und 
fest diefelbe an der Memel ebenfalls voraus; bie Länge mißt er in ber 
Richtung des Pregels non Infterburg durch ben Bewtamedie und "über 
die Scheſchuppe zur Memel, oder (ba bie Grenze des Bisthums Länge 
dem Omuleff und ber polniſchen Grenze hin Teine gerabe Linte bildet) in 
der Richtung ber Morboitgrenze bes Ermelaudes von Nöffel über Lügen 
und Lych. Beide Wege find aus alten Aufzeichnungen *) bekannt und ha⸗ 
ben in ber That bie von Plaſtwig angegebene Länge. Wenn ber Herause 
‚geber des Plafiwig und Bender in einer Abhandlung über bie ermelänbifche 
Diöcefe, ) von welden jener ben Bewtamedie nicht nachzuweiſen vermag, 
biefer ihn irrthümlich mit dem weit entlegenen Bubbern zufammenbringt, 
plaſtwig's Darftelung fo auffaffen, als ob er das zwiſchen ben beiden. ex 
wähnten Wegen liegende Gebiet als das zu theilenbe bezeichne, fo thun 
fie ihm Unrecht, weil fie ihm damit zutrauen, baß er das ganze große 
Städ Land zwiſchen dem zweiten Wege und ber polnifchen Grenze ganz 
vergefien habe, und widerſprechen ihm auch, weil ja dann bie Breite des 
zu theilenden Gebietes Teinesweges 25 Meilen beiträge. Was Plaſtwig in 
der That fagt, kann aber nur unbebachtfamer Eifer gefchrieben haben; 
nicht genug, baß er hier bie frühere Vorausſetzung, als ob überhaupt noch 
etwas zu theilen gewefen fei, fefthält, er vergißt auch — ober weißer es 
überhanpt nicht? — daß eim großer Theil des vom ihm bezeichneten Ges 
bietes gar nicht mehr zur ermeländifchen, fondern zur famlänbifchen Did- 
cefe gehörte — was von bem Herausgeber bes Plaftwig richtig hervorge⸗ 
hoben it. Mit foldem Dienfteifer im Intereſſe ver Partei ſtimmen bie 
Rebeblumen und Expeciorationen Plaſtwigs an andern Stellen *) jehr gut, 
Wenn aber Grunau, welcher Plaftwig vielfach benutzt und oft überbietet, 
nun gar behauptet, daß auch Bartenftein, Schippenbeil, Raftenbnrg und 
Baſſenheim mit den zugehörigen Gebieten zum Biſchoftheile gehört hätten, 


“) In den 88. rerum Pruss. T. II. p. 682 No. 39 (mo auch der Bewtamedie 
vortommt) und p. 702 No, 88. 

) Grmel. Beitfchrift Bo. 2. 6.370ff. 

%) 8.8. p. 62 und 64. 


648 Die Teilung der Didcefe Grmelanb von Dr. Zäppen. 


ber Kirche aber entzogen wären, 2”) fo ift bies eins ber bei ihm fo über 
aus zahlreichen Beilpiele — nicht des Irrthums, fonbern der Exbichtung 
seip. Bälfhung. Dennoch iſt eben diefe Behauptung auch von Treter und 
Seo recipirt, ®) welche über Grunau's ſchriftſtelleriſchen Charakter noch völ⸗ 
üg im Unklaren find. 

Auch den Anfchauungen ber neueren ermelänbifchen Hiftorifer, bie für 
bie Heimaihakunde fo Vortreffliches geleiftet und auch bie vorliegende Frage 
viel grünbficher als ihre Vorgänger behandelt Haben, kann ich mich, wie 
der Gang meiner Darftellung gezeigt bat, in eben biefem Theile ihrer 
Unterſuchungen wicht anfchließen. Ich erlaube mir benfelben meine ab 
weichenbe Unficht über bie Theilung bes Ermelaudes als einen Beitrag 
zur Sortfüßrung berfelben vorzulegen, nicht zweifelnd, daß bie allerbings 
etwas lüdenhafte Ueberlieferung ber Akten dennoch Hinreichen werbe, eine 
wiſſenſchaftliche Berfinbigung | über ben vorliegenden Gegenftand herbei 
anführen. 


©) Grunau IX. 0, 3. 8. 14. Bol. die Mmerk. zu Plaſtwig p. 67. 
%) Treter de episcopatu et episcopis eoel. Warm. p. 16 und Leo His. 


Aritiken und Referate, 


Aus dem Univerfitäts- und Gelehrtenleben im Zeitalter ber Re 
formation. Vorträge von Dr. Theodor Muther. Erlangen, 
1866. (Deichert) XII u. 499 ©. 8. 


Die vorliegende Sammlung von zum größten Theile in Königsberg 
gehaltenen Vorträgen, deren bereits foweit in ihr Königsberger handſchrift ⸗ 
liches Material verarbeitet ift, im Suliheft der Mtsichr. (S. 477 ff.) Er⸗ 
wähnung gethan wurbe, ftellt es ſich zur Aufgabe, die „lebendige Anſchauuug 
der großen Neformationgzeit einigermaßen zu fördern.” Ganz abgefehen 
don dem allgemeinen Intereſſe, welches jeder Beitrag zum Verftänbniß je⸗ 
ner Zeit beanfprucht, wird ſchon der Umftand, daß einige ber Vorträge von 
fpegiellem Jutereſſe für unfere Provinz find, einen kurzen Ueberblick über 
den Suhalt des Buches rechtfertigen. 

No. I („Bilder aus dem mittelalterlichen Univerfitätsleben") giebt 
ein lebenefriſches Bild von bem Treiben an ben Univerfitäten im 14. und 
15. Sahrhundert, welche damals leineswegs ber Sig wahrer Wiffenfchaft- 
lichkeit und Humaner Bildung, wohl aber eine Stätte fittlicher Rohheit 
and Zügeliofigfeit waren, in welcher ſich aber trotzdem, ber völlig verkom ⸗ 
menen Aloſterſchule gegenüber, eine frifche — wenn and; noch ungebändigte 
— Lebenskraft kundthat, bie zu großen Erwartungen für die Zukunft be 
rechtigte. Letztere bethätigte fi vor Allem in dem bewußten Anfämpfen 
der Umiverfitäten gegen bie Prätenfionen ber Kirche, d. h. bem unansger 
fegten Ringen, bie Wiſſenſchaft von ber Herrſchaft der Kirche zu befreien. 
Diefer Prozeß ber „Auseinanberjegung der Römifchen Kirche und ber 
Wiſſenſchaft“ begann ſchon mit Entftehen ber Univerfitäten und fand feinen 
Abſchluß in der Reformation. 


650 \Krititen und Beferate, 


Im 2. Bortrage („zur Berfaffungsgefähichte ber beutfchen Umiverfitäten" 
©&.31—63) weißt der Verf. an dem Beiſpiel ber Fakultätsverfaffung no 
mentlich der Wittenberger nnd ihrer „Filiale“ der Königsberger Umiverftät 
nach, wie bie beutfchen Univerfitäten aus freien, felbftänbigen Eorporstio 
nen ſich allmählig in abhängige Staatsanftalten verwanbelten und fchlicht 
nad) einer eingehenden Würbigung bes alten und des moberuen Untverfitits- 
charalters mit beachtenswerthen Reformoorfchlägen für die Gegenwart. 

Der 3. Bortrag („politifche umd kirchliche Neben ans dem Aufange 
bes 16. Jahrhunderts” S. 64 ff.) macht uns mit zwei Neben ber Huma⸗ 
niſten Heinrich Bebel und Chriſtoph Scheuer! „zum Lobe Deutſch- 
lands” (bie erflere 1501 in der Hofburg zu Sunfprud, bie letztere 1806 
zu Bologna gehalten) befaunt, weldye beſouders deshalb intereffant find, 
weil in ihnen zum erflen Male ber wiebererwachte deutſche Stun und 
dentſches Selbſtbewußtſein ſiegreich der bisher unangefodhtenen Alleinhen- 
ſchaft Itafiens anf dem Gebiete der Wiſſenſchaft entgegentritt, deren Etat, 
durch bie Reformation dann vollends bie geiſtige Befreiung Deutſchlande 
von ber romaniſchen Race herbeiführte, 

No. IV. (6, 9 ff.), weldhe von dem „Ausgange des Petrus Ru 
vennas“ hanbelt, verbreitet nenes Licht über bie letzten Lebensjahre und 
Imrfahrten diefes wunderbaren Mannes, insbefondere über feinen Gtreit 
mit dem in ben „Briefen ber Dunkelmänner“ gegeißelten Dominikaner 
Jdalob Hochfiraten, fowie feine Stellung zu dem aus berfelben Quelle bes 
kannten Poeten Ortuin Grattus. 

In No. V. (S. 129 ff.) Haben wir e8 mit einem Sandbemanne zu thun, 
dem zu Löbau in Weftpr. geborenen, fpäteren Syndikus ver Gtabt Braun 
ſchweig, dann Leipziger Brofeffor, und endlich als Vicelanzler ber Univerfität 
Leipzig 1511 verftorbenen Dr. Chriſtoph Kuppener, beffen Familie neh 
bis gegen das Enbe bes vorigen Jahrhunderts zu den angefehenften umd ber 
gütertften Geſchlechtern unferer Provinz gehörte. Seinem deutich gejchrie⸗ 
benen, für bie Geſchichte bes Wechfel- und Hanbelörechtes, fowie in mancher 
andern Beziehung wichtigen Buche über ben Wucher — einer ber älteiten 
Erſcheinungen romantftifcher Jurisprudenz in deutſcher Sprache überhaupt — 
welches ber Verf. zuerſt aus dem Dumtell der Vergefienheit wieder ans Licht 
gezogen hat, wird eine beſonders amsführliche Erörterung zw Theil 





Muther, Aus dem Univerfitätßs u. Gelehrtenleben x- 651 


Bon Hervorragendem Intereffe für die Gefchichte der Reformation iſt 
ber tm 6. Vortrag (S. 178 ff.) geſchilderte Lebenslauf des durch Vorzüge 
des Geiftes und Charakters glei; ansgezeichneten Wittenberger Iuriften 
D. Hieronymus Schäürpf (} zu Frankfurt a. O. 1554), eines ber ber 
beutenbften Männer jener Zeit, welcher namentlich mit Luther durch Freund⸗ 
ſchaftsbande enge verfnäpft war, bie jedoch fpäter ber Streit über die Gül⸗ 
tigfeit ber heimlichen Verlöbniſſe umd überhaupt über bie Autorität des 
Kanouniſchen Rechts in proteftantifchen Landen für immer zerriß. 

In No. VII. und VIII (&. 230 ff.) giebt der Verf. eine fehr aus⸗ 
führliche Biographie des D. Johann Apel, welcher von 1530—34 in 
Königsberg als Kanzler bes Herzogs Albrecht fangirte. Ueber Apels 
Schriften und deren wiſſenſchaftliche Bedeutung, ferner über feine Verhält- 
niſſe zu den Reformatoren und Humaniſten, und vorzäglich andy über feine 
bipfomatifche Thätigleit im Dienfte und fpäter noch im Interefle des Her- 
3098 erhalten wir hier ans vielen bisher unbelannten Quellen ganz nene 
Anfichläffe. Die Arbeit gewährt fomit auch für unſere Provinzialgefehichte 
ein ganz ſpezielles Jutereſſe. 

Gbenfo nimmt neben dem allgemeinen noch ein beſouderes Lokales 
gutereſſe ver legte Vortrag (©. 329 ff.) in Anfpruch, welcher das Leben 
ber in Königsberg verfiorbenen Lieblingetochter Melauchthous, Auna, er 
zählt, deren Bildniß die linke Seite des Alters ber Domliche ſchmückt. 
Schon in frühefter Jugend an den fpätern erften Neltor ber Albertus⸗ 
Univerfität, Georg Sabinns (eigentlih Schuler) vermählt, führte fie, 
bitter enttänfcht, an ber Seite biejes ebenjo eiteln, ſelbſtſüchtigen und herz» 
loſen, als leichtſinnigen und unbeftändigen Mannes ein freublojes, an 
ſchwerem häuslichen Ungemach reiches Leben, bis fie durch Iangjähriges 
Seelenleiven gebrochen noch nicht 25 Jahre alt ins Grab fant. 

Den Schluß des Buches (S. 370 ff.) bilden Beilagen mit veichens 
bibliographifchen und urkundlichen Material. 

Sollen wir nach dieſer Ueberſicht über das Ganze ein Urtheil abge 
ben, fo fann es nur dahin lauten, daß es bem Verf. vortrefflich gelungen 
iſt, Die Unfgabe, welche er ſich geftellt Hat, zu erfüllen. Wir erhalten ein 
Hareß, - lebensfeifches Bild von bem Univerfitäte- umb Gelehrtenleben ver 
Reformatiouszeit nud die mitwirkenden Männer in jener Periode gewalti» 


ritilen und Heferate. 


ten überall in ihrer wahren Bebeutung uud üfeer 
tlich hervor. Zum befonbern Bortheil gereicht e6 
% angiehenb gefchrieben iſt und fich trot ber am⸗ 
heil archivaliſchen Gtubien, auf denen es beruht, 
iterials, welches in ihm verarbeitet iſt Leicht und 
Hoffen wir denn auch, daß der Wunfch bes Berf. 
welcher fi nicht bloß Gelehrte von Fach, ſon⸗ 
hte überhanpt ale Leſer wünfct. 


—i 


mille, Geſchichte eines verlorenen Menichenichene 
ichert. Berlin (Otto Iante) 1866. 8 Be, 


matiſche Arbeiten Wicheris, ver Scherz „Tu Bein 
terfpiel „Kaifer Otto der Dritte, ich ihren Weg 
haben wir gleichzeitig für einen Roman ans ders 
„Aus anftändiger Jamilie. Geqchichte eines ver 
lautet ber Titel. Der Schauplatz der Hauplung 
tfichfte Theil unferer Provinz — unfchwer ertennt 
diefer Umftand allein wärbe, abgefehen von allen 
rechtfertigen an biefer Stelle näher auf ven Roman 
ung unb bie zeichnende Kunft haben im neuefer 
fe aus Litauen entnommen, aber es fei gleich hier 
rungen von Land und Lenten daſelbſt haben ent 
find 3.8. denen Temmes wefentlich überlegen. 
Walter Scott ber märkifchen Lande, Edmund Höfer 
‚fchen Oftfeelüfte geworben. Sollte nicht auch && 
Yichters Nahrung zu gewähren und ben Stoff für 
n zu liefern vermögen? Sollte es nicht möglich 
te nicht eben verſchwenderiſch behandelten Landſchaft, 
b+ und Nabelholz, von naſſen und trodenen Wie 
aide und Moor, poetifches Leben einzuhanden? 
nd hat feinen bejonberen Reiz, aber in erhäßtem 
iris don Polangen bis nach vuffifh Neuſtadt ſich 
Gedauke, daß ein ſchmaler Streifen neuttalen de 








Wichert, Aus anftändiger Familie. 653 


bietes hier zwei große Reiche von einander ſcheidet, das Gefühl ber chine ⸗ 
fiſchen Maner, welche mit boppelten und breifachen Schranken fremde In« 
duſtrie und die Bewegung ber Geifter von Rußland abhalten fol, der 
Gegenſatz dentſcher und flavifcher Kultur, der am ber ſchmalen Grenzlinie 
fich ſcharf herausſtellt; — Alles das macht bas oben bezeichnete Gebiet 
für den denkenden Beobachter intereffant. Das Kulturbild reizt um fo 
mehr zur Betrachtung, als die Strahlen deutjcher Kultur durch die fremde 
Nationalität der Litauer gebrochen werben. 

Es mag wenig Kreife unferes Vaterlandes geben, welde fo wenig 
von ben allgemeinen Strömungen der Thatſachen wie bes Verlkehrs be 
rührt worden find; fo trägt Alles bier einen gewiſſen urfpränglichen Cha⸗ 
racter gleich den weiten Haideſtreden, auf benen die erratifhen Blöcke 
noch unberührt von Menſchenhand feit der Zeit liegen, in welcher ſie von 
ſchwimmenden Gisfelvern aus Scanbinavien hierher getragen wurden. 
Eine Sprache, welche einer Imfel gleich in ver ſlaviſchen Sprachgruppe 
fich erhalten Hat nud vielfach auf einer nicht minber altertbämfichen Laut ⸗ 
ſtufe ſteht als das Griechiſche; Kleidung, Nahrungsweiſe, Wohnung von 
entſchieden nationalem und einfachſtem Gepräge; Anfhanung und Eitte 
von ber Art, daß bei jeder Berührung bie Kluft ſichtbar wirb, welche um- 
fer Denten und Empfinden, Wollen und Handeln von bem jenes Volks⸗ 
ſtammes trennt der Iahrhunderte wegen, bie wir in Kulturbeſtrebungen 
durchmaßen, während jener als Hirten- und Fiſchervoll fein einfaches Da- 
fein führte, 

Der Roman ber Neuzeit foll ein poetifch verflärtes, künſtleriſch ger 
reinigtes Bild des Lebens fein; es foll fich in ihm Fleiſch von unferem 
Sleiſch und Bein von unferem Beine finden. Der vorliegende Roman 
Wicherrs erfüllt diefe Forderung; es find echte Züge unferes focialen Le⸗ 
bens in ihm und biefe Schilberungen norbbeutfcher bürgerlicher Zuſtände 
erhalten einen befonderen Reiz dadurch, daß fich in fie das frembartige 
Kulturbild litauiſchen Lebens einfägt, für deſſen Zeichnung dem Verfaſſer, 
der jahrelang Richter in Litauen war, bie Farben unmittelbarſter An- 
ſchauung ebenfo fehr wie das mit feinen Zügen malende Wort zu Gebote 
Nehen. Referent, der nur wenig Meilen von bes Verf. früheren Aufent⸗ 
Baltsarte aufäffig if und fett ſeche Jahren bie Gegend weidlich durchſtreiſt Hat, 


654 Kritilen und Referate. 


taun bie Treme des Eolorits nur rühmen. Es wirb, beſonders Lefern und 
Beurtheilern des Romane, welche unferer Provinz ferner ſtehen, gegen 
über nicht überfläffig fein, dies zu betonen. Dean dem mit litauiſcher 
Sitte Unbelannten möchten gewifle Züge 3. D. in dem Benehmen Elſes 
gegen Anton Braufer — fo heißt die Hauptperfon des Romans — un 
wahrfcheinfich und deshalb als verfehlt erfcheinen; ihre Liebe zu Senem 
ſcheint roh und umzart, aber fie ift die Liebe eines Naturlindes uud Heir 
det fi in Formen, welche das Product allgemein litauiſcher Auſchauungen 
unb Gewohnheiten find; fie ſchwört, um den Geliebten zu reiten, einen 
Meineid und zwar in klarſter Weberlegung geſchidt zwifchen Lüge unb 
Wahrheit balancierend und trogbem hält fie ſich noch nicht fo fchlecht, 
daß fie nicht von ihrer Liebe und von bem Leben noch Glüd erwartete, 
M das möglich? Keine Spur von Gewifleusbifien zeigt füh in ihrem 
fpäteren Benehmen. Und aus ſolchen Händen muß Braufer bie Freiheit 
empfangen? an eine ſolche Seele follte er als Mann von Ehre fich leiten, 
weil er ihr die Ehe verſprach und weil ihr Kuabe ihn Vater nennt? 
Wohl ift er an fi fo weit gefommen, daß er auf höhere Stellung als 
auf die eines Arbeiters an der Seite der Bäuerin nicht mehr rechnen 
ann, aber welch einen Character zeigt diefe Bäuerin! — Das if einer 
von den Fällen, in welchen Unbelauntfaft mit Titauifcher Sitte bayu 
gelangen könnte, der Erfindung des Dichters VBorwärfe zu machen. Über 
Deder, der auch nur · eine Schwurgerichtsperiode in Litauen verfolgt hat, 
wird wenigftens einen Proceß anführen können, ber wegen eines mit läg 
ueriſchem Vorbehalt, mit irgend einer fophiftiichen oder jeſuitiſchen Gelbf- 
tauſchung geſchworenen Eides geführt wurde. Die Forderung der fubjeo 
tiven ober poetifchen Wahrheit ift in ber That von bem Verf. jo erfüllt, 
daß fie bie objective fein Tann. Das Gleiche gilt von Elſes fonftigem 
Benehmen; biefe ruhige, fait gefcpäftliche Art, wie fie bie Ehe begehrt, 
bie fie als etwas Selbſtverſtändliches und Motäivenbiges aufieht; der vbl⸗ 
ige Mangel an zärtlichen Worten und zärtlihem Thun, das Ertragen 
ſelbſt tHätlicher Mißhandlung und doch die durchbrechenden Strahlen einer 
Liebe, welche anf ſich ſelbſt verzichtet und auch unfere Anſchauung zufrier 
den ftellen kann. ' 

Es find keine großen Gegenfäge zum engen, welche in ben vorte⸗ 


Wider, Aus anftänbiger Familie. 655 


genden Romane nach ihrer Löfung ringen, nicht Kreiſe wichtiger Interefien, 
in welche ver Verf, ung führt. Es ift eben mur ber Kreis beſcheidenen 
bürgerlichen Lebens, aber das, um was es ſich Handelt, iſt denn doch im⸗ 
mer bag Höchſte und Letzte, was ein Menfch einfegen Tann, — bie fittliche 
Eriftenz. Der Berf. Hat es verfianden, die Gefchichte des verlorenen 
Menſchenlebens dramatiſch zu geftalten und das Intereſſe fteigend zu fpan- 
nen. Der änßere Rahmen ift einfach genug. Anton Braufer ift der 
Sohn eines preußifchen Richters. Zur Offiziercarriere beftimmt, wird er 
durch ben Tod feines Vaters gendthigt als einfacher Kapitulant zn dienen; 
durch eigene Schuld wird er Betrüger, wird entbedt und beſtraft. Bon 
nun an bezeichnet jede Phafe feines Lebens nur einen nenen mißlengenen 
Verſuch ſich emporzuheben. In Standesvorurtheilen groß geworben, ohne 
etwas Rechtes gelernt zu Haben, fern vom jeber fittlichen Schägung ber 
Arbeit wird er ber Verhältnifie nimmer Herr, weil er fich nicht mit ſich 
auseinander gefegt hat. Er bleibt durch leidenfchaftliches Begehren über 
das Maß hinaus in ſtarker Befangenheit, indem er verſucht fein Inneres 
in die That umzufegen. Es ift ein unfeliger Irrthum, in welchem er ver- 
hart, Er Hält die Beſſerung feiner äußeren Lage für die Bebingung jer 
der fittlichen Befferung; er glaubt nicht Achtung von Anderen erwarten zu 
dürfen, fo lange er ſelbſt ſich micht achten kann und er kann das nicht, 
ehe er nicht anftänbig zu leben hat. Das ift der Zirkel, aus dem er in 
feiner leidenſchaftlichen Befangenheit nicht heransfommt und in bem er 
ſchließlich ſeinen Lebenenachen gewaltſam zerſchellt, nachdem er Kellner, 
Majordomus und Beliebter einer Iurländifchen Baronin, Schmugglerführer 
und Winfelconfulent in Litauen, Commis und zulegt herrfchaftlicher Bäger 
gewefen iſt. Diefe legte Phafe feines verfehlten Lebens ift auch die bite 
terfte. In dem Haufe bes Herrn von Pronski, dem er bient, findet er ein 
junges Mädchen, zu welchem er bei Beginn feiner Laufbahn eine aufrich⸗ 
tige unb ausgeſprochene Liebe empfunden Hatte, als Lehrerin ber Kinder 
und als Freundin ver Familie wieber. Sie, welche ber einzige ideale Stern 
feines Lebens gewefen war, fie um been willen er bem Leben bas fo oft 
verfagte Glüd noch Hätte abringen mögen, tritt ihm hier gegenüber äufer- 
lich und innerlich bereits durch eine Kluft geſchieden, welche das verblafte 
Bud jngenblicher Erinnerungen nicht mehr zu überbrüden vermoqhte. Vran⸗ 


656 Rritilen und Referate. 


ſers Eitelfeit fpiegelt ihm ein Nebelbild von Steg darüber vor und als 
biefer in Dunft zerfließt, ift das Leben für ihn zu Ende, 

Die Characteriftit fämmtlicher Perfonen ift tüchtig und vom jener 
echt menfchlichen Art, welche des Verf. dramatiſche Arbeiten auszeichnet. 
Aurelie, die Tochter des armen Schulmeiſters, welche anſtändig und tüch-⸗ 
tig ihren Weg durchs Leben fucht unb findet, nicht ohne Prüfung des 
Herzens; ber alte Hepke, Antons getrener Edart in ben legten Jahren, 
Wohlwollen und trefflich biedere Weltanſchanung in fchlichter Geſtalt ver 
törpert; ber unlantere Geift des Kaufmanns Stephantew in Memel und 
deſſen Gattin; ber Herr von Pronsfi und deſſen Familie; der alte Juſtiz ⸗ 
rath, Branfers Vertheidiger vor dem Schwurgericht — es find alles Ger 
falten voll Lebenswahrheit und charactervoller Erſcheinung. Anfnüpfend 
an die Iegtgenannte Perfon heben wir beſonders bie Schwurgerichtsver⸗ 
handlung hervor, bie ein bis im bie Fleinften Züge forgfam ansgeführtes 
Gemälde von wahrhaft bramatifcher Kraft if. 

Der Roman fei beftens und warm zur Lectüre empfohlen. 

Druck und Papier find gut. Einige Drudfehler leichter Art find 
durchgeſchlüpft 3. B. im erften Bande ©, 2: anerwärts; S. 55: Honora- 
tionen; ©. 200: noro für noru (id will nicht); ©. 240: szinnan für 
Zinau; ©. 241: Schurrbaͤrtige. 56. 


Alterthumsgeſellſchaft Pruſſia. 
Gol. II, 466.) 

28. September. (Erſte Sitzung nach den Ferien.) Als neues Mit⸗ 
glied iſt beigetreten Hr. Dr. phil. Kroſta, ord. Lehrer an der ſtädtiſchen 
Realſchule. — An Alterthumsgegenſtänden ſind geſchenkt worden: von Hrn. 
Rittergutsbeſ. Stellter anf Gr. Miſchen der in Ausficht geſtellte Opfer⸗ 
ſtein (vgl. Bericht vom 25. Mai, Monatsfdr. III, 360) mit einem nur 
zur Hälfte erhaltenen zweiten Steine gleicher Art, fowie eine Silbermänze 
des großen Kurfürften, welche in Miſchen unter einem Steine gefunden 
wurde. Die Münze, etwa in halber Guldengröße, zeigt anf ber Vorder⸗ 
feite das nach rechts gewandte Bruſtbild, darunter bie Buchſtaben C. V, 
and mit ber Umfchrift: FRID.[ericus) WILH.[elmus) D.[ei] G.[ratia] 





Aterthumsgefellichaft Pruffic. 657 


M.[archio] B.[randenburgensis] S.[ancti] R.[omani] I.[mperii] ARC., 
[bicamerarius] & PR.[inoeps] EL.[ector]; auf der Kehrfeite das Wappen uns 
ter dem Kurhut, mit der Umfhrift: SUPREMUS. DUX IN PRUSSIA., 
und unten zu ben Seiten bes Wappens bie zertheilte Jahreszahl: 16 — 74. 
Bei Weife (Vollftänbiges Gulden-Eabinet, Nürnberg 1780. 8°.) ift dieſe 
Mänze nicht aufgeführt. — Berner hat Hr. Kreisfafien-Rendant Niebios 
in Ligen (Mitglied der Geſellſchaft) einen mwohlerhaltenen Steinhammer 
geſchenlt, welcher gelegentlich ver Benderung eines Selbftüdes anf bem 
zum Gute Gronden (Ar. Angerburg, Kirchſp. Buddern) gehörigen Areale 
vor cca. 5 Jahren gefunden worden ift. — Für die Bibliothek find, eben- 
falls als Geſchenle, folgende Drudichriften eingegangen, und zwar buch 
Vermitteluug der König, Regierung: 

Compte-rendu des travaux de la commission des monuments 
et doouments historiques et des bätiments civils du depar- 
tement de la Gironde Pendant les exercices de 1862 à 1864 
(Paris) Bordeaux 1865. 8°, mit beigeheftetem: Dictionnaire 
geographique et historique‘ de la Gironde Rédigé ... par 
M. J. Reclus Bordeaux 1865. 8°, unb außerbem noch: Table 
alphabötique et analytique des matitres contenues dans les 
compte-rendus... de 1840 & 1855. (Paris) Bordeaux 1865. 8°; 

durch Hrn. Archiv Rath von Mülverſtedt, Provinzial-Archivar in Mag- 
deburg: 

Erſter, Zweiter Vierteljahrs⸗Bericht des Vereins für die Ge 
ſchichte und Alterthumsluude des Herzogthums und Grzfiifts 
Magdeburg. 1866. 8°; 

von Hm. Peivatvocenten Dr. Lohmeyer: 

N. Bergan, Schloß und Dom zu Marienwerber. Beſonderer Ab⸗ 
druck aus ber „Zeitfchrift für Preußtfche Gedichte und Landes 
unbe”. Berlin 1865. 8°; 

von Dr. Reide das 5. Heft der Altpreußiſchen Monatsfcgrift, endlich von 
Dr. Gteffenhagen: 

Carolus Eduardus Gueterbock, De jure maritimo... Be- 

gimonti Prussorum 1866. 4°, nub: Jura Prutenorum ... 


edidit Paulus Laband. Regimonti Pr. 1866. 4°. 
Altze Menstsigeit Ba. 11T. Mi. 7. 42 


658 Rrititen und Referate. 


Hr. Minden berichtet, auf Grund anberweitiger Mittheilungen, über 
einen eigenthämlichen Bernfteinfund bei Namslau in Schleſien. De 
Fund beftand in einer bebentenden Quantität rohen Beruſteins — eisa 
acht Metzen — in Meineren und größeren Stüden, bie zuſammen an 
120 Pfund wogen, und bei der Aufdeckung von Hünengräbern zwiſchen 
zwei Aſchenkrügen umd unter einer Dede von manerartig geſetzten Steinen 
gefunden wurden (vgl. N: Jahrbuch für Mineralogie 1866. S. 506 fi. 
4öfter Yahres-Bericht der Schlefiich. Geſellſch. für vaterländ. Cultur 1866. 
©. 104 ff.; Die hier ohne nähere Angabe angeführte „merkwürdige“ Ab 
handlung v. 3.1748 „über ven Bernfeinhandel in Preußen vor ber Kreny 
Herrn Ankunft“ fteht in ber „Preuß. Sammlung“ II, 133 ff.). — Dr. Reid 
madt aufmerffam auf ten von Hrn. Bauführer Berg au vorbereiteten 
Plan einer zufammenfaffenden Arbeit über die Bauten des Deutſchen 
Ordens im Samlande und wieberholt bie Bitte des Genannten, ihn 
mit einſchlãgigen archivaliſchen Notizen zu unterftägen (cf. Monatsfchrift 
III, 558%). 

26. October. Die ganze Gigung wird durch Vorzeigung ber man 
nigfaftigften Altertfumsgegenftänbe in Anſpruch genommen. Es werben vor- 
gelegt: von Hrn. Donglas (Trömpan) verſchiedene Begenftände aus Etein, 
Bronce, Eiſen (letztere als Geſchenk), in Gräbern bortiger Gegend gefun⸗ 
den; don Hrn. Dr. med. Henſche eine größere Sammlung von Bew 
fteinforallen ans dem Samlande. — Hr. Dr. ©, Berendt zeigt uud er 
läntert mehrere bearbeitete Bernſteinſtüce, welche in dem kuriſchen Haffe 
bei Schwargort, bei Gelegenheit der VBernfleinbaggereien, zu Tage geför⸗ 
bert find (cf. Altertfumsfunde No. 10. Mtsſchr. IL, 755). Der Charalter 
ber Bearbeitung weift beutlich anf brei verſchiedene Zeitperioben. Mit 
den in Gräbern gefundenen Beruſteinſtüden Haben bie vorgeqzeigten 
eine Aehnlichkeit. Es bleibt fraglich, ob biefelben etwa aus Gräbern in 
das Haff gefpült, oder bei Fahrten verloren gegangen find. — Hr. Ge 
heimrath Schubert zeigt unter lehrreichen Erläuterungen beſonders inter- 
effante Stüde feiner werthvollen Münzfammlyng, als: Nönrifche Kupfer 
mänzen aus bem 2, Sec. p. Chr., eine fehr jeltene Golbmänze von Zohaunes, 
dem Ufnrpator des Kaiſers Balentintan II., aus dem 9.423 und Arabiſche 
Eibermänzen von Harım al Raſchid uud Almanſor, ſammilich in auferer 


Atertjumsgefelihaft Pruffia. 659 


Provinz gefunden. — Bon Hrn. Cantor Preuß (aus German) werben vor⸗ 
gezeigt eine überaus reiche Sammlung ber verſchiedenartigſten Korallen aus 
Etein, Thon, Bernftein, Glas, Metall (600 an der Zahl) und 200 Stüd 
biverfer Münzen. Beide Sammlungen, im Kirchſpiel German allmählig 
zuſammengebracht, werben gegenwärtig von bem Befiger zum Verkauf ger 
ſtellt. — Endlich bringt Hr. Rechnungsrath Ulmer bie Hier im Pregel 
neuerlich heramsgebaggerten alten Schwerter (cf. Altertyumsfunde No. 34 
Misfgr. III, 566.) zur Vorzeigung, welche inzwifchen in feinen Beſitz 
übergegangen find und von ihm als Geſchenk an bie Gefellfchaft abgegeben 
werben. S—n. 


42° 


Mittheilungen und Anhang. 





Zu Wigend von Marburg. 


„Der fürftlich fürftenbergifche Hofbibfiothelar Dr. Barad in Donauefchingen 
bat ein Bruchftüd der verloren gegangenen deutſchen Orb 
ginalchronik des Chroniften Wiganb von Marburg im der 
dortigen Bibliothek anfgefunden. Diefe Chronik war bisher nur 
in einer Inteinifchen Ueberſetzung befannt, welche auch in den „Scri- 
ptores rerum Prussicarum® Hrsg. von Theod. Hirſch, Mar Zöppen 
und Ernft Strehlfe, eine gebiegene Bearbeitung gefunden hat. Das 
Bruchſtück umfaßt zwei Pergamentblätter in 4%, die zum Ginband 
eines älteren Buches verwendet waren, im Ganzen 134 Verſe, deren 
Inhalt in den Kapiteln 34, 35, 36 (Anfang) und 35 der in den Scri- 
ptores abgebrudten lateiniſchen Ueberfegung der Chronik wiedergegeben 
ft. Dr. Barad wird feinen Fund veröffentlichen.” — (Süuftr. Big.) 

Beilage =. Anzeiger f. Kunde der deutschen Vorzeit, 1866. No. 8. Bp. 296. 
Der obige Fund bietet ein werthvolles Eeitenftüd zu den Original 

Bragmenten der Wigand'ſchen Reimchronik, welhe durch Kansler nub 

Krömede in zwei von einanber unabhängigen Handſchriften entvedt und 

in ben Sahren 1845 und 1858 veröffentlicht worben find (vgl. Hirſch 

Scriptores rerum Prussicarum II, 441, 442). Während Krömede's 

Fragmente außer 16 Versanfängen (cap. 43 ber Lateinifchen Ueberfegung) 

nur zweimal 17 Berfe (cap. 38), die beiven Kausler'ſchen Onartblätter 

aber im Ganzen 124 Verſe (cap. 11) enthalten, Übertrifft Bar ack's Fund 
die letzteren noch um 10 Verfe (vorausgeſetzt, daß bie Zahl 184 kein 


Münzfund. — Ein Ehafefpear-Bortrait in Abnigäberg. 661 


Fehler ift). Hieraus ergiebt ſich zugleich, daß B.'s Hanbfchrift von der 
Kansler’fchen unabhängig ift, da fie eine größere Zeilenzahl befigt. Da- 
gegen bliebe die Frage offen, ob etwa Krömecke's Fragmente zum vor- 
liegenden Bunde in näherer Beziehung ftehen, und ob vielleicht beide Funde 
einer und berjelben Hanbfchrift angehören. Wenn ferner der Inhalt von 
B. foweit er ben capp. 34, 35,36 ber Meberfegung entipricht, unbebenflich 
als durchaus new zu betrachten ift, fo bleibt für dem übrigen Inhalt = 
cap. 38 fraglich, inwiefern derſelbe auch bei Kr. — cap. 88 ſich wieder- 
findet, ober nicht. Sind alle 134 Verſe ohne Ansnahme neu, fo zählen 
wir jetzt, mit Einſchluß ber bei Caspar Schü überlieferten Stücke, ins⸗ 
gefammt 401 vollftänbige Verſe der Urfchrift eines Werkes, deſſen ganzer 
Umfang anf mindeftens 25,000 Verſe veranfchlagt werben Tann. 
Sn. 


Ränzfund. 


Im Mingethale wurde im Juli d. 9. bei Schernen ein römifches 
As gefunden; die Borberfeite zeigt den Kopf des Kaifers Gorbianus mit 
der Umſchrift IMP(erator). GORDIANVS. PIVS. FEL(ix) AVG(ustus), 
die Röckſeite einen römifchen Krieger mit der Lanze und ber Umfchrift 
TR(ibunus) P(lebis) IIII COS(eonsul) II, nebft ben Buchſtaben 
S(enatus) C(onsulto). Da Gorbianus IIL im 9. 238 n. Chr. zur Re 
gierung kam, in welcher er fich bis 244 behauptete, und nad; Eckhel 
Doctr. num. VII. p. 309 ff. die Beinamen Pius Felix in feinem zwei 
ten Regierungsjahre annahm, fo muß die Münze in die Jahre 289 bie 
244 geſetzt werben; die Ungabe des 2, Conſulats weift anf 239. 

Memel. 5. Genthe. 


Ein Shakefpear-Portrait in Koͤnigsberg. 

Auf der Königsberger Stadtbibliothek fand ber Unterzeichnete ein 
Brotrait in 3/4 Bebensgräße, welches nach feiner Anficht und aller derjeni⸗ 
gen, die es in Augenſchein genommen Haben, niemanb anders als Shale ⸗ 
fpear vorftellt. Cine Bezeichnung fehlt freilich, aber bie Aehnlichkeit mit 
andern Bildern ift ganz überzeugend. Es ift auf Holz in Del gemalt und 


662 Mittheilungen und Anhang. 


ſchon ſtark nachgebunfelt, fo daß bie Fleifchtöne unangenehm grell hervor 
ſtechen. NKünftlerifhen Werth hat es nicht, aber doch bleibt es interefiant, 
daß ein offenbar älteres Bild des Dichters ſich nach Königsberg verirren 
und Lange Zeit hier unbefannt bleiben Konnte. Urſprünglich gehörte es, 
wie Hr. Archivar Dr. Medelburg gefälligft mittheilte, zur Hippel ſchen 
Sammlung, die, nad) bem im Yahre 1796 erfolgten Tode Hippels in ben 
Beſitz der Stabt überging. Wo Hippel es angefauft hat, ift nicht mehr 
zu erfahren; jebenfalls ſcheint es nicht in ber zweiten Hälfte bes vorigen 
Sahrhunderts gemalt worben zu fein. Unter ben befannten Portraits 
Shabkeſpear's, die befanntlich viele Divergenzen haben, ift ber fogenannte 
Chaudos ·Shaleſpear derjenige, mit dem unfer Bilb bie größte, obgleich 
nicht eine vollfommene Wehnlichkeit hat. Wermuthlich ift es eine etwas 
freie Copie nach dem genannten Original, mit Zuhülfenahme anderer 
Portraits des Dichters; jedenfalls fheint der Maler mit der bildlichen 
Darftellung Shaleſpear's und ber Weberlieferung über fein Ausfehen, die 
darbe der Haare, ber Augen ꝛc. wohl befannt gewefen zu fein. Der Ohr 
ring fehlt nicht, das Wamms iſt vom ganz einfachem Schnitt und tief. 
ſchwarz, der Hemdkragen fteht offen, die Bänder deſſelben hängen herunter. 
Um das von einer ungeſchidten Hand unforgfältig ladirte Portrait ift ein 
fleinerner Fenſterrahmen von onaler Form gemalt, am Kopfenbe mit einer 
tragifchen und komiſchen Maske nebft Lorbeerzweigen verziert. Die äußer 
fien Kanten des Fenſterrahmens find mit einer Säge abgefchnitten, und 
zwei an dem fo entflanbenen Viereck fehlende Edftüde von Holz eingeleimt. 
Nach diefer Geftaltung ift das Bild übermalt worden, wie die an ben 
Schnittflächen Hinüber gelaufenen Pinfelftriche beweifen. — Herr Hofpho- 
tograph Riedel Hat auf mein Erfuchen die Gefälligkeit gehabt, daſſelbe, fo 
gut das alte Bild es erlaubte, zu photographiren. Eine der Copien 
werbe ich nach Berlin, die andere nach London an Gachverftänbige 
fhiden; ſollten dieſe etwas Grhebliches über das Bild zu bemerlen 
finden, fo werde ich wicht verfehlen, ihre Bemerkungen durch dieſe Zeit 
ſchriſt mitzutheilen. 
Behlan. Früftge. 





Hanbfgriftliche Junde aus Rönigäberg. 663 


Sandfsriftlihe Bunde ans Wönigsberg.*) 
(Bat. 111, 468.) 


17, Bwei kleine Fragmente des Sachſenſpiegels. 


Unter No. 8 der Handſchriftlichen Funde (Monatsfchr. III, 279) if 
über „ein neu entbedtes Sachfenfpiegel-Fragment“ der Königl Bibliothek 
berichtet worden. Seitdem hat Dr. Reicke zwei weitere Meine Fragmente 
einer davon unabhängigen Pergament-Handichrift des Sachſenſpiegels an's 
Licht gezugen. Er fand fie in der Kgl. Bibl. als Vorſatzſtücke in einem 
Summelbande von Druden des 16. Jahrh. (Ods. 659. 40), deren Dedel 
1547 als Jahr des Einbandes aufweiſt. 

Beide Fragmente, doppelipaltig, die Spalte zu je 5 und je 6 Zeilen, 
gehören unmittelbar zu einander umd bilden zufammen einen 11 zeiligen 
Breitendurchſchnitt eines und deſſelben Blattes. Der Inhalt des Ganzen 
beiteht, den 4 Spaltenüberreften entſprechend, in vier Bruchftüden aus 
dem Landredt des Sachſenſpiegels, und zwar im Bereiche vom leg 
ten Artikel (72) des II. Buches bis IIL art. 4, in folgender Weife: 
Spalte a — heiligen bis vnde, II. 72.8.2; Spalte b — tage bis ozu 
gehal[den] II. 72. 98. 4, 5 Domeyer not. 35; Spalte ce — aber bis 
vridebre[cher], III, 1. 88. 1, 2; Spalte d — sint bis vorgeben ader, 
II. 2 am Ende bis 4 $.1. 

Zwifchen den einzelnen Spaltenüberreften fehlen, nach Maßgabe bes 
Erhaltenen, immer etwa 12 Zeilen, folglich zu jeber vollen Spalte oben 
und unten je 6 Zeilen, Mithin find umfere Fragmente gerade ans ber 
Mitte eines Blattes geichnitten, welches 23 Zeilen in der Spalte zählte 
und in Meinem Quart⸗Format bemefjen war. — Der Text ift oberſächſiſch 
und ohne Gloſſe, die Schrift aus dem XIV. Jahrhundert. 

Wir vindicteren auch biefem Bunde feine Bedeutung als Ueberreft einer 
untergegangenen 9. des Sachfenipiegele und als Beweisftüd für deſſen 
Verbreitung im alten Preußen. S—n. 








*) Im Anſchluß an Ro.3 der Handfchriftl. Funde (IT, 376) ift zu bemerten, dab 
die dort erwähnten „mittelalterlichen Heilvorfchriften“ inzwiſchen abermals abgedrudt find: 
Bacher Zwei mediciniſche Recepte, in Haupt's Zeitfhrift Neue Folge I, 381 ff. 1866. 


664 Mittheilungen und Anhang. 
Univerfitäts-Chronit 1866, 


1. Det. Philol. Doctordiſſ. v. Joan. Otto Pfundtner (aus Abichruten bei Gumbinnen): 
Pausanias Periegeta imitator Herodoti. Regimonti Pr. Typis expressa Gumbin- 
nae in aedibus Fr. et Wilh, Krauseneckii (Fr. Krauseneck et fil.) (57 6. 8) 

6. Det. Mathem. Doctordiff. v. Joan. Theod. Meyer (aus Schweidnitz): Me transfor- 
matione funetionum ultraellipticarum. (28 ©. 4.) 

„Aesd. Alb. Rogim. 1868, V.“ Index lectionum ... per biemem anni 1866 a. d. 18. Ocio- 
bris P. P. O. instituendarum. [Prorector Dr. Alb, Wagner, med, et chir. P. 
P. 0.) (15 &. 4) Praefatus est L Frieälsender de pretiis frumentis apud Ro- 
manos, (©. 3.4) 

Verseichniss der... . im Winter-Halbjahre vom 18, Oct. 1866 an zu haltenden Vor- 
lesungen u. der öffentl, academ. Anstalten, (4 BL 4.) 

19. Oct. Philol. Docterbifl. v. Eugen. Rademacher (aus Darlehmen):. Quasstiones de 
wilogia tragica Greecorum. (55 ©. 8.) 3 


Lyceum Hosianum in Braunsberg 1866. 


Index lectionum ... per hiemem a die XV. Oct, ... instituendarum. (h. t. Rector: 
Dr.Laur, Felät, P. P. O.) Brunsbergae typis Heyneanis, (16 ©. 4) [Praecedit 
Dr. Josephi Bender de Henrico Episcopo Warmiensi, qui fuit ante Anselmum, 
commentatio. 6. 3—14.] 


Bibliographie 1865. 
Bortfegung.) 


Migelis, Dr. rof. d. Philof 9 Braundberg), Kirche oder 
nt En. Fan ——— 
q . gt. 

— — ——58 an die Adrefle d. Mainzer Batholiten u des Seminarregens Moufang 
insbefondere. PBraunsberg. Ed. Peter. (32 ©. gr. 8.) As Thlr. 

-— Pe u. Hegel's Verhaltniß zur Naturmif efchat. Ratur u. Offenbarung. 


ei Pflanzenmonftra. [Cbd. Hft.9. 
ne Uebereafimmung ver 4 ein —— Schopfungstage mit d. Ratur unt 
Buegndeeaun der Atomenlehre. 10] 
Renih u. Affe. Edd. Hit. 12. je 
— — Geschichte der Philosophie von Thales bis auf unsere Zeit, In allge- 
faslicher Darstellung. Braunsberg. Ed, Peter. (VIII u. 844 €. gr. 8.) 
1 7 2 © 
Miüler, — Dr. in Kgsbg.), Zum Beſten der Menſchen u. der guten Hunde, 
er —E Big. Ro. 292. Ba 
', Gust., De linguse latinae arm iss, inaug. philol. Leipzig. (Kgabg. 
Schubert & Seidel.) (VII u. 96 ©. gı Yg Zhle. 
Molimjaufie Diebpatiie Iezuje Krtier rtaiveron, Monjuge arba Sultetije.) (Ti, 
Drud dv. J. Repländer.) (1 BL 











Bihfiographle 1865. 666 


Refielmann, Di; 5. &» Ueber den verfiden Ditter Haf. [lnterhaltungen 
d. liter. Fe 


-— Hall, © — Muhammed, der Divan. Aberſ. v. G. 9.8. 
Neſſelmann. a Weidmann. (VII u. 216 ©. Ser, 1 Sr. 

Neumaun, Prof. Dr. Carl, Der gegenwärt. Standpunct der mathemat. Physik, Akadem. 
Antritterede gehalt, in d, Aula d, Univers. Tübingen am 9. Nov. 1865. Tübin- 
ga. Lanpp. (82 ©. gr. 8.) 5 Wir 

— — Das Dirichlet’sche rs in seiner Anwendung auf die Riemann’schen Flä- 
chen, Leips. Teubner. L u. 80 6. ar. 8.) 18 Gar. 

— — Vorlesungen Über Bienen Theorie d. Abel’schen — Mit 102 Holasehn. 
u. 1 lith, Taf. Ebd, (XIV u. 514 ©. gr. 8.) a a 


Fr. Jul. (Reg-Aflefior), Die Geftal tieren Sebensdauet i in Preußen 
it 1816 i Beʒiehun⸗ des 
BE Be en 


de Mar (Docent d. deutsch. Rechtes u. Ce vilprocesses an d, Univers. Bres- 
lau), Geschichte des Wuchers in Dentschland bis sum Jahre 1654. Artikel 1.2. 
(Zeitschr, f. Kirchenrecht hreg, r Dove. Frisdbeg, V.Jahrg. Hfl.1. 6.43-1i4. 





ven Gedichte a 
i P. i 16 © 
Drtfeftr 5‘ icäniß, a Flag Auimene. 9 9 ae der 
—* (172 S. ar. 8.) 


Dftfee.] 
@pel, Ant. v., die DI Küftenläı rapabih 
— —* — — ae 





or. 8.) 1%, Thx. 
nolemelt, Lehrer Hiftorifh:geograpb, Karte vom alten neuen während ber 
” ft des Kr Nitterordend. Mit e, Ueber Fr al me eröbenun 
ea bis ars eG Te Brit. Nah Surf, len entwerfen u gun 
net, Ausg. in mat mit e. Ueberfiht der re ber Erbauung der 
im praben 1 Son, ang. ‚lthogr. An v. Ade —E 
Ar. a. in "si 

_— scher, —— für Cain und gm en BE Sar. 

v. Bel €, Infteuttion Orupenfühee Terrain. Die Zeuermi 
ar —e— — 2. Aufl, Th ee }. € ak 
In m. bei gu Valid.) (89 S: 8.) 

vierfon, Oberl. Dr. William, Geibichte der —* Revolution von 1789, Berlin. 

ann. (130 ©. 16.) 6 


n . 16.) 2 

— — Leitfaden der preuß. Geſchi nebft Gronclogi. u. ftatift. Tabellen. Berlin. 
Beier. (VI u. 176 ©. 8. m. 1 Tab. in qu. 4.) 8 Egr. 

Sineus, Dr., Agriculturhemifhe u. hemiſche unterm ven u. Berfuce, rt bei 
der Iondwirtbib. Kemikd-phufifal. Berjucäftation in nRerburg, IV, Hrög. 
von dem Curatorium. (4. vo ganatabır. d. 5.6. r_Georgine gr 1864,) 
Gumbinnen. Gebr. b. Fr. Kraufened. "a Ir u. — ©. ar. 8.) 

Post, Die, in Königsberg NS Nachrichten f. das mit d, Post-Anstalten in Kbg. i. Pr. 
verkebrende Publikum. Nach amtl. Quellen bearbeitet. Kgsbg. Wilh. Koch. 
«(Gedr. bei H. Hartung.) (62 ©. gr. 8. m. 1 lith. Blan.) a 

er ES Ostpreussen nach amtl. Quellen angefertigt. Kgsbg. Sehr. Moehring. 

a r. 

Powiastki i opowiadania en na Prsyjsciela ladu. 1. 2. Cheimno. Danielewaki, 
(83 u. 8o S. I. 8. & 

Prager, Dr. C. J., das —8 kl Modieioat- Wauen in seiner gegenwärt. Gestalt 
—— tell, Ergänsgs-Heft. Berlin. A. Hirschwald. (XII u. 255 ©. 

8.) 


(9ren a 
I, Bertbolt B , der berühmte Deutſchordens · Comthur, Ober: 
= erde aus She. — [Bericht über das Mufeum di nk 


666 Wittheiungen und Auhang. 
ob ber End. 


©. —* —8 
* Ace en Batltrarie Ber Ih für e Giepermkihe ane'n. erala ver 
t —* Kud. vollftänbiges Liederbuch 
jalını t Ru m ri um 
we je SE Berker. Marie. Pehdetelen. Wil e 80 
ar. a Zhlx. 
Preuss, Lic. Doc. Dr. Ed. Gerh. Loci theologiei itpr. Bonateigr. ! 
Lig. 5-7. Berlin. E (84 I: 1a ©. Arten a3, Khlr. us 
— — — römische Lehre von der unbefleckten Eı aus den Quellen dar- 
u. aus Gottes Wort wide Ebd, (Vu u 284 8. g. 8) 1 Se. 
—E Rect. Fr. Ban, Diener an den Hrn. Lie, Dr. Breuß, Brivatdoc. 
der ev, Theol. an d. en en 2. Aufl. Paderborn. Junfermann. 
(48 6. 8.) 4 Sar. 
IWreufen x, 
Tafe 


jowie ü —— ® et Bien den L Beite-tut 
reußen u. 
tupf om häplich werben. a we Peg (Kır.286. 


ar. m. 7 db. m) eolm. Tal’) 3 Zhte 
@rewingk, C., Das Steinalter der — Liv-, Est- u. Kuriavd u. 
einiger [Schriften 


angrenuenden Landstriche, Dorpat. Gläser. der 
estnisch. Gesellsch. No.4] (119 ©. ar. 8. m. 2 Holzldintaf.) Ya 
Pabet, Oberl. Ed,, Die Volksfeste des Maigrafen in Norddeutschland, Preussen. 
Livland, Dänemark u. Schweden. Ein Beitrag sur Kulturgesch. des ger- 
man, Nordens, Berlin. Mittler u. Sohn in Comm (V u. 92 ©. 87.4) 24 Car. 
Propium. Poloni ct Buslan,aira missee Proprisn frloram i Aaneieram pa- 
i Poloniae et Suscias, item Bussiae, magai ducalus Lithnanac 
SE ducatos Gilesiae, sd normem rniscalis roman sccnmodatae Kempien. 
. (48 €. fol) 21 Sr. 
Hal, Dr. phil. Alb. Qual reram ondiione ordo Tentonieus Pramiam occa- 
Pare incoperit, Dissert, erit, hist. Halis, Saxon. (40 ©. gr. 
Berdh, Heinhold,. Qunestiones de footibus, quibus Diugosius ans sit in com- 
ponenda historis Polonica in ärnlatinen adhibto Ihre deeimo. Dies, 
Zunft Dr Saba, $ı Förde der erften Theilung Bolend. Sreibur 
1, Brot. Dr. ur ung N 
1. Br. Herder. (VIE n. 1 ©. gr. 
Hefebiel, Sn. Birubilges ——E 1701 u. 1861. Bein 1863, 


Hay. (73 S. taf. in Fol. u. ar. Fol.) cart. 8 
ge. ” 
Ve Re a mean & 
# 7e Hof . 
ven \ Gopernicus u. ‚fein a Cine Ex; Thor. E. Set, 





it 8 Kite —5 Tondr.): m om.) vr u 


Ser Guben vie Mbkingigteit: der igus von_ den Gedanke 

Bollfopen u. —— haen In ber Mei, Elpung > — 

—228 era u — a horn am er. — aus 

Der al, mnafatehe, —8 * Selm ar gepe v, Baiern u. 
Gesten, Sn Be ag us Gel iäte De Saale der Hohen. Op Ok 

Maden, E, sur In be —8 scientiique de Ia musique. Analyse des rechuic.en de 
M. Helmbolts, Paris. (22 ©. 8.) 

— — Theorie des battements et des sons rdsultants d’apräs M. Helmholtz. Paris. 
Etienne Giraud. (32 ©. 8.) 

Beichau, Henr., De fontium delectn, quom in —A moribusgue —— — 

Tacitus, Buotomias, jerunt inaug. Kgsbg. (Schu- 

Verk hade) Me Rh 


. Vblogrophie 1868. 667. 


Neinide, Conſiſt. 1 Beligiotät.. Diet 
des ol en — gehalten. [Meftpr. 3 1868. —A 62 a] 
Biehter, Dr. Joh. (Gym.-Lehr. in Rastenburg), Zu den Fälsch: im an 


{N. Jabrbüch. f. Philol. u, Paed. 91. Bd. 5/6. HR. ©.423—426.] 

obig R. A, Seminarlehrer, Regein der deutſch. Spradlene für Eementarſchulen. 

aunäberg. C. Peter in Comm, (82 ©. gr. 8.) Bu 

Mofenhen, De Mar) in Marienburg, Miscellen. 1. Die Di Eine eine Stastsaniakt 

watſchulen oder ft henannte ftitute. 3. Beredtii der Frauen bei ver 
zer — Menſchengeſchlechts. 909. Archiv. Jahra. No.8. ©. — 
-—- len. 1. Der Garten als Erziehungsmittel 2. Kinderfpiele. IEbv. 
u tel, Biere Seile In de rt. [Rorile Re. 
oſenkranz, Kar iberot’3 m 
Gran. 6. Dr 2. Walfopn, 136. ı Dr © 
— — Üeber Diderot’s Theater. [Jahrbuch Fr — —S von Richard 
'osche. Bd. I. Berlin, 1865. gr.8. ©. 99—137. Nachtrag. €. 4 Ri rec. 
Rerkke, 9, 9m Since. Eeliterl. ed Bert. Cum Ger. bei Bil. 
gr Sr. 
Dr. R., Meningitis Sersbrospinali epidemica, ihr Auftreten im Kreise a 
rent in Westpreussen in den Monaten Januar, Februar, Märs u. A, 
nebt eigenen klinischen Beobacht n. Erfahrungen, Neu-Roppin, hmigks 
& Riemschneider. (29 &. gr. 8.) 4 Zhlr. 

Saemann, Hugo, De sectione cacsaren aufn, tm tum m guneritar num matris genus mori- 
endi vim habeat ut foetus vel seotione caesaren in lucem. 
edatur. Diss, inaug. obstetr. — —S—— Beidel.) (25 ©. 4.) 6 Sar. 

Sanio, Dr. Carl, Einige Bemerkungen in Betreff meiner über Gefässbilndelbildung 
geäusserten Ansichten. [Botan. Zeitg. 1865. No. 21—25.] 

Schade, Osc., Altdentsches Lesebuch. Gothisch, altsächsich, alt- u. mittelhochdentsch. 
Mit literar. Nachweisen u. einem Wörterbuche, 2, Theil Altdeutsches Wörter- 
buch. Halle, 1866 (1865). Buchh. d. Waisenhauses. (XVIIT u. 765 ©. gr. 8.) 
Fr Thlr. (cplt. 5a Thle.) 

efferdeden, Dr. » Die WafrBerforgung arıber ——— 
KH er fi Königeberg. Gin Vortrag, gel der Konigl. pboftlalif-lonom. 
gell ——— t. 1865. [Abdr. ae Alpe Tonasiär) Razbg. (Roh) 


Saite, Sir m — anal am ai, elcgete 
Sorteäge Mt eve , ir ad aut die neueften eier Ehen 
Straup) J u u D einem Vorwort Yon ‚Heren General alfuperint 
Dr. } Ye aba Sat u Unzer, (1. Hälfte. 1866 (1865). XVII u. 188 &. 
ar. 8.) 2. Hälfte 1866. 6.159361.) 1%5 Zhlr. 
en © Car. Berah. (aus Braundberg), De Erysipelate, Diss, inaug. med. Berol. 


midt, Poli M., atungs· Ordni die Stabt Königäber 
Bari ine rg Er hen nn ® Grund emil der % 








tanntmadungen. Ngöbg., 1861 (1865). Dr. u. are Harkun (4 €. 8.) 
Söuaafe (. heil. Schrift Dr. u. Dialon 7. St. —e— 3 
tomus u. ei an auf bie en ana ns Bit nad gi 
‚am feiner Amtejı y. Mberreiht fer. gebrudt, 
Zar, Ink HD Mae 6 9 


Dr. Shinbete rn um Aufellumn, 
Einem Unparteitfben. Emiey, Im be 
© — nn 46.9 
jenhauer.) 
v. Dettingen, Schopenhauer'3 Philoſophie in ihrer or für chriſtl. Apo · 
logetit Ziſcht. f. Theol. u. Kirche. 7. Dvd. 4 Sft) 
Pawlicki, Stepb. (aus Danzig), De —* jaueri Fraser et —E ra 
tione, Diss, inaug. Vratisl, (76 ©. 8.) 
& de ——— & l’esprit de la philosophie de Sehopenbauer. Darm- 


von Kan al rat ve 


stadt, Zernin. 





668 Wittheiluhgen und Anhang. 


Schroeder (Dr., i i 1 
Dr, ae al | az Ahern), Broden. Dritte Mittheilung. (Eulm, Gedt. u 


zu babı 
Statistische des Culmer Kreises für d. Jahr 1864 mi it 
ya dem Kgl. —e— v. Bchroetter. Culm, Selbstverlag. en 
Danielewski. (XIII u. 251 ©. gr. 8. u. Anlage A-D.) 
ein für die Glementar-Eculen der Provinz n, vd. 11. Dejbr. 1845. 
Nebft den diefelbe erläut. u. ergänz. Verordnungen x. des Kal. Minifter. u. der 
Kal. Regierungen zu Marienwerber, Danzig, Kosba u. Gumbinn. 4. verm. Aufl. 
Etrasburg. Köhler. (IV u. 121 ©. ar. 8) 6 
Sehuls, Car. Jul. (aus au, De Phnchiidis pathogenesi, aetiologis, therapia. Diss. 
Ga Bene, Sie Grhmen na ie Blauen ober die preußiiben Blutyeugen 
julz, Deint. (Literat), Die u. bie 13 pi 
Bramatiihes Dem in 3 Auf; ‚Selbftverl. Genzburg. Cenudt ber ©. 
3 (2 BL. u. 149 €. 12.) ıbferiptionäpreis 10 Sar. 
ni €. (Brof. in a), De Danzig I feine, Bauwerle in Driginal-Rabirungen 


it etrif 1 beftebend in 6 Bl. Rı 
Fr EB — ae Fe; 0. & y le 5 Ser. (@ie vorausgegangenen 
50 1. — 9 le. 


Eelsircisements sur 1a Ortigue de la raison pure &’Emm. Kant, par 
J. Schulze, prödicateur anlique da roi de Prusse, nit de Tallemand par 
3 Tiagot, profesar de philosophie, doyen de 1a Facalt6 des Ittres de Dion. 


Paris. 
ee J— Martha u. Maria. Lebensbilder nad 
ei 6 5 J erthes ee en 
Say, Gutachten darüber, ob u. unter welchen Modalitäten bei der oärfigen 
3c$ tntbenshl Se Serellng dner Waflrehung cus kafiden Witeln 
dem Projelte des Stadt-B auch Sartel ieri burhführbar if. Ngabr. 

Gebr. in b. Bihmerie, joruderei. (12 ©. 
ben, Dr. Su Die fettige Degeneration | = ende Bd Xhierlörpers, ind: 
jond. auc die der Musleln u. namentl. ch-ana⸗ 
lomiſche dorm der akuten und droniicen Seinen br —X organifehe und uns 


HS Aare © Beonira Paeuben. (Bande 
_ — "Ueber — 
— — 2] ’ “ 


. Big. d. Brov. Te 
— — leber d. acgenwärt. Stand ber —A den Trichinen. IEbd. 12—14] 
— — Das verbeflerte romiſche od. iriſche Bad Te. 2. 
— — lleber die Cigenſchaften eines guten Trink: und Kochwaſſers. [Cbd. “4,0 


Periodiſche Literatur (1866). 
(©. —— INES erg d FR what BR 


Grünberg m. beien M. Pilati, Statiftiih. 
Runde, 1 Bao, >: men En » — Mi ki. Weg ! Säle, En 
. d. . 
ae * BB 7 —* Gar hi ale, v „ot N Dick. Dem. Pe 
elöner, ır Geſch. ig. Krieges v Sort) 
v hang. Ameiſenſchwarme in au. 8 Fu 


Beruf Mannſe wahrend des legten Krieges für Weſtyr. der Magdeb. 
3 X Ber Kal Lat, 16 Ihnen bern 48 tar — Red. 
342 |,, 181_fcm. verw., 90 tobt, 117 verm. i n 

466 1, 256 ſchw. verw., 188 tod, 172 verm. [Dan Stg. 3878.) 





Verioptiäe Sieratur (1866). 689 


Get at ve Bi va — en geraten den Ace 
„! rau. ae el 


Ueb. oe —— hen d. Krieges in Bohm. 
u. Sad. ( otgen aus en, — 62. cd. 66. 
Beriök üb. d. Zeier d. glüdt. Heimtehr d. Sieger in Danzig i im Artushof 21. Septbr. 


PR Burge u. Stbteeigugen im Rlran m 

». Eohaufen, Li urgeu ai im 

in Sreußen,. 1. Ginleig. Urbeekigg. Im in Breuben, — 
NRingm: oenenbeng bei Germau). — Er (Kamswiten mit d. 
Burg Q Caminiswite bei m] — Ballewona, 3 bei Schippen · 
beil. — Waiftote-il (Shippenbei — Reuband, b. . — Benz ob. Lenzke 
(Cenzburg) — Baiga (Honeda) Zandmehren ( . . . Gertin*) (Bertaun:Wehrzaun) 
zwilc. Locſtett u. rose vom —8 a) Bier. ſ. ch. 
Geld u. Sandest. LAN 8. 

Lippe, Einſt Graf, Sagen aus dem Berei Ritter d. diic. Dei, [Wochenblatt 


% in ungen üb. c. Gebgekdäh Beier 2 eh hen, 1851. (Ur 
uf en des Deutſchorde Den 1361, (Ur: 
Mzbundenbuh d. Stadt Lübed, 3. Theil, er in. ‚Abe 1865. 4. 
E nr ef. Btichr. f. pr. Geih. u. paf. brög. v. Foß. Yase, 10. Hft. ©. 654, 
Dudil, Dr. B. 0. 8. B,, Ver M jr Ataoı, nach |. neueft. Beftimmungen, [I 
Revue. 4. Jabra. 1866. B. 
Bor 400 Jahren. (Weberfiht ber Ga . Aha d. Stdte und des Landadels vom 
alten, d. preuß. StädtebundsSrieges biß 3. Sem Fried. 1866 d. 19, Oftob. [M. 
ib. Unzeiger. 244. 246, 257. (aus d. Sp. 
Eine Gpifode aus d. —— Deſch. der Se Di Fa v —X [EI —V— 





——— — [£ Pr 238 —* af. 319.1 

». Dambrowält, die Polen 1 in — — 

—— —— Sum Milde Si ee een 

au CR Sr GE De SE m 
Namslau in Shlel. (of. Altpr. Ditsichr. fi Ey 668) a 


Gesellsch. f. vaterl. Cultur. Breslau. 1866. &. 104—109.] 
An, ber, Se, 9 Rulturoerfudhe in unferer Provinz. [&ds u. förſtw. Big. der Provinz 
IT 
Bed den. me — Re Zuf Ian (u 1866) v. deld u Bieh in ber Brovinz 
Are 


4 
Dr RR in Beldau, die Inhnichfä. Sorlihgefäulen. [D. Boltsfgut, 
Gröffnumgsfeier "der DI . Sizede Apsbg Bartenfein. 29. Sen, 
Sie —R —* * —8 Stg. 229. (wieder abgedt. Oftpr. Big. 225)] 
Zar, nad m. das FC d. —— d. fatal, am oberländ. Kanal 
3. entricht. it; Bade —SeS d en tebl 44.) 
——— eihfel-Haff-Kanal erlafien. — Hangfahrt:Drbnung für denſ. 


töbl. 
Aus der tofoll v . Directoren:Gonfe in d. Zrov. en vom 

en, Aloe) iur. Ueb. ou ala Kechee zu Pd * ae der 
Realih. Padag. Archiv. —— VII. Ro. 8. 6.598624. 


— A ProvinzialsZurnverbands zu Dirſchau W Detbr. [[Danz. Ste. 
Biel) | in —XRX Ueber maſur. Vollsſchriftſtellerei im Dienſte d. evang. Kirche. IEv. 
mgen Pr] Mofuren. [Rgtbe. N. Stg. 234-1, 48.] 







©) Im der Bilghanfen Gegend „bie Garbine” gensuzt, 


er0o ittheihmgen und Anhang. 

Aberglaube s — 4 md, w urepa 42. 

M.5.% Kr ? —S——— ia, Bel u er ? 

Grimerung "nn Braun fairen. v. I le 72. def 7, 

i Bei] 

R [Bftpr. Ztg. 252.1 

! pt. (gegründ. * Sept. 1698, 
de 1688 v. ulte 


3. Dan Banana) 
Fr aET, Benebentel —8 


Br. nad archivaliſch. 
sihr, TIL. 6.671.) 
. Reformation. [Kath. 


. 39. ac 
" [RaBbg. — Ste. 


a 8 * 
. Gem Or en Lage Bände dt a SE on 


Ein Isa (bei Baurath Steende, nee 


m. SER Bernhard, Sachſ. zu Dam 
1692.) Be DR. —— 1A Eu u hole. ri 
ft. Dresd. 1866. 6.5668. 


Dr. & era din — Zur Crinnerg. an Sorowsti. [Eo. Gmbbl, 41.) 
si —— hnin-Dit Prof. Dr. Engeibardt in Danzig 2. Juli. 
— Da, Emtan Big, u.» au — 


ivleben. 
— d — Tüntbttg. 1, It. 


ey Iop. ent an ME. Bet: 
— e, Bi She. u eh, —S 


—9 
— rip tbbGym. in Kasbg 
. Gym. pro 1866.) [Grunert's Arch. d. 
tar. Ber. CLKXIX. €. 1-2] 
orh, in Kgöbg.), Dr. Conrad Ra; Ein 
1%, fomie b.Bchre u fogen. sehe. genthum. 


I &ötter Joh Bopve Ber d, Une 
L) 
see inte Ve, ve Beinreid iu Drude er 


Dany. Archivs benugt.) [Jchr: 
Pr —* —— — —— 
—— Dani 3. en (im 


Bet RT x Gm Sambia. kn —*8 — 


Rarienwerdei 


Angcigen. 871 


1861 th. . . . Die Uı 8 . als Dr. 
A en [Ban. — eg —— u 
Erinnerung an e. lieben —— —E ıd. Carl Mi aus Nur 


il bei Bi im Rrase Hin. [@. 
Gaston. um. scheu (are Behanien 3 Def I 


Sänipe).] 
«u — ker [Ebo. 48. 
Es N 
Ern Sa » Tran im utbltg. 


Anzeigen. 
Einladung zur ‚Pränumeration 
Geſchichte der Duden in Mönigsberg i. Pr. 


nach archivaliſchen Quellen bearbeitet 
von 


Dr. G. Jolowig. 
Ein Beitrag zur Gittengefchichte des preußiſchen Staates 


Der Berfafier hat bei Bearbeitung dieſes Buches, außer einer großen Menge ne: 
dructer Werke und Urkunden, noch beſonders ſammtliche Judenalten der hiefigen ftäbtis 
ſchen und Königlichen Behörden benugt und giebt eine umſtändliche, moͤglichſt vollftänbige 
Darftellung der Außern und innern Geſchichte ver Juden Konigsbergs von ihrer erften 
Anfiedelung im heutigen Oftpreußen bis ans die Gegenwart. Das Bush ift von keinem 
Barteiftandpuntte aus, daher auch für feine befonvere Partei geſchrieben. Sämmtlihe 
Thatſachen find den Quellen gemäß erzählt; ihr Urfprung und ihre weitere Entwidelung 
werben aus dem je zeitweiligen Culturzuſtande der Provinz, Stabt und des Gefammt: 
ftaates erflärt und das Ganze bildet einen nicht unwichtigen Theil der reichhaltigen Son · 
dergefchichte der Hauptftabt Altpreußens. Sehr viele neue, biäher unbelannt gebfiebene 
Xhatfachen liefern werthvolle Beiträge zur Geſchichte des ftäbtifchen Handelö, des Verhalt ⸗ 
niffes der ſtadtiſchen zu den Staatöbehörben u. |. w. Andere beleuchten in eigentham ⸗ 
licher Weife manche Partieen der örtlichen religiöfen, Raatöbürgerlichen, geieliceitlihen 
und literartihen Zuftände, während wieder andere vielerlei Stoff liefern zum Nutzen der 
Statiftit, der Vollswirthſchaſtslehte und der Charakteriftit geiftig hervorragender Perſo⸗ 
men. Dabei werben felbftverftändlih die widtigften Preuß. Judengefebe von 14. Jahrbun · 
dert an bis auf die neueite Zeit in Erörterung gezogen, Lebensſtizzen von Männern wie 
David Friedlander, Medizinalrath Jeſeph Hirſch, Dr. L. Jacobion, Dr. Francolm, 
Dr. Johann Jacoby, Dr. Gaalidüg, Dr. Koſch, Dr. Fallfon u. a. m. gegeben, die Ente 
Hebung und almäfige Gntwidelung bes Gemeinbeweiens, ber jadiſchen Mopithäsigleits- 
inftitute, des deutſchen Gotteäbienftes beſprochen, woran fi eine Reihe von Beilagen 
und eine ftatiftifche Tafel über die Vermehrung der Juden anſchließen. Das Bud wird 
16 bis 18 Drudbogen umfafien und ift der Preis für Bränumeranden auf Ginen Thaler 
feitgefeßt, während der fpätere Sabenpreis 1 Xhlr. 15 Gr. fein wird. 


sro Witthelkmgen und Anhang. 


Aber, aus Mafuren. (Aus Zen Auffag im d. Mipr. Mtsihe.) (Europa 42.) 
u Beil. zu 287—289. 
rn, —— I 5 ie, mb. sr BI. 7. 72. (ef. ) 7. 


Die Braunsber Stanfreibeit, Eko. 61.) 
Die tath. böh. Abhenfdnle in Birannäberg. I&bo. 72 ( Gl. 
gie sid genwart u. Zufunft in Sanig item. 252] 
Gegen 5 — mſes im 1 ao ae 29. Sept. 16%, 
erzieht gan. Bi aa — ER 


ng 
u. Jan sen Senn). (Dam. 38 
Returf, Bell. Di 8 en rtrag d. jebeutel üb. 
Ya m y Me fg 3, Shoe eb ha durch RR . geognoft. 


IC d te lich. Quel 
ESSEN UERRnENE 
— Bi a a 1 EN Br —— formation, 

euerwel ju i. 
Di Zu mel Als ver Betgonäle bel. Alfhhife Res. a Sartge It. 


* mi ln Se nee Di Sata im — — — E 
Sb en ee ne an 
genleg. er . fer: 
—— — 
a Il "bon —— ee. (Dee Si — 
ud 
Ein in ai en Baurath Steende, Erbauer des oberländ. Kanal.) [M. Elb. 


Ke if 1621. 
* 75 SEP SE Pair u Anna 


— din — Sun — on u [&o. Gmbbl. 41.] 
Brof. Dr, Engelhardt in Danzig 2. Juli. 


— des Geh. Ganit.R. Dr. Fiſcher. Dir. d. Rgl, Hebammen: 
et — * er at 0 2 r 50, 61] 

, jemoieı meinem 
Ba nnerang am Sof, Dr —* En a ni. I. 


our. Bea, va 2 Joh. Ernp Silb. Hart: 


vu “ . 245. (Beit)] 
E. 8. Em ftilles ©elehrtenleben. ER A & ker. u. — im Afzonom, 
‚(Runde 
—— nal M Sty Gymm, in eebe 
—X a re dl De ne ee art 


Saar 


Math. u, Phys. 45. Th, 8. HA. Literar. Ber. CLXXIX. ©. 1—2.] 
Brof. Dr. The I: —— Ra; En 
Beitrag 5. Yo. fogen, geiftig. Cigenthum. 
{{ a 0 bis zu ſeinem Tode 1546 
as Smb — Brof, d. Univerl. zu 
—— bi bei Weinreich im Drude er 
ke _ Yanz. Stoß benugt.) [Jahts 
Das ao 1 in Deig 32. Sant. (m 
79, Sehens alt zu Senkan, fhub, in Rosie; 
1818 frein —— 
; 109 Ber, 


} 





Üngigen. 871 


1861 tat... Die Hninert, Raabe, Dr. 
An ai. (Ban. Ste. 384 —— a ui 
Grinnerung an e. lieben Seen — 
milslo bei Bialla in —— ar rn, aus du 
ee 3 m d „ Ton 2 un 


ei). ug. Ed. Deferrei. 
Die Kart a A Er Ang. 1866. — n. te Si I. a) Br. hs. 
Ent FE ide, Kailer ai AS „ in 5 Aften. Ych 3-8, (autitte. 


Anzeigen. 
Einladung zur Pränumeration 


Geſchichte der Inden in Monig⸗berg i. Ir. 


nach archivaliſchen Quellen bearbeitet 
von 


Dr. G. Jolowig,. 
Ein Beitrag zur Gittengefchichte des preußiſchen Staates, 


Der Berfafier hat bei Bearbeitung dieſes Buches außer einer großen Menge ne: 
drudter Werke und Urkunden, noch befonders ſammiliche Judenalten des biefigen ſtadti⸗ 
ſchen und Königlichen Behörden benugt und giebt eine umſtändliche, möglihft vollftänbige 
Darftellung der äußern und innern Geſchichte der Juden Konigsbergs von ihrer erften 
Unfiedelung im heutigen Oftpreußen bis and die Gegenwart. Das Bush ift von keinem 
Barteiftandpuntte aus, daher auch für feine befonvere Partei geſchrieben. Sämmtlihe 
Thatſachen find den Quellen gemäß erzählt; ihr Urfprung und ihre weitere Entwicelung 
werben aus bem je zeitweiligen Culturzuftande der Provinz, Stadt und des Gefammts 
ftaates erflärt und das Ganze bildet einen nicht unwichtigen Theil der reichhaltigen Sons 
dergeſchichte ver Hauptftant Altpreußens. Sehr viele neue, bisher unbelannt gebliebene 
Xhatfachen liefern wertvolle Beiträge zur Geſchichte des ſtadtiſchen Handels, des Verhalt ⸗ 
nifies der ftäbtifhen zu den Staatsbehörden u. |. m. Andere beleuchten in eigenthum ⸗ 
licher Weife manche Partieen der örtlichen religidfen, ftaatäbürgexlichen, geiellichafttichen 
und literariſchen Zuftände, während wieder andere vielerlei Stoff liefern zum Nupen der 
Statiftil, der Vollswirthſchaftslehre und ber Charateriftit geiftig hervorragender Perſo⸗ 
nen. Dabei werben felbftverftändlid die wichtigſten Preuß. Jubengefepe von 14. Jahrhun . 
dert an bi auf die neueſte Zeit in Erörterung gezogen, Lebensſtizzen von Männern wie 
David Friedlander, Medizinalrath Joſeph Hirſch, Dr. 2. acobfon, Dr. Francolm, 
Dr. Johann Jacoby, Dr. Gaalfhüg, Dr. Koſch, Dr. Zallfon m. a. m. gegeben, die Ente 
ſtehung und allmalige Entwidelung des Gemeindeweiens, der jadiſchen 
inftitute, des deutfchen Gotteadienſies beſprochen, woran ſich eine — von Beilag 
und eine ftatiftifche Tafel über die Vermehrung der Juden anfchließen. hu! wird 
16 bis 18 Drudbogen umfafien und ift der Preis für Pranumeranden auf Ginen Ipaler 
feftgefeßt, während der fpätere Ladenpreis 1 Thle. 16 Egr. fein wird. 


672 Amgeigen. 
Publicandum. 


Die Oftpreubiiche landwirthſchaftliche Gentralftelle feht einen Breis von 200.Xhlrn. 
für das beite, zum Gebrauch für landwirthſchaftliche Fortbildungsſchulen geei-:ete land: 
wirtbichaftliche Lehrbuch aus. Dafielbe foll eine auf wiſſenſchaftlichen Brundfägen bafırte, 
jedoch populaire Darftellung der Landwirthſchaftslehre geben und dabei auf die Verhält: 
niſſe biefiger Provinz befondere Rüdficht nehmen. Es wird gewunſcht, daß bie beiref: 
fende Schrift fih außer zum Leitfaden in Fortbildungsihulen auch zum Lehrbuch und 
prattiſchen Ratbgeber für bäuerlihe Wirthe eigne. Den Preiäbewerbern wird in Bezug 
auf die Art, in welder fie die geftellte Aufgabe löfen wollen, keine beftimmte Bor 
ſchrift gemacht, nur dürfen die Goncurrenzarbeiten den Umfang von 12 Drudbogen nicht 


überfteigen. 

Die Vreisbewerber haben ihre Sähriften, mit einem Motto verfehen, bis fpäteflens 

ult, December 1867 bei dem Generalfectetarint der Oftyreuß. landwirthſch. Gentzalfiele 

Jeder Schrift ift ein verfiegeltes Schreiben beizufügen, welches als Auf: 
ſchrift das nämliche Motto, wie die zugehörige Arbeit, und im Innern den Namen und 
Wohnort des Verfaſſers enthält. 

Findet ſich unter den eingeſandten Schriften nach dem Urtheil der Preisrichter keine 
ihrem Zwed entſprechende, fo wir bie ausgeſette Prämie überhaupt nicht ertheilt. 

Die gekrönte Schrift bleibt zwar Cigentbum des Derfafierd, doch iſt Lehterer ver⸗ 
pflichtet, dieſelbe fpäteftens binnen Jabresfriſt nach erfolgter Preisertheilung im Drud 
erſcheinen zu laſſen, unb ſich über den buchhändleriihen Preis des Wertes worher mit 
dem Vorftande der Oftpreuß. landwirthſch. Gentralftelle zu vereinbaren. Giebt ver Ber 
faffer die Schrift binnen genannter Friſt nicht heraus, fo geht daB literariſche Cigenthum 
verfelben auf die Eentralftelle über. 

Die Begleitipreiben der nicht mit dem Preiſe gefrönten Concurtenzſchriften bleiben 
uneröffnet und ftehen nebft den zugehörigen Arbeiten ihren Berfaffern zur Dispofition. 

Nönigsberg, den 28. Oftober 1866. 

Die Oftprenp. Iandwirtbfd. Eentralftelle. 
A. Riter-Schreitladen. Hausburg. 


Worftehender Aufruf ift von ber, vom Verwaltungsrath erwählten Commilfion, be 
ſtehend aus den Borftandsmitgliedern der Gentralftelle und den Hrn. Deconomie-Rath 
Bagener-Walbau, Dr. Frhrn. v. d. Golg-Waldau und Director Wollermann 
Spitinas vereinbart worden. 


Beritigungen. 

Jahrg. 11. Hft. 7. 6.654, Zeile 7 u. 8 v. ob. (bie Gnreime, des 2. Sprichworts) ftatt 
„obemeyen“ und Bi lies und 

». ob (Signatur des “Danziger nathéeditts) fitt „XV. 


Aberglauben ans lafuren. 
Mitgetheilt von 
Dr. M. Zöppen. 
Gqhluß. 


4, Aberglauben, welcher ſich an verſchiedene Jebensverhältniſſe knüpft. 


Gleich bei der Geburt wird das Leben des Menſchen von dunlelu, 
geheimnifvollen Mächten bebroht ober begünftigt. Der am Sonntag ger 
borene wirb mit fchönen Gaben, aber auch mit ver Fähigkeit ausgeftattet, 
Geifter zu fehen. Die Geburt am Dienftage ſchließt bie Präbeftination 
zur Spigbüberei, bie am Sonnabende zur Heuchelei und Lüfternheit in ſich. 
Geburt am Freitage mit der Taufe am Sonntage hat dieſelbe Folge, wie 
die Geburt am Eonntage. (ſtrolczyk im Evang. Gemeinbeblatte.) 

Mannigfahe Gefahren bedrohen gleich bie erſten Stunden bes neu⸗ 
gebornen Kindes. Noch treiben die Kobolde ihr tüdifches Wefen, die oft 
Menſchenkinder rauben und Wechfelbälge an deren Stelle legen. Den 
Katzen ift nie zu trauen. Der böfe Blid kann das Kind für fein ganzes 
Leben ungfüdlih machen. Früher follen Donnerleile ala Amnletten ge 
braucht fein. Gegenwärtig ift das Hauptmittel der Stahl, den man in 
bie Wiege legt, body braucht man auch filberne Mebaillen, Ringe, Gold 
münzen und rothe Bändchen, ober man legt dem Kinde ein Gefangbud 
unter den Kopf, (Hintz S. 76. Krolczyk a. a. DO.) Fremden zeigt man 
den Neugebornen gar nicht. 

Der Stahl wird nicht eher von dem Kinde entfernt, als bis es ger 
tanft iſt. (Willenberg.) 

Die Taufe dee Kindes wird auf das Aeußerſte beſchlennigt, damit es 


nicht der Tenfel in feine Klauen bekomme und tm Falle eines de Todes 
Atze, Monstöfgeift Bd. ITT. HN. 8. 


674 Aberalauben aus Mafuren 


unter dem Zaune begraben werben muß. Stirbt ein Kind vor ber Taufe, 
fo wirb es während ber Feierſtunde beerbigt. Im ben Tagen zwifchen der 
Geburt und der Taufe darf in dem Haufe nicht gefponnen werben. Auch 
hütet man fich in biefer Zeit etwas auszuleihen, das Kind Lönnte, ermad- 
fen, zu freigebig werben. Ja bie Wöchnerin darf ihr Kind, foll es ge 
beihen, nicht eher ftillen, als bis es getauft if, (Hartg. Ztg. 1866. Ro. 8.) 

Hier und ba fommt es vor, daß bem Neugebornen, ſobald er zur 
Welt fommt, von den Eltern ſogleich der Name gegeben wird, ber auf 
nicht mehr geändert werben barf. (Hintz S. 74.) Wo dies nicht geſchieht, 
hütet man ſich wohl bie gewählten Namen vor ber Taufe befaunt werden 
zu laſſen. Sie werben von Yebermann in tiefem Geheimniß gehalten und 
auch dem Pfarrer erfi in ber Kirche befannt gemacht, damit das Kind 
nicht die Anlage zur Gefchwägigfeit auf feinen Lebensweg miterhalte. 
(Bgl. Hing ©. 81, Aumerl. 8.) Auf die Wahl des Namens kommt viel 
an; flirbt ein Kind oder flerben gar mehrere frühe weg, fo war wohl der 
unglüdlich gewählte Name baran Schuld. Man ift bei ver nächſten Taufe 
vorfichtiger und wählt oft, um ganz ficher zu gehen, die Namen Adam 
und Eva. (Krolczhk a. a. O. Hintz ©. 78.) 

Auch von der Perfon und dem Verhalten der Pathen Hängt das 
Wohlergehn des Kindes ab. Dan muß darauf Bedacht nehmen, reinliche 
Pathen zu wählen, und dieſe müfen fi) fo einrichten, daß fie, wenn fie 
ihren Kirchenanzug zum Pathenftande angelegt haben, vor bemfelben fein 
Bebürfniß mehr zu befriebigen Haben, damit das Kind nicht Windeln imd 
Betten verunzeinige. (Wallendorf.) Eltern, deren Rinder frühzeitig ſter⸗ 
ben, pflegen Hofpitaliten zu Pathen zu bitten, bamit bie nody zu Tanfenben 
am Leben bleiben. (Hing S. 77.) Der Pathe darf feine Gedanken wäh 
rend der Taufhandlung von biefer nicht abwenden; fchweifen feine Gedan⸗ 
ten umher, fo Tann dieſes dem Täufling großen Schaden bringen; benft 
er z. B. an die Mar oder an ben Werwolf, fo erhält das Kind die Na 
iur der Mar oder des Werwolfs. (Hohenſtein.) Das Pathengeſchenl 
das immer in Gelb beftcht, wird flets zu Haufe dem Rinde übergeben; 
es muß Silbergeld fein, anderes würde ihm ben größten Schaden bringen. 
(Dartg. Big. 1866. N0.8.) Mit dem Pathengelde zugleich widelt man 
getn and) einige Krämden Brob ein, bamit das Kind dereinſt nicht Mangel 





dom Dr. M. Zöppen. vr 


feiben barf. Einem Madchen legt man auch gern eine Nähnabel bei, dã⸗ 
mit daſſelbe einft fleißig werbe, einem Knaben eine angefchnittene Feder 
von einem Kanarienvogel, damit er ein guter Schreiber werde, und ander 
res bergleichen. (Wallendorf.) Nothwendig tft babei jedoch, daß der 
Bathe das Geld zum Pathengefchent nicht borge, damit der Täufling nicht 
einft in Schulden flede, (Hohenftein.) 

Die Taufhandlung darf bei Kindern, welche Sonntag geboren find, 
nicht am Sonntag vorgenommen werben, weil fie dann bie gefährliche 
Gabe erhalten würden, Geifter zu fehen. (Wallendorf.) Die Eltern find 
bet ber Taufe nicht gern zugegen. (Krolczyk a. a. O.) Der Kräfte des 
Stahles kann der Säugling nie, auch während ber Taufhandlung nicht 
entbehren. Iſt man im Begriff den Täufling nach der Kirche zu bringen, 
fo nimmt bie Hebamme eine Axt, legt brei glühenbe Kohlen daranf und 
fhreitet mit dem Kinde barüber Hinweg; bies ift das befle Schugmittel 
gegen alles Böſe (Hartg. Ztg. 1866. No. 8.); doch iſt etwas Stahl auch 
in den Windeln verpadt, ober wird gelegentlich dem Kinde auf die Augen 
gelegt, (Wallendorf.) Wenn man das Kind zur Kirche bringt, fagt die 
Hebamme dreimal: „Ic nehme einen Heiden mit und bringe Euch einer 
Chriſten zuräd,” (Hohenftein.) Es wird forgfältig vermieden, daß Knaben 
und Mädchen mit bemfelben Waſſer getauft werben: benn wird ein Mäd⸗ 
Gen nach einem Knaben mit demfelben Wafler getauft, fo befommt dass 
ſelbe einen Bart; das Gegentheil tritt beim Knaben ein, wenn derſelbe 
nah dem Mädchen getauft wird. (Hing ©. 81. Hartg. Big. a. a. O.) 
Wenn das Kind über der Taufe fehreit, muß man es nicht u font 
wird es ein Kleiderreißer. (RI. Jerutten.) 

Mm Häufern, wo bie Rinber wegfterben, reicht man, wenn es zur 
Taufe geht oder nad) ber Rückehr ans der Kirche, ben Tänfling durch 
das enter. (Hohenflein.) If man aus der Kirche wieder nach Haufe 
gelommen, fo trägt man das getaufte Kind breimal um den Tiſch; thut 
man das nicht, fo flerben dem Mädchen (vefp. ber Frau) einft bie Män« 
ner und fle wird durch Erbſchaft reich; umgekehrt geht es einft dem Kia 
ben, Läuft man aber damit zur Mutter, fo lernt es bald gehen. Häufig 
wirft man, von der Taufe kommend, ein Gelbfiäd in einen Teller, nes 


das gute Hören bes Getanften und kunftiges leichtes Lernen zur Ball Hat, 
43° 


676 Aberglauben aus Mafuren 


Die erfte auf dem Kopf bes Kindes gefundene Sans genießt die Auszeich 
nung in einen Keffel geworfen zu werben und bort zu flerben; verurſacht 
die Manipulation des Tödtens einen hellen Knall, fo wird der Menſch 
ein tüchtiger Sänger. (Hartg. tg. a. a. O.) 

Das Entwöhnen des Kindes muß zn guter Zeit geſchehen. Es bari 
nicht geſchehen, wenn die Vögel fortfliegen, fonft läuft das Kinb fort und 
hat feine Ruhe; auch nicht, wenn Henfchober gemacht werben, fonft läuft 
es fort und verftedt fih. Es muß unter einem guten himmliſchen Zeichen 
geſchehen. (Wallendorf.) 

Man entwöhnt die Kinder, wenn bie Zugvögel ſich einfinden; wenn 
das gefchieht, fo haben die Mädchen einft viele Anbeter, die jungen Lente 
find bei den Mädchen beliebt. Wenn es beim Abzug ber Vögel gefhieht, 
fo haben bie Kinder feine Stätigleit. (Hohenftein.) " 

Man entwöhnt die Kinder gern um Mitternacht; bann ruht allee in 
fügen Schlummer und das Kind wird gebeihen. (Hohenſtein.) 

Man barf über ein Kind micht fortfteigen, fonft wächft es nicht. Dod 
heben Kinder manchmal leichtſinnig ben Fuß über daliegende kleinere und 
ſagen dabei: „Glieder wachſt nicht.“ (Wallendorf.) 

Die Fibel wird dem heranwachſenden Kinde in der Regel von dem 
Pathengelde gelauft. (Wallenborf,) 

Die Hochzeitsgebräuche der Maſuren in den öſtlichen Gegenden 
find mir ausflihrlicher geſchildert von einem Manne, der dort früher Lehrer 
gewefen war, zuletzt aber ſich in Kurken bei Hohenftein aufhielt, und fo 
Gelegenheit fand, das Abweichende Hier und bort genan anfzufaſſen (bem 
vor Kurzem · verftorbenen Heren Bercio). Ich gebe Hier zumächft feine 
Schilderung, um bann einzelne abergläubifche Gebräuche nachfolgen zu laſſen. 

Der Brautwerber, ein Altlicher, zuverläffiger, anftänbiger Mann, zer 
tet eines Sonntags mit einem Kohlkopfe — die Werbungen finden mei 
ſtens im Herbfte Patt --- nad) dem Haufe, wo die Brantwerhung flat 
finden ſoll. Er läßt denfelden von feinem Pferde oder Ochſen anfeeflen, 
teitt daun in das Haus, Inüpft nad) ber Begrüßung ein Gefpräch am, zeigt 
im Laufe deffelben den beſchädigten Kohlkopf vor und ſpricht: Es iſt eine 
Biege, ein Reh, im unferem Garten gewefen, es ift eine Befchäbigung an 
bem Kohllopf vorgelommen, nun Habe ich gefpärt bis hieher umb will das 





von Dr. M. Töppen. 677 


Reh fehen. Wenn er das gefprochen Hat, weiß man fon, um was es 
fi Handelt. Das betreffende Mädchen (weiches übrigens feiner Zeit dem 
Brautwerber ein neues Hemde zu fHenten pflegt), läuft weg auf die Sucht, 
wirft fi in Staat und wirb dann hervorgeholt. Auch mit ihr unterhält 
fi} der Brautwerber über die Beſchädigung bes Kohllopfs. Sodann be 
fpricht er mit ben Eltern (denn bie Mädchen haben barin fein Wort) feine 
Ingelegenheit direct. Wenn ihm bie Eltern Hoffnung geben, kommt er 
über acht Tage mit dem Bräutigam wieber. Da wirb benn nun bie 
Verlobung, Ansftattung und Aufbietung verabrebet und ift die Aufbietung 
erft erfolgt, dann geht die Verlobung nicht leicht amseinander. Sonntag 
vor ber Hochzeit müffen bie Brautleute communiciren, bie Braut mit dem 
Kranze geſchmückt, daß jeber gleich fehen Tann, daß es eine Braut iſt. 
Yebe Hochzeit wird in ben Gegenben bei Oletzko, Lyck ıc. am Freitag ger 
feiert; (in Kuren an der 'ermelänbifchen Grenze, wo man die katholiſchen 
Faſten mit beobachtet oder berüdfichtigt, ift dies nicht ver Fall). Die 
Einladung erfolgt am Senntag vorher, Die Freunde und Nachbarn aus 
demfelben Dorfe werben burch einen proszek (Bitter, Einlader), die aus⸗ 
wärtigen burch einen ober zwei Plagmeifter eingelaben. Der erftere ift 
in der Megel ein Angehöriger ber Familie, oft ein Iuflmann berfelben, 
und macht fein Gefchäft zu Fuß gehend ab. Der Plagmeifter ift ein 
jüngerer Mann, welcher mit Bändern reich gepußt Herumreitet um feine 
Einladungen in ben benachbarten Dörfern zu beforgen. Gegen 10 Uhr 
Vormittags verfammeln ſich die Gäfte in dem Hochzeitshauſe, wo fie mit 
Mufit empfangen werden und bie Plagmeifter ihnen mit Bier entgegen 
kommen. Wenn fie verfommelt find, wirb ein Meines Frühftüd, meiftens 
ans Wurſt beſtehend, gegeben, und bann hat der Ortslehrer an bie Brant 
eine Rede zu halten (dies gefchieht im Ermelande, fowie in den nächſtge⸗ 
legenen Gegenden Mafurens z. B. in Kurken durch den Plagmeifter), auch 
werben einige Lieberverfe gefungen. Wenn nun nach ber Kirche gefahren” 
werben fol, fo figen die Braut und bie Brantmutter (swachna) neben 
einander auf einem Wagen, vor ihnen Brautjungfern. Man nimmt auf 
den Wagen einen guten Vorrath von laden, ſchon zerſchnitten, mit, um 
unterwegs ben Leuten auf der Straße die Stüde zuzuwerfen, Im Kruge 
bes Kirchdorfs wird angehalten, auch getanzt bis die Gloden länten. Bon 


678 Aberglauben aus Mafuren 


hier nach ber Kirche wird zu Buß gegangen. Nach ber Trauung geht «6 
zurüd in den Krug, wa getsunfen und getanzt wirb, und zu Wagen weis 
ter nach Haufe, aber nicht ſogleich in das Hochzeitshaus, in welchem jegt 
Mittag angerichtet wird, und welches daher frei bleiben muß, fonbern in 
das Haus der guten rau (swachna), wo Schnaps und Bier getrunfen, 
Auchen gegeflen uud getanzt wird. Iſt das Mittag im Hochzeitshauſe an- 
gerichtet, fo kommt ber Hochzeitsbitter (proszek) in das Haus ber guten 
ran, tritt in die Stube und ſchlägt mit dem Stock gegen ben Ballen, 
worauf bie Mufit ſchweigt und jeder ftehen bleibt, wo er fi beim Zan- 
zen eben befindet, Dann fagt er: Der Hochzeitsvater, bie Hochzeitsmutter, 
das Ehepaar fafien grüßen und bitten nach dem Hochzeitshauſe zu kommen, 
oraz i zaras (glei auf der Stelle). Hierauf macht er lehrt, bie Mufit 
folgt ihm und bie Hochzeitsgäſte fchliegen ſich paarweis an. Die Plage 
meifter fommen bem Auge mit Bier aus bem Hochzeitshauſe entgegen. 
Dann folgt die Mahlzeit, vor und nad; welcher der Lehrer ein Gebet 
ſpricht; auch werben wieder einige Verfe gefungen. Die Braut hat ihren 
Play Hinter dem langen, ſchweren Tiſch, wo fie ſchwer zugänglich if, und 
verläßt diefen Play auch nach beenbigter Mahlzeit nicht freiwillig, fonbern 
wird von ben jungen Leuten, oftmit einiger Anftvengung, „aus ber Ge 
meinſchaft ber Sungfrauen” (denn das Verfahren Hat feine ſymboliſche 
Bedeutung) von benfelben hinter dem Tiſche Hervorgegogen. Iſt bies ge 
lungen, fo fordert fie jeben männlichen Gaft zum Tanze auf und tanzt 
wit allen. Das ift der Brautianz, bei welchem bie Mufici extra bezahlt 
werben. Gegen Abend — oft ift es ſchon tiefe Nacht geworben — wird 
Ganſebraten, ſchon zerlegt, aufgetragen und gegefien. Wenn diefe Mahl 
zeit vorüber if, werben ungerlegte gebratene Gänſe und Etrügel aufge 
tragen, jede Gans und jeber Strügel in vier Theile zerſchnilten, und jeder 
Gaſt Hat das Recht ein ſolches Viertel nach Haufe zu nehmen für bieje 
nigen Angehörigen, welche zu Haufe bleiben mußten. — Den nächſten 
Faq, Sunnabend, Vormittags um 10 Uhr muß ber Plagmeifter wieber 
anf dem Plage fein. Er nimmt bie Mufif mit und geht num von Hans 
am Hana buch bas Dorf, um bie vom vorigen Tage ermüdeten Hod- 
asitagäfte wieder zuſammenzubringen. Diefe ziehen fih nun an unb fl 
en ihm. Sohald einige zuſammen ſind, wird im jedem Haufe, das fie 





von Dr. M. Typen. 879 


betreten, und von wo fie einen Hochzeitsgaft abholen, eine Weile geſchmauſt 
und getanzt. Der Haufe vergrößert fi mehr und mehr, bis enblich alle 
Hochzeitsgaͤſte von bem Plagmeifter geführt in dem Hochzeitshauſe wieder 
onlangen, Un biefem Tage wird ben angejehenften rauen im Hochzeits⸗ 
Hanfe etwas befonberes vorgefegt: Schnaps mit Honig. Nachdem fie ges 
geſſen und getrunken, auch das Nöthige beſprochen haben, fegen fie der 
fangen Frau die Haube auf. Nachdem dieſes geſchehen, nehmen fie fie 
in ihre Mitte und führen fie in ben Tanzſaal, wo fie nun mit ihnen 
tanzt. Dadurch ift fie „in den Bund ber Frauen aufgenommen”; man 
nennt die Seierlichleit cepie d. h. das Mügenauffegen. — Um dritten 
Tage, dem Sonntage, wird bie Braut zum Bräutigam heimgefahren. Die 
Säfte verfammeln fi Vormittag im Hochzeitshaus, wo gefrähftüct wird. 
Die Nachbaren ftellen große vierfpännige Wagen; auf biefelben wird -aufe 
gepadt, was die Braut als Mitgift mitbelommt; auch fegen ſich auf bier 
felben von ben Gäften, Verwandten und gnien Nachbaren fo viele, ala 
isgend auf denfelben einen Play finden, und fo geht es nad bem Haufe 
des Bräntigams. Dort wirb abgelaben und der Heft des Sonntage, fg 
wie ber Montag unter Theilnahme ver Nachbarn bes Bräutigams verju⸗ 
beit. (Olepto, Lyc.) 

Zum Auspug der Hochzeitsbitter gehören befonders bunte Bänder 
unb Papierbiumen an ver Müte und zwei bunte Tücher, ein votes und 
ein gelbes, an ben beiden Schultern; bie lange Peitfche, mit der fie vor 
den Hänfern derer, die fie laden, bei ihrer Ankunft und beim Wegreiten 
tächtig Inallen, darf nicht fehlen. Sie holen bie Bäfte ab, tragen bei 
Tiſche die Schüſſeln zu, fehen darauf, daß jeder zu eflen befommt und 
daß die Krüge voi find. Sie halten auch die Collecte für die Mufil und 
die Braut. Meiftens ift der Hochzeitsbitter der Bruder bes Bräutigams 
oder ber Braut. Die @äfte bringen zur Hochzeit Kuchen, bisweilen auch 
Sleiſch mit; wenn ber Schnaps ansgetrunfen if, müſſen fie für mehr for« 
gen. Wach der Hochzeit zieht die ganze Gefellfchaft bei ben einzelnen 
Gäften herum und Täßt fih von jebem einzelnen traftiven. Dabei faſſen 
junge Leute und Mäbchen einander an ben Hänben und fpringen über bie 
Straße, Eine gute Hochzeit muß wenigfiens drei Tage bauen. (Klein 
dervtten.) 


680 Aberglauben aus Mafusen 


Der feſtlich gefcgmücte Platzmeiſter reitet, in Maſuren wie in Bir 
tauen, in bie Hänfer und Zimmer ber Eingelavenen und ſpricht von fel 
mer lebenden Rebnerbühne herab bie wohl eingelernte Einlabungsformel. 
Am Tage der Hochzeit empfängt ex bie Gäfte und muß das gewiß nicht 
leichte Geſchaft übernehmen, bet der Tafel bie Gefunbheit jedes Einzelnen 
berfelben mit geeigneter Anrede ansjubringen. Geber ber Anweſenden 
aber, dem biefe Aufmerkſamleit zu Theil wird, iſt gehalten, in allen Städen 
Beſcheid zu thun. Daß bei ſolchen Gelegenheiten an Speifen und Ge 
tränfen ber größefte Ueberfluß herrſcht, barf nicht erft bemerkt werben; 
auch nehmen bie Gchmanfereien mit dem erften Tage wohl fein Ende, 
fondern währen wohl acht bis vierzehn Tage, je nach ber Anzahl der ein 
geladenen Gäfte, welche ſich nicht nehmen laſſen, dem Gaftgeber bie Loft 
der Bewirthung zu erleichtern. Es zieht nämlich die Geſellſchaft von einem 
Haufe zum andern und wird in jevem einen Tag lang bewirthet. Um 
das Vergnügen durch Abwechslung noch zu erhöhen, werden häufig Auf 
jäge und Verfleibungen vorgenommen, wobei e8 an Nadäffungen von 
Thieren in Geftalt und Stimme und dgl. nicht fehlt, (Drygallen im Kreiſe 
Iohannisburg. Bei Preuß, Preuß. Landeskunde ©. 234 |.) 

Ausgelaffene Froöhlichkeit Herrfcht bei Hochzeiten. Bei benjelben geht 
es fehr laut her. Die Mädchen lärmen und ſchreien vor purer Freude, 
daß fie kirſchbraun werben. Die Hauptrollen fpielen natürlich die Plate 
meifter, welche dem Zuge voranreiten. Crreichen fie auf bem Heimwege 
die erfie Brüde, fo Hält ber Autfcher des Brautwagens; bann heißt es: 
das Rab ift gebrochen! Schnell wird nun Geld zufammengelegt, um ba& 
ſelbe machen zu laſſen. Hat ein Ieber das Seine dazu beigetragen, fo 
geht e6 in vollem Sagen weiter. Die Plagmeifter eilen, fo fehnell als 
nur irgend möglich iſt, nach bem Hochzeitshaufe, nehmen ein Brod, wideln 
vaſſelbe in ein Tiſchtuch und bringen es der Braut entgegen. Die nimmt 
es in Empfang als Zeichen, daß fie in ihrem Leben ftets Brod haben 
wird, Die junge Fran wird zu Haufe gleich dreimal um den Dfen ge 
führt, damit fie ihrem Manne nicht weglaufen könne. Ueber Tiſch macht 
die Brantjungfer ihrem Blagmeifter ein Gefchent, wobei fie folgende Worte 
ſpricht: „Here Plagmeifter, id; komme vor dich getreten, weil ich von bir 
gebeten. Heute ift bein Ehrentag, weil ich bir ein Meines Geſchenk bringen 





von Dr. M. Tippen. 681 


mag, halte das Gefchent feft, wie ber Baum bie Aefl’, wie bie Glocke 
ihren Klang, wie bas Wafler feinen Gang, wie ber Mond feinen Schein, 
anfs Jahr folift du wieder mein Hiebfter Plagmeifter fein.” Der fo Ge 
ehrte erwibert: „Dafür thu' ich mich bedanken, ich will es legen in mei» 
nen Schranfen, id; will es in Ehren Halten und meine Brautjungfer an 
die rechte Seite führen. Mufitanten, Vivat hoch!“ Dem erften Brant- 
führer liegt die Pflicht ob, bie Feiernden durch einen poetiichen Erguß zu 
erfreuen. Ein folder würbe überfegt etwa fo lauten: 

„An diefer Hochzeit haben wir Gäfte uns zahlreich verfammelt; möge 
alfo Hier das Herz eines jeben fahren laſſen allen Kummer und anflim- 
men Lieber ber Freude. Bon dem Lieblein zu dem Gläschen ruft Heute 
die Gemeinſchaft. Bivat! fo lange die Flaſche voll ift, unfre Compagnie, 
Vivat! Die junge Ehel Du junger Herr! Um des Wohlbehagens willen 
haft du bir genommen eine Geliebte, Ich beneibe dich auch nicht, mein 
Bruder, lebe mit ihr froh in deiner Hütte; ich liebe Heut mein Bläschen. 
Bei dem Käthchen, meinem Mädchen, werb ich auch zur Zeit fiehen, Ich 
will mich nur ein wenig ftärken, daß ich den Fußſteg nicht fehle. Du 
junge Brantjungfer, trinke ſchnell; wer ſchmiert, der fährt. Das Waglein 
eurer Ehe wird darum nicht ummerfen, wenn es auch in bie Wegpfügen 
hineinfährt. Es fpült fi) ab und fährt ſich weiter, deſto früher im den 
Gleiſen. Darum trintenb ſchmiert ven Wagen! Hente fehlaft wicht, fon« 
dern tanzet; wir gehn im Sprunge Hinter euch. Spielet anf, ihr Spiel 
leute und Pflüger, ba ihr Ohren und Füße Habt. Sieh! einen Eilber- 
groſchen zur Verpflegung, fieh, ſchon werfe ich ihn Mingenb in bas Glas! 
Spielt uns alfo ohne Beforgnißl” (Hartg. Ztg. Ro. 9.) 

Bei der Wahl des Hochzeitstages werben bie Geftirne ber Regel nach 
beobachtet. Unter dem Zeichen bes Krebfes läßt man fich nicht trauen, 
damit bie Wirthſchaft nicht rückwärts gehe, ebenfo nicht bei abnehmendem 
Acht, damit die Wirthfchaft nicht abgehe. Der bevorzugte Wochentag ift, 
wo nicht katholiſcher Einfluß nachwirkt, der Freitag. (Vgl. hierüber N. 
P. Brov.-Dl. 1848. Bd. 1. S. 188. Hing ©. 61.) 

Wenn bie Braut ben Hochzeitsſtaat anlegt, vermeidet fie ängſtlich die 
rothe Farbe, welche Feuersgefahr drohen würde. m den Schnh legt fie 
ein Geloftüd. (RL. Jerutten.) 





482 Aberglauben aus Maier 


Die Braut flicht fi einen Silbergroſchen ins Haar und geht mit 
demſelben zur Trauung. Nach derſelben kauft fe dafür Schnaps und 
teinft ihn aus, bamit der Dann nie mehr, als für einen Silbergroſchen 
trinfe. (Willenberg.) 

Beim Ausgange zur Trauung, beögleichen beim Kirchgange ber Sranen 
muß eine Art an ber Thürſchwelle, mit dev Schärfe nach außen gelegt, 
wicht fehlen, 

Vor den Brautwagen fpannt man einen Schimmel, damit bie in ber 
Ehe erzeugten Kinder nicht fierben. (Bing S. 70. Anm. 5.) 

Die Fahrt nach der Kirche muß ohne Unterbrechung geichehen, damit 
fpäter in der Ehe auch ein Hinberniß eintreten möge. (Ebenda.) 

Eind bie Brautleute nit aus einem und bemfelben Dorfe, jo fah⸗ 
zen beide nicht zufammen in bie Kirche, ſondern jeber Theil befonders aus 
feinem Wohnort; am Kirchorte erwartet ſchon ber Bräutigam bie Brant. 
Im der Kirche Holt ber gute Mann nad dem Gefauge des Liebes: „Meine 
Soffnung flehet feſte“ den Bröntigam zum Ultare, alsdann bie Braut, 
welche fi nur mit vielem Widerſtreben dahin führen läßt. (Hintz ©. 65.) 

Wer die Katzen gut füttert, hat gutes Wetter zur Trauung. (Dohen⸗ 
Nein. Bgl. N. P. Prov.-BL 1847. Bb. 1. ©. 470.) 

Bor der Trauung bittet bie Braut den Bräutigem um etwas Geld, 
am in ber Ehe bie Kaffe zu führen. (Hohenſtein.) 

Brautleute laſſen fi nie über ein offenes Grab trauen, ſondern 
laffen das Begräbniß erſt vorübergehen, ein Gebrauch, ber ba immer mehr 
verſchwindet, wo beſondere Ortsbegräbniſſe — fogenannte Mogillen — 
entftehen. (Ding ©. 70. Anm. 5.) 

Während des Altes der Trauung muß die Brant dem Bräutigam 
auf den Fuß treten, oder auf feinem Rod knien oder beim Zufammenlegen 
dar Hände ihre Hand nad; oben bringen, dann hat fie währen ber Che 
das Regiment; wenn bafelbe dem Bräutigam gelingt, fo regiert er. 
Soldau.) 

Während der Trauung darf bie Braut den Arm des Bräutigams 
wicht Toslaffen; fonft geht die Ehe auseinander. (Willenberg.) 

Säut beim Wechſeln der Ringe einer berfelben an bie Exbe, fo bes 
bentet das Ungläd, namentlich Zwietracht. (Solbau.) 


von Dr. R. Züppen. 688 


Nach dem Traualt fehen bie Brautleute darauf, daß fie ſich gegen 
einander gewendet vom Altar abdrehen; es kommt ihnen nicht baranf an, 
daß dann die Braut, melde während bes Traualtes rechts ſteht, links zu 
ftehen kommt, 

Während ber Trauung fieht man genan nad) den Richtern. Brennt 
eins berfelben büfter, fo bebemtet das Krankheit, verlöfcht eins, fo bebeutet 
das Tod und zwar beöjenigen ber Brautlente, auf deſſen Seite das Licht 
feht. (Solvan, Hohenftein.) 

Wenn die Braut bei ber Trauung bleich ansfieht, fo ſtirbt fie auch 
bald. (Hohenſtein.) 

Das von ber Trauung zurüdgelommene Baar muß aus einem Glaſe 
zur Hälfte trinfen, damit Einheit in ber Che beſtehe. (Willenberg.) 

Um zu ermitteln, ob ber Bräutigam ober bie Braut früher fterben 
werbe, fehreiben fie bie Vornamen berfelben neben einander. Bei jedem 
einzelnen Buchſtaben diefer Reihe fprechen fie nun abwechſelnd bie Namen 
Adam und Eva aus; trifft auf ven legten Buchflaben Adam, fo ſtirbt er zuerſt. 

Noch ein Orakel der Art überliefert ſchon im fechszehnten Jahrhun⸗ 
dert Simon Grunau: „So man Brant und Bräntigam zu einander legt, 
welches zum erften entjchläft, der ftichet auch zum exften.“” (M. P. Brov- 
Bl. 1846. Bb.2. ©. 337.) 

Daß der jungen Tran, wenn fie dem Haufe des Mannes fich nähert, 
Brod entgegen getragen wird, ift oben berührt, Sonſt werben ihr Brod 
und Salz in das aege Haus voransgetragen, was Übrigens auch bei jer 
dem Wohnungswecjiel geſchieht. Wieder anderwärts giebt man ber in 
das eigne Hans eintretenden jungen Frau Brod, Salz und ein Goldſtück 
mit, welche drei Dinge fie forgfältig aufbewahren muß. (Rubainen.) 

Bladen und Bier müſſen der jungen Frau bis an bie Dorfgrenze 
entgegen gebracht werben; was bie Eheleute banon nicht verzehren, werfen 
fie den Armen zu. Auch nehmen die Plagmeifter, wenn bas junge Paar 
aus der Kirche ankommt, einen Topf mit allerlei Getreide und fonftigen 
Victualien gefüht, tragen benfelben dem heranrollenden Wagen entgegen 
und werfen ihn gegen ein Rab deſſelben. Das wird ben Eheleuten ger 
apfert. (Hohenflein.) 

Es kommt vor, baß wenn einem Manne mehrere Frauen Hinter ein- 


684 Mberglauben aus Mafuren 


ander geforben find, bie darnach heimgeführte nicht durch bie Thür, fon- 
dern durch das Fenſter in fein Hans einzieht. (Oohenſtein.) 

Daß die junge Fran dreimal um dem Heerb bes neuen Hanfes ger 
führt wirb, iſt uralter Gebrauch. Schon im fechezehnten Jahrhundert ge» 
denkt defielben Hieronymus Meletins in ber Befchreibung der Gebräude 
der alten Preußen, (Erlänt. Preußen. Bb.5. ©. 715.) 

Bei Hochzeiten oder andern feftlihen Begebenheiten darf man nicht 
mit dem Licht unter den Tifch leuchten, fonft entfteht Zauk und Schlägerei. 
(Willenberg.) 

Berliert einer ver Gatten ben Trauriug, fo kommt ein Ungläd. 
(Hin ©. 70. Anm. 5. ©, 118.) 

Verjchüttetes Salz deutet auf Zank und Widerwärtigfeiten in ber Ehe. 

Der Wöchnerin legt man Stahl unter das Bette um fie vor Hexerei 
zu fichern. (Hohenftein.) 

Ehe man ein neugebantes Hans bezieht, ſchlachtet man ein Thier 
3 DB. ein Huhn und trägt dies durch alle Stuben. Ohne diefe VBorficht 
würde bald einer ans bem Hauſe flerben. 

Die Wirthſchaft beruht vorzüglich anf dem Gedeihen ber Feldfrüchte 
und des Viehes. Biel Hokuspokus wird getrieben, wenn das Vieh und 
vie Pierbe gedeihen, ber Acker reichlich tragen, das Unkraut aus dem Ger 
treide vertilgt, Weizen und Gerfle vor dem Vogelfraße bewahrt werben 
ſoll. (Soldau.) 

Dünger fährt der Bauer hauptſächlich nur bei zunehmendem Licht 
und firent den erften Haufen fofort auseinander, weil fonft der Wurm ins 
Getreide kommt. (Wallendorf.) 

BWetteregeln find uns von ben Mafnren noch weiter feine verrathen 
als diefe: Untrüglichftes Zeichen für bevorſtehenden Regen iſt, wenn ge 
wife Thiere aus den Haaren auf die Ohren kriechen. (RI. Jerutten.) 

Mit Sorgen und Bangen wird die erfle Eaat in bie Erbe gebracht. 
Hat Jemand das Herz am Tage auf den Ader zu gehen, um bie Gast 
zu firenen, fo weicht er jebem Begegnenden fen aus, um ja nicht zum 
Sprechen veranlaßt zu werben. Viele gehen um Mitternacht anf das 
Beld und vollftändig unbekleidet ſtreuen fie bie Saat. (Hartg. Ztg. Ro. 8.) 

Der zur Sant geeignete Zeitpunkt wird forgfältig ermittelt, eigen 





von Dr, M. Wppen. 685 


muß man weder am Tage noch in ber Nacht, fonbern am Mittwoch (1) 
fäen; dann freffen ihn bie Sperlinge nicht. (Wallendorf.) 

Man fäet nicht bei Mondwechfel, weil bann der Samen ſich ändert 
3 DB. aus Wrudenfamen wird Eenffamen. 

Unter dem Krebs und Scorpion, welche Würmer varftellen, wird 
nicht gefäet ober gepflanzt, weil dann bie Würmer überhand nehmen wür- 
ben; man fäet und pflanzt unter Löwe, Stier, Jungfrau, bamit alles ſtark 
und fräftig werde. (Hohenftein.) 

Wer mit einem Säelaken füet, welches ein nicht confirmirtes Mäp- 
Gen gefponnen und gewebt hat, dem wird die Saat gebeihen. Ein fol- 
ches Lalen leiht Niemand fort, er wärbe baburch den Gegen fortgeben. 
(Hoßenftein.) 

Den Samen, ben man fäen will, muß man nicht auf den Tiſch ler 
gen, fonft geht nichts auf. (Hohenftein.) 

In einen Zipfel des Säelafens bindet ber Bauer Brod und Gelb 
und läßt es während bes Säens barin. Das giebt Gebeihen, (Rubainen,) 
Anderwärts bindet man ein Silberftädchen, Brod, Salz und Fenchel (kopr) 
ein. (Hohenftein.) 

Wenn im nächften Jahre bie Ernte des Wintergetreibes ergiebig fein 
fol, fo müflen die Aehren des Erntekranzes zuerft in den Ader geftrent 
werden, Diefe Regel gilt vom Weizen und Roggen. (N. P. Prov.Bl. 
1847. Bb. 1, ©. 473.) 

Benn die Winterfaat geftrent werben foll, wird bie Erntelrone, welche 
vom letzten Erutefeſte her an ber Dede des Vorhauſes hing, herunterge · 
nommen, die Körner aus ihr auf dem Eßtiſche ausgerieben, beſonders in 
das GSäelalen gebunden und zuerſt in den Ader geſtreut, damit bie Ernte 
im nachſten Jahre wohl gerathe. (N. P. Prov.-Bl. 1847. Bd. 2. S. 64.) 

Es ſcheint hienach auf einem Mißverſtändniß zu beruhen, wenn ein 
anderer Referent ſagt: Ans dem Erntebündelchen bes verfloſſenen Jahres 
fHättelt der Wirth die Lofe geworbenen Körner und bindet biefe, ſowie 
ein Geldſtück in den Zipfel des Säelatens, worin biefe Dinge fo lange 
liegen bleiben, bis zugefäet if, Dadurch foll man einen guten Ertrag 
und lohnende Preife für die Ernte erzielen. (Hartg. Ztg. No. 8.) 

Denn gefäet wird, darf feine Aſchlauge gemacht werben; ja man ver- 


686 Absitlanben aus Maſuren 


meidet Aberhaupt in dieſer Zeit bie Waſche, audernfalls würbe das Ge⸗ 
treide nicht gerathen. (Hohenſtein.) 

Wenn man anf dem Wege zum Säen über einen Zaun ſteigt, ſo 
verwandelt fi die Saat; fo wird 3. B. Wrudenſaat ans Kumſtſaat. 
(Hopenftein.) 

Die in den Zwölften gebranmnte Mfche, vermengt mit etwas Gantges 
treibe, wirft man im Frühjahr und Herbft ins Krenz auf ben Acker indem 
man ſpricht: „Im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und bes hei⸗ 
Ügen Geiftes.” Dann wirb bie Ernte gut fihätten. (N. P. Prov.-BL 
1850. Bb.2. ©. 116. No. 158.) 

Ehe fe die Saat ausftrenen, mifchen fie dieſelbe mit brei Händen 
voll Erbe von dem Ader bes Nachbarn, das bebentet Glüd. (Hartg. 
Zeitung No. 8.) 

Wenn der Siende ein Stüd Acker unbeſäet läßt, fo ſtirbt er in dem 
Yahre. Es werben mehrere Berfonen namentlidy genannt, welchen ver 
Teufel wegen Ihrer Vergeßſamleit biefen Streich gefpielt Hat. Ieber Säende 
nimmt fi daher vor dem Verfäen fehr in Acht. (M. P. Prov⸗GBl. 1847. 
2.1. &,473.) 

Beim Roggenflen fagt man: Die erfte Hand filr den Herrn (pan 
d. 5. Gott), die zweite für mich, die dritte für die Vögel (Hohenftein.) 

Um Weizen und Gerſte, befonders diejenige, welche man bei Haufe 
füet, vor dem Vogelfraße zu ſichern, wirft man eine Handvoll von ber 
Sant von ſich weg für die Vögel, (Wallendorf.) 

Um Unkraut, befonbers Difteln, aus dem Saatfelde zu vertilgen, 
vergräbt man im bemfelben Donnetftag nach Sonnenuntergang efnen Spahn 
von einem Baume, ben ber Blitz getroffen hat. (Wallendorf.) 

Erbfen gerathen felten, es tft daher bei ber Saat berfelben manches 
zu beobachten. Erbſen fol man nicht unter dem Scorpion ſäen. Man 
füe fie umter dem Löwen. Bon Saat-Erbfen darf man nichts weggeben 
ober verkaufen, ehe man fein eignes Erbſenfelb beftellt Hat, fonft giebt 
man ben Segen fort. (Hohenftein.) 

Ehe man bie Erbfen ausjäet, muß man fie durch bie Nabe eines 
Wagenrades laufen laſſen, bamit das Feld nicht vom Mehltau befallen 
werde. (Hohenftein.) 





don Dr. M. Lippen. 887 


Um das Feld, auf welchem Erbfen ausgefäet werden follen, muß ek 
Frauenzimmer, . „+ . ., gehen ober deſſen Hembe getragen werben, bitk 
mit die Erbſen nicht vom Mehltau befallen werden. (Hohenſtein) 

Kumft wird nicht unter dem Schügen gepflanzt, ſondern unter bet 
gungfrau und Wange, damit er nicht auseinander ſchieße, fondern rei 
bleibe und gewichtig und ſchwer werde, (Hohenftein.) 

Wenn man das Rumftbeet glatigelopft Hat, fo legt man einen Stein 
anf dafielbe und meint, daß die Kumftläpfe dann fo Hart wie ber Stein 
werben. An einigen Orten legt man unter den Stein auch noch Brenn, 
neſſeln. (Hohenftetn.) 

Am Iohannisabend mäflen wenigftens drei Kumſilöpfe behäufelt fein. 
ohenſtein.) 

Um den Kohl vor Raupen zu ſchutzen, nehme man Sand vom Grabe 
des zuletzt begrabenen, fehe ſich aber babei nicht um und fpreche kein Wort, 
und firene biefen Sand über die Kohlpflanzung. (Rurken.) 

Im Krugklauken beſprach eine alte Grau Kumft, auf welchem fi un. 
gahlige Raupen befanden. Sie bebiente fich dazu einer Pfanne mit gl 
henden Kohlen, auf welche fie unter beftändigem Gemurmel und mit ver» 
ſchiedenen Grimaſſen flarkouftende Kräuter warf, die beim Verbrennen 
einen unangenehmen Geruch verbreiteten. Obgleich ber Rauch bavon nur 
einen fehr Heinen Theil des Feldes beftrich, fo waren am Morgen bes 
folgenden Tages fämmtliche Raupen verfchwunden. Ihren Zauberſpruch 
teilte fie unter keinen Umfländen mit, indem, wie fie fagte, dann bie 
Kraft verloren ginge, (N. P. Prob.⸗Bl. 1847. Bo. 1. ©. 471.) 

Flachs ſaet man zu Medardus. Damit er gebeihe tanzt man zu 
Faſtnacht oder fährt fpazieren (ſ. .). 

Wenn ein Hund ober eine Rage krepirt, fo muß man ben Eabaver 
hoch über ven Zaun werfen, bamit ber Flachs Hoch werde. (Hohenftein.) 
Sonnenfhein am Neufahrstage kündigt guten Flache an (f. o.). 

Kartoffeln legt man nicht unter dem Krebs, Bohnen nicht an 
dem Wochentage, an welchem der erfte Schnee gefallen iſt. (Wallendorf.) 

Ueber das Erntefeft mögen folgende Notizen einander ergänzen. Die 
erſte bezieht fich auf den Ortels burger Kreis. Bei den Banern folgt ein 
Ernteſeſt meiſt nur anf bie Roggenernte, was ſchon daher fich erklart, 


688 Aberglauben aus Mafuren 


weil überhaupt nur wenige Bauern Weizen bauen. Der Roggen wirb 
von Männern und Mädchen mit ber Sichel gefchnitten (es erſcheint ihnen 
roh mit ber Genfe gegen bie Gottesgabe loszuſchlagen). Ein Büſchel 
Aehren, etwa fo viel, als man auf einmal mit der Eichel abſchneiden 
tann, läßt man zulegt ftehen. Um benfelben ftellen ſich glei nach vol» 
lendeter Arbeit die Schnitter und fingen -ein geiftliches Lied. Die ſchön⸗ 
ſten Aehren werben zum Ernteſtrauß ausgewählt, zuſammengeflochten und 
mit Blumen geſchmückt. Diejenige der Schnitterinnen, welche zuerſt mit 
ihrem Beete fertig war, bringt ben Ernteſttauß nach Haufe. Während bes 
Ganges nad) Haufe fingen fie ein weltfiches meift komiſches Lieb, welches 
wie ber Exrnteftrauß felbft plon genannt wirb, namentlich ſehen fie dabei 
darauf, daß fie fi) dem Haufe unter diefem Gefange nähern. Diejenigen, 
welche nicht mit auf dem Felde waren, begrüßen bie Zurüdfehrenden ans 
allerlei Berfteden mit Waflergüfien. Mandes Mädchen wirb von ben 
Mannsperfonen an den Brunnen gezogen und mit einem Eimer Wafler 
begoffen. Zu Haufe giebt es zuerſt Schnaps und Fladen, dann eine 
Mahlzeit, bei der neben anderen Gerichten auch Mohnlenlchen nicht fehlen 
dürfen, bei befieren Senten au Tanz. Das Getreive ans bem Strauß 
wird im Herbfte mit ansgefät. (RL Jerutten.) 

Ebenfalls im Ortelsburger Kreife ift e8 auch üblich, daß ber vordere 
Schnitter dem legten das legte Bündel Aehren zufammenbindet, welches 
man pep (Nabel) nennt, und um weldes — in Stoppeln — ber letztere 
nun ficheln muß, ohne ben pep zu verlegen. Auch wird er gezwungen 
durch den pep hindurch zu kriechen. Das Mäpchen, welches nicht begofe 
fen wird, ift gefränft, denn man hat ihm feine Ehre angethan. Als Ger 
richte beim Erntefefte werden noch Schwarzfauer mit Keulchen und bide 
Grüge mit Honig hervorgehoben. Bei biefem Feſteſſen barf fein Vater⸗ 
unſer gebetet werben, weil dann jemand im künftigen Jahre ſtirbt. Eie 
beten andere Gebete und fingen geiftliche Lieder. (Wallendorf.) 

Die legte Garbe bleibt auf dem Selbe ſtehen, damit die Mänfe nicht 
in das Fach kommen. (Hohenftein.) 

Aus äftlicheren Gegenden Maſurens ſtammt folgender Bericht: In 
Maſuren fuchen die Haner die längften und fchönften Garben ans und 
geben fie den Raffern, bie im Kreife ſtehend und das Lieb: „Allein Gott 


von Dr. M, Täppen. 689 


in der Hoh' ſei Ehr“ fingend, biefelben zum Erntekranze in Form einer 
Krone flechten und mit Bändern und Blumen ſchmüden. Den fertigen 
Krany nimmt ber Vorhaner auf feine Senfe und geht bem Zuge, den 
nun alle Schnitter bilden, voran. Bis der Zug zum Derfe oder Gute, 
wohin bie Schnitter gehören, gelangt, werben verſchiedene Lieber gefungen, 
dann aber der Plon angeftimmt, ein Lieb, in welchem bie vege Hoffnung 
anf Bier, Keulchen, Fleiſch, Tam, zu welchem Spiellente ans Lyd erwar- 
tet werben, ſehr lebhaft ansgefprochen wird. Diefes Lieb wird fo lange 
gefungen, bis der Vorhauer mit ber Erntefcone in das Haus getreten iſt. 
Die Krone wird bei dem Bauern auf den Eßtiſch geſetzt, bei ber Guts⸗ 
herrſchaft ins Vorhaus ober in die Wohnftube gebracht. Der Bauer 
hängt fie an bem über dem Tiſche befindlichen Ballen ver GStubendede, 
ber Gutsherr an die Dede bes Vorhauſes auf. Hier bleibt fie hängen 
bis die friſche Winterſaat geftrent werben fol. Wenn ber Vorhauer beim 
Einzug auf die Treppe oder ben Hof geht, empfängt ihn ein Waſſerguß, 
der auch den Übrigen Schnittern und foger ber Gutsherrſchaft reichlich zu 
Theil wird. Darauf fallen bie Schnitter bie gießenden (gewöhnlich 
Mägde), führen fie zum nächften Teiche, Fluß oder See und tauden fie 
unter die Oberfläche des Waſſers. Jemehr gegoffen und getaucht wird, 
deſto beſſer iſt nach bem Vollsglauben bie Ernte bes Mnftigen Jahres. 
Dieſes Feſt Heißt Plon, in Litanen, wo bie Gebräuche fo ziemlich dieſel⸗ 
ben find, Bectuwis. (N. Pr. P.Bl. 1847. 8b.2. &.51—54.) 

Ebenfalls aus dem äftlihen Maſuren wird über das Waflergießen 
noch folgende Bemerkung gemacht: die jungen Maͤdchen ſuchen unbemerkt 
und hinterrüds die Männer mit Waſſer zu begießen, aber ſchnell und ge 
ſchickt: deun wehe derjenigen, bie mit dem ungeleexten Gefäß ertappt und 
gefaßt wird, es Hilft michte, fie muß durch ben Kreis aller durchſchreiten, 
und jeder Burſche hat das Recht, einen Kuß von ihr zu fordern, ben fie nicht 
verweigern barf. (Roſenheyn Bd. 2. ©. 94. Erkennbar aber noch mehr 
abgeflacht find die Gebräuche des Mafurifhen Plon and in dem Ernte 
fette ber Nieberunger, welche nämlich zum Abſicheln bes Roggens und 
Weizens bie borthin hinabziehenden Maſuren in Dienft nehmen. Heinel 
in den N. P. Prob.Bl. 1846. 3b. 2, ©. 404.) 


Wird der legte Roggen gebrofchen, fo nimmt bie Mast einen Rode 
Wer. Ronateiqriſt ob. IIL. Oft. 8. 


69% Aberglauben and Mefuren 


löffel und läuft bamit auf bie Tenne, wirft ihn dahin umb [änft bavon. 
Holt bie Fliehende eim Dreſcher ein, fo muß fie fid) durch ein Geſchenl 
(am liebften Branutwein) Löfen, wo nicht, fo muß fie ein Geſchenl er⸗ 
halten. (Bartg. Ztg. No. 8.) 

Begen das Berberben des gebrofchenen Getreibes auf dem Speicher 
wendet man folgendes Mittel an. Man ſchneidet im Frühjahr einen grä- 
men Hafjefftot ab, und fobald es zum erften Mal im Frühjahr donnert, 
macht man über jeden Getreibehanfen mit biefem Hafielflode ein Krem 
und es hält fi) das Getreide Jahre lang. (Kurken.) 

Bieh. Der Hirte bricht am zweiten Weihnachtsfeiertage ſchöne ger 
rade Birlenreiſer, nimmt biefelben unter ben Arm und geht fo im Dorfe 
ober in bes Stabt von Hans zu Hans (narärlic; nur im ſolche Hänfer, 
ans denen er Vieh zu weiden hat), um feine Kalende einzufammeln. Daun 
sieht jede Hausfrau, nicht mit der bloßen Hand, fonbern indem fie bie 
Binger mit ber Schürze bebedt, eine der Ruthen unter feinem Arm hew 
vor, legt fie auf ben Tifch, ja nirgenb anberswohin! bringt fle auf ben 
Boden, ftedt fie in das vorräthige gebrofchene Getreide, bie Aeſte nad 
oben, uud läßt fie bort bis matka boza (25. März) fleden. Un biefem 
Tage zieht fie die Ruthe heraus, geht ohne ſich aufzuhalten oder zu ſprechen 
(damit nachmals das Vieh nicht fiehen bleibe nnd brüfle, fondern gerade 
in den Stall Hineinlomme) nad) bem Stalfe und treibt das Vieh Hinans, 
während ber Hausvater mit ber Axt ein Kreuz vor ber Stallthur macht 
und bie At dann an bie Schwelle legt. (Hohenftein.) 

Das Bieh wirb zu Marik Berfänbigung (25. März) zum erſten Mole 
ausgetrieben und von oft weither verſchriebenen Zanberern verfeguet (ſ. 0.) 

. Wenn. ber Hirte das Vieh zum erften Male ans bem Dorfe treibt, 
fo fpricht feine Iran an dem Heck (Dorfthor) knieend allerlei Gebete. In 
Rapiwodda kam ber Fall vor, daß ein: Hirtenfren, bie deshalb vom am 
dern ausgelacht wurde, bies Gebet unterlieh; bie Felge davon war, daß 
zu Johanuis zwei Wölfe in den Stall brachen und zwei Maſtſchweine uud 
eine Ruh zerriſſen. (Hobenftein) 

Beim Austreiben bes Viehes haben bie Hirten ihre abſonderlichen 
Bräuche, ihre uralten Sprüche und Berfe, und es if ganz umerlägfih, 
daß dieſe Hergefogt werben in ber feften Weiſe wie hestämmich; fonk 





von Dr, M. Tüppen. 69 


nute anf Walpurgis ein Nachbar bem andern bie Kühe befpredien, daß 
fie Blut ſtatt Milch geben und dahinfiechen. (Roſenhehu Bd. 2. S. 95.) 

Wird das Vieh zum erfien Male wieber auf bas Feld getrieben, fo 
darf nicht gefponnuen werben. (MRofenheyn Bb.2, ©. 92.) 

Der Hirte ſcharrt die Kohlen feines Walbfenere forgfam zufammen, 
weil fich fonft feine Heerde zerfireut. (Roſenhehn Bd. 2. ©. 98.) 

Wenn der Mann mit einem angelauften Stüd Vieh nach Hanfe 
tommt, fo bringt die Frau eine Kanne Waſſer und begieft bas. Vieh vom 
ben Hörnern an ben ganzen- Rüden entlang, von vorn bis Hinten, worauf 
der Mann es im Kreife um fich ſelbſt herumführt; das geſchieht bueimal, 
ehe es in ben Stall kommt. (Hohenflein.) 

Nen angelanftes Vieh muß über Stahl in ben Stall treten, um ger 
gen Hegerei fiher zu fein. CHohenftein.) 

Man muß darauf achten, welche Farbe das Wiefel hat; das man 
zum erſten Mal fieht. Vieh von biefer Farbe. geht einem zur Haud (ge 
veiht einem). (Hoenftein.) Anders. Wenn in einem Stalle fi weiße 
Wieſel anfgalten,. jo muß ber Wirth weißes Vieh halten; ebenfo bei bun ⸗ 
ten, rothen Wiefeln. Er wird erfennen, daß ihm ſolches Vieh zur Hand geht, 

Frißt ein angelanftes Gtüd Vieh, ein Schwein, ein Pferd ſchlecht, 
fo Yeißt e6s Nie porgozyto sig! (Es geht nicht zur Haud) Es muß. ver» 
handelt werben; ber Nachbar wird erſucht es zu kaufen. Gr kommt, bier 
tet und bingt Hartnädig und lange. Darnach frift das Thier gewiß ſehr 
gut. (Willenberg.) 

Wenn Iemanden ein Stüd Vieh, ein Schwein ac. nicht recht zur Hand 
gehen will, wenn e8 z. B. nicht recht freſſen will, fo verlauft man es noch 
einmal, wenn auch nur zum Schein z. B. an bie Grau oder au ein Kind. 
Das Geld muß babel, damit an ber Form bes Berlanfs nichts fehle, gr 
zahlt und Seinkauf getrunken werben. (Hohenftein.) 

Leinkauf (poln. litkup, was aber nichts als ein Germauismus ift, lit. 
margritsch) if das @etränfe, welches man beim Verkaufen trinkt. Dabei 
gießt man bie Neige rücwarts über ben Kopf, bamit einem das Gelaufte ger 
deihe, großwachſe sc. (Wgl, über Litfanf Haupr's Zeitjchr. f. dentſch. Alierth. 
8b.6. S. 260ff. Der Leinkauf wird ſchon in dem pomeſaniſchen Rechletwa um 
die Mitte des 14. Nheh. erwähnt. Saba Jura Bruteanum.1B60p- 2) 


692 Aberglauben aus Mafuzen 


Benn Jemand ein Städ Vieh zum Verlauf aus dem Stalle fährt, 
fo muß er vom ben Haaren deſſelben ein Büchel amereißen umb unter ber 
Krippe vergraben. Das bebentet, daß das übrige Vich dem zu verfaufenben 
nicht nachfolgen und ſich nicht ans dem Gtalle ausrotten folle. (Hohenftein.) 

Ar Zwillingsthiere aller Art hat der Mafure eine große Borliche; 
denn fie find glüdhringend, Gerne zahlt er die höchſten Preife bafir. 
(artg. Ztg. Ro. 8.) 

Jungen Pferden und jungen Kalbern binbet man zum Schutz gegen 
ven böfen Blick rothe Bänder um den Hals (I. o.). 

Am Donnertag möäflen die Pferde vor Abendbrod abgefüttert werben, 
fonft drüdt fie die Mar. (Hohenftein.) 

An die Thür des Wiehflalles macht men am Abend vor dem Tage 
der heiligen brei Könige oder vor Johannis brei Kreuze, um das Vieh 
vor Hererei zu fihern (ſ. 0.). 

Kommen in einer Wirthſchaft mehrere Städt Bieh zu Schaden, jo 
hat Jemand gehert (oczarzyl). Die Zaubermittel (czary) müfjen aufge 
fanden und verbraumt werben, ſouſt krepirt alles übrige Vieh andy. Es 
wirb gegraben unter der Stallſchwelle, unter allen vier Wänden, und wenn 
man da nichts finbet, im Stalle ſelbſt. Da findet man enblich einen Bieh⸗ 
magen mit vielen Stecknadeln. ft diefer verbrannt, fo kommt Fein Bieh 
mehr zu Schaden. (Willenberg.) 

Man tödtet die Schlangen nicht gern, weil das ein Ungläd, beſon⸗ 
ders ben Abgang bes Viches nach fich ziehen fol. Diefer noch von Pi 
faneft (No. 23 8.9) angeführte Gebrauch erinnert lebhaft an die Bereh⸗ 
rung ber Schlangen im ber Zeit des Heidenthums. 

Sn der Tonne („Kübbel”), in welcher der Trank für bie Schweine 
gefammelt wird, Hält man eine Schilbkröte; davon werben bie Schweine 
fett. Stirbt aber bie Schildkröte, fo ſterben aud bie ans der Tonne ge 
fütterten Schweine. (Hohenftein.) 

Mittel gegen Pferdekolik. Man ſtreicht das Pferb dreimal mit 
der Schaufel, mit der man das Brod ans dem Badofen nimmt, und 
ſpudt dreimal ons. Dabet fpricht man eine gewiſſe Formel, (RI. Jerutten.) 

Wenn Vieh urok hat, fo behandelt man es ebenfo wie Menden; 
man fährt ihm mit Hofen ac. über das Geſicht. CHohenftein.) 





von Dr. M. Töpyen. 693 


Eine Viehkrankheit heißt saba (Froſch). Auf dem Markte zu Hohen. 
ſtein ſtand ein Stüd Vieh, anſcheinend ganz geſund; auf einmal warf es 
fih auf die Exrde. Die Lente fagten, es Hätte saba. Man nimmt in bier 
fem alle ein Tiſchtuch, legt e8 dem Thiere Über den Rückgrat und beißt 
durch baffelbe in den Nädgrat vom Halfe ab bis zum Krenz. Dann läßt 
der Froſch nad. (Hohenſtein.) 

Mittel gegen Würmer in Wunden. Wenn ein Thier Würmer in 
Wunden befommt, fo muß man vor Sonnenaufgang an einen Ort gehen, wo 
die Difteln mit rothen Köpfen und ſtachligten Stengeln fiehen, vier Difteln 
über einanber niden, daß die vier Köpfe nach ben vier Himmelsgegenden 
gerichtet find, und über bie Kremung einen Stein legen. Vorher foll man 
ein Baterunfer beten. Ein Pfarrer unternahm jene Procedur ohne Vater⸗ 
unfer umb es hat auch geholfen. Die Würmer verſchwanden. (Wallendorf.) 

Befondere Sorgfalt erfordert die Milchwirthſchaft. WIN man 
haben, daß bie Kuh am Tage kalben fol, fo muß man fie Sonntags 
fliehen laſſen. (Willenberg.) 

Wenn eine Kuh gekalbt Hat, darf man in ben nächſten Tagen nichts 
ausleihen. (Vgl. oben ven gleichen Aberglanben bei ber Geburt ber Kinder.) 

Das erfte Kalb der Stärke, bie erfte Butter von ihrer Milch ſchenkt 
man ber guten Vorbebentung wegen ben Hoöpitaliten. 

Die Mädchen dürfen, vom Melken wiederkehrend, die Milcheimer 
nicht nnbebedt tragen, bamit ja nicht bie Vögel bes Himmels hinein⸗ 
fehen, weil fonft die Mil abnehmen und keine Sahne abfonbern würde. 
(Hartg. Ztg. No. 8.) 

Wenn beim Milchen zugleich mit der Milch Blut ans ben Entern 
fließt, jo milcht man — wenigftens verfichert dies Pifansfi (No. 23 8.8) 
— bie Kühe durch die Deffnung eines Donnerkeils, 

Wenn beim Milchen zugleich mit ber Milch Blut aus bemfelben 
Strid kommt, dann gieft man etwas von biefer Milch in einen Scherben 
und ftellt viefen auf den Zaun. Da flieht fie fo lange bis eine Schwalbe 
hinüberfliegt; dann wird fie gut. (Hohenftein.) 

Wenn bie Milch bald nad) dem Milchen gerinnt, bann gießt man fie 
auf -brei Schwellen und ſchlagt mit dem Befen fo fange darauf, bis es 
troden iR. Dann giebt bie Kunh fortan gute Milch, (Hohenſtein.) 


604 Aberglaube aus Mafıren 


Beim Buttermachen wird in den Schmand ein Gelbftäd gelegt, un⸗ 
der den Reifen des Butterfaſſes ein Meſſer geftedt, umter das Bntterfaß 
ein Kamm gelegt, Je ſchmutziger er if, deſto befier wird bie Butier. 
(RL Serntten.) 

Beim Buttermachen wird firenge baranf gefehen, baf das Butterfah 
nicht unter dem Ballen ſtehe. (Willenberg.) 

Eine Fran, welche trog aller Mühe keine Butter zu Stande bekam, 
Reg auf ein Pferd, nahm das Butterfaß in ein Lalen eingebunden anf 
den Rüden und ritt um bie ganze Grenze bes Dorfes Puchalowen bei 
Romeram. Manu wirb es begreiflich finden, daß als fie zurüdtam „ber 
Schmand“ zu Butter geworben war. Merfwürbiger war es aber, daß fie 
van dieſer Zeit an leicht und gut Butter machen kounte. 

Ein Frauenzimmer, welches bie Courage hat, eine Maulwurfsgrille 
mit der Handfläche auf ber Erbe zu zerbräden, macht leicht Butter, 

Am Iohannisabend vor Sonnenuntergaug macht man brei Kreuze 
auf bie Ihre bes Kuhftalles, bamit bie Heren, bie namentlich in biefer 
Nacht ihre Spiel treiben, die Milch nicht wegnehmen; find bie Kreuze da, 
fo Haben bie Hexen einen Zutritt. Die Heren geben bie Mil, welche 
fie dem einen wegnehmen, dem anbern. Sie haben ihre Lieblinge und 
wer ihnen Opfer bringt, den befchenfen fie and. Es foll ein befonberes 
Gericht fein, das bie Herzen gerne efien. Diefes muß in ver Johannis- 
nacht auf dem Tiſche ftehen. Iſt es am nächften Morgen anögegefien, jo 
laun man mit Beſtimmtheit darauf rechnen, daß man eine Unmaſſe Mil 
haben wird, ja fogar aus Nägeln Milch herausmilchen kann. (Willenberg.) 

Auch erhalten die Kühe am Iohannisabenn zum Schutze gegen Be 
Yerung allerlei Kräuter z. B. Kalmus u. dgl. Hörner nnd Guter werden 
mit Fenchel (kopr) beſtrichen. 

Sohannisabenb wird an ben Thürpfoften der Kuhflälle Koriander umb 
DIN eingeftedt, damit bie Kühe vor Hexerei ſicher feien. 

Ber eine Kuh Lauft, darf nicht vergeffen zu fagen, daß er bie Milch 
mitlanfe; es iſt am ſicherſten, für diefelbe ein eigenes Gelpftüd zu geben; 
fonft giebt die Kuh keine Milch. CHohenftein.) 

Wenn man jemanden Mil verkauft oder fonft abgiebt, muß man 
in biefelbe Salz firenen; wenn man biefes unterläßt, fo hat bie Hege, ber 


von Dr. M. Töppen. 695 


ſoiche Milch im bie Hände kame, auch über bie übrige Mil ber Kuh 
Macht und könnte fie ihr abziehen. (Hohenſtein.) 

Das Federvieh des Nachbarn gebeiht nicht, wenn man abgefchloffene 
Vebern (Federkiele) auf den Grenzrain wirft. (Hohenftein.) 

Die Hühner des Nachbarn kann man durch eine gewiſſe Ceremonie 
in ber Reujahrsnacht (j. 0.) zum Eierlegen an ſich Inden, 

Zwifgen Weihnachten und Neujahr werben Fetern geſchloſſen. 

Im eben derfelben Zeit muß man bem Federvieh Erbſen geben, dann 
legen fie fleißig Eier. (Hohenftein.) 

Wenn einer Glude Eier zum Ausbrüten untergelegt werben follen, 
muß man fie zuvor in eine Müte — am beften vom einem Juden — 
legen. (Bobenftein.) 

Am Charfreitag und Ofterfonntag foll man fi nicht kämmen; fonft 
tragen bie Hühner im Garten. . 

Wenn Gefielhen (junge Gänfe) zuerſt ins Freie gelaflen werben 
ſollen, fo muß man fie buch Mannshofen hindurchſteken. (Hohenſtein.) 

Spinnen und Weben. Wenn man bie Scherung (zum Wehen) 
aus einem Dorf in das andere (das eigene) bringt, ohne fie an dem einen 
Ende durch ein Schloß zu verfchließen, fo giebt man Veranlaffung dazu, 
daß Wölfe in das Dorf, fogar in bie Ställe kommen. (Hohenftein.) 

Es barf nicht geiponnen werben in ben Zwöfften, zu Lichtmeß, Ma⸗ 
thia, Nicolai, an ben Marientagen und überhanpt an großen unb Heinen 
Feſttagen. (Hohenftein.) 

Auch fpinnt man nicht Donnerſtag nach dem Abendbrod, denn fonft 
tommt bie Mar und fpinnt weiter. Wenn man aber beim Spinnen eine 
Srodkruſte im Munde Hat, fo ſchadet es andy dann nicht; bie Gabe Got 
tes bewirlt, daß fo ein unreiner Geift, wie bie Mar, auf ben Menſchen 
Hein Anrecht Hat. ( Desgleichen.) 

Wenn man am Donnerſtag nach dem Abendbrod ſpinnt und Haspelt, 
jo gehen Woden und Haspel die ganze Nacht von ſelbſt. Das foll ver 
böfe Geiſt bewirken, indem er dem Menſchen nachäfft. (Desgleichen.) 

Man fpiunt auch nicht, fo lange ein ungetauftes Kind ober ein Todter 
in Haufe if. ( Deegleichen.) 





696 berglauben aus Mafuren 


Bei Neumond unter dem Zeichen bes Fiſches fängt ber Fiſcher an 
fein Rey zu Arien. ( Dohenſtein.) 

Beun die Fiſcher fiſchen gehen, legen fie zum Gläde etwas Kehricht 
ins Reg. (Hohenflein.) 

Auf die Bieuenzucht bezieht fi) folgende Notiz. Am Charfreitag 
nehme man einen Teller Schrotmehl vor Sonnenaufgang und fegue bie 
Bienenftöde, während man um biefelben herumgeht und das Mehl im ben 
Bienengarten firent, mit folgendem Spruch: „Ihr Bienen nud Königinnen, 
fett euch anf enres Herren Aecker und Wiefen, wie es ber Herr Chriſtus 
geboten, zum Sammeln von Wachs und Honig.“ Darnach wirb breimal 
das Krenz geichlagen und geſprochen im Namen bes Vaters und bes Soh⸗ 
mes und bes heiligen Geiftes. Amen. (Amen wird Hier geſprochen.) 

Dienftiente treten ihren Dienft am liebſten Sonnabenb am, weil if 
nen das Jahr daun kurz erfcheinen wird. Treten fie am Freitage ein, fo 
fürdten fie, daß fie an Geſchwilren und berartigen Kranfpeiten leiden 
würden. (Hohenftein.) 

Wenn man nad) Sonnenuntergang bie Stube lehrt, foll man ben 
Kehricht nicht Hinanswerfen; wer das thut, wirft feine Habe hinaus. 
(Desgleihen.) 

Bei dem Eintheeren ber Wagenräder fängt der mafnrifhe Bauer nie 
mit der rechten Seite an: denn fonft wärben bie Pferde zu leicht müde. 
Die Räder ſelbſt aber muß er dabei Links umbrehen, bean fonft kommt 
der Tenfel nad. (Mofenheyu Bd. 2. ©. 92.) 

Auch die Todteugebräuche glauben wir am Beften zu vergegen- 
wärtigen, wenn wir eine Schilderung ber Begräbnißfeierlichleiten, wie wir 
fie dem ſchon obenerwähnten Herrn Bercio verbanten, vorausſchiden. Im ben 
öfllichen Gegenden Mafurens iſt der Leichenſchmaus zwar in allgemeinem 
Gebrauch, aber bie Namen zarem ober stupa bafür nicht belaunt. Bei 
der Beerbigung, wie auch bei andern Feierlichleiten, fpielt der Schullehrer, 
namentlich in Döfern, welche feine eigene Kirche, wohl aber einen eigenen 
Kirchhof Haben, als natärlicher Vertreter des Pfarrers eine wichtige Role. 

Bon dem Tage, an welchem jemand geftorben ift, bis zu feiner Be 
bigung, wird jeben Abend bei feiner Leiche geſungen. Diefer Gefang 

"d aber nicht bloß von den Hausgenoſſen ausgeführt, fonbern es wird 





von Dr. M. Typen. 697 


jemand im Dorfe herumgeſchidt, welcher zum Singen bei der Leiche auf 
fordert. Während bes Singens wird hie und ba auch Schuaps gereicht, 
An dem Beerbigungstage wird wieberum jemanb durchs Dorf gefchidt mit 
der Aufforberung zum Begräbniß: „Kommt zum Begräbniß und das 
glei." Sie kommen deunn meift fehr zahlreich, bie Frauen, welche es 
vermögen, in ſchwarzen Kleidern, alle mit weißen Schuupftühern und mit 
Geſangbüchern. Im dem Sterbezimmer fteht ber große lange Tiſch an feiner 
gewöhnlichen Stelle längs ber einen Wand; rings herum Bänke und 
Stühle für die Männer; in ber Mitte ber Sarg mit ber Leiche, bie Füße 
gegen bie Thür gerichtet; auf der andern Seite find lange Bretter auf 
Stühle gelegt zum Sigen für die Frauen. Männer und Frauen fliehen 
oder figen alfo apart. Unter Leitung bes Lehrers werben zwei lange Lie 
der gefungen. Dann werden Fladen und Schnaps. für bie Männer auf 
den Tiſch geftellt, ber Schnaps in Flaſchen mit einem Glaſe, ans welchem 
fie. die Reihe herum trinken. Für die Frauen wirb Schnaps in eine 
Schäfiel gegoffen und ein Löffel dazu gegeben; Schüffel und Löffel gehen 
die Reihe entlang; jede der Frauen nimmt einen ober zwei Löffel voll, 
nach Bedürfniß; Fladen wird ihnen in einer weißen Schürze ober in einem 
Korbe Herumgereicht. Diefe Paufe dauert etwa eine halbe Stunde. Daun 
werben abermals zwei Lieber gefungen, dann hält ber Lehrer eine Trauer⸗ 
rede, in welcher bie Tugenden bes Verftorbenen erwähnt, dann im Namen 
deſſelben den Freunden und Nachbarn für ben legten Dienft, welchen fie 
ihm erweifen, Dank gefagt und von ihnen Abſchied genommen, und allge» 
meine Ermahnungen an bie gefommten Anweſenden gerichtet werben. 
Nachdem das Amen geſprochen iſt, wird wieder eine Baufe gemacht, welche 
aber fürzer if, als bie erfte, und wieber eine Stärkung genommen. Unter 
dem Gefange: „Wenn mein Gtünblein vorhanden if“, wirb bie Leiche 
Hinausgebracht und zum Kirchhof getragen (nie gefahren). Der Lehrer 
mit den Schälern und bie Männer, welde fingen, gehen vor ber Leiche, 
die Leidtragenden unmittelbar Hinter berfelben, dann folgt Die große Menge. 
Unf dem Kirchhof fingt man: „Nun laßt uns ben Leib begraben.“ Der 
Sarg wird anf dem Kirchhof mod; geöffnet, ver Tobte zurechtgelegt, Ab⸗ 
ſchied genommen, die Einſenkung vorgenommen. Der Lehrer fingt bie 
Todtencollecte ab, welche bie Gemeinde beantwortet, und ſpricht ann noch 





[13 Abenolauben aus Mofaren 


einige Worte, zuletzt das Vaterunſer, während beffen bie Leidtragenden 
ringenm am dem Grabe knieen. Nachdem bonn noch ein Vers gefangen 
if, wird das Grab zugeworſen. Rum begiebt fi) jeber zuoörberft nah 
Haufe und verwahrt fein Geſaugbuch, bie Grauen ziehen bie beſſeren Llei⸗ 
der aus und dertauſchen fie mit weniger werthvollen; ſodann verjammeln 
fie fi im Gterbehanfe zum Schmaus. Die von loſen Brettern und 
Stühlen zufammengefegten Bänfe werben mun auch am Tiſche gehoben, 
fo daß bie Frauen nun andy an Tiſchen figen Tönnen. Der Gihuaps 
wird ihnen daher jegt wicht, wie vorher in Schüffeln, fonbern — mit 
Donig gemifgt — in Flaſchen vorgefegt, wenn er nicht etwa noch ef 
gebraut und fo mit Honig vermifcht werben foll; baum heißt das Geträuke 
przeparlsuke (Brenbei). Zu Mittag giebt es Fleiſchwerk. Fiſche, Ruf 
mit Fleiſch, zuletzt dide Grüge mit Honig begoffen. Den Tag darauf 
Iommen meiſt uur Männer in bem Gterbehanfe zuſammen, um etwa ben 
Bater über den Verluſt des Kindes zu tröſten; fie verfpeifen die Ueber⸗ 
tofle und bringen ben Tag mit Trinken bis zum Abend zufammen zu. 

Wenn einer kant ift, fagt Simon Grunau (M. P. Pron.-BL. 1846. 
Bd. 2. ©. 337), und es kommt eim Freund zu ihm und fragt ihm, wie 
es ihm gehe, und ber Krauke fprichts O, ich bin ſehr krantl fo muß er 
das Lager fterben; mo er aber fpricht: Es geht mir, wie Gott mein Herr 
will! fo kommt er von dem Lager anf und wirb friſch. 

Mit der Kraufen-Gomummion verbinden fi) maucherlei Vorſtellungen 
einer magifchen Wirkung, namentlich bie, daß mit ihr ein Wenbepunft, 
eine Exifis, entweder zum Leben ober zum Tode eintrete, ober bie, deh 
der Kranke erſt wenn er im Sterben liege, das heilige Abendmahl neh 
men mäffe, um anf leibliche Genefung hoffen zu bürfen, daß er bagegen, 
fo lange fein Zuftand an fich noch Hoffnung bes Lebens laſſe, durch ben 
Genuß befielben unvermeiblich bem Tode verfalle. (Hintz ©. 82.) 

Wenn dem Tiſchler bie Cüge Inadt, fo weiß er, es flirbt jemand und 
ex belommt den audern Tag eine Beflellung auf einen Sarg. (Hobenflein.) 

Noch mertwürbiger war folgendes Ereigniß. Gin Gejelle in Hohenftein 
hatte bie Dreiftigfeit in einem ber vorräthigen Sarge feines Meiftere zu 
ſchlaſen. In eimer Nacht wurde ex durch eine muerklärliche Kraft aus bem 
Gerge Hinansgeworjen. (x legte fih zum zweiten Mal in ben Sarg uub 





‚von Dr. I. Uiyyen. cod 


wurde wieder hinausgeworfen. Nun merkte er ſchon, daß dieſer Sarg 
für einen Verſtorbenen würde gebraucht werben. x legte ſich alſo in 
einen andern und ſchlief in dieſem auch ruhig ein, jener aber wurde am 
folgenden Morgen verkauft. (Hohenftein.) 

Dear Tod kommt drei Abende hinter einander, um das Abfterben 
eines Menfchen den Angehörigen anzumelden, Er Hopft jebesmal at das 
Tenfler oder an bie Thür. Die Hunde fehen ihn und erheben klagliches 
Gehen! (vgl. 0.). (Soldau.) 

Dem Pfarrer E. der ſchon lange tobt ift, begegnete es, daß er jedesmal 
vorher wußte, wenn in dem Kirchſpiel ein Todesfall eintreten fehlte. Der 
Tod hat es ihm regelmäßig angemelbet, fo baß er e8 gewohnt wurde und auf 
dreimaliges Klopfen antwortete: Ia ja! ober: Schon gut! Unb wenn er nicht 
autwortete, fo wieberholte ver Tod fein breimaliges Klopfen. Im ber Regel 
kamen bann Tages darauf Lente unb beſtellten ein Begrabniß. (Soldau.) 

Ein Pfarrer zu ©, pflegte in feiner Studierſtube zu ſchlafen. Zu 
Ropfenbe des Bettes find ein Schranf mit ven Kirchenbüchern. Wenn 
jemand im Kirchſpiel flarb, fo kam es ihm vor, als ob bie Kirchenbücher 
auf die Erbe geworfen und dann längs bes Schraules heraufgezogen wur- 
den, was fich fo lange wieberholte, bis er ein Zeichen gab, daß er es ger 
hört habe: Ia jal ober dergleichen. (Soldau.) 

Der Sterbende wird in Mafuren (wie in Litauen) ans bem Bette 
gerifjen und auf den Fußboden anf Stroh gelegt. Man fagt bies geichehe, 
dem Gterbenben den letzten Rampf zu erleichtern. (Hin S. 101.) 

Dauert bei einem Ninbe ber Todeslampf lange, fo mäflen die da ⸗ 
tyen herbeigeholt werben; Hilft deren Gegenwart nicht, fo Intet die Heb⸗ 
amme auf des Hanfes Schwelle nieber und betet das Vaterunſer, ſobald 
iR das Kind von feinen Qualen befreit. (Hartg. Big. Ro. 8.) 

Auf Betten von Hühnerfevern kann man nicht fterben. Darum wirb 
der Sterbenbe anf Stroh gelegt. (Hohenftein.) 

Sobald jemand geftorben tft (nicht vorher) legt man die Leiche auf 
die Bank unter dem Fenſter, auf welche ein Wiſch Stroh ansgebreitet iſt 
und bebedt fie mit einem weißen Laken. (Wallenborf.) 

Während bie Leiche tm Hanfe if}, ruht alle rbeit, wenigſtens ber 
Spinnroden, „bamit ber Zobte nicht geſtört werde.” (Hinh ©, 68.) 


700 Uberglauben aus Bajuren 


Dex neue. Herr des Hauſes muh, ſobald ber alte Herr bie Magen 
geidjloffen Hat, hinausgehen und dem Bich, ben Gebäuden, ven Bäumen, 
lurz der ganzen Befigung ben Tod ihres Herrn aumelben, was er eima 
mit ben Worten thut: „Der alte Herr iſt jetzt tobt, ich bin jet ber neue 
Herr.“ (Subainen. Bel. auch Hintz ©. 101.) 

Den Tod des Befigers meldet man feinen Thieren, damit fie bem 
Berftorbenen wicht nachziehen. (Dartg. Big. 1866. Ro. 9.) 

Entfernt wohnenden Verwandten umb frennben wirb ber Tobesfall 
anf unerllärbare Weiſe durch eim Zeichen, fei es ein Klopfen, ein Knall 
ober bergleichen, angemeldet, (Solbau.) 

u dem Zimmer, iu welchem bie Leiche liegt, wird jeber Epiegel 
forgfältig verhängt, damit wicht das Bild ber Leiche tm Spiegel — alle 
gleichfam zwei Leichen — gefehen werde, weil fonft bald jemand von ben 
Ungehörigen bes Verſtorbenen nachfolgen muß. (Subainen. Die bei Hint 
©. 83 gegebene Erklärung dieſes Gebrauches if} ficher wicht richtig.) : 

Wenn man durchs Fenſter auf eine Leiche fieht, befommt man Gelb» 
ſucht. (Rubainen.) 

Zahnſchmerzen heilt man bamit, daß man ben Zeigefinger bes Tob- 
ten anf den fchmerzenden Zahn brüdt, (Hartg. Ztg. 1866. Ro. 9.) 

Das Blut von Hingerichteten bringt Glac und man fährt, um bar 
von zu erlangen, oft mehrere Meilen. (Reivenburg.) Namentlich fireben 
darnach Kaufleute. Denn wie bei ver Hinrichtung eine große Menge vom 
Menſchen zufommenlommt (wenigftens bei den frühern öffentlichen Hin- 
richtungen zufammentem), fo firömen dann bei ihnen bie Käufer zufam- 
men. (Willenberg.) 

Ein Finger von einem Ermordeten öffnet alle Schlöſſer. (Lubainen.) 

Eine mit dem Fette Ermorbeter genährte Lampe macht unfichtbar. 
Diefer Überglaube kam noch 1864 bei einem in ver Nieberung verübten 
Morde zur Sprache. 

Tritt der Mörder an bie Leiche bes Ermorbeten, während biefe um 
terfucht wird, fo befprigt ihn das Blut der Leiche, wo er auch ſtehe. — 
Der aus bem Niebelungenliebe bekannte Glanbe. (Lubainen.) 

Wenn fi jemand erhänzt hat, fo flürmt es, und erſt an dem De 
gräbnißtage deſſelben, alfo am britten Tage, legt fich ber Sturm. (Lubainen.) 





von Dr. M. Abven. 701 


Gargfpäne mit Schnaps braucht man gegen bad Verheben oder Ber- 
brechen. (2ubainen.) 

Einer weiblichen Leiche dürfen feine Haarnadela mit in das Grab 
gegeben werben, weil fonft die zurücbleibenden Angehörigen bie heftigfien 
Kopfſchmerzen befommen und nicht eher los werben, als bis bie Leiche 
wieber aufgegraben und bie Nadeln entfernt find. Neulich trat der Fall 
in Hohenſtein ein. 

Im einzelnen Familien, aber nicht überall, herrſcht die Sitte, vom 
Todten ein Geldſtück in den Sarg zu legen. (Wallendorf.) 

HM die Leiche gewaſchen und angezogen, fo giebt man ihr ein Gelb- 
fü in die Hand, um damit anzubeuten, daß ihr alles rechttich abgelauft 
ſei. (Lubainen.) 

Auch kommt es vor, daß man dem Todten Gelbftüde, gleichſam den 
Lohn für feine Hier vollbrachte Arbeit in bie Hand brüdt, wobei man 
fpricht: „Jetzt Haft du deinen Lohn erhalten, barfft alſo nicht mehr kom⸗ 
men.“ (dartg. Big. a. a. O.) 

Das Wafler, mit welchem bie Leiche abgewaſchen tft, wird aufbewahrt, 
unb wenn bie Leiche auf bie Bahre gelegt und hinausgetragen tft, fo geht 
die Frau, welche die Leiche gewafchen hat, mit dem Waſſer hinaus und 
gießt es hinter der Bahre ober dem Leihenwagen aus. Das fol beden⸗ 
ten: wenn ber Geift des Tobten zurädlommen will, wirb ein See vor 
dem Haufe fein und da kann er nicht hinüber. (Hohenftein.) 

Das Waſſer, mit welchem bie Leiche gewafchen tft, wirb unter bie 
Bahre geftellt. (Kurlen.) 

Die Schüffel ſammt dem Waſſer, mit welchem ber Todte gewaſchen 
iR, wirft man dem Sarge ans dem Haufe nad. (Hohenſtein.) Dies ge 
ſchieht, damit es fpäter nicht ſpake. (Willenberg.) 

Wenn die Leiche hinausgetragen wird, kehren fie bie Stühle um, mit 
den Füßen nach oben. Wenn bies verfänmt wird, fo ſtirbt im nächften 
Yahte wieber ein Mitbewohner des Hanfes. (Hohenftein.) 

Wenn bie Leiche aus dem Hanfe getragen wirb, fo wird alles Vich 
aus ben Gtällen gelafien, bamit fein früherer Herr e6 noch feguen könne. 
Auch an den Dienenföden wird das Decholz abgenommen umb fo lange 


102 Aberplauben aus Tafuzen 


offen gelafien, bis bie Leiche beerdigt if, damit and; bie Bienen feinen 
Segen erhalten Tönen, (Wallendorf.) 

[eun der Hawshert geftorben if, muß man ven Bienen baden Aw 
zeige machen unb ihnen Trauer geben db. h. am jeden Korb ober Sted 
ein ſchwarzes Lappchen befeftigen. Wirb das unterlafien, fo glaubt man 
allgemein, baß bie Bienen in ihren Behältuifien ausfierben. Dieſelbe 
Zodesauzeige wird and bem Vieh und namentlich den Schafen gemadit. 
Das fogenannte Trauergeben fällt aber bei diefen for. R. P. Prov-DL 
1846. ®b. 1. S. 398.] 

Wenn das Bieh ben tobten Gern gefehen Hat, foll es noch ange 
twaurig umhergehen. (Labainen.) 

Wenn bie Leiche anf ven Kirchhof gebracht wird, fo öffnet mau alle 
Tharen des Hanfes, um anzuzeigen, baf and) nad) bes Hansherm Tode alles 
unangeräßrt bleibt, wenn and) nichts verichloffen iſt. (Hartg. Big. a. a. D.) 

Im Mafnren Öffnen manche ver Ausführung ber Leiche alle:Gtalle 
thüren und legen auf bie Gtelle bes Thorweges, welche bie Leiche paffie 
ren muß, eine Att und ein Schloß. (Geben. Hin ©. 102.) 

Die Richtung des Windes wird an bem Begräbniftage fehr beobachtet. 
Zieht der Wind nad; dem Gehöft bes Berftorbenen, fo bleibt bie Wirte 
ſchaſt im alten Geletfe; Hat er aber bie entgegengefehte Richtang, ſo kommi 
dieſelbe in nachſter Zeit zurüd. (Dartg. Big. a. a O.) 

Wenn bie Leiche bes Bauern von feinem Hofe weggeiragen wird 
werben auf der Grenze feiner Befigung ‚gegen bie Straße zwei Werte ober 
Belle über Xrenz gelegt und über biefe mäffen bie Träger bie Leiche weg- 
tagen. (Wallendorf.) 

Der Geift des Verſtorbenen, welcher ſich bis zum Begräbnißtuge im 
Sterbehauſe aufhält, folgt jeberzeit feinem Leichname, wenn er zum Ber 
gräbnig gefahren wird. (Solban.) 

Kommt bie Leiche bet ihrem legten Wege über eine Grenze, fo wirft 
man eine Hand voll Stroh von dem Leichenwagen, bamit: bes Geiſt bes 
Todten ſich jegen und ausrnhen könne (Lubainen.) 

Auf jedem Kreugwege liebt es der Geiſt auszurnhen. Es wird da 
her ein Bund Etroh auf deu Kreuzweg gelegt, damit ber Geiſt ſich nieder ⸗ 
ſeten taune. (Golban.) 





vom Dr. M. Tippen, 708 


[Aus andern Gegenden Prenfens wird gemeldet: Sehr allgemein iñ 
der Gebrauch verbreitet, ſobald der Leichenzug bie Grenzen des Kirchdorfs 
berährt, ober" bei ber Rüdkehr nom Begräbniſſe an biefer Stelle ein Bün- 
del Stroh anszuwerfen — fogenanntes Todtenſtroh — welches zulege 
einen großen Hanfen bifbet, an bem ſich mandherlei Aberglauben Enüpft, 
beſonders ber: „Damit ber Berfiorbene bei feiner Wanderung ins Drauer · 
Hans ſich daranf anoruhen könne; ohne eim ſolches Bündel zu finben, 
wärbe berfelbe nicht Heimfehren.“ Hintz ©. 102.] 

Das Stroh von der Bahre wird verbrannt, entweder anf ber Grenze 
der Dorfipaft oder auf bem Grabe. (Willenberg.) 

Es ift nicht gut, wenn ein Wagen ober Reiter einem Leichenzuge ber 
gegnet: benn er nimmt ben Tobten wieder in das nächſte Dorf oder in 
die nächfle Gtabt mit zurld, und dann flirbt bald jemand aus dieſem 
Orte (Hohenftein.) 

Wenn der Leichenzug eiuem Wagen begegnet, fo ſtirbt einer von be 
nen, welde anf dem Wagen figen im nächften Jahre. (Oohenſtein.) 

Wenn bei ber Beerbigung einer Leiche bie Grube einfällt, was bei 
fandigem Ader Häufig vorkommt, jo ſtirbt fehr bald eimer non bemen, bie 
das Grab umftehen. (Solban.) 

Wenn einem von beaen, bie das Grab umftchen, etwas in bas Grab 
entfällt, jo ſtirbt er bald. ( Dohenſtein.) 

Derjenige, von befien Habe etwas im den Sarg gelegt ifi und mit 
begraben wird, firbt bald: (Hohenftein.) 

Wenn einer, bem etwas geſtohlen ift, ein zufällig noch verhanbenes 
Stüd des geſtohlenen Zeuges, Holzes ober dergleichen mehr in bas Grab 
wirft ober fonft auf dem Kirchhof nergräbt, fo verborrt ber Dieb, wenn 
ex das Geſtohlene wicht bald zurädbringt. (Lubainen. Hohenftein.) 

Dem Kinbe, welches bie Eltern geichlagen Hat, währt die Hanb zum 
Grabe hinaus. 

Auf dem Kirchhof darf man leine Blumen riechen ſonſt verfiert man 
ben Geruch. (Dohenſtein.) 

Geht des erſte Tobtenträger nach Hamfe, fo begleitet ihm ber: Tobin, 
wodurqh ber Unerſchrocene aher nicht ans der Beflung gebecch wisd, Re 
aladarn fengt; Gabe. ich hir bein. Miptt-gukı aemanht?: Men: id irait 


104 Aberglauben aus Mafuren 


wicht gut gemacht habe, fo werbe id} es beſſer machen; daun erſt geht ber 
Todte beruhigt in fein Grab. (Hartg. Big. a. a. D.) 

Der Tobte kommt zu bem Gewerk, wo bie ſchwarzen Trauermäntel 
aufbewahrt werben, fi) zu bebanten, (Hohenftein.) 

Die Handtücher, womit der Sarg in bie Gruft gefenkt wurde, wer- 
den zu Haufe an bie Thür gehängt, dahinter if} daun ber Tod. (Hartz. 
Btg. a. a. O.) 

Am Abend des Begräbnißtages fielt man bem Todten einen Stahl 
in das Sterbezimmer, hängt ein Haubtuc am bie Thäre und erwartet ihn 
fo: Denn der Todte kommt am biefem Abend zurüd, fett fih anf den 
Stahl, weint ſehr und trodnet feine Thränen an bem anfgehängten Hand» 
tuche. Dann verſchwindet ex für immer. (Lubainen.) 

Rod) dem Begrabniß wird ein Stuhl in ber Stube an bie Thür ge 
flellt, ein Handtuch daneben gehängt, unb die Nacht über brennt ein Licht, 
Der Tobte kommt ſich dann bebanfen. (Hoheuftein. pl. bie Rotiz in 
ben R. P. Prov.BL 1846. Bo. 1. ©. 182: Der Tobte, deſſen Leiche 
hubſch geſchmũckt if, lommt ſich nad dem Begräbuiſſe bafür bebanfen; 
daher mm man bie Leichenklleider gut zunähen, indem fie der Tobte fonfl, 
wenn er aus bem Grabe anffteht, verlieren wärbe, 

Wenn bie Leiche aus dem Gterbehanfe Hinausgetragen wird, (in bie 
fer Beitimmung weicht diefe Relation vom allen verwandten über benfel- 
ben: Gegenſtand ab), wird ein Stuhl mit einem Handtuch hingeſtellt, da⸗ 
mit der Verftorbene alle Tobtenfeierlichleiten mit anfehen könne; bam 
wird bie Leiche weggetragen. Doch gefchieht das nur, wenn ber Wirth, 
der Bater bes Hanfes, ber Befiger des Ganzen begraben wird. Der 
Tobte Lommt ein» ober mehrmal längere ober kürzere Zeit, bis zum Bten, 
Hten, 1bten Tage ober bis zum Ablauf von 4 Wochen zurüd und bebient 
fih dann des Stuhles und Handtuchs. (Wallendorf.) 

[Aus deutſchen Gegenden Preußens wird Folgendes berichtet: Bet 
der. Nacklehr vom Begräbnifie flellt man in ber Stube neben ber Thüre 
einen Stuhl Hin, der aud von Niemanden eingenommen werben bar. 
Auf diefen werben bisweilen auch die Handtücher gelegt, mit welchen ber 
Garg- ins Grab geſenkt wurde. Oft wird im Tranerhaufe ein Winkel bes 
Zinmers: mit einem weißen Tuche verhängt, damit von bort aus ber Bew 





von Dr. M. Täppen. 706 


ſtorbene ungeftört ben Begräbnißfeierlichleiten zuſehen könne. Beim Ber 
grabnißmahle wird ein eigener mit Speiſe und Trank befegter Play für 
den Berftorbeuen offen gelaſſen. Hintz S. 102. 

Die alten Preußen Inden ihre Berftorbenen nad I. Meletine in 
Art, Bor. T.II. p.411, vgl, H. Meletius im Erf. Preußen Bd. b. S. 718, 
zum Todtenmahle und warfen bie für fie beftimmten Speiſen unter ben 
Tiſch, goffen ebenfo au von dem Getränfe für fie auf ben Boden. 
Hochſt merkwürdig ift mir nun, daß 9. Meletins dabei ausbrüdlich ber 
merkt: Die Verwandten halten ihre Tobtenmähler am äten, Gten, Iten 
und 40ften Tage.] 

Wenn jemand geftorben iſt, beden fie ein Tiſchtuch über die Leiche; 
dies Tiſchtuch decken fie beim Leichenfchmanfe über den Tiſch, anf welchem 
das Leichenefjen fteht. Dann Tann Niemand etwas genießen, wie hungrig 
er auch ſei. (Dohenſtein.) 

Um Erſparniſſe bei dem Todtenmahle zu machen, nimmt wohl dieſer 
und jener ben Lappen, mit welchem bie Leiche gewaſchen wurbe sub fährt 
damit über bie Speiſen. (Dartg. Big. No. 9.) 

Die Trauer um den Dahingeſchiedenen tft nicht anbauernder und 
tiefgehenber Natur. Bei dem Trauermahle wird dem Branntmein fleißig 
zugeſprochen. Mit einem „Ewige Ruh gieb bem Herrn“ (ober der Grau) 
erhebt man das Glas um zu trinken; gleich baramf geht bafjelbe mit dem- 
felben Begleitwort weiter, das banert daun fo lange, daß mander trunken 
wird. (Harig. Ztg. a. a. O.) 

Den Furchtſamen kurirt man bei ſolchen Gelegenheiten anf folgende 
Weiſe: Man fegt oder legt ihn anf das Brett ober ben Tiſch, auf wel 
Gem die Leiche vor dem Einfargen ruhte, und ba muß er fo lange Tiegen, 
bis ihn die Kälte (Schauder) tuchtig durchrieſelt. (Dartg. Big. No. 9.) 

Die bei der Geburt eines Kindes oder bald darauf geſtorbene Mut⸗ 
ter lommt jede Nacht vom Himmel herab, um ihrem Kinde die Bruſt zu 
reichen und zwar thut fie dies 6 Wochen hindurch vom Begrabnißtage (nicht 
dom Sterbetage, ber dabei mehr Nebenſache iſt) an gerechnet. (Wallenborf.) 

Die Thränen der Mutter laſſen dem verſtorbenen Kinde tim Grabe 
feine Ruhe; fie befenchten fein Todtenkleid. Das Kind findet feine Ruhe 


erſt, wenn bie Mutter ſich beruhigt hat, (M. P. B-Bt. 1200. ¶ 2.6.489.) 
Mayr. Monstöjgeift Ba. TIL. HfE.8. 


706 Mberglauben aus Mafuren 


Wafier, welches vor ber Thür auögegofien wird, mn man enimeber 
dicht vor feinen Füßen ober au bie Wand gießen, weil man fonft einen 
der fid) gewöhnlich au bem Hansthären aufpaltenden Geifter begieft uut 
dieſer daun traurig iſt. (Rubainen.) 

Auffallend if} die Notiz in der Harig. Zig. Re. 9: „Den Eintrüt is 
das Hans verwehrt man bem Verfierbenen, wenn man eine Att au bie 
Schwelle legt.” Wir erwähnten, daß eine Art ober zwei beim Austragen 
der Leiche auf bie Schwelle gelegt wird; darnach macht aber die Leiche 
noch ihre Beine.) 

Die Gabe Geifter zu fehen, welche bie Eonntagsfinber haben, ift mit 
geoßen Beſchwerden verbunden, ba fie fehr oft Seelen ber Hingeſchiede ⸗ 
wen unb andere Geifter anf den Kichhof tragen und jo manchem ihrer 
Befehle aneführen mällen. So habe id, beriätet ver Rector Gerß in 
SroßStärlad, in Nicolaiten einen bejahrten Mann mit Namen Ioppel 
gelaunt, der allgemein als Geifterfeher befannt war. Er war zu redlich, 
als dag man ihr für einen Betrüger hätte halten können, jedoch ſchien er, 
obwohl Lörperliy geſund, tiefinnig. Stets war er in Gebanfen verfunten, 
die ihn quälten. Nicht felten verließ er gegen Mitternacht fein Lager, 
ging leuchend auf den Kirchhof Hin und lehrte von Hier ſehr ermübet uud 
wit Schweiß bebedt zurüd. Auf bem Heimwege rebete ex mit Riemanden, 
noch gab er bemjenigen, ber ihn augerebet hatte, eine Antwort. Zu 
Haufe erzäplte er aber, daß er fo und fo viel Geifter zum Friedhofe hätte 
tragen müũſſen. War ein Meunſch geftorben, fo behauptete er, daß er mit 
der Seele des Hivgeſchiedenen geſprechen Habe, welche ihm bie und bie 
Aufträge an die Hinterbliebenen gegeben. Im der Kirche trat er ſehr oft 
während bes Gottesbienftes vor ben Altar unb ſtand eine geranme Zeit 
regungelos ba. Hinterher erzählte ex, baf er Solches anf Befehl ber 
Geiſter Habe thun müfjen. Einmal hatte er bei biefer Gelegenpeit die 
Geweinde ſlillſchweigend mit der Hand gefegnet. Nach beendigtem Gotte# 
dienſte erzaͤhlte er, daß ihm ber verſtorbene Pfarrer Raabe (f 1828) er⸗ 
fienen wäre, ber, dem Volle unſichtbar, vom Altare herab bie Gemeinde 
gelegnet unb ihm befohlen habe gleichzeitig bafielbe zu thun. Die unter 
zen Bolteklaffen glaubten fteif und fe an feine Geifterfeherel. (R. Pr 
rad. 1869. 30.2. ©. 467.) 





vom Dr. M. Zäppen. 707 


Eine Fran in Nicolailen, welche mit einer bei ver Abendmahlsfeier 
ihr verabreichten Oblate Ungehöriges unternommen hatte, fand nach ihrem 
Tode feine Ruhe und mwanfte lange auf ver Erbe umher. Endlich trag 
fie einem Geifterfeher auf, ihrem Manne das Geheimniß zu hinterbringen. 
Sobald der die Oblate gefunden und nach ber Kirche gebracht Hatte, fo 
kehrte die Ruhe auch bei ihr ein. (Nicolailen.) 

In Nicolailen hörte der Glöcner, als er an dem Weihnachtsfefte 
fruh erwachte und ſich erhob zur Frühmeffe zu länten, in der Kirche Ge 
fang. Er glaubte, er hätte verfchlafen und eilte zur Kirche. Die war 
hell erleuchtet und von Menſchen angefüllt; e8 waren aber lauter Verſtor⸗ 
bene, and) der verſtorbene Pfarrer ſtaud am Altare. Der Glädner er 
ſchrak und eilte zu dem lebenden Pfarrer um ihm zu melben, was er ge 
fehen hätte. Während deſſen nimmt bie Geifterflunde (der Glöckner war 
um Mitternacht erwacht) ihr Ende und die Geifter ftürzen haſtig zur 
Kirche hinaus. Cine lebendige Frau, welche auch um Mitternacht erwacht 
war und Aber den Kirchhof zur Frühmeſſe nach der Kirche wollte, gerieth 
unter die Menge, erkannte bald, daß es Verftorbene wären und wollte 
entfliehen. Aber die Geifter folgten ihr, riffen ihr den Mantel von ben 
Schultern, (von welchem man bie Stüde fpäter auf ven Gräbern fand) 
und eiſchreckten fie fo, daß fie furze Zeit darauf farb. (Micolaifen.) 

Ueber den Vampyrglauben in Preußen weiß Pifansfi (No. 24 8.18) 
Folgendes beizubringen. „Solften aber auch wohl bie Bamphre, jene unruhi⸗ 
gen Leichnahme, die bie jego noch nicht aufhören wollen in Ungarn und 
in deſſen Nachbarſchaft das Blut graufamer Weife anszufangen, fi auch 
in Preußen fpüren lafien? daß fie in den verflofienen gahrhunderlen viel 
Unheil unter unſern Landesleuten angerichtet, müſſen wir glauben, ba ein‘ 
Schriftſteller uns berichtet, wie man das Schmatzen unb Freſſen ver Ber- 
ftorbenen in den Gräbern gefehen und bemerft habe, und daß ſolches vor⸗ 
nehmlich im Jahre 1564 bei ber in Preußen wüthenden Peftilenz gefches 
ben ſei. (Hennenberger Erflärung der Landtafel S. 324, 325 und Der 
ſchow Chriſtliches Bedenken von der Peſtilenz, Königsberg 1623, 4. ©. 21.) 
Vielleicht aber werben biefe unverſchämten Bluthunde zu unfern Beiten 
allhier beſcheidener geworben fein, da unter audern auch zwei preußiſche 
Gelehrte ihnen alle Wirkfamleit zu benehmen verſucht Haben. Judeſſen 

45° 


708 Aberglauben aus Mofuren von Dr. IR. Lippen. 


iſt ber gemeine Man ihrethalben noch wicht ohne alle Furcht. Er bewei- 
fet ſolche durch die Sorgfalt an erblaßten Körpern vor ihrem Begräbnifie. 
Noch ift am vielen Orten der Gebrauch, daß man ben Garg, wenn er 
eben im bie Gruft gefenkt werben foll, noch einmal eröffnet, und basjenige, 
fo etwa von ben Leichenhüflen durchs Gchütteln unter dem Forttragen 
dem Verſtorbenen zu nahe an ben Mund gelommen, wohlbebächtig weg- 
raumet, weil man in ben Gedanken ſtehet, daß biefes ihm bie erfte Gele 
genheit geben könne, um fich zu freſſen. 

Eine Frau drohte ihrem Mannes „Ich ziehe bir, wenn bu im Garge 
biegt Chodatis (Biemenfchuhe) an, dann kommſt du zu fpät zum jüng- 
ſten Gericht! Welche Schande!“ (RI. Jerutten.) 





Haniel Yaafı. 
Ein preuftfäger Geiftlicher am Ausgange bes fiebzehnten Jahrhunderts unb 
feine Zeit. 
Bon 


Rogge, 
Biarser in Hobenfürft. 


Im ber Kirche zu Borken befindet fich moch heute das Portrait eines 
Geiſtlichen in Lebensgröße und bezengt bie Achtung und Liebe, welche der⸗ 
ſelbe ſich einft bei feiner Gemeinde erworben. Durd ein chronikenartig 
geführtes Kirchenbuch, welches von ber Haud biefes Mannes in der Kir 
enregiftratur aufbewahrt wirb,*) ift es uns möglich geworden, neben 
fein Portrait ein Lebensbild zu ftellen, welches nicht unintereffante Streife 
lichter auf die Sittengeſchichte feiner Zeit wirft. Daniel Haaſe, nad 
Arnoldts Presbyterologte im Jahre 1643 geboren, wurbe im Jahre 1678 
zum Pfarramte in Borken berufen und ben 3. Advent des genannten Jahr 
res in baffelbe eingeführt. Kriegsnoth und Elend laſteten damals auf 
bem Sande; der Vorgänger Haaſe's, Johann Täfchner, war fo arm ges 
florben, daß die Koften zum feinem Begräbniſſe aus ber Kirchenlaſſe be- 
firitten werben mußten. Es war feine bloße Phrafe, wenn im Taufbuch 
jede Geburt mit ven Worten eingetragen wurde: „an biefe mühfelige und 
jammervofle Welt geboren.” Ziefe Stoßfenfzer des beängftigten Herzens 
Hingen felbft durch die fpärlichen Freudentage hindurch, welche jene bes 
wegte Zeit bot. Die Schweden waren ins Land gefallen. Bon Friedland 
waren fie bis Schippenbeil vorgebrungen und bebrohten am Anfange bes 
dahres 1679 auch das Kirchfpiel Borken. Die mwaffenfähige Mannfhaft 


*) 08 umfaht die Jahre 1678-1695. 


7110 . Daniel Haafe 


war feinen Angenblid fiher und mußte fi „zum Aufzuge“ fertig halten. 
Im den erften Tagen des Iannar reifte der junge Pfarrer nach Könige 
berg, um feine Braut heim zu holen. Der Wehfchrei des Landes Hallte 
in den Mauern bes ftillen Hochzeitshaufes wieder. Das Traubuch mel- 
bet: „Anno 1679 ben 15. Januarii, nehmlih am andern Eonntage nad 
Heil. drei Könige bin ich, Pfarrer Daniel Haaſe, allhier zu Borken mit 
meiner Siebften, der bahmahligen viel Ehr- und Tugenbreichen Jungfrauen 
Margaretha Neresin feel. Seren Michaelis Neresii, treufleiig gewefenen 
Pfarrer und Seeljorgers ber Kriftlichen Gemeine zu Tarau Eheleibliche 
Tochter, im Nahmen ber heil, und Hochgelobten breieinigfeit zum erften 
mahle aufgebothen worden. Wobey denn zu bemerlen, das eben im ber 
Woch darauf eine ſolche Furt und Schreden der Schweden wegen, bie 
fon im Friedlandſchen und Schippenbeilichen mit ihrer Armee waren, 
entftanden, das ich auch über meine anzuhebende Ehe muſte bag rechte 
betrübte Weh Hagen und fagen: Weh mir, das mic, diefe Elende Zeit, zu 
meinem anzuhebenden Eheftand aljo berüdet und betreten! Den 25. Ja 
nnari uehmlich am Tage Pauli Belehrung, war der Mittwoch nach dem 
dritten Sonntag p. Epiph. Anno 1679 darauff, da durch unfre Gebeht 
das Schreden unb die Furcht der Schweden fid) geſtillet, «) und die Feinde 
fich in das Nordenburgſche und Gerbauenfche gezogen, bin ich öffentlich 
allhier in meiner Bordifgen Kirche von Herrn M. Martino Babatio Ery 
Brieftere zu Bartenftein copnlieret und getrauet worben.“ 

Die Kriegsunruhen hatten nicht uur Armuth und Elend im Gefolge, 
fondern wirkten auch höchſt verberblich auf die Sitten der Bewohner. Bei 
der damaligen „Einguartirung ber häufigen Völker“ ging bie Ehre mander 
Aungfrau verloren, dazu wurben noch efelhafte anſtedende Krankheiten ins 

> gefchleppt.=u) Alle Folgen ber traurigen Zeiten mußte Haaſe über 
ergehen laſſen. Ans feinen, oft recht ausführlichen Aufzeichnungen 
men wir aber, baß er benfelben mit dem Ernſte des treuen Seelfor- 

entgegentrat. Er Hatte harte Kämpfe aller Art zw beflehen und 
d in benfelben oft allein da, aber ber Muth fank ihm nicht und er 





*) Diefelben waren am 20. Jan. bereitö bei Splitter geichlagen. 
*) 3.8. die Sranofer. Todienb. 1681 27. April ftarb eine Magd in Ardap 
an denfelben. 





von Rogge. 711 


handhabte das Wort Gottes ohne Menſchenfurcht und Anſehn der Perſon 
gegen Hohe und Niedrige. Wir wollen dabei nicht verhehlen, daß er in 
den Anſchanungen und Vorurtheilen feiner Zeit befangen war. Leider wurde 
ex in feinem ernflen chriſtlichen Streben nicht einmal durch feine benach⸗ 
barten Amtsbrüber unterftügt. Beſonders bie Geiftlihen in Bartenſtein 
bereiteten ihm manchen Verbruß. Die fehweren Zeiten fcheinen benfelben 
über ven Kopf gewachfen zu fein. Bald mochte fie Gewinnfucht, bald 
Menſchenfurcht, bald Menfchengefälligkeit bewegen bie Bande ber Kirchen. 
vieciplin zn lodern. Marche Klage über ihr unbrüderliches, oft auch uns 
geiftliches Verhalten tönt uns ans bem alten Kirchenbuche entgegen. Zum 
ſchweren Vorwurf wirb es ihnen gemacht, baß fie die Communicanten gar 
nicht einmal anfchrieben, fremde Leute ohne Zeugniß ihrer bisherigen 
Seefforger zur Beichte annahmen und ohne alle Nachfrage nad) ihrem bis⸗ 
herigen Lebenswandel abfofoirten. Deshalb zogen ſich aus dem Borken ⸗ 
ſchen Kirchſpiel gar viele, welchen der Ernſt ihres Eeelforgers wenig ber 
hagte, zu ihnen Hin. Beſonders ber deutſche Caplan Chriſtian Hagen, 
dem auch Ansftellung falicher Beichtatteſte vorgeworfen wirb, die er ſich 
zu thener bezahlen ließ z. B. mit einem Scheffel Hafer, wird wegen ſei⸗ 
nes „breiten Gewiſſens, mit dem er fich fremder Sünde theilhaftig machte," 
angellagt. Der ehrenfefte Pfarrer in Borken ſchickte ihm auch einmal 
„einen harten fchriftlichen Verweis, ven er al einen warmen PButterwed ver⸗ 
ſchlungen“ und bebroßte ihn mit dem Eonfiftorio. Manch „hartes Bitt- 
ſchreiben“ erhielt auch der Erzprieſter Babatius,=) fanbte aber Feine Antwort 
zuräc und „machte Alles ftillfchweigig wahr.” Desgleichen kehrten ſich auch“ 
bie polnifchen Eapläne Boretius und Bafecovins nicht am bie Kirchenord⸗ 
nung und entfrembeten dem armen Haaſe manches Beichtfind, bas fie in 
feiner Unbußfertigkeit beſtärkten. Die katholiſchen Geiftlichen der Umger' 
gend fcheinen ihm aut wenig Reſpect eingeflößt zu haben. Wo ein mal 
ein folcher im Kirchenbuche erwähnt wird, geſchieht dies umter ber ſtehen⸗ 
den Bezeichnung: „papiflifcher Pfaff.” " 
Im Kirchſpiele ſelbſt trat dem Pfarrer die Sünde in jeder, oft recht ab⸗ 
ſcheulicher Geftalt entgegen, Rohheit und Sittenverberbniß gingen durch alle 


*) Derjelbe war vorher Professor graecae linguae zu Königäberg geweſen 1667. 


712 Daniel Haafe 


Stande und mur wenig Lichtbilder glänzen uns hier ans ber fog. guten, 
alten Zeit entgegen. Selbſt ein Theil des, im Lirchſpiel augefefienen, Adels 
ging mit offenen Augen feinem Untergange entgegen. Einen erfreulichen 
Einbrud macht es dagegen, daß Bamilien, bie hente noch blähen, ſich da ⸗ 
mals ſchon durch Frömmigleit und qhriſtlichen Sinn anszeichueten. 

Haaſe übte die Seelſorge mit großer Gewiſſenhaftigleit und ſcheint 
gerade dadurch den Haß zweier Edelleute bes Kirchſpiels auf ſich gezogen 
su haben. Es waren dieſe Andreas Friedrich von Helwig Gottburg auf 
Vilwen und Georg Friedrich von Prömock anf Borken und Markihnen. 
Im Bezug auf ben Erſten klagt der Pfarrer,«) daß er ihn heftig verfolget 
und bei allen Berichten ſchimpflich angetaſtet, auch lange Zeit Gottes Wort, 
bie Kirche und das Pfarramt verachtet und ſich boshaft vom heiligen Abenb- 
mahl fern gehalten. Als bemfelben 1689 22. September ein gebrechliches 
Gögnlein mit einer Haſenſcharte geboren wurde, ſah ver Pfarrer Hierin ein 
beſonderes Gottesgericht, ebenfo als derſelbe 1693 rechtlich von feinen Gütern 
ejiciret wurde. Die Händel, in welche er mit bem Pfarrer gerieth, müflen 
freilich ſehr böfer Art gewefen fein. Sein Bruder Johann Albrecht Half ihm 
dieſelben durchführen, mußte aber zwei mal vor dem Laudrath Herru 
Melchior von Tettau öffentlich abbitten. Er felbft mußte dem Bfarrer 
ein mal vor bem Hochw. Eonfiftorio mit allen feinen Unterthanen „Die 
Voßhand“ reihen. Trotzdem ließen bie Brüder nicht von ber Feindſchaft 
wider ben Pfarrer und nahmen alle kirchenfeindlichen unb gottlofen Leute 
in ihren befonderen Schutz. Nach ihrer Entfernung von ben Vilwiſchen 
Gütern geftalteten ſich dort bie lirchlichen Berhältniffe nicht gänftiger. Ein 
Calviniſt erſtaud biefelben, dem ber ehrliche Hanfe ſchon wegen feiner 
Kegerei nicht befonders gewogen fein lonnte. Es war ber Secretarius 
eztraordinarius peinlichen SHofhalögerichtes und Schloß · Amtoſchreibers 
Adjunetus Here Jacob Calender. Derſelbe ſtarb bereits 11. September 1694 
und zu feinem Gchmerze konnte ihm Haaſe bei einem zweimaligen Kran 
Benbefndye nicht belehren, „weil er ihn allzeit one Vernunft gefunben.“ 
Gein Leichnam wurde „auf dem Galvinifchen Kirchhof in Königsberg“ berr- 
bigt, das Blodengelänte in Borken wurbe ihm nicht verweigert, Von bet 


*) Xaufbuch 1689 22. Sept. 





von Rogge. \ 718 


böfen Erbſchaft aber, bie er dem armen Pfarrer Hinterlafien, weiß bald 
darauf das Traubuch zu erzählen. Da Heißt es: „Anno 1695 ben 28. Aprill 
am Donnerftage von bem Sonntage Cantate find im Nahmen ber heiligen 
und Hochgelobten Dreyfaltigleit, im Hoff zu Pilwen Ehelich von mir zu 
fammengegeben und copuliret worben Tit. Herr Doctor Johannes Sta- 
nislaus Kalinski mit Tit. Frauen Rahel, legitimirten und gebornen 
v. Hellen und feel Tit Herrn Jacob Calenders, def Peinlichen Hoff Half- 
gerichte Secretarii extraordinarii und des Schloß Ambts Scqhreibers Ad- 
juncti Wittiben, welde, da Sie nah 14 Tagen Ihres feeligen Mannes 
Tode, wie fie Ihn zu Königsberg auffem reformirten Kirchhoff begraben 
taffen, ſolchen Doctorem Johannem Stanislaum Kalinski, bald wieberumb 
Ihr zugeleget und mit ſich gebracht, und erftlich blind fürgegeben, alß wenn 
Er ein Käuffer, der das Guht Pilmen an fich bringen wad Kanffen wollte. 
Nachmahlen aber ift ihr Fürhaben bahin, gebiehen, daß Guth und Fran 
von obgebachtem Herrn Doctor erfauffet worden und an Ihn gefallen. 
Wie nun aber fie fi fo lange anffgehalten, und ungetranet in einem 
Haufe Zuſammen gelebet, Hab ich ſolches nicht weiter Ihnen zuſehen wol 
len. Derohalben ich fie getrieben und gezwungen, obgleich ich darauff 
eine läfterlihe Schmäh Schrifft von dem Doctor belam, das fie muſten 
einen Churfürſil Befehl mir bringen, bamit fie alfo intra annum luctus 
tonnten getrauet werben.“ 

Im Jahre 1697 ging Pilwen durch Kauf an ven Burggrafen Seel über. 

Auf Borken und Markihnen ſaß zu jener Zeit bie Familie v. Prör 
mod. Diefelbe war mit ben ebelften Geſchlechtern bes Landes verwandt, 
trogbem ſcheint fie auf feiner beſonders Hohen Stufe ver Cultur geſtanden 
au haben, Der Capitain G. Friedrich v. P., welcher zugleich Patcowatöherr 
ber Pfarre war, ließ dem anziehenden Pfarrer zum Willlommen feinen 
Gartenzauu abbrechen. „Wer von ben Bauern noch etwa ſo chriſtlich 
war und nicht Hand anlegen wollte, bem wurde vom Gutsverwalter fofert 
feine Art weggenommen und er mußte biefelbe im Kruge für einen hal⸗ 
ben Thaler verfanfen Lafien.” Ein anbermal orbnete derſelbe Herr wir 
ber einen Abbruch des Zaunes an, nur um ben Pfarrer „in feinen Me 
bitationen zu verſtören.“ Es gelang ihm auch feine Abficht durchzuführen. 
Der arme Haaſe konnte am Sonntage baranf nor Wehmuth nicht prebir 


714 Daniel Haafe 


gen. Charalteriſch iſt ber Nachruf, welchen Haaſe dieſem Widerſacher 
im Todtenbuche gewidmet hat. Da heißt es: „Anno 1691 den 16. Norbris 
am Freytag nad) dem 22!= Sontag nad) Trinitatis zc. iſt der Hoch Edel- 
gebohrne Herr, Herr Georg Friederich v. B. Erbherr auff Marlihnen und 
Borcken, in Gott feelig verfchieben, da er den 12 Novembris bes Abends 
vom Schlagfing, wie er fein Gefinde deſſelben Tags ausgezahlet, auff der 
rechten Seiten gerichtet, und biß auff den Tag feines Abfchiebes auf bie 
fer Beli Sprachloß, doch aber bei gutter Bernunfft und Aunehmung ber 
Mittel der Seeligkeit verbfieben. Bey welchem denn zu merken, da woll⸗ 
gedachter, wollſeelige Herr v. P. vielfältig umd offt mich und mein Ampt 
gedrudet, Er doch in feiner Höchften Schwachheit und Ohnmacht von Gott 
erleuchtet, ſich mit mir ausgeföhnet, indem er mit wahren Zeichen ber 
Buße und Beicht des armen Zöllners ſprachlos mit feiner linfen Hand 
fich an bie Bruft fchlagend, von mir das h. nnd hochw. Abendmahl 
3 Tage vor feinem Ende würdig empfangen. Unb ba glei Herr M. 
Martinus Babatius, Erzprieſter zu Bartenftein dawieder ſich legen wollen, 
daß er alß fein ordinarins confessionarius bie 5. Communion nicht mit 
ihm verrichtet, Hat doch ſolches fich nicht ſchileen wollen, bieweil Herr 
Erzprieſter nicht alfobald an der Hand gewefen, fonbern gefchlafen, bie 
hohe Noth aber erfordert, daß ich ihm eiligft, damit er nicht wieber von 
denen Gedanken ablähme bas feelige viaticum geben muſte. Weldes 
aber body alles von mir geichehen sine despectu et praejudicio Domini 
Archipresbyteri uti verissime novit Deus. Iſt den 11 Decbr mit dhrift- 
lichen Leich · Ceremonien allhie zu Borken mit einer Leichprebigt 
n 4, v.11 fo Herr Erzpriefter Martinus Babatius gehalten, beerr 
ren." 
mag fi) Haafe nach dem felig entfchlafenen Herrn v. P. gefehnt 
enn über feinem Grabe ſtand eine ganze Schaar von Berfolgern 
n anf. Die Fran des Euntſchlafenen, nebft ihrem Halbbruber, bie 
eſſelben mit ihrem Hofmeifter vereinigten fi, um ihm bas 2er 
amer als möglich zu machen. Die Verfolgungen, welche num über 
inbrachen, werfen ein zu intereflantes Licht anf ben Bildungegrad 
Anſchanungen jener Zeit, als daß wir micht etwas näher auf bier 
ngehn ſollten. Frau v. P. begünftigte vieleicht ans Eigennut bie 


von Rogge. j 716 


wilden Gelage, welche häufig und befonbers am Sountage in bem ihr 
gehörigen Kruge ftattfanden. “Der Pfarrer ſah Hierin natürlich ein feind- 
liches Verhalten gegen fein Amt und feine Perfon. Er Hatte unter vem- 
felben um fo mehr zu leiden, als feine eigenen Dienftlente durch bie 
wilde Wirthfchaft verberbt wurben und ihm durch Untrene und Liederlich⸗ 
teit manchen empfindlichen Schaden verurfarhten. Eine Menge bintiger 
Schlägereien, die im Kruge zu Borken vorfomen und oft unmittelbar un 
ter feinen Senftern beendet wurben, hat er gewiſſenhaft in feinem Kirchen 
buche vegirirt,. Um ſeelſorgerlich auf bie Uebelihäter einzuwirken, Hatte 
ex eine befondere Confignation der böfen Perfonen angelegt md fehr ge 
nau bie Verhandlungen niebergefchtieben, bie er mit ihnen gepflogen. 
Seine ernftlihen Bemühungen zur Hebung der Sittlichkeit ſcheinen ber 
Frau v. PB. widerwärtig gewefen zu fein unb als er zwei ihrer Leute vor 
fein Amt forderte, erklärte fie: „Sie wolle, wenn ber Pjarrer zu jemand 
ſchicken wolle im Dorf, daß er follte zu ihm kommen und jemand ohne 
ihr Vorbewußt zu ihm ginge, denfelben, wenn es auch ein Kerbel wäre, 
der einen Bart bis an bie Bruft hätte, auf öffentlicher Straße zu Borken 
nieberlegen und bis aufs Blut prügeln laſſen.“ Zu wiederholten Malen 
verbot fie allen, bei 10 Mark Strafe vor dem Pfarrer zu erſcheinen ımb 
ließ demfelben „dur ihre muthwilligen Kinder einem ftattlihen Hund ans 
eitel Rachgier und Feindſchaft zerhegen.” Ihr Hofmeifter, Joh. Mart: 
Mohnhaupt, machte fid) ein befonderes Vergnügen barand am Sonntage 
unter ber Vesper zu fiſchen, weshalb der Pfarrer nicht unterließ ihn ımie 
ter den Sabbathſchändern aufzuführen. Da zeigte man ihm bald bentlicher, 
was man von ber Heiligung des Sonntags Halte. Cr berichtet im Kier 
chenbuche: „1694 ben 12 April Hat der markihnſchen Frauen Halbbruber, 
ein Lieutenant, auf dem Kirchhof zu bes Schulmeifters: Daniel großer 
Drän- und Schimpfwort über den Schulmetfter ſich vernehmen laſſen und 
geſprochen: ber Schufmeifter, Hrswfott und Bärenhänter, wird er mir nicht 
mehr das Chor öffnen, ich will ihm fo und fo prügeln! Daranf hat er den 
ganzen Tag im Kruge mit ben Knechten gefoffen, auch dem Pfarrer gebroht.” 

Bald darauf gebot Frau v. P. fogar einem Trömmelihläger untes 
der Kirche die Trommel zu fihlagen, Die dann ben sangen Sonntag „beim 
Saufen ber Knechte gerühret wurde.“ 


716 Daniel Hacke 


Auch dieſe Feinbfchaft filgte erfi der Top unb wiebernm läßt uns 
Haaſe bie Sram, welche er im Leben als eine Farie geſchildert, anf bem 
Sierbebette als eine Gelige erſcheinen. Es war aber bie Zeit der äufer- 
lichen Zucht, in welcher man nach luſtigem ober fünblichem Leben felig 
zu flerben vermeinte, wenn man fi auf dem Tobtenbette zur Annahme 
des Gterbejacraments bequemte und dem Beichtvater wicht länger wiber 
ſprach, ben man vielleicht fein Leben lang verhöhnt hatte. Das Waſſer 
in ber Taufe, der Wein im h. Abendmahl follte Alles thun. Die rau 
v. P. land werigfiens zum Theil auf diejem Stanbpunlte und Haaſe fjeint 
deufelben als Kind feiner Zeit nicht ganz verworfen zu haben. Hören 
wir, was er über ben Tod ber Frau v. P. zu berichten Hat: „1694 ben 
26. September zc. hat Gott anf biefer mühjeeligen Welt durch einen feel 
gen Todt abgeforbert, bie hochedelgebohrne Fran Maria Eliefabeth von 
Promodin, eine gebohrne von Kauitzin, deß feeligen auch Hochedelgebohr⸗ 
nen Herrn Georg Friedr. v. Promods Erbherrus auf Marlihnen und 
Borken Eheliebſte, welche, da fie ihren Untertfauen allen Muthwillen ge 
flattet und Gottes Ehre fehr gebrudet, auch deßwegen mich, daß ich bark- 
ber geehfert, fehr verfolget, maaßen fie baum in ber Zeit mir große Ges 
walt eriwiefen und meines Miethemanns Bieh von der Brad im ihren 
Hof treiben laſſen, darüber ich große Beſchwerd gehabt und durch Chur ⸗ 
Fürfil Befehl mic fhägen müſſen, ift doch eudlich kurz vor ihren End, 
mehmlich ven 6. September zu mir in mein Hauß kommen und hat ein- 
sige Zeichen anderes Gemüthe gegen mich bei ihr vermerken laſſen. Im 
ihrer Kraukheit ift fie von meiner Frauen erfuchet worden, ber fie gella⸗ 
get, daß fie das 5. Nachtmahl von dem H. ErzPrieſter M. Babatio nicht 
gutt empfangen, indem er ihr faft nihts vom Weine gegeben, 
darumb Ex fie noch ein mahl bald darauff kurz vor ihrem Ende commu- 
wichren mäflen. Gott fei ihrer Seele umb Chriſti Iefn willen gnäbig and 
vereinige biefelbe mit ihrem Leibe am jüngften Tage zu dem ewigen 
Leben. Amen. 

Wir nehmen von ber Familie v. P. Abſchied, indem wir noch bas 
Ende bes älteften Sproſſen berfelben berichten, der gleichfalls im Kirchen ⸗ 
buche erwähnt wird und am welchem die Fruchte feiner Erziehung zu Tage 
tamen. Es heißt von ihm: 


von Rogge. 717 


Anno 1695 den 28. Febr. ac. ift Herr Chriſtoph Albrecht von Promod, 
feel. Herrn ©. F. v. P. Altefter Sohn, und designirter Fänrich zu Bar- 
tenftein am ben Poden geftorben, welcher, ba er ein böfes Leben, mit 
Fluchen, Sanffen und Haren geführet, auch vor feinem Ende in dem Jahr, 
deß wolverdienten Mannes, Herrn Doctoris Wohngienen feine Tochter 
geſchwãngert, der er bie Ehe mit einer Handfchrift von feinem Blutt une 
texfchrieben, verfprochen, deunoch vor feinem Tode Ihme ſeine Sünde hat 
laßen leid fein, auch mit dem heil, und hochwürdigen Abendmahl von 
Herin ErzPriefter if verfehen worben ben 17 Martii alihier in ber 
von Promod Begräbnig mit Haltung einer Leichenrebe beim Altar durch 
den Herrn Erzprieſter und bei musicirung und Gefang ber Tobtenlieber 
bengefeget worben. Im dem von ſolchem obbefagten jungen Berftorbenen 
von Promod noch dieſes beizufügen verbienet, daß er über feine ver- 
lobte Bramt noch ihre Magd mitgefhwängert und gefaget, ich habe mei- 
ner Braut zu gleich eine Amme gemacht. Gott vergeb ihm feine Sünde, 
ſey feiner armen Seele durch Chriftum guäbig, und bewahre, daß nicht 
mehr durch des Zenfels Verführung, und Aureitzung des böfen Fleiſches 
und Blutes mögen alfo fterben und bergeftalt ein firafbahres Gedächtniß 
nach fich laſſen. Amen. 

Bei der hohen Achtung, in welcher zu jener Zeit die lirchlichen Cere ⸗ 
monien flanden, ift ein Fall von offenbarer Verachtung berfelben bei einem 
Edelmann merkwürdig, von welchem das Kirchenbuch ausführlichen Ber 
richt erflattet. 

Außer den Herm v. Tettau auf Tolle, von ber Gröben auf Leegen, 
welcher Oberlischenvater war, zeichnete fi im Kirchſpiel noch Her 
Fabian von Oftan auf Panlienen durch echt chriſtlichen Sinn und wahr 
hafte Brömmigfeit aus. Trotzdem verlangte ber Vormund feiner Fran, 
Obriflientenant v. Aner, als J. v. O. ben 18. October 1694 geſtorben 
war, berfelbe folle ohne Kirchliche Weierlichkeiten beigeſezt werben. Der 
Vfarrer proteftirte hiegegen und Tieß es fich wenigftens nicht nehmen, ben 
ihm theuern Eutſchlafenen unter dem Gefang ber Echäler zu Grabe zu 
geleiten „mornach aber (mir laſſen Haaſe wieber ſelbſt erzählen) ber Herr 
Obriſt Lientenant v. A. ſich fo woll bei dem Gingen, al andy nach dem⸗ 
felben, fehr importan im ber Mirche erwieſen, sub! nach ganglicher Ver⸗ 


718 Dani! Haafe 


richtung, mich in Gegemwahrt des Herrn Hoff umb Legations Rath 
d. ber Gröben in ber Kirchen amgetreten mub gefaget: der Herr hat-fih 
woll heute ſchlecht erwiefen, eb ift verbohten, man follte nicht fingen undt 
ver Herr hat durch bie Pamerjungen die Leiche mit dem Schnelmeiſier 
doch befingen laſſen. Er ift gleichwoll ein Chrlicher Edelmann geweſen, 
wenn daß hätte fein follen, Hätte man woll lönnen figuriren laßen. Bor 
auff ih Ihm geantwortet, ber Herr Obrifilieutenaut ſchone mich hie in 
der Kirchen, und wo ich waß deshalben Unrecht getahm, verllage Er mich, 
welches Er dann auch zu tuhn ſich hören ließ, andy ſolches zu Paufienen 
bei dem Begräbniß gefaget. Im der Küche aber, unter dem fingen noch, 
hat er überlaut beim Frauenzimmer geſprochen, fo find die Teichfertige 
Bfarzer, fo eigenfinnig und Hafffarrig, ich Hätte ſchon gemadhet, daß er 
ſollte einen Tahler bekommen Haben, num foll Er nichts kriegen.“ 

Es ift befanni, daß der del jener Zeit oft zu feinen Unterthanen in 
einem ſchonen patriarchaliſchen Verhälinifie Hand. Es lamen Häufig Her 
ſchaften vor, welchen das Wohl und Weh ihrer Unterthanen am Herzen 
Tag, welche auch an den häuslichen und Familienangelegenheiten derſelben 
innigen Antheil nahmen. Im mancher Gemeinde fand z. B. keine Taufe 
bei Gntseingefeflenen ftatt, an welcher die Gutsherrfchaft fi nicht durch 
eimen Pathenftand betheiligte. Wo ber milde Sinn bes Herzens das ganje 
Leben durchbrang nud alle Verhaͤltniſſe regelte, wo der Abel das Wort: 
noblesse oblige, nicht aus dem Auge „verlor, mag ſich das Volt unter feir 
ner Herrſchaft glädlich gefühlt Haben. Anders war es da, wo er in Ro 
heit verſaul. Bier ftand ihm das Volk ſchutzlos gegenüber und der Bauer 
war nichts als der Epielball feiner Saunen, Auch Hiefür bietet das Bor- 
leuſche Kirchenbuch manchen tranrigen Belag. Es berichtet öfter, daß 
Banern heimlich ihre Wirthſchaften verlaffen hatten und mit Weib und 
Kind weggelaufen ſeien. Der Pfarrer, welcher fie mit den Augen feiner 
Zeit anfah, pflegt fie darum bitter zw tabeln, im Lichte der Hentigen Zeit 
tönnen wir nur bewundern, daß ſolche Defertianen nicht Hänfiger- vorka 
men. Im Jahre 1698 hatten zwei Bauern Hans Engelbrecht und Hans Apfel! 
aus der greßen Well, einem Vorwerk von Beisleiden im Bilmiichen 
Bolde Holz geholt. ‚Der Guteherr von Pilwen hatte ihnen Wagen und 
Vferde · dafür weggenommen, ihr eigner Herr aber, der Major v. Glaubit 


von Rogge 719 


ließ fie fo Hart mit eifernen Slegeln fireichen, baß fie mehrere Tage ſchwer 
trank barnieber lagen, danach die 5. Kommunion nahmen und mit Weib 
und Rind von bannen liefen. Am beutlichften aber bezeugt es die nad 
folgende Erzählung, wie gering man damals die Rechte des Volkes achtete 
and was Adel und Militatr ſich in Bezug anf daſſelbe ungeftraft erlauben 
durften. Der Pfarrer Haaſe berichtet:#) „Als ben 14 Martii 1696 
Martin Kühnapfel, mein Miethsmann mit feinem Bruder Ehriftoph mit 
Gerſte nach Landéberg reifen wollen, ift Caspar Bueke, Schulz von Bor 
ten vorausgefahren und, wie folder Schulz zuerit nach Landsberg gelom- 
men, ift er von feinem Junker Wulf Friedrich von Promcd gefraget wor⸗ 
den, ob jemand von Borken mehr noch komme? barauf der Schulz geant- 
mortet: Ja, die beide Kühnapfels. Darauf ſolcher W. 8. v. P. zur 
Dankbarkeit ſolchem Schufzen, daß er diefe Lente angegeben, einen Thaler 
verehret. Wie nun folde Kühnapfels nad; Landeberg auch gelommen und 
dem Herrn Wohlgemuth ihr Getreybig verkaufet, find, nachdem wie. fie ſchon 
abgemefien, alsbald zu gebachtem Herrn Wohlgemuth Soldaten in bie 
Etube gelommen und ſich zu benen Kühnapfels genäthiget. Da dieſelben 
aber nichts mit ihnen haben zutun haben wollen, haben fie alabald den 
Knecht Chriſtoph K. mit Gewalt angetaftet und ihn zur Courtigard geführt, 
daranf ihn mit Gewalt zwingen wollen, daß er Dienft nehmen ſollte. 
Deshalben ihm auch Churfürftl Gefunbheit zugetrunken, welche, ba gr nicht 
mit Beſcheidungstrunk annehmen wollen, fie ihm darauf das Bier. zu 
Halben weis unter bie Augen gegoſſen und babei ihn jämmerfid, nieder⸗ 
gelegt und geſchlagen und das fo ein Tag etzliche mit ihm getrieben und 
fo übel gehandelt, daß man ihn bis in fechfte Haus hat wohl fchreien 
hören tönnen. Der Schulz Caspar Buske, dem fein Gewillen zugeſetzet, 
daß er übel gethan, iR als Judas ben erſten Tag, ba er ihn verrathen 
au ben Soldaten in bie Courtigard gegangen und gefaget: Ihr Herrn, 
thut dem Kerdel kein Leids, gebet ihn mir los, ich will ihn auf hundert 
Thaler bürgen, benn ber falfche und gottlofe Menfch wußte wohl, daß der 
Knecht ein ziemliches Geld bei den Bauern zu Borlen ausftehn hatte, des⸗ 


*) Mir bedienen und von hier ab bei ben Cuaten ber neuen NRechtſchreibung und 


720 Dantel Haaſe 


wegen er ihm benn wohl bürgen umb feinem unter bie Augen groß 
machen und alſo ihn ferner um bas Seinige beim Loslauf bringen Tonnte. 
Als aber nachdem Herr Oberfte von Kanitz, dem bie Soldaten Höreten, 
aufs Begräbniß feiner Gran Schweſter, ber fel. Iran zu Marlihuen kam 
und id} bei ihm anhielte, er follte ven Knecht mir body losgehen, fagte er 
mir auch foldhes zu. Nichts defto weniger wollte er danach einige Prü- 
tenfion wegen ber Unterthanfcaft an die Kühnapfels vorgeben, deswegen 
er daun auch wegen des Loskaufs bei fie anhielte. Als er aber hienach 
ihnen ganz nicht beilommen Tonnte, hat folder Herr Obrifte von Kauitz 
ven Knecht fo feft dennoch halten laſſen, bis er fich mit fünf Thalern los 
machen mäflen und alfo ſolchem Knecht fein Schaden mit folchen fünf 
Thalern bis auf mehr denn zehn Thaler belanfen. Das verurfachte alſo 
am bie Xrenfofigleit bes Schulzen zu Borken und das war bie gegebene 
Paroll des Herrn Obriften, danach er verfprach mir ben Knecht loszuge ⸗ 
ben. Wie aber ich mir ſolches zu Gemüth gezogen, das weiß Gott am 
beften, ber barauf 'anf das Jahr bem Herrn Obriſten, ba ihm ber linke 
Um vor Namur weggefchoffen vor bem Feind, zu nebenft dem Junler 
Wulf Friedr. dv. Promod bleiben laſſen, den Echnlzen aber zu feiner Zeit 
auch zu richten unb zu finden wiſſen wird.“ 

Es iſt leicht begreiflich, daß umter ſolchen Auſpicien das Volk weder 
in feiner Bilbung, noch in feiner Sittlichkeit, viel weniger im chriſtlicher 
Erlenutniß und chriſtlichem Wandel geförbert werben konnte. Die Echule 
war damals noch gar Teine Macht im Staate und befonders ſtanden bie 
Landſchulmeiſter, wo fie überhaupt vorhanben waren, meiftens auf ber 
miebrigften Stufe. Ihr Dienft befchränkte fich hauptſächlich baranf, eini- 
gen Kindern bie uöthigften Kirchenliedermelodien beizubringen und in der 
Nicje ven Gefang der Gemeinde zu leiten. Welchen Händen etwa bie 
Iugend des Bortenfchen Kirchipiels damals anvertrant war, befagt kutz 
folgende Rotiz: „1686 27. October Hans Pohl, Schneider von Tolle, da 
derſelbe feine Prob zum Schufmeifterbienft all hie gefungen und baranf 
angenommen werben follte, beim Trunke im Borlkenſchen Kruge in ber 
Nacht von einem Sauſchneider Namens Chriftian Rofenbaum mit bem 
Sauſchneidermeſſer in die Bruft gefährlich geſtochen worden.“ 

Solche Dinge lamen bamals ſicher nicht in Borken allein vor. Eine 





von Rogge. 721 


fürdjtbare, fittliche Verwilberung bes Volfes war bie Folge und offenbarte 
ſich in entſetzlicher Zuchtlsfigleit auf der einen, im craffeften Aberglauben 
auf ber andern Eeite. Beiden Uebelftänden fuchte Haafe mit allen, ihm 
zu Gebote ftehenden, Mitteln entgegen zu treten. Er wußte fi eine ge⸗ 
naue Kenntniß von allen, im Schwange gehenden, Sünden zu vetſchaffen 
und ſtrafte dieſelben ohne Furcht. Wir ſehen ihn als Seelſorger an bie 
Sterbebetten treten und mit großem Eruſt fein heiliges Amt verwalten, 
&o fragte er einen Übelberüchtigten Bauern, ber in den legten Zügen Tag, 
nach ſcharfer Eorrection: ob er wohl Hoffe die Seligteit zu erlangen? Er 
erhielt bie Antwort: „Da tru ed wol ſchwer hen to famen,“ die ihm 
Beranlaflung gab, das geängftigte Gewifen des Mannes in evangelifcher 
BWeife zu entlaften. Auch im Beichtſtuhl ſchonte er bie Seelen nicht, 
mußte es aber bereits erfahren, daß ein Paar beſonders freche Menſchen 
ihm mit Schimpfen und Schreien aus der Kirche liefen. j 
In äuferft Hohem Grabe war die Unzucht im Kirchſpiele unter allen 
Ständen im Schwange. Auch die Kirche griff damals die Heilung dieſes 
Uebels zum größeften Theil von der gefeglichen Seite an. Das Halseiſen, 
in dem früher unzüchtige Perſonen ſtehen mußten, war zwar nicht mehr im’ 
Gebrauch, obgleich es noch Bis in biefes Jahrhundert hinein in dieſer, wie 
in mancher andern Kirche, in ber Halle eingemauert war; inbefien wurden 
diejenigen, welche contra sextum gefünbigt, einer andern, vielleicht noch 
empfindlichen Tortur ausgefegt. In dem Verhöre, welches fie vor dem 
Pfarrer zu beftehen hatten, mußten fie fich, oft vor Zeugen bis in das 
geringfte Detail über die Begangene Sünde auslaffen. Ueber . ihre, 
Ausfagen wurden genaue Protokolle aufgenommen, bie oft einen äußerſt 
widerlichen Einbrud machen. War ver Thatbeftand gehörig feftgefteltt, fo 
wurde die Kirchenbuße biftirt. Diefelbe beftand in einer Geldſtrafe bis 
22 Mark, außerbem mußten bie Gefallenen noch an brei Sonntagen wäh⸗ 
rend bes Gottesdienſtes vor dem Altar ftehen, worauf ſie vor verſammel⸗ 
ter Gemeinde die Abfolution empfingen. Die firenge Strafe konnte übrie 
gens Häufige Nüdfäle in die gerügte Günbe nicht verhindern. Die bloße 
Abſchredungetheorie erwies ſich anch hier als unpractiſch. Manches Ge⸗ 
müth mag durch dieſelbe verhärtet fein und aus vollbrachter Buße nichte, 


als ein neues Recht auf die Sünde hergeleitet haben. us ber Diebftahl, 
Wupr, Wonatsigrift Od, IIL Oft. & 





123 Daniel Hacke 


wie alle aubern Bergehungen, war aufer ben gerichtlichen, Rrengen fird- 
lichen Strafen unterworfen, beſonders aber zogen bie Diener ber Lirche 
gegen ben Aberglauben zu Selbe, obwohl fie ſelbſt in bemielden ned in 
hohem Grabe befangen waren. Man verfolgte bie Zauberei, weil man 
Reif uud feſt am biefelbe glaubte, oft auch, weil bie ewangelifchen Griß- 
lichen in ben üblichen Zanberformeln eine bedenkliche Hinneigung zum 
Katholicismus witterten. Ganz befonders wurden Zanbereifünben ven den 
Hirten getrieben, welche ſich zum Vortheil ihres Biehs anf das Bötrne) 
legten. Wo fie es felbft nicht verftanben, fanben ſich alte Frauen, welde 
ihnen mit Rath und That beiflanben. Cine ſolche kluge Frau war .®. 
bie lange Elie aus Lergen, das Weib des Hirten Sommer, welche 1692 
auf Befehl bes Herrn Albrecht vom ber Gröben Lirchenbuhe thun mnfte, 
weil fie fid) abgöttiſch beim Austreiben bes Biches benemmen. Haaſes 
Kirchenbuch weiht uns übrigens in mancherlei Zauberkänfte ein, die wir 
denn auch zum Nutz und Frommen der Nachwelt nicht verſchweigen wol 
im. Gin probates Mittel fein Bieh gegen Maben zu fchügen Katie der 
Hirt Jacob Ducat zu Borken erfunben, welches er dem Pfarrer im firen 
gen Krenzverhör offenboren mußte (1685). Er rieb beim Anstreiben det 
Biehs eine Dieftel zwiſchen zwei Steinen uud ſprach bazu: „Diefteliien, 
Dieſtelchen ed geböhbe bi, dat bu mi bem Gtöd Beh, ober Schwien, da 
wo et Maden hefft de Maden utftedft im Namen bes Baters, Sohnes 
und heiligen Geiſtes un durch de lewe Zungfer Marie.” Diefes höchn 
einfache Berfahren dürfte übrigens mod; heute mancher Sandmann einer 
weitläufigen und toftpieligen Unterfuhung auf Trichinen vorziehen, obwohl | 
mad) feinem Erfinder bereits zwei Iahrhunderte ins Laub gegangen find. 
Etwas ſchwerer machte ſich der Hirt Greger Beiloweii aus Borle 
die Sache, welcher 1688 vor das Pfarramt geforbert wurbe. (Er betete 
beim Ansjagen zuerſt drei polnifche Baterunfer, weil ihm das Dentihe 
zu ſchwer fiel, darnach ſchlug er drei Kreuze hinter fi und brei Kretze 
vor fich und fagte: „IE jage min Böhlen im Namen Gottes. uih, bat d 
Gott bewahrt, öwer allet Feld, ͤwer alle Wald, Bröd,s«) wo't fed kehrt end 


*) Beten, böben ober botten iſt der nieberfächfifche Ausdruc für Eühen, mit wer 
Bun Para a Die Ontfruung inch, ben Banberi uacgten Gaben ber: 


von Rogge. 123 


wenbt, fo rein, fo Mar, als unjers Herren Gottes Mutter Maria jungen 
Sohn geboren im Namen des Waters, Sohnes und heiligen Geiſtes. Da- 
nach nahm er den Stahl und das Schloß, welche er das ganze Jahr fo 
im Dach verftedte, daß fie niemand au fehen befam, ging erft um das 
Vieh herum, ſchlug den Stahl in das Schläffellod des Schloffes und 
fagte zum Vieh: „IA ſchleut dienen Mund, bienen Schlung, ſollſt mine 
Bbhlen nich afifprieten, nich afftieten; böt bu dit Schlos kannſt obrieten 
laht mine Böhlen gahenn im Namen bes Vaters 2c. Darnach befehl ef 
die wich mehr, als en Steen op'm Feld, laht mien Vöhlen gahn im Nar 
wen u. f. w.“ Er fagte Übrigens dem Pfarrer bei feiner Seelen Eelig- 
teit zu, fich feiner Kunſt gänzlich zu enthalten. 

Zumetlen kamen auch Lente mit Zander und Wundermittel bon 
weit her und eine Quadfalberin aus Königsberg erregte in Borken ein 
ſolches Smterefie, daß ſich ihretwegen im Kruge eine großartige Prügelei 
entſpaun. (20. Mär; 1691). 

Im eine andere Urt des Aberglaubens verfiel das Weib des Fiſchers 
Iacob- Leßlke. Ihr Mind war mit einer fogenannten Glüdshaut auf bie’ 
Welt gelommen (1695). Ste ließ biefelbe mittanfen, um aber noch mehr 
Segen zu erlangen, widelte fie dieſelbe noch ein mal mit ein, als ber 
Buchtner Hans fein Kind zur Taufe brachte. Für biefe Wiedertaufe 
wurbe fie beftraft, der Schulmeifter Andreas Eggert mußte aber bie Haut 
in die Alle werfen. 

Derartige Dinge, bie wohl and) noch heute hie und ba unter bem 
Volke vorkommen können, bürfen um fo weniger befremben in einer Zeit, 
wo man ben Teufel, wie die Engel in verſchiedenen wunderbaren Geftalten 
teibhaftig auf Erden umberziehen fah. Der alte Haaſe konnte im biefer 
Beziehung noch Erfahrungen machen, die heute, Gott ſei Dan, jedem Seel 
ſorger verfagt fein dürften. Freilich wurben ihm biefelben nicht unmittel⸗ 
bar in feinem Kirchſpiele zu Theil, fie haben aber ein um fo größeres 
Intereſſe, als fie außer ihm gewiß noch einen großen Kreis feiner Zeit⸗ 
genoſſen in Staunen und Beſtürzung verfegten. Wir Halten uns hier wies 
der: für verpflichtet dieſelben mit feinen eigenen Worten zu erzählen, obwohl’ 
wir frchten mäffen, daß bie Bilder bie wir vorführen, trot ber Friſche 
des Colorits auf unfere unglänbige Zeit wenig Eindruck machen werden. 

46° 


123 Daniel Hanfe 


wie alle andern Bergehungen, war außer ben gerichtlichen, firengen fird- 
lichen Strafen unterworfen, befonbers aber zogen bie Diener ber Kirche 
gegen den Aberglauben zu Felde, obwohl fie ſelbſt in demſelben mod in 
hohem Grabe befangen waren. Man verfolgte bie Zauberei, weil man 
ſteif und fer am dieſelbe glaubte, oft and, weil bie evamgelifchen Geif- 
lichen in ben üblichen Zanberformeln eine bebenkliche Hinneigung zum 
Katholicismus witterten. Ganz befonbers wurben Zaubereifünden vom ben 
Hirtem getrieben, welche fih zum Vortheil ihres Viehs auf das Bäten:) 
legten. Wo fie es felbft nicht verftanden, fanden fi alte Frauen, welde 
ihnen mit Rath und That beiftanden. Cine ſolche Mnge Iran war .. 8. 
vie fange Elfe aus Leegen, das Weib des Hirten Sommer, melde 1692 
auf Befehl des Herrn Albrecht von ber Gröben Kirchenbuße thun mußte, 
weil fie ſich abgöttiſch beim Austreiben bes Viehes benommen. Gasfes 
Kirchenbuch weiht uns übrigens in mancherlei Zanberkünfte ein, die wir 
denn aud zum Nug und Frommen der Nachwelt nicht verſchweigen wol 
len. Ein probates Mittel fein Vieh gegen Moden zu fügen Hatte der 
Hirt Jacob Ducat zu Borken erfunden, welches er dem Pfarrer im firen- 
gen Krenzverhör offenboren mußte (1685). Er rieb beim Anstreiben des 
Viehs eine Dieflel zwiſchen zwei Gteinen mub ſprach bazn: „Dieftelden, 
Dieſtelchen eck geböhbe bi, bat bn mi dem Stöd Beh, ober Schwien, ba 
wo et Maden hefft de Maben utftedft im Namen bes Vaters, Sohnes 
und heiligen Geiftes um durch be lewe Jungfer Marie." Dieſes höchn 
einfache Verfahren bürfte übrigens noch heute mancher Laudmaun einer 
weitläufigen unb Toftfpieligen Unterfuchung auf Trichinen vorziehen, obwohl 
nach feinem Erfinder bereits zwei Jahrhunderte ins Laud gegangen find. 

Etwas ſchwerer machte ſich der Hirt Greger Beilowsli ans Borken 
bie Sache, welcher 1688 vor das Pfarramt gefordert wurde. Er betete 
beim Ausjagen zuerft brei polnifhe Vaterunfer, weil ihm das Dentihe 
au. [wer fiel, darnach flug er drei Kreuze Hinter fi und brei Kretze 
vor fih und fagte: „IA jage min Böhlen im Namen Gottes.uth, bat ei 
Gott bewahr, öwer allet Feld, äwer alle Wald, Bräd,ae) wo't fe kehrt end 


=) Bbeten, boden oder botten {ft der nieberfächfifche Ausdrud für küßen, mit wer 
die Ontfernung rind, ven Bauherr ugeägten Ghaheab beit, 


von Aogpe. 133 


wendt, fo rein, fo Mar, als unſers Herrn Gottes Mütter Maria jungen 
Sohn geboren im Namen bes Waters, Sohnes und heiligen Geiſtes. Da⸗ 
nach nahm er den Stahl und das Schloß, welche er das ganze Sahr fo 
im Dad verftedte, daß fie niemand au fehen befam, ging erft um das 
Vieh Herum, ſchlug den Stahl in das Schlüſſelloch des Schloſſes znb 
fagte zum Vieh: „IE fehlent dienen Mund, dienen Schlung, folft mine 
Böhfen nich afffprieten, nich affrieten; böt du bit Schlos kannſt obrieten 
laht mine Böhlen gahenn im Namen des Vaters ꝛc. Darnach befehl eck 
die wich mehr, als en Steen op'm Feld, laht mien Vöhlen gahn im Nar 
men u. f. w.“ Er fagte übrigens dem Pfarrer bei feiner Seelen Eelig- 
teit zu, fi feiner Kunſt gänzlich zu enthalten. 

Zuweilen kamen auch Leute mit Zanber- und Wundermitteln von 
weit her und eine Onadfalberin aus Königsberg erregte in Borken ein 
ſolches Zuiereſſe, daß fich ihretwegen im Kruge eine großartige Prügelei 
entfparin. (20. März 1691). 

Sm eine andere Art des Aberglanbens verfiel das Weib bes Fiſchers 
Iacob- Leßle. Ihr Kind war mit einer fogenannten Gtüdshaut auf die‘ 
Welt gelommen (1695). Ste ließ diefelbe mittaufen, um aber noch mehr 
Segen zu erlangen, widelte fie dieſelbe noch ein mal mit ein, als ber 
Buchtner Hans fein Kind zur Taufe brachte. Für dieſe Wiebertaufe 
wurde fie beftraft, ver Schulmeifter Andreas Eggert mußte aber bie Haut 
in die Alle werfen. 

Derartige Dinge, bie wohl andy noch Heute hie ımb da umter bem 
Volke vorkommen Tönnen, bürfen um fo weniger befremben in einer Zeit, 
wo man ben Teufel, wie bie Engel in verſchiedenen wunderbaren Geftalten 
leibhaftig auf Erden umherziehen ſah. Der alte Haafe konnte im biefer 
Beziehung woch Erfahrungen machen, bie heute, Gott fet Dank, jedem Seel⸗ 
ſorger verfagt fein dürften. Freilich wurben ihm biefelben nicht unmittel⸗ 
bar in feinem Kiechfpiele zu Theil, fie haben aber ein um fo größeres 
Smterefle, als fie außer ihm gewiß noch einen großen Kreis feiner Zeit 
genoſſen in Staunen und Beftürzung verfegten. Wir Halten nus hier wies 
ver: für verpflichtet biefelben mit feinen eigenen Worten zu erzählen, obwohl" 
wir ‚fürchten ınäffen, daß bie Bilder bie wir vorführen, troh ber Frijche 
des Colorito auf unfere ungläubige Zeit wenig Einbrud machen werden 

46° 


124 Daniel Saafe 


Haaſe Täpt ſich folgendermaßen vernehmen: „Anno 1693 Hat Sliſabeth 
Großin, eine Margell von vierzehn Jahren und bes Hans Großen, eines 
Gartners von Tolls Tochter zu Albrechtsdorf beim Bauern Kruſe bas 
Haus anfteden wollen. Mit diefer Margellen habe ich am Zage Philippi 
und Inrobi-um brei Uhr Nachmittag nämlich den 1. Mai c,a. zu Peiften 
anf Zugebung der Herrſchaft beim Thorwächter im Gefängniß geredet nud 
fie gefeaget: ob. fie mich kenne? Worauf fie geantwortet: ja, ich wäre 
der Herr Pfarrer von Borken. Worauf ich ihr wieber geantwortet: wie 
das Täme, fie. lennte mich und fie lennte ich nicht? Daranf fie gefagt, fie 
hätte ‚nicht Schuld, fie wäre alle Zeit bei fremben Lenten gewefen, bloß 
ein halbes Jahr und zwar im Vorjahr hätte fie bei ber Schügfchen zu 
Tolks gebienet und wäre etliche Male auch allhie in der Kirche geweſen. 
Hierauf iſt fie von mir zur Rebe gefehet, wie fie dazu kommen, daß fie 
alfo das Hans. anfteden wollen? barauf fie geſprochen: der Satan habe 
ihr eine brennende Kohle in bie Hand gegeben und befohlen, ſolches zu 
thun. Sch habe fie ferner gefraget: wie fie an ven Satan gelommen? 
da ‚hat fie mir zur Autwort gegeben, fie hätte ihn zu Tolle von einem 
Vracherweibe, jo mit Kindern bei ber Schützſche Macht geblieben, in ber 
warmen Suppe, davon fie ihr zu eflen gegeben, belommen und wäre ber 
Satan des andern Morgens alsbald zu ihr kommen, den fie auch ange 
nommen, aber ihm nicht zugefaget, wie er gewollt, zu dienen. Ich habe 
weiter fie gefraget, wie benn ber Geift Heiße? Cie hat gefaget: Caspar 
und ſei derſelbe exftlich als ein junger Gefell ihr erſchienen. Ich Habe 
ferner gefraget, ob fie auch bei ihm gefchlafen und ſich mit ihm vermiſchet? 
Sie Hat gefaget: ja, er wäre fürnemlich alle Woche des Mittwochs und 
bes Sonnabends zu ihr gekommen, Hätte fich zu ihr ins Bett gefeget und 
fein Glied in ihre Scham geſtecket. Ich habe ferner gefragt, ob der En 
tan auch noch zu ihr ins Gefängniß wäre gefommen? Cie hat gefage: 
ja, er wäre mod; zuletzt bei ihr gewefen, hätte ſich zu ihr in bie Edilal 
bänfe geleget, darauf fie den Thorwärter gerufen und gefaget: Vater Thor 
wörter, betet boch mit mir! woranf ber Satan nachdem weg vom ihr ger 
gangen und gefprochen: ich werbe nun nicht wieber Fein Mal zu bir kom \ 
men, Des Morgens aber Habe ex ſich wieder fehen laſſen, bie Zuhne 
aufgefpielet und fie geſpottet. Ich Habe ihr gefaget, fie folle Hieran be 


von Rogge: 125 


böfen Feind nicht glauben. Vielleicht ſtelle er ſich nur alfo; daß er nicht 
wolle wieder kommen, darum foli fie nicht ſicher fein, fondern fleißig zu 
Gott beten und mit dem lieben Gebet um gnädige Errettung Bei ihm an- 
halten, welches fie auch zu tun mir Heilig zugefaget uud verſprochen. 
Sch Habe noch weiter gefraget: wie ihr dann nu zu Muthe wäre, da 
der Satan nu nicht zu ihr Time? Ste Hat gefaget: es bettete fie dan 
and wann eine große Angfi, darauf ich fie heilſam unterrichtet, wie fie 
fich folcher Angft losmachen follte, Nemlich fie fol alsdann mit dem 
liebeu David zu Gott rufen: bie Angft meines Herzens ift groß, Herr 
führe du mich aus meinen Nöthen! Sie foll auch durch biefen Herrn 
nicht etwa ihren böfen Herrn, ben ſchwarzen Caspar verftehen, ber 
ſich auch gern als einen Herrn und Fürften diefer Welt wollte geehret 
und angebetet wiffen, nein, fonbern allein Gott ben Herrn, den Schöpfer 
Himmels und der Erden follte fie damit ameufen, der würde fie auch 
von ihrer Anaft erretten und befreien. Das Hat fie auch zu thun mir 
abermals ganz theuer verfprochen, auch folhen Spruch fertig von mir 
erlernet und öfters mir fertig fürgebetet. Ich Habe auch noch weiter ſolche 
Margell gefraget: ob der Teufel fie andy umgetaufet? Eie Hat gefaget: 
nein, fondern er hat es thun wollen, aber fie hätte nicht fich wollen laſſen. 
Er Hätte fie immer Anna gerufen, fie aber Habe ihm allzeit widerſprochen 
und gefaget: ich Heiße Liefe, worauf er fie nachdem mit Koth befprenget 
und ganz abgerichtet unb Hätte ber Teufel ganz ftuffe garflige Singer ge- 
Habt, als wie Wafhhöfzer. Ach habe fie weiter gefraget: ob fie auch Luft 
zu flerben hätte? Sie hat gefaget: Sie wolle lieber fterben, als länger 
fi mit dem Eatan fehleppen. Worauf ich nachdem mich mit ihr geleget 
und ihr ſechs Groſchen zu ihrer Erquidung im Gefängniß gegeben. Hät⸗ 
ten nun ihre böfen eltern fie beffer gezogen, fo Hätten fie auch eine beſ⸗ 
fere Tochter gehabt, allein aber, da fie ſelbſten nicht viel Gutes gethatt, 
fondern an denen heiligen Sonntagen ins Feld gegangen und Haber vom 
Halm ihrem Heren und ihrem Nächſten abgeftreifet und ihre Schweine 
und Vieh damit fett gemacht, auch fonften aus ber Scheune ihrem Herrn 
Getreidig geftohlen, fo Hat auch Bott fie aljo mit einer ſolchen Tochter 
ſtrafen müffen. Gott befehre fie alle, infonberheit rette er ihrer Tochter 
arme Seele und entlebige fie von ben Banden und Striden des hölliſchen 


726 Daniel Haafe 


Satans und Böſewichts durch nuſern Heron und Heiland Iefım Chriſtum 
Amen.” Hiezu wirb noch in einer Ranbbemerkung erzählt: „biefer bien 
Margellen Vater Hans Groß, da ihn fein Herr endlich nach Tappelleim 
auf ein Pauererb Anno 1693 im Herbft gefeßet, ift Anno 1694 ben 11. Fe 
bruarii, wie er zu Peiften in der Mühle geweſen, bes Abends jämmerlich 
zunebenſt zweien Pferden bei Eichhorn im Fließ verfoffen und umfommen.” 

Doch nun Hinaus aus bem bäftern Burgverlieh zu Peiften! Lange 
genug mögen ven Pfarrer Haafe die unheimlichen Eindrüde, welche er von 
dort mitgenommen, geängftigt Haben, da burfte er nach zwei Jahren fein 
Herz an einer tröſtlicheren Kunbe erquiden und konnte mit eignen Ohren 
Hören, daß Gott ſich noch nicht ganz vom armen Preußenlande abgewanbt 
und bem Teufel allein die Herrſchaft in demſelben überlaſſen. Freilich 
ging biefer leibhaftig umher, aber noch fiiegen auch, eben. fo Leibhaftig, 
die Engel Gottes auf und nieder und behüteten bie Frommen auf allen 
Wegen und warnten bie böfe Welt, bie, wie wir ſchon gehört haben, na 
mentlich zu Bartenftein von ben Geiftlichen und durch bie lantere Prebigt 
des Wortes allein nicht mehr in Zucht gehalten werben Tonnte. Do 
wir es hier nicht mit einem Mährlein zu thun Haben, fagt uns ſchon 
deutlich genug bie Weberfchrift, welche Haaſe dem nachfolgenden Berichte 
gegeben hat. 

Erzaͤhlung einer wahrhaften Begebenheit, jo mit Marie, Schönenberge, 
eines Bottchers aus Bartenftein Ehegenoffin begeben und zugetragen. 

Als Anno 1695 den 29. September am Michaelisfeſt Maria Schön 
bergin, eines Bottchers aus Bartenflein Ehegattin bes Morgens gegen 
fieben Uhr in ihren Garten gegangen, um ein Stüd ſechs Haupt Kombft 
zu holen und abzuſchneiden und fie unterwegens das Morgenlied „Wod 
auf mein Herz und finge” bis in ben Garten ansgefungen, nachdem aber 
im Garten wiederumb das. Lieb: „Bott ber Vater wohn uns bei“ beim 
Abſchneiden angefangen, hat es ſich begeben, daß unverhofft eine rechte 
ſchloweiße Taube ſich ihr auf einer Schulter geſetzet, gerebet und ihr dieſe 
Worte anbefohlen: „Du, ſag' ber Obrigkeit, daß fie befehlen, daß fie bie 
Vhantaugen ablegen und die Mägbe bie Hauben,“ Us nun folde 
Maria Schönenbergin zu Haufe gelommen und ihrem Dann vermelbet, 
was ihr wiberfahren, Hat der Mann zu ihr gefagets ſchweigt fall, fie 


bon Rogge. 127 


werbens euch doch nicht glauben. Da aber ferner ſolche Maria Echönen- 
bergin ben 5. Octobris am Mittwoch nach bem 18. Sonntag nach Zrini« 
tatis abermal in ihren Garten gegangen, umb daß fie ihr ein Fartye) 
Pflaumen abgepflüdet und über das Pafternadjaat abgefchnitten, ift es 
geſchehen, wie fie alfo auf dem Beet geftanden und gefchnitten, daß aber⸗ 
mal eine weiße Taube ihr ſich auf einer und bie andere auf ber anderen 
Schulter gefeget, vie eine Taube aber fie wieberum angerufen und ges 
ſprochen: „bu, warumb haſtu es ber Obrigkeit nicht angefaget? Worauf 
"sie Mario Schönenbergin ſich ſehr entfeget und überlaut geſchrieen, ba 
äber die andere weiße Taube fie getröftet und gefagets fürdhte bich nicht, 
es ſoll bir fein Haar gekrümmet werben. Wir haben der Armen halber 
für Gott gebeten, ber neun Monat immerzu regnen laſſen wollt, daß ihr 
nichts bekommen und genießen follte. So fage nun, daß fie drei. Mons 
tag nacheinander zum Gebet alle mit einander fleißig gehen unb Buße 
thun ſollten, wir werben noch ein Mal wiederkommen. Dieſes Alles habe 
ich mir ſelbſten aus dem Munde Maria Schönenbergin ben 11. Octobris 
am Dienflag nad; dem 19. Sonntag nach Trinitatis gegen 11 Uhr erzäh⸗ 
Ten laſſen auch alfe von Herrn M. Martino Babatio, Erzprieftern zu Bar⸗ 
tenftein an bemfelben Tage eben foldhes vernommen, . 

Anno 1695 ben 8. Novembris, da obgedachte M. ©. vormittage 
nach Damerau, um Strob und Sutter vor ihre Kühe zu Laufen, gehen 
wollen, hat es ferner mit Erſcheinung der zwo Tauben mit ihr dermaßen 
fi) begeben und zugetragen, baß (1) wie fie in ben bameraufchen Graben 
gefommen, fie über fi rufen gehöret: „Stehe ftill, du Menſchenkind, ich 
Hab bir was zu fagen.” Woranf (2) bie Schönebergſche über ſich in bie 
Höhe geſehen und im ber Luft zwo weiße Tanben ſchwebend gewahr wor⸗ 
den, welche, da fie felbige anfichtig geworben, fie ſich alſobald anf ihre 
Schultern gefeget und die eine mit folgenden Worten fie alfo angeredet: 
IH Hatte gehoffet, vu] hätteft ihnen follen eine fröhliche Botſchaft brin⸗ 
gen, fie Haben dich aber lieber wollen mit der Botſchaft zur Verdammniß 
füßren, aber Hoffe du das nicht. Da nachdem (3) ſelbige Tauben ferner 
geſaget: hafl'u gethan, was ich bir befohlen habe, haben fie abgelaffen? 


*) IR gleihbebeutend mit Tracht. Ein Baar Cimer oder Körbe voll, 


7128 Daniel Haafe 


Woranf die Schönebergidhe geantwortet: ja. Die Tauben. Haben geantwor- 
tet: aber nicht alle, nur egliche gute wolthätige Herzen, Darüber wir uns 
ſelbſt erfreuen. Hierauf haben (4) die Tauben gefraget: warumb weinen 
ober iſt bir was Uebels widerfahren? die Schönenbergſche hat darauf ges 
ſprochen: fie müffe viel deswegen leiden, es wollten ihr ihrer viel nicht 
gläuben, fondern falten fie von einen neuen Propheten. Da bann bie 
Tauben ihr. wieber geantwortet: ſchweig ftill, es werden biefelbe ſchon 
ihren Lohn dafür befommen und bie fi; nicht befehrt haben, follen fih 
noch belehren. Wornach ferner (5) tie Tauben die Schönebergfche gefra- 
get: wem fie ſolches geſaget, was ihr wäre befohlen worden? Da fie 
wieder geſprochen: bem Herrn Erzpriefter. Da bie Tauben wieber gefra- 
get: was ber Erzpriefter darauf geantwortet? Cie hat wieber gefaget, er 
Habe zu ihr geſprochen: der Heilige Geift fei mit Eu und umb Euch! 
Worauf die Taube geantwortet: einen ſchönen Lohn wird er davor befom- 
men. Endlich (6) haben bie Tauben gefaget, daß fie das Eharten-Epie 
len follten nachlaſſen, fi; für Fluchen Hüten, rechte Maaß Halten. Die 
Aeltern follen die Kinder ftrafen, bie Kinder follen vor jedes unnäge 
Wort wiber bie eltern drei Streich leiden und mit bem Beſchlus haben 
die Tauben zu ihr gefaget: Freude, Freude, Freude haſt'u zu erwarten! 
Die beiden legten Erzählungen dürften in fo fern phychologiſch merl⸗ 
würdig fein, als fie uns einen Haren Blick in ben ewig gleichen Mechanis⸗ 
mus bes Aberglanbens geftatten. Im den Thurm zu Peiften brachte ber 
Pfarrer die damalige Zeitanfhauung vom Teufel mit und fupponirte bie 
felde umwillfürlich durch fein ficheres und feftes Auftreten ber Delinquentin, 
bie im ihr vielleicht noch eine willlommene Entſchuldigung für bie verſuchte 
Branbftiftung herauswitterte. Im zweiten Falle wurden bagegen ber 
Erzpriefter und Pfarrer von ber fubjectiven Gewißheit angeftedt, mit wel⸗ 
der bie fromme und einfache M. Sch. ihre Geſchichte verfünbigte. Der 
Schmerz und die Betrübniß über das flache und Iafterhafte Leben und 
Treiben in ihrer Umgebung, ber Troſt, ben fie in Gottes Wort gegen 
dieſelben gefunden, emancipixten ſich gleihfam vom Grunde ihrer Seele 
und traten in einer Viſion vor ihre Augen, ber fie felöft vollfommene 
Wirklichkeit beimaß. Doch wir beabfichtigen Hier nicht berartige räthfel- 
Hafte Erſcheinungen zu erklären, fonbern einfach zu berichten, mas wir 


von Rogge. 129 


gelefen Haben und können ba ſchließlich nicht umhin noch zu erwähnen, 
daß fi in der Bartenfleinichen Gemeinde zu jener Zeit and) ein Analo- 
gen zum Henoch ober Romulus vorfand, denn Haafe erzählt: „Anno 1695 
den 30. Eeptembris am Freitag nach dem Feſte Michaelis vor dem 
18. Sonntage nach Trinitatis ift allhie im Bartenfteinfchen Kirchſpiele zur 
Damerau ein Pauersmann Namens Kriefcher, da er früh zuvor fein Ger 
finde des Morgens aufgewedet und zum FZlachs gefchidet, verſchwnuden, 
baß Niemand. weiß, wo er geblieben.“ Wir mäffen es unerörtert laſſen, 
ob fein Verſchwinden vielleicht mit den · Tauben der Maria Schönenbergin 
im Zufammenhange geftanden, ob er zu gut ober zu ſchlecht für biefe Welt 
gewefen, doch find wir gern geneigt, das Erftere aiunefınen, ba uns im 
letztern alle Haaſe ſicherlich näher mit ihm befannt gemacht Hätte. Er 
liebt es in-feinem Kirchenbuche bei ber Strafe fofort auf bie Ende Hin- 
zuweifen und wir fönnten noch manche, von ihm fehr umftänblich befchrier 
bene Diißgeburt anführen, mit welcher in feinem Kirchſpiele gottlofe Yel- 
tern Heimgefucht wurden, doch glauben wir bereits den Zeitfpiegel, welchen 
wir aufftellen wollten, durch bie ‚biaher mitgetheilten sign -et- portenta 
unter .genüzenbes Sicht gebracht zu Haben. Wir bemerken no, daß Haafe 
auch. äußerlich für das Wohl feiner Kirche mach Kräften jorgte und ſich in 
den Gefchäften. des gewöhnlichen ‚Lebens als fehr umfichtig erwies. Die 
Kirche Borken hat ihm unter Andern ben Thurm zu verbanlen, melden 
fie noch bis auf den heutigen Tag zierte) und es mag keine Kleinigleit 
gewefen fein, die Kaflen zu bemfelhen--in ber verwüflsten und außgefoge 
neu. Gemeinde ohne allen. Zwang darch bloße freiwillige Gaben aufgubrin ⸗ 
gem. Allerdings ſcheint ähm bei. dieſem Werke amd; ber diolus reichlich 
unterftügt zu Haben. Noch heute ehrt ihn wegen beffelben eine im Thieme 
befindliche Infchrift. Haaſe farb 64 Jahre, 4 Monate alt dm 17. Ans 
guſt 1707, nachdem er im Jahre 1704 einen Adiuucten angenommen. ';. 


) Cr ift vom 18, Junt 1685 bis 30. October 1688 gebaut. 


Supplemente zu dem gedruchten Rutalogt den 
Üönigsbergen Bechtahandfchriften. 

[Catalogas codieum manuseriptorum bibliothecse regiae et universitalis 
Regimontanae Faseiculus I Codioes ad iuriprudentiam pertinentes 
Ügessit &t descripsit Aemilfus Julius Hago Steffenhagen Accedit de- 
soripfio oodicum furis qui Regimonti in archird regio et in bibliothees 
urbiea atqus Wallsorodtiana asservantur Regimonti Apad Schubertet 
Seidel biblopolas universitatis MDCCCLXL (1 BL, X unb 28 ES. 
grob 4,39 

L 


Seitdem der Geſammworrath unferer Koͤnigsberger Nechtshaudſchriß 
tem durch ben i. 9. 1861 erſchieneuen Katalog ber Bffentlichen Bemugung 
erſchloſſen worben iſt, hat bie wiflenfchaftliche Verwerthung jenes reich⸗ 
haltigen Schatzes einen neuen Aufſchwung genommen. Es ſcheint, nad 
Berlauf von nun bald ſeche Jahren, an der Zeit, was im dieſer Nichtung 
inzwiſchen geleiſtet it, in derſelben Weiſe zuſanmenzuftellen, wie ſolches 
tn Rutaloge ſelbſt für bie vorgängige Literatur geſchehen ift. 

Zugleich mögen damit einige nachträgliche Notizen verbunden werben, 
welche theils zur Bervoliſtändigung, theils zur Berichtigung bed Lataloges 
tisnen. 


wis felsflänbige Nachleſe find. bie „Ierärgefigictlicien und vecht 
hifterichen Mittheilungen® zu betrachten, welche dn der Zeitſchrit für 
mRechtsgeſchichte IV, 186 ff. 1864 veröffentticht find. — 


*) Bol. Bähr Heidelberger Jahrbucher der Literatur 1861 N0.34 ©. 587...689; 
VBenboldt Reuer Anzeiger für Bartoarali und Bibliothehvifienfchaft 1861 Heft 8 
6.2367, 288; PA. Literarliches — Deutſchland 1861 Ro. 34 Ep. 547, 548; 
KAunfmann Kritifche Bierteljahresfchrift für Geiepgebung und Mechtöwifienfdhaft 1863 
IV, 116...119; O, Jahrbücher der deutſchen Rehtöwifienihait und Gefepgebung 1868 
IX, 96, 96, 


Guyalemenis zu bem gebt. Ankaloge ber Qniab. Metsiennflielften. 731 


Bir halten uns bei ber nachtolgenden Zufanmenftelfuig an bie Orb» 
nung und Nummernfelge des Kataloges. 


A) In den Fandſchriſten der Rönigl. und Auirerſitãte Bibliothek. 


1) 2) LIIL Digestum vetus, novum. Salloweti Zur Lehre 
von ber Rovation nach Römiſchem Recht. Leiptig 1868. 8°: 6.401 N. 86 
uud öfter, S. 46 R.B8 u. B. 

3) VIII, 2. Institutiones. Sie haben nicht die Aceurfiſche Gloſſe, 
wie nach Dirkſen behauptet iſt, ſondern bie Casus longi des Bilpelmne 
Accurſii (ef Zeitfhr. für RO, IV; 186 R.1). 

4) XXVII. Gime nähere Würbigiug biefer wichtigen H. (der einzi⸗ 
gen, welche bie IX Bäder Magbeburger Rechtes in ihrer Originals 
GeRalt überliefert) nebſt Proben sb Facfimile giebt: Gteffenhagen Die 
IX. Bücher Magdeburger Rechtes . . : Königsberg 1806. 8°. 88. 4, 6, 
7, 10 [cf. Altpreuß. Monatsſchrift EI, 11 ff]. 

5) XXXII. Die am Schluſſe als fehlend Sreidneten Gtäde find 
nich von „biebifchen Händen emtwanbt* (Strehlke Scriptores. rerum 
Prussicarum III, 88 N. 3), ſondern dem Prodimial⸗Archive überwiefen: 
Monatefhr. UI, 469 .. 

6) XXXIIL, 1. Steehlle Soriptores rerum Prussicer. IH, :88 
N. 8 zu ©. 52, 1866. . 

7) XXXV. Epitome iuris civilie. Zu ben anberweitigen HB. 
biefes intereſſanten juriſtiſchen Gloſſariums iſt nachzutragen eine Haudſchrift 
ber. äffentligen Bibl. zu Teure (Haenel Catalogi cool. 486 Schletter'e 
Jahrbücher 1868. IX, 96). — Unfer ber Epitome. enthält unfer Goder 
unter Anderen noch ein zweites Werk ähnlicher Art, genannt „Lucianus“, 
woraus Muther eine Stelle mitgeteilt Hat (Iahrbuch bes gem, dentq · 
Rechte 1858. II, 96.0.84).- 

8) XXXVI, 1. Otto Papiensis. Watjer Die Gewiſſenevertre· 
tung im gemeinen Dentichen Recht Erlangen 1860. 8°. &.7 mit R.1,2, 

.9) XLIN, 2. Vita Secundi Abgedruct mit Barlanten ans 
vorangeſchicter literarhiſtoriſcher Einleitung ven Reice vilblogus 1861 
(82). XVII, 528 fi. 

40) XLIV, 1, Dominious Dominisi. Bow Rodingen bei few. 


732 Suwlemenie su bem gebt. Kataloge der Könige. Rechtshandſchriften 


ver Ansgabe-benugt (Quellen m; :Erörterungen zur Bayheriſch. u. Dentich. 
Geſchichte 1864. IX, 517 ff. cf. pag. 519). Bal. unten Re.23 m. 32. 

11) XLVIII. Ordo iudiciarius. Ueber zwei weitere Könige 
berger HH. unten No, 510.57. Nach Mündjener HH. ift der Ordo indie. 
herausgegeben von Nodinger 1. c. S. 987 ff. 

4%) XLIX, 2. Brachylogus iuris civilis. Muther Neue 
Vreuß. Provinziol-Bfätter Ite Folge 1861. VI, 100 Derſ. Ans bem 
Univerfitäte- u. Gelehrtenleben Grlangen 1866. 8°. &.294 mit N. 218 
(c Monatoſchr. III, 472 .4). 

13) LIV. Dem Vorderdeckel iſt auf ber Innenſeite en handbreiter 
Vapierſtreifen des XV. gahrh. mit einer Lateiniſch⸗Deutſchen Wort⸗ 
ſammlunz beigellebt. 

14) LV, 5. :Der Brief. des Sattons, und zwar mit der näheren 
Angebe „ad P. Clementem VH*, findet fich auch in einer Aſchaffenburger 
9: Iof. Merkel Die Mintatpren u. Manuſcripte der Kgl. Bayer. Hofbibl. 
in Uſchaffenburg chend. 1886. 4°. S. 13. No. 26. 

15). LVI, 11. Bonaguida. Ein Brachftüf berfelben summa bie 
tet.bex. Dedel bes Dradbandes Cdß. 648, 4°. 

16) LXXV, 7. Joannes Bononiensis. Bon Rodinger I. c. 
©.597 zur Herausgabe benutzt. 

17) LXXVII, 4. Joannes Fasolus. Zu dem angeführten Ab 
brud diefer feltenen mittelakterlichen Prozeßſchrift (Jahrbuch bes gem. 
dentich. R. IH, 874 ff.) gehören die „Berihtigungen und Zufäge* in 
demſelben Jahrbuch 1860. IV, 336, — Ueber eine zweite, noch weniger 
wolftänbige H. zu Neapel berichtet Hinſchius Zeitſchr. für RE. 1861. 
1474 f.; eine dritte in ber Haudſchriſten Sammlung bes Cardinals Ri⸗ 
celaus v. Euſa: Serapeum 1865.:XXVI, 51 Ro. 28. 

18) LXXXIX, 24. Joannes de Eberhausen. Muther Zeit 
ſchriſt für RB, 1864. IV, 898, j 

19) XCVIN. Formularium instrumentorum. Kunftmans 
in Vol's Arit. Vierteljahreoſchrift 1862. IV, 118. 

20) CHI, 1. Arnoldus de Proczano, Die erwartete Ausgabe 
von Wattenbach ift erſchienen: Codex diplomaticus Silesiae V. 1862, 
woſelbſt auch eitie genaue Aualyſe bes Inhalts der ganzen HDandſchrijt. 


von Dr. Cail Gteffonhagen. 7.188 


91) CVIL Laurentius Puldeuous. Daſſelbe Wert ſicht auch 
in Maunchener HH., in benen aber ber Sertafer Paldericus -genannt 
wird: Kunſtmann 1. c. IV, 118. 

32) CIX, 1. Lecotura super Institutionibne. Po Sthroi⸗ 
ber der Leciuta, Matthias Schünemann ven Damig,. welchet auch 
des. Joh. Andrei Summa iu CLI, 3 geſchrieben ‚hat, fehelnt-wine Parfor: 
zu fein mit dem Matthias Schumann bei Piienet Prost, Aitioke- 
geſch. [L] 126. 1791. 8°. 

33) OXI, 1. Dominicus Deminioi. Bon Meder be © 
S. 619 bennpt. Vgl. oben No. 10 und unten No. 32. 

34) CXIV. Rach einer verfificierten Rotiz anf Bl. 210 wurde ber 
Gobeg 1415 durch ben HM. Michael Kuch meiſter ber Kirche zu Mene 
geſcheult. Sie lautet: 

Anno Milleno quadringeno deca quino 
Terre prussie michael prinoepsque magister 
festo, quo x° scandunt super ethera, Iibeum 
huno castri mewa prestitit ecelesie, 

25) OXV, 4 Remedia. Zweimal abgebrudt von Bader " 
Birchow's Arhiv XXXI, 398 ff. 1865 und in Haupt’s Zeitſchrift N. J. 
I, 881 ff. 1866. [ef Monntefär. II, 376.1, 63. - -- 

26) OXIX, 3 lit. a, b. Steffenhagen IX Bäder Dagpeb: Ber 
&2K. 

27) OXXII, 8. Joannes Andreae. Die Casus summaril zu 
allen fünf Büchern ver Decretalen enthielt eine H. ber ehemaligen Zeig 
berg ſchen Bibliothek (Gerapenm 1855. XVI, 6 Ro..18). Ueber eine 
andere zu Neapel: Hinſchius Zeitſchr. für RE. I, 472. Eine dritte 9. 
zu Wernigerode: Förftemann Die Gräfl, Stolbergiſche Bibl. ® Bersige: 
rode. Norbhaufen 1866. 8°. ©. 74. 

28) CXXV, 3. Bertrandus de Arnassano. In einem Ma⸗ 
nuſcript des Cardinals Nic. v. Eufa heißt der Verſaſſer Amtssnno (66 
zapenm 18656. XXVI, 53 No. 48). . 

39) CXZXVU, 1. Jacobus Rodewios. — für 
RS. IV, 386. 


734 Gepplemente zu dem qedr. Retalsge bir Mnigab. Rechtsbandſchriften 


.30) CXLII. Heonricus Bohic. Der fünfte Band dieſes Crem⸗ 
plares mit den Diſtinctionen zu lib. V ber Deeretalen, {fi zu Grunde ge 
gangen. Ein einzelnes Blatt deſſelben fanb ich im Auguft 1861 auf.-dem 
Provimzial-Arhive. Es fiimmte in Format und Schrift genan mit Op I, 
IL u. IV (Ro. CXXXIX, CXLIs, CXLII) — denn Bd. I (Ro. CXL) 
iR van anderem Format .nub anderer Hand — nud enthielt cap. 4 De 
magitzis.5, 5. 

81) CLI, 3. gl. oben bie Bemertung zu No. 22. 

39) CLII, 8. Dominicus Dominici. Rodinger 1.0. &.522f, 
987. Vgl. oben Ro.10 n. 28. 

83) CLIU.. Alexander Naovus. Ueber den Berfafler (} 1486) 
vel. Papadopoli Hist. Gymn. Patevini Venet. 1726 foL.I, 227 No. 61 
anb Panzirolus De claris legum interpretibus lib. III cap. 39. 

34) CLIV. Alphonsus de Soto. Gin zweiter Manufcript des- 
felben Wertes befaß bie Bibliothek, nad Ausweis bes Staudorto Nataloges, 
unter ben Drudfadgen: Da. 11. 8°. VI. Leider fehlt das Ms. laut Re 
vifions-Bermert feit dem Iahre 1821. 


B) In den Bandfärifien des Yresiggial-Archives. 

35) CLVI, 4 Schwabenſpiegel. Merkel Zeitfhr, für RG. 
L 162 N. 89. Aus bemfelden Coder ſtammen auch bie Gtelfen des 
„alten Laudrechts“ bei Kotzebue Preußens ältere Geſch. I, 446 (cf. Dior 
uatsſchx. II, 604 0). 

36) GLVO, 1. Magbeburger Fragen. Wichtig durch eigene 
thaeliche Veſtaudtheile, von Behrend in feiner Ansgabe ber „Magdeb. 
Bragen® Berlin 1866. 8°. benudt Ci. daſelbſt bie Einleitung 8. 1 Ro.9, 
8.4:R0.4 mit pag. XLIX). 

37) CLVII. Gteffengagen IX. Bücher Magdeb. Rechtes 9.2 C 
und 6.5. 

38) CLIX, 1.. Gteffenhagen 1. c. 8. 2 Fu. 8. 5, nebſt 8. 2 om 
Gabe. [of Zeitſchr. für RO. IV, 185]. 

20) OLXI, 2. Responsa Scabinorum Magdeburgensium 
(„dy meydeburgisschen fragen“). Ueber biefe von ben. eigentliche 
Magdeburger Fragen zu unterjheidende Sammlung erhalten wir er 


von de. Emil Sichendocen. 185 


ſchopfenden Aufſchluß durch Vehreud Magb. Bxagen, Einl. 8. 1 Ro. 10 u. 
8.2 R0.6.— 4 Responsa Scabinorum Culmensium. Ubge- 
beudt: Monateſchr. III, 236 ff. 1866. — 5. Responaa Soahin. Magd. 
Beigend 1. c. 8.1 Ro. 10 n. 8.2 Ro. b. 

Uebrigens iſt biefer Coder ‚mit bem im ber praefstio pag. EX, i 
ale verloren angegebenen augerſcheinlich ibentiich [ef. Bakiär. fR.RO. 
IV, 182]. 

40) CLXU, Liber Civitatis Culmensis. Kopebue Prem 
Gens Alt, Geſch. III, 513 |, Xäppen Soriptores rernm . Prussicarum, 
II, 472, 477 mit 474 R. 8, 4 [cf Mouateſchr. ILL, 470). Gteffen 
Hagen in Petzholdt's N. Anzeiger für Bibliogr. m. Bibliethelw. 1866 
©. 308. — Die hierin enthaltenen Magdeburger Schöffenurtheile 
find, bis auf wenige Städe, abgebrudt bei Stobbe Beiträge. ur Geſchichte 
des beutichen Rechts Braunſchweig 1865, 8°. S. 91 ff. Eine Rechte⸗ 
entſcheidnug des Qulmer Rathes: Monatsfchr. II, 242. 

41) not. 67 &. pag. 7& Responsum Guntheri. (nen bipls. 
matiſch getrenen Abbrud bietet: Monateſchr. II, 611 ff. cf. 606, 1866. 

48) CLXIV. Rulmer Willkür, Voigt Geſch. Brenfeus VI, 714 ff. 
in ben. Noten, cf. Hanow Geſch. bes Culmiſchen Rechts (Jus Culmense 
«x ultima rerisione) $. 24. 

43) CLXV, 1. Sanblänfige Kulmifge Rechte. Ein Bar 
einer anderen H. berfelben Sammlung iſt dem Dedel. ven. vorliegenden 
Coder beigeflebt, Weitere HH. find verzeichnet: Monateſcht. IL, BO6 g. — 
2, 3. Steffenhagen Magdeb. 8. 2 L, R 

44) CLXVI, 3, Ambrosius Adler. Us Quelle ift noch zu. 
nennen das. Rechtebuch nach Diftinctionen (Steffienbagen De inedito iaris 
German. monumento . ... Regim. Boruss. 1868. 8°. not. ww). Ueber: 
bie hier egcexpierten IX Bücher Magdeburger Rechtes vgl. Steffenhagen 
8.2 G u. 8.5. Zu den am Schluſſe beigebrachten Sehene-Rotizen übe. 
Ambrof. Adler find Hinzugnfügen: Pauli Yohandiungen aus b. Lubiſchen 
Recht ILL, 864 und eine Urkunde bes Röuigeb, Prov.-Ardives, Schiebl. A 
Ro, 194 (Eupplication des Ambr. Adler von, „Hellandt* gegen den El⸗ 
binger Rath de a. 1517). — 4. Jus maritimmm. Gueterbock Die. 
jure maritimo . . . Begim. Pruse, 1866. 4°. pagı, 1T:fiy. 20. 


T3& Supplemente zu dem gebt. Kataloge der Konineb. Redtäpandiähriften 


0) In deu · Zaudſchriſten der Siadi · Zibſiethek. 

45) CLXIX, 1. Joannes Lose. ine nähere Belcreibung 
biefer Bearbeitung ber IX Büdjer Magdeb, R. dei Steffengagen 8.2 
mit 8.8. — 3, Streitfeprift gegeu Sadfenfpiegel I. 25. 1. Zeit 
ſchriſt fur RG. IV, 2025. Monatsicht." II, 600 & 

. 48) CHAXI, 1. Jus Oulmense vetus. Zeitſchr. a/o. IV; 20. 

47) CLXXII, 1. Jus Culmense vetus. Die bier ermähnte 
Reidenit iche H. beſiht jegt bie Mönigl. Bibl. Bol, unten No.56. — 
4. Jus-maritimum. Gueterbook De jure maritimo pag. 8 fi. — 
& Breußifhes Recht. Der Ausgabe von Laband zum Grunde gelegt: 
Jura Prutenorum .. . edidit Paulus Laband. Regim. Pruss, 1866. 4°. — 
9% Qulmer Weisthum. Monatöfehr. III, 282 ff. — 12, 18. Steffens 
hagen-BRagbeb. 8. 9.2 M, 5. \ 

Bi den verzeichneten Gtäden tritt (BL 97°... 98%) zwiſchen 9a: 10° 
ein altes Pſalmenlied von Joh. Herm. Schein, welches gebrudt ift in: 
„Gepeiff.möhiger Geelen-Trofl” . . . Ghweinfurth 1693. S.6 ff. 


D An den Fondfiriften der Walensodtfigen Bihliotheh.. 


48) CLXXIH. Volumen parvum. Schon früher beſchrieben 
von Jacobfon bei Brom Benebilt Spinoza 8 Randglofien.. \ Berlin 1835. 
8..0.2-ff. 

48) CLXXIV, 1. Sieffenhagen Magbeb. R. 8.2 D, ch W und’ 
8. —— % Preußiſches Recht. Laband Jura Pratenorum pag. 8 ff. 

80) CLXXV, 2, Statuta Civitatis Regiomontanae, daber 
De HDaupt · und Reſidenz · Stadt Königsberg i. P. 1840. 8°. ©. 184 ff. 
— 4. Bon- Koſtung und Kindelbier. Faber I. c. S. 204 ff. — 
7. Magdeburger Urtheile. Böhlen Zeitſchr. für RG. J, 246 Stobbe 
Dalabuch des gem. deutſch. Rechts VI, 83 Derſ. Beiträge zur Geſch. 
dee dentſch. Rechts S. 38 Behrend Magdeb. Fragen 8.1 No. 11 u. 8.2 
No. b. — 8 Ratner Weiethum. Monatoſchr. II, 232 ff. 

"u 

0 Anlbaſe an ben Kutalog verzeichnen wir eine Reihe erſt ſpater 
bekannt gewordener Manufcripte, weiße cheit⸗ anderweitig, te wi 
gar wicht beſchrieben find. . \ 


von Dr. Emil Steffenpagen. 137 


A) Zuerſt 7 Manufcripte der Königl. Bibliothek und des Provinzial⸗ 
Archives aus der im Eingange berährten Nachleſe, Zeitfhrift für NE. 
IV, 186 ff. 

Königliche Bibliothek, 

51) No. 161. Ordo iudiciarius (cf. No.11 u, 57). — Tra- 
etatus publici Notarij — Guido Faba (über welchen vgl. Rodin« 
ger Quellen u. Erörterungen zur Bayer, u. Deutſch. Geſch. 1868. IX, 177 ff.). 
Zeitſchrift 1. o. Ro. 2, 3, 4. 

Dermfelben Coder iſt auch ber „fehr ſchöne Brief” entnommen, wel 
Gen Muther Univerfitäte- und Gelehrtenleben ©. 7 ff. belfannt gemacht 
hat fef. Monatsſchr. III, 471]. 

59) No. 430. Vehmrechtobuch — Frankfurter Reich dab⸗ 
ſchied 1442. Zeitſchrift No. 7. 

53) N0.1960. Alter Kulm. (Benutzt von Laband Das Magde⸗ 
burg · Breslauer fuftematiiche Schöffenrecht ... Berlin 1863. 8°, cf, Einl, 
pag. XXIX not. 358.) Zeitſchr. No. 5, 

Provinzial⸗Archiv. 

54) Ro. 34 fol. Chriſt. Kuppener's Eonfilien, mit Weiſe bes 
Lehnrechts. Zeitſchr. No. 6, dazu Muther Univerfitäts- und Gelehrten⸗ 
leben S. 806 ff. u. S. 129 ff. öfter [cf. Monateſchr. III, 471]. 

55) Ro. 36 fol. Lehnsprozeß Cin zwei hinter einander gehefteten 
Eemplaren) — Project zur Carolina. Zeitſchr. No. 6, 8. 

56) No. 36 fol. Sippzahlregelu nebſt Stück von Gerade, Mor⸗ 
gengabe, Mustheil, Erbe, Heergewäte. Zeitſchr. No. 9, ch Mu 
ther ebenda S. 301. 

57) A. 81. Defensorium iuris — Ordo iudiciarius (of, 
No. 11 und 51) — Tractatus de arte notariatus. Zeitſchr. 
No; 1, 2, 3. 

B) Dazu kommen vier in ber Monatgſchrift beſchriebene HH. ver 
Königl. Bibliotgel: 

58) No. 1980. Reidenitz'ſcher Coder (vgl. oben Ro. 47), Mor 
natsſchr. II, 658 ff., ef. III, 57; dazu Gueterbock De jure maritimo 
pag. 18 f., Laband Jura Prutenorum pag. 3 ff. 

-59) No: 1983. Ofteroder Coder (neuerlich erworben). Töppen 

Kite, Monsteigrift Bp. TIL. Hft. 8. 


138 Supplemente zu dem gebr. Kataloge ber Noniatb. Rechtsbandſchtiſten. 


Monatsfchr. II, 418 ff, 442 fi. mit ©. 659 « « =. Gueterbock I, c. 
pag. 14 f. Laband 1. c. pag. 3 ff. 

60) Sahfenfpiegel-Sragment. Monatsfchr. II, 279 f. 

61) Zwei Heine Sragmente bes Sachſenſpiegels. Monate 
ſchrift III, 668. 

©) Muther Zeitſchrift für RG. IV, 888 erwähnt ans einem Ma⸗ 
aufeript ber Königl. Bibliothek: 

62) No. 114. Brobenorlefung unter Conrad Donelorff zu Leipzig 
(am erfter Stelle). — Außerdem enthält biefes Manuſcript uch: 2) 3) Baum 
der Berwandtfhaft und Baum der Schwägerfchaft, beide mit 
Negeln und in berfelben Weife, wie Catalogus No. VIII, 6, 8. — 
4) „de Successionibus“ (Erbreditsregeln aus dem Romiſchen Recht). — 
5) Bemerkungen zu ben Decretalen Gregor’s IX. (ib. IV &V). 
— 6) Bartholomeus Brixiensis „questiones dominicales“ und 
„veneriales“, letztere unvollftänbdig. — 7) Casus Sexti Decretslium 
und Clementinarum, gefchrieben 1414. — 8) „Casus summarij 
clementinarum secundum summationeın Jo[annis] an[dree], et 
vbi ipse non summanuit, ibi sunt casus genczlini et pauli de ly- 
zarijs correoti.“ — 9) Predigt über Mofes V. 32. I „audite oeli“ 
u. ſ. w. — 10) „Seguitur de eleceione Hi. vj".« 

D) Bisher uirgenb beſchrieben ift endlich folgendes Manuſcript ber 
Königl. Bibliothek: 

63) Ro. 94. Papier, XV. Iahrh, 219 Blätter, Folio. „Ex arce 
Tapia.“ Guthaltend: 1) Gaspar de Perusio (auch de Rossi) De 
reservatione beneficiorum, abgefcgrieben 1427, 12. Februar. — 2) Nioo- 
laus de Tudeschis Lectura quinti Libri Deoretalium Gregorii IX. 
— 8) Antonius Repetitio ad cap. 7 X. de cohab. clerioor. et mul 
(8, 2), verabfaßt 1402 im Monat Januar anf der Univerfität Bologna. 
— 4) Antonius Ad cap. ult. X. cit. und Ad cap. 3 X. de clerics 
coniug. (3, 8). — Die Stüde unter 2...4, von anderer Hand wie 1, 
find geſchrieben in Perugia von Iacobns Clinkebhl (Efinkebeh), 
„olerious zambiensie dyocesis*, ebenfalls im 3. 1427. 

Königsberg im. November 1866. 

. Dr. Emil Steffenhagen. 


Gritihen und Referate, 


Salkowski, Dr. Carl, Zur Lehre von ber Novation nad Rd 
mifhem Recht. Ein Beitrag zum Römifchen Obligationen» 
recht von ꝛc. Verlag von Bernhard Tauchnitz. Leipzig 1866. 
XIV und 4966. 8°. 

Herr Dr. Earl Salloweli, Privatbocent der Rechte an ber Albertus 
Univerfität, Hat fich dem juriftifchen Publikum ſchon früher durch feine 
„Quaestiones de iure societatis prascipue publicanorum (Regim, 1859)“ 
and feine „Bemerkungen zur Lehre von ben juriftifchen Perfonen, insbe» 
ſondere den fogenannten corporativen Gocietäten und Genofjenfchaften 
(Leipzig 1863)" rühmiihft bekannt gemacht. Jetzt liefert berfelbe eine 
umfangreiche civilifiifche Monographie unter dem biefer Anzeige vorge 
druckten Titel, 

Die Rovation — d. 5. „Aufhebung einer beftehenden Obligation durch 
Einrichtung einer neuen Obligation, welche ven materiellen Inhalt der 
erfieren in fi aufnimmt" vgl. S. 30 — iſt ein praftifch fehr wichtiges 
Inſtitut, welches in neuefter Zeit befonderer Aufmerkſamkeit fih zu er- 
freuen gehabt hat: eine ganze Reihe zum Theil recht guter Einzeluntere 
ſuchungen find über fie nunmehr veröffentlicht. 

Seit einigen Jahren ſchon Hatte ſich Sallowelt mit einer Bearbeitung 
ber Lehre von bes Novation befhäftigt und feine Arbeit war — wie er 
im „Borwort“ erzählt — bis auf bie Abſchrift vollendet, als ihm das 
Buch von v. Salpins über benfelben Gegenftand (Berlin 1864) zuging, 
welches „gleid; ausgezeichnet durch Gründlichkeit, Scharffinn und Klarheit, 
wie durch muftergültige Darftellung“ (P. VIII) auf ven erften Blick jebe 


veitere vublilation Aberfläffig zu machen ſchien. — Allein, wie es bie 
47° 


140 aritlen und Rejerak 

Natur wiſſenſchaftlicher Arbeit mit ſich bringt, nicht überall beten fih die 
Refultate, zu denen v. Salpins gelangt war, mit bem was Sallowel 
auszuführen gedachte, ja es war fogar auf mehreren Punkten eine Diffe 
renz Hinfihtlic der Bunbamentalprinzipien ber ganzen Lehre vorhanden. 
Deshalb ließ fih Salkoweli die Mühe nicht verbrießen, feine Schrift mit 
fpegieller Rüdficht auf die v. Salpius'ſchen Unterfuhungen nochmals um 
zuarbeiten. Mit großer Refignation hat er alle Erörterumgen über Punkte, 
die nunmehr als bereits erlebigt angefehen werben mäflen, abgeſchnitten 
und nur diejenigen Partieen feines Werkes conſervirt, welche auch nah 
v. Salpins die behandelte Lehre zu fürdern ſchienen. 

Alle Anerkennung verbient dieſe — gewiß nicht leichte — Selbſtbe⸗ 
ſchränkung. Nicht minder aber verlangt das, was Salloweli über Salpins 
hinaus geleiftet Hat, vollen Beifall, 

Salkowoki Hat lebiglich die Behandlung des reinen Römifchen Rechts 
fi vorgefegt. Auch dies müſſen wir billigen, denn bie Grundlage dei 
mobernen, heut zu Tage anwenbbaren Rechtes bleibt das Römifche und 
die Mobificationen des Erſteren laſſen fih nie verftehen und wiffenfchaftlih 
erfaffen, wenn nicht zuvor das Leßtere in feiner nadten Reinheit erfannt if. 

Zu der Römiſchrechtlichen Unterfuchung aber brachte Salkowski anfer 
großer Gelehrfamfeit — er felbft befigt, wie fi) aus bem Bude (f. z. V. 
&.175 Not, 48 und S. 495) ergiebt, eine Bibliothek mit feltemen literos 
riſchen Schägen — vielen Scharffinn und in v. Keller’fcher Schule erlernte 
Methode mit. Diefe Eigenfchaften kamen ihm namentlich bei ber Quellen⸗ 
interpretation zu Gtatten. Die eregetifchen Ausführungen feines Buches 
sehören zweifelsohne zu dem Beſten, was in biefer Richtung neuerbinge 
geleiftet worden tft. 

Es würde für eine nicht fachwiſſenſchaftliche Zeitſchrift zu weit führen, 
auf deu Inhalt des Sallowek’fdhen Buches näher einzugehen und bie 
Punkte zw feizziren, in welchen m. €. bie Lehre vom ber Novation durch 
dieſe Arbeit wefentlich gefärbert worben if. Noch weniger aber Könner 
wir an biefem Orte im eine eigentliche Kritik ber Salkoweki ſchen Pofitie 
nen- eintreten. Daher mag es bei einer kurzen Anzeige bes gebiegenen 
Werles fein Bewenden haben und nur noch hervorgehoben werben, baf 
daſſelbe auch durch Mare und geſchmadcvolle Diction ſich amszeichnet. 





Theophil, Hodanna dem Sohne Davids, 741 


Der Königsberger Univerfität gereicht e8 zu großer Ehre, baß eines 
ihrer jängften Mitglieber die Romaniftifche Rechtsliteratur um eine Mono⸗ 
graphie bereicherte, welche einen fehwierigen und vielbeſprochenen Gegen- 
fand in durchaus würdiger und erfolgreicher Weife behandelt und eine 
in neuerer Zeit mit lebhaftem Eifer fortgefegte wiſſenſchaftliche Discuſſion 
ihrem endlichen Abſchluſſe entgegenführt. -h- 


Hobanna dem Sohne Davids! Ein Kranz Biblifcher Gefänge 
ans dem Leben unfers Herrn und Heilandes, Bon 
Theophil, Cöln. I. & W. Boifferee, 1866. 


Schon der Pomp bes Titels mit der ungebräuchlichen, Originalität 
befunden follenden Wortform Hosanna, veranlaft, daß man mit einem 
gewiflen Unbehagen das Heine Büchelchen (156 ©. 12°.) in die Hand 
nimmt; Inhalt und Form find auch in ber That nicht angethan, biefes 
Unbehagen zu befeitigen. Die bekaunten neuteflamentlihen Wunderge⸗ 
ſchichten in unerträglicer Breite und nicht leichter erträglichen Berfen wies 
dererzãhlt, dazu noch, wie es in alten Hauspoſtillen Sitte ift, jebem &e- 
dicht das betreffende Evangelium in Profa wörtlich vorgebrudt, das ift 
es, was hier unter dem Namen eines Kranzes biblifher Gefänge 
vor uns liegt. Die Erzählung vom ber Erfcheinung der Magier nimmt 
Beiipiels halber, das Vorſpiel abgerechnet, nicht weniger als 18 Seiten 
ein. Beifpielshalber auch einige Mufterverfe: 

6.10. Sie forſchen eifrig aus den Lauf der Sterne 
Und flehen zu dem unerforſchten Licht, 
Das glänzend in der ungeheuren Ferne 
Im feiner Strahlenpracht doc nie erlifcht. 

6.12. Und Morgen werdet ihr am Tage ſchauen, 
Damit ihr kommt in kindlichem Vertrauen, 
Am Himmel Meines Boten Schein. 
Im Sternenglanze zieht er euch zur Seite 
Und giebt euch nad) Judaa treu Geleite 
Zu Deiner Stätte dort hinein. 

6.20. Herodes fendet heimwärts jegt in Gnaden 
Der Lehrer ſchnell herbei geeilte Schaar; 


142 Krititen und Referate. 


Gehorſam hat den König fie berathen 
Und ift entgangen blutiger Gefahr. 
Er redet heimlich mit den treuen Weifen, 
Die arglos trauen feines Wortes Gleiben 
Und banten feiner Gaftlihteit. 
Und tudiſch forſcht er mit vermeinten Liften 
Nach ihres Wunderfternes erften Friſten 
Und ift zu Jeſu Mord bereit. 
S. 26. Da ihrem Gott die Weifen froh geliehen 
Des Dantes Zoll am dreimal heil’gen Ort, 
So nehmen fcheibend Urlaub fie ziehen 
Bon Jeſus und Maria, Joſeph fort. 
Das Reich Gottes wird durch biefen Kranz biblifcher Gefänge 
ſchwerlich weiter verbreitet werben, als es ſchon iſt. Jedenfalls hat ber 
Berfaſſer wohlgethan feinen Namen zu verſchweigen. ¶ 


Altpreußiſcher Verlag. 


Das Thorner Blutgericht. Eine Erzählung von Adolf Prowe. 
Mit einem Titelbild: „Das Thorner Rathhaus.“ Thorn (1866). 

Drud und Verlag von Ernft Lambed. (IV u. 2716, 12") 

Keine zweite Stabt Altpreußens, felbft Danzig nicht ausgenommen 
arbeitet unausgefegt eifriger au ber Feſiſtellung ihrer Provinzialgeſchichte, 
als Thorn. Die Refultate diefer wiſſenſchaftlichen Forſchungen heranszu 
stehn, fie zu gefchlofienen culturhiftoriichen Bildern zu fammeln und bie 
ſelben in den Zufammenhaug ber allgemeinen Weltbegebenheiten einzufägen, 
iſt eime ſchöne Aufgabe, deren Löſung in verfchiebener Weiſe möglich ift 
Adolf Prowe wählt dafür die Form ber Erzählung. Schon Heft 2 diefes 
Yahrgangs haben wir feinen Copernikus zu beſprechen Gelegenheit gehaft 
unb feinen der Aufmunterung zu weiteren ähnlichen Arbeiten erübrigt 
gewefen zu fein, da das oben angezeigte Büchelchen ſchnell gefolgt iſt 
Die Wahl bes Gegenftandes ift gleich glücklich. Wie Copernikus ale 
Mann der Wiſſenſchaſt ber ganzen Welt angehört, fo erregte feiner Zeit 
auch „das Thorner Blntgericht" einen Theil von Europa mit Mitleid 
und Wiberwillen und ift auch jegt noch weit über Thorn hinaus under 





Atpreußliger Verlag. 7148 


geflen. Der Berfaffer betrachtet die ſchredliche Kataſtrophe nom deutſch⸗ 
nationalen unb proteftantifchen Gefichtspunfte aus gewiſſermaßen als die 
frafende Vergeltung des Abfalls Preußens von Deutſchland zu Polen. Es 
war in der Mitte des fünfzehnten Iahrhunderts, als bie Städte und ber 
Abel des Orbenslandes einen Bund gegen ihre Herrſchaft machten, um 
beftrittene politiſche Rechte gemeinſam zu erringen und feftzubalten. Als 
der Kaiſer als gewählter Schieberichter gegen fie erkannt Hatte, warfen 
fie fih Polen in die Arme umd führten dadurch einen tranrigen drei⸗ 
zehnjahrigen Krieg und endlich die Trennung bes Landes herbei. Frei⸗ 
lich erhielt das königliche Preußen die Zuficherung, daß es als ein 
ſelbnãudiges Sand nur in Perfonalunion von ber Krone Polen regiert 
werben folle, aber ſchon zu Anfang des ſechezehnten Jahrhunderts mehrten 
ſich die Verſuche die Preußiſchen Angelegenheiten in die Reichstagsverhaud⸗ 
tungen Hineinzuziehn uub durch Begänftigung bes polnifchen Einfluſſes die 
Rechte der Stände zu verkümmern. Selbſtſüchtige Beftrebungen ber letz⸗ 
teren erleichterten biefe Bemühungen; ber Abel, namentlich ber Grenz 
biftrifte, der ſtets große Zuneigung zu Polen gezeigt und überbies meift 
mit Outsangehörigen poluiſcher Nationalität zu thun Hatte, unterlag ber 
Lodung zuerft und brachte es im Laufe der Zeit bie zu gänzlichem Ver⸗ 
gefien feiner deutſchen Ablunft und Sprache; begünftigt durch bie polnie 
ſchen Machtaber brüdte er auf bie ihm unbequemen Heinen Städte und 
brachte diefelben im ſiebenzehnten Jahrhundert um Wohlſtand und Privie 
legien; fo blieben ſchließlich nur noch bie brei großen Städte in ber Ber 
theibigung ihrer republicaniſchen Gerechtiame, ihres deutſchen Weſens und 
ihres proteſtantiſchen Glaubens feft. Uber auch fie hielten nicht einig zu⸗ 
ſammen, wo ihre Handelsintereflen in Streit kamen. Danzig, durch feine 
Lage an ber offenen See wefentlich begänftigt, fichte ſich ber Rivalität 
ver beiden andern Stäbte möglichft zu entlevigen und fah namentlich bie 
Schädigung Thorns, das mit feinem Niederlagerecht die Weichſel ſperrte, 
nicht ungern. So war bie Meine Republik Thorn, beren Gebiet von den 
länplichen Befigungen des polniſchen und polnifch-gefinnten Adels gauz 
eingefchlofien war, unaufhörlichen Angriffen anf ihre Rechte ausgefeit, 
berem fie fich ſchließlich nicht mehr zu erwehren vermochte, als bie Jeſuiten 
mit fchlauer Berechnung bie Religion in bie Politit einmiſchten. Thorn 


144 Krititen und Referate. 


war feit Mitte des fechszehnten Jahrhunderts proteſtantiſch; d. h. den 
Anſchauungen der bamaligen Stabt zu Folge ins Politiſche übertragen: 
nur Proteftanten burften an ben politifchen Rechten der Bürgerſchaft Theil 
nehmen, im Senat figen unb bie ſtädtiſchen Aemter befeiven. Gleichwohl 
waren bie Proteftanten (ziemlich gleichbedeutend mit Deutichen) ber. Kopf- 
zahl nach in der Minderheit, da namentlich bie ganze Arbeiterbevöflerung 
und Dienſtbotenſchaft polnifcher Nationalität und katholiſcher Religion war. 
Indem num bie polnifche Regierung und Geiftlichleit ans theilweife fehr 
abwegigen Gründen die letzteren bei jeber Gelegenheit in Schutz nahm, 
mußte deren Neigung zu allerhand Reibungen wachſen, bis denn eudlich 
durch bie Jeſuiten 1724 eine Gelegenheit vom Zaun gebrochen wurde, 
anter dem Borwanbe einer Verlegung ber Religion der beutfchen und 
proteftantifchen Obermacht, damit aber auch zugleich dem Wohlſtande ver 
Republik ein Ende zu machen. Es war ein Kampf: zwiſchen ſlaviſcher 
Brutalität und germanifcher Bilbung, wobei fegtere unterlag, Sehr ber 
zeichnend ſtand auf ber einen Seite eine Yefuiten- Verpummungsanftalt, 
auf ber andern ein beutfches Gymnaſium, das zu humaniſtiſchen Studien 
aus fernen Ländern Schüler zufemmengeführt hatte und ſchon lange ben 
feommen Vätern ein Dorn im Auge war. Die Einzelheiten der entfeg- 
lichen Tragödie leſe man in dem amgezeigten Buche nach, wo fie mit 
großer Subtifität und Hiftorifcher Treue bis auf bie eriten unſcheinbaren 
Anfänge zurüd gefchilbert find. Dem BVerfaffer würde es ſicher wicht 
ſchwer werben, für jedes einzelne Factum einen Hiftorifchen Beleg beizu⸗ 
bringen und alle feine Behauptungen urkundlich nachzuweiſen. So erlangt 
fein Buch den Werth einer gutgefchriebenen hiſtoriſchen Studie, freilich um 
zugleich theilweife dadurch als Erzählung zu verlieren. Die Gebundenheit 
an das Hiftorifche Material erfcheint in dieſer Beziehung zu groß; es fehlt 
and) biesmal an der nöthigen Freiheit ber Erfindung und an ber Beherr⸗ 
ſchung des Gegenftandes vom Geſichtspunkte des Dichters aus. Allerdings 
ſchreibt der Verfafjer feinen Roman und darf deshalb auch nicht als Ro- 
manfchriftfteller beurtheilt werden, aber auch im Weſen ber Erzählung 
liegt e8, einen Hiftorifch gegebenen Stoff nad; poetiſchem Bebärfnif frei 
umzuformen und ben Hiftorifch überlieferten Charakteren felbftänbiges Geben 
au geben. Der Berfuch dazu ift gemacht, aber es ift auch eben mir beim 





Alpeenfifder Berlag. 745 


Berſuch geblieben; der reichlich eingeftrente Dialog hat meiſtens nur ben 
Zwei, geſpracheweiſe geſchichtliche Daten nachholen zu Iaffen, bie zmar 
ber Leſer nicht Tennt, bie aber ben als mit einander ſprechend anfgefüher 
ten belannt fein müßten, fo baß bie Veranlafiung zur Mitiheilung öfters 
gefucht erſcheint. Mit einem Wort: es fehlt der Erzählung eine inter 
eſſante Familiengeſchichte im Vordergrunde, um fie als ſolche interefiant 
zu machen. Aber troß diefes Mangels ift das Buch aufs Angelegentlichfte 
zur Lectüre zu empfehlen; namentlich follten ſich alle Schulerbibliotheken 
beeilen, daſſelbe anzufchaffen, da es mit feinem eruf-fittlichen umb zugleich 
echt patriotiſchen Gehalt die geſündeſte Nahrung für Lopf sub Her bar 
bietet. Der Berfafler ift felbft ein Schulmann und verficht ſich auf das 
Bedurfniß der veiferen Dugend. ©: 


Das Dſtyreußiſche Provinzialrecht uuter Berädficgtigung ber 
fpäteren Gefege, Berorbnungen, Miniſterial⸗Reſcripte 
und Entſcheidungen bes Obertribunals herausgegeben 
von 3. A. Schrötter, Gerichts⸗Aſſeſſor. Braunsberg 1866. 

Der Herausgeber Hat ſich ver banfenswerthen Aufgabe unterzogen, 

dem fuhlbaren Mangel einer im Buchhandel gangbaren Ausgabe des Ofb 
preußifchen Provinzialrechts durch Beranftaltung einer nenen Ausgabe uns 
ter Teitifcher Hervorhebung ber durch die fpätere Geſetzgebung auegeſchie ⸗ 
denen Beftimmungen abzuhelfen. Dieſelbe zeichnet fih vor andern gleich⸗ 
artigen Ikterarifchen Unternehmungen dadurch aue, baf dem Lefer ber Tezt 
ber nad) ber Anſicht des Herausgebers obfoleten Berfchriften wicht eis 
zogen unb dadurch bie eigene Prüfung ausgefchloffen wird, vielmehr bie 
aufgehobenen Gefegesftellen nur durch beſondern Drud hervorgehoben und 
in befondern Noten bie an ihre Stelle getretenen Beftimmungen vermerkt 
find. Im biefer Allegierung int übrigens bie größte Genanigleit und 
Sorgfalt nicht zu verfennen, und e8 wäre nur bei ber Aumerkung zum 
Zuf. 90 zu bezweifeln, ob dieſer Zufag nicht durch bem Art. 4 der Ber 
faſſungsurkunde befeitigt ift. 

Ungeachtet bie nenere Gefeßgebung die Singularitäten des Oſtpreuß. 

Provinzialrechts fehr gelichtet Hat, fo find doch noch weſentliche Beſtim⸗ 


746 Kitten und Referate, 


mumgen, namentlich im Lehm, Eher und Kirchen ⸗Recht, ſtehen geblichen, 
beren Kenutniß Iebem, ber fich eim richtiges Bild von dem Rechtozuſtande 
im Geltungobereich bes Dfiprenß. Provinzialrehts machen wid, durch die 
Anfaffung bes beiprochenen Werles in der aufchaulichfien Weiſe geboten 
wird, nn. 


Alterthumsgeſellſchaft Pruſſia. 
GWol. IN, 656.) 

30. November, Uns ben Sammlungen des Sen. Eantor Preuß 
(vgl. Situngebericht vom 26. October, Misſchr. IL, 659) hat die Ge 
ſeuſchaſt folgende Gegenftänbe angelanft, welche in ber Gegend von Ger⸗ 
man und zum Theil in alten Gräbern aufgefjunben worben find: einen 
fehr fauber erhaltenen Thränenkeug nebft Dedel, einen broncenen Ring, 
3 Stein ⸗Aexte, 1 Stein-Meffer, 1 broncene Todtenkrone (bei Anlegung 
eines Grabes anf dem Germaner Kirchhof gefunden), 3 broncene Eelte. — 
Un Gefchenten find zu verzeichnen: eim faljcher Thaler aus ber Zeit vom 
König Friedrich I, vor einigen Jahren auf dem Gutshofe von Elkinehlen 
(Richfp. Trempen) gefunden nud von Hrn, Landrath von Goßler in 
Darkehmen der Pruffia beſtimmt; ferner von Hrn. Rittergutsbef. Gentzen 
auf Zielleim (bet Königsberg) 1 Sporn; von Hru. Meste-Eamioutten 
(Areifes Neidenburg) 107 Stüd alte Münzen, auf feinem Felde ausgegra⸗ 
ben; von Dr. Reide „Grund und Aufrisz von der Koenigliohen 
Waszermuehle auf den [!] Schloszplatz ... Koenigsberg d. 2, Mey 1807. 
©. Hammer“ und von bemfelben für bie Bibliothek das 6. unb 7. Heft 
der Altyrenß. Monateſchrift. Aus ber umfangreichen Gräberftätte bei 
Grüneiten, über welche in ber Monatsichrift (I, 561 ff. III, 86) ber 
reits näher berishtet worben if, hat Hr. Landr. v. Goßler eingefanbts 
B broucene Fibeln, 1 be. Ring, 1 bo. Schnalle, ein Fragment eines menfd 
lichen Bachzahus (ans der Aſche), 1 Bernftein-Perle und diverfe Urmen 
fragmmente; fowie nachträglich aus bem Schadumehlener Bunde (vgl Be 
richt vom 29. uni III, 465) eine broucene Römiſche Kaifermänge 
(ANTONINVS AVG), welche ſich in dem Schildbudel befand. — Ein 
ganz beſonderes Jutereſſe erregt der von Dr. Reicke vorgetragene authen 
tijſche Bericht des Hru. Rittergutsbeſ. Balduhn⸗Krzywen über bie Mahl 





Aterthumsgefelfihoft Bruffi. 147 


bauten bei bem Nittergute Werber im Kreiſe Lögen. Zum Belege dienen 
Pfahlreſte und Scherben, welche ber Hr. Berichterflatter beigefügt Hat, 
unter gleichzeitiger Ueberſendung einigex anderer @egenfläude von anti⸗ 
guarifcher Wichtigkeit, welche anf bem genannten Gute anberweitig gefun- 
ben wurden. Der Bericht über die Pfahlbauten fol in ber Monatsichrift 
zum Abbrud gelangen. — Zulegt zeigt Hr. Archiv Director Dr. Medeb 
burg ein in feinem Beſttze befinbliches Exemplar der feltenen Inbinne- 
ſchen Landkarte von Pommern, welche umſtändlich befchrieben iſt von 
Johanu Earl Eonr. ODelrichs: „Zuverläätge Hiſwtijch- geographiſche 
Nachrichten vom Herzogifjum Pommern und Fürſtenthum Rügen" Berlin, 
1771. 8. S.6i fl. S-n. 


Wittheilungen und YInkang. 





Handſchriftliche Funde aus Königsberg. 
Gol. 11, 668.) 
18, Königsberger Chroniken. 

Neben dem gedeihlichen Fortgange umferer großen vaterländiſchen 
Dxellenfammlung (9. Bunde No. 13 Misſchr. III, 468ff.) haben wir 
mit befonderer Anerkennung einer verwandten Leiftung in kleinerem Kreiſe 
m gebenfen: „Die Königsberger Chroniken aus ber Zeit bee Her- 
3096 Albrecht nach ben Handſchriften zum erftenmal herausgegeben mit 
einer Itterächiftortfcjen Einleitung von Dr. F. 4. Medelburg." Könige 
berg, 1865. 80,#) 

Die Sammlung vereinigt, in weiſer Befchränfung anf das wirklich 
Wertvolle, alle vorhandenen Chroniken zur Geſchichte Königsberg's und 
des herzoglichen Preußens, d. i. die Ehronif des Joh. Freiberg, bie 
Chronik des Balth. Gans, und bie „Newe Zeitnng“ I, II. Die 
einzelnen Beſtandtheile waren fchen früher iu den „Neuen Preuß. Prob. 
Blättern” flüdwelfe gebrndt,«e) und Freiberg's Chronik auch im Geparat- 
Abdrud (Königsb. 1848. 80) erfchienen. Bollfländig wen find bie Bei⸗ 
lagen zu Freiberg und Gans, betreffend die „Beffangenen-Angelegenheit“ 
(6. 280 ff.) und den „Elbinger Anlauf" (S. 867 ff.). 


*) (8 muß bemerit werben, — 
in Wirllichteit aber erſt jept ausgegeben worden iſt. 

und zwar Freiberg: Bb.T... VI 1864...48, Gans: Bd. IX ber Bien Zeige 
1864, Rewe Zeitung: Bd. X 1866. 


Handfheiftiiche Funde aus Mnigkberg. 149 


Weber die bennigten Hanbfepriften, welche theils ber Stadthibliothek, 
theils dem Prod. Archive angehören, giebt die vorangefchicke. Iitenäzr 
hiſtoriſche „Einleitung“ =) Auskuuft und zugleich „Die: erſte vollſtaͤndige 
und zuverlaßige Kunde über die noch erhaltenen umb mehrere ‚verlorene 
Geſchichtsquellen in Rebe ſtehender Art.“ . Sn. 


19, Ein Gandfriften- Fragment des babylenif—gen Talmud. 

Seitdem ich im Iahre 1864 auf dem Pergament-Dedelbezug eines 
ber Hiefigen Königl. Bibliothek gehörenden alten Wertes ein wichtiges Bruch 
füd aus dem Hebräifcgen Bibelcommentar Rafcht’s entbedit und veröffentlicht 
habe, legen mir die Herren Bibliothefcuftoben bie durch bie alten Buchbin⸗ 
der uns erhaltenen hebrätfegen Schriftvenfmale regelmäßig vor, und fe 
tam es denn, baß mich Dr. Emil Steffenhagen vor einigen Wochen anf 
die innere Pergament · Deckelbelleidung ber Pergament-Hanpfcprifts „Goo= 
metria Euclidis cum Comment. Campani, Fol. Ro. 158: anfmerfiam 
machte, welche mit ſchoͤuen hebraiſchen Schriftzägen bededt war. Gleich 
beim erſten flüchtigen Durchleſen ber im Ganzen gut erhaltenen Quadrate 
ſchrift erkannte ich deren Mmhalt als dem babylonifchen Talmnd augehöyend, 
vermochte jedoch nicht augenblidlich zu fagem, zu welchem Traktate, da der 
Gefammttalmnd ans nicht weniger als 3000 Folioſeiten beflcht, Nachdem 
aber der Pergament-Bezug von dem Univerfitäts-Buchbinber unverſehet 
abgeläft und mir zur Zefftellung feines Schriſtinhalts vorgelegt werben, 
fand ich, unter Beiftand des talmudbewanderten, hiefigen Raufmannes 
David Aſchtanafi, daß die ans je 86 Zeiten beſtehenden, mutmehr bem 
Untergange entrifienen 41/2 Folioſpalten hebraiſcher Schrift, Vruchſtuce aus 
den babylontichen Talmudtraktaten Makkot unb Schebuot ſeien, und zwar 
euntjprechen drei ganze Spalten dem gebrudten Texte bes Traltats Makkot 
Bol. 2u d Bud geb 6 und ber Reſt von ein und ein halber Spalte dem 
Texte des Traltats Schebnot Fol. 44” 4ö* 46“ > 

Die Bruchſtude Haben in Leſearten, Phrafen, Wortfieliungen umb 


*) Bol. auch R. Preuß. Prov. Blätter Bte Folge IX, 476. — Beildufig fei 
bemerkt, daß die Radewald’ide Chronit, welche M. zu den vermißten rechnet, in ber 
Kal. Bil. unter Ro. 1662 zu finden it, ö Fu 


150 Mittheilungen ud Anhang. 


Ciyen bielacje Abweichungen vom dem gebrudten, bis · jetzt leider ud 
immer gänzlich vernach luffigten incorrecten Texte, bie ber Wardigung und 
Veachtaug der Sachkenner werih find, und Habe ich daher eine aucthe 
liche Analyſe derſelben für bie „Borfgungen des wiſſenſchaftlich talnudi⸗ 
ſchen Wereins, Beiblatt zur jüdiſch⸗theologiſcheu Beitfehrift Ben-Chananja" 
(Szegedin) angefertigt, bie im nächſten Monat wird veröffentlicht werben, 
Konigsberg, den 23. November 1866. Dr. $. Zolowica. 


Altertpumsfunde aus Weftpreußen, 


In vem großen Torf⸗Moor zwiſchen dem Zarnowitzer See und 
der Dſiſee im mörblichken Pommerellen (Kreis Neuſtadt) wurde vor 
etwa einem Dahre, auf den Terrain des Gutes Zarnowig beim Torf 
fechen in etwa A Bub Tiefe ein Thon-Gefäß (weiches ſogleich zerfiel) und 
darin 10 Ringe von Bronce mit ſchön brauner Patina gefunden. Acht 
bietet‘ Ringe, von ber Hit der fogenannten Schwur⸗Ringe (Bat. Leitfanen 
der Nordiſchen Alterthums ⸗· Kunde. Kopenhagen 1837 Seue 43) finb von 
verſchiedener Größe, bis zu 5 Zoll Durchmieffer uud 2 Zoll Dice, hohl 
nud nicht ganz geichloften. An ben beiben Enden finden ſich eingravitie 
Denamente det voheiten Urt, wie ſolche für. dos Bronce⸗Alter charalte⸗ 
ritiiſch Fb. et aitigen erweitern fig dieſe Enden wulftförmig. Diele 
Gegenflänne ſcheinen ale Armringe gebient zu haben. Abbildungen ähn 
Uqher Noge flefe: Atbildninger fra det Kongelige Museum for Nor- 
&isks Oldesger i. Kjöbenhevn (Kjöbenhavn 1854) fig. 196, 197; 200, 
ICH und 290. Mie beiden ambern beſtehen aus. einem 14 Zoll langen, 
11, Zoll breiten, ganz binnen Bronceſtreifen, welcher an ben beibem Enden 
in Halen und Defe amsläuft und durch ein grabirtes einfaches Rinien- 
Ormament geſchmũdt if. Einige Löcher und am Rande eingehsüpfte Oeſen 
ſcheinen daranf Hin zu weiſen, daß au bünuem Keltchen noch eine Ge 
teuſtande angehängt waren, Weil tiefe Streifen für rin Diebem zu Mein 
find, möchte ich fie ebenfalls für Armbänder Halten. Aehnliche ſiehe Al 
bildninger, No. 345 und 862. — Acht biefer Gegenftänbe befinden ſich 
noch bei Herrn yon Zelewelt-Zarnowig; bie beiden übrigen, als 
Geſchenk deflelben, ig meinem Befig. — Ueber die Form bes Grabes 





Manuſerlyte zur alwwreuß. Selchichte. 701 


Habe ich nichts erfahren knnen. — Andere Alterthümer vieſet rt (Fi- 
bulse, Ringe zc.) find in Ießterer Zeit im dieſer Begenb nicht felten ger 
funden worben. Genft vergl. Förſtemann im ben Preuß, Pron. „BI. 1860 
B.IX, S. 260 ff. 

Im dem Walde des Herm von Graß-Rlanin (unfern Putzig) RM 
Hirzfich anf einem von alten Bäumen bewachfenen Terrain ein Ziegel 
Dfen ans dem Mittelalter entdedt worden, welcher des eingetretenen Fro⸗ 
ſtes halber nicht genauer wnterfucht werben konnte, Sch hoffe, daß wei⸗ 
tere Ausgrabungen im nächiten Wrühjahr unter meiner Leitung geſchehen 
werbeh, und werde feiner Zeit genaueren Bericht darüber erflatten. 

Danzig im December 1866. A. Bergan. 


Manuferipte zur altpreuß. Geſchichte in der Graͤflich Stol. 
bergſchen Bibliothek zu Wernigerode, 


€. Förftemann macht in der Selbſtanzeige feiner Schrift: „Die 

Gräfl, Stolbergifche Bibliothel zu Wernigerode," (Norbhaufen 1866. VIII 

a. 167 ©, 8.) (f. Ztſchr. für preuß. Geſch. u. Landeskunde 11. Bit. 

S. 727 ff.) vorzüglich auch auf einige für „prenß. Geſch. vielleicht nicht ganz 

werthlofe Manuſtripte“ aufmerkſam. Wir heben aus biefen — un 

fexe Provinz betreffenden heraus: 

2 d 2: Ein Mfer. des 16. Jahrh., enthaltend: 2) Anna Dark, Mark 
"gräfln zu Brandenburg, Fürftenfpiegel an ihren Sohn Albrecht Friedrich, 
Markgrafen zu Brandenburg. Bol) 

Z h 11: Berzeichniß der Bilrgermeifter, Rahts⸗ m. Schöppenherren der 
Stadt Dantzig von Anno 1342. Mier. des 18. Jahrh. 4. 

Z h 83: Chronica des deutſchen Ritter-Ordens in Preußen. Diefe Ehro- 


*) Föremann hätte anmerken Lönnen, daß Alft. Nicolevius 1885 den Fürs 
ftenfpiegel nach der auf der konigl. Bibl. zu Königäberg befindl. Driginalhandſchrift ber · 
ausgegeben hat unter dem Titel: „Fürftenfpiegel. Verfaßt von Anna Maria, Martgräfin 
von Brandenburg u. Herzogin v. Preußen, für ihren Sohn, den Herzog Albrecht Friedrich. 
Hrög. v. Dr. Alfred Nicoloviud." (Aönigeberg 1835. Bon’s Bud: u. Muſilalienhand ⸗ 
lung, IX u. 92 6, 8.) Außerdem führt Nicolovius noch 2 gleihlautende Abſchriften 
am, bie bierorts in dem Kal. Geh. Lrchive u. in der Wallenrodſchen Wiblisthel aufbes 
wahrt werden. 


152 Wüthellungen und Anhang. 


nit, eime im 18. Jahrhundert gemachte hachſt faubere Abfchrift einer 
Altern Hoſchr, enth. viele höchſt forgfältig gemalte Wappen u. an 
dere Abbildungen. Sie beginut mit der Stiftung bes Deutfchen Or 
bens u. endet mit dem Jahr 1547. Fol. 

Z h 84: Ein Miscellenband mit etwa 30 von verfchiebenen Händen des 
16. u. 17. Yahrh. geſchriebenen Stüden, die ſich ſammtlich auf bie 
Geſchichte von Preußen, ben bentichen Orden u, Polen bezichen 
Für die Geſchichte Preußens bürften ſich Hier noch wichtige Schriften 
finden. Fol.⸗) & 


Altpreußen in den Worlefungen an deutſchen Univerfitäten 
im Winter-Semefter 1866/67. 


Höntgöberg. Geſchichte Preußens im Mittelalter: Dr. Lohmeyer. Aritiſche Ucbum 
‚gen zur preußiſchen Geſchichte: Derfelbe. — Lelture von Donaleitis „das Jahr:" 
Brof. Predig. Kurſchat. 

Beaunsberg. Ermlandiſch⸗preubiſche Beidichte. (Historiam Warmiensem cum 
Prussica conjunctam): Prof. Dr. Bender. 

Berlin. Ueber die neueren Syſteme feit Kant u. ihren Einfluß auf Kunſt u. Wiſſen- 
haft: Dr. 3. B. Meyer. 

Jena. Weber Syftem u. Entwidelungägefdidhte der kritiſchen oder Kantiſchen Phile 
ſophie: Geh. Hoft. Prof. Dr. Kuno Fiſcher. 

Reipgig. Ueber die Grienntnißtheorien von Lode, Leibnig, Hume u. Kant: Prof. 
Dr. Drobiſch. 

Wien. Geſchichte der Religionsphilofoppie feit Kant: Dr. Barach-Rappaport. 


2 


Univerftäts-Chronit 1806. 


No, 75. Amtl, Verzeichniß des Perſonals u. der Studirenden ... für d. Winter-Seme 
fter 1866/67. (18 6,8.) [68 Doc. (7 theol. — 9 fur. — 15 meb, — 29 phil. — 5 Eprhe 
u. Gperzitienmeifter (io!) unb 460 (18 ausl.) Stud. (41 weniger als im Gommerfemefer) bar 
99 deel. — ai dut. — 87 Med, — 189 PpiL. — 15 Pharm. — 8 m. Genchmig. b, Vrorectori 


*) Bir werben im erſten Hefte des folgenden Jahrg. ein genaues Smpaltäver 
ziämiß dieſes Coder mittheilen, welches wir einer gütigen Mittheilung aus Wernigerode 
verdanten, nad) welcher übrigeß zu den obigen Prussicis nod hinzuzufügen wäre: 

Z u 89: Mfer. des 15, Jahrh. enthält u. a.: de unione et pace perpetun inter 
regem Poloniae et cruciferos, (25 ©.) 





Bibliographie 1865. 768 


30, Nov. Lectionem de epilepsia ... a... Arminio Nothnagel med. Dr. ad docends 
facultatem rite impetrandam „..in publico habendam indieit Eru, Leyden, med, 
Dr. P. P. O. ord. med, h. t. Decanus. 

12. Dec. Hiſt. Doctordifj. v, Adalb. de Kotrayzaki (aus Löhen): De bello a Bolesiao 
Magnd eum Henrico rege Germaniae gesto A. 1002—1005. (32 ©. 8.) 

20, Dec. Philol. Doctordiſſ. v. Arno Heyne (aus Liebewerda in Sachſen): De nomi- 
nibus propriis apıd Homerum, (67 ©. 8.) 

27. Dec. Med. Doctorbifi. v. Dr. phil, Med. pract, Fria Jul Neumann (aus Rgäbg.): 
Profusiones sanguinis ex umbilico hominis adulit, (sic!) (30 S. 8.) 





Bibliographie 1865. 
Eaim) 


@enfiebn, Dr, Hug, che 8 Ländlicher Mrbeiterwl 
cn hehe, OR Eine Beten, } on 
tög. v. K. Biamer. 8, Hit. ©. 1 


Ace. Koften bi 
— Faro de, Erarien —— — d. Alter des — E Hartunagſche 
— - Die Seh ebene —* für die Armee der Vereinigten Staaten. Ebd. 
198, (Beil.) 194 (Beil.)] 
— — De —S der großen Städte. IEbd. 196.] 
— — Zur chirurgisch-pathologischen Kenntaiss der Brustärüsengeschwälste, [Deut- 
sche Klinik, No. 11. 12. 14.] 









s Tumor goscygenn., IEba. 18] 

— — Zur Retorm des Militär-Medicinalwesens, [Ebd, 

— — Skizzenhafte Bemerkungen üb, d, Bedeutung 28* Geologie für die Physio- 

logie des Menschen u, f. die praktische Heilkunde. [Ebd. 49. 51. 52.] 
— — ‚aa typböfe Sieber der Schweine. Neußerungen von Dr. Budd, Prof. Simonds 
of. Ferguſon, vorgetragen in Verfammlungen zer BOR Die Aderban,@efeilicpaften 
Fr a 1 Grand u. Jeland, mit erläuternd. Zufäßen. CEdwirihſch. Gentralblatt f. Diſchid. 
— —) Drei militärifhe Brieie a en mi Tin ber dortſchrittsbartei von einem Oft 

‘ preußen. Geſchrieben am 18. Ol Hr Sorte — —— der Bein: 
iger Schlacht. jr 2, Kufl, mit lag der ftpr. Tribu 
gm, 12. Gt Be u Vernichtung verurtheilten Se ein. ar u. Berl v. 

Sri 

— — — fir Sittayen tzom Jahre 1864. Heydelxus. 
(Drud v. Siebert in Hegvehrug.)_ (‘ 8) 

— — in i iß Sietwoininku —* nu Meto 1864. Spillotarchiamoj. 
(Gbenjo.) ai ©. 3) 

Sennik cayli wrößenie ze snöw na przessto 1500 praypadköw slukgce, = röänych 
starodawnych ksigg sebrane i porsedkiem abecadlowym dia zeugt i zabany 
Siekampch Indzi w nowem zupelnie wydaniu oglossone prze ei Nie- 

Zabobonöw. Torun, 1866 (1865). E. Lambeok, PL Fi —5 — 

GSettes RD nr ua hifter, Entwidig. ber beutfch. Thierzucht. lVandwe 

— — w at Krocker, — Heerdbuch. Ein Verseichniss v. Individuen u. 
Zuchten edler Thiere Deutschlands, 1. Bd, Mit e, Einleitg.: Rükblick auf die 

hist, Entwicklg. d. deutsch. Thierzucht, v. H, Bettegast, Berlin, Wiegandt & 
Hempel, (LXXX u. 156 ©. 8), un al, 

"Simson, Urkunden u, Aktenstuecke 4. Kurfürsten nieder: win. v. Braun 
denburg. 2.Bd, Berlin. G. Beimer. er : Aus wärtige As [Frauk- 
zeich.] Hrag. v. Privat-Doc. Dr. B. Ed, Bimson, Knie. aus) 3x 


uxyt. Monetsigrift Bd. IIL Hft. 8, 48 





754 Mittheilungen und Anhang. 


Sonnenburg, Schr. Dr. amt bet englif den Ge en Gral 
in Schulen, wie —X onders f. d. Gel 
nung u. Einübung der (uöfpradhe, ber —* u Ge in Kl j 8 


tar. Berlin. Springer's Verl. (VII u. 342 ©. gr. 8.) 24 Sat. 
— u —— u, formalbilı 1dende Kraft der Aussprache d. Englischen, Ebd, 
Ä Ir. 
_—- Die —* Konjugation. Anleitung zu einer methodiſchen Gtermung ve fu 
öfiich. —* — ber unre —5— mit ng des 
Sei met ebungs-Äufgaben. tr den Gebraud) auf 
—88 an. on db. Seranfiäten. Ganz. Biemfien. (64 ©. 16.) 6 Ar. 
cat 
Mascker, Jul. (aus Neulich), De urethrae stricturis urethrotomis externa sanandis; 
adjectis morbi historiis duabus Diss, inang. chir. Gryphiae. (82 ©. 8.) 
Gtangnamöf, Sul, Briger m Kummz be Mens 1, Sue Mn te 
welche fidh nach dem Armen ug enden des 
verl. des Hröp. Gedrudt bei 3. E. Jänide in he (#8 €. 8.) 
Starck, Dr., (Bericht über meine IE -Heil-Anstalt in Fra] im November 1866.) 
Grete —S A 1x Rüden Megbehm rn Rechtes ‚oder die Diftinctionen 
jagen, Dr. ie tagbeburger 
ee: 
ide een ‚non neuen 
Separa Ahr. a der Me. Memasihr, mi einer Ithoge, Echiftprobe.) Bash 


IH u. 38 ©. or. 8.) 9a Ahle. 
en —— 3 —2*— u. hoben deſte für einfältige Corien 
Stimmen ver Greiel. a: Sammlung, Pete Zitlau 1862. Dr. u. Bel 

"%. Gruber Eines) a nee a Re. 5 Meer 


eng m ar: 1 Ihr, 
—F Luſtſpiele u. Beriäte, were Berl. v. Hübner & Mag. Gedt. bi 
"Longrien. (4 Du 

@ichbe. me Dr. D., Niscellen u Ka: —2 Sdlsrechts. dee 
fammte Holöcht. Bon 1. —— — 56] 

-- teslauer Gignaturbäcern. Bit f. Geh. u 
Alter —A 3 2. ft. ©.386—86. 7. Bo. 1. Oft. ir 176-191] 
”. em und gefammte Hand. LBtidhr. ſ. Rechtögeih. 4. Bo. 2. Hit 
— — Beiträge zur Gesch, des dentach, Rechts, Braunschw, Schwetschke & Sohn. 
ua, Vetnngsbud Tr Seen, nad, Orubfä. der Shreblefemeiene 

uc im jen, 
—ãE ‚Säulen u. Clementartlafien höherer Sehrantalten beub, 8, bericht. Al 
ing. Neumann:Hartmann. (144 ©. gr. 8. u. 2 lith. ©.) !s Ahle. 

v. Gtüdradt, Gen.-Diaj. u. Kommandant 2 Anorbmungen 17 u Garnifondienft in 
ber Zeitung Thorn. Thern, Wallis. (IV u. 98 ©. gr. 8.) 6 Gar, 

, Dr, A., Architekt Sr. Maj. des Könige, Bauwerke " Abtheilung: Das nee 
Universitits-Gebäude su Königsberg. Berlin, Ernst & Korn. ( weich 
Bach n. Kunstundig) (wir ——— 
e 

Sucker, Car. Fr. Jul. (uns rtiten), De Modicamentis imponderabilibus. Diss, inaxg. 
med, Berol. (82 ©. 

Thiel, Prof. Dr. raunbern), Die Nach-Constant'schen Vorarbeiten zu einer nenen 
kritisch, Ausgabe der Epistolse Ron.arorum Pontifieum genuinae, [Archir für 
kath, Kirchenrecht, N, F. 7. Bd, 1. Hft. ©, 1-18] 

Tin, 1. J. (Braunsberg), Ein Urtheil üb. d. Verhandlung, welche auf d, 15. Versamml. 

der Directoren der Westphäl. Gymnas, u. Realschul. au Boost, um 1B-17 Oct 1868 
üb. d, Unterricht in d, Stenographie an d. höh. Lehranstalt, —— bi 
I  Jahrbüch. f. Philol, u, Pasd? 92. Bd, Hit. 5/6. ©. 291—305 ] 

x — des Pi es zu Taubenhain. Cine warnende A lehrreiche f 

ale nd Dr. u, Berl. v. Em. Ra: a N 

Töppen, Dr. Mi, He. während d. E des Rarieref. Georg 





Bibtiograpfie 1868, 166 


ori , Ana Nah den dat » 
Ha Sr Ba Sn me an ne 


Tri Be Mr 
! Beute igkeiten” nalen re ben Geh. — rg des unglüdl. 
fangenen von u v Ole g. Gin 4 and 

Ruflanı. a N. 
Celle. (1860). She ©. 8.) 1 Tplr. 


eberwog, Prof, Dr. Friedr., —X 8 — u. Geschichte der 
te neu bearb. Aufl. Bonn. Marcus, (XV u. 400 ©. gr. 8.) * 
— — Grundriss der Gesch. der Frilosophie von Thales bis auf 
1. Theil, a, u. &. T.: Grundriss der Geschichte der Philosophie des Alterthums. 
2. durchgesehene u, erweit, Aufl, Berlin, Mittler & Bohn, mi ie Alan 2.8) 


1 Thlr. 12 6, —F 
Otto, PredAmis· Cand. u. Lehr. an d. Real a R J 
ed, b. range, ünhengeanas, umge ba 8 — ae 15 Menden 
vo af aniere Yet Sn ——— u, Stan 1, San 
Dr. u. 8 Felde Av 128 m. 10 beil.) ac Fri 
Ati, am 
w. Usedom. Karte des Manöver Terrains der 1. Division Herbst 1866. Geseichn, von 
r Uredom II 11, Lieut. u. Adjut. des Grenad.-Regim. No, i Massstab 1 : 60000. 


Lith, Anst, v. Fr. Schwabe in Berlin, . Fi 
anen "er ierten Berlamml der Bigedonen der Ohmnafen ee 


d. ©r., Maria 








wissenswerther Notizen für Seeleute u. Alle, weiche sich ur das Neewosen 
interessiren hrag., Der Ertrag ist für die Dansiger Seeschiffer - Wittwen- 
Kasse bestimmt, (Dansig, Comm, v. Th, Bertling. 1866 (1865).) (Druck von 
FR W. Eaton.) win u. 252 ©. Ur.B. m. eingebr. Holzih. u. 6 Holzfchntaf.) 


2 Zhlr. 

wei Dr. 2. Amin —ã te des 
Ein Kran aekelln Ir Darıa ben 3. Min Beh ver Sofamet, 

ns Ben Sande, Dead v, Gum Orkninp. & 6. AN 
weiße Be AH En ci Di ——— 
—— Ihe Stage 56, Unefuhinom. 1Xheol. Stubien u. Krititen. 
— wmiee Ze. 1. dahes. 1. vhn 

erei Ro 108 1001 u 8e 

430 


166 Mittheilungen und Anhang. 


Worniek, Frits, Elbinger Wanderbuch, ein illustrirter Führer durch ‚elbing u. eine 
Umgebungen, [Cadinen, Kahlberg, Marienburger Schloss, oberländ. Kanal “el 
Mit viel. d. Text gedr. Illustr. u. 1 3 Plane der Stadt u. deren Umge- 
bung. Elbing, Neumann-Hartnann. (122 ©. 16.) !/s Iplr. 

journal f. prakt. Chemie hrsg. v. Otto Linn Erdmann u. Gust, [Ferther. 

anne, Bd, 24 Hfte. Leipsig. Barth. (gr. 8.) 8 Thlı 

ein. Luftipiel in 1 Imae. (Den Fre 

ter. Sommiffionse eich vs micaelion i in 

it übergeben.) Berlin. Drud v. Rob. Bittner. se ar 18) 

am. Große Oper in 4 Ücten, n al 

t von Richard alt De (ven Bühnen "gegenüber FH 

öl. Cigentb. v. E. ©. Bod. (43 €. gr. 8) 

Yir, in Magdeburg), De vententiis_ secundaris Sprimarian 
— iaunis. Magdeb, (Berl, Calvary & Co.) (IV u. 72 ©. gr. 4) 


Bie en di Ci bahn Thorn:Nönigsber: Bartenj ken Er ſchnellſten u. bill fe, bers 
sel A —— ® 1. Mathe (32 ©. Aufl. 
ne —— Eperuns auf die — ve Kal, —E Hem. — "er. 


u —5. — Baurath K., Die Reinigung u, Entwässerung der Stadt Danzig. 
Auf Veranlassung des Magistrats su Dansig unter Mitwirkung des Civil- ‚lage. 
Veit-Moyer bearb. Rierzu: Berechnungen, Ueberschlüge der Bau- u, Betriebe 
kosten u. 1 Atlas m, 18 (lith.) Plinen u. Zeichnungen in Fol, Berlin. Ernst fi 
Koch. (X u. 175 ©. Ler.8.) 82a Thlr. 

wu Se da (au Mohrungen): De eosemate acuto, Diss. inaug. med, Gryphise. 

Winekler, m Ueber die Art u. den Grad der von Herodot geübten Kritik. Thorn. 
(Berlin, Calvary & Co.) (28 ©. 4.) a Zhlr. 

Wehnsitze, die ländlichen, Schlösser u. Residenzen der ritterschaftl, Grundbesitser 
in d, preuss, Monarchie. Hrsg. v.A, Duncker, Provinz Proumen: 12. u. 18, In. 
Berlin. A. Duncker. (&3 Chromolit „u. 3 Bl. Text. qu. gr. Kol) & 

MBohnunge Knyei jer, Elbinger, für 1: 6. GEbing, (1865.) C. men, [t 

1868. Sadeag zu bem @linder Mohnungs-Anpeiget fü 156. Sun 

— — Rachtrag zu dem inger Wol unge? er für e. 
Berzeihnib deri. Emdohner, welde im Laufe d Ti neu angezogen find od. 
ihre e Bohmung oewechſeit haben. Cbb. (19 6. — 8) 

— 3. Westprenssen. 
[Archiv f. pathol. Anat, u. Physiol, 34. Bd. 1/2 Hit. &.0- 
ik, Aemil, (aus ibn, De diagnosi paralysium, Diss. inang. * Berol. (328.8) 

jadariä, Friedr. Dh, Kater Murner in der Hölle, in jcerzbaftes Heldengeriht 
in 5 Oelängen. Kasba. Richter'3 Bchholg. (32 ©. 16.) 5 Zhlr. 
Ziegler, Blarer | in Eh Die ne delige Rei 9 eaaelandue, zum Gebrauch füı 















aa 


für Kind, 
ule u. Haus ... 11. Be efbihdr. (64 ©. 16.) 2 Eat. 
ea —A Ba ende eb Meihrnd at Ih, sm head I 
— —) Liturgiihe Andadt am heil mi —— gm 
Kirche u. Haus. Wehlau. Dr. u. Verl. bei echte. 
—-) Sihirgiihe, am beil. Sylvefter- Abende .. Id. u = a” 
ke, Gymn.-Lehr. Dr. J. V. C., Rede, gebalten am Geburtstage Sr. Majest, de 
Königs Wilbelm, am 22. März 1865 im Gymn. zu Marienwerder. [Beil, m 
Pr. Bteno; hen Zeitung, No.5.6. ©.21—28, 8.] 
Dr. Karl, Theorie ver Querihtwingungen eines elaftifchen, am Eude belahem 
ee (Rosbg. Schubert idel) (24 ©. pi Fon Ir an 


Veriodiſche Literatur (1866). 157 


Periodiſche Literatur (1866). 


„Oälentäe ‚Seovingielblätten, Hrsg. von = Delöner. N. %. 5. Jahı 
(6. 640, 641-704.) . Jacobi, d. jchlef. Weinland. (Scl.) 
Br im dv. — d. Feſtung — — J 
gelte 3 Briefe an Aug. Sahlert 

usdrugweiſe. M. Bolo, Each i & u Fee, 
30täy. Krieges von 1866. (Fortf. 
—50 aus d. Oftmucauer en. M, Satiz 8 
9. Palm, Raul leming u. die Schleſ. 2. Yac 
ae elgel, Nuszug aus d. Album 
Eprüchoört. ber poln. Oberjelefier. I 
in Schleſ. Delöner, D. Bresl. Bernharbinerklofter 
Meteorologie Schlefiens. Nah Dove. Delsner, C. 
Nekrolog. Fragen, Anregungen, Antworten. Lit u 
u. Statiftik — Drieftaften. — Anbang — Anhang. 


Oet. An. 
ent, 








Die Vorſchußyereine der Prov. Preu; [Danz. Ste. 3925.] 
en Eilbing-oberländifhe anal. Ras! . Hmtabl, 48,548] 
olera im Reg.:Bezirt Di erzig- om Reg. u. Medic. 
[Archiv f, pathol, Anat, u. Physiol, 37. Ba, 3. Hfl. 
Statut d. Entwäflerungs:Verbandes der Wibminner Geen (im Gumbinner Reg.Bez.) 
(genehmigt Berlin, 16. Aug. 1866.) [&umbinn. Amtsbl. 45.] 
Notiz über den — ro 1865 im Reg.Bez. Sie, (26 Stationen mit 
ep 





43 Beamt. (Sasbg. 25) u. 10 Voten (Nabe. 7), jges ſchen (Kasbg. 77,416) 
u. 46,891 innahme (Kgsbo. ® en Xhle.) 8 Station, mehr, aber 4781. Dep. 
u. 4095 Thlr. weniger als 1864.) Moe, tg, 275. (Beil.)) 
9. D. Eine Wanderung dur, — des fg. ez. —— D. Bolksſchulft. 23.] 
Üleberfichtötabelle der 1865 im Reg.Be. Marienwerder Dorgefommenen Geburten, 
y, gauungen Sterbefälle, nee. Geburten. [Marienw. Amtsbl. 44. 
hnaafe Diaionus zu St. Johann in Danzig), Die böhmiihen Brüder, in 
Zelem und die Reformirten in Danzig. [Ztfer. 1. d. hiſt. Theol. 1867. 1. Hft. 
Unfere Anfens Gangigen 2) Gafeneincihtungen. T-11_ [Danz. —F 3088. 3969. 3971.) 
Bericht üb, d. Lage d. Stadthaushalts negen Schluß, 13 . 1866. Danz., 27. Nov. 1866. 
Der Magiftrat. (gez) v. Winter, [Chv. 3855. (Beil.)] 
Naturforfch. Geſellſch Sina. 10. Ort. (u. 24. Su) (D. correip. Mitgl. Dr. Gas 
aus Kairo überweilt periönl. werthuolle Geſchente in Natural., Waffen u. Gerätbib. 
— Geſchenle von Mit, Run u. u gen reunden d. Gefellih. — Vorträge des Aftronom. Kayſer 
üb. —— — — "u. „üb. d. phyſ. Conſtitut. der Weltlorper gach 





d. neuft. Dan. 3963’ (Beil.) vol. 3989 (Beil,)] — Eipg. 7,Nov. 

(or. Bail (irre d. —A verftein. Ba 3. Theil als Geſchenk vor; 

macht auf d. viel, bleihen in d. — v. Danzig an — Sonegtatt ſich 
findend. vorwelti. Hölzer aufmertſ. u. Ib. f. dieaj. Unterſuchg. üb. Gahrung 
Vandrtg. der eltern men — d. a J durch Vilze erzeugte ibemien Fi 
Infetten.) — Nov. (Bericht des Di. — Schimmelpfe 
d. Sternichnu; are I d. Naht v. 13/14. Nov., dögl. v. Dr. Kanne Fr ne 
Herung, von Alron. Kayfer.) [600. 2068. (Bei) 1 

Eröffnung des Hülfß-Seminars zu & iedrichähoff 20. Nov. 1866. „frstreräuf. 24] 

Srübere Gehälter der Kgsbgr. Univerfitäts: arofeioten. [RgEbg. R. Btg. 274.] 

2. Hartungice Btg. vor einem Jahrh. IChb. 274.] 

(Notiz üb. d. legte Choleraepidemie in ausge. eat 3967; geft. 1946 (181 Milit.) 
u. genefen 2021 (332 Milit.) [Ofpr. u. Hartgſche tg. 279. 

Ueber d. & —e % nie be bei Berielben zu Ginterlegenven Depofiten. IOſtyr. 

artafche (. 
Serviche Geſellſch 31. Pr (Notiz Pr d. dtemeſſung —X Kirhthürme in 
bg. durch Baumſtr. M Wendibel, Die alte Spie des Salcbthums erhob ſich 

Fix dem Steinpflafter des Schloßhofs 228°, die jegige 2662‘. — Höhe üb. dem Null: 


7158 Mütheilungen und Anhang. 


ft d. Vegels a. d. grün. Beide; I rm 832° 10*, 318’ 14"; 
558 22 PN, 9 Lüben. 252° — 2 I“; al, — 
athurn u. 


im 190 199° 34"; —2 un 18 — ne d —S Btg. 260. 0 eh Im 

(Zur geh, —— — — Dr. Burow sen. Hartaſche Btg. 273. vl. 
ingefanbt, 

Die Ihe fte] Gntftchung ber aer Rand (e. umfangreich. Selen 8 bei. 

ute Krakerort (Ar. Hendehrua). in melden ich mehrere, Arme des Rık 

R. 9. Prov. Bl. "ze 5 x1,3. 


2, Gp Hauslalender f. 1867 


Pi des D b rien: 
ven. Sp. 89 fi] ia Me 


"ak ı — IR. P. Prov. Bl. 
we Beinnerg, an d. Thorner Blutge⸗ 
Dr. geop. Brame, D. Andenlen des Copernicus bei der bantbaren Nachwelt. ICh. 
Wiralend ee Nach neuen Unterfuhungen u. Funden dargeftellt. [Mgädg. 
Bembewö „Iob. Felt. Dits. Diekmann. Retro Bettofäulfe, 23] 
€. F. W, Gin Säulinfpector (ConfiftR. Dr. C. 5. — 3 —R anne de; 
mopeit“ (BBieberabbr. e. vor 15 3 


Sl 
Feet San 


el. ‚Kgöbı —T WR 

Im ienfeheitven et idabrbah 

— ©. Spmengel, Beier». 

. riot 

—S 20 Der [R. 
jetto Paolo Bergerio, Bilde! 

Pie Age. ia ben ein FA 

ien in Polen un 

Fr far m Woche 
n üb. e, Beit- u. 

Be. 97. ee 


a. Th eb far, ude in Sälodn, Senior d. Synode Eonig, Dr 


\ Anzeigen. 759 
Anzeigen 


nt <t  Ahonnement-Einfadung „kennen: ven 
anf die 1T5lx, 5 ©gr. bierteägel 


Wefl-Lreußifhe Zeitung. 


Diefe Zeitung, conſervativer Tendenz, erſcheint täglich (mit Ausnahme der £ 
4 Sonn: und eittage) in großem Zeitungs⸗Folioformat. Gie enthält ftets die 
& neueften Nachrichten, die ihr durch eigne Zelegramme zugefandt werden, einen 
J alle politifchen Greignifie umfaflenden täglichen Bericht, und zahlveihe Correſpon⸗ 
hi $ dengen aus dem In- und Auslande. Sie bietet ferner durd ein reichhaltiges. 
& Seuilleton, Mittbeilungen von Lotal-Rachrichten und Befprehungen von Communal: = 
Angelegenheiten, Kritilen über Theater und dergleichen, angenehmen Stoff zur Uns 
J terhaltung und Belehrung und bringt außerdem auch gerichtliche Referate, Handels- 
# Börfen- und Scifffahrts:Berihte. Wir empfehlen viefes Organ angelegentlichft d 
® und laden zum zahlreichen Abonnement ergebenft ein. N 
E Inferate finden die größefte Verbreitung befonders innerhalb ver Provinz a 
F und werden mit nur 1 Sgt. pro Petit-Spaltzeile berechnet. A 
R Bie Erpedition der Weh-Prenfifchen Beitung, 
Danzig, Hundegaffe 70. 





Autiquarischer Anzeiger der Theod. Bertling’schen Buch- und Antiquar-Handlung in 
Danzig. No.9. Decbr. 1866. (86. 4.) [Inh,: Belletr. — Theol, u, Philos, — Rechts- 
u. Staatsw. — Medic. u. Naturw. — Neuere Spr.u. Lit,— Gesch. Geogr. Reisen, 
— Haus- u, Landwirihsch, — Jagendschrift, — Vermischte Werke.) 


Misher-Austion in Danzig 15. Januar 1867, Vers, e, Bibl. aus d. Gebiete der Alt. 
u. neuern Medic. u. d. Naturm., darunter seltene Ausgaben der alten Aerste, 
nebst e, Anh, v, philol, u, and. Werken, Danzig, (Th, Beriling,) (52 ©, 8.) 


In der Buchdruderei von Albert Rosbach in Königsberg ift zu haben: 
Die Wafler-Berforgung großer Städte und die nene Wafferleitung für Königs 
berg. Gin Vortrag, gehalten in der Konial. phyfilaliſch/ dtonomiſchen Geſellſchaft 

zu Konigsberg von Dr. med, W. Schiefferdeder. Geh. 5 Sar. 


760 Anzeigen, 


Bei Wilb. Koch in Königäberg ift erfhienen: 
Der Kriegsrath Scheffner und die Königin Luife. Gin Vortrag, gehalten in vr 
Kömipl. Deutſchen Geſellſchaft zu Aönigäberg von Rudolf Reide. [Separatit: 
drud aus der Altpreuß. Monatsſchrift] (31 ©. gr. 8) 6 Sm. 


Bei Gräfe & Unger in Königsberg ift erſchienen: 

Die IX Bücher Magdeburger Rechtes over die Diftinctionen des Thorner Stadtichre 
bers Walther Edhardi von Bunzlau. Eine Abhandlung zur Duellenkunde des deutſchen 
Rechtes als Brolegomenon zu einer neuen Ausgabe von Dr. Emil Gteffenbagen. 
(Separat:Abdrud aus der Altpreußiſchen Monatsſchrift mit einer Litbographierten 
@äriftpeobe. (II u. 33 ©. gr. 8.) a Thlr. 


Im Verlage von Th. Theile's Buchhandlung (Ferd. Beyer) in 
Konigsberg ft erfchienen: 
Kantiana. Beiträge zu Immanuel Kants Leben und Schriften. Hrsa 
von Dr. Rud. Reide, Cuftus an ver Königl. und Univerfität3:Bibliothel, 
5 Bog. gr. 8. Brodk. 12 Ser. 

Auch bei ber bevorftehenden neuen Ausgabe der Schriften unſers großen 
Bhilofophen von Königsberg dürfte für viele feiner Verehrer obige Echrift wegen 
der intereflanten theils unbekannten theils vergefienen Mittheilungen aus und über Kant 
eine willlommene Gabe fein. Sie enthält u. a. die noch ungedrudte Gedächtnißrede, 
welche bald nad) dem Tode Kants Confiftorialraty Wald auf ihn im amtlichen Auftrage 
ala Profeſſor ver Eloquenz hielt, zugleich mit den Materialien, aus welchen er ſchoͤpfte, 
meiftens in Angaben feiner nächſten Belannten beitehend, in ganz vertraulicher Weile 
ſchriftlich abgegeben. Diefe Duelle haben wir in den meiften Fällen alö die erfte anzu 
fehen, aus welcher zahlreiche Weberlieferungen über das Leben, die Neuerungen und die 
Denkweiſe Kants geflofien find. 


Berihtigung. 
Jahrg. 111, Hft. 6. ©. 49. 3.8 v. ob. u. öfter ſtatt „kottun (Meichfeljopf) Tier 
nkoltun“, (Rad Mrongowius wird das kaſchubiſche klatan in Danzig Martlatte 
genannt.) 








J. Xutoren-Regifer. 


8 Nudolf, Architekt in Danzig, I. C. ©. 48458, 
Bergau, a, Alk a J. Säulk in Dani. 


-- Kirche zu Aumebnen in Samland. 8 658-568. 

-— Alteritumefende aus Weitereußen, ©. 750-751. 

Brodmann, 3 9., Eonful in Rgöbg., Ueber den Nord Ohee Kanal u. bie geidinen 
dazu in Vorſchiag Gebraten Eirlen Mit au — 





nme Hart.) 10820 
Bu som in ’e ai su. Arıkin Apsbg. Sur ferikhiger. ©. 1a. 
fon, » 15711 
Benllnı v; toſeſor in Aqabg,, Mecenfion. S. 156-157. 
ritfche, er u deal ule 1. Orb. in Wehleu, Ein Shalefpear-Bortrait in 


Senke ker an, Onamatedehrer in Menel, Mlnsfun. 

Gera, 0 Dr. Car, On ae een enteo ehnufpkitunt bis auf 
Dr. &, praft, Urt in Rpöbg, Ueber Rant'3 Rodmmonie, ©. 312-- 

Erf, Dr. Seelen De a ont. Mike zu Ad: 
m Jet, 2 

— —F PER [4 Kasbg., Ein Handſchriften Fragment des babyloniſchen Tale 


Krofte, D: di —8 d. ſtadti Realſchul⸗ Das ftäptijche Ar⸗ 
BEE I me eier a, Bualish 


Be — — ie Mine —S Stand der — 
— 6. 2888 on 


ler, D Dr. ze in Kgöbg., Ueber Gntwäfierung und Reinigung grober 
=. Die orig. —5 Seteliboft ü im Jahre 1865. ©. 77. 
— >, Recenfion. 869 —: 


Meffelmann, Dr. ®. & 3 Ex in Rgabg., Ein orientaliiher Munzfund. S. 374—876, 
Dilert Dr — — in Gumbinnen, Stizzen aus Alt:Preußen. (IT. Das 


PERLE, * Obere * der Realſchule auf der Burg in Kgsbq., Ueber das Les 
ben der Spinnen. ©. 1-20. 

Bruß, Dr. Hans, © mal Lehrer in Danyig, Die Kataftrophe des Danziger Bürger: 

ide De note Se der Rönit. Dilite {n Apsbg,, Bin Danziger Batheeitt 
zom jene 160 — Men lien Ofen zu Danzig. 


162 1. SutorensBegifter. 


a ee Een Gin vreubücer Geiküiher m 
1,20 MdL Be ft, 


— 6 
ubert, D > in, ‚Rath, Brot. in Roöbg., 
en andli —F —53 HA —S 
preubiichen Staates. 6. 128—141. 
= ee 


Nehtögefchichte. III. Der Kulmer Oberhof. ©. 23942. 


v in Beh ©. N2—20. 
"6. 720-188, —— Ye der Minlgkbenger Aehtetanarinen 

— — Üterthumdgefelfihaft Vruſfia. 6. 78. 169-171. 273. 860-361. 465466. 
Be, MEET, 


Recenfionen. 
Am ie — * —— * 1-06 20. 
370-878, 72. 668. 748-749. 
Aterthumfunde. (Ro. 





·2 de. 0-4) 6. 200-1. 565-566. 
-- Hetenben, Sun a) 5 ASTTAER. D64-506. 
, Dr. Mar, Gymmaf. Director. in m Sobeften, Die der. Glementar. 
——— im Ortelöburger Hauptamte unter der Regierung bean uch Wilhelm I. 
©. 30-311. 
©. 885-414. I. ©. —— 
ſagen und — € ee SE ie ta an 


8 6. 
in Agäbg., Ueber Kant’s Doctor-Piffertation de 
12, — Sure en mom 


er me 
chard, Oberſteuer · Inſpector in Pr. Stargard, Weſtpreubiſche Studien. 
PR Dr. Ir: Sarntfon Prediger und Stadtpfarrer in Pillau, Grinnerungen 


— ———— "2 mu vn man = 


> —— — 1 DI 
Yin idenie lien. Bibi! Ken 
ireußen. 6. 864-867. 


u. Gad-Begifier. 763 


11. Sach-Regiſler. 


Aberglauben aus Mafuren. 5.385414. 481508. 577-596. 673— 708. 

Alterthumsfund zu Jufterburg. ©. 282. 

Alterstfumdfunde (No. 20-34.) ©. 280-281. 565-566. — aus Weſtpreußen. 
©. 760-761. 

Alterthumsgeſellſchaſt Pruſſia. S. 78. 169-171. 273. 360-361. 465466, 666659. 
746-747. — Aus den Acceſſionen der A. Pruſſia. S. 180-182. 

Altpreugen — Geſchenke aus A. an d. germaniiche Mujeum in Nürnberg. 6.184. — 
Aus 9.3 Rechtegeſchichte. HIT, IV. &.229— 250. — Stiuen au A. 6.917122. 
— Das definitive Refultat der Volkszählung in A. am 3. Dechr. 1864. 6.274278. 
— 2. in den Borlefungen an beutfchen Univerfitäten 1866/67. ©. 752. 

Wltprenpif — Manufceipte zur a. Geſchichte in d. Gräfl. Stolbergſchen Biblioth. zu 
Wernigerode. ©. 751-752. — Berzeihniß der a. Geſchlechter, welche in Dr 
preußen polniihe Namen angenommen haben. &.427 fi. — Die Bewegung des a. 
Handels im J. 1864. S. 49-55. — a. Berlag. ©. 60-68. 70-78. 167-168. 
359-360. 461465. 550-552. 742-746. 

Unzeigen. ©.191—192. 288. 384. 480. 671672. 759-760. 

Archiv — das ſtadtiſche A. zu Raſtenburg. &.79ff. 

Aufforderung. 6.191. 

Beriätigungen. 5.884. 672. 760. 

Bevdlkerung — Die Zahlenverhältnifie der landl. zur ftäbtiich. B. nach den legten Bolts 
zahlungen des preuß. Staates. &.123—141. 

Bibliographie (1864). ©. 87—92. 185—189. 283—286. (1865.) 380882. 474—477. 
569574. 664—668. 753—757. 

Bibliethek — Die tdnigl. B. zu Kasba. S. 74-76. — Manuſeripte zur altpr. Geſch. 
in der Gräfl. Stolbergichen B. zu Wernigerode. ©. 751-752. — Handfcriftliche 
Yunde aus Kasbger Ben (Ro. 7-19). S. 278-280. 870-373, 468472, 668. 
W875. 

Canal — lieber den Rorb-Dftfee:C. u. die verſchiedenen dazu in Borfhlag gebrachten 
Linien. S. 289-801. 

Danzig — P. Kaer's Profpect der Stadt D. ©. 545-549. — J. 6. Schulß in D. 
©. 448-458. — Die Kataſtrophe des D—er Bürgermeifterd Conrad Leplau. 
©. 597-629. — Ein Der Rathsevitt von 1520 als ältefter Drud aus ver 
Weinreichſchen Dfficin zu D. 6.653558. — Ein Der Sechrief. 6.467468. 

Donaleitid. ©. 373. 

Elementarſchulen — Die Cinriätung der G. im Ortelöburger Hauptamte unter ber 
Regierung König Fr. Wilh. 1. S. 802-811. 

@utwäflerung — Ueber €. u. Reinigung großer Stadte. S. 2148. 

Ermeland —. Die Theilung der Didceje E. zwiſchen dem beutfchen Orden u. dem ermes 
landiſchen Biſchoſe. ©. 680-648. 

Sriedri der Große — Mufilleben am Hofe 3. d. G. ©.251-272. 

Friedrich Wilhelm. — Die Einrichtung der Clementarſchulen im Ortelsburger Haupt: 
amte unter der Regierung F. W. 1. 6.802-311. 

Funde — Alie tthums · F. (Ro. 20-34.) ©. 280-281. 565-566. — — aus Beil: 
preußen. S.750—751. — Handiäriftlihe 3. aus Kasbar. Bibliothelen. (Re, 7-19) 
©. 778-280. 370-873, 468-472, 668, 748-750. — Urtundend. (Ro. 1-8) 
6.467468. 564566. 


164 n. Saqh· Rochier. 


Gelehrtenleben — Univerſuais · u. ©. im Reformalions⸗Zeitalter. ©. 470472. 
Gol. 6. 649-652.) 
Geſchenke aus Altpreußen an das german. Muſeum in Nürnberg. ©. 184. 
GSeſellſchaft — Die Konigl. Deutihe ©. im Jahre 1865. ©. 77. — Rekraing) 
©. 861-863. 
Srüneiten — Romiſche Kailermüngen aus G. S. 86. 
Sumbinnen — Der G—er Regierungsbezirk in Rußland. ©. 182—183. 
Daaſe — Daniel H. ein preußiſcher Geiflicher am Auögange des 17.-Jahrh m. feine 
Zeit. ©.709—729. 
Saff — Dos frilhe 5. ©.N7—122. 
Hafis Diwan. 6.278279. 
Handel — Die Bewegung des altpreußiſchen 5. im J. 1864 6.4955. 
WBR erfte bisher ungebrudte H. der Stadt Raſtenburg vom I. 1367. 
. BI—B. 
Dandſchriſten · Fragment des babplonlihen Zalımıd. ©. 748-750. 
Handfäriftlige Funde aus Königäberger Bibliothelen. (No. 7-19). ©. 378-280 
370—373. 468-472. 663. 748750. 
Sochzeit — Cine littauiſche 5. 6. 172—180. 
Juſterburg — Altertfumäfund zu 3. ©. 282. 
Kaers Profpect der Stabt Danzig. &.545—549. 
Naifermünzgen — Romiſche K. aus Gruneilen. S. 86. 
Kant — Ueber Kls Doctor⸗Diſſertation de igne vom 17. Aptil 1756. S 4417. - 
Ueber 8.3 Rosmogonie. S. 312—82. 
Karthaus — Sagen au dem Kreiſe K. 6.323333. 
Kafäubifh — Ein KrDeutihes Worterbuch. S. 468. 
br — Supplemente zu dem gebrudten K. der Slönigäberger Nechtshandichriften. 
. 180-738, 
Königäberg — Alierthumsgeſellſch. Pruffia (in .) 6.78. 169-171. 273. 360-861. 
4656—466. 656659. 746-747. — Die Königl. Bibliothek (in 8.) 5. 74-76. — 
Die Königl. Deutſche Gefelfhaft (im 8.) €. 77. 861-868. — Ein Ehalefpear 
Bortrait in K. S. 661-662. — Handfchriftlihe Funde aus K—er Bibliotbeten 
(Ro. 7-19). 6.278280. 870-873. 466-472. 663. 748-750. — R—er Ehre 
niten. &.748—749. — Supplemente zu dem gebrudten Rataloge der A—er Rechts⸗ 
handſchriften. ©. 780-738. 
Kulm — Der R-er Oberhof. 6.229—22. 
Kumehnen — Die Kirche zu 8. in Samland. &.558--568. 
Labeo — Johann a 2. 6.372. 
Letzkau — Die Kataftrophe des Danziger Bärgermeifters Gonrad 2. 6.569762. 
Literatur — Periodiſche 2. &.98—96. 189-191. 286-288, 883-854. 478-480. 
516—576. 668-671. 767758, 
Littauifh — Eine L Hochzeit. &.172—180. 
Söfin — Gotthilf 2.3 Jubiläum. 6.867370. 
Lũbiſche Nechtömeifungen. S. 242 260 
Iyeeum Hosianum in Braunsbetg (1866). S. 288. 664. 
Meunferipte zur altpr. Geſchichte in der Grafl. Stolbergich. Bibliothek zu Wernigersee 
762. 
Saſuren — Aberglauben aus M. S. 385-414. 481-508, 577-596. 673—708, 
Münfund, 6.661. — Gin orientaliiher M. 6.374876, 





11, SadpRegifter. 765 


Muftlalienbibliotge® — Gründung einer M. für die Provinz Preußen. S. 364-367. 

Mufkleben am Hofe Friedrich des Groben. ©. 251-272. 

Nekrolog fit 1865. 6.376877. für 1866, &.377—879. 

Moro-DftfeesKanel — Ueber den N. u. die verſchiedenen dazu in Vorſchlag gebrachten 
Linien. 6. 289-801. 

Mürnberg — Geſchenke aus Altpreußen an das germanifhe Mufeum 3. N. S. 184 

Dberfof — Der Aulmer D. 6. 229-242, 

Dliva — Die große Orgel in O. 6.8486. 

Drden — Die Theilung der Diberie Ermlan) yeifgen dem beuffhen-D. u. bem er 
landiſchen Biſchofe. 5.680648. 

Ortelaburg — Die Einrichtung der Elementarſchulen im O-er Hauptamte unter 
Fr. Wihh. 1. &.02-311. 

volniſch — Quellen zur ſchiefiſch.. 9 preubiſchen Geſcichte. 5.870372. — Die wide 
tigften p. Militärkofonien in Weſtpreußen. ©. 425 ff. — Ungenommene p. Ramer 
in Beitpreußen. &.427—440. 

Vommerelliſch — Verzeichniß ber eingebornen p. Geſchlechter in Weſtpreußen. S. 424 ff. 
mit polniſchen Ramen. S. 47-440. 

Vreisſrage der Furſtl. Sablonowätifchen Geſeltſc. zu Leipig f. d. Jahr 1869. ©; 284. 

Vreußiſch — Quellen zur ſchleſiſch., polniih., p. Geſchichte. ©. 370-872. — p. Geſchichts. 
quellen. &.468—470, — Recht der p. Landſaſſen. S. 472. — p. Seerecht. 6.378. 
— Das alte p. Trinkrecht. &.56—59. 

Provinzialgeſchichte — Ueber den heutigen Stand der Forſchung auf dem Gebiete un: 
ferer B. 6.3447. 

Vruffa — Die Alterthumsgeſellſch. B. S. 78. 169-171. 273, 360-861, 466-466. 
666-659. 746—747.— Aus den Acceſſionen der Alterthumsgeſellſch. P. S. 180-188. 

Publieandum der Oftpr. landw. Centralitelle. ©. 672. 

Quellen zur ſchleſ. poln., preuß. Geſchichte. S. 870-372, 

Maftenburg — Das ftäbtiihe Archiv zu R. u. die erfte bisher ungebrudie Hanbfefte 
der Stabt R. vom J. 1857. &.79—84. 

Natbsedikt — Gin Danziger R. von 1520 als ältefter Drud aus der Weinreichſchen 
Offtein zu Danzig. 6. 363—868. 

Mecenfionen: 5. Böhnte, Gedichte. &. 68-70. — C. Boruttau, Julianus der Ab⸗ 
trünnige, 6. 60-66. — R. Brohm, Die Taubftummen. &.857—369. — H. M, 
E. de Brueuneck, de auctoritatis, qua Prussiae ordines sub Ordinis Tentonici 
imperio utebantur, initio et incremento, ©. 166. — G. Döring, Chorallunde, 
©. 70-78. — Donaleitis litauiſche Dichtungen brög. v. A. Schleicher. S. 454-458, 
— D. Glagau, 1) Spaziergänge durch Lauenburg u. Lübel. ©. 348—359. — 
2) Frig Reuter u. feine Dichtungen. ©. 362-357. — C. E. Gueterbock, de 
jure maritimo quod in Prussia saeculo XVI. et ortum est et in um fait, 6.458 ff. 
— € Heinel, Gedichte. 5.461466. — A. Hinz, Die Ober-Pfarzliche zu Gh 
Marien in Danzig. ©. 66-68. — 9. 3 Jacobſon, Das evangel, Kirchenrecht 
des Breußiich. Staates u. feiner Provinzen. 2, Abth. S. 846. - 2. Kuhla, Scherz 
und Ernſt für Schweternfefte. ©. 369-360. — P. Laband, Jura Prutenorum 
saeculo XIV. condita nunc primum e Hbris mse, edidit, 6.460461. — K. Lahree 
de Aristarchi studiis Homericis, Ed. reeogn. 6. 156—157.— Ih. Rutber, Aus 
vers Univerfitäts- u, Gelehrtenleben im Zeitalter ver Reformation. ©. 649-652; — 
A. Browe, Copernicus u, fein Jugendfreund. S.167—169. Das Thorner Blut 
gericht, 6. 749-745, — €, Saltowsti, Bur Lehre von der Rovation nad) sömis 





166 u. Sod-Regiftet. 


{chem Recht. 6. 789-741. — 3. Schietopp, Adıt apologetiſche Worträge über die 
Perſon Ebrifti. 6. 167—166. — J A. Schröter, Das oftpreußfike Vrovinel 
seht. 6. 745-746. — 5. Schulz, Die Granen u. die Blauen. S. 550-552 — 
Theophil, Hosanna dem Sobne Davids! S.741—742.— €. Wibert, Aus am 
fländiger Familie. ©. 652-656. 

Necht der preuplijen Landſaſſen. 6.479. — preußiſches See-R. ©.373. — Da alte 

Trint · R. S. 6660. 

Neqhtsgeſchichte — Aus Alipreußens R. (MI. IV.) €. 299-200. | 

Hamaniheiten — Supplemente zu dem gebrudten Kataiege der Rasbar. R. 


Mectöwetfungen — Labiſche R. S. 42-250. 

Meinigung — Ueber Entwäflerung u. R. großer Stadte. S. 21148. 

Rettung — Zur R. Schiffbrachiger. S. 142--165. 

Römifhe Raifermünzen ans Grüneilen. ©. 86. 

Gegen ans dem Rreife Rarthaud. ©. 928-388. 

Saßfenfpiegel- Fragment — Ein neuentdedtes 6. ©. 379—280.— Zwei feine ©. S. 668. 

Sqhaufpielkunſt — Die Sch. bis auf Leſſing. ©. 198-288, 

Gäifbrägige — Zur Rettung Sch. ©. 142-166. 

Gäulfgriften (1865). 6. 87. (1866.) 6. 566-568. 

Gäulg — J. 6. Sqh. in Danzig. S. 448-468. 

Seebrief — Ein Danziger S. ©. 467-468. 

GSeerecht — Preubiſches ©. ©. 378. 

Sbakeſpear — Gin S.Portrait in Königäberg. ©. 661-862. 

Seinen aus Altpreußen. (IL) 6. N—122. 

Spinnen — Ueber dad Leben der Ep. 6. 1-20. 

Gtroband's Gedentbuch. ©. 472. 

Qupplemente zu dem gebrudten Kataloge der Rgöbgr. Rechtshandſchriften. S. 730-738. 

Zalmnd — Gin Sandſchriften⸗Fragment des babyloniſchen T. ©. 749-750. 

Zrinkredt — Das alte prevhiihe T. ©. 56-59. 

Auiverſitaͤts · Chronit (1866). 6.86. 184. 382-288. 379. 473—474. 666. 664. 759758. 

Uxiverfitätb: u. Gelehrtenleben im Reformations«Seitalter. &. 470-478. (vgl. 649-652.) 

urkunden · Funde (Ro. 1-8). ©. 467-468. 564-566. 

Verlag — Atpreubifher B. ©. 60-88. 70-78. 167-169. 359-360. 461-465. 
860--559. 742-746. 

Volkszählung — Das vefinitive Mefultat der V. in Altpreußen am 3. Dechr. 1864. 
©. 274-278. — Die Zahlenverhaltniſſe ver landl. zur flädtifhen Bevöfterung nad 
ven legten B—en des preuhiſch. Staates. S. 123—141. 

Seinreich — Gin Danziger Rathsedilt von 1520 als Altefter Drud aus der W—fhen 
Dificin zu Danzig. ©. 553-558, \ 

Wernigerode — Manufcripte zur altpr. Geſchichte in der Gräfl. Stolbergſchen Biblio: 
tet u ®. ©. 761-762. 

— Alierthumofunde aus W. S. 760-751, — Altpr. Geſchlechter in D. 

mit polnifhen Namen. 427 fi. 

Wetyrenstige Studien. ©. 415-440, 

Wigend — Zu W. von Marburg. ©. 660-661. 

Saplen:Berhältniffe — Die 8. der landl. zur ftäbtifch. Bendklerung nad) den lekten 
Bellsählungen ded yreußtiden Staates. ©. 128-141. 


—— 


oowea· Google 
8 


vaio, Google 


Dow, Google 
8 





vaio, Google