Skip to main content

Full text of "Anatomische Hefte"

See other formats


62, 


.} 
ar hi: HM 
4 ——ı | 


Ar, 
0 jet 


ANATOMISCHE HEFTE 


ERSTE ABTEILUNG: 


ARBEITEN AUS ANATOMISCHEN INSTITUTEN, 


XI. BAND XXXIV/XXXV. xXXXVL, XXXVIL HEF T). 


=. 


“ Ruh 
A CE 


arı iR AHD2IMOTANA 


i 


BR Ba U 


san human MAaITROT. FA N ı MAT. 


® i i ‚ N 
Rn x j e 
’ RT ee Te 


Mr » 


v4 w IERE N FRRT... PEN MERFUIAS' IX 


ANATOMISCHE HEFTE. 


REFERATE UND BEITRÄGE 


ZUR 


ANATOMIE UND ENTWICKELUNGSGESCHICHTE. 


UNTER MITWIRKUNG VON FACHGENOSSEN 
HERAUSGEGEBEN VON 


FR. MERKEL UND R. BONNET 


O0. Ö. PROFESSOR DER ANATOMIE IN GOTTINGEN. ©. O. PROF. DER ANATOMIE IN GREIFSWALD, 


ERSTE ABTEILUNG. 
ARBEITEN AUS ANATOMISCHEN INSTITUTEN. 


XI. BAND (XXXIV/XXXV. XXXVL, XXXVI. HEFT.) 


MIT 34 TAFELN UND 18 ABBILDUNGEN IM TEXT. 


m EESSHHREEERER Ep 


WIESBADEN. 
VERLAG VON J. F. BERGMANN. 
1899. 


Das Recht der Übersetzung bleibt vorbehalten. 


Druck der Kgl. Universitätsdruckerei von H. Stürtz in Würzburg. 


Er up be 


XXXIV XXXV. Heft ausgegeben im September 1898, 


Vietor v. Mihalkovics, Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 
Eine biologische Studie. Mit 79 Figuren auf Tafel I—_XI . 

llans Rabl, Beitrag zur Histologie des Eierstockes des Menschen 
und der Säugetiere nebst Bemerkungen über die Bildung von 
Hyalin und Pigment. Mit 41 Figuren auf Tafel XI/X VI 

Leo Hirschland, Beiträge zur ersten Entwickelung der Mammar- 
organe beim Menschen. Mit 6 Figuren auf Taf. XIX/XX 


XXXVI. Heft ausgegeben im November 1898. 


Oscar Profe, Beiträge zur Öntogenie und Phylogenie der Mammar- 
organe. Mit 33 Abbildungen auf den Tafeln XXI/XXVI und 
einer Abbildung im Text . Le Se TEN De 

Hermann Triepel, Die Struktur der Gehirnvenen und die Blut- 
eirkulation in der Schädelhöhle. Mit 9 Figuren auf Tafel XXV]I 
und 3 Figuren im Text ES ee An 

M. Carl Rosenfeld, Die Bänder des Schultergelenkes beim 
Menschen und einigen Säugetieren ET DT, ao: 

M. Carl Rosenfeld, Zur vergleichenden Anatomie des Musculus 
tibialis postieus. Mit 5 Figuren auf Tafel XXVII—XXIX 

W. Kürsteiner, Die Epithelkörperchen des Menschen in ihrer 
Beziehung zur Thyreoidea und Thymus. Mit 9 Abbildungen 
auf Tafel XXX/XXXIII a ar eye DE 


XXXVI. Heft ausgegeben im Januar 1899. 

Alfred Fischel, Über vitale Färbung von Eehinodermcneiern 
während ihrer Entwickelung. Mit 18 Abbildungen auf Tafel 
XXXIV/XXXV RE ee 

Ivar Broman, Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen 
beim Menschen. Mit 14 Figuren im Text und 6 Tafeln A—F 

Hugo Hieronymus Hirsch, Über eine Beziehung zwischen dem 
Neigungswinkel-des Schenkelhalses und dem Querschnitte des 
Schenkelbeinschaftes. Mit Demonstration von Präparaten aus 
dem I. anatomischen Institut zu Berlin. Mit 6 Figuren auf 
Tafeln G—J 


Seite 


221 


247 


287 


339 


359 


391 


671 


Birk 
nr 

L) 
f n# 
ag 
ate 


Isa «lBiannt 


i 

; v. 4 

ee 
u EHEM E, 


NASENHÖHLE 


UND 


JACOBSONSCHES ORGAN. 


EINE MORPHOLOGISCHE STUDIE. 


VON 


VICTOR v. MIHALKOVICS, 


BUDAPEST. 


Mit 79 Figuren auf Tafel I-XT. 


Anatomisehe Hefte. I. Abteilung. XXXIV/XXXV. Heft (11. Bd. H. 1/2.) l 


Pa 


K; ii a 


INÖHM: IehY 


rd 
7 ä 
uni y 
& = i ’ f 7 
En ee „ R 2 ru RT . 


): 20H Jenoest 


IICHR MAY > Beck KARTE 


NG u 


va anna HOUECHEHNE 


y Fly N 
j RR Be: u k j F] 
T y A el 
' rn D E SuSE Ü 
. u je K: ut % x 
? fi s . 
er, 2.71 7008 9° A 
ER T m 
Bee Et Abe 5 2 
4 De ya) W ö Nolie-> e, R ® 
x g Ps Br al . 


* 
. 


9 


SE TEAK «aot Air 


we EUMIEN Nr“ 


«T ar 
ea are 
«FT “N 

» 


5 I) 4 x rr 
“ # Fr u v 5 R = a 


PTR 
ar 
u SEE? 
& 
j 
k 
- = 


f 


Geschichtliche Einleitung. 


Unter Jacobsonschem Organ (organum vomeronasale 
(Jacobsoni]) versteht man einen in der Pars respiratoria der 
Nasenhöhle in der Nasenscheidewand unten und vorne gelegenen 
Sinnesepithelbezirk, der in vollkommener Form als ein Schlauch 
oder Sack mit enger Mündung, in weniger vollkommener Form 
als blosse Einbuchtung oder trichterförmige Vertiefung der 
Schleimhaut erscheint. Letzteres ist der Fall bei manchen 
Amphibien und Krokodilen, ersteres bei Säugetieren und Sauriern. 
Auch bei Affen und Menschen ist der Schlauch vorhanden, bei 
letzterem aber nicht immer, nur enthält es kein spezifisches 
Sinnesepithel, sondern mehrschichtiges, schlankes Cylinderepithel, 
das Ähnlichkeit mit verkümmerten Riechzellen hat; da ausserdem 
kein Sinnesnerv zum Schlauch geht, ist es zu den rudimentären 
Organen zu zählen. Bei Vögeln ist an Stelle des Jacobsonschen 
Schlauches ein Epithelgang vorhanden, der die Ausmündung 
einer an der lateralen Wand der Nasenhöhle gelegenen Drüse 
ist; jener Schlauch ist seiner Lage und Struktur nach als ein 
modifizierter Jacobsonscher Gang zu betrachten, der in den 
Dienst einer Drüse getreten ist. Fische besitzen überhaupt kein 
Jacobsonsches Organ '!), die phylogenetische Entwickelung be- 
ginnt erst bei den Amphibien. 


1) Den übrigen Vertebraten entsprechende Jacobsonsche Organe haben 
die Fische nicht, von einigen Autoren werden aber gewisse Kanäle für solche 
gehalten. Winther (Fiskenes Ansigt. Forste afsnit in Naturk. Tidskrift. 
3 R. X S. 185) hat am Lachs unter der Nasengrube zwei nach aufwärts 


1* 


4 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


Ausser den übrigen angeführten Eigenschaften sind alle 
übrigen für die Charakteristik des Jacobsonschen Organes 
von nebensächlicher Bedeutung, so die Stelle der Mündung, 
das Verhältnis zu den kleineren Knorpeln der Nasenscheidewand, 
das getrennte Vorhandensein von respiratorischem Epithel im 
Schlauch, endlich das erektile Gewebe in dessen Nähe. Nur die 
in den Schlauch mündenden Nasendrüsen scheinen von Wichtig- 
keit für die Funktion des Organes zu sein, weil sie meistens in 
starker Ausbildung vorhanden sind, ausserdem natürlich der 
Sinnesast des Olfaktorius bei jenen Arten, wo das Organ ın 
Funktion ist, wohingegen bei den rudimentären Formen diese 
Bedingung wegfällt. Auch der Trigeminus sendet sensible 
Zweige zum Organe, dieses verhält sich also in Hinsicht der 
Nervenversorgung so, wie die Riechschleimhaut. Von nicht 
geringer Bedeutung ist auch die enge Mündung bei der schlauch- 
oder sackartigen Form, denn diese ist immer so gebildet, dass 
die Kommunikation behindert ist. 

Vorliegende Umschreibung des Jacobsonschen Organs 
ruht auf vergleichend-anatomischen Gesichtspunkten, in dessen 


ziehende blinde Kanäle beschrieben und als Jacobsonsche Organe gedeutet. 
Dagegen haben sich Jungersen (21) und Sagemehl (Beitr. z. vgl. Anat. d. 
Fische. III. Morphol. Jahrbuch, X. 1885, 8. 77) erklärt, nach letzterem sind 
es nur Schleimkanäle. Wiedersheim (Grundr. d. vgl. Anat. 3. Aufl. Jena 1893, 
S. 308) erwähnt Jacobsonsche Organe am Polypterus bichir, aber Wald- 
schmidt (Beitr. z. Anat. d. Centralnervensystems und der Geruchsorgane von 
Polypterus bichir. Anat. Anzeiger, 1887, S. 308) teilt diese Ansicht nicht. 
Auch Seydel (43) hat an Knorpelfischen und Garnault (14) an Dipnoern 
(Protopterus) umsonst nach Jacobsonschen Organen gesucht. — Scott 
(Notes in the Development of Petromyzon. Journ. of Morphol. Bosten. I. 1887) 
hat an 12,5 mm langen Petromyzonlarven im hinteren Teil der Nasenhöhle 
ein Divertikel gefunden, an dessen Stelle im erwachsenen Tiere eine grosse 
Drüse liegt, und dieses Gebilde in Beziehung zum Jacobsonschen Organe 
gebracht, was auch Bujour (Contrib. a l’etude de la metamorphose de 
l’Amocoetes. Revue biologique du Nord de la France. 1890/91. S. 328) für richtig 
hält. In Anbetracht des Umstandes, dass das Jacobsonsche Organ erst bei 
den Anuren erscheint (s. unten), sind alle Angaben über Fische als verfehlte 
zu betrachten. 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 9) 


Rahmen das vom dänischen Anatomen Jacobson (19) im Jahre 
1811 an Säugetieren entdeckte und von Cuvier dem Institut 
zu Paris vorgelegte Organ hineinpasst. Der von der anatomi- 
schen Gesellschaft vorgeschlagene Name: Organum vomero- 
nasale ist gut gewählt, weil das Organ konstante Lagebe- 
ziehungen zum vorderen Teil des Pflugscharbeines hat; ebenso 
passend wäre gewesen Organum praemaxillonasale (Jacob- 
soni), wegen den Beziehungen zum Zwischenkiefer. Es muss 
aber bemerkt werden, dass das Organ beim Menschen schon 
vor Jacobson bekannt war, denn Ruysch!') hat es schon im 
Jahre 1703 beschrieben und abgebildet, desgleichen thut Söm- 
merring?) dessen Erwähnung, nur erkannten beide die Be- 
ziehung zum Riechorgan nicht und beschrieben sie einfach als 
eine kleine Tasche der Nasenhöhle, in die eine kleine Sonde 
hineingeführt werden kann. Jacobsons Verdienst besteht auf 
dem Hinweis eines accessorischen Riechorgans, freilich in dürf- 
tiger Form, da er dessen Funktion im Feuchthalten der Nasen- 
schleimhaut, Cuvier aber das Erkennen der schädlichen Nah- 
rung von den nützlichen für dessen Aufgabe hielt. 

Nach Jacobson wurde das Organ wiederholt untersucht 
und beschrieben, vor allem an Säugetieren, dann an niederen 
Tierklassen. Die älteren Beschreibungen von Reifstock’®) 
und Rosenthal (40) enthalten nicht viel mehr als Jacobsons 
Arbeit; und J. H. Meckel!) erwähnt vom Menschen dasselbe, 
wie Ruysch und Sömmerring. Histologisch hat das Organ 


an Säugetieren zuerst Leydig?’) im Jahre 1857 untersucht, an 


ı)Ruysch, Thesaurus anatomieus. III. Amstelod. 1703, p.49, Tab. IV, Fig. 5. 

2) Sömmerring, Abbildung der menschlichen Organe des Geruches. 
Frankfurt 1809, Tab. III, Fig. 1. 9. 

3) Reifstock, Dissertatio de struetura organi olfactus mammalium 
nonnulorum. Tubingae 1823. 

4) Meckel, Fr. J., Handbuch der menschl. Anatomie. IV. 1820, S. 141. 

5) Leydig, Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Tiere, 
Frankfurt 1857. S. 218. 


6 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


den sich €. Baloghs (2) Untersuchungen am Schafe an- 
schliessen (1860). An menschlichen und tierischen Embryonen 
hat zuerst Dursy!) das Organ im Jahre 1869 beschrieben und 
abgebildet, dem die pünktliche Abhandlung A. v. Köllikers 
(26) vom menschlichen Embryo folgte. Desgleichen liegen über 
den Menschen Untersuchungen von Romiti (39), Piana (33), 
Röse (42), Anton (1), Schmidt, E. (47), Potiquet (35) und 
Raugse (37)vor. Haussäugetiere haben K l ein (22—25), Harvay- 
Reuben (16), Löwe, Fleischer (11), Garnault (14) unter- 
sucht; Prototherien Symington (50) und Smith-Elliot (46); 
Beuteltiere Röse (41). Die Amphibien hat Seydel (43) einer 
gründlichen Untersuchung unterzogen und über die letzteren 
liegen auch von Burckhardt?) und Sarasin°) einige Beobach- 
tungen vor. Von Reptilien hat Leydig (29) die Ophidier schon 
vor längerer Zeit untersucht und seine Angaben jüngst erweitert 
(30), ausserdem haben Sluiter (49) und Röse (42) die Kro- 
kodile, Seydel (44) die Schildkröten genau beschrieben. Den 
Abschluss machen die histologischen Untersuchungen mit der 
Golgischen Methode von M. v. Lenhossek (28), Retzius (38) 
und Schiefferdecker (45). 

Es liegen also zahlreiche Untersuchungen über das Jacob- 
sonsche Organ vor und wenn ich mich trotzdem der Mühe 
unterworfen habe, dem Gegenstande nahe zu treten, so liegt 
der Grund darin, um nach Durchmusterung der vorhandenen 
Typen einen vergleichend-anatomischen Einblick in das rätsel- 
hafte Organ zu erhalten, in der Meinung, dadurch womöglich 
auch dessen Funktionen feststellen zu können. Dieser Fall ist 


freilich nicht eingetreten, doch habe ich mir über Manches ein 


1) Dursy, E., Entwickelungsgeschichte des Kopfes des Menschen. Tü- 
bingen 1869. S. 135—139. 

2) Burckhardt, P., Untersuchungen am Gehirn und Geruchsorgan von 
Triton und Ichthyophis. Zeitschr. f. wiss. Zool. LII. 1891. 

3) P. und F. Sarasin, Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschungen 
auf Ceylon. Wiesbaden 1887—93. II. S. 175. 


1 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 


anderes Urteil gefällt, als meine Vorgänger, besonders Seydel, 
der den Gegenstand von vergleichend -anatomischen Gesichts- 
punkten behandelt hat. Nur hat Seydel bloss Anamnier in 
den Kreis seiner Betrachtungen gezogen, wogegen ich ausser 
diesen von den Reptilien bis zum Menschen hinauf die wichtigeren 
Typen untersucht habe. Ich lege hier diese Untersuchungen 
vor, die anfangs bloss zu meiner eigenen Belehrung unter- 
nommen wurden; als ich dann in bestimmte Bahnen gelenkt 
wurde, hielt ich es für keine überflüssige Arbeit meine Beob- 
achtungen den Fachgenossen vorzulegen. Dabei ergab sich die 
Betrachtung der ganzen Nasenhöhle für notwendig, besonders 
bei den Amphibien und Reptilien, und da ich nebenbei manches 
über die Nasenhöhle auch bei den höheren Formen sah, soll 
dieses gleich mitgenommen werden. 

Die Untersuchungsmethode betreffend bemerke ich, dass 
seriale Frontalschnitte am meisten belehrend sind. Als Fixie- 
rungsmittel habe ich ausser Flemmings und Herrmann- 
scher Flüssigkeit hauptsächlich die Zenkersche angewendet. 
An erwachsenen Objekten ist das nachherige Entkalken mit 
schwacher Salpetersäure (3,5—5/o) notwendig, doch an reiferen 
Embryonen wegen der nachfolgenden geringeren Tinktionsfähig- 
keit womöglich zu meiden. Ich habe an solchen Embryonen, wo 
schon Knochenbildung auftritt, das Einlegen nach der Zenker- 
schen Flüssigkeit in Müllersche Lösung auf einige Zeit für 
gut befunden, das die Zenkersche Flüssigkeit extrahiert und 
eine Nachbehandlung mit Jodalkohol überflüssig macht. _ Eine 
längere Aufbewahrung in Jodalkohol ist für die Deutlichkeit 
und Färbbarkeit der Elementarteile von Nachteil, soll also wo- 
möglich vermieden werden. Für Übersichtspräparate hat aber 
dessen Anwendung keine Bedeutung. 


8 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


1. Amphibien. 
Von den einheimischen Amphibien stehen die Urodelen be- 
züglich des Baues der Nasenhöhle auf einer niederen Stufe, wie 
die Anuren, sodass eine getrennte Betrachtung beider angezeigt ist. 


a) Urodelen. 


Von den Urodelen habe ich Triton eristatus und Salamandra 
maeculosa untersucht, über die anderen Arten verweise ich auf 
Seydels Abhandlung (43)'), bezüglich der Gymnophionen auf 
Sarasin (op. eit.) und Wiedersheim?). 

Triton und Salamandra zeigen den Typus des einfachen 
Baues einer Geruchshöhle (Taf. I, Figg. 1 u. 2); dieser ist ein 
flacher Sack mit 2 Öffnungen, nämlich vorne mit der äusseren 
Nasenmündung, hinten mit, der Choane; das hintere Ende des 
Sackes setzt sich jenseits der Choane kaudalwärts noch fort und 
endet blind abgerundet; an diesen blinden Teil treten die Äste 
des Riechnerven heran und teilen sich in dorsale und ventrale 
Äste. Hinter der äusseren Nasenöffnung folgt der Nasenvorhof, 
dann erweitert sich die Nasenhöhle lateralwärts derartig, dass 
sie sich auf die ganze Breite des Vorderkopfes erstreckt (Figg. 
1 u. 2); gegen das hintere Ende dieses breitesten Teiles liegt 
fast in der Mitte des Bodens die Choane. Der flache Nasensack 


1) Seydels Untersuchungen erstrecken sich von den Perennibranchiaten 
auf Proteus anguineus, Siren lacertina, Siredon pisciformis; von den Urodelen 
auf 'riton eristatus und alpestris, und Salamandra maculata. Von diesen zeigt 
Siren bezüglich des Anhanges der Nasenhöhle insoferne vorgeschrittenere Ver- 
hältnisse als die Urodelen, da der Anhang ausser dem lateralen Recess auch 
einen medialen besitzt, ähnlich wie es bei den Anuren der Fall ist, nur in ein- 
facherer Form. Seydel deutet beide Recessus als Teile des Jacobsonschen 
Organes, was meiner Ansicht nach nur auf den medialen Anhang passt, während 
der laterale eine primitive Kieferhöhle darstellt. Siredon weicht in Bezug auf die 
Nasenhöhle wenig von Triton ab; nur ist die Hauptnasenhöhle mehr rundlich 
und der laterale Anhang kleiner. 

2) Wiedersheim, R., Anatomie der &ymnophionen. Jena 1879. 


bnatomische Hefte IAbtheitung left INA KK (N Bel HL?) 


cartilago medial 


carlil.paranas sup. 


epitli. respirat. 


duclus nasola., 
erim 


gland.intermax 


epilh. respurat.1 


Fig.d. 


carlıl,puranas. int. 


reccss, maxillar 
(s.lat.nası) 


osnasalc 


cartil.sephi carlıl paranas. 


carlil. parascpt sup" 


alaud. Jacobs 


‚glandintermax- 


cartil.medialis. 


carlil sepli.- 


carlıl. parascept. sup... 


gland Jacobs 


recess medial.nasi 


(duct. Jacobs.) 


gland.nas.lat 


eartıl parasepl inf -- 


N y* ducl.nasolacrim 


duel. Jacobs. E 


cartilg.parasepl. inf 


Pars. intermedia 
(sısthmus) 


Unawns-Druökarei v N Seilree WESER 
Unamrs- Deu N Stitre= WEreburg 


gland palat.— 


recess.maxillar. 


(S.Tat.nast.) 


epith.respir. I 


Taf 


duotus nasolucrim. 


vomer. 
/ 


epith. respir.d. SU 


recess. maxuill.(s.lat.nası) 


os nasale 


carlilugo paranas 


gland.nas.lat 


duct. nasolacrım 
pars intermedia. 


(sisthmus) 


recess. maxillar. 
(s. lat nasit.) 


maxilla. 


Velag m Ur Bergmann,‘ 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 9 


besteht aus einem medialen geräumigeren Teil (Ductus olfactorius) 
und einem lateralen engeren Anhang (Recessus maxillaris nasi) 
an der Grenze beider liegen flache Einschnürungen, resp. Falten 


’ 


der Schleimhaut (Epith. resp. 2 und Epith. resp. 3), von welchen 
die obere gegen das Lumen mehr vorspringt, als die untere, 
sodass sich die untere Wand der Hauptnasenhöhle an Triton fast 
ohne Unterbrechung in den Boden des Anhanges fortsetzt (Fig. 1). 
Über der oberen Falte liegt ausserhalb der knorpeligen Nasen- 
kapsel der Thränennasengang (Ductus nasolacrimalis), sodass 
deren Entstehung und die Differenzierung der Nasenhöhle in 
zwei Teile der Anlage dieses Ganges zugeschrieben werden kann. 
Vorne mündet der Thränennasengang in den lateralen Nasen- 
anhang, auch sind dort die Öffnungen grösserer Drüsen, die sich 
am Boden der Hauptnasenhöhle erstrecken (mediale Nasendrüsen). 

An Amphibienlarven ist anfangs die ganze Nasenhöhle vom 
Eingang bis Ende mit hohem Sinnesepithel belegt und der 
ganze Geruchssack mehr rundlich; also im Verhältnis höher, 
als beim erwachsenen Tiere. Dann wächst am Boden dieses 
Sackes lateralwärts eine kleine Ausstülpung vor!) und auch dieser 
ist anfangs gleichmässig mit Sinnesepithel bedeckt. Aus der 
Ausstülpung wird später, wenn sich die Nasenhöhle abgeflacht 
hat, der laterale Anhang des Geruchssackes. Dann ist aber auch 
eine Differenzierung des Epithels eingetreten: das hohe embryo- 
nale Sinnesepithel hat sich streckenweise in respiratorisches 
Epithel umgewandelt. Solche respiratorische Zonen sind: die 
mediale, gegen die Nasenscheidewand gewendete Seite des 
Epithels (Taf. I Figg. 1 und 2, Epith. resp. 1 und 2), ferner die 


!) Burekhardt (op. eit.) giebt von 12,5 mm langen Salamanderlarven an, 
der Anhang der Nasenhöhle entstehe als eme medialwärts gerichtete Aus- 
stülpung der Nasenhöble, die sich später lateral verlagert, und hält aus diesen 
und anderen Gründen den Recess für das Jaeobsonsche Organ. Die Ausstülpung 
bildet aber später so abweichende Verhältnisse von den morphologischen Be- 
dingungen des Jacobsonschen Organs, dassich mich Burekhardts Auffassung 
nicht anschliesse (vergl. Text). 


10 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


Gegend der lateralen Grenzfalten (Epith. resp. 2 u. 3) und der 
grösste Teil des lateralen Anhanges (Rec. max.), ausgenommen 
dessen blindes Ende in der Region vor der Choane, wo Sinnes- 
epithel liegt (Epith. olf.), während ganz vorne in der Gegend 
der Einmündung des Thränennasenkanals und der unteren 
Nasendrüsen nur respiratorisches Epithel vorhanden ist; dasselbe 
ist der Fall im Anhang hinter der Choane; folglich ist die Aus- 
breitung des Sinnesepithels im Anhang sehr eingeschränkt und 
die schlanken Sinneszellen stehen dort gemischt mit flimmernden 
Cylinderzellen (Fig. 2). An Triton (Fig. 1) ist insofern ein primi- 
tiverer Zustand vorhanden, als das hohe Sinnesepithel in der 
Hauptnasenhöhle durch vordringende Gefässschlingen den Ge- 
ruchsknospen der Fische ähnlich gestaltete Territorien zerlegt ist; 
jedoch sind diese von sehr ungleichmässiger (Grösse, und an 
der oberen Wand stellenweise auch unvollständig von einander 
getrennt (Fig. 1), sodass sie mit echten Geruchsknospen nicht 
verglichen werden können. 


Ausserhalb des Fpithels folgt die Schleimhaut mit den ein- 
gelagerten schlauchförmigen (Bowmannschen) kurzen Nasen- 
drüsen und den marklosen Bündeln des Olfaktorius; beide liegen 
hauptsächlich an der Decke und am Boden der Hauptnasenhöhle; 
die spärlichen Bündel des Olfaktorius erstrecken sich sowohl 
dorsal wie auch ventral auf den lateralen Anhang und gehen 
zu dessen Sinnesepithel. Ausser den marklosen Ästen des 


Olfaktorius gehen Äste des Trigeminus zur Schleimhaut. 


Die Schleimhaut liegt geborgen in der knorpeligen Nasen- 
kapsel. Diese ist durch Lücken in mehrere flache Lamellen 
zerlegt, von denen eine in der Nasenscheidewand (Fig. 1 
Cartilago medialis), die anderen an der Decke und am Boden 
der Nasenhöhle liegen (Cartilagines paranasales, superior 
et inferior), und sich bis an den lateralen Anhang erstrecken; 
ein besonderer Knorpel für letzteren existiert aber nicht. 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. Bi 


Seydel (43) hat nach der Plattenmodelliermethode eine sehr 
sorgfältige Beschreibung und Abbildung der knorpeligen Nasen- 
kapsel von Salamandra gegeben, die wir hier übergehen 
können, da der Knorpel zur Klarlegung unserer Aufgabe von 
nebensächlicher Bedeutung ist. Auch die Deckknochen stehen 
unserer Frage weniger nahe, von denen wir nur erwähnen, dass 
an der Decke der Nasenhöhle die Nasalia und Praenasalia, am 
Boden das Praemaxillare, Vomer, und weiter hinten das Sphenoid, 
und den lateralen Anhang umfassend das Maxillare liegt, — 
alles ganz flache Knochenplättchen, die um die knorpelige 
Nasenkapsel sekundär aus Bindegewebe entstanden sind. 

Zwischen Nasen- und Mundhöhle liegt der Gaumen. Dieser 
ist im Bereich der Hauptnasenhöhle als primärer Gaumen 
(Palatum praemaxillare) zu betrachten, der aus dem Fort- 
bestand des embryonalen Gaumens entstanden ist. Folglich ist 
auch die hintere Nasenöffnung als primäre Choane zu deuten, 
und nicht homolog der sekundären Choane der höheren Arten. 
Ausser dem primären (prämaxillaren) Gaumen ist bei den 
Amphibien auch einsekundärer Gaumen (Palatum maxil- 
lare) vorhanden, nur ist derselbe sehr klein und besteht aus 
einer niederen Falte (Gaumenfalte, Seydel) am Maxillarteil des 
Vorderkopfes, die sich jenseits der Choane in den Boden des 
lateralen Nasenanhanges fortsetzt; die Falte hat auch jenseits 
des Endes des lateralen Nasenanhanges eine Fortsetzung an der 
Decke der Mundhöhle. Über der Falte liegt in der Region vor 
der Choane eine seichte Furche der Mundhöhle (Gaumenfurche; 
Suleus palatomaxillaris); jenseits der Choane bildet der 
sekundäre Gaumen den Boden des lateralen Anhanges der 


Nasenhöhle, und es lagert sich das Gaumenbein hinein!). Medial 


!) Seydel (43) bezeichnet lateral von der Choane in der Gaumenfalte 
einen kleinen Knochen als Vomer (8.499, Fig. 12. L.); ausserdem einen grösseren 
Knochen median von der Choane ebenfalls als Vomer. Eine Zerlegung des 
Vomer in zwei Teile ist unstatthaft, und meiner Ansicht nach der kleine 
laterale Knochen das Palatinum. 


12 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


von der Choane bildet den Boden der Nasenhöhle ein von der 
knorpeligen Nasenscheidewand sich lateral erstreckender horizon- 
taler Fortsatz, der als Cartilago paraseptalis zu bezeichnen 
ist; derselbe ist homolog dem sog. Jacobsonschen Knorpel der 
höheren Arten, der aber hier vom Scheidwandknorpel noch 
nicht abgetrennt ist. Unter dem Knorpel liegt das flache Pflug- 
scharbein und das Sphenoid. 


Aus der vorangeschickten Beschreibung ist ersichtlich, dass 
die Nasenhöhle von Triton und Salamander einfach gebaut ist, 
aber doch schon Differenzierungen sowohl im Epithel, als auch 
in den Dimensionen des Lumens aufweist. Nur in Bezug auf die 
Flächenvergrösserung der Riechschleimhaut sind primitive Ver- 
hältnisse vorhanden, insofern Muscheln oder muschelartige 
Hervorragungen fehlen. Es handelt sich jetzt darum, festzustellen, 
wie der laterale Nasenanhang zu deuten ist. 


Seydel (43), und schon vor ihm Goette') und Fleischer 
(11) haben den lateralen Nasenanhang (Figg. 1. und 2. Recess. 
maxill. nasi) für das Jacobsonsche Organ gehalten, was nach 
der Auffassung Beards (4) unrichtig ist. Seydel hat denselben 
als Ductus respiratorius im Gegensatze zum Ductus olfac- 
torius bezeichnet. Dass das Jacobsonsche Organ an der 
lateralen Seite der Geruchshöhle liegt, erklärt Seydel aus der 
flachen Form des Vorderkopfes, wodurch die bei den hohen 
Nasenhöhlen der höheren Arten (Reptilien u. s. f.) an der medialen 
Seite gelegenen Teile lateral verlagert werden. Als Beweis für 
den Vergleich mit dem Jacobsonschen Organ werden noch 
das Sinnesepithel im blinden Ende des Nasenanhanges hinter 
der Einmündung des Thränennasenganges, das Fehlen von 
Bowmannschen Drüsen und Sinnesknospen an Tritonen, end- 
lich die Versorgung von medialen Ästen des Olfaktorius, und 
die Einmündung der unteren Nasendrüsen (Jacobsonschen 


1) Goette, A., Entwickelungsgeschichte der Unke. Leipzig 1875. 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 13 


Drüsen nach Seydel) angeführt. Die Aufgabe des Ductus 
respiratorius besteht nach diesem Forscher in der Kontrolle der 
exspirierten Luft oder Wassers, denn der exspirierte Strom wird 
wegen der kaudalwärts von der Choane sich erstreckenden 
Gaumenfalte hauptsächlich in dieser Richtung geleitet, wogegen 
der inspirierte Strom mehr die Hauptnasenhöhle passiert. 

Ich kann mich der Auffassung Seydels bezüglich des late- 
ralen Nasenhöhlenanhanges als Jacobsonsches Organ von ver- 
gleichend anatomischen Gesichtspunkten nicht anschliessen. Es 
handelt sich bei der Feststellung dieses Organes nicht um phy- 
siologische, sondern um morphologische Gesichtspunkte. Das 
von Jacobson (19) an Säugetieren entdeckte Organ ist ein Ge- 
bilde der Nasenscheidewand, es entwickelt sich und liegt immer 
im embryonalen mittleren Nasenfortsatz. An Säugetieren ist 
es ein dort liegender abgekapselter Teil der Nasenhöhle, an 
Krokodilen nur eine kleine Einbuchtung, aber immer ein Organ, 
das sich im embryonalen mittleren Nasenfortsatz entwickelt 
und in der Nähe des medialen Endes des primitiven (präma- 
xillaren) Gaumens gelegen ist, ausserdem Beziehungen zum 
Pflugscharbein hat. Der laterale Nasenhöhlenanhang der Am- 
phibien liegt aber im lateralen Nasenfortsatz, wie das die 
Umfassung von seiten des Oberkiefers beweist, ausserdem hat 
es Beziehung zum Boden des sekundären Gaumens und es ver- 
läuft an dessen oberen Teil der Thränennasengang, der sich 
dann vorne in denselben öffnet. Das sind alles Verhältnisse, 
die dem Begriff des Jacobsonschen Organes gegensätzlich 
sind, vielmehr ganz in den Rahmen einer primitiven Kieferhöhle 
passen (Born [6]; Wiedersheim!). Deshalb halte ich die 
Ansicht Borns, dass der laterale Anhang der Nasenhöhle der 
Sinus maxillaris ist, für berechtigt, weil es mit den anatomischen 
Attributen dieser Höhle ausgestattet ist. Unter den hierfür 
sprechenden Gründen ist auch anzuführen, dass das Jacobson 


1) Wiedersheim, R., Grundriss d. vergl. Anat. S. 318. 


14 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


sche Organ bei allen Tieren in der Nähe des Vomer liegt, dieses 
aber bei den Urodelen am Boden der Hauptnasenhöhle ange- 
bracht ist, folglich könnte man an Urodelen als homologe Stelle 
des Jacobsonschen Organes nur das dicke Sinnesepithel am 
Boden der Nasenhöhle über dem Vomer für solches halten 
(Fig. 2, über Vomer); da aber dieses ausser den histologischen 
Unterschieden keine lokalen Abgrenzungen durch Falten gegen 
den übrigen Teil der Hauptnasenhöhle aufweist, ist die Folge- 
rung berechtigt, dass die Urodelen (Triton und Salamander) kein 
Jacobsonsches Organ besitzen. 

Wenn dem so ist, muss das wenige Sinnesepithel am blinden 
Ende der Kieferhöhle erklärt werden (Fig. 2, Epith. olfact.). 
In ganz primitiven Zuständen ist das Sinnesepithel über die 
ganze Nasenhöhle ausgebreitet, wie es die Fische und die Jugend- 
formen der Urodelen beweisen (s. oben). Mit der Zuziehung 
der Nasenhöhle zum Respirationsgeschäft erfolgte eine Aus- 
weitung des Lumens und es entstanden mit indifferentem Re- 
spirationsepithel bedeckte Stellen, wo die Becherzellen die Ab- 
sonderung des Schleimes, die flimmernden Cylinderzellen deren 
Fortbewegung zur Aufgabe hatten. Da der laterale Nasen- 
höhlenanhang hauptsächlich wegen Respirationsbedürfnissen ent- 
stand, trat dort Respirationsepithel auf, aber nicht auf einmal, 
sondern es blieben darin einstweilen Riechstrecken zurück. Es 
kann ja im Sinne Seydels ganz richtig sein, dass der Ex- 
pirationsstrom hauptsächlich durch den lateralen Nasenhöhlen- 
anhang fortgeleitet wird, das ist aber noch kein Grund denselben 
für das Homologon des Jacobsonschen Organes der höheren 
Arten zu halten. Sogar vorausgesetzt, dass es dieselben Funk- 
tionen hat, wie das Jacobsonsche Organ der höheren Tiere, ist 
nur eine physiologische Gleichheit, eine Analogie vorhanden; 
Homologien sind aber immer nur von morphologischen Gesichts- 
punkten zu beurteilen. Ich halte das wenige Sinnesepithel im 
blinden Ende der Kieferhöhle für den Rest des allgemeinen 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 15 


Geruchsepithels, und die Kieferhöhle für den ältesten phylogene- 
tisch erworbenenen Anhang der Nasenhöhle. Auch vom dorsalen 
Ast des Olfaktorius sehe ich schwache Zweige an die Decke der 
Kieferhöhle bis an das Sinnesepithel herantreten, nicht nur 
vom ventralen, wie es Seydel beschreibt, folglich fällt auch 
dieser Beweisgrund für die Erklärung des lateralen Anhanges 
als Jacobsonsches Organ weg. 


Anuren. 


Die Nasenhöhle der Frösche und Kröten ist im Verhältnis 
zu den Urodelen bedeutend höher organisiert und zeigt An- 
knüpfungen an Siren, in welchem ausser der Hauptnasenhöhle 
ein unterer Anhang vorhanden ist, der nicht nur lateral, sondern 
auch medial eine mit Sinnesepithel ausgestattete Ausstülpung 
besitzt (vergl. Seydel, op. eit. S. 460, Fig. 2 H. u. 2 J.). 

Die Verhältnisse des äusseren Nasenloches, des Nasenvor- 
hofes, der Choane, des primitiven und sekundären Gaumens 
(Gaumenfalte) sind ähnlich jenen der Urodelen. 

Die halbschematischen Figuren 70—73 auf Tafel XI zeigen 
4 ausgesuchte Frontalschnitte vom Laubfrosch (Hyla arborea), 
an welchen man eine Vorstellung über den Bau der Nasenhöhle 
erhalten kann. Zur Ergänzung dienen die mit stärkerer Ver- 
grösserung gezeichneten Figuren der Tafel I, 3u.4. An Fig. 70 
ist das äussere Nasenloch (Nares) und der Nasenvorhof ange- 
schnitten, in letzteren ist schon von hier angefangen Riech- 
epithel vorhanden. An einem weiter kaudalwärts gelegenen 
Schnitte (Fig. 71) hat die birnförmige Hauptnasenhöhle (Duct. 
olf.) einen ventralen platten Anhang erhalten (Recess. med. et 
lat.), der sich medial gegen das knorpelige Septum (Cart. 
septi), und lateral in den Oberkiefer (Maxilla) erstreckt; der 
mediale Recess führt hohes Sinnesepithel, der laterale nicht. 
In der Gegend der Choane (Fig. 72) ist der Schädel am breitesten ; 
die Hauptnasenhöhle (Duct. olfact.) mündet in die Choane 


16 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


und hat am Boden einen mit Riechepithel bedeckten Hügel 
(Eminent. olf.); der mediale Recess ist hier nicht mehr vor- 
handen, hingegen erstreckt sich eine Fortsetzung des lateralen 
Recesses in den Oberkiefer hinein (Sule. maxillopalatinus); 
unter dieser Kiefergaumenfurche liegt der sekundäre Gaumen- 
fortsatz (Gaumenleiste Seydels). Kaudalwärts von der Choane, 
im Niveau des Auges (Fig. 73) ist nur die Riechhöhle (Duet. 
olf.) vorhanden und am Boden der Riechhügel (Eminent. olf.) 

Das Skelett besteht aus der knorpeligen Nasenkapsel und 
den dünnen Deckknochen. Der Scheidewandknorpel (Figg. 70, 71, 
Cart. septi) ist vorne dick; kaudalwärts wird derselbe dünner 
(Figg. 72 u. 75), und sendet in die Region vor der Uhoane an 
seinem dorsalen und ventralen Ende lateralwärts die Nasenhöhle 
umgreifende Fortsätze (Fig. 71 Cartilago paranasalis et 
paraseptalisinferior), von welchen die dorsale Platte stellen- 
weise defekt ist, sodass dort die Deckknochen direkt der Schleim- 
haut anliegen. Ausser der dorsalen und ventralen Platte geht 
vom Scheidewandknorpel auch eine intermediäre Platte lateral- 
wärts (Fig. 71, Cartilago paraseptalis superior), welche 
die Nasenhöhle in eine geräumige obere und eine flachere untere 
Abteilung zerlegt, — erstere ist die Haupt-, letztere die Neben- 
nasenhöhle, oder die Riech- und Respirationshöhle (Ductus ol- 
factorius et respiratorius, Seydel). Die Verbindung der 
beiden Höhlen geschieht durch eine vertikale enge Spalte (Taf. I, 
Fig. 3 u. Taf. XI, Parsintermedia s. isthmus), die in saggitaler 
Richtung kürzer ist, als die Nasenhöhlen, und darum an den 
vorderen und hinteren Frontalschnitten nicht zu Gesichte kommt; 
an solchen ist die Hauptnasenhöhle von der Nebennasenhöhle 
getrennt (Fig. 71, rechterseits). 

Die Hauptnasenhöhle (Taf. I, Fig. 3, Duct. olfact.) hat 
die Form eines schräg gelegenen birnförmigen Sackes, der sich 
nach unten lateralwärts verjüngt und dort in den kurzen Kom- 
munikationsgang (Pars intermedia) übergeht, der das laterale Ende 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 17 


des oberen Paraseptalknorpels (Cart. parasept. sup.) umgreift 
und an der unteren Wand der Hauptnasenhöhle mündet, bei- 
läufig in deren medialen Drittel. Der untere Nasensack ist eine 
fast horizontal gelegene plattgedrückte Tasche, die sich an ihrem 
breitesten Teile vom Scheidenwandknorpel bis in den Oberkiefer- 
knochen hineinerstreckt (Figg. 3 u. 71, Rec. med. et lat.). Die 
Tasche besteht aus einem medialen und einem lateralen Teil, 
deren Grenze beim Kommunikationsspalt (Pars intermed.) 
liegt; der mediale Teil hat in sagittaler Richtung eine geringere 
Ausdehnung und liegt in einer unvollständigen knorpeligen Kapsel, 
die von den beiden Paraseptalknorpeln und dem Scheidewand- 
knorpel gebildet wird; vorne vereinigen sich die letzteren an 
ihrem lateralen Ende zur Bildung eines vollständigen Knorpel- 
ringes (Seydel, 8. 512, Fig. 19A). Der laterale Teil der Neben- 
nasenhöhle (Fig. 3, Recess. maxillar.) erstreckt sich jenseits 
der knorpeligen Nasenkapsel als plattgedrückter Sack in den 
Oberkiefer hinein, und liegt in einer Bucht dieses Knochens 
(maxill.). Da dieser Teil der unteren Nasenhöhle sich in sagit- 
taler Richtung mehr kaudalwärts erstreckt, wie der mediale An- 
hang, ist er auch an distaleren Schnitten vorhanden (Taf. XI. 
Fig. 72, Sule. maxillopalatinus) und setzt sich distalwärts von 
der Choane noch eine Strecke fort (vergl. Seydel S. 514, Fig. 19, 
G.J.); von der Choane angefangen bildet der sekundäre Gaumen- 
fortsatz(Palatum seeundarium) den Boden der seitlichen Aus- 
buchtung. Oben bewirkt der Thränennasengang (Figg. 3 u. 71, 
Duct. nasolacrim.) eine gegen das Lumen vorstehende Falte; 
weiter vorne mündet der Gang in den vorderen Teil der Tasche. 

Die Hauptnasenhöhle ist mit hohem Riechepithel bedeckt, 
zwischen deren schlanken Zellen die kurzen Ausführungsgänge 
der Bowmannschen Drüsen durchtreten (Taf. I. Fig. 3). Die 
marklosen Äste des Olfaktorius liegen rundherum zwischen den 
kugelförmigen Alveolen der Bowmannschen Drüsen. Gegen 
den Kommunikationsgang (Pars intermedia) wird das Riech- 


Anatomische Hefte, I. Abteilung. XXXIV’XXXV. Heft (11. Bd,, H. 1/2.) 2 


18 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


epithel niederer und im Gang selbst folgt ein- bis zweireihiges 
flimmerndes Cylinderepithel gemischt mit Becherzellen. Der 
grösste Teil der Nebennasenhöhle ist mit respiratorischem Epithel 
bedeckt, nur im medialen Anhang (Duct. Jacobs.) ist hohes 
Sinnesepithel vorhanden, sodass dessen Querschnitt das Bild 
einer kleinen unteren Riechhöhle giebt, die sich kaudalwärts in 
einen blind endenden Recess fortsetzt; letzteres ist an distaleren 
Frontalschnitten als runder Gang vorhanden (Fig. 4, Duct. 
Jacobs.). Im lateralen Anhang der Nebennasenhöhle ist am 
äusseren blinden Ende an einer kurzen Strecke vor der Choane 
höheres Epithel vorhanden, von welchem Seydel angibt, dass 
es Riechepithel sei; aber am Laubfrosch sehe ich dort nur in- 
differentes kleinzelliges Epithel ohne Sinneszellen. In der unteren 
Tasche fehlen Bowmannsche Drüsen, statt deren sind die 
Recessus mit acino-tubulösen Drüsen reichlich versehen. 

Der Drüsenapparat ist am Vorderkopf der Anuren mächtig 
entwickelt. Vorne liegt zwischen den äusseren Nasenlöchern 
die Glandula intermaxillaris, an der Mundhöhlendecke 
die dicke Lage der Gaumendrüsen (Fig. 3 u. 71, Gland. palat.). 
Zur Nasenhöhle stehen ausser den Bowmannschen zwei 
grössere Drüsengruppen in Beziehung: die mediale und laterale 
Nasendrüse (Glandula nasalis medialis et lateralis). 
Letztere liegt an der äusseren Seite der Nasenhöhle (Fig. 3 u. 
71, Gland. nas. lat.) in der Nähe des T'hränennasenganges 
und mündet vorne in den lateralen Nasenanhang. Die mediale 
Nasendrüse (Fig. 3, Glanjd. Jacobs.) ist grösser und umgreift 
den mit hohem Sinnesepithel bedeckten medialen Nasenanhang 
(Duct. Jacobs.) halbmondförmig; die Ausführungsgänge münden 
in diesen Recessus hinein. Zwischen den Alveolen liegen die 
marklosen Äste des Olfaktorius, die an das Sinnesepithel des 
medialen Näsenhöhlenanhanges herantreten; sie kommen von 
hinten aus einem besonderen Bündel des medialen Olfaktorius- 
astes, während der laterale Ast sich an der äusseren Wand der 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 19 


Hauptnasenhöhle ausbreitet. Ausser dem Olfaktorius gehen 
Trigeminusäste zur Nasenschleimhaut. 


Wenn wir das beschriebene Bild mit der Nasenhöhle der 
Urodelen vergleichen, sehen wir einen Fortschritt im Erscheinen 
des medialen Anhanges der Nebennasenhöhle, und in einer 
Vergrösserung des lateralen Anhanges; ausserdem ist die Haupt- 
nasenhöhle geräumiger geworden und der Drüsenapparat mäch- 
tiger entwickelt. Für uns ist besonders der mediale Teil der 
Nebennasenhöhle von Bedeutung (Fig. 3 und 4, Duct. Jacobs.), 
weil dieses ein gut entwickeltes Jacobsonsches Organ ist, ganz 
ähnlich wie bei den höheren Arten, nur dass es im Verhältnis 
zur Hauptnasenhöhle grösser und von derselben weniger geschieden 
ist, im übrigen aber alle Attribute des Jacobsonschen Organes 
besitzt. Die Ausbuchtung ist mit hohem Sinnesepithel bedeckt, 
wie die Hauptnasenhöhle; sie liegt in der Nähe des unteren 
Teiles der Nasenscheidewand, und ist umgeben von Fortsätzen 
des Scheidewandknorpels (Cartilagines paraseptales JJacob- 
sonil, die vorne sogar eine vollständige Kapsel um dieselbe 
bilden; die Ausbuchtung setzt sich kaudalwärts in einen kurzen 
blinden Gang von rundlichem Querschnitt fort, dessen Wand aus 
hohem Sinnesepithel besteht; in der Umgebung des Recessus 
liegen stark entwickelte seröse Drüsen (Glandulae mediales 
[Jacobsoni]) mit kleinen Alveolen und dunkelgekörnten 
Drüsenzellen; ausserdem sind dort zum Sinnesepithel heran- 
tretende Olfaktoriusbündel vorhanden (n. Jacobsoni), die von 
Scheidenwandästen des Riechnerven kommen. Das sind alles 
Attribute des Jacobsonschen ÖOrganes, wie dieses bei den 
Säugetieren vorhanden ist, sodass kein Zweifel vorhanden sein 
kann, dass der mediale untere Nasenanhang der Anuren ein 
wirkliches Jacobsonsches Organ ist. Nur in Grössenverhält- 
nissen sind Differenzen vorhanden, insofern das Jacobson sche 
Organ der Anuren verhältnismässig gross ist, und die Form 

Ir 


20 VICTOR v. MIHALKOVICS. 


einer unteren Riechhöhle hat, jedoch ist das von untergeordneter 
Bedeutung. 

Seydel hat den ganzen unteren Nasenhöhlenanhang für 
das Jacobsonsche Organ gehalten, und daran einen medialen 
und lateralen Abschnitt unterschieden; als letzteren betrachtet 
er das wenige Sinnesepithel im blinden Ende des lateralen 
Nasenhöhlenanhanges (Ductus respiratorius, S.). Da der 
mediale Nasenanhang alle Attribute des Jacobsonschen Organs 
besitzt, kann die laterale Ausstülpung nicht für ein solches 
gehalten werden, aus Gründen, die ich oben bei den Urodelen 
angeführt habe. Der laterale Anhang ist auch bei Anuren 
weiter nichts als die primäre Kieferhöhle (Sinus maxillaris), 
die sich in eine Nische des Oberkiefers hinein erstreckt. Kaudal- 
wärts von der ÜUhoane setzt sich die Kieferhöhle über den 
sekundären Gaumenfortatz. noch eine Strecke fort (Taf. XI. 
Fig. 72, Sulcus maxillopalatinus; seitliche Nasenrinne 
Seydels), und dient zur Leitung des Exspirationsstromes in der 
Richtung gegen das äussere Nasenloch. 

Da das Jacobsonsche Organ bei den Anuren erscheint, 
ist hier die Frage über die Bedingungen des Erscheinens am 
Platze. 

Durch die Zuziehung der Nasenhöhle zum Respirations- 
geschäft war eine Arbeitsteilung in der Geruchshöhle entstanden 
und diese machte die Ausbildung einer im Dienste der Atmung 
stehenden Nebennasenhöhle notwendig. Letztere weitete sich 
stufenweise aus: anfangs klein bei Perennibranchiaten und 
Urodelen, und sich nur in seitlicher Richtung erstreckend, erhielt 
sie bei Anuren einen medialen Anhang. Im lateralen Anhang, 
der eine primäre Kieferhöhle darstellt, veränderte sich das 
embryonale mehrschichtige schlanke Epithel frühzeitig in flim- 
mernders respiratorisches Epithel, und das wenige Sinnenepithel 
an dessen blindem Ende verschwand. Der mediale Anhang aber 
behielt sein hohes Sinnenepithel und stellte eine untere Riech- 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 21 


höhle dar, die sich in dieser Form auf die höheren Arten fort- 
erbte. Diese untere Riechhöhle ist das Jacobsonsche Organ. 

Was die Bedingungen zur Entstehung des Jacobsonschen 
Organs anbelangt, war Seydel der Meinung, dass der ganze 
untere Nasenanhang zur Fortleitung des Exspirationstromes 
dient, um die in die Mundhöhle aufgenommene Nahrung einer 
Riechkontrolle zu unterwerfen. Das kann aber jedenfalls nur 
für den medialen Nasenhöhlenanhang von Richtigkeit sein, 
während der laterale mehr als Luftreservoir benützt wird beim 
eventuellen Untertauchen der in Wasser lebenden Amphibien; 
derselbe ist dazu wegen seiner Geräumigkeit und durch den 
Schliessmuskel am Eingang der Nasenhöhle besonders geeignet. 

Ob die Funktion des Jacobsonschen Organes in gewöhn- 
lichem Riechen besteht, ist noch nicht ausgemacht. Das könnte 
die Hauptnasenhöhle ebensogut besorgen, denn auch diese wird 
vom Exspirationsstrome durchstreift. Analogieweise kann man 
schliessen, dass in geschütztere Lagen versenktes Sinnesepithel 
zur intensiveren Ausnützung der Sinneseindrücke verwendet 
wird. Es ist wahrscheinlich, dass das Jacobsonsche Organ 
Riecheindrücke vermittelt, — doch können diese anderer Art 
sein, als jene in der Hauptnasenhöhle, wofür wir Belege bei 
den Reptilien finden (s. unten). Die grosse Menge der serösen 
Drüsen in der Nähe des Jacobsonschen Organes und das 
konstante Fehlen von Bowmannschen Drüsen zeigen auf eine 
abgeänderte Funktion; das reichliche Sekret dieser Drüsen erfüllt 
die kleine Höhle des Jacobsonschen Organes, und es können 
die Riechstoffe nur durch Vermittelung dieses Sekretes auf die 
Riechzellen wirken. Feuchtigkeit ist zum Riechen auch in der 
Hauptnasenhöhle notwendig, aber bei weitem nicht so reichlich 
vorhanden, wie im Jacobsonschen Organ. Das Sekret der 
serösen Drüsen kann chemisch zersetzend auf die Riechstoffe 
wirken, um diese zum Perzipieren der Riechstoffe geeignet zu 
machen. Die Hauptnasenhöhle ist zum Perzipieren der lang- 


TV 
ID 


VICTOR v. MIHALKOVICS, 


samer wirkenden Riechstoffe wegen des schnellen Luftwechsels 
weniger geeignet, für diese ist das Jacobsonsche Organ wegen 
seiner geschützten und versenkten Lage im Vorteil. Dass dieses 
Organ erst bei den höheren Arten entstand, ist aus der fort- 
schreitenden Vervollkommnung der Sinnesorgane zu erklären. 
Das sind freilich nur Schlüsse, die aber eine Wahrscheinlichkeit 
nicht entbehren. Jedenfalls steht es fest, dass sich das Jacob- 
sonsche Organ erst bei den Anuren herausdifferenziert hat, 
und ein typisches Sinnesorgan des medialen Nasenfortsatzes ist. 


2. Reptilien. 


Bei Reptilien ist das Jacobsonsche Organ in grossen 
Gegensätzen vertreten, indem es bei einigen Gattungen in einer 
einfachen Form vorhanden ist, während es bei anderen eine 
hohe Stufe der Ausbildung .erreicht hat. Von den Krokodilen 
war man früher allgemein der Meinung, dass bei diesen das 
Jacobsonsche Organ ganz fehlt, bis Sluiter (49) und Röse 
(42) dessen Vorhandensein in Embryonen bewiesen haben. Bei 
den Schildkröten hat Seydel (44) ausgedehnte Untersuchungen 
veröffentlicht, im Sinne deren das Organ aus einfachen Ein- 
buchtungen der Riechschleimhaut in der Respirationsgegend 
besteht. Im Gegensatze zu dieser einfachen Forn besitzen die 
Eidechsen und Schlangen ein hochentwickeltes Jacobson sches 
Organ, das einer unteren Nasenhöhle gleich sieht, deren Bau 
besonders Leydig (29—30), dann Fleischer (11) studiert haben. 
Von der Mündung des Jacobsonschen Organes beim Chamä- 
leon that Stannius!) Erwähnung; das Organ soll aber nach 
Solger?) bei weitem nicht in dem Grade entwickelt sein, wie 
bei den Sauriern. 


1) Stannius, Zootomie d. Amphibien. S. 175. 
?) Solger, Beitr. z. Kenntnis d. Nasenwandung u. besonders der Nasen- 
muscheln d. Reptilien. Morphol. Jahrb. I. 1876. 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 23 


a) Krokodile. 


Da ich über Krokodile keine Erfahrungen habe, werde ich 
mich an Röses (42) Beschreibung halten und kurz nur soviel 
erwähnen, was zum Vergleiche mit den übrigen Arten notwendig 
ist. Sluiter (49) hat Crocodilus porosus untersucht und an- 
gegeben, dass dieses ein gut entwickeltes Jacobsonsches Organ 
besitzt, aber Röse (42) hat aus dem Bau der Zähne nachgewiesen, 
dass eine Verwechslung mit einer Eidechse stattgefunden hat. 

Das Jacobsonsche Organ von Crocodilus porosus besteht 
nach Röse an Embryonen von 5—12 mm Kopflänge aus einer 
Rinne unten an der Nasenscheidewand, die sich nach rückwärts 
bis in den Nasenrachengang erstreckt; an Embryonen von 9,5 mm 
Kopflänge ist vorne an einigen Frontalschnitten ein kleiner 
solider Epithelzapfen vorhanden, der die Form einer in Ab- 
schnürung begriffenen Röhre hat. Das Organ behält das ganze 
Leben hindurch die Form einer nach unten offenen Hohlrinne, 
deren Lumen sich in die Nasenhöhle öffnet. Die Paraseptal- 
knorpel reichen nach hinten niemals bis zur Jacobsonschen 
Rinne und sind von diesem Organe ganz unabhängig. 

Krokodile besitzen eine grosse laterale Nasendrüse (Gaumen- 
drüse, Röse!), die zwischen dem knorpeligen Dach der Nasen- 
höhle und den Belegknochen liegt. Der Ausführungsgang dieser 
Drüse mündet an der Nasenscheidewand im Niveau des hinteren 
Endes der äusseren Nasenlöcher, und sieht an Querschnitten 
(Röse, Op. eit. Fig. 4, S. 748) zum Verwechseln dem Jacob- 
sonschen Gange der höheren Wirbeltiere ähnlich. 

Aus dieser Beschreibung ist ersichtlich, warum die älteren 
Untersucher an Krokodilen kein Jacobsonsches Organ fanden. 
Sie suchten nämlich immer nach einer ähnlichen Röhre, wie 
sie an Säugetieren vorhanden ist, eine solche fehlt aber hier. 


1) Röse, C., Über die Nasendrüse und die Gaumendrüsen an Crocodilus 
porosus. Anat. Anzeiger, VIII. 1893. S. 745. 


24 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


Anstatt deren ist eine Hohlkehle vorhanden, die ein einfaches 
Jacobsonsches Organ darstellen soll. Nun ist aber eine ähn- 
liche Einbuchtung auch bei Schildkröten vorhanden, und ausser- 
dem ein Jacobsonsches Organ (s. unten), darum halte ich die 
Deutung jener Hohlkehle für fraglich. Hingegen ist der Aus- 
führungsgang der lateralen Nasendrüse ähnlich demjenigen der 
Vögel (s. unten), und es dürfte wohl das darüber dort Anzu- 


führende auch hierher passen. 


b) Schildkröten. 


Über den Nasenhöhlenbau und das Jacobsonsche Organ 
der Schildkröten besitzen wir eine grosse Abhandlung von Seydel 
(44), die sich an seine älteren Untersuchungen an Amphibien (43) 
anschliesst. Nach den Ansichten dieses Forschers verhalten 
sich die Landschildkröten etwas anders wie die Sumpischildkröten, 
bei beiden sind aber sehr einfache Verhältnisse vorhanden. Be- 
züglich des Jacobsonschen Organes sind die Landsehildkröten 
einfacher gebaut und verhalten sich nach Seydel folgender- 
massen. 

Bei Testudo graeca folgt nach dem eylindrischen und mit 
geschichtetem Pflasterepithel bedeckten Nasenvorhof die Haupt- 
nasenhöhle, die am Frontalschnitt beiläufig von ovaler Gestalt 
ist mit dorsoventraler längerer Achse (wie unsere Fig. 6auf Taf. II). 
Am vorderen Teil des Septums, beiläufig am unteren Drittel des- 
selben verläuft in sagittaler Richtung eine stärkere Schleimhaut- 
falte (Grenzfalte, Seydel) mit nach abwärts gewendeter Kante; 
an letzterer Stelle ist indifferentes Respirationsepithel vorhanden, 
während in der blinden Bucht unter der Falte das Epithel ähnlich 
beschaffen ist, wie in der über der Falte gelegenen Riechgegend, 
d. h. es ist dort geschichtetes Riechepithel vorhanden bis an 
den Boden der Nasenhöhle herunter; zu diesem Epithel ziehen 
Äste vom Septalast des Riechnerven und in der Schleimhaut 
ler Falte liegt eine grosse acinöse Drüse, hingegen Bowmannsche 


Anatomische Hefte IAtheilung Heft AMT (N BAH 12) 
Fig. 6. 


‚Proc. cart. parasept 


plic.mediat. 
 fparasept) 


-— duck.Jacabs 


- cart sepli 


cart. paranas, 


-carlil.sepkı. 


n. olfact. medial, 
(septi)), 


Proc. cart parasept 


gland, Jacobs. / h 


‚plic 
medial 
(arusept,) 


recess,.medial. 


lic, medial. 


(parasept) , 


carlil. sepli 


n. Jacobs 


sinus maxill.... 


Tat N. 


cart togmenlı, 


n.olfuck lat. 


n.olfaet. 
medıal-- 
(septi) 


cartil 
Paranası-.. 


1. olfact medial Fig. 9 gland. Jacobs. 


carlıl, paranası sup 
*  ftegmenti) 


cartil. sepli: sinus maxtll 


vonmenr 


carlil parasept Fig.10 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 25 


Drüsen fehlen dort. Da diese Verhältnisse so ziemlich mit 
jenen übereinstimmen, die bei manchen Amphibien vorkommen, 
ist Seydel der Meinung, der Divertikel unter der Falte am 
Septum sei das Jacobsonsche Organ. Da dieses Organ bei 
Amphibien auch an der lateralen Wand der Nasenhöhle vor- 
kommt (s. g. lateraler Teil des Jacobsonschen Organes), erklärt 
er die Umlagerung bei Schildkröten aus der Form der Nasen- 
höhle: bei Amphibien ist die Nasenhöhle dorsoventral abgeflacht, 
hingegen bei Schildkröten dorsoventral verlängert; was bei jenen 
lateral liegt, kommt nach Seydel bei Schildkröten medial zu 
liegen, also auch das Jacobsonsche Organ. 

Von Sumpfschildkröten hat Seydel Emys europaea und 
Chrysemis pieta untersucht. Die Form der Nasenhöhle ist im 
ganzen dem vorigen ähnlich, nur in den Falten ist ein Unter- 
schied vorhanden, inwiefern ausser der Septalfalte eine dieser 
gegenüber an der lateralen Wand, und noch zwei an der medialen 
und lateralen Seite des Nasenhöhlenbodens liegen, so dass die 
ganze Respirationsgegend durch diese Falten in drei seichte Ver- 
tiefungen eingeteilt wird: eine mediale, eine untere und eine 
laterale. In der Gegend über den Falten (Regio olfactoria) ist die 
Schleimhaut mit Riechepithel bedeckt, aber auch in den drei 
seichten Vertiefungen liegt Riechepithel, nur an der Kante der 
Falten ist niederes Respirationsepithel vorhanden. Da diese Ein- 
richtung der Respirationsgegend mit jener bei manchen Amphibien 
übereinstimmt (z. B. bei Siren lacertina) und ausserdem Äste 
des Septalastes des Olfaktorius das Riechepithel der ganzen 
Respirationsgegend bis an die laterale Wand versehen, da ferner 
in diesen Gegenden keine Bowmannschen Drüsen vorkommen, 
sondern an der Scheidenwand unter der Falte eine grosse acinöse 
Drüse liegt: glaubt Seydel das ganze Riechepithel in der 
Respirationsgegend alsJa co bsonsches Organ auffassen zu müssen 
und unterscheidet an denselben bei Sumpfschildkröten durch 


die erwähnten Schleimhautfalten getrennte drei Gebiete: einen 


26 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


medialen, unteren und lateralen Abschnitt. Den Sinn 
der ganzen Einrichtung sucht Seydel auch hier so, wie bei 
den Amphibien aus der Sinneskontrolle der respirierten Luft 
oder Wassers zu erklären, denn die Nasenhöhle ist so gestaltet, 
dass der Strom bei der Einatmung mehr die Riechgegend, bei 
der Ausathmung mehr die Respirationsgegend passiert; um die 
exspirierte Luft oder das Wasser auf die Qualität der aul- 
genommenen Nahrungsmittel prüfen zu können, sei das Riech- 
epithel resp. das Jacobsonsche Organ in der Respirationsgegend 
vorhanden. 

Dass man theoretisch erschlossene physiologische Funktionen 
in der Morphologie mit Einschränkungen und Vorbehalt an- 
wenden soll und die Deutung des Jacobsonschen Organes bei 
niederen Tieren aus der Sinneskontrolle des Exspirationsstromes 
nicht erklärt werden kann, erweist sich bei keiner Gattung 
schlagender, als bei Schildkröten, denn diese besitzen ein den 
Säugetieren ähnliches Jacobsonsches Organ, nur ist dieses der 
Beachtung Seydels entgangen. Dieses Organ und den Bau 
der Nasenhöhle habe ich an Frontalschnitten bei Emys europae: 
folgendermassen gefunden (vgl. dazu die Figg. 5—9 auf Taf. II). 

Die ganze Nasenhöhle ist sehr einfach gebaut: vorne nach 
dem äusseren Nasenloch folgt ein kurzer eylindrischer Teil, der 
Vorhof, dann erweitert sich die Nasenhöhle rasch in dorsoven- 
traler Richtung zu einer Ellipse (Fig. 6), kaudalwärts nimmt die 
Höhe und Breite dieser Ellipse fortwährend ab (Fig. 9), dann 
kommt eine Region, wo die obere Hälfte der Ellipse noch vertikal 
liegt, während sich die untere Hälfte schräg lateralwärts abbiegt 
(Fig. 10), noch mehr hinten wird die Nasenhöhle niederer und 
geht in den eylindrischen niederen Nasenrachengang über, der 
zuletzt mit der Choane an der Decke der Mundhöhle endet. 

Dort, wo die Nasenhöhle am höchsten ist, also beiläufig im 
mittleren Drittel, ist an der lateralen Wand ein kleiner Hügel, 
die Andeutung einer Nasenmuschel vorhanden, in dem die 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 27 


laterale Nasendrüse liegt; beide sind im Verhältnis zu denselben 
Organen der Saurier kleiner. Die laterale Nasendrüse liegt 
ausserhalb der knorpeligen Nasenkapsel und ihr Ausführungs- 
gang geht nach vorne, wo sie an der Grenze des Nasenvorhofes 
an dessen lateralen Wand mündet. Ein Thränennasengang ist 
nicht vorhanden. Im hinteren Drittel der Nasenhöhle liegt an 
deren lateraler Seite eine linsenförmig abgeplattete Ausstülpung 
der Schleimhaut, die in einen kaudalwärts sich erstreckenden 
Recess führt (ähnlich der sich entwickelnden Grosshirnblase); diese 
kleine Ausbuchtung repräsentiert die Kieferhöhle (Fig. 10, Sinus 
maxill). Im Vorhof kommt geschichtetes Pflasterepithel, in 
der Hauptnasenhöhle rund herum fast gleichmässig hohes 
Riechepithel (Figg. 6 und 9), in der Kieferhöhle niederes Respi- 
rationsepithel vor (Fig. 10). Die Schleimhaut ist in der oberen 
Hälfte der Nasenhöhle reich mit kurzen birnförmigen Bow- 
mannschen Drüsen, in der unteren Hälfte mit Pigmentzellen 
versehen, und sowohl an der lateralen wie an der medialen 
Wand mit Olfaktoriusbündeln ausgestattet, die an beiden Seiten 
bis an den Boden hinunterziehen (Fig. 9). Nach der Schleim- 
haut folgt die knorpelige Nasenkapsel, die die Nasenhöhle an 
den meisten Stellen als ein vollkommener Ring umgiebt (Fig. 6, 
Anulus cartilagineus nasi, Spurgat); nur im hinteren Teil 
ist oben an der Decke ein grosses Loch zum Durchtritt der 
Riechnerven vorhanden (Fig. 9), und zwei Spalten am Septum 
unten in der Gegend des Jacobsonschen Organes (Fig. 8). 
Jenseits der knorpeligen Nasenkapsel folgen enganliegend die 
Deckknochen. 

Bezüglich des Jacobsonschen Organes verhält sich die 
Sache wie folgt: Die knorpelige Nasenscheidewand ist im 
vorderen und hinteren Teil der Hauptnasenhöhle eine einfache 
vertikale Platte. An dieser Platte sind im vorderen Teil der 
Hauptnasenhöhle etwas unter der Mitte seiner Höhe zwei seit- 
liche Ausladungen vorhanden (Fig. 6), die sich kaudalwärts zu 


08 VICTOR v. MIHALKOVIOS. 


kurzen Fortsätzen verlängern (Fig. 7); die lateralen Fortsätze 
sind etwas schräg ventralwärts gewendet. Ich werde diese sporn- 
förmigen Fortsätze Paraseptalfortsätze (Proc. paraseptalis, 
Fig. 7) nennen, man kann sie als homolog dem Jacobson schen 
Knorpel betrachten. Jenseits der Mitte der Hauptnasenhöhle 
werden die Paraseptalfortsätze kürzer und verlieren sich (Fig. 9), 
von dort an ist der Septalknorpel eine einfache vertikale Platte 
von gleichmässiger Dicke. 

Dort wo die knorpeligen Paraseptalfortsätze vom Septal- 
knorpel abgehen, werden diese von der Schleimhaut überzogen, 
wodurch jederseits an der Scheidewand gegen die Nasenhöhle 
schräg vorragende Schleimhautfalten entstehen; an Frontal- 
schnitten sehen die Falten kurzen Vogelschnabeln ähnlich; ich 
werde diese Paraseptalfalten nennen (Fig. 7, Plica para- 
septalis, Grenzfalte Seydels). Diese Falten sind am höchsten 
dort, wo sie die Paraseptalfortsätze des Scheidewandknorpels 
überziehen; die Schleimhautfalten setzen sich aber auch rostral- 
wärts fort, wo keine Knorpelfortsätze mehr vorhanden sind 
(Fig. 6), nur werden die Falten hier niederer (Fig. 5) und hören 
dann gegen den Nasenvorhof auf. 

Ausser der beschriebenen Paraseptalfalte ist eine bedeutend 
niederere an der lateralen Nasenhöhlenwand vorhanden, und 
zwei am Boden, die aber sehr unregelmässig sind (Fig. 6); hier 
ist das Epithel etwas niederer, ich finde aber keinen Unter- 
schied im Verhältnis zur übrigen Gegend, sodass ich für die er- 
wähnten Nebenfalten zur Abgrenzung der Respirationsgegend 
in mehrere Abschnitte, wie es Seydel that, einen Grund umso 
weniger sehe, da die durch die Falten abgegrenzten Teile der 


Respirationsgegend keine Jacobsonschen Organe sind — wie 
es Seydel irrtümlich angiebt, — sondern dieses Organ an der 


medialen Wand in der Region der Septalfalte als rundes Epithel- 
rohr in die Schleimhaut eingebettet ist (Fig. 6). Wie dieser 
Gang Seydel entgangen ist, weiss ich nicht anzugeben, ver- 


cart. sepli.... 


Kiparasept. 


vas. 


Lehr 


Anatomische Hefte IAbtheilung Heft 20 FAT BAHN?) 


Fig. 11. 
os nasale. 
bulb. olfact. _ 
- gland.nas.lat. 
er cart paranas, 
n. olfact. lat. ee 
vestib.nasi. -—- 
spalia.lymph. 
n..Jacobs. ° Seen 
; 73 s el . 
W.__maxilla. ER 3 N BE RR! meer 
organ. ‚Jacobs. "W; RE carlil.seph. 
maxtilla 
eminent fungif 
os intermax organ, Jacobs. 
Fig.15 Srgan: JOcREE / Seen 
‚Proc. parasept, sup. L 


08 intermax. 
nervi.Jacobs. 
vomer 


fissurapalablat 
organ, Jacobs earlilparasepk.ind (Jacobs.) 
2 carlil, paranas, 


gland.nas lat. eünkilaygisenkt Fig. 14. 
cartil. parasepf, inf! h 


os nasale. os nasale, 


eminent fungif. gland. nas.lat 


pseudo- 
concha. 
cartıl. 
Parasepl. __ epith, 
inf. respir. 


cartıl septi. — 


Pseudo -.- 
concha 
cartil.parasept. 
intermax. 
z — "maxill. E 
- maxilla. Fig.13. ir Fiss. palat lat. choana 
EN. Kiss, palat.lat ‚proc. palat. 
'ss. palat. lat. Palatomaxillaris.) . 

ul dgl Under Deucurei vH Sale 


(palatomaxill) 


Yalay sn JE Birgmasın, Vausdader 


cart. conchae, 


‚gland. nas. 
„u Tat, 


fiss. palat. 
lat. 


maxilla 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 29 


mute aber, er hat denselben für den Ausführungsgang der 
medialen Nasendrüse gehalten, denn er erwähnt von diesem, 
dass derselbe in den medialen Divertikel mündet. Das ist aber 
irrtümlich, denn der Epithelgang sieht ganz ähnlich dem Jacob- 
sonschen Organe vieler Säugetiere und verhält sich in Emys 
folgendermassen. 

Der Jacobsonsche Gang beginnt im Anfang der Haupt- 
nasenhöhle in der Einbuchtung unter der Septalfalte als oval 
angeschnittenes Rohr, dessen Lumen 120 « hoch und 40 u 
breit ist (Fig. 5, Duct. Jacobs.); das Epithel ist 40 « hoch und 
führt zweischichtiges Cylinderepithel; der Kanal durchbohrt 
schräg das Nasenhöhlenepithel und mündet am Septum ähnlich, 
wie etwa bei Nagetieren und dem Menschen (vergl. Fig. 51, 
Taf. VIII, und Fig. 69, Taf. X). Am Anfangsteil des Ganges 
sind am Septalknorpel noch keine Paraseptalfortsätze vorhanden, 
sondern nur kleine seitliche Ausladungen über dem Gange (Taf. II, 
Fig. 5). Kaudalwärts erweitert sich der Jacobsonsche Gang 
(0,4—0,5 mm hoch, 0,25 mm breit, Epithel 0,09—0,1 mm hoch), 
und das Epithel wird zu Riechepithel, aber nur mit 3—4 Reihen 
von Kernen (Fig. 6) 


J° 


Noch mehr nach hinten erscheinen die 
Paraseptalfortsätze am Scheidewandknorpel und das Jacobson- 
sche Organ lagert sich in die durch den Knorpelfortsatz gebildete 
Hohlkehle hinein; der Gang verändert hier aber insofern seine 
Struktur, als daran mit Cylinderepithel bedeckte kleine Aus- 
buchtungen entstehen, die sich dann zu Drüsengängen ver- 
längern, d.h. dem kaudalen Teile des Jacobsonschen Ganges 
hat sich eine gewundene tubulöse Drüse angelagert, worin wir 
die Septaldrüse, resp. Jacobsonsche Drüse erkennen (Fig. 7, 
Gland. Jacobs.). Noch weiter kaudalwärts entsteht am Boden- 
teil der knorpeligen Nasenkapsel neben dem Septalknorpel eine 
Spalte und der Knorpel des Bodens setzt sich an der Seite des 
Septalknorpels eine Strecke nach aufwärts (Fig. 8, Cart. para- 
sept.); in der hierdurch entstandenen Spalte liegt die Septal- 


30 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


drüse (Gland. Jacobs.) und der bis an den Boden der Nasen- 
höhle hinunterziehende mächtige mediale Ast des Olfaktorius 
(N. olfact. medial.) sendet einen ziemlich starken Nebenast 
durch die Knorpelspalte zur medialen Nasendrüse (n. Jacobs.); 
die Äste dieses Jacobsonschen Nerven ziehen durch die Drüse 
nach vorne zum Jacobsonschen Gange und umgeben diesen 
rundherum. Die ganze Drüse ist reichlich von bindegewebigen 


Pigmentzellen umgeben. 


Wenn wir den beschriebenen Kanal an der Nasenscheide- 
wand mit jenem der Säugetiere vergleichen, kann kein Zweifel 
darüber sein, dass es ein Jacobsonsches Organ ist. Es ist ein 
fast drehrundes Epithelrohr am rostral-oralen Teil der Nasen- 
scheidewand, das vorne frei in die Nasenhöhle mündet, dann 
kaudalwärts in die Schleimhaut dicht am Septalknorpel einge- 
lagert ist und hinten die Ausführungsgänge der septalen oder 
s. o. Jacobsonschen Nasendrüse aufnimmt; der vordere drüsen- 
lose Teil des Ganges führt niederes Riechepithel, zu dem ein 
besonderer Ast der Scheidenwandnerven zieht (N. Jacobsoni). 


Nachdem in dem beschriebenen Gebilde alle Attribute eines 
Jacobsonschen Organes vereint sind, können die von Seydel 
beschriebenen seichten Einbuchtungen des Riechepithels in der 
Respirationsgegend unmöglich ebenfalls Jacob sonsche Organe 
sein, und mit jenem positiven Befunde fallen alle theoretische 
Folgerungen Seydels in Bezug auf die sinnliche Kontrolle der 
Exspirationsluft weg. Wenn das aber bei Schildkröten der Fall ist, 
wo über das wahre Jacobsonsche Organ wegen seiner präg- 
nanten Ähnlichkeit mit jenem der Säugetiere kein Zweifel vor- 
handen sein kann, müssen wir folgern, dass es auch bezüglich 
der Amphibien nicht anders ist: der laterale Recess bei Urodelen 
ist kein Jacobsonsches Organ, sondern die Kieferhöhle mit 
dort zurückgebliebenem Sinnesepithel. 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 31 


c) Saurier. 

Bei Sauriern hat das Jacobsansche Organ eine solche 
Grösse erreicht, dass es an Frontalschnitten einer accessorischen 
unteren Nasenhöhle gleichsieht. Die erste Beschreibung des 
Organs stammt von Stannius!) an einigen ausländischen 
Schlangen (Pithon, Trigonocephalus), obgleich schon Rathke?) 
dessen Erwähnung that (1839), nur dass er nicht wusste, dass 
es ein Jacobson sches Organ ist, sondern für eine Drüse hielt. 
Dann hat das Organ Leydig (29)?) an Lacerta und Anguis 
beschrieben (1872), und ist neuerdings (30) auf denselben Gegen- 
stand zurückgekommen. Auch Born (6) hat Beiträge geliefert, 
die sich hauptsächlich auf Tropidonotus natrix beziehen; er be- 
schreibt auch die Entwickelung des Jacobsonschen Organs bei 
Schlangen. Die Figuren 11—15 auf Tafel III sollen zum Ver- 
ständnis der folgenden Beschreibung herangezogen werden, die 
sich auf die Natter und Mauereidechse beziehen. 

Die knorpelige Nasenkapsel ist auch im aufgewachsenen 
Tiere erhalten, aber nur in der Scheidewand (Figg. 12 und 13, 
Cartil. septi), und als dünne Knorpelplatte an der Decke der 
Nasenhöhle (Cartil. paranasalis s. tegmenti), von der sich 
eine gebogone Knorpellamelle in die Muschel hinein erstreckt 
(Fig. 14, Cartil. conchae). Ausserdem ist ein Knorpel am 
Boden des Jacobsonschen Organes vorhanden (Fig. 12, Cartil. 
parasept. inf.), der vorne S-fürmig gebogen ist (Fig. 12), hinten 
aber von der lateralen Seite her sich auch auf die obere Wand 
des Organs erstreckt (Fig. 15), und mit Unterbrechungen bis an 
den Scheidewandknorpel heranreicht, zum Zeichen, dass es ein 
abgeschnürter Teil dieses Knorpels ist. Die Deckknochen 
bestehen aus dem Nasale, Maxillare, Palatinum, Vomer und 


1) Stannius, H., Handb. d. vgl. Anatomie d. Wirbelthiere. Frankfurt, 1854. 
2) Rathke, Entwickelung der Natter. Königsberg, 1839. 
3) Leydig, Die in Deutschland lebenden Arten der Saurier. Tübingen, 1872. 


32 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


Praemaxillare; letzteres liegt an der medialen Seite des Jacob- 
sonschen Organes, und ganz vorne sogar unter dem Organe 
(Fig. 15, os intermax.), in der Mittelgegend ist es hakenförmig 
gebogen (Fig. 12). Hinter dem äusseren Nasenloch folgt der 
Vorhof (Fig. 11, Vestib. nasi), unter dem das vordere Ende 
des Jacobsonschen Organes liegt (Org. Jacobs.), während 
dessen hinteres Ende den Bodenteil der Hauptnasenhöhle erreicht 
(Fig. 12, Org. Jacobs.). 


Die Nasenhöhle ist in der mittleren Region an Frontal- 
schnitten platt gedrückt, biskuitförmig (Fig. 12, Cavum nasi), 
und besitzt an der äusseren oberen Wand einen Vorsprung 
(Fig. 13), der nach hinten grösser wird und einen in die Nasen- 
höhle von oben lateralwärts hineinragenden Hügel bildet (Fig. 14, 
concha), der für eine Nasenmuschel gehalten und der unteren 
Nasenmuschel der Säugetiere gleichwertig erachtet wird. Versteht 
man aber im Sinne der Definition Gegenbaurs!) unter 
Muschel einen mit schmaler Seite von der Nasenhöhlenwand 
abgehenden Vorsprung, der von Skeletteilen mit freiem Rande 
gestützt wird, so ist das Gebilde der Eidechsen und Schlangen 
nur ein muschelartiger Hügel (Pseudoconcha, Solger?), ähn- 
lich der hinteren (oberen) Muschel der Vögel (vergl. Fig. 21, 
Taf. IV, Concha sup.), in die sich die laterale Knorpellamelle 
gebogen hineinerstreckt, und deren Bucht die laterale Nasen- 
drüse aufnimmt (Fig. 14, Taf. III). So wäre das erste Erscheinen 
einer Nasenmuschel durch äussere Umstände, hier durch die 
Einlagerung einer Drüse, bestimmt. Aus einer derartigen Aus- 
buchtung ist dann die Differenzierung einer frei vorstehenden 
Nasenmuschel leicht zu erklären: es braucht nur der untere 
Teil der eingebogenen Knorpellamelle durch Resorption zu 


1) Gegenbaur, Über die Nasenmuscheln der Vögel. Jena’sche Zeit- 
schrift. VII. 1873. 

2) Solger, K., Beiträge zur Kenntnis der Nasenwandung und besonders 
der Nasenmuscheln der Reptilien. Morphol. Jahrbuch, I. 1876. 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 33) 


schwinden, wie ähnliche Vorgänge bei den höheren Vertebraten 
an der knorpeligen Nasenkapsel überhaupt stattfinden; dann 
hat das Skelett des muschelartigen Vorsprungs einen freien Rand 
erhalten und entstand aus dem Hügel eine frei vorragende 
Platte. 

Die Schleimhaut ist bei Sauriern im grössten Teil der 
Nasenhöhle mit Riechepithel bedeckt, dieses ist aber nicht 
überall gleich stark (Figg. 12 und 13): an der Decke, Scheide- 
wand und dem medialen Teil des muschelförmigen Vorsprungs 
ist es hoch, hingegen am Boden und an der lateralen (unteren) 
Seite der Pseudomuschel ist Respirationsepithel vorhanden; in 
der blinden Bucht des seitlichen Recessus (Fig. 13, Duct. 
resp.) liegen auch viele Becherzellen; es ist also eine Differen- 
zierung in eine Riech- und eine Respirationsgegend eingetreten. 
In der Riechgegend sind reichlich Bowmannsche Drüsen 
vorhanden, und dazwischen Äste des Olfaktorius. Die vorhin 
erwähnte laterale Nasendrüse ist mächtig entwickelt (Fig. 12, 
Gland. nas. lat.), und mündet vorne in den lateralen Teil des 
Nasenvorhofes; die Drüsenalveolen sind klein und führen getrübtes 
seröses Epithel. 

An hinteren Frontalschnitten der Nasenhöhle erweitert sich 
der unter der Pseudomuschel gelegene Teil der Höhle in eine 
blinde Bucht unter den Deckknochen fort (Fig. 14, Sin. maxill.). 
Ich halte diesen Recessus und überhaupt die ganze Einbuchtung 
unter dem muschelförmigen Vorsprung homolog der Kieferhöhle, 
denn sie erstreckt sich in den OÖberkiefer hinein und ist von 
Respirationsepithel bedeckt. Nun liegt aber die Kommunikation 
dieser Höhle unterhalb der Pseudomuschel (auf Fig. 14 be- 
zogen wurde die Öffnung zwischen Sin. maxill. und Duct. respir. 
liegen), womit die Gleichartigkeit dieser Muschel mit der unteren 
Nasenmuschel (Maxilloturbinale) der Säugetiere und der sogen. 
mittleren Muschel der Vögel, wie es allgemein angenommen 
wird, hinfällig ist. Die einzige Muschel der Reptilien ist den 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXIV,XXXV. Heft (11. Bd,, H. 1/2.) 3 


34 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


Siebbeinmuscheln gleichwertig, sie sieht ähnlich der oberen 
Muschel der Vögel, d. h. besteht nur aus einer Einbuchtung 
der lateralen Nasenhöhlenwand und ist keine durch Skeletteile 
gestützte freie Falte der Nasenschleimhaut, wie die echten 
Muscheln der Säugetiere. Dass diese Vorragung den Riech- 
muscheln gleichwertig ist, das ist a priori einleuchtend, wenn man 
bedenkt, dass die primitiven Muscheln überhaupt zur Ver- 
grösserung der Riechfläche gebildet werden; darum ist die 
Pseudomuschel der Saurier medial mit Riechepithel bedeckt, 
während die untere Muschel der Säugetiere und die mittlere 
Muschel der Vögel indifferentes Epithel führen und Respirations- 
muschel darstellen, bestimmt zum Reinigen, Erwärmen und 
Feuchthalten der Luft. Gleichwie bei Anuren als Neuerwerb 
des Riechapparats das Jacobsonsche Organ erscheint, ähnlich 
tritt bei Schlangen und Eidechsen eine Vergrösserung der Riech- 
fläche in Gestalt eines muschelförmigen Vorsprunges hinzu, die 
zur Vergrösserung der Riechschleimhaut dient. 

Eigentümlich sind bei Sauriern die Verhältnisse der hinteren 
Nasenölfnung (Ohoane). Diese mündet nicht frei an der Decke 
der Mundhöhle, sondern in den seitlichen Teil des Gaumen- 
spaltes hinein (Taf. III, Fig. 14, Choane). Schon bei Am- 
phibien war ein sekundärer Gaumenfortsatz vorhanden, der 
mit der Decke der Mundhöhle eine Rinne bildet (vel. Taf. XI. 
Fig. 72, Sulc. maxill.-palatinus). Bei Reptilien wird der 
sekundäre Gaumenfortsatz mächtiger und erstreckt sich unter 
dem Boden der Nasenhöhle im Querschnitt gesehen als drei- 
eckiger Keil medianwärts (Taf. II, Fig. 13, Maxill.); der Keil 
nimmt von vorne nach binten an Breite zu, weil der ganze 
Vorderkopf nach hinten breiter wird, und umfasst mit dem 
Boden der Nasenhöhle den seitlichen Teil der Gaumenspalte 
(Fig. 13, Fiss. palat. lat.), die vorne neben der Gaumenpapiüle 
unter dem Jacobsonschen Organ als kleine Einbuchtung be- 
ginnt (Fig. 15), weiter nach hinten zu unter dem ganzen Boden 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 30 


der Nasenhöhle sich erstreckt (Fig. 13) und an der oberen Wand 
die Choane aufnimmt (Fig. 14). Embryologisch ist die ganze 
Formation aus dem Vorwachsen der sekundären Gaumenleiste 
unter dem Boden der primären Nasenhöhle zu erklären. Es ist 
aber der Boden der Nasenhöhle bei Reptilien nicht dasselbe Ge- 
bilde wie bei Säugetieren, denn bei letzteren besteht der Boden 
der Nasenhöhle resp. die Decke der Mundhöhle kaudalwärts vom 
Prämaxillare aus dem sekundären Gaumen des Oberkiefer- 
fortsatzes, während bei Reptilien der Boden der Nasenhöhle bis 
an die Choane vom primären Gaumen selbst gebildet wird. 
Unter diesem primären (prämaxillaren) Gaumen wächst von 
hinten und lateral der sekundäre Gaumen medianwärts vor und 
ist von ersterem durch den seitlichen Teil der Gaumenspalte 
(Fissura palatina lateralis) getrennt. Folglich ist die Choane der 
Reptilien der primären und nicht der bleibenden Choane der 
Säugetiere homolog. Der Unterschied besteht darin, dass bei 
Säugetieren der sekundäre Gaumen nur kaudalwärts von der 
primären Choane (dem späteren Stensonschen Gang) entsteht, 
während bei Reptilien (und auch Vögeln, s. unten) der sekun- 
däre (maxillare) Gaumen sich unter der primären Choane auch 
rostalwärts fortsetzt, aber bis an die Gaumenpapille mit dem 
prämaxillaren Gaumen (Boden der Nasenhöhle) nicht verwächst, 
sondern mit demselben die seitlichen Ränder der Gaumenspalte 
umfasst. 

Über den Bau des Jacobsonschen Organes der Saurier 
und der angrenzenden Teile ist folgendes zu berichten: 

Unter dem vorderen Teile der beiderseitigen Jacobson- 
schen Organe liegt in der Medianlinie die Gaumenpapille und an 
deren lateralen Seite zieht unter dem Organe der vordere Teil der 
Gaumenspalte schräg lateralwärts (Figg. 12—15, Fiss. palat. lat.). 
Neben der Gaumenpapille liegen beiderseits die engen Mündungen 
des Jacobsonschen Organes (Fig. 15, Apert. Jacobs.), also an 
der Decke der Mundhöhle vorne. Das ist nur bei Eidechsen 

3% 


36 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


und Schlangen der Fall, hingegen bei allen anderen Tieren, die 
einen Jacobsonschen Gang besitzen, zieht sich die Mündung 
von der Mundhöhle aufwärts und endet zunächst in den Sten- 
sonschen Gang, oder noch höher am Nasenhöhlenboden in der 
Nähe der Scheidewand, oder in diesem. 

Zwischen dem vorderen Teileder Gaumenspalte und dem Nasen- 
höhleneingang liegt im Prämaxillarteil des Gesichtes das Jacob- 
sonsche Organ (Taf. III, Fig. 15), umgeben unten vom Paraseptal- 
knorpel (Cart. parasept.inf.), medianwärts liegt der Zwischen- 
kiefer (Os intermax.) und oben das Pflugscharbein (Vomer). 
Der Paraseptalknorpel ist an vorderen Querschnitten S-förmig 
gebogen (Fig. 12, Cart. parasept. inf.), weiter hinten halb- 
mondförmig (Fig. 15), und sendet einen abgerundeten leisten- 
förmigen Fortsatz gegen die untere Wand des Jacobsonschen 
Organs, der den Boden desselben gegen die Höhle vorstülpt, 
während er im Frontalschnitt das Bild eines Wulstes oder Pilzes 
giebt, und darum als pilzförmiger Vorsprung (Fig. 15., 
Eminent. fungif.) benannt werden kann. Wegen diesem Vor- 
sprung sieht das Jacobsonsche Organ an Frontalschnitten 
halbmondförmig aus und kann mit einer Gastrula verglichen 
werden, deren äusseres Blatt dick, das innere aber dünn ist; 
ersteres ist nach oben, letzteres nach unten gewendet und nimmt 
in sich den abgerundeten Fortsatz des Paraseptalknorpels auf; 
medial und lateralwärts liegen die Lippen der Gastrula, wo das 
äussere Blatt niederer werdend in das innere dünne Blatt um- 
biegt. Am vorderen Drittel des Organes, aber nicht ganz vorne 
am blinden Ende, sondern etwas dahinter, biegt die mediale 
Gastrulalippe tiefer hinunter, und geht in den engen Ausführungs- 
gang des Jacobsonschen Organs über, der in S-förmiger 
Biegung abwärts zieht und in der oben angegebenen Weise 
zwischen Gaumenpapille und Anfang des Gaumenschlitzes in 
die Mundhöhle mündet. Da der Ausführungsgang S-förmig ge- 


bogen und enge ist, treffen Frontalschnitte entweder dessen 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 37 


oberes oder unteres Ende (wie in Fig. 15, Apert. Jacobs.); im 
letzteren Falle ist es ein von Plattenepithel bedeckter kurzer 
Recess neben der Gaumenpapille, im anderen Fall eine von 
Cylinderepithel bedeckte Fortsetzung der medialen Gastrulalippe, 
die zwischen Paraseptalknorpel und Prämaxillare zur Mund- 
höhle abwärts zieht. 

Rostral- und kaudalwärts endet das Jacobsonsche Organ 
blind abgerundet. An beiden Stellen nimmt die Höhe des pilz- 
förmigen Vorsprunges ab und die dicke obere Wand biegt nach 
abwärts. An Frontalschnitten jenseits des Lumens des Organs 
ist nur die dicke obere Wand angeschnitten (Fig. 11, Organ. 
Jacobs... Zum vordern Teile des Organes ziehen die mäch- 
tigen Äste des Jacobson schen Nerven hinunter (Fig. 11, N. 
Jacobson), die im Prämaxillarteil des Gesichtes in der breiten 
Substanzbrücke zwischen den Vorhöfen beider Nasenhöhlen 
liegen und an der oberen Wand des Organes sich in einen 
medialen und lateralen Ast teilen (s. unten). Das Bindegewebe 
um das Jacobsonsche Organ enthält an der oberen und 
unteren Wand Pigmentzellen, die an der oberen Wand reich- 
licher vorhanden sind (Fig. 15). Dazwischen ziehen die Äste 
des Jacobsonschen Nerven herunter und senken sich in die 
obere Wand des Organes hinein. 

Das Epithel ist an der oberen Wand des Jacobsonschen 
Organes anders gebaut als an der unteren (Fig. 15). An letzterer 
Stelle bekleidet den pilzförmigen Vorsprung geschichtetes Cylinder- 
epithel, es ist also hier respiratorisches Epithel vorhanden. Man 
findet die Cilien an verschiedenen Stellen verschieden hoch, an 
manchen Regionen ist eine niedere gestreifte Kutikula vorhan- 
den. Wo die Cilien lang sind, sind sie scharf zu erkennen; an 
den kürzeren sind die Grenzen weniger deutlich, und an den 
ganz niedern sieht man nur eine Querstreifung wie Stäbchen. 
Das spricht für die protoplasmatische Natur der Cilien und er- 
klärt den Kutikularsaum der Darmepithelien im Sinne Than- 


38 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


hoffers!) und anderen. Der verschiedene Zustand einzelner 
Strecken lässt sich aus dem Zustande erklären, in welchem sich 
die Cilien zur Zeit der Einwirkung der fixierenden Flüssigkeit 
befanden. 

Die obere Wand des Jacobsonschen Organes ist mit der 
Konvexität nach oben, mit der Konkavität gegen das Lumen 
gekehrt (Figg. 12 u. 15). Das Epithel ist hier sehr hoch, an 
reifen Embryonen von Caluber natrix 0,40—0,50 mm hoch und 
besteht aus zwei Hauptschichten: aus einer äusseren gestreiften 
kleinzelligen Schicht, die dieker ist (0,360—0,400 mm), und einer 
inneren dünneren Schicht (40—50 «) mit tiefer stehenden ovalen 
Kernen in 2-3 Reihen und einen fein gestreiften Saum gegen 
das Lumen, dessen freie Fläche mit äusserst feinen und kurzen 
Härchen besetzt ist. An der Grenze der kleinzelligen Schicht 
gegen die ovalen Kerne breitet sich in horizontaler Richtung 
ein Kapillarnetz aus, das besonders gut mit der Heidenhain- 
schen Eisenlackmethode dargestellt werden kann, wo die Blut- 
körperchen fast schwarz werden. Vom Kapillarnetz ziehen Äste 
in radiärer Richtung in die kleinzellige Schicht hinein und von 
hier in die Schleimhaut. 


Der fein gestreifte Saum gegen das Lumen mit den tiefer 
gelegenen ovalen Kernen hat alle Charaktere eines Riechepithels. 
Man sieht zwischen den schmalen Cylinderzellen die stäbchen- 
förmigen Riechzellen und die freie Fläche des Saumes ist mit 
der Brunnschen Grenzmembran (Membrana limitans ol- 
factoria) bedeckt, jenseits deren die feinen und kurzen Riech- 
stäbchen vorstehen; die tiefergelegenen ovalen Kerne der Riech- 
stäbchen stehen in 2—3 Reihen dicht aneinander und nehmen 
den angewendeten Farbstoff intensiver auf wie die Kerne der 
kleinzelligen Schicht. Letztere besteht aus radiär gestellten 


Strängen (drüsenartige Zellstränge, Leydig); an Coluber 


1) Thanhoffer, Pflügers Archiv, 1874. 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 39 


sind die Stränge sehr lang und breit (180—200 u lang, 80-90 u 
breit); bei oberflächlicher Betrachtung sehen sie einfachen schlauch- 
förmigen Drüsen zum Verwechseln ähnlich. Born (6) hat thatsäch- 
lich diese Ansicht vertreten, hauptsächlich aus dem Grunde, weil 
die Stränge bei Embryonen vom Epithel aus drüsenförmig in das 
umgebende Mesenchym hineinwachsen, hingegen hat Leydig 
(29) die Stränge früher für Nervenzellen und neuerlich (30) für 
Sinnesknospen ähnliche Gebilde erklärt, die kein Lumen enthalten, 
trotzdem aber absondern können, da seiner Ansicht nach zwischen 
Sinnes- und Drüsenepithelien wenig Unterschied besteht, wie das 
die Geschmackszellen der Frösche beweisen, wo an deren Ober- 
fläche freigewordenes Sekret zu erkennen ist. Meine Erfahrungen 
schliessen an Leydig an, jedoch bin ich mit der Deutung von 
Sinnesknospen nicht einverstanden, sondern habe an Coluber 
natrix und Lacerta agilis nach Anwendung der Zenkerschen 
und Flemmingschen Flüssigkeit folgendes gefunden. 

Bei der Eidechse ist die Sonderung in Epithelstränge weniger 
deutlich, wie bei der Natter. An letzterem sind die Stränge 
scharf von einander getrennt und fast wie von einer Drüsen- 
membran umgeben ; ein jeder Strang ist 80—90 u breit, 200— 220 u 
lang, und besteht in querer Richtung aus 4—6 Zellen. Die 
Stränge sind solid, ein Lumen ist bestimmt nicht vorhanden. 
Die Basis der Zellsäulen ist abgerundet und das ganze Gebilde 
fast birnförmig; das obere Ende verbindet sich ohne Grenze 
mit dem kernhaltigen Teil des Riechepithels. Im Querschnitt 
sind die Stränge rund, was besonders gut an Frontalschnitten 
aus der rostralen oder kaudalen Gegend des Organes zu erkennen 
ist, wo die Stränge horizontal liegen und darum an Frontal- 
schnitten quer angeschnitten werden (Fig. 11); an solchen ist 
von einem Lumen keine Spur vorhanden. Die Zellen sind rund- 
lich oder eckig, haben wenig Protoplasma und einen verhältnis- 
mässig grossen Kern; sie liegen reihenweise dicht aneinander, 
und sehen so den Körnerzellen des Kleinhirns und der Retina 
ähnlich. 


40 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


Dieses Bild passt weder auf schlauchförmige Drüsen, noch 
auf Sinnesknospen, denn erstere müssten ein Lumen, letztere 
verlängerte Epithel- und Sinneszellen haben. Auch ist Leydigs 
Ansicht schwer zu stützen, dass die Sinnesknospen secernieren, 
jedenfalls thun sie das nicht so, wie gewöhnliche Drüsen, denn 
das obere Ende der Stränge grenzt an den tieferen Teil der 
Riechzellen, letztere stehen aber so dicht, dass an ein Freiwerden 
des Sekretes durch Drüsengang ähnliche Spalten nicht gedacht 
werden kann, umsomehr da Spalten zwischen den Riechzellen 
nicht zu erkennen sind. Leydig hat unter den Zellen der 
Stränge Wanderzellen und auch mit kurzen Fortsätzen versehene 
Nervenzellen erkannt. Ich bin aber der Meinung, dass es 
grösstenteils protoplasmaarme Nervenzellen sind — wie es Leidig 
in seiner älteren Arbeit gedeutet hat, — ähnlich der Körner- 
schicht im Kleinhirn, zwischen denen die Bündel des Olfaktorius 
zum Riechepithel hinaufziehen und ausserdem feine Äste zwischen 
die Zellen der Stränge hineinsenden. Dass die Zellenstränge im 
Embryo wie Drüsen vom Epithel in das Mesenchym hinein- 
wachsen (Born), spricht noch nicht für deren gewöhnlichen 
Drüsencharakter, denn die Olfaktoriusganglien stammen, wie 
wir es aus His') Untersuchungen wissen, auch vom Ektoderm. 
Das Bild ist hier ähnlich jenem der Säugetiere mit gut ent- 
wickeltem Jacobsonschen Organ, z. B. der Nager, besonders der 
Maus (vergl. darüber Taf. VIII, Fig. 52). Auch bei diesem folgt 
unter dem Riechepithel eine gekörnte Schlicht, nur ist diese 
nicht in Stränge geordnet, und ist also hier eine kleinzellige 
Nervenschicht vorhanden, zwischen deren Zellen die Äste des 
Riechnerven Geflechte bilden. Die Deutung als Ganglienzellen 
wird auch aus dem Verhalten des Jacobsonschen Nerven ge- 
stützt, denn dieser schickt bei Sauriern so reichliche Äste zur 


äusseren Wand des Jacobsonschen Organes, dass diese Menge 


1) His, W., Verhandlungen der Anat. Gesellschaft auf der 3. Versammlung 
zu Berlin, 1887. S. 63. 


Inatomische Hefte 1Abthailung Met ANA NKW (MM BaI 12) 


os nasale. 


gland.palat. 


noha sup.- 


ncha med. 


septum 


fiss.palat, mediana: 


Fig. 20 


Fig.16. 


os nasale 


ducl.gland 


(Jacobs) cavum nasi. 


concha veslib. 


septum 


maxilla 


maxılla i 
recess inf. 


cavum nasi 


gland palat 


n. nasopalat 


os nasale 


concha sup 


gland. nas, lat 


oculus. __ 


palalum 


fiss. palat lat. 
(palato-maxill) 


fiss. palat. med 


<cavrumnast 


emncha media 


dAuet.gland 
(Jacobs) 


rec.inf cav.nasi 


mexilla 


maxilla 


sinus palal 


oculus 


concha sup. 


apert. sinus 


maxitl, 
concha 
media 
Fig 


22. 


os nasale. 


concha media 


septum 


concha 
med 


ductus gland 
nas.lat 


gland.palat 


maxilla maxille. os ıntermax. 


nares. 


concha vestib, Han patanmeR] 


sinus orbit 
concha med 


concha sup. 


lam. cribn... 


oculus. 
ceoncha . v -. meal. as. 
medıa pharyng. 
choana 
sinus 
maxill 


eerehr. 


fiss palat media 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. al 


zu dem Bedarf der Riechzellenschicht nicht im Verhältnisse steht. 
Ob ausser den Nervenzellen auch sekretorische Zellen vorhanden 
sind, lässt sich vom mikroskopischen Bilde nicht entscheiden, 
kann aber nicht abgewiesen werden in Anbetracht des Um- 
standes, dass ausser den fraglichen Zellsträngen keine Drüsen 
vorhanden sind, solche aber bei allen anderen Tieren reichlich 
in das Jacobsonsche Organ münden. Im Falle secernierende 
Zellen vorhanden sind, muss das Sekret zwischen den feinen 
Spalten der Zellen durch Diffusion in das Lumen des Jacob- 


sonschen Organes gelangen. 


Fassen wir zum Schlusse das Vorgetragene über das Jacob- 
sonsche Organ der Eidechsen und Schlangen zusammen, so 


bekommen wir darüber folgende Vorstellung: 


Das Organ liegt im Prämaxillarteil des Gesichtes unter dem 
vorderen Teil der Nasenhöhle, eingebettet in den prämaxillaren 
Gaumen, und ist einer sagittal gedehnten Gastrula ähnlich, mit 
oben gelegenem äusseren und unten gelegenen inneren Blatt 
(Fig. 12). Die Höhlung der letzteren wird von einem leisten- 
förmigen Fortsatz des Paraseptalknorpels ausgefüllt, Das Lumen 
des Organes umgreift den von unten vordringenden pilzförmigen 
Fortsatz halbmondförmig und erstreckt sich verschmälernd bis 
an die mediale und laterale Gastrulalippe hinein, wo der Um- 
schlag des äusseren dieken Blattes in das innere dünne Blatt 
stattfindet; ersteres führt an der freien Fläche Sinnesepithel, in 
den tieferen Schichten besteht es aus protoplasmaarmen Nerven- 
zellen (vielleicht auch secernierenden Drüsenzellen ?), die durch 
Bindegewebe und Bündel des Jacobsonschen Nerven in radiäre 
Stränge angeordnet sind (Fig. 12). Das verhältnissmässig grosse 
Gebilde hat einen dünnen Ausführungsgang, der am vorderen 
Drittel des Organs von der medialen Lippe in S-förmiger Biegung 
nach abwärts zieht und zwischen Paraseptalknorpel und Os prae- 
maxillare durchtretend an der Decke der Mundhöhle vorne zwischen 


42 VICTOR v. MIHALKOVIOS, 


Gaumenpapille und den Anfang der Gaumenspalte mündet 
(Fig. 15, apert. Jacobs.). 

Dass ein derartig hochdifferenziertes Organ, wie das be- 
schriebene, einer wichtigen Funktion vorsteht, kann keinem 
Zweifel unterliegen; der Reichtum an Nerven ist dafür Beweis 
genug. Dieser Nerv geht vom vorderen Teil des Riechhirns 
ab und zieht bei Schlangen fast vertikal nach abwärts zur oberen 
Wand des Organes, dasselbe mit einem dicken medialen und 
lateralen Aste umgreifend (Taf. III, Fig. 11, N. Jacobs.). Verfolgt 
man den Jacobsonschen Nerv an Frontalschnitten kaudalwärts, 
so sieht man, dass derselbe von der medialen Seite des Riech- 
hirns abgeht, während die zur Decke der Nasenhöhle tretenden 
Olfaktorius-Äste von dessen unterer und äusserer Peripherie 
kommen (Taf. VII Fig. 41, N. Jacobs. und N. olf. lat.). 
Der Jacobsonsche Nerv ist an der medialen Seite des Riech- 
hirns als ein dicker Strang kaudalwärts zu verfolgen, derselbe 
dürfte also dem medialen Riechbündel der Säugetiere entsprechen, 

Über die Funktion des Organes kann man nur Vermutungen 
aufstellen. Dass dasselbe zur Beriechung der Nahrungsmittel 
diene, ist aus dem Grunde unwahrscheinlich, weil es im Ver- 
hältnis zu seinen Lumen einen sehr engen und langen Ausfüh- 
rungsgang besitzt, was für eine ergiebige und schnelle Beriechung 
von Nachteil ist. Hier liegt klar vor, dass die Annahme Seydels 
über Amphibien und Schildkröten, das Jacobsonsche Organ diene 
zur sinnlichen Wahrnehmung des Exspirationstromes und wäre 
aus diesem Grunde entstanden, nicht richtig sein kann, denn 
gerade bei Sauriern, wo das Organ die höchste Stufe der Aus- 
bildung erreicht, ist es derartig eingerichtet, dass an ein leichtes 
Eindringen des Exspirationstromes nicht gedacht werden kann. 
Im Gegenteil ist das Eindringen der Luft behindert, also auch 
das Entweichen davon, was dafür spricht, dass das Organ zur 
intensiveren Ausnützung der eingedrungenen Luft resp. Riechstoffe 
geschaffen ist. Überall, wo das Jacobsonsche Organ eine hohe 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 43 


Ausbildung erreicht hat, kommt es in eine geschützte Lage, und 
erhält einen engen Ausführungsgang, und das kann nicht ohne 
Zweck für dessen Funktion sein. Was für Riechstoffe darin 
perzipiert werden, ist freilich nicht zu entscheiden, doch müssen 
diese Sinneswahrnehmungen für das Tier von hoher Bedeutung 
sein, sonst würde das Organ keine derartig hohe Ausbildung 
und Nervenreichtum erhalten haben, wie oben vorgetragen. Da 
es die höchste Stufe der Vollendung bei kriechenden Tieren 
erreicht, könnte an Geschlechtsfunktionen gedacht werden, zur 
Perzeption der Geschlechtsriechstoffe um bei der Aufsuchung 
der Paare behilflich zu sein. Diese Hypothese hat eine Stütze 
darin, dass das Jacobson sche Organ bei jenen Tieren, bei welchen 
an die Umgebung haftende Riechstoffe wegen des Aufenthalts- 
ortes wegfallen, also bei Fischen und Vögeln, nicht vorhanden 
ist (s. Vögel), weil jene geschlechtliche Riechfunktion durch 
das Auge vermittelt wird, und auch beim Menschen ist das Organ 
rudimentär geworden, wegen der Ausbildung des Intellektes und 
allgemeinen Verkümmerung des Riechvermögens. Dass das 
Jacobsonsche Organ dieselbe Funktion hätte, wie die Riechschleim- 
haut der Hauptnasenhöhle, ist kaum anzunehmen, denn dafür ist 
eine Sonderung vom gewöhnlichen Riechapparat und versenkte Lage 
überflüssig. Unnötige Organe werden rudimentär oder schwinden 
ganz, erhalten aber keine höhere Differenzierung in den höheren 
Arten, wie das Jacobsonsche Organ bei den Schlangen und 


Eidechsen im Verhältnis zu den Anuren. 


3. Vögel. 


Die Nasenhöhle der Vögel ist in sagittaler Richtung ver- 
längert und lateralwärts umgeben von luftführenden Räumen, 
von welchen ein grösserer vor der Augenhöhle (Sinusorbitalis), 
ein zweiter im Gaumenfortsatz liest (Sinus palatinus), der 
sich kaudalwärts in die Kieferhöhle fortsetzt (Taf. VI, Figg. 18, 


44 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


19 u. 21, Sinus palatin. und maxill.). Die Zahl der Muscheln 
schwankt zwischen 1—3, so haben z. B. die Tauben nur eine 
Muschel), während Hausgeflügel drei besitzt, wie es Fig. 23, 
Taf. IV zeigt. Ich wähle zur Grundlage der Beschreibung Frontal- 
schnitte des Haushuhnes (Taf IV, Figg. 16—22). 

Das äussere Nasenloch führt in den Vorhof, der mit der 
kaudalwärts gelegenen Hauptnasenhöhle vermittelst einer engeren 
Stelle kommuniziert. Im Vorhof wird das Nasenloch median- 
wärts durch eine von oben C-förmig herunterhängende Vorhofs- 
muschel verdeckt (Fig. 23, Concha vestibuli). In der Haupt- 
nasenhöhle liegen rostral-kaudalwärts zwei Muscheln; die vordere 
resp. mittlere Muschel (ÖConchamedia) besteht aus einer 1/2 mal 
gewundenen Platte (Fig. 19), die nur schmale Spalten freilässt. 
Die hintere resp. obere Muschel (Fig. 23, Concha sup.) ist eigent- 
lich nur eine wulstförmige Vorragung der lateralen Nasenhöhlen- 
wand (Fig. 21, Concha sup.), ähnlich der Pseudoconcha der 
Saurier (s. oben). Hinter diesem Wulst ist die Schädelhöhle von 
der Nasenhöhle durch eine fibröse Membran geschieden (Fig. 23, 
Lam. eribr.), die eine Öffnung hat, um den Riechnerven 
durchzulassen, — jene Membran ist also der Siebplatte der Säuge- 
tiere gleichwertig. 

Von den drei Muscheln ist die Vorhofsmuschel eine 
spezielle Einrichtung des Vogelkopfes, bestimmt das äussere 
Nasenloch von innen her zu verlegen (Gegenbaur?) Die 
mittlere Nasenmuschel ist äquivalent der unteren Muschel des 
Menschen und der vorderen Muschel der Säugetiere (maxillo- 
turbinale); dafür spricht deren Anheftung am Oberkiefer, und 
der Umstand, dass der Thränennasengang unter dem vorderen 
Ende der Muschel in die Nasenhöhle mündet; die Schleimhaut 


1) Gegenbaur, Über die Nasenmuscheln der Vögel. Jenaische Zeitschrift 
für Medizin und Naturwissenschaften, Ill. 1373. 

2) Gegenbaur, Ü,, Über die Nasenmuscheln der Vögel. Jenaische Zeit- 
schrift, VII. 1873. 


tomische Hefte ZABtheilung Iteft ANM SAN M BAHN 2) 


uf 
Taf: V 
cayum ‚crani, 

sinus front. 


lamin, cribr. 


nasoturb. 


frontoturb 
sınus front 


sinus front 
cerbr. 


la m. cribr 


ethmot. 2 


elhmol.s. 


eihmot *. nusoturb. 
elhmaol, D7 

nares.(sphenoturb) 
sinus sphen 


maxilloturb 


lam. term © nares. 


meatus nasoph 
mealus nasi.int. 


palatum dur palat dur duct.nasopal. 


maxilloburb 


elhmoturb 


meatus naso-pharyng 


epncha sup. (parsreflexa) 


sinus max 


lam. cribr. 


lam. termin, 


proc. uncinat. 


sinus front 
naso -turbin.. \ prom. sphen 


concha med. nasolurb 


elhmolurb.lat 


concha inf. for sphenopal, 


os nasale cavum crani 


nasoturb, 


lam. cribr. 


ethmol. 
choana lat H 
I 
ethmo-turh. lat- I 

duct.nasopal B 
027 ap. sin. ! 

mealus nasiint Fig.27 palat as 

os sphen. 
e ethmoturb. 2-5 bulb. olf. mealus 
-0s inlermax f nasi med 
| 
nasaturb 
cerebr. lam. term 
maxillo- 
turb 
maxıllolurb. 
apk. sinus front 
l Fir 26 n 
Fig. 26 basıs.eranü 
mealus nasopharyng meat.nas. in! 


palat dur 


nares lam. ori br. Fiq.29 


Fig 28 palal.dur. meatl nasopharyng, r E en 
Ye Dr, A kgl Under Di CN Seilree ‚VRärdberr 5 lam. term choana lag vr 7 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 45 


dieser Muschel ist mit Respirationsepithel bedeckt und mit 
niederen schlauchförmigen Einbuchtungen versehen, die helles 
Cylinderepithel führen (Fig. 21, Concha media). Ähnlich ist 
die Schleimhaut im ganzen vorderen Teil der Hauptnasenhöhle 
beschaffen. Die obere oder hintere Muschel der Vögel ist 
eigentlich nur ein mit Riechepithel bedecekter muschelförmiger 
Wulst(Pseudoconcha), der dem Riech- oder Siebbein-Muschel- 
apparat der Säugetiere entspricht und als Erbteil der einzigen 
Muschel der Saurier zu betrachten ist; eine Differenzierung in 
mehrere muschelförmige Teile hat bei Vögeln noch nicht statt- 
gefunden. 

Die knorpelige Nasenkapsel geht bei Vögeln in den 
ausgewachsenen Zustand über, ist aber sehr dünn und setzt sich 
in die Muscheln hinein fort (Figg. 16—22). An der äusseren 
Seite liegen die Deckknochen und diese umfassen auch die Luft- 
räume. 

Der Gaumen der Vögel ist infolge des auswachsenden 
Schnabels eigentümlich gestaltet. In der Region hinter den 
äusseren Nasenlöchern, also soweit sich beiläufig die mittlere 
Muschel erstreckt, sind die Verhältnisse ähnlich jenen der Saurier, 
d. h. es ist ein gespaltener Gaumen vorhanden (Fig. 20, Fiss. 
palat. media), der sich Y-förmig in zwei laterale Arme teilt 
(Fig. 20, Fiss. palat. lat.); die Wände der Seitenarme werden 
oben vom Boden der Nasenhöhle, unten vom keilförmig median- 
wärts gewachsenen sekundären Gaumen gebildet. Der mittlere 
Schlitz der Gaumenspalte erstreckt sich aber rückwärts nur 
bis etwas über das vordere Ende der mittleren Nasenmuschel, 
hingegen findet man weiter vorne unter dem Nasenvorhof an 
Frontalschnitten (Fig. 16—19) eine dicke Substanzbrücke unter 
dem Vorhof bis an die Decke der Mundhöhle hinunter, in 
welchem vorne eine blinde Bucht der Nasenhöhle (Fig. 17 
Rec. inf. cavi nasi), ferner lateral der Oberkiefer (Figg. 16—19, 
Maxilla), und der Gaumensinus (Sinus palatin.) liegen, ausser- 


46 VICTOR v. MIHALKOVICS. 


dem sind ım der dieken Mundschleimhaut grosse Gaumen- 
drüsen (Gland. palat.) eingebettet. Diese ganze gemeinsame 
Substanzanlage unter dem Nasenvorhof bis an die Schnabelspitze 
entstand aus dem unteren Teil des embryonalen mittleren Nasen- 
fortsatzes (dem primären maxillären Gaumen), der sich mit der 
Ausbildung des Schnabels rostralwärts verlängert hat. Der 
Gaumensinus hat sich im Embryo von der hinten gelegenen Kiefer- 
höhle (Fig. 21, Sinus maxill.) her in den verwachsenden Prä- 
maxillarteil des Gesichtes erstreckt (Figg. 16—20, Sinus palatin.) 
und liegt dann unter dem mit geschichtetem Plattenepithel be- 
deckten lateralen Teil der Gaumenspalte (Fig. 20). 

Riechepithel ist nur an der oberen Muschel, und darüber 
an der Decke der Nasenhöhle vorhanden (Figg. 20 u. 21). Die 
mittlere Muschel und der grösste Teil der Nasenschleimhaut wird 
von flimmerndem Cylinderepithel bedeckt und an der Vorhof- 
muschel ist geschichtetes Plattenepithel vorhanden. An den mit 
Respirationsepithel versehenen Stellen sind niedere Falten vor- 
handen, zwischen welchen kryptenartige Vertiefungen liegen, 
deren Grund abgerundet und mit hellen Cylinderzellen bedeckt 
sind, — das sind einfache Schleimdrüsen. Eine grosse seröse 
Drüse liegt in der Region des hinteren Teiles der mittleren 
Muschel, an deren äusserer Seite sich bis zur oberen Muschel 
hinauferstreckend (Figg. 12—20, Gland. nas. lat.); der lange 
Ausführungsgang dieser Drüse zieht an der lateralen Wand der 
Nasenhöhle schräg nach vorne und unten bis an den Boden 
der Nasenhöhle, biegt dann plötzlich medianwärts um, und 
lagert sich im Niveau des vorderen Teiles der mittleren Nasen- 
muschel in die Substanzbrücke zwischen dem Boden der Nasen- 
höhle und den Gaumensinus hinein, zieht hier über den Ober- 
kiefer und unter der Schleimhaut des Nasenhöhlenbodens in 
frontaler Richtung medianwärts (Fig. 18, Duct. gland.), biegt 
dann nahe an der Medianebene über dem dieken N. nasopala- 
tinus nach aufwärts (Fig. 17, Duct. gland.), lagert sich in 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 47 


die Schleimhaut der Nasenscheidewand hinein und mündet hier 
im vorderen Teil der Nasenhöhle in eine kurze Spalte, die dem 
Ausführungsgang des Jacobsonschen Organs bei Nagetieren 
sehr ähnlich sieht (Fig. 16, Duct. gland.), 

An den mit stärkerer Vergrösserung gezeichneten F iguren 
der Taf. VII, sieht man an F ig. 39 den vorderen Teil der seit- 
lichen Nasendrüse (Gland. nasi lat.) an der inneren Seite 
des Bodens der Nasenhöhle, unter den sich der laterale Teil 
der Gaumenspalte (Fiss. palat. lat.) erstreckt; die Fig. 40 zeigt 
einen Frontalschnitt mehr nach vorne, an welchem unter dem 
Boden der Nasenhöhle der blinde Recess vorhanden ist (Cavi 
nasi pars inf.); darunter zieht über dem Gaumensinus (Fiss. 
palat.) der Ausführungsgang der seitlichen Nasendrüse median- 
wärts, erweitert sich während seines Verlaufes und zieht plötz- 
lich in vertikaler Richtung nach oben; der letzte Teil des 
Ganges (Duct. Jacobs.) ist bedeutend enger, wie der übrige. 

Damit sind wir mit der Beschreibung der Nasenhöhle zu 
Ende und wollen nun erörtern, wie es sich mit dem Jacob- 
sonschen Organ verhält. 

Über dieses ist man allgemein der Meinung, dass es bei 
Vögeln fehlt. v. Kölliker erwähnt von der Gans, dass er an 
dieser einen mit Cylinderzellen bedeckten Gang gesehen hat, 
dessen Beschreibung ganz auf den von mir vorher erwähnten 
Drüsengang passt. Dieser Gang geht nach Kölliker von der 
lateralen Nasendrüse ab, und zieht unter dem vorderen Stirn- 
knochen in einer Rinne zwischen diesem Knochen und Nasen- 
bein abwärts, durchbohrt etwas hinter dem knöchernen Nasen- 
loch die Knorpelwand der Nasenhöhle, erreicht so den Boden 
der Nasenhöhle, zieht hier neben dem Knorpel der Nasenscheide- 
wand nach vorne und mündet am Septum. Hier ist der Gang 
4—5 mm lang und 1 mm dick, und liegt über dem dicken 


!) @anins (13) Ansicht darüber ist mir wegen der wenig zugänglichen 
russischen Zeitschrift unbekannt. 


48 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


N. nasopalatinus. Der Lage und Mündung nach sieht dieser Gang 
einem Jacobsonschen Organ Ähnlich, da derselbe aber von 
der Nasendrüse kommt, ist derselbe Köllikers Meinung nach 


ein Drüsengang. 


Ich habe die Nasenhöhle der Vögel am Huhn, Ente, Trut- 
hahn und dem Spatzen an frontalen Serienschnitten auf das 
Jacobsonsche Organ untersucht, habe aber ansser dem oben 
angeführten vermeintlichen Drüsengang nichts dergleichen ge- 
füunden. Nun ist es jedenfalls auffallend, dass ein Organ in 
einer grossen Klasse der Wirbeltiere ohne eine Spur zu hinter- 
lassen schwindet, welches bei den nächsten Verwandten, den 
Sauriern, in der höchsten Ausbildung vorhanden ist; selbst beim 
Menschen ist das Organ in rudimentärer Form vorhanden, ob- 
gleich es auch bei diesem schon lange her ausser Funktion ge- 
treten ist, wie es die rudimentäre Form bei Affen beweist. Also 
wenigstens Spuren sollte man bei Vögeln erwarten, oder ein 
vorübergehendes Erscheinen im Embryo. Dies bewog mich den 
erwähnten Drüsengang näher zu untersuchen und habe an 
serialen Frontalschnitten beim Huhn folgendes gefunden. 


In der Region des vorderen Teiles der mittleren Nasen- 
muschel, also am Ende des Nasenvorhofes, ist die Schleimhaut 
der Nasenscheidewand wulstförmig verdickt (Taf. IV, Fig. 16); 
in den Wulst vertieft sich das geschichtete Pflasterepithel rinnen- 
förmig (Fig. 16, rechterseits), dann legen sich kaudalwärts die 
vorstehenden Ränder der Rinne lippenförmig aneinander, und 
vereinigen sich zur Bildung einer mit 2-, 3-, 4schichtigen Epithel- 
zellen bedeckten runden Röhre (Fig. 16, linkerseits) von 130 bis 
140 u Durchmesser, deren Epithel 30—40 u dick ist. Wenn diese 
Röhre nach einem kurzen Verlauf an der Scheidewand blind 
enden würde, hätte man ein ganz ähnliches Gebilde wie das 
rudimentäre Jacobsonsche Organ 4-6 Monate alter mensch- 
licher Embryonen (vergl. Fig. 68, Taf. X); das ist aber nicht der 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 49 


Fall, sondern der Gang setzt sich in den langen Ausführungs- 
gang der lateralen Nasendrüse fort und hat folgenden Verlauf. 


Nachdem der Gang von seiner Mündung am Septum (Taf. IV, 
Fig. 16, Duct. gland. Jacobs.) eine ganz kleine Strecke sich 
in horizontaler Richtung kaudalwärts fortgesetzt hat, biegt er in 
jähem Bogen nach unten und kommt im prämaxillaren Gaumen 
an die mediale Seite des unteren Recessus der Nasenhöhle über 
den dicken N. nasopalatinus zu liegen (Fig. 17, Duct. gland. 
Jacobs.); der rechte und der linke Gang liegen nahe anein- 
ander in der Substanzbrücke zwischen den erwähnten beiden 
Recessus, in welche sich eine Fortsetzung der knorpeligen Nasen- 
scheidewand hineinerstreckt. Diesen Teil des Ganges kann man 
als dessen ersten oder vertikalen Teil bezeichnen, nach welchem 
der zweite oder horizontale Teil folgt. Dieser liegt frontal (trans- 
versal) unter dem vordersten Ende der seitlichen Gaumenspalte, 
eingebettet in die Substanzbrücke zwischen dieser Spalte und 
dem Gaumensinus (Taf. IV, Fig. 18 und Fig. 40, Duct. gland.). 


Beim Übergang des vertikalen Teiles in den horizontalen 
ist an letzterem eine Erweiterung vorhanden (Fig. 40) und da 
der horizontale Teil überhaupt viel breiter wie der vertikale 
ist (120-150 «), sieht man denselben an Frontalschnitten der 
ganzen Länge nach angeschnitten; die Wand ist von zweischich- 
tigen Cylinderzellen bedeckt, und das Lumen mit einem Gerinnsel 
erfüllt, infolge der angewendeten Fixierungsflüssigkeit. Nach 
dem transversalen Teil des Ganges folgt dessen schräg aul- 
steigende laterale Fortsetzung, die als deren dritter Abschnitt 
benannt werden kann; dieser zieht an der äusseren Wand der 
Nasenhöhle gegenüber dem umgebogenen Teile der mittleren 
Nasenmuschel schräg nach hinten und nimmt die Drüsengänge 
der lateralen Nasendrüse auf (Taf. IV, Fig. 19 und Taf. VII, 
Fig. 39, Gland. nasi lat.), die zwischen dem Paranasalknorpel 
und dem Os frontale gelegen ist und eine ähnliche, aber im Ver- 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXIV/XXXV. Heft (11. Bd., H 1/2). 4 


50 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


hältnis kleinere seröse Drüse ist, wie die laterale Nasendrüse 
der Reptilien (bei Krokodil Gaumendrüse nach Röse, op, cit.). 

Der Funktion nach ist das beschriebene lange Epithelrohr 
der Ausführungsgang der lateralen Nasendrüse, morphologisch 
verhält sich aber die Sache anders. Meiner Auffassung nach 
sind am Gange 2 Teile zu unterscheiden: erstens der enge Ab- 
schnitt in der Nähe des Septums und zweitens der weitere Teil 
im Prämaxillarteil des Gaumens und an der seitlichen Wand 
der Nasenhöhle; ersteres halte ich für ein rudimentäres Jacob- 
sonsches Organ, letzteres für den Ausführungsgang der lateralen 
Nasendrüse, die sich mit dem ersten Abschnitt sekundär ver- 
einigt hat. Für diese Auffassung sprechen morphologische und 
und auch histologische Gründe. In morphologischer Beziehung 
kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die laterale Nasen- 
drüse der Vögel jener der Reptilien homolog ist, das beweist 
die Lage und Struktur hinlänglich. Bei Eidechsen und Schlangen 
verläuft der Ausführungsgang dieser grossen Drüse (vergl. 
Fig. 12, Taf. III, Gland. nasi lat.) zwischen Paranasalknorpel und 
den Deckknochen an der lateralen Wand der Nasenhöhle rostral- 
wärts und mündet hinter dem äusseren Nasenloch in den Vor- 
hof der Nasenhöhle. Dieses einfache Verhalten ist bei Vögeln 
abgeändert, wozu die eingreifende Veränderung des in die Länge 
auswachsenden prämaxillaren Gesichts zum Schnabel die Ursache 
war. Durch diese Verlängerung ist der lange Nasenvorhof vor 
dem äusseren Nasenloche entstanden, unter dem im prämaxillarem 
Gaumen von hinten her die Gaumenspalte und der Gaumen- 
sinus hineingewachsen sind ; mit dieser eingreifenden Veränderung 
wurde der Ausführungsgang der lateralen Nasendrüse von seinem 
ursprünglichen Verlaufe abgelenkt und gelangte in den Boden- 
teil der Nasenhöhle hinein, wo er sich mit dem Jacobsonschen 
Gange sekundär verbunden hat. So wurde aus der accessorischen 
Riechhöhle des Jacobsonschen Organes der Ausführungsgang 
einer Nasendrüse, aber nur der distale, sog. vertikale und engere 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 51 


Teil des Drüsenganges ist als Jacobsonsches Organ zu betrachten 
(Fig. 40, Duct. Jacobs.), weil nur in diesem das Epithel einem 
verkümmerten Sinnesepithel gleichsieht, ähnlich jenem reiferer 
menschlicher Embryonen, während im transversalen Teil des 
Ausführungsganges gewöhnliches Cylinderepithel vorhanden ist 
(Fig. 40, Duct. gland.). Das verkümmerte Riechepithel ist 
nur an Objekten, die mit Säuren nicht entkalkt wurden, zu er- 
kennen; dazu kann man reife Hühnerembryonen verwenden 
(wie die Objekte der Figg. 16—-22), weil diese sich auch ohne 
Entkalken schneiden lassen, während an ausgewachsenen Tieren 
die angewendete Säure die Grenzen der atrophischen Riechzellen 
undeutlich macht. 

Die Veränderung des Jacobsonschen Organes zum Endteil 
eines Drüsenausführungsganges erfährt eine Forterbung bei den 
Säugetieren, da auch bei vielen von diesen eine grosse seröse 
Drüse hinein mündet, nur ist das nicht die laterale Nasendrüse 
sondern eine andere am Septum gelegene mediale Nasendrüse, 
worüber unten weiteres folgt. 

Durch die angegebene Auffassung ist das Jacobsonsche 
Organ der Vögel erklärt, und das scheinbare Fehlen desselben 
in einer grossen Klasse der Wirbeltiere verständlich gemacht. 
Schon an Schildkröten ist das Organ in weniger vollständiger 
Form vorhanden, aber noch gut erkennbar. Über Krokodile 
bin ich nicht gewiss, ob die von Röse (42) angegebene Rinne 
am Septum das richtige Jacobsonsche Organ ist; hingegen 
passen die Verhältnisse der von Röse (op. cit.) beschriebenen 
Gaumendrüse und deren Ausführungsgang auf die Verhältnisse 
der Vögel. Jedenfalls ist aus dem Verhalten des Jacobson- 
schen Organes zu schliessen, dass die Stufe zu den Vögeln 
nicht durch die Saurier, sondern durch Vermittlung der Schild- 
kröten und Krokodile stattgefunden hat; mit der veränderten 
Lebensart ist die Funktion des Organes bei Schildkröten zuerst 
reduziert worden, dann ist ein Funktionswechsel eingetreten und 

4* 


52 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


das Sinnesorgan ist in den Dienst einer grossen Nasendrüse ge- 
treten. Zur Reduktion des Sinnesorganes haben morphologische 
Veränderungen im Prämaxillarteil des Gesichts beigetragen, was 
aber die physiologische Entbehrlichkeit des Organes betrifft, da- 
rüber kann man nur Vermutungen aufstellen. Dass die Schärfe 
des Geruchs durch den Verlust des Jacobsonschen Organes 
nichts eingebüsst hat, beweisen die Raubvögel, und so wäre nur 
an eine geschlechtliche Sinnesperception zu denken, die bei Vögeln 
durch Vermittlung des Auges besser besorgt sind. 


4. Säugetiere. 


Über die Nasenhöhle der Säugetiere haben Zuckerlandl'), 
und Seydel?) an einem reichhaltigen Materiale so vortreffliche 
Untersuchungen veröffentlicht, dass wenig nachzuholen ist 
und sich nur auf Details 'erstrecken kann. Solche wären die 
Darstellung der Muscheln und des Jacobsonschen Organes an 
Frontalschnitten. Letzteres haben jene Autoren nicht behandelt 
und meine Absicht war ursprünglich nur dieses Organ zu 
untersuchen, da ich aber nebenbei eine Vorstellung über den 
Bau der ganzen Nasenhöhle erhielt (vergl. auch meine früheren 
Abhandlungen 3), soll hier einiges davon vorgetragen werden. 

Ich teile also die Aufgabe in zwei Teile: 1. Betrachtung 
der ganzen Nasenhöhle, hauptsächlich zum Studium des Muschel- 
apparates an Frontalschnitten, und 2. das Jacobsonsche Organ. 

1) Zuckerkandl, E., Das peripherische Geruchsorgan der Säugetiere. 
Stuttgart 1887. — Normale und pathologische Anatomie der Nasenhöhle. 1. 
1882. II. 1892. — Realencyklopädie der gesamten Heilkunde. 2. Aufl., 1888. 
— Merkel u. Bonnet, Ergebnisse der Anatomie und Entwickelungsgeschichte. 
II. 1892. S. 274. 

2) Seydel, O., Über die Nasenhöhle der höheren Säugetiere und des 
Menschen. Morphologisches Jahrbuch, XVII. 1891. 

3) Mihalkovies, V., Anatomie und Entwickelungsgeschichte der Nase 
und ihrer Nebenhöhlen. Heymanns Handbuch d. Laryng. u. Rhinologie. 


IIf. Wien 1866. — Bau und Entwickelungsgeschichte der pneumatischen Ge- 
sichtshöhlen. Verhandl. d. anat. Gesellsch. zu Berlin, 1896. 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 53 


a) Muschelapparat. 


Den Begriff einer Muschel hat Gegenbaur') als „eine 
von der Nasenhöhlenwand her entspringende, selbständige, von 
einer einfachen Fortsetzung des Skeletts der Wand gestützte 
Einragung“ umschrieben. Insofern diese Definition eine „ein- 
fache“‘ Fortsetzung des Skeletts erfordert, können die von Schleim- 
haut bedeckten wulstförmigen Hervorragungen der Nasenhöhlen- 
wand nicht zu den Muscheln gezählt werden. Demnach sind 
die muschelförmigen Wülste der Reptilien und Vögel keine wahren 
Muscheln, sondern nur Pseudomuscheln, da sie nur bogen- 
förmige Einbuchtungen desSkeletts enthalten (vergl. Taf. III, Fig. 14 
und Taf. IV, Fig. 21). Trotzdem kann kein Zweifel obwalten, dass 
die Pseudomuscheln der Reptilien und Vögel mit den Siebbein- 
muscheln der Säugetiere homolog sind, denn sie liegen an ent- 
sprechenden Stellen und haben diesselbe Funktion (Vergrösserung 
der Riechfläche), ausserdem sind viele der sog. lateralen Siebbein- 
muscheln der Säugetiere weiter nichts als Vorbuchtungen des 
Skeletts und der Schleimhaut gegen die Riechregion. Solger’) 
hat die Frage aufgestellt, aber nicht beantwortet, wie aus einer ein- 
fachen Knorpellamelle eine einheitliche Platte entsteht, ob durch 
Auswachsen, oder Aneinanderlagerung der sich zugekehrten 
Flächen der eingebuchteten Partie und nachträgliche Verschmelz- 
ung derselben zu einer einheitlichen Platte? Von einer solchen 
Verschmelzung habe ich an verschiedenen Säugetier- und mensch- 
lichen Embryonen nichts gesehen, und die Alternative ist über- 
haupt nicht am Platze, denn die wahren Muscheln entstehen an 
Embryonen, wie ich gesehen habe, nicht aus gebogenen Knorpel- 
lamellen, sondern zuerst als frei vorwachsende Duplikaturen der 
Schleimhaut (wie auf Taf. XI, Fig. 77, Maxilloturb.), in deren 


1) Gegenbaur, Über die Nasenmuscheln der Vögel. Jenaische Zeitschrift 
f. Medizin und Naturwissenschaft. VII. 

2) Solger, Beiträge zur Kenntnis der Nasenwendung und besonders 
der Nasenmuscheln der Reptilien. Morphol. Jahrbuch, I. 1876. 


54 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


Innern sich das Mesenchym zu einer Knorpelplatte differenziert, 
die gleichzeitig mit dem Paranasalknorpel entsteht, aber nicht 
hinein wächst, sondern in loco gebildet wird. Nicht die Bil- 
dungsweise entscheidet den Charakter einer Muschel, sondern 
der Ort und die Funktion. 

Es giebt zwei Gattungen von Muscheln: Riech- und Respi- 
rationsmuscheln. Erstere [Ethmoturbinalia] liegen in der 
Siebbeingegend (Taf. V, Figg. 24, 25, 28, Ethmoturbin.; Taf. VI, 
Figg. 37 und 38, Ethmoturbin.), und diese sind mit Riech- 
epithel bedeckt. Die Respirationsmuschel [Maxilloturbinale] 
gehört der Oberkiefergegend der Nasenhöhle an (Taf. V, Figg. 24, 
25, 25, 28, Maxillaturb.; ferner Taf. VI, Figg. 33—55, Maxillo- 
turb.; Taf. VII, Fig. 45, Maxilloturb.); diese Muschel ist mit 
Respirationsepithel bedeckt und dient zur Erwärmung, Filtrie- 
rung und Befeuchtung der eingeatmeten Luft. Dabei ist es einer- 
lei, ob die Riechmuscheln nur vom Skelett gestützte Vorsprünge 
der Nasenschleimhaut, oder frei vorragende Lamellen sind. Um 
präzise Ausdrücke zu haben, ist es geraten für die Vorragungen 
den Namen der falschen Muscheln (Pseudoconcha) anzu- 
wenden, um diese von den frei vorragenden Muscheln [Concha] 
zu unterscheiden. Andere Autoren gebrauchen für die falschen 
Muscheln den Namen: Riech falten, Riechwülste [Zucker- 
landl], Nebenmuschel [Killian], vermischen damit aber 
auch die wahren Riechmuscheln, was wegen Verwirrungen zu 
meiden ist. 

Bekanntlich hat Broca') die Säugetiere inosmatische und 
anosmatische eingeteilt, denen Turner?)eine mikrosmatische 
Gruppe zugeteilt hat. Zu den anosmatischen gehören der 
Delphin und die Zahnwale (wahrscheinlich auch Ornithorynchus, 
Zuckerkandl, op. cit.), hingegen sind der Mensch, Affen, Barten- 


1) Broca, Recherches sur les centres olfactifs. Revue d’Anthropologie, 1879. 
2) Turner, The constitution of the brain. Verhandlungen des X. inter- 
nationalen medizinischen Kongresses zu Berlin, I]. Anat. 1891. 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 55 


wale und Pinnipedier mikrosmatisch. Die Bezeichnungen be- 
ziehen sich zunächst auf die Ausbildung des centralen Riech- 
apparates, dieser steht aber im Verhältnis mit dem peripherischen, 
sodass man aus einer besseren Ausbildung der Riechmuscheln 
auf eine vollkommenere Geruchsperception schliessen kann. 

Wie die Riechmuscheln, ist auch die Respirationsmuschel 
(Maxilloturbinale) sehr verschieden gestaltet, aber in Bezug 
auf die Komplizierung ganz unabhängig von der Geruchsperception, 
sodass die Säugetiere mit vielen Riechmuscheln eine einfachere 
Respirationsmuschel haben können (z. B. die Haustiere, Taf. V, 
Fig. 24) und umgekehrt (Fig. 28). Die Formen der Respirations- 
muschel sind oft sehr kompliziert, aber bei näherer Untersuchung 
doch zu entziffern, Harwood') hat zwei Hauptformen unter- 
schieden: 1. Die gewundene der Pflanzenfresser und 2. die 
verästigte der Karnivoren; diesen hat Zuckerkandl 3. die 
gefaltete der Nagetiere angeschlossen. Aber auch bei Nagern 
kommen gewundene Muscheln vor (z. B. bei der Maus, Taf. VII 
Fig. 45) und auch die Muschel der Insektivoren sind doppelt ge- 
wunden (z. B. Maulwurf, Taf. VI, Figg. 33—36), darum ist die Form 
der unteren Muschel zur Systematik nicht zu verwenden. 

Die gewundene Muschel ist einfach oder doppelt ge- 
wunden; den erstern Fall finden wir bei erwachsenen Menschen (wie 
in Fig. 61, Taf. X). Der obere Fortsatz der doppeltgewundenen 
Muschel kann gut ausgebildet sein (Taf. VI, Figg. 33 


55), oder 
ist nur durch eine schmale Knochenleiste vertreten (wie beim 
menschlichen Embryo, Taf. X, Fig. 62). Bei der verästigten 
Muschel gehen von den Windungen ästige Nebenfortsätze 
ab (Taf. V, Fig. 26); bei der gefalteten Muschel sind an der 
freien Fläche sagittal verlaufende Furchen vorhanden (Tat. V, 
Fig. 28). Bei all diesen Formen geht vom Anheftungsrande (Basal- 
lamelle, Seydel) eine gemeinsame Ursprungsplatte ab, diese hat 


1) Harwood, System der vgl. Anatomie und Physiol. Übersetzt von 
Wiedemann. Berlin, 1794. 


56 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


mehr oder weniger Nebenfortsätze, die sich dem Lebensbaum des 
Kleinhirns ähnlich verästeln (Taf. V, Fig. 26). Die einfach ge- 
wundene Muschel des erwachsenen Menschen ist nach unten gerollt; 
diese ist aus der doppelt gewundenen infolge einer Atrophie des 
oberen Fortsatzes entstanden, was man daraus schliessen kann, dass 
bei 4-5 Monate alten Embryonen (Taf. X, Fig. 62) eine obere 
Falte regelmässig vorkommt. (Vergl. die Bemerkung Fleischers 
11] 8. 7, und Zuckerkandls op. eit.). Auch die verästelten 
und gefalteten Muscheln der Säugetiere entstehen im Embryo 
aus einer doppelt gewundenen durch das Vorwachsen verschie- 
dener Nebenleisten, wodurch das Maxilloturbinale zu einem äusserst 
komplizierten Gebilde werden kann (Taf. V, Fig. 26), dessen 
Funktion darin besteht der respirierten Luft grössere Fläche zu 
bieten, um dieselbe beim Schnüffeln, Schnobern und dergleichen 
von Staubpartikelchen zu reinigen, zu erwärmen und zu befeuch- 
ten. Es ist eine bemerkenswerte Thhatsache, dass die Neben- 
leisten erst mit der Umbildung der Riechfunktion entstehen. 
Bei neugeborenen Kaninchen und Hunden ist die untere Muschel 
noch einfach, und die Nebenwülste und Falten entstehen erst 
später (s. auch Zuckerkandl, Ergebnisse d. Anat. II. S. 275). 

Die Respirationsmuschel der Säugetiere nimmt den vorderen 
Theil der Nasenhöhle ein, liegt hinter der äusseren Nasenöffnung 
und erstreckt sich je nach der Länge des Gesichtsschädels mehr 
(Taf. V, Fig. 24) oder weniger weit (Taf. V, Figg. 25 u. 28) nach 
hinten; über ihr liegt das Nasendach, sie erreicht aber dieses 
nicht, sondern ist von denselben durch das Nasoturbinale ab- 
gedrängt (s. unten). In der horizontalen Fortsetzung der unteren 
Muschel liegt der niedere kanalförmige Nasenrachengang 
(Figg. 24, 25 u. 28, Meatus nasopharyngeus), an dem zwei 
Teile zu unterscheiden sind: ein vorderer und ein hinterer. Der 
vordere Teil wird von der darüber gelegenen Riechregion durch 
eine horizontale Knochenplatte getrennt (Lamina terminalis, 
Zuckerkandl [Figg. 24 u. 25]), die sich transversal vom Sep- 


\ Bingen ara pa young an ug 
un een Ara 


6 
Bureind se Pur an name 98 Bır 


wunyoynd anuns'uadn qangoypixmıu 


(osbrmy) 
wosung pub 


(o4Buny) 
mosuaIg pund 


ponyjo ssıy 


(osbuny) 


-uosuajg punb ‚aunydas 


ıramur 
snuns 


nunydas 


7oDyj0 Bau 


7P2y0'SS17 


psmuso 
nganzouuygs 


ungqunjospu 


anganzgoung?7> 


"gunzosmu 


ASINPE arızoppıxmnı 
j NE ... sgoanfjonp E aargon? 
sgooDf unb.uo uosus7s pun]b aunjdas 111.499]08n14 72nPp 


sgoonf punyb. 


Ssgommfpnp 


romd >2jospu jonp 
suajs 
"pumjb jonp 


sup 


sua]s 
pund Ionp 
su2]s punjbpnp 


on Bau 


720710 


gunjopxpu 
Daa 


5 S 5 or 
1U149DJ0S5DU Jonp q4njospu p a susls pımb7 ıp 
! apsmıu so 
anq.ımospu 


Zr 
wg ungosnu 
‚Se Bir 
aramorın Zu. 
pro 
iu suap sgospf'I2np 


NUDE STIL, ungdes 1EMLqUS2A 


mf jonp 


"sojuap un Jospu Jonp 


u.49 
Dpospu'jonp 


% / sun7g punjd onp 
P / 


4 


xDauiaju so 
n aubar 7.409 


DE Diy 
VE (EI DEN) anna aen War Burpeyoy t oufahy Ppstutopmun” 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 57 


tum bis zur äusseren Wand der Nasenhöhle erstreckt (Taf. IX, 
Figg. 54 u. 55, Lam. termin.; Taf. VI, Fig. 38, Lam. termin.), 
nach vorne ist dieselbe bogenförmig ausgeschweift. Der hintere 
Teil des Nasenrachenganges liegt unter dem vorderen Teile des 
Schädelgrundes (Taf. V, Figg. 24 u. 28). Die Lamina terminalis 
ist als eine balkenförmige Fortsetzung der Schädelbasis, resp. 
des Keilbeines nach vorne in die Nasenhöhle hinein zu betrach- 
ten (Taf. V, Figg. 24 u. 25); von seinem Ursprunge geht die 
mehr frontal gestellte Siebplatte (Lam. eribr.) nach oben zur 
Schädeldecke und erreicht diese an der Grenze zwischen Nasen- 
und Schädelhöhle. 

Die Zahl der Riechmuscheln variiert bei Säugetieren 
von 3-9, die meisten haben fünf (Karnivoren, Nager, Insektivoren, 
Halbaffen, Beuteltiere), und diese Zahl kann als Typus genom- 
men werden, weil sie bei den Beuteltieren die Regel ist; schon 
bei Blumenbach!') findet man die Zahl 5 als Norm angegeben. 
Wir wählen zur Beschreibung das Kaninchen (Taf. V, Fig. 28; 
vergl. darüber auch W. Krause)?), die Katze (Fig. 25), ferner 
das Kalb (Figg. 24 u. 29), die Maus (Taf. VII, Figg. 46—49), und 
den Maulwurf (Taf. VI, Figg. 37 u. 38), teils in der Seiten- 


ansicht der Nasenhöhle, teils an Frontalschnitten. 


Wie an sagittal durchgeschnittenen Nasenhöhlen zu sehen 
ist (Taf. V, Figg. 24, 25 u. 28), erfüllen die Riechmuscheln die 
ganze hintere Region der Nasenhöhle vom Nasenrachengang bis 
an die Stirne hinauf, und bestehen bei Seitenansicht aus wulstigen 
Falten der Schleimhaut, die durch mehr oder weniger parallele 
Spalten (Fissurae ethmoidales) von einander getrennt sind. 
An Frontalschnitten erkennt man (Taf. VI, Figg. 37 u. 38), dass 
die Wülste zumeist aus doppeltgewundenen Muscheln bestehen, 


1) Blumenbach, Geschichte und Beschreibung der Knochen des 
menschl. Körpers. Göttingen, 1786. 

2) W. Krause, Anatomie des Kaninchens. 2. Aufl. Leipzig 1884. — 
Löwe, Beitr. z. Anat. d. Nasen- und Mundhöhle. Berlin, 1888. 


58 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


die gegen die laterale Wand der Nasenhöhle umgebogen sind; 
es kommen aber auch entgegengesetzt gewundene vor (in Fig. 38 
in der Mitte der Riechhöhle). In der Seitenansieht sieht man 
natürlich nur die bis an die Oberfläche vorragenden Teile der 
doppeltgewundenen Muscheln, die übrigen Teile und auch ganze 
Muscheln sind von den übrigen verdeckt und liegen in der 
Tiefe der Spalten, näher zur lateralen Wand der Nasenhöhle 
(Taf. V, Fig. 29); diese hat Zuckerkandl (op. eit.) als late- 
rale Riechwülste von den frei vortretenden medialen unter- 
schieden. Seydel hat sie Haupt- und Nebenmuscheln 
genannt. Ich schlage vor dieselben frei vorstehende und 
verdeckte Muscheln zu benennen, weil beide ganz gleich 
beschaffen sind und nur die Lage anders ist. 

Alle besitzen eine einfache Ursprungslamelle (Basallamelle) 
am Siebbeine, von der dem doppelt gewundenen Typus ähnliche 
umgebogene Lamellen abgeben; hingegen ist der einfach ge- 
wundene Typus seltener. Nach diesem Typus entwickeln sich 
die Siebbeinmuscheln im Embryo am Ende der Knorpelfort- 
sätze aus Verbreiterungen, die an Querschnitten pilzförmigen 
Vorsprüngen ähnlich sehen; diese sind noch im neugeborenen 
Tiere vorhanden (Taf. IX, Figg. 54 u. 55, Ethmoturb.) und die 
Seitenarme der Pilze wachsen erst nach der Geburt aus. 

Der ganze Komplex der Siebbeinmuscheln liegt in nächster 
Nähe vor dem Riechlappen (Taf. V, Figg. 25 u. 28), wo die 
Siebbeinplatte (Lam. cibr.) eine schräge Scheidewand zwischen 
Schädel- und Nasenhöhle bildet; vor der Siebbeinplatte liegen 
die Siebbeinmuscheln. An dem vorzüglichen Riechorgane der 
Katze (Taf. V, Fig. 25) haben sich die Muscheln derartig mäch- 
tig entfaltet, dass sie sich auch in die Nebenhöhlen hinein ge- 
lagert haben : oben in die Stirnhöhle (Frontoturbinalia), unten 
in die Keilbeinhöhle (Sphenoturbinalia). Der gemeinsame 
Charakter der Siebbeinmuscheln besteht darin, dass sie mit einer 


kurzen dünnen Falte an der Siebbeinplatte entstehen, den man 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 59 


Stielnennt (Schwalbe); dann folgt ein verbreiteter Abschnitt, 
die sogen. Anschwellung, endlich das verschmälerte vordere 
Ende, das sich in spitzem Winkel nach hinten umbiegt, und 
gemeinsam mit seinen Gefährten an eine schmale Leiste anheftet, 
die horizontal nach rückwärts zieht und sich mit der Lamina 
terminalis vereinigt (Taf. V, Figg. 24, 25, 28); man nennt dieses 
gemeinsame Anheftungsblatt die Haftfalte. Die Länge der 
Riechmuscheln nimmt von oben nach unten ab, dafür sind die 
unteren meistens breiter (Taf. V, Figg. 25 u. 28). Sie liegen mehr 
oder weniger parallel zueinander in fast sagittaler Richtung vom 
Nasendach bis an die Lamina terminalis. Die oberste Siehbein- 
muschel (Taf. V, Figg. 24, 25 u. 28, Nasoturb.) reicht an der 
Seite des Nasendaches über die Region des Maxilloturbinale 
bis in den Nasenvorhof hinein, ihr hinteres Ende liegt dem 
Thränen- und Nasenbeine an, das vordere erreicht den Nasen- 
fortsatz des Oberkiefers, — diese obere lange Riechmuschel ist das 
Nasoturbinale. An Frontalschnitten ist zu sehen, dass diese 
Muschel an ihrem hinteren Teile von der Nasenscheidewand 
oben abgeht und dort einfach gewunden ist (Taf. VI, Fig. 38); 
mehr nach vorne zieht sie sich auf die obere Wand der Nasen- 
höhle und besteht aus einer einfach in die Nasenhöhle hinunter- 
hängende lange Platte (Figg. 24 u. 25), die nach vorne zu all- 
mählich niederer wird (Figg. 30 u. 32) und dort den Ausführungs- 
gang der grossen Stenonschen Nasendrüse zur Seite hat (Duct. 
gland). Bei vielen Gattungen schliesst das Nasoturbinale in seinem 
hinteren Teile eine eigene Höhle ein, an deren Bildung auch 
das Stirnbein und der Stirnfortsatz des Oberkiefers teilnehmen; 
nach oben geht die Höhle ohne Grenze in die Stirnhöhle über 
und mündet für sich in die Nasemhöhle. Der vordere Teil des 
Nasoturbinale hat in der Tiefe einen von den übrigen Riech- 
wülsten verdeckten wichtigen Fortsatz, den Zuckerkandl 


1) Schwalbe, E., Über die Nasenmuscheln der Säugetiere und des 
Menschen. Sitzungsb. der phys.-med. Gesellschaft zu Königsberg, XXIII. 1882. 


60 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


Pars teeta im Gegensatz zur Pars libera bezeichnet; der- 
selbe ist homolog dem Siebbeinhacken des Menschen und wird 
daher zweckmässig Processus uncinatus genannt. 

Gleichwie die Katze besitzt der Maulwurf einen sehr ent- 
wiekelten Riechmuschelapparat, dessen Verhältnisse an den 
Frontalschnitten der Figg. 37—38 dargestellt sind. Hingegen 
sind die Riechmuscheln der Maus bedeutend einfacher gebaut 
(Taf. VIII, Figg. 48—50) und bestehen zumeist aus frei vorstehen- 
den Muscheln, während versteckte nur wenige vorkommen. Bei 
diesem Säugetiere und auch bei anderen ist die Wand der Ober- 
kieferhöhle mit der mächtigen Stenonschen oder sog. Krango- 
schen Drüse ') belegt (Taf. VI, Figg. 35-38; Taf. VIII, Figg. 
47-49, Gland. Stenon.), deren Ausführungsgang in der Nähe 
des Thränennasenkanales (Fig. 34, Duct. nosolacrim.) ver- 
läuft, dann aber weiter vorne an die äussere Seite des Nasotur- 
binale zu liegen kommt (Fig. 35). Der Thränennasengang zeigt 
insofern eigentümliche Verhältnisse, dass derselbe an der late- 
ralen Seite der Stenonschen Drüse sehr weit und einem Reservoir 
ähnlich gestaltet ist (Fig. 55, Duct. nasolacrim.); mehr nach 
vorne liegt derselbe unter dem Haftrand des Maxilloturbinale 
und ist dort bedeutend enger (Figg. 34 u. 35). 

Dass die Riechmuscheln der Säugetiere den Siebbeinmuscheln 
der Affen und des Menschen homolog sind, bedarf in Anbetracht 
ihres gleichen Verhaltens zum Siebbein keine Erläuterung, auch 
die Ausbreitung des Riechnerven in der Schleimhaut‘ und das 
Riechepithel lassen keinen Zweifel darüber. Dem widerspricht 
selbst der Umstand nicht, dass die mittlere Muschel des Menschen 
das Riechepithel eingebüsst hat; dieser Funktionswechsel ist aus 
der Verkümmerung der Geruchsperception und aus dem Umstande 
zu erklären, dass ähnliches teilweise auch an den Säugetier- 
muscheln eingetreten ist (z. B. an der lateralen Seite des Nasotur- 


1) Kangro, C., Über Entwickelung und Bau der Stenonschen Nasen- 
drüse der Säugetiere. Inaug.-Diss. Dorpat, 1884. 


Anatamische Hofe I.Aitheilung Heft ZVRT KW (BR 412) j Ense 


Fig. 39. 


os intermaxill. 


Fig. #2. 


concha media 


concha media. seplum ..—.- 


ductus Jacobs 


cavnasi.. 


f . cuv nasi 
gland.nasi. 
5 lat. 


duct Jacobs 


RE „gland lat 


n.nasopal nasi 


solum cavi.....- 
nasi, 


duet.gland 


nası lat 


palat. 


Fiss. palat.latı“ maxilla 
palatum..- 7 


‚proe. palalın 


n.olfact medial. carlil. septi. 
bulb. olfact. In.Jacobs.) bulb. olfact. =>. 


‚ol£ lat. 
n.ol£ laı gland. Jacobs. 


os ıntermux. 


gland. Jacobs 


duct ‚Jacobs 


os ıntermax, 


vestih.nasi 


2 - mnf#B m, VResbaden. 
Leu Dur. d Il Uhse Drudarei vH Seren Whireburg Fig. #. Velag vn 1 Bergmann, WRas® 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 61 


binale, Taf. VIII, Figg. 45—46), zum Zeichen, dass die vorderen 
Teile der Riechmuscheln zu Zuleitungsorganen zum mehr ge- 
schützten hinteren sensitiven Teil geworden sind. 

Einen speziellen Vergleich der Säugetiermuscheln mit den 
Siebbeinmuscheln des Menschen hat zuerst Schwalbe!) versucht, 
dessen Ansichten Zuckerkandl (op. eit) und Seydel (op. eit) mit 
einigen Modifikationen angenommen haben. Danach ist vor allem 
das Nasoturbinale von den übrigen Muscheln auszuscheiden ; 
diesem entspricht in der menschlichen Nasenhöhle keine Muschel, 
sondern das unscheinbare Rudiment einer solchen: der Agger 
nasi (H. Meyer)? Schwalbe hält den Processus uncinatus 
für die Haftfalte des Nasoturbinale, die die Lamina terminalis nicht 
erreicht hat. Seydel hat aber bewiesen, dass der Processus un- 
cinatus des Siebbeins ein übriggebliebener Teil des Nasoturbinale 
ist, der bei Anthiropoiden einen stumpfen Fortsatz nach unten ent- 
sendet ; dieser hat sich beim Menschen stärker entwickelt und die ÖfE- 
nung der Kieferhöhle von unten verlegt. Im hintern Ende des mitt- 
leren Nasenganges kommt öfters ein Schleimhautwulst vor (Tuber- 
euluminterturbinale, Zuckerkandl?), den Killian‘®) für das 
hintere Ende des absteigenden Schenkels des Nasoturbinale hält; 
diese Auffassung wird auch vonZuckerkandlgeteilt. Folglich ist 
der Siebbeinhaken eine versteckte Muschel (Nebenmuschel), nämlich 
der untere, von der mittleren Nasenmuschel verdeckte Teil des 
Nasoturbinale ; darum findet man diesen eigentümlichen Fortsatz 
immer unter dem Siebtrichter (Infundibulum ethmoidale), 
vorne bis an den Agger nasi reichend. Bei Föten und Neu- 
geborenen ist letzteres besser zu erkennen (Taf. IX, Fig. 59, Agger); 


i)SchwalbeG., Über die Nasenmuscheln der Säugetiere und des Men- 
schen. Sitzungsb. der phys.-med. Gesellschaft zu Königsberg. XXIII. 1882. 

2) Meyer, H., Lehrbuch der Anatomie. Leipzig, 1861. 

3) Zuekerkandl, E., Zur Muschelfrage. Monatsschrift für Ohrenheil- 
kunde 1897. Separatabdruck Berlin. 

4) Killian, G., Zur Anatomie der Nase menschl. Embryonen. Arch. für 
Laryngol. Bd. II, III, IV. 


62 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


_ 


es besteht aus einer verdiekten Stelle der knorpeligen Nasen- 
kapsel, die die Schleimhaut etwas vortreibt; später ist an deren 
Stelle eine knorpelige Verdiekung am Nasenbein vorhanden; 
wenn auch diese fehlt, ist das Gebilde nur durch eine dickere 
Stelle der Schleimhaut angedeutet. 

Nach Ausschaltung des Nasoturbinale bleiben noch 4 Riech- 
muscheln zum Vergleich mit den Siebbeinmuscheln des Menschen 
übrig. Meistens sind beim erwachsenen Menschen 3 Siebbein- 
muscheln vorhanden, es muss also in einer von den dreien ent- 
weder das Rudiment von 2 Riechmuscheln stecken (Schwalbe), 
oder jede Muschel entspricht nur einer Riechmuschel und die 
vierte ist verkümmert(Seydel, Zuckerkandl). Nach Schwalbe 
ist die mittlere Muschel des Menschen homolog der 2. und 
3. Riechmuschel der Säugetiere, die obere Muschel des Menschen 
der 4. und 5. Riechmuschel der Säugetiere, darum schlägt 
er vor die obere Muschel des Menschen als hintere zu bezeichnen. 
Killian (op. eit.) hat aber an menschlichen Embryonen be- 
wiesen, dass bei diesen immer 5-6 knorpelige Riechmuscheln, 
resp. Äquivalente derselben als Wülste erscheinen, von denen 
die oberen bald atrophieren und nur 3, selten 4, manchmal 2 
verbleiben. Es ist hier ein ähnliches Verhältnis vorhanden, 
wie an den Metameren der Wirbelsäule; es kommen keine neuen 
Einschaltungen oder Nichtentwickelung vor, sondern jede Muschel 
des Menschen ist immer derselben Muschel der Säugetiere homolog; 
die geringere Zahl beim Menschen ist nicht aus einer Nicht- 
entwickelung, sondern immer aus einer Atrophie einzelner Muscheln 
im Embryo entstanden. Die Atrophie muss nicht immer gerade 
die obersten Muscheln betreffen, es kann die 2. oder 3. ver- 
bleiben und die 4. atrophiert; dadurch kommen sehr wechselnde 
Verhältnisse zustande, über die Killians und Zuckerkandls 
sorgfältige Untersuchungen Aufschluss geben. 

Um die Homologie der Muscheln vollständig klar zu legen, 
ist eine Vergleichung des Ursprungs der Riechwülste mit jenem 


\ Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 63 


der menschlichen Muscheln notwendig. Hier ist eine bedeutende 
Veränderung eingetreten, denn während die Riechmuscheln der 
Säugetiere mit kurzen Stielen direkt von der Lamina cribrosa 
entstehen, ist von einem ähnlichen Verhalten beim Menschen 
und Affen nichts vorhanden; bei diesen haben sich die Ursprünge 
der Muscheln von der Siebbeinplatte zurückgezogen, und an 
deren Stelle ist eine glatte Schleimhautfläche getreten, die die 
enge Riechspalte lateral begrenzt. Trotzdem ist diese glatte 
Platte den Stielen der Riechwülste homolog; das erkennt man 
an dem allmählichen Entstehen derselben aus den Stielen bei 
Affen und Halbaffen der neuen Welt. Demnach muss der Ur- 
sprung der menschlichen Siebbeinmuscheln an die Lamina eri- 
brosa verlegt werden; verlängert man den vorderen Rand der 
mittleren Muschel nach aufwärts, so kommt man in die Gegend 
der Crista galli; das vordere Ende der mittleren Muschel liegt 
unter der Mittellänge der Lamina cribrosa; an diese Stelle ist 
der Ursprung (Stiel) der menschlichen Siebbeinmuscheln zu ver- 
legen, während die Haftfalte vom hinteren Ende des freien Randes 
repräsentiert wird in der Nähe des Keilbeinkörpers. Sobald das 
festgestellt ist, liegt einem Vergleiche in der Reihenfolge der 
Riechmuscheln kein Hindernis im Wege: die unterste (5.) Riech- 
muschel der Säugetiere ist der obersten (zumeist vergänglichen) 
Muschel des menschlichen Embryo homolog, beide liegen mit 
ihren Ursprüngen am nächsten zur Keilbeinhöhle; die obere 
oder sog. 2. Riechmuschel der Säugetiere entspricht der untersten 
Siebbeinmuschel des menschlichen Embryo, die später zur sog. 
mittleren Muschel wird, der Ursprung beider liegt nahe am Stirn- 
beine. Die zwischen den obersten und untersten Siebbeinmuscheln 
bei Säugetieren gelegenen Muscheln (die sog. 3. u. 4.) haben 
auch Äquivalente im menschlichen Embryo, aber zumeist atro- 
phiert eine von beiden, und die übriggebliebene kann entweder 
der 3. oder 4. der Säugetiere entsprechen (vergl. Killian und 
Zuckerkand)). 


64 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


Der Grund der Lageveränderung der Siebbeinmuscheln Hegt 
in der Umlagerung der Siebbeinplatte aus der frontalen Lage 
der Säugetiere in die horizontale beim Menschen; was beim 
Säugetiere oben liegt, kommt beim Menschen nach vorne zu 
liegen, und umgekehrt die unteren Teile kommen nach hinten. 
Während diese Lageveränderung bei den Anthropoiden angebahnt 
wurde und beim Menschen zur Vollendung kam, verkümmerte 
das Riechorgan; die Stiele der Riechmuscheln zogen sich von 
der Lamina cribrosa zurück, die lateralen (verdeckten oder Neben-) 
Riechmuscheln atrophierten und die medialen (Haupt-) Riech- 
muscheln nahmen eine einfache Gestalt an. Demnach ist die 
Verkümmerung der zahlreichen Riechmuscheln eine Folge der 
horizontalen Umlagerung der Riechplatte, die sich Hand in Hand 
mit der mächtigen Entfaltung des Stirnlappens eingestellt hat. 

Noch zwei Gebilde der menschlichen Nasenhöhle erfordern 
eine morphologische Betrachtung: die Keilbeinmuschel und die 
Bulla ethmoidalis. 

Über die Keilbeinmuschel (Ossieulum Bertini) sind die 
Ansichten einig, dass diese aus der Lamina terminalis der Säuge- 
tiere entstand. Letztere liegt unter dem hinteren Teile der Riech- 
region unter den hinteren Riechmuscheln und geht nach hiuten 
in die basale Fläche des Keilbeinkörpers über (Taf. V, Figg. 24 
und 25, Lam. term.; Taf. VIH, Fig. 50, Lam. term.). Wenn 
sich die Lamina cribrosa nach vorne umzulegen beginnt, kommt 
die Lamina terminalis in eine nähere Lage zum vorderen Teil 
des Keilbeinkörpers und verschmilzt zuletzt mit demselben. Die 
Riechmuschel in der Keilbeinhöhle schwindet schon vor der Um- 
lagerung der Lamina terminalis; dann bleibt vom ursprünglichen 
Zustand nur die leere Höhle übrig, die vermittelst einer engen 
Öffnung mit der Riechregion kommuniziert. — Die Bulla 
ethmoidalis ist weiter nichts als eine Nebenfalte der zweiten 
Riechmuschel, in die sich nachträglich eine grosse Siebbeinzelle 
hineingelagert hat; der Ursprung aus einer Riechfalte erklärt 
die konstante Lage der Bulla über dem Siebbeintrichter. 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 65 


Bei niederen Säugetieren liegt die Siebplatte fast vertikal 
(Taf. V, Fig. 24, Lamin. cribr.); je mehr man in der Säugetier- 
reihe aufwärts steigt, um so mehr nimmt sie eine schräg nach 
vorne geneigte Lage an (Figg. 25 u. 27); ihr vorderes Ende neigt 
sich mehr nach unten und das hintere wird gehoben, wodurch 
die Nasenhöhle an Höhe gewinnt. Mit der Neigung des rostralen 
Teiles der Siebplatte nach abwärts kommt die Nasenhöhle unter 
den vorderen Teil der Schädelbasis zu liegen (Taf. IX, Fig. 59), 
sie hat ihre präcerebrale Lage in eine infracerebrale umgetauscht; 
bei allen Säugetieren und bei den Halbaffen liegt sie noch prä- 
cerebral, bei den Anthropoiden liegt die vordere Hälfte prä-, 
die hintere infracerebral, bei den Primaten rückt der hintere Teil 
unter die Schädelbasis. Dass die Lageveränderung der Siebbein- 
platte und der ganzen Nasenhöhle auf die mächtige Entwickelung 
des frontalen Stirnlappens zurückzuführen ist, braucht nicht 
erklärt zu werden; zugleich ist einleuchtend, dass diese Zunahme 
eine Knickung der Schädelbasis an der hinteren Grenze des 
frontalen Lappens hervorbringen musste, also an einer Gegend, 
die an der Grenze zwischen vorderem und hinterem Keilbein- 
körper liegt. Bei Föten und Neugeborenen ist der Keilbeinkörper 
gestreckt (Taf. IX, Fig. 59), dementsprechend der unter ihm ge- 
legene Nasenrachengang lang, der Sphenooceipitalwinkel gross 
(Fig. 59, Prom. sphen.). Beim Erwachsenen nimmt der Keil- 
beinwinkel (Promontorium sphenoidale, Taf. V, Fig. 27) ab, 
die Höhe des Keilbeins nimmt aber zu; mit der stärkeren 
Kniekung wird der Keilbeinkörper kürzer und der hintere Teil 
des Nasenrachenganges auf die geringe Länge der Choane redu- 
ziert (Fig. 27, Choane). Mit der Knickung der Schädelbasis 
und Umlagerung der Siebbeinplatte in die horizontale Ebene 
stellt sich die Notwendigkeit einer Vergrösserung der Nasenhöhle 
ein: alle Gebilde, die bei Säugetieren in der Nasenhöhle vorne 
lagen (Taf. V, Figg. 24, 25, 28), kamen bei Affen und dem Men- 
schen in eine kaudalere Lage,, also auch das Maxilloturbinale, 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXIVXXXV. Heft (11. Bd. H. 12). 1) 


56 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


das eine einfachere Form erhielt und zur unteren Nasenmuschel 


wurde (Fig. 27, Taf. V, Concha inf.). 


Das Jacobsonsche Organ. 


Bei Säugetieren besteht das Jacobsonsche Organ aus einem 
im Verhältnis zur Nasenhöhle kleinen Epithelrohr am rostral- 
oralen Teil der Nasenscheidewand, nur bei den Monotremen 
ist eine verhältnismässig grosse accessorische Riechhöhle im 
Prämaxillarteil des Nasenhöhlenbodens vorhanden, die eine grosse 
Ähnlichkeit mit dem gut entwickelten Organe der Saurier zeigt, 
sogar im Verhältnis noch grösser und mehr differenziert ist, 
insofern darin ein muschelförmiger Vorsprung von der lateralen 
Wand in das Lumen vorragt. Insoferne ist bei Monotremen eine 
Abänderung eingetreten, dass die Mündung dieser accessorischen 
Nasenhöhle, die ebenso wie bei Sauriern nicht vom vorderen 
Ende des Organes abgeht, sondern etwas dahinter, nicht an der 
Decke der Mundhöhle neben der Gaumenpapille mündet, son- 
dern sich auf den Stenonschen Gang hinaufgezogen hat. In 
Bezug auf die eingehenderen Verhältnisse sind Symingtons (50) 
und Smith-Elliots (46) Abhandlungen über Ornithorhynchus, 
Parkers!) über Echidna einzusehen; das hier kurz Angeführte 
genügt zur Klarlegung, dass das Jacobsonsche Organ der 
Monotremen als ererbtes Organ von den Sauriern anzusehen ist, 
weil es eine ähnliche starke Entwickelung und hohe Differen- 
zierung zeigt. 

Von Beuteltieren hat Röse (41) das Jacobsonsche 
Organ an Opossum- und Wombatembryonen untersucht und ab- 
gebildet; dasselbe ist ein verhältnismässig grosses plattgedrücktes 
Rohr, ähnlich jenem der Nagetiere (s. unten), mit dem Unter- 
schiede, dass es in den Stenonschen Gang mündet. Diese 


!) Parker, Exhibition of and remarks upon some young speeimens of 
Echidna aculeata. Brit. associat. meeting. Aug. 1391 (Nature. 1891. 44). 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 67 


Abänderung ist von den Monotremen ererbt. Auch darin finden 
sich noch Anklänge an niederere Formen (Saurier, Ophidier), 
dass der Ausführungsgang nicht vom vordersten Ende des 
Örganes abgeht, sondern dahinter vom Boden; der Gang ist 
leicht nach unten abgebogen. In das hintere Ende mündet 
eine grosse Schleimdrüse (ähnlich wie beim Maulwurf [s. unten)). 
Das Epithel besteht an der lateralen Wand aus 1—2 Lagen 
kubischen Epithelzellen (Respirationsepithel), an der medialen 
Wand ist hohes Sinnesepithel, und hier dringen Äste des Riech- 
nerven in das Epithel. Aus dieser Beschreibung und den bei- 
gefügten Abbildungen ist zu ersehen, dass das Jacobsonsche 
Organ der Beuteltiere (ob bei allen, ist vorderhand nicht auszu- 
sagen), ganz ähnlich gestaltet ist, wie jenes der Nagetiere, mit 
dem Unterschiede der Mündung, die noch an niedere Arten er- 
innert. Es ist also eine grosse Differenz zwischen dem Jacob- 
sonschen Organe der Prototherien und der Beuteltiere, was auf 
ein Verschwinden einer grossen Gruppe von Säugetieren zwischen 
beiden Arten schliessen lässt. 


Von den übrigen Säugetieren sind von allen Gattungen einige 
Species untersucht, so hat Klein (22—24) von den Nagetieren 
das Meerschweinchen und Kaninchen, Löwe!) das Kaninchen, 
Harvay-Reuben (16) die Maus, Garnault (14) und Herz- 
feld (17) die Ratte, von den Insektivoren Harvay-Reuben 
(16) den Igel, von den Huftieren Dursy?) das Schwein, Ba- 
logh (2) das Schaf, Rauge (36) das Kalb; von den Karni- 
voren Klein (25) den Hund, Harvay-Reuben (16) die Katze 
u. s. f. untersucht. Über die Cheiropteren liegt eine Abhand- 
lung von Duval und Garnault (10) vor, die mir aber unzu- 
gänglich war. Über die Affen ist mir nichts Näheres in der 
Litteratur bekannt. 


1) Loewe, L,., Beiträge zur Anatomie der Nase und Mundhöhle. Berlin, 1888. 
2) Dursy, Entwickelungsgeschichte des Kopfes. Tübingen, 1869. 


5* 


68 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


Jacobson (19) hat das nach ihm benannte Organ im Jahre 
{S1l an Wiederkäuern und Nagetieren entdeckt, und dem da- 
maligen Stande der Technik gemäss bloss makroskopisch be- 
schrieben. Diese Abhandlung wurde durch Cuvier der Pariser 
Akademie unterbreitet. Jacobson sah im Organ ein Gebilde, 
das zur Feuchthaltung der Mundhöhle dient, während Cuvier 
aus dem Grunde, weil das Organ in den Stenonschen Gang 
mündet, darin ein Organ erkennen wollte, das die nützlichen 
Nahrungsmittel von den schädlichen unterscheidet. Nach Jacob- 
son haben Reifstock!) und Rosenthal?) am Schafe Abhand- 
lungen über diesen Gegenstand geliefert, ohne etwas wesentlich 
Neues zu sagen. Gratiolet (15) kam schon etwas weiter, und 
der erste, der das Organ histologisch untersucht hat, war Leydig), 
der in seinem Lehrbuche der Histologie darüber so viel erwähnt, 
dass dessen Höhle mit flimmerndem Cylinderepithel ausgekleidet 
ist; zum Gang gehen Äste des Riechnerven und Trigeminus. 

Nach Leydig hat ©. Balogh das Jacobsonsche Organ 
des Schafes genau untersucht und pünktlich beschrieben, und 
erkannte als erster, dass an dessen medialer Wand unter den 
Cylinderzellen auch die von M. Schultze entdeckten Riech- 
stäbehen vorkommen. Da er aber dem Stande der damaligen 
mikroskopischen Technik gemäss nur mit der Moleschottschen 
Flüssigkeit arbeitete, hat er die Verhältnisse dieser Riechstäb- 
chen zum Riechnerven nicht feststellen können. Ausserdem 
beschreibt Balogh sehr genau die Verhältnisse des Jacobson- 
schen Knorpels und war der Meinung, dass dieser ein wesent- 
liches Attribut des Organes ist, was sich seitdem freilich nicht 
bestätigt hat. Er unterscheidet verschiedene Teile an diesem 


1) Reifstock, Dissertatio de structura organi olfactus mammalium 
nonnulorum. Tübingae, 1823. 

2) Rosenthal, Über das von Jacobson in der Nasenhöhle entdeckte 
Organ. Tiedemann und Treviranus. Zeitschrift für Physiologie II. 1896. 
8.289 8, XTV. 

3) Leydig, Lehrbuch der Histologie. Frankfurt, 1857. S. 218. 


errungen Dom Barigu.snpa: zarması ra asngmaz ann DAHER 


IC Prq 


"sqoanf 'smıao7 
sqoanf J3nY 1u0A 


"D40U49A02°072] 


£ \ J. ı - - „josm Ins'1550" hi 
Ulaand Ri r 2 7 Jdasn.nd 1]4n3 


sgoanf'pnp DE. yonp 17daspıup3 
‚sgoapp pumb 
‚PuDy 


„dasn.ımd z1v9 


17das '7.1m0 Be 


"das ERUFE) 


swaruior 
‚or did 


ındsa Ba - 
buksıoydospu snvoau 


oc Di 
suop Z 


sup 


mxmu 7oR710 02034 (osBuny) _ 
! sua)s PuDjb- 


ydospu 
SmDaui 


uno] 
un] 


: 3 ‚qumoudyga 
Io Asa Popypo ging 


qunzorlge EN \ 


qunzowyga ‚79971001624 


oXpue psmui so 


20 gTa und dnd-... | 
9 DIR; uUosusjg 72ap =. 


'Ssgos2f unb.uo MaruoA sqoanf unb.o 


"MxXDAU2D Ad So 
xmıuan.ud: A 


HUOA SPUD41nd 4400 - 


BETT 


-ospu Jonp ou suap . 
40m] 
-085741 J2NP 


'susp 


£ gun? 
Susp "quiajsjpıxpuu open 
(osbuny) . 
ARD "uosusg pup7d mir 
xmu-uıs 
qunjosernı (qungosamit 
Boss ıspu ana ru en 
"aposnu so asmu ano 2 
psp so SU aDO 
"Na IDI {= 7 vrna se \: nrw Zinn alu BUDB23D2"I 322 BH DIBCNUNIDIN 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 69 


Knorpel (obere und untere Bogenlamelle, vorderer oder Stenson- 
scher Knorpel etc.), die, da man jetzt weiss, dass das Jacob- 
sonsche Organ vom Knorpel unabhängig ist, bedeutungslos 
sind. Auch der Drüsen thut Balogh Erwähnung, von denen 
gesagt wird, sie stülpen die laterale Wand gegen das Lumen vor 
(sog. Drüsenwulst), wodurch das Organ an Querschnitten eine 
halbmondförmige Gestalt erhält. Die Ränder des Halbmondes 
nennt Balogh innere und äussere Drüsenfurche, hier münden 
die Drüsengänge. Bezüglich der Funktion ist Balogh der 
Meinung, dass es zweifelhaft ist, ob das Organ zum Beriechen 
der Nahrungsmittel dient, darüber sollten Versuche durch Aus- 
füllung des Lumens mit heissem Talg angestellt werden. Das 
Jacobsonsche Organ des Schafes ist nach Balogh 62 mm lang, 
das Epithel 50—76 u hoch, das Lumen in der Mitte 0,80 « 
weit; letzteres ist mit zähem Schleim angefüllt. 

Nach Balosh haben Klein (22—25), Löwe (op. eit.), Gar- 
nault (14), Fleischer (11) das Jacobsonsche Organ ver- 
schiedener Säugetiere untersucht (s. oben), von denen die Ar- 
beiten Kleins die eingehendsten sind. Seine Untersuchungen 
erstrecken sich auf das Kaninchen, Meerschweinchen und den 
Hund, und behandeln auch die feinere Anatomie des Organes. 
Meine unten folgenden Beobachtungen korrespondieren ganz mit 
jenen Kleins, nur dass ich zur Beschreibung andere Tiere 
wählte; ich habe aber auch den Hund, Kaninchen, Maus u. s. f. 
untersucht. Einige von Kleins Beobachtungen sollen hier an- 
geführt werden. Vom Kaninchen wird angegeben, dass der 
Jacobsonsche Gang 1,5—2 cm lang ist, und in einer halb- 
mondförmigen Knorpellamelle liegt, die vorne lateral in den 
Knorpel der unteren Nasenmuschel übergeht, mehr hinten eine 
vollkommene Kapsel um das Organ bildet und sich bis zum 
Ende des Ganges erstreckt. Die Mündung ist nahe am Boden 
der Nasenhöhle und nicht in den Stenonschen Gang. In der 
Mündung ist geschichtetes Pflasterepithel, während im Hauptteil 


ii) VICTOR v. MIHALKOVICS, 


medial Riechepithel, lateral Respirationsepithel vorhanden ist. 
Die in der Umgebung liegenden acinösen Drüsen sind serös und 
umgeben das Rohr rundherum, ausgenommen den Boden, wo 
Schwellgewebe liegt; hier sind longitudinal verlaufende, weite 
Venen und dazwischen radiär gestellte glatte Muskelfasern, die 


den Herzmuskeln gleichen, d. h. aus Fibrillen zusammengesetzt 
sind und mehrere Kerne enthalten. An der lateralen Wand ist 


in der Submukosa Iymphatisches Gewebe vorhanden, und auch 
Lymphfollikel liegen dort (Jacobsonsche Drüse, Löwe). Unter 
dem Epithel ist ein subepitheliales Nervengeflecht, von dem mark- 
lose Fasern bis zu den Riechstäbchen ziehen und mit diesen zu- 
sammenhängen. Das Riechepithel ist ähnlich jenem in der Regio 
olfactoria. 

Das Meerschweinchen unterscheidet sich nach Klein 
in Bezug auf das Jacobsonsche Organ vom Kaninchen nur 
darin, dass der Jacobsonsche Knorpel sich nicht bis zum 
kaudalen Ende des Ganges erstreckt, sondern früher aufhört und 
das hintere Ende des Organes sich in die Knochensubstanz des 
Pflugscharbeines einbettet. Im hintersten Teile des Organes ist 
kein Sinnesepithel mehr, sondern bloss Flimmerepithel. Ganz 
hinten ist das Organ von Drüsen umgeben. Die übrigen Ver- 
hältnisse sind ähnlich jenen des Kaninchens, auch die Mündung 
und das Schwellgewebe. Im Respirationsepithel liegen viele 
Riechzellen. Die Kerne der Riechzellenschicht liegen in 5—12 
Lagen. — Beim Hunde fehlt das kavernöse Gewebe an der 
lateralen Wand; in der Riechzellenschicht liegen die Kerne nur 
in 2-3 Lagen (im ganzen 0,05—0,1 mm dick), und von dem Ende 
der Riechzellen gehen feine Härchen ab. 

Über das Verhältnis der Sinnesepithelien zu den Nerven 
konnte erst mit dem Erfinden der Golgischen Methode eine 
klarere Einsicht gewonnen werden. Ich selbst habe an Schwein, 
Katze und Schlangen (Coluber) die Darstellung mit jener Methode 
versucht, aber keine befriedigenden Resultate erhalten, wahr- 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 1 


scheinlich, weil ich erwachsene Tiere benützte. v. Brunn (9) 
hat mit der Golgischen Methode am Schafe gearbeitet, und 
Riechzellen erhalten, deren basales Ende sich in Olfaktorius- 
fasern fortsetzten (Taf. XXX, Fig. 12). M. v. Lenhossek (28) 
hat an einem 30mm langen Kaninchenembryo mit der raschen 
Golgischen Methode Stützzellen, Riechzellen und zwischen 
diesen bis an den Saum des Organes hinaufziehende Terminal- 
fasern gefunden. Die Stützzellen beschreibt v. Lenhossck als 
eylindrische, säulenförmige Elemente, die vom unteren Rand des 
Epithels bis an den inneren Rand hinaufziehen, an der Stelle 
des Kerns ist die Zelle verdickt; die Ränder der Zellen sind 
etwas zackig unregelmässig und am peripheren Ende ist kon- 
stant eine kegelförmige, fussartige Verbreiterung vorhanden (wie 
an den Müllerschen Fasern der Retina), während das freie 
Ende am Lumen scharf abgeschnitten endet. Riechstäbehen sind 
nicht nur an der medialen Wand vorhanden (Balogh, Klein), 
sondern auch an der lateralen Seite und an den Ecken, also 
rundherum; die Stäbchen sind bipolar, der elliptische grosse Kern 
ist nur mit wenig Protoplasma umgeben; derselbe liegt meistens 
in der äusseren Hälfte des Epithels. Der periphere Fortsatz 
zieht sich in eine zarte variköse Nervenfaser fort, die sich in 
der Submukosa ungeteilt mit andern Fasern zu plexusartigen 
Bündel verflechtet. Die Terminalfasern kommen vom Centrum 
und dringen in das Epithel ein, durchsetzen es bis an die 
Oberfläche und enden dort konstant mit einem Knötchen, — die 
Fasern sind von zarter, variköser Beschaffenheit, wie die Ol- 
faktoriusfibrillen, sie durchsetzen das Epithel senkrecht in welligem 
Verlauf. Ob diese Terminalfasern vom Olfaktorius stammen, 
oder sensible Fasern des Trigeminus sind, kann Verfasser nicht 
entscheiden. 

Meine Untersuchungen erstrecken sich auf das Kaninchen, 
Maus, Maulwurf, Schwein, Kalb, Hund und Katze, an teils mit 


Zenkers, teils mit Flemmingscher Flüssigkeit behandelten 


72 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


Objekten. Dem Wesen nach ist das Jacobsonsche Organ bei 
allen gleich beschaffen, d. h. es ist ein mit Sinnesepithel aus- 
gestattetes Rohr am rostral-oralen Ende der Nasenscheidewand, 
das mit jenem der anderen Seite gleich den Läufen einer Doppel- 
flinte in sagittaler Richtung liegt. Das Rohr ist immer in der 
Nähe der Crista des Zwischenkiefers und in der Nähe des Pflug- 
scharbeins, darum hat es von der anatomischen Nomenklatur- 
kommission den Namen Organum vomeronasale(Jacobsoni) 
erhalten. Auch darin stimmen alle Säugetiere überein, dass in 
der Umgebung des Rohres acinöse Drüsen (Gland. Jacobsoni) 
vorkommen und von oben Äste des Olfaktorius zu den Sinnes- 
epithelien herantreten. In den übrigen Verhältnissen sind aber 
mancherlei Unterschiede vorhanden, vor allem in Bezug auf die 
Mündung, die schon von den Nagetieren angefangen immer am 
vordern Ende des Kanales angebracht ist, aber entweder in den 
Stensonschen Gang, oder an dessen oberem Ende am Boden 
der Nasenhöhle, oder noch höher, aber immer nahe dem Sten- 
sonschen Gang am Septum frei mündet; die Öffnung ist immer 
bedeutend enger, als der Kanal selbst. Es existiert keine 
Stufe in Betreff der Öffnungsstelle, in dem Sinne, dass dieselbe 
etwa bei der phylogenetischen Entwickelung von unten hinauf- 
gewandert wäre, denn bei Nagetieren mündet sie am Septum, 
wie beim Menschen (Taf. VII, Fig. 51; Taf. X, Fig. 67), 
während sie bei allen anderen Säugetieren in den Stensonschen 
Gang mündet (Taf. VII, Fig. 42). Ein fernerer Unterschied be- 
trifft die Form des Kanals: bei den meisten Säugetieren ist dieser 
an Querschnitten halbmondförmig, mit einer dickeren medialen 
und dünneren lateralen Epithelwand (Taf. VIII, Fig. 52); nur 
beim Maulwurf habe ich den Kanal der ganzen Länge nach 
drehrund gefunden (Taf VI, Figg. 32—35); bei den übrigen ist 
nur das rostrale engere Ende des Kanals rund. Auch zum Para- 
septalknorpel (Cart. Jacobsoni) sind variierende Verhältnisse 
vorhanden, indem der Kanal entweder in einer von diesem 


vepogiau Turn un Dopa 


zus Pnp 


sung 02 - 


mndsa.ı 01694» 


aunynjnd 


nypremau 


sgosmf "unbıo -- 


nadsou Dar 


qanjoypıxmu 


ow sup. 


om _.... 


nydospu joa. 


’qunjosnu 


das ma 


8140 1mO 


"ua up] 


210 bau 


1114n3 1unydas 


"una um] 


6e bıa 


au Dyau09 
& 5 qıpunpur 
2 "parumauı 


uands yuowoad onng una 


- apnsou 
so 


»hbn 


you nyauos 


pıouayds so 


pa mau oa 
wwa.ıcdıs nyDtos 1q1-419 un 7 
woriadns piyon10oo 


Be Bid 


2 sg099f Jpnp 


sgasnp pub 


(sgosnf‘) 
sıypyd2sn.nd 11-03 


@goanf) 
1daspand 117.103 


uunnod. nechrr 


Dppixpua 


mau 
und so 


ndas-1.4na 
rm 
snuus 


Jo Jouny» 
0 hau 


qunzo ung 


, qunzeulyrs 


2jpspu se 


nzuoAy so 
(== 7 1720 8 I) 1vvr /ırrvv17 2 Prnnanoe 4 IH HRBSYHOIDIH 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 15 


Knorpel gebildeten Hohlkehle (Taf. IX, Fig. 56), oder stellenweise 
in einem Knorpel oder Knochen liegt, wie z. B. bei vielen Nage- 
tieren, Karnivoren, Ungulaten, während das Organ beim Maul- 
wurf keine Beziehung zum Jacobsonschen Knorpel hat (Taf. VI 
Figg. 33—34), weil lelzteres ganz klein und über dem Organe 
am basalen Ende des Septums liegt; dafür ist der Jacobson- 
sche Gang hei diesen stellenweise in die Substanz des Pflug- 
scharbeins eingebettet (auch beim Meerschweinchen, Klein). 

Da das Jacobsonsche Organ des Maulwurfs noch nicht 
beschrieben ist und manche abweichende Verhältnisse von den 
übrigen Säugetieren aufweist, wähle ich dieses Tier zur Grund- 
lage der speziellen Beschreibung. 

Maulwurf. An Frontalschnitten aus den mittleren Teilen 
des Organes — also ausgenommen dessen rostrales und kaudales 
Endstück, — misst der fast drehrunde Kanal beim Jausgewach- 
senen Tiere 0,2380—0,320 mm, wovon 80 « auf das Epithel ent- 
fallen; das freie Lumen ist 0,14—-0,16 mm (Taf. VI, Fig. 33; 
Taf. VII, Fig. 43, Duct. Jacobsoni). Das Epithel ist rundherum 
gleichmässig beschaffen, also von einer Differenzierung in 
Sinnes- und Respirationsepithel, wie es bei den übrigen Säuge- 
tieren die Regel ist, ist nichts vorhanden. Das weist auf einen 
primitiveren Zustand hin, so wie es bei Batrachiern der Fall ist, 
wo der distale, zu einem kurzen drehrunden Rohre ausgewachsene 
Teil des Organes rundherum gleichmässig dickes Epithel führt 
(vergl. Taf. I, Fig 4). Das Epithel besteht beim Maulwurf aus 
radiär gestellten schlanken Oylinderzellen mit langen Wimper- 
haaren, zwischen welchen schlanke Riechstäbchen liegen; die 
ovalen Kerne der Zellen liegen in 3—4 Reihen. Die Wimper- 
haare sind in ein dickes schleimartiges Gerinnsel eingelagert, 
welches das Lumen des Kanales grösstenteils erfüllt; das Ge- 
rinnsel ist zweifelsohne als Produkt der angewendeten Fixierungs- 
tlüssigkeit aus der schleimartigen Absonderung der umliegenden 
Drüsen entstanden. In der Umgebung des Kanales liegt Binde- 


74 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


gewebe und darin ziehen marklose Äste des Olfaktorius an das 
Epithel heran. Das ganze Gebilde liegt am ventralen Ende der 
Nasenscheidewand, gleich am Nasenhöhlenboden, nahe dem 
vertikalen Aste des Y-förmig gestalteten Pflugscharbeines, einge- 
bettet in eine Rinne dieses Knochens (Taf. VIL, Fig. 43, Vomer.). 
In die obere Hohlkehle der divergierenden Äste des Vomer 
lagert sich die vertikale Platte des Siebbeins hinein (Cart. sept.), 
die in ihrem Innern Hyalinknorpel enthält. Über dem Jacob- 
sonschen Gange, in der Nähe des oberen Seitenastes des Pflug- 
scharbeins, liegt der kleine Jacobsonsche Knorpel (Öartil. 
paranas.), dieser hat also keine nähere Beziehung zum Jacob- 
sonschen Gange. Das beweist, dass das Jacobsonsche Organ 
ganz unabhängig vom Paraseptalknorpel ist; alle an der Basis des 
Septums vorne gelegenen Knorpelstücke sind weiter nichts, als ab- 
gegliederte Teile der knorpeligen Nasenscheidev and, und gehören 
in ein und dieselbe Kategorie wie die übrigen abgegliederten 
Teile am Eingang des knorpeligen Ringes (Anulus cartilagi- 
neus nasi), z. B. die grösseren und kleineren Nasenflügel- 
knorpel. Dass dem so ist, beweist unter anderem auch der 
Umstand, dass bei Nagetieren die untere umgebogene Lamelle 
des Paraseptalknorpels rostralwärts mit dem Knorpel der unteren 
Nasenmuschel zusammenhängt (s. unten). 

An der lateralen Seite des Jacobsonschen Organes liegen 
beim Maulwurf in der Schleimhaut seröse Drüsen (Taf. VI, Fig. 
33; Taf. VII, Fig. 43, Gland. Jacobs.), deren enge Ausführungs- 
gänge an verschiedenen Stellen in das Rohr hineinmünden. 
Diese sind homolog der medialen (Jacobsonschen) Nasendrüse 
der Amphibien. Kaudalwärts wird die Drüsengruppe mächtiger, 
der Jacobsonsche Gang aber enger (Taf. VI, Fig. 34; Taf. VII, 
Fig. 44, Gland. Jacobs.) und teilt sich nachher in einige Äste, 
die aber kein Sinnesepithel mehr führen, sondern gewöhnliches 
einschichtiges Cylinderepitbel mit Kernen in 1—-2 Reihen. Die 


Äste des Jacobsonschen Kanales nehmen die Ausführungs- 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 75 


sänge der grossen Septaldrüse auf, die am kaudalen Ende des 
Jacobsonschen Organes liegt, es dient also dieses Organ neben- 
bei als Ausführungsgang jener Drüse. 

Das rostrale Ende des Jacobsonschen Ganges ist beim 
Maulwurf enger als der Hauptteil und enthält nur gewöhnliches 
Cylinderepithel (Taf. VI, Fig. 32, Duet. Jacobs.); ganz vorne 
biegt der enge Gang im Knie gebogen oralwärts und mündet 
unter dem Zwischenkiefer an der medialen Seite des Stenson- 
schen Ganges (Taf. VI, Fig. 31; Taf. VH, Fig. 42, Duet. Ste- 
non.); letzterer ist weiter wie der Jacobsonsche Kanal, und 
beide führen hier geschichtetes Pflasterepithel. 

Maus. Einen anderen Typus hat das Jacobsonsche 
Organ der Nagetiere, von welchen Klein das Kaninchen (24) 
und das Meerschweinchen (23) eingehend beschrieben hat (siehe 
oben). Ähnlich diesen ist das Organ bei der Maus und der Ratte 
gestaltet, von welchen das erstere Harvay-Re uben (16), das 
letztere Garnault (14) und Herzfeld (17) beschrieben haben, 
aber keine Abbildungen beigegeben sind. Um diese Lücke aus- 
zufüllen, dienen die Abbildungen der Figg. 46 und 47 bei schwä- 
cherer, und 51-53 der Taf. VIII bei stärkerer Vergrösserung 
von der Maus, an der ich folgendes gefunden habe. 

In der vorderen Gegend des Jacobsonschen Kanales (Figg. 
46 u. 52) erhebt sich das Pflugscharbein (Vomer) in der Median- 
ebene gabelförmig mit zwei schlanken Leisten gegen den Septal- 
knorpel (Cart. septi), und an der Seite dieses Knorpels liegen 
die kleinen Paraseptalknorpel (Cart. parasept.). Also auch bei 
der Maus ist der Jacobsonsche Kanal unabhängig vom Para- 
septalknorpel, was umso bemerkenswerter ist, als bei anderen 
Nagetieren (Kaninchen, Meerschweinchen) ganz andere Verhält- 
nisse obwalten, insofern der Kanal in einer Hohlkehle des Knor- 
pels liegt, oder auch ganz davon umgeben ist (s. darüber Klein 
23, Taf. VII, Fig. 1 u. Taf. XXX, Fig. 4). Der Jacobsonsche 


Kanal liegt bei der Maus — auch bei anderen Nagetieren — 


76 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


am Septum etwas über dem Boden der Nasenhöhle, in einem 
gegen die Nasenhöhle stark vorspringenden Schleimhautwulst 
(Torus Jacobsoni), verengt sich an seinem rostralen Ende stark 
(Fig. 51 rechterseits), dort wird auch der Wulst niederer, und 
vorne über dem Stensonschen Gange mündet der Kanal in 
eine oralwärts gekehrte Furche, also frei in die Nasenhöhle hin- 
ein (Fig. 51 linkerseits). Der ganze Kanal liegt etwas schief, so 
dass dessen vorderes Ende näher zum Nasenhöhlenboden liegt, 
wie das hintere; in der Furche und der Mündung ist geschich- 
tetes Pflasterepithel vorhanden, das sich von hier auf den Boden 
der Nasenhöhle fortsetzt und in den engen Stensonschen Gang 
hinunterzieht; letzterer ist eigentlich nur eine Fortsetzung des 
spaltförmig verengten rostralen Teils der Respirationsgegend 
(Taf. VII, Fig. 47, Duct. Stenon.). 

Der Hauptteil des Jacobsonschen Ganges liegt bei der 
Maus jederseits in einer rinnenförmig gebogenen Knochenlamelle, 
die vorne vom Prämaxillare und in dessen Fortsetzung vom 
Vomer gebildet wird (Figg. 46, 47, 52). Da 2 solche Lamellen 
vorhanden sind — rechte und linke — ist das Pflugscharbein 
bei der Maus im primitiven Zustande erhalten geblieben. Oben 
weichen die Pflugscharbeine auseinander und fassen den Septal- 
knorpel zwischen sich; an der lateralen Seite des Septums liegen 
unten die kleinen Paraseptalknorpelchen. 

Der Jacobsonsche Gang der Maus ist halbmondiörmig 
gebogen (Figg. 46 u. 52) und besteht aus einer dicken konvexen 
medialen, und einer dünneren konkaven, lateralen Epithelwand; 
(erstere ist durchschnittlich 280 u und letztere 30 u dick, das Lumen 
nur 25 «u breit. Denkt man sich die konkave Seite des Ganges 
nach unten und die konvexe nach oben gedreht, so sieht das 
Organ jenem der Saurier sehr ähnlich (vergl. Tat. III, Fig. 15). 
Die mediale Wand besteht nämlich aus einer gegen das Lumen 
gekehrten hellen gestreiften Schichte mit tiefer liegenden, stark 


gefärbten Kernen in 2—3 Lagen; die Elemente dieser ober- 


Anatomische Hefte I.Abtheilung Heft LON IK (M Bd H 1 2 f 2 = 
Fig. 60. : Fig. 61 "50.62 cart.sephi. ur 
a a Fig.63. 
2 artil.paran 
cav. eranti reg. elf. 
concha media 
bulb.olf. carkil. alae. sphen. 

sarlil. . N 1 

Poranas, —— oenrlus. ED). oculus. 
oculus 
-- duch. nasolae. concha 
- sinus maxıll sup. 
cartil 
‚parascpt, R Pan concha 
i ‚proe. cart. paran. med 
dens. u j 
org. Jacobs. os praemazill R maxilla concha inf. proe. cart 
rt 2 cart: parasept. E ‚paranas 
org. Jacobs a maxilla. meatus 
raphe palat mealusnas- int raphe palat. sup mean” ak DE vomer 
vonter 
Fig. 6%. raphe palal 
erista, gallı crista,galli 
y muse. oculi. sarhlsepli 
/ bulb. olf, ; cart.septi 
R { muso.oculi h 
sc.ocıli | 
cart. paranas, carl. paranas, 
(os sphen) 
cart. alae, 
ulus. sphen concha inf. 


con cha sup 
n 


cart. scpti 


concha inf! 


R sinus. sphen 
sinus. sphen. 


il. paran 2: 
meatus 
eoncha med. lam.term nasophar. 
wepti concha inf. 
vomer P 
lat mcat. nasophar. 
Fig.65. os pteryg. Fig. 66. os pterygoid. 
Fig, 68. oartil. sepli organ. Jacobs SER 
ge 
Na! 'g.resp. 
IR 
mucosa näsı. N 
carlil. parasept 
infilt. apert. Jacobs. 
glandl. 


organ.Jacobs 


organ. ‚Jacobs. 


reg. olf! 


cart 
parasept. 
dens ine maxılla 


Fig. 67. 


os praemasill 


Fig.69 


os praemaxillare. 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 7 


flächlicheren Schichte sind aus schlanken Cylinderzellen und 
zahlreichen Riechstäbchen zusammengesetzt, deren kurze Härchen 
über die Membr. limitans olfactoria vorragen. Die tiefere Schicht 
der medialen Wand besteht dichtgedrängt aus rundlichen Nerven- 
zellen mit grossen Kernen und wenig Protoplasma; zwischen 
den kurzen Fortsätzen dieser Körnerschicht verbreiten sich die 
feinen marklosen Äste des Riechnerven. Die laterale Wand 
des Kanals besteht aus zweischichtigem Respirationsepithel mit 
Wimperhaaren. Der nierenförmige Kanal ist in die Schleimhaut 
eingebettet; letztere füllt an der lateralen konkaven Seite den 
gegen die Nasenhöhle vorragenden Wulst (Torus Jacobs.) aus; 
hier sind in dem Bindegewebe longitudinal verlaufende weite 
Venen eingebettet, zwischen welchen viele glatte Muskelzellen in 
radiärer Richtung zur lateralen Wand des Kanals ziehen. Das Ganze 
hat den Charakter eines Schwellgewebes (Fig. 52, Tela cavernosa). 
Ausserdem liegen hier und besonders über dem Kanal an der 
Seite des Septalknorpels viele kleine acinöse Drüsen in der 
Schleimhaut (Gland. Jacobs.), deren lange und enge Aus- 
führungsgänge von oben und unten zum Jacobsonschen 
Kanal ziehen und reihenweise in dessen obere oder untere Ecke 
münden (Duct.gland.sup. et inf.). Auch Lymphinfiltrationen, 
die Follikeln ähnlich sehen, kommen vor. Kaudalwärts wird 
der dicke Kanal enger und endet zugespitzt (Figg. 47 u. 53 
Duct. Jacobs.), umgeben von kavernösem Gewebe und den 
Septaldrüsen, deren Ausführungsgänge sich in den Kanal ergiessen. 

Bei Ungulaten und Karnivoren ist die Form des 
Jacobsonschen Kanals ähnlich beschaffen, wie bei den Nage- 
tieren, d. h. dessen Querschnitt ist halbmondförmig, und führt 
an der medialen Wand Sinnesepithel, an der lateralen Respirations- 
epithel. Ich habe das Jacobsonsche Organ des Schweines, 
Kalbes, des Hundes und der Katze untersucht, und kann den 
Angaben Baloghs und Kleins nichts zusetzen, verweise daher 
auf die dort gegebenen Abbildungen (Klein 25, Fig. 26). Der 


es 


VICTOR v. MIHALKOVICS, 


Kanal endet vorne bedeutend enger werdend in den Stenon- 
schen Gang und führt dort Pflasterepithel. In der Umgebung 
sind reichlich acinöse Drüsen vorhanden, und beim Schweine 
auch viel Schwellgewebe (Taf. IX, Fig. 56), während dieses bei 
Karnivoren schwach entwickelt ist. Beim Schweine teilt sich 
kaudalwarts der Jacobsonsche Gang in 2—3 Äste, die nur 
zweischichtiges Cylinderepithel führen, und diese setzen sich in 
die Ausführungsgänge der septalen Nasendrüse fort (Fig. 56). 
Bei allen Ungulaten und Karnivoren liegt das Organ in der Hohl- 
kehle des C-förmig gebogenen Paraseptalknorpels (Fig. 57). Beim 
Kalbe entsendet dieser Knorpel rostralwärts unter dem Prämaxillare 
einen Fortsatz, der den Stenonschen Gang umgreift (Taf. IX, 
Fig. 58, Cart. Stenon.); medianwärts hat der Knorpel eine 
S-förmige Biegung, in deren Konkavität das Ende des engen 
Jacobsonschen Kanales liegt; letztere und der Stensonsche 
Gang sind hier mit Pflasterepithel belegt. Diese Details sind von 
nebensächlicher Bedeutung, und haben keinen Bezug zur Funktion 
des Organes. 

Funktion. Es handelt sich jetzt, sofern es aus der ana- 
tomischen Gestaltung möglich ist, einen Begriff über die Bedeutung 
und Funktion des Jacobsonschen Organes zu erhalten. Am 
einfachsten wäre es natürlich, darüber physiologische Versuche 
heranziehen. Um nachteilige Eingriffe auf das Geruchsorgan zu 
vermeiden, habe ich an einer Katze und an 3 Kaninchen von 
der Mundhöhle her den Stenonschen Gang und darüber 
hinauf des Septum mit Paquelinscher glühender Nadel zer- 
stört, wo also zweifelsohne der proximale Teil des Jacobson- 
schen Organes vernichtet wurde, wie es die Sektion nachher 
bewies. Die Tiere zeigten aber nach der Operation in Bezug auf 
die Nahrungaufnahme gar keine Veränderung, sie frassen munter 
weiter, als wenn ihnen nichts geschehen wäre. Demnach scheint 
die Annahme Cuviers (19), dass das Jacobsonsche Organ 
zum Beriechen und Erkennen der nützlichen von den schädlichen 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 79 


Nahrungsstoffen bestimmt sei, nicht begründet. Der Gedanke 
Köllikers (26), das Jacobsohnsche Organ diene zum Er- 
kennen der chemischen Zusammensetzung der eigenen Säfte des 
Körpers, ist aus dem Grunde unwahrscheinlich, dass eine solche 
Funktion bei allen Tieren gegenwärtig sein sollte; das ist aber 
nicht so, abgesehen vom Menschen, bei dem das Organ ganz 
44) Annahme 
ist unhaltbar, der aus dem Nasenhöhlenbau der Amphibien und 


rudimentär wurde (s. unten). Auch Seydels (43 


Schildkröten geschlossen hat, dass das Jacobsonsche Organ 
zum Beriechen der mit dem Exspirationsstrom aus der Mundhöhle 
hinausbeförderten Nahrungsmittel oder Wassers diene, denn bei 
Säugetieren liegt die Mündung des Jacobsonschen Ganges 
nach vorne zu, also in der ungünstigsten Lage in Bezug auf den 
exspirierten Luftstrom, ferner ist an ein leichtes Eindringen der 
Luft von der Mundhöhle her nicht zu denken, weil der Stenson- 
sche Gang bei vielen Säugetieren sehr eng ist, und auch das 
rostrale Ende des Jacobsonschen Ganges wegen seiner Enge 
das Eindringen der Luft behindert; ausserdem liegt die Mündung 
des Ganges bei Nagetieren, also gerade bei jenen Vertebraten, die 
ein sehr gut entwickeltes Jacobsonsches Organ besitzen, an 
der Nasenscheidewand, bis wohin der durch den engen Stenson- 
schen Gang, oder von der Choane her gelangende Exspirations- 
strom schwer vordringt. Nach alle dem kann man sich nur an 
die vergleichend-anatomischen Verhältnisse des Organs halten, 
woraus folgende allgemeine Resultate abgeleitet werden können. 

Die Mündung des Jacobsonschen Ganges ist bei allen 
Säugetieren bedeutend enger, wie dessen Hauptteil, es ist also 
das Eindringen der Luft erschwert; das Organ dient jedenfalls 
nicht zum schnellen Riechen. Durch die in der Umgebung des 
Kanales gelegenen glatten Muskeln kann das Lumen des Kanals 
erweitert werden, es ist also eine Einrichtung zum Einsaugen 
der Luft vorhanden; ausserdem dienen die in der Umgebung ge- 
legenen weiten Venen, die besonders an der lateralen, mit 


s0 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


Respirationsepithel bedeckten dünneren Wand des Organs liegen, 
zur Kompression und Entleerung des Inhaltes in die Nasenhöhle. 
Aus den reichlichen Drüsen in der Umgebung und dem Gerinnsel 
im Kanal kann man schliessen, dass das Lumen zumeist mit 
dem Sekrete dieser Drüsen angefüllt ist, und die Luft nur bei 
der Funktion der organischen Muskeln eindringt (wie in der 
Eustachschen Tube); die Sinnesepithelien werden also nur 
vermittelst des Sekretes gereizt, der einen spezifischen Einfluss 
auf die Funktion des Epithels zu haben scheint, weil die grosse 
Menge der Drüsen bei allen Säugetieren vorhanden ist; der kaudale 
Teil des Kanales ist sogar direkt in den Dienst dieser Drüse ge- 
treten und repräsentiert einen Drüsenausführungsgang. Die 
herantretenden Äste des Olfaktorius und Trigeminus sprechen 
dafür, dass das Organ eine accessorische Nasenhöhle ist, die aber 
trotz ihrer verhältnismässigen Kleinheit — abgesehen von den 
Monotremen — für die Lebensverhältnisse des Tieres von Wichtig- 
keit sein muss, sonst würde sie sich nicht forterben, und selbst 
bei den höheren Klassen — abgesehen von Affen und den 
Menschen, — die histologische Differenzierung nicht bewahren. 
Unnütze Organe degenerieren, das ist aber beim Jacobson- 
schen Organe nicht der Fall, dieses muss also in der Ökonomie 
der tierischen Funktionen irgend eine Rolle spielen. Welcher 
Art aber diese Funktionen sind, ist vorderhand nicht zu ent- 
scheiden. Nur so viel kann man vermuten, dass es dieselbe 
Riechperzeption, wie die Riechgegend der Nasenhöhle, kaum 
verrichten wird, denn zu einer solchen Notwendigkeit ist der 
Grund nicht einzusehen, ausserdem spricht die eigentümliche 
anatomische Einrichtung des Organes dagegen. Dient es also 
überhaupt zum Riechen, — was noch zu beweisen ist, — so 
werden wahrscheinlich spezifische Riechperzeptionen die Auf- 
gabe sein, solche, die beim Menschen mit der veränderten Lebens- 
weise in Wegfall gekommen sind (beispielsweise geschlechtliche, 
s. oben). 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. s1 


5. Mensch. 


Vorarbeiten. 


Das Jacobsonsche Organ des Menschen hat Ruysch!) 
schon im Jahre 1703 gesehen, dann Sömmerring?) im Jahre 
1809 beschrieben und abgebildet, aber beide haben die Bedeu- 
tung des Organs nicht erkannt. Nach Jacobsons Entdeckung 
an Säugetieren that J. Fr. Meckel?) des Organes Erwähnung 
im Jahre 1820. An mikroskopischen Präparaten hat es Dursy) 
zuerst beschrieben und abgebildet im Jahre 1869, an S5—20 em 
langen Embryonen, ausserdem erwähnt er den schon von 
Huschke?) gesehenen Paraseptal- (sog. Huschkeschen oder 
Jacobsonschen) Knorpel. 

Nach diesen Vorarbeiten erschien Köllikers (26) eingehende 
Arbeit über Enıbryonen vom 4. Monate aufwärts und auch bei 
Erwachsenen®). Die Öffnung des Organes — meint Kölliker 
— ist schon an Embryonen mit freiem Auge zu sehen; an 
Querschnitten ist der Gang oval und mit Cylinderzellen bedeckt, 
welche vom 6. Monate Wimperhaare führen; die Mündung ist 
drehrund und enger wie der Kanal (an sechs Monate alten Em- 
bryonen ist die Lichtung des ovalen Rohres 0,26 mm hoch und 
0,086 mm breit; die Mündung misst 0,42—0,22 mm, und das 
Epithel ist 54—59 u hoch); die ganze Länge des Kanales be- 
trägt beiläufig 1 mm. Um das Epithel liegt eine eigene binde- 


I!) Ruysch, Thesaurus anatomieus. Amstelodami, 1703 p. 49, Tab. IV. 
Fig. 5. 
2) Sömmerring, Abbildung der menschlichon Organe des Geruches. 
Frankfurt 1809. Tab. III, Figg. 1 und 9. 

3) Meckel, Fr., J. Handbuch der menschlichen Anatomie, IV. 1820. S. 141. 

4) Dursy, Entwickelungsgeschichte des Kopfes. Tübingen, 1869. 

5) Huschke, Lehre von den Eingeweiden und Sinnesorganen. In 
Sömmerrings Anatomie, s. 606. 

6) Später beschrieb Kölliker (27) noch einmal das Jacobsonsche Organ 
bei einem 8 wöchentlichen Embryo und bildet auch seine Nerven ab. 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXIVXXXVY. Heft (11. Bd.\ H. 1/2). 6 


2 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


gewebige Scheide und in dessen Nähe entwickeln sich einige 
Drüsengänge. Der Kanal liegt immer am dünnsten Teil der 
Nasenscheidewand unten; nicht in dessen unmittelbarer Nähe 
liegen die Jacobsonschen Knorpel, die auch im erwachsenen 
Menschen vorhanden sind. Bei letzterem liegt der Kanal durch- 
schnittlich 5 mm über dem Stenonschen Gang, ist 3,6 mm 
lang (2,7 mm) und die Mündung 1,1 mm; man erkennt die Lage 
desselben schon mit freiem Auge als niederen Wulst. Über den 
Riechnerven sagt Kölliker, dass an 4 Monate alten Embryonen 
von den zum Septum herunterziehenden Ästen einige bis zum 
Jacobsonschen Kanal verfolgt werden können, aber schon in 
den folgenden Monaten waren diese atrophiert; bei dieser Gre- 
legenheit erwähnt Kölliker auch die Angabe Scarpas)), dass 
beim erwachsenen Menschen die Äste des Riechnerven in der 
Gegend des Jacobsonschen Organes am tiefsten herabreichen. 
Über die Funktion bei Tieren ist Kölliker der Ansicht, dass 
das Organ wegen seiner engen Mündung nicht zum Riechen 
dienen kann, sondern wegen seinem Drüsenreichtum Sekrete ab- 
sondert, die auf die Äste des Riechnerven derartig wirken, dass 
das Tier Kenntnis von der chemischen Zusammensetzung seiner 
eigenen Körpersäfte erhält. 

Bei Herzfeld (17) findet sich zuerst die Angabe, dass der 
Paraseptalknorpel kein wesentlicher Bestandteil des Jacobson- 
schen Organes ist. Er widerspricht der Ansicht Gegenbaurs, 
dass das Jacobsonsche Organ das Überbleibsel einer septalen 
Nasendrüse sei. Gegenbaur (12) hat nämlich die Behauptung 
aufgestellt, dass der sog. Jacobsonsche Gang des Menschen 
das Rudiment der bei Prosimiern (Stenops) vorkommenden Drüse 
an der Nasenscheidewand ist, besonders aus dem Grunde, weil 
es zum Paraseptalknorpel nicht in Beziehung steht. 

Dem gegenüber hat Merkel (32) wieder die alte Ansicht 
vertreten, dass der Gang beim Menschen ein rudimentäres Ja- 


1) Scarpa, A., Anat. disquisit. de auditu et olfactu. Tieini, 1781. 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 3 


cobsonsches Organ ist. Er hat das Organ am erwachsenen 
Menschen an Serienschnitten untersucht und gefunden, dass es ein 
plattgedrückter!) Kanal ist, umgeben von allen Seiten mit Schleim- 
drüsen, die hauptsächlich in das obere und untere Ende des 
Kanales münden. Die Weite des Kanales zeigt grosse Ver- 
schiedenheiten: auf enge Stellen folgen sehr weite, oft bis über 
das Zehnfache des Höhendurchmessers, sodass es ganz gut mit 
blossem Auge gesehen werden kann. Das Epithel ist an der 
lateralen Seite des Organes niederer, wie an der medialen, dort 
sind die einzelnen Zellen breiter und gedrungener, ähnlich wie 
im Respirationsteil der Nasenhöhle, während an der medialen 
Wand hohe und schlanke Cylinderzellen mit Kutikularsaum (und 
vielleicht abgefallenen Wimperhaaren) und dazwischen spindel- 
förmige Elemente liegen „die nicht recht zur Entwickelung ge- 
kommenen Riechzellen gleich sehen“. Zwischen die Zellen sind 
in der ganzen Länge des Kanales maulbeerförmige und rund- 
liche Kalkkonkremente eingelagert, zum Zeichen, dass es ein 
unthätiges Organ ist. Nerven hat Merkel bis an das Organ 
nicht heruntertreten gesehen. Das rudimentäre Jacobson sche 
Organ ist nicht bei allen Menschen vorhanden, oder an einer 
Seite kürzer, oder teilt sich in 2 neben einander liegende Kanäle; 
bei einem 6 Monate alten Fötus war keine Spur des Ganges 
vorhanden, dürfte also wahrscheinlich schon oblitteriert sein. 


Röse (42) beschreibt das Jacobsonsche Organ an einem 
18 em langen — 17 Wochen alten — menschlichen Embryo 
ebenso, wie Kölliker (Figg. 14 u. 15, S. 469—470). Der Kanal 
war 0,7 cm lang und unter demselben bestand der Paraseptal- 
knorpel aus 2 Teilen. 


Potiquet (35) will den Jacobsonschen Gang im Vivo vom 
äusseren Nasenloche her sondiert haben, und giebt an, dass der- 


!) So platt und lang, wie es Merkel zeichnet, kann der Kanal nur am 
schiefen Schnitte sein. 


6* 


S4 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


selbe die Ursache des Uleus perforans septi sei, eine Ansicht, 
die zuerst bei Löwe (op. eit.) zu finden ist, und später am X. 
intern. med. Kongress zu Berlin durch Önodi und Sandmann 
befürwortet wurde. 

Rauge (37) fand am erwachsenen Menschen die Mündung 
des Jacobsonschen Organes 5-8 mm über dem Boden der 
Nasenhöhle und 23 mm über den Winkel, welchen das Septum mit 
der Oberlippe bildet. Er teilt die Meinung Potiquets, dass das 
Jacobsonsche Organ die Ursache des runden Geschwürs ist, 
vielleicht infolge des Hineingelangens von Staub oder Mikrobien. 

Garnault (14) widerspricht der Behauptung Potiquets 
und Rauges, dass das runde Geschwür am Septum vom Jacob- 
sonschen Organe entstände. 

E. Schmidt (47) ceitiert nur Bekanntes, so unter anderem, 
dass der Jacobsonsche Gang und die Paraseptalknorpel im 
erwachsenen Menschen sich erhalten können (was schon Spurgat 
und Röse und zuvor Kölliker bewiesen haben). 

Zuletzt hat Anton (1) den Jacobsonschen Gang des er- 
wachsenen Menschen an Serienschnitten studiert, und dieselben 
Resultate erhalten, wie Merkel, d. h. seine Weite wechselt be- 
deutend und es fehlt der Gang auf einer oder beiden Seiten 
beinahe in der Hälfte der Fälle (unter 7 Fällen dreimal). Die 
Länge des Kanales giebt Anton für 2,28—8,43 mm an, an den 
weiteren Stellen ist das Lumen 0,56, an den engeren 0,136 mm; 
die laterale Wand ist niederer; vorne bei der Mündung öffnen 
sich die Drüsen rundherum in den Kanal, hinten nur an der 
oberen und unteren Wand. Kalkkonkremente kommen in der 
Wand nur wenige vor (3>—4); sie sind zumeist von nierenförmiger 
Gestalt. Die Mündungen der beiden Jacobsonschen Organe 
liegen selten in derselben Frontalebene, sondern sind gewöhnlich 
etwas gegen einander verschoben. 

Bevor ich meine eigenen Beobachtungen über das Jacob- 
sonsche Organ vortrage, will ich die Verhältnisse der Nasen- 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 85 


höhle an 3—4 Monate alten Embryonen kurz beschreiben, an 
welchen unser Organ gut ausgebildet vorzukommen pflegt. 


a) Die Nasenhöhle menschlicher Embryonen. 


Die Figg. 60 -66 auf Taf. X zeigen sieben ausgewählte Fron- 
talschnitte des Vorderkopfes eines 3!/s Monate alten menschlichen 
Embryo, welche geeignet sind über den Bau der Nasenhöhle in 
diesem Alter ein richtiges Verständnis zu geben. Man kann 
die Bilder in drei Zonen einteilen: die prägnanteste ist die 
mittlere Zone, die sich auf die Länge der Siebbeinmuscheln er- 
streckt (Figg. 62—64), dann hat man den vorderen Teil mit 
dem Nasenvorhof und den Anfangsteil der unteren Muschel 
(Figg. 60 u. 61), und endlich die hintere Zone, die das Gebiet 
der Keilbeinhöhle und des Nasenrachenganges enthält (Figg. 
65 u. 66). 

Durch die ganze Nasenhöhle erstreckt sich die knorpelige 
Nasenkapsel, die aus dem median gelegenen breiten Septal- 
knorpel (Cartil. sept.) und den lateralen Flügeln besteht (Cart. 
paranasalis, dextra et sinistra). In der ersten Zone sind 
die drei Platten oben in der Siebbeingegend mit einander in 
Verbindung, es ist hier eine Art Cartilago tegmenti vorhanden 
(Figg. 60, 61); m der zweiten Zone sind die Platten oben ge- 
trennt und lassen die Äste des Riechnerven durchtreten (Figg. 
62-64); in der dritten Zone biegen sich oben die Paranasal- 
knorpel hakenförmig medianwärts und legen sich dem Septal- 
knorpel lateral an. 

Der Scheidewandknorpel ist von ungleichmässiger Dicke; 
der untere Teil verbreitert sich an Frontalscchnitten spindelförmig 
und wird kaudalwärts allmählich kürzer, sodass in der dritten 
Zone die beiderseitigen niederen Nasenrachengänge nur durch 
die Schleimhaut getrennt werden (Figg. 65 u. 66). In der vor- 
deren Zone liegen unter dem Septalknorpel die kleinen Para- 
septalknorpel (Figg. 60 u. 61, Cart. parasept.), die sich vom 


86 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


Scheidewandknorpel abgetrennt haben. Eigentümlich ist die 
Paranasalplatte gebildet; diese ist nämlich in der mittleren Zone 
am mittleren Teil ihrer Höhe im Knie gebogen (Figg. 62 u. 63). 
Die Biegung dürfte wohl auf mechanische Ursache zurückführ- 
bar sein, inwiefern das Knie an jener Stelle liegt, wo der in 
Entwickelung begriffene Oberkiefer den unteren Teil des Aug- 
apfels erreicht; die stark in die Länge auswachsende Paranasal- 
platte findet hier eine Hemmung, darum biegt sich ihr unterer 
Teil — der sich in die untere Nasenmuschel erstreckt — dort 
medianwärts um. Am knieförmigen Vorsprung ist die Para- 
nasalplatte am dicksten (Figg. 62 u. 63), und es geht von hier 
ein runder Knorpelstab ab (Processus cartilagineus para- 
nasalis), der rostralwärts zieht (Fig. 61) und den vertikal hin- 
untergehenden Thränennasengang (Duct. nasolacrim.) gabel- 
förmig umgreift. Ich habe diesen Fortsatz schon anderwärts 
erwähnt (Heymanns Laryngologie, 8. 70), und denselben mit dem 
Meckelschen Knorpel im Unterkiefer verglichen. Das war natür- 
lich nur ein bildlicher und kein ernster morphologischer Ver- 
gleich, denn die Verhältnisse liegen hier anders. Seitdem habe 
ich den Fortsatz auch an älteren Foeten untersucht, und gefunden, 
dass derselbe andere Schicksale hat, wie die knorpelige Nasen- 
kapsel, inwiefern letztere schwindet, resp. nach meinen Beobach- 
tungen in gewöhnliches Bindegewebe umgewandelt wird, also 
keine sogen. vollkommene Resorption stattfindet, wie es allge- 
mein beschrieben wird. Hingegen wandelt sich der Paranasal- 
fortsatz nicht einfach in Bindegewebe um, sondern erhält rund- 
herum durch periostale Ossifikation eine Knochenkruste und es 
erfolgt in seinem Innern eine chondrale Ossifikation (5.—6. Monat). 
Inzwischen schreitet die bindegewebige Verknöcherung des Ober- 
kiefers fort, und der verknöcherte Paranasalfortsatz wird in den Ober- 
kiefer einverleibt, sodass vom 7.—8. Monate an nichts mehr davon 
zu erkennen ist. So wäre im Öberkiefer auch ein kleiner chon- 


draler Knochen enthalten, der aber umsoweniger eine besondere 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 87 


Bedeutung haben dürfte, alsich in4 5 Monate alten Embryonen 
auch im Alveolarteil dieses Knochens an manchen Stellen kleine 
Knorpelinseln beobachtet habe, die hier ohne Zusammenhang 
mit der knorpeligen Nasenkapsel entstanden sind und später in 
den Verknöcherungsprozess des Oberkiefers aufgehen. 

Auf unseren Gegenstand zurückkehrend, ist zunächst zu er- 
wähnen, dass die Siebbeinmuscheln im 2. Monat aus dicken 
Schleimhautwülsten entstehen, in denen nachträglich eine Dif- 
ferenzierung des Bindegewebes zu Knorpel stattfindet. Die untere 
Muschel dagegen ist weiter nichts, als der untere Teil des Para- 
nasalknorpels (Fig. 61), an deren unterer Seite das Epithel im 
3. Monat leistenförmig in das Bindegewebe hineinwächst und 
nachträglich diese Epithelleiste von der Nasenhöhle her in zwei 
Lagen getrennt wird. In den oberen Teil der Epithelleiste 
mündet der Thränennasengang (Fig. 61), dieser ist aber noch 
bis zum 5.—6. Monate durch eine aus einer Epithelschicht be- 
stehende Platte vom unteren Nasengang getrennt (ähnlich der 
Rachenhaut oder der Membrana bucconasalis Hochstätters!') 
bei der Bildung der primären Nasenhöhle); diese reisst später 
durch. Auch ist zu bemerken, dass der Thränennasengang schon 
im 3. Monat keine gerade Grenzen besitzt, sondern buchtige Her- 
vorragungen zeigt (Fig. 61); diese werden im 5.—6. Monat grösser, 
und der Kanal ist dann sehr weit, was an Frontalschnitten ein 
auffallendes Bild giebt. 

Jede der Muscheln hat im Embryo ihre Eigentümlichkeiten. 
Die mittlere Nasenmuschel ragt vorne wie eine vertikale 
gerade Platte vom oberen Teil der lateralen Nasenwand in die 
Nasenhöhle hinein (Fig. 62), die die untere Muschel fast erreicht. 
In den zwischen beiden Muscheln gelegenen mittleren Nasen- 
gang geht von der unteren Muschel ein Fortsatz nach aufwärts, 
in welchem ein selbständiger kleiner Knorpel liegt, — dieser 


1) Hochstätter, Über die Bildung der inneren Nasengänge oder primi- 
tiven Choanen. Verhandl. d. anat. Gesellsch. zu München, 1891. 


88 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


wird zum Siebbeinhaken. Die Vertiefung des mittleren Nasen- 
ganges an der äusseren Seite des Siebbeinhakens (Sinus maxill.) 
ist der Anfang zur Bildung der Kieferhöhle, diese liegt aber 
gerade am Knie der Paranasalplatte. Wenn sich letztere in den 
künftigen Monaten zu Bindegewebe umwandelt, wird die Epithel- 
vertiefung an der äusseren Seite des Siebbeinhakens grösser, 
und erreicht den Oberkiefer, bleibt aber noch immer eine schmale 
Spalte. — Von der unteren Muschel ist zu erwähnen, dass 
diese anfangs den Boden der Nasenhöhle erreicht (Fig. 62) und 
der untere Nasengang nur aus einer schmalen Spalte besteht. 
— Die obere Muschel besteht im hinteren Teil der mittleren 
Zone (Fig. 64) aus einem mit Schleimhaut bedeckten dicken 
Vorsprung des Paranasalknorpels; das ist die gemeinsame An- 
lage nicht nur der bleibenden oberen, sondern auch der obersten 
und der darüber gelegenen rudimentären Muscheln (Killian, 
op. eit.), von welchen bei der Beschreibung des Muschelapparates 
Erwähnung geschehen ist (s. S. 62). 

Die hintere Zone der Nasenhöhle ist das Gebiet des Nasen- 
rachenganges und der Keilbeinhöhle (Figg. 65 u. 66). Die Trenn- 
ung beider geschieht durch die Verschmelzung der Wände durch 
Schleimhautbrücken (Lam. term.), die der Lamina terminalis der 
Säugetiere als gleichwertig zu betrachten sind. Der über der 
Schleimhautbrücke gelegene hintere blinde Recess ist die Anlage 
der Keilbeinhöhle (Sinus sphen.) und besteht aus einer läng- 
lichen schmalen Epithelspalte, deren mediale Wand vom Septal- 
knorpel (hier von der werdenden Scheidewand der Keilbeinhöhle), 
lateral vom reduzierten Paranasalknorpel (hier Keilbeinkörper) 
gebildet wird. Es ist also die Keilbeinhöhle weiter nichts, als 
der blinde hintere Recess der embryonalen Riechhöhle, und dar- 
um hat das Vorhandensein von Riechmuscheln darin bei Säuge- 
tieren (s. S. 58) nichts Auffallendes. —- Über den niederen Nasen- 
rachengang (Figg. 65 u. 66, Meatus nasoph.) ist zum 
Schluss noch zu erwähnen, dass derselbe lateral vom Flügelbein 


pre ul an u Boraı 


syDspuossng 
quist 


pam 
Tuoıp>01d 
mon 904d 


\sgoanf 640 


unoaposmi 3jn8 00 J9np 


07 mas; Doad 
prowygs orbas 


ydaauas 


EAU 


vpxmur 


sııo ana 


Inu 904d 


qumyonıxmıu 
sgoD[ unbso 


Pau zuoay sosd 


62 'B17 


nwwan.ıd oıbaı 


Prıu zuos Jod 


newanad oßsa 


rs woud nubun par uoay a0ud 


SL10 wınana 


wnıd 
Ispu umans 


yo u 


prowyıa ba 


"ydasua 


gıbıy 


Yr zus 


prowiyga oıbsa 


10 uzumuz 


"umso 


»jpyuo.ug 50 


snunoppd'orpixame oyns 


(mix) yo] 552324 


yo Tuzunus 


Dunoy3 


2. bir 


ur sand 


jopnd:pungb 


1mjosDu janp 


Team pust“ 
snunsud mans 


1daso.umd »0.d 


dos 7mo 


ıd so 


josmu ons 


0. Bıy 


Pau 
ylosy-ooud 


paw 
joy »04d 


xnu Do1d 
sqom[ Go 
sgosu["bso 


“qunjopixunu 
Prowyga Das 


12-634 


"ydamız 


ydaaus 


4u bıy 


vr 2 ÄaF DIEB In BR 


= Aalaıı PrmsInH0 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 89 


(Os pterygoid.) begrenzt wird und hier kein Knorpel zur Ent- 
wickelung kommt; dieser Teil der Nasenhöhle gehört also schon 
mehr zur Mundhöhle. Damit habe ich die wichtigsten Verhält- 
nisse der fötalen Nasenhöhle beschrieben, und ich kann jetzt 
zur Schilderung des Jacobsonschen Organes übergehen. 


b) Das Jacobsonsche Organ des Menschen. 


Ich habe das Jacobsonsche Organ an verschieden alten 
menschlichen Embryonen vom 3. Monate an untersucht, zusammen 
an 12 Exemplaren, das Organ war aber immer vorhanden, woraus 
ich schliesse, dass dessen Mangel an Erwachsenen durch Atrophie 
und nicht aus einer Nichtentwickelung zu erklären ist. Der 
Kanal liegt an einem Teile des knorpeligen Septums, der sich 
unten mit dem Prämaxillare und dem angrenzenden Vomer ver- 
bindet (Taf. X, Figg. 60 u. 61). Bei 3—6 Monate alten Embryonen 
endet der Septalknorpel unten abgerundet und an seinen Rändern 
liegen 2-3 kleinere Knorpelstücke (Figg. 60 u. 61, 67 u. 69, 
Cartil parasept.); diese haben sich bei 3 Monate alten Em- 
bryonen vom knorpeligen Septum abgelöst, und zwar nicht etwa 
durch zwischenwachsendes Bindegewebe, sondern dadurch, dass 
sich die Knorpelzellen zu Bindegewebszellen umgewandelt haben 
und die hyaline Grudsubstanz resorbiert wurde. Diese Umwandlung 
in Bindegewebe schreitet in kaudal-rostraler Richtung vorwärts, so- 
dass die Knorpelstückchen vorne mit dem Septalknorpel noch in 
Zusammenhang sind, wenn sie sich kaudalwärts schon abgetrennt 
haben. Die Zahl der abgelösten Teile beträgt jederseits 2--3 
(Figg. 67-69, Cart. parasept.), von welchen jenes, das am 
nächsten zum Septalknorpel liegt, etwas grösser ist und oft eine 
gebogene Gestalt hat; dieses entspricht dem Huschkeschen 
oder Jacobsonschen Knorpel der Säugetiere (Cartilago 
paraseptalis, Spurgat!). Die kleineren Knorpelchen liegen 


1) Spurgat, Beitr. z. vergl. Anat. d. Nasen- und Schnauzenknorpel d. 
Menschen u. d. Tiere. Schwalbes Morph. Arbeit. V. 1896. 


90 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


sehr unregelmässig, sind auf beiden Seiten nicht ganz gleich, 
und ziehen lateralwärts unter den Boden der Nasenhöhle in 
die Nähe der Paranasalplatte, die bis an den freien Rand der 
unteren Nasenhöhle hinunterreicht, zum Zeichen, dass alle kleinen 
Knorpelchen samt jenen im Nasenflügel abgetrennte Teile des 
Knorpelringes um den Eingang der Nasenhöhle sind (Anulus 
cartilagineus nasi). Der Jacobsonsche Kanal liegt nicht 
an der Seite des grösseren Paraseptalknorpels, sondern höher an 
einer dünnen Stelle des Septalknorpels (Figg. 60 u. 67,0rg. Jacobs.), 
verhält sich also in dieser Beziehung so wie bei manchen Nage- 
tieren (s. oben). Ausgenommen das vordere und hintere Ende, 
ist der Jacobsonsche Kanal oval, mit vertikal gestelltem 
längeren Durchmesser (Fig. 68); ich finde letzteren bei 4 Monate 
alten Föten durchschnittlich 200 « hoch und 120 « breit, das 
Epithel 45—50 u hoch. Die Wand besteht aus radiär gestellten 
Cylinderzellen von mittlerer Höhe, die an reiferen Föten an 
manchen Stellen kurze Wimperhaare führen. Eine Differenz 
unter den Zellen habe ich nicht herausfinden können, es sind 
eben pallisadenartig gestellte Zellen, ähnlich dem embryonalen 
ektodermalen Epithel. Rostralwärts wird der Kanal enger (Fig. 67, 
Organ. Jacobs.)und drehrund (im 4 Monate alten Föten durch- 
schnittlich 50—60 «), biegt sich dann im Niveau des Stenson- 
schen Ganges, aber höher, als das obere Ende dieses, lateralwärts 
und mündet mit einer engen Mündung am Septum (Fig. 67 rechts; 
Fig. 69 links); am Frontalschnitte aus dieser Gegend sieht die 
Mündung einer kleinen Grube ähnlich. Kaudalwärts endet der 
Kanal zugespitzt; seine ganze Länge beträgt bei 6—7 Monate 
alten Embryonen ?/a—1l mm. Die Weite des Ganges ist bei 
Embryonen fast gleichmässig; jene Lumendifferenzen, die Merkel 
und Anton am Erwachsenen beschrieben (s. oben), entstehen 
erst nach der (seburt. 

Echte Drüsen habe ich in der Umgebung des Kanals bei 


4—6 Monate alten Föten nicht gesehen, dagegen kommen dort 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 91 


im Bindegewebe vom Gange her hinauswuchernde Epithelmassen 
vor, die Drüsen vortäuschen, aber weder Lumen noch scharfe 
Grenzen gegen das Bindegewebe haben. Da mir mit Zenker- 
scher Flüssigkeit behandeltes frisches Material zur Verfügung 
stand, bin ich gesichert, dass es keine Macerationserscheinungen 
waren. Das sind nicht etwa Lymphfollikel ähnliche Gebilde, 
wie sie bei manchen Säugetieren vorkommen (beim Kaninchen 
nach Löwe, op. eit.; beim Hunde nach Klein, 25), sondern direkt 
vom Jacobson schen Gang in das Bindegewebe hineingewucherte 
Epithelinfiltrationen ; die Verbindung dieser Zellen mit der Wand 
des Kanales ist an feinen Schnitten gut zu erkennen (Figg. 61 u. 68). 
Wie es sich mit den Drüsen verhält, weiss ich nicht anzugeben, 
da ich über den 7. Monat hinaus menschliche Föten nicht 
untersucht habe. Ob Äste des Riechnerven bis zum Jacob- 
sonschen Kanal hinunterziehen, kann ich nicht angeben; an 
3 Monate alten Embryonen habe ich nichts Ähnliches gesehen. 
Da das Epithel und Lumen bei Föten gleichmässig beschaffen 
sind, muss jene Differenz, die Merkel und Anton bezüglich der 
lateralen Wand erwähnen (niedereres und breiteres Epithel, s. oben), 
erst nach der Geburt entstehen. 

Von dem beschriebenen Typus kommen manchmal kleinere 
Abweichungen vor, es ist z. B. der Durchschnitt des Kanales 
unregelmässig dreieckig (Fig. 69), oder ist durch eine Epithel- 
brücke an kurzen Strecken in 2 Teile getrennt; oder der Kanal 
liegt auf einer Seite tiefer, als an der anderen (Fig. 68). Letzteres 
ist besonders bei Embryonen mit verbogenem Septalknorpel der 
Fall; die Verbiegung betrifft hauptsächlich den unteren dünnen 
Teil des Knorpels. 

An einem brasilianischen Affen (Species?) habe ich an Durch- 
schnitten fast dasselbe Bild erhalten, wie bei reiferen Föten, 
d.h. es war ein enger ovaler Gang mit Öylinderzellen vorhanden, 
deren Kerne in 3—4 Reihen stehen. Der Gang zeigte eine 
ähnliche Struktur, wie der rudinientäre Jacobsonsche Gang 


92 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


der Vögel oder menschlicher Föten, d. h. es sind keine Sin- 
nesepithelien (Riechstäbchen) herausdifferenziert, sondern es 
ist ein ähnliches indifferentes, geschichtetes Pallisadenepithel 
vorhanden, wie es an Embryonen anfangs in allen epithelialen 
und nervösen Gebilden vorkommt (Medullarrohr, Linsengrube ete.). 
Ähnlich ist das Epithel des Jacobsonschen Ganges an Jungen 
Säugetierembryonen beschaffen, sogar an der medialen Wand, 
wo aber später gewiss Riechstäbchen liegen. Es findet also be- 
züglich des Epithels bei Menschen nicht eine Rückbildung, sondern 
ein Stehenbleiben auf embryonaler Stufe statt. 

Das indifferente Epithel, der Mangel an Sinnesnerven, die 
variierenden Verhältnisse am Erwachsenen und oft auftretende 
gänzliche Atrophie beweist, dass das Jacobsonsche Organ des 
Menschen zu den funktionslosen rudimentären Organen gehört. 
Dass es aber kein einfacher Drüsenausführungsgang ist, wie es 
Gegenbaur (12) angab, sondern dem Jacobsonschen Organe 
der Säugetiere gleichwertig ist, dürfte aus seiner Lage, Form 
und Mündung zur Genüge einleuchten. Dass der Gang beim 
Menschen keine Beziehung zum Paraseptalknorpel hat, ist be- 
deutungslos, da auch bei vielen Säugetieren derselbe Fall vor- 
kommt (vergl. Taf. VII, Fig. 45). Auch die Mündung am Septum 
ist kein Gegenbeweis, denn auch bei Säugetieren mündet es 
hier, und nicht in den Stensonschen Gang (vergl. Taf. VII, 
Fig. 51). Dass Drüsen hineinmünden (Anton [1], hat nichts 
Auffallendes, in Anbetracht dessen, dass beim Maulwurf, Schwein 
u. s. f. sich mächtige serös-acinöse Septaldrüsen in den kau- 
dalen Teil des Ganges ergiessen; trotzdem ist es kein Drüsen- 
gang, denn es führt Sinnesepithel. Beim Menschen bleibt das 
Epithel auf embryonaler Stufe stehen, aber deswegen ist der 
Kanal noch kein gewöhnlicher Drüsenausführungsgang, was 
ausser den anatomischen Verhältnissen hauptsächlich aus der 
Entwickelung klar wird, denn es entwickelt sich beim Menschen 
ebenso, wie bei Säugetieren (s. unten). 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 93 


Es giebt zwei Gattungen rudimentärer Organe: 1. Deren 
Vorhandensein der menschliche Organismus nicht entbehren 
kann, was daraus zu schliessen ist, weil sie sich in vollkom- 
mener Form forterben und Krankheiten als auch Experimente 
deren Notwendigkeit beweisen (z. B. Schilddrüse, Thymus); 2. zu 
den funktionslosen rudimentären Organen zählen die Anhänge 
am Genitalapparat, die Niekhaut, Plica sublingualis, Duetus 
thyreoglossus u. s. f., und zu diesen gehört auch das Jacob- 
sonsche Organ. Das plötzliche Ausfallen der. Funktion beim 
Menschen ist aber jedenfalls auffallend, denn in Anbetracht 
dessen, dass das Organ bei den Säugetieren gut ausgebildet ist, 
sollte man Übergänge erwarten, die aber zu fehlen scheinen 
(Affen sollten noch eingehender untersucht werden). Dass hier 
ähnliche Einflüsse stattgefunden hätten, wie bezüglich der Riech- 
muscheln oben angegeben wurde, ist nicht einzusehen, denn 
das Jacobsonsche Organ liegt nicht oben in der Nähe der 
Siebplatte, die sich mit der Vervollkommnung des Stirnlappens 
rostralwärts geneigt hat und darum tiefgreifende Veränderungen 
in den Riechmuskeln eingetreten sind, sondern das Jacobson- 
sche Organ liegt unten im Prämaxillarteil des mittleren Nasen- 
fortsatzes, also an einer indifferenten Stelle in Bezug auf die 
Umgestaltung der Nasenhöhle. Das Stehenbleiben auf embryo- 
naler Stufe und die oft stattfindende Atrophie kann nur aus 
dem Umstande erklärt werden, dass der Mensch dieses Organes 
nicht bedarf, dass jene sinnlichen Perceptionen, die das Organ 
für den tierischen Haushalt verrichtet, für den Menschen ent- 
behrlich sind. Aber eben dieser Ausfall erschwert die Erkennung 
der Funktion des Organes bei Tieren, denn von fehlenden 
Sinnesorganen können wir uns ebenso wenig einen Begriff 
machen, wie der Blindgeborene von den Farben, der Taub- 
stumme von Tönen. Es giebt bei niederen Tieren eine Menge 
Sinnesorgane, von denen wir uns keine Vorstellung machen 
können, wie z. B. die Schleimkanäle und Gallertröhren der 


Ei VICTOR v. MIHALKOVICS, 


Fische, die Savischen Bläschen u. s. f. Dass im Jacobson- 
schen Kanal der Tiere em den Riechstäbehen ähnliches 
Epithel vorhanden ist, und zu diesem die Äste des Olfak- 
torius gehen, spricht zwar sehr dafür, dass darin spezifische 
Riechfunktionen stattfinden, ist aber noch kein vollgültiger Be- 
weis, in Anbetracht dessen, dass der Jaecobsonsche Nerv bei 
Schlangen eine gewisse Selbständigkeit hat, und es könnte daraus 
auf eine ähnliche abweichende Funktion gedacht werden, wie 
an den beiden Ästen des Acusticus (Nerv des Hörens und der 
Statik), doch das sind Hypothesen, deren Begründung der Zu- 
kunft vorbehalten ist. Jedenfalls ist das Jacobsonsche Organ 
ein in schnellem Rückschritt begriffenes Organ, wie es aus der 
Atrophie desselben fast in der Hälfte der Fälle bei Erwachsenen 
zu ersehen ist, es gehört also nicht zu den zähe am mensch- 
lichen Organismus haftenden rudimentären Organen, wie der 
Kaudalanhang, Morgagnische Hydatide, Vesicula prostatica, 
Nebeneierstock, Processus vermiformis u. s. f£ Auch diese sind 
für den Menschen ohne Bedeutung, jedoch erscheinen sie immer 
und bleiben auch durch das ganze Leben erhalten, wenngleich 
sie verschiedene Grade der Ausbildung erhalten. Warum aber 
das Jacobsonsche Organ oft gänzlich atrophiert, ist nicht 
leicht einzusehen, ausser man denkt an die Lagerung desselben 
an einem den Insulten (kalte Luft, Staub, Mikrobien, Katarrhe) 
mehr zugänglichen Stelle am Eingang des Respirationstraktus. 

In der Gegend des Jacobsonschen Organes ist beim 
Menschen die Schleimhaut sehr gefässreich, die Kapillaren und 
Venen sind weit und es reichen dort die Gefässschlingen bis nahe 
an das Epithel. Nach Kiesselbach!) existiert dort sogar eine 
Art Schwellgewebe, darum ist diese Stelle (Locus Kiessel- 
bachi) zu Blutungen sehr geneigt, und auch die perforierenden 
Geschwüre sind in dieser Gegend sehr häufig. Daran ist aber 


ı) Kiesselbach, Über Nasenbluten. Tagebl. der 58. Vers. der deutschen 
Naturforscher und Ärzte zu Strassburg, 1885. 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 95 


das Jacobsonsche Organ ganz unschuldig (gegen Löwe, Poti- 
quet ete., s. oben), sondern der Grund der Erkrankung liegt 
in der exponierten Lage dieser Gegend am Eingange der Nasen- 
höhie und in der vulnerablen Struktur der Schleimhaut. Da 
bei Säugetieren in der Umgebung des Jacobson schen Organes 
viel glatte Muskeln und weite Venen vorkommen (s. oben), 
dürfte das Schwellgewebe am Locus Kiesselbachi homolog 
dieser Einrichtung und dessen Vorhandensein aus Vererbung zu 
erklären sein. 


Entwickelung des Jacobsonschen Organes. 


Das Jacobsonsche Organ entsteht bei allen Wirbeltieren 
aus einer Ausstülpung des Nasenhöhlenepithels in den ventralen 
Teil des medialen Nasenfortsatzes hinein, ist also ein Sinnes- 
organ der Respirationsgegend. Dabei ist zu betonen, dass es 
ein Gebilde des medialen (mittleren) Nasen- oder Stirnfortsatzes 
ist; es ist also unstatthaft anzunehmen, wie es Seydel für die 
Amphibien und Sumpfschildkröten angiebt (43, 44), dass die im 
Oberkieferfortsatz gelegenen beschränkten Sinnesepithelbezirke 
auch Jacobsonsche Organe wären, demnach ein medialer und 
lateraler Abschnitt anzunehmen ist. Selbst in dem Falle, wenn 
der sog. laterale, im OÖberkieferfortsatz gelegene Sinnesepithel- 
bezirk dieselbe Funktion hätte, wie der mediale — was zu be- 
weisen wäre, — könnte man von einer Analogie und keiner 
Hompologie sprechen, denn das Jacobsonsche Organ aller Säuge- 
tiere und des Menschen liegen im medialen Nasenfortsatz — der 
späteren Nasenscheidenwand, — oder am Boden desselben in 
dem vom medialen Nasenfortsatz gebildeten Prämaxillarteil des 
Gesichts, wie bei Sauriern, und das scheint Grund genug dazu 
zu sein, das Jacobsonsche Organ als ein typisches Gebilde 
des rostralen (prämaxillaren) Teiles des medialen 
Nasenfortsatzes anzusehen. Dass dieses der wichtigere 


96 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


Teil des Sinnesepithels in der Respirationsgegend ist, beweist 
dessen Forterbung auf die höheren Klassen, während das Sinnes- 
epithel im lateralen Teil der Respirationsgegend — in der Kiefer- 
höhle — bei Amphibien schwach vertreten ist, und bei den Rep- 
tiiien — ausser Sumpfschildkröten — gänzlich geschwunden ist. 
In Anbetracht dessen, dass der Riechnerv die Nasenhöhle mit 
2 Ästen umgreift, ähnlich wie die Branchialnerven die Kiemen- 
spalten, und mit Berücksichtigung der rudimentären Sinnesorgane 
in den Kiemenspalten (Froriep), hat Milnes-Marschalls An- 
sicht!), dass die Nasenhöhle aus einer Kiemenspalte entstanden 
ist, viel Wahrscheinlichkeit an sich, und in diesem Falle kann 
man das Jacobsonsche Organ als ein Sinnesorgan des maxil- 
laren (rostralen) Teiles der Riechkiemenspalte betrachten, wäh- 
rend das bei Urodelen vorkommende Sinnesepithel im lateralen 
Teil der Nasenhöhle ein Sinnesorgan des lateralen (maxillaren) 
Teils dieser Spalte ist?). Dass aber letzteres nicht die Bedeutung 
wie der mediale hat, ist aus dem Verschwinden in den höheren 
Ordnungen ersichtlich. Eine Umlagerung des lateralen Teils in 
den medialen anzunehmen, erklärt durch die Plattheit des Vor- 
derschädels bei Amphibien und die Höhe der Nasenhöhle bei 
höheren Ordnungen (Seydel), ist aus embryologischen Gründen 
Gründen unstatthaft; ausserdem spricht dagegen der Umstand, 
dass bei Sumpfschildkröten beide Sinnesepithelbezirke vorkom- 
nen: ein lateraler und medialer, ausserdem auch ein am Boden 
der Nasenhöhle gelegener; die Nasenhöhle dieser Tiere ist aber 
gerade so hoch wie jene der Landschildkröten, hier ist also an 
eine Umlagerung nicht zu denken. 

Das Jacobsonsche Organ erscheint bei Säugetierembryonen 
und dem Menschen sehr früh; es ist als eine kleine Epithelgrube 


!) Milnes-Marschall, The Morphol. of the vertebrate olfactory 
organ. Quart. Journ. of mier. Science. XIX. 1873. 

2) Der sog. laterale Nasenfortsatz hat nicht die Bedeutung eines den 
anderen gleichwertigen kiemenähnlichen Fortsatzes, weil ersterer kürzer ist, 
und an der lateralen Begrenzuug der eigentlichen Nasenhöhle nicht beteiligt ist. 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ, 3 


schon zur Zeit vorhanden, wenn das Nasenfeld (His) sich durch 
Vorwachsen und Vergrösserung des Nasen- und Oberkieferfort- 
satzes in die Riechgrube umzubilden beeinnt; His!) hat dar- 
über von einem 7,5 mm langen Embryo eine gute Abbildung 
gegeben, und über weitere Umbildung der Riechgrube verweise 
ich auf meinen Aufsatz (Heymanns Laryngologie. III. S. 60). 
Da das Epithel der Riechgrube aus dem Ektoderm stammt, gilt 
dasselbe auch für das Jacobsonsche Organ. Anfangs ist darin 
indifferentes geschichtetes Cylinderepithel vorhanden, wie im 
Medullarrohr, Linsengrube etc., daraus differenzieren sich später 
die Riechzellen. Ob die Nervenfasern des Jacobsonschen 
Organes ebenso, wie in der Riechgrube, aus vom Ektoderm ab- 
gelösten Ganglienzellen entstehen, die dann medullarwärts wach- 
sen (His)?), habe ich nicht untersucht, es ist aber anzunehmen, 
dass der Bildungsgang nach einem gemeinsamen Typus vorgeht. 


Durch Vermehrung des Mesenchyms in den Gesichtsfortsätzen 
und Vorwachsen des Vorderhirns nimmt das embryonale Binde- 
gewebe an der Basis des präsphenoidalen Schädelabschnitts zu, 
"die Riechgrube wird tiefer und ändert zugleich ihre Form, in- 
dem sie aus einer Grube zu einer sagittal gestellten Spalte wird 
(Taf. XI, Figg. 77 u. 78), die sich vom äusseren Nasenloch, — 
das bei 12—14 mm langen Embryonen wegen Mangel eines 
äusseren Nasendaches noch weit ist, — unter dem Mesenchym 
an der Basis des Vorderhirns (der primären Siebbeingegend:; 
Fig. 77, Regio ethmoid.) sich bis zur primären Choane er- 
streckt (Fig. 76, Choana prim.); letztere mündet gleich hinter 
dem Prämaxillare. Unter der platten Nasentasche haben sich 
die ventralen Abschnitte des medialen Stirnfortsatzes mit dem 
Oberkieferfortsatz nach Atrophie des Epithels vereinigt (Fig. 78, 
Membr. bucconasalis), und es ist hier am Boden der Nasen- 


1) His, Anatomie menschlicher Embryonen. I. Leipzig, 1888. S. 50. 
2) His, Über die Entwickelung des Riechlappens. Verhandlungen der 
anatomischen Gesellschaft zu Berlin. III. 1889. 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXIV/XXXVY. Heft (11. Bd. H. 12.) Y 


98 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


tasche eine Mesenchymbrücke entstanden, die medialwärts in die 
Basis des mittleren Stirnfortsatzes übergeht; diese Brücke vom 
äusseren Nasenloch bis zur primären Choane reichend ist der 
Prämaxillarteil des Gesichts (Fig. 77, Regio praemaxill.), darin 
entsteht der Zwischenkiefer und der Anfang des Pflugschar- 
beines. Diese Gegend ist der Sitz des Jacobsonschen Organes. 

An Säugetierembryonen ist der Jacobsonsche Gang gleich 
bei der Bildung der Gesichtsfortsätze vorhanden; sobald die 
Riechgrube sich zur Nasentasche umgebildet hat, also bei 10—12 mm 
langen Embryonen beginnt die Einstülpung des Epithels in den 
medialen Nasenfortsatz hinein (Fig. 77, Organ. Jacobs.). Dieses 
frühe Erscheinen des Organes weist auf einen alten phylogene- 
tischen Erwerb (Anuren). In der Nasenhöhle ist zur Zeit des 
Jacobsonschen ÖOrganes nur die untere Muschel in Bildung 
begriffen, als eine Vorstülpung des Öberkieferfortsatzes gegen 
die Höhle der Nasentasche hinein (Figg. 74, 77, Maxilloturb.); 
das Epithel ist überall geschichtetes indifferentes Cylinderepithel, 
aber nicht gleich hoch, indem es in der oberen Riechgegend 
höher als unten ist; in der Jacobson schen Einsenkung ist das in- 
differente Epithel von Anfang her so hoch, wie in der Riechgegend. 

Schon Garnault (14) hat von Rattenembryonen angegeben, 
dass der Jacobsonsche Gang nicht aus einer Einsenkung des 
Epithels entsteht, wie es bei Drüsenröhren der Fall ist, sondern 
in Form einer sagittal gestellten Furche erscheint. Ich kann 
diese Behauptung bestätigen. An Frontalschnitten entsprechend 
alter Embryonen — beiläufig 13—14 mm lange Katzen- oder Eich- 
hörnchenembryonen, — sieht man natürlich nur eine Einsenkung 
des Epithels (Fig. 77, Organ. Jacobs.); diese Einsenkung 
erstreckt sich auf viele Schnitte, die zusammengegeben werden 
müssen, um eine Furche zu erhalten. Aber an solchen Hori- 
zontalschnitten, welche die Furche der Länge nach getroffen 
haben, kann man sich von deren Vorhandensein gut überzeugen 
Fig. 79, Organ. Jacobs.). Diese eigentümliche Anlage beweist, 


Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 99 


dass das Jacobsonsche Organ nicht nach dem Typus einer 
Drüse gebildet wird, sondern bei seinem ersten Erscheinen eine 
ähnliche primitive Form hat, wie bei Batrachiern, d. h. es ist 
eine Furche unten am Septum, an deren hinterem Ende das 
Epithel in Form einer Röhre kaudalwärts fortwächst, und zu- 
gleich die Furche durch Aneinanderlegung und Verwachsen der 
Ränder nach vorne zur Röhre abschliesst; nur das vorderste 
Ende bleibt offen, und mündet als eine kleine Epitheleinsenkung 
entweder am Septum, oder tiefer mn den Stensonschen Kanal 
(noch nicht geschlossenen vordersten Teil der Gaumenspalte). 
Wie die Figg. 77 u. 78 an einem 14mm langen Eichhörnchen- 
embryo zeigen, erfolgt das Fortwachsen des Ganges kaudalwärts 
im Anfang als ein von Nasenhöhlenepithel in die Schleimhaut 
einwachsender Epithelzapfen (Fig. 78, Org. Jacobs.), der bald 
hohl wird. Bei 16—18 mm langen Embryonen von Katze, Kalb, 
Maus ist das mit geschichtetem Cylinderepithel ausgestattete 
Rohr drehrund, später mehr oval, und liegt im oralen Teil des 
mittleren Stirnfortsatzes, der nur aus Mesenchym ohne Skelettein- 
lage besteht (Figg. 74 u. 75, Org. Jacobs.); da der mittlere 
Stirnfortsatz zu dieser Zeit sehr breit ist, liegen beiderseitige 
Röhren ziemlich entfernt von einander. An 20 mm langen 
Rindsembryonen habe ich das ovale Rohr 40:70 u weit, das 
Epithel 15 « hoch und das Lumen 10:30 « gefunden; die 
Mündung vorne ist gleich von Anfang her enger wie der Kanal. 

Anfangs ist der Jacobsonsche Kanal drehrund und führt 
rund herum gleichmässig dickes Cylinderepithel. Ähnlich ist 
das Organ in seinem kaudalen Teile bei Batrachiern beschaffen, 
und unter den Säugetieren beim Maulwurf (s. oben). Die dreh- 
runde Form ist also die einfachere, und das Sinnesepithel rund- 
herum eine weniger differenzierte Einrichtung. Auch beim 
Menschen bleibt der Kanal auf dieser einfachen Stufe stehen. 
Hingegen bei allen darauf untersuchten Säugetieren, selbst bei 
den Beuteltieren ist der Kanal verlängert oder halbmondförmig, 

7x 


100 VICTOR v. MIHALKOVICS, 


und führt nur an der medialen Wand hohes Sinnesepithel, 
während es lateral nur mit niederem Respirationsepithel bedeckt 
ist. Das ist eine Komplizierung ähnlich dem Epithel in der 
Nasenhöhle. Der Grund zu dieser Veränderung dürfte in der 
Verschliessbarkeit des Lumens liegen, insofern bei vielen Säuge- 
tieren die laterale Wand durch die organischen Muskeln gedehnt 
und durch das Schwellgewebe komprimiert werden kann; eine 
Zerrung würde auf das Sinnesepithel störend wirken, und darum 
ist an der lateralen Wand Respirationsepithel angebracht. Die 
Differenzierung in zweierlei Epithel erscheint bei Früchten bei- 
läufig zur mittleren Zeit der Embryonalentwickelung; bei reiferen 
Ratten- und Kalbsembryonen (erstere 5, letztere 20—25 cm) ist 
die Differenzierung in medial gelegenes dickes Sinnesepithel, und 
lateral angebrachtes dünnes Respirationsepithel schon vorhanden 
Taf. IX, Fig. 57, Organ. Jacobs.). 


10. 


TR 


13. 


Litteratur über das Jacobsonsche Organ.') 


‚ Anton, W., Beiträge zur Kenntnis des Jacobsonschen Organes bei Er- 


wachsenen. Verh. der Deutschen Otol. Ges. auf der 4. Vers. in Jena 1895, 
I. 55; und Zeitschrift für Heilkunde. Prag XVI. 1893. 

Balogh, C., Das Jacobsonsche Organ des Schafes. Wiener akad. Sitzungsb. 
XLI. Nr. 3, 1860. 

Bawden, H, The nose and Jacobsons Organ with esp. Ref. to Amphibia. 
Journ. of comparat. Neurol. 1894, p. 115. 

Beard, J., The nose and Jacobsons Organ. Morphol. Studies, 1. Jena 1889. 
— Zool. Jahrb. Abteilung für Anatomie und Ontogenie, Ill. 1889, S. 772. 
Born, @., Entstehung des Thränenkanals und Jacobsonsches Organ der 
Amnioten. Schles. Ges. für vaterländische Kultur. 1. Aug. 1877. 

— Die Nasenhöhle und der Thränennasengang der amnioten Wirbeltiere. 1: 
Amphibien. Morphol. Jahrb. II, 1876. — II. Saurier, Vögel. Ibidem V. 1879 
und VIII. 1883. 

Broom, R., On the Organ of Jacobson in the Monotremata. Journ. of 
Anat. and Physiolog. V. N. S. 10. 1895. 

__ Observations of the Relations of the Organ of Jacobson in the Horse. 
Proc. of the Linn. Soc. of. New-South-Wales, V. 21. 

Brunn, A. v., Die Endigung der Olfaktoriusfasern im Jacobsonschen 
Organ des Schafes. Archiv für mikr. Anatomie, XXXIX 1892. 

Duval, M. et Garnault, P., L’organe de Jacobson chez les Chiropteres. 
Compt. rend. d. la Societe d. Biol. S. 10. T. II. 1895. p. 478. 
Fleischer, R., Beiträge zur Entwickelungsg. des Jacobsonschen Organes 
und zur Anatomie der Nase. Sitzungsb. des phys.-med. Societät zu 
Erlangen, 1877. Novbr. 


. Gexenbaur, Ü., Über das Rudiment einer septalen Nasendrüse beim 
g , p 


Menschen. Morphol. Jahrb. XI. 1886. 

Ganin, M., Quelques faits A questions s. l’organe de Jacobson chez les 
oiseaux. Travaux d. la societ6 de nature de Charkow 1891 (russisch); 
et Charkow 1893 (russisch). 


1) Es ist hier nur die Litteratur über das Jacobsonsche Organ an- 


geführt; über die Nasenhöhle habe ich dieselbe in Heymanns Laryngologie 
S. 81 zusammengestellt. 


102 


15. 


34. 


30. 


Litteratur über das Jacobsonsche Organ. 


Garnault, Contribr. a l’6tude d’. 1. morphol. d. fosses nasales. L’organe 
de Jacobson. Compt. rend. de la societe de biol. S. 10, T. XII. 1895. p. 322. 
Gratiolet, Rech. s. l’organe de Jacobson. These de Paris, 1845. 
Harvay-Reuben, T., Note on the organ of Jacobson. Quart. Journ. 
of mier. Science. XXII. 1882. 

Herzfeld, P., Über das Jacobsonsche Organ des Menschen und der 
Säugetiere. Zool. Jahrb. Abt. für Anatomie und Ontogenie. III., 1888. 
Howes, G. K., On the probable existence of a Jacobsons Organ among 
the Crocodilia. Proc. Zool. Soc., London, 1891, p. 148. 

Jacobson, M., Descript. anat. d’un organ observ@ d. 1. Mammiferes. 
Ann. d. Mus. d’hist. nat. XVII. Paris 1811; Rapport par Cuvier, p. 412—24. 


. — Une glande conglomeree appart. a la cavite nasale. Nouveau Bull. d. soc. 


philomatique d. Paris, III. 6. 1813. 


. Jungersen, Bidrag til Kundskaben an det Jacobsonske Organ hos 


trinch dyrerze. Saertyk af. Metropol. Kolens. ldlbydelseskrift for 1891. 


. Klein, E., A contrib. to the Minute Anatomy of the organ of Jacobson. 


St. Barthol. Hosp. Rep. XV. 1881. 


3, — Contributions to the Minute Anatomy oft the Nasal Mucous Mem- 


brane, and Minute Anatomie of the organe of Jacobson in the Guinea- 
pig. Quart. Journ. of Mier. Science. XXI. 1881. 


. — The Organ of Jacobson in the Rabbit. Tbidem. 


— The Organ of Jacobson in the Dog. Ibidem, XXII. 1882. 


Kölliker, A. v., Über das Jacobsonsche Organ des Menschen. 
Gratulationsschrift der med. Fak. in Würzburg an Rinecker. Leipzig 1877. 


. — Entwickelung des Auges und Geruchsorganes menschlicher Embryonen. 


Verhandlung der phys.-med. Gesellschaft zu Würzburg. N. F. XVII 
Nr. 8, 1883. 

Lenhosseck, v. M., Die Nervenursprünge und Endigungen im Jacobson- 
schen Organ des Kaninchens. Anat. Anzeiger Ill. 1892. Nr. 12 und 20. 


. Leydig, Zur Kenntniss der Sinnesorgane der Schlangen. Archiv für 


mikr. Anatomie. VIII. 1872. 


‚ — Zirbel und Jacobsonsche Organe einiger Reptilien. Archiv für mikr. 


Anatomie. L. 1897. 


. Meek, A., On the Oceurenee of a Jacobson Organ ete. in Crocodilus 


porosus. Journal of Anat. and Physiol. V. N. S. X. 1895. 


. Merkel, Fr., Jacobsonsches Organ und Papilla palat. beim Menschen. 


Anat. Hefte. Wiesbaden I. 1892, S. 213. 


. Piana, G. P., Contrib. alla eonnoscenza e d. funzion. dell’ organo del 


Jacobson. Mem. d. accad. delle Scienze dell’ istituti di Bologna. Serie IV 
T. 11888, p. 421 (Ref. Deutsche Zeitschrift für Tiermed. VII. 1882, S. 325.) 
— Dei denti ineisivi ete. e dell’ organo di Jacobson nell’uomo. Monit. 
zool. ital. II. 1891. 

Potiquet, Du canal d. Jacobson, de la possibilit& de le reconnaitre s. 
l. vivant etc. Arch. d. Laryngol. V. Nr. 6, et VI. Nr. 1. (Revue de 
Laryngol. XI. 1891.) 


Litteratur über das Jacobsonsche Organ. 103 


. Rauge, P., Anat. mier. de l’organe de Jacobson chez le boeuf et chez 


le mouton. Arch. internat. de laryngol. ete. VI. 189. 


. — Le canal incisif et l’organe de Jacobson. Ibidem, VI. 1894. 
. Retzius, G., Die Riechzellen der Ophidier in der Riechschleimhaut und 


im Jacobsonschen Organ. Biol. Untersuch. Vl. 1895. 


. Romiti, G., Rudim. di organo di Jacobson nell uomo adulto. Boll. d. 


Soc. fra i cultori Scienze in Siena, 1884. 


. Rosenthal, Über das von Jacobson in der Nasenhöhle entdeckte Organ. 


Zeitschrift für Physiologie v. Tiedemann und Treviranus, II. 1826. 


. Röse, C., Über die Jacobsonschen Organe von Wormbat und Opossum. 


Anat. Anzeiger, VIII. 1893. S. 766. 
— Über das rudimentäre Jacobsonsche Organ der Krokodile und des 
Menschen. Ibidem. S. 458. 


. Seydel, O., Über die Nasenhöhle und das Jacobsonsche Organ der 


Amphibien. Morphol. Jahrbuch, XXIII. 1895. 


. — Über die Nasenhöhle und das Jacobsonsche Organ der Land- und 


Sumpfschildkröten. Festschr. z. 70. Geburtstage von C. Gegenbaur, Il. 
Leipzig 1896. 


. Schiefferdecker, P., Das Jacobsonsche Organ. In Heymanns 


Handbuch der Laryngol. und Rhinol. Ill. 1896. S. 141. 


Schmidt, Elliot, Jacobson organ and the olfactory bulb in Ornitho- 
rhynchus. Anat. Anz. XI. 1896, No. 6, S. 162. 

. Schmidt, E., Über das postemb. Weiterbestehen des Jacobsonschen 
Organs ete. Inaug.-Diss. Berlin 1896. 

. Schwink, J., Über den Zwischenkiefer ete. und Beiträge zur Entwickelung 
des Organum Jacobsoni. München, 1888. 

. Sluiter, C. Th., Das Jacobsonsche Organ in Crocodilus porosus. Anat. 
Anzeiger, VII. 1892, S. 540. 

. Symington, M. D., On the Nose, the Organ of Jacobson etc. in the 
Örnithorrhynchus. Proceed. of the Zool. Soe., London V. 4. 1891. 

. — On the Organ of Jacobson in the Kangoroo and Rock-wallaby. Journ, 
of Anat. and Physiol. V. 26. 8. 51. 1892. 
Wiedersheim, R., Stammesentwickelung des Jacobsonschen Organs. 
Tagebl. der Naturforscher-Vers. zu Salzburg. 1881. 
Whrigt-Ramsay, On the Organ of Jacobson in Orphidia. Zool. Anz. 


IV. 1893. S. 144. 


Verzeichnis der Abbildungen. 


Dark la 


Fig. 1. Frontalschnitt durch die mittlere Gegend der Nasenhöhle von 
Triton eristatus. 

Fig. 2. Dasselbe von Salamandra maculosa. 

Figg. 3u.4. Frontalschnitte durch die Nasenhöhle vom Laubfrosch (hyla 
arborea); beide stammen von der mittleren Region, die Fig. 3 etwas weiter 
nach vorne als Fig. 4. 


Mate IT 


Figg. 5-10. Frontalschnitte durch die Nasenhöhle und einen Teil der 
Scheidewand von Emys europaea. Die Fig. 6 stammt vom vorderen Drittel, 
Fig. 9 etwas dahinter und Fig. 10 vom hinteren Teil. Die Figg. 5, 7 u. 8 
beziehen sich auf zwischengelegene Teile der Nasenscheidewand mit dem 
Jacobsonschen Organe. 


Tafel Ill. 


Figg. 11 u. 12. Frontalschnitte durch die Nasenhöhle von der Natter 
(Coluber natrix). Die Fig. 11 bezieht sich auf die Gegend des Nasenvorhofes 
mit dem vorderen Teile des Jacobsonschen Organes und dem herunterziehenden 
starken Jacobsonschen Nerven. Die Fig. -12 zeichnet einen Schnitt durch 
das vordere Drittel des Jacobsonschen Organes. 

Fig. 15. Das Jacobsonsche Organ der Natter bei stärkerer Ver- 
grösserung. Frontalschnitt vom vorderen Drittel mit der angeschnittenen 
Mündung (Apert. Jacobson) neben der Gaumenpapille, 

Figg. 13 u. 14. Frontalschnitte durch die Nasenhöhle der braunen 
Eidechse (Lacerta agilis). Fig. 13 stammt von der mittleren Gegend der 
Nasenhöhle, wo diese am geräumigsten ist und zeigt die seitliche Gaumenspalte 
(Fiss. palat. lat.) unter dem Nasenhöhlenboden. Der Schnitt von Fig. 14 
traf die Choane, die hier in die seitliche (aumenspalte mündet. 


arte DV: 


Figg. 16—22. Frontalschnitte durch die Nasenhöhle eines reifen Embryo 
des Haushuhnes. Fig. 1 zeigt die Verhältnisse des Nasenvorhofes mit der 


Verzeichnis der Abbildungen. 105 


Vorhofsmuschel. Die Figg. 17—19 stammen vom vorderen Teil der Haupt- 
nasenhöhle und trafen die gewundene mittlere Muschel. Die Figg. 20—22 zeigen 
die Pseudomuschel des Siebbeines und den hinteren Teil der mittleren Muschel. 
In Fig. 22 ist die Mündung der Kieferhöhle über der mittleren Muschel zu 
sehen. 

Fig. 23. Ansicht der lateralen Nasenhöhlenwand des Haushuhnes mit 
den nach einander folgenden drei Muscheln. 


Tafel V. 


Fig. 24. Ansicht der lateralen Nasenhöhlenwand eines Kalbes. Die 
Riechgegend ist mit den sieben Siebbeinmuscheln angefüllt; die Respirations- 
gegend enthält die grosse, doppeltgewundene, untere Muschel. 

Fig. 25. Laterale Nasenhöhlenwand der Katze. In der Riechgegend 
liegen die mächtig entwickelten fünf Siebbeinmuscheln, von welchen die unterste 
(Ethm. 5) die Keilbeinhöhle ausfüllt. In der Stirnhöhle sind zwei Riechmuscheln 
(Frontoturb.). Die untere Muschel (Maxilloturb.) ist im Verhältnis zu den 
Riechmuscheln kleiner, als beim Kalbe (vgl. Fig. 24). 

Fig. 26. Vordere Ansicht der Nasenhöhle eines braunen Bären. Die 
untere Muschel (Maxilloturb.) ist nach dem verästigten Typus gebaut. 

Fig. 27. Seitliche Ansicht der Nasenhöhle vom Kapuzineraffen. Die 
obere Muschel ist sehr schwach, und auch die mittlere klein; letztere erstreckt 
sich wenig nach vorne, sodass die verkümmerte erste Riechmuschel (Naso- 
turbinale) freiliegt; letztere entspricht im Menschen dem Agger nasi (vgl. 
Fig. 59). 

Fig. 28. Ansicht der lateralen Wand der Nasenhöhle des Kaninchens 
Riechmuscheln sind 5 vorhanden und werden unten von der Lamina terminalis 
begrenzt; darunter liegt der Nasenrachengang. Die untere Muschel liegt ganz 
vorne und ist nach dem gefalteten Typus gebaut. 

Fig. 29. Laterale Ansicht des hinteren Teiles der Nasenhöhle vom Kalbe. 
Stammt von demselben Präparate wie Fig. 24, aber die vorragenden Teile 
der Riechmuschel sind entfernt, sodass die versteckten Muscheln (Neben- 
muscheln) zu sehen sind. Die untere Muschel ist an ihrem Haftrande ab- 
geschnitten. 


Tafel VI. 


Figg. 30-38. Nacheinanderfolgende ausgewählte Frontalschnitte durch 
die Nasenhöhle des Maulwurfs. Die Figg. 30—32 stammen von der Gegend 
des Nasenvorhofes; Figg. 33—36 trafen die Hauptnasenhöhle vor der Region 
der Riechmuscheln, zeigen also hauptsächlich die untere Muschel und den 
vorderen Teil des Nasoturbinale. Die Figg. 37 und 38 beziehen sich auf hintere 
Schnitte aus der Riechmuschelgegend und dem Nasenrachengang. 


Tafel VI. 


Figg. 39 u. 40. Frontalschnitte der Nasenhöhle des Haushuhnes, um 
die Verhältnisse der lateralen Nasendrüse (Gland. nasi lat.) und ihres Aus- 


106 Verzeichnis der Abbildungen. 


führungsgangs (Duct. gland. nasi lat.) zu zeigen. Fig. 39 liegt etwas 
mehr nach hinten als Fig. 40. 

Fig. 41. Frontalschnitt durch die Nasenhöhle (resp. Nasenvorhof) der 
Natter. Oben ist der mächtige Riechkolben (Bulb. olfact.) zu sehen, von 
dessen medialer Seite der Jacobsonsche Nerv entsteht. 

Figg. 42—44. Frontalschnitte durch die Gegend des Jacobsonschen 
Organes des Maulwurfs. Fig. 42 zeigt die Einmündung des Jacobson- 
schen Kanals in den Stensonschen Gang; Fig. 43 stammt vom mittleren, und 
Fig. 44 vom hinteren Teile des Organes, wo an der rechten Seite nur mehr 
die stark entwickelte Jacobsonsche Drüse zu sehen ist. 


Tafel VII. 


Figg. 45—50. Frontalschnitte durch die Nasenhöhle der Maus. Die Figg. 45 
bis 47 stammen von der vorderen Hälfte, die Figg. 48— 50 von der hinteren 
Hälfte der Nasenhöhle mit den Riechmuscheln. 

Figg. 51—53. Frontalschnitte vom Jacobsonschen Organe der Maus 
bei stärkerer Vergrösserung. Fig. 51 zeigt ganz vorne die Mündung am Septum, 
Fig. 52 stammt aus der mittleren Gegend des Organes, Fig. 53 zeigt die hintere 
(Gegend mit dem eng gewordenen Jasobsonschen Gange und Drüse., 


Tafel IX. 


Figg. 54 u. 55. Frontalschnitte’durch die Nasenhöhle eines neugeborenen 
Hundes. Beide stammen vom hinteren Teile der Nasenhöhle und zeigen die 
in Entwickelung begriffenen Riechmuscheln, die ihre doppeltgewundene Gestalt 
noch nicht erhalten haben und noch nicht verknöchert sind. 

Fig. 56. Durchschnitt durch das Jacobsonsche Organ des Schweines. 
Der Schnitt stammt vom hinteren Teile, wo der Jacobsonsche Gang schon 
reduciert ist und sich in 2 Äste geteilt hat, die die Ausführungsgänge der 
Jacobsonschen Drüse aufnehmen. Das Organ ist vom hakenförmig um- 
gebogenen Jacobsonschen Knorpel umgeben und enthält reichlich eavernöses 
(Gewebe. 

Figg. 57—58. Frontalschnitte durch die Gegend des Jacobsonschen 
Organes eines reiferen Rindsembryo. Fig. 58 zeigt den halbmondförmig 
gebogenen Jacobsonschen Gang in der Hohlkehle des Paraseptalknorpels; 
Fig. 58 stammt weiter nach vorne von der Gegend des Stensonschen Ganges, 
an dessen medialer Seite der eng. gewordene Jacobsonsche Kanal liegt. 

Fig. 59. Ansicht der lateralen Nasenhöhlenwand eines Neugeborenen, 
wo 3 Siebbeinmuscheln vorhanden sind. Die untere Siebbeinmuschel ist an 
ihrem Anheftungsrande abgeschnitten, damit man die Bulla ethmoidalis und den 
Siebbeinhacken sehen kann. Vor der mittleren Muschel liegt das Agger nasi, 
das ähnliche Lageverhältnisse hat, wie das Nasoturbinale der Affen (z. B. an 
27. Taf. V). 

Tafel X. 


Figg. 60—66. Frontalschnitte durch die Nasenhöhle eines 3'/s Monate 
alten menschlichen Embryo. Die Figg. 60-61 stammen vom vorderen 
Teil, Figg. 62--63 vom mittleren Teil und die Figg. 64—66 vom hinteren Teil 


Verzeichnis der Abbildungen. 107 


der Nasenhöhle; an den letzten Schnitten sind die Keilbeinhöhlen und der 
Nasenrachengang getroffen. Das Jacobsonsche Organ liegt in den vordersten 
zwei Schnitten (Figg. 60—61) an einer verdünnten Stelle des Septalknorpels. 

Figg. 67—69. Querselinitte durch das Jacobsonsche Organ 4—5 Monate 
alter menschlicher Embryonen bei stärkerer Vergrösserung. Die Figg. 67 
und 69 stammen aus der Gegend der Mündung‘, Fig. 68 aus dem mittleren 
Teil des Kanales. 


TMatoel XT. 


Figg. 70—73. Ausgewählte Frontalschnitte durch den Vorderkopf des 
Laubfrosches, halbsehematisch. Fig. 70 stammt aus der Gegend der Nasen- 
öffnung. Fig. 71 zeigt die Hauptnasenhöhle mit ihren unteren Anhängen (recess 
mediat. u. lat.); Fig. 72 enthält an der linken Seite die Choane und zeigt 
die seitliche Gaumenfurche (sule. maxillopalatinus) mit dem secundären 
Gaumenfortsatze (palat. secund.). Fig. 73 stammt von der Gegend hinter 
der Choane und zeigt am Boden der Nasenhöhle den Riechhügel. 

Figg. 74—76. Frontalschnitte durch die Nasenhöhle eines 15 mm langen 
Rindsembryo. An Fig. 74 ist die Mündung des Jacobsonschen Ganges 
im mittleren Stirnfortsatz zu sehen. Fig. 75 zeigt den Kanal selbst, und 76 
stammt aus der Gegend der primären Choane, wo kein Jacobsonsches Organ 
mehr vorhanden ist. Die Knorpelbildung ist im mittleren Stirnfortsatz eben 
im ersten Stadium, die Oberkieferfortsätze bestehen noch aus Mesenchym. 

Figg. 77 u. 78. Frontalschnitte durch die Nasenhöhle eines 14mm langen 
Eichhörnchenembryos. Fig. 77 traf das in Einstülpung begriffene 
Jacobsonsche Organ (organ. Jacobs.) an der medialen Seite des mittleren 
Nasenfortsatzes; Fig. 73 stammt aus der hinteren Gegend des Organes, wo 
es noch aus einem Epithelzapfen besteht. 

Fig. 79. Horizontalschnitt durch die Nasenhöhle eines 16 mm langen 
Katzenembryo. Die primäre Nasenhöhle hat an ihrer medialen Seite eine 
lange Einstülpung, aus der das Jacobsonsche Organ wird. Der vordere Teil 
des Organs entsteht durch Schliessung einer länglichen Rinne, — der hintere 
aber wächst nach dem Typus der Drüsen als solider Epithelzapfen in das 
Mesenchym des mittleren Stirnfortsatzes hinein (wie in Fig. 78) und wird nach- 
träglich hohl. 


Dan ER oe ra er AN Ar BER ie ie 

Mi are Aner Ar Sr RER ET NN A 
j .. Per 2 Ps s ut 

- eis E em ii» aA > | 

u cn Mar; 


Haar TEE a j 


rn ER 


=. RE . 


h zu u 


ATS DEM HISTOLOGISCHEN INSTITUT DER UNIVERSITÄT IN WIEN. 


BEITRAG 


ZUR 


HISTOLOGIE DES EIERDTOCKES DES MENSCHEN 


DER SÄUGETIERE 


BEMERKUNGEN ÜBER DIE BILDUNG VON HYALIN UND PIGMENT, 


VON 


HANS RABIL, 


WIEN. 


Mit 41 Figuren auf Tafel XII/XVIII. 


Schon im Laufe des Winters 1896/97, als ich eine Reihe 
von Tierovarien untersuchte, um einen Einblick in die Wachs- 
tums- und Reifeerscheinungen der Eikerne zu gewinnen, er- 
weckten die verschiedenen Bilder, welche ungeplatzte und sich 
rückbildende Follikel darbieten, mein lebhaftestes Interesse. 
Da nun die Erwerbung eines grösseren Materiales, insbesonders 
zum einwandfreien Nachweis der Bildung des ersten Richtungs- 
körpers in normalen Follikeln eine längere Zeit in Anspruch 
zu nehmen versprach, so entschloss ich mich, die bis dahin 
gesammelten Erfahrungen über das Wachstum der Eizelle in 
einer vorläufigen Mitteilung zu publizieren und wandte mich den 
Vorgängen bei der Rückbildung der Follikel zu. 


Ein Blick in die Litteratur darüber ergiebt, dass zwar bereits 
eine grosse Zahl von Arbeiten über Follikelatresie vorhanden ist, 
dass aber hinsichtlich einiger, gerade recht wichtiger Erschein- 
ungen eine Übereinstimmung noch nicht erzielt wurde. Indem 
ich nun die verschiedenen Angaben an einem reichen Material 
nachprüfte, bin ich in der Lage, jenen Prozess nach eigenen 
Beobachtungen neuerdings einer Schilderung zu unterwerfen und 
hoffe damit die behandelte Frage wenigstens zu einem vor- 
läufigen Abschluss zu bringen. 


Ausser diesen, im ersten Teil der vorliegenden Arbeit nieder- 
gelegten Untersuchungen wollte ich aber auch noch zu einer 


112 HANS RABL, 


zweiten Frage einen Beitrag steuern. Im Jahre 1896 hatte 
Sobotta auf Grund von geradezu pedantisch-genauen Unter- 
suchungen die Bildung des Corpus luteum bei der Maus in 
einer jeden Zweifel ausschliessenden Weise beschrieben. Von 
diesem Augenblick an war jener Vorgang für die ganze Säuge- 
tierreihe im Prinzip festgestellt, denn man muss wohl Sobotta 
beistimmen, wenn er sagt, dass es ihm „unverständlich“ sei, 
„dass die Bildung des Corpus luteum bei anderen Tieren und 
insbesonders beim Menschen“ in anderer Form als bei der 
Maus vor sich gehen könne. 

Eine Bestätigung der bei der Maus erhobenen Thatsachen 
erbrachte zunächst Sobotta selbst für das Kaninchen. Einige 
kleine Abweichungen, die sich in diesem Falle immerhin vor- 
finden, werde ich später noch besprechen. Für den Menschen 
war bisher nahezu ausschliesslich die ursprünglich von C. E. 
von Baer ausgesprochene ‚Lehre, dass die Luteinzellen von 
der Theka abgeleitet werden müssten, in Geltung. Diese An- 
sicht wird auch noch von Nagel vertreten, trotzdem er bereits 
Kenntnis von den Verhältnissen bei der Maus besass. Darum 
erschien es mir besonders dankbar, neue Untersuchungen an 
diesem Objekt vorzunehmen. Leider konnte ich aber nur eine 
sehr unvollkommene Reihe der ersten Entwickelungsstadien 
der gelben Körper zusammenstellen, die aber immerhin einige 
bemerkenswerte Thatsachen ergab. Ich berichte darüber im 
2. Teil dieser Arbeit. Dagegen hatte ich Gelegenheit, einige 
interessante Beobachtungen hinsichtlich der Rückbildung der 
gelben Körper zu machen und die Bildung der Corpora fibrosa 
genauer zu studieren. Für gewöhnlich wird jener Vorgang als 
Paradigma für die Bildung einer Narbe hingestellt und mit nur 
wenigen Worten abgethan. Es wird sich aber aus meinen Dar- 
legungen ergeben, dass er von verschiedenen Gesichtspunkten 
aus näheres Interesse verdient. 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 113 


Material und Methode. 


Das Material für die vorliegende Arbeit bildeten die Eier- 
stöcke von Mäusen, Ratten, Meerschweinchen, Kaninchen, Katzen 
und vom Menschen. Die tierischen Eierstöcke wurden teils 
in Sublimat, Eisessig-Sublimat und Pikrinsäure-Sublimat, teils 
in Flemmingscher oder Hermannscher Lösung fixiert 
die menschlichen Ovarien dagegen waren zumeist in Alkohol 
gehärtet und nur diejenigen, welche durch eine Operation ge- 
wonnen waren oder bei denen die Sektion unmittelbar nach 
dem Tode stattgefunden hatte, waren in Sublimat, Zenkersche 
oder Flemmingsche Flüssigkeit eingelegt worden. Die tieri- 
schen Ovarien wurden, ohne vorher in kleine Stücke zerteilt 
zu werden, in Serienschnitte zerlegt. An den menschlichen 
Ovarien dagegen wurden nur jene Partien der mikroskopischen 
Untersuchung zugeführt, welche schon bei Betrachtung mit 
freiem Auge teils von der Oberfläche, teils am Durchschnitt 
irgend einen interessanten Inhalt: einen besonders grossen Fol- 
likel, ein Corpus luteum oder Corpus fibrosum erkennen liessen. 
Ich habe in dieser Weise die Ovarien von 25 Frauen untersucht. 
Hierzu kommen noch einige Corpora lutea, welche, aus dem 
Ovarialgewebe herausgeschnitten, mir freundlichst überlassen 
worden waren. 

Unter den 25 Fällen sind 8, an welchen die Ovarien 
operativ entfernt waren, die übrigen 17 stammten von Leichen. 
In den 8 Fällen waren die Ursachen der Entfernung teils Osteo- 
malacie (2), teils Myome des Uterus (3), wobei 2 Fälle durch gleich- 
zeitige Gravidität kompliziert waren. In einem Falle endlich konnte 
die Ursache der Enfernung nicht mehr eruiert werden. Von 
den 17 von Sektionen stammenden Eierstockpaaren besitze ich 
ausführliche Krankengeschichten und Sektionsbefunde nur 
bezüglich 5 Fällen. Es ergiebt sich also, dass ich leider nur 
bei 12 Eierstockspaaren einige Daten hinsichtlich ihrer Trägerinnen 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXIVXXXVYV. Heft (11. Bd., H. 12). 8 


114 HANS RABL, 


mitteilen kaun. Ich werde dies gelegentlich der Beschreibung 
der an den betreffenden Serien gemachten Beobachtungen thun, 
und will an dieser Stelle nur im voraus bemerken, dass alle 
Eierstöcke mit Ausnahme eines Paares, welches einer Person 
angehörte, die 9 Tage nach der Geburt eines reifen Kindes an 
eitriger Peritonitis gestorben war, durchaus normal waren. Dies 
eilt auch von denjenigen Fällen, bei welchem der Uterus myo- 
matös entartet war oder die Frau an Osteomalacie gelitten 
hatte. In einem Falle wurden in einem Eierstock Metastasen 
eines Brustdrüsencareinoms gefunden. Das angrenzende Gewebe 
aber zeigte sich gesund. 

Da ich mich vorzüglich mit der Bildung des gelben Körpers 
beschäftigte, so wählte ich fast ausschliesslich solche Oyarien zur 
Untersuchung, welche Frauen angehört hatten, deren Geschlechts- 
thätigkeit in voller Blüte stand. Ein einziger Fall, der ein 
14jähriges Mädchen betraf. und 2 Fälle, in welchen es sich um 
alte Frauen handelte, machten hievon eine Ausnahme. 

Die Schnitte der in Alkohol und den verschiedenen Subli- 
matgemischen gehärteten Objekte wurden vorzüglich mit Häma- 
toxylin (oder Hämalaun) und Eosin gefärbt. Ausserdem 
wurden für verschiedene Zwecke eine Reihe anderer Färbungen 
versucht, die ich später noch erwähnen werde. In keinem Falle 
wurde die Behandlung einzelner Schnitte mit dem van Gieson- 
schen Gemisch (Pikrinsäure-Säurefuchsin) versäumt. Die in 
Flemming- und Hermannscher Lösung fixierten Präparate 
wurden teils mit Saffranin, teils mit Eisenhämatoxylin — wie 
übrigens auch einige in Sublimat gehärtete Eierstöcke — in 
jener Weise gefärbt, die ich in meiner Arbeit über die Rich- 
tungsspindeln in degenerierenden Follikeln beschrieben habe. 
Endlich muss ich noch bemerken, dass ich auch wiederholt 
frische Ovarien unter Zusatz von physiologischer Kochsalzlösung 
zerzupfte, um durch Vergleich der so gewonnenen Präparate 
mit den Schnitten einen klareren Einblick in die Formverhält- 
nisse der verschiedenen Zellen und Zellkomplexe zu gewinnen. 


Beitrag zur Histologie des Kierstockes ete. 115 


Das verwendete menschliche Material stammte teils aus 
dem pathologischen Institut der Universität und aus den Pro- 
sekturen des k. k. Rudolfspitales und k. k. Kaiser Franz 
Joseph-Spitales, teils aus der I. und II. geburtshülflichen Klinik, 
ein Fall aus der Privatpraxis von Herrn Professor Hochenegg. 
Allen jenen Herren, durch deren freundliche Unterstützung in 
dieser Richtung dieser Teil meiner Arbeit ermöglicht wurde, 
spreche ich hiermit meinen verbindlichsten Dank aus. 


Die Rückbildung ungeplatzter Follikel. 


Die Follikelatresie war schon lange zuvor beobachtet worden, 
ehe sie als ein normaler Vorgang erkannt wurde. Schon Rein- 
hardt beschreibt im 1. Band des Virchowschen Archives in 
sehr zutreffender Weise die einzelnen Phasen der Degeneration 
der Follikel im Schweinsovarium. Im Beginne der Rückbildung 
erscheinen sie noch durchsichtig und wasserhell, später aber 
wird ihr Inhalt getrübt und erhält eine gelbliche Farbe. All- 
mählich nimmt auch die Konsistenz zu, an Stelle des Liquor 
tritt eine eiterartige Masse, die nach und nach fester, zum 
Schluss trocken und brüchig wird. Auch das Auftreten einer 
fettigen Degeneration des Granulosaepithels ist durch den Nach- 
weis von seiner Umwandlung in Körnchenzellen zum ersten- 
male in diesem Falle sicher gestellt worden. Aus den Körnchen- 
zellen werden Körnerkonglomerate und blasse, kernlose Gebilde. 

Im Jahre 1863 brachte Pflüger einen weiteren Beitrag 
zu dieser Frage, indem er als erster einen der Furchung ana- 
logen Zerfall der Eizelle beschrieb und als den Ausdruck ihrer 
Degeneration auffasste. Auch das Eindringen von Zellen in 
die Zona pellucida des Eies wurde von ihm beobachtet, doch 
wagte er noch keine bestimmte Deutung dieses eigentümlichen 
Phänomens. Zu welchen weitgehenden und, wie sich in der 
Folge zeigte, ganz irrtümlichen Schlüssen dasselbe Veran- 
lassung geben konnte, wenn man nicht gleichzeitig das Aus- 

8* 


116 HANS RABL, 


schen des Follikels einer Prüfung unterwarl, beweist die 
Arbeit Lindgrens. Doch will ich darauf nicht weiter ein- 
eehen, da sie sich nicht mit dem eigentlichen Thema dieses 
Kapitels beschäftigt. Ich will nur betonen, dass es dem 
schwedischen Forscher gelungen ist, den Nachweis vom Durch- 
wandern von Zellen, welche er als Granulosazellen anspricht, 
durch die Eihülle in einwandfreier Weise zu erbringen. Dass die- 
jenigen Eizellen, in deren Dotter Granulosazellen gefunden 
werden, der Degeneration verfallen sind, wurde zuerst von 
Wagener angegeben. 

His berichtet über zwei Beobachtungen hinsichtlich rück- 
gebildeter Follikel, von welchen die eine den Menschen, die 
andere die Kuh betrifft. Doch dürfte im ersten Falle kein 
rückgebildeter Follikel, sondern ein Corpus fibrosum vorgelegen 
haben; auch die Beschreibung des zweiten Falles ist so wenig 
klar, dass ich mich nieht weiter damit beschäftigen kann. — 

Alle diese Beobachtungen, sowie die von Carus, Bischoff, 
Henle, Virchow und anderen trugen nur wenig zur Klärung 
der Frage bei, weil die von ihnen gefundenen Beispiele von 
degenerierendoen Follikeln nur für zufällige Ausnahmen oder 
pathologische Vorgänge gehalten wurden. Erst durch Grohe 
und Slavjansky wurde eine Entscheidung in dieser Sache ge- 
troffen. 

Grohe untersuchte als erster in systematischer Weise die 
Ovarien von Kindern und fand in ihnen Graafsche Follikel 
in allen Stadien ihrer normalen Entwickelung. Da sie aber be- 
kanntlich im jugendlichen Alter niemals zur Reife gelangen, 
so musste er logisch schliessen, dass sie sich alle wieder rück- 
bilden. Diesen Schluss fand er auch durch die Beobachtung 
bestätigt. Die Atresie vollzieht sich nach seinen Beobachtungen 
in der Weise, dass die Follikelzellen durch fettige Degeneration 
zu Grunde gehen, während sich an der Innenseite des Follikels 
eine „Glasmembran“ entwickelt, die sich von dem umliegenden 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. AR 


Gewebe durch ihr gleichmässig durchscheinendes Aussehen 
scharf abhebt. Diese letztere Bildung findet er insbesondere 
in jenen Follikeln, von welchen anzunehmen ist, dass sie lange 
Zeit bestanden hätten, ehe sie steril geworden seien. Eine 
Membrana propria, wie sie zwischen Follikelwand und Epithel 
von Barry, Bischoff, Kölliker und Steinlein beschrieben 
worden war, konnte er nicht auffinden und war darum auch 
nicht in der Lage, jene Glasmembran für die normale, selbst- 
ständige Cystenwand zu erklären. 

Diese Beobachtungen Grohes sowohl hinsichtlich des 
Wachstums als der Degeneration der Graafschen Follikel beim 
Kind wurden seither von allen Forschern bestätigt. So be- 
schreibt beispielsweise Waldeyer im Eierstock eines 2'/. jährigen 
Kindes Follikel von 1—1!/z mm Durchmesser mit nahezu reifen 
Eiern. Schon vorher hatten Henle und Luschkain den Ovarien 
vielfach zusammengefaltete, homogene, glänzende Membranen mit 
körnigem Inhalt aufgefunden, die sie als abortiv zu Grunde ge- 
gangene Follikel angesprochen hatten. Henle schätzte nach 
Zählung der Follikel Eines (!) Schnittes im Ovarium eines 
18jährigen Mädchens die Zahl sämtlicher Eier im menschlichen 
Ovarium auf 36000, eine Zahl, welche Waldeyer nicht für zu 
hoch gegriffen hält. Ich muss anfügen, dass erst kürzlich von 
Heyse abermals eine Schätzung der Follikel bei einem 17 jährigen 
Mädchen vorgenommen wurde, wobei die Methode etwas weniger 
ungenau als die von Henle war; immerhin erhebt auch sie 
weder für den gegebenen Fall, noch weniger natürlich für die 
Gesamtheit der Ovarien Anspruch auf Richtigkeit. Heyse 
berechnete 17600 Eier pro Eierstock. So wenig zuverlässig 
diese beiden Zahlen sind, so wird doch kein Forscher, welcher 
sich mit dem mikroskopischen Studium der Eierstöcke be- 
schäftigt hat, die Möglichkeit leugnen, dass bei gesunden jungen 
Mädchen, die in das Alter der Geschlechtsreife erst kürzlich 
eingetreten sind, eine so grosse Zahl von Eiern vorkommen 


118 HANS RABL, 


kann. Sie wird aber durch die ununterbrochen sich abspielenden 
Degenerationen ausserordentlich schnell und stark reduziert und 
ich zweifle nicht, dass in vielen Fällen die Sterilität einer Frau 
nur in der geringen Zahl gelegen ist, in der die wachsenden 
Follikel ihre Reife erreichen. Solche Fälle können gewiss nicht 
mehr als normale gedeutet werden; es scheint mir aber gegen- 
wärtig sehr schwierig, dass eine Grenze zwischen physiologischer 
und pathologischer Follikelatresie gezogen werde. 


Es sei bei dieser Gelegenheit eine Bemerkung hinsichtlich 
der „kleineystischen Degeneration“ eingefügt. Ich stimme mit 
Nagel vollkommen überein, wenn er meint, dass in vielen 
Fällen diese Diagnose ohne genügende histologische Untersuch- 
ung gestellt wird. Ich erinnere mich an ein Ovarium, welches 
von einer Frau stammte, die wegen Myoma uteri operiert 
worden war, und welches beim Durchschneiden eine grosse 
Zahl von Bläschen zeigte, die Flüssigkeit entleerten, und von 
denen einzelne sogar die Grösse eines Kirschkerns besassen. Das 
eigentliche Stroma des Ovariums war auf die oberflächliche 
Umhüllung und auf dünne Scheidewände zwischen den Bläs- 
chen reduziert. Da ich in den übrigen Ovarien niemals eine 
so reiche Menge gleichzeitig in Entwiekelung befindlicher' 
Graafscher Follikel angetroffen hatte, glaubte ich, dass es sich im 
vorliegenden Falle nicht um normale Bildungen handeln könne. 
Die mikroskopische Untersuchung aber belehrte mich, dass sämt- 
liche Follikel Eier enthielten und von einer normalen Membrana 
granulosa ausgekleidet waren. Derartige Fälle von „Follikular- 
hypertrophie“, wie Ziegler jenen Zustand zu bezeichnen vor- 
schlug, dürften sicherlich wiederholt für „kleineystische Degene- 
ration“ angesehen worden sein. Trotzdem will ich nicht zweiteln, 
dass auch oftmals jene Bläschen atretisch gefunden werden, und 
die Eierstöcke dann jenes Bild darbieten, wie es u. a. von 


Bulius beschrieben wurde. Es ist aber in diesem Falle ebenso 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 119 


schwer wie in follikelarmen Ovarien, die normale Degeneration 
von einer pathologischen abzugrenzen. 

Der erste, welcher die Atresie als einen normalen Vorgang 
nicht nur bei Kindern, sondern auch bei geschlechtsreifen Indi- 
viduen erkannte, war Slavjansky. Doch auch dieser Forscher 
bedurfte mehrerer Jahre, ehe er sich zur richtigen Anschauung 
durcharbeitete; denn in seiner ersten diesbezüglichen Veröffent- 
lichung gab er der Meinung Ausdruck, dass nur bei denjenigen 
Frauen, welche an Amenorrhoe leiden, eine Follikelatresie zu 
beobachten sei. . 

Bei dieser Gelegenheit beschreibt Slavjansky entgegen 
der Ansicht Grohes u. a. zwischen Epithel und Theka eine 
strukturlose Membrana propria, welche schon bei 300 facher Ver- 
grösserung gut sichtbar sei. Sie muss von jener dünnen Hülle 
abgeleitet werden, welche bereits die Pflügerschen Eischläuche 
umgiebt und bildet demnach eine Weiterentwickelung jener 
Membran, welche sich unter dem Keimepithel befindet und be- 
sonders dort gut zu sehen sein soll, wo das Epithel abgehoben 
ist. An einer Abbildung, die Slavjansky von der Glashaut 
eines als normal beschriebenen Follikels giebt, lässt sich jedoch 
mit Sicherheit erkennen, dass er hier die von Grohe beschrie- 
bene Glasmembran degenerierter Follikel vor sich hatte, deren 
Herkunft von einer Membrana propria im Sinne Slavjanskys 
nicht ohne weiteres annehmbar ist. Sie soll aus dem Binde- 
gewebe durch Sklerose seiner Zwischensubstanz hervorgehen. 
Anfangs trifft man noch zellige Elemente in ihr, später aber ver- 
schwinden sie und „verwandeln sich in dieselbe homogene Sub- 
stanz, aus welcher die Membrana propria besteht‘‘. Bei der 
Degeneration der Follikel gehen zunächst die Epithelzellen zu 
Grunde, gleichzeitig zerfallen aber auch die Zellen der sogenannten 
Granulationsschichte (Tunica propria folliculi Henle). Der Innen- 
raum des Follikels füllt sich mit spindelförmigen Zellen an, 
swischen denen viel Intercellularsubstanz auftritt. Auch in der 


120 HANS RABL, 


Follikelwvand erscheinen neue Zellen Beide diese Zellarten 
deutet Slavjansky als eingewanderte weisse Blutkörperchen, 
die aus den Gefässen der Theka stammen. 

In der vier Jahre später erschienenen zweiten Arbeit über 
jenen Prozess teilt Slavjansky eine ganz andere Theorie hin- 
sichtlich der Natur der Membrana propria mit. An normalen 
Follikeln findet er als Grenzschichte zwischen Epithel und Wand 
eine aus platten Zellen zusammengesetzte endothelartige Haut. 
Durch Silbernitrat lassen sich auf derselben Kittlinien wie an 
Endothelien darstellen. Diese Membran geht beim Beginn der 
Degeneration spurlos verloren. Die hierbei an ihrer Stelle er- 
scheinende Glasmembran dagegen, welche sich am Querschnitt 
als glänzender Streifen (Strie brillante) darstellt, muss in der 
oben angegebenen Weise aus der Follikelwand abgeleitet werden. 
Bezüglich der im Innern atretischer Follikel vorkommenden 
Zellen verharrt Slavjansky auf seinem früheren Standpunkt, 
indem er sie als eingedrungene Wanderzellen bezeichnet. 

Hinsichtlich der Natur der Membrana propria fand diese 
Beobachtung eine Bestätigung durch Beulin; dagegen glaubte 
dieser Forscher die im Inneren degenerierender Follikel auf- 
tretenden Zellen von Wucherungen dieses Endothelhäutehens 
ableiten zu müssen. 

Beigel giebt an, dass die Ausfüllung der Hohlräume de- 
generierender Follikel durch feine Fortsätze geschehe, welche 
von der Wand ins Innere hineinsprossen. Gleichzeitig zerfällt 
die Membrana granulosa körnig; die glänzende Haut, welche 
sich zwischen Epithel und Theka bildet, fasst er als kapselartige 
Verdiekung der unmittelbar an den Follikel stossenden Gewebs- 
schichte auf. Bezüglich der Namen Corpus luteum verum und 
spurium macht er den Vorschlag, unter ersterem Ausdruck 
künftighin jeden aus einem geborstenen Follikel hervorgegan- 
genen Körper zu verstehen, während er die ungeplatzt zu Grunde 
gegangenen Follikel als Corpora lutea spuria bezeichnen möchte. 


Lichtdruck von Albert Frisch, Berlin W. 


Verlag von J. F Mann, Wiesbaden. 
1 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 121 


Diese Änderung der Nomenklatur hat aber keinen Beifall ge- 
funden, und nur Paladino sich im gleichen Sinne aus- 
gesprochen. Im übrigen ist die Arbeit Beigels so verworren 
geschrieben, dass es nur schwer hält, die Meinung des Autors 
aus derselben zu entnehmen. 

Dies gilt in noch höherem Grade von der Patenkos. 
Auch dieser will eine Änderung der Nomenklatur herbeiführen, 
indem er den Ausdruck ‚Corpus fibrosum“ nicht nur auf die 
Reste der Corpora lutea, sondern auch auf die degenerierten 
Follikel ausdehnen möchte. Hinsichtlich der Beschaffenheit der 
Membrana propria normaler Follikel schliesst er sich an- seinen 
Lehrer Slavjansky an. Die an degenerierenden Follikeln 
sichtbare homogene Grenzhaut — ich will sie künftighin nach 
ihrem ersten Beschreiber Grohe kurzweg „‚Glasmembran ‘ 
nennen — fasst er als das Produkt einer sklerotischen Umbildung 
derselben auf. 

Wagener konnte in normalen Follikeln eine Begrenzungs- 
schichte im Sinne dieser Autoren nicht auffinden. Nur in nicht 
ganz normalen Follikeln konnte er eine feine Haut nachweisen; 
doch liess sich dieselbe von den Anfängen der „Henleschen 
Membran“ (= Glasmembran) nicht unterscheiden. 

Sinety machte auf ein eigentümliches Verhalten atretischer 
Follikel bei Schwangeren aufmerksam. Er findet gleichwie in 
den gelben Körpern auch in den degenerierten Follikeln 2 Zonen: 
eine innere, aus Schleimgewebe bestehende, und eine äussere, 
welche er mit der Luteinzellschichte vergleicht und nach dem 
Verhalten des Bindegewebes in wenig passender Weise als 
retikuläres Gewebe bezeichnet. Jedesfalls existiert aber bei 
Schwangeren eine Hypertrophie der Follikelwandung im Ver- 
gleich zu den normalen Verhältnissen. 

Lebedinsky korrigiert diesen Ausspruch dahin, dass auch 
unter anderen Umständen dieselbe zellige Verdickung der Wand 
eintreten könne. Er stützt sich hierbei auf einen Befund im 


122 HANS RABL, 


Ovarium eines totgeborenen, nicht ganz ausgetragenen Mädchens. 
Dasselbe enthielt nämlich einen Körper, der aus einem Kern 
und einer schmalen Rinde aufgebaut war. Die Rindenschichte 
bestand aus grossen Zellen, welche gelbbraun gefärbte, in Alkohol 
und Äther unlösliche Körner enthielten. Das Abweichende in 
diesem Falle lag überdies noch darin, dass die Höhle des ehe- 
maligen Follikels nicht vollständig ausgefüllt war, sondern eine 
Flüssigkeit enthielt, sodass man den Körper als eine aus einem 
atretischen Follikel hervorgegangene kleine Cyste auffassen konnte. 


Van Beneden beschreibt die Follikelatresie in den Ova- 
rien von Fledermäusen (Vespertilio murinus und Rhinolophus 
ferrum-equinum). Ohne die Angaben Slavjanskys und der 
eben genannten Forscher in Frage zu ziehen, konnte er doch 
an seinen Objekten niemals die Degeneration grösserer Follikel 
beobachten, sondern fand sie nur bei solchen, welche einen 
Durchmesser von 0,09 bis 0,12 mm besassen. Derartige Follikel 
enthalten noch keinen Hohlraum. Zwischen Granulosa und 
Theka findet sich unter normalen Verhältnissen eine Membran, 
welche keine Kerne enthält. Diese verschwindet zuerst. Dann 
dringt das Bindegewebe der Theka gegen den Follikel vor, indem 
es teils an einzelnen, getrennten Punkten direkt in die Granu- 
losa einwächst, teils, indem die Theka allmählich an Masse zu- 
nimmt, und die Granulosa entsprechend zurückweicht. Das 
Auftreten von Fetttröpfehen konnte er weder im Ei noch in 
den Epithelzellen nachweisen. 


Schulin vertritt gleichfalls die Ansicht, dass die Granu- 
losazellen bei der Follikelatresie nicht durch Verfettung zu Grunde 
gehen, glaubt aber im Gegensatz zu van Beneden, dass sie 
zu Wanderzellen werden. Die Glasmembran leitet er von der 
„im normalen Zustand oft kaum angedeuteten Basalmembran‘“ 
her. Am Ende der Degeneration ist der Follikel von stern- 


förmigen Zellen ausgefüllt, unter welchen sich auch Abkömm- 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 123 


linge der Granulosazellen befinden dürften. Die von Sinety 
und Lebedinsky hervorgehobene Vergrösserung der Theka- 
zellen konnte er bestätigen; er schliesst daraus, dass in der 
Atresie ein Prozess analog dem der Bildung des Corpus luteum 
vorliege, sodass auch hierdurch kleine, gelbe Körper gebildet 
würden. 


Im Jahre 1885 erschien die Arbeit von Flemming über 
Chromatolyse des Follikelepithels und das Auftreten von Rich- 
tungsspindeln in zu Grunde gehenden Eiern. Auch brachte 
dieser Forscher eine genaue Litteraturübersicht der bisher die 
Follikelatresie behandelnden Arbeiten. Der chromatolytische 
Prozess vollzieht sich in der Weise, dass sich das Chromatin 
zu kompakten Massen ballt und der Kernkontur verschwindet. 
Die Endstadien der chromatolytisch degenerierten Follikel be- 
stehen häufig darin, dass eine Gewebemasse, ähnlich der Theka, 
„aber etwas weniger dicht und fibrillenärmer, einseitig in den 
Follikel hineinwächst‘‘; in anderen Fällen wuchert das Binde- 
gewebe konzentrisch vor. Das Auftreten einer Glasmembran ist 
nicht erwähnt. 

Die Angaben von Janosik über die Verhältnisse der Fol- 
likelatresie betreffen vorzüglich die Eizelle und das Epithel. 
Er beobachtete gleich Schulin, Wagener, Lindgren und 
Pflüger das Eindringen von „Granulosazellen“ ins Ei, lässt 
jedoch die Möglichkeit offen, dass auch Bindegewebszellen der 
Theka dabei beteiligt seien. Die Granulosazellen gehen später 
sämtlich zu Grunde, und der Raum des Follikels wird von 


Bindegewebe eingenommen. 


Von Brunn untersuchte das Verhalten degenerierender 
Eier bei Hunden und konnte die von Wagener diesbezüglich 
gegebene Beschreibung erweitern. Ob die in das Ei eindringen- 
den Zellen Follikelepithelien oder Wanderzellen seien, lässt 


er dahingestellt. Die Membrana granulosa geht gewöhnlich 


124 HANS RABL, 


schon zu Grunde, ehe noch die Zona pellucida von Zellen durch- 
setzt wurde. 

Viel ausführlicher beschreibt derselbe Autor die Rück- 
bildungsvorgänge in den Follikeln der Vögel. Wenn ich auch 
nicht auf die an anderen Wirbeltierklassen erhobenen Befunde 
in dieser Richtung eingehen werde, so muss ich doch diese 
Arbeit mit wenigen Worten erwähnen, da sie einige Punkte ent- 
hält, welche auch für die an Säugetieren in Frage kommenden 
Prozesse von Wichtigkeit sind. 1. Konnte von Brunn die An- 
gabe Waldeyers bestätigen, dass hier zwischen Theka und 
Epithel ein glashelles, durchaus homogenes Häutchen existiert, 
welches als Kutikularbildung aufzufassen ist. 2. Verfolgte er 
die Umbildung der FEpithelzellen zu Sternzellen, ein Vorgang, 
der sich unter den Säugetieren bei der Katze wiederholt. 
3. Konnte er nachweisen, dass die in den Dotter eindringenden 
Zellen Wanderzellen seien. - Unter ihrer Einwirkung kommt der 
Dotter allmählich zum Schwunde, die eingewanderten Zellen 
nehmen Spindelform an, werden zu Bindegewebe, welches sich 
mit der Wand des Follikels verbindet, und füllen so schliesslich 
den ganzen Hohlraum aus. 

Schottländer hat in drei Arbeiten unsere Kenntnisse 
über die Follikelatresie wesentlich gefördert. Er schreibt u. a.: 
„Die Atresie ist keine Erkrankungsform, kein pathologischer 
Befund und darum auch nicht als solcher zu bezeichnen (ebenso 
wie der Ausdruck normal im Sinne von nichtatretisch nur der 
Kürze halber zulässig ist).‘“ In seiner ersten Publikation be- 
stätigt er die Existenz einer homogenen Grenzhaut zwischen 
Granulosa und Theka an normalen Follikeln; auf seine Befunde 
an degenerierenden Eiern will ich nicht näher eingehen, da ich 
nicht beabsichtige, einschlägige eigene Beobachtungen mit- 
zuteilen, weil dieser Punkt bereits hinreichend in der Litteratur 
erörtert ist. Die Degeneration der Follikelzellen beschreibt er 


wie Flemming; ich werde darauf später noch zurückkommen. 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 125 


Doch unterscheidet er, abgesehen von dem fettigen Zerfall ihres 
Protoplasmas, zwei weitere Formen des Unterganges. Bei der 
einen verschwindet der Zellleb, ohne dass das ‚„Wie“ dieses 
Vorganges näher eruiert werden konnte; die zweite Art dürfte 
auf eine einfache Atrophie des Epithels durch Druck von seiten 
der gewucherten Theka zurückzuführen sein. Die den Follikel- 
raum nach Degeneration der Epithelzellen neu ausfüllende 
Zellmasse ist ein Produkt der Tunica interna. Wanderzellen 
sowie Wucherungen des Endothels müssen für die grösseren 
Follikel als Quelle des Gewebes zurückgewiesen werden. Dagegen ' 
können diese zwei Faktoren bei der Anfüllung kleinerer und 
mittelgrosser Follikel mit den einwuchernden Thekazellen kon- 
kurrieren. Von einer Glashaut macht er keine Erwähnung. 

In seiner zweiten Arbeit schildert Schottländer die 
Membrana propria sowohl beim Menschen wie bei Tieren und 
findet sie in allen untersuchten Fällen, mit Ausnahme des 
Schweines, als eine glashelle Membran, die aber weder hin- 
sichtlich ihrer Deutlichkeit noch ihrer Dicke konstant ist. Bei 
den jüngeren und jüngsten Follikeln des Menschen wird sie 
gewöhnlich aber nicht immer vermisst. Manchmal trifft man in 
ihr Kerne, welche denen der inneren Thekalage gleichen, sodass 
sie den Charakter einer Glashaut verliert und als innerste Theka- 
schichte angesehen werden muss, „deren Gewebe nach Unter- 
gang aller oder eines Teiles ihrer Zellen aufgequollen ist“. Die 
bei degenerierenden Follikeln auftretende Glasmembran, welche 
Schottländer in seiner ersten Arbeit nicht erwähnte, hält er 
gleichwie die Membrana propria normaler Follikel für hyalin 
umgewandeltes Bindegewebe und bemerkt auch gelegentlich, dass 
die Substanz der Corpora fibrosa aus derselben Masse gebildet sei. 

Nach den Untersuchungen von Alexenko geht der Follikel- 
atresie eine albuminöse Degeneration der Epithelzellen voraus, 
welche, solange sie auf eine nur geringe Zahl von Zellen be- 
schränkt bleibt, jene Körper liefert, welche von Flemming als 


126 HANS RABL, 


Epithelvakuolen bezeichnet wurden. — Das hauptsächlichste 
Material Alexenkos bildeten kleineystisch degenerierte Ovarien. 
(13 Fälle von 21 im ganzen untersuchten). Der Beginn der 
Degeneration äussert sich in Vermehrung der Granulosazellen, 
welehe sich in Reihen von 10—12 ordnen und in Vermehrung 
und excessiver Vergrösserung der Elemente der 'Tunica propria, 
welche das Aussehen von Luteinzellen erhalten. Die weiteren 
Veränderungen sind vom Verhalten des Stromas abhängig. Ist 
dasselbe intakt, so vollzieht sich die Rückbildung der „klein- 
eystisch degenerierten“ Follikel nach denselben Gesetzen, welche 
von Slavjansky bei der physiologischen Atresie beobachtet 
wurden. Ist jedoch das Stroma Sitz von Entzündungen, so ver- 
fällt der Follikel einer einfachen Atrophie. 

Einen ziemlich isolierten Standpunkt in der Frage der Fol- 
likelatresie vertritt Holl. Er hält die Chromatolyse des Follikel- 
epithels für eine Reifeerscheinung und meint, dass die meisten 
der von Flemming in seiner oben erwähnten Arbeit be- 
schriebenen Eier normale gewesen seien. Dass die Corona 
radiata in vielen unter jenen Follikeln, welche von anderen 
Autoren als in Rückbildung begriffen aufgefasst wurden, ver- 
loren gegangen war, beweist ihm nur, dass die reife Eizelle 
keine ernährenden Granulosazellen mehr brauche. 

In sehr ausführlicher Weise hat Hoelzl die Follikelatresie 
an einem reichen menschlichen Material bearbeitet. Er findet 
ebenso wie Slavjansky und andere im kindlichen Eierstock 
zahlreiche degenerierte Follikel und giebt zu, dass niemals irgend 
eines der zahlreich zur Entwickelung kommenden Graafschen 
Bläschen seine volle Reife erlange. Dennoch bezeichnet er ihre 
Rückbildung als einen pathologischen Vorgang, da dieselbe in 
jedem einzelnen Falle durch irgend eine kleine pathologische 
Veränderung ausgelöst werde. Diese Definition scheint mir aber 
denn doch zu strenge. Auch die Glasmembran hält er für ein 
pathologisches Produkt. Das in den Follikel eindringende Ge- 


Beitrag zur Histologie des Kierstockes etc. 127 


webe leitet er von den fixen Zellen der Theka ab, ohne aber 
eine gleichzeitige Beteiligung von Leukocyten völlig von der 
Hand zu weisen; nur schreibt er ihnen eine untergeordnete 
tolle zu. Die Zellen innerhalb der Zona pellucida werden als 
Wanderzellen betrachtet. Die den Defekt ausfüllenden Zellen 
sind von Blutgefässen begleitet, welche sich später wieder rück- 
bilden, wobei es manchmal zu Blutungen kommen kann. 

Im Gegensatz zu den meisten Autoren konnte Henneguy 
nur in sehr wenig Fällen aus einer grossen Zahl untersuchter 
Tiere Zellen innerhalb der Zona pellucida auffinden. Er glaubt 
daraus schliessen zu müssen, dass, wo dieser Fall eintrete, es 
nur in den Endstadien der Degeneration geschehe. Im Ovarium 
einer jungen Katze beschreibt er die Umwandlung der Granu- 
losazellen in junges Bindgewebe. Auch Flemming war es 
nicht gelungen, deutliche Bilder von Chromatolyse und Fett- 
degeneration bei der Katze aufzufinden. Eine abweichende An- 
gabe machte nur Wagener, der speziell auf den Fettreichtum 
atresierender Follikel dieses Tieres aufmerksam gemacht hat. 

Aus der neuesten Zeit stammt die Arbeit von Bulius und 
Kretschmar und die dritte von Schottländer. Die ersteren 
zwei Autoren gingen bei ihren Beschreibungen von einem eigen- 
tümlichen Krankheitsbilde gewisser Eierstöcke aus, welches sie 
unter dem Namen der Angiodysthrophia ovarii von der chro- 
nischen Oophoritis zu unterscheiden suchten. Sie heben zu- 
nächst eine excessive Hyalindegeneration der Gefässe hervor, 
welche einerseits bis zur völligen Oblitteration der Lumina gehen 
kann, die aber auf der anderen Seite durch eine reichliche Neu- 
bildung paralysiert wird. Ferner fanden sie aber auch Follikel 
jeder Grösse in Rückbildung begriffen. Die hierbei auftretende 
Glasmembran leiten sie von der Tunica interna ab, deren Zellen 
frühzeitig degenerieren und zu einer hyalinen Masse werden. 
Das Gewebe, welches den Follikel ausfüllt, stammt von der 
Tunica externa: es wuchert „ein Netzwerk feinster Bindegewebs- 


128 HANS RABL, 


fasern hervor, in welchem einzelne spindelförmige Kerne liegen, 
und dringt zwischen die Zellen der Theka interna ein“. Im 
zweiten Stadium, in welchem die Zellen der Theka interna be- 
reits „wie wequollen‘‘ erscheinen, bilden diese vordringenden 
Bindegewebsmassen bereits eine geschlossene Lage zwischen 
Granulosaepithel und Theka. Schliesslich, wenn die Granulosa 
zerfallen ist, rückt das neue Gewebe gegen das Lumen kon- 
zentrisch vor, lässt aber auch dann noch den Zusammenhang 
mit seinem Mutterboden erkennen. 

Bilder, welche den hier geschilderten in vieler Beziehung 
gleichen, hatte Schottländer Gelegenheit, in den Ovarien von 
drei wegen Östeomalacie kastrierten Frauen zu beobachten. 
Auch dort war die starke Schlängelung und hyaline Entartung 
der Gefässe sehr auffallend, die Primordialfollikel waren ihrer 
Zahl nach reduziert, die grösseren Graafschen Follikel auf 
dem Wege der Verödung, viele von Hämorrhagien erfüllt. Hin- 
sichtlich der Deutung der Prozesse, welche sich bei der Atresie 
abspielen, beharrt er auf seinem früheren Standpunkte und 
betont insbesondere, dass er schon vor Hoelzl die Glasmembran 
als hyalin umgewandeltes Bindegewebe der Theka aufgefasst 
habe. Gegenüber der Annahme, dass die den Follikel aus- 
füllende Zellwucherung von der Theka externa ausgehe, be- 
merkt er unter Berufung auf seine früheren Arbeiten: „In überaus 
zahlreichen Fällen, besonders auch bei Tieren, waren die ein- 
wuchernden Zellen so gross, so deutlich epitheloid, so durchaus 
anders beschaffen wie die Spindelzellen der Theka externa, dass 
eine Herkunft von letzteren schon deshalb ausgeschlossen 
erschien.“ Trotzdem will er auf Grund der positiven Angaben 
von Bulius und Kretschmar die Beteiligung der Theka 
exierna an diesen Prozess nicht gänzlich ausschliessen, wie er 
auch die gleiche Möglichkeit hinsichtlich der Leukocyten 


offen hält. 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 129 


Die Theka normaler Follikel. 


Ich habe hiermit versucht, den wesentlichen Inhalt der über 
Follikelatresie handelnden Arbeiten zu skizzieren. Wenn ich 
mich auch bemüht habe, einen genaueren Einblick in die 
Litteratur zu gewinnen, so will ich doch gerne zugestehen, dass 
mir die eine oder andere Arbeit entgangen sein kann, denn es 
sind die bezüglichen Mitteilungen nicht nur in histologischen, 
sondern auch — und zwar zumeist — in geburtshülflichen und 
medizinischen Zeitschriften enthalten, oftmals im Anschluss an 
eine klinische oder pathologisch-anatomische Mitteilung, und 
da ist dann ein Übersehen doppelt leicht möglich. — Immerhin 
denke ich, die strittigsten Punkte in der Frage scharf hervor- 
gehoben zu haben. Sie betreffen 

1. das Verhalten des Granulosaepithels; 

2. die Herkunft jener Zellen, welche in den Follikel ein- 
dringen und ihn allmählich ausfüllen; 

3. endlich die Entstehung und Natur der Glasmembran. 

Da die Autoren fast einstimmig der Ansicht huldigen, dass 
die Granulosazellen zu Grunde gehen, ein Ausspruch, dem ich 
mich ohne Einschränkung anschliesse, so bleibt als Quelle der 
beiden letztgenannten Neubildungen nur die Wand des Follikels 
übrig. Darum scheint es mir geboten, zunächst auf deren Bau 
im normalen Zustande einzugehen, ehe ich an die Beantwortung 
der aufgeworfenen Fragen schreite. 

Bekanntlich unterscheidet man seit Henle an der Wand 
des Follikels eine äussere Tunica fibrosa und eine innere Tunica 
propria. Die Tunica fibrosa besteht aus sehr grossen spindeligen 
Zellen, - welche denen des Eierstockstromas völlig gleichen 
und ihre Zugehörigkeit zum Follikel nur dadurch beweisen, dass 
sie denselben in Bögen umlagern. An jüngeren Follikeln geht 
diese Schichte unmerklich in das äussere Nachbargewebe über, 
an älteren findet eine Auflockerung desselben durch Zunahme 


Anatomisehe Hefte. I. Abteilung. XXXIVXXXV. Heft 11. Bd., H. 12). 9 


130 HANS RABL, 


der Intercellularflüssigkeit statt, sodass man leicht imstande ist, 
den Follikel im frischen Zustand aus dem Eierstock heraus- 
zuschälen. 

Diese Auflockerung des Gewebes tritt in gewissen patho- 
logischen Fällen mit besonderer Prägnanz hervor, indem sie 
auch auf die Tunica propria des Follikels übergreift; es ge- 
schieht dies dann, wenn sich ein grosser Follikel in eine Cyste 
umbildet. Dieser Prozess ist von Steffeck an einem reichen 
Material verfolgt worden, ohne dass jedoch dieses Detail be- 
schrieben worden wäre. Ich selbst hatte Gelegenheit, derartige 
Bilder in zwei Fällen zu beobachten. Wenn man einen Follikel 
betrachtet, dessen Wand in cystischer Umbildung begriffen ist, 
so findet man sie an verschiedenen Stellen von sehr verschiedenem 
Aussehen. Dort, wo das Epithel mehrschichtig ist und die ganz 
gewöhnliche Konfiguration darbietet, liegt unter ihm eine normale, 
aus grossen, polygonalen, eng aneinanderschliessenden Zellen 
‚aufgebaute Tunica propria; in dem Masse aber, als die Zahl der 
Schichten des Granulosaepithels abnimmt, rücken die Zellen 
allmählich auseinander. Wo schliesslich die Granulosa auf eine 
einzige, von Üylinderzellen gebildete Lage reduziert ist, trifft 
man unmittelbar unter ihr einen breiten Streifen sehr lockeren 
Gewebes, welches aus spindel- und sternförmigen Bindegewebs- 
zellen und einer reichlichen Menge Intercellularflüssigkeit besteht, 
welche an Sublimatpräparaten einen feinkörnigen Niederschlag, 
ähnlich dem Liquor folliculi, liefert. 

Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch einen zweiten Punkt 
aus der Steffeckschen Arbeit erörtern. Steffeck glaubt näm- 
lich, dass solche aus Follikeln hervorgegangene Cysten seitliche Aus- 
buchtungen treiben und durch Abschnürung neue Cysten liefern. 
Ohne diese Möglichkeit im geringsten bezweifeln zu wollen, muss 
ich doch darauf aufmerksam machen, dass jene Bilder, auf welche 
sich der genannte Forscher stützt, auch dort zu finden sind, 
wo bei Atresie des Follikels der Liquor resorbiert und der 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 131 


Follikel durch den Druck des Nachbargewebes in mannigfacher 
Weise deformiert wird. Denn die ganz unregelmässige Gestalt 
der Höhle ist geradezu eine charakteristische Eigenschaft der 
atresierenden Follikel des Menschen. Übrigens hat bereits 
Schottländer auf jene Möglichkeit hingewiesen und die Über- 
einstimmung von Ausstülpungen des Follikels, die durch aktives 
Wachstum des Epithels zustande kommen, mit Buchten, welche 
durch „konzentrisches Wachstum der Theka“ gebildet werden, 
betont. In dieser Hinsicht würde nur die Auffindung von Kern- 
teilungsbildern in jenen epithelialen Blindsäcken eine zweifel- 
lose Unterscheidung gestatten. 

Zwischen den spindeligen Zellen der Tunica fibrosa liegen 
Blutgefässe, welche gleich jenen parallel der Oberfläche ver- 
laufen. An die T. fibrosa schliesst sich unmittelbar die T. 
propria, die — wie eben erwähnt — aus grossen, polyedrischen 
Zellen besteht, zwischen welchen sich ein ausserordentlich dichtes, 
kapillares Blutgefässnetz und ein Gerüstwerk von äusserst zarten 
Fasern ausbreitet. Von der Existenz dieser letzteren kann 
man sich nur an ganz dünnen Schnitten überzeugen, die nach 
der Methode van Giesons mit Pikrinsäure und Säurefuchsin 
behandelt wurden. Sie erscheinen an denselben scharf rot ge- 
färbt, während die epitheloiden Zellen eine gelbe Farbe ange- 
nommen haben. An anders behandelten Schnitten möchte man 
diese Fasern nur für Kittlinien zwischen den an einander stossen- 
den Thekazellen halten. Diese letzteren besitzen ein blasses, fein- 
fädiges Protoplasma und können unter Umständen kleine Fett- 
körnchen in ihrem Körper ablagern. Ich beobachtete solche bei 
der Maus, dem Kaninchen und dem Menschen, und hebe dies 
deshalb besonders hervor, weil Schottländer sagt, „dass Fett 
(oder fettartige Körper) nur in der Theka solcher Follikel vor- 
handen waren, welche die Merkmale beginnender oder fort- 
schreitender Atresie an sich trugen.“ Die Zellen besitzen einen 
sehr grossen Kern mit Kernkörperchen und normal angeordnetem 

9* 


132 HANS RABL, 


chromatischem Gerüst. Es sind dieselben Gebilde, welche von 
His als Kornzellen, von Mac Leod und van Beneden als 
Cellules interstitielles beschrieben und von letzteren Autoren 
den Plasmazellen Waldeyers zugezählt wurden. 

Dieser Ansicht kann ich jedoch nicht beitreten; ich möchte 
sie vielmehr für nichts anderes als hypertrophische Stromazellen 
halten, eine Annahme, die sich bei oberflächlicher Betrachtung 
scheinbar von selbst ergiebt, als keine anderen Zellen vorhanden 
sind, aus welchen sie abgeleitet werden könnten, und anderer- 
seits die ausserordentlich reiche Vaskularisation dieses Gewebes 
eine excessive Ernährung und Vergrösserung seiner Elemente 
sehr begreiflich macht. Durch Experimente Waldeyers wurde 
jedoch diese auch schon in früherer Zeit bestandene Meinung 
in andere Bahnen gelenkt. 

Waldeyer fand nämlich nach Injektion von Zinnober in 
die Jugularvenen von Kaninchen die Farbstoffpartikeln in den 
beschriebenen Zellen wieder. Er glaubt daraus schliessen zu 
müssen, dass wenigstens die Mehrzahl von ihnen Leukocyten 
wären, welche die Blutbahn verlassen und nun rings um die 
Gefässe ein neues Gewebe bilden. Diese Annahme scheint mir 
aber deshalb nicht zwingend zu sein, weil es möglich ist, dass 
jene Zellen erst sekundär die Zinnoberkörnchen aufnahmen. 
In den Kapillaren zwischen den Thekazellen trifft man gar nicht 
selten Leukocyten und kann diese zuweilen auch ausserhalb 
der Gefässe auffinden, da sie sich durch ihre Kernform und 
geringere Grösse leicht von den epitheloiden Zellen unterscheiden 
lassen. Es steht nun, meiner Meinung nach, der Annahme 
nichts im Wege, dass die Leukocyten ihre Körnchen an die 
hypertrophischen Thekazellen abgeben. Denn, dass die Thätig- 
keit, korpuskuläre Elemente aufzunehmen nicht ausschliesslich 
den Leukoeyten zukommt, scheint mir durch einige neuere Be- 
obachtungen hinlänglich erwiesen. — Ich kann ferner noch zwei 
weitere Punkte zu Gunsten meiner Anschauung ins Treffen 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 133 


führen. Zunächst sei der Umstand hervorgehoben, dass diese 
Zellen sehr reichlich Mitosen zeigen, also jedenfalls nicht alle 
in der Tunica propria vorkommenden Zellen direkt eingewan- 
derte Leukodyten sein können, 2. aber hat Sobotta kürzlich 
sowohl bei der Maus wie beim Kaninchen die direkte Um- 
formung jener epitheloiden Zellen in spindelige Bindegewebe- 
zellen bei Gelegenheit der Bildung des Corpus luteum verfolgen 
können. 

Nach innen von der T. propria findet sich in allen grösseren 
Follikeln ein Grenzhäutehen, das an Hämatoxylin-Eosin-Präpa- 
raten als schmaler, glänzend-roter Saum erscheint, welchem an 
der äusseren Seite von Strecke zu Strecke grosse flache Kerne 
platt anliegen. Welcher Natur dieses Häutchen ist, lässt sich 
aus diesem Bilde nicht näher erkennen. Doch besitze ich auch 
solche Präparate, an welchen nicht bloss die Membrana granu- 
losa in die Mitte des Follikels gerückt ist, sondern sich auch 
jene Membran von der Wand — wenn auch nur um weniges 
— abgehoben hat, sodass sie nach beiden Seiten vollkommen 
frei liegt. Es geht daraus hervor, dass es sich hier um eine 
selbständige Bildung handelt, welche sich zwar mit der T. 
propria in innigem Kontakt, jedoch nicht in Kontinuität be- 
findet. Auch unter diesen Verhältnissen sieht man dem Häut- 
chen Kerne angelagert, welche von einer ganz geringen Menge 
eines feinkörnigen Plasmas umgeben sind, sodass man sich des 
Gedankens nicht entschlagen kann, dass es aus endothelialen 
Zellen zusammengesetzt wird. Da aber an Querschnitten mit 
grösster Deutlichkeit zu sehen ist, dass die Kerne nicht inner- 
halb des oben beschriebenen hellen Saumes liegen, sondern — 
wie eben gesagt — ausserhalb, so müssen wir abgesehen von 
jenen Endothelzellen noch eine nach innen von ihnen gelegene 
Schichte annehmen, von welcher ich es aber unentschieden 
lassen muss, ob sie eine isoliertere, strukturlose Membran oder 


nur eine verdichtete Zone der Zellkörper darstellt. 


134 HANS RABL, 


Die hier gegebene Beschreibung der Follikelwand bezieht 
sich zunächst auf den Menschen, doch liegen dieselben Verhält- 
nisse auch bei Tieren vor. Speziell die eben geschilderte Grenz- 
haut bietet auch bei diesen ein durchaus analoges Aussehen 
dar. T. fibrosa und propria zeigen gleichfalls dieselbe Zu- 
sammensetzung wie beim Menschen. Eine geringfügige Ab- 
weichung lassen nur die Follikel der Katze erkennen, indem 
daselbst zwischen Grenzhäutchen und Tunica propria an vielen 
Stellen kleine Bindegewebszellen eingeschoben sind, während beim 
Menschen — wie erwähnt — jene beiden Gewebeformationen 
direkt an einander stossen. 


Wenn ich nun zur Beschreibung der Degeneration der 
Follikel übergehe, so muss ich zunächst voranschicken, dass sich 
dieser Prozess weder bei jedem Tier, noch in jedem untersuchten 
Follikel desselben Tieres nach genau denselben Gesetzen voll- 
zieht. Es existieren vielmehr ausserordentlich viel Varietäten. 
Ich werde nun die verschiedenen Teile des Prozesses in der 
Weise schildern, dass ich den am häufigsten vorkommenden 
Modus zunächst vornehme und die Beschreibung der verschie- 
denen Abarten daran anschliesse. 


Die Degeneration der Membrana granulosa. 


Der Schwund des Granulosaepithels geschieht bei der Maus, 
der Ratte, dem Meerschweinchen, Kaninchen und dem Menschen 
auf dem Wege der Chromatolyse der Kerne und der fettigen 
Degeneration der Zellkörper. Ob es einen chromatolytischen 
Zerfall giebt, ohne Verfettung des Protoplasmas, sodass also das- 
selbe durch direkte Atrophie schwindet, wie dies Schottländer 
angiebt, kann ich nicht entscheiden. Ich will nicht an der 
Richtigkeit seiner Beobachtung zweifeln, habe aber kein einziges 
Bild beobachtet, welches eine Bestätigung derselben enthielte. 


Jedesfalls ist das Auftreten von Fetttropfen in degenerierenden 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 135 


Follikeln, wenn auch nicht ausschliesslich, so doch in weitaus 
der überwiegenden Anzahl derselben Regel. Die Chromatolyse 
der Kerne wurde seit Flemmings Entdeckung von einer grossen 
Reihe von Forschern untersucht, unter denen vor allen Schott- 
länder zu nennen ist. Die Beschreibung, welche Flemming 
hiervon liefert, stimmt mit meinen Beobachtungen hinsichtlich 
des Verhaltens des Kernchromatins durchaus überein und ich 
darf darum auf dieselben verweisen. Nur in einem Punkt kann 
ich mich mit Flemming nicht ganz einverstanden erklären 
und glaube, hierin bei Schottländer eine Unterstützung zu 
finden. Flemming giebt nämlich an, dass, während sich das 
Chromatin zu kompakten Massen verklumpt, der Kernkontur 
schwindet, sodass die Chromatinballen scheinbar direkt im 
Protoplasma gelegen sind. Diese Behauptung gründet er unter 
anderem auf die Beobachtung, dass die Grösse des Zellkörpers 
unveränderter Epithelzellen mit der von degenerierten überein- 
stimmt. Gerade diese letztere Angabe vermag ich nicht zu be- 
stätigen. Ich stütze mich hierbei auf Präparate von Ovarien 
von Kaninchen, die in Sublimat gehärtet waren und vom 
Menschen aus Zenkerscher Flüssigkeit (Fig. 22). In beiden 
Fällen sehe ich, dass beim Beginn der Degeneration zunächst 
die Begrenzung des Zellkörpers verschwindet und der Kern in 
einer nur ganz undeulich konturierten, bei Hämatoxylin-Eosin- 
färbung blass rosenroten Masse liegt. Dass dieser Körper den 
Kern darstellt, lässt sich unter anderem mit Sicherheit dadurch 
nachweisen, dass die bei der Degeneration sich bildenden Chro- 
matinkörner in ganz regelmässiger Weise der Peripherie desselben 
angelagert sind (Kernwanddegeneration). Allmählich wird das 
Innere des Kernes, wahrscheinlich durch Verquellung der Linin- 
substanz, nahezu homogen. Das Chromatin tritt teils in Sub- 
stanz aus dem Kern aus, teils aber scheint es innerhalb des 
Kernes in eine lösliche Form überzugehen oder wenigstens seine 
Färbbarkeit einzubüssen. Schliesslich trifft man nur mehr — 


136 HANS RABL, 


und dies ist insbesonders in Kaninchen-Ovarien der Fall — in 
Mitte der bereits von Bindgewebe zum grössten Teil angefüllten 
Follikelhöhle ein Häufchen kugeliger Körper, welche sich mit 
Eosin rosenrot färben und nur mehr eine ganz undeutliche 
Struktur besitzen. Sie gleichen in der Grösse etwa roten Blut- 
körperchen und könnten bei oberflächlicher Betrachtung mit 
einem Bluterguss in den Follikel verwechselt werden. Diese 
Körper sind die Endprodukte der Degeneration der Kerne. 
Schliesslich fallen auch diese der Auflösung anheim. 

Dass Scehottländer ähnliche Bilder beobachtet hat, möchte 
ich daraus entnehmen, dass er sagt, dass die Zellsubstanz zu 
Grunde geht „häufig schon zu Beginn der Chromatolyse“. Deut- 
licher als an dieser Stelle beschreibt er das Verhalten der Zell- 
kerne auf $. 222, wo er wohl von blassen Epithelzellkernen mit 
undeutlichem, chromatischem Netz spricht, vom Protoplasma 
aber keine Erwähnung mehr thut. 

Eine zweite Beobachtung Schottländers, die übrigens 
auch von Henneguy wiederholt wurde, kann ich gleichfalls 
bestätigen. Man trifft nämlich zuweilen auch Follikel in chro- 
matolytischer Degeneration, die noch keinen Liquor enthalten. 
Ich fand solche Follikel bei der Maus und dem Meerschweinchen. 
Aus Anlass dieser Mitteilung bemerkt Schottländer, dass da- 
mit eines der Argumente, welche Flemming zu Gunsten der 
von ihm gewählten Bezeichnung anführt, hinfällig werde. Denn 
dieser meint, dass gerade dem Liquor eine wichtige Rolle bei 
diesem Prozesse als Lösungsmittel des Chromatins zufalle. Wie 
aber Schottländer weiterhin ganz richtig ausführt, wird 
durch seinen Befund nur der Begriff der Chromatolyse erweitert, 
ohne dass aber das Wesen des Prozesses eine andere Auffassung 
erheischen möchte. An Präparaten, die mit Hämatoxylin-Eosin 
gefärbt waren, sieht man mit grösster Deutlichkeit, wie die 
Chromatinklumpen, welche beim Untergang der Kernstrukturen 


gebildet werden, teils noch innerhalb dnr Kernmembran ge- 


Fig. 21. 


& 


Fig. 


Lichtdruck von Albert Frisch, Berlin W. 


Verlag von ]. a Wiesbaden. 


6; 


Da 1 
a De Wa u N 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 137 


legen sind, teils im Begriffe sind, dieselbe zu überschreiten. 
Daneben trifft man frei im Liquor suspendiertes Chromatin, 
welches offenbar später in kleinere Partikeln zerfällt, und seine 
Affinität für Kernfarbstoffe gänzlich verliert. 

| Die Beobachtung Flemmings, dass sich der Liquor 
in degenerierenden Follikeln mit Saffranin stärker färbe als in 
normalen, kann ich bestätigen und durch eine Analogie bezüglich 
des Eisenhämatoxylins ergänzen. Dies gilt jedoch nur für 
Präparate, die ebenso wie die mit Saffranin gefärbten in einem 
Osmiumgemisch fixiert waren. An solchen tingiert sich der ge- 
ronnene Liquor intakter Follikel mit Eisenhämatoxylin nur 
sehr blass, derjenige degenerierender dagegen dunkelgrau. Die 
Färbung hängt von dem Grade der Degeneration des Follikels, 
vielleicht von der Menge und Konzentration des Liquor ab und 
ist an vollkommen atretischen Follikeln, welche nur mehr äusserst 
wenig Flüssigkeit enthalten, geradezu schwarz. 

Diese Farbenänderung kann jedoch nicht auf Rechnung 
des in Lösung gegangenen Chromatins geschrieben werden; und 
ich möchte das Gleiche bezüglich der Saffraninfärbung behaupten. 
Denn 1. findet sich gerade das Umgekehrte in Ovarien, die in 
Sublimat fixiert und nach der Heidenhainschen Methode 
behandelt wurden. Da färben sich die teils zu Haufen, teils 
zu Reihen aneinander klebenden Kügelchen, welche durch die 
Gerinnung in normalen Follikeln entstehen, mehr weniger grau, 
während der Inhalt degenerierender Follikel nur einen ganz 
blassen Ton annimmt; und 2. ist bei Anwendung eines ganz 
reinen Kernfarbstoffes, beispielsweise des Mayerschen Häm- 
alauns der Liquor in beiden Fällen ungefärbt. 

In der Membrana granulosa von Follikeln, welche die ersten, 
vereinzelten Spuren des chromatolytischen Zerfalles zeigen, 
trifft man ab und zu eigentümliche Körper von kugeliger oder 
ovaler Form, deren bereits gelegentlich des Berichtes über die 
Arbeit Alexenko’s Erwähnung geschah: Die Epithelvakuolen 


138 HANS RABL, 


Flemmings. Sie finden sich übrigens auch in Follikeln, welche 
noch ein durchaus normales Aussehen besitzen; hier jedoch nur 
ganz ausnahmsweise, sodass es mir nicht ungerechtfertigt er- 
scheint, wenn sie von Alexenko zu den charakteristischen 
Bestandteilen eines in den ersten Stadien der Atresie befind- 
lichen Follikels gerechnet werden. Bekanntlich wurden diese Dinge 
zuerst von Call und Exner genauer untersucht, wenn sie auch 
schon früher gesehen worden sein mögen. (Vergl. darüber bei 
Flemming.) Call und Exner erklärten sie für Eizellen, ob- 
gleich es ihnen nicht gelungen war, Kerne in ihnen aufzufinden. 
Janosik hält sie für kleine Höhlen, die mit gewöhnlichem 
Liquor follieuli angefüllt sind. Auch dies ist unrichtig. Es ist 
zwar sicher, dass Ansammlungen von Flüssigkeit an verschie- 
denen Stellen der Membrana granulosa und des Öumulus ovigerus 
stattfinden können. Man kann dieselben aber sofort von den 
„Epithelvakuolen‘“ unterscheiden, weil sie dieselben, durch Ge- 
rinnung entstandenen Fäden und Körner enthalten, wie sie in 
der weiten Follikelhöhle vorkommen, die Epithelvakuolen da- 
gegen als Inhalt eigentümliche, stark glänzende, ziemlich breite 
Fäden führen, welche ein Fachwerk in ihnen bilden. 
Abgesehen vom Kaninchen habe ich sie auch noch beim 
Menschen häufig angetroffen, wo die Zwischensubstanz der 
Fäden an Hämatoxylin-Eosinpräparaten eine ganz leicht blass- 
blaue Färbung besitzt, während die Fäden und die daran- 
hängenden Körnchen rot gefärbt erscheinen. Sie sind von sehr 
verschiedener Grösse. Ein besonders grosser Körper dieser Art 
ist auf Fig. 10 dargestellt; er stammte aus einem normalen 
Graalfschen Follikel, der einen Durchmesser von etwas mehr 
als 6 mm besass und von der Oberfläche nur mehr durch eine 
dünne Stromalage geschieden war. Die Membrana granulosa 
liegt in Form eines mehrschichtigen Epithels der Theka allseitig 
an und ist überall von der gleichen Dicke, auch dort, wo sich 
das fragliche Gebilde befindet. Wegen des beträchtlichen Um- 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 139 


fanges desselben (er besitzt einen grössten Durchmesser von 74 
und einen kleinsten von 68 «) hat es innerhalb der M. granu- 
losa keinen Platz, sondern liegt ihrer Innenfläche unmittelbar 
an, nur durch eine einschichtige Zellreihe gegen den Liquor 
abgeschlossen. Der Inhalt wird von Fäden gebildet, zwischen 
denen sich in der Mitte noch eine dichtere Substanz befindet, 
während sie gegen die Peripherie zu divergieren und mit einem 
Häutehen zusammenfliessen, welches dieselbe Dicke besitzt wie 
jene selbst. Es liegt den angrenzenden Zellen dicht an und 
zeigt sich nur an einer Stelle von demselben etwas abgehoben. 
Wer einen derartigen Körper zum erstenmal sieht, möchte 
sich ohne weiteres der Ansicht von Call und Exner anschliessen 
und sie für abortive Eier erklären. Es bleibt nur die Frage, 
wo ist der Kern?, respektive wo ist der Zellkörper?, denn jenes 
Gebilde imponiert vor allem dort, wo es kleiner als in der mit- 
geteilten Figur ist, eher für ersteren allein als für letzteren. 
Bei genauem Durchmustern zahlreicher Präparate trifft man 
aber jene Gebilde in verschiedener Grösse und kann ihr Wachs- 
tum schrittweise verfolgen. Nur der Ausgangspunkt bleibt frag- 
lich. Immerhin scheint es mir am wahrscheinlichsten, dass sie 
in letzter Linie auf degenerierte Granulosazellen zurückzuführen 
wären. An Saffraninapparaten erscheinen die Netze manchmal 
in ihrer ganzen Ausdehnung, manchmal nur an einzelnen Knoten- 
punkten in roter Farbe. Vielleicht muss dieselbe auf anhaftende 
Reste der chromatischen Kernsubstanz zurückgeführt werden. 

Die chromatolytische Erkrankung ergreift in typischer 
Weise zunächst diejenigen Zellen der M. granulosa, welche dem 
Liquor unmittelbar anliegen, während diejenigen, welche den 
Cumulus ovigerus aufbauen, am spätesten von ihr befallen 
werden. Man könnte daraus den Schluss ableiten, dass es 
gerade eine veränderte Zusammensetzung des Liquor foll. ist, 
welche auf die Fpithelzellen schädigend einwirkt, während von 
der Eizelle ein Einfluss ausgeht, welcher die anliegenden Gebilde 


140 HANS RABL, 


schützt. Häufig bleibt auch die äusserste, der Theka anliegende 
Zellreihe lange Zeit von der Degeneration verschont. Dieselbe 
Beobachtung wurde bereits von Schottländer gemacht. Ich 
hatte bei Mäusen und Meerschweinchen Gelegenheit, derartige 
Follikel aufzufinden. 


Dieses Verschontbleiben der äussersten Zelllage kann bis 
zur Bildung kleiner Follikel-Cysten führen, indem sowohl die 
Eizelle als alle Granulosazellen mit Ausnahme der äussersten 
zerstört und fortgeschafft werden, während sich jene äusserste 
Zelllage als geschlossenes, kubisches Epithel erhält. Man muss 
hier annehmen, dass sich der chromatolytische Prozess erschöpft 
hat, respektive seine Ursache verschwunden ist, ehe er auf die 
äusserste Schichte übergreifen konnte. Stets fand ich nur 
Follikel von geringer bis zu mittlerer Grösse im dieser Weise 
verändert. Beim Menschen konnte ich derartige Bilder bisher 
nicht auffinden. — Ob Follikel, deren Epithel mit Ausnahme 
der äussersten Zellreihe fettig zerfallen ist, später noch in 
Wucherung geraten können, ist mir mehr als unwahrscheinlich ; 
wenn aber jener einschichtige Wandbelag noch durch einige 
Zeit erhalten bleibt, so ist es immerhin möglich, dass sich die 
Höhle durch transsudierende Flüssigkeit allmählich ausdehnt und 
es dadurch zu kleinen einkämmerigen Cysten kommt. Von 
diesem Gesichtspunkte aus scheint es mir nicht unwichtig, auch 
beim Menschen nach denselben Bildern zu forschen, welche 
sich beim Meerschweinchen in ziemlich grosser Zahl auffinden 
lassen. 


So wie die äussere Zelllage kann — wie ich vorhin erwähnte — 
auch der Cumulus ovigerus lange Zeit intakt bleiben; ja, beim 
Menschen habe ich bisher noch keine Ausnahme von der Regel 
beobachtet, dass zuerst die M. granulosa in ihrer gesamten 
Dicke und Ausbreitung der Degeneration zum Opfer fällt, ehe 


der Cumulus ovigerus von ihr ergriffen wird. Aber auch dann 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 141 


erzeugt sie in den Kernen desselben keine chromatolytischen 
Figuren. Der Körper der Zelle wird hierbei im ganzen grösser 
und rundet sich zu einer Kugel ab; im Protoplasma treten 
Körnchen auf und der Kontur der Zelle erreicht eine Dicke, 
die als der Ausdruck einer differenzierten Membran imponiert 
(Fig. 20). Diese Umgestaltung ergreift zunächst die an der 
Oberfläche des Cumulus ovigerus gelegenen Zellen und geht erst 
in dem Masse auf die centralen über, als sich die umgestalteten 
Zellen aus dem Verbande der übrigen ablösen. Man kann dem- 
nach hier mit noch grösserer Klarheit als an dem chroma- 
tolytischen Prozesse den Einfluss des Liquor auf die Destruktion 
der Zellen verfolgen, wenngleich sich derselbe in etwas anderer 
Weise äussert; denn die Quellung, welche die Zellen offenbar 
erfahren, muss direkt auf die Resorption des Liquor zurück- 
geführt werden. Über die ferneren Schicksale der so veränderten 
Zellen vermag ich leider keine Angabe zu machen. 

Ehe es aber zu den beschriebenen Veränderungen kommt, 
kann man am Discus einige andere höchst auffallende Erschei- 
nungen beobachten. Zunächst findet man, dass, obwohl rings- 
um der chromatolytische Prozess in der Membrana granulosa 
bereits weit vorgeschritten ist und die Membran vielfach nur 
auf eine einzige, aus besonders grossen, abgeplatteten Zellen 
bestehende Lage reduziert ist, sich im Discus die Vermehrung 
der Zellen noch fortsetzt, ja, die Zahl der Mitosen eher gesteigert 
als verringert ist. Zweitens wachsen aus der Theka (Gefäss- 
sprossen zwischen die Granulosazellen ein. In einem Follikel, 
welcher bereits keine Spur einer Membrana granulosa mehr 
enthält, finde ich das Ei noch ganz intakt; der Kern ist von 
einer Membran umschlossen und enthält — wie gewöhnlich — 
einige mit Hämatoxylin-Eosin rot gefärbte Kugeln. Rings um 
die Eizelle liegen Epithelzellen mit vollkommen unveränderten 
Kernen; dort, wo jene an die Theka angrenzen, treten Gefässe 
zwischen sie hin ein. 


142 HANS RABL, 


Schon van Beneden hatte Gelegenheit, Blutgefässe im 
Discus gewisser Follikel bei Fledermäusen zu beobachten und 
Schulin konnte seine Angabe für eine Reihe anderer Säuge- 
tiere bestätigen. Er fasst solche Follikel als eine Mittelstufe 
zwischen atretischen Follikeln und gelben Körpern auf. Wenn 
man zu den erwähnten zwei Momenten noch hinzunimmt, dass 
sich die Discuszellen gleichzeitig vergrössern, und in ihrem ganzen 
Habitus den „Luteinzellen“ nähern, so kann man diesem Aus- 
spruch nur zustimmen (vergl. Figg. 17 u. 18). 

Doch hält dieses Wachstum der Epithelzellen nicht lange 
an. Allmählich wird auch an dieser Stelle Zelle um Zelle vom 
Discus abgelöst und schliesslich trifft man als Umhüllung des 
Fies nur mehr ein kleines Häufchen epithelialer Elemente, wel- 
ches in einem Rest des Liquor liegt, während von allen Seiten 
das Bindegewebe aus der Theka in die Follikelhöhle vordringt. 
Die einzelnen Phasen, in welche dieser ganze Vorgang zerfällt, 
treten nicht immer in derselben Reihenfolge und mit derseiben 
Intensität ein. Es können die Discuszellen länger oder kürzer 
erhalten bleiben, es kann das Vordringen des Bindegewebes 
früher oder später erfolgen, es kann das Eindringen von Blut- 
gefässen sogar ganz ausbleiben ete.: dadurch kommt es zu einer 
Reihe verschiedener Bilder, die aber alle nur Modifikationen 
eines und desselben Prozesses darstellen. 

Ich möchte an dieser Stelle mit einigen Worten das Aus- 
sehen der Eizellen berühren und zwar in Rücksicht auf die viel 
ventilierte Frage über die Natur der in dieselben häufig ein- 
dringenden Zellen. Ich habe bereits oben bemerkt, dass die Ei- 
zelle in dem einen der oben erwähnten Follikel, deren Mem- 
brana granulosa bereits vollständig zerstört war, noch keine nach- 
weisbaren Veränderungen zeigte. Diese Thatsache wirkt auf 
den ersten Blick befremdend, wenn man damit die Verhältnisse 
bei Tieren vergleicht. Man kann sie nur dadurch erklären, dass 
man in der grossen Zahl von Discuszellen, welche die Eizelle 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 143 


umlagern, gleichsam eine Schutzmauer gegen die von aussen 
eindringenden Gifte erblickt. Es scheint mithin zwischen Fi und 
Discuszellen ein Stoffwechsel zu bestehen, welcher beiden Teilen 
eine grössere Lebenskraft verleiht. Ich habe in einer kleinen 
Arbeit, die im vorigen Jahre erschienen ist, die Frage, welche 
der beiden Erscheinungen, Degeneration der Eizelle oder Ver- 
änderung der Granulosa die primäre sei, unentschieden gelassen, 
Heute, auf Grund eines reicheren Materiales glaube ich mich 
dahin aussprechen zu sollen, dass diese Frage eine verschiedene 
Beantwortung erfahren muss, je nachdem es sich um junge oder 
ältere Follikel handelt; während bei den ersteren in den meisten 
Fällen die Schädigung direkt die Eizelle treffen dürfte oder die- 
selbe aus inneren Ursachen primär abstirbt, muss man bezüg- 
lich der letzteren in einer Änderung der Zusammensetzung des 
Liquor die wesentliche Ursache für viele Fälle der Atresie erblicken. 

Was nun die im Inneren degenerierender Eier vorkommen- 
den Zellen anbelangt, so konnte ich beim Menschen nur dann 
solche finden, wenn bereits das Ei nackt in der Follikelflüssig- 
keit schwamm; also nicht nur die Membrana granulosa, sondern 
selbst der Cumulus ovigerus zerstört war. Man muss daraus 
schliessen, dass die Follikelepithelien bei der Deutung jener Zellen 
nicht in Betracht kommen können. Bei Tieren liegen die Ver- 
hältnisse nicht so einfach. Dort trifft man Zellen innerhalb der 
Zona pellucida in viel früheren Stadien der Rückbildung, wenn 
sich die Eizelle noch im Kreise ihrer Granulosazellen befindet 
(Fig. 5). Hier ist der Gedanke, dass diese letzteren einwandern, 
nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Doch ist das 
Epithel derartiger Follikel niemals mehr vollständig unversehrt, 
sondern bereits von Thekazellen infiltriert. Es steht darum auch 
hier der Annahme nichts im Wege, dass die bewussten Zellen 
aus der Theka stammen. Bei den von mir untersuchten tierischen 
Follikeln ist die Entfernung der Eizelle von der Wand nicht so 
gross wie bei denen des Menschen und es können darum Zellen 


144 HANS RABL, 


ler Wand auch früher in das Ei gelangen. Ich muss mich somit 
jenen Forschern anschliessen, welche die in der Eizelle unter Um- 
ständen zu beobachtenden Gebilde als ‚„Wanderzellen“ auffassen. 

Welcher Art diese sind, geht aus Fig. 16 hervor, welche 
das Ei des in Fig. 14 dargestellten Follikels bei starker Ver- 
erösserung zeigt. Mit Ausnahme eines einzigen Kernes, welcher 
sich offenbar im Beginne der Degeneration befindet, sind alle 
übrigen gross, oval und enthalten ein feinfädiges, chromatisches 
Gerüst. Es kann sich demnach hier auch nicht um die gewöhn- 
lichen polynukleären Leukocyten handeln. Dagegen zeigen die 
Kerne eine Übereinstimmung mit den Kernen jener Zellen, welche 
teils frei in der Flüssigkeit suspendiert, teils der Follikelwandung 
angelagert sind. Es sind dies dieselben Zellen, welche späterhin 
den ganzen Follikel ausfüllen und sich sowohl durch ihre Form 
wie ihre Herkunft als eingewanderte Bindegewebszellen doku- 
mentieren. Ich muss darum auch die im Ei eingeschlossenen 
Zellen für solche halten. 

Aus den vorstehenden Mitteilungen könnte man den Sahhuse 
ziehen, dass die Granulosa degenerierender Follikel in den Ovarien 
sämtlicher untersuchter Tiere früher oder später auf dem Wege 
der Chromatolyse zu Grunde geht, wovon höchstens der Discus 
proligerus in einzelnen Fällen eine Ausnahme bildet. Dem ist 
aber nicht so. Wenn auch schliesslich die Granulosa überall 
schwindet, so geschieht dies doch in einer Reihe von Fällen 
beim Meerschweinchen und in allen atretischen Follikeln der 
Katze nach einem andern Modus. Ich will mit der Beschreibung 
beim letzteren Tiere beginnen, denn die hier vorliegenden Um- 
wandlungen bilden geradezu einen Gegensatz zu den beim Men- 
schen und dem Kaninchen zu beobachtenden Erscheinungen. 

Bei der Katze konnte ich nämlich niemals — obwohl ich 
eine ausserordentlich grosse Menge atresierender Follikel vor 
mir hatte — fettige Degeneration des Follikelepithels und unter 
Tausenden von daraufhin untersuchten Kernen nur einige wenige 
Chromatolysen auffinden Ich kann hier die bezüglichen Angaben 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 145 


von Flemming bestätigen und begreife nicht wie Wagener 
gerade bei diesem Tier eine besonders grosse Menge körnig oder 
fettig zerfallender Follikelzellen beschreiben konnte. Es vollzieht 
sich hier vielmehr der Rückbildungsprozess in der Weise, dass 
die Follikelzellen nach Art der Zellen der Schmelzpulpa unter 
einander in Verbindung treten und dadurch ein Gewebe vom 
Bau des retikulären Bindegewebes darstellen (Fig. 5—7). Durch 
den Druck der Theka und des angrenzenden Stromas wird diese 
Zellmasse gegen die Mitte des Follikels vorgeschoben, während 
gleichzeitig die Flüssigkeit allmählich resorbiert wird. Dabei 
bleibt die Granulosa stets scharf vom Liquor abgegrenzt, indem 
sich diejenigen Zellen, welche am meisten central liegen, zu 
einem allseits geschlossenen Häutchen verbinden (Fig. 5). In 
den Endstadien der Atresie ist gleich wie die ehemalige Höhle 
des Follikels auch die dieselbe ausfüllende Zellmasse ausser- 
ordentlich reduziert. Es müssen demnach auch hier die Granu- 
losazellen zum Schwunde kommen. Doch ist es mir leider nicht 
gelungen die Art desselben festzustellen. 

Bezüglich der Eizellen lässt sich bei der Katze konstatieren, 
dass sie niemals ihre frühere Lage in einem Discus beibehalten, 
sondern in die Membrana granulosa hineinsinken. Dieses Zurück- 
sinken der Eizellen ist eines der ersten Symptome, durch welches 
sich die Follikelatresie ankündigt. Gleichzeitig fallen auch die 
nach dem Liquor zu gelegenen Zellen der Corona radiata ab und 
gelangen in die Flüssigkeit, ohne aber Degenerationserscheinungen 
an Kern oder Protoplasma zu zeigen. Diese leichte Ablösbar- 
keit der Discuszellen vom Ei lässt sich auch — wie aus den 
Angaben Bischoffs hervorgeht — an den reifen Eizellen in 
der Tube nachweisen. Das dürfte hier wie dort auf die gleiche 
Ursache zurückzuführen sein, da auch die Eizellen degenerierender 
Follikel bekanntlich dieselben Veränderungen hinsichtlich des 
Kernes zeigen, wie sie normalerweise an reifen Eizellen vor- 
kommen. 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXIV/XXXV. Heft (11. Bd. H. 12.) 10 


146 HANS RABL, 


Während das hier beschriebene Auswachsen der Granulosa- 
zellen zu einem Retikulum in allen atresierenden Follikeln der 
Katze vor sich geht und sämtliche Granulosazellen betrifft, 
findet man beim Meerschweinchen nur einzelne Follikel, in 
welchen sich ein ähnlicher Prozess abspielt, der überdies nur 
den peripheren Teil der Membana granulosa ergreift. Die der 
Mitte zunächst gelegenen Zellen zerfallen dagegen auf dem ge- 
wöhnlichen, chromotolytischen Wege. Nach den Bildern, welche die 
atresierenden Follikel beim Meerschweinchen liefern, muss man 
drei Formen dieses Vorganges annehmen. Wenn der Prozess 
sofort sehr intensiv beginnt, so zerfällt das ganze Granulosaepithel 
unter Verfettung der Zellen und Chromatolyse der Kerne. Bei 
langsamerem Verlauf, welcher sich bereits vor seinem Abschluss 
erschöpft, werden alle Schichten mit Ausnahme der äussersten 
zerstört, und es kommt zur Bildung der oben erwähnten Uysten. 
Tritt aber die Degeneration. nicht sehr heftig auf und ergreift 
der Prozess nur allmählich, vom Centrum des Follikels ausgehend, 
die einzelnen Schichten der Membrana granulosa, so haben die 
wandständigen Zeit, sich untereinander in Anastomose zu setzen. 
Diejenigen unter ihnen, welche den chromatolytisch zerfallenden 
Zellen zunächst liegen, platten sich ab und bilden gleichwie bei 
der Katze ein Häutchen, durch welches sich das Gewebe selbst 
gleichsam gegen das Vordringen des schädigenden Stoffes zu 
schützen sucht. Endlich aber werden auch diese Zellen von der 
Degeneration ergriffen und zerfallen auf dieselbe Weise wie die 
inneren. In diesem Punkte besteht somit ein.wesentlicher Unter- 
schied gegenüber den Granulosazellen der Katze. Der ganze 
Prozess ist in den meisten Fällen dnrch das Einwachsen von 
Bindegewebe kompliziert, worüber ich im nächsten Kapitel be- 
richten werde. Andere als die beschriebenen Degenerations- 
vorgänge konnte ich nicht beobachten. 


Beitrag zur Histologie des Kierstockes ete. 147 


Vorgänge in der Theka. 


Wie ich bereits mehrmals erwähnt habe, beginnen, noch 
ehe die Membrana granulosa geschwunden ist, Wucherungs- 
prozesse seitens der Theka, welche schliesslich zur vollständigen 
Ausfüllung der ehemaligen Follikelhöhle führen. Man kann 
diesen Vorgang als Vernarbung betrachten, indem das den 
Follikel umgrenzende Bindegewebe die Aufgabe hat, die Lücke, 
welche durch die Degeneration der Ei- und Epithelzellen, sowie 
durch die allmähliche Resorption des Liquor im Gewebe ent- 
standen ist, in gleicher Weise auszufüllen, wie etwa einen künst- 
lich hervorgerufenen Substanzverlust. 

Die Verkleinerung der Follikelhöhle geschieht vor allem 
durch die ausfüllenden Bindegewebszellen, welche, aus der Theka 
hervorwachsend ein bald weit-, bald engmaschiges Retikulum 
bilden. Ferner kommt die Glasmembran an der Grenze des 
Follikels in Betracht und endlich 3. muss ich auf die Vergrösse- 
rung der Zellen der Tunica propria aufmerksam machen, ein 
Punkt, den soviel mir scheint, nur Beigel, Paladino, Sinety 
und Lebedinsky entsprechend gewürdigt haben. Die Beobacht- 
ungen dieser Autoren beziehen sich auf den Menschen, ich finde 
dagegen gerade die schönsten Beispiele hierfür bei Tieren. — Um 
alle diese Vorgänge verständlich darzustellen, glaube ich am 
besten zu thun, wenn ich zunächst das Resultat derselben, die 
total atretischen Follikel, eingehend beschreibe. Ich bitte hierfür 
die Figuren 3, 4, 8, 9, 11 und 12 zu vergleichen. 

Fig. 3 stellt einen nahezu vernarbten Follikel aus dem 
Ovarium eines Kaninchens dar. Die Eizelle ist noch zu sehen. 
Sie ist grob gekörnt, mit Eosin stark rot gefärbt, von einer wohl 
erhaltenen Zona pellucida allseits umgeben. Der Innenraum 
des Follikels ist von einem Gewebe eingenommen, in welchem 
man keinerlei Chromatolysen mehr erkennen kann. Es handelt 
sich demnach bereits um eine Gewebs-Neubildung. Die Zellen 

10* 


148 HANS RABL, 


derselben sind teils rund, teits spindelig, vielfach auch stern- 
förmig und erzeugen mit ihren zusammenhängenden Fortsätzen 
ein dichtes Geflechtwerk von Fasern. An mehreren Punkten 
trifft man zwischen ihnen dünnwandige Blutgefässe und in ein- 
zelnen Gruppen Fettzellen. An der oberen Seite der Abbildung 
liegt ein Halbring von homogener Struktur und verwaschenen 
Konturen. Nach innen zu liegen ihm die eben beschriebenen 
Zellen, nach aussen die grossen Zellen der Tunica propria an. 
Es ist dies die Grohesche Glasmembran, die aber, wie aus der 
Figur hervorgeht, durchaus nicht immer ein geschlossenes Häut- 
chen darstellt, sondern in vielen Fällen nur aus einzelnen, ge- 
trennten Stücken besteht Sie wird von feinen Fasern, in deren 
Mitte eventuell auch Kerne liegen, durchsetzt, durch welche der 
Zusammenhang des Binnengewebes mit der Theka hergestellt wird. 

Diese letztere besteht aus zahlreichen grossen Zellen mit 
rundem Kern und feinwabigem Zellkörper. Sie werden durch 
Bindegewebszüge in einzelne Gruppen zusammengefasst, zwischen 
welchen Blutgefässe verlaufen. Ringsum befindet sich eine aus 
schmalen, spindeligen Zellen gebildete Hülle, die man ebenso 
gut für die T. fibrosa des Follikels wie für Ovarialstroma er- 
klären kann. Dort, wo zwei degenerierende Follikel an einander 
stossen, werden sie durch einen derartigen Faserzug, welcher 
keine weitere Schichtung erkennen lässt, geschieden. (Vergl. 
Fig. 1.) 

Ein noch späteres Rückbildungstadium, welches einen be- 
reits total atretischen Follikel darstellt, führt Fig. 4 vor Augen. 
Von der Eizelle ist nur mehr die Zona pellucida als zusammen- 
gefallenes, mit Eosin leuchtend rot gefärbtes Gebilde übrig ge- 
blieben. Sie liegt in einer Höhle. Die Glasmembran ist ringsum 
vorhanden; das Bindegewebe innerhalb derselben aber sehr 
spärlich. Nach der Grösse dieses Follikels zu schliessen, glaube 
ich, dass er in früherer Zeit eine gleich grosse Zellmasse ent- 
halten haben dürfte, wie der eben beschriebene: also auch das 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 149 


neugebildete Bindegewebe schwindet wieder. Durch das Nach- 
bargewebe wurde der Follikel sehr stark zusammengepresst, so 
dass er am Querschnitt eine flach dreieckige Form darbietet. 
Die grossen Zellen der Theka scheinen etwas enger zusammen- 
gerückt, haben aber im übrigen das Aussehen wie im vorher- 
gehenden Stadium bewahrt. An Präparaten, die in Flemming- 
schem Gemisch gehärtet waren, sind sie von ganz feinen Fett- 
tropfen aufs dichteste angefüllt. An Stelle eines ehemaligen 
Follikels bleibt demnach nur eine geringe Menge Bindegewebes 
zurück, welches die degenerierte Eizelle umschliesst, während 
die Zellen der Theka in auffälliger Weise gegenüber denen des 
normalen Follikels hervortreten. 

Zu einem ganz analogen Resultat führt die Atresie der 
Follikel bei der Katze. Auf Fig. 8 kann man wieder die Ei- 
zelle mit einem von Fetttröpfehen durchsetzten Protoplasma und 
einer verschieden breiten Zona pellucida erkennen. Die Follikel- 
höhle ist von Zellen erfüllt, welche einerseits von der Membrana 
granulosa, andererseits vom Bindegewebe der Theka stammen. 
Die T. propria ist von grossen, polygonalen Zellen zusammen- 
gesetzt, die das Bild einer fettigen Infiltration darbieten. An ihrer 
inneren Grenze verläuft ein homogener Streifen, die Glasmembran. 

An Fig. 5 reiht sich Fig. 9, welche einen atretischen Follikel 
aus dem Ovarium einer schwangeren Frau darstellt. Auch hier 
ist die Tunica propria besonders in die Augen fallend, die Glas- 
haut ist dünn und der Follikel bereits vollkommen von einem 
kernreichen Gewebe erfüllt. Doch zeigen die Elemente desselben 
nicht die gewöhnliche Spindelform, sondern sind vielfach kugelig 
oder polygonal, manchmal sind sie auch zu grösseren Gruppen 
zusammengelagert, welche wie epitheliale Zellmassen aussehen. 
Es ist möglich, dass es sich hier um Reste des Discusepithels 
handelt. Die Tunica propria ist nur in ganz seltenen Fällen 
so breit wie im vorliegenden. Vielleicht hängt diese Ausnahme, 


welche übrigens auch andere atretische Follikel desselben Eier- 


150 HANS RABL, 


stocks darboten, damit zusammen, dass sich die betreffende 
Frau, wie schon erwähnt, in schwangerem Zustand befand. 
Möglicherweise haben sich jene Follikel während der Gravidität 
entwickelt und wieder rückgebildet. Übrigens kann ich über 
diesen Punkt natürlich nur Vermutungen aufstellen. 


Ein Bild, welches einen atretischen Follikel des Menschen 
nach seinem gewöhnlichen Aussehen zeigt, ist Fig. 12. Nach 
aussen von der stark gefalteten und nur auf einer Seite des 
ehemaligen Follikels ausgebildeten Glasmembran fehlt die Tunica 
propria scheinbar vollkommen. Ihre Zellen haben die gewöhn- 
liche Form der Stromazellen des Ovarium wieder angenommen. 
Die Follikelhöhle ist von einem teils retikulären Bindegewebe 
eingenommen, dessen Zellen weite Maschen mit einander bilden. 
Zeichnungen von derartigen Follikeln finden sich bei Slav- 
jansky, Hoelzl und Bulius und Kretschmar. Das Binnen- 
gewebe des Follikels wurde- früher vielfach als Schleimgewebe 
bezeichnet, ohne dass aber durch Färbungen oder chemische 
Reaktionen der Nachweis von Schleim in der Grundsubstanz 
erbracht worden wäre. Nur die Ähnlichkeit der Struktur mit 
der Warthonschen Sulze mag zur Bezeichnung Veranlassung 
gegeben haben. Nicht immer aber hebt sich ein degenerierender 
Follikel so scharf aus dem Ovarialstroma heraus, wie in dem 
angezogenen Falle. Öfters ist es nur mehr die Glasmembran, 
welche durch ihre Anwesenheit Kunde von den Vorgängen 
giebt; die sich an der betreffenden Stelle abgespielt haben. Denn 
das retikuläre Gewebe im Centrum des Follikels verschwindet 
später in den Eierstöcken des Menschen in gleicher Weise wie 
beim Kaninchen. 


Fig. 11 stammt aus dem Ovarıum eines Affen, in dessen 
Eierstock eine ganz ausserordentlich grosse Zahl derartiger Körper 
enthalten war, in welchen allen noch Reste der Eizelle respektive 


ihrer Membran zu sehen waren, sodass man nicht in Ver- 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 151 


suchung kommen konnte, sie als gelbe Körper aufzufassen. Auch 
hier fehlte eine spezielle T. propria. 


Die Form, welche ein atretischer Follikel in seinen letzten 
Stadien besitzt, hängt von verschiedenen Momenten ab. In erster 
Linie kommt hier der Druck des umgebenden Gewebes in Be- 
tracht, in zweiter die Ausdehnung und Breite der Glasmembran. 
Wenn sie in ganz diskreten Stücken auftritt, so findet man in 
Ovarialstroma verschieden lange, bandartige Körper, die sich 
durch ihr homogenes Aussehen und ihren stärkeren Glanz vom 
Stroma abheben. Nur selten trifft man an Schnitten einen ge- 
schlossenen Ring und könnte ihn dann bei oberflächlicher Be- 
trachtung mit hyalin degenerierten Gefässen verwechseln. Auf 
diesen Punkt wurde in neuester Zeit von verschiedenen Seiten auf- 
merksam gemacht. Doch kann eine solche Verwechslung ernstlich 
wohl nicht in Betracht kommen, da der Durchmesser eines 
Gefässes stets ein viel geringerer ist als der eines atresirenden 
Follikels. Von der Eizelle ist häufig noch die Membrana pellucida 
erhalten, doch liegt sie nicht immer gerade neben der hyalinen 
Masse, sondern manchmal eine Strecke davon entfernt. Man 
kann dies leicht verstehen, wenn man die Fig. 12 betrachtet, 
und annimmt, dass nicht eine ganze Hälfte der Follikelperipherie 
von der Glasmembron eingenommen wird, sondern nur ein kurzes 
Stück, welches gerade in der grössten Entfernung von der Eizelle 
gelegen ist. 

Die degenerierenden Follikeln bei Kaninchen und Katzen 
zeigen insofern ein charakteristisches Verhalten, als die Glas- 
membran regelmässig an jener Stelle fehlt, an der sich das rück- 
gebildete Ei, von einem Rest von Granulosazellen umgeben, 
vorläufig noch erhalten hat. Man kann dieses Verhältnis sehr 
gut an Fig. 7 erkennen. 


Ich wende mich nun zu den viel umstrittenen Fragen be- 


züglich der Herkunft der im vorigen erörterten Gewebeformationen. 


152 HANS RABL, 


Was zunächst die epitheloiden Zellen der 'Theca interna 
anbelangt, so ist es mir niemals gelungen, Mitosen in ihnen 
wahrzunehmen, sobald einmal am Follikel Degenerationser- 
scheinungen aufgetreten waren. An normalen, wachsenden 
Graafschen Bläschen trifft man hingegen, wie ich schon er- 
wähnte, Zellteilungsbilder in ausserordentlich grosser Menge an. 
"Ds kann darum die besondere Entwickelung der inneren Theka- 
schichte in jenem Stadium nicht auf einer Vermehrung ihrer 
Elemente, sondern nur auf einer Hypertrophie derselben be: 
ruhen, indem die Fettinfiltration, welche in einzelnen von ihnen 
bereits im normalen Zustand begonnen hat, während der Atresie 
fortschreitet. Die Thatsache aber, dass die Thekazellen an atreti- 
schen Follikeln höher geschichtet sind, als an normalen, erkläre 
ich mir dadurch, dass sie durch den Druck des umgebenden 
Gewebes, welchem kein genügender Gegendruck_ seitens des 
Follikels gegenüber steht, sicht nur im radiärer Richtung gegen 
die Mitte des Follikels vorgeschoben, sondern auch in tangentialer 
Richtung in und hinter einander gedrückt werden. Den Beweis für 
die Existenz eines in dieser Richtung wirksamen Druckes kann 
man unter anderem in der Faltung der Glasmembran sehen, die 
ja gleichfalls auf andere Weise nicht erklärt werden könnte. 

Es bleibt mir somit noch die Frage nach der Herkunft des 
Gewebes im Follikelhöhlraum und der Glasmembran zu erledigen. 
In Bezug auf das erstere besteht, wie aus der eingangs citierten 
Litteraturübersicht hervorgeht, eine Differenz zwischen Schott- 
länder einer-, Bulius und Kretschmar andererseits, indem 
der erstere die Zellen aus der Th. interna, die letzteren 
Autoren sie aus der Th. externa (fibrosa) ableiten. Nach den 
Abbildungen, welche ich von den tierischen Follikeln gegeben 
habe, lässt sich das eine mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass 
die epitheloiden Zellen der Th. interna hierbei nicht in Betracht 
kommen können. Wenn Schottländer beim Menschen eine 


derartige Beziehung nachweisen zu können glaubt, so kann’ es 


DK u er 


Anatomische Hefte. I. Abtheilung 34./35. Heft. (11. Bd. H. ı[2) 


Fig. 35. 


Lichtdruck von Albert Frisch, Berlin W. 


Verlag von F-Bergmann, Wiesbaden. 


[EEae 
i ur Y 
Sorte tr x 
r #7 4% 
hai, 


D n’ 
TE RE 


Fr u ’ 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc, 153 


sich, falls kein Irrtum vorliegt, nur um Ausnahmefälle handeln. 
Eine besondere Bedeutung kann diesen aber deshalb nicht bei- 
gemessen werden, weil ja sowohl Th. interna wie externa vom 
Stroma ovarii abzuleiten sind, und deshalb auf jeden Fall Zellen 
in Frage kommen, die in letzter Linie eine gleiche Abkunft be- 
sitzen. Übrigens sind die spezifischen Thekazellen des Menschen 
bedeutend kleiner als bei den untersuchten Tieren, sodass eine 
Verwechslung derselben mit den gewöhnlichen wandernden 
Bindegewebszellen dort viel leichter stattfinden kann als bei diesen. 
Und auf eine solche dürfte wohl in den meisten Fällen die An- 
sicht Schottländers zurückzuführen sein. 

Den Übertritt von Zellen der Theka in die Follikelhöhle 
sieht man sehr deutlich auf Figg. 5 und 6 aus dem Eierstock 
der Katze. Wie ich schon erwähnte, grenzen die grossen Zellen 
der T. propria bei diesem Tier nicht unmittelbar an die Granulosa, 
sondern sind von dieser häufig noch durch eine mehr oder weniger 
kompakte Lage kleiner Bindegewebszellen geschieden. In Fig. 5, 
welche einen in den frühesten Stadien der Degeneration be- 
findlichen Follikel darstellt, sieht man einzelne Zellkerne aus der 
Theka zwischen die Granulosazellen eindringen. Noch deutlicher 
ist das in Fig. 6 zu sehen. An der Form der Kerne und Grösse 
der Zellen kann man deutlich erkennen, dass es sich hier nicht 
um die epitheloiden, fetthaltigen Zellen handelt, sondern um 
jene kleinen, welche ein System von Septen um die grossen Zellen 
bilden und mit der T. fibrosa in kontinuierlichem Zusammenhang 
stehen. Es stammen demnach bei der Katze die in den Follikel 
eindringenden Zellen wohl von der T. propria, doch sind sie von 
derselben Natur wie die Zellen der T. externa. Einen besonderen 
Beweis kann man noch an Präparaten finden, die in einem 
Osmiumgemisch fixiert waren. Da bei der Katze niemals eine 
fettige Degeneration der Granulosa eintritt, so müsste man die 
eindringenden Thekazellen — falls es die von Schottländer 
behaupteten grossen Formen wären — sofort an ihrem reichen 


154 HANS RABL, 


Fettgehalt erkennen. Man sieht aber bei der Katze niemals eine 
fetthaltige Zelle im Innern des Follikels. 

Sehr deutlich kann man in Fig. 13 aus einem Eierstock 
des Menschen die Einwanderung von Thekazellen durch die 
Glasmembran verfolgen. Es handelt sich, wie trotz der schwachen 
Vergrösserung des Präparates zu erkennen ist, um ausserordent- 
lich lange, schmale Zellen, welche mit einem Ende in der 
T. externa wurzeln und die wenig entwickelte T. interna in teils 
schräger, teils senkrechter Richtung durchsetzen. 

Dieselben Ergebnisse wie bei der Katze förderten meine 
Untersuchungen auch hinsichtlich der Nagetiere zu Tage. Auch 
dort partizipieren die grossen, epitheloiden Zellen niemals an 
der Ausfüllung des Follikels; dieselbe wird vielmehr stets von 
Zellen besorgt, welche den gewöhnlichen Stromazellen gleichen 
und teils der T. externa, teils aber auch der T. interna ange- 
hören. Sie bilden auch hier ein dichtes Netz, in dessen Maschen 
die degenerierenden Follikelzellen liegen. Auf Fig. 1 ist ein 
Anfangsstadium, auf Fig. 2 ein in der Degeneration nur um 
weniges vorgeschrittener Follikel zu sehen. Eine Beschreibung 
derselben kann ich mir wohl ersparen, da die dargestellten Ver- 
hältnisse auch ohne einer solchen ohne weiteres klar sind. 

Die grösste Schwierigkeit für das Verständnis bietet in dem 
hier behandelten Prozesse die Glasmembran, nicht nur hinsicht- 
lich ihrer Entstehung, sondern auch hinsichtlich ihrer Natur. 
Sie wird von den Autoren, welche sich in neuerer Zeit mit ihr 
beschäftigt haben, Hoelzl, Bulius und Kretschmar und 
Schottländer übereinstimmend von der T. interna abgeleitet. 
Dies ist ohne Zweifel richtig. Die Auffassung aber, welche sie 
hinsichtlich ihrer Natur im genaueren vertreten, halte ich für 
verfehlt. Eine Beschreibung ihres Aussehens und ersten Auf- 
tretens bei Tieren wird dies rechtfertigen. 

Der im vorigen erwähnte Follikel (Fig. 1) stellt das Stadium 
dar, in welchem sie zuerst beim Kaninchen sichtbar wird. Sie 


bildet hier einen fortlaufenden, schmalen, homogenen Streifen, 


ee 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 155 


welcher zellenlos ist und der innersten Zelllage der Theka un- 
mittelbar anliegt. Besser noch kann man das Verhalten der 
Glasmembran zur T. interna an den atretischen Follikeln der 
Katze erkennen. Hier sieht man allerdings stellenweise Kerne 
in ihr, doch habe ich dieselben bereits als durchwandernde 
gedeutet und glaube, dass sich jeder, welcher die Figur be- 
trachtet, meiner Meinung anschliessen wird. Diese beiden Bilder, 
sowie zahlreiche andere, die ich an meinen Präparaten gefunden 
habe aber nicht weiter beschreiben will, zwingen zum Schlusse, 
dass die Glasmembran nicht durch Umwandlung, sondern als 
Auflagerung der T. propria ihre Entstehung nimmt. Wenn 
eine Umwandlung stattfände, müsste ja die Theka in dem Masse 
verschmälert werden, als die Glasmembran an Dicke zunimmt. 
Dies trifft jedoch nicht zu. Da man aus mancherlei Gründen 
nicht annehmen kann, dass die Membrana granulosa jenes Häut- 
chen nach aussen hin abscheide, so bleibt nur übrig, dasselbe 
als ein Ausscheidungsprodukt der Bindegewebszellen der Theka 
aufzufassen. Diese letzteren liegen ihr, wie gesagt, unmittelbar an, 
ohne aber ihre scharfe Begrenzung nach dieser Seite hin zu ver- 
lieren. Die Glasmembran ist vielmehr nach innen wie nach 
aussen hin deutlich konturiert. Ihrer Natur nach muss man sie 
als hyalin bezeichnen. Sie ist stark lichtbrechend und zeigt 
keinerlei Struktur; in verdünnter Essigsäure quillt sie fast gar nicht 
und färbt sich mit dem van Giesonschen Gemisch, welches be- 
kanntlich nach den Untersuchungen Ernsts ein sehr geeignetes 
Reagens zum Nachweis hyaliner Substanz bildet, fuchsinrot. 
Diese Beobachtung wurde schon von Ernst selbst gelegentlich 
seiner Arbeit über Hyalin gemacht. Nur der Deutung, welche 
er seinem Befunde giebt kann ich mich nicht anschliessen, denn 
er erklärt diese hyalinen, gekrausten Membranen für Reste ge- 
borstener Follikel, während sie solche von atrtischen sind. 

Die Entstehungsgeschichte der Glasmembran beim Menschen 
illustrieren die Figg. 15, 19 und 21. Die erste und dritte stimm- 


ten durchaus mit jenen Bildern überein, welche man bei Unter- 


156 HANS RABL, 


suchung tierischer Ovarien erhält. Die zweite aber ist inso- 
ferne verschieden, als hier die Glasmembran mit jenen Binde- 
gewebsfasern, welche zwischen den epitheloiden Zellen der 
Tunica propria verlaufen, zusammenzuhängen scheint. Da in 
diesem Falle die Degeneration noch sehr jungen Datums ist, so 
verdient jenes Verhalten eine besondere Berücksichtigung. Die- 
selben Verhältnisse konnte ich auch wiederholt in anderen Fol- 
likeln konstatieren. Doch ergiebt sich durch den Vergleich mit 
älteren Stadien, dass dieser Zusammenhang nicht in Wirklich- 
keit besteht, sondern nur durch die gleiche Färbbarkeit der 
Bindegewebsfasern und des Hyalinstreifens vorgetäuscht wird. 

Noch in einem anderen Punkte weichen die Vorgänge beim 
Menschen etwas von denen bei den Tieren ab. Es kommt 
nämlich beim Menschen schon äusserst frühzeitig zu einer leb- 
haften Einwanderung von Bindegewebe, welches sich entlang 
der anfangs nur sehr zarten Glasmembran ausbreitet. Dadurch 
wird die innere Grenze der Theka verwischt und man könnte 
zur Ansicht verleitet werden, dass hier die Glasmembran nicht 
an der Innenseite sondern in der Mitte der Theka zur Entwicke- 
lung käme. Auch dies wäre ein Irrtum. 

In ihrer ersten Anlage ist die Glasmembran so dünn wie 
ein Bindegewebsbündel und könnte darum auch leicht mit 
‘einem solchen verwechselt werden. Erst bei zunehmender Dicke 
wird es deutlich, dass sie eine selbständige Bildung darstellt. Zu 
jeder Zeit trifft man in ihr Zellen. Dies mag wohl der Grund 
gewesen sein, dass sie von den früheren Autoren für das Pro- 
dukt einer hyalinen Degeneration der Tunica interna gehalten 
wurde. Doch ist es mir niemals gelungen, irgend welche De- 
generationserscheinungen speziell an diesen Zellen zu beobach- 
ten. Nur in einem Falle — es handelte sich um das Ovarium 
einer Frau, die in der 3. oder 4. Schwangerschaftswoche an 
chronischem Tetanus gestorben war — sah ich zahlreiche, chro- 


matolytische Figuren in vielen Zellen der Theka. Doch war 


Beitrag zur Histologie des Kierstockes ete. 157 


dies der einzige Fall dieser Art, der überdies deshalb nicht in 
Frage kommen kann, weil sich die Chromatolysen vor allem 
in den äusseren Thekaschichten vorfanden. 

Die in der Glasmembran vorhandenen Zellen dürften zweier- 
lei Art sein. Die weitaus grösste Zahl sind nur durchwandernde, 
es scheint mir aber nicht ausgeschlossen, dass einzelne Zellen 
fix sind und durch die hyaline Masse allmählich in ähnlicher 
Weise umhüllt werden wie etwa die Osteobasten bei der Ab- 
scheidung junger Knochensubstanz. 

Ob diese Zellen späterhin zu Grunde gehen und dadurch 
zur Verbreiterung der hyalinen Substanz beitragen, vermag ich 
nicht zu entscheiden. Aber auch angenommen, dass dem so 
wäre, so würde auf diesem Wege nur ein sehr kleiner Teil der 
Hyalinsubstanz gebildet werden. Der weitaus grösste erscheint 
als Auflagerung auf die Oberfläche der Zellen und ich meine 
darum, dass man eher von einer hyalinen Abscheidung als von 
einer hyalinen Degeneration sprechen sollte. Als Matrix dieser 
Art hyaliner Substanzen, welche auch gelegentlich in anderen 
Organen!) beobachtet werden, erscheinen Bindegewebszellen oder 
Häutchen, die aus solchen zusammengesetzt sind; ob auch die 
Endothelien von Blutkapillaren Hyalin abzuscheiden vermögen, 
muss ich vorläufig noch dahin gestellt sein lassen. 

Eine Stütze für meine Ansicht finde ich unter anderen in Be- 
obachtungen, über welche auf dem Deutschen Naturforscher- und 
Ärzte-Kongress 1896 berichtet wurde. Orth hebt bei dieser Ge- 
legenheit hervor, „dass beituberkulöser, aber auch bei krebsigerete. 
Entzündung seröser Häute hyaline, dem Verlaufe der Bindege- 


!) So habe ich beispielsweise im Hoden von Menschen in 2 Fällen eine 
gruppenweise Degeneration von Kanälchen gesehen, bei welcher die Membrana 
propria in eine dieke Haut umgewandelt war, deren Aussehen durchaus mit dem 
der Glasmembran übereinstimmte. Solehe Bilder wurden jedenfalls schon oft 
beobachtet. Ziegler beschreibt in seinem Lehrbuch der pathologischen Ana- 
tomie (1892) ein offenbar gleiches Präparat und bezeichnet dabei jene Haut 
als die „verdickte Wand atrophischer Kanälchen.“ 


158 HANS RABL, 


websfasern sich genau anschliessende Bänder vorkommen, in die 
man keine Granulationszellen eindringen sieht, sondern neben 
denen nur parallel gerichtete Spindelzellen zu liegen pflegen. 

Schmidt beschreibt ein plexiformes Epitheliom von der 
Haut der Ohrmuschel, in welchem sich sehr viel hyaline Sub- 
stanz findet, die er nicht vom Carcinom, sondern vom Binde- 
gewebe ableitet. Es ist diesbezüglich hervorzuheben, dass „sich 
die homogene Schicht von dem angrenzenden Bindegewebe in 
der Regel durch eine scharfe Linie absetzt, ein Spaltraum jedoch 
zwischen beiden niemals vorhanden ist.“ Ferner muss betont 
werden, dass die hyalinen Bänder in der ganzen Geschwulst 
gleich breit sind. 

Wenn die im obigen vertretene Anschauung auch den 
meisten Pathologen befremdlich erscheinen dürfte, so gewinnt 
sie doch sofort an Wahrscheinlichkeit, wenn man an die Vor- 
gänge erinnert, welche sich bei Bildung anderer Intercellular- 
substanzen, der Fibrillen des Bindegewebes und der elastischen 
Fasern und Häute abspielen. Bekanntlich besteht im Hinblick 
auf die erste Entwickelung der leimgebenden Fibrillen eine 
Kontroverse in der Litteratur, die bis in die Kinderzeiten der 
Histologie hinaufreicht. Die beiden Alternativen, ob die Fibrillen 
in oder ausser den Zellen entstehen, haben gegenwärtig ihre 
Wortführer einerseits in Flemming, welcher durch Reinke 
und Spuler unterstützt wird, andererseits in Merkel. Eine 
gewichtige Stütze hat die Lehre von der extracellulären Ent- 
stehung der Fibrillen durch die Arbeit von Ebners über die 
Entwickelung der Faserscheiden der Chorda dorsalis der niederen 
Fische erhalten. Es geht aus derselben die Thatsache unwider- 
leglich hervor, dass Bindegewebsfibrillen auch dann noch an 
Zahl zunehmen, wenn sie bereits eine nachweisbare Strecke vom 
Zellkörper entfernt liegen. Bezüglich ihrer Entstehung nimmt 
von Ebner an, dass die Zellen „zunächst eine leimgebende, 
kolloide, nicht fibrilläre Substanz bilden‘, welche ‚unter dem 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 159 


Einfluss orientierter Zug- und Druckspannung zu bestimmt ge- 
ordneten Fibrillen wird“. — Neuestens giebt Flemming diese 
Thatsache auch zu und nur hinsichtlich der erst auftretenden 
Fibrillen verharrt er auf seinem früheren Standpunkt. Ich 
glaube, dass man nicht berechtigt ist, an der Richtigkeit seiner 
Angaben zu zweifeln und darum ist es besonders zu begrüssen, 
wenn Flemming zwischen den beiden, scheinbar entgegenge- 
setzten Anschauungen eine Brücke zu bauen bestrebt ist. In 
seiner neuesten Publikation schreibt er diesbezüglich: „Es bildet 
sich im peripheren Teil der Zelle eine fibrillenhaltige Schicht; 
diese Schicht wird Intercellularsubstanz, wächst an Masse und 
kann immer neue Fibrillen produzieren, solange sie eben wächst.“ 
Es scheint mir, dass gegenüber der Thatsache, dass sich Fibrillen 
selbständig in der Intercellularsubstanz zu bilden vermögen, die 
Beobachtung über ihr erstes Auftreten innerhalb von Bindege- 
webszellen nicht von prinzipieller Bedeutung ist. Der Unter- 
schied liegt nur darin, dass bei ihrem ersten Auftreten die Matrix 
der Bindegewebsfibrillen mit dem Zellprotoplasma noch in or- 
ganischem Zusammenhange steht, während sie später reine Inter- 
cellularsubstanz ist. Sie dürfte aber wohl in beiden Fällen der- 
selben Natur sein. 

Ich habe mich deshalb bei dieser Frage so lange aufgehalten, 
weil in derselben der Beweis gelegen ist, dass die Binde- 
gewebszellen thatsächlich Intercellularsubstanz auszuscheiden ver- 
mögen. Die gleichen Verhältnisse wie hinsichtlich der leimgeben- 
den Fibrillen bestehen auch in Bezug auf das elastische Gewebe. 
Die Faserscheide der Chorda des Amocoetes ist, wie dies Hasse 
und v. Ebner beschrieben, von einer elastischen Membran um- 
schlossen, welche ursprünglich in direktem Kontakt mit dem 
Chordaepithel gebildet, später aber von ihm getrennt wird und 
trotzdem noch bedeutend an Dieke zunimmt. Ich glaube, dass 
man demnach wohl berechtigt ist, die Bildung des Hyalins in 
eine Reihe mit der Bildung der Bindegewebsfibrillen und der 
elastischen Substanz zu stellen. 


HANS RABL, 


Es geht aus diesen Ausführungen hervor, dass ich mich der 
Ansicht von Ernst anschliesse, welcher die grosse, von Reck- 
linghausen als Hyalin zusammengefasste Gruppe von Degene- 
rationsprodukten in zwei Abteilungen trennt: in das Kolloid, wel- 
ches — wenigstens in vielen Fällen — als Produkt einer epi- 
thelialen Sekretion aufgefasst werden muss und in das Hyalin 
sensu strietiori, das im Bindegewebe vorkommt. Natürlich be- 
sitzt auch dieses nicht an allen Orten dieselbe Bildungsweise und 
ich möchte darum nur auf eine Gruppe desselben die im obigen 
auseinandergesetzte Hypothese angewendet wissen. 

Ausser dem epithelialen Kolloid und dem hier besprochenen 
Hyalin giebt es ja bekanntlich noch eine Reihe anderer Körper, 
welche nach ihrem Aussehen als hyalin bezeichnet werden, aber 
weder die eine noch die andere Entstehungsart besitzen. Ich 
führe u. a. auf: jene hyalinen Kugeln, welche nach den Beob- 
achtungen Manasses bei Infektionskrankheiten in Hirngefässen 
gefunden werden und aus Leukocyten stammen, die hyalinen 
Niereneylinder, das Hyalin, das aus der Nekrose der verschieden- 
sten Gewebsbestandteile hervorgeht, endlich auch das Umwand- 
lungsprodukt des Fibrins, sowohl bei Entzündungen wie bei 
Thrombosen und einfachen Hämorrhagien. 

In diese letztere Kategorie dürfte auch jenes Hyalın zu 
rechnen sein, welches sich manchmal im geronnenen Blute findet, 
das im Centrum gelber Körper liegt. Fig. 24 ist bei schwacher 
Vergrösserung nach einem Präparat gezeichnet, welches nach 
van Gieson behandelt war, sodass das rotgefärbte Hyalin sich 
in scharfer Weise vom gelbbraunen Fibrin unterscheiden lässt. 
Das Hyalin besitzt hier die Form eines Bandes von leicht wel- 
ligem Verlauf, in dem aber keine weiteren Strukturen sichtbar sind. 

Das weitere Wachstum der Glasmembran erfordert nicht 
unser besonderes Interesse, denn wie sie angelegt wird, wächst 
sie auch in die Dicke. Bei der Katze lässt sie den Charakter 
einer rein kutikularen Ausscheidung auch noch in späteren Stadien 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 161 


erkennen; beim Menschen hingegen sind jene Verhältnisse — 
wie aus den obigen Auseinandersetzungen hervorgeht, — ziem- 
lich kompliziert. | 

Bemerkenswert ist, dass die Membranen bei jedem Tiere nur 
eine bestimmte Breite erreichen, ohne dieselbe jemals zu über- 
schreiten. Unterhalb dieser maximalen Dieke können sie aber 
einen sehr verschiedenen Durchmesser besitzen, je nach dem 
Alter, in welchem der Follikel von der Degeneration ergriffen wird. 

Nach den Untersuchungen Neumanns soll die Glasmem- 
bran bei Behandlung mit Ferrocyankalium und Salzsäure eine 
„sehr intensive, gleichmässige Färbung“ zeigen. Leider bin ich 
nicht in der Lage, diese interessante Beobachtung bestätigen zu 
können. Ich habe die Behandlung von Schnitten mit den er- 
wälhnten Reagentien öfters in Anwendung gezogen, aber höchstens 
— und nur bei sehr lang dauernder Einwirkung: der beiden 
Flüssigkeiten — eine ganz blasse, blaue Färbung erzielt. In 
solchen Fällen waren, wie ich besonders hervorheben muss, viel- 
fach auch die Blutkörperchen in einem gleichen, manchmal so- 
gar noch stärkeren blauen Tone gefärbt. 

Die Glasmembranen sind im menschlichen Ovarium bereits 
seit langem bekannt und in ihrer Genese mehr weniger richtig 
gedeutet worden. Eine Verwechselung mit hyalin entarteten 
und oblitterierten Gefässen, dürfte — wie ich bereits früher be- 
merkte — einem geübten Beobachter wohl niemals unterlaufen, 
da die Gefässe stets allseitig geschlossene Kreise von geringem 
Durchmesser darstellen, während die Endstadien der atretischen 
Follikel an Schnitten entweder gestreckte hyaline Bänder oder 
Knäuel bilden, welche durch oftmalige Faltung entstanden sind. 
Das neugebildete Bindegewebe im Innern des ehemaligen Follikel- 
raumes verschwindet mit der Zeit vollständig und die ehemaligen 
Thekazellen bilden sich zurück. Dadurch kommt die Membran 
ausschliesslich in Stromagewebe zu liegen, das nur öfters eine 
geringe Verdichtung erkennen lässt. 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXIV/XXXV. Heft (11. Bd., H. 12). 11 


162 HANS RABL, 


Etwas anders erscheinen die Fndstadien bei den von mir 
untersuchten Tieren mit Ausnahme des Macacus rhesus, bei 
welchem jener Prozess wie beim Menschen verläuft. Bei den 
Nagetieren und der Katze hingegen behalten die vergrösserten 
Thekazellen ihre Gestalt bei. Je mehr Follikel degenerieren, eine 
um so grössere Zahl von Stromazellen wird in epitheloide Zellen 
umgewandelt. Schliesslich besteht der Eierstock — wie man dies 
vor allem beim Kaninchen sieht — in seiner grössten Masse aus 
jenen Elementen. Auch die gelben Körper dürften zur Ver- 
mehrung derselben beitragen, da sie aus ähnlichen Zellen auf- 
gebaut sind. Doch kann ich darüber nur Vermutungen äussern, 
weil ich zwar eine Verkleinerung und Deformierung, nicht aber 
eine gänzliche Auflösung der Corpora lutea wahrnehmen konnte. 

Diese aus der T. interna degenerierter Follikel hervorge- 
gangenen Zellen haben schon wiederholt zu falschen Deutungen 
Veranlassung gegeben. Sie sind es, welche von vielen Seiten 
als die Markstränge im Ovarium bezeichnet und auf Grund 
von embryologischen Untersuchungen, deren Resultat ohne ge- 
nügender Berechtigung auf die erwachsenen Tiere übertragen 
wurde, entweder vom Keimepithel, den Malpighischen Körpern 
der Urniere oder vom Parovarium abgeleitet wurden. Dass 
dies den Thatsachen nicht entspricht, wird jeder, welcher einmal 
auf die örtlichen Beziehungen jener Zellgruppen zu den Resten 
der Glasmembran geachtet hat, ohne weiteres zugeben. Bei 
der Katze ist weder die Zahl der primär angelegten, noch der 
degenerierten Follikel so gross wie beim Kaninchen; sie lassen 
sich hier leicht von einander abgrenzen und in ihrer Gesamt- 
anordnung überblicken. Sie liegen alle ausschliesslich in der 
Rinde und darin hat man auch den Grund zu sehen, warum 
bei diesem Tiere im erwachsenen Zustand keine Stränge in 
der Marksubstanz gefunden werden. Dagegen enthält das 
Ovarium der Maus deren eine ausserordentlich grosse Anzahl, 
welche in breiten Massen zwischen den vielen und weiten Blut- 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 163 


gefässen eingelagert sind. Es fällt aber schon bei oberflächlicher 
Besichtigung derselben auf, dass in ihnen kleine Bläschen in 
reicher Menge eingestreut sind (Fig. 23). Sie werden von einem 
bald abgeplatteten, bald aber kubischen, einschichtigen Zelllager 
ausgekleidet; in manchen kann man noch Reste einer zusammen- 
gefallenen Zona pellucida erkennen. Es handelt sich also um 
degenerierte Follikel. Neben diesen letzteren begegnet man aber 
auch in der Marksubstanz normalen, die jedoch niemals eine 
besondere Grösse erreichen. Sie gehen alle zu einer Zeit zu 
Grunde, in welcher das Ei von einem hohen, einschichtigen 
Cylinderepithel, nur selten von zwei Reihen Follikelepithelien 
umgeben ist. Ich schliesse daraus, dass auch im Mäuseovarium 
der grösste Teil der sogenannten Mark- oder Segmentalstränge 
(Harz) aus einer Vergrösserung der Stromazellen in der Um- 
gebung degenerierter Follikel abgeleitet werden muss. Es ist 
dies um so wahrscheinlicher, als nach den Angaben von Lange 
das Ovarium ursprünglich vollständig von Ei- und Follikelzellen 
ausgefüllt ist und die Markstränge demnach erst sekundär ein- 
wachsen müssten. 

Nur ein Punkt bildet einen nicht zu unterschätzenden Ein- 
wand: Die Verteilung der kleinen Follikular-Öystchen innerhalb 
der Stränge ist nämlich keine regelmässige, sondern es breiten 
sich oft die Zellen in dichter Masse auf eine grössere Strecke 
hin aus, ohne solche Bläschen in ihrem Centrum zu besitzen. 
Solche Fälle kann man nur entweder durch gänzliche Oblitteration 
des Follikelraumes oder durch sekundäre Verschiebungen der 
Zellgruppen erklären. Auf Grund von Beobachtungen an Katzen- 
eierstöcken möchte ich mich für die letztere Annahme entscheiden. 
Ich will übrigens durchaus nicht in Abrede stellen, dass im Mark 
des Mäuseovariums Zellstränge vorkommen, welche eine andere 
als die eben beschriebene Abkunft besitzen. Ich habe da die 
Kanäle des Parovariums im Auge, deren Fortsetzung in lumen- 
lose Schläuche beobachtet werden kann. Doch habe ich bisher, 

11* 


164 HANS RABL, 


trotzdem ich ausschliesslich an Serienschnitten arbeitete, noch 
keinen zweifellosen Fall von Zusammenhang der „Markstränge“ 
mit eben jenen Schläuchen auffinden können. 

Janosik und Holl fassen die Markstränge als Rinden- 
substanz der Nebenniere auf, ersterer auf Grund seiner Annahme, 
dass sie sich gleich dieser aus dem Keimepithel entwickeln, letz- 
terer ausschliesslich gestützt auf eine Ähnlichkeit zwischen den 
zelligen Elementen beider. Den besten Beweis dafür, dass viele 
jener Gebilde, welche von den Autoren als Markstränge bezeich- 
net werden, nichts anderes als Gruppen epitheloider Thekazellen 
degenerierter Follikel sind, liefert ein Vergleich zwischen den 
Eierstöcken der Katze einerseits, des Meerschweinchens und 
Kaninchens andererseits. Bei der Katze lässt sich die Ent- 
wickelung jener Zellen aus Thekazellen in klarster Weise ver- 
folgen, weil sie ihre konzentrische Anordnung um dem Follikel- 
rest jeder Zeit beibehalten. Überdies führen sie in normalen 
Follikeln niemals Fett, an degenerierten dagegen nehmen sie bei 
Osmiumbehandlung eine verschieden dunkelbraune Farbe an, 
sodass auch der Verdacht ausgeschlossen ist, dass die Ähnlich- 
keit zwischen den Zellen der Markstränge und der T. propria 
follic. dadurch zu erklären sei, dass sich die ersteren zu diesen 
umbilden. Ebenso aber wie die Verdickung der T. propria foll. 
bei Katzen muss auch dieselbe Erscheinung beim Meerschwein- 
chen und Kaninchen erklärt werden. Wie aber die Verhältnisse 
bei Maus und Ratte beweisen, hängen die „Markstränge“ in vielen 
Fällen mit zweifellosen Thekazellen oblitterierter Follikel zu- 
sammen und können darum auch keinen anderen Ursprung als 
die letzteren genommen haben. 

Epitheliale Zellstränge anderer Art als die hier beschriebenen, 
kommen nach meinen Beobachtungen im Mark der Eierstöcke 
neugeborener Katzen vor. Hier handelt es sich um Gebilde, 
welche das Aussehen von Schläuchen besitzen, jedoch gewöhnlich 
eines Lumens entbehren und am Querschnitt aus einem Kranz 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 165 


von Zellen, am Längsschnitt aus zwei Reihen hoher cylind- 
rischer Gebilde mit grossem basalem Kern aufgebaut erscheinen. 
Manchmal rücken jedoch diese Zellreihen aus einander und lassen 
hierdurch einen centralen Hohlraum hervorgehen. Die Stränge 
sind stark gewunden und liegen teils in der Mitte des Ovariums, 
vor allem aber an der Grenze der Eiballen-Zone, sich manch- 
mal in dieselbe noch hineinschiebend. Soweit meine Erfahrung 
gegenwärtig reicht, muss ich sie als die zu künftigen Granulosa- 
zellen der Follikel betrachten. Auf eine genauere Schilderung 
der Stränge und ihres Verhaltens zu den Eizellen will ich an 
dieser Stelle verzichten und nur auf die Beschreibungen ver- 
weisen, welche v. Kölliker von den Marksträngen des Hunde- 
eierstockes und neuestens Bühler von denen von Fuchs und 
Mensch gegeben haben. Dass die Zellstränge zur Bildung der 
Follikelepithelien verwendet werden, geht, abgesehen von der 
direkten Beobachtung, auch daraus hervor, dass sie — wie ge- 
sagt — im Mark der Eierstöcke erwachsener Katzen fehlen. Auf 
die Erörterung ihrer Herkunft werde ich bei anderer Gelegenheit 
eingehen, wenn ich eine vollständige Serie von Eierstöcken ver- 


schiedensten Alters zur Verfürung habe. 
o- Oo 


II. 


Das Corpus luteum. 


Durch die bereits eingangs erwähnten Beobachtungen So- 
bottas wurde der Entwickelungsgang des gelben Körpers bei 
der Maus festgestellt. Das Material hierfür bestand in ca. 1500 (!) 
Körpern, die an Schnittserien untersucht wurden, natürlich waren 
alle Stadien der Bildung derselben unter ihnen vertreten, vor 


allem auch die jüngsten, welche bei der Frage nach dem Ur- 


166 HANS RABL, 


sprung der Luteinzellen allein entscheidend sind. Das Resultat 
seiner Untersuchungen fasst Sobotta in folgende Sätze zu- 
sammen, die ich in Anbetracht ihrer Wichtigkeit wörtlich wieder- 
gebe. Indem ich Absatz 1—4 übergehe, beginne ich bei 

„D. 5—7 Stunden nach dem Follikelsprunge entstehen durch 
den Wucherungsvorgang der Thekazellen anfangs feine, später 
sich verstärkende radiäre Bindegewebszüge, welche das Epithel 
durchsetzen. Die Zellen des letzteren vergrössern sich allmäh- 
lich, die innere Thekaschicht wird bei der Bildung der Binde- 
gewebszüge allmählich aufgebraucht; Leukocyten liegen jetzt 
allenthalb im Epithel. 

„6. Im folgenden (in der 40. bis 50. Stunde) findet dann 
eine feinere Verteilung des Bindegewebes innerhalb des Epithels 
statt und zwar unter gleichzeitigem, weiterem Wachstume der 
Epithelzellen. Die Wanderzellen bilden zusammen mit dem 
Bindegewebe ein Netz von Zellen um den centralen Erguss, der 
allmählich resorbiert wird. (Das Blut ohne Bildung von Häma- 
toidin-Krystallen). Nach völliger Resorption bleibt von ihnen 
ein bald grösserer, bald kleinerer sallertiger Bindegewebskern 
im Innern des Corpus luteum übrig. 

„1. 60—72 Stunden nach dem Follikelsprung sind die Epi- 
thelzellen auf das Zehnfache ihres Volumens angewachsen und 
werden gruppenweise von anastomosierenden Bindegewebszellen 
umgeben. Zugleich entstehen reichlich weite Kapillaren, Leuko- 
eyten fehlen jetzt. Die Bindegewebswucherung hat aufgehört. 
Das Corpus luteum erhält damit seinen definitiven Bau.“ 

Ein geringeres Material stand demselben Forscher zur Be- 
antwortung der Frage nach der Bildung der gelben Körper bei 
den Kaninchen zur Verfügung. Immerhin war es genügend, um 
dieselbe befriedigend zu lösen. Er konnte die bei der Maus 
erhobenen Thatsachen bestätigen, indem auch beim Kaninchen die 
Granulosazellen nicht zu Grunde gehen, sondern hypertrophieren 


und zu den sogenannten „Luteinzellen“ werden. Die Theka liefert 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 167 


einzig und allein die spindeligen Bindegewebszellen und die Ge- 
fässe, welche sich aber erst entwickeln, wenn die Vergrösserung 
der Epithelzellen bereits im vollen Gange ist. Eine besondere 
Beachtung verdienen zwei Punkte. 


Der erste betrifft das Verhalten der Zellen der T. propria. 
Sie sind schon im sprungreifen Follikel grösser als bei der Maus; 
an einem Kaninchen, das 14 Stunden nach der Begattung ge- 
tötet worden war und eine grosse Zahl frisch geplatzter Follikel 
enthielt, war die Grenzlinie zwischen Epithel und jenen Zellen 
nicht mehr so scharf wie beim nicht geplatzten Follikel Noch 
mehr ist jene Linie auf den Abbildungen von einem ca. 14 Stunden 
vorher geplatzten Follikel verwischt, der einem Kaninchen ent- 
stammt, das vor 23 Stunden begattet worden war. Hier ist zwar 
die innere Schichte der Follikelwand noch als distinkte Lage 
erkennbar, die Zellen haben aber an Grösse abgenommen, ent- 
halten Mitosen und bilden sich allmählich in jene Bindegewebs- 
zellen um, welche bestimmt sind, das Stroma der zukünftigen 
gelben Körper darzustellen. 32 Stunden post coitum ist die innere 
Thekaschicht ‚ganz oder bis auf Reste verschwunden, d.h. in 
spindelzelliges Bindegewebe aufgelöst‘. Wenn man noch etwas 
ältere Stadien untersucht, sind auch jene „Reste‘“ nicht mehr zu 
sehen und Sobotta schliesst demnach daraus: ‚die innere Theka- 
schicht ist völlig aufgelöst.‘ 


Als zweiten Punkt, welcher von einer gewissen Bedeutung 
ist, muss ich die Angabe nennen, dass im Stadium VI, Corpus 
luteum 52 Stunden post coitum, vereinzelt auch Mitosen in Epithel- 
zellen vorkommen. Diese Mitosen finden sich, wie aus der bei- 
gegebenen Figur erhellt, nur an der Peripherie und tragen nicht 
wesentlich zur Vermehrung der Luteinzellen bei, denn genaue 
Zählungen ergaben eine beinahe völlige Übereinstimmung zwischen 
der Zahl der Granulosazellen im reifen Follikel und der der 
Luteinzellen in einem fertigen Corpus luteum. 


168 HANS RABL, 


Ich glaube mich in Hinblick auf die ältere Litteratur be- 
genügen zu können, diese beiden Arbeiten genau referiert zu haben, 
weil in der ersten derselben so ziemlich alle Publikationen be- 
sprochen sind, welche sich seit ©. E. v. Baers „de ovi mam- 
malium et hominis genesi epistula“ mit der Bildung der gelben 
Körper im allgemeinen beschäftigt haben und in der letzteren 
nochmals einige wichtige diesbezügliche Angaben zusammenge- 
stellt sind. Es wäre nur eine Wiederholung dieser erst vor 
zwei Jahren erschienenen Litteraturübersicht, wenn ich neuer- 
dings eine Inhaltsangabe aller Arbeiten dieses Gebietes liefern 
wollte. Ich will daher einfach auf die citierten Arbeiten So- 
bottas verweisen. 

In neuester Zeit erschienen zwei Mitteilungen, in welchen 
neben anderen Fragen auch die Entstehung des Corpus luteum 
behandelt ist. Die eine stammt von Nagel, die andere von 
Heap. Der erstere beharrt’ auf seinem schon früher vertretenen 
Standpunkt, dass die Granulosazellen beim Menschen zu Grunde 
gehen. Wenn er auch zugiebt, „dass die Herkunft der Lutein- 
zellen noch nicht in allen Einzelheiten erforscht sei‘, so schliesst 
er doch aus seinen Untersuchungen, dass sie sich aus der innersten 
Schichte der Theka entwickeln und darum bindegewebigen Ur- 
sprungs seien. Ja, er bezeichnet die Zellen der T. propria schon 
als Luteinzellen, noch ehe der Follikel geplatzt ist und findet, 
dass die Follikelwand schon vor diesem Moment ein welliges 
Aussehen zeige, indem jene Zellen „eine mächtige, vielreihige 
Schichte bilden und papillenartig angeordnet sind.“ 

Heap untersuchte die Ovulation von Macacus rhesus und 
beschreibt in Übereinstimmung mit Sobotta, dass die Zellen 
der Wandschicht bei der Corpus luteum-Bildung sich nicht ver- 
mehren, sondern nur hypertrophieren. Im übrigen ist in seiner 
Schilderung jenes Prozesses nur wenig Verwertbares enthalten. 
Er giebt nämlich an, dass sowohl in einem ganz frischen gelben 


Körper, an welchem die Offnung des Follikels noch nicht vom 


Anatomische Hefte 1.Abtheilung Heft KAW/XXXV (11. Ba. H.1/2) 


EN M 
eS 4 


IN =) IN VA u 
Dr RN \n7 Fr 


Taf.XvMm 


NN 
an e. 
“.. 
\ € u HE 
9) Fu Di, ER 
TA >) Sr /, 
): Fr: Fa 4 
IE 9 
F © 


K.löffler del, 


Verl. mann,Wiesbadeı 
Verlag von JE.Bergmann,Wiesbaden 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 169 


Keimepithel überzogen ist, als auch in älteren Stadien die 
Wandschicht aus verzweigten Zellen aufgebaut wird, bezüglich 
welcher ich jedoch im Unklaren bin, ob sie der Verf. von der 
Granulosa oder von der Theka ableitet. Nur an der Abbildung 
eines schon älteren Corpus luteum lassen sich dieselben Formen 
wiedererkennen, welche die gelben Körper anderer Tiere auf: 
bauen. Ob diese Abweichung in der Form auf eine thatsäch- 
liche Differenz oder auf eine mangelhafte Konservierung zurück- 
zuführen ist, kann natürlich nicht* entschieden werden. Heap 
schliesst das die Bildung des gelben Körpers behandelnde 
Kapitel mit dem Satz: „In conclusion, then, we may describe 
the changes undergone by the discharged follicle as, firstly, hyper- 
trophy, resulting in a folding of the follicle wall, and a filling 
up of the central cavity with connective tissue; and secondly 
consolidation, which is brought about by the absorption of some 
of the elements, and the contraction of the other elements, of 
the tissue concerned.“ 

Mehrere Monate, nachdem die vorliegende Arbeit abge- 
schlossen war und ihr Druck begonnen hatte, erschien die Arbeit 
von J. G. Clark: Ursprung, Wachstum und Ende des Corpus 
luteum nach Beobachtungen am Ovarium des Schweines und 
des Menschen (Archiv f. Anat. u. Physiol., anat. Abt. 1898), 
welche die durch die Untersuchungen Sobottas gefestigten 
Anschauungen über die Herkunft der Luteinzellen neuerdings 
zu erschüttern geeignet zu sein scheint. Der Verfasser unter- 
suchte „90 oder 100“ Eierstöcke des Schweines. Sein Ergebnis 
war: „Die Luteinzellen sind besondere Bindegewebszellen, die 
in den inneren Schichten der Follikelwand zur Zeit erscheinen, 
wo diese sich in Theka interna und externa zu differenzieren 
beginnt. ..... Das Corpus luteum ist daher nicht ein epitheliales, 
sondern ein bindegewebiges Gebilde.“ Auf eine ausführliche 
Wiedergabe des Inhaltes muss ich leider verzichten. Doch kann 


ich die Bemerkung nicht unterdrücken, dass — so gross auch 


170 HANS RABL, 


das Untersuchungsmaterial war — sowohl die Beobachtung wie 
die Beschreibung stellenweise Lücken enthalten, durch welche 
der Zweifel an der Richtigkeit der abgeleiteten Schlüsse ein- 
dringen kann. So konnte beispielsweise die Eizelle in jenen 
Follikeln, welche als reif bezeichnet werden, trotzdem — oder 
nach Meinung des Autors: gerade weil sie ihr Epithel schon 
fast vollständig verloren hatten, nicht aufgefunden werden: ein 
Übelstand, den übrigens der Autor selbst empfindet. Ferner 
sind die Angaben über die Art der Degeneration zu kurz. Wenn 
Clark über die Degeneration der Epithelzellen in dem jüngsten 
Corpus luteum des Menschen schreibt: „Einige der Epithelzellen 
scheinen normal (6 zw im Durchmesser) zu sein; bei anderen 
sieht man deutliche Zeichen des Zerfalles, die im Anschwellen 
der Zellen und der Ansammlung von Fettröpfchen im Proto- 
plasma bestehen‘, so könnten diese letzteren beiden Eigenschaften 
ebenso gut für ihre Umwandlung in Luteinzellen als für ihren 
Zerfall in Anspruch genommen werden. Übrigens möchte ich 
in Anbetracht der übereinstimmenden Resultate von Benckiser, 
Pouchet, Paladino und Clark nicht zweifeln, dass beim 
Schweine die Theka in der That Luteinzellen hervorzubringen 
vermag. Die Angaben bezüglich des Epithels scheinen mir jedoch 
einer Nachprüfung dringend zu bedürfen. 

Ich habe in meinen zahlreichen Schnitten durch die tierischen 
Eierstöcke natürlich wiederholt Gelegenheit gehabt, gelbe Körper 
zu sehen. Doch waren alle teils bereits ganz fertig gebildet, 
teils ihrer Vollendung schon ziemlich nahe. Ganz junge Stadien, 
eben geplatzte Follikel, waren leider in meinen Präparaten nicht 
enthalten. Dagegen habe ich in menschlichen Eierstöcken einige 
Stadien beobachtet, welche zwar auch nicht mehr den Begiun 
der Umbildung des Epithels zeigten, sondern schon entwickelte 
Luteinzellen enthielten, die aber doch einer Mitteilung wert sind, 
weil sie — soweit die Corpora lutea vera in Betracht kommen — 


die jüngsten bisher beobachteten Stadien darstellen. Es handelt 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 171 


sich um drei Fälle, bei welchen das Ei im Uterus gefunden 
wurde, ein Fall betrifft ein Corpus luteum spurium, einer ist mir 
zweifelhaft. Was das Alter jener Körper betrifft, sowie hinsicht- 
lich der Frauen, von welchen sie stammen, habe ich kurz folgen- 
des mitzuteilen. 


1. V. Das hierzugehörige Ei wurde von Herrn Doc. Dr. Peters auf 
der 7. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie 1897 
bei Gelegenheit der Diskussion über Placenta praevia demonstriert. Die 
im folgenden mitgeteilten Angaben sind dem Artikel von Peters in 
den „Verhandlungen“ entnommen. Für die liebenswürdige Überlas- 
sung einiger Schnitte durch das Corpus luteum zum Studium derselben 
bin ich ihm sowie dem Assistenten der I. chirurgischen Klinik, Herrn 
Dr. Friedländer, welcher sie anfertigte, zu bestem Danke verpflichtet. 

„Letzte Menses 1. September 1896, vollkommen normal. In den 
letzten Tagen des September fing Patientin an zu brechen und sah 
schlechter aus“. Am 1. Oktober erfolgte Selbstmord durch Einnahme 
einer grossen Dosis von Laugenessenz. Bei der Obduktion, welche bald 
nach dem Tode vorgenommen wurde, zeigte sich der Uterus gänseei- 
gross, diekwandig. Das Ei lag in der Mitte der hinteren Wand, unter 
einer flach pilzhutförmigen Prominenz und besass einen Durchmesser 
von 1,6:0,8:0,9 mm. Es dürfte seit 3—4 Tagen im Uterus einge- 
pflanzt gewesen sein und muss daher mit der ausgebliebenen Men- 
struation in Beziehung gebracht werden. Das Alter des Corpus luteum, 
d. h. der Zeitpunkt des Follikelsprunges, lässt sich natürlich nicht an- 
geben, immerhin glaube ich annehmen zu dürfen, dass jenes Ereignis 
spätestens 10 Tage vor dem Tode eingetreten sein muss. 

2. B., 22jährig, + kurz nach ihrer Aufnahme 10. I. 1898 im 
k. k. Kaiser. Franz-Joseph-Spital in Wien. Die Sektion, von Pros. 
Dr. Kretz ausgeführt, ergab als wahrscheinliche Todesursache Phos- 
phorvergiftung. Das Ei wurde noch nicht näher untersucht, es bildet 
eine leichte, hügelförmige Hervorragung auf der Schleimhaut des Uterus 
und ist von einer Platte bedeckt, welche einen Durchmesser von 6 mm 
besitzt. 

3. B. Uterus und Ovarien waren durch Operation gewonnen worden, 
welche auf der 1. geburtshülflichen Klinik in Wien wegen Osteomalacie 
ausgeführt wurde. Die folgenden Daten verdanke ich der Güte des 
Herrn Dr. Mandl. Patientin war 31 Jahre alt, einmal gravid vor 
3 Jahren. Damalige. Geburt mittelst Forceps beendet. Bei Patientin 
war am 16. III. 1897 die letzte Menstruation eingetreten. Die Total- 
exstirpation per vaginam hatte am 12. V. stattgefunden. Der Embryo 
besass nach Angabe von Pros. Dr. Tandler eine Länge von 13!/2 mm, 
dürfte demnach in der 5. Lebenswoche gestanden sein. 


172 HANS RABL, 


4. Das Ovarium stammte von einer Leiche, die im hiesigen patho- 
logisch-anatomischen Institut zur Sektion kam. Das Corpus luteum 
prominierte ziemlich stark über die Oberfläche des Ovariums, welche 
an dieser Stelle noch blutig suffundiert war, Eine Rissöffnung war 
jedoch nicht mehr zu sehen. Die Höhle des Körpers war von einem 
noch frischen Bluterguss erfüllt. Ob die Person eben menstruiert batte 
oder nicht, ist mir nicht bekannt. Ebensowenig kann ich dies von 
dem folgenden Falle sagen. 


5. 28jähr. Frau, die im hiesigen k. k. Wiedener Krankenhause 
an den Folgen einer Laugenessenzvergiftung gestorben war. Der Uterus 
zeigte nach Angabe von Herrn Pros. Dr. Zemann das Aussehen wie 
nach kürzlich erfolgtem Abortus. Anamnestisch aber lagen keine dies- 
bezüglichen Angaben vor. Ich kann nicht einmal sagen, ob hier eiu 
Corpus luteum verum oder spurium vorlag. Wenn es sich um ein solches 
der ersten Art handelt, so ist es noch jünger als Fall 1. Doch muss 
ich es eher für einen falschen gelben Körper halten. Für nähere An- 
gaben verweise ich auf das Folgende. 


Ich wende mich nun zur Beschreibung der Fälle, wobei ich 
mich zunächst auf die Corpora lut. vera beschränke. Die Be- 
obachtungen an den Corp. lut. spuria werden am besten im An- 
hang an die ersteren besprochen. 


Ich muss vor allem betonen, dass die sämtlichen, in den 
Frühstadien untersuchten wahren gelben Körper einen grossen 
Hohlraum in ihrem Centrum enthielten. An Schnitten zeigte 
er sich teilweise ganz leer, in einzelnen Partien jedoch von einem 
Netzwerk von Fibrinfäden erfüllt, zwischen welchen zellige Ele- 
mente fast ganz fehlten. Nur an den der Wand zunächst liegen- 
den Stellen finden sich solche in sehr spärlicher Zahl vor. Eine 
pralle Füllung mit noch unveränderten Blutkörperchen traf ich nur 
in den Fällen 4 und 5. Im ungehärteten Zustand kam nur das 
Corpus luteum von Fall 3 in meine Hände. Beim Einschneiden 
floss aus seinem centralen Hohlraum eine beträchtliche Menge 
einer klaren, gelblichen Flüssigkeit aus. Die Begrenzung der 
Höhle scheint bei Betrachtung mit freiem Auge aus folgenden 
Schichten zusammengesetzt: Zunächst nach aussen das Ovarial- 


stroma, das übrigens an den meisten Stellen ausserordentlich 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 173 


verdünnt ist, sodass der gelbe Körper fast direkt an die Albuginea 
grenzt. Die Hauptmasse der Wand wird von einer gelblich ge- 
färbten, ca. 2 mm breiten Zone gebildet, welche sich bei Be- 
trachtung unter dem Mikroskop in physiologischer Kochsalz- 
lösung in der Hauptsache aus ausserordentlich grossen Zellen 
zusammengesetzt zeigt, die zahlreiche, feinste Körnchen ent- 
halten und zwischen denen sich Bindegewebe und Blutgefässe 
ausbreiten. Zwischen dem Ovarialstroma und jenem gelben Ringe 
liegt ein roter Streifen leicht verschieblichen Gewebes, welcher 
die grossen Blutgefässe zur Ernährung des Corpus lut. führt. 
Nach innen von den Luteinzellen befindet sich eine dünne Lage 
eines weichen, zelligen Bindegewebes, welches von einer mehr 
minder mächtigen Fibrinschichte bedeckt wird. 

Das gleiche Aussehen, wie das Corpus luteum von Fall 3, 
besitzen auch die übrigen gelben Körper auf dieser niederen 
Entwickelungsstufe. An allen kann man somit als Begrenzung 
der Centralhöhle, d. h. als wesentliche Bestandteile des gelben 
Körpers unterscheiden: 

1. eine innere Auskleidung, die vom Bindegewebe herge- 
stellt wird, 

2. die Luteinzellmasse, 

3. die Schichte der grossen Gefässe, welche teilweise noch 
innerhalb, teilweise aber zwischen und ausserhalb der Spindel- 
zellen der ehemaligen T. fibrosa des Follikels verlaufen. 

Was die viel diskutierte Frage nach dem Bluterguss betrifft, 
welcher beim Platzen des Follikels stattfindet, so muss ich be- 
tonen, dass ich die Residuen eines solchen in jedem Falle nach- 
weisen konnte. Entfärbte rote Blutkörperchen traf ich sogar 
noch im frischen Präparat von Fall 3, obwohl die Blutung hier 
vor 5 Wochen stattgefunden haben dürfte. An eine Nachblutung 
war in diesem Falle nicht zu denken. Die Blutung findet selbst- 
verständlich in demselben Masse statt, ob sich der gelbe Körper 
zu einem wahren oder falschen ausbildet. Dass in den ersten 


174 HANS RABL, 


Tagen nach der Ovulation noch Nachblutungen eintreten können, 
ist immerhin möglich, doch dürften dieselben hinsichtlich der 
Bildung eines Öorpus luteum verum nicht jene grosse Bedeutung 
besitzen, welche ihnen von gewissen Autoren zugeschrieben wird. 

Ich wende mich nun zur Beschreibung der angeführten 
Schichten und beginne mit der Schilderung der Luteinzellen 
weil diese ja den Hauptbestandteil der Cystenwand darstellen. 
Es handelt sich um Zellen, welche beim Corpus luteum von 
Fall 1 eine Grösse von 20—26 u im Durchmesser besitzen; auch 
ihre Kerne sind von beträchtlichen Dimensionen (10—12 «), aber 
sehr schwach färbbar; sie enthalten innerhalb einer deutlichen 
Kernmembran nur ein sehr spärliches Fadengerüst und einen 
grösseren Nukleolus. Das Protoplasma tingiert sich mit Eosin 
ziemlich stark rot, mit einem Stich ins Gelbliche und macht den 
Eindruck eines äusserst feinen Wabenwerkes mit intensiv färb- 
baren Wabenwänden, sodass man daraus schliessen kann, dass 
vielleicht schon zu dieser Zeit in den Zellen zahlreiche kleinste 
Kügelchen eingeschlossen sind. — Die Luteinzellen von Fall 2 
können bis zu 35 « im Durchmesser erreichen; ein wabiger Bau 
des Protoplasmas war hier nicht zu erkennen. — Am grössten 
sind die Zellen von Fall 3. Diese messen im längsten Durch- 
messer 50 bis 60 «, ihre Kerne dagegen nur 10—12 «, sind somit 
auf der Grösse von Fall 1 stehen geblieben. Nur die allergrössten 
Zellen besitzen Kerne, welche bis zu 16 « in der grössten 
Richtung messen und demnach gleichfalls noch gewachsen sein 
müssen. — Die Zellen enthalten, wie ich bereits früher bemerkt 
habe, zahlreiche kleinste Körnchen. Ob diese alle fettiger Natur 
sind, muss jedoch bezweifelt werden. An Stücken, welche in 
Flemmingscher Flüssigkeit durch mehrere Wochen gehärtet 
wurden, finde ich nämlich nicht in allen Zellen schwarz gefärbte 
Körnchen; neben solchen, welche Fettkügelchen enthalten , die 
gewöhnlich in einem Häufchen beisammen liegen, kommen 
andere Zellen vor, welche körnchenfrei sind oder nur winzige, 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 175 


mit Saffranin rot gefärbte Kügelchen führen. Man ersieht daraus, 
dass sich die Zellen nicht ausschliesslich mit Fett infiltrieren, 
sondern auch eiweissartige Nahrungsstoffe aufstappeln; immer- 
hin sind die fetthaltigen Zellen in bedeutend grösserer Zahl als 
die übrigen vorhanden. Zwischen den Zellen liegen, wie ich bereits 
bemerkte, dünnwandige Gefässe und lange, schmale Bindegewebs- 
zellen, vielfach zu kleinen Gruppen vereinigt, in radiärer Rich- 
tung von der Oberfläche gegen die Höhle des ehemaligen Fol- 
likels verlaufend. Dadurch werden auch die Luteinzellmassen- 
in Reihen gegliedert, welche in genau radiärer Richtung ange- 
ordnet sind. 

Nach innen von der hier beschriebenen Schichte liegt jenes 
zarte Häutchen aus Bindegewebe, welches die Auskleidung der 
Corpus lutem-Höhle bildet. An seiner äusseren Oberfläche be- 
sitzt es ein festeres Gefüge, indem sich mehrere Reihen langer, 
schmaler Zellen der inneren Oberfläche der Luteinzellschichte 
unmittelbar anlagern. Gegen den Bluterguss zu verläuft es 
ohne scharfe Grenze. Es,besteht aus Bindegewebszellen, welche 
in verschiedenen Abständen von einander liegen, teils spindelig, 
teils verzweigt sind und eine ansehnliche Länge besitzen. Ihr 
Zellkörper färbt sich intensiv mit saueren Anilinfarben und 
zeigt zuweilen eine feine Längsstreifung. Zwischen den Binde 
sewebszellen finden sich vereinzelt auch Leukocyten. Als un- 
wesentliche Bestandteile dieser Schiehte wären noch ausgelangte 
rote Blutkörperchen und Fibrinfäden zu nennen. In dem Corpus 
luteum von Fall drei kann man an einzelnen Stellen zwischen 
den Zellen zarte, blasse Bindegewebsfasern sehen, welche leicht 
gewunden sind und eine regellose Anordnung besitzen. Zellen 
und Fasern sind in einer äusserst schwach färbbaren, homogenen 
Grundsubstanz eingebettet. Im Hinblick auf ihre Breite zeigt 
sich diese Schichte entsprechend dem Alter der untersuchten 
gelben Körper verschieden, indem sie beim jüngsten am 
schmälsten, beim ältesten am dicksten ist. Bei diesem letzteren 
enthält sie bereits einzelne Blutgefässe. 


176 HANS RABL, 

Die Luteinzellen grenzen — wie schon hervorgehoben wurde 
— nieht unmittelbar an das Ovarlalstroma, sondern sind von 
demselben durch ein lockeres Gewebe, welches viele und weite 
Gefässe führt, getrennt. An verschiedenen Stellen lässt sich noch 
die ehemalige T. fibrosa erkennen. Bekanntlich besitzt die 
gelbe Rinde am Querschnitt einen schwach wellenförmigen 
Verlauf, indem sie in zahlreichen Leisten und Höckern gegen 
den inneren Hohlraum vorspringt. Die ursprüngliche Tunica 
fibrosa dagegen bildet ein geschlossenes Oval und so kommt es, 
dass an den Konvexitäten, mit welchen das Corpus luteum an 
das ÖOvarialstroma anschliesst, die Tunica fibrosa den Lutein- 
zellen nahezu ganz aufliegt, während an den Einziehungen seiner 
Oberfläche dreieckige Zwickel übrig bleiben, in welchen regel- 
mässig grössere Gefässe — sowohl Arterien wie Venen — ent- 
halten sind. 

Übrigens berühren die Luteinzellen auch dort, wo sie am 
weitesten gegen das Ovarialstroma vortreten, die T. fibrosa nicht 
direkt, oder wenigens geschieht dies nur an sehr wenigen Punk- 
ten. Es ist vielmehr fast im ganzen Bereiche der Oberfläche 
des gelben Körpers eine Schichte von Zellen eingeschoben, welche, 
obzwar bedeutend kleiner als die Luteinzellen, dennoch einen 
epithelialen Charakter besitzen. Auf Fig. 29 ist eine Gruppe 
derartiger Zellen bei schwacher Vergrösserung dargestellt. Die 
Abbildung stammt von Fall 3; bedeutend reichlicher als hier 
ist die Menge dieser Zellen bei Fall 1. Dort nehmen sie an 
manchen Stellen einen Raum ein, welcher dem der Luteinzellen 
an Breite gleichkommt, an vielen Stellen dringen sie auch 
zwischen sie ein und können sogar bis zur bindegewebigen Aus- 
kleidung der Höhle gelangen. Ich muss somit meine im vorigen 
gemachten Angaben über die Hauptsubstanz der wahren Corpora 
lutea dahin vervollständigen, dass neben den grossen Luteinzellen 
auch noch kleinere, zumeist peripher von ihnen gelegene Zellen 
in Betracht kommen, welche gleichfalls — wenn auch nicht 
wesentlich — zum Aufbau dieser Schichte beitragen. 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 177 


Was die Grösse dieser Zellen anbelangt, so ist sie eine sehr 
verschiedene. Ihr grösster Durchmesser schwankt zwischen 
10 und 20 « und darüber. Sie sind gewöhnlich kugelförmig, 
manchmal auch in die Länge gestreckt, es ist dies insbesondere 
an jenen Stellen der Fall, an welchen sie in radiärer Richtung 
gegen die Luteinzellen vordringen. An anderen Punkten wieder 
schliessen sie sich diesen aufs engste an und sind dann mehr 
weniger in der Richtung parallel der Oberfläche des gelben 
Körpers abgeplattet. Ihr Zellkörper färbt sich an Präparaten 
aus Müllerscher oder Zenkerscher Flüssigkeit mit Eosin nur 
blassrot und macht an Präparaten aus Flemmingscher Lösung 
einen ziemlich homogenen Eindruck. Die Kerne sind stärker 
färbbar als die der Luteinzellen. Die wichtigste morphologische 
Eigenschaft dieser Zellen besteht aber darin, dass sie häufig, be- 
sonders dort, wo sie den Luteinzellen anliegen, ihnen allmählich 
so ähnlich werden, dass man schliesslich keine scharfe Grenze 
zwischen diesen beiden Formationen ziehen kann (Fig. 25). Der 
Zellkörper nimmt immer grössere Dimensionen an und erhält eine 
Form, welche durchaus der der Luteinzellen entspricht; sein ur- 
sprünglich kompaktes Aussehen macht einem zwar äusserst 
feinen aber deutlich wabigen Platz, indem sich Fetttröpfchen 
darin ablagern; auch der Kern vergrössert sich, kurz: es unter- 
liegt keinem Zweifel, dass diese Zellen sich allmählich zu Lutein- 
zellen umbilden. Welcher Abkunft diese Zellen sind, soll später 
erörtert werden. 

Diejenigen Zellen, welche nach innen von den soeben be- 
schriebenen liegen, die ursprünglichen Luteinzellen, können nach 
den Ermittelungen Sobottas bei Maus und Kaninchen nichts 
anderes als die hypertrophierten Granulosazellen sein. In einem 
nahezu reifen Follikel besitzen dieselben einen Durchmesser von 
8—12 u, doch trifft man auch vereinzelt solche bis zu einer 
Grösse von 18 u. Der Durchmesser ihrer Kerne schwankt zwischen 
6 und $u. Aus diesen und den oben angeführten Zahlen geht 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXIV’XXXV. Heft (11. Bd. H. 12.) 12 


178 HANS RABL, 


hervor, dass sich die Follikelzellen im Laufe des ersten Monates 
bedeutend vergrössern können, um am Anfang des zweiten einen 
ca. Bmal so grossen Durchmesser, d. h. als Kugeln berechnet 
ein 125 faches Volumen gegenüber den Verhältnissen als Granu- 
losazellen zu besitzen. Auf Grund von Messungen Luschkas 
nimmt Sobotta eine Vergrösserung der Granulosazellen des 
Menschen um mehr als das 350—40fache an und glaubt hier- 
durch die vollständige Ausfüllung der Höhle eines geplatzten 
Follikels ohne Vermehrung der Zellen erklären zu können. Um 
wie viel besser würde die Rechnung stimmen, wenn man der- 
selben die von mir gefundenen Zahlen zu Grunde legen würde! 
Doch muss ich fast fürchten, dass jene abnorme Grösse der 
Luteinzellen ein Ausnahmsfall war. An Schnitten durch ein 
Corpus luteum vom 3. Monat, welche mir Herr Dr. Mandl 
freundlichst zur Durchsicht überliess, betrug der Durchmesser 
der Zellen durchschnittlich 20 «. Bei einem Corpus Juteum 
aus dem fünften Monat konnte ich gleichfalls in den meisten 
Zellen einen Durchmesser von nur 20 u nachweisen; bloss in ein- 
zelnen Fällen, wenn besonders grosse Zellen vorlagen, die über- 
dies nicht polyedrisch oder kugelig, sondern oval waren, kommt 
es vor, dass ihr längster Durchmesser 40 u beträgt. Aus dem 
Vergleich dieser beiden Präparate mit Fall 3 muss man den 
Schluss ziehen, dass die Grösse der Luteinzellen eine schwankende 
ist. Oder sollten sich die Zellen, nachdem sie rasch ein so ab- 
normes Volumen erreicht haben, sich alsbald wieder verkleinern? 
Diese Fragen lassen sich nur an einem grösseren Material, als 
das meine war, entscheiden. 

Auffallend ist die ausserordentliche Weite des Hohlraumes 
in jungen wahren gelben Körpern. Diese Erscheinung ist in 
allen drei Fällen zu erkennen. Hohlraum + Rinde beträgt bei 
Fall 1 (an einem Schnitt gemessen) in einer Dimension 20, ın 
der darauf senkrechten 22!/g mm; bei Fall 3, bei welchem das 


Corpus luteum angeschnitten worden war, sodass es kollabierte, 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 179 


9:21. Dabei besitzt die Rinde an reinen Querschnitten höchstens 
eine Dicke von 2—2!/» mm. Es ergibt sich daraus, dass die 
jungen Corpora lutea, wenigstens im allgemeinen, grösser sind 
als die sprungreifen Follikel und dass somit ein umgekehrtes Ver- 
hältnis wie beim Kaninchen besteht, bei welchem die letzteren 
die Corpora lutea um das S—10fache übertreffen. Ganz andere 
Masse besitzen die falschen gelben Körper. Derjenige, welcher 
von Fall 4 stammt, besass in der Richtung vertikal zur Ober- 
fläche eine Länge von 6,25 mm, in der darauf senkrechten eine 
solche von 4,6 mm. Er war also in seinem Volumen kleiner als 
die meisten reifen Follikel. Auch die übrigen gelben Körper 
dieser Art, welche ich zu untersuchen Gelegenheit hatte, be- 
sassen dieselbe oder eine noch kleinere Gestalt und stimmten 
demnach hinsichtlich der Grössenverhältnisse mit den gelben 
Körpern der Tiere überein. 

Ausnahmen von dieser Regel bilden nur solche Fälle, bei 
welchen eine besonders starke Blutung in den Follikel stattfindet, 
wodurch sein Cavum sehr stark ausgedehnt wird. Doch scheint 
das Blut rasch resorbiert zu werden, denn ich habe niemals 
falsche gelbe Körper gefunden, die sich durch den Fettgehalt ihrer 
Zellen als nicht mehr ganz frisch erwiesen und trotzdem grösser 
als reife Follikel gewesen wären. Eine zweite Kategorie ver- 
grösserter Corpora lutea spuria bilden die sogenannten doppelten 
gelben Körper (Rokitansky). Ein Fall dieser Art, den ich 
zu untersuchen Gelegenheit hatte, stammte voneiner Frau, welche 
wegen Myoms des Uterus operirt worden war, während sie sich 
eben am 4. Tage ihrer Menstruation befand. Das Corpus luteum 
war insofern ein doppeltes, als es aus zwei ineinander ge- 
schachtelten gelben Körpern bestand, zwischen welchen sich ein 
frischer Bluterguss ausbreitete. Durch diesen war die ursprüng- 
lich zusammenhängende Luteimzellmasse in eine periphere Schale 
und einen centralen Abschnitt zersprengt worden. Nach seinen 
anderweitigen Eigenschaften möchte ich diesen Körper nicht 

12* 


180 HANS RABL, 
mit der eben vorhandenen Menstruation in Zusammenhang 
bringen; nur der Bluterguss, dem er seine Verdoppelung ver- 
dankt, dürfte durch die kongestive Hyperämie, welche die Blut- 
verteiluing im Ovarium während der Menstruation beherrscht, 


hervorgerufen worden sein. 


Welches istnun die Ursache für die so verschiedene Grösse 
von Corpus luteum verum und spurum? Es ist dies eine Frage, 
die bekanntlich schon von vielen Seiten aufgeworfen und in 
mannigfacher Weise beantwortet wurde. Selbstverständlich muss 
man bei der Erörterung derselben von den jüngsten Stadien 
ausgehen, weil schon dort der Unterschied ein so bedeutender 
ist. Die Grösse des Corpus luteum verum muss auf Rechnung 
zweier Faktoren gesetzt werden: 


1. Auf Rechnung der Grösse der Luteinzellen, 


2. auf Rechnung der in der Höhle enthaltenen Flüssigkeits- 
menge. Über die Grösse der Zellen der wahren gelben Körper 
habe ich bereits berichtet. Ich muss darum noch einige Zahlen 
hinsichtlich der Zellen der Corpora lut. spur. anführen. In dem 
soeben erwähnten Corpus luteum duplex besassen die Luteinzellen 
einen Durchmesser von 12—18 u; im gelben Körper von Fall 4 
inessen sie durchschnittlich 16—20 u im Durchmesser. Im Cor- 
pus Juteum von Fall 5 schwankte die Grösse der Zellen zwischen 
12 und 16 « im Durchmesser. Ausser an den angeführten habe 
ich noch an einer Reihe etwas älterer, gelber Körper Messungen 
der Zellen vorgenommen, aber keine Ausnahme von der Regel 
konstatieren können, dass die Zellen der falschen gelben Körper 
im Durchschnitt an Masse bedeutend kleiner sind als die der 
wahren. Es ist also auch die Summe dieser Zellen, die gelbe 
Rinde der falschen Körper von viel kleinerem Volumen als die 
der wahren. 


Bezüglich des Hohlraumes der Corpora lutea vera habe ich 
bereits hervorgehoben, dass derselbe sogar grösser als der des 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 181 


ehemaligen Follikels ist und demnach den eines Corpus luteum 
spurium bedeutend übertrifft. Ich glaube, dass auf dieses letz- 
tere Moment der Schwerpunkt in der oben gestellten Frage ge- 
legt werden muss, denn es lässt sich wohl nicht gut denken, 
dass die Luteinzellen bei ihrer Vergrösserung die Hülle des 
Follikes, resp. das umgebende Ovarialstroma aktiv nach aussen 
drängen. Sie wachsen vielmehr bei diesem Prozess gegen den 
Follikelraum zu, weil sie dort einen viel geringeren Widerstand 
zu überwinden haben. Das wellige Aussehen, welches ihre 
Schichte am Querschnitte darbietet, rührt davon her, dass die 
Zellen bei ihrer Vergrösserung auf der Innenseite des Follikels 
nicht mehr Platz finden, und daher die Fläche, auf welcher 
sie gezwungen sind sich auszubreiten, zu vergrössern trachten 
müssen. Ich komme also zu dem Ergebnis, dass die Grösse der 
wahren gelben Körper in ihrem Entwickelungsstadium vor allem 
auf der reichen Flüssigkeitsmenge beruht, welche in ihnen ent- 
halten ist. Erst nach ein paar Monaten, wenn die Flüssigkeit 
resorbiert ist, kommt die Grösse der einzelnen Luteinzellen zur 
Geltung. 

Zur gleichen Erwägung im Hinblick auf die Frühstadien 
ist auch Hoelzl gekommen. Er meint, dass bei der Vergrös- 
serung des Hohlraumes gelber Körper speziell Nachblutungen 
in Betracht zu ziehen wären. Dem kann ich mich deshalb nicht 
anschliessen, weil ich auch im jüngsten Corpus luteum verum 
keine frische Blutung vorfand. Wenn hier demnach solche in 
Frage kämen, so könnten sie nur in den allerersten Tagen er- 
folgen. Dann ist es aber nicht zu begreifen, warum die Flüssig- 
keit auch noch in einem 5 Wochen alten Corpus luteum in un- 
geschmälerter Menge vorhanden ist. Man würde erwarten, dass 
sie in diesem Zeitraum mehr weniger vollständig zur Resorption 
gelangt wäre. Ich glaube darum ein kontinuierliches Zu- 
strömen von Flüssigkeit annehmen zu müssen. Ein jedes Ova- 
rium, welches aus den ersten Zeiten der Gravidität stammt, ist 


182 HANS RABL, 


strotzend mit Blut gefüllt. Überall sind die Gefässe ausgedehnt 
— auch in der Hülle des gelben Körpers; und so wird auch die 
Luteinzellmasse durch ihre neugebildeten Gefässe aufs reichlichste 
mit Blut versorgt. Aus diesen Gefässen transsudiert die Flüssig- 
keit in den centralen Hohlraum. 


Dieser Vorgang nimmt aber in dem Masse ab, als sich 
einerseits die Gefässwände verdicken und andererseits die zu- 
strömende Blutmenge verringert. Überdies wird die im cen- 
tralen Hohlraum enthaltene Flüssigkeit unter einen immer stär- 
keren Druck gesetzt, indem sie durch die vordringenden Zell- 
massen auf einen immer kleineren Raum eingeschränkt wird. 
Schliesslich kommt es zu ihrer vollkommenen Verdrängung und 
Aufsaugung. Wenn durch irgendwelche, gegenwärtig noch nicht 
näher erforschte Bedingungen die Transsudation eine abnorm 
intensive ist, so kommt es zu einer Umwandlung des Corpus 
luteum in eine Corpus luteum-Cyste. Gerade das Vorkommen 
dieser letzteren spricht meiner Meinung nach sehr zu Gunsten 


der hier vorgetragenen Theorie. 


Ebenso wie die im Corpus luteum-Cavum angesammelte 
Flüssigkeit ist auch die kolossale Vergrösserung seiner Zellen 
eine Folge der kongestiven Hyperämie des Ovarium, indem die 
Blutgefässe der Luteinzellmasse einerseits reichlicher an Zahl, 
andererseits auch praller in der Füllung als bei falschen, gelben 
Körpern sind und demnach natürlich eine ausgiebige Ernährung 
der Zellen eintreten kann. Dafür, dass durch die Hyperämie 
während der Schwangerschaft auch an anderen Stellen des Ova- 
rium Hypertrophien von Zellen vorkommen können, sind die 
von Schmorl veröffentlichten Beobachtungen hinsichtlich des 
Vorkommens deciduaähnlicher Zellen im Peritoneum und Ova- 
rium sprechende Beweise. Ich kann dieselben durch eigene er- 
gänzen und teile hiervon eine Abbildung (Fig. 27) mit. Bemerkens- 


wert ist, dass, wie dies auch Schmorl hervorhebt, diese durch 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 183 


Hypertrophie einfacher Stromazellen entstandenen Deciduazellen 
ähnlichen Formen ausschliesslich an der Oberfläche der Ovarien 
vorzukommen scheinen und da — wie ich beifügen muss — 
vor allem in der Nähe von Corpora fibrosa auftreten. In einem 
Falle waren sie übrigens nicht flächenhaft an der Oberfläche des 
Ovarium ausgebreitet, sondern bildeten sogar eine papillomatöse 
Wucherung, welche an der Stelle, an welcher sich die Narbe 
eines alten Corpus luteum befand, hervorragte. — Auffallend 
ist die ausserordentliche Zahl und Weite der Blutgefässe, welche 
regelmässig zwischen jenen hypertrophierten Zellen verlaufen. 
Nach der Dünnheit ihrer Wand zu urteilen, dürften sie neuge- 
bildet sein. Die Vergrösserung der anliegenden Bindegewebs- 
zellen muss auch hier, ebenso wie bezüglich der Luteinzellen, 
auf ihre Überernährung seitens dieser Blutgefässe zurückgeführt 
werden. 


Ich muss jetzt nochmals auf jene Zellen zu sprechen kommen, 
welche zwischen der eigentlichen Luteinzellmasse und der Tunica 
fibrosa junger Corpora lutea liegen und bezüglich derer ich nach- 
gewiesen hatte, dass sie sich in Luteinzellen umwandeln. Durch 
diese Zellen, welche sich von der Peripherie aus den von vorn- 
herein als solchen entwickelten Luteinzellen anschliessen, wird 
demnach die ganze Masse des gelben Körpers vergrössert. Ob 
das Vorkommen jener Zellen auf den Menschen beschränkt ist 
oder auch bei anderen Tieren beobachtet werden kann, ist noch 
unbekannt; jedesfalls aber fehlen sie bei Maus und Kaninchen 
und komplizieren den Prozess der Corpus luteum-Bildung in 
höchst unerfreulicher Weise. 


Am reichlichsten finde ich jene Zellen in Fall 1, am spär- 
lichsten in Fall 3. Hier liegen sie ausschliesslich innerhalb der 
fibrösen Hülle. Über den nach aussen vorspringenden Partien 
des Corpus luteum sind sie in 1—2 Zellen breiter Schichte an- 


geordnet, können übrigens an dieser Stelle auch ganz fehlen. 


154 HANS RABL, 


In den früher erwähnten Zwickeln dagegen bilden sie grössere 
Anhäufungen und dringen dort auch noch ein beträchtliches 
Stück zwischen die echten Luteinzellen vor. Bei Fall 1 und an 
vereinzelten Stellen von Fall 2 finden sich jene Zellmassen auch 
nach aussen von der Tunica fibrosa. Es ist dies ein sicherer 
Beweis, dass es nicht in ihrer Entwickelung zurückgebliebene 
Follikelepithelien sind, welche im Gegensatz zu den übrigen erst 
im Laufe des 1. und 2. Monats ihre volle Ausbildung erreichen. 
Auch sind die sämtlichen, an ihrer Grösse und Struktur als 
echte Luteinzellen kenntlichen Gebilde in einer kontinuierlichen 
Lage angeordnet, während jene Zellen vielfach gruppenweise 
oder in Reihen einzeln hinter einander liegend, im Binde- 
gewebe verstreut sind. Wenn es sich aber nicht um Granulosa- 
zellen handelt, so können es nur Zellen des Ovarialstromas sein, 
welehe unter dem Einfluss der Schwangerschaft ebenso wie im 
obenerwähnten Falle eine ‘besondere Grösse erlangen und da- 
durch, dass sie teilweise unmittelbar neben den echten Lutein- 
zellen zu liegen kommen, die Masse des gelben Körpers ver- 
mehren. Übergänge zwischen diesen beiden Zellarten trifft man 
vor allem dort, wo sie an einander grenzen; seltener geschieht 
es, dass innerhalb einer Gruppe abseits liegender epitheloider 


Stromazellen einzelne eine besondere Grösse zeigen. — 


Eine weitere wichtige Frage ist nun die: Was geschieht 
ınit diesen eigentümlichen Zellen später? Werden alle zu 
Luteinzellen oder wird ein etwa übrig gebliebener Rest zu 
gewöhnlichen Stromazellen rückgebildet oder geht derselbe zu 
Grunde? 


Ich muss zunächst bemerken, dass an den schon er- 
wähnten Schnitten durch ein Corpus luteum vom 4. Monat diese 
Zellen nicht mehr zu sehen sind. Sie fehlen natürlich um so 
mehr an gelben Körpern von höherem Alter. Dass sie nicht 
sämtlich zu Luteinzellen umgebildet werden, geht aus Beobach- 


Burn. 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 18 


tungen hervor, die ich an Fall 3 anstellen konnte. Während 
man dort an gewissen Stellen, wie aus der Figur 30 zu ent- 
nehmen ist, noch den Übergang der epitheloiden Zellen zu 
Luteinzellen verfolgen kann, trifft man an anderen Punkten deut- 
liche Rückbildungserscheinungen in den Zellen. In dem Kern 
zeigt das Chromatin die für die Chromatolyse charakteristischen 
Verklumpungen; in anderen Fällen färben sich die Kerne in toto 
mit Eosin rot, wobei ihre Struktur ziemlich undeutlich wird. 
Die Zellkörper verkleinern sich zusehends und nehmen zum 
Schlusse bei Hämatoxylin-Eosin-Färbung gleichfalls eine leuch- 
tend rote Farbe an, indess sie in kleine Körnchen zerfallen. 


Ob auf dem hier beschriebenen Wege alle epitheloiden 
Zellen zu Grunde gehen, welche nicht zu Luteinzellen werden, 
ob sich auch ein Teil derselben im Bindegewebe zurückbilden 
kann, was endlich das Schicksal derjenigen Formen ist, welche 
die Gestalt der Luteinzellen angenommen haben, kann ich nicht 
entscheiden. In letzterer Hinsicht möchte ich nur bemerken, dass 
sich im Corpus luteum von Fall 3 nicht selten Degenerationen 
auch in grossen Luteinzellen finden. Es treten im Zellkörper 
entweder zahlreiche kleinere oder nur wenige grössere homogene 
Klumpen auf, die sich mit Eosin und Saflranin sehr stark 
tingieren und wohl die Bezeichnung von Kolloidtropfen ver- 
dienen. Die Zelle wird schliesslich in einen ganzen Haufen der- 
artiger Tropfen umgewandelt, wobei allmählich auch der Kern 


seine Färbbarkeit für Hämatoxylin verliert und homogen wird. 


Zur Vervollständigung der Schilderung jener Zellen muss 
ich schliesslich noch anfügen, dass es mir nicht gelungen ist, 
Mitosen in ihnen aufzufinden. Allerdings war das Corpus 
luteum von Falli in Müllerscher Flüssigkeit gehärtet worden 
und wäre demnach eine Kernteilung nur schwer zu diagnosti- 
zieren. Dagegen war Fall 2 in Zenker und Fall 3, in mehrere 
Stückchen zerlegt, in Alkohol, Pikrin-Sublimat und Chrom-Osmium- 


186 HANS RABL, 


Eisessig gehärtet worden. Übrigens ist dieser negative Befund 
schon von vornherein zu erwarten, weil, wie ich bereits bemerkte, 
die Zahl jener Zellen bei zunehmendem Alter des gelben Kör- 
pers abnimmt. Es käme eben vor allem darauf an, noch 
jüngere Stadien zu untersuchen, eine Forderung, die aber leider 
beinahe unmöglich zu erfüllen ist. 

Mitosen in den gewöhnlichen Luteinzellen fand ich nur 
einmal. Das einzige hierfür geeignete Objekt war der Fall 5. — 
In diesem waren sie jedoch nicht so selten. Das Ovarium war 
in Alkohol gehärtet und die Kernfiguren darum nicht deutlich 
erhalten, doch liessen sich die Mitosen immerhin erkennen. In 
dieser Beobachtung liegt auch der wesentliche Grund, um dessent- 
willen ich jenen gelben Körper noch für sehr jung halten muss. 

Ich habe hiermit über alles Erwähnenswerte berichtet, 
was ich bei der Untersuchung der auf Seite 171 aufgezählten 
gelben Körper zu finden Gelegenheit hatte. Das weitere Wachs- 
tum der Corpora lutea ist bereits so oft geschildert worden, dass 
ich mich diesbezüglich ganz kurz fassen kann. Der centrale, 
von Flüssigkeit erfüllte Hohlraum ist noch bei einem 3 und 
einem 5 Monate alten Körper vorhanden. Später verschwindet 
er und das Bindegewebe, welches zu seiner Begrenzung diente, 
bildet dann jenen Kern, welcher bekanntlich die Mitte älterer 
Corpora lutea darstellt. Er besteht aus zahlreichen Binde- 
gewebszellen und Fasern, welche anfänglich zumeist noch un- 
geordnet verlaufen und erst in dem Masse als das Corpus luteum 
vom Ovarialstroma in emer bestimmten Richtung zusammen- 
gedrückt wird, sich senkrecht zu dieser in paralleler Richtung 
gruppieren. 

Die Luteinzellen nehmen in den letzten Monaten der Schwanger- 
schaft an Grösse ab, der gelbe Körper verliert im ganzen an 
Turgor und durch den Druck des Nachbargewebes wird seine 
ehemals kugelige oder eirunde Gestalt mit glatter Oberfläche in 


eine unregelmässige, oftmals tiefgelappte übergeführt. 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete, 187 


Als Inhalt der Luteinzellen finde ich beim Corpus luteum 
aus dem 5. Monat zahlreiche kleine, dichtgelagerte, mit Eosin 
rosenrot gefärbte Körnchen. Dieselben Körnchen lassen sich 
auch an gelben Körpern höheren Alters nachweisen. An einem 
Corpus luteum, das von einer Frau stammte, die während der 
Geburt eines reifen Kindes gestorben war, ergab die frische 
Untersuchung in physiologischer Kochsalzlösung in den Zellen 
eine ausserordentlich grosse Menge farbloser Einlagerungen, 
welche nicht fettiger Natur sein konnten, da sie einerseits nicht 
immer kugelig andererseits nur schwach lichtbrechend waren. 
Mit diesem mikroskopischen Befunde stimmt auch das makro- 
skopische Verhalten der wahren gelben Körper im höheren Alter 
überein, indem dieselben im frischen Zustand am Durchschnitt 
graurot gefärbt sind. Doch enthalten auch diese Gebilde regel- 
mässig vereinzelte Zellen, welche sich durch besondere Grösse 
auszeichnen und eine exquisit wabige Struktur ihres Proto- 
plasmas besitzen. Solche Zellen führen sieherlich Fett. Ver- 
gleicht man die Corpora lutea dieses Alters mit solchen aus 
jüngeren Entwickelungsstadien, wie sie auf Seite 174 geschildert 
wurden, so ergiebt sich ein gewisser Gegensatz, indem bei den 
ersteren die fettfreien, bei den letzteren die fetthaltigen Zellen 
überwiegen. Es ist somit das Fett aus dem grössten Theile der 
Zellen verschwunden. In welcher Weise sich jedoch dieser 
Prozess vollzieht, ist eine jener vielen derzeit noch unlösbaren 
Fragen, an welchen die Histologie unseres Organs so überreich ist. 

Ein ganz anderes Aussehen bieten bekanntlich die falschen 
gelben Körper dar, indem ihre Farbe eine saturiert gelbe ist. 
Hier infiltrieren sich die Zellen bald nach ihrer Vergrösserung 
mit Fett und verbleiben in diesem Zustand, bis sie entweder 
gänzlich degenerieren oder sich in Pigmentzellen verwandeln 
(siehe unten). 

Corpora lutea vera, welche nachweislich äiter als 9 Monate 


waren, habe ich nicht zur Untersuchung erhalten; ich kann 


188 HANS RABL, 


darum nicht sagen, wann die eigentlichen Rückbildungserschei- 
nungen an den Zellen einsetzen; am Bindegewebe und Gefäss- 
apparat sind hingegen schon vom 7. Monat an degenerative 
Veränderungen zu beobachten, welche ich im folgenden Ab- 
schnitt genauer beschreiben werde. 

Am Schlusse dieses Abschnittes möchte ich der Schilderung 
der Corpora lutea des Menschen noch einige Bemerkungen über 
die von Maus, Meerschweinchen und Katze speziell im Hinblick 
auf ihren Fettgehalt anfügen. Wie dies bereits Sobotta be- 
merkt, wird in den Corpora lutea der Maus, solange sie noch 
in Entwickelung begriffen sind, kein Fett angetroffen. Das- 
selbe lagert sich erst vom 4. Tage an und in wechselnder 
Menge im Protoplasma ab, oft sind die Tröpfchen zu einem 
Haufen gruppiert, der eine excentrische Lage in der Zelle 
einnimnit. Ich kann diese Beobachtungen vollauf bestätigen 
und habe sogar wiederholt. Corpora lutea angetroffen, welche, 
obwohl sie bereits vollständig ausgebildet waren, noch keine 
Spur von Fetttröpfehen enthielten. Die Ovarien waren ca. 
3 Wochen lang in Flemmingschem Gemisch gehärtet wor- 
den; die Schnittdicke schwankte in den betreffenden Fällen 
zwischen 5 und 10 «: die Körnchen hätten somit wohl erkannt 
werden müssen, wenn sie vorhanden gewesen wären. Auf 
Grund seiner reichen Erfahrung kommt Sobotta zu dem 
Schluss: „Im allgemeinen enthält das Corpus luteum um so 
mehr Fett, je älter es ist.“ 

Dieselben Verhältnisse wie bei der Maus liegen auch beim 
Meerschweinchen und der Katze vor. Man kann nur insoferne 
einen Unterschied bemerken, als die gelben Körper, in dem 
Masse, als sie sich mit Fett infiltrieren, kleiner werden und ihre 
Form verändern. Während das Corpus luteum der Maus und 
auch der Ratte noch nach längerem Bestande eimen Körper von 
bedeutender Festigkeit darstellt, ist ein altes Corpus luteum eines 


Meerschweinchens, noch mehr einer Katze, ein sehr weiches 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 189 


Gebilde, welches durch die anliegenden, wachsenden Follikel 
und jüngeren gelben Körper in seiner Gestalt beeinflusst wird. 
Man kann gelbe Körper beobachten, welche sanduhrförmig ein- 
geschnürt sind oder an Schnitten sogar die Form einer Sichel 
besitzen, welche sich mit ihrer konkaven Seite einem Graaf- 
schen Bläschen genau anpasst. Diese gelben Körper sind im 
ganzen kleiner, nach Behandlung mit Flemmingschem Ge- 
misch erscheinen ihre Zellen so dicht mit Fett angefüllt, dass 
der Kern nur in Ausnahmefällen sichtbar ist. Im Laufe der 
Zeit werden sie durch die umgebenden Gebilde in Stücke zer- 
trennt, welche ihren Zusammenhang nicht mit Sicherheit er- 
kennen lassen, sodass man wohl berechtigt ist, auch hier von 
einer Rückbildung der Corpora lutea zu sprechen. 

Beim Kaninchen liegen ähnliche Verhältnisse, wie sie eben 
geschildert wurden, vor. Nach den Beobachtungen Sobottas 
scheint bei der Rückbildung eine Fettmetamorphose der Epithelien 
die Hauptrolle zu spielen, während das bindegewebige Gerüst 
persistiert, schrumpft und sich zu Narbengewebe umbildet. Diese 
Prozesse sind somit denjenigen sehr ähnlich, welche sich bei der 
Rückbildung der Corpora lutea spuria des Menschen abspielen 
und welche ich im folgenden genauer beschreiben werde. 


II. 
Das Corpus fibrosum. 


Die Betrachtung einer grösseren Reihe sich rückbildender 
und rückgebildeter Corpora lutea lehrt, dass dieser Prozess nicht 
immer in denselben Bahnen verläuft. So mannigfaltig auch das 
Aussehen ihrer Rückbildungsformen ist, so lassen sich doch zwei 
Haupttypen unter denselben unterscheiden. Um die Darstellung 
möglichst klar zu gestalten, glaube ich am besten zu thun, wenn 


190 HANS RABL, 


ich, gleich wie im 1. Kapitel zunächst die Endprodakte schildere 
und erst dann die Umwandlung des gelben Körpers zu denselben 
anfüge. 

Der einfachere Fall ist jener, bei welchem die Luteinzell- 
schichte entweder ganz spurlos oder mit Hinterlassung verein- 
zelter Pigmentzellen verschwindet und nur der bindegewebige 
Kern des gelben Körpers übrig bleibt. Dieser bildet ein gewöhn- 
lich strangförmiges Gebilde, welches seine Abkunft noch durch 
die Lage erkennen lässt, indem er teils senkrecht, teils schräg 
gegen die Oberfläche gerichtet ist und an seiner Spitze nur 
durch eine dünne Schichte von Stromazellen von der Albu- 
ginea getrennt ist. Manchmal ist jene Stelle, der Oberfläche, 
welche dem Ende des Stranges zunächst liegt, leicht ein- 
gezogen. Die Breite des Siranges variiert; während er manch- 
mal ein grösseres Feld einnehmen kann, wird er in anderen 
Fällen stark verdünnt und‘nur auf einige wenige Bindegewebs- 
zellen und parallel mit ihnen verlaufende Fibrillenbündel redu- 
ziert. Da das Corpus luteum in seinen späteren Stadien 
gelappt ist — Virchow vergleicht die Durchschnittsfigur des- 
selben mit einem Eichenblatt — so ist auch jene bindegewebige 
Narbe häufig verzweigt. 

Teils innerhalb derselben, teils an ihrer Oberfläche, häufig 
auch noch zwischen den nächsten Stromazellen trifft man Pig- 
mentzellen mit einem schmalen, in feine Äste auslaufenden Zell- 
körper und einem kugeligen chromatinreichen Kern. Die Pig- 
mentkugeln sind gewöhnlich braungelb und können eine Grösse 
von 8u und darüber erreichen. Neben diesen grossen Tropfen 
findet man aber auch regelmässig, wenn auch spärlich, kleinere 
und kleinste, welche nur eine ganz schwache grünliche Färbung 
und eckige Formen besitzen. Diese Pigmentzellen sind be- 
züglich ihrer Herkunft von höchstem Interesse. Da sie sich in 
jedem Falle der Rückbildung der gelben Körper vorfinden, will 
ich gleich hier näher auf dieselben eingehen. 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 191 


Betrachtet man einen gelben Körper — ich spreche hier 
nur von Corpora lutea spuria — welcher in der Rückbildung 
noch nicht so weit vorgeschritten ist, wie in den eingangs be- 
sprochenen Fällen, so findet man der centralen Bindegewebs- 
narbe noch die Luteinzellen anliegend. Diese sind grosse kugelige 
Gebilde von 20 « Durchmesser, welche einen central gelegenen, 
kugeligen Kem besitzen und von zahlreichen, grossen Fett- 
tropfen erfüllt sind. Das zwischen ihnen gelegene protoplas- 
matische Netzwerk erscheint farblos. An älteren Luteinzellen 
nimmt es allmählich eine ganz blasse, diffuse, gelbliche Fär- 
bung an (Fig. 40). An einzelnen Punkten des Netzes werden 
hierauf die Körnchen sichtbar. Zunächst sind es die grün- 
lichen, später treten grössere, gelb gefärbte Kugeln auf, 
welche sich offenbar aus den zuerst entstandenen entwickelt 
haben (Fig. 41). Dadurch wird die Luteinzelle in eine Pig- 
mentzelle umgewandelt. Im selben Mass, als das Pigment 
erscheint, schwindet das Fett; die Zelle verliert ihre kugelige 
Gestalt und wird spindelförmig. Mit dieser Veränderung der 
Gestalt gewinnt sie auch eine gewisse Beweglichkeit, denn 
man trifft die Pigmentkörper später — wie ich bereits her- 
vorgehoben habe — einerseits im Nachbargewebe, andererseits 
auch im centralen bindewebigen Strang. Oft aber sind sie noch 
in Reihen hintereinander zwischen den radiären Bindegewebs- 
zügen der Luteinzellschichte eingelagert und lassen durch diese 
Anordnung ihre Abkunft aufs klarste erkennen. — Diese Ver- 
änderungen erfahren jedoch nicht alle Luteinzellen eines gelben 
Körpers. Ein grosser Teil geht schon in einer früheren Periode 
zu Grunde, wobei an den Kernen chromatolytische Figuren auf- 
treten. Ich habe dieselben in dem früher beschriebenen Corpus 
luteum duplex in besonders reichem Masse angetroffen. 

Wir haben somit in dem oben behandelten Falle ein exqui- 
sites Beispiel von Metaplasie vor uns, indem Zellen, welche nach- 
weislich epithelialer Natur sind, zu schmalen, spindelförmigen, 


192 HANS RABL, 


manchmal auch verzweigten Gebilden werden, welche vielleicht 
sogar eine amöboide Beweglichkeit besitzen kurz, von gewissen 
Zellen des Bindegewebes nicht unterschieden werden können. 

Ein besonderes Interesse erheischt noch die Frage nach der 
Natur des Pigmentes. Zur Beantwortung derselben wurden 
Schnitte, die einer Serie entnommen waren, deren unmittelbare 
Nachbarschnitte also zum Vergleiche jeder Zeit herangezogen 
werden konnten, mit Ferroeyankalium und Salzsäure behandelt. 
Zur nachträglichen Kernfärbung wurde Mayers Karmalaun ver- 
wendet. Unter solchen Umständen erfährt das Pigment eine 
intensive Blaufärbung. Sie ist am stärksten und reinsten an 
den grossen gelbbraunen, kugeligen oder ovalen Tropfen, wäh- 
rend die kleinen und blässeren oft nur einen grünen Ton an- 
nahmen. Auch das protoplasmatische Netzwerk erhält stellen- 
weise eine diffuse blaue Farbe, doch scheint dies nur bei 
jenen Zellen zu geschehen, welche schon im frischen Zustand 
eine gelbliche Farbe besitzen. Aus alldem geht hervor, dass die 
Pigmentierung durch einen eisenhaltigen Farbstoff geschieht 
und da wir gewohnt sind, als solchen ausschliesslich den Blut- 
farbstoff zu betrachten, so schien es mir am wahrscheinlichsten, dass 
derselbe auch im vorliegenden Falle in Betracht kommen müsste. 

Eine derartige Annahme lässt sich auch leicht begründen. 
Der centrale Hohlraum des Corpus luteum ist ja ursprünglich 
mit roten Blutkörperchen vollgepfropft, welche aber allmählich 
ihren Farbstoff an die umgebende Flüssigkeit abgeben. Es liegt 
nun die Vermutung nahe, dass die Luteinzellen das Substrat 
für die künftige Pigmentbildung aus ihrer Umgebung, welche 
Hämoglobin in reicher Menge gelöst enthalten muss, aufnehmen. 
Dann könnte ihre Pigmentierung als eine Auskrystallisierung 
des Blutfarbstoffes aus dem Protoplasma der Zelle, mit oder 
ohne ihrem Zuthun aufgefasst werden. Eine ähnliche Theorie 
wurde seiner Zeit von Gussenbauer für die Herkunft des 
Pigmentes in melanotischen Tumoren aufgestellt. 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 193 


Diese Annahme findet nur darin ein Hindernis, dass die 
Pigmentbildung ausschliesslich auf die Luteinzellen beschränkt 
ist. Darum glaube ich, eine andere Möglichkeit, wenn sie auch 
mit unseren vorläufigen Kenntnissen über die Herkunft des 
gelben Pigmentes nicht harmoniert, ins Auge fassen zu müssen. 


In Schnitten durch ein Ovarium, welches von einer Frau 
stammte, die wegen Myoms des Uterus operiert worden war 
und welches, in Stücke zerlegt, in Flemmingscher Mischung 
gehärtet wurde, traf ich einen Körper, der nach seinem Aus- 
sehen in jeder Hinsicht als Corpus fibrosum angesprochen wer- 
den musste und dessen Oberfläche zahlreiche Zellen mit in- 
tensiv geschwärzten Einschlüssen aufgelagert waren. Nach der 
Form jener Zellen, nach ihrer Lage, ihrer Grösse, sowie nach 
dem Aussehen der geschwärzten Körper innerhalb der Zellen 
ist es nicht zweifelhaft, dass hier die Osmiumsäurereaktion an 
Pigmentzellen aufgetreten war. Es besitzt somit dieses Pigment 
die Eigentümlichkeit, sich mit Überosmiumsäure schwarz zu 
färben, während es andererseits abspaltbares Eisen enthält. 
Vielleicht vollzieht sich der Prozess der Pigmentbildung in der 
Weise, dass die Fetttropfen ihren Farbstoff, das Lutein, an das 
Protoplasma abgeben, wo derselbe in Form solider Körnchen 
ausgefällt wird, die durch weiteres Hinzutreten neuen Bildungs- 
stoffes immer mehr an Grösse zunehmen. 


Die Thatsache, dass in atrophischen Fettzellen — denn als 
solche dürfen wir die sich rückbildenden Luteinzellen vom phy- 
siologischen Standpunkte aus betrachten — Pigmentkörnchen auf 
treten, ist übrigens nicht neu. Schon Flemming hat, allerdings 
nur bei pathologischem Fettschwund, bei Kaninchen, die an 
Distomen gelitten hatten, eine Anfüllung von Fettzellen mit einer 
dunkelgelben, feinkörnigen Masse beobachtet und beschreibt auch 
bei Ratten, an welchen eine Gallengangsunterbindung ausgeführt 
worden war, „kleinere unregelmässig verteilte Fettkörner von 


Anatomische Hefte I. Abteilung. XXXIV/XXXV. Heft (11. Bd., H. 12.) 13 


194 HANS RABL, 


eckiger Gestalt, von eigentümlich mattem Glanze“, die sich jedoch 
im Gegensatz zu meinen Befunden, mit Osmium nicht färbten. 

Auch eine Beobachtung von Fraenkel, die sich auf Corpus 
luteum-COysten bezieht, kann ich hier eitieren. Fraenkel fand 
nämlich in der Wand der Öysten zahlreiche, grosse Zellen, welche 
häufig Pigmentschollen enthielten. Ohne eingehendere Unter- 
suchung bezüglich ihrer Entstehung bezeichnet er sie als Blut- 
pigment — in Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre, 
dass alles Pigment in gelben Körpern vom Blutfarbstoff stamme. 
Es scheint mir aber wahrscheinlicher, dass hier dasselbe Pig- 
ment wie bei gewöhnlicher Rückbildung gelber Körper vorlag, 
da die Zellen, welche jenes Pigment enthielten, nach der Be- 
schreibung des Autors als Luteinzellen und nicht als Pigment- 
zellen betrachtet werden müssen. 

Dass diese hier auseinandergesetzte Anschauung vom Stand- 
punkte des Farbenchemikers möglich ist, beweist ein Ausspruch 
Krukenbergs, „dass manche sogenannte Melanine trotz ihres 
Gehaltes an Eisen und an Stickstoff mit den Lipochromen in 
näherer genetischer Beziehung stehen als mit dem Hämoglobin.“ 

Ich will mit diesen Ausführungen nicht in Abrede stellen, 
dass auch Blutpigment in gelben Körpern sowohl noch während 
ihres Wachsthums, als während ihrer Rückbildung erscheinen kann 
und werde später noch eingehend auf jenen Vorgang zu sprechen 
kommen. Ich muss nur jetzt schon bemerken, dassich bei jenen 
Endprodukten der gelben Körper, wie ich sie im vorhergehenden 
geschildert habe, Blutpigment nicht mit Bestimmtheit nach- 
weisen konnte. Es dürfte nur dann zur Bildung desselben kommen, 
wenn sich der raschen und gründlichen Auslaugung des Hämo- 
elobins aus den Körpern der extravasierten Erythrocyten ein 
Hindernis entgegenstellt, das einerseits in der Grösse des Blut- 
ergusses, andererseits in der Struktur der Luteinzellenschichte 
and ihrer raschen Metamorphose in Fasergewebe gelegen ist. 
In dem einfachsten Fall der Rückbildung der gelben Körper 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 195 


dürfte aber der Bluterguss nur sehr gering sein und verschwindet 
spurlos, wie dies auch bei den Tieren (Maus, Ratte, Meerschwein- 
chen, Kaninchen und Katze) der Fall ist. 

Der im vorhergehenden beschriebene Rückbildungsprozess 
hinterlässt als einzigen Rest jenes bindegewebige Centrum, 
welches sich in allen gelben Körpern vorfindet. Ein derartiges 
Gebilde wird gewöhnlich nicht als Corpus fibrosum bezeichnet, 
obwohl es diese Bezeichnung gleichfalls verdient; man könnte 
es vielleicht Corpus fibrosum simplex nennen. Die fibrösen 
Körper der zweiten Kategorie sind bedeutend grösser. Sie be- 
stehen aus einem Bindegewebskern, welcher dieselbe Bedeutung 
hat wie das ganze Corpus fibrosum der ersten Art; überdies 
aber noch aus einer verschieden breiten Rindenschichte, welche 
eine faserige Struktur besitzt, die sich jedoch oftmals nur sehr 
undeutlich erkennen lässt. Diese Bildungen sind es bekanntlich, 
welche seit jeher als Corpora fibrosa oder auch als €. albicantia 
bezeichnet und unter diesem letzteren Namen den Corpora fibr. 
simpl. passend gegenübergestellt werden können. 

Eine Partie eines derartigen Körpers mit deutlich faseriger 
Struktur der Rinde ist auf Figur 30 abgebildet. Man findet 
dort, wie überall, in der Mitte einen bindegewebigen Strang, 
der aus Zellen und Fibrillen besteht, welche parallel angeordnet, 
in der Längsrichtung des Stranges verlaufen. Zu beiden Seiten 
desselben trifft man eine gleichfalls faserige Rinde, welche sich 
von der centralen Masse vor allem dadurch unterscheidet, dass 
die Fasern in ihr schräg oder senkrecht zu denen des Mittel- 
stranges ziehen. Der Mittelstrang entspricht dem stark kom- 
primierten Rest des bindegewebigen Centrums eines gelben 
Körpers. Die quer zu demselben verlaufenden Fasern hingegen 
liegen dort, wo ehemals Luteinzellen waren. An einzelnen Stellen 
trifft man dieselben noch an, teilweise in Umwandlung zu Pig- 
mentzellen. Es handelt sich demnach hier um neugebildetes 
Fasergewebe, welches erst in dem Masse auftritt, als die Lutein- 

13* 


196 HANS RABL, 


zellen schwinden, resp. metamorphosiert werden. Zwischen den 
Fasern liegen Zellen, welche mit ihren ausserordentlich langen, 
platten, oft flügelförmigen Fortsätzen ähnlich wie die Sehnen- 
zellen ein Septensystem innerhalb jener Masse erzeugen. Von 
besonderem Interesse aber ist, dass die Fasern nicht zu grösseren, 
parallel geschichteten Bündeln vereinigt sind, sondern ganz regel- 
los verlaufen. Sie sind so dicht angeordnet, dass sie auf der 
beigegebenen Figur, welche nur bei schwächerer Vergrösserung 
ausgeführt wurde, um die Fasermasse samt dem centralen 
Strang zu zeigen, gar nicht in ihrer Gesamtheit zur Darstellung 
kommen konnten. Das einzig Gesetzmässige hinsichtlich ihrer 
Anordnung besteht darin, dass sie — wie gesagt — zumeist 
schräg oder senkrecht zum Mittelstrang verlaufen, eine Richtung, 
in der auch die zwischen ihnen eingestreuten Kerne vielfach 
angetroffen werden. 

Zur Färbung der Fasern habe ich eine ganze Reihe von 
Flüssigkeiten herangezogen. Es ergab sich dabei, dass sie sich 
wie Bindegewebsfhibrillen verhalten. Sie färben sich stärker mit 
jenen Farbstoffen, welche diese letzteren bevorzugen, schwächer 
mit solchen, welche auch das Protoplasma der Zelle färben. 
Vor allem eignet sich zu ihrer Darstellung die van Giesonsche 
Methode, indem die Fasern in den meisten Fällen das Säure- 
fuchsin annehmen und sich dadurch von den feinen Zellfortsätzen, 
welche orangegelb erscheinen, unterscheiden lassen. Ein sehr ver- 
wendbarer Farbstoff ist auch das Wasserblau. Mit Eosin kom- 
biniert kann man durch die erstere Flüssigkeit die Fasern, 
durch die zweite die Zellkörper färben. Auch das Congorbot, 
welches bekanntlich bindegewebige Strukturen stets besonders 
deutlich hervortreten lässt, kann mit Erfolg benutzt werden. 
Alle diese Farbenreaktionen legen den Schluss nahe, dass jene 
Fibrillen wohl bindegewebiger Natur sein dürften. 

Noch mehr aber sprechen zwei weitere Eigenschaften dafür: 
1. ihr Verhalten unter dem Polarisationsmikroskop, wobei sie 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 197 


sich mit dem Bindegewebe — soweit es bei ihrer unregel- 
mässigen Verlaufsrichtung zu erkennen möglich ist, in Überein- 
stimmung zeigen und 2. ihr Verhalten gegen Essigsäure, indem 
sie durch dieselbe an Schnitten, die mit dem Gefriermikrotom 
vom frischen Objekt hergestellt wurden, zum Quellen gebracht 
werden können. 

Trotzdem kann ich diese Fibrillen nicht für leimgebende 
Bindegewebsfasern halten, sondern glaube, dass sie ihnen nur 
genetisch und morphologisch sehr nahe kommen. Diese Auf- 
fassung gründet sich auf die Beobachtung, dass die Faserung 
oft — wie bereits erwähnt — nur sehr undeutlich vorhanden 
ist, und in anderen Fällen sogar unter einer Form erscheint, 
welche eine Identität mit dem Bindegewebe geradezu aus- 
schliesst. Ich werde darauf sofort näher eingehen. Auch muss 
ich bemerken, dass gerade die Behandlung mit Säurefuchsin 
und Pikrinsäure zuweilen andere Resultate als am Bindegewebe 
liefert, indem es vorkommen kann, dass die faserige Masse eine 
blassgelbliche Färbung erhält. 


Nach ihrer Lage müssen die Fibrillen — ob direkt oder 
indirekt muss vorläufig dahingestellt bleiben — wohl von jenen 


Zellen abgeleitet werden, welche zwischen ihnen verteilt sind; 
ausserdem aber sieht man auch Fäserchen, über deren binde- 
gewebige Natur kein Zweifel obwalten kann, zumeist im centralen 
Strang verlaufen und an gewissen Stellen senkrecht dazu in die 
Rindenschicht abbiegen. 

Der Ersatz der Luteinzellschichte durch faserige Substanz 
erstreckt sich nur selten auf den ganzen gelben Körper. In 
dieser Hinsicht dürften zwischen den einzelnen Individuen grosse 
Unterschiede bestehen. Dadurch ergeben sich Übergänge zum 
Corpus fibrosum simplex. Denn man trifft des öfteren einen 
Bindegewebsstrang, also ein Corpus fibrosum simplex, dem an 
einzelnen Strecken faserige Massen von verschiedener Breite 


aufliegen. Zur Erklärung dieser unvollständigen Ausbildung 


198 HANS RABL, 


Er 


eines Corpus albicans möchte ich mir erlauben, folgende Theorie 
über die Ursache der Faserbildung vorzubringen: Das fibröse 
Gewebe kommt nur dann zur Entwickelung, wenn der durch 
Atrophie und Pigmentmetamorphose leer gewordene Platz nicht 
sofort von nachrückendem Stromagewebe des Ovariums einge- 
nommen wird. Dafür sprechen verschiedene Beobachtungen. 

Die Metamorphose der Luteinzellschichte beginnt central 
und schreitet gegen die Peripherie fort. Auf Fig. 31 ist bei 
Lupenvergrösserung ein gelber Körper dargestellt, welcher sich 
im Beginn der Rückbildung befindet. Er besteht aus einer viel- 
fach gefalteten, etwa 0,4 mm breiten Luteinzelischichte, die aus 
grossen, einen Durchmesser von ca. 20 u besitzenden Zellen auf- 
gebaut wird, die von Fetttröpfehen aufs dichteste angefüllt sind. 
In der Mitte befindet sich ein bindegewebiger Kern, welcher 
Pigmentzellen und Leukocyten enthält. An der Grenze desselben 
gegen die Luteinzellschichte breitet sich das neugebildete Faser- 
gewebe aus, welches sich der Luteinzellschichte aufs dichteste 
anschmiegt und allen Vorbuchtungen und Einziehungen nach- 
folgt. Diese Grenzschichte ist auf Fig. 33 bei starker Ver- 
grösserung dargestellt. Man sieht dort noch vereinzelte Lutein- 
zellen zwischen den Fasern, an anderen Stellen aber scheinbar 
freie Kerne, von welchen sich nicht sagen lässt, ob sie rückge- 
bildeten Luteinzellen oder Bindegewebszellen angehören. 

In demselben Schnitt befand sich auch ein vollkommen 
fertiges Corpus albicans. Es ist jener Körper, welcher in Fig. 33 
abgebildet ist. Hier ist die Luteinzellenschichte in ihrer ganzen 
Breite durch die fibröse Masse substituiert. Sie besitzt dieselbe 
Form, dieselben Windungen und Faltungen wie jene. Wegen 
der schwachen Vergrösserung war es nicht möglich, die Fasern 
in dieselbe einzuzeichnen, doch sind sie bei stärkerer Vergrösse- 
rung aufs deutlichste zu erkennen. Ganz dieselben Verhältnisse 
bietet auch das Corpus fibrosum, Fig. 34, dar; Fig. 35 endlich 


stellt einen gelben Körper aus dem gleichen Umwandlungsstadium 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 199 


wie Fig. 31 vor. Ich glaube, dass ich diesen Zeichnungen keine 
weiteren Beschreibungen anzufügen brauche; sie demonstrieren 
aufs klarste die successive Umwandlung des Corpus luteum in 
ein Corpus fibrosum. Durch den Druck des angrenzenden Ge- 
webes wird schliesslich die centrale Bindegewebsmasse auf einen 
schmalen Raum zusammengedrängt und dadurch jener Körper 
geschaffen, den wir als Endprodukt der Degeneration eines 
gelben Körpers zu sehen gewohnt sind. 


Was ist nun der Grund, dass hier die ganze Luteinzell- 
masse durch Fasern ersetzt wurde, während beim Corpus fibrosum 
simplex der centrale Bindegewebskern direkt an das Ovarial- 
parenchym grenzt? Ich glaube, dass man die Ursache für die 
letztere Bildungsweise darin suchen muss, dass — wie gesagt — 
in dem Masse als die Luteinzellen schwinden, das umgebende 
Gewebe sofort nachrückt. Im anderen Falle jedoch leisten die 
peripheren Zellen dem von aussen auf sie einwirkenden Drucke 
einen gewissen Widerstand; dadurch wird bei der Degeneration 
resp. Pigmentmetamorphose der innersten Luteinzellen ein 
leerer Raum geschaffen, zu dessen Ausfüllung nun eine Neu- 
bildung von Gewebe erfolgt. Derartige zell- und faserarme 
Räume konnte ich wiederholt beobachten. Es gelang mir dies 
unter anderem auch an jenem fibrösen Körper, den ich vorhin 
beschrieben hatte (Fig. 30). An dem Ende desselben befinden 
sich im umgebenden Gewebe zahlreiche Pigmentzellen, welche 
als umgewandelte Luteinzellen gedeutet werden müssen. Zwischen 
Ovarialstroma und centralem Bindegewebsstrang ist ein fast 
leerer Raum vorhanden, in dem nur spärliche Bindegewebs- und 
Pigmentzellen liegen. In dem ausserordentlich dichten Ovarial- 
gewebe fällt er schon bei Betrachtung mit schwacher Vergrösse- 
rung sofort auf. Hier kann man sehen, dass an der dem cen- 
tralen Strang benachbarten Seite Fibrillen vorhanden sind, 
während sie in weiterer Entfernung von ihm noch fehlen. 


200 HANS RABL, 


Infolge der Richtung, in der die Umbildung eines Corpus 
luteum in ein Corpus albicans erfolgt, kommt es gelegentlich 
vor, dass weitaus der grösste Teil eines gelben Körpers in eine 
faserige Masse umgewandelt ist, während an der Oberfläche noch 
einige Reihen von Luteinzellen vorhanden sind. Derartige Bilder 
gelangen nicht selten zur Beobachtung. Schliesslich schwinden 
die Zellen auch an dieser Stelle, indem sie sich teils in Pigment- 
zellen umwandeln, teils einfach atrophieren. Und während die 
Zellkörper einen geringeren Raum einnehmen und das ganze 
Gewebe dadurch lockerer wird, erscheint an dessen Stelle eine 
neue Formation, die teils aus distinkten Fäserchen besteht, teils 
homogen ist. Diese letztere Beschaffenheit beruht auf zwei Ur- 
sachen. Einerseits liegen die Fibrillen oft so dicht und ver- 
worren neben einander, dass sie aus diesem Grunde nicht von 
einander zu unterscheiden sind, zweitens aber ist in vielen Fällen 
zwischen den Fibrillen eine homogene „Kitt-Substanz“ angehäuft, 
welche die gleiche Färbung wie jene besitzt. Dieser eigentümliche 
Wechsel von homogenem und faserigem Aussehen ist es wohl, 
um dessentwillen Nagel diese Substanz mit dem wenig ver- 
ständlichen Ausdruck „klares, kolloides Bindegewebe“ belegt. 

Das fertige Corpus albicans ist nur sehr wenig vaskularisiert. 
Es geht demnach eine grosse Zahl von Blutgefässen des Corpus 
luteum zu Grunde. Dass dabei eine Pigmentdegeneration der 
in den betreffenden Gefässen vorhandenen, farbigen Elemente 
stattfindet — wie dies von verschiedenen Seiten behauptet wurde 
— konnte ich nicht bestätigen. So wie die Blutgefässe bildet 
sich auch der grösste Teil des bindegewebigen Stützgerüstes 
der gelben Körper zurück, sodass die Zahl sämtlicher zelliger 
Elemente in demselben in späteren Stadien eine viel geringere 
als am Anfang ist. Über das Ende der falschen fibrösen 
Körper vermag ich keine bestimmten Aussagen zu machen. 
Sicherlich kommt es durch das Wachstum des angrenzenden 


Gewebes oftmals zu einer Zerlegung des ursprünglich konı- 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes etec. 201 


pakten Gebildes in zahlreiche Stücke. In mehreren Fällen 
habe ich das Auftreten sehr kleiner Körnchen in den Fibrillen 
beobachten können. Ob dieses Phänomen als der Ausdruck 
eines beginnenden Zerfalles derselben zu deuten ist, muss späteren 
Untersuchungen vorbehalten bleiben. 

An die Beschreibung der Corpora fibrosa, die sich aus Cor- 
pora lutea spuria entwickeln, will ich nun diejenige von Corpora 
fibrosa knüpfen, welche aller Wahrscheinlichkeit nach aus Cor- 
pora lutea vera hervorgegangen sind. In beiden Eierstöcken 
einer 60jährigen Frau fand ich je einen, bei einer 70 jährigen 
Frau in einem Eierstock gleichfalls ein Corpus fibrosum von 
Kirschkerngrösse und weiss-gelblicher Farbe. Im übrigen waren 
die Ovarien klein, geschrumpft und enthielten weder gelbe Kör- 
per noch irgend andersartige Reste von solchen. Aus dieser 
Persistenz besonders grosser fibröser Körper glaube ich schliessen 
zu dürfen, dass sie in der That die Reste von Corpora lutea 
vera vorstellen. Sie bestehen aus einem äusserst zellarmen 
Bindegewebskern und einer Rindenzone, die durch Bindegewebs- 
zellen in zahlreiche Stränge zerlegt ist und die verschmälerte, 
in eine undeutlich faserige Masse umgewandelte Luteinzellen- 
schichte darstellt. Die Stränge besitzen eine durchschnittliche 
Breite von 50-60 « und erscheinen im frischen Zustand quer 
gestreift. Wie man sich an Schnitten überzeugen kann, rührt 
dieses Aussehen davon her, dass sie aus Fasern bestehen, welche 
zwar im ganzen parallel der Längsrichtung der Stränge ver- 
laufen, aber in zahlreiche, steile Windungen, senkrecht zu ihrer 
Verlaufsrichtung gelegt sind. Die Zellen, welche die Begrenzung 
der Stränge bilden, sind äusserst schmal, enthalten einen ovalen 
Kern und sind in zahlreiche, feinste Ausläufer aufgefasert, welche 
zumeist in senkrechter Richtung in die Stränge übertreten. 

Über jüngere Stadien in der Entwickelung der Corpora 
fibrosa vera kann ich nicht berichten, da mir eine Unterscheid- 
ung derselben von den Rückbildungsprodukten der falschen 


202 HANS RABL, 


gelben Körper vorläufig nicht möglich erscheint. Dagegen ist 
es hier am Platze, jene Vorgänge zu besprechen, welche noch 
während der Schwangerschaft an den gelben Körpern auftreten. 
Dieselben bestehen in der sogenannten „hyalinen Degeneration‘ 
von Blutgefässen und Bindegewebe. Auf den Fig. 24 und 25 
sind Partien aus gelben Körpern dargestellt, welche von Frauen 
stammten, die nach der Geburt eines reifen Kindes einem Puer- 
peralprozesse erlegen waren. Das Corpus luteum des ersten 
Falles war von Ödem durchtränkt, im zweiten Falle aber un- 
verändert. Die hyaline Degeneration kann natürlich nicht mit 
der vorhandenen Entzündung in Zusammenhang gebracht wer- 
den, sondern besteht bereits seit längerer Zeit. Dasselbe Aus- 
sehen zeigt übrigens auch ein gleichaltriges Corpus luteum, wel- 
ches von einer osteomalacischen Frau stammte, bei der eine 
Sectio caesarea nach Porro ausgeführt worden war. Man sieht 
aus den Abbildungen, dass .die Hyalinsubstanz zunächst entlang 
den Gefässen und dem Bindegewebe auftritt; von da breitet sie 
sich auch an einzelnen Punkten zwischen die Zellen aus. Hand 
in Hand mit der Bildung des Hyalins geht eine Verkleinerung 
der Luteinzellen. 

Leider besitze ich keine Präparate, welche die Übergänge 
von diesem Stadium zu den ausgebildeten fibrösen Körpern zeigen 
würden. Trotzdem lassen sich die eben beschriebenen Bilder 
zu einigen wichtigen Schlüssen hinsichtlich der Genese jener 
undeutlich faserigen Substanz, welche sich an Stelle der Lutein- 
zellen ausbreitet, verwerten. Zunächst muss ich aber eine ge- 
nauere Beschreibung dieser ersteren vorausschicken. Die Fasern 
sind von sehr ungleicher Breite. Neben kleineren, schmäleren, 
glänzenden kommen grosse, breite Gebilde vor, welche man mit 
gröberen Bindegewebsbündeln vergleichen könnte, wenn sie eine 
Längsstreifung besitzen würden. Wenn die Ränder solcher Strei- 
fen von anderen Fasern überdeckt werden, so. lässt sich ihre 
Natur gar nicht erkennen und man wäre genötigt, sie als homo- 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 203 


gene Interfibrillarsubstanz aufzufassen. Analoge Bildungen dürften 
es sein, welche auch in den Corpora fibrosa spuria vorkommen 
und das homogene Aussehen gewisser Stellen derselben bedingen. 
Erwägt man nun die Thatsache, dass diese Fasern verschiedenen 
Kalibers an der Seite jener Bindegewebszellen verlaufen, neben 
welchen in früheren Stadien breite Streifen hyaliner Substanz 
vorhanden waren, so kommt man zum Schluss, dass diese letz- 
tere bei der Bildung der faserigen Masse aufgebraucht worden sei. 

Ich muss bei dieser Gelegenheit eine Beobachtung nach- 
tragen, welche mir von besonderer Wichtigkeit erscheint. Man 
kann nämlich ausnahmsweise sehen, dass die hyaline Glas- 
membran degenerierter Follikel nicht nur durch den Druck des 
umgebenden Gewebes in grosse Falten, sondern dass sie auch 
in zahlreiche, unmittelbar aneinander schliessende, sekundäre 
Windungen, senkrecht zu ihrer jeweiligen Verlaufsrichtung ge- 
legt ist. Sie stimmt somit in dieser Hinsicht mit jenen Bändern 
überein, welche ich an alten Corpora fibrosa vera beschrieben 
habe. Darum erscheint es mir wahrscheinlich, dass die hyalinen 
Streifen, die man in alten Corpora lutea vera entlang den Binde- 
gewebszügen antrifft, direkt in jene gewundenen Bänder über- 
gehen. Aus der Homologie der Corpora fibrosa vera und spuria 
ist man aber zum weiteren Schlusse berechtigt, dass auch die 
feinen Fäserchen, aus welchen die letzteren aufgebaut sind, wenig- 
stens zum grössten Teile nicht bindegewebiger, sondern hyaliner 
Natur sind. Ob aber in dieser Thatsache ein prinzipieller Unter- 
schied gelegen ist und nicht vielmehr jene Art von Hyalin und 
faseriges Bindegewebe in näherer Verwandtschaft stehen, als 
man bisher annehmen zu müssen glaubte, ist eine Frage, die 
noch besonderer Untersuchungen bedarf. 

Am Schlusse dieser Erörterungen will ich noch einmal kurz 
auf das Schicksal des Blutergusses eingehen, der bei dem Platzen 
des Follikels stattfindet und dessen Reste auch noch im Corpus 


fibrosum nachweisbar sind; denn die hier zu beobachtenden Ver- 


204 HANS RABL, 


hältnisse scheinen mir einen wesentlichen Beitrag zur Lösung 
der Frage nach der Bildung des Hämosiderins zu liefern. 


In dem Corpus luteum verum aus der 5. Schwangerschafts- 
woche ist die weite Höhle — wie ich oben beschrieben habe — 
mit einer klaren, gelben Flüssigkeit angefüllt. Dieselbe enthält 
keinerlei freies Pigment, dagegen sind in ihr zahlreiche Schatten 
von roten Blutkörperchen enthalten. In der innersten, binde- 
gewebigen Begrenzung dieser Höhle liegen spärliche Zellen, bald 
lang gestreckt und spindelförmig, bald unregelmässig verzweigt 
oder auch kugelig, welche ein goldgelbes Pigment führen. 


Denselben Verhältnissen begegnet man auch bei älteren 
Corpora lutea vera, sowie bei vielen Corpora lutea spuria. Man 
muss daraus den Schluss ziehen, dass der grösste Teil des Blut- 
farbestoffes, welcher in den extravasierten Blutkörperchen ent- 
halten war, aus ihnen ausgelaugt wurde, in Lösung ging und 
nun in das umgebende Gewebe diffundierte. Bine Pigmentierung 
wird auf diesem Wege nicht erzeugt — wenigstens nicht in der 
unmittelbaren Nachbarschaft des Corpus luteum, denn sonst 
müsste man vor allem in den Corpora lutea der Tiere (Maus, 
Kaninchen, Meerschwein, Katze) regelmässig Pigment antrefien, 
während dasselbe hier ohne Ausnahme fehlt. Ich möchte dar, 
aus den allgemeinen Schluss ziehen, dass dort, wo Gelegenheit 
gegeben ist, dass ein Bluterguss rasch resorbiert werde, die Pig- 
mentbildung vollkommen ausbleibt. Natürlich ist dies cum grano 
salis zu nehmen, da eine minimale Pigmentbildung auch unter 
diesen Verhältnissen vorkommen kann. Es bedarf dazu nur 
der Anwesenheit gewisser amöboider Zellen mit der Fähigkeit, 
die Erythrocyten aufzunehmen und Pigment aus ihnen zu 
erzeugen. Diese Zellen aber dürften in jedem Gewebe — wenn 
auch vereinzelt — vorhanden sein. Sie finden sich auch in der 
Corpora lutea vera des Menschen und stellen jene Pigmentzellen 


dar, die ich soeben in der inneren Bindegewebslage erwähnte. 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 205 


Wie ich somit bereits vorweggenommen habe, scheint es 
mir am wahrscheinlichsten, dass die Bildung des Pigmentes — 
ich habe als solches nur das amorphe, eisenhaltige Hämosiderin, 
im Auge — ausschliesslich an die Thätigkeit lebender Zellen ge- 
bunden ist. Anders ist es mit dem Hämatoidin, welches sich 
bekanntlich dann ausscheidet, wenn der Bluterguss in absterben- 
des oder abgestorbenes Gewebe hinein stattfindet und darum nicht, 
oder nicht schnell genug zur Resorption gelangt. Dann krystal- 
lisiert der Farbstoff aus der Lösung heraus, wie dies seinerzeit 
von Virchow beschrieben wurde. Bei den gelben Körpern 
kommt es nur in den seltensten Ausnahmefällen zur Bildung 
von Hämatoidinkrystallen und es ist nur Folge einer flüchtigen 
Beobachtung, wenn Nagel schreibt: „Reste des Blutergusses 
können zuweilen lange in der Mitte des Corpus albicans be- 
stehen bleiben und verleihen demselben ein gelbschimmerndes 


Aussehen; diese Blutreste bestehen — wie überall im mensch- 
lichen Körper — aus Hämatoidinkrystallen — (V irchowsche 
Krystalle).“ 


Ich will nicht die gewaltige Litteratur, welche bereits über 
Pigment und Pigmentbildung angesammelt ist und die eine 
Fülle gründlicher Beobachtungen über diesen Gegenstand enthält, 
hier referieren und zur Diskussion stellen. Ich muss nur bemerken, 
dass es das Verdienst Langerhans’' war, die Bedeutung der 
„blutkörperchenhaltigen Zellen“ für die Pigmentbildung als erster 
in das rechte Licht gerückt und die Theorie aufgestellt zu haben, 
dass die Pigmentbildung ein reiner intracellulärer Prozess sei. 
Diese Ansicht wurde von Neumann dahin modifiziert, dass 
die Bildung des Hämosiderins zwar eine Folge der Einwirkung 
des lebenden Gewebes, beziehungsweise seiner Zellen auf den 
Blutfarbstoff sei, dass aber ausser der Thätigkeit der Phago- 
cyten auch noch eine Bildung von Pigment aus gelöstem Blut- 
farbstoff angenommen werden müsse. 


206 


HANS RABL, 


So plausibel die Gründe sind, auf welche sich Neumann 
stützt, so muss ich in Bezug auf die mir vorliegenden Objekte 
auf die alte Langerhanssche Theorie zurückgreifen, 1. weil 
ich — wie bereits erwähnt — niemals nach Diffusion von Blut- 
farbstoff eine Pigmentbildung in grösserem Masse auftreten sah 
und weil 2. die sämtlichen Phasen der Thätigkeit der „blutkörper- 
chenhaltigen Zellen‘ aufs klarste überblickt werden können. Die 
Objekte, an welchen mir diese letzteren Beobachtungeu gelangen, 
sind Corpora fibrosa, welche die Grösse eines reifen Follikels 
besitzen und von einer, durchschnittlich 0,3 mm breiten Kugel- 
schale aus hyalinem Fasergewebe gebildet werden, welche einen 
Kern umschliesst, in dem Blutkörperchen an Blutkörperchen in 
diehtester Masse beisammenliegen. Ein Stück aus der faserigen 
Schale jenes Körpes ist auf Fig. 36 dargestellt. Es kamen mir 
im ganzen nur 3 Körper zur Beobachtung, bei welchen sich die 
Pigmentbildung in besonders reichem Masse vollzog. Die Rück- 
bildung der Luteinzellschichte und ihr Ersatz durch Bindege- 
webe hatte hier offenbar stattgefunden, ehe es zu einer Aus- 
laugung des Farbstoffes aus den Erythrocyten gekommen war, 
und nun bildete die breite Cystenwand ein Hindernis für die 
rasche Diffusion des Serums. Übrigens war dieselbe nicht an 
allen Stellen gleichmässig entwickelt, sondern zeigte sich sogar 
stellenweise auf kurze Strecken gänzlich unterbrochen. Diese 
Lücken sind von grosser Bedeutung als Durchtrittspforten der 
Phagocyten. Denn obgleich dieselben die fibröse Hülle an jeder 
beliebigen Stelle durchwandern können, so geschieht dies doch 
an den Unterbrechungen derselben mit besonderer Leichtigkeit 
und es ist nicht zu verwundern, wenn man gerade dort die 
grösste Zahl eindringender Zellen antrifft. 

Nach ihrem Aussehen muss man sie den mononukleären 
Leukoeyten einreihen. Ihr Kern ist kugelig und sehr chromatin- 
reich, nur von einem schmalen, protoplasmatischen Hof um- 
geben, der Zelldurchmesser beträgt durchschnittlich nur wenig 


Beitrag zur Histologie des Kierstockes etc. 207 


über 4u. Man begegnet diesen Zellen sowohl in der fibrösen 
Cystenwand als insbesondere an den Unterbrechungen derselben 
in grosser Menge und kann sie von den letzteren Punkten aus 
noch eine kurze Strecke in das benachbarte Ovarialgewebe ver- 
folgen. Sie liegen hier zwischen den gelockerten Bindegewebs- 
fasern des Stromas (Fig. 57), häufig in Reihen hintereinander, 
in radiärer Richtung auf den fibrösen Körper zustrebend, sodass 
man sich des Gedankens nicht erwehren kann, dass der in 
seiner Höhle angesammelte Bluterguss einen chemotropischen 
Einfluss auf jene Zellart besitzt. Auch in den Kapillaren des 
fibrösen Körpers sind sie häufig anzutreffen. 

Nach einwärts von der fibrösen Schale, parallel ihrer inneren 
Oberfläche befinden sich mehrere Lagen von langen, schmalen 
Bindegewebszellen, welche oft eine beträchtliche Breite besitzen 
und wie gequollen aussehen; auch ihre Kerne sind bedeutend 
hypertrophiert. Entsprechend der Verlaufsrichtung dieser Zellen 
sind die Lymphocyten hier in horizontalen Reihen angeordnet. 
Von da treten sie in den Bluterguss über. 

Zunächst findet man sie noch in ihrer ursprünglichen Grösse 
zwischen den dicht zusammengepressten Blutkörperchen. Dann 
aber vergrössern sie sich, wobei zunächst das Protoplasma an 
Masse zunimmt, und beginnen rote Blutkörperchen in sich auf- 
zunehmen. .Man trifft da Zellen mit 10, 20, aber auch mit 50 
und mehr roten Blutkörperchen in ihrem Innern (Fig. 38). Es 
sind ausserordentlich grosse, kugelige Massen von 20—30 u im 
Durchmesser, die durch eine stärker hervortretende Kontur- 
linie begrenzt sind und einen Kern enthalten, der wandständig 
gelegen ist. Dieser beginnt allmählich — offenbar auf Grund 
der gesteigerten Nahrungsaufnahme bei Verdauung der Erythro- 
eyten — anzuwachsen und kann sich auch auf amitotischem 
Wege in mehrere Stücke zerschnüren. Gleichzeitig tritt in der 
Zelle, zwischen den Erythrocyten, Pigment auf, anfangs in 
äusserst feinkörniger Form, sodass das Plasma bei schwächerer 


08 HANS RABL, 


Vergrösserung diffus gefärbt erscheint; später werden grössere 
Kugeln und Schollen sichtbar. Hand in Hand damit ver- 
schwinden allmählich die roten Blutkörperchen und der Zell- 
körper wird wieder kleiner, auch der Kern nimmt an Grösse 
ab, bis schliesslich der Lymphocyt in eine annähernd kugelige, 
nur mit wenigen, plumpen Fortsätzen ausgestattete Pigmentzelle 
umgewandelt ist. 

Was die topographische Verteilung dieser einzelnen Stadien 
betrifft, so findet man die grössten blutkörperchenhaltigen Zellen 
am weitesten centralwärts vorgeschoben; etwas mehr peripher 
von ihnen liegen die bereits etwas kleineren Gebilde mit ver- 
grössertem Kern, deren Protoplasma durch das Auftreten von 
feinsten Pigmentkörnchen wie bestaubt aussieht. Noch etwas 
weiter nach aussen, neben den kleinen, in Reihen liegenden 
Lymphoeyten und zwischen den cirkulären Bindegewebszellen, 
finden sich jene Stadien, in welchen die eigentliche Verdauung 
der roten Blutkörperchen und Bildung des Pigmentes stattfindet 
(Fig. 39). Die fertigen Pigmentzellen trifft man zum grössten 
Teil erst in der Faserschichte und in der Nachbarschaft der- 
selben, wie Fig. 37 beweist. Natürlich kommen Ausnahmen 
von dieser Lageordnung vor, doch sind dieselben nicht zahlreich 
und beziehen sich nur auf die Stadien der Pigmentbildung, 
während die eigentlichen blutkörperchenhaltigen Zellen stets die 
innerste Reihe einnehmen. Sie sind so gross, dass es ihnen ohne 
Verringerung ihres Durchmessers nicht möglich wäre, zwischen 
die Bindegewebszellen zu gelangen. 

Unter den drei Corpora fibrosa, welche mir das Material 
für diese Beobachtungen lieferten, befand sich eines, in welchem 
eine so grosse Zahl eosinophiler Zellen vorhanden war, wie ich 
noch niemals auf gleichem Raume neben einander gesehen hatte. 
Das Merkwürdigste dieses Befundes wird noch dadurch erhöht, 
dass sich jener Körper neben einem anderen, ganz analog ge- 
bauten Corpus fibrosum befand, in welchem eosinophile Zellen 


Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 209 


nur ganz vereinzelt anzutreffen waren. Auch der 3. derartige 
Körper enthielt sie nicht. Es muss also in diesem Falle jener 
Körper eine besondere Anziehungskraft für die erwähnte Zellart 
besessen haben. Ich muss dazu bemerken, dass die roten Blut- 
körperchen jenes Ergusses noch stärker ausgelaugt waren als 
die der beiden anderen Körper und darum auch die Zahl der 
Pigmentzellen und die Menge des Pigmentes in ihnen hinter den 
anderen zwei Fällen zurückblieb. Nur selten fand ich eine 
eosinophile Zelle, welche ein rotes Blutkörperchen aufgenommen 
hatte. Pigment traf ich niemals in ihnen; eine phagocytaere 
Eigenschaft kommt ihnen somit nur in ganz beschränktem 
Masse zu. 


Anhang. 


Die zahlreichen Präparate von Ovarien, welche ich im Laufe 
meiner Untersuchungen durchmusterte, geben mir die Berech- 
tigung, zum Schlusse einige Punkte zu erörtern, welche nur 
auf Grund einer grösseren Erfahrung beurteilt werden können. 

Es sind zwei Fragen, die ich noch kurz diskutieren möchte. 
Die erste betrifft das Vorkommen der hyalinen Degeneration 
an den kleineren Arterien, welche oft mit einer Anhäufung von 
Bindegewebe unter dem Endothel verbunden ist. Ich habe in 
dieser Richtung die Eierstöcke von 27 Personen speziell durch- 
mustert und nur in zwei Fällen keine hyaline Degeneration 
angetroffen. In beiden Fällen waren die Ovarien frisch in meine 
Hände gelangt. In dem ersten wurde wegen eines Uterusmyoms 
operiert, im zweiten wegen ÖOsteomalacie die Totalexstirpation 
ausgeführt. Es war dies jener oft eitierte Fall, bei welchem sich 
die Patientin in der 5. Schwangerschaftswoche befunden hatte. 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXIV’XXXV. Heft (11. Bd. H. 1/2.) 14 


910 HANS RABL, 


Da der grösste Teil meines Materiales, wie ich bereits eingangs 
bemerkte, aus geschlechtskräftigen Individuen stammte, die 
zwischen dem 20. und 40. Lebensjahre standen, so kann man 
auch das Vorhandensein einer hyalinen Degeneration der Arterien 
bei Frauen dieses Alters als ein normales Vorkommen betrachten. 


Die Degeneration beginnt bald an der inneren, bald an der 
äusseren Grenze der Media in Form eines leicht wellig gebogenen 
Streifens; später treten analoge Bänder auch zwischen den 
Muskelfasern auf und bringen dieselben zum Schwunde ; schliess- 
lich ist die ganze Media durch hyaline Substanz ersetzt. Eine 
Umwandlung von Muskelfasern in Hyalin konnte ich nicht nach- 
weisen. Das Lumen des Gefässes kann bis zur vollständigen 
Oblitteration verengt werden. — Der Grad der hyalinen Dege- 
neration und die Menge der befallenen Gefässe ist bei den ein- 
zelnen Individuen sehr verschieden. Eine bestimmte Ursache 
hierfür vermag ich nicht anzugeben. Wiederholt fand ich gerade 
bei Frauen, die durchaus gesund waren, (junge Individuen 
die durch Selbstmord endeten) die Degeneration sehr ausge- 
breitet und sehr intensiv. lch glaube, dass man darum Unrecht 
thäte, aus einem derartigen Verhalten einen Schluss auf irgend 
eine Erkrankung des Eierstockes zu ziehen. 


Als zweiten Punkt möchte ich noch in Kürze das Verhalten 
der. Rierstöcke bei Osteomalacie berühren. Ich habe zwei Fälle 
dieser Erkrankung untersucht. Der eine Fall wurde eben er- 
wähnt; die darauf bezüglichen Daten bitte ich auf Seite 171 
nachzulesen. Über den zweiten Fall, bei welchem die Ovarien 
gelegentlich einer Sectio caesarea nach Porro, ausgeführt auf 
der 2. geburtshülflichen Klinik, gewonnen wurden, ist es mir 
leider nachträglich nicht mehr gelungen, etwas Sicheres zu 


erfahren. 


Wie ich bereits in der Einleitung bemerkte, zeigten in beiden 
Fällen die Ovarien keine weiteren pathologischen Veränderungen. 


Beitrag zur Histologie des Kierstockes ete. 211 


Als solche werden bezüglich der Osteomalacie von den ver- 
schiedenen Forschern, die sich mit der Histologie der Eierstöcke 
bei jener Erkrankung beschäftigten (Fehling, Rossier, 
Velits, Ortmann, Neumann, Schottländer etc.), ange- 
führt: Vermehrung der Blutgefässe, ausgedehnte und intensive 
hyaline Degeneration der Media derselben, Verödung zahlreicher 
Graafscher Follikel, abnorm geringe Zahl der Primärfollikel. 

Gegenüber dem ersten Punkt muss ich bemerken, dass es 
ausserordentlich schwer ist, eine Vermehrung der Blutgefässe 
der Marksubstanz mit Sicherheit behaupten zu können. Man 
erhält diesbezüglich sehr verschiedene Bilder und darf, meiner 
Meinung nach, nur dann eine positive Behauptung in dieser 
Richtung aufstellen, wenn man die Eierstöcke in lückenlose Serien 
zerlegt, Schnitt für Schnitt durchmustert und mit zahlreichen, 
ebenfalls lückenlosen Serien anderer Ovarien verglichen hat. 
Das ist aber ein so umständliches Verfahren, dass ich nicht 
glauben kann, dass es bisher von irgend einer Seite geübt wurde. 
Aus diesem Grunde scheint mir auch die „Angiodysthrophie 
ovarii‘ von Bulius und Kretschmar, bei welcher die Ver- 
mehrung der Blutgefässe besonders auffallend sein soll, keine 
Krankheit zu sein, welche sich mit Sicherheit aus den mikro- 
skopischen Präparaten diagnostizieren lässt. Bilder, welche den 
von den genannten Autoren veröffentlichten durchaus gleichen, 
fand ich beispielsweise im Ovarium einer Frau, die wegen Uterus- 
myoms am 4. Tage ihrer Schwangerschaft operiert worden war. 
(Ich habe im vorhergehenden mehreremale auf das Corpus luteum 
spurium in demselben Bezug genommen.) 

Dass die hyaline Degeneration der Gefässe, welche speziell 
von Fehling als Charakteristikum osteomalacischer Ovarien 
angesehen wird, in dieser Hinsicht nicht beweiskräftig ist, er- 
giebt sich aus der soeben erörterten, allgemeinen Verbreitung 
dieser Veränderung. Derselbe Einwurf muss bezüglich der Follikel- 
atresie erhoben werden. Was endlich den letzten Punkt anbe- 

14* 


212 HANS RABL, 

langt, so muss ich betonen, dass bei Frauen von höherem Alter 
_ auch wenn sie sich nicht unmittelbar vor dem Klimakterium 
befinden. die Menge der Primärfollikel allgemein eine sehr ge- 
ringe ist. Dass aber ihre Zahl bei osteomalaeischen nicht unter 
der Norm stehen kann, geht wohl aus der grossen Fruchtbarkeit 
bervor. durch die sich jene Frauen gewöhnlich auszeichnen und 
welche vielleicht in irgendwelchem ursächlichen Zusammenwirken 
mit ihrer Erkrankung stehen dürfte. 


=] 


10. 


11. 


12. 


13. 


14. 


15. 


Litteratur. 


Alexenko, N., Contribution a l’Histologie normale et pathologique des 
ovaires de la femme. Annales de Gynecologie. V. 35. 

Barry, M., Researches in Embryology. Philosoph. Transact. of the R. 
Soc. of London. 1839. 

Beigel, H., Zur Naturgeschichte des Corpus luteum. Arch. f. Gynäk. 
13. Bd. 

Benckiser, A., Zur Entwickelungsgeschichte des Corpus luteum. Arch. 
f. Gynäk. 23. Bd. 1884. 

v. Beneden, E., Contribution a la connaissance de l’ovaire des Mammi- 
feres. L’ovaire du Vespertilio murin et du Rhinolophus ferrum equinum. 
Archives de biologie. T. 1. 

Beulin, Das Corpus luteum und der oblitterierte Follikel. Inaug.-Diss. 
Königsberg. 1877. 

Bischoff, Beiträge zu der Lehre von der Menstruation und Befruchtung 
Zeitschr. f. rationelle Medizin. N. F. 4. Bd. 1854. 

— Über die Zeichen der Reife der Säugetiereier. Arch. f. Anat. u. Phys. 
Anat. Abt. 1878. 

v. Brunn, A., Die Rückbildung nicht ausgestossener Eierstockseier be- 
den Vögeln. Beiträge zur Anatomie und Embryologie. Festschrift f. 
J. Henle. 

Bühler, A., Beiträge zur Kenntnis der Eibildung beim Kaninchen und der 
Markstränge des Eierstockes beim Fuchs und Mensch. Zeitschr. f. wiss. 
Zool. 56. Bd. 

Bulius, G., Die kleineystische Degeneration des Eierstockes. Beiträge 
zur Geb. u. Gyn. Festschr. f. Hegar. Stuttgart 1889. 

Bulius, G., und Kretschmar, C., Angiodystrophia ovarii. Stuttgart 1897. 
Call und Exner, Zur Kenntnis des Graafschen Follikels und des Corpus 
luteum beim Kaninchen. Sitzb. d. k. Akad. d. Wiss. mathem.-naturw. KL 
71. Bd. 1875. 

Carus, Auffindung des ersten Ei- oder Dotterbläschens in sehr frühen 
Lebensperioden des weiblichen Körpers. Müllers Archiv 1837. 

v. Ebner, V., Die Chorda dorsalis der niederen Fische und die Ent- 
wickelung des fibrillären Bindegewebes. Zeitschr. f. wiss. Zool. 62. Bd. 18%. 


27. 


37. 
38. 


Litteratur. 


, Ernst, P., Über Hyalin, insbesondere seine Beziehung zum Kolloid. Arch. 


f. pathol. Anat. 130. Bd. 

Fehling, Über Osteomalacie. Vortrag gehalten in der Gesellschaft f. 
Geb, u. Gyn. zu Berlin, 1894. 

Flemming, W., Über Bildung und Rückbildung der Fettzellen im Binde- 
gewebe. Arch. f. mikrosk. Anat. 7. Bd. 

— Über die Regeneration verschiedener Epithelien durch mitotische Zell- 
teilung. Arch. f. mikr. Anat. 24. Bd. 

— Über die Bildung von Richtungsfiguren in Säugetiereiern beim Unter- 
gang Graafscher Follikel. Arch. f. Anat. u. Physiol. Anat. Abt. 1897. 


- — Über die Entwiekelung der kollagenen Bindegewebsfibrillen beı Am- 


phibien und Säugetieren. Arch. f. Anat. und Physiol. Anat. Abt. 1897. 
— Morphologie der Zelle. Ergebnisse der Anatomie und Entwickelungs- 
geschichte. 1896. 


. Fraenkel, E., Über Corpus luteum-Cysten. Arch. f. Gyn. 48. Bd. 


Grohe, F., Über den Bau und das Wachstum des menschlichen Eier- 
stockes und über einige krankhafte Störungen desselben. Arch. f. pathol. 
Anat. 26. Bd. 1860. 


- Gussenbauer, (., Über die Pigmentbildung in melanotischen Sarkomen 


und einfachen Melanomen der Haut. Arch. f. path. Anat. 63. Bd. 


. Harz, W., Beiträge zur Histologie des Ovariums der Säugetiere. Arch. 


f. mikrosk. Anat. 22. Bd. 1883. 
Hasse, C., Die Entwickelung der Wirbelsäule des Cyklostomen. Zeitschr. 
f. wiss. Zool. 57. Bd. 1893. 


. Heap, W., The Menstruation and Ovulation of Macacus Rhesus with 


Observations on the Changes undergone by the Discharged Folliele. Philos, 
T'ransaetions of the R. Soe. Ser. B. Vol. 188. 1897. 


. Henle, J., Handbuch der Gewebelehre. Il. Bd. Braunschweig. 
. Henneguy, Recherches sur latresie des follicules de Graaf chez les 


Mammiferes et quelques autres vertebres. Journ. de l’Anat. et Physiol. 
30 Annee 1894. 


. Heyse, G., Ein Beitrag zur mikroskopischen Anatomie der Ovarien 


Osteomalaeischer. Arch. f. Gyn. 53. Bd. 


. His, W., Beobachtungen über den Bau des Säugetiereierstockes. Arch. 


f. mikroskop. Anat. 1. Bd. 1869. 


. Hoelzl, H., Über die Metamorphosen der Graafschen Follikel. Arch. 


f. path. Anat. 134. Bd. 


. Holl, M., Über die Reifung der Eizelle bei den Säugetieren. Sitzb. d. 


Kais. Akad. d. Wiss. Mathem.-naturw. Kl. 101. Bd. 1893. 


. JanoSik, J., Zur Histologie des Ovariums. Sitzb. d. Kais. Akad. d. 


Wiss. Mathem.-naturw. Kl. 95. und 96. Bd. 1887. 


. — Die Atrophie der Follikel und ein seltsames Verhalten der Eizelle. 


Arch. f. mikrosk. Anat. 48. Bd. 1897. 
v. Kölliker, A., Handbuch der Gewebelehre. 5. Aufl. 1867. 


— Entwickelungsgeschichte des Menschen und der höheren Tiere. 2. Aufl. 
1873. 


39. 


40. 


Litteratur, 215 


Krukenberg, C. Fr., Grundzüge einer vergleichenden Physiologie der 
Farbstoffe und der Farben. Vergl. physiol. Vorträge. Heidelberg, 1888. 
Lange, Die Bildung der Eier und Graafschen Follikel bei der Maus. 
Verh. d. phys.-med. Gesellsch. zu Würzburg. 30. Bd. 

Langhans, Beobachtungen über die Resorption der Extravasate und 
Pigmentbildung in denselben. Arch. f. path. Anat. 49. Bd. 
Lebedinsky, E., Zur Lehre von der Atresie des Graafschen Follıkels- 
Centralbl. f. Gyn. 3. Jahrg. 1879. 


3. Lindgren, E., Über das Vorhandensein von wirklichen Porenkanälchen 


in der Zona pellucida des Säugetiereies und über die von Zeit zu Zeit 
stattfindende Einwanderung der Granulosazellen in dasEi. Arch. f. Anat. 
und Phys. Anat. Abt. 1877. 


. Lusehka, Anatomie des Menschen, II. Bd. 2. Abt. 1864. 
. Mae Leod, J.. Contribution a l’etude de la structure de l’ovaire des 


Mammiferes (Taupe, Hermine, Vesperugo pipistrella ete.) Arch. de bio 
logie. T. 1. 


j. Manasse, Über hyaline Ballen und Thromben in den Hirngefässen bei 


akuten Infektionskrankheiten. Arch. f. path. Anat. 130. Bd. 
Merkel, F., Zur Histologie des Bindegewebes. Verh. d. anat. Ges. 1895. 


. Nagel, W., Die weiblichen Geschlechtsorgane. Handbuch d. Anat. d. 


Menschen. Herausgeb. v. K. v. Bardeleben. 7. Bd., 2. Th. 1. Abt. 


. Neumann, E., Beiträge zur Kenntnis der pathologischen Pigmente. Arch- 


f. pathol. Anat. 111. Bd. 
Neumann, S., Weitere Beiträge zur Lehre von der Osteomalacie. Arch. 
f. Gyn. 50. Bd. 


. Orth, Über Fibrinbildung auf serösen und Schleimhäuten. Verh. d. Ges. 


Deutscher Naturf. u. Ärzte. 1896. Sektion f. path. Anat. 

ÖOrtmann, Beitrag zur Bedeutung der Kastration bei Osteomalacie. Zeit- 
schrift f. Gyn. 30. Bd. 

Paladino, G., La rigenerazione del parenchima ovarico nella donna. 
Mon. zool. Ital. Anno 5. 


. — Ulteriori ricerche sulla distruzione e rinnovamento continuo del paren- 


chima ovarico nei mammiferi. Anat. Anz. 1887. II. Bd. 


. Patenko, Über die Entwiekelung der Corpora fibrosa in Ovarien. 


Arch. f. path. Anat. 84. Bd. 1881. 

Petitpierre, L., Über das Eindringen von Granulosazellen durch die 
Zona pellueida von menschlichen Eiern, nebst einigen Bemerkungen über 
die sogenannte kleinceystische Degeneration der Ovarien. Arch. f. Gyn. 
35. Bd. 

Pflüger, W., Über die Eierstöcke der Säugetiere und des Menschen. 
Leipzig, W. Engelmann. 1863. 

Rabl, H., Zur Kenntnis der Richtungsspindeln in degenerierenden Säuge- 
tiereiern, Sitzungsber. d. K. Akad. d. Wiss. mathem.-naturw. Kl. 106. Bd. 


. Reinhardt, B., Über die Entstehung der Körnchenzellen. Arch. f. path. 


Anat. 1. Bd. 
Reinke, F., Zellstudien, II. T. Arch. f. mikrosk. Anat. 44. Bd. 1894. 


216 


Litteratur. 


61. 


62. 


63. 


64. 


65. 


Rossier, @., Anatomische Untersuchungen der Ovarien in Fällen von 
Osteomalacie. Arch. f. Gyn. 48. Bd. 1895. 

Schmidt, M. B., Ein plexiformes Epitheliom der Haut mit hyaliner 
Degeneration. Beitr. zur path. Anat. und allg. Path. 8. Bd. 

Scehmorl, Über grosszellige (deeiduaähnliche) Wucherungen auf dem Peri- 
tonaeum und den Ovarien bei intrauteriner Schwangerschaft, Monatsschr. 
f. Geb. u. Gyn. V. Bd. 1897. 

Schottlaender, J., Beitrag zur Kenntnis der Follikelatresie nebst einigen 
Bemerkungen über die unveränderten Follikel in den Eierstöcken der 
Säugetiere. Arch. f. mikroskop. Anat. 37. Bd. 1891 

— Über den Graafschen Follikel, seine Entstehung beim Menschen und 
seine Schicksale bei Menschen und Säugetieren. Arch. f. mikrosk. Anat. 
41. Bd. 

— Kasuistischer Beitrag zur Lehre von der Osteomalacie. Zeitschr. f. 
Geb. u. Gyn 37. Bd. 1897. 


. Sehulin, Zur Morphologie des Ovariums. Arch. f. mikrosk. Anatomie. 


19. Bd. 1881. 
Sinety, De l’ovaire pendant la grossesse. Comptes rend. de l’acad. des 
sc. IT.186. 


. Slaviansky, C., Zur normalen und pathologischen Histologie des Graaf- 


schen Bläschens des Menschen. Arch. f. path. Anat. 51. Bd. 
— Recherches sur la regression des follicules de Graaf chez la femme. 
Arch. de physiol. 1874. 


. Sobotta, J., Über die Bildung des Corpus luteum bei der Maus. Arch. 


f. mikrosk. Anat 47. Bd. 1896. 


. — Über die Bildung des Corpus luteum beim Kaninchen ete. Anatom. 


Hefte. 1897. 


. Spuler, A., Beiträge zur Histologie und Histogenese der Binde- und 


Stützsubstanz. Anat. Hefte. 1896. 


. Steffeck, Zur Entstehung der epithelialen Eierstocksgeschwülste. Zeitschr. 


f. Geb. u. Gyn. 19. Bd. 

Velits, Weitere Beiträge zur chirurgischen Behandlung der Knochen- 
erweichung. Ungarisches Arch. f. Med. 1893. 

Virchow, R., Die pathologischen Pigmente. Arch. f. path. Anat. 1. Bd. 
Wagener, Bemerkungen über den Eierstock und den gelben Körper. 
Arch. f. Anat. u. Physiol. Anat. Abt. 1879. 


» Waldeyer, W., Eierstock und Ei. Leipzig, 1870. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XI—XVM. 


Sämtliche Figuren wurden mit der Camera von Oberhäuser und Reicherts 

Okular 3 aufgenommen. Die Nummer der verwendeten Objektive, gleichfalls 

von Reichert, ist in jedem einzelnen Falle angegeben. Verschiedene Details 
wurden, wenn nöthig, mit stärkerer Vergrösserung eingezeichnet. 


Tafel XII/XII. 


Fig. 1. Degenerierender Follikel, Kaninchen. Sublimat. Hämat.-Eos. 
Obj. 4b ausgez. Tub. Ez. = Kizelle. Chr. = Chromatolytisch zerfallene Kerne 
der Follikelepithelzellen, Gl. = Glasmembran, T. p. = Tunica propria follieuli. 

Fig. 2. Ein in der Degeneration etwas weiter vorgeschrittener Follikel 
aus demselben Ovarium. Dieselbe Vergrösserung. Buchstabenbezeichnung wie 
im vorigen Bild. 

Fig. 3. Ein noch stärker degenerierter Follikel desselben Ovariums. Die- 
selbe Vergrösserung. Blg. — Blutgefäss, die übrige Buchstabenbezeichnung 
wie in Fall 1. 

Fig. 4. Endstadium der Rückbildung eines Follikels. Dasselbe Ovarium. 


Dieselbe Vergrösserung. Z. p. = Zona pellueida als letzter Rest der Eizelle. 
Bg. = Bindegewebe, Die übrige Bezeichnung wie in Fall 1. 


r. 


Fie. 5. Partie aus einem im Beginn der Degeneration stehenden Follikel 
o © fe} 
der Katze. Sublimat, Hämat.-Eos. Obj. 7a, eingeschobener Tub. Ez. — Ei- 


zelle, Gr. — Granulosa in Umbildung zu einem retikulären Gewebe, Li. = 
Liquor, T. p. = Tunica propria. 

Fig. 6. Partie aus einem etwas stärker degenerierten Follikel. Dasselbe 
Ovarium wie in voriger Fig. Dieselbe Vergrösserung. Gl. = Glasmembran, 


die übrige Buchstabenbezeichnung wie dort. 

Fig. 7. Degenerierter Follikel aus demselben Ovarium wie Fig 5. Obj. 
4b, eingesch. Tub. Buchstabenbezeichnung wie bei Fig. 5. 

Fig. 8. Total atretischer Follikel, Obj. 4b, ausgez. Tub. Dasselbe Ovarıum 
wie Fig. 5. T. f. = Tunica fibrosa, die übrige Buchstabenbezeichnung wie 
bei Fig. 5. 

Fig. 9. Degenerierter Follikel, Mensch. Pikrinsäure-Sublimat, Haem.-van 
Gieson. Obj. 3, eingeschobener Tub. Z. p. = Zona pellueida. H. — Hyaline 
Masse. Gl. = Glasmembran, 'T. p. = Tunica propria, T. f. = Tunica fibrosa. 


218 Erklärung der Abbildungen. 


Fig. 10. Epithelvakuole aus einem normalen Graafschen Follikel des 
Menschen von 0,6 mm Durchmesser. Obj. 8. Tubl. 163mm. Flemmingsches 
Gemisch, Saffranin. 

Fig. 11. Total degenerierter Follikel.e. Macacus Rhesus. Pikrinsäure- 
Sublimat. Häm.-van Gieson. Obj. 4b, ausgezogener Tub. Z. p. = Zona pellu- 
cida, Gl. = Glasmembran. 


Tafel XIV/XV. 


Fig. 12. Total degenerierter Follikel, Mensch. Zenker. Hämat.-Eos. 
Obj. 2, ausgez. Tub. Z. p. — Zona pellueida der degenerierten Eizelle. Bg. 
— Bindegewebe im Inneren des atretischen Follikels, Blg. = Blutgefäss. 
Gl. = Glasmembran. 

Fig. 13. Degenerierender Follikel, Mensch, Zenker, Hämat.-Eos. Obj. 2, 
ausgez. Tub. Li — Rest des Liquor follieuli, Bg. = Bindegewebe im Inneren 
des Follikels, Gl. = Glasmembran, 'T. p. = Tuniea propria, T. f. — Tuniea 
fibrosa. 

Fig. 14. Follikel im Beginn der Degeneration, Mensch. Sämtliche Epi- 
thelien bereits verschwunden. Pikrins -Sublimat, Hämat.-Bos. Obj. 2, eingesch. 


Tub. Ez. = Eizelle, Gl. = Glasmembran, T. p. = Tunica propria. 

Fig. 15. Die Ausbuchtung bei a des Follikels von Fig. 14, Obj. 7a, ein- 
gesch. Tub. Bg. = Eingewanderte Bindegewebszelle, Bl. = Blutkörperchen, 
Gl. = Glasmembran, T. p. — Tunica propria, Blg. — Blutgefäss. 


Fig. 16. Die Eizelle aus dem Follikel von Fig. 14. Obj. S, Tubl. 163 mm. 

Fig. 17. Partie aus einem degenerierenden Follikel des Menschen, Gegend 
des Cumulus ovigerus. Zenker, Hämat.-Eos., Obj. 4, ausgez. Tub. L. = 
Follikelepithelzelle von dem Aussehen der Luteinzellen. Blg. —= Blutgefäss, 
T. p. = Tunica propria, T. f. = Tunica fibrosa. 

Fig. 18. Mitose im Epithel des Cumulus ovigerus eines degenerierenden 
Follikels. Obj. 8, ausgez. Tuh. 

Fig. 19. Partie aus der Wand eines Follikels in den ersten Stadien der 
Degeneration. Mensch. Alkohol, Häm.-van Gieson. Obj. 7a, eingeschob. Tub. 


Bg. = Bindegewebe im Inneren des Follikels, Gl. = Glasmembran, T. p. = 
Tunica propria, T. f. = Tunica fibrosa. 


Fig. 20. Eizelle mit den Zellen des Cumulus ovigerus, aus einem degene- 
rierten Follikel, Mensch. Obj. 7a, eingesch. Tub. Keine Chromatolyse. 
Fig. 21. Partie aus der Wand eines degenerierenden Follikels, Mensch. 


Pikrins.-Sublimat. Hämat.-Eos., Obj. 8, ausgez. Tub. Bg. = Bindegewebe im 
Innern des Follikels, Gl. = Glasmembran, T. p. = Tunica propria, Bl. — Blut- 
körperchen. 


Fig. 22. Gruppe chromatolytisch degenerierender Kerne der Membrana 
5 pI S 

granulosa. Mensch. Zenker, Hämat.-Kos., Obj. S, ausgez. Tub. 'T.p. = Tunica 
propria mit einigen anliegenden chromatolytischen Kernen. 


Tafel XVI/XVM. 


Fig. 23. Partie aus der Marksubstarz, weisse Maus. Flemming. Eisen- 
Hämatox. Obj. 1, ausgez. Tub. F. = normaler Follikel. F. C. = Follikular- 


Erklärung der Abbildungen. 219 


cysten, durch Degeneration entstanden, Z. p. = Zona pellucida als Rest der 
degenerierten Eizelle, Mstr. = sogenannte „Markstränge*, C. 1]. = Corpora lutea, 
Blg. = Blutgefäss. 


Fig. 24. Corpus luteum aus dem 5. Schwangerschaftsmonat. Lupenver- 


grösserung. Mensch. Zenker, Häm.-van Gieson, C. l. H. = Rest der ur- 
sprünglichen Höhle des Corpus luteum. H. — Hyalin, Fi. = veränderte 
Fibrinmassen. Lsch. — Luteinzellenschichte. 


Fig. 25. Partie aus einem Corpus luteum. Mensch. Die Frau starb 
7 Tage post partum eines reifen Kindes. Zenker, Hämat.-Eos. Obj. 7, ein- 
gesch. Tub. L. — Luteinzellen, H. = Hyalinsubstanz, Bl. = Blutkörperchen 
(zum Teil frei), Blg. = Blutgefäss. 


Fig. 26. Partie aus einem circa ebenso alten Corpus luteum, Mensch. 
Zenker, Hämat.-Eos. Obj. 8, eingeschob. Tub. Blg. = Blutgefüsse, H. — Hya- 
linsubstanz, Bg. — Bindegewebszellen, L. — Luteinzelle. 

Fig. 27. Partie von der Oberfläche eines Ovariums, aus dem 8. Schwanger- 
schaftsmonat. Mensch. Zenker, Hämat.-Eos., Obj. 4, eingesch. Tnb- 0% — 


Oberfläche des Eierstockes, D. Z. — Deeiduaähnliche Stromazellen. Blg. = 
Blutgefässe. 


Fig. 28. Randpartie eines Corpus luteum aus der >. Schwangerschafts- 
woche. Mensch. Alkohol, Hämat.-Eos. Obj. 4, eingez. Tub. L. = Luteinzelle, 
Th. Z. — eigentümliche, hypertrophierte Zellen in der Theka. 


Fig. 29. Partie aus demselben Corpus luteum wie Fig. 29. Obj. 8, ein- 
geschob. Tub. L. — Luteinzelle, Th. Z. — dieselben Zellen wie in der vorigen 
Figur, hier in Übergang in Luteinzellen. 


Fig. 30. Partie aus einem Corpus fibrosum (spurium) Mensch. Alkohol, 
Hämat.-van Gieson. Obj. 4, ausgez. Tub. C. Bstr. = Centraler Bindegewebs- 
strang, L = Luteinzellen, H. F. = Hyaline Fasermasse. 


Fig. 31. Corpus luteum spurium. Mensch. Alkohol. Häm.-Eos. Lupen- 
vergrösserung, OÖ. — Oberfläche des Ovarıum. 


Fig. 32. Corpus fibrosum spurium. Mensch, Alkohol, Häm.-Eos. Ob). 1, 
eingesch. Tub. Bg. — ÜCentrale Bindegewebsmasse, H. F. = Hyaline Faser- 
masse an Stelle der Luteinzellenschichte. 


Fig. 33. Partie aus dem Corpus luteum von Fig. 31, Obj. 7, ausgez. 
Tub. Grenze der Luteinzellschichte und der centralen Bindegewebsmasse. 
L. — Luteinzelle, H. F. = Neugebildete hyaline Fasermasse an Stelle der 
rückgebildeten innersten Luteinzellen. 

Fig. 34. Corpus albicans. Mensch. Sublimat-Pikrinsäure Hämat--Eos. 
Lupe, Bg. = Centrale Bindegewebmasse, H. F. = Hyaline Fasermasse. 


Fig. 35. Corpus luteum in Umbildung in ein Corpus albicans. Mensch. 


Alkohol. Häm.-Eos. Lupenvergrösserung Lsch. = Vielfach gefaltete Luteinzell- 
schichte, Bg. — Bindegewebe, Blg. — Blutgefässe. 


220 Erklärung der Abbildungen. 


Tafel XVII. 

Fig. 36. Partie aus einem Corpus albicans (spurium) Mensch. Subl.-Eis- 
essig. Häm.-Eos. Obj. 7, eingesch. Tub. 

Fig. 37. Partie aus der nächsten Umgebung eines Corpus albicans, das 
strotzend mit Blut gefüllt ist. Mensch. Sublimat-Eisessig, Häm.-Eos. Obj. 8, 
ausgez. Tub. Ly. = Lymphocyten in Hinwanderung zum Bluterguss be- 
griffen, P. Z. — rückwandernde Pigmentzellen. 

Fig. 38. Partie aus der periphersten Schichte jenes Blutergusses im 
Inneren eines Corpus fibros., das Präparat wie in Fig. 38. Obj. 8, eingesch. 
Tub. Bl. = dicht zusammengepresster Blutkörperchen, Bl. Z. = Blutkörper- 
chenhaltige Zelle. 

Fig. 39. Aus demselben Corpus fibrosum. Noch einwärts vom hyalinen 
Faserring gelegene Bindegewebsschichte. Obj. 8. ausgez. Tub. Bg. Z. = Hyper- 
trophische Bindegewebszelle, P. Z. — Lymphocyten während der Pigmentbildung. 

Fig. 40. Partie aus einem alten Corpus luteum spurium. Mensch Müller- 
sche Fl. Häm.-Eos. Obj. 7 eingesch. Tub. A. — Arterie mit hyaliner Degene- 
ration der Media, L. — Luteinzellen mit gelblich gefärbtem Protoplasma. 

Fig. 41. Partie aus demselben Corpus luteum. Dieselbe Vergrösserung. 
Auftreten von Pigment in Luteinzellen. (L.). 


Aus DEM ANATOMISCHEN INSTITUT ZU GIESSEN. 


BEITRÄGE 


ZUR ERSTEN 


ENTWIGKELUNG DER MAMMARORGANE 


BEIM 


MENSCHEN. 


VON 


LEO HIRSCHLAND, 


ESSEN. 


Mit 6 Figuren auf Tafel XIX/XX. 


‚al 


. | 
ROHR! 
Be nr 
- i 
| En 


Die vergleichende Anatomie und die Entwickelung der 
Mammarorgane hat sich, wie bekannt, in den letzten Jahren 
einer lebhaften Erörterung zu erfreuen gehabt, die sich zum 
Teil an O. Schultzes schöne Beobachtungen über erste Ent- 
wickelungsstadien des Milchdrüsenapparates anschloss, zum Teil 
in ausgedehnten, vergleichend anatomischen Untersuchungen 
von Klaatsch ihren Ausgangspunkt fand. 

Eine ausgezeichnete kritische Übersicht über den dermaligen 
Stand der Frage nach Auffassung und Stellung der Mammar- 
organe im allgemeinen verdanken wir Bonnet. (Die Mammar- 
organe im Lichte der Ontogenie und Phylogenie. Ergebnisse 
der Anatomie und Entwickelungsgeschichte Merkel und Bonnet, 
Bd. II, 1892.) 

Bonnet giebt eine erschöpfende Zusammenstellung über 
die älteren und neueren Arbeiten auf genanntem Felde; aus 
den Ergebnissen derselben heben wir hervor, dass nach der 
Ansicht von Bonnet „die Milchorgane beider Geschlechter 
nach Zahl, Standort, Entwiekelung und Funktion sich zwar in 
vollem Flusse begriffen zeigen, immer aber lässt sich ihre Lage, 
sie mögen sich befinden, wo sie wollen, und sie mögen zahlreich 
oder nur paarig vorhanden sein, auf das Ausdehnungsgebiet 
der Milchleiste von der Achselhöhle bis in die Schamgegend 
zurückführen. Sie markieren in ihrer definitiven Lage bei den 
verschiedenen Tieren alle möglichen Etappen der Ausbildung 
und Verschiebung aus ihrer ursprünglichen Anlage nahe dem 
Rücken bis gegen die ventrale Medianlinie zu.“ 


994 LEO HIRSCHLAND, 


Was die embryologischen Arbeiten der letzten Zeit über 
die Entwickelung der Milchdrüse anlangt, so sind dieselben 
wesentlich vergleichende, speziell der Mensch aber ist bei dieser 
Vergleichung etwas kurz weggekommen, namentlich soweit es 
sich um jugendliche Entwickelungsstadien handelt. 

O. Schultze hat seine Milchleiste gefunden und beschrieben 
für das Schwein, die Katze, den Fuchs, das Kaninchen, Eich- 
hörnchen und den Maulwurf; Bonnet hat das Gleiche bei 
Schwein und Katze beobachtet; bei Rind, Schaf und Pferd wird 
eine Milchleiste bislang vermisst. 

Der Wunsch, auch für den Menschen Entwickelungszustände 
kennen zu lernen, die den bisher beschriebenen vorausgehen, 
war begreiflich, und Bonnet spricht sicher die Ansicht weiterer 
Kreise aus, wenn er in seinem Berichte sagt, dass es nun 
zunächst „gilt, den Nachweis der mit Recht auch beim mensch- 
lichen Embryo vermuteten Milchleiste!) oder ihrer Rudimente 
thatsächlich zu erbringen.“ 

Seit der von Bonnet gegebenen Zusammenstellung sind 
nun, soweit wir wissen, zwei Arbeiten erschienen, die unsere 
Kenntnisse von der Entwickelung der Milchdrüse beim Menschen 
erweitert haben. 

Einmal zeigte Kallius (Anatomische Hefte von Merkel 
und Bonnet, Bd. 8, Heft 24, Wiesbaden 1897), dass auch beim 
Menschen etwas der Milchleiste Entsprechendes vorkomme. 

Kallius konnte einen menschlichen Embryo untersuchen, 
der in Müllerscher Flüssigkeit erhärtet war. Kopf und 
Extremitäten sind abgebrochen, sonst war derselbe leidlich gut 
erhalten. Die grösste Länge giebt Kallius nach Ergänzung 
des Fehlenden auf ca. 15 mm an. Unterhalb der Stelle, an 
der die Anlage der oberen Extremität abgebrochen war, befand 


1) Wir werden im folgenden dieSchultzesche Ektodermleiste als Milch- 
leiste, die ihr vorausgehende breite laterale Ektodermverdickung nach Schmidt- 
Schwalbe als Milchstreifen, die aus derselben sich später differenzierenden 
knopfförmigen Ectodermverdickungen als Milchpunkte bezeichnen. 


Beiträge zur ersten Entwickelung der Mammarorgane beim Menschen. 225 


sich auf beiden Seiten eine deutlich hervortretende Leiste. Die- 
selbe lag in der mittleren Axillarlinie und verlief nicht ganz 
parallel, sondern etwas nach hinten abweichend, mit der Rücken- 
krümmung des Embryo. Nach unten war sie von der Körper- 
oberfläche nicht scharf abzugrenzen. Ihre Breite betrug etwa 
!/s; mm, ihre Höhe !/s;s mm. Sie setzte sich nicht in die In- 
guinalgegend fort. 

Kallius hat den Embryo dann mikrotomiert, und bei der 
Untersuchung der Serienschnitte erwies sich, wie vermutet 
wurde, die Leiste als eine Epithelverdickung, welche vom Rande 
nach der Mitte zu stärker wurde. Da dieselbe jedoch auch in 
der Mitte das Niveau nicht weiter überschritt, musste sie in 
das darunterliegende Mesenchymgewebe eingesenkt sein. Kallius 
nimmt mit Recht an, dass es sich nach Ort und Art der Ent- 
wickelung und nach Vergleich mit den Angaben anderer Autoren 
um kein anderes Organ handeln könne als um eine Milchleiste. 
Da er seine Befunde nur an dem einen Embryo machen konnte, 
so lässt er die Frage offen, ob eine derartige Leiste normal bei 
jedem menschlichen Embryo vorkommt. 

Als zweite Arbeit aus allerneuester Zeit ist eine Abhand- 
lung von H. Schmidt (Über normale Hyperthelie menschlicher 
Embryonen und über erste Anlage der menschlichen Milch- 
drüsen überhaupt. Morphologische Arbeiten von G. Schwalbe 
Bd. VII. H. 1. 1897) zu nennen. 

H. Schmidt hat wesentlich ältere menschliche Embryonen 
von 28—60 mm untersucht und bei diesen neben der auch den 
älteren Autoren bekannten zapfenförmigen Anlage der Milch- 
drüse eigentümliche Verdickungen in der Epidermis in grösserer 
Zahl gefunden, die in mehr oder minderer Nachbarschaft der 
Milchdrüsenanlage liegen und die er als überzählige Milchdrüsen 
auffasst, da er in denselben die verschiedenen für die Milch- 
drüse beschriebenen früheren Entwickelungsstadien wieder zu 
finden glaubt. 


Anatomische Hefte. I. Abteilung, XXXIVXXXV. Heft (11. Bd. H. 12.) 15 


226 


LEO HIRSCHLAND, 


Er hält es also für den menschlichen Embryo für normal, 
dass bei ihm während des Entwickelungsganges zeitweilig eine 
Hyperthelie auftritt. Für gewöhnlich schwindet dieselbe aber 
wieder und nur in Einzelfällen erhält sich diese oder jene 
Anlage und bildet sich eventuell weiter fort. So erklären sich 
nach Schmidt die Fälle von Hyperthelie und Hypermastie 
beim Erwachsenen. Da unsere eigenen Untersuchungen sich 
wesentlich auf jüngere Stadien beziehen, so verzichten wir an 
dieser Stelle auf eine Erörterung, wie weit wir Schmidt in der 
Deutung seiner Beobachtungen folgen können. 

Nun hat aber Schmidt weiter einen Embryo von 15 mm 
verarbeiten können, an dem er frühe Entwickelungsstadien der 
Milchdrüse, in mancher Beziehung etwa dem von Kallius Be- 
obachteten entsprechend, fand. Wir bemerken dabei aber sogleich, 
dass dem äusseren Aussehen nach der Embryo von Schmidt 
älter ist, als der von Kallius, trotzdem beide in ihrer Länge 
annähernd übereinstimmen. Der Embryo von Kallius ist nun 
wieder in seiner Entwickelung den bisher beschriebenen gleicher 
Grösse so ähnlich, dass wir ihn für annähernd normal halten 
müssen; der Schmidtsche ist also wohl entweder in seiner 
Form zwar weiter entwickelt, in der Grösse aber zurückgeblieben, 
wie das vorkommt, oder er war ursprünglich grösser und ist in 
der Behandlung etwas geschrumpft, wobei diese Schrumpfung 
ja gleichmässig vor sich gegangen sein könnte. 

Schmidt beschreibt nun für seinen Embryo von 15 mm 
(l. c. S. 192), dass sich bei ihm „an der Seite des Thorax und 
des Abdomen, sowie am Schulter- und Beckengürtel und zwar 
an der Grenze zwischen Körperstamm und Anfang der Ex- 
tremitäten eine kontinuierlich im Zusammenhang mit einander 
stehende Zone erhöhten Epithels von etwa 1—1!/s mm Breite“ 
findet. Er nennt diese Zone den Milchstreifen und in ihm liegt 
an normaler Stelle die Hauptmilchdrüsenanlage in Linsen- bis 


Zapfenform. 


Beiträge zur ersten Entwiekelung der Mammarorgane beim Menschen. 227 


Innerhalb dieses Milchstreifens sollen dann die überzähligen 
Milchdrüsen entstehen können, indem in individuell wechselnder 
Anordnung und Zahl die genannten Epidermisverdiekungen auf- 
treten. 

Wir haben Gelegenheit gehabt, an einer Anzahl jüngerer 
menschlicher Embryonen von 4—24 mm Länge die Entwicke- 
lung des Ektodermes in der seitlichen Leibeswand genauer unter- 
suchen zu können und glauben, dass wir den bisherigen Be- 
obachtungen über die Anlage der Mammarorgane einiges Neue 
zufügen können, das sich speziell auf die ersten, für den Menschen 
unseres Wissens noch nicht beschriebenen Stadien bezieht. 


Und auch soweit es sich um Bekanntes handelt, scheinen 
uns für jetzt noch Mitteilungen derjenigen Autoren, die im 
Besitze geeigneten Materials sind, wünschenswert, da das, was 
in der Litteratur über die Mammarorgane junger menschlicher 
Embryonen vorliegt, nach dem oben Zusammengestellten doch 
recht spärlich ist. 


Das Material für meine Untersuchungen ist mir von Pro- 
fessor Strahl zur Verfügung gestellt, der auch über die Er- 
gebnisse unserer Untersuchungen auf der diesjährigen Anatomen- 
Versammlung zu Kiel kurz berichtet hat. 


Es besteht aus einer Reihe von Zeichnungen und Präparaten 
junger menschlicher Embryonen, von denen wir auf je einen 
von 4 mm und 6,75 mm besonderen Wert legen, weil beide 
operativ gewonnen und ganz frisch konserviert sind. Sie sind 
nach Erhärtung gemessen und gezeichnet und dann in Schnitt- 
serien zerlegt. Zu diesen kommt noch eine Reihe von weiteren 
Schnittserien junger gut konservierter Embryonen aus der 
Sammlung von Prof. Strahl und eine Anzahl anderer eben- 
solcher, die durchzuarbeiten uns Herr Geheimrat Gasser in 
Marburg gestattete, dem wir hierfür zu lebhaftem Dank ver- 
pflichtet sind. 

15* 


228 LEO HIRSCHLAND, 


Ds 


Die Zahl der Schnittserien, die wir für unsere Unter- 
suchungen durchsehen konnten, ist an und für sich ziemlich 
beträchtlich; leider ist aber auch bei sonst leidlich erhaltenen 
Objekten gerade die Epidermis nicht selten mangelhaft kon- 
serviert, sodass wir gerade für unsere speziellen Zwecke das 
Material doch nur in beschränktem Masse verwenden konnten. 
Wir haben alles ausgeschaltet, was irgendwie verdächtig war, 
und nur einwandfreie Objekte unserer Darstellung zu Grunde 
gelegt. 

Es erscheint aus praktischen Rücksichten vielleicht am ein- 
fachsten, wenn wir unsere Schilderung mit der Besprechung 
eines Embryo beginnen, der mit dem von Kallius beschriebenen 
so ziemlich übereinstimmt. 

Derselbe besass eine grösste Länge von etwa 15 mm und 
liess bei Loupenvergrösserung beiderseits zwischen oberer und 
unterer Extremität eine ganz ausserordentlich deutliche, nament- 
ich bei direkter Beleuchtung im Sonnenlicht hervortretende 
Leiste erkennen, die vom unteren Rande der oberen Extremität 
bis zum oberen Rande der unteren verlief. Man konnte nach 
dem makroskopischen Bilde erwarten, dass sich auf den Schnitten 
hier eine Milchleiste in grösserer Ausdehnung finden würde, wir 
können aber gleich vorausschicken, dass diese Erwartung sich 
als irrig erwiesen hat, und dass ganz ähnlich, wie H. Schmidt 
das für seinen 15 mm langen Embryo beschrieben hat, sich bei 
der Durchsicht der Schnitte eine Milchdrüsenanlage nur in sehr 
beschränkter Ausdehnung vorfand und zwar in dem Teile direkt 
hinter der oberen Extremität, dass dagegen in den tieferen Ab- 
schnitten der seitlichen Leibeswand sich von einer Verdickung 
innerhalb des Epithels nichts nachweisen liess. — Die Leiste 
— die sonst vollkommen dem gleicht, was man bei Tieren von 
der Milchleiste sieht — ist hier lediglich, wenigstens in dem 
allergrössten Teil ihrer Ausdehnung, durch eine Faltung in der 
seitlichen Leibeswand vorgetäuscht. Das, was als Milchdrüsen- 


Beiträge zur ersten Entwickelung der Mammarorgane beim Menschen. 229 


anlage hier in der That vorbanden ist, liegt zum Teil so von 
der oberen Extremität gedeckt, dass es makroskopisch kaum 
besonders hervorgetreten sein wird. 


Der sonst gut erhaltene Embryo wurde mit dem Mikrotom 
in eine Schnittserie zerlegt und unsere Präparate zeigen bei ihm 
im wesentlichen Verhältnisse, die mit den von Kallius be- 
schriebenen übereinstimmen. Es findet sich auf beiden Seiten 
in der Epidermis eine Verdickung, die rechts als schwache Leiste 
an den Durchschnitten beginnt, die durch die unteren Partien 
der oberen Extremität hindurchgehen. 


Verfolgt man die Schnittserie nach hinten, so kommt zu- 
nächst eine Partie, in der die Epithelverdickung beträchtlich 
zunimmt und der Hauptsache nach etwa stark linsenförmig 
erscheint Dabei ist das Epithel trotz dieser Zunahme an ge- 
nannter Stelle nicht wesentlich über die freie Fläche erhoben, 
sondern ragt vielmehr nach unten in das Bindegewebe der Brust- 
wand hinein. Es liegt aber die Anlage in einer Erhebung 
der seitlichen Leibeswand, die im ganzen den Ausdruck wenigstens 
des obersten Endes der makroskopisch vorspringenden Leiste 
darstellt, wir glauben jedoch nicht, dass die Milchdrüsenanlage 
selbst bei unserem Embryo für das. makroskopische Bild von 


Bedeutung gewesen ist. 


Es erhält sich die gleiche Durchschnittsfigur weiter nach 
hinten auf einer Reihe von Schnitten in der beschriebenen 
Weise, dann wird die Epithelverdieckung weniger mächtig und 
dehnt sich aber dabei etwas unter Verbreiterung nach den Seiten 
hin aus, sodass dieselbe schliesslich den ganzen beschriebenen 
Vorsprung der seitlichen Leibeswand überdeckt. Sie läuft nach 
unten verhältnismässig rasch in eine niedrige Epithelschicht 
aus, sodass wir bald von dem ganzen Gebilde nichts mehr 
wahrnehmen, dagegen erscheint die Leibeswand weiter durch 
kleine Furchen in einzelne Abteilungen zerlegt. 


230 LEO HIRSCHLAND, 


Streifen, die zwischen diesen Furchen hervorspringen, sind 
die Durchschnitte der Wülste, welche makroskopisch den distalen 
Teil der Milchleiste vorgetäuscht haben. 

An der anderen Seite finden wir an unseren Schnittpräpa- 
raten, dass an den Stellen, in welchen die ersten Durchschnitte 
durch die freie Extremität erscheinen, die Epidermis der Brust- 
wand eine ziemlich breite Verdiekung aufweist, doch bemerken 
wir hier unter der Extremität keine Erhebung derselben. Diese 
diffuse Verbreiterung des Epithels lässt sich auf einer Reihe 
von etwa 20 Schnitten der Serie verfolgen, dann tritt die gleiche 
Hervorragung der Epidermis gegen das Bindegewebe auf, die 
wir eben von der anderen Seite beschrieben haben. Dieselbe 
erreicht sehr bald eine ziemlich beträchtliche Ausdehnung, erhebt 
sich aber in diesem Teil verhältnismässig wenig über die äussere 
Fläche, und ebenso rasch wie sie angestiegen war, fällt sie auch 
nach hinten wieder ab, sodass wir sie an den Schnitten, welche 
zugleich die letzte Spitze der Extremität treffen, nicht mehr 
feststellen können. 

Wir machen diese Angabe allerdings insofern mit Vorbehalt, 
als in den letzten Partien die Epidermis weniger gut konserviert 
erscheint, und infolgedessen vielleicht etwas von dem Epithel 
verloren gegangen sein könnte. Erst in denjenigen Schnitten, 
welche hinter die Spitze der Extremität fallen, traten auch auf 
dieser Seite deutlicher die offenbar durch die Erhärtung be- 
dingten Furchen an der Seite des Embryonalkörpers auf, welche 
wir bereits von der anderen Seite erwähnt haben. 

Wir beschreiben im Anschluss an den eben genannten hier 
jetzt gleich weiter die Durchschnitte durch einen histologisch 
ganz ausserordentlich gut erhaltenen Embryo, der im erhärteten 
Zustand vor der Einbettung eine grösste Länge von l4mm auf- 
wies, also um eine Kleinigkeit jünger war, als der eben be- 
sprochene. Wir sehen hier an den Abgangsstellen beider Ex- 


tremitäten eine ziemlich ausgiebige, diffuse Erhöhung des Epithels, 


Beiträge zur ersten Entwickelung der Mammarorgane beim Menschen 231 


die in ganz ähnlicher Weise, wie es H. Schmidt für seinen 
15 mm-Embryo beschreibt, sich über die Seitenwand des Em- 
bryonalkörpers ausdehnt, übrigens auch äuf die Extremität 
selbst sich fortsetzt. In dieser erscheint dann ziemlich gegenüber 
der Spitze der Extremität die Milchdrüsenanlage so, dass dieselbe 
an der rechten Seite linsenförmig gestaltet, hier in der That 
über die freie Fläche hervorragt (Fig. 6); ebenso ist sie aber nach 
unten in die Tiefe hinein gegen die bindegewebige Unterlage 
hin vorgewölbt, und auch das Bindegewebe unter ihr zeigt eine 
sehr deutliche Verdichtung innerhalb seiner Zellen. 

Zu bemerken wäre, dass die Epidermis seitlich neben der 
erwähnten Anlage rasch an Stärke abnimmt und jedenfalls keine 
beträchtliche Verdickung mehr erkennen lässt. — Verfolgen wir 
die Durchschnitte gegen das hintere Körperende hin, so verändert 
sich übrigens erst nach einer ziemlichen Reihe von Schnitten 
hier die Anlage so, dass der gegen das Bindegewebe vorspringende 
Teil der Linse sich allmählich abflacht, der nach aussen sehende 
dagegen erhalten bleibt. Es wird derselbe sogar weiterhin unter 
einiger Verschmälerung sehr beträchtlich über die freie Fläche 
gehoben, sodass makroskopisch in diesem Teil eine deutliche 
Milchleiste vorhanden gewesen sein muss. — So ziemlich mit 
der Spitze der oberen Extremität läuft dann die Leiste als solche 
nach unten aus, um durch niedrige Epithelzellen ersetzt zu 
werden. Es folgt aber alsdann auf dieselbe eine Zone in 
der seitlichen Körperwand, die sich sehr weit nach unten ver- 
folgen lässt, in der das Epithel verdickt erscheint, und die dem 
entspricht, was H. Schmidt als Milchstreifen beschreibt und 
jedenfalls als ein Überrest der breiten Epidermisplatte anzusehen 
ist, die wir weiter unten für jüngere Embryo schildern wollen. 

Vergleichen wir hiermit die Anlage der anderen Seite, so 
würde an dieser die Epidermis speziell der Achselhöhle oberhalb 
der eigentlichen Milchdrüsenanlage noch stärker verdickt er- 


scheinen, als wir das eben für die rechte Seite beschrieben haben. 


232 LEO HIRSCHLAND, 


Dass Verschiedenheiten in der Entwickelung beider Seiten vor- 
kommen, ist ja nicht wunderbar, da solche auch für andere 
Entwickelungsvorgänge die Regel sind. Es folgt auch hier dann 
in der diffusen Verdiekung sehr bald die Milchdrüsenanlage, die 
von vornherein etwas stärker über die freie Fläche hervorragt, 
also eine deutliche Leiste bilden muss, und die sich in der Tiefe 
gegen das unterliegende Bindegewebe, das ebenfalls verdichtet 
erscheint, durch zwei kleine Furchen absetzt (Fig. 6). Es springt die 
Anlage also in der That als wohlbegrenzter Zapfen auch gegen 
das Bindegewebe hin vor. — Je weiter wir die Schnittreihe nach 
unten verfolgen, um so deutlicher hebt sich dieselbe nach aussen 
über die Fläche der Brustwand hinaus, dann schwindet der Vor- 
sprung gegen das Bindegewebe, während der aussen gelegene 
sich wie ein Zapfen erhebt. Weiter vergeht auch dieser, sodass 
nur eine breite Epidermisverdickung übrig bleibt, die nach aussen 
winkelig geknickt erscheint. Auch hier lässt sich die Epidermis- 
verdickung der Seitenwand weit nach unten hin verfolgen, sie 
wird schliesslich sogar wieder stärker und läuft in eine breite 
Platte starken Epithels auf der Dorsalseite der unteren Ex- 
tremität aus. 

Die eben beschriebenen beiden Embryonen stimmen in den 
wesentlichen Punkten mit dem von Kallius und H. Schmidt 
Gefundenen überein. 

Unser Material giebt uns nun aber weiteren Aufschluss über 
eine Reihe von Entwickelungsstadien, die den genannten voraul- 
gehen. 

Wir besitzen drei Schnittserien durch Embryonen von 5 mm, 
6,75 mm und 4 mm grösster Länge, welche die der Milchleiste 
vorhergehenden Stadien des Milchstreifens enthalten. 

Wir halten es für am einfachsten, wenn wir dieselben vom 
älteren zum jüngeren Stadium fortschreitend schildern. 

Der 8 mm lange Embryo ist histologisch sehr gut erhalten, 
hat aber bei der Verarbeitung auf nicht ganz erklärte Weise 


As, 


e 2317 1/0 Iyy 
Anatom.Hefte LAbtheilung Heft 34/35.(1.Bd.H.1/2 Taf.XIX, AK. 


Fig. 2 


NH.Stz. 


Verlag v.J.F. Ber&mann, Wiesbaden 
Lith.Anst.v. 0.Kirst. Le - 


Beiträge zur ersten Entwickelung der Mammarorgane beim Menschen. 233 


Schaden gelitten; er muss beim Schluss der Paraffinbehandlung 
stark zerbrochen sein. Es hat dies der histologischen Beschaffen- 
heit keinen Eintrag gethan, und die Bruchstücke liegen auf 
dem Öbjektträger so bei einander, dass die Beurteilung des 
Präparates keinerlei Schwierigkeiten macht. Bei der Seltenheit 
des Materials halten wir uns für berechtigt, auch von dieser 
Serie für unsere Zwecke Gebrauch zu machen. 

Wir müssen der Betrachtung der folgenden Embryonen die 
Bemerkung voraufschicken, dass bereits O. Schultze bei seinen 
vergleichend anatomischen Studien darauf aufmerksam gemacht 
hat, dass dem Stadium der Milchleiste beim Schweine-Embryo 
ein anderes voraufgeht, in welchem die seitliche Leibeswand 
eine ganz diffuse Verdickung ihres Ektodermüberzuges zeigt. 
Schultze hat also bereits den Milchstreifen von H. Schmidt 
bei Tieren beobachtet, oder vielmehr ein Stadium beschrieben, 
welches dem von H. Schmidt geschilderten vorausgeht, insofern 
hier ein Milchstreifen ohne centrale Epidermisverdickung, also 
ohne Milchleiste beschrieben ist. Nach Schultze muss dieser 
Milchstreifen, den er auch abbildet, beim Schwein sehr weit 
dorsal belegen sein, denn er redet von der Rückengegend, in 
der er sich findet. 

OÖ. Schultze hat seiner Beobachtung in seinem Lehrbuche 
keine Erwähnung gethan. Dementsprechend ist sie auch von 
späteren Untersuchern und Referenten kaum berücksichtigt, 
soweit wir die Litteratur übersehen können. 

Der erwähnte Embryo von 8 mm zeigt um den Ansatz der 
oberen Extremität ein deutliche Verdickung der Epidermis, 
welche an der unteren Seite derselben, also entsprechend der 
Achselhöhle, auffälliger ist als dorsal. Wir können diese Ver- 
diekung auf beiden Seiten nach abwärts verfolgen. Dieselbe ist 
unterhalb derjenigen Stelle, an der die Extremität eben frei 
geworden ist, in ihren mittleren Abschnitten von beträchtlicher 


Höhe. Sie erreicht in diesen eine Stärke von etwa vier über- 


234 LEO HIRSCHLAND, 


einander gelagerten Reihen von Kernen und fällt dann nach 
oben rascher, nach unten langsamer ab. Sie ist übrigens hier 
auch stärker als an der Ansatzstelle der Extremität selbst. — 
Verfolgen wir dieselbe nach unten weiter, so können wir sie 
auf einer ganzen Reihe von Schnitten, so weit wir neben dem 
Embryonalkörper die durchschnittene Extremität finden, eben- 
falls noch nachweisen. Sie tritt nach unten insofern eher etwas 
deutlicher hervor, als sie rascher nach den Seiten in niedriges 
Epithel übergeht, sodass wir nur einen schmalen Streifen 
erhöhter Epidermis an der Seitenwand des Embryonalkörpers 
liegend finden (Fig. 5). — Weiter nach unten, etwa in der Mitte 
„wischen oberer und unterer Extremität, wird die Epidermis- 
verdiekung niedriger und setzt sich wieder minder scharf gegen das 
anschliessende Epithel ab und erreicht gegen den Ansatz der 
unteren Extremität stellenweise wieder eine etwas grössere 
Breite, wobei dieselbe zugleich anscheinend mehr ventralwärts 
reicht. Sie läuft dann aus in eine ausgiebige, starke Epidermis 
verdickung der ventralen Leibeswand des Embryo, die sich bis 
über die Kloakenregion herüberzieht. 


Einen Embryo von 6,75 mm, der operativ gewonnen und 
ganz frisch in Formol fixiert war, verdanken wir der grossen 
Liebenswürdigkeit der Herren Geheimrat Löhlein und Dr. 
Walther. 


Der Embryo war der raschen Fixierung entsprechend vor- 
züglich erhalten (Fig. 2). Die Gesichtskopfbeuge ist vollendet; wir 
unterschieden drei Visceralbogen und konnten bei gutem Licht 
die Reihe der Urwirbel bis gegen den Schwanz hin verfolgen. 
Obere und untere Extremität stellen ungegliederte Stummel dar, 
von einer Milchleiste war mit Lupenvergrösserung nichts wahr- 


nehmbar. 


Die Schnittserie lehrte aber, dass ein Milchstreifen sich in 


ziemlicher Ausdehnung feststellen liess. 


Beiträge zur ersten Entwickelung der Mammarorgane beim Menschen. 235 


Wir finden auf unseren Schnitten einmal unter der Wurzel 
der oberen Extremität also in der späteren Achselhöhle eine sehr 
beträchtliche Erhöhung des Epithels; bemerkenswert ist, dass 
diese nicht nur in dem Winkel zwischen Extremität und Leibes- 
wand vorhanden ist, sondern sich auch auf die ganze ventrale 
Seite der Extremität fortsetzt bis zu der bekannten Epidermis- 
verdickung, die an der Spitze der jugendlichen Extremitäten- 
anlagen liegt. 


Auch an der dorsalen Seite der Extremität sind übrigens 
die Ektodermzellen noch verhältnismässig hoch, jedenfalls höher 
als wir sie über der Urwirbelregion über dem Medullarrohr 


finden. 


Die Epidermisverdiekung erstreckt sich aus dem Bereiche 


der primitiven Achselhöhle nun weiter nach hinten. 


In den Schnitten direkt hinter der oberen Extremität (Fig. 4) 
finden wir eine von zwei Furchen umgrenzte Erhebung der seit- 
lichen Leibeswand, die von einem Ektoderm aussen überzogen wird, 
welches unzweifelhaft höher ist, als dasjenige der angrenzenden 
Partieen, immerhin aber wieder beträchtlich niedriger als das- 
jenige der Achselgrube und auch niedriger, als das, welches wir 
an entsprechender Stelle bei dem Embryo von Smm sahen. 
Je weiter wir die Schnittreihe nach hinten verfolgen, um so 
mehr nimmt zuerst das Bindegewebspolster ab, welches unter 
der Ektodermverdiekung liegt, die Furchen an ihren Rändern 
verstreichen, so dass die ganze seitliche Leibeswand gleichmässig 
gestaltet erscheint. Zugleich verdünnt sich auch das Ektoderm 
des Milchstreifens; aber über der ganzen seitlichen Leibeswand 
können wir doch noch eine Zone feststellen, an der das Ektoderm, 
wenn auch nur in geringem Grade so doch messbar stärker ist, 
als dorsal und ventral, eine Zone, die wir als den Vorläufer des 
für das vorige Stadium beschriebenen Milchstreifens ansehen 


müssen. 


236 LEO HIRSCHLAND, 


Diese Zone lässt sich bis zur Wurzel der unteren Extremität 
verfolgen. 

An dieser selbst können wir feststellen, dass die Ektoderm- 
lage in der Inguinalregion wieder beträchtlich höher wird. 
Der Schnittrichtung halber ist die Ausdehnung der Zone erhöhten 
Ektoderms jedech nicht mit Sicherheit festzustellen. 

Eine Verdickung in der Epidermis der seitlichen Leibes- 
wand finden wir nun aber auch schon bei dem erwähnten 
Embryo von 4 mm. 

Prof. Strahl verdankt den ebenfalls operativ gewonnenen 
Embryo der grossen Freundlichkeit des Herrn Dr. Schütz in 
Hamburg, der ihm die frisch in Salpetersäure gelegte Frucht- 
blase uneröffnet zuschickte. 

Die Fruchtblase wurde auch uneröffnet in der üblichen 
Weise weiter behandelt und erst, nachdem sie in 96°/o Alkohol 
gekommen war, durch einen Horizontalschnitt, dem grössten 
Durchmesser entsprechend, vorsichtig in zwei Teile zerlegt. 

Die alsdann angefertigte Zeichnung lässt den in das Amnion 
gehüllten Embryonalkörper erkennen (Fig. 1). 

Während die vordere Körperhälfte durch das Amnion 
hindurch sichtbar ist, wird die hintere durch die Nabelblase 
verdeckt. 

Die vordere Hälfte zeigt, dass die obere Extremität eben im 
Vorsprossen begriffen ist, ein Wulst an der seitlichen Leibeswand 
hinter derselben ist nicht vorhanden. 

Auch dieser Embryo ist nach Einbettung in Paraffin in 
eine Schnittserie zerlegt. 

Die Querschnitte durch den Embryonalkörper unmittelbar 
hinter dem Herzen weisen in der seitlichen Leibeswand eine 
breite Verdickung der Epidermis auf, die ohne scharfe Grenze in 
die nach oben anliegenden Partien ausläuft; nach unten ist sie 
streckenweise bis zur Medianlinie zu verfolgen, wenn auch unter 


etwas Abflachung (Fig. 3). 


Beiträge zur ersten Entwickelung der Mammarorgane beim Menschen. 230 


Überhaupt ist die ganze Verdickung nur dann auffällig, 
wenn man die entsprechenden späteren Stadien kennt. Wir 
können das verdickte Ektoderm an unseren Schnitten nach unten 
auf eine ziemlich ausgiebige Strecke verfolgen und stehen nicht 
an, es für den Vorläufer der entsprechend verdickten Stelle zu 
betrachten, die wir bei den älteren Embryonen der Anlage der 
Milchleiste teils voraufgehend sahen, teils in der unmittelbaren 
Umgebung derselben feststellen konnten. Sie wäre also ein 
frühestes Stadium des Milchstreifens. Die Verdickung ist am 
auffälligsten hinter der oberen Extremität selbst. Die Extremität 
erscheint als ein kleiner, unbedeutender, von dichten Mesoderm- 
zellen zusammengesetzter Stummel, der an seiner Oberfläche 
von einem auffällig verdiekten Epithel überzogen ist. Dieser 
verdickte Epithelabschnitt läuft dann nach oben und unten 
langsam in niedrigere Epithelzellen aus, und an ihn schliesst 
sich nach hinten die soeben für die tiefer gelegenen Abschnitte 
der seitlichen Leibeswand beschriebene Verstärkung an. 

Wir können die letztere auf eine ziemlich beträchtliche 
Strecke nach hinten verfolgen; sie würde aber auch bei diesem 
Embryo schliesslich kaum als etwas Besonderes erscheinen, 
wenn man nicht durch die älteren Stadien auf den Ektoderm- 
überzug der seitlichen Leibeswand aufmerksam gemacht wäre. 
Leider können wir aus unserer Schnittserie nicht mit Sicherheit 
auf die Art und Weise schliessen, wie der Milchstreifen nach 
hinten ausläuft. Da der Embryo etwas spiralig aufgerollt war, 
so sind die Schnitte in der Nabelgegend nach hinten schräg 
gefallen, dass die Bilder für unsere Zwecke zum Teil nicht 
verwendbar sind. Eines können wir aber doch sagen, dass 
nämlich über der Anlage der noch sehr kleinen unteren Ex- 
tremität das Ektoderm wieder eine mächtige Verdickung erfährt. 

Das Ektoderm der seitlichen Leibeswand im ganzen ist also 
hier so gestaltet, dass es an den Stellen, an welchen bei Tieren 
der Milchstreifen beginnt und endet, d. h. an der Wurzel der 


238 LEO HIRSCHLAND, 


oberen und unteren Fxtremität, eine beträchtliche Verstärkung 
aufweist, und dass eine wenn auch geringere Verdickung sich 
von der oberen Extremität an der seitlichen Leibeswand nach 
abwärts zieht. Wir müssen es offen lassen, ob dieselbe in 
diesem Stadium die Wurzel der unteren Extremität unmittelbar 
und ohne Unterbrechung erreicht. 

Wir fügen aus der Zahl unserer Embryonen an dieser 
Stelle und als Abschluss noch die Schilderung einiger Schnitt- 
bilder an, die wir an einer Serie eines Embryo von 26 mm 
gewannen; wir finden hier eine stärker entwickelte Milchdrüsen- 
anlage, etwa entsprechend demjenigen Stadium, welche den 
älteren Autoren als Ausgangspunkte für ihre Darstellung von 
der Entwickelung der Milchdrüse überhaupt gedient haben. — 
Die Drüsenanlage stellt eine kurze, gedrungene und ganz eirkum- 
skripte Verdickung der Epidermis dar. Die tielsten, äussersten 
Zellen derselben sind senkrecht gegen die unterliegende Binde- 
gewebsschicht gestellt und fügen sich radiär gegen die Mitte 
der Drüsenanlage aneinander. 

An der Oberfläche geht der Drüsenzapfen sehr rasch in 
niedrige, platte Epidermiszellen über. Das unter dem Epithel 
liegende Bindegewebe stellt ebenfalls eine sehr deutlich ver- 
dichtete Schicht dar. — Wir finden in diesem Stadium nichts 
Neues gegenüber den älteren Autoren, wollten desselben aber 
doch besonders Erwähnung gethan haben. Wir sehen nämlich 
hier in der Umgebung des Milchpunktes bereits die ersten Ver- 
diekungen im Ektoderm, die den überzähligen Milchdrüsen- 
anlagen von H. Schmidt entsprechen. Sie sind in der Um- 
gebung der Milchdrüsenanlage inmitten eines dünneren Ekto- 
dermes nachweisbar. 

Wir kommen auf die Bedeutung dieses Umstandes weiter 
unten zurück. 

Wir schliessen damit die Beschreibung unserer Präparate 
ab und kämen naturgemäss zu der Frage, was sich aus unseren 


Beiträge zur ersten Entwiekelung der Mammarorgane beim Menschen. 239 


Beobachtungen Neues über die erste Entwiekelung der Mammar- 
organe ergiebt. 

Wir glauben als solches die Zurückführung derselben auf 
so frühe Stadien bezeichnen zu können, wie sie bislang für den 
Menschen noch nicht und für Tiere nur in sehr beschränktem 
Masse beschrieben sind. 

Wir konnten bereits bei dem jüngsten der von uns unter- 
suchten Embryonen — 4 mm grösste Länge — feststellen, dass 
einmal die Anlagen der Extremitäten von einer Lage beträcht- 
lich verstärkten Ektodermes überzogen waren und dass im 
Anschluss an die obere Extremität sich eine Schicht auf der 
seitlichen Leibeswand nachweisen lässt, in welcher wenigstens 
insofern ein dickeres Ektoderm vorhanden ist, als die Zellen, 
auch wo sie einschichtig angeordnet sind, hoch erscheinen 
gegenüber den abgeplatteten Formen, die z. B. den Rücken in 
und neben der Medianlinie decken. Ob diese Zone eine Ver- 
bindung der oberen und unteren Extremität darstellt, musste 
dabei unentschieden bleiben. 

Eine solche ist aber, wenn auch nur in wenig auffallendem 
Grade, so doch sicher nachweisbar, bei einem Embryo von 
6,75 mm vorhanden und ist bei 8 mm derart deutlich, dass sie 
in einem beträchtlichen Teil der seitlichen Leibeswand sich 
bereits bei schwacher Vergrösserung mit dem Mikroskop fest- 
stellen lässt. 

Und innerhalb dieser Zone, die Schwalbe und H. Schmidt 
für ein älteres Stadium als Milchstreifen bezeichnet haben, 
kommt es in unmittelbarem Anschluss an den distalen Rand 
der oberen Extremität, dann bei Embryonen von 14 mm resp. 
15 mm (Kallius, H. Schmidt, Strahl) zur Ausbildung einer 
leistenförmigen Verdiekung, der Milchleiste, die im weiteren 
Fortschreiten der Entwickelung zur Bildung der ersten Milch- 


punkte führt; solche liegen uns von einem Embryo von 
26 mm vor. 


240 LEO HIRSCHLAND, 
Während dieses ganzen hier kurz skizzierten Entwickelungs- 
ganges sahen wir die ursprünglich breite Ektodermverdiekung 
sich mehr und mehr verschmälern, und zwar zunächst relativ, 
dann absolut. Denn je deutlicher die Milchleiste hinter der 
oberen Extremität hervortritt, um so mehr erscheinen die neben 
dieser belegenen Teile des Milchstreifens verschmälert, bis 
schliesslich im der Zeit, in welcher nur die Milchpunkte vor- 
handen sind, neben diesen zeitweilig eine überall gleichmässig 
niedrige Ektodermlage vorhanden wäre. Die als Epidermisver- 
diekung erscheinenden Milchpunkte stellen also den letzten Rest 
einer ursprünglich breiten Epidermisverdickung dar, die in dem 
Fortschreiten der Entwickelung immer mehr eingeengt wird. 
Wenn wir uns fragen, wo das Material des Milchstreifens 
bleibt, so können wir aus unseren Präparaten nur erschliessen, 
dass eszum Aufbau der Epidermis (und natürlich auch von deren 
Anhangsgebilden) an der seitlichen Leibeswand verbraucht wird. 
Schultze scheint für seine Objekte anzunehmen, dass es bei der 
Trennung z. B. der Milchleiste in die Milchpunkte zur Zer- 
störung der zwischen letzteren gelegenen Teile der Milchleiste 
kommt, er gebraucht wenigstens den Ausdruck Resorption. 


Wir haben bei unseren menschlichen Embryonen hierfür 
keinen Anhalt finden können; es würde ja bei diesen sich um 
einen solchen Vorgang nur immer an den Rändern der Milch- 
leiste resp. des Milchstreifens handeln können, da eine Zerlegung 
derselben in einzelne Territorien natürlich hier nicht statt- 
findet. 


Noch einige Worte über die Ansichten, welche sich H. 
Schmidt aus seinen Präparaten über den Aufbau der Mammar- 
organe gebildet hat. 

Schmidt, der den Milchstreifen in der Umgebung der 


Milchleiste bei seinem 15 mm langen Embryo beobachtete, 
nimmt, wenn wir ihn recht verstehen, an, dass die überzähligen 


Beiträge zur ersten Entwickelung der Mammarorgane beim Menschen. 241 


Milchdrüsen unmittelbar aus dem Milchstreifen sich heraus- 
bilden. 

Dem möchten wir in dieser Form vorläufig nicht zustimmen, 
bemerken aber gleich, dass hier noch genauere, besonders 
auf diesen Punkt gerichtete Untersuchungen weiteren Aufschluss 
schaffen werden. 

Soweit wir die Verhältnisse übersehen können, treten die 
überzähligen Milchdrüsenanlagen von Schmidt erst auf zu 
einer Zeit, in der der Milchstreifen bereits mehr oder minder 
vollkommen rückgebildet ist, und wir könnten nach unseren 
Beobachtungen nur zugeben, dass die Epidermis an solchen 
Stellen, an denen früher Milchstreifen vorhanden war, in 
späterer Zeit diejenigen Verdickungen hervorzubringen vermag, 
die nach Schmidt die überzähligen Milchdrüsen darstellen. 
Der bleibende Mammarapparat würde im Gegensatz hierzu sich 
unmittelbar und direkt aus dem Milchstreifen zur Milchleiste 
und aus dieser zum Milchpunkt aufbauen. Auch diese Reihen- 
folge stimmt nicht mit der Darstellung von Schmidt überein, 
da dieser annimmt, dass seinem Milchstreifen eine bis dahin 
nicht aufgefundene Milchleiste vorausgehen werde, während nach 
unseren Untersuchungen beim Menschen gerade so wie bei 
Tieren (Schultze) der Milchstreifen das Primäre, die Leiste das 
Sekundäre ist. 

Ergeben unsere Präparate einen Aufschluss über die Be- 
deutung der Milchleiste oder des Milchstreifens? Wir müssen 
diese Frage von unserem Standpunkte aus bedauernd verneinen, 
bemerken dabei aber gleich, dass wir bei Abfassung der Arbeit 
diesen Punkt auch vorerst nicht als das uns für jetzt erreichbare 
Ziel unserer Wünsche betrachtet haben; es fehlen vielmehr für 
jetzt die ausreichenden positiven Unterlagen. 

Auch Schultze hat das wohl angenommen, denn er hat, 
wie bekannt, mit einer Zurückhaltung, die wir zu schätzen 
wissen, bislang darauf verzichtet, eine sogenannte Erklärung 


Anatomische Hefte, I. Abteilung. XXXIVXXXV. Heft (11. Bd. H. 12.) 16 


242 LEO HIRSCHLAND, 


der Milchleiste zu geben. Wir vermögen also auch vorläufig 
Klaatsch nicht zu folgen, der den Versuch gemacht hat, eine 
vergleichend anatomische Auffassung für die Milchleiste zu 
geben. Klaatsch hält die ganze Leiste für eine sekundäre 
Erscheinung, die aus den primär vorhandenen Milchhügeln ent- 
standen sei. Die Milchhügel sind nun weiter die Anlagen von 
Mammartaschen und die Milchleiste, die dieselben sekundär mit 
einander verbindet, ist für Klaatsch das Rudiment eines 
Beutels bei Placentalier- Embryonen; er nennt dieselbe „Mar- 
supialleiste“. 

Bonnet (l. e. S. 633), der die Erwägungen von Klaatsch 
bespricht, wendet dagegen ein, dass die Figur, die Klaatsch 
zur Erläuterung seiner Auffassung giebt, soweit es sich um die 
Konstruktion der Milchleiste handelt, den thatsächlichen Ver- 
hältnissen nicht entspricht und er schlägt vor, die von Schultze 
eingeführte Terminologie’ einstweilen zu Recht bestehen zu lassen, 
bis die Hypothese von Klaatsch durch umfangreicheres 
Material gestützt sei. 

Wir schliessen uns dieser Auffassung von Bonnet ebenso 
an, wie dem Schlusswort seiner Abhandlung und sind zufrieden, 
wenn es uns durch unsere Untersuchungen gelungen sein sollte, 
die Kenntnisse über die erste Entwickelung der Mammarorgane 
des Menschen um einiges zu fördern. 


Figurenerklärung. 


(Die Fig. 1 ist von Zeichner Noack, 2 von Prof. Strahl angefertigt, 
3—6 verdanke ich dem Assistenten des Giessener anatomischen Instituts Herrn 
Friedrich.) 

Fig. 1. Menschlicher Embryo von 4 mm grösster Länge in situ im 
halbierten Chorionsack gezeichnet. Der Pfeil bezeichnet die Stelle des Schnittes 
Fig. 3. 

Fig. 2. Menschlicher Embryo von 6,75 mm grösster Länge. Pfeil die 
Stelle des Schnittes der Fig. 4. 

Fig. 3. Querschn#t durch den Embryo von 4 mm dicht kaudal hinter 
der Anlage der oberen Extremität. Seitliche Verdickung des Ektoderms, Vor- 
läufer des Milchstreifens. 

Fig. 4. Querschnitt durch den Embryo von 6,75 mm dicht kaudal hinter 


der Anlags aer oberen Extremität. M. Str. — Milchstreifen. 
Fig. 5. Stück der seitlichen Leibeswand eines menschlichen Embryo von 
8 mm. M. Str. — Milchstreifen auf der Höhe seiner Entwickelung; etwas 


stärkere Vergr. 


Fig. 6. Querschnitt durch einen menschlichen Embryo von 14 mm mit 
den Durchschnitten der Milchleisten (M. L.) beider Seiten. 


16* 


Kr Pi 
a , AN | en. 
Fe An Be Hr | 

N Re a a 

RT. N 1 Me ‚PR 2 
ar: Ken ie N a 
‘ Do h 


' a" 
} nr RT Br ER : 


irhe FR An 5 j vn 
u END yon I a ee Kr An 
| LENET gu KOPIE PATER ee 


RE kai 2 ul Er 


1 on IE 27 Pia 
aa \ £) Ds Zu ars Ful ib er w , ey 
r . IHR u 2 
Rs N ‚nr io y' Ey ae Ki ER Aa Du Co } E rar ER Ru 3 f 
mb Pr €, “il “ u I, s RA Pk ‘ w? ER Un er y 
Steh v Er u I er Br “ „> absdınt a AR a 


j PRIEN ish [2 207 BER IN AsUEr ’ PORT}, RM Di ARE 2 


r 2) 3 PLATT TEE DIR: Mer le Fin 
Ba Zee ae Wil; | Er Br Sen ag 


Ha Bra A a heat own) Tindanyler AN 
Rei BE ui. EEE Kr hab u e 
Huf P; 44 IS N I % Gr he ba D lm I, Ber Noch ” 7 y 
beit wi Aue Ba I"; N, « I Ir Re - 
IA N. h i ya, a NIT s BI rul 


ee Mu PR Ei uigt aa an cube Bu sch ESN) An N 


bern able ab in) I j (RER Ten A Lach TIER. Cie: 


Ehe 


AUS DEM ANATOMISCHEN INSTITUT ZU GREIFSWALD. 


BEITRÄGE 


ZUR 


ONTOGENIE UND PHYLOGENIE 


DER 


MrMMARORGANE: 


VON 


DR. PHIL. OSCAR PROFE, 


GREIFSWALD. 


Mit 35 Abbildungen auf den Tafeln XNXIXXVI und einer Abbildung im Text. 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVI. Heft (11. Bd. H. 3). 17 


Die noch vielfach bestehenden Differenzen in der Beschrei- 
bung und Deutung der verschiedenen Entwickelungsstadien der 
Mammarorgane bei (den Säugetieren beweisen, dass die Anschau- 
ungen über diese interessante und systematisch wichtige Organ 
gruppe noch nichts weniger als abgeschlossen und spruchreif zu 
bezeichnen sind. Die noch in wesentlichen Punkten dieses 
schwierigen Gebietes herrschenden Widersprüche lassen sich un- 
schwer zum Teil auf vorgefasste Meinungen, zum Teil auf un- 
genaue Beobachtungen, zum Teil aber auch auf die Lücken zu- 
rückführen, die trotz der zahlreichen und dankenswerten bis- 
herigen Arbeiten in der vergleichenden Anatomie und Embryo- 
logie der Mammarorgane thatsächlich noch klaffen. 

Diese thunlichst auszufüllen, ist ein notwendiges Postulat 
für die Klärung und sichere über den Rahmen der Hypothese 
hinausgehende Beantwortung der vielen Fragen, die ungeachtet 
der Verdienste von Gegenbaur'!) und Huss?), ferner der zum 
Teil sehr beachtenswerten, wenn auch nicht immer einwands- 
freien Untersuchungen und Konstruktionen von Klaatsch?) so- 
wie der wertvollen neuesten Arbeit von Ruge®) noch als offene 
zu bezeichnen sind. 


!) Gegenbaur, Bemerkungen über die Milchdrüsenpapillen der Säuge- 
tiere. Jena. Zeitschr. für Naturwissenschaften. Bd. VII. — Zur genaueren 
Kenntnis der Zitzen der Säugetiere. Morphol. Jahrb. Bd. I. 1875. 

2) Huss, Beiträge zur Entwickelung der Milchdrüsen bei Menschen und 
bei den Wiederkäuern. Jena. Zeitschr. f. Naturw. Bd. VII. 

3) Siehe die in der Litteraturübersicht eitirten Arbeiten dieses Autors. 

4) Die Hautmuskulatur der Monotremen und ihre Beziehungen zu dem 
Marsupial- und Mammarapparate. Aus: Semon, Zoolog. Forschungsreisen in 
Australien und dem malayischen Archipel. S. Fischer 1895. 


248 OSCAR PROFE, 


Die Entdeckung der Milchlinie und der Hinweis auf ihre 
Bedeutung durch ©. Schultze!) hat für das Verständnis der 
Mammarorgane neue Gesichtspunkte eröffnet, die bisher freilich 
mehr auf dem Wege der Spekulation, als auf dem mühevoller 
Forschung gewürdigt sind. 

Eine allgemeinere Bedeutung der Milchlinie für die Ent- 
stehung der Mammarorgane hat namentlich Bonnet?) bestimmter 
hervorgehoben. Er setzt eine Milchlinie als erste Anlage der 
Mammarorgane in weit umfassenderer Weise bei den Säugetieren 
voraus, als alle anderen Autoren. Gleichzeitig hat er die reiche 
Variation in Zahl und Anordnung der Milchdrüsen und ihrer 
Ausführungsgänge als Ausdruck einer im Fluss begriffenen Re- 
duktion der Mammarorgane wahrscheinlich zu machen gesucht. 

Bei allen polymasten Tieren lassen sich seiner Auffassung 
nach die Milchorgane auf das ursprüngliche Ausdehnungsgebiet 
der Milchlinien (von der Achselhöhle bis zur Schamgegend) oder 
ihrer freilich nach Standort und Ausdehnung sehr wechselnden 


Reste zurückführen. 


Für die Annahme einer weiteren Verbreitung der Milchlinie 
als der Primäranlage der Mammarorgane spricht ferner gebie- 
terisch die bei Menschen und Tieren mehrfach beobachtete Hyper- 
mastie und Hyperthelie; für deren Auftreten in anderer Weise 
eine befriedigende Erklärung nicht zu finden sein dürfte. Zur 
weiteren Stütze der gegenwärtig noch strittigen Fragen schien 
es erwünscht, festzustellen, in wieweit die embryonal oder post- 
embryonal bestehende Hypermastie und Hyperthelie als Hinweis 
auf das ontogenetisch zurückliegende Stadium einer Milchlinien- 
Anlage Bedeutung hat. Es war weiter zu eruieren, ob auch 


1) Schultze, O., Über die erste Anlage des Milchdrüsenapparates. 
Anat. Anz. 1892. 

2) Bonnet, Die Mammarorgane im Lichte der Ontogenie und Phylogenie. 
Ergebnisse der Anatomie und Entwickelungsgeschichte von Bonnet u. Me rkel 
Bd. II. 1892. 


Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 249 


denjenigen Typen in der That eine Milchlinie oder ein Milch- 
linienrest zukommt, bei denen bislang ein solcher Nachweis nicht 
gelungen ist. 

Die Wahrscheinlichkeit des vorübergehenden Bestehens einer 
Milchlinie, beziehungsweise eines Milchlinienrestes, aus dem die 
typische Anzahl der Milchdrüsen hervorgeht, wächst durch die 
Ergebnisse der Untersuchung von Burckhard') auch für die 
Säugetiertypen. Burckhard fand beim Rinde, bei dem bis jetzt 
keine Spur einer Milchlinie nachgewiesen werden konnte, eine 
ausgesprochene embryonale Hyperthelie und Hypermastie. Die 
evidente Reihenstellung der normalen und abortiven Zitzeri wies 
ferner deutlich auf ihr Hervorgehen aus einer Milchlinie hin. 
Die geringen Verschiebungen und seitlicben Abweichungen ein- 
zelner Zitzenanlagen sprechen nicht gegen die Möglichkeit der 
Ableitung dieser reihenständigen Zitzen aus einer Milchlinie 
(siehe die Tafel der Burekhardschen Arbeit). Denn in ganz 
ähnlicher Weise habe ich auch beim Schweine, bei dem die 
Milchlinie ja in voller Ausdehnung zweifellos besteht, kleine 
Verschiebungen der Zitzen wiederholt beobachtet. (siehe Taf. 
XXVXXI, Fig. 1 u.2). Der in einem an Burckhard gerichteten 
privaten Schreiben von Klaatsch enthaltene Einwurf, die nicht 
immer ungestörte Reihenanordnung der Zitzen beanspruche keine 
Bedeutung für ihre Ableitung aus einer Milchlinie, braucht somit 
keineswegs von vorneherein als begründet berücksichtigt zu 
werden. 

Der Wert der Hyperthelie und Hypermastie für eine Ab- 
leitung der Mammarorgane respektive Zitzen aus einer linien- 
förmigen Anlage erhöht sich vielleicht durch einen von mir zu- 
fällig gemachten weiteren Befund. Gelegentlich meiner Unter- 


suchungen an Embryonen von Üervus capreolus, die mir aus 


1) Burckhard, Über embryonale Hypermastie und Hyperthelie. Anat. 
Hefte von Merkel und Bonnet. 1897. 


250 OSCAR PROFFE, 


der Sammlung des hiesigen zoologischen Instituts durch die Güte 
des Herrn Professor G. W. Müller zur Verfügung gestellt wur- 
den, fand ich bei einem 10 em langen männlichen Embryo zwei 
in einer Linie vor den normalen gelegene accessorische Zitzen, 
die sich als solche von den ersteren durch ihre geringe Grösse 
deutlich unterschieden (siehe Fig. 3). Die Stellung der letzteren 
vor den normalen Zitzen zeigt im Vergleiche der Reduktion 
der Mammarorgane des Rindes, bei welchem nach den bis- 
herigen Erfahrungen die abortiven accessorischen Zitzen stets 
hinter dem vordersten normalen Zitzenpaare stehen, dass die 
Reduktion der Mammarorgane bei zwei verschiedenen Familien 
der Artiodactylen entweder vom kranialen oder vom kaudalen Ende 
her platzgreifen kann. Es ist ferner nicht unmöglich, dass das bei 
dem Reh noch bestehende, aber abortive erste Zitzenpaar beim 
Rinde schon gänzlich verloren gegangen ist. Dann hätte die Re. 
duktion beim Rinde von vorne und von hinten her platzgegriffen. 
Mit Sicherheit aber ergiebt sich aus diesem Befunde, dass die Hy- 
perthelie und Hypermastie bei den domestizierten Wiederkäuern 
nicht etwa nur als eine infolge von Domestikation auftretende 
Variation, sondern als der Ausdruck einer in Fluss begriffenen 
Reduktion der ursprünglich in grösserer Zahl angelegten milch- 
produzierenden und ausführenden Organe aufgefasst werden muss, 
die, soweit man zur Zeit sehen kann, bei den meisten Säuge- 
tieren und ebenso bei Embryonen des Menschen in mehr oder 
minder auffälliger Weise beobachtet werden kann'), Auch ein 
Vergleich der Zitzenstellung und Zahl bei verschiedenen Typen 
weist darauf hin, dass auf bestimmte Regionen des Körpers be- 
schränkte einzelne, und mehrere zu Eutern zusammengezogene 
Zitzen möglicherweise aus einem Milchlinienreste hervorgehen; 
für den Menschen hat auch Kallius kürzlich einen Milchlinien- 


1) Schmidt, H., Über normale Hyperthelie menschlicher Embryonen 
und die erste Anlage der menschlichen Milchdrüse überhaupt. Morphelog. 
Arbeiten herausgegeben von S. Schwalbe. Bd. VII, H. 1. 


Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 251 


rest in der Axillargegend nachgewiesen.!) Eine Anordnung von 
Zitzen, die zunächst ein Hervorgehen aus der Milchlinie nicht 
vermuten lässt, wie sie sich z. B. bei Hypudaeus arvalıs (siehe 
Fig. 4) und anderen Typen findet, ist das zweifellose Resul- 
tat einer sekundären Verschiebung der beim Embryo und beim 
jugendlichen Tier ursprünglich evident reihenartig angelegten Or- 
gane und beweist, dass eine einseitige Betrachtung des Befundes am 
erwachsenen Organismus zu keineswegs einwandsfreien Schlüssen 
gegen die Ableitung der Milchorgane aus einer Milchlinie führen 
muss. Auf die bei vielen Beutlern auffallende unpaare mediane 
Zitze werde ich später eingehen. Aber nicht nur hinsichtlich der Be- 
deutung oder des mehr oder minder verbreiteten Vorkommens 
der erst seit kurzem bekannten Milchlinie stossen wir auf Mei- 
nungsverschiedenheiten. Auch die Mammartaschen, das Marsu- 
pium und seine Rudimente, die Zitze und die Inguinaltaschen 
(z. B. des Schafes) unterliegen bezüglich ihrer Phylo- und Onto- 
genese und ihren Beziehungen zu einander trotz der Untersuch- 
ungen von Langer, Gegenbaur, Huss, Klaatsch, Ruge u. a. 
noch den lebhaftesten Kontroversen. 

Gegenbaur bahnte bekanntlich neue Wege in der Auf- 
fassung der verschiedensten Zitzenformen an, indem er auf 
Grund der Untersuchungen seines Schülers Huss und an der 
Hand eigener Erfahrungen zeigte, dass die bis dahin für gleich- 
wertige Organe gehaltene Saugwarze des Menschen und die Zitze 
des Rindes völlig verschiedene Gebilde seien. Ausgehend von der 
Mammartasche der Echidna, einer seiner Meinung nach zur Auf- 
nahme des Eies und später des Jungen dienenden Cutistasche, 
deren Grund das Drüsenfeld mit den Ausführungsgängen der 
paarigen Knäueldrüsenkomplexe bildet, zeigte Gegenbaur, dass 
sich auch in sehr frühen Entwickelungsstadien bei andern Säugern 
als erste Anlage des späteren Milchorganes eine der Mammar- 


1) Kallius, Ein Fall von Milchleiste bei einem menschl. Embryo. Anat. 
Hefte. 1897. 


252 OSCAR PROFE, 


tasche von Echidnaähnliche Bildung findet. Diese „Mammartaschen- 
Anlage“ entwickelt sich, so weit bekannt, ausnahmslos aus hügel- 
förmig verdickten Zellenanhäufungen des Hornblattes, den „Milch- 
hügeln“, von denen sich dann die Cylinderzellenschicht des 
Stratum Malpighi mehr und mehr in die Tiefe des Koriums 
senkt. Die Cylinderzellenschicht differenziert sich stets sehr 
scharf von den die Tasche füllenden kubischen oder polyedrischen 
Epidermiszellen. Die Hormnschicht der Epidermis setzt sich 
gleichmässig über die Mammartasche hin fort oder bildet 
zu gewissen Zeiten bei bestimmten Typen eine kleine Ein- 
senkung oder einen soliden Hornpfropf. An der Mammar- 
taschenanlage unterscheidet man die tiefste Partie als Grund, 
und den Rand als Cutiswall. In den Mammartaschengrund 
öffnen sich später die Mündungen der Drüsenausführungs- 
gänge. Dieses Gebiet entspricht also dem Drüsenfeld der Echidna- 
tasche. Bekanntlich erhebt sich nun beim Menschen der Mam- 
martaschengrund, das „Drüsenfeld‘‘ später kegelförmig über 
den Cutiswall und bildet so die Mammilla oder Saugwarze. 
Beim Rind aber bleibt nach Gegenbaur das Drüsenfeld am 
Boden der Mammartasche in der Tiefe liegen, während der Cutis- 
wall beträchtlich in die Höhe wächst und so mit der angrenzen- 
den Cutis zur Zitze wird. Im ersten Falle verschwindet also 
dieser Anschauung nach die Mammartaschenanlage nach kurzem 
Bestehen; im letzteren dagegen bildet sie sich zu einer echten 
Mammartasche aus und bleibt als „Strichkanal“ und „ÜUysterne‘‘ 
zeitlebens erhalten. Diese beiden Extreme in der Zitzenbildung 
werden durch alle möglichen Übergangsstufen in den Zitzen- 
bildungen der übrigen Säuger verbunden. Diese Deutung Gegen- 
baurs gewann rasch Beifall und Einfluss auf die Auffassung der 
verschiedenen Typen der Säugetierzitzen. Dagegen ist Rein!) auf 
Grund seiner eingehenden Untersuchungen über die Wiederkäuer- 
zitze zu abweichenden Ergebnissen gekommen, die alsdann von 


1) Rein, Untersuchungen über die embryonale Entwickelung der Milch- 
drüsen. Arch. f. mikr. Anat. Bd. XX. 1882. 8. 431. 


Anatom Hefte.I.Abteilung.H.36.(M.BAH.3). 


di _ - 
Lilh.Anstv.H Jonas Onssd. 


2. 


f Bee 


Verlag v. I. F Bergmann, Wiesbaden. 


Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 253 


Klaatsch teilweise mit Recht, zum Teil aber auch in nicht durch- 
weg überzeugender Weise angegriffen wurden. Die mir in der 
Klaatschschen Arbeit!) nicht ganz stichhaltig erscheinenden 
Punkte habe ich in den Rahmen meiner Untersuchungen ein- 
gezogen; ich komme bei den einzelnen Tierspecies auf die ge- 
nannten Autoren kurz zurück und verweise im Speziellen auf 
deren Arbeiten. 

Die Reihenfolge der Aufführung der von mir untersuchten 
Species ist von mir lediglich aus äusseren Gründen gewählt. 


Schwein. 

Ich beginne mit der Beschreibung und Entwickelung der 
Mammarorgane beim Schwein nicht nur, weil bei diesem die 
Milchlinie zuerst gefunden und beschrieben wurde, sondern weil 
auch die Verhältnisse seiner Mammarorgane zweifellos primitive 
sind; das Schwein darf somit als Ausgangspunkt für weitere 
Untersuchungungen an den übrigen placentalen Säugergruppen 
dienen. Um das Vorkommen oder Fehlen embryonaler Hyper- 
mastie und Hyperthelie beim Schwein festzustellen, habe ich 
ein grosses Material eingehend untersucht. Die Maximalzahl 
der Zitzen, die ich bei der Untersuchung von 160 Embryonen 
und 200 erwachsenen Schweinen gefunden habe, betrug 8, die 
Minimalzahl 5 Zitzenpaare. Die Verteilung erhellt aus nach- 
stehender Tabelle: 


l 


| Embryonen Erwachsene 
en, rt sd Be EU TERR| 

mit 10 Zitzen oo —= 3,125°/o 26 = 13 Io 
m S Dee, 35:=165,,, 
a 53 — 33,125 „, 49, 24,0 
En Dre | ig N 20. ==120%,; 
dar 2er 23. 18120, 30, 1, 
RER, | 4— 25 „ 1=05 , 
a er ..— —=.1k813,5; Heli 

| 200 


1) Klaatsch, Zur Morphologie der Säugetierzitzen. Morphol. Jahrb. 
Bd. IX, S. 253 


254 OSCAR PROFE, 


Auch beim Schwein besteht demnach eine embryo- 
nale Hypermastie und Hyperthelie und es übertrifft die 
Zahl der Zitzen bei den Embryonen vielfach die der erwachsenen 
Tiere. Die abortiven oder accessorischen Zitzen sind meist schon 
bei jungen Embryonen von den normalen wohl unterscheidbar. 
Die brustständigen Zitzen neigen am meisten zu abortiver Re- 
duktion. Bei den mit einer grösseren Anzahl von Zitzen ver- 
versehenen Individuen ist das vorderste Paar wesentlich weiter 
kranialwärts gelegen, als das vorderste Paar bei denjenigen Indi- 
viduen, die nur 5 oder 6 Zitzenpaare tragen. Ferner sind, wie 
ich in Übereinstimmung mit Kitt beobachtet habe, die brust- 
ständigen Zitzen meist geringer entwickelt als die bauchständigen 
Dies alles weist deutlich darauf hin, dass sich beim 
Schweine eine von der Brust nach hinten zu fort- 
schreitende Reduktion in der Zahl der Zitzen voll- 
zieht. 

Gehen wir nunmehr zu der Beschreibung der Mammar- 
organe selbst und zu ihrer Entwickelung über. 

Der Milchdrüsenkomplex setzt sich aus 5—8 Zitzenpaaren 
zusammen; nur vier Paare, wie Kitt!) angiebt, habe ich nie- 
mals beobachten können. Die Zitzen liegen von der Scham- 
gegend bis nach vorne seitlich vom Brustbein und sind niedrig, 
stumpf-, kegel- bis halbkugelförmig. Ihr Hautüberzug ist haar- 
und drüsenlos.. Nach Kitt sind am freien Ende zwei Aus- 
führungsgänge sichtbar, deren Mündungen durch einen wul- 
stigen Hautring gemeinsam umschlossen werden, sodass man 
auf den ersten Horizontalabschnitten allerdings nur eine Öff- 
nung findet. Dies ist möglicherweise der Grund, dass Gegen- 
baur an der Schweinezitze nur einen Ausführungsgang_ be- 
schreibt. Astley Cooper und Rein haben sich ebenfalls für 
zwei Ausführungsgänge entschieden, während Klaatsch zu 


1) Kitt, Th., Zur Kenntnis der Milchdrüsenpapillen unserer Haustiere. 
Deutsche Zeitschr. f. Tiermed. u. vergl. Pathologie. B. VIII. 1882. S. 245. 


Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 255 


dem Resultat gelangt, dass nur ein solcher und zwar sehr 
kurzer, auf dem höchsten Teil der Zitze gelegener, vorhanden 
ist, indem 2—3 Milchdrüsen einmünden. Diese Widersprüche 
können nur durch eine sorgfältige Untersuchung der Entwicke- 
lung der Schweinezitze gelöst werden. 


Wie OÖ. Schultze fand, tritt schon in sehr frühen Ent 
wickelungsstadien bei Schweineembryonen von 1-2 em Scheitel- 
steisslänge eine, von der Basis des vorderen Extremitätenstummels 
bis in die Inguinalgegend reichende, seitlich nahe der Rücken 
linie gelegene feine, nur aus Ektoderm bestehende Leiste auf, 
die „Milchleiste oder Milchlinie“. Sie ist, darüber besteht kein 
Zweifel, die gemeinsame erste Anlage des ganzen Milchdrüsen- 
apparates. Ihr Querschnittsbild gebe ich in Fig. >. 


Sehr bald treten spindelförmige, in der Längsachse der Milech- 
linie verlaufende, stärkere epitheliale Verdickungen, die „primitiven 
Zitzen“ OÖ. Schultzes, auf. Bonnet hat sie treffender als Milch- 
hügel bezeichnet (Fig. 6). 


Auch Rein hat diese hügelförmigen Anlagen beschrieben, 
aber ihre Herkunft aus einer linearen Epithelverdickung nicht 
gekannt. Während die verbindenden Milchlinienreste spurlos ver- 
schwinden, nehmen die Milchhügel an Umfang zu und runden 
sich ab. Gleichzeitig differenziert sich die Cylinderzellenschicht 
deutlicher von den übrigen mehr kubisch und polygonal gestal- 
teten zelligen Bestandteilen. Bei gleichzeitiger Abflachung der 
freien Oberfläche senkt sich der konvexe basale Teil der Anlage 
tiefer in das darunter befindliche Gewebe des Koriums ein und 
führt so zu der bekannten Bildung der Mammartaschenanlage, 
Ihre nächste Umgebung zeichnet sich durch einen beträcht- 
lichen Zellenreichtum aus und entspricht dem „Areolargewebe“ 
Klaatschs. Rein beschreibt die ganze Bildung in diesem 
Entwickelungsstadium als „zapfenförmige Anlage“, ohne ihr einen 
morphologischen Wert in phylogenetischer Hinsicht zuzuerkennen. 


256 OSCAR PROFE, 


Bei Schweineembryonen von etwa 6cm Scheitelsteisslänge 
erhebt sich der Cutisrand um die Mammartaschenanlage als 
sogen. Cutiswall, ein wenig über die Körperoberfläche, während 
über der Tasche eine gewisse Verdickung oder Einstülpung 
der Hornschicht, der sogenannte Hornpfropf, als Rudiment 
der Mammartaschenhöhle aufgefasst wird. Das Areolargewebe 
markiert sich in ausserordentlich deutlicher Weise dem übrigen 
cutanen Gewebe gegenüber durch seine Häufung von zelligen 
Elementen (Fig. 7, Taf. XXVXXI). Bei Embryonen von 12 cm 
Scheitelsteisslänge erhebt sich die stumpf kegelförmige Zitze durch 
Emporwachsen des Cutiswalles bereits erheblich über die Haut- 
oberfläche, während der Grund der Mammartasche noch unter 
dem Niveau derselben liegt. Vom Boden der Mammartaschen 
gehen stets zwei sehr kurze eben in der Anlage begriffene 
solide Epithelsprossen aus. Gleichzeitig werden die ersten Haar- 
anlagen sichtbar (Fig. 8. In dieser Figur ist nur ein Epithel- 
rohr gezeichnet). 

Rein bezeichnet diese Sprosse als „sekundäre Epithelan- 
lage und will sie bereits bei 7,5cm langen Embryonen gefunden 
haben, was ich nach meinen Untersuchungen an einem zahl- 
reichen Materiale nicht bestätigen kann. Nach Klaatsch sollen 
die sprossenförmigen Anlagen der Milchdrüsen selbst bei 14,5 cm 
langen Embryonen noch nicht zu beobachten sein. Ältere Ent- 
wickelungsstadien sind von ihm nicht untersucht worden. Bei 
16cm langen Embryonen finde ich die Zitze hoch über das 
Niveau der Körperoberfläche , hervorgetreten. Sie hat jetzt 
eine stumpfkegelförmige Gestalt mit breiter Basis, und napl- 
förmig vertiefter Spitze. Mit zunehmendem Längenwachstum 
der Zitze ist nämlich die Mammartasche soweit auf deren Spitze 
emporgerückt, dass selbst ihr Grund über dem Oberflächen- 
niveau des Körpers liegt. Gleichzeitig hat sich eine Abflachung 
der Tasche vollzogen. Etwas seitlich, an dem Grunde der 


Tasche gehen zwei solide etwas weiter in die Tiefe vordringende 


‚natom.Hefte.I.Abteilung.H.36.(XT.Bd.H.3) 
Taf. XXIII. XXIV. 


sein ae tt lel7 
\.) ° 


m. 


Verlag v. J.E Bergmann Wiesbaden 


Lith.Anstv.HJonas Cassel. 


- 
rz 
I 
ws 
“N 
| 
j 
’ 
' 
h 


Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 257 


Epithelsprossen ab. Die Areolarzone hat sich beträchtlich ver- 
grössert (Fig. 9). Während die Mammartasche sich parallel 
dem weiteren Wachstum der Zitze mehr und mehr abflacht, 
senken sich die Epithelsprossen weiter in die Tiefe Gleich- 
zeitig verdickt sich das Ende derselben kolbig. Bei 20 cm 
langen Embryonen ist die Mammartasche ganz auf dem Gipfel der 
Zitze gelegen. Die Sprossen sind die soliden Anlagen der Ausfüh- 
rungsgänge. Nur inihrem kolbig verdickten cutanwärts gelegenen 
Ende hat sich ein Lumen gebildet. Von der Wandung dieser dem 
Milch-Sinus entsprechenden Stelle gehen dann mehrere der Zahl 
nach wechselnde „sekundäre“, nach Rein ‚‚tertiäre“ Milchdrüsen- 
sprossen aus. Das zunächst im Sinus auftretende Lumen setzt 
sich sehr bald in diese Sprossen fort, während es in dem Teil des 
Sprosses, der zwischen Sinus und Mammartasche gelegen ist, 
erst später auftritt. Das Areolargewebe ist auf die nähere Um- 
gebung der Mammartasche beschränkt geblieben, hat sich also 
nicht mit den Sprossen in die Tiefe gesenkt (Fig. 10). 

An der fertiggebildeten Milchdrüse unterscheiden wir somit 
1. die in den Sinus einmündenden eigentlichen Milchdrüsen- 
gänge, 2. den Sinus selbst und endlich 3. die den letzteren mit 
der Aussenwelt in Verbindung setzenden Ausführungsgänge. 

Als Ausführungsgang wird immer, abgesehen von seiner 
ontogenetischen Entwickelung und der ihr zu Teil gewordenen 
verschiedenen Deutung nur derjenige Teil zu bezeichnen sein, 
welcher bestimmt ist, die Milch aus dem Sammelbehälter nach 
aussen zu leiten. 

Fassen wir unser Untersuchungsergebnis kurz zusammen, 
so können wir sagen: bei unserem Hausschwein finden sich 
10—16 brust- und bauchständige, aus einer typischen, wohl ent- 
wickelten Milchlinie hervorgegangene Zitzen. 

Die Verminderungin derZahlderselben geschieht 
vornehmlich auf Kosten der brustständigen Zitzen. 


Es vollzieht sich somit eine kranio-kaudalwärts fort- 


258 OSCAR PROFE, 


schreitende Reduktion in den Zitzenreihen. Zu dem 
Entwiekelungsgang der Mammarorgane sind zwei von einander 


scharf abgesetzte Phasen zu unterscheiden: 
1. Die Bildung der Mammartasche; 
2. die Bildung der von dieser ausgehenden Epithelsprossen. 


Die Zitze besitzt niemals einen, sondern immer 
zwei, oder inseltenen Fällen sogar drei Ausführungs- 
eänge, welche mittelst des mehr oder minder abge- 
flachten Mammartaschenrestes gemeinschaftlich aus- 


münden. 


Rind. 


Auf die Beschreibung der normalen und accessorischen 
Zitzen des ausgewachsenen Rindes kann ich unter Hinweis auf 
die Arbeiten von Kitt!) und Burckhard?) verzichten. Ich 
wende mich sogleich zu der noch strittigen Entwickelungsgeschichte 
der Rinderzitze und schliesse den Ergebnissen meine eigenen 
Untersuchungen an. Nachdem Huss die Entwickelung der 
Milchdrüsen beim Menschen und bei den Wiederkäuern genau 
untersucht und beschrieben hatte, führte Gegenbaur?) auf 
Grund dieser und seiner eigenen Untersuchungen aus, dass die 
Rinderzitze, aus derselben Primäranlage, wie die des Menschen 
hervorgeht, aber durch veränderte Wachstumsverhältnisse zu 
einem von dieser differenten Typus sich ausbildet. Nach ihm 
entspricht der gesamte Ausführungsgang oder Strichkanal der 
Rinderzitze der „Mammartasche“, deren Grund zur Cisterne (oder 
dem „Sinus“) wird; während sich beim Menschen der Boden der 
„Mammartasche‘“‘ hebt und die Oberfläche der Warze bildet. Wir 
hätten also — die Richtigkeit dieser Deutung vorausgesetzt — beim 


1). a. 8.0: 
2)08. a. 0: 
3) a.a. 0. 


a a 


Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 259 


Menschen und Rinde zwei ganz verschiedenartig entwickelte 
Bildungen, die aus ein und derselben Primäranlage hervorge- 
gangen wären. 


Auf Grund eigener sorgfältiger Untersuchung über die 
Wiederkäuerzitze kam dagegen Rein!) zu einem völlig ab- 
weichenden Ergebnis. Fussend auf seine Untersuchung des 
Entwickelungsprozesses der Milchdrüsen beim Kaninchen unter- 
scheidet Rein sechs Perioden in der Zitzenbildung, die er der 
Reihenfolge nach als: hügelförmige, linsenförmige, zapfenförmige, 
kolbenförmige Periode, als Periode der Knospenbildung und 
endlich als Periode der Rückbildung der primären und der 
weiteren Ausbildung der sekundären Epithelanlage bezeichnet. 

Die ersten 4 Perioden entsprechen der Ausbildung der „Mam- 
martaschenanlage“, wie sie soeben beim Schweine beschrieben 
wurde. Seine Schilderung der Umbildung seines „sekundären 
Epithelsprosses“ zum Auführungsgange und zum Sinus entbehrt 
aber der nötigen Schärfe und Klarheit. Rein sagt: „Auch in 
diesem Stadium also differiert die Anlage der Wiederkäuer von 
der entsprechenden Anlage des Kaninchens, so viel ich sehe, 
wesentlich nur dadurch, dass von der Primäranlage nur eine 
einzige sekundäre Epithelanlage in die Tiefe wächst, die natür- 
lich unter dem Bilde einer einfachen Verlängerung der Primär- 
anlage erscheint.“ Als Primäranlage bezeichnet er die „Mammar- 
taschen-Anlage“ Gegenbaurs, deren Verlängerung und Um- 
bildung zum Strichkanal also gerade ein Persistieren der Mam- 
martasche im Sinne Gegenbaurs bedeuten würde. Lediglich 
die Übertragung der beim Menschen und Kaninchen beobachteten 
Verhältnisse auf die Entwickelung der Rinderzitze bilden den 
springenden Punkt von Reins Beweisführung, deren Resultat 
sich kurz dahin zusammen fassen lässt: Der Ausführungsgang 
oder Strichkanal der Rinderzitze und jeder der Ausführungsgänge 


Dia. a0, 


260 OSCAR PROFE, 


der Brustwarze des Menschen sind vollkommen homologe Bil- 
dungen. Der Sinus oder die Cisterne der Rinderzitze ist nicht 
„‚Mammartaschengrund‘“, sondern das kolbig verdickte, mit weitem 
Lumen versehene Ende des von der später rückgebildeten zapfen- 
förmigen Anlage ausgegangenen „sekundären‘ Epithelsprosses. 
Zu demselben Resultat, dass der Ausführungsgang der Rinder- 
zitze und die Ausführungsgänge in der Brustwarze des Menschen 
vollkommen homologe Gebilde seien, gelangte auch kürzlich 
Tourneux!'). Die Erklärung seiner sehr schönen Abbildungen 
sagt: Le pis de la vache est traverse par un canal exereteur 
unique que Gegenbaur considere comme une sorte de poche 
mammaire etirde par suite de l’allongement du mamelon, et 
ayant pris directement naissance aux depens du bourgeon mam- 
maire primitif. Les figures ci-contre, qui reproduisent cing sections 
lonegitudinales du petit mamelon sur des embryons de bauf 
de plus en plus äges, ferönt voir, nous l’esperons, que le canal 
du pis, dans sa plus grande longueur, se developpe exactement 
de la m&me facon qu’un canal galactophore chez le fetus hu- 
main, e’est-A-dire qu'il represente un bourgeon emane de la face 
profonde de l’invagination mammaire primitive qui, seule, peut 
&tre consideree comme une poche mammaire Chez l’homme, 
plusieurs bourgeons naissent de Y’invagination primitive; iei, un 
seul s’en detache, et c’est pour cette raison qu’il est fort difficile, 
sinon impossible, de determiner d’une fagon preeise la limite 
qui separe ces deux formations glandulaires. Die Anschauung 
Reins bekämpfte Klaatsch?) auf Grund seiner bekannten und 
umfassenden Studien, durch welche er die Deutung Gegenbaurs 
mit Erfolg zu stützen versuchte. Diese blieb auch thatsächlich 
nach wie vor die herrschende und ging in alle embryologischen 
und vergleichend anatomischen Lehrbücher über. 


1) Tourneux, Atlas d’embryologie. Developpement des organes genito 
urinaires chez l’homme. Lille 1892. 
2) a.0. O, 


Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 261 


Durch die Arbeit von Burekhard!'), die das Vorkommen einer 
Milchlinie oder eines Milchlinienrestes beim Rinde wahrschein- 
lich macht, wurde von neuem an der Gegenbaur-Klaatsch- 
schen Theorie gerüttelt. Klaatsch hält nach emer an Burck- 
hard gerichteten privaten Zuschrift nach wie vor an seiner 
Anschauung fest, dass das Marsupium ein Derivat der Mammar- 
taschen sei.2) Da nun beim Rinde das gesamte Mammartaschen- 
material zum Aufbau der Zitzen verwendet wird, so kann sich 
hier nach Klaatschs Meinung ein Marsupium oder ein Mar- 
supialrudiment, als welches Klaatsch die Milchlinie deutet 
nicht finden. 

Die in den Auffassungen von Klaatsch und Gegenbaur 
einerseits und von Rein, Tourneux und Burckhard anderer- 
seits bestehenden Differenzen bedürfen also einer Klärung. Ich 
habe deshalb etwa 30 Rinder-Embryonen in verschiedenen Ent- 
wickelungsstadien von 2,5 em bis 40 em Scheitelsteisslänge in 
den Kreis meiner Untersuchungen gezogen, deren Ergebnis ich 
in folgendem mitteile. 

Ein Rinderembryo von 2,5 cm Scheitelsteisslänge zeigt dem 
unbewaffneten Auge keine sichtbaren Anlagen des Mammar- 
apparates. Mit Hülfe des Mikroskops aber zeigt sich auf Quer- 
schnittserien unterhalb des Nabels jederseits von der Mittellinie 
eine starke rundliche Epithelverdickung, welche die Oberfläche 
der Umgebung überragt und sich in das Mesenchym einsenkt. 
Die aus Cylinderzellen bestehende Basalschicht der Epidermis 
ist deutlich erkennbar (Fig. 11). 


a... 

2) In dieser Zuschrift äussert Klaatsch den Wunsch, Burekhard möge 
seine Stellung zu den betonten Meinungsverschiedenheiten entweder öffent- 
lich oder privatim kund geben, damit Klaatsch bei späteren Publi- 
kationen die Burkhardschen Anschauungen korrekt wiedergeben könne. Da 
Herr Dr. Burekhard gegenwärtig nicht in der Lage ist, die Diskussion weiter 
zu führen, habe ich mir erlaubt, den in dem Briefe Klaatschs geäusserten 
Wunsch zu berücksichtigen. 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVI. Heft (11 Bd. H. 3). 18 


262 OSCAR PROFE, 


Diese Epithelverdieckung entspricht also einem in der Um- 
bildung zur Mammartasche begriffenen Milchhügel, wie er von 
Rein als „hügelförmige Anlage‘ geschildert wird. Im weiteren 
Verfolg der Schnittserie findet sich kaudalwärts jederseits noch 
eine solche umschriebene Epithelverdiekung. Wir finden somit 
im Ganzen vier, der Stellung der normalen Zitzen beim er- 
wachsenen Rinde entsprechende Milchhügel. Die beiden 
Milchhügel jeder Seite sind durch eine leistenartige 
epitheliale Verdiekung (Fig. 12) verbunden, welche 
sich kaudal über den hintersten Milchhügel noch 
fortsetzt, um dann allmählich zu verschwinden. Die 
Verdiekung ist in allen zwischen die Milchhügel 
und in einigen hinter das kaudale Milchhügelpaar 
fallenden Schnitten gleichmässig deutlich; sie ent 
spricht somit unzweifelhaft einem Milchleistenru- 
diment. 

Embryonen von 4—5 cm Scheitelsteisslänge lassen vier in 
der Inguinalgegend gelegene weisse Punkte erkennen, die sich 
auf Querschnitten unter dem Mikroskop als bereits tief gegen 
das Corium vorgedrungene Mammartaschenanlagen präsentieren. 
Ihre Cylinderzellenschicht ist hoch und sehr deutlich. Das die 
Tasche unmittelbar umgebende Gewebe weist gegenüber dem 
übrigen Corium einen ausgesprochenen Zellenreichtum auf 
(Fig. 13). 

Bei einigen Embryonen zeigen sich zwischen diesen Taschen- 
anlagen nach jeder Seite gelegene, sehr schwache und nur durch 
wenige Schnitte verfolgbare epitheliale Verdiekungen ohne Spur 
einer areolaähnlichen Differenzierung im darunterliegenden Me- 
senchym (Fig. 14). Ganz gleiche und ähnliche Verdickungen 
findet man zuweilen auch hinter dem kaudal gelegenen Mammar- 
taschenpaare. 

Die Übereinstimmung im Aufbau dieser Verdick- 


ungen mit den bekannten Querschnittsbildern der 


Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 263 


Milchlinie zwingen, sie als einen im Verschwinden 
begriffenen Rest einer Milchlinie aufzufassen. Eine 
andere Deutung wäre die, dass wir in diesen Verdiekungen 
abortive Zitzen zu erblicken hätten, die aber, wie ihre von der 
ausgebildeten Mammartaschenanlage durchaus abweichende Ge- 
staltung zur Evidenz beweist, auch wieder als Derivate einer 
Milchlinie betrachtet werden müssen. 


Bei Embryonen von 6—8 cm Scheitelsteisslänge findet sich 
eine über die Umgebung bereits deutlich hervortretende Erhebung 
des Cutiswalles. Die von deutlichem Areolargewebe umgebene 
Mammartasche ist von nahezu kreisförmiger Gestalt. Auf der 
Höhe dieser primitiven Zitze findet sich eine Delle. Von ihr 
aus senkt sich ein keilföürmiger Fortsatz verhornten Epithels in das 
obere Drittel der Mammartasche ein. (Fig. 15, Taf. XXIIUXXIV). 


Rinderembryonen von 10—12cm Scheitelsteisslänge zeigen 
deutliche stumpfkegelförmig gestaltete Zitzen. Der Cutiswall 
hat sich stark erhoben und hat die Mammartasche soweit mit 
gehoben, dass ihr Grund höher liegt, als das Niveau der die 
Zitze umgebenden Körperoberfläche. Die Tasche selbst hat eine 
kolbenförmige Gestalt angenommen mit einem oberen engen, 
oder Halsteil und einem unteren weiten oder Grundteil. Das 
Areolargewebe umgiebt die „Tasche“ in einer engen Zone. Der 
„Hornpfropf“ hat sich im Gegensatz zu den Angaben von 
Klaatsch nicht wesentlich weiter in die Tiefe gesenkt (Fig. 16). 


Bei 14—16 em langen Rinderembryonen zeigt die Zitze eine 
mehr zugespitzte Kegelform, deren Spitze lediglich von Epider- 
wiszellen gebildet wird. Der Hornpfropf senkt sich in diesem 
Stadium etwas weiter in die Tiefe der Tasche. Die Zitze scheint 
mehr in ihrem basalen Teile gewachsen zu sein. Dadurch wird 
die Mammartasche ganz gegen die Spitze vorgerückt. Daneben 
hat sie eine Abflachung erfahren, gleichwohl ist die oben be- 
schriebene Kolbenform mit Hals- und Grundteil noch in charak- 


187 


264 OSCAR PROFE, 


teristischer Weise zu erkennen. Von dem Grunde der Mammar- 
tasche, mitunter etwas seitlich angesetzt, sprosst ein solider Zell- 
strang in die Tiefe. Ich vermisse aber im Gegensatze zu Klaatsch 
Eine hocheylindrische Randzellenschicht des Sprosses als Fort- 
setzung des in der „Mammartasche‘‘ deutlich erkennbaren Stratum 
eylindricum, wie es Klaatsch beschreibt und abbildet. Die den 
Epithelspross aufbauenden Zellen sind vielmehr alle ganz gleich- 
mässig gestaltet und sind nur durch starke Proliferation von der 
Basalzellenschicht der Mammartasche produziert. Das Ende des 
Zapfens verdickt sich mit zunehmendem Wachstum kolbig und 
enthält, wenn der Spross weiter unter das Niveau der Zitzen- 
basis vorgedrungen ist, in seinem terminalen Teile ein Lumen 
(Sinus), welches allmählich auch nach der Mündung zu sich aus- 
bildet. Die Areolarzone umgiebt nur die eigentliche 
Mammartasche an der Zitzenspitze und dringt nicht 
mit dem Epithelspross in die Tiefe. In dem Zitzen- 
gewebe fällt der grosse Reichtum an Blutgefässen auf. Auf der 


übrigen Körperoberfläche legen sich nunmehr die ersten Haare an. 


Bei Rinderembryonen von 18—20 cm Scheitelsteisslänge 
(Fig. 18) ist die Zitze noch mehr in die Länge gewachsen, 
sodass die Mammartasche infolge dessen und infolge einer noch 
weiter fortgeschrittenen Abflachung nur etwa !/ı bis !/s der 
Zitzenhöhe einnimmt. Auch hier ist Hals- und Grundteil der 
Kolbenform noch deutlich erkennbar. Der Hornpfropf reicht 
nahezu bis zum Grunde der Tasche. Von dem Ende des nun- 
mehr ganz von einem Lumen durchsetzten Epithelstranges oder 
Ausführungsganges sprossen sekundäre, nach Rein „tertiäre“ 
Epithelzapfen aus, in welche das Lumen des Sinus zum Teil 
schon hereinreicht. Das den Mammartaschenrest, und nur diesen 


umgebende Areolargewebe ist hier noch deutlich wahrnehmbar. 


Ältere Embryonen lassen für unsere Zwecke wesentlich 
Wichtiges nicht weiter erkennen. In Fig. 19 habe ich die 


Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 265 


Zitze eines 28 cm langen Embryos abgebildet. Die „Mam- 
martaschenanlage“ hat sich hier noch weiter abgeflacht, gleich- 
wohl ist auch in diesem Entwickelungszustande noch die eigen- 
artige Kolbenform der Taschenanlage wenigstens auf der einen 
Seite erkennbar. Areolargewebe ist wenig oder gar nicht mehr 
als solches differenziert. 


Hiermit kann ich die für uns bedeutungsvollen Phasen der 
Entwickelung der Rinderzitze als beendet betrachten. Ergebnis: 
Durch den Nachweis einer ausgesprochenen embryonalen Hyper- 
thelie und Hypermastie und die evidente Reihenstellung der 
normalen und accessorischen Zitzen hat Burekhard wahrschein- 
lich gemacht, dass auch beim Rinde die Mammarorgane aus 
einer Milchlinie oder einem Milchlinienreste hervorgehen. Auf 
Grund meiner an emem umfangreichen Material vorgenommenen 
Untersuchungen bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass die 
Milchorgane des Rindes sich thatsächlich aus einem 
leistenförmigen Milchlinienreste ableiten lassen. 
Ebenso wie ich beim Schweine gezeigt habe, lassen 
sich auch beim Rinde zwei scharf von einander ge- 
trennte Phasen in der Entwickelung der Mammar- 
organe unterscheiden, einmal die der Mammartaschen- 
bildung, dann die Phase der Epithelsprossenbildung. 
Letztere tritt beim Schweine und beim Rinde immer 


nahezu gleichzeitig mit den Haaranlagen auf. 


Der Ausführungsgang der Rinderzitze ist nicht, 
wie Gegenbaur und Klaatsch behaupten, die per- 
sistierende Mammartaschenhöhle. Der Ausführungs- 
gang entwickelt sich vielmehr aus dem primären, 
nach Rein sekundären, von dem Grunde der Mam- 
martaschenanlage ausgehenden Epithelspross und 
ist gleichwertig einem der Ausführungsgängeander 
Schweinezitzeoder an der Brustwarze des Menschen. 


966 OSCAR PROFE, 


Die Mammartasche desRindes bleibt nicht wie beim 
Schweine bestehen, sondern sie flacht sich bis zum 
völligen Verstreichen ab. 


Pferd. 


Die beiden bilateralen Milchdrüsenkomplexe münden beim 
Pferde auf einer rechten und einer linken Euterpapille, einem 
niedrigen, seitlich stark zusammengedrückten Cutiskegel. Die 
Haut der Euterpapillen ist mit Talgdrüsen und sehr feinen 
Härchen besetzt. Am unteren Ende jeder Zitze finden sich 
zwei, mitunter drei Mündungen der Drüsenausführungsgänge. 
Jeder derselben führt zu einem Sinus, in den dann die Milch- 
sänge einmünden. Von der Entwickelungsgeschichte der Pferde- 
zitze ist verhältnismässig sehr wenig bekannt. Die Schwierig- 
keit, geeignetes Material zu erhalten und dessen Kostspieligkeit 
erklärt diese Lücke. Herr Professor Bonnet überliess mir gütigst 
einige jüngere Stadien und Schnittserien von solchen zur Unter- 
suchung und Beschreibung. Immerhin ist die Untersuchung 
dieses leider recht spärlichen Materiales für den Zweck meiner 
Arbeit nicht ganz ohne Belang geblieben und kann auch für 
weitere Untersuchungen vielleicht von Nutzen werden. 

Bei einem Embryo von 1,5 cm Scheitelsteisslänge fand ich 
bei Durchmusterung der vollständigen Querschnittserie eine seit- 
lich von der Nabelgegend rechts und links bis in die Inguinal- 
region verfolgbare streifenförmige Verdickung des Hornblattes, 
die im Gegensatze zu dem sonst noch einschichtigen Hornblatte 
aus einer oberen, aus sehr flachen Zellen bestehenden und einer 
unteren aus schlanken Prismenzellen sich aufbauenden Lage 
bestanden (Fig. 20). Mitosen habe ich in diesem Epithel- 
streifen nicht zu finden vermocht. Bau und Ausdehnung dieser 
beiden Streifen legen die Vermutung nahe, dass wir es hier viel- 


leicht mit dem ersten Anfange einer Milchlinienanlage, dem 


Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 267 


„Milchstreifen“ H. Schmidts, zu thun haben. Diese Annahme 
gewinnt an Wahrscheinlichkeit, wenn wir einen etwas längeren, 
2,2 cm langen Embryo betrachten (Fig. 21). Bei diesem findet 
sich eine in derselben Lage und Richtung, wie oben beschrieben, 
verlaufende deutlich mehrschichtige Epithelverdickung, die in- 
dessen nicht ganz soweit nach vorn reicht wie die doppelte 
Epithelschicht des 1,5 cm langen Embryo. Weitere junge hier- 
auf folgende Entwickelungsstadien standen mir leider nicht zu 
Gebote. Bei einem dritten weiblichen Embryo von 8 cm Scheitel- 
steisslänge fanden sich zwei in der Schamgegend dicht neben 
einander liegende, linsenförmige, schwach hervortretende Erhaben- 
heiten auf dem sich von der Umgebung deutlich absetzenden 
primitiven Euter. Jede dieser beiden Zitzen bestand aus zwei 
hinter einander gelegenen Mammartaschenanlagen. Der die bei- 
den Mammartaschen trennende Zwischenraum war verhältnis- 
mässig breit, sodass ich aus diesem Bilde im Hinblick auf die 
Form der Zitze beim neugeborenen und erwachsenen Pferde den 
Eindruck gewann, als lägen die Mammartaschen jeder Seite ur- 
sprünglich eben so weit von einander entfernt, wie beim Rinder- 
embryo und als rückten sie dann nachträglich mehr und mehr 
an einander. Dem Gedanken, dass jede Zitze des Pferdes ge- 
wissermassen durch das Zusammenrücken der zwei getrennten 
normalen Zitzen jeder Seite zu einer Zitze gebildet werde, hat 
bekanntlich auch Gegenbaur schon früher Ausdruck gegeben. 
Es wäre wesentlich, festzustellen, ob die bei der Eselin typische 
auch beim Pferde mitunter vorkommende dritte Öffnung oder 
Mammartaschenanlage ebenfalls in der Richtung der die beiden 
anderen Taschen verbindenden Längslinie gelegen ist. Das ist 
aber nach den Beobachtungen Bonnets am Euter eines Pferde- 
fohlen in der That der Fall. Auch beim Pferdeembryo darf 
also die Hypermastie und typische Reihenanordnung der sehr 
nahe zusammengerückten Mammarorgane wohl als ein bedeut- 
ungsvoller Hinweis auf das Hervorgehen der Mammarorgane 


aus einem Milchlinienrudiment betrachtet werden. 


268 OSCAR PROFFE, 


Erwähnenswert ist noch eine ganz eigentümliche Bildung 
der embryonalen Pferdezitze, auf die mich Herr Prof. Bonnet 
hinwies. Bei dem zuletzt beschriebenen 8 cm langen Embryo 
findet sich auf der Höhe der zwei „Mammartaschen“ tragenden 
Zitze ein die Mündungen beider Taschen kraterartig umfassen- 
der Epithelwulst (Fig. 22). Die vollkommen glatten und regel- 
mässigen Begrenzungslinien dieses auf beiden Seiten gleich 
grossen Kraters, sowie die gleichmässige Beschaffenheit seiner 
oberflächlichsten Zellschicht und der der Körperepidermis sprechen 
zusammengehalten mit der vorzüglichen Konservierung des 
Embryos gegen den Einwand, dass diese Vertiefung etwa 
durch Abbröckeln des Epithels entstanden sein könne. Da es 
mir an etwas jüngeren, ebenso wie an älteren Entwickelungs- 
stadien gebrach, so bin ich nicht in der Lage, über die Ent- 
stehung oder Bedeutung dieser eigenartigen Bildung weiteres 
mitzuteilen. ’ 

Das Ergebnis dieser, leider nur an einem recht spärlichen 
Material gemachten Untersuchungen über die Pferdezitze fasse 
ich kurz dahin zusammen: Es ist nicht unwahrschein- 
lich, dassauch beim Pferde die zwei bezw. drei Mam- 
martaschen jeder Euterhälfte auseinem Milchlinien- 
rest hervorgehen. 

Die Wahrscheinlichkeit dieser Annahme wächst durch den 
Vergleich der Befunde bei Pferdeembryonen mit sehr ähnlichen 
Verhältnissen, wie ich sie nunmehr beim Schafe beschreiben 
will. Die Pferdezitze ist gleichsam durch das Anein- 
anderrücken und Verwachsen zweier getrennter Zitzen, 
wie sie sich z. B. beim Rinde finden, entstanden zu 
denken. Die Mammartaschenanlagen sind ebenso 
wie beim Rinde abgeflacht oder nur bis auf Spuren 
erhalten. Jeder Ausführungsgang entspricht dem 
primären, nach Rein sekundären Epithelspross. 


Anatom.Hefte.I.Abteilung.H.36.(XL.Bd.H.3). 


Taf. XXV. XXVI. 


— 


Lith.Anstv.H.Jonas Cassel 


Verlag v.J.F Bergmann.Wiesbaden 


Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 269 


Schaf. 

Vom Schafe babe ich hauptsächlich jüngere Entwickelungs- 
stadien eingehender untersucht, teils um Spuren einer eventuell 
vorhandenen Milchlinie nachweisen zu können, teils um an der 
Hand embryologischer Untersuchung über die Bedeutung der 
Inguinaltasche Aufschluss zu erhalten. Diese dem Schafe eigen- 
tümlichen Organe hat zuerst Malkmus!) genauer untersucht. Er 
fand die paarige Tasche bei allen wilden und domestizierten 
Rassen des Schafes und deutete sie in einer allerdings wenig 
überzeugenden Weise als Rudiment einer Beuteltasche oder eines 
Marsupiums. Bewiesen hat er diese seine Darlegung meines Er- 
achtens keineswegs und es wurde Klaatsch leicht, die Mängel 
und Lücken in der Malkmusschen Arbeit hervorzuheben. 
Weniger leicht wurde es ihm aber, diese Tasche in überzeugen- 
der Weise als Mammartasche zu deuten. Er beschreibt die 
Gestalt der Tasche und ihre Lage in Bezug zu den Zitzen, wie 
folgt: jederseits befinden sich zwei Zitzen, von denen stets nur 
je eine, die mediale, sich mächtiger entfaltet. Die laterale bleibt 
stets an Grösse hinter der medialen zurück. Wieder lateral von 
dieser, nahezu in Verlängerung einer durch beide Zitzen ge- 
zogenen Linie befindet sich jederseits eine Tasche. Sie soll nach 
Klaatsch ihrer Stellung, ihrer Gestaltung und ihren Grössen- 
verhältnissen nach einer Zitze bei anderen Säugetieren und der 
von ihm bei Antilope cervicapra beobachteten und beschriebenen 
„Mawmartasche‘ entsprechen. Nach ihm soll die Tasche beim 
ausgetragenen Schaffötus kreisförmig sein. Ferner sagt er wört- 
lich: „Die vollständige Übereinstimmung in der Lagerung der 
Teile tritt bei dem Schaffötus in Vergleichung mit der Antilope 
auf das deutlichste hervor.‘ 

Diese Schilderungen passen aber zu der Klaatschschen 
Deutung der Inguinaltasche des Schafes besser, als zu den that- 


1) Malkmus, Die rudimentäre Beuteltasche des Schafes. Diss. Er- 
langen 1887 und Berliner Arch. f. wissensch. Tierheilkunde. B. 1897. 8.1. 


270 OSCAR PROFE, 


sächlichen Befunden. Ich werde hierauf bei Besprechung meiner 
Untersuchungsergebnisse noch zurückkommen und will den Wert 
der „Mammartaschen“ der Antilope cervicapra einstweilen nicht 
weiter erörtern, sondern nur bemerken, dass über deren morpho- 
logische Bedeutung die embryologische Untersuchung das letzte 
Wort zu sprechen haben wird. 

Das Euter des Schafes trägt gewöhnlich zwei wohlentwickelte 
Zitzen, vor welchen noch eine oder zwei etwas seitlich gestellte 
accessorische Zitzen vorkommen können. Mehr als zwei accessori- 
sche Zitzen habe ich bei zusammen 446 Embryonen und er- 
wachsenen Schafen niemals beobachten können. Bei Embryonen 
finden sich accessorische Zitzen relativ häufiger, als bei erwachsenen 
Tieren. Es besteht also auch beim Schafe eine, wenn 
auch nur in geringeren Grenzen spielende Hyper- 
thelieund Hypermastie. Lateral von den normalen Zitzen, 
nicht aber in der Verlängerung der die normale und die acces- 
sorische Zitze verbindenden Linie, wie Klaatsch angiebt, findet 
sich je eine, durch eine Hautduplikatur gebildete Tasche, die 
sogenannte Inguinaltasche. Ihre mikroskopische Anatomie hat 
Malkmus genügend erörtert; ich kann also gleich zur Schil- 
derung ihrer Entwickelungsgeschichte übergehen. 

Bei 0,9—-1cm langen Embryonen fand ich bei der mikro- 
skopischen Untersuchung jederseits eine lateral vom Nabel bis 
zur Inguinalgegend verfolgbare, aus sehr hohen Cylinderzellen 
von dem Hornblatt der übrigen Körperoberfläche unterschiedene 
Epithelregion. Das unter dieser Epithelschicht befindliche Mesen- 
chym ist zellenreicher, als seine übrigen Partien. 

Diese Epithellage stimmt in Form und Verlauf mit der 
oben beschriebenen und in Fig. 20 abgebildeten Epithelregion 
des 1,5em langen Pferdeembryo vollständig überein. Neuer- 


dings hat Kallius!) einen Milchlinienrest auch beim mensch- 


ı) Ein Fall von Milchleiste im menschl. Embryo. Anat. Hefte. 1897. 
S. 154, 


Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 271 


lichen Embryo beobachtet und geschildert, wie dessen bauchwärts 
auslaufendes Ende sich ebenfalls in Form eines verdickten 
Ektodermstreifens mit hoher Cylinderzellenschicht präsentiert. 
In Vergleichung dieser Verhältnisse dürfen wir in dem be- 
schriebenen modifizierten Epithelstraug des Schafembryos die erste 
Anlage eines Milchlinienrestes vielleicht einen „Milchstreiten“ 
erblicken. Weiter entwickelte 1,5 cm lange Schafembryonen 
zeigen die Epithellage der besagten Region bereits zwei- und 
dreischichtig, ähnlich wie ich sie beim Pferdeembryo von 2,2cm 
Länge beobachten konnte. Schafembryonen von 2cm Scheitel- 
steisslänge zeigen jederseits entweder nur eine oder zwei hinter- 
einander gelegene, noch wenig vertiefte Mammartaschenanlagen 
im Stadium des Übergangs vom Milchhügel in die Mammar- 
tasche. Das Areolargewebe ist bereits deutlich als solches er- 
kennbar (Fig. 23). 

Ein Schafembryo von 2,5 cm Scheitelsteisslänge lässt jeder- 
seits eine deutliche Mammartasche erkennen, um welche das 
Areolargewebe im Corium deutlich zu unterscheiden ist. Auf 
der Innenseite der hinteren Extremitätenstummeln dicht über 
der Inguinalfalte tritt ausserdem jederseits eine medial gerichtete, 
sich scharf absetzende, etwa 1,5 cm lange, also schon in ihrer 
ersten Anlage recht umfangreiche Hauttalte auf, welcher eine 
ähnliche, obwohl ungleich schwächer entwickelte, von der Vorder- 
bauchseite ausgehende, zwischen Inguinalfalte und Mammar- 
tasche gelegene entgegenstrebt (Fig. 23). Ich bezeichne sie als 
laterale und mediale Hautfalte. Der Deutung dieser Hautfalten 
wollen wir einstweilen nicht näher treten. Nur soviel sei gesagt, 
dass sich eine ähnliche Bildung beim Schwein, Rind oder Pferd 
nicht findet. Es liegt also nahe, ihr Auftreten beim Schaf 
auch nicht mit der Zitzen sondern nur mit der Inguinaltaschen- 
bildung in Verbindung zu bringen. Ich finde nur die den spä- 
teren normalen bezw. normalen und accessorischen Zitzen zu 
Grunde liegenden Mammartaschenanlagen, aber keine Spur von 


’) 


72 OSCAR PROFE, 


weiteren solchen, etwa als Grundlage für die Inguimaltaschen, wie 
wir doch nach der Deutung von Klaatsch zu erwarten hätten. 

Bei einem 3,5 cm langen männlichen Schafembryo findet 
sich jederseits ebenfalls nur eine Mammartasche. Die Haut- 
falten beginnen nicht erst in Höhe der Mammartasche, son dern 


schon vor derselben allmählich, uminihrem weiteren 


Verlauf nach hinten an Höhe zuzunehmen, — die 
mediale geringer als die laterale — und zwar soweit, dass sie 


sich etwa in der Mammartaschenregion nahezu berühren. Weiter- 
hin umschliessen die Hautfalten die Taschenöffnung, die end- 
lich weit hinter dem Mammartaschenbezirk blindsackartig endet. 
Hier finden wir also schon gleichzeitig mit denMammartaschen- 
anlagen umfangreiche, ganz charakteristische In- 
suinaltaschen (Fig. 24 a, b, c, Taf. XXV/XXV]). Die mediale 
Hautfalte ist sehr oft nur wenig oder gar nicht entwickelt, jedenfalls 
ist sie, wenn überhaupt angelegt, stets die weitaus schwächere. Bei 
Embryonen von 4—5,5 cm (Fig. 25) fanden sich jederseits eine oder 
zwei Mammartaschenanlagen. Die Inguinaltaschenfalten ver- 
streichen entweder allmählich nach hinten oder enden, indem sie 
einen mehr oder minder tiefen Blindsack umfassen. Die beider- 
seitigen lateralen Hautfalten konvergieren kaudalwärts und nähern 
sieh oft der Mittellinie soweit, dass wir ein Flächenbild erhalten, 
welches eine ganz auffallende Ähnlichkeit mit dem von einem 
jugendlichen Didelphys (Fig. 26) erkennen lässt. Zuweilen treten 
beide Hautfalten sehr wenig hervor, sodass die Inguinalgegend 
nur stärker vertieft erscheint. 

In Fig. 27 der Taf. ist der die Mammarorgane und das 
Skrotum tragende, hinter dem Nabel gelegene Teil der Bauch- 
wand eines 17,5 cm langen männlichen Schafembryos abge- 
bildet. Die spitz kegelförmigen, dem vorderen Teil des Skrotum- 
halses aufsitzenden normalen Zitzen sind 15 mm hoch. Nach 
vorn und etwas zur Seite von diesem sind die ebenso gestalteten, 


etwas kleineren accessorischen Zitzen gelegen. Die Inguinal- 


Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. Dis 


taschen aber liegen lateral von den beiden Zitzen jeder Seite. 
Die linke stellt eine zur Verbindungslinie der beiden Zitzen jeder 
Seite nahezu parallel gestellte, etwa 7,5 mm lange schlitzförmige 
Vertiefung dar, deren äussere Hautfalte stärker hervortritt, als die 
innere. Die Tiefe der Tasche beträgt 3 mm. Die 4 mm rechte 
Tasche wird vornehmlich durch eine breite äussere Falte ge- 
bildet, die sich mit ihrem hinteren Ende nach innen und etwas 
nach vorn in die mediale Hautfalte umschlägt, ohne die Zitzen 
zu umfassen. 

Bei einem weiblichen, 28cm langen Schafembryo (Fig. 30) 
wird jede der 3mm hohen, kegelförmigen, normalen Zitzen seit- 
lich und von hinten von je einer scharf hervortretenden, schräg 
eestellten Hautduplikatur umfasst, die nach der Mittellinie zu 
allmählich verstreicht. Zur Bildung der 2,5 mm tiefen linken 
und der 3mm tiefen rechten Inguinaltasche trägt noch je eine 
kleine innere, in die Zitzenbasis übergehende Hautfalte bei. 

Fig. 28 zeigt die Mammargegend eines weiblichen Schaf- 
embryo von 26 em Scheitelsteisslänge. Die normalen kegel- 
förmigen Zitzen sind 2 mm hoch. Die Afterzitzen sind eben 
wahrnehmbar. Sie liegen lateral und etwas nach vorne von den 
Hauptzitzen. Die Inguinaltaschen dagegen liegen seitlich und 
etwas nach hinten von den normalen Zitzen. Die Hautfalten 
erheben sich mit ihrem vorderen Ende allmählich aus der in- 
euinalen Region der äusseren Haut, biegen hinter der tiefsten 
Stelle der Tasche nach innen und etwas nach vorn um und 
laufen endlich in den basalen Teil der normalen Zitzen aus. 

Weiblicher, 16,5 em messender Schafembryo (Fig. 29). 
Lateral und vor den zwei normalen 2 mm hohen, kegelförmigen 
Zitzen liegen zwei accessorische Zitzen, von denen die rechte 
0,3 mm, die linke 1 mm hoch ist. Hinter den normalen Zitzen 
und etwas nach aussen von ihnen finden sich die schlitzförmigen, 
schräg gestellten Inguinaltaschen. Die linke Tasche ist 3 mm, 


die rechte 4 mn tief. Die Hautfalten gehen nach innen 


274 OSCAR PROFFE, 


und etwas nach vorn umbiegend in die Basis der normalen 
Zitzen über. 

In Fige. 31, 32 u. 33 sind die Zitzen und Inguinaltaschen 
erwachsener Schafe abgebildet, wie ich sie bei Tieren sowohl 
weiblichen wie männlichen Geschlechts vielfach beobachtet habe. 
Die Taschen liegen weit nach hinten und stets lateral von den 
normalen Zitzen. Die von aussen und vorn nach innen und 
hinten verlaufenden Hautfalten bilden je eine nach innen und 
vorne geöffnete Tasche. Denken wir uns die beiden Falten mit 
ihrem hinteren Ende in einander übergehend, so gewinnen 
wir die Vorstellung einer typischen Marsupialbil- 
dung. 

Wir finden bei Embryonen jeder Grösse, bei neugeborenen 
und erwachsenen Schafen zwar einen grossen Formenreichtum 
der Inguinaltasche, niemals aber erscheint sie kreis 
förmig oder ist sie in der Verlängerung der die nor 
male mit der accessorischen Zitze derselben Seite 
verbindenden Linie gelegen, wie Klaatsch angiebt. 
Sie liegt vielmehr stets lateral von der Zitzenreihe. 

Als wichtig für die Deutung der Inguinaltaschenbildung 
hebe ich aus deren Entwickelungsgeschichte hervor: Von vorn 
herein beobachten wir eine faltenartige Ausstülpung der Cutis 
ohne vorhergehende Epithelverdickung, wie wir sie in den ersten 
Stadien der Mammartaschen-Entwickelung beobachten. Ferner 
ist die Inguinaltasche bei Embryonen und erwachsenen Schafen 
in Durchschnitt und Tiefe immer bedeutend grösser als die 
Mammartaschenanlage und die spätere Zitze. Die Inguinaltasche 
liegt niemals in der Verlängerung der die normale mit der acces- 
sorischen Zitze jeder Seite verbindenden Linien, sondern stets 
ausserhalb derselben. Trotz ihrer recht wechselnden Gestaltung 
ist sie stets mehr spaltförmig als kreisrund. 

So gross der Formenreichtum der Tasche sich indessen auch 


innerhalb der Art und innerhalb der einzelnen individuellen Ent- 


Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 275 


wickelung gestalten mag, immer beginnt die Bildung der In- 
guinaltasche mit Bildung einer Hautfalte, welche nach ihrem 
histologischen Aufbau, nach ihrer Lage, Ausdehnung, weiteren 
Entwickelung und Variation, sowie nach ihren Beziehungen zur 
Muskulatur der Bauchwand nur als ein in Rückbildung begriffener 
Marsupialrest gedeutet werden kann. 

Niemals und in keinem Entwickelungstadium finden wir als 
erste Anlage dieses eigenartigen Organes eine Mammartaschen- 
anlage, wie sie sich typisch als Entwickelungsstadium bei dem 
Auftreten der späteren Zitzen findet. Die Auffassung der In- 
guinaltasche des Schafes als Mammartasche (Klaatsch) ist somit 
als unzutreffend zurückzuweisen. 

Malkmus stützte seine Auffassung der Tasche als rudi- 
mentäres Marsupium im wesentlichen durch zwei Punkte, indem 
er einmal ihre Analogie in der Lage und Richtung sowie in 
ihrem Aufbau mit der Beuteltasche der Marsupialia hervorhob, 
ferner, indem er nachwies, dass die Tasche des Schafes mittelst 
einer Sehnenplatte mit der Sehne des äusseren schiefen Bauch- 
muskels verbunden ist und sich somit ganz wie die der Beutel- 
tiere verhält. Er hat damit die richtige Deutung dieser Organe 
angebahnt, die ich hiermit auf Grund meiner embryologischen 
Untersuchung weiter ausgeführt und strikte bewiesen zu haben 
hoffe. 

Ich stelle die Untersuchungsergebnisse beim Schaf schliess- 
lich kurz zusammen: 

Auch beim Schafe müssen wir in Vergleichung mit meinen 
Befunden beim Pferdeund denen von Kallius und H. Schmidt 
beim Menschen das Hervorgehen der eigentlichen Mammarorgane 
aus einer Milchlinie oder einen Milchlinienrest als sicher anneh- 
men. Niemals werden mehr äls im ganzen 4 Mammartaschen 
angelegt, nämlich zwei für die normalen und zwei für die acces- 
sorischen Zitzen. Nach der Meinung von Klaatsch, der die 


Inguinaltasche im Gegensatz zu Malkmus als Mammartasche 


976 OSCAR PROFE, 


aufgefasst wissen will, müssten sich als Maximum sechs Mam- 
martaschenanlagen, vier für die Zitzen und zwei für die Inguinal- 
taschen finden. Das ist nach meinen Untersuchungen niemals 
der Fall. Die Inguinaltasche legt sich immer später 
als dieMammartaschen und stets inForm einer seit- 
lich von dieser gelegenen Hautfalte an. Sie kann 
also in wesentlich anderer Weise somit auch nicht 
als Mammartasche, sondern als die Anlage eines 
anderen Organes und zwar nurals die eines rudi. 
mentären Marsupiums aufgefasst werden. Mammar 
taschen-und Marsupium oder Inguinaltaschenanlage 
sind nach Zeit und Ort, Anlage und Ausdehnung 


ganz verschiedene Organanlagen. 


Schlusswort. 

Ehe ich zurückblicke auf die durch vorliegende Arbeit ge- 
wonnenen Gesichtspunkte, will ich in aller Kürze die bisher 
allgemein als richtig anerkannten einschlägigen Auffassungen 
und Theorien der verschiedenen Autoren anführen und beleuchten. 

Die Mammartasche von Echidna persistiert nach Gegen- 
baur in Form der ersten Anlage jeder Zitze und des dazu ge- 
hörigen Drüsenkomplexes bei allen Säugern mit Ausnahme des 
Schnabeltieres, dessen Mammarapparat wahrscheinlich eine durch 
die veränderte Lebensweise bedingte Reduktion erfahren hat. 
(Ruge). Die Übereinstimmung der Mammartasche von Echidna 
mit der gleichnamigen embryonalen Anlage der Säugetierzitze 
nehmen wir mit Gegenbaur, ehe wir eine andere, über- 
zeugendere Deutung besitzen, zunächst als feststehend an. 
Aber erst genaue embryologische Untersuchungen 
über die Anlage der Mammartasche bei Echidna wer- 
den diese Anschauung noch endgültigzu begründen 


Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 21 


und zu stützen haben, soferne sie einwandsfrei ein 
und dieselbe Art der Anlage für die Mammartasche 
der Echidna und der Säugetierzitze feststellen. Ob 
es bei Echidna eine embryonale Mammartaschenanlage giebt oder 
nicht, ist bei dem gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse eine 
noch offene Frage. Dass die Mammartaschen von Echidna, wie 
Gegenbaur annimmt, zur Aufnahme des Eies oder Jungen 
verwendet werden, ist nach den neueren Arbeiten von Klaatsch 
und Ruge nicht anzunehmen. Damit fällt auch die Annahme, 
dass irgend eine Mammartasche eines placentalen Säugetiers in 
dieser Weise als Brutorgan verwendet wird. Hierzu dient der 
periodisch sich bildende und rückbildende Brutbeutel der Echidna 
oder das Marsupium. 

Wir haben gesehen, wie sich die Mammartasche bei den 
placentalen Säugetieren in verschiedenartiger Weise umzuwandeln 
vermag. Aber dies geschieht nach der vorliegenden Arbeit, 
welche die Untersuchungen Reins, abgesehen von dessen Deu- 
tungen, zum grossen Teil als richtig bestätigt, auch nicht in so 
excessiv divergenter Weise, als bisher von Gegenbaur u. a. 
angenommen wurde. Beim Menschen erhebt sich das Drüsen- 
feld, stülpt den Grund der Mammartasche nach aussen um, und 
wird so ein Teil der Warzenoberfläche. Beim Schwein hingegen 
bleibt die Mammartasche in Gestalt des sehr kurzen gemein- 
schaftlichen Mündungsstückes der zwei resp. drei Ausführungs- 
gänge erhalten. Als einen Übergang von der Schweine- zur 
Menschenzitze ist die Rinderzitze zu betrachten, bei welcher die 
Mammartasche durch Abflachung noch nıehr, nahezu vollkommen 
schwindet. Die Annahme, dass beim Rinde eine mit relativ 
grosser Höhle ausgestattete Mammartasche zeitlebens bestehen 
bleibt, hat sich, wie ich mit Rein und Tourneux zeigen 
konnte, als irrtümlich erwiesen. Wahrscheinlich lassen sich die 
Zitzen aller übrigen Säuger diesen Typen und ihren Übergangs- 
formen einreihen. 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVI. Heft (11. Bd., H. 3.) 19 


278 OSCAR PROFE, 

Die Mammartaschen aller bislang untersuchten Säuger ent- 
wickeln sich stets aus Milchhügeln, welche ihrerseits wieder aus 
einer Milchlinie oder einem Milchlinienrest hervorgehen. Die 
Milchlinie wurde von Klaatsch als Marsupialrudiment gedeutet. 
Die Beweisführung dieser seiner Deutung ist indessen insofern 
als eine unzulängliche zu bezeichnen, als er grundlegende Unter- 
schiede in der Anlage der beiden Organe, die das eine Mal doch 
nur eine Epithelleiste, das andere Mal aber eine Cutiseinstülpung 
ist, nicht gebührend gewürdigt hat. Die Milchlinie besteht nach 
allgemeiner Übereinstimmung lediglich aus dem epithelialen 
Material des Hornblattes ohne jegliche Beteiligung der Uutis. 
Das Marsupium aber ist eine Hautfalte, bestehend aus Epidermis 
und allen Komponenten der Cutis. Ferner liegen die Milch- 
hügel, wie schon Bonnet betonte, nicht, wie Klaatsch wört- 
lich und bildlich darstellt, an der medialen Seite der Milchlinie, 
sondern sie sind spindelförmige Verdiekungen der Längsachse 
der Milchlinie selbst. In unlösbare Widersprüche gerät Klaatsch 
aber bei Erörterung der Frage, welche von beiden Bildungen, 
Mammartasche oder Marsupium, die primäre ist. Bekanntlich 
kommt Klaatsch nach dem bei Phalangista und Perameles 
gemachten Befunde, nach welchem ein Teil des Mammartaschen- 
materiales zum Aufbau des Marsupiums beitragen soll, zu dem 
Schlusse, das Marsupium sei aus den Mammartaschen hervor- 
gegangen. Zu demselben Ergebnisse haben ihn seine Unter- 
suchungen an dem Marsupium und der Mammartasche an der 
erwachsenen Echidna geführt!), deren Mammartaschen zu einer 
unpaaren Bildung zusammenfliessen und so das Marsupium bil- 
den sollen. Hiernach wäre also in der paarigen Anlage der 
Mammarorgane, d. h. der Mammartaschen der ursprüngliche 
Zustand gegeben. Gleichzeitig mit Klaatsch trat dagegen 


1) Studien zur Geschichte der Mammarorgane. 1. Teil. Die Taschen der 
Beutelbildungen am Drüsenfeld der Monotremen aus Semon: Zoologische 
Forschungsreisen ete. 1895. 


Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 279 


C. Ruge!) dafür ein, dass das Marsupium etwas Primitives wäre, 
und, dass die Bildung von Mammartaschen an die Entfaltung der 
Drüsenkörper gebunden als von dem Marsupium vollkommen 
unabhängige Bildungen sekundärer Natur zu betrachten seien. 

Gegen Klaatschs Deutung der Milchlinie als Marsupial- 
rudiment spricht ferner der zweifellose Befund beim Eichhörnchen, 
welches in frühen embryonalen Entwickelungsstadien jederseits 
zwei nahezu parallel gerichtete Milch- 
linien erkennen lässt, eine Einricht- 
ung die nach der Auffassung von 
Klaatsch keineswegs verständlich 
wäre. Jedenfalls soll mit dieser ersten 
Anlage des Säugeapparates lediglich 
eine grössere Menge der späteren Zitzen 
ermöglicht werden. Weiterhin finden 
wir bei Didelphyden medial von den 
beiden der Milchlinienanlage ent- 
sprechenden Zitzenreihen eine oder 
einige mehr oder minder symmetrisch 


gelegene Zitzen. In Bronns „Klassen 


und Ordnungen des Tierreichs“ findet 
sich eine Abbildung (nach Thoms) Fig. 1. 

von Didelphys Meuseli, die ich als 

Textfigur wiedergebe, da sie mir von wesentlicher Bedeutung 
für das einheitliche Prinzip in den verschiedenen Erscheinungs- 
formen des Mammarapparates zu sein scheint. Innerhalb 
der Zitzenreihen ab und a,, b, finden sich fünf Zitzen, 
die jederseits eine zweite innere, wenngleich erheblich kürzere 
Zitzenreihe ed und c, d unschwer erkennen lassen. Dieses Ver- 
halten bildet gewissermassen eine Vermittelungs- und Übergangs- 
form zwischen der Anordnung einer doppelten Anlage der 


!) Muskulatur der Monotremen, ihre Beziehung zu dem Marsupial- und 
Mammarapparate. Ebenda 1595. 
19* 


280 OSCAR PROFE, 


Zitzenreihen beim Eichhörnchen einerseits und der Anordnung 
der Zitzen derjenigen Marsupialier andererseits, bei denen sich 
innerhalb der beiden Reihen ab und a,b, , eine einzige central 
gestellte Zitze findet, die uns als eine Reduktion der Zitzen- 
reihen ed und c,d bei Didelphys Meuseli wohl verständlich ist. 

Nun entwickeln sich aber, wie wir gesehen haben, die Mam- 
martaschenanlagen der placentalen Säugetiere aus der Milchlinie, 
welche Klaatsch als Marsupialrudiment auffasst, und zwar ver- 
hältnismässig spät nach deren Auftreten. Es würden sich also 
gerade im Gegensatze zu seiner Auffassung die Mammartaschen 
aus dem Marsupium entwickeln, falls wir die Milchlinie als Mar- 
supialrudiment deuten wollten. Wenn weiter das Marsupium 
aus den Mammartaschen ableitbar wäre, könnten doch nicht beide 
wohl entwickelte Bildungen neben einander bestehen, wie es doch 
thatsächlich bei allen Beutlern der Fall ist. Mit Hülfe der ver- 
eleichenden Anatomie und Embryologie und auf Grund der ent- 
wickelungsgeschichtlichen Untersuchungen der Zitzenbildung und 
der Anlage der rudimentären Beuteltasche des Schafes muss ich 
mich entschieden auf Seite Ruges stellen und komme zu dem 
zwingenden Schluss, dass das Marsupium als eime nach Ort und 
Jeit seines Auftretens von der „Mammartaschenanlage“ aller 
Säuger völlig abweichende Bildung zu betrachten ist und dass 
beide Organe unabhängig von einander bestehen können. 

Im übrigen verweise ich auf die an den gleichen Objekten, 
nämlich der Echidna und an Ornithorhynchus gewonnenen, sich 
aber in vielen prinzipiellen Fragen diametral zuwiderlaufenden 
Ergebnisse von Klaatsch und Ruge, welche uns zeigen, wie 
wenig spruchreif diese Verhältnisse zur Zeit sind, und beschränke 
mich auf ein paar Worte über die Bedeutung der Milchlinie. 
Ehe man einer phylogenetischen Bedeutung dieses Primitiv- 
organes näher zu treten sich gezwungen sieht, ist die Frage er- 
laubt, ob die Milchlinie nicht einfach mit anderen ähnlichen 
Leistenbildungen im Embryo, wie uns solche als Primitivanlage 


Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 281 


für andere nachträglich ebenfalls in Reihen sich abgliedernde 
epitheliale Organe beobachtet werden können, aufzufassen ist. 
Wir beobachten z. B. in der ersten Anlage der Spinalganglien, 
der bekannten Spinalganglienleiste, ferner in der Bildung der 
Schmelzleiste der Zähne durchaus ähnliche und allgemein be- 
kannte Vorgänge. Eine ebensolche leistenförmige Anlage führt 
zur Bildung der Seitenorgane bei den Fischen und Urodelen. 


Es ergiebt sich aus diesen linien- oder leistenförmigen ersten 
epithelialen Anlagen für ganze Reihen unter sich gleichwertiger 
Organe immer wieder aufs klarste, dass der Organismus, anstatt 
die vielen Organe vereinzelt anzulegen, zuerst gleichsam das 
Areal für deren Anlage bestimmt und dort das Baumaterial 
anhäuft, aus dem dann in kürzester Zeit, oft wie mit einem 
Schlage die Organe sich gleichzeitig differenzieren. Dass mit 
der Leistenform der Anlage ein Abweichen von der wichtigen 
Reihenstellung, also eine im Interesse der Erhaltung des Jungen 
und der Art unvorteilhafte Verschiebung der Mammarorgane 
besser vermieden wird, als wenn diese einzeln angelegt würden, 
will ich, namentlich in Bezug auf die Verschiebung der ventralen 
Hautbezirke, auf denen die Milchdrüsenanlagen von ihrer ur- 
sprünglich mehr dorsalen Anlage allmählich ihrer bleibenden 
Lage genähert werden, hier nur angedeutet haben, ohne näher 
auf diesen Punkt einzugehen. 

Ich halte es beidem gegenwärtigen Stand unserer 
Kenntnisse fürüberflüssig, der Milchleiste eine wei- 
tere phylogenetische Bedeutung, wie es von vielen 
Seiten geschieht, zuzuerkennen. Ich glaube viel 
mehr, dass wir bei der oben geäusserten Auffassung 
eine Menge von Irrtümern umgehen, die bei 
verfrühten Versuchen phylogenetischer Deutungen 
dieses Primitivorganes einstweilen unvermeidlich 
sind. Ein weiterer Überblick über Vorkommen, Ausdehnung 
und Verwendung der Milchlinie bei den Säugetieren wird zeigen, 


989 OSCAR PROFE, 


ob die von mir geäusserte Auffassung richtig ist oder nicht. 
Jedenfalls aber wird noch manche Arbeit nötig sein, um in 
sicherer Weise, als zur Zeit, die Ableitung dieses interessanten 


Primitivorganes zu ermöglichen. 


Es ist mir eine angenehme Pflicht, Herrn Prof. Dr. Bonnet 
für die Anregung zur Bearbeitung des abgehandelten Themas 
und sein demselben gewidmetes Interesse meinen herzlichsten 
Dank in ebenso tiefgefühlter Weise auszusprechen, wie Herrn 
Professor Dr. G. W. Müller für seine freundliche Unterstützung 
mit wertvollem Material. 


16. 


17. 


18. 


19. 


Litteratur-Verzeichnis. 


. Benda, Das Verhältnis der Milchdrüse zu den Hautdrüsen. Dermato- 


logische Zeitschrift von Dr. O. Lassar 1893. 

Beard, The Birth-period of Trichosurus vulpecula. Zoolog. Jahrbücher. 
Herausgegeben von Prof. Spengel, Giessen. Bd. XI. 1897. 

Bonnet, Grundriss der Entwiekelungsgeschichte der Haussäugetiere. 1891. 
— Vergleichende Histologie der Haussäugetiere. Herausgegeben von Dr. 
W. Ellenberger. Berlin 1887. 

— Die Mammarorgane im Lichte der Ontogenie und Phylogenie. Ergeb- 
nisse der Anatomie und Entwickelungsgeschichte von Merkel und Bonnet. 
Bd. 11. 1893. 

Burekhard, Über embryonale Hypermastie und Hyperthelie. Ergebnisse 
der Anatomie und Entwickelungsgeschichte von Merkelund Bonnet 1897. 
Ellenberger, Grundriss der Histologie der Haussäugetiere. 1888. 
Franck, Handbuch der Anatomie der Haustiere. 1882. 

Fürstenberg, Die Milchdrüsen der Kuh. 1868. 

Gegenbaur, Zur genaueren Kenntnis der Zitzen der Säugetiere. Morph. 


Jahrbuch. Bd. 1. 


. — Zur näheren Kenntnis der Mammarorgane von Echidna. Morpholog. 


Jahrbuch Bd. IX. 

— Bemerkungen über die Milchdrüsenpapillen der Säugetiere. Jenaische 
Zeitschrift für Medizin und Naturwissenschaften. Bd. VII. 1875. 
Gurlt, Handbuch der Anatomie der Haustiere. 1871. 

Hertwig, O., Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte. 

Huss, Beiträge zur Entwiekelungsgeschichte der Milchdrüsen beim Men- 
schen und bei Wiederkäuern. Jen. Zeitschrift für Medizin und Naturw. 
Bd. VII. 187. . 

Katz, Zur Kenntnis der Bauchdecken und der mit ihr verknüpften Organe 
bei den Beuteltieren. Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie. Bd. 36. 
1881—82. 

Kallius, Ein Fall von Milchleiste bei einem menschl. Embryo. Anatom. 
Hefte. Merkel u. Bonnet. 1897. 

Kitt, Zur Kenntnis der Milchdrüsenpapillen unserer Haustiere. Deutsche 
Zeitschr. f. Tiermedizin u. vergl. Pathol. Bd. VIII. 

Klaatsch, Morphologie der Säugetierzitze. Morpholog. Jahrb. Bd. IX. 


284 Litteratur-Verzeichnis. 

20. Klaatsch, Über die Beziehungen zu Mammartaschen und Marsupium. 
Morpholog. Jahrb. Bd. XVII. 

21. — Über Mammartaschen bei erwachsenen Huftieren. Morpholog. Jahrb. 
Bd. XVII. 

22. — Neues über Mammartaschen. Bd. 20. 

23. — Über Marsupialrudimente bei Placentatieren. Morpholog. Jahrb. Bd. XX. 


39. 


34. 


3. 


36. 


37. 


38. 


39. 


. — Über die Mammartaschen und das Marsupium von Echidna. Verhandl, 


der anatom. Gesellschaft 1895. 
— Die Taschen- und Beutelbildungen am Drüsenfeld der Monotremen. 
1895. Aus Semon. Forschungsreisen. 


. Kölliker, A., Grundriss der Entwickelungsgeschichte. 1884. 
. Langer, Über den Bau und die Entwickelung der Milchdrüsen. Denk- 


schrift der Kais. Akad. der Wissenschaften zu Wien. Bd, III. 1857. 
Leisering u. Müller, Handbuch der vergleichenden Anatomie der Haus- 
säugetiere. 


. Malkmus, Die rudimentäre Beuteltasche der Schafe. Inaug.-Diss. Er- 


langen. 1887. 


. Mehnert, E., Biomechanik erschlossen aus dem Prinzipe der Organo- 


genese. 1898. 


. Rein, Untersuchungen über die embryonale Entwickelungsgeschichte der 


Milchdrüse. Max Schultzes Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. XX. 1882, 


. Ruge, Die Hautmuskulatur der Monotremen und ihre Beziehungen zu dem 


Marsupial- und Mammarapparate. (Semon, Forschungsreisen) 1895. 
Schmidt, H., Über normale Hyperthelie menschlicher Embryonen und 
über die erste Anlage der menschlichen Milchdrüsen überhaupt. Morpholog. 
Arbeiten von Schwalbe 150. VII. Heft 1. 

Schultze, O., Über die erste Anlage des Milchdrüsenapparates. Anat. 
Anz. 1892. 

— Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Milchdrüsen. Verhandlungen 
der physikalisch-medizinischen Gesellschaft zu Würzburg. 1893. 
Talma, S., Beitrag zur Histogenese der weiblichen Milchdrüse. Schultzes 
Archiv für mikroskop. Anat. Bd. XX. 1882, 

Tourneux, F., Atlas d’embryologie. Developpement des organes genito- 
urinaires chez l’'homme. Lille 1892. 

Unger, Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Milchdrüse. Anat. 
Hefte von Merkel u. Bonnet. 1898. 

Wiedersheim, Grundriss der vergleichenden Anatomie der Wirbeltiere. 
3. Aufl. 


Die Arbeit von Leche: Mammarorgane und Marsupium bei einigen Beutel- 
tieren, besonders bei Myrmecobius. Biol. Föreningens Förhandl. Bd. I. 1888, 


war mir leider nicht zugänglich. 


Figuren-Erklärung. 


Fig. 1. Gesäuge eines Schweineembryo von 20 cm Scheitelsteisslänge. 

Fig. 2. Gesäuge eines Schweineembryo von 12 cm Scheitelsteisslänge. 
Auf der linken Seite finden sich 6, auf der rechten 7 Zitzen, deren sechste eine 
Verschiebung gegen die Mittellinie erfahren hat. 

Fig. 3. Männlicher Embryo von Cervus capreolus 10 cm Scheitelsteiss- 
länge. Vor den normalen Zitzen z,—z, findet sich jederseits eine accessorische 
a, und 2.- 

Fig. 4a. Erwachsenes Weibchen von Hypudaeus arvalis. 

Fig. 4b. Neugeborenes Exemplar von Hypudaeus arvalis. 

Fig. 5. Querschnitt der Milchlinie eines 1 cm langen Schweineembryo. 

Fig. 6. Milchhügel eines 1,5 cm langen Schweineembryo mit bereits, wenn 
auch gering differenzierter Areolarzone az. 

Fig. 7. Primitive Zitze oder „Mammartasche* eines Schweineembryo von 
6,5 cm Scheitelsteisslänge. ep Epidermis. ez Cylinderzellenschicht. cw Cutis- 
wall mit „Mammartasche‘. g Blutgefässe. 

Fig. 8. Primitive Zitze eines 12 cm langen Schweineembryo mit be- 
ginnenden Epithelsprossen und Haaranlagen. sp Epithelspross. hr Haaran- 
lage. hp Hornpfropf. 

Fig. 9. Schweine-Embryo von 16 cm Scheitelsteisslänge. Zitze mit 
weiter entwickelten Anlagen der Ausführungsgänge sp. hr — Haaranlage. 

Fig. 10. Zitze eines 20 em langen weiblichen Schweineembryo 1. Die 
Epithelsprossen, Ausführungsgänge sp,, sind in die Tiefe gewachsen. An ihrem 
terminalen Teile sind sie mit einem Lumen versehen. Gleichzeitig zeigt sich 
beginnende Sprossenbildung der Milchdrüsengänge, sekundäre Sprossen, nach 
Rein tertiäre sp». 

Fig. 11. Milchhügel eines 2,5 cm langen Rinderembryo. 

Fig. 12. Linienartige epitheliale Verdickung desselben Embryo, 2,5 em, 
welche die beiden Milchhügel jeder Seite mit einander verbindet, Milch- 
linienrest. 

Fig. 13. Rinderembryo von 5,0 cm Scheitelsteisslänge „Mammartaschen- 
anlage“ mit deutlicher Areolarzone. 

Fig. 14. Milchlinienrudiment zwischen den „Mammartaschen“ desselben 
Embryo 5,0 em. 


286 Figuren-Erklärung. 


Fig. 15. Primitive Zitze eines 7,5 em langen männlichen kinderembryo. 
Kreisförmige „Mammartasche“ mit deutlicher Areolarzone etwas über das 
Niveau der Körperoberfläche erhoben. 

Fig. 16. Primitive Zitze eines 10,5 em langen weiblichen Rinderembryo. 
Die „Mammartaschenanlage‘“ ist kolbenförmig. Hals- und Grundteil sind zu 
unterscheiden. Die Zitze ist gewachsen. 

Fig. 17. Zitze eines 16 cm langen weiblichen Embryo. Die Zitze ist 
noch weiter in die Höhe gewachsen und hat damit die ‚„Mammartasche“ ge- 
hoben, die ihrerseits eine Abflachung erfahren hat. Von ihrem ‚Grunde ist 
ein Epithelspross in die Tiefe gewachsen. Areolarzone auf die unmittelbare 
Umgebung der ‚„Mammartaschenanlage‘“ beschränkt. 

Fig. 18. Weiblicher Rinderembryo von 20 cm Scheitelsteisslänge. Die 
stark abgeflachte ‚„Mammartasche‘“ nimmt die Spitze der kegelförmigen noch 
weiter ausgezogenen Zitze ein. Von dem Ende des Epithelsprosses oder Aus- 
führungsganges nehmen die sekundären Sprossen oder Milchgänge ihren Ausgang. 

Fig. 19. Rinderzitze von einem 23 cm langen weiblichen Embryo. Die 
stark abgeflachte „Mammartasche‘‘ lässt auf der einen Seite noch die S-förmige 
Biegung der Kolbenformen erkennen. 

Fig. 20. Gesamtquerschnitt durch einen 1,5 cm langen Pferdeembryo 
geführt. ml. Milchlinienanlage, eigentümlich differenziertes Ektoderm in der 
Inguinalgegend. 

Fig. 21. Milchlinienrudiment in der Inguinalgegend eines 2,2 cm langen 
Pferdeembryo. 

Fig. 22. Schnitt durch eine „Mammartasche‘“ eines 8 cm langen weib- 
lichen Pferdeembryo. ew kraterförmiger Epithelwulst. 

Fig. 23. Querschnitt durch die linke Inguinalgegend und ‚„Mammartasche“ 
eines 3,5 cm langen Schafembryos. vb vordere Bauchwand. ek hintere Ex- 
tremitätenknospe. mt „Mammartasche“. Ihf laterale Hautfalte. 

Fig. 24a. b. ec. Cranio-kaudalwärts folgende Querschnitte durch die 
Hinterbauchgegend eines 3,5 cm langen Schafembryo. Die Hautfalte Ihf bildet 
nach hinten einen Blindsack, nahe dessen caudalem Ende der Schnitt 24c ge- 
führt ist. sc Serotalanlage. mhf medialer Teil der Hautfalte. 

Fig. 25. Querschnitt der Eutergegend eines 6 cm langen Schafembryo. 
Hautfalte ohne Blindsackbildung. 

Fig. 26. Jugendliche Didelphys von 8 cm Scheitelsteisslänge. 

Fig. 27. Bauchwand nebst Serotum und Inguinaltaschen eines 
17,5 em langen männlichen Schafembryo 


mit In- 
Fig. 25. Bauchwand eines 26 cm langen weiblichen Schafembryo guinal- 
Fig. 29. Dasselbe eines 16,5 cm langen weiblichen Schafembryo 


Fig. 30. Dasselbe eines 23 cm langen weiblichen Schafembryo Bun 
Figg. 31, 32 und 33. Euter, Zitzen erwachsener Schafe 


Die Figuren 1—4b und 27—30 sind in normaler Grösse, die Figuren 
31—33 auf die Hälfte verkleinert wiedergegeben. 


PIE RL VEN N >. ER. 


ÄUS DEM ANATOMISCHEN INSTITUT IN GREIFSWALD. 


DIE 


STRUKTUR DER GEHIRNVENEN 


UND DIE 


BLUTCIRKULATION IN DER SCHÄDELHÖHLE. 


VON 


HERMANN TRIEPEL, 


GREIFSWALD. 


Mü 9 Figuren auf Tafel XXVII und 5 Figuren im Text. 


Bevor ich an mein eigentliches Thema herantrete, sei es 
mir gestattet, eine kurze Bemerkung über die Benennung einer 
Gewebsart zu machen, der in der Wand der Gehirnvenen, ebenso 
wie in der aller anderen Gefässe, eine wichtige funktionelle Auf- 
gabe zufällt. Durch Untersuchungen über die elastischen Eigen- 
schaften verschiedener Gewebe, die ich vor nicht ganz einem 
Jahre veröffentlichte!), bin ich zu der Überzeugung gekommen, 
dass die Modifikation des Bindegewebes, die man heutzutage 
als „elastisch“ bezeichnet, diesen Namen in keiner Weise ver- 
dient; von einem „elastischen Bindegewebe“ oder einer „elasti- 
schen Substanz“ oder von „Elastin“ zu sprechen, ist immer 
falsch, gJeichviel auf welchen Standpunkt man sich stellt, ob auf 
den des Laien oder den des Physikers (S. 70 u. 71). Ich äusserte 
damals die Ansicht (S.58, Anm.), dass man die Gewebsart viel 
eher als „dehnbares“ Bindegewebe bezeichnen könnte, musste 
aber bekennen, dass eine solche Bezeichnung sehr leicht zu Irr- 
tümern Anlass geben würde; und so glaubte ich, dass man die 
alten liebgewordenen Namen nicht antasten solle, ich hielt ein 
solches Beginnen für aussichtslos. Meine Meinung ging dahin, 
es sei das Einfachste, die eingebürgerten Namen „elastisches 
Bindegewebe‘, „Elastin‘“ u. s. w. auch fernerhin zu gebrauchen, 


1) Triepel, Über die elastischen Eigenschaften des elastischen Binde- 
gewebes, des fibrillären Bindegewebes und der glatten Muskulatur. Anatom. 
Hefte. I. Abt. XXXI Heft. (10. Bd. H. 1) S. 1 ff. 189. 


2930 HERMANN TRIEPEL, 


allerdings mit dem Bewusstsein, dass sie falsch sind, dass sie 
nicht, wie man vermuten könnte, die Eigenschaften ihrer Träger 
angeben. Auf diesem Standpunkt der Resignation stehe ich 
nicht mehr, nachdem ich auf die genannte Arbeit hin von ver- 
schiedenen Seiten zustimmende Zuschriften erhalten habe. Ich 
glaube, dass man doch wohl wenigstens den Versuch machen 
soll, erkannte Fehler zu verbessern. Und zwar scheint es mir 
gut möglich zu sein, an Stelle des Namens „elastisches“ Binde- 
gewebe einen Ausdruck zu gebrauchen, der sich schon in den 
frühesten Beschreibungen dieser Gewebsform findet, nämlich von 
„gelbem Bindegewebe‘ zu sprechen oder der „gelben Modifikation 
des Bindegewebes‘ (tissu fibreux jaune, s. die angeführte Arbeit 
von mir, 8. 62 ff.). Bei einer solchen Benennung wird in der 
That eine Eigenschaft der Gewebstorm berücksichtigt, die ausser- 
ordentlich charakteristisch ist, und die bei grösseren Anhäufungen 
der in Rede stehenden Gewebselemente zuerst in die Augen 
fällt. Die Bezeichnung „gelbes Bindegewebe“ kann sicher keinen 
Anlass zu Verwechselungen geben, und sie hat den Vorzug, dass 
sie schon, wenigstens in früheren Zeiten, gebraucht worden ist, 
sodass also ihre Verwendung eigentlich gar keine Neuerung 
bedeutet. 

Es kann nicht in Betracht kommen, dass bei der mikro- 
skopischen Untersuchung einzelner Fasern die geringe Bei- 
mischung von gelb in ihrer Farbe nicht gesehen wird, und eben- 
sowenig kann ins Gewicht fallen, dass in künstlich gefärbten 
Präparaten die Fasern des gelben Bindegewebes sich unter Um- 
ständen braun oder blau oder rot oder schwarz darstellen. Spricht 
man doch von einer grauen und weissen Substanz des centralen 
Nervensystems, von einem roten Kern der Haube, von gelbem 
und rotem Knochenmark, von roten und weissen Blutzellen, 
von roten und weissen Muskeln u. a.m. auch dann noch, wenn 
in Präparaten die genannten Körper durchaus nicht mehr ihre 


ursprüngliche Farbe beibehalten haben ! 


Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Blutzirkulation i. d. Schädelhöhle. 291 


Da ich in der vorliegenden Arbeit häufig Gelegenheit haben 
werde, von dem gelben Bindegewebe zu sprechen, so wird sie 
ein Prüfstein dafür sein, ob es möglich ist, die neue — und 
doch alte — Bezeichnung konsequent durchzuführen. 


Nach dieser Vorbemerkung zur Sache selbst! 


In einer früheren Arbeit über das gelbe Bindegewebe in 
der Wand der Gehirnarterien!) hatte ich die Absicht geäussert, 
auch in den Gehirnvenen die Anordnung dieses Gewebes unter- 
suchen zu wollen. Bei der Verfolgung dieses Zieles ergaben 
sich jedoch verschiedene Gesichtspunkte, die es wünschenswert 
erscheinen liessen, auch die anderen Gewebsbestandteile, aus 
denen sich die Wand der Gehirnvenen, und zwar.das perithele 
Gefässrohr, zusammensetzt, eingehender zu prüfen. Bestimmend 
war für mich zunächst der Umstand, dass über die Struktur 
der Gehirnvenen trotz ihrer praktischen Wichtigkeit in der Litte- 
ratur überhaupt noch keine ausführlichen Mitteilungen gemacht 
worden sind. Die Beschreibungen normaler Venenstrukturen, 
die wir von Eberth?), Soboroff?), Retterer und Robin‘), 
Epstein®), Rovere‘) besitzen, behandeln entweder, wie die 
Arbeiten von Soboroff, Epstein und Rovere, die Venen 
in Körpergebieten, in denen durchaus andere mechanische 
Faktoren die Struktur beeinflussen als in der Schädelhöhle, oder 


!) Triepel, Das elastische Gewebe in der Wand der Arterien der Schädel- 
höhle. Anat. Hefte I. Abt. 22. Heft (7. Bd. 2. H.\, 1896. S. 191. 

2) Eberth, Von den Blutgefässen, in Strickers Handh. d. Gewebelehre, 
Bd. 187133 1987ER 

3) Soboroff, Untersuchungen über den Bau normaler und ektatischer 
Venen. Virchows Arch., Bd. 54, 1872. 8. 149 ft. 

4) Retterer et Robin, Sur la distribution des fibres elastiques dans 
les parois arterielles et veineuses. Journ. de l’Anatomie et de la Physiologie, 
20. annee 1884, pag. 116 ff. 

5) Epstein, Über die Struktur normaler und ektatischer Venen. 1. Mitt., 
Virchows Arch., Bd. 108, 18837. S. 103 ff. 

6) Rovere, Sulle fibre elastiche delle vene snperficiali degli arti. Anat. 
Anz., :Bd.:13, 1897. 7 S.196 IE 


292 HERMANN TRIEPEL, 


sie gehen, wenn sie allgemeiner gehalten sind, gerade mit den 
Gehirnvenen stiefmütterlich um. Manches, was mitteilenswert 
erscheint, ist nicht beschrieben worden, anderes ist, wie ich zu 
zeigen haben werde, nicht richtig angegeben. 

Der anatomischen Darstellung werde ich einen zweiten Teil 
folgen lassen, in dem ich versuchen werde, die Struktur der Ge- 
hirnvenen von der Art ihrer Beanspruchung abzuleiten, und es 
wird dazu nötig sein, die Cirkulationsverhältnisse in der Schädel- 
höhle einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen. Die Dinge 
liegen, wie sich zeigen wird, ziemlich kompliziert, und ich werde 
mich bemühen, bei ihrer Beurteilung mit möglichst sorgfältiger 


Kritik vorzugehen. 


I. 


Die Beschreibung der Gehirnvenen vereinfacht sich insofern 
ausserordentlich, als die Venen der verschiedenen Örtlichkeiten 
im Gehirn alle im grossen und ganzen einen übereinstimmen- 
den Bau zeigen, und dass im besonderen kein wesentlicher 
Unterschied zwischen inneren und äusseren Gehirnvenen existiert, 
während ihre Struktur sich von der anderer Körpervenen — 
und ich nahm Veranlassung deren eine grosse Reihe zum Ver- 
gleich zu untersuchen — in auffallender Weise unterscheidet. 
Beides ist leicht zu erklären: alle Gehirnvenen unterliegen den- 
selben Cirkulationsbedingungen und alle bleiben in gleicher 
Weise unbeeinflusst von den Bewegungen des Körpers und 
seiner Teile, während alle anderen Venen, vielleicht nur die 
im Knochen und im Auge verlaufenden ausgenommen, durch 
Körperbewegungen Lage- oder Gestaltsveränderungen erfahren. 
Hierdurch bin ich der gesonderten Beschreibung der einzelnen 


Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 293 


Gehirnvenen überhoben. Es ist selbstverständlich, dass manch- 
mal hier, manchmal dort eine Struktureigentümlichkeit besser 
zu Tage tritt, wie ich im einzelnen zu erwähnen haben werde, 
es wird sich jedoch zeigen, dass wesentliche Änderungen im 
Bau der Wand nur von der Grösse der Venen abhängen. 


Das Epithel der Gehirnvenen zeichnet sich durch seine 
grossen rundlichen bis ovalen Kerne aus. Wie in den Gefässen 
überhaupt, so löst es sich auch hier sehr leicht von dem perl- 
thelen Rohre ab. Gut zu Gesicht bekommt man es, wenn die 
Vene beim Fixieren mit Blut gefüllt, d. h. nicht durchgespült war. 
Im übrigen wurde das Hauptaugenmerk auf den perithelen An- 
teil der Gefässwand gelegt, als den, der für ihre mechanischen 


Aufgaben allein in Frage kommt. 


Das untersuchte Material stammte von Erwachsenen (nicht 
über mittleren Alters), bei denen keine Erkrankung des Gefäss- 
systems nachgewiesen worden war, und wurde ausschliesslich 
in starkem Alkohol fixiert. Berücksichtigung fanden Venen von 
den verschiedenen Oberflächengebieten des Gross- und Kleinhirns 
mit ihren aus dem Gehirn sich sammelnden Wurzeln, die Venae 
cerebri internae und die von ihnen aufgenommenen Gefässe, 
die Venen der Plexus chorioidei, ferner als Übergangsgefäss 
zwischen äusseren und inneren Venen die Rosenthalsche 
Vena basalis und schliesslich als Übergangsgefäss zwischen Venen 
und Sinus die Vena cerebri magna. Auch die Wände der Sinus 
selbst mussten, obwohl sie Teile der Dura mater sind, im An- 
schluss in den Kreis der Untersuchung gezogen werden. 


Es wurden Quer- und Längsschnitte der Gefässe untersucht, 
doch gewinnt man nur dann einen genügenden Einblick in die 
Struktur, die sich durch grosse Feinheit der Elemente auszeichnet, 
wenn man auch Tangentialschnitte und Flachschnitte des aus- 
gebreiteten Rohres anfertigt, und wenn man Teile der Wand 
zerzupft. Besonders instruktiv sind Präparate, die man erhält, 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVI. Heft (11. Bd. H. 3.) 20 


294 HERMANN TRIEPEL, 


wenn man die Wand durch Zerreissen in konzentrische Lamellen 
spaltet. Ihre Herstellung ist zwar mühsam, aber sehr lohnend; aus 
der Wand der grossen Venen, die durchschnittlich 50 « dick 
ist (natürlich ohne die bedeckende Arachnoidea gemessen) lassen 
sich in der Regel zwei Lamellen herstellen. Auch wurden ge- 
legentlich Flachschnittserien angefertigt, indessen gewähren solche 
Serien keinen grossen Vorteil, da bei den dünnen Öbjekten 
meist ein einziger Schnitt, wenn die Orientierung nicht absolut 
genau war, schon eine ganze Reihe von Schichten nebenein- 
ander zeigt. 


a) Die innere Grenzmembran. 


Unmittelbar nach aussen von dem Epithel ist in den 
grösseren und mittelgrossen Gehirnvenen eine strukturlose Mem- 
bran gelegen (T. XXVII, Fig. 1 u. 2). Die Membran besteht nicht 
aus gelbem Bindegewebe und ist also nieht etwa mit der inneren 
Grenzmembran der Arterien auf dieselbe Stufe zu setzen. "ie 
zeigt einmal nicht das hohe Lichtbrechungsvermögen, wie die 
aus gelbem Bindegewebe bestehenden Bildungen, andererseits 
unterscheidet sie sich durch ihre färberischen Eigenschaften sehr 
deutlich von diesen, vor allem wird sie durch saures Orcein 
nicht dunkelbraun gefärbt. Allerdings ist zu bemerken, dass 
sie in Orceinpräparaten sich meist durch eine um ein wenig 
dunklere Farbe von den übrigen Bestandteilen des Grundes 
abhebt, und gerade an Schnitten, die mit Orcein behandelt 
waren, fiel mir zuerst die innere Grenzlamelle der Gehirnvenen 
auf. Doch ist der Ton mehr gelblich und, wie gesagt, nur 
wenig von dem des Grundes verschieden. Daher kann es an 
Örceinpräparaten gelegentlich schwer oder unmöglich werden, 
die Membran mit Sicherheit von den benachbarten Geweben zu 
unterscheiden. 


Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 295 


Die Membran stellt sich auf Schnitten durch die Gefäss- 
wand als ein schmales Band dar, dessen Breitenausdehnung 
nicht nur in verschiedenen Venen, sondern oft in ein und der- 
selben Vene auf demselben Querschnitte Schwankungen unter- 
liegt. Besonders auffallend ist der Unterschied in den ober- 
flächlichen Venen, der dickere Teil der Membran gehört hier 
der von der Arachnoidea bedeckten Wand an. Ich fand z. B. 
an dieser Stelle in der Vena cerebri media die Membran 3,6 1, 
an der gegenüber liegenden Seite nur 1,7 «, ein anderes Mal 
2,7 u dick. In der Vena cerebri interna fand ich eine Dicke 
der Membran von 1,6 «, ebenso in der Vena basalis. 

Die Membran ist in allen grösseren Gehirnvenen, inneren 
und äusseren, vorhanden. Öfter ist sie auch noch an mittel- 
grossen und kleineren Venen zu bemerken, z. B. sah ich sie an 
ziemlich kleinen Venen der Plexus chorioidei laterales. Mit der 
Abnahme des Gefässkalibers wird sie entsprechend dünner und 
schliesslich verschwindet sie, ich bin jedoch nicht in der Lage, 
über die Art ihrer Endigung nähere Auskunft zu geben. 

Ausser in Quer- und Längsschnitten kann man die Mem- 
bran auch gelegentlich in einem Flachschnitt zu Gesicht be- 
kommen, wenn der Schnitt sehr dünn ist, und wenn man das 
allerdings seltene Glück hat, dass das Objekt beim Schneiden 
so orientiert war, dass die Schnittebene um einen sehr kleinen 
Winkel gegen die Ebene des der Fläche nach ausgebreiteten 
Stückes der Gefässwand gedreht war. In solchen Fällen sah 
ich den Schnitt seitlich mit einem kleinen Stück eines mem- 
branösen Gebildes enden, wobei der vorragende Zipfel keinerlei 
Struktur erkennen liess. Ebenso wenig war auf Quer- oder 
Längsschnitten eine Struktur der Membran nachzuweisen. In 
ganz vereinzelten Fällen (Vena cerebri media) sah ich einen 
Kern deutlich in der Membran liegen. 

Über das physikalische Verhalten der Membran kann ich 
nur wenig aussagen. Es scheint ihr eine gewisse Sprödigkeit 

20* 


296 


HERMANN TRIEPEL, 


zuzukommen, wie man wohl daraus schliessen kann, dass sie 
sich öfter zusammen mit dem Epithel von der übrigen Gefäss- 
wand abhebt. In solchen Fällen ist es natürlich mit keiner 
Schwierigkeit verbunden, ihre Anwesenheit zu konstatieren. An 
anderen Stellen ist die Membran nicht auf grössere Strecken 
abgehoben, sondern wölbt sich nur mit einem umschriebenen 
Stück nach dem Lumen zu in der Form einer kleinen Blase 
vor (Taf. XXVII, Fig. 1). Beides erinnert an das Verhalten der 
Membrana flava interna der Arterien, die auch gelegentlich 
einmal abspringt, wenn sie auf ihrer Innenseite nur das Epithel 
trägt, und die sich infolge der Kontraktion der cirkulären Mus- 
kulatur in die bekannten mäanderartigen Krümmungen legt. 
Auch bei den Gehirsvenen liegen nach aussen von der Mem- 
bran glatte Muskeln, wie noch ausführlich zu erörtern sein 
wird. Indessen sind die beschriebenen Vorkommnisse an der 
Venenmembran doch nur sehr schwache Andeutungen der Er- 
scheinungen, die von der arteriellen Membran bekannt sind, 
und sie berechtigen natürlich nicht, der Grenzlamelle der Gehirn- 
venen genau dieselben elastischen Eigenschaften wie jener zuzu- 
erkennen. 

Die Membran besitzt nun das Vermögen, recht leicht die 
verschiedensten Farbstoffe anzunehmen, und zwar sowohl basische 
als auch saure. Mit Böhm erschem Hämatoxylin färbt sie sich 
ein wenig dunkler hellblau als Bindegewebe und Muskulatur, 


mit dem bei Dr. Grübler unter der Bezeichnung 


g „konzentriert, 


haltbar‘‘ käuflichen Alaunkarmin intensiv rot. Durch Eosin 
lässt sie sich gut hervorheben, ebenso durch Pikrinsäure. Wendet 
man ein Gemisch von Fuchsin und Pikrinsäure (van Gieson) 
an, so erhält man bei zweckmässiger Differenzierung die Mem- 
bran in einem angenehmen gelblich-rötlichen Farbenton. Sehr 
vorteilhaft erweist sich die Färbung mit dem von Unna an- 
gegebenen polychromen Methylenblau, auf die man am besten 


die langsame Differenzierung mit konzentrierter Tanninlösung 


Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 297 


folgen lässt; diese empfiehlt Unna für die Darstellung einer 
Substanz, die er bei gewissen Erkrankungen der Haut fand 
und mit dem nicht sehr schönen Namen ‚Elacin‘“ bezeichnete). 
Besonders grosse Verwandtschaft za dem Unnaschen Farbstoff 
hat in den Venenpräparaten — ausser den Kernen und den roten 
Blutzellen — noch die glatte Muskulatur, und so kommt es, 
dass man bei unvollkommener Differenzierung in Querschnitten 
zwei blaue Streifen neben einander bekommt, nämlich einen 
helleren, eben den Querschnitt der Membran, und nach aussen 
davon einen dunkleren, hervorgerufen durch Bindegewebs- 
schichten, die glatte Muskelzellen eingeschlossen enthalten. 
Differenziert man weiter, so entfärbt sich der dunklere Streifen 
teilweise, der hellere nimmt einen grünen Farbenton an. 

Was für eine Substanz liegt nun in der inneren Grenz- 
lamelle der Gehirnvenen vor? Und giebt uns vielleicht ihr 
Verhalten Farbstoffen gegenüber einen Anhaltspunkt bei ihrer 
Beurteilung ? 

Es zeigte sich, dass die Membran von einigen Farbstofien, 
wie Eosin, Pikrinsäure, polychromem Methylenblau, in fast genau 
derselben Weise tingiert wird, wie die roten Blutzellen, man 
könnte deshalb vielleicht daran denken, dass die innerste Wand- 
schicht der Venen von Blutfarbstoff imbibiert ist, und dass 
dadurch nur der Anschein erweckt wird, als unterscheide sich 
die innerste Lage der Gefässwand ihrem Wesen nach von den 
äusseren bindegewebigen Schichten. Dieser Gedanke ist jedoch 
von der Hand zu weisen, der scharfen Begrenzung halber, die 
die Membran gegen die nach aussen von ihr gelegenen Wand- 
schichten zeigt. 

Man könnte ferner vielleicht vermuten, da sich die Membran 
durch dieselbe Methode wie „Elacin“ (s. unten Anm. 1) dar- 


1) Unna, Elastin und Elacin. Monatshefte für prakt. Dermatologie. 
Bd. 19, Nr. 8. 8: 397. 189. 

Wenn ich das Wort „Elastin“ verwerfe, so kann ich natürlich die un 
glückliche Bildung „Elacin* erst recht nicht anerkennen. 


298 HERMANN TRIEPEL, 


stellen lässt, dass es sich auch wirklich um diese Substanz 
handelt, die wahrscheinlich nicht nur ein pathologisches Produkt 
ist, sondern in einer ganzen Reihe normaler Arterien vorzu- 
kommen scheint!). Doch ist auch diese Annahme nicht halt- 
bar, denn es fehlt das eine Hauptcharakteristicum des „Placin“, 
das sich auch mit saurem Orcein färbt, und zwar annähernd 
mit derselben Intensität wie gelbes Bindegewebe. 

Nicht minder verwerflich wäre der Gedanke, dass die Mem- 
bran mit benachbarten glatten Muskelzellen in genetischem 
Zusammenhang stehe. Es hat ja allerdings v. Ebner den 
Versuch gemacht, auch die Entstehung gelben Gewebes auf 
Muskelzellen zurückzuführen ?), indessen ohne Anklang zu finden. 

Es ist kaum nötig zu betonen, dass kein pathologisches 
Produkt vorliegen kann; hiergegen spricht schon das allgemeine 
Vorkommen der Membran, ihr Vorhandensein bei allen unter- 
suchten Leichen und an den Venen aus den verschiedensten 
Grehirnbezirken. 

Somit bleibt nur die Annahme übrig, dass in der Membran 
entweder ein Abscheidungsprodukt des Epithels oder eine be- 
sondere Modifikation des Bindegewebes vorliegt. Ich möchte 
mich für die zweite Hypothese entscheiden, und zwar vor allem 
wegen der ungleichmässigen Dicke der Membran, die dafür zu 
sprechen scheint, dass das Gebilde mechanisch in Anspruch ge- 
nommen wird; und dass den von Epithelzellen produzierten 
Häuten mechanische Aufgaben zufallen, wäre zuerst zu beweisen. 
Die Zugehörigkeit der Membran zum Bindegewebe geht auch 
daraus hervor, dass die Kerne, die, wie oben bemerkt wurde, 
in seltenen Fällen in der Membran zu sehen waren, durch ihre 


1) Vergl. Triepel, Die Membrana elastica interna der Gehirnarterien. 
Vortrag, gehalten in der Sitzung des medizinischen Vereins in Greifswald am 
7. Mai 1598, Ref. deutsche med. Wochenschr. 1898. 

B) 


2) v. Ebner, Über den Bau der Aortenwand, besonders der Muskelhaut 
derselben. Unters. aus d. Instit f. Phys. u Histol. in Graz, 1870. 8. 44. 


Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 298 


Form an Bindegewebskerne erinnerten. Ob die Membran direkt 
als Intercellularsubstanz sich angelegt hat, oder ob sie sich aus 
bereits geformten Elementen der bindegewebigen Intercellular- 
substanz gebildet hat, mag dahingestellt bleiben. 


Dass eine gleiche Membran oder dieselbe Substanz noch an 
anderen Stellen des Körpers beobachtet worden wäre, ist mir 
nicht bekannt. Vielleicht fasst man gegenwärtig überhaupt 
unter dem Begriff kollagenen Bindegewebes noch verschiedene 
Substanzen zusammen, die chemisch oder physikalisch nicht 
identisch sind, ganz abgesehen davon, dass durch die verschiedenen 
Mengenverhältnisse, in denen Fibrillen und verbindender Kitt 
stehen, sehr differente Gebilde hervorgebracht werden. 


b) Kollagenes Bindegewebe. 


Bei weitem den Hauptbestandteil der Gehirnvenenwand 
bilden kollagene Fasern. Die Fasern sind, wie sich das ja ge- 
wöhnlich findet, zu Bündeln geordnet, diese zeichnen sich aber, 
wenigstens in den inneren Schichten der Venen durch ihren 
sehr geringen Durchmesser aus. Ebenso wie den Bindegewebs- 
bündeln kommt überhaupt allen Strukturelementen, die die (re- 
hirnvenenwand zusammensetzen, eine grosse Feinheit zu, wodurch 
der Untersuchung bisweilen Schwierigkeiten erwachsen können. 


Die Bündel kollagener Fasern sind nun weiter zu sehr 
dünnen Lamellen zusammengefasst, die ihrerseits wieder sehr 
dicht aneinandergefügt sind. Die Lamellen sind dabei derart 
geordnet, dass immer eine Lage cirkulär verlaufender Bündel 
von einer Lage längsverlaufender gefolgt wird. Der Winkel, 
unter dem die auf einanderfolgenden Bündel sich überkreuzen, 
ist aber nicht immer genau ein Rechter, es kommen Abweich- 
ungen bis zu fast 30° vor, also recht erheblicher Natur; es finden 
sich also zwischen Lagen mit rein transversaler und longitu- 


300 HERMANN TRIEPEL, 


dinaler Verlaufsrichtung der Fasern auch schräg dahinziehende 
Bündel. Um die Faserrichtung zu bestimmen, hat man, auch 
wenn das kollagene Gewebe nicht besonders dargestellt ist, in 
der Lage der langgestreckten Muskelkerne, deren längste Achse, 
wie ich unter c) beschreiben werde, mit der Richtung der um- 
gebenden Bindegewebsfasern zusammenfällt, einen bequemen 
Anhaltspunkt. Natürlich wurde nicht versäumt, die Bündelchen 
auch selbst darzustellen, wozu sich in der Färbung mit Fuchsin 
oder Orcein (neutralem oder auch saurem bei Überfärbung) ein 
einfaches Mittel bot. 

Auf die innere Grenzmembran folgen nach aussen hin zu- 
nächst meistens cirkulär gerichtete Bindegewebsbündel, doch 
kommen Fälle vor, in denen man auch schon zwischen Mem- 
bran und cirkulärer Schicht längsgerichtete Bündel antrifft. Die 
Lamellen sind, wie gesagt sehr dünn, man kann an grösseren 
Gehirnvenen 6—8 und noch mehr solcher Blätter unterscheiden. 
Tangentialschnitte liefern natürlich Schiefschnitte durch die Bündel 
und lassen ihren Durchmesser grösser erscheinen, als er in Wirk- 
lichkeit ist, erleichtern aber gerade hierdurch, wenn sie dünn 
genug sind, den Überblick über die Lamellen. An solchen 
Schnitten sieht man auch gelegentlich einmal, wie Fasern oder 
ganze Bündel aus einer Schicht in die benachbarte hinüberziehen; 
durch eine derartige Verbindung der Schichten untereinander 
muss ein sehr inniger Zusammenhalt der Lamellen garantiert sein. 

Je weiter nach innen zu sie liegen, um so fester sind die 
Bündel und Lamellen an einander gefügt, und um so kleiner 
ist ihr Durchmesser. Nach der äusseren Seite der Gefässwand 
hin nehmen sie an Dicke zu und werden auch etwas lockerer. 
Allmählich gehen sie in Lagen über, in denen derbe Bündel 
sich ganz locker mit einander verbinden und so ein Maschen- 
werk entstehen lassen (Taf. XX VII, Fig. 5), in dem, soviel ich er- 
kennen konnte, keine Richtung von den einzelnen Bündeln be- 


sonders bevorzugt wird; allenfalls kann man in einigen Fällen 


Taf. XXVv1. 


Anatomische Hefte. 1Abteilung. Heft36.(X1.BA.H. 3.) 


egv.JF Bergmann, Wiesbaden. 


Verla 


i£. 


Kirst, Leipz 


lith.Anstx. C. 


Triepel und Rübsamen del 


Es 


Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 301 


die Anordnung der Bündel als eine vorwiegend horizontale be- 
zeichnen. Aus dieser Lage entwickeln sich dann die Fäden und 
Blätter des subarachnoidealen Gewebes, die erwähnten Bündel 
sind aber durchaus noch zur Venenwand hinzuzurechnen. 

Noch zu erwähnen wäre, dass die Zahl der Schichten und 
damit die Wanddicke nicht konstant ist, sie unterliegt oft in 
ein und demselben Querschnitte gewissen Schwankungen. Es 
zeigt sich nämlich, dass an den oberflächlichen Venen diejenige 
Wand, die dem Gehirne (bezw. der Pia mater) zugekehrt ist, 
dicker ist als die gegenüberliegende, der Arachnoidea benach- 
barte. An den Venae cerebri internae ist meistens die dickere 
Wand die obere, dem Fornix näher liegende, die dünnere die- 
jenige, die dem Dach des dritten Ventrikels aufliegt; allerdings 
kommen gerade in den Venae cerebri internae oft individuelle 
Unterschiede vor. Es wird sich zeigen, dass mit der Verschieden- 
heit der Wanddicke auch eine Verschiedenheit in der Anhäufung 
des gelben Bindegewebes einhergeht, und dass beides auf eine 
verschiedene Beanspruchung der beiden Seiten des Gelässes zu- 
rückgeführt werden kann. 

Wenn wir zu kleineren und kleinsten Venen übergehen, so 
nimmt die Anzahl der Schichten sehr schnell ab, sodass ‚wir 
schliesslich bei den kleinen Venen, die in der Tiefe der Gehirn: 
furchen verlaufen, nur noch einige wenige Bündel längsgerichteter 
Fasern übrig haben, die das Epithelrohr bedecken. Ebenso ver- 
halten sich die Venen, die die Gehirnsubstanz selbst beherbergt, 
mit Ausnahme der dickeren Vena terminalis. 

Bindegewebskerne von ovaler Form sind ohne erkennbare 
Regelmässigkeit zwischen den Bündeln eingelagert. 


c) Glatte Muskeln. 


Glatte Muskeln finden sich in allen grösseren und auch 
noch den mittelgrossen Gehirnvenen. Ihre Anzahl ist zwar nicht 


302 


HERMANN TRIEPEL, 
erheblich, sie sind aber doch thatsächlich vorhanden. Dieser 
Befund würde an und für sich nichts Befremdendes haben, es 
muss aber deswegen ganz besonders auf ihn hingewiesen werden, 
weil ihre Anwesenheit fast von allen Autoren, die Angaben 
über die Struktur der Gehirnvenen machen, geleugnet wird. 
Gewöhnlich findet man die Venen der Pia mater als Beispiel 
von muskelfreien Venen angeführt; dass damit immer nur die 
kleinsten Venen der Pia gemeint wären, bei denen die Behaup- 
tung zutreffend wäre, ist doch nicht anzunehmen. 

Die Angaben der Lehrbücher scheinen meistens zu fussen 
auf den Ausführungen Henles und Eberths. Henle!) giebt 
an, dass die Venen die Schädelhöhle, Eberth?), dass die Venen 
der Pia und Dura mater zu den muskellosen gehören. Ran- 
vier?) äussert in diesem Punkte keine eigene Meinung, giebt 
aber in einer Anmerkung die Eberth’sche Einteilung der Venen 
wieder. Die Ansicht Eberths teilen gleichfalls Schäfer‘), 
Klein5), Schenk®). Bei Stöhr”) findet man die Bemerkung, 
dass den Venen der Pia und Dura mater die Media fehlt, 
während nach der Ausdrucksweise von Toldt®) und von Böhm- 
Davidoff?) bei den Venen der nervösen Centralorgane und 
ihrer Häute bezw. den Venen der Dura und Pia mater des Ge- 
hirns die Muskelfasern in der Media fehlen. Was man sich aller- 


dings dann noch unter Media, wenn in ihr Muskelfasern fehlen, 


!) Henle, Handb. d. systematischen Anatomie des Menschen. 3. Bd. 
1."Abt,., 1868. )8:817: 

2)yHbertih, 1 c. 'S. 199. 

3) Ranvier, Technisches Lehrb. der Histologie. Übers. v. Nicati und 
Wyss, 1877. S. 543, Anm. 

4) Schäfer, Histologie. Übers. von Krause, 1889. S. 103. 

5) Klein, Grundzüge der Histologie. Deutsch von Kollmann, 1890, 
Ser 

6) Schenk, Grundriss der Histologie, 1885. 8. 205 ff. 

7) Stöhr, Lehrb. der Histologie, 1898. 8. 97. 

8) Toldt, Lehrb. der Gewebelehre, 1884. Venen 8. 859 ff. 

9) Böhm-Davidoff, Lehrbuch der Histologie des Menschen, 1898. S. 262. 


Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Blutcirkulation i. d. Schädelhöhle. 303 


vorzustellen hat, und wie man sie gegen andere Wandschichten 
abgrenzen soll, ist nicht zu beantworten. 

Denselben Angaben begegnen wir wieder in den histiologi- 
schen Notizen der anatomischen Lehrbücher. Nach Hyrtl!') 
fehlen die Muskelfasern in den Venen des Gehirns, ebenso nach 
Langer?). Der betreffende Satz in Langers Lehrbuch ist in 
die Neubearbeitung von Toldt’) wörtlich hinübergenommen 
worden. Rauber‘) lässt die Venen der Pia und Dura mater 
keine Tunica media besitzen, nach W. Krause?) sind sie gänz- 
lich muskelfrei, und Gegenbaur‘) schreibt, die Tunica media 
werde in den Venen der Hirnhäute „nur durch Bindegewebe 
und elastische Fasern vertreten“, und in den Venen des Gehirns 
„scheine sie zu fehlen.“ 

Dagegen finde ich schon bei Ecker’) die Abbildungen 
zweier Venen von der Oberfläche des Gehirns mit Muskelkernen, 
die mir allerdings bei dem geringen Kaliber der Gefässe (0,200 
und 0,062 mm) sogar zu zahlreich erscheinen, die aber immer- 
hin von Ecker in der Beschreibung richtig gedeutet werden. 
Und endlich wäre zu erwähnen, dass Koelliker 1854°) zwar 
angiebt, dass die meisten Venen der Gehirnsubstanz und Pia 
mater der Muskulatur entbehren, dass er aber immerhin zu- 
giebt, dass bei den grössten dieser Venen eine schwache An- 
deutung von Muskeln in der Media vorkommt. Der betreffende 
Satz ist wörtlich in allen späteren Auflagen des Handbuchs der 
(rewebelehre ?) wiederholt. 


1) Hyrtl, Lehrb. der Anatomie des Menschen, 1889. S. 180. 
?2) Langer, Lehrb. der systematischen und topographischen Anatomie 
210 Aufl., 188208. 212: 
3) Dasselbe, 5. Aufl., bearbeitet von Toldt, 1893. S. 429. 
4) Rauber, Lehrb. der Anatomie des Menschen. 2. Bd., 1898. S. 22. 
5) W. Krause, 3. Aufl. des Handb. der menschlichen Anatomie von 
C. F. Th. Krause, 1. Bd., 1876. 8. 314. 
6) Gegenbaur, Lehrb. der Anatomie des Menschen, 2. Bd., 1892. 8.224. 
?) Ecker, Icones physiologicae, 1851—59, Taf. IV, Fig. 6 und 7. 
8) Koelliker Mikroskopische Anatomie. 2. Bd., 2. T., 1854. 8. 518. 
9) Bis 1867. Die neueste Auflage ist nicht bis zur Gefässlehre fortgeführt. 


Den so ziemlich übereinstimmenden Angaben der Autoren 
gegenüber verdient die Thatsache wohl Erwähnung, dass Mus- 
kelkerne in der Wand der grösseren und selbst mittelgrossen 
Gehirnvenen in merklicher Menge vorhanden sind. Man be- 
obachtet auf Querschnitten (Taf. XXVIL Fig. 1 u. 2) oder auf 
Längsschnitten, ganz besonders gut aber in Zupfpräparaten 
(Taf. XXVII, Fig. 6) oder in abgerissenen Wandschichten 
(Taf. XXVIL, Fig. 3 u. 4) eine ganze Anzahl von stäbchenförmigen 
Kernen, die unbedenklich für Muskelkerne ansprechen wird, wer 
sie vorurteilsfrei betrachtet. Die Muskelzellen, denen die Kerne 
angehören, bilden aber nirgends eine zusammenhängende Schicht, 
sondern liegen immer isoliert inmitten der Bündel von kolla- 
genen Fasern, und ihre Richtung, bezw. die der Kerne, stimmt 
somit, wie ich schon erwähnt habe, immer mit der Richtung 


der Bindegewebsbündel überein. 


Am zahlreichsten sind die Muskelkerne in den Schichten 
der Wand, die der inneren Grenzmembran benachbart sind, 
und zwar sind sie‘ meistens zunächst quer (oder schräg) gestellt, 
selten sieht man noch nach innen von ihnen einmal einen längs- 
gestellten Kern. Nach aussen von dieser Lage findet man, etwas 
spärlicher, Muskelkerne deren Längsachse mit der Achse des 
Gefässes wenigstens annähernd zusammenfällt (Taf. XXVI, 
Fig. 3 u. 4): es kommen bei den Kernen natürlich dieselben Ab- 
weichungen von der rein horizontalen und longitudinalen Stellung 
vor, die ich vorhin bei der Schilderung der Bindegewebsbündel 
erwähnte. Die ganze kernreiche Partie könnte man, wenn man 
wollte, allenfalls als Media bezeichnen, aber man wird besser 
thun, von einer solchen Benennung, die bei den Gehirnvenen 


sehr wenig am Platze ist, vollkommen abzusehen. 


Auch in den weiter nach aussen gelegenen Schichten der 
Wand findet man noch Muskelkerne mit verschiedener Richtung, 


die allerdings nur noch vereinzelt vorkommen, aber doch von 


Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 305 


den gleichfalls vereinzelten ovalen Bindegewebskernen zu unter- 
scheiden sind. 

In mittelgrossen Venen nimmt die Zahl der Muskelkerne 
ab, sie sind aber, z.B. in der Vena terminalis, noch sicher vor- 
handen; in der Wand der kleinen Venen, z. B. derer, die man 
aus der Gehirnsubstanz herauszieht, gewahrt man nur höchst 
selten einmal einen Muskelkern. 

Die stäbchenförmigen Kerne sind nun nicht genau eylindrisch 
gestaltet, sondern fast immer parallel der Wand plattgedrückt, 
sodass sie in Schnitten, die senkrecht zur Wand geführt sind, 
gewöhnlich viel — etwa um die Hälfte — schmäler und natur- 
gemäss dunkler erscheinen als in Flachschnitten oder in Riss- 
präparaten. Ob dieses Verhalten nur eine Folge der Behand- 
lung der Objekte ist, mag dahingestellt bleiben. In Riss- und 
Zupfpräparaten der Vena cerebri interna mass ich an den Kernen 
eine Länge von 15,5— 22,1 u bei einer Breite von 1,7 u. 

Die Zellen, denen die stäbehenförmigen Kerne angehören, 
sind sehr schmal und dünn, d. h. sie enthalten wenig Muskel- 
protoplasma. Ich konnte das gelegentlich an einfachen Häma- 
toxylinpräparaten wahrnehmen (Taf. XXVIH, Fig. 6), ich sah in 
solchen Fällen, dass der Protoplasmamantel, der die Kerne um- 
giebt, ausserordentlich reduziert ist, und dass die Zelle jenseits 
der Kernpole bald schmäler wird, als der Kern selbst ist. Hierin 
ist wohl auch der Grund zu suchen, dass mir die verschiedenen 
Methoden, die als spezifisch für die Färbung des Muskelproto- 
plasmas angegeben worden sind, und bei denen es auf eine sehr 
peinliche Differenzierung ankommt, nur wenige brauchbare Präpa- 
rate lieferten; dagegen ist zu erwähnen, dass die in Frage kom- 
menden Farbstoffe immer von den innersten Wandschichten am 
längsten zurückgehalten wurden, ob wegen ihres reichlichen Ge- 
haltes an Muskelfasern, will ich nicht entscheiden. 

Bei der absolut geringen Menge von Muskelprotoplasma, 


das in den Gehirnvenen vorhanden ist, erscheint es fraglich, ob 


306 HERMANN TRIEPEL, 


ihm hier in mechanischer Beziehung eine besondere Rolle zu- 
kommt; an anderer Stelle werde ich darauf zurückzukommen 


haben (S. 333). 


d\) Gelbes Bindegewebe. 


Über die Verteilung des gelben Bindegewebes in der Wand 
der Gehirnvenen ist uns bisher noch gar nichts bekannt. Das 
gelbe Bindegewebe zeichnet sich hier durch eine grosse Ein- 
fachheit der Anordnung und durch eine geradezu verblüffende 
Feinheit mancher Fasern aus, sodass diese wohl geeignet sein 
möchten, als Versuchsobjekt bei der Prüfung der verschiedenen 
Methoden zu dienen, die zur Darstellung der gelben Fasern an- 
gegeben worden sind. Durch die Färbung mit saurem Orcein 
erhielt ich sehr zufriedenstellende Resultate. 

Man kann (Taf. XXVII, Fig. 1 u. 2) nach der Verteilung des 
gelben Bindegewebes drei Schichten in der Wand der grösseren 
Gehirnvenen unterscheiden, die freilich nicht scharf von einander 
geschieden sind, und deren Dickenverhältnis vielfachem Wechsel 
unterliegt. 

Die interessanteste der drei Schichten ist die mittlere. In 
ihr findet man ausserordentlich feine Netze gelber Bindegewebs- 
fasern, die sowohl in cirkulärer als auch in radiärer Richtung 
verfolgt werden können, die also nicht flächenhaft, sondern 
räumlich angeordnet sind. In einigen Fällen wird zunächst ein 
etwas gröberes Maschenwerk aus Fasern hergestellt, die aller- 
dings auch schon unmessbar fein sind, und diese Maschen werden 
von einem dichten, aus den feinsten Fasern bestehenden Netzwerk 
eingenommen (Taf. XXVII, Fig. 3). In anderen Fällen besteht 
das ganze Netz gleichmässig aus den feinsten Fasern (Taf. XXVIJ, 
Fig.4). Die Lücken zwischen den Fäserchen sind überaus eng, 
und in der Anordnung der Fasern ist keine Richtung vor der 
andern merklich bevorzugt, sodass man in geeigneten Präpa- 
raten den Anblick eines unentwirrbaren Filzes erhält. 


Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 307 


In der inneren Schicht, d. i. dort, wo sich verhältnismässig 
zahlreiche Muskelkerne finden, ist das gelbe Bindegewebe nur 
sehr spärlich entwickelt. Man sieht hier nur vereinzelte gelbe 
Fasern mit verschiedener Richtung, sie befinden sich innerhalb 
der Bindegewebsbündel, oder sie liegen der inneren Grenzmem- 


bran an, gewöhnlich von aussen, in einzelnen Fällen auch von 
innen. 


Etwas reichlicher ist die äussere Wandschicht mit gelbem 
Bindegewebe versehen. Hier finden sich in den lockeren Binde- 
gewebsbündeln, die ich vorhin beschrieb, dickere Fasern mit 
einem im wesentlichen ceirkulären Verlauf (Taf. XXVIL, F ig. 8). 
Diese Fasern sind aber auch unter einander durch schräge 
Zwischenstücke verbunden, sodass sie sich zu einem grob- 
maschigen Netze zusammensetzen, dessen Maschen in horizon- 
taler Richtung sehr in die Länge gezogen sind. 


Von der geschilderten Anordnung finden sich nun ver- 
schiedene Abweichungen, die allerdings gewöhnlich sich leicht 
auf die typische Einteilung zurückführen lassen. Bisweilen fand 
ich die radiäre Ausdehnung der mittleren Wandschicht nur 
germg und das ganze Netz in radiärer Richtung sehr zusammen- 
gedrängt (wobei beiläufig ein Artefakt ausgeschlossen war), so 
dass man bei Anwendung schwächerer und mittelstarker Ver- 
grösserungen glauben konnte, eine dicke gelbe Membran liege 
in der Mitte der Wand; erst mit Hülfe starker Systeme erkennt 
man in solchen Fällen die wahren Formen. Die feinsten Netze 
zeigen entschieden die Venen an der Oberfläche des Gehirns, 
an den Venae cerebri internae sind die Fasern der Netze etwas 
stärker, wenn auch in unbedeutendem Masse, und es zeigt sich 
an einigen von ihnen der eirkuläre Verlauf deutlicher ausge- 
prägt. Die einzelnen Schichten können in einander übergreifen, 
nicht selten sieht man, dass der netzführende Teil sich stark 
verbreitert und fast bis an die innere Grenzmembran heranreicht. 


BUS HERMANN TRIEPEL, 


In den meisten grösseren Gehirnvenen wechselt an ver- 
schiedenen Stellen desselben Querschnittes die Menge des gelben 
Bindegewebes. Immer fand ich eine solche Verschiedenheit an 
den grossen Oberflächenvenen, und zwar ist hier die an die 
Pia grenzende Wand in weit geringerem Masse mit gelber Sub- 
stanz ausgestattet als die gegenüberliegende. In den Venae 
cerebri internae ist oft die untere, nach dem dritten Ventrikel 
sehende Wand reichlicher damit versehen als die dem Fornix 
benachbarte. Indessen scheinen hier, wie auch in anderen Einzel- 
heiten, individuelle Unterschiede vorzukommen. In manchen 
kleinen Venen sind die Verschiedenheiten in der Versorgung 
verschiedener Querschnittsteile sehr auffallend; es kommt vor, 
dass die eine Seite der Vene ganz frei ist von gelben Binde- 
gewebselementen, während die andere Seite noch leidlich aus- 
gebildete Netze enthält. 

Ein bemerkenswertes Verhalten zeigen die Venae cerebri 
superiores an den Stellen, wo sie vor ihrer Mündung in den 
Sinus sagittalis superior eine Strecke weit an der Aussenwand 
des Sinus hinlaufen und mit dieser verschmelzen. Das letzte 
Venenstück gehört schon seinem Bau und seiner Funktion nach 
canz zu dem Sinus und zeigt, wie ich unter e) beschreiben will, an 
seiner Innenfläche ein feines Gitter aus gelbem Bindegewebe, 
das Homologon einer Membran. Aber schon vorher tritt an der 
einen Seite der Vene das Gitter auf, nämlich an der mit der 
Sinuswand verbundenen, während die gegenüber liegende die 
typische Struktur der Venenwandung zeigt. Nach aussen von 
dem Gitter liegen schon die Bindegewebsbündel der Sinuswand, 
nach innen die innere Grenzmembran der Venen, wenn sie noch 
vorhanden ist — ich sah sie hier nur in einem Falle —, oder 
sofort das Epithel. Das Gitter ist nicht etwa zu verwechseln 
mit sehr dicht zusammenliegenden Netzwerken, wie ich sie ge- 
legentlich in den mittleren Venenschichten sah, es ist im Gegen- 


satz dazu nur der Fläche nach ausgedehnt. 


Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 309 


In kleineren Venen ist das gelbe Bindegewebe in geringerer 
Menge vorhanden, es nimmt aber nicht parallel mit dem Kaliber 
des Gefässes ab. Auffallend gering ist es entwickelt in der 
Rosenthalschen Vena basalis, noch geringer in der Vena 
terminalis, während die kleinen Venen der Plexus chorioidei 
noch ziemlich reichlich damit versehen sind (Taf. XXVII, Fig. 7). 
Die Fasern der Netze sind in den kleinen Venen oft dicker als 
in den grossen. In den kleinen Venen der Oberfläche ist das 
unansehnliche Netz etwas nach aussen verschoben. 

Vollständig verschwunden ist das gelbe Bindegewebe bereits 
in solchen Venen, deren Wand sich noch aus mehreren Lagen 
kollagener Bündel zusammensetzt. 


e) Die Sinus und die Übergangsvenen. 


Die Sinus und die Übergangsvenen (die letzten Enden der 
Venae cerebri superiores und die Vena cerebri magna) zeichnen 
sich dadurch aus, dass sie an ihrer Innenfläche von einem 
sehr dichten Gitter aus gelbem Bindegewebe überkleidet sind, 
das die Stelle einer Membran vertritt. Ebenso wie die Aus- 
kleidung der Übergangsvenen zeigen auch andere Teile ihrer 
Wand, dass diese Gefässe oder Gefässabschnitte zum Sinussystem 
zu rechnen sind. Die Wand besteht nämlich hier hauptsäch- 
lich aus Bindegewebsbündeln, die im allgemeinen dicker sind als 
die feinen Bündelchen der Venen; gleichgerichtete Bündel bilden 
keine einfachen Schichten, sondern dickere Lagen, ehe sie von 
anders gerichteten Bündeln gekreuzt werden. In der Wand der 
Vena cerebri magna verlaufen kleinere Gefässe, wodurch sie 
sich ebenfalls von anderen Gehirnvenen unterscheidet. An diese 
erinnert dagegen das gelbe Bindegewebe, das die Vena magna 
auch wesentlich in der Form von Netzen enthält, die aber aus 
gröberen Fasern bestehen und unregelmässig in den einzelnen 
Wandschichten auftreten. 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVI Heft (11. Bd. H. 3.) 21 


310 HERMANN TRIEPEL, 


Man hat die Sinus als einfache Spalten in der Dura mater 
aufgefasst. Vollkommen stimmt das zwar nicht, denn die Binde- 
gewebsbündel ihrer Wand zeigen nicht dieselbe einfache Anord- 
nung wie die Bündel in der Dura. Indessen sind die Beziehungen 
zwischen Sinuswand und Dura doch ausserordentlich innige, und 
daher glaube ich, dass es an dieser Stelle genügt, wenn ich mich 
auf einige Angaben über die Auskleidung beschränke. 

Das Gitter, das diese Auskleidung übernimmt, liegt un- 
mittelbar unter dem Epithel und überzieht auch die Bälkchen, 
die sich im Innern der Sinus, besonders des Sinus sagittalis 
superior finden. Es setzt sich aus dünnen Fasern zusammen, 
die sehr dicht bei einander liegen und ganz unregelmässig be- 
erenzte, sehr kleine Lücken zwischen sich lassen (Taf. XXVII, 
Fig. 9). Man wird an die Gitter in den kleinen Arterien 
erinnert, doch sind die Fasern dünner und die Löcher unregel- 
mässiger umsäumt. Über die Innenfläche des Gitters zieht ab 
und zu eine einzelne gelbe Faser. 

Sehr häufig sind Vervielfältigungen und Auffaserungen des 
Gitters, ganz ähnlich denen, die man an der Membrana flava 
interna der Arterien antrifft. An besonders zahlreichen Stellen 
weist der Sinus sagittalis superior solche Auffaserungen auf, 
was hier sich leicht mit der Anwesenheit der Bälkchen und un- 
regelmässigen Zwischenwände in Zusammenhang bringen lässt, 
die jedenfalls Wirbelbildungen im Blutstrom und lokale Druck- 
erhöhungen veranlassen. Die Auffaserungen sind meist wieder 
in Form von Netzen angeordnet. Das Gitter lässt eine grössere 
Anzahl sekundärer Gitter entstehen, die unter sich wieder viel- 
fach zusammenhängen und so ein Waben- oder Fachwerk bilden. 
In den Maschen solcher Auflagerungen liegen spindelförmige 


langgezogene Kerne, die dem Bindegewebe zuzuzählen sind. 


Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 311 


Il. 


Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Struktur der 
Gefässwände normalerweise den mannigfachen mechanischen 
Beanspruchungen, die an die Gefässe herantreten, gerecht wird. 
Es ist nur ein kleiner Schritt zu der Annahme, dass diejenigen 
Strukturelemente, die besonders geeignet sind, den mechanischen 
Einwirkungen entgegenzutreten, sich erst unter dem Einflusse 
dieser Einwirkungen gebildet haben, dass also die Gefässe im 
Sinne Rouxs eine funktionelle Struktur besitzen. Die Frage- 
stellung gestaltet sich bei den Gefässen schwieriger als bei an- 
deren Organen, weil in ihnen verschiedene Gewebsarten zu 
unterscheiden sind, das leimgebende und das gelbe Binde- 
gewebe und die glatte Muskulatur, und darauf mag es wohl 
zurückzuführen sein, dass seit der Feststellung einiger leitender 
Gesichtspunkte durch Bardeleben!) noch wenig Klärung in 
die Angelegenheit gebracht worden ist. 

Die Untersuchung gestaltet sich bei den Arterien einfacher 
als bei den Venen, weil dort die Möglichkeit vorliegt, von Ge- 
fässen auszugehen, in denen die Verhältnisse ausserordentlich 
einfach liegen, nämlich von den Gehirnarterien, diese werden 
nicht von aussen beeinflusst, sondern nur von innen durch den 
Anprall der Blutwelle bei der Pulsation. Diese Beeinflussung 
durch den Puls ist bei den Gehirnarterien fast?) genau dieselbe 
wie bei anderen gleichgrossen Körperarterien. 

1) Bardeleben, Über den Bau der Arterienwand. Sitzungsbericht der 
Jenaischen Ges. f. Med. w. Naturw. Sitzg. v. 10. V. 1878. 8. 34 ff. 

2) Nach Grashey, Experimentelle Beiträge zur Lehre von der Blut- 
eirkulation in der Schädelrückgratshöhle, Festschrift. München, 1892. S. 61 


ist die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswelle in den Gehirnarterien 
grösser als in anderen Arterien. 


21* 


312 HERMANN TRIEPEL, 


Wesentlich anders liegen die Verhältnisse bei den Gehirn- 
venen, die eigenartige Beanspruchung, der sie ausgesetzt sind, 
istnur bei ihnen ununterbrochen wirksam, während in ähnlicher 
Weise andere Körpervenen — und vielleicht auch Arterien — 
nur vorübergehend beansprucht werden können. Ehe es mög- 
lich ist, über die Spannungszustände, die in der Wand der Ge- 
hirnvenen herrschen, Näheres auszusagen, ist es nötig, die 
Bluteirkulation in der Schädelhöhle zu beschreiben. 


a) Die Blutcirkulation in der Schädelhöhle. 


Über die Cirkulation in der Schädelhöhle ist schon sehr 
viel geschrieben worden, Richtiges und Falsches. Es kann nicht 
meine Absicht sein, an dieser Stelle gegen die einzelnen Autoren 
zu polemisieren, ich habe nur die Verhältnisse kurz zu schildern, 
wie sie sich nach der Vorstellung, die ich mir davon gebildet 
habe, ergeben. Im übrigen verweise ich auf die sehr beachtens- 
werten Arbeiten von Leyden!), Jolly?) und Grashey?°), im 
denen auch weitere Litteraturangaben zu finden sind. 

Es wird wohl gegenwärtig von keiner Seite mehr ange- 
zweifelt, dass der Inhalt. der Schädelhöhle unter dem Einflusse 
des Luftdruckes steht. Die Schädelkapsel ist für die in Betracht 
kommenden Schwankungen des Luftdruckes als inkompressibel 


anzusehent), und sie hat einen inkompressiblen Inhalt, den Liquor 


1) Leyden, Beiträge und Untersuchungen zur Physiologie und Pathologie 
des Gehirns. I. Über Hirndruck und Hirnbewegung. Virch. Arch., 37. Bd. 
1866, S. 519 ft. 

2) Jolly, Untersuchungen über den Gehirndruck und die Blutbewegung 
im Schädel. Würzburg, 1871. 

3) Grashey,l. c. 

4) Die Versuche von Messerer, Über Elastizität und Festigkeit der 
menschlichen Knochen. Stuttgart, 1880. 8.7 ff., u. a. zeigen, dass der zu- 
sammengepresste Schädel zwar seine Form verändern kann, aber erst bei An- 
wendung hoher Drücke, und sie ergeben nichts, dass dafür spräche, dass selbst 
durch sehr grossen Druck der Schädelinhalt verkleinert wird. 


Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 313 


cerebrospinalis und das sehr wasserreiche Gehirn). Wenn die 
Wand einer mit Flüssigkeit erfüllten Kapsel nicht an allen Stellen 
inkompressibel ist, sondern einen oder mehrere nachgiebige Ver- 
schlüsse hat, oder wenn sie mit einem anderen, mit Flüssigkeit 
gefüllten Hohlraum kommuniziert, der unter der Einwirkung 
des Luftdruckes steht, so wird auch ihr Inhalt vom Luftdruck 
beeinflusst; d. h. Schwankungen des atmosphärischen Druckes 
verändern auch den Druck des Kapselinhaltes, und zwar in dem- 
selben Sinne, ob auch um denselben Betrag, das hängt ab von 
der Spannung der nachgiebigen Verschlüsse an der Kapsel selbst 
oder dem zweiten Hohlraum, mit dem die Kapsel kommuniziert. 
Bei der Schädelkapsel kommt vor allem in Betracht der nach- 
giebige Verschluss, den die Gesamtheit der Gefässwände dar- 
stellt, und die Kommunikation mit dem Rückenmarksteil des 
Duralsackes, an dem der nachgiebige Verschluss durch die ganze 
Dura gegeben ist oder, wenn man so will, durch die Ligamenta 
intervertebralia des Wirbelkanals. Man kann sich zur Verein- 
fachung bei einer Untersuchung der Verhältnisse im Schädel- 
innern vorstellen, das Foramen magnum sei durch eine quer 
herübergelegte nachgiebige Membran abgeschlossen, und ebenso 
kann man sich vorstellen, nur an den Eintrittsstellen der Gefässe 


befänden sich nachgiebige Membranen. 


Durch den Nachweis, dass der Inhalt der Schädelhöhle 
den Schwankungen des Luftdruckes ausgesetzt ist, wird aller- 
dings noch durchaus nichts über die absolute Grösse des Druckes 
in der Cerebrospinalflüssigkeit ausgesagt. Wie Grashey?’) ohne 
Zweifel mit Recht angiebt, ist in dem Falle, dass die Cirkulation 
im Schädel wegfällt, der Druck an einer beliebigen Stelle im 
Gehirn gleich dem der drückenden Luftsäule, vermindert um 


1) Grashey, Über Hirndruck und Hirnkompressibilität. Sitzungsb. der 
phys.-med. Ges. zu Würzburg, 1883. S. 139. 
2) Grashey, ]. c., (Experimentelle Beiträge etec.), S. 40. 


3l4 HERMANN TRIEPEL, 


das Gewicht einer Flüssigkeitssäule, die zur Höhe die Entfernung 
der gedrückten Stelle von den nachgiebigen Verschlüssen hat. 

Ist bei erhaltener Bluteirkulation der Druck der Cerebro- 
spinalflüssigkeit ein anderer, oder ist er Schwankungen unter- 
worfen, so kann das nur eine Folge der Bluteirkulation selbst 
oder der diese beeinflussenden Momente sein. Dass das richtig 
ist, wenigstens bei Tieren, geht aus den Druckkurven und Zahlen- 
werten, die Leyden!) und Jolly?) fanden, hervor; man kann 
aber zweifellos die für Tiere geltenden Kurven auf den Menschen 
übertragen, wenn auch nicht der Grösse, so doch ihrem Sinne 
nach. Diese Kurven sind sehr charakteristisch: sie zeigen 
Schwankungen, die mit der Respiration und Pulsbewegung 
synchron sind, nämlich einmal grössere Erhebungen, die den 
Exspirationen entsprechen, und die von ebenso grossen Senk- 
ungen bei den Inspirationen gefolgt sind, und andererseits kleinere 
Erhebungen, die vom Arterienpulse abhängig sind, und bei 
denen der kleine Anstieg dem Eintritt der Blutwelle in die Ge- 
hirnarterien entspricht. 

Man kann zur Vereinfachung annehmen, dass die Flüssig- 
keitsmenge, die sich im Schädel befindet, durchaus konstant 
bleibt, da man die sehr geringe Ausdehnbarkeit der dehnbaren 
Verschlüsse vernachlässigen darf. Dann besagt die Thatsache 
einer Druckerhöhung im Schädelinnern offenbar nichts anderes, 
als dass ein Stempel mit einer gewissen Kraft auf den Schädel- 
inhalt drückt, und dieser Stempel wird dargestellt bei den grossen 
exspiratorischen Erhebungen der Druckkurve durch das sich 
stauende, langsamer abfliessende Blut in den Venen, bei den 
kleinen herzsystolischen Erhebungen durch das andringende 
Blut in den Arterien >); 


1) Leyden,l. c., S. 527 u. Taf. XI, Fig. 5. 

2) ol; Live 3.12: 

3) Vielleicht haben auf die exspiratorischen Druckerhebungen auch die 
grösseren Druckwerte, die man bei der Exspiration in den Arterien findet, 


Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 315 


Wenn die absolute Grösse der Druckschwankungen inner- 
halb und ausserhalb der Gefässe gleich gross ist, so ist die 
Spannung der Gefässwände in axialer und tangentialer Richtung 
oleich Null, sie werden in erschlafftem Zustande zwischen den 
beiden Flüssigkeiten hin- und herbewegt; dabei ist die Wand 
als Ganzes betrachtet, d. h. es ist ihre Dickenausdehnung ver- 
nachlässigt. Sind Druck und Druckschwankungen im Grefäss 
grösser als in der umgebenden Flüssigkeit, so ist eine Spannung 
der Wand vorhanden, die sich ableiten lässt aus der Differenz 
der beiden Drücke. Der dritte Fall, dass in der umgebenden 
Flüssigkeit der Druck höher ist als in den Gefässen, kann in 
der Schädelhöhle nicht dauernd vorhanden sein, denn wenn 
eine solche Differenz einmal einträte, so würde sie sich durch 
eine entsprechende Kompression der Gefässe, d. h. in diesem 
Falle der sehr nachgiebigen Venen, sofort wieder ausgleichen. 
Es ist somit auch nicht richtig von einer negativen Spannung 
der (unendlich dünn gedachten) Gefässwand zu sprechen ; damit 
ist aber durchaus nicht gesagt, dass nicht vielleicht in einzelnen 
Schichten der (endlich dicken) Venenwand vorübergehend in 
axialer und tangentialer Richtung eine negative Spannung oder 
ein Druck eintreten könnte. 

Es sollen zunächst die Verhältnisse während der Atmung 
betrachtet werden. Haben wir irgend welche Anhaltspunkte für 
die Beurteilung des Zustandes der Venenwände im Gehirn 
während der Respirationsphasen? Sind insbesondere die Venen- 
wände schon bei der Inspiration im Zustande der Spannung, 
oder sind sie zunächst entspannt, um erst bei der Exspiration 
gespannt zu werden, oder bleiben sie immer entspannt, oder 
findet sich ein Wechsel im Spannungszustande wie der oben 


angegebene nur bei einzelnen Venen? Als solche kämen dann 


einen geringen Einfluss, den man aber, wenn man die Gestalt der von Arterien 
gewonnenen Druckkurven berücksichtigt, gegenüber der Stauung in den Venen 
für verschwindend klein erachten wird. 


316 HERMANN TRIEPEL, 


in erster Linie die grössten Venen in Betracht, denn in ihnen 
muss der Druck immer niedriger sein als in den kleineren 
Venen, weil das Blut von Orten höheren zu Orten niederen 
Druckes strömt, und die Komprimierbarkeit beider ist annähernd 


gleich. 


Es wäre sehr interessant, wenn zu gleicher Zeit an den- 
selben Tieren Messungen der respiratorischen Druckschwank- 
ungen in der Cerebrospinalflüssigkeit und in einer der das Blut 
aus dem Schädel abführenden Venen vorgenommen worden 
wären; solche Untersuchungen liegen aber, wenigstens so viel 
mir bekannt ist, nicht vor. Vergleicht man die Befunde ver- 
schiedener Beobachter, so erhält man keine sehr zuverlässigen 
Resultate, zumal die Angaben über die Druckwerte in den Venen 
nicht unerheblich von einander abweichen, was durch die vielen 
Fehlerquellen erklärlich wird, die nach Rollett!) hier die Unter- 
suchung beeinflussen. In der Cerebrospinalflüssigkeit fand 
Leyden beim Hund respiratorische Druckschwankungen von 
131,» bis 27 mm (Wasserdruck), Jolly solche von 10 bis 20 mm, 
ja bei forcierter Respiration bis 50 mm. In den grossen Venen 
am Hals sind teils geringere, teils grössere Druckschwankungen 
gefunden worden — wegen der Unsicherheit der Angaben ver- 
zichte ich auf ausführlichere Mitteilungen. Wenn man berück- 
sichtigt, dass die Schwankungen in den Gehirnvenen jedenfalls 
kleiner sein müssen als in den Jugularvenen, so darf man 
vielleicht annehmen, dass die Schwankungen des Druckes in 
den Gehirnvenen im allgemeinen auch keine grösseren Werte 
erreichen werden als die in der Cerebrospinalflüssigkeit. Wenn 
das richtig ist, so besteht weder bei der Inspiration noch bei 
der Exspiration, wenigstens bei ruhiger Atmung eine tangentiale 
oder axiale Spannung der Venenwand; auch die absoluten Druck- 


t) Rollett, Physiologie des Blutes und der Blutbewegung. Handb. d. 
Physiol. von Hermann. 4. Bd., 1. T., 1880. S. 333 u. 334, 


Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 317 


werte sind dann natürlich in der Cerebrospinalflüssigkeit und 
den grösseren Gehirnvenen immer dieselben, Abweichungen 
gleichen sich immer wieder aus. Doch kann ich dafür, dass 
die Wandspannung der grösseren Gehirnvenen gleich Null ist, 
noch andere, meines Erachtens bessere Gründe anführen, die 
sich auch unmittelbar auf den Menschen beziehen. 


Ein Teil des arteriellen Druckes wird der Üerebrospinal- 
flüssigkeit mitgeteilt, die ohne Cirkulation nach dem Gesagten 
keinem höheren als dem atmosphärischen Druck ausgesetzt ist. 
Beim Tode kann also der Druck in ihr nur niedriger werden 
als er vorher war, und da es nicht möglich ist, dass der in den 
(Grehirnvenen herrschende Druck um einen noch grösseren Be- 
trag abnimmt, so muss nach dem Tode in den Gehirnvenen 
mehr Blut enthalten sein als vorher; das ist um so sicherer 
anzunehmen, als beim Absterben die Arterien sich kontrahieren 
und so in der Schädelhöhle, deren Rauminhalt unveränderlich 
ist, mehr Platz geschaffen wird. Und trotzdem findet man, wenn 
man bei einer Leiche die Schädelhöhle eröffnet, wodurch im 
allgemeinen die Druckverhältnisse nicht geändert werden, die 
meisten Gehirnvenen mehr oder weniger kollabiert, d. h. ab- 
weichend von der cylindrischen Form, sofern nicht etwa der 
Tod unter hochgradigen Stauungserscheinungen eingetreten war; 
höchstens sind die Venen am Oceipitalpol des Gehirns infolge 
von Hypostase angefüllt, aber ohne dass ihre Wand stärker 
gespannt ist, als die auf ihr lastende Blutsäule bedingt. Beim 
Lebenden ist aber nach dem Vorigen eine noch geringere Spannung 


der Gehirnvenenwände als bei der Leiche anzunehmen. 


Ferner würden, wenn die Wand der grösseren Gehirnvenen 
für gewöhnlich gespannt wäre, in ihr periodische Spannungs- 
zunahmen erfolgen, ganz ähnlich wie in der Arterienwand bei 
der Pulsation, nur mit dem Unterschied, dass die Perioden länger 


wären. Ich habe gezeigt, dass solche Spannungszunahmen in 


315 HERMANN TRIEPEL, 


erster Linie an der Innenfläche zum Ausdruck kommen!), und 
man sollte erwarten, dass sich demzufolge wie an kleinen Arterien 
an der Innenfläche ein Gitter von gelben Bindegewebsfasern 
fände, wie an kleinen Arterien wegen der geringen Grösse der 
Spannungszunahme. Hiervon findet sich indessen nichts. Die 
Innenfläche der Gehirnvenen wird vielleicht bei tiefer Respiration 
in Anspruch genommen; sollte etwa die eigentümliche innere 
Grenzmembran, die ich im I. Teile geschildert habe, dazu dienen, 
dieser gelegentlichen Beanspruchung zu begegnen, und sollte sie 
vielleicht eine nicht zur vollen Ausbildung gelangte Membran 
aus gelbem Bindegewebe vorstellen? (Vgl. auch nachher S. 334.) 


Die Wände der grösseren Gehirnvenen flottieren demnach, 
soweit sie nicht im subarachnoidealen Gewebe fixiert sind, 
zwischen Blut und Liquor cerebrospinalis, wobei man sich nicht 
etwa vorzustellen braucht, dass sie geknickt und gefaltet wären, 
denn dann würden sie wohl dem Anpassungsvermögen der 
organisierten Gebilde zufolge sich verkleinern. Vielmehr wird 
es sich darum handeln, dass ihr Querschnitt mehr oder weniger 
von der Kreisform abweicht und elliptische Gestalt annımmt; 
bekanntlich ist der Kreis diejenige ebene Figur, die unter allen 
möglichen geschlossenen ebenen Figuren von demselben Um- 
fang den grössten Flächeninhalt hat. Wenn bei der Exspiration 
etwas weniger Blut aus dem Schädelinnern abfliesst, so nähert 
sich der Querschnitt der Venen der Kreisform, er entfernt sich 
von ihr bei der Inspiration. 

Wenn somit auch die Wände der grösseren Gehirnvenen 
für gewöhnlich nicht gespannt sind, so wird man doch, weil 
nach dem arteriellen Abschnitt des Systems hin der Druck in 


!) Triepel, 1. c. (Anat. Hefte, 22. Hft.), S.208. Noch nachträglich möchte 
ich bemerken, dass derselbe Satz auch in technischen Lehrbüchern abgeleitet wird, 
wenn auch, soviel ich gesehen habe, auf anderen Wegen. Vergl. Grashof, 
Theorie der Elastizität und Festigkeit mit Bezug auf ibre Anwendungen in 
der Technik. 2. Aufl., 1878. S. 312. 


Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 319 


den Gefässen immer höher wird, bald an Gefässe gelangen, 
deren Wand gespannt ist, vielleicht sind das die kleinen oder 
kleinsten Venen. Es ist aber kaum anzunehmen, dass hier 
infolge der Respiration periodische Spannungszunahmen ein- 
treten; wenn vielleicht auch noch eine periodische Druckzunahme 
im Innern erfolgt, so wird andererseits die periodische Druck- 
zunahme im Liquor cerebrospinalis dafür sorgen, dass die Wand- 
spannung dieser Gefässe sich wenig oder gar nicht verändert. 

Die exspiratorische Drucksteigerung in der Cerebrospinal- 
flüssigkeit wirkt natürlich auch auf Arterien und Kapillaren. 
Von den Kapillaren wird später noch die Rede sein, die Arterien 
werden in der Weise beeinflusst, dass während der Exspiration 
das durch die Herzthätigkeit eingetriebene Blutquantum etwas 
geringer ist als während der Inspiration. 

Zu den grösseren durch die Respiration bedingten Schwank- 
ungen im Druck der Cerebrospinalflüssigkeit gesellen sich nun 
noch die kleineren, in kürzeren Zwischenräumen auf einander 
folgenden, die von der arteriellen Pulsation abhängig sind. 

Man hat es als besonderen Vorteil angesehen, dass das 
Blut durch die Carotiden in fast gerader Richtung vom Herzen 
aus hirnwärts geleitet wird; in dieser Weise hat sich schon 
Descartes geäussert'). Indessen scheint es doch, als ob die 
Natur sehr darauf bedacht gewesen sei — man gestatte eine 
solehe Ausdrucksweise —, den direkten Anprall der Blutwelle 
am Gehirn. abzuschwächen. Man denke an die Krümmungen 
der Carotis interna im Felsenbein und Sinus cavernosus?); im 
gleichem Sinne, aber noch einschneidender, wirken die Wunder- 
netze, die bei Wiederkäuern zwischen Gehirn und den es ver- 
sorgenden Arterien eingeschaltet sind. Die Krümmungen der 


I) Renatus Des-Cartes, Tractatus de homine. Amsterdam, 1686. 
S. 20 u. 21. 

2) Vergl. Stahel, Über Arterienspindeln und über die Beziehung der 
Wanddicke zum Blutdruck. 2. Abhandlung. Arch. f Anat. u. Entw. 1886. 
S. 318 ff. 


320 HERMANN TRIEPEL, 

Carotis interna und ebenso die der Arteriae vertebrales haben 
augenscheinlich den Erfolg, dass in ihnen die Blutwelle wieder- 
holt reflektiert wird und an der Gehirnbasis abgeschwächt an- 
kommt, d. h. der mittlere Blutdruck ist in den Arterien an der 
Hirnbasis geringer als in der Oarotis interna oder im aufsteigen- 
den Teil der Arteria vertebralis. 

Durch jede Kontraktion der Herzkammern wird ein gewisses 
Blutquantum in die Arterien im Innern der Schädelhöhle ge- 
worfen. Dadurch wird der Druck in ihnen erhöht, und da 
ihre Wände nicht starr sind, auch der Druck der Cerebrospinal- 
flüssigkeit; das zeigen die kleinen, mit dem Arterienpuls syn- 
chronen Druckschwankungen, die man an ihr beobachtet hat. 
Die Drucksteigerungen in der Cerebrospinalflüssigkeit, die auf 
jede Herzsystole folgen, wirken nun wieder auf alle Teile des 
Gefässsystems ein. Auf die Arterien wirken sie zurück als 
Widerstand, der ihrer pulsatorischen Erweiterung entgegengesetzt 
wird. Dieser Widerstand wäre unendlich gross, wenn der in- 
kompressiblen Cerebrospinalflüssigkeit nicht die Möglichkeit ge- 
geben wäre, nach irgend einer Weise hin auszuweichen. Die 
Nachgiebigkeit des nachgiebigen Verschlusses, den wir in Gestalt 
der Dura mater spinalis (oder der Ligamenta intervertebralia) 
haben, ist sehr gering und würde wenig nützen. Dagegen ist 
die Möglichkeit vorhanden, dass die Druckerhöhung sich auf 
den Inhalt der grösseren Venen fortsetzt, deren Lumen zugleich 
etwas verringert wird. Wenn die Venenwände (und die Kapillar- 
wände) absolut starr wären und dem Druck der Öerebrospinal- 
flüssigkeit nicht nachgäben, so könnten auch die Hirmarterien 
sich beim Puls nicht ausdehnen, weil ja der Schädelhöhleninhalt 
nicht veränderlich ist: genau ebensoviel Blut, wie in die Arterien 
bei der Pulsation eingepresst wird, muss durch die Venen aus 
dein Schädelraum austreten. Da die vom Puls abhängigen Druck- 
schwankungen in der Üerebrospinalflüssigkeit nur sehr gering 


sind, so werden bei der Druckerhöhung nur die grösseren Venen 


Die Struktur d Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. Sal 


eine Kompression erfahren, nicht aber die kleinen Venen, deren 
Wand, wie vorhin ausgeführt wurde, wahrscheinlich eine (sehr 
geringe) Spannung besitzt. 

Das Blutquantum, das durch die Pulswelle in die Schädel- 
höhle getragen wird, unterliegt, wie schon bemerkt, gewissen 
Schwankungen. Man kann indessen trotzdem den Versuch 
machen, einen mittleren Wert für das eingeführte Flüssigkeits- 
volum anzugeben, wobei freilich zu bemerken ist, dass eine 
solche Zahl bei der Menge des Fehlerquellen, die ihre Schätzung 
beeinflussen, nur dazu dienen kann, die Vorstellung der Ver- 
hältnisse zu erleichtern. Die Blutströmung in den Gefässen ist 
kontinuierlich, sie erleidet in den Arterien infolge der Pulsation 
eine periodische Geschwindigkeitsänderung. Nach Vierordts 
Annahme!) besteht (beim Menschen) in der Carotis communis 
eine mittlere Geschwindigkeit von 261 mm in der Sekunde, 
daraus ergiebt sich, wenn man den Querschnitt der Carotis 
communis = r. 16 qmm, den der Carotis interna und externa 
je = n. 9 qmm annimmt?), eine Geschwindigkeit in der Carotis 
interna — 232 mm in der Sekunde, es strömt somit durch eine 
Carotis interna in der Sekunde 9 zz . 232 = 6560 cemm = 6,560 cem 
Blut in die Schädelhöhle, oder bei einer Anzahl von 72 Puls- 
schlägen in der Minute während der Zeit eines ganzen Puls- 

6,560 .. 60 


schlages rer 5,467 cem. Nach Vierordt?°) veranlasst 


ı) Vierordt, K., Grundriss der Physiologie des Menschen. 4. Aufl., 
1871. S. 146. 

2) Es scheint mir am besten zu sein, für die Querschnittsberechnungen 
auf die Angaben, die Henle (]. e., S. 71, 90 und 106) über die Grössenordnung 
der Arterien macht, zurückzugreifen. Wir besitzen zwar genauere Messungen 
(vgl. Thoma, Untersuchungen über die Grösse und das @ewicht der anatomi- 
schen Bestandteile des menschlichen Körpers, 1882, 8. 213, sowie die ebendort, 
S. 282, befindlichen Litteraturangaber), doch ändert sich gerade an den Caro- 
tiden während ihres Verlaufes die Weite der Lichtung in recht beträchtlichem 
Masse — man denke nur an die Carotisspindel —, sodass man in Verlegen- 
heit kommt, welche von den in verschiedener Höhe gemessenen Weiten der 
Arterie man benutzen soll. Man vergleiche auch Stahel, l. e., 8. 310 ff. 

3) Vierordt, 1. c. S. 144. 


32 HERMANN TRIEPEL, 


jede Kammersystole eine Greschwindigkeitszunahme von 20—-30°/o, 
d. i. im Mittel 25°; man kann hiernach die Geschwindigkeit 
von 232 mm in der Carotis interna in zwei Teile teilen, 129 und 
103 mm, wovon die eine Zahl die mittlere Geschwindigkeit 
während des Anstieges der Pulswelle, die andere die mittlere 
Geschwindigkeit während ihres Abfalles bedeuten würde. Und 
ebenso ergiebt sich, dass von den 5,467 cbem, die während 
eines Pulses durch eine Carotis interna in die Schädelhöhle 
treten, 3,037 cem auf die Zeit des Pulsanstieges, 2,430 cem 
auf die Zeit des Pulsabfalles kommen, also auf die des Anstieges 
nur 0,607 ecem mehr. Wenn man die Arterien, die ausser den 
Carotiden der Schädelhöhle Blut zuführen (Arteriae vertebrales, 
meningeae), zusammen einer Carotis interna gleichsetzt, so würde 
eine Pulswelle nicht ganz 2 cem Blut in die Schädelhöhle 
werfen (natürlich nicht momentan, sondern während einer ge- 
wissen Zeit). Genau ebensoviel Blut muss durch die Druck- 
erhöhung im Liquor cerebrospinalis aus den Venen in die Sinus 
gepresst werden. Bedenkt man nun, wie zahlreich die Gehirn- 
venen sind, so erkennt man, dass die Kompression, die jede 
einzelne Vene erfährt, sehr gering ist. 

Wie ich vorhin ausführte, muss jede Druckerhöhung in der 
Cerebrospinalflüssigkeit, sowohl die mit der Exspiration als auch 
die mit der arteriellen Pulsation einhergehende, auf jedes Gebilde 
in der Schädelhöhle einwirken, also auch auf die Kapillaren. 
Eine Kompression wie die grossen Venen werden diese aber 
nicht erfahren, weil in ihnen wahrscheinlich immer ein höherer 
Druck herrscht als in der Cerebrospinalflüssigkeit. Zur Vervoll- 
ständigung des Bildes sei noch bemerkt, dass die Spannung 
ihrer Wand nur dann immer dieselbe und die Blutströmung in 
ihnen nur dann vollkommen kontinuierlich sein kann, wenn 
die Druckschwankungen von den grösseren Gefässen aus sich 
(abgeschwächt) bis in sie fortpflanzen. Auch der Abfluss der 
Lymphe wird jedenfalls durch die periodischen Druckschwank- 


Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i, d. Schädelhöhle. 323 


ungen befördert!) aber ohne dass hierdurch die Bluteirkulation 
in irgendwie nennenswerter Weise beeinflusst würde. 

Es bedarf keiner besonderen Begründung, dass bei der pul- 
satorischen Druckerhöhung im Schädel nicht die Sinus, sondern 
die Venen komprimiert werden. Es wird hierdurch bei jedem 
Puls ein gewisses Quantum, nämlich ungefähr 2 cem, aus den 
Venen in die Sinus gepresst und, wenn man sich so ausdrücken 
will, ein Sinuspuls erzeugt, die Spannung der Sinuswände wird 
erhöht, allerdings um einen sehr kleinen Betrag?). Die Wände 
der Sinus können als starr angesehen werden, darum muss, wie 
Berthold?) Cramer*) und Grashey°) angegeben haben, ein 
Puls in der Vena jugularis interna auftreten. Dieser Ansicht 
ist von Althann®) widersprochen worden. Es scheint mir aller- 
dings denkbar zu sein, dass der Puls nur sehr abgeschwächt in 
der Vena jugularis interna ankommt, nämlich infolge des Um- 
standes, dass mehrere Venen bei ihrer Einmündung in den 
Sinus gerade entgegen dem Blutstrome laufen, sodass also Blut, 
das aus diesen Venen ausgepresst wird, das strömende Blut 
zurückstauen muss. (Die hierdurch wieder bedingte Rückwirk- 
ung auf die Venen zu analysieren, ist wohl nicht angängig.) 
Bei der Vena jugularis interna wäre auch noch der von Mosso‘) 

1) Vergl. Adamkiewiez, Die Lehre vom Hirndruck und die Pathologie 
der Hirnkompression. Sitzungsber. d. Kaiserl. Akad. d. Wissensch. in Wien. 
Math.-naturw. Kl. 88. Bd., 3. Abt., 1883. S. 32. 

2) Ich möchte darauf hinweisen, das im Auge ganz ähnliche Verhältnisse 
wie im Schädel obwalten. Die periodischen Kompressionen der Vena centralis 
retinae, die oft zu beobachten sind, wurden schon von Donders auf die periodi- 
schen Druckerhöhungen im Glaskörper zurückgeführt, die von der arteriellen 
Pulsation herrühren. 


3) Berthold, Zur Bluteirkulation in geschlossenen Höhlen. Centralbl. 
f. d. med. Wissensch., 1869. S. 673. 

4) Cramer, Experimentelle Untersuchungen über den Blutdruck im Gehirn. 
Diss. Dorpat, 1873. S. 32 ff. 

5) Grashey, l. c. (Experim. Unters. 1892), S. 62. 

6) Althann, Beiträge zur Physiologie und Pathologie der Cirkulation 
I. Der Kreislauf in der Schädelrückgratshöhle. Dorpat, 1871, S. 99. 

7) Mosso, Die Diagnostik des Pulses. 1879. S. 60 ft. 


324 HERMANN TRIEPEL, 


beschriebene „negative Puls“ zu berücksichtigen, der in Gestalt 
eines Druckabfalles in den Venen kurz nach dem Carotispuls 
auftritt und so den positiven Puls aufzuheben imstande ist, der 
auf die Cirkulation im Gehirn zurückgeführt wird. Die Wand 
der Jugularis ist jedenfalls nicht so gebaut, als ob sie durch 
Pulsationen in Anspruch genommen würde. 


b) Die Beanspruchung der Gehirnvenenwände. 


Um mit dem Einfachsten zu beginnen, wollen wir zuerst 
einen Blick auf die Sinus werfen. Die Sinus können rücksicht- 
lich der Beanspruchung ihrer Wände, wie ich schon angedeutet 
habe, auf eine Stufe mit den kleinen Arterien gestellt worden; 
hier wie dort findet durch die Pulsbewegung des Blutes, d. h. 
durch den periodisch wechselnden Druck im Innern eine perio- 
disch auftretende Spannungszunahme der Wand (wesentlich in 
tangentialer Richtung) statt, eine Spannungszunahme, die, wie 
ich in meiner Arbeit über die Gehirnarterien ausgeführt habe, 
wesentlich die Innenfläche der Wand betrifft. Und aus diesem 
Grunde findet sich in den Sinus, ebenso wie in den Arterien, 
eine Anhäufung gelben Bindegewebes vorwiegend an dieser 
Stellee Da nun in den Sinus, ebenso wie in den kleinen ÄAr- 
terien die Druckschwankungen und damit die Spannnngsänder- 
ungen nur gering sind, so finden wir in beiden Fällen keine 
geschlossene Membran, sondern mehr oder weniger dichte Gitter 
von gelben Bindegewebsfasern. Die Auffaserungen oder Ver- 
vielfältigungen der Gitter sind den gleichen Bildungen in Ar- 
terien an die Seite zu setzen, sie entsprechen lokalen Druck- 
steigerungen oder Wirbelbildungen, wie man sie in den Sinus, 
besonders dem Sinus sagittalis superior, bei der unregelmässigen 
Beschaffenheit der inneren Oberfläche sehr häufig antreffen muss. 

Auf dieselbe Weise wie die Auskleidung der Sinus lässt 


sich das membranartige dichte Gitter erklären, das sich in den 


Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 325 


Venae cerebri superiores vor ihrer Mündung auf der Seite ihres 
inneren Umfanges findet, die dem Sinus sagittalis superior 
benachbart ist. Hier kann nur die gegenüberliegende Wandung 
bei den periodischen Druckerhöhungen im Liquor cerebrospinalis 
niedergedrückt werden, und der Inhalt wird gegen die mit dem 
Sinus verlötete Wand gepresst. 

Verwickelter gestalten sich die Verhältnisse bei allen den- 
jenigen Venenwänden, die in der vorhin geschilderten Weise 
zwischen Venenblut und Cerebrospinalflüssigkeit flottieren. Die 
verschiedenartigen Röhrenwände, deren Beanspruchung von 
Technikern einer exakten Untersuchung unterworfen worden ist, 
liefern, soweit ich sehe, kein Beispiel, das man bei der vor- 
liegenden Aufgabe direkt zum Vergleich herbeiziehen könnte. 
Immerhin bietet die Bewegung der Gehirnvenenwände gewisse 
Momente, die einige Ähnlichkeit mit Problemen der technischen 
Physik verraten, und so glaube ich, dass man das Wesentliche 
über die gesuchte Beanspruchung mit ziemlicher Sicherheit fest- 
stellen kann. 

Zunächst ist zu bemerken, dass die grossen Gehirnvenen in 
axialer Richtung keine merkbare Spannungsänderung erfahren, 
denn sie werden auf grossen Strecken ihrer Längenausdehnung 
in allen Punkten in der gleichen Weise beansprucht. Ich kann 
mich somit darauf beschränken, die an einem Querschnitt vor 
sich gehenden Veränderungen zu untersuchen. 

Die Fixierung der grösseren Gehirnvenen, sowohl der inneren 
wie auch der äusseren, in dem umgebenden Gewebe ist recht 
locker, da sie von einem dichten Netz von Lymphgefässen um- 
sponnen sind. Es wird sich indessen zeigen, dass sie nicht ver- 
nachlässigt werden darf; ich will aber doch zur Vereinfachung 
zunächst annehmen, eine Vene ziehe vollkommen frei durch 
die Schädelhöhle im Liquor cerebrospinalis. 

Der Querschnitt einer solchen Vene stellt nach den Aus- 
führungen von vorhin für gewöhnlich eine Ellipse dar, deren 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVI. Heft (11. Bd., H. 3). 22 


326 HERMANN TRIEPEL, 


erosser und kleiner Durchmesser infolge der verschiedenen 
Druckschwankungen nicht konstant bleiben. In Fig. 1 sind die 
Veränderungen des Querschnittes während eines Pulses schema- 
tisch (und übertrieben) wiedergegeben. 

Vor Eintritt der Pulswelle in die Arterien der Schädelhöhle 
besitzt das Venenlumen die Form a, wenn sich die Arterien 
erweitern, geht es in b und schliesslich in c über, um bei dem 
Engerwerden der Arterien wieder die Formen b und a anzu- 
nehmen. Die Schwankungen des Querschnittes bewegen sich 
nun nieht immer um dieselbe Mittelform b, sondern b verändert 
sich selbst. Es findet ein periodischer Wechsel zwischen einem 


Minimum und einem Maximum der Weite statt, der Übergang 
von dem einen zum anderen erfolgt aber nicht stetig, sondern 
ruckweise; jeder Schritt, der in der einen Richtung gethan wird, 
wird von einem kleineren entgegengesetzt gerichteten Schritte 
gefolgt. 

Die Vorgänge in der Wand werden bei jeder Querschnitts- 
verkleinerung ihrem Sinne nach dieselben sein, gleichviel ob 
man die geringen Verkleinerungen, die den Eintritt von Puls- 
wellen in die Schädelhöhlenarterien begleiten, im Auge hat oder 
die Gesamtverkleinerung, die während einer Inspiration erfolgt. 
Entsprechendes gilt von den Vergrösserungen des Querschnittes. 
Man kann somit allgemein zwei Bewegungsphasen von einander 


Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d Schädelhöhle. 327 


unterscheiden, als erste. will ich diejenige bezeichnen, bei der 
sich die kleine Ellipsenachse verkürzt, als zweite die, bei der 
sie sich verlängert. 

Den Grund, warum dann, wenn abwechselnd an der Innen- 
und Aussenfläche des elliptischen Wandquerschnittes ein Über- 
druck vorhanden ist, Querschnittsänderungen wie die geschilder- 
ten auftreten, kann man sich leicht klar machen. Der Druck 
und ebenso der Überdruck ist für alle Flächeneinheiten der 
Wand gleich gross und wirkt in einer zur Tangente an die 
Gefässwand senkrechten Richtung. Zerlegt man die auf die 
einzelnen Teilchen senkrecht zur Tangente an die Wand wirken- 
den Kräfte nach der Richtung der Ellipsenachsen in zwei Kom- 


ponenten, so ist die Summe derjenigen Komponenten, die in die 
Richtung der kleinen Ellipsenachse fallen, grösser als die Summe 
der in die Richtung der grossen Achse fallenden. 

Man zerlege nun einen Quadranten der Ellipse, z. B. den 
rechten oberen in Fig. 1, in zwei Teile, die sich dadurch unter- 
scheiden, dass in dem der kleinen Achse näher liegenden Teile 
die Tangenten an die Wand mit der grossen Achse Winkel von 
weniger als 45° bilden, dass dagegen in dem der grossen Achse 
näher liegenden Teile die Tangenten an die Wand mit der 
grossen Achse Winkel von mehr als 45° bilden (Fig. 2). Durch 
inneren Überdruck werden die Schichten im ersten Teile nach 
aussen gedrängt, sie erfahren dabei einen tangentialen Zug, 
und diesem Zuge folgen die Schichten des zweiten Teiles nach, 
wobei sie entgegen dem inneren Überdruck nach innen gedrängt 


werden. Dabei tritt offenbar in radiärer Richtung eine Kom- 
22* 


328 HERMANN TRIEPEL, 


pression ein und, was wichtiger ist, eine positive tangentiale 
Zugspannung, die alle Schichten betreffen muss. Das Resultat 
ist schliesslich in beiden Teilen des Quadranten offenbar das- 
selbe. Umgekehrt muss bei äusserem Überdruck in allen Schichten 
eine negative tangentiale Zugspannung, d. i. ein Druck, aul- 
treten. 

Es sind aber noch weitere Spannungen in der Wand zu 
berücksichtigen. Ich schneide mir jetzt an beliebiger Stelle des 
Quadranten ein Flächenelement ABCD heraus (Fig. 3), von der 
Form eines Trapezes, dessen nicht parallele Seiten AD und BC 
zu einander senkrecht und den respektiven Ellipsenachsen 
parallel sind. Wenn das Trapez ABCD dem Zustand der Kom- 


pression entspricht, so entspricht dem Zustand der Ausdehnung 
das Trapez A'B'C!D!, von dem anzunehmen ist, dass A!D! und 
B'C! wieder den Ellipsenachsen parallel sind, und von dem ver- 
mutet werden kann, dass seine beiden anderen Seiten, wie im 
ersten Trapez, einander parallel sind — geringe Abweichungen 
in den Richtungen von A'B! und C!D! würden das Endergebnis 
unberührt lassen. Wenn nun das eine Trapez in das andere 
übergeht, so findet eine Verschiebung der beiden parallelen 
Seiten gegen einander statt, wie man erkennt, wenn man z. B. 
von den Punkten D und D! auf AB bezw. A!B'! Lote fällt. Man 
kann übrigens auch die Seiten des Flächenelementes AB und CD, 
bezw. A'B! und C'D!, gekrümmt annehmen, entsprechend der 
Krümmung der Ellipse, wodurch, wie man leicht konstatiert, 
das Resultat nicht geändert wird. Da man sich den Wand- 


Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 329 


querschnitt aus lauter gleichgestalteten Flächenelementen zu- 
sammengesetzt denken kann und in allen die Verhältnisse sich 
wiederholen, so wird man während beider Phasen der Venen- 
bewegung in allen Schichten der Wand eine tangentiale Scher- 
spannung zu erwarten haben. Nur zwischen den Punkten, die 
in den Ellipsenachsen liegen, also an vier Stellen des Wand- 
querschnittes von unendlich kleiner Breite, tritt keine Scher- 
spannung ein. Wenn man sich das Trapez in Schichten zerlegt 
denkt, die einer der beiden Ellipsenachsen oder einer anderen 
Geraden parallel laufen, so würden auch diese Schichten sich 
bei der Bewegung gegeneinander verschieben, die Scherspannung 
betrifft also auch noch andere Richtungen, die mit den Tangenten 
an die Wand verschiedene Winkel bilden. Wichtig ist, worauf 
ich noch zurückkommen werde, dass nicht nur eine Scher- 
spannung, sondern eine wirkliche Verschiebung eintritt. 

Es kommen also in allen Schichten der Wand Druck-, Zug- 
und Scherspannungen vor, diese Spannungen sind aber nicht 
in allen Schichten der Wand gleich gross. 

Für den Fall des äusseren Überdruckes betrachte man die 
zwei Ellipsenhälften, die durch die kleine Achse geschieden 
sind, gesondert von einander. Man kann sich leicht vorstellen, 
dass diese beiden Hälften sich unter ähnlichen Bedingungen 
befinden, wie etwa zwei Gerten, deren Enden zusammengebogen 
werden. Die Gesetze der Biegung sind in neuerer Zeit in einer 
ganzen Reihe von Arbeiten, die funktionelle Strukturen be- 
handeln, besonders ausführlich von Roux!), J. Wolff?) u. a. 
dargelegt worden, so dass ich nicht nötig habe, näher darauf 


1) Roux, Beiträge zur Morphologie der funktionellen Anpassung. I. Die 
Struktur eines hochdifferenzierten bindegewebigen Organs. Arch. f. Anat. u. 
Entw. 1883. 8. 76 ff., und III. Beschreibung und Erläuterung einer knöchernen 
Kniegelenksanchylose. Arch. f. Anat. u. Entw. 1885. 8. 131 fi. 

2) J. Wolff, Das Gesetz der Transformation der Knochen. Berlin, 1892, 
3, 16:11. 


330 HERMANN TRIEPEL, 


einzugehen. Ich will nur daran erinnern, dass ein Stab, der 
gebogen wird, im allgemeinen in seiner einen Hälfte, die von 


co, in der anderen 


der konvexen Fläche begrenzt wird, einen Zug, 
Hälfte einen Druck erfährt; diese Spannungen haben ihren 
grössten absoluten Wert in den Grenzflächen und in deren 
Nähe, und sie nehmen nach der Mitte des Stabes hin ab, wo 
sich eine neutrale Schicht befindet, die weder durch Druck 
noch durch Zug beansprucht wird. Unsere Ellipsenhälften 
könnten nun bei dieser Darstellung nicht dem ganzen Stab 
bezw. einem Längsschnitt durch ihn, der in der Biegungsebene 
liegt, entsprechen, sondern höchstens dem der Konkavität be- 
nachbarten Teile des Stabes, der in seiner Gesamtheit auf Druck 
beansprucht wird. Es hatte sich ja gezeigt, dass während der 
ersten Bewegungsphase alle Schichten der Wand einen tangen- 
tialen Druck erfahren, was darauf zurückzuführen ist, dass der 
Aussendruck auf allen ihren Teilen lastet. Indessen kann man 
auch bei einer Beschreibung der Biegungsbeanspruchung auf 
die Worte Zug und Druck verzichten und kurz sagen, die 
Spannung habe an der konvexen Seite ihren grössten, an der 
konkaven Seite ihren kleinsten Wert, da Druck dasselbe ist wie 
negative Spannung. Dann springt die behauptete Ähnlichkeit 
zwischen Biegungen und der Beanspruchung der Venenwand 
sofort in die Augen, und es ergiebt sich die bemerkenswerte 
Thatsache, dass während der ersten Bewegungsphase der tangen- 
tiale Druck an der inneren Begrenzung und in den inneren 
Schichten der Venenwand am grössten ist. 

Für den Fall des inneren Überdruckes denke ich mir die 
Ellipse durch die grosse Achse in zwei Hälften zerlegt. Auch 
in diesem Falle kann man Biegungsphänomene zum Vergleich 
heranziehen. Es würden sich jetzt auch wieder die beiden 
Ellipseuhälften, wenn sie auch auf andere Weise gewonnen 
wurden, mit gebogenen Gerten vergleichen lassen. Da die 


grössten Spannungen an der konvexen Seite der Gerte liegen, 


Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation 1. d. Schädelhöhle. 3531 


und da bei innerem Überdruck alle Wandschichten auf Zug 
beansprucht werden, so ergiebt sich sofort, dass in der zweiten 
Bewegungsphase in den äusseren Schichten der Gehirnvenen- 
wand die grösste Zugspannung zu finden ist. 

Man kann sich die Verschiedenheit der Spannungsgrössen 
während der zweiten Phase auch in folgender Weise veranschau- 
lichen. Die beiden Pole der Ellipse, die der grossen Achse auf- 
sitzen, können bei der Bewegung als (relativ) feste Punkte an- 
gesehen werden, da sie sich, wie oben dargelegt wurde, entgegen 
dem auf sie wirkenden Drucke bewegen müssen. Wenn ich 
nun einen Stab an seinen beiden Enden befestige oder auch 
nur auf Stützen auflege, und ihn dann in seiner Mitte belaste, 
so erfahren alle seine Schichten einen Zug, ganz wie die Schichten 
der beiden Ellipsenhälften bei innerem Überdruck. Der Zug 
ist aber am grössten an der konvexen Seite des durchgebogenen 
Stabes, was daraus hervorgeht, dass hier zuerst die Kontinuitäts- 
trennung eintritt, wenn der Stab bricht. 

Über die Verteilung der Scherspannungen in der Wand 
würden wir absolut sichere Angaben zu machen imstande sein, 
wenn wir die Abnahme der Druck- und Zugspannungen in den 
einzelnen Schichten zahlenmässig belegen könnten, zu einer 
solchen Berechnung fehlen indessen die nötigen Unterlagen. 
Man muss sich nämlich vorstellen, dass eine Scherspannung 
dadurch entsteht, dass die in benachbarten Schichten auftreten- 
den Zug- oder Druckspannungen verschieden gross sind, von 
der Grösse dieser Differenz hängt die Grösse der Scherspannung 
ab. Bei der reinen Biegung findet sich das Maximum der 
Scherspannung in der neutralen Zone, d. i. in der Mitte. In 
der Venenwand giebt es keine neutrale Zone, die tangentialen 
Spannungen haben in allen Schichten die gleiche Richtung. 
Wie sich aber zeigte, ist zwischen Zug- und Druckspannung 
gar kein grundlegender Unterschied, und wenn wir mit Berück- 
sichtigung dessen wieder die Biegungsphänomene zum Vergleich 


332 HERMANN TRIEPEL, 


heranziehen, müssen wir zugeben, dass es von vornherein zum 
mindesten wahrscheinlich ist, dass auch bei der Bewegung der 
Gehirnvenen das Maximum der Scherspannung in den mittleren 
Wandschichten zu suchen ist. Dass die grösste Scherspannung 
nicht etwa sich während der einen Bewegungsphase innen, wäh- 
rend der anderen aussen befindet, das wird um so wahrschein- 
licher, als die beiden Phasen Umkehrungen von einander dar- 
stellen und, wenn eine thatsächliche Verschiebung in der ersten 
Phase erfolgt ist, sie in der zweiten auch an derselben Stelle 


wieder ausgeglichen werden muss. 


Wenn wir das Vorhergehende überblicken, so sehen wir, 
dass in allen Schichten der Wand Druck-, Zug- und Scher- 
spannungen vorkommen, dass aber die grösste Druck- 
spannung sich in den inneren, die grösste Zug- 
spannung in den äusseren Schichten findet; Scher- 
spannung endlich ist für die mittleren Schichten 
charakteristisch, sie ist hier am grössten und tritt 


in beiden Bewegungsphasen auf. 


Wenn wir nun den Versuch machen, die Struktur der 
Wand in den grösseren Gehirnvenen von den Beanspruchungen, 
die die Wand erfährt, herzuleiten, so wird es uns zwar nicht 
gelingen, jedes Strukturelement auf eine bestimmte Art der 
Beanspruchung zurückzuführen; indessen wird es doch möglich 
sein, verschiedene wesentliche Beziehungen aufzudecken. Bei 
der anatomischen Beschreibung hatte ich Gelegenheit, auf zwei 
Eigentümlichkeiten in der Struktur hinzuweisen, die sehr wohl 
zu den beiden Spannungen, die hauptsächlich in den äusseren 
und mittleren Schichten vorkommen, in Beziehung gesetzt werden 
können, nämlich das vorwiegend an die äusseren Schichten ge- 
bundene Auftreten von cirkulär verlaufenden gelben Binde- 
gewebsfasern und das Erscheinen von feinen und feinsten Netzen 
solcher Fasern in den mittleren Schichten. 


Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation 1. d. Schädelhöhle. 3533 


Schon bei der Schilderung des Baues der Gehirnarterien 
war ich imstande, das Auftreten des gelben Bindegewebes mit 
Zugspannungen in Verbindung zu bringen, und die Befunde an 
den grösseren Gehirnvenen bestätigen somit, dass ein solches 
Abhängigkeitsverhältnis existiert. Neu ist die Beobachtung, dass 
an dem Orte, an dem sich die grösste Scherspannung findet, 
Netze von gelbem Bindegewebe vorhanden sind. Netze besitzt 
die Wand der Gehirnarterien nicht, auch treten in ihrer Wand 
keine Scherspannungen auf. Hält man diese Thatsachen zu- 
sammen, so liegt die Vermutung nicht fern, dass die gefundenen 
Netze infolge der besonderen Beanspruchung der mittleren 
Wandschichten entstanden sind. Scherspannungen müssen frei- 
lich auch in den anderen Wandschichten der Gehirnvenen vor- 
kommen; in den äusseren Schichten sind entsprechend die cir- 
kulären Fasern ebenfalls netzartig mit einander verbunden, in 
den inneren fehlen allerdings die Netze. Ob etwa in den Muskel- 
zellen, die sich hier finden, bis zu einem gewissen Grade ein 
Ersatz für gelbes Bindegewebe geboten wird, was ich auch bei 
den Gehirnarterien annehmen musste'), bleibe dahingestellt. 
Jedenfalls ist daran zu erinnern, dass die mittleren Schichten 
der Gehirnvenen die grössten Scherspannungen zu tragen haben, 
abgesehen davon, dass die gelben Netze sich gelegentlich auch 


ziemlich weit nach innen erstrecken können. 


Ich hatte vorhin die Annahme gemacht, dass die Venen 
in der Cerebrospinaiflüssigkeit vollkommen frei beweglich sein 
sollten, das trifft indessen in den wenigsten Fällen in vollem 
Umfange zu, da die meisten Venen in den Subarachnoideal- 
räumen durch den Zusammenhang mit den Gehirnhäuten mehr 
oder weniger fixiert sind. Auch wird der Querschnitt oft etwas 
von der rein elliptischen Form abweichen, besonders bei den 
Venen, die den Furchen an der Oberfläche des Gehirns folgen. 


ı) Triepel, 1. c., (Anat. Hefte, 22. Heft), S. 210. 


334 HERMANN TRIEPEL, 


Meine vorigen Ausführungen müssen daher noch eine Ein- 
schränkung erfahren. Es sind nämlich die geschilderten Bean- 
spruchungen stärker wirksam an den freier beweglichen Teilen 
der Venenwand, und umgekehrt können wir schliessen, dass 
dort, wo die Netze aus gelben Bindegewebsfasern besonders 
stark ausgebildet sind, der Wand eine freiere Beweglichkeit 
zukommt als an anderen Stellen; ganz aufgehoben wird ja 
die Beweglichkeit nirgends sein, in der Ausbildung von Struk- 
turen haben wir sicher ein feines Reagens selbst für kleine 
Differenzen. Als die freier bewegliche Seite würde sich hiernach 
in den oberflächlichen Venen die der Arachnoidea zugekehrte 
ergeben, in den Venae cerebri internae, die nach dem dritten 
Ventrikel sehende. Bei den Venae cerebri internae kommen 
indessen nicht selten individuelle Schwankungen vor. 

Von den Bestandteilen der Gehirnvenenwand will ich an 
dieser Stelle ausser dem ‘gelben Bindegewebe nur die Bündel 
collagener Fasern, die sich in der inneren Wandschicht finden, 
und die innere Grenzmembran erwähnen. Es ist sehr leicht 
verständlich, dass die Bindegewebsbündel der inneren Schichten-« 
bei ihrer sehr dichten Lagerung und bei der winkligen Über- 
kreuzung benachbarter Lagen gut geeignet sind, den Druck 
aufzunehmen, der während der ersten Phase der Venenbewegung 
auf sie ausgeübt wird. Dieselbe Beanspruchung wie sie erfährt 
auch die innere Grenzmembran; interessant ist, dass diese in 
den oberflächlichen Venen dort am dicksten ist, wo die aus- 
giebigsten Bewegungen stattfinden, d. h. in der äusseren Wand. 

Zum Schlusse möchte ich darauf hinweisen, dass nach 
unseren bisherigen Kenntnissen eine ganze Reihe von Geweben 
imstande ist, auf mechanische Beanspruchungen durch die Bil- 
dung einer funktionellen Struktur zu reagieren, oder dass in 
einer ganzen Reihe von Organen sich Gewebe mit funktionellen 
Strukturen entwickeln können. Die Art der Beanspruchung ist 
überall die gleiche, es handelt sich immer nur um Zug oder 


Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 335 


Druck oder Abscherung, und doch bildet sich in dem einen 
Fall eine funktionelle Struktur aus Knochengewebe, in dem 
anderen aus collagenen Fasern und das dritte Mal aus gelben 
Bindegewebsfasern. Die Grösse der Beanspruchung ist zwar 
verschieden, doch sind diese Unterschiede sicher nicht oder 
wenigstens nicht allein massgebend für die Entstehung eines 
Gewebes; man denke z. B. an die starke Beanspruchung des 
Nackenbandes der grossen Säugetiere, dessen Fasern einen ver- 
hältnismässig kleinen Elasticitätsmodul besitzen, und die geringe 
Beanspruchung mancher dünnen Sehnen, z. B. der des Musculus 
palmaris longus, deren Elemente einen verhältnismässig grossen 
Elasticitätsmodul besitzen. 

Man muss nun entschieden daran denken, dass nicht nur 
die Grösse der Beanspruchung, sondern ihr Erfolg, d. h. die 
auf sie folgende Bewegung der keinsten Teile wichtig ist. So 
ist es für die grossen Gehirnvenen wesentlich, dass die einzelnen 
Schichten, und besonders die mittleren, bei eintretender Scher- 
spannung auch eine gewisse Abschiebung gestatten, und nicht 
etwa die Spannung mit einem unbesieglichen Widerstande be- 
antworten. Die thatsächlich eintretende Verschiebung ist nun 
sicher sehr gering, wenn sie indessen gar nicht stattfände, wäre 
überhaupt eine geordnete Bewegung der Gehirnvenen in der 
Weise, wie ich sie geschildert habe, gar nicht denkbar. Die Natur 
hat somit ein Mittel geschaffen, durch das es ermög- 
licht wird, dass die Wand der Gehirnvenen den gröss- 
ten Scherspannungen, die in ihr vorkommen, nach- 
giebt, worauf sie nach der Änderung der Beanspruch- 
ung wieder in ihre frühere Lage zurückgeführt wird. 
Die Schnelligkeit, mit der die frühere Form wieder erreicht 
wird, ist jedenfalls ziemlich gross, infolge der geringen elastischen 
Nachwirkung, die dem gelben Bindegewebe zukommt. 

Die Entstehung einer bestimmten Gewebsart an Orten mit 
besonderer Beanspruchung muss mit der Frage in Zusammen- 


2 
© 
er) 


HERMANN TRIEPEL, Die Struktur d. Gehirnvenen etc. 


hang stehen, ob ein grösserer oder ein geringerer Widerstand 
gegen die Beanspruchung zweckmässig ist und ob nach einer 
Formänderung die ursprüngliche Form zweckmässigerweise 
schnell oder langsam wieder hergestellt wird. Obgleich der 
Elastieitätsmodul (oder die diesem reziproke Dehnbarkeit) eines 
Gewebes konstant ist, so kann doch die im Gewebe thatsächlich 
eintretende Dehnung oder Verschiebung noch innerhalb gewisser 
Grenzen schwanken, da die Strukturen und ihre Elemente den 
Beanspruchungen, denen sie ausgesetzt sind, noch mit verschie- 
denen Querschnitten entgegen treten können. Die Schnelligkeit, 
mit der nach Aufhören der Beanspruchung die frühere Form 
wieder erreicht wird, ist aber nur von der elastischen Nach- 
wirkung der Substanz abhängig, wird also nieht von Quer- 
schnittsänderungen beeinflusst. Wir erkennen sehr wohl, dass 
es zweckmässig ist, dass das Nackenband aus gelbem Binde- 
gewebe und die Sehne des Musculus palmaris longus aus colla- 
genen Fasern besteht, und ebenso sehen wir ein, dass das Vor- 
handensein von Netzen aus gelbem Bindegewebe in den mittleren 
Schichten der grösseren Gehirnvenen zweckmässig ist, aber wir 
vermissen das Kausalitätsverhältnis zwischen den bei der Ent- 
stehung wirksamen Kräften und dem entstandenen Gewebe, 
Es muss neben der Beanspruchung bei der Bildung funktioneller 
Strukturen noch ein weiterer Faktor mit im Spiele sein. Man 
wird sich etwa vorstellen müssen, dass immer nur ein Gewebe 
gebildet werden kann, das den Beanspruchungen einen so grossen 
oder so geringen Widerstand entgegensetzt, also durch die Span- 
nungen in seiner Form so wenig oder so viel geändert wird 
wie es für den Fortbestand des beanspruchten Organes nötig ist. 

So verlockend es wäre, den angedeuteten Gedanken weiter 
zu verfolgen, so würde dies doch weit über den Rahmen der 
vorliegenden Arbeit hinausführen. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXVIl. 


Die Figuren 1—4 und 6—9 sind bei einer Vergrösserung von 510:1 
(Leitz, homogene Immersion !/ız, Okular 1), Fig. 5 ist bei einer Vergrösse- 
rung von 230:1 (Leitz, Objektiv 6, Okular 1) gezeichnet. 

Die Pfeile in den Figuren 3, 4, 5 und 8 geben die Richtung des Blut- 
stromes an. 

Fig. 1. Querschnitt der Vena cerebri media, Arachnoidealseite. Gelbe 
Bindegewebsfasern und Netze aus solchen. a innere Grenzmembran, b Muskel- 
kern, e Epithelkern. 

Fig. 2. Querschnitt der Vena cerebri interna, untere Seite. Gelbe Binde- 
gewebsfasern und Netze aus solchen. a innere Grenzmembran, b Muskelkern, 
ce Epithelkern. 

Fig. 3. Risspräparat der Vena cerebri superior, innere und mittlere 
Schichten. Bei wechselnder Einstellung gezeichnet, am oberflächlichsten liegt 
das Netz aus gelben Bindegewebsfasern. a Epithelkern, b Muskelkern. 

Fig. 4. Risspräparat der Vena cerebri media, innere und mittlere Schichten. 
Bei wechselnder Einstellung gezeichnet, am oberflächlichsten liegt das Netz 
aus gelben Bindegewebsfasern. a Epithelkern, b Muskelkern, e Bindegewebskern. 

Fig. 5. Risspräparat der Vena cerebri interna. Lockere Bindegewebs- 
bündel der äusseren Schichten. 

Fig. 6. Zupfpräparat der Vena cerebri interna. Bindegewebsbündel mit 
eingeschlossenen Muskelfasern, von diesen sind teilweise nur die Kerne sichtbar. 

Fig. 7. Querschnitt einer Vene aus dem Plexus chorioideus lateralis. 
a Plexusepithel, b kleine Vene im subarachnoidealen Gewebe des Plexus, 
c Gefässepithel. 

Fig. 8. Risspräparat der Vena cerebri media. Netzförmig angeordnete 
gelbe Bindegewebsfasern der äusseren Schichten. a Bindegewebskern. 

Fig. 9. Gitter aus gelben Bindegewebsfasern an der Innenseite des Sinus 
sagittalis superior. Aus einem Querschnitt, in dem sich das Gitter an einer 
Stelle umgelegt hatte. 


EP ae f i RR ar EN 
RN LER ER Yan SP RER | TEE ed By, Tu nr 
a; REN id, et E ve Be Aero R 
* r f) “n x % \ 
' li ze 
IR ze 


an Aa DR 


A „ ur 


hr 


(AUS DEM ]. ANATOMISCHEN INSTITUT DER K. K. UNIVERSITÄT ZU WIEN.) 


BÄNDER DES SCHULTERGELENKES BEIM MENSCHEN 


EINIGEN SÄUGETIEREN. 


VON 


M. CARL ROSENFELD, 


WIEN. 


End vr Hlone 


} * j E “4 Kr . y s ke ’ 
BEL, Er y ‘ en r x ‘ “ »,0 Bi 
3 27 TEEN a 
5 . b = en - 7 . . = i 1 Ar u e < R 
32 : Mar NE j | » . h N & ’ R 4 ee = 
Jen. Kalkdonak NG RTÄNGG Al NA 
wagt J pP 7 3 Ye u ir “rer Fi er ; u - i Br 
£ . ; ar ! Br ar - 


n 


u Bun 237} 
y ; g uch 
- T 


Be ce 


5 
k 
ur 


'. 


a : } BE: 


te OR RE 


. i i N 


a 
f Pe une 
ne DAERERT ERADEN: Ben 


ar) i PR wi 


Im Auftrage des Herrn Prof. Dr. E. Zuckerkandl, unter 
suchte ich das von Schlemm beschriebene Ligamentum glenoi- 
deum internum des Schultergelenkes. Im Laufe der Unter- 
suchung wurde ich jedoch auf mehrere andere Einzelheiten auf- 
merksam, bis ich endlich das Schultergelenk der meisten Ord- 
nungen der Säugetierreihe in den Bereich meiner Untersuchung 
einbezog. 


Da die dabei gewonnenen Resultate von den Angaben der 
Autoren in mancher Beziehung nicht unwesentlich abweichen, 
anderseits aber auch einige Einzelheiten bisher — meines 
Wissens — nicht beschrieben oder wenigstens nicht entsprechend 
gewürdigt worden sind, erlaube ich mir das Ergebnis meiner 
Untersuchung in dieser Arbeit kurz wiederzugeben. 


14 


In Jahre 1853 beschrieb Fr. Schlemm in Müllers 
Archiv in einer Abhandlung u. d. Titel „Über die Verstärkungs- 
bänder am Schultergelenk‘ drei Bänder: das Ligamentum coraco 
brachiale, das Lig. glenoideo-brachiale internum und das Lig. 
glenoideo-brachiale inferius seu latum, von denen die zwei letzteren, 
früher unbekannt, von Schlemm zum erstenmal beschrieben 
wurden, während das erstere schon früher von Barkow, in 
dessen Syndesmologie 1841 als Lig. coracoideo-capsulare und 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVI. Heft. (11. Bd., H. 3.) 23 


342 M. CARL ROSENFELD, 


von Krause!) als Ligamentum accessorium humeri angegeben 
wurde. Ein Jahr später 1854 erschien von E. Hilbert, einem 
Schüler Schlemms, eine in lateinischer Sprache verfasste Arbeit 
„De humeri artieulo“, in der wir nebst einigen allgemeinen An- 
gaben über das Schultergelenk, die von Schlemm angegebenen 
Bänder beschrieben finden. Auch in den übrigen um diese 
Zeit veröffentlichten Werken finden wir Schlemms Angaben 
wiedergegeben, so z.B. bei Führer?), Hollstein°) und Kolb‘). 


Während aber das erstgenannte Band auch von allen späteren 
Autoren, vielfach auch unter dem Namen „Ligamentum suspen- 
sorium humeri“ angegeben wird, scheinen die beiden anderen 
in kurzer Zeit in Vergessenheit geraten zu sein. Wir finden 
daher in der Litteratur der nächsten Decennien, die von Schlemm 
angegebenen Bänder in der Regel nicht mehr erwähnt und 
— meines Wissens — sind es bloss Hartmann 1881, Gegen- 
baur 1883, Welcker 1878 und Brösike 1897, die ein von 
Schlemm beschriebenes Band anführen oder eine Verstärkung 
beschreiben, die dem Sechlemmschen Band entspricht. So 
beschreibt Welcker’) ein Ligamentum interarticulare humeri, 
welches dem von Schlemm angegebenen Bande zu entsprechen 
scheint; während Gegenbaur‘) bei Besprechung der Bursa 
synovialis subscapularis ein Band angiebt, das er selbst zwar 
mit keinem besonderen Namen belegt, das aber unzweifelhaft 
nur das Schlemmsche Band sein kann. Er sagt nämlich: 
„Der Eingang in diese Ausbuchtung der Kapsel wird gegen die 
Pfanne zu vom Labruin, distal davon von einem breiten und 
starken Bandzuge begrenzt, welcher teils vom Labrum, teils von 


1) Krause, Menschliche Anatomie. 1843. 

2) Führer, Chirurgische Anatomie. 1857. 

3) Hollstein, Anatomie des Menschen. 1860. 

4) Kolb, Grundriss der Anatomie, 1861. 

5) Welcker, Archiv für Anatomie und Physiologie. 1878. 
6) Gegenbaur, Anatomie des Menschen. 1883. S. 238. 


Die Bänder d. Schultergelenkes b. Menschen u. einigen Säugetieren. 343 


der Wurzel des Coracoids kommt und zum Tuberculum minus 
verlaufend, die mediale Kapselwand verstärkt“. Endlich finden 
wir das Band noch bei Henle!) und Heitzmann?) erwähnt. 


a) Ligamentum glenoideo-brachiale internum 
Schlemmi. 


Es ist zu verwundern, dass ein so konstantes Gebilde, wie 
das Ligamentum glenoideum, erst so spät beschrieben wurde 
und auch dann in sehr kurzer Zeit in Vergessenheit geraten 
konnte. In 120 von mir untersuchten Fällen fehlte das Band 
bloss einmal. Das Ligamentum glenoideo-brachiale internum 
erscheint daher als ein unzweifelhaft konstantes Gebilde, das am 
oberen Pfannenrande entsprechend der Wurzel des Processus 
coracoideus, in vielen Fällen fächerförmig ausgebreitet oder 
selbst mit zwei Schenkeln entspringt, in den meisten Fällen aber 
mit seinem Ursprunge an die Sehne des langen Bicepskopfes 
heranreicht oder mit derselben durch ein derbes Bindegewebe 
verbunden ist. Entspringt das Band an der Pfanne mit zwei 
Wurzeln, dann begrenzen die letzteren eine kleine Lücke, die 
eine Kommunikation der Gelenkhöhle mit der Bursa synovialis 
subscapularis vermittelt. In der Regel ist die Kommunikations- 
öffnung jedoch bedeutend grösser — wie es noch weiter unten 
gezeigt werden wird — und dadurch erscheint die vielfach ver- 
breitete Auffassung der Bursa subscapularis als Ausstülpung der 
Gelenkhöhle begreiflich, wenngleich sie entwickelungsgeschicht- 
lich nieht vollkommen korrekt zu sein scheint. Die bisher von 
mir untersuchten menschlichen und einige tierischen Foeten 
lassen vielmehr vermuten, dass die Bursa subscapularis nicht als 
Ausstülpung der Gelenkskapsel aufzufassen ist, sondern dass die 


1) Henle, Knochen- und Bänderlehre. 1871. 
2) Heitzmann, Topographische Anatomie. (Atlas) 1893. In der neuesten 
Auflage 1396 fehlt aber auch diese Angabe. 


23* 


344 M. CARL ROSENFELD, 


Kommunikation erst sekundär zustande kommt. Ich finde 
nämlich an fast allen jüngeren, menschlichen Embryonen die 
deutlich entwickelte Bursa subscapularis nirgends in Kommuni- 
kation mit der Gelenkskapsel. Bei genauerer Untersuchung zeigt 
sich aber in der Regel, dass die Kapsel an der Stelle, an welcher 
die Kommunikationsöffnung zu suchen wäre, deutlich verdünnt 
ist. Dieser Zustand persistirt nun sehr oft in der zweiten 
Hälfte des embryonalen Lebens und auch beim erwachsenen 
Individuum findet man diese Verhältnisse nicht selten. Wieder- 
holte Talginjektionen der Gelenkhöhle älterer, kräftiger Personen 
ergaben in nicht zu seltenen Fällen die Persistenz der eben ge- 
schilderten embryonalen Zustände. Die Gelenkhöhle wird durch 
die eingespritzte Masse gefüllt, während der Schleimbeutel leer 
bleibt und sich gegen das Gelenk durch eine dünne Membran 
scharf absetzt. 


Von seiner Ursprungsstelle verläuft nun das Band nach 
aussen und vorne in der Richtung gegen das Tubereulum minus 
humeri, wobei es an der der Gelenkhöhle zugewendeten Seite 
mit einem Synovialüberzug versehen ist. Die Gegenfläche des 
Bandes zeigt ein verschiedenes Verhalten. In vielen Fällen 
sehen wir nach Eröffnung der Bursa subscapularis die äussere 
Fläche des Bandes vollkommen freiliegend. Wenn aber zwischen 
der Bursa supscapularis und dem Gelenkraume keine Kommu- 
nikation besteht, ist auch die äussere Fläche des Ligamentum 
glenoideum von einer dünnen Membran bekleidet und es liegt 
der Rand des Bandes direkt der Kapsel an. Im ersteren 
Falle, wenn nämlich das Band mit seiner äusseren Fläche voll- 
kommen freiliegt, finden wir eine sehr weite Kommunikations- 
öffnung zwischen dem Gelenkraume und der Bursa mucosa 
subscapularis, ja einen förmlichen Defekt der vordernen Kapsel- 
wand, welcher von Weitbrecht!) als Foramen ovale, ferner 


!) Weitbrecht, Syndesmologie, 1779. 


Die Bänder d. Schultergelenkes b. Menschen u. einigen Säugetieren. 345 


von Schlemm!') und Hollstein?) als „pyramidaler Schlitz“ 
beschrieben wurde. 

Nachdem das Band auf diese Weise die Strecke zwischen 
der Pfanne und dem Oberarm zurückgelegt hat, endet es in der 
Regel im engen Anschlusse an die Subscapularissehne am Tuber- 
culum minus humeri. In anderen Fällen wieder verläuft es 
fächerförmig ausgebreitet, um mit der Kapsel vereint an den 
Knochen zu gelangen; aber auch hier findet man immer einen 
kleinen Anteil des Bandes, der sich in die Subscapularissehne 
einsenkt. In selteneren Fällen strahlt das Band direkt in die 
Subscapularissehne ein. So finde ich an einem Präparate das 
Band geteilt in zwei Schenkel, die zur Kapsel in keine nähere 
Beziehung treten, sondern sich in die Sehne des Musculus 
subscapularis verlieren. Der obere Schenkel stellt dann bloss 
eine stärkere Ausbildung eines auch sonst vorhandenen Faser- 
zuges dar, der mit dem Ligamentum glenoideobrachiale in- 
ternum gemeinsam entspringt, im weiteren Verlaufe aber mit 
demselben divergiert und gewöhnlich in die äussere Fläche der 
Sehne einstrahlt. | 

Das eben Angeführte entspricht dem typischen Verhalten 
des Ligamentum glenoideo-brachiale internum Schlemmi und 
nur in verhältnismässig seltenen Fällen beobachtet man ein 
etwas abweichendes Verhalten. So z. B. wären einige Fälle zu 
erwähnen, in denen das Band anscheinend fehlte, bei genauer 
Untersuchung aber als zarter Bandstreifen oder auch verdickter 
Randbogen der synovialen Membran zu finden war. 

Gleichwie beim Erwachsenen, sehen wir das Ligamentum 
elenoideum internum auch während der intrauterinen Entwicke- 
lung als ganz konstantes Gebilde, nur ist an fötalen Extremi- 
täten wie bereits erwähnt wurde — die Gelenkhöhle gegen 
die Bursa subscapularis in der Regel abgeschlossen. Man muss 


1) Schlemm, | ce. 
2) Hollstein, Anatomie des Menschen. 1860. S. 199. 


346 M. CARL ROSENFELD, 


daher, um an das Band zu gelangen, die dünne Kapselwand 
einschneiden. - 


Schon um die Mitte der foetalen Entwickelung ist das Liga- 
mentum glenoideum internum verhältnismässig stark ausgebildet, 
insbesondere bei manchen Tieren (Hund, Schwein), bei denen 
es die im Gelenke befindliche, Bicepssehne an Dicke und Stärke 
übertrifft. 


b) Ligamentum glenoideo-brachiale inferius seu latum. 


Das Ligamentum glenoideo-brachiale inferius Schlemmi wird 
von den meisten Autoren nicht erwähnt, da es schwer fällt die 
Grenzen desselben gegen die übrige Kapsel anzugeben. Das 
unter diesem Namen von Schlemm angegebene Band, stellt 
bloss eine nicht scharf zu begrenzende Verdickung der vorderen, 
unteren Kapselwand dar, deren Ausdehnung so vielen indi- 
viduellen Schwankungen unterworfen ist, dass jede Beschreibung 
dieses Gebildes kaum einzelnen Präparaten entsprechen könnte. 
In vielen Fällen ist die Angabe der unteren Grenze noch durch 
den Umstand erschwert, dass die ganze Kapsel gleichmässig 
verdickt erscheint, so dass man kaum von einem besonderen 
Bande sprechen könnte, während das früher angegebene Liga- 
mentum glenoideum internum sich auch in solchen Fällen durch 
eine dünne synoviale Membran gegen die verdickten Kapsel- 
anteile scharf absetzt. 


Für jeden Fall unterliegt es aber keinem Zweifel, dass dieser 
Kapselanteil in manchen Fällen in einer grösseren, aber sehr 
variablen Ausdehnung verstärkt ist u. z. veränderlich insoferne, 
als seine obere Grenze verschieden hoch gegen das Ligamentum 
glenoideum internum hinaufreicht und die untere Grenze sich 
verschieden weit gegen die hintere Kapselwand erstreckt. 


Die Bänder d. Schultergelenkes b. Menschen u. einigen Säugetieren. 347 


c) Ligamentum coraco-humerale seu suspensorium 
humeri. 


Während die beiden früher besprochenen Bänder nur von 
einzelnen Autoren angegeben werden, finden wir das Ligamentum 
coraco-humerale — wie bereits erwähnt — schon vor Schlemm 
von vielen älteren Autoren beschrieben. Auch alle späteren 
Autoren geben dieses Band als Verstärkung der Schultergelenks- 
kapsel an, viele glauben sogar „die Tragkraft dieser Fasern 
sei bei senkrechtem Herabhängen des Armes besonders in An- 
spruch genommen“ (v. Luschka und andere) und bezeichneten 
diesen Faserzug dementsprechend auch als Ligamentum suspen- 
sorium humeri. Auch in den Detail-Angaben über dieses Gebilde 
stimmen sämtliche Autoren überein. 

Schlemm!) beschreibt dieses Gebilde in folgender Weise: 
„Das obere Band, Ligamentum coraco-brachiale, entspringt mit 
zwei Wurzeln, einer oberen, vom äusseren Rande des Processus 
coracoideus und einer unteren, vom Labrum fibrocartilagineum 
und dem Umfange der Cavitas glenoidea, dicht innen neben der 
Sehne des langen Kopfes des Musculus biceps brachii, so dass 
diese Sehne mit ihr im Ursprunge verwachsen ist. Das Band 
liegt zwischen dem M. supraspinatus und dem M. subscapularis, 
geht abwärts zum Oberarmbein und teilt sich in zwei Schenkel, 
2 und setzt sich an die innere und äussere Hervor- 
ragung des Sulcus tendinis biecipitis fest, wobei es aussen mit 
der Sehne des M. supraspinatus, innen mit der des Subscapu- 
laris verwächst.‘ 

Meine Untersuchung führte zu dem Resultate, dass das 
unter dem Namen Ligamentum coraco-brachiale beschriebene 
Gebilde, weder als Verstärkung der Kapsel noch als selbstän- 
diges Band zu deuten sei, sondern als Fortsetzung der Kapsel 
auf den Processus coracoideus. 


1) Schlemm, Fr., Müllers Archiv. 1853. 


348 M. CARL ROSENFELD, 


Es wäre vor allem zu bemerken, dass im Bereiche des 
Ligamentum coraco-brachiale der Autoren keine wesentliche Ver- 
diekung der Kapsel besteht, wenngleich es im ersten Momente 
diesen Eindruck macht. Unter dem einen Anteile, welchen 
Schlemm als obere Wurzel des Ligamentum coraco-brachiale 
beschreibt, findet man erstens konstant einen grösseren Fett- 
klumpen, der, in der Tiefe verborgen, diesen Faserzug bei ober- 
flächlicher Untersuchung stärker erscheinen lässt. Ferner strahlt 
in diesen Faserzug einerseits von vorne her ein Fascienblatt ein, 
das die Sehne des Musculus subscapularis bekleidet, während 
sich anderseits von der dorsalen Seite her die, den Musculus 
supraspinatus einscheidende Fascie ebenfalls in diesen Faserzug 
verliert. Auch die Bursa subscapularis erstreckt sich nicht selten 
dorsal bis unter diesen Faserzug, und so ist es begreiflich, 
dass man leicht in der Schätzung der Dicke dieses Kapsel- 
anteiles getäuscht werden kann. Ebensowenig kann man bei 
genauerer Untersuchung eine Verdickung in dem weiteren 
Verlaufe dieses Bandes finden, ich meine nämlich in der 
Strecke zwischen dem oberen Rande der Pfanne und dem 
Suleus intertubereularis humeri. Berücksichtigt man nämlich, 
dass — wie auch Schlemm angiebt — die Sehne des Mus- 
culus subscapularis und die Sehne des M. supraspinatus an 
dieser Stelle einstrahlen und zwar derart, dass sie eine bogen- 
förmig gestaltete, sehnenfreie Stelle zwischen sich fassen, dass 
ferner die sehnenfreie Kapselpartie die, im Gelenkraume befind- 
liche Sehne des langen Bicepskopfes bedeckt, dann begreift man 
leicht, dass auch in dieser Strecke die Verdickung bloss vor- 
getäuscht wird und man daher kein Recht hat, von einer band- 
artigen Verstärkung der Kapsel, geschweige denn von einem 
selbständigen Bande zu sprechen. Und thatsächlich gelingt es 
auch präparatorisch zu beweisen, dass an dieser Stelle keine 
Verstärkung zu finden ist, wenn man einerseits die Sehne des 
M. supraspinatus, die den unteren Teil des Bandes überlagert, 


Anat. Hefte I Abtheilung. Heft 36.(11.Bd.H.3.) Taf. XXVI. XXX 


Lith. Anst.v. C Kirst, Leipzig. Verlag v. IE Bergmann Wiesbaden 


Die Bänder d. Schultergelenkes b. Menschen u. einigen Säugetieren. 349 


andererseits auch die von innen her anliegende Bicepssehne ent‘ 
fernt. Noch viel überzeugender ist der Befund an fötalen Ex- 
tremitäten, an denen schon das präzise Ablösen der Supraspinatus- 
sehne hinreicht, um das Fehlen eines Verstärkungsbandes zu 
beweisen; ja in manchen Fällen sieht man sogar nach dieser 
Präparation die Bicepssehne durch die dünne Kapselwand durch- 
scheinen. Dabei erzeugt man in beiden letzteren Fällen kein 
Kunstprodukt, da die verschiedene Faserrichtung der Supra- 
spinatussehne und der Kapselwand bei der Präparation einen 
sehr verlässlichen Anhaltspunkt bietet. Von Bedeutung für die 
Annahme, es bestehe an dieser Stelle keine Verdickung der 
Kapsel, ist ferner auch der Umstand, dass — wie meine ver- 
gleichend-anatomischen Untersuchungen ergeben (siehe II. Teil 
dieser Arbeit) — ein derartiges Verstärkungsband in der Reihe 
der Säugetiere nicht besteht. Es stellt vielmehr gerade die Stelle, 
an der das Ligamentum coraco-humerale zu suchen wäre, den 
dünnsten Kapselanteil dar, sodass die darunter liegende Biceps- 
sehne deutlich durchscheint. 

Ebensowenig angriffsfrei ist auch die Angabe, die Tragkraft 
des Ligamentum coraco-brachiale sei bei senkrechtem Herab- 
hängen des Armes besonders in Anspruch genommen, welcher 
Umstand für das Bestehen eines Verstärkungsbandes sprechen 
würde. Das direkte Experiment ergiebt vielmehr, dass 
die Festigkeit und Tragkraft des Gelenkes nicht im 
geringsten leidet, wenn man das Ligamentum suspen- 
sorium der Autoren vom Processus coracoideus ab- 
löst oder durchschneidet. Es hat also diese Partie der 
Schultergelenkskapsel diesbezüglich keine grössere Bedeutung, als 
irgend eine andere Stelle der dorsalen Kapselwand. 

Alle die hier angeführten Umstände und insbesondere das 
zuletzt erwähnte Experiment beweisen — wie ich glaube — zur 
Genüge, dass die Angaben der Autoren dem thatsächlichen 
Befunde nicht vollkommen entsprechen, und diese Umstände sind 


350 M. CARL ROSENFELD, 


es auch, die es gestatten, den Bestand eines Ligamentum 
coraco-brachiale als Verstärkungsband zu leugnen. 

Dennoch fand auch ich konstant einen Faserbogen, der 
zwischen der dorsalen Kante des Processus coracoideus und dem 
oberen Rande der Schultergelenkspfanne ausgespannt war, eben 
jene Fasern, welche Schlemm und die anderen Autoren als 
zwei Wurzeln des Ligamentum coraco-brachiale deuten. Da 
aber diese Deutung nach den früheren Ausführungen unzulässig 
ist, entsteht nun die Frage: wie wäre das Vorkommen eines 
derartigen Faserbogens zu erklären ? 

Bevor ich diese Frage beantworte, muss ich einige Bemer- 
kungen über die Kapsel des Schultergelenkes vorausschicken 
und in einer genaueren Beschreibung der fibrösen Kapsel wird 
man mit Leichtigkeit die soeben aufgeworfene Frage beantwortet 
finden. 

Wie an allen anderen‘ wahren Gelenken müssen wir auch 
am Schultergelenke eine fibröse Kapsel und eine diese be- 
kleidende Synovialmembran unterscheiden. Die synoviale Mem- 
bran entspringt im vollen Anschlusse an das Labrum fibrocarti- 
lagineum der Pfanne, bekleidet die fibröse Kapsel und nur an 
einer Stelle, am oberen Rande der Pfanne, reicht ihr Ursprung 
etwas höher hinauf, da sie an dieser Stelle, über das Labrum 
hinweg, auf den Hals der Scapula übergreift. Ein wenig kom- 
plizierter ist das Verhalten der synovialen Membran an der 
vorderen Kapselwand. Nach dem Ablösen der Kapsel vom 
Humerus und nach dem Zurückschlagen derselben gegen die 
Scapula sehen wir, wie die synoviale Membran vorerst das als 
schräge Falte gegen die Gelenkhöhle vorspringende Ligamentum 
glenoideum internum Schlemm einscheidet, um dann auf den 
oberen, scharf ausgeprägten Anteil der Subscapularissehne über- 
zugreifen. Da sie aber über die fibrösen Bestandteile der vor- 
deren Kapselwand nicht einfach hinwegzieht, sondern deren 
Konturen genau folgt, entsteht am Rande der durch das 


Die Bänder d. Schultergelenkes b. Menschen u. einigen Säugetieren. 351 


Ligamentum glenoideum internum aufgeworfenen Falte eine 
Lücke, durch die man in die Bursa subscapularis hineingelangt. 
Entspringt das Ligamentum glenoideum mit zwei Wurzeln an 
der Pfanne, dann folgt die synoviale Membran ebenfalls den 
Konturen des Bandes und wir finden daher zwei Lücken, welche 
beide in die Bursa subscapularis führen. Nur in wenigen Fällen 
fehlen diese Kommunikationsöffnungen. Im weiteren Verlaufe 
liegt die synoviale Membran den fibrösen Faserzügen der Kapsel 
einfach an bis auf eine Stelle der dorsalen Kapselwand, an der 
sie noch einen Überzug für die Sehne des langen Bicepskopfes 
liefert und mit einem kleinen Divertikel in den Sulcus inter- 
tubercularis des Oberarms herabreicht. 

Nicht ganz gleich verhält sich die fibröse Kapsel. Sie bildet 
einen ziemlich gleichmässigen Sack, der mit seinem Ursprunge 
sowohl gegen die Scapula, als auch gegen den Oberarm etwas 
tiefer herabreicht als die Synovialmembran. Ferner zeigt die 
Kapsel an einer Stelle einen Defekt und zwar im oberen Anteile 
der vorderen Kapselwand, an dem von Weitbrecht ange- 
gebenen Foramen ovale, welches dem ‚„pyramidalen Schlitz‘ der 
anderen Autoren entspricht. Hier wird die fibröse Kapsel durch 
den kranialwärts gelegenen, immer scharf ausgeprägten, spul- 
runden Anteil der Subscapularissehne ergänzt, wie bei Betrach- 
tung der synovialen Membran angegeben wurde und wie es 
auch einige Autoren, wie Hoffmann'), Quain?) und Martin?) 
erwähnen. Solange dieser Anteil der Subscapularissehne der 
noch erhaltenen, fibrösen Kapselwand anliegt, finden wir an 
einer unteren Fläche eine gegen den Scapularrand blind 
geschlossene, gegen die Gelenkhöhle aber offene Sehnenscheide, 
welche also mit dem Gelenkinneren kommuniziert. Erst in der 
zweiten Hälfte des Abstandes, zwischen dem Pfannenrande und 


1) Hoffmann, Anatomie des Menschen. 
2) Quain, Anatomy. 9. Auflage. pag. 153. 
2) Martin, Über Gelenkmuskeln beim Menschen. 8. 11. 


352 M. CARL ROSENFELD, 


dem Tubereulum minus humeri, ist der Defekt der fibrösen 
Kapselwand ein vollständiger und dementsprechend bildet erst 
in dieser kurzen Strecke die Subscapularissehne allein die fibröse 
Kapselwand. Infolgedessen macht es bei der Präparation den 
Eindruck, als würde sich die Sehne an dieser Stelle ins Gelenk 
einsenken: 


Schliesslich finden wir, dass die fibröse Kapsel dem oberen 
Rande der Pfanne nicht genau folgt. Ihr Ansatz am Pfannen- 
rande reicht nur bis zum medialen Rande der Bicepssehne, von 
da an greift sie mit ihrem Ansatze auf den Processus coracoi- 
deus scapulae in Form eines leistenförmigen Vorsprunges über. 
Sie schliesst sich aber nicht immer genau dem Rande des Pro- 
cessus coracoideus an, sondern wir finden viel häufiger zwischen 
jener Stelle des Pfannenrandes und der dorsalen Kante des 
Processus coracoideus einen Faserbogen ausgespannt, an dem 
erst die Bündel der fibrösen Kapsel ihren Ursprung nehmen. 


Wir müssen demnach die früher aufgeworfene Frage dahin 
beantworten, dass der fibröse Faserbogen entschieden nicht als 
zweiter Schenkel eines Bandes und die daran entspringenden 
Fasern etwa als Ligamentum coraco-brachiale zu deuten sind, 
sondern dass wir es hier mit einer leistenförmigen Fortsetzung 
der fibrösen Kapsel selbst zu thun haben. 


Die fibröse Kapsel des Schultergelenkes folgt also nicht 
dem Rande der Pfanne, wie es die synoviale Membran thut, 
sondern verlässt den Pfannenrand am medialen Ende des Biceps- 
ursprunges und geht von da in einem sanften Bogen auf die 
Wurzel und von da auf die dorsale Kante des Processus cora- 
cideus scapulae über. Zwischen der fibrösen und synovialen 
Kapselwand bleibt daher ein kleiner Raum übrig, welcher durch 
Fett ausgefüllt wird, wie das auch an allen anderen Stellen 
vorkommt, an denen die Synovialmembran der fibrösen Kapsel 
nicht direkt aufsitzt. Durch diese Fettschicht wird natürlich — 


Die Bänder d. Schultergelenkes b. Menschen u. einigen Säugetieren. 353 


wie schon früher erwähnt — eine Verdickung dieses Kapsel- 
abschnittes vorgetäuscht. 

Einen Anhaltspunkt zur Erklärung dieses eigentümlichen 
Verhaltens der fibrösen Kapsel des Schultergelenkes beim 
Menschen können wir gewinnen, wenn wir die bei den Wirbel- 
tieren vorhandenen Verhältnisse in Betracht ziehen. Bei den 
niedersten Wirbeltieren, bei den Amphibien und in der Reihe 
der Reptilien, bei den Cheloniern, beteiligen sich drei Bestand- 
teile des knöchernen Schultergürtels an der Bildung der Ge- 
lenkspfanne, nämlich das Scapulare, das Coracoid und das 
Claviculare. 

Schon in den anderen Ordnungen der Reptilien verliert 
das Claviculare seinen Anteil an der Gelenksbildung und von 
da an wird die Pfanne bei den Reptilien, Vögeln und Monotremen 
nur noch vom Os scapulare und vom Coracoid gebildet. Bei 
den übrigen Säugetieren beteiligt sich nur noch die Scapula an 
der Bildung der Pfanne, während sich das Coracoid zurück- 
bildet. 

Wir finden also bei den Wirbeltieren, bis zu den Säuge- 
tieren, eine Mitbeteiligung des Coracoids an der Etablierung des 
Gelenkes und dementsprechend sehen wir die fibröse Kapsel 
auch an diesem Knochen entspringen. Bei den Säugetieren und 
dem Menschen bildet sich aber das Coracoid zurück und zwar 
derart, dass es bei einigen Säugern nur als kleiner Höcker 
am oberen Rande der Pfanne erscheint. Diese Tuberositas 
supraglenoidalis (Hund, Katze etc.) ist dann vollkommen in den 
Gelenkraum einbezogen, da die Kaspel auch an diesem Höcker 
in voller Kontinuität ihren Ursprung nimmt. Bei den übrigen 
Säugern und dem Menschen sehen wir einen Processus coracoides, 
der mit der Gelenkpfanne und dem Gelenk selbst nichts zu 
thun hat, dessenungeachtet finden wir aber, so wie bei den niederen 
Tieren, dass die fibröse Kapsel sich auch auf den Processus 
coracoideus erstreckt. 


354 M. CARL ROSENFELD, 


11: 


Wie schon zum Schlusse des ersten Teiles dieser Arbeit 
mehrmals angedeutet wurde, musste ich zur Begründung und 
Erklärung der beim Menschen vorgefundenen Verhältnisse, viel- 
fach auch vergleichend-anatomische Untersuchungen anstellen. 
Da nun aber der diesbezügliche Teil der Litteratur sehr arm 
an Angaben ist, möchte ich noch in Kürze einige Bemerkungen 
über das Schultergelenk der Säugetiere anschliessen. 


Das Schultergelenk der Säugetiere erinnert in den wesent- 
lichsten Punkten an das des Menschen und zwar nicht bloss 
in der allgemeinen Gestaltung, sondern auch in vielen Einzel- 
heiten. 


Die Kapsel ist in dieser Tierklasse auffallend schwach und 
dünnwandig. Sie entspringt einerseits am Rande der Gelenk- 
pfanne, die bei manchen Tieren durch ein derselben aufgesetztes 
Labrum glenoidale vertieft ist; andererseits nimmt sie den mit 
einem Knorpelüberzuge versehenen Anteil der proximalen 
Humerusepiphyse auf. Die am Schultergürtel entspringenden 
Muskeln umgreifen das Gelenk allseitig und verstärken die an 
und für sich schwache Kapselwand, indem sie stellenweise, ins- 
besondere in der Nähe ihrer Insertion am Humerus, in dieselbe 
einstrahlen. Bei vielen Tieren sind auch Schleimbeutel vorhanden, 
von denen der konstanteste die Bursa synovialis subscapularis 
ist, die in der Regel mit der Gelenkhöhle — ähnlich wie beim 
Menschen — in offener Kommunikation steht. 


Diesen Schleimbeutel finden wir bei allen Säugetieren unter 
der Subscapularissehne, zwischen dieser und der Kapsel [in 
manchen Fällen mit starker Ausbildung der Bursa liegt diese 
teilweise auch der Scapula an] und nur bei einer Ordnung, bei 
den Insectivoren (Igel) sah ich den Schleimbeutel sich bis auf die 
äussere Fläche des Muskels erstrecken. Dieser interessante Be- 
fund liesse sich nur durch das Zusammenfliessen der Bursa 


Die Bänder d. Schultergelenkes b. Menschen u. einigen Säugetieren. 355 


subscapularis mit der bei einigen Tieren (Ratte, Affen) normal 
vorkommenden Bursa coracoidea erklären, welch’ letztere unter 
dem Processus coracoideus, zwischen diesem und dem Musculus 
subscapularis zu finden ist. Schneidet man die Wand der Bursa 
auf, dann ist eine weite Einsicht in den inneren Gelenkraum 
gestattet, da — wie schon früher hervorgehoben — der Schleim- 
beutel mit der Gelenkhöhle kommuniziert. Auch beim Igel 
kann man nach Eröffnung des oberflächlichen Schleimbeutels 
und Herabdrängen des oberen Subscapularisrandes weit ins Ge- 
lenk hineinsehen. Die Kommunikation mit der Gelenkhöhle 
findet sich in der Regel an der schon beim Menschen erwähnten 
Stelle neben dem Ligamentum glenoideum. 

Charakteristisch für das Schultergelenk der Säugetiere ist 
ferner der Mangel jeder äusseren Verstärkung der Kapsel. Bei 
keinem Säugetiere gelang es mir ein Ligamentum coraco- 
humerale — wenn auch nur andeutungsweise — zu finden, ich 
sehe im Gegenteile an der Stelle, an welcher das Band zu suchen 
wäre, immer den dünnsten Kapselanteil, der in der Regel die 
darunter liegende Bicepssehne deutlich durchscheinen lässt und 
mitunter — wie z. B. beim Igel — selbst bei vorsichtiger Präpa- 
ration einreisst. Nur bei einigen Tieren (Hund, Kaninchen, 
Katze, Lemuriden) findet man im untersten Abschnitte des 
Suleus intertubercularis einen, sehnenglänzenden Faserzug, der 
in schräger Richtung von der Crista tubereuli maioris gegen 
die Crista tubereuli minoris aufsteigt und auf dieser Strecke die 
Bicepssehne festhält. 

Ebensowenig gelang es mir, ein Ligamentum glenoideum 
latum oder ein sonstiges äusseres Band zu finden. Ganz konstant 
sah ich dagegen in allen von mir untersuchten Ordnungen der 
Säugetiere das Ligamentum glenoideum internum, dessen Ver- 
halten vielfach selbst in allen Einzelheiten dem beim Menschen 
entspricht. So finden wir in allen Ordnungen den Ursprung 
des Bandes am oberen Pfannenrande, an der Wurzel des Processus 


356 M. CARL ROSENFELD, 


coracoideus, der bei vielen Säugetieren nur als Beule, Tuberositas 
supraglenoidalis angedeutet ist. Der Ursprung des Bandes 
erstreckt sich gewöhnlich bis an die Bicepssehne und ist mit 
derselben, mitunter eine kurze Strecke weit, durch ein derbes 
Bindegewebe verbunden. Von seiner Ursprungsstelle durch- 
setzt das Band in diagonaler Richtung das Gelenk, um in der 
Gegend des Tubereulum minus humeri zu enden. In seinem 
Verlaufe und in seiner Insertion zeigt es aber ein verschiedenes 
Verhalten und zwar derart, dass man eine jede von den für 
den Menschen angegebenen kleinen Varietäten für eine ganz 
bestimmte Ordnung als Typus angeben könnte. 

So finden wir das Band ganz frei das Gelenk durchsetzend, 
also beiderseits mit freien, scharfen Rändern versehen bei den 
Rodentia (Ratte, Kaninchen) und zwar konstant: ich konnte an 
14 untersuchten Kaninchengelenken nicht die geringste Ab- 
weichung von diesem Typus beobachten. Ausserdem sehen 
wir dieses Verhalten in selteneren Fällen bei den Lemuriden 
und bei den Carnivoren. In den meisten Ordnungen erscheint 
uns aber als Typus jener Zustand, in welchem die dünne synoviale 
Membran an das Band herantritt und mit seinem hinterem Rande 
eine halbkreisförmige Kommunikationsöffnung für die Bursa 
synovialis subscapularis bildet, während der vordere Rand des 
Bandes immer frei bleibt und hier zur Bildung eines Schlitzes 
führt. Am schönsten ausgeprägt finden wir diesen Zustand bei 
der Katze, (in manchen Fällen sogar viel schöner und deutlicher 
als beim Menschen), ferner auch bei den Affen, Halbaffen und 
bei der Fledermaus. 

Die Insertion des Bandes zeigt in den einzelnen Ordnungen 
ein Verhalten, welches von dem beim Menschen vorhandenen 
einigermassen abweicht, in einzelnen Fällen aber mit ihm über- 
einstimmt. Am häufigsten strahlt das Band fächerförmig aus- 


gebreitet in die Kapsel ein, wodurch seine Dicke in der Nähe des 
Ansatzes bedeutend abnimmt. 


Die Bänder d. Schultergelenkes b. Menschen u. einigen Säugetieren. 357 


Es wäre schliesslich noch zu erwähnen, dass auch bei den 
meisten Säugetieren die Sehne des Musculus subscapularis zwei 
in ihrem Verhalten verschiedene Anteile unterscheiden lässt. 
Während nämlich der hintere, grössere Anteil der Sehne der 
Kapsel lose anliegt und sich von derselben in seiner ganzen 
Ausdehnung mit Leichtigkeit abheben lässt, ist der vordere An- 
teil, ähnlich wie beim Menschen als zarter, spulrunder in die 
Gelenkhöhle hineinragender Strang ausgeprägt. Dieser Sehnen- 
abschnitt scheint nun auch in der Reihe der Säugetiere zum 
Gelenke in nähere Beziehung zu treten. 


Meine Untersuchungen über das Verhalten der Subscapularis- 
sehne zum Schultergelenke, ergaben auch sonst in vielen Bezieh- 
ungen die grösste Analogie mit den Resultaten, zu welchen Prof. 
Welcker!) in seiner Abhandlung „Über die Einwanderung der 
Bicepssehne in das Schultergelenk“ für die Bicepssehne gelangte. 
Bei vielen Tieren und insbesondere beim Menschen sieht man 
den scharf ausgeprägten Anteil der Subscapularissehne strecken- 
weise ins Gelenk hineinragen, oder man findet an derselben 
bloss einen zarten Synovialüberzug. Bei anderen wieder liegt 
die Subscapularissehne aussen an der fibrösen Kapsel, ohne in 
nähere Beziehungen zum Gelenke zu treten. 

Meine Untersuchung, ergiebt also kurz zusammengefasst, 
folgendes: 


1. Das Ligamentum glenoideum internum Schlemmi ist ein 
sowohl beim Menschen als auch bei den Säugetieren konstantes 
Gebilde. Auch an fötalen Extremitäten ist es zu finden, wobei 
seine verhältnismässig bedeutende Stärke auffällt. 


2. Das Ligamentum glenoideo-humerale inferius seu latum 
fehlt bei allen Tieren und ist bloss mitunter beim Menschen als 
eine nicht scharf begrenzte Verdiekung der vorderen, unteren 


1) Archiv für Anatomie u. Physiologie. 1888. S. 20. 


Anatomisehe Hefte, I. Abteilung. XXXVI. Heft. (11. Bd., H. 3.) 24 


358 M. CARL ROSENFELD, Die Bänder des Schultergelenkes ete. 


Kapselwand zu finden, ohne irgend je ein scharf ausgeprägtes 
Band zu bilden. 

3. Das Ligamentum coraco-humerale der Autoren repräsen- 
tiert eine Fortsetzung der fibrösen Kapsel auf den Processus 
coracoideus, und hat keine grössere Bedeutung im Sinne eines 
Ligamentum suspensorium humeri als irgend eine andere Partie 
der dorsalen Kapselwand. 

4. Aus der früheren Auseinandersetzung wird es klar, dass 
an einer Stelle der fibrösen Kapsel des Schultergelenkes ein 
Defekt besteht, welcher durch den kranialwärts gelegenen An- 
teil der Subscapularissehne ersetzt wird (beim Menschen und bei 
vielen Säugetieren). 

Zum Schlusse ist es für mich Bedürfnis, dem hochgeehrten 
Herrn Prof. Dr. E. Zuckerkandl für die liebenswürdige Zu- 
weisung des reichlichen Materials, sowie auch für die sonstige 
Unterstützung im Laufe der Arbeit meinen innigsten Dank aus- 


zusprechen. 


(Aus DEM |. ANATOMISCHEN INSTITUT DER K. K. UNIVERSITÄT zu WIEN.) 


ZUR 


VERGLEICHENDEN ANATOMIE 


MUSCULUS TIBIALIS POSTICUS. 


VON 


M. CARL ROSENFELD, 


WIEN. 


Mit 5 Figuren auf Tafel NXVIII—-XAIX. 


24* 


IND re 


0 


E 
ur 


= Aude 
n s > er 
erw. DOLRDAEREN A 


+ 
54 


In der Tiefe der Sohle des Menschen findet man in dem 
Raume zwischen dem Ligamentum plantare longum und den 
Knochen des medialen Fusssohlenrandes konstant eine grössere 
Anzahl von sehnenglänzenden Faserzügen, welche zu den meisten 
Knochen der Fusswurzel in Beziehung treten. Wenn wir auch 
anfangs geneigt wären, dieselben als einen selbständigen Band- 
apparat der tiefen Amphiarthrosen aufzufassen, überzeugen wir 
uns bei aufmerksamer Präparation, dass all diese Stränge mit 
der Sehne des Musculus tibialis posticus zusammenhängen und 
bloss laterale Ausläufer derselben darstellen. Anderseits beob- 
achten wir beim Menschen noch vielfache Anastomosen dieser 
Fascikel des Musculus tibialis posticus mit benachbarten Muskeln 
und Sehnen, sodass dadurch das Gesamtbild noch kompliziert 
wird. 


Ich habe mich nun mit diesen Verhältnissen längere Zeit 
befasst und es versucht, durch Vergleich mit den Befunden bei 
anderen Tieren Aufklärung über dieses Verhalten zu erzielen. 
So habe ich allmählich die meisten Ordnungen der Säugetiere 
in den Bereich meiner Untersuchung einbezogen. 


Ich will es nun versuchen, das Ergebnis meiner Unter- 
suchung in dieser Arbeit kurz zusammenzufassen. Ich werde 
vorerst das Verhalten des Muskels in den einzelnen Ordnungen 
genauer zu besprechen haben, um dann an die spezielle Be- 
schreibung die Deutung der einzelnen Befunde anzuschliessen. 


362 M. CARL ROSENFELD, 


Edentata. 
Dasypus novemecinctus. 


Hyrtl beschreibt in seinem „Chlamydophorus truncatus“ 
bei diesem Tiere neben dem Musculus tibialis posticus noch 
einen zweiten Muskel, den er als M. tibialis posticus accessorius 
bezeichnet. Er sagt dort: „Infra popliteum insertionem, novus 
exsurgit musculus, qui Tibialem posticum viae comitem laborisque 
socium legit. Retro malleolum internum in teretem fatiscit ten- 
dinem, qui margini pedis externo appropinquat, et ad basin 
ossieuli illius depressi finem assequitur, quod metatarso hallueis 
interne adjacet. Tibialem posticum accessorium non invite nomi- 
narem.“ Hyrtl giebt diesen accessorischen Tibialis posticus auch 
für den Dasypus an. 

Ich hatte Gelegenheit einen Dasypus novemeinctus zu unter- 
suchen und fand bei diesem Tiere die beiden, von Hyrtl be- 
schriebenen Muskeln. An der hinteren Fläche der Tibia, am 
unteren Rande des Musculus popliteus entspringt der Musculus 
tibialis posticus und spaltet sich nach kurzem Verlaufe in zwei 
Muskelbäuche, die von da an bis zu ihrer Insertion ganz isoliert 
verlaufen. 

Der randständige Muskel geht in eine zarte Sehne über, die 
sich in die Furche an der hinteren Fläche des Malleolus in- 
ternus einlagert und dann am medialen Rande des Fusses bis 
zum distalen Ende des Os entocuneiforme verläuft, um an dem- 
selben zu enden. 

Die Sehne des zweiten, etwas stärkeren Muskelbauches endet 
an der Tuberositas ossis navicularis. Auch diese Sehne gleitet 
in der Furche des Malleolus medialis. 


Rodentia. 
Lepus euniculus. 


Der Musculus tibialis posticus liegt bei diesem Tiere an der 
hinteren Fläche des Unterschenkels am medialen Rande der 


Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis posticus. 363 


‚Tibia. Er entspringt oben als ziemlich starker Muskelbauch, 
der schon in der Mitte des Unterschenkels in eine verhältnis- 
mässig zarte Sehne übergeht. Die Sehne ist in eine Furche 
an der hinteren Fläche des Malleolus internus eingelagert und 
hier ‚in eine Sehnenscheide aufgenommen. In der Sohle ange- 
langt, legt sich die Sehne wieder in eine Furche, die vom me- 
dialen, plantaren Fortsatz des Os naviculare begrenzt wird, und 
verlauft von da an weiter entlang dem- medialen Fussohlen- 
rande bis zum Köpfchen des Metatarsus I resp. II. An dieser 
Stelle wendet sie sich auf die dorsale Seite und verschmilzt hier 
mit der Strecksehne der ersten Zehe. 


Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass der soeben be- 
schriebene Muskel dem Musculus tibialis posticus entspricht. 
Abweichend ist bloss der distale Anteil der Sehne, der sich bis 
an die dorsale Seite der ersten Zehe tortsetzt. Wir werden im 
folgenden dasselbe Verhalten in verschiedenem Grade auch bei 
anderen Tieren ausgebildet finden. 


Und trotzdem findet man diesen Muskel in der Litteratur 
nirgends angegeben. In Bronns Tierreich lesen wir bloss die 
kurze Angabe: „bei Lepus ist der Flexor tibialis rudimentär 
und der Tibialis posticus fehlt.“ 


In Krauses Anatomie des Kaninchens (1868) wird das Be- 
stehen eines M. tibialis posticus zwar nicht geleugnet, wir finden 
aber auch keine positive Angabe über denselben. 


Sciurus vulgaris. 


Der M. tibialis posticus entspringt am medialen Rande der 
hinteren Tibiafläche. Die in der Mitte des Unterschenkels ent- 
stehende Sehne spaltet sich in zwei Teile. Der tiefe Anteil der 
Sehne verläuft in der hinteren Malleolarfläche und endet an der 
Tuberositas ossis navicularis. 


364 M. CARIl, ROSENFELD, 


Der zweite Schenkel, der — wie erwähnt — schon am 
Unterschenkel von der Hauptsehne abzweigt, zieht dem medialen 
Fussohlenrande entlang und verliert sich in einer dem M. ab- 
ductor hallueis eingewebten Sehne. 


Mus ratus (Species alba). 


Präpariert man die oberflächliche Wadenmuskulatur ab, so 
findet man in der tiefen Schichte drei Muskeln. Am medialen 
Tibiarande verläuft der M. tibialis posticus. Er entspringt als 
ziemlich starker Muskel am medialen Rande der hinteren Tibia- 
fläche, setzt sich aber mit seinem Ursprunge bis an das Liga- 
mentum interosseum und zum grossen Teile sogar an das pro- 
ximale Fibulaende fort. In der Mitte des Unterschenkels geht 
der M. in eine Sehne über, die in der Rinne des inneren 
Knöchels in die Planta gelangt. Auf diesem Wege wird die 
Sehne in ihrer Lage durch ein Band festgehalten, welches vom 
Malleolus internus zum Os naviculare hinzieht und dement- 
sprechend als Ligamentum tibio-naviculare bezeichnet werden 
könnte. Die Sehne setzt sich am Os naviculare fest, reicht aber 
noch weiter bis zum Os entocuneiforme, wo sie der Endsehne 
des M. tibialis anticus begegnet. 

Der sich lateral an den M. tibialis posticus anschliessende 
Muskel gehört zwar in den Rahmen dieser Arbeit nicht hinein, 
ich möchte ihn aber doch nicht unerwähnt lassen, da er bei 
Mus ein ganz eigentümliches Verhalten darbietet, für das ich in 
keiner anderen Ordnung, wohl aber bei Myodes lemmus ein 
Analogon finden konnte. Es ist dies ein sehr zarter Muskel, 
der zwischen dem Tibialis posticus und dem starken Beuger am 
oberen Drittel des Unterschenkels zum Teile am Knochen, zum 
grössten Teile aber an den hier verdickten Fascien seiner beiden 
Nachbarn entspringt und in der Mitte des Unterschenkels in 
eine fadendünne Sehne übergeht, welche unmittelbar neben der 
Sehne des vorigen Muskels in die Planta gelangt, um sich 


Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis postieus. 365 


im distalen Anteile derselben aponeurotisch auszubreiten. Die 
Aponeurose liegt unter der Sohlenhaut bloss von einer zarten 
Fascie bedeckt und giebt gleich am Grosszehenrande einen feinen 
Ausläufer für die grosse Zehe ab. Sie überkreuzt dann die 
Planta in schräger Richtung und spaltet sich in noch weitere 
Zipfel für die übrigen Zehen. 


Es ist dies aber kein M. plantaris longus, denn dieser be- 
steht ausserdem noch in typischer Form und an seiner Sehne 
entspringt der M. flexor brevis digitorum, der sich ebenfalls ganz 
typisch verhält. Die Deutung dieses eigentümlichen Muskels 
ist eine sehr schwierige und ich finde auch in der Litteratur 
keine Angabe, die ich auf diesen Muskel beziehen könnte. Es 
ist nicht ausgeschlossen, dass das Auftreten des fraglichen Muskels 
mit dem Verhalten des M. plantaris longus in Zusammenhang 
zu bringen ist. Der M. plantaris longus reicht nämlich bloss 
bis zur Mitte der Sohle, sodass dann der früher beschriebene 
Muskel den fehlenden, distalen Anteil der Aponeurosis plantaris 


ersetzen könnte. 


Myodes lemmus. 


Auch bei diesem Tiere finden wir am Unterschenke] drei 
Muskeln in derselben Anordnung wie bei der Ratte und zwar 
von innen nach aussen gerechnet: den M. tibialis posticus, den 
bei der weissen Ratte beschriebenen Muskel für die plantare 
Aponeurose und den Beuger. Der M. tibialis posticus und der 
Muskel der plantaren Aponeurose bieten dasselbe Verhalten wie 
bei der Ratte. 


Resume: In der Ordnung der Glires zeigt also der M. 
tibialis posticus ein verschiedenes Verhalten. Beim Kaninchen 
setzt sich die Sehne des Muskels direkt bis zur grossen Zehe 
fort und verschmilzt dort mit der Strecksehne, wodurch sie eine 
streckende Komponente erhält. 


366 M. CARL ROSENFELD, 


Bei Seiurus vulgaris spaltet sich die Sehne im Bereiche des 
Unterschenkels in zwei Schenkel, von denen der eine am Os 
naviculare inseriert, während der andere in den Sehnenstrang 
des M. abductor hallueis einstrahlt. 

Bei der Ratte und dem Myodes lemmus endet die Sehne 
am Os naviculare, reicht aber bis zum Os entocuneiforme, wo 
sie dem Tibialis anticus begegnet. Es ist auch ein Ligamentum 
tibio-naviculare vorhanden. 


Insectivora. 


Erinacaeus europeus. 


Der M. tibialis posticus ist vorhanden und schliesst sich in 
seinem Verhalten vollständig an das der Rodentia an. Er ent- 
springt am medialen Rande der hinteren Tibiafläche. Seine 
Sehne verläuft in einer. Furche der hinteren Malleolarfläche 
gegen die Planta, um am Os naviculare eine feste Insertion zu 
gewinnen. An dieser Stelle zweigt von der Hauptsehne noch 
ein feiner Ausläufer in lateraler Richtung ab, um in der Tiefe 
des Sinus tarsi ins Periost einzustrahlen. Die Sehne des Musculus 
tibialis posticus spaltet sich ähnlich wie bei Sciurus vulgaris schon 
im Bereiche des Unterschenkels in zwei Bündel. 

Das zweite Bündel finden wir am medialen Fussohlenrande 
in eine seichte Furche des Os naviculare eingelagert und können 
es so wie bei Sciurus bis auf die dorsale Seite der ersten Zehe 
verfolgen. 


Pinnipedia. 
Phoca vitulina. (Fig. 1). 

Der M. tibialis posticus entspringt nach Lucaes Angaben 
an der Tibia, am Ligamentum interosseum und am Kopfe der 
Fibula. Am distalen Tibiaende liegt die Sehne in einer Sehnen- 
scheide, die bis zur Insertion der Sehne reicht. In der Gegend 
des Os naviculare spaltet sie sich in zwei Schenkel. Der eine, 


Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis posticus. 367 


viel stärkere, endet am Os naviculare, teilweise auch am Os 
euneiforme I. 

Der zweite umgreift die mediale Fläche des Os cuneiforme I. 
(man muss nämlich die fast extreme Supinationsstellung des 
Fusses berücksichtigen!) und setzt sich dort am Knochen fest. 
Man kann die Sehne aber noch weiter peripheriewärts bis in 
das erste Drittel des Metatarsus hallucis verfolgen, wo sie mit 
der Sehne des M. abductor hallucis verschmilzt. Der letztge- 
nannte Muskel ist rudimentär und bloss durch eine starke, platte 
Sehne repräsentiert, die am proximalen Ende einige am Os cunei- 
forme I. entspringende Muskelfasern aufnimmt (Fig. 1a). Wegen 
der Verbindung mit dem Abductor hallucis lässt sich der M. 
tibialis posticus bis zur Phalanx prima verfolgen (was auch Lucae 
erwähnt), und es ist nicht möglich zu entscheiden, welchen An- 
teil beide Muskeln an der Bildung der eben beschriebenen Sehne 
nehmen. Diese Verbindung bietet nichts Neues, sie erscheint 
bloss als eine höhere Stufe jener Verhältnisse, die wir schon bei 
Sciurus gefunden haben. Auch dort sahen wir, dass der 
schwächere, schon am Unterschenkel frei gewordene Anteil der 
Tibialissehne in den Abductor hallucis einstrahlt. 


Carnivora. 
Canis familiaris. 

Der M. tibialis posticus ist ein dünner, kurzer Muskel. Er 
entspringt am fibularen Rande der Tibia und am proximalen 
Fibuflaende, bezieht aber ausserdem noch einige Fasern von 
der Fascie des M. flexor fibularis. Er besitzt einen nur wenige 
mm langen Fleischbauch und geht dann in eine lange, zarte 


1) Lucae sagt in seiner „Robbe und Otter“: Bei der Robbe liegt der 
Fussrücken auf der lateralen Seite des Unterschenkels ist also in hohem Grade 
supiniert. Beugt man nun das Sprunggelenk dorsal, so bildet die Längsachse 
des Fusses mit der Längsachse des in Flexion befindlichen Femur, in der Richtung 
der Tibia gesehen, einen rechten Winkel nach aussen, 


368 M. CARL ROSENFELD, 


Sehne über, die in schräger Richtung vor dem M. flexor tibialis 
verlauft und erst im untersten Drittel des Unterschenkels an 
den medialen Rand der hinteren Tibiafläche gelangt. Weiter 
unten finden wir die Sehne in der Furche der hinteren Fläche 
des Malleolus internus. In der Planta vereinigt sich die Sehne 
mit dem medialen, langen Seitenbande des Tarsotibialgelenkes 
und gelangt zum Os naviculare. 


Canis lupus. 
Beim Wolf verhält sich der Muskel ähnlich wie beim Hunde 
Er entspringt am proximalen Ende der Fibula und am fibularen 
Rande der Tibia. Der Muskelbauch ist ebenfalls sehr schwach. 
Die Sehne verlauft in schräger Richtung gegen den medialen 
Tibiarand, tritt auch hier in nahe Beziehungen zum früher er- 
wähnten plantaren Bande und endet am Os naviculare. 


Felis pardalis. 


Der Musculus tibialis posticus entspringt am fibularen Rande 
der Tibia und am proximalen Fibulaende Er verlauft dann 
in schräger Richtung gegen den medialen Rand der Tibia und 
wird auf dieser Strecke — ungefähr bis zur Mitte des Unter- 
schenkels — von demM. flexor digitorum tibialis überlagert. Im 
untersten Teile des Unterschenkels überkreuzen sich die beiden 
Sehnen, so dass die Tibialissehne an die mediale Seite des 
Beugers zu liegen kommt. Die Sehne verlauft nun, in einer 
Sehnenscheide, in der Furche der hinteren Malleolarfläche gegen 
die Planta, um am distalen Ende des Os naviculare zu enden. 
An der Insertion hängt die Sehne mit der tiefen plantaren Apo- 
neurose zusammen. 


Arctitis. 


Der Ursprung des M. tibialis posticus verhält sich hier 
wie bei den schon beschriebenen Oarnivoren. Auch im weiteren 


Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis posticus. 369 


Verlaufe des Muskels finden wir bloss eine Wiederholung der bei 
Felis pardalis bereits angegebenen Verhältnisse. 


Ein Unterschied zeigt sich erst an der Insertion, indem sich 
die Sehne am distalen Anteile des Os entocuneiforme, und nicht 
auch am Os naviculare festsetzt. Es bestehen aber auch schon 
laterale plantare Ausläufer. Die Sehne geht eine Verbindung 
mit dem Ligamentum plantare longum ein, setzt sich mit einem 
membranös ausgebreiteten Anteil an den beiden anderen Keil- 
beinen fest und sendet schliesslich noch einen feinen Ausläufer 
gegen den Sinus tarsi. Dieser Anteil der Sehne trägt aber mehr 
den Charakter der häufig in Sehnenscheiden vorkommenden 
Retinacula, als den einer direkten Ausstrahlung der Sehne. 


Resume. Fassen wir die Angaben über den Musculus 
tibialis posticus bei den Carnivoren zusammen, so muss uns vor 
allem der eigentümlich schräge Verlauf des Muskels auffallen. 
Ich erkläre mir diesen Befund dahin, dass der mediale, sonst 
sehr starke Anteil des Muskels geschwunden ist. Denn obwohl 
wir nirgends eine deutliche Teilung des Muskelbauches in zwei 
Köpfe finden, sind wir doch berechtigt, einen medialen, an der 
Tibia, und einen lateralen, am fibularen Rande der Tibia und 
am proximalen Fibulaende entspringenden Kopf zu unterscheiden. 
Bei den Carnivoren persistiert nun bloss der laterale Anteil des 
Muskelbauches. 


Die Sehne des Muskels inseriert beim Hund, Wolf und bei 
Felis am Os naviculare, hängt aber bei den beiden zuerst er- 
wähnten Tieren auch mit dem medialen Seitenbande des Tarso- 
tibialgelenkes zusammen. Beim Wickelbären endet die Sehne 
erst am distalen Ende des Os entocuneiforme, steht aber durch 
laterale Ausläufer auch noch mit dem Ligamentum plantare 
longum, den beiden anderen Cuneiformia und dem Sinus tarsı 
in Verbindung. 


370 M. CARL ROSENFELD, 


Perissodactyla. 
Equus caballus. 


In der oberen Schichte der Wadenmuskulatur, erscheinen die 
tiefen Muskeln von dem ziemlich derben, tiefen Blatte der Fascia 
ceruris eingehüllt. Den obersten Anteil der hinteren Tibiafläche deckt 
der M. popliteus. Dann folgt der M. flexor tibialis. Er ist durch 
den ziemlich mächtigen M. popliteus an seinem Ursprung lateral 
abgedrängt, kommt aber schon in der Mitte des Unterschenkels 
an den medialen Tibiarand zu liegen. Seine Sehne verlauft in 
einer Rinne der hinteren Malleolarfläche gegen die Planta und 
verschmilzt an der Fusswurzel mit dem Musculus flexor fibularis. 
Dieser stellt einen mächtigen, mehrköpfigen Muskel dar, der 
an der Fibula und an den lateralen Partien der Tibia ent- 
springt und im unteren Dritteil des Unterschenkels in eine starke 
Sehne übergeht. An die Hauptmasse des Muskels schliesst 
sich ein zweiter, längs der Tibia entspringender Kopf an. Dieser 
Anteil desM. flexor fibularis beginnt unterhalb des M. popliteus. 
Er wird vom M. flexor tibialis an der hinteren Seite gekreuzt 
und gelangt schief lateral absteigend an die Hauptsehne. Die 
tibialen Gefässe und Nerven finden wir dementsprechend im 
mittleren Drittel des Unterschenkels zwischen beiden Köpfen des 
Flexor fibularis, an der hinteren Seite gedeckt vom M. flexor 
tibialis; weiter distal — wie sonst — zwischen den beiden 
Beugern. Der laterale, grössere Anteil des M. flexor fibularis 
wird noch von einem Muskel gedeckt, der an der hinteren Fläche 
des Condylus lateralis tibiae, am Capitulum fibulae und am 
Wadenbeinkörper entspringt und an seinem Ursprunge in der 
Ausdehnung von 1 bis 2 cm auch mit dem lateralen Kopf des 
Flexor fibularis zusammenhängt, so dass man ihn an dieser 
Stelle nicht ablösen kann, ohne den Hauptmuskel zu verletzen. 
Er geht dann in eine dünne, breite Sehne über, welche die 
Hauptsehne des Flexor fibularis deckt und schliesslich etwa 


Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis posticus. 371 


3 cm oberhalb des Fersenbeinhöckers mit derselben verschmilzt. 
Diesen zuletzt angegebenen Muskel haben Sussdorf (Lehrbuch 
der vergleichenden Anatomie der Haustiere), dann Leisering 
und Müller (Handbuch der vergleichenden Anatomie der Haus- 
säugetiere) als Musculus tibialis posticus gedeutet. Dem gegen- 
über finden wir in der Literatur von anderen Autoren das voll- 
ständige Fehlen des Musculus tibialis posticus hervorgehoben. 
So leugnet Meckel (Vergleichende Anatomie Bd. III) den Be- 
stand desselben „bei den Einhufern, Wiederkäuern, dem Schwein 
u. s. w.“ und auch in Bronns Klassen und Ordnungen des 
Tier-Reichs finden wir die kurze Angabe: „der M. tibialis posti- 
cus fehlt allen Huftieren.“ 

Aus obiger Schilderung der Gruppe der tiefen Waden- 
muskeln ersehen wir, dass beim Pferd kein Muskel vorhanden 
ist, der als M. tibialis posticus anzusprechen wäre. Der von 
Sussdorf als M. tibialis posticus bezeichnete Muskel ist viel 
eher als dritter Kopf des M. flexor fibularis zu deuten, 
zumal wir in der Ordnung der Artiodactyla Verhältnissen be- 
gegnen, welche diese Auffassung rechtfertigen. 


Artiodactyla. 


a) Pachydermata. 


Sus: Wir finden beim Schwein ähnliche Verhältnisse wie 
beim Pferde. Der M. flexor fibularis!) ist sehr stark, es besteht 
auch ein sehr starker, zweiter Kopf desselben, der mit seinem 
proximalen Abschnitte sogar den medialen Tibiacondyl erreicht 


und daher vomM. flexor tibialis gedeckt wird. Der dritte Kopi 


ı) Wenngleich die Fibula in der Ordnung der Artiodactyla nur selten 
als selbständiger Knochen auftritt und die Rudimente derselben mit dem proxi- 
malen und distalen Ende der Tibia verwachsen sind, will ich doch die Bezeich- 
nung ‚,‚M. flexor fibularis“ für den lateralen Beuger belassen, da diese Be- 
eichnung für vergleichende Untersuchungen allgemein gebräuchlich ist. 


372 M. CARL ROSENFELD, 


des M. flexor fibularis ist sehr schwach. Ursprung und Ende 
desselben bleiben unverändert, der Unterschied betrifft diesmal 
bloss die Masse. 


b) Artiodactyla ruminantia. 


Auch bei der Antilope und bei Cervus capreolus finden 
wir den M. flexor fibularis in derselben Anordnung. Der Unter- 
schied besteht bloss darin, dass der dritte Kopf desselben am 
Ursprunge mit der Fleischmasse der Hauptpartie des fibularen 
Beugers nicht zusammenhängt. Er lässt sich also in einer 
grösseren Ausdehnung von der Unterlage abheben und zwar 
bis zu der Stelle, an der er in die Hauptsehne einstrahlt. 


Bos taurus (Fig. 2): Auch bei diesem Tiere begegnen 
wir analogen Verhältnissen; es strahlt bloss die Sehne des dritten 
Kopfes (c) etwas tiefer und zwar am plantaren Ende des Cal- 
caneus in die Hauptsehne ein. Der dritte Kopf des Beugers 
hängt bei diesem Tiere an seinem Ursprung mit der Fleisch- 
masse des Hauptmuskels zusammen. 

Ovis aries. Der Zusammenhang des dritten Kopfes (Fig. 
3öc) des M. flexor fibularıs mit der Hauptmasse des Muskels ist 
beim Schaf viel inniger als bei den übrigen Wiederkäuern. Er 
hängt schon an seinem Ursprunge mit dem Fleischkörper des 
flexor fibularis in grösserer Ausdehnung zusammen und die 
Sehne strahlt bereits in der Mitte des Unterschenkels in die 
Hauptsehne ein. 

Der dritte Kopf des flexor fibularis lässt sich also nur 
in einer kurzen Strecke von der Hauptmasse des Muskels 
isolieren. 

Capra hircus. M. flexor fibularis wie bei den anderen 
Wiederkäuern. Abweichend ist bloss das Verhalten des dritten 
Kopfes. Wir finden nämlich diesen Muskelbauch zwar noch 
deutlich ausgeprägt (Fig. 4c.), es gelingt aber nicht mehr den 


Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis postieus. 313 


Muskelkörper zu isolieren, da er mit der Hauptmasse des M. 
flexor fibularis verschmolzen ist. 

Camelus dromedarius: Die tiefe Wadenmuskulatur dieses 
Tieres zeigt ein ganz abweichendes Verhalten. In demselben 
Masse, als der M. flexor fibularis an Masse abnimmt, vergrössert 
sich bei diesem Tiere der M. flexor tibialis. Der erstere (Fig. 5 
f. 1.) entspringt am fibularen Ende der Tibia und an der Fibula 
und geht dann in eine zarte Sehne über. Der letztere bezieht 
seine Fasern von der Tibia in ihrer ganzen Länge und von der 
Fibula bis zum unteren Dritteil des Unterschenkels, geht erst 
dort in eine ziemlich starke Sehne über, die sich typisch mit der 
des anderen Beugers verbindet (Fig. 5 £. t.). Der dritte Kopf des 
lateralen Beugers fehlt vollständig. 

Resume: Auch in dieser Ordnung fehlt ein typischer Mus- 
culus tibialis posticus. Es ist wohl sehr wahrscheinlich, dass er 
seine Selbständigkeit aufgegeben und seine Fasern der Fleisch- 
masse der Beuger einverleibt hat und zwar dürfte er am ehesten 
in derjenigen Partie des fibularen Beugers zu suchen sein, die 
als zweiter Kopf desselben beschrieben wurde, denn: 

1. entspringen die Fasern jenes Kopfes an den medialen 
Partien der Tibia, also dort, wo wir gewöhnlich den M. tibialis 
posticus finden. Halten wir aber an der Angabe Sussdorfs 
fest und suchen den M. tibialis posticus im dritten Kopfe des 
Flexor fibularis, so müssten wir annehmen: Die Fasern des M. 
tibialis posticus hatten eine Wanderung durchgemacht, um mit 
dem Beuger verschmelzen zu können. 

2. ist dieser zweite Kopf des fibularen Beugers nur in dieser 
Ordnung so mächtig entwickelt und schwindet in den anderen. 

Bei Camelus dromedarius fehlt der zweite Kopf des lateralen 
Beugers, der überhaupt um vieles schwächer ist, dahingegen ist 
der Flexor tibialis sehr mächtig und bezieht seine Fasern der 
ganzen Tibia entlang, ähnlich wie der zweite Kopf des Flexor 
fibularis bei den anderen Artiodactylen. Wir werden daher den 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVI. Heft (11. Bd., H. 3.) 25 


1 M. CARL ROSENFELD, 


M. tibialis posticus dieses Tieres am ehesten im M. flexor tibialıs 
zu suchen haben. 

Der M. tibialis postieus der Autoren ist als dritter Kopf des 
M. flexor fibularis zu deuten. Das genauere Verhalten dieses 
Muskels in den beiden Ordnungen der Perisso- und Artiodactyla 
begründet diese Auffassung zur Genüge. Vergleicht man näm- 
lich die zahlreichen Repräsentanten beider Ordnungen in dieser 


Hinsicht, so muss man sie in folgender Weise ordnen: 


N. 


1. Antilope. Cervus capreolus. 

2. Bos taurus. Equus caballus. Sus. 
3. Ovis aries. 

4. Capra hircus. 


B. 


u Camelus dromedarius. 


Bei den beiden sub A 1. angeführten Tieren lässt sich der 
in Rede stehende Muskel in grösserer Ausdehnung von der 
Unterlage abheben. Er hängt an seinem Ursprunge mit dem 
M. flexor fibularis nicht zusammen, es vereinigen sich nur die 
Sehnen beider Muskeln. 

A 2. Bei diesen drei Species hängt der Muskel auch schon 
an seinem Ursprunge mit der Muskelmasse des M. flexor fibularis 
zusammen. 

A 3. Beim Schaf ist der Zusammenhang schon em so 
inniger, dass wir den Muskel nur in geringer Ausdehnung von 
der darunter liegenden Fleischmasse ablösen können. 

A A. Es sind nur mehr die Konturen des Muskels sicht- 
bar, wir können ihn nieht mehr isoliren, ohne den M. flexor 
fibularis zu verletzen. 


Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis posticus. 37 


B) Beim Kamel fehlt der dritte Kopf vollständig und es 
ist ein Wechsel in dem Verhalten der beiden Beuger eingetreten. 
Es ist also möglich, innerhalb einer und derselben Ordnung an 
wenigen Species sämtliche Übergangsstufen des fraglichen M. 
tibialis posticus zu finden, von jenem Stadium, wo der voll- 
kommen freie Muskel bloss mit seiner Sehne in die Hauptsehne 
einstrahlt (A 1), bis zu jenem Zustand (A 4), in welchem die 
beiden Fleischmassen vollkommen mit einander verschmelzen !}). 


Chiroptera. 
Pteropus. 

Der Musculus tibialis posticus liegt an der hinteren Fläche 
des Unterschenkels, erreicht aber mit seinem Ursprunge kaum 
die Mitte desselben. Zwischen dem M. flexor tibialis und fibu- 
laris gelegen, entspringt er an der unteren Hälfte der Fibula 
und der Membrana interossea. Am distalen Ende der Tibia 
geht er in eine zarte Sehne über, die im Bereiche der Sehnen- 
furche der Tibia eine Auftreibung, einen Knorpelkern, zeigt. 
Die Sehne endet am Os mesocuneiforme und setzt sich auch 
noch bis zur Basis des Os metatarsale der II. Zehe fort. 

In Bronns Klassen und Ordnungen des Tier-Reichs finden 
wir die Insertion der Sehne bei Pteropus ebenfalls am Os 
mesocuneiforme angegeben. Bei den anderen soll die Sehne 


am Os naviculare inserieren. 
Prosimiae. 
Lemur varius. 


Der Ursprung und der weitere Verlauf des M. tibialis posticus 
stellen sich wie bei den anderen Ordnungen. Die Sehne liegt 


ı) Ich möchte darauf hinweisen, dass die Lösung der Frage des M. 
tibialis postieus in der Ordnung der Artiodactyla noch durch den Umstand 
erschwert wird, als uns einerseits die Innervation gar keinen Anhaltspunkt 
bietet (nachdem doch sämtliche Muskeln dieser Gegend von demselben Nerven- 
stamm versorgt werden) andererseits aber die veränderten Insertionsverhält- 
nisse nichts beweisen und auch an anderen Muskeln vorkommen. 


25* 


376 M. CARL ROSENFELD, 


in der Furche der hinteren Malleolarfläche, von einer Sehnen- 
scheide bekleidet. In der Planta teilt sie sich in zwei Schenkel. 
Der mediale setzt sich am Os naviculare an, verlauft an der 
plantaren Fläche des Os entocuneilorme weiter und endet neben 
der Endsehne des M. tibialis anticus. Der laterale Anteil der 
Sehne stellt eine ungefähr vierseitig begrenzte Platte dar, die 
zwischen dem Seitenrande des Os naviculare und dem medialen 
Rande des Os ceuboideum ausgespannt ist. 

Beim Lemur finden wir überdies ein Band, das schon bei 
einigen Tieren der niederen Säugetierordnungen vorkommt, bei 
den Affen aber ein konstantes Gebilde darstellt. Es entspringt 
an der vorderen Peripherie des Malleolus internus, zieht über 
den medialen Schenkel der Tibialissehne schräg hinweg und 
endet am Os naviculare. 


Stenops tardigradus: 

Auch beim Stenops teilt sich die Sehne des M. tibialis 
posticus in zwei Teile. Der laterale, stärkere Anteil derselben 
lenkt am Os naviculare lateral gegen die Tiefe der Planta ab 
und endet an der Basis des zweiten und dritten Os metatarsale. 
Der mediale Schenkel ist sehr zart, analog den Sehnenretinacula, 
die wir in der Ordnung der Affen öfters finden werden. Eine 
direkte Insertion am Os naviculare fehlt. 

Resume: In dieser Ordnung spaltet sich die Endsehne in 
einen medialen und einen lateralen Schenkel. Der letztere endet 
beim Stenops an der Basis des zweiten und dritten Mittelfuss- 
knochens, während er sich beim Lemur mehr flächenhaft aus- 
breitet. Der mediale Anteil der Sehne ist beim Lemur noch 
ziemlich stark, bei Stenops schon rudimentär. Die Insertion am 
Os naviculare fehlt. 


Simiae. 
Die schon in der Ordnung der Halbaffen aufgetretene 
Teilung der Endsehne in einen medialen und einen lateralen 


Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis postieus. 37 


Schenkel ist auch bei den Affen vorhanden. Der laterale Anteil 
der Sehne ist in dieser Ordnung um vieles stärker, der mediale 
dagegen rudimentär. Er kann ganz fehlen oder ist bloss zu 
einem Retinaculum entwickelt, durch dessen Vermittlung sich 
die Sehne des M. tibialis posticus an das Os naviculare anlehnt. 


Macacus: Der M. tibialis posticus erreicht mit seinem Ur- 
sprunge das proximale Ende der Tibia und ist dort vom M. 
flexor digitorum gedeckt. 

Im mittleren Drittel des Unterschenkels geht er in eine 
lange Sehne über, welche oberhalb des Malleolus internus eine 
Sehnenscheide erhält. Diese reicht bis in die Planta und wird 
dort zum grössten Teile von der derben tiefen Plantarfascie 
hergestellt. 

Die Sehne setzt sich an dem zweiten und dritten Os cunei- 
forme fest, überbrückt im weiteren Verlaufe den Kanal für die 
Sehne des Musculus peronaeus longus und endet schliesslich an 
den Basen des zweiten und dritten Mittelfussknochens. Von 
einer Insertion am Os naviculare kann man kaum sprechen. 
Es besteht bloss ein Retinaculum, welches die Sehne mit dem 
Os naviculare verbindet. 


Cebus capueinus. Der laterale Schenkel der Sehne 
inserirt am Os meso- und ectocuneiforme, vervollständigt den 
Kanal für die Peronaeussehne und heftet sich an den Basen des 


zweiten bis vierten Os metatarsale an. 


Statt des medialen Sehnenanteiles besteht ein Retinaculum, 


ähnlich wie beim Macacus, nur etwas stärker. 


Cynocephalus Hamadrias. 


Der laterale Sehnenanteil endet am Os cuneiforme secundum 
et tertium. 
Der mediale Schenkel fehlt, statt dessen finden wir ein 


Retinaculum. 


378 M. CARL ROSENFELD, 


Cercopithecus sabaeus. 
Der laterale Schenkel ist sehr stark und inserirt an der 
Basis des zweiten bis vierten Mittelfussknochens. Anstatt der 


medialen Sehne ein Retinaculum. 


Ateles paniscus. 

Die Sehne des M. tibialis posticus setzt sich beim Ateles 
an der Tuberositas ossis navicularis fest, reicht aber noch weiter 
bis an das distale Ende des Os entocuneiforme und begegnet 
dort der Endsehne des M. tibialis anticus. 

Die lateralen Ausläufer der Sehne fehlen. 


Mensch. 


Über den Ursprung und weiteren Verlauf des M. tibialis 
postieus beim Menschen verweise ich auf die diesbezüglichen 
Angaben der Autoren. Besonderes Interesse beansprucht bloss 
die Insertion des Muskels. Es fällt schwer zwei Fälle zu finden, 
an denen die Insertion die gleiche Form aufweist und dement- 
sprechend stimmen auch die Angaben der Autoren nicht über- 
ein. Toldt beschreibt z. B. nur den Ansatz am Os naviculare, 
andere Autoren wieder kennen eine mediale, stärkere und eine 
laterale, schwächere Portion der Sehne. Nach Gegenbaur und 
Rosenmüller setzt sich die mediale Partie an der Tuberositas 
ossis navicularis sowie an der Plantarfläche des Os cuneitorme I 
fest, während ein schwächerer lateraler Zipfel schräg in die Tiefe 
der Planta zu den beiden vorderen Keilbeinen zieht. Barkow, 
Weitbrecht, Hartmann, Henle und v. Soemmering be- 
schreiben überdies Sehnenfascikel für das 2. und 3. Keilbein, 
das Os cuboideum, sowie für die Basen des 2. und 3. Mittel- 
fussknochens. Hoffmann und insbesondere Meyer sprechen 
von einer fächerförmigen Ausbreitung der Sehnenanteile und 
beschreiben einen Fortsatz zum 4. Mittelfussknochen, sowie einen 


Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis posticus. 319 


schwächeren Faserzug nach hinten zum Sustentaculum tali. 
Langenbeck giebt an, die Sehne des M. tibialis postieus ziehe 
„zu sämtlichen Ossibus tarsi — Talus ausgenommen — und zum 
Os metatarsi tertjum et quartum.“ Weitbrecht ist sogar geneigt, 
die Ausbreitung der Tibialissehne in der Fussohle als Bänder 
zu deuten. 

Ich habe eine ganze Reihe menschlicher Extremitäten auf 
diese Verhältnisse hin untersucht und konnte für den einzelnen 
Fall die Angaben der Autoren bestätigen. Die Sehne des M. 
tibialis posticus zerfällt im Bereiche des Os naviculare in zwei 
Schenkel. Der mediale Anteil legt sich an das Os naviculare an, 
setzt sich aber noch bis an das distale Ende des Os cuneiforme I 
weiter fort. Die Sehne scheint am Os naviculare zu enden und 
sich dann weiter in ein Band, gleichsam ein Ligamentum cuneo- 
naviculare fortzusetzen. Die genauere Untersuchung zeigt, dass 
dieses Band die direkte Fortsetzung der Sehne darstellt. Schneidet 
man die Sehne der Länge nach bis auf den Knochen ein, dann 
überzeugt man sich, dass sie sich in gleicher Dicke bis an das 
Os entocuneiforme forterstreckt. 

Der laterale Sehnenanteil zweigt in der Gegend des Os 
naviculare von der Hauptsehne ab und zeigt in seinem weiteren 
Verlaufe ein sehr verschiedenes Verhalten. 

In allen Fällen liegt die laterale Sehne in einer eigenen 
Sehnenscheide. Die dorsale Wand derselben wird von der Ge- 
lenkskapsel und den tiefen Bändern der Amphiarthrosen des 
Fusses hergestellt, während die plantare Wand von dem tiefen 
Blatte der Aponeurosis plantaris gebildet wird. 

Schon bei den Affen und auch bei manchen niederen Säuge- 
tieren finden wir in der Tiefe der Sohle eine einheitliche, starke, 
plantare Fascie, welche in dem Bereiche der Tibialissehne direkt 
zwischen dem Ligamentum plantare longum und den Knochen 
des medialen Fussrandes ausgespannt ist. Bei den Affen wird 
dieser Anteil der plantaren Fascie durch das bereits beschriebene 


380 M. CARL ROSENFELD, 


Ligamentum tibio- naviculare verstärkt, welches mit einem late- 
'alen Ausläufer in denselben einstrahlt. Auch beim Menschen 
finden wir eine tiefe plantare Aponeurose, wenngleich sie kein 
so gleichmässiges Gefüge zeigt, es wechseln vielmehr zarte 
Partien mit stärkeren, bandartigen ab. Nur in wenigen Fällen 
erscheint die Aponeurose in der ganzen Strecke gleichmässig 
diek. Lösen wir nun diese Aponeurose ab, dann erscheinen in 
der Tiefe die Ausläufer der lateralen Tibialissehne in verschie- 
dener Anordnung. Wir können diesbezüglich vor allem zwei 
Typen unterscheiden: 

1. In einer Reihe von Fällen ist die Sehne in mehrere Fas- 
cikel geteilt, die teilweise in die oben beschriebene Aponeurose, 
insbesondere in diejenigen Partien derselben einstrahlen, an 
welchen Muskelfasern entspringen. Selbst in denjenigen Fällen 
(zweite Gruppe), in denen wir eine einheitliche, dieke Sehne 
finden, geht ein Faserzug ab, der in die Aponeurose einstrahlt. 
Die einzelnen Fascikel der Sehne gehen zu den Basen der Mittel- 
fussknochen und zwar entweder bloss zu denen des zweiten und 
dritten, oder auch zu der des vierten Os metatarsale. Ausserdem 
finden wir einen Fortsatz der Sehne, der lateral umbiegend gegen 
den Canalis peronaeus des Würfelbeines hinzieht. Schliesslich 
kann noch ein Zipfel für den fünften Mittelfussknochen vor- 
handen sein; es sind wenigstens solche Fälle im Varietätenbuche 
der I. anatomischen Lehrkanzel zu Wien verzeichnet. Man findet 
aber auch zartere in die Tiefe einstrahlende Stränge, die sich 
mit den tiefen interstitiellen Gelenksbändern verbinden und 
schliesslich selber als solche aufzufassen sind. 

2. In anderen Fällen findet man eine einheitliche, starke, 
laterale Sehne, die am Seitenrande des Os naviculare bis gegen 
die Basen der medialen drei Metatarsi hinunterzieht, immer aber 
mit einem nicht unbedeutenden Faseranteile lateral ablenkt. Die 
letzterwähnten Fasern ziehen um das distale Ende des Os ecto- 


cuneiforme herum gegen den plantaren Sulcus ossis cuboidei, um 


Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis posticus. 381 


dort in das Periost einzustrahlen. Berücksichtigt man, dass dieser 
Sehnenanteil straff ausgespannt ist, dann wird man ihn als 
ein starkes Band auffassen müssen, welches im hohen Grade 
geeignet ist, den Verband der beiden Knochen zu sichern. 

Ausserdem findet sich noch konstant, sowohl in der ersten 
als auch in der zweiten Gruppe ein Faserzug, der zuerst von 
H. v. Meyer in dessen Arbeit über den Klumpfuss angegeben, 
von dem vorderen Ende des Sustentaculum tali entspringt, sich 
mit der Sehne des M. tibialis posterior, kurz ehe sich dieselbe 
an die Tuberositas ossis navicularis anheitet, fest vereinigt 
und sich dann dem zum Os cuneiforme primum weitergehenden 
Teile der Sehne beischliesst. „Der freie Teil dieses Stranges 
zwischen dem Ursprunge an dem Sustentaculum tali und der 
Vereinigung mit der Sehne dient als Retinaculum für diese, 
kann aber auch einen Zug auf den Calcaneus ausüben, wenn 
der Muskel sich lebhaft zusammenzieht.“ 

Dieses von v. Meyer zuerst beschriebene Bändchen kommt 
konstant vor, ich möchte es aber bloss als Retinaculum der 
Sehne auffassen, wie ja solche in fast allen Sehnenscheiden vor- 
kommen. Es ist mir auch nie gelungen, durch einen auch noch 
so kräftigen Zug an der Tibialissehne irgend welche Rückwirkung 
auf den Calcaneus nachzuweisen. Von Wichtigkeit sind schliess- 
lich die vielfachen Verbindungen, welche die Ausläufer der late- 
ralen Tibialsehne mit den benachbarten Muskeln und Sehnen 
eingehen. 

So spricht v. Soemmering von einem Fascikel der Tibialis- 
sehne zum kurzen Beuger der grossen Zehe; Henle erwähnt 
einen Faserzug, der sich der Sehne des M. abductor hallueis 
beimischt und giebt ferner auch einen von Wood beschriebenen 
Fall an, in dem der an das erste Keilbein sich ansetzende Zipfel 
der Sehne ganz in den M. flexor brevis hallueis übergeht. Schliess- 
lich wäre aus der Litteratur noch folgende Angabe Barkows 
hervorzuheben, nach welcher ‚‚die Sehne des M. peronaeus longus 


| 
2 
ID 


M. CARL ROSENFELD, 


und des M. tibialis posticus untereinander verschmelzen, eine 
starke Membran bilden, welche mit dem Ligamentum scaphoideo- 
cuboideum plantare zusammenhängt, zu der Spitze der beiden 
kleinen Keilbeine geht, ausserdem aber tiefer wie gewöhnlich 
an den Mittelfussknochen inseriert.“ Diese Anastomosen der 
Sehne des M. tibialis posticus mit den benachbarten Muskeln 
unterliegen grossen Schwankungen, ja sie können sich selbst an 
den beiden Extremitäten desselben Individuums verschieden ge- 
stalten. Eine ganze Reihe derselben ist aber doch ziemlich kon- 
stant und nur der Grad und die Innigkeit des Zusammenhanges 
varlieren. | 

1. Wir finden fast ausnahmslos eine Verbindung zwischen 
der Tibialissehne und der Ursprungsaponeurose des M. flexor 
brevis hallucis. Es strahlt dann entweder bloss ein Zipfel der 
vielfach geteilten Sehne in die Aponeurose ein, oder es entspringen 
sogar die Muskelfasern des Flexor hallucis brevis direkt an einem 
Ausläufer der Tibialissehne. 


2. Ebenfalls sehr häufig beobachtet man die Verbindung 
der Sehne des M. tibialis posticus mit der des Musculus peronaeus 
longus. Diese Verbindung kann verschiedene Grade erreichen. 
In vielen Fällen findet man bloss einen ganz zarten, isolierten 
Faserzug, der vom M. tibialis posticus gegen die Peronaeussehne 
hinzieht und sich mit derselben oder mit deren Sehnenscheide 
vereinigt. Dieser Faserzug verbindet sich zuweilen mit der Pe- 
ronaeussehne nur teilweise und sucht dann seine gewöhnliche In- 
sertion an den medialen drei Mittelfussknochen auf. Von diesem 
Verhalten, als dem geringsten Grade der Anastomose zwischen 
den beiden Muskeln finden wir verschiedene Übergänge bis zu 
jener flächenhaften, membranösen Verschmelzung beider Sehnen, 
die zuerst von Barkow beschrieben und dann nur noch von 
Weitbrecht erwähnt wurde. Ich hatte Gelegenheit, dieses 
Verhalten in 50 Fällen 6 mal zu finden. 


Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis posticus. 383 


Daran schliessen sich nun noch andere Fälle an, in welchen: 
man zwar keinen direkten Faseraustausch zwischen den beiden 
Sehnen nachweisen kann, in denen aber die beiden Sehnen durch 
eine dünne, fascienartige Membran verbunden sind, während 
die Ausläufer der Tibialissehne in der Tiefe, also dorsal von der 
Peronaeussehne an den Mittelfussknochen enden. 

3. Nicht ganz konstante Verbindungen, entstanden durch 
Vermittlung eines Fascikels der lateralen Tibialissehne, das in 
die früher beschriebene plantare Aponeurose einstrahlt und auf 
diese Weise zu einer Anzahl von Muskelfasern des M. abductor 
hallucis in Beziehung tritt. 

4. In einer grösseren Reihe von Fällen gelangt ein Faserzug 
aus der Tibialissehne sogar bis an den Abductor hallucis und 
zwar entweder direkt oder indirekt, nachdem ein mehr oder 
minder inniger Faseraustausch zwischen der Tibialis- und Pero- 
naeussehne stattgefunden hat. Dies erklärt auch die Fälle, in 
denen der M. adductor hallucis an der Peroneussehne ent- 
springt. 


Laterale Ausläufer der Tibialissehne finden wir in der Säuge- 
tierreihe zum erstenmal beim Igel. Wirsehen dort einen schwachen 
Zipfel gegen den Sinus tarsi hin verlaufen. Beim Bären werden 
diese Ausläufer schon kräftiger und zahlreicher, bei den Halb- 
affen und Affen sind sie noch höher entwickelt, bis sie endlich 
beim Menschen die grösste Mächtigkeit erreichen. Wir haben 
es also mit einer progressiven Veränderung der Sehne des 
M. tibialis posticus zu thun. Beim Menschen hängt dieser mäch- 
tige, fächerförmig ausgebreitete Anteil der Sehne so ziemlich 
mit sämtlichen Knochen der Fusswurzel zusammen und Her- 
mann v. Meyer meint sogar: „diese Abzweigung sei geeignet, 
den ganzen Komplex des Vorderteiles des Fusses, der schon 
durch seine Bandverbindung ein fest vereinigtes Ganzes dar- 


354 M. CARL ROSENFELD, 


stellt, als eine Einheit zu bewegen, weil sie in mehrere Zipfel 
zerspalten, sich an die erösste Anzahl der Bestandteile des Kom- 
plexes ansetzt.‘“ Ich möchte meinen, dass diese Anordnung der 
Sehne im hohen Grade geeignet ist, die Festigkeit des ganzen 
Fussgerüstes zu sichern. Da wir in der Sohle ziemlich straffe 
Amphiarthrosen vorfinden, und die Hauptwirkung des M. tibialis 
posticus durch den Ansatz am Os naviculare erzielt wird; anderer- 
seits aber die laterale Sehne durch ihre Ansätze an den einzelnen 
Knochen vielfach unterbrochen ist, und die einzelnen Abschnitte 
derselben uns geradezu als von Knochen zu Knochen ausge- 
spannte Brücken erscheinen, müssen wir davon absehen, dem 
lateralen Schenkel der Sehne eine rotierende Komponente beim 
Spiele des Muskels beizumessen. Es wird wohl richtiger sein, 
diesen Anteil der Sehne, wenigstens den grössten Teil desselben, 
im Sinne Weitbrechts zu deuten, d. h. ihn als einen Band- 
apparat aufzufassen. Beim Menschen sind durch den aufrechten 
Gang ganz neue Verhältnisse geschaffen; das aus vielen Bestand- 
teilen zusammengesetzte Knochengerüst des Fusses muss bei 
der starken Belastung während des Gehaktes und beim aufrechten 
Stehen besonders fest gebunden sein. Dementsprechend finden 
wir in der Sohle: 

a) einen mächtigen Bandapparat, 

b) eine eigentümliche Anordnung der Sehnen, wobei vor 
allem der laterale Schenkel der Tibialissehne in Betracht 
kommt und 

c) die vielfachen Anastomosen, welche die Ausläufer der 
Tibialissehne mit der Umgebung eingehen. 

Es haben Ruge und Schulze in ihren Abhandlungen 
über die tiefe Plantarmuskulatur Anastomosen zwischen den 
oberflächlichen Beugern beschrieben und dahin gedeutet, dass 
„dadurch eine besser dienende, gleichzeitige Beugewirkung auf 
mehrere oder alle Zehen erzielt wird.“ Ich möchte nun jenen 


Sehnenverbindungen die vielfachen Anastomosen in der Tiefe 


Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis posticus. 385 


der Sohle entgegenstellen und darauf hinweisen, dass während 
jene eine exaktere und vollständigere Beugewirkung erzielen, 
diese in der Tiefe, dem Gelenke näher gelegen, nicht so sehr 
den Bewegungen dienen, als vielmehr der Festigung des gesamten 
Fussgerüstes.. Denn alle bei der speziellen Beschreibung ange- 
führten Sehnenverbindungen können auch vereint an demselben 
Fusse vorkommen und ich habe auch thatsächlich viele Fälle 
gesehen, in denen fast sämtliche tiefen Muskeln teils direkt, teils 
indirekt zusammenhingen. Andererseits habe ich mich vielfach 
davon überzeugt, dass die Verbindungen der Tibialissehne mit 
den benachbarten Sehnen und Muskeln für die Bewegungen des 
Fusses belanglos sind, während sie beim Spiele der Muskeln 
angespannt, den tiefen Bandapparat unterstützen. 

Aus all den Gründen bin ich geneigt, dieses Verhalten der 
Tibialissehne als durch statische Momente erzeugt aufzufassen 
und die mächtige Entwickelung derselben beim Menschen auf 
die geänderten Verhältnisse zurückzuführen, die durch den auf- 
rechten Gang des Menschen geschaffen wurden. Möglicherweise 
ist das Auftreten der lateralen Ausläufer der Tibialissehne beim 
Igel, beim Wickelbären, bei den Halbaffen und Affen in ana- 
loger Weise zu erklären. Die beiden ersteren sind ausgesprochene 
Sohlengänger, bei den Halbaffen und Affen ruht — soweit es 
mir aus der Beschreibung ihrer Lebensweise bekannt ist — wenig- 
stens zeitweise das Gewicht des Körpers auf der Sohle. 


Gesamt-Resume. 


Überblicken wir nun sämtliche untersuchten Ordnungen der 
Säugetiere, so erscheint uns der M. tibialis posticus als ein in 
dieser Reihe — mit Ausnahme der beiden Ordnungen der Perisso- 
und Artiodactyla — konstantes Gebilde. 

Der Musculus tibialis posticus erscheint in allen Ordnungen 
der Säugetiere und beim Menschen als der mediale Randmuskel 
an der Hinterfläche der Tibia. Er entspringt in der Regel am 


386 M. CARL ROSENFELD, 


proximalen Ende der Tibia, kann sich aber mit seinem Ur- 
sprunge auch auf den lateralen Kondylus dieses Knochens, ja 
sogar bis auf das Fibulaköpfchen erstrecken. Dementsprechend 
könnten wir am Ursprunge des Muskels einen tibialen und fibu- 
laren Anteil unterscheiden, wenngleich die beiden Hälften nie 
als vollständig getrennte Köpfe auftreten. Bei den Karnivoren 
finden wir eine Rückbildung der medialen Partie und Persistenz 
des lateralen Anteils (am deutlichsten beim Hunde und beim 
Wolf). Bei den Chiropteren (Pteropus) entspringt der Muskel 
erst von der Mitte des Unterschenkels. 


Die Grenze zwischen den Muskelfasern und der Sehne finden 
wir in der Mitte des Unterschenkels, nur bei den Karnivoren, 
bei welchen der ganze Muskel in Rückbildung begriffen ist, 
entsteht die Sehne schon hoch oben. Die Sehne liegt immer 
am medialen Rande der Tibia, in ihrem Anfangsteile vom 
M. flexor tibialis überlagert. An der hinteren Malleolarfläche 
sehen wir konstant eine besondere Knochenfurche, in die sich 
die Sehne einlagert und in der für gewöhnlich eine Sehnen- 
scheide beginnt, die dann bis zur Insertionsstelle des Muskels 
reicht. Diese Lage der Sehne bleibt in der ganzen Säugetier- 
reihe unverändert. Als natürliche Folge dieses Befundes erscheint 
uns der eigentümlich schräge Verlauf der Sehne in der Ordnung 
der Karnivoren. Der schief verlaufende Anteil stellt geradezu 
ein Schaltstück dar zur Verbindung des lateral gelegenen Mus- 
kelbauches mit der an der medialen Seite persistierenden Sehne. 
Grössere Unterschiede beobachten wir in den einzelnen Ord- 
nungen an dem Endstücke der Sehne. Die Insertion am Os 
naviculare oder, richtiger gesagt, am medialen Fusssohlenrande 
muss als Typus aufgefasst werden. Nun aber divergieren die 
Ordnungen in dem genaueren Verhalten der Endsehne und wir 
können die untersuchten Tiere in folgende vier Hauptgruppen 


einreihen: 


ch 


Qr7 
‘ 


Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis posticus. Bis) 


I. Spaltung der Sehne in zwei Stränge, von denen der eine 
am Os navieulare, der andere an der ersten Zehe, und zwar 
an der dorsalen Fläche derselben endet. 

a) Zwei Muskeln, die nur an ihrem Ursprunge zusammen- 
hängen und in zwei Sehnen übergehen. 
Edentata: Dasypus novemeinctus; nach Hyrtl auch 
Chlamydophorus truncatus. 
b) Zweispaltung der Sehne in der unteren Hälfte des 
Unterschenkels. 
ca) Rodentia: Sciurus vulgaris: die zweite Sehne ver- 
schmilzt mit dem M. abducetor hallucis. 
$) Insectivora: Erinacacus europeus: die zweite Sehne 
verschmilzt mit der Streckaponeurose der ersten 
Zehe. 


II. Die Sehne setzt sich ohne Zweispaltung am medialen Fuss- 
sohlenrande fort. 
a) es besteht dabei die normale Insertion am Os navi- 
culare, teilweise auch am Os cuneiforme primum. 
Pinnipedia: Phoca vitulina. 


b) die Insertion am Os naviculare fehlt, die Sehne setzt 
sich erst peripheriewärts fest. 
Rodentia: Lepus cuniculus. 


III. Insertion der Sehne am Os naviculare, eventuell auch noch 
am Os cuneiforme primum. 
a) Rodentia: Mus ratus. Myodes lemmus. 
Simiae: Ateles. 


a) Chiroptera: Pteropus, wenngleich die Insertion 
hier lateral verschoben ist (Cuneiforme HI und 
Os metatarsale der zweiten Zehe). 
b) nur am Os naviculare. 
Carnivora: Canis familiaris. Canis lupus. Felis par- 
dalıis. 


388 M. CARL ROSENFELD, Zur vergleichenden Anatomie etc. 


IV. Spaltung der Endsehne in einen medialen und einen late- 
ralen Schenkel. 
Proximiae. Simiae. Homo. 
a) Der mediale Schenkel bildet die Hauptsehne, der late- 
rale ist um vieles schwächer. 

a) Erinacaeus europeus: der laterale Schenkel nur 
als ein schwacher Ausläufer gegen den Sinus 
tarsi. 

ß) Carnivora: Arctitis. 

Prosimiae: Lemur varius. 
b) Der mediale Schenkel der Sehne ist sehr schwach, 
nur als verschieden starkes Retinaculum entwickelt. 

Prosimiae: Stenops tardigradus. 

Sämtliche untersuchten Affen mit Ausnahme des 

Ateles. 

c) Beide Schenkel halten sich so ziemlich das Gleich- 
gewicht: 

beim Menschen. 

Zum Schlusse ist es für mich Bedürfnis, meinem hochge- 
ehrten Chef und Lehrer, Herrn Prof. Dr. Emil Zuckerkandl 
an dieser Stelle meinen wärmsten Dank für die thatkräftige 
Unterstützung meiner Untersuchungen auszusprechen. 

Auch dem Herrn Assistenten Dr. Julius Tandler bin ich zu 
Dank verpflichtet, da ich seiner Liebenswürdigkeit den schönsten 
Teil meines Untersuchungsmateriales zu verdanken habe. 


er 


Litteraturverzeichnis. 


Bronn, Klassen und Ordnungen des Tierreichs. Säugetiere. 
Ellenberger, Anatomie des Hundes. 

Henle, Muskellehre. 

Hyrtl, Chlamydophorus truncatas. Sitzungsberichte der Wiener Akademie 
der Wissenschaften. 1854. 

Krause, Anatomie des Kaninchens. 

Langenbeck, Knochen-Ränder und Knorpellehre. 

Leisering und Müller, Handbuch der vergleichenden Anatomie der 
Haussäugetiere. 1885. 

Lucae, Die Robbe und die Otter in ihrem Knochen- und Muskelskelett. 1876. 
Meckel, Vergleichende Anatomie. 


. Ruge, Zur vergleichenden Anatomie der tiefen Muskeln in der Fusssohle. 


Gegenbaurs Morphologisches Jahrbuch. Bd. IV. 


. Schulze, Fr., Myologische Untersuchungen. I. Die Sehnenverbindnngen 


in der Planta des Menschen und der Säugetiere. Zeitschrift für wissen- 
schaftliche Zoologie. Bd. 17. 


. Th. v. Sömmering, Lehre von den Muskeln und Gefässen. 


Sussdorf, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der Haustiere. 1895 


. Weitbrecht, Syndesmologie. 
15. 


Lehr- und Handbücher der Anatomie von: Gegenbaur, Rosenmüller, 
Hartmann, Hoffmann, Langer-Toldt. 

Hermann v. Meyer, Der Klumpfuss und seine Folgen für das übrige 
Knochengerüst. 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVI. Heft (11. Bd., H. 3.) 26 


Erklärung der Abbildungen. 


Fig. 1. Pheea vituliva 
t. Sehne des M. tibialis posticus. 
a. Muskelfasern des radimentären Abduetor hallueis. 
s. Die vereinigten Sehnen beider Muskeln. 
1. Os metatarsale primum. 
Fig. 2. Bes taurus. 
Fig. 4 Capra hireus. 
Fig. 5. Camelus dromedarius. 
p- Musculus popliteus. 
f. t. Museulus fexor tibialıs. 
f. L Museulus fexor fibularis (lateralis). 
a. Hauptmasse des Muskels. 
b. tibialer Kopf desselben (zweiter Kopf.) 
e. dritter Kopf desselben. 


(ARBEIT AUS DEM PATHOL, InsTITtuUT zu BERN.) 


DIE 


EPITHELKÖRPERCHEN 


DES 


MENSCHEN 


IN IHRER 


BEZIEHUNG ZUR THYREOIDEA UND THYMUS. 


VON 


W° KÜRSTEINER, 
BERN. 


Mit 9 Abbildungen auf Tafel XNXX/XXXITI. 


Die folgenden Untersuchungen beziehen sich hauptsächlich 
auf jene Gebilde, welche zuerst von Sandström bei dem Men- 
schen als glandulae parathyreoideae beschrieben sind. Dieselben 
wurden dann in den letzten Jahren gerade von den Experiment 
tatoren auf dem Gebiete der Cachexia thyreopriva berücksichtig- 
und Epithelkörperchen und Thymusläppchen der Schilddrüse 
des Menschen von manchen Seiten als Teile der Schilddrüsen- 
anlage in Anspruch genommen, welche auf embryonalen Stadien 
geblieben seien und die bei Entfernung des grossen Schilddrüsen- 
körpers in kompensatorische Funktion treten sollten. 


Meine Untersuchungen beziehen sich nur auf den Menschen 
und ich beschränke mich daher auch in der Litteraturangabe 
wesentlich nur auf dasjenige, was sich auf den Menschen bezieht. 


Die erste Arbeit über diese Gebilde überhaupt ist diejenige 
von Sandström (1); sie ist nach manchen Richtungen hin auch 
jetzt noch die wichtigste. Sandström hat sie an den Hals- 
organen des Menschen zuerst nachgewiesen und zwar durch 
makroskopische Präparation mit nachfolgender mikroskopischer 
Untersuchung. Sein Material ist sehr umfangreich; es umfasst 
50 Menschen. Er findet die Parathyreoidea wesentlich paarig 
und doppelt, dieht an der Aussenfläche der Schilddrüse an der 
hinteren Fläche der Seitenlappen oder in der Nähe des unteren 
Randes derselben, oft an der Arteria thyreoidea inferior oder 
unterhalb derselben, manchmal auch mehr nach aussen und unten, 


394 W. KÜRSTEINER, 


unterhalb der Schilddrüse an der Trachea. Namentlich ist die 
untere Drüse in ihrer Lage variabel; sie kann sich manchmal 
sogar an der Vorderfläche des untersten Teiles der Seitenlappen 
finden. Die obere Drüse hält sich meist an den medialen Rand 
des hinteren Teiles des Seitenlappens. Symmetrie in der Lage 
der beidseitigen Parathyreoidea existiert nicht. Manchmal ist 
sie in ein kleines Fettläppchen eingelagert und durch einen 
schmalen Stiel mit der Schilddrüse verbunden. Ihr grösserer 
Durchmesser beträgt beim Erwachsenen 3—15 mm, durchschnitt- 
lich 6 mm, während der Diekendurchmesser oft nur 2 mm beträgt. 

Mikroskopisch findet er in ihnen zwischen den bindegewebigen 
Balken, die von der Kapsel aus eindringen, keine deutlich ab- 
gegrenzten Zellen, sondern mehr eine protoplasmatische Masse 
mit runden Kernen. Er beschreibt ferner ein eigentümliches 
Reticulum, was er für ein Produkt der Erhärtung oder der 
Fäulnis hält. In den Zellen sollen oft Fettröpfchen sich finden, 
aber auch ganz stark lichtbrechende Kugeln wie Colloid. Seine 
Untersuchungen datieren aus einer Zeit (1880), wo weder gute 
Einbettungsmethoden noch unsere jetzigen trefflichen Mikrotome 
und Färbungsmethoden existierten. Es ist daher nicht auffallend, 
dass diese Angaben nicht ganz mit den späteren und den 
meinen übereinstimmen. Indessen hat er immerhin an der Ober- 
fläche der Drüse, selten im Innern auch grössere, scharf abge- 
grenzte Zellen in grösseren und kleineren Gruppen gesehen. 
Möglich, dass hier die später zu beschreibenden, grossen, in 
dünnen Schnitten hell erscheinenden Zellen vorliegen, obgleich 
er ihnen ein stark körniges Protoplasma zuschreibt. 

Nachdem nunmehr die Physiologen in ihren Experimenten 
auf diese Nebendrüse der Thyreoidea aufmerksam gemacht und, 
wie vorhin erwähnt, die Ansicht ausgesprochen hatten, dass es 
sich hier um embryonale Reste der 'Thyreoidea handle, welche 
im Bedürfnisfalle für die Hauptdrüse eintreten können, erwachte 
das Interesse der Anatomen für diese Gebilde von neuem. 


Die Epithelkörperchen des Menschen ete, 395 


Aus dieser Zeit datiert der Beginn meiner Arbeit, die leider 
sehr häufig durch andere Berufsgeschäfte unterbrochen werden 
musste. Von anatomischen Untersuchungen, die seitdem er- 
schienen, ist nunmehr die zeitlich erste auch dem Inhalt nach 
voranzustellen. Es ist dies die Arbeit von Kohn (2). Sie ist 
vorzugsweise an Tieren: Kaninchen, Meerschweinchen, Ratten 
und besonders an der Katze ausgeführt. Kohn spricht sich im 
Gegensatz zu den Physiologen dahin aus, dass diese Drüsen 
selbständige Gebilde seien gegenüber der Schiddrüse und erst 
sekundär mit derselben in Verbindung treten. Er bezeichnet 
sie deshalb nicht mehr als Parathyreoidea, sondern schlägt für 
sie den Namen Epithelkörperchen vor. Ich werde im folgenden 
ebenfalls diesen Namen benutzen, da derselbe Missverständnissen 
wohl kaum ausgesetzt sein dürfte. 


Kohn wies bei der Katze, wo die Verhältnisse am regel- 
mässigsten sind, ein paariges äusseres Epithelkörperchen nach, 
dorsal und manchmal unterhalb der Schilddrüse gelegen und 
ein paariges, inneres Epithelkörperchen höher oben, innerhalb 
der Seitenlappen gelegen, höchstens deren mediale Fläche er- 
reichend. Das letztere geht ausgedehnte Verbindungen mit dem 
Gewebe der Schilddrüse und dem benachbarten Thymusläppchen 
ein durch Zellbalken, welche die Kapsel durchbrechen und sich 
direkt an die Epithelzellen der Thyreoidea anlegen. 


Ausserdem fand Kohn noch Thymusläppchen bei Ratte, 
Hund und Katze, bei letzterer auch konstant in Vorkommen und 
Lage; hier findet sich ein inneres, das mit dem Schilddrüsen- 
gewebe in Verbindung tritt und manchmal selbst colloidhaltige 
Follikel enthält und ein äusseres, oft mit dem äusseren Epithel- 


körperchen verwachsen. 


Schaper (3) hat neben Katze und Schaf .auch den Men- 
schen berücksichtigt. Beim Menschen findet er die Epithel- 
körperchen an der hinteren Fläche des Seitenlappens, bei einem 


396 W. KÜRSTEINER, 


von drei Erwachsenen nur einseitig, bei einem Neonatus jeder- 
seits zwei, bei einem dreijährigen Kind links zwei und rechts 
eines und ferner dicht an der Carotis des Neonatus unterhalb 
der Bifurkation derselben zwei kleinste Epithelkörperchen. An 
ihren Zellen beschreibt er eine deutliche Membran. Ferner be- 
schreibt er beim Menschen auch ein inneres Epithelkörperchen, 
dessen Vorkommen Kohn in Abrede stellte. Dass es wirklich 
ein inneres ist (im Sinne von Kohn) beweist der Umstand, dass 
es vollständig in dem Seitenlappen der Schilddrüse eingeschlossen 
liegt und ferner ein in sich abgeschlossenes, rundes Körperchen 
bildet von etwa 2 mm Durchmesser, das bis auf eine Stelle 
ringsum gegen das Schilddrüsengewebe abgegrenzt ist. Eine 
zarte bindegewebige Kapsel umschliesst es bis auf die erwähnte 
Stelle, wo das Epithelkörperchen kontinuierlich in das Thyreo- 
idealgewebe übergeht. 


Da er bei Tieren sowohl wie beim Menschen in den Epithel- 
körperchen Alveolen findet mit colloidem Inhalte, welcher voll- 
ständig mit dem Inhalte der Schilddrüsenalveolen übereinstimmt, 
und da ferner bei Tieren an den inneren Epithelkörperchen das 
Parenchym direkt in das der Schilddrüse übergehen kann, so 
nimmt er eine direkte Umwandlung derselben in funktionieren- 
des Schilddrüsengewebe an. Das äussere Epithelkörperchen ist 
für ihn ein abgesprengter Teil der Schilddrüse, welcher auf ge- 
wissen Stadien der embryonalen Entwickelung stehen geblieben 
ist. Er erwähnt ferner ganz kurz die Thymusknötchen in der 
Nähe der Oarotis. 

Ferner schildert Müller (4) die Epithelkörperchen des Men- 
schen. Er beschreibt neben dem äusseren ein inneres Epithel- 
körperchen, hebt namentlich das eigentümliche Aussehen der 
Zellen hervor, deren Protoplasma bei verschiedener Fixierung 
und Färbung hell erscheint, während die Zellgrenzen deutlich 
sind, wie bei einem pflanzlichen Gewebe. 


Anatomische Hefte TAbtheilung XXXVLHeft (11.Bd.H.3) 


2. Krapf” lieh 


Varlaa v [JE Bergmanz Wasbaaer 


Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 3% 


Von grösster Wichtigkeit sind ferner die Mitteilungen von 
Jacoby (5) und Groschuff (6), welche die -Entwickelung der 
Epithelkörper betreffen, leider aber bis jetzt nur in kurzer Fas- 
sung vorliegen. Nach Jacoby ist bei der Katze das äussere 
Epithelkörperchen das obere, abgeschnürte Ende der epithelialen 
Thymusanlage; das innere dagegen entwickelt sich aus dem Ge- 
webe des seitlichen Schilddrüsenlappens. Er fand bei Embryonen 
von 12 mm Länge das obere Ende des Thymusstranges ‚‚besonders 
gut“ ausgebildet, bei 18,5 mm auf der einen Seite schon ab- 
gelöst, auf der anderen noch mit dem Thymusstrang in Ver- 
bindung. Dem gegenüber kam Groschuff zu dem Ergebnis, 
dass die Verbindung des äusseren Epithelkörperchens mit der 
Thymus und des inneren mit der Thyreoidea erst sekundär 
sich ausbildet; beide entstehen selbständig aus der dorsokranialen 
Wand der dritten Kiementasche. 

Schliesslich ist noch die Arbeit von Tourneux und Verdun 
(3) zu erwähnen. Beide finden bei menschlichen Embryonen 
von 14 mm jederseits zwei Epithelkörperchen, das obere in Zu- 
sammenhang mit der Thymus, das untere mit der lateralen 
Thyreoideaanlage. Aber schon bei 16 mm liegen die „glandules 
thymiques“ d. h. die von der Thymus ausgehenden Epithel- 
körperchen unterhalb der Thyreoidea; sie sind infolge der Er- 
niedrigung der Thymusstränge nach abwärts gewandert. 

Mit dieser Beobachtung, sowie mit denen von Jacoby stimmt 
vollständig das überein, was auch ich bei menschlichen Em- 
bryonen gesehen habe. 

Über die Mitteilungen von Groschuff dagegen kann ich 
mich nicht aussprechen, da so frühe Stadien mir nicht vorge- 
legen haben. 

Das von mir untersuchte Material besteht aus 13 Neuge- 
borenen und Kindern aus den ersten Lebenswochen, ferner sieben 
Kinder vom Ende des ersten bis Ende des zweiten Jahres und 


19 Embryonen, die meisten dem hiesigen Frauen- und Kinder- 


398 W. KÜRSTEINER, 


spital entstammend. Ferner war es mir möglich, fünf Schnitt- 
reihen durch kleinste Embryonen von 16—35 mm Körperlänge 
durchzusehen. Ich verdanke diese Gelegenheit der grossen Zu- 
vorkommenheit von Herrn Professor Gasser in Marburg, welcher 
so freundlich war, dieselben dem hiesigen pathologischen Insti- 
tute für einige Zeit zu überlassen. Für den mir dadurch ge- 
leisteten grossen Dienst sei ihm mein wärmster Dank gesagt. 
Abgesehen von den Marburger Embryonen wurden alle 
meine Präparate in Alkohol aufbewahrt und gehärtet. Wenn 
Entkalkung nötig war, wurde diese mit Salpetersäure vorge- 
nommen, welche zu 5°/o mit Spiritus oder auch mit Pikrinsäure 
gemischt war. Die Stückfärbung geschah mit Hämalaun. Die 
Einbettung fand in Celloidin statt und zur Aufhebung und 
Nachhärtung diente Eosin und Origanonöl. Das Schneiden der 
Blöcke zu Schnittreihen, das Auflegen der Schnitte, das Nume- 
rieren der Objekträger wurde vom Abwart des Institutes in 
sorgfältigster Weise besorgt und war mir dies eine grosse Er- 
leichterung beim Zustandekommen der Arbeit. Die grösseren 
Präparate sowohl wie die Embryonen wurden in kontinuierlichen 
Schnittreihen untersucht und zwar mit wenigen Ausnahmen von 
der Zungenbasis an durch Thyreoidea mit Trachea, Oesophagus 
bis hinunter zu dem Anfang der Thymus, bei den Foeten bis 
zum untern Ende der Thymus; nur von Neonatis wurde bei 
zwei Fällen die Thyreoidea allein, in zwei andern Fällen nur 
ihre linke Hälfte untersucht. Es war dies im Anfang meiner 
Arbeit und gerade diese Fälle waren es, welche mich zwangen 
die Untersuchung weiter auszudehnen. Bei den Foeten wurde 
die ganze Halsgegend mit Haut bis zur Wirbelsäule, einschliess- 
lich die vordere Partie der Wirbelkörper benutzt. Bei den 
Neugeborenen wurden die Halsteile bis zur Wirbelsäule im 
gegenseitigen Zusammenhang abpräpariert und so in toto für 
die weitere Untersuchung vorbereitet. Die Schnitte wurden 
natürlich in querer Richtung angelegt und zwar immer durch 


Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 399 


die ganze Breite der Thyreoidea. Niemals wurden die Blöcke 
durch einen Medianschnitt in zwei seitliche Hälften zerlegt. 
Indessen dürfte es sich bei Wiederholung der Untersuchung 
empfehlen, Medianschnitte anzulegen, um so die Blöcke zu ver- 
kleinern, da meine Untersuchungen ergeben haben, dass eine 
leichte Schädigung der Medianebene keinen erheblichen Nachteil 
herbeiführt. Gerade hier in einer stark mit Strumen behafteten 
Gegend wurden die Querschnitte oft sehr umfangreich, sodass 
auf einen Objektträger von 8,5 und 4 cm nur 2 Schnitte 
gelegt werden konnten. Es war dann manchmal notwendig, 
interessante Stellen in kleinerem Umfange auszuschneiden und 
dieselben in grösserer Zahl auf einen Objektträger aufzulegen, 
um sie rascher studieren zu können. 


Ich habe diese umständlichere Untersuchungsmethode vor- 
gezogen gegenüber der makroskopischen Präparation, um voll- 
ständig sicher zu sein über das Vorkommen der Epithelkörper- 
chen oder Thymusläppchen; denn auf diese Weise war ein 
Übersehen irgend eines dieser Gebilde ausgeschlossen. Die Dicke 
der Schnitte wechselte von 15 —30 und selbst 40 «. Die um- 
fangreicheren Schnitte, besonders bei den Neugeborenen, erreichten 
manchmal die letztere Dicke; an solchen ist allerdings manches 
der feineren Struktur nicht immer deutlich zu erkennen, doch 
immerhin soviel, um die Diagnose mit voller Sicherheit bestimmen 
zu können. 

In der folgenden Schilderung sind auch immer die Dimen- 
sionen in der Längsaxe des Körpers angegeben. Bei den Epithel- 
körperchen und Thymusläppchen wurde dieses Mass als Länge 
bezeichnet, obgleich dasselbe kleiner ist als der frontale und 
sagittale Durchmesser. Unter Länge oder Höhe der Seitenlappen 
der Thyreoidea ist das Mass des medialen Randes derselben bis 


zur oberen Isthmusgrenze herab zu verstehen. 


400 W. KÜRSTEINER, 


1. Verhältnisse beim Neugeborenen. 


Ich finde hier, durchaus in Übereinstimmung mit Kohn, 
niemals ein inneres Epithelkörperchen, sondern nur äussere, 
diese aber konstant, doch nicht in dem Sinne, dass sie links 
und rechts, oben und unten immer in der gleichen Weise vor- 
handen wären. 

In den meisten Fällen kann man ein paariges, oberes, in der 
Höhe des oberen Isthmusrandes oder noch höher bis über die 
halbe Höhe des Seitenlappens hinauf gelegenes, und ein paariges, 
unteres Epithelkörperchen, in der Höhe des unteren Isthmus- 
randes, unterscheiden. In vier Fällen fand ich nur ein oberes 
Epithelkörperchen und zwar links, in 5 Fällen nur ein unteres 
ebenfalls links, in 1 Fall nur rechts ein unteres und es war bei 
demselben Individuum auch nur ein oberes vorhanden und zwar 
links. Weiter abwärts als der untere Thyreoideapol tauchen bis 
hinab zur vollentwickelten Thymusdrüse ebenfalls noch Epithel- 
körperchen auf. Sind zwei oder mehr Epithelkörperchen auf 
der gleichen Seite vorhanden, so finden sich beispielsweise Nr. 1 
am oberen Isthmusrande, Nr. 2 am unteren und Nr. 3 unterhalb 
der Thyreoidea im Bindegewebe zwischen Trachea, Oesophagus 
und Blutgefässen. 

Ein anderes Präparat mit 4 Epithelkörperchen derselben 
Seite zeigt Nr. 1 am linken Seitenlappen, nur wenig über dem 
Isthmus, Nr. 2 in der Mitte des Isthmus, Nr. 3 wenig unter- 
halb der Thyreoidea, Nr 4. an der oberen Spitze der 'Thymus. 

Die Zahl der Epithelkörperehen ist somit eine wechselnde; 
es können auf einer Seite deren 4 existieren. Es stimmt dies 
nicht ganz mit den Angaben der bisherigen Autoren überein. 
Nach Sandström und Kohn finden sich beim Menschen immer 
zwei Epithelköperchen auf einer Seite, während Schaper bei 
einem Neonatus jederseits 2, bei einem dreijährigen Kinde links 


zwei, rechts eines fand. Ich glaube diesen Arbeiten gegenüber 


Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 401 


auf meine Untersuchungsweise an kontinuierlichen Schnittserien 
hinweisen zu dürfen, da dadurch das Übersehen eines Epithel- 
körperchens unmöglich gemacht ist. 

Was die Lagerung zur Thyreoidea anbelangt, so finden sich 
die Epithelkörperchen in weitaus der Mehrzahl der Fälle an der 
dorsalen Fläche der Seitenlappen, nur selten an der lateralen 
oder medialen Fläche; dass es an der medialen Fläche sich 
findet, habe ich nur zweimal gesehen, und zwar waren es obere 
Epithelkörperchen; an der lateralen Fläche findet sich ein 
Epithelkörperchen lediglich nur dann, wenn auf derselben Seite 
in derselben Höhe zwei Epithelkörperchen sind. 

Was die genauere Beziehung von Epithelkörperchen zur 
Thyreoidea anlangt, so unterscheidet Kohn 4 Gruppen: 


1. es liegt unterhalb der Schilddrüse recht häufig beim 
Kaninchen ; 


2. lose liegt es der äusseren oder hinteren Fläche an, durch 
lockeres Bindegewebe mit der Schilddrüse verbunden und makro- 
skopisch gleichsam als ein Appendix, als eine accessorische 
Schilddrüse sich ausnehmend (Mensch, Katze) ; 


3. liegt es in einer seichten Mulde, während der grössere 
Teil des Körperchens noch frei aus dem 'Thyreoidealgewebe 
hervorragt. Es findet sich dies vorzugsweise bei der Katze. 

4. Es ist zu mehr als der Hälfte oder ganz in die Thyreoidea 
eingelassen bei Hund, Maus und Meerschwein. 


Ich finde beim Menschen fast alle diese Typen vertreten. 
Für das obere Epithelkörperchen ist der weitaus häufigste der 
zweite Typus, welchen Kohn beim Menschen allein beobachtete. 
Doch kommt auch ziemlich oft der dritte Typus vor; seltener 
ist das Epithelkörperchen zu mehr als der Hälfte in die Thyreoidea 
eingelassen (Typus 4). Vollständig von derselben umschlossen 
habe ich es nicht gesehen. Typus 1 trifft natürlich nur für das 


untere Epithelkörperchen zu. 


402 W. KÜRSTEINER, 


Meist ist das Epithelkörperchen durch einen Streifen Binde- 
gewebe von dem benachbarten Tihyreoideagewebe getrennt; ge- 
legentlich jedoch kommt es vor, dass derselbe nicht breiter ist 
als die benachbarten Septen zwischen den Schilddrüsenbläschen, 
so dass er bei der Dicke der Schnitte erst bei starker Ver- 
grösserung oder vielleicht auch erst bei Giesonscher Färbung 
sichtbar wird. Ein direkter Zusammenhang mit dem Thyreoideal- 
gewebe ist beim Neugeborenen wenigstens von mir nicht ge- 
funden worden. 

Sandström, welcher die Epithelkörperchen makroskopisch 
präparierte, hat schon darauf hingewiesen, dass sie namentlich 
in der Nähe der Arteria thyreoidea inferior vorkommen, welche 
Arterie von der A. subelavia kommt und die Arterie speziell 
der Rückseite der Schilddrüse ist. Grössere Arterien sehe ich 
recht häufig gerade zwischen den Epithelkörperchen und dem 
Thyreoidealgewebe; meist auch von einer Vene begleitet. Manch- 
mal läuft die Arterie in einer seichten Mulde des Epithelkörper- 
chens oder geht scheinbar durch die Mitte desselben hindurch, 
so dass es in zwei getrennte Hälften zerfällt; indessen fliessen 
auf den nachfolgenden Schnitten die beiden Hälften zu einem 
(Gebilde zusammen. 

Schon Sandström fand die Epithelkörperchen in kleinen 
Fettklumpen. Auch ich habe diese Lagerung recht oft gesehen 
und zwar namentlich beim unteren Epithelkörperchen. Die 
unteren Epithelkörperchen und diejenigen, welche unterhalb der 
Thyreoidea gelegen sind, treten manchmal in engere Beziehung 
zur oberen Spitze der Thymus oder einem isolierten Thymus- 
lappen mit deutlichen Hassalschen Körperchen in etwas wechseln- 
der Weise, worauf ich bei der Besprechung der Thymusläppchen 
zurückkomme. 

Die Form des äusseren Epithelkörperchens ist auf dem Quer- 
schnitt fast immer eine ovale, seine Längsaxe parallel der Ober- 
fläche der Thyreoidea, der es anliegt, und die der Thyreoidea 


Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 403 


anliegende Fläche in der Regel etwas weniger gewölbt wie die 
abgewandte. Seltener ist das Epithelkörperchen rund. Seine 
Dimensionen wechseln, der grösste Durchmesser schwankt von 
0,5—3 mm und selbst 4 mm, während der kürzere nur zwischen 
'/; und 1'!/, mm variiert. In der Längsaxe misst es weniger, 
nämlich 0,2—2 mm; meist ist es sogar in dieser Richtung ziem- 
lich stark abgeplattet. Abgegrenzt wird dasselbe durch eine 
dicke Lage von Bindegewebsfibrillen, welche es direkt umgeben. 


In seltenen Fällen (etwa 2—3 Fälle) sind in dieser Lage eine 
grosse Zahl von Kapillaren quer und schräg durchschnitten 
sichtbar, die vielfach kaum um die eigene Breite von einander 
entfernt liegen; hie und da wird sogar die Bindegewebskapsel 
durch die starkgefüllten Kapillaren selbst nach innen vorgewölbt, 
so dass man an die von Zeiss festgestellte Thatsache erinnert 
wird, dass die Kapillaren der Schilddrüsenbläschen direkt in das 
Lumen vorspringen und das Epithel vorwölben; indessen finden 
sich hier doch immer noch deutliche Fibrillen auf der Kapillaren- 
wand. 

Was nun die Zusammensetzung des Epithelkörperchens 
selbst anlangt, so ist in erster Linie auf die charakteristisch 
geformten Zellen hinzuweisen. Die sehr auffallende Eigen- 
tümlichkeit derselben besteht darin, dass sie im Innern hell, 
farblos sind, ohne körniges, eosinempfängliches Protoplasma, da- 
gegen durch scharfe, eosinrote Linien gegeneinander abgegrenzt. 
Dadurch unterscheiden sie sich von dem Epithel der Schild- 
drüsenbläschen, bei denen das Protoplasma blass, körnig, mehr 
oder weniger intensiv mit Eosin gefärbt ist und die Zellgrenzen, 
wenn sie deutlich sind, in Form von hellen Spalten sich zeigen. 
Das Thyreoidealgewebe weist bei Kernfärbung eine gleichmässige 
Färbung von dunklerem Blau auf, während die Epithelkörperchen 
als Gebilde von hellerem Blau sich deutlich abheben. Schon 
Schaper und Müller haben diese eigentümliche Helle der 
Zellen der Epithelkörperchen hervorgehoben und letzterer sagt 


404 W. KÜRSTEINER, 


ganz passend, dass sie an pflanzliche Gewebe erinnern. Der 
Kern ist rund, von mässiger Grösse, bläschenförmig und ent- 
hält eine mittlere Zahl von Chromatinkörnern. Er liegt meist 
deutlich excentrisch, in der Nähe der Zellmembran und häufig 
in einer Ecke der Zelle. Wenigstens tritt diese excentrische 
Lage an den grössern Zellen schön hervor. Die Grösse der 
Zellen wechselt etwas; vielfach sind sie nur mässig gross und 
die Kerne liegen um den einfachen bis doppelten Durchmesser 
von einander entfernt. In anderen Fällen beträgt die gegen- 
seitige Entfernung der Kerne das Vierfache und mehr. Begreif- 
licherweise tritt in den letzteren Fällen das eigentümliche Aus- 
sehen der Zellen, die runden Kerne und die scharfen, roten 
Grenzlinien in den hellen Interstitien zwischen denselben am 
schönsten hervor. Die Zellen sind regelmässig polyedrisch, die 
einzelnen Kanten gradlinig, selten gebogen, oder die Zellen 
sind mehr cylindrisch. Das hängt von ihrer Anordnung ab. 

Kohn unterscheidet in dieser Beziehung 3 Typen: 

1. Entweder bildet das Epithelkörperchen eine zusammen- 
hängende Zellmasse, nur mit wenig gefässführenden Septen oder 

2. es finden sich netzförmig verbundene Zellbalken mit reich- 
lichen, bindegewebigen Septen, oder 

3. es hat das Epithelkörperchen einen lobulären Bau und 
die Läppchen bestehen aus netzartigen Balken mit reichlichen 
Septen. Letzteres sah er besonders deutlich bei einem 57jährigen 
Manne. 

Bei den Neugeborenen und Kindern, wie auch in den früheren 
Stadien habe ich den Typus 3 nicht gesehen, sondern nur die 
beiden ersteren. Die erste Form ist verhältnismässig selten. Es 
bildet dann das Epithelkörperchen eigentlich nur eine Zellmasse, 
die von weiten Kapillaren durchzogen wird mit dünner binde- 
sewebiger Scheide. Selbstverständlich sieht man diese Kapillaren 
in Quer-, Schräg- und kurzen Längsschnitten, im ganzen recht 
spärlich, sodass da, wo sie dicht liegen, doch immerhin bis 20 


Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 407 


In anderen Fällen sieht man in den Epithelkörperchen selbst 
solche Drüsenbläschen mit Lumen und gleich gestalteten Zellen, 
ohne dass jedoch der Zusammenhang mit den ausserhalb ge- 
legenen Drüsenkanälchen nachgewiesen werden kann. 

Neben den Drüsenkanälen finden sich auch kleine Drüsen- 
bläschen vor, die aber nur durch 2 oder 3 Schnitte verfolgbar sind. 

Meistens haben diese Drüsenkanäle und Drüsenbläschen den 
gleichen Durchmesser wie die Zellstränge oder sind etwas weiter. 
Nur in zwei Fällen erreichen sie eine besondere Weite. 

Der eine Fall betrifft ein Epithelkörperchen, das im Innern 
eines Thymusläppchens sich befindet, ein Verhalten, auf das 
ich erst später bei den Thymusläppchen eingehe. Im anderen 
Fall hat das Epithelkörperchen auf dem Querschnitt eine mehr 
dreieckige Form, jede Seite 2 mm lang; sein Längsdurchmesser 
beträgt nach der Anzahl und Dicke der Schnitte 1,2 mm. In 
diesem Epithelkörperchen treten nun von oben an gerechnet 
etwa in seiner Mitte (d. h. der Längsaxe) an der Hinterfläche 
direkt an der Kapsel gelegen 4—6 unregelmässig gestaltete Hohl- 
räume auf, ausgekleidet mit einem niedrigen, abgeplatteten 
Epithel. Der grösste Hohlraum hat eine Breite von 0,16 mm. 
Sehr rasch fliessen nach unten zu diese Hohlräume zu einer 
grösseren Höhle zusammen und von deren Vorderfläche geht 
durch das Epithelkörperchen hindurch nach vorn zu ein schmaler 
Kanal ab, der in der Nähe seines vorderen Endes eine kleine 
Bucht nach oben sendet. Dieser Kanal erweitert sich nach 
unten in den folgenden Schnitten bedeutend und fliesst sodann 
mit dem hinteren grossen Hohlraum zu einer einzigen, etwas 
rundlichen Höhle mit ziemlich zahlreichen, kleinen Ausbuchtungen 
zusammen, welche zuerst ein Vs und allmählich durch weitere 
Vergrösserung den ganzen Querschnitt des Epithelkörperchens 
einnimmt. Auf den folgenden Schnitten schwindet dieser Hohl- 
raum und an seine Stelle treten 4—5 Drüsenkanäle und solide 
Felder, und gerade in diesen findet sich nunmehr das oben be- 

Ar 


408 W. KÜRSTEINER, 


schriebene eigentümliche Epithel in Form von besonders grossen, 
hohen, cylindrischen, ganz hellen Zellen, mit central nach dem 
Lumen hin gelegenem Kern. Die Form der Kanäle und Bläs- 
chen wechselt auf den einzelnen Schnitten sehr; nach unten 
hin fliessen sie in ein Drüsenbläschen von 0,4 mm Durchmesser 
mit dem gleichen Epithel zusammen. 

Der Zusammenhang aller dieser Drüsenkanäle mit dem 
grösseren Hohlraum ist mit voller Sicherheit nachzuweisen. 

Kohn hat zuerst auf das konstante Vorkommen von Th y- 
musläppchen bei Ratte, Hand und Katze hingewiesen. Er 
unterscheidet ein inneres, an der medianen Fläche, manchmal 
bis an diese heranreichend oder auch frei zwischen Trachea und 
Thyreoidea gelegen, und &@in äusseres, an der dorsalen Fläche 
der Schilddrüsenlappen. 

Nach meinen Beobachtungen kommen auch beim Menschen 
konstant Thymusläppchen auf gleicher Höhe mit der Thyreoidea, 
aber auch unterhalb derselben vor. Ich erwähne in erster Linie, 
dass kleine Iymphatische Gebilde, wie Lymphdrüsenfollikel aus- 
sehend, jedoch nicht in derselben Weise scharf begrenzt, sich 
ziemlich häufig an der Innenfläche, nur selten an der dorsalen 
Fläche der Schilddrüse finden. Sie liegen also meist zwischen 
Thyreoidea und Trachea und zwar in Isthmushöhe, oder seltener 
in der halben Höhe der Seitenlappen. Sie liegen ausserhalb 
der Thyreoideakapsel. Lymphgefässe lassen sich um sie herum 
nicht finden, ebensowenig eine periphere Lymphbahn, welche 
bei Neugeborenen in den erheblich grösseren eigentlichen Lymph- 
drüsen gut ausgebildet ist. Ob diese Bildungen als Thymus an- 
zusehen sind, bleibt zweifelhaft, wenigstens habe ich niemals 
Hassalsche Körperchen darin gefunden. Ich mache darauf 
aufmerksam, dass Farner über Lymphknötchen in Strumen 
berichtet, welche ein deutliches Keimcentrum haben. 

Die eigentlichen Thymusläppchen, die durch die Hassal- 
schen Körperchen als solche charakterisiert sind, finden sich 


nn 


a A 


Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 405 


Zellen sich zwischen sie einschieben. Vor einer Gliederung des 


Epithelkörperchens kann man also hier nicht reden. Meist aber 
ist die Zellmasse durch Septa schärfer in einzelne Zellbalken 
getrennt. Die letzteren bilden ein Netz, in dessen länglichen, 
schmalen, verästelten Maschen die gefässhaltigen, bindegewebigen 
Septen etwa von Hirschgeweihform sich finden. Die Zellbalken 
selbst haben eine etwas wechselnde Breite und bilden ein voll- 
ständiges Netz. Die Zahl der Zellen in dem Quermesser wechselt 
von 2—10 und selbst mehr; je mehr Zellen, um so kleiner sind 
sie. Eigentümlich ist dabei, dass man sehr oft nur wenige Ver- 
bindungen der Stromabalken mit der bindegewebigen Kapsel 
sieht; vielmehr ist an der Peripherie das Epithelkörperchen von 
einer fast kontinuierlichen Zelllage begrenzt; diese Randzellen 
erscheinen cylindrisch und stehen senkrecht auf der bindege- 
webigen Kapsel, wie auch innerhalb des Epithelkörperchens die 
auf den Stromabalken sitzenden Zellen oft ceylindrische Gestalt 
haben, namentlich dann, wenn die Zellen gross sind, wenn etwa 
nur zwei Zellen im Querdurchmesser eines Balkens liegen. In 
diesem Falle ist ferner noch die Lagerung des Kernes eigentüm- 
lich; es liegt nicht an der Basis, sondern in dem anderen Pol, 
so dass dann in der Mitte der Doppelreihe von Zellen zwei Kern- 
reihen nebeneinander herlaufen (Fig. 7). 

Selten bilden die Stromabalken ein zusammenhängendes 
Netz und die Zellmasse zerfällt dadurch in einzelne rundliche, 
längliche und cylindrische Haufen. Hier dringen denn auch 
an der Peripherie die bindegewebigen Balken von der Kapsel 
in ziemlich gleichmässigen, geringen Entfernungen ein, so dass 
die Cirkumferenz des Epithelkörperchens dadurch ein rosetten- 
förmiges Aussehen erhalten kann. Das Netz der Stromabalken 
besteht aus Blutkapillaren und einer mehr oder minder fibrillären, 
kernhaltigen Adventitia. Die Breite derselben wechselt, was 
z. T. auf der verschiedenen Entwicklung der fibrillären Adven- 
titia beruht, zum grösseren Teil aber auf der verschiedenen 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVI. Heft (11. Bd. H. 3). 27 


406 W. KÜRSTEINER, 


Weite der Kapillaren; diese können °/s der Breite der Zellstränge 
erreichen, so dass man hie und da fast von kavernösem Bau 
sprechen könnte. Auch in dem umgebenden, lockeren Binde- 
gewebe finden sich dann reichlich weite Blutgefässe. Da ich 
aber keine Injektionsmethode anwandte, muss ich es unent- 
schieden lassen, ob nicht diese verschiedene Weite der Kapillaren 
vielleicht nur auf der verschiedenen Füllung derselben mit Blut 
beruht. 


Ferner schliessen sich bei der Hälfte der Neugeborenen an die 
Epithelkörperchen deutlich drüsige Bildungen an, teils Kanäle, 
etwa von der Weite von gewundenen Harnkanälchen, teils rund- 
iche Drüsenbläschen und zwar immer nur an dem medialen 
Pole des unterenEpithelkörperchens. So wie das Epithel- 
körperchen zu Ende geht, hören auch die Drüsenkanäle auf. 
Auf dem Querschnitt sind sie meist rund; hier und da machen 
sie eine Windung; ihr Epithel ist ein cylindrisches, hier und da 
auch kubisch. In 2 Fällen konnte ich einen direkten Zusammen- 
hang der Drüsenkanäle mit dem Epithelkörperchen an einem 
und demselben Schnitte verfolgen (Fig. 1). Es schliessen sich 
noch innerhalb des Epithelkörperchens an die aus kleineren 
Zellen bestehenden Zellstränge mit verhältnismässig dichtge- 
legenen Kernen direkt einige ähnlich gestaltete Felder an, in 
welchen die Zellen grösser sind, sodass die helle Beschaffenheit 
des Zellkörpers deutlicher hervortritt. Die Grösse der Zellen 
nimmt nach dem Rande des Epithelkörperchens hin zu und hier 
tritt ein solider Strang von solchen grossen, hellen Zellen aus 
dem Epithelkörperchen heraus, welcher an dessen medialer 
Fläche zwei, drei kurze Windungen macht und dann fast sofort 
ein recht weites Lumen erhält. Die centrale Lagerung der Kerne 
wird dabei auch immer deutlicher und namentlich ist dieselbe 
sehr ausgesprochen, sowie ein Lumen vorhanden ist. Hier liegt 


der Kern wirklich ganz direkt dem freien Pol der Zelle an. 


Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 411 


adenoidem Gewebe mit einkernigen Leukocyten bestehen und 
zwischen beiden Gewebsformationen schiebt sich immer ein deut- 
licher, meist ziemlich breiter bindegewebiger Streifen ein. Ein 
Zusammenhang zwischen beiden existiert also nicht. Es ist auf- 
fällig, dass diese Trennung gegenüber dem Thymusgewebe schärfer 
ist als manchmal bei den oberhalb gelegenen Epithelkörperchen 
gegenüber dem Thyreoidealgewebe; denn bei den letzteren kommt 
es, wie erwähnt, gelegentlich vor, dass die trennenden, binde- 
gewebigen Septen sehr dünn sind, sodass sie bei der Dicke der 
Schnitte von 20-30 u übersehen werden können und es der 
Giesonschen Färbung bedarf, um sie deutlich zu Gesicht zu 
bekommen. 

Die Epithelkörperchen, welche auf diese Weise mit Thymus- 
gewebe in Verbindung treten, zeigen auch dann und wann an 
ihrer Peripherie kleine Drüsenbläschen und ferner auch in 
der bindegewebigen Kapsel, welche sie von dem Thymusläppchen 
trennt, Drüsenkanäle, die mit dem Epithelkörperchen in direktem 
Zusammenhang sein können. Dann und wann finden sich so 
gar auch in diesen Epithelkörperchen cystenähnliche Hohlräume, 
wie das früher bei den neben der Thyreoidea gelegenen Epithel- 
körperchen erwähnt wurde. 

Besondere Beachtung verdient noch ein Fall, in welchem 
in einem unteren Epithelkörperchen drin noch die untersten 
Läppchen der Thyreoidea eingelassen sind und auf gleicher Höhe 
mit deren letzten Zellgruppen schon die Thymus auftaucht und 
zwar das Epithelkörperchen auf drei Seiten dicht umgreifend, 
aber durch ein bindegewebiges Septum von ihm getrennt. 


412 W. KÜRSTEINER, 


2. Kleine Embryonen von 16-35 mm Länge. 


Die Einsicht in diese Präparate verdanke ich, wie schon gesagt, 
der Güte von Herrn Professor Gasser in Marburg. Ich habe, um 
die Beschreibung für den Leser übersichtlich zu gestalten, die Schnitte 
besonders numeriert und zwar denjenigen, in welchem kranialwärts die 
Thyreoidea zuerst auftritt, mit 1 bezeichnet. Die dabei eingeklammerten 
Zahlen bezeichnen den Schnitt in der Reihenfolge der Objektträger. 
Die Dicke der Schnitte beträgt bei diesen kleinen Embryonen 15 w. 

1. Embryo 16 mm lang, 6. I. 95. Er ist kaudal-kranialwärts 
geschnitten. Die Thyreoidea beginnt rechts im Schnitt 1 (Obj. 31, 9) 
als gewunden verlaufender Zellstrang, im ganzen parallel den äusseren 
Konturen des Larynx, mit 2 Formen von Kernen, die meisten bläs- 
chenförmig, hell, rund bis oval und zwischen diesen eine geringere An- 
zahl von dunkleren, kleineren Kernen, meist länglich und etwas zackig, 
zum Teil in dem schmalen Strange, in welchem 3, 4 Kerne im Quer- 
messer neben einander liegen, quergestellt. In den folgenden Schnitten 
verläuft der schmale thyreoideale Strang mehr gerade und wird dann 
am dorsalen Ende etwas dicker. Hier und da findet sich eine etwas 
breitere Stelle mit der Andeutung eines Lumens, im wesentlichen aber 
behält der Strang dieses Bild noch durch 9 Schnitte hindurch bei. Es 
handelt sich also um eine epitheliale Platte, die an der Seitenfläche 
des Larynx liegt. Im 9. Schnitte, vom Beginn der rechten Thyreoidea 
an gerechnet, zeigt sich auch die Thyreoidea der anderen Seite, zuerst 
in Form eines ganz kleinen, kernreichen Feldes, das sich schon im 
folgenden Schnitte in einen gleichen Zellstrang umwandelt, wie rechts, 
der an seinem dorsalen Ende sich in 3, 4 kleinere Kerngruppen auf- 
löst, um jedoch im dritten Schnitte kontinuierlich zu werden. In Schnitt 
14 ändert sich das Aussehen der Thyreoidea in sofern als das dorsale 
Drittel beiderseits sich bedeutend verdickt, etwa zu der zwei- bis drei- 
fachen Dicke der vorderen zwei Drittel (Fig. 2). Der frontale Durch- 
messer dieser Verdiekung beträgt 0,16 m, der sagittale das Andert- 
halbfache bis Doppelte davon. In den Schnitten 16 bis und mit 20 
zeigen sich in diesem verdickten, dorsalen Teil deutliche Lumina, in 
Schnitt 18 beiderseits von Sichel- oder Hufeisenform, nach der Mittel- 
linie hin konkav. Diese eigentümliche Form ist aber rechts nur in 
dem einen Schnitte, links durch 3 Schnitte hindurch vorhanden. Rechts 
findet sich in den gleichen Schnitten 16 bis und mit 19 neben dem 
erwähnten hufeisenförmigen Lumen, das im hinteren Teil der dorsalen 
Verdickung liegt, im vorderen Teil derselben noch ein zweites, kleines 
Lumen, bald rund, bald langgestreckt. In Schnitt 23 schwindet beider- 


Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 409 


nahezu konstant. In den 16 Fällen, in welchen die ganzen Hals- 
organe untersucht wurden, habe ich sie nur zweimal vermisst. 
In den vier Fällen, in welchen die Thyreoidea allein oder auch 
nur eine Hälfte untersucht wurde, fanden sie sich nur einmal 
vor. Schon bei Lupenvergrösserung fallen sie durch ihr dunkles 
Aussehen auf. Sie liegen, wie die Epithelkörperchen, hauptsäch- 
lich an den unteren Partien der Schilddrüse, an ihrer dorsalen 
und medialen Fläche; selten finden sie sich in der Thyreoidea 
drin; ihre Form wechselt in viel höherem Masse als die der 
Epithelkörperchen; bald bilden sie kleine, runde Flecke, die nur 
durch wenig Schnitte hindurch gehen, sodass sie als kugelige 
Gebilde angesehen werden können, bald bilden sie schmale Strei- 
fen, 1—2 mm lang, die der Thyreoideakapsel dicht anliegen und 
zwar dem hinteren Drittel der medialen Fläche oder auch rein 
dorsal, manchmal halbmondförmig den ganzen hinteren Pol der 
Thyreoidea umgreifend. In der Längsachse des Körpers messen 
sie bis 3 mm; dann und wann gehen von ihnen drehrunde 
Stränge in ein Septum der Thyreoidea herein, in schräg auf- 
steigender Richtung, enden innerhalb der Thyreoidea, können 
aber auch die laterale Fläche derselben erreichen. Auf diesem 
ganzen Verlaufe bilden sie auf dem Querschnitt runde Felder 
von 0,5 mm Durchmesser. Isolierte, innere Thymusläppchen, 
die mit den äusseren nicht in direktem Zusammenhange stehen, 
habe ich nicht gesehen. Es finden sich manchmal zwei in gleicher 
Höhe, eines an der medialen, das andere an der dorsalen Fläche. 
Meistens sind sie nur auf einer Seite vorhanden und es scheint 
mir keine der Seiten in dieser Hinsicht bevorzugt zu sein. Zu- 
weilen findet sich rechts und links auf gleicher Höhe je eines 
vor. Ihre Zusammensetzung ist diejenige der Thymus. Ihr Ge- 
webe besteht also aus Lyimphkörperchen und infolge dessen 
zeichnen sie sich durch grössere Dunkelheit schon bei Lupen- 
vergrösserung sowohl gegen die Epithelkörperchen als auch gegen 
die Thyreoidea aus. Das Vorhandensein der Hassalschen Kör- 
perchen habe ich oben schon erwähnt. 


410 W. KURSTEINER, 


Ich komme nun, nachdem ich die Verhältnisse in der Höhe 
der Thyreoidea geschildert habe, auf die Gegend zwischen 
Thyreoideaund Thymus zu reden. Hier ist in erster Linie 
zu erwähnen, dass das obere Ende der Thymus nicht selten bis 
dicht an die Thyreoidea heranreicht und in ihren obersten Par- 
tien auf Querschnitten zugleich mit derselben angetroffen wird. 
Es erscheint dieses oberste Ende in ganz der gleichen Weise, 
wie die beschriebenen Thymuslappen als schmaler oder breiter 
Streifen, welcher der dorsalen Fläche der Thyreoidea anliegt; 
häufiger findet sich diese eigentümliche Verbindung auf der 
rechten Seite. Ferner finden sich auch hier abgetrennte Thy- 
musläppchen zwischen unterem Pol der Thyreoidea und dem 
oberen Ende der Thymus, von der gleichen Gestalt und auch 
Zusammensetzung wie die oben beschriebenen Thymusläppchen, 
manchmal von recht bedeutenden Dimensionen, bis 8 mm Durch- 
messer. Hier finden sich auch noch, wie oben erwähnt, Epithel- 
körperchen und zwar in 12 Fällen von 16 zugleich mit Thymus- 
läppchen auf demselben mikroskopischen Schnitte, in sehr wech- 
selnder Beziehung zu einander; bald liegen sie direkt neben 
einander, von einer gemeinsamen bindegewebigen Kapsel um- 
geben, das Epithelkörperchen nach der Mittellinie hin gelegen; 
recht häufig aber sind die Beziehungen noch enger, insofern als 
das Fpithelkkörperchen mehr oder weniger tief in das Thymus- 
läppchen eingelassen ist; bald umgreift das sehr schmale Thy- 
musläppchen halbmondförmig das Epithelkörperchen, sodass von 
letzterem nur die Hälfte oder ein Viertel der Peripherie frei 
liegt, oder das Epithelkörperchen ist vollständig eingelassen in 
das Thymusläppchen. Und nicht bloss in abgetrennte Thymus- 
läppchen ist das Epithelkörperchen eingelassen, sondern hie und 
da auch in die obersten Läppchen der Thymus selbst. 

Das Epithelkörperchen hat überall die gleiche, oben be- 
schriebene Struktur, während die Thymusläppchen die Struktur 
der ausgebildeten Thymus haben, d. h. aus deutlich Iymph- 


Anatomische Hefte TAbtheilung XXNVI.Heft (11.Bd.H.3) 


2. Krapı' Ih 


un 


TE 


% 


= 


IR 


Verlag vr SF Bergmann Wiesbaden 


Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 415 


strang ganz wenig oberhalb der kaudalsten Zellgruppen der Thyreoidea 
verschwindet, läuft der linke Strang weiter nach unten und rückt noch 
mehr nach vorne. Zwischen ihm und der Trachea schiebt sich sehr 
rasch ein grösseres, dieckwandiges Gefäss ein, welches weiter abwärts 
in das linke Herz einmündet (Arcus aortae). 

Ferner finden wir beiderseits, ebenfalls in ziemlich gleicher Höhe, 
wenig oberhalb des Isthmus, ein dorsales, rundes, epitheliales Feld, in 
seinem grossen, kaudalen Teile (5 Schnitte) ausgezeichnet durch die 
Anordnung seiner Kerne in netzförmig verbundene Stränge, 2—3 Kerne 
im Quermesser derselben, die Maschen runülich, hell, ohne deutlichen 
Inhalt. Eine gleiche Gliederung zeigen auch, wie erwähnt, die Thymus- 
stränge in ihrem obersten Teile, in der Thyreoidea dagegen fehlt sie. 
Diese Felder haben einen Querdurchmesser von 0,15 mm, gleich wie 
die seitlichen Thymusstränge und in der Längsachse des Körpers 
messen sie 0,09 mm, sind also in dieser Richtung abgeplattet. Lage, 
Form und Kernanordnung zeigen, dass wir hier Epithelkörper- 
chen vor uns haben. Auf der rechten Seite ist das Epithelkörperchen 
in den 5 unteren Schnitten vollständig scharf von der Thyreoidea ab- 
gesondert, in den 2 oberen dagegen, in denen seine Kerne keine An- 
ordnung in netzförmige Stränge zeigen, hängt es mit der ungegliederten, 
hinteren, diekeren Partie der Thyreoidea zusammen, durch einen etwa 
3 Kerne im Quermesser haltenden Strang, welche beide Felder an 
ihrer medianen Fläche verbindet (Fig. 3). Dieser Zusammenhang mit 
der Thyreoidea ist begreiflicherweise ein sehr wichtiger Punkt. Ich 
habe nur noch bei älteren Embryonen 2mal einen solchen Zusammen- 
hang gesehen, dagegen nie bei Neugeborenen. Ich kann das vorliegende 
Bild nicht anders deuten; das Aussehen und die Form der Kerne in 
dem verbindenden Strange sind so deutlich und charakteristisch, dass 
ich es nicht für wahrscheinlich halte, dass etwa eine andere Färbung, 
die das Bindegewebe deutlicher zeigt, wie z. B. die Giesonsche, ein 
anderes Resultat ergeben würde. 

Auf der rechten Seite ist das Körperchen ebenfalls in den unteren 
5 Schnitten vollständig scharf von der Thyreoidea abgesondert. In 
den kranialwärts direkt sich daran anschliessenden 2 Schnitten gehen 
von der hinteren, grossen Zellmasse der Thyreoidea ein lateraler und 
ein medialer Strang nach hinten, an die Stelle, wo im folgenden Schnitte 
das Epithelkörperchen sich findet. Ob hier ein Zusammenhang 
existiert, wird dadurch natürlich nicht bewiesen, aber die Möglichkeit 
einer solchen liegt vor. 

Als Beachtenswert zu erwähnen wäre zum Schlusse noch, dass 
sowohl das hufeisenförmige Lumen des Thymusstranges wie dasjenige 
der dorsalen Zellmasse der Thyreoidea und ebenso das Drüsenbläschen 
neben dem Thymusstrange, ziemlich auf derselben Höhe vorkommen 
und zwar direkt oberhalb des Isthmus, 

2. Embryo 18 mm lang, 11. VI. 1887. Die Schnitte sind kranial- 
kaudalwärts aufgelegt. 


416 W. KÜRSTEINER, 


Die Thyreoidea beginnt zuerst links (Schnitt 1 = Obj. 15, 12) 
und zwar in Form zweier, kleiner Zellfelder, die bald zusammenfliessen. 
In Schnitt 3 und 4 erscheint dann auch die rechtsseitige in ähnlicher 
Weise. Von Schnitt 8 an stellt die Thyreoidea beiderseits einen kon- 
tinuierlichen Strang vor, zum Teil stark gewunden, namentlich am ven- 
tralen Ende, hie und da in zwei netzförmig sich verbindende Stränge 
geteilt, sodass die engen Maschen zwischen ihnen rundliche und 
ovale Lumina vortäuschen. In 18 u. ff. wird die Thyreoidea beider 
Seiten dieker und bildet zunächst einen dicken Strang mit 20 Kernen 
im Quermesser, in welchem nach unten kleine Lücken auftreten. Durch 
Vergrösserung und Zusammenfliessen dieser Lücken zerfällt es in ein 
Netz von Zellsträngen und in einen grössern noch ungegliederten Zell- 
haufen, der an der dorsomedianen Fläche liegt, während sich die 
Thyreoidealstränge an der lateralen Fläche von vorne nach hinten 
ziehen. Das Bild wechselt fast auf jedem Schnitt und in 26 besteht 
die mächtig gewordene T'hyreoidea wesentlich nur aus Kernsträngen. 
Ein hufeisenföormiges Lumen wie bei 16 mm findet sich hier nicht. 
Auf einige kleinere Lumina in der ungegliederten Zellmasse, deren 
Verhältnisse sehr wechseln, gehe ich nicht weiter ein. 

Die Kerne der grossen Zellmasse sind in der Mehrzahl rund, 
gross, blass, nur ganz vereinzelt finden sich dunkle, kleinere Kerne; 
in den Strängen sind 6-10 Kerne im Quermesser nebeneinander; sie 
sind dunkler gefärbt und etwas kleiner. 

Der Isthmus thyreoideae beginnt bei 32 und es findet sich die 
letzte Kerngruppe links in 43, rechts in 46. Es misst demnach der 
Isthmus 0,27 mm im Mittel, die ganze Thyreoidea links 0,69 mm, 
rechts 0,6 mm. 

Bei 28 ist in der Mittellinie, vor dem Larynx gelegen, ein Kern- 
haufen, der eine Glandula thyreoidea accessoria vorstellen dürfte. 

Der Thymusstrang tritt zuerst links auf, in Schnitt 15, wieder 
an der lateralen Fläche der Thyreoidea, wie im vorhergehenden Prä- 
parat. Mit Ausnahme des ersten tangentialen Schnittes ist das 
epitheliale Feld rund, schön abgegrenzt, von einem hellen Saum um- 
geben, 0,24 mm im Durchmesser und unterscheidet sich von der Thyreo- 
idea durch eine etwas hellere Färbung der runden Kerne, deren gegen- 
seitige Entfernung auch ein wenig grösser ist. Dunkle, längliche und 
gebogene Kerne sind ihnen beigemengt, aber nur in geringer Zahl, 
ungefähr in der gleichen Zahl wie in der Thyreoidea, nur an wenig 
Stellen etwas dichter gestellt. Die strangförmige Kernanordnung ist 
deutlich, die Zellgrenzen sind ab und zu deutlich sichtbar als feine 
Linien. Von 20 bis 45 ist der Strang erheblich schmäler, hat nur 
0,15 mm Breitendurchmesser. Das oberste Ende stellt also eine platte, 
rundliche, knopfförmige Anschwellung dar, deren Höhe, resp. Dicke 
0,075 mm beträgt bei einem Durchmesser von 0,24 mm. In 20 wird 
also das Feld kleiner und länglich; es gleicht hier, was die Beschaffen- 
heit der Kerne anbelangt, völlig den angrenzenden Strängen der Thyreo- 


Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 413 


seits diese dorsale dickere Stelle und es bildet weiter abwärts die 
restierende, ventrale Hälfte der Thyreoideen netzförmig verbundene Zell- 
stränge, die ziemlich rasch nach vorne rücken, um sich in Schnitt 32 
zum Isthmus zu vereinigen. Derselbe erstreckt sich von Schnitt 32 
bis 41 und ist in 42 als ein letztes kernreiches Zellfeld noch gerade 
erkennbar. Die Länge der rechten Thyreoidea beträgt 0,6 mm, die 
der linken 0,49 mm, der Isthmus ist 0,15 mm lang. 

In Schnitt 8 beginnt rechts, an der lateralen Fläche des Thyreoi- 
deallappens und zwar an dessen ventraler Hälfte vor einem grössern 
Blutgefässe (nach Lage und Verlauf als Carotis anzusprechen) das in 
der ganzen Länge der Thyreoidea, oben ungefähr in der Mitte der 
lateralen Fläche, unten etwas dorsalwärts davon verläuft, ein kern- 
reiches, zuerst diffus, im Schnitte 11 jedoch vollständig scharf abge- 
grenztes, rundes Feld von 0,15—0,2 mm Durchmesser. Wie sich aus 
dem folgenden ergiebt, ist dasselbe das obere Ende eines epithelialen 
Stranges, welcher auf der linken Seite direkt in die Thymus übergeht, 
rechts jedoch auf gleicher Höhe wie die Thyreoidea aufhört. Ich be- 
bezeichne diesen Strang im folgenden als Thymusstrang. Man sieht 
in dem Felde grosse, runde, helle Kerne, die um den halben, einfachen 
bis doppelten Durchmesser von einander entfernt stehen, und zwischen 
ihnen zahlreiche, zerstreut liegende, schmale, dunkle Kerne. Die Kerne 
gleichen denen der 'T'hyreoidea, nur sind die dunklen zahlreicher und 
die gegenseitige Entfernung der Kerne ist etwas bedeutender, daher 
erscheint das Feld auch etwas blasser. Die strangförmige Kernan- 
ordnung, wie wir sie für die Epithelkörperchen des Neonatus kennen 
gelernt haben und auch hier für die Epithelkörperchen dieses Embryo 
kennen lernen werden, ist in den Schnitten 10 bis 14 angedeutet. Im 
Schnitte 15 tritt ein Lumen auf, das sich bis 33 hält. In Schnitt 17 
und folgenden ist dieses Lumen hufeisenförmig, die Konkavität lateral- 
wärts gerichtet, also entgegengesetzt dem Lumen in der Thyreoidea. In 
Schnitt 22 wird es nierenförmig und dann rund und hält sich so bis 
33. Das Feld selbst wird in 36, 37 kleiner und ist in 38 geschwunden. 
Mit dem langsamen Nachvornerücken der beiderseitigen Thyreoidea- 
hälften kommt dasselbe, das oben, wie gesagt, in der Mitte der lateralen 
Fläche der Seitenlappen der Thyreoidea gelegen war, allmählıch an deren 
dorsalen Pol zu liegen, um einige Schnitte oberhalb der letzten Zell- 
gruppe des Isthmus zu verschwinden. Dieses Feld begleitet also die 
Thyreoidea durch 30 Schnitte durch. Es stellt demnach einen Strang 
dar, 0,45 mm lang und von einer ziemlich gleichmässigen Dicke von 
0,15—0,2 mm. Bemerkenswert wäre ferner noch, dass in Schnitt 18, 
gerade da, wo sowohl Thyreoidea wie besagtes Feld ihr deutliches, 
sichelförmiges Lumen besitzen, hinter dem epithelialen Felde, lateral- 
wärts von dem oben erwähnten, die Thyreoidea begleitenden Gefäss, 
noch ein kleines, rundes, epitheliales Drüsen bläschen mit Lumen 
und einem Epithelbelag mit zwei runden, hellen Kernen in der Dicke 
und einigen länglichen, dunkleren Kernen sich befindet. Bei Schnitt 


414 W. KÜRSTEINER, 


16 taucht es als Kerngruppe auf, hat in 17, 18 ein centrales Lumen 
und hängt bei 19, 20, also am kaudalen Pole mit dem Thymusstrange 
deutlich zusammen. 

Livks grenzt sich der Schnitt 16, also 0,09 mm unterhalb des 
kranialen Endes des Thyreoideallappens, ebenfalls eine in den zwei 
vorangehenden Schnitten unscharf begrenzte Kerngruppe in gleicher 
Weise als rundes, epitheliales Feld von den gleichen Dimensionen wie 
rechts ab. Wir haben in diesem Felde den Thymusstrang dieser Seite 
vor uns, dessen Lage zur Thyreoidea und dem sie seitlich begleitenden 
Gefäss, ebenso wie das histologische Aussehen, dasselbe ist wie rechts. 
Im Anfang ist er als eine rundliche Gruppe gelockert stehender Kerne 
ohne bestimmte Anordnung vorhanden, die dann aber schon nach zwei 
Schnitten deutlich strangförmige Anordnung aufweist. Auch hier ist 
in derselben Höhe und an der gleichen Stelle wie rechts ein Drüsen- 
bläschen, das im Schnitt 14 als kleine Kerngruppe auftaucht, um 
sofort im folgenden Schnitte ein Lumen anzunehmen. In Schnitt 16 
verdiekt sich die vordere Wand und setzt sich in 17, 18, 19 in Ver- 
bindung mit dem Thymusstrang. In 20 treten in diesem zwei rund- 
liche, kleine Lumina auf, die in 21 durch Verschmelzung ein H för- 
miges Lumen bilden. Dieses H ist zuerst dorsoventral gestellt, ver- 
schiebt sich aber etwas und durch Verschwinden seiner vorderen und 
nach der Mittellinie gewandten Schenkel wird dasselbe in 22 hufeisen- 
förmig, die Konkavität, wie im rechtsseitigen nach aussen gerichtet. 
Das Lumen erhält sich in den folgenden Schnitten. Bei 25 ist der 
epitheliale Strang schön rund, durch einen hellen Saum von der Nach- 
barschaft getrennt. In 27 nimmt das Lumen die Hälfte des Quer- 
durchmessers ein, in 30, 31 wird es klein, rund und erhält sich in 
dieser Form in der Nähe der hinteren Fläche bis 52. In der Isthmus- 
höhe (32—41) liegt dieser epitheliale Strang in gleicher Weise wie 
rechts am hinteren Pol der Thyreoidea. Nach Aufhören des Isthmus 
rückt das epitheliale Feld nach der Medianlinie hin, wird ums Doppelte 
grösser und zeigt in 45, 46 in seiner hinteren Hälfte nochmals ein 
kleines, rundes Lumen und bei 47 ein ebensolches im vorderen Teile. 
Erst bei 49 geht der Strang zu Ende, also 0,12 mm unterhalb der 
Thyreoidea. Er hat eine Länge von 0,48 mm bei einer Dicke von 
0,15 mm. 

Wir haben demnach an der seitlichen Fläche der beiden Thyreoi- 
dealappen jederseits einen epithelialen Strang, von oben nach unten 
verlaufend, 0,075 mm unterhalb des oberen Endes der Thyreoidea be- 
ginnend, anfänglich dieselbe strangförmige Kernanordnung zeigend wie 
die gleich zu beschreibenden Epithelkörperchen und bei beiden findet 
sich in der gleichen Höhe an der dorsalen Fläche ein kleines Drüsen- 
bläschen, das an seinem kaudalen Ende mit dem Strange in Ver- 
bindung steht. Beide rücken da, wo die dicke, dorsale Zellmasse der 
Thyreoidea aufhört, an deren Stelle und kommen so an die dorsale 
Fläche des Isthmus zu liegen. Während der rechtsseitige Thymus- 


Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 419 


sieht, die aber nicht überall scharf sind. Es nimmt sich aus, wie 
wenn kegelförmige Zellen das Lumen umgäben, der Kern an der 
Basis jedes Kegels gelegen. Auch zwischen den übrigen Kernen sind 
die Grenzlinien hier und da sichtbar; das Epithelkörperchen scheint 
also aus schönen polyedrischen Zellen zu bestehen, die im Innern durch- 
aus hell sind. . 

Ferner findet sich an der vorderen Fläche des linken Epithel- 
körperchens ein kleineres Drüsenbläschen von einer roten Linie wie 
von einer Membrana propria scharf abgegrenzt; nur in einem Schnitt 
(25) ist das Bläschen sichtbar. Seine Kerne stimmen mehr mit denen 
der Thyreoidea überein. 

Der Thymusstrang, der beiderseits aus grossen, hellen, polyedrischen 
Zellen besteht, zeigt sich rechts in den Schnitten 27—34, an der 
lateralen Fläche, in der Nähe des hinteren Pols der Thyreoidea, in 
eine Mulde eingelassen, als ein ovales Epithelfeld, ganz vom Aussehen 
eines Epithelkörperchens. Es misst das Feld im Querdurchmesser 
0,2 mm, im sagittalen 0,24 und es hält sich durch 7 Schnitte hindurch, 
was einer Länge von 0,11 mm gleichkommt. 

In 35, 36 ist das Bild nicht vollständig deutlich. Es ist möglich, 
sogar nicht unwahrscheinlich, dass für das eben beschriebene Feld, 
das also durchaus dem oberen Epithelkörperchen gleicht, nicht voll- 
ständig abschliesst, sondern in Form eines schmäleren Stranges nach 
unten verläuft. In 37 zeigt sich an derselben Stelle ein jetzt scharf 
abgegrenztes, rundes, epitheliales Feld von denselben Dimensionen. 
Es hält sich dieses in Isthmushöhe zunächst noch ziemlich weit hinten, 
seitlich von der Trachea und weiter abwärts rückt es nach vorne; 
in 49 liegt es im Niveau der vorderen Fläche der Trachea und vor 
ihm tritt in diesem Schnitte ein Drüsenkanal auf, von den gleichen 
Dimensionen. Dieser Kanal hält sich bis 55 als hohles Gebilde 
wandelt sich dann in ein kleineres solides Feld um und wird dem 
hinteren Feld dadurch ähnlich. Beide vereinigen sich nunmehr, treten 
vor die Trachea und nähern sich den gleichen Feldern der linken 
Seite. Alle diese Felder vereinigen sich untereinander zu einem 
orösseren Felde, um bei 74 die Thymus darzustellen, welche rechts 
in 91 schwindet. 

Wir haben also hier die eigentümliche Thatsache, dass vom oberen 
Ende der rechten Thymus aus 2 schmale Stränge sich nach oben er- 
strecken, von denen der eine an dem unteren Ende des Isthmus endet 
und zwar hat er in seinem obersten Teile ein Lumen; der andere 
Fortsatz reicht 10 Schnitte weiter nach oben, bis zum oberen Isthmus- 
rande, behält seinen soliden Charakter bei und hängt sehr wahrschein- 
lich durch einen schmalen, verbindenden Teil mit einem epithelialen 
Körperchen zusammen, das etwas über der Isthmushöhe gelegen ist 
und schon durch seine eigentümliche, abgeplattete Form sehr einem 
Epithelkörperchen gleicht. 


420 W. KÜRSTEINER, 


Links zeigt sich bei Schnitt 40, das heisst in der Mitte des 
Isthmus, ein dorsales epitheliales Feld, von der gleichen Grösse, wie 
die früheren, 0,2 mm im Durchmesser. Es behält zunächst seine 
Dimensionen bei, rückt in der Gegend des unteren Isthmusrandes 
plötzlich nach vorne, wird in 46, 47 sehr klein und in 47, 48 findet 
sich vor ihm ein Drüsenbläschen, welches mit ihm noch in Verbindung 
zu stehen scheint. 

Bei 56 schnürt sich nochmals ein solches ab. Wie wohl einzelne 
Schnitte nun gerade an dieser Stelle defekt sind, scheint es doch un- 
zweifelhaft, dass das epitheliale Feld sich unverändert nach unten fort- 
setzt, nach vorne tritt und in 58 zu 2 Feldern sich vergrössert, die 
wie die rechtsseitigen in kernreichem Bindegewebe zusammenliegen. 
Sie sind auf dieser Seite erheblich grösser, liegen sehr dicht; in 63 
fliessen sie zusammen, 7 Schnitte unter der oberen Fläche des Manu- 
brum sterni. Es beginnt hier also die eigentliche Thymus. 

Vom oberen Ende der linken Thymushälfte aus laufen also auch 
2 solide Stränge nach oben, sie fliessen in 58 zu einem schmalen 
Strange zusammen, der nach oben in Isthmushöhe mit einem, dem 
Epithelkörperchen ähnlichen platten Knopfe abschliesst. Je ein Drüsen- 
bläschen findet sich vor ihm in der Nähe des Manubriums und des 
unteren Isthmusrandes. 

Im Bereich des Thymus selbst findet sich in 79 noch ein 
Drüsenbläschen und zwar an der vorderen Peripherie des linken 
Lappens, nur in diesem einen Schnitte deutlich sichtbar. 

4. Embryo 28 mm lang, 20. XI. 1894. Die Schnittreihe ist 
kaudal-kranialwärts aufgelegt. 

Die Thyreoidea beginnt zuerst rechts, in Schnitt 1 (Pr. 27,6); 
der linke Lappen kommt erst im 19. Schnitte zum Vorschein. Der 
Isthmus reicht von Schnitt 67—74; er ist somit 0,12 mm lang; die 
Länge der Thyreoidea beträgt rechts 1,1 mm, links 0,8 mm. Der 
sagittale Durchmesser der beiden Lappen beträgt 0,75, der frontale 
0,5 mm. Auf halber Höhe des rechten Lappens geht ein Strang 
thyreoidealen Gewebes ab, der sich in der Mittellinie als Processus 
pyramidalis emporzieht, um nach 20 Schnitten (einer Länge von 
0,3 mm entsprechend) am unteren Rand des Zungenbeins zu enden, 
während vor demselben eine abgetrennte Glandula praehyoidea 
accessoria durch 2, 3 Schnitte hindurch sich vorfindet. 

Die Kerne des Thyreoidea sind in runden und länglichen Gruppen, 
d. h. in Nestern und Strängen angeordnet, 3—4 Kerne im Quermesser. 
Zwischen ihnen ist bindegewebiges Stroma mit Gefässen in fast gleich 
breiten Streifen. Die Kerne sind an den meisten Stellen um etwa 
den halben Durchmesser von einander entfernt, an wenigen Stellen 
weiter auseinander gelegen. Sie sind rund, mit 2, 3 grösseren und 
einer grösseren Anzahl kleinster Chromatinkörner versehen. 

Auffallend sind ein oder mehrere Stränge mit 2—3 Kernen in 
der Quere, die sich an der lateralen Fläche der Drüse von vorn 


Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 417 


idea, denen es sich auch sehr stark nähert, ist aber immer durch 
einen schmalen, faserigen Streifen von ihnen getrennt. Im vorderen 
Abschnitte stehen die Kerne dichter und sind dunkler gefärbt (18—20). 

In 28 tritt am vordern Rande des Thymusstranges, umschlossen 
von derselben bindegewebigen Kapsel, ein kleines Drüsenbläschen 
auf mit scharfbegrenztem Lumen und einem dicken Epitheisaum, in 
welchem die runden und ovalen, hellen Kerne in 2 Reihen gelegen 
sind. Es setzt sich in 27 an den vorderen Rand des Thymusstranges 
an, mit dessen Zellen zusammenfliessend. Im Thymusstrange ist in 
diesem Schnitte auch ein längliches Lumen angedeutet; dasselbe erhält 
sich weiter abwärts bis zur Thymus hin; in 33—38 ist es hufeisen- 
förmig, nach innen konkav, von 39—49 rund und dann länglich bis 
zur Thymus hin. 

Bei 45 erreicht der Thymusstrang wieder den früheren, grösseren 
Durchmesser, rückt nach vorne, wird noch breiter und kommt dem 
gleichen Strang der anderen Seite entgegen, um sich mit ihm in 60, 61 
zu vereinigen, also 0,3 mm unterhalb des Isthmus. 

Es hat also dieser linke Thymusstrang bis zur Vereinigung mit 
dem rechtsseitigen eine Länge von 0,75 mm bei einem Durchmesser 
von 0,24 mm; oben beginnt er in halber Höhe des linken Thyreoideal- 
lappens (bis 15). 

Der rechte Thymusstrang beginnt in 31, verhält sich ähnlich wie 
der linke; in 39 zeigt er ein Lumen und wird schmäler. Bei 40 ist 
der Strang solide, bei 44 ist wieder ein Lumen angedeutet, das bei 46 
deutlicher wird und bei 48 konkav nach aussen, bei 49 länglich und 
es bleibt dann so bis zur Thymus hin, offenbar wegen seiner schrägen 
Richtung, die er hier einschlägt. Die Anordnung der Kerne in einzelne 
Stränge ist im oberen Abschnitt bis Schnitt 39 deutlich ausgesprochen, 
sodass die Ähnlichkeit mit einem Epithelkörperchen sehr auffallend 
ist. An den beiden Längsseiten ist der Strang durch eine Spalte 
begrenzt. In der Höhe der unteren Isthmusfläche ist er eingeschnürt; 
seine Länge bis zur Vereinigung mit dem linksseitigen beträgt 0,45 mm. 

Unterhalb der Zusammenflussstelle bilden beide Stränge zusanımen 
ein grosses, epitheliales Feld von 0,6 mm Durchmesser; es ist dies 
die Thymus, die weiter abwärts in 2, dann in 4 Lappen zerfällt und 
in 73, 74 schwindet. 

Der Thymusstrang setzt sich also beiderseits ununterbrochen 
fort bis zur Thymus hin, ist im Anfang an der lateralen Fläche der 
Thyreoidea gelegen und kommt dann in Isthmushöhe an ihren hinteren 
Pol zu liegen. Ein Drüsenbläschen, wie bei Embryo 16 mm, 
im Zusammenhang mit dem Tymusstrange findet sich in diesem Prä- 
parate nur linkerseits. 

Ein dorsales Epithelkörperchen, kranialkaudalwärts ab- 
geplattet, findet sich auch hier jederseits und erstreckt sich als selb- 
ständiges Körperchen links von 27—32, rechts von 32-—37; sie messen 
also 0,09 mm in der Längsachse des Körpers bei einem Durchmesser 


418 W. KÜRSTEINER, 


von 0,2 mm. Es zeigt das Epithelkörperchen ebenfalls die eigentüm- 
liche Anordnung der Kerne und Stränge. Zwischen den Kernsträngen 
lassen sich noch einzelne dunkle, spindelförmige Kerne erkennen, die 
Gefässe oder schmalen Bindegewebsstreifen angehören. 

Das Verhalten zur Thyreoidea ist nicht deutlich, wenigstens nicht 
am oberen Ende; nach unten hin ist das Epithelkörperchen durch einen 
schmalen Streifen Bindegewebe von ihr getrennt. Das obere Ende des 
Epithelkörperchens aber tritt an einer Stelle auf, wo im vorhergehenden 
Schnitte noch der grosse, ungegliederte, dorsale Kernhaufen der Thyreo- 
idea sich fand. Es wäre also möglich, dass es eine direkte Fort- 
setzung desselben darstellte; doch bestimmt kann ich mich darüber 
nicht aussprechen. 


3. Embryo 22 mm lang, 3. 1.1895. Die Schnitte sind kaudal- 
kranialwärts aufgelegt. 

Die Thyreoidea beginnt zuerst rechts (Schnitt 1 —= 64, 13) 
und erst nach 14 Schnitten erscheint sie auch links. Im Vergleich 
zu den beiden jüngeren Embryonen ist die Schilddrüse hier ziemlich 
breit, der transversale Durchmesser beträgt die Hälfte des sagittalen, 
der ?/, mm ausmacht. Sie besteht beiderseits aus Zellsträngen, die nur 
eine Kernform enthalten; die Kerne sind rund, bläschenförmig, recht 
dicht gelegen, 2, 3 im Querdurchmesser der Zellstränge, die den Seiten- 
flächen des Larynx parallel verlaufen; nach unten hin werden sie netz- 
förmig und es findet sich dann an der medianen Fläche in der hinteren 
und mittleren Partie ein noch nicht differenziertes Feld mit eingestreuten 
kleinen, länglichen, dunkeln Kernen, das jedoch nur auf 3, 4 Schnitten 
sichtbar ist. Die Zellstränge sind durch bindegewebige Streifen von 
einander getrennt, welche die gleiche Breite haben und selbst breiter 
sein können als die Zellstränge. Der Isthmus beginnt bei 38, endigt 
bei 48. Die Thyreoidea hat also eine Länge von rechts 0,72 mm, 
links 0,51 mm und der Isthmus misst 0,15 mm. 

In 31, 32, 33 zeigt sich in der Mittellinie, vor dem Larynx, eine 
kleine Kerngruppe, welche wahrscheinlich einer accessorischen 
Thyreoidea angehört. Bei Schnitt 22 zeigt sich beiderseits ein 
dorsales Epithelkörperchen, wohl abgegrenzt durch Binde- 
gewebe. Es reicht das linke bis 27, das rechte bis 25; die Länge be- 
trägt demnach links 0,09 mm, rechts 0,06 mm, bei einem beidseitigen 
Querdurchmesser von 0,2 mm. Sie sind also in der Längsachse des 
Körpers stark abgeplattet. Die Kerne sind hier und da netzförmig 
angeordnet; neben den bläschenförmigen grösseren, welche freilich kleiner . 
sind als die der Thyreoidea, finden sich vereinzelte, kleine, runde, 
dunklere Kerne und, wie es scheint, Übergänge von den kleinen nach 
den grossen. 

In den linksseitigen Epithelkörperchen ist in den letzten Schnitten 
(24—26) ein rundliches, scharf abgegrenztes Drüsenlumen sichtbar, an 
dem man bei starker Vergrösserung hier und da Grenzlinien von Zellen 


Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 421 


nach hinten hinziehen, vorn und hinten mit den anderen Kernhaufen 
in Verbindung stehend, im mittleren Teile aber durch einen breiten 
bindegewebigen Streifen deutlich getrennt sind von einer mediangelegenen, 
weniger gegliederten, helleren Kernmasse. Rechts findet sich dieses 
Verhalten von Schnitt 13—33, also in einer Länge von 0,3 mm, 
links von Schnitt 28—39, also in 0,15 mm Länge. 

Ein Lumen fehlt in dieser Kernmasse beiderseits und eine engere 
Beziehung derselben zum dorsalen Epithelkörperehen lässt sich in 
diesem Präparate nicht konstatieren. 

Die Kerne dieser ungegliederten Masse sind heller und ihnen 
beigemischt sind kleinere, dunkle Kerne. In nur wenig Schnitten ist 
die Trennung dieser Kernmasse von den Kernsträngen eine deutliche. 

Weiter abwärts nehmen die der Aussenfläche des Larynx parallel 
laufenden Stränge zu, zeigen hier und da netzförmige, weitmaschige 
Verbindungen. Die runden Kernhaufen werden seltener. 

Ein dorsales, scharfabgegrenztes, ovaläres, kranial- 
kaudalwärts abgeplattetes Epithelkörperchen findet sich 
auf jeder Seite, das rechte 0,4, das linke 0,2 mm über dem Isthmus 
thyreoideae, rechts in Schnitt 32— 42, links in Schnitt 43—52. Ihre 
Länge misst 0,15 mm bei einem sagittalen und frontalen Durchmesser 
von 0,24 mm. Sie heben sich schon bei schwacher Vergrösserung von 
den Zellhaufen der Thyreoidea ab, indem sie wesentlich heller erscheinen. 
Die Kerne liegen nämlich um den 1—2fachen, eigenen Durchmesser 
von einander entfernt, sind sonst aber nur wenig kleiner, wie die der 
Thyreoidea und haben neben einem Kernkörperchen feine Chromatin- 
körnehen in ziemlicher Zahl. Am kaudalen wie kranialen Pole liegen 
die Kerne dicht und in gleichmässigen Distanzen, nur im mittleren 
Teile des Körperchens sind sie in netzförmig zusammenhängenden Reihen 
angeordnet, die Reihen zu 3—4 Kernen im Quermesser und in den 
hellen, rundlichen und länglichen Maschen ist ganz vereinzelt ein ovaler 
oder spindelförmiger Kern sichtbar, der einem Bindegewebsbalken an- 
gehören könnte. 

Ein Lumen weist weder das rechte noch das linke Epithelkörper- 
chen auf. 

Die Thymusstränge finden sich in diesem Präparate nicht 
mehr seitlich von den Thyreoideallappen und vor dem sie begleitenden 
Gefäss (Carotis), sondern rein dorsal, an derselben Stelle wie weiter 
oben die Epithelkörperchen. 

Rechts beginnt der Thymusstrang in 56 0,17 mm über dem 
Isthmus; der linke nimmt seinen Anfang am oberen Isthmusrande. 
Beide laufen ununterbrochen nach unten, rücken nach vorne und 
medianwärts und gehen in die hinteren Partien der Thymus über, deren 
Umfang gerade hier schön rund geformt und durch eine schmale Spalte 
schärfer begrenzt ist. Die Dimensionen dieser Stränge gehen unterhalb 
des Isthmus nicht so bedeutend herab, wie im vorigen Falle. Der 


Anatomische Hefte. I. Abteilung, XXXVI. Heft (11. Bd, H. 3). 28 


499 W. KÜRSTEINER, 


rechte, längere Thymusstrang, von einer dünnen, konzentrisch fasrigen 
Schicht mit ovalen Kernen umgeben, hat in seinem oberen Verlaufe 
einen Durchmesser von 0,2 mm, wird nach 10 Schnitten schmäler, 
löst sich von dem umgebenden Stroma ab, zuerst an seiner vorderen 
Fläche, sodass er im ganzen unteren Verlaufe vorne von einer breiten 
Spalte umgeben ist. Mit dem Auftreten des Isthmus rückt er nach 
vorne, die Gliederung seiner Zellmasse in Stränge ist weniger deutlich 
als im vorigen Falle, unterhalb des Isthmus fehlt sie vollständig. An 
zwei Stellen, oben bei Schnitt 69 in der Höhe des oberen Isthmus- 
randes und unten bei Schnitt 96, nahe der Thymus findet sich in 
diesem Thymusstrange ein centrales, kleines Lumen von rundlicher 
Form im übrigen Verlaufe ist er solide; der linke Thymusstrang weist 
nirgends ein Lumen auf. 


In der Höhe des unteren Endes der Thyreoidea findet sich vor 
dem rechten Thymusstrang und mit ihm, kaudal- wie kranialwärts in 
Verbindung stehend, ein Drüsenbläschen (Schnitt 77—83) mit 
einem Wandbelag von 2 Kernlagen übereinander. 


In der gleichen Höhe mit dem Drüsenbläschen vor dem rechten 
Thymusstrange findet sich .am linken Strange, der eine deutliche 
Gliederung der Kerne in netzförmig verbundene Reihen zeigt, ein ähn- 
liches Bild. Es tritt hier hinter dem Strange in Schnitt 78 ein solider, 
dunklerer von dicht gestellten Kernen gebildeter Kernhbaufen auf, von 
der gleichen Grösse und der gleichen bindegewebigen Kapsel umschlossen. 
In den folgenden Schnitten ist er losgetrennt, schön rund, von einer 
hellen Spalte umgeben, bei 79, 80 mit einem deutlichen Lumen, und 
bei Schnitt 83, also nach 5 Schnitten verschwindet dieser Kernhaufe 
wieder. Es handelt sich also hier um ein Drüsenbläschen, das 
kranialwärts mit dem Thymusstrang zusammenhängt. Der Letztere 
wird hier schmal, 0,1 mm im Durchmesser, ist also erheblich dünner 
wie der rechte. 


In Schnitt 93 liegt vor dem linken Thymusstrange, im Stroma 
wieder ein kleines Drüsenbläschen mit Lumen, an dessen Stelle 
in den folgenden 3 Schnitten noch eine grössere, etwas buchtige, ovale 
Drüsenblase von 0,1—0,16 mm sich findet; sie nähert sich mit der 
hinteren Fläche dem Thymusstrange, steht aber nicht in deutlichem 
Zusammenhange mit ihm. Die Kerne ihres Belages sind an der vorderen 
Wand schön länglich, in 1—2 Lagen und senkrecht gestellt. 

0,45 mm unterhalb der Thyreoidea werden beide Thymusstränge 
mächtiger und verbinden sich mit weiteren, in der Medianlinie auf- 
tauchenden, epithelialen Feldern zur eigentlichen Thy mus. 


Die Zusammensetzung der Thymusdrüse ist im wesentlichen noch 
die frühere. Die Kerne gleichen denen der Epithelkörperchen, aber 
zwischen ihnen findet sich eine mässige Zahl kleiner, runder Kerne 
und auch einzelne ganz kleine, zackige. An der vorderen Begrenzung 
der Thymus finden sich in 119, 121 2 kleine Drüsenbläschen. 


Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 423 


5. Embryo 35 mm lang, 28. XI. 1894. Die Schnitte sind 
kranial-kaudalwärts aufgelegt. 

In der Höhe der oberen Hälfte des Isthmus sind die Schnitte 
unvollständig und so kann ich über den Zusammenhang eines oberen, 
auf der linken Seite befindlichen epithelialen Feldes mit dem Thymus- 
strange, der unterhalb der defekten Stelle sofort sehr deutlich ist, nichts 
Bestimmtes sagen. Ich schildere daher oberhalb der defekten Stelle 
nur Thyreoidea und Epithelkörperchen und lasse das kraniale Ende 
des linken Thymusstranges unbestimmt. 

Die Thyreoidea beginnt zunächst links in Präparat 3, 10 = 
Schnitt 1 und 4 Schnitte später auch rechts. Der Isthmus erstreckt 
sich von Schnitt 48—75, ist demnach 0,4 mm lang. Die Thyreoidea 
als Ganzes hat eine Länge von 1,15 mm. Die beiden Thyreoideal- 
lappen bestehen im oberen Teile aus vorzugsweise sagittal gestellten, 
gewundenen Zellsträngen, jederseits gegen acht, hier und da zusammen- 
hängend, doch nicht eigentlich netzförmig verbunden, durch breite 
Stromabalken von einander getrennt. Es ist nur eine Kernform vor- 
handen und zwar sind die Kerne mässig gross, bläschenförmig. Im 
Quermesser der Stränge liegen etwa 2—4 Kerne nebeneinander. 0,15 
mm über dem Isthmus sind die Thyreoideallappen sehr mächtig, drei- 
viertel mm breit, 1 mm dorsoventralen Durchmesser aufweisend und 
bestehen hier aus zwei Partien; peripher sind Zellstränge, vermischt 
mit Zellhaufen, die durch gleich breite und breitere bindegewebige 
Stränge von einander getrennt sind, von wellenförmigem Verlauf mit 
kurzen seitlichen Ästen, hier und da auch netzförmig verbunden ; 
der centrale Teil, etwas nach vorn gelegen und an der medianen 
Fläche die Thyreoidea-Oberfläche erreichend, besteht aus Kernen, die 
lockerer liegen, z. T. nur ganz undeutlich in Gruppen oder radiär ver- 
laufenden Zellsträngen angeordnet. Diese wenig oder gar nicht ge- 
gliederte Kernmasse zeigt an manchen Stellen eine deutliche binde- 
gewebige Abgrenzung gegen die übrigen thyreoidealen Stränge. Die 
Beimischung von kleinen, dunklen Kernen ist auch hier, wie in den 
früheren Präparaten charakteristisch. Es findet sich dieser ungegliederte 
Zellhaufen nur in wenigen Schnitten in derselben Höhe, wie die 
Epithelkörperchen, ohne aber mit diesen einen Zusammenhang auf- 
zuweisen. Rechts ist in Schnitt 39 ein centrales, rundliches Lumen 
angedeutet. 

Ein dorsales Epithelkörperchen findet sich auch hier auf 
jeder Seite und zwar so ziemlich auf der gleichen Höhe und etwa 
um den eigenen Durchmesser von der Thyreoidea entfernt. Das linke 
erstreckt sich von Schnitt 25—-35, misst 0,16 mm in der Länge, das 
rechte geht von Schnitt 24—32, misst 0,12 mm bei einem queren 
Durchmesser beiderseits von 0,3 mm, also sind sie abgeplattet im 
kranio-kaudalen Durchmesser. 

Das Epithelkörperchen ist rechts wie links schön rund und zeigt 
nur eine Form von Kernen, die nur wenig grösser sind, wie diejenigen 


28* 


424 W. KÜRSTEINER, 


der Thyreoidea, jedoch etwas blasser und lockerer gestellt, ab und zu 
in kurzen Strängen angeordnet, doch ist eine deutliche Gliederung nicht 
vorhanden. Ein Lumen fehlt. 


In gleicher Höhe mit dem linken Epithelkörperchen und sogar 
etwas weiter nach oben ragend (bis Schnitt 21), findet sich lateral- 
wärts davon ein zweites, epitheliales, rundes Feld, in den ersten zwei 
Schnitten mit einem Lumen versehen, weiter abwärts solide und bis 
zur defekten Stelle reichend, wahrscheinlich das obere Ende des 
Thymusstranges dieser Seite, der unterhalb der defekten Schnitte 
in halber Höhe des Isthmus an der gleichen Stelle auftritt und sich 
von hier bis zum kaudalen Ende mit Sicherheit verfolgen lässt. Er 
ist von hier (Schnitt 56) an solide. 


In Schnitt 64 findet sich an seiner lateralen Seite ein Drüsen- 
kanal von längerem und komplizierterem Verlaufe, als 
wir ihn bisher bei diesen jungen Embryonen kennen gelernt haben. 
Er biegt nach seinem Abgang sehr rasch nach hinten, dann nach oben 
um, begiebt sich darauf mit einer lateralwärts gelegenen Schleife 
wieder nach vorne und geht lateralwärts vom aufsteigenden Schenkel 
nach abwärts, um etwas oberhalb der Abgangsstelle blind zu werden. 
Auch an der medianen Fläche des Thymusstranges findet sich im 
67. Schnitte ein kleines Drüsenbläschen. Von 68 an abwärts ist 
nur noch der Thymusstrang allein vorhanden, umgeben von 2 lateralen 
Spalten, welche bald zusammenfliessen. Bei 83 ist im Strang ein 
Lumen angedeutet. Bei 90 wird der Thymusstrang mächtiger und rückt 
nach vorne und nach der Mittellinie hin. 


Bei 91 ist vor dem linken Thymusstrange, in einiger Entfernung 
von demselben, ein weites Drüsenlumen sichtbar, das im folgenden 
Schnitte nach hinten 2, nach vorne eine kleinere Ausbuchtung dar- 
bietet. Die hinteren Buchten setzen sich im nächsten Schnitte in einen 
längeren, gewundenen Drüsenschlauch fort, hinter welchem in 95 
wiederum 3 kleine Kerngruppen auftauchen, 2 davon mit undeutlichem 
Lumen. In 96 findet sich an ihrer Stelle nur ein solides, längliches 
Feld und hinter ihm eine verschwommen begrenzte Kerngruppe, die 
in 97 grösser wird und im nächsten Schnitte mit dem unmittelbar da- 
hinter gelegenen Thymusstrange zusammenfliesst. Das bis 92 erwähnte 
buchtige Drüsenlumen vor ihm steht demnach kaudalwärts höchst wahr- 
scheinlich in direkter Verbindung mit dem 'Tkymusstrange durch Ver- 
mittlung solider Kernhaufen und Kernstränge. 


Von 104 an abwärts bildet sich durch Neuauftreten von Kern- 
nestern und gegenseitige Annäherung der breiter werdenden Thymus- 
stränge allmählich die 2 lappige Thymus aus, von deren hinterer Fläche 
die Thymusstränge nach oben steigen. 

Die rechtsseitige reicht nur bis zum unteren Isthmusrande empor 
bis Schnitt 78, ist ebenfalls von einer Spalte rings umgeben. Die 
Länge ist 0,35 mm, die des linken Stranges dagegen 1,1 mm, also 


Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 425 


über 1 mm, falls das epitheliale Feld über der defekten Stelle mit dem 
Thymusstrang zusammenhängt. 

Es füllt die Thymusanlage die Lücke des Stromas nicht voll- 
ständig aus, binten namentlich bleibt eine breite Spalte frei. An den 
Seiten sind die Konturen buchtig und vom umliegenden Stroma 
durch eine schmale Spalte getrennt. Die Thymus reicht bis Schnitt 133. 


Zusammenfassung der Ergebnisse der Embryonen 
von 16—35 mm. 


Thyreoidea. 


Eine Andeutung des canalis thyreoglossus wurde nie ge- 
sehen; einen processus pyramidalis, der bis zur unteren Fläche 
des Zungenbeins reicht, fand ich nur bei dem Embryo von 
28 mm, eine glandula accessoria praehyoidea war in 3 Fällen 
(18, 22 und 28 mm) vorhanden. 

Die Thyreoidea hat bei 16 und 18 mm Länge wesentlich 
die gleiche Zusammensetzung. Man kann an ihr drei Drittel 
unterscheiden, von denen das oberste etwas kürzer ist als die 
beiden unteren. In dem oberen Drittel bildet sie an der seit- 
lichen Fläche des Larynx eine demselben anliegende Zellplatte 
mit 3 und 4 Zellen in der Dicke. Hie und da ist eine kleine 
hellere Stelle zwischen den Zellen, wie eine Andeutung von einem 
Lumen. Im mittleren Drittel schwillt sie in ihrem dorsalen 
Teile zum doppelten bis dreifachen Durchmesser an und in diesem 
Teile findet sich nach hinten zu ein hufeisenförmiges Lumen, 
dessen Konkavität nach der Medianlinie sieht, nach vorn zu 
mehrere kleinere Lumina, durch deren Vergrösserung und Zu- 
sammenfliessen nach abwärts die Zellmasse in netzförmige Zell- 
stränge zerfällt und solche netzförmig verbundene Zellstränge 
setzen das kaudale Drittel der Thyreoidea ausschliesslich zu- 


sammen. 


426 W. KÜRSTEINER, 


Bei den Embryonen von 22, 28 und 35 mm Länge hat sich 
auch das obere Drittel in mächtiger Weise entwickelt und es 
bildet hier der Querschnitt der Thyreoidea in allen Höhen em 
Oval, dessen sagittaler Durchmesser etwa dreiviertel mm beträgt, 
dessen frontaler halb so gross ist. Sie besteht wesentlich aus 
sagittal verlaufenden, netzförmig verbundenen Zellsträngen, die 
durch gleich breite oder breitere Zwischenräume von einander 
getrennt sind, welche von Bindegewebe, beim Embryo von 23mm 


wesentlich von sehr weiten Gefässen ausgefüllt sind. 


Doch findet sich immer noch an der medialen Fläche, etwas 
dorsal gerückt, eine grössere ungegliederte Zellmasse, die noch 
nicht in Zellstränge zerfallen ist. Auch bei 35 mm Länge findet 
sich noch ein solcher Zellhaufen ziemlich in der Nähe der oberen 
Fläche des Isthmus. 


Eigentümlich ist ein Unterschied in der Zusammensetzung 
dieser ungegliederten Zellmasse und der Zellstränge. Letztere 
haben nämlich nur runde oder ovale, bläschenförmige, helle 
Kerne, während in der ungegliederten Zellmasse noch kleine, 
dunkle Kerne sind. Vielleicht gehören diese eindringenden Ge- 
fässen oder Bindegewebssepten an. 


Epithelkörperchen. 


Die Epithelkörperchen finden sich konstant an der dorsalen 
Fläche, paarig, nur je eines auf jeder Seite. Fast immer ist an 
ihrer medialen Fläche ein Gefäss deutlich, welches nach der 
Thyreoidea hinzieht. Ihre Lage ist so ziemlich bei allen die 
gleiche. Sie liegen in der halben Höhe der Seitenlappen und 
zeigen alle deutlich die eigentümlich abgeplattete Form, wie 
bei den Neonati. Auf dem Querschnitt sind sie rund, bei 28 
und 35 mm Länge oval; ihre Durchmesser betragen 0,15 (16 mm) 
bis 0,3 mm. Die Dicke dagegen beträgt durchschnittlich 0,1 
pis 0,15 mm. 


Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 427 


Von den Thyreoideen unterscheiden sie sich sofort durch 
ihre hellere Färbung, die wesentlich darauf beruht, dass die 
Kerne in grösserer gegenseitiger Entfernung liegen. In ihren 
mittleren Partien sieht man hie und da mehr oder weniger 
deutlich die Kerne in anastomosierenden Strängen angeordnet, 
2 bis 3 Kerne im Querschnitt und in einzelnen Fällen schon 
deutlich Grenzlinien, welche helle, polyedrische Felder gegen- 
einander abgrenzen. Es ist also hier schon die Zusammensetzung 
der Epithelkörperchen des Neonatus deutlich ausgesprochen, so 
dass an der Auffassung dieser Gebilde kein Zweifel sein kann. 
Nur bei 22 mm Länge findet sich im linken Epithelkörperchen 
ein Lumen, dessen begrenzende Zellen kegelförmig sind, mit 
basal gelegenem Kern und ferner auch zugleich am vorderen. 
Umfang ein kleines Drüsenbläschen, von einer roten Linie, wie 
von einer Membrana propria umgeben. 

Was die Genese dieser dorsalen Epithelkörper- 
chen anlangt, so handelt es sich hier um ihre Beziehung zum 
Thymusstrang und zu der Thyreoidea. 

Um das erstere vorweg zu nehmen, so habe ich anzuführen, 
dass verschiedentlich der gleich genauer zu besprechende Thymus- 
strang auf demselben Querschnitt mit dem Epithelkörperchen 
sich findet und sogar z. B. bei 16 mm Länge beidseitig, bei 
18mm links, bei 35 mm links, über dasselbe nach oben hinauf- 
reicht. Ferner liegt der Thymusstrang in dieser Höhe in der 
Regel in der Mitte der seitlichen Fläche, also weit entfernt vom 
Epithelkörperchen. Bei dem kleinsten Embryo (16 mm) schiebt 
sich zwischen beide Gebilde die Carotis ein. Dadurch wird, wie 
mir scheint, eine Entstehung aus dem Thymusstrang ausge- 
schlossen oder wenigstens sehr unwahrscheinlich. 

Dagegen scheint eine engere Beziehung zu der T'hyreoidea 
zu existieren. Ich habe dies bei 16 mm Länge geschildert und 
besonders hebe ich noch hervor, dass hier links ganz deutlich 
ein 3, 4 Kerne im Quermesser haltender Strang beide Gebilde 


428 W. KÜRSTEINER, 


an ihrer medialen Fläche verbindet. Auf der andern Seite ist 
das Bild nicht so deutlich. Ich habe ferner beim Embryo von 
15 mm Länge den Eindruck bekommen, dass das Epithelkörper- 
chen die Fortsetzung der ungegliederten Zellmasse der Thyreoidea 
ist; es tritt wenigstens, nachdem die letztere verschwunden ist, 
im folgenden Schnitte ganz genau an der gleichen Stelle auf, 
indessen etwas sicheres lässt sich nicht sagen. 


Einen Zusammenhang von Epithelkörperchen und Thyreo- 
idea habe ich bei den später zu besprechenden älteren Embryonen 
noch 2 mal gesehen. (Embryo von 9 cm beiderseits). 


Thymusstrang. 


Während die dorsalen Epithelkörperchen eine grosse Über- 
einstimmung zeigen, kommen beim Thymusstrang auffallende 
Variationen vor, die sich nicht nur daraus erklären lassen, dass 
verschiedene Stadien vorliegen. 

Was das obere Ende des Thymusstranges anlangt, so ragt 
dasselbe in keinem Präparate über das obere Ende der Thyreo- 
idea hinaus. Das obere Ende liegt bei 16 mm etwas unterhalb 
des oberen Endes der Thyreoidea, bei 13 mm links in der Mitte 
der Seitenlappen, rechts in Isthmushöhe, bei 22 und 28 mm 
beiderseits in der Höhe des unteren Isthmusrandes. Bei 35 mm 
Länge sehen wir ihn links wieder hoch an die Thyreoidea hinauf- 
reichen bis in die Mitte der Seitenlappen und über das dorsale 
Epithelkörperchen hinaufgehen, während rechts sein oberes Ende 
unterhalb des Isthmus liegt. 

Sein Verlauf gestaltet sich einfach und regelmässig. Bei 
16 mm liegt er oben in der Mitte der lateralen Fläche der 
Thyreoidea, sogar nach dem ventralen Pole hin verschoben und 
rückt weiter abwärts mehr nach dem dorsalen Pole. Sowie der 
Isthmus beginnt und damit die hintere Begrenzung der seitlichen 
Lappen nach vorne sich verschiebt, kommt der Thymusstrang 


Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 429 


in der Regel an den dorsalen Pol der Thyreoidea zu liegen an 
die Stelle, wo weiter oben das Epithelkörperchen sich findet. 
Weiter abwärts rückt er dann allmählich nach vorne und ver- 
einigt sich vor der Trachea mit dem anderseitigen Thymus- 
strange. Bei den grösseren Embryonen ist auch die obere Parthie 
des Thymusstranges mehr nach dem dorsalen Pol der Thyreo- 
idea hingerückt. So sehen wir z. B. bei35 mm Länge links die 
Querschnitte von Epithelkörperchen und Thymusstrang fast 
nebeneinander gelagert, das Epithelkörperchen näher der Median- 
linie, in einer leichten muldenförmigen Vertiefung der Thyreo- 
idea eingebettet, den Thymusstrang seitlich vom Epithel- 
körperchen. 

Von diesem gewöhnlichen Verhalten weicht der Embryo 
von 22 mm ab. Hier teilt sich der linke Thymusstrang unter- 
halb der Thyreoidea in 2 schmälere Stränge, welche bis zum 
oberen Ende der Thymus getrennt bleiben und erst da zu- 
sammenfliessen. Rechts finden sich ebenfalls 2 Stränge, aber 
nur der eine reicht vom obern Ende der Thymus bis zur Seiten- 
fläche der Thyreoidea hinauf, der andere dagegen nur bis an 
die untere Thyreoideagrenze. Während der erstere solide ist, 
enthält der letztere in seinem oberen Teile ein Lumen; er ist 
hier also kanalförmig. Auf dem Querschnitt ist er in der Regel 
rundlich, nur unterhalb der Thyreoidea, wo er allmählich nach 
vorn und nach der Medianlinie rückt, von entsprechend läng- 
licher Gestalt, was offenbar nur darauf zurückzuführen ist, dass 
er in schräger Richtung getroffen wurde, 

Was die Zusammensetzung anlangt, so gleicht der Thymus- 
strang bei diesen kleinen Embryonen, da wo er solide ist, in 
sehr vielen Punkten den Epithelkörperchen. Die Kerne sind 
hie und da etwas kleiner und es kommen sogar kleine, dunkle 
Kerne vor, ähnlich denen der ungegliederten Thyreoidealmasse, 
aber doch immer noch etwas grösser als diese. Die Kerne liegen 
wie im Epithelkörperchen in grösseren Distanzen als in der 


450 W. KÜRSTEINER, 


Thyreoidea. Der Querschnitt des Thymusstranges unterscheidet 
sich also schon bei schwacher Vergrösserung von der Thyreoidea 
durch seine hellere Färbung. Besonderheiten treten nunmehr 
in Form und Zusammensetzung des oberen Endes des Thymus- 
stranges auf. Hier findet sich bei manchen Embryonen schon 
eine knopfförmige, abgeplattete Anschwellung, welche durchaus 
dem Epithelkörperchen gleicht; dieselbe ist schon ausgesprochen 
bei 13 mm, bei 23 mm ist sie angedeutet. Bei 22 mm ist 
der Zusammenhang mit dem Thymusstrang nicht ganz deut- 
lich. Nach allem aber, was sich auch aus diesen Embryonen 
wie auch aus den Befunden bei den grössern Föten ergiebt, 
bin ich nicht im Zweifel, dass hier das obere Ende des Thymus- 
stranges vorliegt, im Begriffe von letzterem sich vollständig ab- 
zulösen. Dieses obere Ende wandelt sich in ein Epithelkörperchen 
um und hat bei allen diesen kleinen Embryonen wenigstens in 
den mittleren Partien dieselbe Anordnung der Zellen in schmale, 
netzförmig verbundene Stränge; die Zellen sind schön polyedrisch, 
im Innern hell, so wie beim Neonatus. Ich verweise hinsicht- 
lich der weiteren Begründung auf die grösseren Föten und will 
hier nur bemerken, dass die so entstehenden Epithelkörperchen 
dem unteren Epithelkörperchen des Neonatus entsprechen. 
Eigentümlich sind die Lumina, welche bei den Embryonen 
von 16 und 13 mm schön ausgebildet, bei den grösseren Embryonen 
dagegen nur noch rudimentär vorhanden sind. Sie scheinen 
also schon in diesen frühen Stadien in Rückbildung begriffen 
zu sein und dürften für die späteren normalen Verhältnisse keine 
Bedeutung haben. Man wird sagen dürfen, dass ihr Verschwinden 
mit der Rückbildung des Isthmusstranges zusammenhängt. Ganz 
besonders auffällig sind die hufeisenförmigen Lumina bei den 
Embryonen von 16 und 13mm, wo sie in der Höhe der 'Thyre- 
oidea liegen, bei 16 mm in gleicher Höhe mit dem ähnlich ge- 
stalteten Lumen in der ungegliederten Zellmasse der Thyreoidea, 
mit der Konkavität lateral gerichtet, während das Lumen der 


Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 431 


Thyreoidea nach der Mitte hin konkav ist. Bei 18 mm sieht die 
Konkavität des Thymusstranglumens nach der Mittellinie hin. Es 
besinnt in der Regel oben als rundliches Lumen, setzt sich 
nach unten hin fort, stellt also einen nach unten laufenden 
Kanal dar mit rundem Querschnitt, der bei 18 mm beiderseits 
bis zur Thymus reicht. Ausserdem finden sich noch kleine, 
runde Lumina, die sich nur durch einen oder wenige Schnitte 
hindurch verfolgen lassen; zum Teil liegen sie in der knopf- 
förmigen Anschwellung (bei 16, 28 und 35) oder nahe der Thymus. 

Von grosser Bedeutung für die späteren Stadien sind die 
Drüsenbläschen, die von dem Thymusstrange besonders auf 
dessen medianer Fläche, seltener vorn oder hinten abgehen; bei 
16 mm links und rechts, bei 28 und 35 mm links. Sie finden sich 
in der Höhe des unteren Isthmusrandes oder weiter abwärts 
oberhalb der Thymus und selbst dieht am oberen Thymusende 
(bei 35 und 28 mm) selten am oberen Teile des Thymusstranges 
neben der Thyreoidea (bei 16 mm rechts). Sie liegen meist dicht 
am Thymusstrange und sind nur durch ein kurzes solides Band 
mit ihm in Verbindung. Seltener liegen sie um ihren eigenen 
Durchmesser vom Thymusstrang entfernt, so dass der ver- 
bindende Zellstrang länger ist. Die Verbindungen finden sich 
niemals in der Mitte des Bläschens, da wo das Lumen desselben 
sich findet, sondern an seinem kaudalen und kranialen Ende; 
bei 28mm rechts ist das Drüsenbläschen an beiden Enden durch 
ein Zellband in Verbindung mit dem Thymusstrang. 

Das Lumen, das sich meist im Centrum des Bläschens findet, 
ist häufig kugelig und kann einen Durchmesser von 0,04 und 
etwas mehr erreichen. 

So bei den kleinen Embryonen, bei den grösseren dagegen 
stellen sie mehr Schläuche dar, zum Teil recht stark gewunden, 
wie besonders bei35 mm. Sie sind hier also offenbar in weiterer 
Entwiekelung begriffen. Als ein solches weiteres Stadium der 
Entwickelung kann man auch das isolierte Drüsenbläschen vom 


432 


W. KÜRSTEINER, 


Embryo von 35 mm links ansehen, welches dicht an der medianen 
Seite des Thymusstranges gelegen ist, aber den Zusammenhang 
mit ihm verloren hat. Auch im oberen Teil der Thymus selbst 


finden sich bei 22 und 28 mm noch solche Drüsenbläschen. 


Die Thymus. 


Beim Embryo von 16 mm ist von einer eigentlichen Thymus 
noch nicht die Rede. Die beiden Thymusstränge vereinigen 
sich nach unten nicht und nur links reicht derselbe bis vor den 
arcus Aortae hin und schwillt hier nicht unbedeutend an. 

In den späteren Stadien bildet sich die Thymus durch Ver- 
einigung der beiden Enden der Thymusstränge, bei 15 mm zuerst 
in Form von zwei rundlichen, epithelialen Feldern, welche nach 
wenigen Schnitten in vier Läppchen zerfallen. Bei den grösseren 
Embryonen wird sie immer mächtiger durch immer neu aulf- 
tretende epitheliale Felder. 

Die Thymus hat eine rein epitheliale Zusammensetzung. 
Die Zellen sind ganz gleich denen der unteren Teile des Thymus- 
stranges; eine strangförmige Anordnung der Kerne, wie sie im 
oberen Ende des Thymusstranges vorkommt, fehlt, ebensowenig 
ist von einer Umwandlung der epithelialen Anlage in Iymph- 


adenoides Gewebe eine Spur zu sehen. 


3. Föten von 8--30 cm. 


Bei allen diesen Föten ist die Thymus von einem Saum eines 
hellen, besonders locker gebauten Bindegewebes umgeben, welches nach 
aussen durch einen schmalen, eosinroten Streifen von dicht gelagerten, 
konzentrisch verlaufenden Fasern begrenzt wird. Dieser Saum wird 
nach dem oberen Ende der Thymus breiter, während die Thymus immer 
kleiner wird und schliesslich schwindet. Von hier aus setzt sich dieses 
nunmehr selbständige Feld von ziemlich gleich bleibenden Dimensionen 
(mit Ausnahme von dem Fötus von 30 em, wo dasselbe vollständig 
fehlt) nach oben hin fort, oft bis an die dorsale Fläche der Thyreoidea 


Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 433 


und endet hier in wechselnder Höhe. Es enthält Drüsenkanäle, meist 
das untere Epithelkörperchen und zeigt offenbar die Stelle des früheren 
epithelialen Thymusstranges an. Ich bezeichne daher dieses Feld im 
folgenden als Thymusfeld. Ferner muss ich hier voranschicken, 
dass die Verhältnisse der Epithelkörperchen sich gegenüber den kleinen 
Embryonen wesentlich geändert haben. Bei den Neugeborenen fanden 
wir jederseits ein oberes und ein unteres, bei den kleinen Embryonen 
nur ein abgesondertes Epithelkörperchen und ferner das obere Ende 
des Thymusstranges, im Begriffe sich in ein Epithelkörperchen umzu- 
wandeln. Dieses letztere liegt bei manchen dieser kleinen Embryonen 
höher oben als das erstere. Bei den grösseren Föten dagegen haben 
wir wiederum die Verhältnisse wie beim Neonatus, ein oberes und ein 
oder auch mehrere untere Epithelkörperchen. Es entspricht aber nun- 
mehr dieses untere Epithelkörperchen dem oberen Ende des Thymus- 
stranges. Das geht mit Bestimmtheit aus dem Verhalten desselben 
zu dem Thymusfelde hervor. Bei denjenigen Föten, bei welchen das 
Thymusfeld ununterbrochen von der Thymus bis in Thyreoideahöhe 
heraufreicht, liegt das untere Epithelkörperchen gerade im oberen Ende 
dieses Feldes. Es ist also dieses untere Epithelkörperchen im Laufe 
der Entwickelung nach abwärts gerückt, offenbar infolge der Ver- 
kürzung des Thymusstranges, respektive Zurückbleiben desselben im 
Längenwachstum. 

Ganz das gleiche Schicksal, aber allerdings in viel geringerem 
Grade erfährt auch das obere Epithelkörperchen, welches wahrschein- 
lich von der Thyreoidea ausgeht. Dasselbe finden wir bei den kleinen 
Embryonen fast immer in der Mitte der Höhe der Seitenlappen, d. h. 
in der halben Höhe ihres unteren Randes. Bei den Neonati dagegen 
liegt es meistens in der Höhe der oberen Isthmusgrenze und so auch 
schon bei einigen der grössten Foeten. 

1. Fötus von 8 cm. 

Thyreoidea. Sie besitzt einen Processus pyramidalis. Die Seiten- 
lappen haben einen sagittalen Durchmesser von ?/a und einen frontalen 
von !/, mm. Die Zellstränge sind sehr schmal, wie komprimiert, mit 
zwei, selbst nur einem Kern im Querdurchmesser. Zwischen ihnen sind 
sehr weite Gefässe. Am Isthmus sind die Zellstränge breiter und haben 
zum Teil ein Lumen. 

Die oberen Epithelkörperchen existieren als paariges Organ, 
rein dorsal, von 0,18 mm Durchmesser, etwas über der Isthmushöhe, 
das linke etwas tiefer als das rechte, beiderseits durch eine kleine Vene 
von der Thyreoidea getrennt. Die Kerne der Epithelkörperchen sind 
deutlich kleiner als die der benachbarten Thyreoidealäppchen und schon 
in netzförmig verbundene Stränge angeordnet, in jedem Strang etwa 3, 4 
Kerne im Querdurchmesser; in den Centra der runden Maschen liegen 
noch ziemlich weite Blutkapillaren, wie es scheint ohne faserige Adventitia. 

Eine eigentümliche Bildung besitzen diese Epithelkörperchen, die 
ich sonst nicht gefunden habe; an ihr kaudales Ende schliesst sich 


434 W. KURSTEINER, 


nämlich an ihrer medialen Fläche ein kleiner Zapfen an, dessen Kerne 
erheblich grösser sind, ohne Gliederung angeordnet; der Zapfen ver- 
läuft in 3, 4 Schnitten nach unten und endet dann, ohne seine Stelle 
zu wechseln; er nähert sich nicht etwa der Thyreoidea, denn das ist 
die einzige Auffassung, die ich ihm beilegen kann, dass derselbe mit 
den benachbarten Thyreoidealsträngen in Verbindung träte. 

Ein unteres Epithelkörperchen findet sich beiderseits in der 
Höhe des unteren Isthmusrandes, rechts ein weniges höher, rein dorsal, 
direkt an der Thyreoidea gelegen. Das Thymusfeld beginnt erst weiter 
unten; eine Beziehung mit demselben ist also nicht vorhanden. In 
dem linken Epithelkörperchen taucht in den letzten Schnitten, in welchen 
es noch sichtbar ist, am lateralen Rand ein kleines rundes Drüsen- 
lumen auf, das nach aussen von schönem, hohem, hellem Cylinder- 
epithel begrenzt ist. Nach unten davon ist noch in 4 Schnitten ein 
entsprechend grosses solides epitheliales Feld zu erkennen. Rechts 
findet sich nichts Drüsenähnliches.. Die Thymus hat schon lymph- 
adenoiden Bau; kleine, runde, dunkle Kerne wiegen vor, sodass ihr 
Gewebe bei schwacher Vergrösserung ganz eben so dunkel erscheint 
wie das von Lymphdrüsen; mit stärkerer Vergrösserung aber erkennt 
man noch ziemlich gleichmässig zerstreute, hellere, runde Kerne, welche 
etwa den doppelten Durchmesser haben; sie sind in der helleren Mark- 
substanz vielleicht zahlreicher als in den dunkleren, peripheren Zonen, 
dagegen findet man deutliche Überreste des früheren epithelialen Baues 
gerade an der Peripherie, wo manchmal 2, 3 Reihen von grossen, 
hellen Kernen, fast ohne Lymphkörperkerne dazwischen, sich vor- 
finden; ferner zeigen sich, an solche Stellen anschliessend, kleine 
Drüsenbläschen mit einem niedrigen Cylinderepithel. Diese epithelialen 
Säume sind an der Hinterfläche der einzelnen Läppchen am deut- 
lichsten. Direkt an die Thymus setzt sich auf der einen Seite (links) 
nach oben hin ein kleines Drüsenbläschen an, von 0,15 mm Durch- 
messer, von welchem zahlreiche kleinere Bläschen und Kanäle seitlich 
abgehen, alle mit ziemlich niedrigem Cylinderepithel ausgekleidet, deren 
Inneres hell ist, deren Kerne direkt am freien Pol der Zelle nach dem 
Lumen hin oder in der Nähe desselben sich finden. Die oberen Enden 
dieser Drüsenkanäle liegen vor dem hellen Thymusfeld, das etwas nach 
hinten zurückgewichen ist. Rechts treten erst in unterer Isthmushöhe 
ähnliche drüsige Bildungen auf, die buchtig und zum Teil verästelt 
sind, hier in dem hellen Thymusfeld gelegen, dessen Begrenzung nur 
wenig scharf ist. 


Embryo von 9 em Länge. Der sagittale Durchmesser der 
seitlichen Lappen der Thyreoidea beträgt 2, der transversale 1 mm, 
die ganze Länge fast 2 mm. Der Isthmus hat eine Höhe von 0,9 mm. 
Der lobuläre Bau ist schon ausgesprochen; die Lobuli bestehen aus 
kleinen, rundlichen und länglichen Follikeln, die ziemlich dicht liegen ; 
die schmalen Stromabalken bestehen vorwiegend aus Bindegewebe. 


Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 455 


Das Manubrium sterni beginnt fast 0,6 mm ünterhalb des Isthmus, 
die Thymus etwas mehr als 1 mm unter ‘dem Isthmus. 

Dieser Fall weicht hinsichtlich der Epithelkörperchen und der 
Thymusstränge von allen übrigen insofern ab, als hier weder rechts 
noch links von dem gewohnten, isoliert dastehenden oberen Epithei- 
körperchen gesprochen werden kann. Die Verhältnisse von Epithel- 
körperchen zur Thyreoidea und zu den hellen Feldern, sowie von Epi- 
thelkörperchen zum Thymusstrang sind hier ganz besondere. 

Links findet sich in halber Höhe des Seitenlappens, rein dorsal 
in einem grossen, hellen, runden Feld, das sich von dem umgebenden 
Gewebe durch seinen lockeren Bau auszeichnet, ausserhalb der Thyreo- 
idealkapsel, von reichlichen Blutkapillaren umsponnen, ein schön 
rundes, durch sein blasses Blau sofort auffallendes oberes Epithel- 
körperehen. Es misst in der Längsachse des Körpers 0,14 mm, 
während die beiden anderen Durchmesser 0,25 mm betragen. Es ist 
demnach stark abgeplattet. Weiter abwärts differenziert sich an seiner 
hinteren Randzone ein Häufchen von etwa 10 grössern, dunkler ge- 
färbten Kernen heraus, welches Kernhäufchen mit dem allmählichen 
Schwinden des Epithelkörperchens sich als solider Kernstrang lostrennt, 
um allein im Centrum des persistierenden, etwa 0,5 mm im Durch- 
messer messenden hellen Feldes in der Mitte von Blutkapillaren als 
solider, schmaler Kernstrang nach unten zu verlaufen. Nach 
wenigen Schnitten schwillt er wieder zu einem Epithel- 
körperchen von 0,3 mm Durchmesser und ganz demselben Aus- 
sehen an, dessen vordere Hälfte einen kleinen cystischen Hohlraum 
enthält, von 0,08 mm Durchmesser. Er ist ausgekleidet mit hellen, 
teils niedrigen, teils cylindrischen Zellen, scharf durch rote Linien 
gegeneinander abgegrenzt mit einer unregelmässig ins Lumen vorragen- 
den freien Fläche. 

Es rückt nunmehr das kleiner werdende Epithelkörperchen an 
den hinteren Pol der Thyreoidea dicht heran; die nach der Schilddrüse 
hin gelegenen Zellgruppen gestalten sich zu grossen polyedrischen Zell- 
leibern mit grossen Kernen um, und 1—3 ziemlich weite Drüsen- 
kanäle mit kubischem Wandbelag bilden eine Brücke zwischen 
Epithelkörperchen und Thyreoidea. In der Thyreoidea ist der 
Kanal mit seinen hellen Zellen noch in 2 weiteren Schnitten zu sehen. 
Die hinteren Thyreoidealäppchen schwinden in den folgenden Schnitten 
und machen einem mit der Thyreoidea nach vorn rückenden hellen 
Felde Platz. In der Höhe des unteren Isthmusrandes taucht in diesem 
Felde ein Epithelkörperchen mit gleichem Aussehen auf, doch ist dieses 
nicht rein dorsal gelegen, sondern etwas mehr der medianen Thyreo- 
idealfläche angelehnt; seine Länge beträgt 0,24 mm, seine anderen 
Durchmesser 0,16 mm. Es ist also nicht gleich dem vorherigen ab- 
geplattet, sondern längsoval und zeigt an seinem kaudalen Ende 2 
Drüsenbläschen mit hellem, grossem Epithel, beide an der hintern 
Fläche, das eine median, das andere lateral gelegen. 5 Schnitte weiter 


436 W. KÜRSTEINER, 


findet sich am hintern Rand des hellen Feldes ein weiteres Drüsen- 
bläschen:; dann schliesst nach einigen Schnitten das helle Feld ab. 
Was die histologische Zusammensetzung der beschriebenen Epithel- 
körperchen anbelangt, so sind die Kerne durchschnittlich kleiner wie 
die der Thyreoidea und liegen in weiten Distanzen. Zwischen ihnen 
sind die roten Grenzlinien der Zellen sehr deutlich; das Zellinnere ist 
hell. Hier und da tritt die Eigentümlichkeit zu Tage, dass die am 
meisten peripher liegenden Zellen nicht polyedrisch sind, sondern 
eylindrisch werden mit centralgelegenen Kernen. Auch Bindegewebs- 
balken und Gefässe finden sich zwischen den Zellen der Epithel- 
körperchen, doch ist die Gliederung in Zellstränge nur unvollkommen, 

Rechts finden sich zwei epitheliale Körperchen, beide 
dorsal, in der Höhe des oberen Isthmusrandes; ihr käudales 
Ende liegt in gleicher Höhe, doch ist das eine erheblich länger und 
ragt weiter hinauf; das längere, von der Thyreoidea durch ein grösseres 
Gefäss getrennt, schön rund, 0,16 mm in der Länge, 0,4 mm in den 
andern Durchmessern, also stark abgeplattet, liegt dorsolateral ausser- 
halb der Kapsel der Thyreoidea und ist von einem Saum lockeren 
konzentrischen, faserigen Gewebes umgeben. Seine Kerne sind etwas 
kleiner wie die des kürzeren - Epithelkörperchens, stehen in etwas 
weiteren Distanzen und sind schön hellblau. (Die der Thyreoidea 
violett). In den obersten Schnitten ist noch keine deutlich strangförmige 
Anordnung der Kerne vorhanden, doch sind schon hier und da spindel- 
förmige Kerne von Bindegewebszellen und vereinzelte Kapillaren zu 
sehen. Nach unten aber werden die Septen und Kapillaren breiter, die 
Anordnung der Zellen in Stränge deutlicher. Die äussersten Zellen sind 
hoch und cylindrisch, die Kerne an ihrem centralen Pol; hier und da 
sind die Zellen mehr kegelförmig und ähnlich dem Epithel eines 
Drüsenbläschens zu einem Halbkreis zusammengestellt. Während das 
Epithelkörperchen nach unten schmäler wird, nimmt der helle Saum an 
Breite zu und bildet nach Schwinden des Epithelkörperchens ein helles 
Feld, von einem schmalen, eosinroten Streifen diehtstehender Fasern 
begrenzt, das obere Ende des Thymusfeldes. 

Ein viertel Millimeter unterhalb dieses Epithelkörperchens erscheint 
in diesem Feld ein neues Epithelkörperchen von 0,3 mm Durchmesser, 
an welchem an seinem kaudalen Ende lateral und nach vorn 3 Drüsen- 
bläschen sich finden, das grösste mit hohem Cylinderepithel, dessen 
Kerne am centralen Pole stehen, alle Bläschen von eosinroten Linien 
(Membrana propria) begrenzt. 

Das helle Feld schwindet weiter abwärts noch oberhalb des unteren 
Isthmusrandes. 

Eigentümlich verhält sich das kürzere Epithelkörperchen. Es 
ist nieht von einem hellen Saum konzentrischen Gewebes umgeben, 
sondern liegt innerhalb der Kapsel der Thyreoidea, zwischen die 
hinteren Läppchen derselben eingelassen. Es misst 0,1 mm im Durch- 
messer und in der Länge 0,06 mm. Es steht auch dieses 


Die Epithelkörperchen des Menschen ete. A3X 


Körperchen, wie gesagt, in deutlichem Zusammenhang mit 
der Thyreoidea und zwar wird der Zusammenhang dadurch her- 
gestellt, dass von der Thyreoidea her ein 0,1 mm breiter Drüsenkanal 
sich nach dem Epithelkörperchen hinzieht und auf halbem Wege dahin 
auf einen Zellstrang stösst, der vom ventralen Pol des Körperchens 
herkommt, und mit dem er sich innig vermengt. Von diesem so ent- 
standenen Verbindungsstrang zieht sich ein Drüsenkanal, seitlich neben 
dem Epithelkörperchen nach abwärts, um sich 2 Schnitte tiefer als 
der untere Epithelkörperchen-Pol mit einem anderen Drüsenkanal, der 
die kaudale Fortsetzung des Epithelkörperchens darstellt, zu einem zu 
vereinigen. Dieser nunmehr einzige Drüsenkanal ist von 2—3 Schichten 
von Zellen ausgekleidet, von denen die das Lumen begrenzenden am 
grössten sind, von cylindrischer oder kubischer Gestalt, mit deutlichen 
Grenzlinien und namentlich haben die meisten Zellen nach dem Lumen 
hin eine intensiv rote Grenzkontur. Viele derselben zeigen ferner 
einen deutlichen Saum von Cilien, während in den kaudalen Partien, 
wo das Lumen schwindet, keine Cilien sind. Der Drüsenkanal wird 
dann wieder zum soliden Zellstrang, der rasch zu einem zweiten, 
epithelialen Körperchen von ganz demselben Aussehen, wie das obere, 
anschwill. Nachdem das Körperchen einen Durchmesser von 0,35 mm 
erreicht hat, wird es wieder rasch kleiner und schwindet ganz. Seine 
Länge beträgt 0,1 mm, es ist also auch dieses Körperchen stark ab- 
geplattet. Eine kaudale Fortsetzung fehlt ihm, auch tritt kein helles 
Feld an seinen Platz. Von einer Gliederung der Zellmasse ist eben- 
falls nichts zu sehen. 

Die Verhältnisse am oberen Ende des Thymus sind folgende: 
Beiderseits ist das Thymusfeld wenige Schnitte über der Spitze der 
Thymus wieder deutlich vorhanden und sowohl in ihm wie ausserhalb 
und nach vorn zu finden sich mehrere Drüsenkanäle (Fig. 4), die nach 
unten hin rasch sich erweitern, buchtig werden und sich vereinigen zu 
einer Drüsenblase bis 0,3 mm Durchmesser. Auch die ausserhalb ge- 
legenen Drüsenkanäle treten kaudalwärts in das Thymusfeld ein und 
hängen mit den übrigen zusammen. Auch an der hinteren Fläche der 
immer grösser werdenden Thymus finden sich noch Drüsenkanäle und 
grössere Hohlräume. 


Embryo, erste Hälfte des 4. Monats (also 10—12 cm 
Schnittdicke 20 u. 

Thyreoidea. Sie besitzt einen Processus pyramidalis und eine 
Glandula accessoria praehyoidea. Die Lappen messen im sagittalen 
Durchmesser 2,5—3 mm, im frontalen 1—1,5 mm. Ihre oberen Partien 
sind weit nach hinten gerückt. Die Länge beträgt gegen 1 mm, links 
etwas weniger. Der Isthmus ist fast 0,5 mm hoch. Es setzt sich die 
Thyreoidea wesentlich aus frundlichen, hier und da etwas buchtigen 
Follikeln zusammen; die meisten sind deutlich hohl; hier und da sind 
auch kürzere Schläuche sichtbar, aber nur selten. 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVI. Heft (11. Bd. H. 3.) 29 


458 W. KÜRSTEINER, 


Die oberen Epithelkörperchen, paarig, liegen rein dorsal, 
auf der Höhe des oberen Isthmusrandes, innerhalb der Thyreoidea; 
sie sind abgeplattet und von einem hellen Saum eines hellen, lockeren 
Gewebes umgeben; ihr Durchmesser beträgt 0,2 mm und ihre Länge 
0,12 mm; ihre Kerne sind klein, rund, dunkel; an manchen Stellen 
sind die roten Zellgrenzen sehr deutlich. Eine Gliederung durch Kapil- 
laren und Septa ist nicht deutlich. 

Links beginnt am unteren Isthmusrande das helle Thymus- 
feld, das ohne epitheliale Gebilde bleibt bis zur Thymus- 
spitze; letztere ist innerhalb des Thorax gelegen. Sie beginnt zu- 
nächst als ein kleines, rundes Feld von den Dimensionen der Epithel- 
körperchen und hält sich in dieser Form und Grösse durch 5 Schnitte 
hindurch, um sich dann zu vergrössern und einen lappigen Bau an- 
zunehmen. Die Ähnlichkeit dieses oberen Endes mit den Epithel- 
körperchen hinsichtlich der Form und Grösse lässt die Vermutung 
gerechtfertigt erscheinen, dass hier wirklich ein Epithelkörperchen vor- 
liege, aber in Verbindung mit der Thymus; indessen ist dies nicht der 
Fall; gerade die obersten Schnitte zeigen ganz die gleichen, runden 
Kerne des Thymusgewebes und nur im 4., 5., 6. Schnitte tritt an 
seinem lateralen Rande ein schmaler Saum auf, in welchem die grossen, 
hellen, runden Kerne der epithelialen Thymusanlage sichtbar sind, ge- 
rade wie bei 9 cm. 

Rechts beginnt das helle Thymusfeld in halber Isthmus- 
höhe; darin liegt nun in der Höhe des unteren Isthmusrandes ein 
rundliches Feld, ähnlich einem Epithelkörperchen, hin- 
sichtlich Dimensionen, aber die Zusammensetzung entspricht vollständig 
der Thymus, welche weiter unten beginnt. Ein zweites ganz ähnliches 
Gebilde liegt zwischen Isthmus und Thymusspitze und an dieses 
schliessen sich kaudalwärts 2 Drüsenkanäle mit Oylinderepithel an, die 
aber rasch wiederum verschwinden. 

Die Thymus selbst zeigt lateralwärts vom rechten Lappen und 
auch zwischen den Lappen Drüsenkanäle mit wechselndem Lumen und 
niederem Cylinderepithel, die Kerne gross, oval und hell. Es zeigen 
diese Kanäle ab und zu seitliche Ausbuchtungen, z. T. mit ganz 
schmalen, kaum sichtbarem Lumen und niederen, fast kubischen Epi- 
thelien als Wandbelag. 

Embryo von 12 cm. 

Wegen starker Neigung des Kopfes sind die symmetrischen Ver- 
hältnisse nieht genau zu beurteilen; auch fehlt der obere Teil der 
linken Thyreoidea. Die Länge des rechten Lappens beträgt 1,7 mm, 
im sagittalen Durchmesser misst er 3 mm, der linke 2 mm. 

Der lobuläre Bau der Thyreoidea ist deutlich. Die Drüse 
setzt sich aus rundlichen, soliden und mit Lumen versehenen Follikeln 
zusammen, die Stromabalken sind sehr schmal. 

Die oberen Epithelkörperchen finden sich beiderseits, rein 
dorsal gelegen, in der Höhe des oberen Isthmusrandes, ohne helles 


Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 439 


Feld und ohne Drüsenkanäle, ohne eine sichere Beziehung mit der 
Thyreoidea einzugehen. 

Die Gliederung der polyedrischen Zellen ist unvollständig. Binde- 
gewebsfasern und Kapillaren sind nur spärlich vertreten. Die an der Peri- 
pherie gelegenen Zellen sind ceylindrisch. Das rechtsseitige ist 0,12 mm 
lang und misst 0,35 mm im grösseren Durchmesser, ist oval, quer- 
gestellt und liegt ausserhalb der Thyreoidealkapsel, von ihr getrennt 
durch die Arteria thyreoidea inferior. 

Das linksseitige ist 0,04 mm lang und 0,12 mm breit und ist von 
der Kapsel des hintersten Thyreoidealläppchens umschlossen, an dessen 
medialer Fläche es liegt. 

Linkerseits ist merkwürdigerweise noch weiter kranialwärts, eben- 
falls am hinteren Pol der Thyreoidea ein zweites, oberes Epithel- 
körperchen zu konstatieren ; sein grösster Durchmesser misst 0,34 mm, 
Die Kerne sind in Stränge angeordnet von je 3 Kernen im Quer- 
schnitt. Die Grenzlinien der Zellen sind deutlich. Eine Vene trennt 
das Epithelkörperchen von der Thyreoidea, eine Arterie liegt median 
von ihm. Ein helles Feld ist nicht vorhanden. 

Die Thymusspitze liegt beiderseits 1,2 mm unterhalb des Isth- 
mus; von ihr erstreckt sich nach oben beiderseits das Thymusfeld 
bis zum unteren Isthmusrande. 

In dem oberen Ende desselben ist jederseits ein unteres Epithel- 
körperehen mit Drüsenkanälen eingelagert. Rechts liegt dasselbe 
etwa 0,1 mm unter dem oberen Beginne des Thymusfeldes; es hat 
einen Durchmesser von 0,3 und 0,4 mm, und zwar nimmt es mehr die 
laterale Hälfte des Feldes ein. Es ist schön gegliedert mit 3—4 
Kernen im Querschnitt der Stränge; diese sind durch ganz schmale, 
Bindegewebe und Kapillaren führende Septen von einander getrennt. 
Die äussersten Zellen bilden eine kontinuierliche Randzone, umschlossen 
von einer Membrana propria. Etwas weiter abwärts, eben noch im 
Bereich des Isthmus, tritt auch in der medialen Hälfte des hellen 
Feldes, die durch Gefässe und ein schmales, faseriges Septum von der 
lateralen geschieden ist, ein Epithelkörperchen mit schönen, hellen, 
polyedrischen Zellen und bläschenförmigen Kernen auf, das weniger 
scharf begrenzt ist, nach unten rasch in 2—3 Zellgruppen zerfällt 
und früher endigt als das laterale. Jedoch geht hier ein schmaler 
Zellstrang weiter, der nach 2—3 Schnitten wieder zu einem Epithel- 
körperchen von 0,04—0,06 mm Durchmesser anschwillt, mit zwei 
lateral gelegenen Drüsenkanälen, deren Epithel das gewöhnliche, hohe, 
eylindrische ist. Diese Drüsenkanäle fliessen nach unten zusammen, 
theilen sich dann wieder und vereinigen sich endlich zu einem grossen, 
Hohlraum, von 0,24 mm Durchmesser, der nach erlittener Einschnürung 
sich wiederum erweitert und dann blind endigt. Auch das helle Thymus- 
feld endigt hier. 

Links findet sich im oberen Ende des hellen Thymus- 
feldes ebenfalls ein dorsales, quergestelltes, ovales, 0,4 mm langes 


29% 


440 W. KÜRSTEINER, 


und 0,2 mm breites Epithelkörperchen, das an seiner lateralen 
Seite von mehreren Drüsenkanälen flankiert ist. Das Epithelkörperchen 
ist in Stränge gegliedert und zeigt breite, Kapillaren führende Septen, 
auch eine Randzone von gleichmässig gestellten eylindrischen Zellen. 
Die Drüsenkanäle zeigen dasselbe hohe cylindrische Epithel und die 
centralen Kerne (wie rechts), werden nach unten sehr weit, einige davon 
fliessen zu einem Lumen bis 0,25 mm zusammen; auch treten am 
lateralen Rande des Epithelkörperchens Kanäle auf, welche nach 
unten zusammenfliessen und mit dem Epithelkörperchen selbst zusammen- 
hängen. Das Epithelkörperchen erleidet eine seichte Einschnürung, 
wird aber wieder grösser und gestaltet sich zu zwei grossen soliden 
Feldern um, die nach 2, 3 Schnitten zu schwinden beginnen und nach 
weiteren 2 Schnitten schwindet auch das helle Feld. 

Nach einer Unterbrechung des Thymusstranges am unteren Thyreoidea- 
pol, woselbst sehr reichliche und weite Lymphspalten sich finden, treten 
eigentümliche Bilder auf (Fig. 6). Unterhalb des Isthmus, hinter 
dem Köpfchen der linken Clavicula, 1,6 mm von der Trachea seitlich 
entfernt, also verhältnismässig weit weg von ihr, medianwärts von einer 
Gruppe sehr weiter Blutgefässe, findet sich im Bindegewebe ein rundes 
Feld mit zahlreichen, runden, bläschenförmigen Kernen, zwischen denen 
keine Zellgrenzen sichtbar sind, obgleich die Zwischenräume zwischen 
den Kernen ganz hell erscheinen; zahlreiche, weite Kapillaren ziehen 
sich zwischen den Kernen hin. Das Feld ist scharf begrenzt. Seine 
Bedeutung ist nicht völlig klar; jedenfalls unterscheidet es sich wesentlich 
von den Epithelkörperchen; es gleicht am meisten benachbarten Lymph- 
drüsen. Hassalsche Körperchen fehlen. 

An dieses Gebilde schliessen sich medianwärts und nach vorne 
einige Drüsenkanäle an, welche dasselbe auch kranialwärts etwas über- 
ragen und kranialwärts in zwei grössere Hohlräume von etwas über 
0,2 mm Durchmesser zusammenfliessen. Weiter abwärts finden sich 
noch neben Iymphdrüsenähnlichen Feldern Drüsenbläschen. Hinter 
dem Köpfchen der linken Clavicula, da wo die Thymus nur erst in 
Form von einzelnen kleinen, kernreichen Feldern auftritt, finden sich 
Gruppen von 10—12z.T. sehr weiten, verästelten Drüsen- 
kanälen mit hohem Cylinderepithel, und hinter dem ersten grösseren 
Thymusläppchen ist ebenfalls ein weiter Kanal, der sich nach unten 
in mehrere engere teilt. Auch vor der immer mächtiger werdenden 
Thymus und in den Septen derselben finden sich kleine Drüsenbläs- 
chen (Fig. 5). Hassalsche Körperchen sind reichlich. 


Embryo von 17,5 cm Länge. Die Schnittdicke beträgt 20 u. 

Der Hals des Embryo zeigt eine starke Rückenkrümmung, sodass 
die topographischen Verhältnisse erst vom unteren Thyreoideaende an 
abwärts berücksichtigt werden können; auch fehlt der obere Abschnitt 
der Thyreoidea ganz, in welchem für gewöhnlich die oberen Epithel- 
körperchen sitzen. 


Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 441 


Was die Zusammensetzung der Thyreoidea anbelangt, so besteht 
sie aus kleinen, soliden Follikeln und hohlen Bläschen, die im Isthmus- 
teile und zwar in dessen hintersten Partien sehr weit und buchtig 
werden, so besonders links in einem Thyreoidealläppchen, das sich 
noch weiter nach abwärts erstreckt, kranialwärts aber mit dem Thyreoidea- 
körper in Zusammenhang steht. In manchen dieser stark erweiterten 
Bläschen findet sich Kolloid. Durch das Zusammenfliessen mehrerer 
dieser Bläschen entsteht im kaudalsten Teile dieses Thyreoidealäppchens 
ein eystischer Hohlraum von 0,3 mm Durchmesser, von welchem an der 
ganzen Peripherie zahlreiche Ausbuchtungen ausgehen. Der Wand- 
belag dieser Hohlräume ist ein niederes Cylinderepithel, z. T. ziemlich 
abgeplattet. 

Links liegt im Septum, das die beiden hintersten, untersten 
Thyreoidealäppchen trennt, ein unteres Epithelkörperchen in 
lockerem Bindegewebe. An das Körperchen schliesst sich nach unten 
ein Drüsenkanal an mit hohen, hellen Cylinderepithelien, die Kerne 
z. T. deutlich, dicht an dem Lumen gelegen; es erweitert sich der 
Kanal rasch, wird gewunden und verschwindet dann. Das Thymus- 
feld dieser Seite reicht bis zur Thyreoidea empor, zeigt aber in seinem 
Innern keinerlei Reste des Thymusstranges. 

Rechts schliesst sich an den unteren Isthmusrand ein grosses, 
helles Thymusfeld an, das durch ein bindegewebiges Septum in 
einen weit grösseren vorderen Teil und einen kleinen hinteren Teil 
zerfällt; der letztere hält sich nur durch 30 Schnitte hindurch, hat 
also eine Länge von 0,6 mm; der grössere Teil des Feldes dagegen 
hält sich bis zur Thymus hin; in ihm sind keine epithelialen Gebilde 
zu erkennen, auf der ganzen Strecke von der Thyreoidea bis zur 
Thymus hin, während im kleineren Abschnitt des Feldes ein unteres 
Epithelkörperchen sich findet, das sich kranialwärts in einen ge- 
wundenen Drüsenkanal fortsetzt, der nach 7 Schnitten verschwindet. 
Kaudalwärts dagegen schliessen sich an das Epithelkörperchen keine 
Kanäle an, nur an dessen medialem Rande sind noch 2 Drüsenbläs- 
chen zu erkennen. 

Auf gleicher Höhe mit diesem Epithelkörperchen, dasselbe jedoch 
nach oben überragend, findet sich nach vorne im selben Abschnitte 
des hellen Feldes ein deutliches Thymusläppchen, das sich jedoch 
nur durch 4 Schnitte hindurch hält und zu keinen Drüsenkanälen in 
Beziehung steht. 

In den Septen der Thymusdrüse liegen an vielen Stellen reich- 
lich Drüsenkanäle mit gewundenem Verlauf, hohem Cylinderepithel 
und einem wechselnden Lumen, bis 0,1 und 0,4 mm Weite; auch 
Drüsenbläschen mit demselben hohen Cylinderepithel finden sich vor. 

Medianwärts neben der rechten Thymusspitze wäre noch eine 
Glandula accessoria substernalis von 0,3 mm Länge zu erwähnen. 
Es liegt dieses Läppchen im selben hellen Felde, wie die beidseitigen 
Thymuslappen; kaudalwärts nähert es sich durch Vergrösserung bis 


442 W. KÜRSTEINER, 


auf 0,5 mm Durchmesser einer Gruppe von gewundenen Drüsenkanälen 
die im medianen Thymus-Septum, in dessen hinterstem Teile, liegen. 
Ein Übergang dieser Kanäle in das Thyreoidealäppchen ist jedoch 
nicht festzustellen gewesen. Es treten die Drüsenkanäle kaudalwärts 
mit einem der medianen Thymusläppchen in Verbindung; ihre Wand 
ist stark gefaltet und zeigt ein hohes Cylinderepithel als Belag; hier 
und da sind auch deutliche Cilien vorhanden. 


Embryo von 20,5 em Länge Die Thyreoidea beginnt 
rechts etwas tiefer als links und zwar liegen die Lappen beiderseits 
sehr weit hinten, dicht neben dem Ösophagus. Im grössten, trans- 
versalen Durchmesser messen sie 1,5 mm; ihre Länge beträgt gegen 
3,5 mm; der Isthmus ist 0,5 mm hoch. Es besteht die Thyreoidea 
aus kleinen, runden oder länglichen, sehr dicht stehenden Zellhaufen, 
z. B. mit kleinem centralen Lumen; die Septa sind sehr schmal. 

Die oberen Epithelkörperchen, von der gleichen Struktur 
wie bei anderen Föten, liegen als paarige Organe in der Höhe des 
oberen Isthmusrandes, rein dorsal. 

Links beginnt das helle Thymusfeld in der Höhe der unteren 
Isthmusgrenze und enthält in seinem oberen Ende ein Epithel- 
körperchen in der medianen Hälfte; ganz seitlich und vorne finden 
sich in dem gleichen Felde gewundene Drüsenkanäle mit hohem 
Cylinderepithel, die nach der Thymus hin sich wenden und weiter ab- 
wärts nach dem Epithelkörperchen hin, ohne aber mit demselben in 
Verbindung zu treten. Während dem kommt das obere Ende der 
Thymus zum Vorschein; an deren hinterer Fläche setzen sich die hier 
bis !/a mm weiten Drüsenkanäle noch nach abwärts fort, zum Teil mit 
hohen, hellen Cylinderepithelien, deren Kerne am freien Pole stehen, 
zum Teil auch ohne Lumen, als solide Zellstränge. 

Rechts findet sich in gleicher Höhe mit dem oberen Epithel- 
körpercehen noch ein Thymusläppchen und zwar nach vorn, 
zwischen Epithelkörperchen und Thyreoidea sich einschiebend, deutlich 
mit den peripheren dunklen Follikeln und dem centralen, hellen Mark, 
in Form eines Dreiecks, dessen Seiten, da wo es am stärksten ent- 
wickelt ist, so ziemlich die gleiche Länge von 1 mm haben. In der 
Längsachse des Körpers misst das Läppchen 0,6 mm. In dem letzten 
Schnitte, in welchem das Epithelkörperchen noch als solches leicht zu 
erkennen ist, ist es an seiner hinteren Fläche zu !/3 mit einkernigen 
Leukocyten erfüllt, zwischen welchen nach vorn hin allmählich die 
grösseren, epithelialen Kerne sichtbar werden. In dem folgenden Schnitte 
ist an dieser Stelle ein ganz ausgebildeter, dunkler 'Thymusfollikel 
und damit schliesst dieses Gebilde ab. Das helle Thymusfeld be- 
ginnt in der Höhe des unteren Isthmusrandes. In ihm liegt das untere 
Epithelkörperchen, seitlich davon noch ein Thyreoidealäppchen 
und sehr rasch tritt auch das obere Ende der Thymus noch weiter 
seitlich auf. Auch hier begleiten sehr buchtige, gewundene Drüsen- 


Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 443 


kanäle mit hohem Cylinderepithel und centralen Kernen das Epithel- 
körperchen. Der Übergang der Zellbalken des Epithelkörperchens in 
die gewundenen Kanäle ist hier mit Sicherheit festzustellen. 

Auch zwischen den Lappen der immer mächtiger werdenden 
Thymus finden sich Drüsenkanäle, wobei aber ein direkter Zusammen- 
hang mit den centralen oder peripheren Thymuspartien nicht zu er- 
kennen ist. 


Embryo von 21 cemLänge. Die Schnitte gehören zwei Blöcken 
an; leider war an der Trennungsfläche ein Defekt, sodass man nicht 
über alles sicheren Aufschluss erhielt. 

Von der Thyreoidea erwähne ich nur folgendes: Sie besteht 
aus runden, soliden und hohlen Follikeln, die grössern mit Kolloid 
gefüllt, das sich mit Eosin stark färbt und mit Randvakuolen versehen 
ist. Auffallend weite Follikel finden sich im unteren Isthmusteil in 
dessen hinterstem Drittel vor, besonders links. Kolloid, wie in den grösseren 
Follikeln, findet sich auch in Lymphgefässen an der dorsalen Fläche 
durch eine grosse Zahl von Schnitten hindurch. Ferner fallen sehr 
weite Lymphräume am kaudalen Ende der Thyreoidea auf, wo sie die- 
selbe fast an der ganzen Peripherie umgeben. 

Ein Lobulus pyramidalis zieht sich von der Mitte des linken Seiten- 
lappens bis in die Nähe des Zungenbeins hinauf. Hier vor dem Zungen- 
bein liegt eine Glandula accessoria praehyoidea. 

Der Isthmus ist schmal; die seitlichen Lappen ragen etwas weiter 
nach unten, rasch kleiner werdend. 

Über das Verhalten der Epithelkörperchen am oberen Isthmus- 
rande ist wegen der Mangelhaftigkeit der Schnitte nur so viel zu sagen, 
dass links oberhalb des Isthmus im halbmondförmigen hellen Felde, das 
an die hintere Fläche der Thyreoidea sich anlegt, ein 0,5—0,75 mm im 
Durchmesser messendes, scharf abgegrenztes, schön gegliedertes Epithel- 
körperchen sich findet; seine netzförmigen Zellstränge bestehen aus je 
2 Reihen Cylinderepithelien, die Kerne im centralen Pole. 

Das helle Thymusfeld ist links schon im Bereich des Isthmus 
vorhanden, am dorsalen Pol der Thyreoidea und nicht immer durch 
einen breiteren, bindegewebigen Streifen von ihr getrennt. Vielmehr 
geht die faserige Begrenzung des Thymusfeldes in die Kapsel der 
Thyreoidea über und es erscheint so das Feld stellenweise innerhalb 
der 'Thyreoideakapsel gelegen. Links findet sich nun gerade unterhalb 
des Isthmus in diesem Thymusfeld, das hier sehr gross ist, von an- 
nähernd rundlicher Form, mit einem Durchmesser von 1 und 1!/a mm 
ein Epithelkörperchen, 0,6 mm im Durchmesser, nach hinten und 
aussen gelegen. Vor ihm und medianwärts liegen weiter abwärts 
mehrere Drüsenkanäle nach Art einer acinösen Drüse angeordnet, zu- 
erst ein solches kleines Drüsenläppchen, dann ein zweites; beide münden 
nach unten in einen weiteren Kanal. Ferner geht von der gegenüber- 
liegenden Fläche des Epithelkörperchens ein zuerst sehr weiter Drüsen- 


444 W. KÜRSTEINER, 


schlauch ab nach diesem Läppchen hin, welche nunmehr kleiner werden, 
und dem oberen Ende der Thymus Platz machen (Figg. 8 und 9). 
Während der erwähnte, weite Schlauch seitlich von der Thymus zu 
enden scheint und das Epithelkörperchen schwindet, findet sich an der 
Thymus wiederum ein weiter Kanal mit sehr hohen und schmalen 
Cylinderzellen, deren Kerne in verschiedenen Höhen gelegen, an der 
Basis eine kontinuierliche Reihe von kleinen, runden Kernen, die wohl 
einer besondern Lage von kleinen sogenannten Ersatzzellen angehören 
und unter denselben eine ziemlich dieke, rote Wand mit ziemlich viel 
länglichen Kernen. 

Weiter abwärts finden sich an den Thymusläppchen an der lateralen 
Fläche noch zwei ähnliche Kanäle, einer sogar mit Thymuszellen ge- 
füllt und ein kleines Drüsenbläschen. 

Rechts beginnt das scharf abgegrenzte Thymusfeld erst unter- 
halb des Isthmus, nach vorn und medianwärts von dem noch hier be- 
findlichen letzten Läppchen der Thyreoidea. Das obere Ende der 
Thymus liegt etwas tiefer wie links. Auch hier sind vereinzelte, ver- 
ästelte Drüsenkanäle an der vordern Fläche der Thymus, von welcher 
nur das obere Ende vorliegt. Ob hier ein unteres Epithelkörperchen 
fehlt, kann ich nicht bestimmt sagen, da die Schnitte in dieser Gegend 
mangelhaft waren. 


Embryo von 22 em Länge. Bei diesem Fötus erscheinen die 
beiderseitigen Verhältnisse durchaus nicht symmetrisch; die einander ent- 
sprechenden Stellen liegen rechts und links in sehr verschiedenen Höhen, 
so das obere Ende der Thyreoidea rechts 1 mm tiefer als links. Es 
ist dies zum grössten Teil wohl Folge davon, dass der Kopf in stark 
seitlich flektierter Stellung fixiert war. Ich lasse daher die näheren 
topographischen Verhältnisse der Thyreoidea selbst weg und erwähne 
nur, dass sie noch in den Thorax hinter das Manubrium sterni hinab- 
reicht, sowohl der Isthmns, wie auch die Seitenlappen, deren unteres 
Ende noch weiter abwärts lag als die letzten Läppchen des Isthmus. 

Die Thyreoidea misst links im frontalen Durchmesser 2, im 
sagittalen 3, rechts 31/a und 6 mm. Sie besteht aus kleinen Drüsen- 
bläschen, die Kolloid enthalten. Die bindegewebigen Septen sind schmal, 
Auffallend sind im hinteren, unteren Teil der Thyreoidealappen einige 
sehr weite Drüsenbläschen mit hohem Cylinderepithel. Auch im Isthmus 
kommen solche vor. 

Oben, am Os hyoid., sind rechts und links accessorische Thyreo- 
idealäppchen als Glandulae praehyoideae (Streckeisen) zu finden. 

Was die Deutung der jetzt zu beschreibenden Epithelkörperchen 
anbelangt, welche vorläufig als obere und untere bezeichnet werden, so 
verweise ich auf dasjenige, was schon vorher, bei der Zusammenfassung 
der kleineren, wie in der Einleitung zu den grösseren Embryonen über 
die Beziehung der Epithelkörperchen zum Thymusstrange gesagt 
worden ist. 


Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 445 


Links ist auf Isthmushöhe und zwar etwas oberhalb seiner Mitte 
ein oberes Epithelkörperchen, an dessen Rand kleine, dunkle 
Häufchen von Thymusgewebe auftauchen, zuerst eines an der medianen 
Fläche, im folgenden Schnitte vier, dann fünf; alle werden sehr rasch 
grösser und schliesslich überwiegen sie das Epithelkörperchen. Das 
Ganze bildet dann ein ovales, quergestelltes, epitheliales Feld, von 
®/4 und etwas über !/a mm Durchmesser. Es besteht aus 5 durch 
schmale Bindgewebsstreifen getrennten, keilförmigen Lappen, die in der 
Mitte zusammenhängen. Die äussere Form entspricht also hier schon 
der Thymus und vier der Läppchen bestehen auch nur aus Thymus- 
gewebe, aber das grösste dieser Läppchen, hinten und lateral gelegen, 
besteht zum kleinen Teil aus Thymusgewebe, zum grösseren aus den 
Zellsträngen des Epithelkörperchens. Eine scharfe Grenze zwischen 
den beiden Gewebsarten ist nicht zu erkennen, sondern es scheinen die 
dicht gelegenen kleinen, dunklen Kerne des Thymusgewebes in das 
Epithelkörperchen einzudringen und dessen Gewebe allmählich zu ver- 
decken. Wenigstens findet sich eine ziemlich schmale Übergangszone, 
in welcher, von Epithelkörperchen an gerechnet, zuerst sparsame Leu- 
kocyten sich finden, die rasch zahlreicher werden, während die hellen 
Kerne des Epithelkörperchens sparsamer werden und schwinden. Schon 
in dem zweitfolgenden Schnitte bildet das ganze Gebilde eine schöne 
Rosette von 5 Blättern, welche an der Peripherie dunkel sind und zu 
einer hellen Mitte zusammenfliessen, die aber nicht die Zusammensetzung 
des Epithelkörperchens, sondern diejenige des Thymusgewebes darbietet. 
Nach abwärts wird das Gebilde kleiner, in ihm das helle Centrum 
grösser, die dunklen Blätter sind auf schmale, periphere Säume reduzirt 
und es schwindet schliesslich ganz, nachdem es auf einen schmalen 
Strang sich reduzirte, der an der dorsalen Fläche des immer noch 
grossen Thyreoidealappens liegt. An dem untern Ende des letzteren, 
wo er in einige zerstreute Läppchen aufgelöst ist, finden sich zwischen 
ihm und der Trachea nach vorne einzelne kleine Thymusläppchen, 
nach hinten ein unteres Epithelkörperchen, von dem ein buchtiger 
Drüsenschlauch mit hohen hellen Cylinderzellen und centralen Kernen, 
nach dem nächsten Thymusläppchen hingeht. Weiter abwärts ist noch 
ein zweites, kleineres, unteres Epithelkörperchen vor der 
Vena jugularis interna, das in 4 Schnitten vorhanden ist und zugleich 
mit dem grösseren schwindet, ihr kaudales Ende liegt also in gleicher 
Höhe. 

Rechts erstreckt sich die Thymus am dorsalen Teil der lateralen 
Fläche der Thyreoidea bis in Isthmushöhe hinauf. Sie ist hier voll- 
ständig in eine Mulde der Thyreoidea eingelassen und ihr oberes Ende 
dringt durch dieThyreoidea bis zurTrachea vor und gerade 
oberhalb dieses Endes, also an der medialen Fläche der Thyreoidea 
sitzt das rechte obere Epithelkörperchen von dreieckiger Form, 
1 mm Seitenlänge und !/g mm Länge. Die Thyreoidea wird so auf 
dem Querschnitte in eine vordere, grössere und eine hintere, kleinere 


446 W. KÜRSTEINER, 


Hälfte zerlegt. Gerade hier findet sich das untere Epithelkörper- 
chen, zwischen Thymus und der vorderen Hälfte der Thyreoidea ein- 
geschlossen, also etwas höher als gewöhnlich. Weiter abwärts findet sich 
kein Epithelkörperchen mehr. Am unteren Isthmusrande schwindet 
zuerst die hintere und dann die vordere Hälfte der Thyreoidea, nach- 
dem auch vor derselben schon Thymusläppchen aufgetaucht sind. Von 
hier an liegt die Thymus nunmehr frei, wird grösser und vereinigt sich 
bald mit der linksseitigen. Weiter abwärts finden sich sowohl nach 
aussen von den Thymusläppchen als auch zwischen den Läppchen 
stark erweiterte, buchtige Drüsenkanäle mit abgeplattetem Epithel und 
feinkörnigem Inhalt. Die Struktur der Thymus ist die gewöhnliche. 


Embryo von 23 cm. Die Schnitte sind kaudalkranialwärts 
aufgelegt. Die Schnittdicke beträgt 30 wu. 

Thyreoidea: Sie beginnt links !/s mm tiefer als rechts. Der 
vorhandene Processus pyramidalis reicht bis ans Zungenbein empor. Es 
besteht die Thyreoidea aus kleinen, rundlichen Drüsenbläschen, die 
sehr dicht in einem netzförmigen Stroma liegen. Die Seitenlappen 
messen, wo sie am mächtigsten sind, frontal 2,0—2,8 mm, sagittal 
3—4 mm. Der Isthmus hat eine Länge von 1,4 mm, der linke 
Seitenlappen eine solche von 3,0, der rechte von 4,0 mm. 

Auf der linken Seite liegt ein oberes Epithelkörperchen 
etwas oberhalb der Isthmusmitte dorsal von einem ganz isoliert da- 
stehenden Thyreoidealäppchen, dicht an dasselbe angelehnt; es wird 
nach unten grösser, gleichsam auf Kosten des Thyreoidealläppchens, 
dessen Stelle zuletzt ganz von ihm eingenommen wird. Es misst 
sagittal 0,75 mm, frontal 0,5 mm. Seine hellen, grossen Zellen sind 
in netzförmigen Strängen angeordnet, 2 Kerne im Quermesser, die 
Kerne central in der Mitte der Stränge gelegen. Die Zellbalken des 
Epithelkörperchens und die Follikel der Thyreoidea liegen direkt neben- 
einander und sind nur durch die schmalen Balken des Stromas ge- 
trennt, ein besonderes Septum, das dieker wäre als die benachbarten 
Stromabalken findet sich nicht vor; aber ein Zusammenhang der Zell- 
stränge mit den Follikeln ist nicht zu erkennen. 

Das untere Epithelkörperchen liegt in der Höhe des untern 
Isthmusrandes, vor dem Ösophagus, in gleicher Linie mit der hinteren 
Trachealwand und weit entfernt von den vorn gelegenen letzten Läppchen 
des verschwindenden Isthmus. Es liegt nicht in der Mitte eines hellen 
Feldes, sondern erst nach unten schliesst sich an seinen vorderen Um- 
fang ein solches helles, nach vorn zu spitz auslaufendes Feld von 
Dreieckform an. In diesem finden sich in 2 Schnitten verästelte Drüsen- 
kanäle, welche nach hinten abbiegen und in das Epithelkörperchen 
eintreten und zwar nach vorn von einer grösseren, abgesonderten Drüsen- 
blase, die an der medianen Fläche des Epithelkörperchens liegt. Zu- 
gleich tritt an Stelle der verästelten Drüse das obere Ende der Thymus 
auf. Lateralwärts vom Epithelkörperchen, mit ihm zusammenhängend 


Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 447 


finden sich lange, spaltenförmige, verästelte Drüsenkanäle mit hohem 
Cylinderepithel, die sich noch weiter abwärts seitlich von der fast 
!/e mm breiten Thymus hinziehen. 

Rechts beginnt etwas oberhalb des unteren Isthmusrandes das 
helle Thymusfeld, das rasch nach vorn rückt und ganz kontinuier- 
lich bis zur Thymus sich verfolgen lässt. In seinem oberen Ende, 
0,15 mm unterhalb seiner oberen Spitze liegt das untere Epithel- 
körperchen. Im: untersten Schnitt, in dem es sichtbar ist, findet sich 
vorn seitlich in ihm eine grosse, schöne, runde Drüsenblase von 0,2 mm 
Durchmesser und medianwärts davon eine kleinere, deren Durchmesser 
0,04—0,05 mm beträgt, letztere mit hohem Cylinderepithel, die Kerne 
am centralen Pole, erstere mit niedrigerem, kubischem Epithel. An ihre 
Stelle tritt in den folgenden Schnitten ein Drüsenkanal, der verästelt 
ist, auf jedem Schnitt sein Aussehen ändert und nach 10 Schnitten 
von 30 u Dicke schwindet. !/js mm weiter abwärts beginnt die Thymus, 
an welcher sich auch nach abwärts zu keine Drüsenkanäle befinden. 


Embryo von 30 cm. Beide Thyreoidealappen beginnen 
so ziemlich auf derselben Höhe; da, wo sie am mächtigsten sind, 
messen sie dorsoventral 7,0 mm und transversal 5,0 mm. Sie setzen sich 
aus rundlichen Bläschen zusammen, in welchen hier und da eosinrotes 
Kolloid sich befindet. Am hintern Pol, besonders nach unten hin, sind 
in einzelnen Läppchen besonders grosse Drüsenbläschen, geradezu kleine 
Cysten bis !/g mm Durchmesser vorhanden. Einige Schnitte über dem 
Isthmus geht vom linken Seitenlappen ein Processus pyramidalis 
aus. Ferner findet sich ein durch sein Epithel interessantes, accesso- 
risches, praehyoides Läppchen. Dasselbe enthält ein in mehreren 
Schnitten sichtbares Lumen, das von einem scheinbar mehrschichtigen 
Epithel ausgekleidet ist. Bei genauerer Betrachtung jedoch zerfällt 
dieses in zahlreiche Zellgruppen, welche je 10—20 Zellen umfassen 
und zwischen diesen finden sich etwas undeutlich faserige Streifen mit 
deutlichen, langen und schmalen Kernen, die als Gefäss- oder Binde- 
gewebskerne anzusprechen sind. Interessant ist, dass an der gegen- 
überliegenden Wand die Gruppierung der Zellen weniger deutlich ist; 
auch sieht man nur ganz spärlich lange Kerne in dem 5—6 schichtigen 
Epithel. An einer Stelle ist die innere Hälfte desselben von stark 
bauchig aufgetriebenen, fast kugeligen Becherzellen eingenommen, zwischen 
welchen schmale, cylindrische Epithelien mit deutlichen Flimmerhaaren 
sich finden. An dem dickeren Teile der Wandung dagegen ist die 
dem Lumen zunächst gelegene Schicht von deutlich kernhaltigen Zellen 
abgeplattet. Lateralwärts von diesem grossen Felde findet sich noch 
ein kleinerer Drüsenkanal, mit 2—3 schichtigem Epithel und scharf be- 
grenztem I,umen, der nach unten mit dem ersteren zusammenfliesst, 
ohne sein Lumen zu verlieren, während in jenem das Lumen schwindet. 
Das persistierende, kleinere Lumen hat noch deutliche Becherzellen als 
Auskleidung; nach unten aber wandert es mehr nach der Mitte des 


448 W. KÜRSTFINER, 


auf !/s mm Durchmesser angewachsenen, ‚epitbelialen Feldes zu erhält 
eine Auskleidung von ziemlich stark abgeplatteten Zellen und schwindet 
bald. Die Gliederung der epithelialen Zellen in Zellhaufen, die den 
Thyreoideafollikeln gleichen, treten nach unten deutlicher hervor. 

Die paarigen, oberen Epithelkörperchen liegen oberhalb des 
Isthmus; sie haben einen queren Durchmesser von fast nahezu '/2 mm 
und sind in der Längsrichtung des Körpers abgeplattet; sie liegen rein 
dorsal und lateralwärts von ihnen ein arterielles Gefäss, das als 
Thyreoidea inferior anzusprechen ist. Sie bestehen aus netzförmigen 
Strängen mit 2 Kernen auf dem Querschnitt. Die Zellgrenzen sind 
deutlich; das Innere ist hell und die Kerne meist deutlich in der Mitte 
der Stränge dicht nebeneinander. Drüsenkanäle finden sich nicht vor. 

Ein unteres Epithelkörpercben liegt jederseits ein weniges 
oberhalb des unteren Thyreoideapols, von derselben Struktur wie früher, 
auch neben einem arteriellen Gefässe. Das linke ist gleichsam in die 
Aussenfläche des Thyreoidealäppchens eingelassen und misst 0,25 mm 
im sagittalen Durchmesser, 0,75 mm im transversalen, das rechte ent- 
sprechend 0,3 mm und 0,7 mm. 

Drüsenkanäle oder ein helles Thymusfeld, das nach der Thymus 
hin zu verfolgen wäre, findet sich auch bei diesem unteren Epithel- 
körperchenpaare nicht. 

Die Thymus reicht bis dicht an die Thyreoidea heran, zeigt deut- 
liche Hassalsche Körperchen, aber keine Drüsenkanäle. 

Kleine Lymphfollikel ie Form von schmalen, kurzen Streifen 
finden sich hier und da an der medianen Fläche der Thyreoideallappen, 
sowie auch an ihrer dorsalen Fläche. 


Zusammenstellung der Ergebnisse bei den Föten von 
8-30 cm Länge. 


Die Thyreoidea hatfast in allen Fällen deutlich lobulären 
Bau; die Lobuli setzen sich aus runden und länglichen, soliden 
und hohlen Follikeln zusammen; die Septen sind überall schmal; 
die Lumina sind spärlich bei den kleineren Embryonen (8 cm, 
10—12 em, 20,5 em), reichlich dagegen bei den grösseren und 
hier gleichmässig durch die Thyreoidea verteilt. Auffallend sind 


besonders grosse Drüsenbläschen, welche sich bei vier der grös- 


Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 449 


seren Embryonen (17,5 em, 21 cm, 22 cm, 30 cm) finden und 
zwar hauptsächlich in den untersten und hintersten Partien der 
Thyreoidea. Da wo diese erweiterten Bläschen sich vereinigen, 
entstehen buchtige Hohlräume bis !/z mm im Durchmesser und 
auch sehr weite und verästelte Drüsenspalten (bei 17,5 cm). 

Colloid fand sich in den Follikeln von drei der grösseren 
Embryonen (17,5 cm, 22 cm, 30 cm) und in einem Falle (17,15 cm) 
war auch in den weiten und reichlichen Lymphgefässen rings 
um die Hinterfläche der Thyreoidea herum Colloid zu kon- 
statieren. 

Eine Glandula accessoria praehyoidea war in drei 
Fällen (20, 21, 30 cm) vorhanden; in einem vierten Falle zeigte 
sich rechts und links am Zungenbein ein kleines Thyreoideal- 
läppchen. Einmal (bei 30 cm) fand sich in der Glandula prae- 
hyoidea ein grosses, nahezu rundliches Lumen mit mehrschich- 
tigem Epithel, dessen Zellen zu rundlichen Gruppen, ähnlich 
den Zellhaufen der Thyreoidea angeordnet waren. Die das Lumen 
begrenzenden Zellen sind an einzelnen Stellen eylindrisch; zum 
Teil sind es deutliche Becherzellen und zum Teil diebt neben 
solchen auch Cylinderzellen mit schönen Flimmerhaaren. Neben 
dem Läppchen zeigten sich kleine Drüsenkanäle von der Weite 
der gewrundenen Nierenkanälchen; sie waren kaudalwärts, nach 
Verschwinden des Läppchens noch durch einige Schnitte sicht- 
bar und hingen kranialwärts deutlich mit dem Läppchen zu- 
sammen. 

Einen processus pyramidalis fand ich in fünf Fällen (8, 
10—12, 21, 22, 23 cm) und zwar vom linken Thyreoideallappen 
ausgehend und bis zum Zungenbein empor sich ziehend. 

In einem Falle (22 cm) handelte es sich um eine Struma 
profunda, d. h. die Glandula thyreoidea reichte bis unter das 
Manubrium sterni und die claviculae hinab und in einem weiteren 
Falle (17,5) bestand eine Glandula accessoria substernalis. Die 
beren Epithelkörperchen, als paariges Organ, in der Höhe 


450 W. KÜRSTEINER, 


des oberen Isthmusrandes, rein dorsal gelegen, abgeplattet in 
der Längsrichtung des Körpers und erkennbar an den meist 
recht deutlichen Zellgrenzen, dem hellen Zellinnern und der 
mehr oder minder deutlich ausgesprochenen Anordnung der 
Zellen in netzförmigen Strängen, fanden sich bei allen diesen Em- 
bryonen vor. Es sind die Kerne kleiner als die der Thyreoidea 
und liegen in weiteren Distanzen. Ein Zusammenhang der Epi- 
thelkörperchenzellbalken mit den Thyreoideafollikeln durch einen 
Drüsenkanal war nur beim Embryo von 9cm, bei diesem aber 
auf beiden Seiten zu sehen. 


Zwei obere Epithelkörperchen auf derselben Seite fand ich 
dreimal vor (12 cm, 9 cm rechts und links). Beim Embryo von 
9 cm setzt sich links das obere Epithelkörperchen in einen so- 
liden Kernstrang fort, der bald wieder zu einem Epithelkörper- 
chen anschwillt. Letzteres hängt mit der Thyreoidea zusammen. 
Drüsenkanäle, wie sie beim untern Epithelkörperchen so 
regelmässig vorkommen, fehlen bei dem oberen ganz, ausge- 
nommen jene seltenen Verbindungsstränge mit der Thyreoidea 
bei 9 cm. 


Auch hier, bei den grösseren Embryonen wie bei den kleinen 
und den Neugeborenen, habe ich niemals, ebenso wie Kohn, ein 
inneres Epithelkörperchen gefunden. Es steht dies in Wieder- 
spruch mit Angaben von Schaper und Müller. Schaper hat, 
wie es scheint, in einem Fall beim Menschen ein inneres Epi- 
thelkörperchen gesehen. Er erwähnt, dass das Bindegewebe beim 
inneren Epithelkörperchen weniger entwickelt sei wie bei den 
äusseren; sein Bau ist daher mehr kompakt; es war scharf durch 
eine bindegewebige Kapsel begrenzt mit Ausnahme einer Stelle, 
wo sein Gewebe direkt in das benachbarte der Schilddrüse über- 
geht und wo in seinen Zellbalken kleine Alveolen sich entwickeln. 
Und Müller fand es bei Kindern und Erwachsenen. Er sagt: 
an frischen Schnitten ist es an seiner hellen Farbe (wohl infolge 


Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 451 


des Zellreichtums) erkennbar und im gefärbten Präparate ist es 
dunkler als die Umgebung. Hinsichtlich seiner Zusammensetzung 
gibt er nur an, dass das Bindegewebe in ihm reichlich entwickelt 
sei, in Form von Strängen, welche die Zellen in einzelne Grup- 
pen von einander sondern; in diesen sind dann die polygonalen 
Zellgrenzen nicht mehr zu unterscheiden ; sie gleichen vollständig 
den Zellhaufen in den Schilddrüsen der Neugeborenen. Ich muss 
auf Grund meiner Untersuchungen das Vorkommen innerer 
Epithelkörperchen bei Föten und Neugeborenen in Abrede stellen. 
Ich sehe dabei allerdings von dem einen in der Schilddrüse ge- 
legenen Epithelkörperchen ab, das ich beobachtet habe beim 
Fötus von 22 cm Länge neben der Thymusspitze, die in leicht 
schräg aufsteigender Richtung den rechten Lappen der Thyreo- 
idea durchsetzte. Hier lag es zwischen Thymus und Thyreo- 
idea eingeschlossen an dem oberen Ende der T'hymus, welches 
die mediane Fläche der Thyreoidea erreicht hatte. Die Abbil- 
dung, welche Schaper gibt, überzeugt mich nicht vollständig 
von der Richtigkeit seiner Deutung. Die Masse des Zellproto- 
plasmas ist darin grau schattiert und Zellgrenzen sind nur schwach 
angedeutet. (Gerade die charakteristische helle Beschaffenheit 
der Zellen und die Schärfe der Zellgrenzen, die bei den mensch- 
lichen Embryonen und Neugeborenen so charakteristisch ist, 
fehlt hier. Man ist versucht, hier an Schilddrüsengewebe zu 
denken, in welchem die Alveolen in Entwickelung begriffen sind. 
In der Angabe von Müller ist mir auffällig, dass er ebenfalls 
die Zellgrenzen nicht deutlich sieht und die Zellen in Haufen 
angeordnet sind. 

Die unteren Epithelkörperchen sitzen als paariges Or- 
gan, wie erwähnt, in dem oberen Ende des Thymusfeldes, in 
der Höhe des unteren Isthmusrandes. Nur in einem Falle (23 cm) 
war das untere linke nicht direkt an der Thyreoidea gelegen, 
sondern lag hinten, neben dem Oesophagus, weit entfernt von 
der vorn an der Trachea gelegenen Thyreoidea. Nur einmal 


452 W. KÜRSTEINER, 


fand sich das Epithelkörperchen auf halbem Wege von der 
Thyreoidea zur Thymus. 

Zwei untere Epithelkörperchen auf der gleichen Seite fanden 
sich in drei Fällen (10—12 em, 12 cm rechts und 22 cm), in 
zweien davon in verschiedenen Höhen übereinander und sogar 
in dem einen dieser Fälle sind beide durch einen soliden Zell- 
strang verbunden, im dritten Fall liegen die zwei Epithelkörper- 
chen auf gleicher Höhe, das eine am hinteren Thyreoidealpole, 
das andere seitlich vor der Vena jugularis. Diese letztere Du- 
plieität des unteren Körperchens, dass beide auf gleicher Höhe 
liegen, lässt sich aus der Duplieität der Thymusstränge erklären, 
wie wir solche beim Embryo von 22 mm deutlich gesehen haben. 

Einmal (bei 20,5 cm) wandelt sich das Epithelkörperchen 
in seinem kaudalen Teile in Thymusgewebe um, dessen kleine, 
dunkle Kerne zuerst an seiner hinteren Fäche auftraten. Ein 
anderes Mal (10—12 em) hört der linke Thymusstrang als knopf- 
förmige Anschwellung auf, die hinsichtlich ihrer Form, Grösse 
und Lage ganz dem unteren Epithelkörperchen gleichkommt. 
Die Kerne sind aber die des Thymusgewebes und zwar schon 
in den obersten Schnitten; nur am Rande des Gebildes sind 
noch grosse, eylindrische Zellen von der epithelialen Thymus- 
anlage vorhanden. Das histologische Aussehen der unteren 
Epithelkörperchen ist das gleiche wie bei den oberen, nur ist 
die Gliederung der Kerne zu Strängen bei zwei der kleinsten 
Embryonen (9 und 12 cm) nicht ganz deutlich. 

Wenn ich die unteren Epithelkörperchen sicher 
mit der Thymus in Zusammenhang bringe und für 
die oberen einen Zusammenhang mit der Thyreoidea 
vermute, so muss ich 22 em ausnehmen. Hier besteht die 
Eigentümlichkeit, dass rechts das obere Ende der Thymus durch 
den Thyreoidealappen hindurch auf dessen mediale Fläche reicht. 
An seinem oberen Ende findet sich ein Epithelkörperchen und 
während seines Verlaufes durch die Thyreoidea ebenfalls ein 


Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 453 


zweites. Diese können recht wohl mit dem oberen und unteren 
Epithelkörperchen der anderen Fälle in Analogie gebracht wer- 
den. Etwas anderes ist es dagegen mit den Verhältnissen auf 
der linken Seite. Hier finden sich drei Epithelkörperchen, zwei 
in der Höhe des unteren Isthmusrandes, die als untere Epithel- 
körperchen angesehen werden und eines etwas oberhalb der 
Isthmusmitte gelegen. Das letztere als oberes Epithelkörperchen 
anzusprechen, verbietet seine Beziehung zur Thymus; denn, wie 
aus der ausführlichen Schilderung hervorgeht, bildet es das 
obere Ende der Thymus und wandelt sich nach unten auch 
einfach durch Infiltration mit Leukocyten in Thymusgewebe um; 
danach sind wir also hier gezwungen, dies zu den unteren Epi- 
thelkörperchen zu rechnen, die also hier in der Dreizahl exi- 
stieren. Die grosse Zahl der unteren Epithelkörperchen steht 
mit dieser Deutung nicht im Widerspruch, denn wir haben öfters 
drei, allerdings unterhalb der Thyreoidea. 

Konstant finden sich neben dem unteren Epithelkörperchen 
Drüsenkanäle und Drüsenbläschen, Bildungen, die bis jetzt 
von keinem der Forscher beobachtet worden sind. Als Vor- 
läufer derselben sind die kleinen Drüsenbläschen anzusehen, die 
bei mehreren der kleinen Embryonen beobachtet wurden und 
zwar in verschiedener Höhe, am unteren Isthmusrand, an der 
oberen Thymusspitze und in der Mitte zwischen beiden Stellen. 
Die Mehrzahl hat die Dimensionen von gewundenen Harnkanäl- 
chen oder etwas mehr. Sehr charakteristisch ist fast immer ihr 
Epithel, es gleicht in der hellen Beschaffenheit des Zellinnern, 
dem Vorhandensein von schönen eosinroten Grenzlinien völlig 
den Zellen der Epithelkörperchen, und ferner ist eigentümlich, 
was auch bei den Epithelkörperchen vorkommt, aber nicht so 
konstant, die Lagerung der Kerne an dem inneren freien Pol 
der Zelle, manchmal ganz dicht an der Zellmembran. Die Form 
der Drüsenkanäle wechselt; sie sind am schönsten ausgebildet 
bei den Embryonen von circa 20 cm; bei den ältesten Em- 


Anatomisehe Hefte. I. Abteilung. XXXVI. Heft (11. Bd., H 3.) 30 


454 W. KÜRSTEINER, 


bryonen von 30 cm fehlen sie vollständig; bei den Neugeborenen 
sind sie nur hie und da noch neben dem unteren Epithelkör- 
perchen zu finden. Es sind dies also Bildungen, welche in der 
späteren Periode des fötalen Lebens allmählich wieder kleiner 
werden und vollständig schwinden können. In der Periode ihrer 
schönsten Entwickelung stellen sie gewundene Kanäle dar, oft 
zu bedeutenden Hohlräumen, bis 0,5 mm, sich erweiternd, hie 
und da verästelt und bei 21 cm sogar nach dem Typus der 
acinösen Drüse angeordnet, allerdings ohne bauchige Erweiterung 
der Enden. In den Erweiterungen der Kanäle ändert sich das 
Epithel insofern, als es niederer wird und sogar vielfach abge- 
plattet ist. Dass sie mit dem unteren Epithelkörperchen oder 
mit dem Thymusstrang zusammenhängen, ist vielfach deutlich 
zu sehen, aber eben so sicher ist, dass sie diesen Zusammen- 
hang verlieren können, wie das z. B. bei den Neugeborenen, die 
ich untersuchte, der Fall war. Die Drüsenkanäle gehen von 
dem kaudalen Ende der Epithelkörperchen ab, meist in der Rich- 
tung nach unten, doch auch manchmal dicht neben dem Epi- 
thelkörperchen nach oben. 

Ähnliche Drüsenkanäle finden sich bald in grösserer, bald 
in geringerer Zahl auch am oberen Ende der Thymus und in 
der Tiefe derselben, in den Septen zwischen ihren Lappen, sowie 
auch an der lateralen Fläche. Auch dies sind vergängliche Ge- 
bilde; bei den Neugeborenen habe ich sie nicht gesehen und 
ebenso fehlen sie bei 23 und 30 cm. 

Auch hier sind es bald kleine Bläschen, bald gewundene 
Kanäle, bald grössere Hohlräume, bis 0,5 mm, auch wieder 
manchmal sehr buchtig und in die Buchten münden Drüsen- 
kanäle ein, ferner finden sie sich in Form von längeren, ver- 
ästelten, schmalen Drüsenspalten. Die Verhältnisse des Epithels 
sind hier die gleichen. 

Das helle Thymusfeld, welches bei den Embryonen 
von 16—35 mm als heller, schmaler Saum den Thymusstrang 


Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 455 


nach oben hin begleitet, und von welchem schon in der ein- 
leitenden Bemerkung zu den grösseren Embryonen die Rede 
war, setzt sich entweder kontinuierlich fort bis an den unteren 
Isthmusrand (bei 9 cm, 17,5 cm, 20,5 cm und 21 cm) höher 
hinauf bis Mitte Isthmushöhe nur bei 2 Fällen (10—12 cm und 
23 cm) — oder es erleidet das Thymusfeld gleich unterhalb der 
Thyreoidea eine Unterbrechung (bei 9 cm und 12 cm) — oder 
endlich, es fehlt dasselbe ganz (bei 30 cm). Es ist also bei den 
kleineren dieser Embryonen vorhanden, bei 2 mittelgrossen unter- 
brochen und bei dem grössten fehlt es. 

Die Thymus zeigt beim kleinsten Exemplare (8 cm) noch 
deutlich die epithelialen Reste der ersten Drüsenanlage und zwar 
finden sich diese helleren, grösseren, runden Kerne besonders 
an der hinteren Peripherie der Läppchen, wo sie sich zu 2—3 
Reihen gruppieren. Das übrige Gewebe hat schon hier den 
Iymphadenoiden Bau. Bei allen grösseren Individuen setzt sich 
die Thymus aus Läppchen zusammen, die eine periphere, dunkle 
Follikelzone und ein helleres Mark aufweisen; die Hassalschen 
Körperchen sind überall deutlich. 

In zwei Fällen (27, 30 em) reicht die Thymusdrüse, wie er- 
wähnt, bis zur Thyreoidea empor und in einem Falle dringt sie 
sogar durch den Isthmus hindurch bis zur medianen Fläche des 
rechten Lappens vor. 


Ich glaube, nachdem ich so die Ergebnisse bei Neugeborenen. 
den kleinen Embryonen und den grösseren zusammengefasst 
habe, mich zum Schlusse auf einige wenige Bemerkungen be- 
schränken zu können. 

Zunächst, was die Auffassung der oberen Epithelkörperchen 
als Thyreoidealgewebe anbelangt, welches auf fötaler Stufe 
stelıen geblieben ist, so muss ich in dieser Beziehung bemerken, 

30* 


456 W. KÜRSTEINER, 


dass auch in den frühesten Stadien (16 mm) schon ein deutlicher 
Unterschied zwischen Thyreoidea und Epithelkörperchen besteht. 
In dem letzteren ist schon die Anordnung der Zellen zu Zell- 
strängen, wie sie bei der reifen Form sich findet, angedeutet. 
Das vorausgesetzte Stadium, in welchem Thyreoidea und Epithel- 
körperchen gleichen Bau haben, ist also in noch frühere Zeiten 
zu verlegen. Ob das Epithelkörperchen imstande ist, sich in 
Thyreoidealgewebe umzuwandeln, dies zu beurteilen, fehlt mir 
jede Beobachtung. 

Ferner möchte ich einige Punkte aus meiner Arbeit hervor- 
heben, die in pathol. Beziehung von Bedeutung sind. 

Gerade im Anschluss an die von Vielen vorausgesetzte 
Identität von Epithelkörperchen und Thyreoidea wäre es von 
besonderem Interesse die Beziehungen der Epithelkörper- 
chen zur Struma congenita zu kennen; indessen kann ich 
in dieser Hinsicht nichts Sicheres mitteilen, da ich leider nicht 
darauf geachtet habe, ob die grösseren Epithelkörperchen bei 
den Neonati gerade bei grossen Thyreoideen sich fanden. 

Über die Beziehung der Epithelkörperchen zurStruma 
nodosa, welche acquiriert ist, kann ich ebenfalls nichts sagen, 
doch bemerke ich, dass Farner in seiner Arbeit über Morbus 
Basedowii Knoten beschreibt, welche er mit den Epithel- 
körperchen vergleicht oder, wie er nach der damals gebräuch- 
lichen Ansicht sagt, für Läppchen mit embryonalem Bau hielt; 
indessen zeigt die Beschreibung, dass dieselben den Epithel- 
körperchen des Menschen doch nicht an die Seite gestellt 
werden dürfen. Er beschreibt in ihnen zweierlei Zellformen, 
beide aber mit körnigem Protoplasma; das entspricht also 
nicht dem sehr charakteristischen Bilde der Zellen der Epithel- 
körperchen. 

Eine weitere pathologische Bedeutung erhalten vielleicht die 
Drüsenkanäle. Es bleibt natürlich weiteren Untersuchungen 


vorbehalten, in wie weit etwa kongenitale Halscysten auf 


Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 457 


diese drüsigen Bildungen zurückzuführen sind. Als Kriterium 
für eine derartige Entstehung der Cysten wäre namentlich das 
Epithel zu betrachten: das Vorhandensein von grossen, hohen, 
hellen, eylindrischen Epithelien mit der eigentümlichen Lagerung 
der Kerne an der freien Fläche, nach dem Lumen hin. Die 
Thatsache, dass in den grösseren Hohlräumen, die ich fand, 
das Epithel niedrig war, lässt aber auch die Überlegung be- 
rechtigt erscheinen, ob nicht Oysten mit niederem Epithel auch 
so aufgefasst werden könnten. Schliesslich ist in dieser Be- 
ziehung auch das Flimmer-Epithel von Bedeutung, welches ich 
öfter fand und zwar in einem Drüsenkanal, welcher ein Epithel- 
körperchen mit der Thyreoidea verbindet (9 cm), in Drüsen an 
der Thymusspitze gelegen (17,5 cm) und in einer Glandula 
praehyoidea (30 cm). 

Die eystische Degeneration der Epithelkörperchen, welche 
Schaper beim Schafe beschreibt, ist wohl identisch mit den 
Hohlräumen, welche auch ich einige Male beobachtet habe; ob 
dies eine pathologische Degeneration bedeutet, möchte gerade 
nach meinem Material etwas zweifelhaft sein. 

Am Schlusse meiner Arbeit angelangt, möchte ich meinem hoch- 
verehrten Herrn Professor Langhans für die gütige Überlassung 
des Untersuchungsmaterials, sowie für die zuvorkommende Unter- 
stützung beim Zustandekommen dieser Arbeit meinen wärmsten 
Dank aussprechen. Den Herren Prof. Gasser in Marburg und 
Priv.-Doz. Dr. Howald am hiesigen pathol. Institute sei eben- 
falls für ihr freundliches Entgegenkommen bestens gedankt. 


Erklärung der Abbildungen. 


Fig.1. Unteres Epithelkörperchen eines Neugeborenen. Leitz 
Ok. 1, Obj. 7. Das Epithelkörperchen links, an dasselbe schliessen sich nach 
rechts hin Drüsenkanäle an mit viel grösseren Zellen, deren Kern dicht am 
freien Pole liegt; im Epithelkörperchen sieht man schon ähnliche Bildungen. 

Fig. 2. Durchschnitt durch Larynx und Umgebung von einem 
16 mm langen Embryo. Präparat 30°. Leitz Ok. 5, Obj. 3. In der Mitte 
sieht man den Durchschnitt durch Larynx und Oesophagus; zu beiden Seiten 
des Larynx die Thyreoidea mit einem hufeisenförmigen Lumen im hinteren 
angeschwollenen Teile, das nach der Mittellinie hin konkav ist; links seitlich 
und nach vorne davon ist das obere Ende des Thymusstranges mit einem huf- 
eisenförmigen Lumen, nach aussen konkav, rechts dasselbe; das obere Ende - 
des Thymusstranges stellt den kleineren, dunkleren Fleck mit rundlichem Lumen 
dar, die anderen rundlichen Felder sind Gefässquerschnitte. 

Fig. 3. Embryo von 16 mm. Präp. 30° Leitz. Ok. 1 Obj. 7. Zu- 
sammenhang des Epithelkörpercehens mit der Thyreoidea durch 
einen Kernstrang. Nach rechts das obere Ende des Thymusstranges mit huf 
eisenförmigem Lumen. 

Fig. 4. Fötus von 9 em. Leitz Ok. 1, Obj. 3. Schnitt durch das 
obere Ende der Thymus, man sieht die linke und rechte Hälfte der Thymus, 
jede in einem ziemlich gut abgegrenzten hellen Felde gelegen mit Drüsen- 
bläschen in der Nachbarschaft; links am Rande des Bildes der Körper der 
Clavicula, daran sich anschliessend, nach der Mitte hin Muskel in Quer- und 
Längsschnitten. 

Fig.5. Fötus von 12cm. Leitz Ok. 1, Obj. 3. Durchschnitt durch das 
obere Ende der Thymus (Th) mit zahlreichen Drüsenbläschen; Cl. = 
Clavicula. V. = Vene. 

Fig. 6. Fötus von 12 cm. Leitz Ok. 1, Obj. 3. Drüsenkanäle 
u. -Bläschen links, entfernt von der Trachea, (siehe genauere Beschreibung 
des Fötus). 

Fig. 7. Fötus von 21 cm. Leitz Ok. 1, Obj. 7. Zellstränge des 
Epithelkörperchens; die Zellen hell, mit scharfen Grenzlinien, die meisten 
hoch, eylindrisch. Der Kern am centralen Pol. 

Fig. 8 u. 9. Fötus von 21cm. Leitz Ok. 1, Obj.3. Epithelkörper- 
chen, Thymusu.Drüsenkanäle im hellen Thymusfeld (siehe die ge- 
nauere Beschreibung. G = Gefässe; Tr = Trachea; M = Muskel. 


U DISS DE DIE 


Litteratur. 


Sandström, 1880 Jahresbericht u. Schmidts Jahrbücher. 

Kohn, 1895 Archiv für mikr. Anat. Bd. 44, S. 366, und Bd. 48, S. 398. 
Schaper, 1895 Arch. f. mikr. Anat. Bd. 46, S. 239. 

Müller, 1895 Zieglers Beiträge. Bd. 19, S. 146. 

Jakoby, 1896 Anat. Anzeiger. Bd. 12, S. 152. 1895 Dissertation Berlin. 
Groschuff, 1896 Anat. Anzeiger. Bd. 12, S. 497. 

Farner, 1896 Virchows Archiv. Bd. 143, 8. 31. 

Tourneux und Verdun 1897 Ebenda $. 63. Comptes rendues de la 
Soc. biol. de Paris 1897, S. 63. 


er. 
a rn ir a 
4 el rz Vom z. Ai; In A 


ÜBER 


VITALE FÄRBUNG VON ECHINODERMENEIERN 


WÄHREND 


IHRER ENTWICKELUNG. 


VON 


PRIVATDOZENT ALFRED FISCHEL, 


PROSEKTOR AM DEUTSCHEN ANATOMISCHEN INSTITUTE IN PRAG. 


MIT UNTEBSTÜTZUNG DER GESELLSCHAFT ZUR FÖRDERUNG DEUTSCHER 


WISSENSCHAFT, KUNST UND LITTERATUR IN BÖHMEN 


Mit 18 Abbildungen auf Tafel NXXIV/XXXV. 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVII. Heft (11. Bd. H. 4). al 


Während meines letzten Aufenthaltes in der zoologischen 
Station in Neapel (Februar— April 1898) habe ich einen Teil der mir 
zur Verfügung stehenden Zeit dazu benützt, befruchtete Eier ver- 
schiedener Seetiere mit einer Reihe von Farbstoffen „vital“ zu 
färben und dann während ihrer weiteren Entwickelung zu be- 
obachten. Die Fragestellung, die mich zu diesen Versuchen veran- 
lasste, war folgende: Gelingt es mit Hülfe von Farbstoffen 
in der lebenden, befruchteten Eizelle distinkte Ele- 
mente des Zellleibes oder vielleicht auch — nach anderweitig 
bekannten Versuchen war dies letztere allerdings unwahrschein- 
lich — des Zellkernes, ohne Schädigung der Fortent- 
wickelung zu färben? Und wenn dies der Fall ist, wie ver- 
halten sich diese distinkt gefärbten Elemente bei der 
Furchung und weiteren Differenzierung des Eies — 
werden sie auf alle aus der befruchteten Eizelle hervorgehen- 
den Zellen gleichmässig verteilt oder aber während der 
Furchung nur auf ganz bestimmte Zellen und in ganz 
bestimmter Weise hin dirigiert? 


Hinsichtlich des letzteren Punktes galt es mir, im Be- 
sonderen, als erwünschtes Ziel, vielleicht ermitteln zu können, 
dass während der Furchung eine Verteilung bestimmter Elemente 
des Eies auf ganz bestimmte Zellen, also gewissermassen eine 
Teilauslese der Plasmaarten der Eizelle statthat. Ich 
brauche wohl nicht erst näher auszuführen, wie wichtig ein solcher 
Nachweis für das Verständnis des ganzen Entwickelungs- 
geschehens wäre — wenn er gelänge. 

3l* 


464 ALFRED FISCHEL, 


Die Zeit, die ich diesen Versuchen widmen konnte, war weit 
kürzer als notwendig ist, um die gestellten Fragen erschöpfend 
zu behandeln. Was mir bisher auf diesem Wege zu ermitteln 
eelang, will ich im Nachfolgenden mitteilen, indem ich vorher 
einiges aus der hierher gehörigen Litteratur anführe. 

Versuche, die Zelle während ihrer Lebensthätigkeit, oder, 
wie man sich ausdrückt, „vital‘‘ zu färben, reichen weit zurück; 
ähnliche Experimente, die von Belchier und Duhamel, sind 
eigentlich der Ausgangspunkt der histologischen Färbetechnik 
überhaupt. Durch die von reichen Erfolgen begleitete Ausbildung 
der Färbemethoden fixierter und gehärteter Gewebe eine Zeit 
lang in den Hintergrund gedrängt, hat die Methode der vitalen 
Färbung später wieder von Seite der Physiologen erspriessliche 
Anwendung gefunden: Heidenhain, Chrzonschtzewsky- 
Wittich und zahlreiche Andere haben mit ihrer Hülfe wichtige 
physiologische Thatsachen ermittelt. — Auch die Histologen hat 
die Erkenntnis, dass man mit Hülfe der Färbung gehärteter Ge- 
webe allein nicht werde die feineren strukturellen Eigentüm- 
lichkeiten und den Bau der Zelle ermitteln können, zu wieder- 
holten Versuchen mit vitaler Färbung veranlasst und insbesondere 
Ehrlich hat diese Methode in zielbewusster Weise vervoll- 
kommnet. Von der Besprechung der zahlreichen hierher ge- 
hörigen Arbeiten sehe ich unter Hinweis auf die Litteratur- 
angaben bei $S. Mayer, Galeotti und Przesmycki ab, indem 
ich nur die allgemein wichtigen Resultate derselben hervorhebe. 

Fast alle Autoren stimmen darin überein, dass vitale 
Färbung nur an gewissen, meist als Granula bezeichneten 
Elementen des Zellleibes zu erzielen sei; der Kern dagegen 
färbe sich im Leben niemals, sondern nur nach (oder beim) Ab- 
sterben der Zelle. Selbst die Färbung der Elemente des Zell- 
leibes wird durchaus nicht übereinstimmend als, dem Wortsinne 
nach, „vitale“ d. h. lebenden Teilen der Zelle zukommende 
angesehen; ja, Galeotti meint sogar, dass lebende Zellelemente 


Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwiekelung. 465 


sich gegen die Aufnahme von Farbstoffen wehren und nur 
tote oder wenig widerstandsfähige die Farbe annehmen. 

In völligem Gegensatze zu diesen Angaben stehen die von 
Brandt und Przesmycki. Ersterer erzielte bei lebenden 
Protozoen mit Hämatoxylin eine Färbung von Kernelementen 
und letzterer will bei zahlreichen Proto- und Metazoen vitale. 
Färbung des Kernes sogar während seiner Teilung, also in einer 
seiner wichtigsten Funktionen, erhalten haben. Auch Bethe 
giebt an, dass sich mit Methylenblau die Kerne in den lebenden 
Zellen der Ruderplättchen der Utenophoren färben. 

Vitale Färbungen sind jedoch nicht allein an tierischen 
Zellen versucht worden. Pfeffer verdanken wir eine grosse und 
sorgfältige Untersuchung über vitale Färbung der Pflanzenzelle. 
Seine Resultate stimmen mit den zuerst erwähnten überein: 
Auch er spricht sich gegen eine (vitale) Färbung des Zellkernes 
aus. Pfeffer erörtert ferner auch in gründlicher Weise die 
physikalischen und chemischen Ursachen — soweit sie uns bis 
jetzt ergründbar — des Zustandekommens der Färbung überhaupt. 

So zahlreich nun auch die Versuche mit vitaler Färbung 
an den Zellen völlig entwickelter Tiere und Pflanzen sind, so 
wenige Angaben liegen hinsichtlich der Organismen während 
ihrer Entwiekelung vor. Ich habe nur folgende ausfindig 
machen können: 

In seiner bekannten Zusammenfassung der gebräuchlichen 
histologischen Färbemethoden giebt Gierke an, dass Lord S. G. 
Osborne Weizen in Karminlösung wachsen liess und dann 
die Gewebe gefärbt fand. Er stellte sich damit im Gegensatz 
zu Hartig, einem der Ersten, die Färbemethoden überhaupt 
anwendeten. Denn dieser behauptete, dass Karminfärbung nur 
dann eintrete, wenn das zu tingierende Gewebe abgestorben sei; 
und in einer späteren Arbeit behauptet Hartig niemals Färbung 
erhalten zu haben, wenn er Wasseralgen, Charen u. a. wochen- 
lange in Karminlösung wachsen liess, während die Färbung sofort 
nach ihrem Tode eintrat. 


ALFRED FISCHEL, 


466 


O. Schultze setzte Larven von Fröschen und Tritonen in 
schwache Methylenblaulösung und beobachtete gefärbte Granula 
in den verschiedensten Zellen '). 

S. Mayer hat ähnliche mit Methylenblau und Neutralrot 
erzielte Beobachtungen mitgeteilt. 

P. Ehrlich setzte keimende Pflanzen und Kaulquappen in 
Neutralrot und erhielt gleichfalls Granulafärbung. 

Mitrophanows Angaben sind die für unser Thema wich- 
tigsten. Er findet (nach Untersuchungen mit Methylenblau): 
„In den Ovarien von Periplaneta sind alle in Entwickelung be- 
griffenen Eier von blauen Körnchen eingehüllt, die gröberen 
derselben sind an den Grenzen der Eikammern angesammelt. 
Ähnliche Körner finden sich auch in entwickelten 
Eiern zwischen den Dotterelementen bei Periplaneta, 
einer Spinne und beim Frosche. Diese Wahrnehmung wird be- 
stätigt durch A. Kowalewsky an den in Entstehung be- 
griffenen Geschlechtsorganen von Raupen“. Mitrophanow 
vindiziert solehen Beobachtungen eine grosse Bedeutung. Syste- 
matische Versuche mit vitaler Färbung der Eizelle während 
ihrer weiteren Entwickelung hat jedoch auch er nicht angestellt, 
ihre Wichtigkeit aber, gleichwie auch Kowalewsky, hervor- 
gehoben.?) 


Eigene Untersuchungen. 


Für meine Versuche verwendete ich zuerst Eier von Echinus 
mierotubereulatus, Sphaerechinus granularis, Üione 
intestinalis, Phallusia mammillata, einige Male auch von 


1) Bezüglich der Versuche OÖ. Hertwigs, Drieschs und Herbsts mit 
Methylenblau, bezw. Fuchsin verweise ich auf die spätere Besprechung dieser 
Farbstoffe. 

2) Auf der 69. Vers. d. Gesellsch. deutsch. Naturf. u. Ärzte im Jahre 1897, 
deren Verhandlungen vor kurzem erschienen sind, hat B. Solger (vorläufig) 
über vitale Farbstoffimprägnationen mit Methylenblau und Neutralrot (an 
wirbellosen Tieren) berichtet, nähere Angaben über die Einwirkung auf sich 
entwickelnde Eier jedoch nicht gemacht. 


Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 467 


Cestus Veneris. Es zeigte sich bald, dass die besten Resul- 
tate die Eier der ersterwähnten Art lieferten und auf sie beziehen 
sich auch alle nachfolgenden Angaben. 

Die Eier wurden stets erst in dem gefärbten Meerwasser 
befruchtet. Zur Färbung verwandte ich mineralische und Pflanzen- 
farbstoffe, sowie einige Farblösungen. Es waren insgesamt 26 


und zwar folgende: 


L!) Anilinderivate. 
Oxydationsprodukte: Indulin, Nigrosin, Methylenblau, 


Thionin. 
Toluidinoxydationsprodukte: Safranin, Neutralrot. 
Rosaniline: Fuchsin, Magentarot, Rubin S. 
Rosanilinderivate: Dahlia, Gentianaviolett, Methylviolett, 
Methylgrün, Toluidinblau. 
Azofarben: Bismarckbraun. 
Oxyazofarben: Bordeaux-Rot. 
Phtaleine: Eosin, Cyanin. 


II. Anthrazene. 


Alızarin. 
III. Pflanzliche Farbstoffe. 
Örcein. Orseille. 


IV. Farblösungen. 

Karmalaun, Hämatoxylin(Böhmer), Hämalaun, Hämacalcium, 
Biondisches Gemisch. 

Diese Farben wurden entweder direkt in Meerwasser gelöst 
oder, wenn dies nicht möglich war, als (anderweitig bereitete) 
Lösung in Meerwasser filtriert. Der Konzentrationsgrad der 
angewandten Lösungen im Meerwasser war stets ein äusserst 
geringer, oft wohl kaum !/,ooono betragender. (Genauere, pro- 


1) Geordnet nach Trait& des methodes techniques p. Bolles Lee et 
F. Henneguy. 


Im #7 


468 ALFRED FISCHEL, 


zentische Angaben unterlasse ich: Die Konzentrationen wechseln 
bei der vitalen Färbung nicht nur nach dem verschiedenen 
Farbstoffe sondern auch nach dem zu färbenden Objekte ausser- 
ordentlich und müssen daher von Fall zu Fail bestimmt werden. 
In der Regel verwendete ich mindestens zwei verschiedene 
Lösungen eines und desselben Farbstoffes, eine schwächere, bei 
welcher der Ton der betreffenden Farbe eben noch erkennbar 
war und eine stärkere, bei welcher die Farbe klar und deutlich 
hervortrat. 

Die zahlreichsten Versuche stellte ich mit dem Neutralrot 
an, von dem ich überhaupt ausging und das auch die besten 
Resultate lieferte. Mit diesen will ich auch die Beschreibung 
beginnen und dann erst die anderen Farbstoffe in der oben an- 
gegebenen Reihenfolge besprechen. 


Versuche mit Neutralrot. 


Das Neutralrot ist von Ehrlich in die histologische Technik 
eingeführt worden. Es ist das salzsaure Salz einer Farbbase, 
das sich in reinem Wasser mit fuchsinroter Farbe löst, welche 
aber in schwach alkalischer Lösung gelbborange wird. Ehrlich 
brachte Kaulquappen in Lösungen von 1:10 bis 100000 — 
nach kurzer Zeit schon nahmen sie soviel von dem Farbstoffe 
auf, dass alle Gewebe dunkelrot waren. Der Farbstoff zeigte 
sich in den Zellen an Körnchen gebunden, welche zum grossen 
Teile vorgebildet sind, zum Teile aber auch Farbstoffnieder- 
schläge sein können — je nach der Art, Form und Lagerung 
der Körnchen soll sich dies entscheiden lassen. Auch an keimen- 
den Pflanzen erhielt Ehrlich typische Granulafärbung. 

Seitdem haben S. Mayer, Galeotti, Przesmycki, 
Prowasek, Solger u. a. sowohl 'an Zellen von Meta- 
zoen als auch an Protozoen mit Neutralrot Granulafärbung 
erzielt. S. Mayer fand ausserdem, dass sich mit diesem Farb- 
stoffe degenerierende Nervenfasern sehr leicht nachweisen lassen ; 


Verla& von J. ‚FE. Ber$mann Wiesbaden 


Über vitale Färbung v. Ech nodermeneiern während ihrer Entwickelung. 469 


dass bei Atrophie der Fettzellen die durch chemische Umwand- 
lung des Fettes hierbei erzeugten Produkte sich intensiv färben 
und dass endlicb — bei Säugetieren — nach dem Tode an vielen 
Organen eine Umwandlung der roten in eine gelbe Farbe statt- 
findet. 

Eine Hetachromasie der Granula verschiedener Zellen- 
strata bei Wirbellosen hat Solger beobachtet. 

Sehr auffällig sind die Angaben Przesmyckis, der mit Neu- 
ralrot Kernfärbung an lebenden Tieren erhalten haben will. — 

Alle Autoren, die mit Neutralrot gearbeitet haben, stimmen 
mit Ehrlich darin überein, dass es eine geradezu maximale 
Verwandtschaft zu der Mehrzahl der Granula besitze. 
Diese Thatsache, die auch für die Färbung der Eizellen gilt, 
ist für die nachfolgenden Angaben von Wichtigkeit. Nur bei 
Anwendung entsprechend stark verdünnter Lösungen kann man 
die zu schildernden Bilder in klarer Form erhalten; bei zu 
starken Lösungen aber erhält man nur unreine Färbungen. Die 
Lösungen von Neutralrot, die ich benützte, waren dementsprechend 
sehr schwach; die schwächere unterschied sich kaum merklich 
von ungefärbtem Meerwasser, die stärkere hatte nur einen schwach 
rötlichen Ton. 

Befruchtet man nun Eier von Echinus microtuber- 
culatus in diesen Lösungen, so zeigt sich folgendes: 

In der schwächeren Lösung bleiben die Eier in der Regel 
während der Befruchtung und zumeist auch während der ersten 
beiden Furchungen ganz ungefärbt und erst dann tritt Körn- 
chenfärbung und -bewegung in der weiter unten zu schildern- 
dern Form auf. Nur diejenigen Eier, welche — gefurcht oder 
ungefurcht — bald in der Lösung abstarben, wiesen eine und 
„war ganz diffuse Färbung des Plasmas auf. 

In der stärkeren Lösung dagegen beobachtet man an den 
völlig normal erscheinenden und sich weiter entwickelnden Eiern 
sehr bald einen schwach rötlich gefärbten, zarten Hof in einiger 


470 ALFRED FISCHEL, 


Entfernung um den als hellen Kreis im Ei sichtbaren Kern. 
Allmählich treten in diesem Hofe ganz feine, schwach rötlich 
eefärbte, runde oder stäbehenförmige Körnchen auf; 
sie werden immer deutlicher und bilden dann einen Körnchen- 
ring innerhalb der Eizelle. An dieser letzteren können wir 
nunmehr drei Zonen unterscheiden (Figur 1): Eine peripherische, 
hellgelbe, in der keine Körnchen liegen; dann eine mittlere, 
welche die rot gefärbten Körnchen enthält und eine centrale, 
um den Kern befindliche, gleich der peripherischen, helle Zone. 
Die Körnchen in der mittleren Zone liegen zwischen den Strahlen 
des Protoplasma anscheinend in ziemlich regelmässiger Anord- 
nung. Nach einiger Zeit schwindet — wie bekannt — 
die Strahlung; nunmehr beginnen die Körnchen auch 
in der centralen, hellen.Zone zu erscheinen, sodass die 
Farbendifferenz zwischen ihr und der mittleren schwindet. Dann 
treten die Körnchen auch in der peripherischen Zone 
auf. Es erscheint daher nach einiger Zeit die ganze Eizelle 
— mit Ausnahme ihres dem Kerne entsprechenden Bezirkes — 
völlig mit Körnchen erfüllt. Diese Durchsetzung der ganzen 
Zelle mit Körnchen ist übrigens in diesem Stadium nicht immer 
so deutlich entwickelt, wie in späteren gleichartigen Stadien 
(Figur 6 und 11) — Ruhestadium der Zelle — oder sie 
geht sehr bald in das nächstfolgende Bild über. 

Die befruchtete Eizelle tritt jetzt in das erste Furchungs- 
stadium. Die Vorgänge, die sich hierbei, sowie während der 
späteren Teilungen der einzelnen Furchungszellen, am lebenden 
Objekte beobachten lassen, sind, wie bekannt, folgende: Es bildet 
sich wiederum ein deutliches Strahlensystem aus; die Strahlen 
laufen radiär gegen einen hellen, dem Kerne entsprechenden 
Fleck in der Mitte der Zelle hin. Dieser helle Fleck wird später 
durch Streckung in der einen Achse mehr elliptisch. Gleichzeitig 
bilden sich jetzt zwei Strahlensysteme, welche je gegen die beiden 
Endpunkte der langen Achse des elliptischen hellen Hofes hin- 


Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 471 


strahlen. Diese Endpunkte treten später als helle Kreise deut- 
licher hervor, sodass sie samt dem sie verbindenden Zwischen- 
stücke die bekannte hantelförmige Figur bilden. Hierauf konımt 
es zur Einschnürung und Teilung in die beiden Tochterzellen. 

Mit allen diesen Vorgängen sind nun parallel einhergehende 
Veränderungen in der Art der Anordnung der gefärbten Körn- 
chen verbunden. Sobald die Zelle zur Teilung sich anschickt 
und ein Strahlensystem deutlich wird, schwinden die bis dahin, 
wie oben ausgeführt wurde, in der ganzen Eizelle unregelmässig 
verstreuten Körnchen, in der Peripherie. Sie rücken zwischen 
den Strahlen gegen das Centrum vor, bis sie endlich rings um 
den dem Kerne entsprechendem hellen centralen Fleck einen 
schönen roten Ring bilden. Eine, im Gegensatze zu der früheren 
regellosen Anordnung, mehr geordnete Stellung der Körnchen 
innerhalb dieses Ringes ist schon durch ihre Lage zwischen 
den, in fast gleichen Abständen von einander zum Kerne hin- 
zielenden Strahlen gegeben. Innerhalb dieser Räume zwischen 
den Strahlen aber scheinen sie, soweit sich dies überhaupt bei 
so minutiösen Verhältnissen feststellen lässt, ebenfalls ziemlich 
geordnet in Reihen neben einander zu stehen — wenigstens 
bei Einstellung des Mikroskopes auf eine und dieselbe Ebene. 
Jedenfalls gewähren — wenn die Färbung gelungen ist — die 
Eier in diesen (und auch in den nächsten gleichartigen) Stadien 
ein ausserordentlich schönes Bild: Der helle Kernkreis in der 
Mitte der Zelle ist von einem schönen, regelmässigen, aus Körn- 
chen bestehenden roten Kreise umgeben, dessen Farbe sich 
scharf von dem centralen hellen Kreise und der hellgelben peri- 
pherischen Zone des Zellleibes abhebt (vgl. Figg. 2, 7, 12 und 14), 
welche in diesem, wie auch in den folgenden Stadien, zwar 
auch einige, aber gegenüber den um den Kern angehäuften, 
verschwindend wenige Körnchen aufweist. 

Aus diesem regelmässigen Körnchenkreise bildet sich nun 
allmählich, gleichwie aus dem Kernfleck, eine elliptische Figur 


472 ALFRED FISCHEL, 


(Figur 3), deren Achsen völlig mit denen der elliptischen Kern- 
figur zusammenfallen: Es ist also die Körnchenmasse der 
Formänderung des Kernes ganz symmetrisch gefolgt. Dieser 
Parallelismus in der Gesamtform der Körnchen — 
und der Kernfigur lässt sich nun auch weiterhin 
während aller Stadien der Kernteilung klar nach- 
weisen: Die elliptische Körnchenmasse streckt sich immer mehr 
in die Länge; an den Endpunkten der langen Achse der Ellipse 
sammeln sich nach- einiger Zeit mehr Körnchen an und bilden 
je eine regelmässige Kreisfigur — auch die Körnchenmasse 
bildet also jetzt, wie der Kern, eine hantelförmige Figur (Fig. 4), 
wenn auch die Einschnitte zwischen dem Hantelstiele und den 
Hantelkugeln, infolge der im Verhältnisse zur Länge bedeuten- 
deren Breite der Körnchenmasse, weniger scharf hervortreten, 
wie an der Hantelfigur des Kernes. 

Sehr interessant sind die Bewegungen der Körnchen bei 
der nun erfolgenden Durchschnürung der Zelle. Sowie die 
Teilungsfurche an der Peripherie der Mutterzelle erscheint, 
rücken sie von der Mitte des Hantelstieles gegen die beiden 
Kugeln der Hantelfigur hin ab (Figur 5); so wird allmählich der 
mittlere Abschnitt des Hantelstiels frei von dem ihn früher 
umhüllenden Körnchenmantel; und die Furche, die gegen ihn 
hin die Zelle durchschneidet, durchsetzt daher eine von Körn- 
chen freie Zone — d. h. also, die Körnchen rücken von 
der Teilungsebene der Zellen ab. Für die Erklärung der 
Körnchenbewegung überhaupt ist es, wie ich gleich hier be- 
onen möchte, von Wichtigkeit, dass dieses Abrücken der Körn- 
chen durchaus nicht immer zuerst,auf jener Seite bemerkbar 
wird, auf der die Teilungsfurche auch zuerst erscheint oder tiefer 
einschneidet. Wiederholt habe ich beobachtet, dass die Körn- 
chen zuerst auf jener Seite von der Teilungsebene abrückten, 
auf der die Durchschnürungsfurche entweder noch nicht sicht- 


bar war oder noch nicht so tief einschnitt, wie auf der anderen 
Seite der Zelle. 


Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 473 


Die geschilderte Anordnung der Körnchen (Fig. 5) erhält 
sich noch einige Zeit nach erfolgter Teilung in den entstandenen 
beiden Tochterzellen. Solange noch in jeder von beiden die 
Reste des hellen Hantelstiels sichtbar bleiben, solange bleibt 
auch der gegen die Teilungsebene gerichtete Teil der Zelle 
körnchenfrei und es hat daher in beiden Tochterzellen die Körn- 
chenmasse die Form eines gegen die Trennungsebene offenen 
Halb- (oder richtiger Dreiviertel-) kreises, wie dies (allerdings 
nicht von diesem sondern vom nächstfolgenden Furchungs- 
stadium) Figur 10 wiedergiebt. | 

Dieses Stadium geht rasch vorüber; die Körnchen rücken 
auch in das bisher von ihnen freie Zellgebiet, die Körnchen- 
figur wird daher zu einem Kreise geschlossen und es resultiert 
somit wiederum das Bild, das den Beginn der Zellteilung ein- 
eitete und das Figur 2 wiedergiebt. 

Gleich darauf tritt jede der entstandenen Tochterzellen in 
das Ruhestadium, die Pause vor der nächsten Furchung, ein; 
die Strahlung des Plasma verschwindet, gleichzeitig damit geben 
die Körnchen ihre kreisförmige Anordnung um den Kern aulf- 
rücken in alle Teile der Zelle und erfüllen sie nunmehr 
völlig und. in regelloser Anordnung (Fig. 6). Diese An- 
ordnung der Körnchen ist charakteristisch für das 
Ruhestadium der Zelle. 

Sobald aber die neue Teilung einsetzt, wiederholt sich das 
ganze Spiel der Körnchenbewegung von neuem: Die in der 
ganzen Blastomere regellos zerstreuten Körnchen strömen gegen 
den Kern und bilden um ihn einen roten Ring (Figg. 7, 12 u. 14); 
dieser wird später zu einer Ellipse (Figg. 8 und 13), zur Hantel- 
figur (Fig. 9); bei beginnender Durchschnürung strömen die 
Körnchen wiederum von der Teilungsebene weg und bilden in 
den neuen Blastomeren zunächst einen offenen Ring (Fig. 10), 
der sich rasch schliesst. Sobald die neuentstandenen Blasto- 
meren in das Ruhestadium treten, verschwindet die centrale, 


474 ALFRED FISCHEL, 


regelmässige Anordnung, sie erfüllen jetzt wieder die ruhenden 
Tochterzellen ebenso vollständig und regellos, wie sie die ruhen- 
den Mutterzellen erfüllten (Fig. 11). 

Solange die Blastomeren eine gewisse Grösse besitzen, kann 
man die geschilderten Bewegungen der Körnchen deutlich nach- 
weisen. Sobald aber in späteren Stadien die Furchungszellen 
klein geworden sind, werden auch die Körnchenfiguren kleiner 
und sind daher weniger in die Augen fallend. Es scheint, dass 
dann die Körnchen auch weit näher um den Kern gelagert sind 
als in den früheren Stadien. Abgesehen von der Kleinheit 
der Figuren tritt aber auch ihr Bild deshalb weniger scharf 
hervor, weil jetzt weit weniger Körnchen in den einzelnen 
Zellen vorhanden sind als zu Anfang des Furchungsprozesses, 
eine Thatsache, deren Bedeutung gleich näher erörtert werden soll. 

Wir haben uns bei Beginn unserer Betrachtung zunächst 
die Frage vorgelegt, ob es überhaupt gelingt mit Farbstoffen 
granuläre Färbung in der Eizelle und ihren Abkömmlingen zu 
erhalten. Es gelingt dies, wie wir sahen, sehr gut mit Neutral- 
rot. Die weitere Frage war nun die, ob diese gefärbten Elemente 
in bestimmter Weise auf die einzelnen während der Furchung 
entstandenen Zellen verteilt werden. Hier lässt sich zunächst 
konstatieren, dass die gefärbten Elemente der Eizelle nicht 
vielleicht nur auf ganz bestimmte Zellen verteilt werden. Sie 
lassen sich vielmehr später in allen, sowohl den grossen wie 
den kleinen (Fig. 15) Furchungszellen!) deutlich nachweisen. 
Wir müssen demnach folgern, dass während der Furchung keine 
Auslese der Körnchen für nur gewisse Furchungszellen stattfindet, 
dass sie vielmehr gleichmässig auf alle Blastomeren ver- 


!) Ich vermeide absichtlich die von Selenka (Studien über die Ent- 
wickelungsgeschichte der Tiere II.) diesen Zellen als Kennzeichner des sogen. 
animalen Poles beigelegte Bezeichnung „Scheitelzellen“. Denn Driesch 
(Entwickelung mechanische Studien IX, Mittlg. der zool. Station in Neapel XI, 
S. 232) kann die Sicherheit einer solchen Beziehung zwischen diesen Zellen 
und einem animalen Pole nicht bestätigen. 


Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 475 


teilt werden — vorausgesetzt, dass alle in späteren Stadien 
in den einzelnen Zellen gefundenen Körnchen jauch, ihrer Her- 
kunft nach, auf die Eizelle zurückzuführen sind. Denn es wäre 
ja denkbar, dass die Menge der in der Eizelle enthaltenen 
Körnchen schon durch die Verteilung auf die erstentstandenen 
Furchungszellen erschöpft wird und die in den später entstandenen 
Blastomeren vorgefundenen Körnchen in diesen selbst durch 
nachträgliche Färbung besonderer, in ihnen erst zur Ausbildung 
gelangter Gebilde entstanden sind. 

Gegen den letzteren Umstand spricht zunächst allerdings, 
dass es bei aufmerksamer Beobachtung nicht gelang, ein lokales 
Entstehen und Auftreten von Körnchen in den später ent- 
standenen Blastomeren nachzuweisen. Aber, bei der Schwierig- 
keit einer solchen Beobachtung wäre dies kein hinreichender 
Gegengrund. Doch spricht noch ein anderer, Umstand gegen 
die erwähnte Möglichkeit und das ist die Zahl der Körnchen 
in den erst- und in den später entstandenen Furchungszellen. 
Würden in jeder Blastomere neue Körnchen entstehen und sich 
zu den von der Eizelle überkommenen hinzugesellen, müsste 
ihre Zahl auch in den kleineren, später entstandenen Blasto- 
meren eine ziemlich bedeutende sein. Dem ist aber nicht so. 
Fortschreitend mit der Furehung nimmt die Zahl 
der Körnchen in den einzelnen immer kleiner werden- 
den Blastomeren auch stetig ab und zwar nicht nur, wie 
natürlich, absolut, sondern auch relativ. Während in den ersten 
Blastomeren die Körnchen bei Beginn der Teilung, wie erwähnt, 
einen breiten Ring um den Kern bildeten, ist später ihre Zahl 
so zusammengeschrumpft, dass sie in diesem Stadium nur noch 
in einer oder zwei Reihen als ganz unverhältnismässig schmaler 
Ring den Kern umgreifen. Es spricht dies, wie mir scheint, 
gegen eine oder zum mindesten gegen eine merkliche Neu- 
bildung von Körnehen in den während der Furchung ent- 
stehenden Zellen. Es ist deshalb in hohem Grade wahrschein- 


476 ALFRED FISCHEL, 


lich, dass, wenn nicht alle, so doch die überwiegende Mehrzahl 
der Körnchen in den Furchungszellen von den in der Eizelle 
dargestellten abstammt. Das heisst also mit anderen Worten: 
Die durch Neutralrot in der Eizelle gefärbten Ele- 
mente werden während der Furchung aufalle Zellen 
gleichmässig verteilt. 

Auch nach abgelaufenem Furchungsprozess lassen sich die 
Körnchen nachweisen. 

In der Blastula und Gastrula (Figg. 16 u. 17) sind sie un- 
gemein fein und dicht gedrängt. Sie weisen stets eine ganz 
bestimmte Lagerung auf: In den Zellen der Blastula bilden sie 
einen feinen roten Saum an der nach aussen gekehrten, d. h. 
freien Seite der Zellen. Niemals kann man Körnchen an der 
gegenüberliegenden, basalen Seite der Zellen finden. Auch in 
diesem Punkte drückt sich also eine gewisse Polarität der 
Zellen aus. 

In den sich einstülpenden Zellen der Gastrula stehen die 
Körnchen der Mitte der Zellen ein wenig genähert (Fig. 16). 
Auch in den Mesenchymzellen lassen sie sich nachweisen (Fig. 16). 
Gewöhnlich sind in diesen zwei grössere, stark gefärbte und in 
annähernd gleichem Abstande von einander befindliche und 
ausserdem noch mehrere kleinere Körnchen nachzuweisen. Es 
scheint ferner, dass der Farbenton dieser Körnchen der Mesen- 
chymzellen ein anderer, dunklerer ist als der der übrigen. 

Sehr eigenartig ist das Bild der in Neutralrotlösungen ge- 
züchteten Pluteuslarven (Fig. 17). Das Erste, was hier deutlich 
auffällt, ist die lebhafte Färbung der Mesenchymzellen, ins- 
besondere der pigmentierten. Sie zeigen einen von ihrer gewöhn- 
lichen Färbung ziemlich abweichenden, auffälligen grauroten 
Ton. Zwischen ihnen liegen die gleichfalls, aber viel heller und 
in feinster Körnchenform gefärbten übrigen Mesenchymzellen. 
(Beide Zellarten sind neben Figur 17 bei stärkerer Vergrösserung 
wiedergegeben.) Wie an den Blastulazellen kann man auch an 


Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwiekelung. 477 


den Ektodermzellen, insbesondere an den Armen der Plutei, 
äusserst feine Körnchen am freien Ende der Zellen nachweisen ; 
noch viel feiner ist der Saum, den sie an der dem Lumen zu- 
gekehrten, also wiederum der freien Seite der Entodermzellen 
bilden. — 

Einige physiologisch interessante Thatsachen möchte ich 
hier noch erwähnen. Die Echinodermenlarven zeigen vom Blastula- 
stadium ab bestimmte, gesetzmässig verlaufende Beweg- 
ungen im Wasser, die an den gefärbten Tieren sehr schön 
zu beobachten und zu verfolgen sind. Die Art dieser Beweg- 
ungen hat H. E. Ziegler näher beschrieben. Die Larven 
schwimmen nämlich unter stetiger Rotation nach aufwärts an 
die Oberfläche des Wassers, schwimmen hier kurze Zeit in hori- 
zontaler Richtung und fallen dann plötzlich wieder nach abwärts, 
um gleich wieder nach aufwärts zu rotieren. Das Abfallen ge- 
schieht nun nicht wie das Aufsteigen einzelweise, sondern in 
Klumpen; in den Glasdosen, in denen ich die gefärbten Larven 
hielt, sah man daher stets von der Oberfläche des Wassers 
vertikale (rote) Säulen in die Tiefe herabreichen, welche den 
gruppenweise nach abwärts sinkenden Larven entsprachen. 

Es ist mir nun sehr bald zweierlei aufgefallen. Einmal 
standen die roten Säulen nicht regellos in der ganzen Glasdose 
zerstreut, erfolgte also das Absinken der Larven nicht 
regellos von den verschiedensten Punkten der Ober- 
fläche aus. Die Säulen waren vielmehr in Linien angeordnet, 
welche wiederum einander parallel liefen. In runden Glasdosen 
standen die Linien quer, in rechteckigen liefen sie meist der 
längeren Achse des Gefässes parallel, bildeten also lange Reihen. 

Die die Larven enthaltenden Glasdosen bedeckte ich, um 
das Hineinfallen von Staub zu verhüten, mit Glasscheiben; diese 
waren aus mattem Glase verfertigt oder so bedeckt, dass das 
Licht nur von den Seiten her in die Glasdose einfallen konnte. 
Wiederholt konnte man nun, besonders am Morgen, bemerken, 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVL. Heft (11. Bd., H. 4). 32 


478 ALFRED FISCHEL, 


dass alle oder die überwiegende Mehrzahl der roten Larven- 
säulen an der dem Fenster abgewendeten Seite der Glas- 
dosen standen, das Abfallen der Larven also an der dem Licht- 
einfalle ungünstigsten Stelle erfolgte. Es lag nahe, an 
jene. interessanten biologischen Vorgänge zu denken, die man 
als Phototaxis bezeichnet hat und die an zahlreichen 
Organismen beschrieben wurden. Vorerst aber waren andere 
möglicherweise in Betracht kommende Einflüsse auszuschalten: 
Es konnten zwischen der dem Fenster zu- und abgewendeten 
Seite Temperaturunterschiede und daher verschiedene Ström- 
ungsrichtungen des Wassers bestehen. Ziegler, dem Ähn- 
liches auffiel, leugnet den Lichteinfluss und nimmt an, dass 
die Larven sich stets in dem kühleren, absteigenden Wasser- 
strom ansammeln. Die Entfernung der Dosen aus der Nähe 
des Fensters in eine gewiss gleichmässig temperierte Um- 
gebung zeigte jedoch keine Veränderung der Reihenanordnung; 
es waren also keine Temperatur- und Strömungsunterschiede 
mit im Spiele. Ich bin aber trotzdem, da meine entsprechenden 
Versuche zu gering an Zahl sind, nicht berechtigt, der ablehnen- 
den Haltung Zieglers gegenüber einem Einflusse des Lichtes auf 
die Bewegung der Larven irgendwie entgegenzutreten ; erwähnen 
möchte ich aber doch, dass sich vielleicht folgendes auf Lichteinfluss 
zurückführen lassen könnte. Während, wie erwähnt, die Larven- 
reihen am Tage solange es hell war, sehr oft an der dem Fenster 
abgekehrten Seite standen, fanden sie sich in der Nacht stets 
im ganzen Gefässe vor. Ja, in einigen Fällen gelang es mir 
die letztere Anordnung ‚künstlich zu erzeugen, wenn ich den 
Zutritt des Lichtes zur Glasdose für einige Stunden hinderte. 
Da dies aber nicht konstakt eintrat, vermag ich auch keine be- 
stimmten Schlüsse zu ziehen. Es scheint mir aber, dass eine 
nähere, mir nicht möglich gewesene, Untersuchung dieser an 
gefärbten Larven sehr deutlich verfolgbaren, physiologisch wich- 
tigen Bewegungen noch immer lohnend wäre. 


Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 479 


In wie feiner Weise die Larven auf äussere Reize reagieren, 
zeigt ein anderer Versuch. Um das Verhalten der Larvenreihen 
zu Wärmeeinflüssen zu ermitteln, brachte ich eine Bunsen- 
brennerflamme (um Lichtwirkung auszuschalten) in die Nähe 
der Glasdosen, jedoch in solcher Entfernung, dass keine be- 
deutendere Erwärmung eintreten konnte, da sonst die Larven, 
wie dies Ziegler beschrieben, von dieser erwärmten Seite sich 
entfernen. Stand nun die Flamme an der vom Beobachter ab- 
gekehrten Seite, so zogen die Reihen, einander parallel, sämtlich 
in der Richtung von der Flamme zum Beobachter. Stellte ich 
die Flamme auf die eine z. B. rechte Seite, so bildete sich als- 
"bald eine andere Anordnung der Reihen aus: Sie zogen jetzt 
von rechts nach links, d. h. senkrecht zur früheren Richtung. 
Die Verschiebung der Flamme hatte also genügt, um eine ent- 
sprechende Verschiebung der Verlaufsrichtung der 
Reihen um 90° zu bewirken. Ob hier eine Reaktion auf 
Wärmestrahlen vorliegt, vermag ich nicht anzugeben, so wahr- 
scheinlich dies auf den ersten Blick zu sein scheint. — Die 
Reaktion der Larven auf stärkere Erwärmung und Abkühlung 
der Flüssigkeit hat Ziegler durch Versuche nachgewiesen und 
erklärt. Hinsichtlich der dem absteigenden, kühleren Wasser- 
strome entgegengesetzten Aufwärtsbewegung der J,arven weist 
er auf den hierbei sich ergebenden biologischen Nutzen hin, 
„dass die Larve sich hinsichtlich ihrer Atmung am besten be- 
findet, wenn sie der Strömung entgegenschwimmt oder in der‘ 
Strömung stillsteht.“ — 

Aus den früher mitgeteilten Thatsachen, an die wir nach 
dieser Abschweifung von unserem eigentlichen Thema wieder 
anknüpfen wollen, geht hervor, dass wir im stande sind Echino- 
dermeneier ohne jegliche Schädigung der weiteren 
Entwiekelung mit Neutralrot in spezifischer Weise 
vital zu färben und Pluteuslarven mit gefärbten Körperzellen 
zu erhalten. Ich habe solche Larven durch volle zwei Wochen 

32* 


480 ALFRED FISCHEL, 


in gefärbtem Zustande lebend erhalten können. Es ist bekannt, 
dass man auf künstlichem Wege die Entwickelung der Echino- 
dermen nur bis zu diesem Stadium verfolgen kann. Ich habe 
daher die weiteren Metamorphosen nicht beobachten können 
und muss demnach die Frage offen lassen, ob nicht vielleicht 
die aus solchen gefärbten Pluteuslarven hervorgehenden Tiere 
sich doch irgendwie von normal entwickelten unterscheiden. 
Es ist erwähnt worden, dass zur Färbung stärkere und 
schwächere Lösungen verwendet wurden. Das endgültige Resul- 
tat ist aber bei beiden das gleiche, nur dass bei Lösungen der 
ersten Art die geschilderten Erscheinungen etwas später, dann 
aber um so reiner zu Tage treten. Es zeigt sich hierbei, dass. 
in schwächeren Lösungen durchaus nicht vielleicht weniger 
Körnchen gefärbt werden als in stärkeren. Die Zahl ist vielmehr 
allem Anscheine nach dieselbe, nur dass bei stärkeren Lösungen die 
Färbung der Körnchen, insbesondere in den späteren Stadien, weit 
intensiver ist, sie daher massiger aussehen. Selbst beidiesen Larven 
erstreckt sich aber die Färbung stets nur auf die Körn- 
chen allein und der übrige Teil der Zellen bleibt bei An- 
wendung auch sehr starker Lösungen völlig ungefärbt. Zeigt 
sich auf diese Weise eine rein elektive Färbung gewisser 
Bestandteile des embryonalen Zellleibes, so geht andererseits 
aus den Versuchen eine absorbierende, den Farbstoff 
speichernde Fähigkeit der Körnchen hervor: Setzen wir 
die befruchteten Eier in schwache Neutralrotlösungen, so nehmen 
sie nach kurzer Zeit allen in der Lösung enthaltenen Farbstoff 
an sich und die Lösung wird daher bald völlig farblos, die ge- 
färbten Larven heben sich bei ihren Bewegungen scharf von ihr 
ab; starke Lösungen werden ferner merklich durch sie entfärbt. 
In den letzteren vermag man aber noch eine andere Er- 
scheinung zu konstatieren. Vergleicht man die Zahl und den 
Färbungsgrad der Körnchen von späten Furchungsstadien mit 
denen in Blastulis und älteren Larven, so hat es ganz den 


Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 481 


Anschein, als ob sie in den letzteren Entwickelungsstadien er- 
heblich gesteigert wären. Dieser Umstand legt den Gedanken 
nahe, dass vom Stadium der Blastula an, von dem ab die 
Larve selbständiger Bewegung fähig wird und offenbar funk- 
tionell höher steht, durch neu auftretende oder gesteigerte 
chemische Lebensprozesse eine Vermehrung und ein 
gesteigertes Speicherungsvermögen der Körnchen 
eintritt. 

Während wir bis zu diesem Stadium alle Körnchen als von 
der Eizelle allein durch gleichmässige Verteilung abstammend 
ansehen können, scheinen von da ab in den in regeren Stoff- 
wechsel tretenden Zellen neue farbstoffspeichernde Elemente zu 
entstehen. | 

Die allmählich während der Entwickelung eintretende Diffe- 
renzierung der Zellen legt uns die Frage nahe, ob nicht auch 
gleichzeitig an den verschiedenen Larvenzellen eine ver- 
schiedene Färbung eintrete, der Farbstoff in den ver- 
schiedenen Zellen seine Nuance ändere (Metachromasie). 
S. Mayer hat, wie erwähnt, eine solche Metachromasie an mit 
Neutralrot gefärbten Zellen von Säugetieren beobachtet, aller- 
dings erst nach dem Tode. Eine solche Metachromasie lässt 
sich jedoch nicht mit Deutlichkeit nachweisen. Zwar ist die 
Färbung der Körnchen der Mesenchymzellen eine lebhaftere, 
die der Entodermzellen vielleicht eine zartere als die Ektoderm- 
zellen, aber rot bleiben sie stets. 

Mit Sicherheit lässt sich ferner angeben, dass unter keinen 
Umständen eine Färbung des Kernes selbst eintritt, 
wie sie Przesmycki an Proto- und Metazoen beschrieben hat. 
Dagegen tritt eine völlige diffuse Färbung des ganzen Zellleibes 
ein, wenn die Zellen in der Lösung absterben; es bilden sich 
jedoch hierbei niemals, wie bei mit anderen Farbstoffen (siehe 
unten) gefärbten und abgestorbenen Zellen, farbige Klumpen 
im toten Plasma. — 


482 ALFRED FISCHEL, 


Im Einklange mit der geschilderten maximalen Absorptions- 
kraft der Granula zum Neutralrot steht ferner die Thatsache, 
dass der Farbstoff aus den einmal gefärbten Zellen 
nicht mehr abgegeben wird. Man mag die Lösung, sobald 
die Zellen gefärbt sind, noch so sehr verdünnen oder die Eier 
direkt in ungefärbtes Meerwasser setzen, sie geben den einmal 
gebundenen Farbstoff nicht wieder an ihre Umgebung ab. 
Dieser Umstand beweist, dass der Farbstoff nicht einfach als 
Lösung, sondern in Form einer chemischen Verbindung 
in der Zelle abgelagert ist. 

Trotzdem ist es mir nicht gelungen die gefärbten Granula 
in mit den verschiedenen gebräuchlichen Fixierungsmitteln ge- 
töteten Eiern zu erhalten oder den Farbstoff in vital gefärbten 
Eiern auch nach der Fixierung zu konservieren. Wenn dies 
noch überhaupt notwendig ist, so kann man auch diese That- 
sache als Beweis dafür ansehen, dass die Färbung der Körnchen 
nur in der lebenden Zelle selbst möglich, also in diesem 
Sinne wirklich „vital“ ist. 

Fassen wir nunmehr die wichtigsten mit dem Neutralrot 
erzielten Resultate zusammen, so können wir sagen: Wir sind 
imstande mit diesem Farbstoffe eigentümliche Körnchen in 
den Zellen zu färben, ohne die Entwickelungirgend- 
wie zu stören. Die Absorptionskraft der Körnchen 
zu diesem Farbstoffe ist eine maximale, sie reissen 
ihn aus schwachen Lösungen völlig an sich und 
geben ihn nicht wieder ab. Diese Körnchen zeigen 
ferner den Stadien der Zellteilung parallel einher- 
sehende Ortsveränderungen. 

Wir stehen nunmehr, um zu einem näheren Verständnisse 
der geschilderten Thatsachen zu gelangen vor der Frage: 
Welcher Natur sind diese Körnehen und wasist die 
Ursache ihrer allem Anscheine nach streng gesetz- 
mässigen Bewegungen? 


Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 483 


Es wird sich empfehlen, diesen Punkten erst nach Be- 
sprechung der mit anderen Farbstoffen erzielten Resultate 
zusammenfassend näher zu treten. Zu Versuchen mit anderen 
Farbstoffen mussten die mit Neutralrot beobachteten Erschein- 
ungen deshalb veranlassen, weil sich jetzt die Frage aufdrängte, 
ob man nicht mit Hülfe verschiedener Farben auch ver- 
schiedene Körnchen, also verschiedene Zellelemente nachweisen 
und in ihrem Verhalten während der Zellteilung beobachten 
könne. Eine auf diesem Wege erzielte Ausbeute möglichst 
vieler und verschiedenartiger Thatsachen müsste zu einem 
näheren Einblicke in diese molekularen Phänomene führen. — 
Indem ich zu dieser Besprechung übergehe, muss ich im Vor- 
hinein gestehen, dass es mir hierbei nicht möglich war in ähn- 
lichem und wünschenswertem Grade wie bei Neutralrot Versuche 
mit jedem einzelnen Farbstoffe anzustellen. Eine ausgedehntere 
Untersuchung dürfte deshalb von mehr Erfolg begleitet sein als 
aus nachfolgenden, kurz gehaltenen Angaben hervorgeht, welche 
sich mit den übrigen Farbstoffen, geordnet nach der eingangs 
gegebenen Übersicht, befassen. 


I. Anilinderivate. 


1. Indulin. 


Die Entwickelung geht in diesem Farbstoffe in ver- 
dünnter Lösung vollkommen normal und ungestört vorsich — 
es tritt aber keine Färbung auf. Nur abgestorbene Zellen 
färben sich und zwar diffus. Die lebenden Zellen vermögen 
sich also gegen die Aufnahme des Farbstoffes zu „wehren“. Die 
Färbung der toten Zellen ist wie bei diesem, so auch bei allen 
anderen Farbstoffen wohl einfach auf Imbibition und Diffusion 


zurückzuführen. 


484 ALFRED FISCHEL, 


2. Nigrosin. 
Von diesem Farbstoffe gilt das Gleiche wie vom vorigen. 
Selbst in starken Lösungen entwickeln sich die Eier — unge- 


färbt — weiter. 


3. Methylenblau. 


Die Versuche mit Methylenblau ergaben in mancher Hin- 
sicht andere Resultate als die mit Neutralrot. Verwendet man 
schwache Lösungen (die aber noch immer einen sehr ausge- 
sprochenen blauen Farbenton zeigen müssen), so erfolgt die Ent-- 
wiekelung ungestört, aber es tritt keinerlei Färbung auf, die 
Lösung bleibt unverändert blau. In starken Lösungen tritt eine 
Körnchenfärbung auf, jedoch später als bei Neutralrot, oft erst 
im Achtzellenstadium. Die Körnchen scheinen kleiner und zahl- 
reicher zu sein als bei Neutralrot; sie verändern ilıren Ort nicht 
wesentlich. — Das Methylenblau ist aber kein so unschädlicher 
Farbstoff wie Neutralrot. 


Nur diejenigen Eier, die sich schwach gefärbt haben, ent- 
wickeln sich bis in späte Stadien. Die übrigen sterben und 
zwar um so früher, je stärker sie sich mit Farbstoff beladen 
haben. Es ist daher nicht so leicht wie bei Neutralrot gefärbte 
Gastrulae und Plutei zu erhalten, wiewohl das auch gelingt. 
Am sichersten erfolgt die Entwickelung bis zu diesen Stadien 
bei Eiern, die in frühen Furchungsstadien überhaupt noch keine 
Körnchenfärbung aufweisen, sondern sich von ungefärbten, nur 
durch einen diffusen, blaugrauen Ton unterscheiden. Die 
Blastulae zeigen dann entweder überhaupt keine gefärbten Körn 
chen oder aber nur einen Körnchensaum, wiederum wie bei 
Neutralrot, lediglich an der freien Zellseite. Dagegen pflegen 
die Mesenchymzellen stets ganz ähnliche Körnchen von der- 
selben Anordnung wie bei Neutralrot zu besitzen, nur dass sie 
tiefblau sind. 


Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 485 


Die Plutei gewähren kein so schönes Bild wie die roten 
Neutralrotlarven. Nur vereinzelt zeigen die Ektoderm- und 
Mesenchymzellen Körnchen, die Pigmentzellen sind oft unver- 
ändert. Sehr fein gekörnt scheint manchmal auch das Ento- 
derm zu sein. — Sehr bald aber treten in den Pluteis tiel- 
blaue Kugeln von verschiedener Grösse auf; ihre Menge nimmt 
rasch zu: Ein sicheres Zeichen des Absterbens. Ausserdem 
finden sich hierbei oft zahlreiche farblose Vakuolen, wie über- 
haupt die Plutei nach Methylenblaufärbung bald nicht mehr 
klar und rein aussehen wie in der Norm und nach Neutralrot. 
Diese Veränderungen treten auch beim Absterben in früheren 
Stadien auf und deshalb stösst man in solchen Zuchten oft auf 
lebhaft sich bewegende blaue Kugeln. Es sind absterbende 
Blastulae oder Gastrulae, welche blasige Zellen einschliessen, 
zwischen denen unregelmässige blaue Farbenkugeln liegen und 
die sich mit Hülfe des wimpernden Ektoderms lebhaft bewegen. 
— Das Methylenblau verhält sich demgemäss in manchen Punkten 
anders als Neutralrot. Es ist nicht so unschädlich wie das letztere, 
es färbt anscheinend Körnchen anderer Art und wird bei weitem 
nicht so gierig von den letzteren aufgenommen. Damit hängt 
es auch zusammen, dass die Lösungen niemals durch die in 
ihnen sich entwickelnden Larven in irgend merklichem Grade 
entfärbt werden!?). 


1) Nachträglich finde ich, dass schon O. Hertwig Eier von Strongy- 
ocentrotus lividus mit Methylenblau gefärbt hat (Experimentelle Studien 
am tierischen Ei. III. Kap. Färbung der lebenden Zellsubstanz durch Methylen- 
blau. Jenaische Zeitschr. f. Naturw. 1890, Bd. 24). Meine Resultate stimmen 
in manchen Punkten mit den seinigen überein und bestätigen sie; so betont 
auch Hertwig, dass Methylenblau für die Entwickelung durchaus nicht un- 
schädlich ist, der Farbstoff soll sogar schädlicher wırken als Morphium, 
Strychnin und Nikotin. Je schwächer daher die Eier gefärbt sind, desto besser 
entwickeln sie sich. 

In einer Hinsicht dagegen befinden sich unsere Angaben zu einander im 
Gegensatze: Nach Hertwig finden sich die Körnchen nicht am freien sondern 
am basalen Ende der Zellen angesammelt. Ob dieser Widerspruch lediglich auf 
die Verschiedenheit des angewandten Materiales oder der geübten Methode 


486 ALFRED FISCHEL, 


4. Thionin. 


Von diesem gilt Ähnliches wie vom Methylenblau. In 
stärkeren Lösungen erfolgt sehr bald Absterben der Zellen unter 
diffuser Färbung des Zellleibes. In schwächeren Lösungen ent- 
wickeln sich zahlreiche Eier normal, ohne zumeist den Farbstoff 
anzunehmen. Kommt es zur Färbung, dann erscheinen ganz 
feine, bläuliche Körnchen. Ihre Menge ist geringer als bei 
Neutralrot und Methylenblau und daher ihre Stellungsänderung 
schwer nachweisbar. Meist sterben übrigens die gefärbten Eier 
sehr bald ab. Die Lösung ändert ihre Farbe nicht, da die 
Körnchen den Farbstoff nur in geringer Menge speichern. 


5. Safranin. 


Auch in den stark roten Lösungen dieses Farbstoffes habe 
ich keine Körnchenfärbung beobachten können. Die meisten 
Larven entwickelten sich ungefärbt weiter, eventuell wiesen sie 
eine diffuse, zarte lichtrosa Färbung auf. 


6. Fuchsin. 


In stärkeren Lösungen entstanden fast durchwegs Miss- 
bildungen; in einer schwach rosa gefärbten erhielt ich meist 
ungefärbte Plutei. Während ihrer Entwickelung wurden — 


zurückzuführen ist, vermag ich nicht anzugeben. Ich kann nur für meine 
Versuche meine Angaben aufrecht erhalten. 

Eine Mischung von Methylenblau mit Methylviolett verwandte Driesch, 
um Eier in einer violett gefärbten Lösung sich entwickeln zu lassen (vgl. auch 
die folgende Anmerkung). 

1) Doch ist es möglich gefärbte Blastulae zu züchten. Driesch berichtet 
m Abschnitt II seiner entwickelungsmechanischen Studien (Zeitschr. f. wiss. 
Zoologie 53, 1892) dass er, um die Wirkung verschiedener Lichtarten auf die 
ersten Etappen der tierischen Formbildung zu ermitteln, Eier in Fuchsinlösung 
setzte. Die meisten starben schon in frühen Stadien. Die überlebenden Blastulae 
waren und zwar heller gefärbt als die übrigen Eier. C. Herbst (Experiment. 
Untersuchg. üb. d. Einfluss d. veränderten chemischen Zusammensetzg. d. um- 
gebenden Mediums auf die Entwicklg. d. Tiere. Mittlgn. d. zool. Station Neapel 
XI, 1895) erhielt eine Aufnahme des Fuchsins nur von Seite des Entoderms. 
Ähnlich verhielten sich Methylenblau, Methylviolett. 


Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 487 


an anderen Eiern — zahlreiche Anomalien beobachtet, von denen 
ich nicht weiss, ob sie auf die Wirkung des Farbstoffes allein 
zu beziehen sind. So zeigte sich während der Furchung oft 
unvollständige Zell- neben vollständiger Kernteilung; es resultierte 
ein Konglomerat von Zellen, die in der Mitte zusammenhingen, 
an den Seiten aber waren die Furchen bereits durchgeschnitten'). 
Auch sonst zeigten sich zeitliche Anomalien der Entwickelung 
gegenüber der Norm. 


7. Magentarot. 


Selbst in stark roten, von den Larven unverändert gefärbt 
erhaltenen Lösungen erzielt man normale, sich lebhaft bewegende 
Plutei. In den ersten Stadien sind einzelne, stark lichtbrechende, 
aber nicht gefärbte Körnchen in den Zellen sichtbar. Die Larven 
zeigen nur an der äussersten Oberfläche der Zellen einen kaum 
wahrnehmbaren Schleier feinster, stark lichtbrechender, aber 
wiederum ungefärbter Körnchen. Auch in den Mesenchymzellen 
sind keinerlei gefärbte Elemente wahrzunehmen. Es scheint 
also, dass das Magentarot normale Körnchen etwas deutlicher 
hervortreten lässt, ohne sie jedoch zu färben. 


8. Rubin-S. 


Die Entwickelung ging in der vom Meerwasser rasch ent- 
färbten Lösung anfangs gut von statten, ohne dass die Zellen 
sich merklich änderten. Am nächsten Tage jedoch waren stets 


ı) Dieses Verhalten erinnert an Resultate, welche Loeb (Investigations 
in physiologieal Morphologie III. Journ. of Morph. VII 1892) bei Konzentrations- 
erhöhung des Seewassers erhielt. Er schliesst hieraus, dass infolge des hierbei 
stattfindenden Wasserverlustes das Plasma seine Reizbarkeit früher als der 
Kern verliere und sich daher nicht teile. Allein Driesch (Entwickelungs- 
mechan. Studien IV und VIII) hat ähnliche Erscheinungen auch bei Konzen- 
trationsverminderung, ferner bei Wärmezufuhr und durch Druck erhalten. 


483 ALFRED FISCHEL, 


nur noch abgestorbene, blasige Zellgruppen vorhanden. Auf die 
Dauer wirkt also Rubin-S, wahrscheinlich infolge seines Säure- 
gehaltes, schädlich. 


9. Dahlıa. 


Wirkteebenfallstötend. Es kam zu keiner Weiterentwickelung, 
alles war diffus blau gefärbt oder hatte grobflockige, blaue In- 
haltsmassen. 


10. Gentiana-Violett. 


Verhielt sich wie Dahlia, ebenso: 
11. Methyl-Violett. 


12. Methyl-Grün. 


Neben einzelnen ungefärbten, normal entwickelten Eiern 
fanden sich zahlreiche, in der Art unregelmässig entwickelte, dass 
Zell- und Kernteilung nicht gleichzeitig erfolgte (ähnlich wie bei 
Fuchsin). 


13. Toluidinblau. 


Mit den vorangegangenen Farbstoffien, von Dahlia an, ge- 
hört Toluidinblau in eine Gruppe, die der Rosanilinderivate. 
Wie sie alle wirkt es schädigend auf die Entwickelung ein — 
aber in weit geringerem Grade — nur in starken Lösungen 
starben die Larven zumeist, wenn auch viele das Pluteusstadium 
erreicht haben; in schwachen dagegen blieben die meisten am 
Leben. Hierbei treten in den Zellen der Form nach ganz ähn- 
liche Körncehen auf wie bei Neutralrot. Sie sind aber dunkel- 
violett, während die Lösung selbst hellblau ist; nach einiger 
Zeit wird die letztere immer heller, ja fast ganz farblos — der 
Farbstoff wird in den Zellen gespeichert. Blastulae und Gastrulae 
zeigen gleichfalls Körnchenfärbung und zwar an den gleichen 


Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 489 


Stellen, wie bei Neutralrot. Die normal gestalteten Plutei ent- 
halten in ihren Mesenchymzellen feine, violette Körnchen in 
spärlicherer Menge als bei Neutralrot, oft nur 1—3 in jeder Zelle. 
In den Pigmentzellen sind dicke Körnchen vorhanden. Die 
Lumenseite der Darmzellen besitzt einen ganz feinen Saum hell- 
blauer Körnchen. 


Abgesehen von der Farbe unterscheiden sich die Toluidin- 
blaukörnchen auch in anderer Hinsicht von denen bei Neutral- 
rot. Sie sind grösser, stehen in grösseren Zwischenräumen und 
finden sich in den Mesenchymzellen in anderer Art und Anord- 
nung. Da das Toluidinblau nicht ganz unschädlich ist, sterben 
die Plutei früher und öfter als bei Neutralrot. Das Absterben 
erfolgt unter ähnlichen Vorgängen — Vakuolisierung, Bildung 
grosser violetter Flecke — wie bei Methylenblau. 


14. Bismarckbraun. 


Mit Bismarckbraun hat bereits Brandt eine Färbung von 
Fettkörnchen in lebenden Protozoen erhalten und Pfeffer (der 
es als fraglich bezeichnet, ob die von Brandt gefärbten Elemente 
auch wirklich Fettkörnchen sind) Aufnahme von Seite der 
Pflanzenzelle erzielt. Martinotti erhielt dasselbe bei Kaul- 
quappen und P. Mayer bei Caprelliden und Selachiern. Echinus- 
eier zeigen gegenüber Bismarckbraun ein im Vergleiche mit den 
früheren Farbstoffen verschiedenes Verhalten. Sie nehmen den 
Farbstoff an, aber nicht mit Hülfe von Körnchen, sondern diffus; 
die ganze Zelle (mit Ausnahme des Kernes) färbt sich hellgelb. 
Diese Färbung ist insbesondere während des Ruhestadiums deut- 
lich über die Zelle ausgebreitet. Während der Teilung dagegen 
ist oft der centrale, um den Kern gelegene Abschnitt stärker 
gelb gefärbt als der peripherische. Die Totalfärbung der Zellen 
ist auch noch an den Pluteis nachzuweisen. Diese sind, da 
Bismarcekbraun trotz der diffusen Zellfärbung die Entwickelung 


490 ALFRED FISCHEL, 


nicht schädigt, vollkommen normal und zeigen die typischen 
Bewegungen. 

Die Farblösung selbst wird nach einiger Zeit völlig entfärbt. 
Da die Speicherung von Seite der Zellen doch eine zu geringe 
ist, um diese Entfärbung für sich allein zu verursachen, so muss 
der Farbstoff durch andere Ursachen in eine farblose Verbindung 
überführt worden sein. 

15. Bordeaux-Rot. 


Die Aufnahme dieser Farbe war nicht gleich. In einigen 
Fällen erhielt ich in stark roten Lösungen normal sich ent- 
wickelnde, aber ungefärbte Larven. In anderen traten in den 
Furchungszellen ungemein zahlreiche stäbchen- und kugelförmige, 
im Gegensatze zur Farbe der Lösung dunkelviolette Körnchen 
(Metachromasie?) diffus im ganzen Zellleibe auf. Die Plutei 
dagegen waren ungefärbt. Ob die Körnchen den Farbstoff im 
Laufe der Entwickelung abgaben oder sich Plutei nur aus den 
ungefärbten Eiern entwickelten, vermag ich nicht zu entscheiden. 


16. Eosin. 
Dasselbe wurde von den Zellen nicht aufgenommen, behinderte 


aber auch die Entwickelung in keiner Weise. 


17. Cyanin. 
Es erwies sich als giftig für die Echinuseier. Sie starben 
darin sehr bald unter diffuser Blaufärbung ab. Auch Pfeffer 
fand, dass Cyanin die Pflanzenzelle schädigt. 


II. Anthrazene. 


18. Alizarin. 


Die Entwickelung ging darin ungestört, aber auch ohne 
Färbung, vor sich. Die Lösung] selbst rötete sich bei längerem 
Stehen. 


Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 491 


III. Pflanzliche Farbstoffe. 


19. Orcein. 
Weder in diesem, noch in 


20. Orseille 


trat Färbung ein (bei normaler Entwickelung). 


IV. Farblösungen. 


Mit keiner der angewandten fünf Farblösungen (Karmalaun, 
Böhmers Hämatoxylin, Hämalaun, Hämacaleium, Biondis 
Gemisch) erhielt ich vitale Färbung. In Karm- und Hämalaun 
starben die Eier, in den drei anderen Lösungen entwickelten 
sie sich ohne Färbung weiter. 


Überblicken wir jetzt die aus den geschilderten Versuchen 
erlangten Resultate, so sind sie gerade in Hinsicht auf das ge- 
wünschte Ziel — Nachweis verschiedenartiger Körnchen mit 
Hülfe verschiedener Farbstoffe — zweifelhafte; es ist fraglich, 
ob die mit Methylenblau, Thionin und Toluidinblau gefärbten 
Körnchen vollständig anderer Art sind als die mit Neutralrot 
dargestellten. Am wahrscheinlichsten scheint mir noch eine 
Differenz zwischen Toluidinblau- und Neutralrot- 
körnchen. 

Die Einwirkung der Farblösungen war eine verschiedene. 
Während die Farbstoffe der einen Art Körnchen färbten und 
dieEntwickelung nicht beeinträchtigten, erwiesen sich 
andere als direkte Gifte, in denen die Zellen entweder sofort 
oder nach wenigen und meist anormalen Teilungen (gegenüber 
der Kern- verzögerte Zellteilung) abstarben, wobei meist nach 
dem Tode diffuse Färbung des Zellleibes auftrat. Welchem 
Bestandteile des jeweiligen Farbstoffes die schädigende Wirkung 


492 ALFRED FISCHEL, 


zukommt, ist schwer zu sagen. Bei den Rosanilinderivaten z. B 
könnte man daran denken, dass von der Darstellung her noch 
Arsen und Jod dem Farbstoff, in bedeutenderer Menge beige- 
mischt sei. Aber anderseits erwiesen sich auch Farbstoffe, die 
zur selben chemischen Gruppe gehörten, verschieden in ihrer 
Wirkungsweise. 

Eine dritte Reihe von Farben endlich zeigte sich zwar als 
für die Entwickelung unschädlich, verursachte aber keinerlei 
Körnchenfärbung. Da die angewandten Lösungen oft sehr leb- 
hafte Färbungen aufwiesen, also ziemlich konzentriert waren, 
ohne dass sich die Eier oder Larven färbten, so zeigt dies deut- 
lich die starken elektiven Eigenschaften der in den 
Zellen vorhandenen Granula. Während sie Neutralrot in 
maximaler Weise auch aus schwächsten Lösungen an sich ziehen, 
weisen sie andere Farbstoffe auch aus starken 
Lösungen zurück. 

Innerhalb der letzteren Gruppe nimmtübrigens das Bismarck- 
braun noch eine besondere Stellung ein, insofern es zwar keine 
Granula, wohl aber den ganzen Zellleib diffus tingiert, 
ohne die Entwickelung zu schädigen. 

In Übereinstimmung mit früher referierten Beobachtungen 
steht endlich der Umstand, dass die eventuell erzielten Fär- 
bungen sich stets auf Elemente des Zellleibes, dagegen 
niemals auf die des Kernes beziehen. 


Nach Aufzählung der ermittelten Thatsachen bleibt uns nun- 
mehr noch die Erörterung der am Schlusse der Schilderung der 
Neutralrotversuche aufgeworfenen beiden Hauptfragen. Die erste, 
für die Auffassung und Erklärung der Granulafärbung wichtigere 
ist die, welcher Natur die sich färbenden Elemente 


Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 493 


sind. Eine nähere Überlegung stellt uns vor die Wahl, diese 
Elemente aufzufassen entweder als besondere Bestandteile 
lebenden Protoplasmas oder als tote Inhaltseinschlüsse 
desselben. Diese letzteren aber könnten wiederum sein: 
Produkte einer sekretorischen Thätigkeit des Protoplasmas; 
zu weiterer Verwendung im Zellleben nicht mehr brauchbare 
Produkte des Stoffwechsels; oder endlich, was bei Eiern 
besonders in Betracht kommt, aufgespeicherte Nahrungs- 
stoffe. — Für die Auffassung der Granula in Eiern gelten wohl 
dieselben Grundsätze, wie für die Granula anderer Zellen und 
wir können daher die über diese von Anderen ausgesprochenen 
Anschauungen für unsere Entscheidung verwerten. 

P. Ehrlich hat zuerst auf die Granula als höchst bedeut- 
same Elemente der Zellen hingewiesen, die vor ihm zwar schon 
beobachtet aber nur „als Spezialitäten und vereinzelte Erschei- 
nungen“ aufgefasst worden sind. Ehrlich hat zuerst die 
Granula als die „eigentlichen Träger der Zellfunktionen‘“ 
bezeichnet. Es ist bekaunt, dass diese Ansicht von Altmann 
weiter ausgebildet wurde. Altmann will die Zelle nicht mehr 
als physiologische Einheit gelten lassen; als solche gelten ihm 
die Granula, die „Bioblasten‘“ ; sie sind die eigentlichen Träger der 
vitalen Funktionen und die Zelle selbst ist kein einheitliches 
physiologisches Element, sondern gleichsam ein Bioblastenstaat. 
Diese Anschauungen Altmanns haben, wohl mit Recht, wenig 
Anklang gefunden. Ehrlich selbst hat seit langem die Granula 
in anderem Sinne aufgefasst. Beobachtungen der normalen und 
pathologischen Histologie veranlassten ihn zu seiner ursprüng- . 
lichen, noch vor der oben erwähnten, ausgesprochenen Ansicht 
zurückzukehren, es seien die Granula als Sekretionsprodukte 
der Zellen anzusehen. Freilich sind nicht alle Gründe, die 
Ehrlich für seine Ansicht ins Feld führt, unbedingt unan- 
fechtbar. Wenn er als besonders beweiskräftig für seine An- 
schauung hervorhebt, dass die Granula verschiedener Zellen sich 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVII. Heft. (11. Bd., H. 4.) Bo 


494 ALFRED FISCHEL, 


durch ihre chemischen Eigenschaften, ihre Grösse, Form und 
Löslichkeit von einander unterscheiden, so könnte man dem 
entgegenhalten, dass eben die Granula verschiedener Zellen auch 
Gebilde verschiedenen Charakters seien. Immerhin lassen zahl- 
reiche andere von ihm erwähnte Thatsachen die Entkleidung 
der Granula ihrer Bedeutung im Sinne Altmanns zu. Wenn 
aber auch Ehrlich die Körnchen nicht im Sinne Altmanns 
als „lebende funktionelle Centren“ sondern als „unbelebte 
Sekretionsprodukte‘“ auffasst, so weist er doch darauf hin, dass 
Granula und chemische Funktion der Zellen im engsten Konnex 
stehen und jede Körnung ein eigenartiges Plasma 
voraussetze und es bestimme. 

Dagegen haben sich andere Autoren dem Standpunkte 
Altmanns hinsichtlich der- Auffassung vital gefärbter Granula 
genähert. O. Schultze sieht in ihnen vorgebildete Elemente 
des Zellkörpers und die Färbung ist ihm eine vitale Reaktion 
von Bioblasten. Mitrophanow betrachtet sie als „elementare 
Bestandteile, aus welchen die Zellen geformt werden und deren 
Lebensthätigkeit den Lebensprozess der Zelle herstellt.‘ 

Wesentlich skeptischer verhält sich Galeotti. Er findet, 
dass die lebenden Zellelemente sich gegen die Aufnahme von 
Farbstoffen wehren und nur diejenigen die Farbe annehmen, 
die geringe oder keine Widerstandskraft mehr besitzen. Deshalb 
sieht er auch in den gefärbten Körnchen keine lebenden Ele- 
mente, sondern nur aufgespeicherte Nahrungsteilchen oder Stoff- 
wechselprodukte. Auch Przesmycki hat keinerlei Wahrneh 
mungen hinsichtlich der Lebensthätigkeit von Granulis machen 
können und Prowazek scheinen sie „zur Verdauung und 
Assimilation in Beziehung zu stehen; nicht unberechtigt wäre 
vielleicht die Annahme, sie als Träger von „Fermenten“ auf- 
zufassen.‘“ 

Am treffendsten erscheinen mir — auch der Form nach — 
Lee und P. Mayer die jetzt wohl allgemein herrschende An- 


Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 495 


schauung charakterisiert zu haben. Die diffuse Färbung der 
Zelle nach ihrem Tode beruht nach ihnen, wie auch Galeotti 
hervorhob, auf einfacher Absorption oder Imbibition der Farb- 
lösung (durch die Zelle), nicht auf einer chemischen Verbindung. 
„Die stärkere Färbung der Granula oder anderer Bestandteile 
der Zelle mag hingegen doch eine echte Färbung im Sinne 
einer chemischen Verbindung sein; jedenfalls sind aber diese 
Färbungen unweigerlich an Körper gebunden, die keinen inte- 
grierenden Teil der lebenden Zelle ausmachen: Die Zelle selbst 
mag am Leben sein, sie sind es nicht. Es sind wohl Nahrungs- 
teilchen, die von aussen aufgenommen worden sind oder Pro- 
dukte des Stoffwechsels, die bald ausgestossen werden sollen; 
oder wenn sie wirklich einen integrierenden Teil des lebenden 
Gewebes ausmachen sollten, so haben sie wohl von der ein- 
dringenden Farblösung gelitten und sind deswegen oder aus 
anderen Gründen in ihrer Vitalität geschwächt, nie aber be- 
stehen sie aus ganz lebenskräftiger Materie.“ Der Hauptwert 
der sogenannten Färbung intra vitam könne daher nur darin 
liegen, lebende Bestandteile der Zelle von den toten unter- 
scheiden zu können. — 


Der Wert unserer Beobachtungen am Echinus-Ei wird 
wesentlich davon abhängen, welche von diesen Erklärungsweisen 
wir auf die von uns gefärbten Granula anwenden können. Sind 
wir berechtigt, sie als lebende Zellteile aufzufassen, dann 
resultiert, dass man imstande ist, eine bestimmte Plasma- 
art der Eizelle färberisch sichtbar zu machen, welche anschei- 
nend für den Ablauf des Zellteilungsprozesses von grosser Be- 
deutung ist und welche gleichmässig auf alle aus der Eizelle 
stammenden Zellen verteilt wird. Diese Anschauung wird auch 
dann zu Recht bestehen, wenn die gefärbten Elemente, im 
Sinne der obigen Ausführungen, zwar in ihrer Vitalität ge- 
schwächte, aber jedenfalls doch lebende Materie darstellen. 


39* 


496 ALFRED FISCHEL, 


Entsprechen aber die@Granulakeiner Plasmaart, 
stellen sie gefärbte Sekretions- oder Stoffwechselprodukte, oder, 
bei Eiern das Wahrscheinlichste, aufgespeicherte Nahrungsstoffe 
dar, dann haben wir nur tote Inhaltsmassen der Eizelle 
eefärbt, ihre Annäherung an den Kern während seiner Teilung 
ist, wenn sie vielleicht auch den Zweck hat, chemische Vorgänge 
in ihm zu unterstützen, eine durch Veränderungen im lebenden 
Plasma verursachte, vollkommen passive Bewegung und die 
gleichmässige Verteilung bei der Furchung ist nur Verteilung 
von Nahrungsstoff oder unbrauchbarer Massen auf die einzelnen 
Zellen. 


Es ist schwierig, hier eine sichere Entscheidung zu fällen. 
Diese Fragen rühren an allgemeine Probleme des Wesens von 
lebendem Plasma und seiner Färbung und hier fehlen uns, wie 
bekannt, fast alle notwendigen chemischen Grundlagen; daher 
auch die einander diametral entgegengesetzten verschiedenen 
Ansichten über die Granulafärbung. In unserem Falle lässt 
sich jedoch Einiges zur Abgrenzung der möglichen Deutungs- 


arten anführen. 


Würden wir die Granula in der Eizelle als Sekretions- oder 
Stoffwechselprodukte ansehen, dann müssten wir annehmen, 
dass nur in der Eizelle, nicht in den Furchungszellen, solche 
Produkte vorhanden sind oder während der Befruchtung und 
ersten Teilung des Eies entstehen. Denn es wurde hervorge- 
hoben, dass in den aus der Eizelle entstandenen Zellen während 
des Furchungsprozesses aller Wahrscheinlichkeit nach keine, 
oder wenn doch, sicherlich nur äusserst wenige solcher Elemente 
entstehen. Eine solche Annahme wäre nun kaum haltbar: 
Während der Teilung einer Furchungszelle spielen sich in ıhr 
wohl im wesentlichen die gleichen Prozesse ab, wie in der 
Eizelle und sie müssten daher auch zur Entstehung ähnlicher 
Sekretions- oder Stoffwechselprodukte Anlass geben. 


Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 497 


Weit wahrscheinlicher scheint mir dagegen die Annahme, 
dass die in der Eizelle sich färbenden Elemente Nahrungs- 
teilehen darstellen. Solche bekommt das Ei zweifellos vom 
Ovarium her mit und ihre gleichmässige Verteilung auf die 
Furchungszellen, verursacht durch ihr Verhalten bei den Zell- 
teilungen, ist in hohem Grade von biologischem Nutzen. Denn 
wir können wohl annehmen, dass bis zur Erreichung des 
Stadiums der sich bewegenden Blastula, die Stoff- 
wechselenergie der einzelnen Zellen geringer, daher 
die Einlage von aus der Eizelle stammendem Nahrungsmateriale 
notwendiger ist als später, wo die einzelnen Zellen wahrschein- 
lich mehr auf selbständige Thätigkeit angewiesen sind und auch 
leichter Gelegenheit haben, die zu ihrer Entwickelung not- 
wendigen Stoffe, die uns Herbst!) durch seine schönen Unter- 
suchungen kennen lehrte, aus ihrer Umgebung zu entnehmen. 

Wenn wir aber allgemein und so auch in diesem Falle die 
Auffassung der Granula als gefärbte lebende Plasmateile auf- 
geben, so muss doch konstatiert werden, dass dies einerseits 
eigentlich nur einem Vorurteile entspringt, das wir gegenüber 
der Färbungsmöglichkeit lebender Materie überhaupt hegen, 
trotzdem sie, wie mir scheint, theoretisch ganz wohl denkbar 
ist; anderseits allerdings auch dem Umstande, das Leben — 
charakterisierende Vorgänge an den gefärbten Granulis nicht 
nachgewiesen werden können und tote Elemente in der Zelle fast 
stets Farbstoffe begierig annehmen. — 

Es erübrigt nunmehr noch, eine Erklärung der Beweg- 
ungserscheinungen der Körnchen zu versuchen. Wir 
sahen, dass die letzteren in unzweifelhafter Beziehung zu den 
karyokinetischen Formänderungen des Kernes stehen. Die Orts- 


1) Herbst, C., Über die zur Entwickelung der Seeigellarven notwendigen 
anorganischen Stoffe, ihre Rolle und ihre Vertretbarkeit. I. Teil. Die zur 
Entwickelung notwendigen anorganischen Stoffe. Archiv für Entwickelungs- 
mechanik der Organismen. Bd. V, 1897. 


498 ALFRED FISCHEL, 


veränderungen der Körnchen, welche nach Beginn der Karyo- 
kinese, sobald sie sich einmal um den Kern in Form eines 
Ringes angesammelt haben, erfolgen, könnte man, wenn auch 
mit Unrecht, immerhin gänzlich als einfach passiv erfolgende 
Mitbewegungen auffassen: Sind einmal die Körnehen um den 
Kern angesammelt, dann müssen sie, nach dieser Auffassung, 
notwendigerweise den Formänderungen des Kernes parallele 
Änderungen ihrer Stellung erleiden. Aber, selbst dies zugegeben, 
bliebe immer noch zu erklären, warum eben die Körnchen bei 
Beginn der Zellteilung dem Kerne zuströmen. Und innerhalb 
des Komplexes der während der Kernteilung erfolgenden Be- 
wegungen der Körnchen selbst bliebe dann noch eine Thatsache 
unerklärt und zwar diejenige, dass die Granula im Momente 
der Zelldurehtrennung die Trennungsebene verlassen. Wir 
könnten versucht sein, diese Thatsache einfach auf den Druck 
durch die die Mutterzelle durchschneidende Furche zurückzuführen. 
Dann aber müsste die Bewegung der Körnchen auch stets auf 
jener Seite zuerst erfolgen, auf der die Furche zuerst erscheint 
oder tiefer einschneidet, und das ist, wie erwähnt wurde, eben 
nicht immer der Fall. 

Am einfachsten freilich liessen sich die beschriebenen That- 
sachen aus einer aktiven Fähigkeit der Granula, den Ort zu 
wechseln, erklären. Aber die sichtbare Ortsveränderung allein 
giebt uns noch kein Recht, eine solche Eigenschaft den Granulis 
zuzuschreiben. 

Nun besitzen wir in der Pigmentzelle ein Objekt, das 
natürlich gefärbte Granula enthält und es fragt sich, ob 
wir nicht aus deren Verhalten während der Zellteilung Rück- 
schlüsse für unser Objekt gewinnen können. Folge ich den 
Angaben Zimmermanns, der das Verhalten der Pigment- 
körnchen während der Zellteilung durch klare Bilder dargestellt 
hat, so zeigt sich, dass die Körnchen im Stadium des Knäuels 


sich an der Peripherie der Zelle ansammeln, später aber 


Uber vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwiekelung. 499 


(während des Mutterstern-Stadiums) zwischen die Chromatin- 
schleifen des Kernes rücken; sobald jedoch die Tochtersterne 
sich ausbilden, „ändert sich mit einem Male das Bild: Die 
Polfelder und die Umbiegungsstellen der Schleifen 
werden völlig frei von Pigment; die ganze Masse 
desselben sammelt sich im Äquator und noch zwi- 
schen den äussersten Enden der Schleifen an. Jetzt 
fängt die Zelle am Äquator an, sich einzuschnüren. Die Ein- 
schnürung geht bald durch die Pigmentmassen hindurch und 
teilt die Zelle in die beiden Tochterzellen und zwar so, dass die 
Pigmentmasse genau halbiert wird“ (Fig. 18). Wir sehen also, 
dass zwischen der Bewegung der Pigment- und der 
Neutralrotkörnchen ein wesentlicher Unterschied 
besteht: Nur während eines Teiles der Karyokinese rücken die 
Pigmentkörnchen in die Nähe des Kernes, ja sogar zwischen 
seine Chromatinschleifen. Aber im Momente der Zelldurch- 
schnürung strömen sie, ganz im Gegensatze zu unseren Körn- 
chen, vom Kerne weg zu der Einschnürungsebene. 

Jeder, der die Furchung pigmentierter Amphibieneier 
beobachtet, kann das gleiche Verhalten des Pigmentes der 
Furchungszellen leicht nachweisen. 

Auch die Vorstellungen, die man sich, zum Teil allerdings 
mit Hülfe gewagter Hypothesen, über die mechanischen 
Vorgänge des Ablaufes der Karyokinese gebildet 
hat, geben uns keine Handhabe, die Bewegung der Körnchen 
zum Kerne zu erklären. Sie sind weit eher einer gegenteiligen 
Bewegung günstig. Ich brauche hier nur folgende SätzeM. Heiden- 
hains zu eitieren: „Geradeso wie der Kern infolge des Spannungs- 
gesetzes nach der Peripherie hin ausweichen muss, so weichen 
auch andere, interfilar gelegene körperliche Elemente vor dem 
Mikrocentrum in einer Richtung centrifugal aus. So finde ich 
mitunter in den Phagocyten die in den Zellleib aufgenommenen 
groben Ballen eiweissartiger oder pigmentartiger Substanz in 


500 ALFRED FISCHFL, 


ausgesprochener, vorwiegend peripherischer Stellung vor. 
Ebenso, denke ich, weichen die Dotterkörnchen in tierischen 
Biern in der Richtung des geringsten Druckes und der grössten 
interfilaren Räume aus, sodass sich im Umkreise des Mikro- 
centrums ein plasmatischer Hof bildet, der frei von Dotterbe- 
standteilen ist.“ 

Denkbar wäre es endlich, dass während der Kernteilung 
eine sonst in der ganzen Eizelle oder in ihrer Peripherie aus- 
gebreitete Plasmaart gegen den Kern hin rückt und, passiv, die 
in ihr suspendierten Körnchen in die Nähe des Kernes bringt. 
Aber auch für eine solche, physikalisch übrigens schwer vor- 
stellbare Erklärungsart, fehlt uns jede Stütze. } 

Vielleicht trifft der nachfolgende Erklärungsversuch, der an 
physikalisch bekannte Thatsachen anknüpft, das Richtige. 

Gehen wir vom Ruhestadium der Zelle aus. Hierbei sind 
die Körnchen in der ganzen Zelle gleichmässig verstreut. Wir 
haben uns sie in dem zähflüssigen Plasma suspendiert vorzu- 
stellen und dieses letztere zeigt wohl im Ruhestadium in allen 
Teilen der Zelle ein vollkommen gleiches physikalisches Ver- 
halten, wirkt daher überall gleich auf die Körnchen ein; es ist 
daher in diesem Stadium ganz gleichgültig, wo in der Zelle ein 
Körnchen liegst, ob mehr central oder mehr peripherisch, überall 
sind seine Beziehungen zur Umgebung die gleichen. Wir 
brauchen nun, um die Bewegung der Körnchen aus der Peri- 
pherie zum Centrum physikalisch vorstellbar zu erklären, nur 
die aller Wahrscheinlichkeit nach nicht unberechtigte Annahme 
zu machen, dass sofort bei Beginn des Kernteilungsprozesses 
und während seines Verlaufes, das Plasma zunächst in 
der unmittelbaren Umgebung des Kernes physi- 
kalisch, besonders hinsichtlich seiner Viskosität in einer für 
die Ansammlung der Körnchen günstigeren Weise 
als an der Peripherie verändert wird. Dass überhaupt 
eine Veränderung des Plasmas um den Kern statthat, ist an 


Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 501 


sich schon ungemein wahrscheinlich und wird durch die Körnchen- 
bewegung direkt sichtbar gemacht; nehmen wir nun an, dass 
diese Veränderung in dem soeben erwähnten Sinne erfolgt, dann 
erklärt sich die Bewegung der Körnchen zum Kerne bei Beginn 
der Zellteilung nach physikalischen Analogien sehr einfach. Da 
im Centrum der Zelle für die Ansammlung der Körnchen 
günstigere Verhältnisse bestehen als an der Peripherie, so rücken 
sie — als mikroskopisch kleine im Plasma suspendierte Elemente 
kommt ihnen an sich schon eine stetige Bewegung zu — von 
der letzteren stetig ab. Eine solche Einstellung kleinster, 
beweglicher Elemente entsprechend den Bahnen ge- 
ringsten Widerstandes ist, ohne Zuhülfenahme besonderer 
Kräfte, sehr wohl möglich und würde die geschilderten auf- 
fälligen Phänomene hinreichend erklären. Denn für die übrigen- 
den Veränderungen der Kernfigur parallelen Form- 
variationen der Körnchenfigur kommen dann wohl zwei Momente 
in Betracht: Einmal der Umstand, dass diese Formveränderungen 
nur den Abguss derinnerhalb der Körnchenmasse sich 
vollziehendenGestaltsveränderungen desKernesbilden, 
und dann die sehr wahrscheinliche Thatsache, dass die Ver- 
änderung des Plasma fortdauernd am mächtigsten 
in der Nähe des Kernes bleibt und sich demgemäss stets 
auf eine seiner Form entsprechende Zone erstreckt. — 
Wird nach Beendigung des Teilungsvorganges wiederum ein 
Zustand der gleichmässigen Beschaffenheit der ganzen Plasma- 
masse erreicht, dann geraten die Körnchen wiederum allmählich 
in alle Bezirke des Zellleibes. 

Dass aber, abgesehen von dieser angenommenen physi- 
kalischen Änderung des Plasma um den Zellkern auch noch die 
in der Zelle durch die Teilungsfiguren selbst ge- 
setzten Veränderungen bei diesen Bewegungen eine 
Rolle spielen, ist sehr wahrscheinlich. So erscheint und ver- 
schwindet z. B. die centrale Anordnung der Körnchen gleich- 


502 ALFRED FISCHEL, Über vitale Färbung von Echinodermeneiern etc. 


zeitig mit der Plasmastrahlung. Welcher Art dieser Einfluss ist, 
kann wohl bei dem heutigen Stande unserer Kenntnisse der 
cytomechanischen Vorgänge, nicht angegeben werden. 

Wenn wir nunmehr, am Schlusse, die erlangten Resultate 
mit den bei Beginn der Untersuchung uns gesteckten Zielen 
vergleichen, so ist wohl klar, dass dieermittelten Thatsachen 
wesentlich andere sind als die erwarteten. EineFärbungvon 
Zellelementen ist uns zwar gelungen; aber wir mussten Be- 
denken tragen, sie lebendem Protoplasma zuzuschreiben. Das 
Phänomen der Körnchenbewegung war auffallend genug 
und schien beim ersten Blicke eine komplizierte vitale Er 
scheinung darzustellen — eine objektive Kritik hat es auf ein- 
fache physikalische Vorgänge zurückzuführen gesucht. 

Ob die Auffassung der Körnchen, ob insbesondere die ver- 
suchte Erklärung ihrer Bewegungen die richtige ist, wird sich 
auf histologischem Wege allein kaum entscheiden lassen. Wir 
bedürfen hierzu näherer Kenntnisse von chemischen und mole- 
kularphysikalischen Vorgängen innerhalb der Zelle bei ihrer 
Teilung. Abgesehen von den ermittelten Thatsachen selbst, lässt 
sich aber noch (aus ihnen) der nicht unwichtige Schluss ableiten, 
dass in Verlaufe der Zellteilung sehr wesentliche Ver- 
änderungen im Protoplasma — vielleicht in dem ange- 
deuteten Sinne — stattfinden, die zwar stets vorauszusetzen 
waren, für die aber hier unzweideutige, sichtbare Beweise 
vorliegen. — Auch die Art der Verteilung der gefärbten 
Elemente während der Furchung, ihre Zahl und ihr 
Verhalten in den späteren Entwickelungsstadien ist 
von einiger Bedeutung. 

Untersuchungen dieser Art, vorausgesetzt, dass sie auf eine 
breitere Basis gestellt werden, als es bei den vorliegenden mög- 
lich war, werden wohl noch weitere neue Aufschlüsse über das 
Leben der Zelle zu Tage fördern. 


6. 


Litteratur. 


Bethe, A, Der subepitheliale Nervenplexus des Ctenophoren. Biol Üen- 
tralblatt. 15, 1895. 

Brandt, K., Färbung lebender einzelliger Organismen. Biolog. Central- 
blatt I, 1881. 

—_ Die koloniebildenden Radiolarien des Golfes von Neapel. Fauna und 
Flora d. Golf. v. Neapel, XIII, 185. 

Ehrlich, P., Farbenanalytische Untersuchungen zur Histologie und Klinik 
des Blutes I. Berlin 1891. 


. — und Lazarus, A., Normale u. path. Histologie des Blutes. Spezielle 


Pathologie u. Therapie, herausgeg. v. Nothnagel, VII, 1. Teil, 1. Heft. 
Galeotti, G., Ricerche sulla colorabilita della cellule vivanti. Zeitschr. 
f. wiss. Mikroskopie, 1884, Bd. 11. 


. Heidenhain, M., Cytomechanische Studien. Archiv f. Entwickelungs- 


mechanik, Bd. I, 1895. 

Kowalewsky, A., Ein Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. 
Biol. Centralbl. IX, 1889. 

— Zum Verhalten des Rückengefüsses und des guirlandenförmigen Zell- 
stranges der Museiden während der Metamorphose. Bıolog. Centralbl. 
VI, 1886. 


. Lee, A. B., und P. Mayer, Grundzüge der mikroskopischen Technik. 


Berlin 1898. 


. Martinotti, G., Sopra l’ assorbimento dei colori di anilina per parte delle 


cellule animali vivanti Zeitschr. f. wiss. Mikroskop., V, 1888. 


. Mayer, P.. Die Caprelliden des Golfes von Neapel. Fauna u. Flora d. 


Golf. v. Neapel, VI, 1882. 


. Mayer, $., Die Methode der Methylenblaufärbung. Zeitschr. f. wissensch. 


Mikrosk., VI, 1887. 

— Bemerkungen über die Wirkungen der Farbstoffe Violett B und Neutral- 
rot. Sitzgber. d. naturwiss. med. Vereins „Lotos“ 1896, Nr. 2. 
Mitrophanow, P. J., Über Zellgranulationen. Sitzgber. d. biolog. Sektion 
d. Warschauer naturforsch. Gesellsch. Biolog. Centralbl., IX, 18%. 


504 


Litteraturverzeichnis. 


23. 


Pfeffer, W., Über Aufnahme von Anilinfarben in lebende Zellen. Unter- 
suchungen aus dem botanischen Institut zu Tübingen, II, 2, 1886. 
Prowazek, S., Vitalfärbungen mit Neutralrot an Protozoen. Zeitschr. 
f. wiss. Zool., Bd. 83, 1897. 

Przesmycki, A. M., Über die Zellkörnchen bei den Protozoen. Biolog. 
Centralbl., XIV, 1894. 

— Über die intravitale Färbung des Kernes und des Protoplasmas. Biolog. 
Centralbl., XVII, 1897. 

Schultze, O., Die vitale Metylenblaureaktion der Zellgranula. Anat. 
Anz., II, 1887. 


. Solger, B., Zur Physiologie der sogen. Venenanhänge der Cephalopoden. 


Zool. Anz., IV, 1881. 


2. Ziegler, H. E., Einige Beobachtungen zur Entwickelungsgeschichte der 


Echinodermen. Verhandl. d. deutsch. zool. Gesellsch. auf der 6. Jahres- 
versammlung 1896. 

Zimmermann, K. W., Über die Teilung der Pigmentzellen, speziell der 
verästelten intraepithelialen. Arch. f. mikrosk. Anatomie, Bd. 36, 1890. 


Einige Arbeiten konnten erst nachträglich (in Anmerkungen im Texte) be- 


rücksichtigt werden. 


Tafelerklärung. 


Die Figuren sind nach von mir in Neapel nach dem lebenden Objekte ausge- 
führten Skizzen (Vergrösserung zumeist nach Reichert, Okular 3, Objektiv 7a 
— Vergr. 400) angefertigt. Fig. 18 ist Zimmermann entlehnt. 

Fig. 1. Befruchtetes, mit Neutralrot gefärbtes Ei von Echinus micro. 
tubereulatus. 

Fig. 2. Dasselbe bei Beginn der ersten Furchungsteilung. 

Fig. 3 und 4. Weitere Stadien derselben. 

Fig. 5. Beginn der Zelldurchschnürung. 

Fig. 6. Ruhestadium der ersten 2 Furchungszellen. 

Fig. 7 und 8. Weitere Stadien ihrer Furchung. 

Fig. 9. Beginn des Durchschneidens der 2. Furche. 

Fig. 10. Stadium der Tochtersterne der ersten 4 Furchungskugeln. 

Fig. 11. Ruhestadium derselben. 

Fig. 12 und 13. Stadien der Teilung der ersten Furchungszellen. 

Fig. 14. Stadium mit 8 Blastomeren. 

Fig. 15. 8 Zellen des sog. animalen Poles vom 16. Zellenstadium. Die 
vier kleineren: Die von Selenka ,„Scheidelzellen‘“ genannten (vgl. die An- 
merkung auf S. 474.) 

Fig. 16. Stadium mit beginnender Gastrulation und Mesenchymbildung. 
m — Mesenchymzellen. 

Fig. 17. Pluteuslarve von Echinus microtubereulatus mit Neutralrot 
gefärbt. m — Mesenchymzelle; p — pigmentierte Mesenchymzellen; K= 
Kalkstäbe; A —= Analarme; O — Oralarme. Vergröss. ca. 100. 

Fig. 18. Intraepitheliale Pigmentzelle einer Salamanderlarve. Dyaster. 
Das Pigment ist an der Teilungsstelle und zwischen den äussersten Chromatin- 
schleifenenden angehäuft. Kopie von Fig. 8, Tafel XV aus Zimmermanns 
Arbeit. Vergrösserung Zeiss, homog. Immers. ''ı. 


TA, 
u 


€ a v 
BL Zu rk 


it a 
eriiieeieh 


. Wu 


DIE 


ENTWICKELUNGSGESCHICHTE DER. GEHÖRKNÖCHELCHEN 


MENSCHEN. 


IVAR BROMAN, 
LUND. 


Frühere Untersuchungen. 


Seitdem Huschke (1824) zum erstenmal eine Beschreibung 
(27) über den Ursprung der Gehörknöchelchen gegeben, hat 
diesen Gegenstand betreffend ein fast ununterbrochener Streit 
geherrscht. Noch heute sind die Meinungen so geteilt, dass es 
wohl erlaubt sein kann, noch eine Untersuchung über diese 
Streitfrage zu veröffentlichen. 

Die auf S. 510—513 folgende tabellarische Zusammenstellung 
der wichtigsten bezüglichen Litteratur erlaubt einen bequemen 
Überblick der Meinungen der verschiedenen Verfasser über das 
Entstehen der Gehörknöchelchen. 

Wie wir auf dieser Tabelle sehen, herrschte zwischen den 
Jahren 1842—1862 ein Stillstand im Streit um das Entstehen der 
Gehörknöchelchen. Wie Dreyfuss (10) bemerkt, hatte dieses 
wahrscheinlich seinen Grund darin, dass man die Sache als 
abgemacht betrachtete, nachdem ein Mann mit der Autorität 
Reicherts dieselbe behandelt. Dass Günther (18) den Ur- 
sprung des Stapes betreffend zu einem anderen Resultat kam, 
scheint auf die allgemeine Meinung keinen Einfluss geübt zu 
haben. 

Reichert (45) führte die bezügliche Untersuchung an 
Schweinsembryonen aus und präparierte durch Dissektion die 
Anlagen der Gehörknöchelchen hervor. Am proximalen Ende 
des ersten knorpeligen Visceralstreifens unterscheidet er drei 
Abschnitte, von denen der erste, obere, der „mehr häutiger 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVII. Heft (11. Bd., H. 4). 34 


IVAR BROMAN, 


-19SELA yoeu ‘My 


'sstnosun sadeIg 
sap Sunadsıp uop aoqn YDop IS] 


"us 
-94 zuw3 gyoru pop Sunads 
-ınsodeI4g usp asqn oqeauy ld 


"uopıoMm IOPJ1g93 „Ozae NM“ 
UHPUASTIEMAOAAOL OTLOJUONynE AT 
op pur y WOAOJuIyg AOp UOA 
ou snw Todaouy y9s [Joy9oM 
a9p pun smouf ‘snoffen SSePp 
‘uw u9ge3 unuapey pun oyyyey 


usdunspLoweeg] 


josdeyyqurıkqer] 
Sıpurgsq[og 
u9sog 'Z 
josdeyygurıkqer] 


%“ 


uodog '% 
[osdeyıpyurıkqer] 


U9s0g 'Z 
Sıpurgsqjog 
u9sog 1] 


ussog '2- 
[4 


josdeyygarıkqer] 
uasog- A gun 'T 


[psdeyyqurakae] josdeygunäger] gı8I (‚T) Dqnı9 
Sıpurgsq[as SIpur4sq[9S 9:81 (98 an cz) Jung 
5 "l : Sl 981 (0P) ASSplE 
0 TErerlsı (68) aoyır 
F "1, ni all cL8l (ge) a9wwmagS 
u; 2 "Te 2 0281 (97) anequason) 
we R Ta TI 6ORT (og 'n 62) Aoxuy 
I 2 Ta EEIeT (82) Aoxuf 
ussog 'T \ ur c9gI (8) yponıgq 
Sıpurgsgpag 5 Je 22987 (98) urgoy 90 4onseN 
E l pi I crsl (sI) 1yyund 
= il r 1 ar8l ) yoypsıq 
= 1 r a LEST (ep) Mayaıay 
i il 7 | 688] (39) uıyuoeA 
7 ai x 1] gest (Fp) Prygey 
ER, I 5 "To, 8081 (6) yoep-ngı 
usSogqedaası A 'Z uoSoqjeaaasıA "T F2SI (12) oyasnf 
snouf snojeN & 
> = 
E 
sop Sunadsıp 


5l1 


e der Gehörknöchelchen beim Menschen. 


4 
uU 


Die Entwickelungsgeschich 


(sode3g pun oxepnoryuaf 

so ‘snouJ = ouepngıpuwuoÄf 

-snopen = wnamporduAg) 

"uop.19M JOpfrgqeS „opngrpuww BI 

dp umrtosuodsns of“ sne ud 
-[OTQUYLATOH oje ssep ‘quo 


PH 
"eg — 'SIoyaeg Sungonsaoguf) 


948.19 OP Yoyorsgdney AorıoJoy 


zusD 
-I9M J94YIB1LOq SUSFOATLIHOSTA 
194819 SOP 9491494) um wun.d}uod 
-söunjsdiouyıo‘ SOFTpurIsqjas 
wo spe ssnur [OFNAFIEIS Aaaly“ 


yurumsoqun wpopol oqeSuy ol 
'ssımogun 
sode9s sop Sunadsın uop aoqn 
"AIR[2219 Iyoıı 
pin ‘uowmeIs os ujodaouy 
-[EIOHSIA UOTDTEM AOpo wo 
-pM uoA  'Puoduryuswwesnz 
sdurzaw . uogafoypguyaoyon) Olly 


(8) uodog 'Z 


josduyygurtkqerg 


StpurIsgpag 


uodog ‘I 
[osdeyyqurıkqer 


6 


uasog "IT 
josdeyqqurikger 


uosogg "I 


jeodıouyjwaaosıı 


snou] 


“ 1 
Se 

ji 

el 

a]! 

u“ =] 

uosog "I 
josdeyqgunıkqwrf 
uosog "IL 

suojep 


sop Sunadsay 


9881 


(IF) nupnd) 


(7) gypaaıqıv 


(zI) anojfeg] puv A9480,7 


(2) mozegg 
(EI) OSBıJ 
(27) Aasuopeg 


(gp) Ansungeg 
(09) yospyoszuequn 
(67) WAouurf 


(88) aOı[E 


(ge) ano] 


34 


IVAR BROMAN, 


512 


"u9g98 

-oduB SIyaIu pam snoauf pun 

snojfew Sep “des eurwme] aop 

Sunadsap) uap aoqy) 'stperpodegs 
snnuuyuop ınu yoopol 1]13 sosorg] 
‘ol 

"uosunssejzny 

u9UHPAITYISIAA AIp ınu Jugemıao 

uopuos ‘sne sodeIg sop Sunads 
-af) uop doqn yypru yoıs Yypradg 

„ya [B.10O 

-SIA PU099S ou} Jo uaowuered 

jewwrxond oarwrd oy4 epnqıp 

-ugwoÄy 94} Jo uoreoyıpou % 

se Ajpweu urdL1o UOWWUOD HUO 

jo uw31o ouo* spe uoypeagog » 


nz pus uogojoqpouyaoyoy olYy 


-[osdeyyqurikqer]f 19p uUoA 
e.ınıy) A9p [9], um pun wurwer] 
‘Zıpurgsqjps sıpeıpodejs snpnauy 

‚[osdey 
-qyurÄgerJaop uoA 'deyg wurwuer] 
:uo3og 'z WOA Sıjeıpode4s snpnuuy 


ussog 'Z 
Sıpurgsqjog 


6 


us5og 'Z 
„oddop“ Aoroyjora 


‘o [osdeyygurıkqer] 


"u930og 'Z 


ypoddop 


uesogl '] 


usdog 'I 


uedog 


TE 


uosunyLowog 


sodeIg 


snouf 


sop Sunadsın 


snoj[e m 


«681 (g) uogawdtunegg 
c6sL (OT) ssnjAoaq 
1681 (28) turtopegg 
1681 (c) puuog 
0681 (sP) 1opeyos 
sl (FI) mopen 
ı881 (a4) arzayog 
ı881 (7) Taey 
1881 (gg) uppıooN "A 
1881 (s]) oStuopean 

= 

© 

=u 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 513 


uadog 'Z | E 12 EOS (12) 1omyosIosaH 
| & uodog 'Z et Saar (28) uuewjfoy 
f yoddop wet z I L68T (14) ezynıps 'O 
(6) uosog 'Z TOpo | 
| posdeyqqurıkqer] | « 7. IT 968 (ge) aodg 
"uo9sogl 
'z woA degs snpmuuy ‘josdey b 
-qyurkqer] top uoA "degs wurwer] yıddop | 5 a uasog I 9681 (og) yuopg 
— uadog 'z puu '[ 9681 (9) tous 99 Doug] 
Bun 2.014) "Te 7eodl (TE) Aqoouf 
uosog uadog 'T | _ uodog 'T | GOBI (79) 19Pu0Z 
Sıpuggsgjag | Sıpurgsgpas | Sıpurysqjos | S6—F6ST | (sg 'n Fe) uuwwuogerg 
x Zt Lo For („e) You 
josdeyyqurıkqr’] > ‘I . "| S68I (g9) wroysaoper A 
"uosog 
'z woA ‘des snpnuuy ‘josdey 
-qyurikqur] aop uoA "des wuwe] yyoddop uodog "I uodog "I E681 (eg 'n 22) Stnylof 
zn = rn = —— | 
— 
© 
usduny«wwog -—® = . - _ = 


| sodeIg snouf | snoffe 
| sap Sunadsın 


= a ze 


514 IVAR BROMAN, 


Natur“ war, „gar keinen Anteil an der Bildung dieser Knöchel- 
chen“ hatte, der zweite und dritte dagegen ganz für dieselben 
bestimmt waren. Von dieser zweiten Abteilung wird der Incus 
gebildet und zwar so, dass zuerst ein Auswuchs (Crus longum) 
hervortritt und sich mit dem proximalen Ende des zweiten 
Visceralstreifens verbindet; sodann wächst ein anderer (Crus 
breve) nach hinten und aufwärts. Von der dritten Abteilung 
wird der Malleus in der Weise gebildet, dass sich ein Auswuchs 
parallel mit dem Crus longum Incudis „bis in die Nähe des 
zweiten knorpeligen Visceralstreifens“ verlängert, wo er mit 
der Spitze eine Krümmung nach unten ausführt. Dieser mit 
dem Crus longum incudis parallele Teil des Auswuchses wird 
zum Capitulum et Collum mallei, „die kleine beinahe in einem 
rechten Winkel abgehende Spitze dagegen wird zum Manu- 
brium.“ Der dem Malleus zunächst liegende Teil des Meckel- 
schen Knorpels verknöchert und bildet den Proc. anterior (Fol). 
— „Stapes entwickelt sich nicht aus dem Labyrinth, sondern 
aus dem oberen, kolbigen Ende des zweiten, knorpeligen Vis- 
ceralstreifens. Durch das aus der Schädelhöhle sich hervor- 
drängende Ohrlabyrinth wird er seiner Verbindung mit der 
Kopfwirbelsäule beraubt, legt sich an das Gehörorgan an und 
wird durch das Hervorwachsen des letztern in einem Winkel 
gegen die untere Abteilung des zweiten knorpeligen Visceral- 
streifens gebogen. Das kolbige Ende, nun durch eine lockere 
Zwischensubstanz von dem unteren Stücke des Visceralstreifens 
getrennt, wird von dem sich vergrössernden und verknorpelnden 
Ohrlabyrinthe allmählich aufgenommen, wie in einer Grube 
vergraben, und stellt- so das Urrudiment des Steigbügels dar.“ 
Dasselbe stellt eine solide Platte dar, die erst unmittelbar vor 
der Verknöcherung durch Resorption im Centrum durchbohrt 
wird. Ungefähr zu gleicher Zeit ist der Steigbügel allmählich, 
wie es scheint, durch die Verknöcherung des Ohrlabyrinthes 
aus seiner Höhle hervorgetrieben. 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 515 


Das Entstehen des Annulus tympanieus beschreibt Reichert 
folgendermassen: „Um das spitzige Ende des in der Entwickelung 
begriffenen Manubrium bemerkt man, wenn es nur etwas weiter 
hervorgewachsen ist, die Bildungsmasse in einem kleinen Halb- 
bogen angehäuft. Mit der wachsenden Spitze in seiner Mitte, 
vergrössert sich dieser Halbbogen nach hinten bis an die Pars 
mastoidea und nach vorn bis an den Processus Folianus. Wenn 
die Spitze zum Manubrium sich vollständig entwickelt hat und 
noch im Knorpelzustande vorhanden ist, so verwandelt sich die 
halbbogenförmige, mehr bandartige Bildungsmasse, ohne einen 
bemerkbaren Knorpel zu bilden in Knochensubstanz und stellt 
den Annulus tympanicus dar als einen sehr zarten Knochen- 
reifen.‘ 

Parker (39) verfechtet anfangs (1874) eine früher von 
Huschke (27) und Huxley (28, 29 und 30) ausgesprochene 
Ansicht, dass der Incus dem proximalen Ende des zweiten 
Visceralbogens seinen Ursprung zu danken hätte; eine Meinung, 
die infolge des grossen Ansehens, das Parker genoss, bald die 
gesamte englische Litteratur durchdrungen hatte. Den Stapes 
leitete er damals von der Labyrinthkapsel her. — Einige Jahre 
später (1886) hatte er jedoch eine ganz andere Auffassung (40), 
„l am now satisfied,‘‘ sagte er, „that the Incus is the upper 
element of the first or mandibular arch‘“ (s. 10). Auch über 
den Ursprung des Stapes hat er jetzt eine andere Meinung: 
„Ihe topmost segment of the pharyngohyal arch (in the early 
young and embryo of the Marsupials) is V-shaped, its greater 
iront fork enlarging above and forming the inverted base of 
the columella or stapes, and the lesser hind fork becoming, 
after a time, detached and then ossified, and forming the inter- 
hyal“ (s. 272). 

Salenskys (47) Untersuchung ist auch eine von denen, 
die auf unsere Lehrbuchslitteratur eine nachhaltige Einwirkung 
ausgeübt hat. — Sein Untersuchungsmaterial bestand aus Schafs- 


516 IVAR BROMAN. 


embryonen und Schweinsembryonen; die Untersuchungsmethode 
bestand hauptsächlich in Dissektion konservierter Embryonen ; 
nur beim Studium der ersten Stapes-Entwickelung kam die 
Querschnittsmethode zur Anwendung. Die jüngsten der von 
Salensky beobachteten Schafsembryonen waren 1!/, cm lang 
und besassen „noch keine Spur von Knorpel in den Visceral- 
bogen, wie um das häutige Labyrinth. Bei solchen hat natür- 
lich“, sagt Salensky, „die Bildung der Gehörknöchelchen 
noch gar nicht begonnen.“ — „Die erste Anlage des Meckel- 
schen Knorpels so wie der Gehörknöchelchen erscheint bei der 
Chondrifikation der Visceralbogen, und deswegen kann ich die 
von Kölliker hervorgehobene Möglichkeit einer Verbindung 
des Labyrinths mit dem Steigbügel zu der Zeit, da diese beiden 
Teile noch in Form von weicheren Anlagen existieren, vollkommen 
in Abrede stellen. Die Chondrifikation der Gehörkapsel geht 
ziemlich gleichzeitig mit der Bildung des Knorpels in den 
Visceralbogen vor sich und es giebt keine Entwickelungsperiode, 
in welcher diese Teile in Form von differenzierten, weichen 
Anlagen vorhanden wären“. 

Bei 2 cm langen Schafsembryonen „stellen die beiden Knorpel 
des ersten und zweiten Visceralbogens zwei cylinderische knorpe- 
lige Stäbe dar. Die ersten Spuren der Gliederung des ersten 
Visceralbogens trifft man bei den 2,4 cm langen Embryonen 


si 


an.‘ Das proximale Ende, das im rechten Winkel gegen den 
übrigen Teil gebogen und durch eine Einkerbung noch deut- 
licher davon abgegrenzt ist, bildet die primäre Anlage des Incus. 
Der zunächst liegende Teil des Bogens, der durch eine etwas 
weniger tiefe Einkerbung vom Meckelschen Knorpel abgegrenzt 
ist, ist der Malleus. 

Bei 2,7 cm langen Embryonen ist die Furche zwischen den 
Malleus- und Incus-Anlagen bedeutend tiefer geworden; an 
letzterer tritt jetzt der Proc. brevis (Crus breve) hervor (ist auf 
der Abbildung sogar länger als das Crus longum). 


Zeitung 37 (1 Ba.R 9) 


dest. 


Ash 
Ir h.st. 


- Alpe 


Arbi.— a QO 


«VE 


Ar int 


Mol Unter Druckerei vH Schrz, Merseburg. Verizy n IK Bergmann. Weesdudar 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 517 


Bei den 3 cm langen Embryonen sind die Gelenkflächen 
beider Gehörknöchelchen komplizierter geworden; das Crus 
longum Incudis ist bedeutend in die Länge gewachsen und ist 
mit der Stapesanlage in Verbindung getreten. Die Rinne, die 
den Malleus vom Meckelschen Knorpel abgrenzte, ist jetzt 
verschwunden. Der auf dem vorigen Stadium „buckelförmig 
nach unten hervorspringende Teil des Hammers‘ ist bedeutend 
verlängert worden und hat nach vorn und unten die Anlage 
des Manubrium gebildet. 

„Bei den 4 cm langen Embryonen bestehen die weiteren 
Veränderungen des Hammers in dem Auswachsen des Manu- 
briums, welches noch mehr sich nach vorn biegt und jetzt 
schon parallel dem Meckelschen Knorpel nach vorn wächst.“ 

Bei einem 2°/a cm langen Schafsembryo ‚tritt die erste 
Anlage des Steigbügels, unabhängig von den anderen Gehör- 
knöchelchen, in Form eines Zellhaufens an der Arteria mandi- 
bularis (einem Zweige der A. carotis interna) hervor.“ Der 
Stapes ist infolgedessen von Anfang an durchbohrt. „Die Art. 
mandibularis spielt nur eine provisorische Rolle und geht später 
gewöhnlich zu Grunde. Sie bleibt ausnahmsweise bei einigen 
Tieren im ausgebildeten Zustande bestehen.‘ Sie ruft ausser 
„der Durchlöcherung des Stapes auch die rinnenförmige Aus- 
höhlung des vorderen Stapesschenkels“ hervor. Die erste, fast 
formlose Stapesanlage „bekommt später die Form einer trape- 
zoiden Platte, welche sich danach in eine fünfeckige und end- 
lich in eine glockenförmige verwandelt.“ 

Hannover (19) präparierte bei menschlichen Em- 
bryonen die Gehörknöchelchen heraus und zwar von der Zeit ab, 
wo die Knochenanlagen zuerst dem blossen Auge merkbar 
werden. 

1. Sein erstes Stadium, wo die Anlagen der Gehörknöchel- 
chen wahrnehmbar waren, war ein Embryo von 27 mm. Sch.- 
St.-L. Der Malleus hatte kein Manubrium. Am Incus war das 


518 IVAR BROMAN, 


Crus longum rudimentär; Orus breve ging rückwärts in den 
sehr dünnen Proc. styloideus über. Weder Stapes noch Fenestrae 
waren zu entdecken. 

2. Embryo, 30 mm Sch.-St.-L., 2 Monate alt. Das ver- 
hältnismässig kleine Capitulum Mallei ging unmittelbar in den 
Proc. Meckelii über. Manubrium Mallei war zugegen, aber 
rudimentär. Proc. brevis kaum sichtbar. — Der Incus, an dem 
oben vielleicht eine Artikulationsfläche für den Malleus im Ent- 
stehen war, war vollständig ausgebildet und fast halb so gross 
wie beim Erwachsenen. — Der Stapes bildete einen kleinen, 
ungeformten Körper von hyalinem Knorpel und ruhte in einer 
Vertiefung an der medialen Wand der Paukenhöhle. — Der 
Annulus tympanicus bildete einen halben fibrösen Ring, dessen 
vorderes Ende vielleicht verknöchert war. Fenestra rotunda 
angelegt. 

3. Embryo, etwas über 2 Monate alt. Malleus kaum 2 mm 
lang; Manubrium fehlend. Keine Fenestra deutlich unter- 
scheidbar. 

4. Embryo von 43 mm Sch.-St.-L.; ungefähr eben so alt 
wie der zuletzt erwähnte. Manubrium Mallei angelegt; Proc. 
longus in einer Länge von 1 mm verknöchert ; Capitulum halb- 
kugelig. Zwischen Malleus und Incus ist keine deutliche 
Trennung. Crus breve Ineudis ging in eine Knorpelsäule über, 
die sich in den Proc. styloideus hinaus fortsetzte, davon jedoch 
leicht zu unterscheiden war. Proc. styloideus war danach 
medialwärts knieformig gebogen. Der Stapes bestand aus einer 
formlosen Masse am Ende des Crus longum Incudis und sass 
in einer seichten Vertiefung eingesenkt, die die Fenestra ovalis 
repräsentirte. Fenestra rotunda angelegt. 

5. Embryo, 2!/g Monat alt; 48 mm St.-Sch.-L. Malleus 
und Incus lagen fast horizontal, nach vorn und innen gerichtet, 
weshalb Hannover annimmt, dass sie an der während des 


Wachstums zunehmenden Drehung der ganzen Pars petrosa 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 519 


Anteil nehmen. Keine Artikulationsfläche zwischen Malleus 
und Incus, nur eine äussere Andeutung einer solchen war sicht-. 
bar. Capitulum Mallei war sehr klein und lag unter dem Incus; 


Manubrium kaum angelegt. Stapes nicht zu entdecken. 


Bei einem anderen Embryo desselben Alters war dagegen 
das Manubrium mallei recht gut entwickelt. Der Proc. longus 
war in einer Strecke von 1,25 mm verknöchert. Crus breve 
Incudis verband sich direkt mit dem hinteren Teil des Knorpels 
der Paukenhöhle; doch fand sich da eine feine, helle Querlinie, 
eine Andeutung der später entstehenden Trennung. Crus 
longum Ine. war klein und lief nach unten in einen kleinen 
formlosen Knorpel aus, der den Stapes repräsentirte und mit 
der medialen Wand der Paukenhöhle in ununterbrochener Ver- 
bindung stand. — Annulus tympanicus war verknöchert und 
zeigte die Dicke eines Zwirnfadens; am vorderen Ende fand 
sich eine plattenförmige Ausbreitung. 


6. Embryo, 3 Monate alt. 

Die Gehörknöchelehen waren ungefähr halb so gross wie 
bei dem Erwachsenen. Der Incus hatte seine normale Form. 
Am Malleus war das Manubrium rudimentär, die Gelenkfläche 
aber recht deutlich angelegt. Die (definitive?) Form des Stapes 
war auch recht deutlich; derselbe liess sich durch das Foramen 
ovale herausziehen. — Bei einem anderen gleich alten und 
gleich grossen Embryo war das Manubrium Mallei fast voll- 
ständig entwickelt. 


7. Embryo, 3!/2 Monate alt. 


Die Gehörknöchelchen hatten ihre definitive Form. Die 
Artikulationsfläche zwischen Malleus und Incus war deutlich 
entwickelt, sowie auch der Processus brevis Mallei; der Proc. 
longus dagegen bildete nur einen weissen, tendinösen Streifen 
ohne Verknöcherung. 


520 IVAR BROMAN, 


8. Embryo, 4 Monate alt. 

Im Corpus Mallei fand sich am Ausgangspunkte des Proc. 
longus ein. kleines Verknöcherungscentrum. Der betreffende 
Fortsatz war in einer Länge von 3 mm verknöchert. 

9. Embryo, 4'/a Monate alt. 

Das Capitulum Mallei mehr gewölbt und besser vom Proc. 
Meckelii abgegrenzt; letzterer etwas dünner geworden. Keine 
Verknöcherung im Malleus, nicht einmal im Proc. longus. Auch 
Incus, Stapes und Os lenticulare nur aus Knorpel gebildet. — 
Bei einem anderen gleich alten Embryo war dagegen der Proc. 
longus zu 3,5 mm verknöchert. 

10. Embryo, 5 Monate alt. 

Der Malleus hatte eine Länge von 6,75 mm und hatte 
einen Verknöcherungspunkt, der im, Collum anfing und sich 
bis zu der Stelle erstreckte, wo der Proc. longus ausgeht. Der 
Proc. longus aber, der in einer Länge von 3,5 mm verknöchert 
war, war durch Knorpel von der verknöcherten Partie getrennt. 
Die Spitze der Proc. lateralis war weisslich (Verknöcherung?). 
Im Innern des Crus longuın am sonst knorpeligen Incus fand 
sich eine Verknöcherung (von einer Knorpelschicht bedeckt). 
Die Gelenkhöhle zwischen Malleus und Incus war deutlich aus- 
gebildet. Os lenticulare und Stapes waren knorpelig; ein Paar 
kleine, weisse Flecken am Insertionspunkte des M. stapedius 
deuteten dort eine beginnende Verknöcherung an. — Auch der 
im rechten Winkel gebogene Proc. styloideus war noch knorpelig. 
— Bei einem anderen 5 Monate alten menschlichen Embryo 
waren auch Incus und Stapes fast ganz verknöchert. 

11. Embryo, 5!/s Monate alt. 


Malleus — mit Ausnahme des Manubrium und des obersten 
Teiles des Capitulum — verknöchert, Incus bis auf die Partie 


an der Artikulationsfläche und das äusserste Ende des Orus 
breve verknöchert, Stapes durch und durch knorpelig. — Bei 
einem anderen gleich alten Embryo war die Basis sowie 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 521 


die zunächst liegende Hälfte der Crura stap. verknöchert. Die 
Crura waren dicker als beim Erwachsenen. 

12. Embryo, 6!/2 Monate alt. 

Alle Gehörknöchelchen bis auf Manubrium und Proc. brevis 
Mallei, die Spitze des Crus breve Incudis und Caput Stapedis 
verknöchert. Der Stapes hatte ganz die definitive Form, das 
vordere Crus war kürzer und gerader als das hintere. Proc. 
longus Mallei bis zu 2,35 mm verknöchert. 

13. Embryo, 7 Monate alt. 

Manubrium Mallei noch knorpelig. Proc. Meckelii von der 
Dicke eines mässigen Zwirnfadens.. Incus im ganzen ver- 
knöchert; so auch der Stapes mit Ausnahme der Anheftungs- 
fläche am Os lenticulare; letzteres auch knorpelig. 

14. Embryo, 7!/2 Monate alt. 

Mit Ausnahme der äussersten Spitze des Manubrium Mallei 
und des Os lenticulare waren alle Gehörknöchelchen ganz ver- 
knöchert. Der Proc. longus Mallei hatte eine Länge von 4 mm. 

15. Embryo, 8 Monate alt. 

Verknöcherung ungefähr wie im letztbesprochenen Stadium. 

Hannover scheint am meisten geneigt anzunehmen, dass 
alle drei Gehörknöchelchen aus der Labyrinthkapselwand ent- 
stehen (L. ce. s. 495). — Köllikers (33) Bemerkung, dass sie „in 
erster Linie vom Perioste aus ossifizieren“ scheint Hannover für 
diese Knöchelchen nicht mehr als für jeden aus Primordialknorpel 
entwickelten Knochen zu gelten. — Eine vollständige Verbin- 
dung des Proc. longus Mallei mit dem Malleus selber tritt, 
seiner Meinung nach, nicht vor der Geburt ein. — Abgesehen 
vom Proc. longus Mallei, der zuerst und selbständig verknöchert, 
nimmt er für jedes der Gehörknöchelchen nur einen Ver- 
knöcherungspunkt an. 

Fraser (13) untersuchte Ratten-Embryonen (8 mm — fast 
reif), Schwein- (1—2,6 cm), Hunde- (1—2,5 cm), Schaf- (1—4 cm), 
Kaninchen- (1—1,5 cm) und menschliche Embryonen 


522 IVAR BROMAN, 


(l cm und 4 cm). Über die vorherige Litteratur giebt er eine 
ausführliche Übersicht Selbst ein Schüler Parkers, kam 
Fraser den Ursprung der Gehörknöchelchen betreffend zu 
derselben Auffassung, die jener damals aufrecht hielt (siehe 
Tabelle!). — Er zeigt, dass Salensky (46 und 47) den Fehler 
begangen, die V. jugularis prim. als Art. carotis int. zu beschreiben 
und abzubilden. 

Gradenigo (15) veröffentlichte 1887 über „die embryonale 
Anlage des Mittelohrs‘‘ und „die morphologische Bedeutung der 
Gehörknöchelchen‘“ eine bedeutende Abhandlung, welche gleich- 
wie die Arbeiten Reicherts, Parkers und Salenskys 
orossen Einfluss geübt und die ich deshalb etwas eingehender 
referieren will. 

Das Material Gradenigos bestand hauptsächlich aus 
Katzenembryonen. Zur Kontrolle wurden auch Kaninchen-, 
Hund-, Schweine- und menschliche Embryonen (von 4 
bis 17 cm Sch.-St-.L.) untersucht. 

Seine Arbeitsmethode war ‚die Methode der Serienschnitte.“ 

Er unterscheidet in der Entwickelung der Skelettelemente 
4 Stadien: 

I. Stadium: (Katzenembryo 12 und 13 mm, Schafsembryonen 
13 mm entsprechend): „Knorpelgewebe findet sich noch nicht 
vor; die künftigen Skeletteile sind nur durch Zellenanhäufungen 
und Zellenstränge dargestellt. Von den Skelettelementen der 
zwei ersten Kiemenbogen ist nur ein Abschnitt des ersten 
(mandibularen) Bogens, seinem proximalen Ende entsprechend, 
angedeutet. Die vorknorpelige Anlage der periotischen Kapsel 
ist besonders gut an der lateralen unteren Wand der Gehörblase 
angedeutet.“ 

II. Stadium (Katzenembryo 15 mm Sch.-St.-L. Schafs- 
embryonen von 2--2,20 cm entsprechend): „Echtes Knorpel- 
gewebe ist noch nicht vorhanden; die künftigen Skelettelemente 
sind, wie im vorher beschriebenen Stadium, nur durch nicht 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 593 


deutlich begrenzte Zellenanhäufungen und Zellenstränge dar- 
gestellt. Der Mandibularbogen erscheint in Form eines Zellen- 
stranges, welcher proximal frei endet mit einer unbegrenzten 
Anschwellung an der Seite des Schädels, dem vorderen Teile 
der Labyrinthblase entsprechend. Er tritt weder zu dem proxi- 
malen Ende des zweiten Kiemenbogens noch zu der periotischen 
Kapsel in Beziehung. — Der Hyoidbogen erscheint in Form 
eines Zellenstranges, welcher ungefähr dieselbe Dicke als der 
Mandibularbogen aufweist; sein proximaler Abschnitt wendet 
sich zuerst ein wenig nach aussen, dann biegt er sich nach 
oben, vorne und innen. Das proximale Ende umgiebt ein arte- 
rielles Gefäss (Arteria stapedialis) und bildet auf diese Weise 
einen vollständigen, aus dicht aneinanderliegenden Zellen 
bestehenden Ring (Annulus stapedialis) und tritt zuletzt zu der 
Anlage der periotischen Kapsel in Beziehung. — Die Arteria 
stapedialis stammt mittelst eines mit der Arteria hyoidea, welche 
in den zweiten Kiemenbogen nach unten verläuft, gemeinsamen 
Astes von der Carotis ab. — Die vorknorpelige periotische 
Kapsel weist die grösste Dicke entsprechend der lateralen Wand 
der Gehörblase auf. — Keine Spur von Labyrinthfenstern ist 
zu bemerken. — Die Chorda tympani löst sich fast rechtwinkelig 
vom Facialisstamm ab, und verläuft nach vorne und oben“, 
um an den medialen Teil des dritten Trigeminuszweiges her- 
anzutreten. 


Ill. Stadium (Katzenembryo 2 cm und Schweinsembryonen 
3—3,5 cm Sch.-St.-L.): „In diesem Stadium findet man die 
verschiedensten Entwickelungsstufen des Knorpelgewebes ver- 
treten, von den Zellenanhäufungen angefangen, welche in den 
vorhergehenden Stadien ausschliesslich vorhanden waren, bis 
zu dem ausgebildeten Knorpelgewebe.“ 

[Gradenigo unterscheidet drei verschiedene Entwickelungs- 
phasen des Knorpelgewebes: 


524 IVAR BROMAN, 


1. Vorknorpel. „Gewebe vollkommen identisch den 
Zellenanhäufungen, welche die Skelettelemente bei den Embryonen 
der früheren zwei Stadien darstellt. Zellen klein, Kern relativ gross 
oder körniger Inhalt, geringe Menge von Protoplasma; Intercellu- 
larsubstanz gering oder auch nicht wahrnehmbar. Die Zellen 
sind dicht aneinandergedrängt. Die Zellsubstanz sticht durch 
intensivere Färbung von dem umgebenden Gewebe deutlich ab.“ 

2. Unreifer Knorpel. „Zellen grösser, Protoplasma 
reichlicher; Intercellularsubstanz im geringen Masse schon auf- 
getreten, sie färbt sich noch mit Hämatoxylin, jedoch weniger 
als die Zellkerne.“ | 

3. Reifer Knorpel. „Zellen gross und mit deutlich aus- 
gesprochener Kapsel; Intercellularsubstanz reichlich vorhanden, 
von hyaliner Beschaffenheit und sich mit Hämatoxylin kaum 
färbend.“] 

Der hintere, obere Teil (Pars canalium semicircularium) 
der periotischen Kapsel besteht aus reifem Knorpel; der vordere, 
untere (Pars cochlearis) aus unreifem. Die Stelle, die der Gegend 
des künftigen ovalen Fensters entspricht, befindet sich auf einem 
Zwischenstadium zwischen der vorknorpeligen Skelettanlage und 
dem unreifen Knorpel. „Bei diesem Stadium der Entwickelung 
ist keine Spur des runden Fensters zu sehen.“ Bei etwas weiter 
vorgeschrittenen Katzenembryonen und bei Schweinsembryonen 
von 3-3, 5 cm sieht man jedoch ein grosses rundes Fenster, das 
doch noch von keiner Membran geschlossen ist. — Bei diesen 
bildet die vom Annulus stapedialis eingebogene Kapselwand eine 
Lamelle (Lamina stapedialis), die sich durch die geringe Färb- 
barkeit ihres äusseren, an den Annulus stossenden Zellenlagers 
leicht von übrigen Teilen der periotischen Kapsel abgrenzen 
lässt. 

Malleus und Incus sind vom proximalen Ende des Mandi- 
bularbogens gebildet und fangen schon an „die morphologischen 


Charaktere des erwachsenen Individuums“ zu zeigen. „Hammer- 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 525 


und Ambos-Körper sind knorpelig; der obere (soll wohl heissen: 
untere) Abschnitt des Hammergriffes und des langen Ambos- 
schenkels und der grösste Teil des Processus brevis des Ambosses - 
sind nur durch die vorknorpelige Anlage, d. i. einfache Zellen- 
anhäufungen dargestellt.‘“ — Der Hyoidbogen ist nun nur halb 
so dick wie der Mandibularbogen. Er besteht zum grössten 
Teil aus unreifem Knorpel. ‚Der unmittelbar unterhalb des 
Annulus stapedialis gelegene Teil hat die histologischen Charaktere 
der vorknorpeligen Anlage beibehalten“; die diesen Teil zu- 
sammensetzenden Zellen färben sich mit Hämatoxylin weniger 
stark und sind „weniger dicht aneinander gedrängt.‘ Der 
lange, abwärts gewachsene Ambosschenkel ist mit dem An- 
nulus stapedialis in Verbindung getreten. ‚Die Arteria sta- 
pedialis ist viel dünner geworden, und kann nur eine kurze 
Strecke über den Ring verfolgt werden. Sie stammt jetzt direkt 
von der Carotis ab.“ 

IV. Stadium. (Menschliche Embryonen 4 und 4!/2 cm 
Sch. St. L.). — „Das Gewebe der Kiemenbogen und der perio- 
tischen Kapsel bietet fast überall das Aussehen des reifen 
Knorpels; die Verknöcherung dieser Elemente ist noch nicht 
aufgetreten, ausgenommen am distalen Ende des Mandibular- 
bogens. Die meisten Deckknochen sind schon aufgetreten. — 
Der Hammer bietet schon die Form des Hammers eines erwach- 
senen Menschen dar; bei selbem sind bereits die Andeutungen 
des kurzen und des muskulären Fortsatzes zu erkennen. Der 
verhältnismässig dicke Griff erscheint konkav gegen vorne; 
durch die schiefe Lage des gesamten Knöchelchen tritt das 
stumpfe Griffende mit der gegenüberliegenden Wand der perio- 
tischen Kapsel in Berührung. Der Processus Folianus Mallei 
tritt nm Form eines schmalen, an der unteren medialen Fläche 
des Meckelschen Knorpels anliegenden Leistehens auf. — Der 
Hammer erscheint mit dem Ambos knorpelig partiell vereinigt, 
der betreffenden Gelenkfläche entsprechend. — Der Ambos 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVII, Heft (11. Bd., H. 4). 35 


IVAR BROMAN, 


[} | 
ID 
[op] 


bietet auch annäherungsweise die Form, welche beim Erwach- 
senen anzutreffen ist. Das Ende des langen Ambosschenkels 
tritt zu dem distalen Rande des Annulus stapedialis in Bezieh- 
ung, indem es sich in seinem untersten Stücke stark nach innen 
biegt. — Es ist keine Spur eines getrennten knorpeligen Os 
lenticulare s. Sylvianum zu sehen. Der kurze Ambosschenkel 
wird in einer fast quer gerichteten Furche der vorderen Fläche 
des hinteren periotischen Fortsatzes aufgenommen, und mittelst 
faserigen Bindegewebes fixiert. — Der Reichertsche Knorpel 
hat jede Beziehung zum Annulus stapedialis verloren; er tritt 
in faserige Verbindung mit einem absteigenden Fortsatze der 
periotischen Kapsel und verschmilzt mit diesem in einem 
späteren Entwickelungsstadium. Die Lamina stapedialis wird 
rund herum von der übrigen, vestibularen Wand durch das 
Hineindringen von faserigem Bindegewebe differenziert. Der 
mediale Rand des Annulus stap. dringt allmählich in die Lamina 
hinein; das Gewebe der Lamina verschmilzt teilweise mit dem 
Gewebe des Annulus, und erfährt teilweise einen Involutions- 
vorgang. — Das runde Fenster ist schon mit der Anlage der 
Membrana tympani secundaria zu sehen. — Der Musculus 
tensor tympani und der Musculus stapedius sind deutlich diffe- 
renziert. — Der Annulus tympanicus stellt den grösseren Teil 
eines knöchernen Ringes dar. Der Abschnitt, welcher direkt 
unterhalb des letzten Teiles des Meckelschen Knorpels liegt, 
ist der breiteste; er besitzt die Form einer dünnen, gegen oben 
konvexen Lamelle, und fast die Breite der unteren konvexen 
Fläche des Meckelschen Stabes. Diese Lamelle hört frei nach 
hinten auf, bevor der Meckelsche Knorpel in den Hammer- 
körper übergeht. Nach vorne und unten setzt sich die Lamelle 
in einer dünnen, knöchernen, fast cylinderischen Spange fort, 
welche sich nach hinten krümmt, um an die mediale, obere 
Seite des Reichertschen Knorpels zu gelangen. An der Stelle, 
wo dieser Knorpel direkt nach oben umbiegt, bleibt der hintere 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 527 


Rand des tympanalen Ringes medialwärts und vorne von ihm, 
um frei in der Höhe ungefähr des stumpfen Endes des erwähnten 
Reichertschen Knorpels zu enden.“ 

Bei späteren Stadien (menschlichen Embryonen von 5—10 cm 
fand Gradenigo keine wichtigeren Veränderungen des Malleus 
und Incus. — Die sich auf die Stapesanlage beziehenden Ver- 
änderungen beschreibt er folgendermassen: „Entsprechend der 
Peripherie der Lamina stapedialis zertrümmern und vernichten 
die hineindringenden Bindegewebsfaserzüge die einzelnen Knorpel- 
zellen. An dem centralen Teile der Lamina hingegen erscheinen 
die Zellen verdrängt und in einem Zustande von beginnender 
Atrophie. Die Lamina sieht sehr verschmälert aus. — Obschon 
in dieser Entwickelungsphase die Grenzschichte nicht mehr zu 
sehen ist, bleibt die Lamina stapedialis doch scharf von dem 
Annulus getrennt; die kleinen und gut gefärbten Zellen des 
letzteren schemen eine rege karyokinetische Thätigkeit zu besitzen. 
— In weiteren Stadien ist es nicht möglich an der Basis der 
schon ziemlich gut ausgebildeten Stapes die Lamina deutlich 
zu erkennen.“ — Das Ligamentum annulare bildet sich sowohl 
1. „durch Hineinwanderung der Bindegewebsfasern hauptsäch- 
lich von der tympanalen Seite her, der Peripherie der Lamina 
entsprechend‘, als 2. „durch direkte Umwandlung der zunächst 
liegenden Knorpelzellen in faseriges Gewebe.‘ 

Gradenigo behandelt auch ausführlich das Entstehen des 
tubotympanalen Raumes und die morphologische Bedeutung 
der Gehörknöchelehen. Da jedoch diese Fragen nicht innerhalb 
des Gebietes meiner Untersuchung fallen, übergehe ich dieses 
Kapitel. 

v. Noorden (38) untersuchte drei der Hisschen Samm- 
lung angehörige menschliche Embryonen, Lhs., Zw. und Lo. 
Bei dem Embryo Lhs (17 mm NL.; ungefähr 50 Tage alt) fand 
er die Arteria mandibularis (stapedialis) „ein kleines rundliches 
Knorpelhäufchen, das weder zum Meckelschen Knorpel, noch 

35* 


528 IVAR BROMAN, 


zum Labyrinthknorpel in Beziehung stand“, durchbohrend. Von 
dieser Knorpelpartie meint er, dass sich nur die Crura stap. 
(teilweise oder ganz) entwickeln. Ausserdem besitzt nämlich 
der Stapes eine „intramurane“ Anlage, die sich einige Tage 
später zu entwickeln anfängt. — Bei Embryo Zw. (18,5 mm 
NL., ca. 7!/g Wochen alt) begrenzt sich diese innerhalb der 
vorderen Labyrinthwand als eine kleine, ovale Knorpelmasse, 
die stärker gefärbt ist als die übrige Labyrinthwand, mit dieser 
aber direkt (d. h. ohne Bindegewebebegrenzung) verbunden ist. 
Von dieser Knorpelscheibe aus strecken sich kaudal zwei durch 
die Arteria stap. getrennte „Säulchen“. Die Knorpelscheibe 
mit diesen Säulchen betrachtet er als die von der Labyrinth- 
kapsel stammende Partie der Stapesanlage.. — Embryo Lo 
(23 mm NL., ca. 8!/s Wochen alt) scheint sich wie Zw. ver- 
halten zu haben; hierüber finden sich jedoch keine besonderen 
Angaben. — „Die ganze Bildung des Stapes bis zur Erreichung 
seiner typischen Gestalt geht in der siebenten bis achten Woche 
vor sich.“ 

Rab] (42) hebt hervor, dass man sich „um sich von der 
Entwickelung des Steigbügels aus dem Hyoidbogen zu über- 
zeugen“, an solche Embryonen halten muss, „bei denen der 
Reichertsche Knorpel noch nicht knorpelig ist, sondern durch 
ein Chondroblastem repräsentiert wird. Ist einmal Knorpel 
gebildet, so ist es nicht mehr möglich, sich ein bestimmtes 
Urteil zu verschaffen, und zwar deshalb nicht, weil nun auch schon 
eine Verbindung des Steigbügelknorpels mit dem Ambosknorpel 
eingetreten ist. — Um die Arteria stapedia krümmt sich das 
Chondroblastem des Reichertschen Knorpels herum, und 
zwar in der Weise, dass es später die Arterie mit zwei Schenkeln, 
eben den beiden Schenkeln des Steigbügels, umfasst.“ — Der 
Musculus stapedius tritt bei Schaf- von 17 mm und Schweins- 
embryonen von 15,8 mm Nackensteisslänge auf. Er scheint 
gemeinsamen Ursprung mit dem M. stylohyoideus zu haben und 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 529 


wird wie dieser vom N. facialis, dem Nerv des Hyoidbogens, 
innerviert. Der M. tensor tympani gehört genetisch zur selben 
Gruppe wie der M. tensor veli palatini und wird wie dieser vom 
N. trigeminus, dem Nerv des Mandibularbogens innerviert. 

Da Rabl die Beobachtung gemacht, dass die Nerven der 
Visceralbogen im übrigen „mit peinlicher Gewissenhaftigkeit‘ 
jeder die Produkte seines Bogens versorgen, so sieht er in 
dem erwähnten Innervationsverhältnis des M. stapedius einen 
starken Beweis für die Bildung des Stapes aus dem 
Hyoidbogen. 

Staderini (57) studierte die ersten Entwickelungsstadien 
des Annulus stapedialis bei Schweinsembryonen (15—21 mm). 

Stadium I. (Embryo 15 mm). Keine Spur von Knorpel- 
gewebe. Der Hyoidbogen endigt oben mit einer kleinen, rund- 
lichen Auftreibung, die sich mit dem Auswuchs der periotischen 
Kapsel hinter der Facialisaushöhlung vereint. Der Annulus 
stapedialis fängt als ein Zellenring um die Arteria 
stapedialis an, ohne Verbindung mit denangrenzen- 
den Teilen; übrigens undeutlich abgegrenzt, wird 
er von der periotischen Kapsel durch einen hellen 
Bindegewebsstreifen getrennt. Der mandibulare Bogen 
ist nicht mit der periotischen Kapsel verbunden. 

Stadium II. (Embryo 16 mm). Der Annulus stapedialis hat 
an seiner äusseren Seite eine kleine Zellenanhäufung, die mit 
dem unteren, inneren Teil des proximalen Endes des Mandibular- 
bogens in direkter Verbindung steht. Der oben erwähnte, helle 
Bindegewebsstreifen zwischen dem Annulus und der periotischen 
Kapsel ist jetzt verschwunden; die Grenze jedoch infolge der 
verschieden starken Färbung noch immer deutlich. 

Stadium III. (Embryo 17,5 und 18,5 mm). Noch ist kein 
Knorpelgewebe gebildet. Die Verbindung des Hyoidbogens mit 
der periotischen Kapsel ist schmäler geworden und hat sich 
medialwärts gebogen. Durch einen (offenbar nach dem vorigen 


530 IVAR BROMAN, 


Stadium entstandenen) Zellenstrang ist der Hyoidbogen mit dem 
Mandibularbogen sowie auch mit dem Annulus stapedialis in 
Verbindung getreten. 

Stadium IV. (Embryo 21 mm). Embryonaler Knorpel hat 
angefangen in der Basis cranii und in der Mittelpartie des 
Mandibularbogens aufzutreten. Sonstige Verhältnisse wie im 
vorigen Stadium. 

Der Annulus stapedialis entsteht also selbständig ohne 
primären Zusammenhang weder mit den Visceralknorpelanlagen 
noch mit der periotischen Kapsel. 

Dreyfuss (10) publizierte 1893 die Resultate einer genauen 
Untersuchung, die für uns ein besonderes Interesse besitzt, da 
sein Material zum grossen Teil aus menschlichen Embryonen 
bestand (Embryonen vom Beginn des dritten bis zum Ende des 
sechsten Monats). Die Lücken ergänzte er mit Kaninchen- und 
Meerschweinchen-Embryonen. 

Er unterscheidet vier histologische Entwickelungsstadien: 

1. Blastem (Bildungsmasse, Formating tissue). Ist durch 
regelmässig geformte, runde oder ovale Kerne und durch weniger 
dichte Gruppierung und Tingierung der Zellen vom Stadium 2 
verschieden. 

2. Chondroblastem oder Vorknorpel. (Entspricht 
Gradenigosund Rabls erstem Stadium.) Lässt sich vom Blastem 
durch eine diehtere Gruppierung und Tingierung der Zellen 
unterscheiden; ausserdem durch das häufige Vorkommen von 
unregelmässig geformten Kernen, die ihre runde oder ovale 
“Form zuweilen gegen eine spindelförmige vertauschen. Inter- 
cellulargewebe findet sich absolut nicht. — Aus diesem Ent- 
wiekelungsstadium bilden sich gewöhnlich nur Knorpel und 
Perichondrium (nur ausnahmsweise Bindegewebe „infolge von 
Resorptions- oder Involutionsvorgängen‘“). 

3. Jungknorpel. Anfangendes Auftreten von Intercellular- 
substanz. 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 531 


4. Reifer Knorpel. 


Dreyfuss’ frühestes Stadium war ein Meerschweinchen- 
Embryo von 22 Tagen. — Ich referiere in Kürze seine wichtigsten 
Beobachtungen an diesem: 


„Von dem ersten Kiemenbogen ist das proximale Ende noch 
nicht in das vorknorpelige Stadium eingetreten; es stellt vielmehr 
eine breite Blastemmasse dar, die sich vor dem Facialis in der 
Höhe seines Knies nach der Labyrinthanlage zu wendet und 
dort an ein Blastemgewebe anstösst, das die Anlage des Annulus 
stapedialis darstellt. — In ähnlicher Weise verhält sich das 
Blastem des zweiten Kiemenbogens. Auch diese legt sich an den 
Annulus stapedialis an und begrenzt denselben von unten. — 
Die blastematöse Anlage des Annulus stapedialis stellt sich dar 
als eine um ein dünnes Gefäss gruppierte Zellanhäufung. Diese 
centrierte Schichtung der Zellen um das Gefäss (Arteria stapedialis, 
Arteria mandibularis Salensk y) berechtigtuns, die Zellanhäufung 
von den proximalen Enden der beiden Kiemenbogenblasteme 
abzugrenzen; beide liegen jedoch denı Annulus dicht an. Nach 
aussen von ihm verläuft der Facialis, nach innen liegt indifferentes 
Gewebe, das die laterale Peripherie des Blastems der Labyrinth- 
kapsel umbiegt. Der Annulus stapedialis ist also ursprünglich 
durch indifferentes Gewebe von der Labyrinthkapsel getrennt 
und hat nichts mit ihr zu thun.“ 


Bei einem Kaninchenembryo von 15 Tagen (ein etwas vor- 
geschritteneres Stadium als das 22tägige Meerschweinchen-Embryo) 
hat sich das Blastem des ersten Kiemenbogens am proximalen 
Ende aufgehellt und ist zu indifferentem Gewebe geworden, 
sodass jetzt der Annulus stapedialis in einer gewissen Entfernung 
vom proximalen Ende des ersten Kiemenbogens sich befindet. — 
Der zweite Kiemenbogen bietet genau dasselbe Stadium wie 
beim vorhergehenden Embryo. Es liegt also sein proximales 
Blastem dem Annulus stapedialis dicht an. 


532 IVAR BROMAN, 


Bei einem Kaninchenembryo von 16 Tagen „besteht die 
periotische Kapsel aus vorknorpeligem Gewebe; aus demselben 
Gewebe sind auch diejenigen Stellen der Kapsel zusammen- 
gesetzt, an denen sich später die beiden Fenster ausbilden. — 
Hammer und Ambos sind bereits getrennt. — Der Hammerkopf 
stellt das etwas kolbig angeschwollene Ende des Meckelschen 
Knorpels dar. Von seinen späteren Fortsätzen ist das Manubrium 
als Blastem angelegt, das von dem Hammerkopf aus nach innen 
und etwas nach vorn in fast horizontaler Richtung auswächst. — 
Der Kopf des Hammers besteht aus jungknorpeligem Gewebe, 
das allmählich nach unten in der Gegend des Hammerhalses in 
Vorknorpel und im Manubrium in Blastem übergeht. Der Ambos 
ist vorknorpeliger Struktur. Sein Körper umgiebt auf beiden 
Seiten das proximale Ende. des Hammers. Der kurze Ambos-: 
schenkel ist noch recht jugendlicher Struktur und verliert sich 
allmählich in die Kapsel der Bogengänge. Der lange Fortsatz 
des Ambos ist blastematös und von unbestimmter Kontur. Er 
geht parallel dem Manubrium mallei im indifferenten Gewebe 
der Paukenhöhle nach dem Annulus stapedialis zu. Der lange 
Fortsatz des Ambosses, ebenso wie der Hammergriff haben sich 
also innerhalb der letzten 24 Stunden gebildet. Der Annulus 
stapedialis hat sich nunmehr an die Vorhofswand angelegt in 
Form eines von der Arteria stapedialis durchbohrten vorknor- 
peligen Ringes. — Vom Annulus stapedialis ist das proximale 
Ende des zweiten Kiemenbogens, soweit es durch seinen runden 
Querschnitt als wohlbegrenzten Vorknorpel sich zeigt, weit ent- 
fernt, aber auch selbst die obere Fortsetzung des proximalen 
Endes‘, die als ein „auf dem Querschnitte sichelförmiges Blastem‘ 
den vorderen, äusseren Teil des N. facialis bekleidet, ‚ist sowohl 
vom Annulus stapedialis als vom unteren Ende des langen 
Ambosschenkels in genügender Entfernung; indifferentes Gewebe 
der Paukenhöhle liegt dazwischen.‘ 


x. Ri 


lkk ö . . 

PP fa » PER 
A 2 lung E37 HH Bd HE) 
= Anatımn. Ile. Thheilung 37 (11BE12%) 


Lan ten.or 


Zig.ana 


AR uns Dune hl stioen, Werzturg. Aug 


R g es 
aw' ® 
. la RB 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 533 


Kaninchen-Embryo von 17 Tagen. 

„Der Meckelsche Knorpel, der in einem leicht nach oben 
konvexen Bogen in den Hammerkopf übergeht, zeigt jung- 
knorpelige Struktur, desgleichen der Hammerkopf und -Hals. 
Das Manubrium hat Vorknorpel. Der kurze Hammerfortsatz 
ist noch nicht formiert; an seiner Stelle liegt eine Zellmasse, die 
durch den Zusammenfluss der Zellreihen der Membrana propria 
des Trommelfelles gebildet wird. — Vom Processus longus sive 
Folianus ist noch nichts zu sehen. — Der Ambos hat nunmehr 
seine Schenkel vollständig, quoad formationem, entwickelt. Der 
Körper ebenso wie der Hauptteil der Fortsätze besteht aus 
Jungknorpel. — Der Annulus stapedialis stellt einen median 
abgeplatteten, jungknorpeligen Ring dar, die Arteria stapedialis 
ist verschwunden. Der Ring senkt sich bereits tief in die 
Labyrinthwand hinein. Der Vorknorpel des ovalen Fensters ist 
von dem andrängenden Annulus stapedialis komprimiert und 
stellt so nunmehr ein verdicktes Perichondrium der Vorhofs- 
kapsel dar. Der Vorknorpel der Labyrinthwand rings um den 
Stapes ist in seinem Zustand erhalten geblieben (ebenso wie die 
Stelle des runden Fensters), während die übrige Labyrinthwand 
jungknorpeliger Struktur geworden ist. — Hammer und Ambos 
werden von einander durch eine Zwischenscheibe getrennt. 
Zwischen demlangen Ambosschenkel und dem Annulus stapedialis 
findet sich keine Zwischenscheibe, ein Umstand, der darin seine 
Erklärung findet, dass Ambos und Steigbügel ursprünglich von 
einander getrennt sind und dass ihre Verbindung oder Berührung 
erst durch das Hervorwachsen des langen Ambosschenkels her- 
gestellt wird. — Der gesamte Reichertsche Knorpel hat jung- 
knorpelige Struktur. Zwischen dem proximalen Ende des Bogens 
und der Labyrinthwand, an der äusseren Seite des Facialis hat 
sich unterdes eine Zellanhäufung (die Dreyfuss „Schaltstück 
oder Intercalare“ nennt) verdichtet, die ihren Ursprung ent- 
weder am Primordialkranium oder im indifferenten Gewebe 


534 IVAR BROMAN, 


der Paukenhöhle nimmt, doch aber wohl auch Reste des proxi- 
malen Blastems des zweiten Kiemenbogens enthält.“ — Musculus 
tensor tympani und Musculus stapedius sind angelegt. — Die 
Chorda tympani verläuft unterhalb der Zwischenscheibe zwischen 
langem Ambosschenkel und dem Hammerhals. — Der Annulus 
tympanicus ist in seinem unteren und vorderen Teil binde- 
gewebig angelegt. 

Kaninchenembryo von 20 Tagen. 

„Das Knorpelbild der Labyrinthkapsel ist nunmehr überall 
als reifer Knorpel zu bezeichnen. Der Hammer selbst besteht 
ebenso wie der Meckelsche Fortsatz aus reifem Knorpel. Der 
Hammerkopf hat bedeutend an Volumen zugenommen, ebenso 
der langgestreckte Hammerhals. Der Processus brevis mallei 
ist nun jungknorpelig formiert. — Während der Hammerkörper 
eine vertikale Stellung hat, verläuft der Handgriff in einer 
nahezu horizontalen, nach vorn und innen gerichteten Linie. 
Der Handgriff hat eine jüngere Knorpelstruktur als der Kopf 
und Hals. — Der Ambos besteht aus demselben Knorpelgewebe 
wie der Hammer. Sein langer Schenkel trägt an seinem Ende 
ein bedeutend unentwickelteres Knorpelgebilde, das Linsenbein, 
Der kurze Fortsatz, nunmehr vollständig knorpelig, senkt sich 
tief ein in eine Nische der Labyrinthwand dicht am äusseren 
Bogengang; er wird mit dem Knorpel der Labyrinthkapsel durch 
ein straffes, kronenförmig von allen Seiten sich an ihm befesti- 
gendes Band verbunden. — Hammer und Ambos bilden eine, 
wenn auch noch einfach gestaltete Gelenkfacette. Die Zwischen- 
scheibe ist fast ganz geschwunden. Die beim 17tägigen Kanin- 
chen 4-56 fache Zellage derselben ist auf eine einfache Zell- 
reihe geschrumpft. Am Steigbügel imponiert die massige Basis, 
welche aus der allmählichen Abplattung der medialen Ringfläche 
entstanden ist. Die Schenkel sind ziemlich schlanke, aber auch 
kurze Gebilde. Der gesamte Steigbügel ist knorpelig. Das vor- 
knorpelige Gewebe, das beim 17-tägigen Embryo noch an der 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 535 


Stelle des ovalen Fensters als vestibulärer Überzug des Steig- 
bügelrings zu sehen war, ist ebenfalls geschwunden bezw. auf 
eine dünne bindegewebige (perichondrale) Lamelle reduziert, die 
wir am besten als Fortsetzung des inneren Vorhofsperichon- 
driums auffassen. Rings um die Steigbügelbasis ist noch ein 
grosser Bezirk der Labyrinthwand bindegewebig geworden, also 
aus dem Vorknorpel in Bindegewebe übergegangen, das Liga- 
mentum annulare baseos stapedis. — Der Reichertsche Knorpel 
ist mit der knorpeligen Bogengangskapsel kontinuierlich ver- 
bunden. Das oben beschriebene Schaltstück oder Intercalare 
ist nämlich mit beiden Teilen verschmolzen und knorpelig 
geworden.“ — Die Grenze zwischen dem Schaltstück und dem 
Reichertschen Knorpel wird durch den scharfen (ungefähr 
rechten) Winkel markiert, der dadurch gebildet wird, dass 
letzterer, von der medialen Seite kommend, mit dem ersteren 
sagittal verlaufenden zusammenstösst. — „Vom Annulus tym- 
panicus ist der ganze untere und vordere aufsteigende Ast in 
Form einer Leiste formiert. Das Innere dieser Leiste enthält 
eine Zellgruppierung, die auf die beginnende Verknöcherung 
hindeutet. Der obere Teil des Annulus tympanicus ist von der 
bindegewebigen Anlage des Schläfenbeins nicht zu trennen.“ 
Dreyfuss’ frühzeitigster, menschlicher Embryo hatte 
eine Länge (Sch. St. L.) von 43 mm. Von seiner Beschreibung 
desselben interessiert uns besonders folgendes: „Der Hammer- 
kopf, welcher kontinuierlich in den Meckelschen Knorpel 
übergeht, überragt an Höhe den ihm anliegenden Kopf des 
Ambosses. Unter dem Meckelschen Knorpel liegt ein dünnes 
Knochenstäbchen, der Processus Folianus s. longus Mallei; das- 
selbe steht mit dem bindegewebigen Annulus tympanicus in 
Zusammenhang. Der Ambos, welcher ebenso wie der Hammer 
aus jungem Knorpel besteht, trägt am unteren Ende seines 
langen Schenkels den Linsenfortsatz, der sich an den Annulus 
stapedialis anlegt. — Hammer und Ambos werden durch ein 


536 IVAR BROMAN, 


einfaches Gelenk von einander getrennt. — Der Annulus stape- 
dialis buchtet sich mit seiner vestibularen Fläche in das ovale 
Fenster ein. Dieses wird ausgefüllt von einem Gewebe, das ich 
als vorknorpelig bezeichnen muss und das kontinuierlich und 
allmählich in den Knorpel der übrigen Vestibularwand über- 
geht. Eine Arteria stapedialis ist nicht vorhanden. — Der 
Reichertsche Knorpel ist an seinem proximalen Ende mit der 
anstossenden Bogengangkapsel durch Bindegewebe verbunden, 
es besteht also kein kontinuierlicher Übergang. In der Fenestra 
rotunda liegt ein ähnliches Gewebe wie in der Fenestra ovalis, 
doch ist seine bindegewebige Struktur durch Einlagerung zahl- 
reicher Spindelzellen deutlicher. — Musculus tensor tympani 
und Musculus stapedius sind entwickelt.“ 

Menschlicher Embryo von 53 mm Sch.-St.-L. 

„Nur die untere und vordere Leiste des Annulus tympa- 
nicus ist in diesem Stadium ossifiziert. Ebenso ist der Pro- 
cessus Folianus knöchern und mit dem Knorpel des Hammer- 
halses durch Bindegewebe verbunden. Sowohl das Knorpel- 
gewebe des Annulus stapedialis als die primäre Platte im ovalen 
Fenster sind in ihrer Struktur reifer geworden. Diese Platte 
ist jetzt ein jugendliches Knorpelgebilde mit dichtstehenden 
runden Zellen, aber bereits hinreichend vieler Intercellularsub- 
stanz, um als Knorpel angesehen werden zu können. Zwischen 
dem Annulus stapedialis und dieser primären Platte findet keine 
Spur von Verschmelzung statt. Dagegen hat bereits die Diffe- 
renzierung der ovalen Knorpelplatte vom Labyrinthknorpel 
begonnen und zwar geschieht dies durch Hereinwuchern von 
Fasergewebe von der Paukenhöhlenfläche der Vorhofswand. 
Dieses Fasergewebe ist der Vorgänger des Ligamentum annu- 
lare baseos stapedis, — Der Reichertsche Knorpel ist mit 
seinem proximalen Ende mit dem Processus perioticus posterior 
(Gradenigo) vollständig verschmolzen und die Verschmelzungs- 
stelle nirgends mehr sichtbar.“ 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 537 


Menschlicher Embryo von ca. 75-80 mm Sch.-St.-L. 

„Die jungknorpelige Platte des ovalen Fensters, wie wir 
sie noch im vorigen Stadium sahen, ist auf eine schmale, binde- 
gewebige Lamelle reduziert. Das Knorpelgewebe an der 
vestibularen Seite des Annulus stapedialis ist noch in jugend- 
lichem Zustande und trägt einen perichondralen Überzug.“ 

„Die nächstfolgenden Embryonen von 91 und 100 mm 
Sch.-St.-L. bieten ungefähr gleichmässige Entwickelungszustände: 
Annulus tympanicus: Weitere Ausbildung der Verknöcherung. 
— Hammer: Schlankere Formation des Kopfes und Halses; 
stärkere Prominenz des kurzen Fortsatzes. Stehenbleiben der 
Entwickelung im Meckelschen Knorpel. — Ambos: Ebenfalls 
schlankere Formation des Kopfes und damit feinere Ausbildung 
des Hammer- Ambosgelenkes. Stärkere winkelige Abknickung 
des Linsenfortsatzes zur Achse des langen Schenkels. — Steig- 
bügel und ovales Fenster: Die bindegewebige Lamelle im ovalen 
Fenster weiter verdünnt und als direkte Fortsetzung des Peri- 
chondriums der inneren Vorhoffläche erscheinend. Das Liga- 
mentum annulare ausgebildet. Das Gewebe der Steigbügel- 
schenkel ist reifer Knorpel, die Basis dagegen noch in jüngerem 
Zustande.“ 

Bei den übrigen Menschen-Embryonen (vom 4, 5 und 6 

Monat) war hauptsächlich das Fortschreiten der Ossifikation 
Gegenstand der Untersuchung Dreyfuss'. 
Foetus vom Anfang des vierten Monats: „Beginn der Ossi- 
fikation am Hammer und Ambos von dem Perichondrium an 
der medialen Seite ausgehend.“ Der Össifikationspunkt des 
Hammers liegt an der Stelle, „wo sich der Processüs Folianus 
an den Hammer ansetzt“; der des Ambosses „an der Stelle, 
wo der lange Schenkel nach unten abgeht. — Steigbügel noch 
vollkommen knorpelig.“ 

Foetus Anfang des fünften Monats: „Die Hauptmasse des 
Hammerkopfes ist knöchern“; oben ist er jedoch von einer 


538 IVAR BROMAN, 


schräg (nach hinten und aussen) aufsitzenden Knorpelkappe 
bedeckt. „Hals, kurzer Fortsatz und Handgriff sind knorpelig. 
— An dem Ambos ist die Verknöcherung am langen Schenkel 
heruntergegangen und hat bis an die Umbiegungsstelle am Os 
lenticulare Platz gegriffen. Der Kopf, der kurze Fortsatz und 
das Linsenbein sind knorpelig. Der Steigbügel ist noch knor- 
pelig. — Der Processus Folianus ist durch straffes Bindegewebe 
mit dem stark an Dicke reduzierten Meckelschen Knorpel, 
dem Annulus tympanicus und mit dem Hammerhals verbunden.“ 

Fötus Mitte des fünften Monats: „Fast der ganze Hammer 
kopf ist knöchern; jedoch besteht noch die Knorpelkappe.“ 
Sonst keine Veränderungen. 

Fötus Ende des fünften Monats: „Hammer: Kopf und Hals 
vollständig ossifiziertt mit Ausnahme eines Knorpellagers, das 
die Berührungsfläche mit dem Ambos darstellt. Handgriff und 
kurzer Fortsatz sind noch durchaus knorpelig. Der Meckelsche 
Knorpel ist auf ein dünnes Knorpelgebilde reduziert, seine peri- 
pheren Partien, besonders die untere, haben sich bereits in 
Bindegewebe verwandelt.“ — Ambos: Der ganze Ambos mit 
Ausnahme der Berührungsfläche gegen den Hammer und der 
äussersten Enden der Prozesse ist nun verknöchert. „Der 
lange Schenkel zeigt als das erste der Mittelohrgebilde einen 
Markraum.“ — Steigbügel: „Die Steigbügelbasis ist knöchern mit 
Ausnahme der vestibulären und der Gelenkfläche, die einen 
Knorpelüberzug tragen (dieser Knorpelüberzug ist jedoch nicht 
der Rest der primären vorknorpeligen ovalen Fensterplatte). Die 
Hauptmasse der beiden Schenkel, nämlich der der Basis zu 
gelegene Teil ist knöchern, der ganze Kopf und das laterale 
Drittel beider Schenkel dagegen knorpelig.“ 

Fötus im sechsten Monat: „Die Ossifikation macht jetzt 
langsamere Fortschritte. Im Hammerkopf bildet sich ein Mark- 
raum. Im Ambos geht die Verknöcherung etwas weiter in den 
Linsenfortsatz hinein. Das Köpfchen des Steigbügels und das 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 539 


laterale Schenkeldrittel beginnt nun ebenfalls zu verknöchern. 
In beiden Schenkeln bilden sich Markräume.“ 


Von den Thesen, die Dreyfuss am Ende seiner Arbeit 
aufgestellt, will ich besonders folgende referieren, auf die ich 
später Gelegenheit haben werde zurückzukommen: 


These 2. „Das Blastem des proximalen Endes des ersten 
Kiemenbogens liegt dem Blastem des Annulus stapedialis an.“ 


These 3. ‚Das Blastem des proximalen Endes des ersten 
Kiemenbogens verschwindet bald und verwandelt sich in Binde- 
gewebe.“ 


These 4. „So entsteht ein Stadium, wo das vorknorpelige 
Ende des ersten Kiemenbogens in einer gewissen Entfernung 
vom Steigbügelring gelegen ist.“ 

These 5. „Der Handgriff des Hammers und der lange 
Schenkel des Ambosses wachsen zu gleicher Zeit in paralleler 
Richtung nach vorn, innen und unten aus.“ 


These 8. „Der zusammenhängende Hammer- und Ambos- 
körper trennt sich kurz vor Aussendung der ad 5 genannten 
.Fortsätze infolge der Bildung einer Zwischenscheibe. (Die Art 
der Trennung wurde bis jetzt noch nicht beobachtet). 


These 11. „Sobald die Anlage des Annulus stapedialis als 
eine konzentrisch um ein kleines Gefäss gelagerte Zellanhäufung 
erkennbar ist, liegt sie zwischen dem Blastem des proximalen 
Endes des ersten und des zweiten Kiemenbogens. Sie ist aber 
von beiden durch die konzentrische Schichtung ihrer Zellen wohl 
zu trennen, also vorderhand als unabhängige Bildung zu be- 
trachten.“ 

These 17. „Das Ligamentum annulare baseos stapedis wird 
hauptsächlich gebildet aus Elementen des beschriebenen Vor- 
knorpels (im ovalen Fenster) und aus Spindelzellen, die vom 
Perichondrium der tympanalen Oberfläche der Vorhofkapsel 
hereinwachsen.‘ 


540 IVAR BROMAN, 


These 19. „Das Gelenk zwischen langem Ambosschenkel 
und Steigbügelring wird nicht in Form des Auftretens einer 
Zwischenscheibe gebildet, da der lange Ambosschenkel ja erst 
an den Annulus stapedialis heranwachsen muss, die beiden 
Gebilde also nie ein Continuum bilden.‘ 

These 21. „Nach Resorption bezw. Involution des proxi- 
malen Endblastems des zweiten Kiemenbogens besteht eine 
zeitlang keine Verbindung zwischen der periotischen Kapsel 
und dem proximalen Ende des vorknorpeligen zweiten Kiemen- 
bogens.‘‘ 

These 22. ‚Die Verbindung zwischen dem proximalen Ende 
des definitiven Reichertschen Knorpels und der Kapsel der 
Bogengänge wird hergestellt durch ein neu auftretendes, zuerst 
vorknorpeliges, später knorpeliges Gebilde“ („Intercalare oder 
Schaltstück‘“). 

These 24. „Der Processus styloideus Politzer besteht aus 
dem oberen Ende des Reichertschen Knorpels, dem Schaltstück 
und dem angrenzenden, spät verknöchernden Bezirk der Bogen- 
gangskapsel.“ ß 

Baumgarten (3) untersuchte einen 3 cm langen mensch- 
lichen Embryo. Er ist unter den früheren Verfassern der 
einzige, der Rekonstruktionsbilder der Gehörknöchelchen geliefert. 

„Der künftige Proc. brevis und das Manubrium Mallei ragen 
nach unten weit hervor und sind als solche in ihrer Gestalt 
bereits erkennbar.“ Der Hammer ist vom Ambos nur durch 
einen auf den Querschnitten deutlich hervortretenden „dunklen 
Streifen von Knorpelzellen‘“ getrennt. „Mit dem Meckelschen 
Knorpel ist dagegen der Hammerkörper noch vollständig eins.“ 
— Aussen vom Hammer und Meckelschen Knorpel sah er 
„einen schmalen Zellstreifen, weit hinab bis in die Gegend des 
künftigen Unterkiefers verfolgbar“; dieser Zellstreifen, der „un- 
zweifelhaft einer der Belegknochen des Meckelschen Knorpels 
ist“, sollnach Baumgartens Auffassung „sehr wahrscheinlich‘ 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 541 


mit dem Processus Folianus identisch sein. „Am Ambos sind 
Corpus, Proc. brevis und longus deutlich unterscheidbar, er 
hat also die künftighin bleibende Form schon etwa erhalten, 
während die beiden anderen Gehörknöchelchen, Hammer und 
Steigbügel, noch bedeutende Umgestaltungen erleiden, ehe auch 
sie am Ende ihrer Metamorphosen angelangt sind. Einzig das 
Os lentieulare ist noch nicht vorhanden, der Steigbügel steht 
in direkter Berührung mit dem langen Fortsatz des Ambos. — 
Im gegenwärtigen Entwickelungsstadium ist der Steigbügel noch 
nichts als ein derber, gleichmässig gerundeter Knorpelring, 
dessen medialer Teil höher steht als der laterale, sodass er an 
der Stelle, wo er sich an den Ambos anlegt, einen Winkel von 
45° mit der Horizontalebene bildet. Von einem Unterschied 
in der Krümmung der Schenkel und von einer Fussplatte ist 
nichts zu bemerken. — Die Arteria stapedialis ist sehr klein 
und wahrscheinlich schon im Stadium der Involution befindlich.“ 
— Der Reichertsche Knorpel steht zwar im Kontakt mit der 
Labyrinthkapsel, ist aber nicht mit derselben verschmolzen. 
„Er hebt sich von ihr im Gegenteil durch seine weit grössere 
Zellenmenge auf gleichem Raume, und damit durch seine viel 
intensivere Färbung sehr deutlich ab. — Hinter dem Reichert- 
schen Knorpel, zwischen ihm und der Gehörblase, sieht man 
den Durchschnitt des Facialis, der Hyoidbogenknorpel dient 
also hier dazu, einen Teil der Wand des Fallopischen Kanals 
zu bilden.“ — Vom oberen Ende des Reichertschen Knorpels 
„ziehen einige dunklere Zellenstreifen um den Facialis herum 
zum Steigbügel hinüber. Die Lehre, nach welcher der Steig- 
bügel aus dem Knorpel des zweiten Kiemenbogens hervorgeht, 
lässt sich mit dieser Erscheinung wohl in Einklang bringen.“ 
— Dafür spricht auch der Umstand, dass „in der knorpeligen 
Struktur des Hammers, des Ambosses und des Meckelschen 
Knorpels einerseits, des Steigbügels und des Reichertschen 
Knorpels andererseits ein bemerkenswerter Unterschied insofern 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVII. Heft (11. Bd. H. 2.) 36 


542 IVAR BROMAN, 
existiert, als die beiden letzteren Organe auf gleichen Raum 
eine viel reichere Entwickelung der zum Aufbau dienenden 
Zellen zeigen, als erstere; gewiss doppelt so zahlreich.“ 

Über die Frage, ob die Lamina stapedialis ihren Ursprung 
der Labyrinthkapsel zufdanken hat oder nicht, spricht sich 
Baumgarten folgendermassen aus: „Die Wand der Gehörblase 
scheint mir an der Stelle, wo der Steigbügel sie berührt, die 
Eigenschaft eines Knorpels nicht mehr zu haben, vielmehr finde 
ich, dass an dieser Stelle nur noch eine dünne Membran übrig 
ist, die die Meinung nicht rechtfertigt, dass aus ihr eine knor- 
pelige Platte, an Dicke den Schenkeln des Steigbügels gleich, 
hervorgehen könne.“ 

Siebenmanns (54) Material bestand aus 4 menschlichen 
Embryonen aus der 4.—6. Embryonalwoche. 

Bei dem jüngsten dieser Embryonen („7 mm lang, am 
Ende der vierten Woche stehend‘‘) hatten Hammer und Amboss, 
„sich noch in keinerlei Weise differenziert.“ Das Blastem der 
beiden ersten Bogen, kernreicher und stärker gefärbt als das 
der übrigen Bogen, umgiebt „röhrenförmig die betreffenden 
Nerven — den Trigeminus und Facialis.“ — „Der kürzere und 
dünnwandigere Blastemmantel des Trigeminus liegt demjenigen 
des Facialis, welcher länger und dichter ist, breit auf. Beide 
gehen ohne deutliche Grenze ineinander über, soweit als nicht 
eine solche gebildet wird durch den epithelial verklebten Teil 
der Kiemenspalte. Hinter dem dorsalen Ende der letzteren 
strahlt die laterale Partie dieser vereinigten Blastemschicht 
direkt unter dem Ektoderm gegen die Seitenfläche des Rauten- 
hirnes aus, sich auf dieser Strecke teilweise vereinigend mit 
der Blastemzone, welche die laterale Wand des Labyrinthbläs- 
chens umgiebt; die mediale Partie sehen wir zwischen die 
Epithelschicht der hinteren Wand der ersten Schlundtasche und 
das Labyrinthbläschen sich hineinschieben als ein kurzer Lappen 
dessen Ursprungsstelle in der Hauptsache dem Facialisgebiet 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 543 


angehört und in dessen Mitte sich später der vorknorpelige 
Stapes differenziert. — Wichtig für die Frage der Provenienz 
des Stapes ist die Thatsache, dass in diesem jüngsten Stadium 
der stapediale Blastemlappen gegen das Labyrinth deutlich 
abgegrenzt ist durch eine helle mesodermale Zone.“ 

Siebenmanns 2. Stadium (Embryo 10,5 mm NL.) „zeigt 
ähnliche Verhältnisse, wie die oben geschilderten.“ — Nur die 
Veränderung ist eingetreten, dass der stapediale Blastemlappen 
jetzt von der Arteria stapedialis durchbohrt ist und sich der 
Labyrinthwand genähert hat. 

Stadium 3. (Embryo 15 mm und 15! mm NL.) zeigt 
dagegen bedeutende Fortschritte. „Zum erstenmal tritt hier 
Vorknorpel auf.“ Sämtliche Gehörknöchelchen sind angelegt 
und bestehen aus Vorknorpel. „Ihre Form hat schon jetzt 
erosse Ähnlichkeit mit derjenigen, welche sie im extrauterinen 
Leben besitzen. Sie bilden, gleichwie nach der definitiv vollen- 
deten Entwickelung, eine kontinuierliche Kette. Dieselbe findet 
sich, in vertikaler Richtung betrachtet, zwischen den dorsalen 
Enden des Meckelschen und Reichertschen Vorknorpels 
ausgespannt, geht in letztere kontinuierlich übor und unter- 
scheidet sich von ihnen histologisch — namentlich was Hammer 
und Amboss anbelangt — bloss durch einen ge:ingeren Reile 
zustand. Die Verbindung zwischen Stapes url Reichert: 
schem Vorknorpel wird vermittelt durch eine vorknorpelige, sich 
schwächer färbende, dem Facialis anliegende Platte (vorknor- 
peliger Facialismantel). Auch zwischen Hammer und Meckel- 
schem Knorpel findet sich ein ähnliches, weniger tingibles Ver- 
bindungsstück. — Der Stapes liegt der Labyrinthkapsel fest 
an, differenziert sich aber deutlich von ihr.“ 

Siebenmann spricht als seine bestimmte Meinung aus, 
„dass die dem Labyrinth zugewandte Fläche des Annulus stape- 
dialis der späteren Stapesplatte entspricht und dass also der 
menschliche Stapes nicht (im Sinne von Gradenigo) doppelten 

36* 


>44 IVAR BROMAN, 


Ursprungs ist. — Die von der „Stapesplatte“ berührte Partie 
der vorknorpeligen Labyrinthkapsel geht direkt (ohne „knorpe- 
liges Zwischenstadium‘“) in Bindegewebe über.‘ (So ist auch 
die Auffassung Baumgartens und Dreyfuss hat sich münd- 
lich derselben angeschlossen) — „Nach der Sachlage“, sagt 
Siebenmann schliesslich, ‚‚wie sie aus meinen nun beschrie- 
benen Präparaten sich herausstellt, ist es — sowohl was den 
blastemartigen als was den vorknorpeligen Zustand der mensch- 
lichen Gehörknöchelchenkette anbelangt — vernünftigerweise 
kaum erlaubt darüber ernstlich zu streiten, welchem der beiden 
ersten Kiemenbogenvorknorpel dieses oder jenes der drei Gehör- 
knöchelchen angehöre. Denn alle diese Elemente — Reichert- 
scher und Meckelscher Vorknorpel, Hammer, Amboss und 
Steigbügel — treten ziemlich gleichzeitig auf, als geson- 
derte Skelettstücke aber aneinander gereiht zu einer kon- 
tinuierlichen, hufeisenförmigen Kette, deren beide lange End- 
glieder allerdings im ersten und zweiten Kiemenbogen stecken, 
aber deren Mittelglieder wohl mit mehr Recht selbst- 
ständig erklärt als dem einen oder anderen End- 
glied zugeteilt werden können.“ 

Diese Meinung präzisiert er noch schärfer in einer späteren 
Publikation (55). „Meine eigenen Untersuchungen“, sagt er, 
„drängen zu dem Schlusse, dass die menschlichen Gehör- 
knöchelchen nicht dem einen oder anderen Kiemenbogen 
angehören, sondern dass sie, gleich wie das Labyrinth, 
als besondere Teile des vorknorpeligen Schädel- 
skelettes anzusehen sind.“ — Besonders zu bemerken 
ist, dass Siebenmann den Proc. anterior (Folii) mallei als von 
der oberen Hälfte des Meckelschen Knorpels gebildet annimmt; 
diese sollte folglich persistieren und verknöchert werden. 

Zondek (64) konnte an Kaninchenembryonen von 1,2 und 
1,5 cm Sch.-St.-L. und an einem Kuhembryo von 2,4 em Sch.- 
St.-L. einen deutlichen, direkten Zusammenhang zwischen dem- 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 545 


Hyoidbogen und der Stapesanlage konstatieren. Ausserdem 
untersuchte er zwei menschliche Embryonen von resp. 
35 und 7 cm Sch.-St.-L. Die Beschreibung letzterer will ich 
als für die hier vorliegende Untersuchung von grösserem Inter- 
esse etwas genauer referieren. 

1. „Menschlicher Embryo von 3!/e2 cm Sch.-St.-L. Laby- 
rinthkapsel und Gehörknöchelchen bestehen aus reifem, embryo- 
nalem Knorpel!). Derjenige Teil der lateralen Labyrinthwand, 
der dem späteren Foramen ovale einerseits und dem Foramen 
rotundum andererseits entspricht, ist in Bildungsmasse angelegt. 
Der Meckelsche Knorpel geht kontinuierlich in den Hammer- 
kopf über; auch histologisch ist keine deutliche Grenze zu 
erkennen. Der Hyoidbogen ist knorpelig angelegt und ist durch 


indifferentes Gewebe von dem Stapes-Ring geschieden. — Der 
Handgriff des Hammers ist fast ebenso dick wie der Kopf. 
Der Proc. folianus ist noch nicht gebildet. — Hammer und 


Amboss sind von einander deutlich getrennt. Eine dichte Rund- 
zellen-Schicht, die Zwischenscheibe, scheidet den oberen Teil 
des Hammer-Kopfes von dem vorderen lateralen Gelenkfortsatz 
des Amboss, während an der unteren Hälfte des Gelenkes eine 
trennende Schicht mehrerer longitudinaler Zellenreihen vor- 
handen ist. — Der stark entwickelte lange Fortsatz des Am- 
bosses strebt parallel dem Manubrium der Labyrinthwand zu.“ 

2. „Menschlicher Embryo von 7 cm Sch.-St.-L. Mikrosko- 
pisch ist jetzt eine deutliche Grenze zwischen dem Meckel- 
schen Knorpel und Hammerkopf zu erkennen. — Am schlank 
geformten Hammer kann man Kopf, Hals und Handgriff deut- 
lich von einander unterscheiden. Der Proc. brevis ist schwach 
entwickelt; nach vorn und abwärts erstreckt sich der Proc. 


1) Zondek unterscheidet folgende Entwickelungsstadien: 


1. Bildungsmasse (= Dreyfuss’ Blastem). 
2. Vorknorpel oder unreifer Knorpel. 
3. Reifer, embryonaler Knorpel oder Jungknorpel. 


546 IVAR BROMAN, 


folianus, der als Belegknochen angelegt noch nicht mit dem 
Hammer verschmolzen ist.“ — Die Zwischenscheibe zwischen 
Hammer und Amboss ist jetzt verschwunden; ein einfaches 
Gelenk ist an dessen Stelle getreten. „Der Amboss hat ungefähr 
die Form eines zweiwurzeligen Molarzahnes, dessen Wurzeln 
ziemlich senkrecht zu einander divergieren. Die mediale Wurzel, 
der Proc. longus grenzt unmittelbar an den Steigbügel. Das 
Os lentieulare ist noch nicht gebildet.“ — Der vordere Schenkel 
des Steigbügels ist nur wenig gekrümmt; der hintere Schenkel 
beschreibt dagegen einen grossen Bogen. „Die Fussenden der 
beiden Schenkel verbindet ein Knorpelstab, die Lamina stape- 
dialis, die in ungefähr sagittaler Ebene der Labyrinthwand 
anliegt.‘ 

Die Möglichkeit einer ‘doppelten Stapesanlage betreffend, 
spricht sich Zondek folgendermassen aus: „Der labyrinthäre 
Ursprung der Lamina stapedialis ist bisher nicht erwiesen. Der 
aus Bildungsmasse bestehende Ring liegt mit einem Segment 
in der Labyrinthwand. Dieses Segment wird zum Knorpel, 
während der dahinter liegende Teil, der dem For. ovale ent- 
spricht, wie der Abschnitt der Labyrinthkapsel, aus dem sich 
das For. rotundum entwickelt, die Struktur von Bildungsmasse 
zeigt. Weiterhin entwickelt sich das hinter der Lamina stape- 
dialis gelegene Gewebe bis zum Vorknorpel, um sich dann in 
Bindegewebe umzuwandeln. 

Jacoby (31) rekonstruierte nach Borns Methode das Pri- 
mordialkranium eines 3 mm langen menschlichen Embryos, 
desselben den Baumgarten vorher untersuchte (s. S. 540). 

Aus Jacobys Abhandlung entnehmen wir folgendes, das 
von grösserem Interesse ist: Auf einigen schematischen Schnitt- 
zeichnungen zeigt er genauer den „Bindegewebsstreifen, der 
vom unteren Teile des Stapesringes zum Reichertschen Knorpel 
zieht.“ Auf denselben Zeichnungen sieht man die primäre 
Stapesplatte zu „einer dünnen bindegewebigen Schicht‘ reduziert. 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 547 


Auf der Abbildung des Primordialeraniums (von der Seite 
gesehen) sieht man den Deckknochen des Unterkiefers sich — 
lateral und etwas hinterhalb des Meckelschen Knorpels — 
aufwärts in eine Knochenlamelle fortsetzen, „die immer dünner 
wird, um in der Gegend der Gehörknöchelchen wieder dicker 
zu werden.‘ — „Mit Recht‘, sagt Jacoby, „vermutet Baum- 
garten hier wohl die Anlage des Proc. folianus.“ — Die Stel- 
lung Jacobys in der Stapes-Streitfrage ergiebt sich aus folgen- 
dem: „Während die Beteiligung des Reichertschen Knorpels 
vielleicht gesichert sein dürfte, so ist bei der Labyrinthwand, 
die Sachlage verwickelter. Denn Gradenigos Befunde lassen 
noch den Einwand zu, dass die Stapesplatte erst sekundär in 
die Labyrinthwand eingelassen worden ist und auch der Baum- 
gartensche Embryo, den ich nachgeprüft habe, zeigt, wie ich 
glaube, dieses Verhältnis. Die Entscheidung über die Ab- 
stammung des Stapes von der Labyrinthwand muss nach dem 
Stadium jüngerer Stadien getroffen werden. Und hier steht 
von Noordens positiver Befund, der sicherlich von grossem 
Interesse ist, bisher wenigstens zu vereinzelt da und sind die 
betreffenden Angaben nicht bestimmt genug, um überzeugen zu 
können. Es bleibt also die Frage noch offen, da sowohl die 
vergleichende Anatomie als auch die Entwickelungsgeschichte 
noch nicht das letzte Wort gesprochen haben.“ 

Broca et Lenoir (6) fanden bei einem 3 Monate alten 
Knaben, dessen rechtes Ohr normal war, das linke, äussere 
Ohr nur durch ein Paar kleine Höcker repräsentiert. Der 
äussere Gehörgang fehlte an dieser Seite. Im Bereich des Mittel- 
ohrs fanden sie zwei Knöchelchen , von denen das untere mit 
den persistierenden Meckelschen und Reichertschen Knorpeln 
in Zusammenhang stand. Dieses Knöchelchen deuten die Ver- 
fasser als Hammer, dessen „apophyse de Raw“, (Proc. Folii) 
vom Meckelschen und dessen Manubrium vom Reichert- 
schen Knorpel gebildet wurde. Nachdem sie, die Entwickelung 


548 


IVAR BROMAN, 


der Gehörknöchelehen betreffend, Balfour und Salensky 
eitiert, sprechen sie sich schliesslich folgendermassen aus: „I 
nous semble resulter de nos constations et de l’interpretation 
des auteurs nommes qu'il ne serait pas impossible de considerer 
le marteau et l’enclume comme formes &a la fois par les deux 
premiers arcs branchiaux, le manche du marteau representant 
la partie posterieure du deuxieme are.“ 

Über die jetzt allgemein herrschende Auffassung des Ur- 
sprunges der Gehörknöchelchen, so wie diese in den Lehr- 
büchern des letzten Jahrzehntes hervortritt, ergiebt sich aus 
meiner tabellarischen Übersicht folgendes: — Malleus und Incus 
stammen vom ersten Visceralbogen. — Über den Ursprung des 
Stapes sind dagegen die Meinungen sehr divergierend. Minot (37) 
und Wiedersheim (63) meinen, dass der Steigbügel allein von 
der Labyrinthkapsel herrührt; Hertwig (22, 23), Schenk (50) 
und Schultze (51) sind geneigt, einen doppelten Ursprung 
anzunehmen (Annulus selbständig oder vom Hyoidbogen, Lamina 
von der Labyrinthkapsel); einige (Bonnet (5), Schäfer (48), 
Graf Spee (56) sprechen sich weder für die eine noch für die 
andere Auffassung aus. — Nur darin herrscht eine gewisse 
Einigkeit, dass niemand willig scheint, die Richtigkeit der alten 
Reichertschen Theorie zuzugeben, nach der der Steigbügel 
seinen Ursprung nur vom zweiten Visceralbogen abstammt. 

Kollmann (32), dessen Lehrbuch erst erschien, nachdem 
obiges schon geschrieben war, ist doch einer solchen Annahme 
geneigt. Die Gründe, die hierbei für ihn bestimmend zu sein 
scheinen, sind: 1. dass der M. stapedius vom Facialis innerviert 
wird; — 2. dass „Defekte am Hammer und Ambos, welche oft 
mit einer Verkleinerung des Unterkiefers zusammentreffen, den 
Steigbügel unberührt lassen“, während „umgekehrt Anomalien 
an dem Stapes vorkommen“, wenn gleichzeitig ‚die beiden 
übrigen Gehörknöchelchen normal sind.“ — Dass er jedoch, 
den Stapesursprung betreffend, nicht ganz sicher ist, ist aus 


Anatomn. Hefte. Idbfheilung H37 (IL Bd. 24) 


Mb. Mb 


Feansern. \\ 4 


SL - Mbm. 
Gl. Poan. sem 
AR 
ih 
St. Jh 
Ih. 
2 MAn - 
ra Män Ann.t 
= Min i Pi 
Poan.sen, \ FE Gira Er br: 
). be Sm ee 1:94 | 
Pa = 
2 Annıt 
A Poan.sern D 
Ann. 7 
- 1 i w 7 
= Ann. \ 


Mbın 


Mr Pa. 
N ont 
” Hbm 


Fig. 12. Fig: 3. Fig. U, Fig. 16. Fig, IT 
} ‚Lan gen, k 


Ay Inder Duckrr H Setres, Würzburg. 


Yeruy w AR Burgmann, Weasbaclars 


a7 : 
ei NN 

\r Al A N 
her N AN i 


LTR R 
u 8 » 


MN 
Di h £ 
PR 
Bee 7 
ara 
N 


at, 


1 jr I 
Em Be - 
In. 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 549 


folgendem ersichtlich: „Es lässt sich bei dem Menschen und 
auch bei den Säugetieren nicht mit voller Sicherheit entscheiden, 
ob der Steigbügel lediglich ein Produkt des Reichertschen 
Knorpels ist. Das Blastem, aus dem die Kette der Ossicula 
auditus entsteht, bildet schon in der sechsten Woche eine ge- 
bogene Spange aus Vorknorpel, sodass es zweifelhaft bleibt, ob 
die Grundlage des Steigbügels von dem Hyoid- oder von dem 
Mandibularbogen herrührt‘“ (L. e. S. 611). — Kollmann be. 
schreibt den Processus longus (Folii) mallei als einen per- 
sistierenden Teil des Meckelschen Knorpels selbst und bildet 
ihn so ab. Nach ihm sollte sich also der betreffende Fortsatz 
nicht als Belegknochen entwickeln. 

Auch der Aufsatz Hegetschweilers (21): „Die embryo- 
logische Entwickelung des Steigbügels“, ist nach Abschluss 
meiner Untersuchungen erschienen. 

Als Material dienten ihm sieben Katzenembryonen (von 13, 
14, 18, 24, 27, 29 und 383mm Sch.-St.-L.) und zwei mensch- 
liche Embryonen (7—8 und 12 Wochen alt). 


Folgende Beobachtungen sind besonders von Interesse. 


Katzenembryo von 13 mm Sch.-St.-L. 

„Das proximale Ende des Hyoidbogens tritt in die unmittel- 
bare Nähe des Labyrinthbläschens, ist jedoch von der Wand 
derselben durch einen deutlichen Trennungsraum geschieden. — 
Das Ende des Hyoidbogens umfasst ringförmig ein kleines 
Gefäss, die Arteria stapedialis. — Beide Bogen (Mandibular- und 
Hyoidbogen) verbindet als sogenannte Verschlussplatte eine breite 
Brücke von dunkler gefärbtem Mesenchymgewebe.“ 


Katzenembryo von 14 mm Sch.-St.-L. 

„Der Hyoidbogen legt sich zunächst an die mediale Seite 
des Nervus facialis an, wendet sich dann aber kaudalwärts, 
sodass er eine Strecke weit ein Teilstück der Hinterwand des 
vorknorpeligen Facialismantels bildet. — Jenes Teilstück der 


550 IVAR BROMAN, 
Hinterwand des vorknorpeligen Facialismantels bildet eine Brücke, 
durch welche der Hyoidbogen ununterbrochen in die Steigbügel- 
anlage übergeht.‘ 


Katzenembryo von 18 mm Sch.-St.-L. 

„Das Verbindungsstück zwischen eigentlichem Hyoidbogen 
(Reichertschem Knorpel) und Annulus stapedialis (Anlage des 
Steigbügels) bleibt auf der Stufe des Vorknorpels!) stehen.‘ 


Katzenembryo von 24 mm Sch.-St.-L. 

„Der Stapes zeigt auf dieser Entwickelungsstufe bei Katzen- 
embryonen die Form eines ovalen Knorpelringes, dessen Längen- 
durchmesser ventro-dorsal und latero-medial verläuft und dessen 
beide Pole konzentrische Schichtung der Zellen (sogenannte 
Knorpelkerne) zeigen. — Ein Gefässlumen (Arteria stapedialis) 
ist in diesem Knorpelring nicht mehr nachweisbar. — Den 
lateralen Bogen des Stapesovals berührt ungefähr in der Mitte 
der absteigende Ambosschenkel (Processus long. incud.), an 
dessen proximalem Ende sich bereits die vorknorpelige Anlage 
des Ossiculum lenticulare Sylvii durch die rundliche, kleinere 
Gestalt und intensivere Färbung ihrer Zellen diffenziert. Die 
Fenestra rotunda entsteht wie die Fenestra ovalis durch das 
Ausbleiben der Knorpelbildung an der betreffenden Stelle der 
häutigen Anlage.“ 


Katzenembryo von 29 mm Sch.-St.-L. 

„Das Verbindungsstück des Hyoidbogens mit der Stapes- 
anlage ist verschwunden. Dagegen tritt seine laterale Fläche 
in Berührung und schliessliche Verwachsung mit einem Fortsatz 
der Labyrinthkapsel, dem Processus perioticus von Gradenigo. 
Die ovale Form der Stapesanlage geht in der Weise in die 
endgültige Bügelform über, dass der mediale Bogen, indem er 


ı!) Hegetschweiler benutzt dieselben Bezeichnungen für die histo- 
logischen Entwickelungsstufen wie Gradenigo (Siehe S. 524). 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 551 


mit der Membrana fenestrae ovalis verwächst, zur Fussplatte, 
der laterale dagegen, sich hufeisenförmig umbiegend, zum Bügel, 
d. h. Schenkel plus Köpfchen, umgestaltet wird.“ 


Katzenembryo von 33 mm Sch.-St.-L. 


„Die Bilder, welche die Schnittserie dieses Embryos auf 
weist, differieren bloss hinsichtlich ihrer Grösse von denjenigen 
des letzten Fötus; es scheinen somit wenigstens die Mittelohr- 
gebilde beim Katzenembryo von 29 mm Sch.-St.-L. bereits ihre 
endgültige Gestalt erreicht zu haben. — Die Mesenchymschicht 
aus der sich die Membrana fenestrae ovalis entwickelt, hat an 
Mächtigkeit eingebüsst (Diekendurchmesser: 20 Mikra; Dicken- 
durchmesser der Membrana fen. ov. beim Embryo von 29 mm 
Sch.-St.-L.: 32 Mikra, und beim Embryo von 24 mm: 60 Mikra), 
ist aber dichter geworden. Das Ligamentum annulare ist bereits 
als deutliche, stark gefärbte Zellenlage zwischen Fensterwand 
und Stapesplatte angelegt; dasselbe ist medial mit der Membrana 
fenestrae ovalis verbunden und ist, wie diese, eine Bildung der 
vorknorpeligen Labyrinthwand.‘ 

Die beiden menschlichen Embryonen waren „nicht 
ganz tadellos erhalten“, werden aber doch zum Vergleich 
mit den entsprechenden Entwickelungsstadien bei der Katze 


beschrieben. 
Menschlicher Embryo von 13 mm Sch.-St.-L., — „einem Alter 
von etwa 7—8 Wochen entsprechend“ —. „Der Mandibular- 


bogenknorpel, dessen medialer Rand wellenförmig gezähnt er- 
scheint, ist auf einigen Schnitten noch im Zusammenhang mit 
der Hammer-Ambossanlage getroffen und zeigt, wie letztere bereits 
Knorpelgewebe. — Der Steigbügel erscheint als rundlicher Zellen- 
haufen mit vorknorpeligem Bau zwischen Labyrinthwand (von 
der er deutlich abgegrenzt ist) und Nervus facialis. Dasselbe 
stellt das proximale Ende des Hyoidbogens dar.“ 


552 IVAR BROMAN, 


Menschlicher Embryo, etwa 12 Wochen alt. 

„Der Steigbügel steht ungefähr auf der gleichen Stufe der 
Entwickelung, wie beim Katzenembryo von 24 mm Sch.-St.-L. 
Er zeigt auch, wie jener, die Gestalt eines liegenden Ovals, an 
dessen lateralem Bogen der lange Ambosschenkel heranreicht, 
während der mediale, mehr plattgedrückte Teil, der später zur 
Fussplatte wird, mit der Membrana fenestrae ovalis (Dicken- 
durchmesser dieser Membran: 20 Mikra) verwachsen ist; immerhin 
ist letztere besonders bei schwacher Vergrösserung als stark 
gefärbter Saum, der ununterbrochen auf die Vorhofsinnenfläche 
übergeht, von der Stapesplatte (Diekendurchmesser: 80 Mikra) 
zu unterscheiden. Wie bei dem erwähnten Katzenembryo ver- 
einigen sich beide Bogen zu einem Oval, an beiden Vereini- 
sungsstellen — Polen — nehmen die Zellen eine kreisförmige 
Lagerung an, es bilden sich sogenannte Knorpelkerne. — Die 
Membrana fenestrae ovalis zeigt vorknorpeligen Bau.“ 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 553 


Eigene Untersuchungen.') 


Material und Untersuchungsmethode. 


Das Material, das mir zur Verfügung gestanden, war eine 
Serie von 30 menschlichen Embryonen von 8,3 mm N.-St.-L. 
bis zur vollen Reife (50 cm Totallänge). Die resp. Länge der 
verschiedenen Embryonen sind in folgender Tabelle angegeben: 


Embryo | N.-St-L. | Sch-St-L. | Total-Länge | Embryo-Nr. | Total-Länge 
IE 8,3 mm XV. 135 mm 
Tex TIy- _ xvui | 190 „ 
TER IE iin xvm. | 195 ) 
IV. mE... X. | 205 , 
ae 1 a 
Ser BA0E mund xXLul 219, 

vir | 55 mm xx. | 220 } 
van. öigges, 90 mm XXI. 205°, 
IE. 180 , xxıv. | 20 ) 
X. 210. xxvV. | 30 , 
xI. 240. xxVvı. | 260 } 
XIT. 200. xXVII | 290 
xl. |: 250437 xxVI. | 290 ) 
XIV. 260. XXIX. | 320 . 
XV. 280. xxx. | 500 . 


1) Vorläufige Mitteilungen über diese Untersuchungen habe ich zweimal 
in Form von Vorträgen im biologischen Verein in Stockholm (3. Dez. 1897) 
und bei der 12. Versamml. der anatom. Gesellschaft in Kiel (20. April 1838) 
gegeben (68). 


554 IVAR BROMAN, 


Alle Messungen sind, wenn sich die Embryonen in Spiritus 
(meistens 80°/o), befanden, d. h. nach der Härtung ausgeführt. 
[Diese Angabe sehe ich als besonders wichtig an, wenigstens 
wenn es jungen Embryonen gilt. Bekanntlich schrumpfen sie 
nämlich bedeutend während der Härtung — mehr oder weniger 
je nach der verschiedenen Härtungsflüssigkeit; aber auch 
während der Einbettung in Paraffin schrumpfen sie 
so beträchtlich, dass man dem Rekonstruktor einen grossen 
Fehler vorwerfen muss, wenn er dieses nicht in Betracht nimmt. 
Aus den Messungen, die ich ausgeführt, ergiebt es sich, dass 
kleine Embryonen während der Einbettungsprozedur 8—20%o; 
oder durchschnittlich ungefähr 10°/o schrumpfen!). Beispiels- 
weise schrumpfte dabei Embryo I 8,24°/,, Embryo II 8,55°o, 
Embryo IV (20,6 mm N.-St.-L.) schrumpfte während der Ein- 
bettung im ganzen 3,4mm; davon kam auf den Kopf 1,1 mm 
11,6 °/0), auf den Rumpf 2,3 mm (20,72%/o); von zwei 7,5 mm 
langen Schweinsembryonen, von derselben Tracht und zusammen- 
gehärtet, schrumpfte der eine, der mit Xylol behandelt wurde, 
12,2°/o, während der andere, mit Chloroform behandelte, nur 
um 10°/o einschrumpfte. — Ich bin überzeugt, dass sich die in 
der Litteratur befindlichen, verschiedenen Angaben über die 
Grösse von Embryonen auf derselben Entwickelungsstufe nicht 
nur aus individueller Grössendifferenz dieser, sondern auch 
durch den Umstand erklären lassen, dass von den Verfassern, 
die sie beschrieben, einige die Messungen an Objekten im 
frischen Zustande, andere erst nach deren Härtung gemacht, 
d. h. erst wenn der Embryo eingeschrumpft, während noch 
andere die Masse mit Leitung der Schnittanzahl angegeben, 
also nachdem der Embryo durch die Einbettung nochmal be- 
deutend an Grösse verloren. — In diesem Zusammenhang will 
ich erwähnen, dass das Mass (2,89 mm) des Embryo Lf (7), den 


!) Wieich beim Anatomenkongress in Kiel erfuhr, ist dieselbe Beobachtung 
von H. Virchow gemacht. 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 555 


ich vor einigen Jahren beschrieb, nach der Schnittzahl ange- 
geben wurde. Er war nämlich mikrotomiert, als ich ihn zur 
Bearbeitung erhielt. Seine Länge im Härtungsmittel mag 3,15 mm 
betragen haben. 

[Am besten ist wohl, die Masse nach der Härtung als Norm 
zu nehmen (die Härtungsflüssigkeit ist anzugeben!). Die meisten 
menschlichen Embryonen kommen ja erst nachdem sie gehärtet 
sind in die Hände ihrer Beschreiber, und die meisten in der 
Litteratur befindlichen Massangaben von menschlichen Embryonen 
beziehen sich wahrscheinlich auf schon gehärtete Objekte. | 

Von den Embryonen I—XI wurden die Köpfe nach Häma- 
toxylin-Eosin-Färbung und Paraffin-Einbettung (mit Xylol) 
in Frontalschnittserien zerlegt (Embryo VI war doch schon 
vorher im Querschnitte mikrotomiert); die Köpfe der Em- 
bryonen VII—XI hatte ich mit schwachen Lösungen von Chrom- 
säure oder Chromosmiumsäure entkalkt. — Weniger gut kon- 
serviert waren nur die Embryonen V und VI; doch waren auch 
hier die Grenzen der Gehörknöchelchen sehr deutlich. — Die 
Dicke der Schnitte ist in den Serien I, II, IV, V, VIII und IX 
20 u, in der Serie VI 15 «, in den Serien X und XI 30 « und 
in den Serien III und VII 40 u. Jeder fünfte oder zehnte Schnitt 
wurde in der Regel (wenn die Dicke der Schnitte weniger als 
30 u war), um bei der Rekonstruktion als Norm zu dienen, 
doppelt so dick gemacht als die übrigen. 

Die Stadien II-IX habe ich alle rekonstruiert. Von den 
jüngeren Embryonen sind Konturzeichnungen (5—10mal ver- 
grössert) mit Hülfe des Embryographen angeferügt und zwar 
sowohl vor der Einbettungsprozedur wie auch unmittelbar, ehe 
das Präparat im Paraffinblock eingeschlossen wurde. Um dieses 
möglich zu machen, habe ich einen kleinen Apparat (Fig. 1B) 
konstruiert, der sich bequem auf dem Objekttisch des Hisschen 
Embryographen befestigen lässt und wo man durch ceirkulierendes, 
kochendes Wasser das Paraffin in einem — in der Vertiefung 


556 IVAR BROMAN, 


placierten — Uhrglase geschmolzen hält. Hier lässt sich die 
Kontur des Embryos beim durchfallenden Licht leicht abzeichnen. 
Der kleine Hahn a ermöglicht eine Regulierung der Temperatur 
in dem Napf B. — Von den älteren Embryonen (VII—-XI) —, 
von denen nur die linke Hälfte des Kopfes geschnitten wurde — 
sind Konturzeiehnungen in natürlicher Grösse vor der Einbettung 


Fig. 1. 


In der Abteilung A wird das Wasser gekocht. Die Abteilung B wird auf den Objekttisch 
befestigt. Das Uhrgläschen passt genau in der Vertiefung der letzteren. 


gemacht; und die spätere Schrumpfung ist nur durch makro- 
skopische Messung berechnet. — Um genau festzustellen, in 
welcher Richtung die Schnitte gefallen, habe ich mich folgender 
einfachen Methode bedient: Die Objekte werden am Mikrotom, 
die kleineren mit Hülfe eines Orthostates, so festgesetzt, dass zwei 
auf der Zeichnung deutlich markierte Ausbuchtungen (s. Fig. 2a 
und b) ungefähr gleichzeitig vom Messer getroffen werden müssen. 
Werden sie wirklich beide zur gleichen Zeit getroffen, so giebt 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 557 


natürlich eine Linie, die beide tangiert (Fig. 2c), die Schnitt- 
richtung an. Fallen dagegen z. B. zehn Schnitte durch die eine 
Ausbuchtung, bevor die andere vom Messer getroffen wird, so 
berechnet man die Strecke, die auf der Konturzeichnung diesen 
entspricht, misst vom höchsten Punkt der Ausbuchtung so viel 
ab, und zieht von dem so erhaltenen Punkt (e) eine Tangente (d) 
zu der zuletzt vom Messer getroffenen Ausbuchtung. Letztere 
Linie bezeichnet sodann die Schnittrichtung. 


c 


Fig. 2. 


Bei der Rekonstruktion haben die zuletzt, d.h. die von den 
in geschmolzenem Paraffın gelegenen Embryonen gemachten 
Konturzeichnungen als Norm für das richtige Placieren der Platten 
gedient!). Einer Richtebene habe ich mir bei diesen Rekon- 
struktionen nicht bedient. Der Nutzen, den man, wenn die 
Schnitte nur 20 « dick gemacht werden, von einer solchen 
haben könnte, wird ziemlich illusorisch, da die Schnitte in der 
Richtung, in welcher das Messer schneidet, zusammengedrückt 


werden, und zwar mehr oder weniger je nach der Temperatur im 


ı) Dass diese Konturzeichnungen wirklich vollkommen korrekt sind — 
dass das Embryo nicht bei dem Erstarren des Paraffins noch weiter schrumpft — 
ist daraus ersichtlich, dass man, wenn die Schnittrichtung berechnet ist, voraus 
fast auf den Schnitt berechnen kann, wie viel Schnitte die betreffende Serie 
enthalten wird. 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVII. Heft (11. Ed. H. #.) 37 


558 IVAR BROMAN, 


Zimmer und der Schnittdicke, Faktoren, die ja fast immer etwas 
wechseln, während man eine Serie schneidet. Hierdurch wird auch 
die Richtebene auf einigen Schnitten mehr, auf anderen weniger 
verschoben. Wenigstens eben so sicher kann man deshalb die 
Platten nach (von verschiedenen Seiten aufgenommenen) Kontur- 
zeichnungen placieren, die man vor der Rekonstruktion zu der 
betreffenden Grösse überführt. 


Meine Absicht mit der erwähnten Massregel, in den Serien, 
die wegen der histologischen Untersuchung in einer Dicke von 
nur 20 u geschnitten wurden, dann und wann Schnitte von der 
doppelten Dicke zu machen, war, gerade bei der Rekonstruktion 
den Fehler berichtigen zu können, der sonst durch die Zu- 
sammendrückung entstehen würde. Diese dickeren Schnitte 
wurden nämlich davon nicht beeinflusst. 

Statt der von Born empfohlenen Wachsplatten habe ich 
Kartonplatten benutzt, die mit Gummi arabicum zusammen- 
geklebt wurden. Hierdurch gewinnt man den Vorteil, dass 
auch die meist subtilen Sachen (wie die Chorda tympani, An- 
nulus tympanicus) bei einer ziemlich geringen Vergrösserung 
rekonstruiert werden können. — Um am Modell die das Total- 
bild störende Streifung zwischen den Platten zu entfernen, fülle 
ich die Zwischenräume zwischen den, meist hervorspringenden 
mit Cera alba und pinsele das Ganze mit geschmolzenem, 
dunkelbraunem Wachs in einer so dünnen Schicht über, dass 
das Modell nur schwach gelblich wird. — Es findet sich 
ein prinzipieller, wichtiger Unterschied zwischen 
diesem Verfahren und dem Bornschen (66). Wenn 
man nach der Bornschen Methode mit einem warmen Eisen 
das Rekonstruktionsmodell ebnet, nimmt man nämlich das 
Material zur Füllung der Vertiefungen von den Kanten der 
meist hervorspringenden Scheiben. Bei meiner Modifikation 
der genannten Methode bleiben dagegen die meist hervortreten- 


den Platten ganz unversehrt und demnach bestimmend für die 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 559 


äussere Kontur des ganzen Modells. Wie aus dem vorhin 
erwähnten ersichtlich sein dürfte, sind aber nur die dicksten 
Schnitte — denen ja die meist vorspringenden Platten ent- 
sprechen — vollkommen korrekt, und der Vorteil einer solchen 
Veränderung der Bornschen Methode ist deshalb einleuchtend. 
— Ein Vorteil ist auch, dass man nicht kleine Unebenheiten 
oder Auswüchse wegputzen kann, die vielleicht anfangs un- 
wesentlich erscheinen, sich aber bei einem genaueren Studium 
doch von Bedeutung erweisen können. 

An den Embryonen XII—XV wurden die Gehörknöchel- 
chen herauspräpariert und, nach Entkalkung mit Chromosmium- 
säure, mikrotomiert. 

Von den Embryonen XVI—XXVII wurden die Köpfe 
einige Tage in 3%/0o Kalilauge maceriert, worauf die Gehörknöchel- 
chen herauspräpariert wurden. Sobald die Grenzen zwischen 
Knorpel und Knochen deutlich hervortraten, wurden die Gehör- 
knöchelchen in Glycerin gelegt nach Schultzes (67) Methode). 
Sie bilden ein gutes und sicheres Material zum Beurteilen der 
Fortschritte der Verknöcherung. 

Bei den übrigen (Embr. XXVIHI—XXX) sind die Gehör- 
knöchelchen nach gewöhnlicher Maceration herauspräpariert. 

Die vorliegende Untersuchung, die ich im Herbst 1897 nach 
Anregung des Herrn Prof. Erik Müller im Histologischen 
Institut zu Stockholm begann, habe ich kürzlich am Histologi- 
schen Institut zu Lund vollendet. Für mein gutes und reich- 
liches Material habe ich den Direktoren der genannten Institute 
zu danken. 

Ich gehe jetzt zur Beschreibung der einzelnen Stadien über. 


31* 


560 IVAR BROMAN, 


Beschreibung der Stadien. 


Embryo I. 83 mm N.-St.-L. 

Da dieses Stadium fast ganz mit dem nächsten überein- 
stimmt, habe ich es nicht vollständig rekonstruiert, sondern 
weise auf die Rekonstruktionsbilder (Tafel © Figg. 1, 2 und 5) 
des zweiten Stadiums hin. — Textfig. 3 zeigt die Schnittrichtung 
bei Embr. I. 


1 a 


Fig. 3. 
Embryo I. Skala: !%,. Die Linien 109 und 131 begrenzen das Gebiet, in dem die auf Tafel I 
abgebildeten Schnitte (Figg. 1—8) gefallen. 

Parallel mit der lateralen Körperwand verläuft die Vena 
jugularis primit. (Taf. A Fig. 1 V. j. pr.) von oben nach unten 
und begrenzt dorsal das Blastem!) der beiden ersten Visceral- 


1!) Ich unterscheide 3 histologische Entwickelungsstadien : 
1. Blastem. Die Zellen sind klein, rund oder oval. Die Kerne sind 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 561 


bogen. Medial von derselben sieht man das Ganglion acustico- 
faciale (G. A.-F.) und das periotische Blastem (Lk.). Unmittelbar 
vor der stärksten dorsalen Wölbung der betreffenden Vene fängt 
das Blastem des Hyoidbogens (Taf. A Fig. 2 Lh. u. St.) an, durch 
eine helle Zone (a) von dem periotischen Blastem (Lk.) getrennt. 
Auf demselben Schnitt sieht man die Spitze der ersten inneren 
Visceralfurche (I. Vf.), die hier unmittelbar am Ektoderm liegt. 
Durch den schräg nach aussen und unten verlaufenden N. facialis 
(VII) wird das proximale Ende des Hyoidbogens in eine mediale 
und eine laterale Partie gespaltet. Oben biegt sich die Vene 
medial um das Ganglion trigemini (G. Trig.), unter dem man 
das proximale Endblastem des Mandibularbogens (Mb.) sieht, 

Am Schnitt 117 (Taf. A Fig 3) hört das periotische Blastem 
auf. Medialwärts von der inneren Visceralfurche (Il. Vf.) ver- 
bindet sich hier die mediale Partie des Hyoidbogens sowohl 
mit der lateralen Abteilung desselben Bogens wie auch mit 
dem Mandibularbogen. So verhält es sich weiter noch bis 
Schnitt 120 (Fig. 4), wo die Arteria stapedialis (A. st.) die mediale 
Partie des Hyoidbogens, welche also nichts anderes als das 
Stapesblastem darstellt, durchbohrt. — Eine konzentrische 
Anordnung der Zellen desselben um die Arterie ist nicht wahr- 
nehmbar. 


Am nächsten Schnitt (121, Taf. A Fig. 5) erstreckt sich 
die erste innere Visceralfurche weiter medial und grenzt dadurch 


gross und füllen die Zellen zum grössten Teil aus. Sie lassen sich durch 
Hämatoxylin stark färben. 

2. Vorknorpel. Die Zellkerne zeigen die gleiche Grösse wie bei den 
Blastemzellen. Dagegen hat die Protoplasmamenge stark zugenommen, sodass 
die Vorknorpelzellen drei- bis viermal grösser sind als die Blastemzellen. Sie 
zeigen eine unregelmässige Form und nehmen von Hämatoxylin im allgemeinen 
nur eine schwache Färbung an. 

3. Jungknorpel (oder Knorpel). Hierhin rechne ich allen embryo- 
nalen Knorpel von der Zeit ab, wo Intercellularsubstanz anfängt, deutlich 
sichtbar zu werden. 


562 IVAR BROMAN, 
vollständig das Blastem der beiden Bogen von einander ab. 
Die Arteria stapedialis vereint sich hier mit der Arteria hyoidea 
Gradenigo (A. h. pr.) zu einem Stamm (Tr. h-st.), der sich 
nach kurzem Verlauf medial aufwärts mit der Arteria carotis 
int. (A. ce. int.) vereint. 

Am Schnitt 123 (Taf. A Fig. 6) sieht man das Stapes- 
blastem aufhören, und vom medialen Teil des Hyoidbogens bleibt 
auf den zunächst folgenden Schnitten nur noch ein dünner, 
stark gefärbter Facialismantel (Jh.) zurück. In den Schnitten 128 
und 129 (Fig. 7) nimmt jedoch dieser Mantel so stark an Mäch- 
tigkeit zu, dass man wieder mit Recht von einer medialen 
Hälfte des Hyoidbogens reden kann. Ober- und vorderhalb des 
N. facialis steht dieser Teil in breiter Verbindung mit der late- 
ralen Hälfte des Hyoidbogens. Die Grenze zwischen den Hyoid- 
und Mandibularbogen wird hier weniger scharf, da die äussere 
Furche zwischen ihnen hier von der inneren Furche weiter ent- 
fernt ist, und da eine Begrenzung in der Blastemmasse selbst 
zwischen ihnen nicht bemerkbar ist. Am Schnitt 131 (Fig. 8) 
verläuft die Chorda tympani (Ch. t.) m gerader Linie aufwärts 
und medial vom N. facialis, um sich auf dem Gebiet des Man- 
dibularbogens an dem medialen Rand des N. trigeminus (V) 
anzulegen. Die mediale Partie des Hyoidbogens ist hier etwas 


stärker gefärbt und dicker als die laterale. — Im folgenden 
Sehnitt zieht quer über die Chorda tympani — ungefähr an 
der Grenzfurche der beiden Bogen — eine kleine Arterie, die 


bedeutend weiter nach vorn (Schn. 140) von der Carotis aus- 
gehend) lateral und aufwärts durch die mediale Partie des 
Hyoidbogens verläuft, um, nachdem sie die Chorda tympani 
erreicht, dieser auf das Gebiet des Mandibularbogens hinein zu 
folgen. Obgleich diese Arterie also nicht von der Carotis „in 
der Höhe des gemeinsamen Astes der Arteria stapedialis und 
der Arteria hyoidea‘“‘ abgeht, so ist sie wohl — nach ihrem 
Verlauf zu urteilen — doch mit Gradenigos ‚Arteria man- 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 563 


dibularis“ (L. ec. S. 185) identisch. — Auch die Arteria stape- 
dialis (die Salensky A. mandibularis nennt) läuft medial von 
der inneren Visceralfurche auf das Gebiet des Mandibularbogens 
hinüber, wo sie sich lateral von der V. jugularis verliert. 

Das proximale Endblastem des Mandibularbogens bildet 
eine ebene Anschwellung ohne Spur einer beginnenden Diffe- 
renzierung in Malleus und Incus. Nur mit Hülfe der Lage- 
verhältnisse kann man bei diesem sich einen Begriff davon 
bilden, welche Teile bestimmt sind zum einen oder anderen 
zu werden. Besonders spielt hierbei die Chorda tympani eine 
wichtige Rolle. Der dorsal von dieser liegende Teil, der zwischen 
dem N. facialis und der inneren Visceralfurche mit dem Stapes- 
blastem in direkter Verbindung steht, ist natürlich die Incus- 
Anlage; zunächst vorderhalb der Chorda liegt die Malleusanlage. 

Überall, wo keine anderen Organe (Gefässe, Nerven oder 
die innere Visceralfurche) hindernd dazwischen liegen, stehen 
die Blasteme der beiden Bogen mit einander in direkter Ver- 
bindung. 


Embryo I. 11,7 mm N.-St.-L. 


Die Schnitte zeigen im hauptsächlichsten dieselben Ver- 
hältnisse wie im vorigen Stadium, weshalb ich auch nur die 
Verschiedenheiten näher beschreiben will. 

Die Vena jugularis prim. ist hier viel stärker (Taf. A Fig. 9), 
reicht lateral fast bis an das Ektoderm hinaus und begrenzt 
dadurch noch vollständiger die proximalen Endblasteme der 
beiden ersten Bogen. Auch die Arteria stapedialis hat in Grösse 
zugenommen. Dagegen scheint die A. hyoidea kleiner als vor- 
her; ebenso auch die A. mandibularis. Mit gutem Willen kann 
man vielleicht im Stapesblastem eine beginnende konzentrische 
Anordnung der Zellen um die Arterie entdecken. 

Wie im vorigen Stadium werden die beiden ersten Visceral- 
bogen durch ihre resp. Nerven, Trigeminus und Facialis, in 


564 IVAR BROMAN, 


einen lateralen und einen medialen Teil geschieden. Die 
Grenze der medialen Teile sind aber deutlicher geworden. Die 
hintere Spitze der ersten inneren Visceralfurche (I. Vf.) reicht 
noch bis an die Aussenfläche des Körpers und grenzt hier die 
lateralen Teile der beiden Bogen ab. Nach vorn entfernt 
sich die genannte Furche immer mehr von der Aussenfläche 
und grenzt hier nur die medialen Teile der Bogen von ein- 
ander ab. Das proximale Ende des medialen Teils des Mandi- 
bularbogens ist nicht zur Entwickelung gekommen, was darauf 
beruht, dass die V. jugularis prim. schon vorher seinen Platz 
einnimmt (Taf. A Fig. 10). ; 
Betrachtet man die Rekonstruktionsfigur von hinten (Taf. © 
Fig. 1), so findet man die beiden Bogen lateral durch eine 
von der Spitze der ersten inneren Visceralfurche gebildete Höh- 
lung (I. V£.) deutlich von einander getrennt. Medialwärts stehen 
sie dagegen mit einander in direkter Verbindung. Der N. 
facialis (VII) verläuft in einem Bogen nach unten und etwas 
lateral, um sich am unteren Rand des Hyoidbogens plötzlich 
nach vorn zu biegen. Er trennt die mediale Endpartie des 
Hyoidbogens, das Stapesblastem (St.), von der lateralen (Lh.). 
Unmittelbar vor dem’Facialis steht jedoch das Stapesblastem in 
direkter Verbindung sowohl mit der lateralen Endpartie des Hyoid- 
bogens wie auch mit dem Mandibularbogen. Dass das Stapes- 
blastem trotz dieser letztgenannten Verbindung doch mit Recht 
zum Hyoidbogen zu rechnen ist, geht aus Fig. 5 Taf. A hervor. 
Man sieht nämlich hier, dass die innere Visceralfurche etwas 
weiter nach vorn die Stapesanlage deutlich vom Mandibular- 
bogen abgrenzt. Es ist also nur eine dünne Zellenbrücke 
(Taf. C Fig. 2 Cr.1.) — die Anlage zum Crus longum Incudis — 
die im Zwischenraume zwischen dem N. facialis und der 
inneren Visceralfurche den Mandibularbogen mit der Stapes- 
anlage verbinde. Durch den bei Embryo I beschriebenen 
„Facialismantel‘‘ steht die Stapesanlage in direkter Verbindung 


 Anadam. Hefle, Tliletung 137 (HBAUN) 


Fig. 1. 


Fis. 5. 


Tig, 10. 
lis. 13. 


Fig. 17. Fig. 18. 


Er $ Fig. 15. 


ARE IabersDructreiv. li Seurtz, Werzburg. ) ring Bean Maskailane 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 565 


mit dem vorderen, medialen Teil des Hyoidbogens. Zum grössten 
Teil wird es jedoch davon durch indifferentes Gewebe getrennt. 

An der Vorderseite der Rekonstruktionsfigur (Taf. © Fig. 3) 
sieht man die Chorda tympani (Ch. t.) in fast gerader Linie 
aufwärts und medial, vom Facialis zum Trigeminus verlaufen. 
Die laterale Partie des Hyoidbogens (Hb. 1.) steht hier mit der 
des Mandibularbogens (Mb. 1.) in direktem Zusammenhang; der 
mediale Teil desselben (Hb. m.) wird dagegen durch die hier 
mehr erweiterte innere Visceralfurche vom medialen Teil des 
Mandibularbogens (Mb. m.) getrennt. — Der Mandibularbogen 
zeigt keine Spur einer anfangenden Teilung im Malleus und 
Incus. 

Aus den Stadien I und II hat sich also u. a. ergeben: 

Dass alle Gehörknöchelchen bei ihrer ersten Anlegung mit 
einander in direktem Zusammenhang stehen. 

Dass der Annulus stapedialis ein Derivat des zweiten Bogens 
ist, mit dem er sich in direktem Zusammenhang befindet. 

Dass die Zellanordnung in der Stapesanlage anfangs nicht 
konzentrisch ist. 

Dass die beiden ersten Bogen durch ihre resp. Nerven, 
Trigeminus und Facialis, in einen lateralen und einen medialen 
Teil geschieden werden. 


Dass die Blastemmassen der beiden Bogen überall, wo sich 
kein Hindernis findet, mit einander direkt zusammenhängen. 


Embryo Il ca. 16 mm N.-St.-L. 


Die Vena jugularis primitiva ist jetzt bedeutend kleiner 
geworden, liegt recht weit von der Körperwand entfernt und 
grenzt deshalb nicht mehr die proximalen Enden der beiden 
ersten Visceralbogen ab. Diese liegen jetzt der Labyrinthkapsel 
an und scheinen mit derselben direkt verbunden. Die Labyrinth- 
kapsel ist in einem vorderen, medialen Teil, Pars cochlearis, und 


566 IVAR BROMAN, 


einem hinteren, lateralen, Pars Canalium semicirei larium (siehe 
Taf. E Figg. 1 und 4) geteilt. Letzterer ist in der Regel gut 
begrenzt und besteht teilweise aus Vorknorpel; Pars cochlearis 
dagegen besteht noch aus Blastem und lässt sich nur mit Schwierig- 
keit von umgebendem Mesoderm scharf abgrenzen. Oben ist die 
Grenze zwischen den beiden Abteilungen durch die sogenannte 
Facialis-Aushöhlung recht scharf markiert. In der lateralen 
Wand der Pars cochlearis liegt (nahe an der unteren Kante) der 
Annulus stapedialis zum Teil eingesenkt. Er besteht noch immer 
nur aus Blastem, das doch — infolge der bedeutend stärkeren 
Färbung — sich deutlich von dem angrenzenden Labyrinth- 
kapselblastem unterscheiden lässt (s. Fig. 1 Taf. Bu. XXXIX). 
Die konzentrische Anordnung der Zellen um die Arteria sta- 
pedialis ist jetzt deutlich. Der Ring zeigt ein zirkelrundes 
Querschnittsbild und auch eine konzentrische Anordnung der 
äussersten Zellenschichten um das Querschnittscentrum. 

Wie am Rekonstruktionsbilde (Taf. ©, Fig. V) zu ersehen, 
bildet die Stapesanlage (St.) einen gleichmässigen Ring. Seine 
beiden „Schenkel“ liegen von vorn gesehen in gleicher Höhe. 
Der Ring steht schräg gegen die Horizontalebene und bildet 
mit derselben einen Winkel von ungefähr 45° Der untere 
laterale Rand des Ringes steht in breiter Verbindung mit einem 
kurzen, zwischen Nervus facialis und Chorda tympani liegenden 
Auswuchs des Mandibularbogens (Cr. 1). Etwas unterhalb und 
lateral von diesem Auswuchs, der deutlich als Anlage des Orus 
longum Incudis zu erkennen ist, steht der Stapesring durch 
einen kurzen und schmalen, aber sehr deutlichen Blastem- 
strang (I. h.) in direkter Verbindung mit dem Hyoidbogen. Dieser 
Bogen ist im oberen, hinteren Teil nur halb so dick wie der 
Mandibularbogen und verzweigt sich gabelförmig, wo er den 
N. facialis trifft. Der mediale dieser Zweige stellt die soeben 
beschriebene Verbindung mit dem Stapesring dar, das Interhyale; 
der laterale, der mit dem vorderen Teil der Pars Can. sem. der 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 567 


Labyrinthkapsel in direkter Verbindung steht, ist die Anlage zu 
dein, was Dreyfuss ‚„Intercalare‘“ nennt, ich aber lieber Latero- 
hyale (L. h.) nennen möchte. Die proximale Hälfte des Hyoid- 
bogens besteht überall aus Blastem. 


Vor dem vorerwähnten, mit dem Stapesring verbundenen 
Auswuchse (Crus longum Incudis) sendet der Mandibularbogen 
einen in fast rechtem Winkel gebogenen Auswuchs (Taf. © 
Fig. 4 Mn.) herab, der in seiner oberen Hälfte mit der An- 
lage des Crus longum Incudis zusammenhängt, in der unteren 
aber davon getrennt ist. Ganz oben in der Spalte zwischen 
diesen Auswüchsen läuft die Chorda tympani (Ch. t.); ein Ver- 
hältnis, das angiebt, dass der vordere freie Auswuchs die Anlage 
des Manubrium Mallei darstellt. Abgesehen von dieser 
Spalte ist äusserlich keine Grenze zwischen den Malleus- und 
Incus-Anlagen zu sehen. Bei Untersuchung der Schnitte findet 
man jedoch, dass diese Anlagen durch eine aus 3—4 Blastem- 
zellreihen bestehende Zwischenscheibe vollkommen von einander 
getrennt sind. Diese Zwischenscheibe bildet keine ebene Quer- 
scheibe, sondern eine winkelig gebogene Platte, deren vorderer, 
sagittaler Teil bedeutend grösser ist als der hintere, frontale. 
Diese beiden Abteilungen begrenzen die beiden späteren Haupt- 
facetten im Hammer-Ambossgelenk. — Das proximale Ende des 
Mandibularbogens (die Anlage des Crus breve Incudis) steht 
in direkter Verbindung mit dem vorderen Teil der Pars Can. 
sem. der Labyrinthkapsel. Dieser Teil besteht gleichwie die 
Pars cochlearis aus einem schwer zu begrenzenden Blastem. 


Der Mandibularbogen besteht grösstenteils aus Vorknorpel. 
Die äussersten Enden der Crura Inceudis und das ganze Manu- 
brium Mallei sind noch aus Blastem gebildet; die obengenannte 
Zwischenscheibe sowie auch eine dünne Zellenschicht auf der 
äusseren Seite des ganzen Mandibularbogens haben auch das Aus- 
sehen von Blastem. 


568 IVAR BROMAN, 


Die hintere Spitze der ersten inneren Visceralfurche, die 
sich im vorigen Stadium gleich hinter der Chorda tympani, lateral 
von dieser bis an die Körperwand hinausstreckte, befindet sich 
jetzt eben an der medialen Seite der Chorda. Das Manubrium 
Mallei ruft etwas weiter nach vorne an der lateralen Wand des 
tubo-tympanalen Raumes (von jetzt an nenne ich die erste innere 
Visceralfurche so) eine schwache Einbuchtung hervor. — Der 
äussere Gehörgang ist angelegt und hat eine Tiefe von 0,5 mm. 
Die Membrana tympani hat eine Dicke von 0,67 mm. 

Die Arteria stapedialis geht gerade unter dem vorderen Teil 
der Pars cochlearis von der Arteria carotis interna aus. Die Arteria 
hyoidea primitiva, die sich im vorigen Stadium mit der Arteria 
stapedialis vereinte, habe ich ebensowenig wie die Arteria mandi- 
bularis primitiva hier entdecken können. 

Der Nervusfacialis verläuft im ganzen wie im vorigen Stadium 
(Tafel © Fig. 5, VID. Nachdem er aus der Facialis- Aus- 
höhlung herausgetreten, läuft er abwärts, auswärts und etwas 
nach hinten, zuerst zwischen dem Stapesring und der Anlage 
des Crus breve Incudis, sodann zwischen dem medialen und 
dem lateralen Gabelzweig des Hyoidbogens. Hinter dem letzteren 
begiebt er sich zur lateralen Seite des Hyoidbogens, um unmittelbar 
darauf die Chorda tympani abzugeben. Dieser spiralförmige 
Verlauf des Nerven um den Hyoidbogen herum (s. Fig. 4 Taf. C) 
erklärt uns das interessante Verhältnis, dass nur 
am proximalen Ende desselben der laterale Teil 
für die Bildung des eigentlichen Visceralbogens in 
Anspruch genommen wird. Nur mit dieser Annahme können 
wir nämlich das Entstehen dieses spiralförmigen Nervenverlaufs in 
der Zwischenzeit zwischen dem vorigen Stadium und dem vorliegen- 
den erklären (siehe nebenstehendes Schema Fig. 4!) — Durch 
obenerwähntes Verhältnis aufmerksam gemacht, sieht man auch 
bei genauer Untersuchung der Schnitte, dass die stark gefärbte 
Blastemmasse, die den äusseren Gehörgang umgiebt, noch in 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 569 


einer — wenn auch nur schwach hervortretenden — Verbindung 
mit der Blastemhülle des Amboss und mit dem Laterohyale 
steht. Die betreffende Blastemmasse ist also nichts 
anderes als die zusammenhängenden lateralen Teile 
der beiden Bogen, die immer ihren Platz gleich unter 
dem Ektoderm behalten und bei der Bildung des 
äusseren Ohres von dem eigentlichen Visceral- 
skelett isoliert werden. 


Fig. 4. 


Schema des Hyoidbogens A vor, B nach der Abtrennung der distalen Partie des lateralen 
Bogenteils (P. 1.). VII. N. facialis. St. Stapes. Lh. Laterohyale. Ih. Interhyale. P. m. Pars 
medialis. Ch. t. Chorda tympani. 

Die Chorda tympani hat auf diesem Stadium denselben 
Verlauf wie im vorigen, nur mit dem Unterschied, dass sie sich 
zwischen die seit dessen heruntergewachsenen Auswüchse des 
Mandibularbogens, Manubrium Mallei und Crus longum incudis, 
hineinzwängt. Medial vom oberen Rande des Mandibularbogens 
vereint sie sich mit dem medialen Teil des dritten Trigeminus- 
astes (Fig. 5 Taf. C). 


An der Labyrinthkapsel sind noch keine Fenestrae angelegt. 


570 IVAR BROMAN, 


Am Embryo III ist also u. a. zu bemerken: 

Dass Malleus und Incus von einander gleichzeitig mit dem 
ersten Auftreten von Vorknorpel im Centrum des Mandibular- 
bogens abgegrenzt werden; dass ein besonderer Vorknorpelkern 
in der Incusanlage gebildet wird, der schon von Anfang an 
durch eine persistierende Blastemschicht, die Zwischenscheibe, 
vom übrigen Vorknorpel des Mandibularbogens getrennt wird. 

Dass Crus longum Incudis und Manubrium Mallei dadurch, 
dass sie bei ihrem Wachsen nach unten und innen auf die 
weit vorher gebildete Chorda tyınpani stossen, schon auf dem 
Blastemstadium von einander getrennt werden. 

Dass der N. facialis dazu kommt, um den Hyoidbogen 
eine halbe Spirale zu bilden, weil die laterale Blastempartie 
dieses Bogens nur am proximalen Ende für die Bildung des 
eigentlichen Visceralskelettbogens in Anspruch genommen wird. 

Dass die zusammenhängenden lateralen Teile der beiden 
ersten Bogen ihren Platz gleich unter dem Ektoderm behalten 
und bei der Anlegung des äusseren Ohres von dem eigentlichen 
Visceralskelett isoliert werden. 

Dass die proximalen Enden des ersten sowohl wie des 
zweiten Bogens, nachdem die V. jugularis prim. kleiner geworden 
und mehr medial gerückt, mit der Labyrinthkapsel in blaste- 
matöse Verbindung treten. 

Dass die hintere, vorher bis an die Aussenfläche des Kör 
pers sich erstreckende Spitze der ersten, inneren Visceralfurche 


atrophiert oder eingezogen sein muss. 


Embryo IV. 20,6 mm N.-St.-L. 


Die Labyrinthkapsel zeigt ungefähr dieselbe Form wie im 
vorigen Stadium (Figg. 2 und 5 Taf. E). Histologisch unter- 
scheidet sie sich jedoch dadurch, dass ihre hintere, laterale 
Partie (Pars Canalium semieircularium) jetzt grösstenteils aus 


Jungknorpel besteht; ihre vordere, mediale Partie (Pars coch- 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 571 


learis) hat gut markierte Grenzen und besteht aus Vorknorpel. 
Nur die Partien, wo später die Fenestra entstehen sollen, zeigen 
noch Blastemnatur. 

Betrachten wir das Rekonstruktionsbild der Gehörknöchel- 
chenanlagen (Taf. © Figg. 6 und 7), so finden wir, dass sie 
nicht an Grösse zugenommen, eher umgekehrt. Dieses erklärt 
sich aber einfach daraus, dass bei der Rekonstruktion dieses 
Stadiums die mehr bestimmten Konturen des Vorknorpels zu 
Grunde gelegt werden konnten, während im vorigen Stadium 
— der ungleichen Entwickelung der verschiedenen Teile zu- 
folge — die Grenzen des Blastems bei der Rekonstruktion 
benutzt werden mussten. Da der Vorknorpel als ein Kern im 
Blastem gebildet wird, ist diese Grössendifferenz leicht erklärlich. 

Die Anlagen sämtlicher Gehörknöchelchen bestehen auf 
diesem Stadium aus Vorknorpel, der jedoch im Stapes und in 
den Auswüchsen des Malleus und Incus dem Blastemstadium 
nahe steht. Alle Gehörknöchelchenanlagen sind von einer dünnen, 
stark gefärbten Blastemschicht umgeben. 

Der Stapes hat dasselbe Aussehen und die gleiche Lage 
wie im letztbeschriebenen Stadium. Dadurch, dass die Ver- 
bindung zwischen Stapes und Crus longum Incudis sich noch 
auf dem Blastemstadium befindet, wird man berechtigt auch 
von einer Zwischenscheibe zwischen diesen Teilen zu sprechen. 
Der Stapesring sitzt in der blastematösen Anlage der Fenestra 
ovalis z. T. eingesenkt, ist aber von dieser durch die denselben 
zunächst umgebende, stärker gefärbte Blastemschicht scharf abge- 
grenzt (Fig. 5 Taf. BJ), — Der Steigbügel steht noch immer 
durch einen blastematösen Zelienstrang, (Interhyale, Taf. C 
Fig. 7 Ih.) der jedoch jetzt etwas dünner geworden ist, in Ver- 
bindung mit dem Hyoidbogen. Am Schnitt 257 (Fig. 5 Taf. B) 
sieht man den N. facialis in diesem Zellenstrang einschneiden. 
Der laterale Gabelzweig des Hyoidbogens (Laterohyale, Taf. C 
Fig. 6 Lh.), jetzt etwas besser begrenzt, hat im inneren einen 


672 IVAR BROMAN, 


kleinen Vorknorpelkern (siehe Fig. 5 Lh. Taf. B), der durch 
persistierende Blastemmassen sowohl von der Labyrinthkapsel 
wie auch vom übrigen Teil des Hyoidbogens abgegrenzt wird. 
Dieser Teil besteht aus Vorknorpel. 


Die Vorknorpelzellen in den Teilen des Mandibularbogens, 
die sich schon bei dem vorigen Embryo auf dem Vorknorpel- 
stadium befanden, sind hier polygonal und deutlich grösser; 
die Kerne sind deshalb relativ kleiner und das Gewebe im 
ganzen ist weniger stark gefärbt. Noch hat jedoch keine deut- 
liche Bildung von Intercellularsubstanz begonnen. 


Infolge der veränderten Wahl der für die Rekonstruktion 
benutzten Kontur, sehen wir auch an der Aussenfläche die 
Grenze zwischen Hammerkopf und Amboss. — Die blastema- 
töse Zwischenscheibe ist: fast rechtwinkelig gebogen. — Der 
Amboss streckt sich bedeutend höher hinauf als der Hammer. 
Von dem kleinen Caput Mallei verläuft gerade nach unten ein 
kurzer Auswuchs (Collum Mallei, Taf. C Fig. 6, Coll.), der 
jetzt von Crus longum Incudis vollständig getrennt ist und der 
unten mit der medial und etwas abwärts gerichteten Anlage 
des Manubrium Mallei in Verbindung steht. An der Spitze 
des Winkels tritt ein recht grosser, nach unten gerichteter 
Höcker (Pr. 1.) hervor, der nichts anderes ist als die Anlage 
des Processus lateralis Mallei. 


Orus longum Incudis ist länger geworden als im vorigen 
Stadium; Crus breve (Taf. © Fig. 6, Cr. br.) ist auch deut- 
licher markiert, hängt aber noch durch eine dicke Blastemmasse 


mit der Pars Canalium semicireularıum zusammen. 


Der Musculus tensor tympani ist angelegt und inseriert 
am Manubrium Mallei medial von der Chorda tympani. Vom 
Musculus stapedius findet sich dagegen noch keine Spur. Der 
M. tensor tympani streckt sich aufwärts und medial zur late- 
ralen Seite der Pars cochlearis, biegt sich da nach vorn und 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 573 


folgt dem oberen Rande des tubotympanalen Raumes nach 
vorn und unten. Er ist an der Umbiegungsstelle am dicksten 
und verschmälert sich langsam gegen das vordere Ende. 


Die Arteria stapedialis geht gleich unter dem vorderen Teil 
der Pars cochlearis von der Carotis interna aus und verläuft 
nach oben und lateralwärts durch den Stapesring. Von der 
Arteria hyoidea (Gradenigo) ist keine Spur zu entdecken. 

Der Nervus facialis, der in seinem oberen Teil gleichwie 
im vorigen Stadium verläuft, liegt weiter unten nicht mehr 
mitten zwischen den beiden Zweigen des Hyoidbogens, sondern 
kreuzt den medialen (Interhyale) gleich aussen vor dem Stapes- 
ring (Taf. B Fig. 5 VII). Dieser veränderte Verlauf der Nerven, 
der wahrscheinlich durch das verschieden starke Wachstum der 
umliegenden Teile hervorgerufen worden ist, spielt gewiss für 
das Verschwinden des Interhyale eine recht wichtige Rolle. 
Dass es sich so verhält, wird sowohl dadurch angedeutet, dass 
der Facialis, wie vorher erwähnt, sich so zu sagen in diesen 
Zellenstrang einschneidet, wie auch dadurch, dass das Inter- 
hyale sich auf meinem nächsten Stadium grösstenteils ver- 
schwunden zeigt. 

Der Verlauf der Chorda tympani ist in diesem Stadium 
sehr interessant. Sie geht vom N. facialis ab, gerade wo 
dieser lateral vom Hyoidbogen angelangt ist (Taf. C Fig. 6) 
— also am selben Punkt wie zuvor. Die unteren ?/s der Chorda 
haben noch dieselbe Richtung, aufwärts, vorwärts und medial, 
wie vorher, aber an der Grenze des mittleren und des oberen 
Drittels biegt sich die Chorda in fast rechtem Winkel nach vorn 
und unten, um, nachdem sie in einer Strecke von ungefähr 
0,63 mm dem oberen, medialen Rande des Mandibularbogens 
entlang passiert, sich mit der Lingualispartie des 3. Trigeminus- 
zweiges zu vereinen (Taf. © Fig. 7 Ch. t.). Dieses Verhältnis 
ist, wie man leicht einsieht, dadurch hervorgerufen, dass diese 


Partie ihr stärkstes Wachstum central vom Anheftungspunkt 
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVII. Heft (11. Bd., H. 4.) 38 


574 IVAR BROMAN, 


der Chorda, zwischen diesem und dem Ganglion trigemini, gehabt 
hat. — Die Chorda tympani liegt nunmehr nicht zu oberst 
‚in der Spalte zwischen Malleus und Crus longum incudis, son- 
dern ungefähr an der Grenze zwischen Collum und Manubrium 
mallei. Nehmen wir an, dass die Chorda bei dem Abtrennen des 
Coilum mallei vom oberen Teil des Orus longum incudis dieselbe 
mechanische Rolle gespielt hätte, wie wir es im vorigen Sta- 
dium bei der Abgrenzung des Manubrium sahen, so muss sich 
die Chorda auf einem Zwischenstadium da oben befunden haben 
und nachher vom Lingualis in die für dieses Stadium beschrie- 
bene Lage herabgezogen worden sein. — Man kann sich jedoch 
auch andere Erklärungen dieser Verhältnisse denken. Es ist 
z. B. nicht unmöglich, dass die Chorda an ihrem jetzigen Platze 
infolge des nach vorn auf das Manubrium wirkenden Zuges 
das Lösen des Collum mallei von Urus longum incudis hat 
bewirken können. 

Die Untersuchung des Embryo IV hat folgende wichtigere 
Resultate geliefert: 

Dass die erste Anlegung der Fenestrae mit dem Auftreten 
der Vorknorpelstruktur in der Pars cochlearis zusammenfällt; 
die Plätze der Fenestrae sind auf diesem Stadium dadurch mar- 
kiert, dass sie noch immer aus Blastem bestehen. 

Dass das Collum mallei vom Crus longum incudis vielleicht 
durch mechanischen Einfluss (Zugeinwirkung nach vorne hin) der 
Chorda tympani getrennt wird. 

Dass der Processus brevis (s. lateralis) mallei schon in diesem 
Stadium als ein abwärts gerichteter, relativ recht starker Aus- 
wuchs angelegt wird. 

Dass der Musculus tensor tympani angelegt wird, ehe noch 
eine Andeutung des Musculus stapedius existiert. 


Dass die Stapesanlage mit dem Crus longum incudis durch 


eine blastematöse Zwischenscheibe zusammenhängt. 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 575 


Dass das Crus breve incudis noch mit der Pars can. semi- 
cire. in breiter, blastematöser Verbindung steht. 

Dass das Laterohyale einen besonderen Vorknorpelkern 
hat; dass das Interhyale dagegen noch immer aus Blastem 
besteht, schmäler als im vorigen Stadium ist und im Begriff 
scheint vom N. facialis so zu sagen abgeschnürt zu werden. 

Dass die Chorda tympani in diesem Stadium anfängt, ihren 
definitiven bogenförmigen Verlauf (mit der Konvexität nach 
oben) anzunehmen, indem ihr Befestigungspunkt am N. lingu- 
alis während dieser Zeit nach unten gezogen wird. 

Dass der letztgenannte Nerv sein stärkstes Wachstum cen- 
tral von der Befestigungsstelle der Chorda tympani hat. 


Embryo V. 305 mm N.-St.-L. 


Die ganze Labyrinthkapsel besteht jetzt aus Jungknorpel, 
der jedoch in der Pars can. semieirc. bedeutend reichlichere 
Intercellularsubstanz besitzt als in der Pars cochlearis. Am 
Platz der beiden Fenestrae ist die Wand noch aus Blastem ge- 
bildet. Das Blastem mitten vor dem Stapesring bildet jetzt 
eine relativ dünnere Schicht als vorher. 

Die Derivate des ersten Visceralbogens bestehen gleichfalls 
zum grössten Teil aus Jungknorpel; die des zweiten bestehen 
dagegen noch aus Vorknorpel. Die Reste des Interhyale und 
die Zwischenscheiben haben noch das Aussehen von Blastem. 
Die Spitze des Crus breve incudis ist jetzt deutlich von der 
Labyrinthkapsel abgegrenzt, streckt sich lateral von dieser nach 
hinten und unten und ist jetzt nur durch eine dünne Blastem- 
scheibe mit derselben verbunden. 

Der mediale Gabelzweig des Hyoidbogens, das Interhyale, 
ist an der Mitte vollkommen atrophiert. Ein kleines Stück des- 
selben sitzt noch am lateralen Rand des Stapesringes gleich 
hinter dem Crus longum ineudis fest (s. Taf. F Fig. 2), ein 
anderes undeutlicheres sieht man an der medialen Seite des 

38* 


576 IVAh BROMAN, 


Hyoidbogens. An dieser Stelle ist der Hyoidbogen in einem 
stumpfen, nach aussen offenen Winkel gebogen. 

Der N. facialis hat in der Partie, die uns hier interessiert, 
denselben Verlauf wie im vorigen Stadium. Dasselbe gilt auch 
für die Chorda tympani, abgesehen davon, dass ihre Verbin- 
dung mit dem N. lingualis — durch weiteres Wachstum in der 
centralen Partie desselben — ein beträchtlicheres Stück abwärts 
und nach vorn gerückt. 

Musculus tensor tympani ist weiter entwickelt; Musculus 
stapedius dagegen noch nicht angelegt. 

Der Processus longus (Folii) mallei ist als ein 0,4 mm langer, 
an beiden Enden freier Belegknochen am unteren, medialen 
Rande des Meckelschen Knorpels angelegt. Der Annulus 
tympanicus ist noch nicht als Knochen angelegt, und auch nicht 
der proximale Teil des Unterkiefers. — Verlauf und Aussehen 
der Arteria stapedialis sind wie im letztbeschriebenen Stadium. 

Betrachten wir das Rekonstruktionsbild (Taf. F Figg. 1 und 2), 
so finden wir: dass das Caput mallei gewachsen ist, sodass es jetzt 
den Incus etwas überragt; dass das Manubrium (Mn.) etwas 
mehr abwärts gerichtet und etwas länger geworden ist; dass 
der Processus brevis s. lateralis (Pr. 1.) sich gleichzeitig etwas mehr 
lateral gerichtet hat; dass der Incus so ziemlich seine definitive 
Form erreicht; dass die äussere Begrenzung zwischen Malleus 
und Incus bedeutend schärfer markiert ist; dass der Stapes 
noch immer ringförmig ist und dieselbe Lage einnimmt wie im 
vorigen Stadium. 

Die Nebenfacetten des Hammer-Ambossgelenkes, schon bei 
dem Embryo IV angedeutet, sind jetzt stark markiert. Auch 


die Sperrzähne sind hier angedeutet. 


Embryo VI, 40 mm N.-St.-L. 


Dieser Embryo war bei der Obduktion einer Phosphorleiche 
(mehrere Tage nach dem Tode) gefunden. Als ich ihn zur 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 577 


Bearbeitung erhielt, war er schon mikrotomiert (in Querschnitte 
von 10—15 «). Nach einer Bemerkung über denselben soll er 
während der Einbettungsprozedur kolossal geschrumpft sein. — 
Da ich in diesem Fall nicht in der Lage gewesen bin, die Vor- 
bereitungen zu treffen, die für eine genaue Rekonstruktion 
erforderlich sind und da ich auch nichts hinreichend über die 
Dicke der Schnitte gewusst, so hat natürlich das Rekonstruktions- 
bild dieses Stadiums nicht denselben Wert wie die übrigen. 
Da jedoch die Gewebe, die uns hier interessieren, sich als recht 
gut erhalten und besonders deutlich begrenzt erwiesen, so habe 
ich doch — auf die bei den übrigen Stadien gewonnene Er- 
fahrung gestützt — auch diesen rekonstruiert (s. Taf. F Fig. 3 
und Taf. C Fig. 11). 

Auch der Steigbügel zeigt jetzt Jungknorpelstruktur. — Das 
Laterohyale befindet sich auf einer histologischen Entwickelungs- 
stufe zwischen Vor- und Jungknorpel. Die Zwischenscheibe 
zwischen Laterohyale und Labyrinthkapsel besteht aus Vor- 
knorpel; die Zwischenscheibe zwischen Laterohyale und dem 
Rest des Hyoidbogens ist noch blastematös. Die letztgenannte 
Scheibe befindet sich am Platz der früheren Y-Teilung. Die 
Winkelbiegung an dieser Stelle (oder vielleicht richtiger: gleich 
unterhalb derselben) ist jetzt stärker als vorher (fast ein rechter 
Winkel). Gerade hier biegt sich der Nervus facialis unter den 
Bogen an dessen lateraler Seite. Das im vorigen Stadium hier 
befindliche Rudiment des Interhyale ist nun verschwunden. 
Dagegen ist das am Stapesring festsitzende Interhyalrudiment 
(s. Taf. C Fig. 11, Jh.!) noch deutlich. — Das Gewebe in den 
beiden Fenestrae ist noch dem Blastem am meisten ähnlich. 

Der noch ganz kreisrunde Stapes hat seine Lage ein wenig 
verändert, sodass sein vorderer Schenkel etwas höher liegt als 
der hintere. Die Arteria stapedialis ist noch deutlich. — Der 
Inceus ist nicht wesentlich verändert. — Das Manubrium mallei 
ist etwas länger geworden; der Processus lateralis ist mehr aus- 


578 IVAR BROMAN, 


wärts gerichtet. Der Processus anterior (Folii) Pr. F., hat unge- 
fähr dieselbe Länge wie im vorigen Stadium, ist aber ein wenig 
dicker geworden. Dieser Belegknochen liegt wie im vorigen 
Stadium an dem medialen, unteren Rande des Meckelschen 
Knorpels (Me.) und hat gar keine Verbindung mit dem Beleg- 
knochen des Unterkiefers, der davon weit entfernt lateral von 
dem genannten Knorpel emporragt. 

Im Winkel zwischen dem Collum mallei und dem Meckel- 
schen Knorpel liegt im Bindegewebe eine andere, breitere, eben- 
falls freie Knochenlamelle. Diese ist etwas gebogen mit der 
konkaven Seite aufwärts gegen den Meckelschen Knorpel ge- 
richtet und läuft medial, gleich unter dem vorderen Ende des 
Processus Folii, in eine Spitze aus. Wie wir im folgenden 
Stadium sehen werden, ist diese Lamelle die erste Knochen- 
anlage des Annulus tympanicus (Taf. C, Fig. 11, Ann. t.). 

Der Musculus stapedius ist noch nicht angelegt. — Der 
Processus perioticus superior (Gradenigo) ist jetzt angelegt 
und tritt medial vom oberen Teil des Caput mallei hervor. 

Die Stadien V und VI haben also u. a. folgende Ergebnisse 
geliefert: 

Dass der Processus lateralis mallei zur gleichen Zeit, wo 
das Manubrium mehr abwärts gerichtet wird, nach und nach 
mehr lateral gerichtet wird. 

Dass der Processus Folii als selbständiger Belegknochen — 
ohne Zusammenhang mit dem Unterkiefer-Belegknochen — an- 
gelegt wird. 

Dass der Annulus tympanicus etwas später und auch als selbst- 
ständiger Belegknochen des Meckelschen Knorpels angelegt wird. 


Embryo VI, ca. 55mm Sch.-St.-L. 


(War zerschnitten, so dass ich nur mit Leitung von der 
Grösse des Kopfes und der Extremitäten die angegebene Sch.-St.-L. 
berechnen konnte. Es war zuerst in Müllerscher Flüssig- 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 579 


keit fixiert und dann einige Zeit in 80 °/o Alkohol aufbewahrt. 
Selten gutes Material). 

Sowohl die Labyrinthkapsel wie die beiden Visceralbogen 
bestehen aus Jungknorpel. Die Zwischenscheibe zwischen Latero- 
hyale und Labyrinthkapsel ist jetzt verschwunden, d. h. deren 
Vorknorpel hat sich zu Jungknorpel entwickelt. Die Zwischen- 
scheibe zwischen dem Laterohyale und dem unterhalb desselben 
liegenden Teil des Hyoidbogens'!) befindet sich auf einer histo- 
logischen Entwickelungsstufe zwischen Blastem und Vorknorpel. 
Vom Interhyale findet sich kein Rudiment weder am Hyoid- 
bogen noch am Stapesring. Ungefähr von derselben Stelle am 
Stapesring, wo sich dieses Rudiment früher befand, geht jetzt 
der (seit dem letzten Stadium angelegte) Musculus stapedius aus 
der sich lateral abwärts zu einem kleinen Knorpelhöcker streckt. 
Dieser befindet sich an der Basis der Pars canalium semi- 
circularium ein Stück unter dem Befestigungspunkt des Hyoid- 
bogens (s. Taf. E, Figg. 3 und 6. Pr. st.). Von diesem Knorpel- 
höcker — den ich Processus Musculi stapedii nennen will — 
kommt der Muskel also hinter den Nervus facialis an den 
medialen Rand des Hyoidbogens und setzt sich nachher medial 
von und parallel mit diesem Nerven zum Stapes hinauf fort. 
Der Musculus tensor tympani verläuft wie für Stadium IV an- 
gegeben. Die dem Insertionspunkte zunächst liegende, medial 
und aufwärts gerichtete Partie hat eine Länge von 0,125 mm; 
der vor der Winkelbiegung liegende Teil hat eine Länge von 
1,4mm. Derselbe folgt — gleichwie in den nächst vorher- 
gehenden Stadien — dem oberen, medialen Rande des tubo-tym- 
panalen Raumes; längst nach vorn kommt er doch etwas mehr 
lateral und geht mit seiner Spitze direkt in einen an der vorderen 
lateralen Seite der Tuba anfangenden, relativ recht grossen 
Muskel (M. tensor veli palatini) über. | 


!) Für diesen Teil des Hyoidbogens will ich den Namen „Reichertscher 
Knorpel“ reservieren. 


580 IVAR BROMAN, 


Der Stapes ist noch immer fast kreisrund; sein vorderer 
Schenkel ist jetzt etwas mehr aufwärts gedreht als im vorigen 
Stadium, sodass man mit Recht von einem vorderen, oberen 
und einem hinteren, unteren Schenkel sprechen kann. — Die 
Arteria stapedialis ist in und unter dem Stapesring sichtbar, 
doch ist sie zum grossen Teil von Blutkörperchen, die in das 
Bindegewebe übergetreten, verdeckt. Man sieht auch solche in 
reichlicher Menge im Gewebe rund um den Stapes. — Der in 
die Fenestra ovalis eingebogene Teil des Annulus stapedialis 
(Taf. B Fig. 2, B.-St.) ist von der hier jetzt vorknorpeligen 
Labyrinthkapselwand (Lamina fenestrae ovalis) gut getrennt. 
Diese scharfe Begrenzung wird hauptsächlich durch die ver- 
schiedene Färbbarkeit der beiden Gewebe hervorgerufen; der 
Jungknorpel ist nämlich ‘bei diesem Embryo durch Hämatoxylin 
stark gefärbt, während der Vorknorpel — (mit Ausnahme der 
Kerne) fast ungefärbt ist. Bei stärkerer Vergrösserung sieht 
man jedoch, dass die Grenze jetzt gewissermassen nicht so 
scharf wie in den vorher beschriebenen Stadien ist. Man 
bekommt den Eindruck, als ob hie und da vom Stapesringe 
einzelne, dunkel gefärbte Zellen sich zwischen die Vorknorpel- 
zellen der Fenestra ovalis eindrängen; da indessen die Schnitte 
zu dick sind, um eine genauere histologische Untersuchung zu 
gestatten, kann ich die Möglichkeit nicht ausschliessen, dass 
diese Zellengrüppchen in loco gebildet sind. — Die Anlage 
des Ligamentum annulare stapedis (Lig. ann.) ist durch eine 
blastematöse Zone markiert. Nirgends kann man Bindegewebs- 
elemente in diese Zone hineinwachsen sehen. — Die Dicke der 
Membrana fenestrae ovalis beträgt noch 0,1 mm; die der Steig- 
bügelplatte 0,22 mm. — Die Fenestra rotunda ist jetzt von 
fihrösem Bindegewebe geschlossen. 

Das Crus breve incudis streckt sich rückwärts und nach unten, 
lateral vom vorderen Teil der Pars' canalium semicireularium, 
an dem es wie vorher durch eine Blastemscheibe befestigt ist. — 


ee, TAFEL E 
Anatomisehe Hefte I, Abteilung Heft 37 (Il. Bd, H, 4), 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 581 


Das Crus longum ist an der Spitze etwas aufwärts und nach 
innen gebogen. Es scheint, als ob diese Biegung gleichzeitig 
mit der früher beschriebenen Lageveränderung des Steigbügels 
eingetreten sei (Taf. C, Fig. 10). 

Der Malleus ist etwas schlanker als im vorigen Stadium. 
Das Manubrium ist etwas länger geworden und mehr abwärts 
gerichtet (Taf. C, Fig. 3). — Der Processus longus (Folii) ist 
jetzt 0,5mm lang, hat aber übrigens dasselbe Aussehen und 
Lage wie im vorigen Stadium (s. Figg. 8-10, Taf. C!). — Die 
mediale Spitze des Annulus tympanicus (Ann. t.), die sich im 
vorigen Stadium in der Nähe des vorderen Endes des Processus 
Folii befand, ist jetzt in einem nach vorn und innen konvexen 
Bogen heruntergewachsen. Die Spitze befindet sich jetzt gleich 
über der lateralen Kante des Hyoidbogens (Taf. ©, Figg. 8-10). 
Diese seit dem vorigen Stadium entstandene Partie bildet einen — 
im Querschnitt runden — ebenen Halbring. Die schon im 
vorigen Stadium existierende Partie bildet fortdauernd eine 
Platte, an deren oberen Seite man einen Sulcus (Suleus malleo- 
laris Henle, Taf. C, Fig. 9, S. m.) sieht, der dem gleich ober- 
halb liegenden Processus Folii entspricht. Am lateralen Rand 
dieser Platte ist ein kleiner, aufwärts gebogener Stachel (Spina 
tympanica posterior Henle); auch das Tuberculum tympanicum 
anterior ist angedeutet; die Crista spinarum tritt nur wenig 
hervor. — Im Centrum des Halbkreises, den der Annulus tym- 
panicus auf diesem Stadium bildet, befindet sich das untere 
Ende des Manubrium mallei (Mn.). 


Die Zwischenscheibe zwischen Crus longum Incudis und 
Stapes besteht noch aus Blastem; so auch die Zwischenscheibe 
zwischen Malleus und Ineus, in deren Mitte man jetzt eine 
deutliche Spalte sieht. — Zwischen dem Malleus und dem Meckel- 
schen Knorpel!) ist wie vorher keine Grenze zu sehen. 


1) Mit diesem Namen bezeichne ich den nach vorn von Malleus gelegenen 
Teil des Mandibularbogens. 


582 IVAR BROMAN, 


Die Nerven dieses Gebietes haben denselben Verlauf wie 
in den zuletzt beschriebenen Stadien (s. Taf. © Figg. S—10), 
nur mit dem Unterschied, dass der Verbindungspunkt der Chorda 
tympani mit dem Nervus lingualis (auf den Zeichnungen nicht 
sichtbar) bedeutend weiter hinunter gerückt ist. Sowohl durch 
dieses wie durch das vorige Stadium kommt man zu der Auffassung, 
dass eine Zugeinwirkung der Chorda tympani auf den Nervus 
facialis den Hyoidbogen zu einer stärkeren Biegung und zu 
einer ständigen Annäherung an die untere, laterale Ecke der 
Pars cochlearis zwingt. — Der Processus perioticus superior 
(Gradenigo) — auf dem Rekonstruktionsbild abgeschnitten — 


streckt sich jetzt etwas weiter nach vorn als im vorigen Stadium. 


Embryo VIH, 70 mm Sch.-St.-L. (Totallänge: 90 mm). 


Dieses Stadium zeigt grösstenteils dieselbe histologische Ent- 
wickelung wie das vorige. Die Zwischenscheibe zwischen dem 
Laterohyale und dem Reichertschen Knorpel. (dem distalen 
Teil des Hyoidbogens) ist jedoch verschwunden, d. h. in Jung- 
knorpel verwandelt. 

Der Hyoidbogen ist noch näher an die Pars cochlearis ge- 
krümmt und bildet sowohl die laterale wie die vordere Begren- 
zung des Foramen stylomastoideum primitivum (wenn ich es so 
nennen darf). 

Der vom oberen vorderen Teil der Pars canalium semi- 
circularium hervorragende Knorpelauswuchs, Processus perioticus 
superior (Gradenigo) hat sieh jetzt noch weiter verlängert. 
Nach vorn geht er medial in eine aus fibrillärem Bindegewebe 
gebildete Platte über und bildet zusammen mit dieser das 
Tegmen tympani. 

Der Steigbügel hat angefangen seine definitive Form anzu- 
nehmen (Taf. F Figg. 4 und 5), ist jedoch relativ breiter als 
nachher. Das Caput ist angedeutet und der an die Labyrinth- 


kansel stossende Teil des Ringes ist nicht mehr gebogen. Diese 
{o) o- oO 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 583° 


Steigbügelplatte ist jetzt nicht wie die Crura im Querschnitt 
kreisrund, sondern von aussen nach innen etwas zusammen- 
gedrückt (Fig. 3, Taf. B). Die Dicke beträgt jetzt nur 0,2 mm. 
Der mediale, am meisten abgeplattete Rand hängt mit der 
Labyrinthwand innig zusammen. Die Grenze zwischen ihnen 
wird doch noch von einer einfachen Schicht von Zellen, die im 
Schnitte spindelig sind, deutlich markiert (s. Taf. B Fig. 3). 
Diese Zellenschicht geht oben und unten in das Perichondrium 
des Stapesringes über. Das von der Labyrinthkapsel stammende 
Gewebe im ovalen Fenster ist besonders mitten vor der Stapes- 
anlage noch mehr verdünnt (Dicke: 0,02 mm). Seine innerste 
Zellenschicht hat dasselbe Aussehen wie das Perichondrium an der 
inneren Seite der Labyrinthkapsel. Seine äussere, gegen den 
Stapesring stossende Zellenschicht hat ungefähr das Aussehen von 
Vorknorpel; nur an der Peripherie des ovalen Fensters hat es 
ein mehr blastematöses Aussehen (Lig. ann.) Keine Bindegewebs- 
streifen sind hier zu entdecken. 

Der Musculus stapedius ist noch ein gerader, spindelförmiger 
Muskel ; er verläuft jetzt etwas mebr gerade rückwärts, was auf 
einer Verschiebung des Steigbügels nach aussen zu beruhen 
scheint. 

Die Arteria stapedialis ist atrophiert; an ihrem früheren 
Platze. sieht man jetzt einen Bindegewebsstrang durch den 
Stapes laufen. 

In der Mitte der Zwischenscheibe zwischen Capitulum stapedis 
und Crus longum incudis sieht man an einigen Punkten schwache 
Andeutungen einer Berstung. Das Crus longum incudis ist 
etwas mehr als im vorigen Stadium mit seinem unteren Ende 
gegen den Stapes gebogen. Wie vorher hängt das Urus breve 
durch eine blastematöse Zwischenscheibe mit der Labyrinth- 
kapselwand zusammen. Zwischen Malleus und Incus ist durch 
Berstung in der Zwischenscheibe eine Gelenkhöhle entstanden. 
Der Sperrzahn des Ambosses tritt jetzt deutlicher hervor. 


584 IVAR BROMAN, 


Der Hammer ist seit dem letzten Stadium etwas länger 
geworden. Der Processus Folii ist jetzt etwas dicker und misst jetzt 
0,94 mm in der Länge. Der Sperrzahn von Helmholtz ist deut- 
licher als vorher entwickelt. — Ungefähr in gleicher Höhe mit dem 
Processus lateralis sieht man an der medialen Seite des Manu- 
brium einen deutlichen Processus muscularis (Taf. F Fig. 4 Pr. m). 
Von diesem erstreckt sich die Sehne des M. tensor tymp. medial 
aufwärts in die Nähe der Pars cochlearis um hier in den Muskel 
selbst überzugehen, der mit der Sehne einen fast rechten Winkel 
bildend nach vorn und unten läuft. Diese Winkelbiegung wird 
jetzt von Bindegewebsfasern fixiert, die sich vom medialen Rand 
des Processus perioticus sup. bis zur Pars cochlearis erstrecken. 
Aussehen und Verlauf des Muskels stimmen mit dem vorigen 
Stadium überein. Die direkte Verbindung mit dem Museulus 
tensor veli palatini scheint jedoch nicht mehr vorhanden. 

Der Annulus tympanieus ist bedeutend dicker geworden 
und seine Spitze ist aufwärts gewachsen, sodass ungefähr ?/s 
des Ringes jetzt angelegt sind. Der Suleus tympanicus ist an 
dem herabsteigenden Schenkel angedeutet. 


Embryo IX. 180 mm (Totallänge). 


Die Intercellularsubstanz des Jungknorpels ist jetzt etwas 
reichlicher. i 

Der Processus periotieus superior (Gradenigo) bildet jetzt 
eine breite, dünne, nach unten und innen geneigte Platte, die 
sich unmittelbar oberhalb der Gehörknöchelchenanlagen vorwärts 
und nach unten streckt. Seine mediale Hälfte hört am vorderen 
Rande des Caput mallei auf; seine laterale Hälite setzt sich 
oberhalb des Meckelschen Knorpels (und in derselben Richtung 
wie dieser) etwas weiter nach vorn fort. Dieser Auswuchs ist, 
wie wir wissen, die Knorpelanlage des Tegmen tympani. Das 
Dach wird medial — hier wie im vorigen Stadium — von einer 
Bindegewebsmembran gebildet, die sich gleich über dem ovalen 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 585 


Fenster an der Pars cochlearis befestigt. — Die gleich vor 
der Umbiegungsstelle des Nervus facialis liegende Partie des 
Hyoidbogens ist noch mehr medialwärts gezogen, sodass sie 
jetzt an der Pars cochlearis anliegt. — Der Hyoidbogen be- 
steht überall aus Jungknorpel, der ohne Grenze in die Pars 
can. semicirc. übergeht. Der Teil, der die laterale Begrenzung 
des Foramen stylomastoideum primit. bildet und in dem wir 
das Laterohyale erkennen, ist bedeutend (fast doppelt) dünner 
als der Reichertsche Knorpel. Letzterer, der sich weiter nach 
vorn wieder veıschmälert, hat dasselbe Aussehen wie der von 
Politzer (65) beschriebene Processus styloideus und ist gewiss 
damit identisch. 

Das Foramen stylomastoideum primit. ist von Nervus facialıs, 
Musculus stapedius, Arteria und Vena stylomastoidea und Binde- 
gewebe ausgefüllt. 

Der Steigbügel hat seine definitive Form weiter entwickelt 
(Figg. 6 u. 7, Taf. F). Er ist höher geworden; sein vorderer, 
oberer Schenkel ist kürzer und mehr gerade, der hintere etwas 
länger und mehr gebogen. Die Fussplatte ist etwas dünner als 
zuvor (Dicke: 0,19 mm) und streckt sich etwas aussenhalb der 
Befestigungspunkte der Crura (Fig. 4 Taf. B). Am unteren Rande 
der Fussplatte sieht man jetzt eine deutliche Einkerbung; der 
obere Rand ist convex. Das ursprüngliche Gewebe der Fenestra 
ovalis ist auf eine dünne Zellenschicht (Lam. fen. ov.) unge- 
fähr von demselben Aussehen und derselben Dicke (0,01 mm) wie 
das Perichondrium der Labyrinthkapsel reduziert. Seitwärts von 
der Fussplatte geht diese Zellenschicht in die Anlage des Liga- 
mentum annulare stapedis (Lig. ann.) über, die ungefähr halb 
so dick ist wie die Fussplatte und noch aus Zellen besteht, die 
Blastemzellen am meisten ähnlich sind. Man sieht nirgends 
Bindegewebe hier hineindringen. — Das Capitulum stapedis, das 
noch deutlicher ist als im letzten Stadium, hat eine konkave Ge- 
lenkfläche für das untere Ende des Crus longum incudis. — 


586 IVAR BROMAN, 


Jede Spur der Arteria stapedialis ist verschwunden, Durch das 
lockere, embryonale Bindegewebe zwischen den Stapesschenkeln 
ziehen nur einige Kapillaren. Verlauf und Aussehen des Mus. 
culus stapedius sind wie im vorigen Stadium. — 

Der Processus lentieularis — wenn wir ihn so nennen 
wollen, obgleich er noch keinen Knopf hat — ist deutlicher 
geworden als im letzten Stadium (Figg. 8 u. 9 Taf. F). Er 
ist mit einer konvexen Fläche am Stapeskopf eingelenkt. Nur 
durch den Angulus ist er von dem Crus longum incudis abge- 
grenzt. Die mediale Seite des Crus breve ineudis hängt an der 
Spitze noch immer durch eine Blastemscheibe mit der Laby- 
rinthkapsel zusammen. Die Gelenkkapsel des Hammer-Amboss- 
Gelenkes ist jetzt bindegewebig angelegt; so auch die des Amboss- 
Steigbügel-Gelenkes. 

Der Hammer ist bedeutend in die Länge gewachsen und 
folglich schlanker geworden (Figg. 10 u. 11 Taf. F). Dieses Längen- 
wachstum hat besonders den Kopf betroffen, weshalb der Aus- 
gangspunkt des Meckelschen Knorpels ein ansehnliches Stück 
heruntergerückt scheint. Das untere Ende des Manubrium mallei 
ist fast gerade nach unten gerichtet. Der Processus longus 
(Folii) ist sowohl in die Länge wie in die Dicke gewachsen; 
er ist mit dem Malleus noch immer nur durch Bindegewebe 
verbunden. Der Processus lateralis (Pr. 1.) ist scharf markiert; 
dagegen giebt es keinen Processus muscularis, sondern der Muscu- 
lus tensor tympani inseriert auf einer ebenen Fläche. Der Verlauf 
des Muskels stimmt mit dem bei dem vorigen Stadium beschrie- 
benen überein. Der vordere Teil des zwischen dem Proc. perio- 
ticus superior und der Pars cochlearis ausgespannten Binde- 
gewebsmembran sendet einen bedeutenden Teil seiner Fasern 
unter die Muskelsehne (Fig. 5 S) und fixiert dadurch die Winkel- 
biegung derselben. Wo sich die Fasern dieses Ligamentum 
trochleare (Lig. tr.), wie ich es nennen will, an der Pars 


cochlearis befestigen, sieht man einen — seit dem vorigen 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 587 


Stadium entwickelten — lateralen Knorpeläuswuchs (Fig. 5 a). 
Lateral und etwas hinter dem Befestigungspunkte des Meckel- 
schen Knorpels ist am Hammer eine seichte Vertiefung im 
Knorpel sichtbar, die von parallel mit der Längenachse des 


Ni 
Y/; 
Ä, 


u 


a 


Fig. 3. 25,,. 

C. m. Caput mallei, Cr. m. Crista mallei, Pr. p. sup. Processus periotieus superior, T-t.r. Tubo- 
tympanales Raum, S. Sehne des Muse. tens. tymp., Lig. tr. Ligamentum trochleare, P. cochl. 
Pars eochlearis der Labyrinthkapsel. 

Hammers verlaufenden Bindegewebsfasern ausgefüllt ist, welche 
oben und unten in das Perichondrium übergehen (Fig. 6 A). 
Diese Vertiefung wird nach hinten immer tiefer und ist nach 
oben durch einen scharfen Kamm (Cr. m.) begrenzt. Weiter 


hinten wird dieser Kamm, so zu sagen, von Bindegewebe unter- 


588 IVAR BROMAN, 


graben, sodass er länger, dünner und nach unten gerichtet 
wird (Fig. 6. B). Noch weiter hinten wird der Kamm wieder 
allmählich kleiner (Fig. 6. C), um mitten unter dem Sperrzahn 
zu enden. Dieser Kamm, der, wie das Rekonstruktionsbild 
(Taf. F Fig. 11) zeigt, schräg nach hinten, abwärts und medial 


verläuft, ist die Anlage der Crista mallei. Das Ligamentum 


A. B. ee 


Fig. 6. 
Cr. m. Crista”’mallei, Pr. 1. ER lateralis, Mn. Manubrium. 

mallei externum ist noch nicht angelegt. — Der Meckelsche 
Knorpel hat angefangen dünner zu werden. Die Peripherie 
desselben ist durch fibrilläres Bindegewebe ersetzt. — Die Ver- 
knöcherung der Gehörknöchelchenanlagen hat noch nicht be- 
gonnen. 

Der Annulus tympanieus ist jetzt fertig entwickelt. Das 
laterale Endstück (der aufsteigende Schenkel), das zuletzt ange- 


Die Entwıckelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 589 


legt worden ist, ist ganz dünn und im Querschnitt kreisrund; 
die älteren Partien sind recht bedeutend in die Dicke gewachsen 
und sind im Querschnitt sichelförmig d. h. der Suleus tym- 
panicus ist hier entwickelt. 

Von den Stadien VII, VIII und IX lässt sich u. a. schliessen: 


Dass der Steigbügel sich allein aus dem vom Hyoidbogen 
stammenden Stapesring bildet. 

Dass das mitten vor dem Stapesring liegenden Gewebe der 
Fenestra ovalis eine fast vollständige Atrophie erleidet, sodass 
es nur in Form eines dünnen Perichondriums zurückbleibt, und 
dass zu derselben Zeit die Steigbügelanlage ihre definitive Form 
anzunehmen beginnt. 

Dass sich Spuren der Arteria stapedialis noch bei Embryonen 
von 9 cm Totallänge nachweisen lassen. 

Dass bei Embryonen von 18 cm Totallänge keine Binde- 
gewebsstreifen in die Anlage des Ligamentum annulare baseos 
stapedis hineingewachsen sind. 


Dass die Crista mallei nicht wie die übrigen Ausläufer der 
Gehörknöchelchen blastematös angelegt wird, sondern durch 
Resorption des unmittelbar unter ihr belegenen Knorpels gebildet 
wird. / 

Dass der Musculus tensor tympani, der wahrscheinlich von 
Anfang an mit dem Musculus tensor veli palatini in Verbin- 
‚dung steht, schon bei einem Embryo von 3 Monaten aus dieser 
gelöst sein kann. 

Dass sich einige Fasern aus dem membranösen Teile des 
Tesmen tympani unter die Sehne des M. tensor tymp. ziehen 
und so die Winkelbiegung derselben fixieren. 

Dass sich der Annulus tympanicus als ein einheitliches 
Stück verknöchert, das am Ende wächst. 

Dass der Processus styloideus Politzer nicht das oberste 
Ende des Hyoidbogens, das Laterohyale, einfasst. 


Anatomische Hefte. I. Abteilung, XXXVI. Heft (11. Bd. H. 4.) 39 


590 IVAR BROMAN, 


Embryo X, 210 mm Total-L. 


In der Labyrinthkapsel hat die Verknöcherung angefangen 
und ist schon recht weit fortgeschritten. Der grösste Teil der 
Pars canalium semicircularium ist verknöchert. In der Nähe 
der Befestigungsstelle des Hyoidbogens besteht sie jedoch noch 
aus Knorpel. Die Pars cochlearis besteht im vorderen, lateralen 
Teil noch aus Knorpel, im übrigen ist sie verknöchert. Im 
medialen Teil des Processus perioticus sup. ist auch Ver- 
knöcherung eingetreten. Der membranöse Teil des Tegmen 
tympani ist stärker geworden und nach vorn von der Umbie- 
gungsstelle der Tensorsehne in eine obere und eine untere 
Schicht geteilt, zwischen denen der Musculus tensor tymp. ein- 
gebettet ist. 

Der Steigbügel besteht zum grössten Teil aus Knorpel; in 
der Mitte des hinteren Schenkels hat die Ossifikation ange- 
fangen. Ebenso verhält es sich mit dem Steigbügel der ent- 
gegengesetzten Seite, den ich nach Maceration in Kalilauge 
hervorpräparierte. (S. Taf. D Fig. 18.) (Doch muss ich dieses 
Verhältniss als Ausnahmefall bezeichnen, da mein übriges Mate- 
rial von der Verknöcherungsperiode zeigt, dass in der Regel 
das Ossificationscentrum des Steigbügels in der Basis liegt. Die 
Basis stapedis hat wieder an Dicke bedeutend zugenommen. 
(S. Fig. 7 Taf. Bl) — Im Spatium intercerurale verlaufen nur 
einige Capillaren. 

Vom Incus ist der grösste Teil des Crus longum und der 
diesem zunächst liegende Teil des Corpus verknöchert. Der 
unterste Teil des Crus longum (die Partie an und unterhalb des 
Angulus) besteht noch aus Knorpel. Der Processus lenticularis 
hat jetzt eine knopfförmige Anschwellung an der Spitze. 

Das Collum mallei ist verknöchert, und der Processus longus 
(Folii) steht jetzt mit demselben in direkter (knöcherner) Verbin- 
dung. Etwas weiter nach hinten von dieser Stelle sieht man die Ver- 
knöcherung sich aufwärts gegen die Mitte und die mediale Seite des 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 591 


Caput mallei strecken. Am Malleus von der andern Seite desselben 
Embryos (die nach der Kaliglycerinmethode Schultzes behandelt 
wurde) sah es anfangs aus, als ob sich im oberen, medialen Teil 
des Caput ein besonderer Ossifikationspunkt vorfände. Nachdem 
das Präparat recht durchsichtig geworden, sah man jedoch 
deutlich, dass im Innern eine Knochenverbindung zwischen 
diesem Teil und dem Knochenkern im Collum existierte (vgl. Figg. 
12 und 13 Tafel C). Dass diese Verbindung meistens vom 
Knorpel an der Oberfläche verdeckt ist, ist wahrscheinlich der 
Grund gewesen, weshalb man geglaubt, dass die Ossifikation 
des Malleus von zwei Punkten ausginge. — Das Manubrium 
mallei hat nur einen schwach angedeuteten Processus muscularis. 
Die gerade medial verlaufende Muskelsehne ist von einer Binde- 
gewebsscheide umgeben, deren Fasern sich an der Labyrinth- 
kapsel und dem membranösen Teil des Tegmen tympani 
befestigen. In einem Fache dieses membranösen Teils ist — 
wie gesagt — der Muskel selbst eingelagert. Der obere hintere 
Rand der Bodenlamelle dieses Faches bildet an der Umbiegungs- 
stelle des Muskels das Ligamentum trochleare. 

Der zusammenhängende Teil des Hyoidbogens besteht noch 
durch und durch aus Knorpel. 


Embryo XI. 240 mm Total-L. 

Die Labyrinthkapsel ist fast ganz verknöchert; die an die 
Fussplatte des Steigbügels und an das Ürus breve incudis 
stossenden Partien, sowie der laterale Teil des Proc. perioticus 
superior bestehen jedoch noch aus Knorpel. Der mediale Teil 
des Proc. perioticus sup. sowie der früher membranöse Teil des 
Tegmen tympani sind dagegen zum grössten Teil verknöchert. 
Nur der der Pars cochlearis am nächsten liegende Teil besteht 
noch aus Bindegewebe. Der Umbiegungsstelle der Tensorsehne 
gegenüber fängt diese unverknöcherte Bindegewebsmembran an 
nach vorn in Breite zuzunehmen. Zugleich sieht man, wie sie 

39* 


592 IVAR BROMAN, 


sich in eine distinkte obere und untere Schicht teilt, zwischen 
denen der Musculus tensor tympani eingebettet ist. Der hintere 
Rand der unteren Bindegewebslamelle bildet das Ligamentum 
trochleare, hinter dem sich die Muskelsehne umbiegt und sich 
mit dem Muskel vereint. 

Der Steigbügelkopf und die diesem zunächst liegende Hälfte 
der Schenkel bestehen noch aus Knorpel; der übrige Teil der 


Schenkel und die Platte — mit Ausnahme der Kanten und 
der an die Labyrinthkapsel stossenden Fläche — sind dagegen 


verknöchert. Die Stapesschenkel sind im Querschnitt kreisrund 
und mehr als doppelt so dick wie beim Erwachsenen. Der 
verknöcherte Teil der Fussplatte ist auch dicker als bei dem 
Erwachsenen. Er ist im Querschnitt triangulär, mit der Basis 
gegen die Labyrinthkapsel und der Spitze gegen das Spatium 
intercruale gerichtet. 

Die Anlage des Ligamentum annulare baseos stapedis 
besteht noch aus zellenreichem Gewebe, das allmählich in den 
Knorpel an der Stapesplatte und an der inneren Seite des ovalen 
Fensters übergeht. Die Zellen der Ligamentanlage sind aber 
jetzt in Spindelzellen verwandelt. (S. Fig. 6 Taf. B.) 

Im Bindegewebe zwischen den Crura stapedis verlaufen 
mehrere Gefässe, von denen eins relativ recht gross ist und, 
so weit wie ich ihm habe folgen können, einen der Arteria 
stapedialis entsprechenden Verlauf zeigt. Leider konnte ich 
aber an meinen Schnitten (die dazu zu klein waren) dies Gefäss 
nicht bis zu seiner Einmündungsstelle in ein grösseres, mit 
Gewissheit zu erkennendes verfolgen. 

Der Amboss ist zum grössten Teil verknöchert. Die der 
Gelenkfläche gegen den Malleus zunächst liegende Partie, der 
ganze Processus lentieularis und die Spitze des Urus breve 
bestehen jedoch noch aus Knorpel. Der Processus lenticularis 
bildet gegen den übrigen Teil des Crus longum einen rechten 
Winkel; seine Spitze ist knopfförmig verdickt und bildet die 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 593 


Gelenkpfanne in dem Amboss-Steigbügelgelenk. — Das Crus 
breve steht mit der Labyrinthkapsel durch eine blastemähnliche 
Zwischenscheibe in Verbindung. Die Peripherie dieser Scheibe 
zeigt eine fibrilläre Struktur. 

Der Hammerkopf hat an Dicke zugenommen und ist jetzt 
mehr kugelig geworden. Die Crista mallei ist etwas mehr aus- 
wärts gerichtet. Hals und Kopf sind — mit Ausnahme der an das 
Hammer-Ambossgelenk stossenden Partie, die aus Knorpel 
besteht — verknöchert. Das Manubrium, der recht lange 
Processus lateralis und der nur schwach angedeutete Processus 
muscularis bestehen gleichfalls aus Knorpel. Der Processus 
longus (Folii), der noch mehr gewachsen ist, steht — gleichwie 
im vorigen Stadium — in Knochenverbindung mit dem Hammer- 
halse. Der Meckelsche Knorpel ist, besonders von der einen 
Seite zur anderen noch mehr verdünnt. Von der Stelle aus, wo 
er sich mit dem Hammer vereint, kann man einige Schnitte 
rückwärts an der medialen Seite des letzteren einer knorpeligen 
sich schnell verschmälerndern Fortsetzung des Meckelschen 
Knorpels folgen. 

Die Sehne des Musculus tensor tympani verläuft medial 
in gerader Richtung zum Muskel. Die äussersten Fasern gehen 
jedoch nicht zu diesem über, sondern befestigen sich teils am 
medialen Rande des Tegmen tympani, teils an der Pars cochlearis. 
Die eigentliche Sehne ist also gleichwie der Muskel von einer 
Bindegewebsscheide umgeben. Diese Sehnenscheide ist mit dem 
von Toynbee (58) beschriebenen „Tensor ligament“ identisch. — 
In der Muskelscheide ist noch keine Verknöcherung eingetreten. 

In gleicher Höhe mit dem Processus lateralis geht von der 
medialen Seite des Malleus und mit einigen Fasern von der 
Unterseite des proximalen Endes des Processus longus ein durch 
dunklere Färbung gut begrenztes Bindegewebsbündel aus. Es 
passiert rückwärts und abwärts gleich unter der Tensorsehne, 
mit deren Scheide es verbunden ist, läuft zwischen Manubrium 


594 IVAR BROMAN, 


mallei und Crus longum incudis, um sich an der hinteren, 
lateralen Wand der Paukenhöhle zu befestigen. Wahrscheinlich 
ist dieses Ligament mit dem von Schäfer (49) beschriebenen 
„Inferior ligament of the malleus‘‘ identisch. 


Embryonen XII— XV. (Total-Längen: 200, 250, 260 und 
280 mm resp.) 

Sie zeigen alle, gleichwie die Stadien X und XI, dass die 
Verknöcherung der Gehörknöchelchenanlagen sich in keiner 
Weise von dem gewöhnlichen Verknöcherungsvorgang bei knorpel- 
präformierten Knochen unterscheidet. 


Embryonen XVI—XXVII. (Total-Längen: 155, 190, 195, 205, 
210, 215, 220, 225, 240, 250, 260 und 290 mm resp.) 


Nach Schultzes Kaliglycerinmethode (67) behandelt, bilden 
die herauspräparierten Gehörknöchelchen dieser Embryonen ein 
gutes und sicheres Material zum Beurteilen der Fortschritte der 
Verknöcherung. 

Die folgende Tabelle (s. S. 595 u. 596!) zeigt die Grössen- und 
Lageverhältnisse der Ossifikationspunkte bei diesen Embryonen: 


Embryonen XXVII—XXX. 
(Total-Längen: 290, 320 und 500 mm resp.) 


Die Gehörknöchelchen dieser drei Embryonen habe ich 
durch gewöhnliche Maceration freigelegt; ich bilde Stadd. XXIX 
und XXX in der Taf. F Figg. 12 u. 13 zusammen mit den 
Gehörknöchelehen eines erwachsenen Mannes in natürlicher 
Grösse ab, um die Grössenverhältnisse nach der Verknöcherung 
zu zeigen. — Da die Formenverhältnisse schon vorher mit den 
definitiven ganz nahe übereinstimmen, so ist über diese nur 
wenig zu sagen. 

Bei dem Embryo XXVIII bestehen die untere Hälfte des 
Manubrium mallei und die äusserste Spitze des Processus late- 


595 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 


AB RLTT St 8 


"IL 6 14 '8 'SIseg op ul 
wnAFUOISUOLFeNTISSO FSOUTT]N UM 


‘a JeL EI Sa Ss MoOeuy 
-19A pus sjpoyuoyog ueroyung 
zop SAH SIStpeur Sp pun 
(usyueyy a0p pun opog uofeıpour 
19p owyeusny Yu) sSıseg] PT 


wa 
-UOISUOLENHIESOQ UN yoou YeH 


ELN ES HGUEH 
wg om SZummypouyioA Id 


‘a ywıe aus 


"ad_FeL 
F Strg oyorg uogpLIyasoS}LoF 
sndion up yaınp ıonb pun 
wn$uofsnıg sop FunZorgqfoyur 
nz sıq 98T Sunioypouyaoıy old 


"FL 
zZ Sg Pypoıg "uoyLIygases}iog 
IONOM SIBAGB IM SLIRAFNE 
jgonos 981 Sungpouyroy Od 


‘a el I Sud eyes 
"wnZuo]snıg) um wnajuo9suoey 
-JISSO SOLASSQLZ SBAPp ue PH 


wnSuo] 
snIy) SOp [IE], UPA19g0 wr wnay 
-UOHSUOLFEAZISSO SOULa]Y ur ef 


oyaıg 


"yIX quy 

ung IM SunioydouyıoA Id 
‘indeg 

pın wnjjog ur Sunioypguyıe‘ 
Mogdouy 


-19A PuIs oyorpyjuofen op uw 
Isyoyunz Are Aop Pwuyeusny 
yru Yndey pun win][on) ozue3 sed 


9 el ar Sa 
-uos1ogs nz Jneury Jdoy 
uop ur Juursog Fundoypouyı1o A OL 


wnj[0o9 wr ums 
-UOISUOLFLAYHISSO SOuTey uro ed 


[oängqsteIg 10 


ssoquy 101 


wur 101 


‘16 IXX 

018 XX 

606 xIX 

Sol IIAX 

06T IIAX 

“sl IAX 
ang 


IVAR BROMAN, 


596 


"uoJ4Lıyos 


"IOTIOUMN 


'Ja9y9ouUy | -93410} Srrepnoryue] SNSSH90LT | IA Puls uMLIqNUBA Sop SYIEH 
-194 4290| 4sı wnpnpdej sep yony |uop ur 3481 Sumypgugro‘ Ag | arogo amp pun vmpfoY ‘“gndey 063 
-U9STOISNZILUTT WNLIGNURA] Sep 
a RE N i ur yuusog,;, Sundoypgouy.IoA POLT 093 
"IXX "AIXX AIXX 
‘Iglu wog oIM Sunaoyoguyıoy | Iquupg weg om Sungogsguyror | Tquu wog oTM SunaowpouyLaA 083 
‘a al 07 SS aan 9 Bas 9 JeL FI SS) 098 
2 XIX "XIX 
x ‘IQ weg oIM SumoypguyoN | Tquuy umoq oIM ZSundogaguyTe‘ 028 
sisegg op ur Sunaoqagundo‘ ‘a yaL ‘8 Sta 'S ‘9 Fe 81 S11 '8 086 
3 —— 
wu 
[PSngs1a4g 19q ssogquy Jodq aouweg 19 ogupr 


IIAXX 


IAXX 


AXX 


AIXX 


IIIXX 


IXX 


"IN IQqUH 


Anatomische Hefte I, Abteilung [Heft 97 (Il. Bd. H, 4). TAFEL I 


NJ. Broman phot 
! 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 597 


ralis noch aus Knorpel und sind deshalb an dem Macerations- 
präparat zerstört. (S. Fig. 15 Taf. C!) Der Proc. longus (Folii) 
bildet einen leicht lateralwärts gekrümmten, etwas mehr als 
3 mm langen Knochenfortsatz. Die Schenkel des Steigbügels 
(s. Fig. 14 Taf. D!) sind ca. doppelt so dick wie bei dem 
Erwachsenen (Fig. 17). Sie sind im Querschnitt halbkreisförmig 
mit der geraden Linie gegen das Spatium intercrurale liegend. 
Ein Sulcus stapedis ist also noch nicht entwickelt. Dagegen 
hat die Fussplatte jetzt ihre definitive Dicke. An derselben ist 
die Crista stapedis schwach angedeutet. — Der hintere Teil 
der Pars membranacea tegminis tympani mit dem Semicanalis 
pro tensore tympanı ist jetzt verknöchert. 


Bei dem Embryo XXIX ist der ganze Hammer mit Aus- 
nahme der Spitze des Griffes verknöchert. Der Processus longus 
hat dieselbe Länge wie beim letztbesprochenen Embryo, ist 
aber gerader. Der Processus lenticularis incudis hängt durch 
eine kurze und sehr dünne Knochenverbindung mit dem Crus 
longum zusammen. 

Die Peripherie des Steigbügels zeigt die gleiche Grösse wie 
im vorigen Stadium, die beiden Crura sind aber und zwar beson- 
ders im unteren Teil bedeutend dünner geworden, sodass das 
Loch zwischen ihnen beträchtlich vergrössert ist. Der Sulcus 
stapedis ist jetzt deutlich. (S. Fig. 15 Taf. D!) — Das ganze 
Tegmen tympani mit dem Semicanalis pro tensore tympani, die 
Eminentia styloidea und das Ligamentum Musculi stapedii sind 
jetzt verknöchert. 


Bei dem Embryo XXX haben auch Malleus und Incus ihre 
definitive Grösse erreicht. Der Malleus ist in derselben Ausdeh- 
nung wie beim Erwachsenen (vergl. Figg. 16 u. 17 Taf. C!) 
verknöchert. Der Processus longus stimmt in Länge und Aus- 
sehen mit dem vorigen Stadium überein. — Das Crus longum 
jneudis ist im unteren Teile etwas dicker als bei dem Erwachsenen, 


598 IVAR BROMAN, 


(Vergl. Figg. 7 u. 8 Taf. D!) — Die Stapesschenkel haben auch im 
oberen Teil ihre definitive Dicke angenommen (S. Fig. 16 Taf. D!). 


Aus den Stadien X—XXX hat sich also u. a. ergeben: 


Dass die Ossifikation des Steigbügels, welche gewöhnlich 
bei Embryonen von ca. 21 cm beginnt, von einem einzigen 
Centrum ausgeht, das in der Regel in der Basis liegt; dass von 
hier aus die Ossifikation allmählich die Schenkel hinauf bis zum 
Capitulum schreitet. 


Dass eine in derselben Ordnung fortschreitende Resorption 
der gegen das Spatium intercrurale liegenden Knochenpartien 
dem anfangs klumpigen Steigbügel während der letzten Periode 
des intrauterinen Lebens seine definitive Gestalt giebt. 


Dass der Knopf des Processus lenticularis erst, nachdem 
ein Teil des langen Ambossschenkels schon ossifiziert hat, gebildet 
wird; dass dieser Processus kein besonderes Ossifikationscen- 
trum hat. 

Dass die Ossifikation des Ambosses gewöhnlich bei Em- 
bryonen von ca. 19 cm beginnt und von einem einzigen Punkte 
im oberen Teil des langen Schenkels ausgeht. 


Dass die als Knorpel präformierte Hammeranlage auch nur 
einen Ossifikationspunkt hat; dass dieser im Collum mallei liegt 
und bei Embryonen von ca. 19 cm zuerst auftritt; dass der 
Processus longus (Folii) bei der Entstehung dieses Knochenkerns 
in direkte knöcherne Verbindung mit dem Hammer tritt. 


Dass die Gehörknöchelchen auf dieselbe Weise wie jeder 
andere als Knorpel präformierte Knochen ossifizieren. Dass die 
Bindegewebsscheiden der Gehörknöchelchen-Muskeln erst Ende 
des 6. Monats verknöchern. 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 599 


Litteraturkritik. 


Dass die Verfasser, die zuerst auf diesem Gebiete Unter- 
suchungen vornahmen, zu so streitigen Resultaten in betreff 
des Entstehens der Gehörknöchelehen kamen, darf uns, wenn 
wir die unvollkommenen Arbeitsmethoden jener Zeit in Betracht 
nehmen, nicht wundern. Und es kann nur durch ein gewisses 
Ahnungsvermögen im Verein mit weit getriebener Präparations- 
kunst Reichert (45) geglückt sein, uns schon 1837 eine annähernd 
richtige Schilderung des Ursprunges und der ersten Entwicke- 
lung der Gehörknöchelehen zu geben. 

Die späteren Autoren, denen bessere Untersuchungsmethoden 
zu Gebot standen, sind, wie wir gesehen, über den Ursprung 
der Gehörknöchelchen sehr uneinig gewesen, ja einzelne sind 
mit sich selbst uneins geworden und haben zu verschiedenen 
Zeiten direkt entgegengesetzte Ansichten verfochten. Da dies 
sogar mit Männern wie Huxley und Parker der Fall war, 
gewinnt man leicht den Eindruck, diese Frage müsse zu den 
am schwersten zu lösenden Problemen der Entwickelungsge- 
schichte gehören. 

Die wichtigsten Ursachen des Entstehens der vielen verschie- 
denen Meinungen sind wohl entweder darin zu suchen, dass die 
Verfasser mit vorgefassten Meinungen, die sie aus der noch 
nicht abgeschlossenen vergleichenden Anatomie geholt, an ihre 
Arbeit herangetreten sind; oder auch darin, dass das Material, 
das ihnen zu Gebot stand, nicht hinreichend war; oder schliess- 
lich darin, dass sie sich technisch unvollkommener Arbeits- 
methoden bedienten. 

Parker (39), der während 12 Jahren aus komparativ anato- 
mischen Gründen die Ansicht vertreten, dass der Malleus seinen 
Ursprung vom Mandibularbogen, der Incus vom Hyoidbogen und 
der Stapes von der Labyrinthkapsel nimmt, kehrt 1886 (40) reu- 
voll zu der alten Reichertschen Meinung zurück. — Mittlerweile 


600 IVAR BROMAN, 


war jedoch sein Jünger Fraser (13) durch — wie es Dreyfus (10) 
wohl mit Recht annimmt — Auctoritätsglauben zu derselben 
merkwürdigen Meinung über den Incus-Ursprung gekommen. 
Den Ursprung des Stapes betreffend schloss Fraser sich 
Salensky (47) an. 

Es ist Salenskys letzter Aufsatz (47), der in unserer Lehr- 
buchslitteratur eine so grosse Rolle gespielt. — Sein grosses 
Verdienst ist, dass er bei Embryonen (von Schaf und Schwein) 
die Existenz der Arteria stapedialis — die er weniger passend 
A. mandibularis nennt — gezeigt und den Kausalzusammenhang 
zwischen diesem (Gefäss und der Ringform des Steigbügels auf- 
gedeckt hat. Früher glaubte man, dass die Intercrurallücke durch 
Resorption im Knorpel entstehe. — Diese Arbeit zeigt aber 
auch viele und grosse Mängel. 

Was nun zuerst seine Arbeitsmethode betrifft, die, wie früher 
erwähnt, hauptsächlich inmakroskopischer Präparation mit Nadeln 
bestand, so muss diese beim Studium des Entstehens der Gehör- 
knöchelchen noch unverlässiger sein als irgendwo sonst. Wir 
haben ja gesehen, wie sich die verschiedenen Teile der Gehör- 
knöchelchenanlagen in den ersten Entwickelungsstadien auf ganz 
verschiedenen histologischen Ausbildungsstufen befinden. So 
sehen wir z. B. wie in einem Stadium der ganze Stapes, Manu- 
brium mallei und Crura incudis aus Blastem bestehen, während 
sich im Corpus incudis ein kugeliger Vorknorpelkern und in 
der übrigen Partie des Mandibularbogens ein anderer, cylin- 
drischer befinden. Macht man sich nun daran, bei diesem Stadium 
die Gehörknöchelchenanlagen makroskopisch hervorzupräparieren, 
so wird natürlich das Resultat, dass man die bedeutend wei- 
cheren blastematösen Partien wegpräpariert und so vom ganzen 
Mandibularbogen nur einen cylindrischen Stab mit einer Ein- 
kerbung zwischen den beiden Vorknorpelkernen erhält; vom 
Stapesring und dessen Verbindung mit dem Hyoidbogen (dem 
Interhyale) bleibt nach der Dissektion nichts übrig. 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 601 


So sind augenscheinlich die von Salensky gelieferten Bilder 
der frühzeitigeren Gehörknöchelchen (s. seine Fig. 2, 3u.4) zu 
stande gekommen. Sie sind also reine Kunstprodukte; 
es ist die höchste Zeit, dies aus der Lehrbuchs-Litteratur zu 
entfernen. — Merkwürdig ist jedoch das grosse Vertrauen, das 
Salensky selbst für diese Präparationsmethode hegt. „Die Unter- 
suchung der Entwickelung der Gehörknöchelchen,“ sagt er, „kann 
auf den Querschnitten, sowie an den präparierten Embryonen 
untersucht werden und zwar giebt die Präpariermethode des ganzen 
Knorpels für die Untersuchung der Entwickelung von Hammer und 
Amboss viel bessere Resultate als die Querschnittsmethode‘ (l.c. S. 
423). Und doch sagt er gleich nachher: „Selbst an den gefärbten 
Präparaten treten die Grenzen der Knorpel nicht sehr scharf 
hervor und das die Knorpel umhüllende embryonale Binde- 
gewebe kann nicht vollkommen entfernt werden“ (l. c. 8. 424), 
— Wie Fraser!) u. a. hervorheben, begeht Salensky den 
grossen Fehler, die Vena jugularis primit. als Arteria carotis 
interna zu beschreiben und abzubilden. (S. seine Fig. 1!) (In 
seiner vorläufigen Mitteilung (46) nennt er sie bald Carotis 
externa bald Carotis interna!) Und von diesem Gefäss lässt er 
seine Arteria mandibularis (A. stapedialis) sich abwärts durch 
den Stapesring strecken. Ziehen wir hieraus die Konsequenzen, 
so sollte also keine Arterie, sondern eine Vene die Perforierung 
des Steigbügels veranlassen. Spätere Verfasser, die Salenskys 
Irrtum bemerkt, bezeichnen doch dieses Gefäss noch als eine 
Arterie, die von der wirklichen Arteria carotis interna kommt. 
Aus meiner Stadienbeschreibung ergiebt sich, dass sie hierin 
Recht haben. Daraus lässt sich auch eine Erklärung für den 
anderen Irrtum Salenskys (die Arteria stapedialis von der 
Vena jugularis ausgehen zu lassen) finden. Nachdem die Arteria 
stapedialis das Stapesblastem durchlaufen, kommt sie nämlich 


1) Fraser beging jedoch selbst den eben so grossen Fehler auf seinen 
Abbildungen den Meckelschen Knorpel V. jugularis zu nennen, 


602 IVAR BROMAN, 


in das Gebiet des Mandibularbogens hinüber und läuft hier 
unmittelbar an der lateralen Wand der V. jugularis ein Stück 
hinauf (s. Taf. A Fig. 10); sie steht wahrscheinlich mit dieser 
in Kapillarverbindung. An dicken Schnitten kann es deshalb 
leicht aussehen, als ob das fragliche Gefäss von der Vena jugu- 
laris käme. — Dass Salensky die erste Anlage des Steigbügels 
erst bei 23/a cm langen Embryonen (Schaf-) gefunden, und dass 
sie ohne jede Verbindung mit dem Hyoidbogen war, ist eine 
natürliche Folge seiner Arbeitsmethode. Solange der Steigbügel 
aus Blastem besteht, kann er nicht durch Präparation nachgewiesen 
werden; und da der die Verbindung mit dem übrigen Teil des 
Hyoidbogens vermittelnde Strang (das Interhyale) nie das 
Blastemstadium überschreitet, so kann derselbe auch nicht durch 
Präparation gefunden werden. Vielleicht ist übrigens bei Schaf- 
embryonen von 2?/ıcm Länge das Interhyale schon verschwunden. 
— Die von Salensky beschriebenen trapezoiden und fünl- 
eckigen Formen der jungen Stapesanlage sind wahrscheinlich 
auch als Kunstprodukte zu betrachten. Querschnitte, die nicht 
in derselben Ebene liegen wie der Stapesring, geben oft etwas 
unregelmässige Bilder desselben. Nach der Rekonstruktion findet 
man aber, dass der Stapesring in den frühzeitigeren Stadien immer 
kreisrund ist. — Salenskys positive Behauptung, „dass es 
keine Entwickelungsperiode giebt, in welcher diese Teile (die 
Gehörkapsel und die Visceralbogen) in Form von differenzierten, 
weichen Anlagen vorhanden wären,“ ist, wie es sowohl durch 
die meisten späteren Publikationen über diesen Gegenstand wie 
auch durch meine Untersuchung dargelegt ist, vollkommen 
falsch. — Die Behauptung in seiner vorläufigen Mitteilung 
[46] 8. 253), dass die Stapesanlage dem ersten Visceralbogen 
angehört, scheint er gleich bereut zu haben, denn in seiner 
späteren Arbeit (47) wird hiervon kein Wort erwähnt. 
Hannover (19) bediente sich derselben unvollkommenen 
Arbeitsmethode: makroskopischer Präparation. Die Mehrzahl 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 603 


seiner Beobachtungen über die frühzeitigeren Stadien sind des- 
halb ohne Wert. Seine Beschreibung der späteren Stadien ist 
dagegen im allgemeinen als vollkommen zuverlässig zu betrachten. 
Seine Ansicht, dass der Processus longus (Folii) mallei erst nach 
der Geburt in direkte Knochenverbindung mit dem Hammer 
treten soll, ist aber, wie meine Stadien X — XXX zeigen, 
unrichtig. 

Gradenigos (15) gross angelegte Arbeit hat uns viel Neues 
von Interesse gegeben. Ohne Fehler ist sie jedoch keineswegs. 
Um vorgefassten Meinungen zu entgehen, hat er sich das 
Programm aufgestellt, erst „die fundamentalen Entwickelungs- 
vorgänge“ festzustellen und erst danach dazu überzugehen diese 
zu deuten und mit den Resultaten der komparativen Anatomie 
in Verbindung zu stellen. Niemand kann wohl bestreiten, dass 
dieses Programm sehr vernünftig ist, aber es nützt nichts, wenn 
man in seinen Beobachtungen einen solchen Fehler begehen 
kann, wie Gradenigo dennoch gethan, da er der Stapes- 
platte einen labyrinthären Ursprung geben will. Sowohl aus 
Dreyfuss’ (10) und Zondeks (64) wie meinen Untersuchungen 
ergiebt es sich nämlich, dass sich Gradenigo hier geirrt; diese 
Partie der Labyrinthkapsel unterliegt in späteren Stadien einer fast 
vollständigen Atrophie, sodass nur eine dünne Bindegewebsschicht 
an der medialen Seite der Fussplatte zurückbleibt. Gradenigo 
hat selbst den Beginn dieser Atrophie beobachtet. Dass er 
diesem Vorgehen nicht hat bis zu Ende folgen können, kommt 
wohl davon, dass er nicht hinreichendes Material zur Verfügung 
hatte, oder dass die späteren Stadien, wo sich dieser Prozess 
abspielt, nicht genau genug untersucht wurden. Dass Binde- 
gewebsfasern von aussen in die celluläre Anlage des Annular- 
ligamentes eindringen sollten, muss auch — nach meinen 
Beobachtungen — ein Irrtum sein. Vielleicht haben die die 
Pars membranacea tegminis tympani zusammensetzenden Binde- 


gewebsfasern, welche nach innen verlaufen und sich am oberen 


504 IVAR BROMAN, 


Rande des ovalen Fensters befestigen, an gar zu dickem oder in 
anderer Weise weniger guten Schnitten ein Eindringen in die 
Anlage des Annularligamentes vorgetäuscht. „Das Zertrümmern“ 
der eigenen Zellen des letzteren ist wahrscheinlich erst bei der 
Mikrotomierung eingetreten. Während das Annularligament 
noch aus weichem blastemähnlichen Gewebe besteht, kann es 
leicht bersten, wenn das Messer durch die Knorpelpartien passiert, 
die es begrenzen. Durch weniger gute Schnitte ist wohl auch 
seine Beobachtung hervorgerufen, dass sich das Crus longum 
incudis sekundär mit dem Stapesring in Verbindung setzt 
und dass (bei 4—4!/s cm langen menschlichen Embryonen) der 
Hammer mit dem Amboss „knorpelig partiell vereinigt ist, der 
betreffenden Gelenkfläche entsprechend“. — Dass Gradenigo 
an seinen Schnitten solche kleinere Beobachtungsfehler begehen 
konnte, scheint aber recht natürlich, wenn man sieht, dass er 
sich den fast unverzeihlichen Fehler zu Schulden konımen lassen 
kann, den Meckelschen Knorpel mit der Vena jugularis zu 
verwechseln (Baumgarten P3)). 

v. Noordens (38) ältestes Stadium war — wie früher 
erwähnt — ein Embryo von 23 mm. Wie wir gesehen, erlaubt 
ein solcher überhaupt keine Schlussfolgerung über die Bildung 
der Fussplatte. Da die Schnitte wahrscheinlich eine Dicke von 
100 « hatten (s. His [24], so kann man a priori annehmen, 
dass sie für eine Untersuchung wie die vorliegende sehr wenig 
verwendbar sein mussten. v. Noorden kam auch zu recht 
merkwürdigen Resultaten; so z. B. sollte nicht nur die Fussplatte 
sondern auch ein Teil der Crura labyrinthären Ursprunges. sein. 

Rabls (42) Untersuchung hat für uns sehr grosses Interesse. 
Die einzige Bemerkung, die ich dagegen machen kann, ist dass 
er die erste Stapesanlage als eine Umbiegung des Hyoidbogen- 
blastems um die Arteria stapedialis beschreibt, und dass er die 
Verbindung zwischen Stapes und Crus longum incudis als 
sekundär ansieht. 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 605 


Staderinis (57) Untersuchung ist soweit von Interesse, 
als er die Selbständigkeit des Annulus stapedialis im Verhältnis 
zur Labyrinthkapsel dargelegt. Sonst vertragen aber seine 
Beobachtungen keine tiefer gehende Kritik. Höchst merkwürdig 
müsste das Spiel der Natur sein, wenn, wie es Staderini 
beschreibt, der Hyoidbogen sich erst sekundär mit dem Stapes- 
ringe in Verbindung setzte, da doch diese Brücke (das Interhyale) 
in einigen Tagen wieder verschwinden soll (siehe Fig. 71). 


P.coch| 


Fig: 7. 
Schematisehe Darstellung der Stadd. I (Sehweinsembr. 15 mm), II (16 mm) und III (17,5 mm) 
Staderinis. 
P. cochl, Pars eochlearis, P. ean. sm. Pars canalium semieireularium der Labyrinthkapsel, 
M. Mandibularbogen, H. Hyoidbogen, St. Stapes, Ih. Interhyale. 


Dreyfuss(10) hat sehr wertvolle Beiträge zur Lehre über 
die Entwiekelung der Gehörknöchelchen geliefert. — Bei seinem 
ersten Stadium (Meerschweinchen, 22 Tagen) beobachtete er 
den primären Zusammenhang des Stapesblastems mit dem der 
beiden Visceralbogen — in voller Übereinstimmung mit meinem 
Befund bei dem menschlichen Embryo. Er scheint mir doch 
der „centrierten Schichtung‘“ der Stapeszellen um das Gefäss gar 
zu viel Gewicht beizulegen, indem er sich daraus zu der Folge- 
rung berechtigt ansieht, dass der Stapesring ein selbständiges 
Gebilde ist, das keinem der Visceralbogen angehört. Meiner 
Auffassung nach ist diese konzentrische Zellenanordnung nichts 
wesentliches; sie existiert, wie meine ersten Stadien zeigen, 
anfangs gar nicht, sondern kommt erst sekundär zum Vorschein, 


Anatomische Hefte. TI. Abteilung. XXXVII. Heft (11. Bd. H. 4.) 40 


606 IVAR BROMAN, 


wenn sich die Zellen um die Arteria stapedialis, so zu sagen, 
dichter zusammenpacken. — Dass er schon bei seinem dritten 
Stadium (Kaninchenembryo, 16 Tage alt) nicht nur die Verbindung 
mit dem Hpyoidbogen sondern auch die mit dem Mandibular- 
bogen abgebrochen fand, kann sich keineswegs erklären, wenn 
ich nicht annehmen darf, dass an dieser Stelle eine oder 
mehrere Schnitte der Serie verloren gegangen waren. (Dass 
solches selbst dem Geübtesten zuweilen passieren kann, ist 
wohl nicht zu bestreiten.) — Bei seinem folgenden Stadium 
(Kaninchenembr., 17 Tage alt) findet er jedoch die Verbin- 
dung zwischen Stapes und Mandibularbogen wieder. Natür- 
lich muss er dann dieses so erklären, dass ein Auswuchs 
(Crus longum incudis) herunter gewachsen und sich sekundär 
mit dem Stapesring verbunden. Eine andere Konsequenz hiervon 
wird, dass er nicht die Blastemscheibe zwischen diesen Partien 
als eine echte Zwischenscheibe anerkennen kann. — Dreyfuss' 
Ansichten über das proximale Ende des Hyoidbogens, dessen 
Befestigung an der Labyrinthkapsel und dessen spätere Bestim- 
mung stimmen mit meinen Befunden wenig überein. Nach 
Dreyfuss sollte der Hyoidbogen mit der Labyrinthkapsel 
„durch ein neu auftretendes, zuerst vorknorpliges später knorpliges 
Gebilde,“ das er „Schaltstück oder Intercalare“ nennt, in Ver- 
bindung treten; wir erkennen darin den lateralen Gabelzweig 
des Hyoidbogens, das Laterohyale. Dieses hat, wie wir gesehen, 
einen selbständigen Vorknorpelkern, woraus sich erklärt, dass 
Dreyfuss es als ein bei seinem ersten Hervortreten sowohl 
von der Labyrinthkapsel wie vom Hyoidbogen getrenntes Gebilde 
beschreiben kann. — Wie sich aus Dreyfuss’ These Nr. 24 
ergiebt, sollte der Processus styloideus Politzer (65) nicht nur 
aus dem bestehen, was Dreyfuss als das proximale Ende des 
Hyoidbogens ansieht, sondern auch aus seinen „Intercalare“ und 
einem Teil der Bogengangkapsel. Aus meinen Rekonstruktionen 
geht jedoch hervor, das es sich nicht so verhält. Das obere 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 607 


Ende des Processus styloideus Politzer entspricht der Verdickung 
des Hyoidbogens gleich unter dem Punkte, wo sich früher die 
Gabelverzweigung befand. — Seine Beobachtung, dass „durch 
Hereinwuchern von Fasergewebe von der Paukenhöhlenfläche 
der Vorhofswand‘“ die Abgrenzung des ovalen Fensters vom 
übrigen Teil der Labyrinthkapsel eintritt, habe ich, wie gesagt, 
in keiner meiner Schnittserien bestätigt gefunden. Die Angabe, 
dass das Gewebe im ovalen Fenster erst Jungknorpelstruktur 
annehmen sollte, ehe es anfınge der Atrophie anheimzufallen, 
hat Dreyfuss später, laut Angabe von Siebenmann (54), 
mündlich zurückgenommen. 

Baumgarten (3) beschreibt seinen Embryo recht genau und 
zieht auch aus seinen Befunden an demselben ganz richtige 
Schlüsse über den Ursprung den verschiedenen Gehörknöchelchen. 
Für die Richtigkeit dieser Folgerungen kann jedoch — wie wir 
leicht einsehen — sein einziges Stadium keine vollgültigen 
Beweise abgeben. Die Frage, ob der Stapesring vom Hyoid- 
bogen stammt, kann nur in viel früheren Stadien abgemacht 
werden, die Frage, ob der Steigbügel vielleicht einen doppelten 
Ursprung hat, erst in viel späteren Stadien. — Leider bildet er 
nicht sein Rekonstruktionsmodell von allen Seiten ab, und ich 
habe deshalb nicht, wie ich wünschte, einen vollständigen Ver- 
gleich mit meinen eigenen Rekonstruktionsmodellen aus derselben 
Entwickelungsperiode anstellen können. — Der Zellenstreif, den 
Baumgarten lateral vom Malleus und Meekelschen Knorpel 
sah, und der sich unten mit dem Belegknochen des Unterkiefers 
vereinte, war nicht, wie Baumgarten glaubt, Processus longus 
(Folii) mallei. Sowohl die Lage desselben wie auch der Über- 
gang in den Unterkiefer sprechen mit Bestimmtheit dagegen. 

Jacoby (31), der später denselben Embryo untersuchte, ist in 
seinen Schlussfolgerungen über das Entstehen des Steigbügels be- 
deutend vorsichtiger; er meint die Frage offen lassen zu müssen. 
Den erwähnten Deckknochenstreifen betreffend, der am Rekon- 

40* 


608 IVAR BROMAN, 


struktionsbilde Jacobys (lateral vom Meckelschen Knorpel) 
deutlich hervortritt, schliesst er sich der von Baumgarten 
ausgesprochenen Meinung an. Merkwürdigerweise hat das, was 
man an Jacobys Abbildungen von den Gehörknöchelchen-An- 
lagen sieht, mit den von Baumgarten gegebenen Bildern wenig 
Ähnlichkeit; ein Verhältnis, dass mich in der Auffassung stützt, 
dass eine Rekonstruktion bei geringer Vergrösserung von sub- 
tilen Gegenständen mittels Wachsplatten keine vollkommen 
sichere Resultate liefern kann. 

Siebenmanns (54) Untersuchungsresultate von jungen 
menschlichen Embryonen stimmen fast vollständig mit meinen 
Befunden überein. Für seine Schlussbemerkung, dass sämt- 
liche Gehörknöchelchen eher als selbständige Teile des vorknorpe- 
ligen Schädelskelettes, als als Teile des Visceralskelettes zu 
betrachten seien, hat er jedoch — meiner Meinung nach — nicht 
hinreichende Gründe geliefert. So viel ich verstehe, beweist 
mein Material das Entgegengesetzte. 

Zondeks (64) Material war zwar nicht hinreichend um die 
Frage über die Entwickelung der Gehörknöchelchen ganz klar 
zu machen; seine Untersuchung dieses Materials wurde aber 
sehr gut durchgeführt und stimmt auch im allgemeinen mit 
meinen Beobachtungen über ähnliche Stadien überein. Dass er 
bei einem 7 em langen Embryo eine mikroskopisch deutliche 
Grenze zwischen dem Meckelschen Knorpel und dem Hammer- 
kopfe gesehen, muss irrtümlich sein, denn ich habe weder bei 
dem betreffenden Stadium (vergl. Stadium VIII!) noch später, 
bis zur eintretenden Verknöcherung eine solche entdecken können. 
— Die von ihm beschriebene Verschiedenheit der oberen und 
unteren Partie der Zwischenscheibe des Hammer-Ambossgelenkes 
bei einem 3!/e cm langen Embryo, habe ich auch nicht kon- 
statieren können. 

Broca et Lenoir (6) sind, wie es scheint, an die embryolo- 


gische Deutung ihres, Falles gegangen, ohne andere Kennt- 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 609 


nisse auf diesem Gebiet zu besitzen, als die sie aus Balfours 
Lehrbuch geholt. — Dieses war aber in einer Periode geschrie- 
ben, wo Parkers erste Auffassung über den Ursprung der Ge- 
hörknöchelchen die englische Litteratur beherrschte. — Hiervon 
beeinflusst, machen Broca et Lenoir die in unserer Zeit sehr 
merkwürdige Annahme, dass der Processus Folii ein persistierender 
Teil des Meckelschen Knorpels sein soll und das Manubrium 
mallei ein entsprechender des Reichertschen Knorpels. — Ich 
habe nicht nötig, mich auf einen Gegenbeweis dieser Annahme 
hier einzulassen. 

Hegetschweiler (21) scheint mir einige zu weit gehende 
Schlussfolgerungen auf sein Material begründet zu haben. — 
Dass der Stapesring vom Hyoidbogen gebildet wird, kann infolge 
der primären Verbindung des Ringes mit dem Mandibularbogen 
(Crus longum ineudis) nur bei so jungen Embryonen festgestellt 
werden, dass die hintere Spitze der ersten inneren Visceral- 
furche, die die Körperfläche erreicht, noch nicht verschwunden 
ist. Das an den Stapesring stossende, noch aus Blastemzellen 
bestehende Ende des Crus longum incudis als eine Anlage 
des Ossiculum lenticulare Sylvii zu deuten, ist natürlich un- 
richtig; das Ossieulum lenticulare existiert ja nicht, nicht einmal 
als eine Epiphyse. — Seine Beschreibung der ovalen Form des 
Steigbügels kann, da er nicht rekonstruiert hat, auf einen Irrtum 
beruhen. Infolge der schrägen Stellung des Steigbügelringes 
treffen die Querschnitie denselben ungefähr so wie die Linie a 
in Fig. 8 auf folg. S. zeigt. Ein solcher Schnitt eines ganz kreis- 
runden Ringes erhält — wenn die Querschnittsform desselben 
rund ist — nicht das Aussehen der Fig. 8b, sondern der Fig. Sc, 
die ganz mit Hegetschweilers Abbildung übereinstimmt, und 
die, wenn man nicht rekonstruiert, wohl die Auffassung hervor- 
rufen kann, dass der Ring oval sei. In einem solchen Schnitte 
sieht man an den beiden „Polen“ des Bogens (Fig. 8 P) das 
Periehondrium, das hier schräg getroffen ist, stärker gefärbte 


610 IVAR BROMAN, 


— 


Zellenhaufen bilden: vielleicht Hegetschweilers „Knorpel- 
kerne“. — Wie es sich nun auch bei Katzenembryonen verhal- 
ten mag, so ergiebt es sich doch mit Gewissheit aus meinem 
Material, dass wenigstens beim Menschen die Stapesanlage nie 
ein gleichförmiges Oval bildet und dass sie nie an den ange- 
gebenen Punkten besondere „Knorpelkerne“ besitzt. — Bei 
seinem Katzenembryo von 29 mm findet er, dass das Interhyale 
verschwunden ist. Dieses Verschwinden muss aber merkwürdig 
sein, denn er will nicht mit Zondek darin einstimmen, dass 
dieses durch regressive Metamorphose vor sich geht. „Durch 
meine Präparate‘‘, sagt er, „bin ich zu der Ansicht gekommen, 


Fig. 8. 


[Z 


dass dieses Verbindungsstück in seiner Entwickelung auf der 
Stufe des Vorknorpels stehen bleibt, somit keinen Rückbil- 
dungsprozess durchzumachen braucht.“ (?) — Sein 13mm 
langer, menschlicher Embryo muss sehr schlecht konserviert 
gewesen sein; man findet sonst keineswegs auf diesem Stadium. 
den medialen Rand des Mandibularbogens ‚wellenförmig gezähnt‘“. 
Dass der Mandibularbogen nur „auf einigen Schnitten noch 
im Zusammenhang mit der Hammer-Ambossanlage‘“ war, deutet 
auch darauf hin. Wie wir nämlich gefunden, wird derselbe erst 
bei der Verknöcherung des Hammers von diesem abgegrenzt. 


Die von Urbantschitsch (60) an 10- und 12wöchentlichen 
menschlichen Embryonen gemachte Beobachtung, dass Hammer 
und Amboss mit einander in Knorpelverbindung stehen sollten, 


Die Entwıckelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 611 


habe ich ebenso wenig wie Dreyfuss (10) u. a. konstatieren 
können. Im Gegenteil habe ich sie in allen meinen Stadien 
nach dem Auftreten des Vorknorpels vollkommen getrennt 
gefunden. 


Die in der Litteratur befindlichen Angaben über die Ver- 
knöcherung der Gehörknöchelehen sind einander sehr wider- 
sprechend. So nimmt Rathke!) an, dass der Steigbügel von 
drei Punkten verknöchert; Rambaud et Renault (43) nehmen 
vier Verknöcherungspunkte an. Was den Incus betrifit, so 
glauben einige (Rambaud et Renault, Parker u. a.), dass 
er zwei Ossifikationspunkte hat, einen für den Processus lenti- 
cularis und einen für den übrigen Teil; andere dagegen (Hagen- 
bach [20]) bestreiten die Existenz eines selbständigen Ossihi- 
kationspunktes im Processus lenticularis. Der Malleus sollte als 
abgesehen vom langen Fortsatz, zwei Össifikationscentra baben, 


eins für den Kopf, ein anderes für das Manubrium. — Mein 
eigenes Untersuchungsmaterial, das — da es nicht weniger als 


20 verschiedene Stadien vom Anfang der Verknöcherung bis 
zum Ende derselben umfasst — als ganz überzeugend anzu- 
sehen ist, zeigt, dass die Gehörknöchelchen (abgesehen von dem 
Processus longus mallei) nur ein Össifikationscentrum für jedes 
haben. Hiermit stimmen Hannovers (19) und Dreyfuss’ (10) 
Resultate überein. Das Material dieser Verfasser war jedoch 
nicht hinlänglich umfassend um die Sache zu beweisen. — Auch 
die Zeit des Anfanges der Verknöcherung betreffend, sind die An- 
gaben einander sehr widersprechend. Rambaud et Renault (43) 
und Tröltsch (59) gebenan, dass die Verknöcherung des Hammers 
und des Amboss schon vor dem Ende des dritten Monats 
anfängt. Nach Kölliker (33) beginnt die Verknöcherung erst 
im vierten oder fünften Monat. Wie wir gesehen, ist die 


1) Cit nach Minot (37) S. 766. 
2) Siehe,Schwalbe (52) S. 487. 


612 IVAR BROMAN, 


Zeit des Anfanges der Verknöcherung individuell ganz ver- 
schieden. Nach meinem Material zu urteilen, fängt die Ver- 
knöcherung indessen jederzeit während des 5. Monats an. 

Als ein mir ganz unerklärlicher Irrtum steht Minots (37) 
auf Staderinis Untersuchung (57) begründete Ansicht, dass 
der Stapes „aus einer Verknöcherung des ovalen Fensters hervor- 
geht, und nicht zum Teil oder ganz aus dem Visceralskelett“. 
Beweist nämlich Staderinis Untersuchung etwas, so ist es 
— wie aus meinem Referat zu ersehen (S. 529) — gerade das 
Entgegengesetzte. ® 

Unerklärlich scheint mir auch die von Kollmann (32) 
und Siebenmann (55) neulich ausgesprochene Auffassung, 
dass der Processus longus (Folii) mallei ein persistierender Teil 
des Meckelschen Knorpels sei. Schon Meckel, Weber und 
Valentin haben beobachtet, dass dieser Auswuchs als ein 
selbständiger Belegknochen angelegt wird, und die Verfasser, 
die sich in letzter Zeit hierüber geäussert, haben alle konsta- 
tieren können, dass es sich so verhält. Meine eigenen Unter- 
suchungen beweisen dasselbe. 


Auf Grundlage der vorwurfsfreien Angaben !) in der frü- 
heren Litteratur und meiner eigenen direkten Beobachtungen 
glaube ich mich jetzt im stande eine richtige und einigermassen 
erschöpfende Darstellung des Ursprunges und der Entwickelung 
der Gehörknöchelehen bei menschlichen Embryonen zu geben. 

Mit Absicht gehe ich gar nicht auf die Frage über die 
Homologie der Gehörknöchelchen ein. 


1) Hiermit meine ich keineswegs alles das, was nicht im vorigen Kapitel 
Gegenstand meiner direkten Kritik gewesen. Viele der nicht berührten Einzel- 
heiten in den früheren Publikationen haben sich nämlich als unrichtig erwiesen ; 
diese sollen im folgenden Kapitel Gegenstand meiner indirekten Kritik werden. 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menscheı. 613 


Entwiekelungsgeschiehte der menschlichen Gehör- 
knöchelchen. 


I. Ursprung und früheste Entwickelung der 
Gehörknöchelchen. 

Den ersten Anfang zur Bildung der Gehörknöchelchen 
findet man beim Menschen in der 6. Embryonalwoche. Schon 
vorher kann man jedoch, wenn man die Lagenverhältnisse der 
ungeformten Blastemmassen!) der Visceralbogen im Verhältnis 
zu den die betreffende Gegend durchlaufenden Nerven und 
Blutgefässen in Betracht nimmt, mit ziemlich grosser Sicherheit 
die Anlagen der Gehörknöchelchen erkennen. Das Studium der 
frühesten Gehörknöchelchen-Anlagen, bevor noch die Formbil- 
dung angefangen, ist um so mehr von Bedeutung, da nur hier- 
durch die Streitfrage über das Entstehen des Stapesringes ihre 
Lösung finden kann. 

Schon ehe sich das Mesoderm der beiden ersten Visceral- 
bogen zu einigermassen gut begrenzten Blastemsträngen — so 
zu sagen — zusammengepackt hat, existieren in dieser Region 
einige Nerven und Blutgefässe, die für die Blastemmasse form- 
bestimmend werden. — Gerade vor dem proximalen Ende des 
Hyoidbogens geht von der Arteria carotis interna eine kleine 
Arterie, Truncus hyo-stapedialis (Taf. A Fig. 5 Tr. h-st.) aus, 
die sich nach kurzem Verlauf nach aussen in zwei Zweige 
teilt, von denen der eine, Arteria hyoidea primitiva (A. hyoidea 
Gradenigo) im Gebiete des Hyoidbogens bleibt, während die 
andere, Arteria stapedialis (A. st.), schräg aufwärts und nach 
aussen in die Gegend des Mandibularbogens hineindringt (siehe 
Fig. 10. A. st., Taf. Al). — Gleich hinter dem dorsalen Finde der 
ersten, äusseren Visceralfurche streckt sich die mächtige Vena 
jugularis primitiva in einem nach vorn konkaven Bogen ab- 
wärts und grenzt somit dorsal das Blastem der beiden ersten 

1) Siehe Seite 560, Anm. 


614 IVAR BROMAN, 


Bogen ab. (S. Figg. 1 u. 9 Taf. A.) Medial und vorderhalb der- 
selben sieht man den Nervus facialis erst nach unten und aussen, 
dann in einem Bogen nach vorn hin ziehen (Figg.2—8 Taf. A. VID). 
Von dieser vorwärts gerichteten Partie des Nerven geht die 
Chorda tympani in gerader Linie aufwärts und medial aus, um 
sich im Gebiete des Mandibularbogens dem Nervus trigeminus 
anzuschliessen (Fig. 8 Taf. A.; Figg. 2 u. 3 Taf. C). Der N. 
trigeminus streckt sich vom Ganglion trigemini gerade nach 
vorn und unten (Fig. 2 Taf. C. V). Vom proximalen Ende 
der erwähnten, äusseren Visceralfurche streckt sich die erste, 
innere Visceralfurche — die hier gleich unter dem Ektoderm 
liegt (Figg. 2—8 u. 10 Taf. A., J. Vf.) — nach innen abwärts. 
Spitz und schmal im äusseren Teil, erweitert sich dieselbe 
rasch nach innen. Ihre mittlere Partie kreuzt die hintere Seite 
der Chorda tympani. 

Wenn sich nun das Blastem der Visceralbogen!) bildet, so 
muss es den zwischen diesen Organen liegenden Raum ein- 
nehmen. Überall aber, wo sich kein solches Hindernis findet, 
hängen die Blastemmassen der beiden Bogen direkt mit einander 
zusammen. 

An beiden Bogen kann man einen medialen und einen 
lateralen Teil unterscheiden, die durch die resp. Nerven, 
Trigeminus und Facialis geschieden werden (s. Fig. 3 Taf. C.). 
Der Facialis verläuft in einer tiefen Furche erst am proximalen 
Ende und dann an der unteren Seite des Hyoidbogenblastems 
(Figg. 1 und 2. Taf. CO); der Trigeminus liegt in einer weniger 
tiefen Furche an der oberen Seite des Mandibularbogens. — Die 
hintere Spitze der ersten, inneren Visceralfurche grenzt proxi- 
mal die lateralen Bogenteile von einander ab (s. Fig. 1 Taf. CO); 
nach vorn dagegen sind diese Teile mit einander in breiter 
Verbindung (Fig. 3. Taf. C). Nach vorn entfernt sich, wie 


1) Sowohl hier wie im folgenden ist nur von den beiden ersten Visceral- 
bogen die Rede. 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 615 


gesagt, die genannte Furche immer mehr von der Aussenfläche 
und grenzt hier nur die medialen Teile der Bogen von einander 
ab. — Die lateralen Teile sind überall ungefähr gleich dick; 
die medialen sind an ein Paar Stellen mehr oder weniger redu- 
ziert. So verhält es sich am proximalen Ende des Mandibular- 
bogens, wo die Vena jugularis prim. den Platz gleich unter und 
medial vom Trigeminus einnimmt (s. Fig. 10 Taf. A), und in 
einer intermediären Partie des Hyoidbogens, wo nur ein dünner 
Facialismantel (das „Interhyale‘‘) den medialen Teil des Bogens 


repräsentiert (Fig. 6 Taf. A. Ih). — Von den lateralen 
Teilen der beiden Bogen werden — wie ein Vergleich 
mit etwas späteren Stadien zeigt (Fig. 4 Taf. ©) — nur die 


proximalen Stücke für die Bildung des eigentlichen 
Visceralskeletts in Anspruch genommen. Die zu- 
nächst darauf folgenden Partien werden bei der An- 
legung des äusseren Ohres isoliert und grösstenteils 
zur Bildung des Knorpels des äusseren Ohres ver- 
wendet. Das proximale Ende des lateralen Teils des Mandi- 
bularbogens bildet die Anlage zum Amboss und das proximale 
Ende des lateralen Teils des Hyoidbogens die Anlage zu dem, 
was Dreyfuss „Intercalare‘“ nennt, ich aber lieber Laterohyale 
nennen möchte. — Das proximale Ende des medialen Teils 
des Mandibularbogens gelangt — wie gesagt — nie zur Entwicke- 
lung. Die übrige Partie, welche unmittelbar von der vorbei- 
laufenden Chorda tympani aus nach vorn geht, ist die Anlage 
zum Hammer und Mecekelschen Knorpel!). — Von dem 
medialen Teil des Hyoidbogens bildet die proximale Partie den 
Steigbügelring, die zunächst darauf folgende das Interhyale und 
der Rest den Reichertschen Knorpei?). 

Die Stapesanlage bildet anfangs einen unebenen Zellenring 
um die Arteria stapedialis (Fig. 2 Taf. C). Dieser Ring steht 


!) Siehe Seite 581. Anm. 
2) Siehe Seite 579. 


616 IVAR BROMAN, 


vor dem N. facialis sowohl mit dem Mandibularbogen wie mit 
dem übrigen Theil des Hyoidbogens in Verbindung. Dass die 
Stapesanlage, der anfangs existierenden Verbindungmit 
dem Mandibularbogen ungeachtet, doch gewisszum 
Hyoidbogen zu rechnen ist, beweistihreLagekaudalvon 
der ersten, inneren Visceralfurche (sieheFigg. 4 u.5 Taf. A). 
Dafür spricht auch das von Rabl (42) hervorgehobene Faktum, 
dass der Musculus stapedius vom Nerv des Hyoidbogens, dem 
N. facialis, innerviert wird. — Die Zellen des Stapesblastems, die 
anfangs ohne Ordnung liegen, sammeln sich in konzentrischer 
Anordnung um die Arteria stapedialis; zugleich werden die 
Grenzen des Ringes schärfer und die Form kreisrund. Infolge 
der Richtung des Gefässes erhält der Stapesring schon von 
Anfang an seine definitive schräge Stellung (ca. 45° gegen die 
-Horizontalebene). 

Anfangs sind die Visceralbogen von. der Labyrinthkapsel 
deutlich abgegrenzt, die lateralen Bogenteile durch die Vena 
jugularis prim. und die Steigbügelanlage durch eine helle, von 
zahlreichen, kleinen Blutgefässen durchbrochene mesodermale 
Zone (auch von Staderini (57), Dreyfuss (10), Sieben- 
mann (54) und Hegetschweiler (21) beobachtet). Es dauert 
aber nicht lange, ehe die Bogen mit der Labyrinthkapsel in Ver- 
bindung treten. Die Mesodermalzone zwischen dem Stapes- 
blastem und der Labyrinthkapsel verschwindet in der 6. Em- 
bryonalwoche, an deren Schluss sich der Stapesring in das 
undeutlich begrenzte Blastem der Labyrinthkapsel hineindrängt 
(Fig. 1 Taf. B). Ungefähr zur gleichen Zeit erfährt die Vena 
jugularis pr. eine starke (sowohl relative als absolute) Ver- 
kleinerung, wodurch die lateralen Endblasteme der beiden Bogen 
— lateral von der Vene — dazu kommen mit der Labyrinth- 
kapsel zusammenzufliessen. Ich benutze den Ausdruck ‚zu- 
sammenzufliessen“ um damit den intimen Zusammenhang 
zwischen diesen Teilen hervorzuheben, der es während der 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen heim Merschen. 61 


nächsten Zeit nach der Vereinigung fast unmöglich macht, 
bestimmte Grenzen zwischen den Visceralbogen und der Laby- 
rinthkapsel zu ziehen. Es sind nur die Lagenverhältnisse zu 
den Nerven, die eine richtige Berechnung hierüber erlauben. Der 
Stapesring verhält sich gewissermassen anders, indem er durch 
seine stärkere Färbung und konzentrische Zellenanordnung sich 
auch auf diesem Stadium leicht von der Labyrinthkapsel ab- 
grenzen lässt. 

Beim Eintrittdes Vorknorpelstadiums werden je- 
doch die Grenzen wieder deutlich, indem die Blas- 
temmassen verschiedener Herkunft jede für sich 
einen eigenen Vorknorpelkern besitzen, der durch eine 
Zwischenscheibe von persistierendem, stärker färbbarem'!) Blastem 
(wenigstens anfangs) von den benachbarten Partien abgegrenzt 
ist. Zuerst tritt der Vorknorpel in der lateralen Wand der 
Parscanalium semieircularium der Labyrinthkapsel und im 
Mandibularbogen auf (vergl. Stad. II). — Letzterer hat 
keinen einheitlichen Vorknorpelkern, sondern zwei: 
einen für die Incusanlage und einen für die Malleus- 
anlage plus den Meckelschen Knorpel. Der erwähnte 
Vorknorpelkern in der Pars canalium semiecircularium breitet 
sich bald aus, sodass er diese ganze Kapselpartie mit Ausnahme 
des vorderen, mit dem Visceralbogen verbundenen Teiles ein- 
nimmt, der noch lange seinen blastematösen Charakter behält. 
— Erst in der 7. Woche schreitet die Vorkorpelbildung in 
die Pars cochlearis der Labyrinthkapsel vor. Gleichzeitig 
werden die beiden Fenestr& und zwar so angelegt, dass 
die dafür bestimmten Partien der Labyrinthkapsel 
auf dem Blastemstadium stehen bleiben. 

Die beiden Vorknorpelkerne des Mandibularbogens werden 
durch eine persistierende, dünne Blastemschicht vollständig von 
einander getrennt. Diese bildet keine ebene Querscheibe, 


I) Wenigstens bei Anwendung von Kernfärbungsmitteln. 


618 IVAR BROMAN, 


sondern tritt schon von Anfang an als eine winkelig 
gebogene Platte auf, deren vorderer, sagittaler Teil 
bedeutend grösser ist als der hintere, frontale. Diese 
beiden Abteilungen begrenzen die beiden späteren 
Hauptfacetten im Hammer-Ambossgelenk, welche also 
schon in der 6. Embryonalwoche angedeutet sind. Die grössere 
Gelenkfacette der Hammeranlage ist in diesem Stadium gerade 
nach aussen gerichtet und die kleinere nach hinten. Erst in 
späteren Stadien bekommt durch veränderte Lage der Gehör- 
knöchelehen die grössere Facette ihre Richtung nach hinten, die 
kleinere nach innen. 

Zur gleichen Zeit mit der Bildung des Vorknorpelkerns im 
Mandibularbogen wächst dessen der Chorda tympani zunächst 
liegendes Blastem nach unten und innen. Da jedoch die 
serade ausgespannte Chorda (Figg. 2 und 5 Taf. C. Ch. t.) 
im Wegeliegt, wird dasBlastemgezwungen, sich bei 
diesem Wachsen nach unten in einen vorderen und 
einen hinteren Zweig zu teilen. In dem hinter der 
Chorda liegenden Zweig, der von Anfang an mit dem Stapes- 
ring in Verbindung gestanden, erkennen wir jetzt die Anlage 
des unteren Teils des Crus longum incudis. Der vor 
der Chorda liegende, unten freie Blastemzweig ist die Anlage 
des Manubrium mallei. Der obere Teil des Orus longum 
ineudis und das Collum mallei, die in der 6. Woche auch fort- 
während aus Blastem bestehen, sind mit einander noch direkt 
verbunden. Sie werden erst in der 7. Woche von einander 
getrennt (s. Stad. IV, Fig. 7 Taf. C), allem Anschein nach 
durch die Zugeinwirkung nach vorn, die die Chorda tympani 
auf das Manubrium ausübt, indem ihr oberer Befestigungspunkt 
nach vorn gezogen wird (vergl. Figg. 5 u. 7 Taf. C). 

Das Manubrium mallei ist anfangs sehr kurz und rela- 
tiv dick und streckt sich, einen Winkel von nur 110° gegen den 
übrigen Malleus bildend, fast gerade nach innen (Fig. 4 Taf. © 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 619 


Mn.) Erst in einem etwas späteren Stadium (in der 7. Woche; 
s. Stad. IV!) wird der Processus lateralis oder brevis angelegt. 
Er bildet anfangs einen von dem Winkel zwischen Collum und 
Manubrium mallei ausgehenden, gerade nach unten gerichteten 
Blastemauswuchs (Taf. € Fig. 6Pr.].). Erst später wird er, gleich- 
zeitig damit dass der Winkel zwischen Manubrium und Collum 
mallei sich vergrössert, allmählich nach aussen gerichtet 
(vergl. Figg. 1, 4 und 10 Taf. F). Das Caput mallei ist an- 
fangs sehr klein und liegt mit seiner obersten Partie bedeutend 
niedriger als die des Corpus incudis (Fig. 6 Taf. C). 

Von den älteren Partien des Mandibularbogens gelangt die 
Vorknorpelbildung nach und nach in "die jüngeren hinunter. 
Im proximalen Ende (d. h. in der Incusanlage) schreitet sie 
auch nach hinten fort, wo sie einem Vorknorpelauswuchs der 
Labyrinthkapsel begegnet, der sich medial von der Incusanlage 
nach vorn streckt. Zwischen ihnen persistiert eine dünne Blastem- 
schicht, eine Zwischenscheibe. Nachdem diese hintere, laterale 
Abteilung der Incusanlage im Vorknorpel übergegangen, er- 
kennen wir darin das Crus breve inceudis. 

Das Blastem des Hyoidbogens geht etwas später als das des 
Mandibularbogens in Vorknorpel über. In der 8. Woche tritt 
Vorknorpel ungefähr gleichzeitig im Stapesring und im distalen 
Teil des Hyoidbogens auf. Man findet dann auch einen 
besonderen Vorknorpelkern im lateralen Gabel- 
zweig des Hyoidbogens, dem Laterohyale. Dieser Vor- 
knorpelkern bleibt noch längere Zeit durch persistierendes Blastem 
sowohl von der Labyrinthkapsel wie von dem medialen Teil 
des Hyoidbogens getrennt (Fig. 5 Taf. B Lh.). Eine Partie des 
letzteren, der sog. Facialismantel oder das Interhyale erreicht 
nie das Vorknorpelstadium. In der Regel atrophiert das 
Interhyaleschon am Ende des2. Monats, wie es scheint, 
dadurch, dass es vom Nervus facialis abgeschnürt 
wird (s. Taf. B Fig. 5!l). Dieser Nerv, der ursprünglich 


620 IVAR BROMAN, 


zwischen dem medialen und lateralen Teil des Hyoidbogens 
liegt (s. Figg. 3 u. 4. Taf. C|), verläuft nämlich in der Folge, indem 
er seine Lage etwas verändert, schräg über und unmittelbar am 
Interhyale, wodurch er dasselbe, wie erwähnt, abzuschnüren scheint 
(Fig. 5 Taf. B). Die beiden Endstücke des Interhyale, die am 
Stapesringe und am Hyoidbogen sitzen bleiben, sind noch eine 
Zeit lang zu spüren (Fig. 11 Taf. © Ih.), verschwinden aber 
bald vollkommen. Der Stapesring verliert damit jede Spur einer 
Verbindung mit dem Hyoidbogen. Die Verbindung des Stapes- 
ringes mit dem Crus longum incudis besteht, nachdem beide 
in das Vorknorpelstadium übergegangen, aus einer blastema- 
tösen Zwischenscheibe. 


Weil im proximalen Ende des Hyoidbogens der laterale 
Teil zur Entwickelung!) kommt, während in der distalen Bogen- 
partie nur der mediale Teil entwickelt wird, beschreibt der 
Nervus facialis eine halbe Spirale um den Bogen (siehe Fig. 4 
Taf. 0). 

Die beiden erstenVisceralbogen zeigenimganzen 
vollkommen analoge Verhältnisse. Nur im proximalen 
Ende kommt der laterale Teil zur Entwickelung. Dieser stellt 
‚m Mandibularbogen die Ineusanlage dar, im Hyoidbogen die 
Anlage des Laterohyale. Diese beiden haben jeder ihren Vor- 
knorpelkern. In der Partie vor der Chorda tympani kommt 
nur der mediale Teil jedes Bogens zur Entwickelung. In 
der Partie hinter der Chorda tympani verhalten sich die medi- 
alen Bogenteile dagegen etwas verschieden. Der ganze mediale 
Teil des Mandibularbogens wird nämlich hier durch die Vena 
jugularis primitiva verhindert sich zu entwickeln. Vom Hyoid- 


ı) Hiermit meine ich Entwickelung als eigentliches Visceral- 
skelett. Wie gesagt kommen nämlich auch die distalen Partien der lateralen 
Teile der beiden Bogen zur Entwickelung; sie werden aber bei der Anlegung 
des äusseren Ohrs isoliert und also nicht für die Bildung des eigentlichen 
Visceralskelettes in Anspruch genommen. 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 621 


bogen wird das proximale Ende des medialen Teils durch die 
Gegenwart der Arteria stapedialis gezwungen Ringform anzu- 
nehmen; die zunächst darauf folgende Partie (das Interhyale), 
die schon von Anfang an dünner ist, befindet sich schon beim 
ersten Auftreten des Vorknorpels in regressiver Metamorphose 
und kommt vor ihrem Verschwinden nicht über das Blastem- 
stadium hinaus. Eine Folge hiervon ist, dass der mediale Teil 
des Hyoidbogens zwei Vorknorpelkerne bekommt: einen für 
den Steigbügel und einen für die übrige persistierende Partie; 
während der mediale Teil des Mandibularbogens nur einen 
Vorknorpelkern hat. 

Obgleich es natürlich nur eine Hypothese werden kann, 
will ich versuchen, eine Erklärung des Verhältnisses zu liefern, 
dass wir, schon von Anfang an, ein in zwei Facetten geteiltes 
Gelenk zwischen Hammer und Amboss finden, während die Ver- 
bindung zwischen dem Laterohyale und dem Reichertschen 
Knorpel (dem distalen Teil des Hyoidbogens) von einer ebenen 
Zwischenscheibe repräsentiert ist (s. Text-Fig. 12, A. Zw.). Dieses 
hat wahrscheinlich folgenden Grund. Ausser den beiden er- 
wähnten Hauptabteilungen, dem medialen und dem lateralen 
Teil (Fig. 9 P. m. und P.].) kann man im Blastem der beiden 
Visceralbogen auch eine mittlere Abteilung (Fig. 9 P. im.) 
unterscheiden, die den Nerv des betreffenden Bogens am nächsten 
liegt. Diese intermediäre Partie persistiert im ganzen Mandı- 
bularbogen; im Hyoidbogen verschwindet dagegen der proxi- 
male Teil derselben (was durch den N. facialis veranlasst wird). 
— Wo nun diese Pars intermedia mitten vor dem medialen Teil 
ihres Bogens liegt, erhält sie Vorknorpel von demselben Kern 
wie dieser und nur wo der mediale Teil fehlt, kommt ihr Vor- 
knorpel vom Kerne des lateralen Teils. — Nehmen wir dieses 
an, so ist damit eine Erklärung des obenerwähnten Verhält- 
nisses gefunden, wie es das umstehende Schema (Fig. 9) am 
besten verdeutlicht. 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVII. Heft (11. Bd., H. 4). 41 


IVAR BROMAN, 


Dass die hier befindlichen Nerven bei der Bil- 
dung der Gehörknöchelchen eine recht bedeutende 
mechanische Rolle spielen, ist mehr als wahrschein- 
lich. Dass der N. facialis der Grund der Gabelzweigung des 
Hyoidbogens ist, scheint einleuchtend (s. Figg. 1 u. 2 Taf. C!). 
Auch ist es recht deutlich, dass die zwischen dem Facialis und 


Iren Sehne Pı\ 


Fig. 9. 
M. Mandibularbogen, H. Hyoidbogen, P. m. Pars medialis, P. im. Pars intermedia, P. 1. Pars 
lateralis. V.j. pr. Platz der Vena jugularis primit., I. Ineusanlage, Ms. Malleusanlage, M.Kn. 
Meckelscher Knorpel, Zw. Zwischenscheibe, St. Stapes, Lh. Laterohyale, R. Kn. Reiehertscher 
Knorpel, Ih. Interhyale, VII. N. facialis, Ch. t. Ausgangspunkt der Chorda tympani. 


dem Trigeminus gerade ausgespannte Chorda tympani (s. Figg. 
2 und 5 Taf. C, Ch. t.!) ein Abtrennen des Manubrium mallei 
vom Crus longum incudis bewirkez muss, wenn diese Partien 
nach unten und innen wachsen. Mir scheint es auch höchst 
wahrscheinlich, dass die Chorda, wenn ihr Befestigungspunkt 
am Trigeminus (durch das starke Wachsen desselben in die 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 623 


central von diesem Punkt liegende Partie) nach vorn und unten 
rückt (s. Fig. 7 Taf. C), eine Zugwirkung sowohl auf das 
Manubrium mallei, wie auf den Hyoidbogen ausüben muss, 
Hierdurch wird die Abtrennung des Collum mallei vom oberen 
Teil des Crus longum incudis bewirkt oder wenigstens erleich- 
tert; hierdurch wird auch die immer stärkere Einwärtsbiegung 
des Hyoidbogens medial von der Umbiegungsstelle des Facialis 


hervorgerufen. 


Zusammenfassung. 


Der Amboss entsteht aus der proximalen Partie des 
lateralen Teils des Mandibularbogens. Schon in der 
späteren Hälfte des 2. Embryonalmonats nimmt er einigermassen 
seine definitive Form an, indem der Verbindungszweig mit der 
Stapesanlage zum Crus longum auswächst und die hintere 
Partie nach der Vorknorpelbildung von der Labyrinthkapsel deut- 
lich abgegrenzt wird und das Crus breve bildet. 

Der Hammer verdankt sein Entstehen der zu- 
nächst vor der Chorda tympani liegenden Partie 
des medialen Teils des Mandibularbogens. So lange 
dieser Bogen noch aus Blastem besteht, ist keine Grenze 
zwischen Malleus und Incus zu entdecken; so bald aber der 
Mandibularbogen in das Vorknorpelstadium eintritt, tritt eine 
deutliche und scharf markierte Grenze dadurch hervor, dass 
der Incus einen besonderen Vorknorpelkern besitzt, 
der Malleus und die Anlage des Meckelschen Knor- 
pels (s. 8. 58!)!) zusammen einen anderen haben. Diese 
Grenze besteht aus persistierendem Blastem und entspricht dem 
später entstehenden Gelenk zwischen Hammer und Amboss, 
deren Hauptgelenkfacetten schon jetzt angedeutet 
sind. Das Manubrium mallei, das nach unten und innen wächst, 
wird schon auf dem Blastemstadium vom Crus longum ineudis 
getrennt, wahrscheinlich weil sich die Chorda tympaniin 


41* 


624 IVAR BROMAN, 


den für Hammer und Amboss gemeinsamen Blastem- 
auswuchs, so zu sagen, einschneidet. Das Manubrium ist 
anfangs sehr kurz und diek und fast gerade einwärts gerichtet, 
wächst aber später nach und nach in die Länge, während es 
zugleich mehr abwärts gerichtet wird. Der Processus lateralis, 
der anfangs nach unten gerichtet ist, erhält hiermit eine mehr 


laterale Richtung. 


Der Steigbügelring wird aus der proximalen Par- 
tie des medialen Teils des Hyoidbogens gebildet, 
deren Blastemzellen sich um ein hier schon früher befindliches 
Gefäss, die Arteria stapedialis, sammeln. Das Stapes- 
blastem steht von Anfang an sowohl vorn mit der 
übrigen Partie des Hyoidbogens wie nach oben mit 
dem Mandibularbogen in Verbindung. Die Verbindungs- 
brücke mit dem übrigen Teil des Hyoidbogens, das Inter- 
hyale verschwindet bald, wie es scheint durch den 
Nervus facialis abgeschnürt, die Verbindungsbrücke mit 
dem Mandibularbogen dagegen persistiert als Crus longum ineudis. 
Mit der Labyrinthkapsel tritt der Stapesring erst 


sekundär in Berührung. 


x 


II. Weitere Entwickelung der Gehörknöchelchen vor 
der Verknöcherung. 


A, Malleus. 


Wie wir von Fig. 6 (Taf. C, M.) sehen, hat der Hammer 
bei seinem ersten Hervortreten mit dem späteren Knöchelchen 
wenig Ähnlichkeit. Er ist recht plump und nimmt erst nach 
und nach ein schlankeres Aussehen an, indem das Längenwachs- 
tum relativ am stärksten wird. Am Ende des 2. Embryonal- 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 625 


monats (s. Embr. IV!) hat der Hammer eine Länge von 0,7 mm. 
Der Winkel, den das Manubrium gegen den übrigen Teil des 
Malleus bildet, ist etwas grösser als vorher geworden und be- 
trägt jetzt 120°. Caput mallei ist sehr klein und erreicht nicht 
den oberen Rand des Incuskörpers. Es wächst jedoch rasch, 
sodass es schon um die Mitte des 3. Monats recht hoch über 
den Incus hinaufragt (s. Fig. 8. Taf. C!). — Die vordere Fläche 
des Kopfes dient anfangs zum grossen Teil als Befestigungs- 
stelle des Meckelschen Knorpels. Da dieser jedoch am 
Ende des 3. Monats zu wachsen aufhört, der Hammer- 
kopf aber — und zwar besonders die oberhalb des Meckelschen 
Knorpels liegende Partie — weiter wächst, so wird der Meckelsche 
Knorpel nach und nach immer weiter abwärts verschoben, so 
dass er sich um die Zeit des Beginnens der Verknöcherung un- 
gefähr an der Grenze zwischen Kopf und Hals befindet. Der 
Hammerkopf ist am Anfang des 5. Monats recht lang und 
schmal (s. Fig. 10 Taf. F!); die Wölbung nach vorn fehlt noch. 
Sie tritt erst unmittelbar vor der Verknöcherung auf. Die beiden 
Höcker an der unteren Grenze der Vorderfläche entstehen erst 
nach der Verknöcherung. — Die Crista mallei entsteht 
erst während des 4 Monats. Ihre Entwickelungsweise ist 
wesentlich verschieden von der des Manubrium und des Processus 
lateralis. Während diese als Blastemauswüchse entstehen und 
dann die Vorknorpel- und Jungknorpelstadien durchlaufen, so 
besteht die Crista mallei schon bei ihrem ersten Her- 
vortreten aus Jungknorpel, der dasselbe Aussehen zeigt 
wie im übrigen Teil des Caput mallei. Auch darin ist die 
Bildung der Crista mallei abweichend, dass sie nicht durch 
ein peripherisches Wachstum der betreffenden Partie entsteht, 
sondern durch Resorption der zunächst darunter liegen- 
den. Am Ende des 3. Monats tritt diese Knorpelresorption an 
der lateralen und hinteren Seite auf. Es entsteht hierdurch eine 
seichte, schräg von oben lateral nach unten medial herab- 


626 1VAR BROMAN, 


ziehende Furche, die von fibrillärem Bindegewebe ausgefüllt 
wird. Während der folgenden Zeit schreitet diese Resorption 
fort, besonders in der Mitte der Furche, wo der darüber liegende 
Teil der Crista mallei von Bindegewebe, dessen Streifen in der 
Längsrichtung des Hammers verlaufen, gleichsam untergraben 
wird (s. Fig. 6. $. 588!. Am Anfang des 5. Monats (vergl. 
Embr. IX!), ehe noch Ligamentum mallei externum entwickelt 
ist, hängt die Cristaanlage an der Seite des Hammers gerade 
nach unten; erst später erhält sie ihre definitive Riehtung mehr 
nach aussen. 

Die Gelenkfläche gegen den Incus hat anfangs eine grössere, 
laterale und eine kleinere, rückwärts gerichtete Facette (s. die 
schematische Fig. 9 M. Zw. S. 6221). Diese Facetten verändern 
während des 3. und des 4. Monats nach und nach ihre Lage, 
sodass die laterale Facette rückwärts und die hintere einwärts 
gerichtet wird. Der Grund dieser veränderten Lage liest in 
der während dieser Entwickelungsperiode eintretenden Drehung 
der ganzen Gehörknöchelchen-Kette. Seinerseits wird diese 
Drehung wahrscheinlich durch das ungleiche Wachstum der 
Labyrinthkapsel hervorgerufen. Infolgedessen wird nämlich der 
Steigbügel nach vorn und etwas nach aussen verschoben, was 
zu einer solchen Drehung zwingen muss, da das Crus breve 
ineudis fixiert ist. — In diesen beiden Facetten, die schon beim 
Auftreten des Vorknorpels, d. h. bei der ersten Abgrenzung des 
Malleus von Incus, deutlich hervortreten, erkennen wir die beiden 
Hauptfacetten des Hammers. Es dauert nicht lange, ehe auch 
die Nebenfacetten angelegt werden. Schon bei meinem Embryo IV 
sind sie angedeutet und beim Embryo V (30,5 mm) sind sie stark 
markiert. Gleichwie bei dem fertigen Malleus ist doch die Teilung 
der vorderen Hauptfacette in zwei Nebenfacetten im vorderen 
(später lateralen) Teil nicht vollständig durchgeführt. — Der 
Sperrzahn von Helmholtz ist im letzterwähnten Stadium schwach 
angedeutet und nimmt in den folgenden Stadien nach und nach 
an Stärke zu. 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 627 


Der Hammerhals zeichnet sich schon im Vorknorpel- 
stadium als eine seichte, zwischen dem Befestigungspunkt des 
Meckelschen Knorpels und dem Processus lateralis liegende Ein- 
schnürung ab. — Der Processus longus (Folii) wird am 
Ende des 2. Monats als ein sehr dünner Belegknochen an der 
unteren medialen Seite des Meckelschen Knorpels angelegt (Fig. 11 
Taf. C, Pr. F.). Sein proximales Ende befindet sich schon von An- 
fang an im Winkel zwischen dem Meckelschen Knorpel und 
dem Collum mallei. Sein distales Ende rückt während des 
Wachsens langsam nach vorn und unten. Beide sind von Anfang 
an vollkommen frei. — Erst am Ende des 5. Monats, wenn das 
Collum mallei verknöchert, schmilzt der Processus longus mit 
dem Hammer zusammen. Bis dahin wird er nur durch Binde- 
gewebe, das ihn mit dem Meckelschen Knorpel verbindet, in 
seiner Lage gehalten. Bei meinem Embryo V (30,5 mm) hat 
dieser Fortsatz nur eine Länge von 0, 4 mm; er nimmt später 
sowohl an Dicke wie auch besonders an Länge zu und erreicht 
Ende des 5. Monats eine Länge von 3,5 mm, eine Länge, die 
sich — nach meinen letzten Stadien (Embr. XXVIIL XXIX 
und XXX) zu urteilen!) — bis zum Ende des Fötallebens 
nicht verändert. Zuweilen kann doch das Wachstum andauern 
bis der Fortsatz eine Länge von sogar 5—6 mm erreicht (s. 
Schwalbe (52) S. 4831). 


Der Meckelsche Knorpel geht während der Blastem-, 
Vorknorpel- und Knorpelstadien des Hammers direkt — ohne 
histologische Grenze — in diesen über. Erst wenn die 
Knochenbildung eintritt, wird der Meckelsche Knorpel 
vom Hammer abgegrenzt. Die Grenze läuft nicht quer 
über, sondern geht von aussen und vorn medialwärts und nach 
hinten. Demzufolge kommt der Meckelsche Knorpel dazu, sich 


!) Soweit ich durch Prüfung unter dem Mikroskop habe feststellen 
können, ist keiner dieser Fortsätze abgebrochen. 


625 IVAR BROMAN. 


gleichsam an der medialen Seite des Hammers ein Stück rück- 
wärts fortzusetzen (Stadd. X und XI). Die Resorption wird 
schon im Anfang des 5. Monats eingeleitet, und tritt dann zwar 
erösstenteils in der lateralen und in der medialen Seite des 
Meckelschen Knorpels auf; später rückt sie von allen Seiten 
gegen das Centrum hinein. Dadurch erklärt sich, dass der 
Processus longus (Folii) in den späteren Stadien (s. Figg. 12—14 
Taf. C!) weiter nach unten vom Meekelschen Knorpel zu 
liegen kommt. — Gleichwie wir es bei der Resorption gesehen, 
die die Bildung der Crista mallei hervorruft, wird auch hier 
das Knorpelgewebe durch fibrilläres Bindegewebe ersetzt. 

Der Hammergriff ist, wie erwähnt, anfangs sehr kurz. 
Er wächst jedoch recht schnell, sodass er schon im 3. Monat 
ungefähr so lang ist, wie Caput und Collum zusammen (vergl. 
Figg. 1 und 3 Taf. E). Während dieses Wachstums 
scheint er einem auswärts gerichteten Druck aus- 
gesetzt zu sein, der nach und nach den Winkel (ursprüng- 
lich nicht 120° überschreitend) zwischen dem Griff und dem 
übrigen Malleus erweitert. Im Anfang des 3. Monats (Stadien 
V und VI) hat sich dieser Winkel bis 135° erweitert, und in 
der Mitte desselben Monats (Stad. VII) hat er seine definitive 
Grösse, 140° erreicht. Von jetzt ab scheint der obere Teil des 
Manubrium grössere Festigkeit erreicht zu haben, denn, obgleich 
der Druck von innen (oder Zug nach aussen ?) fortdauert, wird der 
besprochene Winkel nicht mehr erweitert. Dagegen tritt hierdurch 
an der Spitze des Hammergriffes, die aus jungem, mehr nach- 
eiebigem Gewebe besteht, nach und nach eine Biegung nach 
aussen (und etwas nach vorn) ein. Dadurch entsteht die später 
persistierende S-föormige Biegung des Hammergriffes (s. Figg. 4 
2,10, Dar ER) 

Der Processus brevis (lateralis) erscheint bei seiner 
ersten Anlegung am Ende des 2. Monats als ein recht grosser, 
se. bıund Tal rQ Ba); 


O 


abwärts gerichteter Blastemauswuchs (Fi 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 629 


gleichzeitig damit, dass das Manubrium sich mehr abwärts richtet, 
— und infolgedessen — wird dieser Auswuchs nach und nach 
auswärts gerichtet (vergl. Figg. 1, 4 und 10 Taf. F)) 

Das Auftreten des Processus muscularis ist nicht 
konstant. Bei Individuen, wo ein solcher vorkommt, wird er 
eleich vor dem Ende des dritten Monats (s. Stad. VIII!) oder 
etwas früher (Gradenigo) gebildet, wahrscheinlich infolge einer 
Zugwirkung des vorher gebildeten Musculus tensor tympani. 
Bei den Embryonen, die ich untersucht, habe ich einen gewissen 
Gegensatz zwischen der Entwickelung des Processus muscularis 
mallei und der des oberhalb der Fenestra ovalis hervortretenden 
Auswuchses, an dem sich das von mir sogen. Ligamentum 
trochleare befestigt, beobachten können. Bei den Embryonen, 
wo der Processus muscularis mallei stark entwickelt, oder wenigstens 
deutlich war, war der erwähnte Cochlearfortsatz (s. Fig. 5 S. 587a!) 
schwächer entwickelt, und umgekehrt. Hieraus schliesse ich, 
dass sie wahrscheinlich beide durch das Ziehen des Muskels 
entstehen, und dass es wahrscheinlich in der Resistenz des 
Malleolargewebes im Vergleich mit der des Cochlearkapsel- 
gewebes seinen Grund hat, ob ein Processus muscularis mallei 
entsteht oder nicht. — Der Auswuchs sitzt am medialen Rande 
des Hammers ungefähr mitten vor dem Processus lateralis oder 
etwas weiter nach oben (Fig. 4 Taf. F). 

Der Musculus tensor tympani wird schon am Ende 
des 2. Monats angelegt. Sein distales Ende hängt mit dem 
Musculus tensor veli palatini zusammen. Diese Ver- 
bindung hört bei einigen Individuen schon am Ende des 3. Monats 
auf (Stad. IX), bei anderen kann sie, wie bekannt (s.. Schwalbe [52] 
S. 5081) das ganze Leben hindurch bestehen. Beide Muskeln, 
die dem ersten Visceralbogen angehören, werden von dem Nerv 
dieses Bogens, dem N. trigeminus, innerviert. — Der Musculus 
tensor tymp. ist schon früh winkelig gebogen. Ob diese Winkel- 
biegung primär ist, oder durch sekundäre Verschiebung der 


630 


IVAR BROMAN, 


Befestigungsstellen entsteht, lässt sich an meinen Präparaten 
nicht mit Sicherheit entscheiden. — Am Ende des 3. Monats 
wird die mediale, membranöse Partie des Tegmen tympani an- 
gelegt. Der vorwärts und abwärts gerichtete Teil des Musculus 
tensor tymp. wird dann in dieser Membran eingebettet (s. Fig. 10!) 


Fig. 10. Te 


Frontalsehnitt. Embr. IX. 
L. sup. Lamina superior, L. inf.) Lamina inferior der Pars membranacea Tegminis tympani, 
Pr. p. sup. Processus periotieus superior = Pars cartilaginea Tegminis tymp., M. t. t. Mus- 
culus tensor tympani, P. cochl. Pars eochlearis der Labyrinthkapsel, Me. Meekelseher Knorpel 
Pr. F. Processus Folii, T-t. r. Tubotympanales Raum. 


d. h. in einer von einer oberen (L. sup.) und einer unteren 
Lamelle (L. inf.) gebildeten Scheide eingeschlossen. An der 
Umbiegungsstelle des Muskels sind die Bindegewebsfasern der 
unteren Lamelle zu einem in diesem Stadium sehr distinkten 


Die Entwiekelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 631 


Bande gesammelt, dass ich Ligamentum trochleare (s. Fig. 5 
S. 587 Lig. tr.) genannt habe. Der laterale Teil desselben be- 
festigt sich an dem knorpelpräformierten Teil des Tegmen tympani 
(Processus perioticus superior, Gradenigo); der mediale Teil an 
dem obenerwähnten Auswuchs gleich über der Fenestra ovalis 
(a). Durch dieses Ligament wird nun die betreffende Winkel- 
biegung fixiert und die Sehne muss bei der Kontraktion des 
Muskels, gleichwie die Sehne des Musculus obliquus oculi superior 
über die Trochlea, darüber gleiten. 

Die eigenen Ligamente des Hammers beginnen erst am 
Ende des 5. Monats sichtbar zu werden. 


B. Ineus. 


Der Amboss nimmt zuerst von allen Gehörknöchelchen eine 
dem definitiven Aussehen entsprechende Form an. Schon An- 
fang des 3. Monats hat er die Gestalt eines „zweiwurzeligen 
Backzahns“ (s. Fig. 2 Taf. F!). Der Winkel zwischen den beiden 
Crura ist doch auf diesem Stadium (Stad. V) kleiner (nur 70°) 
als bei dem fertigen Amboss. Die laterale Wölbung des Corpus 
ist schon von Anfang an die mächtigste und erhebt sich bei 
den jüngeren Stadien über das Caput mallei; die kleinere mediale 
Wölbung sitzt bedeutend niedriger. Zwischen ihnen sieht man 
von hinten schon in dem erwähnten Stadium (Stad. V) eine 
recht tiefe Incisur. 

Was die Gelenkfläche betrifft, kann ich mich kurz fassen. 
Sie bildet ja sozu sagen einen Abdruck der entsprechenden Malleus- 
gelenkfläche mit Erhöhungen für die Furchen derselben und um- 
gekehrt. Nachdem die Nebenfacetten angelegt (Stadd. IV und V), 
bildet jede der Hauptfacetten einen Gelenkkopf, der in eine 
entsprechende Gelenkpfanne am Malleus passt. Der Sperrzahn 
des Incus wird gleichzeitig mit dem des Malleus angelegt. 

Das Crus breve ist anfangs abwärts gerichtet und streckt 
sich erst nach und nach mehr rückwärts. Der vordere (später 


632 


IVAk BROMAN, 


untere) Rand zeigt bei einigen Individuen am Ende des dritten 
Monats eine kleine Vertiefung, die durch eine Knorpelresorption 
an der betreffenden Stelle entstanden scheint. Ihr Auftreten 
ist jedoch nicht konstant. — Das freie Ende des Crus breve, 
das beim Auftreten von Vorknorpel in demselben deutlich von 
der Labyrinthkapsel begrenzt worden ist, verbindet sich mit 
dieser durch eine persistierende Blastemschicht. Diese Blastem- 
schicht, die den Zwischenscheiben der übrigen Gelenke gleichwertig 
ist, bleibt lange unverändert, und fängt erst im Anfang des 
4. Monats an in ihrem peripherischen Teil fibrilläre Struktur an- 
zunehmen. Hierdurch entsteht (gleichwie bei der Bildung des 
Hammer-Amboss-Gelenkes) eine Gelenkkapsel, deren unterer 
Teil am stärksten ist. Bei einigen Individuen tritt am Ende 
des 5. Monats ein Bersten- in der Zwischenscheibe ein, und es 
entwickelt sich eine wirkliche Gelenkspalte. Bei anderen ver- 
wandelt sich dagegen die ganze Zwischenscheibe in fibrilläres 
Bindegewebe und die Amboss-Pauken-Verbindung wird dann 
eine Syndesmose. 

Das Crus longum ist von Anfang an mit dem Hammer- 
griff annähernd parallel. Anfangs ganz gerade, nimmt es nach 
und nach die charakteristischen Biegungen an. Der Grund der- 
selben mag wohl teils im Längenwachstum des Crus longum 
selbst — nachdem der Steigbügel hinlänglich in der Fenestra 
ovalis fixiert ist — teils in den vorerwähnten Verschiebungen bei 
dem Wachsen der Labyrinthkapsel zu suchen sein. Schon am 
Anfang des 3. Monats lassen sich diese Biegungen beobachten ; 
sie nehmen später nach und nach zu. Zugleich vergrössert 
sich auch der Winkel zwischen den beiden Crura, sodass er 
gleich vor der Verknöcherung ca. 100° erreicht. 

Der knopfförmige Processus lentieularis wird erst 
Ende des 5. Monats angelegt, wenn der Amboss sonst fast ganz 
verknöchert ist. Bis dahin zeigt das medianwärts scharf umge- 
bogene Ende des Crus longum eine ebene Kontur ohne Ein- 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 633 


schnürung. Wahrscheinlich ruft es der durch den Stapes ver- 
mittelte Druck hervor, dass sich die zuletzt ‚gebildete, weichere 
Partie des langen Ambossschenkels zu einem solchen knopf- 
förmigen Gebilde ausbreitet. Die medianwärts gekehrte Fläche 
ist leicht konvex und bildet den Gelenkkopf des Incus-Stapes- 
Gelenkes. — Das bei den fertigen Gehörknöchelchen beobachtete 
Verhältnis, dass die Spitzen des Crus breve und des Ürus 
longum vom Amboss sowie des Manubrium des Hammers nahezu 
in einer geraden Linie liegen (Helmholtz), existiert schon von 
Anfang des 3. Monats ab. 


C. Stapes. 


Die Entwickelung des Steigbügels ist während dieser Periode 
von besonders grossem Interesse. Sie zeigt nämlich, dass der 
Stapesursprung einfach ist, oder mit anderen Worten, dass auch 
die Lamina stapedialis ein Derivat des Hyoidbogens ist. 

Die Steigbügelanlage behältrecht lange ihre kreis- 
runde Form. Erst am Ende des 3. Monats fängt sie 
an, ihre definitive Gestalt anzunehmen. Dieses wird 
wahrscheinlich durch einen — um diese Zeit entstehenden — 
erhöhten intralabyrinthären Druck bewirkt, der nach und nach 
die in der Fenestra ovalis sitzende Partie des Ringes flach 
macht. Die beiden hiermit entstehenden Crura stapediales, die 
im Beginn relativ kurz sind, werden in der Regel schon von 
Anfang etwas verschieden lang — das vordere Ürus etwas 
kürzer als das hintere — weil es nicht die mitten vor der Be- 
festigungsstelle des Ineus liegende Partie ist, die sich an die 
Labyrinthkapsel gelegt, sondern ein etwas weiter nach vorn liegen- 
des Stück des Ringes. Infolge des obenerwähnten Druckes von der 
Labyrinthflüssigkeit einerseits und vom Stapesring andererseits, 
erleidet das ursprüngliche Gewebe im ovalen Fenster nach und 
nach eine fast vollständige Atrophie. Diese Labyrinthkapselpartie 


634 IVAR BROMAN, 


besteht, wie erwähnt, anfangs aus Blastem, das jedoch mit 
Hämatoxylin bedeutend weniger färbbar ist als das Blastem 
des Stapesringes (s. Fig. 1 Taf. Bl). Wenn der übrige Teil der 
Labyrinthkapsel in Vorknorpel- und später in Jungknorpel über- 
geht, bleibt im ovalen Fenster das Gewebe lange auf dem 
Blastemstadium stehen und geht erst im 3. Monat in Vorknorpel 
über. Mitte desselben Monats ist diese Zellenschicht noch recht 
mächtig (Dicke: 0,1 mm, Dicke der Steigbügelplatte: 0,22 mm.), 
siehe Fig. 2 Taf. BB Am Ende desselben Monats (s. Fig. 3 
Taf. 11!) findet man aber zunächst medial vom Stapesring, dessen 
Grenze noch deutlich ist, wenn auch nicht so scharf markiert 
wie früher, nur eine dünne Zellenschicht von vorknorpeligem 
Aussehen (Lam. fen. ov.). Gerade vor der stärksten Wölbung 
der Stapesbasis besteht diese Zellenschicht nur aus einer 
doppelten Reihe von Vorknorpelzellen, nach oben und nach 
unten ist sie aber stärker. Medial von dieser Vorknorpelschicht 
sieht man eine dünne Schicht von abgeplatteten, bedeutend 
kleineren Zellen, die sich in das innere Perichondrium der Laby- 
rinthkapsel direkt fortsetzen und dasselbe Aussehen zeigen, wie 
dessen Zellen. Mitten zwischen der Peripherie der Stapesbasis 
und dem knorpeligen Rand der Fenestra ovalis hängt diese 
Zellenschicht mit der Anlage des Ligamentum annulare baseos 
stapedis (Lig. ann.) zusammen, dessen Zellen noch ein blastema- 
töses Aussehen haben und ihrerseits in das äussere Perichon- 


drium der Labyrinthkapsel übergehen. 


Der intralabyrinthäre Druck nimmt — nehme ich an — 
während der folgenden Zeit noch mehr zu. Hierdurch werden 
auch die letzten Vorknorpelzellen mitten vor der Stapesbasis 
abgeplattet und zum grossen Teil atrophirt; die Stapesbasis wird 
dünner und mehr abgeplattet und ihre Kanten rücken ein wenig 
ausserhalb der Befestigungspunkte der Crura vor (s. Fig. 4 
Taf. B]). 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 635 


Erst jetzt (im Anfang des 5. Monats) hat der Steigbügel 
einigermassen seine definitive Gestalt erreicht. Seine Gesamt- 
länge von der Vestibularseite der Basis bis zum Ende des Capi- 
tulum ist nur ungefähr halb so gross (1,68 mm) wie die definitive. 
— Die Stapesplatte, die auf den frühzeitigeren Stadien (s. Fig. 1 
Taf. B!) im Querschnitt kreisrund war, wird am Ende des 
3. und während des 4. Monats abgeplattet, so dass die Schnitt- 
fläche die Form der einer Augenlinse (mit der stärksten Konvexität 
nach aussen) erhält (s. Fig. 3 Taf. B!. Die Crura halten sich 
dagegen während des ganzen Knorpelstadiums eylindrisch, d. h. 
im Querschnitt kreisrund; sie sind diese ganze Zeit hindurch 
gleich dick. — Das Capitulum wird erst Ende des 3. Monats 
angelegt. Die zuerst gerade Verbindungsfläche gegen das Crus 
longum incudis zeigt um diese Zeit eine seichte Vertiefung, die 
Anlage der Gelenkpfanne. Ungefähr gleichzeitig wird die Gelenk- 
kapsel als fibrilläre Streifen an der Peripherie der Zwischen- 
scheibe angelegt. Anfang des 5. Monats wird die Gelenkhöhle 
durch Bersten der Mittelpartie der Zwischenscheibe angedeutet. 

Der Musculus stapedius hat bei seinem ersten Auf- 
treten einen vollkommen geraden Verlauf. Er wird erst um 
die Mitte des 3. Monats angelegt, also später als der Muskel 
des Hammers. Bei meinem Embryo VII sieht man ihn von 
einem kleinen Knorpelhöcker ausgehen, der an der unteren 
Grenze der Pars can. semicirc, ein Stück unterhalb der Befestigungs- 
stelle des Hyoidbogens sitzt. Von diesem Höcker (s. Fig. 3 
Taf. E Pr. st.!), den ich Processus musculi stapedii genannt 
habe, streckt sich der Muskel in gerader Linie aufwärts und 
medial durch das vom Laterohyale vorn begrenzte Foramen 
stylomastoideum primitivum. Da wo er durch dieses 
passiert, kreuzt ihn an der Vorderseite der Nervus facialis, 
worauf sich der Muskel medial von diesem Nerv aufwärts 
zur hinteren unteren Seite des Steigbügelköpfchens fortsetzt, wo 
er unmittelbar an der Gelenkkapsel inseriert. 


636 IVAR BROMAN, 


Ob das proximale Bruchstück des Interhyale an der Bildung 
des Musculus stapedius Teil nimmt, habe ich nicht mit Sicher- 
heit feststellen können. Es scheint mir jedoch nicht ganz unwahr- 
scheinlich. Seine Lage entspricht nämlich vollkommen dem 
Insertionspunkte des Muskels, und bei meinem Stadium VI (un- 
mittelbar vor dem Auftreten des Muskels) ist dieses Bruchstück 
des Interhyale noch vorhanden. 

Kurz nach der Bildung des Muskels sieht man das Binde- 
vewebe zunächst um ihn herum ein fibrilläres Aussehen annehmen. 
Die Fibrillen, die die mittlere Partie desselben umgeben, ordnen 
sich zu einer Art Ligament (Fig. 11 Lig. m. st.), das vom unteren, 
hinteren Rande des ovalen Fensters sich schräg nach oben und 
aussen zum medialen Rande der Befestigungsstelle des Hyoid- 
bogens an der Pars can. sem. streckt. Dieses Ligament wird 
von dem Muskel (M. st.), durchbohrt. Nach hinten setzt es 
sich in eine dünne, bindegewebige Platte (Fig. 12 a.) fort, 
deren mediale Partie die Fascie des Muskels bildet. Der M. 
stapedius wird also gleichwie der M. tensor tympani in einer 
quer ausgespannten Bindegewsbeplatte einlogiert. Erst nachdem 
dieses Ligament gebildet ist, nimmt der Muskel nach und nach 
seine definitive Winkelbiegung an, wahrscheinlich dadurch, dass 
das Ligament und die sekundäre Verschiebung des Steigbügels 
zusammenwirken. — Anfang des 7. Monats werden sowohl die 
genannte Bindegewebsplatte, wie das Ligamentum museulistapedii 
verknöchert. Der mediale Teil des letzteren bildet dann die 
zarte Knochenspange zwischen der Eminentia stapedii und dem 
Promontorium. 

Das Ligamentum annulare baseos stapedis wird 
aus dem der Labyrinthkapsel angehörenden, in der Peripherie 
des ovalen Fensters liegenden Blastem gebildet. Dieses nimmt 
Anfang des 5. Monats sowohl in seiner lateralen, wie in seiner 
medialen Partie ein fibrilläres Aussehen an. Die mittleren Zellen 
sind dagegen auch jetzt noch Blastemzellen am meisten ähnlich. 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 637 


Auf die Entwickelung der proximalen Hälfte des Hyoid- 
bogens nach der Atrophie des Interhyale will ich in diesem 
Zusammenhang mit einigen Worten eingehen. Wie schon 
erwähnt, tritt in dem lateralen Gabelzweig (dem Laterohyale) 
des Hyoidbogens ein besonderer Vorknorpelkern auf, der durch 


Fig.1l. 4 


Embr. VII. Frontalsehnitt. Fen. r. Fenestra rotunda, P. eochl. Pars eoehlearis, P. ean. sem. 

Pars eanalium semieireularium der Labyrinthkapsel, St. hinterer Teil der Steigbügelbasis 

VI. N. faeialis, Cr. br. Crus breve ineudis. Zw. Zwischenscheibe, Lig. m. st. Ligamentum 

museuli stapedii, M. st. Musculus stapedius, R. Kn. Reiehertscher Knorpel. Die Linie zur 
Rechten bezeiehnet die laterale Kontur des Kopfes. 


Zwischenscheiben (von persistierendem Blastem) sowohl von der 
Labyrinthkapsel, wie vom übrigen Teil des Hyoidbogens abge- 
trennt ist (s. Fig. 5 Lh. Taf. Bl). Um Mitte des 3. Monats 
verschwindet die erstere Zwischenscheibe und das Laterohyale 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVII Heft (11. Bd., H. 4.) 42 


638 IVAR BROMAN, 


tritt dadurch mit der Labyrinthkapsel in direkte Verbindung. 
Bei einem Embryo von 55 mm Sch. St. L. ist dagegen die 
Zwischenscheibe zwischen dem Laterohyale und dem Reichert- 
schen Knorpel noch stark markiert (s. Fig. 12 A. Zw.!). Ende 
des 3. Monats geht aber auch diese Zwischenscheibe in Vor- 
und Jungknorpel über, sodass bei einem Embryo von 90 mm 
Totallänge keine histologische Grenze zwischen diesen Teilen 
mehr zu entdecken ist (s. Fig. 12 B.l). Sie sind jedoch noch 
immer dadurch recht deutlich begrenzt, dass teils das 
Laterohyale in seinem unteren Teil bedeutend dünner ist als 
der zunächst liegende Teil des Hyoidbogens, teils diese beiden 
Partien von Anfang an einen deutlichen Winkel mit einander 
bilden. Diese Winkelbiegung nimmt nach und nach, zweifels- 
ohne durch des Ziehen der Chorda tympani, immer mehr zu. 
Hierdurch erhält das Laterohyale schon am Ende des 3. Monats 
eine Richtung gerade medialwärts. Es bildet jetzt die vordere 
(und laterale) Begrenzung eines Loches, durch welches der Musculus 
stapedius, der Nervus facialis und ein Paar Blutgefässe passieren 
und das ich Foramen stylomastoideum primitivum 
genannt habe. Dieses Loch wird im 5. Monat vollständig be- 
grenzt, indem der Reichertsche Knorpel ganz an die laterale 
Wand der Pars cochlearis stösst. Gleich unterhalb der Kon- 
taktstelle biegt sich der Reichertsche Knorpel fast gerade nach 
vorn und unten (s. Fig. 3 Taf. E H.!). 

Vergleichen wir nun die Rekonstruktionsbilder des Hyoid- 
bogens mit dem späteren Processus styloideus, so wie dieser 
von Politzer (65) beschrieben ist, so finden wir, dass das 
Laterohyale wahrscheinlich gar nicht oder wenigstens nur 
teilweise zur Bildung desselben beiträgt. Den von Politzer 
beschriebenen „kolbigen Kopf, welcher in einer grubigen Ver- 
tiefung unterhalb der Eminentia pyramidalis lagert“, erkennen 
wir in der Anschwellung des Hyoidboges wo sich früher die 


Gabelzweigung fand, d. h. gleich unterhalb des Laterohyale. 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 639 


Dass — wie es Dreyfuss (10) hervorgehoben, auch das 
Laterohyale (sein „Interealare“) und ein Teil der Labyrinth- 
kapsel in der Bildung des Processus styloideus Politzer 
eingehen sollten, muss ich bestimmt bestreiten. 


A -P.can.sem, 


Fig. 12. ®.. 


A. Embryo VII. B. Embryo VII. 
P, ean. sem. Pars eanalium semieireularium. Lh. Laterohyale, Zw. Zwischenscheibe. R. Kn, 
Reichertscher Knorpel, VII. N. facialis, M. st. Musculus stapedius. 


Zusammenfassung. 


Der Hammer hat anfangs wenig Ähnlichkeit mit dem 
späteren Knöchelchen; das Manubrium ist kurz und dick und 
mehr einwärts gerichtet; der Processus brevis (lateralis) kehrt 

42* 


640 IVAR BROMAN, 


sich gerade nach unten und das Capitulum ist sehr klein und 
liest mit seiner höchsten Wölbung niedriger als die des Amboss. 
Wenn indessen das Manubrium in die Länge wächst, wird es 
zugleich — wahrscheinlich infolge eines auswärts wirkenden 
Druckes — mehr abwärts gerichtet, wobei gleichzeitig der Pro- 
cessus brevis (lateralis) eine Richtung nach aussen einnimmt. 
Mitte des 3. Monats erreicht der Winkel zwischen dem Griff 
und dem übrigen Teil des Hammers seine definitive Grösse, 
140° Die Crista mallei entsteht erst Ende des3. Monats 
durch Resorption des zunächst darunter liegenden 
Knorpels. — Der Processus longus (Folii) wird am Ende 
des 2. Monats als ein äusserst feiner, an beiden Enden 
freier Belegknochen an der unteren Seite des Meckel- 
schen Knorpels angelegt. Sein distales Ende wächstnach und 
nach, bis der Processus Mitte des 6. Monats seine deflnitive Länge 
erreicht. Sein proximales Ende schmilzt mit dem Collum mallei 
erst bei der Verknöcherung des Collum, d. h. Ende des 5. Monats, 
zusammen. — Der Meckelsche Knorpel fängt etwas vorher 
an zu atrophieren, und wird (zuerst in der Peripherie) durch Binde- 
gewebe ersetzt. Erst bei der Verknöcherung des Hammers wird 
er histologisch von diesem abgegrenzt. — Die Gelenkfläche 
des Hammers zeigt schon Anfang des 3. Monats un- 
gefähr das definitive Aussehen. Ihre grössere Haupt- 
facette ist jedoch um diese Zeit noch auswärts, die 
kleinere rückwärts gerichtet. Durch eine Rotation 
der ganzen Gehörknöchelchenkette erhalten sie An- 
fangs des5. Monatsihre definitive Lage. — Der Musculus 
tensor tympani wird schon am Ende des 2. Monats in Ver- 
bindung mit dem Musculus tensor veli palatini angelegt. Beim 
ersten Auftreten der Pars membranacea des Tegmen 
tympanı sieht man den abwärts und vorwärts ge- 
richteten Teil des Musculus tens. tymp. in einer 
Scheide desselben eingelagert liegen. — Oben bilden die 


Die Entwiekelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 641 


Bindegewebsfasern der unteren Lamelle - dieser Scheide ein 
distinktes Ligament, Ligamentum trochleare, um welches sich 
die Muskelsehne zur Insertionsstelle am oberen, medialen Teil 
des Manubrium herabbiegt. Zuweilen entwickelt sich hier ein 
Processus musecularis. 


Der Incus nimmt schon im Anfang des 3. Monats — zu- 
erst von allen Gehörknöchelehen — seine definitive Form an. 


Der Winkel zwischen den beiden Crura ist jedoch um diese 
Zeit etwas kleiner als später und das Crus breve ist mehr ab- 
wärts gerichtet. Von dem Auftreten des Vorknorpels in diesen 
Teilen ab, wird das Crus breve von der Labyrinthkapsel durch 
eine blastematöse Zwischenscheibe getrennt, die später ganz oder 
teilweise in Bindegewebe übergeht. Das Crus longum fängt am 
Anlang des 3. Monats an, die definitiven Biegungen anzunehmen. 
Ein eigentlicher knopfförmiger Processes lenticularis 
wird erst im 5. Monat gebildet. 


Der Steigbügel wird allein aus dem vom Hyoid- 
bogen stammenden Stapesringe gebildet. Der diesem 
gegenüberliegende Teil des Gewebes im ovalen Fenster erleidet 
eine fast vollständige Druckatrophie, so dass er am An- 
fang des 5. Monats nur als ein dünnes Perichondrium auf der 
Steigbügelplatte persistiert. Das in der Pe ripherie der Fe- 
nestra ovalis gelegene Blastem bildet das Ligamen- 
cum annulare baseos stapedis. — Ende des 3. Monats 
fängt die anfangs kreisrunde Form des Steigbügels 
an nach und nach in die definitive überzugehen, wahr- 
scheinlich infolge eines um diese Zeit zunehmenden intralaby- 
rinthären Druckes. 


Der Musculus stapedius wird etwas später als der Muskel 
des Hammers angelegt. Er geht von einem kleinen Knorpel- 
höcker an der Labyrinthkapsel gleich unter der Befestigungstelle 
des Hyoidbogens aus und verläuft anfangs gerade nach oben 


642 


IVAR BROMAN, 


und innen zu seinem Insertionspunkte am hinteren, unteren Teil 
des Incus-Stapes-Gelenkes. Nachdem aber, Ende des dritten 
Monats, ein Ligament gebildet worden, das sich vom unteren 
Rande des ovalen Fensters zum medialen Rande der Befestigungs- 
stelle des Hyoidbogens an der Labyrinthkapsel streckt und das 
die Mitte des Muskels umschliesst, nimmt dieser bei den darnach 
eintretenden Verschiebungen seine definitive Winkelbiegung an. 
— Der oberste Teil des Hyoidbogens bildet die äussere und 
vordere Begrenzung des Foramen stylomastoideum primitivum ; 
das zunächst folgende Stück, dessen oberer Teil 
kolbenförmig angeschwollen ist, bildet den Prozessus 
styloideus Politzer. 


III. Die Entwickelung der Gehörknöchelchen während 
und nach der Verknöcherung. 


A. Ossifikation, 


Während der letzten Hälfte des 5. Monats 
fängt die Ossifikation der Gehörknöchelchen an- 
Sie zeigt ganz denselben Verlauf wie in anderen knorpelpräfor- 
mierten Knochen des Körpers. Bei Embryonen von 19—20 cm 
Totallänge ist die Verknöcherung des Malleus und Incus in vollem 
Gange; im Stapes sah ich die ersten Spuren der Össifikation bei 
einem Embryo von 20,5 em Totallänge. 


Der Hammer ossifiziert (abgesehen von dem Processus 
longus) von einem einzigen Ossifikationszentrum 
aus, das im oberen Teil des Collum auftritt. Von hier 
aus schreitet die Verknöcherung nach und nach sowohl aufwärts 
wie abwärts fort, wie am besten die Figg. 12—15 Taf. © zeigen. 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. #43 


Bei einem Embryo von 28 cm Totallänge sind das ganze Collum 
und das Capitulum mit Ausnahme der Partie zunächst an der Ge- 
lenkfläche verknöchert, ebenso wie die obere Hälfte des Griffes mit 
Ausnahme der Spitze des Processus lateralis und der Insertions- 
stelle des Musculus tensor tympani (Fig. 15 Taf. C). Bei einem 
Embryo von 32 cm hat die Verknöcherung des Processus lateralis 
ihre definitive Ausdehnung erreicht und die oberen ?/ı des Griffes 
bestehen — mit Ausnahme des gegen die Membrana tympani 
aus Knochen. Bei dem reifen Foetus 


kehrenden Randes 
hat die Ossifikation auch im Manubrium ihre definitive 


Ausdehnung erreicht (Fig. 16 Taf. C). 


Der Amboss ossifieiert gleichfalls von einem 
einzigen Centrum aus, das sich im oberen Teil des 
Crus longum befindet. Von da aus schreitet die Ver- 
knöcherung erst weiter in das Crus longum hinab, dann quer 
über das Corpus fort; erst etwas später erreicht sie das Crus 
breve (Vergl. Figg. 1—6 Taf. D!). Bei einem Embryo von 
24 cm (Fig. 6) ist das ganze Corpus mit Ausnahme der zunächst 
an der Gelenkfläche liegenden Partie, das Crus longum bis zum 
Angulus und das Crus breve bis auf die Spitze ganz hindurch 
verknöchert. Bei einem Embryo von 28 cm ist die Ossifikation 
im Crus longum über den Angulus in den Hals des Processus 
lentieularis fortgeschritten. Anfangs des 6. Monats ist letzterer mit 
Ausnahme der Gelenkfläche gegen den Steigbügel auch ver- 
knöchert. Es ist hervorzuheben, dass die Verknöcherung vom 
Crus longum in den Processus lenticularis hinein 
fortschreitet; derselbe hat also kein besonderes Ossi- 
fikationszentrum und kann somit nicht einmal mit einer 
Epiphysis gleichgestellt werden; noch weniger verdient er den 


Namen „Os lenticulare“. 


Der Steigbügel hat auch nur einen Ossifikations- 
punkt; und dieser liegt in der Regel in der Basis. 


641 IVAR BROMAN, 


(Siehe Fig. 9 Tat. D!) Ausnahmsweise fand ich ihn im Crus 
posterius (Fig. 18; vielleicht hat er sich auch bei Stadium XIX 
[Fig. 13] dort befunden.) Von der Basis schreitet die Ossifikation 
allmählich die Schenkel hinauf in das Capitulum, wie die Figg. 
9-12 und 14 Taf. D zeigen. Das Capitulum ossifiziert erst 
am Einde des 6. Monats. Die zunächst an die Gelenkfläche 
stossende Partie des Capitulum, die Kanten und die dem Vesti- 
bulum zugekehrte Fläche der Stapesbasis werden niemals 


verknöchert. 


B. Schliessliche Formenentwickelung. 


Der Hammer hat im ganzen schon vor der Verknöcherung 
seine definitive Form erreicht. Nur einige kleine Unebenheiten 


entstehen später. 


Über die Grössenverhältnisse während verschiedener Ent- 
wiekelungsperioden giebt nachstehende Tabelle Auskunft. (Zum 
Vergleich führe ich hier auch die Masse jüngerer Stadien an. 
Es ist jedoch zu bemerken, dass diese Masse von Rekonstruktions- 
bildern stammen und desshalb ungefähr 20°/0 kleiner sind als 
sie geworden wären, wenn es möglich gewesen, die Knöchelchen- 
anlagen aus den ungehärteten Material hervorzupräparieren und 


zu messen.) 


Wie aus folgender Tabelle zu ersehen, hat der Hammer bei 
seiner ersten Anlegung als Vorknorpel schon eine Länge von 
0,7 mm — oder wenn wir die 20 %o hinzurechnen, die er wahr- 
scheinlich durch Schrumpfen während der Härtungs- und 
Einbettungsprozedur eingebüsst: 0,S4mm; d. h. er ist !/ıo so 
lang wie der fertige Hammer. Um Mitte des 3. Monats 
ist er ungefähr !/ı, Ende desselben Monats !/z und Ende des 
4. Monats ca. ?'s so lang wie dieser; und bei der Geburt 


hat er seine definitive Grösse erreicht. 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 645 


Länge des | Winkel zwisch. 


Länge des Em- Totallänge des Länge des Ham- | ne 
5 = & Proe. longus dem Griff u. üb- 


bryos. (mm) Hammers!) mergriffes ?) Erw \rigen Teil des 
| (Folii) | 
| Hammers 
Ei — _ | fe ———n er 
Embryo | mm | mm mm 
Nr Seo at we 120° 
KEIN Bu 12 | 0,54 0,4 135° 
aan 55 Sch.-St .L. 2 1 0,5 140° 
= va 0 BokeTe... 3,88. 7) 2,12 0,94 > 
IK 180, , | 4,92 2,12 ca. 2,2 „ 
RE 210 7 4 3,4 I 
„ XXIV | 240 | 8 4,4 3,9 2 
„ XXX |500 | 8,4 4,9 BP) a 
Hammer ein. Erwachsenen | 5,4 4,9 — - 
„ des Erwachsenen nach 799 4956 
Urbantschitsch (6l) run Fe 


Der Amboss hat, nachdem der Winkel zwischen den 
beiden Crura während des 4. Monats zu 100° vergrössert 
und der Processus lenticularis am Ende des Knorpelstadiums 
angelegt worden, auch vor der Verknöcherung seine definitive 
Form. Die Grössenverhältnisse während der verschiedenen Ent- 
wiekelungsstadien sowohl vor wie nach der Verknöcherung 
betreffend, verweise ich auf nachstehende Tabelle (S. 646). 


Der Amboss ist also anfangs verhältnismässig 
grösser als der Hammer. Ende des dritten Monats ist er 
aber ca. !/, so lang (die Länge zwischen der Spitze des Crus 
breve und der höchsten, lateralen Wölbung des Corpus liegt 


!) In gerader Linie zwischen der höchsten Wölbung des Köpfehens und 
der Spitze des Griffes gemessen. 

2) Vom oberen Rande der Befestigungsstelle des Processus lateralis 
gemessen. 


646 IVAR BROMAN, 


| Entfernung zwischen der Spitze | 

re ei ET ERRTE 1 
e 4 Winkel zwischen den 
Länge des Em- des Crus breve | des Crus longum | 


eye 'u. der höchsten |u. der höchsten) beiden Crura des 
bryos (mm) ‚lateralen Wölb- |medialen Wölb- A [ 
Amboss 
‚ung des Corpus | ung des Corpus 
ineudis | ineudis 
| 
Embryo mm mm 
Nr. V 80,5 N.-St.-L. 0,8 0,7 70° 
BZNaN 55 Sch.-St.-L. 1,25 1,20 80° 
BE Vz 90 Tot.-L. 2,3 2 90° 
KEIX Il) n 2.6 2,3 100° 
RER: 210 3,8 De = 
SEERKEV; 240 4,5 3,8 105° 
IE DOL 5300 5,2 4 100° 
Amboss eines Erwachsenen 5,8 4 5 
„ des Erwachsenen nach IN aisl2p 3 3-52 100° 105° 


Urbantschitsch(6l) 


dieser Berechnung zu Grunde) wie das fertige Knöchelchen — 
ebenso wie der Hammer. — Ende des 4. Monats ist er unge- 
fähr 2/3 so lang wie der fertige Incus; und bei der Geburt hat 
er seine definitive Grösse erreicht. 

Der Steigbügel ist gleich vor der Verknöcherung be- 
deutend klumpiger als das fertige Knöchelchen. Sein Umkreis 
ist ungefähr von derselben Grösse wie bei diesem ‚(die Länge 
von der Basis bis zum Ende des Capitulum ist jedoch etwas 
kleiner), aber sowohl die Basis, die während der letzten Zeit des 
Knorpelstadiums bedeutend an Dicke zugenommen (siehe Fig. 7 
Taf. B!), wie die Schenkel sind bedeutend dicker und das Spa- 
tium intercerurale folglich kleiner (siehe Fig. 9 Taf. D!). Gleich 
nach Eintritt der Verknöcherung fängt jedoch ein 
Resorptionsvorgang an, der dem Steigbügel sein 
definitives Aussehen verleiht. Die Resorption 
schreitet in derselben Ordnung wie die Ossifikation 
fort. Schon ehe das Capitulum ganz verknöchert, fängt der 


Resorptionsprozess im lateralen — d. h. gegen das Spatium 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 647 


intererurale kehrenden — Teil der Basis an. Diese Resorption ver- 
läuft in zwei, in der Längsrichtung der Basis liegenden Abtei- 
lungen, einer oberen und einer unteren (Fig. 13au.b). Zwischen 
diesen persistiert in der Regel eine feine Knochenleiste, die 
„Crista stapedis“ (Fig. 13 Cr. st.). Diese entsteht also nicht 
durch eine partielle Ossifikation der zwischen der Basis und den 
Schenkeln ausgespannten Schleimhautduplikatur (Eysell [11]). 


Fig. 13. 


Schema der Knoehenresorption der Basis stapedis. 
A. Quersehnitt der Steigbügelplatte des Embryo XI (24 em), B. st. die verknöcherte Basis 
Kn. Knorpelüberzug derselben. 


B. Querschnitt der Steigbügelplatte (B st.) nach der Knochenresorption. Die Linie e bezeichnet 
den vorigen Kontour: a oberes, b. unteres Resorptionscentrum, Or. st. Crista stapedis, B. st. 
Knöeherne Steigbügelplatte, Kn. Knorpelüberzug derselben. 


Schon Ende des 6. Monats erhält die Stapesbasis ihre definitive 
Dünnbheit. 

Nach und nach schreitet die Resorption von der Basis auf- 
wärts an den gegen das Spatium intererurale liegenden Seiten 
der beiden Schenkel. Anfang des 7. Monats haben die unteren 
Hälften desselben ihre definitive Dünnheit erreicht, und bei 
den reifen Fötus hat der Steigbügel ganz seine definitive Form 


648 IVAR BROMAN, 


(vergl. Figg. 14—16 Taf. D!). — Die Schenkel sind unmittelbar 
nach der Verknöcherung im Querschnitt kreisrund (siehe Fig. 14 A); 
infolge der Resorption werden sie dann auf der gegen das Spatium 
intercrurale kehrenden Seite nach und nach ausgehöhlt, so dass 
sie im Durchschnitt sichelförmig werden (Fig. 14B). So ent- 
steht der Sulcus stapedis. Gewöhnlich setzt sich die Resorp- 
tion im vorderen Schenkel noch etwas nach dem Aufhören der- 
selben im hinteren fort; dadurch wird der Vorderschenkel des 
fertigen Steigbügels meistens etwas feiner als der Hinterschenkel. 

Die Grössenverhältnisse in den verschiedenen Entwicke- 


lungsstadien sind aus folgender Tabelle am besten zu ersehen. 


A. yon 


Fig. 14. 
Sehema der Knoehenresorption in den Stapessehenkeln. A. Querschnitt der Schenkeln vor 
B nach der Resorption, S. st. Sulpus stapedis. 


Im Anfang des Vorknorpelstadiums ist die Länge des Steig- 
bügels fast !/ıo der definitiven; Ende des 3. Monats etwas mehr 
als»t/s; Ende des ‘4. ea. '!js. ‘Seine definitive Länge er- 
reicht er Anfang des 7. Embryonalmonats. 

Die Ligamente des Hammers entwickeln sich erst nach 
der Verknöcherung. Etwas früher wird jedoch das Ligamentum 
mallei anterius angelegt. Seine Bildung fällt mit dem Ein- 
treten der Resorption im Meckelschen Knorpel zusammen. An 
der Stelle der resorbierten Knorpelzellen in der Peripherie des 
Meckelschen Knorpels finden wir nämlich schon im Anfang des 
5. Monats starke Fibrillenbündel. — Bei einem Embryo von 
24 cm (dem ältesten Embryo, dessen ganzen Gehörapparat ich 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen 649 


Gesamtlänge Breite des Sta- 


| des St ’ 
‚Länge des Em- Ser Vertibular- pes von der Dicke der 


bs le ie ekeelisuenihnuigel| ER Mor ovadard 
Capitulum messen 
Embryo mm mm mm mm 
Nr. IV 20,6 N.-St.-L. 0,34 0,34 0,14 0,14 
SH 305, 0,4 0,4 0,16 0,16 
»„ VO 55 Sch.-St.-L. 0,75 0,75 0,22 0,22 
„ „Väl 190 Tot-L. Dei 1,1 0,2 0,3 
IX 180, 7, 1,4 1,2 0,19 ‚3 
2,7 2,4 0,7 0,65 
RAIN AZAUN, , 2,85 2,2 0,65 0,6 
ARREVIIBAIO U, 3.1 2,4 0,2 | 0,4 
IURKR 1500 1, 3,3 2,3 ı 0,15 0,2 
Stapes eines Erwachsenen 3,3 1,8 0,15 0,2—0,3 
„ d. Erwachsenen nach 3,2—4,5 1,3—3,5 


Urbantschitsch (61) 


mikrotomiert) sind weder Ligamentum mallei externum noch 
Ligamentum mallei superius zu sehen. Dagegen sind zwei andere 
Ligamente, deren Existenz sehr umstritten gewesen, bei diesem 
Embryo (Stad. XI) stark entwickelt. Das Eine von diesen ist 
Toynbees (58) „Tensor ligament“, das andere Schäfers (49) 
„Inferior ligament of the malleus‘“ (siehe Seite 593l), 
Toynbees ‚Tensor ligament“ ist auch bei Embryo X deutlich- 
Ob Schäfers „Inferior ligament‘‘ eine konstante Bildung ist, 
lässt sich nur mit der Leitung des obenerwähnten, einzigen 
Stadiums nicht feststellen. 

Das Tegmen tympani wird von einem knorpeligen, 
lateralen Teil, Processus perioticus superior Gradenigo, und 
einem bindegewebigen, medialen Teil gebildet. In 
einer Scheide des letzteren lagert sich der Musculus tensor 
tympani ein. Die Verknöcherung des Tegmen tympani fängt 
Ende des 5. Monats sowohl im knorpeligen wie im mem- 


650 IVAR BROMAN, 


branösen Teil an. Sie beginnt an der Grenze dieser Teile und 
schreitet von da ab sowohl medial- wie lateralwärts. Bei einem 
Embryo von 28cm hat sie noch nicht die Scheide des Musculus 
tensor tympani betroffen. Der knöcherne Canalis pro tensore 
tympani entsteht erst während der ersten Hälfte des 7. Embry- 
onalmonats. 

Obwohl die Bildung des Annulus tympanicus, streng 
genommen, nicht in den Bereich dieser Untersuchung kommt, 
will ich sie doch mit einigen Worten berühren. 

Der Annulus tympanicus entwickelt sich nicht 
aus drei Knochenpunkten („je einem für das Mittel-, das 
vordere und das hintere Endstück“), wie Rambaud und Re- 
nault (43) behaupten und wie es noch in neueren Lehrbüchern 
Graf Spee [56]) zu lesen ist. Er wird Anfang des 3. Monats im 
Winkel zwischen dem Malleus und dem Meckelschen Knorpel 
in Form einer freien, aufwärts (gegen den Meckelschen Knorpel) 
konkaven Knorpelplatte angelegt (siehe Fig. 11 Taf. C!). Me- 
dialwärts läuft dieser in eine Spitze aus, die sich nach und nach 
medial- und abwärts im Rande der Membrana tympani ver- 
längert. Mitte des 3.. Monats bildet er einen halbkreisförmigen 
Bogen, dessen Spitze sich unmittelbar über dem Hyoidbogen be- 
findet (siehe Fig. 8 Taf. © Ann.1.). Die Orista spinarum und der 
Suleus malleolaris sind schon in diesem Stadium angedeutet. — 
Während der zunächst folgenden Zeit wächst die erwähnte Spitze 
aufwärts, auswärts und etwas vorwärts, so dass der Bogen Ende 
des 3. Monats fast fertig ist. Sein Radius ist jedoch um diese 
Zeit ungefähr viermal kleiner als bei der Geburt. Der Sulcus 
tympanicus ist noch nicht angedeutet, sondern der Ring ist im 
Querschnitt kreisrund; erst im Laufe des 4. Monats ent- 
steht der Suleus tympanicus. Die Spina tympanicapos- 
terior und anterior sowie das Tubereulum tympanieum anticum 
und posticum treten erst Ende des 5. Monats deutlich hervor. 


— Der Ring erweitert sich während des Wachstums nach und 


Die Entwiekelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 651 


nach. Sein grösster Radius ist Mitte des 4. Monats ungefähr 
'/s und Mitte des 5. ungefähr 3/ des Annulusradius des reifen 
Fötus. 


Zusammenfassung. 


Die Ossifikation der Gehörknöchelchen, die ganz 
denselben Verlauf wie die Ossifikation in anderen 
knorpelpräformierten Knochen zeigt, fängt während 
der letzten Hälfte des 5. Monats an. Die Ossifikation des 
Malleus und Incus hat bei Embryonen von 19--20 em schon 
begonnen; die des Stapes sieht man im allgemeinen erst bei 
Embryonen von ca. 21 em. — Die als Knorpel präformierte 
Hammeranlage hat nur einen Össifikationspunkt. Von diesem 
— im Collum liegenden Punkte — aus schreitet die Ossifikation 
sowohl nach oben wie nach unten weiter. Der schon bei Em- 
bryonen von 3 em N.-St.-L. als ein Belegknochen unter dem 
Meckelschen Knorpel angelegte Processus longus (Folii) tritt 
bei der Entstehung dieses Knochenkerns in direkte Verbindung 
mit dem Hammer. Bei dem reifen Foetus hat die Ossifikation des 
Hammers ihre definitive Ausdehnung erreicht. 

Der Amboss ossificiert gleichfalls von einem einzigen Centrum 
aus, das sich im oberen Teil des Crus longum befindet. Der 
Processus lenticularis hat kein besonderes Össifikationscentrum 
und kann somit nicht einmal einer Epiphysis gleichgestellt 
werden; noch weniger verdient er den Namen „Os lenticulare“. 
Bei dem reifen Fötus hat die ÖOssifikation ihre definitive Aus- 
dehnung. 

Der Steigbügel hat auch nur einen Ossifikationspunkt, 
und dieser liegt in der Regelin der Basis. Von hier aus schreitet 
die Ossifikation allmählich die Schenkel hinauf in das Capitulum, 
das am Ende des 6. Monats ossificiert. 

Der Hamm er ist bei seiner ersten Anlegung als Vorknorpel 
'/ıo so lang wie der fertige Hammer; Ende des 3. Monats ist 


652 IiVAR BROMAN, 


er !/a so lang wie dieser; und bei der Geburt hat er seine 
definitive Grösse und Form erreicht. 


Der Amboss ist anfangs verhältnismässig grösser als der 
Hammer. Ende des 3. Monats ist er jedoch wie dieser ca. !/a 
so lang wie das fertige Knöchelchen; und bei der Geburt hat 
er seine definitive Form und Grösse. 


Die Länge des Steigbügels ist Anfang des Vorknorpel- 
stadıums ca. !/ıo der definitiven; Ende des vierten Monats ca. !/. 
Seine definitive Länge erreicht er Anfang des 7. Embryonalmonats. 
Eine in derselben Ordnung wie die Ossifikation fortschreitende 
Resorption der gegen das Spatium intererurale liegenden 
Knochenpartien giebt dem anfangs klumpigen Steigbügel während 
der letzten Periode des intrauterinen Lebens seine definitive 
Gestalt. 


Mit Ausnahme des Ligamentum mallei anterius, dessen 
Bildung mit der Resorption des Meckelschen Knorpels zusammen- 


ällt, entwickeln sich die Ligamente des Hammers erst nach der 
Verknöcherung desselben. 


Das Tegmen tympani wird von einer lateralen Pars 
cartilaginea (Proc. periot. sup. Gradenigo) und einer medialen 
Pars membranacea gebildet. Diese Pars membranacea bildet 
eine Scheide um den Musculus tensor tympani, die während 
der ersten Hälfte des siebenten Embryonalmonats verknöchert. 
Auch die knöcherne Eminentia pyramidalis wird erst zu dieser 
Zeit gebildet. 


Der Annulustympanicus wird nicht durch Verschmelzung 
von drei Knochenpunkten gebildet. Er wird anfangs des dritten 
Monats als eine medial zugespitzte Deckknochenplatte unter dem 
Meckelschen Knorpel angelegt, und von der medialen Spitze 
dieser Platte wächst allmählich der ganze Ring aus. 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 653 


Ergebnisse. 


Die wichtigsten Resultate meiner Untersuchung fasse ich 
zum Schluss in folgenden Thesen zusammen. 


1. Vor dem Auftreten der Gehörknöchelchenanlagen existieren 
in der betreffenden Region ausser der ersten, inneren Visceral- 
furche auch Nerven und Gefässe, welche alle mehr oder 
weniger formbestimmend auf die Gehörknöchelchen 
werden. 

2. In den Lücken zwischen diesen Organen treten um die 
Mitte des zweiten Embryonalmonats die Anlagen der Gehör- 
knöchelchen als zusammenhängende Blastemmassen auf. 


3. Das Blastem der beiden ersten Visceralbogen 
wird von ihren resp. Nerven, (Trigeminus und Facialis) 
in einen medialen und einen lateralen Teil 


geschieden. 


4. Das proximale Ende des lateralen Teils des 
Mandibularbogens stellt die Anlage des Incus dar, 
und die entsprechende Partie des Hyoidbogens die 
Anlage des Laterohyale (= Intercalare Dreyfuss). 

5. Diese Partien der beiden Bogen werden anfangs von ein- 
ander durch die hintere Spitze der ersten inneren Visceralfurche, 
die jetzt bis an die Aussenfläche des Körpers reicht, getrennt. 

6. Die genannte Spitze der Visceralfurche verschwindet schon 
während der 6. Embryonalwoche. Die Lücke wird von Meso- 
derm ausgefüllt. 

7- DieReste derlateralen Teile der beiden Bogen, 
die von Anfang an miteinander zusammenhängen, werden 
Mitte des 2. Monats vom eigentlichen Visceralskelett 
getrennt und bilden die Anlage des Knorpels des 
äusseren Ohres. 


Anatomische Hefte. I. Abteilung. XNXNXVII. Heft. (11. Bd. H. 4.) 43 


654 IVAR BROMAN, 


8. Das proximale Ende des medialen Teils des 
Mandibularbogens wird durch diehierliegende Vena 
jugularis primitivain seiner Entwickelung gehindert. 
Das proximale Ende des medialen Teils des Hyoid- 
bogens bildet die Anlage des Stapes. 

9. Die schon von Anfang existierende Blastem- 
brücke zwischen den Steigbügel- und Amboss-Anlagen 
persistiert und wächst zum Cruslongum incudis aus. 


10. Die zunächst nach vorn von der Stapesanlage liegende 
Partie des medialen Teils des Hyoidbogens ist schon von Anfang 
an schwach entwickelt. Sie bildet einen dünnen Blastemstrang 
medial vom N. facialis („Faeialismantel“, ‚„Interhyale‘“). Anfang 
des 3. Monats atrophiert sie, und der Steigbügel verliert damit 
seine Verbindung mit dem Hyoidbogen. 


11. Die hinterste entwickelte Partie des medialen 
Teiles des Mandibularbogens bildet die Anlage des 
Hammers. Die entsprechende Partie des Hyoidbogens 
ist die Anlage des oberen Endes des Processus sty- 
loideus Politzer. 


12. Die medialen Teile beider Bogen sind von einander 
durch die erste innere Visceralfurche getrennt. 

13. Die Vena jugularis primitiva grenzt anfangs 
die lateralen Teile der beiden Bogen von der Laby- 
rinthkapsel ab. 


14. Nach der Grössenabnahme der genannten Vene und 
nach der Vergrösserung der Labyrinthkapsel treten die lateralen 
Bogenteile lateral von der Vene mit dieser Kapsel in blastema- 
töse Verbindung. 

15. Der Steigbügelring, der anfangs durch eine helle, meso- 
dermale Zone von der Labyrinthkapsel getrennt war, tritt zu 
dieser Zeit auch in direkte Verbindung mit der Labyrinthkapsel. 
Durch die stärkere Färbbarkeit und die konzentrische Schichtung 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 655 


seiner Zellen ist er jedoch auch jetzt von der Labyrinthkapsel 
gut abgrenzbar. 

16. Die konzentrische Schichtung der Stapeszellen 
um die Arteria stapedialis entsteht erst sekundär 
und berechtigt nicht zu der Annahme, dass der Steig- 
bügelring eine von dem Hyoidbogen unabhängige 
Bildung sei. 

17. Infolge der Richtung der Arteria stapedialis 
erhält der Stapesring schon von Anfang an seine 
definitive, schräge Stellung (ca. 45° gegen die Horizontal- 
ebene). 

18. Bei dem Übergang in das Vorknorpelstadium werden 
die nach der blastematösen Verschmelzung undeutlichen Grenzen 
zwischen Visceralbogen und Labyrinthkapsel wieder deutlich. 

19. Skeletteile verschiedenen Ursprungs haben 
nämlich jeder seinen Vorknorpelkern. 

20. An den Stellen, wo zwei solche Kerne beim 
Wachsen einander begegnen, persistiert — wenigstens 
eine Zeit lang — eine Blastemscheibe, die durch ihre 
stärkere Färbung die Grenze scharf markiert. 

21. Sowohl der laterale wie der mediale Teil eines 
jedenBogens hat ebenfalls seinen eigenen Vorknorpel- 
kern. Demnach hat der Amboss, der von dem lateralen Teil 
des Mandibularbogens stammt, einen besonderen Vorknorpelkern 
und Malleus plus Meckelscher Knorpel, die vom medialen Teil 
stammen, zusammen einen anderen. Ebenso hat der Hyoid- 
bogen einen besonderen Vorknorpelkern für das Laterohyale. 
Infolge davon, dass sich das Interhyale schon beim ersten Auf- 
"treten des Vorknorpels in regressiver Metamorphose befindet, kommt 
es vor seinem Verschwinden nicht über das Blastemstadium 
hinaus. Eine Folge hiervon wiederum ist, dass der mediale 
Teil des Hyoidbogens zwei Vorknorpelkerne bekommt: einen 
für den Steigbügel und einen für die übrige persistierende Partie. 

43* 


656 IVAR BROMAN, 

22. Die Zwischenscheibe zwischen den beiden Vor- 
knorpelkernen des Mandibularbogens tritt schon von 
Anfang anals eine winkelig gebogene Platte auf. Die 
Zwischenscheibe zwischen dem Laterohyale und der 
Reichertschen Knorpelanlage bildet dagegen eine 
ebene Platte. 

23. Die Zwischenscheibe des Mandibularbogens muss natür- 
lich schon von Anfang an Hammer und Amboss vollständig 
trennen. 

24. Die Nerven der beiden Bogen spielen ganz 
gewiss eine nicht unwichtige mechanische Rolle bei 
der Bildung der Gehörknöchelchen. Der N. facialis 
zwingt das proximale Ende des Hyoidbogens zur Gabelzweigung. 
In einem etwas späteren Stadium bewirkt er wahrscheinlich 
durch Druck auf das Interhyale das Verschwinden desselben. — 
Die Chorda tympani, die Anfangs in gerader Linie zwischen 
dem N. facialis und N. trigeminus ausgespannt ist, zwingt den 
Hammergriff sich von dem langen Schenkel des Ambosses zu 
trennen, sobald diese Teile auszuwachsen beginnen. Dadurch 
dass die central von der Befestigungsstelle der Chorda liegende 
Partie des N. trigeminus stark in die Länge wächst, wird das 
obere Ende der Chorda ein beträchtliches Stück nach vorn und 
unten gerückt. Vielleicht ist es durch eine hierdurch entstehende 
Zugeinwirkung nach vorn am Manubrium, dass das Collum 
mallei vom oberen Teil des Örus longum incudis getrennt wird. 
Wahrscheinlich bewirkt das Ziehen der Chorda tympani am 
N. facialis, dass die zunächst unterhalb der Gabelzweigung 
liegende Partie des Hyoidbogens sich mehr medial biegt. 

25. Der N. facialis kommt dazu eine halbe Spirale: 
um den Hyoidbogen zu machen, indem der unterhalb 
des Laterohyale liegende laterale Teil dieses Bogens 
nichtin der Bildung deseigentlichen Visceralskelettes 


Teil nimmt. 


Die Entwickelungsgeschichte der (sehörknöchelehen heim Menschen. 657 


26. Der Processus lateralis mallei ist bei seiner 
ersten Anlegung abwärts gerichtet; gleichzeitig damit, 
dass das anfangs fast medial gerichtete Manubrium sich mehr 
abwärts richtet — und infolge dessen — wird dieser Auswuchs 
allmählich nach aussen gerichtet. 

27. Die Abwärtsbiegung des Manubrium scheint durch einen 
Druck von innen oder Zug nach aussen bewirkt zu werden. 

28. Die Crista mallei entsteht erst während des 4. Em- 
bryonalmonats. Sie wird nicht, wie dieübrigen Ausläufer, 
blastematös angelegt, sondern bildet sich durch 
Resorption des unmittelbar unter ihr belegenen 
Knorpels. 

29. Die Gelenkfläche des Hammers hat schon beim 
ersten Auftreten der Zwischenscheibe die zwei 
Hauptfacetten. Die grössere Facette ist um diese 
Zeit lateral, die kleinere rückwärts gerichtet. 

30. Durch dieRotation derganzen Gehörknöchelchen- 
kette — welche Rotation wahrscheinlich durch das ungleiche 
Wachstum der Labyrinthkapsel hervorgerufen wird — bekommt 
die grössere Facette allmählich ihre Richtung nach 
hinten und die kleinere ihre mediale Stellung. 

31. Schon Anfang des 3. Monats werden auch die 
Nebenfacetten der Hammergelenkfläche und der 
Sperrzahn von Helmholtz angelegt. 

32. Die Blastemscheiben, die zwischen Crus longum incudis 
und Stapes sowie zwischen Crus breve incudis und der Bogen- 
gangkapsel peristieren, sind von derselben Natur wiedie 
Zwischenscheibe des Hammer-Amboss-Gelenkes. 

33. Erst wenn die Knochenbildung eintritt, wird 
der Meckelsche Knorpel vom Hammer histologisch 
abgegrenzt. 

34. Die Resorption des Meckelschen Knorpels wird schon 
Anfang des 5. Monats in der Peripherie desselben eingeleitet. 


658 IVAR BROMAN, 


35. Die knopfförmige Processus lenticularis wird 
erst Ende des 5. Monats angelegt. 

36. Das bei den fertigen Gehörknöchelchen beo- 
bachtete Verhältnis, dass die Spitzen des Ürus breve 
und des Crus longum vom Amboss sowie des Manu- 
brium des Hammers nahezuin einer geraden Linie 
liegen (Helmholtz), existiert schon von Anfang des 
3. Monats. 

37. Ende des 3. Monats fängt die anfangs kreis- 
rundeForm desSteigbügels anin die definitive über- 
zugehen, wahrscheinlich infolge eines um diese Zeit zu- 
nehmenden intralabyrinthären Druckes. 

38. Als eine weitere Folge desselben vermehrten Druckes 
erleidet nun auch die mitten vor demSteigbügelring 
liegende vorknorpeligeLamina fenestrae ovalis eine 
fast vollständige Atrophie, sodass sie nach dieser Zeit 
nur als ein dünnes Perichondrium auf der Steigbügelplatte per- 
sistiert. 

39. Der Steigbügel ist also nicht doppelten Ur- 
sprungs. 

40. DasLigamentum annulare baseos stapedis wird 
Ende des 5. Monats durch Bindegewebswandlung des Blastems 
in der Peripherie des ovalen Fensters gebildet. Kein von 
aussen hineindrängendes Bindegewebe trägt zur Bil- 
dung des Ligamentes bei. 

41. Die Arteria stapedialis stammt — gleich wie es Gra- 
denigo (15) bei Katzenembryonen gefunden — mittelst eines 
mit der Arteria hyoidea primitiva gemeinsamen Astes, Truncus 
hyostapedialis, von der Carotis interna ab. Die Arteria hyoidea 
prim. verschwindet bald; die Arteria stapedialis per- 
sistiert in der Regel bis Ende des 3. Monats. 

42. Der Musculus tensor tympani zeigt bald nach 
seiner Anlegung eine Winkelbiegung. Diese Biegung 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 659 


wird Ende des 3. Monats durch die Entwickelung 
eines Ligaments (des Ligamentum trochleare) fixiert 
und verstärkt, das von der Pars cartilaginea Tegminis tym- 
pani (= Processus periotieus sup. Gradenigo) unter den 
Muskel — vor der Sehne — läuft und sich an einem Knorpel- 
auswuchs der Labyrinthkapsel gleich über der Fenestra ovalis 
befestigt. 


43. Das Tegmen tympani wird von einer lateralen Pars 
cartilaginea und einer medialen Pars membranacea ge- 
bildet. In einer Scheide derletzteren wird der Musculus 
tensor tympani eingeschlossen. Die Verknöcherung be- 
einnt Ende des 5. Monats an der Grenze zwischen dem knorpe- 
ligen und dem membranösen Teil und schreitet von da sowohl 
medial- wie lateralwärtt. Anfang des 7. Monats ist das 
ganze Tegmen tympani verknöchert und somit der 
knöcherne Canalis pro tensore tympani gebildet. 


44. Der Musculus stapedius wird später als der 
M. tensor tympani angelegt. Anfangs gerade, erhält der 
M. stapedius seine Winkelbiegung erst, nachdem er 
Ende des 3. Monats an der betreffenden Stelle durch 
ein Ligament — das Ligamentum museuli stapedii — 
fixiert worden ist. Dieses Ligament streckt sich vom hinteren 
Teil des Promontoriums schräg nach oben, aussen und hinten 
zu der Befestigungsstelle des Hyoidbogens. Nach hinten setzt 
es sich in eine dünne, bindegewebige Platte fort, in 
welcher der Muskel eingelagert ist. Anfang. des 7. Mo- 
nats verknöchert sowohl diese Bindegewebsplatte 
wie das Ligamentum musculi stapedii. So entstehen 
die Eminentia stapedii und die zarte Knochenspange, 
die sich von derselben zum Promontorium erstreckt. 


45. Während der letzten Hälfte des 5. Monats 
fängt die Ossifikation der Gehörknöchelchen an. 


660 IVAR BROMAN, 


46. Sie zeigt ganz denselben Verlauf wie in anderen knorpel- 
präformierten Knochen. 

47. Die Gehörknöchelchen haben (abgesehen von 
dem Proc. longus mallei) nur ein Ossifikationscentrum 
für jedes. 

48. Der Processus lenticularis ist also nicht einmal 
als eine Epiphyse und noch weniger als ein besonderer Knochen 
aufzufassen. 

49. Der Processu's longus (Folii) mallei wird Anfang 
des 3. Monatsals ein an beiden Enden freier Belegknochen 
an der unteren, medialen Seite des Meckelschen Knorpels an- 
gelegt. Wenn das Collum mallei verknöchert, tritt er mit dem- 
selben in direkte Verbindung. 

50. Die Verknöcherung des Steigbügels fängt zu- 
letzt an, wird aber zuerst fertig. Sie beginntin der 
Regel in der Basis und schreitet von da allmählich 
die Schenkel hinauf. 


51. Sowohl die Basis wie die Schenkel sind unmittelbar nach 
der Verknöcherung bedeutend dicker als an dem definitiven 
Steigbügel. Das definitive Aussehen wird durch eine 
in derselben Ordnung wie die Verknöcherung fort 
schreitende Resorption erreicht. 

52. Die Crista stapedis entsteht nicht durch eine 
partielle Ossifikation der zwischen der Basis undden 
Schenkeln ausgespannten Schleimhautduplikatur 
[Eysell (11), sondern dadurch, dass in der Basis die Resorption 
in zwei Abteilungen verläuft, zwischen denen eine Knochenleiste 
persistiert. 

53. Bei der Geburt haben alle Gehörknöchelchen ihre defini- 
tive Entwickelung erreicht. 

54. Die Ligamente des Hammers entwickeln sich erst 
nach dem Anfang der Verknöcherung desselben. 


Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 661 


55. Der Annulustympanicusentwickeltsich nicht 
aus drei Knochenpunkten (Rambaud et Renault [83]). 
Sein vorderes Endstück wird Anfang des 3. Monats als eine Deck- 
knochenplatte unter dem Meckelschen Knorpel angelegt; von 
der medialen Spitze dieser Platte wächst dann allmählich die 
übrige Partie des Ringes hervor. 


Meinen Lehrern, den Herren Professor Hj. Lindgren und 
Professor C. M. Fürst erlaube ich mir meine Ehrerbietung und 
Dankbarkeit auszusprechen nicht nur dafür, dass sie während 
der Fortsetzung dieser Arbeit auf dem hiesigen histologischen 
Institute mir die embryologischen Sammlungen desselben zur 
Benutzung überlassen, sondern auch für meine frühere Studien- 
zeit, während der ich Gelegenheit gehabt, von ihrer direkten, 
immer wohlwollenden Leitung Nutzen zu ziehen. 

Schliesslich erfülle ich noch eine angenehme Pflicht, indem 
ich Herrn Professor Erik Müller dafür meinen Dank aus- 
spreche, dass er mir die Anregung zu der vorliegenden Arbeit 
gegeben und mir sein Institut, sowie auch ein selten gutes 
Material zur Verfügung gestellt. 


Lund, den 22. Juni 1898. 


Erklärung der Tafeln. 


Tafel A. (Skala 3/1.) 


Figg. 1—8. Schnitte 109, 115, 117, 120, 121, 123, 129 und 131 des Em- 
bryo 1. Vergl. Textfigur 3 Seite 560! 
Figg. 9 u. 10. Schnitte 116 u. 128 des Embryo II. 
a. Helle, mesodermale Zone zwischen Stapesanlage und Labyrinthkapsel. 
A. bl. Augenblase. 
A. c. int. Arteria carotis interna. 
A. h. pr. Arteria hyoidea primitiva. 
A. st. Arteria stapedialis. 
Ch. d. Chorda dorsalis. 
Ch. t. Chorda tympaniı. 
Cr. 1. i. Crus longum ineudis. 
Gangl. A-F., G. A-F. Ganglion Acustico-Faciale. 
Gangl. Trig., G. Trig. 3 Trigemini. 
Hb. Hyoidbogen. Hb. t. Hyoidbogen (lateraler Teil). 
Ih. Interhyale. 
I. Vf. Erste, innere Visceralfurche. 
Lh. Laterohyale. 
Lk. Labyrinthkapsel. 
Mb. Mandibularbogen. Mb. ]. Mandibularbogen (lateraler Teil). 
St. Stapesanlage. 
Tr. h. st. Truncus hyo-stapedialis. 
V. j. pr. Vena jugularis primitiva. 
V. N. trigeminus. 
v1. N. facialis. 


Datel,B. 
Fig. 1. Frontalschnitt (Nr. 142) des Embryo Ill. Skala '%ı. Linke 

Seite, von hinten gesehen. 

Art. st. Arteria stapedialis. 

H. Hyoidbogen. 

Ih. Interhyale. 

Lh. Vorderer Theil des Laterohyale. 

Lb. Labyrinthblase. 


Erklärung der Tafeln. 665 


P. cochl. Pars cochlearis der Labyrinthkapsel. 
St. Stapesring. 
VI. N. facialis. 

Fig. 2. Frontalschnitt durch den Steigbügelring unmittelbar nach hinten 
von dem Amboss-Steigbügelgelenk. Embryo VII. Linke Seite von vorn ge- 
sehen. Skala !%/,. a. oberer, b. unterer, knorpeliger Rand der Fenestra ovalis. 

B. st. Basis stapedis. 

Cr. p. St. Crus posterius stapedis. 

Lam. fen. ov. Lamina fenestrae ovalis. 

Lig. ann. Ligamentum annulare baseos stapedis. 

Fig. 3. Ähnlicher Schnitt des Embryo VIII. Skala 'ı. 

Fig. 4. Ähnlicher Schnitt des Embryo IX. Skala '/ı. 

Fig. 5. Frontalschnitt (Nr. 257) des Embryo IV. Linke Seite, von 
hinten gesehen. Skala ”ı. 

Hb. m. Hyoidbogen (medialer Teil). 

Ih. Interhyale. 

Lh. Laterohyale. 

St. Steigbügelring. 

P. cochl. Pars cochlearis und 

P. can. sem. Pars canalium semiecireularium der Labyrinthkapsel. 
VII. N. facialis. 

V.j. pr. Vena jugularis primitiva. 

Fig. 6. Frontalschnitt durch das Ligamentum annulare baseos stapedis 
(Lig. ann.) Embryo XI. Skala '"%ı. 

B. st. Basis stapedis. P. cochl. Pars cochlearis der Labyrinthkapsel. 

Fig. 7. Frontalschnitt. Embryo X. Skala °"ı. 

B. st. Basis stapedis. 
Lig. ann. Ligamentum annulare baseos stapedis. 


Tafel E. 


Fig. 1. Rekonstruktionsmodell der proximalen Partien der beiden ersten 
Visceralbogen des Embryo II. Skala ®ı. Von hinten gesehen. 

Fig. 2. Dasselbe Modell von der medialen Seite gesehen. 

Fig. 3. Dasselbe von vorn gesehen. 

Fig.4. Rekonstruktionsmodell derselben Partie des Embryo III. Skala ®ı. 
Von vorn gesehen. 

Fig. 5. Dasselbe Modell von innen gesehen. 

Fig. 6. Rekonstruktionsmodell. Embryo IV. Skala ’/ı. Von vorn gesehen. 

Fig. 7. Dasselbe von der medialen Seite gesehen. 

Figg. 8, 9 u. 10. Rekonstruktionsmodell. Skala "1. Embryo VII. Fig. 8 
von aussen, Fig. 9 von innen und Fig. 10 von hinten gesehen. 

Fig. 11. Rekonstruktionsmodell. Embryo VI. Schief von unten und 
aussen gesehen. 

Fig. 12. Hammer des Embryo XVII. Skala '%ı. Von aussen. 

Fig. 13. Hammer des Embryo XXII. "1. 


664 Erklärung der Tafeln. 


Fig. 14. Hammer des Embryo XXIV. "%ı. 
Fig. 15. Hammer des Embryo XXVII. 1". 
Fig. 16. Hammer des Embryo XXX. "01. 
Fig. 17. Hammer eines Erwachsenen. '%ı. 
Bei den Figg. 1—10 sind die Nerven mit Gelb bezeichnet. 
Bei den Figg. 12—17 sind die verknöcherten Partien gelb. 
Die Belegknochen (bei Figg. 8—11) sind rot. Die Schnittflächen 
schraffiert. 
a. Vertiefung, von Vena jug. primit. veranlasst. 
Ann. t. Annulus tympanieus. 
Cap. Capitulum mallei. 
Ch. t. Chorda tympani. 
Coll. Collum mallei. 
Cr. 1. Crus longum incudis. 
Cr. br. Crus breve incudis. 
Hb. m. Hyoidbogen, medialer Teil. 
Hb. ]. N lateraler Teil. 
I. Incusanlage. 
Ih. Interbyale. 
I. Vf. Erste, innere Visceralfurche. 
Lh. Laterohyale. 
M. Malleus. 
Mb. m. Mandibularbogen, medialer Teil. 
Mb. 1. © lateraler Teil. 
Mn. Manubrium mallei. 
M. Kn. Meckelscher Knorpel. 
P. can. sem. Pars canalium semiecireularium der Labyrinthkapsel. 
Pr. F. Processus longus (Folii) mallei. 
Pr. l. Processus lateralis mallei. 
R. Kn. Reichertscher Knorpel. 
S. m. Sulcus malleolaris. 
St. Steigbügel. 
Cr. m. Crista mallei. 
V. N. trigeminus. 
VII. N. facialis. 


Tafel D. Skala !%ı. 


Die verknöcherten Partien sind mit Gelb bezeichnet. 


Fig. 1. Rechter Amboss des Embryo XVII 
Fig. 2 a e s z XVIll. 
Fig. 3. h a 3 n XX1. 
Fig. 4. , p r ö XIX. 

Fig. 5 a E r 5 XX. 

Fig. 6 . £ ’ > XXIV. 
Fig. 7 y - 2 5 XXX. 


Erklärung der Tafeln. 665 


Fig. 8. Rechter Amboss eines Erwachsenen. _ 
Big. 9. „ Steigbügel des Embryo XX. 


Fig. 10. ” : . 5 RTV: 
Fig. 11. = et B 5 XXI. 
Fig. 12. = N p = xXV1 
Fig. 13. 5 z R 2 xXR. 
Fig. 14. £ a n E RXVIl: 
Fig. 15. & = 2 ” XXX. 
Fig. 16. ” ; L ® XXX. 
Fig. 17. a „ eines Erwachsenen. 
Fig. 18. s des Embryo X. 


Cap. Capitulum stapedis. 

Cr. ant. und Cr. post. Crus anterius und Crust posterius stapedis. 
Cr. br. und Cr. I. Crus breve und Crus longum ineudis. 

Cr. st. Crista stapedis. 


B. st. Basis 3 
Sp. ier. Spatium intererurale. 
Tafel E. 
Fig 1. Rekonstruktionsmodell der linken Labyrinthkapsel und der Gehör- 
knöchelchen-Anlagen des Embryo III. Skala ®/ı. — Von vorn und etwas 


von aussen. 
Fig. 2. Rekonstruktionsmodell derselben Partie des Embryo IV. Skala ®ı. 
Von vorn. 
Fig. 3. Rekonstruktionsmodell derselben Partie des Embryo VII. Skala '?/ı. 
Fig. 4. Das Rekonstruktionsmodell des Embryo Ill. Von aussen und 
etwas von vorn gesehen. 
Fig. 5. Das Rekonstruktionsmodell des Embryo IV. Von aussen und 
vorn gesehen. 
Fig. 6. Das Rekonstruktionsmodell des Embryo VII. Von aussen gesehen. 
H. Hyoidbogen, Lh. Laterohyale. 
I. Incusanlage, Ih. Interhyate. 
M + I. Malleus-Incusanlage. 
M. Malleusanlage. Cr. m. Crista mallei. 
Me. Meckelscher Knorpel. 
Mn. Manubrium mallei. 
Pr. I. Processus lateralis Mallei. 
P. can. sem. Pars canalium semicircularium und 
P. cochl. Pars cochlearis der Labyrinthkapsel. 
St. Steigbügel. B. st. Basis stapedis. 
Pr. st. Processus museuli stapedi. 
Pr. F. Processus Folii mallei, Pr. M. Processus muscularis. 
Cr. br. Crus breve, Cr. 1. Crus longum incudis. 
Cr. p. Crus posterius, Cr. a. Crus anterius stapedis. 


Tafel F. 
Fig. 1. Rekonstruktionsmodell der Gehörknöchelchenanlagen des Em- 
bryo V. Von vorn gesehen. Skala ®°ı. 


666 Erklärung der "Tafeln. 

Fig. 2. Dasselbe Modell, schief von innen und hinten gesehen. 

Fig. 3. Rekonstruktionsmodell der Gehörknöchelchenanlagen des Em- 
bryo VI. Von innen und etwas von hinten gesehen. 

Fig. 4. Rekonstruktionsmodell der Gehörknöchelchenanlagen des Em- 
bryo VIII. Skala ®/ı. Von vorn. 


Fig. 5. Dasselbe Modell, von innen und hinten. 

Fig. 6. Steigbügelmodell. Embryo IX. Von vorn. Skala ')ı. 

Fig. 7. Dasselbe Modell, von oben und aussen gesehen. 

Fig. 8. Rekonstruktionsmodell des Amboss des Embryo IX. Von innen. 
Skala "/ı. 


Fig. 9. Dasselbe Modell, von vorn und aussen gesehen. 

Fig. 10. Rekonstruktionsmodell des Hammers des Embryo IX. Von 
vorn. Skala ®/ı. 

Fig. 11. Dasselbe Modell; von aussen. 

Fig. 12. Hammer und Amboss eines Erwachsenen (a), eines Neuge- 
borenen (b) und eines Embryo von 32 cm (c). Natürliche Grösse. 

Fig. 13. Steigbügel eines Erwachsenen (a), eines Neugeborenen (b) und 
eines Embryo von 32 cm (c). Natürliche Grösse. 

Bezeichnungen dieselben wie in Tafel E. 


wo 


6. 


-] 


Litteraturverzeichnis. 


Albrecht, Sur la valeur morphologique de l’articulation mandibulaire. 
du cartilage de Meckel et des osselets de l’owie. Bruxelles 1883. 8. 22. 
Balfour, Handbuch d. vergleichenden Embryologie. Übersetzt v. Vetter, 
Jena 1881. Bd. II. S. 526. 

Baumgarten, Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der (ehörknöchel- 
chen. Arch. f. mikr. Anat. XL. S. 512. 

Bischoff, Entwickelungsgeschichte der Säugetiere und des Menschen. 
Leipzig 1842. Sömmering, vom Baue des menschlichen Körpers. Neue 
Ausg. Bd. VII. 

Bonnet, Grundriss der Entwickelungsgeschichte der Haussäugetiere. 
Berlin 1891. S. 187. 

Broca et Lenoir, Note sur un cas de persistance du cartilage de Meckel 
avec absence de l’oreille externe du m&me cöte. Considerations sur le 
developpement du maxillaire inferieur et des osselets de l’ouie. Journ. 
Anat. Phys. Paris. 32 Annee. 1896. 8. 559. 


. Broman, Beschreibung eines menschlichen Embryos von beinahe 3 mm 


Länge mit spezieller Bemerkung über die bei demselben befindlichen Hirn- 
falten. Morphologische Arbeiten, herausgeg. v. G. Schwalbe. Jena 1895. 
Bd; V- ‚>. 169. 

Bruch, Untersuchungen über die Entwickelung der Gewebe bei den warm- 
blütigen Tieren. Frankf. 1363—67. eit. nach Dreyfuss (10). 
Burdach, Physiologie. Leipzig 1828. II. eit. nach Dreyfuss. 
Dreyfuss, Beiträge zur Entwickelungsgeschichte des Mittelohres und 
des Trommelfelles des Menschen und der Säugetiere. Morphol. Arbeiten. 
Bd. II. 1892—93. S. 607. 


. Eysell, Beiträge zur Anatomie des Steigbügels und seiner Verbindungen. 


Arch. f. Ohrenheilk. Bd. V. 1870. eit. nach Schwalbe (52). 


. Foster und Balfour, The elements of Embryology. Second edit. 


London 1883. 
Fraser, On the Developement of the Ossicula auditus in the Higher 
Mammaria. Phil. Trans. Vol. 173:3. 1882. 8. 901. 


668 


Litteraturverzeichnis. 


14. 


15. 


Gadow, On the Modifications of the First and Second Visceral Arches, 
with espacial reference to the Homologies of the Auditory Össicles, Phil. 
Trans. Vol. 179 B. 1888. S. 451. 

Gradenigo, Die embryonale Anlage des Mittelohrs; die morphologische 
Bedeutung der Gehörknöchelchen. Mitteil. aus dem embr. Institut der 
Univ. Wien. 1887. 


. segenbaur, Grundzüge der vergleichenden Anatomie. 2. Aufl. Leipzig 


1870. S. 662—63. 


. Gruber, Beitrag zur Entwickelungsgeschichte des Steigbügels und ovalen 


Fensters. Mitt. aus d. embr. Instit. d. Univ. Wien. 1878. Heft II. S. 167. 


'. Günther, Beobachtungen üb. d. Entwickelung d. Gehörorgans. Lpz. 1842. 


eit. nach Dreyfuss (10). 

Hannover, Primordialbrusken og dens Forbening i det menneskelige 
Kranium för Födselen. Det Kongelige Danske Videnskabernes Selkabs 
Skrifter. Femte R&cke. Bd. 11. Kjöbenhavn 1880. S. 495. 
Hagenbach, Die Paukenhöhle der Säugetiere. Leipzig 1835. eit. nach 
Schwalbe (52). 


. Hegetschweiler, Die embryologische Entwickelung des Steigbügels. 


Arch. f. Anat. u. Phys. Anat. Abt. 1898. Heft I. 8. 37. 


. Hertwig, Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte. Vierte Aufl. 1893. 


S. 544. 

— Entwickelungsgeschichte des menschlichen Ohres. Schwartze, Hand- 
buch der Ohrenheilkunde 1892. Bd. I. S. 148. 

His, Anatomie menschlicher Embryonen. Leipzig 1830—85. 


. Hunt, Transactions of the intern. otolog. congress. 1876. cit. nach 


Fraser (13). 
— Amer. Journ. of Med. Science. 1877. 


. Huschke, Beiträge z. Physiol. u. Naturgesch. Bd. I. Weimar 1824. 


eit. nach Dreyfuss. 

Huxley, Lectures on the elements of comparative anatomy. London 1864. 
eit. nach Dreyfuss. 

— Proceed. Zool. Society. London 1869. cit. nach Dreyfuss. 


— The anatomy of vertebrated animals. London 1871. eit. nach Dreyfuss. 


. Jacoby, Ein Beitrag zur Kenntnis des menschlichen Primordialkraniums. 


Arch. f. mikr. Anat. Bd. 4. 1895. 8. 61. 


2. Kollmann, Lehrbuch d. Entwickelungsgeschichte d. Menschen. Jena 1898. 


S. 610. 

v. Kölliker, Entwiekelungsgeschichte des Menschen und der höheren Tiere. 
Leipzig 1879. 

— Grundriss der Entwickelungsgeschichte des Menschen und der höheren 
Tiere. Leipzig 1884. 


. Löwe, Medizinisches Centralblatt Nr. 30. 1878. ceit. nach Fraser. 
. Magitot et Robin, Annales des Sciences naturelles. Zoologie. 


Paris 1862. Tome XVII. S. 213. 


. Minot, Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte des Menschen. Deutsche 


Ausgabe v. Kaestner. Leipzig 1894. S. 450 u. 766. 


Litteraturverzeichnis. 669 


v. Noorden, Beitrag zur Anat. des knorpeligen Schädelbasis menschlicher 
Embryonen. Arch. f. Anat. u. Phys. Anat. Abt. Leipzig 1837. 


. Parker, On the structure and Developement of the skull in the pig. 


Phil. Trans. 1874. Bd. 164. 


. Parker, On the Structure and Developement of the Skull inthe Mammalıa. 


Phil. Trans. Vol. 176. 1886. 8. 10. 


e Quenu, Des Archs Branchiaud Chez L’homme. These. Paris 1886. 
. Rabl, Über das Gebiet des Nervus facialis. Anat. Anz. II. Jahrg. 


Jena 1887. 8. 219. 

Rambaud et Renault, Origine et Developpement des Os. Paris 1364. 
Rathke, Anatomisch-physiol. Unters. über den Kiemenapparat und das 
Zungenbein. Riga u. Dorpat 1832. cit. nach Dreyfuss (10). 


5. Reichert, Über die Visceralbogen der Wirbeltiere im Allgemeinen und 


deren Metamorphosen bei den Vögeln und Säugetieren. Müllers Archiv. 
1837. 8. 120. 

Salensky, Zur Entwiekelungsgeschichte der Gehörknöchelchen. Zool. 
Anz. Jahrg. II. 8. 250. 


. — Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der knorpeligen Gehörknöchelchen 


bei Säugetieren. Morphol. Jahrbuch. Leipzig 1880. VI. S. 415. 
Schäfer, Embryology. Quain’s Anatomy. Vol. I. Pt. I. 1890. 8. 167. 
— Organs of the Senses. Quains Anat. Vol. III. Pt. III. 1894. S. 9. 
Schenk, Lehrbuch der Embryologie des Menschen und der Wirbeltiere. 
Wien u. Leipzig 1896. S. 483. 

Scehultze, Grundriss der Entwickelungsgeschichte des Menschen und der 
Säugetiere. Leipzig 1896—97. 

Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane. Erlangen 1887. 
S. 480. 

Semmer, Unters. über die Entwickelung des Meckelschen Knorpels. 
Diss. Dorpat. 1872. eit. nach Dreyfuss (10). 

Siebenmann, Die ersten Anlagen vom Mittelrohrraum und Gehörknöchel- 
chen des menschlichen Embryo in der 4—6. Woche. Arch. f. Anat. u. 
Entwickelungsgesch. 1894. H. 5,6. S. 359. 

— Mittelrohr und Labyrinth. Handbuch der Anatomie des Menschen 
herausgeg. v. Bardeleben. Bd. V. Abt. 2. 1898. 


Spee, Skeletlehre. Handb. d. Anat. Herausgeg. v. Bardeleben. Bd. I. 


Abt. 2. 1896. 8. 302. 
Staderini, Intorno alle prime fasi di sviluppo dell anulus stapedialis. 


Monit. Zool. Ital. I. 1891. 8. 147. 

Toynbee, On the structure of the ear. London 1853. cit. nach 
Schwalbe (52). 

Tröltsch, Lehrbuch der Ohrenheilkunde mit Einschluss der Anatomie 
des Ohres. Würzburg 1868. 8. 147. 

Urbantsehitsch, Beobachtungen über die Bildung des Hammer-Amboss- 
Gelenkes Mitt. aus dem Embr. Instit. der Univ. Wien. Bd. I. 1880. 
S. 230. | 
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVIL Heft (11. Bd. H. 4.) 44 


or) 


61. 


62. 
63. 


64. 


68. 


Litteraturverzeichnis. 


— Zur Anatomie der Gehörknöchelehen des Menschen. Arch. f. Ohren- 
heilk. Bd. XI. 1876. 


Valentin, Handbuch der Entwickelungsgeschichte. Berlin 1835. 
Wiedersheim, Grundriss der vergleichenden Anatomie der Wirbeltiere. 
Jena 1893. S. 130. 

Zondek, Beiträge zur: Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen. 
Arch. f. mikr. Anat. Bd. 44. H.4. 8. 499. 


5. Politzer, Zur Anatomie des Gehörorgans.. Arch. f. Ohrenheilkunde. 


Bda.ıIX. 1875. 8.198, 

Born, Noch einmal die Plattenmodelliermethode. Zeitschrift f. wissen- 
schaftl. Mikroskopie. Bd. V. 1888. 8. 433. 

O0. Schultze, Über Herstellung und Konservierung durchsichtiger Em- 
bryonen zum Studium der Skelettbildung. Verh. d. Anat. Gesellsch. auf 
d. 11. Versamml. in Gent 1897. 8. 3. 

Broman, Über die Entwickelung der Gehörknöchelchen beim Menschen. 
Verhandl. d. Anat. Gesellsch. auf d. 12. Versamml. in Kiel. 1898. S. 320. 


(Mır Demonstration von PRÄPARATEN AUS DEM I. ANATONISCHEN 
Instırtur zu Berum.) 


ÜBER EINE BEZIEHUNG 


ZWISCHEN DEM 


NEIGUNGSWINKEL DES SCHENKELHALSES 


UND DEM 


QUERSCHNITTE DES SCHENKELBEINSCHAFTES, 


VON 


HUGO HIERONYMUS HIRSCH, 


KÖLN. 


Mit 6 Abbildungen auf den Tafeln G-J. 


I BayZ u 


1; 


2 Orakel 


Na Yu 
Pr , 


sc Es sieh: % = 


” 


Bea AV es ülewe 


Mrs is 


} un? zul 
Em AB ie un? EN 
Ara: 
us 


.. 
u 


> 


IK: IH IRLIFLIER 
Eielur glru BU Yo 


*Meine Herren! Das Material, das ich Ihnen zu demon- 
strieren die Ehre habe, verdanke ich dem wohlwollenden Ent- 
gegenkommen des Herrn Geheimrat Waldeyer. 

Ich bitte Sie, zuerst einen Blick auf diese Photographie 
(vergl. Taf. G) zu werfen. Sie erblicken darauf den proximalen 
Teil zweier Schenkelbeine (in Rückenansicht), den eines linken 
Schenkelbeines mit besonders kleinem Neigungswinkel des 
Schenkelhalses (Fig. 1) und denjenigen eines rechten mit be- 
sonders steilem Halse (Fig.)'). 

Auf dieser Tafel (vergl. Taf. H) habe ich von den dort in 
ihrem proximalen Teil abgebildeten Schenkelbeinen, und zwar 
von einander genau entsprechenden Stellen derselben, je drei 
dünne Querscheiben zusammengestellt: 


1. je eine aus der Mitte des Schenkelhalses (Fig. 3a und 
Fig. 4«), 
2. je eine von einer Stelle 1'/z cm unterhalb des Tro- 
chanter minor (Fig. 3b und Fig. 48), 
3. je eine aus der Mitte des Schaftes (Fig. 3c und Fig. 4y). 
Die Querscheiben a, b und c gehören zu dem Schenkel- 
beine mit dem steilen Halse (Taf. G Fig. 2). 


*) Vortrag, gehalten in der anatomischen Abteilung der 70. Versammlung 
deutscher Naturforscher und Ärzte zu Düsseldorf, am 20. Sept. 1898. 

2) Alter, Geschlecht und Beruf der Individuen, von denen die Knochen 
herrühren, sind unbekannt; diese Angaben wären auch für die vorliegende 
Untersuchung belanglos. 


ye HUGO HIERONYMUS HIRSCH, 


Die Querscheiben @, £ und y gehören zu dem Schenkel- 
beine mit dem stark geneigten Halse (Fig. 1). 


Ich möchte zunächst Ihre Aufmerksamkeit auf die beiden 
Querschnitte von der Stelle unterhalb des Trochanter minor hin- 
lenken. Der zu dem Schenkelbeine mit dem grossen Neigungs- 
winkel des Schenkelhalses gehörige (Fig. 3b) zeigt eine annähernd 
rundliche Form ; die mediane und laterale Hälite des Querschnittes 
erscheinen annähernd symmetrisch. Ganz anders sieht daneben 
der entsprechende Querschnitt des Schenkelbeines mit kleinem 
Neigungswinkel des Halses (Fig. 4$) aus. Er besitzt medianwärts 
eine starke Vorwölbung, welche bewirkt, dass die beiden Hälften 
des Querschnittes durchaus asymmetrisch erscheinen. Mit etwas 
Phantasie kann man diesen Querschnitt mit einem gleich- 
schenkeligen Dreiecke vergleichen, dessen Spitze medianwärts, 
dessen Basis lateralwärts läge. 


Während die besprochenen Querschnitte sich so verschieden 
verhalten, besitzen die beiden aus der Schaftmitte ganz ähnliche 
Formen; insbesondere sind bei dem zu dem Schenkelbeine mit 
dem stark geneigten Halse gehörigen Querschnitte (Fig. 4 y) die 
mediane und die laterale Hälfte ähnlich symmetrisch geformt 
wie bei demjenigen von derselben Stelle des Schenkelbeines mit 
dem steilen Halse (Fig. 3 e). 


Was endlich die Querschnitte aus der Mitte des Schenkel- 
halses (Fig. 3a und Fig. 4 «) betrifft, so möchte ich zunächst 
daran erinnern, dass Mikulicz!) vor nunmehr 20 Jahren die 
Beobachtung mitgeteilt hat, dass bei geneigterem Halse die 
vertikale Breite desselben gewöhnlich viel grösser sei als bei 
steilerem. Diese Beobachtung, die Mikulicz an dem Materiale 
des Wiener anatomischen Instituts gemacht hat, ist offenbar eine 


1) Mikulicz, J., Über individuelle Verschiedenheiten am Femur und an 
der Tibia. Mit Berücksichtigung der Statik des Kniegelenkes. Arch. f, Anat. 
und Physiol. 1878. Anat. Abteilg. S. 367, 368. 


Über e. Beziehung zwischen d. Neigungswinkel d. Schenkelhalses ete. 675 


ähnliche, wie die hier in Rede stehende; die letztere schliesst 
sich gewissermassen an siean. Durch die beschriebene mediane 
Vorwölbung erhält der Querschnitt unterhalb des Trochanter 
minor bei dem Schenkelbeine mit dem stark geneigten Halse 
(Fig, 48) einen relativ grossen transversalen (frontalen) Durch- 
messer; und dieser entspricht dem vertikalen Breitendurchmesser 
des Halses. 

Mikulicz spricht von seinem Befunde als von einem ‚frei- 
lich weniger konstanten Umstande“. Ich habe denn auch den 
Eindruck gewonnen, dass der Einfluss des Neigungswinkels des 
Schenkelhalses auf die relative Grösse des transversalen Durch- 
messers des proximalen Schaftteiles ein erheblich grösserer ist, 
als wie derjenige auf den vertikalen Halsdurchmesser. Sicher- 
lich "trifft dies wenigstens bei den vorliegenden Präparaten zu. 
Die Querscheiben sind senkrecht zur Längsachse desHalses heraus- 
gesägt; ihr grösster Durchmesser entspricht mithin der vertikalen 
Breite des Halses. Man kann nun wohl kaum sagen, dass hier 
die relative vertikale Breite des Querschnittes aus dem stark 
geneigten Schenkelhalse (Fig. 4 «) eine wesentlich grössere sei, 
als bei dem Querschnitte aus dem steilen Halse (Fig. 3 a). 

Wie grosse Verschiedenheiten dagegen bezüglich der relativen 
Grösse des transversalen Durchmessers des proximalen Schaft- 
teiles bei Schenkelbeinen mit verschieden grossem Neigungs- 
winkel des Halses zu finden sind, vermag ich Ihnen noch an 
einem weiteren Beispiele zu zeigen. 

Sie sehen hier (Taf. J, Fig. 5 a und 6 «) die Frontalschnitte 
durch das proximale Ende von zwei linken Schenkelbeinen (in 
Ansicht von vorne), darunter beidemal den Querschnitt von der 
Grenze des Frontalschnittes (Fig. 5b und 6 8) und den Schnitt 
aus der Mitte des Schaftes (Fig. 5c und 6 7). Aus den Frontal- 
schnitten ist ersichtlich, dass es sich bei dem einen Schenkel- 
beine (Fig. 5). wieder um ein solches mit besonders steilem Halse, 
bei dem andern (Fig. 6) wieder um ein Schenkelbein mit stark 


676 HUGO HIERONYMUS HIRSCH, 


geneigtem Halse handelt. Hier gehört nun wieder zu dem stark 
geneigten Halse ein mehr dreieckiger, asymmetrischer Querschnitt 
des proximalen Schaftteiles (Fig. 6«@ und $). Zu dem steilen 
Halse gehört allerdings kein rundlicher, sondern ein mehr vier- 
eckiger Querschnitt (Fig. 5a und b); aber letzterer ist auch 
ein mehr symmetrischer Querschnitt. In Bezug auf die Symmetrie 
der medianen und der lateralen Querschnittshälfte liegen also 
hier ganz ähnliche Verhältnisse vor wie bei den zuerst ver- 
glichenen Präparaten. Und ebenso wie bei diesen zeigen auch 
hier die Querschnitte aus der Schaftmitte (Fig. 5c und 67) 
wiederum weniger charakteristische Unterschiede als die oberen 
Querschnitte (b und £). Dass die Querschnitte ce und y infolge 
eines verschieden starken Hervortretens der Linea aspera sich 
unterscheiden, ist für die vorliegende Untersuchung von unter- 
geordneter Bedeutung; in den vorderen Abschnitten, wo gerade 
die oberen Querschnitte jene charakteristische Verschiedenheit dar- 
bieten, zeigen auch hier die Querschnitte aus der Schaftmitte 
beidemal in gleicher Weise ziemlich symmetrische mediane und 
laterale Häliten. E 


Was in den beiden demonstrierten Fällen zu sehen ist, das 
habe ich bei Untersuchung einer grösseren Zahl von Ober- 
schenkelbeinen immer wieder von neuem gefunden: Wenn ich 
ein Schenkelbein mit besonders steilem Schenkelhalse und ein 
solches mit besonders stark geneigtem Halse miteinander ver- 
glich, so fand ich jedesmal, dass das Schenkelbein mit 
dem steilenHalse einen mehr rundlichen beziehungs- 
weise einen mehr symmetrischen Querschnitt unter- 
halb des Trochanter minor besass gegenüber dem mit 
dem stark geneigten Halse, das jedesmaleinen mehr 
dreieckigen, asymmetrischen Querschnitt in dem 
proximalen Schaftteile darbot. Desgleichen fand ich 
jedesmal, dass die Querschnittsformen nach der Mitte des 


Anatomische Hefte I, Abteilung Heft 37 (11. Bd. H. 4) TAFEL G. 


Lichtdruck der Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G. München. Verlag von J. F. Bergmann, Wiesbaden. 


Anatomische Hefte I. Abteilung Heft 37 (It. Bd. H. 4). 


Lichtdruck der Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G. München. Verlag von J. 


Anatomisehe Hefte I, Abteilung Heft 37 (Il. Bd. H. 4). 


TAFEL J,. 


Über e. Beziehung zwischen d. Neigungswinkel d. Schenkelhalses ete. 677 


Schaftes hin in weniger charakteristischer Weise sich unter- 
schieden. 

Der Zustand, den die Ihnen hier demonstrierten Schenkel- 
beine mit stark geneigtem Schenkelhalse darbieten, besitzt eine 
grosse Ähnlichkeit mit dem Zustande, den die Anthropologen 
mit der Bezeichnung „sagittale Platymerie‘ belegt haben. 
Ich darf daran erinnern, dass darunter eine Abflachung des 
proximalen Schaftteiles des Schenkelbeines in sagittaler Richtung 
verstanden wird, ein Zustand, bei dem der sagittale Durch- 
messer dieses Schaftteiles relativ klein beziehungsweise der 
transversale relativ gross erscheint. Dasselbe ist ja auch bei 
den demonstrierten Schenkelbeinen mit besonders kleinem 
Neigungswinkel der Fall. Die sagittale Platymerie soll auf ver- 
schiedene Weise zu stande kommen, das eine Mal durch eine 
Verwölbung der medianen Seite, das andere Mal durch eine 
solche der lateralen Seite des Schaftes. Auf jeden Fall zeigt 
die Abbildung Fig. 4 aus Manouvriers Abhandlung über die 
Platymerie!) einen Querschnitt, der ganz ähnliche Verhältnisse 
darbietet, wie die betreffenden von mir demonstrierten, — und 
Manouvrier bezeichnet den Zustand dieses Querschnittes, der 
zu einem aus den Pariser Katakomben stammenden Oberschenkel- 
beine gehört, als den einer recht ausgesprochenen sagittalen 
Platymerie. Lehmann-Nitsche?) giebt in seiner Arbeit 
„Über die langen Knochen der südbayerischen Reihengräber- 
bevölkerung“ in Fig. 2 die Abbildung eines alemannischen 
Femurs, das er als platymer bezeichnet: das Femur besitzt ge- 


mäss der Zeichnung auch einen auffallend stark geneigten 
Hals. 


!) Manouvrier, L., La Platymerie. Extrait du Congres international 
d’anthropologie et d’archeologie prehistoriques, 1889. Paris 1891 p. 6. 

2) R. Lehmann-Nitsche, Sonderabdruck aus den „Beiträgen zur 
Onthropologie und Urgeschichte Bayerns“. Band IX, 1894. Heft 3 und 4. 
München 1895, 


678 HUGO HIERONYMUS HIRSCH, 


Bei der gegebenen Sachlage kann ich nicht umhin die Ver- 
mutung auszusprechen, dass die von den Anthropologen als 
ausgesprochen sagittal platymer bezeichneten Schenkelbeine 
wenigstens zum überwiegend grössten Teile einen auffallend 
geneigten Schenkelhals besitzen. 

Wenn ich nicht direkt erwarte, dass schlechtweg alle der- 
artigen Schenkelbeine einen stark geneigten Hals besitzen, so 
glaube ich eine gewisse Einschränkung mit Rücksicht auf folgende 
3eobachtung machen zu müssen. Bei Schenkelbeinen mit ziem- 
lich gleich grossem, mittelstarkem Neigungswinkel habe ich 
nicht immer ziemlich gleiche Querschnitte in dem bewussten 
Teile des Schaftes angetroffen, sondern bald einen mehr rund- 
lichen Querschnitt, bald einen solchen mit schwachem, aber 
doch deutlich ausgeprägten medianen Vorsprunge. Eine der- 
artige Beobachtung beweist, dass von einer genauen mathe- 
matischen Proportion zwischen der Grösse des Neigungswinkels 
des Schenkelhalses und der relativen Grösse des transversalen 
Durchmessers des proximalen Schaitteiles nicht die Rede sein 
kann. Jedoch widerlegt diese Erfahrung es auch gewiss nicht, 
dass eine gesetzmässige Beziehung zwischen den fraglichen Form- 
bestandteilen obwalten kann!). 

Was die Frage betrifft, welcher Natur die festgestellte ge- 
setzmässige Beziehung sein soll, so kann ich auch in dieser 
Hinsicht wieder an Mikulicz anknüpfen. Derselbe erklärt 
(l. ec.) seine bezügliche Beobachtung im Sinne des Gesetzes der 
statischen Knochengestaltung durch die grössere Tragfähigkeit 


1) Wenn bei sehr verschiedener Grösse des. Neigungswinkels jene Bezie- 
hung in auffälliger Weise zu Tage tritt, bei mittlerem Werte des Winkels 
dagegen nicht, so kann dies sehr wohl so zusammenhängen, dass die beiden 
Formbestandteile einmal durch ein Prinzip bestimmt werden, welches eine 
selbständige, unabhängige Entwickelung derselben innerhalb gewisser Grenzen 
bewirkt, dann aber auch durch ein solches, welches sie in eine Abhängigkeit 
von einander bringt. Wie ich schon an anderer Stelle auseinandergesetzt 
habe, wird die normale Knochengestaltung durch Vererbung und (funktionelle) 
Anpassung bestimmt; dies sind in der That zwei so verschiedene Prinzipien. 


“ 


Über e. Beziehung zwischen d. Neigungswinkel d. Schenkelhalses ete. 679 


des Schenkelhalses mit grösserem vertikalen Durchmesser. 
(Mikulicz macht dabei stillschweigend die auch gewiss berech- 
tigte Voraussetzung, dass ein stärker geneigter Schenkelhals 
stärker auf Biegung beansprucht werde.) Ähnlich erkläre ich 
die grössere relative Breite des proximalen Schaftteiles bei 
Schenkelbeinen mit stark geneigtem Halse durch eine grössere 
Biegungsfestigkeit gegenüber Biegung in frontaler Richtung. 

Damit diese Erklärung als richtig bewiesen sei, muss zuerst 
nachgewiesen werden, dass ein Schenkelbein mit kleinem Nei- 
gungswinkel des Halses in dem proximalen Schaftabschnitte eine 
stärkere frontale Biegungsbeanspruchung erfährt als ein solches 
mit grossem Neigungswinkel. Und es muss weiter nachgewiesen 
werden, dass nach der Mitte des Schaftes hin dieser Einfluss 
der Grösse des Neigungswinkels auf die frontale Biegungs- 
beanspruchung geringer wird; denn die Querschnitte aus der 
Schaftmitte zeigen ja nicht mehr jenen charakteristischen Form- 
unterschied. Diese Aufgaben, mit denen ich seit längerem be- 
schäftigt bin, überschreiten weit den Umfang eines Vortrages. 
Sie erfordern eine ausführliche Analyse der Beanspruchung des 
Oberschenkelbeines, wie ich eine ähnliche betreffend die Bean- 
spruchung des Schienbeins gegeben habe!). — Aber auch so 
erschien mir diese Veröffentlichung an dieser Stelle gerecht- 
fertigt, damit jene Beziehung, die ich glaube festgestellt zu 
haben, von anderer Seite nachgeprüft würde, und damit sie sich 
dann um so besser für das Studium der Knochenbildungsgesetze 
verwerten liesse. 


1) Hirsch, H.H., Die mechanische Bedeutung der Schienbeinform. Mit 
besonderer Berücksichtigung der Platyknemie. Ein Beitrag zur Begründung 
des Gesetzes der funktionellen Knochengestalt. Mit einem Vorwort von Prof. 
Dr. Rudolf Virchow. Berlin (Springer) 1895. S. 33—50 u. Taf. I—-Ill. 


Taf. G, Fig. 1. 


Fig. 2. 


Taf. H, Fig. 


oo 


Nat), Rie.,;o. 


Fig. 6. 


Erklärung der Tafeln. 


Proximaler Abschnitt eines linken Schenkelbeines mit stark 
geneigtem Halse (Rückansicht). 

Proximaler Abschnitt eines rechten Schenkelbeines mit besonders 
steilem Halse (Rückansicht). 

Die quer über den Schenkelhals und den Schaft unterhalb 
des Trochanter minor gezogenen Striche zeigen die Stellen 
an, an welchen die vier oberen der auf Taf. H zusammen- 
gestellten Querscheiben herausgesägt worden sind. 
Querscheiben aus dem Taf. G, Fig. 2 in seinem proximalen 
Abschnitte wiedergegebenen Schenkelbeine mit steilem Halse 
(in Ansicht von oben), a aus der Mitte des Halses, b unterhalb 
des Trochanter minor, ce aus der Mitte des Schaftes. 

a, , y. Querscheiben von entsprechenden Stellen des Taf. G, 
Fig. 1 abgebildeten Schenkelbeines mit stark geneigtem Halse. 

Bei Fig. 3a und Fig. 4@ bezeichnen die Buchstaben o, u, v 

und h die obere, untere, vordere und hintere Seite des Halses 
bezw. des Querschnittes durch denselben. — Bei Fig. 3b, 
Fig. 3c, Fig. 4% und Fig. 4y bezeichnen die Buchstaben i, ä, 
v und h die innere (mediane), äussere (laterale), vordere und 
hintere Seite des Querschnittes. (Bei Fig. 4« ist ein Teil der 
über den ganzen (Querschnitt verteilten Spongiosa aus dem 
Präparat herausgefallen.) 
a Frontalschnitt durch das proximale Ende eines linken Schenkel- 
beines mit steilem Halse (Vorderansicht); b Querschnitt von 
der Grenze dieses Frontalschnittes (von oben); e Querschnitt 
aus der Schaftmitte desselben Schenkelbeines. — Die Buch- 
staben i, ä, v und h haben dieselbe Bedeutung wie auf Tafel H. 
a, 8, y. Entsprechende Querschnitte durch ein zweites linkes 
Schenkelbein mit stark geneigtem Halse. 


Po 


en re a Du ’ er a WE 
.i rn a Era ae © a ; Ei Be Fr a} BE, 


Zinn De ee PILZE = Dar 9% > Ze WEL. r %z “IR 


MBL/WHOI LIBRARY 


u 
Bd ee 


er 


Hl Mil hulhalli, Hinanhlı, he 
ANERULNE I H 3 BR 
he ann N hit f il AN an) Hi H j j alt 


ID 
] nun, 


HE 
len 
Ali) 


m 
Yı 


ul 


el 


NEHaht;