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ANATOMISCHE HEFTE
ERSTE ABTEILUNG:
ARBEITEN AUS ANATOMISCHEN INSTITUTEN,
XI. BAND XXXIV/XXXV. xXXXVL, XXXVIL HEF T).
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ANATOMISCHE HEFTE.
REFERATE UND BEITRÄGE
ZUR
ANATOMIE UND ENTWICKELUNGSGESCHICHTE.
UNTER MITWIRKUNG VON FACHGENOSSEN
HERAUSGEGEBEN VON
FR. MERKEL UND R. BONNET
O0. Ö. PROFESSOR DER ANATOMIE IN GOTTINGEN. ©. O. PROF. DER ANATOMIE IN GREIFSWALD,
ERSTE ABTEILUNG.
ARBEITEN AUS ANATOMISCHEN INSTITUTEN.
XI. BAND (XXXIV/XXXV. XXXVL, XXXVI. HEFT.)
MIT 34 TAFELN UND 18 ABBILDUNGEN IM TEXT.
m EESSHHREEERER Ep
WIESBADEN.
VERLAG VON J. F. BERGMANN.
1899.
Das Recht der Übersetzung bleibt vorbehalten.
Druck der Kgl. Universitätsdruckerei von H. Stürtz in Würzburg.
Er up be
XXXIV XXXV. Heft ausgegeben im September 1898,
Vietor v. Mihalkovics, Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ.
Eine biologische Studie. Mit 79 Figuren auf Tafel I—_XI .
llans Rabl, Beitrag zur Histologie des Eierstockes des Menschen
und der Säugetiere nebst Bemerkungen über die Bildung von
Hyalin und Pigment. Mit 41 Figuren auf Tafel XI/X VI
Leo Hirschland, Beiträge zur ersten Entwickelung der Mammar-
organe beim Menschen. Mit 6 Figuren auf Taf. XIX/XX
XXXVI. Heft ausgegeben im November 1898.
Oscar Profe, Beiträge zur Öntogenie und Phylogenie der Mammar-
organe. Mit 33 Abbildungen auf den Tafeln XXI/XXVI und
einer Abbildung im Text . Le Se TEN De
Hermann Triepel, Die Struktur der Gehirnvenen und die Blut-
eirkulation in der Schädelhöhle. Mit 9 Figuren auf Tafel XXV]I
und 3 Figuren im Text ES ee An
M. Carl Rosenfeld, Die Bänder des Schultergelenkes beim
Menschen und einigen Säugetieren ET DT, ao:
M. Carl Rosenfeld, Zur vergleichenden Anatomie des Musculus
tibialis postieus. Mit 5 Figuren auf Tafel XXVII—XXIX
W. Kürsteiner, Die Epithelkörperchen des Menschen in ihrer
Beziehung zur Thyreoidea und Thymus. Mit 9 Abbildungen
auf Tafel XXX/XXXIII a ar eye DE
XXXVI. Heft ausgegeben im Januar 1899.
Alfred Fischel, Über vitale Färbung von Eehinodermcneiern
während ihrer Entwickelung. Mit 18 Abbildungen auf Tafel
XXXIV/XXXV RE ee
Ivar Broman, Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen
beim Menschen. Mit 14 Figuren im Text und 6 Tafeln A—F
Hugo Hieronymus Hirsch, Über eine Beziehung zwischen dem
Neigungswinkel-des Schenkelhalses und dem Querschnitte des
Schenkelbeinschaftes. Mit Demonstration von Präparaten aus
dem I. anatomischen Institut zu Berlin. Mit 6 Figuren auf
Tafeln G—J
Seite
221
247
287
339
359
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NASENHÖHLE
UND
JACOBSONSCHES ORGAN.
EINE MORPHOLOGISCHE STUDIE.
VON
VICTOR v. MIHALKOVICS,
BUDAPEST.
Mit 79 Figuren auf Tafel I-XT.
Anatomisehe Hefte. I. Abteilung. XXXIV/XXXV. Heft (11. Bd. H. 1/2.) l
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Geschichtliche Einleitung.
Unter Jacobsonschem Organ (organum vomeronasale
(Jacobsoni]) versteht man einen in der Pars respiratoria der
Nasenhöhle in der Nasenscheidewand unten und vorne gelegenen
Sinnesepithelbezirk, der in vollkommener Form als ein Schlauch
oder Sack mit enger Mündung, in weniger vollkommener Form
als blosse Einbuchtung oder trichterförmige Vertiefung der
Schleimhaut erscheint. Letzteres ist der Fall bei manchen
Amphibien und Krokodilen, ersteres bei Säugetieren und Sauriern.
Auch bei Affen und Menschen ist der Schlauch vorhanden, bei
letzterem aber nicht immer, nur enthält es kein spezifisches
Sinnesepithel, sondern mehrschichtiges, schlankes Cylinderepithel,
das Ähnlichkeit mit verkümmerten Riechzellen hat; da ausserdem
kein Sinnesnerv zum Schlauch geht, ist es zu den rudimentären
Organen zu zählen. Bei Vögeln ist an Stelle des Jacobsonschen
Schlauches ein Epithelgang vorhanden, der die Ausmündung
einer an der lateralen Wand der Nasenhöhle gelegenen Drüse
ist; jener Schlauch ist seiner Lage und Struktur nach als ein
modifizierter Jacobsonscher Gang zu betrachten, der in den
Dienst einer Drüse getreten ist. Fische besitzen überhaupt kein
Jacobsonsches Organ '!), die phylogenetische Entwickelung be-
ginnt erst bei den Amphibien.
1) Den übrigen Vertebraten entsprechende Jacobsonsche Organe haben
die Fische nicht, von einigen Autoren werden aber gewisse Kanäle für solche
gehalten. Winther (Fiskenes Ansigt. Forste afsnit in Naturk. Tidskrift.
3 R. X S. 185) hat am Lachs unter der Nasengrube zwei nach aufwärts
1*
4 VICTOR v. MIHALKOVICS,
Ausser den übrigen angeführten Eigenschaften sind alle
übrigen für die Charakteristik des Jacobsonschen Organes
von nebensächlicher Bedeutung, so die Stelle der Mündung,
das Verhältnis zu den kleineren Knorpeln der Nasenscheidewand,
das getrennte Vorhandensein von respiratorischem Epithel im
Schlauch, endlich das erektile Gewebe in dessen Nähe. Nur die
in den Schlauch mündenden Nasendrüsen scheinen von Wichtig-
keit für die Funktion des Organes zu sein, weil sie meistens in
starker Ausbildung vorhanden sind, ausserdem natürlich der
Sinnesast des Olfaktorius bei jenen Arten, wo das Organ ın
Funktion ist, wohingegen bei den rudimentären Formen diese
Bedingung wegfällt. Auch der Trigeminus sendet sensible
Zweige zum Organe, dieses verhält sich also in Hinsicht der
Nervenversorgung so, wie die Riechschleimhaut. Von nicht
geringer Bedeutung ist auch die enge Mündung bei der schlauch-
oder sackartigen Form, denn diese ist immer so gebildet, dass
die Kommunikation behindert ist.
Vorliegende Umschreibung des Jacobsonschen Organs
ruht auf vergleichend-anatomischen Gesichtspunkten, in dessen
ziehende blinde Kanäle beschrieben und als Jacobsonsche Organe gedeutet.
Dagegen haben sich Jungersen (21) und Sagemehl (Beitr. z. vgl. Anat. d.
Fische. III. Morphol. Jahrbuch, X. 1885, 8. 77) erklärt, nach letzterem sind
es nur Schleimkanäle. Wiedersheim (Grundr. d. vgl. Anat. 3. Aufl. Jena 1893,
S. 308) erwähnt Jacobsonsche Organe am Polypterus bichir, aber Wald-
schmidt (Beitr. z. Anat. d. Centralnervensystems und der Geruchsorgane von
Polypterus bichir. Anat. Anzeiger, 1887, S. 308) teilt diese Ansicht nicht.
Auch Seydel (43) hat an Knorpelfischen und Garnault (14) an Dipnoern
(Protopterus) umsonst nach Jacobsonschen Organen gesucht. — Scott
(Notes in the Development of Petromyzon. Journ. of Morphol. Bosten. I. 1887)
hat an 12,5 mm langen Petromyzonlarven im hinteren Teil der Nasenhöhle
ein Divertikel gefunden, an dessen Stelle im erwachsenen Tiere eine grosse
Drüse liegt, und dieses Gebilde in Beziehung zum Jacobsonschen Organe
gebracht, was auch Bujour (Contrib. a l’etude de la metamorphose de
l’Amocoetes. Revue biologique du Nord de la France. 1890/91. S. 328) für richtig
hält. In Anbetracht des Umstandes, dass das Jacobsonsche Organ erst bei
den Anuren erscheint (s. unten), sind alle Angaben über Fische als verfehlte
zu betrachten.
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 9)
Rahmen das vom dänischen Anatomen Jacobson (19) im Jahre
1811 an Säugetieren entdeckte und von Cuvier dem Institut
zu Paris vorgelegte Organ hineinpasst. Der von der anatomi-
schen Gesellschaft vorgeschlagene Name: Organum vomero-
nasale ist gut gewählt, weil das Organ konstante Lagebe-
ziehungen zum vorderen Teil des Pflugscharbeines hat; ebenso
passend wäre gewesen Organum praemaxillonasale (Jacob-
soni), wegen den Beziehungen zum Zwischenkiefer. Es muss
aber bemerkt werden, dass das Organ beim Menschen schon
vor Jacobson bekannt war, denn Ruysch!') hat es schon im
Jahre 1703 beschrieben und abgebildet, desgleichen thut Söm-
merring?) dessen Erwähnung, nur erkannten beide die Be-
ziehung zum Riechorgan nicht und beschrieben sie einfach als
eine kleine Tasche der Nasenhöhle, in die eine kleine Sonde
hineingeführt werden kann. Jacobsons Verdienst besteht auf
dem Hinweis eines accessorischen Riechorgans, freilich in dürf-
tiger Form, da er dessen Funktion im Feuchthalten der Nasen-
schleimhaut, Cuvier aber das Erkennen der schädlichen Nah-
rung von den nützlichen für dessen Aufgabe hielt.
Nach Jacobson wurde das Organ wiederholt untersucht
und beschrieben, vor allem an Säugetieren, dann an niederen
Tierklassen. Die älteren Beschreibungen von Reifstock’®)
und Rosenthal (40) enthalten nicht viel mehr als Jacobsons
Arbeit; und J. H. Meckel!) erwähnt vom Menschen dasselbe,
wie Ruysch und Sömmerring. Histologisch hat das Organ
an Säugetieren zuerst Leydig?’) im Jahre 1857 untersucht, an
ı)Ruysch, Thesaurus anatomieus. III. Amstelod. 1703, p.49, Tab. IV, Fig. 5.
2) Sömmerring, Abbildung der menschlichen Organe des Geruches.
Frankfurt 1809, Tab. III, Fig. 1. 9.
3) Reifstock, Dissertatio de struetura organi olfactus mammalium
nonnulorum. Tubingae 1823.
4) Meckel, Fr. J., Handbuch der menschl. Anatomie. IV. 1820, S. 141.
5) Leydig, Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Tiere,
Frankfurt 1857. S. 218.
6 VICTOR v. MIHALKOVICS,
den sich €. Baloghs (2) Untersuchungen am Schafe an-
schliessen (1860). An menschlichen und tierischen Embryonen
hat zuerst Dursy!) das Organ im Jahre 1869 beschrieben und
abgebildet, dem die pünktliche Abhandlung A. v. Köllikers
(26) vom menschlichen Embryo folgte. Desgleichen liegen über
den Menschen Untersuchungen von Romiti (39), Piana (33),
Röse (42), Anton (1), Schmidt, E. (47), Potiquet (35) und
Raugse (37)vor. Haussäugetiere haben K l ein (22—25), Harvay-
Reuben (16), Löwe, Fleischer (11), Garnault (14) unter-
sucht; Prototherien Symington (50) und Smith-Elliot (46);
Beuteltiere Röse (41). Die Amphibien hat Seydel (43) einer
gründlichen Untersuchung unterzogen und über die letzteren
liegen auch von Burckhardt?) und Sarasin°) einige Beobach-
tungen vor. Von Reptilien hat Leydig (29) die Ophidier schon
vor längerer Zeit untersucht und seine Angaben jüngst erweitert
(30), ausserdem haben Sluiter (49) und Röse (42) die Kro-
kodile, Seydel (44) die Schildkröten genau beschrieben. Den
Abschluss machen die histologischen Untersuchungen mit der
Golgischen Methode von M. v. Lenhossek (28), Retzius (38)
und Schiefferdecker (45).
Es liegen also zahlreiche Untersuchungen über das Jacob-
sonsche Organ vor und wenn ich mich trotzdem der Mühe
unterworfen habe, dem Gegenstande nahe zu treten, so liegt
der Grund darin, um nach Durchmusterung der vorhandenen
Typen einen vergleichend-anatomischen Einblick in das rätsel-
hafte Organ zu erhalten, in der Meinung, dadurch womöglich
auch dessen Funktionen feststellen zu können. Dieser Fall ist
freilich nicht eingetreten, doch habe ich mir über Manches ein
1) Dursy, E., Entwickelungsgeschichte des Kopfes des Menschen. Tü-
bingen 1869. S. 135—139.
2) Burckhardt, P., Untersuchungen am Gehirn und Geruchsorgan von
Triton und Ichthyophis. Zeitschr. f. wiss. Zool. LII. 1891.
3) P. und F. Sarasin, Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschungen
auf Ceylon. Wiesbaden 1887—93. II. S. 175.
1
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ.
anderes Urteil gefällt, als meine Vorgänger, besonders Seydel,
der den Gegenstand von vergleichend -anatomischen Gesichts-
punkten behandelt hat. Nur hat Seydel bloss Anamnier in
den Kreis seiner Betrachtungen gezogen, wogegen ich ausser
diesen von den Reptilien bis zum Menschen hinauf die wichtigeren
Typen untersucht habe. Ich lege hier diese Untersuchungen
vor, die anfangs bloss zu meiner eigenen Belehrung unter-
nommen wurden; als ich dann in bestimmte Bahnen gelenkt
wurde, hielt ich es für keine überflüssige Arbeit meine Beob-
achtungen den Fachgenossen vorzulegen. Dabei ergab sich die
Betrachtung der ganzen Nasenhöhle für notwendig, besonders
bei den Amphibien und Reptilien, und da ich nebenbei manches
über die Nasenhöhle auch bei den höheren Formen sah, soll
dieses gleich mitgenommen werden.
Die Untersuchungsmethode betreffend bemerke ich, dass
seriale Frontalschnitte am meisten belehrend sind. Als Fixie-
rungsmittel habe ich ausser Flemmings und Herrmann-
scher Flüssigkeit hauptsächlich die Zenkersche angewendet.
An erwachsenen Objekten ist das nachherige Entkalken mit
schwacher Salpetersäure (3,5—5/o) notwendig, doch an reiferen
Embryonen wegen der nachfolgenden geringeren Tinktionsfähig-
keit womöglich zu meiden. Ich habe an solchen Embryonen, wo
schon Knochenbildung auftritt, das Einlegen nach der Zenker-
schen Flüssigkeit in Müllersche Lösung auf einige Zeit für
gut befunden, das die Zenkersche Flüssigkeit extrahiert und
eine Nachbehandlung mit Jodalkohol überflüssig macht. _ Eine
längere Aufbewahrung in Jodalkohol ist für die Deutlichkeit
und Färbbarkeit der Elementarteile von Nachteil, soll also wo-
möglich vermieden werden. Für Übersichtspräparate hat aber
dessen Anwendung keine Bedeutung.
8 VICTOR v. MIHALKOVICS,
1. Amphibien.
Von den einheimischen Amphibien stehen die Urodelen be-
züglich des Baues der Nasenhöhle auf einer niederen Stufe, wie
die Anuren, sodass eine getrennte Betrachtung beider angezeigt ist.
a) Urodelen.
Von den Urodelen habe ich Triton eristatus und Salamandra
maeculosa untersucht, über die anderen Arten verweise ich auf
Seydels Abhandlung (43)'), bezüglich der Gymnophionen auf
Sarasin (op. eit.) und Wiedersheim?).
Triton und Salamandra zeigen den Typus des einfachen
Baues einer Geruchshöhle (Taf. I, Figg. 1 u. 2); dieser ist ein
flacher Sack mit 2 Öffnungen, nämlich vorne mit der äusseren
Nasenmündung, hinten mit, der Choane; das hintere Ende des
Sackes setzt sich jenseits der Choane kaudalwärts noch fort und
endet blind abgerundet; an diesen blinden Teil treten die Äste
des Riechnerven heran und teilen sich in dorsale und ventrale
Äste. Hinter der äusseren Nasenöffnung folgt der Nasenvorhof,
dann erweitert sich die Nasenhöhle lateralwärts derartig, dass
sie sich auf die ganze Breite des Vorderkopfes erstreckt (Figg.
1 u. 2); gegen das hintere Ende dieses breitesten Teiles liegt
fast in der Mitte des Bodens die Choane. Der flache Nasensack
1) Seydels Untersuchungen erstrecken sich von den Perennibranchiaten
auf Proteus anguineus, Siren lacertina, Siredon pisciformis; von den Urodelen
auf 'riton eristatus und alpestris, und Salamandra maculata. Von diesen zeigt
Siren bezüglich des Anhanges der Nasenhöhle insoferne vorgeschrittenere Ver-
hältnisse als die Urodelen, da der Anhang ausser dem lateralen Recess auch
einen medialen besitzt, ähnlich wie es bei den Anuren der Fall ist, nur in ein-
facherer Form. Seydel deutet beide Recessus als Teile des Jacobsonschen
Organes, was meiner Ansicht nach nur auf den medialen Anhang passt, während
der laterale eine primitive Kieferhöhle darstellt. Siredon weicht in Bezug auf die
Nasenhöhle wenig von Triton ab; nur ist die Hauptnasenhöhle mehr rundlich
und der laterale Anhang kleiner.
2) Wiedersheim, R., Anatomie der &ymnophionen. Jena 1879.
bnatomische Hefte IAbtheitung left INA KK (N Bel HL?)
cartilago medial
carlil.paranas sup.
epitli. respirat.
duclus nasola.,
erim
gland.intermax
epilh. respurat.1
Fig.d.
carlıl,puranas. int.
reccss, maxillar
(s.lat.nası)
osnasalc
cartil.sephi carlıl paranas.
carlil. parascpt sup"
alaud. Jacobs
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cartil.medialis.
carlil sepli.-
carlıl. parascept. sup...
gland Jacobs
recess medial.nasi
(duct. Jacobs.)
gland.nas.lat
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cartilg.parasepl. inf
Pars. intermedia
(sısthmus)
Unawns-Druökarei v N Seilree WESER
Unamrs- Deu N Stitre= WEreburg
gland palat.—
recess.maxillar.
(S.Tat.nast.)
epith.respir. I
Taf
duotus nasolucrim.
vomer.
/
epith. respir.d. SU
recess. maxuill.(s.lat.nası)
os nasale
carlilugo paranas
gland.nas.lat
duct. nasolacrım
pars intermedia.
(sisthmus)
recess. maxillar.
(s. lat nasit.)
maxilla.
Velag m Ur Bergmann,‘
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 9
besteht aus einem medialen geräumigeren Teil (Ductus olfactorius)
und einem lateralen engeren Anhang (Recessus maxillaris nasi)
an der Grenze beider liegen flache Einschnürungen, resp. Falten
’
der Schleimhaut (Epith. resp. 2 und Epith. resp. 3), von welchen
die obere gegen das Lumen mehr vorspringt, als die untere,
sodass sich die untere Wand der Hauptnasenhöhle an Triton fast
ohne Unterbrechung in den Boden des Anhanges fortsetzt (Fig. 1).
Über der oberen Falte liegt ausserhalb der knorpeligen Nasen-
kapsel der Thränennasengang (Ductus nasolacrimalis), sodass
deren Entstehung und die Differenzierung der Nasenhöhle in
zwei Teile der Anlage dieses Ganges zugeschrieben werden kann.
Vorne mündet der Thränennasengang in den lateralen Nasen-
anhang, auch sind dort die Öffnungen grösserer Drüsen, die sich
am Boden der Hauptnasenhöhle erstrecken (mediale Nasendrüsen).
An Amphibienlarven ist anfangs die ganze Nasenhöhle vom
Eingang bis Ende mit hohem Sinnesepithel belegt und der
ganze Geruchssack mehr rundlich; also im Verhältnis höher,
als beim erwachsenen Tiere. Dann wächst am Boden dieses
Sackes lateralwärts eine kleine Ausstülpung vor!) und auch dieser
ist anfangs gleichmässig mit Sinnesepithel bedeckt. Aus der
Ausstülpung wird später, wenn sich die Nasenhöhle abgeflacht
hat, der laterale Anhang des Geruchssackes. Dann ist aber auch
eine Differenzierung des Epithels eingetreten: das hohe embryo-
nale Sinnesepithel hat sich streckenweise in respiratorisches
Epithel umgewandelt. Solche respiratorische Zonen sind: die
mediale, gegen die Nasenscheidewand gewendete Seite des
Epithels (Taf. I Figg. 1 und 2, Epith. resp. 1 und 2), ferner die
!) Burekhardt (op. eit.) giebt von 12,5 mm langen Salamanderlarven an,
der Anhang der Nasenhöhle entstehe als eme medialwärts gerichtete Aus-
stülpung der Nasenhöble, die sich später lateral verlagert, und hält aus diesen
und anderen Gründen den Recess für das Jaeobsonsche Organ. Die Ausstülpung
bildet aber später so abweichende Verhältnisse von den morphologischen Be-
dingungen des Jacobsonschen Organs, dassich mich Burekhardts Auffassung
nicht anschliesse (vergl. Text).
10 VICTOR v. MIHALKOVICS,
Gegend der lateralen Grenzfalten (Epith. resp. 2 u. 3) und der
grösste Teil des lateralen Anhanges (Rec. max.), ausgenommen
dessen blindes Ende in der Region vor der Choane, wo Sinnes-
epithel liegt (Epith. olf.), während ganz vorne in der Gegend
der Einmündung des Thränennasenkanals und der unteren
Nasendrüsen nur respiratorisches Epithel vorhanden ist; dasselbe
ist der Fall im Anhang hinter der Choane; folglich ist die Aus-
breitung des Sinnesepithels im Anhang sehr eingeschränkt und
die schlanken Sinneszellen stehen dort gemischt mit flimmernden
Cylinderzellen (Fig. 2). An Triton (Fig. 1) ist insofern ein primi-
tiverer Zustand vorhanden, als das hohe Sinnesepithel in der
Hauptnasenhöhle durch vordringende Gefässschlingen den Ge-
ruchsknospen der Fische ähnlich gestaltete Territorien zerlegt ist;
jedoch sind diese von sehr ungleichmässiger (Grösse, und an
der oberen Wand stellenweise auch unvollständig von einander
getrennt (Fig. 1), sodass sie mit echten Geruchsknospen nicht
verglichen werden können.
Ausserhalb des Fpithels folgt die Schleimhaut mit den ein-
gelagerten schlauchförmigen (Bowmannschen) kurzen Nasen-
drüsen und den marklosen Bündeln des Olfaktorius; beide liegen
hauptsächlich an der Decke und am Boden der Hauptnasenhöhle;
die spärlichen Bündel des Olfaktorius erstrecken sich sowohl
dorsal wie auch ventral auf den lateralen Anhang und gehen
zu dessen Sinnesepithel. Ausser den marklosen Ästen des
Olfaktorius gehen Äste des Trigeminus zur Schleimhaut.
Die Schleimhaut liegt geborgen in der knorpeligen Nasen-
kapsel. Diese ist durch Lücken in mehrere flache Lamellen
zerlegt, von denen eine in der Nasenscheidewand (Fig. 1
Cartilago medialis), die anderen an der Decke und am Boden
der Nasenhöhle liegen (Cartilagines paranasales, superior
et inferior), und sich bis an den lateralen Anhang erstrecken;
ein besonderer Knorpel für letzteren existiert aber nicht.
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. Bi
Seydel (43) hat nach der Plattenmodelliermethode eine sehr
sorgfältige Beschreibung und Abbildung der knorpeligen Nasen-
kapsel von Salamandra gegeben, die wir hier übergehen
können, da der Knorpel zur Klarlegung unserer Aufgabe von
nebensächlicher Bedeutung ist. Auch die Deckknochen stehen
unserer Frage weniger nahe, von denen wir nur erwähnen, dass
an der Decke der Nasenhöhle die Nasalia und Praenasalia, am
Boden das Praemaxillare, Vomer, und weiter hinten das Sphenoid,
und den lateralen Anhang umfassend das Maxillare liegt, —
alles ganz flache Knochenplättchen, die um die knorpelige
Nasenkapsel sekundär aus Bindegewebe entstanden sind.
Zwischen Nasen- und Mundhöhle liegt der Gaumen. Dieser
ist im Bereich der Hauptnasenhöhle als primärer Gaumen
(Palatum praemaxillare) zu betrachten, der aus dem Fort-
bestand des embryonalen Gaumens entstanden ist. Folglich ist
auch die hintere Nasenöffnung als primäre Choane zu deuten,
und nicht homolog der sekundären Choane der höheren Arten.
Ausser dem primären (prämaxillaren) Gaumen ist bei den
Amphibien auch einsekundärer Gaumen (Palatum maxil-
lare) vorhanden, nur ist derselbe sehr klein und besteht aus
einer niederen Falte (Gaumenfalte, Seydel) am Maxillarteil des
Vorderkopfes, die sich jenseits der Choane in den Boden des
lateralen Nasenanhanges fortsetzt; die Falte hat auch jenseits
des Endes des lateralen Nasenanhanges eine Fortsetzung an der
Decke der Mundhöhle. Über der Falte liegt in der Region vor
der Choane eine seichte Furche der Mundhöhle (Gaumenfurche;
Suleus palatomaxillaris); jenseits der Choane bildet der
sekundäre Gaumen den Boden des lateralen Anhanges der
Nasenhöhle, und es lagert sich das Gaumenbein hinein!). Medial
!) Seydel (43) bezeichnet lateral von der Choane in der Gaumenfalte
einen kleinen Knochen als Vomer (8.499, Fig. 12. L.); ausserdem einen grösseren
Knochen median von der Choane ebenfalls als Vomer. Eine Zerlegung des
Vomer in zwei Teile ist unstatthaft, und meiner Ansicht nach der kleine
laterale Knochen das Palatinum.
12 VICTOR v. MIHALKOVICS,
von der Choane bildet den Boden der Nasenhöhle ein von der
knorpeligen Nasenscheidewand sich lateral erstreckender horizon-
taler Fortsatz, der als Cartilago paraseptalis zu bezeichnen
ist; derselbe ist homolog dem sog. Jacobsonschen Knorpel der
höheren Arten, der aber hier vom Scheidwandknorpel noch
nicht abgetrennt ist. Unter dem Knorpel liegt das flache Pflug-
scharbein und das Sphenoid.
Aus der vorangeschickten Beschreibung ist ersichtlich, dass
die Nasenhöhle von Triton und Salamander einfach gebaut ist,
aber doch schon Differenzierungen sowohl im Epithel, als auch
in den Dimensionen des Lumens aufweist. Nur in Bezug auf die
Flächenvergrösserung der Riechschleimhaut sind primitive Ver-
hältnisse vorhanden, insofern Muscheln oder muschelartige
Hervorragungen fehlen. Es handelt sich jetzt darum, festzustellen,
wie der laterale Nasenanhang zu deuten ist.
Seydel (43), und schon vor ihm Goette') und Fleischer
(11) haben den lateralen Nasenanhang (Figg. 1. und 2. Recess.
maxill. nasi) für das Jacobsonsche Organ gehalten, was nach
der Auffassung Beards (4) unrichtig ist. Seydel hat denselben
als Ductus respiratorius im Gegensatze zum Ductus olfac-
torius bezeichnet. Dass das Jacobsonsche Organ an der
lateralen Seite der Geruchshöhle liegt, erklärt Seydel aus der
flachen Form des Vorderkopfes, wodurch die bei den hohen
Nasenhöhlen der höheren Arten (Reptilien u. s. f.) an der medialen
Seite gelegenen Teile lateral verlagert werden. Als Beweis für
den Vergleich mit dem Jacobsonschen Organ werden noch
das Sinnesepithel im blinden Ende des Nasenanhanges hinter
der Einmündung des Thränennasenganges, das Fehlen von
Bowmannschen Drüsen und Sinnesknospen an Tritonen, end-
lich die Versorgung von medialen Ästen des Olfaktorius, und
die Einmündung der unteren Nasendrüsen (Jacobsonschen
1) Goette, A., Entwickelungsgeschichte der Unke. Leipzig 1875.
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 13
Drüsen nach Seydel) angeführt. Die Aufgabe des Ductus
respiratorius besteht nach diesem Forscher in der Kontrolle der
exspirierten Luft oder Wassers, denn der exspirierte Strom wird
wegen der kaudalwärts von der Choane sich erstreckenden
Gaumenfalte hauptsächlich in dieser Richtung geleitet, wogegen
der inspirierte Strom mehr die Hauptnasenhöhle passiert.
Ich kann mich der Auffassung Seydels bezüglich des late-
ralen Nasenhöhlenanhanges als Jacobsonsches Organ von ver-
gleichend anatomischen Gesichtspunkten nicht anschliessen. Es
handelt sich bei der Feststellung dieses Organes nicht um phy-
siologische, sondern um morphologische Gesichtspunkte. Das
von Jacobson (19) an Säugetieren entdeckte Organ ist ein Ge-
bilde der Nasenscheidewand, es entwickelt sich und liegt immer
im embryonalen mittleren Nasenfortsatz. An Säugetieren ist
es ein dort liegender abgekapselter Teil der Nasenhöhle, an
Krokodilen nur eine kleine Einbuchtung, aber immer ein Organ,
das sich im embryonalen mittleren Nasenfortsatz entwickelt
und in der Nähe des medialen Endes des primitiven (präma-
xillaren) Gaumens gelegen ist, ausserdem Beziehungen zum
Pflugscharbein hat. Der laterale Nasenhöhlenanhang der Am-
phibien liegt aber im lateralen Nasenfortsatz, wie das die
Umfassung von seiten des Oberkiefers beweist, ausserdem hat
es Beziehung zum Boden des sekundären Gaumens und es ver-
läuft an dessen oberen Teil der Thränennasengang, der sich
dann vorne in denselben öffnet. Das sind alles Verhältnisse,
die dem Begriff des Jacobsonschen Organes gegensätzlich
sind, vielmehr ganz in den Rahmen einer primitiven Kieferhöhle
passen (Born [6]; Wiedersheim!). Deshalb halte ich die
Ansicht Borns, dass der laterale Anhang der Nasenhöhle der
Sinus maxillaris ist, für berechtigt, weil es mit den anatomischen
Attributen dieser Höhle ausgestattet ist. Unter den hierfür
sprechenden Gründen ist auch anzuführen, dass das Jacobson
1) Wiedersheim, R., Grundriss d. vergl. Anat. S. 318.
14 VICTOR v. MIHALKOVICS,
sche Organ bei allen Tieren in der Nähe des Vomer liegt, dieses
aber bei den Urodelen am Boden der Hauptnasenhöhle ange-
bracht ist, folglich könnte man an Urodelen als homologe Stelle
des Jacobsonschen Organes nur das dicke Sinnesepithel am
Boden der Nasenhöhle über dem Vomer für solches halten
(Fig. 2, über Vomer); da aber dieses ausser den histologischen
Unterschieden keine lokalen Abgrenzungen durch Falten gegen
den übrigen Teil der Hauptnasenhöhle aufweist, ist die Folge-
rung berechtigt, dass die Urodelen (Triton und Salamander) kein
Jacobsonsches Organ besitzen.
Wenn dem so ist, muss das wenige Sinnesepithel am blinden
Ende der Kieferhöhle erklärt werden (Fig. 2, Epith. olfact.).
In ganz primitiven Zuständen ist das Sinnesepithel über die
ganze Nasenhöhle ausgebreitet, wie es die Fische und die Jugend-
formen der Urodelen beweisen (s. oben). Mit der Zuziehung
der Nasenhöhle zum Respirationsgeschäft erfolgte eine Aus-
weitung des Lumens und es entstanden mit indifferentem Re-
spirationsepithel bedeckte Stellen, wo die Becherzellen die Ab-
sonderung des Schleimes, die flimmernden Cylinderzellen deren
Fortbewegung zur Aufgabe hatten. Da der laterale Nasen-
höhlenanhang hauptsächlich wegen Respirationsbedürfnissen ent-
stand, trat dort Respirationsepithel auf, aber nicht auf einmal,
sondern es blieben darin einstweilen Riechstrecken zurück. Es
kann ja im Sinne Seydels ganz richtig sein, dass der Ex-
pirationsstrom hauptsächlich durch den lateralen Nasenhöhlen-
anhang fortgeleitet wird, das ist aber noch kein Grund denselben
für das Homologon des Jacobsonschen Organes der höheren
Arten zu halten. Sogar vorausgesetzt, dass es dieselben Funk-
tionen hat, wie das Jacobsonsche Organ der höheren Tiere, ist
nur eine physiologische Gleichheit, eine Analogie vorhanden;
Homologien sind aber immer nur von morphologischen Gesichts-
punkten zu beurteilen. Ich halte das wenige Sinnesepithel im
blinden Ende der Kieferhöhle für den Rest des allgemeinen
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 15
Geruchsepithels, und die Kieferhöhle für den ältesten phylogene-
tisch erworbenenen Anhang der Nasenhöhle. Auch vom dorsalen
Ast des Olfaktorius sehe ich schwache Zweige an die Decke der
Kieferhöhle bis an das Sinnesepithel herantreten, nicht nur
vom ventralen, wie es Seydel beschreibt, folglich fällt auch
dieser Beweisgrund für die Erklärung des lateralen Anhanges
als Jacobsonsches Organ weg.
Anuren.
Die Nasenhöhle der Frösche und Kröten ist im Verhältnis
zu den Urodelen bedeutend höher organisiert und zeigt An-
knüpfungen an Siren, in welchem ausser der Hauptnasenhöhle
ein unterer Anhang vorhanden ist, der nicht nur lateral, sondern
auch medial eine mit Sinnesepithel ausgestattete Ausstülpung
besitzt (vergl. Seydel, op. eit. S. 460, Fig. 2 H. u. 2 J.).
Die Verhältnisse des äusseren Nasenloches, des Nasenvor-
hofes, der Choane, des primitiven und sekundären Gaumens
(Gaumenfalte) sind ähnlich jenen der Urodelen.
Die halbschematischen Figuren 70—73 auf Tafel XI zeigen
4 ausgesuchte Frontalschnitte vom Laubfrosch (Hyla arborea),
an welchen man eine Vorstellung über den Bau der Nasenhöhle
erhalten kann. Zur Ergänzung dienen die mit stärkerer Ver-
grösserung gezeichneten Figuren der Tafel I, 3u.4. An Fig. 70
ist das äussere Nasenloch (Nares) und der Nasenvorhof ange-
schnitten, in letzteren ist schon von hier angefangen Riech-
epithel vorhanden. An einem weiter kaudalwärts gelegenen
Schnitte (Fig. 71) hat die birnförmige Hauptnasenhöhle (Duct.
olf.) einen ventralen platten Anhang erhalten (Recess. med. et
lat.), der sich medial gegen das knorpelige Septum (Cart.
septi), und lateral in den Oberkiefer (Maxilla) erstreckt; der
mediale Recess führt hohes Sinnesepithel, der laterale nicht.
In der Gegend der Choane (Fig. 72) ist der Schädel am breitesten ;
die Hauptnasenhöhle (Duct. olfact.) mündet in die Choane
16 VICTOR v. MIHALKOVICS,
und hat am Boden einen mit Riechepithel bedeckten Hügel
(Eminent. olf.); der mediale Recess ist hier nicht mehr vor-
handen, hingegen erstreckt sich eine Fortsetzung des lateralen
Recesses in den Oberkiefer hinein (Sule. maxillopalatinus);
unter dieser Kiefergaumenfurche liegt der sekundäre Gaumen-
fortsatz (Gaumenleiste Seydels). Kaudalwärts von der Choane,
im Niveau des Auges (Fig. 73) ist nur die Riechhöhle (Duet.
olf.) vorhanden und am Boden der Riechhügel (Eminent. olf.)
Das Skelett besteht aus der knorpeligen Nasenkapsel und
den dünnen Deckknochen. Der Scheidewandknorpel (Figg. 70, 71,
Cart. septi) ist vorne dick; kaudalwärts wird derselbe dünner
(Figg. 72 u. 75), und sendet in die Region vor der Uhoane an
seinem dorsalen und ventralen Ende lateralwärts die Nasenhöhle
umgreifende Fortsätze (Fig. 71 Cartilago paranasalis et
paraseptalisinferior), von welchen die dorsale Platte stellen-
weise defekt ist, sodass dort die Deckknochen direkt der Schleim-
haut anliegen. Ausser der dorsalen und ventralen Platte geht
vom Scheidewandknorpel auch eine intermediäre Platte lateral-
wärts (Fig. 71, Cartilago paraseptalis superior), welche
die Nasenhöhle in eine geräumige obere und eine flachere untere
Abteilung zerlegt, — erstere ist die Haupt-, letztere die Neben-
nasenhöhle, oder die Riech- und Respirationshöhle (Ductus ol-
factorius et respiratorius, Seydel). Die Verbindung der
beiden Höhlen geschieht durch eine vertikale enge Spalte (Taf. I,
Fig. 3 u. Taf. XI, Parsintermedia s. isthmus), die in saggitaler
Richtung kürzer ist, als die Nasenhöhlen, und darum an den
vorderen und hinteren Frontalschnitten nicht zu Gesichte kommt;
an solchen ist die Hauptnasenhöhle von der Nebennasenhöhle
getrennt (Fig. 71, rechterseits).
Die Hauptnasenhöhle (Taf. I, Fig. 3, Duct. olfact.) hat
die Form eines schräg gelegenen birnförmigen Sackes, der sich
nach unten lateralwärts verjüngt und dort in den kurzen Kom-
munikationsgang (Pars intermedia) übergeht, der das laterale Ende
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 17
des oberen Paraseptalknorpels (Cart. parasept. sup.) umgreift
und an der unteren Wand der Hauptnasenhöhle mündet, bei-
läufig in deren medialen Drittel. Der untere Nasensack ist eine
fast horizontal gelegene plattgedrückte Tasche, die sich an ihrem
breitesten Teile vom Scheidenwandknorpel bis in den Oberkiefer-
knochen hineinerstreckt (Figg. 3 u. 71, Rec. med. et lat.). Die
Tasche besteht aus einem medialen und einem lateralen Teil,
deren Grenze beim Kommunikationsspalt (Pars intermed.)
liegt; der mediale Teil hat in sagittaler Richtung eine geringere
Ausdehnung und liegt in einer unvollständigen knorpeligen Kapsel,
die von den beiden Paraseptalknorpeln und dem Scheidewand-
knorpel gebildet wird; vorne vereinigen sich die letzteren an
ihrem lateralen Ende zur Bildung eines vollständigen Knorpel-
ringes (Seydel, 8. 512, Fig. 19A). Der laterale Teil der Neben-
nasenhöhle (Fig. 3, Recess. maxillar.) erstreckt sich jenseits
der knorpeligen Nasenkapsel als plattgedrückter Sack in den
Oberkiefer hinein, und liegt in einer Bucht dieses Knochens
(maxill.). Da dieser Teil der unteren Nasenhöhle sich in sagit-
taler Richtung mehr kaudalwärts erstreckt, wie der mediale An-
hang, ist er auch an distaleren Schnitten vorhanden (Taf. XI.
Fig. 72, Sule. maxillopalatinus) und setzt sich distalwärts von
der Choane noch eine Strecke fort (vergl. Seydel S. 514, Fig. 19,
G.J.); von der Choane angefangen bildet der sekundäre Gaumen-
fortsatz(Palatum seeundarium) den Boden der seitlichen Aus-
buchtung. Oben bewirkt der Thränennasengang (Figg. 3 u. 71,
Duct. nasolacrim.) eine gegen das Lumen vorstehende Falte;
weiter vorne mündet der Gang in den vorderen Teil der Tasche.
Die Hauptnasenhöhle ist mit hohem Riechepithel bedeckt,
zwischen deren schlanken Zellen die kurzen Ausführungsgänge
der Bowmannschen Drüsen durchtreten (Taf. I. Fig. 3). Die
marklosen Äste des Olfaktorius liegen rundherum zwischen den
kugelförmigen Alveolen der Bowmannschen Drüsen. Gegen
den Kommunikationsgang (Pars intermedia) wird das Riech-
Anatomische Hefte, I. Abteilung. XXXIV’XXXV. Heft (11. Bd,, H. 1/2.) 2
18 VICTOR v. MIHALKOVICS,
epithel niederer und im Gang selbst folgt ein- bis zweireihiges
flimmerndes Cylinderepithel gemischt mit Becherzellen. Der
grösste Teil der Nebennasenhöhle ist mit respiratorischem Epithel
bedeckt, nur im medialen Anhang (Duct. Jacobs.) ist hohes
Sinnesepithel vorhanden, sodass dessen Querschnitt das Bild
einer kleinen unteren Riechhöhle giebt, die sich kaudalwärts in
einen blind endenden Recess fortsetzt; letzteres ist an distaleren
Frontalschnitten als runder Gang vorhanden (Fig. 4, Duct.
Jacobs.). Im lateralen Anhang der Nebennasenhöhle ist am
äusseren blinden Ende an einer kurzen Strecke vor der Choane
höheres Epithel vorhanden, von welchem Seydel angibt, dass
es Riechepithel sei; aber am Laubfrosch sehe ich dort nur in-
differentes kleinzelliges Epithel ohne Sinneszellen. In der unteren
Tasche fehlen Bowmannsche Drüsen, statt deren sind die
Recessus mit acino-tubulösen Drüsen reichlich versehen.
Der Drüsenapparat ist am Vorderkopf der Anuren mächtig
entwickelt. Vorne liegt zwischen den äusseren Nasenlöchern
die Glandula intermaxillaris, an der Mundhöhlendecke
die dicke Lage der Gaumendrüsen (Fig. 3 u. 71, Gland. palat.).
Zur Nasenhöhle stehen ausser den Bowmannschen zwei
grössere Drüsengruppen in Beziehung: die mediale und laterale
Nasendrüse (Glandula nasalis medialis et lateralis).
Letztere liegt an der äusseren Seite der Nasenhöhle (Fig. 3 u.
71, Gland. nas. lat.) in der Nähe des T'hränennasenganges
und mündet vorne in den lateralen Nasenanhang. Die mediale
Nasendrüse (Fig. 3, Glanjd. Jacobs.) ist grösser und umgreift
den mit hohem Sinnesepithel bedeckten medialen Nasenanhang
(Duct. Jacobs.) halbmondförmig; die Ausführungsgänge münden
in diesen Recessus hinein. Zwischen den Alveolen liegen die
marklosen Äste des Olfaktorius, die an das Sinnesepithel des
medialen Näsenhöhlenanhanges herantreten; sie kommen von
hinten aus einem besonderen Bündel des medialen Olfaktorius-
astes, während der laterale Ast sich an der äusseren Wand der
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 19
Hauptnasenhöhle ausbreitet. Ausser dem Olfaktorius gehen
Trigeminusäste zur Nasenschleimhaut.
Wenn wir das beschriebene Bild mit der Nasenhöhle der
Urodelen vergleichen, sehen wir einen Fortschritt im Erscheinen
des medialen Anhanges der Nebennasenhöhle, und in einer
Vergrösserung des lateralen Anhanges; ausserdem ist die Haupt-
nasenhöhle geräumiger geworden und der Drüsenapparat mäch-
tiger entwickelt. Für uns ist besonders der mediale Teil der
Nebennasenhöhle von Bedeutung (Fig. 3 und 4, Duct. Jacobs.),
weil dieses ein gut entwickeltes Jacobsonsches Organ ist, ganz
ähnlich wie bei den höheren Arten, nur dass es im Verhältnis
zur Hauptnasenhöhle grösser und von derselben weniger geschieden
ist, im übrigen aber alle Attribute des Jacobsonschen Organes
besitzt. Die Ausbuchtung ist mit hohem Sinnesepithel bedeckt,
wie die Hauptnasenhöhle; sie liegt in der Nähe des unteren
Teiles der Nasenscheidewand, und ist umgeben von Fortsätzen
des Scheidewandknorpels (Cartilagines paraseptales JJacob-
sonil, die vorne sogar eine vollständige Kapsel um dieselbe
bilden; die Ausbuchtung setzt sich kaudalwärts in einen kurzen
blinden Gang von rundlichem Querschnitt fort, dessen Wand aus
hohem Sinnesepithel besteht; in der Umgebung des Recessus
liegen stark entwickelte seröse Drüsen (Glandulae mediales
[Jacobsoni]) mit kleinen Alveolen und dunkelgekörnten
Drüsenzellen; ausserdem sind dort zum Sinnesepithel heran-
tretende Olfaktoriusbündel vorhanden (n. Jacobsoni), die von
Scheidenwandästen des Riechnerven kommen. Das sind alles
Attribute des Jacobsonschen ÖOrganes, wie dieses bei den
Säugetieren vorhanden ist, sodass kein Zweifel vorhanden sein
kann, dass der mediale untere Nasenanhang der Anuren ein
wirkliches Jacobsonsches Organ ist. Nur in Grössenverhält-
nissen sind Differenzen vorhanden, insofern das Jacobson sche
Organ der Anuren verhältnismässig gross ist, und die Form
Ir
20 VICTOR v. MIHALKOVICS.
einer unteren Riechhöhle hat, jedoch ist das von untergeordneter
Bedeutung.
Seydel hat den ganzen unteren Nasenhöhlenanhang für
das Jacobsonsche Organ gehalten, und daran einen medialen
und lateralen Abschnitt unterschieden; als letzteren betrachtet
er das wenige Sinnesepithel im blinden Ende des lateralen
Nasenhöhlenanhanges (Ductus respiratorius, S.). Da der
mediale Nasenanhang alle Attribute des Jacobsonschen Organs
besitzt, kann die laterale Ausstülpung nicht für ein solches
gehalten werden, aus Gründen, die ich oben bei den Urodelen
angeführt habe. Der laterale Anhang ist auch bei Anuren
weiter nichts als die primäre Kieferhöhle (Sinus maxillaris),
die sich in eine Nische des Oberkiefers hinein erstreckt. Kaudal-
wärts von der ÜUhoane setzt sich die Kieferhöhle über den
sekundären Gaumenfortatz. noch eine Strecke fort (Taf. XI.
Fig. 72, Sulcus maxillopalatinus; seitliche Nasenrinne
Seydels), und dient zur Leitung des Exspirationsstromes in der
Richtung gegen das äussere Nasenloch.
Da das Jacobsonsche Organ bei den Anuren erscheint,
ist hier die Frage über die Bedingungen des Erscheinens am
Platze.
Durch die Zuziehung der Nasenhöhle zum Respirations-
geschäft war eine Arbeitsteilung in der Geruchshöhle entstanden
und diese machte die Ausbildung einer im Dienste der Atmung
stehenden Nebennasenhöhle notwendig. Letztere weitete sich
stufenweise aus: anfangs klein bei Perennibranchiaten und
Urodelen, und sich nur in seitlicher Richtung erstreckend, erhielt
sie bei Anuren einen medialen Anhang. Im lateralen Anhang,
der eine primäre Kieferhöhle darstellt, veränderte sich das
embryonale mehrschichtige schlanke Epithel frühzeitig in flim-
mernders respiratorisches Epithel, und das wenige Sinnenepithel
an dessen blindem Ende verschwand. Der mediale Anhang aber
behielt sein hohes Sinnenepithel und stellte eine untere Riech-
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 21
höhle dar, die sich in dieser Form auf die höheren Arten fort-
erbte. Diese untere Riechhöhle ist das Jacobsonsche Organ.
Was die Bedingungen zur Entstehung des Jacobsonschen
Organs anbelangt, war Seydel der Meinung, dass der ganze
untere Nasenanhang zur Fortleitung des Exspirationstromes
dient, um die in die Mundhöhle aufgenommene Nahrung einer
Riechkontrolle zu unterwerfen. Das kann aber jedenfalls nur
für den medialen Nasenhöhlenanhang von Richtigkeit sein,
während der laterale mehr als Luftreservoir benützt wird beim
eventuellen Untertauchen der in Wasser lebenden Amphibien;
derselbe ist dazu wegen seiner Geräumigkeit und durch den
Schliessmuskel am Eingang der Nasenhöhle besonders geeignet.
Ob die Funktion des Jacobsonschen Organes in gewöhn-
lichem Riechen besteht, ist noch nicht ausgemacht. Das könnte
die Hauptnasenhöhle ebensogut besorgen, denn auch diese wird
vom Exspirationsstrome durchstreift. Analogieweise kann man
schliessen, dass in geschütztere Lagen versenktes Sinnesepithel
zur intensiveren Ausnützung der Sinneseindrücke verwendet
wird. Es ist wahrscheinlich, dass das Jacobsonsche Organ
Riecheindrücke vermittelt, — doch können diese anderer Art
sein, als jene in der Hauptnasenhöhle, wofür wir Belege bei
den Reptilien finden (s. unten). Die grosse Menge der serösen
Drüsen in der Nähe des Jacobsonschen Organes und das
konstante Fehlen von Bowmannschen Drüsen zeigen auf eine
abgeänderte Funktion; das reichliche Sekret dieser Drüsen erfüllt
die kleine Höhle des Jacobsonschen Organes, und es können
die Riechstoffe nur durch Vermittelung dieses Sekretes auf die
Riechzellen wirken. Feuchtigkeit ist zum Riechen auch in der
Hauptnasenhöhle notwendig, aber bei weitem nicht so reichlich
vorhanden, wie im Jacobsonschen Organ. Das Sekret der
serösen Drüsen kann chemisch zersetzend auf die Riechstoffe
wirken, um diese zum Perzipieren der Riechstoffe geeignet zu
machen. Die Hauptnasenhöhle ist zum Perzipieren der lang-
TV
ID
VICTOR v. MIHALKOVICS,
samer wirkenden Riechstoffe wegen des schnellen Luftwechsels
weniger geeignet, für diese ist das Jacobsonsche Organ wegen
seiner geschützten und versenkten Lage im Vorteil. Dass dieses
Organ erst bei den höheren Arten entstand, ist aus der fort-
schreitenden Vervollkommnung der Sinnesorgane zu erklären.
Das sind freilich nur Schlüsse, die aber eine Wahrscheinlichkeit
nicht entbehren. Jedenfalls steht es fest, dass sich das Jacob-
sonsche Organ erst bei den Anuren herausdifferenziert hat,
und ein typisches Sinnesorgan des medialen Nasenfortsatzes ist.
2. Reptilien.
Bei Reptilien ist das Jacobsonsche Organ in grossen
Gegensätzen vertreten, indem es bei einigen Gattungen in einer
einfachen Form vorhanden ist, während es bei anderen eine
hohe Stufe der Ausbildung .erreicht hat. Von den Krokodilen
war man früher allgemein der Meinung, dass bei diesen das
Jacobsonsche Organ ganz fehlt, bis Sluiter (49) und Röse
(42) dessen Vorhandensein in Embryonen bewiesen haben. Bei
den Schildkröten hat Seydel (44) ausgedehnte Untersuchungen
veröffentlicht, im Sinne deren das Organ aus einfachen Ein-
buchtungen der Riechschleimhaut in der Respirationsgegend
besteht. Im Gegensatze zu dieser einfachen Forn besitzen die
Eidechsen und Schlangen ein hochentwickeltes Jacobson sches
Organ, das einer unteren Nasenhöhle gleich sieht, deren Bau
besonders Leydig (29—30), dann Fleischer (11) studiert haben.
Von der Mündung des Jacobsonschen Organes beim Chamä-
leon that Stannius!) Erwähnung; das Organ soll aber nach
Solger?) bei weitem nicht in dem Grade entwickelt sein, wie
bei den Sauriern.
1) Stannius, Zootomie d. Amphibien. S. 175.
?) Solger, Beitr. z. Kenntnis d. Nasenwandung u. besonders der Nasen-
muscheln d. Reptilien. Morphol. Jahrb. I. 1876.
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 23
a) Krokodile.
Da ich über Krokodile keine Erfahrungen habe, werde ich
mich an Röses (42) Beschreibung halten und kurz nur soviel
erwähnen, was zum Vergleiche mit den übrigen Arten notwendig
ist. Sluiter (49) hat Crocodilus porosus untersucht und an-
gegeben, dass dieses ein gut entwickeltes Jacobsonsches Organ
besitzt, aber Röse (42) hat aus dem Bau der Zähne nachgewiesen,
dass eine Verwechslung mit einer Eidechse stattgefunden hat.
Das Jacobsonsche Organ von Crocodilus porosus besteht
nach Röse an Embryonen von 5—12 mm Kopflänge aus einer
Rinne unten an der Nasenscheidewand, die sich nach rückwärts
bis in den Nasenrachengang erstreckt; an Embryonen von 9,5 mm
Kopflänge ist vorne an einigen Frontalschnitten ein kleiner
solider Epithelzapfen vorhanden, der die Form einer in Ab-
schnürung begriffenen Röhre hat. Das Organ behält das ganze
Leben hindurch die Form einer nach unten offenen Hohlrinne,
deren Lumen sich in die Nasenhöhle öffnet. Die Paraseptal-
knorpel reichen nach hinten niemals bis zur Jacobsonschen
Rinne und sind von diesem Organe ganz unabhängig.
Krokodile besitzen eine grosse laterale Nasendrüse (Gaumen-
drüse, Röse!), die zwischen dem knorpeligen Dach der Nasen-
höhle und den Belegknochen liegt. Der Ausführungsgang dieser
Drüse mündet an der Nasenscheidewand im Niveau des hinteren
Endes der äusseren Nasenlöcher, und sieht an Querschnitten
(Röse, Op. eit. Fig. 4, S. 748) zum Verwechseln dem Jacob-
sonschen Gange der höheren Wirbeltiere ähnlich.
Aus dieser Beschreibung ist ersichtlich, warum die älteren
Untersucher an Krokodilen kein Jacobsonsches Organ fanden.
Sie suchten nämlich immer nach einer ähnlichen Röhre, wie
sie an Säugetieren vorhanden ist, eine solche fehlt aber hier.
1) Röse, C., Über die Nasendrüse und die Gaumendrüsen an Crocodilus
porosus. Anat. Anzeiger, VIII. 1893. S. 745.
24 VICTOR v. MIHALKOVICS,
Anstatt deren ist eine Hohlkehle vorhanden, die ein einfaches
Jacobsonsches Organ darstellen soll. Nun ist aber eine ähn-
liche Einbuchtung auch bei Schildkröten vorhanden, und ausser-
dem ein Jacobsonsches Organ (s. unten), darum halte ich die
Deutung jener Hohlkehle für fraglich. Hingegen ist der Aus-
führungsgang der lateralen Nasendrüse ähnlich demjenigen der
Vögel (s. unten), und es dürfte wohl das darüber dort Anzu-
führende auch hierher passen.
b) Schildkröten.
Über den Nasenhöhlenbau und das Jacobsonsche Organ
der Schildkröten besitzen wir eine grosse Abhandlung von Seydel
(44), die sich an seine älteren Untersuchungen an Amphibien (43)
anschliesst. Nach den Ansichten dieses Forschers verhalten
sich die Landschildkröten etwas anders wie die Sumpischildkröten,
bei beiden sind aber sehr einfache Verhältnisse vorhanden. Be-
züglich des Jacobsonschen Organes sind die Landsehildkröten
einfacher gebaut und verhalten sich nach Seydel folgender-
massen.
Bei Testudo graeca folgt nach dem eylindrischen und mit
geschichtetem Pflasterepithel bedeckten Nasenvorhof die Haupt-
nasenhöhle, die am Frontalschnitt beiläufig von ovaler Gestalt
ist mit dorsoventraler längerer Achse (wie unsere Fig. 6auf Taf. II).
Am vorderen Teil des Septums, beiläufig am unteren Drittel des-
selben verläuft in sagittaler Richtung eine stärkere Schleimhaut-
falte (Grenzfalte, Seydel) mit nach abwärts gewendeter Kante;
an letzterer Stelle ist indifferentes Respirationsepithel vorhanden,
während in der blinden Bucht unter der Falte das Epithel ähnlich
beschaffen ist, wie in der über der Falte gelegenen Riechgegend,
d. h. es ist dort geschichtetes Riechepithel vorhanden bis an
den Boden der Nasenhöhle herunter; zu diesem Epithel ziehen
Äste vom Septalast des Riechnerven und in der Schleimhaut
ler Falte liegt eine grosse acinöse Drüse, hingegen Bowmannsche
Anatomische Hefte IAtheilung Heft AMT (N BAH 12)
Fig. 6.
‚Proc. cart. parasept
plic.mediat.
fparasept)
-— duck.Jacabs
- cart sepli
cart. paranas,
-carlil.sepkı.
n. olfact. medial,
(septi)),
Proc. cart parasept
gland, Jacobs. / h
‚plic
medial
(arusept,)
recess,.medial.
lic, medial.
(parasept) ,
carlil. sepli
n. Jacobs
sinus maxill....
Tat N.
cart togmenlı,
n.olfuck lat.
n.olfaet.
medıal--
(septi)
cartil
Paranası-..
1. olfact medial Fig. 9 gland. Jacobs.
carlıl, paranası sup
* ftegmenti)
cartil. sepli: sinus maxtll
vonmenr
carlil parasept Fig.10
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 25
Drüsen fehlen dort. Da diese Verhältnisse so ziemlich mit
jenen übereinstimmen, die bei manchen Amphibien vorkommen,
ist Seydel der Meinung, der Divertikel unter der Falte am
Septum sei das Jacobsonsche Organ. Da dieses Organ bei
Amphibien auch an der lateralen Wand der Nasenhöhle vor-
kommt (s. g. lateraler Teil des Jacobsonschen Organes), erklärt
er die Umlagerung bei Schildkröten aus der Form der Nasen-
höhle: bei Amphibien ist die Nasenhöhle dorsoventral abgeflacht,
hingegen bei Schildkröten dorsoventral verlängert; was bei jenen
lateral liegt, kommt nach Seydel bei Schildkröten medial zu
liegen, also auch das Jacobsonsche Organ.
Von Sumpfschildkröten hat Seydel Emys europaea und
Chrysemis pieta untersucht. Die Form der Nasenhöhle ist im
ganzen dem vorigen ähnlich, nur in den Falten ist ein Unter-
schied vorhanden, inwiefern ausser der Septalfalte eine dieser
gegenüber an der lateralen Wand, und noch zwei an der medialen
und lateralen Seite des Nasenhöhlenbodens liegen, so dass die
ganze Respirationsgegend durch diese Falten in drei seichte Ver-
tiefungen eingeteilt wird: eine mediale, eine untere und eine
laterale. In der Gegend über den Falten (Regio olfactoria) ist die
Schleimhaut mit Riechepithel bedeckt, aber auch in den drei
seichten Vertiefungen liegt Riechepithel, nur an der Kante der
Falten ist niederes Respirationsepithel vorhanden. Da diese Ein-
richtung der Respirationsgegend mit jener bei manchen Amphibien
übereinstimmt (z. B. bei Siren lacertina) und ausserdem Äste
des Septalastes des Olfaktorius das Riechepithel der ganzen
Respirationsgegend bis an die laterale Wand versehen, da ferner
in diesen Gegenden keine Bowmannschen Drüsen vorkommen,
sondern an der Scheidenwand unter der Falte eine grosse acinöse
Drüse liegt: glaubt Seydel das ganze Riechepithel in der
Respirationsgegend alsJa co bsonsches Organ auffassen zu müssen
und unterscheidet an denselben bei Sumpfschildkröten durch
die erwähnten Schleimhautfalten getrennte drei Gebiete: einen
26 VICTOR v. MIHALKOVICS,
medialen, unteren und lateralen Abschnitt. Den Sinn
der ganzen Einrichtung sucht Seydel auch hier so, wie bei
den Amphibien aus der Sinneskontrolle der respirierten Luft
oder Wassers zu erklären, denn die Nasenhöhle ist so gestaltet,
dass der Strom bei der Einatmung mehr die Riechgegend, bei
der Ausathmung mehr die Respirationsgegend passiert; um die
exspirierte Luft oder das Wasser auf die Qualität der aul-
genommenen Nahrungsmittel prüfen zu können, sei das Riech-
epithel resp. das Jacobsonsche Organ in der Respirationsgegend
vorhanden.
Dass man theoretisch erschlossene physiologische Funktionen
in der Morphologie mit Einschränkungen und Vorbehalt an-
wenden soll und die Deutung des Jacobsonschen Organes bei
niederen Tieren aus der Sinneskontrolle des Exspirationsstromes
nicht erklärt werden kann, erweist sich bei keiner Gattung
schlagender, als bei Schildkröten, denn diese besitzen ein den
Säugetieren ähnliches Jacobsonsches Organ, nur ist dieses der
Beachtung Seydels entgangen. Dieses Organ und den Bau
der Nasenhöhle habe ich an Frontalschnitten bei Emys europae:
folgendermassen gefunden (vgl. dazu die Figg. 5—9 auf Taf. II).
Die ganze Nasenhöhle ist sehr einfach gebaut: vorne nach
dem äusseren Nasenloch folgt ein kurzer eylindrischer Teil, der
Vorhof, dann erweitert sich die Nasenhöhle rasch in dorsoven-
traler Richtung zu einer Ellipse (Fig. 6), kaudalwärts nimmt die
Höhe und Breite dieser Ellipse fortwährend ab (Fig. 9), dann
kommt eine Region, wo die obere Hälfte der Ellipse noch vertikal
liegt, während sich die untere Hälfte schräg lateralwärts abbiegt
(Fig. 10), noch mehr hinten wird die Nasenhöhle niederer und
geht in den eylindrischen niederen Nasenrachengang über, der
zuletzt mit der Choane an der Decke der Mundhöhle endet.
Dort, wo die Nasenhöhle am höchsten ist, also beiläufig im
mittleren Drittel, ist an der lateralen Wand ein kleiner Hügel,
die Andeutung einer Nasenmuschel vorhanden, in dem die
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 27
laterale Nasendrüse liegt; beide sind im Verhältnis zu denselben
Organen der Saurier kleiner. Die laterale Nasendrüse liegt
ausserhalb der knorpeligen Nasenkapsel und ihr Ausführungs-
gang geht nach vorne, wo sie an der Grenze des Nasenvorhofes
an dessen lateralen Wand mündet. Ein Thränennasengang ist
nicht vorhanden. Im hinteren Drittel der Nasenhöhle liegt an
deren lateraler Seite eine linsenförmig abgeplattete Ausstülpung
der Schleimhaut, die in einen kaudalwärts sich erstreckenden
Recess führt (ähnlich der sich entwickelnden Grosshirnblase); diese
kleine Ausbuchtung repräsentiert die Kieferhöhle (Fig. 10, Sinus
maxill). Im Vorhof kommt geschichtetes Pflasterepithel, in
der Hauptnasenhöhle rund herum fast gleichmässig hohes
Riechepithel (Figg. 6 und 9), in der Kieferhöhle niederes Respi-
rationsepithel vor (Fig. 10). Die Schleimhaut ist in der oberen
Hälfte der Nasenhöhle reich mit kurzen birnförmigen Bow-
mannschen Drüsen, in der unteren Hälfte mit Pigmentzellen
versehen, und sowohl an der lateralen wie an der medialen
Wand mit Olfaktoriusbündeln ausgestattet, die an beiden Seiten
bis an den Boden hinunterziehen (Fig. 9). Nach der Schleim-
haut folgt die knorpelige Nasenkapsel, die die Nasenhöhle an
den meisten Stellen als ein vollkommener Ring umgiebt (Fig. 6,
Anulus cartilagineus nasi, Spurgat); nur im hinteren Teil
ist oben an der Decke ein grosses Loch zum Durchtritt der
Riechnerven vorhanden (Fig. 9), und zwei Spalten am Septum
unten in der Gegend des Jacobsonschen Organes (Fig. 8).
Jenseits der knorpeligen Nasenkapsel folgen enganliegend die
Deckknochen.
Bezüglich des Jacobsonschen Organes verhält sich die
Sache wie folgt: Die knorpelige Nasenscheidewand ist im
vorderen und hinteren Teil der Hauptnasenhöhle eine einfache
vertikale Platte. An dieser Platte sind im vorderen Teil der
Hauptnasenhöhle etwas unter der Mitte seiner Höhe zwei seit-
liche Ausladungen vorhanden (Fig. 6), die sich kaudalwärts zu
08 VICTOR v. MIHALKOVIOS.
kurzen Fortsätzen verlängern (Fig. 7); die lateralen Fortsätze
sind etwas schräg ventralwärts gewendet. Ich werde diese sporn-
förmigen Fortsätze Paraseptalfortsätze (Proc. paraseptalis,
Fig. 7) nennen, man kann sie als homolog dem Jacobson schen
Knorpel betrachten. Jenseits der Mitte der Hauptnasenhöhle
werden die Paraseptalfortsätze kürzer und verlieren sich (Fig. 9),
von dort an ist der Septalknorpel eine einfache vertikale Platte
von gleichmässiger Dicke.
Dort wo die knorpeligen Paraseptalfortsätze vom Septal-
knorpel abgehen, werden diese von der Schleimhaut überzogen,
wodurch jederseits an der Scheidewand gegen die Nasenhöhle
schräg vorragende Schleimhautfalten entstehen; an Frontal-
schnitten sehen die Falten kurzen Vogelschnabeln ähnlich; ich
werde diese Paraseptalfalten nennen (Fig. 7, Plica para-
septalis, Grenzfalte Seydels). Diese Falten sind am höchsten
dort, wo sie die Paraseptalfortsätze des Scheidewandknorpels
überziehen; die Schleimhautfalten setzen sich aber auch rostral-
wärts fort, wo keine Knorpelfortsätze mehr vorhanden sind
(Fig. 6), nur werden die Falten hier niederer (Fig. 5) und hören
dann gegen den Nasenvorhof auf.
Ausser der beschriebenen Paraseptalfalte ist eine bedeutend
niederere an der lateralen Nasenhöhlenwand vorhanden, und
zwei am Boden, die aber sehr unregelmässig sind (Fig. 6); hier
ist das Epithel etwas niederer, ich finde aber keinen Unter-
schied im Verhältnis zur übrigen Gegend, sodass ich für die er-
wähnten Nebenfalten zur Abgrenzung der Respirationsgegend
in mehrere Abschnitte, wie es Seydel that, einen Grund umso
weniger sehe, da die durch die Falten abgegrenzten Teile der
Respirationsgegend keine Jacobsonschen Organe sind — wie
es Seydel irrtümlich angiebt, — sondern dieses Organ an der
medialen Wand in der Region der Septalfalte als rundes Epithel-
rohr in die Schleimhaut eingebettet ist (Fig. 6). Wie dieser
Gang Seydel entgangen ist, weiss ich nicht anzugeben, ver-
cart. sepli....
Kiparasept.
vas.
Lehr
Anatomische Hefte IAbtheilung Heft 20 FAT BAHN?)
Fig. 11.
os nasale.
bulb. olfact. _
- gland.nas.lat.
er cart paranas,
n. olfact. lat. ee
vestib.nasi. -—-
spalia.lymph.
n..Jacobs. ° Seen
; 73 s el .
W.__maxilla. ER 3 N BE RR! meer
organ. ‚Jacobs. "W; RE carlil.seph.
maxtilla
eminent fungif
os intermax organ, Jacobs.
Fig.15 Srgan: JOcREE / Seen
‚Proc. parasept, sup. L
08 intermax.
nervi.Jacobs.
vomer
fissurapalablat
organ, Jacobs earlilparasepk.ind (Jacobs.)
2 carlil, paranas,
gland.nas lat. eünkilaygisenkt Fig. 14.
cartil. parasepf, inf! h
os nasale. os nasale,
eminent fungif. gland. nas.lat
pseudo-
concha.
cartıl.
Parasepl. __ epith,
inf. respir.
cartıl septi. —
Pseudo -.-
concha
cartil.parasept.
intermax.
z — "maxill. E
- maxilla. Fig.13. ir Fiss. palat lat. choana
EN. Kiss, palat.lat ‚proc. palat.
'ss. palat. lat. Palatomaxillaris.) .
ul dgl Under Deucurei vH Sale
(palatomaxill)
Yalay sn JE Birgmasın, Vausdader
cart. conchae,
‚gland. nas.
„u Tat,
fiss. palat.
lat.
maxilla
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 29
mute aber, er hat denselben für den Ausführungsgang der
medialen Nasendrüse gehalten, denn er erwähnt von diesem,
dass derselbe in den medialen Divertikel mündet. Das ist aber
irrtümlich, denn der Epithelgang sieht ganz ähnlich dem Jacob-
sonschen Organe vieler Säugetiere und verhält sich in Emys
folgendermassen.
Der Jacobsonsche Gang beginnt im Anfang der Haupt-
nasenhöhle in der Einbuchtung unter der Septalfalte als oval
angeschnittenes Rohr, dessen Lumen 120 « hoch und 40 u
breit ist (Fig. 5, Duct. Jacobs.); das Epithel ist 40 « hoch und
führt zweischichtiges Cylinderepithel; der Kanal durchbohrt
schräg das Nasenhöhlenepithel und mündet am Septum ähnlich,
wie etwa bei Nagetieren und dem Menschen (vergl. Fig. 51,
Taf. VIII, und Fig. 69, Taf. X). Am Anfangsteil des Ganges
sind am Septalknorpel noch keine Paraseptalfortsätze vorhanden,
sondern nur kleine seitliche Ausladungen über dem Gange (Taf. II,
Fig. 5). Kaudalwärts erweitert sich der Jacobsonsche Gang
(0,4—0,5 mm hoch, 0,25 mm breit, Epithel 0,09—0,1 mm hoch),
und das Epithel wird zu Riechepithel, aber nur mit 3—4 Reihen
von Kernen (Fig. 6)
J°
Noch mehr nach hinten erscheinen die
Paraseptalfortsätze am Scheidewandknorpel und das Jacobson-
sche Organ lagert sich in die durch den Knorpelfortsatz gebildete
Hohlkehle hinein; der Gang verändert hier aber insofern seine
Struktur, als daran mit Cylinderepithel bedeckte kleine Aus-
buchtungen entstehen, die sich dann zu Drüsengängen ver-
längern, d.h. dem kaudalen Teile des Jacobsonschen Ganges
hat sich eine gewundene tubulöse Drüse angelagert, worin wir
die Septaldrüse, resp. Jacobsonsche Drüse erkennen (Fig. 7,
Gland. Jacobs.). Noch weiter kaudalwärts entsteht am Boden-
teil der knorpeligen Nasenkapsel neben dem Septalknorpel eine
Spalte und der Knorpel des Bodens setzt sich an der Seite des
Septalknorpels eine Strecke nach aufwärts (Fig. 8, Cart. para-
sept.); in der hierdurch entstandenen Spalte liegt die Septal-
30 VICTOR v. MIHALKOVICS,
drüse (Gland. Jacobs.) und der bis an den Boden der Nasen-
höhle hinunterziehende mächtige mediale Ast des Olfaktorius
(N. olfact. medial.) sendet einen ziemlich starken Nebenast
durch die Knorpelspalte zur medialen Nasendrüse (n. Jacobs.);
die Äste dieses Jacobsonschen Nerven ziehen durch die Drüse
nach vorne zum Jacobsonschen Gange und umgeben diesen
rundherum. Die ganze Drüse ist reichlich von bindegewebigen
Pigmentzellen umgeben.
Wenn wir den beschriebenen Kanal an der Nasenscheide-
wand mit jenem der Säugetiere vergleichen, kann kein Zweifel
darüber sein, dass es ein Jacobsonsches Organ ist. Es ist ein
fast drehrundes Epithelrohr am rostral-oralen Teil der Nasen-
scheidewand, das vorne frei in die Nasenhöhle mündet, dann
kaudalwärts in die Schleimhaut dicht am Septalknorpel einge-
lagert ist und hinten die Ausführungsgänge der septalen oder
s. o. Jacobsonschen Nasendrüse aufnimmt; der vordere drüsen-
lose Teil des Ganges führt niederes Riechepithel, zu dem ein
besonderer Ast der Scheidenwandnerven zieht (N. Jacobsoni).
Nachdem in dem beschriebenen Gebilde alle Attribute eines
Jacobsonschen Organes vereint sind, können die von Seydel
beschriebenen seichten Einbuchtungen des Riechepithels in der
Respirationsgegend unmöglich ebenfalls Jacob sonsche Organe
sein, und mit jenem positiven Befunde fallen alle theoretische
Folgerungen Seydels in Bezug auf die sinnliche Kontrolle der
Exspirationsluft weg. Wenn das aber bei Schildkröten der Fall ist,
wo über das wahre Jacobsonsche Organ wegen seiner präg-
nanten Ähnlichkeit mit jenem der Säugetiere kein Zweifel vor-
handen sein kann, müssen wir folgern, dass es auch bezüglich
der Amphibien nicht anders ist: der laterale Recess bei Urodelen
ist kein Jacobsonsches Organ, sondern die Kieferhöhle mit
dort zurückgebliebenem Sinnesepithel.
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 31
c) Saurier.
Bei Sauriern hat das Jacobsansche Organ eine solche
Grösse erreicht, dass es an Frontalschnitten einer accessorischen
unteren Nasenhöhle gleichsieht. Die erste Beschreibung des
Organs stammt von Stannius!) an einigen ausländischen
Schlangen (Pithon, Trigonocephalus), obgleich schon Rathke?)
dessen Erwähnung that (1839), nur dass er nicht wusste, dass
es ein Jacobson sches Organ ist, sondern für eine Drüse hielt.
Dann hat das Organ Leydig (29)?) an Lacerta und Anguis
beschrieben (1872), und ist neuerdings (30) auf denselben Gegen-
stand zurückgekommen. Auch Born (6) hat Beiträge geliefert,
die sich hauptsächlich auf Tropidonotus natrix beziehen; er be-
schreibt auch die Entwickelung des Jacobsonschen Organs bei
Schlangen. Die Figuren 11—15 auf Tafel III sollen zum Ver-
ständnis der folgenden Beschreibung herangezogen werden, die
sich auf die Natter und Mauereidechse beziehen.
Die knorpelige Nasenkapsel ist auch im aufgewachsenen
Tiere erhalten, aber nur in der Scheidewand (Figg. 12 und 13,
Cartil. septi), und als dünne Knorpelplatte an der Decke der
Nasenhöhle (Cartil. paranasalis s. tegmenti), von der sich
eine gebogone Knorpellamelle in die Muschel hinein erstreckt
(Fig. 14, Cartil. conchae). Ausserdem ist ein Knorpel am
Boden des Jacobsonschen Organes vorhanden (Fig. 12, Cartil.
parasept. inf.), der vorne S-fürmig gebogen ist (Fig. 12), hinten
aber von der lateralen Seite her sich auch auf die obere Wand
des Organs erstreckt (Fig. 15), und mit Unterbrechungen bis an
den Scheidewandknorpel heranreicht, zum Zeichen, dass es ein
abgeschnürter Teil dieses Knorpels ist. Die Deckknochen
bestehen aus dem Nasale, Maxillare, Palatinum, Vomer und
1) Stannius, H., Handb. d. vgl. Anatomie d. Wirbelthiere. Frankfurt, 1854.
2) Rathke, Entwickelung der Natter. Königsberg, 1839.
3) Leydig, Die in Deutschland lebenden Arten der Saurier. Tübingen, 1872.
32 VICTOR v. MIHALKOVICS,
Praemaxillare; letzteres liegt an der medialen Seite des Jacob-
sonschen Organes, und ganz vorne sogar unter dem Organe
(Fig. 15, os intermax.), in der Mittelgegend ist es hakenförmig
gebogen (Fig. 12). Hinter dem äusseren Nasenloch folgt der
Vorhof (Fig. 11, Vestib. nasi), unter dem das vordere Ende
des Jacobsonschen Organes liegt (Org. Jacobs.), während
dessen hinteres Ende den Bodenteil der Hauptnasenhöhle erreicht
(Fig. 12, Org. Jacobs.).
Die Nasenhöhle ist in der mittleren Region an Frontal-
schnitten platt gedrückt, biskuitförmig (Fig. 12, Cavum nasi),
und besitzt an der äusseren oberen Wand einen Vorsprung
(Fig. 13), der nach hinten grösser wird und einen in die Nasen-
höhle von oben lateralwärts hineinragenden Hügel bildet (Fig. 14,
concha), der für eine Nasenmuschel gehalten und der unteren
Nasenmuschel der Säugetiere gleichwertig erachtet wird. Versteht
man aber im Sinne der Definition Gegenbaurs!) unter
Muschel einen mit schmaler Seite von der Nasenhöhlenwand
abgehenden Vorsprung, der von Skeletteilen mit freiem Rande
gestützt wird, so ist das Gebilde der Eidechsen und Schlangen
nur ein muschelartiger Hügel (Pseudoconcha, Solger?), ähn-
lich der hinteren (oberen) Muschel der Vögel (vergl. Fig. 21,
Taf. IV, Concha sup.), in die sich die laterale Knorpellamelle
gebogen hineinerstreckt, und deren Bucht die laterale Nasen-
drüse aufnimmt (Fig. 14, Taf. III). So wäre das erste Erscheinen
einer Nasenmuschel durch äussere Umstände, hier durch die
Einlagerung einer Drüse, bestimmt. Aus einer derartigen Aus-
buchtung ist dann die Differenzierung einer frei vorstehenden
Nasenmuschel leicht zu erklären: es braucht nur der untere
Teil der eingebogenen Knorpellamelle durch Resorption zu
1) Gegenbaur, Über die Nasenmuscheln der Vögel. Jena’sche Zeit-
schrift. VII. 1873.
2) Solger, K., Beiträge zur Kenntnis der Nasenwandung und besonders
der Nasenmuscheln der Reptilien. Morphol. Jahrbuch, I. 1876.
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 33)
schwinden, wie ähnliche Vorgänge bei den höheren Vertebraten
an der knorpeligen Nasenkapsel überhaupt stattfinden; dann
hat das Skelett des muschelartigen Vorsprungs einen freien Rand
erhalten und entstand aus dem Hügel eine frei vorragende
Platte.
Die Schleimhaut ist bei Sauriern im grössten Teil der
Nasenhöhle mit Riechepithel bedeckt, dieses ist aber nicht
überall gleich stark (Figg. 12 und 13): an der Decke, Scheide-
wand und dem medialen Teil des muschelförmigen Vorsprungs
ist es hoch, hingegen am Boden und an der lateralen (unteren)
Seite der Pseudomuschel ist Respirationsepithel vorhanden; in
der blinden Bucht des seitlichen Recessus (Fig. 13, Duct.
resp.) liegen auch viele Becherzellen; es ist also eine Differen-
zierung in eine Riech- und eine Respirationsgegend eingetreten.
In der Riechgegend sind reichlich Bowmannsche Drüsen
vorhanden, und dazwischen Äste des Olfaktorius. Die vorhin
erwähnte laterale Nasendrüse ist mächtig entwickelt (Fig. 12,
Gland. nas. lat.), und mündet vorne in den lateralen Teil des
Nasenvorhofes; die Drüsenalveolen sind klein und führen getrübtes
seröses Epithel.
An hinteren Frontalschnitten der Nasenhöhle erweitert sich
der unter der Pseudomuschel gelegene Teil der Höhle in eine
blinde Bucht unter den Deckknochen fort (Fig. 14, Sin. maxill.).
Ich halte diesen Recessus und überhaupt die ganze Einbuchtung
unter dem muschelförmigen Vorsprung homolog der Kieferhöhle,
denn sie erstreckt sich in den OÖberkiefer hinein und ist von
Respirationsepithel bedeckt. Nun liegt aber die Kommunikation
dieser Höhle unterhalb der Pseudomuschel (auf Fig. 14 be-
zogen wurde die Öffnung zwischen Sin. maxill. und Duct. respir.
liegen), womit die Gleichartigkeit dieser Muschel mit der unteren
Nasenmuschel (Maxilloturbinale) der Säugetiere und der sogen.
mittleren Muschel der Vögel, wie es allgemein angenommen
wird, hinfällig ist. Die einzige Muschel der Reptilien ist den
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXIV,XXXV. Heft (11. Bd,, H. 1/2.) 3
34 VICTOR v. MIHALKOVICS,
Siebbeinmuscheln gleichwertig, sie sieht ähnlich der oberen
Muschel der Vögel, d. h. besteht nur aus einer Einbuchtung
der lateralen Nasenhöhlenwand und ist keine durch Skeletteile
gestützte freie Falte der Nasenschleimhaut, wie die echten
Muscheln der Säugetiere. Dass diese Vorragung den Riech-
muscheln gleichwertig ist, das ist a priori einleuchtend, wenn man
bedenkt, dass die primitiven Muscheln überhaupt zur Ver-
grösserung der Riechfläche gebildet werden; darum ist die
Pseudomuschel der Saurier medial mit Riechepithel bedeckt,
während die untere Muschel der Säugetiere und die mittlere
Muschel der Vögel indifferentes Epithel führen und Respirations-
muschel darstellen, bestimmt zum Reinigen, Erwärmen und
Feuchthalten der Luft. Gleichwie bei Anuren als Neuerwerb
des Riechapparats das Jacobsonsche Organ erscheint, ähnlich
tritt bei Schlangen und Eidechsen eine Vergrösserung der Riech-
fläche in Gestalt eines muschelförmigen Vorsprunges hinzu, die
zur Vergrösserung der Riechschleimhaut dient.
Eigentümlich sind bei Sauriern die Verhältnisse der hinteren
Nasenölfnung (Ohoane). Diese mündet nicht frei an der Decke
der Mundhöhle, sondern in den seitlichen Teil des Gaumen-
spaltes hinein (Taf. III, Fig. 14, Choane). Schon bei Am-
phibien war ein sekundärer Gaumenfortsatz vorhanden, der
mit der Decke der Mundhöhle eine Rinne bildet (vel. Taf. XI.
Fig. 72, Sulc. maxill.-palatinus). Bei Reptilien wird der
sekundäre Gaumenfortsatz mächtiger und erstreckt sich unter
dem Boden der Nasenhöhle im Querschnitt gesehen als drei-
eckiger Keil medianwärts (Taf. II, Fig. 13, Maxill.); der Keil
nimmt von vorne nach binten an Breite zu, weil der ganze
Vorderkopf nach hinten breiter wird, und umfasst mit dem
Boden der Nasenhöhle den seitlichen Teil der Gaumenspalte
(Fig. 13, Fiss. palat. lat.), die vorne neben der Gaumenpapiüle
unter dem Jacobsonschen Organ als kleine Einbuchtung be-
ginnt (Fig. 15), weiter nach hinten zu unter dem ganzen Boden
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 30
der Nasenhöhle sich erstreckt (Fig. 13) und an der oberen Wand
die Choane aufnimmt (Fig. 14). Embryologisch ist die ganze
Formation aus dem Vorwachsen der sekundären Gaumenleiste
unter dem Boden der primären Nasenhöhle zu erklären. Es ist
aber der Boden der Nasenhöhle bei Reptilien nicht dasselbe Ge-
bilde wie bei Säugetieren, denn bei letzteren besteht der Boden
der Nasenhöhle resp. die Decke der Mundhöhle kaudalwärts vom
Prämaxillare aus dem sekundären Gaumen des Oberkiefer-
fortsatzes, während bei Reptilien der Boden der Nasenhöhle bis
an die Choane vom primären Gaumen selbst gebildet wird.
Unter diesem primären (prämaxillaren) Gaumen wächst von
hinten und lateral der sekundäre Gaumen medianwärts vor und
ist von ersterem durch den seitlichen Teil der Gaumenspalte
(Fissura palatina lateralis) getrennt. Folglich ist die Choane der
Reptilien der primären und nicht der bleibenden Choane der
Säugetiere homolog. Der Unterschied besteht darin, dass bei
Säugetieren der sekundäre Gaumen nur kaudalwärts von der
primären Choane (dem späteren Stensonschen Gang) entsteht,
während bei Reptilien (und auch Vögeln, s. unten) der sekun-
däre (maxillare) Gaumen sich unter der primären Choane auch
rostalwärts fortsetzt, aber bis an die Gaumenpapille mit dem
prämaxillaren Gaumen (Boden der Nasenhöhle) nicht verwächst,
sondern mit demselben die seitlichen Ränder der Gaumenspalte
umfasst.
Über den Bau des Jacobsonschen Organes der Saurier
und der angrenzenden Teile ist folgendes zu berichten:
Unter dem vorderen Teile der beiderseitigen Jacobson-
schen Organe liegt in der Medianlinie die Gaumenpapille und an
deren lateralen Seite zieht unter dem Organe der vordere Teil der
Gaumenspalte schräg lateralwärts (Figg. 12—15, Fiss. palat. lat.).
Neben der Gaumenpapille liegen beiderseits die engen Mündungen
des Jacobsonschen Organes (Fig. 15, Apert. Jacobs.), also an
der Decke der Mundhöhle vorne. Das ist nur bei Eidechsen
3%
36 VICTOR v. MIHALKOVICS,
und Schlangen der Fall, hingegen bei allen anderen Tieren, die
einen Jacobsonschen Gang besitzen, zieht sich die Mündung
von der Mundhöhle aufwärts und endet zunächst in den Sten-
sonschen Gang, oder noch höher am Nasenhöhlenboden in der
Nähe der Scheidewand, oder in diesem.
Zwischen dem vorderen Teileder Gaumenspalte und dem Nasen-
höhleneingang liegt im Prämaxillarteil des Gesichtes das Jacob-
sonsche Organ (Taf. III, Fig. 15), umgeben unten vom Paraseptal-
knorpel (Cart. parasept.inf.), medianwärts liegt der Zwischen-
kiefer (Os intermax.) und oben das Pflugscharbein (Vomer).
Der Paraseptalknorpel ist an vorderen Querschnitten S-förmig
gebogen (Fig. 12, Cart. parasept. inf.), weiter hinten halb-
mondförmig (Fig. 15), und sendet einen abgerundeten leisten-
förmigen Fortsatz gegen die untere Wand des Jacobsonschen
Organs, der den Boden desselben gegen die Höhle vorstülpt,
während er im Frontalschnitt das Bild eines Wulstes oder Pilzes
giebt, und darum als pilzförmiger Vorsprung (Fig. 15.,
Eminent. fungif.) benannt werden kann. Wegen diesem Vor-
sprung sieht das Jacobsonsche Organ an Frontalschnitten
halbmondförmig aus und kann mit einer Gastrula verglichen
werden, deren äusseres Blatt dick, das innere aber dünn ist;
ersteres ist nach oben, letzteres nach unten gewendet und nimmt
in sich den abgerundeten Fortsatz des Paraseptalknorpels auf;
medial und lateralwärts liegen die Lippen der Gastrula, wo das
äussere Blatt niederer werdend in das innere dünne Blatt um-
biegt. Am vorderen Drittel des Organes, aber nicht ganz vorne
am blinden Ende, sondern etwas dahinter, biegt die mediale
Gastrulalippe tiefer hinunter, und geht in den engen Ausführungs-
gang des Jacobsonschen Organs über, der in S-förmiger
Biegung abwärts zieht und in der oben angegebenen Weise
zwischen Gaumenpapille und Anfang des Gaumenschlitzes in
die Mundhöhle mündet. Da der Ausführungsgang S-förmig ge-
bogen und enge ist, treffen Frontalschnitte entweder dessen
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 37
oberes oder unteres Ende (wie in Fig. 15, Apert. Jacobs.); im
letzteren Falle ist es ein von Plattenepithel bedeckter kurzer
Recess neben der Gaumenpapille, im anderen Fall eine von
Cylinderepithel bedeckte Fortsetzung der medialen Gastrulalippe,
die zwischen Paraseptalknorpel und Prämaxillare zur Mund-
höhle abwärts zieht.
Rostral- und kaudalwärts endet das Jacobsonsche Organ
blind abgerundet. An beiden Stellen nimmt die Höhe des pilz-
förmigen Vorsprunges ab und die dicke obere Wand biegt nach
abwärts. An Frontalschnitten jenseits des Lumens des Organs
ist nur die dicke obere Wand angeschnitten (Fig. 11, Organ.
Jacobs... Zum vordern Teile des Organes ziehen die mäch-
tigen Äste des Jacobson schen Nerven hinunter (Fig. 11, N.
Jacobson), die im Prämaxillarteil des Gesichtes in der breiten
Substanzbrücke zwischen den Vorhöfen beider Nasenhöhlen
liegen und an der oberen Wand des Organes sich in einen
medialen und lateralen Ast teilen (s. unten). Das Bindegewebe
um das Jacobsonsche Organ enthält an der oberen und
unteren Wand Pigmentzellen, die an der oberen Wand reich-
licher vorhanden sind (Fig. 15). Dazwischen ziehen die Äste
des Jacobsonschen Nerven herunter und senken sich in die
obere Wand des Organes hinein.
Das Epithel ist an der oberen Wand des Jacobsonschen
Organes anders gebaut als an der unteren (Fig. 15). An letzterer
Stelle bekleidet den pilzförmigen Vorsprung geschichtetes Cylinder-
epithel, es ist also hier respiratorisches Epithel vorhanden. Man
findet die Cilien an verschiedenen Stellen verschieden hoch, an
manchen Regionen ist eine niedere gestreifte Kutikula vorhan-
den. Wo die Cilien lang sind, sind sie scharf zu erkennen; an
den kürzeren sind die Grenzen weniger deutlich, und an den
ganz niedern sieht man nur eine Querstreifung wie Stäbchen.
Das spricht für die protoplasmatische Natur der Cilien und er-
klärt den Kutikularsaum der Darmepithelien im Sinne Than-
38 VICTOR v. MIHALKOVICS,
hoffers!) und anderen. Der verschiedene Zustand einzelner
Strecken lässt sich aus dem Zustande erklären, in welchem sich
die Cilien zur Zeit der Einwirkung der fixierenden Flüssigkeit
befanden.
Die obere Wand des Jacobsonschen Organes ist mit der
Konvexität nach oben, mit der Konkavität gegen das Lumen
gekehrt (Figg. 12 u. 15). Das Epithel ist hier sehr hoch, an
reifen Embryonen von Caluber natrix 0,40—0,50 mm hoch und
besteht aus zwei Hauptschichten: aus einer äusseren gestreiften
kleinzelligen Schicht, die dieker ist (0,360—0,400 mm), und einer
inneren dünneren Schicht (40—50 «) mit tiefer stehenden ovalen
Kernen in 2-3 Reihen und einen fein gestreiften Saum gegen
das Lumen, dessen freie Fläche mit äusserst feinen und kurzen
Härchen besetzt ist. An der Grenze der kleinzelligen Schicht
gegen die ovalen Kerne breitet sich in horizontaler Richtung
ein Kapillarnetz aus, das besonders gut mit der Heidenhain-
schen Eisenlackmethode dargestellt werden kann, wo die Blut-
körperchen fast schwarz werden. Vom Kapillarnetz ziehen Äste
in radiärer Richtung in die kleinzellige Schicht hinein und von
hier in die Schleimhaut.
Der fein gestreifte Saum gegen das Lumen mit den tiefer
gelegenen ovalen Kernen hat alle Charaktere eines Riechepithels.
Man sieht zwischen den schmalen Cylinderzellen die stäbchen-
förmigen Riechzellen und die freie Fläche des Saumes ist mit
der Brunnschen Grenzmembran (Membrana limitans ol-
factoria) bedeckt, jenseits deren die feinen und kurzen Riech-
stäbchen vorstehen; die tiefergelegenen ovalen Kerne der Riech-
stäbchen stehen in 2—3 Reihen dicht aneinander und nehmen
den angewendeten Farbstoff intensiver auf wie die Kerne der
kleinzelligen Schicht. Letztere besteht aus radiär gestellten
Strängen (drüsenartige Zellstränge, Leydig); an Coluber
1) Thanhoffer, Pflügers Archiv, 1874.
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 39
sind die Stränge sehr lang und breit (180—200 u lang, 80-90 u
breit); bei oberflächlicher Betrachtung sehen sie einfachen schlauch-
förmigen Drüsen zum Verwechseln ähnlich. Born (6) hat thatsäch-
lich diese Ansicht vertreten, hauptsächlich aus dem Grunde, weil
die Stränge bei Embryonen vom Epithel aus drüsenförmig in das
umgebende Mesenchym hineinwachsen, hingegen hat Leydig
(29) die Stränge früher für Nervenzellen und neuerlich (30) für
Sinnesknospen ähnliche Gebilde erklärt, die kein Lumen enthalten,
trotzdem aber absondern können, da seiner Ansicht nach zwischen
Sinnes- und Drüsenepithelien wenig Unterschied besteht, wie das
die Geschmackszellen der Frösche beweisen, wo an deren Ober-
fläche freigewordenes Sekret zu erkennen ist. Meine Erfahrungen
schliessen an Leydig an, jedoch bin ich mit der Deutung von
Sinnesknospen nicht einverstanden, sondern habe an Coluber
natrix und Lacerta agilis nach Anwendung der Zenkerschen
und Flemmingschen Flüssigkeit folgendes gefunden.
Bei der Eidechse ist die Sonderung in Epithelstränge weniger
deutlich, wie bei der Natter. An letzterem sind die Stränge
scharf von einander getrennt und fast wie von einer Drüsen-
membran umgeben ; ein jeder Strang ist 80—90 u breit, 200— 220 u
lang, und besteht in querer Richtung aus 4—6 Zellen. Die
Stränge sind solid, ein Lumen ist bestimmt nicht vorhanden.
Die Basis der Zellsäulen ist abgerundet und das ganze Gebilde
fast birnförmig; das obere Ende verbindet sich ohne Grenze
mit dem kernhaltigen Teil des Riechepithels. Im Querschnitt
sind die Stränge rund, was besonders gut an Frontalschnitten
aus der rostralen oder kaudalen Gegend des Organes zu erkennen
ist, wo die Stränge horizontal liegen und darum an Frontal-
schnitten quer angeschnitten werden (Fig. 11); an solchen ist
von einem Lumen keine Spur vorhanden. Die Zellen sind rund-
lich oder eckig, haben wenig Protoplasma und einen verhältnis-
mässig grossen Kern; sie liegen reihenweise dicht aneinander,
und sehen so den Körnerzellen des Kleinhirns und der Retina
ähnlich.
40 VICTOR v. MIHALKOVICS,
Dieses Bild passt weder auf schlauchförmige Drüsen, noch
auf Sinnesknospen, denn erstere müssten ein Lumen, letztere
verlängerte Epithel- und Sinneszellen haben. Auch ist Leydigs
Ansicht schwer zu stützen, dass die Sinnesknospen secernieren,
jedenfalls thun sie das nicht so, wie gewöhnliche Drüsen, denn
das obere Ende der Stränge grenzt an den tieferen Teil der
Riechzellen, letztere stehen aber so dicht, dass an ein Freiwerden
des Sekretes durch Drüsengang ähnliche Spalten nicht gedacht
werden kann, umsomehr da Spalten zwischen den Riechzellen
nicht zu erkennen sind. Leydig hat unter den Zellen der
Stränge Wanderzellen und auch mit kurzen Fortsätzen versehene
Nervenzellen erkannt. Ich bin aber der Meinung, dass es
grösstenteils protoplasmaarme Nervenzellen sind — wie es Leidig
in seiner älteren Arbeit gedeutet hat, — ähnlich der Körner-
schicht im Kleinhirn, zwischen denen die Bündel des Olfaktorius
zum Riechepithel hinaufziehen und ausserdem feine Äste zwischen
die Zellen der Stränge hineinsenden. Dass die Zellenstränge im
Embryo wie Drüsen vom Epithel in das Mesenchym hinein-
wachsen (Born), spricht noch nicht für deren gewöhnlichen
Drüsencharakter, denn die Olfaktoriusganglien stammen, wie
wir es aus His') Untersuchungen wissen, auch vom Ektoderm.
Das Bild ist hier ähnlich jenem der Säugetiere mit gut ent-
wickeltem Jacobsonschen Organ, z. B. der Nager, besonders der
Maus (vergl. darüber Taf. VIII, Fig. 52). Auch bei diesem folgt
unter dem Riechepithel eine gekörnte Schlicht, nur ist diese
nicht in Stränge geordnet, und ist also hier eine kleinzellige
Nervenschicht vorhanden, zwischen deren Zellen die Äste des
Riechnerven Geflechte bilden. Die Deutung als Ganglienzellen
wird auch aus dem Verhalten des Jacobsonschen Nerven ge-
stützt, denn dieser schickt bei Sauriern so reichliche Äste zur
äusseren Wand des Jacobsonschen Organes, dass diese Menge
1) His, W., Verhandlungen der Anat. Gesellschaft auf der 3. Versammlung
zu Berlin, 1887. S. 63.
Inatomische Hefte 1Abthailung Met ANA NKW (MM BaI 12)
os nasale.
gland.palat.
noha sup.-
ncha med.
septum
fiss.palat, mediana:
Fig. 20
Fig.16.
os nasale
ducl.gland
(Jacobs) cavum nasi.
concha veslib.
septum
maxilla
maxılla i
recess inf.
cavum nasi
gland palat
n. nasopalat
os nasale
concha sup
gland. nas, lat
oculus. __
palalum
fiss. palat lat.
(palato-maxill)
fiss. palat. med
<cavrumnast
emncha media
dAuet.gland
(Jacobs)
rec.inf cav.nasi
mexilla
maxilla
sinus palal
oculus
concha sup.
apert. sinus
maxitl,
concha
media
Fig
22.
os nasale.
concha media
septum
concha
med
ductus gland
nas.lat
gland.palat
maxilla maxille. os ıntermax.
nares.
concha vestib, Han patanmeR]
sinus orbit
concha med
concha sup.
lam. cribn...
oculus.
ceoncha . v -. meal. as.
medıa pharyng.
choana
sinus
maxill
eerehr.
fiss palat media
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. al
zu dem Bedarf der Riechzellenschicht nicht im Verhältnisse steht.
Ob ausser den Nervenzellen auch sekretorische Zellen vorhanden
sind, lässt sich vom mikroskopischen Bilde nicht entscheiden,
kann aber nicht abgewiesen werden in Anbetracht des Um-
standes, dass ausser den fraglichen Zellsträngen keine Drüsen
vorhanden sind, solche aber bei allen anderen Tieren reichlich
in das Jacobsonsche Organ münden. Im Falle secernierende
Zellen vorhanden sind, muss das Sekret zwischen den feinen
Spalten der Zellen durch Diffusion in das Lumen des Jacob-
sonschen Organes gelangen.
Fassen wir zum Schlusse das Vorgetragene über das Jacob-
sonsche Organ der Eidechsen und Schlangen zusammen, so
bekommen wir darüber folgende Vorstellung:
Das Organ liegt im Prämaxillarteil des Gesichtes unter dem
vorderen Teil der Nasenhöhle, eingebettet in den prämaxillaren
Gaumen, und ist einer sagittal gedehnten Gastrula ähnlich, mit
oben gelegenem äusseren und unten gelegenen inneren Blatt
(Fig. 12). Die Höhlung der letzteren wird von einem leisten-
förmigen Fortsatz des Paraseptalknorpels ausgefüllt, Das Lumen
des Organes umgreift den von unten vordringenden pilzförmigen
Fortsatz halbmondförmig und erstreckt sich verschmälernd bis
an die mediale und laterale Gastrulalippe hinein, wo der Um-
schlag des äusseren dieken Blattes in das innere dünne Blatt
stattfindet; ersteres führt an der freien Fläche Sinnesepithel, in
den tieferen Schichten besteht es aus protoplasmaarmen Nerven-
zellen (vielleicht auch secernierenden Drüsenzellen ?), die durch
Bindegewebe und Bündel des Jacobsonschen Nerven in radiäre
Stränge angeordnet sind (Fig. 12). Das verhältnissmässig grosse
Gebilde hat einen dünnen Ausführungsgang, der am vorderen
Drittel des Organs von der medialen Lippe in S-förmiger Biegung
nach abwärts zieht und zwischen Paraseptalknorpel und Os prae-
maxillare durchtretend an der Decke der Mundhöhle vorne zwischen
42 VICTOR v. MIHALKOVIOS,
Gaumenpapille und den Anfang der Gaumenspalte mündet
(Fig. 15, apert. Jacobs.).
Dass ein derartig hochdifferenziertes Organ, wie das be-
schriebene, einer wichtigen Funktion vorsteht, kann keinem
Zweifel unterliegen; der Reichtum an Nerven ist dafür Beweis
genug. Dieser Nerv geht vom vorderen Teil des Riechhirns
ab und zieht bei Schlangen fast vertikal nach abwärts zur oberen
Wand des Organes, dasselbe mit einem dicken medialen und
lateralen Aste umgreifend (Taf. III, Fig. 11, N. Jacobs.). Verfolgt
man den Jacobsonschen Nerv an Frontalschnitten kaudalwärts,
so sieht man, dass derselbe von der medialen Seite des Riech-
hirns abgeht, während die zur Decke der Nasenhöhle tretenden
Olfaktorius-Äste von dessen unterer und äusserer Peripherie
kommen (Taf. VII Fig. 41, N. Jacobs. und N. olf. lat.).
Der Jacobsonsche Nerv ist an der medialen Seite des Riech-
hirns als ein dicker Strang kaudalwärts zu verfolgen, derselbe
dürfte also dem medialen Riechbündel der Säugetiere entsprechen,
Über die Funktion des Organes kann man nur Vermutungen
aufstellen. Dass dasselbe zur Beriechung der Nahrungsmittel
diene, ist aus dem Grunde unwahrscheinlich, weil es im Ver-
hältnis zu seinen Lumen einen sehr engen und langen Ausfüh-
rungsgang besitzt, was für eine ergiebige und schnelle Beriechung
von Nachteil ist. Hier liegt klar vor, dass die Annahme Seydels
über Amphibien und Schildkröten, das Jacobsonsche Organ diene
zur sinnlichen Wahrnehmung des Exspirationstromes und wäre
aus diesem Grunde entstanden, nicht richtig sein kann, denn
gerade bei Sauriern, wo das Organ die höchste Stufe der Aus-
bildung erreicht, ist es derartig eingerichtet, dass an ein leichtes
Eindringen des Exspirationstromes nicht gedacht werden kann.
Im Gegenteil ist das Eindringen der Luft behindert, also auch
das Entweichen davon, was dafür spricht, dass das Organ zur
intensiveren Ausnützung der eingedrungenen Luft resp. Riechstoffe
geschaffen ist. Überall, wo das Jacobsonsche Organ eine hohe
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 43
Ausbildung erreicht hat, kommt es in eine geschützte Lage, und
erhält einen engen Ausführungsgang, und das kann nicht ohne
Zweck für dessen Funktion sein. Was für Riechstoffe darin
perzipiert werden, ist freilich nicht zu entscheiden, doch müssen
diese Sinneswahrnehmungen für das Tier von hoher Bedeutung
sein, sonst würde das Organ keine derartig hohe Ausbildung
und Nervenreichtum erhalten haben, wie oben vorgetragen. Da
es die höchste Stufe der Vollendung bei kriechenden Tieren
erreicht, könnte an Geschlechtsfunktionen gedacht werden, zur
Perzeption der Geschlechtsriechstoffe um bei der Aufsuchung
der Paare behilflich zu sein. Diese Hypothese hat eine Stütze
darin, dass das Jacobson sche Organ bei jenen Tieren, bei welchen
an die Umgebung haftende Riechstoffe wegen des Aufenthalts-
ortes wegfallen, also bei Fischen und Vögeln, nicht vorhanden
ist (s. Vögel), weil jene geschlechtliche Riechfunktion durch
das Auge vermittelt wird, und auch beim Menschen ist das Organ
rudimentär geworden, wegen der Ausbildung des Intellektes und
allgemeinen Verkümmerung des Riechvermögens. Dass das
Jacobsonsche Organ dieselbe Funktion hätte, wie die Riechschleim-
haut der Hauptnasenhöhle, ist kaum anzunehmen, denn dafür ist
eine Sonderung vom gewöhnlichen Riechapparat und versenkte Lage
überflüssig. Unnötige Organe werden rudimentär oder schwinden
ganz, erhalten aber keine höhere Differenzierung in den höheren
Arten, wie das Jacobsonsche Organ bei den Schlangen und
Eidechsen im Verhältnis zu den Anuren.
3. Vögel.
Die Nasenhöhle der Vögel ist in sagittaler Richtung ver-
längert und lateralwärts umgeben von luftführenden Räumen,
von welchen ein grösserer vor der Augenhöhle (Sinusorbitalis),
ein zweiter im Gaumenfortsatz liest (Sinus palatinus), der
sich kaudalwärts in die Kieferhöhle fortsetzt (Taf. VI, Figg. 18,
44 VICTOR v. MIHALKOVICS,
19 u. 21, Sinus palatin. und maxill.). Die Zahl der Muscheln
schwankt zwischen 1—3, so haben z. B. die Tauben nur eine
Muschel), während Hausgeflügel drei besitzt, wie es Fig. 23,
Taf. IV zeigt. Ich wähle zur Grundlage der Beschreibung Frontal-
schnitte des Haushuhnes (Taf IV, Figg. 16—22).
Das äussere Nasenloch führt in den Vorhof, der mit der
kaudalwärts gelegenen Hauptnasenhöhle vermittelst einer engeren
Stelle kommuniziert. Im Vorhof wird das Nasenloch median-
wärts durch eine von oben C-förmig herunterhängende Vorhofs-
muschel verdeckt (Fig. 23, Concha vestibuli). In der Haupt-
nasenhöhle liegen rostral-kaudalwärts zwei Muscheln; die vordere
resp. mittlere Muschel (ÖConchamedia) besteht aus einer 1/2 mal
gewundenen Platte (Fig. 19), die nur schmale Spalten freilässt.
Die hintere resp. obere Muschel (Fig. 23, Concha sup.) ist eigent-
lich nur eine wulstförmige Vorragung der lateralen Nasenhöhlen-
wand (Fig. 21, Concha sup.), ähnlich der Pseudoconcha der
Saurier (s. oben). Hinter diesem Wulst ist die Schädelhöhle von
der Nasenhöhle durch eine fibröse Membran geschieden (Fig. 23,
Lam. eribr.), die eine Öffnung hat, um den Riechnerven
durchzulassen, — jene Membran ist also der Siebplatte der Säuge-
tiere gleichwertig.
Von den drei Muscheln ist die Vorhofsmuschel eine
spezielle Einrichtung des Vogelkopfes, bestimmt das äussere
Nasenloch von innen her zu verlegen (Gegenbaur?) Die
mittlere Nasenmuschel ist äquivalent der unteren Muschel des
Menschen und der vorderen Muschel der Säugetiere (maxillo-
turbinale); dafür spricht deren Anheftung am Oberkiefer, und
der Umstand, dass der Thränennasengang unter dem vorderen
Ende der Muschel in die Nasenhöhle mündet; die Schleimhaut
1) Gegenbaur, Über die Nasenmuscheln der Vögel. Jenaische Zeitschrift
für Medizin und Naturwissenschaften, Ill. 1373.
2) Gegenbaur, Ü,, Über die Nasenmuscheln der Vögel. Jenaische Zeit-
schrift, VII. 1873.
tomische Hefte ZABtheilung Iteft ANM SAN M BAHN 2)
uf
Taf: V
cayum ‚crani,
sinus front.
lamin, cribr.
nasoturb.
frontoturb
sınus front
sinus front
cerbr.
la m. cribr
ethmot. 2
elhmol.s.
eihmot *. nusoturb.
elhmaol, D7
nares.(sphenoturb)
sinus sphen
maxilloturb
lam. term © nares.
meatus nasoph
mealus nasi.int.
palatum dur palat dur duct.nasopal.
maxilloburb
elhmoturb
meatus naso-pharyng
epncha sup. (parsreflexa)
sinus max
lam. cribr.
lam. termin,
proc. uncinat.
sinus front
naso -turbin.. \ prom. sphen
concha med. nasolurb
elhmolurb.lat
concha inf. for sphenopal,
os nasale cavum crani
nasoturb,
lam. cribr.
ethmol.
choana lat H
I
ethmo-turh. lat- I
duct.nasopal B
027 ap. sin. !
mealus nasiint Fig.27 palat as
os sphen.
e ethmoturb. 2-5 bulb. olf. mealus
-0s inlermax f nasi med
|
nasaturb
cerebr. lam. term
maxillo-
turb
maxıllolurb.
apk. sinus front
l Fir 26 n
Fig. 26 basıs.eranü
mealus nasopharyng meat.nas. in!
palat dur
nares lam. ori br. Fiq.29
Fig 28 palal.dur. meatl nasopharyng, r E en
Ye Dr, A kgl Under Di CN Seilree ‚VRärdberr 5 lam. term choana lag vr 7
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 45
dieser Muschel ist mit Respirationsepithel bedeckt und mit
niederen schlauchförmigen Einbuchtungen versehen, die helles
Cylinderepithel führen (Fig. 21, Concha media). Ähnlich ist
die Schleimhaut im ganzen vorderen Teil der Hauptnasenhöhle
beschaffen. Die obere oder hintere Muschel der Vögel ist
eigentlich nur ein mit Riechepithel bedecekter muschelförmiger
Wulst(Pseudoconcha), der dem Riech- oder Siebbein-Muschel-
apparat der Säugetiere entspricht und als Erbteil der einzigen
Muschel der Saurier zu betrachten ist; eine Differenzierung in
mehrere muschelförmige Teile hat bei Vögeln noch nicht statt-
gefunden.
Die knorpelige Nasenkapsel geht bei Vögeln in den
ausgewachsenen Zustand über, ist aber sehr dünn und setzt sich
in die Muscheln hinein fort (Figg. 16—22). An der äusseren
Seite liegen die Deckknochen und diese umfassen auch die Luft-
räume.
Der Gaumen der Vögel ist infolge des auswachsenden
Schnabels eigentümlich gestaltet. In der Region hinter den
äusseren Nasenlöchern, also soweit sich beiläufig die mittlere
Muschel erstreckt, sind die Verhältnisse ähnlich jenen der Saurier,
d. h. es ist ein gespaltener Gaumen vorhanden (Fig. 20, Fiss.
palat. media), der sich Y-förmig in zwei laterale Arme teilt
(Fig. 20, Fiss. palat. lat.); die Wände der Seitenarme werden
oben vom Boden der Nasenhöhle, unten vom keilförmig median-
wärts gewachsenen sekundären Gaumen gebildet. Der mittlere
Schlitz der Gaumenspalte erstreckt sich aber rückwärts nur
bis etwas über das vordere Ende der mittleren Nasenmuschel,
hingegen findet man weiter vorne unter dem Nasenvorhof an
Frontalschnitten (Fig. 16—19) eine dicke Substanzbrücke unter
dem Vorhof bis an die Decke der Mundhöhle hinunter, in
welchem vorne eine blinde Bucht der Nasenhöhle (Fig. 17
Rec. inf. cavi nasi), ferner lateral der Oberkiefer (Figg. 16—19,
Maxilla), und der Gaumensinus (Sinus palatin.) liegen, ausser-
46 VICTOR v. MIHALKOVICS.
dem sind ım der dieken Mundschleimhaut grosse Gaumen-
drüsen (Gland. palat.) eingebettet. Diese ganze gemeinsame
Substanzanlage unter dem Nasenvorhof bis an die Schnabelspitze
entstand aus dem unteren Teil des embryonalen mittleren Nasen-
fortsatzes (dem primären maxillären Gaumen), der sich mit der
Ausbildung des Schnabels rostralwärts verlängert hat. Der
Gaumensinus hat sich im Embryo von der hinten gelegenen Kiefer-
höhle (Fig. 21, Sinus maxill.) her in den verwachsenden Prä-
maxillarteil des Gesichtes erstreckt (Figg. 16—20, Sinus palatin.)
und liegt dann unter dem mit geschichtetem Plattenepithel be-
deckten lateralen Teil der Gaumenspalte (Fig. 20).
Riechepithel ist nur an der oberen Muschel, und darüber
an der Decke der Nasenhöhle vorhanden (Figg. 20 u. 21). Die
mittlere Muschel und der grösste Teil der Nasenschleimhaut wird
von flimmerndem Cylinderepithel bedeckt und an der Vorhof-
muschel ist geschichtetes Plattenepithel vorhanden. An den mit
Respirationsepithel versehenen Stellen sind niedere Falten vor-
handen, zwischen welchen kryptenartige Vertiefungen liegen,
deren Grund abgerundet und mit hellen Cylinderzellen bedeckt
sind, — das sind einfache Schleimdrüsen. Eine grosse seröse
Drüse liegt in der Region des hinteren Teiles der mittleren
Muschel, an deren äusserer Seite sich bis zur oberen Muschel
hinauferstreckend (Figg. 12—20, Gland. nas. lat.); der lange
Ausführungsgang dieser Drüse zieht an der lateralen Wand der
Nasenhöhle schräg nach vorne und unten bis an den Boden
der Nasenhöhle, biegt dann plötzlich medianwärts um, und
lagert sich im Niveau des vorderen Teiles der mittleren Nasen-
muschel in die Substanzbrücke zwischen dem Boden der Nasen-
höhle und den Gaumensinus hinein, zieht hier über den Ober-
kiefer und unter der Schleimhaut des Nasenhöhlenbodens in
frontaler Richtung medianwärts (Fig. 18, Duct. gland.), biegt
dann nahe an der Medianebene über dem dieken N. nasopala-
tinus nach aufwärts (Fig. 17, Duct. gland.), lagert sich in
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 47
die Schleimhaut der Nasenscheidewand hinein und mündet hier
im vorderen Teil der Nasenhöhle in eine kurze Spalte, die dem
Ausführungsgang des Jacobsonschen Organs bei Nagetieren
sehr ähnlich sieht (Fig. 16, Duct. gland.),
An den mit stärkerer Vergrösserung gezeichneten F iguren
der Taf. VII, sieht man an F ig. 39 den vorderen Teil der seit-
lichen Nasendrüse (Gland. nasi lat.) an der inneren Seite
des Bodens der Nasenhöhle, unter den sich der laterale Teil
der Gaumenspalte (Fiss. palat. lat.) erstreckt; die Fig. 40 zeigt
einen Frontalschnitt mehr nach vorne, an welchem unter dem
Boden der Nasenhöhle der blinde Recess vorhanden ist (Cavi
nasi pars inf.); darunter zieht über dem Gaumensinus (Fiss.
palat.) der Ausführungsgang der seitlichen Nasendrüse median-
wärts, erweitert sich während seines Verlaufes und zieht plötz-
lich in vertikaler Richtung nach oben; der letzte Teil des
Ganges (Duct. Jacobs.) ist bedeutend enger, wie der übrige.
Damit sind wir mit der Beschreibung der Nasenhöhle zu
Ende und wollen nun erörtern, wie es sich mit dem Jacob-
sonschen Organ verhält.
Über dieses ist man allgemein der Meinung, dass es bei
Vögeln fehlt. v. Kölliker erwähnt von der Gans, dass er an
dieser einen mit Cylinderzellen bedeckten Gang gesehen hat,
dessen Beschreibung ganz auf den von mir vorher erwähnten
Drüsengang passt. Dieser Gang geht nach Kölliker von der
lateralen Nasendrüse ab, und zieht unter dem vorderen Stirn-
knochen in einer Rinne zwischen diesem Knochen und Nasen-
bein abwärts, durchbohrt etwas hinter dem knöchernen Nasen-
loch die Knorpelwand der Nasenhöhle, erreicht so den Boden
der Nasenhöhle, zieht hier neben dem Knorpel der Nasenscheide-
wand nach vorne und mündet am Septum. Hier ist der Gang
4—5 mm lang und 1 mm dick, und liegt über dem dicken
!) @anins (13) Ansicht darüber ist mir wegen der wenig zugänglichen
russischen Zeitschrift unbekannt.
48 VICTOR v. MIHALKOVICS,
N. nasopalatinus. Der Lage und Mündung nach sieht dieser Gang
einem Jacobsonschen Organ Ähnlich, da derselbe aber von
der Nasendrüse kommt, ist derselbe Köllikers Meinung nach
ein Drüsengang.
Ich habe die Nasenhöhle der Vögel am Huhn, Ente, Trut-
hahn und dem Spatzen an frontalen Serienschnitten auf das
Jacobsonsche Organ untersucht, habe aber ansser dem oben
angeführten vermeintlichen Drüsengang nichts dergleichen ge-
füunden. Nun ist es jedenfalls auffallend, dass ein Organ in
einer grossen Klasse der Wirbeltiere ohne eine Spur zu hinter-
lassen schwindet, welches bei den nächsten Verwandten, den
Sauriern, in der höchsten Ausbildung vorhanden ist; selbst beim
Menschen ist das Organ in rudimentärer Form vorhanden, ob-
gleich es auch bei diesem schon lange her ausser Funktion ge-
treten ist, wie es die rudimentäre Form bei Affen beweist. Also
wenigstens Spuren sollte man bei Vögeln erwarten, oder ein
vorübergehendes Erscheinen im Embryo. Dies bewog mich den
erwähnten Drüsengang näher zu untersuchen und habe an
serialen Frontalschnitten beim Huhn folgendes gefunden.
In der Region des vorderen Teiles der mittleren Nasen-
muschel, also am Ende des Nasenvorhofes, ist die Schleimhaut
der Nasenscheidewand wulstförmig verdickt (Taf. IV, Fig. 16);
in den Wulst vertieft sich das geschichtete Pflasterepithel rinnen-
förmig (Fig. 16, rechterseits), dann legen sich kaudalwärts die
vorstehenden Ränder der Rinne lippenförmig aneinander, und
vereinigen sich zur Bildung einer mit 2-, 3-, 4schichtigen Epithel-
zellen bedeckten runden Röhre (Fig. 16, linkerseits) von 130 bis
140 u Durchmesser, deren Epithel 30—40 u dick ist. Wenn diese
Röhre nach einem kurzen Verlauf an der Scheidewand blind
enden würde, hätte man ein ganz ähnliches Gebilde wie das
rudimentäre Jacobsonsche Organ 4-6 Monate alter mensch-
licher Embryonen (vergl. Fig. 68, Taf. X); das ist aber nicht der
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 49
Fall, sondern der Gang setzt sich in den langen Ausführungs-
gang der lateralen Nasendrüse fort und hat folgenden Verlauf.
Nachdem der Gang von seiner Mündung am Septum (Taf. IV,
Fig. 16, Duct. gland. Jacobs.) eine ganz kleine Strecke sich
in horizontaler Richtung kaudalwärts fortgesetzt hat, biegt er in
jähem Bogen nach unten und kommt im prämaxillaren Gaumen
an die mediale Seite des unteren Recessus der Nasenhöhle über
den dicken N. nasopalatinus zu liegen (Fig. 17, Duct. gland.
Jacobs.); der rechte und der linke Gang liegen nahe anein-
ander in der Substanzbrücke zwischen den erwähnten beiden
Recessus, in welche sich eine Fortsetzung der knorpeligen Nasen-
scheidewand hineinerstreckt. Diesen Teil des Ganges kann man
als dessen ersten oder vertikalen Teil bezeichnen, nach welchem
der zweite oder horizontale Teil folgt. Dieser liegt frontal (trans-
versal) unter dem vordersten Ende der seitlichen Gaumenspalte,
eingebettet in die Substanzbrücke zwischen dieser Spalte und
dem Gaumensinus (Taf. IV, Fig. 18 und Fig. 40, Duct. gland.).
Beim Übergang des vertikalen Teiles in den horizontalen
ist an letzterem eine Erweiterung vorhanden (Fig. 40) und da
der horizontale Teil überhaupt viel breiter wie der vertikale
ist (120-150 «), sieht man denselben an Frontalschnitten der
ganzen Länge nach angeschnitten; die Wand ist von zweischich-
tigen Cylinderzellen bedeckt, und das Lumen mit einem Gerinnsel
erfüllt, infolge der angewendeten Fixierungsflüssigkeit. Nach
dem transversalen Teil des Ganges folgt dessen schräg aul-
steigende laterale Fortsetzung, die als deren dritter Abschnitt
benannt werden kann; dieser zieht an der äusseren Wand der
Nasenhöhle gegenüber dem umgebogenen Teile der mittleren
Nasenmuschel schräg nach hinten und nimmt die Drüsengänge
der lateralen Nasendrüse auf (Taf. IV, Fig. 19 und Taf. VII,
Fig. 39, Gland. nasi lat.), die zwischen dem Paranasalknorpel
und dem Os frontale gelegen ist und eine ähnliche, aber im Ver-
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXIV/XXXV. Heft (11. Bd., H 1/2). 4
50 VICTOR v. MIHALKOVICS,
hältnis kleinere seröse Drüse ist, wie die laterale Nasendrüse
der Reptilien (bei Krokodil Gaumendrüse nach Röse, op, cit.).
Der Funktion nach ist das beschriebene lange Epithelrohr
der Ausführungsgang der lateralen Nasendrüse, morphologisch
verhält sich aber die Sache anders. Meiner Auffassung nach
sind am Gange 2 Teile zu unterscheiden: erstens der enge Ab-
schnitt in der Nähe des Septums und zweitens der weitere Teil
im Prämaxillarteil des Gaumens und an der seitlichen Wand
der Nasenhöhle; ersteres halte ich für ein rudimentäres Jacob-
sonsches Organ, letzteres für den Ausführungsgang der lateralen
Nasendrüse, die sich mit dem ersten Abschnitt sekundär ver-
einigt hat. Für diese Auffassung sprechen morphologische und
und auch histologische Gründe. In morphologischer Beziehung
kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die laterale Nasen-
drüse der Vögel jener der Reptilien homolog ist, das beweist
die Lage und Struktur hinlänglich. Bei Eidechsen und Schlangen
verläuft der Ausführungsgang dieser grossen Drüse (vergl.
Fig. 12, Taf. III, Gland. nasi lat.) zwischen Paranasalknorpel und
den Deckknochen an der lateralen Wand der Nasenhöhle rostral-
wärts und mündet hinter dem äusseren Nasenloch in den Vor-
hof der Nasenhöhle. Dieses einfache Verhalten ist bei Vögeln
abgeändert, wozu die eingreifende Veränderung des in die Länge
auswachsenden prämaxillaren Gesichts zum Schnabel die Ursache
war. Durch diese Verlängerung ist der lange Nasenvorhof vor
dem äusseren Nasenloche entstanden, unter dem im prämaxillarem
Gaumen von hinten her die Gaumenspalte und der Gaumen-
sinus hineingewachsen sind ; mit dieser eingreifenden Veränderung
wurde der Ausführungsgang der lateralen Nasendrüse von seinem
ursprünglichen Verlaufe abgelenkt und gelangte in den Boden-
teil der Nasenhöhle hinein, wo er sich mit dem Jacobsonschen
Gange sekundär verbunden hat. So wurde aus der accessorischen
Riechhöhle des Jacobsonschen Organes der Ausführungsgang
einer Nasendrüse, aber nur der distale, sog. vertikale und engere
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 51
Teil des Drüsenganges ist als Jacobsonsches Organ zu betrachten
(Fig. 40, Duct. Jacobs.), weil nur in diesem das Epithel einem
verkümmerten Sinnesepithel gleichsieht, ähnlich jenem reiferer
menschlicher Embryonen, während im transversalen Teil des
Ausführungsganges gewöhnliches Cylinderepithel vorhanden ist
(Fig. 40, Duct. gland.). Das verkümmerte Riechepithel ist
nur an Objekten, die mit Säuren nicht entkalkt wurden, zu er-
kennen; dazu kann man reife Hühnerembryonen verwenden
(wie die Objekte der Figg. 16—-22), weil diese sich auch ohne
Entkalken schneiden lassen, während an ausgewachsenen Tieren
die angewendete Säure die Grenzen der atrophischen Riechzellen
undeutlich macht.
Die Veränderung des Jacobsonschen Organes zum Endteil
eines Drüsenausführungsganges erfährt eine Forterbung bei den
Säugetieren, da auch bei vielen von diesen eine grosse seröse
Drüse hinein mündet, nur ist das nicht die laterale Nasendrüse
sondern eine andere am Septum gelegene mediale Nasendrüse,
worüber unten weiteres folgt.
Durch die angegebene Auffassung ist das Jacobsonsche
Organ der Vögel erklärt, und das scheinbare Fehlen desselben
in einer grossen Klasse der Wirbeltiere verständlich gemacht.
Schon an Schildkröten ist das Organ in weniger vollständiger
Form vorhanden, aber noch gut erkennbar. Über Krokodile
bin ich nicht gewiss, ob die von Röse (42) angegebene Rinne
am Septum das richtige Jacobsonsche Organ ist; hingegen
passen die Verhältnisse der von Röse (op. cit.) beschriebenen
Gaumendrüse und deren Ausführungsgang auf die Verhältnisse
der Vögel. Jedenfalls ist aus dem Verhalten des Jacobson-
schen Organes zu schliessen, dass die Stufe zu den Vögeln
nicht durch die Saurier, sondern durch Vermittlung der Schild-
kröten und Krokodile stattgefunden hat; mit der veränderten
Lebensart ist die Funktion des Organes bei Schildkröten zuerst
reduziert worden, dann ist ein Funktionswechsel eingetreten und
4*
52 VICTOR v. MIHALKOVICS,
das Sinnesorgan ist in den Dienst einer grossen Nasendrüse ge-
treten. Zur Reduktion des Sinnesorganes haben morphologische
Veränderungen im Prämaxillarteil des Gesichts beigetragen, was
aber die physiologische Entbehrlichkeit des Organes betrifft, da-
rüber kann man nur Vermutungen aufstellen. Dass die Schärfe
des Geruchs durch den Verlust des Jacobsonschen Organes
nichts eingebüsst hat, beweisen die Raubvögel, und so wäre nur
an eine geschlechtliche Sinnesperception zu denken, die bei Vögeln
durch Vermittlung des Auges besser besorgt sind.
4. Säugetiere.
Über die Nasenhöhle der Säugetiere haben Zuckerlandl'),
und Seydel?) an einem reichhaltigen Materiale so vortreffliche
Untersuchungen veröffentlicht, dass wenig nachzuholen ist
und sich nur auf Details 'erstrecken kann. Solche wären die
Darstellung der Muscheln und des Jacobsonschen Organes an
Frontalschnitten. Letzteres haben jene Autoren nicht behandelt
und meine Absicht war ursprünglich nur dieses Organ zu
untersuchen, da ich aber nebenbei eine Vorstellung über den
Bau der ganzen Nasenhöhle erhielt (vergl. auch meine früheren
Abhandlungen 3), soll hier einiges davon vorgetragen werden.
Ich teile also die Aufgabe in zwei Teile: 1. Betrachtung
der ganzen Nasenhöhle, hauptsächlich zum Studium des Muschel-
apparates an Frontalschnitten, und 2. das Jacobsonsche Organ.
1) Zuckerkandl, E., Das peripherische Geruchsorgan der Säugetiere.
Stuttgart 1887. — Normale und pathologische Anatomie der Nasenhöhle. 1.
1882. II. 1892. — Realencyklopädie der gesamten Heilkunde. 2. Aufl., 1888.
— Merkel u. Bonnet, Ergebnisse der Anatomie und Entwickelungsgeschichte.
II. 1892. S. 274.
2) Seydel, O., Über die Nasenhöhle der höheren Säugetiere und des
Menschen. Morphologisches Jahrbuch, XVII. 1891.
3) Mihalkovies, V., Anatomie und Entwickelungsgeschichte der Nase
und ihrer Nebenhöhlen. Heymanns Handbuch d. Laryng. u. Rhinologie.
IIf. Wien 1866. — Bau und Entwickelungsgeschichte der pneumatischen Ge-
sichtshöhlen. Verhandl. d. anat. Gesellsch. zu Berlin, 1896.
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 53
a) Muschelapparat.
Den Begriff einer Muschel hat Gegenbaur') als „eine
von der Nasenhöhlenwand her entspringende, selbständige, von
einer einfachen Fortsetzung des Skeletts der Wand gestützte
Einragung“ umschrieben. Insofern diese Definition eine „ein-
fache“‘ Fortsetzung des Skeletts erfordert, können die von Schleim-
haut bedeckten wulstförmigen Hervorragungen der Nasenhöhlen-
wand nicht zu den Muscheln gezählt werden. Demnach sind
die muschelförmigen Wülste der Reptilien und Vögel keine wahren
Muscheln, sondern nur Pseudomuscheln, da sie nur bogen-
förmige Einbuchtungen desSkeletts enthalten (vergl. Taf. III, Fig. 14
und Taf. IV, Fig. 21). Trotzdem kann kein Zweifel obwalten, dass
die Pseudomuscheln der Reptilien und Vögel mit den Siebbein-
muscheln der Säugetiere homolog sind, denn sie liegen an ent-
sprechenden Stellen und haben diesselbe Funktion (Vergrösserung
der Riechfläche), ausserdem sind viele der sog. lateralen Siebbein-
muscheln der Säugetiere weiter nichts als Vorbuchtungen des
Skeletts und der Schleimhaut gegen die Riechregion. Solger’)
hat die Frage aufgestellt, aber nicht beantwortet, wie aus einer ein-
fachen Knorpellamelle eine einheitliche Platte entsteht, ob durch
Auswachsen, oder Aneinanderlagerung der sich zugekehrten
Flächen der eingebuchteten Partie und nachträgliche Verschmelz-
ung derselben zu einer einheitlichen Platte? Von einer solchen
Verschmelzung habe ich an verschiedenen Säugetier- und mensch-
lichen Embryonen nichts gesehen, und die Alternative ist über-
haupt nicht am Platze, denn die wahren Muscheln entstehen an
Embryonen, wie ich gesehen habe, nicht aus gebogenen Knorpel-
lamellen, sondern zuerst als frei vorwachsende Duplikaturen der
Schleimhaut (wie auf Taf. XI, Fig. 77, Maxilloturb.), in deren
1) Gegenbaur, Über die Nasenmuscheln der Vögel. Jenaische Zeitschrift
f. Medizin und Naturwissenschaft. VII.
2) Solger, Beiträge zur Kenntnis der Nasenwendung und besonders
der Nasenmuscheln der Reptilien. Morphol. Jahrbuch, I. 1876.
54 VICTOR v. MIHALKOVICS,
Innern sich das Mesenchym zu einer Knorpelplatte differenziert,
die gleichzeitig mit dem Paranasalknorpel entsteht, aber nicht
hinein wächst, sondern in loco gebildet wird. Nicht die Bil-
dungsweise entscheidet den Charakter einer Muschel, sondern
der Ort und die Funktion.
Es giebt zwei Gattungen von Muscheln: Riech- und Respi-
rationsmuscheln. Erstere [Ethmoturbinalia] liegen in der
Siebbeingegend (Taf. V, Figg. 24, 25, 28, Ethmoturbin.; Taf. VI,
Figg. 37 und 38, Ethmoturbin.), und diese sind mit Riech-
epithel bedeckt. Die Respirationsmuschel [Maxilloturbinale]
gehört der Oberkiefergegend der Nasenhöhle an (Taf. V, Figg. 24,
25, 25, 28, Maxillaturb.; ferner Taf. VI, Figg. 33—55, Maxillo-
turb.; Taf. VII, Fig. 45, Maxilloturb.); diese Muschel ist mit
Respirationsepithel bedeckt und dient zur Erwärmung, Filtrie-
rung und Befeuchtung der eingeatmeten Luft. Dabei ist es einer-
lei, ob die Riechmuscheln nur vom Skelett gestützte Vorsprünge
der Nasenschleimhaut, oder frei vorragende Lamellen sind. Um
präzise Ausdrücke zu haben, ist es geraten für die Vorragungen
den Namen der falschen Muscheln (Pseudoconcha) anzu-
wenden, um diese von den frei vorragenden Muscheln [Concha]
zu unterscheiden. Andere Autoren gebrauchen für die falschen
Muscheln den Namen: Riech falten, Riechwülste [Zucker-
landl], Nebenmuschel [Killian], vermischen damit aber
auch die wahren Riechmuscheln, was wegen Verwirrungen zu
meiden ist.
Bekanntlich hat Broca') die Säugetiere inosmatische und
anosmatische eingeteilt, denen Turner?)eine mikrosmatische
Gruppe zugeteilt hat. Zu den anosmatischen gehören der
Delphin und die Zahnwale (wahrscheinlich auch Ornithorynchus,
Zuckerkandl, op. cit.), hingegen sind der Mensch, Affen, Barten-
1) Broca, Recherches sur les centres olfactifs. Revue d’Anthropologie, 1879.
2) Turner, The constitution of the brain. Verhandlungen des X. inter-
nationalen medizinischen Kongresses zu Berlin, I]. Anat. 1891.
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 55
wale und Pinnipedier mikrosmatisch. Die Bezeichnungen be-
ziehen sich zunächst auf die Ausbildung des centralen Riech-
apparates, dieser steht aber im Verhältnis mit dem peripherischen,
sodass man aus einer besseren Ausbildung der Riechmuscheln
auf eine vollkommenere Geruchsperception schliessen kann.
Wie die Riechmuscheln, ist auch die Respirationsmuschel
(Maxilloturbinale) sehr verschieden gestaltet, aber in Bezug
auf die Komplizierung ganz unabhängig von der Geruchsperception,
sodass die Säugetiere mit vielen Riechmuscheln eine einfachere
Respirationsmuschel haben können (z. B. die Haustiere, Taf. V,
Fig. 24) und umgekehrt (Fig. 28). Die Formen der Respirations-
muschel sind oft sehr kompliziert, aber bei näherer Untersuchung
doch zu entziffern, Harwood') hat zwei Hauptformen unter-
schieden: 1. Die gewundene der Pflanzenfresser und 2. die
verästigte der Karnivoren; diesen hat Zuckerkandl 3. die
gefaltete der Nagetiere angeschlossen. Aber auch bei Nagern
kommen gewundene Muscheln vor (z. B. bei der Maus, Taf. VII
Fig. 45) und auch die Muschel der Insektivoren sind doppelt ge-
wunden (z. B. Maulwurf, Taf. VI, Figg. 33—36), darum ist die Form
der unteren Muschel zur Systematik nicht zu verwenden.
Die gewundene Muschel ist einfach oder doppelt ge-
wunden; den erstern Fall finden wir bei erwachsenen Menschen (wie
in Fig. 61, Taf. X). Der obere Fortsatz der doppeltgewundenen
Muschel kann gut ausgebildet sein (Taf. VI, Figg. 33
55), oder
ist nur durch eine schmale Knochenleiste vertreten (wie beim
menschlichen Embryo, Taf. X, Fig. 62). Bei der verästigten
Muschel gehen von den Windungen ästige Nebenfortsätze
ab (Taf. V, Fig. 26); bei der gefalteten Muschel sind an der
freien Fläche sagittal verlaufende Furchen vorhanden (Tat. V,
Fig. 28). Bei all diesen Formen geht vom Anheftungsrande (Basal-
lamelle, Seydel) eine gemeinsame Ursprungsplatte ab, diese hat
1) Harwood, System der vgl. Anatomie und Physiol. Übersetzt von
Wiedemann. Berlin, 1794.
56 VICTOR v. MIHALKOVICS,
mehr oder weniger Nebenfortsätze, die sich dem Lebensbaum des
Kleinhirns ähnlich verästeln (Taf. V, Fig. 26). Die einfach ge-
wundene Muschel des erwachsenen Menschen ist nach unten gerollt;
diese ist aus der doppelt gewundenen infolge einer Atrophie des
oberen Fortsatzes entstanden, was man daraus schliessen kann, dass
bei 4-5 Monate alten Embryonen (Taf. X, Fig. 62) eine obere
Falte regelmässig vorkommt. (Vergl. die Bemerkung Fleischers
11] 8. 7, und Zuckerkandls op. eit.). Auch die verästelten
und gefalteten Muscheln der Säugetiere entstehen im Embryo
aus einer doppelt gewundenen durch das Vorwachsen verschie-
dener Nebenleisten, wodurch das Maxilloturbinale zu einem äusserst
komplizierten Gebilde werden kann (Taf. V, Fig. 26), dessen
Funktion darin besteht der respirierten Luft grössere Fläche zu
bieten, um dieselbe beim Schnüffeln, Schnobern und dergleichen
von Staubpartikelchen zu reinigen, zu erwärmen und zu befeuch-
ten. Es ist eine bemerkenswerte Thhatsache, dass die Neben-
leisten erst mit der Umbildung der Riechfunktion entstehen.
Bei neugeborenen Kaninchen und Hunden ist die untere Muschel
noch einfach, und die Nebenwülste und Falten entstehen erst
später (s. auch Zuckerkandl, Ergebnisse d. Anat. II. S. 275).
Die Respirationsmuschel der Säugetiere nimmt den vorderen
Theil der Nasenhöhle ein, liegt hinter der äusseren Nasenöffnung
und erstreckt sich je nach der Länge des Gesichtsschädels mehr
(Taf. V, Fig. 24) oder weniger weit (Taf. V, Figg. 25 u. 28) nach
hinten; über ihr liegt das Nasendach, sie erreicht aber dieses
nicht, sondern ist von denselben durch das Nasoturbinale ab-
gedrängt (s. unten). In der horizontalen Fortsetzung der unteren
Muschel liegt der niedere kanalförmige Nasenrachengang
(Figg. 24, 25 u. 28, Meatus nasopharyngeus), an dem zwei
Teile zu unterscheiden sind: ein vorderer und ein hinterer. Der
vordere Teil wird von der darüber gelegenen Riechregion durch
eine horizontale Knochenplatte getrennt (Lamina terminalis,
Zuckerkandl [Figg. 24 u. 25]), die sich transversal vom Sep-
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Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 57
tum bis zur äusseren Wand der Nasenhöhle erstreckt (Taf. IX,
Figg. 54 u. 55, Lam. termin.; Taf. VI, Fig. 38, Lam. termin.),
nach vorne ist dieselbe bogenförmig ausgeschweift. Der hintere
Teil des Nasenrachenganges liegt unter dem vorderen Teile des
Schädelgrundes (Taf. V, Figg. 24 u. 28). Die Lamina terminalis
ist als eine balkenförmige Fortsetzung der Schädelbasis, resp.
des Keilbeines nach vorne in die Nasenhöhle hinein zu betrach-
ten (Taf. V, Figg. 24 u. 25); von seinem Ursprunge geht die
mehr frontal gestellte Siebplatte (Lam. eribr.) nach oben zur
Schädeldecke und erreicht diese an der Grenze zwischen Nasen-
und Schädelhöhle.
Die Zahl der Riechmuscheln variiert bei Säugetieren
von 3-9, die meisten haben fünf (Karnivoren, Nager, Insektivoren,
Halbaffen, Beuteltiere), und diese Zahl kann als Typus genom-
men werden, weil sie bei den Beuteltieren die Regel ist; schon
bei Blumenbach!') findet man die Zahl 5 als Norm angegeben.
Wir wählen zur Beschreibung das Kaninchen (Taf. V, Fig. 28;
vergl. darüber auch W. Krause)?), die Katze (Fig. 25), ferner
das Kalb (Figg. 24 u. 29), die Maus (Taf. VII, Figg. 46—49), und
den Maulwurf (Taf. VI, Figg. 37 u. 38), teils in der Seiten-
ansicht der Nasenhöhle, teils an Frontalschnitten.
Wie an sagittal durchgeschnittenen Nasenhöhlen zu sehen
ist (Taf. V, Figg. 24, 25 u. 28), erfüllen die Riechmuscheln die
ganze hintere Region der Nasenhöhle vom Nasenrachengang bis
an die Stirne hinauf, und bestehen bei Seitenansicht aus wulstigen
Falten der Schleimhaut, die durch mehr oder weniger parallele
Spalten (Fissurae ethmoidales) von einander getrennt sind.
An Frontalschnitten erkennt man (Taf. VI, Figg. 37 u. 38), dass
die Wülste zumeist aus doppeltgewundenen Muscheln bestehen,
1) Blumenbach, Geschichte und Beschreibung der Knochen des
menschl. Körpers. Göttingen, 1786.
2) W. Krause, Anatomie des Kaninchens. 2. Aufl. Leipzig 1884. —
Löwe, Beitr. z. Anat. d. Nasen- und Mundhöhle. Berlin, 1888.
58 VICTOR v. MIHALKOVICS,
die gegen die laterale Wand der Nasenhöhle umgebogen sind;
es kommen aber auch entgegengesetzt gewundene vor (in Fig. 38
in der Mitte der Riechhöhle). In der Seitenansieht sieht man
natürlich nur die bis an die Oberfläche vorragenden Teile der
doppeltgewundenen Muscheln, die übrigen Teile und auch ganze
Muscheln sind von den übrigen verdeckt und liegen in der
Tiefe der Spalten, näher zur lateralen Wand der Nasenhöhle
(Taf. V, Fig. 29); diese hat Zuckerkandl (op. eit.) als late-
rale Riechwülste von den frei vortretenden medialen unter-
schieden. Seydel hat sie Haupt- und Nebenmuscheln
genannt. Ich schlage vor dieselben frei vorstehende und
verdeckte Muscheln zu benennen, weil beide ganz gleich
beschaffen sind und nur die Lage anders ist.
Alle besitzen eine einfache Ursprungslamelle (Basallamelle)
am Siebbeine, von der dem doppelt gewundenen Typus ähnliche
umgebogene Lamellen abgeben; hingegen ist der einfach ge-
wundene Typus seltener. Nach diesem Typus entwickeln sich
die Siebbeinmuscheln im Embryo am Ende der Knorpelfort-
sätze aus Verbreiterungen, die an Querschnitten pilzförmigen
Vorsprüngen ähnlich sehen; diese sind noch im neugeborenen
Tiere vorhanden (Taf. IX, Figg. 54 u. 55, Ethmoturb.) und die
Seitenarme der Pilze wachsen erst nach der Geburt aus.
Der ganze Komplex der Siebbeinmuscheln liegt in nächster
Nähe vor dem Riechlappen (Taf. V, Figg. 25 u. 28), wo die
Siebbeinplatte (Lam. cibr.) eine schräge Scheidewand zwischen
Schädel- und Nasenhöhle bildet; vor der Siebbeinplatte liegen
die Siebbeinmuscheln. An dem vorzüglichen Riechorgane der
Katze (Taf. V, Fig. 25) haben sich die Muscheln derartig mäch-
tig entfaltet, dass sie sich auch in die Nebenhöhlen hinein ge-
lagert haben : oben in die Stirnhöhle (Frontoturbinalia), unten
in die Keilbeinhöhle (Sphenoturbinalia). Der gemeinsame
Charakter der Siebbeinmuscheln besteht darin, dass sie mit einer
kurzen dünnen Falte an der Siebbeinplatte entstehen, den man
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 59
Stielnennt (Schwalbe); dann folgt ein verbreiteter Abschnitt,
die sogen. Anschwellung, endlich das verschmälerte vordere
Ende, das sich in spitzem Winkel nach hinten umbiegt, und
gemeinsam mit seinen Gefährten an eine schmale Leiste anheftet,
die horizontal nach rückwärts zieht und sich mit der Lamina
terminalis vereinigt (Taf. V, Figg. 24, 25, 28); man nennt dieses
gemeinsame Anheftungsblatt die Haftfalte. Die Länge der
Riechmuscheln nimmt von oben nach unten ab, dafür sind die
unteren meistens breiter (Taf. V, Figg. 25 u. 28). Sie liegen mehr
oder weniger parallel zueinander in fast sagittaler Richtung vom
Nasendach bis an die Lamina terminalis. Die oberste Siehbein-
muschel (Taf. V, Figg. 24, 25 u. 28, Nasoturb.) reicht an der
Seite des Nasendaches über die Region des Maxilloturbinale
bis in den Nasenvorhof hinein, ihr hinteres Ende liegt dem
Thränen- und Nasenbeine an, das vordere erreicht den Nasen-
fortsatz des Oberkiefers, — diese obere lange Riechmuschel ist das
Nasoturbinale. An Frontalschnitten ist zu sehen, dass diese
Muschel an ihrem hinteren Teile von der Nasenscheidewand
oben abgeht und dort einfach gewunden ist (Taf. VI, Fig. 38);
mehr nach vorne zieht sie sich auf die obere Wand der Nasen-
höhle und besteht aus einer einfach in die Nasenhöhle hinunter-
hängende lange Platte (Figg. 24 u. 25), die nach vorne zu all-
mählich niederer wird (Figg. 30 u. 32) und dort den Ausführungs-
gang der grossen Stenonschen Nasendrüse zur Seite hat (Duct.
gland). Bei vielen Gattungen schliesst das Nasoturbinale in seinem
hinteren Teile eine eigene Höhle ein, an deren Bildung auch
das Stirnbein und der Stirnfortsatz des Oberkiefers teilnehmen;
nach oben geht die Höhle ohne Grenze in die Stirnhöhle über
und mündet für sich in die Nasemhöhle. Der vordere Teil des
Nasoturbinale hat in der Tiefe einen von den übrigen Riech-
wülsten verdeckten wichtigen Fortsatz, den Zuckerkandl
1) Schwalbe, E., Über die Nasenmuscheln der Säugetiere und des
Menschen. Sitzungsb. der phys.-med. Gesellschaft zu Königsberg, XXIII. 1882.
60 VICTOR v. MIHALKOVICS,
Pars teeta im Gegensatz zur Pars libera bezeichnet; der-
selbe ist homolog dem Siebbeinhacken des Menschen und wird
daher zweckmässig Processus uncinatus genannt.
Gleichwie die Katze besitzt der Maulwurf einen sehr ent-
wiekelten Riechmuschelapparat, dessen Verhältnisse an den
Frontalschnitten der Figg. 37—38 dargestellt sind. Hingegen
sind die Riechmuscheln der Maus bedeutend einfacher gebaut
(Taf. VIII, Figg. 48—50) und bestehen zumeist aus frei vorstehen-
den Muscheln, während versteckte nur wenige vorkommen. Bei
diesem Säugetiere und auch bei anderen ist die Wand der Ober-
kieferhöhle mit der mächtigen Stenonschen oder sog. Krango-
schen Drüse ') belegt (Taf. VI, Figg. 35-38; Taf. VIII, Figg.
47-49, Gland. Stenon.), deren Ausführungsgang in der Nähe
des Thränennasenkanales (Fig. 34, Duct. nosolacrim.) ver-
läuft, dann aber weiter vorne an die äussere Seite des Nasotur-
binale zu liegen kommt (Fig. 35). Der Thränennasengang zeigt
insofern eigentümliche Verhältnisse, dass derselbe an der late-
ralen Seite der Stenonschen Drüse sehr weit und einem Reservoir
ähnlich gestaltet ist (Fig. 55, Duct. nasolacrim.); mehr nach
vorne liegt derselbe unter dem Haftrand des Maxilloturbinale
und ist dort bedeutend enger (Figg. 34 u. 35).
Dass die Riechmuscheln der Säugetiere den Siebbeinmuscheln
der Affen und des Menschen homolog sind, bedarf in Anbetracht
ihres gleichen Verhaltens zum Siebbein keine Erläuterung, auch
die Ausbreitung des Riechnerven in der Schleimhaut‘ und das
Riechepithel lassen keinen Zweifel darüber. Dem widerspricht
selbst der Umstand nicht, dass die mittlere Muschel des Menschen
das Riechepithel eingebüsst hat; dieser Funktionswechsel ist aus
der Verkümmerung der Geruchsperception und aus dem Umstande
zu erklären, dass ähnliches teilweise auch an den Säugetier-
muscheln eingetreten ist (z. B. an der lateralen Seite des Nasotur-
1) Kangro, C., Über Entwickelung und Bau der Stenonschen Nasen-
drüse der Säugetiere. Inaug.-Diss. Dorpat, 1884.
Anatamische Hofe I.Aitheilung Heft ZVRT KW (BR 412) j Ense
Fig. 39.
os intermaxill.
Fig. #2.
concha media
concha media. seplum ..—.-
ductus Jacobs
cavnasi..
f . cuv nasi
gland.nasi.
5 lat.
duct Jacobs
RE „gland lat
n.nasopal nasi
solum cavi.....-
nasi,
duet.gland
nası lat
palat.
Fiss. palat.latı“ maxilla
palatum..- 7
‚proe. palalın
n.olfact medial. carlil. septi.
bulb. olfact. In.Jacobs.) bulb. olfact. =>.
‚ol£ lat.
n.ol£ laı gland. Jacobs.
os ıntermux.
gland. Jacobs
duct ‚Jacobs
os ıntermax,
vestih.nasi
2 - mnf#B m, VResbaden.
Leu Dur. d Il Uhse Drudarei vH Seren Whireburg Fig. #. Velag vn 1 Bergmann, WRas®
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 61
binale, Taf. VIII, Figg. 45—46), zum Zeichen, dass die vorderen
Teile der Riechmuscheln zu Zuleitungsorganen zum mehr ge-
schützten hinteren sensitiven Teil geworden sind.
Einen speziellen Vergleich der Säugetiermuscheln mit den
Siebbeinmuscheln des Menschen hat zuerst Schwalbe!) versucht,
dessen Ansichten Zuckerkandl (op. eit) und Seydel (op. eit) mit
einigen Modifikationen angenommen haben. Danach ist vor allem
das Nasoturbinale von den übrigen Muscheln auszuscheiden ;
diesem entspricht in der menschlichen Nasenhöhle keine Muschel,
sondern das unscheinbare Rudiment einer solchen: der Agger
nasi (H. Meyer)? Schwalbe hält den Processus uncinatus
für die Haftfalte des Nasoturbinale, die die Lamina terminalis nicht
erreicht hat. Seydel hat aber bewiesen, dass der Processus un-
cinatus des Siebbeins ein übriggebliebener Teil des Nasoturbinale
ist, der bei Anthiropoiden einen stumpfen Fortsatz nach unten ent-
sendet ; dieser hat sich beim Menschen stärker entwickelt und die ÖfE-
nung der Kieferhöhle von unten verlegt. Im hintern Ende des mitt-
leren Nasenganges kommt öfters ein Schleimhautwulst vor (Tuber-
euluminterturbinale, Zuckerkandl?), den Killian‘®) für das
hintere Ende des absteigenden Schenkels des Nasoturbinale hält;
diese Auffassung wird auch vonZuckerkandlgeteilt. Folglich ist
der Siebbeinhaken eine versteckte Muschel (Nebenmuschel), nämlich
der untere, von der mittleren Nasenmuschel verdeckte Teil des
Nasoturbinale ; darum findet man diesen eigentümlichen Fortsatz
immer unter dem Siebtrichter (Infundibulum ethmoidale),
vorne bis an den Agger nasi reichend. Bei Föten und Neu-
geborenen ist letzteres besser zu erkennen (Taf. IX, Fig. 59, Agger);
i)SchwalbeG., Über die Nasenmuscheln der Säugetiere und des Men-
schen. Sitzungsb. der phys.-med. Gesellschaft zu Königsberg. XXIII. 1882.
2) Meyer, H., Lehrbuch der Anatomie. Leipzig, 1861.
3) Zuekerkandl, E., Zur Muschelfrage. Monatsschrift für Ohrenheil-
kunde 1897. Separatabdruck Berlin.
4) Killian, G., Zur Anatomie der Nase menschl. Embryonen. Arch. für
Laryngol. Bd. II, III, IV.
62 VICTOR v. MIHALKOVICS,
_
es besteht aus einer verdiekten Stelle der knorpeligen Nasen-
kapsel, die die Schleimhaut etwas vortreibt; später ist an deren
Stelle eine knorpelige Verdiekung am Nasenbein vorhanden;
wenn auch diese fehlt, ist das Gebilde nur durch eine dickere
Stelle der Schleimhaut angedeutet.
Nach Ausschaltung des Nasoturbinale bleiben noch 4 Riech-
muscheln zum Vergleich mit den Siebbeinmuscheln des Menschen
übrig. Meistens sind beim erwachsenen Menschen 3 Siebbein-
muscheln vorhanden, es muss also in einer von den dreien ent-
weder das Rudiment von 2 Riechmuscheln stecken (Schwalbe),
oder jede Muschel entspricht nur einer Riechmuschel und die
vierte ist verkümmert(Seydel, Zuckerkandl). Nach Schwalbe
ist die mittlere Muschel des Menschen homolog der 2. und
3. Riechmuschel der Säugetiere, die obere Muschel des Menschen
der 4. und 5. Riechmuschel der Säugetiere, darum schlägt
er vor die obere Muschel des Menschen als hintere zu bezeichnen.
Killian (op. eit.) hat aber an menschlichen Embryonen be-
wiesen, dass bei diesen immer 5-6 knorpelige Riechmuscheln,
resp. Äquivalente derselben als Wülste erscheinen, von denen
die oberen bald atrophieren und nur 3, selten 4, manchmal 2
verbleiben. Es ist hier ein ähnliches Verhältnis vorhanden,
wie an den Metameren der Wirbelsäule; es kommen keine neuen
Einschaltungen oder Nichtentwickelung vor, sondern jede Muschel
des Menschen ist immer derselben Muschel der Säugetiere homolog;
die geringere Zahl beim Menschen ist nicht aus einer Nicht-
entwickelung, sondern immer aus einer Atrophie einzelner Muscheln
im Embryo entstanden. Die Atrophie muss nicht immer gerade
die obersten Muscheln betreffen, es kann die 2. oder 3. ver-
bleiben und die 4. atrophiert; dadurch kommen sehr wechselnde
Verhältnisse zustande, über die Killians und Zuckerkandls
sorgfältige Untersuchungen Aufschluss geben.
Um die Homologie der Muscheln vollständig klar zu legen,
ist eine Vergleichung des Ursprungs der Riechwülste mit jenem
\ Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 63
der menschlichen Muscheln notwendig. Hier ist eine bedeutende
Veränderung eingetreten, denn während die Riechmuscheln der
Säugetiere mit kurzen Stielen direkt von der Lamina cribrosa
entstehen, ist von einem ähnlichen Verhalten beim Menschen
und Affen nichts vorhanden; bei diesen haben sich die Ursprünge
der Muscheln von der Siebbeinplatte zurückgezogen, und an
deren Stelle ist eine glatte Schleimhautfläche getreten, die die
enge Riechspalte lateral begrenzt. Trotzdem ist diese glatte
Platte den Stielen der Riechwülste homolog; das erkennt man
an dem allmählichen Entstehen derselben aus den Stielen bei
Affen und Halbaffen der neuen Welt. Demnach muss der Ur-
sprung der menschlichen Siebbeinmuscheln an die Lamina eri-
brosa verlegt werden; verlängert man den vorderen Rand der
mittleren Muschel nach aufwärts, so kommt man in die Gegend
der Crista galli; das vordere Ende der mittleren Muschel liegt
unter der Mittellänge der Lamina cribrosa; an diese Stelle ist
der Ursprung (Stiel) der menschlichen Siebbeinmuscheln zu ver-
legen, während die Haftfalte vom hinteren Ende des freien Randes
repräsentiert wird in der Nähe des Keilbeinkörpers. Sobald das
festgestellt ist, liegt einem Vergleiche in der Reihenfolge der
Riechmuscheln kein Hindernis im Wege: die unterste (5.) Riech-
muschel der Säugetiere ist der obersten (zumeist vergänglichen)
Muschel des menschlichen Embryo homolog, beide liegen mit
ihren Ursprüngen am nächsten zur Keilbeinhöhle; die obere
oder sog. 2. Riechmuschel der Säugetiere entspricht der untersten
Siebbeinmuschel des menschlichen Embryo, die später zur sog.
mittleren Muschel wird, der Ursprung beider liegt nahe am Stirn-
beine. Die zwischen den obersten und untersten Siebbeinmuscheln
bei Säugetieren gelegenen Muscheln (die sog. 3. u. 4.) haben
auch Äquivalente im menschlichen Embryo, aber zumeist atro-
phiert eine von beiden, und die übriggebliebene kann entweder
der 3. oder 4. der Säugetiere entsprechen (vergl. Killian und
Zuckerkand)).
64 VICTOR v. MIHALKOVICS,
Der Grund der Lageveränderung der Siebbeinmuscheln Hegt
in der Umlagerung der Siebbeinplatte aus der frontalen Lage
der Säugetiere in die horizontale beim Menschen; was beim
Säugetiere oben liegt, kommt beim Menschen nach vorne zu
liegen, und umgekehrt die unteren Teile kommen nach hinten.
Während diese Lageveränderung bei den Anthropoiden angebahnt
wurde und beim Menschen zur Vollendung kam, verkümmerte
das Riechorgan; die Stiele der Riechmuscheln zogen sich von
der Lamina cribrosa zurück, die lateralen (verdeckten oder Neben-)
Riechmuscheln atrophierten und die medialen (Haupt-) Riech-
muscheln nahmen eine einfache Gestalt an. Demnach ist die
Verkümmerung der zahlreichen Riechmuscheln eine Folge der
horizontalen Umlagerung der Riechplatte, die sich Hand in Hand
mit der mächtigen Entfaltung des Stirnlappens eingestellt hat.
Noch zwei Gebilde der menschlichen Nasenhöhle erfordern
eine morphologische Betrachtung: die Keilbeinmuschel und die
Bulla ethmoidalis.
Über die Keilbeinmuschel (Ossieulum Bertini) sind die
Ansichten einig, dass diese aus der Lamina terminalis der Säuge-
tiere entstand. Letztere liegt unter dem hinteren Teile der Riech-
region unter den hinteren Riechmuscheln und geht nach hiuten
in die basale Fläche des Keilbeinkörpers über (Taf. V, Figg. 24
und 25, Lam. term.; Taf. VIH, Fig. 50, Lam. term.). Wenn
sich die Lamina cribrosa nach vorne umzulegen beginnt, kommt
die Lamina terminalis in eine nähere Lage zum vorderen Teil
des Keilbeinkörpers und verschmilzt zuletzt mit demselben. Die
Riechmuschel in der Keilbeinhöhle schwindet schon vor der Um-
lagerung der Lamina terminalis; dann bleibt vom ursprünglichen
Zustand nur die leere Höhle übrig, die vermittelst einer engen
Öffnung mit der Riechregion kommuniziert. — Die Bulla
ethmoidalis ist weiter nichts als eine Nebenfalte der zweiten
Riechmuschel, in die sich nachträglich eine grosse Siebbeinzelle
hineingelagert hat; der Ursprung aus einer Riechfalte erklärt
die konstante Lage der Bulla über dem Siebbeintrichter.
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 65
Bei niederen Säugetieren liegt die Siebplatte fast vertikal
(Taf. V, Fig. 24, Lamin. cribr.); je mehr man in der Säugetier-
reihe aufwärts steigt, um so mehr nimmt sie eine schräg nach
vorne geneigte Lage an (Figg. 25 u. 27); ihr vorderes Ende neigt
sich mehr nach unten und das hintere wird gehoben, wodurch
die Nasenhöhle an Höhe gewinnt. Mit der Neigung des rostralen
Teiles der Siebplatte nach abwärts kommt die Nasenhöhle unter
den vorderen Teil der Schädelbasis zu liegen (Taf. IX, Fig. 59),
sie hat ihre präcerebrale Lage in eine infracerebrale umgetauscht;
bei allen Säugetieren und bei den Halbaffen liegt sie noch prä-
cerebral, bei den Anthropoiden liegt die vordere Hälfte prä-,
die hintere infracerebral, bei den Primaten rückt der hintere Teil
unter die Schädelbasis. Dass die Lageveränderung der Siebbein-
platte und der ganzen Nasenhöhle auf die mächtige Entwickelung
des frontalen Stirnlappens zurückzuführen ist, braucht nicht
erklärt zu werden; zugleich ist einleuchtend, dass diese Zunahme
eine Knickung der Schädelbasis an der hinteren Grenze des
frontalen Lappens hervorbringen musste, also an einer Gegend,
die an der Grenze zwischen vorderem und hinterem Keilbein-
körper liegt. Bei Föten und Neugeborenen ist der Keilbeinkörper
gestreckt (Taf. IX, Fig. 59), dementsprechend der unter ihm ge-
legene Nasenrachengang lang, der Sphenooceipitalwinkel gross
(Fig. 59, Prom. sphen.). Beim Erwachsenen nimmt der Keil-
beinwinkel (Promontorium sphenoidale, Taf. V, Fig. 27) ab,
die Höhe des Keilbeins nimmt aber zu; mit der stärkeren
Kniekung wird der Keilbeinkörper kürzer und der hintere Teil
des Nasenrachenganges auf die geringe Länge der Choane redu-
ziert (Fig. 27, Choane). Mit der Knickung der Schädelbasis
und Umlagerung der Siebbeinplatte in die horizontale Ebene
stellt sich die Notwendigkeit einer Vergrösserung der Nasenhöhle
ein: alle Gebilde, die bei Säugetieren in der Nasenhöhle vorne
lagen (Taf. V, Figg. 24, 25, 28), kamen bei Affen und dem Men-
schen in eine kaudalere Lage,, also auch das Maxilloturbinale,
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXIVXXXV. Heft (11. Bd. H. 12). 1)
56 VICTOR v. MIHALKOVICS,
das eine einfachere Form erhielt und zur unteren Nasenmuschel
wurde (Fig. 27, Taf. V, Concha inf.).
Das Jacobsonsche Organ.
Bei Säugetieren besteht das Jacobsonsche Organ aus einem
im Verhältnis zur Nasenhöhle kleinen Epithelrohr am rostral-
oralen Teil der Nasenscheidewand, nur bei den Monotremen
ist eine verhältnismässig grosse accessorische Riechhöhle im
Prämaxillarteil des Nasenhöhlenbodens vorhanden, die eine grosse
Ähnlichkeit mit dem gut entwickelten Organe der Saurier zeigt,
sogar im Verhältnis noch grösser und mehr differenziert ist,
insofern darin ein muschelförmiger Vorsprung von der lateralen
Wand in das Lumen vorragt. Insoferne ist bei Monotremen eine
Abänderung eingetreten, dass die Mündung dieser accessorischen
Nasenhöhle, die ebenso wie bei Sauriern nicht vom vorderen
Ende des Organes abgeht, sondern etwas dahinter, nicht an der
Decke der Mundhöhle neben der Gaumenpapille mündet, son-
dern sich auf den Stenonschen Gang hinaufgezogen hat. In
Bezug auf die eingehenderen Verhältnisse sind Symingtons (50)
und Smith-Elliots (46) Abhandlungen über Ornithorhynchus,
Parkers!) über Echidna einzusehen; das hier kurz Angeführte
genügt zur Klarlegung, dass das Jacobsonsche Organ der
Monotremen als ererbtes Organ von den Sauriern anzusehen ist,
weil es eine ähnliche starke Entwickelung und hohe Differen-
zierung zeigt.
Von Beuteltieren hat Röse (41) das Jacobsonsche
Organ an Opossum- und Wombatembryonen untersucht und ab-
gebildet; dasselbe ist ein verhältnismässig grosses plattgedrücktes
Rohr, ähnlich jenem der Nagetiere (s. unten), mit dem Unter-
schiede, dass es in den Stenonschen Gang mündet. Diese
!) Parker, Exhibition of and remarks upon some young speeimens of
Echidna aculeata. Brit. associat. meeting. Aug. 1391 (Nature. 1891. 44).
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 67
Abänderung ist von den Monotremen ererbt. Auch darin finden
sich noch Anklänge an niederere Formen (Saurier, Ophidier),
dass der Ausführungsgang nicht vom vordersten Ende des
Örganes abgeht, sondern dahinter vom Boden; der Gang ist
leicht nach unten abgebogen. In das hintere Ende mündet
eine grosse Schleimdrüse (ähnlich wie beim Maulwurf [s. unten)).
Das Epithel besteht an der lateralen Wand aus 1—2 Lagen
kubischen Epithelzellen (Respirationsepithel), an der medialen
Wand ist hohes Sinnesepithel, und hier dringen Äste des Riech-
nerven in das Epithel. Aus dieser Beschreibung und den bei-
gefügten Abbildungen ist zu ersehen, dass das Jacobsonsche
Organ der Beuteltiere (ob bei allen, ist vorderhand nicht auszu-
sagen), ganz ähnlich gestaltet ist, wie jenes der Nagetiere, mit
dem Unterschiede der Mündung, die noch an niedere Arten er-
innert. Es ist also eine grosse Differenz zwischen dem Jacob-
sonschen Organe der Prototherien und der Beuteltiere, was auf
ein Verschwinden einer grossen Gruppe von Säugetieren zwischen
beiden Arten schliessen lässt.
Von den übrigen Säugetieren sind von allen Gattungen einige
Species untersucht, so hat Klein (22—24) von den Nagetieren
das Meerschweinchen und Kaninchen, Löwe!) das Kaninchen,
Harvay-Reuben (16) die Maus, Garnault (14) und Herz-
feld (17) die Ratte, von den Insektivoren Harvay-Reuben
(16) den Igel, von den Huftieren Dursy?) das Schwein, Ba-
logh (2) das Schaf, Rauge (36) das Kalb; von den Karni-
voren Klein (25) den Hund, Harvay-Reuben (16) die Katze
u. s. f. untersucht. Über die Cheiropteren liegt eine Abhand-
lung von Duval und Garnault (10) vor, die mir aber unzu-
gänglich war. Über die Affen ist mir nichts Näheres in der
Litteratur bekannt.
1) Loewe, L,., Beiträge zur Anatomie der Nase und Mundhöhle. Berlin, 1888.
2) Dursy, Entwickelungsgeschichte des Kopfes. Tübingen, 1869.
5*
68 VICTOR v. MIHALKOVICS,
Jacobson (19) hat das nach ihm benannte Organ im Jahre
{S1l an Wiederkäuern und Nagetieren entdeckt, und dem da-
maligen Stande der Technik gemäss bloss makroskopisch be-
schrieben. Diese Abhandlung wurde durch Cuvier der Pariser
Akademie unterbreitet. Jacobson sah im Organ ein Gebilde,
das zur Feuchthaltung der Mundhöhle dient, während Cuvier
aus dem Grunde, weil das Organ in den Stenonschen Gang
mündet, darin ein Organ erkennen wollte, das die nützlichen
Nahrungsmittel von den schädlichen unterscheidet. Nach Jacob-
son haben Reifstock!) und Rosenthal?) am Schafe Abhand-
lungen über diesen Gegenstand geliefert, ohne etwas wesentlich
Neues zu sagen. Gratiolet (15) kam schon etwas weiter, und
der erste, der das Organ histologisch untersucht hat, war Leydig),
der in seinem Lehrbuche der Histologie darüber so viel erwähnt,
dass dessen Höhle mit flimmerndem Cylinderepithel ausgekleidet
ist; zum Gang gehen Äste des Riechnerven und Trigeminus.
Nach Leydig hat ©. Balogh das Jacobsonsche Organ
des Schafes genau untersucht und pünktlich beschrieben, und
erkannte als erster, dass an dessen medialer Wand unter den
Cylinderzellen auch die von M. Schultze entdeckten Riech-
stäbehen vorkommen. Da er aber dem Stande der damaligen
mikroskopischen Technik gemäss nur mit der Moleschottschen
Flüssigkeit arbeitete, hat er die Verhältnisse dieser Riechstäb-
chen zum Riechnerven nicht feststellen können. Ausserdem
beschreibt Balogh sehr genau die Verhältnisse des Jacobson-
schen Knorpels und war der Meinung, dass dieser ein wesent-
liches Attribut des Organes ist, was sich seitdem freilich nicht
bestätigt hat. Er unterscheidet verschiedene Teile an diesem
1) Reifstock, Dissertatio de structura organi olfactus mammalium
nonnulorum. Tübingae, 1823.
2) Rosenthal, Über das von Jacobson in der Nasenhöhle entdeckte
Organ. Tiedemann und Treviranus. Zeitschrift für Physiologie II. 1896.
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3) Leydig, Lehrbuch der Histologie. Frankfurt, 1857. S. 218.
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Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 69
Knorpel (obere und untere Bogenlamelle, vorderer oder Stenson-
scher Knorpel etc.), die, da man jetzt weiss, dass das Jacob-
sonsche Organ vom Knorpel unabhängig ist, bedeutungslos
sind. Auch der Drüsen thut Balogh Erwähnung, von denen
gesagt wird, sie stülpen die laterale Wand gegen das Lumen vor
(sog. Drüsenwulst), wodurch das Organ an Querschnitten eine
halbmondförmige Gestalt erhält. Die Ränder des Halbmondes
nennt Balogh innere und äussere Drüsenfurche, hier münden
die Drüsengänge. Bezüglich der Funktion ist Balogh der
Meinung, dass es zweifelhaft ist, ob das Organ zum Beriechen
der Nahrungsmittel dient, darüber sollten Versuche durch Aus-
füllung des Lumens mit heissem Talg angestellt werden. Das
Jacobsonsche Organ des Schafes ist nach Balogh 62 mm lang,
das Epithel 50—76 u hoch, das Lumen in der Mitte 0,80 «
weit; letzteres ist mit zähem Schleim angefüllt.
Nach Balosh haben Klein (22—25), Löwe (op. eit.), Gar-
nault (14), Fleischer (11) das Jacobsonsche Organ ver-
schiedener Säugetiere untersucht (s. oben), von denen die Ar-
beiten Kleins die eingehendsten sind. Seine Untersuchungen
erstrecken sich auf das Kaninchen, Meerschweinchen und den
Hund, und behandeln auch die feinere Anatomie des Organes.
Meine unten folgenden Beobachtungen korrespondieren ganz mit
jenen Kleins, nur dass ich zur Beschreibung andere Tiere
wählte; ich habe aber auch den Hund, Kaninchen, Maus u. s. f.
untersucht. Einige von Kleins Beobachtungen sollen hier an-
geführt werden. Vom Kaninchen wird angegeben, dass der
Jacobsonsche Gang 1,5—2 cm lang ist, und in einer halb-
mondförmigen Knorpellamelle liegt, die vorne lateral in den
Knorpel der unteren Nasenmuschel übergeht, mehr hinten eine
vollkommene Kapsel um das Organ bildet und sich bis zum
Ende des Ganges erstreckt. Die Mündung ist nahe am Boden
der Nasenhöhle und nicht in den Stenonschen Gang. In der
Mündung ist geschichtetes Pflasterepithel, während im Hauptteil
ii) VICTOR v. MIHALKOVICS,
medial Riechepithel, lateral Respirationsepithel vorhanden ist.
Die in der Umgebung liegenden acinösen Drüsen sind serös und
umgeben das Rohr rundherum, ausgenommen den Boden, wo
Schwellgewebe liegt; hier sind longitudinal verlaufende, weite
Venen und dazwischen radiär gestellte glatte Muskelfasern, die
den Herzmuskeln gleichen, d. h. aus Fibrillen zusammengesetzt
sind und mehrere Kerne enthalten. An der lateralen Wand ist
in der Submukosa Iymphatisches Gewebe vorhanden, und auch
Lymphfollikel liegen dort (Jacobsonsche Drüse, Löwe). Unter
dem Epithel ist ein subepitheliales Nervengeflecht, von dem mark-
lose Fasern bis zu den Riechstäbchen ziehen und mit diesen zu-
sammenhängen. Das Riechepithel ist ähnlich jenem in der Regio
olfactoria.
Das Meerschweinchen unterscheidet sich nach Klein
in Bezug auf das Jacobsonsche Organ vom Kaninchen nur
darin, dass der Jacobsonsche Knorpel sich nicht bis zum
kaudalen Ende des Ganges erstreckt, sondern früher aufhört und
das hintere Ende des Organes sich in die Knochensubstanz des
Pflugscharbeines einbettet. Im hintersten Teile des Organes ist
kein Sinnesepithel mehr, sondern bloss Flimmerepithel. Ganz
hinten ist das Organ von Drüsen umgeben. Die übrigen Ver-
hältnisse sind ähnlich jenen des Kaninchens, auch die Mündung
und das Schwellgewebe. Im Respirationsepithel liegen viele
Riechzellen. Die Kerne der Riechzellenschicht liegen in 5—12
Lagen. — Beim Hunde fehlt das kavernöse Gewebe an der
lateralen Wand; in der Riechzellenschicht liegen die Kerne nur
in 2-3 Lagen (im ganzen 0,05—0,1 mm dick), und von dem Ende
der Riechzellen gehen feine Härchen ab.
Über das Verhältnis der Sinnesepithelien zu den Nerven
konnte erst mit dem Erfinden der Golgischen Methode eine
klarere Einsicht gewonnen werden. Ich selbst habe an Schwein,
Katze und Schlangen (Coluber) die Darstellung mit jener Methode
versucht, aber keine befriedigenden Resultate erhalten, wahr-
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 1
scheinlich, weil ich erwachsene Tiere benützte. v. Brunn (9)
hat mit der Golgischen Methode am Schafe gearbeitet, und
Riechzellen erhalten, deren basales Ende sich in Olfaktorius-
fasern fortsetzten (Taf. XXX, Fig. 12). M. v. Lenhossek (28)
hat an einem 30mm langen Kaninchenembryo mit der raschen
Golgischen Methode Stützzellen, Riechzellen und zwischen
diesen bis an den Saum des Organes hinaufziehende Terminal-
fasern gefunden. Die Stützzellen beschreibt v. Lenhossck als
eylindrische, säulenförmige Elemente, die vom unteren Rand des
Epithels bis an den inneren Rand hinaufziehen, an der Stelle
des Kerns ist die Zelle verdickt; die Ränder der Zellen sind
etwas zackig unregelmässig und am peripheren Ende ist kon-
stant eine kegelförmige, fussartige Verbreiterung vorhanden (wie
an den Müllerschen Fasern der Retina), während das freie
Ende am Lumen scharf abgeschnitten endet. Riechstäbehen sind
nicht nur an der medialen Wand vorhanden (Balogh, Klein),
sondern auch an der lateralen Seite und an den Ecken, also
rundherum; die Stäbchen sind bipolar, der elliptische grosse Kern
ist nur mit wenig Protoplasma umgeben; derselbe liegt meistens
in der äusseren Hälfte des Epithels. Der periphere Fortsatz
zieht sich in eine zarte variköse Nervenfaser fort, die sich in
der Submukosa ungeteilt mit andern Fasern zu plexusartigen
Bündel verflechtet. Die Terminalfasern kommen vom Centrum
und dringen in das Epithel ein, durchsetzen es bis an die
Oberfläche und enden dort konstant mit einem Knötchen, — die
Fasern sind von zarter, variköser Beschaffenheit, wie die Ol-
faktoriusfibrillen, sie durchsetzen das Epithel senkrecht in welligem
Verlauf. Ob diese Terminalfasern vom Olfaktorius stammen,
oder sensible Fasern des Trigeminus sind, kann Verfasser nicht
entscheiden.
Meine Untersuchungen erstrecken sich auf das Kaninchen,
Maus, Maulwurf, Schwein, Kalb, Hund und Katze, an teils mit
Zenkers, teils mit Flemmingscher Flüssigkeit behandelten
72 VICTOR v. MIHALKOVICS,
Objekten. Dem Wesen nach ist das Jacobsonsche Organ bei
allen gleich beschaffen, d. h. es ist ein mit Sinnesepithel aus-
gestattetes Rohr am rostral-oralen Ende der Nasenscheidewand,
das mit jenem der anderen Seite gleich den Läufen einer Doppel-
flinte in sagittaler Richtung liegt. Das Rohr ist immer in der
Nähe der Crista des Zwischenkiefers und in der Nähe des Pflug-
scharbeins, darum hat es von der anatomischen Nomenklatur-
kommission den Namen Organum vomeronasale(Jacobsoni)
erhalten. Auch darin stimmen alle Säugetiere überein, dass in
der Umgebung des Rohres acinöse Drüsen (Gland. Jacobsoni)
vorkommen und von oben Äste des Olfaktorius zu den Sinnes-
epithelien herantreten. In den übrigen Verhältnissen sind aber
mancherlei Unterschiede vorhanden, vor allem in Bezug auf die
Mündung, die schon von den Nagetieren angefangen immer am
vordern Ende des Kanales angebracht ist, aber entweder in den
Stensonschen Gang, oder an dessen oberem Ende am Boden
der Nasenhöhle, oder noch höher, aber immer nahe dem Sten-
sonschen Gang am Septum frei mündet; die Öffnung ist immer
bedeutend enger, als der Kanal selbst. Es existiert keine
Stufe in Betreff der Öffnungsstelle, in dem Sinne, dass dieselbe
etwa bei der phylogenetischen Entwickelung von unten hinauf-
gewandert wäre, denn bei Nagetieren mündet sie am Septum,
wie beim Menschen (Taf. VII, Fig. 51; Taf. X, Fig. 67),
während sie bei allen anderen Säugetieren in den Stensonschen
Gang mündet (Taf. VII, Fig. 42). Ein fernerer Unterschied be-
trifft die Form des Kanals: bei den meisten Säugetieren ist dieser
an Querschnitten halbmondförmig, mit einer dickeren medialen
und dünneren lateralen Epithelwand (Taf. VIII, Fig. 52); nur
beim Maulwurf habe ich den Kanal der ganzen Länge nach
drehrund gefunden (Taf VI, Figg. 32—35); bei den übrigen ist
nur das rostrale engere Ende des Kanals rund. Auch zum Para-
septalknorpel (Cart. Jacobsoni) sind variierende Verhältnisse
vorhanden, indem der Kanal entweder in einer von diesem
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Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 15
Knorpel gebildeten Hohlkehle (Taf. IX, Fig. 56), oder stellenweise
in einem Knorpel oder Knochen liegt, wie z. B. bei vielen Nage-
tieren, Karnivoren, Ungulaten, während das Organ beim Maul-
wurf keine Beziehung zum Jacobsonschen Knorpel hat (Taf. VI
Figg. 33—34), weil lelzteres ganz klein und über dem Organe
am basalen Ende des Septums liegt; dafür ist der Jacobson-
sche Gang hei diesen stellenweise in die Substanz des Pflug-
scharbeins eingebettet (auch beim Meerschweinchen, Klein).
Da das Jacobsonsche Organ des Maulwurfs noch nicht
beschrieben ist und manche abweichende Verhältnisse von den
übrigen Säugetieren aufweist, wähle ich dieses Tier zur Grund-
lage der speziellen Beschreibung.
Maulwurf. An Frontalschnitten aus den mittleren Teilen
des Organes — also ausgenommen dessen rostrales und kaudales
Endstück, — misst der fast drehrunde Kanal beim Jausgewach-
senen Tiere 0,2380—0,320 mm, wovon 80 « auf das Epithel ent-
fallen; das freie Lumen ist 0,14—-0,16 mm (Taf. VI, Fig. 33;
Taf. VII, Fig. 43, Duct. Jacobsoni). Das Epithel ist rundherum
gleichmässig beschaffen, also von einer Differenzierung in
Sinnes- und Respirationsepithel, wie es bei den übrigen Säuge-
tieren die Regel ist, ist nichts vorhanden. Das weist auf einen
primitiveren Zustand hin, so wie es bei Batrachiern der Fall ist,
wo der distale, zu einem kurzen drehrunden Rohre ausgewachsene
Teil des Organes rundherum gleichmässig dickes Epithel führt
(vergl. Taf. I, Fig 4). Das Epithel besteht beim Maulwurf aus
radiär gestellten schlanken Oylinderzellen mit langen Wimper-
haaren, zwischen welchen schlanke Riechstäbchen liegen; die
ovalen Kerne der Zellen liegen in 3—4 Reihen. Die Wimper-
haare sind in ein dickes schleimartiges Gerinnsel eingelagert,
welches das Lumen des Kanales grösstenteils erfüllt; das Ge-
rinnsel ist zweifelsohne als Produkt der angewendeten Fixierungs-
tlüssigkeit aus der schleimartigen Absonderung der umliegenden
Drüsen entstanden. In der Umgebung des Kanales liegt Binde-
74 VICTOR v. MIHALKOVICS,
gewebe und darin ziehen marklose Äste des Olfaktorius an das
Epithel heran. Das ganze Gebilde liegt am ventralen Ende der
Nasenscheidewand, gleich am Nasenhöhlenboden, nahe dem
vertikalen Aste des Y-förmig gestalteten Pflugscharbeines, einge-
bettet in eine Rinne dieses Knochens (Taf. VIL, Fig. 43, Vomer.).
In die obere Hohlkehle der divergierenden Äste des Vomer
lagert sich die vertikale Platte des Siebbeins hinein (Cart. sept.),
die in ihrem Innern Hyalinknorpel enthält. Über dem Jacob-
sonschen Gange, in der Nähe des oberen Seitenastes des Pflug-
scharbeins, liegt der kleine Jacobsonsche Knorpel (Öartil.
paranas.), dieser hat also keine nähere Beziehung zum Jacob-
sonschen Gange. Das beweist, dass das Jacobsonsche Organ
ganz unabhängig vom Paraseptalknorpel ist; alle an der Basis des
Septums vorne gelegenen Knorpelstücke sind weiter nichts, als ab-
gegliederte Teile der knorpeligen Nasenscheidev and, und gehören
in ein und dieselbe Kategorie wie die übrigen abgegliederten
Teile am Eingang des knorpeligen Ringes (Anulus cartilagi-
neus nasi), z. B. die grösseren und kleineren Nasenflügel-
knorpel. Dass dem so ist, beweist unter anderem auch der
Umstand, dass bei Nagetieren die untere umgebogene Lamelle
des Paraseptalknorpels rostralwärts mit dem Knorpel der unteren
Nasenmuschel zusammenhängt (s. unten).
An der lateralen Seite des Jacobsonschen Organes liegen
beim Maulwurf in der Schleimhaut seröse Drüsen (Taf. VI, Fig.
33; Taf. VII, Fig. 43, Gland. Jacobs.), deren enge Ausführungs-
gänge an verschiedenen Stellen in das Rohr hineinmünden.
Diese sind homolog der medialen (Jacobsonschen) Nasendrüse
der Amphibien. Kaudalwärts wird die Drüsengruppe mächtiger,
der Jacobsonsche Gang aber enger (Taf. VI, Fig. 34; Taf. VII,
Fig. 44, Gland. Jacobs.) und teilt sich nachher in einige Äste,
die aber kein Sinnesepithel mehr führen, sondern gewöhnliches
einschichtiges Cylinderepitbel mit Kernen in 1—-2 Reihen. Die
Äste des Jacobsonschen Kanales nehmen die Ausführungs-
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 75
sänge der grossen Septaldrüse auf, die am kaudalen Ende des
Jacobsonschen Organes liegt, es dient also dieses Organ neben-
bei als Ausführungsgang jener Drüse.
Das rostrale Ende des Jacobsonschen Ganges ist beim
Maulwurf enger als der Hauptteil und enthält nur gewöhnliches
Cylinderepithel (Taf. VI, Fig. 32, Duet. Jacobs.); ganz vorne
biegt der enge Gang im Knie gebogen oralwärts und mündet
unter dem Zwischenkiefer an der medialen Seite des Stenson-
schen Ganges (Taf. VI, Fig. 31; Taf. VH, Fig. 42, Duet. Ste-
non.); letzterer ist weiter wie der Jacobsonsche Kanal, und
beide führen hier geschichtetes Pflasterepithel.
Maus. Einen anderen Typus hat das Jacobsonsche
Organ der Nagetiere, von welchen Klein das Kaninchen (24)
und das Meerschweinchen (23) eingehend beschrieben hat (siehe
oben). Ähnlich diesen ist das Organ bei der Maus und der Ratte
gestaltet, von welchen das erstere Harvay-Re uben (16), das
letztere Garnault (14) und Herzfeld (17) beschrieben haben,
aber keine Abbildungen beigegeben sind. Um diese Lücke aus-
zufüllen, dienen die Abbildungen der Figg. 46 und 47 bei schwä-
cherer, und 51-53 der Taf. VIII bei stärkerer Vergrösserung
von der Maus, an der ich folgendes gefunden habe.
In der vorderen Gegend des Jacobsonschen Kanales (Figg.
46 u. 52) erhebt sich das Pflugscharbein (Vomer) in der Median-
ebene gabelförmig mit zwei schlanken Leisten gegen den Septal-
knorpel (Cart. septi), und an der Seite dieses Knorpels liegen
die kleinen Paraseptalknorpel (Cart. parasept.). Also auch bei
der Maus ist der Jacobsonsche Kanal unabhängig vom Para-
septalknorpel, was umso bemerkenswerter ist, als bei anderen
Nagetieren (Kaninchen, Meerschweinchen) ganz andere Verhält-
nisse obwalten, insofern der Kanal in einer Hohlkehle des Knor-
pels liegt, oder auch ganz davon umgeben ist (s. darüber Klein
23, Taf. VII, Fig. 1 u. Taf. XXX, Fig. 4). Der Jacobsonsche
Kanal liegt bei der Maus — auch bei anderen Nagetieren —
76 VICTOR v. MIHALKOVICS,
am Septum etwas über dem Boden der Nasenhöhle, in einem
gegen die Nasenhöhle stark vorspringenden Schleimhautwulst
(Torus Jacobsoni), verengt sich an seinem rostralen Ende stark
(Fig. 51 rechterseits), dort wird auch der Wulst niederer, und
vorne über dem Stensonschen Gange mündet der Kanal in
eine oralwärts gekehrte Furche, also frei in die Nasenhöhle hin-
ein (Fig. 51 linkerseits). Der ganze Kanal liegt etwas schief, so
dass dessen vorderes Ende näher zum Nasenhöhlenboden liegt,
wie das hintere; in der Furche und der Mündung ist geschich-
tetes Pflasterepithel vorhanden, das sich von hier auf den Boden
der Nasenhöhle fortsetzt und in den engen Stensonschen Gang
hinunterzieht; letzterer ist eigentlich nur eine Fortsetzung des
spaltförmig verengten rostralen Teils der Respirationsgegend
(Taf. VII, Fig. 47, Duct. Stenon.).
Der Hauptteil des Jacobsonschen Ganges liegt bei der
Maus jederseits in einer rinnenförmig gebogenen Knochenlamelle,
die vorne vom Prämaxillare und in dessen Fortsetzung vom
Vomer gebildet wird (Figg. 46, 47, 52). Da 2 solche Lamellen
vorhanden sind — rechte und linke — ist das Pflugscharbein
bei der Maus im primitiven Zustande erhalten geblieben. Oben
weichen die Pflugscharbeine auseinander und fassen den Septal-
knorpel zwischen sich; an der lateralen Seite des Septums liegen
unten die kleinen Paraseptalknorpelchen.
Der Jacobsonsche Gang der Maus ist halbmondiörmig
gebogen (Figg. 46 u. 52) und besteht aus einer dicken konvexen
medialen, und einer dünneren konkaven, lateralen Epithelwand;
(erstere ist durchschnittlich 280 u und letztere 30 u dick, das Lumen
nur 25 «u breit. Denkt man sich die konkave Seite des Ganges
nach unten und die konvexe nach oben gedreht, so sieht das
Organ jenem der Saurier sehr ähnlich (vergl. Tat. III, Fig. 15).
Die mediale Wand besteht nämlich aus einer gegen das Lumen
gekehrten hellen gestreiften Schichte mit tiefer liegenden, stark
gefärbten Kernen in 2—3 Lagen; die Elemente dieser ober-
Anatomische Hefte I.Abtheilung Heft LON IK (M Bd H 1 2 f 2 =
Fig. 60. : Fig. 61 "50.62 cart.sephi. ur
a a Fig.63.
2 artil.paran
cav. eranti reg. elf.
concha media
bulb.olf. carkil. alae. sphen.
sarlil. . N 1
Poranas, —— oenrlus. ED). oculus.
oculus
-- duch. nasolae. concha
- sinus maxıll sup.
cartil
‚parascpt, R Pan concha
i ‚proe. cart. paran. med
dens. u j
org. Jacobs. os praemazill R maxilla concha inf. proe. cart
rt 2 cart: parasept. E ‚paranas
org. Jacobs a maxilla. meatus
raphe palat mealusnas- int raphe palat. sup mean” ak DE vomer
vonter
Fig. 6%. raphe palal
erista, gallı crista,galli
y muse. oculi. sarhlsepli
/ bulb. olf, ; cart.septi
R { muso.oculi h
sc.ocıli |
cart. paranas, carl. paranas,
(os sphen)
cart. alae,
ulus. sphen concha inf.
con cha sup
n
cart. scpti
concha inf!
R sinus. sphen
sinus. sphen.
il. paran 2:
meatus
eoncha med. lam.term nasophar.
wepti concha inf.
vomer P
lat mcat. nasophar.
Fig.65. os pteryg. Fig. 66. os pterygoid.
Fig, 68. oartil. sepli organ. Jacobs SER
ge
Na! 'g.resp.
IR
mucosa näsı. N
carlil. parasept
infilt. apert. Jacobs.
glandl.
organ.Jacobs
organ. ‚Jacobs.
reg. olf!
cart
parasept.
dens ine maxılla
Fig. 67.
os praemasill
Fig.69
os praemaxillare.
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 7
flächlicheren Schichte sind aus schlanken Cylinderzellen und
zahlreichen Riechstäbchen zusammengesetzt, deren kurze Härchen
über die Membr. limitans olfactoria vorragen. Die tiefere Schicht
der medialen Wand besteht dichtgedrängt aus rundlichen Nerven-
zellen mit grossen Kernen und wenig Protoplasma; zwischen
den kurzen Fortsätzen dieser Körnerschicht verbreiten sich die
feinen marklosen Äste des Riechnerven. Die laterale Wand
des Kanals besteht aus zweischichtigem Respirationsepithel mit
Wimperhaaren. Der nierenförmige Kanal ist in die Schleimhaut
eingebettet; letztere füllt an der lateralen konkaven Seite den
gegen die Nasenhöhle vorragenden Wulst (Torus Jacobs.) aus;
hier sind in dem Bindegewebe longitudinal verlaufende weite
Venen eingebettet, zwischen welchen viele glatte Muskelzellen in
radiärer Richtung zur lateralen Wand des Kanals ziehen. Das Ganze
hat den Charakter eines Schwellgewebes (Fig. 52, Tela cavernosa).
Ausserdem liegen hier und besonders über dem Kanal an der
Seite des Septalknorpels viele kleine acinöse Drüsen in der
Schleimhaut (Gland. Jacobs.), deren lange und enge Aus-
führungsgänge von oben und unten zum Jacobsonschen
Kanal ziehen und reihenweise in dessen obere oder untere Ecke
münden (Duct.gland.sup. et inf.). Auch Lymphinfiltrationen,
die Follikeln ähnlich sehen, kommen vor. Kaudalwärts wird
der dicke Kanal enger und endet zugespitzt (Figg. 47 u. 53
Duct. Jacobs.), umgeben von kavernösem Gewebe und den
Septaldrüsen, deren Ausführungsgänge sich in den Kanal ergiessen.
Bei Ungulaten und Karnivoren ist die Form des
Jacobsonschen Kanals ähnlich beschaffen, wie bei den Nage-
tieren, d. h. dessen Querschnitt ist halbmondförmig, und führt
an der medialen Wand Sinnesepithel, an der lateralen Respirations-
epithel. Ich habe das Jacobsonsche Organ des Schweines,
Kalbes, des Hundes und der Katze untersucht, und kann den
Angaben Baloghs und Kleins nichts zusetzen, verweise daher
auf die dort gegebenen Abbildungen (Klein 25, Fig. 26). Der
es
VICTOR v. MIHALKOVICS,
Kanal endet vorne bedeutend enger werdend in den Stenon-
schen Gang und führt dort Pflasterepithel. In der Umgebung
sind reichlich acinöse Drüsen vorhanden, und beim Schweine
auch viel Schwellgewebe (Taf. IX, Fig. 56), während dieses bei
Karnivoren schwach entwickelt ist. Beim Schweine teilt sich
kaudalwarts der Jacobsonsche Gang in 2—3 Äste, die nur
zweischichtiges Cylinderepithel führen, und diese setzen sich in
die Ausführungsgänge der septalen Nasendrüse fort (Fig. 56).
Bei allen Ungulaten und Karnivoren liegt das Organ in der Hohl-
kehle des C-förmig gebogenen Paraseptalknorpels (Fig. 57). Beim
Kalbe entsendet dieser Knorpel rostralwärts unter dem Prämaxillare
einen Fortsatz, der den Stenonschen Gang umgreift (Taf. IX,
Fig. 58, Cart. Stenon.); medianwärts hat der Knorpel eine
S-förmige Biegung, in deren Konkavität das Ende des engen
Jacobsonschen Kanales liegt; letztere und der Stensonsche
Gang sind hier mit Pflasterepithel belegt. Diese Details sind von
nebensächlicher Bedeutung, und haben keinen Bezug zur Funktion
des Organes.
Funktion. Es handelt sich jetzt, sofern es aus der ana-
tomischen Gestaltung möglich ist, einen Begriff über die Bedeutung
und Funktion des Jacobsonschen Organes zu erhalten. Am
einfachsten wäre es natürlich, darüber physiologische Versuche
heranziehen. Um nachteilige Eingriffe auf das Geruchsorgan zu
vermeiden, habe ich an einer Katze und an 3 Kaninchen von
der Mundhöhle her den Stenonschen Gang und darüber
hinauf des Septum mit Paquelinscher glühender Nadel zer-
stört, wo also zweifelsohne der proximale Teil des Jacobson-
schen Organes vernichtet wurde, wie es die Sektion nachher
bewies. Die Tiere zeigten aber nach der Operation in Bezug auf
die Nahrungaufnahme gar keine Veränderung, sie frassen munter
weiter, als wenn ihnen nichts geschehen wäre. Demnach scheint
die Annahme Cuviers (19), dass das Jacobsonsche Organ
zum Beriechen und Erkennen der nützlichen von den schädlichen
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 79
Nahrungsstoffen bestimmt sei, nicht begründet. Der Gedanke
Köllikers (26), das Jacobsohnsche Organ diene zum Er-
kennen der chemischen Zusammensetzung der eigenen Säfte des
Körpers, ist aus dem Grunde unwahrscheinlich, dass eine solche
Funktion bei allen Tieren gegenwärtig sein sollte; das ist aber
nicht so, abgesehen vom Menschen, bei dem das Organ ganz
44) Annahme
ist unhaltbar, der aus dem Nasenhöhlenbau der Amphibien und
rudimentär wurde (s. unten). Auch Seydels (43
Schildkröten geschlossen hat, dass das Jacobsonsche Organ
zum Beriechen der mit dem Exspirationsstrom aus der Mundhöhle
hinausbeförderten Nahrungsmittel oder Wassers diene, denn bei
Säugetieren liegt die Mündung des Jacobsonschen Ganges
nach vorne zu, also in der ungünstigsten Lage in Bezug auf den
exspirierten Luftstrom, ferner ist an ein leichtes Eindringen der
Luft von der Mundhöhle her nicht zu denken, weil der Stenson-
sche Gang bei vielen Säugetieren sehr eng ist, und auch das
rostrale Ende des Jacobsonschen Ganges wegen seiner Enge
das Eindringen der Luft behindert; ausserdem liegt die Mündung
des Ganges bei Nagetieren, also gerade bei jenen Vertebraten, die
ein sehr gut entwickeltes Jacobsonsches Organ besitzen, an
der Nasenscheidewand, bis wohin der durch den engen Stenson-
schen Gang, oder von der Choane her gelangende Exspirations-
strom schwer vordringt. Nach alle dem kann man sich nur an
die vergleichend-anatomischen Verhältnisse des Organs halten,
woraus folgende allgemeine Resultate abgeleitet werden können.
Die Mündung des Jacobsonschen Ganges ist bei allen
Säugetieren bedeutend enger, wie dessen Hauptteil, es ist also
das Eindringen der Luft erschwert; das Organ dient jedenfalls
nicht zum schnellen Riechen. Durch die in der Umgebung des
Kanales gelegenen glatten Muskeln kann das Lumen des Kanals
erweitert werden, es ist also eine Einrichtung zum Einsaugen
der Luft vorhanden; ausserdem dienen die in der Umgebung ge-
legenen weiten Venen, die besonders an der lateralen, mit
s0 VICTOR v. MIHALKOVICS,
Respirationsepithel bedeckten dünneren Wand des Organs liegen,
zur Kompression und Entleerung des Inhaltes in die Nasenhöhle.
Aus den reichlichen Drüsen in der Umgebung und dem Gerinnsel
im Kanal kann man schliessen, dass das Lumen zumeist mit
dem Sekrete dieser Drüsen angefüllt ist, und die Luft nur bei
der Funktion der organischen Muskeln eindringt (wie in der
Eustachschen Tube); die Sinnesepithelien werden also nur
vermittelst des Sekretes gereizt, der einen spezifischen Einfluss
auf die Funktion des Epithels zu haben scheint, weil die grosse
Menge der Drüsen bei allen Säugetieren vorhanden ist; der kaudale
Teil des Kanales ist sogar direkt in den Dienst dieser Drüse ge-
treten und repräsentiert einen Drüsenausführungsgang. Die
herantretenden Äste des Olfaktorius und Trigeminus sprechen
dafür, dass das Organ eine accessorische Nasenhöhle ist, die aber
trotz ihrer verhältnismässigen Kleinheit — abgesehen von den
Monotremen — für die Lebensverhältnisse des Tieres von Wichtig-
keit sein muss, sonst würde sie sich nicht forterben, und selbst
bei den höheren Klassen — abgesehen von Affen und den
Menschen, — die histologische Differenzierung nicht bewahren.
Unnütze Organe degenerieren, das ist aber beim Jacobson-
schen Organe nicht der Fall, dieses muss also in der Ökonomie
der tierischen Funktionen irgend eine Rolle spielen. Welcher
Art aber diese Funktionen sind, ist vorderhand nicht zu ent-
scheiden. Nur so viel kann man vermuten, dass es dieselbe
Riechperzeption, wie die Riechgegend der Nasenhöhle, kaum
verrichten wird, denn zu einer solchen Notwendigkeit ist der
Grund nicht einzusehen, ausserdem spricht die eigentümliche
anatomische Einrichtung des Organes dagegen. Dient es also
überhaupt zum Riechen, — was noch zu beweisen ist, — so
werden wahrscheinlich spezifische Riechperzeptionen die Auf-
gabe sein, solche, die beim Menschen mit der veränderten Lebens-
weise in Wegfall gekommen sind (beispielsweise geschlechtliche,
s. oben).
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. s1
5. Mensch.
Vorarbeiten.
Das Jacobsonsche Organ des Menschen hat Ruysch!)
schon im Jahre 1703 gesehen, dann Sömmerring?) im Jahre
1809 beschrieben und abgebildet, aber beide haben die Bedeu-
tung des Organs nicht erkannt. Nach Jacobsons Entdeckung
an Säugetieren that J. Fr. Meckel?) des Organes Erwähnung
im Jahre 1820. An mikroskopischen Präparaten hat es Dursy)
zuerst beschrieben und abgebildet im Jahre 1869, an S5—20 em
langen Embryonen, ausserdem erwähnt er den schon von
Huschke?) gesehenen Paraseptal- (sog. Huschkeschen oder
Jacobsonschen) Knorpel.
Nach diesen Vorarbeiten erschien Köllikers (26) eingehende
Arbeit über Enıbryonen vom 4. Monate aufwärts und auch bei
Erwachsenen®). Die Öffnung des Organes — meint Kölliker
— ist schon an Embryonen mit freiem Auge zu sehen; an
Querschnitten ist der Gang oval und mit Cylinderzellen bedeckt,
welche vom 6. Monate Wimperhaare führen; die Mündung ist
drehrund und enger wie der Kanal (an sechs Monate alten Em-
bryonen ist die Lichtung des ovalen Rohres 0,26 mm hoch und
0,086 mm breit; die Mündung misst 0,42—0,22 mm, und das
Epithel ist 54—59 u hoch); die ganze Länge des Kanales be-
trägt beiläufig 1 mm. Um das Epithel liegt eine eigene binde-
I!) Ruysch, Thesaurus anatomieus. Amstelodami, 1703 p. 49, Tab. IV.
Fig. 5.
2) Sömmerring, Abbildung der menschlichon Organe des Geruches.
Frankfurt 1809. Tab. III, Figg. 1 und 9.
3) Meckel, Fr., J. Handbuch der menschlichen Anatomie, IV. 1820. S. 141.
4) Dursy, Entwickelungsgeschichte des Kopfes. Tübingen, 1869.
5) Huschke, Lehre von den Eingeweiden und Sinnesorganen. In
Sömmerrings Anatomie, s. 606.
6) Später beschrieb Kölliker (27) noch einmal das Jacobsonsche Organ
bei einem 8 wöchentlichen Embryo und bildet auch seine Nerven ab.
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXIVXXXVY. Heft (11. Bd.\ H. 1/2). 6
2 VICTOR v. MIHALKOVICS,
gewebige Scheide und in dessen Nähe entwickeln sich einige
Drüsengänge. Der Kanal liegt immer am dünnsten Teil der
Nasenscheidewand unten; nicht in dessen unmittelbarer Nähe
liegen die Jacobsonschen Knorpel, die auch im erwachsenen
Menschen vorhanden sind. Bei letzterem liegt der Kanal durch-
schnittlich 5 mm über dem Stenonschen Gang, ist 3,6 mm
lang (2,7 mm) und die Mündung 1,1 mm; man erkennt die Lage
desselben schon mit freiem Auge als niederen Wulst. Über den
Riechnerven sagt Kölliker, dass an 4 Monate alten Embryonen
von den zum Septum herunterziehenden Ästen einige bis zum
Jacobsonschen Kanal verfolgt werden können, aber schon in
den folgenden Monaten waren diese atrophiert; bei dieser Gre-
legenheit erwähnt Kölliker auch die Angabe Scarpas)), dass
beim erwachsenen Menschen die Äste des Riechnerven in der
Gegend des Jacobsonschen Organes am tiefsten herabreichen.
Über die Funktion bei Tieren ist Kölliker der Ansicht, dass
das Organ wegen seiner engen Mündung nicht zum Riechen
dienen kann, sondern wegen seinem Drüsenreichtum Sekrete ab-
sondert, die auf die Äste des Riechnerven derartig wirken, dass
das Tier Kenntnis von der chemischen Zusammensetzung seiner
eigenen Körpersäfte erhält.
Bei Herzfeld (17) findet sich zuerst die Angabe, dass der
Paraseptalknorpel kein wesentlicher Bestandteil des Jacobson-
schen Organes ist. Er widerspricht der Ansicht Gegenbaurs,
dass das Jacobsonsche Organ das Überbleibsel einer septalen
Nasendrüse sei. Gegenbaur (12) hat nämlich die Behauptung
aufgestellt, dass der sog. Jacobsonsche Gang des Menschen
das Rudiment der bei Prosimiern (Stenops) vorkommenden Drüse
an der Nasenscheidewand ist, besonders aus dem Grunde, weil
es zum Paraseptalknorpel nicht in Beziehung steht.
Dem gegenüber hat Merkel (32) wieder die alte Ansicht
vertreten, dass der Gang beim Menschen ein rudimentäres Ja-
1) Scarpa, A., Anat. disquisit. de auditu et olfactu. Tieini, 1781.
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 3
cobsonsches Organ ist. Er hat das Organ am erwachsenen
Menschen an Serienschnitten untersucht und gefunden, dass es ein
plattgedrückter!) Kanal ist, umgeben von allen Seiten mit Schleim-
drüsen, die hauptsächlich in das obere und untere Ende des
Kanales münden. Die Weite des Kanales zeigt grosse Ver-
schiedenheiten: auf enge Stellen folgen sehr weite, oft bis über
das Zehnfache des Höhendurchmessers, sodass es ganz gut mit
blossem Auge gesehen werden kann. Das Epithel ist an der
lateralen Seite des Organes niederer, wie an der medialen, dort
sind die einzelnen Zellen breiter und gedrungener, ähnlich wie
im Respirationsteil der Nasenhöhle, während an der medialen
Wand hohe und schlanke Cylinderzellen mit Kutikularsaum (und
vielleicht abgefallenen Wimperhaaren) und dazwischen spindel-
förmige Elemente liegen „die nicht recht zur Entwickelung ge-
kommenen Riechzellen gleich sehen“. Zwischen die Zellen sind
in der ganzen Länge des Kanales maulbeerförmige und rund-
liche Kalkkonkremente eingelagert, zum Zeichen, dass es ein
unthätiges Organ ist. Nerven hat Merkel bis an das Organ
nicht heruntertreten gesehen. Das rudimentäre Jacobson sche
Organ ist nicht bei allen Menschen vorhanden, oder an einer
Seite kürzer, oder teilt sich in 2 neben einander liegende Kanäle;
bei einem 6 Monate alten Fötus war keine Spur des Ganges
vorhanden, dürfte also wahrscheinlich schon oblitteriert sein.
Röse (42) beschreibt das Jacobsonsche Organ an einem
18 em langen — 17 Wochen alten — menschlichen Embryo
ebenso, wie Kölliker (Figg. 14 u. 15, S. 469—470). Der Kanal
war 0,7 cm lang und unter demselben bestand der Paraseptal-
knorpel aus 2 Teilen.
Potiquet (35) will den Jacobsonschen Gang im Vivo vom
äusseren Nasenloche her sondiert haben, und giebt an, dass der-
!) So platt und lang, wie es Merkel zeichnet, kann der Kanal nur am
schiefen Schnitte sein.
6*
S4 VICTOR v. MIHALKOVICS,
selbe die Ursache des Uleus perforans septi sei, eine Ansicht,
die zuerst bei Löwe (op. eit.) zu finden ist, und später am X.
intern. med. Kongress zu Berlin durch Önodi und Sandmann
befürwortet wurde.
Rauge (37) fand am erwachsenen Menschen die Mündung
des Jacobsonschen Organes 5-8 mm über dem Boden der
Nasenhöhle und 23 mm über den Winkel, welchen das Septum mit
der Oberlippe bildet. Er teilt die Meinung Potiquets, dass das
Jacobsonsche Organ die Ursache des runden Geschwürs ist,
vielleicht infolge des Hineingelangens von Staub oder Mikrobien.
Garnault (14) widerspricht der Behauptung Potiquets
und Rauges, dass das runde Geschwür am Septum vom Jacob-
sonschen Organe entstände.
E. Schmidt (47) ceitiert nur Bekanntes, so unter anderem,
dass der Jacobsonsche Gang und die Paraseptalknorpel im
erwachsenen Menschen sich erhalten können (was schon Spurgat
und Röse und zuvor Kölliker bewiesen haben).
Zuletzt hat Anton (1) den Jacobsonschen Gang des er-
wachsenen Menschen an Serienschnitten studiert, und dieselben
Resultate erhalten, wie Merkel, d. h. seine Weite wechselt be-
deutend und es fehlt der Gang auf einer oder beiden Seiten
beinahe in der Hälfte der Fälle (unter 7 Fällen dreimal). Die
Länge des Kanales giebt Anton für 2,28—8,43 mm an, an den
weiteren Stellen ist das Lumen 0,56, an den engeren 0,136 mm;
die laterale Wand ist niederer; vorne bei der Mündung öffnen
sich die Drüsen rundherum in den Kanal, hinten nur an der
oberen und unteren Wand. Kalkkonkremente kommen in der
Wand nur wenige vor (3>—4); sie sind zumeist von nierenförmiger
Gestalt. Die Mündungen der beiden Jacobsonschen Organe
liegen selten in derselben Frontalebene, sondern sind gewöhnlich
etwas gegen einander verschoben.
Bevor ich meine eigenen Beobachtungen über das Jacob-
sonsche Organ vortrage, will ich die Verhältnisse der Nasen-
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 85
höhle an 3—4 Monate alten Embryonen kurz beschreiben, an
welchen unser Organ gut ausgebildet vorzukommen pflegt.
a) Die Nasenhöhle menschlicher Embryonen.
Die Figg. 60 -66 auf Taf. X zeigen sieben ausgewählte Fron-
talschnitte des Vorderkopfes eines 3!/s Monate alten menschlichen
Embryo, welche geeignet sind über den Bau der Nasenhöhle in
diesem Alter ein richtiges Verständnis zu geben. Man kann
die Bilder in drei Zonen einteilen: die prägnanteste ist die
mittlere Zone, die sich auf die Länge der Siebbeinmuscheln er-
streckt (Figg. 62—64), dann hat man den vorderen Teil mit
dem Nasenvorhof und den Anfangsteil der unteren Muschel
(Figg. 60 u. 61), und endlich die hintere Zone, die das Gebiet
der Keilbeinhöhle und des Nasenrachenganges enthält (Figg.
65 u. 66).
Durch die ganze Nasenhöhle erstreckt sich die knorpelige
Nasenkapsel, die aus dem median gelegenen breiten Septal-
knorpel (Cartil. sept.) und den lateralen Flügeln besteht (Cart.
paranasalis, dextra et sinistra). In der ersten Zone sind
die drei Platten oben in der Siebbeingegend mit einander in
Verbindung, es ist hier eine Art Cartilago tegmenti vorhanden
(Figg. 60, 61); m der zweiten Zone sind die Platten oben ge-
trennt und lassen die Äste des Riechnerven durchtreten (Figg.
62-64); in der dritten Zone biegen sich oben die Paranasal-
knorpel hakenförmig medianwärts und legen sich dem Septal-
knorpel lateral an.
Der Scheidewandknorpel ist von ungleichmässiger Dicke;
der untere Teil verbreitert sich an Frontalscchnitten spindelförmig
und wird kaudalwärts allmählich kürzer, sodass in der dritten
Zone die beiderseitigen niederen Nasenrachengänge nur durch
die Schleimhaut getrennt werden (Figg. 65 u. 66). In der vor-
deren Zone liegen unter dem Septalknorpel die kleinen Para-
septalknorpel (Figg. 60 u. 61, Cart. parasept.), die sich vom
86 VICTOR v. MIHALKOVICS,
Scheidewandknorpel abgetrennt haben. Eigentümlich ist die
Paranasalplatte gebildet; diese ist nämlich in der mittleren Zone
am mittleren Teil ihrer Höhe im Knie gebogen (Figg. 62 u. 63).
Die Biegung dürfte wohl auf mechanische Ursache zurückführ-
bar sein, inwiefern das Knie an jener Stelle liegt, wo der in
Entwickelung begriffene Oberkiefer den unteren Teil des Aug-
apfels erreicht; die stark in die Länge auswachsende Paranasal-
platte findet hier eine Hemmung, darum biegt sich ihr unterer
Teil — der sich in die untere Nasenmuschel erstreckt — dort
medianwärts um. Am knieförmigen Vorsprung ist die Para-
nasalplatte am dicksten (Figg. 62 u. 63), und es geht von hier
ein runder Knorpelstab ab (Processus cartilagineus para-
nasalis), der rostralwärts zieht (Fig. 61) und den vertikal hin-
untergehenden Thränennasengang (Duct. nasolacrim.) gabel-
förmig umgreift. Ich habe diesen Fortsatz schon anderwärts
erwähnt (Heymanns Laryngologie, 8. 70), und denselben mit dem
Meckelschen Knorpel im Unterkiefer verglichen. Das war natür-
lich nur ein bildlicher und kein ernster morphologischer Ver-
gleich, denn die Verhältnisse liegen hier anders. Seitdem habe
ich den Fortsatz auch an älteren Foeten untersucht, und gefunden,
dass derselbe andere Schicksale hat, wie die knorpelige Nasen-
kapsel, inwiefern letztere schwindet, resp. nach meinen Beobach-
tungen in gewöhnliches Bindegewebe umgewandelt wird, also
keine sogen. vollkommene Resorption stattfindet, wie es allge-
mein beschrieben wird. Hingegen wandelt sich der Paranasal-
fortsatz nicht einfach in Bindegewebe um, sondern erhält rund-
herum durch periostale Ossifikation eine Knochenkruste und es
erfolgt in seinem Innern eine chondrale Ossifikation (5.—6. Monat).
Inzwischen schreitet die bindegewebige Verknöcherung des Ober-
kiefers fort, und der verknöcherte Paranasalfortsatz wird in den Ober-
kiefer einverleibt, sodass vom 7.—8. Monate an nichts mehr davon
zu erkennen ist. So wäre im Öberkiefer auch ein kleiner chon-
draler Knochen enthalten, der aber umsoweniger eine besondere
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 87
Bedeutung haben dürfte, alsich in4 5 Monate alten Embryonen
auch im Alveolarteil dieses Knochens an manchen Stellen kleine
Knorpelinseln beobachtet habe, die hier ohne Zusammenhang
mit der knorpeligen Nasenkapsel entstanden sind und später in
den Verknöcherungsprozess des Oberkiefers aufgehen.
Auf unseren Gegenstand zurückkehrend, ist zunächst zu er-
wähnen, dass die Siebbeinmuscheln im 2. Monat aus dicken
Schleimhautwülsten entstehen, in denen nachträglich eine Dif-
ferenzierung des Bindegewebes zu Knorpel stattfindet. Die untere
Muschel dagegen ist weiter nichts, als der untere Teil des Para-
nasalknorpels (Fig. 61), an deren unterer Seite das Epithel im
3. Monat leistenförmig in das Bindegewebe hineinwächst und
nachträglich diese Epithelleiste von der Nasenhöhle her in zwei
Lagen getrennt wird. In den oberen Teil der Epithelleiste
mündet der Thränennasengang (Fig. 61), dieser ist aber noch
bis zum 5.—6. Monate durch eine aus einer Epithelschicht be-
stehende Platte vom unteren Nasengang getrennt (ähnlich der
Rachenhaut oder der Membrana bucconasalis Hochstätters!')
bei der Bildung der primären Nasenhöhle); diese reisst später
durch. Auch ist zu bemerken, dass der Thränennasengang schon
im 3. Monat keine gerade Grenzen besitzt, sondern buchtige Her-
vorragungen zeigt (Fig. 61); diese werden im 5.—6. Monat grösser,
und der Kanal ist dann sehr weit, was an Frontalschnitten ein
auffallendes Bild giebt.
Jede der Muscheln hat im Embryo ihre Eigentümlichkeiten.
Die mittlere Nasenmuschel ragt vorne wie eine vertikale
gerade Platte vom oberen Teil der lateralen Nasenwand in die
Nasenhöhle hinein (Fig. 62), die die untere Muschel fast erreicht.
In den zwischen beiden Muscheln gelegenen mittleren Nasen-
gang geht von der unteren Muschel ein Fortsatz nach aufwärts,
in welchem ein selbständiger kleiner Knorpel liegt, — dieser
1) Hochstätter, Über die Bildung der inneren Nasengänge oder primi-
tiven Choanen. Verhandl. d. anat. Gesellsch. zu München, 1891.
88 VICTOR v. MIHALKOVICS,
wird zum Siebbeinhaken. Die Vertiefung des mittleren Nasen-
ganges an der äusseren Seite des Siebbeinhakens (Sinus maxill.)
ist der Anfang zur Bildung der Kieferhöhle, diese liegt aber
gerade am Knie der Paranasalplatte. Wenn sich letztere in den
künftigen Monaten zu Bindegewebe umwandelt, wird die Epithel-
vertiefung an der äusseren Seite des Siebbeinhakens grösser,
und erreicht den Oberkiefer, bleibt aber noch immer eine schmale
Spalte. — Von der unteren Muschel ist zu erwähnen, dass
diese anfangs den Boden der Nasenhöhle erreicht (Fig. 62) und
der untere Nasengang nur aus einer schmalen Spalte besteht.
— Die obere Muschel besteht im hinteren Teil der mittleren
Zone (Fig. 64) aus einem mit Schleimhaut bedeckten dicken
Vorsprung des Paranasalknorpels; das ist die gemeinsame An-
lage nicht nur der bleibenden oberen, sondern auch der obersten
und der darüber gelegenen rudimentären Muscheln (Killian,
op. eit.), von welchen bei der Beschreibung des Muschelapparates
Erwähnung geschehen ist (s. S. 62).
Die hintere Zone der Nasenhöhle ist das Gebiet des Nasen-
rachenganges und der Keilbeinhöhle (Figg. 65 u. 66). Die Trenn-
ung beider geschieht durch die Verschmelzung der Wände durch
Schleimhautbrücken (Lam. term.), die der Lamina terminalis der
Säugetiere als gleichwertig zu betrachten sind. Der über der
Schleimhautbrücke gelegene hintere blinde Recess ist die Anlage
der Keilbeinhöhle (Sinus sphen.) und besteht aus einer läng-
lichen schmalen Epithelspalte, deren mediale Wand vom Septal-
knorpel (hier von der werdenden Scheidewand der Keilbeinhöhle),
lateral vom reduzierten Paranasalknorpel (hier Keilbeinkörper)
gebildet wird. Es ist also die Keilbeinhöhle weiter nichts, als
der blinde hintere Recess der embryonalen Riechhöhle, und dar-
um hat das Vorhandensein von Riechmuscheln darin bei Säuge-
tieren (s. S. 58) nichts Auffallendes. —- Über den niederen Nasen-
rachengang (Figg. 65 u. 66, Meatus nasoph.) ist zum
Schluss noch zu erwähnen, dass derselbe lateral vom Flügelbein
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Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 89
(Os pterygoid.) begrenzt wird und hier kein Knorpel zur Ent-
wickelung kommt; dieser Teil der Nasenhöhle gehört also schon
mehr zur Mundhöhle. Damit habe ich die wichtigsten Verhält-
nisse der fötalen Nasenhöhle beschrieben, und ich kann jetzt
zur Schilderung des Jacobsonschen Organes übergehen.
b) Das Jacobsonsche Organ des Menschen.
Ich habe das Jacobsonsche Organ an verschieden alten
menschlichen Embryonen vom 3. Monate an untersucht, zusammen
an 12 Exemplaren, das Organ war aber immer vorhanden, woraus
ich schliesse, dass dessen Mangel an Erwachsenen durch Atrophie
und nicht aus einer Nichtentwickelung zu erklären ist. Der
Kanal liegt an einem Teile des knorpeligen Septums, der sich
unten mit dem Prämaxillare und dem angrenzenden Vomer ver-
bindet (Taf. X, Figg. 60 u. 61). Bei 3—6 Monate alten Embryonen
endet der Septalknorpel unten abgerundet und an seinen Rändern
liegen 2-3 kleinere Knorpelstücke (Figg. 60 u. 61, 67 u. 69,
Cartil parasept.); diese haben sich bei 3 Monate alten Em-
bryonen vom knorpeligen Septum abgelöst, und zwar nicht etwa
durch zwischenwachsendes Bindegewebe, sondern dadurch, dass
sich die Knorpelzellen zu Bindegewebszellen umgewandelt haben
und die hyaline Grudsubstanz resorbiert wurde. Diese Umwandlung
in Bindegewebe schreitet in kaudal-rostraler Richtung vorwärts, so-
dass die Knorpelstückchen vorne mit dem Septalknorpel noch in
Zusammenhang sind, wenn sie sich kaudalwärts schon abgetrennt
haben. Die Zahl der abgelösten Teile beträgt jederseits 2--3
(Figg. 67-69, Cart. parasept.), von welchen jenes, das am
nächsten zum Septalknorpel liegt, etwas grösser ist und oft eine
gebogene Gestalt hat; dieses entspricht dem Huschkeschen
oder Jacobsonschen Knorpel der Säugetiere (Cartilago
paraseptalis, Spurgat!). Die kleineren Knorpelchen liegen
1) Spurgat, Beitr. z. vergl. Anat. d. Nasen- und Schnauzenknorpel d.
Menschen u. d. Tiere. Schwalbes Morph. Arbeit. V. 1896.
90 VICTOR v. MIHALKOVICS,
sehr unregelmässig, sind auf beiden Seiten nicht ganz gleich,
und ziehen lateralwärts unter den Boden der Nasenhöhle in
die Nähe der Paranasalplatte, die bis an den freien Rand der
unteren Nasenhöhle hinunterreicht, zum Zeichen, dass alle kleinen
Knorpelchen samt jenen im Nasenflügel abgetrennte Teile des
Knorpelringes um den Eingang der Nasenhöhle sind (Anulus
cartilagineus nasi). Der Jacobsonsche Kanal liegt nicht
an der Seite des grösseren Paraseptalknorpels, sondern höher an
einer dünnen Stelle des Septalknorpels (Figg. 60 u. 67,0rg. Jacobs.),
verhält sich also in dieser Beziehung so wie bei manchen Nage-
tieren (s. oben). Ausgenommen das vordere und hintere Ende,
ist der Jacobsonsche Kanal oval, mit vertikal gestelltem
längeren Durchmesser (Fig. 68); ich finde letzteren bei 4 Monate
alten Föten durchschnittlich 200 « hoch und 120 « breit, das
Epithel 45—50 u hoch. Die Wand besteht aus radiär gestellten
Cylinderzellen von mittlerer Höhe, die an reiferen Föten an
manchen Stellen kurze Wimperhaare führen. Eine Differenz
unter den Zellen habe ich nicht herausfinden können, es sind
eben pallisadenartig gestellte Zellen, ähnlich dem embryonalen
ektodermalen Epithel. Rostralwärts wird der Kanal enger (Fig. 67,
Organ. Jacobs.)und drehrund (im 4 Monate alten Föten durch-
schnittlich 50—60 «), biegt sich dann im Niveau des Stenson-
schen Ganges, aber höher, als das obere Ende dieses, lateralwärts
und mündet mit einer engen Mündung am Septum (Fig. 67 rechts;
Fig. 69 links); am Frontalschnitte aus dieser Gegend sieht die
Mündung einer kleinen Grube ähnlich. Kaudalwärts endet der
Kanal zugespitzt; seine ganze Länge beträgt bei 6—7 Monate
alten Embryonen ?/a—1l mm. Die Weite des Ganges ist bei
Embryonen fast gleichmässig; jene Lumendifferenzen, die Merkel
und Anton am Erwachsenen beschrieben (s. oben), entstehen
erst nach der (seburt.
Echte Drüsen habe ich in der Umgebung des Kanals bei
4—6 Monate alten Föten nicht gesehen, dagegen kommen dort
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 91
im Bindegewebe vom Gange her hinauswuchernde Epithelmassen
vor, die Drüsen vortäuschen, aber weder Lumen noch scharfe
Grenzen gegen das Bindegewebe haben. Da mir mit Zenker-
scher Flüssigkeit behandeltes frisches Material zur Verfügung
stand, bin ich gesichert, dass es keine Macerationserscheinungen
waren. Das sind nicht etwa Lymphfollikel ähnliche Gebilde,
wie sie bei manchen Säugetieren vorkommen (beim Kaninchen
nach Löwe, op. eit.; beim Hunde nach Klein, 25), sondern direkt
vom Jacobson schen Gang in das Bindegewebe hineingewucherte
Epithelinfiltrationen ; die Verbindung dieser Zellen mit der Wand
des Kanales ist an feinen Schnitten gut zu erkennen (Figg. 61 u. 68).
Wie es sich mit den Drüsen verhält, weiss ich nicht anzugeben,
da ich über den 7. Monat hinaus menschliche Föten nicht
untersucht habe. Ob Äste des Riechnerven bis zum Jacob-
sonschen Kanal hinunterziehen, kann ich nicht angeben; an
3 Monate alten Embryonen habe ich nichts Ähnliches gesehen.
Da das Epithel und Lumen bei Föten gleichmässig beschaffen
sind, muss jene Differenz, die Merkel und Anton bezüglich der
lateralen Wand erwähnen (niedereres und breiteres Epithel, s. oben),
erst nach der Geburt entstehen.
Von dem beschriebenen Typus kommen manchmal kleinere
Abweichungen vor, es ist z. B. der Durchschnitt des Kanales
unregelmässig dreieckig (Fig. 69), oder ist durch eine Epithel-
brücke an kurzen Strecken in 2 Teile getrennt; oder der Kanal
liegt auf einer Seite tiefer, als an der anderen (Fig. 68). Letzteres
ist besonders bei Embryonen mit verbogenem Septalknorpel der
Fall; die Verbiegung betrifft hauptsächlich den unteren dünnen
Teil des Knorpels.
An einem brasilianischen Affen (Species?) habe ich an Durch-
schnitten fast dasselbe Bild erhalten, wie bei reiferen Föten,
d.h. es war ein enger ovaler Gang mit Öylinderzellen vorhanden,
deren Kerne in 3—4 Reihen stehen. Der Gang zeigte eine
ähnliche Struktur, wie der rudinientäre Jacobsonsche Gang
92 VICTOR v. MIHALKOVICS,
der Vögel oder menschlicher Föten, d. h. es sind keine Sin-
nesepithelien (Riechstäbchen) herausdifferenziert, sondern es
ist ein ähnliches indifferentes, geschichtetes Pallisadenepithel
vorhanden, wie es an Embryonen anfangs in allen epithelialen
und nervösen Gebilden vorkommt (Medullarrohr, Linsengrube ete.).
Ähnlich ist das Epithel des Jacobsonschen Ganges an Jungen
Säugetierembryonen beschaffen, sogar an der medialen Wand,
wo aber später gewiss Riechstäbchen liegen. Es findet also be-
züglich des Epithels bei Menschen nicht eine Rückbildung, sondern
ein Stehenbleiben auf embryonaler Stufe statt.
Das indifferente Epithel, der Mangel an Sinnesnerven, die
variierenden Verhältnisse am Erwachsenen und oft auftretende
gänzliche Atrophie beweist, dass das Jacobsonsche Organ des
Menschen zu den funktionslosen rudimentären Organen gehört.
Dass es aber kein einfacher Drüsenausführungsgang ist, wie es
Gegenbaur (12) angab, sondern dem Jacobsonschen Organe
der Säugetiere gleichwertig ist, dürfte aus seiner Lage, Form
und Mündung zur Genüge einleuchten. Dass der Gang beim
Menschen keine Beziehung zum Paraseptalknorpel hat, ist be-
deutungslos, da auch bei vielen Säugetieren derselbe Fall vor-
kommt (vergl. Taf. VII, Fig. 45). Auch die Mündung am Septum
ist kein Gegenbeweis, denn auch bei Säugetieren mündet es
hier, und nicht in den Stensonschen Gang (vergl. Taf. VII,
Fig. 51). Dass Drüsen hineinmünden (Anton [1], hat nichts
Auffallendes, in Anbetracht dessen, dass beim Maulwurf, Schwein
u. s. f. sich mächtige serös-acinöse Septaldrüsen in den kau-
dalen Teil des Ganges ergiessen; trotzdem ist es kein Drüsen-
gang, denn es führt Sinnesepithel. Beim Menschen bleibt das
Epithel auf embryonaler Stufe stehen, aber deswegen ist der
Kanal noch kein gewöhnlicher Drüsenausführungsgang, was
ausser den anatomischen Verhältnissen hauptsächlich aus der
Entwickelung klar wird, denn es entwickelt sich beim Menschen
ebenso, wie bei Säugetieren (s. unten).
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 93
Es giebt zwei Gattungen rudimentärer Organe: 1. Deren
Vorhandensein der menschliche Organismus nicht entbehren
kann, was daraus zu schliessen ist, weil sie sich in vollkom-
mener Form forterben und Krankheiten als auch Experimente
deren Notwendigkeit beweisen (z. B. Schilddrüse, Thymus); 2. zu
den funktionslosen rudimentären Organen zählen die Anhänge
am Genitalapparat, die Niekhaut, Plica sublingualis, Duetus
thyreoglossus u. s. f., und zu diesen gehört auch das Jacob-
sonsche Organ. Das plötzliche Ausfallen der. Funktion beim
Menschen ist aber jedenfalls auffallend, denn in Anbetracht
dessen, dass das Organ bei den Säugetieren gut ausgebildet ist,
sollte man Übergänge erwarten, die aber zu fehlen scheinen
(Affen sollten noch eingehender untersucht werden). Dass hier
ähnliche Einflüsse stattgefunden hätten, wie bezüglich der Riech-
muscheln oben angegeben wurde, ist nicht einzusehen, denn
das Jacobsonsche Organ liegt nicht oben in der Nähe der
Siebplatte, die sich mit der Vervollkommnung des Stirnlappens
rostralwärts geneigt hat und darum tiefgreifende Veränderungen
in den Riechmuskeln eingetreten sind, sondern das Jacobson-
sche Organ liegt unten im Prämaxillarteil des mittleren Nasen-
fortsatzes, also an einer indifferenten Stelle in Bezug auf die
Umgestaltung der Nasenhöhle. Das Stehenbleiben auf embryo-
naler Stufe und die oft stattfindende Atrophie kann nur aus
dem Umstande erklärt werden, dass der Mensch dieses Organes
nicht bedarf, dass jene sinnlichen Perceptionen, die das Organ
für den tierischen Haushalt verrichtet, für den Menschen ent-
behrlich sind. Aber eben dieser Ausfall erschwert die Erkennung
der Funktion des Organes bei Tieren, denn von fehlenden
Sinnesorganen können wir uns ebenso wenig einen Begriff
machen, wie der Blindgeborene von den Farben, der Taub-
stumme von Tönen. Es giebt bei niederen Tieren eine Menge
Sinnesorgane, von denen wir uns keine Vorstellung machen
können, wie z. B. die Schleimkanäle und Gallertröhren der
Ei VICTOR v. MIHALKOVICS,
Fische, die Savischen Bläschen u. s. f. Dass im Jacobson-
schen Kanal der Tiere em den Riechstäbehen ähnliches
Epithel vorhanden ist, und zu diesem die Äste des Olfak-
torius gehen, spricht zwar sehr dafür, dass darin spezifische
Riechfunktionen stattfinden, ist aber noch kein vollgültiger Be-
weis, in Anbetracht dessen, dass der Jaecobsonsche Nerv bei
Schlangen eine gewisse Selbständigkeit hat, und es könnte daraus
auf eine ähnliche abweichende Funktion gedacht werden, wie
an den beiden Ästen des Acusticus (Nerv des Hörens und der
Statik), doch das sind Hypothesen, deren Begründung der Zu-
kunft vorbehalten ist. Jedenfalls ist das Jacobsonsche Organ
ein in schnellem Rückschritt begriffenes Organ, wie es aus der
Atrophie desselben fast in der Hälfte der Fälle bei Erwachsenen
zu ersehen ist, es gehört also nicht zu den zähe am mensch-
lichen Organismus haftenden rudimentären Organen, wie der
Kaudalanhang, Morgagnische Hydatide, Vesicula prostatica,
Nebeneierstock, Processus vermiformis u. s. f£ Auch diese sind
für den Menschen ohne Bedeutung, jedoch erscheinen sie immer
und bleiben auch durch das ganze Leben erhalten, wenngleich
sie verschiedene Grade der Ausbildung erhalten. Warum aber
das Jacobsonsche Organ oft gänzlich atrophiert, ist nicht
leicht einzusehen, ausser man denkt an die Lagerung desselben
an einem den Insulten (kalte Luft, Staub, Mikrobien, Katarrhe)
mehr zugänglichen Stelle am Eingang des Respirationstraktus.
In der Gegend des Jacobsonschen Organes ist beim
Menschen die Schleimhaut sehr gefässreich, die Kapillaren und
Venen sind weit und es reichen dort die Gefässschlingen bis nahe
an das Epithel. Nach Kiesselbach!) existiert dort sogar eine
Art Schwellgewebe, darum ist diese Stelle (Locus Kiessel-
bachi) zu Blutungen sehr geneigt, und auch die perforierenden
Geschwüre sind in dieser Gegend sehr häufig. Daran ist aber
ı) Kiesselbach, Über Nasenbluten. Tagebl. der 58. Vers. der deutschen
Naturforscher und Ärzte zu Strassburg, 1885.
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 95
das Jacobsonsche Organ ganz unschuldig (gegen Löwe, Poti-
quet ete., s. oben), sondern der Grund der Erkrankung liegt
in der exponierten Lage dieser Gegend am Eingange der Nasen-
höhie und in der vulnerablen Struktur der Schleimhaut. Da
bei Säugetieren in der Umgebung des Jacobson schen Organes
viel glatte Muskeln und weite Venen vorkommen (s. oben),
dürfte das Schwellgewebe am Locus Kiesselbachi homolog
dieser Einrichtung und dessen Vorhandensein aus Vererbung zu
erklären sein.
Entwickelung des Jacobsonschen Organes.
Das Jacobsonsche Organ entsteht bei allen Wirbeltieren
aus einer Ausstülpung des Nasenhöhlenepithels in den ventralen
Teil des medialen Nasenfortsatzes hinein, ist also ein Sinnes-
organ der Respirationsgegend. Dabei ist zu betonen, dass es
ein Gebilde des medialen (mittleren) Nasen- oder Stirnfortsatzes
ist; es ist also unstatthaft anzunehmen, wie es Seydel für die
Amphibien und Sumpfschildkröten angiebt (43, 44), dass die im
Oberkieferfortsatz gelegenen beschränkten Sinnesepithelbezirke
auch Jacobsonsche Organe wären, demnach ein medialer und
lateraler Abschnitt anzunehmen ist. Selbst in dem Falle, wenn
der sog. laterale, im OÖberkieferfortsatz gelegene Sinnesepithel-
bezirk dieselbe Funktion hätte, wie der mediale — was zu be-
weisen wäre, — könnte man von einer Analogie und keiner
Hompologie sprechen, denn das Jacobsonsche Organ aller Säuge-
tiere und des Menschen liegen im medialen Nasenfortsatz — der
späteren Nasenscheidenwand, — oder am Boden desselben in
dem vom medialen Nasenfortsatz gebildeten Prämaxillarteil des
Gesichts, wie bei Sauriern, und das scheint Grund genug dazu
zu sein, das Jacobsonsche Organ als ein typisches Gebilde
des rostralen (prämaxillaren) Teiles des medialen
Nasenfortsatzes anzusehen. Dass dieses der wichtigere
96 VICTOR v. MIHALKOVICS,
Teil des Sinnesepithels in der Respirationsgegend ist, beweist
dessen Forterbung auf die höheren Klassen, während das Sinnes-
epithel im lateralen Teil der Respirationsgegend — in der Kiefer-
höhle — bei Amphibien schwach vertreten ist, und bei den Rep-
tiiien — ausser Sumpfschildkröten — gänzlich geschwunden ist.
In Anbetracht dessen, dass der Riechnerv die Nasenhöhle mit
2 Ästen umgreift, ähnlich wie die Branchialnerven die Kiemen-
spalten, und mit Berücksichtigung der rudimentären Sinnesorgane
in den Kiemenspalten (Froriep), hat Milnes-Marschalls An-
sicht!), dass die Nasenhöhle aus einer Kiemenspalte entstanden
ist, viel Wahrscheinlichkeit an sich, und in diesem Falle kann
man das Jacobsonsche Organ als ein Sinnesorgan des maxil-
laren (rostralen) Teiles der Riechkiemenspalte betrachten, wäh-
rend das bei Urodelen vorkommende Sinnesepithel im lateralen
Teil der Nasenhöhle ein Sinnesorgan des lateralen (maxillaren)
Teils dieser Spalte ist?). Dass aber letzteres nicht die Bedeutung
wie der mediale hat, ist aus dem Verschwinden in den höheren
Ordnungen ersichtlich. Eine Umlagerung des lateralen Teils in
den medialen anzunehmen, erklärt durch die Plattheit des Vor-
derschädels bei Amphibien und die Höhe der Nasenhöhle bei
höheren Ordnungen (Seydel), ist aus embryologischen Gründen
Gründen unstatthaft; ausserdem spricht dagegen der Umstand,
dass bei Sumpfschildkröten beide Sinnesepithelbezirke vorkom-
nen: ein lateraler und medialer, ausserdem auch ein am Boden
der Nasenhöhle gelegener; die Nasenhöhle dieser Tiere ist aber
gerade so hoch wie jene der Landschildkröten, hier ist also an
eine Umlagerung nicht zu denken.
Das Jacobsonsche Organ erscheint bei Säugetierembryonen
und dem Menschen sehr früh; es ist als eine kleine Epithelgrube
!) Milnes-Marschall, The Morphol. of the vertebrate olfactory
organ. Quart. Journ. of mier. Science. XIX. 1873.
2) Der sog. laterale Nasenfortsatz hat nicht die Bedeutung eines den
anderen gleichwertigen kiemenähnlichen Fortsatzes, weil ersterer kürzer ist,
und an der lateralen Begrenzuug der eigentlichen Nasenhöhle nicht beteiligt ist.
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ, 3
schon zur Zeit vorhanden, wenn das Nasenfeld (His) sich durch
Vorwachsen und Vergrösserung des Nasen- und Oberkieferfort-
satzes in die Riechgrube umzubilden beeinnt; His!) hat dar-
über von einem 7,5 mm langen Embryo eine gute Abbildung
gegeben, und über weitere Umbildung der Riechgrube verweise
ich auf meinen Aufsatz (Heymanns Laryngologie. III. S. 60).
Da das Epithel der Riechgrube aus dem Ektoderm stammt, gilt
dasselbe auch für das Jacobsonsche Organ. Anfangs ist darin
indifferentes geschichtetes Cylinderepithel vorhanden, wie im
Medullarrohr, Linsengrube etc., daraus differenzieren sich später
die Riechzellen. Ob die Nervenfasern des Jacobsonschen
Organes ebenso, wie in der Riechgrube, aus vom Ektoderm ab-
gelösten Ganglienzellen entstehen, die dann medullarwärts wach-
sen (His)?), habe ich nicht untersucht, es ist aber anzunehmen,
dass der Bildungsgang nach einem gemeinsamen Typus vorgeht.
Durch Vermehrung des Mesenchyms in den Gesichtsfortsätzen
und Vorwachsen des Vorderhirns nimmt das embryonale Binde-
gewebe an der Basis des präsphenoidalen Schädelabschnitts zu,
"die Riechgrube wird tiefer und ändert zugleich ihre Form, in-
dem sie aus einer Grube zu einer sagittal gestellten Spalte wird
(Taf. XI, Figg. 77 u. 78), die sich vom äusseren Nasenloch, —
das bei 12—14 mm langen Embryonen wegen Mangel eines
äusseren Nasendaches noch weit ist, — unter dem Mesenchym
an der Basis des Vorderhirns (der primären Siebbeingegend:;
Fig. 77, Regio ethmoid.) sich bis zur primären Choane er-
streckt (Fig. 76, Choana prim.); letztere mündet gleich hinter
dem Prämaxillare. Unter der platten Nasentasche haben sich
die ventralen Abschnitte des medialen Stirnfortsatzes mit dem
Oberkieferfortsatz nach Atrophie des Epithels vereinigt (Fig. 78,
Membr. bucconasalis), und es ist hier am Boden der Nasen-
1) His, Anatomie menschlicher Embryonen. I. Leipzig, 1888. S. 50.
2) His, Über die Entwickelung des Riechlappens. Verhandlungen der
anatomischen Gesellschaft zu Berlin. III. 1889.
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXIV/XXXVY. Heft (11. Bd. H. 12.) Y
98 VICTOR v. MIHALKOVICS,
tasche eine Mesenchymbrücke entstanden, die medialwärts in die
Basis des mittleren Stirnfortsatzes übergeht; diese Brücke vom
äusseren Nasenloch bis zur primären Choane reichend ist der
Prämaxillarteil des Gesichts (Fig. 77, Regio praemaxill.), darin
entsteht der Zwischenkiefer und der Anfang des Pflugschar-
beines. Diese Gegend ist der Sitz des Jacobsonschen Organes.
An Säugetierembryonen ist der Jacobsonsche Gang gleich
bei der Bildung der Gesichtsfortsätze vorhanden; sobald die
Riechgrube sich zur Nasentasche umgebildet hat, also bei 10—12 mm
langen Embryonen beginnt die Einstülpung des Epithels in den
medialen Nasenfortsatz hinein (Fig. 77, Organ. Jacobs.). Dieses
frühe Erscheinen des Organes weist auf einen alten phylogene-
tischen Erwerb (Anuren). In der Nasenhöhle ist zur Zeit des
Jacobsonschen ÖOrganes nur die untere Muschel in Bildung
begriffen, als eine Vorstülpung des Öberkieferfortsatzes gegen
die Höhle der Nasentasche hinein (Figg. 74, 77, Maxilloturb.);
das Epithel ist überall geschichtetes indifferentes Cylinderepithel,
aber nicht gleich hoch, indem es in der oberen Riechgegend
höher als unten ist; in der Jacobson schen Einsenkung ist das in-
differente Epithel von Anfang her so hoch, wie in der Riechgegend.
Schon Garnault (14) hat von Rattenembryonen angegeben,
dass der Jacobsonsche Gang nicht aus einer Einsenkung des
Epithels entsteht, wie es bei Drüsenröhren der Fall ist, sondern
in Form einer sagittal gestellten Furche erscheint. Ich kann
diese Behauptung bestätigen. An Frontalschnitten entsprechend
alter Embryonen — beiläufig 13—14 mm lange Katzen- oder Eich-
hörnchenembryonen, — sieht man natürlich nur eine Einsenkung
des Epithels (Fig. 77, Organ. Jacobs.); diese Einsenkung
erstreckt sich auf viele Schnitte, die zusammengegeben werden
müssen, um eine Furche zu erhalten. Aber an solchen Hori-
zontalschnitten, welche die Furche der Länge nach getroffen
haben, kann man sich von deren Vorhandensein gut überzeugen
Fig. 79, Organ. Jacobs.). Diese eigentümliche Anlage beweist,
Nasenhöhle und Jacobsonsches Organ. 99
dass das Jacobsonsche Organ nicht nach dem Typus einer
Drüse gebildet wird, sondern bei seinem ersten Erscheinen eine
ähnliche primitive Form hat, wie bei Batrachiern, d. h. es ist
eine Furche unten am Septum, an deren hinterem Ende das
Epithel in Form einer Röhre kaudalwärts fortwächst, und zu-
gleich die Furche durch Aneinanderlegung und Verwachsen der
Ränder nach vorne zur Röhre abschliesst; nur das vorderste
Ende bleibt offen, und mündet als eine kleine Epitheleinsenkung
entweder am Septum, oder tiefer mn den Stensonschen Kanal
(noch nicht geschlossenen vordersten Teil der Gaumenspalte).
Wie die Figg. 77 u. 78 an einem 14mm langen Eichhörnchen-
embryo zeigen, erfolgt das Fortwachsen des Ganges kaudalwärts
im Anfang als ein von Nasenhöhlenepithel in die Schleimhaut
einwachsender Epithelzapfen (Fig. 78, Org. Jacobs.), der bald
hohl wird. Bei 16—18 mm langen Embryonen von Katze, Kalb,
Maus ist das mit geschichtetem Cylinderepithel ausgestattete
Rohr drehrund, später mehr oval, und liegt im oralen Teil des
mittleren Stirnfortsatzes, der nur aus Mesenchym ohne Skelettein-
lage besteht (Figg. 74 u. 75, Org. Jacobs.); da der mittlere
Stirnfortsatz zu dieser Zeit sehr breit ist, liegen beiderseitige
Röhren ziemlich entfernt von einander. An 20 mm langen
Rindsembryonen habe ich das ovale Rohr 40:70 u weit, das
Epithel 15 « hoch und das Lumen 10:30 « gefunden; die
Mündung vorne ist gleich von Anfang her enger wie der Kanal.
Anfangs ist der Jacobsonsche Kanal drehrund und führt
rund herum gleichmässig dickes Cylinderepithel. Ähnlich ist
das Organ in seinem kaudalen Teile bei Batrachiern beschaffen,
und unter den Säugetieren beim Maulwurf (s. oben). Die dreh-
runde Form ist also die einfachere, und das Sinnesepithel rund-
herum eine weniger differenzierte Einrichtung. Auch beim
Menschen bleibt der Kanal auf dieser einfachen Stufe stehen.
Hingegen bei allen darauf untersuchten Säugetieren, selbst bei
den Beuteltieren ist der Kanal verlängert oder halbmondförmig,
7x
100 VICTOR v. MIHALKOVICS,
und führt nur an der medialen Wand hohes Sinnesepithel,
während es lateral nur mit niederem Respirationsepithel bedeckt
ist. Das ist eine Komplizierung ähnlich dem Epithel in der
Nasenhöhle. Der Grund zu dieser Veränderung dürfte in der
Verschliessbarkeit des Lumens liegen, insofern bei vielen Säuge-
tieren die laterale Wand durch die organischen Muskeln gedehnt
und durch das Schwellgewebe komprimiert werden kann; eine
Zerrung würde auf das Sinnesepithel störend wirken, und darum
ist an der lateralen Wand Respirationsepithel angebracht. Die
Differenzierung in zweierlei Epithel erscheint bei Früchten bei-
läufig zur mittleren Zeit der Embryonalentwickelung; bei reiferen
Ratten- und Kalbsembryonen (erstere 5, letztere 20—25 cm) ist
die Differenzierung in medial gelegenes dickes Sinnesepithel, und
lateral angebrachtes dünnes Respirationsepithel schon vorhanden
Taf. IX, Fig. 57, Organ. Jacobs.).
10.
TR
13.
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Zeitschrift für Physiologie v. Tiedemann und Treviranus, II. 1826.
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— Über das rudimentäre Jacobsonsche Organ der Krokodile und des
Menschen. Ibidem. S. 458.
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. — Über die Nasenhöhle und das Jacobsonsche Organ der Land- und
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Leipzig 1896.
. Schiefferdecker, P., Das Jacobsonsche Organ. In Heymanns
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rhynchus. Anat. Anz. XI. 1896, No. 6, S. 162.
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Wiedersheim, R., Stammesentwickelung des Jacobsonschen Organs.
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Whrigt-Ramsay, On the Organ of Jacobson in Orphidia. Zool. Anz.
IV. 1893. S. 144.
Verzeichnis der Abbildungen.
Dark la
Fig. 1. Frontalschnitt durch die mittlere Gegend der Nasenhöhle von
Triton eristatus.
Fig. 2. Dasselbe von Salamandra maculosa.
Figg. 3u.4. Frontalschnitte durch die Nasenhöhle vom Laubfrosch (hyla
arborea); beide stammen von der mittleren Region, die Fig. 3 etwas weiter
nach vorne als Fig. 4.
Mate IT
Figg. 5-10. Frontalschnitte durch die Nasenhöhle und einen Teil der
Scheidewand von Emys europaea. Die Fig. 6 stammt vom vorderen Drittel,
Fig. 9 etwas dahinter und Fig. 10 vom hinteren Teil. Die Figg. 5, 7 u. 8
beziehen sich auf zwischengelegene Teile der Nasenscheidewand mit dem
Jacobsonschen Organe.
Tafel Ill.
Figg. 11 u. 12. Frontalschnitte durch die Nasenhöhle von der Natter
(Coluber natrix). Die Fig. 11 bezieht sich auf die Gegend des Nasenvorhofes
mit dem vorderen Teile des Jacobsonschen Organes und dem herunterziehenden
starken Jacobsonschen Nerven. Die Fig. -12 zeichnet einen Schnitt durch
das vordere Drittel des Jacobsonschen Organes.
Fig. 15. Das Jacobsonsche Organ der Natter bei stärkerer Ver-
grösserung. Frontalschnitt vom vorderen Drittel mit der angeschnittenen
Mündung (Apert. Jacobson) neben der Gaumenpapille,
Figg. 13 u. 14. Frontalschnitte durch die Nasenhöhle der braunen
Eidechse (Lacerta agilis). Fig. 13 stammt von der mittleren Gegend der
Nasenhöhle, wo diese am geräumigsten ist und zeigt die seitliche Gaumenspalte
(Fiss. palat. lat.) unter dem Nasenhöhlenboden. Der Schnitt von Fig. 14
traf die Choane, die hier in die seitliche (aumenspalte mündet.
arte DV:
Figg. 16—22. Frontalschnitte durch die Nasenhöhle eines reifen Embryo
des Haushuhnes. Fig. 1 zeigt die Verhältnisse des Nasenvorhofes mit der
Verzeichnis der Abbildungen. 105
Vorhofsmuschel. Die Figg. 17—19 stammen vom vorderen Teil der Haupt-
nasenhöhle und trafen die gewundene mittlere Muschel. Die Figg. 20—22 zeigen
die Pseudomuschel des Siebbeines und den hinteren Teil der mittleren Muschel.
In Fig. 22 ist die Mündung der Kieferhöhle über der mittleren Muschel zu
sehen.
Fig. 23. Ansicht der lateralen Nasenhöhlenwand des Haushuhnes mit
den nach einander folgenden drei Muscheln.
Tafel V.
Fig. 24. Ansicht der lateralen Nasenhöhlenwand eines Kalbes. Die
Riechgegend ist mit den sieben Siebbeinmuscheln angefüllt; die Respirations-
gegend enthält die grosse, doppeltgewundene, untere Muschel.
Fig. 25. Laterale Nasenhöhlenwand der Katze. In der Riechgegend
liegen die mächtig entwickelten fünf Siebbeinmuscheln, von welchen die unterste
(Ethm. 5) die Keilbeinhöhle ausfüllt. In der Stirnhöhle sind zwei Riechmuscheln
(Frontoturb.). Die untere Muschel (Maxilloturb.) ist im Verhältnis zu den
Riechmuscheln kleiner, als beim Kalbe (vgl. Fig. 24).
Fig. 26. Vordere Ansicht der Nasenhöhle eines braunen Bären. Die
untere Muschel (Maxilloturb.) ist nach dem verästigten Typus gebaut.
Fig. 27. Seitliche Ansicht der Nasenhöhle vom Kapuzineraffen. Die
obere Muschel ist sehr schwach, und auch die mittlere klein; letztere erstreckt
sich wenig nach vorne, sodass die verkümmerte erste Riechmuschel (Naso-
turbinale) freiliegt; letztere entspricht im Menschen dem Agger nasi (vgl.
Fig. 59).
Fig. 28. Ansicht der lateralen Wand der Nasenhöhle des Kaninchens
Riechmuscheln sind 5 vorhanden und werden unten von der Lamina terminalis
begrenzt; darunter liegt der Nasenrachengang. Die untere Muschel liegt ganz
vorne und ist nach dem gefalteten Typus gebaut.
Fig. 29. Laterale Ansicht des hinteren Teiles der Nasenhöhle vom Kalbe.
Stammt von demselben Präparate wie Fig. 24, aber die vorragenden Teile
der Riechmuschel sind entfernt, sodass die versteckten Muscheln (Neben-
muscheln) zu sehen sind. Die untere Muschel ist an ihrem Haftrande ab-
geschnitten.
Tafel VI.
Figg. 30-38. Nacheinanderfolgende ausgewählte Frontalschnitte durch
die Nasenhöhle des Maulwurfs. Die Figg. 30—32 stammen von der Gegend
des Nasenvorhofes; Figg. 33—36 trafen die Hauptnasenhöhle vor der Region
der Riechmuscheln, zeigen also hauptsächlich die untere Muschel und den
vorderen Teil des Nasoturbinale. Die Figg. 37 und 38 beziehen sich auf hintere
Schnitte aus der Riechmuschelgegend und dem Nasenrachengang.
Tafel VI.
Figg. 39 u. 40. Frontalschnitte der Nasenhöhle des Haushuhnes, um
die Verhältnisse der lateralen Nasendrüse (Gland. nasi lat.) und ihres Aus-
106 Verzeichnis der Abbildungen.
führungsgangs (Duct. gland. nasi lat.) zu zeigen. Fig. 39 liegt etwas
mehr nach hinten als Fig. 40.
Fig. 41. Frontalschnitt durch die Nasenhöhle (resp. Nasenvorhof) der
Natter. Oben ist der mächtige Riechkolben (Bulb. olfact.) zu sehen, von
dessen medialer Seite der Jacobsonsche Nerv entsteht.
Figg. 42—44. Frontalschnitte durch die Gegend des Jacobsonschen
Organes des Maulwurfs. Fig. 42 zeigt die Einmündung des Jacobson-
schen Kanals in den Stensonschen Gang; Fig. 43 stammt vom mittleren, und
Fig. 44 vom hinteren Teile des Organes, wo an der rechten Seite nur mehr
die stark entwickelte Jacobsonsche Drüse zu sehen ist.
Tafel VII.
Figg. 45—50. Frontalschnitte durch die Nasenhöhle der Maus. Die Figg. 45
bis 47 stammen von der vorderen Hälfte, die Figg. 48— 50 von der hinteren
Hälfte der Nasenhöhle mit den Riechmuscheln.
Figg. 51—53. Frontalschnitte vom Jacobsonschen Organe der Maus
bei stärkerer Vergrösserung. Fig. 51 zeigt ganz vorne die Mündung am Septum,
Fig. 52 stammt aus der mittleren Gegend des Organes, Fig. 53 zeigt die hintere
(Gegend mit dem eng gewordenen Jasobsonschen Gange und Drüse.,
Tafel IX.
Figg. 54 u. 55. Frontalschnitte’durch die Nasenhöhle eines neugeborenen
Hundes. Beide stammen vom hinteren Teile der Nasenhöhle und zeigen die
in Entwickelung begriffenen Riechmuscheln, die ihre doppeltgewundene Gestalt
noch nicht erhalten haben und noch nicht verknöchert sind.
Fig. 56. Durchschnitt durch das Jacobsonsche Organ des Schweines.
Der Schnitt stammt vom hinteren Teile, wo der Jacobsonsche Gang schon
reduciert ist und sich in 2 Äste geteilt hat, die die Ausführungsgänge der
Jacobsonschen Drüse aufnehmen. Das Organ ist vom hakenförmig um-
gebogenen Jacobsonschen Knorpel umgeben und enthält reichlich eavernöses
(Gewebe.
Figg. 57—58. Frontalschnitte durch die Gegend des Jacobsonschen
Organes eines reiferen Rindsembryo. Fig. 58 zeigt den halbmondförmig
gebogenen Jacobsonschen Gang in der Hohlkehle des Paraseptalknorpels;
Fig. 58 stammt weiter nach vorne von der Gegend des Stensonschen Ganges,
an dessen medialer Seite der eng. gewordene Jacobsonsche Kanal liegt.
Fig. 59. Ansicht der lateralen Nasenhöhlenwand eines Neugeborenen,
wo 3 Siebbeinmuscheln vorhanden sind. Die untere Siebbeinmuschel ist an
ihrem Anheftungsrande abgeschnitten, damit man die Bulla ethmoidalis und den
Siebbeinhacken sehen kann. Vor der mittleren Muschel liegt das Agger nasi,
das ähnliche Lageverhältnisse hat, wie das Nasoturbinale der Affen (z. B. an
27. Taf. V).
Tafel X.
Figg. 60—66. Frontalschnitte durch die Nasenhöhle eines 3'/s Monate
alten menschlichen Embryo. Die Figg. 60-61 stammen vom vorderen
Teil, Figg. 62--63 vom mittleren Teil und die Figg. 64—66 vom hinteren Teil
Verzeichnis der Abbildungen. 107
der Nasenhöhle; an den letzten Schnitten sind die Keilbeinhöhlen und der
Nasenrachengang getroffen. Das Jacobsonsche Organ liegt in den vordersten
zwei Schnitten (Figg. 60—61) an einer verdünnten Stelle des Septalknorpels.
Figg. 67—69. Querselinitte durch das Jacobsonsche Organ 4—5 Monate
alter menschlicher Embryonen bei stärkerer Vergrösserung. Die Figg. 67
und 69 stammen aus der Gegend der Mündung‘, Fig. 68 aus dem mittleren
Teil des Kanales.
TMatoel XT.
Figg. 70—73. Ausgewählte Frontalschnitte durch den Vorderkopf des
Laubfrosches, halbsehematisch. Fig. 70 stammt aus der Gegend der Nasen-
öffnung. Fig. 71 zeigt die Hauptnasenhöhle mit ihren unteren Anhängen (recess
mediat. u. lat.); Fig. 72 enthält an der linken Seite die Choane und zeigt
die seitliche Gaumenfurche (sule. maxillopalatinus) mit dem secundären
Gaumenfortsatze (palat. secund.). Fig. 73 stammt von der Gegend hinter
der Choane und zeigt am Boden der Nasenhöhle den Riechhügel.
Figg. 74—76. Frontalschnitte durch die Nasenhöhle eines 15 mm langen
Rindsembryo. An Fig. 74 ist die Mündung des Jacobsonschen Ganges
im mittleren Stirnfortsatz zu sehen. Fig. 75 zeigt den Kanal selbst, und 76
stammt aus der Gegend der primären Choane, wo kein Jacobsonsches Organ
mehr vorhanden ist. Die Knorpelbildung ist im mittleren Stirnfortsatz eben
im ersten Stadium, die Oberkieferfortsätze bestehen noch aus Mesenchym.
Figg. 77 u. 78. Frontalschnitte durch die Nasenhöhle eines 14mm langen
Eichhörnchenembryos. Fig. 77 traf das in Einstülpung begriffene
Jacobsonsche Organ (organ. Jacobs.) an der medialen Seite des mittleren
Nasenfortsatzes; Fig. 73 stammt aus der hinteren Gegend des Organes, wo
es noch aus einem Epithelzapfen besteht.
Fig. 79. Horizontalschnitt durch die Nasenhöhle eines 16 mm langen
Katzenembryo. Die primäre Nasenhöhle hat an ihrer medialen Seite eine
lange Einstülpung, aus der das Jacobsonsche Organ wird. Der vordere Teil
des Organs entsteht durch Schliessung einer länglichen Rinne, — der hintere
aber wächst nach dem Typus der Drüsen als solider Epithelzapfen in das
Mesenchym des mittleren Stirnfortsatzes hinein (wie in Fig. 78) und wird nach-
träglich hohl.
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ATS DEM HISTOLOGISCHEN INSTITUT DER UNIVERSITÄT IN WIEN.
BEITRAG
ZUR
HISTOLOGIE DES EIERDTOCKES DES MENSCHEN
DER SÄUGETIERE
BEMERKUNGEN ÜBER DIE BILDUNG VON HYALIN UND PIGMENT,
VON
HANS RABIL,
WIEN.
Mit 41 Figuren auf Tafel XII/XVIII.
Schon im Laufe des Winters 1896/97, als ich eine Reihe
von Tierovarien untersuchte, um einen Einblick in die Wachs-
tums- und Reifeerscheinungen der Eikerne zu gewinnen, er-
weckten die verschiedenen Bilder, welche ungeplatzte und sich
rückbildende Follikel darbieten, mein lebhaftestes Interesse.
Da nun die Erwerbung eines grösseren Materiales, insbesonders
zum einwandfreien Nachweis der Bildung des ersten Richtungs-
körpers in normalen Follikeln eine längere Zeit in Anspruch
zu nehmen versprach, so entschloss ich mich, die bis dahin
gesammelten Erfahrungen über das Wachstum der Eizelle in
einer vorläufigen Mitteilung zu publizieren und wandte mich den
Vorgängen bei der Rückbildung der Follikel zu.
Ein Blick in die Litteratur darüber ergiebt, dass zwar bereits
eine grosse Zahl von Arbeiten über Follikelatresie vorhanden ist,
dass aber hinsichtlich einiger, gerade recht wichtiger Erschein-
ungen eine Übereinstimmung noch nicht erzielt wurde. Indem
ich nun die verschiedenen Angaben an einem reichen Material
nachprüfte, bin ich in der Lage, jenen Prozess nach eigenen
Beobachtungen neuerdings einer Schilderung zu unterwerfen und
hoffe damit die behandelte Frage wenigstens zu einem vor-
läufigen Abschluss zu bringen.
Ausser diesen, im ersten Teil der vorliegenden Arbeit nieder-
gelegten Untersuchungen wollte ich aber auch noch zu einer
112 HANS RABL,
zweiten Frage einen Beitrag steuern. Im Jahre 1896 hatte
Sobotta auf Grund von geradezu pedantisch-genauen Unter-
suchungen die Bildung des Corpus luteum bei der Maus in
einer jeden Zweifel ausschliessenden Weise beschrieben. Von
diesem Augenblick an war jener Vorgang für die ganze Säuge-
tierreihe im Prinzip festgestellt, denn man muss wohl Sobotta
beistimmen, wenn er sagt, dass es ihm „unverständlich“ sei,
„dass die Bildung des Corpus luteum bei anderen Tieren und
insbesonders beim Menschen“ in anderer Form als bei der
Maus vor sich gehen könne.
Eine Bestätigung der bei der Maus erhobenen Thatsachen
erbrachte zunächst Sobotta selbst für das Kaninchen. Einige
kleine Abweichungen, die sich in diesem Falle immerhin vor-
finden, werde ich später noch besprechen. Für den Menschen
war bisher nahezu ausschliesslich die ursprünglich von C. E.
von Baer ausgesprochene ‚Lehre, dass die Luteinzellen von
der Theka abgeleitet werden müssten, in Geltung. Diese An-
sicht wird auch noch von Nagel vertreten, trotzdem er bereits
Kenntnis von den Verhältnissen bei der Maus besass. Darum
erschien es mir besonders dankbar, neue Untersuchungen an
diesem Objekt vorzunehmen. Leider konnte ich aber nur eine
sehr unvollkommene Reihe der ersten Entwickelungsstadien
der gelben Körper zusammenstellen, die aber immerhin einige
bemerkenswerte Thatsachen ergab. Ich berichte darüber im
2. Teil dieser Arbeit. Dagegen hatte ich Gelegenheit, einige
interessante Beobachtungen hinsichtlich der Rückbildung der
gelben Körper zu machen und die Bildung der Corpora fibrosa
genauer zu studieren. Für gewöhnlich wird jener Vorgang als
Paradigma für die Bildung einer Narbe hingestellt und mit nur
wenigen Worten abgethan. Es wird sich aber aus meinen Dar-
legungen ergeben, dass er von verschiedenen Gesichtspunkten
aus näheres Interesse verdient.
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 113
Material und Methode.
Das Material für die vorliegende Arbeit bildeten die Eier-
stöcke von Mäusen, Ratten, Meerschweinchen, Kaninchen, Katzen
und vom Menschen. Die tierischen Eierstöcke wurden teils
in Sublimat, Eisessig-Sublimat und Pikrinsäure-Sublimat, teils
in Flemmingscher oder Hermannscher Lösung fixiert
die menschlichen Ovarien dagegen waren zumeist in Alkohol
gehärtet und nur diejenigen, welche durch eine Operation ge-
wonnen waren oder bei denen die Sektion unmittelbar nach
dem Tode stattgefunden hatte, waren in Sublimat, Zenkersche
oder Flemmingsche Flüssigkeit eingelegt worden. Die tieri-
schen Ovarien wurden, ohne vorher in kleine Stücke zerteilt
zu werden, in Serienschnitte zerlegt. An den menschlichen
Ovarien dagegen wurden nur jene Partien der mikroskopischen
Untersuchung zugeführt, welche schon bei Betrachtung mit
freiem Auge teils von der Oberfläche, teils am Durchschnitt
irgend einen interessanten Inhalt: einen besonders grossen Fol-
likel, ein Corpus luteum oder Corpus fibrosum erkennen liessen.
Ich habe in dieser Weise die Ovarien von 25 Frauen untersucht.
Hierzu kommen noch einige Corpora lutea, welche, aus dem
Ovarialgewebe herausgeschnitten, mir freundlichst überlassen
worden waren.
Unter den 25 Fällen sind 8, an welchen die Ovarien
operativ entfernt waren, die übrigen 17 stammten von Leichen.
In den 8 Fällen waren die Ursachen der Entfernung teils Osteo-
malacie (2), teils Myome des Uterus (3), wobei 2 Fälle durch gleich-
zeitige Gravidität kompliziert waren. In einem Falle endlich konnte
die Ursache der Enfernung nicht mehr eruiert werden. Von
den 17 von Sektionen stammenden Eierstockpaaren besitze ich
ausführliche Krankengeschichten und Sektionsbefunde nur
bezüglich 5 Fällen. Es ergiebt sich also, dass ich leider nur
bei 12 Eierstockspaaren einige Daten hinsichtlich ihrer Trägerinnen
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXIVXXXVYV. Heft (11. Bd., H. 12). 8
114 HANS RABL,
mitteilen kaun. Ich werde dies gelegentlich der Beschreibung
der an den betreffenden Serien gemachten Beobachtungen thun,
und will an dieser Stelle nur im voraus bemerken, dass alle
Eierstöcke mit Ausnahme eines Paares, welches einer Person
angehörte, die 9 Tage nach der Geburt eines reifen Kindes an
eitriger Peritonitis gestorben war, durchaus normal waren. Dies
eilt auch von denjenigen Fällen, bei welchem der Uterus myo-
matös entartet war oder die Frau an Osteomalacie gelitten
hatte. In einem Falle wurden in einem Eierstock Metastasen
eines Brustdrüsencareinoms gefunden. Das angrenzende Gewebe
aber zeigte sich gesund.
Da ich mich vorzüglich mit der Bildung des gelben Körpers
beschäftigte, so wählte ich fast ausschliesslich solche Oyarien zur
Untersuchung, welche Frauen angehört hatten, deren Geschlechts-
thätigkeit in voller Blüte stand. Ein einziger Fall, der ein
14jähriges Mädchen betraf. und 2 Fälle, in welchen es sich um
alte Frauen handelte, machten hievon eine Ausnahme.
Die Schnitte der in Alkohol und den verschiedenen Subli-
matgemischen gehärteten Objekte wurden vorzüglich mit Häma-
toxylin (oder Hämalaun) und Eosin gefärbt. Ausserdem
wurden für verschiedene Zwecke eine Reihe anderer Färbungen
versucht, die ich später noch erwähnen werde. In keinem Falle
wurde die Behandlung einzelner Schnitte mit dem van Gieson-
schen Gemisch (Pikrinsäure-Säurefuchsin) versäumt. Die in
Flemming- und Hermannscher Lösung fixierten Präparate
wurden teils mit Saffranin, teils mit Eisenhämatoxylin — wie
übrigens auch einige in Sublimat gehärtete Eierstöcke — in
jener Weise gefärbt, die ich in meiner Arbeit über die Rich-
tungsspindeln in degenerierenden Follikeln beschrieben habe.
Endlich muss ich noch bemerken, dass ich auch wiederholt
frische Ovarien unter Zusatz von physiologischer Kochsalzlösung
zerzupfte, um durch Vergleich der so gewonnenen Präparate
mit den Schnitten einen klareren Einblick in die Formverhält-
nisse der verschiedenen Zellen und Zellkomplexe zu gewinnen.
Beitrag zur Histologie des Kierstockes ete. 115
Das verwendete menschliche Material stammte teils aus
dem pathologischen Institut der Universität und aus den Pro-
sekturen des k. k. Rudolfspitales und k. k. Kaiser Franz
Joseph-Spitales, teils aus der I. und II. geburtshülflichen Klinik,
ein Fall aus der Privatpraxis von Herrn Professor Hochenegg.
Allen jenen Herren, durch deren freundliche Unterstützung in
dieser Richtung dieser Teil meiner Arbeit ermöglicht wurde,
spreche ich hiermit meinen verbindlichsten Dank aus.
Die Rückbildung ungeplatzter Follikel.
Die Follikelatresie war schon lange zuvor beobachtet worden,
ehe sie als ein normaler Vorgang erkannt wurde. Schon Rein-
hardt beschreibt im 1. Band des Virchowschen Archives in
sehr zutreffender Weise die einzelnen Phasen der Degeneration
der Follikel im Schweinsovarium. Im Beginne der Rückbildung
erscheinen sie noch durchsichtig und wasserhell, später aber
wird ihr Inhalt getrübt und erhält eine gelbliche Farbe. All-
mählich nimmt auch die Konsistenz zu, an Stelle des Liquor
tritt eine eiterartige Masse, die nach und nach fester, zum
Schluss trocken und brüchig wird. Auch das Auftreten einer
fettigen Degeneration des Granulosaepithels ist durch den Nach-
weis von seiner Umwandlung in Körnchenzellen zum ersten-
male in diesem Falle sicher gestellt worden. Aus den Körnchen-
zellen werden Körnerkonglomerate und blasse, kernlose Gebilde.
Im Jahre 1863 brachte Pflüger einen weiteren Beitrag
zu dieser Frage, indem er als erster einen der Furchung ana-
logen Zerfall der Eizelle beschrieb und als den Ausdruck ihrer
Degeneration auffasste. Auch das Eindringen von Zellen in
die Zona pellucida des Eies wurde von ihm beobachtet, doch
wagte er noch keine bestimmte Deutung dieses eigentümlichen
Phänomens. Zu welchen weitgehenden und, wie sich in der
Folge zeigte, ganz irrtümlichen Schlüssen dasselbe Veran-
lassung geben konnte, wenn man nicht gleichzeitig das Aus-
8*
116 HANS RABL,
schen des Follikels einer Prüfung unterwarl, beweist die
Arbeit Lindgrens. Doch will ich darauf nicht weiter ein-
eehen, da sie sich nicht mit dem eigentlichen Thema dieses
Kapitels beschäftigt. Ich will nur betonen, dass es dem
schwedischen Forscher gelungen ist, den Nachweis vom Durch-
wandern von Zellen, welche er als Granulosazellen anspricht,
durch die Eihülle in einwandfreier Weise zu erbringen. Dass die-
jenigen Eizellen, in deren Dotter Granulosazellen gefunden
werden, der Degeneration verfallen sind, wurde zuerst von
Wagener angegeben.
His berichtet über zwei Beobachtungen hinsichtlich rück-
gebildeter Follikel, von welchen die eine den Menschen, die
andere die Kuh betrifft. Doch dürfte im ersten Falle kein
rückgebildeter Follikel, sondern ein Corpus fibrosum vorgelegen
haben; auch die Beschreibung des zweiten Falles ist so wenig
klar, dass ich mich nieht weiter damit beschäftigen kann. —
Alle diese Beobachtungen, sowie die von Carus, Bischoff,
Henle, Virchow und anderen trugen nur wenig zur Klärung
der Frage bei, weil die von ihnen gefundenen Beispiele von
degenerierendoen Follikeln nur für zufällige Ausnahmen oder
pathologische Vorgänge gehalten wurden. Erst durch Grohe
und Slavjansky wurde eine Entscheidung in dieser Sache ge-
troffen.
Grohe untersuchte als erster in systematischer Weise die
Ovarien von Kindern und fand in ihnen Graafsche Follikel
in allen Stadien ihrer normalen Entwickelung. Da sie aber be-
kanntlich im jugendlichen Alter niemals zur Reife gelangen,
so musste er logisch schliessen, dass sie sich alle wieder rück-
bilden. Diesen Schluss fand er auch durch die Beobachtung
bestätigt. Die Atresie vollzieht sich nach seinen Beobachtungen
in der Weise, dass die Follikelzellen durch fettige Degeneration
zu Grunde gehen, während sich an der Innenseite des Follikels
eine „Glasmembran“ entwickelt, die sich von dem umliegenden
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. AR
Gewebe durch ihr gleichmässig durchscheinendes Aussehen
scharf abhebt. Diese letztere Bildung findet er insbesondere
in jenen Follikeln, von welchen anzunehmen ist, dass sie lange
Zeit bestanden hätten, ehe sie steril geworden seien. Eine
Membrana propria, wie sie zwischen Follikelwand und Epithel
von Barry, Bischoff, Kölliker und Steinlein beschrieben
worden war, konnte er nicht auffinden und war darum auch
nicht in der Lage, jene Glasmembran für die normale, selbst-
ständige Cystenwand zu erklären.
Diese Beobachtungen Grohes sowohl hinsichtlich des
Wachstums als der Degeneration der Graafschen Follikel beim
Kind wurden seither von allen Forschern bestätigt. So be-
schreibt beispielsweise Waldeyer im Eierstock eines 2'/. jährigen
Kindes Follikel von 1—1!/z mm Durchmesser mit nahezu reifen
Eiern. Schon vorher hatten Henle und Luschkain den Ovarien
vielfach zusammengefaltete, homogene, glänzende Membranen mit
körnigem Inhalt aufgefunden, die sie als abortiv zu Grunde ge-
gangene Follikel angesprochen hatten. Henle schätzte nach
Zählung der Follikel Eines (!) Schnittes im Ovarium eines
18jährigen Mädchens die Zahl sämtlicher Eier im menschlichen
Ovarium auf 36000, eine Zahl, welche Waldeyer nicht für zu
hoch gegriffen hält. Ich muss anfügen, dass erst kürzlich von
Heyse abermals eine Schätzung der Follikel bei einem 17 jährigen
Mädchen vorgenommen wurde, wobei die Methode etwas weniger
ungenau als die von Henle war; immerhin erhebt auch sie
weder für den gegebenen Fall, noch weniger natürlich für die
Gesamtheit der Ovarien Anspruch auf Richtigkeit. Heyse
berechnete 17600 Eier pro Eierstock. So wenig zuverlässig
diese beiden Zahlen sind, so wird doch kein Forscher, welcher
sich mit dem mikroskopischen Studium der Eierstöcke be-
schäftigt hat, die Möglichkeit leugnen, dass bei gesunden jungen
Mädchen, die in das Alter der Geschlechtsreife erst kürzlich
eingetreten sind, eine so grosse Zahl von Eiern vorkommen
118 HANS RABL,
kann. Sie wird aber durch die ununterbrochen sich abspielenden
Degenerationen ausserordentlich schnell und stark reduziert und
ich zweifle nicht, dass in vielen Fällen die Sterilität einer Frau
nur in der geringen Zahl gelegen ist, in der die wachsenden
Follikel ihre Reife erreichen. Solche Fälle können gewiss nicht
mehr als normale gedeutet werden; es scheint mir aber gegen-
wärtig sehr schwierig, dass eine Grenze zwischen physiologischer
und pathologischer Follikelatresie gezogen werde.
Es sei bei dieser Gelegenheit eine Bemerkung hinsichtlich
der „kleineystischen Degeneration“ eingefügt. Ich stimme mit
Nagel vollkommen überein, wenn er meint, dass in vielen
Fällen diese Diagnose ohne genügende histologische Untersuch-
ung gestellt wird. Ich erinnere mich an ein Ovarium, welches
von einer Frau stammte, die wegen Myoma uteri operiert
worden war, und welches beim Durchschneiden eine grosse
Zahl von Bläschen zeigte, die Flüssigkeit entleerten, und von
denen einzelne sogar die Grösse eines Kirschkerns besassen. Das
eigentliche Stroma des Ovariums war auf die oberflächliche
Umhüllung und auf dünne Scheidewände zwischen den Bläs-
chen reduziert. Da ich in den übrigen Ovarien niemals eine
so reiche Menge gleichzeitig in Entwiekelung befindlicher'
Graafscher Follikel angetroffen hatte, glaubte ich, dass es sich im
vorliegenden Falle nicht um normale Bildungen handeln könne.
Die mikroskopische Untersuchung aber belehrte mich, dass sämt-
liche Follikel Eier enthielten und von einer normalen Membrana
granulosa ausgekleidet waren. Derartige Fälle von „Follikular-
hypertrophie“, wie Ziegler jenen Zustand zu bezeichnen vor-
schlug, dürften sicherlich wiederholt für „kleineystische Degene-
ration“ angesehen worden sein. Trotzdem will ich nicht zweiteln,
dass auch oftmals jene Bläschen atretisch gefunden werden, und
die Eierstöcke dann jenes Bild darbieten, wie es u. a. von
Bulius beschrieben wurde. Es ist aber in diesem Falle ebenso
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 119
schwer wie in follikelarmen Ovarien, die normale Degeneration
von einer pathologischen abzugrenzen.
Der erste, welcher die Atresie als einen normalen Vorgang
nicht nur bei Kindern, sondern auch bei geschlechtsreifen Indi-
viduen erkannte, war Slavjansky. Doch auch dieser Forscher
bedurfte mehrerer Jahre, ehe er sich zur richtigen Anschauung
durcharbeitete; denn in seiner ersten diesbezüglichen Veröffent-
lichung gab er der Meinung Ausdruck, dass nur bei denjenigen
Frauen, welche an Amenorrhoe leiden, eine Follikelatresie zu
beobachten sei. .
Bei dieser Gelegenheit beschreibt Slavjansky entgegen
der Ansicht Grohes u. a. zwischen Epithel und Theka eine
strukturlose Membrana propria, welche schon bei 300 facher Ver-
grösserung gut sichtbar sei. Sie muss von jener dünnen Hülle
abgeleitet werden, welche bereits die Pflügerschen Eischläuche
umgiebt und bildet demnach eine Weiterentwickelung jener
Membran, welche sich unter dem Keimepithel befindet und be-
sonders dort gut zu sehen sein soll, wo das Epithel abgehoben
ist. An einer Abbildung, die Slavjansky von der Glashaut
eines als normal beschriebenen Follikels giebt, lässt sich jedoch
mit Sicherheit erkennen, dass er hier die von Grohe beschrie-
bene Glasmembran degenerierter Follikel vor sich hatte, deren
Herkunft von einer Membrana propria im Sinne Slavjanskys
nicht ohne weiteres annehmbar ist. Sie soll aus dem Binde-
gewebe durch Sklerose seiner Zwischensubstanz hervorgehen.
Anfangs trifft man noch zellige Elemente in ihr, später aber ver-
schwinden sie und „verwandeln sich in dieselbe homogene Sub-
stanz, aus welcher die Membrana propria besteht‘‘. Bei der
Degeneration der Follikel gehen zunächst die Epithelzellen zu
Grunde, gleichzeitig zerfallen aber auch die Zellen der sogenannten
Granulationsschichte (Tunica propria folliculi Henle). Der Innen-
raum des Follikels füllt sich mit spindelförmigen Zellen an,
swischen denen viel Intercellularsubstanz auftritt. Auch in der
120 HANS RABL,
Follikelwvand erscheinen neue Zellen Beide diese Zellarten
deutet Slavjansky als eingewanderte weisse Blutkörperchen,
die aus den Gefässen der Theka stammen.
In der vier Jahre später erschienenen zweiten Arbeit über
jenen Prozess teilt Slavjansky eine ganz andere Theorie hin-
sichtlich der Natur der Membrana propria mit. An normalen
Follikeln findet er als Grenzschichte zwischen Epithel und Wand
eine aus platten Zellen zusammengesetzte endothelartige Haut.
Durch Silbernitrat lassen sich auf derselben Kittlinien wie an
Endothelien darstellen. Diese Membran geht beim Beginn der
Degeneration spurlos verloren. Die hierbei an ihrer Stelle er-
scheinende Glasmembran dagegen, welche sich am Querschnitt
als glänzender Streifen (Strie brillante) darstellt, muss in der
oben angegebenen Weise aus der Follikelwand abgeleitet werden.
Bezüglich der im Innern atretischer Follikel vorkommenden
Zellen verharrt Slavjansky auf seinem früheren Standpunkt,
indem er sie als eingedrungene Wanderzellen bezeichnet.
Hinsichtlich der Natur der Membrana propria fand diese
Beobachtung eine Bestätigung durch Beulin; dagegen glaubte
dieser Forscher die im Inneren degenerierender Follikel auf-
tretenden Zellen von Wucherungen dieses Endothelhäutehens
ableiten zu müssen.
Beigel giebt an, dass die Ausfüllung der Hohlräume de-
generierender Follikel durch feine Fortsätze geschehe, welche
von der Wand ins Innere hineinsprossen. Gleichzeitig zerfällt
die Membrana granulosa körnig; die glänzende Haut, welche
sich zwischen Epithel und Theka bildet, fasst er als kapselartige
Verdiekung der unmittelbar an den Follikel stossenden Gewebs-
schichte auf. Bezüglich der Namen Corpus luteum verum und
spurium macht er den Vorschlag, unter ersterem Ausdruck
künftighin jeden aus einem geborstenen Follikel hervorgegan-
genen Körper zu verstehen, während er die ungeplatzt zu Grunde
gegangenen Follikel als Corpora lutea spuria bezeichnen möchte.
Lichtdruck von Albert Frisch, Berlin W.
Verlag von J. F Mann, Wiesbaden.
1
Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 121
Diese Änderung der Nomenklatur hat aber keinen Beifall ge-
funden, und nur Paladino sich im gleichen Sinne aus-
gesprochen. Im übrigen ist die Arbeit Beigels so verworren
geschrieben, dass es nur schwer hält, die Meinung des Autors
aus derselben zu entnehmen.
Dies gilt in noch höherem Grade von der Patenkos.
Auch dieser will eine Änderung der Nomenklatur herbeiführen,
indem er den Ausdruck ‚Corpus fibrosum“ nicht nur auf die
Reste der Corpora lutea, sondern auch auf die degenerierten
Follikel ausdehnen möchte. Hinsichtlich der Beschaffenheit der
Membrana propria normaler Follikel schliesst er sich an- seinen
Lehrer Slavjansky an. Die an degenerierenden Follikeln
sichtbare homogene Grenzhaut — ich will sie künftighin nach
ihrem ersten Beschreiber Grohe kurzweg „‚Glasmembran ‘
nennen — fasst er als das Produkt einer sklerotischen Umbildung
derselben auf.
Wagener konnte in normalen Follikeln eine Begrenzungs-
schichte im Sinne dieser Autoren nicht auffinden. Nur in nicht
ganz normalen Follikeln konnte er eine feine Haut nachweisen;
doch liess sich dieselbe von den Anfängen der „Henleschen
Membran“ (= Glasmembran) nicht unterscheiden.
Sinety machte auf ein eigentümliches Verhalten atretischer
Follikel bei Schwangeren aufmerksam. Er findet gleichwie in
den gelben Körpern auch in den degenerierten Follikeln 2 Zonen:
eine innere, aus Schleimgewebe bestehende, und eine äussere,
welche er mit der Luteinzellschichte vergleicht und nach dem
Verhalten des Bindegewebes in wenig passender Weise als
retikuläres Gewebe bezeichnet. Jedesfalls existiert aber bei
Schwangeren eine Hypertrophie der Follikelwandung im Ver-
gleich zu den normalen Verhältnissen.
Lebedinsky korrigiert diesen Ausspruch dahin, dass auch
unter anderen Umständen dieselbe zellige Verdickung der Wand
eintreten könne. Er stützt sich hierbei auf einen Befund im
122 HANS RABL,
Ovarium eines totgeborenen, nicht ganz ausgetragenen Mädchens.
Dasselbe enthielt nämlich einen Körper, der aus einem Kern
und einer schmalen Rinde aufgebaut war. Die Rindenschichte
bestand aus grossen Zellen, welche gelbbraun gefärbte, in Alkohol
und Äther unlösliche Körner enthielten. Das Abweichende in
diesem Falle lag überdies noch darin, dass die Höhle des ehe-
maligen Follikels nicht vollständig ausgefüllt war, sondern eine
Flüssigkeit enthielt, sodass man den Körper als eine aus einem
atretischen Follikel hervorgegangene kleine Cyste auffassen konnte.
Van Beneden beschreibt die Follikelatresie in den Ova-
rien von Fledermäusen (Vespertilio murinus und Rhinolophus
ferrum-equinum). Ohne die Angaben Slavjanskys und der
eben genannten Forscher in Frage zu ziehen, konnte er doch
an seinen Objekten niemals die Degeneration grösserer Follikel
beobachten, sondern fand sie nur bei solchen, welche einen
Durchmesser von 0,09 bis 0,12 mm besassen. Derartige Follikel
enthalten noch keinen Hohlraum. Zwischen Granulosa und
Theka findet sich unter normalen Verhältnissen eine Membran,
welche keine Kerne enthält. Diese verschwindet zuerst. Dann
dringt das Bindegewebe der Theka gegen den Follikel vor, indem
es teils an einzelnen, getrennten Punkten direkt in die Granu-
losa einwächst, teils, indem die Theka allmählich an Masse zu-
nimmt, und die Granulosa entsprechend zurückweicht. Das
Auftreten von Fetttröpfehen konnte er weder im Ei noch in
den Epithelzellen nachweisen.
Schulin vertritt gleichfalls die Ansicht, dass die Granu-
losazellen bei der Follikelatresie nicht durch Verfettung zu Grunde
gehen, glaubt aber im Gegensatz zu van Beneden, dass sie
zu Wanderzellen werden. Die Glasmembran leitet er von der
„im normalen Zustand oft kaum angedeuteten Basalmembran‘“
her. Am Ende der Degeneration ist der Follikel von stern-
förmigen Zellen ausgefüllt, unter welchen sich auch Abkömm-
Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 123
linge der Granulosazellen befinden dürften. Die von Sinety
und Lebedinsky hervorgehobene Vergrösserung der Theka-
zellen konnte er bestätigen; er schliesst daraus, dass in der
Atresie ein Prozess analog dem der Bildung des Corpus luteum
vorliege, sodass auch hierdurch kleine, gelbe Körper gebildet
würden.
Im Jahre 1885 erschien die Arbeit von Flemming über
Chromatolyse des Follikelepithels und das Auftreten von Rich-
tungsspindeln in zu Grunde gehenden Eiern. Auch brachte
dieser Forscher eine genaue Litteraturübersicht der bisher die
Follikelatresie behandelnden Arbeiten. Der chromatolytische
Prozess vollzieht sich in der Weise, dass sich das Chromatin
zu kompakten Massen ballt und der Kernkontur verschwindet.
Die Endstadien der chromatolytisch degenerierten Follikel be-
stehen häufig darin, dass eine Gewebemasse, ähnlich der Theka,
„aber etwas weniger dicht und fibrillenärmer, einseitig in den
Follikel hineinwächst‘‘; in anderen Fällen wuchert das Binde-
gewebe konzentrisch vor. Das Auftreten einer Glasmembran ist
nicht erwähnt.
Die Angaben von Janosik über die Verhältnisse der Fol-
likelatresie betreffen vorzüglich die Eizelle und das Epithel.
Er beobachtete gleich Schulin, Wagener, Lindgren und
Pflüger das Eindringen von „Granulosazellen“ ins Ei, lässt
jedoch die Möglichkeit offen, dass auch Bindegewebszellen der
Theka dabei beteiligt seien. Die Granulosazellen gehen später
sämtlich zu Grunde, und der Raum des Follikels wird von
Bindegewebe eingenommen.
Von Brunn untersuchte das Verhalten degenerierender
Eier bei Hunden und konnte die von Wagener diesbezüglich
gegebene Beschreibung erweitern. Ob die in das Ei eindringen-
den Zellen Follikelepithelien oder Wanderzellen seien, lässt
er dahingestellt. Die Membrana granulosa geht gewöhnlich
124 HANS RABL,
schon zu Grunde, ehe noch die Zona pellucida von Zellen durch-
setzt wurde.
Viel ausführlicher beschreibt derselbe Autor die Rück-
bildungsvorgänge in den Follikeln der Vögel. Wenn ich auch
nicht auf die an anderen Wirbeltierklassen erhobenen Befunde
in dieser Richtung eingehen werde, so muss ich doch diese
Arbeit mit wenigen Worten erwähnen, da sie einige Punkte ent-
hält, welche auch für die an Säugetieren in Frage kommenden
Prozesse von Wichtigkeit sind. 1. Konnte von Brunn die An-
gabe Waldeyers bestätigen, dass hier zwischen Theka und
Epithel ein glashelles, durchaus homogenes Häutchen existiert,
welches als Kutikularbildung aufzufassen ist. 2. Verfolgte er
die Umbildung der FEpithelzellen zu Sternzellen, ein Vorgang,
der sich unter den Säugetieren bei der Katze wiederholt.
3. Konnte er nachweisen, dass die in den Dotter eindringenden
Zellen Wanderzellen seien. - Unter ihrer Einwirkung kommt der
Dotter allmählich zum Schwunde, die eingewanderten Zellen
nehmen Spindelform an, werden zu Bindegewebe, welches sich
mit der Wand des Follikels verbindet, und füllen so schliesslich
den ganzen Hohlraum aus.
Schottländer hat in drei Arbeiten unsere Kenntnisse
über die Follikelatresie wesentlich gefördert. Er schreibt u. a.:
„Die Atresie ist keine Erkrankungsform, kein pathologischer
Befund und darum auch nicht als solcher zu bezeichnen (ebenso
wie der Ausdruck normal im Sinne von nichtatretisch nur der
Kürze halber zulässig ist).‘“ In seiner ersten Publikation be-
stätigt er die Existenz einer homogenen Grenzhaut zwischen
Granulosa und Theka an normalen Follikeln; auf seine Befunde
an degenerierenden Eiern will ich nicht näher eingehen, da ich
nicht beabsichtige, einschlägige eigene Beobachtungen mit-
zuteilen, weil dieser Punkt bereits hinreichend in der Litteratur
erörtert ist. Die Degeneration der Follikelzellen beschreibt er
wie Flemming; ich werde darauf später noch zurückkommen.
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 125
Doch unterscheidet er, abgesehen von dem fettigen Zerfall ihres
Protoplasmas, zwei weitere Formen des Unterganges. Bei der
einen verschwindet der Zellleb, ohne dass das ‚„Wie“ dieses
Vorganges näher eruiert werden konnte; die zweite Art dürfte
auf eine einfache Atrophie des Epithels durch Druck von seiten
der gewucherten Theka zurückzuführen sein. Die den Follikel-
raum nach Degeneration der Epithelzellen neu ausfüllende
Zellmasse ist ein Produkt der Tunica interna. Wanderzellen
sowie Wucherungen des Endothels müssen für die grösseren
Follikel als Quelle des Gewebes zurückgewiesen werden. Dagegen '
können diese zwei Faktoren bei der Anfüllung kleinerer und
mittelgrosser Follikel mit den einwuchernden Thekazellen kon-
kurrieren. Von einer Glashaut macht er keine Erwähnung.
In seiner zweiten Arbeit schildert Schottländer die
Membrana propria sowohl beim Menschen wie bei Tieren und
findet sie in allen untersuchten Fällen, mit Ausnahme des
Schweines, als eine glashelle Membran, die aber weder hin-
sichtlich ihrer Deutlichkeit noch ihrer Dicke konstant ist. Bei
den jüngeren und jüngsten Follikeln des Menschen wird sie
gewöhnlich aber nicht immer vermisst. Manchmal trifft man in
ihr Kerne, welche denen der inneren Thekalage gleichen, sodass
sie den Charakter einer Glashaut verliert und als innerste Theka-
schichte angesehen werden muss, „deren Gewebe nach Unter-
gang aller oder eines Teiles ihrer Zellen aufgequollen ist“. Die
bei degenerierenden Follikeln auftretende Glasmembran, welche
Schottländer in seiner ersten Arbeit nicht erwähnte, hält er
gleichwie die Membrana propria normaler Follikel für hyalin
umgewandeltes Bindegewebe und bemerkt auch gelegentlich, dass
die Substanz der Corpora fibrosa aus derselben Masse gebildet sei.
Nach den Untersuchungen von Alexenko geht der Follikel-
atresie eine albuminöse Degeneration der Epithelzellen voraus,
welche, solange sie auf eine nur geringe Zahl von Zellen be-
schränkt bleibt, jene Körper liefert, welche von Flemming als
126 HANS RABL,
Epithelvakuolen bezeichnet wurden. — Das hauptsächlichste
Material Alexenkos bildeten kleineystisch degenerierte Ovarien.
(13 Fälle von 21 im ganzen untersuchten). Der Beginn der
Degeneration äussert sich in Vermehrung der Granulosazellen,
welehe sich in Reihen von 10—12 ordnen und in Vermehrung
und excessiver Vergrösserung der Elemente der 'Tunica propria,
welche das Aussehen von Luteinzellen erhalten. Die weiteren
Veränderungen sind vom Verhalten des Stromas abhängig. Ist
dasselbe intakt, so vollzieht sich die Rückbildung der „klein-
eystisch degenerierten“ Follikel nach denselben Gesetzen, welche
von Slavjansky bei der physiologischen Atresie beobachtet
wurden. Ist jedoch das Stroma Sitz von Entzündungen, so ver-
fällt der Follikel einer einfachen Atrophie.
Einen ziemlich isolierten Standpunkt in der Frage der Fol-
likelatresie vertritt Holl. Er hält die Chromatolyse des Follikel-
epithels für eine Reifeerscheinung und meint, dass die meisten
der von Flemming in seiner oben erwähnten Arbeit be-
schriebenen Eier normale gewesen seien. Dass die Corona
radiata in vielen unter jenen Follikeln, welche von anderen
Autoren als in Rückbildung begriffen aufgefasst wurden, ver-
loren gegangen war, beweist ihm nur, dass die reife Eizelle
keine ernährenden Granulosazellen mehr brauche.
In sehr ausführlicher Weise hat Hoelzl die Follikelatresie
an einem reichen menschlichen Material bearbeitet. Er findet
ebenso wie Slavjansky und andere im kindlichen Eierstock
zahlreiche degenerierte Follikel und giebt zu, dass niemals irgend
eines der zahlreich zur Entwickelung kommenden Graafschen
Bläschen seine volle Reife erlange. Dennoch bezeichnet er ihre
Rückbildung als einen pathologischen Vorgang, da dieselbe in
jedem einzelnen Falle durch irgend eine kleine pathologische
Veränderung ausgelöst werde. Diese Definition scheint mir aber
denn doch zu strenge. Auch die Glasmembran hält er für ein
pathologisches Produkt. Das in den Follikel eindringende Ge-
Beitrag zur Histologie des Kierstockes etc. 127
webe leitet er von den fixen Zellen der Theka ab, ohne aber
eine gleichzeitige Beteiligung von Leukocyten völlig von der
Hand zu weisen; nur schreibt er ihnen eine untergeordnete
tolle zu. Die Zellen innerhalb der Zona pellucida werden als
Wanderzellen betrachtet. Die den Defekt ausfüllenden Zellen
sind von Blutgefässen begleitet, welche sich später wieder rück-
bilden, wobei es manchmal zu Blutungen kommen kann.
Im Gegensatz zu den meisten Autoren konnte Henneguy
nur in sehr wenig Fällen aus einer grossen Zahl untersuchter
Tiere Zellen innerhalb der Zona pellucida auffinden. Er glaubt
daraus schliessen zu müssen, dass, wo dieser Fall eintrete, es
nur in den Endstadien der Degeneration geschehe. Im Ovarium
einer jungen Katze beschreibt er die Umwandlung der Granu-
losazellen in junges Bindgewebe. Auch Flemming war es
nicht gelungen, deutliche Bilder von Chromatolyse und Fett-
degeneration bei der Katze aufzufinden. Eine abweichende An-
gabe machte nur Wagener, der speziell auf den Fettreichtum
atresierender Follikel dieses Tieres aufmerksam gemacht hat.
Aus der neuesten Zeit stammt die Arbeit von Bulius und
Kretschmar und die dritte von Schottländer. Die ersteren
zwei Autoren gingen bei ihren Beschreibungen von einem eigen-
tümlichen Krankheitsbilde gewisser Eierstöcke aus, welches sie
unter dem Namen der Angiodysthrophia ovarii von der chro-
nischen Oophoritis zu unterscheiden suchten. Sie heben zu-
nächst eine excessive Hyalindegeneration der Gefässe hervor,
welche einerseits bis zur völligen Oblitteration der Lumina gehen
kann, die aber auf der anderen Seite durch eine reichliche Neu-
bildung paralysiert wird. Ferner fanden sie aber auch Follikel
jeder Grösse in Rückbildung begriffen. Die hierbei auftretende
Glasmembran leiten sie von der Tunica interna ab, deren Zellen
frühzeitig degenerieren und zu einer hyalinen Masse werden.
Das Gewebe, welches den Follikel ausfüllt, stammt von der
Tunica externa: es wuchert „ein Netzwerk feinster Bindegewebs-
128 HANS RABL,
fasern hervor, in welchem einzelne spindelförmige Kerne liegen,
und dringt zwischen die Zellen der Theka interna ein“. Im
zweiten Stadium, in welchem die Zellen der Theka interna be-
reits „wie wequollen‘‘ erscheinen, bilden diese vordringenden
Bindegewebsmassen bereits eine geschlossene Lage zwischen
Granulosaepithel und Theka. Schliesslich, wenn die Granulosa
zerfallen ist, rückt das neue Gewebe gegen das Lumen kon-
zentrisch vor, lässt aber auch dann noch den Zusammenhang
mit seinem Mutterboden erkennen.
Bilder, welche den hier geschilderten in vieler Beziehung
gleichen, hatte Schottländer Gelegenheit, in den Ovarien von
drei wegen Östeomalacie kastrierten Frauen zu beobachten.
Auch dort war die starke Schlängelung und hyaline Entartung
der Gefässe sehr auffallend, die Primordialfollikel waren ihrer
Zahl nach reduziert, die grösseren Graafschen Follikel auf
dem Wege der Verödung, viele von Hämorrhagien erfüllt. Hin-
sichtlich der Deutung der Prozesse, welche sich bei der Atresie
abspielen, beharrt er auf seinem früheren Standpunkte und
betont insbesondere, dass er schon vor Hoelzl die Glasmembran
als hyalin umgewandeltes Bindegewebe der Theka aufgefasst
habe. Gegenüber der Annahme, dass die den Follikel aus-
füllende Zellwucherung von der Theka externa ausgehe, be-
merkt er unter Berufung auf seine früheren Arbeiten: „In überaus
zahlreichen Fällen, besonders auch bei Tieren, waren die ein-
wuchernden Zellen so gross, so deutlich epitheloid, so durchaus
anders beschaffen wie die Spindelzellen der Theka externa, dass
eine Herkunft von letzteren schon deshalb ausgeschlossen
erschien.“ Trotzdem will er auf Grund der positiven Angaben
von Bulius und Kretschmar die Beteiligung der Theka
exierna an diesen Prozess nicht gänzlich ausschliessen, wie er
auch die gleiche Möglichkeit hinsichtlich der Leukocyten
offen hält.
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 129
Die Theka normaler Follikel.
Ich habe hiermit versucht, den wesentlichen Inhalt der über
Follikelatresie handelnden Arbeiten zu skizzieren. Wenn ich
mich auch bemüht habe, einen genaueren Einblick in die
Litteratur zu gewinnen, so will ich doch gerne zugestehen, dass
mir die eine oder andere Arbeit entgangen sein kann, denn es
sind die bezüglichen Mitteilungen nicht nur in histologischen,
sondern auch — und zwar zumeist — in geburtshülflichen und
medizinischen Zeitschriften enthalten, oftmals im Anschluss an
eine klinische oder pathologisch-anatomische Mitteilung, und
da ist dann ein Übersehen doppelt leicht möglich. — Immerhin
denke ich, die strittigsten Punkte in der Frage scharf hervor-
gehoben zu haben. Sie betreffen
1. das Verhalten des Granulosaepithels;
2. die Herkunft jener Zellen, welche in den Follikel ein-
dringen und ihn allmählich ausfüllen;
3. endlich die Entstehung und Natur der Glasmembran.
Da die Autoren fast einstimmig der Ansicht huldigen, dass
die Granulosazellen zu Grunde gehen, ein Ausspruch, dem ich
mich ohne Einschränkung anschliesse, so bleibt als Quelle der
beiden letztgenannten Neubildungen nur die Wand des Follikels
übrig. Darum scheint es mir geboten, zunächst auf deren Bau
im normalen Zustande einzugehen, ehe ich an die Beantwortung
der aufgeworfenen Fragen schreite.
Bekanntlich unterscheidet man seit Henle an der Wand
des Follikels eine äussere Tunica fibrosa und eine innere Tunica
propria. Die Tunica fibrosa besteht aus sehr grossen spindeligen
Zellen, - welche denen des Eierstockstromas völlig gleichen
und ihre Zugehörigkeit zum Follikel nur dadurch beweisen, dass
sie denselben in Bögen umlagern. An jüngeren Follikeln geht
diese Schichte unmerklich in das äussere Nachbargewebe über,
an älteren findet eine Auflockerung desselben durch Zunahme
Anatomisehe Hefte. I. Abteilung. XXXIVXXXV. Heft 11. Bd., H. 12). 9
130 HANS RABL,
der Intercellularflüssigkeit statt, sodass man leicht imstande ist,
den Follikel im frischen Zustand aus dem Eierstock heraus-
zuschälen.
Diese Auflockerung des Gewebes tritt in gewissen patho-
logischen Fällen mit besonderer Prägnanz hervor, indem sie
auch auf die Tunica propria des Follikels übergreift; es ge-
schieht dies dann, wenn sich ein grosser Follikel in eine Cyste
umbildet. Dieser Prozess ist von Steffeck an einem reichen
Material verfolgt worden, ohne dass jedoch dieses Detail be-
schrieben worden wäre. Ich selbst hatte Gelegenheit, derartige
Bilder in zwei Fällen zu beobachten. Wenn man einen Follikel
betrachtet, dessen Wand in cystischer Umbildung begriffen ist,
so findet man sie an verschiedenen Stellen von sehr verschiedenem
Aussehen. Dort, wo das Epithel mehrschichtig ist und die ganz
gewöhnliche Konfiguration darbietet, liegt unter ihm eine normale,
aus grossen, polygonalen, eng aneinanderschliessenden Zellen
‚aufgebaute Tunica propria; in dem Masse aber, als die Zahl der
Schichten des Granulosaepithels abnimmt, rücken die Zellen
allmählich auseinander. Wo schliesslich die Granulosa auf eine
einzige, von Üylinderzellen gebildete Lage reduziert ist, trifft
man unmittelbar unter ihr einen breiten Streifen sehr lockeren
Gewebes, welches aus spindel- und sternförmigen Bindegewebs-
zellen und einer reichlichen Menge Intercellularflüssigkeit besteht,
welche an Sublimatpräparaten einen feinkörnigen Niederschlag,
ähnlich dem Liquor folliculi, liefert.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch einen zweiten Punkt
aus der Steffeckschen Arbeit erörtern. Steffeck glaubt näm-
lich, dass solche aus Follikeln hervorgegangene Cysten seitliche Aus-
buchtungen treiben und durch Abschnürung neue Cysten liefern.
Ohne diese Möglichkeit im geringsten bezweifeln zu wollen, muss
ich doch darauf aufmerksam machen, dass jene Bilder, auf welche
sich der genannte Forscher stützt, auch dort zu finden sind,
wo bei Atresie des Follikels der Liquor resorbiert und der
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 131
Follikel durch den Druck des Nachbargewebes in mannigfacher
Weise deformiert wird. Denn die ganz unregelmässige Gestalt
der Höhle ist geradezu eine charakteristische Eigenschaft der
atresierenden Follikel des Menschen. Übrigens hat bereits
Schottländer auf jene Möglichkeit hingewiesen und die Über-
einstimmung von Ausstülpungen des Follikels, die durch aktives
Wachstum des Epithels zustande kommen, mit Buchten, welche
durch „konzentrisches Wachstum der Theka“ gebildet werden,
betont. In dieser Hinsicht würde nur die Auffindung von Kern-
teilungsbildern in jenen epithelialen Blindsäcken eine zweifel-
lose Unterscheidung gestatten.
Zwischen den spindeligen Zellen der Tunica fibrosa liegen
Blutgefässe, welche gleich jenen parallel der Oberfläche ver-
laufen. An die T. fibrosa schliesst sich unmittelbar die T.
propria, die — wie eben erwähnt — aus grossen, polyedrischen
Zellen besteht, zwischen welchen sich ein ausserordentlich dichtes,
kapillares Blutgefässnetz und ein Gerüstwerk von äusserst zarten
Fasern ausbreitet. Von der Existenz dieser letzteren kann
man sich nur an ganz dünnen Schnitten überzeugen, die nach
der Methode van Giesons mit Pikrinsäure und Säurefuchsin
behandelt wurden. Sie erscheinen an denselben scharf rot ge-
färbt, während die epitheloiden Zellen eine gelbe Farbe ange-
nommen haben. An anders behandelten Schnitten möchte man
diese Fasern nur für Kittlinien zwischen den an einander stossen-
den Thekazellen halten. Diese letzteren besitzen ein blasses, fein-
fädiges Protoplasma und können unter Umständen kleine Fett-
körnchen in ihrem Körper ablagern. Ich beobachtete solche bei
der Maus, dem Kaninchen und dem Menschen, und hebe dies
deshalb besonders hervor, weil Schottländer sagt, „dass Fett
(oder fettartige Körper) nur in der Theka solcher Follikel vor-
handen waren, welche die Merkmale beginnender oder fort-
schreitender Atresie an sich trugen.“ Die Zellen besitzen einen
sehr grossen Kern mit Kernkörperchen und normal angeordnetem
9*
132 HANS RABL,
chromatischem Gerüst. Es sind dieselben Gebilde, welche von
His als Kornzellen, von Mac Leod und van Beneden als
Cellules interstitielles beschrieben und von letzteren Autoren
den Plasmazellen Waldeyers zugezählt wurden.
Dieser Ansicht kann ich jedoch nicht beitreten; ich möchte
sie vielmehr für nichts anderes als hypertrophische Stromazellen
halten, eine Annahme, die sich bei oberflächlicher Betrachtung
scheinbar von selbst ergiebt, als keine anderen Zellen vorhanden
sind, aus welchen sie abgeleitet werden könnten, und anderer-
seits die ausserordentlich reiche Vaskularisation dieses Gewebes
eine excessive Ernährung und Vergrösserung seiner Elemente
sehr begreiflich macht. Durch Experimente Waldeyers wurde
jedoch diese auch schon in früherer Zeit bestandene Meinung
in andere Bahnen gelenkt.
Waldeyer fand nämlich nach Injektion von Zinnober in
die Jugularvenen von Kaninchen die Farbstoffpartikeln in den
beschriebenen Zellen wieder. Er glaubt daraus schliessen zu
müssen, dass wenigstens die Mehrzahl von ihnen Leukocyten
wären, welche die Blutbahn verlassen und nun rings um die
Gefässe ein neues Gewebe bilden. Diese Annahme scheint mir
aber deshalb nicht zwingend zu sein, weil es möglich ist, dass
jene Zellen erst sekundär die Zinnoberkörnchen aufnahmen.
In den Kapillaren zwischen den Thekazellen trifft man gar nicht
selten Leukocyten und kann diese zuweilen auch ausserhalb
der Gefässe auffinden, da sie sich durch ihre Kernform und
geringere Grösse leicht von den epitheloiden Zellen unterscheiden
lassen. Es steht nun, meiner Meinung nach, der Annahme
nichts im Wege, dass die Leukocyten ihre Körnchen an die
hypertrophischen Thekazellen abgeben. Denn, dass die Thätig-
keit, korpuskuläre Elemente aufzunehmen nicht ausschliesslich
den Leukoeyten zukommt, scheint mir durch einige neuere Be-
obachtungen hinlänglich erwiesen. — Ich kann ferner noch zwei
weitere Punkte zu Gunsten meiner Anschauung ins Treffen
Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 133
führen. Zunächst sei der Umstand hervorgehoben, dass diese
Zellen sehr reichlich Mitosen zeigen, also jedenfalls nicht alle
in der Tunica propria vorkommenden Zellen direkt eingewan-
derte Leukodyten sein können, 2. aber hat Sobotta kürzlich
sowohl bei der Maus wie beim Kaninchen die direkte Um-
formung jener epitheloiden Zellen in spindelige Bindegewebe-
zellen bei Gelegenheit der Bildung des Corpus luteum verfolgen
können.
Nach innen von der T. propria findet sich in allen grösseren
Follikeln ein Grenzhäutehen, das an Hämatoxylin-Eosin-Präpa-
raten als schmaler, glänzend-roter Saum erscheint, welchem an
der äusseren Seite von Strecke zu Strecke grosse flache Kerne
platt anliegen. Welcher Natur dieses Häutchen ist, lässt sich
aus diesem Bilde nicht näher erkennen. Doch besitze ich auch
solche Präparate, an welchen nicht bloss die Membrana granu-
losa in die Mitte des Follikels gerückt ist, sondern sich auch
jene Membran von der Wand — wenn auch nur um weniges
— abgehoben hat, sodass sie nach beiden Seiten vollkommen
frei liegt. Es geht daraus hervor, dass es sich hier um eine
selbständige Bildung handelt, welche sich zwar mit der T.
propria in innigem Kontakt, jedoch nicht in Kontinuität be-
findet. Auch unter diesen Verhältnissen sieht man dem Häut-
chen Kerne angelagert, welche von einer ganz geringen Menge
eines feinkörnigen Plasmas umgeben sind, sodass man sich des
Gedankens nicht entschlagen kann, dass es aus endothelialen
Zellen zusammengesetzt wird. Da aber an Querschnitten mit
grösster Deutlichkeit zu sehen ist, dass die Kerne nicht inner-
halb des oben beschriebenen hellen Saumes liegen, sondern —
wie eben gesagt — ausserhalb, so müssen wir abgesehen von
jenen Endothelzellen noch eine nach innen von ihnen gelegene
Schichte annehmen, von welcher ich es aber unentschieden
lassen muss, ob sie eine isoliertere, strukturlose Membran oder
nur eine verdichtete Zone der Zellkörper darstellt.
134 HANS RABL,
Die hier gegebene Beschreibung der Follikelwand bezieht
sich zunächst auf den Menschen, doch liegen dieselben Verhält-
nisse auch bei Tieren vor. Speziell die eben geschilderte Grenz-
haut bietet auch bei diesen ein durchaus analoges Aussehen
dar. T. fibrosa und propria zeigen gleichfalls dieselbe Zu-
sammensetzung wie beim Menschen. Eine geringfügige Ab-
weichung lassen nur die Follikel der Katze erkennen, indem
daselbst zwischen Grenzhäutchen und Tunica propria an vielen
Stellen kleine Bindegewebszellen eingeschoben sind, während beim
Menschen — wie erwähnt — jene beiden Gewebeformationen
direkt an einander stossen.
Wenn ich nun zur Beschreibung der Degeneration der
Follikel übergehe, so muss ich zunächst voranschicken, dass sich
dieser Prozess weder bei jedem Tier, noch in jedem untersuchten
Follikel desselben Tieres nach genau denselben Gesetzen voll-
zieht. Es existieren vielmehr ausserordentlich viel Varietäten.
Ich werde nun die verschiedenen Teile des Prozesses in der
Weise schildern, dass ich den am häufigsten vorkommenden
Modus zunächst vornehme und die Beschreibung der verschie-
denen Abarten daran anschliesse.
Die Degeneration der Membrana granulosa.
Der Schwund des Granulosaepithels geschieht bei der Maus,
der Ratte, dem Meerschweinchen, Kaninchen und dem Menschen
auf dem Wege der Chromatolyse der Kerne und der fettigen
Degeneration der Zellkörper. Ob es einen chromatolytischen
Zerfall giebt, ohne Verfettung des Protoplasmas, sodass also das-
selbe durch direkte Atrophie schwindet, wie dies Schottländer
angiebt, kann ich nicht entscheiden. Ich will nicht an der
Richtigkeit seiner Beobachtung zweifeln, habe aber kein einziges
Bild beobachtet, welches eine Bestätigung derselben enthielte.
Jedesfalls ist das Auftreten von Fetttropfen in degenerierenden
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 135
Follikeln, wenn auch nicht ausschliesslich, so doch in weitaus
der überwiegenden Anzahl derselben Regel. Die Chromatolyse
der Kerne wurde seit Flemmings Entdeckung von einer grossen
Reihe von Forschern untersucht, unter denen vor allen Schott-
länder zu nennen ist. Die Beschreibung, welche Flemming
hiervon liefert, stimmt mit meinen Beobachtungen hinsichtlich
des Verhaltens des Kernchromatins durchaus überein und ich
darf darum auf dieselben verweisen. Nur in einem Punkt kann
ich mich mit Flemming nicht ganz einverstanden erklären
und glaube, hierin bei Schottländer eine Unterstützung zu
finden. Flemming giebt nämlich an, dass, während sich das
Chromatin zu kompakten Massen verklumpt, der Kernkontur
schwindet, sodass die Chromatinballen scheinbar direkt im
Protoplasma gelegen sind. Diese Behauptung gründet er unter
anderem auf die Beobachtung, dass die Grösse des Zellkörpers
unveränderter Epithelzellen mit der von degenerierten überein-
stimmt. Gerade diese letztere Angabe vermag ich nicht zu be-
stätigen. Ich stütze mich hierbei auf Präparate von Ovarien
von Kaninchen, die in Sublimat gehärtet waren und vom
Menschen aus Zenkerscher Flüssigkeit (Fig. 22). In beiden
Fällen sehe ich, dass beim Beginn der Degeneration zunächst
die Begrenzung des Zellkörpers verschwindet und der Kern in
einer nur ganz undeulich konturierten, bei Hämatoxylin-Eosin-
färbung blass rosenroten Masse liegt. Dass dieser Körper den
Kern darstellt, lässt sich unter anderem mit Sicherheit dadurch
nachweisen, dass die bei der Degeneration sich bildenden Chro-
matinkörner in ganz regelmässiger Weise der Peripherie desselben
angelagert sind (Kernwanddegeneration). Allmählich wird das
Innere des Kernes, wahrscheinlich durch Verquellung der Linin-
substanz, nahezu homogen. Das Chromatin tritt teils in Sub-
stanz aus dem Kern aus, teils aber scheint es innerhalb des
Kernes in eine lösliche Form überzugehen oder wenigstens seine
Färbbarkeit einzubüssen. Schliesslich trifft man nur mehr —
136 HANS RABL,
und dies ist insbesonders in Kaninchen-Ovarien der Fall — in
Mitte der bereits von Bindgewebe zum grössten Teil angefüllten
Follikelhöhle ein Häufchen kugeliger Körper, welche sich mit
Eosin rosenrot färben und nur mehr eine ganz undeutliche
Struktur besitzen. Sie gleichen in der Grösse etwa roten Blut-
körperchen und könnten bei oberflächlicher Betrachtung mit
einem Bluterguss in den Follikel verwechselt werden. Diese
Körper sind die Endprodukte der Degeneration der Kerne.
Schliesslich fallen auch diese der Auflösung anheim.
Dass Scehottländer ähnliche Bilder beobachtet hat, möchte
ich daraus entnehmen, dass er sagt, dass die Zellsubstanz zu
Grunde geht „häufig schon zu Beginn der Chromatolyse“. Deut-
licher als an dieser Stelle beschreibt er das Verhalten der Zell-
kerne auf $. 222, wo er wohl von blassen Epithelzellkernen mit
undeutlichem, chromatischem Netz spricht, vom Protoplasma
aber keine Erwähnung mehr thut.
Eine zweite Beobachtung Schottländers, die übrigens
auch von Henneguy wiederholt wurde, kann ich gleichfalls
bestätigen. Man trifft nämlich zuweilen auch Follikel in chro-
matolytischer Degeneration, die noch keinen Liquor enthalten.
Ich fand solche Follikel bei der Maus und dem Meerschweinchen.
Aus Anlass dieser Mitteilung bemerkt Schottländer, dass da-
mit eines der Argumente, welche Flemming zu Gunsten der
von ihm gewählten Bezeichnung anführt, hinfällig werde. Denn
dieser meint, dass gerade dem Liquor eine wichtige Rolle bei
diesem Prozesse als Lösungsmittel des Chromatins zufalle. Wie
aber Schottländer weiterhin ganz richtig ausführt, wird
durch seinen Befund nur der Begriff der Chromatolyse erweitert,
ohne dass aber das Wesen des Prozesses eine andere Auffassung
erheischen möchte. An Präparaten, die mit Hämatoxylin-Eosin
gefärbt waren, sieht man mit grösster Deutlichkeit, wie die
Chromatinklumpen, welche beim Untergang der Kernstrukturen
gebildet werden, teils noch innerhalb dnr Kernmembran ge-
Fig. 21.
&
Fig.
Lichtdruck von Albert Frisch, Berlin W.
Verlag von ]. a Wiesbaden.
6;
Da 1
a De Wa u N
Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 137
legen sind, teils im Begriffe sind, dieselbe zu überschreiten.
Daneben trifft man frei im Liquor suspendiertes Chromatin,
welches offenbar später in kleinere Partikeln zerfällt, und seine
Affinität für Kernfarbstoffe gänzlich verliert.
| Die Beobachtung Flemmings, dass sich der Liquor
in degenerierenden Follikeln mit Saffranin stärker färbe als in
normalen, kann ich bestätigen und durch eine Analogie bezüglich
des Eisenhämatoxylins ergänzen. Dies gilt jedoch nur für
Präparate, die ebenso wie die mit Saffranin gefärbten in einem
Osmiumgemisch fixiert waren. An solchen tingiert sich der ge-
ronnene Liquor intakter Follikel mit Eisenhämatoxylin nur
sehr blass, derjenige degenerierender dagegen dunkelgrau. Die
Färbung hängt von dem Grade der Degeneration des Follikels,
vielleicht von der Menge und Konzentration des Liquor ab und
ist an vollkommen atretischen Follikeln, welche nur mehr äusserst
wenig Flüssigkeit enthalten, geradezu schwarz.
Diese Farbenänderung kann jedoch nicht auf Rechnung
des in Lösung gegangenen Chromatins geschrieben werden; und
ich möchte das Gleiche bezüglich der Saffraninfärbung behaupten.
Denn 1. findet sich gerade das Umgekehrte in Ovarien, die in
Sublimat fixiert und nach der Heidenhainschen Methode
behandelt wurden. Da färben sich die teils zu Haufen, teils
zu Reihen aneinander klebenden Kügelchen, welche durch die
Gerinnung in normalen Follikeln entstehen, mehr weniger grau,
während der Inhalt degenerierender Follikel nur einen ganz
blassen Ton annimmt; und 2. ist bei Anwendung eines ganz
reinen Kernfarbstoffes, beispielsweise des Mayerschen Häm-
alauns der Liquor in beiden Fällen ungefärbt.
In der Membrana granulosa von Follikeln, welche die ersten,
vereinzelten Spuren des chromatolytischen Zerfalles zeigen,
trifft man ab und zu eigentümliche Körper von kugeliger oder
ovaler Form, deren bereits gelegentlich des Berichtes über die
Arbeit Alexenko’s Erwähnung geschah: Die Epithelvakuolen
138 HANS RABL,
Flemmings. Sie finden sich übrigens auch in Follikeln, welche
noch ein durchaus normales Aussehen besitzen; hier jedoch nur
ganz ausnahmsweise, sodass es mir nicht ungerechtfertigt er-
scheint, wenn sie von Alexenko zu den charakteristischen
Bestandteilen eines in den ersten Stadien der Atresie befind-
lichen Follikels gerechnet werden. Bekanntlich wurden diese Dinge
zuerst von Call und Exner genauer untersucht, wenn sie auch
schon früher gesehen worden sein mögen. (Vergl. darüber bei
Flemming.) Call und Exner erklärten sie für Eizellen, ob-
gleich es ihnen nicht gelungen war, Kerne in ihnen aufzufinden.
Janosik hält sie für kleine Höhlen, die mit gewöhnlichem
Liquor follieuli angefüllt sind. Auch dies ist unrichtig. Es ist
zwar sicher, dass Ansammlungen von Flüssigkeit an verschie-
denen Stellen der Membrana granulosa und des Öumulus ovigerus
stattfinden können. Man kann dieselben aber sofort von den
„Epithelvakuolen‘“ unterscheiden, weil sie dieselben, durch Ge-
rinnung entstandenen Fäden und Körner enthalten, wie sie in
der weiten Follikelhöhle vorkommen, die Epithelvakuolen da-
gegen als Inhalt eigentümliche, stark glänzende, ziemlich breite
Fäden führen, welche ein Fachwerk in ihnen bilden.
Abgesehen vom Kaninchen habe ich sie auch noch beim
Menschen häufig angetroffen, wo die Zwischensubstanz der
Fäden an Hämatoxylin-Eosinpräparaten eine ganz leicht blass-
blaue Färbung besitzt, während die Fäden und die daran-
hängenden Körnchen rot gefärbt erscheinen. Sie sind von sehr
verschiedener Grösse. Ein besonders grosser Körper dieser Art
ist auf Fig. 10 dargestellt; er stammte aus einem normalen
Graalfschen Follikel, der einen Durchmesser von etwas mehr
als 6 mm besass und von der Oberfläche nur mehr durch eine
dünne Stromalage geschieden war. Die Membrana granulosa
liegt in Form eines mehrschichtigen Epithels der Theka allseitig
an und ist überall von der gleichen Dicke, auch dort, wo sich
das fragliche Gebilde befindet. Wegen des beträchtlichen Um-
Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 139
fanges desselben (er besitzt einen grössten Durchmesser von 74
und einen kleinsten von 68 «) hat es innerhalb der M. granu-
losa keinen Platz, sondern liegt ihrer Innenfläche unmittelbar
an, nur durch eine einschichtige Zellreihe gegen den Liquor
abgeschlossen. Der Inhalt wird von Fäden gebildet, zwischen
denen sich in der Mitte noch eine dichtere Substanz befindet,
während sie gegen die Peripherie zu divergieren und mit einem
Häutehen zusammenfliessen, welches dieselbe Dicke besitzt wie
jene selbst. Es liegt den angrenzenden Zellen dicht an und
zeigt sich nur an einer Stelle von demselben etwas abgehoben.
Wer einen derartigen Körper zum erstenmal sieht, möchte
sich ohne weiteres der Ansicht von Call und Exner anschliessen
und sie für abortive Eier erklären. Es bleibt nur die Frage,
wo ist der Kern?, respektive wo ist der Zellkörper?, denn jenes
Gebilde imponiert vor allem dort, wo es kleiner als in der mit-
geteilten Figur ist, eher für ersteren allein als für letzteren.
Bei genauem Durchmustern zahlreicher Präparate trifft man
aber jene Gebilde in verschiedener Grösse und kann ihr Wachs-
tum schrittweise verfolgen. Nur der Ausgangspunkt bleibt frag-
lich. Immerhin scheint es mir am wahrscheinlichsten, dass sie
in letzter Linie auf degenerierte Granulosazellen zurückzuführen
wären. An Saffraninapparaten erscheinen die Netze manchmal
in ihrer ganzen Ausdehnung, manchmal nur an einzelnen Knoten-
punkten in roter Farbe. Vielleicht muss dieselbe auf anhaftende
Reste der chromatischen Kernsubstanz zurückgeführt werden.
Die chromatolytische Erkrankung ergreift in typischer
Weise zunächst diejenigen Zellen der M. granulosa, welche dem
Liquor unmittelbar anliegen, während diejenigen, welche den
Cumulus ovigerus aufbauen, am spätesten von ihr befallen
werden. Man könnte daraus den Schluss ableiten, dass es
gerade eine veränderte Zusammensetzung des Liquor foll. ist,
welche auf die Fpithelzellen schädigend einwirkt, während von
der Eizelle ein Einfluss ausgeht, welcher die anliegenden Gebilde
140 HANS RABL,
schützt. Häufig bleibt auch die äusserste, der Theka anliegende
Zellreihe lange Zeit von der Degeneration verschont. Dieselbe
Beobachtung wurde bereits von Schottländer gemacht. Ich
hatte bei Mäusen und Meerschweinchen Gelegenheit, derartige
Follikel aufzufinden.
Dieses Verschontbleiben der äussersten Zelllage kann bis
zur Bildung kleiner Follikel-Cysten führen, indem sowohl die
Eizelle als alle Granulosazellen mit Ausnahme der äussersten
zerstört und fortgeschafft werden, während sich jene äusserste
Zelllage als geschlossenes, kubisches Epithel erhält. Man muss
hier annehmen, dass sich der chromatolytische Prozess erschöpft
hat, respektive seine Ursache verschwunden ist, ehe er auf die
äusserste Schichte übergreifen konnte. Stets fand ich nur
Follikel von geringer bis zu mittlerer Grösse im dieser Weise
verändert. Beim Menschen konnte ich derartige Bilder bisher
nicht auffinden. — Ob Follikel, deren Epithel mit Ausnahme
der äussersten Zellreihe fettig zerfallen ist, später noch in
Wucherung geraten können, ist mir mehr als unwahrscheinlich ;
wenn aber jener einschichtige Wandbelag noch durch einige
Zeit erhalten bleibt, so ist es immerhin möglich, dass sich die
Höhle durch transsudierende Flüssigkeit allmählich ausdehnt und
es dadurch zu kleinen einkämmerigen Cysten kommt. Von
diesem Gesichtspunkte aus scheint es mir nicht unwichtig, auch
beim Menschen nach denselben Bildern zu forschen, welche
sich beim Meerschweinchen in ziemlich grosser Zahl auffinden
lassen.
So wie die äussere Zelllage kann — wie ich vorhin erwähnte —
auch der Cumulus ovigerus lange Zeit intakt bleiben; ja, beim
Menschen habe ich bisher noch keine Ausnahme von der Regel
beobachtet, dass zuerst die M. granulosa in ihrer gesamten
Dicke und Ausbreitung der Degeneration zum Opfer fällt, ehe
der Cumulus ovigerus von ihr ergriffen wird. Aber auch dann
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 141
erzeugt sie in den Kernen desselben keine chromatolytischen
Figuren. Der Körper der Zelle wird hierbei im ganzen grösser
und rundet sich zu einer Kugel ab; im Protoplasma treten
Körnchen auf und der Kontur der Zelle erreicht eine Dicke,
die als der Ausdruck einer differenzierten Membran imponiert
(Fig. 20). Diese Umgestaltung ergreift zunächst die an der
Oberfläche des Cumulus ovigerus gelegenen Zellen und geht erst
in dem Masse auf die centralen über, als sich die umgestalteten
Zellen aus dem Verbande der übrigen ablösen. Man kann dem-
nach hier mit noch grösserer Klarheit als an dem chroma-
tolytischen Prozesse den Einfluss des Liquor auf die Destruktion
der Zellen verfolgen, wenngleich sich derselbe in etwas anderer
Weise äussert; denn die Quellung, welche die Zellen offenbar
erfahren, muss direkt auf die Resorption des Liquor zurück-
geführt werden. Über die ferneren Schicksale der so veränderten
Zellen vermag ich leider keine Angabe zu machen.
Ehe es aber zu den beschriebenen Veränderungen kommt,
kann man am Discus einige andere höchst auffallende Erschei-
nungen beobachten. Zunächst findet man, dass, obwohl rings-
um der chromatolytische Prozess in der Membrana granulosa
bereits weit vorgeschritten ist und die Membran vielfach nur
auf eine einzige, aus besonders grossen, abgeplatteten Zellen
bestehende Lage reduziert ist, sich im Discus die Vermehrung
der Zellen noch fortsetzt, ja, die Zahl der Mitosen eher gesteigert
als verringert ist. Zweitens wachsen aus der Theka (Gefäss-
sprossen zwischen die Granulosazellen ein. In einem Follikel,
welcher bereits keine Spur einer Membrana granulosa mehr
enthält, finde ich das Ei noch ganz intakt; der Kern ist von
einer Membran umschlossen und enthält — wie gewöhnlich —
einige mit Hämatoxylin-Eosin rot gefärbte Kugeln. Rings um
die Eizelle liegen Epithelzellen mit vollkommen unveränderten
Kernen; dort, wo jene an die Theka angrenzen, treten Gefässe
zwischen sie hin ein.
142 HANS RABL,
Schon van Beneden hatte Gelegenheit, Blutgefässe im
Discus gewisser Follikel bei Fledermäusen zu beobachten und
Schulin konnte seine Angabe für eine Reihe anderer Säuge-
tiere bestätigen. Er fasst solche Follikel als eine Mittelstufe
zwischen atretischen Follikeln und gelben Körpern auf. Wenn
man zu den erwähnten zwei Momenten noch hinzunimmt, dass
sich die Discuszellen gleichzeitig vergrössern, und in ihrem ganzen
Habitus den „Luteinzellen“ nähern, so kann man diesem Aus-
spruch nur zustimmen (vergl. Figg. 17 u. 18).
Doch hält dieses Wachstum der Epithelzellen nicht lange
an. Allmählich wird auch an dieser Stelle Zelle um Zelle vom
Discus abgelöst und schliesslich trifft man als Umhüllung des
Fies nur mehr ein kleines Häufchen epithelialer Elemente, wel-
ches in einem Rest des Liquor liegt, während von allen Seiten
das Bindegewebe aus der Theka in die Follikelhöhle vordringt.
Die einzelnen Phasen, in welche dieser ganze Vorgang zerfällt,
treten nicht immer in derselben Reihenfolge und mit derseiben
Intensität ein. Es können die Discuszellen länger oder kürzer
erhalten bleiben, es kann das Vordringen des Bindegewebes
früher oder später erfolgen, es kann das Eindringen von Blut-
gefässen sogar ganz ausbleiben ete.: dadurch kommt es zu einer
Reihe verschiedener Bilder, die aber alle nur Modifikationen
eines und desselben Prozesses darstellen.
Ich möchte an dieser Stelle mit einigen Worten das Aus-
sehen der Eizellen berühren und zwar in Rücksicht auf die viel
ventilierte Frage über die Natur der in dieselben häufig ein-
dringenden Zellen. Ich habe bereits oben bemerkt, dass die Ei-
zelle in dem einen der oben erwähnten Follikel, deren Mem-
brana granulosa bereits vollständig zerstört war, noch keine nach-
weisbaren Veränderungen zeigte. Diese Thatsache wirkt auf
den ersten Blick befremdend, wenn man damit die Verhältnisse
bei Tieren vergleicht. Man kann sie nur dadurch erklären, dass
man in der grossen Zahl von Discuszellen, welche die Eizelle
Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 143
umlagern, gleichsam eine Schutzmauer gegen die von aussen
eindringenden Gifte erblickt. Es scheint mithin zwischen Fi und
Discuszellen ein Stoffwechsel zu bestehen, welcher beiden Teilen
eine grössere Lebenskraft verleiht. Ich habe in einer kleinen
Arbeit, die im vorigen Jahre erschienen ist, die Frage, welche
der beiden Erscheinungen, Degeneration der Eizelle oder Ver-
änderung der Granulosa die primäre sei, unentschieden gelassen,
Heute, auf Grund eines reicheren Materiales glaube ich mich
dahin aussprechen zu sollen, dass diese Frage eine verschiedene
Beantwortung erfahren muss, je nachdem es sich um junge oder
ältere Follikel handelt; während bei den ersteren in den meisten
Fällen die Schädigung direkt die Eizelle treffen dürfte oder die-
selbe aus inneren Ursachen primär abstirbt, muss man bezüg-
lich der letzteren in einer Änderung der Zusammensetzung des
Liquor die wesentliche Ursache für viele Fälle der Atresie erblicken.
Was nun die im Inneren degenerierender Eier vorkommen-
den Zellen anbelangt, so konnte ich beim Menschen nur dann
solche finden, wenn bereits das Ei nackt in der Follikelflüssig-
keit schwamm; also nicht nur die Membrana granulosa, sondern
selbst der Cumulus ovigerus zerstört war. Man muss daraus
schliessen, dass die Follikelepithelien bei der Deutung jener Zellen
nicht in Betracht kommen können. Bei Tieren liegen die Ver-
hältnisse nicht so einfach. Dort trifft man Zellen innerhalb der
Zona pellucida in viel früheren Stadien der Rückbildung, wenn
sich die Eizelle noch im Kreise ihrer Granulosazellen befindet
(Fig. 5). Hier ist der Gedanke, dass diese letzteren einwandern,
nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Doch ist das
Epithel derartiger Follikel niemals mehr vollständig unversehrt,
sondern bereits von Thekazellen infiltriert. Es steht darum auch
hier der Annahme nichts im Wege, dass die bewussten Zellen
aus der Theka stammen. Bei den von mir untersuchten tierischen
Follikeln ist die Entfernung der Eizelle von der Wand nicht so
gross wie bei denen des Menschen und es können darum Zellen
144 HANS RABL,
ler Wand auch früher in das Ei gelangen. Ich muss mich somit
jenen Forschern anschliessen, welche die in der Eizelle unter Um-
ständen zu beobachtenden Gebilde als ‚„Wanderzellen“ auffassen.
Welcher Art diese sind, geht aus Fig. 16 hervor, welche
das Ei des in Fig. 14 dargestellten Follikels bei starker Ver-
erösserung zeigt. Mit Ausnahme eines einzigen Kernes, welcher
sich offenbar im Beginne der Degeneration befindet, sind alle
übrigen gross, oval und enthalten ein feinfädiges, chromatisches
Gerüst. Es kann sich demnach hier auch nicht um die gewöhn-
lichen polynukleären Leukocyten handeln. Dagegen zeigen die
Kerne eine Übereinstimmung mit den Kernen jener Zellen, welche
teils frei in der Flüssigkeit suspendiert, teils der Follikelwandung
angelagert sind. Es sind dies dieselben Zellen, welche späterhin
den ganzen Follikel ausfüllen und sich sowohl durch ihre Form
wie ihre Herkunft als eingewanderte Bindegewebszellen doku-
mentieren. Ich muss darum auch die im Ei eingeschlossenen
Zellen für solche halten.
Aus den vorstehenden Mitteilungen könnte man den Sahhuse
ziehen, dass die Granulosa degenerierender Follikel in den Ovarien
sämtlicher untersuchter Tiere früher oder später auf dem Wege
der Chromatolyse zu Grunde geht, wovon höchstens der Discus
proligerus in einzelnen Fällen eine Ausnahme bildet. Dem ist
aber nicht so. Wenn auch schliesslich die Granulosa überall
schwindet, so geschieht dies doch in einer Reihe von Fällen
beim Meerschweinchen und in allen atretischen Follikeln der
Katze nach einem andern Modus. Ich will mit der Beschreibung
beim letzteren Tiere beginnen, denn die hier vorliegenden Um-
wandlungen bilden geradezu einen Gegensatz zu den beim Men-
schen und dem Kaninchen zu beobachtenden Erscheinungen.
Bei der Katze konnte ich nämlich niemals — obwohl ich
eine ausserordentlich grosse Menge atresierender Follikel vor
mir hatte — fettige Degeneration des Follikelepithels und unter
Tausenden von daraufhin untersuchten Kernen nur einige wenige
Chromatolysen auffinden Ich kann hier die bezüglichen Angaben
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 145
von Flemming bestätigen und begreife nicht wie Wagener
gerade bei diesem Tier eine besonders grosse Menge körnig oder
fettig zerfallender Follikelzellen beschreiben konnte. Es vollzieht
sich hier vielmehr der Rückbildungsprozess in der Weise, dass
die Follikelzellen nach Art der Zellen der Schmelzpulpa unter
einander in Verbindung treten und dadurch ein Gewebe vom
Bau des retikulären Bindegewebes darstellen (Fig. 5—7). Durch
den Druck der Theka und des angrenzenden Stromas wird diese
Zellmasse gegen die Mitte des Follikels vorgeschoben, während
gleichzeitig die Flüssigkeit allmählich resorbiert wird. Dabei
bleibt die Granulosa stets scharf vom Liquor abgegrenzt, indem
sich diejenigen Zellen, welche am meisten central liegen, zu
einem allseits geschlossenen Häutchen verbinden (Fig. 5). In
den Endstadien der Atresie ist gleich wie die ehemalige Höhle
des Follikels auch die dieselbe ausfüllende Zellmasse ausser-
ordentlich reduziert. Es müssen demnach auch hier die Granu-
losazellen zum Schwunde kommen. Doch ist es mir leider nicht
gelungen die Art desselben festzustellen.
Bezüglich der Eizellen lässt sich bei der Katze konstatieren,
dass sie niemals ihre frühere Lage in einem Discus beibehalten,
sondern in die Membrana granulosa hineinsinken. Dieses Zurück-
sinken der Eizellen ist eines der ersten Symptome, durch welches
sich die Follikelatresie ankündigt. Gleichzeitig fallen auch die
nach dem Liquor zu gelegenen Zellen der Corona radiata ab und
gelangen in die Flüssigkeit, ohne aber Degenerationserscheinungen
an Kern oder Protoplasma zu zeigen. Diese leichte Ablösbar-
keit der Discuszellen vom Ei lässt sich auch — wie aus den
Angaben Bischoffs hervorgeht — an den reifen Eizellen in
der Tube nachweisen. Das dürfte hier wie dort auf die gleiche
Ursache zurückzuführen sein, da auch die Eizellen degenerierender
Follikel bekanntlich dieselben Veränderungen hinsichtlich des
Kernes zeigen, wie sie normalerweise an reifen Eizellen vor-
kommen.
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXIV/XXXV. Heft (11. Bd. H. 12.) 10
146 HANS RABL,
Während das hier beschriebene Auswachsen der Granulosa-
zellen zu einem Retikulum in allen atresierenden Follikeln der
Katze vor sich geht und sämtliche Granulosazellen betrifft,
findet man beim Meerschweinchen nur einzelne Follikel, in
welchen sich ein ähnlicher Prozess abspielt, der überdies nur
den peripheren Teil der Membana granulosa ergreift. Die der
Mitte zunächst gelegenen Zellen zerfallen dagegen auf dem ge-
wöhnlichen, chromotolytischen Wege. Nach den Bildern, welche die
atresierenden Follikel beim Meerschweinchen liefern, muss man
drei Formen dieses Vorganges annehmen. Wenn der Prozess
sofort sehr intensiv beginnt, so zerfällt das ganze Granulosaepithel
unter Verfettung der Zellen und Chromatolyse der Kerne. Bei
langsamerem Verlauf, welcher sich bereits vor seinem Abschluss
erschöpft, werden alle Schichten mit Ausnahme der äussersten
zerstört, und es kommt zur Bildung der oben erwähnten Uysten.
Tritt aber die Degeneration. nicht sehr heftig auf und ergreift
der Prozess nur allmählich, vom Centrum des Follikels ausgehend,
die einzelnen Schichten der Membrana granulosa, so haben die
wandständigen Zeit, sich untereinander in Anastomose zu setzen.
Diejenigen unter ihnen, welche den chromatolytisch zerfallenden
Zellen zunächst liegen, platten sich ab und bilden gleichwie bei
der Katze ein Häutchen, durch welches sich das Gewebe selbst
gleichsam gegen das Vordringen des schädigenden Stoffes zu
schützen sucht. Endlich aber werden auch diese Zellen von der
Degeneration ergriffen und zerfallen auf dieselbe Weise wie die
inneren. In diesem Punkte besteht somit ein.wesentlicher Unter-
schied gegenüber den Granulosazellen der Katze. Der ganze
Prozess ist in den meisten Fällen dnrch das Einwachsen von
Bindegewebe kompliziert, worüber ich im nächsten Kapitel be-
richten werde. Andere als die beschriebenen Degenerations-
vorgänge konnte ich nicht beobachten.
Beitrag zur Histologie des Kierstockes ete. 147
Vorgänge in der Theka.
Wie ich bereits mehrmals erwähnt habe, beginnen, noch
ehe die Membrana granulosa geschwunden ist, Wucherungs-
prozesse seitens der Theka, welche schliesslich zur vollständigen
Ausfüllung der ehemaligen Follikelhöhle führen. Man kann
diesen Vorgang als Vernarbung betrachten, indem das den
Follikel umgrenzende Bindegewebe die Aufgabe hat, die Lücke,
welche durch die Degeneration der Ei- und Epithelzellen, sowie
durch die allmähliche Resorption des Liquor im Gewebe ent-
standen ist, in gleicher Weise auszufüllen, wie etwa einen künst-
lich hervorgerufenen Substanzverlust.
Die Verkleinerung der Follikelhöhle geschieht vor allem
durch die ausfüllenden Bindegewebszellen, welche, aus der Theka
hervorwachsend ein bald weit-, bald engmaschiges Retikulum
bilden. Ferner kommt die Glasmembran an der Grenze des
Follikels in Betracht und endlich 3. muss ich auf die Vergrösse-
rung der Zellen der Tunica propria aufmerksam machen, ein
Punkt, den soviel mir scheint, nur Beigel, Paladino, Sinety
und Lebedinsky entsprechend gewürdigt haben. Die Beobacht-
ungen dieser Autoren beziehen sich auf den Menschen, ich finde
dagegen gerade die schönsten Beispiele hierfür bei Tieren. — Um
alle diese Vorgänge verständlich darzustellen, glaube ich am
besten zu thun, wenn ich zunächst das Resultat derselben, die
total atretischen Follikel, eingehend beschreibe. Ich bitte hierfür
die Figuren 3, 4, 8, 9, 11 und 12 zu vergleichen.
Fig. 3 stellt einen nahezu vernarbten Follikel aus dem
Ovarium eines Kaninchens dar. Die Eizelle ist noch zu sehen.
Sie ist grob gekörnt, mit Eosin stark rot gefärbt, von einer wohl
erhaltenen Zona pellucida allseits umgeben. Der Innenraum
des Follikels ist von einem Gewebe eingenommen, in welchem
man keinerlei Chromatolysen mehr erkennen kann. Es handelt
sich demnach bereits um eine Gewebs-Neubildung. Die Zellen
10*
148 HANS RABL,
derselben sind teils rund, teits spindelig, vielfach auch stern-
förmig und erzeugen mit ihren zusammenhängenden Fortsätzen
ein dichtes Geflechtwerk von Fasern. An mehreren Punkten
trifft man zwischen ihnen dünnwandige Blutgefässe und in ein-
zelnen Gruppen Fettzellen. An der oberen Seite der Abbildung
liegt ein Halbring von homogener Struktur und verwaschenen
Konturen. Nach innen zu liegen ihm die eben beschriebenen
Zellen, nach aussen die grossen Zellen der Tunica propria an.
Es ist dies die Grohesche Glasmembran, die aber, wie aus der
Figur hervorgeht, durchaus nicht immer ein geschlossenes Häut-
chen darstellt, sondern in vielen Fällen nur aus einzelnen, ge-
trennten Stücken besteht Sie wird von feinen Fasern, in deren
Mitte eventuell auch Kerne liegen, durchsetzt, durch welche der
Zusammenhang des Binnengewebes mit der Theka hergestellt wird.
Diese letztere besteht aus zahlreichen grossen Zellen mit
rundem Kern und feinwabigem Zellkörper. Sie werden durch
Bindegewebszüge in einzelne Gruppen zusammengefasst, zwischen
welchen Blutgefässe verlaufen. Ringsum befindet sich eine aus
schmalen, spindeligen Zellen gebildete Hülle, die man ebenso
gut für die T. fibrosa des Follikels wie für Ovarialstroma er-
klären kann. Dort, wo zwei degenerierende Follikel an einander
stossen, werden sie durch einen derartigen Faserzug, welcher
keine weitere Schichtung erkennen lässt, geschieden. (Vergl.
Fig. 1.)
Ein noch späteres Rückbildungstadium, welches einen be-
reits total atretischen Follikel darstellt, führt Fig. 4 vor Augen.
Von der Eizelle ist nur mehr die Zona pellucida als zusammen-
gefallenes, mit Eosin leuchtend rot gefärbtes Gebilde übrig ge-
blieben. Sie liegt in einer Höhle. Die Glasmembran ist ringsum
vorhanden; das Bindegewebe innerhalb derselben aber sehr
spärlich. Nach der Grösse dieses Follikels zu schliessen, glaube
ich, dass er in früherer Zeit eine gleich grosse Zellmasse ent-
halten haben dürfte, wie der eben beschriebene: also auch das
Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 149
neugebildete Bindegewebe schwindet wieder. Durch das Nach-
bargewebe wurde der Follikel sehr stark zusammengepresst, so
dass er am Querschnitt eine flach dreieckige Form darbietet.
Die grossen Zellen der Theka scheinen etwas enger zusammen-
gerückt, haben aber im übrigen das Aussehen wie im vorher-
gehenden Stadium bewahrt. An Präparaten, die in Flemming-
schem Gemisch gehärtet waren, sind sie von ganz feinen Fett-
tropfen aufs dichteste angefüllt. An Stelle eines ehemaligen
Follikels bleibt demnach nur eine geringe Menge Bindegewebes
zurück, welches die degenerierte Eizelle umschliesst, während
die Zellen der Theka in auffälliger Weise gegenüber denen des
normalen Follikels hervortreten.
Zu einem ganz analogen Resultat führt die Atresie der
Follikel bei der Katze. Auf Fig. 8 kann man wieder die Ei-
zelle mit einem von Fetttröpfehen durchsetzten Protoplasma und
einer verschieden breiten Zona pellucida erkennen. Die Follikel-
höhle ist von Zellen erfüllt, welche einerseits von der Membrana
granulosa, andererseits vom Bindegewebe der Theka stammen.
Die T. propria ist von grossen, polygonalen Zellen zusammen-
gesetzt, die das Bild einer fettigen Infiltration darbieten. An ihrer
inneren Grenze verläuft ein homogener Streifen, die Glasmembran.
An Fig. 5 reiht sich Fig. 9, welche einen atretischen Follikel
aus dem Ovarium einer schwangeren Frau darstellt. Auch hier
ist die Tunica propria besonders in die Augen fallend, die Glas-
haut ist dünn und der Follikel bereits vollkommen von einem
kernreichen Gewebe erfüllt. Doch zeigen die Elemente desselben
nicht die gewöhnliche Spindelform, sondern sind vielfach kugelig
oder polygonal, manchmal sind sie auch zu grösseren Gruppen
zusammengelagert, welche wie epitheliale Zellmassen aussehen.
Es ist möglich, dass es sich hier um Reste des Discusepithels
handelt. Die Tunica propria ist nur in ganz seltenen Fällen
so breit wie im vorliegenden. Vielleicht hängt diese Ausnahme,
welche übrigens auch andere atretische Follikel desselben Eier-
150 HANS RABL,
stocks darboten, damit zusammen, dass sich die betreffende
Frau, wie schon erwähnt, in schwangerem Zustand befand.
Möglicherweise haben sich jene Follikel während der Gravidität
entwickelt und wieder rückgebildet. Übrigens kann ich über
diesen Punkt natürlich nur Vermutungen aufstellen.
Ein Bild, welches einen atretischen Follikel des Menschen
nach seinem gewöhnlichen Aussehen zeigt, ist Fig. 12. Nach
aussen von der stark gefalteten und nur auf einer Seite des
ehemaligen Follikels ausgebildeten Glasmembran fehlt die Tunica
propria scheinbar vollkommen. Ihre Zellen haben die gewöhn-
liche Form der Stromazellen des Ovarium wieder angenommen.
Die Follikelhöhle ist von einem teils retikulären Bindegewebe
eingenommen, dessen Zellen weite Maschen mit einander bilden.
Zeichnungen von derartigen Follikeln finden sich bei Slav-
jansky, Hoelzl und Bulius und Kretschmar. Das Binnen-
gewebe des Follikels wurde- früher vielfach als Schleimgewebe
bezeichnet, ohne dass aber durch Färbungen oder chemische
Reaktionen der Nachweis von Schleim in der Grundsubstanz
erbracht worden wäre. Nur die Ähnlichkeit der Struktur mit
der Warthonschen Sulze mag zur Bezeichnung Veranlassung
gegeben haben. Nicht immer aber hebt sich ein degenerierender
Follikel so scharf aus dem Ovarialstroma heraus, wie in dem
angezogenen Falle. Öfters ist es nur mehr die Glasmembran,
welche durch ihre Anwesenheit Kunde von den Vorgängen
giebt; die sich an der betreffenden Stelle abgespielt haben. Denn
das retikuläre Gewebe im Centrum des Follikels verschwindet
später in den Eierstöcken des Menschen in gleicher Weise wie
beim Kaninchen.
Fig. 11 stammt aus dem Ovarıum eines Affen, in dessen
Eierstock eine ganz ausserordentlich grosse Zahl derartiger Körper
enthalten war, in welchen allen noch Reste der Eizelle respektive
ihrer Membran zu sehen waren, sodass man nicht in Ver-
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 151
suchung kommen konnte, sie als gelbe Körper aufzufassen. Auch
hier fehlte eine spezielle T. propria.
Die Form, welche ein atretischer Follikel in seinen letzten
Stadien besitzt, hängt von verschiedenen Momenten ab. In erster
Linie kommt hier der Druck des umgebenden Gewebes in Be-
tracht, in zweiter die Ausdehnung und Breite der Glasmembran.
Wenn sie in ganz diskreten Stücken auftritt, so findet man in
Ovarialstroma verschieden lange, bandartige Körper, die sich
durch ihr homogenes Aussehen und ihren stärkeren Glanz vom
Stroma abheben. Nur selten trifft man an Schnitten einen ge-
schlossenen Ring und könnte ihn dann bei oberflächlicher Be-
trachtung mit hyalin degenerierten Gefässen verwechseln. Auf
diesen Punkt wurde in neuester Zeit von verschiedenen Seiten auf-
merksam gemacht. Doch kann eine solche Verwechslung ernstlich
wohl nicht in Betracht kommen, da der Durchmesser eines
Gefässes stets ein viel geringerer ist als der eines atresirenden
Follikels. Von der Eizelle ist häufig noch die Membrana pellucida
erhalten, doch liegt sie nicht immer gerade neben der hyalinen
Masse, sondern manchmal eine Strecke davon entfernt. Man
kann dies leicht verstehen, wenn man die Fig. 12 betrachtet,
und annimmt, dass nicht eine ganze Hälfte der Follikelperipherie
von der Glasmembron eingenommen wird, sondern nur ein kurzes
Stück, welches gerade in der grössten Entfernung von der Eizelle
gelegen ist.
Die degenerierenden Follikeln bei Kaninchen und Katzen
zeigen insofern ein charakteristisches Verhalten, als die Glas-
membran regelmässig an jener Stelle fehlt, an der sich das rück-
gebildete Ei, von einem Rest von Granulosazellen umgeben,
vorläufig noch erhalten hat. Man kann dieses Verhältnis sehr
gut an Fig. 7 erkennen.
Ich wende mich nun zu den viel umstrittenen Fragen be-
züglich der Herkunft der im vorigen erörterten Gewebeformationen.
152 HANS RABL,
Was zunächst die epitheloiden Zellen der 'Theca interna
anbelangt, so ist es mir niemals gelungen, Mitosen in ihnen
wahrzunehmen, sobald einmal am Follikel Degenerationser-
scheinungen aufgetreten waren. An normalen, wachsenden
Graafschen Bläschen trifft man hingegen, wie ich schon er-
wähnte, Zellteilungsbilder in ausserordentlich grosser Menge an.
"Ds kann darum die besondere Entwickelung der inneren Theka-
schichte in jenem Stadium nicht auf einer Vermehrung ihrer
Elemente, sondern nur auf einer Hypertrophie derselben be:
ruhen, indem die Fettinfiltration, welche in einzelnen von ihnen
bereits im normalen Zustand begonnen hat, während der Atresie
fortschreitet. Die Thatsache aber, dass die Thekazellen an atreti-
schen Follikeln höher geschichtet sind, als an normalen, erkläre
ich mir dadurch, dass sie durch den Druck des umgebenden
Gewebes, welchem kein genügender Gegendruck_ seitens des
Follikels gegenüber steht, sicht nur im radiärer Richtung gegen
die Mitte des Follikels vorgeschoben, sondern auch in tangentialer
Richtung in und hinter einander gedrückt werden. Den Beweis für
die Existenz eines in dieser Richtung wirksamen Druckes kann
man unter anderem in der Faltung der Glasmembran sehen, die
ja gleichfalls auf andere Weise nicht erklärt werden könnte.
Es bleibt mir somit noch die Frage nach der Herkunft des
Gewebes im Follikelhöhlraum und der Glasmembran zu erledigen.
In Bezug auf das erstere besteht, wie aus der eingangs citierten
Litteraturübersicht hervorgeht, eine Differenz zwischen Schott-
länder einer-, Bulius und Kretschmar andererseits, indem
der erstere die Zellen aus der Th. interna, die letzteren
Autoren sie aus der Th. externa (fibrosa) ableiten. Nach den
Abbildungen, welche ich von den tierischen Follikeln gegeben
habe, lässt sich das eine mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass
die epitheloiden Zellen der Th. interna hierbei nicht in Betracht
kommen können. Wenn Schottländer beim Menschen eine
derartige Beziehung nachweisen zu können glaubt, so kann’ es
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Anatomische Hefte. I. Abtheilung 34./35. Heft. (11. Bd. H. ı[2)
Fig. 35.
Lichtdruck von Albert Frisch, Berlin W.
Verlag von F-Bergmann, Wiesbaden.
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Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc, 153
sich, falls kein Irrtum vorliegt, nur um Ausnahmefälle handeln.
Eine besondere Bedeutung kann diesen aber deshalb nicht bei-
gemessen werden, weil ja sowohl Th. interna wie externa vom
Stroma ovarii abzuleiten sind, und deshalb auf jeden Fall Zellen
in Frage kommen, die in letzter Linie eine gleiche Abkunft be-
sitzen. Übrigens sind die spezifischen Thekazellen des Menschen
bedeutend kleiner als bei den untersuchten Tieren, sodass eine
Verwechslung derselben mit den gewöhnlichen wandernden
Bindegewebszellen dort viel leichter stattfinden kann als bei diesen.
Und auf eine solche dürfte wohl in den meisten Fällen die An-
sicht Schottländers zurückzuführen sein.
Den Übertritt von Zellen der Theka in die Follikelhöhle
sieht man sehr deutlich auf Figg. 5 und 6 aus dem Eierstock
der Katze. Wie ich schon erwähnte, grenzen die grossen Zellen
der T. propria bei diesem Tier nicht unmittelbar an die Granulosa,
sondern sind von dieser häufig noch durch eine mehr oder weniger
kompakte Lage kleiner Bindegewebszellen geschieden. In Fig. 5,
welche einen in den frühesten Stadien der Degeneration be-
findlichen Follikel darstellt, sieht man einzelne Zellkerne aus der
Theka zwischen die Granulosazellen eindringen. Noch deutlicher
ist das in Fig. 6 zu sehen. An der Form der Kerne und Grösse
der Zellen kann man deutlich erkennen, dass es sich hier nicht
um die epitheloiden, fetthaltigen Zellen handelt, sondern um
jene kleinen, welche ein System von Septen um die grossen Zellen
bilden und mit der T. fibrosa in kontinuierlichem Zusammenhang
stehen. Es stammen demnach bei der Katze die in den Follikel
eindringenden Zellen wohl von der T. propria, doch sind sie von
derselben Natur wie die Zellen der T. externa. Einen besonderen
Beweis kann man noch an Präparaten finden, die in einem
Osmiumgemisch fixiert waren. Da bei der Katze niemals eine
fettige Degeneration der Granulosa eintritt, so müsste man die
eindringenden Thekazellen — falls es die von Schottländer
behaupteten grossen Formen wären — sofort an ihrem reichen
154 HANS RABL,
Fettgehalt erkennen. Man sieht aber bei der Katze niemals eine
fetthaltige Zelle im Innern des Follikels.
Sehr deutlich kann man in Fig. 13 aus einem Eierstock
des Menschen die Einwanderung von Thekazellen durch die
Glasmembran verfolgen. Es handelt sich, wie trotz der schwachen
Vergrösserung des Präparates zu erkennen ist, um ausserordent-
lich lange, schmale Zellen, welche mit einem Ende in der
T. externa wurzeln und die wenig entwickelte T. interna in teils
schräger, teils senkrechter Richtung durchsetzen.
Dieselben Ergebnisse wie bei der Katze förderten meine
Untersuchungen auch hinsichtlich der Nagetiere zu Tage. Auch
dort partizipieren die grossen, epitheloiden Zellen niemals an
der Ausfüllung des Follikels; dieselbe wird vielmehr stets von
Zellen besorgt, welche den gewöhnlichen Stromazellen gleichen
und teils der T. externa, teils aber auch der T. interna ange-
hören. Sie bilden auch hier ein dichtes Netz, in dessen Maschen
die degenerierenden Follikelzellen liegen. Auf Fig. 1 ist ein
Anfangsstadium, auf Fig. 2 ein in der Degeneration nur um
weniges vorgeschrittener Follikel zu sehen. Eine Beschreibung
derselben kann ich mir wohl ersparen, da die dargestellten Ver-
hältnisse auch ohne einer solchen ohne weiteres klar sind.
Die grösste Schwierigkeit für das Verständnis bietet in dem
hier behandelten Prozesse die Glasmembran, nicht nur hinsicht-
lich ihrer Entstehung, sondern auch hinsichtlich ihrer Natur.
Sie wird von den Autoren, welche sich in neuerer Zeit mit ihr
beschäftigt haben, Hoelzl, Bulius und Kretschmar und
Schottländer übereinstimmend von der T. interna abgeleitet.
Dies ist ohne Zweifel richtig. Die Auffassung aber, welche sie
hinsichtlich ihrer Natur im genaueren vertreten, halte ich für
verfehlt. Eine Beschreibung ihres Aussehens und ersten Auf-
tretens bei Tieren wird dies rechtfertigen.
Der im vorigen erwähnte Follikel (Fig. 1) stellt das Stadium
dar, in welchem sie zuerst beim Kaninchen sichtbar wird. Sie
bildet hier einen fortlaufenden, schmalen, homogenen Streifen,
ee
Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 155
welcher zellenlos ist und der innersten Zelllage der Theka un-
mittelbar anliegt. Besser noch kann man das Verhalten der
Glasmembran zur T. interna an den atretischen Follikeln der
Katze erkennen. Hier sieht man allerdings stellenweise Kerne
in ihr, doch habe ich dieselben bereits als durchwandernde
gedeutet und glaube, dass sich jeder, welcher die Figur be-
trachtet, meiner Meinung anschliessen wird. Diese beiden Bilder,
sowie zahlreiche andere, die ich an meinen Präparaten gefunden
habe aber nicht weiter beschreiben will, zwingen zum Schlusse,
dass die Glasmembran nicht durch Umwandlung, sondern als
Auflagerung der T. propria ihre Entstehung nimmt. Wenn
eine Umwandlung stattfände, müsste ja die Theka in dem Masse
verschmälert werden, als die Glasmembran an Dicke zunimmt.
Dies trifft jedoch nicht zu. Da man aus mancherlei Gründen
nicht annehmen kann, dass die Membrana granulosa jenes Häut-
chen nach aussen hin abscheide, so bleibt nur übrig, dasselbe
als ein Ausscheidungsprodukt der Bindegewebszellen der Theka
aufzufassen. Diese letzteren liegen ihr, wie gesagt, unmittelbar an,
ohne aber ihre scharfe Begrenzung nach dieser Seite hin zu ver-
lieren. Die Glasmembran ist vielmehr nach innen wie nach
aussen hin deutlich konturiert. Ihrer Natur nach muss man sie
als hyalin bezeichnen. Sie ist stark lichtbrechend und zeigt
keinerlei Struktur; in verdünnter Essigsäure quillt sie fast gar nicht
und färbt sich mit dem van Giesonschen Gemisch, welches be-
kanntlich nach den Untersuchungen Ernsts ein sehr geeignetes
Reagens zum Nachweis hyaliner Substanz bildet, fuchsinrot.
Diese Beobachtung wurde schon von Ernst selbst gelegentlich
seiner Arbeit über Hyalin gemacht. Nur der Deutung, welche
er seinem Befunde giebt kann ich mich nicht anschliessen, denn
er erklärt diese hyalinen, gekrausten Membranen für Reste ge-
borstener Follikel, während sie solche von atrtischen sind.
Die Entstehungsgeschichte der Glasmembran beim Menschen
illustrieren die Figg. 15, 19 und 21. Die erste und dritte stimm-
ten durchaus mit jenen Bildern überein, welche man bei Unter-
156 HANS RABL,
suchung tierischer Ovarien erhält. Die zweite aber ist inso-
ferne verschieden, als hier die Glasmembran mit jenen Binde-
gewebsfasern, welche zwischen den epitheloiden Zellen der
Tunica propria verlaufen, zusammenzuhängen scheint. Da in
diesem Falle die Degeneration noch sehr jungen Datums ist, so
verdient jenes Verhalten eine besondere Berücksichtigung. Die-
selben Verhältnisse konnte ich auch wiederholt in anderen Fol-
likeln konstatieren. Doch ergiebt sich durch den Vergleich mit
älteren Stadien, dass dieser Zusammenhang nicht in Wirklich-
keit besteht, sondern nur durch die gleiche Färbbarkeit der
Bindegewebsfasern und des Hyalinstreifens vorgetäuscht wird.
Noch in einem anderen Punkte weichen die Vorgänge beim
Menschen etwas von denen bei den Tieren ab. Es kommt
nämlich beim Menschen schon äusserst frühzeitig zu einer leb-
haften Einwanderung von Bindegewebe, welches sich entlang
der anfangs nur sehr zarten Glasmembran ausbreitet. Dadurch
wird die innere Grenze der Theka verwischt und man könnte
zur Ansicht verleitet werden, dass hier die Glasmembran nicht
an der Innenseite sondern in der Mitte der Theka zur Entwicke-
lung käme. Auch dies wäre ein Irrtum.
In ihrer ersten Anlage ist die Glasmembran so dünn wie
ein Bindegewebsbündel und könnte darum auch leicht mit
‘einem solchen verwechselt werden. Erst bei zunehmender Dicke
wird es deutlich, dass sie eine selbständige Bildung darstellt. Zu
jeder Zeit trifft man in ihr Zellen. Dies mag wohl der Grund
gewesen sein, dass sie von den früheren Autoren für das Pro-
dukt einer hyalinen Degeneration der Tunica interna gehalten
wurde. Doch ist es mir niemals gelungen, irgend welche De-
generationserscheinungen speziell an diesen Zellen zu beobach-
ten. Nur in einem Falle — es handelte sich um das Ovarium
einer Frau, die in der 3. oder 4. Schwangerschaftswoche an
chronischem Tetanus gestorben war — sah ich zahlreiche, chro-
matolytische Figuren in vielen Zellen der Theka. Doch war
Beitrag zur Histologie des Kierstockes ete. 157
dies der einzige Fall dieser Art, der überdies deshalb nicht in
Frage kommen kann, weil sich die Chromatolysen vor allem
in den äusseren Thekaschichten vorfanden.
Die in der Glasmembran vorhandenen Zellen dürften zweier-
lei Art sein. Die weitaus grösste Zahl sind nur durchwandernde,
es scheint mir aber nicht ausgeschlossen, dass einzelne Zellen
fix sind und durch die hyaline Masse allmählich in ähnlicher
Weise umhüllt werden wie etwa die Osteobasten bei der Ab-
scheidung junger Knochensubstanz.
Ob diese Zellen späterhin zu Grunde gehen und dadurch
zur Verbreiterung der hyalinen Substanz beitragen, vermag ich
nicht zu entscheiden. Aber auch angenommen, dass dem so
wäre, so würde auf diesem Wege nur ein sehr kleiner Teil der
Hyalinsubstanz gebildet werden. Der weitaus grösste erscheint
als Auflagerung auf die Oberfläche der Zellen und ich meine
darum, dass man eher von einer hyalinen Abscheidung als von
einer hyalinen Degeneration sprechen sollte. Als Matrix dieser
Art hyaliner Substanzen, welche auch gelegentlich in anderen
Organen!) beobachtet werden, erscheinen Bindegewebszellen oder
Häutchen, die aus solchen zusammengesetzt sind; ob auch die
Endothelien von Blutkapillaren Hyalin abzuscheiden vermögen,
muss ich vorläufig noch dahin gestellt sein lassen.
Eine Stütze für meine Ansicht finde ich unter anderen in Be-
obachtungen, über welche auf dem Deutschen Naturforscher- und
Ärzte-Kongress 1896 berichtet wurde. Orth hebt bei dieser Ge-
legenheit hervor, „dass beituberkulöser, aber auch bei krebsigerete.
Entzündung seröser Häute hyaline, dem Verlaufe der Bindege-
!) So habe ich beispielsweise im Hoden von Menschen in 2 Fällen eine
gruppenweise Degeneration von Kanälchen gesehen, bei welcher die Membrana
propria in eine dieke Haut umgewandelt war, deren Aussehen durchaus mit dem
der Glasmembran übereinstimmte. Solehe Bilder wurden jedenfalls schon oft
beobachtet. Ziegler beschreibt in seinem Lehrbuch der pathologischen Ana-
tomie (1892) ein offenbar gleiches Präparat und bezeichnet dabei jene Haut
als die „verdickte Wand atrophischer Kanälchen.“
158 HANS RABL,
websfasern sich genau anschliessende Bänder vorkommen, in die
man keine Granulationszellen eindringen sieht, sondern neben
denen nur parallel gerichtete Spindelzellen zu liegen pflegen.
Schmidt beschreibt ein plexiformes Epitheliom von der
Haut der Ohrmuschel, in welchem sich sehr viel hyaline Sub-
stanz findet, die er nicht vom Carcinom, sondern vom Binde-
gewebe ableitet. Es ist diesbezüglich hervorzuheben, dass „sich
die homogene Schicht von dem angrenzenden Bindegewebe in
der Regel durch eine scharfe Linie absetzt, ein Spaltraum jedoch
zwischen beiden niemals vorhanden ist.“ Ferner muss betont
werden, dass die hyalinen Bänder in der ganzen Geschwulst
gleich breit sind.
Wenn die im obigen vertretene Anschauung auch den
meisten Pathologen befremdlich erscheinen dürfte, so gewinnt
sie doch sofort an Wahrscheinlichkeit, wenn man an die Vor-
gänge erinnert, welche sich bei Bildung anderer Intercellular-
substanzen, der Fibrillen des Bindegewebes und der elastischen
Fasern und Häute abspielen. Bekanntlich besteht im Hinblick
auf die erste Entwickelung der leimgebenden Fibrillen eine
Kontroverse in der Litteratur, die bis in die Kinderzeiten der
Histologie hinaufreicht. Die beiden Alternativen, ob die Fibrillen
in oder ausser den Zellen entstehen, haben gegenwärtig ihre
Wortführer einerseits in Flemming, welcher durch Reinke
und Spuler unterstützt wird, andererseits in Merkel. Eine
gewichtige Stütze hat die Lehre von der extracellulären Ent-
stehung der Fibrillen durch die Arbeit von Ebners über die
Entwickelung der Faserscheiden der Chorda dorsalis der niederen
Fische erhalten. Es geht aus derselben die Thatsache unwider-
leglich hervor, dass Bindegewebsfibrillen auch dann noch an
Zahl zunehmen, wenn sie bereits eine nachweisbare Strecke vom
Zellkörper entfernt liegen. Bezüglich ihrer Entstehung nimmt
von Ebner an, dass die Zellen „zunächst eine leimgebende,
kolloide, nicht fibrilläre Substanz bilden‘, welche ‚unter dem
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 159
Einfluss orientierter Zug- und Druckspannung zu bestimmt ge-
ordneten Fibrillen wird“. — Neuestens giebt Flemming diese
Thatsache auch zu und nur hinsichtlich der erst auftretenden
Fibrillen verharrt er auf seinem früheren Standpunkt. Ich
glaube, dass man nicht berechtigt ist, an der Richtigkeit seiner
Angaben zu zweifeln und darum ist es besonders zu begrüssen,
wenn Flemming zwischen den beiden, scheinbar entgegenge-
setzten Anschauungen eine Brücke zu bauen bestrebt ist. In
seiner neuesten Publikation schreibt er diesbezüglich: „Es bildet
sich im peripheren Teil der Zelle eine fibrillenhaltige Schicht;
diese Schicht wird Intercellularsubstanz, wächst an Masse und
kann immer neue Fibrillen produzieren, solange sie eben wächst.“
Es scheint mir, dass gegenüber der Thatsache, dass sich Fibrillen
selbständig in der Intercellularsubstanz zu bilden vermögen, die
Beobachtung über ihr erstes Auftreten innerhalb von Bindege-
webszellen nicht von prinzipieller Bedeutung ist. Der Unter-
schied liegt nur darin, dass bei ihrem ersten Auftreten die Matrix
der Bindegewebsfibrillen mit dem Zellprotoplasma noch in or-
ganischem Zusammenhange steht, während sie später reine Inter-
cellularsubstanz ist. Sie dürfte aber wohl in beiden Fällen der-
selben Natur sein.
Ich habe mich deshalb bei dieser Frage so lange aufgehalten,
weil in derselben der Beweis gelegen ist, dass die Binde-
gewebszellen thatsächlich Intercellularsubstanz auszuscheiden ver-
mögen. Die gleichen Verhältnisse wie hinsichtlich der leimgeben-
den Fibrillen bestehen auch in Bezug auf das elastische Gewebe.
Die Faserscheide der Chorda des Amocoetes ist, wie dies Hasse
und v. Ebner beschrieben, von einer elastischen Membran um-
schlossen, welche ursprünglich in direktem Kontakt mit dem
Chordaepithel gebildet, später aber von ihm getrennt wird und
trotzdem noch bedeutend an Dieke zunimmt. Ich glaube, dass
man demnach wohl berechtigt ist, die Bildung des Hyalins in
eine Reihe mit der Bildung der Bindegewebsfibrillen und der
elastischen Substanz zu stellen.
HANS RABL,
Es geht aus diesen Ausführungen hervor, dass ich mich der
Ansicht von Ernst anschliesse, welcher die grosse, von Reck-
linghausen als Hyalin zusammengefasste Gruppe von Degene-
rationsprodukten in zwei Abteilungen trennt: in das Kolloid, wel-
ches — wenigstens in vielen Fällen — als Produkt einer epi-
thelialen Sekretion aufgefasst werden muss und in das Hyalin
sensu strietiori, das im Bindegewebe vorkommt. Natürlich be-
sitzt auch dieses nicht an allen Orten dieselbe Bildungsweise und
ich möchte darum nur auf eine Gruppe desselben die im obigen
auseinandergesetzte Hypothese angewendet wissen.
Ausser dem epithelialen Kolloid und dem hier besprochenen
Hyalin giebt es ja bekanntlich noch eine Reihe anderer Körper,
welche nach ihrem Aussehen als hyalin bezeichnet werden, aber
weder die eine noch die andere Entstehungsart besitzen. Ich
führe u. a. auf: jene hyalinen Kugeln, welche nach den Beob-
achtungen Manasses bei Infektionskrankheiten in Hirngefässen
gefunden werden und aus Leukocyten stammen, die hyalinen
Niereneylinder, das Hyalin, das aus der Nekrose der verschieden-
sten Gewebsbestandteile hervorgeht, endlich auch das Umwand-
lungsprodukt des Fibrins, sowohl bei Entzündungen wie bei
Thrombosen und einfachen Hämorrhagien.
In diese letztere Kategorie dürfte auch jenes Hyalın zu
rechnen sein, welches sich manchmal im geronnenen Blute findet,
das im Centrum gelber Körper liegt. Fig. 24 ist bei schwacher
Vergrösserung nach einem Präparat gezeichnet, welches nach
van Gieson behandelt war, sodass das rotgefärbte Hyalin sich
in scharfer Weise vom gelbbraunen Fibrin unterscheiden lässt.
Das Hyalin besitzt hier die Form eines Bandes von leicht wel-
ligem Verlauf, in dem aber keine weiteren Strukturen sichtbar sind.
Das weitere Wachstum der Glasmembran erfordert nicht
unser besonderes Interesse, denn wie sie angelegt wird, wächst
sie auch in die Dicke. Bei der Katze lässt sie den Charakter
einer rein kutikularen Ausscheidung auch noch in späteren Stadien
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 161
erkennen; beim Menschen hingegen sind jene Verhältnisse —
wie aus den obigen Auseinandersetzungen hervorgeht, — ziem-
lich kompliziert. |
Bemerkenswert ist, dass die Membranen bei jedem Tiere nur
eine bestimmte Breite erreichen, ohne dieselbe jemals zu über-
schreiten. Unterhalb dieser maximalen Dieke können sie aber
einen sehr verschiedenen Durchmesser besitzen, je nach dem
Alter, in welchem der Follikel von der Degeneration ergriffen wird.
Nach den Untersuchungen Neumanns soll die Glasmem-
bran bei Behandlung mit Ferrocyankalium und Salzsäure eine
„sehr intensive, gleichmässige Färbung“ zeigen. Leider bin ich
nicht in der Lage, diese interessante Beobachtung bestätigen zu
können. Ich habe die Behandlung von Schnitten mit den er-
wälhnten Reagentien öfters in Anwendung gezogen, aber höchstens
— und nur bei sehr lang dauernder Einwirkung: der beiden
Flüssigkeiten — eine ganz blasse, blaue Färbung erzielt. In
solchen Fällen waren, wie ich besonders hervorheben muss, viel-
fach auch die Blutkörperchen in einem gleichen, manchmal so-
gar noch stärkeren blauen Tone gefärbt.
Die Glasmembranen sind im menschlichen Ovarium bereits
seit langem bekannt und in ihrer Genese mehr weniger richtig
gedeutet worden. Eine Verwechselung mit hyalin entarteten
und oblitterierten Gefässen, dürfte — wie ich bereits früher be-
merkte — einem geübten Beobachter wohl niemals unterlaufen,
da die Gefässe stets allseitig geschlossene Kreise von geringem
Durchmesser darstellen, während die Endstadien der atretischen
Follikel an Schnitten entweder gestreckte hyaline Bänder oder
Knäuel bilden, welche durch oftmalige Faltung entstanden sind.
Das neugebildete Bindegewebe im Innern des ehemaligen Follikel-
raumes verschwindet mit der Zeit vollständig und die ehemaligen
Thekazellen bilden sich zurück. Dadurch kommt die Membran
ausschliesslich in Stromagewebe zu liegen, das nur öfters eine
geringe Verdichtung erkennen lässt.
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXIV/XXXV. Heft (11. Bd., H. 12). 11
162 HANS RABL,
Etwas anders erscheinen die Fndstadien bei den von mir
untersuchten Tieren mit Ausnahme des Macacus rhesus, bei
welchem jener Prozess wie beim Menschen verläuft. Bei den
Nagetieren und der Katze hingegen behalten die vergrösserten
Thekazellen ihre Gestalt bei. Je mehr Follikel degenerieren, eine
um so grössere Zahl von Stromazellen wird in epitheloide Zellen
umgewandelt. Schliesslich besteht der Eierstock — wie man dies
vor allem beim Kaninchen sieht — in seiner grössten Masse aus
jenen Elementen. Auch die gelben Körper dürften zur Ver-
mehrung derselben beitragen, da sie aus ähnlichen Zellen auf-
gebaut sind. Doch kann ich darüber nur Vermutungen äussern,
weil ich zwar eine Verkleinerung und Deformierung, nicht aber
eine gänzliche Auflösung der Corpora lutea wahrnehmen konnte.
Diese aus der T. interna degenerierter Follikel hervorge-
gangenen Zellen haben schon wiederholt zu falschen Deutungen
Veranlassung gegeben. Sie sind es, welche von vielen Seiten
als die Markstränge im Ovarium bezeichnet und auf Grund
von embryologischen Untersuchungen, deren Resultat ohne ge-
nügender Berechtigung auf die erwachsenen Tiere übertragen
wurde, entweder vom Keimepithel, den Malpighischen Körpern
der Urniere oder vom Parovarium abgeleitet wurden. Dass
dies den Thatsachen nicht entspricht, wird jeder, welcher einmal
auf die örtlichen Beziehungen jener Zellgruppen zu den Resten
der Glasmembran geachtet hat, ohne weiteres zugeben. Bei
der Katze ist weder die Zahl der primär angelegten, noch der
degenerierten Follikel so gross wie beim Kaninchen; sie lassen
sich hier leicht von einander abgrenzen und in ihrer Gesamt-
anordnung überblicken. Sie liegen alle ausschliesslich in der
Rinde und darin hat man auch den Grund zu sehen, warum
bei diesem Tiere im erwachsenen Zustand keine Stränge in
der Marksubstanz gefunden werden. Dagegen enthält das
Ovarium der Maus deren eine ausserordentlich grosse Anzahl,
welche in breiten Massen zwischen den vielen und weiten Blut-
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 163
gefässen eingelagert sind. Es fällt aber schon bei oberflächlicher
Besichtigung derselben auf, dass in ihnen kleine Bläschen in
reicher Menge eingestreut sind (Fig. 23). Sie werden von einem
bald abgeplatteten, bald aber kubischen, einschichtigen Zelllager
ausgekleidet; in manchen kann man noch Reste einer zusammen-
gefallenen Zona pellucida erkennen. Es handelt sich also um
degenerierte Follikel. Neben diesen letzteren begegnet man aber
auch in der Marksubstanz normalen, die jedoch niemals eine
besondere Grösse erreichen. Sie gehen alle zu einer Zeit zu
Grunde, in welcher das Ei von einem hohen, einschichtigen
Cylinderepithel, nur selten von zwei Reihen Follikelepithelien
umgeben ist. Ich schliesse daraus, dass auch im Mäuseovarium
der grösste Teil der sogenannten Mark- oder Segmentalstränge
(Harz) aus einer Vergrösserung der Stromazellen in der Um-
gebung degenerierter Follikel abgeleitet werden muss. Es ist
dies um so wahrscheinlicher, als nach den Angaben von Lange
das Ovarium ursprünglich vollständig von Ei- und Follikelzellen
ausgefüllt ist und die Markstränge demnach erst sekundär ein-
wachsen müssten.
Nur ein Punkt bildet einen nicht zu unterschätzenden Ein-
wand: Die Verteilung der kleinen Follikular-Öystchen innerhalb
der Stränge ist nämlich keine regelmässige, sondern es breiten
sich oft die Zellen in dichter Masse auf eine grössere Strecke
hin aus, ohne solche Bläschen in ihrem Centrum zu besitzen.
Solche Fälle kann man nur entweder durch gänzliche Oblitteration
des Follikelraumes oder durch sekundäre Verschiebungen der
Zellgruppen erklären. Auf Grund von Beobachtungen an Katzen-
eierstöcken möchte ich mich für die letztere Annahme entscheiden.
Ich will übrigens durchaus nicht in Abrede stellen, dass im Mark
des Mäuseovariums Zellstränge vorkommen, welche eine andere
als die eben beschriebene Abkunft besitzen. Ich habe da die
Kanäle des Parovariums im Auge, deren Fortsetzung in lumen-
lose Schläuche beobachtet werden kann. Doch habe ich bisher,
11*
164 HANS RABL,
trotzdem ich ausschliesslich an Serienschnitten arbeitete, noch
keinen zweifellosen Fall von Zusammenhang der „Markstränge“
mit eben jenen Schläuchen auffinden können.
Janosik und Holl fassen die Markstränge als Rinden-
substanz der Nebenniere auf, ersterer auf Grund seiner Annahme,
dass sie sich gleich dieser aus dem Keimepithel entwickeln, letz-
terer ausschliesslich gestützt auf eine Ähnlichkeit zwischen den
zelligen Elementen beider. Den besten Beweis dafür, dass viele
jener Gebilde, welche von den Autoren als Markstränge bezeich-
net werden, nichts anderes als Gruppen epitheloider Thekazellen
degenerierter Follikel sind, liefert ein Vergleich zwischen den
Eierstöcken der Katze einerseits, des Meerschweinchens und
Kaninchens andererseits. Bei der Katze lässt sich die Ent-
wickelung jener Zellen aus Thekazellen in klarster Weise ver-
folgen, weil sie ihre konzentrische Anordnung um dem Follikel-
rest jeder Zeit beibehalten. Überdies führen sie in normalen
Follikeln niemals Fett, an degenerierten dagegen nehmen sie bei
Osmiumbehandlung eine verschieden dunkelbraune Farbe an,
sodass auch der Verdacht ausgeschlossen ist, dass die Ähnlich-
keit zwischen den Zellen der Markstränge und der T. propria
follic. dadurch zu erklären sei, dass sich die ersteren zu diesen
umbilden. Ebenso aber wie die Verdickung der T. propria foll.
bei Katzen muss auch dieselbe Erscheinung beim Meerschwein-
chen und Kaninchen erklärt werden. Wie aber die Verhältnisse
bei Maus und Ratte beweisen, hängen die „Markstränge“ in vielen
Fällen mit zweifellosen Thekazellen oblitterierter Follikel zu-
sammen und können darum auch keinen anderen Ursprung als
die letzteren genommen haben.
Epitheliale Zellstränge anderer Art als die hier beschriebenen,
kommen nach meinen Beobachtungen im Mark der Eierstöcke
neugeborener Katzen vor. Hier handelt es sich um Gebilde,
welche das Aussehen von Schläuchen besitzen, jedoch gewöhnlich
eines Lumens entbehren und am Querschnitt aus einem Kranz
Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 165
von Zellen, am Längsschnitt aus zwei Reihen hoher cylind-
rischer Gebilde mit grossem basalem Kern aufgebaut erscheinen.
Manchmal rücken jedoch diese Zellreihen aus einander und lassen
hierdurch einen centralen Hohlraum hervorgehen. Die Stränge
sind stark gewunden und liegen teils in der Mitte des Ovariums,
vor allem aber an der Grenze der Eiballen-Zone, sich manch-
mal in dieselbe noch hineinschiebend. Soweit meine Erfahrung
gegenwärtig reicht, muss ich sie als die zu künftigen Granulosa-
zellen der Follikel betrachten. Auf eine genauere Schilderung
der Stränge und ihres Verhaltens zu den Eizellen will ich an
dieser Stelle verzichten und nur auf die Beschreibungen ver-
weisen, welche v. Kölliker von den Marksträngen des Hunde-
eierstockes und neuestens Bühler von denen von Fuchs und
Mensch gegeben haben. Dass die Zellstränge zur Bildung der
Follikelepithelien verwendet werden, geht, abgesehen von der
direkten Beobachtung, auch daraus hervor, dass sie — wie ge-
sagt — im Mark der Eierstöcke erwachsener Katzen fehlen. Auf
die Erörterung ihrer Herkunft werde ich bei anderer Gelegenheit
eingehen, wenn ich eine vollständige Serie von Eierstöcken ver-
schiedensten Alters zur Verfürung habe.
o- Oo
II.
Das Corpus luteum.
Durch die bereits eingangs erwähnten Beobachtungen So-
bottas wurde der Entwickelungsgang des gelben Körpers bei
der Maus festgestellt. Das Material hierfür bestand in ca. 1500 (!)
Körpern, die an Schnittserien untersucht wurden, natürlich waren
alle Stadien der Bildung derselben unter ihnen vertreten, vor
allem auch die jüngsten, welche bei der Frage nach dem Ur-
166 HANS RABL,
sprung der Luteinzellen allein entscheidend sind. Das Resultat
seiner Untersuchungen fasst Sobotta in folgende Sätze zu-
sammen, die ich in Anbetracht ihrer Wichtigkeit wörtlich wieder-
gebe. Indem ich Absatz 1—4 übergehe, beginne ich bei
„D. 5—7 Stunden nach dem Follikelsprunge entstehen durch
den Wucherungsvorgang der Thekazellen anfangs feine, später
sich verstärkende radiäre Bindegewebszüge, welche das Epithel
durchsetzen. Die Zellen des letzteren vergrössern sich allmäh-
lich, die innere Thekaschicht wird bei der Bildung der Binde-
gewebszüge allmählich aufgebraucht; Leukocyten liegen jetzt
allenthalb im Epithel.
„6. Im folgenden (in der 40. bis 50. Stunde) findet dann
eine feinere Verteilung des Bindegewebes innerhalb des Epithels
statt und zwar unter gleichzeitigem, weiterem Wachstume der
Epithelzellen. Die Wanderzellen bilden zusammen mit dem
Bindegewebe ein Netz von Zellen um den centralen Erguss, der
allmählich resorbiert wird. (Das Blut ohne Bildung von Häma-
toidin-Krystallen). Nach völliger Resorption bleibt von ihnen
ein bald grösserer, bald kleinerer sallertiger Bindegewebskern
im Innern des Corpus luteum übrig.
„1. 60—72 Stunden nach dem Follikelsprung sind die Epi-
thelzellen auf das Zehnfache ihres Volumens angewachsen und
werden gruppenweise von anastomosierenden Bindegewebszellen
umgeben. Zugleich entstehen reichlich weite Kapillaren, Leuko-
eyten fehlen jetzt. Die Bindegewebswucherung hat aufgehört.
Das Corpus luteum erhält damit seinen definitiven Bau.“
Ein geringeres Material stand demselben Forscher zur Be-
antwortung der Frage nach der Bildung der gelben Körper bei
den Kaninchen zur Verfügung. Immerhin war es genügend, um
dieselbe befriedigend zu lösen. Er konnte die bei der Maus
erhobenen Thatsachen bestätigen, indem auch beim Kaninchen die
Granulosazellen nicht zu Grunde gehen, sondern hypertrophieren
und zu den sogenannten „Luteinzellen“ werden. Die Theka liefert
Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 167
einzig und allein die spindeligen Bindegewebszellen und die Ge-
fässe, welche sich aber erst entwickeln, wenn die Vergrösserung
der Epithelzellen bereits im vollen Gange ist. Eine besondere
Beachtung verdienen zwei Punkte.
Der erste betrifft das Verhalten der Zellen der T. propria.
Sie sind schon im sprungreifen Follikel grösser als bei der Maus;
an einem Kaninchen, das 14 Stunden nach der Begattung ge-
tötet worden war und eine grosse Zahl frisch geplatzter Follikel
enthielt, war die Grenzlinie zwischen Epithel und jenen Zellen
nicht mehr so scharf wie beim nicht geplatzten Follikel Noch
mehr ist jene Linie auf den Abbildungen von einem ca. 14 Stunden
vorher geplatzten Follikel verwischt, der einem Kaninchen ent-
stammt, das vor 23 Stunden begattet worden war. Hier ist zwar
die innere Schichte der Follikelwand noch als distinkte Lage
erkennbar, die Zellen haben aber an Grösse abgenommen, ent-
halten Mitosen und bilden sich allmählich in jene Bindegewebs-
zellen um, welche bestimmt sind, das Stroma der zukünftigen
gelben Körper darzustellen. 32 Stunden post coitum ist die innere
Thekaschicht ‚ganz oder bis auf Reste verschwunden, d.h. in
spindelzelliges Bindegewebe aufgelöst‘. Wenn man noch etwas
ältere Stadien untersucht, sind auch jene „Reste‘“ nicht mehr zu
sehen und Sobotta schliesst demnach daraus: ‚die innere Theka-
schicht ist völlig aufgelöst.‘
Als zweiten Punkt, welcher von einer gewissen Bedeutung
ist, muss ich die Angabe nennen, dass im Stadium VI, Corpus
luteum 52 Stunden post coitum, vereinzelt auch Mitosen in Epithel-
zellen vorkommen. Diese Mitosen finden sich, wie aus der bei-
gegebenen Figur erhellt, nur an der Peripherie und tragen nicht
wesentlich zur Vermehrung der Luteinzellen bei, denn genaue
Zählungen ergaben eine beinahe völlige Übereinstimmung zwischen
der Zahl der Granulosazellen im reifen Follikel und der der
Luteinzellen in einem fertigen Corpus luteum.
168 HANS RABL,
Ich glaube mich in Hinblick auf die ältere Litteratur be-
genügen zu können, diese beiden Arbeiten genau referiert zu haben,
weil in der ersten derselben so ziemlich alle Publikationen be-
sprochen sind, welche sich seit ©. E. v. Baers „de ovi mam-
malium et hominis genesi epistula“ mit der Bildung der gelben
Körper im allgemeinen beschäftigt haben und in der letzteren
nochmals einige wichtige diesbezügliche Angaben zusammenge-
stellt sind. Es wäre nur eine Wiederholung dieser erst vor
zwei Jahren erschienenen Litteraturübersicht, wenn ich neuer-
dings eine Inhaltsangabe aller Arbeiten dieses Gebietes liefern
wollte. Ich will daher einfach auf die citierten Arbeiten So-
bottas verweisen.
In neuester Zeit erschienen zwei Mitteilungen, in welchen
neben anderen Fragen auch die Entstehung des Corpus luteum
behandelt ist. Die eine stammt von Nagel, die andere von
Heap. Der erstere beharrt’ auf seinem schon früher vertretenen
Standpunkt, dass die Granulosazellen beim Menschen zu Grunde
gehen. Wenn er auch zugiebt, „dass die Herkunft der Lutein-
zellen noch nicht in allen Einzelheiten erforscht sei‘, so schliesst
er doch aus seinen Untersuchungen, dass sie sich aus der innersten
Schichte der Theka entwickeln und darum bindegewebigen Ur-
sprungs seien. Ja, er bezeichnet die Zellen der T. propria schon
als Luteinzellen, noch ehe der Follikel geplatzt ist und findet,
dass die Follikelwand schon vor diesem Moment ein welliges
Aussehen zeige, indem jene Zellen „eine mächtige, vielreihige
Schichte bilden und papillenartig angeordnet sind.“
Heap untersuchte die Ovulation von Macacus rhesus und
beschreibt in Übereinstimmung mit Sobotta, dass die Zellen
der Wandschicht bei der Corpus luteum-Bildung sich nicht ver-
mehren, sondern nur hypertrophieren. Im übrigen ist in seiner
Schilderung jenes Prozesses nur wenig Verwertbares enthalten.
Er giebt nämlich an, dass sowohl in einem ganz frischen gelben
Körper, an welchem die Offnung des Follikels noch nicht vom
Anatomische Hefte 1.Abtheilung Heft KAW/XXXV (11. Ba. H.1/2)
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Verlag von JE.Bergmann,Wiesbaden
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 169
Keimepithel überzogen ist, als auch in älteren Stadien die
Wandschicht aus verzweigten Zellen aufgebaut wird, bezüglich
welcher ich jedoch im Unklaren bin, ob sie der Verf. von der
Granulosa oder von der Theka ableitet. Nur an der Abbildung
eines schon älteren Corpus luteum lassen sich dieselben Formen
wiedererkennen, welche die gelben Körper anderer Tiere auf:
bauen. Ob diese Abweichung in der Form auf eine thatsäch-
liche Differenz oder auf eine mangelhafte Konservierung zurück-
zuführen ist, kann natürlich nicht* entschieden werden. Heap
schliesst das die Bildung des gelben Körpers behandelnde
Kapitel mit dem Satz: „In conclusion, then, we may describe
the changes undergone by the discharged follicle as, firstly, hyper-
trophy, resulting in a folding of the follicle wall, and a filling
up of the central cavity with connective tissue; and secondly
consolidation, which is brought about by the absorption of some
of the elements, and the contraction of the other elements, of
the tissue concerned.“
Mehrere Monate, nachdem die vorliegende Arbeit abge-
schlossen war und ihr Druck begonnen hatte, erschien die Arbeit
von J. G. Clark: Ursprung, Wachstum und Ende des Corpus
luteum nach Beobachtungen am Ovarium des Schweines und
des Menschen (Archiv f. Anat. u. Physiol., anat. Abt. 1898),
welche die durch die Untersuchungen Sobottas gefestigten
Anschauungen über die Herkunft der Luteinzellen neuerdings
zu erschüttern geeignet zu sein scheint. Der Verfasser unter-
suchte „90 oder 100“ Eierstöcke des Schweines. Sein Ergebnis
war: „Die Luteinzellen sind besondere Bindegewebszellen, die
in den inneren Schichten der Follikelwand zur Zeit erscheinen,
wo diese sich in Theka interna und externa zu differenzieren
beginnt. ..... Das Corpus luteum ist daher nicht ein epitheliales,
sondern ein bindegewebiges Gebilde.“ Auf eine ausführliche
Wiedergabe des Inhaltes muss ich leider verzichten. Doch kann
ich die Bemerkung nicht unterdrücken, dass — so gross auch
170 HANS RABL,
das Untersuchungsmaterial war — sowohl die Beobachtung wie
die Beschreibung stellenweise Lücken enthalten, durch welche
der Zweifel an der Richtigkeit der abgeleiteten Schlüsse ein-
dringen kann. So konnte beispielsweise die Eizelle in jenen
Follikeln, welche als reif bezeichnet werden, trotzdem — oder
nach Meinung des Autors: gerade weil sie ihr Epithel schon
fast vollständig verloren hatten, nicht aufgefunden werden: ein
Übelstand, den übrigens der Autor selbst empfindet. Ferner
sind die Angaben über die Art der Degeneration zu kurz. Wenn
Clark über die Degeneration der Epithelzellen in dem jüngsten
Corpus luteum des Menschen schreibt: „Einige der Epithelzellen
scheinen normal (6 zw im Durchmesser) zu sein; bei anderen
sieht man deutliche Zeichen des Zerfalles, die im Anschwellen
der Zellen und der Ansammlung von Fettröpfchen im Proto-
plasma bestehen‘, so könnten diese letzteren beiden Eigenschaften
ebenso gut für ihre Umwandlung in Luteinzellen als für ihren
Zerfall in Anspruch genommen werden. Übrigens möchte ich
in Anbetracht der übereinstimmenden Resultate von Benckiser,
Pouchet, Paladino und Clark nicht zweifeln, dass beim
Schweine die Theka in der That Luteinzellen hervorzubringen
vermag. Die Angaben bezüglich des Epithels scheinen mir jedoch
einer Nachprüfung dringend zu bedürfen.
Ich habe in meinen zahlreichen Schnitten durch die tierischen
Eierstöcke natürlich wiederholt Gelegenheit gehabt, gelbe Körper
zu sehen. Doch waren alle teils bereits ganz fertig gebildet,
teils ihrer Vollendung schon ziemlich nahe. Ganz junge Stadien,
eben geplatzte Follikel, waren leider in meinen Präparaten nicht
enthalten. Dagegen habe ich in menschlichen Eierstöcken einige
Stadien beobachtet, welche zwar auch nicht mehr den Begiun
der Umbildung des Epithels zeigten, sondern schon entwickelte
Luteinzellen enthielten, die aber doch einer Mitteilung wert sind,
weil sie — soweit die Corpora lutea vera in Betracht kommen —
die jüngsten bisher beobachteten Stadien darstellen. Es handelt
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 171
sich um drei Fälle, bei welchen das Ei im Uterus gefunden
wurde, ein Fall betrifft ein Corpus luteum spurium, einer ist mir
zweifelhaft. Was das Alter jener Körper betrifft, sowie hinsicht-
lich der Frauen, von welchen sie stammen, habe ich kurz folgen-
des mitzuteilen.
1. V. Das hierzugehörige Ei wurde von Herrn Doc. Dr. Peters auf
der 7. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie 1897
bei Gelegenheit der Diskussion über Placenta praevia demonstriert. Die
im folgenden mitgeteilten Angaben sind dem Artikel von Peters in
den „Verhandlungen“ entnommen. Für die liebenswürdige Überlas-
sung einiger Schnitte durch das Corpus luteum zum Studium derselben
bin ich ihm sowie dem Assistenten der I. chirurgischen Klinik, Herrn
Dr. Friedländer, welcher sie anfertigte, zu bestem Danke verpflichtet.
„Letzte Menses 1. September 1896, vollkommen normal. In den
letzten Tagen des September fing Patientin an zu brechen und sah
schlechter aus“. Am 1. Oktober erfolgte Selbstmord durch Einnahme
einer grossen Dosis von Laugenessenz. Bei der Obduktion, welche bald
nach dem Tode vorgenommen wurde, zeigte sich der Uterus gänseei-
gross, diekwandig. Das Ei lag in der Mitte der hinteren Wand, unter
einer flach pilzhutförmigen Prominenz und besass einen Durchmesser
von 1,6:0,8:0,9 mm. Es dürfte seit 3—4 Tagen im Uterus einge-
pflanzt gewesen sein und muss daher mit der ausgebliebenen Men-
struation in Beziehung gebracht werden. Das Alter des Corpus luteum,
d. h. der Zeitpunkt des Follikelsprunges, lässt sich natürlich nicht an-
geben, immerhin glaube ich annehmen zu dürfen, dass jenes Ereignis
spätestens 10 Tage vor dem Tode eingetreten sein muss.
2. B., 22jährig, + kurz nach ihrer Aufnahme 10. I. 1898 im
k. k. Kaiser. Franz-Joseph-Spital in Wien. Die Sektion, von Pros.
Dr. Kretz ausgeführt, ergab als wahrscheinliche Todesursache Phos-
phorvergiftung. Das Ei wurde noch nicht näher untersucht, es bildet
eine leichte, hügelförmige Hervorragung auf der Schleimhaut des Uterus
und ist von einer Platte bedeckt, welche einen Durchmesser von 6 mm
besitzt.
3. B. Uterus und Ovarien waren durch Operation gewonnen worden,
welche auf der 1. geburtshülflichen Klinik in Wien wegen Osteomalacie
ausgeführt wurde. Die folgenden Daten verdanke ich der Güte des
Herrn Dr. Mandl. Patientin war 31 Jahre alt, einmal gravid vor
3 Jahren. Damalige. Geburt mittelst Forceps beendet. Bei Patientin
war am 16. III. 1897 die letzte Menstruation eingetreten. Die Total-
exstirpation per vaginam hatte am 12. V. stattgefunden. Der Embryo
besass nach Angabe von Pros. Dr. Tandler eine Länge von 13!/2 mm,
dürfte demnach in der 5. Lebenswoche gestanden sein.
172 HANS RABL,
4. Das Ovarium stammte von einer Leiche, die im hiesigen patho-
logisch-anatomischen Institut zur Sektion kam. Das Corpus luteum
prominierte ziemlich stark über die Oberfläche des Ovariums, welche
an dieser Stelle noch blutig suffundiert war, Eine Rissöffnung war
jedoch nicht mehr zu sehen. Die Höhle des Körpers war von einem
noch frischen Bluterguss erfüllt. Ob die Person eben menstruiert batte
oder nicht, ist mir nicht bekannt. Ebensowenig kann ich dies von
dem folgenden Falle sagen.
5. 28jähr. Frau, die im hiesigen k. k. Wiedener Krankenhause
an den Folgen einer Laugenessenzvergiftung gestorben war. Der Uterus
zeigte nach Angabe von Herrn Pros. Dr. Zemann das Aussehen wie
nach kürzlich erfolgtem Abortus. Anamnestisch aber lagen keine dies-
bezüglichen Angaben vor. Ich kann nicht einmal sagen, ob hier eiu
Corpus luteum verum oder spurium vorlag. Wenn es sich um ein solches
der ersten Art handelt, so ist es noch jünger als Fall 1. Doch muss
ich es eher für einen falschen gelben Körper halten. Für nähere An-
gaben verweise ich auf das Folgende.
Ich wende mich nun zur Beschreibung der Fälle, wobei ich
mich zunächst auf die Corpora lut. vera beschränke. Die Be-
obachtungen an den Corp. lut. spuria werden am besten im An-
hang an die ersteren besprochen.
Ich muss vor allem betonen, dass die sämtlichen, in den
Frühstadien untersuchten wahren gelben Körper einen grossen
Hohlraum in ihrem Centrum enthielten. An Schnitten zeigte
er sich teilweise ganz leer, in einzelnen Partien jedoch von einem
Netzwerk von Fibrinfäden erfüllt, zwischen welchen zellige Ele-
mente fast ganz fehlten. Nur an den der Wand zunächst liegen-
den Stellen finden sich solche in sehr spärlicher Zahl vor. Eine
pralle Füllung mit noch unveränderten Blutkörperchen traf ich nur
in den Fällen 4 und 5. Im ungehärteten Zustand kam nur das
Corpus luteum von Fall 3 in meine Hände. Beim Einschneiden
floss aus seinem centralen Hohlraum eine beträchtliche Menge
einer klaren, gelblichen Flüssigkeit aus. Die Begrenzung der
Höhle scheint bei Betrachtung mit freiem Auge aus folgenden
Schichten zusammengesetzt: Zunächst nach aussen das Ovarial-
stroma, das übrigens an den meisten Stellen ausserordentlich
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 173
verdünnt ist, sodass der gelbe Körper fast direkt an die Albuginea
grenzt. Die Hauptmasse der Wand wird von einer gelblich ge-
färbten, ca. 2 mm breiten Zone gebildet, welche sich bei Be-
trachtung unter dem Mikroskop in physiologischer Kochsalz-
lösung in der Hauptsache aus ausserordentlich grossen Zellen
zusammengesetzt zeigt, die zahlreiche, feinste Körnchen ent-
halten und zwischen denen sich Bindegewebe und Blutgefässe
ausbreiten. Zwischen dem Ovarialstroma und jenem gelben Ringe
liegt ein roter Streifen leicht verschieblichen Gewebes, welcher
die grossen Blutgefässe zur Ernährung des Corpus lut. führt.
Nach innen von den Luteinzellen befindet sich eine dünne Lage
eines weichen, zelligen Bindegewebes, welches von einer mehr
minder mächtigen Fibrinschichte bedeckt wird.
Das gleiche Aussehen, wie das Corpus luteum von Fall 3,
besitzen auch die übrigen gelben Körper auf dieser niederen
Entwickelungsstufe. An allen kann man somit als Begrenzung
der Centralhöhle, d. h. als wesentliche Bestandteile des gelben
Körpers unterscheiden:
1. eine innere Auskleidung, die vom Bindegewebe herge-
stellt wird,
2. die Luteinzellmasse,
3. die Schichte der grossen Gefässe, welche teilweise noch
innerhalb, teilweise aber zwischen und ausserhalb der Spindel-
zellen der ehemaligen T. fibrosa des Follikels verlaufen.
Was die viel diskutierte Frage nach dem Bluterguss betrifft,
welcher beim Platzen des Follikels stattfindet, so muss ich be-
tonen, dass ich die Residuen eines solchen in jedem Falle nach-
weisen konnte. Entfärbte rote Blutkörperchen traf ich sogar
noch im frischen Präparat von Fall 3, obwohl die Blutung hier
vor 5 Wochen stattgefunden haben dürfte. An eine Nachblutung
war in diesem Falle nicht zu denken. Die Blutung findet selbst-
verständlich in demselben Masse statt, ob sich der gelbe Körper
zu einem wahren oder falschen ausbildet. Dass in den ersten
174 HANS RABL,
Tagen nach der Ovulation noch Nachblutungen eintreten können,
ist immerhin möglich, doch dürften dieselben hinsichtlich der
Bildung eines Öorpus luteum verum nicht jene grosse Bedeutung
besitzen, welche ihnen von gewissen Autoren zugeschrieben wird.
Ich wende mich nun zur Beschreibung der angeführten
Schichten und beginne mit der Schilderung der Luteinzellen
weil diese ja den Hauptbestandteil der Cystenwand darstellen.
Es handelt sich um Zellen, welche beim Corpus luteum von
Fall 1 eine Grösse von 20—26 u im Durchmesser besitzen; auch
ihre Kerne sind von beträchtlichen Dimensionen (10—12 «), aber
sehr schwach färbbar; sie enthalten innerhalb einer deutlichen
Kernmembran nur ein sehr spärliches Fadengerüst und einen
grösseren Nukleolus. Das Protoplasma tingiert sich mit Eosin
ziemlich stark rot, mit einem Stich ins Gelbliche und macht den
Eindruck eines äusserst feinen Wabenwerkes mit intensiv färb-
baren Wabenwänden, sodass man daraus schliessen kann, dass
vielleicht schon zu dieser Zeit in den Zellen zahlreiche kleinste
Kügelchen eingeschlossen sind. — Die Luteinzellen von Fall 2
können bis zu 35 « im Durchmesser erreichen; ein wabiger Bau
des Protoplasmas war hier nicht zu erkennen. — Am grössten
sind die Zellen von Fall 3. Diese messen im längsten Durch-
messer 50 bis 60 «, ihre Kerne dagegen nur 10—12 «, sind somit
auf der Grösse von Fall 1 stehen geblieben. Nur die allergrössten
Zellen besitzen Kerne, welche bis zu 16 « in der grössten
Richtung messen und demnach gleichfalls noch gewachsen sein
müssen. — Die Zellen enthalten, wie ich bereits früher bemerkt
habe, zahlreiche kleinste Körnchen. Ob diese alle fettiger Natur
sind, muss jedoch bezweifelt werden. An Stücken, welche in
Flemmingscher Flüssigkeit durch mehrere Wochen gehärtet
wurden, finde ich nämlich nicht in allen Zellen schwarz gefärbte
Körnchen; neben solchen, welche Fettkügelchen enthalten , die
gewöhnlich in einem Häufchen beisammen liegen, kommen
andere Zellen vor, welche körnchenfrei sind oder nur winzige,
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 175
mit Saffranin rot gefärbte Kügelchen führen. Man ersieht daraus,
dass sich die Zellen nicht ausschliesslich mit Fett infiltrieren,
sondern auch eiweissartige Nahrungsstoffe aufstappeln; immer-
hin sind die fetthaltigen Zellen in bedeutend grösserer Zahl als
die übrigen vorhanden. Zwischen den Zellen liegen, wie ich bereits
bemerkte, dünnwandige Gefässe und lange, schmale Bindegewebs-
zellen, vielfach zu kleinen Gruppen vereinigt, in radiärer Rich-
tung von der Oberfläche gegen die Höhle des ehemaligen Fol-
likels verlaufend. Dadurch werden auch die Luteinzellmassen-
in Reihen gegliedert, welche in genau radiärer Richtung ange-
ordnet sind.
Nach innen von der hier beschriebenen Schichte liegt jenes
zarte Häutchen aus Bindegewebe, welches die Auskleidung der
Corpus lutem-Höhle bildet. An seiner äusseren Oberfläche be-
sitzt es ein festeres Gefüge, indem sich mehrere Reihen langer,
schmaler Zellen der inneren Oberfläche der Luteinzellschichte
unmittelbar anlagern. Gegen den Bluterguss zu verläuft es
ohne scharfe Grenze. Es,besteht aus Bindegewebszellen, welche
in verschiedenen Abständen von einander liegen, teils spindelig,
teils verzweigt sind und eine ansehnliche Länge besitzen. Ihr
Zellkörper färbt sich intensiv mit saueren Anilinfarben und
zeigt zuweilen eine feine Längsstreifung. Zwischen den Binde
sewebszellen finden sich vereinzelt auch Leukocyten. Als un-
wesentliche Bestandteile dieser Schiehte wären noch ausgelangte
rote Blutkörperchen und Fibrinfäden zu nennen. In dem Corpus
luteum von Fall drei kann man an einzelnen Stellen zwischen
den Zellen zarte, blasse Bindegewebsfasern sehen, welche leicht
gewunden sind und eine regellose Anordnung besitzen. Zellen
und Fasern sind in einer äusserst schwach färbbaren, homogenen
Grundsubstanz eingebettet. Im Hinblick auf ihre Breite zeigt
sich diese Schichte entsprechend dem Alter der untersuchten
gelben Körper verschieden, indem sie beim jüngsten am
schmälsten, beim ältesten am dicksten ist. Bei diesem letzteren
enthält sie bereits einzelne Blutgefässe.
176 HANS RABL,
Die Luteinzellen grenzen — wie schon hervorgehoben wurde
— nieht unmittelbar an das Ovarlalstroma, sondern sind von
demselben durch ein lockeres Gewebe, welches viele und weite
Gefässe führt, getrennt. An verschiedenen Stellen lässt sich noch
die ehemalige T. fibrosa erkennen. Bekanntlich besitzt die
gelbe Rinde am Querschnitt einen schwach wellenförmigen
Verlauf, indem sie in zahlreichen Leisten und Höckern gegen
den inneren Hohlraum vorspringt. Die ursprüngliche Tunica
fibrosa dagegen bildet ein geschlossenes Oval und so kommt es,
dass an den Konvexitäten, mit welchen das Corpus luteum an
das ÖOvarialstroma anschliesst, die Tunica fibrosa den Lutein-
zellen nahezu ganz aufliegt, während an den Einziehungen seiner
Oberfläche dreieckige Zwickel übrig bleiben, in welchen regel-
mässig grössere Gefässe — sowohl Arterien wie Venen — ent-
halten sind.
Übrigens berühren die Luteinzellen auch dort, wo sie am
weitesten gegen das Ovarialstroma vortreten, die T. fibrosa nicht
direkt, oder wenigens geschieht dies nur an sehr wenigen Punk-
ten. Es ist vielmehr fast im ganzen Bereiche der Oberfläche
des gelben Körpers eine Schichte von Zellen eingeschoben, welche,
obzwar bedeutend kleiner als die Luteinzellen, dennoch einen
epithelialen Charakter besitzen. Auf Fig. 29 ist eine Gruppe
derartiger Zellen bei schwacher Vergrösserung dargestellt. Die
Abbildung stammt von Fall 3; bedeutend reichlicher als hier
ist die Menge dieser Zellen bei Fall 1. Dort nehmen sie an
manchen Stellen einen Raum ein, welcher dem der Luteinzellen
an Breite gleichkommt, an vielen Stellen dringen sie auch
zwischen sie ein und können sogar bis zur bindegewebigen Aus-
kleidung der Höhle gelangen. Ich muss somit meine im vorigen
gemachten Angaben über die Hauptsubstanz der wahren Corpora
lutea dahin vervollständigen, dass neben den grossen Luteinzellen
auch noch kleinere, zumeist peripher von ihnen gelegene Zellen
in Betracht kommen, welche gleichfalls — wenn auch nicht
wesentlich — zum Aufbau dieser Schichte beitragen.
Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 177
Was die Grösse dieser Zellen anbelangt, so ist sie eine sehr
verschiedene. Ihr grösster Durchmesser schwankt zwischen
10 und 20 « und darüber. Sie sind gewöhnlich kugelförmig,
manchmal auch in die Länge gestreckt, es ist dies insbesondere
an jenen Stellen der Fall, an welchen sie in radiärer Richtung
gegen die Luteinzellen vordringen. An anderen Punkten wieder
schliessen sie sich diesen aufs engste an und sind dann mehr
weniger in der Richtung parallel der Oberfläche des gelben
Körpers abgeplattet. Ihr Zellkörper färbt sich an Präparaten
aus Müllerscher oder Zenkerscher Flüssigkeit mit Eosin nur
blassrot und macht an Präparaten aus Flemmingscher Lösung
einen ziemlich homogenen Eindruck. Die Kerne sind stärker
färbbar als die der Luteinzellen. Die wichtigste morphologische
Eigenschaft dieser Zellen besteht aber darin, dass sie häufig, be-
sonders dort, wo sie den Luteinzellen anliegen, ihnen allmählich
so ähnlich werden, dass man schliesslich keine scharfe Grenze
zwischen diesen beiden Formationen ziehen kann (Fig. 25). Der
Zellkörper nimmt immer grössere Dimensionen an und erhält eine
Form, welche durchaus der der Luteinzellen entspricht; sein ur-
sprünglich kompaktes Aussehen macht einem zwar äusserst
feinen aber deutlich wabigen Platz, indem sich Fetttröpfchen
darin ablagern; auch der Kern vergrössert sich, kurz: es unter-
liegt keinem Zweifel, dass diese Zellen sich allmählich zu Lutein-
zellen umbilden. Welcher Abkunft diese Zellen sind, soll später
erörtert werden.
Diejenigen Zellen, welche nach innen von den soeben be-
schriebenen liegen, die ursprünglichen Luteinzellen, können nach
den Ermittelungen Sobottas bei Maus und Kaninchen nichts
anderes als die hypertrophierten Granulosazellen sein. In einem
nahezu reifen Follikel besitzen dieselben einen Durchmesser von
8—12 u, doch trifft man auch vereinzelt solche bis zu einer
Grösse von 18 u. Der Durchmesser ihrer Kerne schwankt zwischen
6 und $u. Aus diesen und den oben angeführten Zahlen geht
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXIV’XXXV. Heft (11. Bd. H. 12.) 12
178 HANS RABL,
hervor, dass sich die Follikelzellen im Laufe des ersten Monates
bedeutend vergrössern können, um am Anfang des zweiten einen
ca. Bmal so grossen Durchmesser, d. h. als Kugeln berechnet
ein 125 faches Volumen gegenüber den Verhältnissen als Granu-
losazellen zu besitzen. Auf Grund von Messungen Luschkas
nimmt Sobotta eine Vergrösserung der Granulosazellen des
Menschen um mehr als das 350—40fache an und glaubt hier-
durch die vollständige Ausfüllung der Höhle eines geplatzten
Follikels ohne Vermehrung der Zellen erklären zu können. Um
wie viel besser würde die Rechnung stimmen, wenn man der-
selben die von mir gefundenen Zahlen zu Grunde legen würde!
Doch muss ich fast fürchten, dass jene abnorme Grösse der
Luteinzellen ein Ausnahmsfall war. An Schnitten durch ein
Corpus luteum vom 3. Monat, welche mir Herr Dr. Mandl
freundlichst zur Durchsicht überliess, betrug der Durchmesser
der Zellen durchschnittlich 20 «. Bei einem Corpus Juteum
aus dem fünften Monat konnte ich gleichfalls in den meisten
Zellen einen Durchmesser von nur 20 u nachweisen; bloss in ein-
zelnen Fällen, wenn besonders grosse Zellen vorlagen, die über-
dies nicht polyedrisch oder kugelig, sondern oval waren, kommt
es vor, dass ihr längster Durchmesser 40 u beträgt. Aus dem
Vergleich dieser beiden Präparate mit Fall 3 muss man den
Schluss ziehen, dass die Grösse der Luteinzellen eine schwankende
ist. Oder sollten sich die Zellen, nachdem sie rasch ein so ab-
normes Volumen erreicht haben, sich alsbald wieder verkleinern?
Diese Fragen lassen sich nur an einem grösseren Material, als
das meine war, entscheiden.
Auffallend ist die ausserordentliche Weite des Hohlraumes
in jungen wahren gelben Körpern. Diese Erscheinung ist in
allen drei Fällen zu erkennen. Hohlraum + Rinde beträgt bei
Fall 1 (an einem Schnitt gemessen) in einer Dimension 20, ın
der darauf senkrechten 22!/g mm; bei Fall 3, bei welchem das
Corpus luteum angeschnitten worden war, sodass es kollabierte,
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 179
9:21. Dabei besitzt die Rinde an reinen Querschnitten höchstens
eine Dicke von 2—2!/» mm. Es ergibt sich daraus, dass die
jungen Corpora lutea, wenigstens im allgemeinen, grösser sind
als die sprungreifen Follikel und dass somit ein umgekehrtes Ver-
hältnis wie beim Kaninchen besteht, bei welchem die letzteren
die Corpora lutea um das S—10fache übertreffen. Ganz andere
Masse besitzen die falschen gelben Körper. Derjenige, welcher
von Fall 4 stammt, besass in der Richtung vertikal zur Ober-
fläche eine Länge von 6,25 mm, in der darauf senkrechten eine
solche von 4,6 mm. Er war also in seinem Volumen kleiner als
die meisten reifen Follikel. Auch die übrigen gelben Körper
dieser Art, welche ich zu untersuchen Gelegenheit hatte, be-
sassen dieselbe oder eine noch kleinere Gestalt und stimmten
demnach hinsichtlich der Grössenverhältnisse mit den gelben
Körpern der Tiere überein.
Ausnahmen von dieser Regel bilden nur solche Fälle, bei
welchen eine besonders starke Blutung in den Follikel stattfindet,
wodurch sein Cavum sehr stark ausgedehnt wird. Doch scheint
das Blut rasch resorbiert zu werden, denn ich habe niemals
falsche gelbe Körper gefunden, die sich durch den Fettgehalt ihrer
Zellen als nicht mehr ganz frisch erwiesen und trotzdem grösser
als reife Follikel gewesen wären. Eine zweite Kategorie ver-
grösserter Corpora lutea spuria bilden die sogenannten doppelten
gelben Körper (Rokitansky). Ein Fall dieser Art, den ich
zu untersuchen Gelegenheit hatte, stammte voneiner Frau, welche
wegen Myoms des Uterus operirt worden war, während sie sich
eben am 4. Tage ihrer Menstruation befand. Das Corpus luteum
war insofern ein doppeltes, als es aus zwei ineinander ge-
schachtelten gelben Körpern bestand, zwischen welchen sich ein
frischer Bluterguss ausbreitete. Durch diesen war die ursprüng-
lich zusammenhängende Luteimzellmasse in eine periphere Schale
und einen centralen Abschnitt zersprengt worden. Nach seinen
anderweitigen Eigenschaften möchte ich diesen Körper nicht
12*
180 HANS RABL,
mit der eben vorhandenen Menstruation in Zusammenhang
bringen; nur der Bluterguss, dem er seine Verdoppelung ver-
dankt, dürfte durch die kongestive Hyperämie, welche die Blut-
verteiluing im Ovarium während der Menstruation beherrscht,
hervorgerufen worden sein.
Welches istnun die Ursache für die so verschiedene Grösse
von Corpus luteum verum und spurum? Es ist dies eine Frage,
die bekanntlich schon von vielen Seiten aufgeworfen und in
mannigfacher Weise beantwortet wurde. Selbstverständlich muss
man bei der Erörterung derselben von den jüngsten Stadien
ausgehen, weil schon dort der Unterschied ein so bedeutender
ist. Die Grösse des Corpus luteum verum muss auf Rechnung
zweier Faktoren gesetzt werden:
1. Auf Rechnung der Grösse der Luteinzellen,
2. auf Rechnung der in der Höhle enthaltenen Flüssigkeits-
menge. Über die Grösse der Zellen der wahren gelben Körper
habe ich bereits berichtet. Ich muss darum noch einige Zahlen
hinsichtlich der Zellen der Corpora lut. spur. anführen. In dem
soeben erwähnten Corpus luteum duplex besassen die Luteinzellen
einen Durchmesser von 12—18 u; im gelben Körper von Fall 4
inessen sie durchschnittlich 16—20 u im Durchmesser. Im Cor-
pus Juteum von Fall 5 schwankte die Grösse der Zellen zwischen
12 und 16 « im Durchmesser. Ausser an den angeführten habe
ich noch an einer Reihe etwas älterer, gelber Körper Messungen
der Zellen vorgenommen, aber keine Ausnahme von der Regel
konstatieren können, dass die Zellen der falschen gelben Körper
im Durchschnitt an Masse bedeutend kleiner sind als die der
wahren. Es ist also auch die Summe dieser Zellen, die gelbe
Rinde der falschen Körper von viel kleinerem Volumen als die
der wahren.
Bezüglich des Hohlraumes der Corpora lutea vera habe ich
bereits hervorgehoben, dass derselbe sogar grösser als der des
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 181
ehemaligen Follikels ist und demnach den eines Corpus luteum
spurium bedeutend übertrifft. Ich glaube, dass auf dieses letz-
tere Moment der Schwerpunkt in der oben gestellten Frage ge-
legt werden muss, denn es lässt sich wohl nicht gut denken,
dass die Luteinzellen bei ihrer Vergrösserung die Hülle des
Follikes, resp. das umgebende Ovarialstroma aktiv nach aussen
drängen. Sie wachsen vielmehr bei diesem Prozess gegen den
Follikelraum zu, weil sie dort einen viel geringeren Widerstand
zu überwinden haben. Das wellige Aussehen, welches ihre
Schichte am Querschnitte darbietet, rührt davon her, dass die
Zellen bei ihrer Vergrösserung auf der Innenseite des Follikels
nicht mehr Platz finden, und daher die Fläche, auf welcher
sie gezwungen sind sich auszubreiten, zu vergrössern trachten
müssen. Ich komme also zu dem Ergebnis, dass die Grösse der
wahren gelben Körper in ihrem Entwickelungsstadium vor allem
auf der reichen Flüssigkeitsmenge beruht, welche in ihnen ent-
halten ist. Erst nach ein paar Monaten, wenn die Flüssigkeit
resorbiert ist, kommt die Grösse der einzelnen Luteinzellen zur
Geltung.
Zur gleichen Erwägung im Hinblick auf die Frühstadien
ist auch Hoelzl gekommen. Er meint, dass bei der Vergrös-
serung des Hohlraumes gelber Körper speziell Nachblutungen
in Betracht zu ziehen wären. Dem kann ich mich deshalb nicht
anschliessen, weil ich auch im jüngsten Corpus luteum verum
keine frische Blutung vorfand. Wenn hier demnach solche in
Frage kämen, so könnten sie nur in den allerersten Tagen er-
folgen. Dann ist es aber nicht zu begreifen, warum die Flüssig-
keit auch noch in einem 5 Wochen alten Corpus luteum in un-
geschmälerter Menge vorhanden ist. Man würde erwarten, dass
sie in diesem Zeitraum mehr weniger vollständig zur Resorption
gelangt wäre. Ich glaube darum ein kontinuierliches Zu-
strömen von Flüssigkeit annehmen zu müssen. Ein jedes Ova-
rium, welches aus den ersten Zeiten der Gravidität stammt, ist
182 HANS RABL,
strotzend mit Blut gefüllt. Überall sind die Gefässe ausgedehnt
— auch in der Hülle des gelben Körpers; und so wird auch die
Luteinzellmasse durch ihre neugebildeten Gefässe aufs reichlichste
mit Blut versorgt. Aus diesen Gefässen transsudiert die Flüssig-
keit in den centralen Hohlraum.
Dieser Vorgang nimmt aber in dem Masse ab, als sich
einerseits die Gefässwände verdicken und andererseits die zu-
strömende Blutmenge verringert. Überdies wird die im cen-
tralen Hohlraum enthaltene Flüssigkeit unter einen immer stär-
keren Druck gesetzt, indem sie durch die vordringenden Zell-
massen auf einen immer kleineren Raum eingeschränkt wird.
Schliesslich kommt es zu ihrer vollkommenen Verdrängung und
Aufsaugung. Wenn durch irgendwelche, gegenwärtig noch nicht
näher erforschte Bedingungen die Transsudation eine abnorm
intensive ist, so kommt es zu einer Umwandlung des Corpus
luteum in eine Corpus luteum-Cyste. Gerade das Vorkommen
dieser letzteren spricht meiner Meinung nach sehr zu Gunsten
der hier vorgetragenen Theorie.
Ebenso wie die im Corpus luteum-Cavum angesammelte
Flüssigkeit ist auch die kolossale Vergrösserung seiner Zellen
eine Folge der kongestiven Hyperämie des Ovarium, indem die
Blutgefässe der Luteinzellmasse einerseits reichlicher an Zahl,
andererseits auch praller in der Füllung als bei falschen, gelben
Körpern sind und demnach natürlich eine ausgiebige Ernährung
der Zellen eintreten kann. Dafür, dass durch die Hyperämie
während der Schwangerschaft auch an anderen Stellen des Ova-
rium Hypertrophien von Zellen vorkommen können, sind die
von Schmorl veröffentlichten Beobachtungen hinsichtlich des
Vorkommens deciduaähnlicher Zellen im Peritoneum und Ova-
rium sprechende Beweise. Ich kann dieselben durch eigene er-
gänzen und teile hiervon eine Abbildung (Fig. 27) mit. Bemerkens-
wert ist, dass, wie dies auch Schmorl hervorhebt, diese durch
Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 183
Hypertrophie einfacher Stromazellen entstandenen Deciduazellen
ähnlichen Formen ausschliesslich an der Oberfläche der Ovarien
vorzukommen scheinen und da — wie ich beifügen muss —
vor allem in der Nähe von Corpora fibrosa auftreten. In einem
Falle waren sie übrigens nicht flächenhaft an der Oberfläche des
Ovarium ausgebreitet, sondern bildeten sogar eine papillomatöse
Wucherung, welche an der Stelle, an welcher sich die Narbe
eines alten Corpus luteum befand, hervorragte. — Auffallend
ist die ausserordentliche Zahl und Weite der Blutgefässe, welche
regelmässig zwischen jenen hypertrophierten Zellen verlaufen.
Nach der Dünnheit ihrer Wand zu urteilen, dürften sie neuge-
bildet sein. Die Vergrösserung der anliegenden Bindegewebs-
zellen muss auch hier, ebenso wie bezüglich der Luteinzellen,
auf ihre Überernährung seitens dieser Blutgefässe zurückgeführt
werden.
Ich muss jetzt nochmals auf jene Zellen zu sprechen kommen,
welche zwischen der eigentlichen Luteinzellmasse und der Tunica
fibrosa junger Corpora lutea liegen und bezüglich derer ich nach-
gewiesen hatte, dass sie sich in Luteinzellen umwandeln. Durch
diese Zellen, welche sich von der Peripherie aus den von vorn-
herein als solchen entwickelten Luteinzellen anschliessen, wird
demnach die ganze Masse des gelben Körpers vergrössert. Ob
das Vorkommen jener Zellen auf den Menschen beschränkt ist
oder auch bei anderen Tieren beobachtet werden kann, ist noch
unbekannt; jedesfalls aber fehlen sie bei Maus und Kaninchen
und komplizieren den Prozess der Corpus luteum-Bildung in
höchst unerfreulicher Weise.
Am reichlichsten finde ich jene Zellen in Fall 1, am spär-
lichsten in Fall 3. Hier liegen sie ausschliesslich innerhalb der
fibrösen Hülle. Über den nach aussen vorspringenden Partien
des Corpus luteum sind sie in 1—2 Zellen breiter Schichte an-
geordnet, können übrigens an dieser Stelle auch ganz fehlen.
154 HANS RABL,
In den früher erwähnten Zwickeln dagegen bilden sie grössere
Anhäufungen und dringen dort auch noch ein beträchtliches
Stück zwischen die echten Luteinzellen vor. Bei Fall 1 und an
vereinzelten Stellen von Fall 2 finden sich jene Zellmassen auch
nach aussen von der Tunica fibrosa. Es ist dies ein sicherer
Beweis, dass es nicht in ihrer Entwickelung zurückgebliebene
Follikelepithelien sind, welche im Gegensatz zu den übrigen erst
im Laufe des 1. und 2. Monats ihre volle Ausbildung erreichen.
Auch sind die sämtlichen, an ihrer Grösse und Struktur als
echte Luteinzellen kenntlichen Gebilde in einer kontinuierlichen
Lage angeordnet, während jene Zellen vielfach gruppenweise
oder in Reihen einzeln hinter einander liegend, im Binde-
gewebe verstreut sind. Wenn es sich aber nicht um Granulosa-
zellen handelt, so können es nur Zellen des Ovarialstromas sein,
welehe unter dem Einfluss der Schwangerschaft ebenso wie im
obenerwähnten Falle eine ‘besondere Grösse erlangen und da-
durch, dass sie teilweise unmittelbar neben den echten Lutein-
zellen zu liegen kommen, die Masse des gelben Körpers ver-
mehren. Übergänge zwischen diesen beiden Zellarten trifft man
vor allem dort, wo sie an einander grenzen; seltener geschieht
es, dass innerhalb einer Gruppe abseits liegender epitheloider
Stromazellen einzelne eine besondere Grösse zeigen. —
Eine weitere wichtige Frage ist nun die: Was geschieht
ınit diesen eigentümlichen Zellen später? Werden alle zu
Luteinzellen oder wird ein etwa übrig gebliebener Rest zu
gewöhnlichen Stromazellen rückgebildet oder geht derselbe zu
Grunde?
Ich muss zunächst bemerken, dass an den schon er-
wähnten Schnitten durch ein Corpus luteum vom 4. Monat diese
Zellen nicht mehr zu sehen sind. Sie fehlen natürlich um so
mehr an gelben Körpern von höherem Alter. Dass sie nicht
sämtlich zu Luteinzellen umgebildet werden, geht aus Beobach-
Burn.
Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 18
tungen hervor, die ich an Fall 3 anstellen konnte. Während
man dort an gewissen Stellen, wie aus der Figur 30 zu ent-
nehmen ist, noch den Übergang der epitheloiden Zellen zu
Luteinzellen verfolgen kann, trifft man an anderen Punkten deut-
liche Rückbildungserscheinungen in den Zellen. In dem Kern
zeigt das Chromatin die für die Chromatolyse charakteristischen
Verklumpungen; in anderen Fällen färben sich die Kerne in toto
mit Eosin rot, wobei ihre Struktur ziemlich undeutlich wird.
Die Zellkörper verkleinern sich zusehends und nehmen zum
Schlusse bei Hämatoxylin-Eosin-Färbung gleichfalls eine leuch-
tend rote Farbe an, indess sie in kleine Körnchen zerfallen.
Ob auf dem hier beschriebenen Wege alle epitheloiden
Zellen zu Grunde gehen, welche nicht zu Luteinzellen werden,
ob sich auch ein Teil derselben im Bindegewebe zurückbilden
kann, was endlich das Schicksal derjenigen Formen ist, welche
die Gestalt der Luteinzellen angenommen haben, kann ich nicht
entscheiden. In letzterer Hinsicht möchte ich nur bemerken, dass
sich im Corpus luteum von Fall 3 nicht selten Degenerationen
auch in grossen Luteinzellen finden. Es treten im Zellkörper
entweder zahlreiche kleinere oder nur wenige grössere homogene
Klumpen auf, die sich mit Eosin und Saflranin sehr stark
tingieren und wohl die Bezeichnung von Kolloidtropfen ver-
dienen. Die Zelle wird schliesslich in einen ganzen Haufen der-
artiger Tropfen umgewandelt, wobei allmählich auch der Kern
seine Färbbarkeit für Hämatoxylin verliert und homogen wird.
Zur Vervollständigung der Schilderung jener Zellen muss
ich schliesslich noch anfügen, dass es mir nicht gelungen ist,
Mitosen in ihnen aufzufinden. Allerdings war das Corpus
luteum von Falli in Müllerscher Flüssigkeit gehärtet worden
und wäre demnach eine Kernteilung nur schwer zu diagnosti-
zieren. Dagegen war Fall 2 in Zenker und Fall 3, in mehrere
Stückchen zerlegt, in Alkohol, Pikrin-Sublimat und Chrom-Osmium-
186 HANS RABL,
Eisessig gehärtet worden. Übrigens ist dieser negative Befund
schon von vornherein zu erwarten, weil, wie ich bereits bemerkte,
die Zahl jener Zellen bei zunehmendem Alter des gelben Kör-
pers abnimmt. Es käme eben vor allem darauf an, noch
jüngere Stadien zu untersuchen, eine Forderung, die aber leider
beinahe unmöglich zu erfüllen ist.
Mitosen in den gewöhnlichen Luteinzellen fand ich nur
einmal. Das einzige hierfür geeignete Objekt war der Fall 5. —
In diesem waren sie jedoch nicht so selten. Das Ovarium war
in Alkohol gehärtet und die Kernfiguren darum nicht deutlich
erhalten, doch liessen sich die Mitosen immerhin erkennen. In
dieser Beobachtung liegt auch der wesentliche Grund, um dessent-
willen ich jenen gelben Körper noch für sehr jung halten muss.
Ich habe hiermit über alles Erwähnenswerte berichtet,
was ich bei der Untersuchung der auf Seite 171 aufgezählten
gelben Körper zu finden Gelegenheit hatte. Das weitere Wachs-
tum der Corpora lutea ist bereits so oft geschildert worden, dass
ich mich diesbezüglich ganz kurz fassen kann. Der centrale,
von Flüssigkeit erfüllte Hohlraum ist noch bei einem 3 und
einem 5 Monate alten Körper vorhanden. Später verschwindet
er und das Bindegewebe, welches zu seiner Begrenzung diente,
bildet dann jenen Kern, welcher bekanntlich die Mitte älterer
Corpora lutea darstellt. Er besteht aus zahlreichen Binde-
gewebszellen und Fasern, welche anfänglich zumeist noch un-
geordnet verlaufen und erst in dem Masse als das Corpus luteum
vom Ovarialstroma in emer bestimmten Richtung zusammen-
gedrückt wird, sich senkrecht zu dieser in paralleler Richtung
gruppieren.
Die Luteinzellen nehmen in den letzten Monaten der Schwanger-
schaft an Grösse ab, der gelbe Körper verliert im ganzen an
Turgor und durch den Druck des Nachbargewebes wird seine
ehemals kugelige oder eirunde Gestalt mit glatter Oberfläche in
eine unregelmässige, oftmals tiefgelappte übergeführt.
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete, 187
Als Inhalt der Luteinzellen finde ich beim Corpus luteum
aus dem 5. Monat zahlreiche kleine, dichtgelagerte, mit Eosin
rosenrot gefärbte Körnchen. Dieselben Körnchen lassen sich
auch an gelben Körpern höheren Alters nachweisen. An einem
Corpus luteum, das von einer Frau stammte, die während der
Geburt eines reifen Kindes gestorben war, ergab die frische
Untersuchung in physiologischer Kochsalzlösung in den Zellen
eine ausserordentlich grosse Menge farbloser Einlagerungen,
welche nicht fettiger Natur sein konnten, da sie einerseits nicht
immer kugelig andererseits nur schwach lichtbrechend waren.
Mit diesem mikroskopischen Befunde stimmt auch das makro-
skopische Verhalten der wahren gelben Körper im höheren Alter
überein, indem dieselben im frischen Zustand am Durchschnitt
graurot gefärbt sind. Doch enthalten auch diese Gebilde regel-
mässig vereinzelte Zellen, welche sich durch besondere Grösse
auszeichnen und eine exquisit wabige Struktur ihres Proto-
plasmas besitzen. Solche Zellen führen sieherlich Fett. Ver-
gleicht man die Corpora lutea dieses Alters mit solchen aus
jüngeren Entwickelungsstadien, wie sie auf Seite 174 geschildert
wurden, so ergiebt sich ein gewisser Gegensatz, indem bei den
ersteren die fettfreien, bei den letzteren die fetthaltigen Zellen
überwiegen. Es ist somit das Fett aus dem grössten Theile der
Zellen verschwunden. In welcher Weise sich jedoch dieser
Prozess vollzieht, ist eine jener vielen derzeit noch unlösbaren
Fragen, an welchen die Histologie unseres Organs so überreich ist.
Ein ganz anderes Aussehen bieten bekanntlich die falschen
gelben Körper dar, indem ihre Farbe eine saturiert gelbe ist.
Hier infiltrieren sich die Zellen bald nach ihrer Vergrösserung
mit Fett und verbleiben in diesem Zustand, bis sie entweder
gänzlich degenerieren oder sich in Pigmentzellen verwandeln
(siehe unten).
Corpora lutea vera, welche nachweislich äiter als 9 Monate
waren, habe ich nicht zur Untersuchung erhalten; ich kann
188 HANS RABL,
darum nicht sagen, wann die eigentlichen Rückbildungserschei-
nungen an den Zellen einsetzen; am Bindegewebe und Gefäss-
apparat sind hingegen schon vom 7. Monat an degenerative
Veränderungen zu beobachten, welche ich im folgenden Ab-
schnitt genauer beschreiben werde.
Am Schlusse dieses Abschnittes möchte ich der Schilderung
der Corpora lutea des Menschen noch einige Bemerkungen über
die von Maus, Meerschweinchen und Katze speziell im Hinblick
auf ihren Fettgehalt anfügen. Wie dies bereits Sobotta be-
merkt, wird in den Corpora lutea der Maus, solange sie noch
in Entwickelung begriffen sind, kein Fett angetroffen. Das-
selbe lagert sich erst vom 4. Tage an und in wechselnder
Menge im Protoplasma ab, oft sind die Tröpfchen zu einem
Haufen gruppiert, der eine excentrische Lage in der Zelle
einnimnit. Ich kann diese Beobachtungen vollauf bestätigen
und habe sogar wiederholt. Corpora lutea angetroffen, welche,
obwohl sie bereits vollständig ausgebildet waren, noch keine
Spur von Fetttröpfehen enthielten. Die Ovarien waren ca.
3 Wochen lang in Flemmingschem Gemisch gehärtet wor-
den; die Schnittdicke schwankte in den betreffenden Fällen
zwischen 5 und 10 «: die Körnchen hätten somit wohl erkannt
werden müssen, wenn sie vorhanden gewesen wären. Auf
Grund seiner reichen Erfahrung kommt Sobotta zu dem
Schluss: „Im allgemeinen enthält das Corpus luteum um so
mehr Fett, je älter es ist.“
Dieselben Verhältnisse wie bei der Maus liegen auch beim
Meerschweinchen und der Katze vor. Man kann nur insoferne
einen Unterschied bemerken, als die gelben Körper, in dem
Masse, als sie sich mit Fett infiltrieren, kleiner werden und ihre
Form verändern. Während das Corpus luteum der Maus und
auch der Ratte noch nach längerem Bestande eimen Körper von
bedeutender Festigkeit darstellt, ist ein altes Corpus luteum eines
Meerschweinchens, noch mehr einer Katze, ein sehr weiches
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 189
Gebilde, welches durch die anliegenden, wachsenden Follikel
und jüngeren gelben Körper in seiner Gestalt beeinflusst wird.
Man kann gelbe Körper beobachten, welche sanduhrförmig ein-
geschnürt sind oder an Schnitten sogar die Form einer Sichel
besitzen, welche sich mit ihrer konkaven Seite einem Graaf-
schen Bläschen genau anpasst. Diese gelben Körper sind im
ganzen kleiner, nach Behandlung mit Flemmingschem Ge-
misch erscheinen ihre Zellen so dicht mit Fett angefüllt, dass
der Kern nur in Ausnahmefällen sichtbar ist. Im Laufe der
Zeit werden sie durch die umgebenden Gebilde in Stücke zer-
trennt, welche ihren Zusammenhang nicht mit Sicherheit er-
kennen lassen, sodass man wohl berechtigt ist, auch hier von
einer Rückbildung der Corpora lutea zu sprechen.
Beim Kaninchen liegen ähnliche Verhältnisse, wie sie eben
geschildert wurden, vor. Nach den Beobachtungen Sobottas
scheint bei der Rückbildung eine Fettmetamorphose der Epithelien
die Hauptrolle zu spielen, während das bindegewebige Gerüst
persistiert, schrumpft und sich zu Narbengewebe umbildet. Diese
Prozesse sind somit denjenigen sehr ähnlich, welche sich bei der
Rückbildung der Corpora lutea spuria des Menschen abspielen
und welche ich im folgenden genauer beschreiben werde.
II.
Das Corpus fibrosum.
Die Betrachtung einer grösseren Reihe sich rückbildender
und rückgebildeter Corpora lutea lehrt, dass dieser Prozess nicht
immer in denselben Bahnen verläuft. So mannigfaltig auch das
Aussehen ihrer Rückbildungsformen ist, so lassen sich doch zwei
Haupttypen unter denselben unterscheiden. Um die Darstellung
möglichst klar zu gestalten, glaube ich am besten zu thun, wenn
190 HANS RABL,
ich, gleich wie im 1. Kapitel zunächst die Endprodakte schildere
und erst dann die Umwandlung des gelben Körpers zu denselben
anfüge.
Der einfachere Fall ist jener, bei welchem die Luteinzell-
schichte entweder ganz spurlos oder mit Hinterlassung verein-
zelter Pigmentzellen verschwindet und nur der bindegewebige
Kern des gelben Körpers übrig bleibt. Dieser bildet ein gewöhn-
lich strangförmiges Gebilde, welches seine Abkunft noch durch
die Lage erkennen lässt, indem er teils senkrecht, teils schräg
gegen die Oberfläche gerichtet ist und an seiner Spitze nur
durch eine dünne Schichte von Stromazellen von der Albu-
ginea getrennt ist. Manchmal ist jene Stelle, der Oberfläche,
welche dem Ende des Stranges zunächst liegt, leicht ein-
gezogen. Die Breite des Siranges variiert; während er manch-
mal ein grösseres Feld einnehmen kann, wird er in anderen
Fällen stark verdünnt und‘nur auf einige wenige Bindegewebs-
zellen und parallel mit ihnen verlaufende Fibrillenbündel redu-
ziert. Da das Corpus luteum in seinen späteren Stadien
gelappt ist — Virchow vergleicht die Durchschnittsfigur des-
selben mit einem Eichenblatt — so ist auch jene bindegewebige
Narbe häufig verzweigt.
Teils innerhalb derselben, teils an ihrer Oberfläche, häufig
auch noch zwischen den nächsten Stromazellen trifft man Pig-
mentzellen mit einem schmalen, in feine Äste auslaufenden Zell-
körper und einem kugeligen chromatinreichen Kern. Die Pig-
mentkugeln sind gewöhnlich braungelb und können eine Grösse
von 8u und darüber erreichen. Neben diesen grossen Tropfen
findet man aber auch regelmässig, wenn auch spärlich, kleinere
und kleinste, welche nur eine ganz schwache grünliche Färbung
und eckige Formen besitzen. Diese Pigmentzellen sind be-
züglich ihrer Herkunft von höchstem Interesse. Da sie sich in
jedem Falle der Rückbildung der gelben Körper vorfinden, will
ich gleich hier näher auf dieselben eingehen.
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 191
Betrachtet man einen gelben Körper — ich spreche hier
nur von Corpora lutea spuria — welcher in der Rückbildung
noch nicht so weit vorgeschritten ist, wie in den eingangs be-
sprochenen Fällen, so findet man der centralen Bindegewebs-
narbe noch die Luteinzellen anliegend. Diese sind grosse kugelige
Gebilde von 20 « Durchmesser, welche einen central gelegenen,
kugeligen Kem besitzen und von zahlreichen, grossen Fett-
tropfen erfüllt sind. Das zwischen ihnen gelegene protoplas-
matische Netzwerk erscheint farblos. An älteren Luteinzellen
nimmt es allmählich eine ganz blasse, diffuse, gelbliche Fär-
bung an (Fig. 40). An einzelnen Punkten des Netzes werden
hierauf die Körnchen sichtbar. Zunächst sind es die grün-
lichen, später treten grössere, gelb gefärbte Kugeln auf,
welche sich offenbar aus den zuerst entstandenen entwickelt
haben (Fig. 41). Dadurch wird die Luteinzelle in eine Pig-
mentzelle umgewandelt. Im selben Mass, als das Pigment
erscheint, schwindet das Fett; die Zelle verliert ihre kugelige
Gestalt und wird spindelförmig. Mit dieser Veränderung der
Gestalt gewinnt sie auch eine gewisse Beweglichkeit, denn
man trifft die Pigmentkörper später — wie ich bereits her-
vorgehoben habe — einerseits im Nachbargewebe, andererseits
auch im centralen bindewebigen Strang. Oft aber sind sie noch
in Reihen hintereinander zwischen den radiären Bindegewebs-
zügen der Luteinzellschichte eingelagert und lassen durch diese
Anordnung ihre Abkunft aufs klarste erkennen. — Diese Ver-
änderungen erfahren jedoch nicht alle Luteinzellen eines gelben
Körpers. Ein grosser Teil geht schon in einer früheren Periode
zu Grunde, wobei an den Kernen chromatolytische Figuren auf-
treten. Ich habe dieselben in dem früher beschriebenen Corpus
luteum duplex in besonders reichem Masse angetroffen.
Wir haben somit in dem oben behandelten Falle ein exqui-
sites Beispiel von Metaplasie vor uns, indem Zellen, welche nach-
weislich epithelialer Natur sind, zu schmalen, spindelförmigen,
192 HANS RABL,
manchmal auch verzweigten Gebilden werden, welche vielleicht
sogar eine amöboide Beweglichkeit besitzen kurz, von gewissen
Zellen des Bindegewebes nicht unterschieden werden können.
Ein besonderes Interesse erheischt noch die Frage nach der
Natur des Pigmentes. Zur Beantwortung derselben wurden
Schnitte, die einer Serie entnommen waren, deren unmittelbare
Nachbarschnitte also zum Vergleiche jeder Zeit herangezogen
werden konnten, mit Ferroeyankalium und Salzsäure behandelt.
Zur nachträglichen Kernfärbung wurde Mayers Karmalaun ver-
wendet. Unter solchen Umständen erfährt das Pigment eine
intensive Blaufärbung. Sie ist am stärksten und reinsten an
den grossen gelbbraunen, kugeligen oder ovalen Tropfen, wäh-
rend die kleinen und blässeren oft nur einen grünen Ton an-
nahmen. Auch das protoplasmatische Netzwerk erhält stellen-
weise eine diffuse blaue Farbe, doch scheint dies nur bei
jenen Zellen zu geschehen, welche schon im frischen Zustand
eine gelbliche Farbe besitzen. Aus alldem geht hervor, dass die
Pigmentierung durch einen eisenhaltigen Farbstoff geschieht
und da wir gewohnt sind, als solchen ausschliesslich den Blut-
farbstoff zu betrachten, so schien es mir am wahrscheinlichsten, dass
derselbe auch im vorliegenden Falle in Betracht kommen müsste.
Eine derartige Annahme lässt sich auch leicht begründen.
Der centrale Hohlraum des Corpus luteum ist ja ursprünglich
mit roten Blutkörperchen vollgepfropft, welche aber allmählich
ihren Farbstoff an die umgebende Flüssigkeit abgeben. Es liegt
nun die Vermutung nahe, dass die Luteinzellen das Substrat
für die künftige Pigmentbildung aus ihrer Umgebung, welche
Hämoglobin in reicher Menge gelöst enthalten muss, aufnehmen.
Dann könnte ihre Pigmentierung als eine Auskrystallisierung
des Blutfarbstoffes aus dem Protoplasma der Zelle, mit oder
ohne ihrem Zuthun aufgefasst werden. Eine ähnliche Theorie
wurde seiner Zeit von Gussenbauer für die Herkunft des
Pigmentes in melanotischen Tumoren aufgestellt.
Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 193
Diese Annahme findet nur darin ein Hindernis, dass die
Pigmentbildung ausschliesslich auf die Luteinzellen beschränkt
ist. Darum glaube ich, eine andere Möglichkeit, wenn sie auch
mit unseren vorläufigen Kenntnissen über die Herkunft des
gelben Pigmentes nicht harmoniert, ins Auge fassen zu müssen.
In Schnitten durch ein Ovarium, welches von einer Frau
stammte, die wegen Myoms des Uterus operiert worden war
und welches, in Stücke zerlegt, in Flemmingscher Mischung
gehärtet wurde, traf ich einen Körper, der nach seinem Aus-
sehen in jeder Hinsicht als Corpus fibrosum angesprochen wer-
den musste und dessen Oberfläche zahlreiche Zellen mit in-
tensiv geschwärzten Einschlüssen aufgelagert waren. Nach der
Form jener Zellen, nach ihrer Lage, ihrer Grösse, sowie nach
dem Aussehen der geschwärzten Körper innerhalb der Zellen
ist es nicht zweifelhaft, dass hier die Osmiumsäurereaktion an
Pigmentzellen aufgetreten war. Es besitzt somit dieses Pigment
die Eigentümlichkeit, sich mit Überosmiumsäure schwarz zu
färben, während es andererseits abspaltbares Eisen enthält.
Vielleicht vollzieht sich der Prozess der Pigmentbildung in der
Weise, dass die Fetttropfen ihren Farbstoff, das Lutein, an das
Protoplasma abgeben, wo derselbe in Form solider Körnchen
ausgefällt wird, die durch weiteres Hinzutreten neuen Bildungs-
stoffes immer mehr an Grösse zunehmen.
Die Thatsache, dass in atrophischen Fettzellen — denn als
solche dürfen wir die sich rückbildenden Luteinzellen vom phy-
siologischen Standpunkte aus betrachten — Pigmentkörnchen auf
treten, ist übrigens nicht neu. Schon Flemming hat, allerdings
nur bei pathologischem Fettschwund, bei Kaninchen, die an
Distomen gelitten hatten, eine Anfüllung von Fettzellen mit einer
dunkelgelben, feinkörnigen Masse beobachtet und beschreibt auch
bei Ratten, an welchen eine Gallengangsunterbindung ausgeführt
worden war, „kleinere unregelmässig verteilte Fettkörner von
Anatomische Hefte I. Abteilung. XXXIV/XXXV. Heft (11. Bd., H. 12.) 13
194 HANS RABL,
eckiger Gestalt, von eigentümlich mattem Glanze“, die sich jedoch
im Gegensatz zu meinen Befunden, mit Osmium nicht färbten.
Auch eine Beobachtung von Fraenkel, die sich auf Corpus
luteum-COysten bezieht, kann ich hier eitieren. Fraenkel fand
nämlich in der Wand der Öysten zahlreiche, grosse Zellen, welche
häufig Pigmentschollen enthielten. Ohne eingehendere Unter-
suchung bezüglich ihrer Entstehung bezeichnet er sie als Blut-
pigment — in Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre,
dass alles Pigment in gelben Körpern vom Blutfarbstoff stamme.
Es scheint mir aber wahrscheinlicher, dass hier dasselbe Pig-
ment wie bei gewöhnlicher Rückbildung gelber Körper vorlag,
da die Zellen, welche jenes Pigment enthielten, nach der Be-
schreibung des Autors als Luteinzellen und nicht als Pigment-
zellen betrachtet werden müssen.
Dass diese hier auseinandergesetzte Anschauung vom Stand-
punkte des Farbenchemikers möglich ist, beweist ein Ausspruch
Krukenbergs, „dass manche sogenannte Melanine trotz ihres
Gehaltes an Eisen und an Stickstoff mit den Lipochromen in
näherer genetischer Beziehung stehen als mit dem Hämoglobin.“
Ich will mit diesen Ausführungen nicht in Abrede stellen,
dass auch Blutpigment in gelben Körpern sowohl noch während
ihres Wachsthums, als während ihrer Rückbildung erscheinen kann
und werde später noch eingehend auf jenen Vorgang zu sprechen
kommen. Ich muss nur jetzt schon bemerken, dassich bei jenen
Endprodukten der gelben Körper, wie ich sie im vorhergehenden
geschildert habe, Blutpigment nicht mit Bestimmtheit nach-
weisen konnte. Es dürfte nur dann zur Bildung desselben kommen,
wenn sich der raschen und gründlichen Auslaugung des Hämo-
elobins aus den Körpern der extravasierten Erythrocyten ein
Hindernis entgegenstellt, das einerseits in der Grösse des Blut-
ergusses, andererseits in der Struktur der Luteinzellenschichte
and ihrer raschen Metamorphose in Fasergewebe gelegen ist.
In dem einfachsten Fall der Rückbildung der gelben Körper
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 195
dürfte aber der Bluterguss nur sehr gering sein und verschwindet
spurlos, wie dies auch bei den Tieren (Maus, Ratte, Meerschwein-
chen, Kaninchen und Katze) der Fall ist.
Der im vorhergehenden beschriebene Rückbildungsprozess
hinterlässt als einzigen Rest jenes bindegewebige Centrum,
welches sich in allen gelben Körpern vorfindet. Ein derartiges
Gebilde wird gewöhnlich nicht als Corpus fibrosum bezeichnet,
obwohl es diese Bezeichnung gleichfalls verdient; man könnte
es vielleicht Corpus fibrosum simplex nennen. Die fibrösen
Körper der zweiten Kategorie sind bedeutend grösser. Sie be-
stehen aus einem Bindegewebskern, welcher dieselbe Bedeutung
hat wie das ganze Corpus fibrosum der ersten Art; überdies
aber noch aus einer verschieden breiten Rindenschichte, welche
eine faserige Struktur besitzt, die sich jedoch oftmals nur sehr
undeutlich erkennen lässt. Diese Bildungen sind es bekanntlich,
welche seit jeher als Corpora fibrosa oder auch als €. albicantia
bezeichnet und unter diesem letzteren Namen den Corpora fibr.
simpl. passend gegenübergestellt werden können.
Eine Partie eines derartigen Körpers mit deutlich faseriger
Struktur der Rinde ist auf Figur 30 abgebildet. Man findet
dort, wie überall, in der Mitte einen bindegewebigen Strang,
der aus Zellen und Fibrillen besteht, welche parallel angeordnet,
in der Längsrichtung des Stranges verlaufen. Zu beiden Seiten
desselben trifft man eine gleichfalls faserige Rinde, welche sich
von der centralen Masse vor allem dadurch unterscheidet, dass
die Fasern in ihr schräg oder senkrecht zu denen des Mittel-
stranges ziehen. Der Mittelstrang entspricht dem stark kom-
primierten Rest des bindegewebigen Centrums eines gelben
Körpers. Die quer zu demselben verlaufenden Fasern hingegen
liegen dort, wo ehemals Luteinzellen waren. An einzelnen Stellen
trifft man dieselben noch an, teilweise in Umwandlung zu Pig-
mentzellen. Es handelt sich demnach hier um neugebildetes
Fasergewebe, welches erst in dem Masse auftritt, als die Lutein-
13*
196 HANS RABL,
zellen schwinden, resp. metamorphosiert werden. Zwischen den
Fasern liegen Zellen, welche mit ihren ausserordentlich langen,
platten, oft flügelförmigen Fortsätzen ähnlich wie die Sehnen-
zellen ein Septensystem innerhalb jener Masse erzeugen. Von
besonderem Interesse aber ist, dass die Fasern nicht zu grösseren,
parallel geschichteten Bündeln vereinigt sind, sondern ganz regel-
los verlaufen. Sie sind so dicht angeordnet, dass sie auf der
beigegebenen Figur, welche nur bei schwächerer Vergrösserung
ausgeführt wurde, um die Fasermasse samt dem centralen
Strang zu zeigen, gar nicht in ihrer Gesamtheit zur Darstellung
kommen konnten. Das einzig Gesetzmässige hinsichtlich ihrer
Anordnung besteht darin, dass sie — wie gesagt — zumeist
schräg oder senkrecht zum Mittelstrang verlaufen, eine Richtung,
in der auch die zwischen ihnen eingestreuten Kerne vielfach
angetroffen werden.
Zur Färbung der Fasern habe ich eine ganze Reihe von
Flüssigkeiten herangezogen. Es ergab sich dabei, dass sie sich
wie Bindegewebsfhibrillen verhalten. Sie färben sich stärker mit
jenen Farbstoffen, welche diese letzteren bevorzugen, schwächer
mit solchen, welche auch das Protoplasma der Zelle färben.
Vor allem eignet sich zu ihrer Darstellung die van Giesonsche
Methode, indem die Fasern in den meisten Fällen das Säure-
fuchsin annehmen und sich dadurch von den feinen Zellfortsätzen,
welche orangegelb erscheinen, unterscheiden lassen. Ein sehr ver-
wendbarer Farbstoff ist auch das Wasserblau. Mit Eosin kom-
biniert kann man durch die erstere Flüssigkeit die Fasern,
durch die zweite die Zellkörper färben. Auch das Congorbot,
welches bekanntlich bindegewebige Strukturen stets besonders
deutlich hervortreten lässt, kann mit Erfolg benutzt werden.
Alle diese Farbenreaktionen legen den Schluss nahe, dass jene
Fibrillen wohl bindegewebiger Natur sein dürften.
Noch mehr aber sprechen zwei weitere Eigenschaften dafür:
1. ihr Verhalten unter dem Polarisationsmikroskop, wobei sie
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 197
sich mit dem Bindegewebe — soweit es bei ihrer unregel-
mässigen Verlaufsrichtung zu erkennen möglich ist, in Überein-
stimmung zeigen und 2. ihr Verhalten gegen Essigsäure, indem
sie durch dieselbe an Schnitten, die mit dem Gefriermikrotom
vom frischen Objekt hergestellt wurden, zum Quellen gebracht
werden können.
Trotzdem kann ich diese Fibrillen nicht für leimgebende
Bindegewebsfasern halten, sondern glaube, dass sie ihnen nur
genetisch und morphologisch sehr nahe kommen. Diese Auf-
fassung gründet sich auf die Beobachtung, dass die Faserung
oft — wie bereits erwähnt — nur sehr undeutlich vorhanden
ist, und in anderen Fällen sogar unter einer Form erscheint,
welche eine Identität mit dem Bindegewebe geradezu aus-
schliesst. Ich werde darauf sofort näher eingehen. Auch muss
ich bemerken, dass gerade die Behandlung mit Säurefuchsin
und Pikrinsäure zuweilen andere Resultate als am Bindegewebe
liefert, indem es vorkommen kann, dass die faserige Masse eine
blassgelbliche Färbung erhält.
Nach ihrer Lage müssen die Fibrillen — ob direkt oder
indirekt muss vorläufig dahingestellt bleiben — wohl von jenen
Zellen abgeleitet werden, welche zwischen ihnen verteilt sind;
ausserdem aber sieht man auch Fäserchen, über deren binde-
gewebige Natur kein Zweifel obwalten kann, zumeist im centralen
Strang verlaufen und an gewissen Stellen senkrecht dazu in die
Rindenschicht abbiegen.
Der Ersatz der Luteinzellschichte durch faserige Substanz
erstreckt sich nur selten auf den ganzen gelben Körper. In
dieser Hinsicht dürften zwischen den einzelnen Individuen grosse
Unterschiede bestehen. Dadurch ergeben sich Übergänge zum
Corpus fibrosum simplex. Denn man trifft des öfteren einen
Bindegewebsstrang, also ein Corpus fibrosum simplex, dem an
einzelnen Strecken faserige Massen von verschiedener Breite
aufliegen. Zur Erklärung dieser unvollständigen Ausbildung
198 HANS RABL,
Er
eines Corpus albicans möchte ich mir erlauben, folgende Theorie
über die Ursache der Faserbildung vorzubringen: Das fibröse
Gewebe kommt nur dann zur Entwickelung, wenn der durch
Atrophie und Pigmentmetamorphose leer gewordene Platz nicht
sofort von nachrückendem Stromagewebe des Ovariums einge-
nommen wird. Dafür sprechen verschiedene Beobachtungen.
Die Metamorphose der Luteinzellschichte beginnt central
und schreitet gegen die Peripherie fort. Auf Fig. 31 ist bei
Lupenvergrösserung ein gelber Körper dargestellt, welcher sich
im Beginn der Rückbildung befindet. Er besteht aus einer viel-
fach gefalteten, etwa 0,4 mm breiten Luteinzelischichte, die aus
grossen, einen Durchmesser von ca. 20 u besitzenden Zellen auf-
gebaut wird, die von Fetttröpfehen aufs dichteste angefüllt sind.
In der Mitte befindet sich ein bindegewebiger Kern, welcher
Pigmentzellen und Leukocyten enthält. An der Grenze desselben
gegen die Luteinzellschichte breitet sich das neugebildete Faser-
gewebe aus, welches sich der Luteinzellschichte aufs dichteste
anschmiegt und allen Vorbuchtungen und Einziehungen nach-
folgt. Diese Grenzschichte ist auf Fig. 33 bei starker Ver-
grösserung dargestellt. Man sieht dort noch vereinzelte Lutein-
zellen zwischen den Fasern, an anderen Stellen aber scheinbar
freie Kerne, von welchen sich nicht sagen lässt, ob sie rückge-
bildeten Luteinzellen oder Bindegewebszellen angehören.
In demselben Schnitt befand sich auch ein vollkommen
fertiges Corpus albicans. Es ist jener Körper, welcher in Fig. 33
abgebildet ist. Hier ist die Luteinzellenschichte in ihrer ganzen
Breite durch die fibröse Masse substituiert. Sie besitzt dieselbe
Form, dieselben Windungen und Faltungen wie jene. Wegen
der schwachen Vergrösserung war es nicht möglich, die Fasern
in dieselbe einzuzeichnen, doch sind sie bei stärkerer Vergrösse-
rung aufs deutlichste zu erkennen. Ganz dieselben Verhältnisse
bietet auch das Corpus fibrosum, Fig. 34, dar; Fig. 35 endlich
stellt einen gelben Körper aus dem gleichen Umwandlungsstadium
Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 199
wie Fig. 31 vor. Ich glaube, dass ich diesen Zeichnungen keine
weiteren Beschreibungen anzufügen brauche; sie demonstrieren
aufs klarste die successive Umwandlung des Corpus luteum in
ein Corpus fibrosum. Durch den Druck des angrenzenden Ge-
webes wird schliesslich die centrale Bindegewebsmasse auf einen
schmalen Raum zusammengedrängt und dadurch jener Körper
geschaffen, den wir als Endprodukt der Degeneration eines
gelben Körpers zu sehen gewohnt sind.
Was ist nun der Grund, dass hier die ganze Luteinzell-
masse durch Fasern ersetzt wurde, während beim Corpus fibrosum
simplex der centrale Bindegewebskern direkt an das Ovarial-
parenchym grenzt? Ich glaube, dass man die Ursache für die
letztere Bildungsweise darin suchen muss, dass — wie gesagt —
in dem Masse als die Luteinzellen schwinden, das umgebende
Gewebe sofort nachrückt. Im anderen Falle jedoch leisten die
peripheren Zellen dem von aussen auf sie einwirkenden Drucke
einen gewissen Widerstand; dadurch wird bei der Degeneration
resp. Pigmentmetamorphose der innersten Luteinzellen ein
leerer Raum geschaffen, zu dessen Ausfüllung nun eine Neu-
bildung von Gewebe erfolgt. Derartige zell- und faserarme
Räume konnte ich wiederholt beobachten. Es gelang mir dies
unter anderem auch an jenem fibrösen Körper, den ich vorhin
beschrieben hatte (Fig. 30). An dem Ende desselben befinden
sich im umgebenden Gewebe zahlreiche Pigmentzellen, welche
als umgewandelte Luteinzellen gedeutet werden müssen. Zwischen
Ovarialstroma und centralem Bindegewebsstrang ist ein fast
leerer Raum vorhanden, in dem nur spärliche Bindegewebs- und
Pigmentzellen liegen. In dem ausserordentlich dichten Ovarial-
gewebe fällt er schon bei Betrachtung mit schwacher Vergrösse-
rung sofort auf. Hier kann man sehen, dass an der dem cen-
tralen Strang benachbarten Seite Fibrillen vorhanden sind,
während sie in weiterer Entfernung von ihm noch fehlen.
200 HANS RABL,
Infolge der Richtung, in der die Umbildung eines Corpus
luteum in ein Corpus albicans erfolgt, kommt es gelegentlich
vor, dass weitaus der grösste Teil eines gelben Körpers in eine
faserige Masse umgewandelt ist, während an der Oberfläche noch
einige Reihen von Luteinzellen vorhanden sind. Derartige Bilder
gelangen nicht selten zur Beobachtung. Schliesslich schwinden
die Zellen auch an dieser Stelle, indem sie sich teils in Pigment-
zellen umwandeln, teils einfach atrophieren. Und während die
Zellkörper einen geringeren Raum einnehmen und das ganze
Gewebe dadurch lockerer wird, erscheint an dessen Stelle eine
neue Formation, die teils aus distinkten Fäserchen besteht, teils
homogen ist. Diese letztere Beschaffenheit beruht auf zwei Ur-
sachen. Einerseits liegen die Fibrillen oft so dicht und ver-
worren neben einander, dass sie aus diesem Grunde nicht von
einander zu unterscheiden sind, zweitens aber ist in vielen Fällen
zwischen den Fibrillen eine homogene „Kitt-Substanz“ angehäuft,
welche die gleiche Färbung wie jene besitzt. Dieser eigentümliche
Wechsel von homogenem und faserigem Aussehen ist es wohl,
um dessentwillen Nagel diese Substanz mit dem wenig ver-
ständlichen Ausdruck „klares, kolloides Bindegewebe“ belegt.
Das fertige Corpus albicans ist nur sehr wenig vaskularisiert.
Es geht demnach eine grosse Zahl von Blutgefässen des Corpus
luteum zu Grunde. Dass dabei eine Pigmentdegeneration der
in den betreffenden Gefässen vorhandenen, farbigen Elemente
stattfindet — wie dies von verschiedenen Seiten behauptet wurde
— konnte ich nicht bestätigen. So wie die Blutgefässe bildet
sich auch der grösste Teil des bindegewebigen Stützgerüstes
der gelben Körper zurück, sodass die Zahl sämtlicher zelliger
Elemente in demselben in späteren Stadien eine viel geringere
als am Anfang ist. Über das Ende der falschen fibrösen
Körper vermag ich keine bestimmten Aussagen zu machen.
Sicherlich kommt es durch das Wachstum des angrenzenden
Gewebes oftmals zu einer Zerlegung des ursprünglich konı-
Beitrag zur Histologie des Eierstockes etec. 201
pakten Gebildes in zahlreiche Stücke. In mehreren Fällen
habe ich das Auftreten sehr kleiner Körnchen in den Fibrillen
beobachten können. Ob dieses Phänomen als der Ausdruck
eines beginnenden Zerfalles derselben zu deuten ist, muss späteren
Untersuchungen vorbehalten bleiben.
An die Beschreibung der Corpora fibrosa, die sich aus Cor-
pora lutea spuria entwickeln, will ich nun diejenige von Corpora
fibrosa knüpfen, welche aller Wahrscheinlichkeit nach aus Cor-
pora lutea vera hervorgegangen sind. In beiden Eierstöcken
einer 60jährigen Frau fand ich je einen, bei einer 70 jährigen
Frau in einem Eierstock gleichfalls ein Corpus fibrosum von
Kirschkerngrösse und weiss-gelblicher Farbe. Im übrigen waren
die Ovarien klein, geschrumpft und enthielten weder gelbe Kör-
per noch irgend andersartige Reste von solchen. Aus dieser
Persistenz besonders grosser fibröser Körper glaube ich schliessen
zu dürfen, dass sie in der That die Reste von Corpora lutea
vera vorstellen. Sie bestehen aus einem äusserst zellarmen
Bindegewebskern und einer Rindenzone, die durch Bindegewebs-
zellen in zahlreiche Stränge zerlegt ist und die verschmälerte,
in eine undeutlich faserige Masse umgewandelte Luteinzellen-
schichte darstellt. Die Stränge besitzen eine durchschnittliche
Breite von 50-60 « und erscheinen im frischen Zustand quer
gestreift. Wie man sich an Schnitten überzeugen kann, rührt
dieses Aussehen davon her, dass sie aus Fasern bestehen, welche
zwar im ganzen parallel der Längsrichtung der Stränge ver-
laufen, aber in zahlreiche, steile Windungen, senkrecht zu ihrer
Verlaufsrichtung gelegt sind. Die Zellen, welche die Begrenzung
der Stränge bilden, sind äusserst schmal, enthalten einen ovalen
Kern und sind in zahlreiche, feinste Ausläufer aufgefasert, welche
zumeist in senkrechter Richtung in die Stränge übertreten.
Über jüngere Stadien in der Entwickelung der Corpora
fibrosa vera kann ich nicht berichten, da mir eine Unterscheid-
ung derselben von den Rückbildungsprodukten der falschen
202 HANS RABL,
gelben Körper vorläufig nicht möglich erscheint. Dagegen ist
es hier am Platze, jene Vorgänge zu besprechen, welche noch
während der Schwangerschaft an den gelben Körpern auftreten.
Dieselben bestehen in der sogenannten „hyalinen Degeneration‘
von Blutgefässen und Bindegewebe. Auf den Fig. 24 und 25
sind Partien aus gelben Körpern dargestellt, welche von Frauen
stammten, die nach der Geburt eines reifen Kindes einem Puer-
peralprozesse erlegen waren. Das Corpus luteum des ersten
Falles war von Ödem durchtränkt, im zweiten Falle aber un-
verändert. Die hyaline Degeneration kann natürlich nicht mit
der vorhandenen Entzündung in Zusammenhang gebracht wer-
den, sondern besteht bereits seit längerer Zeit. Dasselbe Aus-
sehen zeigt übrigens auch ein gleichaltriges Corpus luteum, wel-
ches von einer osteomalacischen Frau stammte, bei der eine
Sectio caesarea nach Porro ausgeführt worden war. Man sieht
aus den Abbildungen, dass .die Hyalinsubstanz zunächst entlang
den Gefässen und dem Bindegewebe auftritt; von da breitet sie
sich auch an einzelnen Punkten zwischen die Zellen aus. Hand
in Hand mit der Bildung des Hyalins geht eine Verkleinerung
der Luteinzellen.
Leider besitze ich keine Präparate, welche die Übergänge
von diesem Stadium zu den ausgebildeten fibrösen Körpern zeigen
würden. Trotzdem lassen sich die eben beschriebenen Bilder
zu einigen wichtigen Schlüssen hinsichtlich der Genese jener
undeutlich faserigen Substanz, welche sich an Stelle der Lutein-
zellen ausbreitet, verwerten. Zunächst muss ich aber eine ge-
nauere Beschreibung dieser ersteren vorausschicken. Die Fasern
sind von sehr ungleicher Breite. Neben kleineren, schmäleren,
glänzenden kommen grosse, breite Gebilde vor, welche man mit
gröberen Bindegewebsbündeln vergleichen könnte, wenn sie eine
Längsstreifung besitzen würden. Wenn die Ränder solcher Strei-
fen von anderen Fasern überdeckt werden, so. lässt sich ihre
Natur gar nicht erkennen und man wäre genötigt, sie als homo-
Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 203
gene Interfibrillarsubstanz aufzufassen. Analoge Bildungen dürften
es sein, welche auch in den Corpora fibrosa spuria vorkommen
und das homogene Aussehen gewisser Stellen derselben bedingen.
Erwägt man nun die Thatsache, dass diese Fasern verschiedenen
Kalibers an der Seite jener Bindegewebszellen verlaufen, neben
welchen in früheren Stadien breite Streifen hyaliner Substanz
vorhanden waren, so kommt man zum Schluss, dass diese letz-
tere bei der Bildung der faserigen Masse aufgebraucht worden sei.
Ich muss bei dieser Gelegenheit eine Beobachtung nach-
tragen, welche mir von besonderer Wichtigkeit erscheint. Man
kann nämlich ausnahmsweise sehen, dass die hyaline Glas-
membran degenerierter Follikel nicht nur durch den Druck des
umgebenden Gewebes in grosse Falten, sondern dass sie auch
in zahlreiche, unmittelbar aneinander schliessende, sekundäre
Windungen, senkrecht zu ihrer jeweiligen Verlaufsrichtung ge-
legt ist. Sie stimmt somit in dieser Hinsicht mit jenen Bändern
überein, welche ich an alten Corpora fibrosa vera beschrieben
habe. Darum erscheint es mir wahrscheinlich, dass die hyalinen
Streifen, die man in alten Corpora lutea vera entlang den Binde-
gewebszügen antrifft, direkt in jene gewundenen Bänder über-
gehen. Aus der Homologie der Corpora fibrosa vera und spuria
ist man aber zum weiteren Schlusse berechtigt, dass auch die
feinen Fäserchen, aus welchen die letzteren aufgebaut sind, wenig-
stens zum grössten Teile nicht bindegewebiger, sondern hyaliner
Natur sind. Ob aber in dieser Thatsache ein prinzipieller Unter-
schied gelegen ist und nicht vielmehr jene Art von Hyalin und
faseriges Bindegewebe in näherer Verwandtschaft stehen, als
man bisher annehmen zu müssen glaubte, ist eine Frage, die
noch besonderer Untersuchungen bedarf.
Am Schlusse dieser Erörterungen will ich noch einmal kurz
auf das Schicksal des Blutergusses eingehen, der bei dem Platzen
des Follikels stattfindet und dessen Reste auch noch im Corpus
fibrosum nachweisbar sind; denn die hier zu beobachtenden Ver-
204 HANS RABL,
hältnisse scheinen mir einen wesentlichen Beitrag zur Lösung
der Frage nach der Bildung des Hämosiderins zu liefern.
In dem Corpus luteum verum aus der 5. Schwangerschafts-
woche ist die weite Höhle — wie ich oben beschrieben habe —
mit einer klaren, gelben Flüssigkeit angefüllt. Dieselbe enthält
keinerlei freies Pigment, dagegen sind in ihr zahlreiche Schatten
von roten Blutkörperchen enthalten. In der innersten, binde-
gewebigen Begrenzung dieser Höhle liegen spärliche Zellen, bald
lang gestreckt und spindelförmig, bald unregelmässig verzweigt
oder auch kugelig, welche ein goldgelbes Pigment führen.
Denselben Verhältnissen begegnet man auch bei älteren
Corpora lutea vera, sowie bei vielen Corpora lutea spuria. Man
muss daraus den Schluss ziehen, dass der grösste Teil des Blut-
farbestoffes, welcher in den extravasierten Blutkörperchen ent-
halten war, aus ihnen ausgelaugt wurde, in Lösung ging und
nun in das umgebende Gewebe diffundierte. Bine Pigmentierung
wird auf diesem Wege nicht erzeugt — wenigstens nicht in der
unmittelbaren Nachbarschaft des Corpus luteum, denn sonst
müsste man vor allem in den Corpora lutea der Tiere (Maus,
Kaninchen, Meerschwein, Katze) regelmässig Pigment antrefien,
während dasselbe hier ohne Ausnahme fehlt. Ich möchte dar,
aus den allgemeinen Schluss ziehen, dass dort, wo Gelegenheit
gegeben ist, dass ein Bluterguss rasch resorbiert werde, die Pig-
mentbildung vollkommen ausbleibt. Natürlich ist dies cum grano
salis zu nehmen, da eine minimale Pigmentbildung auch unter
diesen Verhältnissen vorkommen kann. Es bedarf dazu nur
der Anwesenheit gewisser amöboider Zellen mit der Fähigkeit,
die Erythrocyten aufzunehmen und Pigment aus ihnen zu
erzeugen. Diese Zellen aber dürften in jedem Gewebe — wenn
auch vereinzelt — vorhanden sein. Sie finden sich auch in der
Corpora lutea vera des Menschen und stellen jene Pigmentzellen
dar, die ich soeben in der inneren Bindegewebslage erwähnte.
Beitrag zur Histologie des Eierstockes etc. 205
Wie ich somit bereits vorweggenommen habe, scheint es
mir am wahrscheinlichsten, dass die Bildung des Pigmentes —
ich habe als solches nur das amorphe, eisenhaltige Hämosiderin,
im Auge — ausschliesslich an die Thätigkeit lebender Zellen ge-
bunden ist. Anders ist es mit dem Hämatoidin, welches sich
bekanntlich dann ausscheidet, wenn der Bluterguss in absterben-
des oder abgestorbenes Gewebe hinein stattfindet und darum nicht,
oder nicht schnell genug zur Resorption gelangt. Dann krystal-
lisiert der Farbstoff aus der Lösung heraus, wie dies seinerzeit
von Virchow beschrieben wurde. Bei den gelben Körpern
kommt es nur in den seltensten Ausnahmefällen zur Bildung
von Hämatoidinkrystallen und es ist nur Folge einer flüchtigen
Beobachtung, wenn Nagel schreibt: „Reste des Blutergusses
können zuweilen lange in der Mitte des Corpus albicans be-
stehen bleiben und verleihen demselben ein gelbschimmerndes
Aussehen; diese Blutreste bestehen — wie überall im mensch-
lichen Körper — aus Hämatoidinkrystallen — (V irchowsche
Krystalle).“
Ich will nicht die gewaltige Litteratur, welche bereits über
Pigment und Pigmentbildung angesammelt ist und die eine
Fülle gründlicher Beobachtungen über diesen Gegenstand enthält,
hier referieren und zur Diskussion stellen. Ich muss nur bemerken,
dass es das Verdienst Langerhans’' war, die Bedeutung der
„blutkörperchenhaltigen Zellen“ für die Pigmentbildung als erster
in das rechte Licht gerückt und die Theorie aufgestellt zu haben,
dass die Pigmentbildung ein reiner intracellulärer Prozess sei.
Diese Ansicht wurde von Neumann dahin modifiziert, dass
die Bildung des Hämosiderins zwar eine Folge der Einwirkung
des lebenden Gewebes, beziehungsweise seiner Zellen auf den
Blutfarbstoff sei, dass aber ausser der Thätigkeit der Phago-
cyten auch noch eine Bildung von Pigment aus gelöstem Blut-
farbstoff angenommen werden müsse.
206
HANS RABL,
So plausibel die Gründe sind, auf welche sich Neumann
stützt, so muss ich in Bezug auf die mir vorliegenden Objekte
auf die alte Langerhanssche Theorie zurückgreifen, 1. weil
ich — wie bereits erwähnt — niemals nach Diffusion von Blut-
farbstoff eine Pigmentbildung in grösserem Masse auftreten sah
und weil 2. die sämtlichen Phasen der Thätigkeit der „blutkörper-
chenhaltigen Zellen‘ aufs klarste überblickt werden können. Die
Objekte, an welchen mir diese letzteren Beobachtungeu gelangen,
sind Corpora fibrosa, welche die Grösse eines reifen Follikels
besitzen und von einer, durchschnittlich 0,3 mm breiten Kugel-
schale aus hyalinem Fasergewebe gebildet werden, welche einen
Kern umschliesst, in dem Blutkörperchen an Blutkörperchen in
diehtester Masse beisammenliegen. Ein Stück aus der faserigen
Schale jenes Körpes ist auf Fig. 36 dargestellt. Es kamen mir
im ganzen nur 3 Körper zur Beobachtung, bei welchen sich die
Pigmentbildung in besonders reichem Masse vollzog. Die Rück-
bildung der Luteinzellschichte und ihr Ersatz durch Bindege-
webe hatte hier offenbar stattgefunden, ehe es zu einer Aus-
laugung des Farbstoffes aus den Erythrocyten gekommen war,
und nun bildete die breite Cystenwand ein Hindernis für die
rasche Diffusion des Serums. Übrigens war dieselbe nicht an
allen Stellen gleichmässig entwickelt, sondern zeigte sich sogar
stellenweise auf kurze Strecken gänzlich unterbrochen. Diese
Lücken sind von grosser Bedeutung als Durchtrittspforten der
Phagocyten. Denn obgleich dieselben die fibröse Hülle an jeder
beliebigen Stelle durchwandern können, so geschieht dies doch
an den Unterbrechungen derselben mit besonderer Leichtigkeit
und es ist nicht zu verwundern, wenn man gerade dort die
grösste Zahl eindringender Zellen antrifft.
Nach ihrem Aussehen muss man sie den mononukleären
Leukoeyten einreihen. Ihr Kern ist kugelig und sehr chromatin-
reich, nur von einem schmalen, protoplasmatischen Hof um-
geben, der Zelldurchmesser beträgt durchschnittlich nur wenig
Beitrag zur Histologie des Kierstockes etc. 207
über 4u. Man begegnet diesen Zellen sowohl in der fibrösen
Cystenwand als insbesondere an den Unterbrechungen derselben
in grosser Menge und kann sie von den letzteren Punkten aus
noch eine kurze Strecke in das benachbarte Ovarialgewebe ver-
folgen. Sie liegen hier zwischen den gelockerten Bindegewebs-
fasern des Stromas (Fig. 57), häufig in Reihen hintereinander,
in radiärer Richtung auf den fibrösen Körper zustrebend, sodass
man sich des Gedankens nicht erwehren kann, dass der in
seiner Höhle angesammelte Bluterguss einen chemotropischen
Einfluss auf jene Zellart besitzt. Auch in den Kapillaren des
fibrösen Körpers sind sie häufig anzutreffen.
Nach einwärts von der fibrösen Schale, parallel ihrer inneren
Oberfläche befinden sich mehrere Lagen von langen, schmalen
Bindegewebszellen, welche oft eine beträchtliche Breite besitzen
und wie gequollen aussehen; auch ihre Kerne sind bedeutend
hypertrophiert. Entsprechend der Verlaufsrichtung dieser Zellen
sind die Lymphocyten hier in horizontalen Reihen angeordnet.
Von da treten sie in den Bluterguss über.
Zunächst findet man sie noch in ihrer ursprünglichen Grösse
zwischen den dicht zusammengepressten Blutkörperchen. Dann
aber vergrössern sie sich, wobei zunächst das Protoplasma an
Masse zunimmt, und beginnen rote Blutkörperchen in sich auf-
zunehmen. .Man trifft da Zellen mit 10, 20, aber auch mit 50
und mehr roten Blutkörperchen in ihrem Innern (Fig. 38). Es
sind ausserordentlich grosse, kugelige Massen von 20—30 u im
Durchmesser, die durch eine stärker hervortretende Kontur-
linie begrenzt sind und einen Kern enthalten, der wandständig
gelegen ist. Dieser beginnt allmählich — offenbar auf Grund
der gesteigerten Nahrungsaufnahme bei Verdauung der Erythro-
eyten — anzuwachsen und kann sich auch auf amitotischem
Wege in mehrere Stücke zerschnüren. Gleichzeitig tritt in der
Zelle, zwischen den Erythrocyten, Pigment auf, anfangs in
äusserst feinkörniger Form, sodass das Plasma bei schwächerer
08 HANS RABL,
Vergrösserung diffus gefärbt erscheint; später werden grössere
Kugeln und Schollen sichtbar. Hand in Hand damit ver-
schwinden allmählich die roten Blutkörperchen und der Zell-
körper wird wieder kleiner, auch der Kern nimmt an Grösse
ab, bis schliesslich der Lymphocyt in eine annähernd kugelige,
nur mit wenigen, plumpen Fortsätzen ausgestattete Pigmentzelle
umgewandelt ist.
Was die topographische Verteilung dieser einzelnen Stadien
betrifft, so findet man die grössten blutkörperchenhaltigen Zellen
am weitesten centralwärts vorgeschoben; etwas mehr peripher
von ihnen liegen die bereits etwas kleineren Gebilde mit ver-
grössertem Kern, deren Protoplasma durch das Auftreten von
feinsten Pigmentkörnchen wie bestaubt aussieht. Noch etwas
weiter nach aussen, neben den kleinen, in Reihen liegenden
Lymphoeyten und zwischen den cirkulären Bindegewebszellen,
finden sich jene Stadien, in welchen die eigentliche Verdauung
der roten Blutkörperchen und Bildung des Pigmentes stattfindet
(Fig. 39). Die fertigen Pigmentzellen trifft man zum grössten
Teil erst in der Faserschichte und in der Nachbarschaft der-
selben, wie Fig. 37 beweist. Natürlich kommen Ausnahmen
von dieser Lageordnung vor, doch sind dieselben nicht zahlreich
und beziehen sich nur auf die Stadien der Pigmentbildung,
während die eigentlichen blutkörperchenhaltigen Zellen stets die
innerste Reihe einnehmen. Sie sind so gross, dass es ihnen ohne
Verringerung ihres Durchmessers nicht möglich wäre, zwischen
die Bindegewebszellen zu gelangen.
Unter den drei Corpora fibrosa, welche mir das Material
für diese Beobachtungen lieferten, befand sich eines, in welchem
eine so grosse Zahl eosinophiler Zellen vorhanden war, wie ich
noch niemals auf gleichem Raume neben einander gesehen hatte.
Das Merkwürdigste dieses Befundes wird noch dadurch erhöht,
dass sich jener Körper neben einem anderen, ganz analog ge-
bauten Corpus fibrosum befand, in welchem eosinophile Zellen
Beitrag zur Histologie des Eierstockes ete. 209
nur ganz vereinzelt anzutreffen waren. Auch der 3. derartige
Körper enthielt sie nicht. Es muss also in diesem Falle jener
Körper eine besondere Anziehungskraft für die erwähnte Zellart
besessen haben. Ich muss dazu bemerken, dass die roten Blut-
körperchen jenes Ergusses noch stärker ausgelaugt waren als
die der beiden anderen Körper und darum auch die Zahl der
Pigmentzellen und die Menge des Pigmentes in ihnen hinter den
anderen zwei Fällen zurückblieb. Nur selten fand ich eine
eosinophile Zelle, welche ein rotes Blutkörperchen aufgenommen
hatte. Pigment traf ich niemals in ihnen; eine phagocytaere
Eigenschaft kommt ihnen somit nur in ganz beschränktem
Masse zu.
Anhang.
Die zahlreichen Präparate von Ovarien, welche ich im Laufe
meiner Untersuchungen durchmusterte, geben mir die Berech-
tigung, zum Schlusse einige Punkte zu erörtern, welche nur
auf Grund einer grösseren Erfahrung beurteilt werden können.
Es sind zwei Fragen, die ich noch kurz diskutieren möchte.
Die erste betrifft das Vorkommen der hyalinen Degeneration
an den kleineren Arterien, welche oft mit einer Anhäufung von
Bindegewebe unter dem Endothel verbunden ist. Ich habe in
dieser Richtung die Eierstöcke von 27 Personen speziell durch-
mustert und nur in zwei Fällen keine hyaline Degeneration
angetroffen. In beiden Fällen waren die Ovarien frisch in meine
Hände gelangt. In dem ersten wurde wegen eines Uterusmyoms
operiert, im zweiten wegen ÖOsteomalacie die Totalexstirpation
ausgeführt. Es war dies jener oft eitierte Fall, bei welchem sich
die Patientin in der 5. Schwangerschaftswoche befunden hatte.
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXIV’XXXV. Heft (11. Bd. H. 1/2.) 14
910 HANS RABL,
Da der grösste Teil meines Materiales, wie ich bereits eingangs
bemerkte, aus geschlechtskräftigen Individuen stammte, die
zwischen dem 20. und 40. Lebensjahre standen, so kann man
auch das Vorhandensein einer hyalinen Degeneration der Arterien
bei Frauen dieses Alters als ein normales Vorkommen betrachten.
Die Degeneration beginnt bald an der inneren, bald an der
äusseren Grenze der Media in Form eines leicht wellig gebogenen
Streifens; später treten analoge Bänder auch zwischen den
Muskelfasern auf und bringen dieselben zum Schwunde ; schliess-
lich ist die ganze Media durch hyaline Substanz ersetzt. Eine
Umwandlung von Muskelfasern in Hyalin konnte ich nicht nach-
weisen. Das Lumen des Gefässes kann bis zur vollständigen
Oblitteration verengt werden. — Der Grad der hyalinen Dege-
neration und die Menge der befallenen Gefässe ist bei den ein-
zelnen Individuen sehr verschieden. Eine bestimmte Ursache
hierfür vermag ich nicht anzugeben. Wiederholt fand ich gerade
bei Frauen, die durchaus gesund waren, (junge Individuen
die durch Selbstmord endeten) die Degeneration sehr ausge-
breitet und sehr intensiv. lch glaube, dass man darum Unrecht
thäte, aus einem derartigen Verhalten einen Schluss auf irgend
eine Erkrankung des Eierstockes zu ziehen.
Als zweiten Punkt möchte ich noch in Kürze das Verhalten
der. Rierstöcke bei Osteomalacie berühren. Ich habe zwei Fälle
dieser Erkrankung untersucht. Der eine Fall wurde eben er-
wähnt; die darauf bezüglichen Daten bitte ich auf Seite 171
nachzulesen. Über den zweiten Fall, bei welchem die Ovarien
gelegentlich einer Sectio caesarea nach Porro, ausgeführt auf
der 2. geburtshülflichen Klinik, gewonnen wurden, ist es mir
leider nachträglich nicht mehr gelungen, etwas Sicheres zu
erfahren.
Wie ich bereits in der Einleitung bemerkte, zeigten in beiden
Fällen die Ovarien keine weiteren pathologischen Veränderungen.
Beitrag zur Histologie des Kierstockes ete. 211
Als solche werden bezüglich der Osteomalacie von den ver-
schiedenen Forschern, die sich mit der Histologie der Eierstöcke
bei jener Erkrankung beschäftigten (Fehling, Rossier,
Velits, Ortmann, Neumann, Schottländer etc.), ange-
führt: Vermehrung der Blutgefässe, ausgedehnte und intensive
hyaline Degeneration der Media derselben, Verödung zahlreicher
Graafscher Follikel, abnorm geringe Zahl der Primärfollikel.
Gegenüber dem ersten Punkt muss ich bemerken, dass es
ausserordentlich schwer ist, eine Vermehrung der Blutgefässe
der Marksubstanz mit Sicherheit behaupten zu können. Man
erhält diesbezüglich sehr verschiedene Bilder und darf, meiner
Meinung nach, nur dann eine positive Behauptung in dieser
Richtung aufstellen, wenn man die Eierstöcke in lückenlose Serien
zerlegt, Schnitt für Schnitt durchmustert und mit zahlreichen,
ebenfalls lückenlosen Serien anderer Ovarien verglichen hat.
Das ist aber ein so umständliches Verfahren, dass ich nicht
glauben kann, dass es bisher von irgend einer Seite geübt wurde.
Aus diesem Grunde scheint mir auch die „Angiodysthrophie
ovarii‘ von Bulius und Kretschmar, bei welcher die Ver-
mehrung der Blutgefässe besonders auffallend sein soll, keine
Krankheit zu sein, welche sich mit Sicherheit aus den mikro-
skopischen Präparaten diagnostizieren lässt. Bilder, welche den
von den genannten Autoren veröffentlichten durchaus gleichen,
fand ich beispielsweise im Ovarium einer Frau, die wegen Uterus-
myoms am 4. Tage ihrer Schwangerschaft operiert worden war.
(Ich habe im vorhergehenden mehreremale auf das Corpus luteum
spurium in demselben Bezug genommen.)
Dass die hyaline Degeneration der Gefässe, welche speziell
von Fehling als Charakteristikum osteomalacischer Ovarien
angesehen wird, in dieser Hinsicht nicht beweiskräftig ist, er-
giebt sich aus der soeben erörterten, allgemeinen Verbreitung
dieser Veränderung. Derselbe Einwurf muss bezüglich der Follikel-
atresie erhoben werden. Was endlich den letzten Punkt anbe-
14*
212 HANS RABL,
langt, so muss ich betonen, dass bei Frauen von höherem Alter
_ auch wenn sie sich nicht unmittelbar vor dem Klimakterium
befinden. die Menge der Primärfollikel allgemein eine sehr ge-
ringe ist. Dass aber ihre Zahl bei osteomalaeischen nicht unter
der Norm stehen kann, geht wohl aus der grossen Fruchtbarkeit
bervor. durch die sich jene Frauen gewöhnlich auszeichnen und
welche vielleicht in irgendwelchem ursächlichen Zusammenwirken
mit ihrer Erkrankung stehen dürfte.
=]
10.
11.
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel XI—XVM.
Sämtliche Figuren wurden mit der Camera von Oberhäuser und Reicherts
Okular 3 aufgenommen. Die Nummer der verwendeten Objektive, gleichfalls
von Reichert, ist in jedem einzelnen Falle angegeben. Verschiedene Details
wurden, wenn nöthig, mit stärkerer Vergrösserung eingezeichnet.
Tafel XII/XII.
Fig. 1. Degenerierender Follikel, Kaninchen. Sublimat. Hämat.-Eos.
Obj. 4b ausgez. Tub. Ez. = Kizelle. Chr. = Chromatolytisch zerfallene Kerne
der Follikelepithelzellen, Gl. = Glasmembran, T. p. = Tunica propria follieuli.
Fig. 2. Ein in der Degeneration etwas weiter vorgeschrittener Follikel
aus demselben Ovarium. Dieselbe Vergrösserung. Buchstabenbezeichnung wie
im vorigen Bild.
Fig. 3. Ein noch stärker degenerierter Follikel desselben Ovariums. Die-
selbe Vergrösserung. Blg. — Blutgefäss, die übrige Buchstabenbezeichnung
wie in Fall 1.
Fig. 4. Endstadium der Rückbildung eines Follikels. Dasselbe Ovarium.
Dieselbe Vergrösserung. Z. p. = Zona pellueida als letzter Rest der Eizelle.
Bg. = Bindegewebe, Die übrige Bezeichnung wie in Fall 1.
r.
Fie. 5. Partie aus einem im Beginn der Degeneration stehenden Follikel
o © fe}
der Katze. Sublimat, Hämat.-Eos. Obj. 7a, eingeschobener Tub. Ez. — Ei-
zelle, Gr. — Granulosa in Umbildung zu einem retikulären Gewebe, Li. =
Liquor, T. p. = Tunica propria.
Fig. 6. Partie aus einem etwas stärker degenerierten Follikel. Dasselbe
Ovarium wie in voriger Fig. Dieselbe Vergrösserung. Gl. = Glasmembran,
die übrige Buchstabenbezeichnung wie dort.
Fig. 7. Degenerierter Follikel aus demselben Ovarium wie Fig 5. Obj.
4b, eingesch. Tub. Buchstabenbezeichnung wie bei Fig. 5.
Fig. 8. Total atretischer Follikel, Obj. 4b, ausgez. Tub. Dasselbe Ovarıum
wie Fig. 5. T. f. = Tunica fibrosa, die übrige Buchstabenbezeichnung wie
bei Fig. 5.
Fig. 9. Degenerierter Follikel, Mensch. Pikrinsäure-Sublimat, Haem.-van
Gieson. Obj. 3, eingeschobener Tub. Z. p. = Zona pellueida. H. — Hyaline
Masse. Gl. = Glasmembran, 'T. p. = Tunica propria, T. f. = Tunica fibrosa.
218 Erklärung der Abbildungen.
Fig. 10. Epithelvakuole aus einem normalen Graafschen Follikel des
Menschen von 0,6 mm Durchmesser. Obj. 8. Tubl. 163mm. Flemmingsches
Gemisch, Saffranin.
Fig. 11. Total degenerierter Follikel.e. Macacus Rhesus. Pikrinsäure-
Sublimat. Häm.-van Gieson. Obj. 4b, ausgezogener Tub. Z. p. = Zona pellu-
cida, Gl. = Glasmembran.
Tafel XIV/XV.
Fig. 12. Total degenerierter Follikel, Mensch. Zenker. Hämat.-Eos.
Obj. 2, ausgez. Tub. Z. p. — Zona pellueida der degenerierten Eizelle. Bg.
— Bindegewebe im Inneren des atretischen Follikels, Blg. = Blutgefäss.
Gl. = Glasmembran.
Fig. 13. Degenerierender Follikel, Mensch, Zenker, Hämat.-Eos. Obj. 2,
ausgez. Tub. Li — Rest des Liquor follieuli, Bg. = Bindegewebe im Inneren
des Follikels, Gl. = Glasmembran, 'T. p. = Tuniea propria, T. f. — Tuniea
fibrosa.
Fig. 14. Follikel im Beginn der Degeneration, Mensch. Sämtliche Epi-
thelien bereits verschwunden. Pikrins -Sublimat, Hämat.-Bos. Obj. 2, eingesch.
Tub. Ez. = Eizelle, Gl. = Glasmembran, T. p. = Tunica propria.
Fig. 15. Die Ausbuchtung bei a des Follikels von Fig. 14, Obj. 7a, ein-
gesch. Tub. Bg. = Eingewanderte Bindegewebszelle, Bl. = Blutkörperchen,
Gl. = Glasmembran, T. p. — Tunica propria, Blg. — Blutgefäss.
Fig. 16. Die Eizelle aus dem Follikel von Fig. 14. Obj. S, Tubl. 163 mm.
Fig. 17. Partie aus einem degenerierenden Follikel des Menschen, Gegend
des Cumulus ovigerus. Zenker, Hämat.-Eos., Obj. 4, ausgez. Tub. L. =
Follikelepithelzelle von dem Aussehen der Luteinzellen. Blg. —= Blutgefäss,
T. p. = Tunica propria, T. f. = Tunica fibrosa.
Fig. 18. Mitose im Epithel des Cumulus ovigerus eines degenerierenden
Follikels. Obj. 8, ausgez. Tuh.
Fig. 19. Partie aus der Wand eines Follikels in den ersten Stadien der
Degeneration. Mensch. Alkohol, Häm.-van Gieson. Obj. 7a, eingeschob. Tub.
Bg. = Bindegewebe im Inneren des Follikels, Gl. = Glasmembran, T. p. =
Tunica propria, T. f. = Tunica fibrosa.
Fig. 20. Eizelle mit den Zellen des Cumulus ovigerus, aus einem degene-
rierten Follikel, Mensch. Obj. 7a, eingesch. Tub. Keine Chromatolyse.
Fig. 21. Partie aus der Wand eines degenerierenden Follikels, Mensch.
Pikrins.-Sublimat. Hämat.-Eos., Obj. 8, ausgez. Tub. Bg. = Bindegewebe im
Innern des Follikels, Gl. = Glasmembran, T. p. = Tunica propria, Bl. — Blut-
körperchen.
Fig. 22. Gruppe chromatolytisch degenerierender Kerne der Membrana
5 pI S
granulosa. Mensch. Zenker, Hämat.-Kos., Obj. S, ausgez. Tub. 'T.p. = Tunica
propria mit einigen anliegenden chromatolytischen Kernen.
Tafel XVI/XVM.
Fig. 23. Partie aus der Marksubstarz, weisse Maus. Flemming. Eisen-
Hämatox. Obj. 1, ausgez. Tub. F. = normaler Follikel. F. C. = Follikular-
Erklärung der Abbildungen. 219
cysten, durch Degeneration entstanden, Z. p. = Zona pellucida als Rest der
degenerierten Eizelle, Mstr. = sogenannte „Markstränge*, C. 1]. = Corpora lutea,
Blg. = Blutgefäss.
Fig. 24. Corpus luteum aus dem 5. Schwangerschaftsmonat. Lupenver-
grösserung. Mensch. Zenker, Häm.-van Gieson, C. l. H. = Rest der ur-
sprünglichen Höhle des Corpus luteum. H. — Hyalin, Fi. = veränderte
Fibrinmassen. Lsch. — Luteinzellenschichte.
Fig. 25. Partie aus einem Corpus luteum. Mensch. Die Frau starb
7 Tage post partum eines reifen Kindes. Zenker, Hämat.-Eos. Obj. 7, ein-
gesch. Tub. L. — Luteinzellen, H. = Hyalinsubstanz, Bl. = Blutkörperchen
(zum Teil frei), Blg. = Blutgefäss.
Fig. 26. Partie aus einem circa ebenso alten Corpus luteum, Mensch.
Zenker, Hämat.-Eos. Obj. 8, eingeschob. Tub. Blg. = Blutgefüsse, H. — Hya-
linsubstanz, Bg. — Bindegewebszellen, L. — Luteinzelle.
Fig. 27. Partie von der Oberfläche eines Ovariums, aus dem 8. Schwanger-
schaftsmonat. Mensch. Zenker, Hämat.-Eos., Obj. 4, eingesch. Tnb- 0% —
Oberfläche des Eierstockes, D. Z. — Deeiduaähnliche Stromazellen. Blg. =
Blutgefässe.
Fig. 28. Randpartie eines Corpus luteum aus der >. Schwangerschafts-
woche. Mensch. Alkohol, Hämat.-Eos. Obj. 4, eingez. Tub. L. = Luteinzelle,
Th. Z. — eigentümliche, hypertrophierte Zellen in der Theka.
Fig. 29. Partie aus demselben Corpus luteum wie Fig. 29. Obj. 8, ein-
geschob. Tub. L. — Luteinzelle, Th. Z. — dieselben Zellen wie in der vorigen
Figur, hier in Übergang in Luteinzellen.
Fig. 30. Partie aus einem Corpus fibrosum (spurium) Mensch. Alkohol,
Hämat.-van Gieson. Obj. 4, ausgez. Tub. C. Bstr. = Centraler Bindegewebs-
strang, L = Luteinzellen, H. F. = Hyaline Fasermasse.
Fig. 31. Corpus luteum spurium. Mensch. Alkohol. Häm.-Eos. Lupen-
vergrösserung, OÖ. — Oberfläche des Ovarıum.
Fig. 32. Corpus fibrosum spurium. Mensch, Alkohol, Häm.-Eos. Ob). 1,
eingesch. Tub. Bg. — ÜCentrale Bindegewebsmasse, H. F. = Hyaline Faser-
masse an Stelle der Luteinzellenschichte.
Fig. 33. Partie aus dem Corpus luteum von Fig. 31, Obj. 7, ausgez.
Tub. Grenze der Luteinzellschichte und der centralen Bindegewebsmasse.
L. — Luteinzelle, H. F. = Neugebildete hyaline Fasermasse an Stelle der
rückgebildeten innersten Luteinzellen.
Fig. 34. Corpus albicans. Mensch. Sublimat-Pikrinsäure Hämat--Eos.
Lupe, Bg. = Centrale Bindegewebmasse, H. F. = Hyaline Fasermasse.
Fig. 35. Corpus luteum in Umbildung in ein Corpus albicans. Mensch.
Alkohol. Häm.-Eos. Lupenvergrösserung Lsch. = Vielfach gefaltete Luteinzell-
schichte, Bg. — Bindegewebe, Blg. — Blutgefässe.
220 Erklärung der Abbildungen.
Tafel XVII.
Fig. 36. Partie aus einem Corpus albicans (spurium) Mensch. Subl.-Eis-
essig. Häm.-Eos. Obj. 7, eingesch. Tub.
Fig. 37. Partie aus der nächsten Umgebung eines Corpus albicans, das
strotzend mit Blut gefüllt ist. Mensch. Sublimat-Eisessig, Häm.-Eos. Obj. 8,
ausgez. Tub. Ly. = Lymphocyten in Hinwanderung zum Bluterguss be-
griffen, P. Z. — rückwandernde Pigmentzellen.
Fig. 38. Partie aus der periphersten Schichte jenes Blutergusses im
Inneren eines Corpus fibros., das Präparat wie in Fig. 38. Obj. 8, eingesch.
Tub. Bl. = dicht zusammengepresster Blutkörperchen, Bl. Z. = Blutkörper-
chenhaltige Zelle.
Fig. 39. Aus demselben Corpus fibrosum. Noch einwärts vom hyalinen
Faserring gelegene Bindegewebsschichte. Obj. 8. ausgez. Tub. Bg. Z. = Hyper-
trophische Bindegewebszelle, P. Z. — Lymphocyten während der Pigmentbildung.
Fig. 40. Partie aus einem alten Corpus luteum spurium. Mensch Müller-
sche Fl. Häm.-Eos. Obj. 7 eingesch. Tub. A. — Arterie mit hyaliner Degene-
ration der Media, L. — Luteinzellen mit gelblich gefärbtem Protoplasma.
Fig. 41. Partie aus demselben Corpus luteum. Dieselbe Vergrösserung.
Auftreten von Pigment in Luteinzellen. (L.).
Aus DEM ANATOMISCHEN INSTITUT ZU GIESSEN.
BEITRÄGE
ZUR ERSTEN
ENTWIGKELUNG DER MAMMARORGANE
BEIM
MENSCHEN.
VON
LEO HIRSCHLAND,
ESSEN.
Mit 6 Figuren auf Tafel XIX/XX.
‚al
. |
ROHR!
Be nr
- i
| En
Die vergleichende Anatomie und die Entwickelung der
Mammarorgane hat sich, wie bekannt, in den letzten Jahren
einer lebhaften Erörterung zu erfreuen gehabt, die sich zum
Teil an O. Schultzes schöne Beobachtungen über erste Ent-
wickelungsstadien des Milchdrüsenapparates anschloss, zum Teil
in ausgedehnten, vergleichend anatomischen Untersuchungen
von Klaatsch ihren Ausgangspunkt fand.
Eine ausgezeichnete kritische Übersicht über den dermaligen
Stand der Frage nach Auffassung und Stellung der Mammar-
organe im allgemeinen verdanken wir Bonnet. (Die Mammar-
organe im Lichte der Ontogenie und Phylogenie. Ergebnisse
der Anatomie und Entwickelungsgeschichte Merkel und Bonnet,
Bd. II, 1892.)
Bonnet giebt eine erschöpfende Zusammenstellung über
die älteren und neueren Arbeiten auf genanntem Felde; aus
den Ergebnissen derselben heben wir hervor, dass nach der
Ansicht von Bonnet „die Milchorgane beider Geschlechter
nach Zahl, Standort, Entwiekelung und Funktion sich zwar in
vollem Flusse begriffen zeigen, immer aber lässt sich ihre Lage,
sie mögen sich befinden, wo sie wollen, und sie mögen zahlreich
oder nur paarig vorhanden sein, auf das Ausdehnungsgebiet
der Milchleiste von der Achselhöhle bis in die Schamgegend
zurückführen. Sie markieren in ihrer definitiven Lage bei den
verschiedenen Tieren alle möglichen Etappen der Ausbildung
und Verschiebung aus ihrer ursprünglichen Anlage nahe dem
Rücken bis gegen die ventrale Medianlinie zu.“
994 LEO HIRSCHLAND,
Was die embryologischen Arbeiten der letzten Zeit über
die Entwickelung der Milchdrüse anlangt, so sind dieselben
wesentlich vergleichende, speziell der Mensch aber ist bei dieser
Vergleichung etwas kurz weggekommen, namentlich soweit es
sich um jugendliche Entwickelungsstadien handelt.
O. Schultze hat seine Milchleiste gefunden und beschrieben
für das Schwein, die Katze, den Fuchs, das Kaninchen, Eich-
hörnchen und den Maulwurf; Bonnet hat das Gleiche bei
Schwein und Katze beobachtet; bei Rind, Schaf und Pferd wird
eine Milchleiste bislang vermisst.
Der Wunsch, auch für den Menschen Entwickelungszustände
kennen zu lernen, die den bisher beschriebenen vorausgehen,
war begreiflich, und Bonnet spricht sicher die Ansicht weiterer
Kreise aus, wenn er in seinem Berichte sagt, dass es nun
zunächst „gilt, den Nachweis der mit Recht auch beim mensch-
lichen Embryo vermuteten Milchleiste!) oder ihrer Rudimente
thatsächlich zu erbringen.“
Seit der von Bonnet gegebenen Zusammenstellung sind
nun, soweit wir wissen, zwei Arbeiten erschienen, die unsere
Kenntnisse von der Entwickelung der Milchdrüse beim Menschen
erweitert haben.
Einmal zeigte Kallius (Anatomische Hefte von Merkel
und Bonnet, Bd. 8, Heft 24, Wiesbaden 1897), dass auch beim
Menschen etwas der Milchleiste Entsprechendes vorkomme.
Kallius konnte einen menschlichen Embryo untersuchen,
der in Müllerscher Flüssigkeit erhärtet war. Kopf und
Extremitäten sind abgebrochen, sonst war derselbe leidlich gut
erhalten. Die grösste Länge giebt Kallius nach Ergänzung
des Fehlenden auf ca. 15 mm an. Unterhalb der Stelle, an
der die Anlage der oberen Extremität abgebrochen war, befand
1) Wir werden im folgenden dieSchultzesche Ektodermleiste als Milch-
leiste, die ihr vorausgehende breite laterale Ektodermverdickung nach Schmidt-
Schwalbe als Milchstreifen, die aus derselben sich später differenzierenden
knopfförmigen Ectodermverdickungen als Milchpunkte bezeichnen.
Beiträge zur ersten Entwickelung der Mammarorgane beim Menschen. 225
sich auf beiden Seiten eine deutlich hervortretende Leiste. Die-
selbe lag in der mittleren Axillarlinie und verlief nicht ganz
parallel, sondern etwas nach hinten abweichend, mit der Rücken-
krümmung des Embryo. Nach unten war sie von der Körper-
oberfläche nicht scharf abzugrenzen. Ihre Breite betrug etwa
!/s; mm, ihre Höhe !/s;s mm. Sie setzte sich nicht in die In-
guinalgegend fort.
Kallius hat den Embryo dann mikrotomiert, und bei der
Untersuchung der Serienschnitte erwies sich, wie vermutet
wurde, die Leiste als eine Epithelverdickung, welche vom Rande
nach der Mitte zu stärker wurde. Da dieselbe jedoch auch in
der Mitte das Niveau nicht weiter überschritt, musste sie in
das darunterliegende Mesenchymgewebe eingesenkt sein. Kallius
nimmt mit Recht an, dass es sich nach Ort und Art der Ent-
wickelung und nach Vergleich mit den Angaben anderer Autoren
um kein anderes Organ handeln könne als um eine Milchleiste.
Da er seine Befunde nur an dem einen Embryo machen konnte,
so lässt er die Frage offen, ob eine derartige Leiste normal bei
jedem menschlichen Embryo vorkommt.
Als zweite Arbeit aus allerneuester Zeit ist eine Abhand-
lung von H. Schmidt (Über normale Hyperthelie menschlicher
Embryonen und über erste Anlage der menschlichen Milch-
drüsen überhaupt. Morphologische Arbeiten von G. Schwalbe
Bd. VII. H. 1. 1897) zu nennen.
H. Schmidt hat wesentlich ältere menschliche Embryonen
von 28—60 mm untersucht und bei diesen neben der auch den
älteren Autoren bekannten zapfenförmigen Anlage der Milch-
drüse eigentümliche Verdickungen in der Epidermis in grösserer
Zahl gefunden, die in mehr oder minderer Nachbarschaft der
Milchdrüsenanlage liegen und die er als überzählige Milchdrüsen
auffasst, da er in denselben die verschiedenen für die Milch-
drüse beschriebenen früheren Entwickelungsstadien wieder zu
finden glaubt.
Anatomische Hefte. I. Abteilung, XXXIVXXXV. Heft (11. Bd. H. 12.) 15
226
LEO HIRSCHLAND,
Er hält es also für den menschlichen Embryo für normal,
dass bei ihm während des Entwickelungsganges zeitweilig eine
Hyperthelie auftritt. Für gewöhnlich schwindet dieselbe aber
wieder und nur in Einzelfällen erhält sich diese oder jene
Anlage und bildet sich eventuell weiter fort. So erklären sich
nach Schmidt die Fälle von Hyperthelie und Hypermastie
beim Erwachsenen. Da unsere eigenen Untersuchungen sich
wesentlich auf jüngere Stadien beziehen, so verzichten wir an
dieser Stelle auf eine Erörterung, wie weit wir Schmidt in der
Deutung seiner Beobachtungen folgen können.
Nun hat aber Schmidt weiter einen Embryo von 15 mm
verarbeiten können, an dem er frühe Entwickelungsstadien der
Milchdrüse, in mancher Beziehung etwa dem von Kallius Be-
obachteten entsprechend, fand. Wir bemerken dabei aber sogleich,
dass dem äusseren Aussehen nach der Embryo von Schmidt
älter ist, als der von Kallius, trotzdem beide in ihrer Länge
annähernd übereinstimmen. Der Embryo von Kallius ist nun
wieder in seiner Entwickelung den bisher beschriebenen gleicher
Grösse so ähnlich, dass wir ihn für annähernd normal halten
müssen; der Schmidtsche ist also wohl entweder in seiner
Form zwar weiter entwickelt, in der Grösse aber zurückgeblieben,
wie das vorkommt, oder er war ursprünglich grösser und ist in
der Behandlung etwas geschrumpft, wobei diese Schrumpfung
ja gleichmässig vor sich gegangen sein könnte.
Schmidt beschreibt nun für seinen Embryo von 15 mm
(l. c. S. 192), dass sich bei ihm „an der Seite des Thorax und
des Abdomen, sowie am Schulter- und Beckengürtel und zwar
an der Grenze zwischen Körperstamm und Anfang der Ex-
tremitäten eine kontinuierlich im Zusammenhang mit einander
stehende Zone erhöhten Epithels von etwa 1—1!/s mm Breite“
findet. Er nennt diese Zone den Milchstreifen und in ihm liegt
an normaler Stelle die Hauptmilchdrüsenanlage in Linsen- bis
Zapfenform.
Beiträge zur ersten Entwiekelung der Mammarorgane beim Menschen. 227
Innerhalb dieses Milchstreifens sollen dann die überzähligen
Milchdrüsen entstehen können, indem in individuell wechselnder
Anordnung und Zahl die genannten Epidermisverdiekungen auf-
treten.
Wir haben Gelegenheit gehabt, an einer Anzahl jüngerer
menschlicher Embryonen von 4—24 mm Länge die Entwicke-
lung des Ektodermes in der seitlichen Leibeswand genauer unter-
suchen zu können und glauben, dass wir den bisherigen Be-
obachtungen über die Anlage der Mammarorgane einiges Neue
zufügen können, das sich speziell auf die ersten, für den Menschen
unseres Wissens noch nicht beschriebenen Stadien bezieht.
Und auch soweit es sich um Bekanntes handelt, scheinen
uns für jetzt noch Mitteilungen derjenigen Autoren, die im
Besitze geeigneten Materials sind, wünschenswert, da das, was
in der Litteratur über die Mammarorgane junger menschlicher
Embryonen vorliegt, nach dem oben Zusammengestellten doch
recht spärlich ist.
Das Material für meine Untersuchungen ist mir von Pro-
fessor Strahl zur Verfügung gestellt, der auch über die Er-
gebnisse unserer Untersuchungen auf der diesjährigen Anatomen-
Versammlung zu Kiel kurz berichtet hat.
Es besteht aus einer Reihe von Zeichnungen und Präparaten
junger menschlicher Embryonen, von denen wir auf je einen
von 4 mm und 6,75 mm besonderen Wert legen, weil beide
operativ gewonnen und ganz frisch konserviert sind. Sie sind
nach Erhärtung gemessen und gezeichnet und dann in Schnitt-
serien zerlegt. Zu diesen kommt noch eine Reihe von weiteren
Schnittserien junger gut konservierter Embryonen aus der
Sammlung von Prof. Strahl und eine Anzahl anderer eben-
solcher, die durchzuarbeiten uns Herr Geheimrat Gasser in
Marburg gestattete, dem wir hierfür zu lebhaftem Dank ver-
pflichtet sind.
15*
228 LEO HIRSCHLAND,
Ds
Die Zahl der Schnittserien, die wir für unsere Unter-
suchungen durchsehen konnten, ist an und für sich ziemlich
beträchtlich; leider ist aber auch bei sonst leidlich erhaltenen
Objekten gerade die Epidermis nicht selten mangelhaft kon-
serviert, sodass wir gerade für unsere speziellen Zwecke das
Material doch nur in beschränktem Masse verwenden konnten.
Wir haben alles ausgeschaltet, was irgendwie verdächtig war,
und nur einwandfreie Objekte unserer Darstellung zu Grunde
gelegt.
Es erscheint aus praktischen Rücksichten vielleicht am ein-
fachsten, wenn wir unsere Schilderung mit der Besprechung
eines Embryo beginnen, der mit dem von Kallius beschriebenen
so ziemlich übereinstimmt.
Derselbe besass eine grösste Länge von etwa 15 mm und
liess bei Loupenvergrösserung beiderseits zwischen oberer und
unterer Extremität eine ganz ausserordentlich deutliche, nament-
ich bei direkter Beleuchtung im Sonnenlicht hervortretende
Leiste erkennen, die vom unteren Rande der oberen Extremität
bis zum oberen Rande der unteren verlief. Man konnte nach
dem makroskopischen Bilde erwarten, dass sich auf den Schnitten
hier eine Milchleiste in grösserer Ausdehnung finden würde, wir
können aber gleich vorausschicken, dass diese Erwartung sich
als irrig erwiesen hat, und dass ganz ähnlich, wie H. Schmidt
das für seinen 15 mm langen Embryo beschrieben hat, sich bei
der Durchsicht der Schnitte eine Milchdrüsenanlage nur in sehr
beschränkter Ausdehnung vorfand und zwar in dem Teile direkt
hinter der oberen Extremität, dass dagegen in den tieferen Ab-
schnitten der seitlichen Leibeswand sich von einer Verdickung
innerhalb des Epithels nichts nachweisen liess. — Die Leiste
— die sonst vollkommen dem gleicht, was man bei Tieren von
der Milchleiste sieht — ist hier lediglich, wenigstens in dem
allergrössten Teil ihrer Ausdehnung, durch eine Faltung in der
seitlichen Leibeswand vorgetäuscht. Das, was als Milchdrüsen-
Beiträge zur ersten Entwickelung der Mammarorgane beim Menschen. 229
anlage hier in der That vorbanden ist, liegt zum Teil so von
der oberen Extremität gedeckt, dass es makroskopisch kaum
besonders hervorgetreten sein wird.
Der sonst gut erhaltene Embryo wurde mit dem Mikrotom
in eine Schnittserie zerlegt und unsere Präparate zeigen bei ihm
im wesentlichen Verhältnisse, die mit den von Kallius be-
schriebenen übereinstimmen. Es findet sich auf beiden Seiten
in der Epidermis eine Verdickung, die rechts als schwache Leiste
an den Durchschnitten beginnt, die durch die unteren Partien
der oberen Extremität hindurchgehen.
Verfolgt man die Schnittserie nach hinten, so kommt zu-
nächst eine Partie, in der die Epithelverdickung beträchtlich
zunimmt und der Hauptsache nach etwa stark linsenförmig
erscheint Dabei ist das Epithel trotz dieser Zunahme an ge-
nannter Stelle nicht wesentlich über die freie Fläche erhoben,
sondern ragt vielmehr nach unten in das Bindegewebe der Brust-
wand hinein. Es liegt aber die Anlage in einer Erhebung
der seitlichen Leibeswand, die im ganzen den Ausdruck wenigstens
des obersten Endes der makroskopisch vorspringenden Leiste
darstellt, wir glauben jedoch nicht, dass die Milchdrüsenanlage
selbst bei unserem Embryo für das. makroskopische Bild von
Bedeutung gewesen ist.
Es erhält sich die gleiche Durchschnittsfigur weiter nach
hinten auf einer Reihe von Schnitten in der beschriebenen
Weise, dann wird die Epithelverdieckung weniger mächtig und
dehnt sich aber dabei etwas unter Verbreiterung nach den Seiten
hin aus, sodass dieselbe schliesslich den ganzen beschriebenen
Vorsprung der seitlichen Leibeswand überdeckt. Sie läuft nach
unten verhältnismässig rasch in eine niedrige Epithelschicht
aus, sodass wir bald von dem ganzen Gebilde nichts mehr
wahrnehmen, dagegen erscheint die Leibeswand weiter durch
kleine Furchen in einzelne Abteilungen zerlegt.
230 LEO HIRSCHLAND,
Streifen, die zwischen diesen Furchen hervorspringen, sind
die Durchschnitte der Wülste, welche makroskopisch den distalen
Teil der Milchleiste vorgetäuscht haben.
An der anderen Seite finden wir an unseren Schnittpräpa-
raten, dass an den Stellen, in welchen die ersten Durchschnitte
durch die freie Extremität erscheinen, die Epidermis der Brust-
wand eine ziemlich breite Verdiekung aufweist, doch bemerken
wir hier unter der Extremität keine Erhebung derselben. Diese
diffuse Verbreiterung des Epithels lässt sich auf einer Reihe
von etwa 20 Schnitten der Serie verfolgen, dann tritt die gleiche
Hervorragung der Epidermis gegen das Bindegewebe auf, die
wir eben von der anderen Seite beschrieben haben. Dieselbe
erreicht sehr bald eine ziemlich beträchtliche Ausdehnung, erhebt
sich aber in diesem Teil verhältnismässig wenig über die äussere
Fläche, und ebenso rasch wie sie angestiegen war, fällt sie auch
nach hinten wieder ab, sodass wir sie an den Schnitten, welche
zugleich die letzte Spitze der Extremität treffen, nicht mehr
feststellen können.
Wir machen diese Angabe allerdings insofern mit Vorbehalt,
als in den letzten Partien die Epidermis weniger gut konserviert
erscheint, und infolgedessen vielleicht etwas von dem Epithel
verloren gegangen sein könnte. Erst in denjenigen Schnitten,
welche hinter die Spitze der Extremität fallen, traten auch auf
dieser Seite deutlicher die offenbar durch die Erhärtung be-
dingten Furchen an der Seite des Embryonalkörpers auf, welche
wir bereits von der anderen Seite erwähnt haben.
Wir beschreiben im Anschluss an den eben genannten hier
jetzt gleich weiter die Durchschnitte durch einen histologisch
ganz ausserordentlich gut erhaltenen Embryo, der im erhärteten
Zustand vor der Einbettung eine grösste Länge von l4mm auf-
wies, also um eine Kleinigkeit jünger war, als der eben be-
sprochene. Wir sehen hier an den Abgangsstellen beider Ex-
tremitäten eine ziemlich ausgiebige, diffuse Erhöhung des Epithels,
Beiträge zur ersten Entwickelung der Mammarorgane beim Menschen 231
die in ganz ähnlicher Weise, wie es H. Schmidt für seinen
15 mm-Embryo beschreibt, sich über die Seitenwand des Em-
bryonalkörpers ausdehnt, übrigens auch äuf die Extremität
selbst sich fortsetzt. In dieser erscheint dann ziemlich gegenüber
der Spitze der Extremität die Milchdrüsenanlage so, dass dieselbe
an der rechten Seite linsenförmig gestaltet, hier in der That
über die freie Fläche hervorragt (Fig. 6); ebenso ist sie aber nach
unten in die Tiefe hinein gegen die bindegewebige Unterlage
hin vorgewölbt, und auch das Bindegewebe unter ihr zeigt eine
sehr deutliche Verdichtung innerhalb seiner Zellen.
Zu bemerken wäre, dass die Epidermis seitlich neben der
erwähnten Anlage rasch an Stärke abnimmt und jedenfalls keine
beträchtliche Verdickung mehr erkennen lässt. — Verfolgen wir
die Durchschnitte gegen das hintere Körperende hin, so verändert
sich übrigens erst nach einer ziemlichen Reihe von Schnitten
hier die Anlage so, dass der gegen das Bindegewebe vorspringende
Teil der Linse sich allmählich abflacht, der nach aussen sehende
dagegen erhalten bleibt. Es wird derselbe sogar weiterhin unter
einiger Verschmälerung sehr beträchtlich über die freie Fläche
gehoben, sodass makroskopisch in diesem Teil eine deutliche
Milchleiste vorhanden gewesen sein muss. — So ziemlich mit
der Spitze der oberen Extremität läuft dann die Leiste als solche
nach unten aus, um durch niedrige Epithelzellen ersetzt zu
werden. Es folgt aber alsdann auf dieselbe eine Zone in
der seitlichen Körperwand, die sich sehr weit nach unten ver-
folgen lässt, in der das Epithel verdickt erscheint, und die dem
entspricht, was H. Schmidt als Milchstreifen beschreibt und
jedenfalls als ein Überrest der breiten Epidermisplatte anzusehen
ist, die wir weiter unten für jüngere Embryo schildern wollen.
Vergleichen wir hiermit die Anlage der anderen Seite, so
würde an dieser die Epidermis speziell der Achselhöhle oberhalb
der eigentlichen Milchdrüsenanlage noch stärker verdickt er-
scheinen, als wir das eben für die rechte Seite beschrieben haben.
232 LEO HIRSCHLAND,
Dass Verschiedenheiten in der Entwickelung beider Seiten vor-
kommen, ist ja nicht wunderbar, da solche auch für andere
Entwickelungsvorgänge die Regel sind. Es folgt auch hier dann
in der diffusen Verdiekung sehr bald die Milchdrüsenanlage, die
von vornherein etwas stärker über die freie Fläche hervorragt,
also eine deutliche Leiste bilden muss, und die sich in der Tiefe
gegen das unterliegende Bindegewebe, das ebenfalls verdichtet
erscheint, durch zwei kleine Furchen absetzt (Fig. 6). Es springt die
Anlage also in der That als wohlbegrenzter Zapfen auch gegen
das Bindegewebe hin vor. — Je weiter wir die Schnittreihe nach
unten verfolgen, um so deutlicher hebt sich dieselbe nach aussen
über die Fläche der Brustwand hinaus, dann schwindet der Vor-
sprung gegen das Bindegewebe, während der aussen gelegene
sich wie ein Zapfen erhebt. Weiter vergeht auch dieser, sodass
nur eine breite Epidermisverdickung übrig bleibt, die nach aussen
winkelig geknickt erscheint. Auch hier lässt sich die Epidermis-
verdickung der Seitenwand weit nach unten hin verfolgen, sie
wird schliesslich sogar wieder stärker und läuft in eine breite
Platte starken Epithels auf der Dorsalseite der unteren Ex-
tremität aus.
Die eben beschriebenen beiden Embryonen stimmen in den
wesentlichen Punkten mit dem von Kallius und H. Schmidt
Gefundenen überein.
Unser Material giebt uns nun aber weiteren Aufschluss über
eine Reihe von Entwickelungsstadien, die den genannten voraul-
gehen.
Wir besitzen drei Schnittserien durch Embryonen von 5 mm,
6,75 mm und 4 mm grösster Länge, welche die der Milchleiste
vorhergehenden Stadien des Milchstreifens enthalten.
Wir halten es für am einfachsten, wenn wir dieselben vom
älteren zum jüngeren Stadium fortschreitend schildern.
Der 8 mm lange Embryo ist histologisch sehr gut erhalten,
hat aber bei der Verarbeitung auf nicht ganz erklärte Weise
As,
e 2317 1/0 Iyy
Anatom.Hefte LAbtheilung Heft 34/35.(1.Bd.H.1/2 Taf.XIX, AK.
Fig. 2
NH.Stz.
Verlag v.J.F. Ber&mann, Wiesbaden
Lith.Anst.v. 0.Kirst. Le -
Beiträge zur ersten Entwickelung der Mammarorgane beim Menschen. 233
Schaden gelitten; er muss beim Schluss der Paraffinbehandlung
stark zerbrochen sein. Es hat dies der histologischen Beschaffen-
heit keinen Eintrag gethan, und die Bruchstücke liegen auf
dem Öbjektträger so bei einander, dass die Beurteilung des
Präparates keinerlei Schwierigkeiten macht. Bei der Seltenheit
des Materials halten wir uns für berechtigt, auch von dieser
Serie für unsere Zwecke Gebrauch zu machen.
Wir müssen der Betrachtung der folgenden Embryonen die
Bemerkung voraufschicken, dass bereits O. Schultze bei seinen
vergleichend anatomischen Studien darauf aufmerksam gemacht
hat, dass dem Stadium der Milchleiste beim Schweine-Embryo
ein anderes voraufgeht, in welchem die seitliche Leibeswand
eine ganz diffuse Verdickung ihres Ektodermüberzuges zeigt.
Schultze hat also bereits den Milchstreifen von H. Schmidt
bei Tieren beobachtet, oder vielmehr ein Stadium beschrieben,
welches dem von H. Schmidt geschilderten vorausgeht, insofern
hier ein Milchstreifen ohne centrale Epidermisverdickung, also
ohne Milchleiste beschrieben ist. Nach Schultze muss dieser
Milchstreifen, den er auch abbildet, beim Schwein sehr weit
dorsal belegen sein, denn er redet von der Rückengegend, in
der er sich findet.
OÖ. Schultze hat seiner Beobachtung in seinem Lehrbuche
keine Erwähnung gethan. Dementsprechend ist sie auch von
späteren Untersuchern und Referenten kaum berücksichtigt,
soweit wir die Litteratur übersehen können.
Der erwähnte Embryo von 8 mm zeigt um den Ansatz der
oberen Extremität ein deutliche Verdickung der Epidermis,
welche an der unteren Seite derselben, also entsprechend der
Achselhöhle, auffälliger ist als dorsal. Wir können diese Ver-
diekung auf beiden Seiten nach abwärts verfolgen. Dieselbe ist
unterhalb derjenigen Stelle, an der die Extremität eben frei
geworden ist, in ihren mittleren Abschnitten von beträchtlicher
Höhe. Sie erreicht in diesen eine Stärke von etwa vier über-
234 LEO HIRSCHLAND,
einander gelagerten Reihen von Kernen und fällt dann nach
oben rascher, nach unten langsamer ab. Sie ist übrigens hier
auch stärker als an der Ansatzstelle der Extremität selbst. —
Verfolgen wir dieselbe nach unten weiter, so können wir sie
auf einer ganzen Reihe von Schnitten, so weit wir neben dem
Embryonalkörper die durchschnittene Extremität finden, eben-
falls noch nachweisen. Sie tritt nach unten insofern eher etwas
deutlicher hervor, als sie rascher nach den Seiten in niedriges
Epithel übergeht, sodass wir nur einen schmalen Streifen
erhöhter Epidermis an der Seitenwand des Embryonalkörpers
liegend finden (Fig. 5). — Weiter nach unten, etwa in der Mitte
„wischen oberer und unterer Extremität, wird die Epidermis-
verdiekung niedriger und setzt sich wieder minder scharf gegen das
anschliessende Epithel ab und erreicht gegen den Ansatz der
unteren Extremität stellenweise wieder eine etwas grössere
Breite, wobei dieselbe zugleich anscheinend mehr ventralwärts
reicht. Sie läuft dann aus in eine ausgiebige, starke Epidermis
verdickung der ventralen Leibeswand des Embryo, die sich bis
über die Kloakenregion herüberzieht.
Einen Embryo von 6,75 mm, der operativ gewonnen und
ganz frisch in Formol fixiert war, verdanken wir der grossen
Liebenswürdigkeit der Herren Geheimrat Löhlein und Dr.
Walther.
Der Embryo war der raschen Fixierung entsprechend vor-
züglich erhalten (Fig. 2). Die Gesichtskopfbeuge ist vollendet; wir
unterschieden drei Visceralbogen und konnten bei gutem Licht
die Reihe der Urwirbel bis gegen den Schwanz hin verfolgen.
Obere und untere Extremität stellen ungegliederte Stummel dar,
von einer Milchleiste war mit Lupenvergrösserung nichts wahr-
nehmbar.
Die Schnittserie lehrte aber, dass ein Milchstreifen sich in
ziemlicher Ausdehnung feststellen liess.
Beiträge zur ersten Entwickelung der Mammarorgane beim Menschen. 235
Wir finden auf unseren Schnitten einmal unter der Wurzel
der oberen Extremität also in der späteren Achselhöhle eine sehr
beträchtliche Erhöhung des Epithels; bemerkenswert ist, dass
diese nicht nur in dem Winkel zwischen Extremität und Leibes-
wand vorhanden ist, sondern sich auch auf die ganze ventrale
Seite der Extremität fortsetzt bis zu der bekannten Epidermis-
verdickung, die an der Spitze der jugendlichen Extremitäten-
anlagen liegt.
Auch an der dorsalen Seite der Extremität sind übrigens
die Ektodermzellen noch verhältnismässig hoch, jedenfalls höher
als wir sie über der Urwirbelregion über dem Medullarrohr
finden.
Die Epidermisverdiekung erstreckt sich aus dem Bereiche
der primitiven Achselhöhle nun weiter nach hinten.
In den Schnitten direkt hinter der oberen Extremität (Fig. 4)
finden wir eine von zwei Furchen umgrenzte Erhebung der seit-
lichen Leibeswand, die von einem Ektoderm aussen überzogen wird,
welches unzweifelhaft höher ist, als dasjenige der angrenzenden
Partieen, immerhin aber wieder beträchtlich niedriger als das-
jenige der Achselgrube und auch niedriger, als das, welches wir
an entsprechender Stelle bei dem Embryo von Smm sahen.
Je weiter wir die Schnittreihe nach hinten verfolgen, um so
mehr nimmt zuerst das Bindegewebspolster ab, welches unter
der Ektodermverdiekung liegt, die Furchen an ihren Rändern
verstreichen, so dass die ganze seitliche Leibeswand gleichmässig
gestaltet erscheint. Zugleich verdünnt sich auch das Ektoderm
des Milchstreifens; aber über der ganzen seitlichen Leibeswand
können wir doch noch eine Zone feststellen, an der das Ektoderm,
wenn auch nur in geringem Grade so doch messbar stärker ist,
als dorsal und ventral, eine Zone, die wir als den Vorläufer des
für das vorige Stadium beschriebenen Milchstreifens ansehen
müssen.
236 LEO HIRSCHLAND,
Diese Zone lässt sich bis zur Wurzel der unteren Extremität
verfolgen.
An dieser selbst können wir feststellen, dass die Ektoderm-
lage in der Inguinalregion wieder beträchtlich höher wird.
Der Schnittrichtung halber ist die Ausdehnung der Zone erhöhten
Ektoderms jedech nicht mit Sicherheit festzustellen.
Eine Verdickung in der Epidermis der seitlichen Leibes-
wand finden wir nun aber auch schon bei dem erwähnten
Embryo von 4 mm.
Prof. Strahl verdankt den ebenfalls operativ gewonnenen
Embryo der grossen Freundlichkeit des Herrn Dr. Schütz in
Hamburg, der ihm die frisch in Salpetersäure gelegte Frucht-
blase uneröffnet zuschickte.
Die Fruchtblase wurde auch uneröffnet in der üblichen
Weise weiter behandelt und erst, nachdem sie in 96°/o Alkohol
gekommen war, durch einen Horizontalschnitt, dem grössten
Durchmesser entsprechend, vorsichtig in zwei Teile zerlegt.
Die alsdann angefertigte Zeichnung lässt den in das Amnion
gehüllten Embryonalkörper erkennen (Fig. 1).
Während die vordere Körperhälfte durch das Amnion
hindurch sichtbar ist, wird die hintere durch die Nabelblase
verdeckt.
Die vordere Hälfte zeigt, dass die obere Extremität eben im
Vorsprossen begriffen ist, ein Wulst an der seitlichen Leibeswand
hinter derselben ist nicht vorhanden.
Auch dieser Embryo ist nach Einbettung in Paraffin in
eine Schnittserie zerlegt.
Die Querschnitte durch den Embryonalkörper unmittelbar
hinter dem Herzen weisen in der seitlichen Leibeswand eine
breite Verdickung der Epidermis auf, die ohne scharfe Grenze in
die nach oben anliegenden Partien ausläuft; nach unten ist sie
streckenweise bis zur Medianlinie zu verfolgen, wenn auch unter
etwas Abflachung (Fig. 3).
Beiträge zur ersten Entwickelung der Mammarorgane beim Menschen. 230
Überhaupt ist die ganze Verdickung nur dann auffällig,
wenn man die entsprechenden späteren Stadien kennt. Wir
können das verdickte Ektoderm an unseren Schnitten nach unten
auf eine ziemlich ausgiebige Strecke verfolgen und stehen nicht
an, es für den Vorläufer der entsprechend verdickten Stelle zu
betrachten, die wir bei den älteren Embryonen der Anlage der
Milchleiste teils voraufgehend sahen, teils in der unmittelbaren
Umgebung derselben feststellen konnten. Sie wäre also ein
frühestes Stadium des Milchstreifens. Die Verdickung ist am
auffälligsten hinter der oberen Extremität selbst. Die Extremität
erscheint als ein kleiner, unbedeutender, von dichten Mesoderm-
zellen zusammengesetzter Stummel, der an seiner Oberfläche
von einem auffällig verdiekten Epithel überzogen ist. Dieser
verdickte Epithelabschnitt läuft dann nach oben und unten
langsam in niedrigere Epithelzellen aus, und an ihn schliesst
sich nach hinten die soeben für die tiefer gelegenen Abschnitte
der seitlichen Leibeswand beschriebene Verstärkung an.
Wir können die letztere auf eine ziemlich beträchtliche
Strecke nach hinten verfolgen; sie würde aber auch bei diesem
Embryo schliesslich kaum als etwas Besonderes erscheinen,
wenn man nicht durch die älteren Stadien auf den Ektoderm-
überzug der seitlichen Leibeswand aufmerksam gemacht wäre.
Leider können wir aus unserer Schnittserie nicht mit Sicherheit
auf die Art und Weise schliessen, wie der Milchstreifen nach
hinten ausläuft. Da der Embryo etwas spiralig aufgerollt war,
so sind die Schnitte in der Nabelgegend nach hinten schräg
gefallen, dass die Bilder für unsere Zwecke zum Teil nicht
verwendbar sind. Eines können wir aber doch sagen, dass
nämlich über der Anlage der noch sehr kleinen unteren Ex-
tremität das Ektoderm wieder eine mächtige Verdickung erfährt.
Das Ektoderm der seitlichen Leibeswand im ganzen ist also
hier so gestaltet, dass es an den Stellen, an welchen bei Tieren
der Milchstreifen beginnt und endet, d. h. an der Wurzel der
238 LEO HIRSCHLAND,
oberen und unteren Fxtremität, eine beträchtliche Verstärkung
aufweist, und dass eine wenn auch geringere Verdickung sich
von der oberen Extremität an der seitlichen Leibeswand nach
abwärts zieht. Wir müssen es offen lassen, ob dieselbe in
diesem Stadium die Wurzel der unteren Extremität unmittelbar
und ohne Unterbrechung erreicht.
Wir fügen aus der Zahl unserer Embryonen an dieser
Stelle und als Abschluss noch die Schilderung einiger Schnitt-
bilder an, die wir an einer Serie eines Embryo von 26 mm
gewannen; wir finden hier eine stärker entwickelte Milchdrüsen-
anlage, etwa entsprechend demjenigen Stadium, welche den
älteren Autoren als Ausgangspunkte für ihre Darstellung von
der Entwickelung der Milchdrüse überhaupt gedient haben. —
Die Drüsenanlage stellt eine kurze, gedrungene und ganz eirkum-
skripte Verdickung der Epidermis dar. Die tielsten, äussersten
Zellen derselben sind senkrecht gegen die unterliegende Binde-
gewebsschicht gestellt und fügen sich radiär gegen die Mitte
der Drüsenanlage aneinander.
An der Oberfläche geht der Drüsenzapfen sehr rasch in
niedrige, platte Epidermiszellen über. Das unter dem Epithel
liegende Bindegewebe stellt ebenfalls eine sehr deutlich ver-
dichtete Schicht dar. — Wir finden in diesem Stadium nichts
Neues gegenüber den älteren Autoren, wollten desselben aber
doch besonders Erwähnung gethan haben. Wir sehen nämlich
hier in der Umgebung des Milchpunktes bereits die ersten Ver-
diekungen im Ektoderm, die den überzähligen Milchdrüsen-
anlagen von H. Schmidt entsprechen. Sie sind in der Um-
gebung der Milchdrüsenanlage inmitten eines dünneren Ekto-
dermes nachweisbar.
Wir kommen auf die Bedeutung dieses Umstandes weiter
unten zurück.
Wir schliessen damit die Beschreibung unserer Präparate
ab und kämen naturgemäss zu der Frage, was sich aus unseren
Beiträge zur ersten Entwiekelung der Mammarorgane beim Menschen. 239
Beobachtungen Neues über die erste Entwiekelung der Mammar-
organe ergiebt.
Wir glauben als solches die Zurückführung derselben auf
so frühe Stadien bezeichnen zu können, wie sie bislang für den
Menschen noch nicht und für Tiere nur in sehr beschränktem
Masse beschrieben sind.
Wir konnten bereits bei dem jüngsten der von uns unter-
suchten Embryonen — 4 mm grösste Länge — feststellen, dass
einmal die Anlagen der Extremitäten von einer Lage beträcht-
lich verstärkten Ektodermes überzogen waren und dass im
Anschluss an die obere Extremität sich eine Schicht auf der
seitlichen Leibeswand nachweisen lässt, in welcher wenigstens
insofern ein dickeres Ektoderm vorhanden ist, als die Zellen,
auch wo sie einschichtig angeordnet sind, hoch erscheinen
gegenüber den abgeplatteten Formen, die z. B. den Rücken in
und neben der Medianlinie decken. Ob diese Zone eine Ver-
bindung der oberen und unteren Extremität darstellt, musste
dabei unentschieden bleiben.
Eine solche ist aber, wenn auch nur in wenig auffallendem
Grade, so doch sicher nachweisbar, bei einem Embryo von
6,75 mm vorhanden und ist bei 8 mm derart deutlich, dass sie
in einem beträchtlichen Teil der seitlichen Leibeswand sich
bereits bei schwacher Vergrösserung mit dem Mikroskop fest-
stellen lässt.
Und innerhalb dieser Zone, die Schwalbe und H. Schmidt
für ein älteres Stadium als Milchstreifen bezeichnet haben,
kommt es in unmittelbarem Anschluss an den distalen Rand
der oberen Extremität, dann bei Embryonen von 14 mm resp.
15 mm (Kallius, H. Schmidt, Strahl) zur Ausbildung einer
leistenförmigen Verdiekung, der Milchleiste, die im weiteren
Fortschreiten der Entwickelung zur Bildung der ersten Milch-
punkte führt; solche liegen uns von einem Embryo von
26 mm vor.
240 LEO HIRSCHLAND,
Während dieses ganzen hier kurz skizzierten Entwickelungs-
ganges sahen wir die ursprünglich breite Ektodermverdiekung
sich mehr und mehr verschmälern, und zwar zunächst relativ,
dann absolut. Denn je deutlicher die Milchleiste hinter der
oberen Extremität hervortritt, um so mehr erscheinen die neben
dieser belegenen Teile des Milchstreifens verschmälert, bis
schliesslich im der Zeit, in welcher nur die Milchpunkte vor-
handen sind, neben diesen zeitweilig eine überall gleichmässig
niedrige Ektodermlage vorhanden wäre. Die als Epidermisver-
diekung erscheinenden Milchpunkte stellen also den letzten Rest
einer ursprünglich breiten Epidermisverdickung dar, die in dem
Fortschreiten der Entwickelung immer mehr eingeengt wird.
Wenn wir uns fragen, wo das Material des Milchstreifens
bleibt, so können wir aus unseren Präparaten nur erschliessen,
dass eszum Aufbau der Epidermis (und natürlich auch von deren
Anhangsgebilden) an der seitlichen Leibeswand verbraucht wird.
Schultze scheint für seine Objekte anzunehmen, dass es bei der
Trennung z. B. der Milchleiste in die Milchpunkte zur Zer-
störung der zwischen letzteren gelegenen Teile der Milchleiste
kommt, er gebraucht wenigstens den Ausdruck Resorption.
Wir haben bei unseren menschlichen Embryonen hierfür
keinen Anhalt finden können; es würde ja bei diesen sich um
einen solchen Vorgang nur immer an den Rändern der Milch-
leiste resp. des Milchstreifens handeln können, da eine Zerlegung
derselben in einzelne Territorien natürlich hier nicht statt-
findet.
Noch einige Worte über die Ansichten, welche sich H.
Schmidt aus seinen Präparaten über den Aufbau der Mammar-
organe gebildet hat.
Schmidt, der den Milchstreifen in der Umgebung der
Milchleiste bei seinem 15 mm langen Embryo beobachtete,
nimmt, wenn wir ihn recht verstehen, an, dass die überzähligen
Beiträge zur ersten Entwickelung der Mammarorgane beim Menschen. 241
Milchdrüsen unmittelbar aus dem Milchstreifen sich heraus-
bilden.
Dem möchten wir in dieser Form vorläufig nicht zustimmen,
bemerken aber gleich, dass hier noch genauere, besonders
auf diesen Punkt gerichtete Untersuchungen weiteren Aufschluss
schaffen werden.
Soweit wir die Verhältnisse übersehen können, treten die
überzähligen Milchdrüsenanlagen von Schmidt erst auf zu
einer Zeit, in der der Milchstreifen bereits mehr oder minder
vollkommen rückgebildet ist, und wir könnten nach unseren
Beobachtungen nur zugeben, dass die Epidermis an solchen
Stellen, an denen früher Milchstreifen vorhanden war, in
späterer Zeit diejenigen Verdickungen hervorzubringen vermag,
die nach Schmidt die überzähligen Milchdrüsen darstellen.
Der bleibende Mammarapparat würde im Gegensatz hierzu sich
unmittelbar und direkt aus dem Milchstreifen zur Milchleiste
und aus dieser zum Milchpunkt aufbauen. Auch diese Reihen-
folge stimmt nicht mit der Darstellung von Schmidt überein,
da dieser annimmt, dass seinem Milchstreifen eine bis dahin
nicht aufgefundene Milchleiste vorausgehen werde, während nach
unseren Untersuchungen beim Menschen gerade so wie bei
Tieren (Schultze) der Milchstreifen das Primäre, die Leiste das
Sekundäre ist.
Ergeben unsere Präparate einen Aufschluss über die Be-
deutung der Milchleiste oder des Milchstreifens? Wir müssen
diese Frage von unserem Standpunkte aus bedauernd verneinen,
bemerken dabei aber gleich, dass wir bei Abfassung der Arbeit
diesen Punkt auch vorerst nicht als das uns für jetzt erreichbare
Ziel unserer Wünsche betrachtet haben; es fehlen vielmehr für
jetzt die ausreichenden positiven Unterlagen.
Auch Schultze hat das wohl angenommen, denn er hat,
wie bekannt, mit einer Zurückhaltung, die wir zu schätzen
wissen, bislang darauf verzichtet, eine sogenannte Erklärung
Anatomische Hefte, I. Abteilung. XXXIVXXXV. Heft (11. Bd. H. 12.) 16
242 LEO HIRSCHLAND,
der Milchleiste zu geben. Wir vermögen also auch vorläufig
Klaatsch nicht zu folgen, der den Versuch gemacht hat, eine
vergleichend anatomische Auffassung für die Milchleiste zu
geben. Klaatsch hält die ganze Leiste für eine sekundäre
Erscheinung, die aus den primär vorhandenen Milchhügeln ent-
standen sei. Die Milchhügel sind nun weiter die Anlagen von
Mammartaschen und die Milchleiste, die dieselben sekundär mit
einander verbindet, ist für Klaatsch das Rudiment eines
Beutels bei Placentalier- Embryonen; er nennt dieselbe „Mar-
supialleiste“.
Bonnet (l. e. S. 633), der die Erwägungen von Klaatsch
bespricht, wendet dagegen ein, dass die Figur, die Klaatsch
zur Erläuterung seiner Auffassung giebt, soweit es sich um die
Konstruktion der Milchleiste handelt, den thatsächlichen Ver-
hältnissen nicht entspricht und er schlägt vor, die von Schultze
eingeführte Terminologie’ einstweilen zu Recht bestehen zu lassen,
bis die Hypothese von Klaatsch durch umfangreicheres
Material gestützt sei.
Wir schliessen uns dieser Auffassung von Bonnet ebenso
an, wie dem Schlusswort seiner Abhandlung und sind zufrieden,
wenn es uns durch unsere Untersuchungen gelungen sein sollte,
die Kenntnisse über die erste Entwickelung der Mammarorgane
des Menschen um einiges zu fördern.
Figurenerklärung.
(Die Fig. 1 ist von Zeichner Noack, 2 von Prof. Strahl angefertigt,
3—6 verdanke ich dem Assistenten des Giessener anatomischen Instituts Herrn
Friedrich.)
Fig. 1. Menschlicher Embryo von 4 mm grösster Länge in situ im
halbierten Chorionsack gezeichnet. Der Pfeil bezeichnet die Stelle des Schnittes
Fig. 3.
Fig. 2. Menschlicher Embryo von 6,75 mm grösster Länge. Pfeil die
Stelle des Schnittes der Fig. 4.
Fig. 3. Querschn#t durch den Embryo von 4 mm dicht kaudal hinter
der Anlage der oberen Extremität. Seitliche Verdickung des Ektoderms, Vor-
läufer des Milchstreifens.
Fig. 4. Querschnitt durch den Embryo von 6,75 mm dicht kaudal hinter
der Anlags aer oberen Extremität. M. Str. — Milchstreifen.
Fig. 5. Stück der seitlichen Leibeswand eines menschlichen Embryo von
8 mm. M. Str. — Milchstreifen auf der Höhe seiner Entwickelung; etwas
stärkere Vergr.
Fig. 6. Querschnitt durch einen menschlichen Embryo von 14 mm mit
den Durchschnitten der Milchleisten (M. L.) beider Seiten.
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AUS DEM ANATOMISCHEN INSTITUT ZU GREIFSWALD.
BEITRÄGE
ZUR
ONTOGENIE UND PHYLOGENIE
DER
MrMMARORGANE:
VON
DR. PHIL. OSCAR PROFE,
GREIFSWALD.
Mit 35 Abbildungen auf den Tafeln XNXIXXVI und einer Abbildung im Text.
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVI. Heft (11. Bd. H. 3). 17
Die noch vielfach bestehenden Differenzen in der Beschrei-
bung und Deutung der verschiedenen Entwickelungsstadien der
Mammarorgane bei (den Säugetieren beweisen, dass die Anschau-
ungen über diese interessante und systematisch wichtige Organ
gruppe noch nichts weniger als abgeschlossen und spruchreif zu
bezeichnen sind. Die noch in wesentlichen Punkten dieses
schwierigen Gebietes herrschenden Widersprüche lassen sich un-
schwer zum Teil auf vorgefasste Meinungen, zum Teil auf un-
genaue Beobachtungen, zum Teil aber auch auf die Lücken zu-
rückführen, die trotz der zahlreichen und dankenswerten bis-
herigen Arbeiten in der vergleichenden Anatomie und Embryo-
logie der Mammarorgane thatsächlich noch klaffen.
Diese thunlichst auszufüllen, ist ein notwendiges Postulat
für die Klärung und sichere über den Rahmen der Hypothese
hinausgehende Beantwortung der vielen Fragen, die ungeachtet
der Verdienste von Gegenbaur'!) und Huss?), ferner der zum
Teil sehr beachtenswerten, wenn auch nicht immer einwands-
freien Untersuchungen und Konstruktionen von Klaatsch?) so-
wie der wertvollen neuesten Arbeit von Ruge®) noch als offene
zu bezeichnen sind.
!) Gegenbaur, Bemerkungen über die Milchdrüsenpapillen der Säuge-
tiere. Jena. Zeitschr. für Naturwissenschaften. Bd. VII. — Zur genaueren
Kenntnis der Zitzen der Säugetiere. Morphol. Jahrb. Bd. I. 1875.
2) Huss, Beiträge zur Entwickelung der Milchdrüsen bei Menschen und
bei den Wiederkäuern. Jena. Zeitschr. f. Naturw. Bd. VII.
3) Siehe die in der Litteraturübersicht eitirten Arbeiten dieses Autors.
4) Die Hautmuskulatur der Monotremen und ihre Beziehungen zu dem
Marsupial- und Mammarapparate. Aus: Semon, Zoolog. Forschungsreisen in
Australien und dem malayischen Archipel. S. Fischer 1895.
248 OSCAR PROFE,
Die Entdeckung der Milchlinie und der Hinweis auf ihre
Bedeutung durch ©. Schultze!) hat für das Verständnis der
Mammarorgane neue Gesichtspunkte eröffnet, die bisher freilich
mehr auf dem Wege der Spekulation, als auf dem mühevoller
Forschung gewürdigt sind.
Eine allgemeinere Bedeutung der Milchlinie für die Ent-
stehung der Mammarorgane hat namentlich Bonnet?) bestimmter
hervorgehoben. Er setzt eine Milchlinie als erste Anlage der
Mammarorgane in weit umfassenderer Weise bei den Säugetieren
voraus, als alle anderen Autoren. Gleichzeitig hat er die reiche
Variation in Zahl und Anordnung der Milchdrüsen und ihrer
Ausführungsgänge als Ausdruck einer im Fluss begriffenen Re-
duktion der Mammarorgane wahrscheinlich zu machen gesucht.
Bei allen polymasten Tieren lassen sich seiner Auffassung
nach die Milchorgane auf das ursprüngliche Ausdehnungsgebiet
der Milchlinien (von der Achselhöhle bis zur Schamgegend) oder
ihrer freilich nach Standort und Ausdehnung sehr wechselnden
Reste zurückführen.
Für die Annahme einer weiteren Verbreitung der Milchlinie
als der Primäranlage der Mammarorgane spricht ferner gebie-
terisch die bei Menschen und Tieren mehrfach beobachtete Hyper-
mastie und Hyperthelie; für deren Auftreten in anderer Weise
eine befriedigende Erklärung nicht zu finden sein dürfte. Zur
weiteren Stütze der gegenwärtig noch strittigen Fragen schien
es erwünscht, festzustellen, in wieweit die embryonal oder post-
embryonal bestehende Hypermastie und Hyperthelie als Hinweis
auf das ontogenetisch zurückliegende Stadium einer Milchlinien-
Anlage Bedeutung hat. Es war weiter zu eruieren, ob auch
1) Schultze, O., Über die erste Anlage des Milchdrüsenapparates.
Anat. Anz. 1892.
2) Bonnet, Die Mammarorgane im Lichte der Ontogenie und Phylogenie.
Ergebnisse der Anatomie und Entwickelungsgeschichte von Bonnet u. Me rkel
Bd. II. 1892.
Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 249
denjenigen Typen in der That eine Milchlinie oder ein Milch-
linienrest zukommt, bei denen bislang ein solcher Nachweis nicht
gelungen ist.
Die Wahrscheinlichkeit des vorübergehenden Bestehens einer
Milchlinie, beziehungsweise eines Milchlinienrestes, aus dem die
typische Anzahl der Milchdrüsen hervorgeht, wächst durch die
Ergebnisse der Untersuchung von Burckhard') auch für die
Säugetiertypen. Burckhard fand beim Rinde, bei dem bis jetzt
keine Spur einer Milchlinie nachgewiesen werden konnte, eine
ausgesprochene embryonale Hyperthelie und Hypermastie. Die
evidente Reihenstellung der normalen und abortiven Zitzeri wies
ferner deutlich auf ihr Hervorgehen aus einer Milchlinie hin.
Die geringen Verschiebungen und seitlicben Abweichungen ein-
zelner Zitzenanlagen sprechen nicht gegen die Möglichkeit der
Ableitung dieser reihenständigen Zitzen aus einer Milchlinie
(siehe die Tafel der Burekhardschen Arbeit). Denn in ganz
ähnlicher Weise habe ich auch beim Schweine, bei dem die
Milchlinie ja in voller Ausdehnung zweifellos besteht, kleine
Verschiebungen der Zitzen wiederholt beobachtet. (siehe Taf.
XXVXXI, Fig. 1 u.2). Der in einem an Burckhard gerichteten
privaten Schreiben von Klaatsch enthaltene Einwurf, die nicht
immer ungestörte Reihenanordnung der Zitzen beanspruche keine
Bedeutung für ihre Ableitung aus einer Milchlinie, braucht somit
keineswegs von vorneherein als begründet berücksichtigt zu
werden.
Der Wert der Hyperthelie und Hypermastie für eine Ab-
leitung der Mammarorgane respektive Zitzen aus einer linien-
förmigen Anlage erhöht sich vielleicht durch einen von mir zu-
fällig gemachten weiteren Befund. Gelegentlich meiner Unter-
suchungen an Embryonen von Üervus capreolus, die mir aus
1) Burckhard, Über embryonale Hypermastie und Hyperthelie. Anat.
Hefte von Merkel und Bonnet. 1897.
250 OSCAR PROFFE,
der Sammlung des hiesigen zoologischen Instituts durch die Güte
des Herrn Professor G. W. Müller zur Verfügung gestellt wur-
den, fand ich bei einem 10 em langen männlichen Embryo zwei
in einer Linie vor den normalen gelegene accessorische Zitzen,
die sich als solche von den ersteren durch ihre geringe Grösse
deutlich unterschieden (siehe Fig. 3). Die Stellung der letzteren
vor den normalen Zitzen zeigt im Vergleiche der Reduktion
der Mammarorgane des Rindes, bei welchem nach den bis-
herigen Erfahrungen die abortiven accessorischen Zitzen stets
hinter dem vordersten normalen Zitzenpaare stehen, dass die
Reduktion der Mammarorgane bei zwei verschiedenen Familien
der Artiodactylen entweder vom kranialen oder vom kaudalen Ende
her platzgreifen kann. Es ist ferner nicht unmöglich, dass das bei
dem Reh noch bestehende, aber abortive erste Zitzenpaar beim
Rinde schon gänzlich verloren gegangen ist. Dann hätte die Re.
duktion beim Rinde von vorne und von hinten her platzgegriffen.
Mit Sicherheit aber ergiebt sich aus diesem Befunde, dass die Hy-
perthelie und Hypermastie bei den domestizierten Wiederkäuern
nicht etwa nur als eine infolge von Domestikation auftretende
Variation, sondern als der Ausdruck einer in Fluss begriffenen
Reduktion der ursprünglich in grösserer Zahl angelegten milch-
produzierenden und ausführenden Organe aufgefasst werden muss,
die, soweit man zur Zeit sehen kann, bei den meisten Säuge-
tieren und ebenso bei Embryonen des Menschen in mehr oder
minder auffälliger Weise beobachtet werden kann'), Auch ein
Vergleich der Zitzenstellung und Zahl bei verschiedenen Typen
weist darauf hin, dass auf bestimmte Regionen des Körpers be-
schränkte einzelne, und mehrere zu Eutern zusammengezogene
Zitzen möglicherweise aus einem Milchlinienreste hervorgehen;
für den Menschen hat auch Kallius kürzlich einen Milchlinien-
1) Schmidt, H., Über normale Hyperthelie menschlicher Embryonen
und die erste Anlage der menschlichen Milchdrüse überhaupt. Morphelog.
Arbeiten herausgegeben von S. Schwalbe. Bd. VII, H. 1.
Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 251
rest in der Axillargegend nachgewiesen.!) Eine Anordnung von
Zitzen, die zunächst ein Hervorgehen aus der Milchlinie nicht
vermuten lässt, wie sie sich z. B. bei Hypudaeus arvalıs (siehe
Fig. 4) und anderen Typen findet, ist das zweifellose Resul-
tat einer sekundären Verschiebung der beim Embryo und beim
jugendlichen Tier ursprünglich evident reihenartig angelegten Or-
gane und beweist, dass eine einseitige Betrachtung des Befundes am
erwachsenen Organismus zu keineswegs einwandsfreien Schlüssen
gegen die Ableitung der Milchorgane aus einer Milchlinie führen
muss. Auf die bei vielen Beutlern auffallende unpaare mediane
Zitze werde ich später eingehen. Aber nicht nur hinsichtlich der Be-
deutung oder des mehr oder minder verbreiteten Vorkommens
der erst seit kurzem bekannten Milchlinie stossen wir auf Mei-
nungsverschiedenheiten. Auch die Mammartaschen, das Marsu-
pium und seine Rudimente, die Zitze und die Inguinaltaschen
(z. B. des Schafes) unterliegen bezüglich ihrer Phylo- und Onto-
genese und ihren Beziehungen zu einander trotz der Untersuch-
ungen von Langer, Gegenbaur, Huss, Klaatsch, Ruge u. a.
noch den lebhaftesten Kontroversen.
Gegenbaur bahnte bekanntlich neue Wege in der Auf-
fassung der verschiedensten Zitzenformen an, indem er auf
Grund der Untersuchungen seines Schülers Huss und an der
Hand eigener Erfahrungen zeigte, dass die bis dahin für gleich-
wertige Organe gehaltene Saugwarze des Menschen und die Zitze
des Rindes völlig verschiedene Gebilde seien. Ausgehend von der
Mammartasche der Echidna, einer seiner Meinung nach zur Auf-
nahme des Eies und später des Jungen dienenden Cutistasche,
deren Grund das Drüsenfeld mit den Ausführungsgängen der
paarigen Knäueldrüsenkomplexe bildet, zeigte Gegenbaur, dass
sich auch in sehr frühen Entwickelungsstadien bei andern Säugern
als erste Anlage des späteren Milchorganes eine der Mammar-
1) Kallius, Ein Fall von Milchleiste bei einem menschl. Embryo. Anat.
Hefte. 1897.
252 OSCAR PROFE,
tasche von Echidnaähnliche Bildung findet. Diese „Mammartaschen-
Anlage“ entwickelt sich, so weit bekannt, ausnahmslos aus hügel-
förmig verdickten Zellenanhäufungen des Hornblattes, den „Milch-
hügeln“, von denen sich dann die Cylinderzellenschicht des
Stratum Malpighi mehr und mehr in die Tiefe des Koriums
senkt. Die Cylinderzellenschicht differenziert sich stets sehr
scharf von den die Tasche füllenden kubischen oder polyedrischen
Epidermiszellen. Die Hormnschicht der Epidermis setzt sich
gleichmässig über die Mammartasche hin fort oder bildet
zu gewissen Zeiten bei bestimmten Typen eine kleine Ein-
senkung oder einen soliden Hornpfropf. An der Mammar-
taschenanlage unterscheidet man die tiefste Partie als Grund,
und den Rand als Cutiswall. In den Mammartaschengrund
öffnen sich später die Mündungen der Drüsenausführungs-
gänge. Dieses Gebiet entspricht also dem Drüsenfeld der Echidna-
tasche. Bekanntlich erhebt sich nun beim Menschen der Mam-
martaschengrund, das „Drüsenfeld‘‘ später kegelförmig über
den Cutiswall und bildet so die Mammilla oder Saugwarze.
Beim Rind aber bleibt nach Gegenbaur das Drüsenfeld am
Boden der Mammartasche in der Tiefe liegen, während der Cutis-
wall beträchtlich in die Höhe wächst und so mit der angrenzen-
den Cutis zur Zitze wird. Im ersten Falle verschwindet also
dieser Anschauung nach die Mammartaschenanlage nach kurzem
Bestehen; im letzteren dagegen bildet sie sich zu einer echten
Mammartasche aus und bleibt als „Strichkanal“ und „ÜUysterne‘‘
zeitlebens erhalten. Diese beiden Extreme in der Zitzenbildung
werden durch alle möglichen Übergangsstufen in den Zitzen-
bildungen der übrigen Säuger verbunden. Diese Deutung Gegen-
baurs gewann rasch Beifall und Einfluss auf die Auffassung der
verschiedenen Typen der Säugetierzitzen. Dagegen ist Rein!) auf
Grund seiner eingehenden Untersuchungen über die Wiederkäuer-
zitze zu abweichenden Ergebnissen gekommen, die alsdann von
1) Rein, Untersuchungen über die embryonale Entwickelung der Milch-
drüsen. Arch. f. mikr. Anat. Bd. XX. 1882. 8. 431.
Anatom Hefte.I.Abteilung.H.36.(M.BAH.3).
di _ -
Lilh.Anstv.H Jonas Onssd.
2.
f Bee
Verlag v. I. F Bergmann, Wiesbaden.
Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 253
Klaatsch teilweise mit Recht, zum Teil aber auch in nicht durch-
weg überzeugender Weise angegriffen wurden. Die mir in der
Klaatschschen Arbeit!) nicht ganz stichhaltig erscheinenden
Punkte habe ich in den Rahmen meiner Untersuchungen ein-
gezogen; ich komme bei den einzelnen Tierspecies auf die ge-
nannten Autoren kurz zurück und verweise im Speziellen auf
deren Arbeiten.
Die Reihenfolge der Aufführung der von mir untersuchten
Species ist von mir lediglich aus äusseren Gründen gewählt.
Schwein.
Ich beginne mit der Beschreibung und Entwickelung der
Mammarorgane beim Schwein nicht nur, weil bei diesem die
Milchlinie zuerst gefunden und beschrieben wurde, sondern weil
auch die Verhältnisse seiner Mammarorgane zweifellos primitive
sind; das Schwein darf somit als Ausgangspunkt für weitere
Untersuchungungen an den übrigen placentalen Säugergruppen
dienen. Um das Vorkommen oder Fehlen embryonaler Hyper-
mastie und Hyperthelie beim Schwein festzustellen, habe ich
ein grosses Material eingehend untersucht. Die Maximalzahl
der Zitzen, die ich bei der Untersuchung von 160 Embryonen
und 200 erwachsenen Schweinen gefunden habe, betrug 8, die
Minimalzahl 5 Zitzenpaare. Die Verteilung erhellt aus nach-
stehender Tabelle:
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| Embryonen Erwachsene
en, rt sd Be EU TERR|
mit 10 Zitzen oo —= 3,125°/o 26 = 13 Io
m S Dee, 35:=165,,,
a 53 — 33,125 „, 49, 24,0
En Dre | ig N 20. ==120%,;
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a er ..— —=.1k813,5; Heli
| 200
1) Klaatsch, Zur Morphologie der Säugetierzitzen. Morphol. Jahrb.
Bd. IX, S. 253
254 OSCAR PROFE,
Auch beim Schwein besteht demnach eine embryo-
nale Hypermastie und Hyperthelie und es übertrifft die
Zahl der Zitzen bei den Embryonen vielfach die der erwachsenen
Tiere. Die abortiven oder accessorischen Zitzen sind meist schon
bei jungen Embryonen von den normalen wohl unterscheidbar.
Die brustständigen Zitzen neigen am meisten zu abortiver Re-
duktion. Bei den mit einer grösseren Anzahl von Zitzen ver-
versehenen Individuen ist das vorderste Paar wesentlich weiter
kranialwärts gelegen, als das vorderste Paar bei denjenigen Indi-
viduen, die nur 5 oder 6 Zitzenpaare tragen. Ferner sind, wie
ich in Übereinstimmung mit Kitt beobachtet habe, die brust-
ständigen Zitzen meist geringer entwickelt als die bauchständigen
Dies alles weist deutlich darauf hin, dass sich beim
Schweine eine von der Brust nach hinten zu fort-
schreitende Reduktion in der Zahl der Zitzen voll-
zieht.
Gehen wir nunmehr zu der Beschreibung der Mammar-
organe selbst und zu ihrer Entwickelung über.
Der Milchdrüsenkomplex setzt sich aus 5—8 Zitzenpaaren
zusammen; nur vier Paare, wie Kitt!) angiebt, habe ich nie-
mals beobachten können. Die Zitzen liegen von der Scham-
gegend bis nach vorne seitlich vom Brustbein und sind niedrig,
stumpf-, kegel- bis halbkugelförmig. Ihr Hautüberzug ist haar-
und drüsenlos.. Nach Kitt sind am freien Ende zwei Aus-
führungsgänge sichtbar, deren Mündungen durch einen wul-
stigen Hautring gemeinsam umschlossen werden, sodass man
auf den ersten Horizontalabschnitten allerdings nur eine Öff-
nung findet. Dies ist möglicherweise der Grund, dass Gegen-
baur an der Schweinezitze nur einen Ausführungsgang_ be-
schreibt. Astley Cooper und Rein haben sich ebenfalls für
zwei Ausführungsgänge entschieden, während Klaatsch zu
1) Kitt, Th., Zur Kenntnis der Milchdrüsenpapillen unserer Haustiere.
Deutsche Zeitschr. f. Tiermed. u. vergl. Pathologie. B. VIII. 1882. S. 245.
Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 255
dem Resultat gelangt, dass nur ein solcher und zwar sehr
kurzer, auf dem höchsten Teil der Zitze gelegener, vorhanden
ist, indem 2—3 Milchdrüsen einmünden. Diese Widersprüche
können nur durch eine sorgfältige Untersuchung der Entwicke-
lung der Schweinezitze gelöst werden.
Wie OÖ. Schultze fand, tritt schon in sehr frühen Ent
wickelungsstadien bei Schweineembryonen von 1-2 em Scheitel-
steisslänge eine, von der Basis des vorderen Extremitätenstummels
bis in die Inguinalgegend reichende, seitlich nahe der Rücken
linie gelegene feine, nur aus Ektoderm bestehende Leiste auf,
die „Milchleiste oder Milchlinie“. Sie ist, darüber besteht kein
Zweifel, die gemeinsame erste Anlage des ganzen Milchdrüsen-
apparates. Ihr Querschnittsbild gebe ich in Fig. >.
Sehr bald treten spindelförmige, in der Längsachse der Milech-
linie verlaufende, stärkere epitheliale Verdickungen, die „primitiven
Zitzen“ OÖ. Schultzes, auf. Bonnet hat sie treffender als Milch-
hügel bezeichnet (Fig. 6).
Auch Rein hat diese hügelförmigen Anlagen beschrieben,
aber ihre Herkunft aus einer linearen Epithelverdickung nicht
gekannt. Während die verbindenden Milchlinienreste spurlos ver-
schwinden, nehmen die Milchhügel an Umfang zu und runden
sich ab. Gleichzeitig differenziert sich die Cylinderzellenschicht
deutlicher von den übrigen mehr kubisch und polygonal gestal-
teten zelligen Bestandteilen. Bei gleichzeitiger Abflachung der
freien Oberfläche senkt sich der konvexe basale Teil der Anlage
tiefer in das darunter befindliche Gewebe des Koriums ein und
führt so zu der bekannten Bildung der Mammartaschenanlage,
Ihre nächste Umgebung zeichnet sich durch einen beträcht-
lichen Zellenreichtum aus und entspricht dem „Areolargewebe“
Klaatschs. Rein beschreibt die ganze Bildung in diesem
Entwickelungsstadium als „zapfenförmige Anlage“, ohne ihr einen
morphologischen Wert in phylogenetischer Hinsicht zuzuerkennen.
256 OSCAR PROFE,
Bei Schweineembryonen von etwa 6cm Scheitelsteisslänge
erhebt sich der Cutisrand um die Mammartaschenanlage als
sogen. Cutiswall, ein wenig über die Körperoberfläche, während
über der Tasche eine gewisse Verdickung oder Einstülpung
der Hornschicht, der sogenannte Hornpfropf, als Rudiment
der Mammartaschenhöhle aufgefasst wird. Das Areolargewebe
markiert sich in ausserordentlich deutlicher Weise dem übrigen
cutanen Gewebe gegenüber durch seine Häufung von zelligen
Elementen (Fig. 7, Taf. XXVXXI). Bei Embryonen von 12 cm
Scheitelsteisslänge erhebt sich die stumpf kegelförmige Zitze durch
Emporwachsen des Cutiswalles bereits erheblich über die Haut-
oberfläche, während der Grund der Mammartasche noch unter
dem Niveau derselben liegt. Vom Boden der Mammartaschen
gehen stets zwei sehr kurze eben in der Anlage begriffene
solide Epithelsprossen aus. Gleichzeitig werden die ersten Haar-
anlagen sichtbar (Fig. 8. In dieser Figur ist nur ein Epithel-
rohr gezeichnet).
Rein bezeichnet diese Sprosse als „sekundäre Epithelan-
lage und will sie bereits bei 7,5cm langen Embryonen gefunden
haben, was ich nach meinen Untersuchungen an einem zahl-
reichen Materiale nicht bestätigen kann. Nach Klaatsch sollen
die sprossenförmigen Anlagen der Milchdrüsen selbst bei 14,5 cm
langen Embryonen noch nicht zu beobachten sein. Ältere Ent-
wickelungsstadien sind von ihm nicht untersucht worden. Bei
16cm langen Embryonen finde ich die Zitze hoch über das
Niveau der Körperoberfläche , hervorgetreten. Sie hat jetzt
eine stumpfkegelförmige Gestalt mit breiter Basis, und napl-
förmig vertiefter Spitze. Mit zunehmendem Längenwachstum
der Zitze ist nämlich die Mammartasche soweit auf deren Spitze
emporgerückt, dass selbst ihr Grund über dem Oberflächen-
niveau des Körpers liegt. Gleichzeitig hat sich eine Abflachung
der Tasche vollzogen. Etwas seitlich, an dem Grunde der
Tasche gehen zwei solide etwas weiter in die Tiefe vordringende
‚natom.Hefte.I.Abteilung.H.36.(XT.Bd.H.3)
Taf. XXIII. XXIV.
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Verlag v. J.E Bergmann Wiesbaden
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Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 257
Epithelsprossen ab. Die Areolarzone hat sich beträchtlich ver-
grössert (Fig. 9). Während die Mammartasche sich parallel
dem weiteren Wachstum der Zitze mehr und mehr abflacht,
senken sich die Epithelsprossen weiter in die Tiefe Gleich-
zeitig verdickt sich das Ende derselben kolbig. Bei 20 cm
langen Embryonen ist die Mammartasche ganz auf dem Gipfel der
Zitze gelegen. Die Sprossen sind die soliden Anlagen der Ausfüh-
rungsgänge. Nur inihrem kolbig verdickten cutanwärts gelegenen
Ende hat sich ein Lumen gebildet. Von der Wandung dieser dem
Milch-Sinus entsprechenden Stelle gehen dann mehrere der Zahl
nach wechselnde „sekundäre“, nach Rein ‚‚tertiäre“ Milchdrüsen-
sprossen aus. Das zunächst im Sinus auftretende Lumen setzt
sich sehr bald in diese Sprossen fort, während es in dem Teil des
Sprosses, der zwischen Sinus und Mammartasche gelegen ist,
erst später auftritt. Das Areolargewebe ist auf die nähere Um-
gebung der Mammartasche beschränkt geblieben, hat sich also
nicht mit den Sprossen in die Tiefe gesenkt (Fig. 10).
An der fertiggebildeten Milchdrüse unterscheiden wir somit
1. die in den Sinus einmündenden eigentlichen Milchdrüsen-
gänge, 2. den Sinus selbst und endlich 3. die den letzteren mit
der Aussenwelt in Verbindung setzenden Ausführungsgänge.
Als Ausführungsgang wird immer, abgesehen von seiner
ontogenetischen Entwickelung und der ihr zu Teil gewordenen
verschiedenen Deutung nur derjenige Teil zu bezeichnen sein,
welcher bestimmt ist, die Milch aus dem Sammelbehälter nach
aussen zu leiten.
Fassen wir unser Untersuchungsergebnis kurz zusammen,
so können wir sagen: bei unserem Hausschwein finden sich
10—16 brust- und bauchständige, aus einer typischen, wohl ent-
wickelten Milchlinie hervorgegangene Zitzen.
Die Verminderungin derZahlderselben geschieht
vornehmlich auf Kosten der brustständigen Zitzen.
Es vollzieht sich somit eine kranio-kaudalwärts fort-
258 OSCAR PROFE,
schreitende Reduktion in den Zitzenreihen. Zu dem
Entwiekelungsgang der Mammarorgane sind zwei von einander
scharf abgesetzte Phasen zu unterscheiden:
1. Die Bildung der Mammartasche;
2. die Bildung der von dieser ausgehenden Epithelsprossen.
Die Zitze besitzt niemals einen, sondern immer
zwei, oder inseltenen Fällen sogar drei Ausführungs-
eänge, welche mittelst des mehr oder minder abge-
flachten Mammartaschenrestes gemeinschaftlich aus-
münden.
Rind.
Auf die Beschreibung der normalen und accessorischen
Zitzen des ausgewachsenen Rindes kann ich unter Hinweis auf
die Arbeiten von Kitt!) und Burckhard?) verzichten. Ich
wende mich sogleich zu der noch strittigen Entwickelungsgeschichte
der Rinderzitze und schliesse den Ergebnissen meine eigenen
Untersuchungen an. Nachdem Huss die Entwickelung der
Milchdrüsen beim Menschen und bei den Wiederkäuern genau
untersucht und beschrieben hatte, führte Gegenbaur?) auf
Grund dieser und seiner eigenen Untersuchungen aus, dass die
Rinderzitze, aus derselben Primäranlage, wie die des Menschen
hervorgeht, aber durch veränderte Wachstumsverhältnisse zu
einem von dieser differenten Typus sich ausbildet. Nach ihm
entspricht der gesamte Ausführungsgang oder Strichkanal der
Rinderzitze der „Mammartasche“, deren Grund zur Cisterne (oder
dem „Sinus“) wird; während sich beim Menschen der Boden der
„Mammartasche‘“‘ hebt und die Oberfläche der Warze bildet. Wir
hätten also — die Richtigkeit dieser Deutung vorausgesetzt — beim
1). a. 8.0:
2)08. a. 0:
3) a.a. 0.
a a
Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 259
Menschen und Rinde zwei ganz verschiedenartig entwickelte
Bildungen, die aus ein und derselben Primäranlage hervorge-
gangen wären.
Auf Grund eigener sorgfältiger Untersuchung über die
Wiederkäuerzitze kam dagegen Rein!) zu einem völlig ab-
weichenden Ergebnis. Fussend auf seine Untersuchung des
Entwickelungsprozesses der Milchdrüsen beim Kaninchen unter-
scheidet Rein sechs Perioden in der Zitzenbildung, die er der
Reihenfolge nach als: hügelförmige, linsenförmige, zapfenförmige,
kolbenförmige Periode, als Periode der Knospenbildung und
endlich als Periode der Rückbildung der primären und der
weiteren Ausbildung der sekundären Epithelanlage bezeichnet.
Die ersten 4 Perioden entsprechen der Ausbildung der „Mam-
martaschenanlage“, wie sie soeben beim Schweine beschrieben
wurde. Seine Schilderung der Umbildung seines „sekundären
Epithelsprosses“ zum Auführungsgange und zum Sinus entbehrt
aber der nötigen Schärfe und Klarheit. Rein sagt: „Auch in
diesem Stadium also differiert die Anlage der Wiederkäuer von
der entsprechenden Anlage des Kaninchens, so viel ich sehe,
wesentlich nur dadurch, dass von der Primäranlage nur eine
einzige sekundäre Epithelanlage in die Tiefe wächst, die natür-
lich unter dem Bilde einer einfachen Verlängerung der Primär-
anlage erscheint.“ Als Primäranlage bezeichnet er die „Mammar-
taschen-Anlage“ Gegenbaurs, deren Verlängerung und Um-
bildung zum Strichkanal also gerade ein Persistieren der Mam-
martasche im Sinne Gegenbaurs bedeuten würde. Lediglich
die Übertragung der beim Menschen und Kaninchen beobachteten
Verhältnisse auf die Entwickelung der Rinderzitze bilden den
springenden Punkt von Reins Beweisführung, deren Resultat
sich kurz dahin zusammen fassen lässt: Der Ausführungsgang
oder Strichkanal der Rinderzitze und jeder der Ausführungsgänge
Dia. a0,
260 OSCAR PROFE,
der Brustwarze des Menschen sind vollkommen homologe Bil-
dungen. Der Sinus oder die Cisterne der Rinderzitze ist nicht
„‚Mammartaschengrund‘“, sondern das kolbig verdickte, mit weitem
Lumen versehene Ende des von der später rückgebildeten zapfen-
förmigen Anlage ausgegangenen „sekundären‘ Epithelsprosses.
Zu demselben Resultat, dass der Ausführungsgang der Rinder-
zitze und die Ausführungsgänge in der Brustwarze des Menschen
vollkommen homologe Gebilde seien, gelangte auch kürzlich
Tourneux!'). Die Erklärung seiner sehr schönen Abbildungen
sagt: Le pis de la vache est traverse par un canal exereteur
unique que Gegenbaur considere comme une sorte de poche
mammaire etirde par suite de l’allongement du mamelon, et
ayant pris directement naissance aux depens du bourgeon mam-
maire primitif. Les figures ci-contre, qui reproduisent cing sections
lonegitudinales du petit mamelon sur des embryons de bauf
de plus en plus äges, ferönt voir, nous l’esperons, que le canal
du pis, dans sa plus grande longueur, se developpe exactement
de la m&me facon qu’un canal galactophore chez le fetus hu-
main, e’est-A-dire qu'il represente un bourgeon emane de la face
profonde de l’invagination mammaire primitive qui, seule, peut
&tre consideree comme une poche mammaire Chez l’homme,
plusieurs bourgeons naissent de Y’invagination primitive; iei, un
seul s’en detache, et c’est pour cette raison qu’il est fort difficile,
sinon impossible, de determiner d’une fagon preeise la limite
qui separe ces deux formations glandulaires. Die Anschauung
Reins bekämpfte Klaatsch?) auf Grund seiner bekannten und
umfassenden Studien, durch welche er die Deutung Gegenbaurs
mit Erfolg zu stützen versuchte. Diese blieb auch thatsächlich
nach wie vor die herrschende und ging in alle embryologischen
und vergleichend anatomischen Lehrbücher über.
1) Tourneux, Atlas d’embryologie. Developpement des organes genito
urinaires chez l’homme. Lille 1892.
2) a.0. O,
Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 261
Durch die Arbeit von Burekhard!'), die das Vorkommen einer
Milchlinie oder eines Milchlinienrestes beim Rinde wahrschein-
lich macht, wurde von neuem an der Gegenbaur-Klaatsch-
schen Theorie gerüttelt. Klaatsch hält nach emer an Burck-
hard gerichteten privaten Zuschrift nach wie vor an seiner
Anschauung fest, dass das Marsupium ein Derivat der Mammar-
taschen sei.2) Da nun beim Rinde das gesamte Mammartaschen-
material zum Aufbau der Zitzen verwendet wird, so kann sich
hier nach Klaatschs Meinung ein Marsupium oder ein Mar-
supialrudiment, als welches Klaatsch die Milchlinie deutet
nicht finden.
Die in den Auffassungen von Klaatsch und Gegenbaur
einerseits und von Rein, Tourneux und Burckhard anderer-
seits bestehenden Differenzen bedürfen also einer Klärung. Ich
habe deshalb etwa 30 Rinder-Embryonen in verschiedenen Ent-
wickelungsstadien von 2,5 em bis 40 em Scheitelsteisslänge in
den Kreis meiner Untersuchungen gezogen, deren Ergebnis ich
in folgendem mitteile.
Ein Rinderembryo von 2,5 cm Scheitelsteisslänge zeigt dem
unbewaffneten Auge keine sichtbaren Anlagen des Mammar-
apparates. Mit Hülfe des Mikroskops aber zeigt sich auf Quer-
schnittserien unterhalb des Nabels jederseits von der Mittellinie
eine starke rundliche Epithelverdickung, welche die Oberfläche
der Umgebung überragt und sich in das Mesenchym einsenkt.
Die aus Cylinderzellen bestehende Basalschicht der Epidermis
ist deutlich erkennbar (Fig. 11).
a...
2) In dieser Zuschrift äussert Klaatsch den Wunsch, Burekhard möge
seine Stellung zu den betonten Meinungsverschiedenheiten entweder öffent-
lich oder privatim kund geben, damit Klaatsch bei späteren Publi-
kationen die Burkhardschen Anschauungen korrekt wiedergeben könne. Da
Herr Dr. Burekhard gegenwärtig nicht in der Lage ist, die Diskussion weiter
zu führen, habe ich mir erlaubt, den in dem Briefe Klaatschs geäusserten
Wunsch zu berücksichtigen.
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVI. Heft (11 Bd. H. 3). 18
262 OSCAR PROFE,
Diese Epithelverdieckung entspricht also einem in der Um-
bildung zur Mammartasche begriffenen Milchhügel, wie er von
Rein als „hügelförmige Anlage‘ geschildert wird. Im weiteren
Verfolg der Schnittserie findet sich kaudalwärts jederseits noch
eine solche umschriebene Epithelverdiekung. Wir finden somit
im Ganzen vier, der Stellung der normalen Zitzen beim er-
wachsenen Rinde entsprechende Milchhügel. Die beiden
Milchhügel jeder Seite sind durch eine leistenartige
epitheliale Verdiekung (Fig. 12) verbunden, welche
sich kaudal über den hintersten Milchhügel noch
fortsetzt, um dann allmählich zu verschwinden. Die
Verdiekung ist in allen zwischen die Milchhügel
und in einigen hinter das kaudale Milchhügelpaar
fallenden Schnitten gleichmässig deutlich; sie ent
spricht somit unzweifelhaft einem Milchleistenru-
diment.
Embryonen von 4—5 cm Scheitelsteisslänge lassen vier in
der Inguinalgegend gelegene weisse Punkte erkennen, die sich
auf Querschnitten unter dem Mikroskop als bereits tief gegen
das Corium vorgedrungene Mammartaschenanlagen präsentieren.
Ihre Cylinderzellenschicht ist hoch und sehr deutlich. Das die
Tasche unmittelbar umgebende Gewebe weist gegenüber dem
übrigen Corium einen ausgesprochenen Zellenreichtum auf
(Fig. 13).
Bei einigen Embryonen zeigen sich zwischen diesen Taschen-
anlagen nach jeder Seite gelegene, sehr schwache und nur durch
wenige Schnitte verfolgbare epitheliale Verdiekungen ohne Spur
einer areolaähnlichen Differenzierung im darunterliegenden Me-
senchym (Fig. 14). Ganz gleiche und ähnliche Verdickungen
findet man zuweilen auch hinter dem kaudal gelegenen Mammar-
taschenpaare.
Die Übereinstimmung im Aufbau dieser Verdick-
ungen mit den bekannten Querschnittsbildern der
Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 263
Milchlinie zwingen, sie als einen im Verschwinden
begriffenen Rest einer Milchlinie aufzufassen. Eine
andere Deutung wäre die, dass wir in diesen Verdiekungen
abortive Zitzen zu erblicken hätten, die aber, wie ihre von der
ausgebildeten Mammartaschenanlage durchaus abweichende Ge-
staltung zur Evidenz beweist, auch wieder als Derivate einer
Milchlinie betrachtet werden müssen.
Bei Embryonen von 6—8 cm Scheitelsteisslänge findet sich
eine über die Umgebung bereits deutlich hervortretende Erhebung
des Cutiswalles. Die von deutlichem Areolargewebe umgebene
Mammartasche ist von nahezu kreisförmiger Gestalt. Auf der
Höhe dieser primitiven Zitze findet sich eine Delle. Von ihr
aus senkt sich ein keilföürmiger Fortsatz verhornten Epithels in das
obere Drittel der Mammartasche ein. (Fig. 15, Taf. XXIIUXXIV).
Rinderembryonen von 10—12cm Scheitelsteisslänge zeigen
deutliche stumpfkegelförmig gestaltete Zitzen. Der Cutiswall
hat sich stark erhoben und hat die Mammartasche soweit mit
gehoben, dass ihr Grund höher liegt, als das Niveau der die
Zitze umgebenden Körperoberfläche. Die Tasche selbst hat eine
kolbenförmige Gestalt angenommen mit einem oberen engen,
oder Halsteil und einem unteren weiten oder Grundteil. Das
Areolargewebe umgiebt die „Tasche“ in einer engen Zone. Der
„Hornpfropf“ hat sich im Gegensatz zu den Angaben von
Klaatsch nicht wesentlich weiter in die Tiefe gesenkt (Fig. 16).
Bei 14—16 em langen Rinderembryonen zeigt die Zitze eine
mehr zugespitzte Kegelform, deren Spitze lediglich von Epider-
wiszellen gebildet wird. Der Hornpfropf senkt sich in diesem
Stadium etwas weiter in die Tiefe der Tasche. Die Zitze scheint
mehr in ihrem basalen Teile gewachsen zu sein. Dadurch wird
die Mammartasche ganz gegen die Spitze vorgerückt. Daneben
hat sie eine Abflachung erfahren, gleichwohl ist die oben be-
schriebene Kolbenform mit Hals- und Grundteil noch in charak-
187
264 OSCAR PROFE,
teristischer Weise zu erkennen. Von dem Grunde der Mammar-
tasche, mitunter etwas seitlich angesetzt, sprosst ein solider Zell-
strang in die Tiefe. Ich vermisse aber im Gegensatze zu Klaatsch
Eine hocheylindrische Randzellenschicht des Sprosses als Fort-
setzung des in der „Mammartasche‘‘ deutlich erkennbaren Stratum
eylindricum, wie es Klaatsch beschreibt und abbildet. Die den
Epithelspross aufbauenden Zellen sind vielmehr alle ganz gleich-
mässig gestaltet und sind nur durch starke Proliferation von der
Basalzellenschicht der Mammartasche produziert. Das Ende des
Zapfens verdickt sich mit zunehmendem Wachstum kolbig und
enthält, wenn der Spross weiter unter das Niveau der Zitzen-
basis vorgedrungen ist, in seinem terminalen Teile ein Lumen
(Sinus), welches allmählich auch nach der Mündung zu sich aus-
bildet. Die Areolarzone umgiebt nur die eigentliche
Mammartasche an der Zitzenspitze und dringt nicht
mit dem Epithelspross in die Tiefe. In dem Zitzen-
gewebe fällt der grosse Reichtum an Blutgefässen auf. Auf der
übrigen Körperoberfläche legen sich nunmehr die ersten Haare an.
Bei Rinderembryonen von 18—20 cm Scheitelsteisslänge
(Fig. 18) ist die Zitze noch mehr in die Länge gewachsen,
sodass die Mammartasche infolge dessen und infolge einer noch
weiter fortgeschrittenen Abflachung nur etwa !/ı bis !/s der
Zitzenhöhe einnimmt. Auch hier ist Hals- und Grundteil der
Kolbenform noch deutlich erkennbar. Der Hornpfropf reicht
nahezu bis zum Grunde der Tasche. Von dem Ende des nun-
mehr ganz von einem Lumen durchsetzten Epithelstranges oder
Ausführungsganges sprossen sekundäre, nach Rein „tertiäre“
Epithelzapfen aus, in welche das Lumen des Sinus zum Teil
schon hereinreicht. Das den Mammartaschenrest, und nur diesen
umgebende Areolargewebe ist hier noch deutlich wahrnehmbar.
Ältere Embryonen lassen für unsere Zwecke wesentlich
Wichtiges nicht weiter erkennen. In Fig. 19 habe ich die
Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 265
Zitze eines 28 cm langen Embryos abgebildet. Die „Mam-
martaschenanlage“ hat sich hier noch weiter abgeflacht, gleich-
wohl ist auch in diesem Entwickelungszustande noch die eigen-
artige Kolbenform der Taschenanlage wenigstens auf der einen
Seite erkennbar. Areolargewebe ist wenig oder gar nicht mehr
als solches differenziert.
Hiermit kann ich die für uns bedeutungsvollen Phasen der
Entwickelung der Rinderzitze als beendet betrachten. Ergebnis:
Durch den Nachweis einer ausgesprochenen embryonalen Hyper-
thelie und Hypermastie und die evidente Reihenstellung der
normalen und accessorischen Zitzen hat Burekhard wahrschein-
lich gemacht, dass auch beim Rinde die Mammarorgane aus
einer Milchlinie oder einem Milchlinienreste hervorgehen. Auf
Grund meiner an emem umfangreichen Material vorgenommenen
Untersuchungen bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass die
Milchorgane des Rindes sich thatsächlich aus einem
leistenförmigen Milchlinienreste ableiten lassen.
Ebenso wie ich beim Schweine gezeigt habe, lassen
sich auch beim Rinde zwei scharf von einander ge-
trennte Phasen in der Entwickelung der Mammar-
organe unterscheiden, einmal die der Mammartaschen-
bildung, dann die Phase der Epithelsprossenbildung.
Letztere tritt beim Schweine und beim Rinde immer
nahezu gleichzeitig mit den Haaranlagen auf.
Der Ausführungsgang der Rinderzitze ist nicht,
wie Gegenbaur und Klaatsch behaupten, die per-
sistierende Mammartaschenhöhle. Der Ausführungs-
gang entwickelt sich vielmehr aus dem primären,
nach Rein sekundären, von dem Grunde der Mam-
martaschenanlage ausgehenden Epithelspross und
ist gleichwertig einem der Ausführungsgängeander
Schweinezitzeoder an der Brustwarze des Menschen.
966 OSCAR PROFE,
Die Mammartasche desRindes bleibt nicht wie beim
Schweine bestehen, sondern sie flacht sich bis zum
völligen Verstreichen ab.
Pferd.
Die beiden bilateralen Milchdrüsenkomplexe münden beim
Pferde auf einer rechten und einer linken Euterpapille, einem
niedrigen, seitlich stark zusammengedrückten Cutiskegel. Die
Haut der Euterpapillen ist mit Talgdrüsen und sehr feinen
Härchen besetzt. Am unteren Ende jeder Zitze finden sich
zwei, mitunter drei Mündungen der Drüsenausführungsgänge.
Jeder derselben führt zu einem Sinus, in den dann die Milch-
sänge einmünden. Von der Entwickelungsgeschichte der Pferde-
zitze ist verhältnismässig sehr wenig bekannt. Die Schwierig-
keit, geeignetes Material zu erhalten und dessen Kostspieligkeit
erklärt diese Lücke. Herr Professor Bonnet überliess mir gütigst
einige jüngere Stadien und Schnittserien von solchen zur Unter-
suchung und Beschreibung. Immerhin ist die Untersuchung
dieses leider recht spärlichen Materiales für den Zweck meiner
Arbeit nicht ganz ohne Belang geblieben und kann auch für
weitere Untersuchungen vielleicht von Nutzen werden.
Bei einem Embryo von 1,5 cm Scheitelsteisslänge fand ich
bei Durchmusterung der vollständigen Querschnittserie eine seit-
lich von der Nabelgegend rechts und links bis in die Inguinal-
region verfolgbare streifenförmige Verdickung des Hornblattes,
die im Gegensatze zu dem sonst noch einschichtigen Hornblatte
aus einer oberen, aus sehr flachen Zellen bestehenden und einer
unteren aus schlanken Prismenzellen sich aufbauenden Lage
bestanden (Fig. 20). Mitosen habe ich in diesem Epithel-
streifen nicht zu finden vermocht. Bau und Ausdehnung dieser
beiden Streifen legen die Vermutung nahe, dass wir es hier viel-
leicht mit dem ersten Anfange einer Milchlinienanlage, dem
Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 267
„Milchstreifen“ H. Schmidts, zu thun haben. Diese Annahme
gewinnt an Wahrscheinlichkeit, wenn wir einen etwas längeren,
2,2 cm langen Embryo betrachten (Fig. 21). Bei diesem findet
sich eine in derselben Lage und Richtung, wie oben beschrieben,
verlaufende deutlich mehrschichtige Epithelverdickung, die in-
dessen nicht ganz soweit nach vorn reicht wie die doppelte
Epithelschicht des 1,5 cm langen Embryo. Weitere junge hier-
auf folgende Entwickelungsstadien standen mir leider nicht zu
Gebote. Bei einem dritten weiblichen Embryo von 8 cm Scheitel-
steisslänge fanden sich zwei in der Schamgegend dicht neben
einander liegende, linsenförmige, schwach hervortretende Erhaben-
heiten auf dem sich von der Umgebung deutlich absetzenden
primitiven Euter. Jede dieser beiden Zitzen bestand aus zwei
hinter einander gelegenen Mammartaschenanlagen. Der die bei-
den Mammartaschen trennende Zwischenraum war verhältnis-
mässig breit, sodass ich aus diesem Bilde im Hinblick auf die
Form der Zitze beim neugeborenen und erwachsenen Pferde den
Eindruck gewann, als lägen die Mammartaschen jeder Seite ur-
sprünglich eben so weit von einander entfernt, wie beim Rinder-
embryo und als rückten sie dann nachträglich mehr und mehr
an einander. Dem Gedanken, dass jede Zitze des Pferdes ge-
wissermassen durch das Zusammenrücken der zwei getrennten
normalen Zitzen jeder Seite zu einer Zitze gebildet werde, hat
bekanntlich auch Gegenbaur schon früher Ausdruck gegeben.
Es wäre wesentlich, festzustellen, ob die bei der Eselin typische
auch beim Pferde mitunter vorkommende dritte Öffnung oder
Mammartaschenanlage ebenfalls in der Richtung der die beiden
anderen Taschen verbindenden Längslinie gelegen ist. Das ist
aber nach den Beobachtungen Bonnets am Euter eines Pferde-
fohlen in der That der Fall. Auch beim Pferdeembryo darf
also die Hypermastie und typische Reihenanordnung der sehr
nahe zusammengerückten Mammarorgane wohl als ein bedeut-
ungsvoller Hinweis auf das Hervorgehen der Mammarorgane
aus einem Milchlinienrudiment betrachtet werden.
268 OSCAR PROFFE,
Erwähnenswert ist noch eine ganz eigentümliche Bildung
der embryonalen Pferdezitze, auf die mich Herr Prof. Bonnet
hinwies. Bei dem zuletzt beschriebenen 8 cm langen Embryo
findet sich auf der Höhe der zwei „Mammartaschen“ tragenden
Zitze ein die Mündungen beider Taschen kraterartig umfassen-
der Epithelwulst (Fig. 22). Die vollkommen glatten und regel-
mässigen Begrenzungslinien dieses auf beiden Seiten gleich
grossen Kraters, sowie die gleichmässige Beschaffenheit seiner
oberflächlichsten Zellschicht und der der Körperepidermis sprechen
zusammengehalten mit der vorzüglichen Konservierung des
Embryos gegen den Einwand, dass diese Vertiefung etwa
durch Abbröckeln des Epithels entstanden sein könne. Da es
mir an etwas jüngeren, ebenso wie an älteren Entwickelungs-
stadien gebrach, so bin ich nicht in der Lage, über die Ent-
stehung oder Bedeutung dieser eigenartigen Bildung weiteres
mitzuteilen. ’
Das Ergebnis dieser, leider nur an einem recht spärlichen
Material gemachten Untersuchungen über die Pferdezitze fasse
ich kurz dahin zusammen: Es ist nicht unwahrschein-
lich, dassauch beim Pferde die zwei bezw. drei Mam-
martaschen jeder Euterhälfte auseinem Milchlinien-
rest hervorgehen.
Die Wahrscheinlichkeit dieser Annahme wächst durch den
Vergleich der Befunde bei Pferdeembryonen mit sehr ähnlichen
Verhältnissen, wie ich sie nunmehr beim Schafe beschreiben
will. Die Pferdezitze ist gleichsam durch das Anein-
anderrücken und Verwachsen zweier getrennter Zitzen,
wie sie sich z. B. beim Rinde finden, entstanden zu
denken. Die Mammartaschenanlagen sind ebenso
wie beim Rinde abgeflacht oder nur bis auf Spuren
erhalten. Jeder Ausführungsgang entspricht dem
primären, nach Rein sekundären Epithelspross.
Anatom.Hefte.I.Abteilung.H.36.(XL.Bd.H.3).
Taf. XXV. XXVI.
—
Lith.Anstv.H.Jonas Cassel
Verlag v.J.F Bergmann.Wiesbaden
Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 269
Schaf.
Vom Schafe babe ich hauptsächlich jüngere Entwickelungs-
stadien eingehender untersucht, teils um Spuren einer eventuell
vorhandenen Milchlinie nachweisen zu können, teils um an der
Hand embryologischer Untersuchung über die Bedeutung der
Inguinaltasche Aufschluss zu erhalten. Diese dem Schafe eigen-
tümlichen Organe hat zuerst Malkmus!) genauer untersucht. Er
fand die paarige Tasche bei allen wilden und domestizierten
Rassen des Schafes und deutete sie in einer allerdings wenig
überzeugenden Weise als Rudiment einer Beuteltasche oder eines
Marsupiums. Bewiesen hat er diese seine Darlegung meines Er-
achtens keineswegs und es wurde Klaatsch leicht, die Mängel
und Lücken in der Malkmusschen Arbeit hervorzuheben.
Weniger leicht wurde es ihm aber, diese Tasche in überzeugen-
der Weise als Mammartasche zu deuten. Er beschreibt die
Gestalt der Tasche und ihre Lage in Bezug zu den Zitzen, wie
folgt: jederseits befinden sich zwei Zitzen, von denen stets nur
je eine, die mediale, sich mächtiger entfaltet. Die laterale bleibt
stets an Grösse hinter der medialen zurück. Wieder lateral von
dieser, nahezu in Verlängerung einer durch beide Zitzen ge-
zogenen Linie befindet sich jederseits eine Tasche. Sie soll nach
Klaatsch ihrer Stellung, ihrer Gestaltung und ihren Grössen-
verhältnissen nach einer Zitze bei anderen Säugetieren und der
von ihm bei Antilope cervicapra beobachteten und beschriebenen
„Mawmartasche‘ entsprechen. Nach ihm soll die Tasche beim
ausgetragenen Schaffötus kreisförmig sein. Ferner sagt er wört-
lich: „Die vollständige Übereinstimmung in der Lagerung der
Teile tritt bei dem Schaffötus in Vergleichung mit der Antilope
auf das deutlichste hervor.‘
Diese Schilderungen passen aber zu der Klaatschschen
Deutung der Inguinaltasche des Schafes besser, als zu den that-
1) Malkmus, Die rudimentäre Beuteltasche des Schafes. Diss. Er-
langen 1887 und Berliner Arch. f. wissensch. Tierheilkunde. B. 1897. 8.1.
270 OSCAR PROFE,
sächlichen Befunden. Ich werde hierauf bei Besprechung meiner
Untersuchungsergebnisse noch zurückkommen und will den Wert
der „Mammartaschen“ der Antilope cervicapra einstweilen nicht
weiter erörtern, sondern nur bemerken, dass über deren morpho-
logische Bedeutung die embryologische Untersuchung das letzte
Wort zu sprechen haben wird.
Das Euter des Schafes trägt gewöhnlich zwei wohlentwickelte
Zitzen, vor welchen noch eine oder zwei etwas seitlich gestellte
accessorische Zitzen vorkommen können. Mehr als zwei accessori-
sche Zitzen habe ich bei zusammen 446 Embryonen und er-
wachsenen Schafen niemals beobachten können. Bei Embryonen
finden sich accessorische Zitzen relativ häufiger, als bei erwachsenen
Tieren. Es besteht also auch beim Schafe eine, wenn
auch nur in geringeren Grenzen spielende Hyper-
thelieund Hypermastie. Lateral von den normalen Zitzen,
nicht aber in der Verlängerung der die normale und die acces-
sorische Zitze verbindenden Linie, wie Klaatsch angiebt, findet
sich je eine, durch eine Hautduplikatur gebildete Tasche, die
sogenannte Inguinaltasche. Ihre mikroskopische Anatomie hat
Malkmus genügend erörtert; ich kann also gleich zur Schil-
derung ihrer Entwickelungsgeschichte übergehen.
Bei 0,9—-1cm langen Embryonen fand ich bei der mikro-
skopischen Untersuchung jederseits eine lateral vom Nabel bis
zur Inguinalgegend verfolgbare, aus sehr hohen Cylinderzellen
von dem Hornblatt der übrigen Körperoberfläche unterschiedene
Epithelregion. Das unter dieser Epithelschicht befindliche Mesen-
chym ist zellenreicher, als seine übrigen Partien.
Diese Epithellage stimmt in Form und Verlauf mit der
oben beschriebenen und in Fig. 20 abgebildeten Epithelregion
des 1,5em langen Pferdeembryo vollständig überein. Neuer-
dings hat Kallius!) einen Milchlinienrest auch beim mensch-
ı) Ein Fall von Milchleiste im menschl. Embryo. Anat. Hefte. 1897.
S. 154,
Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 271
lichen Embryo beobachtet und geschildert, wie dessen bauchwärts
auslaufendes Ende sich ebenfalls in Form eines verdickten
Ektodermstreifens mit hoher Cylinderzellenschicht präsentiert.
In Vergleichung dieser Verhältnisse dürfen wir in dem be-
schriebenen modifizierten Epithelstraug des Schafembryos die erste
Anlage eines Milchlinienrestes vielleicht einen „Milchstreiten“
erblicken. Weiter entwickelte 1,5 cm lange Schafembryonen
zeigen die Epithellage der besagten Region bereits zwei- und
dreischichtig, ähnlich wie ich sie beim Pferdeembryo von 2,2cm
Länge beobachten konnte. Schafembryonen von 2cm Scheitel-
steisslänge zeigen jederseits entweder nur eine oder zwei hinter-
einander gelegene, noch wenig vertiefte Mammartaschenanlagen
im Stadium des Übergangs vom Milchhügel in die Mammar-
tasche. Das Areolargewebe ist bereits deutlich als solches er-
kennbar (Fig. 23).
Ein Schafembryo von 2,5 cm Scheitelsteisslänge lässt jeder-
seits eine deutliche Mammartasche erkennen, um welche das
Areolargewebe im Corium deutlich zu unterscheiden ist. Auf
der Innenseite der hinteren Extremitätenstummeln dicht über
der Inguinalfalte tritt ausserdem jederseits eine medial gerichtete,
sich scharf absetzende, etwa 1,5 cm lange, also schon in ihrer
ersten Anlage recht umfangreiche Hauttalte auf, welcher eine
ähnliche, obwohl ungleich schwächer entwickelte, von der Vorder-
bauchseite ausgehende, zwischen Inguinalfalte und Mammar-
tasche gelegene entgegenstrebt (Fig. 23). Ich bezeichne sie als
laterale und mediale Hautfalte. Der Deutung dieser Hautfalten
wollen wir einstweilen nicht näher treten. Nur soviel sei gesagt,
dass sich eine ähnliche Bildung beim Schwein, Rind oder Pferd
nicht findet. Es liegt also nahe, ihr Auftreten beim Schaf
auch nicht mit der Zitzen sondern nur mit der Inguinaltaschen-
bildung in Verbindung zu bringen. Ich finde nur die den spä-
teren normalen bezw. normalen und accessorischen Zitzen zu
Grunde liegenden Mammartaschenanlagen, aber keine Spur von
’)
72 OSCAR PROFE,
weiteren solchen, etwa als Grundlage für die Inguimaltaschen, wie
wir doch nach der Deutung von Klaatsch zu erwarten hätten.
Bei einem 3,5 cm langen männlichen Schafembryo findet
sich jederseits ebenfalls nur eine Mammartasche. Die Haut-
falten beginnen nicht erst in Höhe der Mammartasche, son dern
schon vor derselben allmählich, uminihrem weiteren
Verlauf nach hinten an Höhe zuzunehmen, — die
mediale geringer als die laterale — und zwar soweit, dass sie
sich etwa in der Mammartaschenregion nahezu berühren. Weiter-
hin umschliessen die Hautfalten die Taschenöffnung, die end-
lich weit hinter dem Mammartaschenbezirk blindsackartig endet.
Hier finden wir also schon gleichzeitig mit denMammartaschen-
anlagen umfangreiche, ganz charakteristische In-
suinaltaschen (Fig. 24 a, b, c, Taf. XXV/XXV]). Die mediale
Hautfalte ist sehr oft nur wenig oder gar nicht entwickelt, jedenfalls
ist sie, wenn überhaupt angelegt, stets die weitaus schwächere. Bei
Embryonen von 4—5,5 cm (Fig. 25) fanden sich jederseits eine oder
zwei Mammartaschenanlagen. Die Inguinaltaschenfalten ver-
streichen entweder allmählich nach hinten oder enden, indem sie
einen mehr oder minder tiefen Blindsack umfassen. Die beider-
seitigen lateralen Hautfalten konvergieren kaudalwärts und nähern
sieh oft der Mittellinie soweit, dass wir ein Flächenbild erhalten,
welches eine ganz auffallende Ähnlichkeit mit dem von einem
jugendlichen Didelphys (Fig. 26) erkennen lässt. Zuweilen treten
beide Hautfalten sehr wenig hervor, sodass die Inguinalgegend
nur stärker vertieft erscheint.
In Fig. 27 der Taf. ist der die Mammarorgane und das
Skrotum tragende, hinter dem Nabel gelegene Teil der Bauch-
wand eines 17,5 cm langen männlichen Schafembryos abge-
bildet. Die spitz kegelförmigen, dem vorderen Teil des Skrotum-
halses aufsitzenden normalen Zitzen sind 15 mm hoch. Nach
vorn und etwas zur Seite von diesem sind die ebenso gestalteten,
etwas kleineren accessorischen Zitzen gelegen. Die Inguinal-
Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. Dis
taschen aber liegen lateral von den beiden Zitzen jeder Seite.
Die linke stellt eine zur Verbindungslinie der beiden Zitzen jeder
Seite nahezu parallel gestellte, etwa 7,5 mm lange schlitzförmige
Vertiefung dar, deren äussere Hautfalte stärker hervortritt, als die
innere. Die Tiefe der Tasche beträgt 3 mm. Die 4 mm rechte
Tasche wird vornehmlich durch eine breite äussere Falte ge-
bildet, die sich mit ihrem hinteren Ende nach innen und etwas
nach vorn in die mediale Hautfalte umschlägt, ohne die Zitzen
zu umfassen.
Bei einem weiblichen, 28cm langen Schafembryo (Fig. 30)
wird jede der 3mm hohen, kegelförmigen, normalen Zitzen seit-
lich und von hinten von je einer scharf hervortretenden, schräg
eestellten Hautduplikatur umfasst, die nach der Mittellinie zu
allmählich verstreicht. Zur Bildung der 2,5 mm tiefen linken
und der 3mm tiefen rechten Inguinaltasche trägt noch je eine
kleine innere, in die Zitzenbasis übergehende Hautfalte bei.
Fig. 28 zeigt die Mammargegend eines weiblichen Schaf-
embryo von 26 em Scheitelsteisslänge. Die normalen kegel-
förmigen Zitzen sind 2 mm hoch. Die Afterzitzen sind eben
wahrnehmbar. Sie liegen lateral und etwas nach vorne von den
Hauptzitzen. Die Inguinaltaschen dagegen liegen seitlich und
etwas nach hinten von den normalen Zitzen. Die Hautfalten
erheben sich mit ihrem vorderen Ende allmählich aus der in-
euinalen Region der äusseren Haut, biegen hinter der tiefsten
Stelle der Tasche nach innen und etwas nach vorn um und
laufen endlich in den basalen Teil der normalen Zitzen aus.
Weiblicher, 16,5 em messender Schafembryo (Fig. 29).
Lateral und vor den zwei normalen 2 mm hohen, kegelförmigen
Zitzen liegen zwei accessorische Zitzen, von denen die rechte
0,3 mm, die linke 1 mm hoch ist. Hinter den normalen Zitzen
und etwas nach aussen von ihnen finden sich die schlitzförmigen,
schräg gestellten Inguinaltaschen. Die linke Tasche ist 3 mm,
die rechte 4 mn tief. Die Hautfalten gehen nach innen
274 OSCAR PROFFE,
und etwas nach vorn umbiegend in die Basis der normalen
Zitzen über.
In Fige. 31, 32 u. 33 sind die Zitzen und Inguinaltaschen
erwachsener Schafe abgebildet, wie ich sie bei Tieren sowohl
weiblichen wie männlichen Geschlechts vielfach beobachtet habe.
Die Taschen liegen weit nach hinten und stets lateral von den
normalen Zitzen. Die von aussen und vorn nach innen und
hinten verlaufenden Hautfalten bilden je eine nach innen und
vorne geöffnete Tasche. Denken wir uns die beiden Falten mit
ihrem hinteren Ende in einander übergehend, so gewinnen
wir die Vorstellung einer typischen Marsupialbil-
dung.
Wir finden bei Embryonen jeder Grösse, bei neugeborenen
und erwachsenen Schafen zwar einen grossen Formenreichtum
der Inguinaltasche, niemals aber erscheint sie kreis
förmig oder ist sie in der Verlängerung der die nor
male mit der accessorischen Zitze derselben Seite
verbindenden Linie gelegen, wie Klaatsch angiebt.
Sie liegt vielmehr stets lateral von der Zitzenreihe.
Als wichtig für die Deutung der Inguinaltaschenbildung
hebe ich aus deren Entwickelungsgeschichte hervor: Von vorn
herein beobachten wir eine faltenartige Ausstülpung der Cutis
ohne vorhergehende Epithelverdickung, wie wir sie in den ersten
Stadien der Mammartaschen-Entwickelung beobachten. Ferner
ist die Inguinaltasche bei Embryonen und erwachsenen Schafen
in Durchschnitt und Tiefe immer bedeutend grösser als die
Mammartaschenanlage und die spätere Zitze. Die Inguinaltasche
liegt niemals in der Verlängerung der die normale mit der acces-
sorischen Zitze jeder Seite verbindenden Linien, sondern stets
ausserhalb derselben. Trotz ihrer recht wechselnden Gestaltung
ist sie stets mehr spaltförmig als kreisrund.
So gross der Formenreichtum der Tasche sich indessen auch
innerhalb der Art und innerhalb der einzelnen individuellen Ent-
Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 275
wickelung gestalten mag, immer beginnt die Bildung der In-
guinaltasche mit Bildung einer Hautfalte, welche nach ihrem
histologischen Aufbau, nach ihrer Lage, Ausdehnung, weiteren
Entwickelung und Variation, sowie nach ihren Beziehungen zur
Muskulatur der Bauchwand nur als ein in Rückbildung begriffener
Marsupialrest gedeutet werden kann.
Niemals und in keinem Entwickelungstadium finden wir als
erste Anlage dieses eigenartigen Organes eine Mammartaschen-
anlage, wie sie sich typisch als Entwickelungsstadium bei dem
Auftreten der späteren Zitzen findet. Die Auffassung der In-
guinaltasche des Schafes als Mammartasche (Klaatsch) ist somit
als unzutreffend zurückzuweisen.
Malkmus stützte seine Auffassung der Tasche als rudi-
mentäres Marsupium im wesentlichen durch zwei Punkte, indem
er einmal ihre Analogie in der Lage und Richtung sowie in
ihrem Aufbau mit der Beuteltasche der Marsupialia hervorhob,
ferner, indem er nachwies, dass die Tasche des Schafes mittelst
einer Sehnenplatte mit der Sehne des äusseren schiefen Bauch-
muskels verbunden ist und sich somit ganz wie die der Beutel-
tiere verhält. Er hat damit die richtige Deutung dieser Organe
angebahnt, die ich hiermit auf Grund meiner embryologischen
Untersuchung weiter ausgeführt und strikte bewiesen zu haben
hoffe.
Ich stelle die Untersuchungsergebnisse beim Schaf schliess-
lich kurz zusammen:
Auch beim Schafe müssen wir in Vergleichung mit meinen
Befunden beim Pferdeund denen von Kallius und H. Schmidt
beim Menschen das Hervorgehen der eigentlichen Mammarorgane
aus einer Milchlinie oder einen Milchlinienrest als sicher anneh-
men. Niemals werden mehr äls im ganzen 4 Mammartaschen
angelegt, nämlich zwei für die normalen und zwei für die acces-
sorischen Zitzen. Nach der Meinung von Klaatsch, der die
Inguinaltasche im Gegensatz zu Malkmus als Mammartasche
976 OSCAR PROFE,
aufgefasst wissen will, müssten sich als Maximum sechs Mam-
martaschenanlagen, vier für die Zitzen und zwei für die Inguinal-
taschen finden. Das ist nach meinen Untersuchungen niemals
der Fall. Die Inguinaltasche legt sich immer später
als dieMammartaschen und stets inForm einer seit-
lich von dieser gelegenen Hautfalte an. Sie kann
also in wesentlich anderer Weise somit auch nicht
als Mammartasche, sondern als die Anlage eines
anderen Organes und zwar nurals die eines rudi.
mentären Marsupiums aufgefasst werden. Mammar
taschen-und Marsupium oder Inguinaltaschenanlage
sind nach Zeit und Ort, Anlage und Ausdehnung
ganz verschiedene Organanlagen.
Schlusswort.
Ehe ich zurückblicke auf die durch vorliegende Arbeit ge-
wonnenen Gesichtspunkte, will ich in aller Kürze die bisher
allgemein als richtig anerkannten einschlägigen Auffassungen
und Theorien der verschiedenen Autoren anführen und beleuchten.
Die Mammartasche von Echidna persistiert nach Gegen-
baur in Form der ersten Anlage jeder Zitze und des dazu ge-
hörigen Drüsenkomplexes bei allen Säugern mit Ausnahme des
Schnabeltieres, dessen Mammarapparat wahrscheinlich eine durch
die veränderte Lebensweise bedingte Reduktion erfahren hat.
(Ruge). Die Übereinstimmung der Mammartasche von Echidna
mit der gleichnamigen embryonalen Anlage der Säugetierzitze
nehmen wir mit Gegenbaur, ehe wir eine andere, über-
zeugendere Deutung besitzen, zunächst als feststehend an.
Aber erst genaue embryologische Untersuchungen
über die Anlage der Mammartasche bei Echidna wer-
den diese Anschauung noch endgültigzu begründen
Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 21
und zu stützen haben, soferne sie einwandsfrei ein
und dieselbe Art der Anlage für die Mammartasche
der Echidna und der Säugetierzitze feststellen. Ob
es bei Echidna eine embryonale Mammartaschenanlage giebt oder
nicht, ist bei dem gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse eine
noch offene Frage. Dass die Mammartaschen von Echidna, wie
Gegenbaur annimmt, zur Aufnahme des Eies oder Jungen
verwendet werden, ist nach den neueren Arbeiten von Klaatsch
und Ruge nicht anzunehmen. Damit fällt auch die Annahme,
dass irgend eine Mammartasche eines placentalen Säugetiers in
dieser Weise als Brutorgan verwendet wird. Hierzu dient der
periodisch sich bildende und rückbildende Brutbeutel der Echidna
oder das Marsupium.
Wir haben gesehen, wie sich die Mammartasche bei den
placentalen Säugetieren in verschiedenartiger Weise umzuwandeln
vermag. Aber dies geschieht nach der vorliegenden Arbeit,
welche die Untersuchungen Reins, abgesehen von dessen Deu-
tungen, zum grossen Teil als richtig bestätigt, auch nicht in so
excessiv divergenter Weise, als bisher von Gegenbaur u. a.
angenommen wurde. Beim Menschen erhebt sich das Drüsen-
feld, stülpt den Grund der Mammartasche nach aussen um, und
wird so ein Teil der Warzenoberfläche. Beim Schwein hingegen
bleibt die Mammartasche in Gestalt des sehr kurzen gemein-
schaftlichen Mündungsstückes der zwei resp. drei Ausführungs-
gänge erhalten. Als einen Übergang von der Schweine- zur
Menschenzitze ist die Rinderzitze zu betrachten, bei welcher die
Mammartasche durch Abflachung noch nıehr, nahezu vollkommen
schwindet. Die Annahme, dass beim Rinde eine mit relativ
grosser Höhle ausgestattete Mammartasche zeitlebens bestehen
bleibt, hat sich, wie ich mit Rein und Tourneux zeigen
konnte, als irrtümlich erwiesen. Wahrscheinlich lassen sich die
Zitzen aller übrigen Säuger diesen Typen und ihren Übergangs-
formen einreihen.
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVI. Heft (11. Bd., H. 3.) 19
278 OSCAR PROFE,
Die Mammartaschen aller bislang untersuchten Säuger ent-
wickeln sich stets aus Milchhügeln, welche ihrerseits wieder aus
einer Milchlinie oder einem Milchlinienrest hervorgehen. Die
Milchlinie wurde von Klaatsch als Marsupialrudiment gedeutet.
Die Beweisführung dieser seiner Deutung ist indessen insofern
als eine unzulängliche zu bezeichnen, als er grundlegende Unter-
schiede in der Anlage der beiden Organe, die das eine Mal doch
nur eine Epithelleiste, das andere Mal aber eine Cutiseinstülpung
ist, nicht gebührend gewürdigt hat. Die Milchlinie besteht nach
allgemeiner Übereinstimmung lediglich aus dem epithelialen
Material des Hornblattes ohne jegliche Beteiligung der Uutis.
Das Marsupium aber ist eine Hautfalte, bestehend aus Epidermis
und allen Komponenten der Cutis. Ferner liegen die Milch-
hügel, wie schon Bonnet betonte, nicht, wie Klaatsch wört-
lich und bildlich darstellt, an der medialen Seite der Milchlinie,
sondern sie sind spindelförmige Verdiekungen der Längsachse
der Milchlinie selbst. In unlösbare Widersprüche gerät Klaatsch
aber bei Erörterung der Frage, welche von beiden Bildungen,
Mammartasche oder Marsupium, die primäre ist. Bekanntlich
kommt Klaatsch nach dem bei Phalangista und Perameles
gemachten Befunde, nach welchem ein Teil des Mammartaschen-
materiales zum Aufbau des Marsupiums beitragen soll, zu dem
Schlusse, das Marsupium sei aus den Mammartaschen hervor-
gegangen. Zu demselben Ergebnisse haben ihn seine Unter-
suchungen an dem Marsupium und der Mammartasche an der
erwachsenen Echidna geführt!), deren Mammartaschen zu einer
unpaaren Bildung zusammenfliessen und so das Marsupium bil-
den sollen. Hiernach wäre also in der paarigen Anlage der
Mammarorgane, d. h. der Mammartaschen der ursprüngliche
Zustand gegeben. Gleichzeitig mit Klaatsch trat dagegen
1) Studien zur Geschichte der Mammarorgane. 1. Teil. Die Taschen der
Beutelbildungen am Drüsenfeld der Monotremen aus Semon: Zoologische
Forschungsreisen ete. 1895.
Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 279
C. Ruge!) dafür ein, dass das Marsupium etwas Primitives wäre,
und, dass die Bildung von Mammartaschen an die Entfaltung der
Drüsenkörper gebunden als von dem Marsupium vollkommen
unabhängige Bildungen sekundärer Natur zu betrachten seien.
Gegen Klaatschs Deutung der Milchlinie als Marsupial-
rudiment spricht ferner der zweifellose Befund beim Eichhörnchen,
welches in frühen embryonalen Entwickelungsstadien jederseits
zwei nahezu parallel gerichtete Milch-
linien erkennen lässt, eine Einricht-
ung die nach der Auffassung von
Klaatsch keineswegs verständlich
wäre. Jedenfalls soll mit dieser ersten
Anlage des Säugeapparates lediglich
eine grössere Menge der späteren Zitzen
ermöglicht werden. Weiterhin finden
wir bei Didelphyden medial von den
beiden der Milchlinienanlage ent-
sprechenden Zitzenreihen eine oder
einige mehr oder minder symmetrisch
gelegene Zitzen. In Bronns „Klassen
und Ordnungen des Tierreichs“ findet
sich eine Abbildung (nach Thoms) Fig. 1.
von Didelphys Meuseli, die ich als
Textfigur wiedergebe, da sie mir von wesentlicher Bedeutung
für das einheitliche Prinzip in den verschiedenen Erscheinungs-
formen des Mammarapparates zu sein scheint. Innerhalb
der Zitzenreihen ab und a,, b, finden sich fünf Zitzen,
die jederseits eine zweite innere, wenngleich erheblich kürzere
Zitzenreihe ed und c, d unschwer erkennen lassen. Dieses Ver-
halten bildet gewissermassen eine Vermittelungs- und Übergangs-
form zwischen der Anordnung einer doppelten Anlage der
!) Muskulatur der Monotremen, ihre Beziehung zu dem Marsupial- und
Mammarapparate. Ebenda 1595.
19*
280 OSCAR PROFE,
Zitzenreihen beim Eichhörnchen einerseits und der Anordnung
der Zitzen derjenigen Marsupialier andererseits, bei denen sich
innerhalb der beiden Reihen ab und a,b, , eine einzige central
gestellte Zitze findet, die uns als eine Reduktion der Zitzen-
reihen ed und c,d bei Didelphys Meuseli wohl verständlich ist.
Nun entwickeln sich aber, wie wir gesehen haben, die Mam-
martaschenanlagen der placentalen Säugetiere aus der Milchlinie,
welche Klaatsch als Marsupialrudiment auffasst, und zwar ver-
hältnismässig spät nach deren Auftreten. Es würden sich also
gerade im Gegensatze zu seiner Auffassung die Mammartaschen
aus dem Marsupium entwickeln, falls wir die Milchlinie als Mar-
supialrudiment deuten wollten. Wenn weiter das Marsupium
aus den Mammartaschen ableitbar wäre, könnten doch nicht beide
wohl entwickelte Bildungen neben einander bestehen, wie es doch
thatsächlich bei allen Beutlern der Fall ist. Mit Hülfe der ver-
eleichenden Anatomie und Embryologie und auf Grund der ent-
wickelungsgeschichtlichen Untersuchungen der Zitzenbildung und
der Anlage der rudimentären Beuteltasche des Schafes muss ich
mich entschieden auf Seite Ruges stellen und komme zu dem
zwingenden Schluss, dass das Marsupium als eime nach Ort und
Jeit seines Auftretens von der „Mammartaschenanlage“ aller
Säuger völlig abweichende Bildung zu betrachten ist und dass
beide Organe unabhängig von einander bestehen können.
Im übrigen verweise ich auf die an den gleichen Objekten,
nämlich der Echidna und an Ornithorhynchus gewonnenen, sich
aber in vielen prinzipiellen Fragen diametral zuwiderlaufenden
Ergebnisse von Klaatsch und Ruge, welche uns zeigen, wie
wenig spruchreif diese Verhältnisse zur Zeit sind, und beschränke
mich auf ein paar Worte über die Bedeutung der Milchlinie.
Ehe man einer phylogenetischen Bedeutung dieses Primitiv-
organes näher zu treten sich gezwungen sieht, ist die Frage er-
laubt, ob die Milchlinie nicht einfach mit anderen ähnlichen
Leistenbildungen im Embryo, wie uns solche als Primitivanlage
Beiträge zur Ontogenie und Phylogenie der Mammarorgane. 281
für andere nachträglich ebenfalls in Reihen sich abgliedernde
epitheliale Organe beobachtet werden können, aufzufassen ist.
Wir beobachten z. B. in der ersten Anlage der Spinalganglien,
der bekannten Spinalganglienleiste, ferner in der Bildung der
Schmelzleiste der Zähne durchaus ähnliche und allgemein be-
kannte Vorgänge. Eine ebensolche leistenförmige Anlage führt
zur Bildung der Seitenorgane bei den Fischen und Urodelen.
Es ergiebt sich aus diesen linien- oder leistenförmigen ersten
epithelialen Anlagen für ganze Reihen unter sich gleichwertiger
Organe immer wieder aufs klarste, dass der Organismus, anstatt
die vielen Organe vereinzelt anzulegen, zuerst gleichsam das
Areal für deren Anlage bestimmt und dort das Baumaterial
anhäuft, aus dem dann in kürzester Zeit, oft wie mit einem
Schlage die Organe sich gleichzeitig differenzieren. Dass mit
der Leistenform der Anlage ein Abweichen von der wichtigen
Reihenstellung, also eine im Interesse der Erhaltung des Jungen
und der Art unvorteilhafte Verschiebung der Mammarorgane
besser vermieden wird, als wenn diese einzeln angelegt würden,
will ich, namentlich in Bezug auf die Verschiebung der ventralen
Hautbezirke, auf denen die Milchdrüsenanlagen von ihrer ur-
sprünglich mehr dorsalen Anlage allmählich ihrer bleibenden
Lage genähert werden, hier nur angedeutet haben, ohne näher
auf diesen Punkt einzugehen.
Ich halte es beidem gegenwärtigen Stand unserer
Kenntnisse fürüberflüssig, der Milchleiste eine wei-
tere phylogenetische Bedeutung, wie es von vielen
Seiten geschieht, zuzuerkennen. Ich glaube viel
mehr, dass wir bei der oben geäusserten Auffassung
eine Menge von Irrtümern umgehen, die bei
verfrühten Versuchen phylogenetischer Deutungen
dieses Primitivorganes einstweilen unvermeidlich
sind. Ein weiterer Überblick über Vorkommen, Ausdehnung
und Verwendung der Milchlinie bei den Säugetieren wird zeigen,
989 OSCAR PROFE,
ob die von mir geäusserte Auffassung richtig ist oder nicht.
Jedenfalls aber wird noch manche Arbeit nötig sein, um in
sicherer Weise, als zur Zeit, die Ableitung dieses interessanten
Primitivorganes zu ermöglichen.
Es ist mir eine angenehme Pflicht, Herrn Prof. Dr. Bonnet
für die Anregung zur Bearbeitung des abgehandelten Themas
und sein demselben gewidmetes Interesse meinen herzlichsten
Dank in ebenso tiefgefühlter Weise auszusprechen, wie Herrn
Professor Dr. G. W. Müller für seine freundliche Unterstützung
mit wertvollem Material.
16.
17.
18.
19.
Litteratur-Verzeichnis.
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Herausgegeben von Prof. Spengel, Giessen. Bd. XI. 1897.
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— Vergleichende Histologie der Haussäugetiere. Herausgegeben von Dr.
W. Ellenberger. Berlin 1887.
— Die Mammarorgane im Lichte der Ontogenie und Phylogenie. Ergeb-
nisse der Anatomie und Entwickelungsgeschichte von Merkel und Bonnet.
Bd. 11. 1893.
Burekhard, Über embryonale Hypermastie und Hyperthelie. Ergebnisse
der Anatomie und Entwickelungsgeschichte von Merkelund Bonnet 1897.
Ellenberger, Grundriss der Histologie der Haussäugetiere. 1888.
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Jahrbuch. Bd. 1.
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Jahrbuch Bd. IX.
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Zeitschrift für Medizin und Naturwissenschaften. Bd. VII. 1875.
Gurlt, Handbuch der Anatomie der Haustiere. 1871.
Hertwig, O., Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte.
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Bd. VII. 187. .
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Klaatsch, Morphologie der Säugetierzitze. Morpholog. Jahrb. Bd. IX.
284 Litteratur-Verzeichnis.
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Morpholog. Jahrb. Bd. XVII.
21. — Über Mammartaschen bei erwachsenen Huftieren. Morpholog. Jahrb.
Bd. XVII.
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23. — Über Marsupialrudimente bei Placentatieren. Morpholog. Jahrb. Bd. XX.
39.
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— Die Taschen- und Beutelbildungen am Drüsenfeld der Monotremen.
1895. Aus Semon. Forschungsreisen.
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. Ruge, Die Hautmuskulatur der Monotremen und ihre Beziehungen zu dem
Marsupial- und Mammarapparate. (Semon, Forschungsreisen) 1895.
Schmidt, H., Über normale Hyperthelie menschlicher Embryonen und
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Arbeiten von Schwalbe 150. VII. Heft 1.
Schultze, O., Über die erste Anlage des Milchdrüsenapparates. Anat.
Anz. 1892.
— Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Milchdrüsen. Verhandlungen
der physikalisch-medizinischen Gesellschaft zu Würzburg. 1893.
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Archiv für mikroskop. Anat. Bd. XX. 1882,
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urinaires chez l’'homme. Lille 1892.
Unger, Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Milchdrüse. Anat.
Hefte von Merkel u. Bonnet. 1898.
Wiedersheim, Grundriss der vergleichenden Anatomie der Wirbeltiere.
3. Aufl.
Die Arbeit von Leche: Mammarorgane und Marsupium bei einigen Beutel-
tieren, besonders bei Myrmecobius. Biol. Föreningens Förhandl. Bd. I. 1888,
war mir leider nicht zugänglich.
Figuren-Erklärung.
Fig. 1. Gesäuge eines Schweineembryo von 20 cm Scheitelsteisslänge.
Fig. 2. Gesäuge eines Schweineembryo von 12 cm Scheitelsteisslänge.
Auf der linken Seite finden sich 6, auf der rechten 7 Zitzen, deren sechste eine
Verschiebung gegen die Mittellinie erfahren hat.
Fig. 3. Männlicher Embryo von Cervus capreolus 10 cm Scheitelsteiss-
länge. Vor den normalen Zitzen z,—z, findet sich jederseits eine accessorische
a, und 2.-
Fig. 4a. Erwachsenes Weibchen von Hypudaeus arvalis.
Fig. 4b. Neugeborenes Exemplar von Hypudaeus arvalis.
Fig. 5. Querschnitt der Milchlinie eines 1 cm langen Schweineembryo.
Fig. 6. Milchhügel eines 1,5 cm langen Schweineembryo mit bereits, wenn
auch gering differenzierter Areolarzone az.
Fig. 7. Primitive Zitze oder „Mammartasche* eines Schweineembryo von
6,5 cm Scheitelsteisslänge. ep Epidermis. ez Cylinderzellenschicht. cw Cutis-
wall mit „Mammartasche‘. g Blutgefässe.
Fig. 8. Primitive Zitze eines 12 cm langen Schweineembryo mit be-
ginnenden Epithelsprossen und Haaranlagen. sp Epithelspross. hr Haaran-
lage. hp Hornpfropf.
Fig. 9. Schweine-Embryo von 16 cm Scheitelsteisslänge. Zitze mit
weiter entwickelten Anlagen der Ausführungsgänge sp. hr — Haaranlage.
Fig. 10. Zitze eines 20 em langen weiblichen Schweineembryo 1. Die
Epithelsprossen, Ausführungsgänge sp,, sind in die Tiefe gewachsen. An ihrem
terminalen Teile sind sie mit einem Lumen versehen. Gleichzeitig zeigt sich
beginnende Sprossenbildung der Milchdrüsengänge, sekundäre Sprossen, nach
Rein tertiäre sp».
Fig. 11. Milchhügel eines 2,5 cm langen Rinderembryo.
Fig. 12. Linienartige epitheliale Verdickung desselben Embryo, 2,5 em,
welche die beiden Milchhügel jeder Seite mit einander verbindet, Milch-
linienrest.
Fig. 13. Rinderembryo von 5,0 cm Scheitelsteisslänge „Mammartaschen-
anlage“ mit deutlicher Areolarzone.
Fig. 14. Milchlinienrudiment zwischen den „Mammartaschen“ desselben
Embryo 5,0 em.
286 Figuren-Erklärung.
Fig. 15. Primitive Zitze eines 7,5 em langen männlichen kinderembryo.
Kreisförmige „Mammartasche“ mit deutlicher Areolarzone etwas über das
Niveau der Körperoberfläche erhoben.
Fig. 16. Primitive Zitze eines 10,5 em langen weiblichen Rinderembryo.
Die „Mammartaschenanlage‘“ ist kolbenförmig. Hals- und Grundteil sind zu
unterscheiden. Die Zitze ist gewachsen.
Fig. 17. Zitze eines 16 cm langen weiblichen Embryo. Die Zitze ist
noch weiter in die Höhe gewachsen und hat damit die ‚„Mammartasche“ ge-
hoben, die ihrerseits eine Abflachung erfahren hat. Von ihrem ‚Grunde ist
ein Epithelspross in die Tiefe gewachsen. Areolarzone auf die unmittelbare
Umgebung der ‚„Mammartaschenanlage‘“ beschränkt.
Fig. 18. Weiblicher Rinderembryo von 20 cm Scheitelsteisslänge. Die
stark abgeflachte ‚„Mammartasche‘“ nimmt die Spitze der kegelförmigen noch
weiter ausgezogenen Zitze ein. Von dem Ende des Epithelsprosses oder Aus-
führungsganges nehmen die sekundären Sprossen oder Milchgänge ihren Ausgang.
Fig. 19. Rinderzitze von einem 23 cm langen weiblichen Embryo. Die
stark abgeflachte „Mammartasche‘‘ lässt auf der einen Seite noch die S-förmige
Biegung der Kolbenformen erkennen.
Fig. 20. Gesamtquerschnitt durch einen 1,5 cm langen Pferdeembryo
geführt. ml. Milchlinienanlage, eigentümlich differenziertes Ektoderm in der
Inguinalgegend.
Fig. 21. Milchlinienrudiment in der Inguinalgegend eines 2,2 cm langen
Pferdeembryo.
Fig. 22. Schnitt durch eine „Mammartasche‘“ eines 8 cm langen weib-
lichen Pferdeembryo. ew kraterförmiger Epithelwulst.
Fig. 23. Querschnitt durch die linke Inguinalgegend und ‚„Mammartasche“
eines 3,5 cm langen Schafembryos. vb vordere Bauchwand. ek hintere Ex-
tremitätenknospe. mt „Mammartasche“. Ihf laterale Hautfalte.
Fig. 24a. b. ec. Cranio-kaudalwärts folgende Querschnitte durch die
Hinterbauchgegend eines 3,5 cm langen Schafembryo. Die Hautfalte Ihf bildet
nach hinten einen Blindsack, nahe dessen caudalem Ende der Schnitt 24c ge-
führt ist. sc Serotalanlage. mhf medialer Teil der Hautfalte.
Fig. 25. Querschnitt der Eutergegend eines 6 cm langen Schafembryo.
Hautfalte ohne Blindsackbildung.
Fig. 26. Jugendliche Didelphys von 8 cm Scheitelsteisslänge.
Fig. 27. Bauchwand nebst Serotum und Inguinaltaschen eines
17,5 em langen männlichen Schafembryo
mit In-
Fig. 25. Bauchwand eines 26 cm langen weiblichen Schafembryo guinal-
Fig. 29. Dasselbe eines 16,5 cm langen weiblichen Schafembryo
Fig. 30. Dasselbe eines 23 cm langen weiblichen Schafembryo Bun
Figg. 31, 32 und 33. Euter, Zitzen erwachsener Schafe
Die Figuren 1—4b und 27—30 sind in normaler Grösse, die Figuren
31—33 auf die Hälfte verkleinert wiedergegeben.
PIE RL VEN N >. ER.
ÄUS DEM ANATOMISCHEN INSTITUT IN GREIFSWALD.
DIE
STRUKTUR DER GEHIRNVENEN
UND DIE
BLUTCIRKULATION IN DER SCHÄDELHÖHLE.
VON
HERMANN TRIEPEL,
GREIFSWALD.
Mü 9 Figuren auf Tafel XXVII und 5 Figuren im Text.
Bevor ich an mein eigentliches Thema herantrete, sei es
mir gestattet, eine kurze Bemerkung über die Benennung einer
Gewebsart zu machen, der in der Wand der Gehirnvenen, ebenso
wie in der aller anderen Gefässe, eine wichtige funktionelle Auf-
gabe zufällt. Durch Untersuchungen über die elastischen Eigen-
schaften verschiedener Gewebe, die ich vor nicht ganz einem
Jahre veröffentlichte!), bin ich zu der Überzeugung gekommen,
dass die Modifikation des Bindegewebes, die man heutzutage
als „elastisch“ bezeichnet, diesen Namen in keiner Weise ver-
dient; von einem „elastischen Bindegewebe“ oder einer „elasti-
schen Substanz“ oder von „Elastin“ zu sprechen, ist immer
falsch, gJeichviel auf welchen Standpunkt man sich stellt, ob auf
den des Laien oder den des Physikers (S. 70 u. 71). Ich äusserte
damals die Ansicht (S.58, Anm.), dass man die Gewebsart viel
eher als „dehnbares“ Bindegewebe bezeichnen könnte, musste
aber bekennen, dass eine solche Bezeichnung sehr leicht zu Irr-
tümern Anlass geben würde; und so glaubte ich, dass man die
alten liebgewordenen Namen nicht antasten solle, ich hielt ein
solches Beginnen für aussichtslos. Meine Meinung ging dahin,
es sei das Einfachste, die eingebürgerten Namen „elastisches
Bindegewebe‘, „Elastin‘“ u. s. w. auch fernerhin zu gebrauchen,
1) Triepel, Über die elastischen Eigenschaften des elastischen Binde-
gewebes, des fibrillären Bindegewebes und der glatten Muskulatur. Anatom.
Hefte. I. Abt. XXXI Heft. (10. Bd. H. 1) S. 1 ff. 189.
2930 HERMANN TRIEPEL,
allerdings mit dem Bewusstsein, dass sie falsch sind, dass sie
nicht, wie man vermuten könnte, die Eigenschaften ihrer Träger
angeben. Auf diesem Standpunkt der Resignation stehe ich
nicht mehr, nachdem ich auf die genannte Arbeit hin von ver-
schiedenen Seiten zustimmende Zuschriften erhalten habe. Ich
glaube, dass man doch wohl wenigstens den Versuch machen
soll, erkannte Fehler zu verbessern. Und zwar scheint es mir
gut möglich zu sein, an Stelle des Namens „elastisches“ Binde-
gewebe einen Ausdruck zu gebrauchen, der sich schon in den
frühesten Beschreibungen dieser Gewebsform findet, nämlich von
„gelbem Bindegewebe‘ zu sprechen oder der „gelben Modifikation
des Bindegewebes‘ (tissu fibreux jaune, s. die angeführte Arbeit
von mir, 8. 62 ff.). Bei einer solchen Benennung wird in der
That eine Eigenschaft der Gewebstorm berücksichtigt, die ausser-
ordentlich charakteristisch ist, und die bei grösseren Anhäufungen
der in Rede stehenden Gewebselemente zuerst in die Augen
fällt. Die Bezeichnung „gelbes Bindegewebe“ kann sicher keinen
Anlass zu Verwechselungen geben, und sie hat den Vorzug, dass
sie schon, wenigstens in früheren Zeiten, gebraucht worden ist,
sodass also ihre Verwendung eigentlich gar keine Neuerung
bedeutet.
Es kann nicht in Betracht kommen, dass bei der mikro-
skopischen Untersuchung einzelner Fasern die geringe Bei-
mischung von gelb in ihrer Farbe nicht gesehen wird, und eben-
sowenig kann ins Gewicht fallen, dass in künstlich gefärbten
Präparaten die Fasern des gelben Bindegewebes sich unter Um-
ständen braun oder blau oder rot oder schwarz darstellen. Spricht
man doch von einer grauen und weissen Substanz des centralen
Nervensystems, von einem roten Kern der Haube, von gelbem
und rotem Knochenmark, von roten und weissen Blutzellen,
von roten und weissen Muskeln u. a.m. auch dann noch, wenn
in Präparaten die genannten Körper durchaus nicht mehr ihre
ursprüngliche Farbe beibehalten haben !
Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Blutzirkulation i. d. Schädelhöhle. 291
Da ich in der vorliegenden Arbeit häufig Gelegenheit haben
werde, von dem gelben Bindegewebe zu sprechen, so wird sie
ein Prüfstein dafür sein, ob es möglich ist, die neue — und
doch alte — Bezeichnung konsequent durchzuführen.
Nach dieser Vorbemerkung zur Sache selbst!
In einer früheren Arbeit über das gelbe Bindegewebe in
der Wand der Gehirnarterien!) hatte ich die Absicht geäussert,
auch in den Gehirnvenen die Anordnung dieses Gewebes unter-
suchen zu wollen. Bei der Verfolgung dieses Zieles ergaben
sich jedoch verschiedene Gesichtspunkte, die es wünschenswert
erscheinen liessen, auch die anderen Gewebsbestandteile, aus
denen sich die Wand der Gehirnvenen, und zwar.das perithele
Gefässrohr, zusammensetzt, eingehender zu prüfen. Bestimmend
war für mich zunächst der Umstand, dass über die Struktur
der Gehirnvenen trotz ihrer praktischen Wichtigkeit in der Litte-
ratur überhaupt noch keine ausführlichen Mitteilungen gemacht
worden sind. Die Beschreibungen normaler Venenstrukturen,
die wir von Eberth?), Soboroff?), Retterer und Robin‘),
Epstein®), Rovere‘) besitzen, behandeln entweder, wie die
Arbeiten von Soboroff, Epstein und Rovere, die Venen
in Körpergebieten, in denen durchaus andere mechanische
Faktoren die Struktur beeinflussen als in der Schädelhöhle, oder
!) Triepel, Das elastische Gewebe in der Wand der Arterien der Schädel-
höhle. Anat. Hefte I. Abt. 22. Heft (7. Bd. 2. H.\, 1896. S. 191.
2) Eberth, Von den Blutgefässen, in Strickers Handh. d. Gewebelehre,
Bd. 187133 1987ER
3) Soboroff, Untersuchungen über den Bau normaler und ektatischer
Venen. Virchows Arch., Bd. 54, 1872. 8. 149 ft.
4) Retterer et Robin, Sur la distribution des fibres elastiques dans
les parois arterielles et veineuses. Journ. de l’Anatomie et de la Physiologie,
20. annee 1884, pag. 116 ff.
5) Epstein, Über die Struktur normaler und ektatischer Venen. 1. Mitt.,
Virchows Arch., Bd. 108, 18837. S. 103 ff.
6) Rovere, Sulle fibre elastiche delle vene snperficiali degli arti. Anat.
Anz., :Bd.:13, 1897. 7 S.196 IE
292 HERMANN TRIEPEL,
sie gehen, wenn sie allgemeiner gehalten sind, gerade mit den
Gehirnvenen stiefmütterlich um. Manches, was mitteilenswert
erscheint, ist nicht beschrieben worden, anderes ist, wie ich zu
zeigen haben werde, nicht richtig angegeben.
Der anatomischen Darstellung werde ich einen zweiten Teil
folgen lassen, in dem ich versuchen werde, die Struktur der Ge-
hirnvenen von der Art ihrer Beanspruchung abzuleiten, und es
wird dazu nötig sein, die Cirkulationsverhältnisse in der Schädel-
höhle einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen. Die Dinge
liegen, wie sich zeigen wird, ziemlich kompliziert, und ich werde
mich bemühen, bei ihrer Beurteilung mit möglichst sorgfältiger
Kritik vorzugehen.
I.
Die Beschreibung der Gehirnvenen vereinfacht sich insofern
ausserordentlich, als die Venen der verschiedenen Örtlichkeiten
im Gehirn alle im grossen und ganzen einen übereinstimmen-
den Bau zeigen, und dass im besonderen kein wesentlicher
Unterschied zwischen inneren und äusseren Gehirnvenen existiert,
während ihre Struktur sich von der anderer Körpervenen —
und ich nahm Veranlassung deren eine grosse Reihe zum Ver-
gleich zu untersuchen — in auffallender Weise unterscheidet.
Beides ist leicht zu erklären: alle Gehirnvenen unterliegen den-
selben Cirkulationsbedingungen und alle bleiben in gleicher
Weise unbeeinflusst von den Bewegungen des Körpers und
seiner Teile, während alle anderen Venen, vielleicht nur die
im Knochen und im Auge verlaufenden ausgenommen, durch
Körperbewegungen Lage- oder Gestaltsveränderungen erfahren.
Hierdurch bin ich der gesonderten Beschreibung der einzelnen
Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 293
Gehirnvenen überhoben. Es ist selbstverständlich, dass manch-
mal hier, manchmal dort eine Struktureigentümlichkeit besser
zu Tage tritt, wie ich im einzelnen zu erwähnen haben werde,
es wird sich jedoch zeigen, dass wesentliche Änderungen im
Bau der Wand nur von der Grösse der Venen abhängen.
Das Epithel der Gehirnvenen zeichnet sich durch seine
grossen rundlichen bis ovalen Kerne aus. Wie in den Gefässen
überhaupt, so löst es sich auch hier sehr leicht von dem perl-
thelen Rohre ab. Gut zu Gesicht bekommt man es, wenn die
Vene beim Fixieren mit Blut gefüllt, d. h. nicht durchgespült war.
Im übrigen wurde das Hauptaugenmerk auf den perithelen An-
teil der Gefässwand gelegt, als den, der für ihre mechanischen
Aufgaben allein in Frage kommt.
Das untersuchte Material stammte von Erwachsenen (nicht
über mittleren Alters), bei denen keine Erkrankung des Gefäss-
systems nachgewiesen worden war, und wurde ausschliesslich
in starkem Alkohol fixiert. Berücksichtigung fanden Venen von
den verschiedenen Oberflächengebieten des Gross- und Kleinhirns
mit ihren aus dem Gehirn sich sammelnden Wurzeln, die Venae
cerebri internae und die von ihnen aufgenommenen Gefässe,
die Venen der Plexus chorioidei, ferner als Übergangsgefäss
zwischen äusseren und inneren Venen die Rosenthalsche
Vena basalis und schliesslich als Übergangsgefäss zwischen Venen
und Sinus die Vena cerebri magna. Auch die Wände der Sinus
selbst mussten, obwohl sie Teile der Dura mater sind, im An-
schluss in den Kreis der Untersuchung gezogen werden.
Es wurden Quer- und Längsschnitte der Gefässe untersucht,
doch gewinnt man nur dann einen genügenden Einblick in die
Struktur, die sich durch grosse Feinheit der Elemente auszeichnet,
wenn man auch Tangentialschnitte und Flachschnitte des aus-
gebreiteten Rohres anfertigt, und wenn man Teile der Wand
zerzupft. Besonders instruktiv sind Präparate, die man erhält,
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVI. Heft (11. Bd. H. 3.) 20
294 HERMANN TRIEPEL,
wenn man die Wand durch Zerreissen in konzentrische Lamellen
spaltet. Ihre Herstellung ist zwar mühsam, aber sehr lohnend; aus
der Wand der grossen Venen, die durchschnittlich 50 « dick
ist (natürlich ohne die bedeckende Arachnoidea gemessen) lassen
sich in der Regel zwei Lamellen herstellen. Auch wurden ge-
legentlich Flachschnittserien angefertigt, indessen gewähren solche
Serien keinen grossen Vorteil, da bei den dünnen Öbjekten
meist ein einziger Schnitt, wenn die Orientierung nicht absolut
genau war, schon eine ganze Reihe von Schichten nebenein-
ander zeigt.
a) Die innere Grenzmembran.
Unmittelbar nach aussen von dem Epithel ist in den
grösseren und mittelgrossen Gehirnvenen eine strukturlose Mem-
bran gelegen (T. XXVII, Fig. 1 u. 2). Die Membran besteht nicht
aus gelbem Bindegewebe und ist also nieht etwa mit der inneren
Grenzmembran der Arterien auf dieselbe Stufe zu setzen. "ie
zeigt einmal nicht das hohe Lichtbrechungsvermögen, wie die
aus gelbem Bindegewebe bestehenden Bildungen, andererseits
unterscheidet sie sich durch ihre färberischen Eigenschaften sehr
deutlich von diesen, vor allem wird sie durch saures Orcein
nicht dunkelbraun gefärbt. Allerdings ist zu bemerken, dass
sie in Orceinpräparaten sich meist durch eine um ein wenig
dunklere Farbe von den übrigen Bestandteilen des Grundes
abhebt, und gerade an Schnitten, die mit Orcein behandelt
waren, fiel mir zuerst die innere Grenzlamelle der Gehirnvenen
auf. Doch ist der Ton mehr gelblich und, wie gesagt, nur
wenig von dem des Grundes verschieden. Daher kann es an
Örceinpräparaten gelegentlich schwer oder unmöglich werden,
die Membran mit Sicherheit von den benachbarten Geweben zu
unterscheiden.
Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 295
Die Membran stellt sich auf Schnitten durch die Gefäss-
wand als ein schmales Band dar, dessen Breitenausdehnung
nicht nur in verschiedenen Venen, sondern oft in ein und der-
selben Vene auf demselben Querschnitte Schwankungen unter-
liegt. Besonders auffallend ist der Unterschied in den ober-
flächlichen Venen, der dickere Teil der Membran gehört hier
der von der Arachnoidea bedeckten Wand an. Ich fand z. B.
an dieser Stelle in der Vena cerebri media die Membran 3,6 1,
an der gegenüber liegenden Seite nur 1,7 «, ein anderes Mal
2,7 u dick. In der Vena cerebri interna fand ich eine Dicke
der Membran von 1,6 «, ebenso in der Vena basalis.
Die Membran ist in allen grösseren Gehirnvenen, inneren
und äusseren, vorhanden. Öfter ist sie auch noch an mittel-
grossen und kleineren Venen zu bemerken, z. B. sah ich sie an
ziemlich kleinen Venen der Plexus chorioidei laterales. Mit der
Abnahme des Gefässkalibers wird sie entsprechend dünner und
schliesslich verschwindet sie, ich bin jedoch nicht in der Lage,
über die Art ihrer Endigung nähere Auskunft zu geben.
Ausser in Quer- und Längsschnitten kann man die Mem-
bran auch gelegentlich in einem Flachschnitt zu Gesicht be-
kommen, wenn der Schnitt sehr dünn ist, und wenn man das
allerdings seltene Glück hat, dass das Objekt beim Schneiden
so orientiert war, dass die Schnittebene um einen sehr kleinen
Winkel gegen die Ebene des der Fläche nach ausgebreiteten
Stückes der Gefässwand gedreht war. In solchen Fällen sah
ich den Schnitt seitlich mit einem kleinen Stück eines mem-
branösen Gebildes enden, wobei der vorragende Zipfel keinerlei
Struktur erkennen liess. Ebenso wenig war auf Quer- oder
Längsschnitten eine Struktur der Membran nachzuweisen. In
ganz vereinzelten Fällen (Vena cerebri media) sah ich einen
Kern deutlich in der Membran liegen.
Über das physikalische Verhalten der Membran kann ich
nur wenig aussagen. Es scheint ihr eine gewisse Sprödigkeit
20*
296
HERMANN TRIEPEL,
zuzukommen, wie man wohl daraus schliessen kann, dass sie
sich öfter zusammen mit dem Epithel von der übrigen Gefäss-
wand abhebt. In solchen Fällen ist es natürlich mit keiner
Schwierigkeit verbunden, ihre Anwesenheit zu konstatieren. An
anderen Stellen ist die Membran nicht auf grössere Strecken
abgehoben, sondern wölbt sich nur mit einem umschriebenen
Stück nach dem Lumen zu in der Form einer kleinen Blase
vor (Taf. XXVII, Fig. 1). Beides erinnert an das Verhalten der
Membrana flava interna der Arterien, die auch gelegentlich
einmal abspringt, wenn sie auf ihrer Innenseite nur das Epithel
trägt, und die sich infolge der Kontraktion der cirkulären Mus-
kulatur in die bekannten mäanderartigen Krümmungen legt.
Auch bei den Gehirsvenen liegen nach aussen von der Mem-
bran glatte Muskeln, wie noch ausführlich zu erörtern sein
wird. Indessen sind die beschriebenen Vorkommnisse an der
Venenmembran doch nur sehr schwache Andeutungen der Er-
scheinungen, die von der arteriellen Membran bekannt sind,
und sie berechtigen natürlich nicht, der Grenzlamelle der Gehirn-
venen genau dieselben elastischen Eigenschaften wie jener zuzu-
erkennen.
Die Membran besitzt nun das Vermögen, recht leicht die
verschiedensten Farbstoffe anzunehmen, und zwar sowohl basische
als auch saure. Mit Böhm erschem Hämatoxylin färbt sie sich
ein wenig dunkler hellblau als Bindegewebe und Muskulatur,
mit dem bei Dr. Grübler unter der Bezeichnung
g „konzentriert,
haltbar‘‘ käuflichen Alaunkarmin intensiv rot. Durch Eosin
lässt sie sich gut hervorheben, ebenso durch Pikrinsäure. Wendet
man ein Gemisch von Fuchsin und Pikrinsäure (van Gieson)
an, so erhält man bei zweckmässiger Differenzierung die Mem-
bran in einem angenehmen gelblich-rötlichen Farbenton. Sehr
vorteilhaft erweist sich die Färbung mit dem von Unna an-
gegebenen polychromen Methylenblau, auf die man am besten
die langsame Differenzierung mit konzentrierter Tanninlösung
Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 297
folgen lässt; diese empfiehlt Unna für die Darstellung einer
Substanz, die er bei gewissen Erkrankungen der Haut fand
und mit dem nicht sehr schönen Namen ‚Elacin‘“ bezeichnete).
Besonders grosse Verwandtschaft za dem Unnaschen Farbstoff
hat in den Venenpräparaten — ausser den Kernen und den roten
Blutzellen — noch die glatte Muskulatur, und so kommt es,
dass man bei unvollkommener Differenzierung in Querschnitten
zwei blaue Streifen neben einander bekommt, nämlich einen
helleren, eben den Querschnitt der Membran, und nach aussen
davon einen dunkleren, hervorgerufen durch Bindegewebs-
schichten, die glatte Muskelzellen eingeschlossen enthalten.
Differenziert man weiter, so entfärbt sich der dunklere Streifen
teilweise, der hellere nimmt einen grünen Farbenton an.
Was für eine Substanz liegt nun in der inneren Grenz-
lamelle der Gehirnvenen vor? Und giebt uns vielleicht ihr
Verhalten Farbstoffen gegenüber einen Anhaltspunkt bei ihrer
Beurteilung ?
Es zeigte sich, dass die Membran von einigen Farbstofien,
wie Eosin, Pikrinsäure, polychromem Methylenblau, in fast genau
derselben Weise tingiert wird, wie die roten Blutzellen, man
könnte deshalb vielleicht daran denken, dass die innerste Wand-
schicht der Venen von Blutfarbstoff imbibiert ist, und dass
dadurch nur der Anschein erweckt wird, als unterscheide sich
die innerste Lage der Gefässwand ihrem Wesen nach von den
äusseren bindegewebigen Schichten. Dieser Gedanke ist jedoch
von der Hand zu weisen, der scharfen Begrenzung halber, die
die Membran gegen die nach aussen von ihr gelegenen Wand-
schichten zeigt.
Man könnte ferner vielleicht vermuten, da sich die Membran
durch dieselbe Methode wie „Elacin“ (s. unten Anm. 1) dar-
1) Unna, Elastin und Elacin. Monatshefte für prakt. Dermatologie.
Bd. 19, Nr. 8. 8: 397. 189.
Wenn ich das Wort „Elastin“ verwerfe, so kann ich natürlich die un
glückliche Bildung „Elacin* erst recht nicht anerkennen.
298 HERMANN TRIEPEL,
stellen lässt, dass es sich auch wirklich um diese Substanz
handelt, die wahrscheinlich nicht nur ein pathologisches Produkt
ist, sondern in einer ganzen Reihe normaler Arterien vorzu-
kommen scheint!). Doch ist auch diese Annahme nicht halt-
bar, denn es fehlt das eine Hauptcharakteristicum des „Placin“,
das sich auch mit saurem Orcein färbt, und zwar annähernd
mit derselben Intensität wie gelbes Bindegewebe.
Nicht minder verwerflich wäre der Gedanke, dass die Mem-
bran mit benachbarten glatten Muskelzellen in genetischem
Zusammenhang stehe. Es hat ja allerdings v. Ebner den
Versuch gemacht, auch die Entstehung gelben Gewebes auf
Muskelzellen zurückzuführen ?), indessen ohne Anklang zu finden.
Es ist kaum nötig zu betonen, dass kein pathologisches
Produkt vorliegen kann; hiergegen spricht schon das allgemeine
Vorkommen der Membran, ihr Vorhandensein bei allen unter-
suchten Leichen und an den Venen aus den verschiedensten
Grehirnbezirken.
Somit bleibt nur die Annahme übrig, dass in der Membran
entweder ein Abscheidungsprodukt des Epithels oder eine be-
sondere Modifikation des Bindegewebes vorliegt. Ich möchte
mich für die zweite Hypothese entscheiden, und zwar vor allem
wegen der ungleichmässigen Dicke der Membran, die dafür zu
sprechen scheint, dass das Gebilde mechanisch in Anspruch ge-
nommen wird; und dass den von Epithelzellen produzierten
Häuten mechanische Aufgaben zufallen, wäre zuerst zu beweisen.
Die Zugehörigkeit der Membran zum Bindegewebe geht auch
daraus hervor, dass die Kerne, die, wie oben bemerkt wurde,
in seltenen Fällen in der Membran zu sehen waren, durch ihre
1) Vergl. Triepel, Die Membrana elastica interna der Gehirnarterien.
Vortrag, gehalten in der Sitzung des medizinischen Vereins in Greifswald am
7. Mai 1598, Ref. deutsche med. Wochenschr. 1898.
B)
2) v. Ebner, Über den Bau der Aortenwand, besonders der Muskelhaut
derselben. Unters. aus d. Instit f. Phys. u Histol. in Graz, 1870. 8. 44.
Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 298
Form an Bindegewebskerne erinnerten. Ob die Membran direkt
als Intercellularsubstanz sich angelegt hat, oder ob sie sich aus
bereits geformten Elementen der bindegewebigen Intercellular-
substanz gebildet hat, mag dahingestellt bleiben.
Dass eine gleiche Membran oder dieselbe Substanz noch an
anderen Stellen des Körpers beobachtet worden wäre, ist mir
nicht bekannt. Vielleicht fasst man gegenwärtig überhaupt
unter dem Begriff kollagenen Bindegewebes noch verschiedene
Substanzen zusammen, die chemisch oder physikalisch nicht
identisch sind, ganz abgesehen davon, dass durch die verschiedenen
Mengenverhältnisse, in denen Fibrillen und verbindender Kitt
stehen, sehr differente Gebilde hervorgebracht werden.
b) Kollagenes Bindegewebe.
Bei weitem den Hauptbestandteil der Gehirnvenenwand
bilden kollagene Fasern. Die Fasern sind, wie sich das ja ge-
wöhnlich findet, zu Bündeln geordnet, diese zeichnen sich aber,
wenigstens in den inneren Schichten der Venen durch ihren
sehr geringen Durchmesser aus. Ebenso wie den Bindegewebs-
bündeln kommt überhaupt allen Strukturelementen, die die (re-
hirnvenenwand zusammensetzen, eine grosse Feinheit zu, wodurch
der Untersuchung bisweilen Schwierigkeiten erwachsen können.
Die Bündel kollagener Fasern sind nun weiter zu sehr
dünnen Lamellen zusammengefasst, die ihrerseits wieder sehr
dicht aneinandergefügt sind. Die Lamellen sind dabei derart
geordnet, dass immer eine Lage cirkulär verlaufender Bündel
von einer Lage längsverlaufender gefolgt wird. Der Winkel,
unter dem die auf einanderfolgenden Bündel sich überkreuzen,
ist aber nicht immer genau ein Rechter, es kommen Abweich-
ungen bis zu fast 30° vor, also recht erheblicher Natur; es finden
sich also zwischen Lagen mit rein transversaler und longitu-
300 HERMANN TRIEPEL,
dinaler Verlaufsrichtung der Fasern auch schräg dahinziehende
Bündel. Um die Faserrichtung zu bestimmen, hat man, auch
wenn das kollagene Gewebe nicht besonders dargestellt ist, in
der Lage der langgestreckten Muskelkerne, deren längste Achse,
wie ich unter c) beschreiben werde, mit der Richtung der um-
gebenden Bindegewebsfasern zusammenfällt, einen bequemen
Anhaltspunkt. Natürlich wurde nicht versäumt, die Bündelchen
auch selbst darzustellen, wozu sich in der Färbung mit Fuchsin
oder Orcein (neutralem oder auch saurem bei Überfärbung) ein
einfaches Mittel bot.
Auf die innere Grenzmembran folgen nach aussen hin zu-
nächst meistens cirkulär gerichtete Bindegewebsbündel, doch
kommen Fälle vor, in denen man auch schon zwischen Mem-
bran und cirkulärer Schicht längsgerichtete Bündel antrifft. Die
Lamellen sind, wie gesagt sehr dünn, man kann an grösseren
Gehirnvenen 6—8 und noch mehr solcher Blätter unterscheiden.
Tangentialschnitte liefern natürlich Schiefschnitte durch die Bündel
und lassen ihren Durchmesser grösser erscheinen, als er in Wirk-
lichkeit ist, erleichtern aber gerade hierdurch, wenn sie dünn
genug sind, den Überblick über die Lamellen. An solchen
Schnitten sieht man auch gelegentlich einmal, wie Fasern oder
ganze Bündel aus einer Schicht in die benachbarte hinüberziehen;
durch eine derartige Verbindung der Schichten untereinander
muss ein sehr inniger Zusammenhalt der Lamellen garantiert sein.
Je weiter nach innen zu sie liegen, um so fester sind die
Bündel und Lamellen an einander gefügt, und um so kleiner
ist ihr Durchmesser. Nach der äusseren Seite der Gefässwand
hin nehmen sie an Dicke zu und werden auch etwas lockerer.
Allmählich gehen sie in Lagen über, in denen derbe Bündel
sich ganz locker mit einander verbinden und so ein Maschen-
werk entstehen lassen (Taf. XX VII, Fig. 5), in dem, soviel ich er-
kennen konnte, keine Richtung von den einzelnen Bündeln be-
sonders bevorzugt wird; allenfalls kann man in einigen Fällen
Taf. XXVv1.
Anatomische Hefte. 1Abteilung. Heft36.(X1.BA.H. 3.)
egv.JF Bergmann, Wiesbaden.
Verla
i£.
Kirst, Leipz
lith.Anstx. C.
Triepel und Rübsamen del
Es
Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 301
die Anordnung der Bündel als eine vorwiegend horizontale be-
zeichnen. Aus dieser Lage entwickeln sich dann die Fäden und
Blätter des subarachnoidealen Gewebes, die erwähnten Bündel
sind aber durchaus noch zur Venenwand hinzuzurechnen.
Noch zu erwähnen wäre, dass die Zahl der Schichten und
damit die Wanddicke nicht konstant ist, sie unterliegt oft in
ein und demselben Querschnitte gewissen Schwankungen. Es
zeigt sich nämlich, dass an den oberflächlichen Venen diejenige
Wand, die dem Gehirne (bezw. der Pia mater) zugekehrt ist,
dicker ist als die gegenüberliegende, der Arachnoidea benach-
barte. An den Venae cerebri internae ist meistens die dickere
Wand die obere, dem Fornix näher liegende, die dünnere die-
jenige, die dem Dach des dritten Ventrikels aufliegt; allerdings
kommen gerade in den Venae cerebri internae oft individuelle
Unterschiede vor. Es wird sich zeigen, dass mit der Verschieden-
heit der Wanddicke auch eine Verschiedenheit in der Anhäufung
des gelben Bindegewebes einhergeht, und dass beides auf eine
verschiedene Beanspruchung der beiden Seiten des Gelässes zu-
rückgeführt werden kann.
Wenn wir zu kleineren und kleinsten Venen übergehen, so
nimmt die Anzahl der Schichten sehr schnell ab, sodass ‚wir
schliesslich bei den kleinen Venen, die in der Tiefe der Gehirn:
furchen verlaufen, nur noch einige wenige Bündel längsgerichteter
Fasern übrig haben, die das Epithelrohr bedecken. Ebenso ver-
halten sich die Venen, die die Gehirnsubstanz selbst beherbergt,
mit Ausnahme der dickeren Vena terminalis.
Bindegewebskerne von ovaler Form sind ohne erkennbare
Regelmässigkeit zwischen den Bündeln eingelagert.
c) Glatte Muskeln.
Glatte Muskeln finden sich in allen grösseren und auch
noch den mittelgrossen Gehirnvenen. Ihre Anzahl ist zwar nicht
302
HERMANN TRIEPEL,
erheblich, sie sind aber doch thatsächlich vorhanden. Dieser
Befund würde an und für sich nichts Befremdendes haben, es
muss aber deswegen ganz besonders auf ihn hingewiesen werden,
weil ihre Anwesenheit fast von allen Autoren, die Angaben
über die Struktur der Gehirnvenen machen, geleugnet wird.
Gewöhnlich findet man die Venen der Pia mater als Beispiel
von muskelfreien Venen angeführt; dass damit immer nur die
kleinsten Venen der Pia gemeint wären, bei denen die Behaup-
tung zutreffend wäre, ist doch nicht anzunehmen.
Die Angaben der Lehrbücher scheinen meistens zu fussen
auf den Ausführungen Henles und Eberths. Henle!) giebt
an, dass die Venen die Schädelhöhle, Eberth?), dass die Venen
der Pia und Dura mater zu den muskellosen gehören. Ran-
vier?) äussert in diesem Punkte keine eigene Meinung, giebt
aber in einer Anmerkung die Eberth’sche Einteilung der Venen
wieder. Die Ansicht Eberths teilen gleichfalls Schäfer‘),
Klein5), Schenk®). Bei Stöhr”) findet man die Bemerkung,
dass den Venen der Pia und Dura mater die Media fehlt,
während nach der Ausdrucksweise von Toldt®) und von Böhm-
Davidoff?) bei den Venen der nervösen Centralorgane und
ihrer Häute bezw. den Venen der Dura und Pia mater des Ge-
hirns die Muskelfasern in der Media fehlen. Was man sich aller-
dings dann noch unter Media, wenn in ihr Muskelfasern fehlen,
!) Henle, Handb. d. systematischen Anatomie des Menschen. 3. Bd.
1."Abt,., 1868. )8:817:
2)yHbertih, 1 c. 'S. 199.
3) Ranvier, Technisches Lehrb. der Histologie. Übers. v. Nicati und
Wyss, 1877. S. 543, Anm.
4) Schäfer, Histologie. Übers. von Krause, 1889. S. 103.
5) Klein, Grundzüge der Histologie. Deutsch von Kollmann, 1890,
Ser
6) Schenk, Grundriss der Histologie, 1885. 8. 205 ff.
7) Stöhr, Lehrb. der Histologie, 1898. 8. 97.
8) Toldt, Lehrb. der Gewebelehre, 1884. Venen 8. 859 ff.
9) Böhm-Davidoff, Lehrbuch der Histologie des Menschen, 1898. S. 262.
Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Blutcirkulation i. d. Schädelhöhle. 303
vorzustellen hat, und wie man sie gegen andere Wandschichten
abgrenzen soll, ist nicht zu beantworten.
Denselben Angaben begegnen wir wieder in den histiologi-
schen Notizen der anatomischen Lehrbücher. Nach Hyrtl!')
fehlen die Muskelfasern in den Venen des Gehirns, ebenso nach
Langer?). Der betreffende Satz in Langers Lehrbuch ist in
die Neubearbeitung von Toldt’) wörtlich hinübergenommen
worden. Rauber‘) lässt die Venen der Pia und Dura mater
keine Tunica media besitzen, nach W. Krause?) sind sie gänz-
lich muskelfrei, und Gegenbaur‘) schreibt, die Tunica media
werde in den Venen der Hirnhäute „nur durch Bindegewebe
und elastische Fasern vertreten“, und in den Venen des Gehirns
„scheine sie zu fehlen.“
Dagegen finde ich schon bei Ecker’) die Abbildungen
zweier Venen von der Oberfläche des Gehirns mit Muskelkernen,
die mir allerdings bei dem geringen Kaliber der Gefässe (0,200
und 0,062 mm) sogar zu zahlreich erscheinen, die aber immer-
hin von Ecker in der Beschreibung richtig gedeutet werden.
Und endlich wäre zu erwähnen, dass Koelliker 1854°) zwar
angiebt, dass die meisten Venen der Gehirnsubstanz und Pia
mater der Muskulatur entbehren, dass er aber immerhin zu-
giebt, dass bei den grössten dieser Venen eine schwache An-
deutung von Muskeln in der Media vorkommt. Der betreffende
Satz ist wörtlich in allen späteren Auflagen des Handbuchs der
(rewebelehre ?) wiederholt.
1) Hyrtl, Lehrb. der Anatomie des Menschen, 1889. S. 180.
?2) Langer, Lehrb. der systematischen und topographischen Anatomie
210 Aufl., 188208. 212:
3) Dasselbe, 5. Aufl., bearbeitet von Toldt, 1893. S. 429.
4) Rauber, Lehrb. der Anatomie des Menschen. 2. Bd., 1898. S. 22.
5) W. Krause, 3. Aufl. des Handb. der menschlichen Anatomie von
C. F. Th. Krause, 1. Bd., 1876. 8. 314.
6) Gegenbaur, Lehrb. der Anatomie des Menschen, 2. Bd., 1892. 8.224.
?) Ecker, Icones physiologicae, 1851—59, Taf. IV, Fig. 6 und 7.
8) Koelliker Mikroskopische Anatomie. 2. Bd., 2. T., 1854. 8. 518.
9) Bis 1867. Die neueste Auflage ist nicht bis zur Gefässlehre fortgeführt.
Den so ziemlich übereinstimmenden Angaben der Autoren
gegenüber verdient die Thatsache wohl Erwähnung, dass Mus-
kelkerne in der Wand der grösseren und selbst mittelgrossen
Gehirnvenen in merklicher Menge vorhanden sind. Man be-
obachtet auf Querschnitten (Taf. XXVIL Fig. 1 u. 2) oder auf
Längsschnitten, ganz besonders gut aber in Zupfpräparaten
(Taf. XXVII, Fig. 6) oder in abgerissenen Wandschichten
(Taf. XXVIL, Fig. 3 u. 4) eine ganze Anzahl von stäbchenförmigen
Kernen, die unbedenklich für Muskelkerne ansprechen wird, wer
sie vorurteilsfrei betrachtet. Die Muskelzellen, denen die Kerne
angehören, bilden aber nirgends eine zusammenhängende Schicht,
sondern liegen immer isoliert inmitten der Bündel von kolla-
genen Fasern, und ihre Richtung, bezw. die der Kerne, stimmt
somit, wie ich schon erwähnt habe, immer mit der Richtung
der Bindegewebsbündel überein.
Am zahlreichsten sind die Muskelkerne in den Schichten
der Wand, die der inneren Grenzmembran benachbart sind,
und zwar sind sie‘ meistens zunächst quer (oder schräg) gestellt,
selten sieht man noch nach innen von ihnen einmal einen längs-
gestellten Kern. Nach aussen von dieser Lage findet man, etwas
spärlicher, Muskelkerne deren Längsachse mit der Achse des
Gefässes wenigstens annähernd zusammenfällt (Taf. XXVI,
Fig. 3 u. 4): es kommen bei den Kernen natürlich dieselben Ab-
weichungen von der rein horizontalen und longitudinalen Stellung
vor, die ich vorhin bei der Schilderung der Bindegewebsbündel
erwähnte. Die ganze kernreiche Partie könnte man, wenn man
wollte, allenfalls als Media bezeichnen, aber man wird besser
thun, von einer solchen Benennung, die bei den Gehirnvenen
sehr wenig am Platze ist, vollkommen abzusehen.
Auch in den weiter nach aussen gelegenen Schichten der
Wand findet man noch Muskelkerne mit verschiedener Richtung,
die allerdings nur noch vereinzelt vorkommen, aber doch von
Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 305
den gleichfalls vereinzelten ovalen Bindegewebskernen zu unter-
scheiden sind.
In mittelgrossen Venen nimmt die Zahl der Muskelkerne
ab, sie sind aber, z.B. in der Vena terminalis, noch sicher vor-
handen; in der Wand der kleinen Venen, z. B. derer, die man
aus der Gehirnsubstanz herauszieht, gewahrt man nur höchst
selten einmal einen Muskelkern.
Die stäbchenförmigen Kerne sind nun nicht genau eylindrisch
gestaltet, sondern fast immer parallel der Wand plattgedrückt,
sodass sie in Schnitten, die senkrecht zur Wand geführt sind,
gewöhnlich viel — etwa um die Hälfte — schmäler und natur-
gemäss dunkler erscheinen als in Flachschnitten oder in Riss-
präparaten. Ob dieses Verhalten nur eine Folge der Behand-
lung der Objekte ist, mag dahingestellt bleiben. In Riss- und
Zupfpräparaten der Vena cerebri interna mass ich an den Kernen
eine Länge von 15,5— 22,1 u bei einer Breite von 1,7 u.
Die Zellen, denen die stäbehenförmigen Kerne angehören,
sind sehr schmal und dünn, d. h. sie enthalten wenig Muskel-
protoplasma. Ich konnte das gelegentlich an einfachen Häma-
toxylinpräparaten wahrnehmen (Taf. XXVIH, Fig. 6), ich sah in
solchen Fällen, dass der Protoplasmamantel, der die Kerne um-
giebt, ausserordentlich reduziert ist, und dass die Zelle jenseits
der Kernpole bald schmäler wird, als der Kern selbst ist. Hierin
ist wohl auch der Grund zu suchen, dass mir die verschiedenen
Methoden, die als spezifisch für die Färbung des Muskelproto-
plasmas angegeben worden sind, und bei denen es auf eine sehr
peinliche Differenzierung ankommt, nur wenige brauchbare Präpa-
rate lieferten; dagegen ist zu erwähnen, dass die in Frage kom-
menden Farbstoffe immer von den innersten Wandschichten am
längsten zurückgehalten wurden, ob wegen ihres reichlichen Ge-
haltes an Muskelfasern, will ich nicht entscheiden.
Bei der absolut geringen Menge von Muskelprotoplasma,
das in den Gehirnvenen vorhanden ist, erscheint es fraglich, ob
306 HERMANN TRIEPEL,
ihm hier in mechanischer Beziehung eine besondere Rolle zu-
kommt; an anderer Stelle werde ich darauf zurückzukommen
haben (S. 333).
d\) Gelbes Bindegewebe.
Über die Verteilung des gelben Bindegewebes in der Wand
der Gehirnvenen ist uns bisher noch gar nichts bekannt. Das
gelbe Bindegewebe zeichnet sich hier durch eine grosse Ein-
fachheit der Anordnung und durch eine geradezu verblüffende
Feinheit mancher Fasern aus, sodass diese wohl geeignet sein
möchten, als Versuchsobjekt bei der Prüfung der verschiedenen
Methoden zu dienen, die zur Darstellung der gelben Fasern an-
gegeben worden sind. Durch die Färbung mit saurem Orcein
erhielt ich sehr zufriedenstellende Resultate.
Man kann (Taf. XXVII, Fig. 1 u. 2) nach der Verteilung des
gelben Bindegewebes drei Schichten in der Wand der grösseren
Gehirnvenen unterscheiden, die freilich nicht scharf von einander
geschieden sind, und deren Dickenverhältnis vielfachem Wechsel
unterliegt.
Die interessanteste der drei Schichten ist die mittlere. In
ihr findet man ausserordentlich feine Netze gelber Bindegewebs-
fasern, die sowohl in cirkulärer als auch in radiärer Richtung
verfolgt werden können, die also nicht flächenhaft, sondern
räumlich angeordnet sind. In einigen Fällen wird zunächst ein
etwas gröberes Maschenwerk aus Fasern hergestellt, die aller-
dings auch schon unmessbar fein sind, und diese Maschen werden
von einem dichten, aus den feinsten Fasern bestehenden Netzwerk
eingenommen (Taf. XXVII, Fig. 3). In anderen Fällen besteht
das ganze Netz gleichmässig aus den feinsten Fasern (Taf. XXVIJ,
Fig.4). Die Lücken zwischen den Fäserchen sind überaus eng,
und in der Anordnung der Fasern ist keine Richtung vor der
andern merklich bevorzugt, sodass man in geeigneten Präpa-
raten den Anblick eines unentwirrbaren Filzes erhält.
Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 307
In der inneren Schicht, d. i. dort, wo sich verhältnismässig
zahlreiche Muskelkerne finden, ist das gelbe Bindegewebe nur
sehr spärlich entwickelt. Man sieht hier nur vereinzelte gelbe
Fasern mit verschiedener Richtung, sie befinden sich innerhalb
der Bindegewebsbündel, oder sie liegen der inneren Grenzmem-
bran an, gewöhnlich von aussen, in einzelnen Fällen auch von
innen.
Etwas reichlicher ist die äussere Wandschicht mit gelbem
Bindegewebe versehen. Hier finden sich in den lockeren Binde-
gewebsbündeln, die ich vorhin beschrieb, dickere Fasern mit
einem im wesentlichen ceirkulären Verlauf (Taf. XXVIL, F ig. 8).
Diese Fasern sind aber auch unter einander durch schräge
Zwischenstücke verbunden, sodass sie sich zu einem grob-
maschigen Netze zusammensetzen, dessen Maschen in horizon-
taler Richtung sehr in die Länge gezogen sind.
Von der geschilderten Anordnung finden sich nun ver-
schiedene Abweichungen, die allerdings gewöhnlich sich leicht
auf die typische Einteilung zurückführen lassen. Bisweilen fand
ich die radiäre Ausdehnung der mittleren Wandschicht nur
germg und das ganze Netz in radiärer Richtung sehr zusammen-
gedrängt (wobei beiläufig ein Artefakt ausgeschlossen war), so
dass man bei Anwendung schwächerer und mittelstarker Ver-
grösserungen glauben konnte, eine dicke gelbe Membran liege
in der Mitte der Wand; erst mit Hülfe starker Systeme erkennt
man in solchen Fällen die wahren Formen. Die feinsten Netze
zeigen entschieden die Venen an der Oberfläche des Gehirns,
an den Venae cerebri internae sind die Fasern der Netze etwas
stärker, wenn auch in unbedeutendem Masse, und es zeigt sich
an einigen von ihnen der eirkuläre Verlauf deutlicher ausge-
prägt. Die einzelnen Schichten können in einander übergreifen,
nicht selten sieht man, dass der netzführende Teil sich stark
verbreitert und fast bis an die innere Grenzmembran heranreicht.
BUS HERMANN TRIEPEL,
In den meisten grösseren Gehirnvenen wechselt an ver-
schiedenen Stellen desselben Querschnittes die Menge des gelben
Bindegewebes. Immer fand ich eine solche Verschiedenheit an
den grossen Oberflächenvenen, und zwar ist hier die an die
Pia grenzende Wand in weit geringerem Masse mit gelber Sub-
stanz ausgestattet als die gegenüberliegende. In den Venae
cerebri internae ist oft die untere, nach dem dritten Ventrikel
sehende Wand reichlicher damit versehen als die dem Fornix
benachbarte. Indessen scheinen hier, wie auch in anderen Einzel-
heiten, individuelle Unterschiede vorzukommen. In manchen
kleinen Venen sind die Verschiedenheiten in der Versorgung
verschiedener Querschnittsteile sehr auffallend; es kommt vor,
dass die eine Seite der Vene ganz frei ist von gelben Binde-
gewebselementen, während die andere Seite noch leidlich aus-
gebildete Netze enthält.
Ein bemerkenswertes Verhalten zeigen die Venae cerebri
superiores an den Stellen, wo sie vor ihrer Mündung in den
Sinus sagittalis superior eine Strecke weit an der Aussenwand
des Sinus hinlaufen und mit dieser verschmelzen. Das letzte
Venenstück gehört schon seinem Bau und seiner Funktion nach
canz zu dem Sinus und zeigt, wie ich unter e) beschreiben will, an
seiner Innenfläche ein feines Gitter aus gelbem Bindegewebe,
das Homologon einer Membran. Aber schon vorher tritt an der
einen Seite der Vene das Gitter auf, nämlich an der mit der
Sinuswand verbundenen, während die gegenüber liegende die
typische Struktur der Venenwandung zeigt. Nach aussen von
dem Gitter liegen schon die Bindegewebsbündel der Sinuswand,
nach innen die innere Grenzmembran der Venen, wenn sie noch
vorhanden ist — ich sah sie hier nur in einem Falle —, oder
sofort das Epithel. Das Gitter ist nicht etwa zu verwechseln
mit sehr dicht zusammenliegenden Netzwerken, wie ich sie ge-
legentlich in den mittleren Venenschichten sah, es ist im Gegen-
satz dazu nur der Fläche nach ausgedehnt.
Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 309
In kleineren Venen ist das gelbe Bindegewebe in geringerer
Menge vorhanden, es nimmt aber nicht parallel mit dem Kaliber
des Gefässes ab. Auffallend gering ist es entwickelt in der
Rosenthalschen Vena basalis, noch geringer in der Vena
terminalis, während die kleinen Venen der Plexus chorioidei
noch ziemlich reichlich damit versehen sind (Taf. XXVII, Fig. 7).
Die Fasern der Netze sind in den kleinen Venen oft dicker als
in den grossen. In den kleinen Venen der Oberfläche ist das
unansehnliche Netz etwas nach aussen verschoben.
Vollständig verschwunden ist das gelbe Bindegewebe bereits
in solchen Venen, deren Wand sich noch aus mehreren Lagen
kollagener Bündel zusammensetzt.
e) Die Sinus und die Übergangsvenen.
Die Sinus und die Übergangsvenen (die letzten Enden der
Venae cerebri superiores und die Vena cerebri magna) zeichnen
sich dadurch aus, dass sie an ihrer Innenfläche von einem
sehr dichten Gitter aus gelbem Bindegewebe überkleidet sind,
das die Stelle einer Membran vertritt. Ebenso wie die Aus-
kleidung der Übergangsvenen zeigen auch andere Teile ihrer
Wand, dass diese Gefässe oder Gefässabschnitte zum Sinussystem
zu rechnen sind. Die Wand besteht nämlich hier hauptsäch-
lich aus Bindegewebsbündeln, die im allgemeinen dicker sind als
die feinen Bündelchen der Venen; gleichgerichtete Bündel bilden
keine einfachen Schichten, sondern dickere Lagen, ehe sie von
anders gerichteten Bündeln gekreuzt werden. In der Wand der
Vena cerebri magna verlaufen kleinere Gefässe, wodurch sie
sich ebenfalls von anderen Gehirnvenen unterscheidet. An diese
erinnert dagegen das gelbe Bindegewebe, das die Vena magna
auch wesentlich in der Form von Netzen enthält, die aber aus
gröberen Fasern bestehen und unregelmässig in den einzelnen
Wandschichten auftreten.
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVI Heft (11. Bd. H. 3.) 21
310 HERMANN TRIEPEL,
Man hat die Sinus als einfache Spalten in der Dura mater
aufgefasst. Vollkommen stimmt das zwar nicht, denn die Binde-
gewebsbündel ihrer Wand zeigen nicht dieselbe einfache Anord-
nung wie die Bündel in der Dura. Indessen sind die Beziehungen
zwischen Sinuswand und Dura doch ausserordentlich innige, und
daher glaube ich, dass es an dieser Stelle genügt, wenn ich mich
auf einige Angaben über die Auskleidung beschränke.
Das Gitter, das diese Auskleidung übernimmt, liegt un-
mittelbar unter dem Epithel und überzieht auch die Bälkchen,
die sich im Innern der Sinus, besonders des Sinus sagittalis
superior finden. Es setzt sich aus dünnen Fasern zusammen,
die sehr dicht bei einander liegen und ganz unregelmässig be-
erenzte, sehr kleine Lücken zwischen sich lassen (Taf. XXVII,
Fig. 9). Man wird an die Gitter in den kleinen Arterien
erinnert, doch sind die Fasern dünner und die Löcher unregel-
mässiger umsäumt. Über die Innenfläche des Gitters zieht ab
und zu eine einzelne gelbe Faser.
Sehr häufig sind Vervielfältigungen und Auffaserungen des
Gitters, ganz ähnlich denen, die man an der Membrana flava
interna der Arterien antrifft. An besonders zahlreichen Stellen
weist der Sinus sagittalis superior solche Auffaserungen auf,
was hier sich leicht mit der Anwesenheit der Bälkchen und un-
regelmässigen Zwischenwände in Zusammenhang bringen lässt,
die jedenfalls Wirbelbildungen im Blutstrom und lokale Druck-
erhöhungen veranlassen. Die Auffaserungen sind meist wieder
in Form von Netzen angeordnet. Das Gitter lässt eine grössere
Anzahl sekundärer Gitter entstehen, die unter sich wieder viel-
fach zusammenhängen und so ein Waben- oder Fachwerk bilden.
In den Maschen solcher Auflagerungen liegen spindelförmige
langgezogene Kerne, die dem Bindegewebe zuzuzählen sind.
Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 311
Il.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Struktur der
Gefässwände normalerweise den mannigfachen mechanischen
Beanspruchungen, die an die Gefässe herantreten, gerecht wird.
Es ist nur ein kleiner Schritt zu der Annahme, dass diejenigen
Strukturelemente, die besonders geeignet sind, den mechanischen
Einwirkungen entgegenzutreten, sich erst unter dem Einflusse
dieser Einwirkungen gebildet haben, dass also die Gefässe im
Sinne Rouxs eine funktionelle Struktur besitzen. Die Frage-
stellung gestaltet sich bei den Gefässen schwieriger als bei an-
deren Organen, weil in ihnen verschiedene Gewebsarten zu
unterscheiden sind, das leimgebende und das gelbe Binde-
gewebe und die glatte Muskulatur, und darauf mag es wohl
zurückzuführen sein, dass seit der Feststellung einiger leitender
Gesichtspunkte durch Bardeleben!) noch wenig Klärung in
die Angelegenheit gebracht worden ist.
Die Untersuchung gestaltet sich bei den Arterien einfacher
als bei den Venen, weil dort die Möglichkeit vorliegt, von Ge-
fässen auszugehen, in denen die Verhältnisse ausserordentlich
einfach liegen, nämlich von den Gehirnarterien, diese werden
nicht von aussen beeinflusst, sondern nur von innen durch den
Anprall der Blutwelle bei der Pulsation. Diese Beeinflussung
durch den Puls ist bei den Gehirnarterien fast?) genau dieselbe
wie bei anderen gleichgrossen Körperarterien.
1) Bardeleben, Über den Bau der Arterienwand. Sitzungsbericht der
Jenaischen Ges. f. Med. w. Naturw. Sitzg. v. 10. V. 1878. 8. 34 ff.
2) Nach Grashey, Experimentelle Beiträge zur Lehre von der Blut-
eirkulation in der Schädelrückgratshöhle, Festschrift. München, 1892. S. 61
ist die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswelle in den Gehirnarterien
grösser als in anderen Arterien.
21*
312 HERMANN TRIEPEL,
Wesentlich anders liegen die Verhältnisse bei den Gehirn-
venen, die eigenartige Beanspruchung, der sie ausgesetzt sind,
istnur bei ihnen ununterbrochen wirksam, während in ähnlicher
Weise andere Körpervenen — und vielleicht auch Arterien —
nur vorübergehend beansprucht werden können. Ehe es mög-
lich ist, über die Spannungszustände, die in der Wand der Ge-
hirnvenen herrschen, Näheres auszusagen, ist es nötig, die
Bluteirkulation in der Schädelhöhle zu beschreiben.
a) Die Blutcirkulation in der Schädelhöhle.
Über die Cirkulation in der Schädelhöhle ist schon sehr
viel geschrieben worden, Richtiges und Falsches. Es kann nicht
meine Absicht sein, an dieser Stelle gegen die einzelnen Autoren
zu polemisieren, ich habe nur die Verhältnisse kurz zu schildern,
wie sie sich nach der Vorstellung, die ich mir davon gebildet
habe, ergeben. Im übrigen verweise ich auf die sehr beachtens-
werten Arbeiten von Leyden!), Jolly?) und Grashey?°), im
denen auch weitere Litteraturangaben zu finden sind.
Es wird wohl gegenwärtig von keiner Seite mehr ange-
zweifelt, dass der Inhalt. der Schädelhöhle unter dem Einflusse
des Luftdruckes steht. Die Schädelkapsel ist für die in Betracht
kommenden Schwankungen des Luftdruckes als inkompressibel
anzusehent), und sie hat einen inkompressiblen Inhalt, den Liquor
1) Leyden, Beiträge und Untersuchungen zur Physiologie und Pathologie
des Gehirns. I. Über Hirndruck und Hirnbewegung. Virch. Arch., 37. Bd.
1866, S. 519 ft.
2) Jolly, Untersuchungen über den Gehirndruck und die Blutbewegung
im Schädel. Würzburg, 1871.
3) Grashey,l. c.
4) Die Versuche von Messerer, Über Elastizität und Festigkeit der
menschlichen Knochen. Stuttgart, 1880. 8.7 ff., u. a. zeigen, dass der zu-
sammengepresste Schädel zwar seine Form verändern kann, aber erst bei An-
wendung hoher Drücke, und sie ergeben nichts, dass dafür spräche, dass selbst
durch sehr grossen Druck der Schädelinhalt verkleinert wird.
Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 313
cerebrospinalis und das sehr wasserreiche Gehirn). Wenn die
Wand einer mit Flüssigkeit erfüllten Kapsel nicht an allen Stellen
inkompressibel ist, sondern einen oder mehrere nachgiebige Ver-
schlüsse hat, oder wenn sie mit einem anderen, mit Flüssigkeit
gefüllten Hohlraum kommuniziert, der unter der Einwirkung
des Luftdruckes steht, so wird auch ihr Inhalt vom Luftdruck
beeinflusst; d. h. Schwankungen des atmosphärischen Druckes
verändern auch den Druck des Kapselinhaltes, und zwar in dem-
selben Sinne, ob auch um denselben Betrag, das hängt ab von
der Spannung der nachgiebigen Verschlüsse an der Kapsel selbst
oder dem zweiten Hohlraum, mit dem die Kapsel kommuniziert.
Bei der Schädelkapsel kommt vor allem in Betracht der nach-
giebige Verschluss, den die Gesamtheit der Gefässwände dar-
stellt, und die Kommunikation mit dem Rückenmarksteil des
Duralsackes, an dem der nachgiebige Verschluss durch die ganze
Dura gegeben ist oder, wenn man so will, durch die Ligamenta
intervertebralia des Wirbelkanals. Man kann sich zur Verein-
fachung bei einer Untersuchung der Verhältnisse im Schädel-
innern vorstellen, das Foramen magnum sei durch eine quer
herübergelegte nachgiebige Membran abgeschlossen, und ebenso
kann man sich vorstellen, nur an den Eintrittsstellen der Gefässe
befänden sich nachgiebige Membranen.
Durch den Nachweis, dass der Inhalt der Schädelhöhle
den Schwankungen des Luftdruckes ausgesetzt ist, wird aller-
dings noch durchaus nichts über die absolute Grösse des Druckes
in der Cerebrospinalflüssigkeit ausgesagt. Wie Grashey?’) ohne
Zweifel mit Recht angiebt, ist in dem Falle, dass die Cirkulation
im Schädel wegfällt, der Druck an einer beliebigen Stelle im
Gehirn gleich dem der drückenden Luftsäule, vermindert um
1) Grashey, Über Hirndruck und Hirnkompressibilität. Sitzungsb. der
phys.-med. Ges. zu Würzburg, 1883. S. 139.
2) Grashey, ]. c., (Experimentelle Beiträge etec.), S. 40.
3l4 HERMANN TRIEPEL,
das Gewicht einer Flüssigkeitssäule, die zur Höhe die Entfernung
der gedrückten Stelle von den nachgiebigen Verschlüssen hat.
Ist bei erhaltener Bluteirkulation der Druck der Cerebro-
spinalflüssigkeit ein anderer, oder ist er Schwankungen unter-
worfen, so kann das nur eine Folge der Bluteirkulation selbst
oder der diese beeinflussenden Momente sein. Dass das richtig
ist, wenigstens bei Tieren, geht aus den Druckkurven und Zahlen-
werten, die Leyden!) und Jolly?) fanden, hervor; man kann
aber zweifellos die für Tiere geltenden Kurven auf den Menschen
übertragen, wenn auch nicht der Grösse, so doch ihrem Sinne
nach. Diese Kurven sind sehr charakteristisch: sie zeigen
Schwankungen, die mit der Respiration und Pulsbewegung
synchron sind, nämlich einmal grössere Erhebungen, die den
Exspirationen entsprechen, und die von ebenso grossen Senk-
ungen bei den Inspirationen gefolgt sind, und andererseits kleinere
Erhebungen, die vom Arterienpulse abhängig sind, und bei
denen der kleine Anstieg dem Eintritt der Blutwelle in die Ge-
hirnarterien entspricht.
Man kann zur Vereinfachung annehmen, dass die Flüssig-
keitsmenge, die sich im Schädel befindet, durchaus konstant
bleibt, da man die sehr geringe Ausdehnbarkeit der dehnbaren
Verschlüsse vernachlässigen darf. Dann besagt die Thatsache
einer Druckerhöhung im Schädelinnern offenbar nichts anderes,
als dass ein Stempel mit einer gewissen Kraft auf den Schädel-
inhalt drückt, und dieser Stempel wird dargestellt bei den grossen
exspiratorischen Erhebungen der Druckkurve durch das sich
stauende, langsamer abfliessende Blut in den Venen, bei den
kleinen herzsystolischen Erhebungen durch das andringende
Blut in den Arterien >);
1) Leyden,l. c., S. 527 u. Taf. XI, Fig. 5.
2) ol; Live 3.12:
3) Vielleicht haben auf die exspiratorischen Druckerhebungen auch die
grösseren Druckwerte, die man bei der Exspiration in den Arterien findet,
Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 315
Wenn die absolute Grösse der Druckschwankungen inner-
halb und ausserhalb der Gefässe gleich gross ist, so ist die
Spannung der Gefässwände in axialer und tangentialer Richtung
oleich Null, sie werden in erschlafftem Zustande zwischen den
beiden Flüssigkeiten hin- und herbewegt; dabei ist die Wand
als Ganzes betrachtet, d. h. es ist ihre Dickenausdehnung ver-
nachlässigt. Sind Druck und Druckschwankungen im Grefäss
grösser als in der umgebenden Flüssigkeit, so ist eine Spannung
der Wand vorhanden, die sich ableiten lässt aus der Differenz
der beiden Drücke. Der dritte Fall, dass in der umgebenden
Flüssigkeit der Druck höher ist als in den Gefässen, kann in
der Schädelhöhle nicht dauernd vorhanden sein, denn wenn
eine solche Differenz einmal einträte, so würde sie sich durch
eine entsprechende Kompression der Gefässe, d. h. in diesem
Falle der sehr nachgiebigen Venen, sofort wieder ausgleichen.
Es ist somit auch nicht richtig von einer negativen Spannung
der (unendlich dünn gedachten) Gefässwand zu sprechen ; damit
ist aber durchaus nicht gesagt, dass nicht vielleicht in einzelnen
Schichten der (endlich dicken) Venenwand vorübergehend in
axialer und tangentialer Richtung eine negative Spannung oder
ein Druck eintreten könnte.
Es sollen zunächst die Verhältnisse während der Atmung
betrachtet werden. Haben wir irgend welche Anhaltspunkte für
die Beurteilung des Zustandes der Venenwände im Gehirn
während der Respirationsphasen? Sind insbesondere die Venen-
wände schon bei der Inspiration im Zustande der Spannung,
oder sind sie zunächst entspannt, um erst bei der Exspiration
gespannt zu werden, oder bleiben sie immer entspannt, oder
findet sich ein Wechsel im Spannungszustande wie der oben
angegebene nur bei einzelnen Venen? Als solche kämen dann
einen geringen Einfluss, den man aber, wenn man die Gestalt der von Arterien
gewonnenen Druckkurven berücksichtigt, gegenüber der Stauung in den Venen
für verschwindend klein erachten wird.
316 HERMANN TRIEPEL,
in erster Linie die grössten Venen in Betracht, denn in ihnen
muss der Druck immer niedriger sein als in den kleineren
Venen, weil das Blut von Orten höheren zu Orten niederen
Druckes strömt, und die Komprimierbarkeit beider ist annähernd
gleich.
Es wäre sehr interessant, wenn zu gleicher Zeit an den-
selben Tieren Messungen der respiratorischen Druckschwank-
ungen in der Cerebrospinalflüssigkeit und in einer der das Blut
aus dem Schädel abführenden Venen vorgenommen worden
wären; solche Untersuchungen liegen aber, wenigstens so viel
mir bekannt ist, nicht vor. Vergleicht man die Befunde ver-
schiedener Beobachter, so erhält man keine sehr zuverlässigen
Resultate, zumal die Angaben über die Druckwerte in den Venen
nicht unerheblich von einander abweichen, was durch die vielen
Fehlerquellen erklärlich wird, die nach Rollett!) hier die Unter-
suchung beeinflussen. In der Cerebrospinalflüssigkeit fand
Leyden beim Hund respiratorische Druckschwankungen von
131,» bis 27 mm (Wasserdruck), Jolly solche von 10 bis 20 mm,
ja bei forcierter Respiration bis 50 mm. In den grossen Venen
am Hals sind teils geringere, teils grössere Druckschwankungen
gefunden worden — wegen der Unsicherheit der Angaben ver-
zichte ich auf ausführlichere Mitteilungen. Wenn man berück-
sichtigt, dass die Schwankungen in den Gehirnvenen jedenfalls
kleiner sein müssen als in den Jugularvenen, so darf man
vielleicht annehmen, dass die Schwankungen des Druckes in
den Gehirnvenen im allgemeinen auch keine grösseren Werte
erreichen werden als die in der Cerebrospinalflüssigkeit. Wenn
das richtig ist, so besteht weder bei der Inspiration noch bei
der Exspiration, wenigstens bei ruhiger Atmung eine tangentiale
oder axiale Spannung der Venenwand; auch die absoluten Druck-
t) Rollett, Physiologie des Blutes und der Blutbewegung. Handb. d.
Physiol. von Hermann. 4. Bd., 1. T., 1880. S. 333 u. 334,
Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 317
werte sind dann natürlich in der Cerebrospinalflüssigkeit und
den grösseren Gehirnvenen immer dieselben, Abweichungen
gleichen sich immer wieder aus. Doch kann ich dafür, dass
die Wandspannung der grösseren Gehirnvenen gleich Null ist,
noch andere, meines Erachtens bessere Gründe anführen, die
sich auch unmittelbar auf den Menschen beziehen.
Ein Teil des arteriellen Druckes wird der Üerebrospinal-
flüssigkeit mitgeteilt, die ohne Cirkulation nach dem Gesagten
keinem höheren als dem atmosphärischen Druck ausgesetzt ist.
Beim Tode kann also der Druck in ihr nur niedriger werden
als er vorher war, und da es nicht möglich ist, dass der in den
(Grehirnvenen herrschende Druck um einen noch grösseren Be-
trag abnimmt, so muss nach dem Tode in den Gehirnvenen
mehr Blut enthalten sein als vorher; das ist um so sicherer
anzunehmen, als beim Absterben die Arterien sich kontrahieren
und so in der Schädelhöhle, deren Rauminhalt unveränderlich
ist, mehr Platz geschaffen wird. Und trotzdem findet man, wenn
man bei einer Leiche die Schädelhöhle eröffnet, wodurch im
allgemeinen die Druckverhältnisse nicht geändert werden, die
meisten Gehirnvenen mehr oder weniger kollabiert, d. h. ab-
weichend von der cylindrischen Form, sofern nicht etwa der
Tod unter hochgradigen Stauungserscheinungen eingetreten war;
höchstens sind die Venen am Oceipitalpol des Gehirns infolge
von Hypostase angefüllt, aber ohne dass ihre Wand stärker
gespannt ist, als die auf ihr lastende Blutsäule bedingt. Beim
Lebenden ist aber nach dem Vorigen eine noch geringere Spannung
der Gehirnvenenwände als bei der Leiche anzunehmen.
Ferner würden, wenn die Wand der grösseren Gehirnvenen
für gewöhnlich gespannt wäre, in ihr periodische Spannungs-
zunahmen erfolgen, ganz ähnlich wie in der Arterienwand bei
der Pulsation, nur mit dem Unterschied, dass die Perioden länger
wären. Ich habe gezeigt, dass solche Spannungszunahmen in
315 HERMANN TRIEPEL,
erster Linie an der Innenfläche zum Ausdruck kommen!), und
man sollte erwarten, dass sich demzufolge wie an kleinen Arterien
an der Innenfläche ein Gitter von gelben Bindegewebsfasern
fände, wie an kleinen Arterien wegen der geringen Grösse der
Spannungszunahme. Hiervon findet sich indessen nichts. Die
Innenfläche der Gehirnvenen wird vielleicht bei tiefer Respiration
in Anspruch genommen; sollte etwa die eigentümliche innere
Grenzmembran, die ich im I. Teile geschildert habe, dazu dienen,
dieser gelegentlichen Beanspruchung zu begegnen, und sollte sie
vielleicht eine nicht zur vollen Ausbildung gelangte Membran
aus gelbem Bindegewebe vorstellen? (Vgl. auch nachher S. 334.)
Die Wände der grösseren Gehirnvenen flottieren demnach,
soweit sie nicht im subarachnoidealen Gewebe fixiert sind,
zwischen Blut und Liquor cerebrospinalis, wobei man sich nicht
etwa vorzustellen braucht, dass sie geknickt und gefaltet wären,
denn dann würden sie wohl dem Anpassungsvermögen der
organisierten Gebilde zufolge sich verkleinern. Vielmehr wird
es sich darum handeln, dass ihr Querschnitt mehr oder weniger
von der Kreisform abweicht und elliptische Gestalt annımmt;
bekanntlich ist der Kreis diejenige ebene Figur, die unter allen
möglichen geschlossenen ebenen Figuren von demselben Um-
fang den grössten Flächeninhalt hat. Wenn bei der Exspiration
etwas weniger Blut aus dem Schädelinnern abfliesst, so nähert
sich der Querschnitt der Venen der Kreisform, er entfernt sich
von ihr bei der Inspiration.
Wenn somit auch die Wände der grösseren Gehirnvenen
für gewöhnlich nicht gespannt sind, so wird man doch, weil
nach dem arteriellen Abschnitt des Systems hin der Druck in
!) Triepel, 1. c. (Anat. Hefte, 22. Hft.), S.208. Noch nachträglich möchte
ich bemerken, dass derselbe Satz auch in technischen Lehrbüchern abgeleitet wird,
wenn auch, soviel ich gesehen habe, auf anderen Wegen. Vergl. Grashof,
Theorie der Elastizität und Festigkeit mit Bezug auf ibre Anwendungen in
der Technik. 2. Aufl., 1878. S. 312.
Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 319
den Gefässen immer höher wird, bald an Gefässe gelangen,
deren Wand gespannt ist, vielleicht sind das die kleinen oder
kleinsten Venen. Es ist aber kaum anzunehmen, dass hier
infolge der Respiration periodische Spannungszunahmen ein-
treten; wenn vielleicht auch noch eine periodische Druckzunahme
im Innern erfolgt, so wird andererseits die periodische Druck-
zunahme im Liquor cerebrospinalis dafür sorgen, dass die Wand-
spannung dieser Gefässe sich wenig oder gar nicht verändert.
Die exspiratorische Drucksteigerung in der Cerebrospinal-
flüssigkeit wirkt natürlich auch auf Arterien und Kapillaren.
Von den Kapillaren wird später noch die Rede sein, die Arterien
werden in der Weise beeinflusst, dass während der Exspiration
das durch die Herzthätigkeit eingetriebene Blutquantum etwas
geringer ist als während der Inspiration.
Zu den grösseren durch die Respiration bedingten Schwank-
ungen im Druck der Cerebrospinalflüssigkeit gesellen sich nun
noch die kleineren, in kürzeren Zwischenräumen auf einander
folgenden, die von der arteriellen Pulsation abhängig sind.
Man hat es als besonderen Vorteil angesehen, dass das
Blut durch die Carotiden in fast gerader Richtung vom Herzen
aus hirnwärts geleitet wird; in dieser Weise hat sich schon
Descartes geäussert'). Indessen scheint es doch, als ob die
Natur sehr darauf bedacht gewesen sei — man gestatte eine
solehe Ausdrucksweise —, den direkten Anprall der Blutwelle
am Gehirn. abzuschwächen. Man denke an die Krümmungen
der Carotis interna im Felsenbein und Sinus cavernosus?); im
gleichem Sinne, aber noch einschneidender, wirken die Wunder-
netze, die bei Wiederkäuern zwischen Gehirn und den es ver-
sorgenden Arterien eingeschaltet sind. Die Krümmungen der
I) Renatus Des-Cartes, Tractatus de homine. Amsterdam, 1686.
S. 20 u. 21.
2) Vergl. Stahel, Über Arterienspindeln und über die Beziehung der
Wanddicke zum Blutdruck. 2. Abhandlung. Arch. f Anat. u. Entw. 1886.
S. 318 ff.
320 HERMANN TRIEPEL,
Carotis interna und ebenso die der Arteriae vertebrales haben
augenscheinlich den Erfolg, dass in ihnen die Blutwelle wieder-
holt reflektiert wird und an der Gehirnbasis abgeschwächt an-
kommt, d. h. der mittlere Blutdruck ist in den Arterien an der
Hirnbasis geringer als in der Oarotis interna oder im aufsteigen-
den Teil der Arteria vertebralis.
Durch jede Kontraktion der Herzkammern wird ein gewisses
Blutquantum in die Arterien im Innern der Schädelhöhle ge-
worfen. Dadurch wird der Druck in ihnen erhöht, und da
ihre Wände nicht starr sind, auch der Druck der Cerebrospinal-
flüssigkeit; das zeigen die kleinen, mit dem Arterienpuls syn-
chronen Druckschwankungen, die man an ihr beobachtet hat.
Die Drucksteigerungen in der Cerebrospinalflüssigkeit, die auf
jede Herzsystole folgen, wirken nun wieder auf alle Teile des
Gefässsystems ein. Auf die Arterien wirken sie zurück als
Widerstand, der ihrer pulsatorischen Erweiterung entgegengesetzt
wird. Dieser Widerstand wäre unendlich gross, wenn der in-
kompressiblen Cerebrospinalflüssigkeit nicht die Möglichkeit ge-
geben wäre, nach irgend einer Weise hin auszuweichen. Die
Nachgiebigkeit des nachgiebigen Verschlusses, den wir in Gestalt
der Dura mater spinalis (oder der Ligamenta intervertebralia)
haben, ist sehr gering und würde wenig nützen. Dagegen ist
die Möglichkeit vorhanden, dass die Druckerhöhung sich auf
den Inhalt der grösseren Venen fortsetzt, deren Lumen zugleich
etwas verringert wird. Wenn die Venenwände (und die Kapillar-
wände) absolut starr wären und dem Druck der Öerebrospinal-
flüssigkeit nicht nachgäben, so könnten auch die Hirmarterien
sich beim Puls nicht ausdehnen, weil ja der Schädelhöhleninhalt
nicht veränderlich ist: genau ebensoviel Blut, wie in die Arterien
bei der Pulsation eingepresst wird, muss durch die Venen aus
dein Schädelraum austreten. Da die vom Puls abhängigen Druck-
schwankungen in der Üerebrospinalflüssigkeit nur sehr gering
sind, so werden bei der Druckerhöhung nur die grösseren Venen
Die Struktur d Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. Sal
eine Kompression erfahren, nicht aber die kleinen Venen, deren
Wand, wie vorhin ausgeführt wurde, wahrscheinlich eine (sehr
geringe) Spannung besitzt.
Das Blutquantum, das durch die Pulswelle in die Schädel-
höhle getragen wird, unterliegt, wie schon bemerkt, gewissen
Schwankungen. Man kann indessen trotzdem den Versuch
machen, einen mittleren Wert für das eingeführte Flüssigkeits-
volum anzugeben, wobei freilich zu bemerken ist, dass eine
solche Zahl bei der Menge des Fehlerquellen, die ihre Schätzung
beeinflussen, nur dazu dienen kann, die Vorstellung der Ver-
hältnisse zu erleichtern. Die Blutströmung in den Gefässen ist
kontinuierlich, sie erleidet in den Arterien infolge der Pulsation
eine periodische Geschwindigkeitsänderung. Nach Vierordts
Annahme!) besteht (beim Menschen) in der Carotis communis
eine mittlere Geschwindigkeit von 261 mm in der Sekunde,
daraus ergiebt sich, wenn man den Querschnitt der Carotis
communis = r. 16 qmm, den der Carotis interna und externa
je = n. 9 qmm annimmt?), eine Geschwindigkeit in der Carotis
interna — 232 mm in der Sekunde, es strömt somit durch eine
Carotis interna in der Sekunde 9 zz . 232 = 6560 cemm = 6,560 cem
Blut in die Schädelhöhle, oder bei einer Anzahl von 72 Puls-
schlägen in der Minute während der Zeit eines ganzen Puls-
6,560 .. 60
schlages rer 5,467 cem. Nach Vierordt?°) veranlasst
ı) Vierordt, K., Grundriss der Physiologie des Menschen. 4. Aufl.,
1871. S. 146.
2) Es scheint mir am besten zu sein, für die Querschnittsberechnungen
auf die Angaben, die Henle (]. e., S. 71, 90 und 106) über die Grössenordnung
der Arterien macht, zurückzugreifen. Wir besitzen zwar genauere Messungen
(vgl. Thoma, Untersuchungen über die Grösse und das @ewicht der anatomi-
schen Bestandteile des menschlichen Körpers, 1882, 8. 213, sowie die ebendort,
S. 282, befindlichen Litteraturangaber), doch ändert sich gerade an den Caro-
tiden während ihres Verlaufes die Weite der Lichtung in recht beträchtlichem
Masse — man denke nur an die Carotisspindel —, sodass man in Verlegen-
heit kommt, welche von den in verschiedener Höhe gemessenen Weiten der
Arterie man benutzen soll. Man vergleiche auch Stahel, l. e., 8. 310 ff.
3) Vierordt, 1. c. S. 144.
32 HERMANN TRIEPEL,
jede Kammersystole eine Greschwindigkeitszunahme von 20—-30°/o,
d. i. im Mittel 25°; man kann hiernach die Geschwindigkeit
von 232 mm in der Carotis interna in zwei Teile teilen, 129 und
103 mm, wovon die eine Zahl die mittlere Geschwindigkeit
während des Anstieges der Pulswelle, die andere die mittlere
Geschwindigkeit während ihres Abfalles bedeuten würde. Und
ebenso ergiebt sich, dass von den 5,467 cbem, die während
eines Pulses durch eine Carotis interna in die Schädelhöhle
treten, 3,037 cem auf die Zeit des Pulsanstieges, 2,430 cem
auf die Zeit des Pulsabfalles kommen, also auf die des Anstieges
nur 0,607 ecem mehr. Wenn man die Arterien, die ausser den
Carotiden der Schädelhöhle Blut zuführen (Arteriae vertebrales,
meningeae), zusammen einer Carotis interna gleichsetzt, so würde
eine Pulswelle nicht ganz 2 cem Blut in die Schädelhöhle
werfen (natürlich nicht momentan, sondern während einer ge-
wissen Zeit). Genau ebensoviel Blut muss durch die Druck-
erhöhung im Liquor cerebrospinalis aus den Venen in die Sinus
gepresst werden. Bedenkt man nun, wie zahlreich die Gehirn-
venen sind, so erkennt man, dass die Kompression, die jede
einzelne Vene erfährt, sehr gering ist.
Wie ich vorhin ausführte, muss jede Druckerhöhung in der
Cerebrospinalflüssigkeit, sowohl die mit der Exspiration als auch
die mit der arteriellen Pulsation einhergehende, auf jedes Gebilde
in der Schädelhöhle einwirken, also auch auf die Kapillaren.
Eine Kompression wie die grossen Venen werden diese aber
nicht erfahren, weil in ihnen wahrscheinlich immer ein höherer
Druck herrscht als in der Cerebrospinalflüssigkeit. Zur Vervoll-
ständigung des Bildes sei noch bemerkt, dass die Spannung
ihrer Wand nur dann immer dieselbe und die Blutströmung in
ihnen nur dann vollkommen kontinuierlich sein kann, wenn
die Druckschwankungen von den grösseren Gefässen aus sich
(abgeschwächt) bis in sie fortpflanzen. Auch der Abfluss der
Lymphe wird jedenfalls durch die periodischen Druckschwank-
Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i, d. Schädelhöhle. 323
ungen befördert!) aber ohne dass hierdurch die Bluteirkulation
in irgendwie nennenswerter Weise beeinflusst würde.
Es bedarf keiner besonderen Begründung, dass bei der pul-
satorischen Druckerhöhung im Schädel nicht die Sinus, sondern
die Venen komprimiert werden. Es wird hierdurch bei jedem
Puls ein gewisses Quantum, nämlich ungefähr 2 cem, aus den
Venen in die Sinus gepresst und, wenn man sich so ausdrücken
will, ein Sinuspuls erzeugt, die Spannung der Sinuswände wird
erhöht, allerdings um einen sehr kleinen Betrag?). Die Wände
der Sinus können als starr angesehen werden, darum muss, wie
Berthold?) Cramer*) und Grashey°) angegeben haben, ein
Puls in der Vena jugularis interna auftreten. Dieser Ansicht
ist von Althann®) widersprochen worden. Es scheint mir aller-
dings denkbar zu sein, dass der Puls nur sehr abgeschwächt in
der Vena jugularis interna ankommt, nämlich infolge des Um-
standes, dass mehrere Venen bei ihrer Einmündung in den
Sinus gerade entgegen dem Blutstrome laufen, sodass also Blut,
das aus diesen Venen ausgepresst wird, das strömende Blut
zurückstauen muss. (Die hierdurch wieder bedingte Rückwirk-
ung auf die Venen zu analysieren, ist wohl nicht angängig.)
Bei der Vena jugularis interna wäre auch noch der von Mosso‘)
1) Vergl. Adamkiewiez, Die Lehre vom Hirndruck und die Pathologie
der Hirnkompression. Sitzungsber. d. Kaiserl. Akad. d. Wissensch. in Wien.
Math.-naturw. Kl. 88. Bd., 3. Abt., 1883. S. 32.
2) Ich möchte darauf hinweisen, das im Auge ganz ähnliche Verhältnisse
wie im Schädel obwalten. Die periodischen Kompressionen der Vena centralis
retinae, die oft zu beobachten sind, wurden schon von Donders auf die periodi-
schen Druckerhöhungen im Glaskörper zurückgeführt, die von der arteriellen
Pulsation herrühren.
3) Berthold, Zur Bluteirkulation in geschlossenen Höhlen. Centralbl.
f. d. med. Wissensch., 1869. S. 673.
4) Cramer, Experimentelle Untersuchungen über den Blutdruck im Gehirn.
Diss. Dorpat, 1873. S. 32 ff.
5) Grashey, l. c. (Experim. Unters. 1892), S. 62.
6) Althann, Beiträge zur Physiologie und Pathologie der Cirkulation
I. Der Kreislauf in der Schädelrückgratshöhle. Dorpat, 1871, S. 99.
7) Mosso, Die Diagnostik des Pulses. 1879. S. 60 ft.
324 HERMANN TRIEPEL,
beschriebene „negative Puls“ zu berücksichtigen, der in Gestalt
eines Druckabfalles in den Venen kurz nach dem Carotispuls
auftritt und so den positiven Puls aufzuheben imstande ist, der
auf die Cirkulation im Gehirn zurückgeführt wird. Die Wand
der Jugularis ist jedenfalls nicht so gebaut, als ob sie durch
Pulsationen in Anspruch genommen würde.
b) Die Beanspruchung der Gehirnvenenwände.
Um mit dem Einfachsten zu beginnen, wollen wir zuerst
einen Blick auf die Sinus werfen. Die Sinus können rücksicht-
lich der Beanspruchung ihrer Wände, wie ich schon angedeutet
habe, auf eine Stufe mit den kleinen Arterien gestellt worden;
hier wie dort findet durch die Pulsbewegung des Blutes, d. h.
durch den periodisch wechselnden Druck im Innern eine perio-
disch auftretende Spannungszunahme der Wand (wesentlich in
tangentialer Richtung) statt, eine Spannungszunahme, die, wie
ich in meiner Arbeit über die Gehirnarterien ausgeführt habe,
wesentlich die Innenfläche der Wand betrifft. Und aus diesem
Grunde findet sich in den Sinus, ebenso wie in den Arterien,
eine Anhäufung gelben Bindegewebes vorwiegend an dieser
Stellee Da nun in den Sinus, ebenso wie in den kleinen ÄAr-
terien die Druckschwankungen und damit die Spannnngsänder-
ungen nur gering sind, so finden wir in beiden Fällen keine
geschlossene Membran, sondern mehr oder weniger dichte Gitter
von gelben Bindegewebsfasern. Die Auffaserungen oder Ver-
vielfältigungen der Gitter sind den gleichen Bildungen in Ar-
terien an die Seite zu setzen, sie entsprechen lokalen Druck-
steigerungen oder Wirbelbildungen, wie man sie in den Sinus,
besonders dem Sinus sagittalis superior, bei der unregelmässigen
Beschaffenheit der inneren Oberfläche sehr häufig antreffen muss.
Auf dieselbe Weise wie die Auskleidung der Sinus lässt
sich das membranartige dichte Gitter erklären, das sich in den
Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 325
Venae cerebri superiores vor ihrer Mündung auf der Seite ihres
inneren Umfanges findet, die dem Sinus sagittalis superior
benachbart ist. Hier kann nur die gegenüberliegende Wandung
bei den periodischen Druckerhöhungen im Liquor cerebrospinalis
niedergedrückt werden, und der Inhalt wird gegen die mit dem
Sinus verlötete Wand gepresst.
Verwickelter gestalten sich die Verhältnisse bei allen den-
jenigen Venenwänden, die in der vorhin geschilderten Weise
zwischen Venenblut und Cerebrospinalflüssigkeit flottieren. Die
verschiedenartigen Röhrenwände, deren Beanspruchung von
Technikern einer exakten Untersuchung unterworfen worden ist,
liefern, soweit ich sehe, kein Beispiel, das man bei der vor-
liegenden Aufgabe direkt zum Vergleich herbeiziehen könnte.
Immerhin bietet die Bewegung der Gehirnvenenwände gewisse
Momente, die einige Ähnlichkeit mit Problemen der technischen
Physik verraten, und so glaube ich, dass man das Wesentliche
über die gesuchte Beanspruchung mit ziemlicher Sicherheit fest-
stellen kann.
Zunächst ist zu bemerken, dass die grossen Gehirnvenen in
axialer Richtung keine merkbare Spannungsänderung erfahren,
denn sie werden auf grossen Strecken ihrer Längenausdehnung
in allen Punkten in der gleichen Weise beansprucht. Ich kann
mich somit darauf beschränken, die an einem Querschnitt vor
sich gehenden Veränderungen zu untersuchen.
Die Fixierung der grösseren Gehirnvenen, sowohl der inneren
wie auch der äusseren, in dem umgebenden Gewebe ist recht
locker, da sie von einem dichten Netz von Lymphgefässen um-
sponnen sind. Es wird sich indessen zeigen, dass sie nicht ver-
nachlässigt werden darf; ich will aber doch zur Vereinfachung
zunächst annehmen, eine Vene ziehe vollkommen frei durch
die Schädelhöhle im Liquor cerebrospinalis.
Der Querschnitt einer solchen Vene stellt nach den Aus-
führungen von vorhin für gewöhnlich eine Ellipse dar, deren
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVI. Heft (11. Bd., H. 3). 22
326 HERMANN TRIEPEL,
erosser und kleiner Durchmesser infolge der verschiedenen
Druckschwankungen nicht konstant bleiben. In Fig. 1 sind die
Veränderungen des Querschnittes während eines Pulses schema-
tisch (und übertrieben) wiedergegeben.
Vor Eintritt der Pulswelle in die Arterien der Schädelhöhle
besitzt das Venenlumen die Form a, wenn sich die Arterien
erweitern, geht es in b und schliesslich in c über, um bei dem
Engerwerden der Arterien wieder die Formen b und a anzu-
nehmen. Die Schwankungen des Querschnittes bewegen sich
nun nieht immer um dieselbe Mittelform b, sondern b verändert
sich selbst. Es findet ein periodischer Wechsel zwischen einem
Minimum und einem Maximum der Weite statt, der Übergang
von dem einen zum anderen erfolgt aber nicht stetig, sondern
ruckweise; jeder Schritt, der in der einen Richtung gethan wird,
wird von einem kleineren entgegengesetzt gerichteten Schritte
gefolgt.
Die Vorgänge in der Wand werden bei jeder Querschnitts-
verkleinerung ihrem Sinne nach dieselben sein, gleichviel ob
man die geringen Verkleinerungen, die den Eintritt von Puls-
wellen in die Schädelhöhlenarterien begleiten, im Auge hat oder
die Gesamtverkleinerung, die während einer Inspiration erfolgt.
Entsprechendes gilt von den Vergrösserungen des Querschnittes.
Man kann somit allgemein zwei Bewegungsphasen von einander
Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d Schädelhöhle. 327
unterscheiden, als erste. will ich diejenige bezeichnen, bei der
sich die kleine Ellipsenachse verkürzt, als zweite die, bei der
sie sich verlängert.
Den Grund, warum dann, wenn abwechselnd an der Innen-
und Aussenfläche des elliptischen Wandquerschnittes ein Über-
druck vorhanden ist, Querschnittsänderungen wie die geschilder-
ten auftreten, kann man sich leicht klar machen. Der Druck
und ebenso der Überdruck ist für alle Flächeneinheiten der
Wand gleich gross und wirkt in einer zur Tangente an die
Gefässwand senkrechten Richtung. Zerlegt man die auf die
einzelnen Teilchen senkrecht zur Tangente an die Wand wirken-
den Kräfte nach der Richtung der Ellipsenachsen in zwei Kom-
ponenten, so ist die Summe derjenigen Komponenten, die in die
Richtung der kleinen Ellipsenachse fallen, grösser als die Summe
der in die Richtung der grossen Achse fallenden.
Man zerlege nun einen Quadranten der Ellipse, z. B. den
rechten oberen in Fig. 1, in zwei Teile, die sich dadurch unter-
scheiden, dass in dem der kleinen Achse näher liegenden Teile
die Tangenten an die Wand mit der grossen Achse Winkel von
weniger als 45° bilden, dass dagegen in dem der grossen Achse
näher liegenden Teile die Tangenten an die Wand mit der
grossen Achse Winkel von mehr als 45° bilden (Fig. 2). Durch
inneren Überdruck werden die Schichten im ersten Teile nach
aussen gedrängt, sie erfahren dabei einen tangentialen Zug,
und diesem Zuge folgen die Schichten des zweiten Teiles nach,
wobei sie entgegen dem inneren Überdruck nach innen gedrängt
werden. Dabei tritt offenbar in radiärer Richtung eine Kom-
22*
328 HERMANN TRIEPEL,
pression ein und, was wichtiger ist, eine positive tangentiale
Zugspannung, die alle Schichten betreffen muss. Das Resultat
ist schliesslich in beiden Teilen des Quadranten offenbar das-
selbe. Umgekehrt muss bei äusserem Überdruck in allen Schichten
eine negative tangentiale Zugspannung, d. i. ein Druck, aul-
treten.
Es sind aber noch weitere Spannungen in der Wand zu
berücksichtigen. Ich schneide mir jetzt an beliebiger Stelle des
Quadranten ein Flächenelement ABCD heraus (Fig. 3), von der
Form eines Trapezes, dessen nicht parallele Seiten AD und BC
zu einander senkrecht und den respektiven Ellipsenachsen
parallel sind. Wenn das Trapez ABCD dem Zustand der Kom-
pression entspricht, so entspricht dem Zustand der Ausdehnung
das Trapez A'B'C!D!, von dem anzunehmen ist, dass A!D! und
B'C! wieder den Ellipsenachsen parallel sind, und von dem ver-
mutet werden kann, dass seine beiden anderen Seiten, wie im
ersten Trapez, einander parallel sind — geringe Abweichungen
in den Richtungen von A'B! und C!D! würden das Endergebnis
unberührt lassen. Wenn nun das eine Trapez in das andere
übergeht, so findet eine Verschiebung der beiden parallelen
Seiten gegen einander statt, wie man erkennt, wenn man z. B.
von den Punkten D und D! auf AB bezw. A!B'! Lote fällt. Man
kann übrigens auch die Seiten des Flächenelementes AB und CD,
bezw. A'B! und C'D!, gekrümmt annehmen, entsprechend der
Krümmung der Ellipse, wodurch, wie man leicht konstatiert,
das Resultat nicht geändert wird. Da man sich den Wand-
Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 329
querschnitt aus lauter gleichgestalteten Flächenelementen zu-
sammengesetzt denken kann und in allen die Verhältnisse sich
wiederholen, so wird man während beider Phasen der Venen-
bewegung in allen Schichten der Wand eine tangentiale Scher-
spannung zu erwarten haben. Nur zwischen den Punkten, die
in den Ellipsenachsen liegen, also an vier Stellen des Wand-
querschnittes von unendlich kleiner Breite, tritt keine Scher-
spannung ein. Wenn man sich das Trapez in Schichten zerlegt
denkt, die einer der beiden Ellipsenachsen oder einer anderen
Geraden parallel laufen, so würden auch diese Schichten sich
bei der Bewegung gegeneinander verschieben, die Scherspannung
betrifft also auch noch andere Richtungen, die mit den Tangenten
an die Wand verschiedene Winkel bilden. Wichtig ist, worauf
ich noch zurückkommen werde, dass nicht nur eine Scher-
spannung, sondern eine wirkliche Verschiebung eintritt.
Es kommen also in allen Schichten der Wand Druck-, Zug-
und Scherspannungen vor, diese Spannungen sind aber nicht
in allen Schichten der Wand gleich gross.
Für den Fall des äusseren Überdruckes betrachte man die
zwei Ellipsenhälften, die durch die kleine Achse geschieden
sind, gesondert von einander. Man kann sich leicht vorstellen,
dass diese beiden Hälften sich unter ähnlichen Bedingungen
befinden, wie etwa zwei Gerten, deren Enden zusammengebogen
werden. Die Gesetze der Biegung sind in neuerer Zeit in einer
ganzen Reihe von Arbeiten, die funktionelle Strukturen be-
handeln, besonders ausführlich von Roux!), J. Wolff?) u. a.
dargelegt worden, so dass ich nicht nötig habe, näher darauf
1) Roux, Beiträge zur Morphologie der funktionellen Anpassung. I. Die
Struktur eines hochdifferenzierten bindegewebigen Organs. Arch. f. Anat. u.
Entw. 1883. 8. 76 ff., und III. Beschreibung und Erläuterung einer knöchernen
Kniegelenksanchylose. Arch. f. Anat. u. Entw. 1885. 8. 131 fi.
2) J. Wolff, Das Gesetz der Transformation der Knochen. Berlin, 1892,
3, 16:11.
330 HERMANN TRIEPEL,
einzugehen. Ich will nur daran erinnern, dass ein Stab, der
gebogen wird, im allgemeinen in seiner einen Hälfte, die von
co, in der anderen
der konvexen Fläche begrenzt wird, einen Zug,
Hälfte einen Druck erfährt; diese Spannungen haben ihren
grössten absoluten Wert in den Grenzflächen und in deren
Nähe, und sie nehmen nach der Mitte des Stabes hin ab, wo
sich eine neutrale Schicht befindet, die weder durch Druck
noch durch Zug beansprucht wird. Unsere Ellipsenhälften
könnten nun bei dieser Darstellung nicht dem ganzen Stab
bezw. einem Längsschnitt durch ihn, der in der Biegungsebene
liegt, entsprechen, sondern höchstens dem der Konkavität be-
nachbarten Teile des Stabes, der in seiner Gesamtheit auf Druck
beansprucht wird. Es hatte sich ja gezeigt, dass während der
ersten Bewegungsphase alle Schichten der Wand einen tangen-
tialen Druck erfahren, was darauf zurückzuführen ist, dass der
Aussendruck auf allen ihren Teilen lastet. Indessen kann man
auch bei einer Beschreibung der Biegungsbeanspruchung auf
die Worte Zug und Druck verzichten und kurz sagen, die
Spannung habe an der konvexen Seite ihren grössten, an der
konkaven Seite ihren kleinsten Wert, da Druck dasselbe ist wie
negative Spannung. Dann springt die behauptete Ähnlichkeit
zwischen Biegungen und der Beanspruchung der Venenwand
sofort in die Augen, und es ergiebt sich die bemerkenswerte
Thatsache, dass während der ersten Bewegungsphase der tangen-
tiale Druck an der inneren Begrenzung und in den inneren
Schichten der Venenwand am grössten ist.
Für den Fall des inneren Überdruckes denke ich mir die
Ellipse durch die grosse Achse in zwei Hälften zerlegt. Auch
in diesem Falle kann man Biegungsphänomene zum Vergleich
heranziehen. Es würden sich jetzt auch wieder die beiden
Ellipseuhälften, wenn sie auch auf andere Weise gewonnen
wurden, mit gebogenen Gerten vergleichen lassen. Da die
grössten Spannungen an der konvexen Seite der Gerte liegen,
Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation 1. d. Schädelhöhle. 3531
und da bei innerem Überdruck alle Wandschichten auf Zug
beansprucht werden, so ergiebt sich sofort, dass in der zweiten
Bewegungsphase in den äusseren Schichten der Gehirnvenen-
wand die grösste Zugspannung zu finden ist.
Man kann sich die Verschiedenheit der Spannungsgrössen
während der zweiten Phase auch in folgender Weise veranschau-
lichen. Die beiden Pole der Ellipse, die der grossen Achse auf-
sitzen, können bei der Bewegung als (relativ) feste Punkte an-
gesehen werden, da sie sich, wie oben dargelegt wurde, entgegen
dem auf sie wirkenden Drucke bewegen müssen. Wenn ich
nun einen Stab an seinen beiden Enden befestige oder auch
nur auf Stützen auflege, und ihn dann in seiner Mitte belaste,
so erfahren alle seine Schichten einen Zug, ganz wie die Schichten
der beiden Ellipsenhälften bei innerem Überdruck. Der Zug
ist aber am grössten an der konvexen Seite des durchgebogenen
Stabes, was daraus hervorgeht, dass hier zuerst die Kontinuitäts-
trennung eintritt, wenn der Stab bricht.
Über die Verteilung der Scherspannungen in der Wand
würden wir absolut sichere Angaben zu machen imstande sein,
wenn wir die Abnahme der Druck- und Zugspannungen in den
einzelnen Schichten zahlenmässig belegen könnten, zu einer
solchen Berechnung fehlen indessen die nötigen Unterlagen.
Man muss sich nämlich vorstellen, dass eine Scherspannung
dadurch entsteht, dass die in benachbarten Schichten auftreten-
den Zug- oder Druckspannungen verschieden gross sind, von
der Grösse dieser Differenz hängt die Grösse der Scherspannung
ab. Bei der reinen Biegung findet sich das Maximum der
Scherspannung in der neutralen Zone, d. i. in der Mitte. In
der Venenwand giebt es keine neutrale Zone, die tangentialen
Spannungen haben in allen Schichten die gleiche Richtung.
Wie sich aber zeigte, ist zwischen Zug- und Druckspannung
gar kein grundlegender Unterschied, und wenn wir mit Berück-
sichtigung dessen wieder die Biegungsphänomene zum Vergleich
332 HERMANN TRIEPEL,
heranziehen, müssen wir zugeben, dass es von vornherein zum
mindesten wahrscheinlich ist, dass auch bei der Bewegung der
Gehirnvenen das Maximum der Scherspannung in den mittleren
Wandschichten zu suchen ist. Dass die grösste Scherspannung
nicht etwa sich während der einen Bewegungsphase innen, wäh-
rend der anderen aussen befindet, das wird um so wahrschein-
licher, als die beiden Phasen Umkehrungen von einander dar-
stellen und, wenn eine thatsächliche Verschiebung in der ersten
Phase erfolgt ist, sie in der zweiten auch an derselben Stelle
wieder ausgeglichen werden muss.
Wenn wir das Vorhergehende überblicken, so sehen wir,
dass in allen Schichten der Wand Druck-, Zug- und Scher-
spannungen vorkommen, dass aber die grösste Druck-
spannung sich in den inneren, die grösste Zug-
spannung in den äusseren Schichten findet; Scher-
spannung endlich ist für die mittleren Schichten
charakteristisch, sie ist hier am grössten und tritt
in beiden Bewegungsphasen auf.
Wenn wir nun den Versuch machen, die Struktur der
Wand in den grösseren Gehirnvenen von den Beanspruchungen,
die die Wand erfährt, herzuleiten, so wird es uns zwar nicht
gelingen, jedes Strukturelement auf eine bestimmte Art der
Beanspruchung zurückzuführen; indessen wird es doch möglich
sein, verschiedene wesentliche Beziehungen aufzudecken. Bei
der anatomischen Beschreibung hatte ich Gelegenheit, auf zwei
Eigentümlichkeiten in der Struktur hinzuweisen, die sehr wohl
zu den beiden Spannungen, die hauptsächlich in den äusseren
und mittleren Schichten vorkommen, in Beziehung gesetzt werden
können, nämlich das vorwiegend an die äusseren Schichten ge-
bundene Auftreten von cirkulär verlaufenden gelben Binde-
gewebsfasern und das Erscheinen von feinen und feinsten Netzen
solcher Fasern in den mittleren Schichten.
Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation 1. d. Schädelhöhle. 3533
Schon bei der Schilderung des Baues der Gehirnarterien
war ich imstande, das Auftreten des gelben Bindegewebes mit
Zugspannungen in Verbindung zu bringen, und die Befunde an
den grösseren Gehirnvenen bestätigen somit, dass ein solches
Abhängigkeitsverhältnis existiert. Neu ist die Beobachtung, dass
an dem Orte, an dem sich die grösste Scherspannung findet,
Netze von gelbem Bindegewebe vorhanden sind. Netze besitzt
die Wand der Gehirnarterien nicht, auch treten in ihrer Wand
keine Scherspannungen auf. Hält man diese Thatsachen zu-
sammen, so liegt die Vermutung nicht fern, dass die gefundenen
Netze infolge der besonderen Beanspruchung der mittleren
Wandschichten entstanden sind. Scherspannungen müssen frei-
lich auch in den anderen Wandschichten der Gehirnvenen vor-
kommen; in den äusseren Schichten sind entsprechend die cir-
kulären Fasern ebenfalls netzartig mit einander verbunden, in
den inneren fehlen allerdings die Netze. Ob etwa in den Muskel-
zellen, die sich hier finden, bis zu einem gewissen Grade ein
Ersatz für gelbes Bindegewebe geboten wird, was ich auch bei
den Gehirnarterien annehmen musste'), bleibe dahingestellt.
Jedenfalls ist daran zu erinnern, dass die mittleren Schichten
der Gehirnvenen die grössten Scherspannungen zu tragen haben,
abgesehen davon, dass die gelben Netze sich gelegentlich auch
ziemlich weit nach innen erstrecken können.
Ich hatte vorhin die Annahme gemacht, dass die Venen
in der Cerebrospinaiflüssigkeit vollkommen frei beweglich sein
sollten, das trifft indessen in den wenigsten Fällen in vollem
Umfange zu, da die meisten Venen in den Subarachnoideal-
räumen durch den Zusammenhang mit den Gehirnhäuten mehr
oder weniger fixiert sind. Auch wird der Querschnitt oft etwas
von der rein elliptischen Form abweichen, besonders bei den
Venen, die den Furchen an der Oberfläche des Gehirns folgen.
ı) Triepel, 1. c., (Anat. Hefte, 22. Heft), S. 210.
334 HERMANN TRIEPEL,
Meine vorigen Ausführungen müssen daher noch eine Ein-
schränkung erfahren. Es sind nämlich die geschilderten Bean-
spruchungen stärker wirksam an den freier beweglichen Teilen
der Venenwand, und umgekehrt können wir schliessen, dass
dort, wo die Netze aus gelben Bindegewebsfasern besonders
stark ausgebildet sind, der Wand eine freiere Beweglichkeit
zukommt als an anderen Stellen; ganz aufgehoben wird ja
die Beweglichkeit nirgends sein, in der Ausbildung von Struk-
turen haben wir sicher ein feines Reagens selbst für kleine
Differenzen. Als die freier bewegliche Seite würde sich hiernach
in den oberflächlichen Venen die der Arachnoidea zugekehrte
ergeben, in den Venae cerebri internae, die nach dem dritten
Ventrikel sehende. Bei den Venae cerebri internae kommen
indessen nicht selten individuelle Schwankungen vor.
Von den Bestandteilen der Gehirnvenenwand will ich an
dieser Stelle ausser dem ‘gelben Bindegewebe nur die Bündel
collagener Fasern, die sich in der inneren Wandschicht finden,
und die innere Grenzmembran erwähnen. Es ist sehr leicht
verständlich, dass die Bindegewebsbündel der inneren Schichten-«
bei ihrer sehr dichten Lagerung und bei der winkligen Über-
kreuzung benachbarter Lagen gut geeignet sind, den Druck
aufzunehmen, der während der ersten Phase der Venenbewegung
auf sie ausgeübt wird. Dieselbe Beanspruchung wie sie erfährt
auch die innere Grenzmembran; interessant ist, dass diese in
den oberflächlichen Venen dort am dicksten ist, wo die aus-
giebigsten Bewegungen stattfinden, d. h. in der äusseren Wand.
Zum Schlusse möchte ich darauf hinweisen, dass nach
unseren bisherigen Kenntnissen eine ganze Reihe von Geweben
imstande ist, auf mechanische Beanspruchungen durch die Bil-
dung einer funktionellen Struktur zu reagieren, oder dass in
einer ganzen Reihe von Organen sich Gewebe mit funktionellen
Strukturen entwickeln können. Die Art der Beanspruchung ist
überall die gleiche, es handelt sich immer nur um Zug oder
Die Struktur d. Gehirnvenen u. d. Bluteirkulation i. d. Schädelhöhle. 335
Druck oder Abscherung, und doch bildet sich in dem einen
Fall eine funktionelle Struktur aus Knochengewebe, in dem
anderen aus collagenen Fasern und das dritte Mal aus gelben
Bindegewebsfasern. Die Grösse der Beanspruchung ist zwar
verschieden, doch sind diese Unterschiede sicher nicht oder
wenigstens nicht allein massgebend für die Entstehung eines
Gewebes; man denke z. B. an die starke Beanspruchung des
Nackenbandes der grossen Säugetiere, dessen Fasern einen ver-
hältnismässig kleinen Elasticitätsmodul besitzen, und die geringe
Beanspruchung mancher dünnen Sehnen, z. B. der des Musculus
palmaris longus, deren Elemente einen verhältnismässig grossen
Elasticitätsmodul besitzen.
Man muss nun entschieden daran denken, dass nicht nur
die Grösse der Beanspruchung, sondern ihr Erfolg, d. h. die
auf sie folgende Bewegung der keinsten Teile wichtig ist. So
ist es für die grossen Gehirnvenen wesentlich, dass die einzelnen
Schichten, und besonders die mittleren, bei eintretender Scher-
spannung auch eine gewisse Abschiebung gestatten, und nicht
etwa die Spannung mit einem unbesieglichen Widerstande be-
antworten. Die thatsächlich eintretende Verschiebung ist nun
sicher sehr gering, wenn sie indessen gar nicht stattfände, wäre
überhaupt eine geordnete Bewegung der Gehirnvenen in der
Weise, wie ich sie geschildert habe, gar nicht denkbar. Die Natur
hat somit ein Mittel geschaffen, durch das es ermög-
licht wird, dass die Wand der Gehirnvenen den gröss-
ten Scherspannungen, die in ihr vorkommen, nach-
giebt, worauf sie nach der Änderung der Beanspruch-
ung wieder in ihre frühere Lage zurückgeführt wird.
Die Schnelligkeit, mit der die frühere Form wieder erreicht
wird, ist jedenfalls ziemlich gross, infolge der geringen elastischen
Nachwirkung, die dem gelben Bindegewebe zukommt.
Die Entstehung einer bestimmten Gewebsart an Orten mit
besonderer Beanspruchung muss mit der Frage in Zusammen-
2
©
er)
HERMANN TRIEPEL, Die Struktur d. Gehirnvenen etc.
hang stehen, ob ein grösserer oder ein geringerer Widerstand
gegen die Beanspruchung zweckmässig ist und ob nach einer
Formänderung die ursprüngliche Form zweckmässigerweise
schnell oder langsam wieder hergestellt wird. Obgleich der
Elastieitätsmodul (oder die diesem reziproke Dehnbarkeit) eines
Gewebes konstant ist, so kann doch die im Gewebe thatsächlich
eintretende Dehnung oder Verschiebung noch innerhalb gewisser
Grenzen schwanken, da die Strukturen und ihre Elemente den
Beanspruchungen, denen sie ausgesetzt sind, noch mit verschie-
denen Querschnitten entgegen treten können. Die Schnelligkeit,
mit der nach Aufhören der Beanspruchung die frühere Form
wieder erreicht wird, ist aber nur von der elastischen Nach-
wirkung der Substanz abhängig, wird also nieht von Quer-
schnittsänderungen beeinflusst. Wir erkennen sehr wohl, dass
es zweckmässig ist, dass das Nackenband aus gelbem Binde-
gewebe und die Sehne des Musculus palmaris longus aus colla-
genen Fasern besteht, und ebenso sehen wir ein, dass das Vor-
handensein von Netzen aus gelbem Bindegewebe in den mittleren
Schichten der grösseren Gehirnvenen zweckmässig ist, aber wir
vermissen das Kausalitätsverhältnis zwischen den bei der Ent-
stehung wirksamen Kräften und dem entstandenen Gewebe,
Es muss neben der Beanspruchung bei der Bildung funktioneller
Strukturen noch ein weiterer Faktor mit im Spiele sein. Man
wird sich etwa vorstellen müssen, dass immer nur ein Gewebe
gebildet werden kann, das den Beanspruchungen einen so grossen
oder so geringen Widerstand entgegensetzt, also durch die Span-
nungen in seiner Form so wenig oder so viel geändert wird
wie es für den Fortbestand des beanspruchten Organes nötig ist.
So verlockend es wäre, den angedeuteten Gedanken weiter
zu verfolgen, so würde dies doch weit über den Rahmen der
vorliegenden Arbeit hinausführen.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXVIl.
Die Figuren 1—4 und 6—9 sind bei einer Vergrösserung von 510:1
(Leitz, homogene Immersion !/ız, Okular 1), Fig. 5 ist bei einer Vergrösse-
rung von 230:1 (Leitz, Objektiv 6, Okular 1) gezeichnet.
Die Pfeile in den Figuren 3, 4, 5 und 8 geben die Richtung des Blut-
stromes an.
Fig. 1. Querschnitt der Vena cerebri media, Arachnoidealseite. Gelbe
Bindegewebsfasern und Netze aus solchen. a innere Grenzmembran, b Muskel-
kern, e Epithelkern.
Fig. 2. Querschnitt der Vena cerebri interna, untere Seite. Gelbe Binde-
gewebsfasern und Netze aus solchen. a innere Grenzmembran, b Muskelkern,
ce Epithelkern.
Fig. 3. Risspräparat der Vena cerebri superior, innere und mittlere
Schichten. Bei wechselnder Einstellung gezeichnet, am oberflächlichsten liegt
das Netz aus gelben Bindegewebsfasern. a Epithelkern, b Muskelkern.
Fig. 4. Risspräparat der Vena cerebri media, innere und mittlere Schichten.
Bei wechselnder Einstellung gezeichnet, am oberflächlichsten liegt das Netz
aus gelben Bindegewebsfasern. a Epithelkern, b Muskelkern, e Bindegewebskern.
Fig. 5. Risspräparat der Vena cerebri interna. Lockere Bindegewebs-
bündel der äusseren Schichten.
Fig. 6. Zupfpräparat der Vena cerebri interna. Bindegewebsbündel mit
eingeschlossenen Muskelfasern, von diesen sind teilweise nur die Kerne sichtbar.
Fig. 7. Querschnitt einer Vene aus dem Plexus chorioideus lateralis.
a Plexusepithel, b kleine Vene im subarachnoidealen Gewebe des Plexus,
c Gefässepithel.
Fig. 8. Risspräparat der Vena cerebri media. Netzförmig angeordnete
gelbe Bindegewebsfasern der äusseren Schichten. a Bindegewebskern.
Fig. 9. Gitter aus gelben Bindegewebsfasern an der Innenseite des Sinus
sagittalis superior. Aus einem Querschnitt, in dem sich das Gitter an einer
Stelle umgelegt hatte.
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Im Auftrage des Herrn Prof. Dr. E. Zuckerkandl, unter
suchte ich das von Schlemm beschriebene Ligamentum glenoi-
deum internum des Schultergelenkes. Im Laufe der Unter-
suchung wurde ich jedoch auf mehrere andere Einzelheiten auf-
merksam, bis ich endlich das Schultergelenk der meisten Ord-
nungen der Säugetierreihe in den Bereich meiner Untersuchung
einbezog.
Da die dabei gewonnenen Resultate von den Angaben der
Autoren in mancher Beziehung nicht unwesentlich abweichen,
anderseits aber auch einige Einzelheiten bisher — meines
Wissens — nicht beschrieben oder wenigstens nicht entsprechend
gewürdigt worden sind, erlaube ich mir das Ergebnis meiner
Untersuchung in dieser Arbeit kurz wiederzugeben.
14
In Jahre 1853 beschrieb Fr. Schlemm in Müllers
Archiv in einer Abhandlung u. d. Titel „Über die Verstärkungs-
bänder am Schultergelenk‘ drei Bänder: das Ligamentum coraco
brachiale, das Lig. glenoideo-brachiale internum und das Lig.
glenoideo-brachiale inferius seu latum, von denen die zwei letzteren,
früher unbekannt, von Schlemm zum erstenmal beschrieben
wurden, während das erstere schon früher von Barkow, in
dessen Syndesmologie 1841 als Lig. coracoideo-capsulare und
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVI. Heft. (11. Bd., H. 3.) 23
342 M. CARL ROSENFELD,
von Krause!) als Ligamentum accessorium humeri angegeben
wurde. Ein Jahr später 1854 erschien von E. Hilbert, einem
Schüler Schlemms, eine in lateinischer Sprache verfasste Arbeit
„De humeri artieulo“, in der wir nebst einigen allgemeinen An-
gaben über das Schultergelenk, die von Schlemm angegebenen
Bänder beschrieben finden. Auch in den übrigen um diese
Zeit veröffentlichten Werken finden wir Schlemms Angaben
wiedergegeben, so z.B. bei Führer?), Hollstein°) und Kolb‘).
Während aber das erstgenannte Band auch von allen späteren
Autoren, vielfach auch unter dem Namen „Ligamentum suspen-
sorium humeri“ angegeben wird, scheinen die beiden anderen
in kurzer Zeit in Vergessenheit geraten zu sein. Wir finden
daher in der Litteratur der nächsten Decennien, die von Schlemm
angegebenen Bänder in der Regel nicht mehr erwähnt und
— meines Wissens — sind es bloss Hartmann 1881, Gegen-
baur 1883, Welcker 1878 und Brösike 1897, die ein von
Schlemm beschriebenes Band anführen oder eine Verstärkung
beschreiben, die dem Sechlemmschen Band entspricht. So
beschreibt Welcker’) ein Ligamentum interarticulare humeri,
welches dem von Schlemm angegebenen Bande zu entsprechen
scheint; während Gegenbaur‘) bei Besprechung der Bursa
synovialis subscapularis ein Band angiebt, das er selbst zwar
mit keinem besonderen Namen belegt, das aber unzweifelhaft
nur das Schlemmsche Band sein kann. Er sagt nämlich:
„Der Eingang in diese Ausbuchtung der Kapsel wird gegen die
Pfanne zu vom Labruin, distal davon von einem breiten und
starken Bandzuge begrenzt, welcher teils vom Labrum, teils von
1) Krause, Menschliche Anatomie. 1843.
2) Führer, Chirurgische Anatomie. 1857.
3) Hollstein, Anatomie des Menschen. 1860.
4) Kolb, Grundriss der Anatomie, 1861.
5) Welcker, Archiv für Anatomie und Physiologie. 1878.
6) Gegenbaur, Anatomie des Menschen. 1883. S. 238.
Die Bänder d. Schultergelenkes b. Menschen u. einigen Säugetieren. 343
der Wurzel des Coracoids kommt und zum Tuberculum minus
verlaufend, die mediale Kapselwand verstärkt“. Endlich finden
wir das Band noch bei Henle!) und Heitzmann?) erwähnt.
a) Ligamentum glenoideo-brachiale internum
Schlemmi.
Es ist zu verwundern, dass ein so konstantes Gebilde, wie
das Ligamentum glenoideum, erst so spät beschrieben wurde
und auch dann in sehr kurzer Zeit in Vergessenheit geraten
konnte. In 120 von mir untersuchten Fällen fehlte das Band
bloss einmal. Das Ligamentum glenoideo-brachiale internum
erscheint daher als ein unzweifelhaft konstantes Gebilde, das am
oberen Pfannenrande entsprechend der Wurzel des Processus
coracoideus, in vielen Fällen fächerförmig ausgebreitet oder
selbst mit zwei Schenkeln entspringt, in den meisten Fällen aber
mit seinem Ursprunge an die Sehne des langen Bicepskopfes
heranreicht oder mit derselben durch ein derbes Bindegewebe
verbunden ist. Entspringt das Band an der Pfanne mit zwei
Wurzeln, dann begrenzen die letzteren eine kleine Lücke, die
eine Kommunikation der Gelenkhöhle mit der Bursa synovialis
subscapularis vermittelt. In der Regel ist die Kommunikations-
öffnung jedoch bedeutend grösser — wie es noch weiter unten
gezeigt werden wird — und dadurch erscheint die vielfach ver-
breitete Auffassung der Bursa subscapularis als Ausstülpung der
Gelenkhöhle begreiflich, wenngleich sie entwickelungsgeschicht-
lich nieht vollkommen korrekt zu sein scheint. Die bisher von
mir untersuchten menschlichen und einige tierischen Foeten
lassen vielmehr vermuten, dass die Bursa subscapularis nicht als
Ausstülpung der Gelenkskapsel aufzufassen ist, sondern dass die
1) Henle, Knochen- und Bänderlehre. 1871.
2) Heitzmann, Topographische Anatomie. (Atlas) 1893. In der neuesten
Auflage 1396 fehlt aber auch diese Angabe.
23*
344 M. CARL ROSENFELD,
Kommunikation erst sekundär zustande kommt. Ich finde
nämlich an fast allen jüngeren, menschlichen Embryonen die
deutlich entwickelte Bursa subscapularis nirgends in Kommuni-
kation mit der Gelenkskapsel. Bei genauerer Untersuchung zeigt
sich aber in der Regel, dass die Kapsel an der Stelle, an welcher
die Kommunikationsöffnung zu suchen wäre, deutlich verdünnt
ist. Dieser Zustand persistirt nun sehr oft in der zweiten
Hälfte des embryonalen Lebens und auch beim erwachsenen
Individuum findet man diese Verhältnisse nicht selten. Wieder-
holte Talginjektionen der Gelenkhöhle älterer, kräftiger Personen
ergaben in nicht zu seltenen Fällen die Persistenz der eben ge-
schilderten embryonalen Zustände. Die Gelenkhöhle wird durch
die eingespritzte Masse gefüllt, während der Schleimbeutel leer
bleibt und sich gegen das Gelenk durch eine dünne Membran
scharf absetzt.
Von seiner Ursprungsstelle verläuft nun das Band nach
aussen und vorne in der Richtung gegen das Tubereulum minus
humeri, wobei es an der der Gelenkhöhle zugewendeten Seite
mit einem Synovialüberzug versehen ist. Die Gegenfläche des
Bandes zeigt ein verschiedenes Verhalten. In vielen Fällen
sehen wir nach Eröffnung der Bursa subscapularis die äussere
Fläche des Bandes vollkommen freiliegend. Wenn aber zwischen
der Bursa supscapularis und dem Gelenkraume keine Kommu-
nikation besteht, ist auch die äussere Fläche des Ligamentum
glenoideum von einer dünnen Membran bekleidet und es liegt
der Rand des Bandes direkt der Kapsel an. Im ersteren
Falle, wenn nämlich das Band mit seiner äusseren Fläche voll-
kommen freiliegt, finden wir eine sehr weite Kommunikations-
öffnung zwischen dem Gelenkraume und der Bursa mucosa
subscapularis, ja einen förmlichen Defekt der vordernen Kapsel-
wand, welcher von Weitbrecht!) als Foramen ovale, ferner
!) Weitbrecht, Syndesmologie, 1779.
Die Bänder d. Schultergelenkes b. Menschen u. einigen Säugetieren. 345
von Schlemm!') und Hollstein?) als „pyramidaler Schlitz“
beschrieben wurde.
Nachdem das Band auf diese Weise die Strecke zwischen
der Pfanne und dem Oberarm zurückgelegt hat, endet es in der
Regel im engen Anschlusse an die Subscapularissehne am Tuber-
culum minus humeri. In anderen Fällen wieder verläuft es
fächerförmig ausgebreitet, um mit der Kapsel vereint an den
Knochen zu gelangen; aber auch hier findet man immer einen
kleinen Anteil des Bandes, der sich in die Subscapularissehne
einsenkt. In selteneren Fällen strahlt das Band direkt in die
Subscapularissehne ein. So finde ich an einem Präparate das
Band geteilt in zwei Schenkel, die zur Kapsel in keine nähere
Beziehung treten, sondern sich in die Sehne des Musculus
subscapularis verlieren. Der obere Schenkel stellt dann bloss
eine stärkere Ausbildung eines auch sonst vorhandenen Faser-
zuges dar, der mit dem Ligamentum glenoideobrachiale in-
ternum gemeinsam entspringt, im weiteren Verlaufe aber mit
demselben divergiert und gewöhnlich in die äussere Fläche der
Sehne einstrahlt. |
Das eben Angeführte entspricht dem typischen Verhalten
des Ligamentum glenoideo-brachiale internum Schlemmi und
nur in verhältnismässig seltenen Fällen beobachtet man ein
etwas abweichendes Verhalten. So z. B. wären einige Fälle zu
erwähnen, in denen das Band anscheinend fehlte, bei genauer
Untersuchung aber als zarter Bandstreifen oder auch verdickter
Randbogen der synovialen Membran zu finden war.
Gleichwie beim Erwachsenen, sehen wir das Ligamentum
elenoideum internum auch während der intrauterinen Entwicke-
lung als ganz konstantes Gebilde, nur ist an fötalen Extremi-
täten wie bereits erwähnt wurde — die Gelenkhöhle gegen
die Bursa subscapularis in der Regel abgeschlossen. Man muss
1) Schlemm, | ce.
2) Hollstein, Anatomie des Menschen. 1860. S. 199.
346 M. CARL ROSENFELD,
daher, um an das Band zu gelangen, die dünne Kapselwand
einschneiden. -
Schon um die Mitte der foetalen Entwickelung ist das Liga-
mentum glenoideum internum verhältnismässig stark ausgebildet,
insbesondere bei manchen Tieren (Hund, Schwein), bei denen
es die im Gelenke befindliche, Bicepssehne an Dicke und Stärke
übertrifft.
b) Ligamentum glenoideo-brachiale inferius seu latum.
Das Ligamentum glenoideo-brachiale inferius Schlemmi wird
von den meisten Autoren nicht erwähnt, da es schwer fällt die
Grenzen desselben gegen die übrige Kapsel anzugeben. Das
unter diesem Namen von Schlemm angegebene Band, stellt
bloss eine nicht scharf zu begrenzende Verdickung der vorderen,
unteren Kapselwand dar, deren Ausdehnung so vielen indi-
viduellen Schwankungen unterworfen ist, dass jede Beschreibung
dieses Gebildes kaum einzelnen Präparaten entsprechen könnte.
In vielen Fällen ist die Angabe der unteren Grenze noch durch
den Umstand erschwert, dass die ganze Kapsel gleichmässig
verdickt erscheint, so dass man kaum von einem besonderen
Bande sprechen könnte, während das früher angegebene Liga-
mentum glenoideum internum sich auch in solchen Fällen durch
eine dünne synoviale Membran gegen die verdickten Kapsel-
anteile scharf absetzt.
Für jeden Fall unterliegt es aber keinem Zweifel, dass dieser
Kapselanteil in manchen Fällen in einer grösseren, aber sehr
variablen Ausdehnung verstärkt ist u. z. veränderlich insoferne,
als seine obere Grenze verschieden hoch gegen das Ligamentum
glenoideum internum hinaufreicht und die untere Grenze sich
verschieden weit gegen die hintere Kapselwand erstreckt.
Die Bänder d. Schultergelenkes b. Menschen u. einigen Säugetieren. 347
c) Ligamentum coraco-humerale seu suspensorium
humeri.
Während die beiden früher besprochenen Bänder nur von
einzelnen Autoren angegeben werden, finden wir das Ligamentum
coraco-humerale — wie bereits erwähnt — schon vor Schlemm
von vielen älteren Autoren beschrieben. Auch alle späteren
Autoren geben dieses Band als Verstärkung der Schultergelenks-
kapsel an, viele glauben sogar „die Tragkraft dieser Fasern
sei bei senkrechtem Herabhängen des Armes besonders in An-
spruch genommen“ (v. Luschka und andere) und bezeichneten
diesen Faserzug dementsprechend auch als Ligamentum suspen-
sorium humeri. Auch in den Detail-Angaben über dieses Gebilde
stimmen sämtliche Autoren überein.
Schlemm!) beschreibt dieses Gebilde in folgender Weise:
„Das obere Band, Ligamentum coraco-brachiale, entspringt mit
zwei Wurzeln, einer oberen, vom äusseren Rande des Processus
coracoideus und einer unteren, vom Labrum fibrocartilagineum
und dem Umfange der Cavitas glenoidea, dicht innen neben der
Sehne des langen Kopfes des Musculus biceps brachii, so dass
diese Sehne mit ihr im Ursprunge verwachsen ist. Das Band
liegt zwischen dem M. supraspinatus und dem M. subscapularis,
geht abwärts zum Oberarmbein und teilt sich in zwei Schenkel,
2 und setzt sich an die innere und äussere Hervor-
ragung des Sulcus tendinis biecipitis fest, wobei es aussen mit
der Sehne des M. supraspinatus, innen mit der des Subscapu-
laris verwächst.‘
Meine Untersuchung führte zu dem Resultate, dass das
unter dem Namen Ligamentum coraco-brachiale beschriebene
Gebilde, weder als Verstärkung der Kapsel noch als selbstän-
diges Band zu deuten sei, sondern als Fortsetzung der Kapsel
auf den Processus coracoideus.
1) Schlemm, Fr., Müllers Archiv. 1853.
348 M. CARL ROSENFELD,
Es wäre vor allem zu bemerken, dass im Bereiche des
Ligamentum coraco-brachiale der Autoren keine wesentliche Ver-
diekung der Kapsel besteht, wenngleich es im ersten Momente
diesen Eindruck macht. Unter dem einen Anteile, welchen
Schlemm als obere Wurzel des Ligamentum coraco-brachiale
beschreibt, findet man erstens konstant einen grösseren Fett-
klumpen, der, in der Tiefe verborgen, diesen Faserzug bei ober-
flächlicher Untersuchung stärker erscheinen lässt. Ferner strahlt
in diesen Faserzug einerseits von vorne her ein Fascienblatt ein,
das die Sehne des Musculus subscapularis bekleidet, während
sich anderseits von der dorsalen Seite her die, den Musculus
supraspinatus einscheidende Fascie ebenfalls in diesen Faserzug
verliert. Auch die Bursa subscapularis erstreckt sich nicht selten
dorsal bis unter diesen Faserzug, und so ist es begreiflich,
dass man leicht in der Schätzung der Dicke dieses Kapsel-
anteiles getäuscht werden kann. Ebensowenig kann man bei
genauerer Untersuchung eine Verdickung in dem weiteren
Verlaufe dieses Bandes finden, ich meine nämlich in der
Strecke zwischen dem oberen Rande der Pfanne und dem
Suleus intertubereularis humeri. Berücksichtigt man nämlich,
dass — wie auch Schlemm angiebt — die Sehne des Mus-
culus subscapularis und die Sehne des M. supraspinatus an
dieser Stelle einstrahlen und zwar derart, dass sie eine bogen-
förmig gestaltete, sehnenfreie Stelle zwischen sich fassen, dass
ferner die sehnenfreie Kapselpartie die, im Gelenkraume befind-
liche Sehne des langen Bicepskopfes bedeckt, dann begreift man
leicht, dass auch in dieser Strecke die Verdickung bloss vor-
getäuscht wird und man daher kein Recht hat, von einer band-
artigen Verstärkung der Kapsel, geschweige denn von einem
selbständigen Bande zu sprechen. Und thatsächlich gelingt es
auch präparatorisch zu beweisen, dass an dieser Stelle keine
Verstärkung zu finden ist, wenn man einerseits die Sehne des
M. supraspinatus, die den unteren Teil des Bandes überlagert,
Anat. Hefte I Abtheilung. Heft 36.(11.Bd.H.3.) Taf. XXVI. XXX
Lith. Anst.v. C Kirst, Leipzig. Verlag v. IE Bergmann Wiesbaden
Die Bänder d. Schultergelenkes b. Menschen u. einigen Säugetieren. 349
andererseits auch die von innen her anliegende Bicepssehne ent‘
fernt. Noch viel überzeugender ist der Befund an fötalen Ex-
tremitäten, an denen schon das präzise Ablösen der Supraspinatus-
sehne hinreicht, um das Fehlen eines Verstärkungsbandes zu
beweisen; ja in manchen Fällen sieht man sogar nach dieser
Präparation die Bicepssehne durch die dünne Kapselwand durch-
scheinen. Dabei erzeugt man in beiden letzteren Fällen kein
Kunstprodukt, da die verschiedene Faserrichtung der Supra-
spinatussehne und der Kapselwand bei der Präparation einen
sehr verlässlichen Anhaltspunkt bietet. Von Bedeutung für die
Annahme, es bestehe an dieser Stelle keine Verdickung der
Kapsel, ist ferner auch der Umstand, dass — wie meine ver-
gleichend-anatomischen Untersuchungen ergeben (siehe II. Teil
dieser Arbeit) — ein derartiges Verstärkungsband in der Reihe
der Säugetiere nicht besteht. Es stellt vielmehr gerade die Stelle,
an der das Ligamentum coraco-humerale zu suchen wäre, den
dünnsten Kapselanteil dar, sodass die darunter liegende Biceps-
sehne deutlich durchscheint.
Ebensowenig angriffsfrei ist auch die Angabe, die Tragkraft
des Ligamentum coraco-brachiale sei bei senkrechtem Herab-
hängen des Armes besonders in Anspruch genommen, welcher
Umstand für das Bestehen eines Verstärkungsbandes sprechen
würde. Das direkte Experiment ergiebt vielmehr, dass
die Festigkeit und Tragkraft des Gelenkes nicht im
geringsten leidet, wenn man das Ligamentum suspen-
sorium der Autoren vom Processus coracoideus ab-
löst oder durchschneidet. Es hat also diese Partie der
Schultergelenkskapsel diesbezüglich keine grössere Bedeutung, als
irgend eine andere Stelle der dorsalen Kapselwand.
Alle die hier angeführten Umstände und insbesondere das
zuletzt erwähnte Experiment beweisen — wie ich glaube — zur
Genüge, dass die Angaben der Autoren dem thatsächlichen
Befunde nicht vollkommen entsprechen, und diese Umstände sind
350 M. CARL ROSENFELD,
es auch, die es gestatten, den Bestand eines Ligamentum
coraco-brachiale als Verstärkungsband zu leugnen.
Dennoch fand auch ich konstant einen Faserbogen, der
zwischen der dorsalen Kante des Processus coracoideus und dem
oberen Rande der Schultergelenkspfanne ausgespannt war, eben
jene Fasern, welche Schlemm und die anderen Autoren als
zwei Wurzeln des Ligamentum coraco-brachiale deuten. Da
aber diese Deutung nach den früheren Ausführungen unzulässig
ist, entsteht nun die Frage: wie wäre das Vorkommen eines
derartigen Faserbogens zu erklären ?
Bevor ich diese Frage beantworte, muss ich einige Bemer-
kungen über die Kapsel des Schultergelenkes vorausschicken
und in einer genaueren Beschreibung der fibrösen Kapsel wird
man mit Leichtigkeit die soeben aufgeworfene Frage beantwortet
finden.
Wie an allen anderen‘ wahren Gelenken müssen wir auch
am Schultergelenke eine fibröse Kapsel und eine diese be-
kleidende Synovialmembran unterscheiden. Die synoviale Mem-
bran entspringt im vollen Anschlusse an das Labrum fibrocarti-
lagineum der Pfanne, bekleidet die fibröse Kapsel und nur an
einer Stelle, am oberen Rande der Pfanne, reicht ihr Ursprung
etwas höher hinauf, da sie an dieser Stelle, über das Labrum
hinweg, auf den Hals der Scapula übergreift. Ein wenig kom-
plizierter ist das Verhalten der synovialen Membran an der
vorderen Kapselwand. Nach dem Ablösen der Kapsel vom
Humerus und nach dem Zurückschlagen derselben gegen die
Scapula sehen wir, wie die synoviale Membran vorerst das als
schräge Falte gegen die Gelenkhöhle vorspringende Ligamentum
glenoideum internum Schlemm einscheidet, um dann auf den
oberen, scharf ausgeprägten Anteil der Subscapularissehne über-
zugreifen. Da sie aber über die fibrösen Bestandteile der vor-
deren Kapselwand nicht einfach hinwegzieht, sondern deren
Konturen genau folgt, entsteht am Rande der durch das
Die Bänder d. Schultergelenkes b. Menschen u. einigen Säugetieren. 351
Ligamentum glenoideum internum aufgeworfenen Falte eine
Lücke, durch die man in die Bursa subscapularis hineingelangt.
Entspringt das Ligamentum glenoideum mit zwei Wurzeln an
der Pfanne, dann folgt die synoviale Membran ebenfalls den
Konturen des Bandes und wir finden daher zwei Lücken, welche
beide in die Bursa subscapularis führen. Nur in wenigen Fällen
fehlen diese Kommunikationsöffnungen. Im weiteren Verlaufe
liegt die synoviale Membran den fibrösen Faserzügen der Kapsel
einfach an bis auf eine Stelle der dorsalen Kapselwand, an der
sie noch einen Überzug für die Sehne des langen Bicepskopfes
liefert und mit einem kleinen Divertikel in den Sulcus inter-
tubercularis des Oberarms herabreicht.
Nicht ganz gleich verhält sich die fibröse Kapsel. Sie bildet
einen ziemlich gleichmässigen Sack, der mit seinem Ursprunge
sowohl gegen die Scapula, als auch gegen den Oberarm etwas
tiefer herabreicht als die Synovialmembran. Ferner zeigt die
Kapsel an einer Stelle einen Defekt und zwar im oberen Anteile
der vorderen Kapselwand, an dem von Weitbrecht ange-
gebenen Foramen ovale, welches dem ‚„pyramidalen Schlitz‘ der
anderen Autoren entspricht. Hier wird die fibröse Kapsel durch
den kranialwärts gelegenen, immer scharf ausgeprägten, spul-
runden Anteil der Subscapularissehne ergänzt, wie bei Betrach-
tung der synovialen Membran angegeben wurde und wie es
auch einige Autoren, wie Hoffmann'), Quain?) und Martin?)
erwähnen. Solange dieser Anteil der Subscapularissehne der
noch erhaltenen, fibrösen Kapselwand anliegt, finden wir an
einer unteren Fläche eine gegen den Scapularrand blind
geschlossene, gegen die Gelenkhöhle aber offene Sehnenscheide,
welche also mit dem Gelenkinneren kommuniziert. Erst in der
zweiten Hälfte des Abstandes, zwischen dem Pfannenrande und
1) Hoffmann, Anatomie des Menschen.
2) Quain, Anatomy. 9. Auflage. pag. 153.
2) Martin, Über Gelenkmuskeln beim Menschen. 8. 11.
352 M. CARL ROSENFELD,
dem Tubereulum minus humeri, ist der Defekt der fibrösen
Kapselwand ein vollständiger und dementsprechend bildet erst
in dieser kurzen Strecke die Subscapularissehne allein die fibröse
Kapselwand. Infolgedessen macht es bei der Präparation den
Eindruck, als würde sich die Sehne an dieser Stelle ins Gelenk
einsenken:
Schliesslich finden wir, dass die fibröse Kapsel dem oberen
Rande der Pfanne nicht genau folgt. Ihr Ansatz am Pfannen-
rande reicht nur bis zum medialen Rande der Bicepssehne, von
da an greift sie mit ihrem Ansatze auf den Processus coracoi-
deus scapulae in Form eines leistenförmigen Vorsprunges über.
Sie schliesst sich aber nicht immer genau dem Rande des Pro-
cessus coracoideus an, sondern wir finden viel häufiger zwischen
jener Stelle des Pfannenrandes und der dorsalen Kante des
Processus coracoideus einen Faserbogen ausgespannt, an dem
erst die Bündel der fibrösen Kapsel ihren Ursprung nehmen.
Wir müssen demnach die früher aufgeworfene Frage dahin
beantworten, dass der fibröse Faserbogen entschieden nicht als
zweiter Schenkel eines Bandes und die daran entspringenden
Fasern etwa als Ligamentum coraco-brachiale zu deuten sind,
sondern dass wir es hier mit einer leistenförmigen Fortsetzung
der fibrösen Kapsel selbst zu thun haben.
Die fibröse Kapsel des Schultergelenkes folgt also nicht
dem Rande der Pfanne, wie es die synoviale Membran thut,
sondern verlässt den Pfannenrand am medialen Ende des Biceps-
ursprunges und geht von da in einem sanften Bogen auf die
Wurzel und von da auf die dorsale Kante des Processus cora-
cideus scapulae über. Zwischen der fibrösen und synovialen
Kapselwand bleibt daher ein kleiner Raum übrig, welcher durch
Fett ausgefüllt wird, wie das auch an allen anderen Stellen
vorkommt, an denen die Synovialmembran der fibrösen Kapsel
nicht direkt aufsitzt. Durch diese Fettschicht wird natürlich —
Die Bänder d. Schultergelenkes b. Menschen u. einigen Säugetieren. 353
wie schon früher erwähnt — eine Verdickung dieses Kapsel-
abschnittes vorgetäuscht.
Einen Anhaltspunkt zur Erklärung dieses eigentümlichen
Verhaltens der fibrösen Kapsel des Schultergelenkes beim
Menschen können wir gewinnen, wenn wir die bei den Wirbel-
tieren vorhandenen Verhältnisse in Betracht ziehen. Bei den
niedersten Wirbeltieren, bei den Amphibien und in der Reihe
der Reptilien, bei den Cheloniern, beteiligen sich drei Bestand-
teile des knöchernen Schultergürtels an der Bildung der Ge-
lenkspfanne, nämlich das Scapulare, das Coracoid und das
Claviculare.
Schon in den anderen Ordnungen der Reptilien verliert
das Claviculare seinen Anteil an der Gelenksbildung und von
da an wird die Pfanne bei den Reptilien, Vögeln und Monotremen
nur noch vom Os scapulare und vom Coracoid gebildet. Bei
den übrigen Säugetieren beteiligt sich nur noch die Scapula an
der Bildung der Pfanne, während sich das Coracoid zurück-
bildet.
Wir finden also bei den Wirbeltieren, bis zu den Säuge-
tieren, eine Mitbeteiligung des Coracoids an der Etablierung des
Gelenkes und dementsprechend sehen wir die fibröse Kapsel
auch an diesem Knochen entspringen. Bei den Säugetieren und
dem Menschen bildet sich aber das Coracoid zurück und zwar
derart, dass es bei einigen Säugern nur als kleiner Höcker
am oberen Rande der Pfanne erscheint. Diese Tuberositas
supraglenoidalis (Hund, Katze etc.) ist dann vollkommen in den
Gelenkraum einbezogen, da die Kaspel auch an diesem Höcker
in voller Kontinuität ihren Ursprung nimmt. Bei den übrigen
Säugern und dem Menschen sehen wir einen Processus coracoides,
der mit der Gelenkpfanne und dem Gelenk selbst nichts zu
thun hat, dessenungeachtet finden wir aber, so wie bei den niederen
Tieren, dass die fibröse Kapsel sich auch auf den Processus
coracoideus erstreckt.
354 M. CARL ROSENFELD,
11:
Wie schon zum Schlusse des ersten Teiles dieser Arbeit
mehrmals angedeutet wurde, musste ich zur Begründung und
Erklärung der beim Menschen vorgefundenen Verhältnisse, viel-
fach auch vergleichend-anatomische Untersuchungen anstellen.
Da nun aber der diesbezügliche Teil der Litteratur sehr arm
an Angaben ist, möchte ich noch in Kürze einige Bemerkungen
über das Schultergelenk der Säugetiere anschliessen.
Das Schultergelenk der Säugetiere erinnert in den wesent-
lichsten Punkten an das des Menschen und zwar nicht bloss
in der allgemeinen Gestaltung, sondern auch in vielen Einzel-
heiten.
Die Kapsel ist in dieser Tierklasse auffallend schwach und
dünnwandig. Sie entspringt einerseits am Rande der Gelenk-
pfanne, die bei manchen Tieren durch ein derselben aufgesetztes
Labrum glenoidale vertieft ist; andererseits nimmt sie den mit
einem Knorpelüberzuge versehenen Anteil der proximalen
Humerusepiphyse auf. Die am Schultergürtel entspringenden
Muskeln umgreifen das Gelenk allseitig und verstärken die an
und für sich schwache Kapselwand, indem sie stellenweise, ins-
besondere in der Nähe ihrer Insertion am Humerus, in dieselbe
einstrahlen. Bei vielen Tieren sind auch Schleimbeutel vorhanden,
von denen der konstanteste die Bursa synovialis subscapularis
ist, die in der Regel mit der Gelenkhöhle — ähnlich wie beim
Menschen — in offener Kommunikation steht.
Diesen Schleimbeutel finden wir bei allen Säugetieren unter
der Subscapularissehne, zwischen dieser und der Kapsel [in
manchen Fällen mit starker Ausbildung der Bursa liegt diese
teilweise auch der Scapula an] und nur bei einer Ordnung, bei
den Insectivoren (Igel) sah ich den Schleimbeutel sich bis auf die
äussere Fläche des Muskels erstrecken. Dieser interessante Be-
fund liesse sich nur durch das Zusammenfliessen der Bursa
Die Bänder d. Schultergelenkes b. Menschen u. einigen Säugetieren. 355
subscapularis mit der bei einigen Tieren (Ratte, Affen) normal
vorkommenden Bursa coracoidea erklären, welch’ letztere unter
dem Processus coracoideus, zwischen diesem und dem Musculus
subscapularis zu finden ist. Schneidet man die Wand der Bursa
auf, dann ist eine weite Einsicht in den inneren Gelenkraum
gestattet, da — wie schon früher hervorgehoben — der Schleim-
beutel mit der Gelenkhöhle kommuniziert. Auch beim Igel
kann man nach Eröffnung des oberflächlichen Schleimbeutels
und Herabdrängen des oberen Subscapularisrandes weit ins Ge-
lenk hineinsehen. Die Kommunikation mit der Gelenkhöhle
findet sich in der Regel an der schon beim Menschen erwähnten
Stelle neben dem Ligamentum glenoideum.
Charakteristisch für das Schultergelenk der Säugetiere ist
ferner der Mangel jeder äusseren Verstärkung der Kapsel. Bei
keinem Säugetiere gelang es mir ein Ligamentum coraco-
humerale — wenn auch nur andeutungsweise — zu finden, ich
sehe im Gegenteile an der Stelle, an welcher das Band zu suchen
wäre, immer den dünnsten Kapselanteil, der in der Regel die
darunter liegende Bicepssehne deutlich durchscheinen lässt und
mitunter — wie z. B. beim Igel — selbst bei vorsichtiger Präpa-
ration einreisst. Nur bei einigen Tieren (Hund, Kaninchen,
Katze, Lemuriden) findet man im untersten Abschnitte des
Suleus intertubercularis einen, sehnenglänzenden Faserzug, der
in schräger Richtung von der Crista tubereuli maioris gegen
die Crista tubereuli minoris aufsteigt und auf dieser Strecke die
Bicepssehne festhält.
Ebensowenig gelang es mir, ein Ligamentum glenoideum
latum oder ein sonstiges äusseres Band zu finden. Ganz konstant
sah ich dagegen in allen von mir untersuchten Ordnungen der
Säugetiere das Ligamentum glenoideum internum, dessen Ver-
halten vielfach selbst in allen Einzelheiten dem beim Menschen
entspricht. So finden wir in allen Ordnungen den Ursprung
des Bandes am oberen Pfannenrande, an der Wurzel des Processus
356 M. CARL ROSENFELD,
coracoideus, der bei vielen Säugetieren nur als Beule, Tuberositas
supraglenoidalis angedeutet ist. Der Ursprung des Bandes
erstreckt sich gewöhnlich bis an die Bicepssehne und ist mit
derselben, mitunter eine kurze Strecke weit, durch ein derbes
Bindegewebe verbunden. Von seiner Ursprungsstelle durch-
setzt das Band in diagonaler Richtung das Gelenk, um in der
Gegend des Tubereulum minus humeri zu enden. In seinem
Verlaufe und in seiner Insertion zeigt es aber ein verschiedenes
Verhalten und zwar derart, dass man eine jede von den für
den Menschen angegebenen kleinen Varietäten für eine ganz
bestimmte Ordnung als Typus angeben könnte.
So finden wir das Band ganz frei das Gelenk durchsetzend,
also beiderseits mit freien, scharfen Rändern versehen bei den
Rodentia (Ratte, Kaninchen) und zwar konstant: ich konnte an
14 untersuchten Kaninchengelenken nicht die geringste Ab-
weichung von diesem Typus beobachten. Ausserdem sehen
wir dieses Verhalten in selteneren Fällen bei den Lemuriden
und bei den Carnivoren. In den meisten Ordnungen erscheint
uns aber als Typus jener Zustand, in welchem die dünne synoviale
Membran an das Band herantritt und mit seinem hinterem Rande
eine halbkreisförmige Kommunikationsöffnung für die Bursa
synovialis subscapularis bildet, während der vordere Rand des
Bandes immer frei bleibt und hier zur Bildung eines Schlitzes
führt. Am schönsten ausgeprägt finden wir diesen Zustand bei
der Katze, (in manchen Fällen sogar viel schöner und deutlicher
als beim Menschen), ferner auch bei den Affen, Halbaffen und
bei der Fledermaus.
Die Insertion des Bandes zeigt in den einzelnen Ordnungen
ein Verhalten, welches von dem beim Menschen vorhandenen
einigermassen abweicht, in einzelnen Fällen aber mit ihm über-
einstimmt. Am häufigsten strahlt das Band fächerförmig aus-
gebreitet in die Kapsel ein, wodurch seine Dicke in der Nähe des
Ansatzes bedeutend abnimmt.
Die Bänder d. Schultergelenkes b. Menschen u. einigen Säugetieren. 357
Es wäre schliesslich noch zu erwähnen, dass auch bei den
meisten Säugetieren die Sehne des Musculus subscapularis zwei
in ihrem Verhalten verschiedene Anteile unterscheiden lässt.
Während nämlich der hintere, grössere Anteil der Sehne der
Kapsel lose anliegt und sich von derselben in seiner ganzen
Ausdehnung mit Leichtigkeit abheben lässt, ist der vordere An-
teil, ähnlich wie beim Menschen als zarter, spulrunder in die
Gelenkhöhle hineinragender Strang ausgeprägt. Dieser Sehnen-
abschnitt scheint nun auch in der Reihe der Säugetiere zum
Gelenke in nähere Beziehung zu treten.
Meine Untersuchungen über das Verhalten der Subscapularis-
sehne zum Schultergelenke, ergaben auch sonst in vielen Bezieh-
ungen die grösste Analogie mit den Resultaten, zu welchen Prof.
Welcker!) in seiner Abhandlung „Über die Einwanderung der
Bicepssehne in das Schultergelenk“ für die Bicepssehne gelangte.
Bei vielen Tieren und insbesondere beim Menschen sieht man
den scharf ausgeprägten Anteil der Subscapularissehne strecken-
weise ins Gelenk hineinragen, oder man findet an derselben
bloss einen zarten Synovialüberzug. Bei anderen wieder liegt
die Subscapularissehne aussen an der fibrösen Kapsel, ohne in
nähere Beziehungen zum Gelenke zu treten.
Meine Untersuchung, ergiebt also kurz zusammengefasst,
folgendes:
1. Das Ligamentum glenoideum internum Schlemmi ist ein
sowohl beim Menschen als auch bei den Säugetieren konstantes
Gebilde. Auch an fötalen Extremitäten ist es zu finden, wobei
seine verhältnismässig bedeutende Stärke auffällt.
2. Das Ligamentum glenoideo-humerale inferius seu latum
fehlt bei allen Tieren und ist bloss mitunter beim Menschen als
eine nicht scharf begrenzte Verdiekung der vorderen, unteren
1) Archiv für Anatomie u. Physiologie. 1888. S. 20.
Anatomisehe Hefte, I. Abteilung. XXXVI. Heft. (11. Bd., H. 3.) 24
358 M. CARL ROSENFELD, Die Bänder des Schultergelenkes ete.
Kapselwand zu finden, ohne irgend je ein scharf ausgeprägtes
Band zu bilden.
3. Das Ligamentum coraco-humerale der Autoren repräsen-
tiert eine Fortsetzung der fibrösen Kapsel auf den Processus
coracoideus, und hat keine grössere Bedeutung im Sinne eines
Ligamentum suspensorium humeri als irgend eine andere Partie
der dorsalen Kapselwand.
4. Aus der früheren Auseinandersetzung wird es klar, dass
an einer Stelle der fibrösen Kapsel des Schultergelenkes ein
Defekt besteht, welcher durch den kranialwärts gelegenen An-
teil der Subscapularissehne ersetzt wird (beim Menschen und bei
vielen Säugetieren).
Zum Schlusse ist es für mich Bedürfnis, dem hochgeehrten
Herrn Prof. Dr. E. Zuckerkandl für die liebenswürdige Zu-
weisung des reichlichen Materials, sowie auch für die sonstige
Unterstützung im Laufe der Arbeit meinen innigsten Dank aus-
zusprechen.
(Aus DEM |. ANATOMISCHEN INSTITUT DER K. K. UNIVERSITÄT zu WIEN.)
ZUR
VERGLEICHENDEN ANATOMIE
MUSCULUS TIBIALIS POSTICUS.
VON
M. CARL ROSENFELD,
WIEN.
Mit 5 Figuren auf Tafel NXVIII—-XAIX.
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IND re
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n s > er
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54
In der Tiefe der Sohle des Menschen findet man in dem
Raume zwischen dem Ligamentum plantare longum und den
Knochen des medialen Fusssohlenrandes konstant eine grössere
Anzahl von sehnenglänzenden Faserzügen, welche zu den meisten
Knochen der Fusswurzel in Beziehung treten. Wenn wir auch
anfangs geneigt wären, dieselben als einen selbständigen Band-
apparat der tiefen Amphiarthrosen aufzufassen, überzeugen wir
uns bei aufmerksamer Präparation, dass all diese Stränge mit
der Sehne des Musculus tibialis posticus zusammenhängen und
bloss laterale Ausläufer derselben darstellen. Anderseits beob-
achten wir beim Menschen noch vielfache Anastomosen dieser
Fascikel des Musculus tibialis posticus mit benachbarten Muskeln
und Sehnen, sodass dadurch das Gesamtbild noch kompliziert
wird.
Ich habe mich nun mit diesen Verhältnissen längere Zeit
befasst und es versucht, durch Vergleich mit den Befunden bei
anderen Tieren Aufklärung über dieses Verhalten zu erzielen.
So habe ich allmählich die meisten Ordnungen der Säugetiere
in den Bereich meiner Untersuchung einbezogen.
Ich will es nun versuchen, das Ergebnis meiner Unter-
suchung in dieser Arbeit kurz zusammenzufassen. Ich werde
vorerst das Verhalten des Muskels in den einzelnen Ordnungen
genauer zu besprechen haben, um dann an die spezielle Be-
schreibung die Deutung der einzelnen Befunde anzuschliessen.
362 M. CARL ROSENFELD,
Edentata.
Dasypus novemecinctus.
Hyrtl beschreibt in seinem „Chlamydophorus truncatus“
bei diesem Tiere neben dem Musculus tibialis posticus noch
einen zweiten Muskel, den er als M. tibialis posticus accessorius
bezeichnet. Er sagt dort: „Infra popliteum insertionem, novus
exsurgit musculus, qui Tibialem posticum viae comitem laborisque
socium legit. Retro malleolum internum in teretem fatiscit ten-
dinem, qui margini pedis externo appropinquat, et ad basin
ossieuli illius depressi finem assequitur, quod metatarso hallueis
interne adjacet. Tibialem posticum accessorium non invite nomi-
narem.“ Hyrtl giebt diesen accessorischen Tibialis posticus auch
für den Dasypus an.
Ich hatte Gelegenheit einen Dasypus novemeinctus zu unter-
suchen und fand bei diesem Tiere die beiden, von Hyrtl be-
schriebenen Muskeln. An der hinteren Fläche der Tibia, am
unteren Rande des Musculus popliteus entspringt der Musculus
tibialis posticus und spaltet sich nach kurzem Verlaufe in zwei
Muskelbäuche, die von da an bis zu ihrer Insertion ganz isoliert
verlaufen.
Der randständige Muskel geht in eine zarte Sehne über, die
sich in die Furche an der hinteren Fläche des Malleolus in-
ternus einlagert und dann am medialen Rande des Fusses bis
zum distalen Ende des Os entocuneiforme verläuft, um an dem-
selben zu enden.
Die Sehne des zweiten, etwas stärkeren Muskelbauches endet
an der Tuberositas ossis navicularis. Auch diese Sehne gleitet
in der Furche des Malleolus medialis.
Rodentia.
Lepus euniculus.
Der Musculus tibialis posticus liegt bei diesem Tiere an der
hinteren Fläche des Unterschenkels am medialen Rande der
Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis posticus. 363
‚Tibia. Er entspringt oben als ziemlich starker Muskelbauch,
der schon in der Mitte des Unterschenkels in eine verhältnis-
mässig zarte Sehne übergeht. Die Sehne ist in eine Furche
an der hinteren Fläche des Malleolus internus eingelagert und
hier ‚in eine Sehnenscheide aufgenommen. In der Sohle ange-
langt, legt sich die Sehne wieder in eine Furche, die vom me-
dialen, plantaren Fortsatz des Os naviculare begrenzt wird, und
verlauft von da an weiter entlang dem- medialen Fussohlen-
rande bis zum Köpfchen des Metatarsus I resp. II. An dieser
Stelle wendet sie sich auf die dorsale Seite und verschmilzt hier
mit der Strecksehne der ersten Zehe.
Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass der soeben be-
schriebene Muskel dem Musculus tibialis posticus entspricht.
Abweichend ist bloss der distale Anteil der Sehne, der sich bis
an die dorsale Seite der ersten Zehe tortsetzt. Wir werden im
folgenden dasselbe Verhalten in verschiedenem Grade auch bei
anderen Tieren ausgebildet finden.
Und trotzdem findet man diesen Muskel in der Litteratur
nirgends angegeben. In Bronns Tierreich lesen wir bloss die
kurze Angabe: „bei Lepus ist der Flexor tibialis rudimentär
und der Tibialis posticus fehlt.“
In Krauses Anatomie des Kaninchens (1868) wird das Be-
stehen eines M. tibialis posticus zwar nicht geleugnet, wir finden
aber auch keine positive Angabe über denselben.
Sciurus vulgaris.
Der M. tibialis posticus entspringt am medialen Rande der
hinteren Tibiafläche. Die in der Mitte des Unterschenkels ent-
stehende Sehne spaltet sich in zwei Teile. Der tiefe Anteil der
Sehne verläuft in der hinteren Malleolarfläche und endet an der
Tuberositas ossis navicularis.
364 M. CARIl, ROSENFELD,
Der zweite Schenkel, der — wie erwähnt — schon am
Unterschenkel von der Hauptsehne abzweigt, zieht dem medialen
Fussohlenrande entlang und verliert sich in einer dem M. ab-
ductor hallueis eingewebten Sehne.
Mus ratus (Species alba).
Präpariert man die oberflächliche Wadenmuskulatur ab, so
findet man in der tiefen Schichte drei Muskeln. Am medialen
Tibiarande verläuft der M. tibialis posticus. Er entspringt als
ziemlich starker Muskel am medialen Rande der hinteren Tibia-
fläche, setzt sich aber mit seinem Ursprunge bis an das Liga-
mentum interosseum und zum grossen Teile sogar an das pro-
ximale Fibulaende fort. In der Mitte des Unterschenkels geht
der M. in eine Sehne über, die in der Rinne des inneren
Knöchels in die Planta gelangt. Auf diesem Wege wird die
Sehne in ihrer Lage durch ein Band festgehalten, welches vom
Malleolus internus zum Os naviculare hinzieht und dement-
sprechend als Ligamentum tibio-naviculare bezeichnet werden
könnte. Die Sehne setzt sich am Os naviculare fest, reicht aber
noch weiter bis zum Os entocuneiforme, wo sie der Endsehne
des M. tibialis anticus begegnet.
Der sich lateral an den M. tibialis posticus anschliessende
Muskel gehört zwar in den Rahmen dieser Arbeit nicht hinein,
ich möchte ihn aber doch nicht unerwähnt lassen, da er bei
Mus ein ganz eigentümliches Verhalten darbietet, für das ich in
keiner anderen Ordnung, wohl aber bei Myodes lemmus ein
Analogon finden konnte. Es ist dies ein sehr zarter Muskel,
der zwischen dem Tibialis posticus und dem starken Beuger am
oberen Drittel des Unterschenkels zum Teile am Knochen, zum
grössten Teile aber an den hier verdickten Fascien seiner beiden
Nachbarn entspringt und in der Mitte des Unterschenkels in
eine fadendünne Sehne übergeht, welche unmittelbar neben der
Sehne des vorigen Muskels in die Planta gelangt, um sich
Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis postieus. 365
im distalen Anteile derselben aponeurotisch auszubreiten. Die
Aponeurose liegt unter der Sohlenhaut bloss von einer zarten
Fascie bedeckt und giebt gleich am Grosszehenrande einen feinen
Ausläufer für die grosse Zehe ab. Sie überkreuzt dann die
Planta in schräger Richtung und spaltet sich in noch weitere
Zipfel für die übrigen Zehen.
Es ist dies aber kein M. plantaris longus, denn dieser be-
steht ausserdem noch in typischer Form und an seiner Sehne
entspringt der M. flexor brevis digitorum, der sich ebenfalls ganz
typisch verhält. Die Deutung dieses eigentümlichen Muskels
ist eine sehr schwierige und ich finde auch in der Litteratur
keine Angabe, die ich auf diesen Muskel beziehen könnte. Es
ist nicht ausgeschlossen, dass das Auftreten des fraglichen Muskels
mit dem Verhalten des M. plantaris longus in Zusammenhang
zu bringen ist. Der M. plantaris longus reicht nämlich bloss
bis zur Mitte der Sohle, sodass dann der früher beschriebene
Muskel den fehlenden, distalen Anteil der Aponeurosis plantaris
ersetzen könnte.
Myodes lemmus.
Auch bei diesem Tiere finden wir am Unterschenke] drei
Muskeln in derselben Anordnung wie bei der Ratte und zwar
von innen nach aussen gerechnet: den M. tibialis posticus, den
bei der weissen Ratte beschriebenen Muskel für die plantare
Aponeurose und den Beuger. Der M. tibialis posticus und der
Muskel der plantaren Aponeurose bieten dasselbe Verhalten wie
bei der Ratte.
Resume: In der Ordnung der Glires zeigt also der M.
tibialis posticus ein verschiedenes Verhalten. Beim Kaninchen
setzt sich die Sehne des Muskels direkt bis zur grossen Zehe
fort und verschmilzt dort mit der Strecksehne, wodurch sie eine
streckende Komponente erhält.
366 M. CARL ROSENFELD,
Bei Seiurus vulgaris spaltet sich die Sehne im Bereiche des
Unterschenkels in zwei Schenkel, von denen der eine am Os
naviculare inseriert, während der andere in den Sehnenstrang
des M. abductor hallueis einstrahlt.
Bei der Ratte und dem Myodes lemmus endet die Sehne
am Os naviculare, reicht aber bis zum Os entocuneiforme, wo
sie dem Tibialis anticus begegnet. Es ist auch ein Ligamentum
tibio-naviculare vorhanden.
Insectivora.
Erinacaeus europeus.
Der M. tibialis posticus ist vorhanden und schliesst sich in
seinem Verhalten vollständig an das der Rodentia an. Er ent-
springt am medialen Rande der hinteren Tibiafläche. Seine
Sehne verläuft in einer. Furche der hinteren Malleolarfläche
gegen die Planta, um am Os naviculare eine feste Insertion zu
gewinnen. An dieser Stelle zweigt von der Hauptsehne noch
ein feiner Ausläufer in lateraler Richtung ab, um in der Tiefe
des Sinus tarsi ins Periost einzustrahlen. Die Sehne des Musculus
tibialis posticus spaltet sich ähnlich wie bei Sciurus vulgaris schon
im Bereiche des Unterschenkels in zwei Bündel.
Das zweite Bündel finden wir am medialen Fussohlenrande
in eine seichte Furche des Os naviculare eingelagert und können
es so wie bei Sciurus bis auf die dorsale Seite der ersten Zehe
verfolgen.
Pinnipedia.
Phoca vitulina. (Fig. 1).
Der M. tibialis posticus entspringt nach Lucaes Angaben
an der Tibia, am Ligamentum interosseum und am Kopfe der
Fibula. Am distalen Tibiaende liegt die Sehne in einer Sehnen-
scheide, die bis zur Insertion der Sehne reicht. In der Gegend
des Os naviculare spaltet sie sich in zwei Schenkel. Der eine,
Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis posticus. 367
viel stärkere, endet am Os naviculare, teilweise auch am Os
euneiforme I.
Der zweite umgreift die mediale Fläche des Os cuneiforme I.
(man muss nämlich die fast extreme Supinationsstellung des
Fusses berücksichtigen!) und setzt sich dort am Knochen fest.
Man kann die Sehne aber noch weiter peripheriewärts bis in
das erste Drittel des Metatarsus hallucis verfolgen, wo sie mit
der Sehne des M. abductor hallucis verschmilzt. Der letztge-
nannte Muskel ist rudimentär und bloss durch eine starke, platte
Sehne repräsentiert, die am proximalen Ende einige am Os cunei-
forme I. entspringende Muskelfasern aufnimmt (Fig. 1a). Wegen
der Verbindung mit dem Abductor hallucis lässt sich der M.
tibialis posticus bis zur Phalanx prima verfolgen (was auch Lucae
erwähnt), und es ist nicht möglich zu entscheiden, welchen An-
teil beide Muskeln an der Bildung der eben beschriebenen Sehne
nehmen. Diese Verbindung bietet nichts Neues, sie erscheint
bloss als eine höhere Stufe jener Verhältnisse, die wir schon bei
Sciurus gefunden haben. Auch dort sahen wir, dass der
schwächere, schon am Unterschenkel frei gewordene Anteil der
Tibialissehne in den Abductor hallucis einstrahlt.
Carnivora.
Canis familiaris.
Der M. tibialis posticus ist ein dünner, kurzer Muskel. Er
entspringt am fibularen Rande der Tibia und am proximalen
Fibuflaende, bezieht aber ausserdem noch einige Fasern von
der Fascie des M. flexor fibularis. Er besitzt einen nur wenige
mm langen Fleischbauch und geht dann in eine lange, zarte
1) Lucae sagt in seiner „Robbe und Otter“: Bei der Robbe liegt der
Fussrücken auf der lateralen Seite des Unterschenkels ist also in hohem Grade
supiniert. Beugt man nun das Sprunggelenk dorsal, so bildet die Längsachse
des Fusses mit der Längsachse des in Flexion befindlichen Femur, in der Richtung
der Tibia gesehen, einen rechten Winkel nach aussen,
368 M. CARL ROSENFELD,
Sehne über, die in schräger Richtung vor dem M. flexor tibialis
verlauft und erst im untersten Drittel des Unterschenkels an
den medialen Rand der hinteren Tibiafläche gelangt. Weiter
unten finden wir die Sehne in der Furche der hinteren Fläche
des Malleolus internus. In der Planta vereinigt sich die Sehne
mit dem medialen, langen Seitenbande des Tarsotibialgelenkes
und gelangt zum Os naviculare.
Canis lupus.
Beim Wolf verhält sich der Muskel ähnlich wie beim Hunde
Er entspringt am proximalen Ende der Fibula und am fibularen
Rande der Tibia. Der Muskelbauch ist ebenfalls sehr schwach.
Die Sehne verlauft in schräger Richtung gegen den medialen
Tibiarand, tritt auch hier in nahe Beziehungen zum früher er-
wähnten plantaren Bande und endet am Os naviculare.
Felis pardalis.
Der Musculus tibialis posticus entspringt am fibularen Rande
der Tibia und am proximalen Fibulaende Er verlauft dann
in schräger Richtung gegen den medialen Rand der Tibia und
wird auf dieser Strecke — ungefähr bis zur Mitte des Unter-
schenkels — von demM. flexor digitorum tibialis überlagert. Im
untersten Teile des Unterschenkels überkreuzen sich die beiden
Sehnen, so dass die Tibialissehne an die mediale Seite des
Beugers zu liegen kommt. Die Sehne verlauft nun, in einer
Sehnenscheide, in der Furche der hinteren Malleolarfläche gegen
die Planta, um am distalen Ende des Os naviculare zu enden.
An der Insertion hängt die Sehne mit der tiefen plantaren Apo-
neurose zusammen.
Arctitis.
Der Ursprung des M. tibialis posticus verhält sich hier
wie bei den schon beschriebenen Oarnivoren. Auch im weiteren
Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis posticus. 369
Verlaufe des Muskels finden wir bloss eine Wiederholung der bei
Felis pardalis bereits angegebenen Verhältnisse.
Ein Unterschied zeigt sich erst an der Insertion, indem sich
die Sehne am distalen Anteile des Os entocuneiforme, und nicht
auch am Os naviculare festsetzt. Es bestehen aber auch schon
laterale plantare Ausläufer. Die Sehne geht eine Verbindung
mit dem Ligamentum plantare longum ein, setzt sich mit einem
membranös ausgebreiteten Anteil an den beiden anderen Keil-
beinen fest und sendet schliesslich noch einen feinen Ausläufer
gegen den Sinus tarsi. Dieser Anteil der Sehne trägt aber mehr
den Charakter der häufig in Sehnenscheiden vorkommenden
Retinacula, als den einer direkten Ausstrahlung der Sehne.
Resume. Fassen wir die Angaben über den Musculus
tibialis posticus bei den Carnivoren zusammen, so muss uns vor
allem der eigentümlich schräge Verlauf des Muskels auffallen.
Ich erkläre mir diesen Befund dahin, dass der mediale, sonst
sehr starke Anteil des Muskels geschwunden ist. Denn obwohl
wir nirgends eine deutliche Teilung des Muskelbauches in zwei
Köpfe finden, sind wir doch berechtigt, einen medialen, an der
Tibia, und einen lateralen, am fibularen Rande der Tibia und
am proximalen Fibulaende entspringenden Kopf zu unterscheiden.
Bei den Carnivoren persistiert nun bloss der laterale Anteil des
Muskelbauches.
Die Sehne des Muskels inseriert beim Hund, Wolf und bei
Felis am Os naviculare, hängt aber bei den beiden zuerst er-
wähnten Tieren auch mit dem medialen Seitenbande des Tarso-
tibialgelenkes zusammen. Beim Wickelbären endet die Sehne
erst am distalen Ende des Os entocuneiforme, steht aber durch
laterale Ausläufer auch noch mit dem Ligamentum plantare
longum, den beiden anderen Cuneiformia und dem Sinus tarsı
in Verbindung.
370 M. CARL ROSENFELD,
Perissodactyla.
Equus caballus.
In der oberen Schichte der Wadenmuskulatur, erscheinen die
tiefen Muskeln von dem ziemlich derben, tiefen Blatte der Fascia
ceruris eingehüllt. Den obersten Anteil der hinteren Tibiafläche deckt
der M. popliteus. Dann folgt der M. flexor tibialis. Er ist durch
den ziemlich mächtigen M. popliteus an seinem Ursprung lateral
abgedrängt, kommt aber schon in der Mitte des Unterschenkels
an den medialen Tibiarand zu liegen. Seine Sehne verlauft in
einer Rinne der hinteren Malleolarfläche gegen die Planta und
verschmilzt an der Fusswurzel mit dem Musculus flexor fibularis.
Dieser stellt einen mächtigen, mehrköpfigen Muskel dar, der
an der Fibula und an den lateralen Partien der Tibia ent-
springt und im unteren Dritteil des Unterschenkels in eine starke
Sehne übergeht. An die Hauptmasse des Muskels schliesst
sich ein zweiter, längs der Tibia entspringender Kopf an. Dieser
Anteil desM. flexor fibularis beginnt unterhalb des M. popliteus.
Er wird vom M. flexor tibialis an der hinteren Seite gekreuzt
und gelangt schief lateral absteigend an die Hauptsehne. Die
tibialen Gefässe und Nerven finden wir dementsprechend im
mittleren Drittel des Unterschenkels zwischen beiden Köpfen des
Flexor fibularis, an der hinteren Seite gedeckt vom M. flexor
tibialis; weiter distal — wie sonst — zwischen den beiden
Beugern. Der laterale, grössere Anteil des M. flexor fibularis
wird noch von einem Muskel gedeckt, der an der hinteren Fläche
des Condylus lateralis tibiae, am Capitulum fibulae und am
Wadenbeinkörper entspringt und an seinem Ursprunge in der
Ausdehnung von 1 bis 2 cm auch mit dem lateralen Kopf des
Flexor fibularis zusammenhängt, so dass man ihn an dieser
Stelle nicht ablösen kann, ohne den Hauptmuskel zu verletzen.
Er geht dann in eine dünne, breite Sehne über, welche die
Hauptsehne des Flexor fibularis deckt und schliesslich etwa
Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis posticus. 371
3 cm oberhalb des Fersenbeinhöckers mit derselben verschmilzt.
Diesen zuletzt angegebenen Muskel haben Sussdorf (Lehrbuch
der vergleichenden Anatomie der Haustiere), dann Leisering
und Müller (Handbuch der vergleichenden Anatomie der Haus-
säugetiere) als Musculus tibialis posticus gedeutet. Dem gegen-
über finden wir in der Literatur von anderen Autoren das voll-
ständige Fehlen des Musculus tibialis posticus hervorgehoben.
So leugnet Meckel (Vergleichende Anatomie Bd. III) den Be-
stand desselben „bei den Einhufern, Wiederkäuern, dem Schwein
u. s. w.“ und auch in Bronns Klassen und Ordnungen des
Tier-Reichs finden wir die kurze Angabe: „der M. tibialis posti-
cus fehlt allen Huftieren.“
Aus obiger Schilderung der Gruppe der tiefen Waden-
muskeln ersehen wir, dass beim Pferd kein Muskel vorhanden
ist, der als M. tibialis posticus anzusprechen wäre. Der von
Sussdorf als M. tibialis posticus bezeichnete Muskel ist viel
eher als dritter Kopf des M. flexor fibularis zu deuten,
zumal wir in der Ordnung der Artiodactyla Verhältnissen be-
gegnen, welche diese Auffassung rechtfertigen.
Artiodactyla.
a) Pachydermata.
Sus: Wir finden beim Schwein ähnliche Verhältnisse wie
beim Pferde. Der M. flexor fibularis!) ist sehr stark, es besteht
auch ein sehr starker, zweiter Kopf desselben, der mit seinem
proximalen Abschnitte sogar den medialen Tibiacondyl erreicht
und daher vomM. flexor tibialis gedeckt wird. Der dritte Kopi
ı) Wenngleich die Fibula in der Ordnung der Artiodactyla nur selten
als selbständiger Knochen auftritt und die Rudimente derselben mit dem proxi-
malen und distalen Ende der Tibia verwachsen sind, will ich doch die Bezeich-
nung ‚,‚M. flexor fibularis“ für den lateralen Beuger belassen, da diese Be-
eichnung für vergleichende Untersuchungen allgemein gebräuchlich ist.
372 M. CARL ROSENFELD,
des M. flexor fibularis ist sehr schwach. Ursprung und Ende
desselben bleiben unverändert, der Unterschied betrifft diesmal
bloss die Masse.
b) Artiodactyla ruminantia.
Auch bei der Antilope und bei Cervus capreolus finden
wir den M. flexor fibularis in derselben Anordnung. Der Unter-
schied besteht bloss darin, dass der dritte Kopf desselben am
Ursprunge mit der Fleischmasse der Hauptpartie des fibularen
Beugers nicht zusammenhängt. Er lässt sich also in einer
grösseren Ausdehnung von der Unterlage abheben und zwar
bis zu der Stelle, an der er in die Hauptsehne einstrahlt.
Bos taurus (Fig. 2): Auch bei diesem Tiere begegnen
wir analogen Verhältnissen; es strahlt bloss die Sehne des dritten
Kopfes (c) etwas tiefer und zwar am plantaren Ende des Cal-
caneus in die Hauptsehne ein. Der dritte Kopf des Beugers
hängt bei diesem Tiere an seinem Ursprung mit der Fleisch-
masse des Hauptmuskels zusammen.
Ovis aries. Der Zusammenhang des dritten Kopfes (Fig.
3öc) des M. flexor fibularıs mit der Hauptmasse des Muskels ist
beim Schaf viel inniger als bei den übrigen Wiederkäuern. Er
hängt schon an seinem Ursprunge mit dem Fleischkörper des
flexor fibularis in grösserer Ausdehnung zusammen und die
Sehne strahlt bereits in der Mitte des Unterschenkels in die
Hauptsehne ein.
Der dritte Kopf des flexor fibularis lässt sich also nur
in einer kurzen Strecke von der Hauptmasse des Muskels
isolieren.
Capra hircus. M. flexor fibularis wie bei den anderen
Wiederkäuern. Abweichend ist bloss das Verhalten des dritten
Kopfes. Wir finden nämlich diesen Muskelbauch zwar noch
deutlich ausgeprägt (Fig. 4c.), es gelingt aber nicht mehr den
Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis postieus. 313
Muskelkörper zu isolieren, da er mit der Hauptmasse des M.
flexor fibularis verschmolzen ist.
Camelus dromedarius: Die tiefe Wadenmuskulatur dieses
Tieres zeigt ein ganz abweichendes Verhalten. In demselben
Masse, als der M. flexor fibularis an Masse abnimmt, vergrössert
sich bei diesem Tiere der M. flexor tibialis. Der erstere (Fig. 5
f. 1.) entspringt am fibularen Ende der Tibia und an der Fibula
und geht dann in eine zarte Sehne über. Der letztere bezieht
seine Fasern von der Tibia in ihrer ganzen Länge und von der
Fibula bis zum unteren Dritteil des Unterschenkels, geht erst
dort in eine ziemlich starke Sehne über, die sich typisch mit der
des anderen Beugers verbindet (Fig. 5 £. t.). Der dritte Kopf des
lateralen Beugers fehlt vollständig.
Resume: Auch in dieser Ordnung fehlt ein typischer Mus-
culus tibialis posticus. Es ist wohl sehr wahrscheinlich, dass er
seine Selbständigkeit aufgegeben und seine Fasern der Fleisch-
masse der Beuger einverleibt hat und zwar dürfte er am ehesten
in derjenigen Partie des fibularen Beugers zu suchen sein, die
als zweiter Kopf desselben beschrieben wurde, denn:
1. entspringen die Fasern jenes Kopfes an den medialen
Partien der Tibia, also dort, wo wir gewöhnlich den M. tibialis
posticus finden. Halten wir aber an der Angabe Sussdorfs
fest und suchen den M. tibialis posticus im dritten Kopfe des
Flexor fibularis, so müssten wir annehmen: Die Fasern des M.
tibialis posticus hatten eine Wanderung durchgemacht, um mit
dem Beuger verschmelzen zu können.
2. ist dieser zweite Kopf des fibularen Beugers nur in dieser
Ordnung so mächtig entwickelt und schwindet in den anderen.
Bei Camelus dromedarius fehlt der zweite Kopf des lateralen
Beugers, der überhaupt um vieles schwächer ist, dahingegen ist
der Flexor tibialis sehr mächtig und bezieht seine Fasern der
ganzen Tibia entlang, ähnlich wie der zweite Kopf des Flexor
fibularis bei den anderen Artiodactylen. Wir werden daher den
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVI. Heft (11. Bd., H. 3.) 25
1 M. CARL ROSENFELD,
M. tibialis posticus dieses Tieres am ehesten im M. flexor tibialıs
zu suchen haben.
Der M. tibialis postieus der Autoren ist als dritter Kopf des
M. flexor fibularis zu deuten. Das genauere Verhalten dieses
Muskels in den beiden Ordnungen der Perisso- und Artiodactyla
begründet diese Auffassung zur Genüge. Vergleicht man näm-
lich die zahlreichen Repräsentanten beider Ordnungen in dieser
Hinsicht, so muss man sie in folgender Weise ordnen:
N.
1. Antilope. Cervus capreolus.
2. Bos taurus. Equus caballus. Sus.
3. Ovis aries.
4. Capra hircus.
B.
u Camelus dromedarius.
Bei den beiden sub A 1. angeführten Tieren lässt sich der
in Rede stehende Muskel in grösserer Ausdehnung von der
Unterlage abheben. Er hängt an seinem Ursprunge mit dem
M. flexor fibularis nicht zusammen, es vereinigen sich nur die
Sehnen beider Muskeln.
A 2. Bei diesen drei Species hängt der Muskel auch schon
an seinem Ursprunge mit der Muskelmasse des M. flexor fibularis
zusammen.
A 3. Beim Schaf ist der Zusammenhang schon em so
inniger, dass wir den Muskel nur in geringer Ausdehnung von
der darunter liegenden Fleischmasse ablösen können.
A A. Es sind nur mehr die Konturen des Muskels sicht-
bar, wir können ihn nieht mehr isoliren, ohne den M. flexor
fibularis zu verletzen.
Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis posticus. 37
B) Beim Kamel fehlt der dritte Kopf vollständig und es
ist ein Wechsel in dem Verhalten der beiden Beuger eingetreten.
Es ist also möglich, innerhalb einer und derselben Ordnung an
wenigen Species sämtliche Übergangsstufen des fraglichen M.
tibialis posticus zu finden, von jenem Stadium, wo der voll-
kommen freie Muskel bloss mit seiner Sehne in die Hauptsehne
einstrahlt (A 1), bis zu jenem Zustand (A 4), in welchem die
beiden Fleischmassen vollkommen mit einander verschmelzen !}).
Chiroptera.
Pteropus.
Der Musculus tibialis posticus liegt an der hinteren Fläche
des Unterschenkels, erreicht aber mit seinem Ursprunge kaum
die Mitte desselben. Zwischen dem M. flexor tibialis und fibu-
laris gelegen, entspringt er an der unteren Hälfte der Fibula
und der Membrana interossea. Am distalen Ende der Tibia
geht er in eine zarte Sehne über, die im Bereiche der Sehnen-
furche der Tibia eine Auftreibung, einen Knorpelkern, zeigt.
Die Sehne endet am Os mesocuneiforme und setzt sich auch
noch bis zur Basis des Os metatarsale der II. Zehe fort.
In Bronns Klassen und Ordnungen des Tier-Reichs finden
wir die Insertion der Sehne bei Pteropus ebenfalls am Os
mesocuneiforme angegeben. Bei den anderen soll die Sehne
am Os naviculare inserieren.
Prosimiae.
Lemur varius.
Der Ursprung und der weitere Verlauf des M. tibialis posticus
stellen sich wie bei den anderen Ordnungen. Die Sehne liegt
ı) Ich möchte darauf hinweisen, dass die Lösung der Frage des M.
tibialis postieus in der Ordnung der Artiodactyla noch durch den Umstand
erschwert wird, als uns einerseits die Innervation gar keinen Anhaltspunkt
bietet (nachdem doch sämtliche Muskeln dieser Gegend von demselben Nerven-
stamm versorgt werden) andererseits aber die veränderten Insertionsverhält-
nisse nichts beweisen und auch an anderen Muskeln vorkommen.
25*
376 M. CARL ROSENFELD,
in der Furche der hinteren Malleolarfläche, von einer Sehnen-
scheide bekleidet. In der Planta teilt sie sich in zwei Schenkel.
Der mediale setzt sich am Os naviculare an, verlauft an der
plantaren Fläche des Os entocuneilorme weiter und endet neben
der Endsehne des M. tibialis anticus. Der laterale Anteil der
Sehne stellt eine ungefähr vierseitig begrenzte Platte dar, die
zwischen dem Seitenrande des Os naviculare und dem medialen
Rande des Os ceuboideum ausgespannt ist.
Beim Lemur finden wir überdies ein Band, das schon bei
einigen Tieren der niederen Säugetierordnungen vorkommt, bei
den Affen aber ein konstantes Gebilde darstellt. Es entspringt
an der vorderen Peripherie des Malleolus internus, zieht über
den medialen Schenkel der Tibialissehne schräg hinweg und
endet am Os naviculare.
Stenops tardigradus:
Auch beim Stenops teilt sich die Sehne des M. tibialis
posticus in zwei Teile. Der laterale, stärkere Anteil derselben
lenkt am Os naviculare lateral gegen die Tiefe der Planta ab
und endet an der Basis des zweiten und dritten Os metatarsale.
Der mediale Schenkel ist sehr zart, analog den Sehnenretinacula,
die wir in der Ordnung der Affen öfters finden werden. Eine
direkte Insertion am Os naviculare fehlt.
Resume: In dieser Ordnung spaltet sich die Endsehne in
einen medialen und einen lateralen Schenkel. Der letztere endet
beim Stenops an der Basis des zweiten und dritten Mittelfuss-
knochens, während er sich beim Lemur mehr flächenhaft aus-
breitet. Der mediale Anteil der Sehne ist beim Lemur noch
ziemlich stark, bei Stenops schon rudimentär. Die Insertion am
Os naviculare fehlt.
Simiae.
Die schon in der Ordnung der Halbaffen aufgetretene
Teilung der Endsehne in einen medialen und einen lateralen
Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis postieus. 37
Schenkel ist auch bei den Affen vorhanden. Der laterale Anteil
der Sehne ist in dieser Ordnung um vieles stärker, der mediale
dagegen rudimentär. Er kann ganz fehlen oder ist bloss zu
einem Retinaculum entwickelt, durch dessen Vermittlung sich
die Sehne des M. tibialis posticus an das Os naviculare anlehnt.
Macacus: Der M. tibialis posticus erreicht mit seinem Ur-
sprunge das proximale Ende der Tibia und ist dort vom M.
flexor digitorum gedeckt.
Im mittleren Drittel des Unterschenkels geht er in eine
lange Sehne über, welche oberhalb des Malleolus internus eine
Sehnenscheide erhält. Diese reicht bis in die Planta und wird
dort zum grössten Teile von der derben tiefen Plantarfascie
hergestellt.
Die Sehne setzt sich an dem zweiten und dritten Os cunei-
forme fest, überbrückt im weiteren Verlaufe den Kanal für die
Sehne des Musculus peronaeus longus und endet schliesslich an
den Basen des zweiten und dritten Mittelfussknochens. Von
einer Insertion am Os naviculare kann man kaum sprechen.
Es besteht bloss ein Retinaculum, welches die Sehne mit dem
Os naviculare verbindet.
Cebus capueinus. Der laterale Schenkel der Sehne
inserirt am Os meso- und ectocuneiforme, vervollständigt den
Kanal für die Peronaeussehne und heftet sich an den Basen des
zweiten bis vierten Os metatarsale an.
Statt des medialen Sehnenanteiles besteht ein Retinaculum,
ähnlich wie beim Macacus, nur etwas stärker.
Cynocephalus Hamadrias.
Der laterale Sehnenanteil endet am Os cuneiforme secundum
et tertium.
Der mediale Schenkel fehlt, statt dessen finden wir ein
Retinaculum.
378 M. CARL ROSENFELD,
Cercopithecus sabaeus.
Der laterale Schenkel ist sehr stark und inserirt an der
Basis des zweiten bis vierten Mittelfussknochens. Anstatt der
medialen Sehne ein Retinaculum.
Ateles paniscus.
Die Sehne des M. tibialis posticus setzt sich beim Ateles
an der Tuberositas ossis navicularis fest, reicht aber noch weiter
bis an das distale Ende des Os entocuneiforme und begegnet
dort der Endsehne des M. tibialis anticus.
Die lateralen Ausläufer der Sehne fehlen.
Mensch.
Über den Ursprung und weiteren Verlauf des M. tibialis
postieus beim Menschen verweise ich auf die diesbezüglichen
Angaben der Autoren. Besonderes Interesse beansprucht bloss
die Insertion des Muskels. Es fällt schwer zwei Fälle zu finden,
an denen die Insertion die gleiche Form aufweist und dement-
sprechend stimmen auch die Angaben der Autoren nicht über-
ein. Toldt beschreibt z. B. nur den Ansatz am Os naviculare,
andere Autoren wieder kennen eine mediale, stärkere und eine
laterale, schwächere Portion der Sehne. Nach Gegenbaur und
Rosenmüller setzt sich die mediale Partie an der Tuberositas
ossis navicularis sowie an der Plantarfläche des Os cuneitorme I
fest, während ein schwächerer lateraler Zipfel schräg in die Tiefe
der Planta zu den beiden vorderen Keilbeinen zieht. Barkow,
Weitbrecht, Hartmann, Henle und v. Soemmering be-
schreiben überdies Sehnenfascikel für das 2. und 3. Keilbein,
das Os cuboideum, sowie für die Basen des 2. und 3. Mittel-
fussknochens. Hoffmann und insbesondere Meyer sprechen
von einer fächerförmigen Ausbreitung der Sehnenanteile und
beschreiben einen Fortsatz zum 4. Mittelfussknochen, sowie einen
Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis posticus. 319
schwächeren Faserzug nach hinten zum Sustentaculum tali.
Langenbeck giebt an, die Sehne des M. tibialis postieus ziehe
„zu sämtlichen Ossibus tarsi — Talus ausgenommen — und zum
Os metatarsi tertjum et quartum.“ Weitbrecht ist sogar geneigt,
die Ausbreitung der Tibialissehne in der Fussohle als Bänder
zu deuten.
Ich habe eine ganze Reihe menschlicher Extremitäten auf
diese Verhältnisse hin untersucht und konnte für den einzelnen
Fall die Angaben der Autoren bestätigen. Die Sehne des M.
tibialis posticus zerfällt im Bereiche des Os naviculare in zwei
Schenkel. Der mediale Anteil legt sich an das Os naviculare an,
setzt sich aber noch bis an das distale Ende des Os cuneiforme I
weiter fort. Die Sehne scheint am Os naviculare zu enden und
sich dann weiter in ein Band, gleichsam ein Ligamentum cuneo-
naviculare fortzusetzen. Die genauere Untersuchung zeigt, dass
dieses Band die direkte Fortsetzung der Sehne darstellt. Schneidet
man die Sehne der Länge nach bis auf den Knochen ein, dann
überzeugt man sich, dass sie sich in gleicher Dicke bis an das
Os entocuneiforme forterstreckt.
Der laterale Sehnenanteil zweigt in der Gegend des Os
naviculare von der Hauptsehne ab und zeigt in seinem weiteren
Verlaufe ein sehr verschiedenes Verhalten.
In allen Fällen liegt die laterale Sehne in einer eigenen
Sehnenscheide. Die dorsale Wand derselben wird von der Ge-
lenkskapsel und den tiefen Bändern der Amphiarthrosen des
Fusses hergestellt, während die plantare Wand von dem tiefen
Blatte der Aponeurosis plantaris gebildet wird.
Schon bei den Affen und auch bei manchen niederen Säuge-
tieren finden wir in der Tiefe der Sohle eine einheitliche, starke,
plantare Fascie, welche in dem Bereiche der Tibialissehne direkt
zwischen dem Ligamentum plantare longum und den Knochen
des medialen Fussrandes ausgespannt ist. Bei den Affen wird
dieser Anteil der plantaren Fascie durch das bereits beschriebene
380 M. CARL ROSENFELD,
Ligamentum tibio- naviculare verstärkt, welches mit einem late-
'alen Ausläufer in denselben einstrahlt. Auch beim Menschen
finden wir eine tiefe plantare Aponeurose, wenngleich sie kein
so gleichmässiges Gefüge zeigt, es wechseln vielmehr zarte
Partien mit stärkeren, bandartigen ab. Nur in wenigen Fällen
erscheint die Aponeurose in der ganzen Strecke gleichmässig
diek. Lösen wir nun diese Aponeurose ab, dann erscheinen in
der Tiefe die Ausläufer der lateralen Tibialissehne in verschie-
dener Anordnung. Wir können diesbezüglich vor allem zwei
Typen unterscheiden:
1. In einer Reihe von Fällen ist die Sehne in mehrere Fas-
cikel geteilt, die teilweise in die oben beschriebene Aponeurose,
insbesondere in diejenigen Partien derselben einstrahlen, an
welchen Muskelfasern entspringen. Selbst in denjenigen Fällen
(zweite Gruppe), in denen wir eine einheitliche, dieke Sehne
finden, geht ein Faserzug ab, der in die Aponeurose einstrahlt.
Die einzelnen Fascikel der Sehne gehen zu den Basen der Mittel-
fussknochen und zwar entweder bloss zu denen des zweiten und
dritten, oder auch zu der des vierten Os metatarsale. Ausserdem
finden wir einen Fortsatz der Sehne, der lateral umbiegend gegen
den Canalis peronaeus des Würfelbeines hinzieht. Schliesslich
kann noch ein Zipfel für den fünften Mittelfussknochen vor-
handen sein; es sind wenigstens solche Fälle im Varietätenbuche
der I. anatomischen Lehrkanzel zu Wien verzeichnet. Man findet
aber auch zartere in die Tiefe einstrahlende Stränge, die sich
mit den tiefen interstitiellen Gelenksbändern verbinden und
schliesslich selber als solche aufzufassen sind.
2. In anderen Fällen findet man eine einheitliche, starke,
laterale Sehne, die am Seitenrande des Os naviculare bis gegen
die Basen der medialen drei Metatarsi hinunterzieht, immer aber
mit einem nicht unbedeutenden Faseranteile lateral ablenkt. Die
letzterwähnten Fasern ziehen um das distale Ende des Os ecto-
cuneiforme herum gegen den plantaren Sulcus ossis cuboidei, um
Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis posticus. 381
dort in das Periost einzustrahlen. Berücksichtigt man, dass dieser
Sehnenanteil straff ausgespannt ist, dann wird man ihn als
ein starkes Band auffassen müssen, welches im hohen Grade
geeignet ist, den Verband der beiden Knochen zu sichern.
Ausserdem findet sich noch konstant, sowohl in der ersten
als auch in der zweiten Gruppe ein Faserzug, der zuerst von
H. v. Meyer in dessen Arbeit über den Klumpfuss angegeben,
von dem vorderen Ende des Sustentaculum tali entspringt, sich
mit der Sehne des M. tibialis posterior, kurz ehe sich dieselbe
an die Tuberositas ossis navicularis anheitet, fest vereinigt
und sich dann dem zum Os cuneiforme primum weitergehenden
Teile der Sehne beischliesst. „Der freie Teil dieses Stranges
zwischen dem Ursprunge an dem Sustentaculum tali und der
Vereinigung mit der Sehne dient als Retinaculum für diese,
kann aber auch einen Zug auf den Calcaneus ausüben, wenn
der Muskel sich lebhaft zusammenzieht.“
Dieses von v. Meyer zuerst beschriebene Bändchen kommt
konstant vor, ich möchte es aber bloss als Retinaculum der
Sehne auffassen, wie ja solche in fast allen Sehnenscheiden vor-
kommen. Es ist mir auch nie gelungen, durch einen auch noch
so kräftigen Zug an der Tibialissehne irgend welche Rückwirkung
auf den Calcaneus nachzuweisen. Von Wichtigkeit sind schliess-
lich die vielfachen Verbindungen, welche die Ausläufer der late-
ralen Tibialsehne mit den benachbarten Muskeln und Sehnen
eingehen.
So spricht v. Soemmering von einem Fascikel der Tibialis-
sehne zum kurzen Beuger der grossen Zehe; Henle erwähnt
einen Faserzug, der sich der Sehne des M. abductor hallueis
beimischt und giebt ferner auch einen von Wood beschriebenen
Fall an, in dem der an das erste Keilbein sich ansetzende Zipfel
der Sehne ganz in den M. flexor brevis hallueis übergeht. Schliess-
lich wäre aus der Litteratur noch folgende Angabe Barkows
hervorzuheben, nach welcher ‚‚die Sehne des M. peronaeus longus
|
2
ID
M. CARL ROSENFELD,
und des M. tibialis posticus untereinander verschmelzen, eine
starke Membran bilden, welche mit dem Ligamentum scaphoideo-
cuboideum plantare zusammenhängt, zu der Spitze der beiden
kleinen Keilbeine geht, ausserdem aber tiefer wie gewöhnlich
an den Mittelfussknochen inseriert.“ Diese Anastomosen der
Sehne des M. tibialis posticus mit den benachbarten Muskeln
unterliegen grossen Schwankungen, ja sie können sich selbst an
den beiden Extremitäten desselben Individuums verschieden ge-
stalten. Eine ganze Reihe derselben ist aber doch ziemlich kon-
stant und nur der Grad und die Innigkeit des Zusammenhanges
varlieren. |
1. Wir finden fast ausnahmslos eine Verbindung zwischen
der Tibialissehne und der Ursprungsaponeurose des M. flexor
brevis hallucis. Es strahlt dann entweder bloss ein Zipfel der
vielfach geteilten Sehne in die Aponeurose ein, oder es entspringen
sogar die Muskelfasern des Flexor hallucis brevis direkt an einem
Ausläufer der Tibialissehne.
2. Ebenfalls sehr häufig beobachtet man die Verbindung
der Sehne des M. tibialis posticus mit der des Musculus peronaeus
longus. Diese Verbindung kann verschiedene Grade erreichen.
In vielen Fällen findet man bloss einen ganz zarten, isolierten
Faserzug, der vom M. tibialis posticus gegen die Peronaeussehne
hinzieht und sich mit derselben oder mit deren Sehnenscheide
vereinigt. Dieser Faserzug verbindet sich zuweilen mit der Pe-
ronaeussehne nur teilweise und sucht dann seine gewöhnliche In-
sertion an den medialen drei Mittelfussknochen auf. Von diesem
Verhalten, als dem geringsten Grade der Anastomose zwischen
den beiden Muskeln finden wir verschiedene Übergänge bis zu
jener flächenhaften, membranösen Verschmelzung beider Sehnen,
die zuerst von Barkow beschrieben und dann nur noch von
Weitbrecht erwähnt wurde. Ich hatte Gelegenheit, dieses
Verhalten in 50 Fällen 6 mal zu finden.
Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis posticus. 383
Daran schliessen sich nun noch andere Fälle an, in welchen:
man zwar keinen direkten Faseraustausch zwischen den beiden
Sehnen nachweisen kann, in denen aber die beiden Sehnen durch
eine dünne, fascienartige Membran verbunden sind, während
die Ausläufer der Tibialissehne in der Tiefe, also dorsal von der
Peronaeussehne an den Mittelfussknochen enden.
3. Nicht ganz konstante Verbindungen, entstanden durch
Vermittlung eines Fascikels der lateralen Tibialissehne, das in
die früher beschriebene plantare Aponeurose einstrahlt und auf
diese Weise zu einer Anzahl von Muskelfasern des M. abductor
hallucis in Beziehung tritt.
4. In einer grösseren Reihe von Fällen gelangt ein Faserzug
aus der Tibialissehne sogar bis an den Abductor hallucis und
zwar entweder direkt oder indirekt, nachdem ein mehr oder
minder inniger Faseraustausch zwischen der Tibialis- und Pero-
naeussehne stattgefunden hat. Dies erklärt auch die Fälle, in
denen der M. adductor hallucis an der Peroneussehne ent-
springt.
Laterale Ausläufer der Tibialissehne finden wir in der Säuge-
tierreihe zum erstenmal beim Igel. Wirsehen dort einen schwachen
Zipfel gegen den Sinus tarsi hin verlaufen. Beim Bären werden
diese Ausläufer schon kräftiger und zahlreicher, bei den Halb-
affen und Affen sind sie noch höher entwickelt, bis sie endlich
beim Menschen die grösste Mächtigkeit erreichen. Wir haben
es also mit einer progressiven Veränderung der Sehne des
M. tibialis posticus zu thun. Beim Menschen hängt dieser mäch-
tige, fächerförmig ausgebreitete Anteil der Sehne so ziemlich
mit sämtlichen Knochen der Fusswurzel zusammen und Her-
mann v. Meyer meint sogar: „diese Abzweigung sei geeignet,
den ganzen Komplex des Vorderteiles des Fusses, der schon
durch seine Bandverbindung ein fest vereinigtes Ganzes dar-
354 M. CARL ROSENFELD,
stellt, als eine Einheit zu bewegen, weil sie in mehrere Zipfel
zerspalten, sich an die erösste Anzahl der Bestandteile des Kom-
plexes ansetzt.‘“ Ich möchte meinen, dass diese Anordnung der
Sehne im hohen Grade geeignet ist, die Festigkeit des ganzen
Fussgerüstes zu sichern. Da wir in der Sohle ziemlich straffe
Amphiarthrosen vorfinden, und die Hauptwirkung des M. tibialis
posticus durch den Ansatz am Os naviculare erzielt wird; anderer-
seits aber die laterale Sehne durch ihre Ansätze an den einzelnen
Knochen vielfach unterbrochen ist, und die einzelnen Abschnitte
derselben uns geradezu als von Knochen zu Knochen ausge-
spannte Brücken erscheinen, müssen wir davon absehen, dem
lateralen Schenkel der Sehne eine rotierende Komponente beim
Spiele des Muskels beizumessen. Es wird wohl richtiger sein,
diesen Anteil der Sehne, wenigstens den grössten Teil desselben,
im Sinne Weitbrechts zu deuten, d. h. ihn als einen Band-
apparat aufzufassen. Beim Menschen sind durch den aufrechten
Gang ganz neue Verhältnisse geschaffen; das aus vielen Bestand-
teilen zusammengesetzte Knochengerüst des Fusses muss bei
der starken Belastung während des Gehaktes und beim aufrechten
Stehen besonders fest gebunden sein. Dementsprechend finden
wir in der Sohle:
a) einen mächtigen Bandapparat,
b) eine eigentümliche Anordnung der Sehnen, wobei vor
allem der laterale Schenkel der Tibialissehne in Betracht
kommt und
c) die vielfachen Anastomosen, welche die Ausläufer der
Tibialissehne mit der Umgebung eingehen.
Es haben Ruge und Schulze in ihren Abhandlungen
über die tiefe Plantarmuskulatur Anastomosen zwischen den
oberflächlichen Beugern beschrieben und dahin gedeutet, dass
„dadurch eine besser dienende, gleichzeitige Beugewirkung auf
mehrere oder alle Zehen erzielt wird.“ Ich möchte nun jenen
Sehnenverbindungen die vielfachen Anastomosen in der Tiefe
Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis posticus. 385
der Sohle entgegenstellen und darauf hinweisen, dass während
jene eine exaktere und vollständigere Beugewirkung erzielen,
diese in der Tiefe, dem Gelenke näher gelegen, nicht so sehr
den Bewegungen dienen, als vielmehr der Festigung des gesamten
Fussgerüstes.. Denn alle bei der speziellen Beschreibung ange-
führten Sehnenverbindungen können auch vereint an demselben
Fusse vorkommen und ich habe auch thatsächlich viele Fälle
gesehen, in denen fast sämtliche tiefen Muskeln teils direkt, teils
indirekt zusammenhingen. Andererseits habe ich mich vielfach
davon überzeugt, dass die Verbindungen der Tibialissehne mit
den benachbarten Sehnen und Muskeln für die Bewegungen des
Fusses belanglos sind, während sie beim Spiele der Muskeln
angespannt, den tiefen Bandapparat unterstützen.
Aus all den Gründen bin ich geneigt, dieses Verhalten der
Tibialissehne als durch statische Momente erzeugt aufzufassen
und die mächtige Entwickelung derselben beim Menschen auf
die geänderten Verhältnisse zurückzuführen, die durch den auf-
rechten Gang des Menschen geschaffen wurden. Möglicherweise
ist das Auftreten der lateralen Ausläufer der Tibialissehne beim
Igel, beim Wickelbären, bei den Halbaffen und Affen in ana-
loger Weise zu erklären. Die beiden ersteren sind ausgesprochene
Sohlengänger, bei den Halbaffen und Affen ruht — soweit es
mir aus der Beschreibung ihrer Lebensweise bekannt ist — wenig-
stens zeitweise das Gewicht des Körpers auf der Sohle.
Gesamt-Resume.
Überblicken wir nun sämtliche untersuchten Ordnungen der
Säugetiere, so erscheint uns der M. tibialis posticus als ein in
dieser Reihe — mit Ausnahme der beiden Ordnungen der Perisso-
und Artiodactyla — konstantes Gebilde.
Der Musculus tibialis posticus erscheint in allen Ordnungen
der Säugetiere und beim Menschen als der mediale Randmuskel
an der Hinterfläche der Tibia. Er entspringt in der Regel am
386 M. CARL ROSENFELD,
proximalen Ende der Tibia, kann sich aber mit seinem Ur-
sprunge auch auf den lateralen Kondylus dieses Knochens, ja
sogar bis auf das Fibulaköpfchen erstrecken. Dementsprechend
könnten wir am Ursprunge des Muskels einen tibialen und fibu-
laren Anteil unterscheiden, wenngleich die beiden Hälften nie
als vollständig getrennte Köpfe auftreten. Bei den Karnivoren
finden wir eine Rückbildung der medialen Partie und Persistenz
des lateralen Anteils (am deutlichsten beim Hunde und beim
Wolf). Bei den Chiropteren (Pteropus) entspringt der Muskel
erst von der Mitte des Unterschenkels.
Die Grenze zwischen den Muskelfasern und der Sehne finden
wir in der Mitte des Unterschenkels, nur bei den Karnivoren,
bei welchen der ganze Muskel in Rückbildung begriffen ist,
entsteht die Sehne schon hoch oben. Die Sehne liegt immer
am medialen Rande der Tibia, in ihrem Anfangsteile vom
M. flexor tibialis überlagert. An der hinteren Malleolarfläche
sehen wir konstant eine besondere Knochenfurche, in die sich
die Sehne einlagert und in der für gewöhnlich eine Sehnen-
scheide beginnt, die dann bis zur Insertionsstelle des Muskels
reicht. Diese Lage der Sehne bleibt in der ganzen Säugetier-
reihe unverändert. Als natürliche Folge dieses Befundes erscheint
uns der eigentümlich schräge Verlauf der Sehne in der Ordnung
der Karnivoren. Der schief verlaufende Anteil stellt geradezu
ein Schaltstück dar zur Verbindung des lateral gelegenen Mus-
kelbauches mit der an der medialen Seite persistierenden Sehne.
Grössere Unterschiede beobachten wir in den einzelnen Ord-
nungen an dem Endstücke der Sehne. Die Insertion am Os
naviculare oder, richtiger gesagt, am medialen Fusssohlenrande
muss als Typus aufgefasst werden. Nun aber divergieren die
Ordnungen in dem genaueren Verhalten der Endsehne und wir
können die untersuchten Tiere in folgende vier Hauptgruppen
einreihen:
ch
Qr7
‘
Zur vergleichenden Anatomie des Musculus tibialis posticus. Bis)
I. Spaltung der Sehne in zwei Stränge, von denen der eine
am Os navieulare, der andere an der ersten Zehe, und zwar
an der dorsalen Fläche derselben endet.
a) Zwei Muskeln, die nur an ihrem Ursprunge zusammen-
hängen und in zwei Sehnen übergehen.
Edentata: Dasypus novemeinctus; nach Hyrtl auch
Chlamydophorus truncatus.
b) Zweispaltung der Sehne in der unteren Hälfte des
Unterschenkels.
ca) Rodentia: Sciurus vulgaris: die zweite Sehne ver-
schmilzt mit dem M. abducetor hallucis.
$) Insectivora: Erinacacus europeus: die zweite Sehne
verschmilzt mit der Streckaponeurose der ersten
Zehe.
II. Die Sehne setzt sich ohne Zweispaltung am medialen Fuss-
sohlenrande fort.
a) es besteht dabei die normale Insertion am Os navi-
culare, teilweise auch am Os cuneiforme primum.
Pinnipedia: Phoca vitulina.
b) die Insertion am Os naviculare fehlt, die Sehne setzt
sich erst peripheriewärts fest.
Rodentia: Lepus cuniculus.
III. Insertion der Sehne am Os naviculare, eventuell auch noch
am Os cuneiforme primum.
a) Rodentia: Mus ratus. Myodes lemmus.
Simiae: Ateles.
a) Chiroptera: Pteropus, wenngleich die Insertion
hier lateral verschoben ist (Cuneiforme HI und
Os metatarsale der zweiten Zehe).
b) nur am Os naviculare.
Carnivora: Canis familiaris. Canis lupus. Felis par-
dalıis.
388 M. CARL ROSENFELD, Zur vergleichenden Anatomie etc.
IV. Spaltung der Endsehne in einen medialen und einen late-
ralen Schenkel.
Proximiae. Simiae. Homo.
a) Der mediale Schenkel bildet die Hauptsehne, der late-
rale ist um vieles schwächer.
a) Erinacaeus europeus: der laterale Schenkel nur
als ein schwacher Ausläufer gegen den Sinus
tarsi.
ß) Carnivora: Arctitis.
Prosimiae: Lemur varius.
b) Der mediale Schenkel der Sehne ist sehr schwach,
nur als verschieden starkes Retinaculum entwickelt.
Prosimiae: Stenops tardigradus.
Sämtliche untersuchten Affen mit Ausnahme des
Ateles.
c) Beide Schenkel halten sich so ziemlich das Gleich-
gewicht:
beim Menschen.
Zum Schlusse ist es für mich Bedürfnis, meinem hochge-
ehrten Chef und Lehrer, Herrn Prof. Dr. Emil Zuckerkandl
an dieser Stelle meinen wärmsten Dank für die thatkräftige
Unterstützung meiner Untersuchungen auszusprechen.
Auch dem Herrn Assistenten Dr. Julius Tandler bin ich zu
Dank verpflichtet, da ich seiner Liebenswürdigkeit den schönsten
Teil meines Untersuchungsmateriales zu verdanken habe.
er
Litteraturverzeichnis.
Bronn, Klassen und Ordnungen des Tierreichs. Säugetiere.
Ellenberger, Anatomie des Hundes.
Henle, Muskellehre.
Hyrtl, Chlamydophorus truncatas. Sitzungsberichte der Wiener Akademie
der Wissenschaften. 1854.
Krause, Anatomie des Kaninchens.
Langenbeck, Knochen-Ränder und Knorpellehre.
Leisering und Müller, Handbuch der vergleichenden Anatomie der
Haussäugetiere. 1885.
Lucae, Die Robbe und die Otter in ihrem Knochen- und Muskelskelett. 1876.
Meckel, Vergleichende Anatomie.
. Ruge, Zur vergleichenden Anatomie der tiefen Muskeln in der Fusssohle.
Gegenbaurs Morphologisches Jahrbuch. Bd. IV.
. Schulze, Fr., Myologische Untersuchungen. I. Die Sehnenverbindnngen
in der Planta des Menschen und der Säugetiere. Zeitschrift für wissen-
schaftliche Zoologie. Bd. 17.
. Th. v. Sömmering, Lehre von den Muskeln und Gefässen.
Sussdorf, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der Haustiere. 1895
. Weitbrecht, Syndesmologie.
15.
Lehr- und Handbücher der Anatomie von: Gegenbaur, Rosenmüller,
Hartmann, Hoffmann, Langer-Toldt.
Hermann v. Meyer, Der Klumpfuss und seine Folgen für das übrige
Knochengerüst.
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVI. Heft (11. Bd., H. 3.) 26
Erklärung der Abbildungen.
Fig. 1. Pheea vituliva
t. Sehne des M. tibialis posticus.
a. Muskelfasern des radimentären Abduetor hallueis.
s. Die vereinigten Sehnen beider Muskeln.
1. Os metatarsale primum.
Fig. 2. Bes taurus.
Fig. 4 Capra hireus.
Fig. 5. Camelus dromedarius.
p- Musculus popliteus.
f. t. Museulus fexor tibialıs.
f. L Museulus fexor fibularis (lateralis).
a. Hauptmasse des Muskels.
b. tibialer Kopf desselben (zweiter Kopf.)
e. dritter Kopf desselben.
(ARBEIT AUS DEM PATHOL, InsTITtuUT zu BERN.)
DIE
EPITHELKÖRPERCHEN
DES
MENSCHEN
IN IHRER
BEZIEHUNG ZUR THYREOIDEA UND THYMUS.
VON
W° KÜRSTEINER,
BERN.
Mit 9 Abbildungen auf Tafel XNXX/XXXITI.
Die folgenden Untersuchungen beziehen sich hauptsächlich
auf jene Gebilde, welche zuerst von Sandström bei dem Men-
schen als glandulae parathyreoideae beschrieben sind. Dieselben
wurden dann in den letzten Jahren gerade von den Experiment
tatoren auf dem Gebiete der Cachexia thyreopriva berücksichtig-
und Epithelkörperchen und Thymusläppchen der Schilddrüse
des Menschen von manchen Seiten als Teile der Schilddrüsen-
anlage in Anspruch genommen, welche auf embryonalen Stadien
geblieben seien und die bei Entfernung des grossen Schilddrüsen-
körpers in kompensatorische Funktion treten sollten.
Meine Untersuchungen beziehen sich nur auf den Menschen
und ich beschränke mich daher auch in der Litteraturangabe
wesentlich nur auf dasjenige, was sich auf den Menschen bezieht.
Die erste Arbeit über diese Gebilde überhaupt ist diejenige
von Sandström (1); sie ist nach manchen Richtungen hin auch
jetzt noch die wichtigste. Sandström hat sie an den Hals-
organen des Menschen zuerst nachgewiesen und zwar durch
makroskopische Präparation mit nachfolgender mikroskopischer
Untersuchung. Sein Material ist sehr umfangreich; es umfasst
50 Menschen. Er findet die Parathyreoidea wesentlich paarig
und doppelt, dieht an der Aussenfläche der Schilddrüse an der
hinteren Fläche der Seitenlappen oder in der Nähe des unteren
Randes derselben, oft an der Arteria thyreoidea inferior oder
unterhalb derselben, manchmal auch mehr nach aussen und unten,
394 W. KÜRSTEINER,
unterhalb der Schilddrüse an der Trachea. Namentlich ist die
untere Drüse in ihrer Lage variabel; sie kann sich manchmal
sogar an der Vorderfläche des untersten Teiles der Seitenlappen
finden. Die obere Drüse hält sich meist an den medialen Rand
des hinteren Teiles des Seitenlappens. Symmetrie in der Lage
der beidseitigen Parathyreoidea existiert nicht. Manchmal ist
sie in ein kleines Fettläppchen eingelagert und durch einen
schmalen Stiel mit der Schilddrüse verbunden. Ihr grösserer
Durchmesser beträgt beim Erwachsenen 3—15 mm, durchschnitt-
lich 6 mm, während der Diekendurchmesser oft nur 2 mm beträgt.
Mikroskopisch findet er in ihnen zwischen den bindegewebigen
Balken, die von der Kapsel aus eindringen, keine deutlich ab-
gegrenzten Zellen, sondern mehr eine protoplasmatische Masse
mit runden Kernen. Er beschreibt ferner ein eigentümliches
Reticulum, was er für ein Produkt der Erhärtung oder der
Fäulnis hält. In den Zellen sollen oft Fettröpfchen sich finden,
aber auch ganz stark lichtbrechende Kugeln wie Colloid. Seine
Untersuchungen datieren aus einer Zeit (1880), wo weder gute
Einbettungsmethoden noch unsere jetzigen trefflichen Mikrotome
und Färbungsmethoden existierten. Es ist daher nicht auffallend,
dass diese Angaben nicht ganz mit den späteren und den
meinen übereinstimmen. Indessen hat er immerhin an der Ober-
fläche der Drüse, selten im Innern auch grössere, scharf abge-
grenzte Zellen in grösseren und kleineren Gruppen gesehen.
Möglich, dass hier die später zu beschreibenden, grossen, in
dünnen Schnitten hell erscheinenden Zellen vorliegen, obgleich
er ihnen ein stark körniges Protoplasma zuschreibt.
Nachdem nunmehr die Physiologen in ihren Experimenten
auf diese Nebendrüse der Thyreoidea aufmerksam gemacht und,
wie vorhin erwähnt, die Ansicht ausgesprochen hatten, dass es
sich hier um embryonale Reste der 'Thyreoidea handle, welche
im Bedürfnisfalle für die Hauptdrüse eintreten können, erwachte
das Interesse der Anatomen für diese Gebilde von neuem.
Die Epithelkörperchen des Menschen ete, 395
Aus dieser Zeit datiert der Beginn meiner Arbeit, die leider
sehr häufig durch andere Berufsgeschäfte unterbrochen werden
musste. Von anatomischen Untersuchungen, die seitdem er-
schienen, ist nunmehr die zeitlich erste auch dem Inhalt nach
voranzustellen. Es ist dies die Arbeit von Kohn (2). Sie ist
vorzugsweise an Tieren: Kaninchen, Meerschweinchen, Ratten
und besonders an der Katze ausgeführt. Kohn spricht sich im
Gegensatz zu den Physiologen dahin aus, dass diese Drüsen
selbständige Gebilde seien gegenüber der Schiddrüse und erst
sekundär mit derselben in Verbindung treten. Er bezeichnet
sie deshalb nicht mehr als Parathyreoidea, sondern schlägt für
sie den Namen Epithelkörperchen vor. Ich werde im folgenden
ebenfalls diesen Namen benutzen, da derselbe Missverständnissen
wohl kaum ausgesetzt sein dürfte.
Kohn wies bei der Katze, wo die Verhältnisse am regel-
mässigsten sind, ein paariges äusseres Epithelkörperchen nach,
dorsal und manchmal unterhalb der Schilddrüse gelegen und
ein paariges, inneres Epithelkörperchen höher oben, innerhalb
der Seitenlappen gelegen, höchstens deren mediale Fläche er-
reichend. Das letztere geht ausgedehnte Verbindungen mit dem
Gewebe der Schilddrüse und dem benachbarten Thymusläppchen
ein durch Zellbalken, welche die Kapsel durchbrechen und sich
direkt an die Epithelzellen der Thyreoidea anlegen.
Ausserdem fand Kohn noch Thymusläppchen bei Ratte,
Hund und Katze, bei letzterer auch konstant in Vorkommen und
Lage; hier findet sich ein inneres, das mit dem Schilddrüsen-
gewebe in Verbindung tritt und manchmal selbst colloidhaltige
Follikel enthält und ein äusseres, oft mit dem äusseren Epithel-
körperchen verwachsen.
Schaper (3) hat neben Katze und Schaf .auch den Men-
schen berücksichtigt. Beim Menschen findet er die Epithel-
körperchen an der hinteren Fläche des Seitenlappens, bei einem
396 W. KÜRSTEINER,
von drei Erwachsenen nur einseitig, bei einem Neonatus jeder-
seits zwei, bei einem dreijährigen Kind links zwei und rechts
eines und ferner dicht an der Carotis des Neonatus unterhalb
der Bifurkation derselben zwei kleinste Epithelkörperchen. An
ihren Zellen beschreibt er eine deutliche Membran. Ferner be-
schreibt er beim Menschen auch ein inneres Epithelkörperchen,
dessen Vorkommen Kohn in Abrede stellte. Dass es wirklich
ein inneres ist (im Sinne von Kohn) beweist der Umstand, dass
es vollständig in dem Seitenlappen der Schilddrüse eingeschlossen
liegt und ferner ein in sich abgeschlossenes, rundes Körperchen
bildet von etwa 2 mm Durchmesser, das bis auf eine Stelle
ringsum gegen das Schilddrüsengewebe abgegrenzt ist. Eine
zarte bindegewebige Kapsel umschliesst es bis auf die erwähnte
Stelle, wo das Epithelkörperchen kontinuierlich in das Thyreo-
idealgewebe übergeht.
Da er bei Tieren sowohl wie beim Menschen in den Epithel-
körperchen Alveolen findet mit colloidem Inhalte, welcher voll-
ständig mit dem Inhalte der Schilddrüsenalveolen übereinstimmt,
und da ferner bei Tieren an den inneren Epithelkörperchen das
Parenchym direkt in das der Schilddrüse übergehen kann, so
nimmt er eine direkte Umwandlung derselben in funktionieren-
des Schilddrüsengewebe an. Das äussere Epithelkörperchen ist
für ihn ein abgesprengter Teil der Schilddrüse, welcher auf ge-
wissen Stadien der embryonalen Entwickelung stehen geblieben
ist. Er erwähnt ferner ganz kurz die Thymusknötchen in der
Nähe der Oarotis.
Ferner schildert Müller (4) die Epithelkörperchen des Men-
schen. Er beschreibt neben dem äusseren ein inneres Epithel-
körperchen, hebt namentlich das eigentümliche Aussehen der
Zellen hervor, deren Protoplasma bei verschiedener Fixierung
und Färbung hell erscheint, während die Zellgrenzen deutlich
sind, wie bei einem pflanzlichen Gewebe.
Anatomische Hefte TAbtheilung XXXVLHeft (11.Bd.H.3)
2. Krapf” lieh
Varlaa v [JE Bergmanz Wasbaaer
Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 3%
Von grösster Wichtigkeit sind ferner die Mitteilungen von
Jacoby (5) und Groschuff (6), welche die -Entwickelung der
Epithelkörper betreffen, leider aber bis jetzt nur in kurzer Fas-
sung vorliegen. Nach Jacoby ist bei der Katze das äussere
Epithelkörperchen das obere, abgeschnürte Ende der epithelialen
Thymusanlage; das innere dagegen entwickelt sich aus dem Ge-
webe des seitlichen Schilddrüsenlappens. Er fand bei Embryonen
von 12 mm Länge das obere Ende des Thymusstranges ‚‚besonders
gut“ ausgebildet, bei 18,5 mm auf der einen Seite schon ab-
gelöst, auf der anderen noch mit dem Thymusstrang in Ver-
bindung. Dem gegenüber kam Groschuff zu dem Ergebnis,
dass die Verbindung des äusseren Epithelkörperchens mit der
Thymus und des inneren mit der Thyreoidea erst sekundär
sich ausbildet; beide entstehen selbständig aus der dorsokranialen
Wand der dritten Kiementasche.
Schliesslich ist noch die Arbeit von Tourneux und Verdun
(3) zu erwähnen. Beide finden bei menschlichen Embryonen
von 14 mm jederseits zwei Epithelkörperchen, das obere in Zu-
sammenhang mit der Thymus, das untere mit der lateralen
Thyreoideaanlage. Aber schon bei 16 mm liegen die „glandules
thymiques“ d. h. die von der Thymus ausgehenden Epithel-
körperchen unterhalb der Thyreoidea; sie sind infolge der Er-
niedrigung der Thymusstränge nach abwärts gewandert.
Mit dieser Beobachtung, sowie mit denen von Jacoby stimmt
vollständig das überein, was auch ich bei menschlichen Em-
bryonen gesehen habe.
Über die Mitteilungen von Groschuff dagegen kann ich
mich nicht aussprechen, da so frühe Stadien mir nicht vorge-
legen haben.
Das von mir untersuchte Material besteht aus 13 Neuge-
borenen und Kindern aus den ersten Lebenswochen, ferner sieben
Kinder vom Ende des ersten bis Ende des zweiten Jahres und
19 Embryonen, die meisten dem hiesigen Frauen- und Kinder-
398 W. KÜRSTEINER,
spital entstammend. Ferner war es mir möglich, fünf Schnitt-
reihen durch kleinste Embryonen von 16—35 mm Körperlänge
durchzusehen. Ich verdanke diese Gelegenheit der grossen Zu-
vorkommenheit von Herrn Professor Gasser in Marburg, welcher
so freundlich war, dieselben dem hiesigen pathologischen Insti-
tute für einige Zeit zu überlassen. Für den mir dadurch ge-
leisteten grossen Dienst sei ihm mein wärmster Dank gesagt.
Abgesehen von den Marburger Embryonen wurden alle
meine Präparate in Alkohol aufbewahrt und gehärtet. Wenn
Entkalkung nötig war, wurde diese mit Salpetersäure vorge-
nommen, welche zu 5°/o mit Spiritus oder auch mit Pikrinsäure
gemischt war. Die Stückfärbung geschah mit Hämalaun. Die
Einbettung fand in Celloidin statt und zur Aufhebung und
Nachhärtung diente Eosin und Origanonöl. Das Schneiden der
Blöcke zu Schnittreihen, das Auflegen der Schnitte, das Nume-
rieren der Objekträger wurde vom Abwart des Institutes in
sorgfältigster Weise besorgt und war mir dies eine grosse Er-
leichterung beim Zustandekommen der Arbeit. Die grösseren
Präparate sowohl wie die Embryonen wurden in kontinuierlichen
Schnittreihen untersucht und zwar mit wenigen Ausnahmen von
der Zungenbasis an durch Thyreoidea mit Trachea, Oesophagus
bis hinunter zu dem Anfang der Thymus, bei den Foeten bis
zum untern Ende der Thymus; nur von Neonatis wurde bei
zwei Fällen die Thyreoidea allein, in zwei andern Fällen nur
ihre linke Hälfte untersucht. Es war dies im Anfang meiner
Arbeit und gerade diese Fälle waren es, welche mich zwangen
die Untersuchung weiter auszudehnen. Bei den Foeten wurde
die ganze Halsgegend mit Haut bis zur Wirbelsäule, einschliess-
lich die vordere Partie der Wirbelkörper benutzt. Bei den
Neugeborenen wurden die Halsteile bis zur Wirbelsäule im
gegenseitigen Zusammenhang abpräpariert und so in toto für
die weitere Untersuchung vorbereitet. Die Schnitte wurden
natürlich in querer Richtung angelegt und zwar immer durch
Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 399
die ganze Breite der Thyreoidea. Niemals wurden die Blöcke
durch einen Medianschnitt in zwei seitliche Hälften zerlegt.
Indessen dürfte es sich bei Wiederholung der Untersuchung
empfehlen, Medianschnitte anzulegen, um so die Blöcke zu ver-
kleinern, da meine Untersuchungen ergeben haben, dass eine
leichte Schädigung der Medianebene keinen erheblichen Nachteil
herbeiführt. Gerade hier in einer stark mit Strumen behafteten
Gegend wurden die Querschnitte oft sehr umfangreich, sodass
auf einen Objektträger von 8,5 und 4 cm nur 2 Schnitte
gelegt werden konnten. Es war dann manchmal notwendig,
interessante Stellen in kleinerem Umfange auszuschneiden und
dieselben in grösserer Zahl auf einen Objektträger aufzulegen,
um sie rascher studieren zu können.
Ich habe diese umständlichere Untersuchungsmethode vor-
gezogen gegenüber der makroskopischen Präparation, um voll-
ständig sicher zu sein über das Vorkommen der Epithelkörper-
chen oder Thymusläppchen; denn auf diese Weise war ein
Übersehen irgend eines dieser Gebilde ausgeschlossen. Die Dicke
der Schnitte wechselte von 15 —30 und selbst 40 «. Die um-
fangreicheren Schnitte, besonders bei den Neugeborenen, erreichten
manchmal die letztere Dicke; an solchen ist allerdings manches
der feineren Struktur nicht immer deutlich zu erkennen, doch
immerhin soviel, um die Diagnose mit voller Sicherheit bestimmen
zu können.
In der folgenden Schilderung sind auch immer die Dimen-
sionen in der Längsaxe des Körpers angegeben. Bei den Epithel-
körperchen und Thymusläppchen wurde dieses Mass als Länge
bezeichnet, obgleich dasselbe kleiner ist als der frontale und
sagittale Durchmesser. Unter Länge oder Höhe der Seitenlappen
der Thyreoidea ist das Mass des medialen Randes derselben bis
zur oberen Isthmusgrenze herab zu verstehen.
400 W. KÜRSTEINER,
1. Verhältnisse beim Neugeborenen.
Ich finde hier, durchaus in Übereinstimmung mit Kohn,
niemals ein inneres Epithelkörperchen, sondern nur äussere,
diese aber konstant, doch nicht in dem Sinne, dass sie links
und rechts, oben und unten immer in der gleichen Weise vor-
handen wären.
In den meisten Fällen kann man ein paariges, oberes, in der
Höhe des oberen Isthmusrandes oder noch höher bis über die
halbe Höhe des Seitenlappens hinauf gelegenes, und ein paariges,
unteres Epithelkörperchen, in der Höhe des unteren Isthmus-
randes, unterscheiden. In vier Fällen fand ich nur ein oberes
Epithelkörperchen und zwar links, in 5 Fällen nur ein unteres
ebenfalls links, in 1 Fall nur rechts ein unteres und es war bei
demselben Individuum auch nur ein oberes vorhanden und zwar
links. Weiter abwärts als der untere Thyreoideapol tauchen bis
hinab zur vollentwickelten Thymusdrüse ebenfalls noch Epithel-
körperchen auf. Sind zwei oder mehr Epithelkörperchen auf
der gleichen Seite vorhanden, so finden sich beispielsweise Nr. 1
am oberen Isthmusrande, Nr. 2 am unteren und Nr. 3 unterhalb
der Thyreoidea im Bindegewebe zwischen Trachea, Oesophagus
und Blutgefässen.
Ein anderes Präparat mit 4 Epithelkörperchen derselben
Seite zeigt Nr. 1 am linken Seitenlappen, nur wenig über dem
Isthmus, Nr. 2 in der Mitte des Isthmus, Nr. 3 wenig unter-
halb der Thyreoidea, Nr 4. an der oberen Spitze der 'Thymus.
Die Zahl der Epithelkörperehen ist somit eine wechselnde;
es können auf einer Seite deren 4 existieren. Es stimmt dies
nicht ganz mit den Angaben der bisherigen Autoren überein.
Nach Sandström und Kohn finden sich beim Menschen immer
zwei Epithelköperchen auf einer Seite, während Schaper bei
einem Neonatus jederseits 2, bei einem dreijährigen Kinde links
zwei, rechts eines fand. Ich glaube diesen Arbeiten gegenüber
Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 401
auf meine Untersuchungsweise an kontinuierlichen Schnittserien
hinweisen zu dürfen, da dadurch das Übersehen eines Epithel-
körperchens unmöglich gemacht ist.
Was die Lagerung zur Thyreoidea anbelangt, so finden sich
die Epithelkörperchen in weitaus der Mehrzahl der Fälle an der
dorsalen Fläche der Seitenlappen, nur selten an der lateralen
oder medialen Fläche; dass es an der medialen Fläche sich
findet, habe ich nur zweimal gesehen, und zwar waren es obere
Epithelkörperchen; an der lateralen Fläche findet sich ein
Epithelkörperchen lediglich nur dann, wenn auf derselben Seite
in derselben Höhe zwei Epithelkörperchen sind.
Was die genauere Beziehung von Epithelkörperchen zur
Thyreoidea anlangt, so unterscheidet Kohn 4 Gruppen:
1. es liegt unterhalb der Schilddrüse recht häufig beim
Kaninchen ;
2. lose liegt es der äusseren oder hinteren Fläche an, durch
lockeres Bindegewebe mit der Schilddrüse verbunden und makro-
skopisch gleichsam als ein Appendix, als eine accessorische
Schilddrüse sich ausnehmend (Mensch, Katze) ;
3. liegt es in einer seichten Mulde, während der grössere
Teil des Körperchens noch frei aus dem 'Thyreoidealgewebe
hervorragt. Es findet sich dies vorzugsweise bei der Katze.
4. Es ist zu mehr als der Hälfte oder ganz in die Thyreoidea
eingelassen bei Hund, Maus und Meerschwein.
Ich finde beim Menschen fast alle diese Typen vertreten.
Für das obere Epithelkörperchen ist der weitaus häufigste der
zweite Typus, welchen Kohn beim Menschen allein beobachtete.
Doch kommt auch ziemlich oft der dritte Typus vor; seltener
ist das Epithelkörperchen zu mehr als der Hälfte in die Thyreoidea
eingelassen (Typus 4). Vollständig von derselben umschlossen
habe ich es nicht gesehen. Typus 1 trifft natürlich nur für das
untere Epithelkörperchen zu.
402 W. KÜRSTEINER,
Meist ist das Epithelkörperchen durch einen Streifen Binde-
gewebe von dem benachbarten Tihyreoideagewebe getrennt; ge-
legentlich jedoch kommt es vor, dass derselbe nicht breiter ist
als die benachbarten Septen zwischen den Schilddrüsenbläschen,
so dass er bei der Dicke der Schnitte erst bei starker Ver-
grösserung oder vielleicht auch erst bei Giesonscher Färbung
sichtbar wird. Ein direkter Zusammenhang mit dem Thyreoideal-
gewebe ist beim Neugeborenen wenigstens von mir nicht ge-
funden worden.
Sandström, welcher die Epithelkörperchen makroskopisch
präparierte, hat schon darauf hingewiesen, dass sie namentlich
in der Nähe der Arteria thyreoidea inferior vorkommen, welche
Arterie von der A. subelavia kommt und die Arterie speziell
der Rückseite der Schilddrüse ist. Grössere Arterien sehe ich
recht häufig gerade zwischen den Epithelkörperchen und dem
Thyreoidealgewebe; meist auch von einer Vene begleitet. Manch-
mal läuft die Arterie in einer seichten Mulde des Epithelkörper-
chens oder geht scheinbar durch die Mitte desselben hindurch,
so dass es in zwei getrennte Hälften zerfällt; indessen fliessen
auf den nachfolgenden Schnitten die beiden Hälften zu einem
(Gebilde zusammen.
Schon Sandström fand die Epithelkörperchen in kleinen
Fettklumpen. Auch ich habe diese Lagerung recht oft gesehen
und zwar namentlich beim unteren Epithelkörperchen. Die
unteren Epithelkörperchen und diejenigen, welche unterhalb der
Thyreoidea gelegen sind, treten manchmal in engere Beziehung
zur oberen Spitze der Thymus oder einem isolierten Thymus-
lappen mit deutlichen Hassalschen Körperchen in etwas wechseln-
der Weise, worauf ich bei der Besprechung der Thymusläppchen
zurückkomme.
Die Form des äusseren Epithelkörperchens ist auf dem Quer-
schnitt fast immer eine ovale, seine Längsaxe parallel der Ober-
fläche der Thyreoidea, der es anliegt, und die der Thyreoidea
Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 403
anliegende Fläche in der Regel etwas weniger gewölbt wie die
abgewandte. Seltener ist das Epithelkörperchen rund. Seine
Dimensionen wechseln, der grösste Durchmesser schwankt von
0,5—3 mm und selbst 4 mm, während der kürzere nur zwischen
'/; und 1'!/, mm variiert. In der Längsaxe misst es weniger,
nämlich 0,2—2 mm; meist ist es sogar in dieser Richtung ziem-
lich stark abgeplattet. Abgegrenzt wird dasselbe durch eine
dicke Lage von Bindegewebsfibrillen, welche es direkt umgeben.
In seltenen Fällen (etwa 2—3 Fälle) sind in dieser Lage eine
grosse Zahl von Kapillaren quer und schräg durchschnitten
sichtbar, die vielfach kaum um die eigene Breite von einander
entfernt liegen; hie und da wird sogar die Bindegewebskapsel
durch die starkgefüllten Kapillaren selbst nach innen vorgewölbt,
so dass man an die von Zeiss festgestellte Thatsache erinnert
wird, dass die Kapillaren der Schilddrüsenbläschen direkt in das
Lumen vorspringen und das Epithel vorwölben; indessen finden
sich hier doch immer noch deutliche Fibrillen auf der Kapillaren-
wand.
Was nun die Zusammensetzung des Epithelkörperchens
selbst anlangt, so ist in erster Linie auf die charakteristisch
geformten Zellen hinzuweisen. Die sehr auffallende Eigen-
tümlichkeit derselben besteht darin, dass sie im Innern hell,
farblos sind, ohne körniges, eosinempfängliches Protoplasma, da-
gegen durch scharfe, eosinrote Linien gegeneinander abgegrenzt.
Dadurch unterscheiden sie sich von dem Epithel der Schild-
drüsenbläschen, bei denen das Protoplasma blass, körnig, mehr
oder weniger intensiv mit Eosin gefärbt ist und die Zellgrenzen,
wenn sie deutlich sind, in Form von hellen Spalten sich zeigen.
Das Thyreoidealgewebe weist bei Kernfärbung eine gleichmässige
Färbung von dunklerem Blau auf, während die Epithelkörperchen
als Gebilde von hellerem Blau sich deutlich abheben. Schon
Schaper und Müller haben diese eigentümliche Helle der
Zellen der Epithelkörperchen hervorgehoben und letzterer sagt
404 W. KÜRSTEINER,
ganz passend, dass sie an pflanzliche Gewebe erinnern. Der
Kern ist rund, von mässiger Grösse, bläschenförmig und ent-
hält eine mittlere Zahl von Chromatinkörnern. Er liegt meist
deutlich excentrisch, in der Nähe der Zellmembran und häufig
in einer Ecke der Zelle. Wenigstens tritt diese excentrische
Lage an den grössern Zellen schön hervor. Die Grösse der
Zellen wechselt etwas; vielfach sind sie nur mässig gross und
die Kerne liegen um den einfachen bis doppelten Durchmesser
von einander entfernt. In anderen Fällen beträgt die gegen-
seitige Entfernung der Kerne das Vierfache und mehr. Begreif-
licherweise tritt in den letzteren Fällen das eigentümliche Aus-
sehen der Zellen, die runden Kerne und die scharfen, roten
Grenzlinien in den hellen Interstitien zwischen denselben am
schönsten hervor. Die Zellen sind regelmässig polyedrisch, die
einzelnen Kanten gradlinig, selten gebogen, oder die Zellen
sind mehr cylindrisch. Das hängt von ihrer Anordnung ab.
Kohn unterscheidet in dieser Beziehung 3 Typen:
1. Entweder bildet das Epithelkörperchen eine zusammen-
hängende Zellmasse, nur mit wenig gefässführenden Septen oder
2. es finden sich netzförmig verbundene Zellbalken mit reich-
lichen, bindegewebigen Septen, oder
3. es hat das Epithelkörperchen einen lobulären Bau und
die Läppchen bestehen aus netzartigen Balken mit reichlichen
Septen. Letzteres sah er besonders deutlich bei einem 57jährigen
Manne.
Bei den Neugeborenen und Kindern, wie auch in den früheren
Stadien habe ich den Typus 3 nicht gesehen, sondern nur die
beiden ersteren. Die erste Form ist verhältnismässig selten. Es
bildet dann das Epithelkörperchen eigentlich nur eine Zellmasse,
die von weiten Kapillaren durchzogen wird mit dünner binde-
sewebiger Scheide. Selbstverständlich sieht man diese Kapillaren
in Quer-, Schräg- und kurzen Längsschnitten, im ganzen recht
spärlich, sodass da, wo sie dicht liegen, doch immerhin bis 20
Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 407
In anderen Fällen sieht man in den Epithelkörperchen selbst
solche Drüsenbläschen mit Lumen und gleich gestalteten Zellen,
ohne dass jedoch der Zusammenhang mit den ausserhalb ge-
legenen Drüsenkanälchen nachgewiesen werden kann.
Neben den Drüsenkanälen finden sich auch kleine Drüsen-
bläschen vor, die aber nur durch 2 oder 3 Schnitte verfolgbar sind.
Meistens haben diese Drüsenkanäle und Drüsenbläschen den
gleichen Durchmesser wie die Zellstränge oder sind etwas weiter.
Nur in zwei Fällen erreichen sie eine besondere Weite.
Der eine Fall betrifft ein Epithelkörperchen, das im Innern
eines Thymusläppchens sich befindet, ein Verhalten, auf das
ich erst später bei den Thymusläppchen eingehe. Im anderen
Fall hat das Epithelkörperchen auf dem Querschnitt eine mehr
dreieckige Form, jede Seite 2 mm lang; sein Längsdurchmesser
beträgt nach der Anzahl und Dicke der Schnitte 1,2 mm. In
diesem Epithelkörperchen treten nun von oben an gerechnet
etwa in seiner Mitte (d. h. der Längsaxe) an der Hinterfläche
direkt an der Kapsel gelegen 4—6 unregelmässig gestaltete Hohl-
räume auf, ausgekleidet mit einem niedrigen, abgeplatteten
Epithel. Der grösste Hohlraum hat eine Breite von 0,16 mm.
Sehr rasch fliessen nach unten zu diese Hohlräume zu einer
grösseren Höhle zusammen und von deren Vorderfläche geht
durch das Epithelkörperchen hindurch nach vorn zu ein schmaler
Kanal ab, der in der Nähe seines vorderen Endes eine kleine
Bucht nach oben sendet. Dieser Kanal erweitert sich nach
unten in den folgenden Schnitten bedeutend und fliesst sodann
mit dem hinteren grossen Hohlraum zu einer einzigen, etwas
rundlichen Höhle mit ziemlich zahlreichen, kleinen Ausbuchtungen
zusammen, welche zuerst ein Vs und allmählich durch weitere
Vergrösserung den ganzen Querschnitt des Epithelkörperchens
einnimmt. Auf den folgenden Schnitten schwindet dieser Hohl-
raum und an seine Stelle treten 4—5 Drüsenkanäle und solide
Felder, und gerade in diesen findet sich nunmehr das oben be-
Ar
408 W. KÜRSTEINER,
schriebene eigentümliche Epithel in Form von besonders grossen,
hohen, cylindrischen, ganz hellen Zellen, mit central nach dem
Lumen hin gelegenem Kern. Die Form der Kanäle und Bläs-
chen wechselt auf den einzelnen Schnitten sehr; nach unten
hin fliessen sie in ein Drüsenbläschen von 0,4 mm Durchmesser
mit dem gleichen Epithel zusammen.
Der Zusammenhang aller dieser Drüsenkanäle mit dem
grösseren Hohlraum ist mit voller Sicherheit nachzuweisen.
Kohn hat zuerst auf das konstante Vorkommen von Th y-
musläppchen bei Ratte, Hand und Katze hingewiesen. Er
unterscheidet ein inneres, an der medianen Fläche, manchmal
bis an diese heranreichend oder auch frei zwischen Trachea und
Thyreoidea gelegen, und &@in äusseres, an der dorsalen Fläche
der Schilddrüsenlappen.
Nach meinen Beobachtungen kommen auch beim Menschen
konstant Thymusläppchen auf gleicher Höhe mit der Thyreoidea,
aber auch unterhalb derselben vor. Ich erwähne in erster Linie,
dass kleine Iymphatische Gebilde, wie Lymphdrüsenfollikel aus-
sehend, jedoch nicht in derselben Weise scharf begrenzt, sich
ziemlich häufig an der Innenfläche, nur selten an der dorsalen
Fläche der Schilddrüse finden. Sie liegen also meist zwischen
Thyreoidea und Trachea und zwar in Isthmushöhe, oder seltener
in der halben Höhe der Seitenlappen. Sie liegen ausserhalb
der Thyreoideakapsel. Lymphgefässe lassen sich um sie herum
nicht finden, ebensowenig eine periphere Lymphbahn, welche
bei Neugeborenen in den erheblich grösseren eigentlichen Lymph-
drüsen gut ausgebildet ist. Ob diese Bildungen als Thymus an-
zusehen sind, bleibt zweifelhaft, wenigstens habe ich niemals
Hassalsche Körperchen darin gefunden. Ich mache darauf
aufmerksam, dass Farner über Lymphknötchen in Strumen
berichtet, welche ein deutliches Keimcentrum haben.
Die eigentlichen Thymusläppchen, die durch die Hassal-
schen Körperchen als solche charakterisiert sind, finden sich
nn
a A
Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 405
Zellen sich zwischen sie einschieben. Vor einer Gliederung des
Epithelkörperchens kann man also hier nicht reden. Meist aber
ist die Zellmasse durch Septa schärfer in einzelne Zellbalken
getrennt. Die letzteren bilden ein Netz, in dessen länglichen,
schmalen, verästelten Maschen die gefässhaltigen, bindegewebigen
Septen etwa von Hirschgeweihform sich finden. Die Zellbalken
selbst haben eine etwas wechselnde Breite und bilden ein voll-
ständiges Netz. Die Zahl der Zellen in dem Quermesser wechselt
von 2—10 und selbst mehr; je mehr Zellen, um so kleiner sind
sie. Eigentümlich ist dabei, dass man sehr oft nur wenige Ver-
bindungen der Stromabalken mit der bindegewebigen Kapsel
sieht; vielmehr ist an der Peripherie das Epithelkörperchen von
einer fast kontinuierlichen Zelllage begrenzt; diese Randzellen
erscheinen cylindrisch und stehen senkrecht auf der bindege-
webigen Kapsel, wie auch innerhalb des Epithelkörperchens die
auf den Stromabalken sitzenden Zellen oft ceylindrische Gestalt
haben, namentlich dann, wenn die Zellen gross sind, wenn etwa
nur zwei Zellen im Querdurchmesser eines Balkens liegen. In
diesem Falle ist ferner noch die Lagerung des Kernes eigentüm-
lich; es liegt nicht an der Basis, sondern in dem anderen Pol,
so dass dann in der Mitte der Doppelreihe von Zellen zwei Kern-
reihen nebeneinander herlaufen (Fig. 7).
Selten bilden die Stromabalken ein zusammenhängendes
Netz und die Zellmasse zerfällt dadurch in einzelne rundliche,
längliche und cylindrische Haufen. Hier dringen denn auch
an der Peripherie die bindegewebigen Balken von der Kapsel
in ziemlich gleichmässigen, geringen Entfernungen ein, so dass
die Cirkumferenz des Epithelkörperchens dadurch ein rosetten-
förmiges Aussehen erhalten kann. Das Netz der Stromabalken
besteht aus Blutkapillaren und einer mehr oder minder fibrillären,
kernhaltigen Adventitia. Die Breite derselben wechselt, was
z. T. auf der verschiedenen Entwicklung der fibrillären Adven-
titia beruht, zum grösseren Teil aber auf der verschiedenen
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVI. Heft (11. Bd. H. 3). 27
406 W. KÜRSTEINER,
Weite der Kapillaren; diese können °/s der Breite der Zellstränge
erreichen, so dass man hie und da fast von kavernösem Bau
sprechen könnte. Auch in dem umgebenden, lockeren Binde-
gewebe finden sich dann reichlich weite Blutgefässe. Da ich
aber keine Injektionsmethode anwandte, muss ich es unent-
schieden lassen, ob nicht diese verschiedene Weite der Kapillaren
vielleicht nur auf der verschiedenen Füllung derselben mit Blut
beruht.
Ferner schliessen sich bei der Hälfte der Neugeborenen an die
Epithelkörperchen deutlich drüsige Bildungen an, teils Kanäle,
etwa von der Weite von gewundenen Harnkanälchen, teils rund-
iche Drüsenbläschen und zwar immer nur an dem medialen
Pole des unterenEpithelkörperchens. So wie das Epithel-
körperchen zu Ende geht, hören auch die Drüsenkanäle auf.
Auf dem Querschnitt sind sie meist rund; hier und da machen
sie eine Windung; ihr Epithel ist ein cylindrisches, hier und da
auch kubisch. In 2 Fällen konnte ich einen direkten Zusammen-
hang der Drüsenkanäle mit dem Epithelkörperchen an einem
und demselben Schnitte verfolgen (Fig. 1). Es schliessen sich
noch innerhalb des Epithelkörperchens an die aus kleineren
Zellen bestehenden Zellstränge mit verhältnismässig dichtge-
legenen Kernen direkt einige ähnlich gestaltete Felder an, in
welchen die Zellen grösser sind, sodass die helle Beschaffenheit
des Zellkörpers deutlicher hervortritt. Die Grösse der Zellen
nimmt nach dem Rande des Epithelkörperchens hin zu und hier
tritt ein solider Strang von solchen grossen, hellen Zellen aus
dem Epithelkörperchen heraus, welcher an dessen medialer
Fläche zwei, drei kurze Windungen macht und dann fast sofort
ein recht weites Lumen erhält. Die centrale Lagerung der Kerne
wird dabei auch immer deutlicher und namentlich ist dieselbe
sehr ausgesprochen, sowie ein Lumen vorhanden ist. Hier liegt
der Kern wirklich ganz direkt dem freien Pol der Zelle an.
Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 411
adenoidem Gewebe mit einkernigen Leukocyten bestehen und
zwischen beiden Gewebsformationen schiebt sich immer ein deut-
licher, meist ziemlich breiter bindegewebiger Streifen ein. Ein
Zusammenhang zwischen beiden existiert also nicht. Es ist auf-
fällig, dass diese Trennung gegenüber dem Thymusgewebe schärfer
ist als manchmal bei den oberhalb gelegenen Epithelkörperchen
gegenüber dem Thyreoidealgewebe; denn bei den letzteren kommt
es, wie erwähnt, gelegentlich vor, dass die trennenden, binde-
gewebigen Septen sehr dünn sind, sodass sie bei der Dicke der
Schnitte von 20-30 u übersehen werden können und es der
Giesonschen Färbung bedarf, um sie deutlich zu Gesicht zu
bekommen.
Die Epithelkörperchen, welche auf diese Weise mit Thymus-
gewebe in Verbindung treten, zeigen auch dann und wann an
ihrer Peripherie kleine Drüsenbläschen und ferner auch in
der bindegewebigen Kapsel, welche sie von dem Thymusläppchen
trennt, Drüsenkanäle, die mit dem Epithelkörperchen in direktem
Zusammenhang sein können. Dann und wann finden sich so
gar auch in diesen Epithelkörperchen cystenähnliche Hohlräume,
wie das früher bei den neben der Thyreoidea gelegenen Epithel-
körperchen erwähnt wurde.
Besondere Beachtung verdient noch ein Fall, in welchem
in einem unteren Epithelkörperchen drin noch die untersten
Läppchen der Thyreoidea eingelassen sind und auf gleicher Höhe
mit deren letzten Zellgruppen schon die Thymus auftaucht und
zwar das Epithelkörperchen auf drei Seiten dicht umgreifend,
aber durch ein bindegewebiges Septum von ihm getrennt.
412 W. KÜRSTEINER,
2. Kleine Embryonen von 16-35 mm Länge.
Die Einsicht in diese Präparate verdanke ich, wie schon gesagt,
der Güte von Herrn Professor Gasser in Marburg. Ich habe, um
die Beschreibung für den Leser übersichtlich zu gestalten, die Schnitte
besonders numeriert und zwar denjenigen, in welchem kranialwärts die
Thyreoidea zuerst auftritt, mit 1 bezeichnet. Die dabei eingeklammerten
Zahlen bezeichnen den Schnitt in der Reihenfolge der Objektträger.
Die Dicke der Schnitte beträgt bei diesen kleinen Embryonen 15 w.
1. Embryo 16 mm lang, 6. I. 95. Er ist kaudal-kranialwärts
geschnitten. Die Thyreoidea beginnt rechts im Schnitt 1 (Obj. 31, 9)
als gewunden verlaufender Zellstrang, im ganzen parallel den äusseren
Konturen des Larynx, mit 2 Formen von Kernen, die meisten bläs-
chenförmig, hell, rund bis oval und zwischen diesen eine geringere An-
zahl von dunkleren, kleineren Kernen, meist länglich und etwas zackig,
zum Teil in dem schmalen Strange, in welchem 3, 4 Kerne im Quer-
messer neben einander liegen, quergestellt. In den folgenden Schnitten
verläuft der schmale thyreoideale Strang mehr gerade und wird dann
am dorsalen Ende etwas dicker. Hier und da findet sich eine etwas
breitere Stelle mit der Andeutung eines Lumens, im wesentlichen aber
behält der Strang dieses Bild noch durch 9 Schnitte hindurch bei. Es
handelt sich also um eine epitheliale Platte, die an der Seitenfläche
des Larynx liegt. Im 9. Schnitte, vom Beginn der rechten Thyreoidea
an gerechnet, zeigt sich auch die Thyreoidea der anderen Seite, zuerst
in Form eines ganz kleinen, kernreichen Feldes, das sich schon im
folgenden Schnitte in einen gleichen Zellstrang umwandelt, wie rechts,
der an seinem dorsalen Ende sich in 3, 4 kleinere Kerngruppen auf-
löst, um jedoch im dritten Schnitte kontinuierlich zu werden. In Schnitt
14 ändert sich das Aussehen der Thyreoidea in sofern als das dorsale
Drittel beiderseits sich bedeutend verdickt, etwa zu der zwei- bis drei-
fachen Dicke der vorderen zwei Drittel (Fig. 2). Der frontale Durch-
messer dieser Verdiekung beträgt 0,16 m, der sagittale das Andert-
halbfache bis Doppelte davon. In den Schnitten 16 bis und mit 20
zeigen sich in diesem verdickten, dorsalen Teil deutliche Lumina, in
Schnitt 18 beiderseits von Sichel- oder Hufeisenform, nach der Mittel-
linie hin konkav. Diese eigentümliche Form ist aber rechts nur in
dem einen Schnitte, links durch 3 Schnitte hindurch vorhanden. Rechts
findet sich in den gleichen Schnitten 16 bis und mit 19 neben dem
erwähnten hufeisenförmigen Lumen, das im hinteren Teil der dorsalen
Verdickung liegt, im vorderen Teil derselben noch ein zweites, kleines
Lumen, bald rund, bald langgestreckt. In Schnitt 23 schwindet beider-
Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 409
nahezu konstant. In den 16 Fällen, in welchen die ganzen Hals-
organe untersucht wurden, habe ich sie nur zweimal vermisst.
In den vier Fällen, in welchen die Thyreoidea allein oder auch
nur eine Hälfte untersucht wurde, fanden sie sich nur einmal
vor. Schon bei Lupenvergrösserung fallen sie durch ihr dunkles
Aussehen auf. Sie liegen, wie die Epithelkörperchen, hauptsäch-
lich an den unteren Partien der Schilddrüse, an ihrer dorsalen
und medialen Fläche; selten finden sie sich in der Thyreoidea
drin; ihre Form wechselt in viel höherem Masse als die der
Epithelkörperchen; bald bilden sie kleine, runde Flecke, die nur
durch wenig Schnitte hindurch gehen, sodass sie als kugelige
Gebilde angesehen werden können, bald bilden sie schmale Strei-
fen, 1—2 mm lang, die der Thyreoideakapsel dicht anliegen und
zwar dem hinteren Drittel der medialen Fläche oder auch rein
dorsal, manchmal halbmondförmig den ganzen hinteren Pol der
Thyreoidea umgreifend. In der Längsachse des Körpers messen
sie bis 3 mm; dann und wann gehen von ihnen drehrunde
Stränge in ein Septum der Thyreoidea herein, in schräg auf-
steigender Richtung, enden innerhalb der Thyreoidea, können
aber auch die laterale Fläche derselben erreichen. Auf diesem
ganzen Verlaufe bilden sie auf dem Querschnitt runde Felder
von 0,5 mm Durchmesser. Isolierte, innere Thymusläppchen,
die mit den äusseren nicht in direktem Zusammenhange stehen,
habe ich nicht gesehen. Es finden sich manchmal zwei in gleicher
Höhe, eines an der medialen, das andere an der dorsalen Fläche.
Meistens sind sie nur auf einer Seite vorhanden und es scheint
mir keine der Seiten in dieser Hinsicht bevorzugt zu sein. Zu-
weilen findet sich rechts und links auf gleicher Höhe je eines
vor. Ihre Zusammensetzung ist diejenige der Thymus. Ihr Ge-
webe besteht also aus Lyimphkörperchen und infolge dessen
zeichnen sie sich durch grössere Dunkelheit schon bei Lupen-
vergrösserung sowohl gegen die Epithelkörperchen als auch gegen
die Thyreoidea aus. Das Vorhandensein der Hassalschen Kör-
perchen habe ich oben schon erwähnt.
410 W. KURSTEINER,
Ich komme nun, nachdem ich die Verhältnisse in der Höhe
der Thyreoidea geschildert habe, auf die Gegend zwischen
Thyreoideaund Thymus zu reden. Hier ist in erster Linie
zu erwähnen, dass das obere Ende der Thymus nicht selten bis
dicht an die Thyreoidea heranreicht und in ihren obersten Par-
tien auf Querschnitten zugleich mit derselben angetroffen wird.
Es erscheint dieses oberste Ende in ganz der gleichen Weise,
wie die beschriebenen Thymuslappen als schmaler oder breiter
Streifen, welcher der dorsalen Fläche der Thyreoidea anliegt;
häufiger findet sich diese eigentümliche Verbindung auf der
rechten Seite. Ferner finden sich auch hier abgetrennte Thy-
musläppchen zwischen unterem Pol der Thyreoidea und dem
oberen Ende der Thymus, von der gleichen Gestalt und auch
Zusammensetzung wie die oben beschriebenen Thymusläppchen,
manchmal von recht bedeutenden Dimensionen, bis 8 mm Durch-
messer. Hier finden sich auch noch, wie oben erwähnt, Epithel-
körperchen und zwar in 12 Fällen von 16 zugleich mit Thymus-
läppchen auf demselben mikroskopischen Schnitte, in sehr wech-
selnder Beziehung zu einander; bald liegen sie direkt neben
einander, von einer gemeinsamen bindegewebigen Kapsel um-
geben, das Epithelkörperchen nach der Mittellinie hin gelegen;
recht häufig aber sind die Beziehungen noch enger, insofern als
das Fpithelkkörperchen mehr oder weniger tief in das Thymus-
läppchen eingelassen ist; bald umgreift das sehr schmale Thy-
musläppchen halbmondförmig das Epithelkörperchen, sodass von
letzterem nur die Hälfte oder ein Viertel der Peripherie frei
liegt, oder das Epithelkörperchen ist vollständig eingelassen in
das Thymusläppchen. Und nicht bloss in abgetrennte Thymus-
läppchen ist das Epithelkörperchen eingelassen, sondern hie und
da auch in die obersten Läppchen der Thymus selbst.
Das Epithelkörperchen hat überall die gleiche, oben be-
schriebene Struktur, während die Thymusläppchen die Struktur
der ausgebildeten Thymus haben, d. h. aus deutlich Iymph-
Anatomische Hefte TAbtheilung XXNVI.Heft (11.Bd.H.3)
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Verlag vr SF Bergmann Wiesbaden
Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 415
strang ganz wenig oberhalb der kaudalsten Zellgruppen der Thyreoidea
verschwindet, läuft der linke Strang weiter nach unten und rückt noch
mehr nach vorne. Zwischen ihm und der Trachea schiebt sich sehr
rasch ein grösseres, dieckwandiges Gefäss ein, welches weiter abwärts
in das linke Herz einmündet (Arcus aortae).
Ferner finden wir beiderseits, ebenfalls in ziemlich gleicher Höhe,
wenig oberhalb des Isthmus, ein dorsales, rundes, epitheliales Feld, in
seinem grossen, kaudalen Teile (5 Schnitte) ausgezeichnet durch die
Anordnung seiner Kerne in netzförmig verbundene Stränge, 2—3 Kerne
im Quermesser derselben, die Maschen runülich, hell, ohne deutlichen
Inhalt. Eine gleiche Gliederung zeigen auch, wie erwähnt, die Thymus-
stränge in ihrem obersten Teile, in der Thyreoidea dagegen fehlt sie.
Diese Felder haben einen Querdurchmesser von 0,15 mm, gleich wie
die seitlichen Thymusstränge und in der Längsachse des Körpers
messen sie 0,09 mm, sind also in dieser Richtung abgeplattet. Lage,
Form und Kernanordnung zeigen, dass wir hier Epithelkörper-
chen vor uns haben. Auf der rechten Seite ist das Epithelkörperchen
in den 5 unteren Schnitten vollständig scharf von der Thyreoidea ab-
gesondert, in den 2 oberen dagegen, in denen seine Kerne keine An-
ordnung in netzförmige Stränge zeigen, hängt es mit der ungegliederten,
hinteren, diekeren Partie der Thyreoidea zusammen, durch einen etwa
3 Kerne im Quermesser haltenden Strang, welche beide Felder an
ihrer medianen Fläche verbindet (Fig. 3). Dieser Zusammenhang mit
der Thyreoidea ist begreiflicherweise ein sehr wichtiger Punkt. Ich
habe nur noch bei älteren Embryonen 2mal einen solchen Zusammen-
hang gesehen, dagegen nie bei Neugeborenen. Ich kann das vorliegende
Bild nicht anders deuten; das Aussehen und die Form der Kerne in
dem verbindenden Strange sind so deutlich und charakteristisch, dass
ich es nicht für wahrscheinlich halte, dass etwa eine andere Färbung,
die das Bindegewebe deutlicher zeigt, wie z. B. die Giesonsche, ein
anderes Resultat ergeben würde.
Auf der rechten Seite ist das Körperchen ebenfalls in den unteren
5 Schnitten vollständig scharf von der Thyreoidea abgesondert. In
den kranialwärts direkt sich daran anschliessenden 2 Schnitten gehen
von der hinteren, grossen Zellmasse der Thyreoidea ein lateraler und
ein medialer Strang nach hinten, an die Stelle, wo im folgenden Schnitte
das Epithelkörperchen sich findet. Ob hier ein Zusammenhang
existiert, wird dadurch natürlich nicht bewiesen, aber die Möglichkeit
einer solchen liegt vor.
Als Beachtenswert zu erwähnen wäre zum Schlusse noch, dass
sowohl das hufeisenförmige Lumen des Thymusstranges wie dasjenige
der dorsalen Zellmasse der Thyreoidea und ebenso das Drüsenbläschen
neben dem Thymusstrange, ziemlich auf derselben Höhe vorkommen
und zwar direkt oberhalb des Isthmus,
2. Embryo 18 mm lang, 11. VI. 1887. Die Schnitte sind kranial-
kaudalwärts aufgelegt.
416 W. KÜRSTEINER,
Die Thyreoidea beginnt zuerst links (Schnitt 1 = Obj. 15, 12)
und zwar in Form zweier, kleiner Zellfelder, die bald zusammenfliessen.
In Schnitt 3 und 4 erscheint dann auch die rechtsseitige in ähnlicher
Weise. Von Schnitt 8 an stellt die Thyreoidea beiderseits einen kon-
tinuierlichen Strang vor, zum Teil stark gewunden, namentlich am ven-
tralen Ende, hie und da in zwei netzförmig sich verbindende Stränge
geteilt, sodass die engen Maschen zwischen ihnen rundliche und
ovale Lumina vortäuschen. In 18 u. ff. wird die Thyreoidea beider
Seiten dieker und bildet zunächst einen dicken Strang mit 20 Kernen
im Quermesser, in welchem nach unten kleine Lücken auftreten. Durch
Vergrösserung und Zusammenfliessen dieser Lücken zerfällt es in ein
Netz von Zellsträngen und in einen grössern noch ungegliederten Zell-
haufen, der an der dorsomedianen Fläche liegt, während sich die
Thyreoidealstränge an der lateralen Fläche von vorne nach hinten
ziehen. Das Bild wechselt fast auf jedem Schnitt und in 26 besteht
die mächtig gewordene T'hyreoidea wesentlich nur aus Kernsträngen.
Ein hufeisenföormiges Lumen wie bei 16 mm findet sich hier nicht.
Auf einige kleinere Lumina in der ungegliederten Zellmasse, deren
Verhältnisse sehr wechseln, gehe ich nicht weiter ein.
Die Kerne der grossen Zellmasse sind in der Mehrzahl rund,
gross, blass, nur ganz vereinzelt finden sich dunkle, kleinere Kerne;
in den Strängen sind 6-10 Kerne im Quermesser nebeneinander; sie
sind dunkler gefärbt und etwas kleiner.
Der Isthmus thyreoideae beginnt bei 32 und es findet sich die
letzte Kerngruppe links in 43, rechts in 46. Es misst demnach der
Isthmus 0,27 mm im Mittel, die ganze Thyreoidea links 0,69 mm,
rechts 0,6 mm.
Bei 28 ist in der Mittellinie, vor dem Larynx gelegen, ein Kern-
haufen, der eine Glandula thyreoidea accessoria vorstellen dürfte.
Der Thymusstrang tritt zuerst links auf, in Schnitt 15, wieder
an der lateralen Fläche der Thyreoidea, wie im vorhergehenden Prä-
parat. Mit Ausnahme des ersten tangentialen Schnittes ist das
epitheliale Feld rund, schön abgegrenzt, von einem hellen Saum um-
geben, 0,24 mm im Durchmesser und unterscheidet sich von der Thyreo-
idea durch eine etwas hellere Färbung der runden Kerne, deren gegen-
seitige Entfernung auch ein wenig grösser ist. Dunkle, längliche und
gebogene Kerne sind ihnen beigemengt, aber nur in geringer Zahl,
ungefähr in der gleichen Zahl wie in der Thyreoidea, nur an wenig
Stellen etwas dichter gestellt. Die strangförmige Kernanordnung ist
deutlich, die Zellgrenzen sind ab und zu deutlich sichtbar als feine
Linien. Von 20 bis 45 ist der Strang erheblich schmäler, hat nur
0,15 mm Breitendurchmesser. Das oberste Ende stellt also eine platte,
rundliche, knopfförmige Anschwellung dar, deren Höhe, resp. Dicke
0,075 mm beträgt bei einem Durchmesser von 0,24 mm. In 20 wird
also das Feld kleiner und länglich; es gleicht hier, was die Beschaffen-
heit der Kerne anbelangt, völlig den angrenzenden Strängen der Thyreo-
Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 413
seits diese dorsale dickere Stelle und es bildet weiter abwärts die
restierende, ventrale Hälfte der Thyreoideen netzförmig verbundene Zell-
stränge, die ziemlich rasch nach vorne rücken, um sich in Schnitt 32
zum Isthmus zu vereinigen. Derselbe erstreckt sich von Schnitt 32
bis 41 und ist in 42 als ein letztes kernreiches Zellfeld noch gerade
erkennbar. Die Länge der rechten Thyreoidea beträgt 0,6 mm, die
der linken 0,49 mm, der Isthmus ist 0,15 mm lang.
In Schnitt 8 beginnt rechts, an der lateralen Fläche des Thyreoi-
deallappens und zwar an dessen ventraler Hälfte vor einem grössern
Blutgefässe (nach Lage und Verlauf als Carotis anzusprechen) das in
der ganzen Länge der Thyreoidea, oben ungefähr in der Mitte der
lateralen Fläche, unten etwas dorsalwärts davon verläuft, ein kern-
reiches, zuerst diffus, im Schnitte 11 jedoch vollständig scharf abge-
grenztes, rundes Feld von 0,15—0,2 mm Durchmesser. Wie sich aus
dem folgenden ergiebt, ist dasselbe das obere Ende eines epithelialen
Stranges, welcher auf der linken Seite direkt in die Thymus übergeht,
rechts jedoch auf gleicher Höhe wie die Thyreoidea aufhört. Ich be-
bezeichne diesen Strang im folgenden als Thymusstrang. Man sieht
in dem Felde grosse, runde, helle Kerne, die um den halben, einfachen
bis doppelten Durchmesser von einander entfernt stehen, und zwischen
ihnen zahlreiche, zerstreut liegende, schmale, dunkle Kerne. Die Kerne
gleichen denen der 'T'hyreoidea, nur sind die dunklen zahlreicher und
die gegenseitige Entfernung der Kerne ist etwas bedeutender, daher
erscheint das Feld auch etwas blasser. Die strangförmige Kernan-
ordnung, wie wir sie für die Epithelkörperchen des Neonatus kennen
gelernt haben und auch hier für die Epithelkörperchen dieses Embryo
kennen lernen werden, ist in den Schnitten 10 bis 14 angedeutet. Im
Schnitte 15 tritt ein Lumen auf, das sich bis 33 hält. In Schnitt 17
und folgenden ist dieses Lumen hufeisenförmig, die Konkavität lateral-
wärts gerichtet, also entgegengesetzt dem Lumen in der Thyreoidea. In
Schnitt 22 wird es nierenförmig und dann rund und hält sich so bis
33. Das Feld selbst wird in 36, 37 kleiner und ist in 38 geschwunden.
Mit dem langsamen Nachvornerücken der beiderseitigen Thyreoidea-
hälften kommt dasselbe, das oben, wie gesagt, in der Mitte der lateralen
Fläche der Seitenlappen der Thyreoidea gelegen war, allmählıch an deren
dorsalen Pol zu liegen, um einige Schnitte oberhalb der letzten Zell-
gruppe des Isthmus zu verschwinden. Dieses Feld begleitet also die
Thyreoidea durch 30 Schnitte durch. Es stellt demnach einen Strang
dar, 0,45 mm lang und von einer ziemlich gleichmässigen Dicke von
0,15—0,2 mm. Bemerkenswert wäre ferner noch, dass in Schnitt 18,
gerade da, wo sowohl Thyreoidea wie besagtes Feld ihr deutliches,
sichelförmiges Lumen besitzen, hinter dem epithelialen Felde, lateral-
wärts von dem oben erwähnten, die Thyreoidea begleitenden Gefäss,
noch ein kleines, rundes, epitheliales Drüsen bläschen mit Lumen
und einem Epithelbelag mit zwei runden, hellen Kernen in der Dicke
und einigen länglichen, dunkleren Kernen sich befindet. Bei Schnitt
414 W. KÜRSTEINER,
16 taucht es als Kerngruppe auf, hat in 17, 18 ein centrales Lumen
und hängt bei 19, 20, also am kaudalen Pole mit dem Thymusstrange
deutlich zusammen.
Livks grenzt sich der Schnitt 16, also 0,09 mm unterhalb des
kranialen Endes des Thyreoideallappens, ebenfalls eine in den zwei
vorangehenden Schnitten unscharf begrenzte Kerngruppe in gleicher
Weise als rundes, epitheliales Feld von den gleichen Dimensionen wie
rechts ab. Wir haben in diesem Felde den Thymusstrang dieser Seite
vor uns, dessen Lage zur Thyreoidea und dem sie seitlich begleitenden
Gefäss, ebenso wie das histologische Aussehen, dasselbe ist wie rechts.
Im Anfang ist er als eine rundliche Gruppe gelockert stehender Kerne
ohne bestimmte Anordnung vorhanden, die dann aber schon nach zwei
Schnitten deutlich strangförmige Anordnung aufweist. Auch hier ist
in derselben Höhe und an der gleichen Stelle wie rechts ein Drüsen-
bläschen, das im Schnitt 14 als kleine Kerngruppe auftaucht, um
sofort im folgenden Schnitte ein Lumen anzunehmen. In Schnitt 16
verdiekt sich die vordere Wand und setzt sich in 17, 18, 19 in Ver-
bindung mit dem Thymusstrang. In 20 treten in diesem zwei rund-
liche, kleine Lumina auf, die in 21 durch Verschmelzung ein H för-
miges Lumen bilden. Dieses H ist zuerst dorsoventral gestellt, ver-
schiebt sich aber etwas und durch Verschwinden seiner vorderen und
nach der Mittellinie gewandten Schenkel wird dasselbe in 22 hufeisen-
förmig, die Konkavität, wie im rechtsseitigen nach aussen gerichtet.
Das Lumen erhält sich in den folgenden Schnitten. Bei 25 ist der
epitheliale Strang schön rund, durch einen hellen Saum von der Nach-
barschaft getrennt. In 27 nimmt das Lumen die Hälfte des Quer-
durchmessers ein, in 30, 31 wird es klein, rund und erhält sich in
dieser Form in der Nähe der hinteren Fläche bis 52. In der Isthmus-
höhe (32—41) liegt dieser epitheliale Strang in gleicher Weise wie
rechts am hinteren Pol der Thyreoidea. Nach Aufhören des Isthmus
rückt das epitheliale Feld nach der Medianlinie hin, wird ums Doppelte
grösser und zeigt in 45, 46 in seiner hinteren Hälfte nochmals ein
kleines, rundes Lumen und bei 47 ein ebensolches im vorderen Teile.
Erst bei 49 geht der Strang zu Ende, also 0,12 mm unterhalb der
Thyreoidea. Er hat eine Länge von 0,48 mm bei einer Dicke von
0,15 mm.
Wir haben demnach an der seitlichen Fläche der beiden Thyreoi-
dealappen jederseits einen epithelialen Strang, von oben nach unten
verlaufend, 0,075 mm unterhalb des oberen Endes der Thyreoidea be-
ginnend, anfänglich dieselbe strangförmige Kernanordnung zeigend wie
die gleich zu beschreibenden Epithelkörperchen und bei beiden findet
sich in der gleichen Höhe an der dorsalen Fläche ein kleines Drüsen-
bläschen, das an seinem kaudalen Ende mit dem Strange in Ver-
bindung steht. Beide rücken da, wo die dicke, dorsale Zellmasse der
Thyreoidea aufhört, an deren Stelle und kommen so an die dorsale
Fläche des Isthmus zu liegen. Während der rechtsseitige Thymus-
Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 419
sieht, die aber nicht überall scharf sind. Es nimmt sich aus, wie
wenn kegelförmige Zellen das Lumen umgäben, der Kern an der
Basis jedes Kegels gelegen. Auch zwischen den übrigen Kernen sind
die Grenzlinien hier und da sichtbar; das Epithelkörperchen scheint
also aus schönen polyedrischen Zellen zu bestehen, die im Innern durch-
aus hell sind. .
Ferner findet sich an der vorderen Fläche des linken Epithel-
körperchens ein kleineres Drüsenbläschen von einer roten Linie wie
von einer Membrana propria scharf abgegrenzt; nur in einem Schnitt
(25) ist das Bläschen sichtbar. Seine Kerne stimmen mehr mit denen
der Thyreoidea überein.
Der Thymusstrang, der beiderseits aus grossen, hellen, polyedrischen
Zellen besteht, zeigt sich rechts in den Schnitten 27—34, an der
lateralen Fläche, in der Nähe des hinteren Pols der Thyreoidea, in
eine Mulde eingelassen, als ein ovales Epithelfeld, ganz vom Aussehen
eines Epithelkörperchens. Es misst das Feld im Querdurchmesser
0,2 mm, im sagittalen 0,24 und es hält sich durch 7 Schnitte hindurch,
was einer Länge von 0,11 mm gleichkommt.
In 35, 36 ist das Bild nicht vollständig deutlich. Es ist möglich,
sogar nicht unwahrscheinlich, dass für das eben beschriebene Feld,
das also durchaus dem oberen Epithelkörperchen gleicht, nicht voll-
ständig abschliesst, sondern in Form eines schmäleren Stranges nach
unten verläuft. In 37 zeigt sich an derselben Stelle ein jetzt scharf
abgegrenztes, rundes, epitheliales Feld von denselben Dimensionen.
Es hält sich dieses in Isthmushöhe zunächst noch ziemlich weit hinten,
seitlich von der Trachea und weiter abwärts rückt es nach vorne;
in 49 liegt es im Niveau der vorderen Fläche der Trachea und vor
ihm tritt in diesem Schnitte ein Drüsenkanal auf, von den gleichen
Dimensionen. Dieser Kanal hält sich bis 55 als hohles Gebilde
wandelt sich dann in ein kleineres solides Feld um und wird dem
hinteren Feld dadurch ähnlich. Beide vereinigen sich nunmehr, treten
vor die Trachea und nähern sich den gleichen Feldern der linken
Seite. Alle diese Felder vereinigen sich untereinander zu einem
orösseren Felde, um bei 74 die Thymus darzustellen, welche rechts
in 91 schwindet.
Wir haben also hier die eigentümliche Thatsache, dass vom oberen
Ende der rechten Thymus aus 2 schmale Stränge sich nach oben er-
strecken, von denen der eine an dem unteren Ende des Isthmus endet
und zwar hat er in seinem obersten Teile ein Lumen; der andere
Fortsatz reicht 10 Schnitte weiter nach oben, bis zum oberen Isthmus-
rande, behält seinen soliden Charakter bei und hängt sehr wahrschein-
lich durch einen schmalen, verbindenden Teil mit einem epithelialen
Körperchen zusammen, das etwas über der Isthmushöhe gelegen ist
und schon durch seine eigentümliche, abgeplattete Form sehr einem
Epithelkörperchen gleicht.
420 W. KÜRSTEINER,
Links zeigt sich bei Schnitt 40, das heisst in der Mitte des
Isthmus, ein dorsales epitheliales Feld, von der gleichen Grösse, wie
die früheren, 0,2 mm im Durchmesser. Es behält zunächst seine
Dimensionen bei, rückt in der Gegend des unteren Isthmusrandes
plötzlich nach vorne, wird in 46, 47 sehr klein und in 47, 48 findet
sich vor ihm ein Drüsenbläschen, welches mit ihm noch in Verbindung
zu stehen scheint.
Bei 56 schnürt sich nochmals ein solches ab. Wie wohl einzelne
Schnitte nun gerade an dieser Stelle defekt sind, scheint es doch un-
zweifelhaft, dass das epitheliale Feld sich unverändert nach unten fort-
setzt, nach vorne tritt und in 58 zu 2 Feldern sich vergrössert, die
wie die rechtsseitigen in kernreichem Bindegewebe zusammenliegen.
Sie sind auf dieser Seite erheblich grösser, liegen sehr dicht; in 63
fliessen sie zusammen, 7 Schnitte unter der oberen Fläche des Manu-
brum sterni. Es beginnt hier also die eigentliche Thymus.
Vom oberen Ende der linken Thymushälfte aus laufen also auch
2 solide Stränge nach oben, sie fliessen in 58 zu einem schmalen
Strange zusammen, der nach oben in Isthmushöhe mit einem, dem
Epithelkörperchen ähnlichen platten Knopfe abschliesst. Je ein Drüsen-
bläschen findet sich vor ihm in der Nähe des Manubriums und des
unteren Isthmusrandes.
Im Bereich des Thymus selbst findet sich in 79 noch ein
Drüsenbläschen und zwar an der vorderen Peripherie des linken
Lappens, nur in diesem einen Schnitte deutlich sichtbar.
4. Embryo 28 mm lang, 20. XI. 1894. Die Schnittreihe ist
kaudal-kranialwärts aufgelegt.
Die Thyreoidea beginnt zuerst rechts, in Schnitt 1 (Pr. 27,6);
der linke Lappen kommt erst im 19. Schnitte zum Vorschein. Der
Isthmus reicht von Schnitt 67—74; er ist somit 0,12 mm lang; die
Länge der Thyreoidea beträgt rechts 1,1 mm, links 0,8 mm. Der
sagittale Durchmesser der beiden Lappen beträgt 0,75, der frontale
0,5 mm. Auf halber Höhe des rechten Lappens geht ein Strang
thyreoidealen Gewebes ab, der sich in der Mittellinie als Processus
pyramidalis emporzieht, um nach 20 Schnitten (einer Länge von
0,3 mm entsprechend) am unteren Rand des Zungenbeins zu enden,
während vor demselben eine abgetrennte Glandula praehyoidea
accessoria durch 2, 3 Schnitte hindurch sich vorfindet.
Die Kerne des Thyreoidea sind in runden und länglichen Gruppen,
d. h. in Nestern und Strängen angeordnet, 3—4 Kerne im Quermesser.
Zwischen ihnen ist bindegewebiges Stroma mit Gefässen in fast gleich
breiten Streifen. Die Kerne sind an den meisten Stellen um etwa
den halben Durchmesser von einander entfernt, an wenigen Stellen
weiter auseinander gelegen. Sie sind rund, mit 2, 3 grösseren und
einer grösseren Anzahl kleinster Chromatinkörner versehen.
Auffallend sind ein oder mehrere Stränge mit 2—3 Kernen in
der Quere, die sich an der lateralen Fläche der Drüse von vorn
Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 417
idea, denen es sich auch sehr stark nähert, ist aber immer durch
einen schmalen, faserigen Streifen von ihnen getrennt. Im vorderen
Abschnitte stehen die Kerne dichter und sind dunkler gefärbt (18—20).
In 28 tritt am vordern Rande des Thymusstranges, umschlossen
von derselben bindegewebigen Kapsel, ein kleines Drüsenbläschen
auf mit scharfbegrenztem Lumen und einem dicken Epitheisaum, in
welchem die runden und ovalen, hellen Kerne in 2 Reihen gelegen
sind. Es setzt sich in 27 an den vorderen Rand des Thymusstranges
an, mit dessen Zellen zusammenfliessend. Im Thymusstrange ist in
diesem Schnitte auch ein längliches Lumen angedeutet; dasselbe erhält
sich weiter abwärts bis zur Thymus hin; in 33—38 ist es hufeisen-
förmig, nach innen konkav, von 39—49 rund und dann länglich bis
zur Thymus hin.
Bei 45 erreicht der Thymusstrang wieder den früheren, grösseren
Durchmesser, rückt nach vorne, wird noch breiter und kommt dem
gleichen Strang der anderen Seite entgegen, um sich mit ihm in 60, 61
zu vereinigen, also 0,3 mm unterhalb des Isthmus.
Es hat also dieser linke Thymusstrang bis zur Vereinigung mit
dem rechtsseitigen eine Länge von 0,75 mm bei einem Durchmesser
von 0,24 mm; oben beginnt er in halber Höhe des linken Thyreoideal-
lappens (bis 15).
Der rechte Thymusstrang beginnt in 31, verhält sich ähnlich wie
der linke; in 39 zeigt er ein Lumen und wird schmäler. Bei 40 ist
der Strang solide, bei 44 ist wieder ein Lumen angedeutet, das bei 46
deutlicher wird und bei 48 konkav nach aussen, bei 49 länglich und
es bleibt dann so bis zur Thymus hin, offenbar wegen seiner schrägen
Richtung, die er hier einschlägt. Die Anordnung der Kerne in einzelne
Stränge ist im oberen Abschnitt bis Schnitt 39 deutlich ausgesprochen,
sodass die Ähnlichkeit mit einem Epithelkörperchen sehr auffallend
ist. An den beiden Längsseiten ist der Strang durch eine Spalte
begrenzt. In der Höhe der unteren Isthmusfläche ist er eingeschnürt;
seine Länge bis zur Vereinigung mit dem linksseitigen beträgt 0,45 mm.
Unterhalb der Zusammenflussstelle bilden beide Stränge zusanımen
ein grosses, epitheliales Feld von 0,6 mm Durchmesser; es ist dies
die Thymus, die weiter abwärts in 2, dann in 4 Lappen zerfällt und
in 73, 74 schwindet.
Der Thymusstrang setzt sich also beiderseits ununterbrochen
fort bis zur Thymus hin, ist im Anfang an der lateralen Fläche der
Thyreoidea gelegen und kommt dann in Isthmushöhe an ihren hinteren
Pol zu liegen. Ein Drüsenbläschen, wie bei Embryo 16 mm,
im Zusammenhang mit dem Tymusstrange findet sich in diesem Prä-
parate nur linkerseits.
Ein dorsales Epithelkörperchen, kranialkaudalwärts ab-
geplattet, findet sich auch hier jederseits und erstreckt sich als selb-
ständiges Körperchen links von 27—32, rechts von 32-—37; sie messen
also 0,09 mm in der Längsachse des Körpers bei einem Durchmesser
418 W. KÜRSTEINER,
von 0,2 mm. Es zeigt das Epithelkörperchen ebenfalls die eigentüm-
liche Anordnung der Kerne und Stränge. Zwischen den Kernsträngen
lassen sich noch einzelne dunkle, spindelförmige Kerne erkennen, die
Gefässe oder schmalen Bindegewebsstreifen angehören.
Das Verhalten zur Thyreoidea ist nicht deutlich, wenigstens nicht
am oberen Ende; nach unten hin ist das Epithelkörperchen durch einen
schmalen Streifen Bindegewebe von ihr getrennt. Das obere Ende des
Epithelkörperchens aber tritt an einer Stelle auf, wo im vorhergehenden
Schnitte noch der grosse, ungegliederte, dorsale Kernhaufen der Thyreo-
idea sich fand. Es wäre also möglich, dass es eine direkte Fort-
setzung desselben darstellte; doch bestimmt kann ich mich darüber
nicht aussprechen.
3. Embryo 22 mm lang, 3. 1.1895. Die Schnitte sind kaudal-
kranialwärts aufgelegt.
Die Thyreoidea beginnt zuerst rechts (Schnitt 1 —= 64, 13)
und erst nach 14 Schnitten erscheint sie auch links. Im Vergleich
zu den beiden jüngeren Embryonen ist die Schilddrüse hier ziemlich
breit, der transversale Durchmesser beträgt die Hälfte des sagittalen,
der ?/, mm ausmacht. Sie besteht beiderseits aus Zellsträngen, die nur
eine Kernform enthalten; die Kerne sind rund, bläschenförmig, recht
dicht gelegen, 2, 3 im Querdurchmesser der Zellstränge, die den Seiten-
flächen des Larynx parallel verlaufen; nach unten hin werden sie netz-
förmig und es findet sich dann an der medianen Fläche in der hinteren
und mittleren Partie ein noch nicht differenziertes Feld mit eingestreuten
kleinen, länglichen, dunkeln Kernen, das jedoch nur auf 3, 4 Schnitten
sichtbar ist. Die Zellstränge sind durch bindegewebige Streifen von
einander getrennt, welche die gleiche Breite haben und selbst breiter
sein können als die Zellstränge. Der Isthmus beginnt bei 38, endigt
bei 48. Die Thyreoidea hat also eine Länge von rechts 0,72 mm,
links 0,51 mm und der Isthmus misst 0,15 mm.
In 31, 32, 33 zeigt sich in der Mittellinie, vor dem Larynx, eine
kleine Kerngruppe, welche wahrscheinlich einer accessorischen
Thyreoidea angehört. Bei Schnitt 22 zeigt sich beiderseits ein
dorsales Epithelkörperchen, wohl abgegrenzt durch Binde-
gewebe. Es reicht das linke bis 27, das rechte bis 25; die Länge be-
trägt demnach links 0,09 mm, rechts 0,06 mm, bei einem beidseitigen
Querdurchmesser von 0,2 mm. Sie sind also in der Längsachse des
Körpers stark abgeplattet. Die Kerne sind hier und da netzförmig
angeordnet; neben den bläschenförmigen grösseren, welche freilich kleiner .
sind als die der Thyreoidea, finden sich vereinzelte, kleine, runde,
dunklere Kerne und, wie es scheint, Übergänge von den kleinen nach
den grossen.
In den linksseitigen Epithelkörperchen ist in den letzten Schnitten
(24—26) ein rundliches, scharf abgegrenztes Drüsenlumen sichtbar, an
dem man bei starker Vergrösserung hier und da Grenzlinien von Zellen
Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 421
nach hinten hinziehen, vorn und hinten mit den anderen Kernhaufen
in Verbindung stehend, im mittleren Teile aber durch einen breiten
bindegewebigen Streifen deutlich getrennt sind von einer mediangelegenen,
weniger gegliederten, helleren Kernmasse. Rechts findet sich dieses
Verhalten von Schnitt 13—33, also in einer Länge von 0,3 mm,
links von Schnitt 28—39, also in 0,15 mm Länge.
Ein Lumen fehlt in dieser Kernmasse beiderseits und eine engere
Beziehung derselben zum dorsalen Epithelkörperehen lässt sich in
diesem Präparate nicht konstatieren.
Die Kerne dieser ungegliederten Masse sind heller und ihnen
beigemischt sind kleinere, dunkle Kerne. In nur wenig Schnitten ist
die Trennung dieser Kernmasse von den Kernsträngen eine deutliche.
Weiter abwärts nehmen die der Aussenfläche des Larynx parallel
laufenden Stränge zu, zeigen hier und da netzförmige, weitmaschige
Verbindungen. Die runden Kernhaufen werden seltener.
Ein dorsales, scharfabgegrenztes, ovaläres, kranial-
kaudalwärts abgeplattetes Epithelkörperchen findet sich
auf jeder Seite, das rechte 0,4, das linke 0,2 mm über dem Isthmus
thyreoideae, rechts in Schnitt 32— 42, links in Schnitt 43—52. Ihre
Länge misst 0,15 mm bei einem sagittalen und frontalen Durchmesser
von 0,24 mm. Sie heben sich schon bei schwacher Vergrösserung von
den Zellhaufen der Thyreoidea ab, indem sie wesentlich heller erscheinen.
Die Kerne liegen nämlich um den 1—2fachen, eigenen Durchmesser
von einander entfernt, sind sonst aber nur wenig kleiner, wie die der
Thyreoidea und haben neben einem Kernkörperchen feine Chromatin-
körnehen in ziemlicher Zahl. Am kaudalen wie kranialen Pole liegen
die Kerne dicht und in gleichmässigen Distanzen, nur im mittleren
Teile des Körperchens sind sie in netzförmig zusammenhängenden Reihen
angeordnet, die Reihen zu 3—4 Kernen im Quermesser und in den
hellen, rundlichen und länglichen Maschen ist ganz vereinzelt ein ovaler
oder spindelförmiger Kern sichtbar, der einem Bindegewebsbalken an-
gehören könnte.
Ein Lumen weist weder das rechte noch das linke Epithelkörper-
chen auf.
Die Thymusstränge finden sich in diesem Präparate nicht
mehr seitlich von den Thyreoideallappen und vor dem sie begleitenden
Gefäss (Carotis), sondern rein dorsal, an derselben Stelle wie weiter
oben die Epithelkörperchen.
Rechts beginnt der Thymusstrang in 56 0,17 mm über dem
Isthmus; der linke nimmt seinen Anfang am oberen Isthmusrande.
Beide laufen ununterbrochen nach unten, rücken nach vorne und
medianwärts und gehen in die hinteren Partien der Thymus über, deren
Umfang gerade hier schön rund geformt und durch eine schmale Spalte
schärfer begrenzt ist. Die Dimensionen dieser Stränge gehen unterhalb
des Isthmus nicht so bedeutend herab, wie im vorigen Falle. Der
Anatomische Hefte. I. Abteilung, XXXVI. Heft (11. Bd, H. 3). 28
499 W. KÜRSTEINER,
rechte, längere Thymusstrang, von einer dünnen, konzentrisch fasrigen
Schicht mit ovalen Kernen umgeben, hat in seinem oberen Verlaufe
einen Durchmesser von 0,2 mm, wird nach 10 Schnitten schmäler,
löst sich von dem umgebenden Stroma ab, zuerst an seiner vorderen
Fläche, sodass er im ganzen unteren Verlaufe vorne von einer breiten
Spalte umgeben ist. Mit dem Auftreten des Isthmus rückt er nach
vorne, die Gliederung seiner Zellmasse in Stränge ist weniger deutlich
als im vorigen Falle, unterhalb des Isthmus fehlt sie vollständig. An
zwei Stellen, oben bei Schnitt 69 in der Höhe des oberen Isthmus-
randes und unten bei Schnitt 96, nahe der Thymus findet sich in
diesem Thymusstrange ein centrales, kleines Lumen von rundlicher
Form im übrigen Verlaufe ist er solide; der linke Thymusstrang weist
nirgends ein Lumen auf.
In der Höhe des unteren Endes der Thyreoidea findet sich vor
dem rechten Thymusstrang und mit ihm, kaudal- wie kranialwärts in
Verbindung stehend, ein Drüsenbläschen (Schnitt 77—83) mit
einem Wandbelag von 2 Kernlagen übereinander.
In der gleichen Höhe mit dem Drüsenbläschen vor dem rechten
Thymusstrange findet sich .am linken Strange, der eine deutliche
Gliederung der Kerne in netzförmig verbundene Reihen zeigt, ein ähn-
liches Bild. Es tritt hier hinter dem Strange in Schnitt 78 ein solider,
dunklerer von dicht gestellten Kernen gebildeter Kernhbaufen auf, von
der gleichen Grösse und der gleichen bindegewebigen Kapsel umschlossen.
In den folgenden Schnitten ist er losgetrennt, schön rund, von einer
hellen Spalte umgeben, bei 79, 80 mit einem deutlichen Lumen, und
bei Schnitt 83, also nach 5 Schnitten verschwindet dieser Kernhaufe
wieder. Es handelt sich also hier um ein Drüsenbläschen, das
kranialwärts mit dem Thymusstrang zusammenhängt. Der Letztere
wird hier schmal, 0,1 mm im Durchmesser, ist also erheblich dünner
wie der rechte.
In Schnitt 93 liegt vor dem linken Thymusstrange, im Stroma
wieder ein kleines Drüsenbläschen mit Lumen, an dessen Stelle
in den folgenden 3 Schnitten noch eine grössere, etwas buchtige, ovale
Drüsenblase von 0,1—0,16 mm sich findet; sie nähert sich mit der
hinteren Fläche dem Thymusstrange, steht aber nicht in deutlichem
Zusammenhange mit ihm. Die Kerne ihres Belages sind an der vorderen
Wand schön länglich, in 1—2 Lagen und senkrecht gestellt.
0,45 mm unterhalb der Thyreoidea werden beide Thymusstränge
mächtiger und verbinden sich mit weiteren, in der Medianlinie auf-
tauchenden, epithelialen Feldern zur eigentlichen Thy mus.
Die Zusammensetzung der Thymusdrüse ist im wesentlichen noch
die frühere. Die Kerne gleichen denen der Epithelkörperchen, aber
zwischen ihnen findet sich eine mässige Zahl kleiner, runder Kerne
und auch einzelne ganz kleine, zackige. An der vorderen Begrenzung
der Thymus finden sich in 119, 121 2 kleine Drüsenbläschen.
Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 423
5. Embryo 35 mm lang, 28. XI. 1894. Die Schnitte sind
kranial-kaudalwärts aufgelegt.
In der Höhe der oberen Hälfte des Isthmus sind die Schnitte
unvollständig und so kann ich über den Zusammenhang eines oberen,
auf der linken Seite befindlichen epithelialen Feldes mit dem Thymus-
strange, der unterhalb der defekten Stelle sofort sehr deutlich ist, nichts
Bestimmtes sagen. Ich schildere daher oberhalb der defekten Stelle
nur Thyreoidea und Epithelkörperchen und lasse das kraniale Ende
des linken Thymusstranges unbestimmt.
Die Thyreoidea beginnt zunächst links in Präparat 3, 10 =
Schnitt 1 und 4 Schnitte später auch rechts. Der Isthmus erstreckt
sich von Schnitt 48—75, ist demnach 0,4 mm lang. Die Thyreoidea
als Ganzes hat eine Länge von 1,15 mm. Die beiden Thyreoideal-
lappen bestehen im oberen Teile aus vorzugsweise sagittal gestellten,
gewundenen Zellsträngen, jederseits gegen acht, hier und da zusammen-
hängend, doch nicht eigentlich netzförmig verbunden, durch breite
Stromabalken von einander getrennt. Es ist nur eine Kernform vor-
handen und zwar sind die Kerne mässig gross, bläschenförmig. Im
Quermesser der Stränge liegen etwa 2—4 Kerne nebeneinander. 0,15
mm über dem Isthmus sind die Thyreoideallappen sehr mächtig, drei-
viertel mm breit, 1 mm dorsoventralen Durchmesser aufweisend und
bestehen hier aus zwei Partien; peripher sind Zellstränge, vermischt
mit Zellhaufen, die durch gleich breite und breitere bindegewebige
Stränge von einander getrennt sind, von wellenförmigem Verlauf mit
kurzen seitlichen Ästen, hier und da auch netzförmig verbunden ;
der centrale Teil, etwas nach vorn gelegen und an der medianen
Fläche die Thyreoidea-Oberfläche erreichend, besteht aus Kernen, die
lockerer liegen, z. T. nur ganz undeutlich in Gruppen oder radiär ver-
laufenden Zellsträngen angeordnet. Diese wenig oder gar nicht ge-
gliederte Kernmasse zeigt an manchen Stellen eine deutliche binde-
gewebige Abgrenzung gegen die übrigen thyreoidealen Stränge. Die
Beimischung von kleinen, dunklen Kernen ist auch hier, wie in den
früheren Präparaten charakteristisch. Es findet sich dieser ungegliederte
Zellhaufen nur in wenigen Schnitten in derselben Höhe, wie die
Epithelkörperchen, ohne aber mit diesen einen Zusammenhang auf-
zuweisen. Rechts ist in Schnitt 39 ein centrales, rundliches Lumen
angedeutet.
Ein dorsales Epithelkörperchen findet sich auch hier auf
jeder Seite und zwar so ziemlich auf der gleichen Höhe und etwa
um den eigenen Durchmesser von der Thyreoidea entfernt. Das linke
erstreckt sich von Schnitt 25—-35, misst 0,16 mm in der Länge, das
rechte geht von Schnitt 24—32, misst 0,12 mm bei einem queren
Durchmesser beiderseits von 0,3 mm, also sind sie abgeplattet im
kranio-kaudalen Durchmesser.
Das Epithelkörperchen ist rechts wie links schön rund und zeigt
nur eine Form von Kernen, die nur wenig grösser sind, wie diejenigen
28*
424 W. KÜRSTEINER,
der Thyreoidea, jedoch etwas blasser und lockerer gestellt, ab und zu
in kurzen Strängen angeordnet, doch ist eine deutliche Gliederung nicht
vorhanden. Ein Lumen fehlt.
In gleicher Höhe mit dem linken Epithelkörperchen und sogar
etwas weiter nach oben ragend (bis Schnitt 21), findet sich lateral-
wärts davon ein zweites, epitheliales, rundes Feld, in den ersten zwei
Schnitten mit einem Lumen versehen, weiter abwärts solide und bis
zur defekten Stelle reichend, wahrscheinlich das obere Ende des
Thymusstranges dieser Seite, der unterhalb der defekten Schnitte
in halber Höhe des Isthmus an der gleichen Stelle auftritt und sich
von hier bis zum kaudalen Ende mit Sicherheit verfolgen lässt. Er
ist von hier (Schnitt 56) an solide.
In Schnitt 64 findet sich an seiner lateralen Seite ein Drüsen-
kanal von längerem und komplizierterem Verlaufe, als
wir ihn bisher bei diesen jungen Embryonen kennen gelernt haben.
Er biegt nach seinem Abgang sehr rasch nach hinten, dann nach oben
um, begiebt sich darauf mit einer lateralwärts gelegenen Schleife
wieder nach vorne und geht lateralwärts vom aufsteigenden Schenkel
nach abwärts, um etwas oberhalb der Abgangsstelle blind zu werden.
Auch an der medianen Fläche des Thymusstranges findet sich im
67. Schnitte ein kleines Drüsenbläschen. Von 68 an abwärts ist
nur noch der Thymusstrang allein vorhanden, umgeben von 2 lateralen
Spalten, welche bald zusammenfliessen. Bei 83 ist im Strang ein
Lumen angedeutet. Bei 90 wird der Thymusstrang mächtiger und rückt
nach vorne und nach der Mittellinie hin.
Bei 91 ist vor dem linken Thymusstrange, in einiger Entfernung
von demselben, ein weites Drüsenlumen sichtbar, das im folgenden
Schnitte nach hinten 2, nach vorne eine kleinere Ausbuchtung dar-
bietet. Die hinteren Buchten setzen sich im nächsten Schnitte in einen
längeren, gewundenen Drüsenschlauch fort, hinter welchem in 95
wiederum 3 kleine Kerngruppen auftauchen, 2 davon mit undeutlichem
Lumen. In 96 findet sich an ihrer Stelle nur ein solides, längliches
Feld und hinter ihm eine verschwommen begrenzte Kerngruppe, die
in 97 grösser wird und im nächsten Schnitte mit dem unmittelbar da-
hinter gelegenen Thymusstrange zusammenfliesst. Das bis 92 erwähnte
buchtige Drüsenlumen vor ihm steht demnach kaudalwärts höchst wahr-
scheinlich in direkter Verbindung mit dem 'Tkymusstrange durch Ver-
mittlung solider Kernhaufen und Kernstränge.
Von 104 an abwärts bildet sich durch Neuauftreten von Kern-
nestern und gegenseitige Annäherung der breiter werdenden Thymus-
stränge allmählich die 2 lappige Thymus aus, von deren hinterer Fläche
die Thymusstränge nach oben steigen.
Die rechtsseitige reicht nur bis zum unteren Isthmusrande empor
bis Schnitt 78, ist ebenfalls von einer Spalte rings umgeben. Die
Länge ist 0,35 mm, die des linken Stranges dagegen 1,1 mm, also
Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 425
über 1 mm, falls das epitheliale Feld über der defekten Stelle mit dem
Thymusstrang zusammenhängt.
Es füllt die Thymusanlage die Lücke des Stromas nicht voll-
ständig aus, binten namentlich bleibt eine breite Spalte frei. An den
Seiten sind die Konturen buchtig und vom umliegenden Stroma
durch eine schmale Spalte getrennt. Die Thymus reicht bis Schnitt 133.
Zusammenfassung der Ergebnisse der Embryonen
von 16—35 mm.
Thyreoidea.
Eine Andeutung des canalis thyreoglossus wurde nie ge-
sehen; einen processus pyramidalis, der bis zur unteren Fläche
des Zungenbeins reicht, fand ich nur bei dem Embryo von
28 mm, eine glandula accessoria praehyoidea war in 3 Fällen
(18, 22 und 28 mm) vorhanden.
Die Thyreoidea hat bei 16 und 18 mm Länge wesentlich
die gleiche Zusammensetzung. Man kann an ihr drei Drittel
unterscheiden, von denen das oberste etwas kürzer ist als die
beiden unteren. In dem oberen Drittel bildet sie an der seit-
lichen Fläche des Larynx eine demselben anliegende Zellplatte
mit 3 und 4 Zellen in der Dicke. Hie und da ist eine kleine
hellere Stelle zwischen den Zellen, wie eine Andeutung von einem
Lumen. Im mittleren Drittel schwillt sie in ihrem dorsalen
Teile zum doppelten bis dreifachen Durchmesser an und in diesem
Teile findet sich nach hinten zu ein hufeisenförmiges Lumen,
dessen Konkavität nach der Medianlinie sieht, nach vorn zu
mehrere kleinere Lumina, durch deren Vergrösserung und Zu-
sammenfliessen nach abwärts die Zellmasse in netzförmige Zell-
stränge zerfällt und solche netzförmig verbundene Zellstränge
setzen das kaudale Drittel der Thyreoidea ausschliesslich zu-
sammen.
426 W. KÜRSTEINER,
Bei den Embryonen von 22, 28 und 35 mm Länge hat sich
auch das obere Drittel in mächtiger Weise entwickelt und es
bildet hier der Querschnitt der Thyreoidea in allen Höhen em
Oval, dessen sagittaler Durchmesser etwa dreiviertel mm beträgt,
dessen frontaler halb so gross ist. Sie besteht wesentlich aus
sagittal verlaufenden, netzförmig verbundenen Zellsträngen, die
durch gleich breite oder breitere Zwischenräume von einander
getrennt sind, welche von Bindegewebe, beim Embryo von 23mm
wesentlich von sehr weiten Gefässen ausgefüllt sind.
Doch findet sich immer noch an der medialen Fläche, etwas
dorsal gerückt, eine grössere ungegliederte Zellmasse, die noch
nicht in Zellstränge zerfallen ist. Auch bei 35 mm Länge findet
sich noch ein solcher Zellhaufen ziemlich in der Nähe der oberen
Fläche des Isthmus.
Eigentümlich ist ein Unterschied in der Zusammensetzung
dieser ungegliederten Zellmasse und der Zellstränge. Letztere
haben nämlich nur runde oder ovale, bläschenförmige, helle
Kerne, während in der ungegliederten Zellmasse noch kleine,
dunkle Kerne sind. Vielleicht gehören diese eindringenden Ge-
fässen oder Bindegewebssepten an.
Epithelkörperchen.
Die Epithelkörperchen finden sich konstant an der dorsalen
Fläche, paarig, nur je eines auf jeder Seite. Fast immer ist an
ihrer medialen Fläche ein Gefäss deutlich, welches nach der
Thyreoidea hinzieht. Ihre Lage ist so ziemlich bei allen die
gleiche. Sie liegen in der halben Höhe der Seitenlappen und
zeigen alle deutlich die eigentümlich abgeplattete Form, wie
bei den Neonati. Auf dem Querschnitt sind sie rund, bei 28
und 35 mm Länge oval; ihre Durchmesser betragen 0,15 (16 mm)
bis 0,3 mm. Die Dicke dagegen beträgt durchschnittlich 0,1
pis 0,15 mm.
Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 427
Von den Thyreoideen unterscheiden sie sich sofort durch
ihre hellere Färbung, die wesentlich darauf beruht, dass die
Kerne in grösserer gegenseitiger Entfernung liegen. In ihren
mittleren Partien sieht man hie und da mehr oder weniger
deutlich die Kerne in anastomosierenden Strängen angeordnet,
2 bis 3 Kerne im Querschnitt und in einzelnen Fällen schon
deutlich Grenzlinien, welche helle, polyedrische Felder gegen-
einander abgrenzen. Es ist also hier schon die Zusammensetzung
der Epithelkörperchen des Neonatus deutlich ausgesprochen, so
dass an der Auffassung dieser Gebilde kein Zweifel sein kann.
Nur bei 22 mm Länge findet sich im linken Epithelkörperchen
ein Lumen, dessen begrenzende Zellen kegelförmig sind, mit
basal gelegenem Kern und ferner auch zugleich am vorderen.
Umfang ein kleines Drüsenbläschen, von einer roten Linie, wie
von einer Membrana propria umgeben.
Was die Genese dieser dorsalen Epithelkörper-
chen anlangt, so handelt es sich hier um ihre Beziehung zum
Thymusstrang und zu der Thyreoidea.
Um das erstere vorweg zu nehmen, so habe ich anzuführen,
dass verschiedentlich der gleich genauer zu besprechende Thymus-
strang auf demselben Querschnitt mit dem Epithelkörperchen
sich findet und sogar z. B. bei 16 mm Länge beidseitig, bei
18mm links, bei 35 mm links, über dasselbe nach oben hinauf-
reicht. Ferner liegt der Thymusstrang in dieser Höhe in der
Regel in der Mitte der seitlichen Fläche, also weit entfernt vom
Epithelkörperchen. Bei dem kleinsten Embryo (16 mm) schiebt
sich zwischen beide Gebilde die Carotis ein. Dadurch wird, wie
mir scheint, eine Entstehung aus dem Thymusstrang ausge-
schlossen oder wenigstens sehr unwahrscheinlich.
Dagegen scheint eine engere Beziehung zu der T'hyreoidea
zu existieren. Ich habe dies bei 16 mm Länge geschildert und
besonders hebe ich noch hervor, dass hier links ganz deutlich
ein 3, 4 Kerne im Quermesser haltender Strang beide Gebilde
428 W. KÜRSTEINER,
an ihrer medialen Fläche verbindet. Auf der andern Seite ist
das Bild nicht so deutlich. Ich habe ferner beim Embryo von
15 mm Länge den Eindruck bekommen, dass das Epithelkörper-
chen die Fortsetzung der ungegliederten Zellmasse der Thyreoidea
ist; es tritt wenigstens, nachdem die letztere verschwunden ist,
im folgenden Schnitte ganz genau an der gleichen Stelle auf,
indessen etwas sicheres lässt sich nicht sagen.
Einen Zusammenhang von Epithelkörperchen und Thyreo-
idea habe ich bei den später zu besprechenden älteren Embryonen
noch 2 mal gesehen. (Embryo von 9 cm beiderseits).
Thymusstrang.
Während die dorsalen Epithelkörperchen eine grosse Über-
einstimmung zeigen, kommen beim Thymusstrang auffallende
Variationen vor, die sich nicht nur daraus erklären lassen, dass
verschiedene Stadien vorliegen.
Was das obere Ende des Thymusstranges anlangt, so ragt
dasselbe in keinem Präparate über das obere Ende der Thyreo-
idea hinaus. Das obere Ende liegt bei 16 mm etwas unterhalb
des oberen Endes der Thyreoidea, bei 13 mm links in der Mitte
der Seitenlappen, rechts in Isthmushöhe, bei 22 und 28 mm
beiderseits in der Höhe des unteren Isthmusrandes. Bei 35 mm
Länge sehen wir ihn links wieder hoch an die Thyreoidea hinauf-
reichen bis in die Mitte der Seitenlappen und über das dorsale
Epithelkörperchen hinaufgehen, während rechts sein oberes Ende
unterhalb des Isthmus liegt.
Sein Verlauf gestaltet sich einfach und regelmässig. Bei
16 mm liegt er oben in der Mitte der lateralen Fläche der
Thyreoidea, sogar nach dem ventralen Pole hin verschoben und
rückt weiter abwärts mehr nach dem dorsalen Pole. Sowie der
Isthmus beginnt und damit die hintere Begrenzung der seitlichen
Lappen nach vorne sich verschiebt, kommt der Thymusstrang
Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 429
in der Regel an den dorsalen Pol der Thyreoidea zu liegen an
die Stelle, wo weiter oben das Epithelkörperchen sich findet.
Weiter abwärts rückt er dann allmählich nach vorne und ver-
einigt sich vor der Trachea mit dem anderseitigen Thymus-
strange. Bei den grösseren Embryonen ist auch die obere Parthie
des Thymusstranges mehr nach dem dorsalen Pol der Thyreo-
idea hingerückt. So sehen wir z. B. bei35 mm Länge links die
Querschnitte von Epithelkörperchen und Thymusstrang fast
nebeneinander gelagert, das Epithelkörperchen näher der Median-
linie, in einer leichten muldenförmigen Vertiefung der Thyreo-
idea eingebettet, den Thymusstrang seitlich vom Epithel-
körperchen.
Von diesem gewöhnlichen Verhalten weicht der Embryo
von 22 mm ab. Hier teilt sich der linke Thymusstrang unter-
halb der Thyreoidea in 2 schmälere Stränge, welche bis zum
oberen Ende der Thymus getrennt bleiben und erst da zu-
sammenfliessen. Rechts finden sich ebenfalls 2 Stränge, aber
nur der eine reicht vom obern Ende der Thymus bis zur Seiten-
fläche der Thyreoidea hinauf, der andere dagegen nur bis an
die untere Thyreoideagrenze. Während der erstere solide ist,
enthält der letztere in seinem oberen Teile ein Lumen; er ist
hier also kanalförmig. Auf dem Querschnitt ist er in der Regel
rundlich, nur unterhalb der Thyreoidea, wo er allmählich nach
vorn und nach der Medianlinie rückt, von entsprechend läng-
licher Gestalt, was offenbar nur darauf zurückzuführen ist, dass
er in schräger Richtung getroffen wurde,
Was die Zusammensetzung anlangt, so gleicht der Thymus-
strang bei diesen kleinen Embryonen, da wo er solide ist, in
sehr vielen Punkten den Epithelkörperchen. Die Kerne sind
hie und da etwas kleiner und es kommen sogar kleine, dunkle
Kerne vor, ähnlich denen der ungegliederten Thyreoidealmasse,
aber doch immer noch etwas grösser als diese. Die Kerne liegen
wie im Epithelkörperchen in grösseren Distanzen als in der
450 W. KÜRSTEINER,
Thyreoidea. Der Querschnitt des Thymusstranges unterscheidet
sich also schon bei schwacher Vergrösserung von der Thyreoidea
durch seine hellere Färbung. Besonderheiten treten nunmehr
in Form und Zusammensetzung des oberen Endes des Thymus-
stranges auf. Hier findet sich bei manchen Embryonen schon
eine knopfförmige, abgeplattete Anschwellung, welche durchaus
dem Epithelkörperchen gleicht; dieselbe ist schon ausgesprochen
bei 13 mm, bei 23 mm ist sie angedeutet. Bei 22 mm ist
der Zusammenhang mit dem Thymusstrang nicht ganz deut-
lich. Nach allem aber, was sich auch aus diesen Embryonen
wie auch aus den Befunden bei den grössern Föten ergiebt,
bin ich nicht im Zweifel, dass hier das obere Ende des Thymus-
stranges vorliegt, im Begriffe von letzterem sich vollständig ab-
zulösen. Dieses obere Ende wandelt sich in ein Epithelkörperchen
um und hat bei allen diesen kleinen Embryonen wenigstens in
den mittleren Partien dieselbe Anordnung der Zellen in schmale,
netzförmig verbundene Stränge; die Zellen sind schön polyedrisch,
im Innern hell, so wie beim Neonatus. Ich verweise hinsicht-
lich der weiteren Begründung auf die grösseren Föten und will
hier nur bemerken, dass die so entstehenden Epithelkörperchen
dem unteren Epithelkörperchen des Neonatus entsprechen.
Eigentümlich sind die Lumina, welche bei den Embryonen
von 16 und 13 mm schön ausgebildet, bei den grösseren Embryonen
dagegen nur noch rudimentär vorhanden sind. Sie scheinen
also schon in diesen frühen Stadien in Rückbildung begriffen
zu sein und dürften für die späteren normalen Verhältnisse keine
Bedeutung haben. Man wird sagen dürfen, dass ihr Verschwinden
mit der Rückbildung des Isthmusstranges zusammenhängt. Ganz
besonders auffällig sind die hufeisenförmigen Lumina bei den
Embryonen von 16 und 13mm, wo sie in der Höhe der 'Thyre-
oidea liegen, bei 16 mm in gleicher Höhe mit dem ähnlich ge-
stalteten Lumen in der ungegliederten Zellmasse der Thyreoidea,
mit der Konkavität lateral gerichtet, während das Lumen der
Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 431
Thyreoidea nach der Mitte hin konkav ist. Bei 18 mm sieht die
Konkavität des Thymusstranglumens nach der Mittellinie hin. Es
besinnt in der Regel oben als rundliches Lumen, setzt sich
nach unten hin fort, stellt also einen nach unten laufenden
Kanal dar mit rundem Querschnitt, der bei 18 mm beiderseits
bis zur Thymus reicht. Ausserdem finden sich noch kleine,
runde Lumina, die sich nur durch einen oder wenige Schnitte
hindurch verfolgen lassen; zum Teil liegen sie in der knopf-
förmigen Anschwellung (bei 16, 28 und 35) oder nahe der Thymus.
Von grosser Bedeutung für die späteren Stadien sind die
Drüsenbläschen, die von dem Thymusstrange besonders auf
dessen medianer Fläche, seltener vorn oder hinten abgehen; bei
16 mm links und rechts, bei 28 und 35 mm links. Sie finden sich
in der Höhe des unteren Isthmusrandes oder weiter abwärts
oberhalb der Thymus und selbst dieht am oberen Thymusende
(bei 35 und 28 mm) selten am oberen Teile des Thymusstranges
neben der Thyreoidea (bei 16 mm rechts). Sie liegen meist dicht
am Thymusstrange und sind nur durch ein kurzes solides Band
mit ihm in Verbindung. Seltener liegen sie um ihren eigenen
Durchmesser vom Thymusstrang entfernt, so dass der ver-
bindende Zellstrang länger ist. Die Verbindungen finden sich
niemals in der Mitte des Bläschens, da wo das Lumen desselben
sich findet, sondern an seinem kaudalen und kranialen Ende;
bei 28mm rechts ist das Drüsenbläschen an beiden Enden durch
ein Zellband in Verbindung mit dem Thymusstrang.
Das Lumen, das sich meist im Centrum des Bläschens findet,
ist häufig kugelig und kann einen Durchmesser von 0,04 und
etwas mehr erreichen.
So bei den kleinen Embryonen, bei den grösseren dagegen
stellen sie mehr Schläuche dar, zum Teil recht stark gewunden,
wie besonders bei35 mm. Sie sind hier also offenbar in weiterer
Entwiekelung begriffen. Als ein solches weiteres Stadium der
Entwickelung kann man auch das isolierte Drüsenbläschen vom
432
W. KÜRSTEINER,
Embryo von 35 mm links ansehen, welches dicht an der medianen
Seite des Thymusstranges gelegen ist, aber den Zusammenhang
mit ihm verloren hat. Auch im oberen Teil der Thymus selbst
finden sich bei 22 und 28 mm noch solche Drüsenbläschen.
Die Thymus.
Beim Embryo von 16 mm ist von einer eigentlichen Thymus
noch nicht die Rede. Die beiden Thymusstränge vereinigen
sich nach unten nicht und nur links reicht derselbe bis vor den
arcus Aortae hin und schwillt hier nicht unbedeutend an.
In den späteren Stadien bildet sich die Thymus durch Ver-
einigung der beiden Enden der Thymusstränge, bei 15 mm zuerst
in Form von zwei rundlichen, epithelialen Feldern, welche nach
wenigen Schnitten in vier Läppchen zerfallen. Bei den grösseren
Embryonen wird sie immer mächtiger durch immer neu aulf-
tretende epitheliale Felder.
Die Thymus hat eine rein epitheliale Zusammensetzung.
Die Zellen sind ganz gleich denen der unteren Teile des Thymus-
stranges; eine strangförmige Anordnung der Kerne, wie sie im
oberen Ende des Thymusstranges vorkommt, fehlt, ebensowenig
ist von einer Umwandlung der epithelialen Anlage in Iymph-
adenoides Gewebe eine Spur zu sehen.
3. Föten von 8--30 cm.
Bei allen diesen Föten ist die Thymus von einem Saum eines
hellen, besonders locker gebauten Bindegewebes umgeben, welches nach
aussen durch einen schmalen, eosinroten Streifen von dicht gelagerten,
konzentrisch verlaufenden Fasern begrenzt wird. Dieser Saum wird
nach dem oberen Ende der Thymus breiter, während die Thymus immer
kleiner wird und schliesslich schwindet. Von hier aus setzt sich dieses
nunmehr selbständige Feld von ziemlich gleich bleibenden Dimensionen
(mit Ausnahme von dem Fötus von 30 em, wo dasselbe vollständig
fehlt) nach oben hin fort, oft bis an die dorsale Fläche der Thyreoidea
Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 433
und endet hier in wechselnder Höhe. Es enthält Drüsenkanäle, meist
das untere Epithelkörperchen und zeigt offenbar die Stelle des früheren
epithelialen Thymusstranges an. Ich bezeichne daher dieses Feld im
folgenden als Thymusfeld. Ferner muss ich hier voranschicken,
dass die Verhältnisse der Epithelkörperchen sich gegenüber den kleinen
Embryonen wesentlich geändert haben. Bei den Neugeborenen fanden
wir jederseits ein oberes und ein unteres, bei den kleinen Embryonen
nur ein abgesondertes Epithelkörperchen und ferner das obere Ende
des Thymusstranges, im Begriffe sich in ein Epithelkörperchen umzu-
wandeln. Dieses letztere liegt bei manchen dieser kleinen Embryonen
höher oben als das erstere. Bei den grösseren Föten dagegen haben
wir wiederum die Verhältnisse wie beim Neonatus, ein oberes und ein
oder auch mehrere untere Epithelkörperchen. Es entspricht aber nun-
mehr dieses untere Epithelkörperchen dem oberen Ende des Thymus-
stranges. Das geht mit Bestimmtheit aus dem Verhalten desselben
zu dem Thymusfelde hervor. Bei denjenigen Föten, bei welchen das
Thymusfeld ununterbrochen von der Thymus bis in Thyreoideahöhe
heraufreicht, liegt das untere Epithelkörperchen gerade im oberen Ende
dieses Feldes. Es ist also dieses untere Epithelkörperchen im Laufe
der Entwickelung nach abwärts gerückt, offenbar infolge der Ver-
kürzung des Thymusstranges, respektive Zurückbleiben desselben im
Längenwachstum.
Ganz das gleiche Schicksal, aber allerdings in viel geringerem
Grade erfährt auch das obere Epithelkörperchen, welches wahrschein-
lich von der Thyreoidea ausgeht. Dasselbe finden wir bei den kleinen
Embryonen fast immer in der Mitte der Höhe der Seitenlappen, d. h.
in der halben Höhe ihres unteren Randes. Bei den Neonati dagegen
liegt es meistens in der Höhe der oberen Isthmusgrenze und so auch
schon bei einigen der grössten Foeten.
1. Fötus von 8 cm.
Thyreoidea. Sie besitzt einen Processus pyramidalis. Die Seiten-
lappen haben einen sagittalen Durchmesser von ?/a und einen frontalen
von !/, mm. Die Zellstränge sind sehr schmal, wie komprimiert, mit
zwei, selbst nur einem Kern im Querdurchmesser. Zwischen ihnen sind
sehr weite Gefässe. Am Isthmus sind die Zellstränge breiter und haben
zum Teil ein Lumen.
Die oberen Epithelkörperchen existieren als paariges Organ,
rein dorsal, von 0,18 mm Durchmesser, etwas über der Isthmushöhe,
das linke etwas tiefer als das rechte, beiderseits durch eine kleine Vene
von der Thyreoidea getrennt. Die Kerne der Epithelkörperchen sind
deutlich kleiner als die der benachbarten Thyreoidealäppchen und schon
in netzförmig verbundene Stränge angeordnet, in jedem Strang etwa 3, 4
Kerne im Querdurchmesser; in den Centra der runden Maschen liegen
noch ziemlich weite Blutkapillaren, wie es scheint ohne faserige Adventitia.
Eine eigentümliche Bildung besitzen diese Epithelkörperchen, die
ich sonst nicht gefunden habe; an ihr kaudales Ende schliesst sich
434 W. KURSTEINER,
nämlich an ihrer medialen Fläche ein kleiner Zapfen an, dessen Kerne
erheblich grösser sind, ohne Gliederung angeordnet; der Zapfen ver-
läuft in 3, 4 Schnitten nach unten und endet dann, ohne seine Stelle
zu wechseln; er nähert sich nicht etwa der Thyreoidea, denn das ist
die einzige Auffassung, die ich ihm beilegen kann, dass derselbe mit
den benachbarten Thyreoidealsträngen in Verbindung träte.
Ein unteres Epithelkörperchen findet sich beiderseits in der
Höhe des unteren Isthmusrandes, rechts ein weniges höher, rein dorsal,
direkt an der Thyreoidea gelegen. Das Thymusfeld beginnt erst weiter
unten; eine Beziehung mit demselben ist also nicht vorhanden. In
dem linken Epithelkörperchen taucht in den letzten Schnitten, in welchen
es noch sichtbar ist, am lateralen Rand ein kleines rundes Drüsen-
lumen auf, das nach aussen von schönem, hohem, hellem Cylinder-
epithel begrenzt ist. Nach unten davon ist noch in 4 Schnitten ein
entsprechend grosses solides epitheliales Feld zu erkennen. Rechts
findet sich nichts Drüsenähnliches.. Die Thymus hat schon lymph-
adenoiden Bau; kleine, runde, dunkle Kerne wiegen vor, sodass ihr
Gewebe bei schwacher Vergrösserung ganz eben so dunkel erscheint
wie das von Lymphdrüsen; mit stärkerer Vergrösserung aber erkennt
man noch ziemlich gleichmässig zerstreute, hellere, runde Kerne, welche
etwa den doppelten Durchmesser haben; sie sind in der helleren Mark-
substanz vielleicht zahlreicher als in den dunkleren, peripheren Zonen,
dagegen findet man deutliche Überreste des früheren epithelialen Baues
gerade an der Peripherie, wo manchmal 2, 3 Reihen von grossen,
hellen Kernen, fast ohne Lymphkörperkerne dazwischen, sich vor-
finden; ferner zeigen sich, an solche Stellen anschliessend, kleine
Drüsenbläschen mit einem niedrigen Cylinderepithel. Diese epithelialen
Säume sind an der Hinterfläche der einzelnen Läppchen am deut-
lichsten. Direkt an die Thymus setzt sich auf der einen Seite (links)
nach oben hin ein kleines Drüsenbläschen an, von 0,15 mm Durch-
messer, von welchem zahlreiche kleinere Bläschen und Kanäle seitlich
abgehen, alle mit ziemlich niedrigem Cylinderepithel ausgekleidet, deren
Inneres hell ist, deren Kerne direkt am freien Pol der Zelle nach dem
Lumen hin oder in der Nähe desselben sich finden. Die oberen Enden
dieser Drüsenkanäle liegen vor dem hellen Thymusfeld, das etwas nach
hinten zurückgewichen ist. Rechts treten erst in unterer Isthmushöhe
ähnliche drüsige Bildungen auf, die buchtig und zum Teil verästelt
sind, hier in dem hellen Thymusfeld gelegen, dessen Begrenzung nur
wenig scharf ist.
Embryo von 9 em Länge. Der sagittale Durchmesser der
seitlichen Lappen der Thyreoidea beträgt 2, der transversale 1 mm,
die ganze Länge fast 2 mm. Der Isthmus hat eine Höhe von 0,9 mm.
Der lobuläre Bau ist schon ausgesprochen; die Lobuli bestehen aus
kleinen, rundlichen und länglichen Follikeln, die ziemlich dicht liegen ;
die schmalen Stromabalken bestehen vorwiegend aus Bindegewebe.
Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 455
Das Manubrium sterni beginnt fast 0,6 mm ünterhalb des Isthmus,
die Thymus etwas mehr als 1 mm unter ‘dem Isthmus.
Dieser Fall weicht hinsichtlich der Epithelkörperchen und der
Thymusstränge von allen übrigen insofern ab, als hier weder rechts
noch links von dem gewohnten, isoliert dastehenden oberen Epithei-
körperchen gesprochen werden kann. Die Verhältnisse von Epithel-
körperchen zur Thyreoidea und zu den hellen Feldern, sowie von Epi-
thelkörperchen zum Thymusstrang sind hier ganz besondere.
Links findet sich in halber Höhe des Seitenlappens, rein dorsal
in einem grossen, hellen, runden Feld, das sich von dem umgebenden
Gewebe durch seinen lockeren Bau auszeichnet, ausserhalb der Thyreo-
idealkapsel, von reichlichen Blutkapillaren umsponnen, ein schön
rundes, durch sein blasses Blau sofort auffallendes oberes Epithel-
körperehen. Es misst in der Längsachse des Körpers 0,14 mm,
während die beiden anderen Durchmesser 0,25 mm betragen. Es ist
demnach stark abgeplattet. Weiter abwärts differenziert sich an seiner
hinteren Randzone ein Häufchen von etwa 10 grössern, dunkler ge-
färbten Kernen heraus, welches Kernhäufchen mit dem allmählichen
Schwinden des Epithelkörperchens sich als solider Kernstrang lostrennt,
um allein im Centrum des persistierenden, etwa 0,5 mm im Durch-
messer messenden hellen Feldes in der Mitte von Blutkapillaren als
solider, schmaler Kernstrang nach unten zu verlaufen. Nach
wenigen Schnitten schwillt er wieder zu einem Epithel-
körperchen von 0,3 mm Durchmesser und ganz demselben Aus-
sehen an, dessen vordere Hälfte einen kleinen cystischen Hohlraum
enthält, von 0,08 mm Durchmesser. Er ist ausgekleidet mit hellen,
teils niedrigen, teils cylindrischen Zellen, scharf durch rote Linien
gegeneinander abgegrenzt mit einer unregelmässig ins Lumen vorragen-
den freien Fläche.
Es rückt nunmehr das kleiner werdende Epithelkörperchen an
den hinteren Pol der Thyreoidea dicht heran; die nach der Schilddrüse
hin gelegenen Zellgruppen gestalten sich zu grossen polyedrischen Zell-
leibern mit grossen Kernen um, und 1—3 ziemlich weite Drüsen-
kanäle mit kubischem Wandbelag bilden eine Brücke zwischen
Epithelkörperchen und Thyreoidea. In der Thyreoidea ist der
Kanal mit seinen hellen Zellen noch in 2 weiteren Schnitten zu sehen.
Die hinteren Thyreoidealäppchen schwinden in den folgenden Schnitten
und machen einem mit der Thyreoidea nach vorn rückenden hellen
Felde Platz. In der Höhe des unteren Isthmusrandes taucht in diesem
Felde ein Epithelkörperchen mit gleichem Aussehen auf, doch ist dieses
nicht rein dorsal gelegen, sondern etwas mehr der medianen Thyreo-
idealfläche angelehnt; seine Länge beträgt 0,24 mm, seine anderen
Durchmesser 0,16 mm. Es ist also nicht gleich dem vorherigen ab-
geplattet, sondern längsoval und zeigt an seinem kaudalen Ende 2
Drüsenbläschen mit hellem, grossem Epithel, beide an der hintern
Fläche, das eine median, das andere lateral gelegen. 5 Schnitte weiter
436 W. KÜRSTEINER,
findet sich am hintern Rand des hellen Feldes ein weiteres Drüsen-
bläschen:; dann schliesst nach einigen Schnitten das helle Feld ab.
Was die histologische Zusammensetzung der beschriebenen Epithel-
körperchen anbelangt, so sind die Kerne durchschnittlich kleiner wie
die der Thyreoidea und liegen in weiten Distanzen. Zwischen ihnen
sind die roten Grenzlinien der Zellen sehr deutlich; das Zellinnere ist
hell. Hier und da tritt die Eigentümlichkeit zu Tage, dass die am
meisten peripher liegenden Zellen nicht polyedrisch sind, sondern
eylindrisch werden mit centralgelegenen Kernen. Auch Bindegewebs-
balken und Gefässe finden sich zwischen den Zellen der Epithel-
körperchen, doch ist die Gliederung in Zellstränge nur unvollkommen,
Rechts finden sich zwei epitheliale Körperchen, beide
dorsal, in der Höhe des oberen Isthmusrandes; ihr käudales
Ende liegt in gleicher Höhe, doch ist das eine erheblich länger und
ragt weiter hinauf; das längere, von der Thyreoidea durch ein grösseres
Gefäss getrennt, schön rund, 0,16 mm in der Länge, 0,4 mm in den
andern Durchmessern, also stark abgeplattet, liegt dorsolateral ausser-
halb der Kapsel der Thyreoidea und ist von einem Saum lockeren
konzentrischen, faserigen Gewebes umgeben. Seine Kerne sind etwas
kleiner wie die des kürzeren - Epithelkörperchens, stehen in etwas
weiteren Distanzen und sind schön hellblau. (Die der Thyreoidea
violett). In den obersten Schnitten ist noch keine deutlich strangförmige
Anordnung der Kerne vorhanden, doch sind schon hier und da spindel-
förmige Kerne von Bindegewebszellen und vereinzelte Kapillaren zu
sehen. Nach unten aber werden die Septen und Kapillaren breiter, die
Anordnung der Zellen in Stränge deutlicher. Die äussersten Zellen sind
hoch und cylindrisch, die Kerne an ihrem centralen Pol; hier und da
sind die Zellen mehr kegelförmig und ähnlich dem Epithel eines
Drüsenbläschens zu einem Halbkreis zusammengestellt. Während das
Epithelkörperchen nach unten schmäler wird, nimmt der helle Saum an
Breite zu und bildet nach Schwinden des Epithelkörperchens ein helles
Feld, von einem schmalen, eosinroten Streifen diehtstehender Fasern
begrenzt, das obere Ende des Thymusfeldes.
Ein viertel Millimeter unterhalb dieses Epithelkörperchens erscheint
in diesem Feld ein neues Epithelkörperchen von 0,3 mm Durchmesser,
an welchem an seinem kaudalen Ende lateral und nach vorn 3 Drüsen-
bläschen sich finden, das grösste mit hohem Cylinderepithel, dessen
Kerne am centralen Pole stehen, alle Bläschen von eosinroten Linien
(Membrana propria) begrenzt.
Das helle Feld schwindet weiter abwärts noch oberhalb des unteren
Isthmusrandes.
Eigentümlich verhält sich das kürzere Epithelkörperchen. Es
ist nieht von einem hellen Saum konzentrischen Gewebes umgeben,
sondern liegt innerhalb der Kapsel der Thyreoidea, zwischen die
hinteren Läppchen derselben eingelassen. Es misst 0,1 mm im Durch-
messer und in der Länge 0,06 mm. Es steht auch dieses
Die Epithelkörperchen des Menschen ete. A3X
Körperchen, wie gesagt, in deutlichem Zusammenhang mit
der Thyreoidea und zwar wird der Zusammenhang dadurch her-
gestellt, dass von der Thyreoidea her ein 0,1 mm breiter Drüsenkanal
sich nach dem Epithelkörperchen hinzieht und auf halbem Wege dahin
auf einen Zellstrang stösst, der vom ventralen Pol des Körperchens
herkommt, und mit dem er sich innig vermengt. Von diesem so ent-
standenen Verbindungsstrang zieht sich ein Drüsenkanal, seitlich neben
dem Epithelkörperchen nach abwärts, um sich 2 Schnitte tiefer als
der untere Epithelkörperchen-Pol mit einem anderen Drüsenkanal, der
die kaudale Fortsetzung des Epithelkörperchens darstellt, zu einem zu
vereinigen. Dieser nunmehr einzige Drüsenkanal ist von 2—3 Schichten
von Zellen ausgekleidet, von denen die das Lumen begrenzenden am
grössten sind, von cylindrischer oder kubischer Gestalt, mit deutlichen
Grenzlinien und namentlich haben die meisten Zellen nach dem Lumen
hin eine intensiv rote Grenzkontur. Viele derselben zeigen ferner
einen deutlichen Saum von Cilien, während in den kaudalen Partien,
wo das Lumen schwindet, keine Cilien sind. Der Drüsenkanal wird
dann wieder zum soliden Zellstrang, der rasch zu einem zweiten,
epithelialen Körperchen von ganz demselben Aussehen, wie das obere,
anschwill. Nachdem das Körperchen einen Durchmesser von 0,35 mm
erreicht hat, wird es wieder rasch kleiner und schwindet ganz. Seine
Länge beträgt 0,1 mm, es ist also auch dieses Körperchen stark ab-
geplattet. Eine kaudale Fortsetzung fehlt ihm, auch tritt kein helles
Feld an seinen Platz. Von einer Gliederung der Zellmasse ist eben-
falls nichts zu sehen.
Die Verhältnisse am oberen Ende des Thymus sind folgende:
Beiderseits ist das Thymusfeld wenige Schnitte über der Spitze der
Thymus wieder deutlich vorhanden und sowohl in ihm wie ausserhalb
und nach vorn zu finden sich mehrere Drüsenkanäle (Fig. 4), die nach
unten hin rasch sich erweitern, buchtig werden und sich vereinigen zu
einer Drüsenblase bis 0,3 mm Durchmesser. Auch die ausserhalb ge-
legenen Drüsenkanäle treten kaudalwärts in das Thymusfeld ein und
hängen mit den übrigen zusammen. Auch an der hinteren Fläche der
immer grösser werdenden Thymus finden sich noch Drüsenkanäle und
grössere Hohlräume.
Embryo, erste Hälfte des 4. Monats (also 10—12 cm
Schnittdicke 20 u.
Thyreoidea. Sie besitzt einen Processus pyramidalis und eine
Glandula accessoria praehyoidea. Die Lappen messen im sagittalen
Durchmesser 2,5—3 mm, im frontalen 1—1,5 mm. Ihre oberen Partien
sind weit nach hinten gerückt. Die Länge beträgt gegen 1 mm, links
etwas weniger. Der Isthmus ist fast 0,5 mm hoch. Es setzt sich die
Thyreoidea wesentlich aus frundlichen, hier und da etwas buchtigen
Follikeln zusammen; die meisten sind deutlich hohl; hier und da sind
auch kürzere Schläuche sichtbar, aber nur selten.
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVI. Heft (11. Bd. H. 3.) 29
458 W. KÜRSTEINER,
Die oberen Epithelkörperchen, paarig, liegen rein dorsal,
auf der Höhe des oberen Isthmusrandes, innerhalb der Thyreoidea;
sie sind abgeplattet und von einem hellen Saum eines hellen, lockeren
Gewebes umgeben; ihr Durchmesser beträgt 0,2 mm und ihre Länge
0,12 mm; ihre Kerne sind klein, rund, dunkel; an manchen Stellen
sind die roten Zellgrenzen sehr deutlich. Eine Gliederung durch Kapil-
laren und Septa ist nicht deutlich.
Links beginnt am unteren Isthmusrande das helle Thymus-
feld, das ohne epitheliale Gebilde bleibt bis zur Thymus-
spitze; letztere ist innerhalb des Thorax gelegen. Sie beginnt zu-
nächst als ein kleines, rundes Feld von den Dimensionen der Epithel-
körperchen und hält sich in dieser Form und Grösse durch 5 Schnitte
hindurch, um sich dann zu vergrössern und einen lappigen Bau an-
zunehmen. Die Ähnlichkeit dieses oberen Endes mit den Epithel-
körperchen hinsichtlich der Form und Grösse lässt die Vermutung
gerechtfertigt erscheinen, dass hier wirklich ein Epithelkörperchen vor-
liege, aber in Verbindung mit der Thymus; indessen ist dies nicht der
Fall; gerade die obersten Schnitte zeigen ganz die gleichen, runden
Kerne des Thymusgewebes und nur im 4., 5., 6. Schnitte tritt an
seinem lateralen Rande ein schmaler Saum auf, in welchem die grossen,
hellen, runden Kerne der epithelialen Thymusanlage sichtbar sind, ge-
rade wie bei 9 cm.
Rechts beginnt das helle Thymusfeld in halber Isthmus-
höhe; darin liegt nun in der Höhe des unteren Isthmusrandes ein
rundliches Feld, ähnlich einem Epithelkörperchen, hin-
sichtlich Dimensionen, aber die Zusammensetzung entspricht vollständig
der Thymus, welche weiter unten beginnt. Ein zweites ganz ähnliches
Gebilde liegt zwischen Isthmus und Thymusspitze und an dieses
schliessen sich kaudalwärts 2 Drüsenkanäle mit Oylinderepithel an, die
aber rasch wiederum verschwinden.
Die Thymus selbst zeigt lateralwärts vom rechten Lappen und
auch zwischen den Lappen Drüsenkanäle mit wechselndem Lumen und
niederem Cylinderepithel, die Kerne gross, oval und hell. Es zeigen
diese Kanäle ab und zu seitliche Ausbuchtungen, z. T. mit ganz
schmalen, kaum sichtbarem Lumen und niederen, fast kubischen Epi-
thelien als Wandbelag.
Embryo von 12 cm.
Wegen starker Neigung des Kopfes sind die symmetrischen Ver-
hältnisse nieht genau zu beurteilen; auch fehlt der obere Teil der
linken Thyreoidea. Die Länge des rechten Lappens beträgt 1,7 mm,
im sagittalen Durchmesser misst er 3 mm, der linke 2 mm.
Der lobuläre Bau der Thyreoidea ist deutlich. Die Drüse
setzt sich aus rundlichen, soliden und mit Lumen versehenen Follikeln
zusammen, die Stromabalken sind sehr schmal.
Die oberen Epithelkörperchen finden sich beiderseits, rein
dorsal gelegen, in der Höhe des oberen Isthmusrandes, ohne helles
Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 439
Feld und ohne Drüsenkanäle, ohne eine sichere Beziehung mit der
Thyreoidea einzugehen.
Die Gliederung der polyedrischen Zellen ist unvollständig. Binde-
gewebsfasern und Kapillaren sind nur spärlich vertreten. Die an der Peri-
pherie gelegenen Zellen sind ceylindrisch. Das rechtsseitige ist 0,12 mm
lang und misst 0,35 mm im grösseren Durchmesser, ist oval, quer-
gestellt und liegt ausserhalb der Thyreoidealkapsel, von ihr getrennt
durch die Arteria thyreoidea inferior.
Das linksseitige ist 0,04 mm lang und 0,12 mm breit und ist von
der Kapsel des hintersten Thyreoidealläppchens umschlossen, an dessen
medialer Fläche es liegt.
Linkerseits ist merkwürdigerweise noch weiter kranialwärts, eben-
falls am hinteren Pol der Thyreoidea ein zweites, oberes Epithel-
körperchen zu konstatieren ; sein grösster Durchmesser misst 0,34 mm,
Die Kerne sind in Stränge angeordnet von je 3 Kernen im Quer-
schnitt. Die Grenzlinien der Zellen sind deutlich. Eine Vene trennt
das Epithelkörperchen von der Thyreoidea, eine Arterie liegt median
von ihm. Ein helles Feld ist nicht vorhanden.
Die Thymusspitze liegt beiderseits 1,2 mm unterhalb des Isth-
mus; von ihr erstreckt sich nach oben beiderseits das Thymusfeld
bis zum unteren Isthmusrande.
In dem oberen Ende desselben ist jederseits ein unteres Epithel-
körperehen mit Drüsenkanälen eingelagert. Rechts liegt dasselbe
etwa 0,1 mm unter dem oberen Beginne des Thymusfeldes; es hat
einen Durchmesser von 0,3 und 0,4 mm, und zwar nimmt es mehr die
laterale Hälfte des Feldes ein. Es ist schön gegliedert mit 3—4
Kernen im Querschnitt der Stränge; diese sind durch ganz schmale,
Bindegewebe und Kapillaren führende Septen von einander getrennt.
Die äussersten Zellen bilden eine kontinuierliche Randzone, umschlossen
von einer Membrana propria. Etwas weiter abwärts, eben noch im
Bereich des Isthmus, tritt auch in der medialen Hälfte des hellen
Feldes, die durch Gefässe und ein schmales, faseriges Septum von der
lateralen geschieden ist, ein Epithelkörperchen mit schönen, hellen,
polyedrischen Zellen und bläschenförmigen Kernen auf, das weniger
scharf begrenzt ist, nach unten rasch in 2—3 Zellgruppen zerfällt
und früher endigt als das laterale. Jedoch geht hier ein schmaler
Zellstrang weiter, der nach 2—3 Schnitten wieder zu einem Epithel-
körperchen von 0,04—0,06 mm Durchmesser anschwillt, mit zwei
lateral gelegenen Drüsenkanälen, deren Epithel das gewöhnliche, hohe,
eylindrische ist. Diese Drüsenkanäle fliessen nach unten zusammen,
theilen sich dann wieder und vereinigen sich endlich zu einem grossen,
Hohlraum, von 0,24 mm Durchmesser, der nach erlittener Einschnürung
sich wiederum erweitert und dann blind endigt. Auch das helle Thymus-
feld endigt hier.
Links findet sich im oberen Ende des hellen Thymus-
feldes ebenfalls ein dorsales, quergestelltes, ovales, 0,4 mm langes
29%
440 W. KÜRSTEINER,
und 0,2 mm breites Epithelkörperchen, das an seiner lateralen
Seite von mehreren Drüsenkanälen flankiert ist. Das Epithelkörperchen
ist in Stränge gegliedert und zeigt breite, Kapillaren führende Septen,
auch eine Randzone von gleichmässig gestellten eylindrischen Zellen.
Die Drüsenkanäle zeigen dasselbe hohe cylindrische Epithel und die
centralen Kerne (wie rechts), werden nach unten sehr weit, einige davon
fliessen zu einem Lumen bis 0,25 mm zusammen; auch treten am
lateralen Rande des Epithelkörperchens Kanäle auf, welche nach
unten zusammenfliessen und mit dem Epithelkörperchen selbst zusammen-
hängen. Das Epithelkörperchen erleidet eine seichte Einschnürung,
wird aber wieder grösser und gestaltet sich zu zwei grossen soliden
Feldern um, die nach 2, 3 Schnitten zu schwinden beginnen und nach
weiteren 2 Schnitten schwindet auch das helle Feld.
Nach einer Unterbrechung des Thymusstranges am unteren Thyreoidea-
pol, woselbst sehr reichliche und weite Lymphspalten sich finden, treten
eigentümliche Bilder auf (Fig. 6). Unterhalb des Isthmus, hinter
dem Köpfchen der linken Clavicula, 1,6 mm von der Trachea seitlich
entfernt, also verhältnismässig weit weg von ihr, medianwärts von einer
Gruppe sehr weiter Blutgefässe, findet sich im Bindegewebe ein rundes
Feld mit zahlreichen, runden, bläschenförmigen Kernen, zwischen denen
keine Zellgrenzen sichtbar sind, obgleich die Zwischenräume zwischen
den Kernen ganz hell erscheinen; zahlreiche, weite Kapillaren ziehen
sich zwischen den Kernen hin. Das Feld ist scharf begrenzt. Seine
Bedeutung ist nicht völlig klar; jedenfalls unterscheidet es sich wesentlich
von den Epithelkörperchen; es gleicht am meisten benachbarten Lymph-
drüsen. Hassalsche Körperchen fehlen.
An dieses Gebilde schliessen sich medianwärts und nach vorne
einige Drüsenkanäle an, welche dasselbe auch kranialwärts etwas über-
ragen und kranialwärts in zwei grössere Hohlräume von etwas über
0,2 mm Durchmesser zusammenfliessen. Weiter abwärts finden sich
noch neben Iymphdrüsenähnlichen Feldern Drüsenbläschen. Hinter
dem Köpfchen der linken Clavicula, da wo die Thymus nur erst in
Form von einzelnen kleinen, kernreichen Feldern auftritt, finden sich
Gruppen von 10—12z.T. sehr weiten, verästelten Drüsen-
kanälen mit hohem Cylinderepithel, und hinter dem ersten grösseren
Thymusläppchen ist ebenfalls ein weiter Kanal, der sich nach unten
in mehrere engere teilt. Auch vor der immer mächtiger werdenden
Thymus und in den Septen derselben finden sich kleine Drüsenbläs-
chen (Fig. 5). Hassalsche Körperchen sind reichlich.
Embryo von 17,5 cm Länge. Die Schnittdicke beträgt 20 u.
Der Hals des Embryo zeigt eine starke Rückenkrümmung, sodass
die topographischen Verhältnisse erst vom unteren Thyreoideaende an
abwärts berücksichtigt werden können; auch fehlt der obere Abschnitt
der Thyreoidea ganz, in welchem für gewöhnlich die oberen Epithel-
körperchen sitzen.
Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 441
Was die Zusammensetzung der Thyreoidea anbelangt, so besteht
sie aus kleinen, soliden Follikeln und hohlen Bläschen, die im Isthmus-
teile und zwar in dessen hintersten Partien sehr weit und buchtig
werden, so besonders links in einem Thyreoidealläppchen, das sich
noch weiter nach abwärts erstreckt, kranialwärts aber mit dem Thyreoidea-
körper in Zusammenhang steht. In manchen dieser stark erweiterten
Bläschen findet sich Kolloid. Durch das Zusammenfliessen mehrerer
dieser Bläschen entsteht im kaudalsten Teile dieses Thyreoidealäppchens
ein eystischer Hohlraum von 0,3 mm Durchmesser, von welchem an der
ganzen Peripherie zahlreiche Ausbuchtungen ausgehen. Der Wand-
belag dieser Hohlräume ist ein niederes Cylinderepithel, z. T. ziemlich
abgeplattet.
Links liegt im Septum, das die beiden hintersten, untersten
Thyreoidealäppchen trennt, ein unteres Epithelkörperchen in
lockerem Bindegewebe. An das Körperchen schliesst sich nach unten
ein Drüsenkanal an mit hohen, hellen Cylinderepithelien, die Kerne
z. T. deutlich, dicht an dem Lumen gelegen; es erweitert sich der
Kanal rasch, wird gewunden und verschwindet dann. Das Thymus-
feld dieser Seite reicht bis zur Thyreoidea empor, zeigt aber in seinem
Innern keinerlei Reste des Thymusstranges.
Rechts schliesst sich an den unteren Isthmusrand ein grosses,
helles Thymusfeld an, das durch ein bindegewebiges Septum in
einen weit grösseren vorderen Teil und einen kleinen hinteren Teil
zerfällt; der letztere hält sich nur durch 30 Schnitte hindurch, hat
also eine Länge von 0,6 mm; der grössere Teil des Feldes dagegen
hält sich bis zur Thymus hin; in ihm sind keine epithelialen Gebilde
zu erkennen, auf der ganzen Strecke von der Thyreoidea bis zur
Thymus hin, während im kleineren Abschnitt des Feldes ein unteres
Epithelkörperchen sich findet, das sich kranialwärts in einen ge-
wundenen Drüsenkanal fortsetzt, der nach 7 Schnitten verschwindet.
Kaudalwärts dagegen schliessen sich an das Epithelkörperchen keine
Kanäle an, nur an dessen medialem Rande sind noch 2 Drüsenbläs-
chen zu erkennen.
Auf gleicher Höhe mit diesem Epithelkörperchen, dasselbe jedoch
nach oben überragend, findet sich nach vorne im selben Abschnitte
des hellen Feldes ein deutliches Thymusläppchen, das sich jedoch
nur durch 4 Schnitte hindurch hält und zu keinen Drüsenkanälen in
Beziehung steht.
In den Septen der Thymusdrüse liegen an vielen Stellen reich-
lich Drüsenkanäle mit gewundenem Verlauf, hohem Cylinderepithel
und einem wechselnden Lumen, bis 0,1 und 0,4 mm Weite; auch
Drüsenbläschen mit demselben hohen Cylinderepithel finden sich vor.
Medianwärts neben der rechten Thymusspitze wäre noch eine
Glandula accessoria substernalis von 0,3 mm Länge zu erwähnen.
Es liegt dieses Läppchen im selben hellen Felde, wie die beidseitigen
Thymuslappen; kaudalwärts nähert es sich durch Vergrösserung bis
442 W. KÜRSTEINER,
auf 0,5 mm Durchmesser einer Gruppe von gewundenen Drüsenkanälen
die im medianen Thymus-Septum, in dessen hinterstem Teile, liegen.
Ein Übergang dieser Kanäle in das Thyreoidealäppchen ist jedoch
nicht festzustellen gewesen. Es treten die Drüsenkanäle kaudalwärts
mit einem der medianen Thymusläppchen in Verbindung; ihre Wand
ist stark gefaltet und zeigt ein hohes Cylinderepithel als Belag; hier
und da sind auch deutliche Cilien vorhanden.
Embryo von 20,5 em Länge Die Thyreoidea beginnt
rechts etwas tiefer als links und zwar liegen die Lappen beiderseits
sehr weit hinten, dicht neben dem Ösophagus. Im grössten, trans-
versalen Durchmesser messen sie 1,5 mm; ihre Länge beträgt gegen
3,5 mm; der Isthmus ist 0,5 mm hoch. Es besteht die Thyreoidea
aus kleinen, runden oder länglichen, sehr dicht stehenden Zellhaufen,
z. B. mit kleinem centralen Lumen; die Septa sind sehr schmal.
Die oberen Epithelkörperchen, von der gleichen Struktur
wie bei anderen Föten, liegen als paarige Organe in der Höhe des
oberen Isthmusrandes, rein dorsal.
Links beginnt das helle Thymusfeld in der Höhe der unteren
Isthmusgrenze und enthält in seinem oberen Ende ein Epithel-
körperchen in der medianen Hälfte; ganz seitlich und vorne finden
sich in dem gleichen Felde gewundene Drüsenkanäle mit hohem
Cylinderepithel, die nach der Thymus hin sich wenden und weiter ab-
wärts nach dem Epithelkörperchen hin, ohne aber mit demselben in
Verbindung zu treten. Während dem kommt das obere Ende der
Thymus zum Vorschein; an deren hinterer Fläche setzen sich die hier
bis !/a mm weiten Drüsenkanäle noch nach abwärts fort, zum Teil mit
hohen, hellen Cylinderepithelien, deren Kerne am freien Pole stehen,
zum Teil auch ohne Lumen, als solide Zellstränge.
Rechts findet sich in gleicher Höhe mit dem oberen Epithel-
körpercehen noch ein Thymusläppchen und zwar nach vorn,
zwischen Epithelkörperchen und Thyreoidea sich einschiebend, deutlich
mit den peripheren dunklen Follikeln und dem centralen, hellen Mark,
in Form eines Dreiecks, dessen Seiten, da wo es am stärksten ent-
wickelt ist, so ziemlich die gleiche Länge von 1 mm haben. In der
Längsachse des Körpers misst das Läppchen 0,6 mm. In dem letzten
Schnitte, in welchem das Epithelkörperchen noch als solches leicht zu
erkennen ist, ist es an seiner hinteren Fläche zu !/3 mit einkernigen
Leukocyten erfüllt, zwischen welchen nach vorn hin allmählich die
grösseren, epithelialen Kerne sichtbar werden. In dem folgenden Schnitte
ist an dieser Stelle ein ganz ausgebildeter, dunkler 'Thymusfollikel
und damit schliesst dieses Gebilde ab. Das helle Thymusfeld be-
ginnt in der Höhe des unteren Isthmusrandes. In ihm liegt das untere
Epithelkörperchen, seitlich davon noch ein Thyreoidealäppchen
und sehr rasch tritt auch das obere Ende der Thymus noch weiter
seitlich auf. Auch hier begleiten sehr buchtige, gewundene Drüsen-
Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 443
kanäle mit hohem Cylinderepithel und centralen Kernen das Epithel-
körperchen. Der Übergang der Zellbalken des Epithelkörperchens in
die gewundenen Kanäle ist hier mit Sicherheit festzustellen.
Auch zwischen den Lappen der immer mächtiger werdenden
Thymus finden sich Drüsenkanäle, wobei aber ein direkter Zusammen-
hang mit den centralen oder peripheren Thymuspartien nicht zu er-
kennen ist.
Embryo von 21 cemLänge. Die Schnitte gehören zwei Blöcken
an; leider war an der Trennungsfläche ein Defekt, sodass man nicht
über alles sicheren Aufschluss erhielt.
Von der Thyreoidea erwähne ich nur folgendes: Sie besteht
aus runden, soliden und hohlen Follikeln, die grössern mit Kolloid
gefüllt, das sich mit Eosin stark färbt und mit Randvakuolen versehen
ist. Auffallend weite Follikel finden sich im unteren Isthmusteil in
dessen hinterstem Drittel vor, besonders links. Kolloid, wie in den grösseren
Follikeln, findet sich auch in Lymphgefässen an der dorsalen Fläche
durch eine grosse Zahl von Schnitten hindurch. Ferner fallen sehr
weite Lymphräume am kaudalen Ende der Thyreoidea auf, wo sie die-
selbe fast an der ganzen Peripherie umgeben.
Ein Lobulus pyramidalis zieht sich von der Mitte des linken Seiten-
lappens bis in die Nähe des Zungenbeins hinauf. Hier vor dem Zungen-
bein liegt eine Glandula accessoria praehyoidea.
Der Isthmus ist schmal; die seitlichen Lappen ragen etwas weiter
nach unten, rasch kleiner werdend.
Über das Verhalten der Epithelkörperchen am oberen Isthmus-
rande ist wegen der Mangelhaftigkeit der Schnitte nur so viel zu sagen,
dass links oberhalb des Isthmus im halbmondförmigen hellen Felde, das
an die hintere Fläche der Thyreoidea sich anlegt, ein 0,5—0,75 mm im
Durchmesser messendes, scharf abgegrenztes, schön gegliedertes Epithel-
körperchen sich findet; seine netzförmigen Zellstränge bestehen aus je
2 Reihen Cylinderepithelien, die Kerne im centralen Pole.
Das helle Thymusfeld ist links schon im Bereich des Isthmus
vorhanden, am dorsalen Pol der Thyreoidea und nicht immer durch
einen breiteren, bindegewebigen Streifen von ihr getrennt. Vielmehr
geht die faserige Begrenzung des Thymusfeldes in die Kapsel der
Thyreoidea über und es erscheint so das Feld stellenweise innerhalb
der 'Thyreoideakapsel gelegen. Links findet sich nun gerade unterhalb
des Isthmus in diesem Thymusfeld, das hier sehr gross ist, von an-
nähernd rundlicher Form, mit einem Durchmesser von 1 und 1!/a mm
ein Epithelkörperchen, 0,6 mm im Durchmesser, nach hinten und
aussen gelegen. Vor ihm und medianwärts liegen weiter abwärts
mehrere Drüsenkanäle nach Art einer acinösen Drüse angeordnet, zu-
erst ein solches kleines Drüsenläppchen, dann ein zweites; beide münden
nach unten in einen weiteren Kanal. Ferner geht von der gegenüber-
liegenden Fläche des Epithelkörperchens ein zuerst sehr weiter Drüsen-
444 W. KÜRSTEINER,
schlauch ab nach diesem Läppchen hin, welche nunmehr kleiner werden,
und dem oberen Ende der Thymus Platz machen (Figg. 8 und 9).
Während der erwähnte, weite Schlauch seitlich von der Thymus zu
enden scheint und das Epithelkörperchen schwindet, findet sich an der
Thymus wiederum ein weiter Kanal mit sehr hohen und schmalen
Cylinderzellen, deren Kerne in verschiedenen Höhen gelegen, an der
Basis eine kontinuierliche Reihe von kleinen, runden Kernen, die wohl
einer besondern Lage von kleinen sogenannten Ersatzzellen angehören
und unter denselben eine ziemlich dieke, rote Wand mit ziemlich viel
länglichen Kernen.
Weiter abwärts finden sich an den Thymusläppchen an der lateralen
Fläche noch zwei ähnliche Kanäle, einer sogar mit Thymuszellen ge-
füllt und ein kleines Drüsenbläschen.
Rechts beginnt das scharf abgegrenzte Thymusfeld erst unter-
halb des Isthmus, nach vorn und medianwärts von dem noch hier be-
findlichen letzten Läppchen der Thyreoidea. Das obere Ende der
Thymus liegt etwas tiefer wie links. Auch hier sind vereinzelte, ver-
ästelte Drüsenkanäle an der vordern Fläche der Thymus, von welcher
nur das obere Ende vorliegt. Ob hier ein unteres Epithelkörperchen
fehlt, kann ich nicht bestimmt sagen, da die Schnitte in dieser Gegend
mangelhaft waren.
Embryo von 22 em Länge. Bei diesem Fötus erscheinen die
beiderseitigen Verhältnisse durchaus nicht symmetrisch; die einander ent-
sprechenden Stellen liegen rechts und links in sehr verschiedenen Höhen,
so das obere Ende der Thyreoidea rechts 1 mm tiefer als links. Es
ist dies zum grössten Teil wohl Folge davon, dass der Kopf in stark
seitlich flektierter Stellung fixiert war. Ich lasse daher die näheren
topographischen Verhältnisse der Thyreoidea selbst weg und erwähne
nur, dass sie noch in den Thorax hinter das Manubrium sterni hinab-
reicht, sowohl der Isthmns, wie auch die Seitenlappen, deren unteres
Ende noch weiter abwärts lag als die letzten Läppchen des Isthmus.
Die Thyreoidea misst links im frontalen Durchmesser 2, im
sagittalen 3, rechts 31/a und 6 mm. Sie besteht aus kleinen Drüsen-
bläschen, die Kolloid enthalten. Die bindegewebigen Septen sind schmal,
Auffallend sind im hinteren, unteren Teil der Thyreoidealappen einige
sehr weite Drüsenbläschen mit hohem Cylinderepithel. Auch im Isthmus
kommen solche vor.
Oben, am Os hyoid., sind rechts und links accessorische Thyreo-
idealäppchen als Glandulae praehyoideae (Streckeisen) zu finden.
Was die Deutung der jetzt zu beschreibenden Epithelkörperchen
anbelangt, welche vorläufig als obere und untere bezeichnet werden, so
verweise ich auf dasjenige, was schon vorher, bei der Zusammenfassung
der kleineren, wie in der Einleitung zu den grösseren Embryonen über
die Beziehung der Epithelkörperchen zum Thymusstrange gesagt
worden ist.
Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 445
Links ist auf Isthmushöhe und zwar etwas oberhalb seiner Mitte
ein oberes Epithelkörperchen, an dessen Rand kleine, dunkle
Häufchen von Thymusgewebe auftauchen, zuerst eines an der medianen
Fläche, im folgenden Schnitte vier, dann fünf; alle werden sehr rasch
grösser und schliesslich überwiegen sie das Epithelkörperchen. Das
Ganze bildet dann ein ovales, quergestelltes, epitheliales Feld, von
®/4 und etwas über !/a mm Durchmesser. Es besteht aus 5 durch
schmale Bindgewebsstreifen getrennten, keilförmigen Lappen, die in der
Mitte zusammenhängen. Die äussere Form entspricht also hier schon
der Thymus und vier der Läppchen bestehen auch nur aus Thymus-
gewebe, aber das grösste dieser Läppchen, hinten und lateral gelegen,
besteht zum kleinen Teil aus Thymusgewebe, zum grösseren aus den
Zellsträngen des Epithelkörperchens. Eine scharfe Grenze zwischen
den beiden Gewebsarten ist nicht zu erkennen, sondern es scheinen die
dicht gelegenen kleinen, dunklen Kerne des Thymusgewebes in das
Epithelkörperchen einzudringen und dessen Gewebe allmählich zu ver-
decken. Wenigstens findet sich eine ziemlich schmale Übergangszone,
in welcher, von Epithelkörperchen an gerechnet, zuerst sparsame Leu-
kocyten sich finden, die rasch zahlreicher werden, während die hellen
Kerne des Epithelkörperchens sparsamer werden und schwinden. Schon
in dem zweitfolgenden Schnitte bildet das ganze Gebilde eine schöne
Rosette von 5 Blättern, welche an der Peripherie dunkel sind und zu
einer hellen Mitte zusammenfliessen, die aber nicht die Zusammensetzung
des Epithelkörperchens, sondern diejenige des Thymusgewebes darbietet.
Nach abwärts wird das Gebilde kleiner, in ihm das helle Centrum
grösser, die dunklen Blätter sind auf schmale, periphere Säume reduzirt
und es schwindet schliesslich ganz, nachdem es auf einen schmalen
Strang sich reduzirte, der an der dorsalen Fläche des immer noch
grossen Thyreoidealappens liegt. An dem untern Ende des letzteren,
wo er in einige zerstreute Läppchen aufgelöst ist, finden sich zwischen
ihm und der Trachea nach vorne einzelne kleine Thymusläppchen,
nach hinten ein unteres Epithelkörperchen, von dem ein buchtiger
Drüsenschlauch mit hohen hellen Cylinderzellen und centralen Kernen,
nach dem nächsten Thymusläppchen hingeht. Weiter abwärts ist noch
ein zweites, kleineres, unteres Epithelkörperchen vor der
Vena jugularis interna, das in 4 Schnitten vorhanden ist und zugleich
mit dem grösseren schwindet, ihr kaudales Ende liegt also in gleicher
Höhe.
Rechts erstreckt sich die Thymus am dorsalen Teil der lateralen
Fläche der Thyreoidea bis in Isthmushöhe hinauf. Sie ist hier voll-
ständig in eine Mulde der Thyreoidea eingelassen und ihr oberes Ende
dringt durch dieThyreoidea bis zurTrachea vor und gerade
oberhalb dieses Endes, also an der medialen Fläche der Thyreoidea
sitzt das rechte obere Epithelkörperchen von dreieckiger Form,
1 mm Seitenlänge und !/g mm Länge. Die Thyreoidea wird so auf
dem Querschnitte in eine vordere, grössere und eine hintere, kleinere
446 W. KÜRSTEINER,
Hälfte zerlegt. Gerade hier findet sich das untere Epithelkörper-
chen, zwischen Thymus und der vorderen Hälfte der Thyreoidea ein-
geschlossen, also etwas höher als gewöhnlich. Weiter abwärts findet sich
kein Epithelkörperchen mehr. Am unteren Isthmusrande schwindet
zuerst die hintere und dann die vordere Hälfte der Thyreoidea, nach-
dem auch vor derselben schon Thymusläppchen aufgetaucht sind. Von
hier an liegt die Thymus nunmehr frei, wird grösser und vereinigt sich
bald mit der linksseitigen. Weiter abwärts finden sich sowohl nach
aussen von den Thymusläppchen als auch zwischen den Läppchen
stark erweiterte, buchtige Drüsenkanäle mit abgeplattetem Epithel und
feinkörnigem Inhalt. Die Struktur der Thymus ist die gewöhnliche.
Embryo von 23 cm. Die Schnitte sind kaudalkranialwärts
aufgelegt. Die Schnittdicke beträgt 30 wu.
Thyreoidea: Sie beginnt links !/s mm tiefer als rechts. Der
vorhandene Processus pyramidalis reicht bis ans Zungenbein empor. Es
besteht die Thyreoidea aus kleinen, rundlichen Drüsenbläschen, die
sehr dicht in einem netzförmigen Stroma liegen. Die Seitenlappen
messen, wo sie am mächtigsten sind, frontal 2,0—2,8 mm, sagittal
3—4 mm. Der Isthmus hat eine Länge von 1,4 mm, der linke
Seitenlappen eine solche von 3,0, der rechte von 4,0 mm.
Auf der linken Seite liegt ein oberes Epithelkörperchen
etwas oberhalb der Isthmusmitte dorsal von einem ganz isoliert da-
stehenden Thyreoidealäppchen, dicht an dasselbe angelehnt; es wird
nach unten grösser, gleichsam auf Kosten des Thyreoidealläppchens,
dessen Stelle zuletzt ganz von ihm eingenommen wird. Es misst
sagittal 0,75 mm, frontal 0,5 mm. Seine hellen, grossen Zellen sind
in netzförmigen Strängen angeordnet, 2 Kerne im Quermesser, die
Kerne central in der Mitte der Stränge gelegen. Die Zellbalken des
Epithelkörperchens und die Follikel der Thyreoidea liegen direkt neben-
einander und sind nur durch die schmalen Balken des Stromas ge-
trennt, ein besonderes Septum, das dieker wäre als die benachbarten
Stromabalken findet sich nicht vor; aber ein Zusammenhang der Zell-
stränge mit den Follikeln ist nicht zu erkennen.
Das untere Epithelkörperchen liegt in der Höhe des untern
Isthmusrandes, vor dem Ösophagus, in gleicher Linie mit der hinteren
Trachealwand und weit entfernt von den vorn gelegenen letzten Läppchen
des verschwindenden Isthmus. Es liegt nicht in der Mitte eines hellen
Feldes, sondern erst nach unten schliesst sich an seinen vorderen Um-
fang ein solches helles, nach vorn zu spitz auslaufendes Feld von
Dreieckform an. In diesem finden sich in 2 Schnitten verästelte Drüsen-
kanäle, welche nach hinten abbiegen und in das Epithelkörperchen
eintreten und zwar nach vorn von einer grösseren, abgesonderten Drüsen-
blase, die an der medianen Fläche des Epithelkörperchens liegt. Zu-
gleich tritt an Stelle der verästelten Drüse das obere Ende der Thymus
auf. Lateralwärts vom Epithelkörperchen, mit ihm zusammenhängend
Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 447
finden sich lange, spaltenförmige, verästelte Drüsenkanäle mit hohem
Cylinderepithel, die sich noch weiter abwärts seitlich von der fast
!/e mm breiten Thymus hinziehen.
Rechts beginnt etwas oberhalb des unteren Isthmusrandes das
helle Thymusfeld, das rasch nach vorn rückt und ganz kontinuier-
lich bis zur Thymus sich verfolgen lässt. In seinem oberen Ende,
0,15 mm unterhalb seiner oberen Spitze liegt das untere Epithel-
körperchen. Im: untersten Schnitt, in dem es sichtbar ist, findet sich
vorn seitlich in ihm eine grosse, schöne, runde Drüsenblase von 0,2 mm
Durchmesser und medianwärts davon eine kleinere, deren Durchmesser
0,04—0,05 mm beträgt, letztere mit hohem Cylinderepithel, die Kerne
am centralen Pole, erstere mit niedrigerem, kubischem Epithel. An ihre
Stelle tritt in den folgenden Schnitten ein Drüsenkanal, der verästelt
ist, auf jedem Schnitt sein Aussehen ändert und nach 10 Schnitten
von 30 u Dicke schwindet. !/js mm weiter abwärts beginnt die Thymus,
an welcher sich auch nach abwärts zu keine Drüsenkanäle befinden.
Embryo von 30 cm. Beide Thyreoidealappen beginnen
so ziemlich auf derselben Höhe; da, wo sie am mächtigsten sind,
messen sie dorsoventral 7,0 mm und transversal 5,0 mm. Sie setzen sich
aus rundlichen Bläschen zusammen, in welchen hier und da eosinrotes
Kolloid sich befindet. Am hintern Pol, besonders nach unten hin, sind
in einzelnen Läppchen besonders grosse Drüsenbläschen, geradezu kleine
Cysten bis !/g mm Durchmesser vorhanden. Einige Schnitte über dem
Isthmus geht vom linken Seitenlappen ein Processus pyramidalis
aus. Ferner findet sich ein durch sein Epithel interessantes, accesso-
risches, praehyoides Läppchen. Dasselbe enthält ein in mehreren
Schnitten sichtbares Lumen, das von einem scheinbar mehrschichtigen
Epithel ausgekleidet ist. Bei genauerer Betrachtung jedoch zerfällt
dieses in zahlreiche Zellgruppen, welche je 10—20 Zellen umfassen
und zwischen diesen finden sich etwas undeutlich faserige Streifen mit
deutlichen, langen und schmalen Kernen, die als Gefäss- oder Binde-
gewebskerne anzusprechen sind. Interessant ist, dass an der gegen-
überliegenden Wand die Gruppierung der Zellen weniger deutlich ist;
auch sieht man nur ganz spärlich lange Kerne in dem 5—6 schichtigen
Epithel. An einer Stelle ist die innere Hälfte desselben von stark
bauchig aufgetriebenen, fast kugeligen Becherzellen eingenommen, zwischen
welchen schmale, cylindrische Epithelien mit deutlichen Flimmerhaaren
sich finden. An dem dickeren Teile der Wandung dagegen ist die
dem Lumen zunächst gelegene Schicht von deutlich kernhaltigen Zellen
abgeplattet. Lateralwärts von diesem grossen Felde findet sich noch
ein kleinerer Drüsenkanal, mit 2—3 schichtigem Epithel und scharf be-
grenztem I,umen, der nach unten mit dem ersteren zusammenfliesst,
ohne sein Lumen zu verlieren, während in jenem das Lumen schwindet.
Das persistierende, kleinere Lumen hat noch deutliche Becherzellen als
Auskleidung; nach unten aber wandert es mehr nach der Mitte des
448 W. KÜRSTFINER,
auf !/s mm Durchmesser angewachsenen, ‚epitbelialen Feldes zu erhält
eine Auskleidung von ziemlich stark abgeplatteten Zellen und schwindet
bald. Die Gliederung der epithelialen Zellen in Zellhaufen, die den
Thyreoideafollikeln gleichen, treten nach unten deutlicher hervor.
Die paarigen, oberen Epithelkörperchen liegen oberhalb des
Isthmus; sie haben einen queren Durchmesser von fast nahezu '/2 mm
und sind in der Längsrichtung des Körpers abgeplattet; sie liegen rein
dorsal und lateralwärts von ihnen ein arterielles Gefäss, das als
Thyreoidea inferior anzusprechen ist. Sie bestehen aus netzförmigen
Strängen mit 2 Kernen auf dem Querschnitt. Die Zellgrenzen sind
deutlich; das Innere ist hell und die Kerne meist deutlich in der Mitte
der Stränge dicht nebeneinander. Drüsenkanäle finden sich nicht vor.
Ein unteres Epithelkörpercben liegt jederseits ein weniges
oberhalb des unteren Thyreoideapols, von derselben Struktur wie früher,
auch neben einem arteriellen Gefässe. Das linke ist gleichsam in die
Aussenfläche des Thyreoidealäppchens eingelassen und misst 0,25 mm
im sagittalen Durchmesser, 0,75 mm im transversalen, das rechte ent-
sprechend 0,3 mm und 0,7 mm.
Drüsenkanäle oder ein helles Thymusfeld, das nach der Thymus
hin zu verfolgen wäre, findet sich auch bei diesem unteren Epithel-
körperchenpaare nicht.
Die Thymus reicht bis dicht an die Thyreoidea heran, zeigt deut-
liche Hassalsche Körperchen, aber keine Drüsenkanäle.
Kleine Lymphfollikel ie Form von schmalen, kurzen Streifen
finden sich hier und da an der medianen Fläche der Thyreoideallappen,
sowie auch an ihrer dorsalen Fläche.
Zusammenstellung der Ergebnisse bei den Föten von
8-30 cm Länge.
Die Thyreoidea hatfast in allen Fällen deutlich lobulären
Bau; die Lobuli setzen sich aus runden und länglichen, soliden
und hohlen Follikeln zusammen; die Septen sind überall schmal;
die Lumina sind spärlich bei den kleineren Embryonen (8 cm,
10—12 em, 20,5 em), reichlich dagegen bei den grösseren und
hier gleichmässig durch die Thyreoidea verteilt. Auffallend sind
besonders grosse Drüsenbläschen, welche sich bei vier der grös-
Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 449
seren Embryonen (17,5 em, 21 cm, 22 cm, 30 cm) finden und
zwar hauptsächlich in den untersten und hintersten Partien der
Thyreoidea. Da wo diese erweiterten Bläschen sich vereinigen,
entstehen buchtige Hohlräume bis !/z mm im Durchmesser und
auch sehr weite und verästelte Drüsenspalten (bei 17,5 cm).
Colloid fand sich in den Follikeln von drei der grösseren
Embryonen (17,5 cm, 22 cm, 30 cm) und in einem Falle (17,15 cm)
war auch in den weiten und reichlichen Lymphgefässen rings
um die Hinterfläche der Thyreoidea herum Colloid zu kon-
statieren.
Eine Glandula accessoria praehyoidea war in drei
Fällen (20, 21, 30 cm) vorhanden; in einem vierten Falle zeigte
sich rechts und links am Zungenbein ein kleines Thyreoideal-
läppchen. Einmal (bei 30 cm) fand sich in der Glandula prae-
hyoidea ein grosses, nahezu rundliches Lumen mit mehrschich-
tigem Epithel, dessen Zellen zu rundlichen Gruppen, ähnlich
den Zellhaufen der Thyreoidea angeordnet waren. Die das Lumen
begrenzenden Zellen sind an einzelnen Stellen eylindrisch; zum
Teil sind es deutliche Becherzellen und zum Teil diebt neben
solchen auch Cylinderzellen mit schönen Flimmerhaaren. Neben
dem Läppchen zeigten sich kleine Drüsenkanäle von der Weite
der gewrundenen Nierenkanälchen; sie waren kaudalwärts, nach
Verschwinden des Läppchens noch durch einige Schnitte sicht-
bar und hingen kranialwärts deutlich mit dem Läppchen zu-
sammen.
Einen processus pyramidalis fand ich in fünf Fällen (8,
10—12, 21, 22, 23 cm) und zwar vom linken Thyreoideallappen
ausgehend und bis zum Zungenbein empor sich ziehend.
In einem Falle (22 cm) handelte es sich um eine Struma
profunda, d. h. die Glandula thyreoidea reichte bis unter das
Manubrium sterni und die claviculae hinab und in einem weiteren
Falle (17,5) bestand eine Glandula accessoria substernalis. Die
beren Epithelkörperchen, als paariges Organ, in der Höhe
450 W. KÜRSTEINER,
des oberen Isthmusrandes, rein dorsal gelegen, abgeplattet in
der Längsrichtung des Körpers und erkennbar an den meist
recht deutlichen Zellgrenzen, dem hellen Zellinnern und der
mehr oder minder deutlich ausgesprochenen Anordnung der
Zellen in netzförmigen Strängen, fanden sich bei allen diesen Em-
bryonen vor. Es sind die Kerne kleiner als die der Thyreoidea
und liegen in weiteren Distanzen. Ein Zusammenhang der Epi-
thelkörperchenzellbalken mit den Thyreoideafollikeln durch einen
Drüsenkanal war nur beim Embryo von 9cm, bei diesem aber
auf beiden Seiten zu sehen.
Zwei obere Epithelkörperchen auf derselben Seite fand ich
dreimal vor (12 cm, 9 cm rechts und links). Beim Embryo von
9 cm setzt sich links das obere Epithelkörperchen in einen so-
liden Kernstrang fort, der bald wieder zu einem Epithelkörper-
chen anschwillt. Letzteres hängt mit der Thyreoidea zusammen.
Drüsenkanäle, wie sie beim untern Epithelkörperchen so
regelmässig vorkommen, fehlen bei dem oberen ganz, ausge-
nommen jene seltenen Verbindungsstränge mit der Thyreoidea
bei 9 cm.
Auch hier, bei den grösseren Embryonen wie bei den kleinen
und den Neugeborenen, habe ich niemals, ebenso wie Kohn, ein
inneres Epithelkörperchen gefunden. Es steht dies in Wieder-
spruch mit Angaben von Schaper und Müller. Schaper hat,
wie es scheint, in einem Fall beim Menschen ein inneres Epi-
thelkörperchen gesehen. Er erwähnt, dass das Bindegewebe beim
inneren Epithelkörperchen weniger entwickelt sei wie bei den
äusseren; sein Bau ist daher mehr kompakt; es war scharf durch
eine bindegewebige Kapsel begrenzt mit Ausnahme einer Stelle,
wo sein Gewebe direkt in das benachbarte der Schilddrüse über-
geht und wo in seinen Zellbalken kleine Alveolen sich entwickeln.
Und Müller fand es bei Kindern und Erwachsenen. Er sagt:
an frischen Schnitten ist es an seiner hellen Farbe (wohl infolge
Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 451
des Zellreichtums) erkennbar und im gefärbten Präparate ist es
dunkler als die Umgebung. Hinsichtlich seiner Zusammensetzung
gibt er nur an, dass das Bindegewebe in ihm reichlich entwickelt
sei, in Form von Strängen, welche die Zellen in einzelne Grup-
pen von einander sondern; in diesen sind dann die polygonalen
Zellgrenzen nicht mehr zu unterscheiden ; sie gleichen vollständig
den Zellhaufen in den Schilddrüsen der Neugeborenen. Ich muss
auf Grund meiner Untersuchungen das Vorkommen innerer
Epithelkörperchen bei Föten und Neugeborenen in Abrede stellen.
Ich sehe dabei allerdings von dem einen in der Schilddrüse ge-
legenen Epithelkörperchen ab, das ich beobachtet habe beim
Fötus von 22 cm Länge neben der Thymusspitze, die in leicht
schräg aufsteigender Richtung den rechten Lappen der Thyreo-
idea durchsetzte. Hier lag es zwischen Thymus und Thyreo-
idea eingeschlossen an dem oberen Ende der T'hymus, welches
die mediane Fläche der Thyreoidea erreicht hatte. Die Abbil-
dung, welche Schaper gibt, überzeugt mich nicht vollständig
von der Richtigkeit seiner Deutung. Die Masse des Zellproto-
plasmas ist darin grau schattiert und Zellgrenzen sind nur schwach
angedeutet. (Gerade die charakteristische helle Beschaffenheit
der Zellen und die Schärfe der Zellgrenzen, die bei den mensch-
lichen Embryonen und Neugeborenen so charakteristisch ist,
fehlt hier. Man ist versucht, hier an Schilddrüsengewebe zu
denken, in welchem die Alveolen in Entwickelung begriffen sind.
In der Angabe von Müller ist mir auffällig, dass er ebenfalls
die Zellgrenzen nicht deutlich sieht und die Zellen in Haufen
angeordnet sind.
Die unteren Epithelkörperchen sitzen als paariges Or-
gan, wie erwähnt, in dem oberen Ende des Thymusfeldes, in
der Höhe des unteren Isthmusrandes. Nur in einem Falle (23 cm)
war das untere linke nicht direkt an der Thyreoidea gelegen,
sondern lag hinten, neben dem Oesophagus, weit entfernt von
der vorn an der Trachea gelegenen Thyreoidea. Nur einmal
452 W. KÜRSTEINER,
fand sich das Epithelkörperchen auf halbem Wege von der
Thyreoidea zur Thymus.
Zwei untere Epithelkörperchen auf der gleichen Seite fanden
sich in drei Fällen (10—12 em, 12 cm rechts und 22 cm), in
zweien davon in verschiedenen Höhen übereinander und sogar
in dem einen dieser Fälle sind beide durch einen soliden Zell-
strang verbunden, im dritten Fall liegen die zwei Epithelkörper-
chen auf gleicher Höhe, das eine am hinteren Thyreoidealpole,
das andere seitlich vor der Vena jugularis. Diese letztere Du-
plieität des unteren Körperchens, dass beide auf gleicher Höhe
liegen, lässt sich aus der Duplieität der Thymusstränge erklären,
wie wir solche beim Embryo von 22 mm deutlich gesehen haben.
Einmal (bei 20,5 cm) wandelt sich das Epithelkörperchen
in seinem kaudalen Teile in Thymusgewebe um, dessen kleine,
dunkle Kerne zuerst an seiner hinteren Fäche auftraten. Ein
anderes Mal (10—12 em) hört der linke Thymusstrang als knopf-
förmige Anschwellung auf, die hinsichtlich ihrer Form, Grösse
und Lage ganz dem unteren Epithelkörperchen gleichkommt.
Die Kerne sind aber die des Thymusgewebes und zwar schon
in den obersten Schnitten; nur am Rande des Gebildes sind
noch grosse, eylindrische Zellen von der epithelialen Thymus-
anlage vorhanden. Das histologische Aussehen der unteren
Epithelkörperchen ist das gleiche wie bei den oberen, nur ist
die Gliederung der Kerne zu Strängen bei zwei der kleinsten
Embryonen (9 und 12 cm) nicht ganz deutlich.
Wenn ich die unteren Epithelkörperchen sicher
mit der Thymus in Zusammenhang bringe und für
die oberen einen Zusammenhang mit der Thyreoidea
vermute, so muss ich 22 em ausnehmen. Hier besteht die
Eigentümlichkeit, dass rechts das obere Ende der Thymus durch
den Thyreoidealappen hindurch auf dessen mediale Fläche reicht.
An seinem oberen Ende findet sich ein Epithelkörperchen und
während seines Verlaufes durch die Thyreoidea ebenfalls ein
Die Epithelkörperchen des Menschen ete. 453
zweites. Diese können recht wohl mit dem oberen und unteren
Epithelkörperchen der anderen Fälle in Analogie gebracht wer-
den. Etwas anderes ist es dagegen mit den Verhältnissen auf
der linken Seite. Hier finden sich drei Epithelkörperchen, zwei
in der Höhe des unteren Isthmusrandes, die als untere Epithel-
körperchen angesehen werden und eines etwas oberhalb der
Isthmusmitte gelegen. Das letztere als oberes Epithelkörperchen
anzusprechen, verbietet seine Beziehung zur Thymus; denn, wie
aus der ausführlichen Schilderung hervorgeht, bildet es das
obere Ende der Thymus und wandelt sich nach unten auch
einfach durch Infiltration mit Leukocyten in Thymusgewebe um;
danach sind wir also hier gezwungen, dies zu den unteren Epi-
thelkörperchen zu rechnen, die also hier in der Dreizahl exi-
stieren. Die grosse Zahl der unteren Epithelkörperchen steht
mit dieser Deutung nicht im Widerspruch, denn wir haben öfters
drei, allerdings unterhalb der Thyreoidea.
Konstant finden sich neben dem unteren Epithelkörperchen
Drüsenkanäle und Drüsenbläschen, Bildungen, die bis jetzt
von keinem der Forscher beobachtet worden sind. Als Vor-
läufer derselben sind die kleinen Drüsenbläschen anzusehen, die
bei mehreren der kleinen Embryonen beobachtet wurden und
zwar in verschiedener Höhe, am unteren Isthmusrand, an der
oberen Thymusspitze und in der Mitte zwischen beiden Stellen.
Die Mehrzahl hat die Dimensionen von gewundenen Harnkanäl-
chen oder etwas mehr. Sehr charakteristisch ist fast immer ihr
Epithel, es gleicht in der hellen Beschaffenheit des Zellinnern,
dem Vorhandensein von schönen eosinroten Grenzlinien völlig
den Zellen der Epithelkörperchen, und ferner ist eigentümlich,
was auch bei den Epithelkörperchen vorkommt, aber nicht so
konstant, die Lagerung der Kerne an dem inneren freien Pol
der Zelle, manchmal ganz dicht an der Zellmembran. Die Form
der Drüsenkanäle wechselt; sie sind am schönsten ausgebildet
bei den Embryonen von circa 20 cm; bei den ältesten Em-
Anatomisehe Hefte. I. Abteilung. XXXVI. Heft (11. Bd., H 3.) 30
454 W. KÜRSTEINER,
bryonen von 30 cm fehlen sie vollständig; bei den Neugeborenen
sind sie nur hie und da noch neben dem unteren Epithelkör-
perchen zu finden. Es sind dies also Bildungen, welche in der
späteren Periode des fötalen Lebens allmählich wieder kleiner
werden und vollständig schwinden können. In der Periode ihrer
schönsten Entwickelung stellen sie gewundene Kanäle dar, oft
zu bedeutenden Hohlräumen, bis 0,5 mm, sich erweiternd, hie
und da verästelt und bei 21 cm sogar nach dem Typus der
acinösen Drüse angeordnet, allerdings ohne bauchige Erweiterung
der Enden. In den Erweiterungen der Kanäle ändert sich das
Epithel insofern, als es niederer wird und sogar vielfach abge-
plattet ist. Dass sie mit dem unteren Epithelkörperchen oder
mit dem Thymusstrang zusammenhängen, ist vielfach deutlich
zu sehen, aber eben so sicher ist, dass sie diesen Zusammen-
hang verlieren können, wie das z. B. bei den Neugeborenen, die
ich untersuchte, der Fall war. Die Drüsenkanäle gehen von
dem kaudalen Ende der Epithelkörperchen ab, meist in der Rich-
tung nach unten, doch auch manchmal dicht neben dem Epi-
thelkörperchen nach oben.
Ähnliche Drüsenkanäle finden sich bald in grösserer, bald
in geringerer Zahl auch am oberen Ende der Thymus und in
der Tiefe derselben, in den Septen zwischen ihren Lappen, sowie
auch an der lateralen Fläche. Auch dies sind vergängliche Ge-
bilde; bei den Neugeborenen habe ich sie nicht gesehen und
ebenso fehlen sie bei 23 und 30 cm.
Auch hier sind es bald kleine Bläschen, bald gewundene
Kanäle, bald grössere Hohlräume, bis 0,5 mm, auch wieder
manchmal sehr buchtig und in die Buchten münden Drüsen-
kanäle ein, ferner finden sie sich in Form von längeren, ver-
ästelten, schmalen Drüsenspalten. Die Verhältnisse des Epithels
sind hier die gleichen.
Das helle Thymusfeld, welches bei den Embryonen
von 16—35 mm als heller, schmaler Saum den Thymusstrang
Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 455
nach oben hin begleitet, und von welchem schon in der ein-
leitenden Bemerkung zu den grösseren Embryonen die Rede
war, setzt sich entweder kontinuierlich fort bis an den unteren
Isthmusrand (bei 9 cm, 17,5 cm, 20,5 cm und 21 cm) höher
hinauf bis Mitte Isthmushöhe nur bei 2 Fällen (10—12 cm und
23 cm) — oder es erleidet das Thymusfeld gleich unterhalb der
Thyreoidea eine Unterbrechung (bei 9 cm und 12 cm) — oder
endlich, es fehlt dasselbe ganz (bei 30 cm). Es ist also bei den
kleineren dieser Embryonen vorhanden, bei 2 mittelgrossen unter-
brochen und bei dem grössten fehlt es.
Die Thymus zeigt beim kleinsten Exemplare (8 cm) noch
deutlich die epithelialen Reste der ersten Drüsenanlage und zwar
finden sich diese helleren, grösseren, runden Kerne besonders
an der hinteren Peripherie der Läppchen, wo sie sich zu 2—3
Reihen gruppieren. Das übrige Gewebe hat schon hier den
Iymphadenoiden Bau. Bei allen grösseren Individuen setzt sich
die Thymus aus Läppchen zusammen, die eine periphere, dunkle
Follikelzone und ein helleres Mark aufweisen; die Hassalschen
Körperchen sind überall deutlich.
In zwei Fällen (27, 30 em) reicht die Thymusdrüse, wie er-
wähnt, bis zur Thyreoidea empor und in einem Falle dringt sie
sogar durch den Isthmus hindurch bis zur medianen Fläche des
rechten Lappens vor.
Ich glaube, nachdem ich so die Ergebnisse bei Neugeborenen.
den kleinen Embryonen und den grösseren zusammengefasst
habe, mich zum Schlusse auf einige wenige Bemerkungen be-
schränken zu können.
Zunächst, was die Auffassung der oberen Epithelkörperchen
als Thyreoidealgewebe anbelangt, welches auf fötaler Stufe
stelıen geblieben ist, so muss ich in dieser Beziehung bemerken,
30*
456 W. KÜRSTEINER,
dass auch in den frühesten Stadien (16 mm) schon ein deutlicher
Unterschied zwischen Thyreoidea und Epithelkörperchen besteht.
In dem letzteren ist schon die Anordnung der Zellen zu Zell-
strängen, wie sie bei der reifen Form sich findet, angedeutet.
Das vorausgesetzte Stadium, in welchem Thyreoidea und Epithel-
körperchen gleichen Bau haben, ist also in noch frühere Zeiten
zu verlegen. Ob das Epithelkörperchen imstande ist, sich in
Thyreoidealgewebe umzuwandeln, dies zu beurteilen, fehlt mir
jede Beobachtung.
Ferner möchte ich einige Punkte aus meiner Arbeit hervor-
heben, die in pathol. Beziehung von Bedeutung sind.
Gerade im Anschluss an die von Vielen vorausgesetzte
Identität von Epithelkörperchen und Thyreoidea wäre es von
besonderem Interesse die Beziehungen der Epithelkörper-
chen zur Struma congenita zu kennen; indessen kann ich
in dieser Hinsicht nichts Sicheres mitteilen, da ich leider nicht
darauf geachtet habe, ob die grösseren Epithelkörperchen bei
den Neonati gerade bei grossen Thyreoideen sich fanden.
Über die Beziehung der Epithelkörperchen zurStruma
nodosa, welche acquiriert ist, kann ich ebenfalls nichts sagen,
doch bemerke ich, dass Farner in seiner Arbeit über Morbus
Basedowii Knoten beschreibt, welche er mit den Epithel-
körperchen vergleicht oder, wie er nach der damals gebräuch-
lichen Ansicht sagt, für Läppchen mit embryonalem Bau hielt;
indessen zeigt die Beschreibung, dass dieselben den Epithel-
körperchen des Menschen doch nicht an die Seite gestellt
werden dürfen. Er beschreibt in ihnen zweierlei Zellformen,
beide aber mit körnigem Protoplasma; das entspricht also
nicht dem sehr charakteristischen Bilde der Zellen der Epithel-
körperchen.
Eine weitere pathologische Bedeutung erhalten vielleicht die
Drüsenkanäle. Es bleibt natürlich weiteren Untersuchungen
vorbehalten, in wie weit etwa kongenitale Halscysten auf
Die Epithelkörperchen des Menschen etc. 457
diese drüsigen Bildungen zurückzuführen sind. Als Kriterium
für eine derartige Entstehung der Cysten wäre namentlich das
Epithel zu betrachten: das Vorhandensein von grossen, hohen,
hellen, eylindrischen Epithelien mit der eigentümlichen Lagerung
der Kerne an der freien Fläche, nach dem Lumen hin. Die
Thatsache, dass in den grösseren Hohlräumen, die ich fand,
das Epithel niedrig war, lässt aber auch die Überlegung be-
rechtigt erscheinen, ob nicht Oysten mit niederem Epithel auch
so aufgefasst werden könnten. Schliesslich ist in dieser Be-
ziehung auch das Flimmer-Epithel von Bedeutung, welches ich
öfter fand und zwar in einem Drüsenkanal, welcher ein Epithel-
körperchen mit der Thyreoidea verbindet (9 cm), in Drüsen an
der Thymusspitze gelegen (17,5 cm) und in einer Glandula
praehyoidea (30 cm).
Die eystische Degeneration der Epithelkörperchen, welche
Schaper beim Schafe beschreibt, ist wohl identisch mit den
Hohlräumen, welche auch ich einige Male beobachtet habe; ob
dies eine pathologische Degeneration bedeutet, möchte gerade
nach meinem Material etwas zweifelhaft sein.
Am Schlusse meiner Arbeit angelangt, möchte ich meinem hoch-
verehrten Herrn Professor Langhans für die gütige Überlassung
des Untersuchungsmaterials, sowie für die zuvorkommende Unter-
stützung beim Zustandekommen dieser Arbeit meinen wärmsten
Dank aussprechen. Den Herren Prof. Gasser in Marburg und
Priv.-Doz. Dr. Howald am hiesigen pathol. Institute sei eben-
falls für ihr freundliches Entgegenkommen bestens gedankt.
Erklärung der Abbildungen.
Fig.1. Unteres Epithelkörperchen eines Neugeborenen. Leitz
Ok. 1, Obj. 7. Das Epithelkörperchen links, an dasselbe schliessen sich nach
rechts hin Drüsenkanäle an mit viel grösseren Zellen, deren Kern dicht am
freien Pole liegt; im Epithelkörperchen sieht man schon ähnliche Bildungen.
Fig. 2. Durchschnitt durch Larynx und Umgebung von einem
16 mm langen Embryo. Präparat 30°. Leitz Ok. 5, Obj. 3. In der Mitte
sieht man den Durchschnitt durch Larynx und Oesophagus; zu beiden Seiten
des Larynx die Thyreoidea mit einem hufeisenförmigen Lumen im hinteren
angeschwollenen Teile, das nach der Mittellinie hin konkav ist; links seitlich
und nach vorne davon ist das obere Ende des Thymusstranges mit einem huf-
eisenförmigen Lumen, nach aussen konkav, rechts dasselbe; das obere Ende -
des Thymusstranges stellt den kleineren, dunkleren Fleck mit rundlichem Lumen
dar, die anderen rundlichen Felder sind Gefässquerschnitte.
Fig. 3. Embryo von 16 mm. Präp. 30° Leitz. Ok. 1 Obj. 7. Zu-
sammenhang des Epithelkörpercehens mit der Thyreoidea durch
einen Kernstrang. Nach rechts das obere Ende des Thymusstranges mit huf
eisenförmigem Lumen.
Fig. 4. Fötus von 9 em. Leitz Ok. 1, Obj. 3. Schnitt durch das
obere Ende der Thymus, man sieht die linke und rechte Hälfte der Thymus,
jede in einem ziemlich gut abgegrenzten hellen Felde gelegen mit Drüsen-
bläschen in der Nachbarschaft; links am Rande des Bildes der Körper der
Clavicula, daran sich anschliessend, nach der Mitte hin Muskel in Quer- und
Längsschnitten.
Fig.5. Fötus von 12cm. Leitz Ok. 1, Obj. 3. Durchschnitt durch das
obere Ende der Thymus (Th) mit zahlreichen Drüsenbläschen; Cl. =
Clavicula. V. = Vene.
Fig. 6. Fötus von 12 cm. Leitz Ok. 1, Obj. 3. Drüsenkanäle
u. -Bläschen links, entfernt von der Trachea, (siehe genauere Beschreibung
des Fötus).
Fig. 7. Fötus von 21 cm. Leitz Ok. 1, Obj. 7. Zellstränge des
Epithelkörperchens; die Zellen hell, mit scharfen Grenzlinien, die meisten
hoch, eylindrisch. Der Kern am centralen Pol.
Fig. 8 u. 9. Fötus von 21cm. Leitz Ok. 1, Obj.3. Epithelkörper-
chen, Thymusu.Drüsenkanäle im hellen Thymusfeld (siehe die ge-
nauere Beschreibung. G = Gefässe; Tr = Trachea; M = Muskel.
U DISS DE DIE
Litteratur.
Sandström, 1880 Jahresbericht u. Schmidts Jahrbücher.
Kohn, 1895 Archiv für mikr. Anat. Bd. 44, S. 366, und Bd. 48, S. 398.
Schaper, 1895 Arch. f. mikr. Anat. Bd. 46, S. 239.
Müller, 1895 Zieglers Beiträge. Bd. 19, S. 146.
Jakoby, 1896 Anat. Anzeiger. Bd. 12, S. 152. 1895 Dissertation Berlin.
Groschuff, 1896 Anat. Anzeiger. Bd. 12, S. 497.
Farner, 1896 Virchows Archiv. Bd. 143, 8. 31.
Tourneux und Verdun 1897 Ebenda $. 63. Comptes rendues de la
Soc. biol. de Paris 1897, S. 63.
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ÜBER
VITALE FÄRBUNG VON ECHINODERMENEIERN
WÄHREND
IHRER ENTWICKELUNG.
VON
PRIVATDOZENT ALFRED FISCHEL,
PROSEKTOR AM DEUTSCHEN ANATOMISCHEN INSTITUTE IN PRAG.
MIT UNTEBSTÜTZUNG DER GESELLSCHAFT ZUR FÖRDERUNG DEUTSCHER
WISSENSCHAFT, KUNST UND LITTERATUR IN BÖHMEN
Mit 18 Abbildungen auf Tafel NXXIV/XXXV.
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVII. Heft (11. Bd. H. 4). al
Während meines letzten Aufenthaltes in der zoologischen
Station in Neapel (Februar— April 1898) habe ich einen Teil der mir
zur Verfügung stehenden Zeit dazu benützt, befruchtete Eier ver-
schiedener Seetiere mit einer Reihe von Farbstoffen „vital“ zu
färben und dann während ihrer weiteren Entwickelung zu be-
obachten. Die Fragestellung, die mich zu diesen Versuchen veran-
lasste, war folgende: Gelingt es mit Hülfe von Farbstoffen
in der lebenden, befruchteten Eizelle distinkte Ele-
mente des Zellleibes oder vielleicht auch — nach anderweitig
bekannten Versuchen war dies letztere allerdings unwahrschein-
lich — des Zellkernes, ohne Schädigung der Fortent-
wickelung zu färben? Und wenn dies der Fall ist, wie ver-
halten sich diese distinkt gefärbten Elemente bei der
Furchung und weiteren Differenzierung des Eies —
werden sie auf alle aus der befruchteten Eizelle hervorgehen-
den Zellen gleichmässig verteilt oder aber während der
Furchung nur auf ganz bestimmte Zellen und in ganz
bestimmter Weise hin dirigiert?
Hinsichtlich des letzteren Punktes galt es mir, im Be-
sonderen, als erwünschtes Ziel, vielleicht ermitteln zu können,
dass während der Furchung eine Verteilung bestimmter Elemente
des Eies auf ganz bestimmte Zellen, also gewissermassen eine
Teilauslese der Plasmaarten der Eizelle statthat. Ich
brauche wohl nicht erst näher auszuführen, wie wichtig ein solcher
Nachweis für das Verständnis des ganzen Entwickelungs-
geschehens wäre — wenn er gelänge.
3l*
464 ALFRED FISCHEL,
Die Zeit, die ich diesen Versuchen widmen konnte, war weit
kürzer als notwendig ist, um die gestellten Fragen erschöpfend
zu behandeln. Was mir bisher auf diesem Wege zu ermitteln
eelang, will ich im Nachfolgenden mitteilen, indem ich vorher
einiges aus der hierher gehörigen Litteratur anführe.
Versuche, die Zelle während ihrer Lebensthätigkeit, oder,
wie man sich ausdrückt, „vital‘‘ zu färben, reichen weit zurück;
ähnliche Experimente, die von Belchier und Duhamel, sind
eigentlich der Ausgangspunkt der histologischen Färbetechnik
überhaupt. Durch die von reichen Erfolgen begleitete Ausbildung
der Färbemethoden fixierter und gehärteter Gewebe eine Zeit
lang in den Hintergrund gedrängt, hat die Methode der vitalen
Färbung später wieder von Seite der Physiologen erspriessliche
Anwendung gefunden: Heidenhain, Chrzonschtzewsky-
Wittich und zahlreiche Andere haben mit ihrer Hülfe wichtige
physiologische Thatsachen ermittelt. — Auch die Histologen hat
die Erkenntnis, dass man mit Hülfe der Färbung gehärteter Ge-
webe allein nicht werde die feineren strukturellen Eigentüm-
lichkeiten und den Bau der Zelle ermitteln können, zu wieder-
holten Versuchen mit vitaler Färbung veranlasst und insbesondere
Ehrlich hat diese Methode in zielbewusster Weise vervoll-
kommnet. Von der Besprechung der zahlreichen hierher ge-
hörigen Arbeiten sehe ich unter Hinweis auf die Litteratur-
angaben bei $S. Mayer, Galeotti und Przesmycki ab, indem
ich nur die allgemein wichtigen Resultate derselben hervorhebe.
Fast alle Autoren stimmen darin überein, dass vitale
Färbung nur an gewissen, meist als Granula bezeichneten
Elementen des Zellleibes zu erzielen sei; der Kern dagegen
färbe sich im Leben niemals, sondern nur nach (oder beim) Ab-
sterben der Zelle. Selbst die Färbung der Elemente des Zell-
leibes wird durchaus nicht übereinstimmend als, dem Wortsinne
nach, „vitale“ d. h. lebenden Teilen der Zelle zukommende
angesehen; ja, Galeotti meint sogar, dass lebende Zellelemente
Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwiekelung. 465
sich gegen die Aufnahme von Farbstoffen wehren und nur
tote oder wenig widerstandsfähige die Farbe annehmen.
In völligem Gegensatze zu diesen Angaben stehen die von
Brandt und Przesmycki. Ersterer erzielte bei lebenden
Protozoen mit Hämatoxylin eine Färbung von Kernelementen
und letzterer will bei zahlreichen Proto- und Metazoen vitale.
Färbung des Kernes sogar während seiner Teilung, also in einer
seiner wichtigsten Funktionen, erhalten haben. Auch Bethe
giebt an, dass sich mit Methylenblau die Kerne in den lebenden
Zellen der Ruderplättchen der Utenophoren färben.
Vitale Färbungen sind jedoch nicht allein an tierischen
Zellen versucht worden. Pfeffer verdanken wir eine grosse und
sorgfältige Untersuchung über vitale Färbung der Pflanzenzelle.
Seine Resultate stimmen mit den zuerst erwähnten überein:
Auch er spricht sich gegen eine (vitale) Färbung des Zellkernes
aus. Pfeffer erörtert ferner auch in gründlicher Weise die
physikalischen und chemischen Ursachen — soweit sie uns bis
jetzt ergründbar — des Zustandekommens der Färbung überhaupt.
So zahlreich nun auch die Versuche mit vitaler Färbung
an den Zellen völlig entwickelter Tiere und Pflanzen sind, so
wenige Angaben liegen hinsichtlich der Organismen während
ihrer Entwiekelung vor. Ich habe nur folgende ausfindig
machen können:
In seiner bekannten Zusammenfassung der gebräuchlichen
histologischen Färbemethoden giebt Gierke an, dass Lord S. G.
Osborne Weizen in Karminlösung wachsen liess und dann
die Gewebe gefärbt fand. Er stellte sich damit im Gegensatz
zu Hartig, einem der Ersten, die Färbemethoden überhaupt
anwendeten. Denn dieser behauptete, dass Karminfärbung nur
dann eintrete, wenn das zu tingierende Gewebe abgestorben sei;
und in einer späteren Arbeit behauptet Hartig niemals Färbung
erhalten zu haben, wenn er Wasseralgen, Charen u. a. wochen-
lange in Karminlösung wachsen liess, während die Färbung sofort
nach ihrem Tode eintrat.
ALFRED FISCHEL,
466
O. Schultze setzte Larven von Fröschen und Tritonen in
schwache Methylenblaulösung und beobachtete gefärbte Granula
in den verschiedensten Zellen ').
S. Mayer hat ähnliche mit Methylenblau und Neutralrot
erzielte Beobachtungen mitgeteilt.
P. Ehrlich setzte keimende Pflanzen und Kaulquappen in
Neutralrot und erhielt gleichfalls Granulafärbung.
Mitrophanows Angaben sind die für unser Thema wich-
tigsten. Er findet (nach Untersuchungen mit Methylenblau):
„In den Ovarien von Periplaneta sind alle in Entwickelung be-
griffenen Eier von blauen Körnchen eingehüllt, die gröberen
derselben sind an den Grenzen der Eikammern angesammelt.
Ähnliche Körner finden sich auch in entwickelten
Eiern zwischen den Dotterelementen bei Periplaneta,
einer Spinne und beim Frosche. Diese Wahrnehmung wird be-
stätigt durch A. Kowalewsky an den in Entstehung be-
griffenen Geschlechtsorganen von Raupen“. Mitrophanow
vindiziert solehen Beobachtungen eine grosse Bedeutung. Syste-
matische Versuche mit vitaler Färbung der Eizelle während
ihrer weiteren Entwickelung hat jedoch auch er nicht angestellt,
ihre Wichtigkeit aber, gleichwie auch Kowalewsky, hervor-
gehoben.?)
Eigene Untersuchungen.
Für meine Versuche verwendete ich zuerst Eier von Echinus
mierotubereulatus, Sphaerechinus granularis, Üione
intestinalis, Phallusia mammillata, einige Male auch von
1) Bezüglich der Versuche OÖ. Hertwigs, Drieschs und Herbsts mit
Methylenblau, bezw. Fuchsin verweise ich auf die spätere Besprechung dieser
Farbstoffe.
2) Auf der 69. Vers. d. Gesellsch. deutsch. Naturf. u. Ärzte im Jahre 1897,
deren Verhandlungen vor kurzem erschienen sind, hat B. Solger (vorläufig)
über vitale Farbstoffimprägnationen mit Methylenblau und Neutralrot (an
wirbellosen Tieren) berichtet, nähere Angaben über die Einwirkung auf sich
entwickelnde Eier jedoch nicht gemacht.
Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 467
Cestus Veneris. Es zeigte sich bald, dass die besten Resul-
tate die Eier der ersterwähnten Art lieferten und auf sie beziehen
sich auch alle nachfolgenden Angaben.
Die Eier wurden stets erst in dem gefärbten Meerwasser
befruchtet. Zur Färbung verwandte ich mineralische und Pflanzen-
farbstoffe, sowie einige Farblösungen. Es waren insgesamt 26
und zwar folgende:
L!) Anilinderivate.
Oxydationsprodukte: Indulin, Nigrosin, Methylenblau,
Thionin.
Toluidinoxydationsprodukte: Safranin, Neutralrot.
Rosaniline: Fuchsin, Magentarot, Rubin S.
Rosanilinderivate: Dahlia, Gentianaviolett, Methylviolett,
Methylgrün, Toluidinblau.
Azofarben: Bismarckbraun.
Oxyazofarben: Bordeaux-Rot.
Phtaleine: Eosin, Cyanin.
II. Anthrazene.
Alızarin.
III. Pflanzliche Farbstoffe.
Örcein. Orseille.
IV. Farblösungen.
Karmalaun, Hämatoxylin(Böhmer), Hämalaun, Hämacalcium,
Biondisches Gemisch.
Diese Farben wurden entweder direkt in Meerwasser gelöst
oder, wenn dies nicht möglich war, als (anderweitig bereitete)
Lösung in Meerwasser filtriert. Der Konzentrationsgrad der
angewandten Lösungen im Meerwasser war stets ein äusserst
geringer, oft wohl kaum !/,ooono betragender. (Genauere, pro-
1) Geordnet nach Trait& des methodes techniques p. Bolles Lee et
F. Henneguy.
Im #7
468 ALFRED FISCHEL,
zentische Angaben unterlasse ich: Die Konzentrationen wechseln
bei der vitalen Färbung nicht nur nach dem verschiedenen
Farbstoffe sondern auch nach dem zu färbenden Objekte ausser-
ordentlich und müssen daher von Fall zu Fail bestimmt werden.
In der Regel verwendete ich mindestens zwei verschiedene
Lösungen eines und desselben Farbstoffes, eine schwächere, bei
welcher der Ton der betreffenden Farbe eben noch erkennbar
war und eine stärkere, bei welcher die Farbe klar und deutlich
hervortrat.
Die zahlreichsten Versuche stellte ich mit dem Neutralrot
an, von dem ich überhaupt ausging und das auch die besten
Resultate lieferte. Mit diesen will ich auch die Beschreibung
beginnen und dann erst die anderen Farbstoffe in der oben an-
gegebenen Reihenfolge besprechen.
Versuche mit Neutralrot.
Das Neutralrot ist von Ehrlich in die histologische Technik
eingeführt worden. Es ist das salzsaure Salz einer Farbbase,
das sich in reinem Wasser mit fuchsinroter Farbe löst, welche
aber in schwach alkalischer Lösung gelbborange wird. Ehrlich
brachte Kaulquappen in Lösungen von 1:10 bis 100000 —
nach kurzer Zeit schon nahmen sie soviel von dem Farbstoffe
auf, dass alle Gewebe dunkelrot waren. Der Farbstoff zeigte
sich in den Zellen an Körnchen gebunden, welche zum grossen
Teile vorgebildet sind, zum Teile aber auch Farbstoffnieder-
schläge sein können — je nach der Art, Form und Lagerung
der Körnchen soll sich dies entscheiden lassen. Auch an keimen-
den Pflanzen erhielt Ehrlich typische Granulafärbung.
Seitdem haben S. Mayer, Galeotti, Przesmycki,
Prowasek, Solger u. a. sowohl 'an Zellen von Meta-
zoen als auch an Protozoen mit Neutralrot Granulafärbung
erzielt. S. Mayer fand ausserdem, dass sich mit diesem Farb-
stoffe degenerierende Nervenfasern sehr leicht nachweisen lassen ;
Verla& von J. ‚FE. Ber$mann Wiesbaden
Über vitale Färbung v. Ech nodermeneiern während ihrer Entwickelung. 469
dass bei Atrophie der Fettzellen die durch chemische Umwand-
lung des Fettes hierbei erzeugten Produkte sich intensiv färben
und dass endlicb — bei Säugetieren — nach dem Tode an vielen
Organen eine Umwandlung der roten in eine gelbe Farbe statt-
findet.
Eine Hetachromasie der Granula verschiedener Zellen-
strata bei Wirbellosen hat Solger beobachtet.
Sehr auffällig sind die Angaben Przesmyckis, der mit Neu-
ralrot Kernfärbung an lebenden Tieren erhalten haben will. —
Alle Autoren, die mit Neutralrot gearbeitet haben, stimmen
mit Ehrlich darin überein, dass es eine geradezu maximale
Verwandtschaft zu der Mehrzahl der Granula besitze.
Diese Thatsache, die auch für die Färbung der Eizellen gilt,
ist für die nachfolgenden Angaben von Wichtigkeit. Nur bei
Anwendung entsprechend stark verdünnter Lösungen kann man
die zu schildernden Bilder in klarer Form erhalten; bei zu
starken Lösungen aber erhält man nur unreine Färbungen. Die
Lösungen von Neutralrot, die ich benützte, waren dementsprechend
sehr schwach; die schwächere unterschied sich kaum merklich
von ungefärbtem Meerwasser, die stärkere hatte nur einen schwach
rötlichen Ton.
Befruchtet man nun Eier von Echinus microtuber-
culatus in diesen Lösungen, so zeigt sich folgendes:
In der schwächeren Lösung bleiben die Eier in der Regel
während der Befruchtung und zumeist auch während der ersten
beiden Furchungen ganz ungefärbt und erst dann tritt Körn-
chenfärbung und -bewegung in der weiter unten zu schildern-
dern Form auf. Nur diejenigen Eier, welche — gefurcht oder
ungefurcht — bald in der Lösung abstarben, wiesen eine und
„war ganz diffuse Färbung des Plasmas auf.
In der stärkeren Lösung dagegen beobachtet man an den
völlig normal erscheinenden und sich weiter entwickelnden Eiern
sehr bald einen schwach rötlich gefärbten, zarten Hof in einiger
470 ALFRED FISCHEL,
Entfernung um den als hellen Kreis im Ei sichtbaren Kern.
Allmählich treten in diesem Hofe ganz feine, schwach rötlich
eefärbte, runde oder stäbehenförmige Körnchen auf;
sie werden immer deutlicher und bilden dann einen Körnchen-
ring innerhalb der Eizelle. An dieser letzteren können wir
nunmehr drei Zonen unterscheiden (Figur 1): Eine peripherische,
hellgelbe, in der keine Körnchen liegen; dann eine mittlere,
welche die rot gefärbten Körnchen enthält und eine centrale,
um den Kern befindliche, gleich der peripherischen, helle Zone.
Die Körnchen in der mittleren Zone liegen zwischen den Strahlen
des Protoplasma anscheinend in ziemlich regelmässiger Anord-
nung. Nach einiger Zeit schwindet — wie bekannt —
die Strahlung; nunmehr beginnen die Körnchen auch
in der centralen, hellen.Zone zu erscheinen, sodass die
Farbendifferenz zwischen ihr und der mittleren schwindet. Dann
treten die Körnchen auch in der peripherischen Zone
auf. Es erscheint daher nach einiger Zeit die ganze Eizelle
— mit Ausnahme ihres dem Kerne entsprechenden Bezirkes —
völlig mit Körnchen erfüllt. Diese Durchsetzung der ganzen
Zelle mit Körnchen ist übrigens in diesem Stadium nicht immer
so deutlich entwickelt, wie in späteren gleichartigen Stadien
(Figur 6 und 11) — Ruhestadium der Zelle — oder sie
geht sehr bald in das nächstfolgende Bild über.
Die befruchtete Eizelle tritt jetzt in das erste Furchungs-
stadium. Die Vorgänge, die sich hierbei, sowie während der
späteren Teilungen der einzelnen Furchungszellen, am lebenden
Objekte beobachten lassen, sind, wie bekannt, folgende: Es bildet
sich wiederum ein deutliches Strahlensystem aus; die Strahlen
laufen radiär gegen einen hellen, dem Kerne entsprechenden
Fleck in der Mitte der Zelle hin. Dieser helle Fleck wird später
durch Streckung in der einen Achse mehr elliptisch. Gleichzeitig
bilden sich jetzt zwei Strahlensysteme, welche je gegen die beiden
Endpunkte der langen Achse des elliptischen hellen Hofes hin-
Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 471
strahlen. Diese Endpunkte treten später als helle Kreise deut-
licher hervor, sodass sie samt dem sie verbindenden Zwischen-
stücke die bekannte hantelförmige Figur bilden. Hierauf konımt
es zur Einschnürung und Teilung in die beiden Tochterzellen.
Mit allen diesen Vorgängen sind nun parallel einhergehende
Veränderungen in der Art der Anordnung der gefärbten Körn-
chen verbunden. Sobald die Zelle zur Teilung sich anschickt
und ein Strahlensystem deutlich wird, schwinden die bis dahin,
wie oben ausgeführt wurde, in der ganzen Eizelle unregelmässig
verstreuten Körnchen, in der Peripherie. Sie rücken zwischen
den Strahlen gegen das Centrum vor, bis sie endlich rings um
den dem Kerne entsprechendem hellen centralen Fleck einen
schönen roten Ring bilden. Eine, im Gegensatze zu der früheren
regellosen Anordnung, mehr geordnete Stellung der Körnchen
innerhalb dieses Ringes ist schon durch ihre Lage zwischen
den, in fast gleichen Abständen von einander zum Kerne hin-
zielenden Strahlen gegeben. Innerhalb dieser Räume zwischen
den Strahlen aber scheinen sie, soweit sich dies überhaupt bei
so minutiösen Verhältnissen feststellen lässt, ebenfalls ziemlich
geordnet in Reihen neben einander zu stehen — wenigstens
bei Einstellung des Mikroskopes auf eine und dieselbe Ebene.
Jedenfalls gewähren — wenn die Färbung gelungen ist — die
Eier in diesen (und auch in den nächsten gleichartigen) Stadien
ein ausserordentlich schönes Bild: Der helle Kernkreis in der
Mitte der Zelle ist von einem schönen, regelmässigen, aus Körn-
chen bestehenden roten Kreise umgeben, dessen Farbe sich
scharf von dem centralen hellen Kreise und der hellgelben peri-
pherischen Zone des Zellleibes abhebt (vgl. Figg. 2, 7, 12 und 14),
welche in diesem, wie auch in den folgenden Stadien, zwar
auch einige, aber gegenüber den um den Kern angehäuften,
verschwindend wenige Körnchen aufweist.
Aus diesem regelmässigen Körnchenkreise bildet sich nun
allmählich, gleichwie aus dem Kernfleck, eine elliptische Figur
472 ALFRED FISCHEL,
(Figur 3), deren Achsen völlig mit denen der elliptischen Kern-
figur zusammenfallen: Es ist also die Körnchenmasse der
Formänderung des Kernes ganz symmetrisch gefolgt. Dieser
Parallelismus in der Gesamtform der Körnchen —
und der Kernfigur lässt sich nun auch weiterhin
während aller Stadien der Kernteilung klar nach-
weisen: Die elliptische Körnchenmasse streckt sich immer mehr
in die Länge; an den Endpunkten der langen Achse der Ellipse
sammeln sich nach- einiger Zeit mehr Körnchen an und bilden
je eine regelmässige Kreisfigur — auch die Körnchenmasse
bildet also jetzt, wie der Kern, eine hantelförmige Figur (Fig. 4),
wenn auch die Einschnitte zwischen dem Hantelstiele und den
Hantelkugeln, infolge der im Verhältnisse zur Länge bedeuten-
deren Breite der Körnchenmasse, weniger scharf hervortreten,
wie an der Hantelfigur des Kernes.
Sehr interessant sind die Bewegungen der Körnchen bei
der nun erfolgenden Durchschnürung der Zelle. Sowie die
Teilungsfurche an der Peripherie der Mutterzelle erscheint,
rücken sie von der Mitte des Hantelstieles gegen die beiden
Kugeln der Hantelfigur hin ab (Figur 5); so wird allmählich der
mittlere Abschnitt des Hantelstiels frei von dem ihn früher
umhüllenden Körnchenmantel; und die Furche, die gegen ihn
hin die Zelle durchschneidet, durchsetzt daher eine von Körn-
chen freie Zone — d. h. also, die Körnchen rücken von
der Teilungsebene der Zellen ab. Für die Erklärung der
Körnchenbewegung überhaupt ist es, wie ich gleich hier be-
onen möchte, von Wichtigkeit, dass dieses Abrücken der Körn-
chen durchaus nicht immer zuerst,auf jener Seite bemerkbar
wird, auf der die Teilungsfurche auch zuerst erscheint oder tiefer
einschneidet. Wiederholt habe ich beobachtet, dass die Körn-
chen zuerst auf jener Seite von der Teilungsebene abrückten,
auf der die Durchschnürungsfurche entweder noch nicht sicht-
bar war oder noch nicht so tief einschnitt, wie auf der anderen
Seite der Zelle.
Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 473
Die geschilderte Anordnung der Körnchen (Fig. 5) erhält
sich noch einige Zeit nach erfolgter Teilung in den entstandenen
beiden Tochterzellen. Solange noch in jeder von beiden die
Reste des hellen Hantelstiels sichtbar bleiben, solange bleibt
auch der gegen die Teilungsebene gerichtete Teil der Zelle
körnchenfrei und es hat daher in beiden Tochterzellen die Körn-
chenmasse die Form eines gegen die Trennungsebene offenen
Halb- (oder richtiger Dreiviertel-) kreises, wie dies (allerdings
nicht von diesem sondern vom nächstfolgenden Furchungs-
stadium) Figur 10 wiedergiebt. |
Dieses Stadium geht rasch vorüber; die Körnchen rücken
auch in das bisher von ihnen freie Zellgebiet, die Körnchen-
figur wird daher zu einem Kreise geschlossen und es resultiert
somit wiederum das Bild, das den Beginn der Zellteilung ein-
eitete und das Figur 2 wiedergiebt.
Gleich darauf tritt jede der entstandenen Tochterzellen in
das Ruhestadium, die Pause vor der nächsten Furchung, ein;
die Strahlung des Plasma verschwindet, gleichzeitig damit geben
die Körnchen ihre kreisförmige Anordnung um den Kern aulf-
rücken in alle Teile der Zelle und erfüllen sie nunmehr
völlig und. in regelloser Anordnung (Fig. 6). Diese An-
ordnung der Körnchen ist charakteristisch für das
Ruhestadium der Zelle.
Sobald aber die neue Teilung einsetzt, wiederholt sich das
ganze Spiel der Körnchenbewegung von neuem: Die in der
ganzen Blastomere regellos zerstreuten Körnchen strömen gegen
den Kern und bilden um ihn einen roten Ring (Figg. 7, 12 u. 14);
dieser wird später zu einer Ellipse (Figg. 8 und 13), zur Hantel-
figur (Fig. 9); bei beginnender Durchschnürung strömen die
Körnchen wiederum von der Teilungsebene weg und bilden in
den neuen Blastomeren zunächst einen offenen Ring (Fig. 10),
der sich rasch schliesst. Sobald die neuentstandenen Blasto-
meren in das Ruhestadium treten, verschwindet die centrale,
474 ALFRED FISCHEL,
regelmässige Anordnung, sie erfüllen jetzt wieder die ruhenden
Tochterzellen ebenso vollständig und regellos, wie sie die ruhen-
den Mutterzellen erfüllten (Fig. 11).
Solange die Blastomeren eine gewisse Grösse besitzen, kann
man die geschilderten Bewegungen der Körnchen deutlich nach-
weisen. Sobald aber in späteren Stadien die Furchungszellen
klein geworden sind, werden auch die Körnchenfiguren kleiner
und sind daher weniger in die Augen fallend. Es scheint, dass
dann die Körnchen auch weit näher um den Kern gelagert sind
als in den früheren Stadien. Abgesehen von der Kleinheit
der Figuren tritt aber auch ihr Bild deshalb weniger scharf
hervor, weil jetzt weit weniger Körnchen in den einzelnen
Zellen vorhanden sind als zu Anfang des Furchungsprozesses,
eine Thatsache, deren Bedeutung gleich näher erörtert werden soll.
Wir haben uns bei Beginn unserer Betrachtung zunächst
die Frage vorgelegt, ob es überhaupt gelingt mit Farbstoffen
granuläre Färbung in der Eizelle und ihren Abkömmlingen zu
erhalten. Es gelingt dies, wie wir sahen, sehr gut mit Neutral-
rot. Die weitere Frage war nun die, ob diese gefärbten Elemente
in bestimmter Weise auf die einzelnen während der Furchung
entstandenen Zellen verteilt werden. Hier lässt sich zunächst
konstatieren, dass die gefärbten Elemente der Eizelle nicht
vielleicht nur auf ganz bestimmte Zellen verteilt werden. Sie
lassen sich vielmehr später in allen, sowohl den grossen wie
den kleinen (Fig. 15) Furchungszellen!) deutlich nachweisen.
Wir müssen demnach folgern, dass während der Furchung keine
Auslese der Körnchen für nur gewisse Furchungszellen stattfindet,
dass sie vielmehr gleichmässig auf alle Blastomeren ver-
!) Ich vermeide absichtlich die von Selenka (Studien über die Ent-
wickelungsgeschichte der Tiere II.) diesen Zellen als Kennzeichner des sogen.
animalen Poles beigelegte Bezeichnung „Scheitelzellen“. Denn Driesch
(Entwickelung mechanische Studien IX, Mittlg. der zool. Station in Neapel XI,
S. 232) kann die Sicherheit einer solchen Beziehung zwischen diesen Zellen
und einem animalen Pole nicht bestätigen.
Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 475
teilt werden — vorausgesetzt, dass alle in späteren Stadien
in den einzelnen Zellen gefundenen Körnchen jauch, ihrer Her-
kunft nach, auf die Eizelle zurückzuführen sind. Denn es wäre
ja denkbar, dass die Menge der in der Eizelle enthaltenen
Körnchen schon durch die Verteilung auf die erstentstandenen
Furchungszellen erschöpft wird und die in den später entstandenen
Blastomeren vorgefundenen Körnchen in diesen selbst durch
nachträgliche Färbung besonderer, in ihnen erst zur Ausbildung
gelangter Gebilde entstanden sind.
Gegen den letzteren Umstand spricht zunächst allerdings,
dass es bei aufmerksamer Beobachtung nicht gelang, ein lokales
Entstehen und Auftreten von Körnchen in den später ent-
standenen Blastomeren nachzuweisen. Aber, bei der Schwierig-
keit einer solchen Beobachtung wäre dies kein hinreichender
Gegengrund. Doch spricht noch ein anderer, Umstand gegen
die erwähnte Möglichkeit und das ist die Zahl der Körnchen
in den erst- und in den später entstandenen Furchungszellen.
Würden in jeder Blastomere neue Körnchen entstehen und sich
zu den von der Eizelle überkommenen hinzugesellen, müsste
ihre Zahl auch in den kleineren, später entstandenen Blasto-
meren eine ziemlich bedeutende sein. Dem ist aber nicht so.
Fortschreitend mit der Furehung nimmt die Zahl
der Körnchen in den einzelnen immer kleiner werden-
den Blastomeren auch stetig ab und zwar nicht nur, wie
natürlich, absolut, sondern auch relativ. Während in den ersten
Blastomeren die Körnchen bei Beginn der Teilung, wie erwähnt,
einen breiten Ring um den Kern bildeten, ist später ihre Zahl
so zusammengeschrumpft, dass sie in diesem Stadium nur noch
in einer oder zwei Reihen als ganz unverhältnismässig schmaler
Ring den Kern umgreifen. Es spricht dies, wie mir scheint,
gegen eine oder zum mindesten gegen eine merkliche Neu-
bildung von Körnehen in den während der Furchung ent-
stehenden Zellen. Es ist deshalb in hohem Grade wahrschein-
476 ALFRED FISCHEL,
lich, dass, wenn nicht alle, so doch die überwiegende Mehrzahl
der Körnchen in den Furchungszellen von den in der Eizelle
dargestellten abstammt. Das heisst also mit anderen Worten:
Die durch Neutralrot in der Eizelle gefärbten Ele-
mente werden während der Furchung aufalle Zellen
gleichmässig verteilt.
Auch nach abgelaufenem Furchungsprozess lassen sich die
Körnchen nachweisen.
In der Blastula und Gastrula (Figg. 16 u. 17) sind sie un-
gemein fein und dicht gedrängt. Sie weisen stets eine ganz
bestimmte Lagerung auf: In den Zellen der Blastula bilden sie
einen feinen roten Saum an der nach aussen gekehrten, d. h.
freien Seite der Zellen. Niemals kann man Körnchen an der
gegenüberliegenden, basalen Seite der Zellen finden. Auch in
diesem Punkte drückt sich also eine gewisse Polarität der
Zellen aus.
In den sich einstülpenden Zellen der Gastrula stehen die
Körnchen der Mitte der Zellen ein wenig genähert (Fig. 16).
Auch in den Mesenchymzellen lassen sie sich nachweisen (Fig. 16).
Gewöhnlich sind in diesen zwei grössere, stark gefärbte und in
annähernd gleichem Abstande von einander befindliche und
ausserdem noch mehrere kleinere Körnchen nachzuweisen. Es
scheint ferner, dass der Farbenton dieser Körnchen der Mesen-
chymzellen ein anderer, dunklerer ist als der der übrigen.
Sehr eigenartig ist das Bild der in Neutralrotlösungen ge-
züchteten Pluteuslarven (Fig. 17). Das Erste, was hier deutlich
auffällt, ist die lebhafte Färbung der Mesenchymzellen, ins-
besondere der pigmentierten. Sie zeigen einen von ihrer gewöhn-
lichen Färbung ziemlich abweichenden, auffälligen grauroten
Ton. Zwischen ihnen liegen die gleichfalls, aber viel heller und
in feinster Körnchenform gefärbten übrigen Mesenchymzellen.
(Beide Zellarten sind neben Figur 17 bei stärkerer Vergrösserung
wiedergegeben.) Wie an den Blastulazellen kann man auch an
Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwiekelung. 477
den Ektodermzellen, insbesondere an den Armen der Plutei,
äusserst feine Körnchen am freien Ende der Zellen nachweisen ;
noch viel feiner ist der Saum, den sie an der dem Lumen zu-
gekehrten, also wiederum der freien Seite der Entodermzellen
bilden. —
Einige physiologisch interessante Thatsachen möchte ich
hier noch erwähnen. Die Echinodermenlarven zeigen vom Blastula-
stadium ab bestimmte, gesetzmässig verlaufende Beweg-
ungen im Wasser, die an den gefärbten Tieren sehr schön
zu beobachten und zu verfolgen sind. Die Art dieser Beweg-
ungen hat H. E. Ziegler näher beschrieben. Die Larven
schwimmen nämlich unter stetiger Rotation nach aufwärts an
die Oberfläche des Wassers, schwimmen hier kurze Zeit in hori-
zontaler Richtung und fallen dann plötzlich wieder nach abwärts,
um gleich wieder nach aufwärts zu rotieren. Das Abfallen ge-
schieht nun nicht wie das Aufsteigen einzelweise, sondern in
Klumpen; in den Glasdosen, in denen ich die gefärbten Larven
hielt, sah man daher stets von der Oberfläche des Wassers
vertikale (rote) Säulen in die Tiefe herabreichen, welche den
gruppenweise nach abwärts sinkenden Larven entsprachen.
Es ist mir nun sehr bald zweierlei aufgefallen. Einmal
standen die roten Säulen nicht regellos in der ganzen Glasdose
zerstreut, erfolgte also das Absinken der Larven nicht
regellos von den verschiedensten Punkten der Ober-
fläche aus. Die Säulen waren vielmehr in Linien angeordnet,
welche wiederum einander parallel liefen. In runden Glasdosen
standen die Linien quer, in rechteckigen liefen sie meist der
längeren Achse des Gefässes parallel, bildeten also lange Reihen.
Die die Larven enthaltenden Glasdosen bedeckte ich, um
das Hineinfallen von Staub zu verhüten, mit Glasscheiben; diese
waren aus mattem Glase verfertigt oder so bedeckt, dass das
Licht nur von den Seiten her in die Glasdose einfallen konnte.
Wiederholt konnte man nun, besonders am Morgen, bemerken,
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVL. Heft (11. Bd., H. 4). 32
478 ALFRED FISCHEL,
dass alle oder die überwiegende Mehrzahl der roten Larven-
säulen an der dem Fenster abgewendeten Seite der Glas-
dosen standen, das Abfallen der Larven also an der dem Licht-
einfalle ungünstigsten Stelle erfolgte. Es lag nahe, an
jene. interessanten biologischen Vorgänge zu denken, die man
als Phototaxis bezeichnet hat und die an zahlreichen
Organismen beschrieben wurden. Vorerst aber waren andere
möglicherweise in Betracht kommende Einflüsse auszuschalten:
Es konnten zwischen der dem Fenster zu- und abgewendeten
Seite Temperaturunterschiede und daher verschiedene Ström-
ungsrichtungen des Wassers bestehen. Ziegler, dem Ähn-
liches auffiel, leugnet den Lichteinfluss und nimmt an, dass
die Larven sich stets in dem kühleren, absteigenden Wasser-
strom ansammeln. Die Entfernung der Dosen aus der Nähe
des Fensters in eine gewiss gleichmässig temperierte Um-
gebung zeigte jedoch keine Veränderung der Reihenanordnung;
es waren also keine Temperatur- und Strömungsunterschiede
mit im Spiele. Ich bin aber trotzdem, da meine entsprechenden
Versuche zu gering an Zahl sind, nicht berechtigt, der ablehnen-
den Haltung Zieglers gegenüber einem Einflusse des Lichtes auf
die Bewegung der Larven irgendwie entgegenzutreten ; erwähnen
möchte ich aber doch, dass sich vielleicht folgendes auf Lichteinfluss
zurückführen lassen könnte. Während, wie erwähnt, die Larven-
reihen am Tage solange es hell war, sehr oft an der dem Fenster
abgekehrten Seite standen, fanden sie sich in der Nacht stets
im ganzen Gefässe vor. Ja, in einigen Fällen gelang es mir
die letztere Anordnung ‚künstlich zu erzeugen, wenn ich den
Zutritt des Lichtes zur Glasdose für einige Stunden hinderte.
Da dies aber nicht konstakt eintrat, vermag ich auch keine be-
stimmten Schlüsse zu ziehen. Es scheint mir aber, dass eine
nähere, mir nicht möglich gewesene, Untersuchung dieser an
gefärbten Larven sehr deutlich verfolgbaren, physiologisch wich-
tigen Bewegungen noch immer lohnend wäre.
Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 479
In wie feiner Weise die Larven auf äussere Reize reagieren,
zeigt ein anderer Versuch. Um das Verhalten der Larvenreihen
zu Wärmeeinflüssen zu ermitteln, brachte ich eine Bunsen-
brennerflamme (um Lichtwirkung auszuschalten) in die Nähe
der Glasdosen, jedoch in solcher Entfernung, dass keine be-
deutendere Erwärmung eintreten konnte, da sonst die Larven,
wie dies Ziegler beschrieben, von dieser erwärmten Seite sich
entfernen. Stand nun die Flamme an der vom Beobachter ab-
gekehrten Seite, so zogen die Reihen, einander parallel, sämtlich
in der Richtung von der Flamme zum Beobachter. Stellte ich
die Flamme auf die eine z. B. rechte Seite, so bildete sich als-
"bald eine andere Anordnung der Reihen aus: Sie zogen jetzt
von rechts nach links, d. h. senkrecht zur früheren Richtung.
Die Verschiebung der Flamme hatte also genügt, um eine ent-
sprechende Verschiebung der Verlaufsrichtung der
Reihen um 90° zu bewirken. Ob hier eine Reaktion auf
Wärmestrahlen vorliegt, vermag ich nicht anzugeben, so wahr-
scheinlich dies auf den ersten Blick zu sein scheint. — Die
Reaktion der Larven auf stärkere Erwärmung und Abkühlung
der Flüssigkeit hat Ziegler durch Versuche nachgewiesen und
erklärt. Hinsichtlich der dem absteigenden, kühleren Wasser-
strome entgegengesetzten Aufwärtsbewegung der J,arven weist
er auf den hierbei sich ergebenden biologischen Nutzen hin,
„dass die Larve sich hinsichtlich ihrer Atmung am besten be-
findet, wenn sie der Strömung entgegenschwimmt oder in der‘
Strömung stillsteht.“ —
Aus den früher mitgeteilten Thatsachen, an die wir nach
dieser Abschweifung von unserem eigentlichen Thema wieder
anknüpfen wollen, geht hervor, dass wir im stande sind Echino-
dermeneier ohne jegliche Schädigung der weiteren
Entwiekelung mit Neutralrot in spezifischer Weise
vital zu färben und Pluteuslarven mit gefärbten Körperzellen
zu erhalten. Ich habe solche Larven durch volle zwei Wochen
32*
480 ALFRED FISCHEL,
in gefärbtem Zustande lebend erhalten können. Es ist bekannt,
dass man auf künstlichem Wege die Entwickelung der Echino-
dermen nur bis zu diesem Stadium verfolgen kann. Ich habe
daher die weiteren Metamorphosen nicht beobachten können
und muss demnach die Frage offen lassen, ob nicht vielleicht
die aus solchen gefärbten Pluteuslarven hervorgehenden Tiere
sich doch irgendwie von normal entwickelten unterscheiden.
Es ist erwähnt worden, dass zur Färbung stärkere und
schwächere Lösungen verwendet wurden. Das endgültige Resul-
tat ist aber bei beiden das gleiche, nur dass bei Lösungen der
ersten Art die geschilderten Erscheinungen etwas später, dann
aber um so reiner zu Tage treten. Es zeigt sich hierbei, dass.
in schwächeren Lösungen durchaus nicht vielleicht weniger
Körnchen gefärbt werden als in stärkeren. Die Zahl ist vielmehr
allem Anscheine nach dieselbe, nur dass bei stärkeren Lösungen die
Färbung der Körnchen, insbesondere in den späteren Stadien, weit
intensiver ist, sie daher massiger aussehen. Selbst beidiesen Larven
erstreckt sich aber die Färbung stets nur auf die Körn-
chen allein und der übrige Teil der Zellen bleibt bei An-
wendung auch sehr starker Lösungen völlig ungefärbt. Zeigt
sich auf diese Weise eine rein elektive Färbung gewisser
Bestandteile des embryonalen Zellleibes, so geht andererseits
aus den Versuchen eine absorbierende, den Farbstoff
speichernde Fähigkeit der Körnchen hervor: Setzen wir
die befruchteten Eier in schwache Neutralrotlösungen, so nehmen
sie nach kurzer Zeit allen in der Lösung enthaltenen Farbstoff
an sich und die Lösung wird daher bald völlig farblos, die ge-
färbten Larven heben sich bei ihren Bewegungen scharf von ihr
ab; starke Lösungen werden ferner merklich durch sie entfärbt.
In den letzteren vermag man aber noch eine andere Er-
scheinung zu konstatieren. Vergleicht man die Zahl und den
Färbungsgrad der Körnchen von späten Furchungsstadien mit
denen in Blastulis und älteren Larven, so hat es ganz den
Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 481
Anschein, als ob sie in den letzteren Entwickelungsstadien er-
heblich gesteigert wären. Dieser Umstand legt den Gedanken
nahe, dass vom Stadium der Blastula an, von dem ab die
Larve selbständiger Bewegung fähig wird und offenbar funk-
tionell höher steht, durch neu auftretende oder gesteigerte
chemische Lebensprozesse eine Vermehrung und ein
gesteigertes Speicherungsvermögen der Körnchen
eintritt.
Während wir bis zu diesem Stadium alle Körnchen als von
der Eizelle allein durch gleichmässige Verteilung abstammend
ansehen können, scheinen von da ab in den in regeren Stoff-
wechsel tretenden Zellen neue farbstoffspeichernde Elemente zu
entstehen. |
Die allmählich während der Entwickelung eintretende Diffe-
renzierung der Zellen legt uns die Frage nahe, ob nicht auch
gleichzeitig an den verschiedenen Larvenzellen eine ver-
schiedene Färbung eintrete, der Farbstoff in den ver-
schiedenen Zellen seine Nuance ändere (Metachromasie).
S. Mayer hat, wie erwähnt, eine solche Metachromasie an mit
Neutralrot gefärbten Zellen von Säugetieren beobachtet, aller-
dings erst nach dem Tode. Eine solche Metachromasie lässt
sich jedoch nicht mit Deutlichkeit nachweisen. Zwar ist die
Färbung der Körnchen der Mesenchymzellen eine lebhaftere,
die der Entodermzellen vielleicht eine zartere als die Ektoderm-
zellen, aber rot bleiben sie stets.
Mit Sicherheit lässt sich ferner angeben, dass unter keinen
Umständen eine Färbung des Kernes selbst eintritt,
wie sie Przesmycki an Proto- und Metazoen beschrieben hat.
Dagegen tritt eine völlige diffuse Färbung des ganzen Zellleibes
ein, wenn die Zellen in der Lösung absterben; es bilden sich
jedoch hierbei niemals, wie bei mit anderen Farbstoffen (siehe
unten) gefärbten und abgestorbenen Zellen, farbige Klumpen
im toten Plasma. —
482 ALFRED FISCHEL,
Im Einklange mit der geschilderten maximalen Absorptions-
kraft der Granula zum Neutralrot steht ferner die Thatsache,
dass der Farbstoff aus den einmal gefärbten Zellen
nicht mehr abgegeben wird. Man mag die Lösung, sobald
die Zellen gefärbt sind, noch so sehr verdünnen oder die Eier
direkt in ungefärbtes Meerwasser setzen, sie geben den einmal
gebundenen Farbstoff nicht wieder an ihre Umgebung ab.
Dieser Umstand beweist, dass der Farbstoff nicht einfach als
Lösung, sondern in Form einer chemischen Verbindung
in der Zelle abgelagert ist.
Trotzdem ist es mir nicht gelungen die gefärbten Granula
in mit den verschiedenen gebräuchlichen Fixierungsmitteln ge-
töteten Eiern zu erhalten oder den Farbstoff in vital gefärbten
Eiern auch nach der Fixierung zu konservieren. Wenn dies
noch überhaupt notwendig ist, so kann man auch diese That-
sache als Beweis dafür ansehen, dass die Färbung der Körnchen
nur in der lebenden Zelle selbst möglich, also in diesem
Sinne wirklich „vital“ ist.
Fassen wir nunmehr die wichtigsten mit dem Neutralrot
erzielten Resultate zusammen, so können wir sagen: Wir sind
imstande mit diesem Farbstoffe eigentümliche Körnchen in
den Zellen zu färben, ohne die Entwickelungirgend-
wie zu stören. Die Absorptionskraft der Körnchen
zu diesem Farbstoffe ist eine maximale, sie reissen
ihn aus schwachen Lösungen völlig an sich und
geben ihn nicht wieder ab. Diese Körnchen zeigen
ferner den Stadien der Zellteilung parallel einher-
sehende Ortsveränderungen.
Wir stehen nunmehr, um zu einem näheren Verständnisse
der geschilderten Thatsachen zu gelangen vor der Frage:
Welcher Natur sind diese Körnehen und wasist die
Ursache ihrer allem Anscheine nach streng gesetz-
mässigen Bewegungen?
Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 483
Es wird sich empfehlen, diesen Punkten erst nach Be-
sprechung der mit anderen Farbstoffen erzielten Resultate
zusammenfassend näher zu treten. Zu Versuchen mit anderen
Farbstoffen mussten die mit Neutralrot beobachteten Erschein-
ungen deshalb veranlassen, weil sich jetzt die Frage aufdrängte,
ob man nicht mit Hülfe verschiedener Farben auch ver-
schiedene Körnchen, also verschiedene Zellelemente nachweisen
und in ihrem Verhalten während der Zellteilung beobachten
könne. Eine auf diesem Wege erzielte Ausbeute möglichst
vieler und verschiedenartiger Thatsachen müsste zu einem
näheren Einblicke in diese molekularen Phänomene führen. —
Indem ich zu dieser Besprechung übergehe, muss ich im Vor-
hinein gestehen, dass es mir hierbei nicht möglich war in ähn-
lichem und wünschenswertem Grade wie bei Neutralrot Versuche
mit jedem einzelnen Farbstoffe anzustellen. Eine ausgedehntere
Untersuchung dürfte deshalb von mehr Erfolg begleitet sein als
aus nachfolgenden, kurz gehaltenen Angaben hervorgeht, welche
sich mit den übrigen Farbstoffen, geordnet nach der eingangs
gegebenen Übersicht, befassen.
I. Anilinderivate.
1. Indulin.
Die Entwickelung geht in diesem Farbstoffe in ver-
dünnter Lösung vollkommen normal und ungestört vorsich —
es tritt aber keine Färbung auf. Nur abgestorbene Zellen
färben sich und zwar diffus. Die lebenden Zellen vermögen
sich also gegen die Aufnahme des Farbstoffes zu „wehren“. Die
Färbung der toten Zellen ist wie bei diesem, so auch bei allen
anderen Farbstoffen wohl einfach auf Imbibition und Diffusion
zurückzuführen.
484 ALFRED FISCHEL,
2. Nigrosin.
Von diesem Farbstoffe gilt das Gleiche wie vom vorigen.
Selbst in starken Lösungen entwickeln sich die Eier — unge-
färbt — weiter.
3. Methylenblau.
Die Versuche mit Methylenblau ergaben in mancher Hin-
sicht andere Resultate als die mit Neutralrot. Verwendet man
schwache Lösungen (die aber noch immer einen sehr ausge-
sprochenen blauen Farbenton zeigen müssen), so erfolgt die Ent--
wiekelung ungestört, aber es tritt keinerlei Färbung auf, die
Lösung bleibt unverändert blau. In starken Lösungen tritt eine
Körnchenfärbung auf, jedoch später als bei Neutralrot, oft erst
im Achtzellenstadium. Die Körnchen scheinen kleiner und zahl-
reicher zu sein als bei Neutralrot; sie verändern ilıren Ort nicht
wesentlich. — Das Methylenblau ist aber kein so unschädlicher
Farbstoff wie Neutralrot.
Nur diejenigen Eier, die sich schwach gefärbt haben, ent-
wickeln sich bis in späte Stadien. Die übrigen sterben und
zwar um so früher, je stärker sie sich mit Farbstoff beladen
haben. Es ist daher nicht so leicht wie bei Neutralrot gefärbte
Gastrulae und Plutei zu erhalten, wiewohl das auch gelingt.
Am sichersten erfolgt die Entwickelung bis zu diesen Stadien
bei Eiern, die in frühen Furchungsstadien überhaupt noch keine
Körnchenfärbung aufweisen, sondern sich von ungefärbten, nur
durch einen diffusen, blaugrauen Ton unterscheiden. Die
Blastulae zeigen dann entweder überhaupt keine gefärbten Körn
chen oder aber nur einen Körnchensaum, wiederum wie bei
Neutralrot, lediglich an der freien Zellseite. Dagegen pflegen
die Mesenchymzellen stets ganz ähnliche Körnchen von der-
selben Anordnung wie bei Neutralrot zu besitzen, nur dass sie
tiefblau sind.
Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 485
Die Plutei gewähren kein so schönes Bild wie die roten
Neutralrotlarven. Nur vereinzelt zeigen die Ektoderm- und
Mesenchymzellen Körnchen, die Pigmentzellen sind oft unver-
ändert. Sehr fein gekörnt scheint manchmal auch das Ento-
derm zu sein. — Sehr bald aber treten in den Pluteis tiel-
blaue Kugeln von verschiedener Grösse auf; ihre Menge nimmt
rasch zu: Ein sicheres Zeichen des Absterbens. Ausserdem
finden sich hierbei oft zahlreiche farblose Vakuolen, wie über-
haupt die Plutei nach Methylenblaufärbung bald nicht mehr
klar und rein aussehen wie in der Norm und nach Neutralrot.
Diese Veränderungen treten auch beim Absterben in früheren
Stadien auf und deshalb stösst man in solchen Zuchten oft auf
lebhaft sich bewegende blaue Kugeln. Es sind absterbende
Blastulae oder Gastrulae, welche blasige Zellen einschliessen,
zwischen denen unregelmässige blaue Farbenkugeln liegen und
die sich mit Hülfe des wimpernden Ektoderms lebhaft bewegen.
— Das Methylenblau verhält sich demgemäss in manchen Punkten
anders als Neutralrot. Es ist nicht so unschädlich wie das letztere,
es färbt anscheinend Körnchen anderer Art und wird bei weitem
nicht so gierig von den letzteren aufgenommen. Damit hängt
es auch zusammen, dass die Lösungen niemals durch die in
ihnen sich entwickelnden Larven in irgend merklichem Grade
entfärbt werden!?).
1) Nachträglich finde ich, dass schon O. Hertwig Eier von Strongy-
ocentrotus lividus mit Methylenblau gefärbt hat (Experimentelle Studien
am tierischen Ei. III. Kap. Färbung der lebenden Zellsubstanz durch Methylen-
blau. Jenaische Zeitschr. f. Naturw. 1890, Bd. 24). Meine Resultate stimmen
in manchen Punkten mit den seinigen überein und bestätigen sie; so betont
auch Hertwig, dass Methylenblau für die Entwickelung durchaus nicht un-
schädlich ist, der Farbstoff soll sogar schädlicher wırken als Morphium,
Strychnin und Nikotin. Je schwächer daher die Eier gefärbt sind, desto besser
entwickeln sie sich.
In einer Hinsicht dagegen befinden sich unsere Angaben zu einander im
Gegensatze: Nach Hertwig finden sich die Körnchen nicht am freien sondern
am basalen Ende der Zellen angesammelt. Ob dieser Widerspruch lediglich auf
die Verschiedenheit des angewandten Materiales oder der geübten Methode
486 ALFRED FISCHEL,
4. Thionin.
Von diesem gilt Ähnliches wie vom Methylenblau. In
stärkeren Lösungen erfolgt sehr bald Absterben der Zellen unter
diffuser Färbung des Zellleibes. In schwächeren Lösungen ent-
wickeln sich zahlreiche Eier normal, ohne zumeist den Farbstoff
anzunehmen. Kommt es zur Färbung, dann erscheinen ganz
feine, bläuliche Körnchen. Ihre Menge ist geringer als bei
Neutralrot und Methylenblau und daher ihre Stellungsänderung
schwer nachweisbar. Meist sterben übrigens die gefärbten Eier
sehr bald ab. Die Lösung ändert ihre Farbe nicht, da die
Körnchen den Farbstoff nur in geringer Menge speichern.
5. Safranin.
Auch in den stark roten Lösungen dieses Farbstoffes habe
ich keine Körnchenfärbung beobachten können. Die meisten
Larven entwickelten sich ungefärbt weiter, eventuell wiesen sie
eine diffuse, zarte lichtrosa Färbung auf.
6. Fuchsin.
In stärkeren Lösungen entstanden fast durchwegs Miss-
bildungen; in einer schwach rosa gefärbten erhielt ich meist
ungefärbte Plutei. Während ihrer Entwickelung wurden —
zurückzuführen ist, vermag ich nicht anzugeben. Ich kann nur für meine
Versuche meine Angaben aufrecht erhalten.
Eine Mischung von Methylenblau mit Methylviolett verwandte Driesch,
um Eier in einer violett gefärbten Lösung sich entwickeln zu lassen (vgl. auch
die folgende Anmerkung).
1) Doch ist es möglich gefärbte Blastulae zu züchten. Driesch berichtet
m Abschnitt II seiner entwickelungsmechanischen Studien (Zeitschr. f. wiss.
Zoologie 53, 1892) dass er, um die Wirkung verschiedener Lichtarten auf die
ersten Etappen der tierischen Formbildung zu ermitteln, Eier in Fuchsinlösung
setzte. Die meisten starben schon in frühen Stadien. Die überlebenden Blastulae
waren und zwar heller gefärbt als die übrigen Eier. C. Herbst (Experiment.
Untersuchg. üb. d. Einfluss d. veränderten chemischen Zusammensetzg. d. um-
gebenden Mediums auf die Entwicklg. d. Tiere. Mittlgn. d. zool. Station Neapel
XI, 1895) erhielt eine Aufnahme des Fuchsins nur von Seite des Entoderms.
Ähnlich verhielten sich Methylenblau, Methylviolett.
Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 487
an anderen Eiern — zahlreiche Anomalien beobachtet, von denen
ich nicht weiss, ob sie auf die Wirkung des Farbstoffes allein
zu beziehen sind. So zeigte sich während der Furchung oft
unvollständige Zell- neben vollständiger Kernteilung; es resultierte
ein Konglomerat von Zellen, die in der Mitte zusammenhingen,
an den Seiten aber waren die Furchen bereits durchgeschnitten').
Auch sonst zeigten sich zeitliche Anomalien der Entwickelung
gegenüber der Norm.
7. Magentarot.
Selbst in stark roten, von den Larven unverändert gefärbt
erhaltenen Lösungen erzielt man normale, sich lebhaft bewegende
Plutei. In den ersten Stadien sind einzelne, stark lichtbrechende,
aber nicht gefärbte Körnchen in den Zellen sichtbar. Die Larven
zeigen nur an der äussersten Oberfläche der Zellen einen kaum
wahrnehmbaren Schleier feinster, stark lichtbrechender, aber
wiederum ungefärbter Körnchen. Auch in den Mesenchymzellen
sind keinerlei gefärbte Elemente wahrzunehmen. Es scheint
also, dass das Magentarot normale Körnchen etwas deutlicher
hervortreten lässt, ohne sie jedoch zu färben.
8. Rubin-S.
Die Entwickelung ging in der vom Meerwasser rasch ent-
färbten Lösung anfangs gut von statten, ohne dass die Zellen
sich merklich änderten. Am nächsten Tage jedoch waren stets
ı) Dieses Verhalten erinnert an Resultate, welche Loeb (Investigations
in physiologieal Morphologie III. Journ. of Morph. VII 1892) bei Konzentrations-
erhöhung des Seewassers erhielt. Er schliesst hieraus, dass infolge des hierbei
stattfindenden Wasserverlustes das Plasma seine Reizbarkeit früher als der
Kern verliere und sich daher nicht teile. Allein Driesch (Entwickelungs-
mechan. Studien IV und VIII) hat ähnliche Erscheinungen auch bei Konzen-
trationsverminderung, ferner bei Wärmezufuhr und durch Druck erhalten.
483 ALFRED FISCHEL,
nur noch abgestorbene, blasige Zellgruppen vorhanden. Auf die
Dauer wirkt also Rubin-S, wahrscheinlich infolge seines Säure-
gehaltes, schädlich.
9. Dahlıa.
Wirkteebenfallstötend. Es kam zu keiner Weiterentwickelung,
alles war diffus blau gefärbt oder hatte grobflockige, blaue In-
haltsmassen.
10. Gentiana-Violett.
Verhielt sich wie Dahlia, ebenso:
11. Methyl-Violett.
12. Methyl-Grün.
Neben einzelnen ungefärbten, normal entwickelten Eiern
fanden sich zahlreiche, in der Art unregelmässig entwickelte, dass
Zell- und Kernteilung nicht gleichzeitig erfolgte (ähnlich wie bei
Fuchsin).
13. Toluidinblau.
Mit den vorangegangenen Farbstoffien, von Dahlia an, ge-
hört Toluidinblau in eine Gruppe, die der Rosanilinderivate.
Wie sie alle wirkt es schädigend auf die Entwickelung ein —
aber in weit geringerem Grade — nur in starken Lösungen
starben die Larven zumeist, wenn auch viele das Pluteusstadium
erreicht haben; in schwachen dagegen blieben die meisten am
Leben. Hierbei treten in den Zellen der Form nach ganz ähn-
liche Körncehen auf wie bei Neutralrot. Sie sind aber dunkel-
violett, während die Lösung selbst hellblau ist; nach einiger
Zeit wird die letztere immer heller, ja fast ganz farblos — der
Farbstoff wird in den Zellen gespeichert. Blastulae und Gastrulae
zeigen gleichfalls Körnchenfärbung und zwar an den gleichen
Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 489
Stellen, wie bei Neutralrot. Die normal gestalteten Plutei ent-
halten in ihren Mesenchymzellen feine, violette Körnchen in
spärlicherer Menge als bei Neutralrot, oft nur 1—3 in jeder Zelle.
In den Pigmentzellen sind dicke Körnchen vorhanden. Die
Lumenseite der Darmzellen besitzt einen ganz feinen Saum hell-
blauer Körnchen.
Abgesehen von der Farbe unterscheiden sich die Toluidin-
blaukörnchen auch in anderer Hinsicht von denen bei Neutral-
rot. Sie sind grösser, stehen in grösseren Zwischenräumen und
finden sich in den Mesenchymzellen in anderer Art und Anord-
nung. Da das Toluidinblau nicht ganz unschädlich ist, sterben
die Plutei früher und öfter als bei Neutralrot. Das Absterben
erfolgt unter ähnlichen Vorgängen — Vakuolisierung, Bildung
grosser violetter Flecke — wie bei Methylenblau.
14. Bismarckbraun.
Mit Bismarckbraun hat bereits Brandt eine Färbung von
Fettkörnchen in lebenden Protozoen erhalten und Pfeffer (der
es als fraglich bezeichnet, ob die von Brandt gefärbten Elemente
auch wirklich Fettkörnchen sind) Aufnahme von Seite der
Pflanzenzelle erzielt. Martinotti erhielt dasselbe bei Kaul-
quappen und P. Mayer bei Caprelliden und Selachiern. Echinus-
eier zeigen gegenüber Bismarckbraun ein im Vergleiche mit den
früheren Farbstoffen verschiedenes Verhalten. Sie nehmen den
Farbstoff an, aber nicht mit Hülfe von Körnchen, sondern diffus;
die ganze Zelle (mit Ausnahme des Kernes) färbt sich hellgelb.
Diese Färbung ist insbesondere während des Ruhestadiums deut-
lich über die Zelle ausgebreitet. Während der Teilung dagegen
ist oft der centrale, um den Kern gelegene Abschnitt stärker
gelb gefärbt als der peripherische. Die Totalfärbung der Zellen
ist auch noch an den Pluteis nachzuweisen. Diese sind, da
Bismarcekbraun trotz der diffusen Zellfärbung die Entwickelung
490 ALFRED FISCHEL,
nicht schädigt, vollkommen normal und zeigen die typischen
Bewegungen.
Die Farblösung selbst wird nach einiger Zeit völlig entfärbt.
Da die Speicherung von Seite der Zellen doch eine zu geringe
ist, um diese Entfärbung für sich allein zu verursachen, so muss
der Farbstoff durch andere Ursachen in eine farblose Verbindung
überführt worden sein.
15. Bordeaux-Rot.
Die Aufnahme dieser Farbe war nicht gleich. In einigen
Fällen erhielt ich in stark roten Lösungen normal sich ent-
wickelnde, aber ungefärbte Larven. In anderen traten in den
Furchungszellen ungemein zahlreiche stäbchen- und kugelförmige,
im Gegensatze zur Farbe der Lösung dunkelviolette Körnchen
(Metachromasie?) diffus im ganzen Zellleibe auf. Die Plutei
dagegen waren ungefärbt. Ob die Körnchen den Farbstoff im
Laufe der Entwickelung abgaben oder sich Plutei nur aus den
ungefärbten Eiern entwickelten, vermag ich nicht zu entscheiden.
16. Eosin.
Dasselbe wurde von den Zellen nicht aufgenommen, behinderte
aber auch die Entwickelung in keiner Weise.
17. Cyanin.
Es erwies sich als giftig für die Echinuseier. Sie starben
darin sehr bald unter diffuser Blaufärbung ab. Auch Pfeffer
fand, dass Cyanin die Pflanzenzelle schädigt.
II. Anthrazene.
18. Alizarin.
Die Entwickelung ging darin ungestört, aber auch ohne
Färbung, vor sich. Die Lösung] selbst rötete sich bei längerem
Stehen.
Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 491
III. Pflanzliche Farbstoffe.
19. Orcein.
Weder in diesem, noch in
20. Orseille
trat Färbung ein (bei normaler Entwickelung).
IV. Farblösungen.
Mit keiner der angewandten fünf Farblösungen (Karmalaun,
Böhmers Hämatoxylin, Hämalaun, Hämacaleium, Biondis
Gemisch) erhielt ich vitale Färbung. In Karm- und Hämalaun
starben die Eier, in den drei anderen Lösungen entwickelten
sie sich ohne Färbung weiter.
Überblicken wir jetzt die aus den geschilderten Versuchen
erlangten Resultate, so sind sie gerade in Hinsicht auf das ge-
wünschte Ziel — Nachweis verschiedenartiger Körnchen mit
Hülfe verschiedener Farbstoffe — zweifelhafte; es ist fraglich,
ob die mit Methylenblau, Thionin und Toluidinblau gefärbten
Körnchen vollständig anderer Art sind als die mit Neutralrot
dargestellten. Am wahrscheinlichsten scheint mir noch eine
Differenz zwischen Toluidinblau- und Neutralrot-
körnchen.
Die Einwirkung der Farblösungen war eine verschiedene.
Während die Farbstoffe der einen Art Körnchen färbten und
dieEntwickelung nicht beeinträchtigten, erwiesen sich
andere als direkte Gifte, in denen die Zellen entweder sofort
oder nach wenigen und meist anormalen Teilungen (gegenüber
der Kern- verzögerte Zellteilung) abstarben, wobei meist nach
dem Tode diffuse Färbung des Zellleibes auftrat. Welchem
Bestandteile des jeweiligen Farbstoffes die schädigende Wirkung
492 ALFRED FISCHEL,
zukommt, ist schwer zu sagen. Bei den Rosanilinderivaten z. B
könnte man daran denken, dass von der Darstellung her noch
Arsen und Jod dem Farbstoff, in bedeutenderer Menge beige-
mischt sei. Aber anderseits erwiesen sich auch Farbstoffe, die
zur selben chemischen Gruppe gehörten, verschieden in ihrer
Wirkungsweise.
Eine dritte Reihe von Farben endlich zeigte sich zwar als
für die Entwickelung unschädlich, verursachte aber keinerlei
Körnchenfärbung. Da die angewandten Lösungen oft sehr leb-
hafte Färbungen aufwiesen, also ziemlich konzentriert waren,
ohne dass sich die Eier oder Larven färbten, so zeigt dies deut-
lich die starken elektiven Eigenschaften der in den
Zellen vorhandenen Granula. Während sie Neutralrot in
maximaler Weise auch aus schwächsten Lösungen an sich ziehen,
weisen sie andere Farbstoffe auch aus starken
Lösungen zurück.
Innerhalb der letzteren Gruppe nimmtübrigens das Bismarck-
braun noch eine besondere Stellung ein, insofern es zwar keine
Granula, wohl aber den ganzen Zellleib diffus tingiert,
ohne die Entwickelung zu schädigen.
In Übereinstimmung mit früher referierten Beobachtungen
steht endlich der Umstand, dass die eventuell erzielten Fär-
bungen sich stets auf Elemente des Zellleibes, dagegen
niemals auf die des Kernes beziehen.
Nach Aufzählung der ermittelten Thatsachen bleibt uns nun-
mehr noch die Erörterung der am Schlusse der Schilderung der
Neutralrotversuche aufgeworfenen beiden Hauptfragen. Die erste,
für die Auffassung und Erklärung der Granulafärbung wichtigere
ist die, welcher Natur die sich färbenden Elemente
Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 493
sind. Eine nähere Überlegung stellt uns vor die Wahl, diese
Elemente aufzufassen entweder als besondere Bestandteile
lebenden Protoplasmas oder als tote Inhaltseinschlüsse
desselben. Diese letzteren aber könnten wiederum sein:
Produkte einer sekretorischen Thätigkeit des Protoplasmas;
zu weiterer Verwendung im Zellleben nicht mehr brauchbare
Produkte des Stoffwechsels; oder endlich, was bei Eiern
besonders in Betracht kommt, aufgespeicherte Nahrungs-
stoffe. — Für die Auffassung der Granula in Eiern gelten wohl
dieselben Grundsätze, wie für die Granula anderer Zellen und
wir können daher die über diese von Anderen ausgesprochenen
Anschauungen für unsere Entscheidung verwerten.
P. Ehrlich hat zuerst auf die Granula als höchst bedeut-
same Elemente der Zellen hingewiesen, die vor ihm zwar schon
beobachtet aber nur „als Spezialitäten und vereinzelte Erschei-
nungen“ aufgefasst worden sind. Ehrlich hat zuerst die
Granula als die „eigentlichen Träger der Zellfunktionen‘“
bezeichnet. Es ist bekaunt, dass diese Ansicht von Altmann
weiter ausgebildet wurde. Altmann will die Zelle nicht mehr
als physiologische Einheit gelten lassen; als solche gelten ihm
die Granula, die „Bioblasten‘“ ; sie sind die eigentlichen Träger der
vitalen Funktionen und die Zelle selbst ist kein einheitliches
physiologisches Element, sondern gleichsam ein Bioblastenstaat.
Diese Anschauungen Altmanns haben, wohl mit Recht, wenig
Anklang gefunden. Ehrlich selbst hat seit langem die Granula
in anderem Sinne aufgefasst. Beobachtungen der normalen und
pathologischen Histologie veranlassten ihn zu seiner ursprüng- .
lichen, noch vor der oben erwähnten, ausgesprochenen Ansicht
zurückzukehren, es seien die Granula als Sekretionsprodukte
der Zellen anzusehen. Freilich sind nicht alle Gründe, die
Ehrlich für seine Ansicht ins Feld führt, unbedingt unan-
fechtbar. Wenn er als besonders beweiskräftig für seine An-
schauung hervorhebt, dass die Granula verschiedener Zellen sich
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVII. Heft. (11. Bd., H. 4.) Bo
494 ALFRED FISCHEL,
durch ihre chemischen Eigenschaften, ihre Grösse, Form und
Löslichkeit von einander unterscheiden, so könnte man dem
entgegenhalten, dass eben die Granula verschiedener Zellen auch
Gebilde verschiedenen Charakters seien. Immerhin lassen zahl-
reiche andere von ihm erwähnte Thatsachen die Entkleidung
der Granula ihrer Bedeutung im Sinne Altmanns zu. Wenn
aber auch Ehrlich die Körnchen nicht im Sinne Altmanns
als „lebende funktionelle Centren“ sondern als „unbelebte
Sekretionsprodukte‘“ auffasst, so weist er doch darauf hin, dass
Granula und chemische Funktion der Zellen im engsten Konnex
stehen und jede Körnung ein eigenartiges Plasma
voraussetze und es bestimme.
Dagegen haben sich andere Autoren dem Standpunkte
Altmanns hinsichtlich der- Auffassung vital gefärbter Granula
genähert. O. Schultze sieht in ihnen vorgebildete Elemente
des Zellkörpers und die Färbung ist ihm eine vitale Reaktion
von Bioblasten. Mitrophanow betrachtet sie als „elementare
Bestandteile, aus welchen die Zellen geformt werden und deren
Lebensthätigkeit den Lebensprozess der Zelle herstellt.‘
Wesentlich skeptischer verhält sich Galeotti. Er findet,
dass die lebenden Zellelemente sich gegen die Aufnahme von
Farbstoffen wehren und nur diejenigen die Farbe annehmen,
die geringe oder keine Widerstandskraft mehr besitzen. Deshalb
sieht er auch in den gefärbten Körnchen keine lebenden Ele-
mente, sondern nur aufgespeicherte Nahrungsteilchen oder Stoff-
wechselprodukte. Auch Przesmycki hat keinerlei Wahrneh
mungen hinsichtlich der Lebensthätigkeit von Granulis machen
können und Prowazek scheinen sie „zur Verdauung und
Assimilation in Beziehung zu stehen; nicht unberechtigt wäre
vielleicht die Annahme, sie als Träger von „Fermenten“ auf-
zufassen.‘“
Am treffendsten erscheinen mir — auch der Form nach —
Lee und P. Mayer die jetzt wohl allgemein herrschende An-
Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 495
schauung charakterisiert zu haben. Die diffuse Färbung der
Zelle nach ihrem Tode beruht nach ihnen, wie auch Galeotti
hervorhob, auf einfacher Absorption oder Imbibition der Farb-
lösung (durch die Zelle), nicht auf einer chemischen Verbindung.
„Die stärkere Färbung der Granula oder anderer Bestandteile
der Zelle mag hingegen doch eine echte Färbung im Sinne
einer chemischen Verbindung sein; jedenfalls sind aber diese
Färbungen unweigerlich an Körper gebunden, die keinen inte-
grierenden Teil der lebenden Zelle ausmachen: Die Zelle selbst
mag am Leben sein, sie sind es nicht. Es sind wohl Nahrungs-
teilchen, die von aussen aufgenommen worden sind oder Pro-
dukte des Stoffwechsels, die bald ausgestossen werden sollen;
oder wenn sie wirklich einen integrierenden Teil des lebenden
Gewebes ausmachen sollten, so haben sie wohl von der ein-
dringenden Farblösung gelitten und sind deswegen oder aus
anderen Gründen in ihrer Vitalität geschwächt, nie aber be-
stehen sie aus ganz lebenskräftiger Materie.“ Der Hauptwert
der sogenannten Färbung intra vitam könne daher nur darin
liegen, lebende Bestandteile der Zelle von den toten unter-
scheiden zu können. —
Der Wert unserer Beobachtungen am Echinus-Ei wird
wesentlich davon abhängen, welche von diesen Erklärungsweisen
wir auf die von uns gefärbten Granula anwenden können. Sind
wir berechtigt, sie als lebende Zellteile aufzufassen, dann
resultiert, dass man imstande ist, eine bestimmte Plasma-
art der Eizelle färberisch sichtbar zu machen, welche anschei-
nend für den Ablauf des Zellteilungsprozesses von grosser Be-
deutung ist und welche gleichmässig auf alle aus der Eizelle
stammenden Zellen verteilt wird. Diese Anschauung wird auch
dann zu Recht bestehen, wenn die gefärbten Elemente, im
Sinne der obigen Ausführungen, zwar in ihrer Vitalität ge-
schwächte, aber jedenfalls doch lebende Materie darstellen.
39*
496 ALFRED FISCHEL,
Entsprechen aber die@Granulakeiner Plasmaart,
stellen sie gefärbte Sekretions- oder Stoffwechselprodukte, oder,
bei Eiern das Wahrscheinlichste, aufgespeicherte Nahrungsstoffe
dar, dann haben wir nur tote Inhaltsmassen der Eizelle
eefärbt, ihre Annäherung an den Kern während seiner Teilung
ist, wenn sie vielleicht auch den Zweck hat, chemische Vorgänge
in ihm zu unterstützen, eine durch Veränderungen im lebenden
Plasma verursachte, vollkommen passive Bewegung und die
gleichmässige Verteilung bei der Furchung ist nur Verteilung
von Nahrungsstoff oder unbrauchbarer Massen auf die einzelnen
Zellen.
Es ist schwierig, hier eine sichere Entscheidung zu fällen.
Diese Fragen rühren an allgemeine Probleme des Wesens von
lebendem Plasma und seiner Färbung und hier fehlen uns, wie
bekannt, fast alle notwendigen chemischen Grundlagen; daher
auch die einander diametral entgegengesetzten verschiedenen
Ansichten über die Granulafärbung. In unserem Falle lässt
sich jedoch Einiges zur Abgrenzung der möglichen Deutungs-
arten anführen.
Würden wir die Granula in der Eizelle als Sekretions- oder
Stoffwechselprodukte ansehen, dann müssten wir annehmen,
dass nur in der Eizelle, nicht in den Furchungszellen, solche
Produkte vorhanden sind oder während der Befruchtung und
ersten Teilung des Eies entstehen. Denn es wurde hervorge-
hoben, dass in den aus der Eizelle entstandenen Zellen während
des Furchungsprozesses aller Wahrscheinlichkeit nach keine,
oder wenn doch, sicherlich nur äusserst wenige solcher Elemente
entstehen. Eine solche Annahme wäre nun kaum haltbar:
Während der Teilung einer Furchungszelle spielen sich in ıhr
wohl im wesentlichen die gleichen Prozesse ab, wie in der
Eizelle und sie müssten daher auch zur Entstehung ähnlicher
Sekretions- oder Stoffwechselprodukte Anlass geben.
Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 497
Weit wahrscheinlicher scheint mir dagegen die Annahme,
dass die in der Eizelle sich färbenden Elemente Nahrungs-
teilehen darstellen. Solche bekommt das Ei zweifellos vom
Ovarium her mit und ihre gleichmässige Verteilung auf die
Furchungszellen, verursacht durch ihr Verhalten bei den Zell-
teilungen, ist in hohem Grade von biologischem Nutzen. Denn
wir können wohl annehmen, dass bis zur Erreichung des
Stadiums der sich bewegenden Blastula, die Stoff-
wechselenergie der einzelnen Zellen geringer, daher
die Einlage von aus der Eizelle stammendem Nahrungsmateriale
notwendiger ist als später, wo die einzelnen Zellen wahrschein-
lich mehr auf selbständige Thätigkeit angewiesen sind und auch
leichter Gelegenheit haben, die zu ihrer Entwickelung not-
wendigen Stoffe, die uns Herbst!) durch seine schönen Unter-
suchungen kennen lehrte, aus ihrer Umgebung zu entnehmen.
Wenn wir aber allgemein und so auch in diesem Falle die
Auffassung der Granula als gefärbte lebende Plasmateile auf-
geben, so muss doch konstatiert werden, dass dies einerseits
eigentlich nur einem Vorurteile entspringt, das wir gegenüber
der Färbungsmöglichkeit lebender Materie überhaupt hegen,
trotzdem sie, wie mir scheint, theoretisch ganz wohl denkbar
ist; anderseits allerdings auch dem Umstande, das Leben —
charakterisierende Vorgänge an den gefärbten Granulis nicht
nachgewiesen werden können und tote Elemente in der Zelle fast
stets Farbstoffe begierig annehmen. —
Es erübrigt nunmehr noch, eine Erklärung der Beweg-
ungserscheinungen der Körnchen zu versuchen. Wir
sahen, dass die letzteren in unzweifelhafter Beziehung zu den
karyokinetischen Formänderungen des Kernes stehen. Die Orts-
1) Herbst, C., Über die zur Entwickelung der Seeigellarven notwendigen
anorganischen Stoffe, ihre Rolle und ihre Vertretbarkeit. I. Teil. Die zur
Entwickelung notwendigen anorganischen Stoffe. Archiv für Entwickelungs-
mechanik der Organismen. Bd. V, 1897.
498 ALFRED FISCHEL,
veränderungen der Körnchen, welche nach Beginn der Karyo-
kinese, sobald sie sich einmal um den Kern in Form eines
Ringes angesammelt haben, erfolgen, könnte man, wenn auch
mit Unrecht, immerhin gänzlich als einfach passiv erfolgende
Mitbewegungen auffassen: Sind einmal die Körnehen um den
Kern angesammelt, dann müssen sie, nach dieser Auffassung,
notwendigerweise den Formänderungen des Kernes parallele
Änderungen ihrer Stellung erleiden. Aber, selbst dies zugegeben,
bliebe immer noch zu erklären, warum eben die Körnchen bei
Beginn der Zellteilung dem Kerne zuströmen. Und innerhalb
des Komplexes der während der Kernteilung erfolgenden Be-
wegungen der Körnchen selbst bliebe dann noch eine Thatsache
unerklärt und zwar diejenige, dass die Granula im Momente
der Zelldurehtrennung die Trennungsebene verlassen. Wir
könnten versucht sein, diese Thatsache einfach auf den Druck
durch die die Mutterzelle durchschneidende Furche zurückzuführen.
Dann aber müsste die Bewegung der Körnchen auch stets auf
jener Seite zuerst erfolgen, auf der die Furche zuerst erscheint
oder tiefer einschneidet, und das ist, wie erwähnt wurde, eben
nicht immer der Fall.
Am einfachsten freilich liessen sich die beschriebenen That-
sachen aus einer aktiven Fähigkeit der Granula, den Ort zu
wechseln, erklären. Aber die sichtbare Ortsveränderung allein
giebt uns noch kein Recht, eine solche Eigenschaft den Granulis
zuzuschreiben.
Nun besitzen wir in der Pigmentzelle ein Objekt, das
natürlich gefärbte Granula enthält und es fragt sich, ob
wir nicht aus deren Verhalten während der Zellteilung Rück-
schlüsse für unser Objekt gewinnen können. Folge ich den
Angaben Zimmermanns, der das Verhalten der Pigment-
körnchen während der Zellteilung durch klare Bilder dargestellt
hat, so zeigt sich, dass die Körnchen im Stadium des Knäuels
sich an der Peripherie der Zelle ansammeln, später aber
Uber vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwiekelung. 499
(während des Mutterstern-Stadiums) zwischen die Chromatin-
schleifen des Kernes rücken; sobald jedoch die Tochtersterne
sich ausbilden, „ändert sich mit einem Male das Bild: Die
Polfelder und die Umbiegungsstellen der Schleifen
werden völlig frei von Pigment; die ganze Masse
desselben sammelt sich im Äquator und noch zwi-
schen den äussersten Enden der Schleifen an. Jetzt
fängt die Zelle am Äquator an, sich einzuschnüren. Die Ein-
schnürung geht bald durch die Pigmentmassen hindurch und
teilt die Zelle in die beiden Tochterzellen und zwar so, dass die
Pigmentmasse genau halbiert wird“ (Fig. 18). Wir sehen also,
dass zwischen der Bewegung der Pigment- und der
Neutralrotkörnchen ein wesentlicher Unterschied
besteht: Nur während eines Teiles der Karyokinese rücken die
Pigmentkörnchen in die Nähe des Kernes, ja sogar zwischen
seine Chromatinschleifen. Aber im Momente der Zelldurch-
schnürung strömen sie, ganz im Gegensatze zu unseren Körn-
chen, vom Kerne weg zu der Einschnürungsebene.
Jeder, der die Furchung pigmentierter Amphibieneier
beobachtet, kann das gleiche Verhalten des Pigmentes der
Furchungszellen leicht nachweisen.
Auch die Vorstellungen, die man sich, zum Teil allerdings
mit Hülfe gewagter Hypothesen, über die mechanischen
Vorgänge des Ablaufes der Karyokinese gebildet
hat, geben uns keine Handhabe, die Bewegung der Körnchen
zum Kerne zu erklären. Sie sind weit eher einer gegenteiligen
Bewegung günstig. Ich brauche hier nur folgende SätzeM. Heiden-
hains zu eitieren: „Geradeso wie der Kern infolge des Spannungs-
gesetzes nach der Peripherie hin ausweichen muss, so weichen
auch andere, interfilar gelegene körperliche Elemente vor dem
Mikrocentrum in einer Richtung centrifugal aus. So finde ich
mitunter in den Phagocyten die in den Zellleib aufgenommenen
groben Ballen eiweissartiger oder pigmentartiger Substanz in
500 ALFRED FISCHFL,
ausgesprochener, vorwiegend peripherischer Stellung vor.
Ebenso, denke ich, weichen die Dotterkörnchen in tierischen
Biern in der Richtung des geringsten Druckes und der grössten
interfilaren Räume aus, sodass sich im Umkreise des Mikro-
centrums ein plasmatischer Hof bildet, der frei von Dotterbe-
standteilen ist.“
Denkbar wäre es endlich, dass während der Kernteilung
eine sonst in der ganzen Eizelle oder in ihrer Peripherie aus-
gebreitete Plasmaart gegen den Kern hin rückt und, passiv, die
in ihr suspendierten Körnchen in die Nähe des Kernes bringt.
Aber auch für eine solche, physikalisch übrigens schwer vor-
stellbare Erklärungsart, fehlt uns jede Stütze. }
Vielleicht trifft der nachfolgende Erklärungsversuch, der an
physikalisch bekannte Thatsachen anknüpft, das Richtige.
Gehen wir vom Ruhestadium der Zelle aus. Hierbei sind
die Körnchen in der ganzen Zelle gleichmässig verstreut. Wir
haben uns sie in dem zähflüssigen Plasma suspendiert vorzu-
stellen und dieses letztere zeigt wohl im Ruhestadium in allen
Teilen der Zelle ein vollkommen gleiches physikalisches Ver-
halten, wirkt daher überall gleich auf die Körnchen ein; es ist
daher in diesem Stadium ganz gleichgültig, wo in der Zelle ein
Körnchen liegst, ob mehr central oder mehr peripherisch, überall
sind seine Beziehungen zur Umgebung die gleichen. Wir
brauchen nun, um die Bewegung der Körnchen aus der Peri-
pherie zum Centrum physikalisch vorstellbar zu erklären, nur
die aller Wahrscheinlichkeit nach nicht unberechtigte Annahme
zu machen, dass sofort bei Beginn des Kernteilungsprozesses
und während seines Verlaufes, das Plasma zunächst in
der unmittelbaren Umgebung des Kernes physi-
kalisch, besonders hinsichtlich seiner Viskosität in einer für
die Ansammlung der Körnchen günstigeren Weise
als an der Peripherie verändert wird. Dass überhaupt
eine Veränderung des Plasmas um den Kern statthat, ist an
Über vitale Färbung v. Echinodermeneiern während ihrer Entwickelung. 501
sich schon ungemein wahrscheinlich und wird durch die Körnchen-
bewegung direkt sichtbar gemacht; nehmen wir nun an, dass
diese Veränderung in dem soeben erwähnten Sinne erfolgt, dann
erklärt sich die Bewegung der Körnchen zum Kerne bei Beginn
der Zellteilung nach physikalischen Analogien sehr einfach. Da
im Centrum der Zelle für die Ansammlung der Körnchen
günstigere Verhältnisse bestehen als an der Peripherie, so rücken
sie — als mikroskopisch kleine im Plasma suspendierte Elemente
kommt ihnen an sich schon eine stetige Bewegung zu — von
der letzteren stetig ab. Eine solche Einstellung kleinster,
beweglicher Elemente entsprechend den Bahnen ge-
ringsten Widerstandes ist, ohne Zuhülfenahme besonderer
Kräfte, sehr wohl möglich und würde die geschilderten auf-
fälligen Phänomene hinreichend erklären. Denn für die übrigen-
den Veränderungen der Kernfigur parallelen Form-
variationen der Körnchenfigur kommen dann wohl zwei Momente
in Betracht: Einmal der Umstand, dass diese Formveränderungen
nur den Abguss derinnerhalb der Körnchenmasse sich
vollziehendenGestaltsveränderungen desKernesbilden,
und dann die sehr wahrscheinliche Thatsache, dass die Ver-
änderung des Plasma fortdauernd am mächtigsten
in der Nähe des Kernes bleibt und sich demgemäss stets
auf eine seiner Form entsprechende Zone erstreckt. —
Wird nach Beendigung des Teilungsvorganges wiederum ein
Zustand der gleichmässigen Beschaffenheit der ganzen Plasma-
masse erreicht, dann geraten die Körnchen wiederum allmählich
in alle Bezirke des Zellleibes.
Dass aber, abgesehen von dieser angenommenen physi-
kalischen Änderung des Plasma um den Zellkern auch noch die
in der Zelle durch die Teilungsfiguren selbst ge-
setzten Veränderungen bei diesen Bewegungen eine
Rolle spielen, ist sehr wahrscheinlich. So erscheint und ver-
schwindet z. B. die centrale Anordnung der Körnchen gleich-
502 ALFRED FISCHEL, Über vitale Färbung von Echinodermeneiern etc.
zeitig mit der Plasmastrahlung. Welcher Art dieser Einfluss ist,
kann wohl bei dem heutigen Stande unserer Kenntnisse der
cytomechanischen Vorgänge, nicht angegeben werden.
Wenn wir nunmehr, am Schlusse, die erlangten Resultate
mit den bei Beginn der Untersuchung uns gesteckten Zielen
vergleichen, so ist wohl klar, dass dieermittelten Thatsachen
wesentlich andere sind als die erwarteten. EineFärbungvon
Zellelementen ist uns zwar gelungen; aber wir mussten Be-
denken tragen, sie lebendem Protoplasma zuzuschreiben. Das
Phänomen der Körnchenbewegung war auffallend genug
und schien beim ersten Blicke eine komplizierte vitale Er
scheinung darzustellen — eine objektive Kritik hat es auf ein-
fache physikalische Vorgänge zurückzuführen gesucht.
Ob die Auffassung der Körnchen, ob insbesondere die ver-
suchte Erklärung ihrer Bewegungen die richtige ist, wird sich
auf histologischem Wege allein kaum entscheiden lassen. Wir
bedürfen hierzu näherer Kenntnisse von chemischen und mole-
kularphysikalischen Vorgängen innerhalb der Zelle bei ihrer
Teilung. Abgesehen von den ermittelten Thatsachen selbst, lässt
sich aber noch (aus ihnen) der nicht unwichtige Schluss ableiten,
dass in Verlaufe der Zellteilung sehr wesentliche Ver-
änderungen im Protoplasma — vielleicht in dem ange-
deuteten Sinne — stattfinden, die zwar stets vorauszusetzen
waren, für die aber hier unzweideutige, sichtbare Beweise
vorliegen. — Auch die Art der Verteilung der gefärbten
Elemente während der Furchung, ihre Zahl und ihr
Verhalten in den späteren Entwickelungsstadien ist
von einiger Bedeutung.
Untersuchungen dieser Art, vorausgesetzt, dass sie auf eine
breitere Basis gestellt werden, als es bei den vorliegenden mög-
lich war, werden wohl noch weitere neue Aufschlüsse über das
Leben der Zelle zu Tage fördern.
6.
Litteratur.
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Zimmermann, K. W., Über die Teilung der Pigmentzellen, speziell der
verästelten intraepithelialen. Arch. f. mikrosk. Anatomie, Bd. 36, 1890.
Einige Arbeiten konnten erst nachträglich (in Anmerkungen im Texte) be-
rücksichtigt werden.
Tafelerklärung.
Die Figuren sind nach von mir in Neapel nach dem lebenden Objekte ausge-
führten Skizzen (Vergrösserung zumeist nach Reichert, Okular 3, Objektiv 7a
— Vergr. 400) angefertigt. Fig. 18 ist Zimmermann entlehnt.
Fig. 1. Befruchtetes, mit Neutralrot gefärbtes Ei von Echinus micro.
tubereulatus.
Fig. 2. Dasselbe bei Beginn der ersten Furchungsteilung.
Fig. 3 und 4. Weitere Stadien derselben.
Fig. 5. Beginn der Zelldurchschnürung.
Fig. 6. Ruhestadium der ersten 2 Furchungszellen.
Fig. 7 und 8. Weitere Stadien ihrer Furchung.
Fig. 9. Beginn des Durchschneidens der 2. Furche.
Fig. 10. Stadium der Tochtersterne der ersten 4 Furchungskugeln.
Fig. 11. Ruhestadium derselben.
Fig. 12 und 13. Stadien der Teilung der ersten Furchungszellen.
Fig. 14. Stadium mit 8 Blastomeren.
Fig. 15. 8 Zellen des sog. animalen Poles vom 16. Zellenstadium. Die
vier kleineren: Die von Selenka ,„Scheidelzellen‘“ genannten (vgl. die An-
merkung auf S. 474.)
Fig. 16. Stadium mit beginnender Gastrulation und Mesenchymbildung.
m — Mesenchymzellen.
Fig. 17. Pluteuslarve von Echinus microtubereulatus mit Neutralrot
gefärbt. m — Mesenchymzelle; p — pigmentierte Mesenchymzellen; K=
Kalkstäbe; A —= Analarme; O — Oralarme. Vergröss. ca. 100.
Fig. 18. Intraepitheliale Pigmentzelle einer Salamanderlarve. Dyaster.
Das Pigment ist an der Teilungsstelle und zwischen den äussersten Chromatin-
schleifenenden angehäuft. Kopie von Fig. 8, Tafel XV aus Zimmermanns
Arbeit. Vergrösserung Zeiss, homog. Immers. ''ı.
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DIE
ENTWICKELUNGSGESCHICHTE DER. GEHÖRKNÖCHELCHEN
MENSCHEN.
IVAR BROMAN,
LUND.
Frühere Untersuchungen.
Seitdem Huschke (1824) zum erstenmal eine Beschreibung
(27) über den Ursprung der Gehörknöchelchen gegeben, hat
diesen Gegenstand betreffend ein fast ununterbrochener Streit
geherrscht. Noch heute sind die Meinungen so geteilt, dass es
wohl erlaubt sein kann, noch eine Untersuchung über diese
Streitfrage zu veröffentlichen.
Die auf S. 510—513 folgende tabellarische Zusammenstellung
der wichtigsten bezüglichen Litteratur erlaubt einen bequemen
Überblick der Meinungen der verschiedenen Verfasser über das
Entstehen der Gehörknöchelchen.
Wie wir auf dieser Tabelle sehen, herrschte zwischen den
Jahren 1842—1862 ein Stillstand im Streit um das Entstehen der
Gehörknöchelchen. Wie Dreyfuss (10) bemerkt, hatte dieses
wahrscheinlich seinen Grund darin, dass man die Sache als
abgemacht betrachtete, nachdem ein Mann mit der Autorität
Reicherts dieselbe behandelt. Dass Günther (18) den Ur-
sprung des Stapes betreffend zu einem anderen Resultat kam,
scheint auf die allgemeine Meinung keinen Einfluss geübt zu
haben.
Reichert (45) führte die bezügliche Untersuchung an
Schweinsembryonen aus und präparierte durch Dissektion die
Anlagen der Gehörknöchelchen hervor. Am proximalen Ende
des ersten knorpeligen Visceralstreifens unterscheidet er drei
Abschnitte, von denen der erste, obere, der „mehr häutiger
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVII. Heft (11. Bd., H. 4). 34
IVAR BROMAN,
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Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 513
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514 IVAR BROMAN,
Natur“ war, „gar keinen Anteil an der Bildung dieser Knöchel-
chen“ hatte, der zweite und dritte dagegen ganz für dieselben
bestimmt waren. Von dieser zweiten Abteilung wird der Incus
gebildet und zwar so, dass zuerst ein Auswuchs (Crus longum)
hervortritt und sich mit dem proximalen Ende des zweiten
Visceralstreifens verbindet; sodann wächst ein anderer (Crus
breve) nach hinten und aufwärts. Von der dritten Abteilung
wird der Malleus in der Weise gebildet, dass sich ein Auswuchs
parallel mit dem Crus longum Incudis „bis in die Nähe des
zweiten knorpeligen Visceralstreifens“ verlängert, wo er mit
der Spitze eine Krümmung nach unten ausführt. Dieser mit
dem Crus longum incudis parallele Teil des Auswuchses wird
zum Capitulum et Collum mallei, „die kleine beinahe in einem
rechten Winkel abgehende Spitze dagegen wird zum Manu-
brium.“ Der dem Malleus zunächst liegende Teil des Meckel-
schen Knorpels verknöchert und bildet den Proc. anterior (Fol).
— „Stapes entwickelt sich nicht aus dem Labyrinth, sondern
aus dem oberen, kolbigen Ende des zweiten, knorpeligen Vis-
ceralstreifens. Durch das aus der Schädelhöhle sich hervor-
drängende Ohrlabyrinth wird er seiner Verbindung mit der
Kopfwirbelsäule beraubt, legt sich an das Gehörorgan an und
wird durch das Hervorwachsen des letztern in einem Winkel
gegen die untere Abteilung des zweiten knorpeligen Visceral-
streifens gebogen. Das kolbige Ende, nun durch eine lockere
Zwischensubstanz von dem unteren Stücke des Visceralstreifens
getrennt, wird von dem sich vergrössernden und verknorpelnden
Ohrlabyrinthe allmählich aufgenommen, wie in einer Grube
vergraben, und stellt- so das Urrudiment des Steigbügels dar.“
Dasselbe stellt eine solide Platte dar, die erst unmittelbar vor
der Verknöcherung durch Resorption im Centrum durchbohrt
wird. Ungefähr zu gleicher Zeit ist der Steigbügel allmählich,
wie es scheint, durch die Verknöcherung des Ohrlabyrinthes
aus seiner Höhle hervorgetrieben.
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 515
Das Entstehen des Annulus tympanieus beschreibt Reichert
folgendermassen: „Um das spitzige Ende des in der Entwickelung
begriffenen Manubrium bemerkt man, wenn es nur etwas weiter
hervorgewachsen ist, die Bildungsmasse in einem kleinen Halb-
bogen angehäuft. Mit der wachsenden Spitze in seiner Mitte,
vergrössert sich dieser Halbbogen nach hinten bis an die Pars
mastoidea und nach vorn bis an den Processus Folianus. Wenn
die Spitze zum Manubrium sich vollständig entwickelt hat und
noch im Knorpelzustande vorhanden ist, so verwandelt sich die
halbbogenförmige, mehr bandartige Bildungsmasse, ohne einen
bemerkbaren Knorpel zu bilden in Knochensubstanz und stellt
den Annulus tympanicus dar als einen sehr zarten Knochen-
reifen.‘
Parker (39) verfechtet anfangs (1874) eine früher von
Huschke (27) und Huxley (28, 29 und 30) ausgesprochene
Ansicht, dass der Incus dem proximalen Ende des zweiten
Visceralbogens seinen Ursprung zu danken hätte; eine Meinung,
die infolge des grossen Ansehens, das Parker genoss, bald die
gesamte englische Litteratur durchdrungen hatte. Den Stapes
leitete er damals von der Labyrinthkapsel her. — Einige Jahre
später (1886) hatte er jedoch eine ganz andere Auffassung (40),
„l am now satisfied,‘‘ sagte er, „that the Incus is the upper
element of the first or mandibular arch‘“ (s. 10). Auch über
den Ursprung des Stapes hat er jetzt eine andere Meinung:
„Ihe topmost segment of the pharyngohyal arch (in the early
young and embryo of the Marsupials) is V-shaped, its greater
iront fork enlarging above and forming the inverted base of
the columella or stapes, and the lesser hind fork becoming,
after a time, detached and then ossified, and forming the inter-
hyal“ (s. 272).
Salenskys (47) Untersuchung ist auch eine von denen,
die auf unsere Lehrbuchslitteratur eine nachhaltige Einwirkung
ausgeübt hat. — Sein Untersuchungsmaterial bestand aus Schafs-
516 IVAR BROMAN.
embryonen und Schweinsembryonen; die Untersuchungsmethode
bestand hauptsächlich in Dissektion konservierter Embryonen ;
nur beim Studium der ersten Stapes-Entwickelung kam die
Querschnittsmethode zur Anwendung. Die jüngsten der von
Salensky beobachteten Schafsembryonen waren 1!/, cm lang
und besassen „noch keine Spur von Knorpel in den Visceral-
bogen, wie um das häutige Labyrinth. Bei solchen hat natür-
lich“, sagt Salensky, „die Bildung der Gehörknöchelchen
noch gar nicht begonnen.“ — „Die erste Anlage des Meckel-
schen Knorpels so wie der Gehörknöchelchen erscheint bei der
Chondrifikation der Visceralbogen, und deswegen kann ich die
von Kölliker hervorgehobene Möglichkeit einer Verbindung
des Labyrinths mit dem Steigbügel zu der Zeit, da diese beiden
Teile noch in Form von weicheren Anlagen existieren, vollkommen
in Abrede stellen. Die Chondrifikation der Gehörkapsel geht
ziemlich gleichzeitig mit der Bildung des Knorpels in den
Visceralbogen vor sich und es giebt keine Entwickelungsperiode,
in welcher diese Teile in Form von differenzierten, weichen
Anlagen vorhanden wären“.
Bei 2 cm langen Schafsembryonen „stellen die beiden Knorpel
des ersten und zweiten Visceralbogens zwei cylinderische knorpe-
lige Stäbe dar. Die ersten Spuren der Gliederung des ersten
Visceralbogens trifft man bei den 2,4 cm langen Embryonen
si
an.‘ Das proximale Ende, das im rechten Winkel gegen den
übrigen Teil gebogen und durch eine Einkerbung noch deut-
licher davon abgegrenzt ist, bildet die primäre Anlage des Incus.
Der zunächst liegende Teil des Bogens, der durch eine etwas
weniger tiefe Einkerbung vom Meckelschen Knorpel abgegrenzt
ist, ist der Malleus.
Bei 2,7 cm langen Embryonen ist die Furche zwischen den
Malleus- und Incus-Anlagen bedeutend tiefer geworden; an
letzterer tritt jetzt der Proc. brevis (Crus breve) hervor (ist auf
der Abbildung sogar länger als das Crus longum).
Zeitung 37 (1 Ba.R 9)
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Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 517
Bei den 3 cm langen Embryonen sind die Gelenkflächen
beider Gehörknöchelchen komplizierter geworden; das Crus
longum Incudis ist bedeutend in die Länge gewachsen und ist
mit der Stapesanlage in Verbindung getreten. Die Rinne, die
den Malleus vom Meckelschen Knorpel abgrenzte, ist jetzt
verschwunden. Der auf dem vorigen Stadium „buckelförmig
nach unten hervorspringende Teil des Hammers‘ ist bedeutend
verlängert worden und hat nach vorn und unten die Anlage
des Manubrium gebildet.
„Bei den 4 cm langen Embryonen bestehen die weiteren
Veränderungen des Hammers in dem Auswachsen des Manu-
briums, welches noch mehr sich nach vorn biegt und jetzt
schon parallel dem Meckelschen Knorpel nach vorn wächst.“
Bei einem 2°/a cm langen Schafsembryo ‚tritt die erste
Anlage des Steigbügels, unabhängig von den anderen Gehör-
knöchelchen, in Form eines Zellhaufens an der Arteria mandi-
bularis (einem Zweige der A. carotis interna) hervor.“ Der
Stapes ist infolgedessen von Anfang an durchbohrt. „Die Art.
mandibularis spielt nur eine provisorische Rolle und geht später
gewöhnlich zu Grunde. Sie bleibt ausnahmsweise bei einigen
Tieren im ausgebildeten Zustande bestehen.‘ Sie ruft ausser
„der Durchlöcherung des Stapes auch die rinnenförmige Aus-
höhlung des vorderen Stapesschenkels“ hervor. Die erste, fast
formlose Stapesanlage „bekommt später die Form einer trape-
zoiden Platte, welche sich danach in eine fünfeckige und end-
lich in eine glockenförmige verwandelt.“
Hannover (19) präparierte bei menschlichen Em-
bryonen die Gehörknöchelchen heraus und zwar von der Zeit ab,
wo die Knochenanlagen zuerst dem blossen Auge merkbar
werden.
1. Sein erstes Stadium, wo die Anlagen der Gehörknöchel-
chen wahrnehmbar waren, war ein Embryo von 27 mm. Sch.-
St.-L. Der Malleus hatte kein Manubrium. Am Incus war das
518 IVAR BROMAN,
Crus longum rudimentär; Orus breve ging rückwärts in den
sehr dünnen Proc. styloideus über. Weder Stapes noch Fenestrae
waren zu entdecken.
2. Embryo, 30 mm Sch.-St.-L., 2 Monate alt. Das ver-
hältnismässig kleine Capitulum Mallei ging unmittelbar in den
Proc. Meckelii über. Manubrium Mallei war zugegen, aber
rudimentär. Proc. brevis kaum sichtbar. — Der Incus, an dem
oben vielleicht eine Artikulationsfläche für den Malleus im Ent-
stehen war, war vollständig ausgebildet und fast halb so gross
wie beim Erwachsenen. — Der Stapes bildete einen kleinen,
ungeformten Körper von hyalinem Knorpel und ruhte in einer
Vertiefung an der medialen Wand der Paukenhöhle. — Der
Annulus tympanicus bildete einen halben fibrösen Ring, dessen
vorderes Ende vielleicht verknöchert war. Fenestra rotunda
angelegt.
3. Embryo, etwas über 2 Monate alt. Malleus kaum 2 mm
lang; Manubrium fehlend. Keine Fenestra deutlich unter-
scheidbar.
4. Embryo von 43 mm Sch.-St.-L.; ungefähr eben so alt
wie der zuletzt erwähnte. Manubrium Mallei angelegt; Proc.
longus in einer Länge von 1 mm verknöchert ; Capitulum halb-
kugelig. Zwischen Malleus und Incus ist keine deutliche
Trennung. Crus breve Ineudis ging in eine Knorpelsäule über,
die sich in den Proc. styloideus hinaus fortsetzte, davon jedoch
leicht zu unterscheiden war. Proc. styloideus war danach
medialwärts knieformig gebogen. Der Stapes bestand aus einer
formlosen Masse am Ende des Crus longum Incudis und sass
in einer seichten Vertiefung eingesenkt, die die Fenestra ovalis
repräsentirte. Fenestra rotunda angelegt.
5. Embryo, 2!/g Monat alt; 48 mm St.-Sch.-L. Malleus
und Incus lagen fast horizontal, nach vorn und innen gerichtet,
weshalb Hannover annimmt, dass sie an der während des
Wachstums zunehmenden Drehung der ganzen Pars petrosa
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 519
Anteil nehmen. Keine Artikulationsfläche zwischen Malleus
und Incus, nur eine äussere Andeutung einer solchen war sicht-.
bar. Capitulum Mallei war sehr klein und lag unter dem Incus;
Manubrium kaum angelegt. Stapes nicht zu entdecken.
Bei einem anderen Embryo desselben Alters war dagegen
das Manubrium mallei recht gut entwickelt. Der Proc. longus
war in einer Strecke von 1,25 mm verknöchert. Crus breve
Incudis verband sich direkt mit dem hinteren Teil des Knorpels
der Paukenhöhle; doch fand sich da eine feine, helle Querlinie,
eine Andeutung der später entstehenden Trennung. Crus
longum Ine. war klein und lief nach unten in einen kleinen
formlosen Knorpel aus, der den Stapes repräsentirte und mit
der medialen Wand der Paukenhöhle in ununterbrochener Ver-
bindung stand. — Annulus tympanicus war verknöchert und
zeigte die Dicke eines Zwirnfadens; am vorderen Ende fand
sich eine plattenförmige Ausbreitung.
6. Embryo, 3 Monate alt.
Die Gehörknöchelehen waren ungefähr halb so gross wie
bei dem Erwachsenen. Der Incus hatte seine normale Form.
Am Malleus war das Manubrium rudimentär, die Gelenkfläche
aber recht deutlich angelegt. Die (definitive?) Form des Stapes
war auch recht deutlich; derselbe liess sich durch das Foramen
ovale herausziehen. — Bei einem anderen gleich alten und
gleich grossen Embryo war das Manubrium Mallei fast voll-
ständig entwickelt.
7. Embryo, 3!/2 Monate alt.
Die Gehörknöchelchen hatten ihre definitive Form. Die
Artikulationsfläche zwischen Malleus und Incus war deutlich
entwickelt, sowie auch der Processus brevis Mallei; der Proc.
longus dagegen bildete nur einen weissen, tendinösen Streifen
ohne Verknöcherung.
520 IVAR BROMAN,
8. Embryo, 4 Monate alt.
Im Corpus Mallei fand sich am Ausgangspunkte des Proc.
longus ein. kleines Verknöcherungscentrum. Der betreffende
Fortsatz war in einer Länge von 3 mm verknöchert.
9. Embryo, 4'/a Monate alt.
Das Capitulum Mallei mehr gewölbt und besser vom Proc.
Meckelii abgegrenzt; letzterer etwas dünner geworden. Keine
Verknöcherung im Malleus, nicht einmal im Proc. longus. Auch
Incus, Stapes und Os lenticulare nur aus Knorpel gebildet. —
Bei einem anderen gleich alten Embryo war dagegen der Proc.
longus zu 3,5 mm verknöchert.
10. Embryo, 5 Monate alt.
Der Malleus hatte eine Länge von 6,75 mm und hatte
einen Verknöcherungspunkt, der im, Collum anfing und sich
bis zu der Stelle erstreckte, wo der Proc. longus ausgeht. Der
Proc. longus aber, der in einer Länge von 3,5 mm verknöchert
war, war durch Knorpel von der verknöcherten Partie getrennt.
Die Spitze der Proc. lateralis war weisslich (Verknöcherung?).
Im Innern des Crus longuın am sonst knorpeligen Incus fand
sich eine Verknöcherung (von einer Knorpelschicht bedeckt).
Die Gelenkhöhle zwischen Malleus und Incus war deutlich aus-
gebildet. Os lenticulare und Stapes waren knorpelig; ein Paar
kleine, weisse Flecken am Insertionspunkte des M. stapedius
deuteten dort eine beginnende Verknöcherung an. — Auch der
im rechten Winkel gebogene Proc. styloideus war noch knorpelig.
— Bei einem anderen 5 Monate alten menschlichen Embryo
waren auch Incus und Stapes fast ganz verknöchert.
11. Embryo, 5!/s Monate alt.
Malleus — mit Ausnahme des Manubrium und des obersten
Teiles des Capitulum — verknöchert, Incus bis auf die Partie
an der Artikulationsfläche und das äusserste Ende des Orus
breve verknöchert, Stapes durch und durch knorpelig. — Bei
einem anderen gleich alten Embryo war die Basis sowie
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 521
die zunächst liegende Hälfte der Crura stap. verknöchert. Die
Crura waren dicker als beim Erwachsenen.
12. Embryo, 6!/2 Monate alt.
Alle Gehörknöchelchen bis auf Manubrium und Proc. brevis
Mallei, die Spitze des Crus breve Incudis und Caput Stapedis
verknöchert. Der Stapes hatte ganz die definitive Form, das
vordere Crus war kürzer und gerader als das hintere. Proc.
longus Mallei bis zu 2,35 mm verknöchert.
13. Embryo, 7 Monate alt.
Manubrium Mallei noch knorpelig. Proc. Meckelii von der
Dicke eines mässigen Zwirnfadens.. Incus im ganzen ver-
knöchert; so auch der Stapes mit Ausnahme der Anheftungs-
fläche am Os lenticulare; letzteres auch knorpelig.
14. Embryo, 7!/2 Monate alt.
Mit Ausnahme der äussersten Spitze des Manubrium Mallei
und des Os lenticulare waren alle Gehörknöchelchen ganz ver-
knöchert. Der Proc. longus Mallei hatte eine Länge von 4 mm.
15. Embryo, 8 Monate alt.
Verknöcherung ungefähr wie im letztbesprochenen Stadium.
Hannover scheint am meisten geneigt anzunehmen, dass
alle drei Gehörknöchelchen aus der Labyrinthkapselwand ent-
stehen (L. ce. s. 495). — Köllikers (33) Bemerkung, dass sie „in
erster Linie vom Perioste aus ossifizieren“ scheint Hannover für
diese Knöchelchen nicht mehr als für jeden aus Primordialknorpel
entwickelten Knochen zu gelten. — Eine vollständige Verbin-
dung des Proc. longus Mallei mit dem Malleus selber tritt,
seiner Meinung nach, nicht vor der Geburt ein. — Abgesehen
vom Proc. longus Mallei, der zuerst und selbständig verknöchert,
nimmt er für jedes der Gehörknöchelchen nur einen Ver-
knöcherungspunkt an.
Fraser (13) untersuchte Ratten-Embryonen (8 mm — fast
reif), Schwein- (1—2,6 cm), Hunde- (1—2,5 cm), Schaf- (1—4 cm),
Kaninchen- (1—1,5 cm) und menschliche Embryonen
522 IVAR BROMAN,
(l cm und 4 cm). Über die vorherige Litteratur giebt er eine
ausführliche Übersicht Selbst ein Schüler Parkers, kam
Fraser den Ursprung der Gehörknöchelchen betreffend zu
derselben Auffassung, die jener damals aufrecht hielt (siehe
Tabelle!). — Er zeigt, dass Salensky (46 und 47) den Fehler
begangen, die V. jugularis prim. als Art. carotis int. zu beschreiben
und abzubilden.
Gradenigo (15) veröffentlichte 1887 über „die embryonale
Anlage des Mittelohrs‘‘ und „die morphologische Bedeutung der
Gehörknöchelchen‘“ eine bedeutende Abhandlung, welche gleich-
wie die Arbeiten Reicherts, Parkers und Salenskys
orossen Einfluss geübt und die ich deshalb etwas eingehender
referieren will.
Das Material Gradenigos bestand hauptsächlich aus
Katzenembryonen. Zur Kontrolle wurden auch Kaninchen-,
Hund-, Schweine- und menschliche Embryonen (von 4
bis 17 cm Sch.-St-.L.) untersucht.
Seine Arbeitsmethode war ‚die Methode der Serienschnitte.“
Er unterscheidet in der Entwickelung der Skelettelemente
4 Stadien:
I. Stadium: (Katzenembryo 12 und 13 mm, Schafsembryonen
13 mm entsprechend): „Knorpelgewebe findet sich noch nicht
vor; die künftigen Skeletteile sind nur durch Zellenanhäufungen
und Zellenstränge dargestellt. Von den Skelettelementen der
zwei ersten Kiemenbogen ist nur ein Abschnitt des ersten
(mandibularen) Bogens, seinem proximalen Ende entsprechend,
angedeutet. Die vorknorpelige Anlage der periotischen Kapsel
ist besonders gut an der lateralen unteren Wand der Gehörblase
angedeutet.“
II. Stadium (Katzenembryo 15 mm Sch.-St.-L. Schafs-
embryonen von 2--2,20 cm entsprechend): „Echtes Knorpel-
gewebe ist noch nicht vorhanden; die künftigen Skelettelemente
sind, wie im vorher beschriebenen Stadium, nur durch nicht
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 593
deutlich begrenzte Zellenanhäufungen und Zellenstränge dar-
gestellt. Der Mandibularbogen erscheint in Form eines Zellen-
stranges, welcher proximal frei endet mit einer unbegrenzten
Anschwellung an der Seite des Schädels, dem vorderen Teile
der Labyrinthblase entsprechend. Er tritt weder zu dem proxi-
malen Ende des zweiten Kiemenbogens noch zu der periotischen
Kapsel in Beziehung. — Der Hyoidbogen erscheint in Form
eines Zellenstranges, welcher ungefähr dieselbe Dicke als der
Mandibularbogen aufweist; sein proximaler Abschnitt wendet
sich zuerst ein wenig nach aussen, dann biegt er sich nach
oben, vorne und innen. Das proximale Ende umgiebt ein arte-
rielles Gefäss (Arteria stapedialis) und bildet auf diese Weise
einen vollständigen, aus dicht aneinanderliegenden Zellen
bestehenden Ring (Annulus stapedialis) und tritt zuletzt zu der
Anlage der periotischen Kapsel in Beziehung. — Die Arteria
stapedialis stammt mittelst eines mit der Arteria hyoidea, welche
in den zweiten Kiemenbogen nach unten verläuft, gemeinsamen
Astes von der Carotis ab. — Die vorknorpelige periotische
Kapsel weist die grösste Dicke entsprechend der lateralen Wand
der Gehörblase auf. — Keine Spur von Labyrinthfenstern ist
zu bemerken. — Die Chorda tympani löst sich fast rechtwinkelig
vom Facialisstamm ab, und verläuft nach vorne und oben“,
um an den medialen Teil des dritten Trigeminuszweiges her-
anzutreten.
Ill. Stadium (Katzenembryo 2 cm und Schweinsembryonen
3—3,5 cm Sch.-St.-L.): „In diesem Stadium findet man die
verschiedensten Entwickelungsstufen des Knorpelgewebes ver-
treten, von den Zellenanhäufungen angefangen, welche in den
vorhergehenden Stadien ausschliesslich vorhanden waren, bis
zu dem ausgebildeten Knorpelgewebe.“
[Gradenigo unterscheidet drei verschiedene Entwickelungs-
phasen des Knorpelgewebes:
524 IVAR BROMAN,
1. Vorknorpel. „Gewebe vollkommen identisch den
Zellenanhäufungen, welche die Skelettelemente bei den Embryonen
der früheren zwei Stadien darstellt. Zellen klein, Kern relativ gross
oder körniger Inhalt, geringe Menge von Protoplasma; Intercellu-
larsubstanz gering oder auch nicht wahrnehmbar. Die Zellen
sind dicht aneinandergedrängt. Die Zellsubstanz sticht durch
intensivere Färbung von dem umgebenden Gewebe deutlich ab.“
2. Unreifer Knorpel. „Zellen grösser, Protoplasma
reichlicher; Intercellularsubstanz im geringen Masse schon auf-
getreten, sie färbt sich noch mit Hämatoxylin, jedoch weniger
als die Zellkerne.“ |
3. Reifer Knorpel. „Zellen gross und mit deutlich aus-
gesprochener Kapsel; Intercellularsubstanz reichlich vorhanden,
von hyaliner Beschaffenheit und sich mit Hämatoxylin kaum
färbend.“]
Der hintere, obere Teil (Pars canalium semicircularium)
der periotischen Kapsel besteht aus reifem Knorpel; der vordere,
untere (Pars cochlearis) aus unreifem. Die Stelle, die der Gegend
des künftigen ovalen Fensters entspricht, befindet sich auf einem
Zwischenstadium zwischen der vorknorpeligen Skelettanlage und
dem unreifen Knorpel. „Bei diesem Stadium der Entwickelung
ist keine Spur des runden Fensters zu sehen.“ Bei etwas weiter
vorgeschrittenen Katzenembryonen und bei Schweinsembryonen
von 3-3, 5 cm sieht man jedoch ein grosses rundes Fenster, das
doch noch von keiner Membran geschlossen ist. — Bei diesen
bildet die vom Annulus stapedialis eingebogene Kapselwand eine
Lamelle (Lamina stapedialis), die sich durch die geringe Färb-
barkeit ihres äusseren, an den Annulus stossenden Zellenlagers
leicht von übrigen Teilen der periotischen Kapsel abgrenzen
lässt.
Malleus und Incus sind vom proximalen Ende des Mandi-
bularbogens gebildet und fangen schon an „die morphologischen
Charaktere des erwachsenen Individuums“ zu zeigen. „Hammer-
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 525
und Ambos-Körper sind knorpelig; der obere (soll wohl heissen:
untere) Abschnitt des Hammergriffes und des langen Ambos-
schenkels und der grösste Teil des Processus brevis des Ambosses -
sind nur durch die vorknorpelige Anlage, d. i. einfache Zellen-
anhäufungen dargestellt.‘“ — Der Hyoidbogen ist nun nur halb
so dick wie der Mandibularbogen. Er besteht zum grössten
Teil aus unreifem Knorpel. ‚Der unmittelbar unterhalb des
Annulus stapedialis gelegene Teil hat die histologischen Charaktere
der vorknorpeligen Anlage beibehalten“; die diesen Teil zu-
sammensetzenden Zellen färben sich mit Hämatoxylin weniger
stark und sind „weniger dicht aneinander gedrängt.‘ Der
lange, abwärts gewachsene Ambosschenkel ist mit dem An-
nulus stapedialis in Verbindung getreten. ‚Die Arteria sta-
pedialis ist viel dünner geworden, und kann nur eine kurze
Strecke über den Ring verfolgt werden. Sie stammt jetzt direkt
von der Carotis ab.“
IV. Stadium. (Menschliche Embryonen 4 und 4!/2 cm
Sch. St. L.). — „Das Gewebe der Kiemenbogen und der perio-
tischen Kapsel bietet fast überall das Aussehen des reifen
Knorpels; die Verknöcherung dieser Elemente ist noch nicht
aufgetreten, ausgenommen am distalen Ende des Mandibular-
bogens. Die meisten Deckknochen sind schon aufgetreten. —
Der Hammer bietet schon die Form des Hammers eines erwach-
senen Menschen dar; bei selbem sind bereits die Andeutungen
des kurzen und des muskulären Fortsatzes zu erkennen. Der
verhältnismässig dicke Griff erscheint konkav gegen vorne;
durch die schiefe Lage des gesamten Knöchelchen tritt das
stumpfe Griffende mit der gegenüberliegenden Wand der perio-
tischen Kapsel in Berührung. Der Processus Folianus Mallei
tritt nm Form eines schmalen, an der unteren medialen Fläche
des Meckelschen Knorpels anliegenden Leistehens auf. — Der
Hammer erscheint mit dem Ambos knorpelig partiell vereinigt,
der betreffenden Gelenkfläche entsprechend. — Der Ambos
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVII, Heft (11. Bd., H. 4). 35
IVAR BROMAN,
[} |
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[op]
bietet auch annäherungsweise die Form, welche beim Erwach-
senen anzutreffen ist. Das Ende des langen Ambosschenkels
tritt zu dem distalen Rande des Annulus stapedialis in Bezieh-
ung, indem es sich in seinem untersten Stücke stark nach innen
biegt. — Es ist keine Spur eines getrennten knorpeligen Os
lenticulare s. Sylvianum zu sehen. Der kurze Ambosschenkel
wird in einer fast quer gerichteten Furche der vorderen Fläche
des hinteren periotischen Fortsatzes aufgenommen, und mittelst
faserigen Bindegewebes fixiert. — Der Reichertsche Knorpel
hat jede Beziehung zum Annulus stapedialis verloren; er tritt
in faserige Verbindung mit einem absteigenden Fortsatze der
periotischen Kapsel und verschmilzt mit diesem in einem
späteren Entwickelungsstadium. Die Lamina stapedialis wird
rund herum von der übrigen, vestibularen Wand durch das
Hineindringen von faserigem Bindegewebe differenziert. Der
mediale Rand des Annulus stap. dringt allmählich in die Lamina
hinein; das Gewebe der Lamina verschmilzt teilweise mit dem
Gewebe des Annulus, und erfährt teilweise einen Involutions-
vorgang. — Das runde Fenster ist schon mit der Anlage der
Membrana tympani secundaria zu sehen. — Der Musculus
tensor tympani und der Musculus stapedius sind deutlich diffe-
renziert. — Der Annulus tympanicus stellt den grösseren Teil
eines knöchernen Ringes dar. Der Abschnitt, welcher direkt
unterhalb des letzten Teiles des Meckelschen Knorpels liegt,
ist der breiteste; er besitzt die Form einer dünnen, gegen oben
konvexen Lamelle, und fast die Breite der unteren konvexen
Fläche des Meckelschen Stabes. Diese Lamelle hört frei nach
hinten auf, bevor der Meckelsche Knorpel in den Hammer-
körper übergeht. Nach vorne und unten setzt sich die Lamelle
in einer dünnen, knöchernen, fast cylinderischen Spange fort,
welche sich nach hinten krümmt, um an die mediale, obere
Seite des Reichertschen Knorpels zu gelangen. An der Stelle,
wo dieser Knorpel direkt nach oben umbiegt, bleibt der hintere
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 527
Rand des tympanalen Ringes medialwärts und vorne von ihm,
um frei in der Höhe ungefähr des stumpfen Endes des erwähnten
Reichertschen Knorpels zu enden.“
Bei späteren Stadien (menschlichen Embryonen von 5—10 cm
fand Gradenigo keine wichtigeren Veränderungen des Malleus
und Incus. — Die sich auf die Stapesanlage beziehenden Ver-
änderungen beschreibt er folgendermassen: „Entsprechend der
Peripherie der Lamina stapedialis zertrümmern und vernichten
die hineindringenden Bindegewebsfaserzüge die einzelnen Knorpel-
zellen. An dem centralen Teile der Lamina hingegen erscheinen
die Zellen verdrängt und in einem Zustande von beginnender
Atrophie. Die Lamina sieht sehr verschmälert aus. — Obschon
in dieser Entwickelungsphase die Grenzschichte nicht mehr zu
sehen ist, bleibt die Lamina stapedialis doch scharf von dem
Annulus getrennt; die kleinen und gut gefärbten Zellen des
letzteren schemen eine rege karyokinetische Thätigkeit zu besitzen.
— In weiteren Stadien ist es nicht möglich an der Basis der
schon ziemlich gut ausgebildeten Stapes die Lamina deutlich
zu erkennen.“ — Das Ligamentum annulare bildet sich sowohl
1. „durch Hineinwanderung der Bindegewebsfasern hauptsäch-
lich von der tympanalen Seite her, der Peripherie der Lamina
entsprechend‘, als 2. „durch direkte Umwandlung der zunächst
liegenden Knorpelzellen in faseriges Gewebe.‘
Gradenigo behandelt auch ausführlich das Entstehen des
tubotympanalen Raumes und die morphologische Bedeutung
der Gehörknöchelehen. Da jedoch diese Fragen nicht innerhalb
des Gebietes meiner Untersuchung fallen, übergehe ich dieses
Kapitel.
v. Noorden (38) untersuchte drei der Hisschen Samm-
lung angehörige menschliche Embryonen, Lhs., Zw. und Lo.
Bei dem Embryo Lhs (17 mm NL.; ungefähr 50 Tage alt) fand
er die Arteria mandibularis (stapedialis) „ein kleines rundliches
Knorpelhäufchen, das weder zum Meckelschen Knorpel, noch
35*
528 IVAR BROMAN,
zum Labyrinthknorpel in Beziehung stand“, durchbohrend. Von
dieser Knorpelpartie meint er, dass sich nur die Crura stap.
(teilweise oder ganz) entwickeln. Ausserdem besitzt nämlich
der Stapes eine „intramurane“ Anlage, die sich einige Tage
später zu entwickeln anfängt. — Bei Embryo Zw. (18,5 mm
NL., ca. 7!/g Wochen alt) begrenzt sich diese innerhalb der
vorderen Labyrinthwand als eine kleine, ovale Knorpelmasse,
die stärker gefärbt ist als die übrige Labyrinthwand, mit dieser
aber direkt (d. h. ohne Bindegewebebegrenzung) verbunden ist.
Von dieser Knorpelscheibe aus strecken sich kaudal zwei durch
die Arteria stap. getrennte „Säulchen“. Die Knorpelscheibe
mit diesen Säulchen betrachtet er als die von der Labyrinth-
kapsel stammende Partie der Stapesanlage.. — Embryo Lo
(23 mm NL., ca. 8!/s Wochen alt) scheint sich wie Zw. ver-
halten zu haben; hierüber finden sich jedoch keine besonderen
Angaben. — „Die ganze Bildung des Stapes bis zur Erreichung
seiner typischen Gestalt geht in der siebenten bis achten Woche
vor sich.“
Rab] (42) hebt hervor, dass man sich „um sich von der
Entwickelung des Steigbügels aus dem Hyoidbogen zu über-
zeugen“, an solche Embryonen halten muss, „bei denen der
Reichertsche Knorpel noch nicht knorpelig ist, sondern durch
ein Chondroblastem repräsentiert wird. Ist einmal Knorpel
gebildet, so ist es nicht mehr möglich, sich ein bestimmtes
Urteil zu verschaffen, und zwar deshalb nicht, weil nun auch schon
eine Verbindung des Steigbügelknorpels mit dem Ambosknorpel
eingetreten ist. — Um die Arteria stapedia krümmt sich das
Chondroblastem des Reichertschen Knorpels herum, und
zwar in der Weise, dass es später die Arterie mit zwei Schenkeln,
eben den beiden Schenkeln des Steigbügels, umfasst.“ — Der
Musculus stapedius tritt bei Schaf- von 17 mm und Schweins-
embryonen von 15,8 mm Nackensteisslänge auf. Er scheint
gemeinsamen Ursprung mit dem M. stylohyoideus zu haben und
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 529
wird wie dieser vom N. facialis, dem Nerv des Hyoidbogens,
innerviert. Der M. tensor tympani gehört genetisch zur selben
Gruppe wie der M. tensor veli palatini und wird wie dieser vom
N. trigeminus, dem Nerv des Mandibularbogens innerviert.
Da Rabl die Beobachtung gemacht, dass die Nerven der
Visceralbogen im übrigen „mit peinlicher Gewissenhaftigkeit‘
jeder die Produkte seines Bogens versorgen, so sieht er in
dem erwähnten Innervationsverhältnis des M. stapedius einen
starken Beweis für die Bildung des Stapes aus dem
Hyoidbogen.
Staderini (57) studierte die ersten Entwickelungsstadien
des Annulus stapedialis bei Schweinsembryonen (15—21 mm).
Stadium I. (Embryo 15 mm). Keine Spur von Knorpel-
gewebe. Der Hyoidbogen endigt oben mit einer kleinen, rund-
lichen Auftreibung, die sich mit dem Auswuchs der periotischen
Kapsel hinter der Facialisaushöhlung vereint. Der Annulus
stapedialis fängt als ein Zellenring um die Arteria
stapedialis an, ohne Verbindung mit denangrenzen-
den Teilen; übrigens undeutlich abgegrenzt, wird
er von der periotischen Kapsel durch einen hellen
Bindegewebsstreifen getrennt. Der mandibulare Bogen
ist nicht mit der periotischen Kapsel verbunden.
Stadium II. (Embryo 16 mm). Der Annulus stapedialis hat
an seiner äusseren Seite eine kleine Zellenanhäufung, die mit
dem unteren, inneren Teil des proximalen Endes des Mandibular-
bogens in direkter Verbindung steht. Der oben erwähnte, helle
Bindegewebsstreifen zwischen dem Annulus und der periotischen
Kapsel ist jetzt verschwunden; die Grenze jedoch infolge der
verschieden starken Färbung noch immer deutlich.
Stadium III. (Embryo 17,5 und 18,5 mm). Noch ist kein
Knorpelgewebe gebildet. Die Verbindung des Hyoidbogens mit
der periotischen Kapsel ist schmäler geworden und hat sich
medialwärts gebogen. Durch einen (offenbar nach dem vorigen
530 IVAR BROMAN,
Stadium entstandenen) Zellenstrang ist der Hyoidbogen mit dem
Mandibularbogen sowie auch mit dem Annulus stapedialis in
Verbindung getreten.
Stadium IV. (Embryo 21 mm). Embryonaler Knorpel hat
angefangen in der Basis cranii und in der Mittelpartie des
Mandibularbogens aufzutreten. Sonstige Verhältnisse wie im
vorigen Stadium.
Der Annulus stapedialis entsteht also selbständig ohne
primären Zusammenhang weder mit den Visceralknorpelanlagen
noch mit der periotischen Kapsel.
Dreyfuss (10) publizierte 1893 die Resultate einer genauen
Untersuchung, die für uns ein besonderes Interesse besitzt, da
sein Material zum grossen Teil aus menschlichen Embryonen
bestand (Embryonen vom Beginn des dritten bis zum Ende des
sechsten Monats). Die Lücken ergänzte er mit Kaninchen- und
Meerschweinchen-Embryonen.
Er unterscheidet vier histologische Entwickelungsstadien:
1. Blastem (Bildungsmasse, Formating tissue). Ist durch
regelmässig geformte, runde oder ovale Kerne und durch weniger
dichte Gruppierung und Tingierung der Zellen vom Stadium 2
verschieden.
2. Chondroblastem oder Vorknorpel. (Entspricht
Gradenigosund Rabls erstem Stadium.) Lässt sich vom Blastem
durch eine diehtere Gruppierung und Tingierung der Zellen
unterscheiden; ausserdem durch das häufige Vorkommen von
unregelmässig geformten Kernen, die ihre runde oder ovale
“Form zuweilen gegen eine spindelförmige vertauschen. Inter-
cellulargewebe findet sich absolut nicht. — Aus diesem Ent-
wiekelungsstadium bilden sich gewöhnlich nur Knorpel und
Perichondrium (nur ausnahmsweise Bindegewebe „infolge von
Resorptions- oder Involutionsvorgängen‘“).
3. Jungknorpel. Anfangendes Auftreten von Intercellular-
substanz.
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 531
4. Reifer Knorpel.
Dreyfuss’ frühestes Stadium war ein Meerschweinchen-
Embryo von 22 Tagen. — Ich referiere in Kürze seine wichtigsten
Beobachtungen an diesem:
„Von dem ersten Kiemenbogen ist das proximale Ende noch
nicht in das vorknorpelige Stadium eingetreten; es stellt vielmehr
eine breite Blastemmasse dar, die sich vor dem Facialis in der
Höhe seines Knies nach der Labyrinthanlage zu wendet und
dort an ein Blastemgewebe anstösst, das die Anlage des Annulus
stapedialis darstellt. — In ähnlicher Weise verhält sich das
Blastem des zweiten Kiemenbogens. Auch diese legt sich an den
Annulus stapedialis an und begrenzt denselben von unten. —
Die blastematöse Anlage des Annulus stapedialis stellt sich dar
als eine um ein dünnes Gefäss gruppierte Zellanhäufung. Diese
centrierte Schichtung der Zellen um das Gefäss (Arteria stapedialis,
Arteria mandibularis Salensk y) berechtigtuns, die Zellanhäufung
von den proximalen Enden der beiden Kiemenbogenblasteme
abzugrenzen; beide liegen jedoch denı Annulus dicht an. Nach
aussen von ihm verläuft der Facialis, nach innen liegt indifferentes
Gewebe, das die laterale Peripherie des Blastems der Labyrinth-
kapsel umbiegt. Der Annulus stapedialis ist also ursprünglich
durch indifferentes Gewebe von der Labyrinthkapsel getrennt
und hat nichts mit ihr zu thun.“
Bei einem Kaninchenembryo von 15 Tagen (ein etwas vor-
geschritteneres Stadium als das 22tägige Meerschweinchen-Embryo)
hat sich das Blastem des ersten Kiemenbogens am proximalen
Ende aufgehellt und ist zu indifferentem Gewebe geworden,
sodass jetzt der Annulus stapedialis in einer gewissen Entfernung
vom proximalen Ende des ersten Kiemenbogens sich befindet. —
Der zweite Kiemenbogen bietet genau dasselbe Stadium wie
beim vorhergehenden Embryo. Es liegt also sein proximales
Blastem dem Annulus stapedialis dicht an.
532 IVAR BROMAN,
Bei einem Kaninchenembryo von 16 Tagen „besteht die
periotische Kapsel aus vorknorpeligem Gewebe; aus demselben
Gewebe sind auch diejenigen Stellen der Kapsel zusammen-
gesetzt, an denen sich später die beiden Fenster ausbilden. —
Hammer und Ambos sind bereits getrennt. — Der Hammerkopf
stellt das etwas kolbig angeschwollene Ende des Meckelschen
Knorpels dar. Von seinen späteren Fortsätzen ist das Manubrium
als Blastem angelegt, das von dem Hammerkopf aus nach innen
und etwas nach vorn in fast horizontaler Richtung auswächst. —
Der Kopf des Hammers besteht aus jungknorpeligem Gewebe,
das allmählich nach unten in der Gegend des Hammerhalses in
Vorknorpel und im Manubrium in Blastem übergeht. Der Ambos
ist vorknorpeliger Struktur. Sein Körper umgiebt auf beiden
Seiten das proximale Ende. des Hammers. Der kurze Ambos-:
schenkel ist noch recht jugendlicher Struktur und verliert sich
allmählich in die Kapsel der Bogengänge. Der lange Fortsatz
des Ambos ist blastematös und von unbestimmter Kontur. Er
geht parallel dem Manubrium mallei im indifferenten Gewebe
der Paukenhöhle nach dem Annulus stapedialis zu. Der lange
Fortsatz des Ambosses, ebenso wie der Hammergriff haben sich
also innerhalb der letzten 24 Stunden gebildet. Der Annulus
stapedialis hat sich nunmehr an die Vorhofswand angelegt in
Form eines von der Arteria stapedialis durchbohrten vorknor-
peligen Ringes. — Vom Annulus stapedialis ist das proximale
Ende des zweiten Kiemenbogens, soweit es durch seinen runden
Querschnitt als wohlbegrenzten Vorknorpel sich zeigt, weit ent-
fernt, aber auch selbst die obere Fortsetzung des proximalen
Endes‘, die als ein „auf dem Querschnitte sichelförmiges Blastem‘
den vorderen, äusseren Teil des N. facialis bekleidet, ‚ist sowohl
vom Annulus stapedialis als vom unteren Ende des langen
Ambosschenkels in genügender Entfernung; indifferentes Gewebe
der Paukenhöhle liegt dazwischen.‘
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Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 533
Kaninchen-Embryo von 17 Tagen.
„Der Meckelsche Knorpel, der in einem leicht nach oben
konvexen Bogen in den Hammerkopf übergeht, zeigt jung-
knorpelige Struktur, desgleichen der Hammerkopf und -Hals.
Das Manubrium hat Vorknorpel. Der kurze Hammerfortsatz
ist noch nicht formiert; an seiner Stelle liegt eine Zellmasse, die
durch den Zusammenfluss der Zellreihen der Membrana propria
des Trommelfelles gebildet wird. — Vom Processus longus sive
Folianus ist noch nichts zu sehen. — Der Ambos hat nunmehr
seine Schenkel vollständig, quoad formationem, entwickelt. Der
Körper ebenso wie der Hauptteil der Fortsätze besteht aus
Jungknorpel. — Der Annulus stapedialis stellt einen median
abgeplatteten, jungknorpeligen Ring dar, die Arteria stapedialis
ist verschwunden. Der Ring senkt sich bereits tief in die
Labyrinthwand hinein. Der Vorknorpel des ovalen Fensters ist
von dem andrängenden Annulus stapedialis komprimiert und
stellt so nunmehr ein verdicktes Perichondrium der Vorhofs-
kapsel dar. Der Vorknorpel der Labyrinthwand rings um den
Stapes ist in seinem Zustand erhalten geblieben (ebenso wie die
Stelle des runden Fensters), während die übrige Labyrinthwand
jungknorpeliger Struktur geworden ist. — Hammer und Ambos
werden von einander durch eine Zwischenscheibe getrennt.
Zwischen demlangen Ambosschenkel und dem Annulus stapedialis
findet sich keine Zwischenscheibe, ein Umstand, der darin seine
Erklärung findet, dass Ambos und Steigbügel ursprünglich von
einander getrennt sind und dass ihre Verbindung oder Berührung
erst durch das Hervorwachsen des langen Ambosschenkels her-
gestellt wird. — Der gesamte Reichertsche Knorpel hat jung-
knorpelige Struktur. Zwischen dem proximalen Ende des Bogens
und der Labyrinthwand, an der äusseren Seite des Facialis hat
sich unterdes eine Zellanhäufung (die Dreyfuss „Schaltstück
oder Intercalare“ nennt) verdichtet, die ihren Ursprung ent-
weder am Primordialkranium oder im indifferenten Gewebe
534 IVAR BROMAN,
der Paukenhöhle nimmt, doch aber wohl auch Reste des proxi-
malen Blastems des zweiten Kiemenbogens enthält.“ — Musculus
tensor tympani und Musculus stapedius sind angelegt. — Die
Chorda tympani verläuft unterhalb der Zwischenscheibe zwischen
langem Ambosschenkel und dem Hammerhals. — Der Annulus
tympanicus ist in seinem unteren und vorderen Teil binde-
gewebig angelegt.
Kaninchenembryo von 20 Tagen.
„Das Knorpelbild der Labyrinthkapsel ist nunmehr überall
als reifer Knorpel zu bezeichnen. Der Hammer selbst besteht
ebenso wie der Meckelsche Fortsatz aus reifem Knorpel. Der
Hammerkopf hat bedeutend an Volumen zugenommen, ebenso
der langgestreckte Hammerhals. Der Processus brevis mallei
ist nun jungknorpelig formiert. — Während der Hammerkörper
eine vertikale Stellung hat, verläuft der Handgriff in einer
nahezu horizontalen, nach vorn und innen gerichteten Linie.
Der Handgriff hat eine jüngere Knorpelstruktur als der Kopf
und Hals. — Der Ambos besteht aus demselben Knorpelgewebe
wie der Hammer. Sein langer Schenkel trägt an seinem Ende
ein bedeutend unentwickelteres Knorpelgebilde, das Linsenbein,
Der kurze Fortsatz, nunmehr vollständig knorpelig, senkt sich
tief ein in eine Nische der Labyrinthwand dicht am äusseren
Bogengang; er wird mit dem Knorpel der Labyrinthkapsel durch
ein straffes, kronenförmig von allen Seiten sich an ihm befesti-
gendes Band verbunden. — Hammer und Ambos bilden eine,
wenn auch noch einfach gestaltete Gelenkfacette. Die Zwischen-
scheibe ist fast ganz geschwunden. Die beim 17tägigen Kanin-
chen 4-56 fache Zellage derselben ist auf eine einfache Zell-
reihe geschrumpft. Am Steigbügel imponiert die massige Basis,
welche aus der allmählichen Abplattung der medialen Ringfläche
entstanden ist. Die Schenkel sind ziemlich schlanke, aber auch
kurze Gebilde. Der gesamte Steigbügel ist knorpelig. Das vor-
knorpelige Gewebe, das beim 17-tägigen Embryo noch an der
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 535
Stelle des ovalen Fensters als vestibulärer Überzug des Steig-
bügelrings zu sehen war, ist ebenfalls geschwunden bezw. auf
eine dünne bindegewebige (perichondrale) Lamelle reduziert, die
wir am besten als Fortsetzung des inneren Vorhofsperichon-
driums auffassen. Rings um die Steigbügelbasis ist noch ein
grosser Bezirk der Labyrinthwand bindegewebig geworden, also
aus dem Vorknorpel in Bindegewebe übergegangen, das Liga-
mentum annulare baseos stapedis. — Der Reichertsche Knorpel
ist mit der knorpeligen Bogengangskapsel kontinuierlich ver-
bunden. Das oben beschriebene Schaltstück oder Intercalare
ist nämlich mit beiden Teilen verschmolzen und knorpelig
geworden.“ — Die Grenze zwischen dem Schaltstück und dem
Reichertschen Knorpel wird durch den scharfen (ungefähr
rechten) Winkel markiert, der dadurch gebildet wird, dass
letzterer, von der medialen Seite kommend, mit dem ersteren
sagittal verlaufenden zusammenstösst. — „Vom Annulus tym-
panicus ist der ganze untere und vordere aufsteigende Ast in
Form einer Leiste formiert. Das Innere dieser Leiste enthält
eine Zellgruppierung, die auf die beginnende Verknöcherung
hindeutet. Der obere Teil des Annulus tympanicus ist von der
bindegewebigen Anlage des Schläfenbeins nicht zu trennen.“
Dreyfuss’ frühzeitigster, menschlicher Embryo hatte
eine Länge (Sch. St. L.) von 43 mm. Von seiner Beschreibung
desselben interessiert uns besonders folgendes: „Der Hammer-
kopf, welcher kontinuierlich in den Meckelschen Knorpel
übergeht, überragt an Höhe den ihm anliegenden Kopf des
Ambosses. Unter dem Meckelschen Knorpel liegt ein dünnes
Knochenstäbchen, der Processus Folianus s. longus Mallei; das-
selbe steht mit dem bindegewebigen Annulus tympanicus in
Zusammenhang. Der Ambos, welcher ebenso wie der Hammer
aus jungem Knorpel besteht, trägt am unteren Ende seines
langen Schenkels den Linsenfortsatz, der sich an den Annulus
stapedialis anlegt. — Hammer und Ambos werden durch ein
536 IVAR BROMAN,
einfaches Gelenk von einander getrennt. — Der Annulus stape-
dialis buchtet sich mit seiner vestibularen Fläche in das ovale
Fenster ein. Dieses wird ausgefüllt von einem Gewebe, das ich
als vorknorpelig bezeichnen muss und das kontinuierlich und
allmählich in den Knorpel der übrigen Vestibularwand über-
geht. Eine Arteria stapedialis ist nicht vorhanden. — Der
Reichertsche Knorpel ist an seinem proximalen Ende mit der
anstossenden Bogengangkapsel durch Bindegewebe verbunden,
es besteht also kein kontinuierlicher Übergang. In der Fenestra
rotunda liegt ein ähnliches Gewebe wie in der Fenestra ovalis,
doch ist seine bindegewebige Struktur durch Einlagerung zahl-
reicher Spindelzellen deutlicher. — Musculus tensor tympani
und Musculus stapedius sind entwickelt.“
Menschlicher Embryo von 53 mm Sch.-St.-L.
„Nur die untere und vordere Leiste des Annulus tympa-
nicus ist in diesem Stadium ossifiziert. Ebenso ist der Pro-
cessus Folianus knöchern und mit dem Knorpel des Hammer-
halses durch Bindegewebe verbunden. Sowohl das Knorpel-
gewebe des Annulus stapedialis als die primäre Platte im ovalen
Fenster sind in ihrer Struktur reifer geworden. Diese Platte
ist jetzt ein jugendliches Knorpelgebilde mit dichtstehenden
runden Zellen, aber bereits hinreichend vieler Intercellularsub-
stanz, um als Knorpel angesehen werden zu können. Zwischen
dem Annulus stapedialis und dieser primären Platte findet keine
Spur von Verschmelzung statt. Dagegen hat bereits die Diffe-
renzierung der ovalen Knorpelplatte vom Labyrinthknorpel
begonnen und zwar geschieht dies durch Hereinwuchern von
Fasergewebe von der Paukenhöhlenfläche der Vorhofswand.
Dieses Fasergewebe ist der Vorgänger des Ligamentum annu-
lare baseos stapedis, — Der Reichertsche Knorpel ist mit
seinem proximalen Ende mit dem Processus perioticus posterior
(Gradenigo) vollständig verschmolzen und die Verschmelzungs-
stelle nirgends mehr sichtbar.“
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 537
Menschlicher Embryo von ca. 75-80 mm Sch.-St.-L.
„Die jungknorpelige Platte des ovalen Fensters, wie wir
sie noch im vorigen Stadium sahen, ist auf eine schmale, binde-
gewebige Lamelle reduziert. Das Knorpelgewebe an der
vestibularen Seite des Annulus stapedialis ist noch in jugend-
lichem Zustande und trägt einen perichondralen Überzug.“
„Die nächstfolgenden Embryonen von 91 und 100 mm
Sch.-St.-L. bieten ungefähr gleichmässige Entwickelungszustände:
Annulus tympanicus: Weitere Ausbildung der Verknöcherung.
— Hammer: Schlankere Formation des Kopfes und Halses;
stärkere Prominenz des kurzen Fortsatzes. Stehenbleiben der
Entwickelung im Meckelschen Knorpel. — Ambos: Ebenfalls
schlankere Formation des Kopfes und damit feinere Ausbildung
des Hammer- Ambosgelenkes. Stärkere winkelige Abknickung
des Linsenfortsatzes zur Achse des langen Schenkels. — Steig-
bügel und ovales Fenster: Die bindegewebige Lamelle im ovalen
Fenster weiter verdünnt und als direkte Fortsetzung des Peri-
chondriums der inneren Vorhoffläche erscheinend. Das Liga-
mentum annulare ausgebildet. Das Gewebe der Steigbügel-
schenkel ist reifer Knorpel, die Basis dagegen noch in jüngerem
Zustande.“
Bei den übrigen Menschen-Embryonen (vom 4, 5 und 6
Monat) war hauptsächlich das Fortschreiten der Ossifikation
Gegenstand der Untersuchung Dreyfuss'.
Foetus vom Anfang des vierten Monats: „Beginn der Ossi-
fikation am Hammer und Ambos von dem Perichondrium an
der medialen Seite ausgehend.“ Der Össifikationspunkt des
Hammers liegt an der Stelle, „wo sich der Processüs Folianus
an den Hammer ansetzt“; der des Ambosses „an der Stelle,
wo der lange Schenkel nach unten abgeht. — Steigbügel noch
vollkommen knorpelig.“
Foetus Anfang des fünften Monats: „Die Hauptmasse des
Hammerkopfes ist knöchern“; oben ist er jedoch von einer
538 IVAR BROMAN,
schräg (nach hinten und aussen) aufsitzenden Knorpelkappe
bedeckt. „Hals, kurzer Fortsatz und Handgriff sind knorpelig.
— An dem Ambos ist die Verknöcherung am langen Schenkel
heruntergegangen und hat bis an die Umbiegungsstelle am Os
lenticulare Platz gegriffen. Der Kopf, der kurze Fortsatz und
das Linsenbein sind knorpelig. Der Steigbügel ist noch knor-
pelig. — Der Processus Folianus ist durch straffes Bindegewebe
mit dem stark an Dicke reduzierten Meckelschen Knorpel,
dem Annulus tympanicus und mit dem Hammerhals verbunden.“
Fötus Mitte des fünften Monats: „Fast der ganze Hammer
kopf ist knöchern; jedoch besteht noch die Knorpelkappe.“
Sonst keine Veränderungen.
Fötus Ende des fünften Monats: „Hammer: Kopf und Hals
vollständig ossifiziertt mit Ausnahme eines Knorpellagers, das
die Berührungsfläche mit dem Ambos darstellt. Handgriff und
kurzer Fortsatz sind noch durchaus knorpelig. Der Meckelsche
Knorpel ist auf ein dünnes Knorpelgebilde reduziert, seine peri-
pheren Partien, besonders die untere, haben sich bereits in
Bindegewebe verwandelt.“ — Ambos: Der ganze Ambos mit
Ausnahme der Berührungsfläche gegen den Hammer und der
äussersten Enden der Prozesse ist nun verknöchert. „Der
lange Schenkel zeigt als das erste der Mittelohrgebilde einen
Markraum.“ — Steigbügel: „Die Steigbügelbasis ist knöchern mit
Ausnahme der vestibulären und der Gelenkfläche, die einen
Knorpelüberzug tragen (dieser Knorpelüberzug ist jedoch nicht
der Rest der primären vorknorpeligen ovalen Fensterplatte). Die
Hauptmasse der beiden Schenkel, nämlich der der Basis zu
gelegene Teil ist knöchern, der ganze Kopf und das laterale
Drittel beider Schenkel dagegen knorpelig.“
Fötus im sechsten Monat: „Die Ossifikation macht jetzt
langsamere Fortschritte. Im Hammerkopf bildet sich ein Mark-
raum. Im Ambos geht die Verknöcherung etwas weiter in den
Linsenfortsatz hinein. Das Köpfchen des Steigbügels und das
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 539
laterale Schenkeldrittel beginnt nun ebenfalls zu verknöchern.
In beiden Schenkeln bilden sich Markräume.“
Von den Thesen, die Dreyfuss am Ende seiner Arbeit
aufgestellt, will ich besonders folgende referieren, auf die ich
später Gelegenheit haben werde zurückzukommen:
These 2. „Das Blastem des proximalen Endes des ersten
Kiemenbogens liegt dem Blastem des Annulus stapedialis an.“
These 3. ‚Das Blastem des proximalen Endes des ersten
Kiemenbogens verschwindet bald und verwandelt sich in Binde-
gewebe.“
These 4. „So entsteht ein Stadium, wo das vorknorpelige
Ende des ersten Kiemenbogens in einer gewissen Entfernung
vom Steigbügelring gelegen ist.“
These 5. „Der Handgriff des Hammers und der lange
Schenkel des Ambosses wachsen zu gleicher Zeit in paralleler
Richtung nach vorn, innen und unten aus.“
These 8. „Der zusammenhängende Hammer- und Ambos-
körper trennt sich kurz vor Aussendung der ad 5 genannten
.Fortsätze infolge der Bildung einer Zwischenscheibe. (Die Art
der Trennung wurde bis jetzt noch nicht beobachtet).
These 11. „Sobald die Anlage des Annulus stapedialis als
eine konzentrisch um ein kleines Gefäss gelagerte Zellanhäufung
erkennbar ist, liegt sie zwischen dem Blastem des proximalen
Endes des ersten und des zweiten Kiemenbogens. Sie ist aber
von beiden durch die konzentrische Schichtung ihrer Zellen wohl
zu trennen, also vorderhand als unabhängige Bildung zu be-
trachten.“
These 17. „Das Ligamentum annulare baseos stapedis wird
hauptsächlich gebildet aus Elementen des beschriebenen Vor-
knorpels (im ovalen Fenster) und aus Spindelzellen, die vom
Perichondrium der tympanalen Oberfläche der Vorhofkapsel
hereinwachsen.‘
540 IVAR BROMAN,
These 19. „Das Gelenk zwischen langem Ambosschenkel
und Steigbügelring wird nicht in Form des Auftretens einer
Zwischenscheibe gebildet, da der lange Ambosschenkel ja erst
an den Annulus stapedialis heranwachsen muss, die beiden
Gebilde also nie ein Continuum bilden.‘
These 21. „Nach Resorption bezw. Involution des proxi-
malen Endblastems des zweiten Kiemenbogens besteht eine
zeitlang keine Verbindung zwischen der periotischen Kapsel
und dem proximalen Ende des vorknorpeligen zweiten Kiemen-
bogens.‘‘
These 22. ‚Die Verbindung zwischen dem proximalen Ende
des definitiven Reichertschen Knorpels und der Kapsel der
Bogengänge wird hergestellt durch ein neu auftretendes, zuerst
vorknorpeliges, später knorpeliges Gebilde“ („Intercalare oder
Schaltstück‘“).
These 24. „Der Processus styloideus Politzer besteht aus
dem oberen Ende des Reichertschen Knorpels, dem Schaltstück
und dem angrenzenden, spät verknöchernden Bezirk der Bogen-
gangskapsel.“ ß
Baumgarten (3) untersuchte einen 3 cm langen mensch-
lichen Embryo. Er ist unter den früheren Verfassern der
einzige, der Rekonstruktionsbilder der Gehörknöchelchen geliefert.
„Der künftige Proc. brevis und das Manubrium Mallei ragen
nach unten weit hervor und sind als solche in ihrer Gestalt
bereits erkennbar.“ Der Hammer ist vom Ambos nur durch
einen auf den Querschnitten deutlich hervortretenden „dunklen
Streifen von Knorpelzellen‘“ getrennt. „Mit dem Meckelschen
Knorpel ist dagegen der Hammerkörper noch vollständig eins.“
— Aussen vom Hammer und Meckelschen Knorpel sah er
„einen schmalen Zellstreifen, weit hinab bis in die Gegend des
künftigen Unterkiefers verfolgbar“; dieser Zellstreifen, der „un-
zweifelhaft einer der Belegknochen des Meckelschen Knorpels
ist“, sollnach Baumgartens Auffassung „sehr wahrscheinlich‘
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 541
mit dem Processus Folianus identisch sein. „Am Ambos sind
Corpus, Proc. brevis und longus deutlich unterscheidbar, er
hat also die künftighin bleibende Form schon etwa erhalten,
während die beiden anderen Gehörknöchelchen, Hammer und
Steigbügel, noch bedeutende Umgestaltungen erleiden, ehe auch
sie am Ende ihrer Metamorphosen angelangt sind. Einzig das
Os lentieulare ist noch nicht vorhanden, der Steigbügel steht
in direkter Berührung mit dem langen Fortsatz des Ambos. —
Im gegenwärtigen Entwickelungsstadium ist der Steigbügel noch
nichts als ein derber, gleichmässig gerundeter Knorpelring,
dessen medialer Teil höher steht als der laterale, sodass er an
der Stelle, wo er sich an den Ambos anlegt, einen Winkel von
45° mit der Horizontalebene bildet. Von einem Unterschied
in der Krümmung der Schenkel und von einer Fussplatte ist
nichts zu bemerken. — Die Arteria stapedialis ist sehr klein
und wahrscheinlich schon im Stadium der Involution befindlich.“
— Der Reichertsche Knorpel steht zwar im Kontakt mit der
Labyrinthkapsel, ist aber nicht mit derselben verschmolzen.
„Er hebt sich von ihr im Gegenteil durch seine weit grössere
Zellenmenge auf gleichem Raume, und damit durch seine viel
intensivere Färbung sehr deutlich ab. — Hinter dem Reichert-
schen Knorpel, zwischen ihm und der Gehörblase, sieht man
den Durchschnitt des Facialis, der Hyoidbogenknorpel dient
also hier dazu, einen Teil der Wand des Fallopischen Kanals
zu bilden.“ — Vom oberen Ende des Reichertschen Knorpels
„ziehen einige dunklere Zellenstreifen um den Facialis herum
zum Steigbügel hinüber. Die Lehre, nach welcher der Steig-
bügel aus dem Knorpel des zweiten Kiemenbogens hervorgeht,
lässt sich mit dieser Erscheinung wohl in Einklang bringen.“
— Dafür spricht auch der Umstand, dass „in der knorpeligen
Struktur des Hammers, des Ambosses und des Meckelschen
Knorpels einerseits, des Steigbügels und des Reichertschen
Knorpels andererseits ein bemerkenswerter Unterschied insofern
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVII. Heft (11. Bd. H. 2.) 36
542 IVAR BROMAN,
existiert, als die beiden letzteren Organe auf gleichen Raum
eine viel reichere Entwickelung der zum Aufbau dienenden
Zellen zeigen, als erstere; gewiss doppelt so zahlreich.“
Über die Frage, ob die Lamina stapedialis ihren Ursprung
der Labyrinthkapsel zufdanken hat oder nicht, spricht sich
Baumgarten folgendermassen aus: „Die Wand der Gehörblase
scheint mir an der Stelle, wo der Steigbügel sie berührt, die
Eigenschaft eines Knorpels nicht mehr zu haben, vielmehr finde
ich, dass an dieser Stelle nur noch eine dünne Membran übrig
ist, die die Meinung nicht rechtfertigt, dass aus ihr eine knor-
pelige Platte, an Dicke den Schenkeln des Steigbügels gleich,
hervorgehen könne.“
Siebenmanns (54) Material bestand aus 4 menschlichen
Embryonen aus der 4.—6. Embryonalwoche.
Bei dem jüngsten dieser Embryonen („7 mm lang, am
Ende der vierten Woche stehend‘‘) hatten Hammer und Amboss,
„sich noch in keinerlei Weise differenziert.“ Das Blastem der
beiden ersten Bogen, kernreicher und stärker gefärbt als das
der übrigen Bogen, umgiebt „röhrenförmig die betreffenden
Nerven — den Trigeminus und Facialis.“ — „Der kürzere und
dünnwandigere Blastemmantel des Trigeminus liegt demjenigen
des Facialis, welcher länger und dichter ist, breit auf. Beide
gehen ohne deutliche Grenze ineinander über, soweit als nicht
eine solche gebildet wird durch den epithelial verklebten Teil
der Kiemenspalte. Hinter dem dorsalen Ende der letzteren
strahlt die laterale Partie dieser vereinigten Blastemschicht
direkt unter dem Ektoderm gegen die Seitenfläche des Rauten-
hirnes aus, sich auf dieser Strecke teilweise vereinigend mit
der Blastemzone, welche die laterale Wand des Labyrinthbläs-
chens umgiebt; die mediale Partie sehen wir zwischen die
Epithelschicht der hinteren Wand der ersten Schlundtasche und
das Labyrinthbläschen sich hineinschieben als ein kurzer Lappen
dessen Ursprungsstelle in der Hauptsache dem Facialisgebiet
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 543
angehört und in dessen Mitte sich später der vorknorpelige
Stapes differenziert. — Wichtig für die Frage der Provenienz
des Stapes ist die Thatsache, dass in diesem jüngsten Stadium
der stapediale Blastemlappen gegen das Labyrinth deutlich
abgegrenzt ist durch eine helle mesodermale Zone.“
Siebenmanns 2. Stadium (Embryo 10,5 mm NL.) „zeigt
ähnliche Verhältnisse, wie die oben geschilderten.“ — Nur die
Veränderung ist eingetreten, dass der stapediale Blastemlappen
jetzt von der Arteria stapedialis durchbohrt ist und sich der
Labyrinthwand genähert hat.
Stadium 3. (Embryo 15 mm und 15! mm NL.) zeigt
dagegen bedeutende Fortschritte. „Zum erstenmal tritt hier
Vorknorpel auf.“ Sämtliche Gehörknöchelchen sind angelegt
und bestehen aus Vorknorpel. „Ihre Form hat schon jetzt
erosse Ähnlichkeit mit derjenigen, welche sie im extrauterinen
Leben besitzen. Sie bilden, gleichwie nach der definitiv vollen-
deten Entwickelung, eine kontinuierliche Kette. Dieselbe findet
sich, in vertikaler Richtung betrachtet, zwischen den dorsalen
Enden des Meckelschen und Reichertschen Vorknorpels
ausgespannt, geht in letztere kontinuierlich übor und unter-
scheidet sich von ihnen histologisch — namentlich was Hammer
und Amboss anbelangt — bloss durch einen ge:ingeren Reile
zustand. Die Verbindung zwischen Stapes url Reichert:
schem Vorknorpel wird vermittelt durch eine vorknorpelige, sich
schwächer färbende, dem Facialis anliegende Platte (vorknor-
peliger Facialismantel). Auch zwischen Hammer und Meckel-
schem Knorpel findet sich ein ähnliches, weniger tingibles Ver-
bindungsstück. — Der Stapes liegt der Labyrinthkapsel fest
an, differenziert sich aber deutlich von ihr.“
Siebenmann spricht als seine bestimmte Meinung aus,
„dass die dem Labyrinth zugewandte Fläche des Annulus stape-
dialis der späteren Stapesplatte entspricht und dass also der
menschliche Stapes nicht (im Sinne von Gradenigo) doppelten
36*
>44 IVAR BROMAN,
Ursprungs ist. — Die von der „Stapesplatte“ berührte Partie
der vorknorpeligen Labyrinthkapsel geht direkt (ohne „knorpe-
liges Zwischenstadium‘“) in Bindegewebe über.‘ (So ist auch
die Auffassung Baumgartens und Dreyfuss hat sich münd-
lich derselben angeschlossen) — „Nach der Sachlage“, sagt
Siebenmann schliesslich, ‚‚wie sie aus meinen nun beschrie-
benen Präparaten sich herausstellt, ist es — sowohl was den
blastemartigen als was den vorknorpeligen Zustand der mensch-
lichen Gehörknöchelchenkette anbelangt — vernünftigerweise
kaum erlaubt darüber ernstlich zu streiten, welchem der beiden
ersten Kiemenbogenvorknorpel dieses oder jenes der drei Gehör-
knöchelchen angehöre. Denn alle diese Elemente — Reichert-
scher und Meckelscher Vorknorpel, Hammer, Amboss und
Steigbügel — treten ziemlich gleichzeitig auf, als geson-
derte Skelettstücke aber aneinander gereiht zu einer kon-
tinuierlichen, hufeisenförmigen Kette, deren beide lange End-
glieder allerdings im ersten und zweiten Kiemenbogen stecken,
aber deren Mittelglieder wohl mit mehr Recht selbst-
ständig erklärt als dem einen oder anderen End-
glied zugeteilt werden können.“
Diese Meinung präzisiert er noch schärfer in einer späteren
Publikation (55). „Meine eigenen Untersuchungen“, sagt er,
„drängen zu dem Schlusse, dass die menschlichen Gehör-
knöchelchen nicht dem einen oder anderen Kiemenbogen
angehören, sondern dass sie, gleich wie das Labyrinth,
als besondere Teile des vorknorpeligen Schädel-
skelettes anzusehen sind.“ — Besonders zu bemerken
ist, dass Siebenmann den Proc. anterior (Folii) mallei als von
der oberen Hälfte des Meckelschen Knorpels gebildet annimmt;
diese sollte folglich persistieren und verknöchert werden.
Zondek (64) konnte an Kaninchenembryonen von 1,2 und
1,5 cm Sch.-St.-L. und an einem Kuhembryo von 2,4 em Sch.-
St.-L. einen deutlichen, direkten Zusammenhang zwischen dem-
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 545
Hyoidbogen und der Stapesanlage konstatieren. Ausserdem
untersuchte er zwei menschliche Embryonen von resp.
35 und 7 cm Sch.-St.-L. Die Beschreibung letzterer will ich
als für die hier vorliegende Untersuchung von grösserem Inter-
esse etwas genauer referieren.
1. „Menschlicher Embryo von 3!/e2 cm Sch.-St.-L. Laby-
rinthkapsel und Gehörknöchelchen bestehen aus reifem, embryo-
nalem Knorpel!). Derjenige Teil der lateralen Labyrinthwand,
der dem späteren Foramen ovale einerseits und dem Foramen
rotundum andererseits entspricht, ist in Bildungsmasse angelegt.
Der Meckelsche Knorpel geht kontinuierlich in den Hammer-
kopf über; auch histologisch ist keine deutliche Grenze zu
erkennen. Der Hyoidbogen ist knorpelig angelegt und ist durch
indifferentes Gewebe von dem Stapes-Ring geschieden. — Der
Handgriff des Hammers ist fast ebenso dick wie der Kopf.
Der Proc. folianus ist noch nicht gebildet. — Hammer und
Amboss sind von einander deutlich getrennt. Eine dichte Rund-
zellen-Schicht, die Zwischenscheibe, scheidet den oberen Teil
des Hammer-Kopfes von dem vorderen lateralen Gelenkfortsatz
des Amboss, während an der unteren Hälfte des Gelenkes eine
trennende Schicht mehrerer longitudinaler Zellenreihen vor-
handen ist. — Der stark entwickelte lange Fortsatz des Am-
bosses strebt parallel dem Manubrium der Labyrinthwand zu.“
2. „Menschlicher Embryo von 7 cm Sch.-St.-L. Mikrosko-
pisch ist jetzt eine deutliche Grenze zwischen dem Meckel-
schen Knorpel und Hammerkopf zu erkennen. — Am schlank
geformten Hammer kann man Kopf, Hals und Handgriff deut-
lich von einander unterscheiden. Der Proc. brevis ist schwach
entwickelt; nach vorn und abwärts erstreckt sich der Proc.
1) Zondek unterscheidet folgende Entwickelungsstadien:
1. Bildungsmasse (= Dreyfuss’ Blastem).
2. Vorknorpel oder unreifer Knorpel.
3. Reifer, embryonaler Knorpel oder Jungknorpel.
546 IVAR BROMAN,
folianus, der als Belegknochen angelegt noch nicht mit dem
Hammer verschmolzen ist.“ — Die Zwischenscheibe zwischen
Hammer und Amboss ist jetzt verschwunden; ein einfaches
Gelenk ist an dessen Stelle getreten. „Der Amboss hat ungefähr
die Form eines zweiwurzeligen Molarzahnes, dessen Wurzeln
ziemlich senkrecht zu einander divergieren. Die mediale Wurzel,
der Proc. longus grenzt unmittelbar an den Steigbügel. Das
Os lentieulare ist noch nicht gebildet.“ — Der vordere Schenkel
des Steigbügels ist nur wenig gekrümmt; der hintere Schenkel
beschreibt dagegen einen grossen Bogen. „Die Fussenden der
beiden Schenkel verbindet ein Knorpelstab, die Lamina stape-
dialis, die in ungefähr sagittaler Ebene der Labyrinthwand
anliegt.‘
Die Möglichkeit einer ‘doppelten Stapesanlage betreffend,
spricht sich Zondek folgendermassen aus: „Der labyrinthäre
Ursprung der Lamina stapedialis ist bisher nicht erwiesen. Der
aus Bildungsmasse bestehende Ring liegt mit einem Segment
in der Labyrinthwand. Dieses Segment wird zum Knorpel,
während der dahinter liegende Teil, der dem For. ovale ent-
spricht, wie der Abschnitt der Labyrinthkapsel, aus dem sich
das For. rotundum entwickelt, die Struktur von Bildungsmasse
zeigt. Weiterhin entwickelt sich das hinter der Lamina stape-
dialis gelegene Gewebe bis zum Vorknorpel, um sich dann in
Bindegewebe umzuwandeln.
Jacoby (31) rekonstruierte nach Borns Methode das Pri-
mordialkranium eines 3 mm langen menschlichen Embryos,
desselben den Baumgarten vorher untersuchte (s. S. 540).
Aus Jacobys Abhandlung entnehmen wir folgendes, das
von grösserem Interesse ist: Auf einigen schematischen Schnitt-
zeichnungen zeigt er genauer den „Bindegewebsstreifen, der
vom unteren Teile des Stapesringes zum Reichertschen Knorpel
zieht.“ Auf denselben Zeichnungen sieht man die primäre
Stapesplatte zu „einer dünnen bindegewebigen Schicht‘ reduziert.
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 547
Auf der Abbildung des Primordialeraniums (von der Seite
gesehen) sieht man den Deckknochen des Unterkiefers sich —
lateral und etwas hinterhalb des Meckelschen Knorpels —
aufwärts in eine Knochenlamelle fortsetzen, „die immer dünner
wird, um in der Gegend der Gehörknöchelchen wieder dicker
zu werden.‘ — „Mit Recht‘, sagt Jacoby, „vermutet Baum-
garten hier wohl die Anlage des Proc. folianus.“ — Die Stel-
lung Jacobys in der Stapes-Streitfrage ergiebt sich aus folgen-
dem: „Während die Beteiligung des Reichertschen Knorpels
vielleicht gesichert sein dürfte, so ist bei der Labyrinthwand,
die Sachlage verwickelter. Denn Gradenigos Befunde lassen
noch den Einwand zu, dass die Stapesplatte erst sekundär in
die Labyrinthwand eingelassen worden ist und auch der Baum-
gartensche Embryo, den ich nachgeprüft habe, zeigt, wie ich
glaube, dieses Verhältnis. Die Entscheidung über die Ab-
stammung des Stapes von der Labyrinthwand muss nach dem
Stadium jüngerer Stadien getroffen werden. Und hier steht
von Noordens positiver Befund, der sicherlich von grossem
Interesse ist, bisher wenigstens zu vereinzelt da und sind die
betreffenden Angaben nicht bestimmt genug, um überzeugen zu
können. Es bleibt also die Frage noch offen, da sowohl die
vergleichende Anatomie als auch die Entwickelungsgeschichte
noch nicht das letzte Wort gesprochen haben.“
Broca et Lenoir (6) fanden bei einem 3 Monate alten
Knaben, dessen rechtes Ohr normal war, das linke, äussere
Ohr nur durch ein Paar kleine Höcker repräsentiert. Der
äussere Gehörgang fehlte an dieser Seite. Im Bereich des Mittel-
ohrs fanden sie zwei Knöchelchen , von denen das untere mit
den persistierenden Meckelschen und Reichertschen Knorpeln
in Zusammenhang stand. Dieses Knöchelchen deuten die Ver-
fasser als Hammer, dessen „apophyse de Raw“, (Proc. Folii)
vom Meckelschen und dessen Manubrium vom Reichert-
schen Knorpel gebildet wurde. Nachdem sie, die Entwickelung
548
IVAR BROMAN,
der Gehörknöchelehen betreffend, Balfour und Salensky
eitiert, sprechen sie sich schliesslich folgendermassen aus: „I
nous semble resulter de nos constations et de l’interpretation
des auteurs nommes qu'il ne serait pas impossible de considerer
le marteau et l’enclume comme formes &a la fois par les deux
premiers arcs branchiaux, le manche du marteau representant
la partie posterieure du deuxieme are.“
Über die jetzt allgemein herrschende Auffassung des Ur-
sprunges der Gehörknöchelchen, so wie diese in den Lehr-
büchern des letzten Jahrzehntes hervortritt, ergiebt sich aus
meiner tabellarischen Übersicht folgendes: — Malleus und Incus
stammen vom ersten Visceralbogen. — Über den Ursprung des
Stapes sind dagegen die Meinungen sehr divergierend. Minot (37)
und Wiedersheim (63) meinen, dass der Steigbügel allein von
der Labyrinthkapsel herrührt; Hertwig (22, 23), Schenk (50)
und Schultze (51) sind geneigt, einen doppelten Ursprung
anzunehmen (Annulus selbständig oder vom Hyoidbogen, Lamina
von der Labyrinthkapsel); einige (Bonnet (5), Schäfer (48),
Graf Spee (56) sprechen sich weder für die eine noch für die
andere Auffassung aus. — Nur darin herrscht eine gewisse
Einigkeit, dass niemand willig scheint, die Richtigkeit der alten
Reichertschen Theorie zuzugeben, nach der der Steigbügel
seinen Ursprung nur vom zweiten Visceralbogen abstammt.
Kollmann (32), dessen Lehrbuch erst erschien, nachdem
obiges schon geschrieben war, ist doch einer solchen Annahme
geneigt. Die Gründe, die hierbei für ihn bestimmend zu sein
scheinen, sind: 1. dass der M. stapedius vom Facialis innerviert
wird; — 2. dass „Defekte am Hammer und Ambos, welche oft
mit einer Verkleinerung des Unterkiefers zusammentreffen, den
Steigbügel unberührt lassen“, während „umgekehrt Anomalien
an dem Stapes vorkommen“, wenn gleichzeitig ‚die beiden
übrigen Gehörknöchelchen normal sind.“ — Dass er jedoch,
den Stapesursprung betreffend, nicht ganz sicher ist, ist aus
Anatomn. Hefte. Idbfheilung H37 (IL Bd. 24)
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Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 549
folgendem ersichtlich: „Es lässt sich bei dem Menschen und
auch bei den Säugetieren nicht mit voller Sicherheit entscheiden,
ob der Steigbügel lediglich ein Produkt des Reichertschen
Knorpels ist. Das Blastem, aus dem die Kette der Ossicula
auditus entsteht, bildet schon in der sechsten Woche eine ge-
bogene Spange aus Vorknorpel, sodass es zweifelhaft bleibt, ob
die Grundlage des Steigbügels von dem Hyoid- oder von dem
Mandibularbogen herrührt‘“ (L. e. S. 611). — Kollmann be.
schreibt den Processus longus (Folii) mallei als einen per-
sistierenden Teil des Meckelschen Knorpels selbst und bildet
ihn so ab. Nach ihm sollte sich also der betreffende Fortsatz
nicht als Belegknochen entwickeln.
Auch der Aufsatz Hegetschweilers (21): „Die embryo-
logische Entwickelung des Steigbügels“, ist nach Abschluss
meiner Untersuchungen erschienen.
Als Material dienten ihm sieben Katzenembryonen (von 13,
14, 18, 24, 27, 29 und 383mm Sch.-St.-L.) und zwei mensch-
liche Embryonen (7—8 und 12 Wochen alt).
Folgende Beobachtungen sind besonders von Interesse.
Katzenembryo von 13 mm Sch.-St.-L.
„Das proximale Ende des Hyoidbogens tritt in die unmittel-
bare Nähe des Labyrinthbläschens, ist jedoch von der Wand
derselben durch einen deutlichen Trennungsraum geschieden. —
Das Ende des Hyoidbogens umfasst ringförmig ein kleines
Gefäss, die Arteria stapedialis. — Beide Bogen (Mandibular- und
Hyoidbogen) verbindet als sogenannte Verschlussplatte eine breite
Brücke von dunkler gefärbtem Mesenchymgewebe.“
Katzenembryo von 14 mm Sch.-St.-L.
„Der Hyoidbogen legt sich zunächst an die mediale Seite
des Nervus facialis an, wendet sich dann aber kaudalwärts,
sodass er eine Strecke weit ein Teilstück der Hinterwand des
vorknorpeligen Facialismantels bildet. — Jenes Teilstück der
550 IVAR BROMAN,
Hinterwand des vorknorpeligen Facialismantels bildet eine Brücke,
durch welche der Hyoidbogen ununterbrochen in die Steigbügel-
anlage übergeht.‘
Katzenembryo von 18 mm Sch.-St.-L.
„Das Verbindungsstück zwischen eigentlichem Hyoidbogen
(Reichertschem Knorpel) und Annulus stapedialis (Anlage des
Steigbügels) bleibt auf der Stufe des Vorknorpels!) stehen.‘
Katzenembryo von 24 mm Sch.-St.-L.
„Der Stapes zeigt auf dieser Entwickelungsstufe bei Katzen-
embryonen die Form eines ovalen Knorpelringes, dessen Längen-
durchmesser ventro-dorsal und latero-medial verläuft und dessen
beide Pole konzentrische Schichtung der Zellen (sogenannte
Knorpelkerne) zeigen. — Ein Gefässlumen (Arteria stapedialis)
ist in diesem Knorpelring nicht mehr nachweisbar. — Den
lateralen Bogen des Stapesovals berührt ungefähr in der Mitte
der absteigende Ambosschenkel (Processus long. incud.), an
dessen proximalem Ende sich bereits die vorknorpelige Anlage
des Ossiculum lenticulare Sylvii durch die rundliche, kleinere
Gestalt und intensivere Färbung ihrer Zellen diffenziert. Die
Fenestra rotunda entsteht wie die Fenestra ovalis durch das
Ausbleiben der Knorpelbildung an der betreffenden Stelle der
häutigen Anlage.“
Katzenembryo von 29 mm Sch.-St.-L.
„Das Verbindungsstück des Hyoidbogens mit der Stapes-
anlage ist verschwunden. Dagegen tritt seine laterale Fläche
in Berührung und schliessliche Verwachsung mit einem Fortsatz
der Labyrinthkapsel, dem Processus perioticus von Gradenigo.
Die ovale Form der Stapesanlage geht in der Weise in die
endgültige Bügelform über, dass der mediale Bogen, indem er
ı!) Hegetschweiler benutzt dieselben Bezeichnungen für die histo-
logischen Entwickelungsstufen wie Gradenigo (Siehe S. 524).
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 551
mit der Membrana fenestrae ovalis verwächst, zur Fussplatte,
der laterale dagegen, sich hufeisenförmig umbiegend, zum Bügel,
d. h. Schenkel plus Köpfchen, umgestaltet wird.“
Katzenembryo von 33 mm Sch.-St.-L.
„Die Bilder, welche die Schnittserie dieses Embryos auf
weist, differieren bloss hinsichtlich ihrer Grösse von denjenigen
des letzten Fötus; es scheinen somit wenigstens die Mittelohr-
gebilde beim Katzenembryo von 29 mm Sch.-St.-L. bereits ihre
endgültige Gestalt erreicht zu haben. — Die Mesenchymschicht
aus der sich die Membrana fenestrae ovalis entwickelt, hat an
Mächtigkeit eingebüsst (Diekendurchmesser: 20 Mikra; Dicken-
durchmesser der Membrana fen. ov. beim Embryo von 29 mm
Sch.-St.-L.: 32 Mikra, und beim Embryo von 24 mm: 60 Mikra),
ist aber dichter geworden. Das Ligamentum annulare ist bereits
als deutliche, stark gefärbte Zellenlage zwischen Fensterwand
und Stapesplatte angelegt; dasselbe ist medial mit der Membrana
fenestrae ovalis verbunden und ist, wie diese, eine Bildung der
vorknorpeligen Labyrinthwand.‘
Die beiden menschlichen Embryonen waren „nicht
ganz tadellos erhalten“, werden aber doch zum Vergleich
mit den entsprechenden Entwickelungsstadien bei der Katze
beschrieben.
Menschlicher Embryo von 13 mm Sch.-St.-L., — „einem Alter
von etwa 7—8 Wochen entsprechend“ —. „Der Mandibular-
bogenknorpel, dessen medialer Rand wellenförmig gezähnt er-
scheint, ist auf einigen Schnitten noch im Zusammenhang mit
der Hammer-Ambossanlage getroffen und zeigt, wie letztere bereits
Knorpelgewebe. — Der Steigbügel erscheint als rundlicher Zellen-
haufen mit vorknorpeligem Bau zwischen Labyrinthwand (von
der er deutlich abgegrenzt ist) und Nervus facialis. Dasselbe
stellt das proximale Ende des Hyoidbogens dar.“
552 IVAR BROMAN,
Menschlicher Embryo, etwa 12 Wochen alt.
„Der Steigbügel steht ungefähr auf der gleichen Stufe der
Entwickelung, wie beim Katzenembryo von 24 mm Sch.-St.-L.
Er zeigt auch, wie jener, die Gestalt eines liegenden Ovals, an
dessen lateralem Bogen der lange Ambosschenkel heranreicht,
während der mediale, mehr plattgedrückte Teil, der später zur
Fussplatte wird, mit der Membrana fenestrae ovalis (Dicken-
durchmesser dieser Membran: 20 Mikra) verwachsen ist; immerhin
ist letztere besonders bei schwacher Vergrösserung als stark
gefärbter Saum, der ununterbrochen auf die Vorhofsinnenfläche
übergeht, von der Stapesplatte (Diekendurchmesser: 80 Mikra)
zu unterscheiden. Wie bei dem erwähnten Katzenembryo ver-
einigen sich beide Bogen zu einem Oval, an beiden Vereini-
sungsstellen — Polen — nehmen die Zellen eine kreisförmige
Lagerung an, es bilden sich sogenannte Knorpelkerne. — Die
Membrana fenestrae ovalis zeigt vorknorpeligen Bau.“
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 553
Eigene Untersuchungen.')
Material und Untersuchungsmethode.
Das Material, das mir zur Verfügung gestanden, war eine
Serie von 30 menschlichen Embryonen von 8,3 mm N.-St.-L.
bis zur vollen Reife (50 cm Totallänge). Die resp. Länge der
verschiedenen Embryonen sind in folgender Tabelle angegeben:
Embryo | N.-St-L. | Sch-St-L. | Total-Länge | Embryo-Nr. | Total-Länge
IE 8,3 mm XV. 135 mm
Tex TIy- _ xvui | 190 „
TER IE iin xvm. | 195 )
IV. mE... X. | 205 ,
ae 1 a
Ser BA0E mund xXLul 219,
vir | 55 mm xx. | 220 }
van. öigges, 90 mm XXI. 205°,
IE. 180 , xxıv. | 20 )
X. 210. xxvV. | 30 ,
xI. 240. xxVvı. | 260 }
XIT. 200. xXVII | 290
xl. |: 250437 xxVI. | 290 )
XIV. 260. XXIX. | 320 .
XV. 280. xxx. | 500 .
1) Vorläufige Mitteilungen über diese Untersuchungen habe ich zweimal
in Form von Vorträgen im biologischen Verein in Stockholm (3. Dez. 1897)
und bei der 12. Versamml. der anatom. Gesellschaft in Kiel (20. April 1838)
gegeben (68).
554 IVAR BROMAN,
Alle Messungen sind, wenn sich die Embryonen in Spiritus
(meistens 80°/o), befanden, d. h. nach der Härtung ausgeführt.
[Diese Angabe sehe ich als besonders wichtig an, wenigstens
wenn es jungen Embryonen gilt. Bekanntlich schrumpfen sie
nämlich bedeutend während der Härtung — mehr oder weniger
je nach der verschiedenen Härtungsflüssigkeit; aber auch
während der Einbettung in Paraffin schrumpfen sie
so beträchtlich, dass man dem Rekonstruktor einen grossen
Fehler vorwerfen muss, wenn er dieses nicht in Betracht nimmt.
Aus den Messungen, die ich ausgeführt, ergiebt es sich, dass
kleine Embryonen während der Einbettungsprozedur 8—20%o;
oder durchschnittlich ungefähr 10°/o schrumpfen!). Beispiels-
weise schrumpfte dabei Embryo I 8,24°/,, Embryo II 8,55°o,
Embryo IV (20,6 mm N.-St.-L.) schrumpfte während der Ein-
bettung im ganzen 3,4mm; davon kam auf den Kopf 1,1 mm
11,6 °/0), auf den Rumpf 2,3 mm (20,72%/o); von zwei 7,5 mm
langen Schweinsembryonen, von derselben Tracht und zusammen-
gehärtet, schrumpfte der eine, der mit Xylol behandelt wurde,
12,2°/o, während der andere, mit Chloroform behandelte, nur
um 10°/o einschrumpfte. — Ich bin überzeugt, dass sich die in
der Litteratur befindlichen, verschiedenen Angaben über die
Grösse von Embryonen auf derselben Entwickelungsstufe nicht
nur aus individueller Grössendifferenz dieser, sondern auch
durch den Umstand erklären lassen, dass von den Verfassern,
die sie beschrieben, einige die Messungen an Objekten im
frischen Zustande, andere erst nach deren Härtung gemacht,
d. h. erst wenn der Embryo eingeschrumpft, während noch
andere die Masse mit Leitung der Schnittanzahl angegeben,
also nachdem der Embryo durch die Einbettung nochmal be-
deutend an Grösse verloren. — In diesem Zusammenhang will
ich erwähnen, dass das Mass (2,89 mm) des Embryo Lf (7), den
!) Wieich beim Anatomenkongress in Kiel erfuhr, ist dieselbe Beobachtung
von H. Virchow gemacht.
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 555
ich vor einigen Jahren beschrieb, nach der Schnittzahl ange-
geben wurde. Er war nämlich mikrotomiert, als ich ihn zur
Bearbeitung erhielt. Seine Länge im Härtungsmittel mag 3,15 mm
betragen haben.
[Am besten ist wohl, die Masse nach der Härtung als Norm
zu nehmen (die Härtungsflüssigkeit ist anzugeben!). Die meisten
menschlichen Embryonen kommen ja erst nachdem sie gehärtet
sind in die Hände ihrer Beschreiber, und die meisten in der
Litteratur befindlichen Massangaben von menschlichen Embryonen
beziehen sich wahrscheinlich auf schon gehärtete Objekte. |
Von den Embryonen I—XI wurden die Köpfe nach Häma-
toxylin-Eosin-Färbung und Paraffin-Einbettung (mit Xylol)
in Frontalschnittserien zerlegt (Embryo VI war doch schon
vorher im Querschnitte mikrotomiert); die Köpfe der Em-
bryonen VII—XI hatte ich mit schwachen Lösungen von Chrom-
säure oder Chromosmiumsäure entkalkt. — Weniger gut kon-
serviert waren nur die Embryonen V und VI; doch waren auch
hier die Grenzen der Gehörknöchelchen sehr deutlich. — Die
Dicke der Schnitte ist in den Serien I, II, IV, V, VIII und IX
20 u, in der Serie VI 15 «, in den Serien X und XI 30 « und
in den Serien III und VII 40 u. Jeder fünfte oder zehnte Schnitt
wurde in der Regel (wenn die Dicke der Schnitte weniger als
30 u war), um bei der Rekonstruktion als Norm zu dienen,
doppelt so dick gemacht als die übrigen.
Die Stadien II-IX habe ich alle rekonstruiert. Von den
jüngeren Embryonen sind Konturzeichnungen (5—10mal ver-
grössert) mit Hülfe des Embryographen angeferügt und zwar
sowohl vor der Einbettungsprozedur wie auch unmittelbar, ehe
das Präparat im Paraffinblock eingeschlossen wurde. Um dieses
möglich zu machen, habe ich einen kleinen Apparat (Fig. 1B)
konstruiert, der sich bequem auf dem Objekttisch des Hisschen
Embryographen befestigen lässt und wo man durch ceirkulierendes,
kochendes Wasser das Paraffin in einem — in der Vertiefung
556 IVAR BROMAN,
placierten — Uhrglase geschmolzen hält. Hier lässt sich die
Kontur des Embryos beim durchfallenden Licht leicht abzeichnen.
Der kleine Hahn a ermöglicht eine Regulierung der Temperatur
in dem Napf B. — Von den älteren Embryonen (VII—-XI) —,
von denen nur die linke Hälfte des Kopfes geschnitten wurde —
sind Konturzeiehnungen in natürlicher Grösse vor der Einbettung
Fig. 1.
In der Abteilung A wird das Wasser gekocht. Die Abteilung B wird auf den Objekttisch
befestigt. Das Uhrgläschen passt genau in der Vertiefung der letzteren.
gemacht; und die spätere Schrumpfung ist nur durch makro-
skopische Messung berechnet. — Um genau festzustellen, in
welcher Richtung die Schnitte gefallen, habe ich mich folgender
einfachen Methode bedient: Die Objekte werden am Mikrotom,
die kleineren mit Hülfe eines Orthostates, so festgesetzt, dass zwei
auf der Zeichnung deutlich markierte Ausbuchtungen (s. Fig. 2a
und b) ungefähr gleichzeitig vom Messer getroffen werden müssen.
Werden sie wirklich beide zur gleichen Zeit getroffen, so giebt
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 557
natürlich eine Linie, die beide tangiert (Fig. 2c), die Schnitt-
richtung an. Fallen dagegen z. B. zehn Schnitte durch die eine
Ausbuchtung, bevor die andere vom Messer getroffen wird, so
berechnet man die Strecke, die auf der Konturzeichnung diesen
entspricht, misst vom höchsten Punkt der Ausbuchtung so viel
ab, und zieht von dem so erhaltenen Punkt (e) eine Tangente (d)
zu der zuletzt vom Messer getroffenen Ausbuchtung. Letztere
Linie bezeichnet sodann die Schnittrichtung.
c
Fig. 2.
Bei der Rekonstruktion haben die zuletzt, d.h. die von den
in geschmolzenem Paraffın gelegenen Embryonen gemachten
Konturzeichnungen als Norm für das richtige Placieren der Platten
gedient!). Einer Richtebene habe ich mir bei diesen Rekon-
struktionen nicht bedient. Der Nutzen, den man, wenn die
Schnitte nur 20 « dick gemacht werden, von einer solchen
haben könnte, wird ziemlich illusorisch, da die Schnitte in der
Richtung, in welcher das Messer schneidet, zusammengedrückt
werden, und zwar mehr oder weniger je nach der Temperatur im
ı) Dass diese Konturzeichnungen wirklich vollkommen korrekt sind —
dass das Embryo nicht bei dem Erstarren des Paraffins noch weiter schrumpft —
ist daraus ersichtlich, dass man, wenn die Schnittrichtung berechnet ist, voraus
fast auf den Schnitt berechnen kann, wie viel Schnitte die betreffende Serie
enthalten wird.
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVII. Heft (11. Ed. H. #.) 37
558 IVAR BROMAN,
Zimmer und der Schnittdicke, Faktoren, die ja fast immer etwas
wechseln, während man eine Serie schneidet. Hierdurch wird auch
die Richtebene auf einigen Schnitten mehr, auf anderen weniger
verschoben. Wenigstens eben so sicher kann man deshalb die
Platten nach (von verschiedenen Seiten aufgenommenen) Kontur-
zeichnungen placieren, die man vor der Rekonstruktion zu der
betreffenden Grösse überführt.
Meine Absicht mit der erwähnten Massregel, in den Serien,
die wegen der histologischen Untersuchung in einer Dicke von
nur 20 u geschnitten wurden, dann und wann Schnitte von der
doppelten Dicke zu machen, war, gerade bei der Rekonstruktion
den Fehler berichtigen zu können, der sonst durch die Zu-
sammendrückung entstehen würde. Diese dickeren Schnitte
wurden nämlich davon nicht beeinflusst.
Statt der von Born empfohlenen Wachsplatten habe ich
Kartonplatten benutzt, die mit Gummi arabicum zusammen-
geklebt wurden. Hierdurch gewinnt man den Vorteil, dass
auch die meist subtilen Sachen (wie die Chorda tympani, An-
nulus tympanicus) bei einer ziemlich geringen Vergrösserung
rekonstruiert werden können. — Um am Modell die das Total-
bild störende Streifung zwischen den Platten zu entfernen, fülle
ich die Zwischenräume zwischen den, meist hervorspringenden
mit Cera alba und pinsele das Ganze mit geschmolzenem,
dunkelbraunem Wachs in einer so dünnen Schicht über, dass
das Modell nur schwach gelblich wird. — Es findet sich
ein prinzipieller, wichtiger Unterschied zwischen
diesem Verfahren und dem Bornschen (66). Wenn
man nach der Bornschen Methode mit einem warmen Eisen
das Rekonstruktionsmodell ebnet, nimmt man nämlich das
Material zur Füllung der Vertiefungen von den Kanten der
meist hervorspringenden Scheiben. Bei meiner Modifikation
der genannten Methode bleiben dagegen die meist hervortreten-
den Platten ganz unversehrt und demnach bestimmend für die
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 559
äussere Kontur des ganzen Modells. Wie aus dem vorhin
erwähnten ersichtlich sein dürfte, sind aber nur die dicksten
Schnitte — denen ja die meist vorspringenden Platten ent-
sprechen — vollkommen korrekt, und der Vorteil einer solchen
Veränderung der Bornschen Methode ist deshalb einleuchtend.
— Ein Vorteil ist auch, dass man nicht kleine Unebenheiten
oder Auswüchse wegputzen kann, die vielleicht anfangs un-
wesentlich erscheinen, sich aber bei einem genaueren Studium
doch von Bedeutung erweisen können.
An den Embryonen XII—XV wurden die Gehörknöchel-
chen herauspräpariert und, nach Entkalkung mit Chromosmium-
säure, mikrotomiert.
Von den Embryonen XVI—XXVII wurden die Köpfe
einige Tage in 3%/0o Kalilauge maceriert, worauf die Gehörknöchel-
chen herauspräpariert wurden. Sobald die Grenzen zwischen
Knorpel und Knochen deutlich hervortraten, wurden die Gehör-
knöchelchen in Glycerin gelegt nach Schultzes (67) Methode).
Sie bilden ein gutes und sicheres Material zum Beurteilen der
Fortschritte der Verknöcherung.
Bei den übrigen (Embr. XXVIHI—XXX) sind die Gehör-
knöchelchen nach gewöhnlicher Maceration herauspräpariert.
Die vorliegende Untersuchung, die ich im Herbst 1897 nach
Anregung des Herrn Prof. Erik Müller im Histologischen
Institut zu Stockholm begann, habe ich kürzlich am Histologi-
schen Institut zu Lund vollendet. Für mein gutes und reich-
liches Material habe ich den Direktoren der genannten Institute
zu danken.
Ich gehe jetzt zur Beschreibung der einzelnen Stadien über.
31*
560 IVAR BROMAN,
Beschreibung der Stadien.
Embryo I. 83 mm N.-St.-L.
Da dieses Stadium fast ganz mit dem nächsten überein-
stimmt, habe ich es nicht vollständig rekonstruiert, sondern
weise auf die Rekonstruktionsbilder (Tafel © Figg. 1, 2 und 5)
des zweiten Stadiums hin. — Textfig. 3 zeigt die Schnittrichtung
bei Embr. I.
1 a
Fig. 3.
Embryo I. Skala: !%,. Die Linien 109 und 131 begrenzen das Gebiet, in dem die auf Tafel I
abgebildeten Schnitte (Figg. 1—8) gefallen.
Parallel mit der lateralen Körperwand verläuft die Vena
jugularis primit. (Taf. A Fig. 1 V. j. pr.) von oben nach unten
und begrenzt dorsal das Blastem!) der beiden ersten Visceral-
1!) Ich unterscheide 3 histologische Entwickelungsstadien :
1. Blastem. Die Zellen sind klein, rund oder oval. Die Kerne sind
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 561
bogen. Medial von derselben sieht man das Ganglion acustico-
faciale (G. A.-F.) und das periotische Blastem (Lk.). Unmittelbar
vor der stärksten dorsalen Wölbung der betreffenden Vene fängt
das Blastem des Hyoidbogens (Taf. A Fig. 2 Lh. u. St.) an, durch
eine helle Zone (a) von dem periotischen Blastem (Lk.) getrennt.
Auf demselben Schnitt sieht man die Spitze der ersten inneren
Visceralfurche (I. Vf.), die hier unmittelbar am Ektoderm liegt.
Durch den schräg nach aussen und unten verlaufenden N. facialis
(VII) wird das proximale Ende des Hyoidbogens in eine mediale
und eine laterale Partie gespaltet. Oben biegt sich die Vene
medial um das Ganglion trigemini (G. Trig.), unter dem man
das proximale Endblastem des Mandibularbogens (Mb.) sieht,
Am Schnitt 117 (Taf. A Fig 3) hört das periotische Blastem
auf. Medialwärts von der inneren Visceralfurche (Il. Vf.) ver-
bindet sich hier die mediale Partie des Hyoidbogens sowohl
mit der lateralen Abteilung desselben Bogens wie auch mit
dem Mandibularbogen. So verhält es sich weiter noch bis
Schnitt 120 (Fig. 4), wo die Arteria stapedialis (A. st.) die mediale
Partie des Hyoidbogens, welche also nichts anderes als das
Stapesblastem darstellt, durchbohrt. — Eine konzentrische
Anordnung der Zellen desselben um die Arterie ist nicht wahr-
nehmbar.
Am nächsten Schnitt (121, Taf. A Fig. 5) erstreckt sich
die erste innere Visceralfurche weiter medial und grenzt dadurch
gross und füllen die Zellen zum grössten Teil aus. Sie lassen sich durch
Hämatoxylin stark färben.
2. Vorknorpel. Die Zellkerne zeigen die gleiche Grösse wie bei den
Blastemzellen. Dagegen hat die Protoplasmamenge stark zugenommen, sodass
die Vorknorpelzellen drei- bis viermal grösser sind als die Blastemzellen. Sie
zeigen eine unregelmässige Form und nehmen von Hämatoxylin im allgemeinen
nur eine schwache Färbung an.
3. Jungknorpel (oder Knorpel). Hierhin rechne ich allen embryo-
nalen Knorpel von der Zeit ab, wo Intercellularsubstanz anfängt, deutlich
sichtbar zu werden.
562 IVAR BROMAN,
vollständig das Blastem der beiden Bogen von einander ab.
Die Arteria stapedialis vereint sich hier mit der Arteria hyoidea
Gradenigo (A. h. pr.) zu einem Stamm (Tr. h-st.), der sich
nach kurzem Verlauf medial aufwärts mit der Arteria carotis
int. (A. ce. int.) vereint.
Am Schnitt 123 (Taf. A Fig. 6) sieht man das Stapes-
blastem aufhören, und vom medialen Teil des Hyoidbogens bleibt
auf den zunächst folgenden Schnitten nur noch ein dünner,
stark gefärbter Facialismantel (Jh.) zurück. In den Schnitten 128
und 129 (Fig. 7) nimmt jedoch dieser Mantel so stark an Mäch-
tigkeit zu, dass man wieder mit Recht von einer medialen
Hälfte des Hyoidbogens reden kann. Ober- und vorderhalb des
N. facialis steht dieser Teil in breiter Verbindung mit der late-
ralen Hälfte des Hyoidbogens. Die Grenze zwischen den Hyoid-
und Mandibularbogen wird hier weniger scharf, da die äussere
Furche zwischen ihnen hier von der inneren Furche weiter ent-
fernt ist, und da eine Begrenzung in der Blastemmasse selbst
zwischen ihnen nicht bemerkbar ist. Am Schnitt 131 (Fig. 8)
verläuft die Chorda tympani (Ch. t.) m gerader Linie aufwärts
und medial vom N. facialis, um sich auf dem Gebiet des Man-
dibularbogens an dem medialen Rand des N. trigeminus (V)
anzulegen. Die mediale Partie des Hyoidbogens ist hier etwas
stärker gefärbt und dicker als die laterale. — Im folgenden
Sehnitt zieht quer über die Chorda tympani — ungefähr an
der Grenzfurche der beiden Bogen — eine kleine Arterie, die
bedeutend weiter nach vorn (Schn. 140) von der Carotis aus-
gehend) lateral und aufwärts durch die mediale Partie des
Hyoidbogens verläuft, um, nachdem sie die Chorda tympani
erreicht, dieser auf das Gebiet des Mandibularbogens hinein zu
folgen. Obgleich diese Arterie also nicht von der Carotis „in
der Höhe des gemeinsamen Astes der Arteria stapedialis und
der Arteria hyoidea‘“‘ abgeht, so ist sie wohl — nach ihrem
Verlauf zu urteilen — doch mit Gradenigos ‚Arteria man-
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 563
dibularis“ (L. ec. S. 185) identisch. — Auch die Arteria stape-
dialis (die Salensky A. mandibularis nennt) läuft medial von
der inneren Visceralfurche auf das Gebiet des Mandibularbogens
hinüber, wo sie sich lateral von der V. jugularis verliert.
Das proximale Endblastem des Mandibularbogens bildet
eine ebene Anschwellung ohne Spur einer beginnenden Diffe-
renzierung in Malleus und Incus. Nur mit Hülfe der Lage-
verhältnisse kann man bei diesem sich einen Begriff davon
bilden, welche Teile bestimmt sind zum einen oder anderen
zu werden. Besonders spielt hierbei die Chorda tympani eine
wichtige Rolle. Der dorsal von dieser liegende Teil, der zwischen
dem N. facialis und der inneren Visceralfurche mit dem Stapes-
blastem in direkter Verbindung steht, ist natürlich die Incus-
Anlage; zunächst vorderhalb der Chorda liegt die Malleusanlage.
Überall, wo keine anderen Organe (Gefässe, Nerven oder
die innere Visceralfurche) hindernd dazwischen liegen, stehen
die Blasteme der beiden Bogen mit einander in direkter Ver-
bindung.
Embryo I. 11,7 mm N.-St.-L.
Die Schnitte zeigen im hauptsächlichsten dieselben Ver-
hältnisse wie im vorigen Stadium, weshalb ich auch nur die
Verschiedenheiten näher beschreiben will.
Die Vena jugularis prim. ist hier viel stärker (Taf. A Fig. 9),
reicht lateral fast bis an das Ektoderm hinaus und begrenzt
dadurch noch vollständiger die proximalen Endblasteme der
beiden ersten Bogen. Auch die Arteria stapedialis hat in Grösse
zugenommen. Dagegen scheint die A. hyoidea kleiner als vor-
her; ebenso auch die A. mandibularis. Mit gutem Willen kann
man vielleicht im Stapesblastem eine beginnende konzentrische
Anordnung der Zellen um die Arterie entdecken.
Wie im vorigen Stadium werden die beiden ersten Visceral-
bogen durch ihre resp. Nerven, Trigeminus und Facialis, in
564 IVAR BROMAN,
einen lateralen und einen medialen Teil geschieden. Die
Grenze der medialen Teile sind aber deutlicher geworden. Die
hintere Spitze der ersten inneren Visceralfurche (I. Vf.) reicht
noch bis an die Aussenfläche des Körpers und grenzt hier die
lateralen Teile der beiden Bogen ab. Nach vorn entfernt
sich die genannte Furche immer mehr von der Aussenfläche
und grenzt hier nur die medialen Teile der Bogen von ein-
ander ab. Das proximale Ende des medialen Teils des Mandi-
bularbogens ist nicht zur Entwickelung gekommen, was darauf
beruht, dass die V. jugularis prim. schon vorher seinen Platz
einnimmt (Taf. A Fig. 10). ;
Betrachtet man die Rekonstruktionsfigur von hinten (Taf. ©
Fig. 1), so findet man die beiden Bogen lateral durch eine
von der Spitze der ersten inneren Visceralfurche gebildete Höh-
lung (I. V£.) deutlich von einander getrennt. Medialwärts stehen
sie dagegen mit einander in direkter Verbindung. Der N.
facialis (VII) verläuft in einem Bogen nach unten und etwas
lateral, um sich am unteren Rand des Hyoidbogens plötzlich
nach vorn zu biegen. Er trennt die mediale Endpartie des
Hyoidbogens, das Stapesblastem (St.), von der lateralen (Lh.).
Unmittelbar vor dem’Facialis steht jedoch das Stapesblastem in
direkter Verbindung sowohl mit der lateralen Endpartie des Hyoid-
bogens wie auch mit dem Mandibularbogen. Dass das Stapes-
blastem trotz dieser letztgenannten Verbindung doch mit Recht
zum Hyoidbogen zu rechnen ist, geht aus Fig. 5 Taf. A hervor.
Man sieht nämlich hier, dass die innere Visceralfurche etwas
weiter nach vorn die Stapesanlage deutlich vom Mandibular-
bogen abgrenzt. Es ist also nur eine dünne Zellenbrücke
(Taf. C Fig. 2 Cr.1.) — die Anlage zum Crus longum Incudis —
die im Zwischenraume zwischen dem N. facialis und der
inneren Visceralfurche den Mandibularbogen mit der Stapes-
anlage verbinde. Durch den bei Embryo I beschriebenen
„Facialismantel‘‘ steht die Stapesanlage in direkter Verbindung
Anadam. Hefle, Tliletung 137 (HBAUN)
Fig. 1.
Fis. 5.
Tig, 10.
lis. 13.
Fig. 17. Fig. 18.
Er $ Fig. 15.
ARE IabersDructreiv. li Seurtz, Werzburg. ) ring Bean Maskailane
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 565
mit dem vorderen, medialen Teil des Hyoidbogens. Zum grössten
Teil wird es jedoch davon durch indifferentes Gewebe getrennt.
An der Vorderseite der Rekonstruktionsfigur (Taf. © Fig. 3)
sieht man die Chorda tympani (Ch. t.) in fast gerader Linie
aufwärts und medial, vom Facialis zum Trigeminus verlaufen.
Die laterale Partie des Hyoidbogens (Hb. 1.) steht hier mit der
des Mandibularbogens (Mb. 1.) in direktem Zusammenhang; der
mediale Teil desselben (Hb. m.) wird dagegen durch die hier
mehr erweiterte innere Visceralfurche vom medialen Teil des
Mandibularbogens (Mb. m.) getrennt. — Der Mandibularbogen
zeigt keine Spur einer anfangenden Teilung im Malleus und
Incus.
Aus den Stadien I und II hat sich also u. a. ergeben:
Dass alle Gehörknöchelchen bei ihrer ersten Anlegung mit
einander in direktem Zusammenhang stehen.
Dass der Annulus stapedialis ein Derivat des zweiten Bogens
ist, mit dem er sich in direktem Zusammenhang befindet.
Dass die Zellanordnung in der Stapesanlage anfangs nicht
konzentrisch ist.
Dass die beiden ersten Bogen durch ihre resp. Nerven,
Trigeminus und Facialis, in einen lateralen und einen medialen
Teil geschieden werden.
Dass die Blastemmassen der beiden Bogen überall, wo sich
kein Hindernis findet, mit einander direkt zusammenhängen.
Embryo Il ca. 16 mm N.-St.-L.
Die Vena jugularis primitiva ist jetzt bedeutend kleiner
geworden, liegt recht weit von der Körperwand entfernt und
grenzt deshalb nicht mehr die proximalen Enden der beiden
ersten Visceralbogen ab. Diese liegen jetzt der Labyrinthkapsel
an und scheinen mit derselben direkt verbunden. Die Labyrinth-
kapsel ist in einem vorderen, medialen Teil, Pars cochlearis, und
566 IVAR BROMAN,
einem hinteren, lateralen, Pars Canalium semicirei larium (siehe
Taf. E Figg. 1 und 4) geteilt. Letzterer ist in der Regel gut
begrenzt und besteht teilweise aus Vorknorpel; Pars cochlearis
dagegen besteht noch aus Blastem und lässt sich nur mit Schwierig-
keit von umgebendem Mesoderm scharf abgrenzen. Oben ist die
Grenze zwischen den beiden Abteilungen durch die sogenannte
Facialis-Aushöhlung recht scharf markiert. In der lateralen
Wand der Pars cochlearis liegt (nahe an der unteren Kante) der
Annulus stapedialis zum Teil eingesenkt. Er besteht noch immer
nur aus Blastem, das doch — infolge der bedeutend stärkeren
Färbung — sich deutlich von dem angrenzenden Labyrinth-
kapselblastem unterscheiden lässt (s. Fig. 1 Taf. Bu. XXXIX).
Die konzentrische Anordnung der Zellen um die Arteria sta-
pedialis ist jetzt deutlich. Der Ring zeigt ein zirkelrundes
Querschnittsbild und auch eine konzentrische Anordnung der
äussersten Zellenschichten um das Querschnittscentrum.
Wie am Rekonstruktionsbilde (Taf. ©, Fig. V) zu ersehen,
bildet die Stapesanlage (St.) einen gleichmässigen Ring. Seine
beiden „Schenkel“ liegen von vorn gesehen in gleicher Höhe.
Der Ring steht schräg gegen die Horizontalebene und bildet
mit derselben einen Winkel von ungefähr 45° Der untere
laterale Rand des Ringes steht in breiter Verbindung mit einem
kurzen, zwischen Nervus facialis und Chorda tympani liegenden
Auswuchs des Mandibularbogens (Cr. 1). Etwas unterhalb und
lateral von diesem Auswuchs, der deutlich als Anlage des Orus
longum Incudis zu erkennen ist, steht der Stapesring durch
einen kurzen und schmalen, aber sehr deutlichen Blastem-
strang (I. h.) in direkter Verbindung mit dem Hyoidbogen. Dieser
Bogen ist im oberen, hinteren Teil nur halb so dick wie der
Mandibularbogen und verzweigt sich gabelförmig, wo er den
N. facialis trifft. Der mediale dieser Zweige stellt die soeben
beschriebene Verbindung mit dem Stapesring dar, das Interhyale;
der laterale, der mit dem vorderen Teil der Pars Can. sem. der
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 567
Labyrinthkapsel in direkter Verbindung steht, ist die Anlage zu
dein, was Dreyfuss ‚„Intercalare‘“ nennt, ich aber lieber Latero-
hyale (L. h.) nennen möchte. Die proximale Hälfte des Hyoid-
bogens besteht überall aus Blastem.
Vor dem vorerwähnten, mit dem Stapesring verbundenen
Auswuchse (Crus longum Incudis) sendet der Mandibularbogen
einen in fast rechtem Winkel gebogenen Auswuchs (Taf. ©
Fig. 4 Mn.) herab, der in seiner oberen Hälfte mit der An-
lage des Crus longum Incudis zusammenhängt, in der unteren
aber davon getrennt ist. Ganz oben in der Spalte zwischen
diesen Auswüchsen läuft die Chorda tympani (Ch. t.); ein Ver-
hältnis, das angiebt, dass der vordere freie Auswuchs die Anlage
des Manubrium Mallei darstellt. Abgesehen von dieser
Spalte ist äusserlich keine Grenze zwischen den Malleus- und
Incus-Anlagen zu sehen. Bei Untersuchung der Schnitte findet
man jedoch, dass diese Anlagen durch eine aus 3—4 Blastem-
zellreihen bestehende Zwischenscheibe vollkommen von einander
getrennt sind. Diese Zwischenscheibe bildet keine ebene Quer-
scheibe, sondern eine winkelig gebogene Platte, deren vorderer,
sagittaler Teil bedeutend grösser ist als der hintere, frontale.
Diese beiden Abteilungen begrenzen die beiden späteren Haupt-
facetten im Hammer-Ambossgelenk. — Das proximale Ende des
Mandibularbogens (die Anlage des Crus breve Incudis) steht
in direkter Verbindung mit dem vorderen Teil der Pars Can.
sem. der Labyrinthkapsel. Dieser Teil besteht gleichwie die
Pars cochlearis aus einem schwer zu begrenzenden Blastem.
Der Mandibularbogen besteht grösstenteils aus Vorknorpel.
Die äussersten Enden der Crura Inceudis und das ganze Manu-
brium Mallei sind noch aus Blastem gebildet; die obengenannte
Zwischenscheibe sowie auch eine dünne Zellenschicht auf der
äusseren Seite des ganzen Mandibularbogens haben auch das Aus-
sehen von Blastem.
568 IVAR BROMAN,
Die hintere Spitze der ersten inneren Visceralfurche, die
sich im vorigen Stadium gleich hinter der Chorda tympani, lateral
von dieser bis an die Körperwand hinausstreckte, befindet sich
jetzt eben an der medialen Seite der Chorda. Das Manubrium
Mallei ruft etwas weiter nach vorne an der lateralen Wand des
tubo-tympanalen Raumes (von jetzt an nenne ich die erste innere
Visceralfurche so) eine schwache Einbuchtung hervor. — Der
äussere Gehörgang ist angelegt und hat eine Tiefe von 0,5 mm.
Die Membrana tympani hat eine Dicke von 0,67 mm.
Die Arteria stapedialis geht gerade unter dem vorderen Teil
der Pars cochlearis von der Arteria carotis interna aus. Die Arteria
hyoidea primitiva, die sich im vorigen Stadium mit der Arteria
stapedialis vereinte, habe ich ebensowenig wie die Arteria mandi-
bularis primitiva hier entdecken können.
Der Nervusfacialis verläuft im ganzen wie im vorigen Stadium
(Tafel © Fig. 5, VID. Nachdem er aus der Facialis- Aus-
höhlung herausgetreten, läuft er abwärts, auswärts und etwas
nach hinten, zuerst zwischen dem Stapesring und der Anlage
des Crus breve Incudis, sodann zwischen dem medialen und
dem lateralen Gabelzweig des Hyoidbogens. Hinter dem letzteren
begiebt er sich zur lateralen Seite des Hyoidbogens, um unmittelbar
darauf die Chorda tympani abzugeben. Dieser spiralförmige
Verlauf des Nerven um den Hyoidbogen herum (s. Fig. 4 Taf. C)
erklärt uns das interessante Verhältnis, dass nur
am proximalen Ende desselben der laterale Teil
für die Bildung des eigentlichen Visceralbogens in
Anspruch genommen wird. Nur mit dieser Annahme können
wir nämlich das Entstehen dieses spiralförmigen Nervenverlaufs in
der Zwischenzeit zwischen dem vorigen Stadium und dem vorliegen-
den erklären (siehe nebenstehendes Schema Fig. 4!) — Durch
obenerwähntes Verhältnis aufmerksam gemacht, sieht man auch
bei genauer Untersuchung der Schnitte, dass die stark gefärbte
Blastemmasse, die den äusseren Gehörgang umgiebt, noch in
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 569
einer — wenn auch nur schwach hervortretenden — Verbindung
mit der Blastemhülle des Amboss und mit dem Laterohyale
steht. Die betreffende Blastemmasse ist also nichts
anderes als die zusammenhängenden lateralen Teile
der beiden Bogen, die immer ihren Platz gleich unter
dem Ektoderm behalten und bei der Bildung des
äusseren Ohres von dem eigentlichen Visceral-
skelett isoliert werden.
Fig. 4.
Schema des Hyoidbogens A vor, B nach der Abtrennung der distalen Partie des lateralen
Bogenteils (P. 1.). VII. N. facialis. St. Stapes. Lh. Laterohyale. Ih. Interhyale. P. m. Pars
medialis. Ch. t. Chorda tympani.
Die Chorda tympani hat auf diesem Stadium denselben
Verlauf wie im vorigen, nur mit dem Unterschied, dass sie sich
zwischen die seit dessen heruntergewachsenen Auswüchse des
Mandibularbogens, Manubrium Mallei und Crus longum incudis,
hineinzwängt. Medial vom oberen Rande des Mandibularbogens
vereint sie sich mit dem medialen Teil des dritten Trigeminus-
astes (Fig. 5 Taf. C).
An der Labyrinthkapsel sind noch keine Fenestrae angelegt.
570 IVAR BROMAN,
Am Embryo III ist also u. a. zu bemerken:
Dass Malleus und Incus von einander gleichzeitig mit dem
ersten Auftreten von Vorknorpel im Centrum des Mandibular-
bogens abgegrenzt werden; dass ein besonderer Vorknorpelkern
in der Incusanlage gebildet wird, der schon von Anfang an
durch eine persistierende Blastemschicht, die Zwischenscheibe,
vom übrigen Vorknorpel des Mandibularbogens getrennt wird.
Dass Crus longum Incudis und Manubrium Mallei dadurch,
dass sie bei ihrem Wachsen nach unten und innen auf die
weit vorher gebildete Chorda tyınpani stossen, schon auf dem
Blastemstadium von einander getrennt werden.
Dass der N. facialis dazu kommt, um den Hyoidbogen
eine halbe Spirale zu bilden, weil die laterale Blastempartie
dieses Bogens nur am proximalen Ende für die Bildung des
eigentlichen Visceralskelettbogens in Anspruch genommen wird.
Dass die zusammenhängenden lateralen Teile der beiden
ersten Bogen ihren Platz gleich unter dem Ektoderm behalten
und bei der Anlegung des äusseren Ohres von dem eigentlichen
Visceralskelett isoliert werden.
Dass die proximalen Enden des ersten sowohl wie des
zweiten Bogens, nachdem die V. jugularis prim. kleiner geworden
und mehr medial gerückt, mit der Labyrinthkapsel in blaste-
matöse Verbindung treten.
Dass die hintere, vorher bis an die Aussenfläche des Kör
pers sich erstreckende Spitze der ersten, inneren Visceralfurche
atrophiert oder eingezogen sein muss.
Embryo IV. 20,6 mm N.-St.-L.
Die Labyrinthkapsel zeigt ungefähr dieselbe Form wie im
vorigen Stadium (Figg. 2 und 5 Taf. E). Histologisch unter-
scheidet sie sich jedoch dadurch, dass ihre hintere, laterale
Partie (Pars Canalium semieircularium) jetzt grösstenteils aus
Jungknorpel besteht; ihre vordere, mediale Partie (Pars coch-
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 571
learis) hat gut markierte Grenzen und besteht aus Vorknorpel.
Nur die Partien, wo später die Fenestra entstehen sollen, zeigen
noch Blastemnatur.
Betrachten wir das Rekonstruktionsbild der Gehörknöchel-
chenanlagen (Taf. © Figg. 6 und 7), so finden wir, dass sie
nicht an Grösse zugenommen, eher umgekehrt. Dieses erklärt
sich aber einfach daraus, dass bei der Rekonstruktion dieses
Stadiums die mehr bestimmten Konturen des Vorknorpels zu
Grunde gelegt werden konnten, während im vorigen Stadium
— der ungleichen Entwickelung der verschiedenen Teile zu-
folge — die Grenzen des Blastems bei der Rekonstruktion
benutzt werden mussten. Da der Vorknorpel als ein Kern im
Blastem gebildet wird, ist diese Grössendifferenz leicht erklärlich.
Die Anlagen sämtlicher Gehörknöchelchen bestehen auf
diesem Stadium aus Vorknorpel, der jedoch im Stapes und in
den Auswüchsen des Malleus und Incus dem Blastemstadium
nahe steht. Alle Gehörknöchelchenanlagen sind von einer dünnen,
stark gefärbten Blastemschicht umgeben.
Der Stapes hat dasselbe Aussehen und die gleiche Lage
wie im letztbeschriebenen Stadium. Dadurch, dass die Ver-
bindung zwischen Stapes und Crus longum Incudis sich noch
auf dem Blastemstadium befindet, wird man berechtigt auch
von einer Zwischenscheibe zwischen diesen Teilen zu sprechen.
Der Stapesring sitzt in der blastematösen Anlage der Fenestra
ovalis z. T. eingesenkt, ist aber von dieser durch die denselben
zunächst umgebende, stärker gefärbte Blastemschicht scharf abge-
grenzt (Fig. 5 Taf. BJ), — Der Steigbügel steht noch immer
durch einen blastematösen Zelienstrang, (Interhyale, Taf. C
Fig. 7 Ih.) der jedoch jetzt etwas dünner geworden ist, in Ver-
bindung mit dem Hyoidbogen. Am Schnitt 257 (Fig. 5 Taf. B)
sieht man den N. facialis in diesem Zellenstrang einschneiden.
Der laterale Gabelzweig des Hyoidbogens (Laterohyale, Taf. C
Fig. 6 Lh.), jetzt etwas besser begrenzt, hat im inneren einen
672 IVAR BROMAN,
kleinen Vorknorpelkern (siehe Fig. 5 Lh. Taf. B), der durch
persistierende Blastemmassen sowohl von der Labyrinthkapsel
wie auch vom übrigen Teil des Hyoidbogens abgegrenzt wird.
Dieser Teil besteht aus Vorknorpel.
Die Vorknorpelzellen in den Teilen des Mandibularbogens,
die sich schon bei dem vorigen Embryo auf dem Vorknorpel-
stadium befanden, sind hier polygonal und deutlich grösser;
die Kerne sind deshalb relativ kleiner und das Gewebe im
ganzen ist weniger stark gefärbt. Noch hat jedoch keine deut-
liche Bildung von Intercellularsubstanz begonnen.
Infolge der veränderten Wahl der für die Rekonstruktion
benutzten Kontur, sehen wir auch an der Aussenfläche die
Grenze zwischen Hammerkopf und Amboss. — Die blastema-
töse Zwischenscheibe ist: fast rechtwinkelig gebogen. — Der
Amboss streckt sich bedeutend höher hinauf als der Hammer.
Von dem kleinen Caput Mallei verläuft gerade nach unten ein
kurzer Auswuchs (Collum Mallei, Taf. C Fig. 6, Coll.), der
jetzt von Crus longum Incudis vollständig getrennt ist und der
unten mit der medial und etwas abwärts gerichteten Anlage
des Manubrium Mallei in Verbindung steht. An der Spitze
des Winkels tritt ein recht grosser, nach unten gerichteter
Höcker (Pr. 1.) hervor, der nichts anderes ist als die Anlage
des Processus lateralis Mallei.
Orus longum Incudis ist länger geworden als im vorigen
Stadium; Crus breve (Taf. © Fig. 6, Cr. br.) ist auch deut-
licher markiert, hängt aber noch durch eine dicke Blastemmasse
mit der Pars Canalium semicireularıum zusammen.
Der Musculus tensor tympani ist angelegt und inseriert
am Manubrium Mallei medial von der Chorda tympani. Vom
Musculus stapedius findet sich dagegen noch keine Spur. Der
M. tensor tympani streckt sich aufwärts und medial zur late-
ralen Seite der Pars cochlearis, biegt sich da nach vorn und
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 573
folgt dem oberen Rande des tubotympanalen Raumes nach
vorn und unten. Er ist an der Umbiegungsstelle am dicksten
und verschmälert sich langsam gegen das vordere Ende.
Die Arteria stapedialis geht gleich unter dem vorderen Teil
der Pars cochlearis von der Carotis interna aus und verläuft
nach oben und lateralwärts durch den Stapesring. Von der
Arteria hyoidea (Gradenigo) ist keine Spur zu entdecken.
Der Nervus facialis, der in seinem oberen Teil gleichwie
im vorigen Stadium verläuft, liegt weiter unten nicht mehr
mitten zwischen den beiden Zweigen des Hyoidbogens, sondern
kreuzt den medialen (Interhyale) gleich aussen vor dem Stapes-
ring (Taf. B Fig. 5 VII). Dieser veränderte Verlauf der Nerven,
der wahrscheinlich durch das verschieden starke Wachstum der
umliegenden Teile hervorgerufen worden ist, spielt gewiss für
das Verschwinden des Interhyale eine recht wichtige Rolle.
Dass es sich so verhält, wird sowohl dadurch angedeutet, dass
der Facialis, wie vorher erwähnt, sich so zu sagen in diesen
Zellenstrang einschneidet, wie auch dadurch, dass das Inter-
hyale sich auf meinem nächsten Stadium grösstenteils ver-
schwunden zeigt.
Der Verlauf der Chorda tympani ist in diesem Stadium
sehr interessant. Sie geht vom N. facialis ab, gerade wo
dieser lateral vom Hyoidbogen angelangt ist (Taf. C Fig. 6)
— also am selben Punkt wie zuvor. Die unteren ?/s der Chorda
haben noch dieselbe Richtung, aufwärts, vorwärts und medial,
wie vorher, aber an der Grenze des mittleren und des oberen
Drittels biegt sich die Chorda in fast rechtem Winkel nach vorn
und unten, um, nachdem sie in einer Strecke von ungefähr
0,63 mm dem oberen, medialen Rande des Mandibularbogens
entlang passiert, sich mit der Lingualispartie des 3. Trigeminus-
zweiges zu vereinen (Taf. © Fig. 7 Ch. t.). Dieses Verhältnis
ist, wie man leicht einsieht, dadurch hervorgerufen, dass diese
Partie ihr stärkstes Wachstum central vom Anheftungspunkt
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVII. Heft (11. Bd., H. 4.) 38
574 IVAR BROMAN,
der Chorda, zwischen diesem und dem Ganglion trigemini, gehabt
hat. — Die Chorda tympani liegt nunmehr nicht zu oberst
‚in der Spalte zwischen Malleus und Crus longum incudis, son-
dern ungefähr an der Grenze zwischen Collum und Manubrium
mallei. Nehmen wir an, dass die Chorda bei dem Abtrennen des
Coilum mallei vom oberen Teil des Orus longum incudis dieselbe
mechanische Rolle gespielt hätte, wie wir es im vorigen Sta-
dium bei der Abgrenzung des Manubrium sahen, so muss sich
die Chorda auf einem Zwischenstadium da oben befunden haben
und nachher vom Lingualis in die für dieses Stadium beschrie-
bene Lage herabgezogen worden sein. — Man kann sich jedoch
auch andere Erklärungen dieser Verhältnisse denken. Es ist
z. B. nicht unmöglich, dass die Chorda an ihrem jetzigen Platze
infolge des nach vorn auf das Manubrium wirkenden Zuges
das Lösen des Collum mallei von Urus longum incudis hat
bewirken können.
Die Untersuchung des Embryo IV hat folgende wichtigere
Resultate geliefert:
Dass die erste Anlegung der Fenestrae mit dem Auftreten
der Vorknorpelstruktur in der Pars cochlearis zusammenfällt;
die Plätze der Fenestrae sind auf diesem Stadium dadurch mar-
kiert, dass sie noch immer aus Blastem bestehen.
Dass das Collum mallei vom Crus longum incudis vielleicht
durch mechanischen Einfluss (Zugeinwirkung nach vorne hin) der
Chorda tympani getrennt wird.
Dass der Processus brevis (s. lateralis) mallei schon in diesem
Stadium als ein abwärts gerichteter, relativ recht starker Aus-
wuchs angelegt wird.
Dass der Musculus tensor tympani angelegt wird, ehe noch
eine Andeutung des Musculus stapedius existiert.
Dass die Stapesanlage mit dem Crus longum incudis durch
eine blastematöse Zwischenscheibe zusammenhängt.
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 575
Dass das Crus breve incudis noch mit der Pars can. semi-
cire. in breiter, blastematöser Verbindung steht.
Dass das Laterohyale einen besonderen Vorknorpelkern
hat; dass das Interhyale dagegen noch immer aus Blastem
besteht, schmäler als im vorigen Stadium ist und im Begriff
scheint vom N. facialis so zu sagen abgeschnürt zu werden.
Dass die Chorda tympani in diesem Stadium anfängt, ihren
definitiven bogenförmigen Verlauf (mit der Konvexität nach
oben) anzunehmen, indem ihr Befestigungspunkt am N. lingu-
alis während dieser Zeit nach unten gezogen wird.
Dass der letztgenannte Nerv sein stärkstes Wachstum cen-
tral von der Befestigungsstelle der Chorda tympani hat.
Embryo V. 305 mm N.-St.-L.
Die ganze Labyrinthkapsel besteht jetzt aus Jungknorpel,
der jedoch in der Pars can. semieirc. bedeutend reichlichere
Intercellularsubstanz besitzt als in der Pars cochlearis. Am
Platz der beiden Fenestrae ist die Wand noch aus Blastem ge-
bildet. Das Blastem mitten vor dem Stapesring bildet jetzt
eine relativ dünnere Schicht als vorher.
Die Derivate des ersten Visceralbogens bestehen gleichfalls
zum grössten Teil aus Jungknorpel; die des zweiten bestehen
dagegen noch aus Vorknorpel. Die Reste des Interhyale und
die Zwischenscheiben haben noch das Aussehen von Blastem.
Die Spitze des Crus breve incudis ist jetzt deutlich von der
Labyrinthkapsel abgegrenzt, streckt sich lateral von dieser nach
hinten und unten und ist jetzt nur durch eine dünne Blastem-
scheibe mit derselben verbunden.
Der mediale Gabelzweig des Hyoidbogens, das Interhyale,
ist an der Mitte vollkommen atrophiert. Ein kleines Stück des-
selben sitzt noch am lateralen Rand des Stapesringes gleich
hinter dem Crus longum ineudis fest (s. Taf. F Fig. 2), ein
anderes undeutlicheres sieht man an der medialen Seite des
38*
576 IVAh BROMAN,
Hyoidbogens. An dieser Stelle ist der Hyoidbogen in einem
stumpfen, nach aussen offenen Winkel gebogen.
Der N. facialis hat in der Partie, die uns hier interessiert,
denselben Verlauf wie im vorigen Stadium. Dasselbe gilt auch
für die Chorda tympani, abgesehen davon, dass ihre Verbin-
dung mit dem N. lingualis — durch weiteres Wachstum in der
centralen Partie desselben — ein beträchtlicheres Stück abwärts
und nach vorn gerückt.
Musculus tensor tympani ist weiter entwickelt; Musculus
stapedius dagegen noch nicht angelegt.
Der Processus longus (Folii) mallei ist als ein 0,4 mm langer,
an beiden Enden freier Belegknochen am unteren, medialen
Rande des Meckelschen Knorpels angelegt. Der Annulus
tympanicus ist noch nicht als Knochen angelegt, und auch nicht
der proximale Teil des Unterkiefers. — Verlauf und Aussehen
der Arteria stapedialis sind wie im letztbeschriebenen Stadium.
Betrachten wir das Rekonstruktionsbild (Taf. F Figg. 1 und 2),
so finden wir: dass das Caput mallei gewachsen ist, sodass es jetzt
den Incus etwas überragt; dass das Manubrium (Mn.) etwas
mehr abwärts gerichtet und etwas länger geworden ist; dass
der Processus brevis s. lateralis (Pr. 1.) sich gleichzeitig etwas mehr
lateral gerichtet hat; dass der Incus so ziemlich seine definitive
Form erreicht; dass die äussere Begrenzung zwischen Malleus
und Incus bedeutend schärfer markiert ist; dass der Stapes
noch immer ringförmig ist und dieselbe Lage einnimmt wie im
vorigen Stadium.
Die Nebenfacetten des Hammer-Ambossgelenkes, schon bei
dem Embryo IV angedeutet, sind jetzt stark markiert. Auch
die Sperrzähne sind hier angedeutet.
Embryo VI, 40 mm N.-St.-L.
Dieser Embryo war bei der Obduktion einer Phosphorleiche
(mehrere Tage nach dem Tode) gefunden. Als ich ihn zur
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 577
Bearbeitung erhielt, war er schon mikrotomiert (in Querschnitte
von 10—15 «). Nach einer Bemerkung über denselben soll er
während der Einbettungsprozedur kolossal geschrumpft sein. —
Da ich in diesem Fall nicht in der Lage gewesen bin, die Vor-
bereitungen zu treffen, die für eine genaue Rekonstruktion
erforderlich sind und da ich auch nichts hinreichend über die
Dicke der Schnitte gewusst, so hat natürlich das Rekonstruktions-
bild dieses Stadiums nicht denselben Wert wie die übrigen.
Da jedoch die Gewebe, die uns hier interessieren, sich als recht
gut erhalten und besonders deutlich begrenzt erwiesen, so habe
ich doch — auf die bei den übrigen Stadien gewonnene Er-
fahrung gestützt — auch diesen rekonstruiert (s. Taf. F Fig. 3
und Taf. C Fig. 11).
Auch der Steigbügel zeigt jetzt Jungknorpelstruktur. — Das
Laterohyale befindet sich auf einer histologischen Entwickelungs-
stufe zwischen Vor- und Jungknorpel. Die Zwischenscheibe
zwischen Laterohyale und Labyrinthkapsel besteht aus Vor-
knorpel; die Zwischenscheibe zwischen Laterohyale und dem
Rest des Hyoidbogens ist noch blastematös. Die letztgenannte
Scheibe befindet sich am Platz der früheren Y-Teilung. Die
Winkelbiegung an dieser Stelle (oder vielleicht richtiger: gleich
unterhalb derselben) ist jetzt stärker als vorher (fast ein rechter
Winkel). Gerade hier biegt sich der Nervus facialis unter den
Bogen an dessen lateraler Seite. Das im vorigen Stadium hier
befindliche Rudiment des Interhyale ist nun verschwunden.
Dagegen ist das am Stapesring festsitzende Interhyalrudiment
(s. Taf. C Fig. 11, Jh.!) noch deutlich. — Das Gewebe in den
beiden Fenestrae ist noch dem Blastem am meisten ähnlich.
Der noch ganz kreisrunde Stapes hat seine Lage ein wenig
verändert, sodass sein vorderer Schenkel etwas höher liegt als
der hintere. Die Arteria stapedialis ist noch deutlich. — Der
Inceus ist nicht wesentlich verändert. — Das Manubrium mallei
ist etwas länger geworden; der Processus lateralis ist mehr aus-
578 IVAR BROMAN,
wärts gerichtet. Der Processus anterior (Folii) Pr. F., hat unge-
fähr dieselbe Länge wie im vorigen Stadium, ist aber ein wenig
dicker geworden. Dieser Belegknochen liegt wie im vorigen
Stadium an dem medialen, unteren Rande des Meckelschen
Knorpels (Me.) und hat gar keine Verbindung mit dem Beleg-
knochen des Unterkiefers, der davon weit entfernt lateral von
dem genannten Knorpel emporragt.
Im Winkel zwischen dem Collum mallei und dem Meckel-
schen Knorpel liegt im Bindegewebe eine andere, breitere, eben-
falls freie Knochenlamelle. Diese ist etwas gebogen mit der
konkaven Seite aufwärts gegen den Meckelschen Knorpel ge-
richtet und läuft medial, gleich unter dem vorderen Ende des
Processus Folii, in eine Spitze aus. Wie wir im folgenden
Stadium sehen werden, ist diese Lamelle die erste Knochen-
anlage des Annulus tympanicus (Taf. C, Fig. 11, Ann. t.).
Der Musculus stapedius ist noch nicht angelegt. — Der
Processus perioticus superior (Gradenigo) ist jetzt angelegt
und tritt medial vom oberen Teil des Caput mallei hervor.
Die Stadien V und VI haben also u. a. folgende Ergebnisse
geliefert:
Dass der Processus lateralis mallei zur gleichen Zeit, wo
das Manubrium mehr abwärts gerichtet wird, nach und nach
mehr lateral gerichtet wird.
Dass der Processus Folii als selbständiger Belegknochen —
ohne Zusammenhang mit dem Unterkiefer-Belegknochen — an-
gelegt wird.
Dass der Annulus tympanicus etwas später und auch als selbst-
ständiger Belegknochen des Meckelschen Knorpels angelegt wird.
Embryo VI, ca. 55mm Sch.-St.-L.
(War zerschnitten, so dass ich nur mit Leitung von der
Grösse des Kopfes und der Extremitäten die angegebene Sch.-St.-L.
berechnen konnte. Es war zuerst in Müllerscher Flüssig-
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 579
keit fixiert und dann einige Zeit in 80 °/o Alkohol aufbewahrt.
Selten gutes Material).
Sowohl die Labyrinthkapsel wie die beiden Visceralbogen
bestehen aus Jungknorpel. Die Zwischenscheibe zwischen Latero-
hyale und Labyrinthkapsel ist jetzt verschwunden, d. h. deren
Vorknorpel hat sich zu Jungknorpel entwickelt. Die Zwischen-
scheibe zwischen dem Laterohyale und dem unterhalb desselben
liegenden Teil des Hyoidbogens'!) befindet sich auf einer histo-
logischen Entwickelungsstufe zwischen Blastem und Vorknorpel.
Vom Interhyale findet sich kein Rudiment weder am Hyoid-
bogen noch am Stapesring. Ungefähr von derselben Stelle am
Stapesring, wo sich dieses Rudiment früher befand, geht jetzt
der (seit dem letzten Stadium angelegte) Musculus stapedius aus
der sich lateral abwärts zu einem kleinen Knorpelhöcker streckt.
Dieser befindet sich an der Basis der Pars canalium semi-
circularium ein Stück unter dem Befestigungspunkt des Hyoid-
bogens (s. Taf. E, Figg. 3 und 6. Pr. st.). Von diesem Knorpel-
höcker — den ich Processus Musculi stapedii nennen will —
kommt der Muskel also hinter den Nervus facialis an den
medialen Rand des Hyoidbogens und setzt sich nachher medial
von und parallel mit diesem Nerven zum Stapes hinauf fort.
Der Musculus tensor tympani verläuft wie für Stadium IV an-
gegeben. Die dem Insertionspunkte zunächst liegende, medial
und aufwärts gerichtete Partie hat eine Länge von 0,125 mm;
der vor der Winkelbiegung liegende Teil hat eine Länge von
1,4mm. Derselbe folgt — gleichwie in den nächst vorher-
gehenden Stadien — dem oberen, medialen Rande des tubo-tym-
panalen Raumes; längst nach vorn kommt er doch etwas mehr
lateral und geht mit seiner Spitze direkt in einen an der vorderen
lateralen Seite der Tuba anfangenden, relativ recht grossen
Muskel (M. tensor veli palatini) über. |
!) Für diesen Teil des Hyoidbogens will ich den Namen „Reichertscher
Knorpel“ reservieren.
580 IVAR BROMAN,
Der Stapes ist noch immer fast kreisrund; sein vorderer
Schenkel ist jetzt etwas mehr aufwärts gedreht als im vorigen
Stadium, sodass man mit Recht von einem vorderen, oberen
und einem hinteren, unteren Schenkel sprechen kann. — Die
Arteria stapedialis ist in und unter dem Stapesring sichtbar,
doch ist sie zum grossen Teil von Blutkörperchen, die in das
Bindegewebe übergetreten, verdeckt. Man sieht auch solche in
reichlicher Menge im Gewebe rund um den Stapes. — Der in
die Fenestra ovalis eingebogene Teil des Annulus stapedialis
(Taf. B Fig. 2, B.-St.) ist von der hier jetzt vorknorpeligen
Labyrinthkapselwand (Lamina fenestrae ovalis) gut getrennt.
Diese scharfe Begrenzung wird hauptsächlich durch die ver-
schiedene Färbbarkeit der beiden Gewebe hervorgerufen; der
Jungknorpel ist nämlich ‘bei diesem Embryo durch Hämatoxylin
stark gefärbt, während der Vorknorpel — (mit Ausnahme der
Kerne) fast ungefärbt ist. Bei stärkerer Vergrösserung sieht
man jedoch, dass die Grenze jetzt gewissermassen nicht so
scharf wie in den vorher beschriebenen Stadien ist. Man
bekommt den Eindruck, als ob hie und da vom Stapesringe
einzelne, dunkel gefärbte Zellen sich zwischen die Vorknorpel-
zellen der Fenestra ovalis eindrängen; da indessen die Schnitte
zu dick sind, um eine genauere histologische Untersuchung zu
gestatten, kann ich die Möglichkeit nicht ausschliessen, dass
diese Zellengrüppchen in loco gebildet sind. — Die Anlage
des Ligamentum annulare stapedis (Lig. ann.) ist durch eine
blastematöse Zone markiert. Nirgends kann man Bindegewebs-
elemente in diese Zone hineinwachsen sehen. — Die Dicke der
Membrana fenestrae ovalis beträgt noch 0,1 mm; die der Steig-
bügelplatte 0,22 mm. — Die Fenestra rotunda ist jetzt von
fihrösem Bindegewebe geschlossen.
Das Crus breve incudis streckt sich rückwärts und nach unten,
lateral vom vorderen Teil der Pars' canalium semicireularium,
an dem es wie vorher durch eine Blastemscheibe befestigt ist. —
ee, TAFEL E
Anatomisehe Hefte I, Abteilung Heft 37 (Il. Bd, H, 4),
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 581
Das Crus longum ist an der Spitze etwas aufwärts und nach
innen gebogen. Es scheint, als ob diese Biegung gleichzeitig
mit der früher beschriebenen Lageveränderung des Steigbügels
eingetreten sei (Taf. C, Fig. 10).
Der Malleus ist etwas schlanker als im vorigen Stadium.
Das Manubrium ist etwas länger geworden und mehr abwärts
gerichtet (Taf. C, Fig. 3). — Der Processus longus (Folii) ist
jetzt 0,5mm lang, hat aber übrigens dasselbe Aussehen und
Lage wie im vorigen Stadium (s. Figg. 8-10, Taf. C!). — Die
mediale Spitze des Annulus tympanicus (Ann. t.), die sich im
vorigen Stadium in der Nähe des vorderen Endes des Processus
Folii befand, ist jetzt in einem nach vorn und innen konvexen
Bogen heruntergewachsen. Die Spitze befindet sich jetzt gleich
über der lateralen Kante des Hyoidbogens (Taf. ©, Figg. 8-10).
Diese seit dem vorigen Stadium entstandene Partie bildet einen —
im Querschnitt runden — ebenen Halbring. Die schon im
vorigen Stadium existierende Partie bildet fortdauernd eine
Platte, an deren oberen Seite man einen Sulcus (Suleus malleo-
laris Henle, Taf. C, Fig. 9, S. m.) sieht, der dem gleich ober-
halb liegenden Processus Folii entspricht. Am lateralen Rand
dieser Platte ist ein kleiner, aufwärts gebogener Stachel (Spina
tympanica posterior Henle); auch das Tuberculum tympanicum
anterior ist angedeutet; die Crista spinarum tritt nur wenig
hervor. — Im Centrum des Halbkreises, den der Annulus tym-
panicus auf diesem Stadium bildet, befindet sich das untere
Ende des Manubrium mallei (Mn.).
Die Zwischenscheibe zwischen Crus longum Incudis und
Stapes besteht noch aus Blastem; so auch die Zwischenscheibe
zwischen Malleus und Ineus, in deren Mitte man jetzt eine
deutliche Spalte sieht. — Zwischen dem Malleus und dem Meckel-
schen Knorpel!) ist wie vorher keine Grenze zu sehen.
1) Mit diesem Namen bezeichne ich den nach vorn von Malleus gelegenen
Teil des Mandibularbogens.
582 IVAR BROMAN,
Die Nerven dieses Gebietes haben denselben Verlauf wie
in den zuletzt beschriebenen Stadien (s. Taf. © Figg. S—10),
nur mit dem Unterschied, dass der Verbindungspunkt der Chorda
tympani mit dem Nervus lingualis (auf den Zeichnungen nicht
sichtbar) bedeutend weiter hinunter gerückt ist. Sowohl durch
dieses wie durch das vorige Stadium kommt man zu der Auffassung,
dass eine Zugeinwirkung der Chorda tympani auf den Nervus
facialis den Hyoidbogen zu einer stärkeren Biegung und zu
einer ständigen Annäherung an die untere, laterale Ecke der
Pars cochlearis zwingt. — Der Processus perioticus superior
(Gradenigo) — auf dem Rekonstruktionsbild abgeschnitten —
streckt sich jetzt etwas weiter nach vorn als im vorigen Stadium.
Embryo VIH, 70 mm Sch.-St.-L. (Totallänge: 90 mm).
Dieses Stadium zeigt grösstenteils dieselbe histologische Ent-
wickelung wie das vorige. Die Zwischenscheibe zwischen dem
Laterohyale und dem Reichertschen Knorpel. (dem distalen
Teil des Hyoidbogens) ist jedoch verschwunden, d. h. in Jung-
knorpel verwandelt.
Der Hyoidbogen ist noch näher an die Pars cochlearis ge-
krümmt und bildet sowohl die laterale wie die vordere Begren-
zung des Foramen stylomastoideum primitivum (wenn ich es so
nennen darf).
Der vom oberen vorderen Teil der Pars canalium semi-
circularium hervorragende Knorpelauswuchs, Processus perioticus
superior (Gradenigo) hat sieh jetzt noch weiter verlängert.
Nach vorn geht er medial in eine aus fibrillärem Bindegewebe
gebildete Platte über und bildet zusammen mit dieser das
Tegmen tympani.
Der Steigbügel hat angefangen seine definitive Form anzu-
nehmen (Taf. F Figg. 4 und 5), ist jedoch relativ breiter als
nachher. Das Caput ist angedeutet und der an die Labyrinth-
kansel stossende Teil des Ringes ist nicht mehr gebogen. Diese
{o) o- oO
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 583°
Steigbügelplatte ist jetzt nicht wie die Crura im Querschnitt
kreisrund, sondern von aussen nach innen etwas zusammen-
gedrückt (Fig. 3, Taf. B). Die Dicke beträgt jetzt nur 0,2 mm.
Der mediale, am meisten abgeplattete Rand hängt mit der
Labyrinthwand innig zusammen. Die Grenze zwischen ihnen
wird doch noch von einer einfachen Schicht von Zellen, die im
Schnitte spindelig sind, deutlich markiert (s. Taf. B Fig. 3).
Diese Zellenschicht geht oben und unten in das Perichondrium
des Stapesringes über. Das von der Labyrinthkapsel stammende
Gewebe im ovalen Fenster ist besonders mitten vor der Stapes-
anlage noch mehr verdünnt (Dicke: 0,02 mm). Seine innerste
Zellenschicht hat dasselbe Aussehen wie das Perichondrium an der
inneren Seite der Labyrinthkapsel. Seine äussere, gegen den
Stapesring stossende Zellenschicht hat ungefähr das Aussehen von
Vorknorpel; nur an der Peripherie des ovalen Fensters hat es
ein mehr blastematöses Aussehen (Lig. ann.) Keine Bindegewebs-
streifen sind hier zu entdecken.
Der Musculus stapedius ist noch ein gerader, spindelförmiger
Muskel ; er verläuft jetzt etwas mebr gerade rückwärts, was auf
einer Verschiebung des Steigbügels nach aussen zu beruhen
scheint.
Die Arteria stapedialis ist atrophiert; an ihrem früheren
Platze. sieht man jetzt einen Bindegewebsstrang durch den
Stapes laufen.
In der Mitte der Zwischenscheibe zwischen Capitulum stapedis
und Crus longum incudis sieht man an einigen Punkten schwache
Andeutungen einer Berstung. Das Crus longum incudis ist
etwas mehr als im vorigen Stadium mit seinem unteren Ende
gegen den Stapes gebogen. Wie vorher hängt das Urus breve
durch eine blastematöse Zwischenscheibe mit der Labyrinth-
kapselwand zusammen. Zwischen Malleus und Incus ist durch
Berstung in der Zwischenscheibe eine Gelenkhöhle entstanden.
Der Sperrzahn des Ambosses tritt jetzt deutlicher hervor.
584 IVAR BROMAN,
Der Hammer ist seit dem letzten Stadium etwas länger
geworden. Der Processus Folii ist jetzt etwas dicker und misst jetzt
0,94 mm in der Länge. Der Sperrzahn von Helmholtz ist deut-
licher als vorher entwickelt. — Ungefähr in gleicher Höhe mit dem
Processus lateralis sieht man an der medialen Seite des Manu-
brium einen deutlichen Processus muscularis (Taf. F Fig. 4 Pr. m).
Von diesem erstreckt sich die Sehne des M. tensor tymp. medial
aufwärts in die Nähe der Pars cochlearis um hier in den Muskel
selbst überzugehen, der mit der Sehne einen fast rechten Winkel
bildend nach vorn und unten läuft. Diese Winkelbiegung wird
jetzt von Bindegewebsfasern fixiert, die sich vom medialen Rand
des Processus perioticus sup. bis zur Pars cochlearis erstrecken.
Aussehen und Verlauf des Muskels stimmen mit dem vorigen
Stadium überein. Die direkte Verbindung mit dem Museulus
tensor veli palatini scheint jedoch nicht mehr vorhanden.
Der Annulus tympanieus ist bedeutend dicker geworden
und seine Spitze ist aufwärts gewachsen, sodass ungefähr ?/s
des Ringes jetzt angelegt sind. Der Suleus tympanicus ist an
dem herabsteigenden Schenkel angedeutet.
Embryo IX. 180 mm (Totallänge).
Die Intercellularsubstanz des Jungknorpels ist jetzt etwas
reichlicher. i
Der Processus periotieus superior (Gradenigo) bildet jetzt
eine breite, dünne, nach unten und innen geneigte Platte, die
sich unmittelbar oberhalb der Gehörknöchelchenanlagen vorwärts
und nach unten streckt. Seine mediale Hälfte hört am vorderen
Rande des Caput mallei auf; seine laterale Hälite setzt sich
oberhalb des Meckelschen Knorpels (und in derselben Richtung
wie dieser) etwas weiter nach vorn fort. Dieser Auswuchs ist,
wie wir wissen, die Knorpelanlage des Tegmen tympani. Das
Dach wird medial — hier wie im vorigen Stadium — von einer
Bindegewebsmembran gebildet, die sich gleich über dem ovalen
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 585
Fenster an der Pars cochlearis befestigt. — Die gleich vor
der Umbiegungsstelle des Nervus facialis liegende Partie des
Hyoidbogens ist noch mehr medialwärts gezogen, sodass sie
jetzt an der Pars cochlearis anliegt. — Der Hyoidbogen be-
steht überall aus Jungknorpel, der ohne Grenze in die Pars
can. semicirc. übergeht. Der Teil, der die laterale Begrenzung
des Foramen stylomastoideum primit. bildet und in dem wir
das Laterohyale erkennen, ist bedeutend (fast doppelt) dünner
als der Reichertsche Knorpel. Letzterer, der sich weiter nach
vorn wieder veıschmälert, hat dasselbe Aussehen wie der von
Politzer (65) beschriebene Processus styloideus und ist gewiss
damit identisch.
Das Foramen stylomastoideum primit. ist von Nervus facialıs,
Musculus stapedius, Arteria und Vena stylomastoidea und Binde-
gewebe ausgefüllt.
Der Steigbügel hat seine definitive Form weiter entwickelt
(Figg. 6 u. 7, Taf. F). Er ist höher geworden; sein vorderer,
oberer Schenkel ist kürzer und mehr gerade, der hintere etwas
länger und mehr gebogen. Die Fussplatte ist etwas dünner als
zuvor (Dicke: 0,19 mm) und streckt sich etwas aussenhalb der
Befestigungspunkte der Crura (Fig. 4 Taf. B). Am unteren Rande
der Fussplatte sieht man jetzt eine deutliche Einkerbung; der
obere Rand ist convex. Das ursprüngliche Gewebe der Fenestra
ovalis ist auf eine dünne Zellenschicht (Lam. fen. ov.) unge-
fähr von demselben Aussehen und derselben Dicke (0,01 mm) wie
das Perichondrium der Labyrinthkapsel reduziert. Seitwärts von
der Fussplatte geht diese Zellenschicht in die Anlage des Liga-
mentum annulare stapedis (Lig. ann.) über, die ungefähr halb
so dick ist wie die Fussplatte und noch aus Zellen besteht, die
Blastemzellen am meisten ähnlich sind. Man sieht nirgends
Bindegewebe hier hineindringen. — Das Capitulum stapedis, das
noch deutlicher ist als im letzten Stadium, hat eine konkave Ge-
lenkfläche für das untere Ende des Crus longum incudis. —
586 IVAR BROMAN,
Jede Spur der Arteria stapedialis ist verschwunden, Durch das
lockere, embryonale Bindegewebe zwischen den Stapesschenkeln
ziehen nur einige Kapillaren. Verlauf und Aussehen des Mus.
culus stapedius sind wie im vorigen Stadium. —
Der Processus lentieularis — wenn wir ihn so nennen
wollen, obgleich er noch keinen Knopf hat — ist deutlicher
geworden als im letzten Stadium (Figg. 8 u. 9 Taf. F). Er
ist mit einer konvexen Fläche am Stapeskopf eingelenkt. Nur
durch den Angulus ist er von dem Crus longum incudis abge-
grenzt. Die mediale Seite des Crus breve ineudis hängt an der
Spitze noch immer durch eine Blastemscheibe mit der Laby-
rinthkapsel zusammen. Die Gelenkkapsel des Hammer-Amboss-
Gelenkes ist jetzt bindegewebig angelegt; so auch die des Amboss-
Steigbügel-Gelenkes.
Der Hammer ist bedeutend in die Länge gewachsen und
folglich schlanker geworden (Figg. 10 u. 11 Taf. F). Dieses Längen-
wachstum hat besonders den Kopf betroffen, weshalb der Aus-
gangspunkt des Meckelschen Knorpels ein ansehnliches Stück
heruntergerückt scheint. Das untere Ende des Manubrium mallei
ist fast gerade nach unten gerichtet. Der Processus longus
(Folii) ist sowohl in die Länge wie in die Dicke gewachsen;
er ist mit dem Malleus noch immer nur durch Bindegewebe
verbunden. Der Processus lateralis (Pr. 1.) ist scharf markiert;
dagegen giebt es keinen Processus muscularis, sondern der Muscu-
lus tensor tympani inseriert auf einer ebenen Fläche. Der Verlauf
des Muskels stimmt mit dem bei dem vorigen Stadium beschrie-
benen überein. Der vordere Teil des zwischen dem Proc. perio-
ticus superior und der Pars cochlearis ausgespannten Binde-
gewebsmembran sendet einen bedeutenden Teil seiner Fasern
unter die Muskelsehne (Fig. 5 S) und fixiert dadurch die Winkel-
biegung derselben. Wo sich die Fasern dieses Ligamentum
trochleare (Lig. tr.), wie ich es nennen will, an der Pars
cochlearis befestigen, sieht man einen — seit dem vorigen
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 587
Stadium entwickelten — lateralen Knorpeläuswuchs (Fig. 5 a).
Lateral und etwas hinter dem Befestigungspunkte des Meckel-
schen Knorpels ist am Hammer eine seichte Vertiefung im
Knorpel sichtbar, die von parallel mit der Längenachse des
Ni
Y/;
Ä,
u
a
Fig. 3. 25,,.
C. m. Caput mallei, Cr. m. Crista mallei, Pr. p. sup. Processus periotieus superior, T-t.r. Tubo-
tympanales Raum, S. Sehne des Muse. tens. tymp., Lig. tr. Ligamentum trochleare, P. cochl.
Pars eochlearis der Labyrinthkapsel.
Hammers verlaufenden Bindegewebsfasern ausgefüllt ist, welche
oben und unten in das Perichondrium übergehen (Fig. 6 A).
Diese Vertiefung wird nach hinten immer tiefer und ist nach
oben durch einen scharfen Kamm (Cr. m.) begrenzt. Weiter
hinten wird dieser Kamm, so zu sagen, von Bindegewebe unter-
588 IVAR BROMAN,
graben, sodass er länger, dünner und nach unten gerichtet
wird (Fig. 6. B). Noch weiter hinten wird der Kamm wieder
allmählich kleiner (Fig. 6. C), um mitten unter dem Sperrzahn
zu enden. Dieser Kamm, der, wie das Rekonstruktionsbild
(Taf. F Fig. 11) zeigt, schräg nach hinten, abwärts und medial
verläuft, ist die Anlage der Crista mallei. Das Ligamentum
A. B. ee
Fig. 6.
Cr. m. Crista”’mallei, Pr. 1. ER lateralis, Mn. Manubrium.
mallei externum ist noch nicht angelegt. — Der Meckelsche
Knorpel hat angefangen dünner zu werden. Die Peripherie
desselben ist durch fibrilläres Bindegewebe ersetzt. — Die Ver-
knöcherung der Gehörknöchelchenanlagen hat noch nicht be-
gonnen.
Der Annulus tympanieus ist jetzt fertig entwickelt. Das
laterale Endstück (der aufsteigende Schenkel), das zuletzt ange-
Die Entwıckelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 589
legt worden ist, ist ganz dünn und im Querschnitt kreisrund;
die älteren Partien sind recht bedeutend in die Dicke gewachsen
und sind im Querschnitt sichelförmig d. h. der Suleus tym-
panicus ist hier entwickelt.
Von den Stadien VII, VIII und IX lässt sich u. a. schliessen:
Dass der Steigbügel sich allein aus dem vom Hyoidbogen
stammenden Stapesring bildet.
Dass das mitten vor dem Stapesring liegenden Gewebe der
Fenestra ovalis eine fast vollständige Atrophie erleidet, sodass
es nur in Form eines dünnen Perichondriums zurückbleibt, und
dass zu derselben Zeit die Steigbügelanlage ihre definitive Form
anzunehmen beginnt.
Dass sich Spuren der Arteria stapedialis noch bei Embryonen
von 9 cm Totallänge nachweisen lassen.
Dass bei Embryonen von 18 cm Totallänge keine Binde-
gewebsstreifen in die Anlage des Ligamentum annulare baseos
stapedis hineingewachsen sind.
Dass die Crista mallei nicht wie die übrigen Ausläufer der
Gehörknöchelchen blastematös angelegt wird, sondern durch
Resorption des unmittelbar unter ihr belegenen Knorpels gebildet
wird. /
Dass der Musculus tensor tympani, der wahrscheinlich von
Anfang an mit dem Musculus tensor veli palatini in Verbin-
‚dung steht, schon bei einem Embryo von 3 Monaten aus dieser
gelöst sein kann.
Dass sich einige Fasern aus dem membranösen Teile des
Tesmen tympani unter die Sehne des M. tensor tymp. ziehen
und so die Winkelbiegung derselben fixieren.
Dass sich der Annulus tympanicus als ein einheitliches
Stück verknöchert, das am Ende wächst.
Dass der Processus styloideus Politzer nicht das oberste
Ende des Hyoidbogens, das Laterohyale, einfasst.
Anatomische Hefte. I. Abteilung, XXXVI. Heft (11. Bd. H. 4.) 39
590 IVAR BROMAN,
Embryo X, 210 mm Total-L.
In der Labyrinthkapsel hat die Verknöcherung angefangen
und ist schon recht weit fortgeschritten. Der grösste Teil der
Pars canalium semicircularium ist verknöchert. In der Nähe
der Befestigungsstelle des Hyoidbogens besteht sie jedoch noch
aus Knorpel. Die Pars cochlearis besteht im vorderen, lateralen
Teil noch aus Knorpel, im übrigen ist sie verknöchert. Im
medialen Teil des Processus perioticus sup. ist auch Ver-
knöcherung eingetreten. Der membranöse Teil des Tegmen
tympani ist stärker geworden und nach vorn von der Umbie-
gungsstelle der Tensorsehne in eine obere und eine untere
Schicht geteilt, zwischen denen der Musculus tensor tymp. ein-
gebettet ist.
Der Steigbügel besteht zum grössten Teil aus Knorpel; in
der Mitte des hinteren Schenkels hat die Ossifikation ange-
fangen. Ebenso verhält es sich mit dem Steigbügel der ent-
gegengesetzten Seite, den ich nach Maceration in Kalilauge
hervorpräparierte. (S. Taf. D Fig. 18.) (Doch muss ich dieses
Verhältniss als Ausnahmefall bezeichnen, da mein übriges Mate-
rial von der Verknöcherungsperiode zeigt, dass in der Regel
das Ossificationscentrum des Steigbügels in der Basis liegt. Die
Basis stapedis hat wieder an Dicke bedeutend zugenommen.
(S. Fig. 7 Taf. Bl) — Im Spatium intercerurale verlaufen nur
einige Capillaren.
Vom Incus ist der grösste Teil des Crus longum und der
diesem zunächst liegende Teil des Corpus verknöchert. Der
unterste Teil des Crus longum (die Partie an und unterhalb des
Angulus) besteht noch aus Knorpel. Der Processus lenticularis
hat jetzt eine knopfförmige Anschwellung an der Spitze.
Das Collum mallei ist verknöchert, und der Processus longus
(Folii) steht jetzt mit demselben in direkter (knöcherner) Verbin-
dung. Etwas weiter nach hinten von dieser Stelle sieht man die Ver-
knöcherung sich aufwärts gegen die Mitte und die mediale Seite des
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 591
Caput mallei strecken. Am Malleus von der andern Seite desselben
Embryos (die nach der Kaliglycerinmethode Schultzes behandelt
wurde) sah es anfangs aus, als ob sich im oberen, medialen Teil
des Caput ein besonderer Ossifikationspunkt vorfände. Nachdem
das Präparat recht durchsichtig geworden, sah man jedoch
deutlich, dass im Innern eine Knochenverbindung zwischen
diesem Teil und dem Knochenkern im Collum existierte (vgl. Figg.
12 und 13 Tafel C). Dass diese Verbindung meistens vom
Knorpel an der Oberfläche verdeckt ist, ist wahrscheinlich der
Grund gewesen, weshalb man geglaubt, dass die Ossifikation
des Malleus von zwei Punkten ausginge. — Das Manubrium
mallei hat nur einen schwach angedeuteten Processus muscularis.
Die gerade medial verlaufende Muskelsehne ist von einer Binde-
gewebsscheide umgeben, deren Fasern sich an der Labyrinth-
kapsel und dem membranösen Teil des Tegmen tympani
befestigen. In einem Fache dieses membranösen Teils ist —
wie gesagt — der Muskel selbst eingelagert. Der obere hintere
Rand der Bodenlamelle dieses Faches bildet an der Umbiegungs-
stelle des Muskels das Ligamentum trochleare.
Der zusammenhängende Teil des Hyoidbogens besteht noch
durch und durch aus Knorpel.
Embryo XI. 240 mm Total-L.
Die Labyrinthkapsel ist fast ganz verknöchert; die an die
Fussplatte des Steigbügels und an das Ürus breve incudis
stossenden Partien, sowie der laterale Teil des Proc. perioticus
superior bestehen jedoch noch aus Knorpel. Der mediale Teil
des Proc. perioticus sup. sowie der früher membranöse Teil des
Tegmen tympani sind dagegen zum grössten Teil verknöchert.
Nur der der Pars cochlearis am nächsten liegende Teil besteht
noch aus Bindegewebe. Der Umbiegungsstelle der Tensorsehne
gegenüber fängt diese unverknöcherte Bindegewebsmembran an
nach vorn in Breite zuzunehmen. Zugleich sieht man, wie sie
39*
592 IVAR BROMAN,
sich in eine distinkte obere und untere Schicht teilt, zwischen
denen der Musculus tensor tympani eingebettet ist. Der hintere
Rand der unteren Bindegewebslamelle bildet das Ligamentum
trochleare, hinter dem sich die Muskelsehne umbiegt und sich
mit dem Muskel vereint.
Der Steigbügelkopf und die diesem zunächst liegende Hälfte
der Schenkel bestehen noch aus Knorpel; der übrige Teil der
Schenkel und die Platte — mit Ausnahme der Kanten und
der an die Labyrinthkapsel stossenden Fläche — sind dagegen
verknöchert. Die Stapesschenkel sind im Querschnitt kreisrund
und mehr als doppelt so dick wie beim Erwachsenen. Der
verknöcherte Teil der Fussplatte ist auch dicker als bei dem
Erwachsenen. Er ist im Querschnitt triangulär, mit der Basis
gegen die Labyrinthkapsel und der Spitze gegen das Spatium
intercruale gerichtet.
Die Anlage des Ligamentum annulare baseos stapedis
besteht noch aus zellenreichem Gewebe, das allmählich in den
Knorpel an der Stapesplatte und an der inneren Seite des ovalen
Fensters übergeht. Die Zellen der Ligamentanlage sind aber
jetzt in Spindelzellen verwandelt. (S. Fig. 6 Taf. B.)
Im Bindegewebe zwischen den Crura stapedis verlaufen
mehrere Gefässe, von denen eins relativ recht gross ist und,
so weit wie ich ihm habe folgen können, einen der Arteria
stapedialis entsprechenden Verlauf zeigt. Leider konnte ich
aber an meinen Schnitten (die dazu zu klein waren) dies Gefäss
nicht bis zu seiner Einmündungsstelle in ein grösseres, mit
Gewissheit zu erkennendes verfolgen.
Der Amboss ist zum grössten Teil verknöchert. Die der
Gelenkfläche gegen den Malleus zunächst liegende Partie, der
ganze Processus lentieularis und die Spitze des Urus breve
bestehen jedoch noch aus Knorpel. Der Processus lenticularis
bildet gegen den übrigen Teil des Crus longum einen rechten
Winkel; seine Spitze ist knopfförmig verdickt und bildet die
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 593
Gelenkpfanne in dem Amboss-Steigbügelgelenk. — Das Crus
breve steht mit der Labyrinthkapsel durch eine blastemähnliche
Zwischenscheibe in Verbindung. Die Peripherie dieser Scheibe
zeigt eine fibrilläre Struktur.
Der Hammerkopf hat an Dicke zugenommen und ist jetzt
mehr kugelig geworden. Die Crista mallei ist etwas mehr aus-
wärts gerichtet. Hals und Kopf sind — mit Ausnahme der an das
Hammer-Ambossgelenk stossenden Partie, die aus Knorpel
besteht — verknöchert. Das Manubrium, der recht lange
Processus lateralis und der nur schwach angedeutete Processus
muscularis bestehen gleichfalls aus Knorpel. Der Processus
longus (Folii), der noch mehr gewachsen ist, steht — gleichwie
im vorigen Stadium — in Knochenverbindung mit dem Hammer-
halse. Der Meckelsche Knorpel ist, besonders von der einen
Seite zur anderen noch mehr verdünnt. Von der Stelle aus, wo
er sich mit dem Hammer vereint, kann man einige Schnitte
rückwärts an der medialen Seite des letzteren einer knorpeligen
sich schnell verschmälerndern Fortsetzung des Meckelschen
Knorpels folgen.
Die Sehne des Musculus tensor tympani verläuft medial
in gerader Richtung zum Muskel. Die äussersten Fasern gehen
jedoch nicht zu diesem über, sondern befestigen sich teils am
medialen Rande des Tegmen tympani, teils an der Pars cochlearis.
Die eigentliche Sehne ist also gleichwie der Muskel von einer
Bindegewebsscheide umgeben. Diese Sehnenscheide ist mit dem
von Toynbee (58) beschriebenen „Tensor ligament“ identisch. —
In der Muskelscheide ist noch keine Verknöcherung eingetreten.
In gleicher Höhe mit dem Processus lateralis geht von der
medialen Seite des Malleus und mit einigen Fasern von der
Unterseite des proximalen Endes des Processus longus ein durch
dunklere Färbung gut begrenztes Bindegewebsbündel aus. Es
passiert rückwärts und abwärts gleich unter der Tensorsehne,
mit deren Scheide es verbunden ist, läuft zwischen Manubrium
594 IVAR BROMAN,
mallei und Crus longum incudis, um sich an der hinteren,
lateralen Wand der Paukenhöhle zu befestigen. Wahrscheinlich
ist dieses Ligament mit dem von Schäfer (49) beschriebenen
„Inferior ligament of the malleus‘‘ identisch.
Embryonen XII— XV. (Total-Längen: 200, 250, 260 und
280 mm resp.)
Sie zeigen alle, gleichwie die Stadien X und XI, dass die
Verknöcherung der Gehörknöchelchenanlagen sich in keiner
Weise von dem gewöhnlichen Verknöcherungsvorgang bei knorpel-
präformierten Knochen unterscheidet.
Embryonen XVI—XXVII. (Total-Längen: 155, 190, 195, 205,
210, 215, 220, 225, 240, 250, 260 und 290 mm resp.)
Nach Schultzes Kaliglycerinmethode (67) behandelt, bilden
die herauspräparierten Gehörknöchelchen dieser Embryonen ein
gutes und sicheres Material zum Beurteilen der Fortschritte der
Verknöcherung.
Die folgende Tabelle (s. S. 595 u. 596!) zeigt die Grössen- und
Lageverhältnisse der Ossifikationspunkte bei diesen Embryonen:
Embryonen XXVII—XXX.
(Total-Längen: 290, 320 und 500 mm resp.)
Die Gehörknöchelchen dieser drei Embryonen habe ich
durch gewöhnliche Maceration freigelegt; ich bilde Stadd. XXIX
und XXX in der Taf. F Figg. 12 u. 13 zusammen mit den
Gehörknöchelehen eines erwachsenen Mannes in natürlicher
Grösse ab, um die Grössenverhältnisse nach der Verknöcherung
zu zeigen. — Da die Formenverhältnisse schon vorher mit den
definitiven ganz nahe übereinstimmen, so ist über diese nur
wenig zu sagen.
Bei dem Embryo XXVIII bestehen die untere Hälfte des
Manubrium mallei und die äusserste Spitze des Processus late-
595
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen.
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Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 597
ralis noch aus Knorpel und sind deshalb an dem Macerations-
präparat zerstört. (S. Fig. 15 Taf. C!) Der Proc. longus (Folii)
bildet einen leicht lateralwärts gekrümmten, etwas mehr als
3 mm langen Knochenfortsatz. Die Schenkel des Steigbügels
(s. Fig. 14 Taf. D!) sind ca. doppelt so dick wie bei dem
Erwachsenen (Fig. 17). Sie sind im Querschnitt halbkreisförmig
mit der geraden Linie gegen das Spatium intercrurale liegend.
Ein Sulcus stapedis ist also noch nicht entwickelt. Dagegen
hat die Fussplatte jetzt ihre definitive Dicke. An derselben ist
die Crista stapedis schwach angedeutet. — Der hintere Teil
der Pars membranacea tegminis tympani mit dem Semicanalis
pro tensore tympanı ist jetzt verknöchert.
Bei dem Embryo XXIX ist der ganze Hammer mit Aus-
nahme der Spitze des Griffes verknöchert. Der Processus longus
hat dieselbe Länge wie beim letztbesprochenen Embryo, ist
aber gerader. Der Processus lenticularis incudis hängt durch
eine kurze und sehr dünne Knochenverbindung mit dem Crus
longum zusammen.
Die Peripherie des Steigbügels zeigt die gleiche Grösse wie
im vorigen Stadium, die beiden Crura sind aber und zwar beson-
ders im unteren Teil bedeutend dünner geworden, sodass das
Loch zwischen ihnen beträchtlich vergrössert ist. Der Sulcus
stapedis ist jetzt deutlich. (S. Fig. 15 Taf. D!) — Das ganze
Tegmen tympani mit dem Semicanalis pro tensore tympani, die
Eminentia styloidea und das Ligamentum Musculi stapedii sind
jetzt verknöchert.
Bei dem Embryo XXX haben auch Malleus und Incus ihre
definitive Grösse erreicht. Der Malleus ist in derselben Ausdeh-
nung wie beim Erwachsenen (vergl. Figg. 16 u. 17 Taf. C!)
verknöchert. Der Processus longus stimmt in Länge und Aus-
sehen mit dem vorigen Stadium überein. — Das Crus longum
jneudis ist im unteren Teile etwas dicker als bei dem Erwachsenen,
598 IVAR BROMAN,
(Vergl. Figg. 7 u. 8 Taf. D!) — Die Stapesschenkel haben auch im
oberen Teil ihre definitive Dicke angenommen (S. Fig. 16 Taf. D!).
Aus den Stadien X—XXX hat sich also u. a. ergeben:
Dass die Ossifikation des Steigbügels, welche gewöhnlich
bei Embryonen von ca. 21 cm beginnt, von einem einzigen
Centrum ausgeht, das in der Regel in der Basis liegt; dass von
hier aus die Ossifikation allmählich die Schenkel hinauf bis zum
Capitulum schreitet.
Dass eine in derselben Ordnung fortschreitende Resorption
der gegen das Spatium intercrurale liegenden Knochenpartien
dem anfangs klumpigen Steigbügel während der letzten Periode
des intrauterinen Lebens seine definitive Gestalt giebt.
Dass der Knopf des Processus lenticularis erst, nachdem
ein Teil des langen Ambossschenkels schon ossifiziert hat, gebildet
wird; dass dieser Processus kein besonderes Ossifikationscen-
trum hat.
Dass die Ossifikation des Ambosses gewöhnlich bei Em-
bryonen von ca. 19 cm beginnt und von einem einzigen Punkte
im oberen Teil des langen Schenkels ausgeht.
Dass die als Knorpel präformierte Hammeranlage auch nur
einen Ossifikationspunkt hat; dass dieser im Collum mallei liegt
und bei Embryonen von ca. 19 cm zuerst auftritt; dass der
Processus longus (Folii) bei der Entstehung dieses Knochenkerns
in direkte knöcherne Verbindung mit dem Hammer tritt.
Dass die Gehörknöchelchen auf dieselbe Weise wie jeder
andere als Knorpel präformierte Knochen ossifizieren. Dass die
Bindegewebsscheiden der Gehörknöchelchen-Muskeln erst Ende
des 6. Monats verknöchern.
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 599
Litteraturkritik.
Dass die Verfasser, die zuerst auf diesem Gebiete Unter-
suchungen vornahmen, zu so streitigen Resultaten in betreff
des Entstehens der Gehörknöchelehen kamen, darf uns, wenn
wir die unvollkommenen Arbeitsmethoden jener Zeit in Betracht
nehmen, nicht wundern. Und es kann nur durch ein gewisses
Ahnungsvermögen im Verein mit weit getriebener Präparations-
kunst Reichert (45) geglückt sein, uns schon 1837 eine annähernd
richtige Schilderung des Ursprunges und der ersten Entwicke-
lung der Gehörknöchelehen zu geben.
Die späteren Autoren, denen bessere Untersuchungsmethoden
zu Gebot standen, sind, wie wir gesehen, über den Ursprung
der Gehörknöchelchen sehr uneinig gewesen, ja einzelne sind
mit sich selbst uneins geworden und haben zu verschiedenen
Zeiten direkt entgegengesetzte Ansichten verfochten. Da dies
sogar mit Männern wie Huxley und Parker der Fall war,
gewinnt man leicht den Eindruck, diese Frage müsse zu den
am schwersten zu lösenden Problemen der Entwickelungsge-
schichte gehören.
Die wichtigsten Ursachen des Entstehens der vielen verschie-
denen Meinungen sind wohl entweder darin zu suchen, dass die
Verfasser mit vorgefassten Meinungen, die sie aus der noch
nicht abgeschlossenen vergleichenden Anatomie geholt, an ihre
Arbeit herangetreten sind; oder auch darin, dass das Material,
das ihnen zu Gebot stand, nicht hinreichend war; oder schliess-
lich darin, dass sie sich technisch unvollkommener Arbeits-
methoden bedienten.
Parker (39), der während 12 Jahren aus komparativ anato-
mischen Gründen die Ansicht vertreten, dass der Malleus seinen
Ursprung vom Mandibularbogen, der Incus vom Hyoidbogen und
der Stapes von der Labyrinthkapsel nimmt, kehrt 1886 (40) reu-
voll zu der alten Reichertschen Meinung zurück. — Mittlerweile
600 IVAR BROMAN,
war jedoch sein Jünger Fraser (13) durch — wie es Dreyfus (10)
wohl mit Recht annimmt — Auctoritätsglauben zu derselben
merkwürdigen Meinung über den Incus-Ursprung gekommen.
Den Ursprung des Stapes betreffend schloss Fraser sich
Salensky (47) an.
Es ist Salenskys letzter Aufsatz (47), der in unserer Lehr-
buchslitteratur eine so grosse Rolle gespielt. — Sein grosses
Verdienst ist, dass er bei Embryonen (von Schaf und Schwein)
die Existenz der Arteria stapedialis — die er weniger passend
A. mandibularis nennt — gezeigt und den Kausalzusammenhang
zwischen diesem (Gefäss und der Ringform des Steigbügels auf-
gedeckt hat. Früher glaubte man, dass die Intercrurallücke durch
Resorption im Knorpel entstehe. — Diese Arbeit zeigt aber
auch viele und grosse Mängel.
Was nun zuerst seine Arbeitsmethode betrifft, die, wie früher
erwähnt, hauptsächlich inmakroskopischer Präparation mit Nadeln
bestand, so muss diese beim Studium des Entstehens der Gehör-
knöchelchen noch unverlässiger sein als irgendwo sonst. Wir
haben ja gesehen, wie sich die verschiedenen Teile der Gehör-
knöchelchenanlagen in den ersten Entwickelungsstadien auf ganz
verschiedenen histologischen Ausbildungsstufen befinden. So
sehen wir z. B. wie in einem Stadium der ganze Stapes, Manu-
brium mallei und Crura incudis aus Blastem bestehen, während
sich im Corpus incudis ein kugeliger Vorknorpelkern und in
der übrigen Partie des Mandibularbogens ein anderer, cylin-
drischer befinden. Macht man sich nun daran, bei diesem Stadium
die Gehörknöchelchenanlagen makroskopisch hervorzupräparieren,
so wird natürlich das Resultat, dass man die bedeutend wei-
cheren blastematösen Partien wegpräpariert und so vom ganzen
Mandibularbogen nur einen cylindrischen Stab mit einer Ein-
kerbung zwischen den beiden Vorknorpelkernen erhält; vom
Stapesring und dessen Verbindung mit dem Hyoidbogen (dem
Interhyale) bleibt nach der Dissektion nichts übrig.
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 601
So sind augenscheinlich die von Salensky gelieferten Bilder
der frühzeitigeren Gehörknöchelchen (s. seine Fig. 2, 3u.4) zu
stande gekommen. Sie sind also reine Kunstprodukte;
es ist die höchste Zeit, dies aus der Lehrbuchs-Litteratur zu
entfernen. — Merkwürdig ist jedoch das grosse Vertrauen, das
Salensky selbst für diese Präparationsmethode hegt. „Die Unter-
suchung der Entwickelung der Gehörknöchelchen,“ sagt er, „kann
auf den Querschnitten, sowie an den präparierten Embryonen
untersucht werden und zwar giebt die Präpariermethode des ganzen
Knorpels für die Untersuchung der Entwickelung von Hammer und
Amboss viel bessere Resultate als die Querschnittsmethode‘ (l.c. S.
423). Und doch sagt er gleich nachher: „Selbst an den gefärbten
Präparaten treten die Grenzen der Knorpel nicht sehr scharf
hervor und das die Knorpel umhüllende embryonale Binde-
gewebe kann nicht vollkommen entfernt werden“ (l. c. 8. 424),
— Wie Fraser!) u. a. hervorheben, begeht Salensky den
grossen Fehler, die Vena jugularis primit. als Arteria carotis
interna zu beschreiben und abzubilden. (S. seine Fig. 1!) (In
seiner vorläufigen Mitteilung (46) nennt er sie bald Carotis
externa bald Carotis interna!) Und von diesem Gefäss lässt er
seine Arteria mandibularis (A. stapedialis) sich abwärts durch
den Stapesring strecken. Ziehen wir hieraus die Konsequenzen,
so sollte also keine Arterie, sondern eine Vene die Perforierung
des Steigbügels veranlassen. Spätere Verfasser, die Salenskys
Irrtum bemerkt, bezeichnen doch dieses Gefäss noch als eine
Arterie, die von der wirklichen Arteria carotis interna kommt.
Aus meiner Stadienbeschreibung ergiebt sich, dass sie hierin
Recht haben. Daraus lässt sich auch eine Erklärung für den
anderen Irrtum Salenskys (die Arteria stapedialis von der
Vena jugularis ausgehen zu lassen) finden. Nachdem die Arteria
stapedialis das Stapesblastem durchlaufen, kommt sie nämlich
1) Fraser beging jedoch selbst den eben so grossen Fehler auf seinen
Abbildungen den Meckelschen Knorpel V. jugularis zu nennen,
602 IVAR BROMAN,
in das Gebiet des Mandibularbogens hinüber und läuft hier
unmittelbar an der lateralen Wand der V. jugularis ein Stück
hinauf (s. Taf. A Fig. 10); sie steht wahrscheinlich mit dieser
in Kapillarverbindung. An dicken Schnitten kann es deshalb
leicht aussehen, als ob das fragliche Gefäss von der Vena jugu-
laris käme. — Dass Salensky die erste Anlage des Steigbügels
erst bei 23/a cm langen Embryonen (Schaf-) gefunden, und dass
sie ohne jede Verbindung mit dem Hyoidbogen war, ist eine
natürliche Folge seiner Arbeitsmethode. Solange der Steigbügel
aus Blastem besteht, kann er nicht durch Präparation nachgewiesen
werden; und da der die Verbindung mit dem übrigen Teil des
Hyoidbogens vermittelnde Strang (das Interhyale) nie das
Blastemstadium überschreitet, so kann derselbe auch nicht durch
Präparation gefunden werden. Vielleicht ist übrigens bei Schaf-
embryonen von 2?/ıcm Länge das Interhyale schon verschwunden.
— Die von Salensky beschriebenen trapezoiden und fünl-
eckigen Formen der jungen Stapesanlage sind wahrscheinlich
auch als Kunstprodukte zu betrachten. Querschnitte, die nicht
in derselben Ebene liegen wie der Stapesring, geben oft etwas
unregelmässige Bilder desselben. Nach der Rekonstruktion findet
man aber, dass der Stapesring in den frühzeitigeren Stadien immer
kreisrund ist. — Salenskys positive Behauptung, „dass es
keine Entwickelungsperiode giebt, in welcher diese Teile (die
Gehörkapsel und die Visceralbogen) in Form von differenzierten,
weichen Anlagen vorhanden wären,“ ist, wie es sowohl durch
die meisten späteren Publikationen über diesen Gegenstand wie
auch durch meine Untersuchung dargelegt ist, vollkommen
falsch. — Die Behauptung in seiner vorläufigen Mitteilung
[46] 8. 253), dass die Stapesanlage dem ersten Visceralbogen
angehört, scheint er gleich bereut zu haben, denn in seiner
späteren Arbeit (47) wird hiervon kein Wort erwähnt.
Hannover (19) bediente sich derselben unvollkommenen
Arbeitsmethode: makroskopischer Präparation. Die Mehrzahl
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 603
seiner Beobachtungen über die frühzeitigeren Stadien sind des-
halb ohne Wert. Seine Beschreibung der späteren Stadien ist
dagegen im allgemeinen als vollkommen zuverlässig zu betrachten.
Seine Ansicht, dass der Processus longus (Folii) mallei erst nach
der Geburt in direkte Knochenverbindung mit dem Hammer
treten soll, ist aber, wie meine Stadien X — XXX zeigen,
unrichtig.
Gradenigos (15) gross angelegte Arbeit hat uns viel Neues
von Interesse gegeben. Ohne Fehler ist sie jedoch keineswegs.
Um vorgefassten Meinungen zu entgehen, hat er sich das
Programm aufgestellt, erst „die fundamentalen Entwickelungs-
vorgänge“ festzustellen und erst danach dazu überzugehen diese
zu deuten und mit den Resultaten der komparativen Anatomie
in Verbindung zu stellen. Niemand kann wohl bestreiten, dass
dieses Programm sehr vernünftig ist, aber es nützt nichts, wenn
man in seinen Beobachtungen einen solchen Fehler begehen
kann, wie Gradenigo dennoch gethan, da er der Stapes-
platte einen labyrinthären Ursprung geben will. Sowohl aus
Dreyfuss’ (10) und Zondeks (64) wie meinen Untersuchungen
ergiebt es sich nämlich, dass sich Gradenigo hier geirrt; diese
Partie der Labyrinthkapsel unterliegt in späteren Stadien einer fast
vollständigen Atrophie, sodass nur eine dünne Bindegewebsschicht
an der medialen Seite der Fussplatte zurückbleibt. Gradenigo
hat selbst den Beginn dieser Atrophie beobachtet. Dass er
diesem Vorgehen nicht hat bis zu Ende folgen können, kommt
wohl davon, dass er nicht hinreichendes Material zur Verfügung
hatte, oder dass die späteren Stadien, wo sich dieser Prozess
abspielt, nicht genau genug untersucht wurden. Dass Binde-
gewebsfasern von aussen in die celluläre Anlage des Annular-
ligamentes eindringen sollten, muss auch — nach meinen
Beobachtungen — ein Irrtum sein. Vielleicht haben die die
Pars membranacea tegminis tympani zusammensetzenden Binde-
gewebsfasern, welche nach innen verlaufen und sich am oberen
504 IVAR BROMAN,
Rande des ovalen Fensters befestigen, an gar zu dickem oder in
anderer Weise weniger guten Schnitten ein Eindringen in die
Anlage des Annularligamentes vorgetäuscht. „Das Zertrümmern“
der eigenen Zellen des letzteren ist wahrscheinlich erst bei der
Mikrotomierung eingetreten. Während das Annularligament
noch aus weichem blastemähnlichen Gewebe besteht, kann es
leicht bersten, wenn das Messer durch die Knorpelpartien passiert,
die es begrenzen. Durch weniger gute Schnitte ist wohl auch
seine Beobachtung hervorgerufen, dass sich das Crus longum
incudis sekundär mit dem Stapesring in Verbindung setzt
und dass (bei 4—4!/s cm langen menschlichen Embryonen) der
Hammer mit dem Amboss „knorpelig partiell vereinigt ist, der
betreffenden Gelenkfläche entsprechend“. — Dass Gradenigo
an seinen Schnitten solche kleinere Beobachtungsfehler begehen
konnte, scheint aber recht natürlich, wenn man sieht, dass er
sich den fast unverzeihlichen Fehler zu Schulden konımen lassen
kann, den Meckelschen Knorpel mit der Vena jugularis zu
verwechseln (Baumgarten P3)).
v. Noordens (38) ältestes Stadium war — wie früher
erwähnt — ein Embryo von 23 mm. Wie wir gesehen, erlaubt
ein solcher überhaupt keine Schlussfolgerung über die Bildung
der Fussplatte. Da die Schnitte wahrscheinlich eine Dicke von
100 « hatten (s. His [24], so kann man a priori annehmen,
dass sie für eine Untersuchung wie die vorliegende sehr wenig
verwendbar sein mussten. v. Noorden kam auch zu recht
merkwürdigen Resultaten; so z. B. sollte nicht nur die Fussplatte
sondern auch ein Teil der Crura labyrinthären Ursprunges. sein.
Rabls (42) Untersuchung hat für uns sehr grosses Interesse.
Die einzige Bemerkung, die ich dagegen machen kann, ist dass
er die erste Stapesanlage als eine Umbiegung des Hyoidbogen-
blastems um die Arteria stapedialis beschreibt, und dass er die
Verbindung zwischen Stapes und Crus longum incudis als
sekundär ansieht.
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 605
Staderinis (57) Untersuchung ist soweit von Interesse,
als er die Selbständigkeit des Annulus stapedialis im Verhältnis
zur Labyrinthkapsel dargelegt. Sonst vertragen aber seine
Beobachtungen keine tiefer gehende Kritik. Höchst merkwürdig
müsste das Spiel der Natur sein, wenn, wie es Staderini
beschreibt, der Hyoidbogen sich erst sekundär mit dem Stapes-
ringe in Verbindung setzte, da doch diese Brücke (das Interhyale)
in einigen Tagen wieder verschwinden soll (siehe Fig. 71).
P.coch|
Fig: 7.
Schematisehe Darstellung der Stadd. I (Sehweinsembr. 15 mm), II (16 mm) und III (17,5 mm)
Staderinis.
P. cochl, Pars eochlearis, P. ean. sm. Pars canalium semieireularium der Labyrinthkapsel,
M. Mandibularbogen, H. Hyoidbogen, St. Stapes, Ih. Interhyale.
Dreyfuss(10) hat sehr wertvolle Beiträge zur Lehre über
die Entwiekelung der Gehörknöchelchen geliefert. — Bei seinem
ersten Stadium (Meerschweinchen, 22 Tagen) beobachtete er
den primären Zusammenhang des Stapesblastems mit dem der
beiden Visceralbogen — in voller Übereinstimmung mit meinem
Befund bei dem menschlichen Embryo. Er scheint mir doch
der „centrierten Schichtung‘“ der Stapeszellen um das Gefäss gar
zu viel Gewicht beizulegen, indem er sich daraus zu der Folge-
rung berechtigt ansieht, dass der Stapesring ein selbständiges
Gebilde ist, das keinem der Visceralbogen angehört. Meiner
Auffassung nach ist diese konzentrische Zellenanordnung nichts
wesentliches; sie existiert, wie meine ersten Stadien zeigen,
anfangs gar nicht, sondern kommt erst sekundär zum Vorschein,
Anatomische Hefte. TI. Abteilung. XXXVII. Heft (11. Bd. H. 4.) 40
606 IVAR BROMAN,
wenn sich die Zellen um die Arteria stapedialis, so zu sagen,
dichter zusammenpacken. — Dass er schon bei seinem dritten
Stadium (Kaninchenembryo, 16 Tage alt) nicht nur die Verbindung
mit dem Hpyoidbogen sondern auch die mit dem Mandibular-
bogen abgebrochen fand, kann sich keineswegs erklären, wenn
ich nicht annehmen darf, dass an dieser Stelle eine oder
mehrere Schnitte der Serie verloren gegangen waren. (Dass
solches selbst dem Geübtesten zuweilen passieren kann, ist
wohl nicht zu bestreiten.) — Bei seinem folgenden Stadium
(Kaninchenembr., 17 Tage alt) findet er jedoch die Verbin-
dung zwischen Stapes und Mandibularbogen wieder. Natür-
lich muss er dann dieses so erklären, dass ein Auswuchs
(Crus longum incudis) herunter gewachsen und sich sekundär
mit dem Stapesring verbunden. Eine andere Konsequenz hiervon
wird, dass er nicht die Blastemscheibe zwischen diesen Partien
als eine echte Zwischenscheibe anerkennen kann. — Dreyfuss'
Ansichten über das proximale Ende des Hyoidbogens, dessen
Befestigung an der Labyrinthkapsel und dessen spätere Bestim-
mung stimmen mit meinen Befunden wenig überein. Nach
Dreyfuss sollte der Hyoidbogen mit der Labyrinthkapsel
„durch ein neu auftretendes, zuerst vorknorpliges später knorpliges
Gebilde,“ das er „Schaltstück oder Intercalare“ nennt, in Ver-
bindung treten; wir erkennen darin den lateralen Gabelzweig
des Hyoidbogens, das Laterohyale. Dieses hat, wie wir gesehen,
einen selbständigen Vorknorpelkern, woraus sich erklärt, dass
Dreyfuss es als ein bei seinem ersten Hervortreten sowohl
von der Labyrinthkapsel wie vom Hyoidbogen getrenntes Gebilde
beschreiben kann. — Wie sich aus Dreyfuss’ These Nr. 24
ergiebt, sollte der Processus styloideus Politzer (65) nicht nur
aus dem bestehen, was Dreyfuss als das proximale Ende des
Hyoidbogens ansieht, sondern auch aus seinen „Intercalare“ und
einem Teil der Bogengangkapsel. Aus meinen Rekonstruktionen
geht jedoch hervor, das es sich nicht so verhält. Das obere
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 607
Ende des Processus styloideus Politzer entspricht der Verdickung
des Hyoidbogens gleich unter dem Punkte, wo sich früher die
Gabelverzweigung befand. — Seine Beobachtung, dass „durch
Hereinwuchern von Fasergewebe von der Paukenhöhlenfläche
der Vorhofswand‘“ die Abgrenzung des ovalen Fensters vom
übrigen Teil der Labyrinthkapsel eintritt, habe ich, wie gesagt,
in keiner meiner Schnittserien bestätigt gefunden. Die Angabe,
dass das Gewebe im ovalen Fenster erst Jungknorpelstruktur
annehmen sollte, ehe es anfınge der Atrophie anheimzufallen,
hat Dreyfuss später, laut Angabe von Siebenmann (54),
mündlich zurückgenommen.
Baumgarten (3) beschreibt seinen Embryo recht genau und
zieht auch aus seinen Befunden an demselben ganz richtige
Schlüsse über den Ursprung den verschiedenen Gehörknöchelchen.
Für die Richtigkeit dieser Folgerungen kann jedoch — wie wir
leicht einsehen — sein einziges Stadium keine vollgültigen
Beweise abgeben. Die Frage, ob der Stapesring vom Hyoid-
bogen stammt, kann nur in viel früheren Stadien abgemacht
werden, die Frage, ob der Steigbügel vielleicht einen doppelten
Ursprung hat, erst in viel späteren Stadien. — Leider bildet er
nicht sein Rekonstruktionsmodell von allen Seiten ab, und ich
habe deshalb nicht, wie ich wünschte, einen vollständigen Ver-
gleich mit meinen eigenen Rekonstruktionsmodellen aus derselben
Entwickelungsperiode anstellen können. — Der Zellenstreif, den
Baumgarten lateral vom Malleus und Meekelschen Knorpel
sah, und der sich unten mit dem Belegknochen des Unterkiefers
vereinte, war nicht, wie Baumgarten glaubt, Processus longus
(Folii) mallei. Sowohl die Lage desselben wie auch der Über-
gang in den Unterkiefer sprechen mit Bestimmtheit dagegen.
Jacoby (31), der später denselben Embryo untersuchte, ist in
seinen Schlussfolgerungen über das Entstehen des Steigbügels be-
deutend vorsichtiger; er meint die Frage offen lassen zu müssen.
Den erwähnten Deckknochenstreifen betreffend, der am Rekon-
40*
608 IVAR BROMAN,
struktionsbilde Jacobys (lateral vom Meckelschen Knorpel)
deutlich hervortritt, schliesst er sich der von Baumgarten
ausgesprochenen Meinung an. Merkwürdigerweise hat das, was
man an Jacobys Abbildungen von den Gehörknöchelchen-An-
lagen sieht, mit den von Baumgarten gegebenen Bildern wenig
Ähnlichkeit; ein Verhältnis, dass mich in der Auffassung stützt,
dass eine Rekonstruktion bei geringer Vergrösserung von sub-
tilen Gegenständen mittels Wachsplatten keine vollkommen
sichere Resultate liefern kann.
Siebenmanns (54) Untersuchungsresultate von jungen
menschlichen Embryonen stimmen fast vollständig mit meinen
Befunden überein. Für seine Schlussbemerkung, dass sämt-
liche Gehörknöchelchen eher als selbständige Teile des vorknorpe-
ligen Schädelskelettes, als als Teile des Visceralskelettes zu
betrachten seien, hat er jedoch — meiner Meinung nach — nicht
hinreichende Gründe geliefert. So viel ich verstehe, beweist
mein Material das Entgegengesetzte.
Zondeks (64) Material war zwar nicht hinreichend um die
Frage über die Entwickelung der Gehörknöchelchen ganz klar
zu machen; seine Untersuchung dieses Materials wurde aber
sehr gut durchgeführt und stimmt auch im allgemeinen mit
meinen Beobachtungen über ähnliche Stadien überein. Dass er
bei einem 7 em langen Embryo eine mikroskopisch deutliche
Grenze zwischen dem Meckelschen Knorpel und dem Hammer-
kopfe gesehen, muss irrtümlich sein, denn ich habe weder bei
dem betreffenden Stadium (vergl. Stadium VIII!) noch später,
bis zur eintretenden Verknöcherung eine solche entdecken können.
— Die von ihm beschriebene Verschiedenheit der oberen und
unteren Partie der Zwischenscheibe des Hammer-Ambossgelenkes
bei einem 3!/e cm langen Embryo, habe ich auch nicht kon-
statieren können.
Broca et Lenoir (6) sind, wie es scheint, an die embryolo-
gische Deutung ihres, Falles gegangen, ohne andere Kennt-
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 609
nisse auf diesem Gebiet zu besitzen, als die sie aus Balfours
Lehrbuch geholt. — Dieses war aber in einer Periode geschrie-
ben, wo Parkers erste Auffassung über den Ursprung der Ge-
hörknöchelchen die englische Litteratur beherrschte. — Hiervon
beeinflusst, machen Broca et Lenoir die in unserer Zeit sehr
merkwürdige Annahme, dass der Processus Folii ein persistierender
Teil des Meckelschen Knorpels sein soll und das Manubrium
mallei ein entsprechender des Reichertschen Knorpels. — Ich
habe nicht nötig, mich auf einen Gegenbeweis dieser Annahme
hier einzulassen.
Hegetschweiler (21) scheint mir einige zu weit gehende
Schlussfolgerungen auf sein Material begründet zu haben. —
Dass der Stapesring vom Hyoidbogen gebildet wird, kann infolge
der primären Verbindung des Ringes mit dem Mandibularbogen
(Crus longum ineudis) nur bei so jungen Embryonen festgestellt
werden, dass die hintere Spitze der ersten inneren Visceral-
furche, die die Körperfläche erreicht, noch nicht verschwunden
ist. Das an den Stapesring stossende, noch aus Blastemzellen
bestehende Ende des Crus longum incudis als eine Anlage
des Ossiculum lenticulare Sylvii zu deuten, ist natürlich un-
richtig; das Ossieulum lenticulare existiert ja nicht, nicht einmal
als eine Epiphyse. — Seine Beschreibung der ovalen Form des
Steigbügels kann, da er nicht rekonstruiert hat, auf einen Irrtum
beruhen. Infolge der schrägen Stellung des Steigbügelringes
treffen die Querschnitie denselben ungefähr so wie die Linie a
in Fig. 8 auf folg. S. zeigt. Ein solcher Schnitt eines ganz kreis-
runden Ringes erhält — wenn die Querschnittsform desselben
rund ist — nicht das Aussehen der Fig. 8b, sondern der Fig. Sc,
die ganz mit Hegetschweilers Abbildung übereinstimmt, und
die, wenn man nicht rekonstruiert, wohl die Auffassung hervor-
rufen kann, dass der Ring oval sei. In einem solchen Schnitte
sieht man an den beiden „Polen“ des Bogens (Fig. 8 P) das
Periehondrium, das hier schräg getroffen ist, stärker gefärbte
610 IVAR BROMAN,
—
Zellenhaufen bilden: vielleicht Hegetschweilers „Knorpel-
kerne“. — Wie es sich nun auch bei Katzenembryonen verhal-
ten mag, so ergiebt es sich doch mit Gewissheit aus meinem
Material, dass wenigstens beim Menschen die Stapesanlage nie
ein gleichförmiges Oval bildet und dass sie nie an den ange-
gebenen Punkten besondere „Knorpelkerne“ besitzt. — Bei
seinem Katzenembryo von 29 mm findet er, dass das Interhyale
verschwunden ist. Dieses Verschwinden muss aber merkwürdig
sein, denn er will nicht mit Zondek darin einstimmen, dass
dieses durch regressive Metamorphose vor sich geht. „Durch
meine Präparate‘‘, sagt er, „bin ich zu der Ansicht gekommen,
Fig. 8.
[Z
dass dieses Verbindungsstück in seiner Entwickelung auf der
Stufe des Vorknorpels stehen bleibt, somit keinen Rückbil-
dungsprozess durchzumachen braucht.“ (?) — Sein 13mm
langer, menschlicher Embryo muss sehr schlecht konserviert
gewesen sein; man findet sonst keineswegs auf diesem Stadium.
den medialen Rand des Mandibularbogens ‚wellenförmig gezähnt‘“.
Dass der Mandibularbogen nur „auf einigen Schnitten noch
im Zusammenhang mit der Hammer-Ambossanlage‘“ war, deutet
auch darauf hin. Wie wir nämlich gefunden, wird derselbe erst
bei der Verknöcherung des Hammers von diesem abgegrenzt.
Die von Urbantschitsch (60) an 10- und 12wöchentlichen
menschlichen Embryonen gemachte Beobachtung, dass Hammer
und Amboss mit einander in Knorpelverbindung stehen sollten,
Die Entwıckelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 611
habe ich ebenso wenig wie Dreyfuss (10) u. a. konstatieren
können. Im Gegenteil habe ich sie in allen meinen Stadien
nach dem Auftreten des Vorknorpels vollkommen getrennt
gefunden.
Die in der Litteratur befindlichen Angaben über die Ver-
knöcherung der Gehörknöchelehen sind einander sehr wider-
sprechend. So nimmt Rathke!) an, dass der Steigbügel von
drei Punkten verknöchert; Rambaud et Renault (43) nehmen
vier Verknöcherungspunkte an. Was den Incus betrifit, so
glauben einige (Rambaud et Renault, Parker u. a.), dass
er zwei Ossifikationspunkte hat, einen für den Processus lenti-
cularis und einen für den übrigen Teil; andere dagegen (Hagen-
bach [20]) bestreiten die Existenz eines selbständigen Ossihi-
kationspunktes im Processus lenticularis. Der Malleus sollte als
abgesehen vom langen Fortsatz, zwei Össifikationscentra baben,
eins für den Kopf, ein anderes für das Manubrium. — Mein
eigenes Untersuchungsmaterial, das — da es nicht weniger als
20 verschiedene Stadien vom Anfang der Verknöcherung bis
zum Ende derselben umfasst — als ganz überzeugend anzu-
sehen ist, zeigt, dass die Gehörknöchelchen (abgesehen von dem
Processus longus mallei) nur ein Össifikationscentrum für jedes
haben. Hiermit stimmen Hannovers (19) und Dreyfuss’ (10)
Resultate überein. Das Material dieser Verfasser war jedoch
nicht hinlänglich umfassend um die Sache zu beweisen. — Auch
die Zeit des Anfanges der Verknöcherung betreffend, sind die An-
gaben einander sehr widersprechend. Rambaud et Renault (43)
und Tröltsch (59) gebenan, dass die Verknöcherung des Hammers
und des Amboss schon vor dem Ende des dritten Monats
anfängt. Nach Kölliker (33) beginnt die Verknöcherung erst
im vierten oder fünften Monat. Wie wir gesehen, ist die
1) Cit nach Minot (37) S. 766.
2) Siehe,Schwalbe (52) S. 487.
612 IVAR BROMAN,
Zeit des Anfanges der Verknöcherung individuell ganz ver-
schieden. Nach meinem Material zu urteilen, fängt die Ver-
knöcherung indessen jederzeit während des 5. Monats an.
Als ein mir ganz unerklärlicher Irrtum steht Minots (37)
auf Staderinis Untersuchung (57) begründete Ansicht, dass
der Stapes „aus einer Verknöcherung des ovalen Fensters hervor-
geht, und nicht zum Teil oder ganz aus dem Visceralskelett“.
Beweist nämlich Staderinis Untersuchung etwas, so ist es
— wie aus meinem Referat zu ersehen (S. 529) — gerade das
Entgegengesetzte. ®
Unerklärlich scheint mir auch die von Kollmann (32)
und Siebenmann (55) neulich ausgesprochene Auffassung,
dass der Processus longus (Folii) mallei ein persistierender Teil
des Meckelschen Knorpels sei. Schon Meckel, Weber und
Valentin haben beobachtet, dass dieser Auswuchs als ein
selbständiger Belegknochen angelegt wird, und die Verfasser,
die sich in letzter Zeit hierüber geäussert, haben alle konsta-
tieren können, dass es sich so verhält. Meine eigenen Unter-
suchungen beweisen dasselbe.
Auf Grundlage der vorwurfsfreien Angaben !) in der frü-
heren Litteratur und meiner eigenen direkten Beobachtungen
glaube ich mich jetzt im stande eine richtige und einigermassen
erschöpfende Darstellung des Ursprunges und der Entwickelung
der Gehörknöchelehen bei menschlichen Embryonen zu geben.
Mit Absicht gehe ich gar nicht auf die Frage über die
Homologie der Gehörknöchelchen ein.
1) Hiermit meine ich keineswegs alles das, was nicht im vorigen Kapitel
Gegenstand meiner direkten Kritik gewesen. Viele der nicht berührten Einzel-
heiten in den früheren Publikationen haben sich nämlich als unrichtig erwiesen ;
diese sollen im folgenden Kapitel Gegenstand meiner indirekten Kritik werden.
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menscheı. 613
Entwiekelungsgeschiehte der menschlichen Gehör-
knöchelchen.
I. Ursprung und früheste Entwickelung der
Gehörknöchelchen.
Den ersten Anfang zur Bildung der Gehörknöchelchen
findet man beim Menschen in der 6. Embryonalwoche. Schon
vorher kann man jedoch, wenn man die Lagenverhältnisse der
ungeformten Blastemmassen!) der Visceralbogen im Verhältnis
zu den die betreffende Gegend durchlaufenden Nerven und
Blutgefässen in Betracht nimmt, mit ziemlich grosser Sicherheit
die Anlagen der Gehörknöchelchen erkennen. Das Studium der
frühesten Gehörknöchelchen-Anlagen, bevor noch die Formbil-
dung angefangen, ist um so mehr von Bedeutung, da nur hier-
durch die Streitfrage über das Entstehen des Stapesringes ihre
Lösung finden kann.
Schon ehe sich das Mesoderm der beiden ersten Visceral-
bogen zu einigermassen gut begrenzten Blastemsträngen — so
zu sagen — zusammengepackt hat, existieren in dieser Region
einige Nerven und Blutgefässe, die für die Blastemmasse form-
bestimmend werden. — Gerade vor dem proximalen Ende des
Hyoidbogens geht von der Arteria carotis interna eine kleine
Arterie, Truncus hyo-stapedialis (Taf. A Fig. 5 Tr. h-st.) aus,
die sich nach kurzem Verlauf nach aussen in zwei Zweige
teilt, von denen der eine, Arteria hyoidea primitiva (A. hyoidea
Gradenigo) im Gebiete des Hyoidbogens bleibt, während die
andere, Arteria stapedialis (A. st.), schräg aufwärts und nach
aussen in die Gegend des Mandibularbogens hineindringt (siehe
Fig. 10. A. st., Taf. Al). — Gleich hinter dem dorsalen Finde der
ersten, äusseren Visceralfurche streckt sich die mächtige Vena
jugularis primitiva in einem nach vorn konkaven Bogen ab-
wärts und grenzt somit dorsal das Blastem der beiden ersten
1) Siehe Seite 560, Anm.
614 IVAR BROMAN,
Bogen ab. (S. Figg. 1 u. 9 Taf. A.) Medial und vorderhalb der-
selben sieht man den Nervus facialis erst nach unten und aussen,
dann in einem Bogen nach vorn hin ziehen (Figg.2—8 Taf. A. VID).
Von dieser vorwärts gerichteten Partie des Nerven geht die
Chorda tympani in gerader Linie aufwärts und medial aus, um
sich im Gebiete des Mandibularbogens dem Nervus trigeminus
anzuschliessen (Fig. 8 Taf. A.; Figg. 2 u. 3 Taf. C). Der N.
trigeminus streckt sich vom Ganglion trigemini gerade nach
vorn und unten (Fig. 2 Taf. C. V). Vom proximalen Ende
der erwähnten, äusseren Visceralfurche streckt sich die erste,
innere Visceralfurche — die hier gleich unter dem Ektoderm
liegt (Figg. 2—8 u. 10 Taf. A., J. Vf.) — nach innen abwärts.
Spitz und schmal im äusseren Teil, erweitert sich dieselbe
rasch nach innen. Ihre mittlere Partie kreuzt die hintere Seite
der Chorda tympani.
Wenn sich nun das Blastem der Visceralbogen!) bildet, so
muss es den zwischen diesen Organen liegenden Raum ein-
nehmen. Überall aber, wo sich kein solches Hindernis findet,
hängen die Blastemmassen der beiden Bogen direkt mit einander
zusammen.
An beiden Bogen kann man einen medialen und einen
lateralen Teil unterscheiden, die durch die resp. Nerven,
Trigeminus und Facialis geschieden werden (s. Fig. 3 Taf. C.).
Der Facialis verläuft in einer tiefen Furche erst am proximalen
Ende und dann an der unteren Seite des Hyoidbogenblastems
(Figg. 1 und 2. Taf. CO); der Trigeminus liegt in einer weniger
tiefen Furche an der oberen Seite des Mandibularbogens. — Die
hintere Spitze der ersten, inneren Visceralfurche grenzt proxi-
mal die lateralen Bogenteile von einander ab (s. Fig. 1 Taf. CO);
nach vorn dagegen sind diese Teile mit einander in breiter
Verbindung (Fig. 3. Taf. C). Nach vorn entfernt sich, wie
1) Sowohl hier wie im folgenden ist nur von den beiden ersten Visceral-
bogen die Rede.
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 615
gesagt, die genannte Furche immer mehr von der Aussenfläche
und grenzt hier nur die medialen Teile der Bogen von einander
ab. — Die lateralen Teile sind überall ungefähr gleich dick;
die medialen sind an ein Paar Stellen mehr oder weniger redu-
ziert. So verhält es sich am proximalen Ende des Mandibular-
bogens, wo die Vena jugularis prim. den Platz gleich unter und
medial vom Trigeminus einnimmt (s. Fig. 10 Taf. A), und in
einer intermediären Partie des Hyoidbogens, wo nur ein dünner
Facialismantel (das „Interhyale‘‘) den medialen Teil des Bogens
repräsentiert (Fig. 6 Taf. A. Ih). — Von den lateralen
Teilen der beiden Bogen werden — wie ein Vergleich
mit etwas späteren Stadien zeigt (Fig. 4 Taf. ©) — nur die
proximalen Stücke für die Bildung des eigentlichen
Visceralskeletts in Anspruch genommen. Die zu-
nächst darauf folgenden Partien werden bei der An-
legung des äusseren Ohres isoliert und grösstenteils
zur Bildung des Knorpels des äusseren Ohres ver-
wendet. Das proximale Ende des lateralen Teils des Mandi-
bularbogens bildet die Anlage zum Amboss und das proximale
Ende des lateralen Teils des Hyoidbogens die Anlage zu dem,
was Dreyfuss „Intercalare‘“ nennt, ich aber lieber Laterohyale
nennen möchte. — Das proximale Ende des medialen Teils
des Mandibularbogens gelangt — wie gesagt — nie zur Entwicke-
lung. Die übrige Partie, welche unmittelbar von der vorbei-
laufenden Chorda tympani aus nach vorn geht, ist die Anlage
zum Hammer und Mecekelschen Knorpel!). — Von dem
medialen Teil des Hyoidbogens bildet die proximale Partie den
Steigbügelring, die zunächst darauf folgende das Interhyale und
der Rest den Reichertschen Knorpei?).
Die Stapesanlage bildet anfangs einen unebenen Zellenring
um die Arteria stapedialis (Fig. 2 Taf. C). Dieser Ring steht
!) Siehe Seite 581. Anm.
2) Siehe Seite 579.
616 IVAR BROMAN,
vor dem N. facialis sowohl mit dem Mandibularbogen wie mit
dem übrigen Theil des Hyoidbogens in Verbindung. Dass die
Stapesanlage, der anfangs existierenden Verbindungmit
dem Mandibularbogen ungeachtet, doch gewisszum
Hyoidbogen zu rechnen ist, beweistihreLagekaudalvon
der ersten, inneren Visceralfurche (sieheFigg. 4 u.5 Taf. A).
Dafür spricht auch das von Rabl (42) hervorgehobene Faktum,
dass der Musculus stapedius vom Nerv des Hyoidbogens, dem
N. facialis, innerviert wird. — Die Zellen des Stapesblastems, die
anfangs ohne Ordnung liegen, sammeln sich in konzentrischer
Anordnung um die Arteria stapedialis; zugleich werden die
Grenzen des Ringes schärfer und die Form kreisrund. Infolge
der Richtung des Gefässes erhält der Stapesring schon von
Anfang an seine definitive schräge Stellung (ca. 45° gegen die
-Horizontalebene).
Anfangs sind die Visceralbogen von. der Labyrinthkapsel
deutlich abgegrenzt, die lateralen Bogenteile durch die Vena
jugularis prim. und die Steigbügelanlage durch eine helle, von
zahlreichen, kleinen Blutgefässen durchbrochene mesodermale
Zone (auch von Staderini (57), Dreyfuss (10), Sieben-
mann (54) und Hegetschweiler (21) beobachtet). Es dauert
aber nicht lange, ehe die Bogen mit der Labyrinthkapsel in Ver-
bindung treten. Die Mesodermalzone zwischen dem Stapes-
blastem und der Labyrinthkapsel verschwindet in der 6. Em-
bryonalwoche, an deren Schluss sich der Stapesring in das
undeutlich begrenzte Blastem der Labyrinthkapsel hineindrängt
(Fig. 1 Taf. B). Ungefähr zur gleichen Zeit erfährt die Vena
jugularis pr. eine starke (sowohl relative als absolute) Ver-
kleinerung, wodurch die lateralen Endblasteme der beiden Bogen
— lateral von der Vene — dazu kommen mit der Labyrinth-
kapsel zusammenzufliessen. Ich benutze den Ausdruck ‚zu-
sammenzufliessen“ um damit den intimen Zusammenhang
zwischen diesen Teilen hervorzuheben, der es während der
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen heim Merschen. 61
nächsten Zeit nach der Vereinigung fast unmöglich macht,
bestimmte Grenzen zwischen den Visceralbogen und der Laby-
rinthkapsel zu ziehen. Es sind nur die Lagenverhältnisse zu
den Nerven, die eine richtige Berechnung hierüber erlauben. Der
Stapesring verhält sich gewissermassen anders, indem er durch
seine stärkere Färbung und konzentrische Zellenanordnung sich
auch auf diesem Stadium leicht von der Labyrinthkapsel ab-
grenzen lässt.
Beim Eintrittdes Vorknorpelstadiums werden je-
doch die Grenzen wieder deutlich, indem die Blas-
temmassen verschiedener Herkunft jede für sich
einen eigenen Vorknorpelkern besitzen, der durch eine
Zwischenscheibe von persistierendem, stärker färbbarem'!) Blastem
(wenigstens anfangs) von den benachbarten Partien abgegrenzt
ist. Zuerst tritt der Vorknorpel in der lateralen Wand der
Parscanalium semieircularium der Labyrinthkapsel und im
Mandibularbogen auf (vergl. Stad. II). — Letzterer hat
keinen einheitlichen Vorknorpelkern, sondern zwei:
einen für die Incusanlage und einen für die Malleus-
anlage plus den Meckelschen Knorpel. Der erwähnte
Vorknorpelkern in der Pars canalium semiecircularium breitet
sich bald aus, sodass er diese ganze Kapselpartie mit Ausnahme
des vorderen, mit dem Visceralbogen verbundenen Teiles ein-
nimmt, der noch lange seinen blastematösen Charakter behält.
— Erst in der 7. Woche schreitet die Vorkorpelbildung in
die Pars cochlearis der Labyrinthkapsel vor. Gleichzeitig
werden die beiden Fenestr& und zwar so angelegt, dass
die dafür bestimmten Partien der Labyrinthkapsel
auf dem Blastemstadium stehen bleiben.
Die beiden Vorknorpelkerne des Mandibularbogens werden
durch eine persistierende, dünne Blastemschicht vollständig von
einander getrennt. Diese bildet keine ebene Querscheibe,
I) Wenigstens bei Anwendung von Kernfärbungsmitteln.
618 IVAR BROMAN,
sondern tritt schon von Anfang an als eine winkelig
gebogene Platte auf, deren vorderer, sagittaler Teil
bedeutend grösser ist als der hintere, frontale. Diese
beiden Abteilungen begrenzen die beiden späteren
Hauptfacetten im Hammer-Ambossgelenk, welche also
schon in der 6. Embryonalwoche angedeutet sind. Die grössere
Gelenkfacette der Hammeranlage ist in diesem Stadium gerade
nach aussen gerichtet und die kleinere nach hinten. Erst in
späteren Stadien bekommt durch veränderte Lage der Gehör-
knöchelehen die grössere Facette ihre Richtung nach hinten, die
kleinere nach innen.
Zur gleichen Zeit mit der Bildung des Vorknorpelkerns im
Mandibularbogen wächst dessen der Chorda tympani zunächst
liegendes Blastem nach unten und innen. Da jedoch die
serade ausgespannte Chorda (Figg. 2 und 5 Taf. C. Ch. t.)
im Wegeliegt, wird dasBlastemgezwungen, sich bei
diesem Wachsen nach unten in einen vorderen und
einen hinteren Zweig zu teilen. In dem hinter der
Chorda liegenden Zweig, der von Anfang an mit dem Stapes-
ring in Verbindung gestanden, erkennen wir jetzt die Anlage
des unteren Teils des Crus longum incudis. Der vor
der Chorda liegende, unten freie Blastemzweig ist die Anlage
des Manubrium mallei. Der obere Teil des Orus longum
ineudis und das Collum mallei, die in der 6. Woche auch fort-
während aus Blastem bestehen, sind mit einander noch direkt
verbunden. Sie werden erst in der 7. Woche von einander
getrennt (s. Stad. IV, Fig. 7 Taf. C), allem Anschein nach
durch die Zugeinwirkung nach vorn, die die Chorda tympani
auf das Manubrium ausübt, indem ihr oberer Befestigungspunkt
nach vorn gezogen wird (vergl. Figg. 5 u. 7 Taf. C).
Das Manubrium mallei ist anfangs sehr kurz und rela-
tiv dick und streckt sich, einen Winkel von nur 110° gegen den
übrigen Malleus bildend, fast gerade nach innen (Fig. 4 Taf. ©
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 619
Mn.) Erst in einem etwas späteren Stadium (in der 7. Woche;
s. Stad. IV!) wird der Processus lateralis oder brevis angelegt.
Er bildet anfangs einen von dem Winkel zwischen Collum und
Manubrium mallei ausgehenden, gerade nach unten gerichteten
Blastemauswuchs (Taf. € Fig. 6Pr.].). Erst später wird er, gleich-
zeitig damit dass der Winkel zwischen Manubrium und Collum
mallei sich vergrössert, allmählich nach aussen gerichtet
(vergl. Figg. 1, 4 und 10 Taf. F). Das Caput mallei ist an-
fangs sehr klein und liegt mit seiner obersten Partie bedeutend
niedriger als die des Corpus incudis (Fig. 6 Taf. C).
Von den älteren Partien des Mandibularbogens gelangt die
Vorknorpelbildung nach und nach in "die jüngeren hinunter.
Im proximalen Ende (d. h. in der Incusanlage) schreitet sie
auch nach hinten fort, wo sie einem Vorknorpelauswuchs der
Labyrinthkapsel begegnet, der sich medial von der Incusanlage
nach vorn streckt. Zwischen ihnen persistiert eine dünne Blastem-
schicht, eine Zwischenscheibe. Nachdem diese hintere, laterale
Abteilung der Incusanlage im Vorknorpel übergegangen, er-
kennen wir darin das Crus breve inceudis.
Das Blastem des Hyoidbogens geht etwas später als das des
Mandibularbogens in Vorknorpel über. In der 8. Woche tritt
Vorknorpel ungefähr gleichzeitig im Stapesring und im distalen
Teil des Hyoidbogens auf. Man findet dann auch einen
besonderen Vorknorpelkern im lateralen Gabel-
zweig des Hyoidbogens, dem Laterohyale. Dieser Vor-
knorpelkern bleibt noch längere Zeit durch persistierendes Blastem
sowohl von der Labyrinthkapsel wie von dem medialen Teil
des Hyoidbogens getrennt (Fig. 5 Taf. B Lh.). Eine Partie des
letzteren, der sog. Facialismantel oder das Interhyale erreicht
nie das Vorknorpelstadium. In der Regel atrophiert das
Interhyaleschon am Ende des2. Monats, wie es scheint,
dadurch, dass es vom Nervus facialis abgeschnürt
wird (s. Taf. B Fig. 5!l). Dieser Nerv, der ursprünglich
620 IVAR BROMAN,
zwischen dem medialen und lateralen Teil des Hyoidbogens
liegt (s. Figg. 3 u. 4. Taf. C|), verläuft nämlich in der Folge, indem
er seine Lage etwas verändert, schräg über und unmittelbar am
Interhyale, wodurch er dasselbe, wie erwähnt, abzuschnüren scheint
(Fig. 5 Taf. B). Die beiden Endstücke des Interhyale, die am
Stapesringe und am Hyoidbogen sitzen bleiben, sind noch eine
Zeit lang zu spüren (Fig. 11 Taf. © Ih.), verschwinden aber
bald vollkommen. Der Stapesring verliert damit jede Spur einer
Verbindung mit dem Hyoidbogen. Die Verbindung des Stapes-
ringes mit dem Crus longum incudis besteht, nachdem beide
in das Vorknorpelstadium übergegangen, aus einer blastema-
tösen Zwischenscheibe.
Weil im proximalen Ende des Hyoidbogens der laterale
Teil zur Entwickelung!) kommt, während in der distalen Bogen-
partie nur der mediale Teil entwickelt wird, beschreibt der
Nervus facialis eine halbe Spirale um den Bogen (siehe Fig. 4
Taf. 0).
Die beiden erstenVisceralbogen zeigenimganzen
vollkommen analoge Verhältnisse. Nur im proximalen
Ende kommt der laterale Teil zur Entwickelung. Dieser stellt
‚m Mandibularbogen die Ineusanlage dar, im Hyoidbogen die
Anlage des Laterohyale. Diese beiden haben jeder ihren Vor-
knorpelkern. In der Partie vor der Chorda tympani kommt
nur der mediale Teil jedes Bogens zur Entwickelung. In
der Partie hinter der Chorda tympani verhalten sich die medi-
alen Bogenteile dagegen etwas verschieden. Der ganze mediale
Teil des Mandibularbogens wird nämlich hier durch die Vena
jugularis primitiva verhindert sich zu entwickeln. Vom Hyoid-
ı) Hiermit meine ich Entwickelung als eigentliches Visceral-
skelett. Wie gesagt kommen nämlich auch die distalen Partien der lateralen
Teile der beiden Bogen zur Entwickelung; sie werden aber bei der Anlegung
des äusseren Ohrs isoliert und also nicht für die Bildung des eigentlichen
Visceralskelettes in Anspruch genommen.
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 621
bogen wird das proximale Ende des medialen Teils durch die
Gegenwart der Arteria stapedialis gezwungen Ringform anzu-
nehmen; die zunächst darauf folgende Partie (das Interhyale),
die schon von Anfang an dünner ist, befindet sich schon beim
ersten Auftreten des Vorknorpels in regressiver Metamorphose
und kommt vor ihrem Verschwinden nicht über das Blastem-
stadium hinaus. Eine Folge hiervon ist, dass der mediale Teil
des Hyoidbogens zwei Vorknorpelkerne bekommt: einen für
den Steigbügel und einen für die übrige persistierende Partie;
während der mediale Teil des Mandibularbogens nur einen
Vorknorpelkern hat.
Obgleich es natürlich nur eine Hypothese werden kann,
will ich versuchen, eine Erklärung des Verhältnisses zu liefern,
dass wir, schon von Anfang an, ein in zwei Facetten geteiltes
Gelenk zwischen Hammer und Amboss finden, während die Ver-
bindung zwischen dem Laterohyale und dem Reichertschen
Knorpel (dem distalen Teil des Hyoidbogens) von einer ebenen
Zwischenscheibe repräsentiert ist (s. Text-Fig. 12, A. Zw.). Dieses
hat wahrscheinlich folgenden Grund. Ausser den beiden er-
wähnten Hauptabteilungen, dem medialen und dem lateralen
Teil (Fig. 9 P. m. und P.].) kann man im Blastem der beiden
Visceralbogen auch eine mittlere Abteilung (Fig. 9 P. im.)
unterscheiden, die den Nerv des betreffenden Bogens am nächsten
liegt. Diese intermediäre Partie persistiert im ganzen Mandı-
bularbogen; im Hyoidbogen verschwindet dagegen der proxi-
male Teil derselben (was durch den N. facialis veranlasst wird).
— Wo nun diese Pars intermedia mitten vor dem medialen Teil
ihres Bogens liegt, erhält sie Vorknorpel von demselben Kern
wie dieser und nur wo der mediale Teil fehlt, kommt ihr Vor-
knorpel vom Kerne des lateralen Teils. — Nehmen wir dieses
an, so ist damit eine Erklärung des obenerwähnten Verhält-
nisses gefunden, wie es das umstehende Schema (Fig. 9) am
besten verdeutlicht.
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVII. Heft (11. Bd., H. 4). 41
IVAR BROMAN,
Dass die hier befindlichen Nerven bei der Bil-
dung der Gehörknöchelchen eine recht bedeutende
mechanische Rolle spielen, ist mehr als wahrschein-
lich. Dass der N. facialis der Grund der Gabelzweigung des
Hyoidbogens ist, scheint einleuchtend (s. Figg. 1 u. 2 Taf. C!).
Auch ist es recht deutlich, dass die zwischen dem Facialis und
Iren Sehne Pı\
Fig. 9.
M. Mandibularbogen, H. Hyoidbogen, P. m. Pars medialis, P. im. Pars intermedia, P. 1. Pars
lateralis. V.j. pr. Platz der Vena jugularis primit., I. Ineusanlage, Ms. Malleusanlage, M.Kn.
Meckelscher Knorpel, Zw. Zwischenscheibe, St. Stapes, Lh. Laterohyale, R. Kn. Reiehertscher
Knorpel, Ih. Interhyale, VII. N. facialis, Ch. t. Ausgangspunkt der Chorda tympani.
dem Trigeminus gerade ausgespannte Chorda tympani (s. Figg.
2 und 5 Taf. C, Ch. t.!) ein Abtrennen des Manubrium mallei
vom Crus longum incudis bewirkez muss, wenn diese Partien
nach unten und innen wachsen. Mir scheint es auch höchst
wahrscheinlich, dass die Chorda, wenn ihr Befestigungspunkt
am Trigeminus (durch das starke Wachsen desselben in die
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 623
central von diesem Punkt liegende Partie) nach vorn und unten
rückt (s. Fig. 7 Taf. C), eine Zugwirkung sowohl auf das
Manubrium mallei, wie auf den Hyoidbogen ausüben muss,
Hierdurch wird die Abtrennung des Collum mallei vom oberen
Teil des Crus longum incudis bewirkt oder wenigstens erleich-
tert; hierdurch wird auch die immer stärkere Einwärtsbiegung
des Hyoidbogens medial von der Umbiegungsstelle des Facialis
hervorgerufen.
Zusammenfassung.
Der Amboss entsteht aus der proximalen Partie des
lateralen Teils des Mandibularbogens. Schon in der
späteren Hälfte des 2. Embryonalmonats nimmt er einigermassen
seine definitive Form an, indem der Verbindungszweig mit der
Stapesanlage zum Crus longum auswächst und die hintere
Partie nach der Vorknorpelbildung von der Labyrinthkapsel deut-
lich abgegrenzt wird und das Crus breve bildet.
Der Hammer verdankt sein Entstehen der zu-
nächst vor der Chorda tympani liegenden Partie
des medialen Teils des Mandibularbogens. So lange
dieser Bogen noch aus Blastem besteht, ist keine Grenze
zwischen Malleus und Incus zu entdecken; so bald aber der
Mandibularbogen in das Vorknorpelstadium eintritt, tritt eine
deutliche und scharf markierte Grenze dadurch hervor, dass
der Incus einen besonderen Vorknorpelkern besitzt,
der Malleus und die Anlage des Meckelschen Knor-
pels (s. 8. 58!)!) zusammen einen anderen haben. Diese
Grenze besteht aus persistierendem Blastem und entspricht dem
später entstehenden Gelenk zwischen Hammer und Amboss,
deren Hauptgelenkfacetten schon jetzt angedeutet
sind. Das Manubrium mallei, das nach unten und innen wächst,
wird schon auf dem Blastemstadium vom Crus longum ineudis
getrennt, wahrscheinlich weil sich die Chorda tympaniin
41*
624 IVAR BROMAN,
den für Hammer und Amboss gemeinsamen Blastem-
auswuchs, so zu sagen, einschneidet. Das Manubrium ist
anfangs sehr kurz und diek und fast gerade einwärts gerichtet,
wächst aber später nach und nach in die Länge, während es
zugleich mehr abwärts gerichtet wird. Der Processus lateralis,
der anfangs nach unten gerichtet ist, erhält hiermit eine mehr
laterale Richtung.
Der Steigbügelring wird aus der proximalen Par-
tie des medialen Teils des Hyoidbogens gebildet,
deren Blastemzellen sich um ein hier schon früher befindliches
Gefäss, die Arteria stapedialis, sammeln. Das Stapes-
blastem steht von Anfang an sowohl vorn mit der
übrigen Partie des Hyoidbogens wie nach oben mit
dem Mandibularbogen in Verbindung. Die Verbindungs-
brücke mit dem übrigen Teil des Hyoidbogens, das Inter-
hyale verschwindet bald, wie es scheint durch den
Nervus facialis abgeschnürt, die Verbindungsbrücke mit
dem Mandibularbogen dagegen persistiert als Crus longum ineudis.
Mit der Labyrinthkapsel tritt der Stapesring erst
sekundär in Berührung.
x
II. Weitere Entwickelung der Gehörknöchelchen vor
der Verknöcherung.
A, Malleus.
Wie wir von Fig. 6 (Taf. C, M.) sehen, hat der Hammer
bei seinem ersten Hervortreten mit dem späteren Knöchelchen
wenig Ähnlichkeit. Er ist recht plump und nimmt erst nach
und nach ein schlankeres Aussehen an, indem das Längenwachs-
tum relativ am stärksten wird. Am Ende des 2. Embryonal-
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 625
monats (s. Embr. IV!) hat der Hammer eine Länge von 0,7 mm.
Der Winkel, den das Manubrium gegen den übrigen Teil des
Malleus bildet, ist etwas grösser als vorher geworden und be-
trägt jetzt 120°. Caput mallei ist sehr klein und erreicht nicht
den oberen Rand des Incuskörpers. Es wächst jedoch rasch,
sodass es schon um die Mitte des 3. Monats recht hoch über
den Incus hinaufragt (s. Fig. 8. Taf. C!). — Die vordere Fläche
des Kopfes dient anfangs zum grossen Teil als Befestigungs-
stelle des Meckelschen Knorpels. Da dieser jedoch am
Ende des 3. Monats zu wachsen aufhört, der Hammer-
kopf aber — und zwar besonders die oberhalb des Meckelschen
Knorpels liegende Partie — weiter wächst, so wird der Meckelsche
Knorpel nach und nach immer weiter abwärts verschoben, so
dass er sich um die Zeit des Beginnens der Verknöcherung un-
gefähr an der Grenze zwischen Kopf und Hals befindet. Der
Hammerkopf ist am Anfang des 5. Monats recht lang und
schmal (s. Fig. 10 Taf. F!); die Wölbung nach vorn fehlt noch.
Sie tritt erst unmittelbar vor der Verknöcherung auf. Die beiden
Höcker an der unteren Grenze der Vorderfläche entstehen erst
nach der Verknöcherung. — Die Crista mallei entsteht
erst während des 4 Monats. Ihre Entwickelungsweise ist
wesentlich verschieden von der des Manubrium und des Processus
lateralis. Während diese als Blastemauswüchse entstehen und
dann die Vorknorpel- und Jungknorpelstadien durchlaufen, so
besteht die Crista mallei schon bei ihrem ersten Her-
vortreten aus Jungknorpel, der dasselbe Aussehen zeigt
wie im übrigen Teil des Caput mallei. Auch darin ist die
Bildung der Crista mallei abweichend, dass sie nicht durch
ein peripherisches Wachstum der betreffenden Partie entsteht,
sondern durch Resorption der zunächst darunter liegen-
den. Am Ende des 3. Monats tritt diese Knorpelresorption an
der lateralen und hinteren Seite auf. Es entsteht hierdurch eine
seichte, schräg von oben lateral nach unten medial herab-
626 1VAR BROMAN,
ziehende Furche, die von fibrillärem Bindegewebe ausgefüllt
wird. Während der folgenden Zeit schreitet diese Resorption
fort, besonders in der Mitte der Furche, wo der darüber liegende
Teil der Crista mallei von Bindegewebe, dessen Streifen in der
Längsrichtung des Hammers verlaufen, gleichsam untergraben
wird (s. Fig. 6. $. 588!. Am Anfang des 5. Monats (vergl.
Embr. IX!), ehe noch Ligamentum mallei externum entwickelt
ist, hängt die Cristaanlage an der Seite des Hammers gerade
nach unten; erst später erhält sie ihre definitive Riehtung mehr
nach aussen.
Die Gelenkfläche gegen den Incus hat anfangs eine grössere,
laterale und eine kleinere, rückwärts gerichtete Facette (s. die
schematische Fig. 9 M. Zw. S. 6221). Diese Facetten verändern
während des 3. und des 4. Monats nach und nach ihre Lage,
sodass die laterale Facette rückwärts und die hintere einwärts
gerichtet wird. Der Grund dieser veränderten Lage liest in
der während dieser Entwickelungsperiode eintretenden Drehung
der ganzen Gehörknöchelchen-Kette. Seinerseits wird diese
Drehung wahrscheinlich durch das ungleiche Wachstum der
Labyrinthkapsel hervorgerufen. Infolgedessen wird nämlich der
Steigbügel nach vorn und etwas nach aussen verschoben, was
zu einer solchen Drehung zwingen muss, da das Crus breve
ineudis fixiert ist. — In diesen beiden Facetten, die schon beim
Auftreten des Vorknorpels, d. h. bei der ersten Abgrenzung des
Malleus von Incus, deutlich hervortreten, erkennen wir die beiden
Hauptfacetten des Hammers. Es dauert nicht lange, ehe auch
die Nebenfacetten angelegt werden. Schon bei meinem Embryo IV
sind sie angedeutet und beim Embryo V (30,5 mm) sind sie stark
markiert. Gleichwie bei dem fertigen Malleus ist doch die Teilung
der vorderen Hauptfacette in zwei Nebenfacetten im vorderen
(später lateralen) Teil nicht vollständig durchgeführt. — Der
Sperrzahn von Helmholtz ist im letzterwähnten Stadium schwach
angedeutet und nimmt in den folgenden Stadien nach und nach
an Stärke zu.
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 627
Der Hammerhals zeichnet sich schon im Vorknorpel-
stadium als eine seichte, zwischen dem Befestigungspunkt des
Meckelschen Knorpels und dem Processus lateralis liegende Ein-
schnürung ab. — Der Processus longus (Folii) wird am
Ende des 2. Monats als ein sehr dünner Belegknochen an der
unteren medialen Seite des Meckelschen Knorpels angelegt (Fig. 11
Taf. C, Pr. F.). Sein proximales Ende befindet sich schon von An-
fang an im Winkel zwischen dem Meckelschen Knorpel und
dem Collum mallei. Sein distales Ende rückt während des
Wachsens langsam nach vorn und unten. Beide sind von Anfang
an vollkommen frei. — Erst am Ende des 5. Monats, wenn das
Collum mallei verknöchert, schmilzt der Processus longus mit
dem Hammer zusammen. Bis dahin wird er nur durch Binde-
gewebe, das ihn mit dem Meckelschen Knorpel verbindet, in
seiner Lage gehalten. Bei meinem Embryo V (30,5 mm) hat
dieser Fortsatz nur eine Länge von 0, 4 mm; er nimmt später
sowohl an Dicke wie auch besonders an Länge zu und erreicht
Ende des 5. Monats eine Länge von 3,5 mm, eine Länge, die
sich — nach meinen letzten Stadien (Embr. XXVIIL XXIX
und XXX) zu urteilen!) — bis zum Ende des Fötallebens
nicht verändert. Zuweilen kann doch das Wachstum andauern
bis der Fortsatz eine Länge von sogar 5—6 mm erreicht (s.
Schwalbe (52) S. 4831).
Der Meckelsche Knorpel geht während der Blastem-,
Vorknorpel- und Knorpelstadien des Hammers direkt — ohne
histologische Grenze — in diesen über. Erst wenn die
Knochenbildung eintritt, wird der Meckelsche Knorpel
vom Hammer abgegrenzt. Die Grenze läuft nicht quer
über, sondern geht von aussen und vorn medialwärts und nach
hinten. Demzufolge kommt der Meckelsche Knorpel dazu, sich
!) Soweit ich durch Prüfung unter dem Mikroskop habe feststellen
können, ist keiner dieser Fortsätze abgebrochen.
625 IVAR BROMAN.
gleichsam an der medialen Seite des Hammers ein Stück rück-
wärts fortzusetzen (Stadd. X und XI). Die Resorption wird
schon im Anfang des 5. Monats eingeleitet, und tritt dann zwar
erösstenteils in der lateralen und in der medialen Seite des
Meckelschen Knorpels auf; später rückt sie von allen Seiten
gegen das Centrum hinein. Dadurch erklärt sich, dass der
Processus longus (Folii) in den späteren Stadien (s. Figg. 12—14
Taf. C!) weiter nach unten vom Meekelschen Knorpel zu
liegen kommt. — Gleichwie wir es bei der Resorption gesehen,
die die Bildung der Crista mallei hervorruft, wird auch hier
das Knorpelgewebe durch fibrilläres Bindegewebe ersetzt.
Der Hammergriff ist, wie erwähnt, anfangs sehr kurz.
Er wächst jedoch recht schnell, sodass er schon im 3. Monat
ungefähr so lang ist, wie Caput und Collum zusammen (vergl.
Figg. 1 und 3 Taf. E). Während dieses Wachstums
scheint er einem auswärts gerichteten Druck aus-
gesetzt zu sein, der nach und nach den Winkel (ursprüng-
lich nicht 120° überschreitend) zwischen dem Griff und dem
übrigen Malleus erweitert. Im Anfang des 3. Monats (Stadien
V und VI) hat sich dieser Winkel bis 135° erweitert, und in
der Mitte desselben Monats (Stad. VII) hat er seine definitive
Grösse, 140° erreicht. Von jetzt ab scheint der obere Teil des
Manubrium grössere Festigkeit erreicht zu haben, denn, obgleich
der Druck von innen (oder Zug nach aussen ?) fortdauert, wird der
besprochene Winkel nicht mehr erweitert. Dagegen tritt hierdurch
an der Spitze des Hammergriffes, die aus jungem, mehr nach-
eiebigem Gewebe besteht, nach und nach eine Biegung nach
aussen (und etwas nach vorn) ein. Dadurch entsteht die später
persistierende S-föormige Biegung des Hammergriffes (s. Figg. 4
2,10, Dar ER)
Der Processus brevis (lateralis) erscheint bei seiner
ersten Anlegung am Ende des 2. Monats als ein recht grosser,
se. bıund Tal rQ Ba);
O
abwärts gerichteter Blastemauswuchs (Fi
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 629
gleichzeitig damit, dass das Manubrium sich mehr abwärts richtet,
— und infolgedessen — wird dieser Auswuchs nach und nach
auswärts gerichtet (vergl. Figg. 1, 4 und 10 Taf. F))
Das Auftreten des Processus muscularis ist nicht
konstant. Bei Individuen, wo ein solcher vorkommt, wird er
eleich vor dem Ende des dritten Monats (s. Stad. VIII!) oder
etwas früher (Gradenigo) gebildet, wahrscheinlich infolge einer
Zugwirkung des vorher gebildeten Musculus tensor tympani.
Bei den Embryonen, die ich untersucht, habe ich einen gewissen
Gegensatz zwischen der Entwickelung des Processus muscularis
mallei und der des oberhalb der Fenestra ovalis hervortretenden
Auswuchses, an dem sich das von mir sogen. Ligamentum
trochleare befestigt, beobachten können. Bei den Embryonen,
wo der Processus muscularis mallei stark entwickelt, oder wenigstens
deutlich war, war der erwähnte Cochlearfortsatz (s. Fig. 5 S. 587a!)
schwächer entwickelt, und umgekehrt. Hieraus schliesse ich,
dass sie wahrscheinlich beide durch das Ziehen des Muskels
entstehen, und dass es wahrscheinlich in der Resistenz des
Malleolargewebes im Vergleich mit der des Cochlearkapsel-
gewebes seinen Grund hat, ob ein Processus muscularis mallei
entsteht oder nicht. — Der Auswuchs sitzt am medialen Rande
des Hammers ungefähr mitten vor dem Processus lateralis oder
etwas weiter nach oben (Fig. 4 Taf. F).
Der Musculus tensor tympani wird schon am Ende
des 2. Monats angelegt. Sein distales Ende hängt mit dem
Musculus tensor veli palatini zusammen. Diese Ver-
bindung hört bei einigen Individuen schon am Ende des 3. Monats
auf (Stad. IX), bei anderen kann sie, wie bekannt (s.. Schwalbe [52]
S. 5081) das ganze Leben hindurch bestehen. Beide Muskeln,
die dem ersten Visceralbogen angehören, werden von dem Nerv
dieses Bogens, dem N. trigeminus, innerviert. — Der Musculus
tensor tymp. ist schon früh winkelig gebogen. Ob diese Winkel-
biegung primär ist, oder durch sekundäre Verschiebung der
630
IVAR BROMAN,
Befestigungsstellen entsteht, lässt sich an meinen Präparaten
nicht mit Sicherheit entscheiden. — Am Ende des 3. Monats
wird die mediale, membranöse Partie des Tegmen tympani an-
gelegt. Der vorwärts und abwärts gerichtete Teil des Musculus
tensor tymp. wird dann in dieser Membran eingebettet (s. Fig. 10!)
Fig. 10. Te
Frontalsehnitt. Embr. IX.
L. sup. Lamina superior, L. inf.) Lamina inferior der Pars membranacea Tegminis tympani,
Pr. p. sup. Processus periotieus superior = Pars cartilaginea Tegminis tymp., M. t. t. Mus-
culus tensor tympani, P. cochl. Pars eochlearis der Labyrinthkapsel, Me. Meekelseher Knorpel
Pr. F. Processus Folii, T-t. r. Tubotympanales Raum.
d. h. in einer von einer oberen (L. sup.) und einer unteren
Lamelle (L. inf.) gebildeten Scheide eingeschlossen. An der
Umbiegungsstelle des Muskels sind die Bindegewebsfasern der
unteren Lamelle zu einem in diesem Stadium sehr distinkten
Die Entwiekelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 631
Bande gesammelt, dass ich Ligamentum trochleare (s. Fig. 5
S. 587 Lig. tr.) genannt habe. Der laterale Teil desselben be-
festigt sich an dem knorpelpräformierten Teil des Tegmen tympani
(Processus perioticus superior, Gradenigo); der mediale Teil an
dem obenerwähnten Auswuchs gleich über der Fenestra ovalis
(a). Durch dieses Ligament wird nun die betreffende Winkel-
biegung fixiert und die Sehne muss bei der Kontraktion des
Muskels, gleichwie die Sehne des Musculus obliquus oculi superior
über die Trochlea, darüber gleiten.
Die eigenen Ligamente des Hammers beginnen erst am
Ende des 5. Monats sichtbar zu werden.
B. Ineus.
Der Amboss nimmt zuerst von allen Gehörknöchelchen eine
dem definitiven Aussehen entsprechende Form an. Schon An-
fang des 3. Monats hat er die Gestalt eines „zweiwurzeligen
Backzahns“ (s. Fig. 2 Taf. F!). Der Winkel zwischen den beiden
Crura ist doch auf diesem Stadium (Stad. V) kleiner (nur 70°)
als bei dem fertigen Amboss. Die laterale Wölbung des Corpus
ist schon von Anfang an die mächtigste und erhebt sich bei
den jüngeren Stadien über das Caput mallei; die kleinere mediale
Wölbung sitzt bedeutend niedriger. Zwischen ihnen sieht man
von hinten schon in dem erwähnten Stadium (Stad. V) eine
recht tiefe Incisur.
Was die Gelenkfläche betrifft, kann ich mich kurz fassen.
Sie bildet ja sozu sagen einen Abdruck der entsprechenden Malleus-
gelenkfläche mit Erhöhungen für die Furchen derselben und um-
gekehrt. Nachdem die Nebenfacetten angelegt (Stadd. IV und V),
bildet jede der Hauptfacetten einen Gelenkkopf, der in eine
entsprechende Gelenkpfanne am Malleus passt. Der Sperrzahn
des Incus wird gleichzeitig mit dem des Malleus angelegt.
Das Crus breve ist anfangs abwärts gerichtet und streckt
sich erst nach und nach mehr rückwärts. Der vordere (später
632
IVAk BROMAN,
untere) Rand zeigt bei einigen Individuen am Ende des dritten
Monats eine kleine Vertiefung, die durch eine Knorpelresorption
an der betreffenden Stelle entstanden scheint. Ihr Auftreten
ist jedoch nicht konstant. — Das freie Ende des Crus breve,
das beim Auftreten von Vorknorpel in demselben deutlich von
der Labyrinthkapsel begrenzt worden ist, verbindet sich mit
dieser durch eine persistierende Blastemschicht. Diese Blastem-
schicht, die den Zwischenscheiben der übrigen Gelenke gleichwertig
ist, bleibt lange unverändert, und fängt erst im Anfang des
4. Monats an in ihrem peripherischen Teil fibrilläre Struktur an-
zunehmen. Hierdurch entsteht (gleichwie bei der Bildung des
Hammer-Amboss-Gelenkes) eine Gelenkkapsel, deren unterer
Teil am stärksten ist. Bei einigen Individuen tritt am Ende
des 5. Monats ein Bersten- in der Zwischenscheibe ein, und es
entwickelt sich eine wirkliche Gelenkspalte. Bei anderen ver-
wandelt sich dagegen die ganze Zwischenscheibe in fibrilläres
Bindegewebe und die Amboss-Pauken-Verbindung wird dann
eine Syndesmose.
Das Crus longum ist von Anfang an mit dem Hammer-
griff annähernd parallel. Anfangs ganz gerade, nimmt es nach
und nach die charakteristischen Biegungen an. Der Grund der-
selben mag wohl teils im Längenwachstum des Crus longum
selbst — nachdem der Steigbügel hinlänglich in der Fenestra
ovalis fixiert ist — teils in den vorerwähnten Verschiebungen bei
dem Wachsen der Labyrinthkapsel zu suchen sein. Schon am
Anfang des 3. Monats lassen sich diese Biegungen beobachten ;
sie nehmen später nach und nach zu. Zugleich vergrössert
sich auch der Winkel zwischen den beiden Crura, sodass er
gleich vor der Verknöcherung ca. 100° erreicht.
Der knopfförmige Processus lentieularis wird erst
Ende des 5. Monats angelegt, wenn der Amboss sonst fast ganz
verknöchert ist. Bis dahin zeigt das medianwärts scharf umge-
bogene Ende des Crus longum eine ebene Kontur ohne Ein-
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 633
schnürung. Wahrscheinlich ruft es der durch den Stapes ver-
mittelte Druck hervor, dass sich die zuletzt ‚gebildete, weichere
Partie des langen Ambossschenkels zu einem solchen knopf-
förmigen Gebilde ausbreitet. Die medianwärts gekehrte Fläche
ist leicht konvex und bildet den Gelenkkopf des Incus-Stapes-
Gelenkes. — Das bei den fertigen Gehörknöchelchen beobachtete
Verhältnis, dass die Spitzen des Crus breve und des Ürus
longum vom Amboss sowie des Manubrium des Hammers nahezu
in einer geraden Linie liegen (Helmholtz), existiert schon von
Anfang des 3. Monats ab.
C. Stapes.
Die Entwickelung des Steigbügels ist während dieser Periode
von besonders grossem Interesse. Sie zeigt nämlich, dass der
Stapesursprung einfach ist, oder mit anderen Worten, dass auch
die Lamina stapedialis ein Derivat des Hyoidbogens ist.
Die Steigbügelanlage behältrecht lange ihre kreis-
runde Form. Erst am Ende des 3. Monats fängt sie
an, ihre definitive Gestalt anzunehmen. Dieses wird
wahrscheinlich durch einen — um diese Zeit entstehenden —
erhöhten intralabyrinthären Druck bewirkt, der nach und nach
die in der Fenestra ovalis sitzende Partie des Ringes flach
macht. Die beiden hiermit entstehenden Crura stapediales, die
im Beginn relativ kurz sind, werden in der Regel schon von
Anfang etwas verschieden lang — das vordere Ürus etwas
kürzer als das hintere — weil es nicht die mitten vor der Be-
festigungsstelle des Ineus liegende Partie ist, die sich an die
Labyrinthkapsel gelegt, sondern ein etwas weiter nach vorn liegen-
des Stück des Ringes. Infolge des obenerwähnten Druckes von der
Labyrinthflüssigkeit einerseits und vom Stapesring andererseits,
erleidet das ursprüngliche Gewebe im ovalen Fenster nach und
nach eine fast vollständige Atrophie. Diese Labyrinthkapselpartie
634 IVAR BROMAN,
besteht, wie erwähnt, anfangs aus Blastem, das jedoch mit
Hämatoxylin bedeutend weniger färbbar ist als das Blastem
des Stapesringes (s. Fig. 1 Taf. Bl). Wenn der übrige Teil der
Labyrinthkapsel in Vorknorpel- und später in Jungknorpel über-
geht, bleibt im ovalen Fenster das Gewebe lange auf dem
Blastemstadium stehen und geht erst im 3. Monat in Vorknorpel
über. Mitte desselben Monats ist diese Zellenschicht noch recht
mächtig (Dicke: 0,1 mm, Dicke der Steigbügelplatte: 0,22 mm.),
siehe Fig. 2 Taf. BB Am Ende desselben Monats (s. Fig. 3
Taf. 11!) findet man aber zunächst medial vom Stapesring, dessen
Grenze noch deutlich ist, wenn auch nicht so scharf markiert
wie früher, nur eine dünne Zellenschicht von vorknorpeligem
Aussehen (Lam. fen. ov.). Gerade vor der stärksten Wölbung
der Stapesbasis besteht diese Zellenschicht nur aus einer
doppelten Reihe von Vorknorpelzellen, nach oben und nach
unten ist sie aber stärker. Medial von dieser Vorknorpelschicht
sieht man eine dünne Schicht von abgeplatteten, bedeutend
kleineren Zellen, die sich in das innere Perichondrium der Laby-
rinthkapsel direkt fortsetzen und dasselbe Aussehen zeigen, wie
dessen Zellen. Mitten zwischen der Peripherie der Stapesbasis
und dem knorpeligen Rand der Fenestra ovalis hängt diese
Zellenschicht mit der Anlage des Ligamentum annulare baseos
stapedis (Lig. ann.) zusammen, dessen Zellen noch ein blastema-
töses Aussehen haben und ihrerseits in das äussere Perichon-
drium der Labyrinthkapsel übergehen.
Der intralabyrinthäre Druck nimmt — nehme ich an —
während der folgenden Zeit noch mehr zu. Hierdurch werden
auch die letzten Vorknorpelzellen mitten vor der Stapesbasis
abgeplattet und zum grossen Teil atrophirt; die Stapesbasis wird
dünner und mehr abgeplattet und ihre Kanten rücken ein wenig
ausserhalb der Befestigungspunkte der Crura vor (s. Fig. 4
Taf. B]).
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 635
Erst jetzt (im Anfang des 5. Monats) hat der Steigbügel
einigermassen seine definitive Gestalt erreicht. Seine Gesamt-
länge von der Vestibularseite der Basis bis zum Ende des Capi-
tulum ist nur ungefähr halb so gross (1,68 mm) wie die definitive.
— Die Stapesplatte, die auf den frühzeitigeren Stadien (s. Fig. 1
Taf. B!) im Querschnitt kreisrund war, wird am Ende des
3. und während des 4. Monats abgeplattet, so dass die Schnitt-
fläche die Form der einer Augenlinse (mit der stärksten Konvexität
nach aussen) erhält (s. Fig. 3 Taf. B!. Die Crura halten sich
dagegen während des ganzen Knorpelstadiums eylindrisch, d. h.
im Querschnitt kreisrund; sie sind diese ganze Zeit hindurch
gleich dick. — Das Capitulum wird erst Ende des 3. Monats
angelegt. Die zuerst gerade Verbindungsfläche gegen das Crus
longum incudis zeigt um diese Zeit eine seichte Vertiefung, die
Anlage der Gelenkpfanne. Ungefähr gleichzeitig wird die Gelenk-
kapsel als fibrilläre Streifen an der Peripherie der Zwischen-
scheibe angelegt. Anfang des 5. Monats wird die Gelenkhöhle
durch Bersten der Mittelpartie der Zwischenscheibe angedeutet.
Der Musculus stapedius hat bei seinem ersten Auf-
treten einen vollkommen geraden Verlauf. Er wird erst um
die Mitte des 3. Monats angelegt, also später als der Muskel
des Hammers. Bei meinem Embryo VII sieht man ihn von
einem kleinen Knorpelhöcker ausgehen, der an der unteren
Grenze der Pars can. semicirc, ein Stück unterhalb der Befestigungs-
stelle des Hyoidbogens sitzt. Von diesem Höcker (s. Fig. 3
Taf. E Pr. st.!), den ich Processus musculi stapedii genannt
habe, streckt sich der Muskel in gerader Linie aufwärts und
medial durch das vom Laterohyale vorn begrenzte Foramen
stylomastoideum primitivum. Da wo er durch dieses
passiert, kreuzt ihn an der Vorderseite der Nervus facialis,
worauf sich der Muskel medial von diesem Nerv aufwärts
zur hinteren unteren Seite des Steigbügelköpfchens fortsetzt, wo
er unmittelbar an der Gelenkkapsel inseriert.
636 IVAR BROMAN,
Ob das proximale Bruchstück des Interhyale an der Bildung
des Musculus stapedius Teil nimmt, habe ich nicht mit Sicher-
heit feststellen können. Es scheint mir jedoch nicht ganz unwahr-
scheinlich. Seine Lage entspricht nämlich vollkommen dem
Insertionspunkte des Muskels, und bei meinem Stadium VI (un-
mittelbar vor dem Auftreten des Muskels) ist dieses Bruchstück
des Interhyale noch vorhanden.
Kurz nach der Bildung des Muskels sieht man das Binde-
vewebe zunächst um ihn herum ein fibrilläres Aussehen annehmen.
Die Fibrillen, die die mittlere Partie desselben umgeben, ordnen
sich zu einer Art Ligament (Fig. 11 Lig. m. st.), das vom unteren,
hinteren Rande des ovalen Fensters sich schräg nach oben und
aussen zum medialen Rande der Befestigungsstelle des Hyoid-
bogens an der Pars can. sem. streckt. Dieses Ligament wird
von dem Muskel (M. st.), durchbohrt. Nach hinten setzt es
sich in eine dünne, bindegewebige Platte (Fig. 12 a.) fort,
deren mediale Partie die Fascie des Muskels bildet. Der M.
stapedius wird also gleichwie der M. tensor tympani in einer
quer ausgespannten Bindegewsbeplatte einlogiert. Erst nachdem
dieses Ligament gebildet ist, nimmt der Muskel nach und nach
seine definitive Winkelbiegung an, wahrscheinlich dadurch, dass
das Ligament und die sekundäre Verschiebung des Steigbügels
zusammenwirken. — Anfang des 7. Monats werden sowohl die
genannte Bindegewebsplatte, wie das Ligamentum museulistapedii
verknöchert. Der mediale Teil des letzteren bildet dann die
zarte Knochenspange zwischen der Eminentia stapedii und dem
Promontorium.
Das Ligamentum annulare baseos stapedis wird
aus dem der Labyrinthkapsel angehörenden, in der Peripherie
des ovalen Fensters liegenden Blastem gebildet. Dieses nimmt
Anfang des 5. Monats sowohl in seiner lateralen, wie in seiner
medialen Partie ein fibrilläres Aussehen an. Die mittleren Zellen
sind dagegen auch jetzt noch Blastemzellen am meisten ähnlich.
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 637
Auf die Entwickelung der proximalen Hälfte des Hyoid-
bogens nach der Atrophie des Interhyale will ich in diesem
Zusammenhang mit einigen Worten eingehen. Wie schon
erwähnt, tritt in dem lateralen Gabelzweig (dem Laterohyale)
des Hyoidbogens ein besonderer Vorknorpelkern auf, der durch
Fig.1l. 4
Embr. VII. Frontalsehnitt. Fen. r. Fenestra rotunda, P. eochl. Pars eoehlearis, P. ean. sem.
Pars eanalium semieireularium der Labyrinthkapsel, St. hinterer Teil der Steigbügelbasis
VI. N. faeialis, Cr. br. Crus breve ineudis. Zw. Zwischenscheibe, Lig. m. st. Ligamentum
museuli stapedii, M. st. Musculus stapedius, R. Kn. Reiehertscher Knorpel. Die Linie zur
Rechten bezeiehnet die laterale Kontur des Kopfes.
Zwischenscheiben (von persistierendem Blastem) sowohl von der
Labyrinthkapsel, wie vom übrigen Teil des Hyoidbogens abge-
trennt ist (s. Fig. 5 Lh. Taf. Bl). Um Mitte des 3. Monats
verschwindet die erstere Zwischenscheibe und das Laterohyale
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XXXVII Heft (11. Bd., H. 4.) 42
638 IVAR BROMAN,
tritt dadurch mit der Labyrinthkapsel in direkte Verbindung.
Bei einem Embryo von 55 mm Sch. St. L. ist dagegen die
Zwischenscheibe zwischen dem Laterohyale und dem Reichert-
schen Knorpel noch stark markiert (s. Fig. 12 A. Zw.!). Ende
des 3. Monats geht aber auch diese Zwischenscheibe in Vor-
und Jungknorpel über, sodass bei einem Embryo von 90 mm
Totallänge keine histologische Grenze zwischen diesen Teilen
mehr zu entdecken ist (s. Fig. 12 B.l). Sie sind jedoch noch
immer dadurch recht deutlich begrenzt, dass teils das
Laterohyale in seinem unteren Teil bedeutend dünner ist als
der zunächst liegende Teil des Hyoidbogens, teils diese beiden
Partien von Anfang an einen deutlichen Winkel mit einander
bilden. Diese Winkelbiegung nimmt nach und nach, zweifels-
ohne durch des Ziehen der Chorda tympani, immer mehr zu.
Hierdurch erhält das Laterohyale schon am Ende des 3. Monats
eine Richtung gerade medialwärts. Es bildet jetzt die vordere
(und laterale) Begrenzung eines Loches, durch welches der Musculus
stapedius, der Nervus facialis und ein Paar Blutgefässe passieren
und das ich Foramen stylomastoideum primitivum
genannt habe. Dieses Loch wird im 5. Monat vollständig be-
grenzt, indem der Reichertsche Knorpel ganz an die laterale
Wand der Pars cochlearis stösst. Gleich unterhalb der Kon-
taktstelle biegt sich der Reichertsche Knorpel fast gerade nach
vorn und unten (s. Fig. 3 Taf. E H.!).
Vergleichen wir nun die Rekonstruktionsbilder des Hyoid-
bogens mit dem späteren Processus styloideus, so wie dieser
von Politzer (65) beschrieben ist, so finden wir, dass das
Laterohyale wahrscheinlich gar nicht oder wenigstens nur
teilweise zur Bildung desselben beiträgt. Den von Politzer
beschriebenen „kolbigen Kopf, welcher in einer grubigen Ver-
tiefung unterhalb der Eminentia pyramidalis lagert“, erkennen
wir in der Anschwellung des Hyoidboges wo sich früher die
Gabelzweigung fand, d. h. gleich unterhalb des Laterohyale.
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 639
Dass — wie es Dreyfuss (10) hervorgehoben, auch das
Laterohyale (sein „Interealare“) und ein Teil der Labyrinth-
kapsel in der Bildung des Processus styloideus Politzer
eingehen sollten, muss ich bestimmt bestreiten.
A -P.can.sem,
Fig. 12. ®..
A. Embryo VII. B. Embryo VII.
P, ean. sem. Pars eanalium semieireularium. Lh. Laterohyale, Zw. Zwischenscheibe. R. Kn,
Reichertscher Knorpel, VII. N. facialis, M. st. Musculus stapedius.
Zusammenfassung.
Der Hammer hat anfangs wenig Ähnlichkeit mit dem
späteren Knöchelchen; das Manubrium ist kurz und dick und
mehr einwärts gerichtet; der Processus brevis (lateralis) kehrt
42*
640 IVAR BROMAN,
sich gerade nach unten und das Capitulum ist sehr klein und
liest mit seiner höchsten Wölbung niedriger als die des Amboss.
Wenn indessen das Manubrium in die Länge wächst, wird es
zugleich — wahrscheinlich infolge eines auswärts wirkenden
Druckes — mehr abwärts gerichtet, wobei gleichzeitig der Pro-
cessus brevis (lateralis) eine Richtung nach aussen einnimmt.
Mitte des 3. Monats erreicht der Winkel zwischen dem Griff
und dem übrigen Teil des Hammers seine definitive Grösse,
140° Die Crista mallei entsteht erst Ende des3. Monats
durch Resorption des zunächst darunter liegenden
Knorpels. — Der Processus longus (Folii) wird am Ende
des 2. Monats als ein äusserst feiner, an beiden Enden
freier Belegknochen an der unteren Seite des Meckel-
schen Knorpels angelegt. Sein distales Ende wächstnach und
nach, bis der Processus Mitte des 6. Monats seine deflnitive Länge
erreicht. Sein proximales Ende schmilzt mit dem Collum mallei
erst bei der Verknöcherung des Collum, d. h. Ende des 5. Monats,
zusammen. — Der Meckelsche Knorpel fängt etwas vorher
an zu atrophieren, und wird (zuerst in der Peripherie) durch Binde-
gewebe ersetzt. Erst bei der Verknöcherung des Hammers wird
er histologisch von diesem abgegrenzt. — Die Gelenkfläche
des Hammers zeigt schon Anfang des 3. Monats un-
gefähr das definitive Aussehen. Ihre grössere Haupt-
facette ist jedoch um diese Zeit noch auswärts, die
kleinere rückwärts gerichtet. Durch eine Rotation
der ganzen Gehörknöchelchenkette erhalten sie An-
fangs des5. Monatsihre definitive Lage. — Der Musculus
tensor tympani wird schon am Ende des 2. Monats in Ver-
bindung mit dem Musculus tensor veli palatini angelegt. Beim
ersten Auftreten der Pars membranacea des Tegmen
tympanı sieht man den abwärts und vorwärts ge-
richteten Teil des Musculus tens. tymp. in einer
Scheide desselben eingelagert liegen. — Oben bilden die
Die Entwiekelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 641
Bindegewebsfasern der unteren Lamelle - dieser Scheide ein
distinktes Ligament, Ligamentum trochleare, um welches sich
die Muskelsehne zur Insertionsstelle am oberen, medialen Teil
des Manubrium herabbiegt. Zuweilen entwickelt sich hier ein
Processus musecularis.
Der Incus nimmt schon im Anfang des 3. Monats — zu-
erst von allen Gehörknöchelehen — seine definitive Form an.
Der Winkel zwischen den beiden Crura ist jedoch um diese
Zeit etwas kleiner als später und das Crus breve ist mehr ab-
wärts gerichtet. Von dem Auftreten des Vorknorpels in diesen
Teilen ab, wird das Crus breve von der Labyrinthkapsel durch
eine blastematöse Zwischenscheibe getrennt, die später ganz oder
teilweise in Bindegewebe übergeht. Das Crus longum fängt am
Anlang des 3. Monats an, die definitiven Biegungen anzunehmen.
Ein eigentlicher knopfförmiger Processes lenticularis
wird erst im 5. Monat gebildet.
Der Steigbügel wird allein aus dem vom Hyoid-
bogen stammenden Stapesringe gebildet. Der diesem
gegenüberliegende Teil des Gewebes im ovalen Fenster erleidet
eine fast vollständige Druckatrophie, so dass er am An-
fang des 5. Monats nur als ein dünnes Perichondrium auf der
Steigbügelplatte persistiert. Das in der Pe ripherie der Fe-
nestra ovalis gelegene Blastem bildet das Ligamen-
cum annulare baseos stapedis. — Ende des 3. Monats
fängt die anfangs kreisrunde Form des Steigbügels
an nach und nach in die definitive überzugehen, wahr-
scheinlich infolge eines um diese Zeit zunehmenden intralaby-
rinthären Druckes.
Der Musculus stapedius wird etwas später als der Muskel
des Hammers angelegt. Er geht von einem kleinen Knorpel-
höcker an der Labyrinthkapsel gleich unter der Befestigungstelle
des Hyoidbogens aus und verläuft anfangs gerade nach oben
642
IVAR BROMAN,
und innen zu seinem Insertionspunkte am hinteren, unteren Teil
des Incus-Stapes-Gelenkes. Nachdem aber, Ende des dritten
Monats, ein Ligament gebildet worden, das sich vom unteren
Rande des ovalen Fensters zum medialen Rande der Befestigungs-
stelle des Hyoidbogens an der Labyrinthkapsel streckt und das
die Mitte des Muskels umschliesst, nimmt dieser bei den darnach
eintretenden Verschiebungen seine definitive Winkelbiegung an.
— Der oberste Teil des Hyoidbogens bildet die äussere und
vordere Begrenzung des Foramen stylomastoideum primitivum ;
das zunächst folgende Stück, dessen oberer Teil
kolbenförmig angeschwollen ist, bildet den Prozessus
styloideus Politzer.
III. Die Entwickelung der Gehörknöchelchen während
und nach der Verknöcherung.
A. Ossifikation,
Während der letzten Hälfte des 5. Monats
fängt die Ossifikation der Gehörknöchelchen an-
Sie zeigt ganz denselben Verlauf wie in anderen knorpelpräfor-
mierten Knochen des Körpers. Bei Embryonen von 19—20 cm
Totallänge ist die Verknöcherung des Malleus und Incus in vollem
Gange; im Stapes sah ich die ersten Spuren der Össifikation bei
einem Embryo von 20,5 em Totallänge.
Der Hammer ossifiziert (abgesehen von dem Processus
longus) von einem einzigen Ossifikationszentrum
aus, das im oberen Teil des Collum auftritt. Von hier
aus schreitet die Verknöcherung nach und nach sowohl aufwärts
wie abwärts fort, wie am besten die Figg. 12—15 Taf. © zeigen.
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. #43
Bei einem Embryo von 28 cm Totallänge sind das ganze Collum
und das Capitulum mit Ausnahme der Partie zunächst an der Ge-
lenkfläche verknöchert, ebenso wie die obere Hälfte des Griffes mit
Ausnahme der Spitze des Processus lateralis und der Insertions-
stelle des Musculus tensor tympani (Fig. 15 Taf. C). Bei einem
Embryo von 32 cm hat die Verknöcherung des Processus lateralis
ihre definitive Ausdehnung erreicht und die oberen ?/ı des Griffes
bestehen — mit Ausnahme des gegen die Membrana tympani
aus Knochen. Bei dem reifen Foetus
kehrenden Randes
hat die Ossifikation auch im Manubrium ihre definitive
Ausdehnung erreicht (Fig. 16 Taf. C).
Der Amboss ossifieiert gleichfalls von einem
einzigen Centrum aus, das sich im oberen Teil des
Crus longum befindet. Von da aus schreitet die Ver-
knöcherung erst weiter in das Crus longum hinab, dann quer
über das Corpus fort; erst etwas später erreicht sie das Crus
breve (Vergl. Figg. 1—6 Taf. D!). Bei einem Embryo von
24 cm (Fig. 6) ist das ganze Corpus mit Ausnahme der zunächst
an der Gelenkfläche liegenden Partie, das Crus longum bis zum
Angulus und das Crus breve bis auf die Spitze ganz hindurch
verknöchert. Bei einem Embryo von 28 cm ist die Ossifikation
im Crus longum über den Angulus in den Hals des Processus
lentieularis fortgeschritten. Anfangs des 6. Monats ist letzterer mit
Ausnahme der Gelenkfläche gegen den Steigbügel auch ver-
knöchert. Es ist hervorzuheben, dass die Verknöcherung vom
Crus longum in den Processus lenticularis hinein
fortschreitet; derselbe hat also kein besonderes Ossi-
fikationszentrum und kann somit nicht einmal mit einer
Epiphysis gleichgestellt werden; noch weniger verdient er den
Namen „Os lenticulare“.
Der Steigbügel hat auch nur einen Ossifikations-
punkt; und dieser liegt in der Regel in der Basis.
641 IVAR BROMAN,
(Siehe Fig. 9 Tat. D!) Ausnahmsweise fand ich ihn im Crus
posterius (Fig. 18; vielleicht hat er sich auch bei Stadium XIX
[Fig. 13] dort befunden.) Von der Basis schreitet die Ossifikation
allmählich die Schenkel hinauf in das Capitulum, wie die Figg.
9-12 und 14 Taf. D zeigen. Das Capitulum ossifiziert erst
am Einde des 6. Monats. Die zunächst an die Gelenkfläche
stossende Partie des Capitulum, die Kanten und die dem Vesti-
bulum zugekehrte Fläche der Stapesbasis werden niemals
verknöchert.
B. Schliessliche Formenentwickelung.
Der Hammer hat im ganzen schon vor der Verknöcherung
seine definitive Form erreicht. Nur einige kleine Unebenheiten
entstehen später.
Über die Grössenverhältnisse während verschiedener Ent-
wiekelungsperioden giebt nachstehende Tabelle Auskunft. (Zum
Vergleich führe ich hier auch die Masse jüngerer Stadien an.
Es ist jedoch zu bemerken, dass diese Masse von Rekonstruktions-
bildern stammen und desshalb ungefähr 20°/0 kleiner sind als
sie geworden wären, wenn es möglich gewesen, die Knöchelchen-
anlagen aus den ungehärteten Material hervorzupräparieren und
zu messen.)
Wie aus folgender Tabelle zu ersehen, hat der Hammer bei
seiner ersten Anlegung als Vorknorpel schon eine Länge von
0,7 mm — oder wenn wir die 20 %o hinzurechnen, die er wahr-
scheinlich durch Schrumpfen während der Härtungs- und
Einbettungsprozedur eingebüsst: 0,S4mm; d. h. er ist !/ıo so
lang wie der fertige Hammer. Um Mitte des 3. Monats
ist er ungefähr !/ı, Ende desselben Monats !/z und Ende des
4. Monats ca. ?'s so lang wie dieser; und bei der Geburt
hat er seine definitive Grösse erreicht.
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 645
Länge des | Winkel zwisch.
Länge des Em- Totallänge des Länge des Ham- | ne
5 = & Proe. longus dem Griff u. üb-
bryos. (mm) Hammers!) mergriffes ?) Erw \rigen Teil des
| (Folii) |
| Hammers
Ei — _ | fe ———n er
Embryo | mm | mm mm
Nr Seo at we 120°
KEIN Bu 12 | 0,54 0,4 135°
aan 55 Sch.-St .L. 2 1 0,5 140°
= va 0 BokeTe... 3,88. 7) 2,12 0,94 >
IK 180, , | 4,92 2,12 ca. 2,2 „
RE 210 7 4 3,4 I
„ XXIV | 240 | 8 4,4 3,9 2
„ XXX |500 | 8,4 4,9 BP) a
Hammer ein. Erwachsenen | 5,4 4,9 — -
„ des Erwachsenen nach 799 4956
Urbantschitsch (6l) run Fe
Der Amboss hat, nachdem der Winkel zwischen den
beiden Crura während des 4. Monats zu 100° vergrössert
und der Processus lenticularis am Ende des Knorpelstadiums
angelegt worden, auch vor der Verknöcherung seine definitive
Form. Die Grössenverhältnisse während der verschiedenen Ent-
wiekelungsstadien sowohl vor wie nach der Verknöcherung
betreffend, verweise ich auf nachstehende Tabelle (S. 646).
Der Amboss ist also anfangs verhältnismässig
grösser als der Hammer. Ende des dritten Monats ist er
aber ca. !/, so lang (die Länge zwischen der Spitze des Crus
breve und der höchsten, lateralen Wölbung des Corpus liegt
!) In gerader Linie zwischen der höchsten Wölbung des Köpfehens und
der Spitze des Griffes gemessen.
2) Vom oberen Rande der Befestigungsstelle des Processus lateralis
gemessen.
646 IVAR BROMAN,
| Entfernung zwischen der Spitze |
re ei ET ERRTE 1
e 4 Winkel zwischen den
Länge des Em- des Crus breve | des Crus longum |
eye 'u. der höchsten |u. der höchsten) beiden Crura des
bryos (mm) ‚lateralen Wölb- |medialen Wölb- A [
Amboss
‚ung des Corpus | ung des Corpus
ineudis | ineudis
|
Embryo mm mm
Nr. V 80,5 N.-St.-L. 0,8 0,7 70°
BZNaN 55 Sch.-St.-L. 1,25 1,20 80°
BE Vz 90 Tot.-L. 2,3 2 90°
KEIX Il) n 2.6 2,3 100°
RER: 210 3,8 De =
SEERKEV; 240 4,5 3,8 105°
IE DOL 5300 5,2 4 100°
Amboss eines Erwachsenen 5,8 4 5
„ des Erwachsenen nach IN aisl2p 3 3-52 100° 105°
Urbantschitsch(6l)
dieser Berechnung zu Grunde) wie das fertige Knöchelchen —
ebenso wie der Hammer. — Ende des 4. Monats ist er unge-
fähr 2/3 so lang wie der fertige Incus; und bei der Geburt hat
er seine definitive Grösse erreicht.
Der Steigbügel ist gleich vor der Verknöcherung be-
deutend klumpiger als das fertige Knöchelchen. Sein Umkreis
ist ungefähr von derselben Grösse wie bei diesem ‚(die Länge
von der Basis bis zum Ende des Capitulum ist jedoch etwas
kleiner), aber sowohl die Basis, die während der letzten Zeit des
Knorpelstadiums bedeutend an Dicke zugenommen (siehe Fig. 7
Taf. B!), wie die Schenkel sind bedeutend dicker und das Spa-
tium intercerurale folglich kleiner (siehe Fig. 9 Taf. D!). Gleich
nach Eintritt der Verknöcherung fängt jedoch ein
Resorptionsvorgang an, der dem Steigbügel sein
definitives Aussehen verleiht. Die Resorption
schreitet in derselben Ordnung wie die Ossifikation
fort. Schon ehe das Capitulum ganz verknöchert, fängt der
Resorptionsprozess im lateralen — d. h. gegen das Spatium
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 647
intererurale kehrenden — Teil der Basis an. Diese Resorption ver-
läuft in zwei, in der Längsrichtung der Basis liegenden Abtei-
lungen, einer oberen und einer unteren (Fig. 13au.b). Zwischen
diesen persistiert in der Regel eine feine Knochenleiste, die
„Crista stapedis“ (Fig. 13 Cr. st.). Diese entsteht also nicht
durch eine partielle Ossifikation der zwischen der Basis und den
Schenkeln ausgespannten Schleimhautduplikatur (Eysell [11]).
Fig. 13.
Schema der Knoehenresorption der Basis stapedis.
A. Quersehnitt der Steigbügelplatte des Embryo XI (24 em), B. st. die verknöcherte Basis
Kn. Knorpelüberzug derselben.
B. Querschnitt der Steigbügelplatte (B st.) nach der Knochenresorption. Die Linie e bezeichnet
den vorigen Kontour: a oberes, b. unteres Resorptionscentrum, Or. st. Crista stapedis, B. st.
Knöeherne Steigbügelplatte, Kn. Knorpelüberzug derselben.
Schon Ende des 6. Monats erhält die Stapesbasis ihre definitive
Dünnbheit.
Nach und nach schreitet die Resorption von der Basis auf-
wärts an den gegen das Spatium intererurale liegenden Seiten
der beiden Schenkel. Anfang des 7. Monats haben die unteren
Hälften desselben ihre definitive Dünnheit erreicht, und bei
den reifen Fötus hat der Steigbügel ganz seine definitive Form
648 IVAR BROMAN,
(vergl. Figg. 14—16 Taf. D!). — Die Schenkel sind unmittelbar
nach der Verknöcherung im Querschnitt kreisrund (siehe Fig. 14 A);
infolge der Resorption werden sie dann auf der gegen das Spatium
intercrurale kehrenden Seite nach und nach ausgehöhlt, so dass
sie im Durchschnitt sichelförmig werden (Fig. 14B). So ent-
steht der Sulcus stapedis. Gewöhnlich setzt sich die Resorp-
tion im vorderen Schenkel noch etwas nach dem Aufhören der-
selben im hinteren fort; dadurch wird der Vorderschenkel des
fertigen Steigbügels meistens etwas feiner als der Hinterschenkel.
Die Grössenverhältnisse in den verschiedenen Entwicke-
lungsstadien sind aus folgender Tabelle am besten zu ersehen.
A. yon
Fig. 14.
Sehema der Knoehenresorption in den Stapessehenkeln. A. Querschnitt der Schenkeln vor
B nach der Resorption, S. st. Sulpus stapedis.
Im Anfang des Vorknorpelstadiums ist die Länge des Steig-
bügels fast !/ıo der definitiven; Ende des 3. Monats etwas mehr
als»t/s; Ende des ‘4. ea. '!js. ‘Seine definitive Länge er-
reicht er Anfang des 7. Embryonalmonats.
Die Ligamente des Hammers entwickeln sich erst nach
der Verknöcherung. Etwas früher wird jedoch das Ligamentum
mallei anterius angelegt. Seine Bildung fällt mit dem Ein-
treten der Resorption im Meckelschen Knorpel zusammen. An
der Stelle der resorbierten Knorpelzellen in der Peripherie des
Meckelschen Knorpels finden wir nämlich schon im Anfang des
5. Monats starke Fibrillenbündel. — Bei einem Embryo von
24 cm (dem ältesten Embryo, dessen ganzen Gehörapparat ich
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen 649
Gesamtlänge Breite des Sta-
| des St ’
‚Länge des Em- Ser Vertibular- pes von der Dicke der
bs le ie ekeelisuenihnuigel| ER Mor ovadard
Capitulum messen
Embryo mm mm mm mm
Nr. IV 20,6 N.-St.-L. 0,34 0,34 0,14 0,14
SH 305, 0,4 0,4 0,16 0,16
»„ VO 55 Sch.-St.-L. 0,75 0,75 0,22 0,22
„ „Väl 190 Tot-L. Dei 1,1 0,2 0,3
IX 180, 7, 1,4 1,2 0,19 ‚3
2,7 2,4 0,7 0,65
RAIN AZAUN, , 2,85 2,2 0,65 0,6
ARREVIIBAIO U, 3.1 2,4 0,2 | 0,4
IURKR 1500 1, 3,3 2,3 ı 0,15 0,2
Stapes eines Erwachsenen 3,3 1,8 0,15 0,2—0,3
„ d. Erwachsenen nach 3,2—4,5 1,3—3,5
Urbantschitsch (61)
mikrotomiert) sind weder Ligamentum mallei externum noch
Ligamentum mallei superius zu sehen. Dagegen sind zwei andere
Ligamente, deren Existenz sehr umstritten gewesen, bei diesem
Embryo (Stad. XI) stark entwickelt. Das Eine von diesen ist
Toynbees (58) „Tensor ligament“, das andere Schäfers (49)
„Inferior ligament of the malleus‘“ (siehe Seite 593l),
Toynbees ‚Tensor ligament“ ist auch bei Embryo X deutlich-
Ob Schäfers „Inferior ligament‘‘ eine konstante Bildung ist,
lässt sich nur mit der Leitung des obenerwähnten, einzigen
Stadiums nicht feststellen.
Das Tegmen tympani wird von einem knorpeligen,
lateralen Teil, Processus perioticus superior Gradenigo, und
einem bindegewebigen, medialen Teil gebildet. In
einer Scheide des letzteren lagert sich der Musculus tensor
tympani ein. Die Verknöcherung des Tegmen tympani fängt
Ende des 5. Monats sowohl im knorpeligen wie im mem-
650 IVAR BROMAN,
branösen Teil an. Sie beginnt an der Grenze dieser Teile und
schreitet von da ab sowohl medial- wie lateralwärts. Bei einem
Embryo von 28cm hat sie noch nicht die Scheide des Musculus
tensor tympani betroffen. Der knöcherne Canalis pro tensore
tympani entsteht erst während der ersten Hälfte des 7. Embry-
onalmonats.
Obwohl die Bildung des Annulus tympanicus, streng
genommen, nicht in den Bereich dieser Untersuchung kommt,
will ich sie doch mit einigen Worten berühren.
Der Annulus tympanicus entwickelt sich nicht
aus drei Knochenpunkten („je einem für das Mittel-, das
vordere und das hintere Endstück“), wie Rambaud und Re-
nault (43) behaupten und wie es noch in neueren Lehrbüchern
Graf Spee [56]) zu lesen ist. Er wird Anfang des 3. Monats im
Winkel zwischen dem Malleus und dem Meckelschen Knorpel
in Form einer freien, aufwärts (gegen den Meckelschen Knorpel)
konkaven Knorpelplatte angelegt (siehe Fig. 11 Taf. C!). Me-
dialwärts läuft dieser in eine Spitze aus, die sich nach und nach
medial- und abwärts im Rande der Membrana tympani ver-
längert. Mitte des 3.. Monats bildet er einen halbkreisförmigen
Bogen, dessen Spitze sich unmittelbar über dem Hyoidbogen be-
findet (siehe Fig. 8 Taf. © Ann.1.). Die Orista spinarum und der
Suleus malleolaris sind schon in diesem Stadium angedeutet. —
Während der zunächst folgenden Zeit wächst die erwähnte Spitze
aufwärts, auswärts und etwas vorwärts, so dass der Bogen Ende
des 3. Monats fast fertig ist. Sein Radius ist jedoch um diese
Zeit ungefähr viermal kleiner als bei der Geburt. Der Sulcus
tympanicus ist noch nicht angedeutet, sondern der Ring ist im
Querschnitt kreisrund; erst im Laufe des 4. Monats ent-
steht der Suleus tympanicus. Die Spina tympanicapos-
terior und anterior sowie das Tubereulum tympanieum anticum
und posticum treten erst Ende des 5. Monats deutlich hervor.
— Der Ring erweitert sich während des Wachstums nach und
Die Entwiekelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 651
nach. Sein grösster Radius ist Mitte des 4. Monats ungefähr
'/s und Mitte des 5. ungefähr 3/ des Annulusradius des reifen
Fötus.
Zusammenfassung.
Die Ossifikation der Gehörknöchelchen, die ganz
denselben Verlauf wie die Ossifikation in anderen
knorpelpräformierten Knochen zeigt, fängt während
der letzten Hälfte des 5. Monats an. Die Ossifikation des
Malleus und Incus hat bei Embryonen von 19--20 em schon
begonnen; die des Stapes sieht man im allgemeinen erst bei
Embryonen von ca. 21 em. — Die als Knorpel präformierte
Hammeranlage hat nur einen Össifikationspunkt. Von diesem
— im Collum liegenden Punkte — aus schreitet die Ossifikation
sowohl nach oben wie nach unten weiter. Der schon bei Em-
bryonen von 3 em N.-St.-L. als ein Belegknochen unter dem
Meckelschen Knorpel angelegte Processus longus (Folii) tritt
bei der Entstehung dieses Knochenkerns in direkte Verbindung
mit dem Hammer. Bei dem reifen Foetus hat die Ossifikation des
Hammers ihre definitive Ausdehnung erreicht.
Der Amboss ossificiert gleichfalls von einem einzigen Centrum
aus, das sich im oberen Teil des Crus longum befindet. Der
Processus lenticularis hat kein besonderes Össifikationscentrum
und kann somit nicht einmal einer Epiphysis gleichgestellt
werden; noch weniger verdient er den Namen „Os lenticulare“.
Bei dem reifen Fötus hat die ÖOssifikation ihre definitive Aus-
dehnung.
Der Steigbügel hat auch nur einen Ossifikationspunkt,
und dieser liegt in der Regelin der Basis. Von hier aus schreitet
die Ossifikation allmählich die Schenkel hinauf in das Capitulum,
das am Ende des 6. Monats ossificiert.
Der Hamm er ist bei seiner ersten Anlegung als Vorknorpel
'/ıo so lang wie der fertige Hammer; Ende des 3. Monats ist
652 IiVAR BROMAN,
er !/a so lang wie dieser; und bei der Geburt hat er seine
definitive Grösse und Form erreicht.
Der Amboss ist anfangs verhältnismässig grösser als der
Hammer. Ende des 3. Monats ist er jedoch wie dieser ca. !/a
so lang wie das fertige Knöchelchen; und bei der Geburt hat
er seine definitive Form und Grösse.
Die Länge des Steigbügels ist Anfang des Vorknorpel-
stadıums ca. !/ıo der definitiven; Ende des vierten Monats ca. !/.
Seine definitive Länge erreicht er Anfang des 7. Embryonalmonats.
Eine in derselben Ordnung wie die Ossifikation fortschreitende
Resorption der gegen das Spatium intererurale liegenden
Knochenpartien giebt dem anfangs klumpigen Steigbügel während
der letzten Periode des intrauterinen Lebens seine definitive
Gestalt.
Mit Ausnahme des Ligamentum mallei anterius, dessen
Bildung mit der Resorption des Meckelschen Knorpels zusammen-
ällt, entwickeln sich die Ligamente des Hammers erst nach der
Verknöcherung desselben.
Das Tegmen tympani wird von einer lateralen Pars
cartilaginea (Proc. periot. sup. Gradenigo) und einer medialen
Pars membranacea gebildet. Diese Pars membranacea bildet
eine Scheide um den Musculus tensor tympani, die während
der ersten Hälfte des siebenten Embryonalmonats verknöchert.
Auch die knöcherne Eminentia pyramidalis wird erst zu dieser
Zeit gebildet.
Der Annulustympanicus wird nicht durch Verschmelzung
von drei Knochenpunkten gebildet. Er wird anfangs des dritten
Monats als eine medial zugespitzte Deckknochenplatte unter dem
Meckelschen Knorpel angelegt, und von der medialen Spitze
dieser Platte wächst allmählich der ganze Ring aus.
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelchen beim Menschen. 653
Ergebnisse.
Die wichtigsten Resultate meiner Untersuchung fasse ich
zum Schluss in folgenden Thesen zusammen.
1. Vor dem Auftreten der Gehörknöchelchenanlagen existieren
in der betreffenden Region ausser der ersten, inneren Visceral-
furche auch Nerven und Gefässe, welche alle mehr oder
weniger formbestimmend auf die Gehörknöchelchen
werden.
2. In den Lücken zwischen diesen Organen treten um die
Mitte des zweiten Embryonalmonats die Anlagen der Gehör-
knöchelchen als zusammenhängende Blastemmassen auf.
3. Das Blastem der beiden ersten Visceralbogen
wird von ihren resp. Nerven, (Trigeminus und Facialis)
in einen medialen und einen lateralen Teil
geschieden.
4. Das proximale Ende des lateralen Teils des
Mandibularbogens stellt die Anlage des Incus dar,
und die entsprechende Partie des Hyoidbogens die
Anlage des Laterohyale (= Intercalare Dreyfuss).
5. Diese Partien der beiden Bogen werden anfangs von ein-
ander durch die hintere Spitze der ersten inneren Visceralfurche,
die jetzt bis an die Aussenfläche des Körpers reicht, getrennt.
6. Die genannte Spitze der Visceralfurche verschwindet schon
während der 6. Embryonalwoche. Die Lücke wird von Meso-
derm ausgefüllt.
7- DieReste derlateralen Teile der beiden Bogen,
die von Anfang an miteinander zusammenhängen, werden
Mitte des 2. Monats vom eigentlichen Visceralskelett
getrennt und bilden die Anlage des Knorpels des
äusseren Ohres.
Anatomische Hefte. I. Abteilung. XNXNXVII. Heft. (11. Bd. H. 4.) 43
654 IVAR BROMAN,
8. Das proximale Ende des medialen Teils des
Mandibularbogens wird durch diehierliegende Vena
jugularis primitivain seiner Entwickelung gehindert.
Das proximale Ende des medialen Teils des Hyoid-
bogens bildet die Anlage des Stapes.
9. Die schon von Anfang existierende Blastem-
brücke zwischen den Steigbügel- und Amboss-Anlagen
persistiert und wächst zum Cruslongum incudis aus.
10. Die zunächst nach vorn von der Stapesanlage liegende
Partie des medialen Teils des Hyoidbogens ist schon von Anfang
an schwach entwickelt. Sie bildet einen dünnen Blastemstrang
medial vom N. facialis („Faeialismantel“, ‚„Interhyale‘“). Anfang
des 3. Monats atrophiert sie, und der Steigbügel verliert damit
seine Verbindung mit dem Hyoidbogen.
11. Die hinterste entwickelte Partie des medialen
Teiles des Mandibularbogens bildet die Anlage des
Hammers. Die entsprechende Partie des Hyoidbogens
ist die Anlage des oberen Endes des Processus sty-
loideus Politzer.
12. Die medialen Teile beider Bogen sind von einander
durch die erste innere Visceralfurche getrennt.
13. Die Vena jugularis primitiva grenzt anfangs
die lateralen Teile der beiden Bogen von der Laby-
rinthkapsel ab.
14. Nach der Grössenabnahme der genannten Vene und
nach der Vergrösserung der Labyrinthkapsel treten die lateralen
Bogenteile lateral von der Vene mit dieser Kapsel in blastema-
töse Verbindung.
15. Der Steigbügelring, der anfangs durch eine helle, meso-
dermale Zone von der Labyrinthkapsel getrennt war, tritt zu
dieser Zeit auch in direkte Verbindung mit der Labyrinthkapsel.
Durch die stärkere Färbbarkeit und die konzentrische Schichtung
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 655
seiner Zellen ist er jedoch auch jetzt von der Labyrinthkapsel
gut abgrenzbar.
16. Die konzentrische Schichtung der Stapeszellen
um die Arteria stapedialis entsteht erst sekundär
und berechtigt nicht zu der Annahme, dass der Steig-
bügelring eine von dem Hyoidbogen unabhängige
Bildung sei.
17. Infolge der Richtung der Arteria stapedialis
erhält der Stapesring schon von Anfang an seine
definitive, schräge Stellung (ca. 45° gegen die Horizontal-
ebene).
18. Bei dem Übergang in das Vorknorpelstadium werden
die nach der blastematösen Verschmelzung undeutlichen Grenzen
zwischen Visceralbogen und Labyrinthkapsel wieder deutlich.
19. Skeletteile verschiedenen Ursprungs haben
nämlich jeder seinen Vorknorpelkern.
20. An den Stellen, wo zwei solche Kerne beim
Wachsen einander begegnen, persistiert — wenigstens
eine Zeit lang — eine Blastemscheibe, die durch ihre
stärkere Färbung die Grenze scharf markiert.
21. Sowohl der laterale wie der mediale Teil eines
jedenBogens hat ebenfalls seinen eigenen Vorknorpel-
kern. Demnach hat der Amboss, der von dem lateralen Teil
des Mandibularbogens stammt, einen besonderen Vorknorpelkern
und Malleus plus Meckelscher Knorpel, die vom medialen Teil
stammen, zusammen einen anderen. Ebenso hat der Hyoid-
bogen einen besonderen Vorknorpelkern für das Laterohyale.
Infolge davon, dass sich das Interhyale schon beim ersten Auf-
"treten des Vorknorpels in regressiver Metamorphose befindet, kommt
es vor seinem Verschwinden nicht über das Blastemstadium
hinaus. Eine Folge hiervon wiederum ist, dass der mediale
Teil des Hyoidbogens zwei Vorknorpelkerne bekommt: einen
für den Steigbügel und einen für die übrige persistierende Partie.
43*
656 IVAR BROMAN,
22. Die Zwischenscheibe zwischen den beiden Vor-
knorpelkernen des Mandibularbogens tritt schon von
Anfang anals eine winkelig gebogene Platte auf. Die
Zwischenscheibe zwischen dem Laterohyale und der
Reichertschen Knorpelanlage bildet dagegen eine
ebene Platte.
23. Die Zwischenscheibe des Mandibularbogens muss natür-
lich schon von Anfang an Hammer und Amboss vollständig
trennen.
24. Die Nerven der beiden Bogen spielen ganz
gewiss eine nicht unwichtige mechanische Rolle bei
der Bildung der Gehörknöchelchen. Der N. facialis
zwingt das proximale Ende des Hyoidbogens zur Gabelzweigung.
In einem etwas späteren Stadium bewirkt er wahrscheinlich
durch Druck auf das Interhyale das Verschwinden desselben. —
Die Chorda tympani, die Anfangs in gerader Linie zwischen
dem N. facialis und N. trigeminus ausgespannt ist, zwingt den
Hammergriff sich von dem langen Schenkel des Ambosses zu
trennen, sobald diese Teile auszuwachsen beginnen. Dadurch
dass die central von der Befestigungsstelle der Chorda liegende
Partie des N. trigeminus stark in die Länge wächst, wird das
obere Ende der Chorda ein beträchtliches Stück nach vorn und
unten gerückt. Vielleicht ist es durch eine hierdurch entstehende
Zugeinwirkung nach vorn am Manubrium, dass das Collum
mallei vom oberen Teil des Örus longum incudis getrennt wird.
Wahrscheinlich bewirkt das Ziehen der Chorda tympani am
N. facialis, dass die zunächst unterhalb der Gabelzweigung
liegende Partie des Hyoidbogens sich mehr medial biegt.
25. Der N. facialis kommt dazu eine halbe Spirale:
um den Hyoidbogen zu machen, indem der unterhalb
des Laterohyale liegende laterale Teil dieses Bogens
nichtin der Bildung deseigentlichen Visceralskelettes
Teil nimmt.
Die Entwickelungsgeschichte der (sehörknöchelehen heim Menschen. 657
26. Der Processus lateralis mallei ist bei seiner
ersten Anlegung abwärts gerichtet; gleichzeitig damit,
dass das anfangs fast medial gerichtete Manubrium sich mehr
abwärts richtet — und infolge dessen — wird dieser Auswuchs
allmählich nach aussen gerichtet.
27. Die Abwärtsbiegung des Manubrium scheint durch einen
Druck von innen oder Zug nach aussen bewirkt zu werden.
28. Die Crista mallei entsteht erst während des 4. Em-
bryonalmonats. Sie wird nicht, wie dieübrigen Ausläufer,
blastematös angelegt, sondern bildet sich durch
Resorption des unmittelbar unter ihr belegenen
Knorpels.
29. Die Gelenkfläche des Hammers hat schon beim
ersten Auftreten der Zwischenscheibe die zwei
Hauptfacetten. Die grössere Facette ist um diese
Zeit lateral, die kleinere rückwärts gerichtet.
30. Durch dieRotation derganzen Gehörknöchelchen-
kette — welche Rotation wahrscheinlich durch das ungleiche
Wachstum der Labyrinthkapsel hervorgerufen wird — bekommt
die grössere Facette allmählich ihre Richtung nach
hinten und die kleinere ihre mediale Stellung.
31. Schon Anfang des 3. Monats werden auch die
Nebenfacetten der Hammergelenkfläche und der
Sperrzahn von Helmholtz angelegt.
32. Die Blastemscheiben, die zwischen Crus longum incudis
und Stapes sowie zwischen Crus breve incudis und der Bogen-
gangkapsel peristieren, sind von derselben Natur wiedie
Zwischenscheibe des Hammer-Amboss-Gelenkes.
33. Erst wenn die Knochenbildung eintritt, wird
der Meckelsche Knorpel vom Hammer histologisch
abgegrenzt.
34. Die Resorption des Meckelschen Knorpels wird schon
Anfang des 5. Monats in der Peripherie desselben eingeleitet.
658 IVAR BROMAN,
35. Die knopfförmige Processus lenticularis wird
erst Ende des 5. Monats angelegt.
36. Das bei den fertigen Gehörknöchelchen beo-
bachtete Verhältnis, dass die Spitzen des Ürus breve
und des Crus longum vom Amboss sowie des Manu-
brium des Hammers nahezuin einer geraden Linie
liegen (Helmholtz), existiert schon von Anfang des
3. Monats.
37. Ende des 3. Monats fängt die anfangs kreis-
rundeForm desSteigbügels anin die definitive über-
zugehen, wahrscheinlich infolge eines um diese Zeit zu-
nehmenden intralabyrinthären Druckes.
38. Als eine weitere Folge desselben vermehrten Druckes
erleidet nun auch die mitten vor demSteigbügelring
liegende vorknorpeligeLamina fenestrae ovalis eine
fast vollständige Atrophie, sodass sie nach dieser Zeit
nur als ein dünnes Perichondrium auf der Steigbügelplatte per-
sistiert.
39. Der Steigbügel ist also nicht doppelten Ur-
sprungs.
40. DasLigamentum annulare baseos stapedis wird
Ende des 5. Monats durch Bindegewebswandlung des Blastems
in der Peripherie des ovalen Fensters gebildet. Kein von
aussen hineindrängendes Bindegewebe trägt zur Bil-
dung des Ligamentes bei.
41. Die Arteria stapedialis stammt — gleich wie es Gra-
denigo (15) bei Katzenembryonen gefunden — mittelst eines
mit der Arteria hyoidea primitiva gemeinsamen Astes, Truncus
hyostapedialis, von der Carotis interna ab. Die Arteria hyoidea
prim. verschwindet bald; die Arteria stapedialis per-
sistiert in der Regel bis Ende des 3. Monats.
42. Der Musculus tensor tympani zeigt bald nach
seiner Anlegung eine Winkelbiegung. Diese Biegung
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 659
wird Ende des 3. Monats durch die Entwickelung
eines Ligaments (des Ligamentum trochleare) fixiert
und verstärkt, das von der Pars cartilaginea Tegminis tym-
pani (= Processus periotieus sup. Gradenigo) unter den
Muskel — vor der Sehne — läuft und sich an einem Knorpel-
auswuchs der Labyrinthkapsel gleich über der Fenestra ovalis
befestigt.
43. Das Tegmen tympani wird von einer lateralen Pars
cartilaginea und einer medialen Pars membranacea ge-
bildet. In einer Scheide derletzteren wird der Musculus
tensor tympani eingeschlossen. Die Verknöcherung be-
einnt Ende des 5. Monats an der Grenze zwischen dem knorpe-
ligen und dem membranösen Teil und schreitet von da sowohl
medial- wie lateralwärtt. Anfang des 7. Monats ist das
ganze Tegmen tympani verknöchert und somit der
knöcherne Canalis pro tensore tympani gebildet.
44. Der Musculus stapedius wird später als der
M. tensor tympani angelegt. Anfangs gerade, erhält der
M. stapedius seine Winkelbiegung erst, nachdem er
Ende des 3. Monats an der betreffenden Stelle durch
ein Ligament — das Ligamentum museuli stapedii —
fixiert worden ist. Dieses Ligament streckt sich vom hinteren
Teil des Promontoriums schräg nach oben, aussen und hinten
zu der Befestigungsstelle des Hyoidbogens. Nach hinten setzt
es sich in eine dünne, bindegewebige Platte fort, in
welcher der Muskel eingelagert ist. Anfang. des 7. Mo-
nats verknöchert sowohl diese Bindegewebsplatte
wie das Ligamentum musculi stapedii. So entstehen
die Eminentia stapedii und die zarte Knochenspange,
die sich von derselben zum Promontorium erstreckt.
45. Während der letzten Hälfte des 5. Monats
fängt die Ossifikation der Gehörknöchelchen an.
660 IVAR BROMAN,
46. Sie zeigt ganz denselben Verlauf wie in anderen knorpel-
präformierten Knochen.
47. Die Gehörknöchelchen haben (abgesehen von
dem Proc. longus mallei) nur ein Ossifikationscentrum
für jedes.
48. Der Processus lenticularis ist also nicht einmal
als eine Epiphyse und noch weniger als ein besonderer Knochen
aufzufassen.
49. Der Processu's longus (Folii) mallei wird Anfang
des 3. Monatsals ein an beiden Enden freier Belegknochen
an der unteren, medialen Seite des Meckelschen Knorpels an-
gelegt. Wenn das Collum mallei verknöchert, tritt er mit dem-
selben in direkte Verbindung.
50. Die Verknöcherung des Steigbügels fängt zu-
letzt an, wird aber zuerst fertig. Sie beginntin der
Regel in der Basis und schreitet von da allmählich
die Schenkel hinauf.
51. Sowohl die Basis wie die Schenkel sind unmittelbar nach
der Verknöcherung bedeutend dicker als an dem definitiven
Steigbügel. Das definitive Aussehen wird durch eine
in derselben Ordnung wie die Verknöcherung fort
schreitende Resorption erreicht.
52. Die Crista stapedis entsteht nicht durch eine
partielle Ossifikation der zwischen der Basis undden
Schenkeln ausgespannten Schleimhautduplikatur
[Eysell (11), sondern dadurch, dass in der Basis die Resorption
in zwei Abteilungen verläuft, zwischen denen eine Knochenleiste
persistiert.
53. Bei der Geburt haben alle Gehörknöchelchen ihre defini-
tive Entwickelung erreicht.
54. Die Ligamente des Hammers entwickeln sich erst
nach dem Anfang der Verknöcherung desselben.
Die Entwickelungsgeschichte der Gehörknöchelehen beim Menschen. 661
55. Der Annulustympanicusentwickeltsich nicht
aus drei Knochenpunkten (Rambaud et Renault [83]).
Sein vorderes Endstück wird Anfang des 3. Monats als eine Deck-
knochenplatte unter dem Meckelschen Knorpel angelegt; von
der medialen Spitze dieser Platte wächst dann allmählich die
übrige Partie des Ringes hervor.
Meinen Lehrern, den Herren Professor Hj. Lindgren und
Professor C. M. Fürst erlaube ich mir meine Ehrerbietung und
Dankbarkeit auszusprechen nicht nur dafür, dass sie während
der Fortsetzung dieser Arbeit auf dem hiesigen histologischen
Institute mir die embryologischen Sammlungen desselben zur
Benutzung überlassen, sondern auch für meine frühere Studien-
zeit, während der ich Gelegenheit gehabt, von ihrer direkten,
immer wohlwollenden Leitung Nutzen zu ziehen.
Schliesslich erfülle ich noch eine angenehme Pflicht, indem
ich Herrn Professor Erik Müller dafür meinen Dank aus-
spreche, dass er mir die Anregung zu der vorliegenden Arbeit
gegeben und mir sein Institut, sowie auch ein selten gutes
Material zur Verfügung gestellt.
Lund, den 22. Juni 1898.
Erklärung der Tafeln.
Tafel A. (Skala 3/1.)
Figg. 1—8. Schnitte 109, 115, 117, 120, 121, 123, 129 und 131 des Em-
bryo 1. Vergl. Textfigur 3 Seite 560!
Figg. 9 u. 10. Schnitte 116 u. 128 des Embryo II.
a. Helle, mesodermale Zone zwischen Stapesanlage und Labyrinthkapsel.
A. bl. Augenblase.
A. c. int. Arteria carotis interna.
A. h. pr. Arteria hyoidea primitiva.
A. st. Arteria stapedialis.
Ch. d. Chorda dorsalis.
Ch. t. Chorda tympaniı.
Cr. 1. i. Crus longum ineudis.
Gangl. A-F., G. A-F. Ganglion Acustico-Faciale.
Gangl. Trig., G. Trig. 3 Trigemini.
Hb. Hyoidbogen. Hb. t. Hyoidbogen (lateraler Teil).
Ih. Interhyale.
I. Vf. Erste, innere Visceralfurche.
Lh. Laterohyale.
Lk. Labyrinthkapsel.
Mb. Mandibularbogen. Mb. ]. Mandibularbogen (lateraler Teil).
St. Stapesanlage.
Tr. h. st. Truncus hyo-stapedialis.
V. j. pr. Vena jugularis primitiva.
V. N. trigeminus.
v1. N. facialis.
Datel,B.
Fig. 1. Frontalschnitt (Nr. 142) des Embryo Ill. Skala '%ı. Linke
Seite, von hinten gesehen.
Art. st. Arteria stapedialis.
H. Hyoidbogen.
Ih. Interhyale.
Lh. Vorderer Theil des Laterohyale.
Lb. Labyrinthblase.
Erklärung der Tafeln. 665
P. cochl. Pars cochlearis der Labyrinthkapsel.
St. Stapesring.
VI. N. facialis.
Fig. 2. Frontalschnitt durch den Steigbügelring unmittelbar nach hinten
von dem Amboss-Steigbügelgelenk. Embryo VII. Linke Seite von vorn ge-
sehen. Skala !%/,. a. oberer, b. unterer, knorpeliger Rand der Fenestra ovalis.
B. st. Basis stapedis.
Cr. p. St. Crus posterius stapedis.
Lam. fen. ov. Lamina fenestrae ovalis.
Lig. ann. Ligamentum annulare baseos stapedis.
Fig. 3. Ähnlicher Schnitt des Embryo VIII. Skala 'ı.
Fig. 4. Ähnlicher Schnitt des Embryo IX. Skala '/ı.
Fig. 5. Frontalschnitt (Nr. 257) des Embryo IV. Linke Seite, von
hinten gesehen. Skala ”ı.
Hb. m. Hyoidbogen (medialer Teil).
Ih. Interhyale.
Lh. Laterohyale.
St. Steigbügelring.
P. cochl. Pars cochlearis und
P. can. sem. Pars canalium semiecireularium der Labyrinthkapsel.
VII. N. facialis.
V.j. pr. Vena jugularis primitiva.
Fig. 6. Frontalschnitt durch das Ligamentum annulare baseos stapedis
(Lig. ann.) Embryo XI. Skala '"%ı.
B. st. Basis stapedis. P. cochl. Pars cochlearis der Labyrinthkapsel.
Fig. 7. Frontalschnitt. Embryo X. Skala °"ı.
B. st. Basis stapedis.
Lig. ann. Ligamentum annulare baseos stapedis.
Tafel E.
Fig. 1. Rekonstruktionsmodell der proximalen Partien der beiden ersten
Visceralbogen des Embryo II. Skala ®ı. Von hinten gesehen.
Fig. 2. Dasselbe Modell von der medialen Seite gesehen.
Fig. 3. Dasselbe von vorn gesehen.
Fig.4. Rekonstruktionsmodell derselben Partie des Embryo III. Skala ®ı.
Von vorn gesehen.
Fig. 5. Dasselbe Modell von innen gesehen.
Fig. 6. Rekonstruktionsmodell. Embryo IV. Skala ’/ı. Von vorn gesehen.
Fig. 7. Dasselbe von der medialen Seite gesehen.
Figg. 8, 9 u. 10. Rekonstruktionsmodell. Skala "1. Embryo VII. Fig. 8
von aussen, Fig. 9 von innen und Fig. 10 von hinten gesehen.
Fig. 11. Rekonstruktionsmodell. Embryo VI. Schief von unten und
aussen gesehen.
Fig. 12. Hammer des Embryo XVII. Skala '%ı. Von aussen.
Fig. 13. Hammer des Embryo XXII. "1.
664 Erklärung der Tafeln.
Fig. 14. Hammer des Embryo XXIV. "%ı.
Fig. 15. Hammer des Embryo XXVII. 1".
Fig. 16. Hammer des Embryo XXX. "01.
Fig. 17. Hammer eines Erwachsenen. '%ı.
Bei den Figg. 1—10 sind die Nerven mit Gelb bezeichnet.
Bei den Figg. 12—17 sind die verknöcherten Partien gelb.
Die Belegknochen (bei Figg. 8—11) sind rot. Die Schnittflächen
schraffiert.
a. Vertiefung, von Vena jug. primit. veranlasst.
Ann. t. Annulus tympanieus.
Cap. Capitulum mallei.
Ch. t. Chorda tympani.
Coll. Collum mallei.
Cr. 1. Crus longum incudis.
Cr. br. Crus breve incudis.
Hb. m. Hyoidbogen, medialer Teil.
Hb. ]. N lateraler Teil.
I. Incusanlage.
Ih. Interbyale.
I. Vf. Erste, innere Visceralfurche.
Lh. Laterohyale.
M. Malleus.
Mb. m. Mandibularbogen, medialer Teil.
Mb. 1. © lateraler Teil.
Mn. Manubrium mallei.
M. Kn. Meckelscher Knorpel.
P. can. sem. Pars canalium semiecireularium der Labyrinthkapsel.
Pr. F. Processus longus (Folii) mallei.
Pr. l. Processus lateralis mallei.
R. Kn. Reichertscher Knorpel.
S. m. Sulcus malleolaris.
St. Steigbügel.
Cr. m. Crista mallei.
V. N. trigeminus.
VII. N. facialis.
Tafel D. Skala !%ı.
Die verknöcherten Partien sind mit Gelb bezeichnet.
Fig. 1. Rechter Amboss des Embryo XVII
Fig. 2 a e s z XVIll.
Fig. 3. h a 3 n XX1.
Fig. 4. , p r ö XIX.
Fig. 5 a E r 5 XX.
Fig. 6 . £ ’ > XXIV.
Fig. 7 y - 2 5 XXX.
Erklärung der Tafeln. 665
Fig. 8. Rechter Amboss eines Erwachsenen. _
Big. 9. „ Steigbügel des Embryo XX.
Fig. 10. ” : . 5 RTV:
Fig. 11. = et B 5 XXI.
Fig. 12. = N p = xXV1
Fig. 13. 5 z R 2 xXR.
Fig. 14. £ a n E RXVIl:
Fig. 15. & = 2 ” XXX.
Fig. 16. ” ; L ® XXX.
Fig. 17. a „ eines Erwachsenen.
Fig. 18. s des Embryo X.
Cap. Capitulum stapedis.
Cr. ant. und Cr. post. Crus anterius und Crust posterius stapedis.
Cr. br. und Cr. I. Crus breve und Crus longum ineudis.
Cr. st. Crista stapedis.
B. st. Basis 3
Sp. ier. Spatium intererurale.
Tafel E.
Fig 1. Rekonstruktionsmodell der linken Labyrinthkapsel und der Gehör-
knöchelchen-Anlagen des Embryo III. Skala ®/ı. — Von vorn und etwas
von aussen.
Fig. 2. Rekonstruktionsmodell derselben Partie des Embryo IV. Skala ®ı.
Von vorn.
Fig. 3. Rekonstruktionsmodell derselben Partie des Embryo VII. Skala '?/ı.
Fig. 4. Das Rekonstruktionsmodell des Embryo Ill. Von aussen und
etwas von vorn gesehen.
Fig. 5. Das Rekonstruktionsmodell des Embryo IV. Von aussen und
vorn gesehen.
Fig. 6. Das Rekonstruktionsmodell des Embryo VII. Von aussen gesehen.
H. Hyoidbogen, Lh. Laterohyale.
I. Incusanlage, Ih. Interhyate.
M + I. Malleus-Incusanlage.
M. Malleusanlage. Cr. m. Crista mallei.
Me. Meckelscher Knorpel.
Mn. Manubrium mallei.
Pr. I. Processus lateralis Mallei.
P. can. sem. Pars canalium semicircularium und
P. cochl. Pars cochlearis der Labyrinthkapsel.
St. Steigbügel. B. st. Basis stapedis.
Pr. st. Processus museuli stapedi.
Pr. F. Processus Folii mallei, Pr. M. Processus muscularis.
Cr. br. Crus breve, Cr. 1. Crus longum incudis.
Cr. p. Crus posterius, Cr. a. Crus anterius stapedis.
Tafel F.
Fig. 1. Rekonstruktionsmodell der Gehörknöchelchenanlagen des Em-
bryo V. Von vorn gesehen. Skala ®°ı.
666 Erklärung der "Tafeln.
Fig. 2. Dasselbe Modell, schief von innen und hinten gesehen.
Fig. 3. Rekonstruktionsmodell der Gehörknöchelchenanlagen des Em-
bryo VI. Von innen und etwas von hinten gesehen.
Fig. 4. Rekonstruktionsmodell der Gehörknöchelchenanlagen des Em-
bryo VIII. Skala ®/ı. Von vorn.
Fig. 5. Dasselbe Modell, von innen und hinten.
Fig. 6. Steigbügelmodell. Embryo IX. Von vorn. Skala ')ı.
Fig. 7. Dasselbe Modell, von oben und aussen gesehen.
Fig. 8. Rekonstruktionsmodell des Amboss des Embryo IX. Von innen.
Skala "/ı.
Fig. 9. Dasselbe Modell, von vorn und aussen gesehen.
Fig. 10. Rekonstruktionsmodell des Hammers des Embryo IX. Von
vorn. Skala ®/ı.
Fig. 11. Dasselbe Modell; von aussen.
Fig. 12. Hammer und Amboss eines Erwachsenen (a), eines Neuge-
borenen (b) und eines Embryo von 32 cm (c). Natürliche Grösse.
Fig. 13. Steigbügel eines Erwachsenen (a), eines Neugeborenen (b) und
eines Embryo von 32 cm (c). Natürliche Grösse.
Bezeichnungen dieselben wie in Tafel E.
wo
6.
-]
Litteraturverzeichnis.
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(Mır Demonstration von PRÄPARATEN AUS DEM I. ANATONISCHEN
Instırtur zu Berum.)
ÜBER EINE BEZIEHUNG
ZWISCHEN DEM
NEIGUNGSWINKEL DES SCHENKELHALSES
UND DEM
QUERSCHNITTE DES SCHENKELBEINSCHAFTES,
VON
HUGO HIERONYMUS HIRSCH,
KÖLN.
Mit 6 Abbildungen auf den Tafeln G-J.
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*Meine Herren! Das Material, das ich Ihnen zu demon-
strieren die Ehre habe, verdanke ich dem wohlwollenden Ent-
gegenkommen des Herrn Geheimrat Waldeyer.
Ich bitte Sie, zuerst einen Blick auf diese Photographie
(vergl. Taf. G) zu werfen. Sie erblicken darauf den proximalen
Teil zweier Schenkelbeine (in Rückenansicht), den eines linken
Schenkelbeines mit besonders kleinem Neigungswinkel des
Schenkelhalses (Fig. 1) und denjenigen eines rechten mit be-
sonders steilem Halse (Fig.)').
Auf dieser Tafel (vergl. Taf. H) habe ich von den dort in
ihrem proximalen Teil abgebildeten Schenkelbeinen, und zwar
von einander genau entsprechenden Stellen derselben, je drei
dünne Querscheiben zusammengestellt:
1. je eine aus der Mitte des Schenkelhalses (Fig. 3a und
Fig. 4«),
2. je eine von einer Stelle 1'/z cm unterhalb des Tro-
chanter minor (Fig. 3b und Fig. 48),
3. je eine aus der Mitte des Schaftes (Fig. 3c und Fig. 4y).
Die Querscheiben a, b und c gehören zu dem Schenkel-
beine mit dem steilen Halse (Taf. G Fig. 2).
*) Vortrag, gehalten in der anatomischen Abteilung der 70. Versammlung
deutscher Naturforscher und Ärzte zu Düsseldorf, am 20. Sept. 1898.
2) Alter, Geschlecht und Beruf der Individuen, von denen die Knochen
herrühren, sind unbekannt; diese Angaben wären auch für die vorliegende
Untersuchung belanglos.
ye HUGO HIERONYMUS HIRSCH,
Die Querscheiben @, £ und y gehören zu dem Schenkel-
beine mit dem stark geneigten Halse (Fig. 1).
Ich möchte zunächst Ihre Aufmerksamkeit auf die beiden
Querschnitte von der Stelle unterhalb des Trochanter minor hin-
lenken. Der zu dem Schenkelbeine mit dem grossen Neigungs-
winkel des Schenkelhalses gehörige (Fig. 3b) zeigt eine annähernd
rundliche Form ; die mediane und laterale Hälite des Querschnittes
erscheinen annähernd symmetrisch. Ganz anders sieht daneben
der entsprechende Querschnitt des Schenkelbeines mit kleinem
Neigungswinkel des Halses (Fig. 4$) aus. Er besitzt medianwärts
eine starke Vorwölbung, welche bewirkt, dass die beiden Hälften
des Querschnittes durchaus asymmetrisch erscheinen. Mit etwas
Phantasie kann man diesen Querschnitt mit einem gleich-
schenkeligen Dreiecke vergleichen, dessen Spitze medianwärts,
dessen Basis lateralwärts läge.
Während die besprochenen Querschnitte sich so verschieden
verhalten, besitzen die beiden aus der Schaftmitte ganz ähnliche
Formen; insbesondere sind bei dem zu dem Schenkelbeine mit
dem stark geneigten Halse gehörigen Querschnitte (Fig. 4 y) die
mediane und die laterale Hälfte ähnlich symmetrisch geformt
wie bei demjenigen von derselben Stelle des Schenkelbeines mit
dem steilen Halse (Fig. 3 e).
Was endlich die Querschnitte aus der Mitte des Schenkel-
halses (Fig. 3a und Fig. 4 «) betrifft, so möchte ich zunächst
daran erinnern, dass Mikulicz!) vor nunmehr 20 Jahren die
Beobachtung mitgeteilt hat, dass bei geneigterem Halse die
vertikale Breite desselben gewöhnlich viel grösser sei als bei
steilerem. Diese Beobachtung, die Mikulicz an dem Materiale
des Wiener anatomischen Instituts gemacht hat, ist offenbar eine
1) Mikulicz, J., Über individuelle Verschiedenheiten am Femur und an
der Tibia. Mit Berücksichtigung der Statik des Kniegelenkes. Arch. f, Anat.
und Physiol. 1878. Anat. Abteilg. S. 367, 368.
Über e. Beziehung zwischen d. Neigungswinkel d. Schenkelhalses ete. 675
ähnliche, wie die hier in Rede stehende; die letztere schliesst
sich gewissermassen an siean. Durch die beschriebene mediane
Vorwölbung erhält der Querschnitt unterhalb des Trochanter
minor bei dem Schenkelbeine mit dem stark geneigten Halse
(Fig, 48) einen relativ grossen transversalen (frontalen) Durch-
messer; und dieser entspricht dem vertikalen Breitendurchmesser
des Halses.
Mikulicz spricht von seinem Befunde als von einem ‚frei-
lich weniger konstanten Umstande“. Ich habe denn auch den
Eindruck gewonnen, dass der Einfluss des Neigungswinkels des
Schenkelhalses auf die relative Grösse des transversalen Durch-
messers des proximalen Schaftteiles ein erheblich grösserer ist,
als wie derjenige auf den vertikalen Halsdurchmesser. Sicher-
lich "trifft dies wenigstens bei den vorliegenden Präparaten zu.
Die Querscheiben sind senkrecht zur Längsachse desHalses heraus-
gesägt; ihr grösster Durchmesser entspricht mithin der vertikalen
Breite des Halses. Man kann nun wohl kaum sagen, dass hier
die relative vertikale Breite des Querschnittes aus dem stark
geneigten Schenkelhalse (Fig. 4 «) eine wesentlich grössere sei,
als bei dem Querschnitte aus dem steilen Halse (Fig. 3 a).
Wie grosse Verschiedenheiten dagegen bezüglich der relativen
Grösse des transversalen Durchmessers des proximalen Schaft-
teiles bei Schenkelbeinen mit verschieden grossem Neigungs-
winkel des Halses zu finden sind, vermag ich Ihnen noch an
einem weiteren Beispiele zu zeigen.
Sie sehen hier (Taf. J, Fig. 5 a und 6 «) die Frontalschnitte
durch das proximale Ende von zwei linken Schenkelbeinen (in
Ansicht von vorne), darunter beidemal den Querschnitt von der
Grenze des Frontalschnittes (Fig. 5b und 6 8) und den Schnitt
aus der Mitte des Schaftes (Fig. 5c und 6 7). Aus den Frontal-
schnitten ist ersichtlich, dass es sich bei dem einen Schenkel-
beine (Fig. 5). wieder um ein solches mit besonders steilem Halse,
bei dem andern (Fig. 6) wieder um ein Schenkelbein mit stark
676 HUGO HIERONYMUS HIRSCH,
geneigtem Halse handelt. Hier gehört nun wieder zu dem stark
geneigten Halse ein mehr dreieckiger, asymmetrischer Querschnitt
des proximalen Schaftteiles (Fig. 6«@ und $). Zu dem steilen
Halse gehört allerdings kein rundlicher, sondern ein mehr vier-
eckiger Querschnitt (Fig. 5a und b); aber letzterer ist auch
ein mehr symmetrischer Querschnitt. In Bezug auf die Symmetrie
der medianen und der lateralen Querschnittshälfte liegen also
hier ganz ähnliche Verhältnisse vor wie bei den zuerst ver-
glichenen Präparaten. Und ebenso wie bei diesen zeigen auch
hier die Querschnitte aus der Schaftmitte (Fig. 5c und 67)
wiederum weniger charakteristische Unterschiede als die oberen
Querschnitte (b und £). Dass die Querschnitte ce und y infolge
eines verschieden starken Hervortretens der Linea aspera sich
unterscheiden, ist für die vorliegende Untersuchung von unter-
geordneter Bedeutung; in den vorderen Abschnitten, wo gerade
die oberen Querschnitte jene charakteristische Verschiedenheit dar-
bieten, zeigen auch hier die Querschnitte aus der Schaftmitte
beidemal in gleicher Weise ziemlich symmetrische mediane und
laterale Häliten. E
Was in den beiden demonstrierten Fällen zu sehen ist, das
habe ich bei Untersuchung einer grösseren Zahl von Ober-
schenkelbeinen immer wieder von neuem gefunden: Wenn ich
ein Schenkelbein mit besonders steilem Schenkelhalse und ein
solches mit besonders stark geneigtem Halse miteinander ver-
glich, so fand ich jedesmal, dass das Schenkelbein mit
dem steilenHalse einen mehr rundlichen beziehungs-
weise einen mehr symmetrischen Querschnitt unter-
halb des Trochanter minor besass gegenüber dem mit
dem stark geneigten Halse, das jedesmaleinen mehr
dreieckigen, asymmetrischen Querschnitt in dem
proximalen Schaftteile darbot. Desgleichen fand ich
jedesmal, dass die Querschnittsformen nach der Mitte des
Anatomische Hefte I, Abteilung Heft 37 (11. Bd. H. 4) TAFEL G.
Lichtdruck der Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G. München. Verlag von J. F. Bergmann, Wiesbaden.
Anatomische Hefte I. Abteilung Heft 37 (It. Bd. H. 4).
Lichtdruck der Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G. München. Verlag von J.
Anatomisehe Hefte I, Abteilung Heft 37 (Il. Bd. H. 4).
TAFEL J,.
Über e. Beziehung zwischen d. Neigungswinkel d. Schenkelhalses ete. 677
Schaftes hin in weniger charakteristischer Weise sich unter-
schieden.
Der Zustand, den die Ihnen hier demonstrierten Schenkel-
beine mit stark geneigtem Schenkelhalse darbieten, besitzt eine
grosse Ähnlichkeit mit dem Zustande, den die Anthropologen
mit der Bezeichnung „sagittale Platymerie‘ belegt haben.
Ich darf daran erinnern, dass darunter eine Abflachung des
proximalen Schaftteiles des Schenkelbeines in sagittaler Richtung
verstanden wird, ein Zustand, bei dem der sagittale Durch-
messer dieses Schaftteiles relativ klein beziehungsweise der
transversale relativ gross erscheint. Dasselbe ist ja auch bei
den demonstrierten Schenkelbeinen mit besonders kleinem
Neigungswinkel der Fall. Die sagittale Platymerie soll auf ver-
schiedene Weise zu stande kommen, das eine Mal durch eine
Verwölbung der medianen Seite, das andere Mal durch eine
solche der lateralen Seite des Schaftes. Auf jeden Fall zeigt
die Abbildung Fig. 4 aus Manouvriers Abhandlung über die
Platymerie!) einen Querschnitt, der ganz ähnliche Verhältnisse
darbietet, wie die betreffenden von mir demonstrierten, — und
Manouvrier bezeichnet den Zustand dieses Querschnittes, der
zu einem aus den Pariser Katakomben stammenden Oberschenkel-
beine gehört, als den einer recht ausgesprochenen sagittalen
Platymerie. Lehmann-Nitsche?) giebt in seiner Arbeit
„Über die langen Knochen der südbayerischen Reihengräber-
bevölkerung“ in Fig. 2 die Abbildung eines alemannischen
Femurs, das er als platymer bezeichnet: das Femur besitzt ge-
mäss der Zeichnung auch einen auffallend stark geneigten
Hals.
!) Manouvrier, L., La Platymerie. Extrait du Congres international
d’anthropologie et d’archeologie prehistoriques, 1889. Paris 1891 p. 6.
2) R. Lehmann-Nitsche, Sonderabdruck aus den „Beiträgen zur
Onthropologie und Urgeschichte Bayerns“. Band IX, 1894. Heft 3 und 4.
München 1895,
678 HUGO HIERONYMUS HIRSCH,
Bei der gegebenen Sachlage kann ich nicht umhin die Ver-
mutung auszusprechen, dass die von den Anthropologen als
ausgesprochen sagittal platymer bezeichneten Schenkelbeine
wenigstens zum überwiegend grössten Teile einen auffallend
geneigten Schenkelhals besitzen.
Wenn ich nicht direkt erwarte, dass schlechtweg alle der-
artigen Schenkelbeine einen stark geneigten Hals besitzen, so
glaube ich eine gewisse Einschränkung mit Rücksicht auf folgende
3eobachtung machen zu müssen. Bei Schenkelbeinen mit ziem-
lich gleich grossem, mittelstarkem Neigungswinkel habe ich
nicht immer ziemlich gleiche Querschnitte in dem bewussten
Teile des Schaftes angetroffen, sondern bald einen mehr rund-
lichen Querschnitt, bald einen solchen mit schwachem, aber
doch deutlich ausgeprägten medianen Vorsprunge. Eine der-
artige Beobachtung beweist, dass von einer genauen mathe-
matischen Proportion zwischen der Grösse des Neigungswinkels
des Schenkelhalses und der relativen Grösse des transversalen
Durchmessers des proximalen Schaitteiles nicht die Rede sein
kann. Jedoch widerlegt diese Erfahrung es auch gewiss nicht,
dass eine gesetzmässige Beziehung zwischen den fraglichen Form-
bestandteilen obwalten kann!).
Was die Frage betrifft, welcher Natur die festgestellte ge-
setzmässige Beziehung sein soll, so kann ich auch in dieser
Hinsicht wieder an Mikulicz anknüpfen. Derselbe erklärt
(l. ec.) seine bezügliche Beobachtung im Sinne des Gesetzes der
statischen Knochengestaltung durch die grössere Tragfähigkeit
1) Wenn bei sehr verschiedener Grösse des. Neigungswinkels jene Bezie-
hung in auffälliger Weise zu Tage tritt, bei mittlerem Werte des Winkels
dagegen nicht, so kann dies sehr wohl so zusammenhängen, dass die beiden
Formbestandteile einmal durch ein Prinzip bestimmt werden, welches eine
selbständige, unabhängige Entwickelung derselben innerhalb gewisser Grenzen
bewirkt, dann aber auch durch ein solches, welches sie in eine Abhängigkeit
von einander bringt. Wie ich schon an anderer Stelle auseinandergesetzt
habe, wird die normale Knochengestaltung durch Vererbung und (funktionelle)
Anpassung bestimmt; dies sind in der That zwei so verschiedene Prinzipien.
“
Über e. Beziehung zwischen d. Neigungswinkel d. Schenkelhalses ete. 679
des Schenkelhalses mit grösserem vertikalen Durchmesser.
(Mikulicz macht dabei stillschweigend die auch gewiss berech-
tigte Voraussetzung, dass ein stärker geneigter Schenkelhals
stärker auf Biegung beansprucht werde.) Ähnlich erkläre ich
die grössere relative Breite des proximalen Schaftteiles bei
Schenkelbeinen mit stark geneigtem Halse durch eine grössere
Biegungsfestigkeit gegenüber Biegung in frontaler Richtung.
Damit diese Erklärung als richtig bewiesen sei, muss zuerst
nachgewiesen werden, dass ein Schenkelbein mit kleinem Nei-
gungswinkel des Halses in dem proximalen Schaftabschnitte eine
stärkere frontale Biegungsbeanspruchung erfährt als ein solches
mit grossem Neigungswinkel. Und es muss weiter nachgewiesen
werden, dass nach der Mitte des Schaftes hin dieser Einfluss
der Grösse des Neigungswinkels auf die frontale Biegungs-
beanspruchung geringer wird; denn die Querschnitte aus der
Schaftmitte zeigen ja nicht mehr jenen charakteristischen Form-
unterschied. Diese Aufgaben, mit denen ich seit längerem be-
schäftigt bin, überschreiten weit den Umfang eines Vortrages.
Sie erfordern eine ausführliche Analyse der Beanspruchung des
Oberschenkelbeines, wie ich eine ähnliche betreffend die Bean-
spruchung des Schienbeins gegeben habe!). — Aber auch so
erschien mir diese Veröffentlichung an dieser Stelle gerecht-
fertigt, damit jene Beziehung, die ich glaube festgestellt zu
haben, von anderer Seite nachgeprüft würde, und damit sie sich
dann um so besser für das Studium der Knochenbildungsgesetze
verwerten liesse.
1) Hirsch, H.H., Die mechanische Bedeutung der Schienbeinform. Mit
besonderer Berücksichtigung der Platyknemie. Ein Beitrag zur Begründung
des Gesetzes der funktionellen Knochengestalt. Mit einem Vorwort von Prof.
Dr. Rudolf Virchow. Berlin (Springer) 1895. S. 33—50 u. Taf. I—-Ill.
Taf. G, Fig. 1.
Fig. 2.
Taf. H, Fig.
oo
Nat), Rie.,;o.
Fig. 6.
Erklärung der Tafeln.
Proximaler Abschnitt eines linken Schenkelbeines mit stark
geneigtem Halse (Rückansicht).
Proximaler Abschnitt eines rechten Schenkelbeines mit besonders
steilem Halse (Rückansicht).
Die quer über den Schenkelhals und den Schaft unterhalb
des Trochanter minor gezogenen Striche zeigen die Stellen
an, an welchen die vier oberen der auf Taf. H zusammen-
gestellten Querscheiben herausgesägt worden sind.
Querscheiben aus dem Taf. G, Fig. 2 in seinem proximalen
Abschnitte wiedergegebenen Schenkelbeine mit steilem Halse
(in Ansicht von oben), a aus der Mitte des Halses, b unterhalb
des Trochanter minor, ce aus der Mitte des Schaftes.
a, , y. Querscheiben von entsprechenden Stellen des Taf. G,
Fig. 1 abgebildeten Schenkelbeines mit stark geneigtem Halse.
Bei Fig. 3a und Fig. 4@ bezeichnen die Buchstaben o, u, v
und h die obere, untere, vordere und hintere Seite des Halses
bezw. des Querschnittes durch denselben. — Bei Fig. 3b,
Fig. 3c, Fig. 4% und Fig. 4y bezeichnen die Buchstaben i, ä,
v und h die innere (mediane), äussere (laterale), vordere und
hintere Seite des Querschnittes. (Bei Fig. 4« ist ein Teil der
über den ganzen (Querschnitt verteilten Spongiosa aus dem
Präparat herausgefallen.)
a Frontalschnitt durch das proximale Ende eines linken Schenkel-
beines mit steilem Halse (Vorderansicht); b Querschnitt von
der Grenze dieses Frontalschnittes (von oben); e Querschnitt
aus der Schaftmitte desselben Schenkelbeines. — Die Buch-
staben i, ä, v und h haben dieselbe Bedeutung wie auf Tafel H.
a, 8, y. Entsprechende Querschnitte durch ein zweites linkes
Schenkelbein mit stark geneigtem Halse.
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