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Full text of "Ancient records of Egypt : historical documents from the earliest times to the Persian conquest"

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Saͤmmtliche Werke 
Caroline Pichler, 


gebornen 


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Greiner. 


Vierter Band. 


Neue verbeſſerte Auflage. 


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Wie N, 1 8 2 O. 
Gedruckt und im Verlage bey Anton Pichler. 


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Ag at hokles. 


— 


Von 


Caroline Pichler, 


gebornen von Greiner. 


Das Leben iſt der Guͤter hoͤchſtes nicht. 
Schiller. 


Zweyter Theil. 


Neue, verbeſſerte Auflage. 


Wien, 1820. 
Gedruckt und im Verlage bey Anton Pichler— 


HAROLD B. LEE LIBRARY > 
- BRIGHAM YOUNG UNIVERSI&y 
PROVO, UTAH 


Agathokles. 


Erſter Brief. 


v 


Sulpicia an Calpurnien. 


Synthium bey Rikomedien im Februar 302. 


Ich bin in Synthium, meine Geliebte, auf dem 
Landhauſe unſers, deines Freundes Agathokles. 
Eine angenehme Stille umgibt mich, und wiegt 
nach einer langen Zeit voll Zerſtreuungen und 
Erſchütterungen meine ermüdeten Sinne in eine 
wohlthätige Ruhe. Agathokles beſucht uns, fo 
oft es ſeine Geſchäfte erlauben, und mein Tiri⸗ 
dates bringt alle Zeit, die er dem Hofe abmüßi⸗ 
gen kann, bey mir zu. Ich bin frey. Galerius 
hat meine Scheidung bewilligt, und den Befehl 
darüber an den Senat von Rom und den Ser- 
ranus Anicius geſandt. So ſind denn alle Pla— 
ne ausgeführt, alle Wünſche erfüllt, und ich 
kann ruhig dem Zeitpunct entgegen ſehen, wo 
keine Macht der Welt mich mehr den Armen 
meines Tiridates wird entreißen können. 


ks 


6 

Nichts ſtört den vollkommenen Genuß mei- 
nes Glücks, als die noch fortdauernde Schwäche 
meiner Geſundheit, eine Folge der langen Lei— 
den und Kränkungen. Sie find verſchwunden; 
aber ihre Wirkungen fühle ich noch. Auch die 
Jahreszeit hatte während der Seereiſe nachthei— 
lig auf mich gewirkt. Ich kam krank in Niko⸗ 
medien an. Aber, meine Calpurnia, um keinen 
Preis möchte ich die Erfahrung dieſer Krankheit 
nicht gemacht haben. Sie hat mir Tiridates Lie— 
be in noch glänzenderm Lichte gezeigt. Ich bin 
ganz glücklich. Er ließ mich ohne weitere Vor— 
bereitung, feſt auf Agathokles Freundſchaft rech⸗ 
nend, gerade in ſein Haus führen; er trug mich 
auf ſeinen Armen aus der Ganfte in das Zim⸗ 
mer, das uns der freundliche Wirth ſelbſt anwies. 
Agathokles bewährt ſich auch jetzt, wie immer, 
als einen der beſten Menſchen; er empfing uns 
mit rührender Freude, und behandelt uns wie 
geliebte Geſchwiſter. Ich finde ihn ſehr verändert. 
Doch davon nachher. Jetzt laß mich dir nur er— 
zählen, daß ich ſeinen Bemühungen für alles, 
was er zur Erleichterung meiner Lage dienlich 
fand, und Tiridates zärtlicher Sorgfalt größten 
Theils meine Wiederherſtellung verdanke. 

Das Geräuſch, die Unruhe in der glänzen— 


7 
den Hauptſtadt des Orients wurde mir bald zur 
Laſt. Agathokles errieth meinen Wunſch, und 
both mir ſeine Villa Synthium, die einige Mei⸗ 
len von Nikomedien liegt, ein Erbtheil ſeiner 
Mutter, zum Aufenthalt an. Ich nahm es mit 
Vergnügen an. Das Einzige, was meine Freu⸗ 
de ſtörte, war die Bemerkung, daß Tiridates 
ſich nicht eben ſo leicht, wie ich, aus der Haupt⸗ 
ſtadt entfernte. Indeſſen brachte mir ſeine Liebe 
auch dieſes Opfer, und ich lebe hier ganz nach 
meinem Herzen. Die Villa liegt einſam und 
verborgen zwiſchen waldigen Hügeln, die der 
Anfang des Gebirges ſind, das weiter hin ſich 
zum Berg Olymp aufthürmt. Obgleich die Land- 
ſtraße nicht weit vor dem Garten vorbeygeht, 
ſo fällt doch das Haus, das halb zwiſchen Pi- 
nien verſteckt und nicht groß iſt, nicht ſogleich 
in die Augen. Die Gärten ſind weitläufig, und 
zeigen in manchen Anlagen Spuren eines dü⸗ 
ſtern Geiſtes, der hier in der Einſamkeit ſeinen 
Gefühlen nachhing. Dieſer Ausdruck des Gan⸗ 
zen gefällt mir ungemein, und ich belauſche in 
ungeſtörter Einſamkeit hier das Erwachen des 
Frühlings, von deſſen Einfluß ich viel für meine 
Geſundheit hoffe. Tiridates hat mich den Kai⸗ 
ſerinnen Priſca und Valeria ) vorgeſtellt; auch 


9 a 

mit dem Cäſar Galerius habe ich geſprochen, und 
alle haben mich mit Anſtand und Güte empfan⸗ 
gen. Bey Diocletian allein war es mir noch nicht 
möglich, Zutritt zu erhalten; er umgibt ſich mit 
ſo viel Perſiſchem Pomp und Ceremoniel, daß 
der Zugang zu ihm überaus ſchwer iſt. Der Caz 
ſar hat mir ſeinen Schutz verſprochen, und 
Wort gehalten, wie du weißt; und ſo iſt mei— 
ne Zukunft freundlich erheitert, und jede Sor— 
ge verſchwunden. 

Ich habe dir geſagt, daß ich Agathokles ſehr 
verändert gefunden habe. Der Verluſt, den er 
erlitten, und die Art desſelben werden dir be— 
kannt ſeyn, ſo wie ſie es mir waren, noch ehe ich 
in Nikomedien ankam. Ich war folglich vorbe— 
reitet, die Spuren dieſer Begebenheit in ſei— 
nem Ausſehen zu finden; dennoch fand ich mit 
Trauer weit mehr, als ich erwartet hatte. Sei— 
ne Züge, die nie den Ausdruck der Jugend— 
blüthe trugen, ſind jetzt tief verfallen; ſein Blick 
iſt erloſchen, und alles kündigt ein ganz nieder— 
gebeugtes Gemüth an. Ich vermeide, von ſei— 
nem Unglücke zu ſprechen, und er hat Lariſſens 
Nahmen noch nicht genannt, ſeit ich hier bin; doch 
ſehe ich vor, daß der Zufall vielleicht einſt ein ſol⸗ 
ches Geſpräch herbeyführen wird, und zittre davor. 


9 
Auch in diefer Rückſicht wäre mir die Bee 
ſchleunigung deiner Ankunft, nachdem nun ein⸗ 
mahl die Beſtimmung deines Vaters als Pro— 
conſul entſchieden iſt, ſehr erwünſcht, nicht als 
ob ich eine fo geringe Meinung von Agatho⸗ 
kles Feſtigkeit hätte, um zu glauben, daß dein 
bloßer Anblick hinreichen würde, dieſe tiefen 
Wunden ſchnell zu heilen; aber ich hoffe viel, 
und mit der Zeit alles von deinem heitern 
Sinn, von deiner freundlichen Güte, von dei— 
nem Verſtande, und von deiner Schönheit. 
Wie empfindlich das ſtarke Geſchlecht gegen äu⸗ 
ßerliche Reize iſt, lerne ich immer mehr und 
mehr einſehen; es wirkt nichts ſo ſchnell, ſo 
ſtark, ſo bleibend auf ſie, und auch die Beſten 
ſind hierin bis zum Erſtaunen ſchwach. 
Nikomedien wird dir gefallen. Es herrſcht 
hier ein geſelliger Ton, man liebt Pracht und 
Zerſtreuung, aber man liebt es mit Geſchmack 
und ziemlichem Anſtand. Dieß ſcheint eine 
Wirkung des ceremoniöſen Hofes und der Denk— 
art der beyden Kaiſerinnen zu ſeyn, die in ih— 
ren Grundſätzen ſehr ſtreng, und, wie manche 
glauben, heimliche Chriſtinnen ſeyn ſollen. Ge— 
nug, der Schein wird gerettet, aber im Innern 
der Häuſer hat eine übermäßige Üppigkeit nicht 


10 


allein auf den Genuß des Lebens, ſondern auch 
auf die Sitten unſers Geſchlechts einen nachthei— 
ligen Einfluß. Die Weiber des Hofes und der 
Stadt ſind faſt alle locker in ihren Grundſätzen 
und von zweydeutigem Rufe; aber fie ſind ſchöͤn! 
Ich habe bey einem Feſte eine Verſammlung 
von Geſtalten geſehen, über deren Reize, durch 
den ſinnreichſten Putz und die geſchmackvollſte 
Pracht erhöht, ich wirklich erſtaunte, deren An⸗ 
blick mir — nicht Neid, deſſen halt dein Herz 
mich nicht fñähig, aber ein Gefühl von Trauer 
über meine ſo ſchnell verwelkte Jugend einflößte. 
Ich bin nicht mehr, was ich war; und hier iſt 
Alles ſo bezaubernd, fo verführeriſch, fo zudringlichl 

Schreibe mir doch noch, meine Geliebte, ehe 
du Rom verläſſeſt, und ſuche deine Reiſe zu be⸗ 
ſchleunigen! Mein Herz ſchlaͤgt dir mit Sehn— 
ſucht und Ungeduld entgegen. Leb wohl! 


11 


Z3Zweyter Brief. 


Agathokles an Phoc ion. 


Nikomedien im Februar 302. 


Es iſt lange, mein Freund, daß du meinen letz⸗ 
ten Brief *) erhieltſt, worin ich dir meinen un⸗ 
erſetzlichen Verluſt gemeldet habe. Ich erinnere 
mich jetzt nicht mehr beſtimmt, was ich dir ge— 
ſchrieben habe. In jener Zeit war es dumpf und 
düſter in meiner Seele. Indeſſen weißt du, was 
ich verlor und wie? Dieß genügt, um dir eine 
Vorſtellung meiner jetzigen Lage zu machen. 
Keine Betäubung währt ewig, und ſo hat ſich 
mein Geiſt auch aus der emporgeriſſen, die eini— 
ge Zeit nach jenem Ereigniſſe ſchwer und entner— 
vend auf mir lag. In Trachene unter Gefahren 


*) Er kommt nicht vor, ſo wie alle, die nichts zum 
Gang der Geſchichte beytragen, und deren dennoch 
wegen des Zuſammenhangs erwähnt werden muß. 


12 
und fremden Sorgen blieb mein Geiſt und Kör— 
per aufrecht; erſt in Nikomedien, in der Stille 
des gewöhnlichen Lebens, im väterlichen Hauſe, 
erlagen beyde, und ich ward im eigentlichen Sin— 
ne an beyden krank. Wie ich geneſen bin, und 
wozu? warum? weiß ich nicht. Aber ich kann 
wieder ſchlafen, ich kann Speiſe zu mir nehmen; 
und ſo kann und wird mein Daſeyn wohl noch 
lange währen. 

So zwecklos, ſo klein, ſo nichtsbedeutend, 
wie dieß Daſeyn mir damahls erſchien, und noch 
jetzt zuweilen in ſeiner ganzen Schalheit unab- 
ſehlich vor mir liegt, hätte ich es vielleicht von 
mir geworfen, oder in der nächſten Schlacht ver- 
ſchleudert; aber das ſollen, das dürfen wir nicht. 
— Ein Strahl überirdiſchen Lichtes ſenkt ſich in 
meine Nacht, und das Leben bekommt wieder 
Gehalt, obwohl nicht für meine Hoffnungen, 
und nicht für dieſe Welt. 

Ein Pfad öffnet ſich mir, um zur Wahrheit 
zu gelangen. Es iſt des Forſchers Pflicht, darauf 
fortzuſchreiten, und wenigſtens zu ſehen, wohin 
er führt, ſelbſt ohne Rückſicht auf eigenen Ge⸗ 
winn, ſelbſt dann, wenn ſicherer Verluſt die Fol⸗ 
ge ſeiner Forſchungen wäre. Könnte er auch an⸗ 


ders? Würde ſich nicht die ſchreckliche Wahrheit 


13 


ſelbſt Bahn zu ihm machen, wenn er auch ſeine 
Augen vor ihr verſchließen wollte? O, es hat 
ſchon ſo manche traurige Gewißheit den Weg ge— 

funden, um dieß Herz unfehlbar zu zerreißen! 
Jetzt erſcheint ſie im milden Lichte, und ich folge 
dem leitenden Strahl, der mich in eine tröſten— 
de Helle zu führen verſpricht. 

Ein Chriſt, jener Apelles, den du als den 
Lehrer und Freund der vorausgegangenen Ju⸗ 
gendgeſpielinn aus ihren Briefen kennſt, war 
das erſte Weſen, das mir in ſchrecklichen Augen: 
blicken theilnehmend erſchien. Menſchenfreund— 
lich und weiſe behandelte er den Kranken; ihm 
danke ich zuerſt die wiederkehrende Beſinnung, 
ihm {pater die Kraft, da nicht zu erliegen, wo 
menſchliche Stärke allein bey einem ſehr reizba⸗ 
ren Gefühl, wie meines, vielleicht nicht zu ſte⸗ 
hen vermocht hätte. Seine Tröſtungen waren 
von mehr als gewöhnlicher Art. Er nahm ſie aus 
den innerſten Tiefen des verarmten zerriſſenen 
Herzens, er evo öffnete ihm den Himmel, ließ 
überirdiſche Strahlen in dasſelbe fallen, füllte 
es mit Hoffnungen auf Jenſeits, und richtete 
alle Kräfte und Neigungen, denen hier kein wür— 
diger Gegenſtand mehr entſprechen konnte, auf 
große Ausſichten und Wirkungen in die Zukunft. 


14 
Meine Seelenkräfte kamen nach und nach zurück, 
und an ihnen richtete ſich der irdiſche Gefährte 
auf. Ich genas, und bin wieder fähig zu den⸗ 
ken, zu wirken, wenn auch nicht für mich, doch 
für Andere. 

Phocion! Ein weiſer Chriſt iſt ein erhabe— 
nes Weſen, iſt vielleicht das Höchſte, was die 
menſchliche Natur erreichen kann, die höchſte 
Vollendung, deren ſie fähig iſt. Sie ganz zu 
erſtreben, iſt nicht das Loos des Sterblichen; 
aber das erhabenſte Ziel hat ihnen ihr mehr als 
menſchlich weiſer Lehrer geſteckt: Seyd voll: 
kommen, wie euer Vater im Himmel 
vollkommen iſt! Kein geringeres Urbild, 
als die Gottheit, gab er ihnen nachzuahmen; 
und welcher Gott iſt der Gott der Chriſten! Kein 
leidenſchaftliches, ſinnliches, allen menſchlichen 
Schwächen unterworfenes Phantom, wie die 
Bewohner des alten Olymp, kein müßiger Zuſe⸗ 
her, der in vollkommener Apathie die Welt ge- 
hen läßt, wie ſie kann, wie die Götter Epikurs. 
Es iſt ein allmächtiger, durch ſich ſelbſt von 
Ewigkeit beſtehender, allwiſſender, allgegenwär⸗ 
tiger Geiſt, der alles, was da iſt, aus dem Nichts 
hervorgebracht, und nur darum geſchaffen bat, 
um ſeine Macht und Liebe zu verklären. Die 


— 


15 
Geogonie der Chriſten iſt einfach erhaben, und 
wenigſtens eben ſo faßlich und wahrſcheinlich, 
als die Syſteme unſerer Philoſophen; ja ich ge— 
traue mir zu behaupten, daß, in dem gehörigen 
Lichte betrachtet, und von dem poetiſchen Schmu— 
cke entkleidet, der dieſe Erzählung aus der Kind— 
heit des Menſchengeſchlechts umgeben muß, du 
keine den Naturgeſetzen gemäßer und vernünfti⸗ 
ger finden wirſt. Unbeſchreiblich ſchön iſt die Ge⸗ 
ſchichte des ſittlichen Verfalls der Menſchheit 
unter einem bald idylliſch⸗ lieblichen, bald furcht⸗ 
bar ernſtem Bilde dargeſtellt. Ja, die Erkennt— 
niß des Guten und Böſen war es, das erwa— 
chende Gewiſſen, das Gefühl des Rechts und Un— 
rechts, das den ſchönen Traum ewiger Unſchuld 
und Jugend zerſtörte! Du ſiehſt hier ein golde— 
nes Zeitalter, und die Urſache ſeines Verſchwin— 
dens tief und weiſe in den innerſten Trieben des 
Menſchen aufgeſucht und dargeſtellt. Was in der 
Fabel von Amor und Pſyche mehr bildliche Dar— 
ſtellung eines Platoniſchen Traumes iſt, iſt hier 
die Geſchichte des Menſchen, der Menſchheit in 
ihrer individuellen und allgemeinen Entwickelung 
zur Cultur. oe | 
Dieſen Gott nun, aus deffen Hand die Gon- 
ne, die Sterne, alle uns bekannten Weſen her— 


16 

vorgingen, der ihr Schickſal nach ewigen Geſe— 
tzen lenkt, dieſen Gott nennen die Ch riſten ihren 
Vater. In dieſem Kindes- Verhältniß denken 
ſie ſich zu ihm; und nichts iſt, womit ſie ſich ihm 
gefällig machen können, kein Opfer, keine Bü— 
ßung, nichts als ein reiner Sinn, und ein menſch— 
lich-gutes Herz. Alle Sterbliche find ihnen Brü— 
der; ſie zu lieben, wie ſich ſelbſt, kei nem zu 
thun, was man nicht ſelbſt leiden 
möchte, iſt ihr Hauptgeſetz. Je mehr mari die- 
ſem einfachen Gedanken nachforſcht, je mehr 
muß man den Lehrer bewundern, der in wenig 
Worte alle Geſetze der Moral ſo zuſammen zu 
faſſen wußte, daß in allen Schulen und Secten 
unſerer Philoſophen nicht mehr, und nichts 
Beſſeres gelehrt wurde. Liebe Gott über 
Alles, und deinen Nächſten wie dich 
ſelbſt! Wer kann mehr fordern als dieß? Und 
was würde die Welt ſeyn, wenn alle Menſchen 
dieſe einfache Vorſchrift beobachteten? Aber die 
Chriſten gehen noch weiter; ſie dringen nicht 
bloß auf Liebe gegen diejenigen, die wir zu haſ— 
ſen keine Urſache haben, ſie fordern Überwindung 
unſer ſelbſt, und Bezähmung der heftigſten Lei— 
denſchaften, Zorn und Rachgier. Gegnet, die 
euch verfolgen! Bethet für die, die 


| 17 
euch haſſen! In welcher Schule, Phocion! 
ward je reinere Tugend gelehrt? 

Noch ein Mahl, die chriſtliche Moral iſt mehr 
als menſchlich; aber indem ſie eine Höhe fordert, 
die wir nicht zu erreichen fähig find, ſpornt fie 
uns wenigſtens an, das Außerſte zu thun. Und 
was kann nicht der Menſch, wenn er alle ſeine 
Kräfte braucht? Das Höchſte muß der Menſch 
ſich vorſetzen, wenn er das Hohe erreichen, und 
nicht im Gemeinen verſinken will. Nach dem Un— 
endlichen muß er ſtreben; dann bewährt er ſich 
als einen unſterblichen Geiſt, dem dieſe Hülle 
zu eng, dem dieſe Erde nur eine Herberge iſt. 
Das haben unſere Philoſophen ſchon geſagt; 
auch der Chriſt ſagt es, nur unendlich einfacher. 

Aber bey der Schwäche unſeres halb ſinnlich— 
halb geiſtigen Weſens, das, zwey Welten ange- 
hörig, ewig zwiſchen beyden ſchwankt, was blie⸗ 
be uns für Hoffnung übrig, den hohen Befeh— 
len gehorchen, und das Ideal erreichen zu kön— 
nen, das jene Lehren von uns fordern? Müß— 
ten wir nicht daran verzweifeln, den ſtrengen 
Geſetzen genug zu thun? Hier könnte das Ge- 
wiſſen uns nicht beruhigen, dort würde ein un⸗ 
endlich heiliges Weſen den ſchwachen Sohn der 
Sinnlichkeit ſtrafend von fic) weiſen. Aber fie= 

Agathok. II. Theil. N B 


18 
bend und erbarmend tritt die geheimnißvolle Leb: 
re von der Verſöhnung, von einem unbefleckten, 
heiligen, der ganzen Strenge jener Forderungen 
genugthuenden Opfer dazwiſchen, von einem 
Opfer, das, die Schuld des ganzen Menſchen⸗ 
geſchlechts auf ſich nehmend, freywillig ſich der 
göttlichen Gerechtigkeit darboth, und für alle 
litt, blutete, ſtarb. In ſeinen Verdienſten findet 
der ſchwache Menſch vollendenden Erſatz für ſeine 
unvollkommenen Beſtrebungen; ſie eignet er ſich 
zu, und durch ihre Vermittelung darf er dem 
Throne des allerreinſten Weſens mit minderer 
Schüchternheit nahen. 
Du ſiehſt aus dieſen leichten Umriſſen, die 
ich dir mitzutheilen im Stande bin, wie erhaben 
und den Bedürfniſſen des Herzens angemeſſen 
dieſe Lehre iſt. Noch kenne ich fie nicht vollſtaͤn— 
dig; was ich aber kenne, überzeugt meinen Ver⸗ 
! ftand, und befriedigt mein Gefühl. Und wenn 
dieſe überzeugung einſt vollendet ſeyn wird: wer 
kann mich tadeln, ja, wer kann mich der entge— 
gengeſetzten Handlungsweiſe fähig halten, wenn 
ich ſie annehme, und ganz werde, was ich ohne⸗ 
hin ſchon zum Theile bin? — lbereilen aber will 
ich nichts. Der Schritt ich wichtig; er fordert 
vollkommene Geiſtesfreyheit, und gewiſſenhafte 


N 19 
Prüfung. Die erſte fehlt mir noch ganz, mein 
Gemüth iſt nicht ruhig. Die Erſchütterungen der 
vergangenen Schrecken haben noch nicht aufge⸗ 
hört, in mir nachzubeben; noch drückt ein zu Caz 
ſtendes Gewicht meinen Geiſt. 

O mein Freund! Was habe ich verloren? 
Lariſſa! Geſpielinn meiner Kindheit! Geliebte 
meiner Jugend! Holdes, ſanftes, liebevolles We⸗ 
ſen! Wo biſt du jetzt? Wo ſchwebt dein reiner 
Geiſt? Haſt du noch Erinnerung vom Vergan— 
genen? Weißt du, daß dein unglücklicher Freund 
hier verlaſſen trauert? Oder hört mit dem Leben 
oder mit der Perſönlichkeit, wenn auch der Geiſt 
nicht vernichtet wird, alle Erinnerung, alle Liebe 
auf? Troſtloſes Syſtem, das das menſchliche 
Herz verabſcheuen, über dem der Unglückliche 
verzweifeln müßte, wenn es ſeinen Anhängern 
gelingen könnte, es zu beweiſen! Was wäre die 
Unſterblichkeit dann für ein Vorrecht für das 
denkende Weſen? Würde ſie es nicht mit dem 
Thiere, der Pflanze theilen, deren aufgelöſete 
Körper auch nicht vernichtet, ſondern nach dem 
Gange der Natur in urſprüngliche Elemente zer⸗ 
ſetzt werden, bis ſie endlich nach längerer oder 
kürzerer Zeit wieder in organiſche Theile einer 
Pflanze oder eines Thieres übergehen? Es iſt 

B 2 


20 


unmöglich! So kann der Kreislauf des eee 
Funkens in uns nicht ſeyn! 

Auch hierüber hat das Chriſtenthum einen 
erhebenden ſchönen Glauben, der alle Spitzfin— 
digkeiten und Sophismen beſchämt. Doch hier— 
über ſollſt du ein anderes Mahl mehr hören. 
Genug, ſie lebt, ſie weiß um mich, ſie liebt mich, 
wenn gleich hiernieden ihre ſanfte Stimme ver— 
klungen iſt, und nie wieder in den kalten leeren 
Räumen mir die holde Geſtalt begegnet, nie 
wieder ihr ſeelenvolles Auge mir freundlich ſtrah— 
len, und kein Herz auf dieſer Erde mir das ih⸗ 
rige erſetzen wird. O Phocion! Ich werde ſie 
niemahls, niemahls hier wieder ſehen! In die— 
ſem Gedanken liegt ein unendlicher Schmerz — 
aber bevor er wieder die innerſte Tiefe meines 
Weſens aufregt, laß mich abbrechen! Leb wohl! 


21 


Oritter Brief. 


Calpurnia an Sulpicien. 
Nikomedien im März 302. 


Hier bin ich, in der großen, geräuſchvollen Stadt, 
unter dem ſchönen Himmel von Kleinaſien, und, 
was noch beſſer iſt, in deiner Nähe, meine theu⸗ 
re, geliebte Freundinn! Ich wäre wahrlich gern, 
ſtatt meines Briefes, ſelbſt zu dir in deine Ein⸗ 
ſamkeit geeilt; aber mein Vater bedarf meiner 
zu ſeiner häuslichen Einrichtung, die hier an ei⸗ 
nem fremden Orte, unter ganz neuen Verhält— 
niſſen, nicht ohne große Beſchwerlichkeit vollen 
det werden kann. Es iſt mir daher unmöglich, 
dich für's erſte zu beſuchen. Könnteſt denn du nicht 
auf ein Paar Tage in die Stadt kommen? Du 
biſt doch hoffentlich fo wohl, daß die kleine Rei- 
ſe von einigen Meilen keinen übeln Einfluß auf 
deine Geſundheit haben wird. O, wie freue ich 


22 

mich, dich nach fo langer Trennung wieder zu ſe— 
hen, und mit dir über tauſend Dinge der Ver⸗ 
gangenheit und Zukunft zu ſprechen, die Trotz 
aller Überlegung mir nie ganz gleichgültig waren, 
und unter dieſen Umgebungen hier erſt wieder 
recht lebendig werden! 

Am zweyten Tage nach unſerer Ankunft be— 
ſuchte uns Agathokles. Dir darf ich es ja geſte— 
hen, daß mir ſonderbar zu Muthe ward, als ich 
im Nebenzimmer ſeine Stimme hörte, die mir 
gedämpfter, als ſonſt, vorkam. Er begrüßte mei⸗ 
nen Vater mit herzlicher Ehrfurcht, und erkun— 
digte ſich nach mir und meinen Brüdern. Ich bez 
nutzte meine Verborgenheit, um mich in die ge— 
hörige Faſſung zu ſetzen, und trat dann, als mein 
Vater mich rief, ganz gelaffen hinein. Ach, es 
war wieder nichts mit dieſer Künſteley! Dieſes 
düſtere trübe Auge, aus dem die tiefſte Schwer⸗ 
muth ſprach, die wehmüthige Herzlichkeit, mit der 
er auf mich zuging, und meine Hand faßte, die 
weiche Stimme, mit der er mich in ſeinem Ga- 
terlande willkommen hieß, und dann der Gedan— 
ke, um weſſentwillen dieſe traurige Veränderung 
mit ihm vorgegangen war, das alles bewegte 
mich ſo ſeltſam, daß ich wohl fühlte, wie meine 
Faſſung mich verließ. Er hatte ſo viel gelitten: 


23 


wie hatte ich ihn durch abgemeſſene Kälte Fran: 
ken können? Und doch war mein Stolz durch eben 
dieſe Schwermuth, die ich zu zerſtreuen wünſch⸗ 
te, beleidigt. 

Die Feinheit ſeines Betragens brachte indeß 
bald wieder einige Ruhe in unſere Haltung. Mein 
Vater bemächtigte ſich ſeiner mit einem politi— 
ſchen Geſpräche, in das Agathokles ſogleich mit 
voller Seele einging; und jetzt im Feuer der Un- 
terhaltung, als er auf Augenblicke ſeiner Lage 
vergaß, ſchien er wieder derſelbe zu ſeyn, der er 
in Rom war. Dieß Bild trat vor meine Seele; 
ich rief, während die Männer angelegentlich (pra: 
chen, die frohen Stunden zurück, die ich damahls 
genoſſen hatte, und auf einmahl war es mir, 
als müßten zwey Agathokles ſeyn, als könnten je- 
ner anziehende Schwärmer, deſſen Ernſt vor mete 
nem Lächeln ſo oft gewichen war, deſſen Blick 
hundert Mahl mit Entzücken an mir hing — und 
dieß finſtere Bild des Kummers, das mir ſo fremd 
geworden war, dieſer Trauernde, der eine Andere 
ſo heiß geliebt hatte, daß ihr Tod ihn an den 
Rand des Grabes brachte, unmöglich eine und die⸗ 
ſelbe Perſon ſeyn. Ich ſchauderte, die Vorſtel⸗ 
lung war mir höchſt peinlich, ich ſtrebte aus allen 
Kräften, die wunderbare Täuſchung zu zernichten. 


24 | 
Es gelang nicht. Auf einmahl fühlte ich, daß mei⸗ 
ne Thränen im Begriff waren, hervorzubrechen. 
Ich ſtand ſchnell auf und verließ das Zimmer. Sie 
ſtrömten heftig; warum? wußte ich ſelbſt nicht, 
aber ich fand eine Erleichterung darin, ſie fließen 
zu laſſen. Es kam mir vor, jener Agathokles ſey 
todt, und der, den ich jetzt geſehen hatte, nur 
ein Bild, ein Schatten von ihm. Mir ward ſo 
weich um's Herz, wie wenn man nach dem Ver— 
luſt einer geliebten Perſon an einem Orte, wo 
man ſie ſonſt oft geſehen hatte, nur ihre kalte 
Bildſäule fände. Dieſe Ahnlichkeit im Äußern, 
und dieſe Verſchiedenheit von Innen, jener war- 
me Antheil und dieſe Kälte! Es ergriff mich 
ſchmerzlich. Ich fühlte, daß ich mich in dieſer 
Stimmung nicht vor ihm ſehen laſſen konnte. 
Als ich nach einer Weile wieder hinein ging, war 
er bereits fort, und hatte verſprochen, bald wie— 
der zu kommen. So hatte ihn alſo mein Wegge⸗ 
hen nicht gekränkt, wie ich im erſten Augenblick 
fürchtete, als ich meinen Vater allein fand? So 
hatte er gar nichts an mir bemerkt, nichts zu 
deuten gefunden? Natürlich; ich bin ihm nichts 
mehr, als eine alte Bekannte, und einer ſolchen 
nimmt man es ja nicht übel, wenn ſie ſich ent⸗ 
fernt, und den guten Freund in einer Geſellſchaft 


25 
zurückläßt, die ihm wenigſtens eben ſo lieb iſt, 
als die ihrige. hel 

Seit dem Augenblick ift ein wunderbarer, 
aber wahrlich nicht angenehmer Kampf in mei— 
nem Innern. Mitleid mit Agathokles Unglück, 
Wunſch, ſeinen Kummer zu erleichtern, und ein 
bitteres Gefühl des gewaltigen Abſtandes zwi— 
ſchen jener Zeit in Rom und dieſem kalten Wie— 
derſehen wechſeln unaufhörlich in mir. Was wird 
hieraus entſtehen? Welche Haltung wird mir das 
gegen ihn geben? Du, meine theure Freundinn, 
könnteſt hierin mir den weſentlichſten Dienſt lei— 
ſten. Du ſiehſt Agathokles ſo oft „ er vertraut 
dir, das weiß ich; du wirſt ungefähr wiſſen, wie 
er von mir denkt. Schreibe mir doch, was er von 
mir ſpricht, und beſonders in welchem Ton! Dare 
aus läßt ſich viel ſchließen, und ein fein fühlen— 
des Weib iſt im Stande, aus der Art, wie ein 
Mann von einer Andern ſpricht, zu errathen, 
was er für dieſe empfindet. Hierauf verlaſſe ich 
mich vollkommen, und erwarte deine Nachricht 
mit Ungeduld. Leb wohl! 


= 


Vierter Brief. 


Sulpicia an Calpurnien. 
Synthium im März 302. 


Warum kann ich nicht zu dir fliegen, an deine 
Bruſt ſinken, und dich mit Thränen der Freude 
willkommen heißen? Ach! Entbehren und Entfa- 
gen war von jeher der Wahlſpruch meines Lebens, 
und ſeine Macht bewährt ſich fort und fort. 
Ich bin krank, meine Geliebte, nicht ſo krank, 
daß ich nicht allenfalls im Hauſe, und an einem 
warmen Frühlingstag in dem reizenden Garten 
unſeres Freundes herumſchleichen, und ohne zu 
große Anſtrengung meines Kopfes, dir, meine 
Theure, ſchreiben könnte, aber viel, viel zu 
ſchwach, um eine Reiſe von ſechs Stunden zu 
dir in die Stadt zu unternehmen. Ich habe viel 
von der Ruhe meiner gegenwärtigen Lage, von 


27 
Aſiens mildem Himmel, und am allermeiſten von 
der Erfüllung meines höchſten Wunſches gehofft. 
Es will ſich nicht ändern. Ich kränkle immerfort; 
und ſo ſoll ich denn vielleicht im Hafen Schiff⸗ 
bruch leiden, und die Welt zu einer Zeit ver— 
laſſen, wo mein Leben erſt eigentlich beginnen 
und ich nach ſo vielen Stürmen an's Ziel gelan— 
gen ſoll? Es war eine Zeit, wo ich den Tod 
wünſchte, wo er mir als das Ende meiner Qua— 
len erſchienen wäre. Aber jetzt, jetzt iſt der 
Gedanke, aus Tiridates Armen, aus dem Son— 
nenſchimmer ſeiner beglückenden Liebe hinabzu⸗ 
ſteigen in das Reich weſenloſer Schatten — oder 
des weſenloſeren Nichts — ſchauderhaft, entſetz— 
lich! Unerfreulich und düſter ſteht die dunkle Welt 
jenſeits vor dem forſchenden Blicke, und nach 
tauſend Zweifeln, eiteln Speculationen und nich— 
tigen Erwartungen bleibt dem grübelnden Ver— 
ſtande höchſtens der Troſt der Ungewißheit. 
Weiter kann er es nicht bringen, weiter hat es 
nie ein Weiſer gebracht. Was ſich wider dieſe 
überzeugung in uns empört, iſt der Trieb der 
Selbſterhaltung, dem der Gedanke der Vernich— 
tung unmöglich zu faſſen iſt. Ich ſollte von Ti⸗ 
ridates ſcheiden, ihn der düſtern Verzweifelung, 
der — ſchreckliche Wahl! — den Tröſtungen ei- 


28 
ner neuen Liebe überlaſſen, und hingehen, wo— 
her nie jemand zurückkommt, wo keine Hoff— 
nung des Wiederſehens iſt? O nein, nein, nur 
»jetzt nicht ſterben! Die Arzte geben mir Hoffnung, 
Und ich ergreife ſie begierig; ſie ſagen, und es 
iſt auch mehr als wahrſcheinlich, daß jene trauri— 
gen Erſchütterungen, die Beſchwerden der Rei- 
fe, die Veränderung des Klima's auf meinen ge⸗ 
ſchwächten Körper nachtheilig wirken mußten; ſie 
verſprechen mir viel von der Wirkung der Zeit, 
und der inneren Zufriedenheit; und ſo will ich 
denn geduldig ſeyn, und alle Gedanken und Bwei- 
fel verbannen, die noch zuweilen in mir aufſtei— 
gen wollen, ich will recht gelaſſen, recht ergeben 
ſeyn, ſogar blind und gef ühllos, wenn es 
die Erhaltung meiner Geſundheit fordert. 
Du fragſt mich, was und wie Agathokles von 
dir ſpricht? Du willſt dein Betragen nach meinen 
Beobachtungen einrichten? So muß ich ja wohl 
ganz aufrichtig ſeyn, und nichts als ſtrenge Wahr— 
heit ſprechen. Er achtet dich ohne Zweifel, er will 
dir herzlich wohl; und wenn ich ſeinen Kummer 
zu zerſtreuen wünſche, kann ich es am beſten daz 
durch, daß ich einige Bilder und Geenen aus 
ſeinem Römiſchen Aufenthalte vor ſeine Seele 
führe. Er erheitert ſich dann und ſpricht mit Ver⸗ 


29 
gnügen von jener Zeit, aber das alles ſehr rus 
hig, und ohne daß die geringſte Verlegenheit 
oder höhere Wärme auf eine lebhaftere Empfin— 
dung ſchließen ließe. Vergiß aber nicht für meine 
und deine Erwartungen, und für das künftige 
Glück unſers Freundes, daß die Wunde ſeines 
Herzens noch friſch und durch die Art des Ver— 
luſts ſeiner Geliebten wirklich ſchrecklich iſt! Zu— 
dem iſt er einer von jenen beneidenswerthen 
Schwärmern, die ſich mit einem ſeligen Wieder— 
ſehen nach dem Tode ſchmeicheln können. Für ihn 
iſt ſeine Lariſſa nicht todt; ſie iſt nur vorange— 
gangen, und ſo muß er ihr wohl die Treue be— 
wahren. Doch ungeachtet dieſer und mancher an— 
dern Schwärmereyen, die er mir aus den Lehr— 
ſätzen der Chriſten genommen zu haben ſcheint, 
laß nur einige Zeit verfließen, bis die Neuheit 
des Eindrucks ſich verliert, laß die Reize deines 
angenehmen Umganges ſeinen Verſtand beſchäf— 
tigen, ſein Gemüth erheitern, laß ihn den Zau— 
ber deiner Schönheit empfinden — und die Liebe 
zu einem leeren Schattenbilde wird der Gegen— 
wart weichen! 

Tiridates bringt dir dieſen Brief. Er freut 
ſich ſehr, dich wieder zu ſehen, fo ſehr, daß, wa- 
reſt du weniger, was du biſt, ich beynahe beſorgt 


a 


30 | 
ſeyn müßte. Er hat mir verſprochen, dich und 
deinen Vater zu bereden, daß ihr mit ihm zu 
mir herauskommen ſollt; und ſo erwarte ich denn 
in wenigen Tagen das allein ungetrübte Glück 
der Freundſchaft in deinen Armen zu genießen. 
Leb wohl! 


ob 


Fünfter Brief. 


Agathokles an Phocion. 
Nikomedien im März 302, 


Die Friedenshoffnungen haben ſich zerſtreut, 
und der Kampf beginnt auf's neue. Das Heer 
hat Befehl aufzubrechen, und ich gehe mit Tiri⸗ 
dates unter Galerius Fahnen zu dienen. Die Zu⸗ 
rüſtungen find mit eben fo viel Klugheit als Anz 
ſtrengung gemacht. Galerius hat unumſchränkte 
Macht, und es iſt zu hoffen, daß dieſes Jahr et— 
was Entſcheidenderes vorgehen werde. Immer iſt 
es Gewinn für den Gang der Angelegenheiten, 
wenn der höchſte Wille, die Macht und die Aus⸗ 
übung ſich in einem Puncte vereinigen. Wir zie⸗ 
hen an das Ufer des Euphrats; dort wird wahr— 
ſcheinlich der erſte Schlag geſchehen. Ich folge 
dieß Mahl dem Heere nicht bloß aus Pflicht, 
ſondern auch in der Hoffnung, ſtrenge Beſchäfti⸗ 
gung, und in derſelben Aufheiterung zu finden. 
Einſamkeit und Muße ſind nicht für ein Gemüth, 


G2 
das in dieſer Stille nur an Trauer und Verluſt 
zu denken hat. 

Eine viel verſprechende, ſehr anziehende Be— 
kanntſchaft habe ich noch in dieſen Tagen gemacht. 
Apelles, den ein Befehl ſeiner Vorgeſetzten nach 
Apamäa zurückrief, führte mich vorher zu dem 
Biſchofe von Nikomedien, Eutychius. Ich fand 
an ihm einen Mann, der feine Lebensart, Men— 
ſchenkenntniß und prieſterliche Würde wohl zu 
vereinigen weiß. Ich errieth Apelles Wunſch: 
Eutychius ſollte vollenden, was er begonnen hat- 
te. Noch kann ich nicht urtheilen, ob dieſe Wahl 
gut getroffen iſt; aber das öffentliche Zeugniß 
und Apelles Meinung ſprechen für Eutychius. 
Als ich zum zweyten Mahl bey ihm war, trat ein 
junger Mann, ungefähr von meinem Alter, ein, 
eine hohe, männlich ſchöne Geſtalt. Kraft, feſter 
Wille, beynahe Härte, ſprachen aus den bedeu— 
tenden Zügen, den ſchmalen, feſtgeſchloſſenen Lip⸗ 
pen; nur in manchem Blick, in manchem Auf- 
ſchlag der großen blauen Augen, lag ein zarter 
edler Ausdruck, der höchſt anziehend den feſten 
Ernſt des Ganzen milderte. Der Sohn des abend— 
ländiſchen Caͤſars, Conſtantin! ſagte der Bi⸗ 
ſchof, als er mich ihm vorſtellte, und auch ihm 
meinen Nahmen, nebſt einigen Umſtänden von 


33 
mir, ſagte. Ein forſchender Blick, doch nicht oh= 
ne freundliche Güte, ſchien mein Innerſtes durch⸗ 
ſchauen zu wollen; übrigens nahm er mich ſehr 
anſtändig auf. Der Biſchof wurde abgerufen. 
Conſtantin blieb mit mir allein. Er ſprach we⸗ 
nig, aber gut. Du weißt, ich bin nie ſehr ge- 
ſprächig, am wenigſten mit Höheren; doch ſelbſt 
das Wenige, was zwiſchen uns geredet wurde, 
reichte hin, uns einander achtungswerth und be— 
kannter zu machen, als man es ſonſt gewöhnlich 
in der erſten Unterredung wird. Als der Biſchof 
zurückkam, fand er uns in einem Geſpräch über 
Gegenſtände, die in der jetzigen Zeit jedem wich— 
tig ſeyn müſſen, der nicht bloß für den Augen⸗ 
blick lebt. Conſtantins Unterhaltung ſtraft den 
erſten Eindruck, den ſeine Geſtalt macht, nicht 
Lügen; ſie hält mehr, als jener verſpricht. 

Wir haben uns ſeitdem öfters geſehen, und 
werden es künftig noch mehr; denn er iſt von 
ſeinem Vater dem Schutze und Befehl des Cä— 
ſars Galerius übergeben, und wir werden den 
Feldzug zuſammen machen. Dieſe Ausſicht iſt ein 
Reiz mehr für mich, Nikomedien, ſeine Muße 
und ſeine Verhältniſſe bald zu verlaſſen. Ich ſte⸗ 
he mit einem tief verwundeten Herzen ſeltſam 
unter Menſchen, die eine ſolche gänzliche Umſtal⸗ 

Agathok. II. Theil. C 


34 | 
tung des Innern für Schwarmerey halten, und 
nicht begreifen können, daß unmöglich mehr al— 
les ſo ſeyn kann, wie vor anderthalb Jahren. 
Dieſe Forderungen, fo leiſe fie angedeutet wer- 
den, fühle ich doch, und ſie drücken mich, be— 
ſonders dort, wo ich überall kein Recht zu For— 
derungen ſehe; ſie verleiden mir den Umgang, 
den ich ſonſt geſucht haben würde, und verſchlie— 
ßen mir die kleine Ausſicht, die ich für Erheite— 
rung und Zerſtreuung vor mir ſah. O daß die 
glücklichen, leichtherzigen Menſchen ſo ſchwer die 
Bedürfniſſe eines trauernden Gemüthes ahnen 
können! Ihnen iſt nur dort wohl, wo alles ſo 
leicht, ſo ſchwebend iſt, als in ihrem Innern! 
Was dieſem behaglichen Zuſtand widerſpricht, 
was ihn zu ſtören droht, fliehen ſie aus einer 
Art von natürlicher Antipathie, und glauben an 
kein tieferes Gefühl, als das, was ſie begrei— 
fen können. Es wird mir ſehr wohl ſeyn, wenn 
ich einmahl die Stadt im Rücken haben, und mit 
Conſtantin und Tiridates dem kräftig wechſeln— 
den Spiel des Lebens im Lager zueilen werde. 
Du lebe recht wohl, und ſieh mir freundlich nach, 
wenn in den geräuſchvollen Stunden, die mei— 
ner jetzt warten, meine Briefe fiene und kür⸗ 
zer ſeyn werden! 


Sechster Brief. 


W 


Cneus Florianus, Cen turio der Leib⸗ 
wache des Cäſars Conſtantius, an 
Conſtantin. 


chm 2) im März 302. 


Wenn ich dein Herz nicht kennte, und von 
der Billigkeit ſowohl als dem Ernſte deiner 
Denkungsart überzeugt wäre, ſo würde ich ge— 
wiß Bedenken tragen, ich, der Mann, den Jüng⸗ 
ling, der Lehrer den Zögling, zum Vertrau⸗ 
ten einer Angelegenheit zu machen, die ſonſt 
nur der junge Mann mit ſeines Gleichen aus⸗ 
zumachen haben ſollte. 

Noch mehr ſollte mich die Rückſicht abhal⸗ 
ten, daß du ſelbſt, obgleich in der Blüthe der 
Jugend, und mit allen Anſprüchen auf ein 
Glück begabt, dem, in deinen Jahren, ſo Man- 
ches aufgeopfert wird, dieß nie dafür erkannt, 

C 2 


36 | 
und den Neigungen von einer weicheren Art 
nie Eingang in deine Seele geſtattet haſt. Doch 
mit aller dieſer Kälte gegen die Liebe weiß ich 
dein Herz der Freundſchaft fähig, und ſo lege 
ich meine Sorgen und mein Bekenntniß offen 
in deine Hand. | 

Du wirſt dich des Aſinius Ponticus erinnern, 
den ſeine Geſchäfte oft mit uns in Verbindung 
brachten. Als du Brittannien verlaſſen, und mein 
Herz und meine Zeit öde gemacht hatteſt, be— 
ſuchte ich zuerſt aus Bedürfniß der Zerſtreuung 
ſein Haus öfters. Er und ſeine Frau waren Hei⸗ 
den, aber rechtliche und einfache Menſchen; ſie 
erzogen eine Pflegetochter, Valeria, ein liebli— 
ches Geſchöpf auf der Gränze zwiſchen Kind und 
Jungfrau mit großer Sorgfalt und Liebe. Des 
Schulmeiſterns gewohnt, zog ich bald dieß Kind 
an mich, und es war mir eine angenehme Be— 
ſchäftigung, dieſes empfängliche Gemüth zum 
Guten zu bilden. So vergingen drey Jahre in 
ungeftorter Ruhe; aber unbemerkt war während 
meiner Anweiſungen das Kind ganz verſchwun⸗ 
den, und die Jungfrau ſtand blühend, verſchämt 
und bedeutend vor mir. Es waren andere Re— 
gungen, die nun mein Herz gegen ſie bewegten, 
und ich fühlte die Nothwendigkeit, hier mit Ernſt 


oF. 

und Feſtigkeit abzubrechen. Aber bey dem erſten 
Verſuche entdeckte ich, daß auch das ihrige ſich 
ſeiner bewußt zu werden anfing, und daß Dank: 
barkeit, täglicher umgang, und das überſtrö⸗ 
mende Beduͤrfniß, ſich innig an ein theures We— 
fen anzuſchließen, alle edleren Neigungen desfel- 
ben auf den nächſten Gegenſtand, den überraſch⸗ 
ten Lehrer, geheftet hatten. Mich hatte in Rück⸗ 
ſicht ihrer der große Unterſchied der Jahre und 
der Gedanke ſicher gemacht, daß ein Mann von 
meiner Denkart und meinem Betragen keine 
Anſprüche an die zärtliche Empfindung eines 
Mädchens von ſechzehn Jahren machen könnte. 
Deſto heftiger und tiefer war der Eindruck, den 
dieſe Entdeckung in mir hervorbrachte, und ich 
erröthe nicht, zu geſtehen, daß ich im achten Lu⸗ 
ſtrum 3) des Lebens Valeriens Gefühle mit glei- 
chem Feuer erwiederte. Ich erwog ihre Umſtän— 
de, die ich genau zu kennen glaubte, ich ſtellte 
ihr Herz auf mehr als Eine Probe, ich durch- 
ſpähte jede Falte des meinigen, und nach einer 
beſonnenen Überlegung, wie ſie dem Manne 
wohl ziemt, gab ich mich endlich dem reizenden 
Zuge hin, der mit jedem Tage mich feſter an 
das holde Mädchen, fie inniger an mich band. 
Ich dachte nun darauf, ſie ganz für mich zu 


38 

bilden, das heißt, ich verſuchte in dem heiligſten 
und wichtigſten Puncte meine überzeugung zu 
der ihrigen zu machen. Ihr kindlich frommer Sinn 
kam mir auf halbem Wege entgegen, und mad- 
te mir das Vorhaben, fie in die Geheimniſſe un- 
ſerer Religion einzuweihen, zum anziehendſten 
aber auch zum bindendſten Geſchäfte. Nun erſt, 
als unſere Seelen zu Einem erhabenen Weſen 
emporſtrebten, und fie Theil an allen Segnun⸗ 
gen nahm, die das ſchöne Vorrecht der Chriſten 
ſind, nun erſt fühlte ich mich innig und untrenn⸗ 
bar mit ihr vereinigt, und jetzt entdeckte ich den 
Altern meine Wünſche. Der Schrecken, mit dem 
Afinius meine Bewerbung aufnahm, zeigte mir 
ſchnell mein Unglück. Valeria war nicht die Toch— 
ter eines ſeiner Verwandten, wie ich und die 
Welt bisher geglaubt hatten, und ihre Geburt, 
der Stand ihres Vaters, der noch lebte, von 
ſolcher Art, daß es eben ſo unmöglich war, 
ohne fein Wiſſen über ſie zu beſtimmen, als ver- 
geblich, ſeine Einwilligung zu dieſer Verbindung 
zu hoffen. Diocletian, als er vor achtzehn Jah⸗ 
ren auf einem Zuge nach Brittannien gekommen 
war, hatte ihre Mutter, die Tochter eines ein— 
gebornen Fürſten, kennen gelernt, und — ge- 
liebt kann man wohl von ſolchen Empfindun⸗ 


39 
gen nicht ſagen — aber dem Prafecten der 
Prätorianer, in dem man mit Recht den künf— 
tigen Kaiſer ahnete, widerſtand vielleicht ſelten 
ein Herz oder eine Tugend. Die Fürſtinn ſtarb 
bey der Geburt des Kindes, und Valeria wur— 
de der geprüften Treue einer Kammerfrau über— 
geben. Dieſe reichte darauf dem Aſinius Pon— 
ticus ihre Hand, und theilte ſich mit ihm in die 
Liebe und Pflege dieſer Verlaſſenen, die ſie den 
Mangel der Altern ſo wenig empfinden ließen. 
Als Diocletian den Thron beſtieg, und ihm Aſi⸗ 
nius Nachricht von dem Daſeyn ſeiner Tochter, 
und unzweifelhafte Beweiſe für die Wahrheit 
dieſer Behauptung ſandte, gab ihr der Kaiſer 
den Nahmen, den er ſelbſt bey der Thronbeſtei— 
gung angenommen hatte, und befahl, ſie in der 
Stille und unbekannt zu erziehen, bis es ihm 
gefallen würde, ſie anzuerkennen. 

Ich wußte nun mein Schickſal, und beſchloß, 
es männlich zu tragen. Ich entſagte Valerien, 
und entdeckte ihr die Urſache. Ihre Liebe war 
ſtärker, als ih re Beſinnung. Sie wollte nichts 
von Trennung wiſſen; ſie war entſchloſſen, mit 
mir zu fliehen, und allen ſchimmernden Ausſich— 
ten, die ihre Geburt ihr öffnete, ohne die gering- 
ſte Reue zu entſagen. Du wirſt nicht fordern, 


40 

daß ich dir die Kämpfe und ſchmerzlichen Siege 
dieſer Zeit, die fo tiefe Spuren in meinem Ge— 
müthe hinterlaſſen haben, genau ſchildern ſoll. 
Der ſchwerſte aus allen war der gegen Valeriens 
Liebe und rückſichtsloſe Aufopferung. Ihre Pfle- 


geäͤltern ſahen die Gefahr, fie fürchteten von Baz 


leriens allzuheftiger Leidenſchaft vielleicht kühne 
Schritte, oder zitterten vor dem Zorne des Au⸗ 
guſtus — Gott weiß, was die Urſache war — ge— 
nug, vor fünf Monathen verſchwanden ſie ſammt 
Valerien plötzlich aus Eboracum, und ſehr wahr- 
ſcheinlich auch aus der ganzen Inſel. Wenigſtens 
waren alle meine Nachforſchungen durch deines 
Vaters Anſehen unterſtützt, vergeblich, und ich 
habe mehr als einen Grund zu glauben, daß ſie 
Brittannien verlaſſen haben. Ich wende mich nun 
an dich. Ich habe alle Hoffnung aufgegeben; 
aber ich wünſchte Valeriens Schickſal zu kennen. 
Du biſt am Hofe des Auguſtus: o ſo ſuche nur 
zu erfahren, ob bloß Beſorgniß der Altern, oder 
ein unmittelbarer Befehl des Kaiſers die Urſache 
dieſer eiligen Flucht war. 

Ich bin verſichert, daß ich Nachrichten erhal⸗ 
ten werde, wenn du ſelbſt dir welche verſchaffen 
kannſt. Ich weiß, daß ſie zu nichts führen wer⸗ 
den, denn ich habe entſagt; aber es ſtört meine 


| 41 
Ruhe, nichts von einem Weſen zu wiſſen, das 
ſo innig mit mir verbunden war, das ich als ei— 
nen Theil meiner ſelbſt betrachte, und an deſſen 
Unglück ich vielleicht die größere Hälfte der Schuld 
trage. Das iſt es, was mich quält. Leb wohl, 
Conſtantin, und erfreue mich bald mit einem 
Brief! Wenn er auch nichts von Valerien ent⸗ 
hält, ſo finde ich doch dein Herz darin. 


42 


Siebenter Brie f. 
Conſtantin an Cneus Florianus. 


RNikomedien im Aprill don, 


Es gibt Verhältniſſe im menſchlichen Leben, be⸗ 
ſonders in den höheren Regionen desſelben, die, 
wie die Flügel des Schmetterlings, von weiten 
mit ſchönen Farben prangen, die man aber nicht 
kräftig anfühlen und unterſuchen muß, wenn 
nicht der Glanz verſchwinden, und ein trübes 
unſcheinbares Gewebe übrig bleiben ſoll. Von 
dieſer Art, mein väterlicher verehrter Freund, iſt 
mein Verhältniß an dem hieſigen Hofe zu den 
Menſchen, die den nächſten und unmittelbarſten 
Einfluß auf mein Schickſal haben. Schon lange 
fühlte ich das; und daß ich es weder dir, noch 
meinem geliebten Vater entdeckte, war — viel- 
leicht Stolz, vielleicht die Erkenntniß, daß dieſe 
Entdeckung zu nichts führen könnte, als euch am 
fernen Ufer der Thamiſis über Umſtände zu be⸗ 


43 
unrubigen „die nur der Gegenwärtige mit Be— 
ſtimmtheit durchſchauen, und mit Kraft: gu. fet 
nem Vortheil lenken kann. Dein Brief, in wel— 
chem du ſo Manches von meinem Einfluſſe zu 
hoffen ſcheinſt, bläſt die Aſche von der verborges 
nen Gluth, und ich zeige dir nun mich ſelbſt, 
und meine Verhältniſſe, wie fie find. Mein Gaz 
ter hat mich dem Schutze, der Sorge des Caz 
fav Galerius übergeben; und es ſind, ſeit ich 
aus deinen Armen ſchied, drey ganz leidliche 
Jahre verſtrichen, in welchen er ſo ziemlich die 
Rolle eines zwar ſtrengen, aber beſorgten Vaters 
gegen mich behauptete. Auf die Länge wurde ihm 
entweder die Rolle zu läſtig, oder er fand den 
Pflegeſohn nicht ganz ſo geſchmeidig, als er ſich 
im Anfang den unerfahrnen Brittanniſchen Jüng⸗ 
ling gedacht haben mochte. Die Sorge ver— 
ſchwand, die Strenge blieb, und aus dem Va⸗ 
ter würde nach und nach ein deſpotiſcher Herr ge— 
worden ſeyn, wenn nicht zu dieſem Verhältniß 
zwey Weſen erforderlich wären: ein gebiethendes, 
und eines, das ſich gebiethen läßt. Der Sohn 
des abendländiſchen Cafars fühlte ſich durch Ge— 
burt, Natur und Glück nicht ſo tief unter dem 
morgenländiſchen; er ſah eine ruhmwürdigere 
Ausſicht vor ſich aufgethan, als ſein Leben im 


44 
Sonnenſchein fremder Hoheit zu verflattern, und 
ſich mit dem hohlen Anſehen und kindiſchen Schim— 
mer zu begnügen, mit dem ihn Galerius ſo ſchlau 
als verſchwenderiſch umgab. Das erzeugte Furcht, 
und Furcht gebiert den Haß. Galerius haßt mich, 
aber er fürchtet mich auch. Er umgibt mich mit 
Spionen; es koſtet manches Mahl Nachſinnen 
und geſpannte Aufmerkſamkeit, einen Brief von 
hier aus durch die weiten Römiſchen Provinzen, 
die ſeinem Zepter gehorchen, bis nach Eboracum 
unentdeckt, unerbrochen zu bringen. Dieſer iſt 
einer von den glücklichen, der ſeinen Spähern 
entgehen wird, und darum enthalte er, was vie⸗ 
le ſeiner Vorgänger nicht enthalten konnten. 
Du haſt in dieſer treuen Schilderung meiner 
Lage zugleich die Urſache, warum es mir nicht 
möglich war, in deiner Angelegenheit thatig zu 
ſeyn. Diocletians vorzüglichſte Tugend iſt Ger- 
ſchloſſenheit und Verſchwiegenheit. Indeß ſoll die 
Kaiſerinn Priſca mit der ehemahligen Königinn 
des Olymps nicht bloß die Eigenſchaft gemein 
haben, die Gattinn des Weltgebiethers zu ſeyn, 
und der Auguſtus ſoll ſich öfters gezwungen ge— 
ſehen haben, manche ſeiner Freuden vor dem Bli— 
cke ſeiner Juno geheim zu halten. Unter dieſen 
Verhältniſſen iſt es ſchwer, Erkundigungen über 


ao 


45 
eine fo verborgene Geſchichte einzuziehen, beſon⸗ 
ders dort, wo jeder Schritt belauſcht, und jeder 
entdeckte zu den unangenehmſten Verwickelun— 
gen führen würde. Ich kann nur mit der größ— 
ten Vorſicht zu Werke gehen, und alles, was ich 
bisher erfahren konnte, iſt, daß Aſinius Ponti- 
cus mit zwey Frauen, die man nicht kannte, bey 
den letzten Saturnalien in Colonia Agrippina 
geſehen wurde. Von dort ſoll er ſich nach Man— 
tua gewendet haben. Sobald ich mehr erfahre, 
wird es mir das theuerſte Geſchäft ſeyn, dich zu 
benachrichtigen, wo ich mich auch immer befin⸗ 
den möge; denn wir brechen in drey Tagen auf, 
um uns zu dem Heere zu begeben. Dein Ver— 
trauen hat mich ſehr geehrt; ich werde desſelben 
würdig zu bleiben ſtreben, und jede Gelegenheit 
ergreifen, um dir zu beweiſen, wie unauslöſchlich 
das Gefühl iſt, das in meiner Bruſt gegen dich 
glüht, dem ich die zwey köſtlichſten Gaben dan— 
ke, die der Menſch dem Menſchen geben kann — 
freye Liebe, und eme zum Guten. Leb 
wohl:! 


46 


Achter Brie f. 


Calpurnia an ihren Bruder, Lucius 
Piſo, in Rom. 


Nikomedien im Aprill 302. 


Wenn der Menſch nur nichts erwartete! Wenn 
man ſich nur abgewöhnen könnte, der Zukunft 
mehr zuzutrauen, als der Gegenwart! Aber ſo 
ſind wir nun. Immer blicken wir in die Ferne, 
vorwärts, und kein Beſitz wirklicher Güter dünkt 
uns ſo reizend, als die ſchimmernden Freuden, 
die uns von Weitem im magiſchen Lichte der Ein⸗ 
bildungskraft entgegen glänzen. Was ich mir mit 
recht kindiſchem Sinne für Vorſtellungen von 
dieſem Nikomedien und den Freuden machte, die 
ich hier finden würde! Was ich mir für Geſchich⸗ 
ten erzählte, für Scenen träumte! Es iſt Nichts, 
eitel Nichts. Ich bin hier keinen Augenblick bef- 
ſer daran, als in Rom, ſchlimmer vielmehr, denn 
ich bin hier fremd und allein. O wer mir das ge⸗ 


47 
fagt hatte, als ich mit fröhlichem Muthe in das 
Schiff ſtieg, als nur der Abſchied von dir mich 
Thränen koſtete, und ich mit hoffnungsreicher 
Seele die ſchönen Ufer Hesperiens 4) nach und 
nach verſchwinden ſah! Ja, das iſt's eben; der 
Menſch iſt zur Täuſchung geboren. Das wahre 
Glück iſt nirgends als in ſeiner Cinbildungs- 
kraft. In dieſer genießt er es voraus; ſo darf 
er es denn von der lauen unbedeutenden Ge— 
genwart nicht fordern. Er hat ſeinen Lohn 
dahin, wie die Chriſten zu ſagen pflegen. 

Hier gibt es erſtaunlich Viele von dieſer 
Secte; ſelbſt die Gemahlinn des Cafar Galerius, 
Valeria, ſoll dazu gehören. Das iſt auch eine 
Urſache mehr, die mir den hieſigen Aufenthalt 
verleidet. Es find kopfhängeriſche traurige Men⸗ 
ſchen, die in den unſchuldigſten Vergnügungen 
Gift finden, und ſich aus den unbedeutendſten 
Handlungen ein Gewiſſen machen. Auch nur ein 
Körnchen Weihrauch auf den Altar einer unſerer 
Gottheiten zu ſtreuen, auch nur einen Biſſen 
Opferfleiſch zu eſſen, iſt ihnen ein todeswiirdi- 
ges Verbrechen. Auch leiden ihn manche lieber, 
als ſie das thun. Ihr Gott muß ein ſtren⸗ 
ges, eiferſüchtiges Weſen ſeyn. Da lobe ich 
mir unſere Götter und Göttinnen. Eine un⸗ 


48 

zählbare Menge dieſer harmloſen Weſen bevöl⸗ 
kert Himmel, Erde und Meer. Sie ſtreiten 
nicht unter einander, ſie beneiden einander ihre 
Opfer nicht, ſie nehmen gaſtfrey jeden Fremd⸗ 
ling ihrer Art aus den entfernteſten Gegenden 
unter den abenteuerlichſten Geſtalten auf; ſey 
es Zwiebel, Sperber, Affe, 5) ein Ungeheuer 
mit hundert Brüſten, oder ein Ideal menſchli⸗ 
cher Schönheit. Alles dulden fie, Jedem gön— 
nen ſie ein Plätzchen; dafür duldet man auch 
fie. Glauben kann fie kein vernünftiger Menſchz 
aber der Pöbel bedarf dieſes Spielwerks. So 
laßt es ihm, und thut, was euch euer Herz 
zu thun erlaubt! 

Doch was ereifere ich mich um Dinge, es mich 
nichts angehen, die ich mir eben aus dem Sinne 
ſchlagen will? Ach, lieber Bruder, das iſt die 
Wirkung der Nikomediſchen Luft. Wenn man 
von nichts als Religionsſtreitigkeiten hört, wenn 
dieſe Ideen alle andern verſchlingen, jedes Geſpräch 
verderben, ſo wird man zuletzt ſelbſt mit hinein⸗ 
gezogen, und nimmt, ſo ungern man es auch thut, 
doch endlich Partey, dafür oder dawider. 

Auch Agathokles iſt von dieſem Schwindel er⸗ 
griffen; und ich fürchte faſt, er iſt weit mehr Chriſt, 
als er ſelbſt geſteht. Du ſollteſt ihn jetzt für die 


49 
Reinheit und Erhabenheit dieſer Lehre, für die 
beſeligenden Wirkungen ſprechen hören, die er ſich 
von ihr für die Menſchheit verſpricht! Oft muß 
ich lächeln, noch öfter ärgere ich mich; zuweilen 
gelingt es aber dem Schwärmer, mich für einen 
Augenblick hinzureißen. Meinen Vater hat er 
ſchon ziemlich auf ſeiner Seite. Eigentlich hat er 
nur den Gegenſtand gewechſelt, und was ihm ſonſt 
das alte Rom und die Republik waren, iſt ihm jetzt 
das Chriſtenthum, von deſſen Verbreitung er ſich 
Erſatz für jene verlornen Tugenden, und die An⸗ 
regung aller beſſern Kräfte im Menſchen verſpricht. 
Übrigens habe ich ihn ſehr verandert gefun⸗ 
den, ſo verfallen, ſo bleich, daß ich über ſeinen 
erſten Anblick erſchrak. Das hat die Liebe aus 
dieſem Manne gemacht. Und ſie ſollte eine be⸗ 
glückende Empfindung ſeyn? Nimmermehr! Ich 
habe nur erſt kürzlich noch ein trauriges Beyſpiel 
von ihren Verheerungen geſehen, und hätte ich fie 
je für etwas Gutes halten können, fo würden 
Sulpicia und Agathokles meinen Wahn heilen. 
Es ſind nun zehn Tage, als Tiridates zu uns 
kam. Er ſieht blühend und ſchön aus, ſchöner als 
ich ihn je ſah, und aus den jugendlichen Zügen 
ſtrahlten Kraft, Muth und Lebensfreude. Er 
brachte mir einen Brief von Sulpicien. Ein ſelk⸗ 
Agathok. II. Theil. D 


59 / 

ſames Gemiſch von anſcheinendem Glücke und 
geheimer Wehmuth ſprach aus ihm. Sie bath 
mich, ſie das einzig ungetrübte Glück der 
Freundſchaft genießen zu machen, und ſie zu be⸗ 
ſuchen. Sie ſchrieb mir, daß ſie zu krank ſey, 
um zu mir zu kommen. Mein Entſchluß war 
ſchnell gefaßt. Mein Vater hatte nicht Zeit, mich 
zu begleiten. Ich ſagte dem Prinzen von Arme⸗ 
nien, daß ich am folgenden Tage mit ihm nach 

Synthium zurückkehren würde; um aber doch 
nicht ganz allein mit ihm zu ſeyn, bath ich Aga⸗ 
thokles, mich zu begleiten. Der ſeltſame Menſch! 
Statt ſich durch das Vertrauen geehrt zu finden, 
das ich auf ihn und die Achtung, in der er über⸗ 
all ſteht, zu ſetzen ſchien, wagte er es, einige 
Bedenklichkeiten gegen die Reiſe eines jungen 
Mädchens mit zwey unverheiratheten Jünglin⸗ 
gen vorzubringen, und ergab ſich nur, als er 
mich unerſchütterlich und unempfindlich gegen al⸗ 
les fand, was die Stadt über mich zu klatſchen 
belieben würde. Dennoch gefiel mir dieſe Sorge 
für meinen Ruf, die Freymüthigkeit, mit der 
er ſie äußerte, und mehr noch als vorhin fühlte 
ich mich, von dieſem Augenblicke an, durch ſeine 
Begleitung geehrt, und vor jedem ungerechten 
Tadel geſchützt. O wie liebenswürdig könnte er 


51 
ſeyn, wenn er minder vollkommen, minder über— 
ſpannt ſeyn möchte! 

Wir reiſten nach Synthium. Mich trugen 
meine Cappadocier 9 in einer offenen Ganfte; 
meine Gefährten ritten langſam neben mir. Es 
war ein lieblicher Frühlingsmorgen, die Gegend 
um uns freundlich, die Luft lau, der Himmel 
heiter, alles zu Luft und Fröhlichkeit geſtimmt. 
Scherz und Lachen verkürzten die lange Zeit der 
Reiſe, ſogar der ernſte Freund widerſtand nicht 
dem Zauber, der durch alle Sinne in ſein Herz 
drang; er gab ſich dem fröhlichen Zuge hin, der 
ihn mit fortriß, und fo kamen wir alle vergnügt 
und heiter in Synthium an. Ach, die ſchöne Stim⸗ 
mung verſchwand bald! Sulpicia kam uns ent: 
gegen, ein Bild des geheimen Grams, in der 
kurzen Zeit um zehn Jahre gealtert. Nun ward 
mir auf einmahl vieles klar. Ich war kaum eini⸗ 
ge Tage in Nikomedien geweſen, als das Stadt— 
geſchwätz mich von einigen neuen Liebesgeſchich— 
ten des leichtſinnigen Tiridates unterrichtete, und 
zugleich mit liebloſem Spotte ſeines abenteuer⸗ 
lichen Verhältniſſes mit einer entlaufenen 
Römiſchen Matrone erwähnte. Man wußte 
nicht, wie nahe mich das Verhaͤltniß anging, 
ſonſt würde man wohl vor mir geſchwiegen ha— 

D 2 


52 
ben. Hier fand ich die Beſtätigung von dem, was 
ich früher nicht glauben wollte. Doch muß ich Tis 
ridates die Gerechtigkeit widerfahren laſſen, daß 
er wenigſtens in Sulpiciens Gegenwart keinem 
Tadel unterliegt. Er begegnet ihr mit der zarte 
ſten Achtung und der liebevollſten Aufmerkſam— 
keit. Sie ſcheint auch vollkommen zufrieden; es 
entwiſcht ihr keine Klage, kein Blick, der auf den 
wahren Zuſtand ihres Herzens ſchließen ließe. 
Selbſt als wir allein waren, und ich ſie dringend 
befragte, geſtand ihr Mund nichts, aber eine hefti⸗ 
ge Bewegung, ein leiſes Zittern, das ihren ganzen 
Körper ergriff, zeigte nur zu deutlich, wie ſehr ſie 
ihre Lage kennt und fühlt. Aber geſtehen wird ſie 
es nie, ſo kenne ich ſie, und ſich lieber im ſtillem 
Gram verzehren, als zugeben, daß ihr Schritt, 
mit Tiridates zu entfliehen, unüberlegt war. 
Ich beklage ſie herzlich; aber ich kann ſie 
nicht ganz entſchuldigen, eben ſo wenig, als ich 
ihn ganz verdammen kann. Sieh, lieber Lucius, 
ich bin billig, ich erkenne alle eure Untugenden, 
Schwächen und Laſter, aber die Wahrheitsliebe 
erlaubt mir nicht, alle Schuld auf die männli⸗ 
chen Schultern, (die zwar von der Natur eigent⸗ 
lich darum ſo ſtark gebaut ſcheinen) zu wälzen. 
Sulpiciens Liebe iſt nicht die leichte heitere Flam⸗ 


53 
me, -die überall Leben und Freude verbreitet, je⸗ 
des Verhältniß verſchönert, den gemeinſten Din— 
gen Bedeutung, den entfernteſten eine angeneh⸗ 
me Beziehung gibt, in deren mildem Schein der 
Mann ſein Leben froh verflattert, und ſich ſelbſt 
in ſeinen Entbehrungen glücklich fühlt. Ihre Lie⸗ 
be iſt ein dunkel loderndes verzehrendes Feuer, 
das mit eiferſüchtigem Stolz jedes Wort, jeden 
Blick bewacht, aus Allem Gift ſaugt, und ohne 
Rückſicht dieſelbe grenzenloſe Hingebung, dieſel⸗ 
be geſpannte Aufmerkſamkeit fordert, die ſie ſelbſt 
leiſtet, und über die ſie ſich ein hochmüthiges 
Zeugniß gibt. Ach! Sulpicia kennt euer Geſchlecht 
nicht, und hört den Rath derjenigen nicht, deren 
Erfahrungen ſie belehren könnten. Das Weib, 
das dem Geliebten die ganze Fülle ihrer Liebe 
zeigt, handelt höchſt unklug; diejenige aber, die 
von ihm eine gleiche Stärke und innige Erwie⸗ 
derung fordert, zeigt, daß ſie nicht die geringſte 
Menſchenkenntniß hat. ee , 

Tiridates ift jung, ſchön, beliebt und geſucht; 
tauſend lockende Abenteuer, tauſend üppige Ge— 
ſtalten winken ihm auf allen Seiten: und er ſoll 
die Herkuliſche Kraft beſitzen, dem Allen zu wi⸗ 
derſtehen, und aus dieſen ſchimmernden Freuden 
kreiſen freudig und ohne Rückblick in die Arme 


54 

ſeiner kränkelnden, verblühten, verſtimmten Ge- 
liebten zu fliegen? Wahrlich, das iſt zu viel von 
einem ſo gebrechlichen Weſen gefordert. 

In wenig Tagen wird er zum Heere abge- 
hen; denn der Feldzug iſt ſchon eröffnet. Nun 
wird Sulpiciens Qual verdoppelt beginnen. Ich 
fürchte mich darauf, ſie nach ſeinem Abſchiede 
wieder zu ſehen, wenn Entfernung, Ungewiß⸗ 
heit und Furcht ihr ohnehin bewegtes Gemüth 
in noch heftigere Spannung bringen werden. 

Auch Agathokles wird mit ihm Nikomedien 
verlaſſen. Dann bin ich ganz einſam in der groz 
ßen menſchenvollen Hauptſtadt. Er eilt dieß Mahl 
ſehr, fortzukommen; es iſt, als brennte hier der 
Boden unter ſeinen Füßen. Nun wahrlich, von 
dem Fehler der Eitelkeit, wenn ich ihn je gehabt 
hatte, würde ich hier ganz geheilt werden müſſen. 

Schreibe mir bald und oft, lieber Bruder! 
Deine Briefe werden eine liebe, eine höchſt 
nothwendige Abwechslung in das tödtende Ci- 
nerley bringen, in welchem mein Leben hier 
dumpf verſchleicht. Wahrlich, wenn ſich das 
nicht bald ändert, ſo werde ich meine ganze 
Munterkeit verlieren, und ein Gegenſtück zu 
Sulpicien werden. Leb wohl! 


55 


. - 


Neunte r Brie f. 


Agathokles an Phocion. 
Hierapolis 7) im März 302, 


Eine mö orderiſche Schlacht iſt vorüber, in der 
Tauſende ihr Leben verloren haben, in der auch 
mir der Tod furchtbar nahe war, und ohne Cone 
ſtantins heldenmüthige Liebe mich unter die My— 
riaden ſeiner Opfer geriſſen hätte. Wir ſind ge— 
ſchlagen, und ſtehen am rechten Ufer des Eu— 
phrats. Das Lager ijt bey Hierapolis aufgefdla- 
gen; ich aber bin meinem Feldherrn, meinem 
Retter in die Stadt gefolgt, wohin ihn ſeine 
Wunde ſich bringen zu laffen nöthigte, ſeine 
Wunde, die er für mich empfangen hatte. Er 
ſchläft im anſtoſſenden Zimmer, und ich eile, dir 
Bericht von unſerm Schickſal und meinem Leben 
zu geben, damit kein vergrößerndes Gerücht dich 
beunruhigen, und bey der Gewißheit unſerer Nie— 
derlage mein Schweigen dich mit Sorge um mich 
erfüllen möge. | 


56. 


Galerius, der ſchon das vorige Jahr vergebens 
auf eine Gelegenheit geharrt hatte, Valerians 
ſchimpfliches Ende und die Schmach des Römi⸗ 
ſchen Nahmens durch einen entſcheidenden Sieg 
an den Perſern zu rächen, ſuchte jetzt, vielleicht 
mit mehr Haſt als Klugheit, eine Schlacht zu 
liefern. Ein unglückliches Verhängniß hieß ihn 
die unabſehlichen Gandgefilde von Carrhd &) zum 

Schauplatze wählen, wo ſchon einſt Craſſus mit 
ſeinen Legionen in dem verrätheriſchen Boden 
und der glühenden Hitze ſeinen Untergang gefun⸗ 
den hatte. War er falſch berichtet, oder traute 
er ſich allzu viel zu, genug, er griff wider den 
Rath aller ſeiner Kriegs oberſten die weit überle⸗ 
genen Perſer wüthend an. Das Gefecht wurde 
heiß; die Römer erkannten die Überzahl der Fein⸗ 
de, ihre Gefahr, aber auch die Ehre ihres Nab: 
mens, und die Schmach, die ſie zu rächen hat— 
ten. Es wurde mit unerhörter Tapferkeit geſtrit⸗ 
ten; allein der ſandige Boden wich treulos un— 
ter unſern Füßen, und der ſenkrechte Sonnen- 
ſtrahl entglühte unſere Rüſtungen zur uner⸗ 
träglichen Laſt. Die Perſer, ſtets durch friſche 
Scharen erſetzt, erneuten ſich unaufhörlich, wie 
das Haupt der Hydra, und bothen unſern mü— 
den Armen immer friſche Gegner dar. Ihre ganz, 


i 57 
ze Macht warf ſich auf den Mittelpunct unferes. 

Heeres, wo Galerius befahl; er wurde durchbro⸗ 
chen, und nun war Verwirrung und Unordnung 
allgemein. Nur Conſtantin hatte Beſonnenheit 
und Mäßigung genug, um ſeine Scharen, un— 
verwirrt von dem allgemeinen Laͤrmen, in feſt— 
geſchloſſenen Gliedern gegen die Brücke zu zie— 
hen, die über den Euphrat führt, und in ihr die 
Hoffnung unſres Rückzugs zu erhalten. Die zer— 
ſtreuten Haufen flohen jetzt in wilder Haſt dem 
Strome zu, und viele fanden in den Fluthen 
ihr Grab. Tiridates, auf den, als die Hauptur— 
ſache des Krieges, jeder Perſer ſeine Aufmerk— 
ſamkeit gerichtet hielt, und der, zu ſtolz, eine un⸗ 
rühmliche Sicherheit durch Verkleidung zu erkau⸗ 
fen, an Waffen, Helmbuſch und der Heroenge— 
ſtalt vor Allen kenntlich, auch jetzt noch durch 
die Reihen ſprengte, und erhielt, was noch zu 
erhalten war, ſah ſich auf einmahl allein von ei⸗ 
nem großen Trupp Perſer umringt. Widerſtand 
war nicht möglich. Er gab dem Pferde die Spor— 
nen, und ſprengte an den Euphrat 9). Die Fein— 
de hatten ihn ereilt, keine Rettung blieb, als in 
den Wogen. Er ſtürzte mit der ganzen Rüſtung 
in die ſchaͤumende Fluth. Ich hielt ihn für verlo— 

ren; aber mit Rieſenkraft kämpfte er gegen das 


58 

Element, und erreichte das ziemlich ferne Ufer, 
wo ihn die Unſrigen mit lautem Freudengeſchrey 
empfingen. Jetzt ſuchten die Perſer unſerm klei- 
nen Haufen den übergang zu erſchweren; aber 
Conſtantin vertheidigte die Brücke mit eben ſo 
viel Beſonnenheit als Muth. Da ſprengte der 
Anführer der Feinde heran. Conſtantins ſchlich⸗ 
te Rüſtung mochte ihn getdufdt haben; er hielt 
mich für ſeinen Gegner, und in der Hoffnung, 
die Spolia opim 10) zu erbeuten, zuckte er fein 
Schwert über mich. Ich ſtand abgewendet, der 
gewaltige Streich hätte mich tödten müſſen, wenn 
nicht Conſtantin mit Schild und Arm ihn aufge— 
fangen hätte. Im Augenblick der Rettung erſt 
erkannte ich meine Gefahr; ich wandte mich, und 
mein Schwert rächte die Drohung, und Conftan- 
tins Wunde. Der Perſer ſiel, die Seinigen zer— 
ſtreuten ſich; wir ſprengten ungehindert über die 
Brücke, die ſogleich hinter uns abgeworfen wur⸗ 
de, und erſt hier, als wir von unſern Pferden 
ſprangen, fand ich den Augenblick, meinem Ret⸗ 
ter zu danken. Auch er fühlte erſt jetzt ſeine Wun⸗ 
de, und ſank halb ohnmächtig in meine Arme. 
Wir hielten uns feſt umſchlungen. Du biſt mein, 
rief er: Ich habe dich mit meinem Blute erkauft. 
Ich drückte ihn an mein Herz; unſere Seelen, 


59 
nicht unſere Lippen, ſchwuren ſich ewige Treue. 
Ich trug ihn aus dem Gewühle; ſeine Leute eil⸗ 
ten herbey, und was Liebe und Ergebenheit er— 
ſinnen konnten, wurde aufgebothen, um ſeinen 
Zuſtand zu erleichtern. Seine Wunde iſt tief, 
aber nicht gefährlich. Ich lebe um ihn, ich ſchlafe 
an ſeiner Seite, tauſend kleine Bande knüpfen 
uns jeden Tag feſter, und mein Herz öffnet ſich 
willig und freudig erhebenden Gefühlen, Aus— 
ſichten und Planen, die Conſtantins Verhältniſſe, 
ſeine Denkart, ſeine Freundſchaft für mich mir 
in ſchönerer Zukunft zeigen. In weit umfaffen- 
den Entwürfen für die Menſchheit verliert ſich 
die Rückſicht auf einzelnen Schmerz, und vor 
dem lauten Rufe der Pflicht für's Ganze ver 
ſtummt die Stimme bitterer Erinnerungen, we— 
nigſtens in fo langen Zwiſchenräumen, daß der 
Geiſt Zeit und Kraft gewinnt, um den Satz 
deutlich zu erkennen, den man in guten Stunden 
ſo leicht ausſpricht, und in trüben ſo ſchmerzlich 
zugibt, den Satz, daß Glückſeligkeit nicht der 
Zweck des Einzelnen ſey, um ſeine vielen Entſagun⸗ 
gen und geringe Anſprüche darnach einzurichten. 


Zehnter Brief. 


NN 


Conſtantin an Cneus Florianus. 
Hierapolis im Junius 302. 


Vielleicht hat das tauſendzüngige Gerücht mei⸗ 
nen geehrten Vater, und dich, meinen vaterliz 
chen Freund, mit dem Unglücke und der Nie— 
derlage unſeres Heeres bekannt gemacht, ehe die- 
ſer Brief den weiten Raum zwiſchen den Ufern 
des Euphrats und der Thamiſis zurücklegt. Auf 
jeden Fall werden die ämtlichen Berichte des 
Diocletian und Galerius meinen Vater ſchon 
weitläufig von den Umſtänden dieſer unſeligen 
Begebenheit unterrichtet haben; ich enthalte mich 
alſo aller näheren Beſchreibungen. Und die Ure 
ſache unſeres Unglücks? Die Unzufriedenheit der 
Offiziere und Soldaten fliſtert ſie ſich leiſe in's 
Ohr. Ich werde fie niemanden nennen, als met= 
nem Vater und dir; denn nur Ihr kennt mich 
fo, daß natürlicher Widerwille gegen einen heims 


1 61 
lichen Feind die Stimme der Billigkeit nicht in 
mir übertäubt. Ich war Zeuge, Theilnehmer der 
Schlacht. Nur ein ſtürmiſch heftiges Gemüth, 
wie Galerius, konnte durch das Andenken an al⸗ 
te Schmach ſo erhitzt werden, um mit einem un⸗ 
gleich ſchwächeren Heere und in ungünſtiger Stel- 
lung anzugreifen. Jetzt breitet der ſtolze Perſer 
die ſchimmernden Gezelte weit diesſeits der Ge⸗ 
gend aus, wo vor einem Monathe die Römi⸗ 
ſchen Adler ſtanden. Wir 1 am . ufer 
des Euphrats. 
Diocletian, der ſich zu Anfang des Feldzugs 
in Antiochien aufhielt, iſt jetzt nach Nikomedien 
zurückgegangen. Er hat dem Cafar die ganze 
Schwere ſeines Zornes fühlen laſſen ). Zu Fuß, 
eim Purpur, der in dieſem Augenblicke den Staz 
chel des Schimpfes ſchärfte, mußte der ſtolze Ga⸗ 
lerius eine Stunde weit dem Wagen des Kai— 
ſers folgen. Es wäre thöricht und anmaßend von 
einem Jünglinge, das Verfahren verſtändiger 
Greiſe, deren gemeinnützige Klugheit achtzehn 
glückliche Jahre bewährt haben, laut tadeln zu 
wollen. Doch kann ich nicht bergen, daß mir die- 
ſe außerordentliche Beſtrafung, die mehr von 
einem Durſt nach Rache, als einer weiſen Ab- 
ſicht zu beſſern zeugt, nicht in Diocletians ge⸗ 


62 

wöhnlichem Charakter zu liegen ſcheint. Entwe⸗ 
der hat ihn ſeine Kränklichkeit reizbarer gemacht, 
oder es hat der Lift und den Ränken gelungen, 
die langgenährten Funken der Zwietracht endlich 
in eine helle Flamme ausbrechen zu machen. Gaz 
lerius iſt ſchlau und ſtolz genug, um ſeine De— 
müthigung mit Gelaſſenheit zu ertragen, und vor 
der Welt durch Unterwerfung unter den Willen 
ſeines Auguſtus ſie als eine väterliche Züchtigung 
minder entehrend ſcheinen zu machen. In ihm 
kochen Rache und Wuth. Er haßt den Auguſtus, 
er haßt auch mich; und ich kann Diocletian eben 
ſo wenig lieben, wie er. So ſtehen wir einander 
entgegen, jeder gerüſtet, jeder mißtrauiſch, je— 
der im Andern ſeinen Untergang befürchtend. 

In ſolchen Verhältniſſen iſt der Gewinn eiz 
nes offnen treuen Freundes größer und bedeu— 
tender, als je. Ich habe mir einen erworben. 
Es iſt ein junger Nikomedier, den ich im Hauſe 
des Biſchofs kennen lernte. Sein Außeres, der 
Geiſt, der ſich in ſeinen Reden zeigte, gewannen 
ihm meine Achtung; jetzt hat im genauern Um— 
gange ſeine Denkart meine Liebe erworben. Er 
iſt auf dem Wege, ein Chriſt zu werden; in ſei⸗ 
nem Kopfe iſt Raum für viel umfaſſende Plane, 
in ſeiner Bruſt Liebe und Muth genug, ſie aus⸗ 


63 


zuführen. Ich ſuche ihn an mich zu ketten. Doch 
wozu dieß abſichtsvolle Wort? Unſere Herzen 
finden und verſtehen ſich von ſelbſt. In der letz⸗ 
ten Schlacht hat gleiche Gefahr im Sturm des 
Gefechts unſern Freundſchaftsbund, wie ich hof- 
fe, unauflöslich geknüpft. Er iſt mein, ich ſage 
es mit Stolz und Liebe; ich habe ihn mir erwor— 
ben, und ich glaube in jedem Falle auf ihn 
zahlen zu können. 

Noch muß ich meinen Vater und dich um 
Nachſicht bitten, daß dieſer Brief fo ſpät, fo 
lange nach den Gerüchten der Schlacht vor euch 
kommen wird. Ich war verwundet, nicht beträcht⸗ 
lich, doch ſo, daß es mich einige Zeit im Schrei⸗ 
ben hinderte. Dieſer lange Brief und meine 
Verſicherung ſollen Bürge für meine vollkomme⸗ 
ne Herſtellung ſeyn. 


„ Brief. 


Hang okles an Pho cio n. 
Mikomedien im Auguſt 304. 


Du wirſt eden „ mitten im Laufe des Kriegs, 
wo du mich beym Heere vermutheſt, einen Brief 
von mir aus Nikomedien zu erhalten. Ich bin 
ſeit geſtern hier, und erwarte alle Augenblicke 
abgeſandt zu werden. Eine ſeltſame, eine glän⸗ 
zende Reihe von Begebenheiten hat ſich in den 
letzten Tagen zuſammengedrängt, und mich aus 
dem Dunkel meiner Lage hervorgeriſſen. Dir zu 
erzählen, wie raſch, wie erſchütternd, wie erhe— 
bend alles aufeinander folgte, ſoll die Befdafti- 
gung meiner Muße ſeyn, während ich in einem 
Gemache des kaiſerlichen Pallaſtes auf meine Ab— 
fertigung warte. 

Eingedenk der srBatenen doppelten Schmach 
ſann Galerius im finſtern Gemüth darauf, durch 
einen entſcheidenden Schlag dem übermüthigen 


| 65 
Perſer die verſpottete Macht der Römiſchen Hee⸗ 
re, und dem ungerechten Auguſtus den Werth 
Desjenigen, den er ſtraflos beleidigen zu können 
geglaubt hatte, mit nie empfundenem Nachdruck 
zu zeigen. Er entwarf einen kühnen, aber gro— 
ßen Plan. Menſchenleben und Forderungen der 
Natur kamen nicht in Anſchlag; ſein Weg ging 
über ſie hin. Durch Sandwüſten und unwirth— 
bare Gegenden führte er das Heer in überſtreng— 
ten Märſchen und erſtaunens würdiger Eile bis 
in die Gebirge Armeniens, und ſtand auf ein— 
mahl weit über und hinter den nichts ahnenden 
Perſern jenſeits des Euphrats. Die Erfahrungen 
dieſes Marſches werden mir ewig im Gedächtniſ— 
ſe bleiben. Sie waren hart, aber groß und erhe— 
bend. Conſtantin, kaum von ſeiner Wunde ſo 
weit hergeſtellt, daß er die Bewegung des Rei— 
tens vertragen konnte, Tiridates in Pracht und 
Wolluſt erzogen, ſelbſt Galerius, den Alter und 
Würde von den größern Beſchwerden des Kriegs— 
dienſtes freyſprachen, trugen, duldeten und ent— 
behrten, wie die gemeinſten Krieger. Ihr Bey— 
ſpiel ermunterte das Heer, und willig und mu⸗ 
thig folgte der Soldat dem Führer, der nichts 
vor ihm voraus hatte, als die größere Sorge 
für die ihm untergebene Schar. Es war ein 
Agathok. II. Theil. E 


66 
Römiſches Heer, es war ein Imperator, würdig 
der vergangenen beſſern Zeiten, und freudig er— 
hob ſich der Geiſt im Anblick dieſer kräftigen Ges 
müther, dieſer Anſtrengungen zu einem großen 
Zweck, dieſes Verſchwindens kleiner Abſichten 
vor dem gemeinen Wohl. Mit Achtung und Freu— 
de ſah ich Tiridates handeln, mit Ehrfurcht und 
Liebe meinen Conſtantin, mit Bewunderung den 
betagten Cäſar. | 
Ein empfängliches Gemüth wird durch ſolche 
Beyſpiele unwiderſtehlich hingeriſſen, und oft er— 
wachen Kräfte in ihm, die es vorher ſelbſt nicht 
kannte. So groß iſt die Macht des Guten und der 
Tugend! Kundſchafter hatten das Perſiſche Heer 
von unſerer Annäherung unterrichtet; es wandte 
ſich uns eilig entgegen, aber es vermuthete uns 
nicht ſo nahe. Unbeſorgt um eine Gefahr, die ſie 
entfernt glaubten, ſchlugen ſie in der Nacht ihre 
Gezelte auf, und ruhten von den Beſchwerden ; 
zweyer Tagemärſche aus. Dieß hatte Galerius 
erwartet. Ein Angriff in der Nacht iſt für die 
Perſer eine halbe Niederlage 12). Ihre Pferde ftez 
hen abgefattelt, angebunden; fie ſelbſt, mit dem 
Troß und Geſchleppe der Bequemlichkeit und Wol⸗ 
luſt im Lager überhäuft, können ſich nicht frey 
bewegen. Conſtautin erhielt den ſchwerſten Po- 


67 


ſten. Ihm den größten Theil des Ruhms zu laſ— 
ſen, war der ſchöne Vorwand, unter welchem 
der Cäſar ihm wenige Stunden vor der Schlacht 
ſeine Inſtruction übergab; vielleicht mochte eine 
gehäſſigere Abſicht zum Grunde liegen. Beym 
Einbruche der Nacht nahte ſich Conſtantin, ſchwei⸗ 
gend und ernſt wie ſie, von einer kleinen treuen 
Schar, die er ſich ſelbſt erlas, begleitet, dem 
Lager der Perſer. Wir erſtiegen den leichten Wall, 
der es umgab. Niemand hörte uns. Die äußern 
Wachen ſielen lautlos unter unſern Streichen. 
Mit Beſonnenheit und Vorſicht drangen wir vor— 
warts, als jetzt auf zwey Seiten, der Verabre— 
dung gemäß, Tiridates und Galerius mit wil⸗ 
dem Getöſe von außen das Lager ſtürmten. Auf 
einmahl waren Verwirrung undLarmen allgemein, 
und die Perſer, die ſich nur gegen einen äußern 
Feind vertheidigen zu müſſen glaubten, ſahen 
ihn plötzlich in ihrer Mitte. Die Niederlage war 
vollkommen. Das ganze Lager, alle ſeine Schätze, 
eine Menge Gefangener, und unter dieſen die 
Frauen des Narſes, wurden unſere Beute. Nar— 
ſes ſelbſt entkam verwundet und nur mühſam den 
Händen des kühnen Tiridates, der ihn wüthend 
verfolgte. Erſt der anbrechende Tag zeigte unſern 
ganzen Sieg, die ganze Niederlage der Perſer. 
E 2 


68 


Aber auch von den Unſrigen waren viele gefallen. 
Der Tribun der Cohorte, unter der meine Cen— 
turie ſtand, ſank an meiner Seite; ich übernahm 
ſeine Stelle in der entſcheidenden Nacht. Am 
Morgen gefiel es meinen Gefährten, mich auf 
dem Wahlplatze zum Tribun zu erwählen. Ihr 
Zeugniß war ehrenvoll. Conſtantin erhielt vom 
Cafav, den Siegesluſt und geſtillte Rache milder 
machten, die Beſtätigung dieſer Wahl, und den 
Vorzug für mich, als Siegesbothe nach Niko— 
medien geſandt zu werden. 

So bin ich mitten in der vorigen Nacht, we⸗ 
nige Tage nach dem Gefecht, in ununterbroche— 
nem Jagen hier angekommen. Der Kaiſer ließ 
mir befehlen, öffentlich einzuziehen, und ſchickte 
eine Abtheilung der Jovianer 13), Officiere und 
Soldaten in ſchimmerndem Schmucke, um mich 
abzuhohlen und zu begleiten. Ich bin kein Freund 
von öffentlichen Schauſtellungen; dieß Mahl in- 
deß benahm die allgemeine Wichtigkeit der Both— 
ſchaft dieſem Auftrag einen Theil ſeiner Unan— 
nehmlichkeit. Ganz Nikomedien hatte ſich vor die 
Thore und in die Straßen ergoſſen, um den 
Siegesbothen zu ſehen; mancher Jugendgeſpiele, 
mancher alte Bekannte, den Freude und Neugier 
herbeygelockt hatten, bewillkommte mich freund⸗ 


69 
lich unter dem frohlockenden Haufen, der dem 
Auguſtus und dem ſiegreichen Cafar laut zujauchz⸗ 
te. Mein Herz war erweitert und angenehmen 
Eindrücken geöffnet. Von der Terraſſe 2+) ihres 
Hauſes begrüßten mich Calpurnia und ihr Bru— 
der. Eine feine Röthe überzog ihr Geſicht, als 
ich ihren freundlichen Gruß mit Achtung und 
Freude beantwortete. Mir war wohl; ich gab 
mich dem ſchönen Zauber hin, der mich umfing, 
bis im Pallaſt des Kaiſers die Orientaliſche Des⸗ 
poten- Pracht mein Herz beklemmend einengte. 
Ich kam von einem Römiſchen Heere, geſandt 
von einem Imperator, der, würdig der beſſern 
Vergangenheit, nichts als der erſte Krieger ſei— 
nes Heeres war; ich war Zeuge, Genoſſe jener 
Anſtrengungen und Entbehrungen geweſen — und 
wie eine Laſt drückten das goldene Getäfel, die 
ſchimmernden Wände, die Pracht, die ſich um ei— 
nen Einzigen hier aufthürmte, auf meinen Geiſt. 
Die Gegenwart des Proconſuls im Gemache des 
Kaiſers verſchaffte mir eine Art von Erquickung. 
Der Auguſtus hörte mich gnädig an; und ich 
muß dir geſtehen, daß der durchdringende Ver— 
ſtand, das ſcharfe Urtheil, die vollkommenen 
Kenntniſſe, die er in dieſem Geſpräche äußerte, 
mir unwillkürlich Achtung abzwangen, und mich 


90 


zum Theil meinen Widerwillen gegen ſeinen pes | 


muth vergeſſen machten. 

Sehr verbindlich erkannte er meine Beförde— 
rung zum Tribun an, und fügte noch ein koſtba⸗ 
res Geſchenk hinzu. Warum mußte er das thun? 
Warum müſſen die Großen jeden Dienſt, der 
dem Vaterland geſchah, abzahlen, und mit 
einem Geſchenk, das, wie groß es auch für den 
Beſchenkten ſeyn mag, dem Geber nicht mehr 
gilt, als ein Sandkorn, das ihm unbewußt von 
dem aufgethürmten aufen ſeiner Güter herab⸗ 
rollt! 

Lucius Piſo behandelte Git mit Liebe und 
Achtung. Er lud mich zu ſich. Ich nahm es gern 
an; denn außer meinem Vater habe ich ja ſonſt 
niemand mehr in Nikomedien, der an meinem 
Schickſal Theil nimmt, dem ich Etwas bin, als 
ſein Haus. Mein Vater empfing mich mit gro⸗ 


ßer aber prunkvoller Freude, und bedauerte nur, 


daß die kurze Zeit meines Aufenthalts ihm nicht 


geſtattete, die glänzendſte Begebenheit ſeines 


Hauſes durch ein Feſt zu feyern; doch nahm er 
ſich vor, das Verſäͤumte nächſtens nachzuhohlen. 
Ich widerſprach nicht, und bemühte mich in al⸗ 
lem, was er that und ſagte, nichts als die vä— 
terliche Liebe zu ſehen, die ſeinen Außerungen 


— 


7⁴ 
zum Grunde lag, und nur die Farbe ſeines Cha— 
rafters trug. Er war fo vergniigt: wie hätte ich 
ihm widerſprechen können? Er liebt mich: und 
iſt das nicht das Beſte, das Schönſte, was der 
Menſch dem Menſchen geben kann? 

Der Proconſul kam mir ſchon im Atrium mit 
Calpurnien und ſeinem Sohne entgegen. In die 
herzliche Freundſchaft ihres Betragens miſchte 
ſich eine zarte Achtung, die, ſtatt uns einander 
fremd zu machen, den Äußerungen gegenſeitiger 
Zuneigung einen höhern Reiz gab. Die Schei— 
dewand, die Mann und Jüngling trennt, ſchien 
heute zwiſchen dem Vater und mir geſunken; Cal- 
purniens Bruder behandelte mich mit achtungs— 
voller Freundſchaft, und ſie, höchſt ſittſam, 
beynahe matronenmäßig gekleidet, und in hei— 
terer Geſprächigkeit gleich weit von Anſprüchen 
und Muthwillen entfernt, ſchien mir ganz lie— 
benswürdig. Ich war vergnügt, und kein Miß— 
ton ſtörte die ſtille Harmonie meiner Seele. Nach 
Tiſche entſchlüpfte uns Calpurnia unbemerkt In 
einer halben Stunde ließ ſie uns rufen. Eine 
junge Sclavinn in Nymphentracht führte uns 
durch mehrere Gemächer und Gallerien bis in ei— 
nen Saal des Hintergebäudes. Wir traten hin⸗ 
ein; liebliche Dämmerung und ſüße Düfte um⸗ 


72 

fingen uns. Am Ende des Saales war eine Art 
Bühne, bloß durch blühende Orangenbäume und 
Blumengewinde gebildet, und auf eine wunder— 
bare Weiſe durch Lampen erleuchtet, die ſelbſt 
verborgen nur durch ihre zauberiſche Wirkung be— 
merkbar wurden. Eine angenehme Muſik ertön⸗ 
te, und Calpurnia, in einem Anzuge, der die 
ganze Schönheit ihrer Geſtalt zeigte, ohne dem 
ſtrengſten Sittenrichter Anlaß zum Tadel zu ge⸗ 
ben, ſchwebte, von Nymphen begleitet, als Ve⸗ 
nus Urania herein. In einem ſinnreichen Tanze 
drückte ſie die Geſinnungen aus, die ihr als die— 
ſer Göttinn zukamen. Die Nymphen brachten ihr 
Lilien und Orangeblüthen; fie wand weiße Krän— 
ze als Sinnbilder der Unſchuld daraus. Mitten 
in dieſen Beſchäftigungen ertönte von fern und 
immer näher und näher dieſelbe kriegeriſche Mu— 
ſik, die mich heute bey meinem Einzuge in die 
Stadt begleitet hatte, und in dem gleichen Au⸗ 
genblicke gaukelte eine Schar Liebesgötter aus 
den Gebüſchen hervor. Kränze von Roſen, die 
ſie trugen, Köcher und Pfeile, Schalkheit und 
Muthwille charakteriſirten fie als die Kinder der 
gewöhnlichen Cythere. Unwillig empfing ſie Ura⸗ 
nia. Sie bedeuteten fie, was dieſe Muſik anzei⸗ 
ge, wer komme, und daß ſie dem Zuge entgegen 


: 73 
eilen wollten. Urania (chien ihr Vorhaben zu miß⸗ 
billigen, fie zu warnen. Die Knaben eilten acht⸗ 
los fort, aber nicht lange, ſo kamen ſie, die 
Kränze zerriſſen, Pfeil und Bogen zerbrochen zu— 
rück, ſchienen Uranien zu klagen, wie übel ſie 
empfangen worden waren, und entflohen endlich 
auf ihr ſtrenges Geheiß. Jetzt ſandte fie ihre Nym⸗ 
phen mit den weißen Blumenketten ab; ſie ent— 
ſchwebten in einer lieblichen Gruppe, und Venus 
Urania drückte in einem pantomimiſchen Tanze 
ihre Erwartung und Ungeduld, wie dieſe Sen— 
dung aufgenommen werden würde, aus. Auch 
dieſe Mädchen kamen traurig zurück; ſie hatten 
ihre Kränze noch unverſehrt, aber ſie drückten in 
ernſten mitleidigen Stellungen aus, daß auch 
ihre Geſchenke keinen Eingang in ein trauerndes 
Herz gefunden hatten. Gerührt und mitleidsvoll 
ſetzte nun die Göttinn ſich auf einen Raſenſitz, 
und ſchien nachzuſinnen. Plötzlich ſprang ſie wie 
begeiſtert auf, winkte den Nymphen, enteilte mit 
ihnen, und indeß die Muſik des Marſches fort— 
währte, kam fie, jedes Zeichen der Venus Ura- 
nia abgeworfen, geharniſcht und behelmt, als 
Göttinn Roma 15) zurück. Die Victoria in der 
Rechten, einen Lorberkranz in der Linken hal⸗ 
tend, und von ihren Nymphen begleitet, eilte 


74 
fie gerade auf mich zu, und erhob die Hand, um 
mir den Kranz aufzuſetzen. Ich ward betroffen, 
gerührt, erſchüttert; und indeß eine wehmüthi— 
ge Erinnerung, durch die Pantomime der zurück⸗ 
kehrenden Nymphen erregt, mein Innerſtes durch— 
zuckte, ſchlang ſo viel ſchmeichelnde Güte, ſo viel 
herzliche Achtung ſich tröſtend und milde um mein 
Herz. Aber ihren Kranz konnte nur die Eitelkeit 
annehmen. Ich wich zurück, ich wollte ihre Hand 
ergreifen; da umringten mich die Begleiterin⸗ 
nen, und indem ein Chorgeſang anfing, der mir 
ſagte, daß nicht die Liebe, nicht die Freundſchaft, 
nur das Vaterland mich lohnen können, und ich 
ſtarr und wie bezaubert daſtand, wand ſie mit 
beyden ſchönen Armen mir das Lorberreis um's 
Haupt. Nun eilten Vater und Bruder auf mich 
zu; der Chorgeſang erhob ſich lauter im Ein⸗ 
klange mit der kriegeriſchen Muſik; ich fühlte 
Thränen in meinen Augen; ein theures verklar⸗ 
tes Bild ſchwebte freundlich vor mir, und im Ge⸗ 
dränge ſo viel gemiſchter Empfindungen gab ich 
mich willenlos dem ſchönen Eindruck hin, den 
das Ganze auf mich machte, und der mein Herz 
nicht verfehlen konnte. Calpurnia ergriff meine 
Hand, und führte mich an die Thür. Sie öffnete 
ſich; wir ſtanden im Garten, der im Abendſchim⸗ 


75 
mer duftend und glänzend vor uns lag. Jetzt erſt 
beym Tageslichte ſah ich, wie ſchön ſie im Helm 
und Harniſch — ein zauberiſches Mittelweſen 
zwiſchen Venus und Pallas — war. Sie behielt 

ihren Anzug; ſie mochte wohl wiſſen, warum — 
übrigens blieb ſie ſich gleich, heiter, freundlich, 
anſpruchslos, und ſchien den Sinn ihres bedeu— 
tungsvollen Schauſpiels ganz vergeſſen zu haben. 
Ich konnte das nicht; und ſo war es mir lange 
nicht möglich, den Ton zu finden, in welchem ich 
mit dieſem ſeltnen, gefährlichen und doch ach— 
tungswürdigen Weſen ſprechen ſollte. Eben fing 
ihre Unbefangenheit an, mir die meine wieder— 
zugeben, als der Befehl des Augustus mich ab⸗ 
rief, vielleicht ſehr zur Zeit. 

Noch dieſe Nacht reife ich ab, und werde Ni⸗ 
komedien ſo bald nicht wieder ſehen. Ich denke, 
das muß ich; denn es iſt nicht gut, in gewiſſen 
Umgebungen viel zu ſeyn, wenn man beſtändig 
weder darin ſeyn kann, noch will. Was in mir 
vorgeht, und welchen Eindruck die heutigen Sce— 
nen in mir hinterließen, ſollſt du aus dem La⸗ 
ger hören. eie 


7 


3woͤlfter Brief. 


Eee 
Calpurnia an Sulpicien. 


Rikomebien im Auguſt 302. 


Ich habe einen höchſt genußreichen ſchönen Tag 
durchlebt, meine liebe Sulpicia, und mein vol- 
les Herz drängt mich, meine Freude in den Bu— 
ſen meiner Freundinn zu ergießen. So herrlich 
der Tag war, ſo lieblich iſt ſein Abend — und 
ich habe, um ihn recht mit allen Sinnen zu ge⸗ 
nießen, mir das Schreibgeräth auf das platte 
Dach unſers Hauſes bringen laſſen, das nach 
orientaliſcher Sitte mit Blumen und Orange— 
bäumen beſetzt, einen Garten und recht ange— 
nehmen Spazierort für die kühleren Stunden 
anbiethet. Hier ſitze ich unter Düften und Blü— 
then, weiche Lüfte umſpielen mich, vor mir liegt 
die heilige Meeresfluth unermeßlich ausgebreitet, 
über die der letzte Sonnenſtrahl feurig brennen- 


77 
de Brücken zieht. Sie ſelbſt glühend, wie vor 
Freude in den Erinnerungen des ſchönen Tages, 
dem ſie leuchtete, ſinkt hinter den Bergen von 
Europa hinab, deren dunkelblaue Rieſengeſtal— 
ten ſonderbar mit den hellen Maſſen in Luft und 
Meer contraſtiren. 

Um mich her iſt ein freudiges Weben und 
Schwelgen in ruhigem Genuſſe. Käfer und Mü— 
cken tanzen im letzten Sonnenſtrahl, oder wie— 
gen ſich in Blumenkelchen. Vor den Haufern 
oder auf ihren Dächern ſitzen die Nachbarn und 
wiederhohlen in traulichem Geſchwätz die Freu— 
den des Tages; hier und dort tönt eine Leyer, 
oder ein ferner Geſang durch die Stille. O mei— 
ne Sulpicia! Warum biſt du nicht hier, um das 
Alles mit zu genießen! Ja, es war ein ſchöner 
Tag für mich — für ganz Nikomedien, und du 
ſollſt alles hören, um dich im Wiederſchein un— 
ſeres Vergnügens zu freuen. 

Schon geſtern Abends verbreitete ſich ein 
Gerücht von einem vollſtändigen Siege, den 
Galerius über die Perſer erfochten habe. In der 
Niedergeſchlagenheit, die ſich ſeit der letzten un⸗ 
glücklichen Schlacht der Gemüther bemächtigt 
hatte, war dieſe Neuigkeit ſehr erwünſcht, und 
wurde begierig, obwohl nicht ganz ohne Miß⸗ 


78 

trauen ergriffen, weil wir leider ſchon öfters durch 
falſche Siegeshoffnungen waren getäuſcht wor⸗ 
den. Deſto größer war die Freude, als heut 
mit anbrechendem Tage, vom kaiſerlichen Walla: 
ſte aus, wohin der Tribun, der die Nachricht 
gebracht, vorläufige Bothſchaft geſandt hatte, 
ſich die frohe Beſtätigung durch die ganze Stadt 
verbreitete. Der Tribun bekam Befehl, öffentlich 
in die Stadt einzuziehen. Die Straßen waren 
mit einer unzählbaren Menſchenmenge bedeckt, 
deren dumpfes Geräuſch, wie des fernen Mee⸗ 
res, und ihr Hin- und Herfluthen mich ergetzte. 
Ich war auf die Terraſſe über unſerm Hauſe ge- 
gangen, wo ich jetzt ſchreibe, und ſah dem Schau⸗ 
ſpiel vergnügt, aber ohne beſondere Theilnahme 
zu. Auf einmahl verkündigten ein lebhaftes Ge⸗ 
ſchrey und Jauchzen, der Schall kriegeriſcher 
Inſtrumente und die heftigere Bewegung der 
Menſchenmaſſe die Annäherung des Siegesbo⸗ 
then. Alles ſchrie: Es lebe Diocletian! Es 
lebe Galerius! Es war ein Freudentumult, der 
auch mich unwillkürlich ergriff, mein Herz 
ſchneller ſchlagen, und Thränen der Freude in 
meinen Augen ſchwellen machte; es war mir, 
als ſollte ich mitrufen: Es lebe der Kaiſer! So 
anſteckend iſt das Entzücken. Jetzt kam der Zug. 


79 
Voraus ritt eine Schaar ganz gewaffneter und 
prächtig geſchmückter Krieger, hinter ihnen, von 
Offizieren umgeben, der Tribun im Schmucke 
ſeines Ranges. Ich hatte ſchon vorher von mei⸗ 
nen Sclavinnen gehört, daß er ſich bey der Schlacht 
ſehr ausgezeichnet, und von ſeiner Cohorte auf 
dem Schlachtfelde zum Tribun erwählt worden 
war. Dieß machte mich aufmerkſamer auf ihn. 
Es war eine ſchlanke Geſtalt, die ſich mit An- 
ſtand gegen die grüßende Menge verneigte; aber 
je näher er kam, je ſonderbarer ward mir zu 
Muthe. — Ich glaubte, bekannte Züge zu entde⸗ 
ken, und — ſtelle dir meine überraſchung, meine 
Freude vor — es war wirklich Agathokles! Als 
er an unſer Haus kam, ſah er ſogleich empor. 
So einnehmend, ſo froh hatte ich ihn nie geſe— 
hen. Sein Geſicht glühte, ſeine Augen leuchte⸗ 
ten vom freudigen Stolze; und doch war eine 
beſcheidne Haltung in ſeinem Weſen, die den 
ſchimmernden Eindruck lieblich mäßigte. Er grüß⸗ 
te mich ſehr freundlich; ich beantwortete ſeinen 
Gruß mit ſo viel Achtung und theilnehmender 
Freude, als ſich nur in einen Gruß legen läßt, 
und ergetzte mich an dem Umſehen, Emporbli⸗ 
cken und Fliſtern der Menge, die dieſes Zeichen 
meiner genauern Bekanntſchaft mit dem Helden 


80 

des Tages aufmerkſam gemacht hatte. Nach ei⸗ 
ner Stunde kam mein Vater vom Auguſtus zu⸗ 
rück. Auch er war erfreut über die Auszeichnung, 
die ſeinen Gaſtfreund ehrte. Er rühmte den gü— 
tigen Empfang des Auguſtus, Agathokles be⸗ 
ſcheidnes kluges Betragen, und nes ibn mit 
als Gaſt zur Tafel an. 

Wie ein Blitzſtrahl fuhr mir der Gedanke 
durch den Kopf, den heutigen Tag und Agatho- 
kles wohlverdienten Ruhm durch ein kleines Feſt 
zu feyern. Gedacht — gethan! Ich ließ meine 
Mädchen, und die jüngſten Gelaven meines Wa- 
ters rufen; ich unterrichtete ſie, ſo gut ſich's in 
der Eile thun ließ. Unſer großer Gartenſaal ward 
zum Schauplatze eingerichtet, und alles recht 
hübſch geordnet. Noch vor der Eſſenszeit zog mich 
ein Geräuſch an's Fenſter; — er war es. Ohne 
den Prunk, der ihn zuvor umgeben hatte, zu 
Fuß, nur von einem Sclaven begleitet, kam er 
auf unſer Haus zu; aber das Volk lief ihm nach, 
und begleitete ihn mit Freudensbezeugungen bis 
beynahe in's Atrium. Hier empfingen ihn mein 
Vater, mein Bruder und ich mit einer herzlichen 
Freude, in die ſich — unwillkürlich etwas Feyer⸗ 
liches miſchte. Er gab ſich, in dem frohen Ge— 
fühle, unſrer Freundſchaft hin; er war heiter, 


| 81 
geſprächig, ſogar munter. O wie liebenswür⸗ 
dig, wie gefährlich könnte der Mann ſeyn, 
wenn er immer ſo heiter wäre! Nun zum Glü⸗ 
cke für uns arme leichtſinnige Geſchöpfe, die 
nicht ſo glücklich ſind, Lariſſen zu ſeyn, kommt 
er nicht alle Tage als Siegesbothe, und ſo iſt 
auch keine Gefahr, daß er alle Tage ſo liebens⸗ 
würdig ſeyn wird. 

Nach dem Eſſen entſchläpfte ich eee 
und nachdem alles veranſtaltet war, ließ ich mei⸗ 
nen Vater und ihn in den Gartenſaal rufen. 
Auch für meinen Vater war mein kleines Feſt 
eine überraſchung; um deſto beſſer gelang es, 
und ich glaube, daß alle Parteyen gleich vergnügt 
auseinander gingen. Als ich zu Agathokles trat, 
ihm den Kranz aufzuſetzen, ſah ich ihn unwill⸗ 
kürlich zurücktreten, und eine brennende Röthe 
überflog ſein Geſicht. Er hielt meine Hand zu⸗ 
rück, aber ich ließ mich nicht ſtören; und wäh— 
rend meine Mädchen fic) in lieblichen Stellun- 
gen ſchwebend und tanzend um ihn gruppirten, 
wand ich ihm das Siegeszeichen in die Locken. 
So ſtand er bekraͤnzt und betroffen vor mir, und 
dankte mir mit einem Blicke und Ton, der mir 
meine kleine Mühe ſo vergalt, wie ich ſie vergol⸗ 
ten zu haben wünſchte, und — zeihe mich immer 

Agathok. II. Theil. F 


82 
heimlicher Liſten und Abſichten — durch mein 
Feſt vergolten haben wollte. 

Wir gingen in den Garten. Mein Vater 
wurde abgerufen; ich blieb allein mit Agatho- 
kles. Er war nicht ohne Verlegenheit, das 
ſah ich; es freute mich, und erhielt mir meine 
ganze Unbefangenheit. Das muß ſeyn, wenn 
ich nicht auf der Stelle den erhaltenen Gewinn 
verlieren, und wieder auf dem Platze mit ihm 
ſtehen will, auf dem ich vor ſeiner Ankunft 
ſtand. Er muß zu denken, auszulegen, zu enk⸗ 
raͤthſeln haben, wenn ich meine Abſicht errei— 
chen will; nicht ich. Wir müſſen Charactere 
tauſchen. Unſere Unterhaltung war eine Wei⸗ 
le einſylbig, dann aber deſto lebhafter; und 
obwohl ſie beſtändig in den Schranken zwang⸗ 
loſer Freundſchaft blieb, war ich doch ganz 
wohl mit dem Erfolge des Tages zufrieden, 
und ſah ihn ruhig Abſchied nehmen, als er, 
zum Auguſtus berufen, dem unwillkommenen 
Befehl ziemlich unmuthig gehorchte. | 

So ftehen nun die Sachen. Die nähere 
Beſchreibung des Feſtes, und eine Zeichnung, 
die ich bis jetzt nur entworfen, und nächſtens 
auszuführen im Sinne habe, bringe ich dir 
ſelbſt mit, ſobald meines Bruders Geſchäfte f 


83 
ihm erlauben, mich zu dir zu begleiten. Der 
Entwurf iſt gelungen; ich hoffe, die Vollen— 
dung ſoll es auch werden. Aber nun auch kein 
Wort weiter. Die Sonne iſt langſt hinab, 
und die Dämmerung macht alle Buchſtaben 
vor meinen müden coeds verſchwinden. Schlaf 
wohl! 


F 2 


84 


‘ \ 


ra 


Dreyzehnter Brief. 


Theophania an Junia Marcella. 


Nicäa im September 302. 


Mit welchen Empfindungen, geliebte Freun⸗ 
dinn, wirſt du dieſes Blatt in die Hand nehmen, 
das dir Nachricht von dem Leben, von dem 
Schickſale eines Weſens gibt, deſſen Tod deine 
Freundſchaft ſeit acht Monathen als gewiß bee 
weint hat? Ja, ich lebe noch! Es hat der Vor⸗ 
ſicht gefallen, mein Daſeyn auf eine unverhoffte, 


wunderbare Weiſe zu erhalten; aber ich würde 
mich dieſer wunderbaren Fügung durch eine 


Falſchheit unwürdig machen, wenn ich ſagen 
wollte, daß ich ſie für ein Glück erkenne, und 
jetzt in dieſer Lage, in der ich mich befinde, mein 
verlängertes Leben für ein wünſchenswerthes Gut 
halte. Ich kann mir die tauſenderley Empfin⸗ 
dungen und Fragen vorſtellen, die ſich aus det- 
nem liebevollen Herzen nach meinen Schickſalen, 


A A ee 


85 
meiner Erhaltung, meinem jetzigen Zuſtande her⸗ 
vordrängen; aber da ich ſie nicht alle zugleich 
beantworten kann, ſo genüge dir, indeß zu wiſ— 
ſen, daß ich geſund und ruhig bin, daß ich zu 
Nicda im Schooße einer ſehr rechtſchaffenen Faz 
milie bey Heliodors Bruder, dem achtungswür— 
digen Lyſias, lebe, und laß mich nun langſam 
und ordentlich die ſonderbaren Zufälle erzählen, 
die mein Leben erhielten, und bis jetzt friſteten. 

In jener Schreckensnacht, als plötzlich ein 
gräßlicher verwirrter Carmen die Bewohner un— 
ſerer Villa aus dem Schlafe aufſchreckte, und 
Demetrius durch kein Flehen von ſeinem Vor— 
haben, ſich den Barbaren zu widerſetzen, abzu— 
bringen, und zur Flucht zu bereden war, ſah ich 
mich, nachdem er alle waffenfähigen Männer 
mit ſich genommen hatte, mit ein paar alten 
Sclaven und meinen Weibern ganz allein. Mir 
war dieſe Lage nicht unerwartet; ich hatte ſie 
vorherſehen können, und war darauf vorbereitet. 
Ich kann nicht ſagen, daß ich ſehr erſchrocken 
oder verwirrt geweſen ware; denn mein Vorſatz 
war gefaßt. Ich ließ meine Leute alle zu mir 
kommen, ſtellte ihnen die Lage der Dinge vor, 
und überließ es ihrer Wahl, was ſie thun, ob 
ſie den Ausgang des Gefechtes abwarten, oder 


— 


86 | | 

noch in Zeiten fliehen wollten. Ich ſelbſt erklär⸗ 
te für mich, daß ich bis zum entſcheidenden Au— 
genblicke meinen Gemahl und die Villa nicht 
verlaſſen, und mich nur in der höchſten Noth 
durch die Flucht retten würde. Nachdem ich ihe 
nen dieſes verkündigt hatte, ergriffen einige die 
Flucht auf der Stelle, einige verbargen ſich in 
dem Garten, einige blieben im Hauſe, unter ib: 
nen Melyte, die ſchönſte und jüngſte meiner 
Sclavinnen, indem ſie, verführt durch allerley 
Gerüchte, überzeugt war, daß die Gothen nichts 
weniger als unempfindlich gegen die Schönheit 


wären, und manches gefangene Mädchen ein 


glänzendes Glück bey ihnen gemacht habe. Ich 
verſuchte vergeblich, ihr die Thorheit dieſer Hoff— 
nung begreiflich zu machen; ſie beharrte auf ih— 
rem Entſchluß, und von allen meinen Leuten 
blieb nur eine einzige, die treue Evadne, bey 
mir. Mit dieſer begab ich mich in eines der Gar— 
tenhäuſer, von wo aus uns im ſchlimmſten Fal⸗ 
le die Rettung auf das Feld, und dann durch 
Auen und Gebüſche, die ich wohl kannte, bis zu 
einem eine Stunde weit entlegenen Dorfe offen 
ſtand. Wir zogen männliche Sclavenkleider an, 
ſteckten einige Koſtbarkeiten, und jede ein kurzes 
Schwert und einen Dolch zu uns, und ſo harr— 


: 87 
ten wir, bethend in banger Erwartung, der Ent⸗ 
ſcheidung unſers Schickſals. Ein alter Sclave 
gab uns von Zeit zu Zeit Kunde von dem Gez 
fecht, das langer zweifelhaft blieb, als ich an⸗ 
fangs gedacht hatte. Endlich überzeugte uns die 
ſchreckliche Nachricht, daß mein Gemahl mit den 
meiſten ſeiner Leute erſchlagen ſey, und nur ei⸗ 
nige wenige ſich durch die Flucht zu retten ſuch⸗ 
ten, von unſrer drohenden Gefahr. Trotz aller 
Leiden, die meine Verbindung mit Demetrius 
über mich gebracht hatte, erſchütterte mich ſein 
Tod doch auf's äußerſte; ich brach in Thränen 
aus, und wollte auf's Schlachtfeld, zu ſehen, 
ob noch Rettung, noch Hoffnung für ihn übrig 
war. Meine Leute hielten mich ab; ſie ſtellten 
mir die Gefahr, ja die Unmöglichkeit des Schrit⸗ 
tes vor, ſie drangen in mich, zu entfliehen. Ich 
folgte ihnen zuletzt. Wir flohen, und kamen 
glücklich, beynahe eine Viertelſtunde weit, durch 
das Dickicht fort. Wie mir damahls war, kann 
ich nicht ſagen. Tauſend ſchmerzliche Gefühle 
ſtrebten in meiner Seele empor, aber das mach— 
tigere der gegenwärtigen Gefahr hielt ſie alle 
nieder, und richtete alle meine Gedanken nur 
auf den einzigen Punct meiner Rettung. Schon 
fingen wir an, wieder Hoffnung zu naͤhren, 


88 

als plötzlich einige Barbaren, die ſich wahrend 
des Gefechtes in der Gegend zerſtreut hatten, 
uns von der Seite überfielen. Flucht war un— 
möglich; wir ſuchten uns alſo zu wehren, ſo 
lange wir konnten. Noch begreife ich nicht, wo— 
her mir dieſe Entſchloſſenheit kam. Es war nicht 
der Muth der Verzweiflung, denn ich behielt 
eine ziemlich klare Anſicht meiner Lage; aber ich 
ſchreibe fie zuerſt der Güte Gottes zu, der ja jez 
des Weſen mit den zu ſeiner Erhaltung nöthi⸗ 
gen Gaben ausgerüſtet hat, und dann meiner 
geringen Furcht vor dem Tode. Ich fühlte wohl, 
daß uns die Barbaren ſchonten, daß fie uns le— 
bend zu fangen trachteten; das gab mir Quver- 
ſicht. Aber was find weibliche Krafte, und ein 
Arm, ungeübt das Schwert zu führen? Unge⸗ 
duldig und erzürnt über meinen fruchtloſen Wi— 
derſtand zückte der Gothe ſeinen Säbel, und 
haute nach mir. Ich glaubte den Todesſtreich zu 
empfangen; aber er wollte mich vermuthlich nur 
wehrlos machen. Sein Streich traf meine Wan- 
ge, die ſogleich heftig zu bluten anfing; und wie 
ich erſchrocken mit der Hand darnach fuhr, ent⸗ 
riß er mir leicht das Schwert, an das ich in der 
Beſtürzung nicht gleich dachte. Evadne ſchrie laut 
auf, da fie mich bluten fab, und warf ihr Schwert 


89 
weg, um mir zu helfen. Ich winkte ihr, uns 
nicht durch übertriebne Sorgfalt zu verrathen; 
fie ſchwieg, aber ich ſah Thränen in ihren Au— 
gen, und dieſer Anblick gab mir mitten in mei— 
ner traurigen Lage ein angenehmes Gefühl. Jetzt 
fielen die Gothen über uns her, und banden uns 
die Hände; aber indeß ſie noch damit beſchäftigt 
waren, nahte ſich ein zweyter Haufe zu Pferd, 
an deſſen Spitze ein Mann von edlem Anſehen ritt. 

Sie ſprengten auf uns zu, ſie ſprachen unter 
einander, ſie ſahen uns öfters an; wir konnten 
ſehen, daß wir der Gegenſtand ihres Geſpräches 
waren. Endlich näherte ſich uns der Anführer; er 
ließ unſere Bande auflöſen, und ſagte uns in 
gebrochenem Griechiſch, indem er uns als Kna⸗ 
ben anredete, unſer Muth hätte ihm gefallen, er 
wolle uns nicht binden laſſen, er traue unſrer 
Ehrlichkeit, wir ſollten ihm zu den Schiffen fol- 
gen. Jetzt war Alles verloren, und unſer Loos 
das ſchlimmſte, das uns treffen konnte — Ge— 
fangenſchaft. Meine einzige Hoffnung, meine 
einzige Rettung beſtand noch in dem Dolche, den 
ich auf's ſorgfältigſte zu verbergen mich beſtrebte. 
Man führte uns zu den Schiffen. Der ziemlich 
weite Gang, die kalte Luft hatten die Schmer— 
zen meiner Wunde ſehr vermehrt. Der edle Friz 


90 
tiger, fo hieß der Anführer, ſah mir meine Leis 
den an. Er ließ den Zug bey einer Quelle hal⸗ 
ten; ein bejahrter Gothe trat auf ſeinen Befehl 
hinzu, wuſch meine Wunde, legte Kräuter, die 
er bey ſich trug, darauf, und verband ſie, ſo 
gut es Eile und Ort erlaubten. Ich fühlte bald 
einige Linderung, und mußte die Güte der Vor⸗ 
ſicht bewundern, die dieſe Wilden in den rohen 
Erzeugniſſen der Natur einfache Heilmittel fin- 
den läßt. Wir beſtiegen die Schiffe — ach! und 
wie die Morgenröthe anbrach, ſah ich die gelteb- 
ten Ufer der Heimath ſchon ziemlich fern in Ne⸗ 
beln ſich verlieren. Bey dieſem Anblick brachen 
meine Thränen heftig hervor, und das ganze Ge— 
fühl meines Unglücks, die ganze überſicht alles 
deſſen, was ich verlor, und die Schrecken, die 
meiner warteten, fielen auf einmahl auf mich. 
Ich glaubte zu vergehen. Zwey Mahl zuckte mei⸗ 
ne Hand nach dem Dolche — zwey Mahl hielt 
mich bloß der Gedanke an die Unrechtmäßigkeit 
des Selbſtmords ab. Doch blieb der Entſchluß 
feſt, ihn zu brauchen, ſobald mein Geſchlecht 
entdeckt, und meine Ehre in Gefahr ſeyn würde. 
Dann hielt ich das letzte Rettungsmittel für er⸗ 
laubt. Zwey Tage vergingen in dieſem troſtlo⸗ 
ſen Zuſtande auf dem elenden Kahn, der uns, 


unbegreiflich genug, dennoch über den unſichern 
Euxin trug. Am dritten Abend erſchien uns die 
weſtliche Küſte. Jetzt erwachten alle meine Schmer⸗ 
zen, welche Ergebung in den Willen der Vorſicht, 
und das Mitleid unſers edelmüthigen Gebiethers 
etwas beſänftigt hatten, wieder. Ich war ſo er⸗ 
ſchüttert, daß ich ſchwankte. Fritiger ſah meine 
Schwäche; er nahm mich wie ein Kind auf den 
Alm, und trug mich an's Land. Hier ſprach er 
mir von Neuen Troſt ein. Er ſagte mir, daß ich 
ihm angehörte, daß ich ſein Sclave ſey, daß er 
mich aber recht gut halten wollte, wenn ich es 
verdiente. Aus ſeinen männlichen Zügen ſprach 
nichts Grauſames, aus den großen blauen Auz 
gen ſogar Güte. Er war nun das einzige Weſen 
auf der Welt, dem ich angehörte, das an mir 
Theil nahm, das mich ſchützen konnte. Ein Grauen 
überlief mich, aber ich ſah die Nothwendigkeit 
ein, mich in mein Geſchick zu ergeben; ich gelob— 
te ihm Gehorſam und Treue, und bath ihn um 
Geduld. Er verſprach mir, väterlich für mich zu 
ſorgen. Der Zug ging dem Walde zu, aus dem 
uns bald mit lautem Freudengeſchrey ein großer 
Haufe von Weibern und Kindern entgegen eilte, 
die Zurückkehrenden zu empfangen. Eine Art von 
Freude ſtrahlte in meine Seele, als ich eine (cho: 


92 
ne große Frau von mittlern Jahren, und drey 
ſehr wohlgebildete Mädchen, deren älteſtes etwa 
funfzehn Jahr alt ſeyn mochte, auf meinen Ge— 
biether zueilen, und ihn als Gemahl und Vater be⸗ 
willkommen (ah. Er ſtellte ihnen ſeine beyden Scla⸗ 
ven vor, und ich ſah wohl, daß Evadne, die einem 
ganz hübſchen Jüngling glich, die Aufmerkſamkeit 
und Theilnahme Giſella's, des älteſten Mädchens, 
auf ſich gezogen hatte. Doch nahm man uns bey- 
de gütig auf, und wir kamen bald zu den Woh— 
nungen des Stammes und in Fritigers Hütte. 
Wie dieſe Hütte ausſah, wie hier jede Be— 
quemlichkeit fehlte, an die der Bewohner des 
gebildeten Landes gewohnt iſt, und welche Lei— 
den und Entbehrungen uns daraus entſprangen, 
wäre überflüſſig zu ſchildern; du kannſt es dir 
vorſtellen. Doch die ſtille unwiderſtehliche Gewalt 
der Gewohnheit machte uns zuletzt auch dieſe Be⸗ 
ſchwerlichkeiten erträglich. Ich lernte hier unter 
dieſen einfachen Menſchen einſehen, wie wenig 
die Natur bedarf, wie viele Laſten uns unſre 
Bedürfniſſe auferlegt haben, und in der Den— 
kungsart und Behandlung unſrer Gebiether fan⸗ 
den wir Troſt und Erleichterung. Ach, meine Lie⸗ 
be! Wir ſchelten dieſe Menſchen Barbaren; und 
ich habe Tugenden und Gefühle unter ihnen an⸗ 


93 
getroffen, die wir in der gebildeten Welt bald 
nur dem Nahmen nach kennen werden. Ihre 
Sitten ſind rauh, aber einfach, ihre Gefühle 
heftig, aber wahr; und in dieſen ſtarken unver— 
dorbenen Gemüthern iſt Großmuth, Treue, Auf— 
opferung und Liebe bis zum Tode keine bewun- 
dernswürdige Seltenheit. Ihre meiſten Fehler 
find Folgen ihres einſamen Zuſtandes, ihres Man— 
gels an Beſchäftigung. Die Frauen beſorgen den 
Haushalt, der Männer einziger Beruf iſt Jagd 
und Krieg; und in den vielen müßigen Stun⸗ 
den, die dieſe Lebensart mit ſich bringt, verfällt 
der Geiſt, der noch immer thdtig ſeyn will, auf 
gefährlichen niedrigen Zeitvertreib. Spiel und 
Trunk füllen dieſe Stunden aus; und da in die— 
ſen großen kräftigen Gemüthern jede Neigung 
bald zur Leidenſchaft wird, ſo fallen hierdurch 
oft empörende Auftritte vor. Das ſind aber 
auch die einzigen Laſter, die wir ihnen mit Recht 
vorwerfen können. Sonſt beſchämen fie uns in 
den meiſten Tugenden, und, wahrlich, die 
Frauen hätten vor allen Urſache, die Sitten 
dieſer ſogenannten Wilden zu preiſen. Ihre 
Weiber ſind nicht, wie beynahe im ganzen Orient, 
Sclavinnen der Männer, oder höchſtens ein 
Spielwerk, mit dem ſie tändeln, ſo lange es ih⸗ 


04 108 
ren Augen gefällt. Die Frau des Gothiſchen Krie— 
gers iſt ſeine Freundinn, ſeine erſte Vertraute, 
die Theilnehmerinn aller ſeiner Entſchlüſſe, oft 
ſeine Begleiterinn in die Schlacht. Dort darf ſie 
hinter dem Treffen ſeiner harren; ſie verbindet 
ſeine Wunden, ſie trocknet den Schweiß von 
ſeiner Heldenſtirn, ſie theilt ſeinen Ruhm, oder 
ſtirbt mit ihm, wenn er fallt, um ſeinen Verluſt 
und ihre Freyheit nicht zu überleben. Ach, wie oft 
habe ich mir in jenen ängſtlichen ſchönen Zeiten, 
als das Heer bey Edeſſa und Niſibis ſtand, ein 
ſolches Verhältniß geträumet, ohne zu ahnen, 
daß es ſchon wirklich irgendwo vorhanden fey! 
Wenn ich damahls mit gedurft hätte — wenn 
ich ihn hätte begleiten, ſeine Lanze tragen, 
meine Bruſt zuſeinem Schilde machen, ſein 
Blut mit meinem Schleyer ſtillen dürfen — ich 
würde nicht gezittert haben; alle weibliche Furcht⸗ 
ſamkeit wäre vor dem Gedanken entwichen, bey 
ihm zu ſeyn, und ihn zu ſchützen. Eitle Wünſche! 
Damahls geboth die Pflicht — und jetzt? — — 
Doch ich will meiner Erzählung nicht vorgreifen. 
Die Güte, womit wir behandelt wurden, 
die Strenge und Reinheit der Sitten in Abſicht 
auf den Umgang der beyden Geſchlechter, die ich 
unter dieſem Volke herrſchen ſah, und vor ale 


95 
lem Giſella's Empfindungen gegen Evadne, die 
durch die fortgeſetzte Täuſchung immer lebhafter 
wurden, bewogen mich, der Mutter unſer Ge— 
heimniß zu offenbaren, und ihr zu ſagen, daß 
wir Frauen waren. Man nahm dieſe Entdeckung 
mit Erſtaunen, aber ohne Widerwillen auf, und 
die Sorgfalt, die man von dem Augenblicke an 
für unſere ſtrenge Abſonderung von den männ⸗ 
lichen Bewohnern des Hauſes, und für ange: 
meßne Kleidung trug, zeigte mir, wie zweckmä— 
ßig dieſer Schritt war, und wie wenig wir in 
dieſer Hinſicht zu fürchten hatten. Ich lebte nun 
ziemlich ruhig, aber in tiefer Schwermuth fort. 
Die Trennung von allen meinen Lieben, die man- 
nigfaltigen Beſchwerden meiner Lage, und die 
wenige Hoffnung auf eine Anderung beugten 
mich tief. 

So verging der Winter, deſſen Macht ich 
hier erſt mit Schrecken und mit körperlichem 
Schmerz kennen lernte, als ich den tiefen Schnee 
die ganze Gegend unwegſam machen, und die 
großen breiten Ströme, von Eis gefeſſelt, ſtarr 
und ſtill ſtehen ſah. Indeſſen fand mein Gemüth 
auch in dieſen rauhen Tagen eine Beſchäftigung, 
an der es mit Liebe und Zufriedenheit hing. Ich 
lehrte meine Hausgenoſſinnen allerley Arbeiten, 


95 

Vortheile und Annehmlichkeiten des Lebens und 
Haushalts kennen; ich und Evadne wurden ihre 
Meiſterinnen, und bald ſah ich die unwiderſteh— 
liche Macht der höheren Bildung über rohe aber 
unverdorbene Gemüther. Wir bekamen immer 
mehr Schülerinnen aus den benachbarten Hüt⸗ 
ten. Sie, die uns befehlen konnten, horchten be- 
gierig auf unſern Unterricht; ſie ehrten uns wie 
beſſere Weſen, und hätten ſich unſre Befehle ge- 
fallen laſſen, wenn der Wunſch zu gebiethen in 
meiner oder Evadnens Bruſt gelegen hatte. Aber 
wenn ich auch ihren Gehorſam nicht verlangte, 
ſo war es mir doch ein ſüßes Gefühl, Gutes un— 
ter ihnen verbreitet, und ſchönen Samen ausge— 
ſtreut zu haben, der noch in fputer Zukunft 
Früchte tragen könnte. Du wirſt es mir für keine 
Eitelkeit auslegen, wenn ich dir ſage, daß uns 
mehr als Ein Antrag von Gothiſchen Jünglingen, 
ja von einigen ihrer erſten Heerführer gemacht 
wurde. Eben ſo leicht wirſt du mir auch glau- 
ben, daß es mich weder Überwindung noch Über⸗ 
legung Foftete, fie auszuſchlagen. Bey Evadnen, 
deren freyes Herz ſie nicht nach dem Vaterland 
zurückzog, deren Stand ihr manche Härte ihrer 
jetzigen Lage erträglicher machte als mir, gelang 
es dem edlen tapfern Kattwald beſſer. Er iſt Fri⸗ 


97 
tigers Neffe, und, wahrlich, ich habe wenig ſchö⸗ 
nere Männer geſehen, als dieſen hohen, beynahe 
rieſenmäßig gebauten Jüngling mit ſeinen dun— 
kelblauen Augen und ſeinem goldnen Gelocke. 
Er warb um fie, und fie gab ihm nach der Nei— 
gung ihres Herzens, nach dem Rath der Fami⸗ 
lie und nach meinem eigenen, ihre Hand. 

Jetzt war der Frühling gekommen. Der tiefe 
Schnee und das Eis der Flüſſe ſchmolzen zu einem 
unendlichen Gewäſſer, das fürchterliche Verhee— 
rungen in der Gegend anrichtete, und in mir 
die Sehnſucht nach dem ſchönen Himmel meines 
Vaterlandes, nach Allem, was dort lebte, mit 
ſolchem Schmerz erregte, daß ich manches Mahl 
wirklich vor Sehnſucht zu ſterben fürchtete. O 
meine Liebe! Wie ſchwach, wie thöricht war ich! 
Ich fürchtete mich, zu ſterben; denn trotz al⸗ 
ler Hinderniſſe nährte ich die Hoffnung der Rück⸗ 
kehr, der jetzt ſchuldloſen ewigen Vereinigung 
mit dem Freunde meiner Jugend. Das Leben 
war mir lieb geworden — um ſeinetwillen! 
Ich zitterte vor dem Gedanken, es jetzt zu vere 
lieren, und in dieſem wilden Lande, einſam, 
von ihm geſchieden, zu ſterben. 

Die Waſſer verliefen, die Gegend ſtand im 


Frühlings ſchmuck, die Wege wurden wieder gang⸗ 


Agathok. II. Theil. G 


* 


78 


98 

bar, und mit ihnen kam uns Kunde, daß Frem⸗ 
de — Chriſten, Griechen in der Nachbarſchaft 
wären. Den Eindruck, den mir dieſe Nachricht 
machte, kann ich dir nicht beſchreiben. Ich ward 
krank vor Freude; denn die entzückende Hoff⸗ 
nung, daß fie um meinetwillen, mich zu ſuchen, 
da waren, daß Er unter ihnen ſey, brachte mich 
faft außer mir. Immer hatte ich dieſen heimli- 
chen Wunſch gehegt, und ihn, was auch meine 
Vernunft dagegen einwenden mochte, nie aus 
dem Sinne verlieren können. Daß es noch nicht 
geſchehen war, ſchrieb ich der Jahreszeit und den 
Stürmen des Meeres zu. Dieſe ſchöne Taͤuſchung 
verſchwand bald; aber es blieb noch Stoff genug 
zur Freude für mich. Es waren Griechen, Lands⸗ 
leute, dieſelben, von denen du mir nach Tra⸗ 
chene geſchrieben, die aus dem frommen Endzwe⸗ 
cke, das Chriſtenthum zu verbreiten, ſich in die— 
ſe rauhen Gegenden, unter dieſes barbariſche 
Volk gewagt hatten. Die Mühſeligkeiten und 
Gefahren, die ſie auf ihren Pilgerfahrten aus— 
geſtanden, die Standhaftigkeit, mit der fie ale 
les ertrugen, der Eifer, mit dem fie ihre Bee 
auemlichkeit, ihr Leben wagten, rührten mich tief, 
und flößten mir heilige Ehrfurcht vor ihnen ein. 
Auch waren ſie ſchon ſo glücklich geweſen, ſchöne 


99 

Früchte ihrer Bemühungen zu ſehen. Die einfa⸗ 
chen Lehren des Chriſtenthums hatten Eingang 
in die unverdorbenen Herzen gefunden, und die 
Milde, womit dieſe frommen Manner ihre neuen 
Schüler in den Lehren der Religion ſowohl als in 
manchen nützlichen Arbeiten und Künſten unter⸗ 
richteten, gewann ihnen die Liebe derſelben. Sie 
hatten Ackergeräthe, Handwerkszeuge, Säme— 
reyen mitgebracht. Sie lehrten ſie den Nutzen 
dieſer Dinge, den großen Vortheil des Acker— 
baues, und einer ſtäten Lebensart einſehen; und 
ſchon waren hier und da kleine Gemeinden errich— 
tet, die dichten Wälder, die dieſes Land in feuch⸗ 
te kalte Schatten hüllten, ſtellenweiſe niederge— 
hauen, und das friſche Erdreich mit nützlichem 
Samen bebaut, den die Hand der neuen Chri- 
ſten unter feyerlichem Gebethe und Segnungen 
ihrer ehrwürdigen Lehrer in frommem Vertrauen 
ausgeſtreut hatte. Man kündigte auch uns ihren 
Beſuch an; und eine entzückende Hoffnung auf 
Rettung durch fie, und Rückkehr in mein Vaz 
terland durchdrang mein gebeugtes Gemüth, und 
machte mich unausſprechlich froh. Sie kamen an; 
es war Heliodor mit noch zwey Gefährten. Nie 
werde ich den Eindruck vergeſſen, den der Anblick 
der Landsleute, der Ton der Mutterſprache aus 
G 2 ; 


100 
ihrem Munde auf mich machte. Fritiger nahm 
fie mit Achtung und Liebe auf. Ihr Geſchäft ge⸗ 


lang auch hier zum Verwundern gut. Ich hatte 


das himmliſche Vergnügen, die Familie meines 
Wohlthäters in den Bund der Chriſten aufge— 
nommen, und fo den Keim zu tauſend künfti⸗ 
gem Guten in dieſen Gegenden empor wachſen 
zu ſehen. 


Heliodor war ſeinerſeits nicht wenig erſtaunt, 


mich hier zu finden. Ich entdeckte ihm mein Schick⸗ 
ſal, und bath ihn, mich zu retten, und zu den 
Meinigen zu bringen. Er verſprach zu thun, was 
er vermöchte; denn er war ohne dieß entſchloſſen, 
bald nach Bithynien zurück zu kehren, dem Bi— 
ſchofe Nachricht von dem Fortgang ſeiner Unter— 
nehmungen zu geben, und ihn um Unterſtützung 
in ſeinem Geſchäfte, und mehrere Gefährten zu 
bitten. Er trug Fritigern meine Bitte vor. Ich 
hatte nicht den Muth dazu; denn ich wußte 
wohl, daß man mich nicht gern ziehen laſſen 
würde. Was ich gefürchtet hatte, geſchah. Des 
Gothen ganze Wildheit brach ungeſtüm here 


vor, als man ihm von dem Verluſte einer Per⸗ 


ſon ſprach, an die er ſich mit Liebe gewohnt 
hatte. Heliodors unwiderſtehlicher Beredſamkeit, 
ſeinem ehrwürdigen Anſehen gelang es endlich, 


De pie =o — 


3 101 
das ſtürmiſche Gemüth zu beſänftigen. Er hörte 
ihn gelaſſener an; aber mich fortzulaſſen, da- 
zu war er auf keine Weiſe zu bewegen. Er ließ 
mich rufen, er ſchalt, er drohte; endlich bath er 
mich mit Thränen, ihn nicht zu verlaſſen. Ach, 
das war ein harter Kampf! Es gehörte alle Macht 
treuer Liebe dazu, um hier zu widerſtehen. Ich 
weinte heftig, ich ſank vor ihm nieder, küßte 
ſeine Hand, wie die eines Vaters, und wahrlich 
mit denſelben Empfindungen; ich ſchilderte ihm 
alles, was ich in meinem Vaterlande zurückge—⸗ 
laſſen hatte, was meiner wartete; ich ſprach 
endlich ſeine eigene Vaterlandsliebe an, ich bath 
ihn, ſich an meine Stelle zu tidal und für mich 
zu entſcheiden. 

Er ſtand eine Weile ſtumm, dann ſagte er 
mit heftigem aber nicht rauhem Tone: Geh hin! 
Ich weiß, du kannſt hier nicht glücklich ſeyn; 
aber wir können dich auch nicht vergeſſen. Ich 
ergriff ſeine Hand, drückte ſie an mein Herz, 
und wollte ihm danken. In dem Augenblicke 
ſagte Heliodor etwas von dem Löſegelde, das er 
für mich beſtimmen ſollte. Ich hatte vorher mit 
Heliodor darüber geſprochen, und dabey auf die 
kleinen Schätze, die ich und Evadne gerettet 
und bisher verborgen hatten, und, Falls dieſe 


102 : 
nicht zureichen follten, auf deine und meines 
Jugendfreundes Reichthümer und Liebe gered): 
net; aber ein geheimes Gefühl erlaubte mir 
nicht, dieſes Anerbiethens in dieſem Augenblicke 
zu erwähnen. Heliodor that es doch, und Friti⸗ 
ger fuhr wild empor. Zorn ſprühte aus ſeinem 
Blick, er entriß mir ſeine Hand, und ſtieß mich 
unſanft weg. Was denkſt du? rief er entrüſtet: 
Was wagſt du mir anzubiethen? Ich kann dich 
frey laſſen, ich kann dich verſchenken; verkaufen 
werde ich dich nie. Geh in dein Vaterland zu— 
rück, weil du nicht mehr bey uns bleiben willſt, 
und ſag deinen Landsleuten, daß uns Barbaren 
das, was wir lieben, nicht um Gold feil iſt! Er 
wandte ſich raſch weg, und wollte ſich entfernen. 
Ich eilte ihm nach, ich ergriff ſeine Hand, ich 
küßte ſie, ich beſchwor ihn, mich nicht im Zorn 
zu entlaſſen, mir zu ſagen, daß er mir vergebe, 
und mir eine Schuld nicht anzurechnen, die ich 
nicht begangen hatte. Er blieb ſtehn, ſah mich 
ernſt aber ohne Zorn an, drückte mir endlich die 
Hand und ſagte: Du bleibſt doch meine Tochter, 
wenn du auch jenſeits des Meeres wohnen wirſt! 
Ich gelobte es ihm; ja ich gelobte ihm ſogar, 
wenn ein widriges Schickſal meine Hoffnungen 
zerſtören, wenn ich in meinem Vaterlande nicht 


103 


glücklich werden ſollte, zu ihm und ſeiner Fami⸗ 
lie zurückzukehren. Und, bey Gott! Junia, es 
ſcheint, ich werde dieſes Verſprechen halten! 
In den wenigen wehmüthig frohen Tagen, 
die wir noch mit einander zubrachten, wurden 
alle Anſtalten zu unſerer Abreiſe gemacht. Friti⸗ 
ger und ſein Neffe Kattwald beſorgten uns ein 
Schiff, und die geſchickteſten Ruderer, die ſie 
unter ihrem Stamme fanden. Evadnens Herz 
wurde in ſeltſamen Widerſpruch aufgeregt, als 
jie hörte, daß ich mit Heliodor nach unſerm ge— 
meinſchaftlichen Vaterlande zurückkehren würde; 
aber der Gedanke an ihren Gatten beſiegte jeden 
Zweifel, machte jeden Wunſch verſtummen. O 
was kann ein Weib nicht dem geliebten, dem 
liebenden Manne aufopfern! Er wird ihr 
Vater und Mutter, Heimath und Vaterland, 
und wo er iſt, findet ſie ihr Glück. Welche Hoff⸗ 
nungen, welche Auftritte ſchwebten nicht vor 
meinem Blicke! Was habe ich nicht für Scenen 
geträumt! Ach, ja wohl geträumt! 
Unter ſehr gemiſchten aber doch meiſt frohen 
Empfindungen ſah ich den Tag der Abreiſe ſich 
nähern. Er kam. Ich ſchied mit heißen Thränen 
von meinem gütigen Gebiether, von ſeiner Fa⸗ 
milie, von meiner treuen Evadne. Nicht allein 


104 

Fritigers Haus, alle Nachbarn, ſogar manche 
fern wohnenden Familien kamen, uns noch ein⸗ 
mahl zu ſehen, mich, die ſie gekannt und geliebt, 
und den würdigen Prieſter, den ſie als einen 
gottgeſandten Lehrer verehrt hatten. Er verſprach 
ihnen, bald wieder zu kommen, und Fritigern 
und Evadnen Nachricht von mir zu bringen. Am 
Ufer knieete ich vor Fritiger und ſeiner Gemah— 
linn nieder, und bath ſie um ihren Segen. Sie 
gaben ihn mir im Nahmen des Gottes, den ſie 
durch Heliodor hatten kennen gelernt. Nun ſtie⸗ 
gen wir in's Schiff; und nach einer ziemlich ängſt⸗ 
lichen Fahrt an den Küſten des Euxin herab in 
einem ſchlecht gebauten Kahn und mit Gothiſchen 
Ruderern langten wir in Byzanz an. 

Hier ſandten wir unſre Schiffer zurück, ſo 
reich beſchenkt, als ich es vermochte, und mit 
tauſend dankbaren Grüßen an unſre Freunde. 
In der Stadt bath ich Heliodorn, mir ſogleich 
alles zu verſchaffen, was nöthig war, um wie— 
der anſtändig unter gebildeten Menſchen zu er— 
ſcheinen. O meine Liebe! Welchen zauberiſchen 
Reiz gibt lange Entbehrung den gemeinſten Din- 
gen! Wie wenig erkennen wir den Werth unſe— 
rer Bequemlichkeiten beym alltäglichen Gebrau— 
che! Mit wahrer Wolluſt hüllte ich mich in die 


105 
gewohnten Gewänder, ordnete mein Haar, und 
genoß in dem einfachen Anzug eine Befriedigung, 
die mir nie der koſtbarſte Putz verſchafft hatte. 
Aber dennoch ſah ich in dem erſten Spiegel, der 
ſeit acht Monathen mein Geſicht zurück ſtrahlte, 
mit einigem Schrecken die Veränderung, die das 
rauhe Clima und eine ziemlich tiefe Narbe auf 
meiner Wange hervorbrachten. Ich war nie ſchön - 
ich hatte dieſen Vorzug an Andern wohl erkannt, 
aber nie bey mir vermißt — ich war ja auch ohne 
ihn von dem Freund meiner Jugend geliebt, von 
einem würdigen Gemahl geachtet worden. Jetzt 
flößte, mir doch die große Veränderung eine Art 
von Angſtlichkeit ein, und mit zitternder Zuver— 
ſicht, die dieſer Empfindung einen neuen innigen 
Reiz gab, hoffte ich auf die unwandelbare T Treue, 
auf die edle Denkart meines Freundes. Wir fan— 
den ein ſegelfertiges Schiff im Hafen, das nach 
Chalcedon beſtimmt war, und landeten glücklich 
an der vaterländiſchen Küſte. 

Doch mein Brief tft unmäßig lang. Ich vers 
ſpare die Erzählung der ferneren Begebenheiten 
und meiner jetzigen Lage auf einen . Leb 
wohl! 


106 


Vierzehnter Brief. 


Theophania an Ju nia Marcella. 4 


Nicäa im September 302. 


Bis zu meiner Ankunft an der Küſte von Bi⸗ 
thynien war ich im erſten Briefe gekommen. — 
Mit Wonneſchauer, mit einem Entzücken, das 
mir bisher unbekannt geweſen war, betrat ich 
den geliebten Strand, wo ich alles zu finden 
hoffte, was mein Leben zur Himmelsſeligkeit er⸗ 
höhen, mir voller Erſatz für ſo viel freudenloſe 
Jahre ſeyn ſollte. Ich war frey; keine Pflicht 
hinderte mich mehr, ſchuldlos dem ſüßen Zuge 
zu folgen, der, ſeit der Kindheit in mein Weſen 
verwebt, mir zur zweyten Natur geworden war. 
Heliodors Jahre und ſeine ſtrengen Grundſätze, 
die jede heftigere Neigung für ein Geſchöpf, 
als ſündlich, als unſerer höhern Beſtimmung 
zuwider verdammten, hielten mich ab, ihm mei⸗ 


1 


107 


ne Empfindungen zu entdecken. Ich ehrte ſeine 
Grundſätze, weil ich ihren Urſprung in einem 
vom Irdiſchen abgezogenen Gemüth erkannte, 
weil ich einſah, daß nur ſolche Geſinnungen 
ihm die heilige Achtung für alles einfloͤßen konn⸗ 
ten, was er für Pflicht hielt, daß er nur durch 
ſie fähig war, das Apoſtelamt bey barbariſchen 
Völkern zu übernehmen, jede Bequemlichkeit des 
Lebens, und das Leben ſelbſt für gering zu ach— 
ten. Ich verſchloß meine Freuden, mein ſüßes 
Geheimniß in meiner Bruſt, und genoß fie viel= 
leicht um deſto inniger. Mein Vorſatz war, ſo⸗ 
gleich nach Nikomedien zu gehen, wo ich Aga— 
thokles ſelbſt, oder doch Nachricht von ihm zu 
finden hoffte. Wir nahmen Pferde, und auf 
mein dringendes Bitten einen Sclaven zur Be— 
gleitung. Heliodor war mein Vater, ich ſeine 
Tochter, die Witwe eines Kaufmanns aus By— 
zanz. So machten wir uns auf den Weg. O 
welche glänzenden, entzückenden Bilder mahlte 
mir nicht meine Phantaſie! Welche frohen Ge— 
ſchichten erzählte ich mir nicht in den vielen ſtil⸗ 
len Stunden unſerer Reiſe! Ich wußte, daß 
Synthium, Agathokles Landgut, an der Straße 
von Chalcedon nach Nikomedien liegt. Der Ge— 
danke, dahin zu gehen, ihn vielleicht dort zu 


108 

treffen, wenn er im düſteren Schatten ſeiner Gär— 
ten ſchwermüthig ging, und manches Bild einer 
beſſern Vergangenheit vor ſeinen Blicken ſchweb— 
te, ihm dann zu begegnen, und wenn er erſtaunt 
zurückbebte, an ſeine Bruſt zu ſinken, und ihm 
zu ſagen, daß wir glücklich, daß wir vereinigt 
waren — dieſer Gedanke, dieſe Ausſichten mach⸗ 
ten mein Herz vor Freude zittern, und fo na- 
herten wir uns den waldigen Hügeln, hinter 
denen es verborgen liegt. Heliodorn wagte ich 
nicht meinen geheimen Wunſch zu entdecken; ich 
gab eine große Ermüdung vor, und bath ihn, 
weil der Abend einbrach, in dem Dorf, das vor 
uns lag, zu übernachten. Wir ritten langſam 
die Straße hin. Schon ſah ich das Dach des 
Hauſes freundlich zwiſchen dunkeln Pinien her— 
vorblicken. Ein Theil des Gartens erſtreckt ſich 
bis an den Weg, gegen welchen er ſich in ein 
großes Gegitter endigt, das die Ausſicht auf die 
Straße und die Gegend umher gewährt. Das 
wußte ich noch recht wohl, und freute mich, al- 
les ſo zu finden, wie es in den guten Tagen 
meiner erſten Jugend geweſen war. Wie wir 
uns dem Garten näherten, ſah ich zwey Frauen— 
zimmer in häuslicher Tracht, die aber, Trotz ih— 
rer Einfachheit, Reichthum und hohen Stand 


109 
verrieth, Arm in Arm den Platanengang herab— 
wandeln. Das Gitterthor war offen; unſer An⸗ 
blick hatte ſie herbeygezogen, ſie traten heraus. 
Es waren zwey vollkommen ſchöne Geſtalten; 
die eine, ſchlank und majeſtätiſch gebaut, mit 
dunkeln Augen und Haaren, ſchien älter, und 
ein Zug von Kummer in dem blaſſen Geſichte 
machte fie mir lieber, als ihre jüngere Gefähr— 
tinn, die in der Fülle der Jugend und Schön— 
heit neben ihr ſtand. Die Erſcheinung befremdete 
mich. Eine unangenehme Empfindung bemad- 
tigte ſich meiner. Hatte Agathokles das Landgut 
verkauft? Wohnte er nebſt dieſen ſchönen Frauen 
hier? Mein Herz ſchlug ängſtlich. Die Frauen 
grüßten uns freundlich. Ich ſandte den Sclaven 
ab, um mich bey ihnen zu erkundigen, wem die 
Villa gehöre, und ob wir im Dorf eine Nacht— 
herberge finden könnten. Der Sclave kam bald 
zurück, und brachte die Antwort: die Villa gee 
höre einem kaiſerlichen Tribun, im Dorfe wür⸗ 
den wir keine anſtändige Unterkunft finden; 
wenn wir ihnen aber das Vergnügen machen 
wollten, bey ihnen zu bleiben, ſo würden ſie ſich 
bemühen, uns einen erträglichen Aufenthalt für 
dieſe Nacht zu verſchaffen. Das Zuvorkommende 
dieſer Einladung, noch mehr aber die Begierde, 


110 
hier klar zu ſehen, trieb mich an, das Anerbie⸗ 


then anzunehmen Trotz manchem Widerſpruche 


meines Begleiters, der gegen die ſchönen ge— 


ſchmückten Frauen, gegen den hohen Wohlſtand, 
den hier alles verrieth, Manches einzuwenden 
hatte. Mein unſeliger Vorwitz ſiegte. Ach, was 
ſollte ich erfahren? Wie bitter wurde meine 
Falſchheit gegen Heliodor, die Abſichtlichkeit mei⸗ 
nes ganzen Betragens geſtraft! 


Wir ſtiegen ab. Die Frauen empfingen uns 
ſehr freundlich; man erkundigte ſich nach unſerer 
Reiſe, und mit vieler Feinheit nach unſern Um⸗ 
ftanden. Wir erzählten, was wir bereits verab- 
redet hatten. Mein Mann war in Byzanz ge⸗ 
ſtorben; ich ging nach ſeinem Tode mit meinem 


Vater nach Nikomedien zurück. — Unſere wah- 


re Geſchichte hatte viel unglaublicher geklungen, 
als dieſe gewöhnliche Erdichtung. So kamen 
wir in den Garten. Ach! Tauſend Erinnerun⸗ f 
gen wehten mich aus den Wipfeln diefer Bäume 


an; bey jedem Schritte dachte ich den Eigen- 


thümer des Gartens aus einem Gebüſche her- 
vortreten zu ſehen — die theure Geſtalt zu erblis 
cken, die ſtets vor meinen Augen ſchwebte! Wir 
ſetzten uns, das Geſpräch fiel bald auf die Neu⸗ 


igkeiten des Tages; es wurde vom Kriege, von 


111 
des Cäſars letztem Siege, von den Hoffnungen 
des Armeniſchen Prinzen Tiridates, deſſen An⸗ 
ſprüche der Hof von Nikomedien fo thatig un⸗ 
terſtützte, geſprochen. Heliodor nahm eifrig Theil 
an dieſen Nachrichten; das Geſpräch wurde leb— 
haft. Die ſchöne junge Perſon lächelte ihre äl— 
tere Freundinn ſchalkhaft an, und ein angeneb- 
mes Lächeln, das den trüben Blick dieſer zwey⸗ 
ten erhellte, zeigte mir, daß des Prinzen Schick— 
ſal ſie nahe anging. Bald hörte ich auch ihren 
Nahmen. Es war Sulpicia, jene Römerinn, 
von deren unglücklichen Leidenſchaft mir Agatho— 
kles öfters erzählt hatte. Wie fie aber nach Biz 
thynien und auf dieſe Villa kam, war mir uns 
erklärllch. Heliodor, der noch einige Anſtalten 
für unſere Reiſe zu machen hatte, entfernte ſich 
jetzt. Sulpicia bath ihre Freundinn, ihn zu be— 
gleiten, und alles zu beſorgen. Komm dann bald 
wieder, liebe Calpurnia, rief ſie ihr freundlich 
nach. — Calpurnia! Wie ein Blitzſtrahl wirkte 
dieſer Nahme auf mich; mein Blut ſtand ſtill — 
ich war unvermögend, mich zu regen oder ein 
Wort zu ſprechen. Erſt als der gefürchtete Ges 
genſtand ſchon weit von uns war, erwachte ich 
aus meiner Betäubung. Alſo Calpurnia hier — 
auf dieſer Villa! Schwankend wie die Erinne— 


412 


rung eines Traumes kam mir nach und nach die 
Beſinnung, daß ich von dir erfahren hatte, Cal⸗ 
purnia ſollte mit ihrem Vater nach Bithynien 
kommen. Und ſie war hier! Sie lebte auf die⸗ 
ſer Villa — als was? als was anders als die 
Braut — vielleicht die Gattinn des Beſitzers! 
Was in mir vorging, als dieſe Entdeckungen 
langſam aber deutlich ſich aus meinen verworre⸗ 
nen Gedanken entwickelten — o, der Tod kann 
nicht bitterer ſeyn, als dieſe Gefühle! Darum war 
alſo bey der Ungewißheit meines Schickſals auch 
nicht Eine Nachforſchung nach mir, nicht Ein 
Verſuch zu meiner Rettung gemacht worden! 
Sulpicia war bey mir zurück geblieben. Die 
Sonne ſank hinter den Bergen hinab; ihr letzter 
Strahl brach durch das Gebüſch, und mahlte al— 
les um uns mit glänzendem Gold. Ich ſaß ver— 
loren in ſchmerzlichen Gefühlen, und hörte nur 
halb, was Sulpicia von der Stille und Schön⸗ 
heit des Abends ſprach. Ich muß ihr nichts ge⸗ 
antwortet haben; denn ſie legte endlich die Hand 
auf meinen Arm, und ſagte mit unbeſchreiblich 
gütigem Tone: Du ſcheinſt auch nicht glücklich 
zu ſeyn, liebe Fremde! Ich fuhr empor — ich 
ſah ſie ſtarr an; ihr Auge wurde feucht, und 
meine Thränen brachen hervor. O, ich habe viel 


113 
— viel verloren! rief ich erſchüttert. »Das glau- 
be ich. Verluſt von dieſer Art — ſie deutete auf 
mein Trauerkleid — wird felten oder nie vers 
ſchmerzt.« Ich war froh, ſo mißverſtanden zu wer⸗ 
den, ich ließ meinen Thränen freyen Lauf. Sul— 
picia verſtand mich, ohne mich zu ergründen; ich 
fand eine Art von Beruhigung in ihrer zarten 
Theilnahme. Ach, ſie weiß auch, was ein zer⸗ 
riſſenes Herz iſt! 

Die Sonne war jetzt hinunter. Calpurnta 
kam hüpfend zurück, und ermahnte ihre Freun— 
dinn, bey der ſinkenden Dämmerung ihre Ge— 
ſundheit zu ſchonen und in's Haus zu gehen. 
Wir ſtanden auf. Im Hineingehen betrachtete 
ich dieſe reizende Geſtalt recht aufmerkſam. 
ſie ſchien mir jetzt, da ich wußte, wer ſie war, 
noch ſchöner, noch verführeriſcher! Jede Bewe— 
gung war Anmuth — Wohllaut möchte ich ſa— 
gen, jedes Wort bedeutend, jeder Blick ſieg⸗ 
reich. Als wir in einen Saal zu ebener Erde 
traten, nahm ſie mich auf eine muntere Art 
bey der Hand, und zog mich fort, um mir 
mein Schlafgemach zu zeigen. Es war ein nieds 
liches kleines Zimmer mit allen Bequemlichkei⸗ 
ten des Wohlſtandes ohne Pracht verſehen, 
und mit der Ausſicht in den wildeſten Theil 

Agathok. II. Theil. 


114 

der Gärten. Ein Spiegel an der Wand zeigte 
mir plötzlich, ich kann ſagen mit Schrecken, unz 
fere beyden Geſtalten; Calpurnia blühend, jus 
gendlich, mit den ſiegreichen Blicken, den glän⸗ 
zend braunen Locken, die künſtlich geringelt um 
die weiße Stirn, die roſigen Wangen, den blen⸗ 
denden Nacken flatterten, in der üppigſten Fülle 
einer glücklichen Schönheit — und ich neben ihr, 
verblüht, von Kummer verzehrt, von Sonne und 
Luft verbrannt, mit trüben Blicken und der tie⸗ 
fen Narbe auf den farbloſen Wangen. O Junia! 
Nur die ungemeſſenſte Eitelkeit oder die lächer— 
lichſte Verblendung hätte es wagen können, hier 
ſich in einen Wettſtreit einzulaſſen. Ich erkannte 
deutlich die Größe des Abſtandes und meinen 
entſchiedenen Verluſt. Sie entfernte ſich hierauf, 
um mir Ruhe zu laſſen, ſagte ſie. Ach ja wohl! 
Sie läßt mir Ruhe — die Ruhe des Grabes, 
nachdem ich durch ſie Alles verloren habe, was 
dem Leben Werth gibt. Ich weinte recht heftig, 
und weinte mich aus; ich warf mich auf meine 
Kniee, und demüthigte mich unter der Hand des 
Gottes, der züchtigt, weil er liebt. Ich bath ihn 
um Stärke, und fühlte mich wirklich gefaßter, 
als nach einer Weile eine Sclavinn kam, um ſich 
zu erkundigen, ob ich nichts bedürfe. Ich verlang⸗ 


115 
te zu ihrer Gebietherinn 10 zu werden. Das 
Mädchen brachte wich in einen Saal, der ange- 
nehm durch einige in ſchönen Urnen brennende 
Lampen erhellt war. Sulpicia lag auf einem 
Ruhebette; Calpurnia ihr gegenüber hatte die 
elfenbeinerne Leyer im Arm, auf der ſie eben 
geſpielt und dazu geſungen hatte. Ich bath ſie, 
fortzufahren; da griff ſie mit den Lilienarmen 
in die goldenen Saiten, und ſang mit wollüſtig 
ſchmelzender Stimme ein ziemlich loſes Lied dar- 
ein. Ich dachte der Zeit, wo ich auch geſpielt 
und geſungen hatte, damahls, als die erſten Gez 
fühle in unſern jungen Herzen erwacht waren, 
und ſpäter in Edeſſa und Niſibis, wo mein Ge⸗ 
ſang oft die müden Waffengenoſſen erheiterte, 
Demetrius Beyfall mich lohnend ermunterte, 
und ein Auge voll Rührung und heiliger Liebe 
an meinen Blicken hing. Aber freylich, fo ver⸗ 
ſtehe ich nicht zu ſingen, mit ſo ſprechenden Ge— 
berden, mit ſo wolluſtathmenden Lauten, und 
keine ſo weichen runden Arme bezauberten das“ 
trunkene Auge, indeß das Ohr dem Ginnwen⸗ 
ſang lauſchte. 

So ward jeder Blick auf fie ein W in 
meine Seele. Aber ich war noch zu etwas Har- 
terem beſtimmt; ich ſollte den Kelch bis auf die 


H 2 


116 


Hefen leeren, und in keinem unaufgehellten Win⸗ 
kel meines Geſchickes den Troſt der Ungewißheit, 
der möglichen Hoffnung, erhalten. Es lagen 
Zeichnungen auf dem Tiſche. Ich ſah ſie durch; 
es waren verſchiedene Gegenſtände ſehr geſchickt 
ausgeführt. Jetzt ergriff ich die größte und letzte. 
O Gott im Himmel, was erblickte ich? — Aga⸗ 
thokles Bild, zu Pferde, in einer mir bekann⸗ 
ten Straße von Nikomedien, in vollem Friege- 
riſchem Schmucke, und von einer Menge Men⸗ 
ſchen umgeben! Ich zitterte; lange hielt ich wie 
bewußtlos das unglückliche Blatt in der Hand — 
und mein Auge ſah nur ihn. Es waren ſeine Zü⸗ 
ge, ſeine Haltung, ſo genau, ſo lebendig! Mei⸗ 
ne Seele verlor ſich im Anſchauen. Calpurniens 
Stimme weckte mich aus meinem Traume. Sie 
fragte mich, wie mir das Blatt gefiele? — Vor⸗ 
trefflich, antwortete ich, und ſetzte in der ſchreck⸗ 
lichen Verwirrung hinzu: Er iſt zum Sprechen 
getroffen. Wie, du kennſt den Tribun? rief ſie 
raſch und ſprang auf mich zu, gleich als hätte 
meine Bekanntſchaft mit ihm mir ein höheres 
Intereſſe in ihren Augen gegeben. O wie leb 
haft muß das ſeyn, das ſie an ihm, das er an 
ihr nimmt! Es war zu fpdt, meine Unbeſonnen⸗ 
beit wieder gut zu machen; ich mußte ſie nun 


117 
ſchicklich bemänteln. Iſt es nicht Agathokles, 
der Sohn des Hegeſippus? ſagte ich. Ja, er 
iſt's, rief fie fröhlich: Du kennſt ihn? »Ich erin⸗ 
nere mich, ihn vor mehreren Jahren zuweilen 
in Nikomedien geſehen zu haben.« Und du fine 
deſt das Bild getroffen? »Vollkommen; nur 
wünſchte ich die Bedeutung zu wiſſen.« Nun er— 
fuhr ich, daß Agathokles ſich in der letzten 
Schlacht außerordentlich ausgezeichnet hatte, 
daß er auf dem Wahlplatze zum Tribun er— 
wählt, und vom Cafar als Siegesbothe zum 
Diocletian geſendet worden war. In dieſem 
Augenblicke des ſchmeichelnden Volkszurufes hat⸗ 
te ſie ihn gezeichnet — ſie ſelbſt. Sulpicia lä— 
chelte fein, als Calpurnia mir das erzählte. Es 
iſt kein Wunder, ſagte ſie endlich, daß ſie ihn 
ſo gut getroffen hat; die Phantaſie entwirft, 
und Eros 16) führt die Hand. Ein kleiner ſcherz⸗ 
hafter Streit begann nun unter den beyden 
Römerinnen, ein Streit, deſſen Gegenſtand er 
und ſeine Liebe zu Calpurnien war — und ich 
war Zeuginn, und ich wurde zuweilen von der 
freundlichen Sulpicia aufgefordert, Theil dar— 
an zu nehmen! O, das war eine der bitterſten 
tunden meines Lebens! 

Ich erfuhr durch dieſe kleine Neckerey end⸗ 


118 
lich fo viel, daß zwar Calpurnia noch nicht 
ſeine Gattinn, aber ſeine Geliebte, und nicht 
viel weniger als ſeine Braut war, daß ihr Ver— 
hältniß ſchon in Rom angefangen, und in Miz 
komedien fortgeſetzt wurde, daß er aber jetzt 
wieder zum Heere abgegangen war, wo die 
Friedensunterhandlungen mit den 1 be⸗ 
ginnen ſollten. 

Ich wußte genug, und entfloh, ſo bald ich 
konnte, in die Einſamkeit meines Zimmers. 
Kein Schlaf beſuchte meine Augen. Ich hatte 
erlangt, was ich gewünſcht hatte; ich war aus 
der Gefangenſchaft befreyt, ich war in meinem 
Gaterlande, auf ſeiner Villa — und wie war ich 
es, unter welchen Gerhaltniffen! Wild und ver: 
worren durchkreuzten ſich Gedanken, Gefühle 
und Entwürfe in meiner Seele. Das allein 
fühlte ich klar, daß nun mein Lebensplan zerriſ— 
ſen, und ein neuer nothwendig war. Aus dem 
Kampfe ſtreitender Kräfte, aus dem Chaos 
ſchmerzlicher Empfindungen ging er endlich her- 
vor, wie ein einzigübriger Lebender ſich bleich 
und ſchaudernd von dem Schlachtfelde aufrichten 
mag, auf dem alle ſeine Brüder gefallen find. 
Ich entwarf ihn mit klarer Beſinnung; und du 
ſollſt ihn hören und ee j 


119 

An eine Vereinigung mit dem, den ich nicht 
mehr nennen will, iſt nicht zu denken. Er iſt 
todt für mich; ſo will ich es auch für ihn ſeyn. 
Das Schickſal hat mein Daſeyn zerſtoͤrt, es hat 
mir Stand, Gemahl, Vermögen, Alles geraubt, 
alle Lebenshoffnungen zernichtet; ſo höre denn 
auch mein Weſen, mein Nahme auf. Lariſſa iſt 
todt — ſie iſt unter den Ruinen von Trachene be— 
graben. Dieſe Theophania, (du weißt, daß dieß 
mein Chriſtennahme iſt), die jetzt arm, verlaſſen, 
einſam zurückkehrt, iſt ein anderes Weſen, fremd 
für die Welt, fremd für jene, die ſie ſo ſchnell 
vergeſſen konnten. Sie iſt nicht in Nikomedien 
geboren. Synthium iſt der Ort ihrer Entſte— 
hung. Sie hat auch nichts mehr in der glän— 
zenden Hauptſtadt zu ſuchen. Einige Koſtbar— 
keiten, die jene verſtorbene Lariſſa rettete, und 
die immer einige Talente 27) werth ſeyn mögen, 
werden ihr ein beſchränktes aber ſorgenfreyes Lez 
ben ſichern. Sie kann entbehren; das Schick— 
ſal hat ſie in ſeine Schule geführt. Sie wird mit 
Heliodor nach Nicda gehen, und dort, entweder 
in dem Hauſe ſeiner Verwandten, oder einer an— 
dern unbeſcholtenen Chriſtenfamilie Aufnahme 
und Schutz ſuchen. Dort wird fie unbemerkt lez 
ben, ſterben, oder vielleicht nächſtens zu ihren 


120 


wilden Freunden zurückkehren, deren unverfei⸗ 
nerte Gemüther nicht fähig ſind, jeden Eindruck 
ſo ſchnell fahren zu laſſen. 

Sobald der Tag anbrach, verließ ich mein 
Zimmer, und ſtieg in die thauigen Gärten hin⸗ 
ab. Ungeſtört durchirrte ich die wohlbekannten 
Gänge, und rief mit ſchmerzlicher Luft die Bile 
der der Vergangenheit zurück. Hier hatte ich als 
Kind mit dem Geſpielen der Kindheit ſchuldlos 
und glücklich geſpielt; dort in jener dunkeln Piz 
nienlaube hatten die Gefühle der Jungfrau zu— 
erſt Worte bekommen, dort hatten wir uns ewi- 
ge Treue geſchworen, und von dem Gipfel jenes 
Hügels wehten die Palmen im Morgenwind, 
unter denen ſeine Mutter uns oft um ſich geſam⸗ 
melt, Lehren der Tugend und Weisheit in unſe⸗ 
re Seelen geſenkt, und uns miteinander und für 
einander gebildet hatte. Mit ſchmerzlich ſüßer 
Wehmuth, mit zerreißenden Gefühlen durch— 
ſtreifte ich dieſe Denkmahle einer beſſern Gere 
gangenheit. Als ich mich dem Hauſe näherte, 
kam mir Heliodor entgegen. Er hatte mich ge⸗ 
ſucht, um mich zur ſchnellen Abreiſe zu beſtim— 
men. Ihm war es nicht wohl in dieſem glän⸗ 
zenden Hauſe, in der Nähe der leichtferkigen Cal⸗ 
purnia. Sein Antrag kam mir erwünſcht; ich 


! 121 
erſuchte ihn zugleich, den Reiſeplan zu ändern, 
indem ich nicht mehr, wie anfangs, geſonnen 
ſey, nach Nikomedien zu gehen, wohin er mich 


ohne dieß nur aus Gefälligkeit begleitet hätte. 


Und' wohin willſt du? ſagte er. Wohin du gehſt, 


erwiederte ich, nach Nicda, oder an die Ufer 


des Boryſthenes. Er ſah mich ſehr erſtaunt und 


forſchend an; aber er fragte nicht weiter. »Und 
was willſt du in Nicäa machen, du biſt ganz 


fremd dort?« Ich bin es überall, erwiederte ich: 
Du weißt, daß ich nirgends Freunde oder Ver— 


wandte habe. Willſt du ſo gütig ſeyn, mir in 


deines edlen Bruders Hauſe eine Freyſtatt zu 


verſchaffen, ſo wirſt du dir ein unglückliches, 


= 


heimathloſes Geſchöpf ewig verpflichten. Er 
ſchien nicht unzufrieden mit dieſer Bitte, er ver— 
ſprach mir, gut und eifrig für mich zu ſorgen; 
allein, ich ſah wohl, daß er nur für dieſen Au— 


genblick nicht weiter forſchen wollte, daß ihm 


aber mein geänderter Entſchluß ſehr auffiel. Ich 
fühlte, daß ich ſeinem ſtrengen Forſcherblicke nicht 
entgehen, und früher oder ſpäter mich ihm ent— 
decken müſſen würde. Doch gern unterwarf ich 
mich allem, um nur aus dieſer Villa, aus der 
Nähe von Nikomedien zu kommen. Wir nahmen 


Abſchied. Man ſchien unzufrieden über unſern 


122 

ſchnellen Aufbruch. Sulpicia zeigte eine wah— 
re Theilnahme; ich ſah, daß ich ihr werth ge- 
worden war, und dieß Gefühl that mir, von 
aller Welt Verlaſſenen, unendlich wohl. Wir 
verabredeten, einander zu ſchreiben. So ſchie— 
den wir, und langten in zwey Tagen in Miz 
cda an. Heliodors Verwandte nahmen mich 
auf ſeine Empfehlung ungemein gütig auf. 
Ich lebe mit ihnen; ich bin ruhig und verbor- 
gen in einem ſtillen Hauſe, unter guten Men⸗ 
ſchen, unter Chriſten; und ſo ſind die kleinen 
Wünſche, die ich 95 get dieſer Welt habe, 
erfüllt. 


Fünfzehnter Brief. 


Agathokles an Phocion. 
Samoſata im September 302, 
Das Geräuſch iſt vorüber; es iſt wieder ſtill in 
mir, und ſo wie die Seele, ſich ſelbſt überlaſſen, 
nach und nach in ihre vorige Stimmung zurück— 
kehrt, kehren auch ihre gewohnten Empfindun⸗ 
gen zurück. Der Aufenthalt in Nikomedien mit 
allem ſeinen Glanz, ſeinem prunkenden Geräuſch 
liegt wie der Traum einer kurzen Sommernacht 
hinter mir. Die Eindrücke, die er hervorbrachte, 
verklingen allmählich; die Bezauberung entflieht, 
der Geiſt ſieht wieder hell und richtig. Nein, 
das iſt nicht die Liebe, die mich glücklich machen 
kann. Ach, diejenige, welche dieſe Empfindung 
für mich in dem treuen wahren Herzen trug, 
ſchläft unter dem Hügel von Trachene Sie hätte 
mir kein Feſt gegeben, ſie hätte die kurze Zeit 
unſres Beyſammenſeyns nicht durch ein Schau— 
ſpiel noch mehr verkürzt, in dem nur ihre Talente 


124 
und ihre Schönheit ſtaunenden Beyfall einern— 
ten ſollten. Lariſſa wäre an meine Bruſt geſun⸗ 
ken, ſie hätte nach meinen Gefahren, meinen 
Leiden gefragt, ſie hätte mich geliebt; und 
Calpurnia wollte mich blenden und feſſeln. 

Wie war es möglich, dieſe Deutung in das 
Feſt zu legen, ſich als meine Freundinn zu er— 
klären, deren ſorgliche Liebe nur den höhern An— 
ſprüchen des Vaterlandes weicht, und in einer 
Stunde darauf alles das rein zu vergeſſen, oder 
wenigſtens den Anſchein na zu wollen, als 
hätte man es mit allen Eindrücken, die es her— 
vorbringen mußte, vergeſſen? O wenn es Liebe 
geweſen ware, was fie hinriß, mir ihr Herz uns 
verhüllt zu zeigen, wie hätte ſie's vermocht, mei⸗ 
nem wirklich bewegten Gemüthe ſo kalt und ru— 
hig gegenüber zu ſtehen, und wenige Minuten 
nach dem deutungsvollen Feſt nichts als eine 
leichte fröhliche Geſellſchafterinn zu ſeyn? Es 
war Eitelkeit, nichts als Eitelkeit; ſie wollte ei⸗ 
nen gewaltſamen Eindruck auf mich machen, aber 
die Regungen nicht theilen, die er in mir hervor— 
brachte. Wie klein, wie kalt erſcheint mir ihr 
Bild! Laß mich davon abbrechen! Ich ſchaͤme 
mich, auch nur für einen Augenblick dem Zau- 
ber unterlegen zu ſeyn. 


| 125 

Du ſcheinſt, mein vdterlider Freund, nicht 
ganz zufrieden mit meinen Anſichten des Chri⸗ 
ſtenthums, und noch weniger mit meiner Nei— 
gung, ein Bekenner desſelben zu werden. Es iſt 
ſchwer, in Briefen alles zu erſchöpfen, was ſich 
für oder wider eine Sache von fo vieler Wichtig— 
keit ſagen läßt; ich will alſo nur einige deiner 
Einwürfe zu beantworten ſuchen. Du wirfſt die- 
fen Syſtem vor, daß es auf bloße Tradition ge— 
baut, durch Wunder unterſtützt, und in undurch— 
dringliche Geheimniſſe gehüllt ſey, die des menſch⸗ 
lichen Verſtandes zu ſpotten ſcheinen. Was die 
Tradition betrifft, fo erging es dem Urheber diez 
{es Syſtems nicht anders, als dem weiſen Go- 
krates, Pythagoras, und den meiſten Stiftern 
berühmter Secten und Glaubens formen. Von 
ihrer Hand beſitzen wir wenig oder nichts. Alles, 
was aus der Ferne der Zeiten zu uns herüber⸗ 
tönt, ſind einzelne Laute, aus ihrem oder ihrer 
erſten Schüler Mund, aufgezeichnet von Ent— 
fernteren, ſelten von Zeitgenoſſen oder Augen⸗ 
zeugen. Die Chriſten beſitzen doch wenigſtens in 
den ſogenannten Evangelien viele Sprüche, Leh— 
ren, Thaten und Meinungen ihres Meiſters, 
ſeine Biographie von ſeiner Geburt bis an ſeinen 
Tod. Wenn wir dem Zeugniſſe der Geſchichte 


126 
überhaupt Glauben beymeſſen, fo müſſen wir es 
auch dieſen einfachen Erzählungen anſpruchsloſer 
Menſchen, denen es an Geſchicklichkeit ſowohl 
zum beſſern Vortrag, als zur liſtigern Einklei⸗ 
dung gebrach. Hätten ſie zu täuſchen vermocht, 
oder es gewollt, wahrlich, die Gegner würden we— 
niger einzuwenden haben, und das gefliſſentlich 
künſtliche Gebäude weniger Blößen geben. Daß 
ſie es nicht thaten, daß der grübelnde Verſtand 
Manches an dieſen nicht ganz gleichlautenden 
Zeugniſſen aufzufinden weiß, was er haarſcharf 
ſichten und zergliedern will, das bürgt mir für 
ihre Wahrheit. Die Jünger ſahen ihren gött— 
lichen Lehrer handeln, leiden, ſterben; und wie 
ſich dieſe Erſcheinung in den Augen vier verſchie⸗ 
dener einfacher Menſchen ſpiegelte, wie die Er— 
zahlungen jener Begebenheiten, wovon fie zum. 
Theil nicht ſelbſt Zeugen waren, mit den ge- 
wöhnlichen kleinen Veränderungen jedem erzaͤhlt, 
und von ihm aufgefaßt wurden, ſo zeichnete ſie 
jeder, unbekümmert um das Urtheil der Nach- 
welt und die ſcharfe Critik fpdterer Gelehrten, 
zur Erbauung der Gemeinde auf, der er vorſtand. 
über die Wunder kann ich dir nichts ſagen. | 
Manche mögen ſich natürlich erklären laſſen, bey 
andern, ſo wie bey dem Geheimniſſe der Geburt 


— 


127 
und Natur des Stifters ſteht unſer Verſtand ſtill. 
Wir können es nicht begreifen; aber müſſen wir 
es denn begreifen? Wie viele tauſend Erſcheinun⸗ 
gen gehen in der phyſiſchen und moraliſchen Welt 
vor; wir fühlen ihre Wirkung, aber wir begrei— 
fen ihre Entſtehung nicht. Mit fruchtloſer Mühe 
zerarbeitet ſich der menſchliche Witz, dieſe Benz 


bachtungen unter Regeln und in Hypotheſen zu 


bringen; und wie ſpottet die Größe und Erha— 
benheit der Natur dieſer armen Abtheilungen, 
Unterabtheilungen und ſpitzfindigen Erklärungen 
durch die geheimnißvolle Art, wie ſie ihre Ge— 
ſetze befolgt, daß alle Augenblicke Lücken und 
Blößen in den künſtlich errichteten Syſtemen 
entſtehen! Werden wir weniger an das Daſeyn 


des Windes, des Donners, der Erderſchütte— 


rungen glauben, weil wir nicht wiſſen, woher 


ſie kommen? Werden wir weniger Maßregeln 


dagegen ergreifen, weil uns ihre Natur unbe— 


— 


kannt iſt? Gewiß nicht. Auf unſer Verhalten 
wird der Zweifel, in dem ſie uns laſſen, keinen 
Einfluß haben. Eben ſo verfaͤhrt der redliche 
Chriſt. Das, was für unſer Leben anwendbar 
iſt, was uns beſſer, edler macht, was den Frie— 


den in uns erzeugt, das iſt's, was wir anneh— 


men und befolgen müſſen. Das ſind die ſegens⸗ 


128 

reichen Wirkungen dieſer Lehre; das Ubrige er: 
greift der kindliche Glaube, ohne ſich um feine 
Ergründung zu bekümmern. 

Ich habe dir bereits in manchen meiner Briefe 
über die chriſtliche Moral geſchrieben. Ich bin 
überzeugt, daß ſie die reinſte iſt, die bisher auf 
der Erde gelehrt wurde, daß ſie ſo ganz für das 
jetzige Zeitalter, für den Stand unſrer Cultur, 
die gegenwärtige Lage des Menſchengeſchlechts 
paßt, daß ſchon hieraus ihr göttlicher Urſprung 
ſich beweiſen ließe, wenn ihn auch keine früheren 
Zeugniſſe beſtätigten. Die Gottheit, die das 
Schickſal der Menſchheit lenkt, die weiß, zu 
welcher Zeit und auf welche Art ihre Schwäche 
unterſtützt, ihrem Verderben geſteuert werden 
ſoll, hat in dieſer Epoche dieſe Religion ent⸗ 
ſtehen laſſen. Sie ſandte einen Götterſohn, ſie 
zu lehren. Was finden wir hierin Sonderbares, 
wir, die wir unter Mythen von Heroen und 
Götterſöhnen aufgewachſen find, die die Men- 
ſchen zur Zeit der Noth retteten, die Erde von 
Ungeheuern befreyten, den Zorn der Götter ver- 
ſöhnten? Iſt der Begriff eines einzigen Gottes 
anſtößiger, als der von unzähligen Söhnen un⸗ 
zähliger Götter? Und welche Religion hätte nicht 
ſolche Verkörperungen überirdiſcher Weſen, die 


N 


> 129 
zum Beſten der leidenden Sterblichen den Sitz 
der Seligen verließen? O, der Gedanke liegt ſo 
tief in dem Herzen des Unglücklichen! Und wel⸗ 
cher Sterbliche iſt glücklich? Die Geſetze der Na— 
tur, die phyſiſchen Revolutionen gehen achtlos 
über den Ruin ſeiner Habe, ſeines Lebens hin, 
ſie vermag kein Flehen zu beugen, ihrem Gange 


ſetzt keine Klugheit Schranken. Die Laſter, die 
Verderbtheit ſeiner Mitmenſchen züchtigen ihn 


mit noch ſchärferen Ruthen; er muß büßen, was 


Andre verſchuldet haben; er wird hingeopfert, 


3 


weil ein übermüthiger ſchwelgen will; weil ein 


Raſender das Unmögliche fordert, bluten My⸗ 


riaden auf dem Schlachtfelde. O, wohin ſoll der 


verfolgte geängſtete Menſch ſich wenden, als zu 


i 


der unſichtbaren Macht, die ſtärker iſt, als die 


Natur und die böſen Menſchen? Er flieht da⸗ 
hin , ev ringt im Gebethe mit ihr, und fie fens 
det ihm einen Retter. 


Ströme von Menſchenblut haben die Gefilde 
Hesperiens, die Felder von Pharſalus, von Gal— 
lien, Syrien, von allen Provinzen des Römi⸗ 
ſchen Reiches getränkt. Tauſend einzelne Schlacht⸗ 


opfer find dem Neid und Verdacht der Trium— 


virn, der Wuth der Prätorianer, der wollü⸗ 


ſtigen Grauſamkeit eines Tiberius oder Caligula 


Agathok. II. Theil. J 


230 


gefallen, und wenn zehn Tauſende ihr Leben 
einbüßten, ſo verjammerten es dreyßig tauſend 
im Elend oder Schmach, weil ſie ihre Stützen, 
ihr Glück in jenen verloren hatten. Der Coloß 
des unermeßlichen Reiches naht ſeinem Umſturz. 
An allen Enden kracht das morſche Gebäude; 
alle Säulen ſchwanken, alle Grundfeſten ſind 
erſchüttert, und mit ungeheurer Kraft dringen 
ungeſchwächte Horden von Barbaren in Nord 
und Oſt auf die untergrabenen Mauern los. 
Bald werden ſie ſie eingeſtürzt haben, und die 
ſchönen Provinzen mit Mord und Raub erfüllen. 
Was bleibt dem Menſchengeſchlechte dann übrig? 
Werden jene Truggeſtalten einer üppigen Phan⸗ 
taſie, jene armſeligen Erfindungen des kindiſchen 
Weltalters gegen die Schrecken aushalten? Wird 
der rohe Aberglaube, der unbegreiflich genug ne— 
ben dem leichtſinnigſten Unglauben beſteht, dem 
Menſchen Troſt und Muth gewähren? Kann er, 
wenn ſein Glück zertrümmert iſt, mit Zuverſicht 
Hülfe von den Bildſäulen hoffen, die er mit 
ſchwelgeriſchen Mahlzeiten oder lächerlichen Cez 
remonien ehrt? Werden ihn die Zauberformeln 
beruhigen, die Theſſaliſche Weiber für ihn ſpre— 
chen? Und wenn kein Mahl, kein Opfer mehr 
der Götter Zorn ſtillt, wird er gelaſſen und freu⸗ 


: 131 


dig in die öden Wohnungen der Nacht, des Nichts 
hinabſteigen? Die tägliche Erfahrung zeigt uns, 
daß die Volksreligion nicht mehr gegen die eins 
dringenden übel Stand halten kann. Die Menſch⸗ 
heit muß wiedergeboren werden durch eine Reli— 
gion, die dem Verderbniß der Sitten durch ſtrenge 
Moral, dem Egoismus durch Einſchärfung der 
Liebe, der Verzweiflung durch feſten Glauben 
an eine beſſere Welt wehre. Dieſe Religion iſt 
das Chriſtenthum, und ſie leiſtet alles, was der 
Menſchenfreund für das Zeitalter wünſchen kann. 
Doch, mein Brief iſt eine Abhandlung ge— 
worden. Zürne der Weitlauftigkeit nicht, mit der 
ich dir gern von jedem Beweggrunde meiner 
Handlungen und meiner überzeugung Rechen⸗ 
ſchaft geben möchte, und lebe wohl, bis ich Zeit 
finde, dir noch mehr zu ſagen!. 


met 


te 
* 


132 


Sechzehnter Brief. 


Valeria an Cneus Florianus. 

ace 25 Mantua im September 302, | 
F lorianus! Florianus! Deine Valeria lebt noch! 
Sie ruft dir zu — es iſt ihr möglich geworden, 
dir ein Zeichen ihres Lebens zu geben. O, die 
Verzweiflung war ihr mehr als Ein Mahl nahe, 
während ein endloſes Jahr verſchlich, ohne daß 
ihre Liebe und Liſt ein Mittel gefunden hatte, 
die engen Schranken zu zerbrechen, die ſie feſt 
umſchließen, und fo unendlich fern von dir hal— 
ten. Wund haben fie mein Herz langft gedrückt. 
Wenn ich in verzweiflungsvollen Tagen keine 
Hoffnung ſah, eine Spur meines Daſeyns bis 
zu dir zu bringen, wünſchte ich ſie noch feſter, 
noch enger, daß ſie mich ganz erdrückt hätten! 
Wirſt du mir zürnen, Florianus? Ich hatte 
mehr als Einen Verſuch gemacht, dem Leben, 
das als eine unerträgliche Laſt auf mir lag, zu 


3 


133 
entfliehen. Es war nicht recht; der Gedanke 


ſchreckte mich zurück. Du haſt mich in einer Lehre 


unterwieſen, die den Selbſtmord verdammt. Du 


haſt es mir in Britannien, als man uns zuerſt 


trennte, als ich dir dieſe letzte Rettung ſo man⸗ 
ches edlen Menſchen der Vorwelt auch zu unſerer 
vorſchlug, ſtrenge verwieſen. Mit einander ſter— 


ben! Süßes Loos! Es ſchmerzt nicht, würde ich 


wie Arria 18) geſagt haben, und gewiß eben fo 
freudig. Aber du wollteſt nicht — und ich brachte 


dir das größere Opfer. Ich bin von dir . d 


und lebe noch. 
Durch wie viel Städte man mich geſchleppt 


hat, ſeit in jener fürchterlichen Nacht mein Va⸗ 


ter an mein Bett trat, mir befahl aufzuſtehen, 


mich anzukleiden, als die Mutter weinend her— 

eintrat, ich alles zur Abreiſe fertig ſah, der Baz 
ter mir den Mantel überwarf, als keine Frage, 
keine verzweifelnde Bitte Antwort erhielt, keine 


offenbare Widerſetzlichkeit der höhern Gewalt zu 
entfliehen vermochte, das weiß ich nicht. Als ich 
aus einer tiefen Ohnmacht erwachte, war ich auf 
dem Schiff, und ſah die Küſten der theuren In— 


ſel weit hinter mir. Dann wurde ich krank, ſehr 


ſchmerzlich, ſehr gefährlich, ſo, daß ich hoffte, 


ſterben zu können. Von dir ſprach mir kein Menſch, 


134 ! 
fo liebevoll ſie mich ſonſt behandelten, und für 
alle Fragen, die ich mit verzagender Seele an 
ſie that, waren ſie taub. Das erſte Mahl, als 
ich mit ſchwankenden Tritten in's Freye geleitet 
wurde, ſah ich mich in ganz unbekannten Ge⸗ 
genden; man ſagte mir, wir waren am Rhein— 
ſtrom, und die große Stadt, die ich nicht weit 
davon ihre Zinnen in ſeinen Wellen ſpiegeln ſah, 
wäre Colonia Agrippind 19). Ach, guter Gott! 
Wie fern, wie abgeſchnitten durch den weiten 
Ocean! | AM 
Griffel und Papier, Feder und Tafel 0), wa⸗ 
ren mir entzogen; einige Verſuche, auf ein Stück— 
chen Leinen oder Stoff mit Farbe, mit meinem 
Blute zu ſchreiben, wurden mit unſeliger Schlau— 
heit entdeckt, und ſtrenge zernichtet. O warum 
hätte ich nicht ſterben ſollen? Warum mußte ich 
dieß elende Leben ertragen! Jetzt ſind wir in ei⸗ 
ner Stadt von Italien; Mantua nennen ſie die 
Leute. Ich kann mich nicht in dieſe Menſchen, in 
ihre Lebensart, in ihr Clima finden. Die uner⸗ 
trägliche Hitze thut mir weh; mein Körper, den 
die ſchwere Krankheit erſchöpft hat, leidet durch 
die glühende Sonne und die böſen Ausdünſtun⸗ 
gen der Sümpfe, die die Gegend umher ver— 
peſten. Ich bin der friſchen Luft, der kühlen Schat⸗ 


2 


135 
ten meiner Inſel, ich bin der Gegenwart des ge— 
liebten Gegenſtandes gewohnt; hier — muß ich 
verſchmachten. Du würdeſt mich kaum erkennen. 

Ach, Florianus! Iſt es dir nicht möglich, 
mich zu befreyen? O rette, rette ein unglückli⸗ 
ches Weſen, das ohne dich nicht leben, hier nicht 
tugendhaft, und dort nicht ſelig ſeyn kann! Du 
haſt mich deinen Glauben, den Glauben der Liebe 
gelehrt, und jetzt ſtoßeſt du mich kalt und ſtreng 
in die vorige Nacht. O wäre es nicht beſſer ge= 
weſen, mich dort zu laſſen? Jupiter hätte nicht 
gezürnt, wenn ein freundlicher Stahl mir den 
Weg aus dieſem Leben gebahnt hätte. Minos 
würde mein Unglück geehrt, und ein mildes Ur— 
theil geſprochen haben. Im Elyſium hätten wir 
uns wieder geſehen; dort, wo Dido's Schatten 
zürnend dem Aneas 24) auswich, wave ich in deine 
Arme geeilt! Wie trüb und düſter auch dieſe 


Reiche ſind, ich wäre mit dir vereinigt geweſen 


— und fie hatten uns geladelt! Ich hatte ſterben 
dürfen! O glückliche Freyheit! 

Florianus! Was habe ich geſagt? O, wirſt 
du mir verzeihen können? Nein, ich kann es nicht 
bereuen, eine Chriſtinn geworden zu ſeyn! Es 
iſt dein Glaube, es iſt der Glaube der Liebe, und 


Liebe iſt fein Symbol, die höchſte, die reinſte, 


136 


die Mutterliebe. Das Kind auf den liebenden 
Armen ſchwebt ſie vom Himmel zu uns herab. 
Zu ihr wende ich mich auch am öfteſten, am 
liebſten. Über alles erhaben, groß und furchtbar, 
ſteht die Gottheit vor meinem ſchüchternen Blick. 
Aber ſie war Weib, war Mutter, ſie lebte, ſie 
litt, ſie liebte wie ich, ſie verſteht meinen Kum⸗ 
mer. O, ſie hat mich getröſtet, wenn ich recht 
heiß und zitternd vor ihr geweint, wenn ich ſie 
um Linderung, um Fürbitte bey ihrem Sohne 
geflehet hatte; und gewiß iſt es ihr Werk, daß 
ich jetzt ein Mittel gefunden habe, dir zu ſchrei⸗ 
ben, und den Brief durch den treuen Menſchen, 
den du wohl kennſt, und der morgen von hier 
nach Eboracum abgeht, abzuſenden. 
Man erzählt hier, Conſtantin, dein Zögling, 
ſey in großem Anſehen am Hofe des morgenlän— 
diſchen Auguſtus, und vermöge ſehr viel. Könnte 
Er uns denn nicht helfen? O wende dich an ihn, 
ſchreib ihm! Die unglückliche Tochter des Au— 
guſtus hat ja einige Anſprüche auf menſchliche 
Hülfe. Oder bin ich nur darum aus der glückli— 
chen Unwiſſenheit meines Privatſtandes geriſſen 
worden, um zu erfahren, daß auf dieſer Höhe 
Freundſchaft, Theilnahme und Mitleid aufhören? 
O Florianus! Schreibe mir bald, aber nicht 


137 
fo ſtreng, fo kalt, wie du in den letzten Tagen 
in Eboracum mit mir ſprachſt. Ich ehre die Grund— 
ſätze, die dich ſo handeln heißen; aber ich erliege 
unter der ernſten Laſt, die ſie auf mein allzu— 
weiches Herz legen. Ich kann nicht ſo heldenmü— 
thig ſeyn. Ich liebe dich mit allen Kräften, mit 
allen Empfindungen meiner Seele! O ſchreibe 
mir gütig! Laß mich nur Ein Mahl einen Strahl 
jener Liebe erblicken, die in jenen goldnen Tagen 
mein Leben zum Himmel erhellte! Nur Ein Wort, 
wie du mir in unſrer Inſel Tauſende ſagteſt! 
Wenn du ſchnell antworteſt, und deine Antwort 
dem Bothen gibſt, der ſie auf einem ſichern 
Weg hierher bringen kann, ſo trifft ſie mich noch 
hier; denn wir bleiben bis zu Ende des nächſten 
Monaths in dieſer Stadt. Das habe ich halb 
durch Liſt, halb durch Zufall erfahren. Aſinius 
Ponticus hat an den Auguſtus geſchrieben, der 
mein Vater ſeyn ſoll, und wird die Antwort 
hier erwarten. Dieſe Friſt iſt vielleicht die ein⸗ 
zige, die uns in langen Monathen, vielleicht 
in Jahren offen ſteht. O laß ſie nicht fruchtlos 
verſtreichen, und laß mich die Verſicherung hö— 
ren, daß du mich noch liebſt, daß du noch hof— 
feſt, und an Rettung glaubſt! Leb wohl! 


138 


Siebenzehnter Brief. 


. 


Agathokles an Phocion. 


Niſibis im ‘Deter 302. 


Hier bin ich, in Niſibis. Das Posty: das ich 
bewohne, liegt in derſelben Straße, in der ich 
vor zwölf Monathen mit Demetrius lebte. Es 
hat den Cäſarn gefallen, dieſe Stadt auf der 
äußerſten Gränze des Reichs gegen Perſien zum 
Schauplatz der Friedensunterhandlungen zu wabh- 
len, die Narſes nach der erlittenen Niederlage 
eröffnet hat, und ſehr eifrig zu verlangen ſcheint. 
Conſtantin, als der Sohn des abendlandifdhen — 
Ca ſars, durfte nicht dabey fehlen, und ich folgte 
meinem Fürſten, meinem Freunde, weil er es 
wünſchte. So iſt es gekommen, daß ich dieſe 
Stadt wieder geſehen, dieſe Stadt, die mir ewig 
unvergeßlich, und ewig zu ſchmerzlicher Erinne- 
rung ſeyn wird. Als Conſtantin zuerſt den Wunſch 
äußerte, daß ich ihn begleiten möchte, warnte 


ae 
mich eine innere Stimme, diefer Bitte nicht zu 
willfahren. Aber ich trotzte auf die Macht der 
Zeit, die jeden Eindruck ſchwächt, auf die Zer— 
ſtreuung durch die Geſchäfte, die meiner hier 
warteten, endlich auf die Stärke meines Her— 
zens. Es war thöricht, es war vermeſſen, dieß 
zu hoffen. Als ich von weiten dieſe Mauern 
erblickte, wo ich fo ſchöne, fo ſelige, fo ſchmerz— 
liche Stunden verlebt hatte, erwachte die ganze 
Vergangenheit und das Gefühl meines Verluſtes 
mit unwiderſtehlicher Kraft in mir; und keine 
Zerſtreuung, keine Beſchäftigung hat dieſen Ein⸗ 
druck bis jetzt ſchwächen, kein Kampf ihn beſie⸗ 
gen können. Conſtantin weiß nicht, was er von 
mir gefordert hat; es wäre unedel, es ihm jetzt 
zu ſagen, und ſeinem Herzen die drückende Laſt 
einer ſolchen Verbindlichkeit aufzuwälzen. Über⸗ 
haupt iſt es wohl eben ſo vergeblich als unbillig, 
Andere, die nichts dazu beygetragen haben, un— 
ſer Glück zu zerſtören, und nichts beytragen kön— 
nen, es wieder herzuſtellen, mit dem ſteten An— 
blick unſrer trüben Mienen, mit der Anhörung 
unſrer alten Klagen zu quälen. So ſuche ich mich 
zu beherrſchen, und glaube wenigſtens durch dieſe 
übung meiner Willenskraft einigen Nutzen für 
mein beſſeres Selbſt zu finden. 


140 

Es iſt ſeltſam, wie unauslöſchlich tief manche 
Eindrücke bleiben, indeſſen andere kaum die Zeit 
ihrer gegenwärtigen Dauer überleben, und noch 
ſeltſamer und übler für uns Sterbliche, daß jene 
meiſtens unter die traurigen gehören, und die 
frohen ſchnell verſchwinden. Warum hält des Men⸗ 
ſchen Sinn den Schmerz ſo feſt, und vergißt ſo 
ſchnell, was ihm wohlgethan hat? Das iſt nicht 
gut, es führt zur Undankbarkeit gegen Gott und 
Menſchen; und eben darum iſt vielleicht auch die 
Begierde nach Rache bey rohen Menſchen der 
mächtigſte und unauslöſchlichſte Trieb. Für mein 
Gefühl iſt keine Zeit zwiſchen jenen ſelig dü— 
ſtern Tagen und dem gegenwärtigen Augenblick. 
Alles ſteht hell vor mir, alles lebt um mich wie 
damahls; nur Eins, Eins fehlt, und dieß 
Eine? — Es iſt kein Wahn, kein Werk der er— 
hitzten Einbildungskraft! — Ich werde dieß Eine 
nie vergeſſen! 

Warum ſind die freundlichen Erinnerungen 
an meinen letzten Aufenthalt in Nikomedien, an 
alles, was ſich dort vereinigte, um ihn mir zu 
einem ſchönen hellen Puncte in meinem Leben zu 
machen, ſo ganz verſchwunden? Warum drängt 
ſich, wenn ich ſie ja zuweilen gefliſſentlich zurück 
rufe, um mich zu zerſtreuen, nur der einzige 


| 141 
Schatten, der darauf liegt, die Eitelkeit und 
Abſichtlichkeit des Weſens, das ſonſt ſo liebens⸗ 
würdig iſt, mächtig hervor, und wirft ſeinen dü— 
ſtern Schein auf das ganze Gemählde, und macht 
ſeine fröhlichen Farben erblaſſen, und kehrt, in— 
dem er mich auf den ſcharfen Gegenſatz zwiſchen 
Calpurnien und meiner verklärten Jugendfreun⸗ 
dinn hinweiſet, den Staa grauſam gegen mein 
Herz? 

Doch, wo gerathe ich hin? Was ich 150 hn 
zuvor als löblich und nöthig anpries, unterlaſſe 
ich ſogleich ſelbſt, und breche gegen dich, mein 
väterlicher Freund, was ich gegen Andere zu be— 
obachten mir ſtrenge vornehme. Verzeih, wenn 
zuweilen ein ſchnelles Gefühl mich hinreißt! Ich 
ſehe die Zweckloſigkeit und Laftigkeit ewiger Kla⸗ 
gen ein, und es iſt mein feſter Vorſatz, ſie nicht 
laut werden zu laſſen. Du aber, der du weißt, 
wie vieler Nachſicht, Geduld und Liebe mein 
Herz von jeher bedurfte, um zufrieden zu ſeyn, 
du, der du ſie ſo oft mit mir hatteſt, und mich 
Verwaiſten mitleidsvoll an das deine ſchloſſeſt, 
trage ſie noch ferner, und ſieh mir gütig nach, 
was eine ſchnelle Empfindung, der Vernunft zum 

Trotze, verbricht! 
Conſtantins Freundſchaft eſett mir viel, 


142 
und ein ſtilles Band, das ſich mit jedem Tage 
mehr und mehr um meine Seele ſchlingt, kann 
nicht anders, als uns noch näher vereinigen. Er 
iſt ein Chriſt, wie du weißt, und daher ſtets mit 
vielen ſeiner Glaubensgenoſſen umgeben, welche 
ſich um ihn als einen feſten und erhabenen Mit- 
telpunct ſammeln. Mit ihm beſuche ich ihre Ver— 
ſammlungen, und finde — ich weiß, daß Trotz 
der Verſchiedenheit unſerer Denkart mein Ver— 
trauen dich nicht beleidigt — immer mehr Grund, 
die gute Meinung und die ſchönen Hoffnungen, 
die ich von den Wirkungen dieſer Lehre auf die 
Menſchheit hege, zu nähren und zu vergrößern. 
Ihr Gottesdienſt, ſo weit ich als Ungeweih⸗ 
ter demſelben beywohnen darf — denn bey der 
Fever ihrer Myſterien muß nicht allein der Nicht⸗ 
Chriſt, ſondern auch der noch auf niedrigen Stu— 
fen ſtehende Glaubensgenoſſe ſich entfernen — 
alſo ihr Gottesdienſt, ſo weit ich Zeuge davon 
war, beſteht in gemeinſchaftlichen Gebethen und 
Geſängen, in Vorleſungen aus ihren heiligen Bü- 
chern, der Lebensgeſchichte ihres Meiſters, und 
in zweckmäßigen Reden darüber. Wie oft hat, 
wenn du mit mir die Reden des Cicero, des 
Hortenſius, des Demoſthenes laſeſt, ein ſtilles 
Feuer meine Bruſt ergriffen, und in ſchmerzli⸗ 


143 
cher Erinnerung das Bild jener ſchönen Zeit vor 
meine Seele geführt! Da ſah ich die verfammele 
ten Quiriten, ich ſah den Redner vor den Ro— 
ſtris 2⸗) ſtehen, und voll glühender Vaterlands⸗ 
liebe, mit begeiſtertem Tone die würdigen Ge— 
genſtände, die das Wohl oder Wehe des ganzen 
Volkes betrafen, würdig und hinreißend vortra⸗ 
gen; ich ſah die Menge an ſeinen Lippen han⸗ 
gen, jetzt von Trauer, jetzt von edlem Unwillen, 
jetzt von großen Entſchlüſſen bewegt, der Ge— 
müthsſtimmung des Redners willig folgen, und 
in ſympathetiſcher Rührung ſeine Gefühle thei— 
len. Erhaben und über alles groß erſchien mir 
dann dieſer Beruf, und göttlich die Macht, ein 
ganzes Volk nach eigenen Einſichten durch die 
ſanfte aber unwiderſtehliche Gewalt der Sprache 
zu leiten, der Sprache, dieſes Himmelsgeſchenks, 
das ganz eigentlich und allein den Menſchen über 
das Thier erhebt, worin ſeine Perfectibilitdt, 
feine ſchönſten Vorrechte liegen. Das find die gol⸗ 
denen Ketten, die vom Munde des Hermes flie— 
ßen. Aber verſtummt iſt der Mund der Suada, 
verſchwunden das kräftige ſelbſtſtändige Volk der 
alten Comitien, die Ketten des Hermes ſind ver⸗ 
roſtet. Nur Sophiſten und Rechtsgelehrte miß⸗ 
brauchen noch zuweilen ihre entweihten Geheim— 


144 


niſſe, um vor Unwuͤrdigen einen umwüldigen 


Zweck zu erreichen. 

Aber in den Tempeln der Chriſten erheln fd 
dieſe fo geſunkene Kunſt wieder in ihrer alten 
Reinheit und Stärke, und wenn auch die Ge— 


genſtände, an denen ſie ſich übt, nicht von fo all⸗ 


gemein bemerkbarem Einfluß, die Menge, vor 
der ſie ſich zeigt, nicht ein ganzes ſelbſtſtändiges 
Volk iſt, fo find jene, die fie wählt, nicht mine 
der würdig und gemeinnützig, und ihre Wirkung 


auf die verſammelte Gemeinde nicht minder groß 


und wichtig. Mit erhebendem Gefühle, mit Rüh— 
rung habe ich manche dieſer Redner gehört, und 
mich durch Erfahrung überzeugt, daß jene ſchim— 
mernden Bilder von der Macht der Beredſamkeit 
und Declamation, die mir damahls vorſchweb— 


ten, kein jugendlicher Traum waren. Es liegt 


eine ſympathetiſche Kraft in der lebhaften Rede. 
Noch ehe uns die vorgebrachten Gründe über— 


zeugt haben, hat das ſprechende Auge, die aus- 


drucksvolle Miene, der bewegte Ton uns über— 
redet. Es iſt ein Menſch, ein Weſen wie wir, 


das wir ſich freuen, leiden, zürnen ſehen; und 


wir leiden, zürnen und jubeln mit ihm. Der 
Menſch ſpricht zum Menſchen, die Natur er— 
greift uns mit unſichtbarer Gewalt, und reißt 


— 


; 145 
uns fort, wohin zu folgen wir nicht widerſtehen 
können. 

Ich bin überzeugt, daß, wenn es mir mog- 
lich wäre, dich zum Zeugen einer ſolchen Feyer 
zu machen, ein großer Theil deiner Abneigung 
gegen die Chriſten verſchwinden würde. Da es 
nun unſere Pflicht iſt, überall Wahrheit zu 
ſuchen, und die Möglichkeit, dich von dieſer zu 
überzeugen, überall in deiner Nähe iſt, wo ſich 
ein Chriſtentempel und ein geſchickter Redner bez 
findet, fo bitte ich dich um deiner Liebe zu mir, 
um der Beruhigung willen, dich meiner Über⸗ 
zeugung näher kommen zu ſehen, beſuche eine 
ſolche Verſammlung, höre ihre Redner, und ſchrei— 
be mir dann, welche Wirkung dieß auf dich hat⸗ 
te! Leb wohl! 


Agathok. II. Sheil. K 


Achtzehnter Brief. 


Eee 
Theophania an Sulpicien. 


Nicäa im October 302. 


Deiner gütigen Aufforderung und dem Wunſche 
meines Herzens gemäß, ſchreibe ich dir, meine 
liebenswürdige Freundinn, aus dem ſtillen Auf— 
enthalte, in welchem ich endlich nach ſo manchen 
Stürmen Rube zu genießen hoffe. Ich bin nicht 
in Nikomedien geblieben, wie du aus der über⸗ 
{drift meines Briefes ſehen wirſt. Meines Va⸗ 
ters Geſchäfte fordern ſeine Anweſenheit hier, 
und ich begleite ihn gern. Der Heimathloſe fin- 
det überall ſein Vaterland, wo die wenigen gu— 
ten Menſchen wohnen, die noch einigen Theil an 
ihm nehmen. Ich habe auf der weiten Welt nun 
außer der kleinen Familie, bey der ich lebe, und 
einer einzigen Freundinn, die aber gebiethende 
Umſtände fern von mir halten, keine Seele mehr, | 
um derentwillen ich irgend einen Ort zum Auf⸗ 


147 
enthalt vorziehen, die um meinetwillen auch nur 
die geringſte Veränderung in ihrer Lebensweiſe 
machen möchte. Ich bin allein. Es iſt ein eige⸗ 
nes Gefühl, ſo ganz einſam in der Welt zu ſeyn, 
zu wiſſen, daß unſer Glück kein fremdes Auge 
erheitert, unſer Schmerz keine fremde Thrane 
hervorlockt. Es iſt traurig — aber es liegt den⸗ 
noch etwas Beruhigendes darin. Es macht uns 
die Gegenftande und Verhältniſſe außer uns fo 
gleichgültig, ſo beziehungslos, daß wir dadurch 
in jene ſtille Faſſung kommen, die ſo viele Weiſe 
des Heidenthums als das höchſte Gut, das Ziel 
aller menſchlichen Beſtrebungen anprieſen, und 
die chriſtliche Religion (ich bin eine Chriſtinn; 
du wirſt das ſchon lange geahnet haben) als die- 
jenige Stimmung empfiehlt, die uns am geſchick⸗ 
teſten macht, die Welt, ihre Freuden, und uns 
ſelbſt zu vergeſſen, und an unſerer Veredlung, 
unſerer Heiligung zu arbeiten. 
Doch, fo ſtill mein Gemüth auch iſt, fo ſehr 
ich mich beſtrebe, alles, was mir dieſe Erde an 
Freuden verſprach, und an Schmerzen zumaß, 
zu vergeſſen, fo wird doch der Abend in Syn— 
thium nie aus meiner Seele ſcheiden. 
Ich habe dich kennen gelernt; und wenn 
mich kein Vorurtheil, keine Eitelkeit verführt, 
„ aie 


148 

ſo habe ich an dir eine Frau gefunden, die, ſelbſt 
mit dem Unglücke bekannt, Leidende zu verſte⸗ 
hen, zu ſchonen weiß, ſo iſt die unbekannte Rei⸗ 
ſende, die ſie gaſtfrey in ihrem Hauſe aufnahm, 
nicht ganz aus ihrem Andenken verſchwunden. 
Dieſe Hoffnung iſt es auch, welche mir Zuver⸗ 
ſicht gibt, deine gütige Aufforderung zu einem 
Briefwechſel für mehr als Artigkeit zu nehmen, 
und dir zuweilen Nachricht von dem einſamen, 
vergeſſenen Weſen zu geben, das einige Stun⸗ 
den in deiner Nähe verlebte. 

Wenn deine ſchöne Freundinn im Wirbel ih- 
rer bräutlichen Geſchäfte und Freuden, in der 
Fülle ihres Glückes mit dem Manne vereinigt zu 
werden, den ihr bende als fo edel und liebens⸗ 
würdig ſchildert, noch einige Erinnerung an ei⸗ 
ne gleichgültige Erſcheinung behalten hat, ſo ru⸗ 
fe mein Andenken in ihre Seele zurück, und ver⸗ 
giß nicht, wenn du mich, wie ich hoffe, mit et 
ner Antwort erfreuen willſt, mir zu ſagen, ob 
ſie bereits vermählt iſt, oder wann ſie es ſeyn 
wird! Schreibe mir auch den Tag und die Stun⸗ 
de, wenn du recht gütig ſeyn willſt! Calpurniens 
Reiz und unwiderſtehliche Liebenswürdigkeit, ſo wie 
der Umſtand, daß ſie deine Freundinn iſt, machen 
ſie meinem Herzen werth, und es wäre mir ſehr 


| 149 
wichtig, die große Stunde, die ihr Geſchick auf 
eine ſolche Art entſcheiden wird, in meiner 
Einſamkeit nach meiner Stimmung zu feyern. 
Noch hätte ich eine Bitte, aber ſie grenzt an 
Unbeſcheidenheit; und ſo fehlt mir der Muth, 
ſie vorzutragen. Auch betrifft ſie nicht dich, ſon⸗ 
dern die reizende glückliche Braut. Wüßte ich, 
daß ſie ſich meiner mit einiger Theilnahme erin⸗ 
nerte, und mir nicht zürnte, wenn ich ſie um 
eine große Gefälligkeit bdthe, fo würde ich in 
meinem nächſten Brief meinen Wunſch entdecken, 
und freundliche Gewährung hoffen. Leb wohl! 


150 


Neunzehnter Brief. 


a Un 


Gulpicia an Theophania. 


Synthium im November 302. 


Was dem ermüdeten Wanderer in der öden 
Gleichförmigkeit einer weiten wüſten Ebene der 
Anblick eines waldigen Hügels iſt, der ihm Kub- 
lung, Ruhe und Erhohlung verſpricht, das war 
mir dein Brief, meine geliebte Theophania! 
Mein Leben ſchleppt ſich ſo freudenlos, ſo ein⸗ 
tönig hin, mein Herz darbt ſo ſehr an ſeinen 
beſſern Freuden, daß die bloße Ausſicht, ein 
Weſen gefunden zu haben, das mich verſtehen, 
und Geduld und Treue für mich haben könnte, 
ſeit dem Tage, als ich dich kennen lernte, wie 
ein freundlicher Stern durch die trübe Oamme- 
rung meines Daſeyns ſtrahlte. Gern hätte ich 
ſchon damahls mehr Schritte gegen dich gethan; 
aber eine zarte Furcht, nicht zudringlich zu ſchei⸗ 
nen, und meiner Freundſchaft ſelbſt ihren Werth 


151 


dadurch in deinen Augen zu benehmen, hielt 
mich ab. Um deſto erfreulicher war mir dein 
Brief; denn er gab mir Gewißheit über das, 
was ich im erſten Augenblick geahnet hatte, über 
die gleiche Stimmung unſerer Seelen, und ei— 
nen geheimen Zug, der uns wechſelweiſe zu ein— 
ander führt. g 

Ja, es bleibt ewig wahr — nur gleiche Denk⸗ 
art macht die Freundſchaft feſt, und nur unſer 
Geſchick beſtimmt unſere Denkart. Wie kann 
das fröhliche Weſen, das im Sonnenſchein des 
Glückes ſein Freudenleben verflattert, mit dem 
Unglücklichen gleich fühlen, den ein ernſtes Schick⸗ 
ſal von der Wiege an zu Entbehrungen und Lei— 
den erzogen hat? Ihnen beyden muß nothwen- 
diger Weiſe die Welt, und Alles um ſie her in 
einem ſo verſchiedenen Lichte erſcheinen, daß an 
einen feſten Zuſammenhalt, der gegen Zeit und 
Stürme ausdauerte, nicht zu denken iſt. So 
lange kein entſcheidender Fall eintritt, wo Eines 
für das Andre auf die Probe einer ſchweren 
Wahl, oder eines großmüthigen Opfers geſtellt 
wird, mag das Bündniß dauern. Kommt ein⸗ 


mahl jener Zeitpunct, ſo muß die verſchiedene 


Stimmung, der entgegengeſetzte Geſchmack, der 
ihnen ihr Glück in ganz verſchiedenen Gegenſtän⸗ 


4 


152 

den zeigt, die loſen Bande leicht zerreißen. Dar⸗ 
um wohl den gleichgeſtimmten Seelen, bey de⸗ 
nen ähnliche Schickſale ähnliche Geſinnungen 
und ähnliche Wünſche erzeugt haben, die keiner 
Opfer bedürfen, um auf dem ſelbſt gut geheiß⸗ 
nen Pfade einig mit einander zu wallen! 

Uns dunkeln Gemüthern, denen das Schick⸗ . 
fal felten lächelt, hat es doch auch wieder eigene 
Freuden geſchenkt. Wir genießen das Glück der 
Freundſchaft inniger. Keine Zerſtreuung wendet 
unſere Gedanken ſo leicht von der Freundinn ab, 
keine Eitelkeit verleitet uns, auf fremde Koſten 
zu glänzen, keine Eroberungsſucht bringt uns 
in Colliſionen mit unſern Geſpielinnen , uns, 
die wir nach nichts Anderem ſtreben, als mit al⸗ 
len Kräften einen Gegenſtand auf ewig feſt zu 
halten, und keinen größern Schmerz kennen, 
als ihn zu verlieren, ſey es durch den Tod oder 
durch Wankelmuth. Doch nein — nicht gleichviel! 
O meine Theophania! Ich kenne dein Schickſal 
nicht ganz; aber faſt möchte ich dich beneiden! 
Der Tod entriß dir den Gemahl, den liebenden, 
den treuen, in der Zeit, als, nach deinen Jah⸗ 
ren und deiner Trauer zu urtheilen, eure Liebe 
noch in ſchöner Blüthe ſtand, und der Quell der 
Empfindung voll und rein durch eure beyden 


153 

Herzen floß. Du liebſt ihn noch, obgleich die Ure 
ne ſeine Aſche birgt, und du hoffſt nach deinem 
Glauben, in einer Region des Lichts und unzer⸗ 
ſtörbarer Freude ihn wieder zu ſehen. Ihr Glück⸗ 
lichen! Eure Liebe hat eure Verbindung, ſie hat 
euer Daſeyn überlebt. O wehe denen, deren 
Daſeyn, deren Verbindung ihre Liebe überlebt! 
Wenn Eines kalt und abgeftorben an des An⸗ 
dern Seite kaum noch den Schatten jener Ent⸗ 
zückungen nachzubilden fähig iſt, die es einſt 
hinriſſen, wenn jenes Feuer, in dem ſich die 
trunknen Seelen zur Götterwonne emporſchwan— 
gen, zu matten Außerungen achtungsvoller Freund— 
ſchaft herabgekommen iſt, wenn die glühende 
Bruſt des langer Getreuen vergebens ihr Feuer 
in die kalte Aſche zu ſtrömen ſucht, und ein un— 
geheurer Schmerz um das, was war und nicht 
mehr werden kann, die tief erregte Bruſt zer— 
reißt, die mit allen ihren Wunden ſich nur in 
abgemeſſener Förmlichkeit an einen Marmorbu⸗ 
fen gedrückt fühlt — das iſt Schmerz, Theopha- 
nia, wüthender, verzehrender Schmerz, und daß 
er der letzte iſt, iſt das einzige Tröſtliche daran! 
Du haſt, wie es ſcheint, meine geliebte 
Freundinn, einen flüchtigen Scherz, den wir 
uns in deiner Gegenwart erlaubten, etwas zu 


154 

ernſt genommen. Calpurnia ift noch nicht Braut; 
ſie iſt nur die geachtete vertraute Freundinn 
jenes Mannes, deſſen Bild du geſehen haſt. Daß 
er für ſie empfindet, iſt wohl nicht zweifelhaft — 
aber wer kann auf Männerliebe bauen? Es iſt 
nicht lange, daß er einen ſehr theuern Gegen: 
ſtand, eine Freundinn verloren hat, die er von 
Jugend an mit heftiger und unglücklicher Zärt⸗ 
lichkeit geliebt hat. Dennoch fängt er an, bey 
der reizenden Calpurnia ſeines Verluſtes zu ver— 
geſſen, und der unbeſchreiblichen Gewalt zu wei— 
chen, mit der dieß gefährliche Mädchen bisher 
auf alle Männer wirkte, indeß fie ſelbſt unbefan- 
gen blieb. Nur bey Agathokles ſcheint ihre Stun— 
de auch gekommen zu ſeyn, und wenn keine neuen 
Hinderniſſe eintreten, wenn die Zeit über das 
Vergangene den mildernden Schleyer gezogen 
haben wird, ſo ſehe ich dieſem Bündniß mit Hoff⸗ 
nung und Freude entgegen. Dir aber den Zeit⸗ 
punct zu beſtimmen, iſt, wie du ſelbſt einſiehſt, 
nicht möglich. Agathokles iſt mit den Cäſarn in 
Niſibis, wo der Friede geſchloſſen wird; wir 
hoffen ihn erſt in einem Monathe zu ſehen. Viel⸗ 
leicht kann ich dir dann mehr ſagen. Calpurnien 
will ich den Antheil, den du an ihrem Schickſal 
nimmſt, melden; ich weiß, es wird ſie freuen, 


3 


155 
von einer Frau geachtet zu ſeyn, deren Anblick 
nichts Gewöhnliches verkündigte, und deren nä— 
herer Umgang das Verſprechen des erſten Au— 
genblicks wahr gemacht hat. Was die Bitte 


betrifft, ſo glaube ich ſie im voraus in meiner 
Freundinn Nahmen zuſagen zu können, und ſo 


erſuche ich dich, ſie mir mitzutheilen, von was 
immer für einer Art ſie ſeyn mag. Theophania 
kann um nichts bitten, deſſen Gewährung nicht 


ihren Freundinnen zur angenehmen 1 wür⸗ 


de. Leb want 


156 


Zwanzigſter Brief. 


Junia Marcella an Theophania. 


Apamaa im November 302. 


O meine Theophania! Meine theure unvergeß⸗ 


liche Freundinn! Du haſt Recht, wenn du im 
Anfange deines Briefes ſagſt, daß ſeltſame Em— 
pfindungen und tauſenderley Gedanken meine 
Seele durchkreuzen würden, wenn ich deinen 


Brief würde eröffnet haben. Schrecken „Freude, 


und dann Zweifel waren die erſten Regungen 
meines Herzens, als ich die Schriftzüge der ge— 
liebten Freundinn erblickte, die ich längſt unter 
dem Hügel von Trachene begraben glaubte. Aber 
als der Inhalt der erſten Zeilen jede Ungewiß⸗ 
heit zerſtreut hatte — da, meine Geliebte, war 
inniger heißer Dank und ein kindliches Gebeth 


zu dem gütigen Vater, der die Herzen der Men⸗ 


> — 


. ˙— ee 


ſchen wie Waſſerbäche lenkt, und ohne deſſen a 


Willen kein Haar von unſerm Haupte fällt, mein 


mnt 159 
dringendſtes Gefühl. Dann las ich weiter, und 
mein Herz begleitete dein Schickſal mit ſympa⸗ 
thetiſchen Gefühlen bis gegen das Ende. Ja, 
meine Geliebte! Wunderbar und unbegreiflich ſind 
die Fügungen Gottes, der dich mitten unter 
Barbaren erhielt, und dir ihre Gemüther geneigt 
machte, daß ſie nicht allein deines Lebens und 
deiner Ehre ſchonten, ſondern dich auch in Frie— 
den ziehen ließen, als die Rettung erſchien. Wie 
ſehr hätte ich gewünſcht, dieſe reine Freude mit 
unſerm ehrwürdigen Vater Theophron zu thei⸗ 
len! Aber fein verElarter Geiſt ſchwebt bereits in 
höhern Räumen, und er ſah wohl längſt mit hels 
lem Blicke das Schickſal ſeiner Schülerinn ſich 
hiernieden aus verſchlungenen Knoten ſchön und 
friedlich auflöſen, als du noch in der Hütte dei— 
nes edelmüthigen Gebiethers düſter ſinnend dei— 
ner Zukunft entgegen ſahſt. Er ſtarb den ver— 
gangenen Frühling; mit der neugebornen Natur 
wurde auch er neugeboren, und erwachte aus dem 
düſtern Erdenwinter in Edens Frühlingshainen. 
So hatte ich, wie das immer beym Verluſte ge— 
liebter Menſchen geht, nur mich zu beklagen. 
Unſre Trauer um Entſchlafene iſt immer nur 
Trauer über uns ſelbſt. Ihnen iſt ja beſſer ge⸗ 
worden, als es uns iſt. 


158 

So war es auch, als ich dich zehn Monathe 
für todt hielt. Ach, ich konnte dein Loos nicht 
beweinen! Wie wenig Freuden hatteſt du genoſ⸗ 
ſen! Aber ich beweinte mich ſelbſt, ich betrauerte 
das Schickſal deines Freundes, und hier komme 
ich auf jenen Punct deines Briefs, mit dem ich 
unmöglich zufrieden ſeyn, oder dir beyſtimmen 
kann. Agathokles — laß mich immerhin dieſen 


Nahmen nennen, den du ſo gefliſſentlich in dei⸗ 


nem Briefe zu vermeiden ſcheinſt! — iſt ſo, wie 
ich es war, von deinem Tode vollkommen über⸗ 
zeugt. Die Gründe dieſer Überzeugung und 


überhaupt die Wirkung, die dieſe Cataſtrophe 


auf ihn gemacht hat, kannſt du am beſten aus 


dem Briefe unſeres Freundes Apelles kennen ler- 


nen, den ich dir hiermit in einer getreuen Ab? 
ſchrift beylege. Er iſt aus Trachene, dem Schau⸗ i 


platz jener unglücklichen Begebenheiten geſchrie⸗ 
ben. Wenn du ihn geleſen haſt, wirſt du ſelbſt 
bekennen müſſen, daß Agathokles keine Ahnung 


deines Lebens haben konnte. Die weibliche von 
Wunden entſtellte Leiche in prächtigen Kleidern, 


die man in deinen Zimmern gefunden, für dich 


gehalten, und begraben hatte, und die wahr- 


ſcheinlich jene Melyte war, welche ihre Eitelkeit 


zu dieſem Schritte verleitet hatte, mußte ihm 


159 
und Apelles jeden Zweifel, jede noch fo ſchwache 
Hoffnung benehmen, beſonders da die Todten 
ſchon begraben, und keine Spur deiner Rettung 
zu finden war. Es iſt alſo ſehr natürlich, daß 
Agathokles keine weiteren Nachforſchungen an⸗ 
ſtellte, und keinen Gedanken mehr nährte, die, 
die er unter dem Hügel von Trachene begraben 
glaubte, an den Ufern des Boryſthenes zu ſu— 
chen. So viel zur Beantwortung deiner erſten 
ungerechten Klagen über dieſe vermeintliche Gleich— 
gültigkeit. Daß es eine kleine Falſchheit war, 
mit der du Heliodorn nach Synthium lockteſt, 
fühlſt du ſelbſt, und ich ſage dir nichts darüber; 
aber wie magſt du ſo erfinderiſch ſeyn, dich ſelbſt 
zu quälen, und aus einem freundſchaftlichen 
Scherze, aus dem zufälligen Zuſammentreffen 
einiger Umſtände dir ein ganzes Gewebe von Un— 
treue, Verrath und gewiſſem Unglücke zu bil— 
den? Ich weiß von ſehr guter Hand, daß nicht 
Calpurnia, ſondern Sulpicia in Synthium 
wohnt, daß Agathokles ihr dieſe Villa aus 
Freundſchaft eingeräumt, und ihre Freundinn 
ſie dort beſucht hat, wie ſie an jedem andern 
Ort gethan haben würde. So bedeutete denn ih— 
re Anweſenheit gar nichts in Rückſicht auf den 
Beſitzer der Villa; denn ihr Beſuch galt nicht 


160 


ihm, ſondern Sulpicien, und es wave dir leicht 
geweſen, durch einige geſchickte Fragen die Wahr⸗ 
heit herauszubringen, wenn dein empörtes Herz 


dir Unbefangenheit genug hierzu gelaſſen hätte. 

Ich will hierdurch nicht ſagen, daß du keinen 
Grund hätteſt, unruhig zu ſeyn; ich bin viel— 
mehr nach allen Nachrichten, die ich aus Niko— 
medien erhalte, beynahe überzeugt, daß Calpur⸗ 
nia einen bedeutenden Eindruck auf ihn gemacht 


hat, daß jene Verhältniſſe, die ſchon in Rom g 
anfingen, hier fortgeſetzt worden ſind, und durch 


die Gewißheit, daß jedes frühere Band zerriſſen 
ſey, an Stärke und Rechtmäßigkeit gewonnen 


haben. Sie hat ihm, als er mit der Sieges⸗ 


bothſchaft ankam, ein ſinnreiches Feſt gegeben, 
an deſſen Schluſſe fie ihm einen Lorberkranz ums 


Haupt wand, und deſſen Inhalt ihm ihre Em⸗ 


pfindungen für ihn auf eine eben ſo feine als 
ſchmeichelhafte Weiſe zu erkennen gab. Das 


alles iſt wahr, und deine Beſorgniſſe ſind nicht 
zu tadeln; aber ihn — ihn ſollſt und kannſt dan 


nicht ſo hart beſchuldigen. Er iſt ein Mann. 


Männer haben andre Gefühle, andre Pflichten 


als wir. Ihr Wirkungskreis iſt der Staat, die 
Welt; der unſrige find unſere Kinder, unſer 
Haus; jenem gehören ihre beſten Kräfte. Wir 


a 


f 


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161 
würden die Ordnung der Natur verkehren, wenn 
wir einen ausſchließenden Anſpruch an alle ihre 
Thätigkeit, alle ihre Empfindungen machen woll- 
ten. Wenn nun bey dem großen Treiben und 
Regen aller edleren Kräfte des Menſchen, im 
Feld oder in wichtigen Staatsgeſchäften, worin 
ihn Conſtantin braucht, bey der Gewißheit dei⸗ 
nes Todes, die ihn faft an den Rand des Gra- 
bes brachte, bey den unausgeſetzten Beſtrebungen 
der ſchönen und ſchlauen Calpurnia, einen Ein⸗ 
druck auf ſein wundes Herz zu machen, wenn 
fage ich, bey allen dieſen Umſtänden dein Bild 
nach und nach in Schatten zurück weicht, kannſt 
du ihn ſo hart anklagen, ſo unnachſichtlich ta— 
deln? Kannſt du dir ein großes Verdienſt aus 
deiner feſtern Treue machen, du, die ihn am Le— 
ben weiß, und die durch keine Zerſtreuung, kei⸗ 
ne Verführung von ihm abgelockt wird? 

Aus allen dieſen Gründen kann ich deinen 
Plan, dich ihm ganz zu entziehen, und die Nols 
le der Verſtorbenen fortzuſpielen, unmöglich bile 
ligen. Wie leicht kann ein Zufall dein Geheim— 
niß enthüllen? Wie tief müßte es deinen Freund, 
wenn ſeine Hand nod frey iſt, ſchmerzen, diez 
ſe Entdeckung nicht dir ſelbſt verdankt zu haben? 
Und wenn es zu ſpät wave — was würde deine 

Agathok. II. Theil. L 


162 


und feine Lage ſeyn? Mich ſchaudert vor dem 
Gedanken. Das überlege wohl, meine Geliebte, 
ehe du auf dem begonnenen Wege weiter ſchrei⸗ 
teſt! Auf mich kannſt du jedoch in jedem Fall ſi⸗ 
cher zählen; ich werde dein Geheimniß treu be- 
wahren, obwohl ich nicht mit deiner Anſicht ver⸗ 
ſtanden bin, und ſehr wünſche, dich von der Un⸗ 
thunlichkeit und Gefahr dieſer Grille — ver⸗ 
zeih meiner Freymüthigkeit den Ausdruck! — zu 
überzeugen. Theophania! Du gehſt auf einem 
ſchlüpfrig ſteilen Wege. Er kann dich an den 
Rand des Abgrundes, er kann dich in den Ab⸗ 
grund ſelbſt führen; und du ſtürzeſt nicht allein 
hinein, du reißeſt auch deinen Freund mit dir. 

Wenn du denn aber wirklich für ihn unſicht⸗ 
bar bleiben willſt, ſo entziehe dich mir nicht, 
jetzt, wo keine Pflicht dich mehr abhält, dem 
Rufe der Freundſchaft zu folgen! Komm zu mir! 
In meinem Hauſe ſollſt du ſo einſam und ver⸗ 
borgen leben, als in der Zelle eines Eremiten. 
Komm zu mir, und laß mich das Glück der 
Freundſchaft genießen, das ich ſo lange entbehrt 
habe! Du weißt, wie ich dich liebe, und wie 
glücklich mich deine Zuſage machen würde. Leb 
wohl! 


165 


Ein und zwanzigſter Brief. 


Ne 


Florianus an Valerien. 


Eboracum im November 302. 


Du haſt verlangt, daß ich dir antworten ſoll, 
Valeria! Es ſcheint, daß du zu deiner Beruhi— 
gung und zur künftigen Leitung deines Betra— 
gens dieſer Antwort bedarfſt. Ich erfülle den 
Wunſch meiner Freundinn! Denke aber nicht, 
Valeria, daß es räthlich, daß es möglich fey, 
dieſen Briefwechſel fortzuſetzen! Die innere Stim⸗ 
me in meiner Bruſt, der ſtreng geprüfte Aus⸗ 
ſpruch meiner Vernunft verwerfen jedes Mittel, 
das nur dazu dienen könnte, ein Verhältniß fort: 
zuſetzen, welches wir beyde, als vom Himmel 
ſelbſt getrennt, betrachten müſſen. Es war eine 
Zeit, wo ein verzeihlicher Irrthum uns verleite⸗ 
te, kühne Wünſche und Hoffnungen zu nähren. 
Dieſer Irrthum iſt verſchwunden, und mit ihm 
L 2 


164 4 
jede Hoffnung, jede Entſchuldigung für einen 
ſpätern Verſuch. Der Himmel hat nur zu deut— : 
lich geſprochen. Dieſer Brief ift mein erſter an 
dich ſeit jenem Tage, der mir die volle Kennt- 
niß unſers Schickſals gab; er wird auch mein 
letzter ſeyn. i 

Du kennſt W Valeria! Es iſt unmöglich, 
daß du in dieſer Erklärung die Sprache des ver- g 
larvten Wankelmuths, des flatternden Leichtſinns 
fürchten ſollteſt, der heilige Pflichten zum Vor⸗ 
wand ftrdflider Kälte mißbraucht. Der Mann, 
der in fo reifen Jahren wählte, hat für den trau 
rigen Reſt ſeines Lebens gewählt. Doch von mir : 
ſoll die Rede nicht mehr ſeyn. Ich weiß, du hat 
Glauben an mich; aber ich möchte dieß ſchöne 
Gefühl zum Werkzeug deiner Ruhe, deines künf⸗ 
tigen Glückes gebrauchen. ‘ 

Beſinne dich, Valeria! Du biſt eine Kaiſer⸗ 
tochter, du biſt eine Chriſtinn! Es ziemt dir 
nicht, ſo kleinlaut zu verzagen, wenn das Un⸗ 
glück mit kalter Hand in den Blüthengarten dei⸗ 
nes Glückes greift, und ſeine lachende Schö⸗ 
pfung zerſtört. Du flüchteſt im Gebethe zu jener if 
erhabenen Mutter des Herrn, die fo viele Sdmere 
zen, fo viele trübe Erfahrungen gelaſſen ertrug, 
un aus jedem Sturme in neuer Würde und 


165 
ſtiller Hoheit hervorging. Flüchte zu ihr! Dies 
Gefühl iſt richtig und tadellos. Aber wende dich 
nicht bloß mit zitternden Herzen und ſtrömenden 
Thränen an ihre Fürbitte! Lerne von ihr dulden 
und tragen! Sie litt weit mehr als du, und weit 
ſtandhafter. Halte dir ihr Vorbild gegen: 
wärtig! Sie iſt nicht bloß das Symbol unendli— 
cher Liebe, fie iſt auch das Urbild weiblicher Ge— 
duld und Sanftmuth, und der ergebenſten Got— 
tesfurcht. Unterwirf dich mit ruhiger Hoffnung 
dem vereinten Willen deines Vaters, deines 
Kaiſers, und der Vorſicht! Nicht umſonſt hat 
ſie dich ihn gerade in dieſem Zeitpunct finden 
laſſen. Nicht ohne ihre Leitung war dein Ge— 
ſchick bis hierher. Vielleicht, und ſehr wahr⸗ 
ſcheinlich, biſt du zu etwas Größerm beſtimmt; 
und es wäre Frevel, dieſe höhern Zwecke, wenn 
wir fie gleich nicht kennen, auf dem haͤuslichen 
Altar unſerer Liebe eigenmächtig zu opfern. Wir 
haben die innere Stimme vom Himmel erhal- 
ten, um zu wiſſen, was recht iſt, die Vernunft, 
um uns in ſchwerer Wahl zu leiten, endlich feiz 
ne göttliche Lehre, um das einmahl gewählte 
Recht mit Kraft zu ergreifen, und muthig aus— 
zuführen — ſollte auch unſer Glück darüber zu 
Grunde gehen. Viel deutlicher iſt noch in die⸗ 


466 


fem Fall fein Wille ausgeſprochen. Kein Dun⸗ 
kel kann unſere Wahl erſchweren, kein Zweifel 
über das Recht bleibt übeig. Dürfen wir anſte⸗ 
hen, uns ſeinen Fügungen zu unterwerfen? Könn⸗ 
ten wir's, wenn wir auch wollten? 

Darum, Valeria, faſſe dich, fordere die Kraft 
auf, die in deinem Buſen wohnt, die ich nur 
zu wohl kenne! Sey ſtark, ſey geduldig, vor 
Allem, ſey fromm! Laß mich nie wieder von 
einem ftrdfliden Wunſche hören, der meine See⸗ 
le verwundet hat! Laß mich nicht fürchten müſ⸗ 
ſen, daß du dich einſt ſo weit verlieren könnteſt, 
Hand an dich ſelbſt zu legen! Weißt du wohl, 
Valeria, daß wir dann ewig getrennt wären? 
Nur in Elyſium begegnet die Selbſtmörderinn 
dem einſt geliebten Schatten; aber ein heiliger 
Gott verwirft den Raſenden, der über ſein Le⸗ 
ben gebiethen zu können glaubt, und den Fei⸗ 
gen, der die auferlegte Laſt ungeduldig abwirft, 
und der Prüfung entflieht. Valeria! Wenn ich 
dich einſt dort mit Wonne empfangen, wenn 
du mich in einer Welt des Friedens und der 
Gleichheit wieder antreffen willſt, ſo trage, was 
dir die Vorſicht auferlegt, und harre ſtandhaft aus! 

Valeria! Leb wohl! Was du auch zu dulden 
haſt, wie viel Schwerter durch deine Seele ge⸗ 


167 


hen mögen, denke, daß dein Freund mit dir lei⸗ 
det, und dein Herz keine Wunde empfängt, die 
nicht das meine eben ſo ſchmerzlich zerreißt! Schrei⸗ 
be mir nicht mehr! Ich darf dir nicht antworten. 
Mache keinen Verſuch, dich an Conſtantin zu 
wenden! Ich kenne ſeine Lage — er kann uns 
nicht helfen; uns iſt nicht zu 15 Das be⸗ 
denke — und vergiß mich! 


Z3wey und zwanzigſter Brief. 


SNR 


Theophania an Junia Marcella, 
Nicäa im Movember 302. 


Wenn du nicht lächeln willſt, meine geliebte 
Freundinn, fo möchte ich mein Herz einem Fla- 
ren Waſſerſpiegel vergleichen, der zwiſchen Bü— 
ſchen verborgen das Bild des ſchönen Himmels 
treu in ſeiner Tiefe bewahrt. Wenn auch Stür— 
me auf eine Weile ſeine Oberfläche trüben und 
empören, daß die Bilder entfliehen oder verwor— 
ren auf den unſtäten Wellen ſchwanken, ſo bringt 
es doch ſeine Natur mit ſich, daß er mit allen 
ſeinen Kräften wieder in ſeine vorige Lage zu 
kommen ftrebt, und ſich nach und nach ſelbſt be- 
ruhigt. Dann ſieht der Wanderer, der ihn in 
ſeiner ſtillen Verborgenheit aufſucht, nicht die 
Fluth ſelbſt, er ſieht nur die Bilder des Ufers 
und den ſchönen blauen Himmel, der ihm aus 
der klaren Tiefe entgegenſtrahlt. So iſt es mir 


. Pee ee a 


169 
ergangen, meine Geliebte! Von ſelbſt, ohne du- 
ßeres Zuthun, hat ſich mein Herz wieder gefun⸗ 
den; der ftille Friede und mit ihm ein theures 
Bild ſind in dasſelbe zurückgekehrt. O, es war 
eine traurige Zeit, als ich ihn nicht mehr lieben 
zu dürfen glaubte, als ich ihn für leichtſinnig 
und flatterhaft halten mußte! Es war ein Auf- 
ruby in meiner Natur, eine gewaltſame Verir— 
rung derſelben. Ich muß ihn lieben, ich muß mit 
ihm einig ſeyn, wenn ich es mit mir ſelbſt ſeyn 
ſoll. Ich bin es wieder, und das iſt das Kleinod 
meiner Bruſt. Jetzt ſtrahlt der ſtille Spiegel wies 
der nur ſein theures Bild zurück, und ich darf 
wohl ſagen, es iſt mir, wie der Fluth, die ſelbſt 
verſchwindet, und nur den Himmel zeigt. Ich 
will mich gern ſelbſt vergeſſen, wenn nur Er 
glücklich iſt. 

Du wirſt vielleicht 0 daß ich ihn gefer 
hen, oder ſonſt etwas von ihm gehört hatte. Nein, 
meine Liebe! Aus meinem Innern, aus den Er— 
innerungen an meine Jugend, aus der Zuſam⸗ 
menhaltung mehrerer Umftdnde, aus der Uber: 
zeugung von ſeinem Werthe ging die kräftige 
Beruhigung hervor. Selbſt deinen Brief habe 
ich erſt bekommen, als es bereits ſtille in mir 
war. Was er enthielt, gab mir noch hoͤhere Kraft 


170 

und das angenehme Gefühl der Übereinſtimmung 
mit der edelſten Freundinn. Ja, meine Liebe, er 
iſt ganz entſchuldigt. Er ſteht rein und tadellos 
vor mir, und das macht mich glücklich, ſo wenig 
beneidenswerth ſonſt meine Lage iſt. Nur der Ge⸗ 
danke, an ihm zweifeln zu müſſen, kann mich 
wahrhaft unglücklich machen; denn er ſtört mei— 


nen Frieden. Ihn lieben, und die Tugend lieben, 


iſt Eins bey mir! Aber wenn auch dieſe Überzeu⸗ 


gung die unerläßliche Bedingung meiner Seelen— 


ruhe iſt, ſo iſt ſein Beſitz kein Recht, das ich 


von der Vorſicht als ein Eigenthum anſprechen 
darf. Jenes hat fie mir gewährt, weil Seelen⸗ 


frieden zu unſerm Seelenheile nothwendig iſt. 
Unſere Glückſeligkeit iſt es aber nicht, und ſo 


darf ich dieſe nicht anſprechen, und thue es auch 
nicht. O meine Junia! Wie glücklich ich geworden 
wäre, wenn es Gott gefallen hätte, uns zu ver⸗ 
einigen, wage ich nicht zu denken. Mir ſchwin⸗ 
delt vor dieſer Höhe von Seligkeit, die vielleicht 
für dieß Leben zu groß geweſen wäre. In dieſer 
„Furcht beruhigt ſich mein Herz, und beſcheidet 


ſich, die Wonne des Himmels nicht ſchon hier⸗ 


nieden zu genießen. 
Mein Vorſatz, unbekannt zu bleiben, ſteht 


daher noch immer feſt. Es tragen manche Nach⸗ 


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1 


nn = 


171 
richten, manche Überlegungen dazu bey; es rührt 
auch wohl manche Anſicht aus Heliodors Um⸗ 
gange her. Ich will mich bemühen, dir alles klar 
und deutlich zu machen, ſo deutlich, als ich es 
fühle; aber es iſt ſchwer, Gefühlen Sprache zu 
geben, und was wir als entſchieden wahr em- 
pfinden, dem Andern eben ſo klar einſehen zu 
machen. 3 

Es lebt hier ein gewiffer Marcius Alpinus, 
derſelbe, der zum Nachfolger meines verſtorbe— 
nen Gemahls bey dem Heere beſtimmt war, und 
deſſen Ankunft der gekränkte würdige Held nicht 
erwarten wollte. Er kennt mich alſo nicht per— 
ſönlich, ſo wenig, als ich ihn je geſehen habe; 
aber er kennt alles, was in Nikomedien und am 
Hofe von einiger Bedeutung iſt, und ſo denn 
auch das Haus des Proconſuls, ſeine ſchöne 
Tochter und ihre Verhältniſſe. Irre ich nicht, ſo 
haben ihre Reize ſelbſt einigen Eindruck auf ihn 
gemacht; aber, wie das bey ſolchen Weltmenſchen. 
geht, es gleitet alles leicht über ihre abgeſchliffe—⸗ 
nen Seelen hin, und alſo auch die Liebe. Von 
ihm habe ich nun durch ſchickliche Fragen und Er— 
kundigungen ſo viel erfahren, daß Calpurniens 
Verhältniß zu Agathokles kein Geheimniß iſt, und 
daß man ihrer Verbindung als einem ſehr wahr— 


172 

ſcheinlichen Ereigniſſe entgegen ſieht. Wie ſoll 
ich bey dieſen Verhältniſſen den Muth haben, 
hervorzutreten? Wie leicht könnte es geſchehen, 
daß Agathokles durch mein Daſeyn mehr erſchreckt 
als erfreut würde, daß er dann aus Rechtſchaf— 
fenheit ein Band zerreißen würde, das ihn glück— 
lich machen könnte, um ſich in ein altes zu ſchmie⸗ 
gen, das ihm fremd geworden iſt, und nicht an— 
ders als drückend ſeyn würde? Und würde ich 
dann glücklich ſeyn? Nein, meine Liebe! Viel 
beſſer iſt's, er erfährt nie, daß ich lebe; fo er⸗ 
ſpare ich ihm Beſchämung, Reue, eine ſchwere 
Wahl, oder eine noch mühſamere Treue, die 
mich unglücklicher machen würde, als ſeine Sinz 
nesdnderung. 

So bin ich ſtill, und feſt entſchloſſen, meine 
Plane treu zu bleiben, und aus eben der Urfaz 
che kann ich dein Anerbiethen, nach Apamäa zu 
fliehen, nicht annehmen. Dort bin ich bekannt, 
dort könnte es mir nicht gelingen, unter meinem 
Chriſtennahmen unerkannt zu bleiben, und ich 
muß dieſem Glücke, wie ſo manchem andern, 
entſagen. Ich muß hier, wie ſo oft in meinem 
Leben, ſagen: Der Herr hat es gegeben, der 
Herr hat es genommen, der Nahme des Herrn 
ſey gebenedeyet! Ach, wenn ich den Troſt nicht 


173 
hatte, wie könnte ich mein Schickſal ertragen! 
So viel zu verlieren, ſo Vielem zu entſagen, 
und doch nicht zu verzweifeln, dazu gehört un— 
mittelbare Unterſtützung von oben, Wirkung der 
göttlichen Gnade, um die ich in unablaͤßigem Ge— 
bethe ringe. Bittet, fo wird euch gegeben werz 
den!« Ja, es wird mir gegeben werden — nicht 
das, was mein Herz, vielleicht irrig, für mein 
Glück hielt — aber das, was ich bedurfte, um 
ſeinem Verluſte nicht zu erliegen, Geduld, Kraft 
und Frieden. | 

Glaube aber nicht, meine Theure, daß mein 
Gemüth immer ſo ruhig iſt! Nein, deine arme 
Freundinn iſt nicht in jeder Stunde ſo unbegreif— 
lich ſtark, um den Verluſt von Agathokles Liebe, 
und den Entſchluß, dein Anerbiethen auszuſchla-⸗ 
gen, mit ſtillem Gleichmuth zu ertragen. O es 
iſt mir oft, als wollte es mir die Bruſt zerrei⸗ 
ßen, wenn ich bedenke, was ich gehofft habe, und 
wie es nun geworden iſt! Zuweilen ſchweben mir 
Bilder aus der Vergangenheit vor, zuweilen, 
wenn ich das ſtille Glück betrachte, das Fulvia, 
die Gemahlinn des Lyſias, genießt, wenn ich 
die Liebe und Achtung bedenke, mit der dieſe Gat⸗ 
ten ſich behandeln, die tauſend kleinen Geſchäfte 
des Lebens, die durch Liebe, Zärtlichkeit, Treue 


174 


und Aufmerkſamkeit fo nahmenloſen Reiz erhal⸗ 


ten, und ſich mir dann der Gedanke aufdringt, 


was ich als Agathokles Gattinn hätte werden 


können — o dann, Junia, gehört mehr als menſch⸗ 
liche Kraft dazu, um nicht zu verzweifeln. Dann 
bleibt mir keine Rettung als im Gebethe, das 
oft die Hälfte meiner Nächte einnimmt, und in 
Heliodors düſter erhabenen Anſichten der Welt 
und Zukunft. Er reißt mich mächtig empor, er, 
der die leidenſchaftliche Liebe zu einem Geſchöpfe 
v rbammt, während er fein Leben der Menſch— 
heit widmet, er, dem der Landsmann, der Ver— 
wandte nicht naher ſtehen als der Wilde, für den 
er eben ſo willig ſein Blut vergißt, er zeigt mir 
meine Pflicht in einem wunderbaren, erhabenen 
kalten Lichte; und ſo wehe ſeine Vorſtellungen 
meinem Gefühle thun, fo mächtig ſtarken fie mei⸗ 
nen Willen, und erhöhen meine Kraft. 

Ich habe an Sulpicien geſchrieben, mit per— 
ſtellter Hand, um jeder Entdeckung vorzubeugen. 
Ich will mir dieſen Weg offen erhalten, um et— 
was Zuverläßiges von Calpurniens Verhältniſſen 
zu erfahren. Sie hat mir geantwortet, ganz ſo, 
wie ich es erwartet hatte; ihre Antwort hat nichts 
an meinem Entſchluſſe geändert. Nächſtens wer⸗ 
de ich ihr wieder ſchreiben; ich will es wagen, Cal⸗ 


N 
4 


(ae) 


175 
purnien unter einem ſchicklichen Vorwande um 
jene Zeichnung bitten zu laſſen, die mir die vol⸗ 
le Gewißheit meines Unglücks gab. Es iſt ſein 
Bild. Ach, ich habe ſonſt nichts von ihm, und 
muß das Einzige von meiner Nebenbuhlerinn er⸗ 
betteln! Ach Junia! 

Iſt einſt dieſes Band, wie es Sulpicia ſelbſt 
zu erwarten ſcheint, wirklich geknüpft, verlaſſen 
vielleicht die glücklichen Gatten Aſien, was doch 
möglich wäre, oder hat die Zeit auch die letzte 
Spur meines Andenkens in ſeiner Bruſt ver⸗ 
löſcht, dann komme ich zu dir, dann birgſt du 
mich im Schatten deines Hauſes, und gönnſt mir 
einen Antheil an der Beſorgung deines Hauswe⸗ 
ſens, an der Erziehung deiner Kinder, deiner 
Enkel, die bis dahin deine ſpätern Jahre ver— 
ſchönern werden, damit mein Daſeyn nicht ganz 
nutzlos verſchwinde, und ich, wenn der milde 
Befreyer der gefangenen Seele erſcheint, mit 
dem Bewußtſeyn aus der Welt ſcheide, doch Ei⸗ 
nem Menſchen etwas geweſen zu ſeyn! Leb wohl! 


ery 


Drey und zwanzigſter Brief. 


Conſtantin an Cneus Florianus. 
ii Nikomedien im ee 302. 


Di Zeit wird immer fruchtbarer an Begeben 
heiten und Samen für die Zukunft. Der Krieg 
mit den Perſern iſt durch einen glorreichen Frie— 
den geendigt; wir haben unſern triumphähnlichen 
Einzug in Nikomedien gehalten, und Diocletian 
begegnet dem Galerius mit einer Achtung, die 
vermuthlich die ehemahlige ſchimpfliche Strafe 
gut machen ſoll. Galerius müßte nicht ſeyn, wie 
er iſt, wenn er dieß Gefühl des Unrechts nicht 
mit gewaltiger Hand ergreifen, und zu ſeinem 
Beſten nützen ſollte. Ich weiß zuverläßig, daß 
er die Überlegenheit, die ihm dieß Gefühl und 
die ſinkenden Kräfte des alternden Auguſtus ge— 
ben, mißbraucht, um dieſen zu manchem Schrit⸗ 
te zu zwingen, oder zu überreden — wer ent⸗ 
ſcheidet das? — der eine langerprobte Klugheit 


177 
Lügen zu ſtrafen droht. Man ſpricht fogar hier 
und da, aber nur höchſt geheim davon, daß Dio⸗ 
cletian freywillig die Regierung niederlegen, den 
Mayländiſchen Auguſtus zu demſelben Schritte 
bereden, und ſich dann in die Einſamkeit nach 
Salona, wo er ſich in geheim und lange ſchon 
einen lieblichen Aufenthalt zubereiten läßt, bege— 
ben wird. Dann würden Galerius und mein Va— 
ter Auguſtus werden; und wer würde den Rang 
der Cäſarn einnehmen? Mir hier keinen Neben— 
buhler, keine Creatur des düſtern Galerius vor— 
kommen zu laſſen, ſoll meine Sorge ſeyn. Ich 
habe fürſtliches Blut und fürſtlichen Sinn von 
meinem Vater geerbt, und deine Unterweiſun— 
gen haben mich gelehrt, das, wozu mich Natur 
und Geſchick beriefen, mit feſtem anni zu er⸗ 
kennen, und zu ergreifen. 
Marcius Alpinus iſt von Galerius entfernt, 
und Prdfect in Nicka geworden, er, dieſer ge- 
wandte Höfling, der Günſtling des Cafars, ein 
kriechender Schmeichler, ein erklärter Feind der 
Chriſten, und darum ſeinem Gebiether bis jetzt 
ſcheinbar unentbehrlich. Aber wer ware dem Gaz 
lerius unentbehrlich! Genug, er iſt entfernt, und 
ſpielt in Nicäa die Rolle des Philoſophen, der, 
des Hofes und der Welt ſatt, nur fic allein le— 
Agathok. II. Theil. M 


178 

ben will. Ich habe ihn von jeher verachtet. Seit 
er aber bey jeder Gelegenheit, und erſt neulich“ 
bey Agathokles Beförderung zum Tribun dieſem 
mit heimlicher Bosheit entgegen war — ob aus 
eigenem Widerwillen, oder weil der Sclave auch 
die Neigungen ſeines Herrn kriechend theilt, und 
mich in meinem Freunde haßt, weiß ich nicht — 
ſeitdem habe ich ihm die Geſinnung, die mir ſein 
Betragen einflößte, deutlich merken laſſen, und 
ſeinen Einfluß verachtet. Jetzt in ſeiner Verban⸗ 
nung hat er, uneingedenk alles Vorgefallenen, 
mir ſeine guten Dienſte anbiethen laſſen. Die 
verächtliche Seele! Er weiß viel, ſein Einfluß 
war bedeutend; was ich zu thun habe, werde 
ich ſehen. Es iſt nichts ſo gering, ſo verwerflich, 
das nicht an ſeinen rechten Platz geſtellt, zweck⸗ 
mäßig gebraucht werden könnte, und meine Zu— 
kunft, folglich auch meine Maßregeln liegen noch 
in tiefem Dunkel. Daß ich nichts Unwürdiges 
thun werde, weißt du. Aber was Nothwehr und 
drängende Verhältniſſe fordern, kann nicht mit 
dem Maßſtabe ruhiger Faſſung gemeſſen werden, 
und die Moral des Menſchen und des Staats 
nicht dieſelbe ſeyn. Gegen den, der fic Alles er⸗ 
laubt, muß die Vernunft ſelbſt alle Mittel oh⸗ 
ne Unterſchied ergreifen heißen; ſonſt find unfe- 


179 
re Waffen nicht gleich, und die gute Sache un- 
terliegt ängſtlichen Rückſichten. Doch, bey Gott! 
Cneus, bey dem, der für das Heil der Menſch— 
heit ſein Leben am Kreuze opferte, nur die Noth⸗ 
wehr wird mich ſolche Mittel erzreifen machen! 
Auf den Höhen der Politik kehren wir wieder in 
den Stand der Natur zurück, wo nur das Recht 
des Liſtigern oder Stärkern gilt. Galerius haßt 
mich; er haßt die Chriſten, er will ſie verfolgen. 
Es wird ein harter, ein gewaltiger Kampf ent⸗ 
ſtehen, aber ich hoffe, der Himmel und Cato 
werden dann auf Einer Seite ſtehen 2s). 

An meinen theuern Vater habe ich vor zwey 
Tagen geſchrieben, und mich umſtändlicher über 
meine Lage erklart. Er ift wohl fo gut, dir zu er— 
zählen, was zwey Mahl zu ſchreiben mir weder 
meine Neigung, noch meine Zeit erlaubt. Leb 
wohl! 


m 
2 5 


Vier und zwanzigſter Brief. 


NT 


Agathokles an Phocion. 


Nikomedien im December 302. 


Es werden beynahe zwey Monathe vergangen | 
ſeyn, ſeit du keinen Brief mehr von mir er⸗ 
halten haſt; und da jetzt meine Zeit wieder 
freyer iſt, haſt du wohl gegründetes Recht, 
Nachricht von mir zu fordern. Ich bin mit 
dem Cäſar, Conſtantin und Tiridates ſeit eini⸗ 
gen Tagen hier. Der Kaiſer hat mich zum 
Tribun unter den Jovianern ernannt. Bis in 
dem Quartiere der Leibwache Platz für mich f 
gemacht wird, wohne ich bey meinem Vater, 

der mich mit beſonderer Güte behandelt, ſeit 

mein Verhältniß zu Conſtantin und glückliche 
Umſtände mir eine bedeutendere Exiſtenz ver⸗ 
ſchafft haben. Übrigens iſt mein Leben wie 

vorhin. Ein trüber Gedanke verläßt mich nie, 
und vergebens ſuche ich ernſtlich mich in dem 


181 


Umgange einer liebenswürdigen Freundinn zu 
zerſtreuen, deren Vorzüge vermögend wären, 
vielleicht in jedem andern Herzen frühere Ein— 
drücke zu verlöſchen. Bey mir iſt ihr Zauber 
verloren. Ich achte ihre Verdienſte, ich erkenne 
die ſeltene Macht ihrer Reize, ich fühle mich er— 
heitert, ſo lange ich um ſie bin; aber die Leere 
meiner Bruſt auszufüllen vermag ſie nicht. 

So von der Wirklichkeit abgeſtoſſen, und 
unfaͤhig in irdiſchen Gütern Glück zu ſuchen und 
zu finden, ergreift der Geiſt deſto heftiger die 
Ideen, die ſich ihm darbiethen. Und ſo höre nun, 
Phocion, was eigentlich mich abhielt, dir ſchon 
längſt zu ſchreiben! Glaube nicht, daß es Man— 
gel an Erinnerung oder minderes Verlangen war, 
dir alle meine Gedanken mitzutheilen! Es war 
Unſchlüſſigkeit, Furcht, möchte ich beynahe ſa— 
gen. Es iſt eine peinliche Lage, wenn verſchiede— 
ne Schickſale zwey Freunde zu ſehr verſchiedenen 
Arten der Ausbildung und Überzeugung führen, 
ſo, daß dem Einen zuletzt nichts übrig bleibt, 
als dem ſüßen Troſte zu entſagen, mit dem ge— 
liebten Freunde über den wichtigſten Punct der 
Erkenntniß gleichſtimmig zu denken. Dann zö— 
gert der Mund das auszuſprechen, was ſchon 
längſt in beyder Herzen bereit lag, und die Hand 


. 


182 f 
weigert ſich, der Tafel die inhaltſchweren Worte 
einzugraben. 

Doch muß es geſchehen. Höre denn, mein 
Freund, mein Geſtändniß, und laß mich hoffen, 
daß der Zwieſpalt in unſrer Erkenntniß keinen 
Zwieſpalt in unſern Empfindungen heroorbrin⸗ 
gen werde! 

Ich bin ein Chriſt. Vor vier Wochen habe 
ich vor einer kleinen Anzahl meiner Glaubens⸗ 


genoffen feyerlich das Bekenntniß jener Wahr⸗ 


beiten und Lehren abgelegt, die lange vorher 


8 


ſchon mein ganzes Weſen mit inniger überzeu⸗ 


gung ergriffen hatten. Daß es ſo kommen wür⸗ 


de, war mir längſt gewiß, und auch dir wird 


dieſe Nachricht nicht unerwartet ſeyn; aber mei⸗ 
nes Vaters wegen bleibe dieſer Schritt noch ſo 
lange verborgen, bis dringende Umſtände mein 


— c * 2 


öffentliches Bekenntniß fordern. Das bin 55 ihm | 


ſchuldig. 


liegt klar und deutlich vor mir. 


Nun habe ich erreicht, was ich ſo lange als 

das Ziel dunkler heftiger Wünſche ſuchte, das 
Höchſte, Beſte, was der Menſch erreichen kann. 
Ich bin einig mit mir ſelbſt, gewiß über meine 
Beſtimmung in dieſem, mein Loos im andern ) 
Leben; jeder Zweifel ift gelöſet, und jede Pflicht 


: 183 
Um meine überzeugung ſo viel als möglich 
in deinen Augen zu rechtfertigen, wende ich mich 
zur Beantwortung der neuen Anklagen und Vor— 
würfe, die deine letzten Briefe, welche ich in Niſi⸗ 
bis empfing, gegen meinen Glauben enthalten. 
Du ſchilderſt mir in dem erſten derſelben mit 
wahrhaft dichteriſchem Feuer die Lieblichkeit der 
Griechiſchen Mythologie, und die ſchönen Bilder, 
die ſie den Sinnen in jeder Art der Wahrneh— 
mung darbiethet. Nicht fähig, ihren Werth für 
die Überzeugung und Moralität der Menſchen 
auf der jetzigen Stufe ihrer Bildung zu bewei⸗ 
ſen, bemühſt du dich, ihnen einen höhern, beſ— 
ſern Sinn unterzulegen, und deuteſt in dieſe 
Fabeln, was nie darin lag, und was nur Gei— 
ſter, wie der deinige, die denn ohne dieß dieſes 
Behelfes nicht bedürfen, hineinlegen können. 
Warum das, mein Freund? Die Mythen unſerer 
Vorältern waren in ihrem Urſprung ganz löbli- 
che und nützliche Erfindungen für die Menſchheit 
in ihrer damahligen Lage. Sie enthielten natur— 
geſchichtliche Wahrheiten, in liebliche Bilder ver⸗ 
hüllt, die Geſchichte der Erde, ihre Revolutio- 
nen, den Einfluß der Geſtirne, der Jahreszei— 
ten auf ihre Bewohner. So waren fie dem ein— 
geweiheten Priefter ehrwürdige Symbole der Ale 
* 


184 


les erzoͤugenden Natur, dem Laien aber bald 
nichts anders als widerſinnige Repräſentanten 
eben fo vieler über- oder untergeordneter Gott— 
heiten, die bald einig, bald kämpfend, ſich in 
die Herrſchaft der Welt theilten, und ſo den er— 
habenen Begriff eines einzigen Schöpfers ver— 
drängten. Das heranreifende Menſchengeſchlecht 
entwuchs dieſen kindiſchen Begriffen. Der Weiſe 
fing an zu grübeln, die Menge zu ſpotten; und 
nun ſind wir dahin gekommen, daß kein verſtaͤn⸗ 
diger Menſch einen erhebenden Sinn mit dieſen 
Mährchen verbinden, kein Herz durch ihren An— 
blick zu höherm Schwunge geweckt werden könn- 
te, wenn auch alle ſchönen Künſte ſich um die 
Wette beeiferten, Götterbilder und Tempel mit 
allem auszuſtatten, was die Sinne reizen, die 
Einbildungskraft vergnügen kann. 

In weſſen Herz ſtrömt jetzt noch ein Tem⸗ 
pel, wo die verſpottete Gottheit wohnt, heilige 
Schauer? Wer fühlt noch etwas anderes bey 
dem Anblick eines ſchönen Götterbildes, als daß 
es ein treffliches Werk der Kunſt ſey? Und ſelbſt 
dieſe Künſte! Die Zeiten des Perikles ſind da— 
hin, die Jugendblüthe der Menſchheit iſt vorüber, 
und mit ihr die Blüthe der Kunſt. Kein friſches 
lebendiges Geſchlecht trägt Göttergeſtalten in 


185 
ſeiner Bruſt, und ſtellt in Marmor oder Erz 
dar, was ſeine Seele begeiſternd erfüllt. An den 
zügelloſen Hofhaltungen verächtlicher Wollüſt— 
linge oder blutdürſtiger Tyrannen verſtummen 
die Geſänge der heiligen Dichter: und wie könn— 
te ein Imperator, der im wilden Lager ausge— 
arteter Legionen erzogen wurde, mit Luſt und 
Geſchmack den Liedern horchen, die einſt einen 
Auguſt entzückten? Jene Zeiten ſind vorbey, 
und mit ihnen die Fahigkeit, jene Fabeln und 
Bilder für etwas zu halten, und ſie zu vereh— 
ren. Würdeſt du wohl die Leidenſchaft des er— 
wachſenen Jünglings durch den Aſop oder Phä⸗ 
drus zu zähmen wähnen? Oder könnteſt du dich 
mit der Hoffnung täuſchen, die Wuth der em— 
pörten Prätorianer mit einer Fabel zu beſchwö— 
ren, wie Menenius Agrippa? 24+) Andere Zeiten 
erzeugen andere Sitten, andere Menſchen; und 
dieſe haben andre Bedürfniſſe. Eins der erſten 
des aus Geiſt und Körper zuſammengeſetzten Ge— 
ſchöpfes iſt Religion. Der Hang dazu liegt in 
ihm, und dufert ſich bey den roheſten Völkern 
im kindiſcheſten Weltalter. Ihnen genügt die 
todte Natur nicht; ſie beſeelen ſie, und bethen 
den Geiſt an, den ſie ahnend entdecken. Tiefer 
als mancher Philoſoph, mancher herzloſe Spöt— 


186 

ter wähnt, liegen dieſe Gefühle in unſerer Bruſt, 
und verkünden ſich bald als erhabene Gottesfurcht, 
bald als Neigung züm Wunderbaren, Gefpen- 
ſterfurcht, Glauben an Ahnungen, Träume u. 
ſ. w. Der Menſch, ſeines unſterblichen Gefähr— 
ten ſich bewußt, ſucht dieſe wunderbare Gerei- 
nigung von Geiſt und Materie überall, ahnet 
in jeder außerordentlichen Begebenheit viel lie— 
ber die Einwirkung eines höhern Weſens, als 
die Folge todter kalter Geſetze, und fühlt ſich 
nirgends allein, wenn Alles um ihn her von ei⸗ 
ner unſichtbaren denkenden Kraft geleitet wird. 
Aber die Dryaden und Hamadryaden, die Nym— 
phen der Quellen, die Satyren und Faunen ſind 
aus den Wäldern entflohen, zum Theil vor der 
Stimme der Vernunft, zum Theil vor dem Hohn⸗ 
gelächter, womit der unüberlegte Spott die from⸗ 
me Einfalt ſchreckt. Statt ihrer wohnt in dem 
einſamen Dunkel der Wälder und in der erhabe— 
nen Stille der Natur das Gefühl der allgegen— 
wärtigen Gottheit, die das Moos am Baume 
mit eben der Weisheit ſchuf, als das Auge des 
Beobachters, und den denkenden Geiſt, der fa- 
hig iſt, dieſe Betrachtungen anzuſtellen. Der ei⸗ 
nige, allwiſſende, allmächtige Schöpfer erfüllet 
das Ganze; fein Hauch ſchwebt in den fdufeln- 


| 


187 
den Lüften um uns, ſeine väterliche Fürſorge of— 
fenbaret ſich in dem Inſtincte jedes Thiers, dem 
Bau jedes Neſtes. Scheint dir dieſer Erſatz zu 
gering für jene fabelhaften Weſen? Und warum 
bemüheſt du dich, dem Glauben an ſie einen 
neuen Sinn unterzuſchieben? Laß ſie entfliehen 
mit dem Strom der Zeit, der fie der Vergan— 
genheit zuträgt! Sie gehören nicht mehr in un— 
ſer Zeitalter. Ein neues beſſeres Syſtem ſteht 
da; die Menſchheit ſoll es ergreifen, oder es er⸗ 
greift ſie mit mächtigen Arm; denn es iſt ein 


Kind des Geiſtes der Zeit, und unwiderſtehlich 


wie er. | 

Noch habe ich einen Einwurf zu beantwor- 
ten. Das Chriſtenthum, ſagſt du, iſt den Kün⸗ 
ſten nicht günſtig. Ein Theil der Antwort liegt 
ſchon im Vorhergehenden. Das Zeitalter iſt ih⸗ 
nen ungünſtig. Es iſt wahr, das Chriſtenthum 
duldet nicht Bilder und Zeichen desjenigen, der 
weit über alle Vorſtellung, über jeden Begriff 
erhaben iſt. Schließen doch ſelbſt die wilden Ger: 
manier ihre Gottheit nicht in Tempel, als in 
eine unwürdige Beſchränkung ein: ſo darf und 
muß der Chriſt auch ſeinen höchſten Gott auf 
die höchſte, reinſte Weiſe verehren. Aber das 
Rad der Veränderung wälzt ſich unabläßig fort, 


7 


188 ä 

und der menſchliche Geiſt ſteht nie ſtille. Es wer⸗ 
den Zeiten kommen, wo in ſicherer Ruhe der 
thätige Trieb ſich erfindend, bildend entfalten 
wird. Wenn einſt nach Jahrhunderten die Stür— 
me vertobt haben, deren Beginn wir nun erle⸗ 
ben, wenn alle wilden Nationen, die jetzt über 
die geſittete Welt hereinzubrechen, und Cultur, 
Künſte, Wiſſenſchaft und Ordnung zu ſtürzen 
drohen, ſich untereinander bekämpft, verjagt, 
und blutig aufgerieben haben werden, dann wird 
in dem allgemeinen Schrecken nur die Religion 
allein aufrecht ſtehen; ſie wird das Heiligſte und 
Höchſte des Menſchen bewahren, ſie wird dem 
Ubermuth roher Barbaren Ehrfurcht gebiethen, 
ihre ſanfte Macht wird der wilden Gewalt das 
Gleichgewicht halten, in die Hallen ihrer Tempel 
werden ſich Künſte und Wiſſenſchaften vor dem 
Sturm retten, und wenn es auf dem müden 
Erdkreis ſtille geworden, wird ein ſchönerer Tag 
aus ihnen über die neugeborne Welt hervorge⸗ 
hen. Leb wohl! | 


189 


Fünf und zwanzig fter Brief. 


ou. 


Marcius Alpinus an Lucius Scribo⸗ 
nianus. | 


Nicäa im December 302, 


| Du willſt Nachrichten, Neuigkeiten von mir 
hören. Was, bey allen Göttern, ſoll ich dir aus 
dieſem Neſte von Stadt ſchreiben? Es geht Al— 
les ſeinen langſamen regelmäßigen Gang fort; 
und da eine große Anzahl der hieſigen Einwoh— 
ner Chriſten iſt, ſo iſt dieſer Gang ſo ſtille 
und erbaulich, daß jemand, der aus einem ra— 
ſchern abwechſelnden Leben kommt, hier Gefahe 
läuft, vor langer Weile zu ſterben. Zwey Mo⸗ 
nathe bin ich hier — ſie dünken mich zwey Jah— 
re - und bin entſchloſſen, nicht mehr lange hier 
zu ſeyn. Es bereiten ſich wichtige Vorfälle im 
Stillen vor; es find viele Hände geſchäftig. Daß 
meine Freunde unter der Zahl find, iſt natür- 
lich. Aber nicht allein, was für mich gethan 
wird, ſoll mir zum Nutzen gereichen, auch was 


190 

meine Feinde wider mich zu thun meinen, foll 
ſich unter ihren Händen in Waffen gegen ſie 
verkehren. Man hat mich vom Hofe entfernt, 
und glaubt, mich auch von jeder Einwirkung ent⸗ 
fernt zu haben. Ich laſſe ſie bey dem Glauben, 
der ſie vergnügt und ſicher macht, und ſpiele 
hier die Rolle des geſtürzten Günſtlings mit 
Anſtand und Demuth. Galerius kann meiner 
nicht entbehren, das weiß ich. Conſtantin haßt 
mich, und braucht mich vielleicht doch einſt. Dios⸗ 
cletian iſt ein untergehendes Geſtirn. Die Chri- 
ſten arbeiten in geheim für ſich, Galerius of- 
fenbar gegen ſie, der Auguſtus ſchwankt; ein 
böſes Anzeichen bey einem Manne, der ſonſt den 
Zweifel nicht kannte. Eine Partey muß ſiegen. 
Es kommt nur darauf an, ſich die Hände ſo 
frey zu erhalten, daß man ſie zur rechten Zeit 
ohne Schande ergreifen peed und dafür wollen 
wir ſorgen. 

Du willſt wiſſen, was ich von Galerius Maß⸗ 
regeln gegen die Chriſten denke? Sie ſcheinen 
mir vollkommen zweckwidrig. Sollte es möglich 
ſeyn, die chriſtliche Religion auszurotten, woran 
ich je mehr und mehr zweifle, nicht aus Achtung 
für ſie — eine ſolche Abgeſchmacktheit wirſt du 
mir nicht zutrauen — ſondern weil ich ſie zu feſt 


3 191 
begründet glaube, ſo müßte es nicht mit offen⸗ 
barer Gewalt geſchehen. Verfolgung, Strafen, 
Gefahren erhitzen ſolche Menſchen noch mehr; ſie 
machen ſie eigenſinnig, unüberwindlich. Von in— 
nen, in ihren edelſten Theilen müßte dieſe Secte 
angegriffen, in ſie der Keim des Verderbens ge— 
legt werden, der dann den ganzen Körper fangs 
ſam vergiften, und zur Auflöſung bereit machen 
könnte. Aber ein ſolches Mittel wird ein Menſch, 
wie Galerius, nie ergreifen. 

Conſtantin wird eine bedeutende Rolle ſpie⸗ 
len, die Natur hat ihn dazu beſtimmt; er kann 
nicht untergeordnet bleiben, und es iſt ein ſiche⸗ 
res Zeichen ſeines Scharfblickes, daß er es mit 
den Chriſten hält, und alſo den Geiſt der Zeit 
für ſich hat. Das iſt auch wohl bey einem ſo 
klugen Mann, wie er, der wahre Beruf zu die— 
ſem Glauben. Er ſammelt jetzt ſchon Menſchen 
und Hülfsquellen um ſich, die er zu ſeiner Zeit 
in Bewegung ſetzen wird. Ihm können auch 
Schwärmer nützen, und fo hat er einen der ent: 
ſchiedenſten, jenen Agathokles, um ſich, den neu— 
lich der Schwindelgeiſt ſeiner Kameraden zum 
Tribun machte. Ich haſſe den Menſchen aus mehr 
als einem Grunde, und nehme mir vor, ihm 
nächſtens einen empfindlichen Streich zu ſpielen. 


192 

Es iſt eine lächerliche Geſchichte, die ich vielleicht 
in Nikomedien keiner Aufmerkſamkeit gewürdigt 
hätte, die aber dazu dienen ſoll, mir hier die 
lange Weile zu vertreiben. Ich war kaum acht 
Tage hier, als mir eines Morgens in der Nähe ei— 
nes Chriſtentempels ein Frauenzimmer begegnet, 
deſſen guter Anſtand und tiefe Witwentrauer 
meine Blicke flüchtig auf ſich ziehen. Sie kommt 
näher; ich betrachte ſie genauer, und obwohl 
der ſchwarze Schleyer ihr Geſicht halb verbirgt, 
erkenne ich mit Erſtaunen Lariſſa, die Witwe 
des Demetrius, die man ſchon lange für todt 
gehalten hatte. Als ich nach Niſibis kam, um den 
Heerbefehl zu übernehmen, war fie ſchon abges 
reiſet; aber ich kannte ſie von frühern Zeiten, 
und war öfters auf Reiſen mit ihr zuſammen ge⸗ 
troffen. Wie fie den Händen der Gothen entganz 
gen, wie ſie hierher gekommen, weiß ich nicht; 
im Grunde liegt auch nichts daran. Genug ſie 
iſt hier, und lebt im Hauſe eines gewiſſen Ly- 
ſias, eines der angeſehenſten Bürger dieſer Stadt, 
unter dem Nahmen Theophania, als Witwe ei⸗ 
nes Byzantiniſchen Kaufmanns. Dieſe geheim⸗ 
nißvolle Verborgenheit ſiel mir auf; denn ich 
weiß, daß ſie die heiß geliebte Jugendfreundinn 
jenes Agathokles war, der alles, was er auf 


3 | 193 
Erden beſitzt, darum geben würde, wenn er er— 
fahren könnte, daß ſie lebt, und ihn noch liebt. 
Ich mußte der Sache auf die Spur kommen, 
und führte mich unter einem leichten Vorwande 
bey Lyſias ein. Da ſehe und ſpreche ich ſie nun 
zuweilen. Ich ſtelle mich, als kennte ich ſie nicht, 
begegne ihr mit großer Achtung, ſchone ihre 
Vorurtheile, und habe nun ſchon fo viel her— 
ausgebracht, daß ſie ihren Agathokles für un⸗ 
treu hält, und deßwegen ihre Verborgenheit nicht 
verlaſſen will. Das hat ſie mir nun freylich nicht 
ſo gerade zu erzählt; aber ihre Fragen und Er— 
kundigungen ſagten mir alles, was ich wiſſen 
wollte. Sie iſt leicht zu bethören, wie alle die 
frommen und argloſen Menſchen ihrer Art. Sie 
gefällt mir, und ich hätte Luſt, ſie in Liebe ge— 
gen mich zu entzünden. Schön iſt ſie nicht; aber, 
beym Jupiter, kein gemeines Geſchöpf. Eine klei— 
ne Narbe auf der einen Wange entſtellt ſie ein 
wenig; aber ihr Wuchs iſt edel, ihr dunkles Au— 
ge, das ſich langſam unter ſeidenen Wimpern 
wendet, hat einen ſehnſüchtigen anziehenden Aus— 
druck. Ihre Arme ſind vorzüglich ſchön. über 
dieß iſt ſie eine Chriſtinn, und eine höchſt an— 
dächtige. Es wäre doch luſtig zu ſehen, welchen 
Contraſt die irdiſche Venus mit allen dieſen 

Agathok. II. Theil. N 


194 
Frömmigkeiten machen würde, und zu verſuchen, 
ob es nicht möglich wäre, den philoſophiſchen 
Jugendgeliebten aus ihrem Herzen zu verdrän⸗ 
gen. Der Spaß lohnt wohl die Mühe einer klei⸗ 
nen Verſtellung, und beluſtigt mich im voraus. 
Leb wohl! 


195 


Sechs und zwanzig fier Brief. 


Calpurnia an ihren Bruder Lucius 
Piſo. 
Nikomedien im December soz. 


Stehlen muß ich die Zeit, liebſter Bruder, 
um dir zu ſchreiben, und meine alte Schuld ab— 
zutragen. Aber du kennſt meine Unart. Es koſtet 
mich Mühe, zum Schreiben zu kommen; wenn 
ich aber einmahl anfange, koſtet es mich eben 
ſo viele, wieder aufzuhören. So wirſt du zwar 
wenige, aber deſto längere Briefe von mir be— 
kommen. Wir leben jetzt in einer unruhigen fröh⸗ 
lichen Zeit. Wie Schade iſt's, daß du nicht Theil 
daran nehmen kannſt! Feyerlichkeiten und Un⸗ 
terhaltungen jeder Art wechſeln mit einander ab, 
Hoffeſte, Volksfeſte, Hochzeitfeſte, Friedensfe⸗ 
ſte; und deine Schweſter ſpielt bey allen dieſen 
Herrlichkeiten, als Tochter des Proconſuls und 
Freundinn der Armeniſchen Königinn, 
N 2 


196 


faft jeden Tag öffentlich bey irgend einem feyer— 
lichen Aufzuge; und ich müßte doch wahrlich kein 
Mädchen, ich müßte fo etwas von einem Stoi— 


eine gar nicht unbedeutende Rolle. Ich erſcheine 


ker oder Cyniker ſeyn, wenn es mir nicht eine 


wahre Angelegenheit ſeyn ſollte, jedes Mahl in 


einem ſo viel wie möglich neuen und paſſenden 
Anzug zu erſcheinen. Das koſtet Zeit, Nachden-⸗ 
ken, Arbeit. Rechne dazu die vielen Stunden, 
welche Gaſtmahle, feyerliche Opfer u. ſ. w. ein⸗ 


nehmen, und du wirſt leicht begreifen, daß dei— 


ner geſchäftigen Calpurnia in ihrem weitläufigen 


Hausweſen wenig Zeit übrig bleibt. Zuweilen 


könnte ich wohl ein Stündchen finden; aber bald 
iſt ein Freund, bald Braut und Bräutigam da, 


es wird geſchwatzt, geſcherzt — wer kann dem 


Reiz der geſelligen Freuden widerſtehen? — und 


ſo verfliegt der Tag, wie eine Minute. Wenn 


ich dann Abends müde auf mein Lager ſinke, 
wiederhohlt Morpheus gefällig die Freuden des 
Tags in noch ſchöneren Bildern. Ich bin fo ver⸗ 
gnügt, wie ich ſeit langen nicht mehr war, und 


r 


8 


fühle, daß ſich in dieſen Freuden, als in meinem i 
eigentlichen Elemente, mein ganzes Weſen auf's 


leichteſte und angenehmſte entfaltet. 


197 

Doch ich plaudere in einem fort, ohne zu be- 
denken, daß du unmöglich wiſſen kannſt, was 
ich meine. Nun ſo will ich denn einmahl die flat⸗ 
ternde Phantaſie beym Flügel haſchen, und ſie 
zwingen, recht ſittſam und ordentlich zu erzäh⸗ 
len, wie ſich alles begeben hatte. Vor zwanzig 
Tagen ungefähr hielten der Auguſtus, Galerius 
und Tiridates ihren feyerlichen Einzug in Niko— 
medien. Es war eins der glänzendſten Feſte, das 
ich je, ſelbſt in Rom, geſehen hatte. Die ange— 
ſehenſten Einwohner, alle öffentlichen Autoritä— 
ten zogen ihnen im prächtigſten Anzuge und mit 
feyerlichem Gepränge entgegen; aber alles ver— 
ſchwand vor der Pracht des ankommenden Hofes. 
Der Kaiſer zwar und Cäſar Galerius machten 
Trotz dem außerordentlichen Schimmer, der ſie 
umgab, nicht viel Effect, wenigſtens nicht auf 
mich, und ich glaube, halb Nikomedien — ſo hoch 
wird ſich wohl das weibliche Geſchlecht hier be— 
laufen — war einerley Meinung mit mir, was 
auch die ſogenannten Verſtändigen oder die 
Schmeichler von ihren bedeutenden Phyſiogno— 
mien, dem Herrſcherblick, den Heldenſtirnen ſag— 
ten. Für mich waren es ein Paar alte Herren 
ohne alles Intereſſe. Deſto prächtiger nahmen 
ſich dicht hinter ihnen die Prinzen Conftantin 


198 


wie dieß Mahl, hatte ich ſie nie geſehen. Sie 
ritten auf ſtolzen Pferden mit allem Anſtande 
geſchickter Reiter; die Sonne zog blendende Fun⸗ 
ken aus ihren Rüſtungen, und die Helmbüſche 
wogten auf und nieder, wie fic) ihre Pferde tan⸗ 
zend unter ihnen bewegten. Ihre ſchönen Geſtal⸗ 


ten waren durch die ſchimmernden Umgebungen 


ſehr erhoben, und die Stimmen zwiſchen dem ed— 
len Ernſt des blonden Britten, und dem freund— 
lichen Feuer des dunkeln Armeniers getheilt. Nicht 


weit davon im Gefolge ihrer erſten Offiziere be- 
fand ſich Agathokles. Auch fein Anzug war präch⸗ 
tig, wie es die Feyer und ſein Stand forderten; 
aber ich muß dir aufrichtig bekennen, ſo wohl er 
mir damahls gefiel, als die Blicke des ganzen 
Polkes an ihm, als Siegesbothen, hingen, fo ver⸗ 
ſchwand er heut gaͤnzlich vor der Schönheit und 
dem Glanze der beyden Fürſten. Was auch die 


Philoſophen ſagen mögen, Schönheit und hohe 


Geburt ſind keine ſo ganz gleichgültigen Eigen⸗ 
ſchaften; und wenn fie auch keine Verdienſte ver⸗ 
leihen, ſo dienen ſie doch dazu, die, welche ſchon 
vorhanden ſind, in ein blendendes Licht zu ſtellen. 


Tiridates mit allen ſeinen guten Eigenſchaf— 


und Tiridates aus. So herrlich, ſo blendend, 


f 


ten, als der Sohn eines Bürgers, der etwa 


9 


199 
durch Unglück fein Vermögen verloren hatte, 
würde unſer Mitleid erregen, und wir würden 
uns freuen, wenn ihm der Zufall wieder ſein 
väterliches Gut zurückgäbe. Aber hier iſt ein 
Fürſt, der letzte Sprößling eines erlauchten Hau- 
ſes, an deſſen Willen einſt das Schickſal von 
Millionen hing, durch einen Uſurpator ſeines 
Throns, ſeiner Rechte beraubt, verfolgt, nur 
durch die Treue eines alten Dieners gerettet. 
Dieſer Fürſt hat nun ſein Reich mit Hülfe ſeiner 
Freunde erobert. Er iſt wieder König; ſein Wille 
lenkt wieder das Geſchick von Tauſenden. Wie 
ganz anders iſt dieſer Eindruck! Und wenn das 
Gemüth durch jene Erzählung vorbereitet iſt, 
den merkwürdigen Mann mit günſtiger Stim— 
mung zu betrachten, dann vollendet noch eine 
ſchöne Geſtalt den Zauber des ganzen Bildes. 
Wer kann ſich deſſen ganz erwehren? Wer wird 
läugnen, daß der ſchöne Tiridates als Privat— 
mann, oder der Fürſt in alltäglicher Bildung 
nicht halb ſo intereſſant ſeyn würde? Das wiſſen 
auch die Dichter; und darum ſtellen ſie uns ſo 
gern Fürſten, Helden, Götter der Erde dar, laſ— 
fen fie von großen Schickſalen gebeugt oder erho⸗ 
ben werden, und ſchildern ſie uns oben drein als 
vollendete Schönheiten. 


200 
Gegen Abend kam er mit Agathokles zu mir. 
Jetzt war der Zauber verſchwunden, und in der 
einfachen friedlichen Toga, im freundſchaftlichen 
Geſpräche gewann dieſer bald wieder ſeinen al- 
ten Platz neben oder ſelbſt vor Tiridates in mei⸗ 
nem Geiſte. Ich fand ihn etwas heiterer als 
ſonſt. Die tiefe Schwermuth, die ihn vorher 
beynahe zu jeder geſelligen Freude unfähig mach⸗ 
te, hatte ſich in einen ſanften Ernſt verwandelt; 
er war freundlich, aber ſtill, und wortarm. Ti⸗ 
ridates hatte beſchloſſen, ſchon den folgenden 
Tag nach Synthium zu gehen. Ich erhielt einen 
Tag Aufſchub von ihm, weil ich es nothwendig 
fand, Sulpicien erſt auf dieſen Beſuch, und das 
erſehnte Ziel aller ihrer Leiden und Wünſche vor⸗ 
zubereiten. Am dritten Tage reiſte er endlich im 
Gefolge eines Heeres von Sclaven, Pferden und 
Kamehlen, die königliche Brautgeſchenke trugen, 
ab, um ſeine Braut zu hohlen. Der Empfang 
ſoll ganz ſo geweſen ſeyn, wie ich dachte, voll 
Zärtlichkeit und Achtung auf der einen, voll Ent⸗ 
zücken auf der andern Seite. Sobald Sulpicia 
ſich von dem Freudenſturm erhohlt hatte, wurde 
fie in einer prächtigen Sänfte von acht reich ge- 
kleideten Cappadociern, die in kleinen Abſätzen 
von andern abgelöſt wurden, fo ſchonend und ſo 


201 


feyerlich als möglich nach Nikomedien gebracht, 
und ich empfing ſie am Thore des prächtigen 


Hauſes, das Tiridates ſchon lange gekauft, und 


mit königlicher Pracht hat einrichten laſſen. 

Hier blieb ſie acht Tage bis zu ihrer Ver— 
mählung; und dieſe wurden größten Theils mit 
Zubereitungen, mit Wahl der koſtbarſten Stof— 


fe, Juwelen, Geräthſchaften u. ſ. w. höchſt ange— 
nehm zugebracht. Am Tage des Friedensfeſtes, 


das der Auguſtus ſehr feyerlich beging, wurde 
auch die Vermählung des Armeniſchen Königs 
vollzogen, und Sulpicia erſchien mit einer Pracht, 
die faſt die Auguſta und ihre Tochter, des Cä— 
ſars Gemahlinn, verdunkelte. So will es Ti— 


ridates, der nichts unterläßt, wodurch er der 


Welt die Achtung zeigen kann, mit der er ſeine 
Frau behandelt. Seit dieſem Tage dauert nun 
das fröhliche Leben, von dem ich dir im Anfan— 
ge ſchrieb, und nichts ſtört meinen Genuß, als 


der trübe Gedanke, daß es nicht mehr lange 
währen, und dann eine tödtliche Leere an ſeine 


Stelle treten wird. Tiridates führt ſeine Frau, 
ſo bald die Feſte vorüber ſind, nach Ecbatana. 


Sulpicia hat ſich ziemlich erhohlt, und wird im 


Stande ſeyn, die Reiſe ohne Schaden für ihre 


Geſundheit zu unternehmen. Ihr Gemüth iſt be⸗ 


202 
ruhigt, und fo die erſte Quelle ihres Übels ge⸗ 


hoben. Ich hoffe jetzt auf ihre gänzliche Herſtel⸗ 


lung; aber ich werde ihre Abweſenheit ſehr ſchwer 
empfinden, ich werde ſie, ich werde Tiridates 
überall vermiſſen. Jetzt, wo alle Zweifel ver— 


ſchwunden, alle ängſtlichen Spannungen aufge⸗ 


löſet ſind, und ſein Geiſt ſich ungehindert und 
frey entfalten kann, kannſt du dir keinen Begriff 
machen, welch ein angenehmer Geſellſchafter er 
iſt, höchſt liebenswürdig als Fürſt und Menſch. 
Seine Heiterkeit belebt auch Sulpicien, und un⸗ 


ſer Umgang iſt angenehm und fröhlich. Freylich 


wird Agathokles hier bleiben: wird aber ſein 
Ernſt, ſeine wortarme Unterhaltung im Stan⸗ 
de ſeyn, mich für jenen Verluſt zu entſchadigen? 


Ich zweifle ſehr. Er iſt ein Feind aller lauten 
Freuden, aller öffentlichen Beluſtigungen; er 
war ſogar entſchloſſen, während der Feſtlichkei⸗ 


ten nach Synthium zu gehen, und dort ganz al- 
lein ſeinen Gedanken und Schwärmereyen zu le⸗ 
ben. Du mußt geſtehen, daß das doch zu arg 
war; auch ließen wir ihn dieſen trübſinnigen 
Porſatz nicht ausführen, und er ergab ſich zu- 


letzt unſern vereinigten Bitten und Neckereyen. 
Wie er ſich dann betragen wird, wenn unſere 
Freunde ferne ſind, und wieder alles ſtille um 


203 
mich geworden ift, das wiſſen die Götter; ich fe- 
he dieſer Zeit mit einer Art von Schauer entge— 
gen. Doch weg mit den trüben Gedanken! Sie 
ſollen mir die gegenwärtige Luſt nicht verderben. 
Und ſo leb wohl, lieber Bruder! Ich eile zu 
Sulpicien, um im Umgange meiner Freunde je- 
de düſtere Regung zu verſcheuchen. 


Sieben und zwanzigſter Brief. 


mne 
Theophania an Sulpicien. 
Nicäa im December 302. 


Es mag vielleicht unbeſcheiden von mir ſcheinen, 
zu einer Zeit, wo die große Welt mit allem, was 
ſie Glänzendes verleihen kann, Anſpruch auf dich 
macht, und du den erhabenen Schauplatz betre⸗ 
ten haſt, auf dem nicht mehr geſellſchaftliche Ver⸗ 
hältniſſe, ſondern die Schickſale von Tauſenden 
an dein Herz ſprechen, dich an ein unbedeuten⸗ 
des Weſen zu erinnern, das du einmahl freund⸗ 
lich aufgenommen haſt. Aber wenn ich mich ſchon t 
gern beſcheide, und wohl weiß, daß die Beherr— 9 
ſcherinn von Armenien, und die Römiſche Ma- 
trone nicht mehr eine und dieſelbe Angelegen- 
heit haben können, fo würde ich doch ſelbſt der 
Achtung, die du mir eingeflößt haſt, zu nahe 
treten, wenn ich dich eines unzeitigen Stolzes, 
und eines übermüthigen Vergeſſens jener Em⸗ 


205 


pfindungen fähig hielte, die dir noch vor einigen 
Monathen wichtig waren. In dieſer ſchönen Zu⸗ 
verſicht wage ich es noch ein Mahl an dich zu 
ſchreiben, und vor deiner Abreiſe von Nikome— 
dien mein Andenken bey dir zu erneuern. 

Du ſtehſt nun am Ziele deiner Wünſche. Heil 
dir, meine geſchätzte Freundinn! Und mögen die 
Gegenwart und Zukunft deinem Herzen mit Wu— 
cher die Leiden der Vergangenheit lohnen! Daß 
ich mich innig deines Glückes erfreut, daß ich 
warme Gebethe für dein Wohl zum Himmel ge- 
ſandt habe, wirſt du mir glauben; denn du konnteſt 
es voraus ſetzen. Wenn dieſe auch vor einem an⸗ 
dern Altar, zu einer andern Gottheit emporſtiegen, 
ſo wird doch, was auch deine Meinung von ih— 
rem Erfolge ſeyn mag, deine Meinung über die 
Abſicht derſelben gewiß richtig ſeyn. Ja, dauern⸗ 
des Glück, wie es dein Herz verdient, hat det- 
ne Freundinn für dich erflehen wollen; und wenn 
mein Gebeth nicht ganz en wird, ſo un 
es dir wohl ergehen. 

In meiner Lage hat ſich, ſeit ich Synthium 
verließ, wenig geändert. Ich lebe ſtill und ver⸗ 
borgen. Meine Anſprüche auf Glück in jedem 
Sinne des Wortes ſind längſt aufgegeben; ich 
verlange nichts als Ruhe und Vergeſſenheit, und 


206 


das hoffe ich noch zu erreichen. Meine Freuden 
beſtehen darin, daß ich Zeuginn der häuslichen 
Zufriedenheit einer ſchätzbaren Familie bin, die 


mich als eins ihrer Glieder betrachtet, und mich 
mein Alleinſeyn in der Welt, fo wenig als mög— 
lich, fühlen läßt. Ihnen wieder Freude zu maz 
chen, iſt mir eine ſüße Pflicht, und ſo wage ich 


es, dir eine Bitte vorzutragen, deren ich ſchon 


in meinem erſten Brief erwähnte, und deren Er— 


füllung du mir ſo gütig zugeſichert haſt. 


Es war bald nach meiner Ankunft in Nicda 
einmahl die Rede von dem feyerlichen Tage in N 
Nikomedien, als der Tribun die Siegesboth⸗ 
ſchaft brachte. Ich erzählte, daß ich eine wohlge⸗ 
lungene Zeichnung dieſer Scene geſehen, und 
mit Vergnügen die Richtigkeit der Umgebungen 
ſowohl als den Ausdruck der Empfindungen auf 
den Geſichtern der verſammelten Menge bewun⸗ 
dert hätte. Mein gütiger Hauswirth, der ſelbſt 
Kenner iſt, äußerte den lebhaften Wunſch, dieß 
Blatt zu ſehen. Ich ſchwieg, weil ich die Schwie⸗ 
rigkeiten wohl einſah, die ſeiner Erfüllung im 
Wege ſtanden; indeſſen hielt ich es für meine 


Pflicht, wenigſtens Meldung davon zu machen, 


und erſuche dich nun, dich für mich, oder viel⸗ 
mehr für den achtungswerthen Liſias bey der 


| 207 
ſchönen Calpurnia zu verwenden, und uns die 
Zeichnung für einige Tage zu ſenden. So bald 
ſie geſehen und bewundert ſeyn wird, ſoll es 
mein angelegentlichſtes Geſchäft ſeyn, ſie ſo 
wohlbehalten und ſchnell als möglich wieder zu— 
rückzuſtellen. Ich fühle wohl, daß meine Bitte 
etwas unbeſcheiden iſt; aber ich hoffe, der Zweck 
derſelben wird fie bey Calpurnien entſchuldigen, 
und den Unmuth mildern, der vielleicht in der 
Seele deiner reizenden Freundinn gegen mich 
entſtehen könnte. Leb wohl! | 


208 


Acht und zwanzig ſter Brief. 
Sulpicia an Theophania. 


Nikomedien im December 302. 


Wenn ſchon der bloße Anblick deiner Briefe 
hinreicht, mir ein angenehmes Gefühl zu geben, 


ſo iſt ihr Inhalt immer von der Art, um mein i 


Gemüth auf's anziehendſte zu beſchäftigen. Der 


8 


letzte traf mich in einer der ſeltnen einſamen 
Stunden, wo ich, mide von Pracht und gehalt-⸗ 


loſem Geprange, mich mit Luft in mich ſelbſt 


verſenkte, und die Bilder der Vergangenheit 


vor mir vorüber gehen ließ. Dein Brief verſetz⸗ 
te mich um ſo lebhafter in jene Zeit. Der ſchöne 
Abend in Synthium, deine freundliche Erſchei⸗ 


re 


— 


— 


S 


nung, dein Trübſinn, der meiner Schwermuth 
ſo ſchmeichelnd antwortete, alles ſtand wieder 
hell vor mir, und ich flog zu meinem Tiſche, 4 


um dir zu ſagen, daß keine Zeit, keine Verän⸗ 
derung meines Schickſals dein Bild aus meiner 


n 8 


Oe 
209 


Bruſt vertilgen wird, und wie ſehr es mich freut, 

daß du mir Achtung genug für's Schöne und 
Gute zutraueſt, um mich keiner ſolchen Vergeß⸗ 
lichkeit fähig zu halten. Das alles wollte ich dir 
ſchreiben, als mir deine Bitte einfiel, und ich 
mich nun beſcheiden mußte, erſt Calpurniens An— 
kunft zu erwarten. Sie kam in wenig Stunden 
darauf zu mir herein gehüpft. Ich trug ihr dei— 
nen Wunſch vor; ſie gewährte ihn mit der groͤß⸗ 
ten Willfährigkeit. Es ſchien ſie zu freuen, daß 
ihre Arbeit Beyfall gefunden hatte, daß man ſie 
zu ſehen wünſchte; und in dieſem angenehmen 
Gefühle beſchloß ſie, die Zeichnung dem Kenner 
Lyſias, oder vielmehr dir zum Geſchenke zu ma— 
chen, indem ſie noch eine wohlgelungene Copie 
davon beſitzt, und das Original der Hauptfigur 
ohne dieß jetzt immer um ſie lebt, und ihr ein 
Porträt überflüßig macht. Sie bittet dich, es als 
ein Zeichen ihrer Achtung und als ein Andenken 
an jenen Abend anzunehmen. Das alles war in 
der erſten Viertelſtunde ausgemacht: aber wie 
hätte fie in dem abwechſelnden Gerdufde von 
Unterhaltungen und öffentlichem Gepränge Zeit 
finden ſollen, an ihr Verſprechen zu denken? 
Die Friedensfeyer, die Saturnalien, und meine 
Vermählung haben Nikomedien in einen Schau⸗ 
Agathok. II. Theil. O 


210 ia 


platz der lebhafteſten Bewegung und der laute⸗ 
ſten Fröhlichkeit verwandelt; und in dieſen Zer- 
ſtreuungen, die einem ernſten Gemüthe eher An- 
laß zum Mißvergnügen und zu Betrachtungen 
geben, lebt und webt dieß leichte liebliche Weſen, | 
wie in ſeinem natürlichen Elemente. Go vergin= 
gen acht volle Tage, ehe ich die Zeichnung von 
ihr erhalten konnte. Heute endlich gab ſie ſie mir, 
und ſogleich geht ein Gclave ab, um fie dir zu 
überbringen. Wie ſchön, wie beglückend wäre es 
für mich, wenn du dich entſchließen könnteſt — 
wozu der Sclave, der den Brief bringt, Befehl 
hat, alle Anſtalten zu treffen — wenn du dich 
entſchließen könnteſt, mit ihm hierher zu kom⸗ 
men, und mir noch ein Mahl, wahrſcheinlich das 
letzte Mahl in meinem Leben, das Vergnügen 
deines Umganges zu gewähren! Ich gehe ſehr 
bald mit meinem König und Gemahl nach Armes 
nien. Meine Geſundheit iſt zwar etwas beſſer, 
als ſie in Synthium war, aber doch ſo gebrech⸗ 
lich, daß ich wenig Hoffnung habe, eine ſo weite 
Reiſe noch ein Mahl zurück zu machen. Die 
Arzte und auch Tiridates verſprechen mir viel 
von der Veranderung des Clima, von der reinen 
Luft in den Armeniſchen Gebirgen. Es iſt mög⸗ 
lich, daß fie Recht haben; aber es liegt ein Ge⸗ 


211 


fühl in mir, das allen dieſen Hoffnungen wider— 
ſpricht. Der tödtlich verwundete Baum prangt 
noch mit Blättern und Früchten, der achtloſe 
Wandrer freut ſich des Schattens, und hofft auf 
künftigen Genuß; aber von der Sonnenſchwüle 
der Leidenſchaft verſengt, vom Gewitterſturm im 
innerſten Lebenskeime verletzt, welkt er langſam 
ſeinem Untergange zu. Wie kann er vom lauen 
Herbſt mit ſeinen kurzen Tagen, ſeinen froſti— 
gen Lüften ſich Heilung verſprechen? Nur der 
milde Einfluß des Frühlings vermöchte es viel— 
leicht; aber — der Frühling des Lebens, der Früh— 
ling der Liebe iſt dahin! 

Du haſt um dauerndes Wohl für mich zu dei— 
nen Göttern gebethet. Mit Rührung habe ich 
deiner Liebe gedankt, und dich beneidet, du 
Glückliche, die in dieſen Bedrängniſſen, wo kei— 
ne menſchliche Kraft mehr ausreicht, ihre Zu— 
flucht gläubig zu höhern Mächten nehmen kann. 
Ich kann nicht hoffen, ich kann nicht bethen; 
denn ich kann nicht glauben. Unſre Gottheiten 
find leere Schattenbilder; und an taube Mächte, 
die des Sterblichen Loos nach eiſernen Geſetzen 
lenken, kann ich kein Gebeth verſchwenden. O 
komm, Theophania, komm, und bringe mir dei— 
ne ſanften Tröſtungen mit! Flöße meinem Her— 

O 2 


212 
zen deinen beglückenden Glauben ein! Wie gern 
will ich mich dir ganz hingeben! Und da dein 
Herz durch kein ſuͤßes Band hiernieden gehalten 
iſt, ſo ergreife das Einzige, was dir übrigt, 
ſchlinge es noch feſter, und folge mir nach Ecba— 
tana! Dort ſoll die treueſte Freundſchaft ſich be- 
mühen, deine Wunden zu heilen, und dir dei— 
nen Verluſt erträglich zu machen. Tiridates, dem 
ich von meinem Wunſche geſagt habe, läßt dich 
durch mich ſeiner Achtung verſichern, und verei— 
nigt ſeine Bitte mit der meinigen. Wie ſchön 
würden die letzten Tage in Nikomedien ſeyn, wie 
manche Beſchwerlichkeiten der Reiſe würden ver⸗ 
ſchwinden, wenn du ſie mit mir theilen wollteſt! 
Bedenke das, meine theure Freundinn, und laß 
mich einer günſtigen Antwort entgegen ſehen! 


213 


Neun und zwanzigſter Brief. 


re 


Marcius Alpinus an Lucius Scribo— 
nianus. 


/ 
Ricäa im Jänner 303. 


Die todte Materie fängt an, ſich zu regen, 
und es kommt wieder Leben und Bewegung in 
mein einförmiges Daſeyn. Begierde und Wider— 
ſtand, Vorurtheil und übermacht erregen Kampf 
und Gabrung auf dem großen Schauplatz der 
Welt, und in dem Mikrokosmus, der mich hier 
umgibt. Die Kräfte, die bisher ungebraucht 
ſchliefen, erwachen, da ſich ihnen würdige Ge— 
genftdnde der Thätigkeit darbiethen, und ich wer— 
de bald wieder ganz das ſeyn können, wozu mich 
Natur und Umſtände bildeten. Der lange glim— 
mende Funke iſt in Flammen ausgebrochen, der 
Krieg des Polytheismus gegen den Chriſtianis⸗ 
mus erklärt. Galerius hat die kluge Gleichmü— 
thigkeit des alternden Auguſtus zum Wanken gee 


214 


ften befohlen worden, ihre Tempel zu ſchließen, 
ihre Opfer einzuſtellen, keine Predigten zu hal⸗ 
ten; und jeder Verſuch, Proſelyten zu machen, 
wird mit dem Tode beſtraft 25). So neigt ſich 
alſo wenigſtens für den Augenblick das Zünglein 


bracht, und ihn bewogen, lange geprüften Grund 
ſätzen zu entſagen. An allen Orten iſt den Chri- 


der Wage auf die Seite der alten Ordnung. Auf 


wie lange? wird die Zeit lehren. Indeſſen find 
meine Freunde thätig geweſen; man hat Gale— 
rius meiner denken gemacht, und ich erwarte nun 
nächſtens einen angemeſſenen Wirkungskreis zu 


erhalten. Ich werde ihn mit Vorſicht benützen, 


und über der Gegenwart nicht die Zukunft au⸗ a 
ßer Acht laſſen. Conſtantin iſt ein zu glänzendes 


Geſtirn, um ſogleich nach ſeinem Aufgange zu 


verſchwinden, und der Plan, das Chriſtenthum 


zu unterdrücken oder gar zu vertilgen, wird wohl 
ein fruchtloſer Verſuch bleiben. Indeſſen fo lan- 


ge man ſein Glück mit Verfolgen machen kann, 


verfolge man, doch immer mit gehöriger Klug— 
heit und Feinheit, um den Übergang zum Ge— 


gentheil nicht unmöglich zu machen. Nie wird 
ohne dieß ein verſtändiger Mann das rechte Maß 
überſchreiten; nur Raſende oder Verblendete 
ſtürzen ſich über Hals und Kopf in eine Partey. 


215 


So viel vom Offentlidyen, worin du nun 
bald wieder den Nahmen deines Marcius wirſt 
nennen hören. Etwas weniger günſtig, aber nicht 
weniger lebhaft bewegt es ſich in meiner kleinen 
Welt. Die fromme Theophania iſt eigenſinnig, 
und ihre beſchränkte Denkart ſetzt meinen Wün— 
ſchen Hinderniſſe entgegen, die mich nur heftiger 
reizen. Sie muß mein werden, auf welche Art 
es ſey. Nicht daß ich ſo ſehr verliebt in ſie wäre; 
aber die Erſcheinung iſt neu, und mich unter— 
hält das Sonderbare. Die Art der gewöhnlichen 
Weiber kenne ich auswendig; da iſt nichts mehr, 
was mir unerwartet wäre, nichts mehr, das 
meine Wünſche ſpannen könnte. Bey Theopha— 
nien öffnet ſich mir eine neue Welt, und ich füh— 
le ſeit langer Zeit zum erſten Mahl wieder mit 
wahrem Behagen alle Triebfedern meines We— 
ſens in eine angenehme Spannung verſetzt. Ich 
habe allerley Plane entworfen, und du wirſt 
nächſtens den glücklichen Erfolg meiner Bemü— 
hungen hören; denn ich muß eilen, an's Ziel zu 
gelangen, ehe meine künftige Beſtimmung mich 
aus ihrer Nähe wegruft. Leb wohl! . 


i 


Dreyßigſter Brief, 


Mee 


Agathokles an Phocion. 
Rikomedien im Jänner 303. 


Eine heftige Unruhe bewegt mein Innerſtes, 
Furcht und Hoffnung wechſeln jede Secunde, und 
bringen mich bald der Verzweiflung, bald der Se— 
ligkeit nahe. Es iſt möglich — faſſe das Entzü⸗ 
cken, das in dieſem Gedanken liegt! — es iſt 
möglich, daß Lariſſa noch lebt; aber es iſt auch 
möglich, daß ſie meiner vergeſſen hat, daß ein 
Anderer — Nein, das iſt nicht möglich! Es iſt 
Lafterung, dieß auch nur zu denken. Wenn ſie 
noch lebt, ſo liebt ſie mich, wie nächtlich auch 
ihr Geſchick, wie gebiethend die Umſtände ſeyn 
mögen, die ſie hindern, mich ihr Daſeyn wiſſen 
zu laſſen. Aber ob ſie noch lebt, ob die Luftge— 
ſtalt, die vor mir ſchwebt, mehr als das iſt, 
das liegt noch verhüllt im Schooße der Zukunft. 
Und was wird ſie mir bringen? 


217 

Vor ungefähr acht Tagen komme ich zu Sul⸗ 
picien. Calpurnia iſt bey ihr. Es iſt die Rede 
von einer Zeichnung, die dieſe entworfen hat. 
Ich wünſche ſie zu ſehen. Man weigert ſich eine 
Weile; endlich reicht Sulpicia mir ein Blatt, 
das neben ihr liegt. Stelle dir meine Überraſchung, 
meine Verwirrung vor, als ich in der Zeichnung 
jene Scene meines Einzugs als Siegesbothe er— 
kenne! Ich war betroffen, gerührt, beſchämt von 
Calpurniens unverdienter Güte. Auch ſie errö— 
thete und war verlegen; aber mit einer unbe— 
ſchreiblichen Leichtigkeit fand ſie ſich bald wieder, 
und fing ſo unbefangen an, von der Zeichnung 
als Kunſtwerk, als ſchwierige Aufgabe, zu ſpre— 
chen, die ſie ſich ſelbſt, um ihre Kräfte zu ver— 
ſuchen, gegeben habe, daß meine eigene Betrof— 
fenheit, aber auch mein freudiges Gefühl ent— 
wich, und nichts übrig blieb, als die Bewunde— 
rung ihrer Kunſt, und ihrer — Kälte. Endlich 
rief Sulpicia eine Sclavinn, und befahl ihr, 
das Blatt einzupacken und abzuſenden. Wohin? 
fragte ich mit ſehr natürlicher Neugierde, und 
erfuhr nun, daß im vorigen Herbſt eine Fremde, 
die ſich Theophania nannte, die eine Chriftinn, 
Witwe eines Byzantiniſchen Kaufmanns war, 
und mit ihrem Vater nach Nikomedien reiſen 


— — 


218 


wollte, von den beyden Römerinnen im Vorbey— 
reiſen eingeladen worden war, die Nacht auf der 
Villa zuzubringen. Die Schwermuth der Frem— 
den gewann ihr Sulpiciens Zuneigung. Im ver⸗ 
traulichen Abendgeſpräche kam die Rede auf jenes 
Bild. Die Fremde beſah es, ſchien erſchüttert, 
und verrieth dadurch, daß ſie mich kenne. Am 
andern Morgen, wo Sulpicia ſie ſehr blaß und 
verſtört fand, erklärte fie, daß ein plötzlicher Zu⸗ 


fall fie zwinge, ihren Reiſeplan zu verändern, 


und nach Nicda zu gehen. Kein Bitten der bey- 
den Frauen vermochte ſie, nur eine Stunde län— 
ger zu verweilen. Sie reiſete alſogleich mit ihrem 
Vater ab, und lebt nun in Nicäa, im Hauſe ei⸗ 
nes angeſehenen Mannes, der ſich Lyſias nennt. 
Von hieraus hat fie ein paar Mahl an Gulpi- 
cien geſchrieben, und ſich die Zeichnung ausge— 
bethen. Die Erzählung machte mich aufmerkſam, 
und erregte ſeltſame Vermuthungen in meiner 
Seele. Calpurnia ſchilderte mir die Geſtalt der 
Fremden. Ach, jeder Zug rief ein theures Bild 


zurück! Alles traf ein, bis auf eine Narbe auf 8 


der Wange, die ich nie an Lariſſa bemerkt hatte. 
Mein Herz ſchlug heftig, man zeigte mir ihren 
Brief. Da zerfloß die (done Hoffnung wieder. 
Die Züge glichen nicht ihrer Schrift; dennoch 


219 
glaubte mein einmahl erregtes Gemüth zu ent— 
decken, daß die Buchſtaben nicht frey gebildet, 
ſondern wie mit Abſicht verſtellt ſeyen. Ich au- 
ßerte meine Vermuthungen nicht; aber ich eilte 
zum Präfect der Leibwache, und bath ihn um 
Urlaub auf acht Tage. Ich wollte nach Nicäa, 
in's Haus des Lyſias; ich wollte mich ſelbſt über⸗ 
zeugen, wer dieſe Theophania fey. Der Prafect 
ſchlug meine Bitte geradezu ab, und gleich als 
ob er fürchtete, ich möchte ohne ſeine Erlaubniß 
dennoch fortreiſen, trug er mir die Wache im 
kaiſerlichen Pallaſte auf. Ich knirſchte vor Zorn; 
aber ich mußte gehorchen. Mein vertrauteſter 
Sclave wurde nach Nicaa an einen alten Bekann⸗ 
ten unſeres Hauſes geſandt, um ſich nach den 
Fremden zu erkundigen. Nach ſechs langen Tagen 
kam er geſtern zurück. Seine Nachrichten löſeten 
keinen meiner Zweifel, ſie dienten nur, ſie noch 
mehr zu verwirren. Theophania galt auch hier 
für die Witwe eines Byzantiniſchen Kaufmanns; 
aber der Greis, der ſie begleitet hatte, war nicht 
ihr Vater, es war ein chriſtlicher Prieſter, ein 
Bruder des Senators Lyſias, derſelbe, der vor 
mehr als einem Jahre als Glaubenslehrer zu den 
Gothen gereiſet war. Zu den Gothen! Und 
von daher war er jetzt mit dieſer Fremden gekom— 


220 | 
men! Hat er fie dort gefunden? War fie aus By: 
zanz ? Warum nannte fie ihn auf der Reiſe ihren 


Vater? Wie kam er dazu, ſie zu begleiten? Wie 
kam fie in das Haus des Lyſias? Der feile Mar- 


cius kommt täglich hin; er ſpielt öffentlich ihren 


Freywerber, er will ſie heirathen, und ſie — ſie 
begegnet ihm freundlich. Iſt das auch wahr? 
Kann man Gerüchten trauen? Marcius Alpinus 
muß Lariſſen perſönlich kennen, und fle ihn. Ge— 
gen dieſen Mann könnte ſie ihr Daſeyn nicht ver— 
ſchweigen, wenn ſie mit Theophanien eine Per— 
ſon wäre. Oder verbirgt ſie ſich bloß vor mir? 
Und iſt Marcius ihr Vertrauter, der einzige, der 
um ihr Schickſal wiſſen darf? O Phocion! Wie 
glühende Dolche kreuzen ſich dieſe Gedanken in 
meiner Seele. So viel iſt gewiß, entweder Theo— 
phania iſt nicht Lariſſa, oder wenn ſie es iſt, Yo 
trennen ein böſes Schickſal, und noch böſere Men— 
ſchen ſie auf ewig von mir, ſo iſt ſie nicht viel 


beſſer, als für mich verloren, für mich, dem ſie 


ſich ſo ängſtlich verbirgt. O kann ſie denn das 
Entzücken nicht denken, in das mich ihre Erſchei— 
nung verſetzen würde? Glaubt ſie nicht mehr an 
meine Treue, weil die ihrige erloſchen iſt? O 
beym Himmel! Wenn das wäre, dann müßte 
ich den für meinen Todfeind halten, der mir die 


= — , 


221 
Gewißheit gäbe, daß ſie den Händen der Go— 
then entgangen iſt, um das Weib jenes Marcius 
zu werden! | 
Und wenn ſie nicht Lariſſa iſt? Wenn diefe 
wirklich unter dem Hügel von Trachene begraben 
liegt? Ach, die Wahrſcheinlichkeit dieſes Gedan— 
ken drängt ſich mir, wenn meine Phantaſie in 
kühnen Bildern ſchwelgt, am öfteſten, am läh— 
mendſten auf! Wer weiß, wer dieſe Theophania 
iſt! Sie iſt aus Nikomedien gebürtig; ſie hat 
mich vor zehn Jahren öfters geſehen, ich ſie auch 
vielleicht, ohne ihren Nahmen zu wiſſen. Wie 
leicht iſt eine gleichgültige Geſtalt in zehn Jah— 
ren vergeſſen! Heliodor hat ſie zufällig in By— 
zanz kennen gelernt; die junge verlaſſene Wit— 
we begibt ſich unter den Schutz des ehrwürdigen 
Prieſters, deſſen Alter und Denkart ihr eine an- 
ſtändige Begleitung zuſichern. So kommen ſie 
nach Synthium, ſo nach Nicda, wo er ſie zu. 
ſeinen Verwandten bringt. Dort lebt ſie verbor⸗ 
gen, bis der verächtliche Wollüſtling Marcius 
die große Zahl ſeiner Schlachtopfer mit ihr ver— 
mehren will. Wie alltäglich, wie allzunatürlich 
iſt dieſe Geſchichte! Ihre Erſchütterung beym An— 
blick meines Bildes, ihre folgende Bläſſe, Ver— 
ſtörtheit, der geänderte Reiſeplan, find wohl 


222 
eben fo unbedeutende Umſtände, die nur in Sul— 


piciens Phantaſie, welche gern die gewöhnlich 


ſten Dinge in einem ſeltſamen pathetiſchen Lich⸗ 


te ſehen will, ihren Urſprung haben. So fallen 


— -. * it 


meine Hoffnungen in ein leeres Nichts zuſam⸗ 


men! 
Hundert Mahl in einem Tage durchläuft mein 
bewegtes Gemüth den ganzen Kreis von Vermu— 


thungen und Zweifeln, die dieſer Brief enthält. 


Hundert Mahl entſagt die prüfende Vernunft 


den leeren Schattenbildern, und eben ſo oft faßt 4 


ſie das Herz mit wehmüthiger Freude wieder auf. 


O wer kann einer folder Ausſicht entſagen, ehe 


er beſtimmt weiß, daß fie bloß Täuſchung iſt? 
Auch ſteht mein Entſchluß feſt, ſo bald ich kann, 
nach Nicda zu eilen, und mir Überzeugung zu 


verſchaffen, falle ſie nun aus, wie ſie wolle. Ich 


denke bald Erlaubniß zu erhalten; bis dahin 


brennt der Boden unter meinen Füßen. 

Der Staatskunſt und dem alten Haß iſt ihr 
feindliches Werk gelungen. Die Chriſtenverfol— 
gung iſt ausgebrochen. Aber unſre Feinde wer— 
den doch nicht triumphiren. Es werden tauſend 
Opfer fallen, und das Gebäude der Kirche, be— 
netzt mit dem Blute unzähliger Bekenner, wird 
ſich ſchöner und feſter aus ſeinem Schutt erheben. 


| 223 
Auf einer neuen Geite wird mein Gemuth in 
dieſem Zeitpunct innerlicher Unruhe von jenen 
Unfällen erſchüttert. Ich ſehe meine Brüder lei— 
den, ich ſehe die Ungerechtigkeiten, die man ſich 
gegen ſie erlaubt; und Schonung gegen einen 
dem Grabe nahen Vater verbiethet mir, öffent— 
lich aufzutreten, und mich als ihren Glaubens— 
genoffen zu bekennen, jetzt, wo fie der Perthei— 
diger und Helfer nicht genug haben könnten. 
Verborgen und heimlich verſammeln ſich die 
Gemeinden in Katakomben und Gräbern, die 
ihnen ſchon in früheren Verfolgungen zu Zu— 
fluchtsörtern dienten. Dort halten ſie ihren Got— 
tesdienſt, berathen ſich über ihre Gefahren; und 
mir iſt der Zutritt verwehrt, weil man mich für 
einen Heiden, einen Anhänger des Hofes hält. 
Wie ſehr dieſe Verſtellung das Gewicht meines 
Kummers vermehrt, begreifſt du leicht, Pho— 
cion! Auch werde ich ſie beſtimmt nur ſo lange 
fortſetzen, bis eine heilige Pflicht gegen meine 
Brüder und meine Überzeugung jene ſchonenden 
Rückſichten aufheben. Vielleicht hörſt du bald mehr 
von mir, mein Schickſal muß ſich nun ſchnell 
entſcheiden. Leb wohl! 


224 


Ein und dreyßigſter Brief. 


N 


Theophania an Junia Marcella. 


Nicäa im Jänner 303. 


Auch in den trübſten Stunden meines Lebens 
war es mein eifrigſtes Beſtreben, mein Herz 
mit den Fügungen der Vorſicht zufrieden zu 
ſprechen, und mich ihnen unbedingt in Allem zu 
unterwerfen. So erhielt ich mir mitten unter 
Trübſalen den heiligen Frieden, den unſer gött- 
licher Lehrer ſeinen Jüngern als das ſchönſte 
Geſchenk hinterließ. Bisher hatte ich es immer 
vermocht; denn bisher hatte ich meine Leiden als 
unmittelbare Schickungen Gottes betrachten kön— 
nen, ich hatte noch nicht durch die Bosheit der 
Menſchen gelitten. Jetzt, wo dieſe neue Art von 
Bedraͤngniß über mich kommt, und mir das letzte 
Gut, was ich auf Erden beſitze, meine Verbor⸗ 
genheit und meinen unbeſcholtenen Ruf zu rau— 
ben droht, jetzt empört ſich mein Herz in wilden 


225 


Schlägen. Zum erſten Mahl miſcht ſich der Zorn 
in meinen gerechten Schmerz, und die ſtille Er— 
gebung entflieht aus meiner Bruſt. Sollteſt du 
es für möglich halten, daß ich den Nachſtellun⸗ 
gen eines Böſewichts ausgeſetzt bin, daß meine 
Geſtalt die wilde Sinnlichkeit des verächtlichen 
Marcius Alpinus gereizt hat, der zuerſt ſich mir 
unter der Hülle der Achtung und Freundſchaft 
näherte, dann ſeine niedrigen Abſichten durch— 
ſcheinen ließ, und als er entſchloſſenen Wider— 
ſtand fand, ſeine Zuflucht zu Lift und Nachſtel— 
lungen nahm? 
Schon lange merkte si daß er ich auszu⸗ 
forſchen ſuchte; ſeit einigen Tagen fühle ich mich 
auf jedem Schritte von ſeinen Spähern belauſcht, 
beobachtet. Ich fürchte, er ahnet, wer ich bin. 
So viel iſt gewiß, daß man ſich genau nach mei— 
nen Schickſalen, nach meiner Hierherkunft, mei- 
nem Gerhaltniffe zur Familie des Lyſias, fogar 
nach meinem Aufenthalt in Synthium erkundigt. 
Von wem anders, als von ihm, können dieſe 
Verfolgungen herrühren? Er möchte gern Mei⸗ 
b ſter meines Geheimniſſes, und mit ihm Meiſter 
meines Willens ſeyn. Schlechtdenkend, wie er 
iſt, kann er, wenn er vermuthet, wer ich bin, 
mir keine andere als eine niedrige Urſache oder 
Agathok. II. Theil. P 


226 


Abſicht meiner Verborgenheit zutrauen; er muß 
nothwendiger Weiſe glauben, mich in ſeine Ge⸗ 
walt zu bekommen, wenn er mein Geheimniß : 
weiß. Das ſoll er nicht hoffen, der Böſewicht. 
Er iſt mächtig, ſein Einfluß iſt wieder groß, 
und das Laſter findet überall Gehülfen. Dennoch 
werde ich ſeine Erwartungen zu täuſchen wiſſen, f 
und ein Weſen, das, wie ich, ſo von allen theuern 
Banden losgeriſſen, ſo gleichgültig gegen jeden 
Aufenthalt iſt, wird doch einen Winkel auf Er⸗ 
den finden, in welchen es ſich und ſeinen Schmerz 
verbergen und ruhig ſterben kann. Bin ich todt, { 
dann mag Agathokles wiſſen, daß die vergeſſene i 
Lariſſa noch lange genug lebte, um zu erfahren, 5 
daß ein Band, das ſie für mehr als Eine Welt 
geknüpft glaubte, durch die Gewalt einer leicht 9 
ſinnigen Schönheit zerriſſen werden konnte. N i 

Sie lieben ſich, das iſt gewiß; darüber kann 


U 


—— 


— 


ae 


Sg, eee. 


auch die kühnſte Hoffnung keinen Zweifel nah⸗ 
ren. Ich weiß das aus ſichern Quellen, und was 
ihnen mangelte, erſetzte Sulpiciens Brief. Sie 
hat mir die Zeichnung geſchickt. Calpurnia macht 
mir ein Geſchenk damit. O allmächtiger Gott! ; 
Sein Bild aus ihrer Hand! Sie bedarf deen 
nicht mehr, ſchreibt die Königinn, da das Origi⸗ 

nal beftdndig um fie lebt! Und Calpurnia ſchwebt, 


229 
wie eben der Brief fagt, mitten im Geräuſch 
und Schimmer glänzender Feſte, und dorthin 
folgt er ihr! Er, deſſen Weſen ſonſt dieſer Art 
von Freuden zu. widerſtehen ſchien, er verldug- 
net ſeine beſſere Überzeugung, er iſt nicht mehr 
Agathokles, er iſt der gefällige, tändelnde Lieb⸗ 
haber der reizenden Calpurnia, die er, wie ihr 
Schatten, überall hin begleitet! 

Sulpicia hat mir ſehr freundſchaftlich, ies 
in einem höchſt ſchwermüthigen Tone geantwortet. 
So haben denn auch fie der Beſitz des Gelieb= 
ten, der Thron, die Erfüllung aller ihrer Wün⸗ 
ſche nicht glücklich gemacht! Sie lud mich ein, 
mit ihr nach Ecbatana zu gehen. Ich erkenne ih: 
re Güte mit dankbarem Gemüth, ich habe ihr 
alles geſchrieben, was mein wahrhaft gerührtes 
Herz mir darüber eingab; aber ich habe ihr An⸗ 
erbiethen ſtandhaft abgelehnt. Ach, wenn ich 
mich in der Welt zeigen dürfte, wohin würde 
ich am liebſten fliehen, als in deine Arme! 


228 
wh Z3wey Tage ſpäter. 


Was ich gh ter iſt eingetroffen, nur auf 


eine ganz andere Weiſe. Ich gehe fort von hier, 
ich muß fort; denn hier iſt keine Sicherheit mehr 
für mich. Es iſt ein furchtbarer Schlag gefallen. 
— Auch du wirſt ſeine Wirkungen empfinden. 
Unſre Kirchen ſind geſchloſſen, viele unſrer vor⸗ 
nehmſten Mitbrüder in Verhaft genommen. Auch 
dem würdigen Lyſias, der einer der Alteſten der 
Gemeinde, und ein thätiges, eifriges Mitglied 
derſelben iſt, droht dasſelbe Schickſal. Indeſſen 
iſt er entſchloſſen zu bleiben, und alles ſtandhaft f 
abzuwarten, was Bosheit oder Rachſucht über 
ihn zu verhängen beſchloſſen hat. Er hat Feinde, 
und weiß nur zu wohl, daß Religionshaß nicht 
zum erſten Mahle zum Deckmantel kleinlicher | 
Rache dienen mußte. Heliodor geht von hier nach 
Nikomedien wo unter den Augen des Auguſtus 0 
der Verfolgungsgeiſt minder geſetzlos wüthet. 
Unter dieſen Umſtänden bleibt dieß Haus keine 
ſichere Zuflucht mehr für mich. Allein zu reiſen 4 
wage ich nicht, da ich mich ſo wenig perſönlicher 1 
Sicherheit erfreuen kann. Es bleibt mir alſo kein 
Ausweg übrig, als mit Heliodor zu gehen. Mar⸗ 
cius Alpinus iſt in dieſem Augenblick nach Caͤſa⸗ 
rea zum Galerius berufen; vielleicht iſt dieß der 


. 


: 229 
einzige Zeitpunct, der mir zur Flucht übrigt. 
Auch haben Heliodor und Lyſias mich überzeugt, 
daß man in einer großen geräuſchvollen Stadt 
viel eher hoffen kann, unbemerkt zu bleiben, als 
an einem kleinen Orte, wo jeder Nachbar um 
jeden Schritt des andern weiß. Überdieß werde 
ich nicht in der Stadt ſelbſt wohnen. Eine Vier⸗ 
telſtunde davon am Eingang eines kleinen Gehöl— 
zes liegt ein Dörfchen, deſſen ich mich noch wohl 
aus meiner Kindheit erinnere. Hier von Lärmen 
und Zerſtreuung geſchieden, bewohnen einige 
chriſtſiche Witwen ein einſames kleines Haus, und 
widmen, da ſie in der Welt nichts mehr zu wir— 
ken und zu hoffen haben, den Reſt ihrer Tage 
den übungen der Frömmigkeit und Menſchen- 
liebe. Sie verfertigen die Gerathe und Kleidungs⸗ 
ſtücke für die Kirchen, und dienen in denſelben 
als Diaconiſſinnen 25); aber ihr ſchönſter Wir— 
kungskreis iſt die Unterſtützung der Armen, der 
Unterricht der Mädchen, die ihrer Aufſicht über— 
geben ſind, und die Pflege der Kranken, die 
theils in's Haus gebracht, theils in ihren Woh— 
nungen von den wohlthätigen Frauen beſucht 
werden. Zu ihnen wird mich Heliodor bringen. 
In den Mauern dieſes Hauſes, das ich nicht 
verlaſſen muß, wenn ich nicht will, kann ich ganz 


230 4 
unbemerkt und verborgen leben; und der Beruf j 
diefer Witwen gibt meinem gehaltloſen Daſeyn ü 
Zweck und Werth. Morgen reiſe ich ab. Wir 
werden, um alle Nachforſchungen zu bäuſchen, 
die Straße nach Apamda einſchlagen, und von 
dort erſt auf einem Umwege nach Nikomedien 
gehen. Sobald ich in meiner ſtillen Freyſtatte 
eee hit werde 10 dir d Leb wohl! 


231 


Zwey und dreyßigſter Brief. 


pga e an Phe bn n. 
Rikomedien im Februar 303. 


Das Gewitter zieht ſich von allen Seiten zu— 
ſammen. Bald ift es nicht mehr möglich, feinen 
Schlägen auszuweichen. So werde ihnen denn 
mit Muthe begegnet. Geſtern ließ der Präfect 
der Leibwache mich rufen. Vielfache Neckereyen, 
in denen der Sinn des kaiſerlichen Ediets über- 
ſchritten wurde, haben die lange Geduld der un— 
glücklichen Chriſten ermüdet. Es ſind hier und 
da unruhige Auftritte vorgefallen; und dieſe 
wahrlich natürlichen Regungen der Selbſterhal— 
tung brandmarkt die T Tyranney mit dem Nahmen 
Rebellion. Man both die bewaffnete Macht ge⸗ 
gen fie auf, mit ungleichem Erfolge. An eini⸗ 
gen Orten wurden die Verfolgten das Opfer der 
Übermacht; an andern mußte der kleine Haufe 
der Soldaten der Überzahl der Unglücklichen wei⸗ 


232 


gezwungen hatten. 


Hier zu ſchweigen war unmöglich. Aber die f 
Pflicht des Sohnes geboth, das nicht mehr zu 
verhehlende Geheimniß dem Vater wenigſtens 
zuerſt zu entdecken. Ich bath mir Bedenkzeit 


aus, und kündigte meinem Vater meinen Ent— 
ſchluß, den Auftrag nicht zu übernehmen, und 


die Urſache desſelben an. Er wüthete — das hat⸗ 
te ich vorgeſehen — er drohte mit Enterbung 


und Fluch, ich war darauf vorbereitet, es er— 


ſchreckte mich nicht, er verbannte mich zuletzt 
aus ſeinen Blicken, und verboth mir, ſein Haus 
je wieder zu betreten. Ich würde unwahr ſeyn, 
wenn ich behaupten wollte, daß mich dieß Be⸗ 
tragen nicht geſchmerzt habe; aber es ſchmerzte 


mich mehr um ſeinetwillen, denn ich fürchtete 


die ſchädliche Wirkung des Zorns für den abge⸗ 


chen, die ihr Theuerſtes und Höchſtes mit der 
Wuth der Verzweiflung vertheidigten. Man hat a 
nun beſchloſſen, wirkſamere Maßregeln zu ergrei⸗ 
fen; und ich ſollte mit ein Paar Centurien, die ö 
ich mir aus den geprüfteſten Kriegern ſelbſt aus⸗ 4 
wählen durfte, nach Cäſarea, wo die Mißhand⸗ 
lungen des Stadtpräfecten dem Biſchof, einem 
ehrwürdigen Greis, bereits das Leben gekoſtet, 
und alle chriſtlichen Einwohner zur Empörung 1 


: Se . 
— — — — > aie 


233 


lebten Greis. Von ihm ging ich zum Präfecten 
der Leibwache, und erklärte ihm, warum ich une 
möglich gegen die Chriſten ſtreiten könnte. Er 
ſchien eben fo erſtaunt als aufgebracht; und nach⸗ 
dem er ſich in Drohungen mit der Ungnade des 
Kaiſers, mit GVerluft meiner Stelle, und in lee— 
rer Wiederhohlung aller der ſeichten Beſchuldi— 
gungen gegen das Chriſtenthum, die man ge— 
wöhnlich vorbringen hört, erſchöpft hatte, mach— 
te er zuletzt einen Verſuch, mich zu bekehren. 
Ich hatte meines Vaters Zorn und Fluch ertra— 
gen; kaum konnte das Beginnen des Präfects 
mir mehr als ein Lächeln abnöthigen. Ich bath 
ihn zu thun, was ſeine Pflicht in dieſem Falle 
von ihm fordern würde, und das Übrige meiner 
Überzeugung zu überlaſſen. So verließ ich ihn. 
Als ich in dem Quartier meiner Kameraden 
angelangt war, brachten die Sclaven meines 
Vaters alle meine Geräthſchaften, Bücher, Waf— 
fen, Kleider. Mein Vater wolle nichts mehr von 
mir wiſſen, er habe keinen Sohn mehr; dieſe 
Bothſchaft gab er den Sclaven mit, und dachte 
mich dadurch ſehr Lief zu kränken. Mich rührten 
die Trauer und die Liebe, die dieſe guten Men— 
ſchen mir zeigten, und mein Herz öffnete ſich 
mildern Empfindungen. Am Abend langte ein 


234 
Brief aus Nicäa an. Theophania war verſchwun⸗ 
den, niemand wußte wohin. In Lyſias Hauſe 
wird ein tiefes Schweigen darüber beobachtet. 
Heliodor hat ſie begleitet. Marcius Alpinus iſt 
einige Tage vorher nach Cafarea abgereiſt. Goll 
te ſie ihm dahin gefolgt ſeyn? Unmöglich! He⸗ 
liodor kann die Frau, die ſich ſeinem Schutze 
übergab, die er in's Haus ſeiner Verwandten 
brachte, nicht einem Marcius Alpinus in die 
Arme führen, ſey ſie übrigens, wer ſie wolle! 
Ihr Geſchick beunruhigt mich. Ich kann den Ge- 
danken, den ich einmahl von ihr gefaßt habe, 
nicht aufgeben, und jetzt, da ſie auf's neue für 
mich verloren ſcheint, wird er mir wahrſcheinli⸗ 
cher als jemahls. W 
Wahrlich, es hatte dieſes Zuſatzes nicht be⸗ 
durft, um meine Lage höchſt unangenehm zu 
machen. Indeſſen ſoll nichts mein Bewußtſeyn 
erſchüttern. Ich weiß, was ich zu thun habe. 
Ob es ſchwer oder leicht fey, darf ich nicht fra⸗ 
gen. Es muß geſchehen! Jeder, der in dieſer 
Zeit ſich als Chriſten bekennt, hat einen viel 
härteren Stand, als die längſtbekannten Glau⸗ 
bensgenoſſen. Man ſieht ihn gleichſam als einen 
trotzigen Rebellen, als einen offenbaren Veräch⸗ 
ter des kaiſerlichen Gebothes an. So geht es 


235 
mir, fo würde es Conftantin gehen, der auch 
in dieſen entſcheidenden Augenblicken dem Augu⸗ 
ſtus ſeine wahre Geſinnung entdecken müßte, 
wäre er nicht der Sohn des Cäſars. Mißtrauen 
und Haß umlauern uns von allen Seiten; ſelbſt 
die Briefe ſind nicht ſicher. Sollteſt du lange 
keinen erhalten, ſo denke, daß es mir unmöglich 
war, zu ſchreiben, oder das Beſchcheghene ſicher 

abzuſenden. Leb e 


Drey und dreyßigſter Brief. 
Theophania an Junia Marcella. 
Nikomedien im Februar 303, 


Seit zwey Wochen bin ich hier, eine Viertel— 
ſtunde von Nikomedien entfernt. Von dem fla— 
chen Hausdache ſieht mein Auge die nahe Stadt, 
die Giebel ihrer prächtigen Tempel, die ehrwür— 
digen Thürme unſerer Kirchen, von denen leider 
jetzt kein Laut zu uns herüber tönen darf. Linker 
Hand gegen das Stadtthor zu, das an's Mee— 
res-Ufer führt, liegt das Quartier der kaiſerli— 
chen Leibwache. Dort wohnt Agathokles. Ich 
ſehe den Rauch aus den Eſſen ſteigen, ich höre 
die kriegeriſche Muſik herüberſchallen, ich ent— 
decke zuweilen ſchimmernde Scharen, die durch 
die Thore ein- und ausziehen. Wie manches 
Mahl mag er an ihrer Spitze geweſen ſeyn! Das 
ſchärfſte Auge könnte in dieſer Entfernung keine 
Geſtalt unterſcheiden; aber der Gedanke daran 


237 
erſchüttert mein Junzeseer und 9 7% e 
Nerve beben. 8 
Unter den Frauen, mit denen ich lebe „iſt 
die Witwe eines Freygelaſſenen aus dem Piſo— 
niſchen Hauſe. Verſchiedene Schickſale haben ſie 
von Rom hierher geführt; aber ihre Tochter Dru— 
ſilla blieb aus Anhänglichkeit freywillig in Cale 
purniens Dienſten. Das junge Mädchen, auch 
eine Chriſtinn, beſucht ihre Mutter zuweilen. 
O meine Junia! Was erzählt uns das Madchen 
öfters von der Güte und Freundlichkeit ihrer Ge— 
bietherinn, von dem wenigen Credit, in dem 
das männliche Geſchlecht bey ihr ſteht, und daß 
ſie nur höchſtens Einen, einen Offizier der Leib— 
wache, den ſie ſchon in Rom gekannt, und nicht 
ungern geſehen habe, von der allgemeinen Ver— 
dammung ausnehme! Dann beſchreibt ſie uns 
manche kleine Unterhaltung, manches trauliche 
Sympoſion 27), wobey der geſchätzte Freund nicht 
fehlen darf. So bekamen wir neulich die Schil— 
derung eines Feſtes, das Calpurnia ihrem ruhm— 
bekleideten Geliebten zu Ehren gab. Das Feſt 
muß unausbleiblich einen gewaltſamen Eindruck 
auf ſein Herz gemacht haben, oder er müßte un⸗ 
empfindlich gegen ſo mächtige Reize, und mehr 
als demüthig, er müßte blind gegen ſeinen Werth 


238 

ſeyn. Druſilla hatte ſelbſt eine Rolle dabey, und 
ſie mag ſie ganz geſchickt ausgeführt haben; denn 
es iſt ein artiges wohlgebildetes Geſchöpf, dem 
man die beſſere Erziehung anſieht. Das iſt Cal⸗ 


purniens Werk, ſagt die Mutter; ſie hat ſich 
des Mädchens wie eine ältere Schweſter ange- 
nommen, und Druſilla iſt ihr gay! dafür mit 


ganzer Seele ergeben. 

Und ſo iſt denn der letzte Strahl von Hoff 
nung verſchwunden! Calpurnia iſt nicht allein 
höchſt reizend und liebenswürdig, ſie iſt auch 
edel und ſchätzbar. Agathokles wird ſich nicht bey 
näherer Kenntniß ihres Charakters kalt von ihr 
wenden; er wird ſie immer mehr lieben, je mehr 
er ſie kennen wird, und geiſtige Vorzüge werden 
das Band unauflöslich machen, das körperlicher 
Reiz und ſchmeichelndes Betragen um ſein Herz 
warfen. Und darüber trauere ich? Es ſchmerzt 
mich, daß Calpurnia gut iſt? Ich hätte mich 
freuen können, daß eine Perſon, die mich nie 
mit Willen beleidiget hatte, unedler Geſinnun⸗ 
gen fähig geweſen wäre? Mich beeinträchtigt 
das Gute, was ein dankbares Gemüth von ihr 
erzählt 2 O Neid und Eiferſucht! Ihr Geburten 
der Eitelkeit und Selbſtſucht! So muß auch ich 
euren giftigen Einfluß fühlen! So iſt denn die 


— 


239 
Tugend, auf die ich ſtolz ſeyn zu dürfen glaub— 
te, nichts als Heucheley, oder Schein geweſen, 
der vor einer ernſten Probe entflieht! O Suz 
nia! Wie gebrechlich iſt das menſchliche Herz! 
Welche Hoffnung bliebe ihm auf Verzeihung 
und Gnade, wenn es nicht mit zitterndem Ver- 
trauen zu dem väterlichen Erbarmen Gottes flüch— 
ten könnte! 

Dieſe Stimmung darf nicht bleiben; fie iſt 
nicht menſchlich gut, vielweniger einer Chriſtinn 
würdig. Wo meine Kraft nicht ausreicht, halte 
mich ein ſtärkerer Arm. Heliodor kommt morgen 
von einer kleinen Reiſe zurück. So viel Über⸗ 
windung es mich koſten mag, ſo wenig Scho— 
nung ich von dieſem ſtrengen Richter hoffen darf, 
ſo enthülle ihm doch ein offenherziges Geſtänd— 
niß den Zuſtand meiner Seele, und ſeine ern— 
ſte Tugend zeige mir den Weg, auf dem ich 
mich wieder e tec und Selbſtachtung gewin- 
nen kann. 


Einige Tage ſpäter. 
Ich bin viel ruhiger in meinem Innern. 
Leicht war dieſe Stille nicht erworben; doch ich 


240 

hoffe, ſie ſoll dauerhaft ſeyn. Heliodor's Stren⸗ 
ge hat mich gebeugt, vernichtet. Aber wie die 
Pflanze nach dem ſchweren Gewitterregen ſich 
am Strahle der Abendſonne aufrichtet, fo rich⸗ 


F ee es oS 


tet ſich auch mein Geiſt, durch verſöhnende Reue 
und feſte Vorſätze geſtärkt, empor. Ich habe mich | 
ſelbſt überwunden, ich habe mein innerſtes We⸗ 
ſen zum Opfer auf dem Altar der Pflicht ge— 
bracht, und der himmliſche Lohn folgt auf den 
Kampf. Ich kann nun zwar nicht mich über Cal- | 
purniens Edelmuth und ihre Verbindung mit 


Agathokles freuen — ach, das iſt noch nicht 
möglich! — aber ich kann bey der Gewißheit, daß 
ich ihn verloren habe, einige Beruhigung in dem 


Gedanken finbetty daß er mit ihr glücklich ſeyn 0 


wird. 
Heliodor hat mir zur Sübnung meines Bers 
gebens eine Pflichtübung auferlegt, die mir 


wahrlich ſehr ſchwer fällt, die nur die Erkennt- 
nif ihrer Verdienſtlichkeit mich anfangs ertra⸗ 
gen machen konnte. Ich war bisher von der 
Krankenpflege befreyt; meine Erziehung, meine 
Erfahrung in weiblichen Arbeiten beſtimmten mich 
zum Unterricht der Schülerinnen, und ich wid⸗ 
mete mich gern dieſer Beſchäftigung. Jetzt muß | 
ich auf Heliodors Befehl — denn ſeine über⸗ 


— 


—̃ 


242 
zeugung ſpricht ſich nicht, wie bey unſerm ehr— 
würdigen Vater Theophron, als Rath oder Er— 
mahnung aus — ich muß auf ſeinen Befehl mich 
der Pflege der Kranken widmen; und da er mir, 
meiner vorigen Verhältniſſe wegen, Kenntniß 
in äußern Verletzungen zutraute — o, welche Sce— 
nen rief dieß Geſpräch hervor! — fo muß ich un— 
ter ſeiner und einer betagten Matrone Anleitung 
die Verwundeten beſorgen. O meine Junia! 
Das war eine ſchreckliche Aufgabe! Das erſte 
Mahl trug man mich ohnmächtig weg. Aber He- 
liodor iſt unerbittlich. Er findet, und mit Recht, 
das Verdienſtliche unſerer Handlungen nicht in 
der leichten übung von Temperaments-Tugen— 
den, er fordert Selbſtüberwindung und Aufopfe— 
rung des Liebſten, Ertödtung unſerer geheimen 
Wünſche, unſerer Eitelkeit. Wir müſſen den al— 
ten Menſchen ablegen, und einen neuen anzie— 
hen. Das Alles führte er mir in einer unver— 
geßlichen Stunde mit einer Beredſamkeit zu Ge— 
müthe, daß ich endlich, in Thränen zerfließend, 
in ſeine Hand den Schwur niederlegte, meinem 
Berufe treu zu bleiben, und ſollte es mir Ge⸗ 
ſundheit und Leben koſten. 

Seit dem geht es merklich beſſer. Ich habe 
ziemlich viel übung; denn die Grauſamkeit der 


Agathok. II. Theil. Q 


242 | 4 a 
Heiden laßt es nicht an Unglücklichen fehlen, 
die der Hülfe unſeres Hauſes bedürfen. Mein 
Widerwille verliert ſich, meine Geſchicklichkeit 
nimmt zu, und ich ſehe wohl ein, daß, das 
Grauen des erſten Anblicks abgerechnet, bey die⸗ 
ſer Art von Kranken viel weniger Gefahr und 
Beſchwerde iſt. So will ich denn mein Loos mit 
Geduld tragen; aber, ſo bald mein Schickſal 
entſchieden, Agathokles vermählt, und das Da⸗ 
ſeyn eines vergeſſenen Geſchöpfes ganz gleichgül⸗ 
tig iſt, eile ich in deine Schweſterarme, und ach! 
ich denke, ich komme bald, ſehr bald! j 


U & 


243 


Vier und dreyßig ſter Brief. 


v 


| 


Conftantin an Cneus Florianus. 


Rikomedien im Februar 303. 


Ss einer ſehr unruhigen Stimmung ſende ich 
dir, mein väterlicher Freund, dieſen Brief. Noch 
dieſe Nacht geht ein verläßlicher Bothe damit 
heimlich auf einem Fiſcherkahne aus dem Hafen 
ab, und bringt ihn nach Byzanz zu unſerm Ver— 
trauten, der ihn dann auf bekannten Wegen 
weiter befördert. Die Stadt iſt geſperrt, und 
alles in dumpfgaͤhrender Bewegung. Heute Mor- 
gens iſt gah und unerwartet der Schlag gefallen, 
den Rache und Parteywuth längſt geheim berei— 
tet hatten. Mit Anbruch des Tages zogen ſtarke 
Abtheilungen von der Leibwache ſtill und geheim⸗ 
nißvoll durch die Straßen der Stadt nach allen 
chriſtlichen Kirchen. Die geſperrten Thuͤren wur⸗ 
den mit Gewalt aufgeſprengt, das Heiligſte er- 
brochen, hervorgeriſſen, Geräthe, Schriften, 
Q 2 


244 


Bücher, alles auf einen Haufen geworfen, und 9 
verbrannt, und endlich die Kirchen ſelbſt mit i 
wilder Wuth zerſtört, und der Erde gleich ge- 
macht. Schrecken und Betäubung waren die er⸗ 
ſten Wirkungen dieſes unerwarteten Vorfalls 
auf die ohne dieß gebeugten Chriſten. Nach und 
nach ermannten ſich einige, die in unüberlegtem 
Eifer für ihr Heiligſtes ſich der Übermacht zu | 
widerſetzen, oder auf den Trümmern ihrer Kir— 4 
chen zu ſterben beſchloſſen. Ein ſolcher Auftritt 
zog mehrere ähnliche nach ſich. In wenig Stun- 
den war die ganze Stadt in aufrühriſcher Be⸗ 
wegung. Auf allen Straßen, bey allen Tem 
peln ſtellte ſich im Kleinen das Bild des großen j 
Kampfs des Polytheismus mit dem Chriſten- 
thume dar, überall ſah man Mißhandlungen, 
Verwundete, Todte. Die Vernünftigern hielten 
ſich in ihren Hdufern verſchloſſen; ſelbſt die Bef⸗ 
ſern unter den Heiden ſah man keinen Theil an 
den wilden Ausbrüchen ihrer Partey nehmen, 
nur Pöbel wüthete gegen Pöbel, aber um fo em 


pörender und frecher. 


Die Erſten von uns erwarteten jeden Augen⸗ 
blick den Befehl, ſich vor Gericht zu ſtellen. Ich 
war und bin noch auf jeden Fall bereitet. Es iſt 
mehr als wahrſcheinlich, daß Galerius nicht 


RRV 


245 
bloß die Ausrottung einer verhaßten Glaubens⸗ 
form, daß er den Sturz mehrerer Gefürchteten 
zur Abſicht bey dieſen Maßregeln hatte, deren 
Gewaltſamkeit das deutliche Gepräge ſeines wil— 
den Gemüths trägt. | ! 

Agathokles theilte meine Vermuthungen und 
meine Beſorgniſſe. Gebiethende Umſtände hat— 
ten ihn ſchon vor mehreren Tagen beſtimmt, ſei⸗ 
nen Glauben öffentlich zu bekennen. Seine Wei— 
gerung, ſich wider die Chriſten gebrauchen zu 
laſſen, diente dem düſtern Galerius zum will⸗ 
kommenen Vorwande. Im Nahmen des Augu⸗ 
ſtus ward ihm befohlen, ſeine Stelle als Tribun 
niederzulegen. Er gehorchte ſchnell und willig. 
Als die Nachricht in dem Quartier der Solda— 
ten erſcholl, entſtand Unruhe und Larmen unter 
den Treuen, die den geliebten Anführer nicht 
miſſen wollten. Mit einem Ungeſtüm, in dem 
ſich noch der Geiſt der alten Praͤtorianer zeigte, 
drangen ſie in den kaiſerlichen Pallaſt, und for— 
derten ihren Oberſten zurück. Die Schwäche be— 
willigte unzeitig, was Übereilung und Rache eben 
ſo unzeitig verhängt hatten. Auf ihren Schil— 
den, unter lautem Jauchzen, trugen ſie ihren 
Anführer in ſeine Wohnung zurück. Hier blieb 
er eine Weile unangefochten; man wagte nicht, 


246 . 

ihm einen Auftrag von Wichtigkeit zu geben, 
man fürchtete kleinherzig, daß er die anvertrau— 
te Macht mißbrauchen würde. Aber man umgab 
ihn, ſo wie mich, auf allen Seiten mit Lau— 
ſchern und Spähern. Wir trugen unſer gemein— 
ſchaftliches Schickſal gelaſſen, und hielten uns 


ſtille, beſonders den heutigen Tag, an dem jedem 


klugen Manne Vorſicht ziemte. Gegen Abend 
verließ mich Agathokles, um noch vor Einbruch 
der Nacht in ſein ziemlich fernes Quartier zu 
gelangen. 

Ein einziger Sclave begleitete ihn; Man— 
tel und Kappe verbargen ſeine Kleidung und ſei⸗ 
nen Stand, und ein kurzes Schwert war ſeine 
ganze Sicherheit. Auf dem Wege trifft ein ver— 


wirrter Lärmen und klagende Stimmen fein Ohr. 


Bekannt mit den Auftritten des heutigen Tages 
eilt er dem Getöſe zu, und findet einen Hau— 
fen Soldaten und Pöbel ſchreyend, tobend um 
den Altar einer heidniſchen Gottheit vor einem 
kleinen Tempel verſammelt, die im Begriffe ſind, 
ein armes Weib mit einem Kind zum Genuß 
des Opferfleiſches, das ihnen ein fanatiſcher Gö— 


= 
E:: EE ee a ee 


a 8 


cr 


tzenprieſter aufdringt, zu zwingen. Die Unglück⸗ 


liche weigert ſich ſtandhaft. Jetzt entreißt einer 
der Barbaren ihr das Kind, und droht, es in 


247 
die Opferflamme zu werfen. Die Verzweiflung 
der Mutter, das Angſtgeſchrey des Kindes durch— 
dringen Agathokles Bruſt, und reißen ihn hin, 

zu thun, was die Klugheit nimmer billigen Fonn= 
te. Er drängt ſich in den Kreis, er ruft ihnen 
im Nahmen des Kaiſers Friede zu, er ſtellt ih⸗ - 
nen vor, daß das Edict nur Unterlaſſung der 
chriſtlichen Gebräuche, aber nicht die Annahme 
der heidniſchen befehle. Wann hört der wüthen— 
de Pöbel die Stimme der Vernunft? Sie über— 
tauben ſeine Rede, und ſchleppen das Weib bey 
den Haaren zum Altar. Da übermannt ihn der 
Zorn; er entreißt dem Soldaten das Kind, gibt 
es der Mutter, und vertheidigt fie und den Klei— 
nen gegen das Andringen der Wüthenden. Aber 
die Menge wächſt jeden Augenblick. Von der 
Frau und dem Kinde weg, wendet ſich ihre Ra— 
ſerey auf den neuen Gegenſtand. Mit Spießen, 
Schwertern, und allerley Geräthe, womit Zu— 
fall und blinder Zorn den Unverſtand bewaffnet, 
dringen ſie auf ihn ein. Er übergibt die Unglück— 
lichen, deren Rettung ihm vielleicht ſein Leben 
koſten wird, dem Sclaven, der ihn begleitet. 
Dieſer will ſeinen Herrn nicht verlaſſen; ein 
ſtrenger Befehl gebeut Gehorſam, und man läßt 
ihn mit ſeinen Geretteten ungehindert fliehen. 


* 


248 


Aber Agathokles wird das Opfer ihrer Wuth. 
Schwer und vielfach verwundet ſinkt er nieder; 


und wie ſein Mantel ſich auseinander ſchlägt, 


erkennen die Nächſten mit Schrecken, daß fie ei- 


nen Offizier der Leibwache getödtet haben. Sie 


entfliehen; der erſchrockene Haufe zerſtreut ſich. 


Agathokles bleibt allein im Blute ſchwimmend 
liegen. Der Sclave war ſogleich in das Quar- 
tier ſeines Herrn geeilt, und verkündete den 
treuen Soldaten die Gefahr ihres Anführers. 
Sie ſtürmen hinaus; aber wie ſie auf den Platz 


kommen, iſt alles einſam, und mit Schrecken und 


Schmerz finden ſie ſeine Leiche. Sie nähern ſich, 
er athmet noch; mit roher Kunſt ſucht ihre Lie- 
be das Blut ſeiner vielen Wunden zu ſtillen, 
und einige von den Soldaten, geheime Chri- 
ſten, beſchließen, ihn an das beſte Ort, das ſie 
für dieſen Fall kennen, zu bringen, in das Wit⸗ 
wenhaus der Chriſten, die ſich in der Nahe der 
Stadt mit Werken der Wohlthätigkeit beſchäfti⸗ 
gen, und bey denen in dieſen Tagen ſchon man- 
cher Unglückliche Schutz gefunden hat. Die Wa- 
chen am Thore laſſen fie ziehen, da fie ihr Vor⸗ 


— 


haben hören; und nun eilt der Sclave zurück, 


mir die Unglücksbothſchaft zu bringen. Mir öff- 
net mein Nahme die geſchloſſenen Stadtthore; 


| 249 
ich fliege zu meinem Freunde. Bleich, ohne Be— 
wegung, ohne Bewußtſeyn finde ich ihn unter 
den Händen zweyer Frauen, von denen die jün— 
gere, in Thränen zerfließend, kaum fo viel Be— 
ſonnenheit übrig hatte, um den Verwundeten 
zu behandeln. Nie ſah ich eine ſolche Rührung 
bey einer Unbekannten. Ich trat zu Agathokles, 
ich faßte ſeine Hand, ich nannte ſeinen Nah— 
men; endlich ſchlug er das müde Auge auf, blick— 
te ſtarr um ſich her, ohne etwas zu erkennen, 
und ſchloß es ſogleich wieder. Jetzt ſchien die Be— 
wegung der Fremden ſich noch zu vermehren; ſie 
zitterte ſo ſtark, daß ich ihr rieth, ſich lieber zu 
entfernen, wenn ihr der Anblick vielleicht zu 
ſchauderhaft wäre. Sie ſah mich wild an. Um 
keinen Preis der Welt, nicht um meine Selig— 
keit! antwortete ſie heftig mit bebender Stim— 
me, und fuhr emſiger in ihrem traurigen Ge— 
{daft fort. Der Arzt kam, ein bejahrter Prie— 
ſter, er unterſuchte die Wunden; mit Angſt ſah 
ich ſeinem Urtheil entgegen. Bläſſer als der Ver— 
wundete, mit einem Zittern, das ihren ganzen 
Körper fieberhaft erſchütterte, harrte die Frau 
auf ſeinen Ausſpruch. Er erklärte endlich, daß 
die Wunden zwar bedenklich, aber nicht tödtlich 
ſeyen. Hier ſank die Unbekannte mit einem Freu— 


250 


dengeſchrey ohnmächtig nieder, und man mußte 


ſie wegbringen. Ich blieb noch eine Weile; ich 


erkundigte mich nach der Fremden, deren Betra— 
gen mir ſo ſeltſam aufgefallen war. Nichts, was 


ich hörte, vermochte mir eine Aufklärung zu ge⸗ 
ben, oder eine Vermuthung zu begründen. Aga⸗ 


thokles erhohlte ſich nicht ſo weit, daß er eines 
vollen Bewußtſeyns fähig geweſen wäre; und fo. 
entfernte ich mich endlich, um nicht meine eigene 


Sicherheit in Gefahr zu ſetzen, und ſchreibe dir 
alſogleich die Ereigniſſe dieſes merkwürdigen Ta⸗ 


ges. Was in meiner Seele vorgeht, kannſt du 


denken; du weißt, was mir die Sache meiner 


Glaubensgenoſſen, meine künftigen Ausſichten, 


und Agathokles ſind. 


Die Nacht iſt vorgeruckt, der Bothe war⸗ 


tet. Leb wohl! 


id 


Anmerkungen. 


WU 


1) Die Kaiſerinn Prisca’ war Diocletians Gemab- 
linn. Er nahm bey ſeiner Thronbeſteigung den Mah: 
men Valerius an, und gab ſeine Tochter Valeria dem 
SGalerius zur Frau. 

2) In Eboracum, dem heutigen Pork, war der 
kaiſerl. Pallaſt. 

3) Luftrum, ein Zeitraum von fünf Jahren. 

a) Hesperien, ein Rahme von Italien. 

5) In den Agyptiſchen Tempeln ſtanden Sombole, 
die unter Thier⸗ und Pflanzengeſtalten allerley An⸗ 
deutungen und geheimnißvolle Lehren für die Einge⸗ 
weihten enthielten. Der Pöbel bethete ſie als Götter 
an. Die Diana von Epheſus, als Sinnbild ber aller- 
nährenden Natur wurde als eine hohe Frau mit vielen 
Brüſten vorgeſtellt. 

6) Cappadoeiſche Selaven wurden zum Tragen der 
Sänften gebraucht. | 


252 

7) Hierapolis, eine Stabt am rechten Ufer des Eu⸗ 
phrats. Die Schlacht, welche hier beſchrieben wird, 
findet ſich beynahe mit allen Umſtänden der wirklich 
geſchichtlichen Perſonen (Conſtantin ausgenommen) in 
dem dreyzehnten Kapitel von Herrn Gibbons Geſchich⸗ 
te. Daß ich ſie von dem Fahre 296 auf 302 verlegt 
habe, wird man in einem Romane wohl verzeihen. 

8) Geſchichtlich. 

9) Geſchichtlich. 

10) Gpolia opima wurde die Rüſtung des feindli⸗ 
chen Heerführers genannt. 

11) Die Hauptzüge dieſer Begebenheit ſind ganz 
nach Gibbon. 

12) Ebenfalls geſchichtlich, ſo wie die Folgen die⸗ 
ſer Schlacht, Narſes Verwundung, und der durch den 
Apharban geſchloſſene Friede. | P 

13) Jovianer und Herculianer waren die Benen: 
nungen zweyer Fllyriſcher Legionen von geprüfter Treue, 
welchen Diocletian, um den übermuth der Pratoria⸗ 
ner zu mäßigen, den Dienſt der Leibwachen übertrug. 

14) Die Häuſer im Orient hatten, und haben noch 
größten Theils platte Dächer, die in den kühlen 
Stunden zum Luftſchöpfen und Spazierengehen dienen. 

13) Rom hatte ſeine eigene Göttinn, der unter 
dieſem Rahmen Tempel erbaut wurden. Sie wurde 
verſchieden abgebildet, unter andern aber auch mit 
einer Victoria in der Hand. 

16) Eros, ein Mahme des Amors. 


3 253 

17) Ein Talent galt ungefähr gegen 1000 Gulden. 

18) Als Arria und ihr Gemahl Pätus mit einander 
zu ſterben beſchloſſen hatten, ſenkte fie zuerſt den Dolch 
in ihr Herz, und gab ihn dann ihrem Manne mit den 
berühmten Worten: Er ſchmerzt nicht. 

19) Coloniae Agrippinae, das heutige Cölln. 

20) Die Römer ſchrieben bald mit Griffeln auf 
Tafeln, welche mit Wachs überzogen waren, bald mit 
Federn von Rohr auf Pergament und eine Art Papier, 
das aus einer Agyptiſchen Staude bereitet wurde. 

21) Als Aneas bey ſeiner Höllenfahrt in Elyfium 
dem Schatten der Dido begegnete, die ſich um ſeiner 
Untreue willen ermordet hatte, wandte ſie ſich zür⸗ 
nend von ihm ab. 

22) Roſtra, war ein Gebäude auf dem Hauptplatze 
von Rom, das aus den Schiffſchnäbeln einer befiegten 
Flotte errichtet worden war, und vor welchem die öf⸗ 
fentlichen Reden gehalten wurden. Hermes oder Mer⸗ 
ceur iſt auch der Gott der Beredſamkeit, und wird als 

ſolcher mit goldnen Kettchen abgebildet, die von ſei— 
nem Munde an die Ohren der Zuhörer gehen. 

23) Die Stelle, auf welche fish dieſe Anſpielung 
bezieht, iff aus dem Lucan: 

Magno se judice quisque tuetur, 
Victrix caussa Diis placuit, sed victa Catoni. 

24) Als das Volk in den erſten Zeiten der Repub⸗ 
lik einſt gegen den Senat und die Reichen aufgebracht 
war, und ſich außer Rom auf einem Berge gelagert 


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hatte, brachte es ber Conſul Menenius Agrippa durch 
die bekannte Fabel von dem Magen und den Gliedern 
des Leibes wieder zur Ordnung, und in die Stabt 
zurück. 

25) Alles dieß, fo wie die Stürmung der Kirchen 
an einem Tage im ganzen Reiche iſt geſchichtlich. 

26) Diaconiſſinnen waren chriſtliche Witwen, wel⸗ 
che in den Kirchen, beſonders bey der Taufe arn 
cher Katechumenen dienten. 

27) Sympoſion, ein kleines Gaſtmahl. 


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