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Full text of "Antigone : Tragödie in 5 Akten"

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^(y^ 


Tilla  Durieux  zugeeignet 


WALTER  HASENCLEVER 

ANTIGONE 

TRAGÖDIE  IN  5  AKTEN 


A 


FÜNFTE  AUFLAGE 


VERLEGT  IM  JAHRE  1918 
BEI  PAUL  CASSIRER  /  BERLIN 


_ir    -niTTTT     ves. 


PERSONEN: 

Volk  von  Theben 

Kreon,  König  von  Theben 

Eurydike,  seine  Gemahlin 

Hämon,  sein  Sohn 

Antigone 

Ismene 

Teiresias 

Wächter 

Anführer 

Herold 


SCHAUPLATZ: 
Die  Stadt  und  der  Palast  von  Theben. 


7m  Hintergrund  der  Palast. 

Das  Ter  des  Schlosses  in  der  Mitte  mündet  auf  eine  Rampe. 

Hier  ist  der  Schauplatz  des  Königs. 

Stufen  führen  hinab  in  die  Arena. 

Drei  Eingänge:  rechts,  links  und  dem  Palaste  gegenüber. 

Hier  ist  der  Schauplatz  des  Volkes, 


ERSTER  AKT 


Die  Bühne  ist  dunkel. 

Fanfaren.  Palast  und  Arena  werden  hell.  Volk  strömt  in  die  Arena. 

Das  Tor  des  Palastes  geht  auf.  Der  Herold  tritt  heraus. 

ERSTE  SZENE 

Herold.  Volk. 

HEROLD 
Der  Krieg  ist  aus.  Die  Feinde  sind  geschlagen. 
Die  Stadt  ist  frei. 
Eteokles,  der  König,  fiel 
Im  Zweikampf  mit  dem  Bruder  Polyneikes; 
Beide  kamen  gräßlich  um  durchs  Schwert 
Eteokles  ist  tot.  Kreon  ist  König. 
Kreon  befiehlt: 

Die  Leichen  der  Gefallenen  zu  begraben; 
Freudenfeuer,  Gottesdienst 
Zu  feiern  für  die  Rettung  unsrer  Heimat. 
Man  gebe  dem  Eteokles  ein  Grab, 
Ein  königliches  Grab, 
Würdig  seiner  Asche:  Held  und  Retter. 
Doch  Polyneikes,  der  Verräter,  giftige  Saat 
Vom  Schatten  des  Odipus,  der  mit  dem  Zug 
Der  Sieben  gegen  Theben  zog,  die  Herrschaft 
An  sich  zu  reißen  —  bleibt  liegen 
Dort  auf  dem  Schlachtfeld,  Hund«  und  Vogelbeute. 
Zum  Himmel  stinkt  sein  faules  Aas, 
Denkmal  der  Schande  allen  Menschen. 

13 


Kreon  befiehlt: 

Wer  des  Verbotes  ungeheure  Mahnung 
Übertritt  - 

Wer  dieser  Leiche  letzte  Ehre  spendet, 
Der  wird  zu  Tod  gesteinigt, 
Sein  Kadaver  jenem  zugesellt. 
So  rächen  wir  die  Taten  unsrer  Feinde! 
(Trompeten.  Ab.) 

EIN  BÜRGER 
Es  sind  viele  gefallen  im  Krieg. 

ZWEITER  BÜRGER 
Schlimme  Zeiten. 

DRITTER  BÜRGER 
Weshalb  sollen  wir  Polyneikes  nicht  begraben? 

VIELE  STIMMEN 
Er  war  schuld  am  Krieg.  —  Er  wollte  den  König  ermorden.  — 
Er  ist  ein  Hund,  die  Hunde  sollen  ihn  fressen. 

EIN  KRIEGER 
Er  war  ein  Krieger  wie  wir.  Er  war  tapfer. 

ZWEITER  KRIEGER 
Er  war  der  Feind. 

EINE  FRAU 

Vielleicht  hat  er  Weib  und  Kinder. 

VIELE  FRAUEN 
Auch  wir  haben  Kinder.  —  Wer  hilft  uns? 

14 


ERSTER  BORGER 
Wir  haben  einen  guten  König. 

ZWEITER  BÜRGER 
Einen  tapfern  König.  Er  sitzt  auf  dem  ThronI 
(Gelächter.) 

ERSTER  KRIEGER 
(drohend) 
Kreon  ist  König  1 

ERSTER  BÜRGER 
Der  Schwager  des  Odipus. 

ZWEITER  BÜRGER 

(dumpf) 
Der  Fluch  des  Odipus. . . 

ERSTER  KRIEGER 
Gehorcht  dem  König  I 

ZWEITER  KRIEGER 
Er  schenkt  uns  Wein. 

STIMMEN 
Wein!  —  Wenn  die  Krieger  heimkommen.  —  Viel  Wein!  — 
Tänzerinnen  und  Flöten. 

DRITTER  BÜRGER 

Erst  laßt  uns  die  Toten  begraben. 
(Stille) 

15 


EINE  FRAU 
Und  die  Witwen  und  Waisen? 

ZWEITE  FRAU 
Unsrc  Männer  sind  tot.  Wir  haben  Hunger.  Gebt  uns  zu  essenl 

ERSTER  BÜRGER 
Wir  wollen  keinen  Krieg  mehr. 

VIELE  STIMMEN 
Wir  wollen  Frieden! 

EIN  JÜNGLING 

(steht  auf  den  Stufen) 
Hört  auf  mich.  Wir  sind  jung. 
Männer  werden  geboren. 
Wir  werden  hinausziehn.  Der  Krieg  ist  schön. 

ERSTER  BÜRGER 
Gelbschnabel] 

ZWEITER  JÜNGLING 
(neben  dem  ersten) 
Wenn  die  Schlacht  uns  zerreißt,  ihr  sollt  es  nicht  fühlen. 
Ihr  sollt  nicht  hungern. 

VIELE  RUFE 
Theben!  Theben! 

(Flöten  hinter  der  Szene.) 

16 


DRITTER  JÜNGLING 

(neben  den  beiden) 
Die  Welt  ist  weit. 
Wir  werden  viele  Feinde  besiegen. 
Vorwärts,  Freunde  —  Unsterblichkeit! 

VIELE  FRAUEN 
Wie  sie  rufenl 

(sie  drängen  zu  ihnen.) 

ERSTER  KRIEGER 

(zu  einem  Mädchen) 
Heran,  kleine  Freude! 

(er  nimmt  sie  in  die  Arme) 

DAS  MÄDCHEN 
Die  grämlichen  Bürger! 

ZWEITER  KRIEGER 
Heute  nacht  fließt  Wein, 
Der  Sorgen«Erwürger. 

DAS  MÄDCHEN 
Heute  nacht,  heute  nacht  — 

ERSTER  KRIEGER 
Heißer  als  die  Schlacht  — 

ZWEITER  KRIEGER 
Alle  sollen  betrunken  sein! 


17 


DIE  JÜNGLINGE 
Wir  haben  den  Sieg.  Wir  haben  das  Leben. 
Sieben  Heere  vor  sieben  Toren  in  Thebenl 
Ruft  die  Völker  der  Erde  heran  — 
Wir  sind  gerüstet.  Wer  greift  uns  an? 

EINIGE 

(lärmend) 
Wir  sind  gerüstet.  —Wer  greift  uns  an? 

VIELE 
Das  Vaterland  ist  gerettet. 

ALLE 
Es  lebe  der  Königl 

ERSTER  BÜRGER 
Geht  heim  in  die  Häuser.  Der  Tag  ist  zu  Ende. 

ZWEITER  BÜRGER 
Dort  nahen  zwei  Frauen  . . . 

(Alle  wenden  sich.) 

ERSTER  BÜRGER 
Still.  Die  Fürstinnen:  Antigene  und  Ismene.  Die  Schwestern 
der  Toten.  Ehrt  ihren  Schmerz.  Laßt  uns  gehen. 
(Alle  ab.) 


18 


ZWEITE  SZENE 

Antigene  und  Ismene  kommen  von  rechts.  Der  Palast  ist  dunkel. 
Die  Arena  ist  bell. 

ANTIGONE 
Komm  zu  den  Stufen,  wo  wir  Kinder 
Ball  spielten  vor  dem  Haus  des  Odipus. 
Ismene,  hier 

Fiel  er  hinab,  unser  Vater  — 
Geblendet:  Vatermörder,  Mutterschänder. 
Zum  zweitenmal  erfüllt  mein  Herz  die  Stätte; 
Das  Verbrechen  weidet  sich  an  mir. 

(Sie  setzt  sich  nieder  auf  die  Stufen.) 
Die  Brüder  sind  tot.  Sie  nennen  es  Krieg. 
"Weshalb  muß  ich  noch  leben  auf  den  Gräbern? 

ISMENE 
Du  wirst  nicht  sterben.  Zünde  Hoffnung  an! 
Sieh,  Friede  kehrt  zurück. 
Ich  will  dich  trösten.  Weine,  süße  Schwester  1 

ANTIGONE 

(greift  mit  den  Händen  in  die  Erde) 
Ich  kralle  mich  in  die  Erde  ein ; 
Sie  ist  so  starr  nicht  wie  das  Herz  der  Mächtigen. 
Da  draußen  liegt  des  Bruders  Leiche, 
Erschlagen  wie  ein  totes  Tier. 
Wo  steht  das,  Schwester, 

2»  19 


Daß  man  die  Toten  nicht  begraben  soll? 
Er  ist  ein  Mensch.  Er  ist  mein  Bruder. 
Ich  kenne  keine  Feinde,  die  man  schändet, 
Keinen  Haß,  der  noch  den  Tod  beschimpft. 

ISMENE 
Gott  wird  ihn  rächen. 

ANTIGONE 
Rede  nicht  von  Gott! 

Hat  Gott  erlaubt,  daß  sich  die  Menschen  morden? 
Hat  Gott,  als  Kreon  sich  vermaß, 
Zu  treten  auf  den  armen  Leib  des  Toten, 
Erdbeben,  Feuerbrände  ausgesandt. 
Das  Maul  des  Spötters  zu  ersticken? 
Gott  schwieg. 


ISMENE 


So  laß  uns  fliehen. 


ANTIGONE 
Fliehen,  Schwester? 
Die  Nacht  fiel  über  Odipus. 
Nicht  das  war  seine  Schuld,  daß  unerkannt 
Der  Sohn  den  Vater  schlug  —  nein,  daß  der  Mensch 
Im  Haß  den  Menschen  tötet,  der  ihm  Feind. 
Als  ich  in  die  graue,  ferne  Zeit 
Den  alten  Mann  an  meiner  Hand 
Fort  vom  Palaste  in  die  Armut  führte, 

20 


Eikannte  ich  Gottes  Fluch  an  uns! 
Waren  alle  Menschen  blind,  dann  fielen 
Schläge  in  den  ungewissen  Raum ; 
Sie  müßten,  weil  sie  hilflos  sind,  sich  lieben. 
Hier  klebt  noch  Blut.  Hier  laß  uns  sühnen. 

ISMENE 
Sind  wir  nicht  arm? 

ANTIGONE 
Sind  wir  nicht  Schwestern? 
Hilf  mir,  Polyneikes  zu  begraben. 

ISMENE 
Antigone  — 
Es  steht  der  Tod  darauf! 

ANTIGONE 
Was  zögerst  du? 
Ist  nicht  der  Bruder  höher  als  der  T  jd? 

ISMENE 
Du  handelst  gegen  das  Gebot  des  Königs! 

ANTIGONE 
Soll  ich  sein  Unrecht  noch  vergrößern? 

ISMENE 
Laß  es  vergessen  sein. 


21 


ANTIGONE 
Hat  Kreon  ihn  vergessen? 
Ist  ewig  nur  der  Haß?  Wie  sehr 
Hat  Liebe  unter  Menschen  sich  verändert, 
Wenn  sie  dem  Tode  weicht.  Was  reden  wirl 
Begraben  will  ich  ihn  —  nicht  um  ihn  weinen. 

ISMENE 
Du  hassest  Kreon,  Tochter  Odipus'I 

ANTIGONE 
So  lang  ich  lebe,  lebt  Gerechtigkeit. 

ISMENE 
Du  bist  ein  Weib.  Gehorche! 

ANTIGONE 
Am  jüngsten  Tage  wird  er  mir  begegnen 
Und  fordern  Rechenschaft  von  meinem  Geiste. 

ISMENE 
Beuge  dein  großes  Hauptl 
Durch  neues  Unrecht  stürzt  das  alte  nicht; 
Du  rührst  den  ewigen  Jammer  sinnlos  auf. 
Lacht  nicht  des  Bürgers 
Auge  erwacht  der  heitern  Sonne  zu? 
Sei  Mensch  mit  allen  Menschen! 

(Feme  Musik,  die  sich  bis  zum  Ende  der  Szene  steigert.) 
22 


ANTIGONE 
Schweige  1 

Tanze  deiner  Wollust  zu. 

Bring  dich  in  Sicherheit. 

ISMENE 
Antigonel 

ANTIGONE 

Entblöße  deinen  Busen  nur, 

Aus  dem  die  Treue  zu  den  Bürgern  floh. 

Du  bist  ein  Weib  —  wirf  dich  Männern  hin! 

ISMENE 
Höher  als  der  eine  ist  die  Welt, 
Und  wäre  er  mein  Bruder  tausendfach. 

ANTIGONE 
Geh  in  die  Welt.  Er  war  dein  Bruder  nie. 

ISMENE 
Wie  einsam  sind  wir  — 

ANTIGONE 
Gehl  Verleugne  mich. 

(Ab  nach  rechts.) 

ISMENE 
(von  schnell  hereindringendem  Volke  fortgerissen.) 


23 


DRITTE  SZENE 

Fackeln,  Musik.  In  der  Mitte  lagern  kriegerische  Jünglinge. 

Tänzerinnen  führen  eine  Pantomime  auf.  Sie  nähern  sich,  weichen 

zurück,  werfen  Zweige  hin,  lassen  sichgreifen,  sinken  zu  ihnen  nieder. 

Eine  schöne  Gestalt  bleibt  übrig  mit  einem  Kranz.  Sie  neigt  sich  und 

bekränzt  den  schönsten  Jüngling  damit. 

DIE  TÄNZERIN 
Auf  Bergen  lodern  die  Feuer. 
Ruhm  und  Siege  und  Taten  weit  — 
Liebt  uns!  Verschwendet  uns!  Alles  ist  euer: 
Süße  Frucht  der  lebendigen  Zeit. 

EINE  STIMME 
(schneidend) 
Und  die  Toten? 

{Alle  wenden  sich  unwillig.) 

ZWEITE  STIMME 
Still  da! 

EIN  JÜNGLING 
Wer  stört  das  Fest? 

EIN  BÜRGER 
Die  Unzufriedenen! 

DER  JÜNGLING  MIT  DEM  KRANZ 
Rosse  versinken  im  Sumpf, 
Kehle  zerschnitten, 

24 


Geräderter  Rumpf, 

Wir  ritten 

Dumpf 

Durch  fliehende  Heere  mitten. 

Am  Himmel  der  rote  Schrei, 

Am  Boden  der  blutige  Brei. 

Wir  ritten! 

Wir  trieben  mit  unserm  Speer 

Die  Menschen  zusammen  wie  Ziegen. 

Wer  nicht  wollte,  wer  nicht  konnte, 

blieb  —  liegen. 

(Er  macht  die  Geste  des  Erstechens.  Beifall.) 
Wie  sie  liefen:  wie  Hunde,  wie  Hasen! 
Die  Alten  haben  wir  aufgehängt. 
Die  Jungen  gespritzt  auf  den  Rasen. 
Keinem  das  Leben  geschenkt! 
Die  Raben 
Sollen  sie  haben. 

(Fröhliches  Gelächter.) 

EINE  STIMME 
Die  Raben? 

EIN  JÜNGLING 

(drohend) 
Was  sagst  du? 

DIE  STIMME 
Freund!  Es  war  einmal  eine  Rabenschlacht.  Als  alle  Raben  tot 
waren,  kamen  die  Menschen  und  fraßen  sie. 

25 


DER  JÜNGLING 
Spaßvogel  1 

DIE  STIMME 
Die  Menschen  wählten  einen  König,  den  nannten  sie  Raben« 
könig  zur  Erinnerung  an  die  Rabenschlacht.  Alle  zehn  Jahre 
ziehen  sie  aus  auf  die  Rabenjagd.  Wenn  die  Raben  getötet 
sind,  bereiten  sie  dem  König  ein  Mahl.  Wenn  der  König  die 
Raben  gefressen  hat,  muß  er  zehn  Jahre  verdauen;  dann  fängt 
die  Geschichte  von  vorne  an. 

EIN  BÜRGER 
Eine  schöne  Geschichte.  Wo  kommen  alle  die  Raben  her? 

DIE  STIMME 
Du  mußt  den  König  fragen;  der  weiß  es. 

VIELE  STIMMEN 
Kreon  soll  kommen!  —  Der  neue  König.  —Wir  wollen  den 
König  sehn! 

DAS VOLK 
Kreon  1 

(Alle  wenden  sich  dem  Paläste  zu.  Der  Palast  wird  hell.  Kreon 
tritt  heraus.  Stille.) 

KREON 
Untertanen! 

Meine  Augen  schweifen  über  die  Länder. 
Ich  sehe  Städte  gebaut,  Herrscher  regieren; 
Den  Palast  der  Könige,  ewigen  Marmor 

26 


Auf  der  verworrenen  Masse  des  Volkes. 

Gott,  der  die  Feinde  schlug,  hat  mich 

Zum  König  eingesetzt.  Herolde  haben 

Meinen  Willen  verkündet. 

Ich  sehe  zu  meinen  Füßen  Gute  und  Böse, 

Das  Volk  des  Odipus,  der  längst  verfiel. 

Von  euch  erhob  sich  seiner  Söhne  Einer 

Als  Feind,  verriet  sein  Vaterland. 

Der  liegt  nun  tot  und  kalt  im  Mörderblute 

Und  träumt  nicht  mehr  vom  Thron. 

Noch  einmal  hier 

Befehle  ich  mit  meiner  ganzen  Strenge: 

Kein  Grab  für  seinen  Überrest! 

Mag  in  die  Welt,  wo  Völker  wohnen. 

Der  Festgeruch  von  seinem  Namen  dringen. 

Weh  dem,  der  sich  vergreift  an  dieser  Schuldl 

Ihr  alle  haftet  mir  für  seine  Leiche. 

ANFÜHRER 
Dank,  König  Kreon,  daß  du  Rache  übst. 
Die  Wächter  stehen  an  der  Leiche  schon. 
Keiner  naht  sich  dem  Verhaßten  mehr. 

KREON 
Mein  Volk! 

Gewonnen  ist  der  Krieg.  Beweint  die  Toten. 

Zu  neuen  Taten  rüstet  euch! 

Wir  sind  umringt  von  Feinden. 

Nur  der  Starke  wird  die  Welt  erobern. 


27 


Die  Herrschaft  nehme  ich  in  meine  Hände, 
Erfüllt  vom  Geiste  eurer  Könige: 
Ehre  dem  Freund!  dem  Feinde  Untergang. 
An  diesem  Tag  der  Freude,  den  ihr  feiert, 
Soll  offenbar  auch  meine  Gnade  sein. 
Ist  einer  unter  euch,  der  sie  begehrt, 
Er  trete  vor  und  fordere  sie  von  mir! 

(Die  Schar  der  Armen  in  grauen  Gewändern  wirft  sich  vor  den 
Stufen  nieder.  Einer  von  ihnen  spricht:) 

DER  ARME 
Herr!  Die  Felder  sind  nicht  bestellt.  Des  Vieh  ist  obdachlos. 
Unsre  Söhne  fielen  im  Krieg. 

DER  ZWEITE  ARME 
^X^r  frieren.  Unser  Haus  ist  gepfändet.  Hab  Mitleid,  Herrl 

DER  DRITTE  ARME 
Die  Kinder  hungern.  Die  Weiber  sterben  am  Fieber.  Erlaß 
uns  den  Tribut! 

ALLE  ARMEN 
Erlaß  uns  den  Tribut! 

KREON 
Ich  brauche  euer  Geld  und  eure  Söhne. 
Theben  soll  mächtig  sein! 

RUFE 
Theben  soll  leben! 

28 


DIE  ARMEN 
Wir  sind  arm.  —Wir  wollen  Frieden. 

KREON 
Man  gebe  ihnen  Brot. 

EINE  FRAU 
Gib  uns  unsre  Männer! 

EINE  STIMME 

(grell) 
Nieder  die  Reichen  1 

KREON 
Wer  ruft  da?  Komm!  Ich  will  dich  sehen,  Freund. 
Komm  näher!  Was  sagtest  du? 

(Ein  schmächtiger  Bursche  tritt  langsant  vor.) 

DER  BURSCHE 
Wir  haben  Hunger.  Wir  müssen  arbeiten.  Arbeiten  für  die 
Reichen.  Sie  geben  uns  nichts. 

VIELE  STIMMEN 
Er  hat  recht.  —  Hört  ihn. 

ANFÜHRER 
Ruhe! 

KREON 

(spöttisch) 
Ich  liebe  diesen  lustigen  Gesellen. 
Wie  sieht  die  Welt  in  seinem  Schädel  aus? 

29 


DER  BURSCHE 
(plötzlich  wild,  mit  drohender  Faust) 
Die  Notl  Das  Elendll 

KREON 
(ßnster) 
Was  schreist  du,  Lümmel  1 

DER  BURSCHE 
(reißt  sein  Gewand  auf,  streckt  die  Arme  aus) 
Ich  habe  fünf  Tage  nichts  gefressen.  Man  wird  nicht  von 
Siegen  satt. 

KREON 
Haut  ihn  mit  der  Peitsche  auf  den  Schädel! 
(Bewaffnete  dringen  auf  ihn  ein  und  schlagen  ihn  nieder.  Er  schreit. 
Er  wird  fortgeschleift.  —  Dämmerung.  —  Diener  mit  Fackeln  stehen 

auf  der  Rampe) 
Hütet  euchl 

Die  Ordnung  dieser  Stadt  ist  unverrückbar. 
Keiner  tastet  an  das  alte  Recht. 
Hier  stehe  ich  und  jeder  sieht  mich: 
Gott  gab  mir  Majestät, 
Daß  ich  euch  würdig  führe. 
Ihm  allein  schulde  ich  Rechenschaft! 
Gehorsam  fordere  ich  in  seinem  Namen. 
Ich  werde  gut  den  Guten  sein; 
Wer  gegen  mich  ist,  den  zertrete  ich. 

(Dumpfe  Bewegung) 

30 


Theben  ist  frei.  Für  seine  Freiheit  lebe 

Und  sterbe  der  geringste  Mann. 

Legt  eure  Waffen  ab  und  werdet  Bürger. 

Der  Tag  kommt  wieder,  wo  ihr  Helden  seid. 

Dann  ruf  ich  euch  —  bis  in  die  fernste  Hütte 

Brausender  Städte  der  Trompete  Ton. 

Zu  größern  Taten  werde  ich  euch  führen. 

Laßt  uns  vermehren  unsern  alten  Ruhm! 

(Sie  halten  ihm  die  Waffen  entgegen  und  schlagen  die  Schilde  an.) 

Wein  soll  fließen! 

Im  Siegesfest  bricht  meine  Herrschaft  an. 

DAS  VOLK 
Es  lebe  Kreon! 

VIERTE  SZENE 

Durch  den  mittleren  Eingang  der  Arena  kommt  der  Wächter. 
Alle  prallen  zurück.  Er  geht  weiter  wie  durch  ein  Spalier. 

WÄCHTER 
OHerr... 

KREON 
Wer  bist  du? 

WÄCHTER 
Ein  Wächter  von  der  Stätte  des  Polyneikes. 

KREON 
Sprich  1 

31 


WÄCHTER 
Ich  wage  es  nicht,  Herr. 

KREON 
Was  ist  geschehen? 

WÄCHTER 
Etwas  Schreckliches,  Herr! 

KREON 
Redel 

WÄCHTER 

(iv/r/if  sich  nieder) 
Töte  mich  nicht! 

KREON 
Steh  oder  scher  dich! 

WÄCHTER 

(erhebt  sich  zögernd) 
Polyneikes  —  ist  —  begraben! 

KREON 

Wer  tat  das!  Wo  ist  der  Täter? 

WÄCHTER 

Niemand  kennt  ihn.  Es  geschah  in  der  Dämmerung.  Ein  dünner 
Staub  liegt  auf  dem  Toten,  ein  wenig  Wasser,  wie  ein  Rinnsal 
von  Tränen.  Kein  Tier  kam  gekrochen,  nicht  die  Fährte  eines 
Hundes;  es  muß  ein  Mensch  sein,  der  heimlich  aus  der  Erde 
stieg. 

32 


KREON 
Wer  hatte  Wache? 

WÄCHTER 
Drei  Männer  am  Feuer.  Wir  wurden  müde.  Unerklärliche  Last 
zwischen  Himmel  und  Erde  uns  deckte.  Als  wir  erwachten, 
brach  Streit  aus.  Polyneikes  war  begraben.  Keiner  wagte  sich 
zu  dir.  Wir  zogen  das  Los.  Mich  traf  es.  Sei  gnädigl 

KREON 
Wo  ist  der  Täter?? 

Ihr  Krieger,  auf!  Los  die  Meute! 
Her  mit  ihm  —  lebendig  oder  tot. 

(Die  Krieger  brechen  auf  nach  allen  Seifen.) 
Bin  ich  König? 

Wer  mischt  sich  ungestraft  in  meine  Rechte? 
Soll  ich  glauben,  Gott  beschützte  ihn. 
Den  lächerlichen  Toten  auf  der  Flur? 

WÄCHTER 
Verbanne  mich  aus  deinen  Augen.  Verlange  nicht,  daß  ich 
ein  Wunder  leugne. 

KREON 
Ich  speie  meinen  Hohn  auf  dieses  Wunder! 
Willst  du  bekennen,  Hund! 

Wächter' 

Ich  tat  es  nicht.  Ich  bin  unschuldig! 

3  HisencUver,  Antigene  33 


KREON 
Hinaus!  Mit  deiner  Zunge 
Lecke  den  Staub  von  der  Leichel 

(Er  wankt  hinaus.  Mißbilligung  unter  dem  Volke.) 

EIN  ALTER  MANN 
König  Kreon  1 

KREON 
Wer  redet  ungefragt? 

DER  ALTE 

Ich  bin  ein  Bürger.  Ich  habe  vielen  Königen  gedient.  Dieser 
Mann  ist  kein  Schurke. 

KREON 
Der  Geist  des  Aufruhrs  murrt  im  Volke. 
Ich  sehe  es.  Ich  warne  euch. 

DER  ALTE 
Ich  bin  ein  alter  Mann.  Tue  kein  Unrechtl 

KREON 
Spar  deine  Weisheit  für  die  andern. 
Triumphiert  das  Böse? 

DER  ALTE 
Was  ist  gut,  was  ist  böse? 

KREON 
Das  Recht  regiert.  Und  ich  entscheide  esl 

(Dunkelheit.) 
34 


ZWEITER  AKT 


Von  allen  Seiten  hinter  der  Szene  laute  Rufe.  Palast  und  Arena 

werden  hell.  Die  Krieger  drängen  herein  mit  erhobenen  Waffen.  Das 

Tor  auf  der  Rampe  geht  auf.  Kreon  tritt  hervor. 

ERSTE  SZENE 

Kreon.  Anführer.  Volk. 

ANFÜHRER 
Herr! 

Wir  kamen  zu  der  Stätte,  wo  die  Leiche 
Von  Ungeziefer  Leben  hat. 
Plötzlich  weht  ein  Sturm, 
Der  Boden  verfinstert  sich. 
Am  Horizont  steht  eine  Jungfrau 
Bei  dem  entblößten  Aas; 
Wir  greifen  sie  und  .  .  . 

ZWEITE  SZENE 

ANTIGONE 
Schweige.  Ich  bin  da. 

KREON 
Antigene  I 

(sie  sehen  sich  an.) 

ANTIGONE 
Ich  bin  gefangen.  Halte  nun  Gericht. 

37 


KREON 
(nach  einer  Weile) 
Du  kanntest  das  Gesetz? 

ANTIGONE 

Gilt  ein  Wort 

So  viel  im  falschen  Maß  der  Zeit, 

Daß  sich  die  Toten  in  den  Gräbern  wenden: 

Wer  richtet  ihre  Schuld? 

KREON 
Wer  lebt,  muß  Richter  sein. 

ANTIGONE 
Doch  nicht  den  Toten! 

KREON 
Wir  wissen,  wer  du  bist. 


Sag:  ödipus. 


ödipusl  ödipusi 


ANTIGONE 

STIMMEN 
(halblaut) 


ANTIGONE 
War  es  nicht  hier,  wo  du  den  armen  Blinden 
Mit  rohen  Fäusten  stießest  in  die  Nacht? 
Hat  Gott  dir  schon  verziehn?  Bist  du  jetztKönig? 
Im  Siegesfest  bricht  deine  Herrschaft  an?? 

38 


STIMMEN 
(lauter) 
Feindin  —  Verräterin! 

ANTIGONE 
Es  lebe  dieser  König, 
Denn  alle  Edlen  sind  im  Totenreich. 
Was  kannst  du  mehr,  als  durch  die  Gräber  stampfen? 
Du  hast  gesiegt.  Töte  mich! 

KREON 
Noch  nicht. 

Unschuldig  stirbt  vor  meinem  Throne  keiner. 
Steh  hier,  Antigone,  und  rede 
Vor  allem  Volk. 

ANTIGONE 
Was  rede  ich  zu  euch? 
Die  Menge  jubelt  deiner  Größe  zu. 
Ich  bin  zu  klein. 

KREON 
Bereust  du  das  Verbrechen? 

ANTIGONE 
Welches  Verbrechen,  Kreon? 

KREON 
Deine  Tat? 

ANTIGONE 
Und  wie,  wenn  ich  bereute? 


39 


KREON 
Das  Gesetz 

Hat  dir  den  Tod  bestimmt. 

ANTIGONE 
Halt  ein  - 

Wo  ist  der  Geist,  der  dies  Gesetz  erfindet? 

Ich  kenne  ein  Gesetz,  noch  ungeschrieben, 

Von  keinem  Herold  in  die  Welt  posaunt. 

So  alt  wie  du  und  ich: 

Es  heißt  die  Liebe. 

KREON 
Daran  erkenn  ich  Odipus'  Geschlecht! 

ANTIGONE 
Ja,  Odipus  war  arm  und  blind, 
Doch  seine  Augen  brannten  in  das  Gute. 
Das  Blut  von  seinen  Augen  tropfte  nieder 
Auf  eine  Erde  mörderischer  Lust 
Von  Krieg  und  Lüge,  Haß  und  Eitelkeit. 
Dieser  Bettler,  den  die  Bosheit,  Rache 
Der  unsichtbaren  Menge  hungern  ließ  — 
Ist  das  nicht  unser  König? 

(Tumult.  Sie  dringen  auf  sie  ein.) 

ANTIGONE 
(steigt  auf  die  Stufen,  streckt  die  Hände  aus) 
Hört  mich  an! 

40 


Sein  Leib  ist  tot.  Er  liegt  in  seinem  Grabe 

Und  wartet  auf  den  toten  Sohn. 

Nie  wird  er  König  mehr.  Kreon  ist  Königl 

(Sie  weichen  zurück.  Sie  wendet  sich  Kreon  zu.) 

KREON 
Und  nie  empfängt  er  seines  Sohnes  Aas. 

ANTIGONE 
Ich  aber  wurde  durch  den  Blinden  sehend, 
Sein  Licht  der  ewigen  Güte  leuchtet  mir. 
Kreuzigt  mich  an  euern  Toren, 
Zerreißt  mich,  zündet  meine  Stücke  an: 
Ich  stehe  auf  im  Speichel  eures  Maules 
Und  gehe  wieder  und  begrabe  ihn. 

KREON 
Hänge  den  Mantel  um  die  Wahrheit, 
Aus  seinen  Löchern  grinst  die  Falschheit. 
Ich  rotte  deinen  Hochmut  ausi 

ANTIGONE 
Die  Pflicht  des  Menschen,  die  letzte  Scham, 
Das  Völkerrecht 

Hast  du  gebrochen,  Totenschänder. 
Das  Maß  ist  voll.  Ich  fürchte  dich  nicht. 
Was  ist  noch  furchtbar? 


41 


KREON 
Die  Macht. 
Erfahre  sie  für  deinen  Freveil 

ANTIGONE 

Treib  weiter,  Fluch, 

Streu  aus  den  Krieg  in  ungeborene  Zeiten. 
Freue  dich,  weide  dich  an  der  Todesqual, 
Vielfacher  Mörder!  Gott  im  Himmel  lebt. 

STIMMEN 
Sie  lästert.  —  Hört,  wie  sie  lästert! 

KREON 
Gott  ist  mit  uns.  Was  nennt  ihn  diese  Hure? 

ANTIGONE 
Gott  ist  auch  mit  den  Feinden  — 

(Tumult  übertönt  sie.) 

RUFE 
Tötet  siel 

ANTIGONE 
Volk,  du  schreist  und  reißt  die  Augen  auf. 
Was  soll  der  Popanz  Ruhm  und  Herrlichkeit? 
Weil  Einer  satt  ist,  müssen  alle  hungern? 
Weil  Einer  lebt,  muß  alles  in  den  Staub? 

KREON 
Sie  schleudert  ihre  Netze  aus. 

42 


Geduld.  Ich  höre  sie.  Es  spricht  die  Letzte 
Vom  Stamme  Odipus. 

ANTIGONE 
Ich  sterbe  nicht! 

Der  Glaube  meiner  Taten  überlebt  mich. 

Dich,  mich  und  alle,  die  noch  Feinde  sind. 

KREON 
Zum  zweiten  Male  nach  dem  Bruder 
Hat  sie  die  Stadt  verraten. 

RUFE 
Schlagt  sie  nieder! 

KREON 
Steigt  nicht  die  Scham  dir  in  die  Wangen, 
Antigene,  vor  diesem  ganzen  Volk? 

ANTIGONE 
Dein  ist  der  Ruhm.  So  herrsche,  Kreon! 
In  deinen  Jubel 

Kriecht  das  Gespenst  aus  dem  Grabe. 
Denke  an  mich! 

KREON 
Eteokles  starb  für  des  Landes  Ehre. 

ANTIGONE 
Sie  wollten  beide  herrschen  und  kamen  um. 


45 


KREON 
Soll  ich  den  Helden  wie  den  Henker  betten? 

ANTIGONE 
Ehre  die  Toten!  Einmal  stirbst  auch  du. 

KREON 
Er  war  der  Feind. 

ANTIGONE 

Alle  Menschen  sind  Brüder. 

KREON 
Nein! 

Das  Verbrechen  fordert  seine  Sühne. 

ANTIGONE 
Richte  das  Böse  ducch  die  gute  Tat! 

KREON 
Ich  war  ein  Hund  und  würdig  für  die  Hütte, 
Wenn  ich  als  König  auf  des  Thrones  Säule 
Das  Unrecht  mit  dem  Mitleid  kröne, 
Das  einer  Dirne  ziemt.  Nicht  mir. 
Das  Urteil  ist  gefällt.  Er  bleibt  liegen.  — 
Doppeltes  Unrecht  wurde  begangen. 
Ich  nehme  die  Hand  von  diesem  Blute. 
Sprich  du,  mein  Volk,  was  ihr  geschehen  soll. 

VIELE  RUFE 
Sie  soll  sterben. 

44 


EINE  STIMME 
Sie  ist  eine  Fürstin. 

DAS  VOLK 
Steinigt  siel 

KREON 
Das  ist  des  Volkes  Stimme! 

DRITTE  SZENE 

ISMENE 
(läuft  durch  die  Menge  zu  den  Stufen) 

Schwester! 

(zum  Volke     ' 
Schleudert  die  Steine  —  . 

Sie  ist  unschuldig]  Ich  habe  es  getan. 


Schiangel 

KREON 

ISMENE 

Mein  ist  die  Schuld! 

Antworte: 

KREON 

Hast  du  die 

Tat  begangen? 

Ta 

ISMENE 

Zu  spät. 

ANTIGONE 

45 


ISMENE 
Hört  nicht  auf  siel 

KREON 
Stell  nur  die  Falle  auf,  sie  fängt  euch  beidel 

ISMENE 
Jetzt  in  der  Not  bin  ich  bei  dir. 

ANTIGONE 
Ich  brauche  keine  Hilfe. 
Siehst  du  nicht  alle,  die  bei  mir  sind? 

ISMENE 
Ich  sehe  eine  Meute  um  dich  rasen. 

ANTIGONE 
Du  irrst.  Brüder  und  Schwestern  lauschen  mir. 

ISMENE 
Soll  auch  ich  die  Steine  schleudern? 
Antigene  — 
Reich  mir  die  Hände,  weil  wir  Frauen  sind. 

ANTIGONE 
Hier  ist  dein  Platz  nicht. 

ISMENE 
Laß  mich  bei  dir  bleiben. 

46 


ANTIGONE 
Geh,  rette  dich. 

ISMENE 
Du  stößt  mich  fort? 

ANTIGONE 
Noch  ist  mein  Schicksal  nicht  zu  Ende. 
Du  lebst.  Ich  muß  zum  Tode  gehn. 

ISMENE 

(zu  Kreon) 
Herr,  mache  das  Verhängnis  ungeschehen. 
Du,  der  du  König  bist:  hilf  dieser  Not. 
(Kreon  unbeweglich.) 

ISMENE 
Willst  du  die  Braut  des  eignen  Sohnes  schlachten? 

KREON 
Eher  die  letzte  Sklavin  meines  Herdes, 
Als  eine  Dirne  ihm. 

ISMENE 
Tyrann  I 

Du  reißt  sie  aus  den  Armen  deines  Kindes? 

KREON 
Im  Grab  ist  Hochzeit. 


47 


ISMENE 

(schreit  auf) 
Erbarme  dichl 

KREON 
(zum  Volke) 
Ihr,  hört  das  Ende  dieser  Frevlerin: 
Draußen  ist  ein  Grab  gewölbt. 
Sperrt  sie  in  die  Totenkammer 
Alit  der  Leiche,  die  ihr  Bruder  war. 
Da  mag  sie  ihn  zum  zweitenmal  begrabenl 
Sie  soll  verhungern.  Betteln  um  ihr  Leben. 
Hier  schwöre  ich  und  halte  meinen  Schwur: 
Wer  Böses  tut,  soll  Böses  leiden. 
Bis  Gehorsam  seine  Schuld  gesühnt. 

(Er  wendet  sich.  Das  Tor  des  Palastes  geht  auf  und  schließt  sich 
hinter  ihm.  Das  Licht  auf  der  Rampe  erlischt.) 


VIERTE  SZENE 

Bewegung  der  Menge.  Sie  drängen  vor,  um  die  Schwestern  zu  sehn. 

EIN  MADCHEN 
(neugierig) 
So  sehen  die  Töchter  des  Odipus  aus. 

EINE  FRAU 
Die  zarten  Händchen  sollen  mit  Leichen  umgehn. 


48 


ZWEITE  FRAU 
Oder  Brot  backen.  Was  ist  euch  lieber? 

DRITTE  FRAU 
Oder  Töpfe  leeren,  Teppiche  schütteln.  Mit  den  Sklaven 
unter  die  Decke  gehn. 

ERSTES  MÄDCHEN 
Das  ist  besser,  als  Perlen  tragen. 

ZWEITES  MADCHEN 
Das  ist  schöner,  als  Fürsten  begraben. 

DRITTES  MADCHEN 
Jetzt  sollt  ihr  uns  bedienen. 

EIN  BÜRGER 
Wie  sie  stolz  sind,  die  Puppen. 

ZWEITER  BÜRGER 
Sie  sind  schuld  am  Kriege! 

DRITTER  BÜRGER 
Sie  halten  mit  dem  Feinde. 

VIERTER  BÜRGER 
Sie  haben  gesagt:  es  gibt  keinen  Feind  1 

(Empörung.) 

4HaiencIever,  AaHgone  49 


ISMENE 
(schreit  auf) 
Sie  töten  unsl 

EIN  KRIEGER 
Reißt  ihnen  die  Schleier  ab! 

ZWEITER  KRIEGER 
Wir  wollen  sie  nackt  sehen. 

DRITTER  KRIEGER 
Sie  sollen  tanzen,  ehe  sie  sterben. 

DAS  VOLK 
(johlend) 
Tanzen,  ehe  sie  sterben! 

ANFÜHRER 
Habt  ihr  gehört?  Ihr  sollt  nackt  vor  dem  Volke  tanzenl 
Zieht  euch  aus! 

(Ismene  und  Antigene  stehn  verschlungen  auf  den  Stufen.) 

ANFÜHRER 
Vorwärts,  ihr  Dirnen! 

EINE  STIMME 
Prügelt  sie  zu  Tode! 

EIN  KRIEGER 
Wir  wollen  ihr  Fleisch  verteilen. 

(Zwei  Männer  springen  herauf  und  nähern  sich  ihnen.) 
50 


EIN  JÜNGLING 
(stürzt  mit  blankem  Messer  dazwischen) 
Zurück! 

Feige  Hunde,  zurück!! 

Wer  sie  berührt,  den  stoß  ich  in  die  Dännel 
(Sie  weichen  verblüfft.  Die  Schar  der  Jünglinge  steht  schützend  vor 
den  Frauen.) 

DER  JÜNGLING 
Fürstinnen!  Eure  Schönheit  ist  hoch 
Über  allen  Zeiten. 
So  lange  wir  leben,  wird 
Schande  euch  nicht  erreichen. 

EINE  STIMME 
Wir  wollen  keine  Fürstinnen. 

ZWEITE  STIMME 
Sie  beschimpfen  ihr  Vaterland. 

DRITTE  STIMME 
Weshalb  verraten  sie  uns? 

VIELE  STIMMEN 
Antwortet! 

ANTIGONE 
(tritt  einen  Schritt  vor.  Sie  steht  im  Halbkreis  der  Jünglinge) 
Bürger  von  Theben! 
Wehe  dem,  der  am  Herzen  der  Menschen  zweifelt, 

♦•  51 


Wenn  sie  Tiere  sind,  tief  in  der  Unglückszeit. 

Wenn  ihr  wüßtet,  daß  ich  um  euch  weinel 

In  meine  Arme,  die  alle  Schmerzen  gewiegt  haben, 

Will  ich  euch  betten  zur  Ruhe,  zur  Hilfe. 

Die  Feuer  flackern  nicht  mehr  auf  den  Bergen. 

Der  Sieg  ist  erloschen.  Die  Häupter  der  Feinde  schlagen 

Mit  euch  an  die  Bahre  des  unermel?lichen  Todes. 

Gewiß  hat  jeder  von  euch  einen  Lieben 

In  dem  fahlen  Gebüsch  der  Novemberfluren. 

Sein  Mund,  seine  Stimme  der  modernden  Grube 

Weht  hinüber  dieser  Stunde  verlorenen  Ton. 

Sie  alle,  die  aus  der  Welt  gestorben, 

Rufen  euch  Liebe  und  Liebe  ins  Herzl 

EINE  STIMME 
Entblöße  dichl  Peitsche  die  Brust  mit  den  Haaren. 

ANTIGONE 

(entblößt  Brust  und  Haare) 
Ich  hülle  mich  ein  in  die  Trauer  von  Gottes  Wesen. 
Meine  Haare,  Asche,  fallen  auf  meinen  Leib 
Am  Grabe  der  Menschen. 

EINE  FRAU 
Gib  uns  zu  essen  1 

ANTIGONE 
Frau!  Du  wirst  ein  Kind  gebären. 
Wann  trifift  die  Wa£fe  sein  unschuldiges  Haupt? 

52 


Wann  ist  die  Stunde  von  Tod  und  Feindschaft? 
Für  welchen  neuen  Krieg  säugst  du  es? 

(Erregung.) 
Blondes  Mädchen,  du  wirst  einen  Gatten  wählen. 
Er  löst  die  Arme  von  deinem  Schlummer. 
Die  Trompete  tönt  durch  die  Gassen. 
Blut  brennt  auf  den  Türmen:  Kampf! 

(Ers{aunen.) 
Ihr  alle,  die  ihr  sagt:  Krieg,  Feind,  Ehre  — 
Hört  euer  Herz,  verschüttet  im  Staub 
Geplünderter  Häuser,  geschändeter  Tempel. 
Euer  Herz  ist  der  Feind.  Wir  alle  sind  schuld! 

(Ergriffenheit) 
Bürger,  bevor  ihr  mich  zertretet, 
Wie  euer  Herr,  der  König,  mit  Recht  befiehlt 
Ich  will  euch  nicht  umstimmen  — 
Ich  habe  die  meiste  Schuld  in  Theben. 
Ich  werde  Strafe  erleiden.  Vergebt  mir  im  Tod! 

(Be.fall) 
Ich  klage  mich  an,  die  niederste  Magd  von  allen, 
Daß  ich  lebte  und  wußte:  wir  töten  uns; 
Daß  keine  Stimme  von  Gottes  Himmel 
Mich  erweckte  als  Retterin. 
Ich  klage  mich  an,  daß  in  meine  Kissen 
Nicht  die  Wunden  eiterten  hinein; 
Daß  ich  schwebte  auf  blühenden  Girlanden, 
Solange  ein  Mensch  noch  hungrig  war. 
Ich  klage  mich  an  —  ich  habe  Gutes  genossen. 


53 


Doch  nichts  Gutes  getan,  sonst  wären  Menschen  nicht  feind. 
Nur  die  Liebe  des  Ungeheuern  Leidens 
Stillt  die  Träne  der  Geknechteten. 

(Die  Schar  der  Armen  drängt  zu  ihr.) 

DER  ERSTE  ARME 
Fürstin,  deine  Worte  sind  Frieden.  Die  Kinder  der  Armen 
beten  für  dich. 

DER  ZWEITE  ARME 
Du  bist  gut.  Laß  uns  deine  Füße  küssen. 

DER  DRITTE  ARME 
(kniet  nieder) 
Du  hast  uns  geholfen.  Unser  letztes  Stück  Brot  rankt  Blumen 
um  dein  Grab. 

ANTIGONE 
Steht  auf  1  Ich  bin  nur  euresgleichen. 
Ich  bin  Antigone  — 

Ein  kleiner  Mensch,  der  vor  dem  großen  Schatten 
Des  Todes  sinkt  in  seiner  Ohnmacht  Spur. 

EIN  KRIEGER 
(roh  zu  den  Armen) 
Fort!  Pack. 

ANTIGONE 
Mensch,  der  du  schreist  im  kalten  Räume: 
Wo  ist  dein  Mitleid?  Du  bist  ärmer 
Als  alle,  weil  du  nicht  mehr  weinen  kannst. 
54 


Sie  schweige  I 
Sie  rede! 


STIMMEN 
MEHR  STIMMEN 


ANTIGONE 
Freundel 

Ich  stand  am  Abend  auf  den  Türmen.  Schwer 
Donnerte  aus  der  Ferne  Kriegsvolk  an, 
Rüstungen,  Rosse  trabten.  Die  Nacht  war  hell, 
Das  Zelt  des  Himmels  besät  mit  Schlachtgerät; 
Weiße  Wagen  rasten  den  Orion  hinab. 
Da  sah  ich  einen  Augenblick  die  Wolken  zerteilt. 
Tückische  Kometen  auf  die  Erde  rollen. 
Die  Elemente  wirbelten,  ein  feuriger  Orkan 
Zuckte  die  letzte  Lava  der  Vernichtung  — 
Doch  prallten  sie  ab,  denn  gewaltig  lebte  der  Mensch. 
Und  wieder  sah  ich  die  Meere  stocken. 
Geborstene  Schiffe  versinken,  Häuser  flammen  — 
Die  irrgewordene  Schar  der  Menschen. 
Der  kristallne  Berg  der  Jahrtausende  sprang  auf: 
Ich  sah  in  der  Mitte  den  Mord. 
Todesangst  griff  um  mich, 
'Wir  könnten  alle  sterben  an  einander; 
Die  großen  Kanäle,  die  wir  bauten  in  der  Wüste, 
Sähen  höhnisch  unserm  Ende  zu. 
Lebloser  Stoff  auf  den  Ruinen  des  Lebens. 
Ich  wollte  hinausschreien  und  warnen:  hört  auf,  Menschen! 
Ihr  irrt  euch,  seid  betrogen. 

55 


Vereint  euch,  helft  eurem  Geiste, 

Werdet  Brüder  — 

Da  sah  ich  den  eignen  Bruder  die  Brandfackel 

Schleudern  gegen  die  Mauern  der  Stadt. 

Ich  verhüllte  mein  Antlitz,  stieg  nieder 

Und  wußte,  daß  ich  nur  eine  Frau  bin. 

DIE  BÜRGER 

Sie  hat  recht.  —  Sie  klagt  sich  an! 

DIE  FRAUEN 
Wenn  alle  sterben  —  wo  bleiben  wir  dann? 

DIE  KRIEGER 
Genug  getötet.  —  Gebt  endlich  Ruh. 

DIEJÜNGLINGE 
Sprich  weiter,  Antigene.  —  Rede  dul 

ANTIGONE 
Ich  gab  den  Bruder  der  Erde  wieder 
Und  feire  mit  euch  Auferstehung. 
Jetzt  sind  wir  Brüder  in  Schmerzen! 
Jetzt  weiß  ich:  Frauen  können  unsterblich  sein, 
Wenn  sie  die  sinnlosen  Wege  der  Menschen 
Mit  dem  Krug  der  Liebe  begießen; 
Wenn  aus  Tränen  ihrer  Armut 
Die  Hilfe  sprießt; 

56 


Wenn  die  Tat  des  lebendigen  Herzens 
Umstürzt  Mauern  der  Feindschaft. 

DAS  VOLK 
Es  lebe  Antigene  1 

ANTIGONE 

Brüder! 

Ich  rede  zu  euch  Witwen  und  Waisen, 
Die  ihr  heimkehrt  in  die  einsamen  Hütten, 
Wo  die  Seufzer  der  Erschlagenen 
Von  den  feuchten  Steinen  des  Herdes 
Schrecken  in  euren  Abendtraum: 
Wollt  ihr,  daß  eure  Kinder, 
Überschrien  von  dem  Ruhm  des  Schlachtrufs, 
Euer  elendes  Schicksal  teilen? 

DAS  VOLK 
Neinl 

ANTIGONE 
Geht  hin.  Folgt  meinem  Beispiel. 
Geburt  und  Tod  ist  Versöhnung! 


Sie  soll  nicht  sterben! 

Sie  soll  leben! 
Kreon  I 


RUFE 

VIELE  RUFE 
DAS  VOLK 


57 


FÜNFTE  SZENE 

KREON 

(steht  plötzlich  hell  beleuchtet  vor  der  Kampe  da  Schlosses) 

Was  lärmt  ihr? 

DAS  VOLK 
Antigene  soll  leben! 

KREON 
(tritt  einen  Schrift  vor) 
Ich  höre  viele  Stimmen  statt  einer; 
War  es  eine,  ich  ließ  sie  peitschen, 
Bis  das  Blut  ihr  aus  der  Zunge  spränge. 
Ihr  Schweine  da  unten: 
Was  fällt  euch  ein,  mich  auszugrunzen? 

DAS  VOLK 
Sie  ist  unschuldig. 

KREON 
Seit  wann? 

EIN  ALTER  MANN 

Sie  hat  die  Schuld  des  Bruders  gesühnt. 

Richte  sie  nicht  I 

KREON 

Ihr  Greise,  euer  Grab  steht  offen. 

Legt  euch  hinein! 

EINE  FRAU 
Sie  ist  eine  Frau  wie  wir.  Sie  ist  keine  Dirne. 

58 


KREON 
Ich  sperr  euch  in  die  Häuser 
Und  laß  euch  hungern. 
Gesindel!  Huren  wollt  ihr  alle, 
Männer  regieren  mit  dem  schwangern  Bauch. 
Treibt  Unzucht  in  den  eignen  Betten, 
Nicht  hier  vor  eures  Königs  Haus. 

(Dumpfe  Empörung  wächst.) 

CHOR  DER  ARMEN 
(leiser  Gesang) 
Friede  allen  Nöten. 
Friede  allem  Leid. 
Schon  auf  Morgenröten 
Grüßt  die  neue  Zeit. 

KREON 
Von  heute  ab  ist  der  Tribut  verdoppelt. 
Arbeitet,  wenn  ihr  fressen  wollt. 

(Er  erblickt  Antigene.) 
Was  stehst  du  noch  und  gaffst? 
Packt  sie  I  Führt  sie  hin,  wo  ich  befohlen. 

ANTIGONE 
(steht  allein  auf  den  Stufen  ihm  gegenüber) 
Töte  mich,  töte  mich  immerzu! 
Die  Wahrheit  wird  kommen. 
Zerschlagen  deine  Macht. 


59 


KREON 
Fort,  daß  ich  sie  nicht  sehe. 
Ich  schlage  sie  totl 

Ich  jage  sie  selber  den  Schatten  nach, 
Die  kläglich  im  Abgrund  heulen. 

ANTIGONE 
Deine  Macht  ist  vorbei.  Deine  Welt  ist  nicht  mehr. 
Aus  der  Tiefe  des  Felsens  hab  ich  dein  Volk  gehauen. 
Jetzt  ist  es  mein  Volk! 
Zum  letztenmal  die  Knechtschaft: 
Wir  fürchten  sie  nicht  I 

KREON 

Lebendig  ins  Grab  mit  ihr! 

Wer  ihr  zu  essen  bringt,  teilt  ihr  Schicksal. 

Drei  Tage  vergehn. 

Dann  nagt  sie  Steine. 

Packt  sie  anl 

(Stille.) 

ANTIGONE 
Faßt  keiner  mich  an?  Menschen  — : 
Ich  habe  euer  Herz  erweicht. 

Ich  will  für  euch  hungern.  Ich  will  für  euch  bluten. 
So  glaube  ich,  daß  Gutes  geschehen  kann! 
Die  Ströme  brechen  auf.  Die  Liebe  hat  gesiegt. 
Gott  ist  uns  gnädig. 

60 


KREON 
(brüllend) 
Wer  widersetzt  sich  dem  Befehl? 
Wollt  ihr  euch  rühren! 

(Keiner  rührt  sich.) 

KREON 
(zieht  die  Peitsche  hervor,  schwingt  sie,  streckt  den  Arm 
mit  ihr  aus) 
Reitereil! 

(Trompetensignal  hinter  der  Szene.  Krieger  zu  Pferde  jagen  von 

allen  Seiten  in  die  Arena,  reiten  das  schreiende  Volk  nieder. 

Ein  Anführer  sprengt  bis  vor  die  Stufen,  reißt  Antigene  auf  wirft 

sie  rücklings  übers  Pferd,  jagt  mit  ihr  durch  die  Mitte  hinaus.  Ihre 

Haare  schleifen  am  Boden.  Todesschreie.  —  Dunkelheit) 


61 


DRITTER  AKT 


Der  Palast  ist  dunkel.  Mondlicht.  Das  Grab  in  der  Arena  wird  hell. 
Stufen  führen  hinab  ins  Gewölbe.  Bewaffnete  von  links  bringen 
Antigene  in  Ketten.  Sie  nehmen  ihr  die  Fesseln  ab  und  entfernen 
sich.  Aus  der  Schar  löst  sich  Hämon  und  bleibt  zurück.  Antigone 
steht,  mit  dem  Rücken  ihm  zu,  dicht  vor  dem  Grabe. 

ERSTE  SZENE 

Hämon.  Antigone. 
HÄMON 


ANTIGONE 
HÄMON 


Antigonell 

Du,  Hämon? 

Ja,  ich  bins. 

ANTIGONE 
Das  Licht  verrät  dich  den  Spionen. 
Folge  mir  nicht! 

HÄMON 
Ich  hasse  dich. 

ANTIGONE 
(wendet  sich  um) 

HÄMON 
Du  hängst  dein  Herz  an  einen  Toten. 

ANTIGONE 
Wir  stehn  an  meinem  Grabe. 

5  Haicocievcr,  Aatigone  ^5 


Noch  bin  ich  nicht  geläutert, 

Wenn  ein  Mensch  mich  hassen  kann. 

HÄMON 
Du  lagst  in  meinen  Armen. 
Du  bist  nur  eine  Frau! 
Frauen  will  ich  peitschen  lassen; 
Sieger  in  Schlachten  sein. 
Könige  sollen  mich  grüßen. 
Auf  meinem  Schwert  blitzt  Männlichkeit. 

ANTIGONE 
Was  weißt  du  von  mirl 
Bist  du  es,  Hämon, 
Fremde  Stimme,  die  mein  Herz  nicht  hört? 

HAMON 
Liebe  den  Toten  nurl 
Ich  will  leben  zu  meiner  Größe. 
Weiber  sind  da,  um  zu  lieben. 

ANTIGONE 
Was  ist  Liebe  1 

HÄMON 
Liebe  ist  Ruhm. 

ANTIGONE 
Hilfe  den  Schwachen,  Kampf  für  die  Welt  - 
Liebe  ist  Menschlichkeit 

HAMON 
Die  ärmsten  Menschen  knien  vor  dir. 
Weshalb  kann  ich  es  nicht? 

66 


ANTIGONE 
Sohn  des  Königs:  werde  Mensch. 
Denke,  wenn  deine  Sterne  aufgehn. 
Daß  du  Sohn  einer  Mutter  bist. 

HAMON 
Weshalb  muß  ich  dich  hassen? 

ANTIGONE 
(jgeht  schweigend  einen  Schritt  näher) 

HAMON 
(zitternd) 
Sage  ein  Wortl 

ANTIGONE 
Dein  Herz  ist  rein. 

(Er  sinkt  hin) 
Du  wirst  mein  Werk  verstehen. 
Du  wirst  meinen  Namen  bekennen 
Du  wirst  weinen  um  dich  und  mich. 
Deine  Seele  ist  das  Bild  der  Welt. 

(sie  legt  die  Hände  auf  ihn) 
Noch  eine  Flamme  Zeit 
Möchte  ich  mit  dir  dauern, 
Dich  schützen,  dir  dienen, 
Deiner  Leiden  Schwester  sein. 
Du  hast  mich  geführt; 
Du  hast  mir  die  Berge  der  Freiheit  gezeigt 

J*  67 


Schon  darf  ich  hoffen! 

Ich  liebe  dich 

Und  verlasse  dich,  Freund. 

HÄMON 

Ich  rette  dich! 

(Ab  nach  links.) 

ZWEITE  SZENE 
ISMENE 

(von  rechts) 
Ich  schlich  durch  die  Männer. 
Sie  schlafen.  Keiner  wacht. 
Komm! 

ANTIGONE 
Wohin? 

Kein  Fluß  wird  die  Flamme  löschen 
Der  Rache  über  mir. 

ISMENE 
Rette  dichl 

ANTIGONE 
Hier  will  ich  bleiben. 

ISMENE 
Du  hast  genug  getan. 

ANTIGONE 
Soll  ich  leben, 
Bis  Mörder  mich  erschlagen? 

68 


ISMENE 
Du  wirst  die  Welt  nicht  ändern, 
Unrecht  nicht  wandeln  in  Gerechtigkeit. 

ANTIGONE 
1      Besser,  gut  sein  als  weise! 

ISMENE 
Was  willst  du  tun? 

ANTIGONE 
Zu  Ende  gehn, 
Damit  das  Licht  entspringt. 
Solang  ich  lebe,  muß  ich  sterblich  sein. 

(Sie  streckt  die  Hände  aus.)  • 
O  fühle,  daß  wir  Frauen  sind! 
Du  bist  mir  nah. 

(Sie  halten  sich  umschlungen.) 

ISMENE 
Gibt  es  nicht  Männer? 

ANTIGONE 
Auf  der  weiten  Flur 
Sind  die  Männer  zur  Schlachtbank  geführt. 

ISMENE 
Wer  bleibt  noch? 

ANTIGONE 
Du  und  ich. 

ISMENE 
Ach,  Frauen  nur. 


69 


ANTIGONE 
Ihr  Frauen,  unterjocht  und  Untertan, 
Brecht  auf,  ihr  Frauen,  aus  dem  engen  Geschlecht! 
Geht  hin  und  opfert  euch. 

ISMENE 
Läßt  Gott  uns  würdig  sein? 

ANTIGONE 
Ihr  seid  es  schon  durch  meine  Tat. 

ISMENE 
Werden  alle  es  sein? 

ANTIGONE 
Ja,  alle,  alle  — 

ISMENE 
Wir  kämpfen  für  dichl 

(Ab  nach  rechts.) 


DRITTE  SZENE 
ANTIGONE 

(  l  nn) 
Toter  Mensch  in  deines  Grabes  Halle, 
Ferne  Seele,  ungewisses  Licht: 
Was  soll  ich  tun. 

Bis  ich  frei  von  Lust,  frei  von  Schmerz 
Zu  dir  untergehen  kann? 

70 


Was  kann  ich  tun,  daß  alle  mir  glauben, 

Welches  Opfer  ist  groß  genug? 

Wenn  Liebende  zittern  im  Frühling  am  Schicksal, 

Wer  wird  sagen :  Antigene  — 

Du  hast  uns  geholfen.  Wir  glauben  dirl 

Ich  bin  schwach,  so  schwach  vor  dem  Tode. 

Sprich  aus  dem  Grabe  1  Antworte  mir. 

(Schweigen.  —  Das  Grab  wird  dunkel.) 

VIERTE  SZENE 

(Der  Palast  wird  hell,  die  Arena  ist  dunkel.) 
Hämon.  Kreon. 

HAMON 
Ich  horte,  was  geschah. 

KREON 
Was  willst  du  wissen? 

HAMON 
Was  Recht  und  Unrecht  ist. 


Du  liebst  sie  noch? 

Antigonel 

Sie  lebt  nicht  mehr. 

Was  tat  sie? 


KREON 
HAMON 
KREON 
HAMON 


71 


Frag  mein  Volk. 
Sie  sagen  — 
Was  sagen  sie? 
Daß  sie  im  Rechte  sei. 


KREON 
HAMON 

KREON 
HÄMON 


KREON 
So  wächst  die  Lüge  noch  aus  ihrem  Grab. 
Zertreten  hab  ich  sie,  ein  Tier, 
Das  falsch  mich  in  den  Rücken  sticht. 
Tue  das  gleiche. 

HAMON 
Doch  ich  liebe  siel 

KREON 
Die  Dirnel 

HAMON 
Sie  ist  eine  Frau. 
Man  lehrte  mich,  die  Frauen  zu  achten. 

KREON 
Wir  sind  Männer  und  fürchten  Weiber  nicht, 

HAMON 
Gib  mir  Antigene  1 

Mag  sie  gesündigt  haben,  ich  rette  sie. 
Ich  führ  sie  als  die  Treueste  dir  zu. 

72 


KREON 
Bin  ich  eins  mit  der  Verbrecherin? 

HAMON 
Du  glaubst  mir  nicht? 

KREON 
Sie  büßt  für  ihre  Schuld. 

HAMON 
Antigene  wird  meine  Gattin  werden. 

KREON 
Mit  ihrer  Leiche  wird  es  lustig  sein. 

HAMON 
Sie  ist  unschuldig  11 

KREON 
Schon  einmal  hört  ich  das. 

HAMON 
Hör  es  von  allen! 

KREON 
Wer  ist  der  Herr?? 

HAMON 
Ein  großer  König  tötet  eine  Frau. 

KREON 
Die  Liebe  macht  dich  irr. 

HAMON 
Bist  du  ein  Mensch? 


73 


KREON 
Erst  bin  ich  König. 
Was  drohst  du  mir? 

HAMON 
Ich  warne  dich. 

(Ab  durch  den  Palast.) 


FÜNFTE  SZENE 

(Geräusche  steigen  auf.) 

KREON 
(tritt  einen  Schritt  vor  und  starrt  in  das  Dunkel) 
Stirb,  kleine  Geburt, 
Für  des  großen  Zweckes  eherne  Tafel. 
Ich  herrsche.  Ich  bin  im  Recht. 

(Die  Geräusche  wachsen.  Sturm) 

KREON 
(fährt  auf) 

ANFÜHRER 
(tritt  aus  dem  Palaste) 


Anführerl 


Herr? 

KREON 
Was  ist  das  für  ein  Lärm? 

ANFÜHRER 
Das  Volk  ist  aufgeregt  vor  dem  Paläste. 
Hämon  ist  unter  ihnen. 

74 


Wer?! 

KREON 

Dein  Sohn. 

ANFÜHRER 

KREON 

Fangt  ihnl 

(heftig) 

ANFÜHRER 

Die  Männer  scharen  sich  um  ihn. 

KREON 
Sind  alle  Hunde  gegen  mich  verschworen? 

ANFÜHRER 
Hämon  — 

KREON 
Was  tut  er? 

ANFÜHRER 
Er  schürt  den  Tumult. 
Er  reizt  die  Menge  auf. 

KREON 
Was  noch? 

ANFÜHRER 
Er  sagt,  du  seist  ein  Mörder. 
Sie  folgen  ihm. 

KREON 
Wo  sind  die  Reiter? 

75 


ANFÜRER 
Es  ist  2U  fürchten,  daß  sie  —  meutern! 

KREON 
Feigling! 

ANFÜHRER 
(zieht  die  Wajfen) 
Solang  ich  lebe,  König  — 

KREON 
Hinaus,  schlag  dich! 

ANFÜHRER 
Soll  ich  den  Kampf  befehlen? 

KREON 
Töten  —  neinl 

Wenn  sie  uns  beide  finden? 

Was  dann? 

ANFÜHRER 

(erbleicht) 

KREON 
Du  könntest  bluten  1 
Hör  zu! 

Wenn  ich  den  Arm  aufhebe  —  so  wie  jetzt: 
Leg  Feuer  an  II 

ANFÜHRER 
Feuer .  .  .? 

76 


KREON 
Die  ganze  Stadt  soll  brennen. 

ANFÜHRER 
Sie  laufen  schon! 

KREON 
Ich  lehr  euch  den  Aufruhr! 
Alle  gegen  einen.  Ich  gegen  euch! 

(Höhe  des  Tumultes.  Orkan.) 

KREON 
(beugt  sich  vor  ins  Dunkel) 
Heran,  heran  1  Peitschen  heraus! 
Elefanten!  Ich  trete  euch  nieder. 
Die  Macht  ist  mein! 

SECHSTE  SZENE 


Kreon  1 


TEIRESIAS 
(hell  beleuchtet  im  Publikum) 


Teiresias,  der  Seher. 


ANFÜHRER 
(stürzt  nieder) 


KREON 
(ballt  ihm  die  Faust  entgegen) 
Hinab,  Gespenst! 


77 


ANFÜHRER 
Des  Ewigen  Mund  — 

KREON 

(triff  den  Anführer  die  Stufen  ins  Dunkel  hinsh) 
Fahr  in  die  Höllel 

TEIRESIAS 
Kreon,  höre  mich. 

Hundert  Jahre  bin  ich  alt. 

Ich  sehe  die  Taten  der  Menschen. 

KREON 
Was  störst  du  meine  Wege? 

TEIRESIAS 
Beuge  dich 

Vor  dem  Allmächtigen. 

KREON 
Ich  König  knien  vor  einem  Greis?! 
Ich  laß  dir  die  Haare  scheren,  jage  dich 
Kahlköpfig  zu  den  Maulwürfen. 

TEIRESIAS 
Sein  ist  die  Rache. 

KREON 
Ich  erfülle  sie. 

TEIRESIAS 
Königl 

Wehe,  wenn  du  Unrecht  tust. 
78 


Nah  ist  die  Stunde  der  Verdammten. 
Schlag  an  dein  Herz,  eh  es  zu  spät  ist. 
Bitte  um  Gnade  I 

KREON 
Schwarze  Klaue,  du  drückst  mir  die  Kehle  nicht  zu. 
Noch  bin  ich  nicht  zerschmettert. 
Hier  stehe  ich  — 

Und  rufe  in  die  Windrichtungen : 
Was  ich  befehle,  geschieht! 

TEIRESIAS 
Der  Berg  des  Todes  ist  höher  als  deine  Burg. 
Schon  steigt  Blut  empor. 

Spring  auf  den  letzten  Stein  deiner  Herrschaft: 
Der  Hochmut  wankt  unter  dir. 

KREON 
Lügner! 

Die  Dummheit  des  Volkes  nährt  dein  glattes  Hirn. 

Verreck  im  Sande  verdorrt  — 

Kein  Engel  wird  dich  zum  Himmel  tragen. 

TEIRESIAS 
Kreon,  erkenne  mich  doch! 
Türme  nicht  Leichen  auf  Leichen. 
Erbarme  dich! 

KREON 
(streckt  die  Faust  tmpor) 
So  wahr  mir  Gott  helfe! 
Ich  bin  der  Herr. 


79 


Wenn  die  Schreie  der  Zerfleischten  gellen. 

Wenn  Städte  in  Rauch  aufgehn, 

Mütter  winseln: 

Ich  schwinge  die  Geißel, 

Bis  der  letzte  Feind  am  Pfahl  verkrampft  ist, 

Der  letzte  Dieb,  der  letzte  Räuber, 

Die  Hure,  der  Verräter  — 

Solange,  bis  der  eiserne  Wagen 

Des  Rechtes  fährt  über  meine  Stadt. 

TEIRESIAS 

So  stürze,  Unseliger  — 
Erscheint,  ihr  Gekreuzigten! 
Erschlagene,  armselige  Tote, 
Stoßt  in  sein  Herz! 

(Die  Arena  wird  plötzlich  hell.  Haufen  von  Toten.  Blutende  mii 

offenen  Wunden.  Frauen,  Männer  mit  Messern  in  der  Brust.  Wabn^ 

sinnige  blöken.  Zerfetzte  Gliedmaßen.  Kinder  stolpern  zwischen 

den  Leichen.) 

RUF 
Kreon!! 

KREON 
(schreit) 
Ah... 

(Tierisches  Heulen;  Bewegung  nach  ihm  hin.) 

KREON 
(lallt  zwischen  den  Zähnen) 
Ich  kenne  euch  nicht  — 

80 


EIN  WAHNSINNIGER 
Kennst  uns  nicht?  Kennst  uns  nicht? 
Feiner  Herr!  Rabenkönigl  Hoho! 

KREON 

(schlägt  zuckend  die  Hände  vors  Gesicht) 
Angst!  —  Fort! 

EIN  KRÜPPEL 
Mein  Beinl 

Oh- 

Komm  ins  Bett! 

Trinken! 

Vater!  Vater! 
Mörder! 


EIN  BLUTENDER 
(wimmernd) 

EINE  DIRNE 

EIN  STERBENDER 
(stöhnend) 

KINDER 
(suchen  zwischen  den  Toten) 

ALLE 

KREON 
(stürzt  auf  die  Kniee,  brüllt) 


Ich  bin  schuldig. 
Ich  bereue! 


(Die  Arena  wird  dunkel.) 


6  Hjienclever,  Antigene 


81 


STIMME  DES  TEIRESIAS 
König  von  Theben! 
Sein  ist  die  Macht  II 


SIEBENTE  SZENE 
KREON 

(kommt  zu  sich) 
Was  war  das?  Zauberei?? 
Messer  im  Leib?  Was  schreien  die  Kinder 
zwischen  den  Leichen  — 

(Er  betrachtet  seine  J  lande.) 
Hände,  blutbeflecktl 
Reißt  ab,  Fetzen  Fleisch. 

(Er  beißt  hinein.) 
Es  soll  dunkel  werden I 

(Verdunklung.) 
Der  König  ist  gefallen  — 
Wer  stöhnt? 

(Stille.) 
Schlag  weiter,  Herz  — 
Die  Kälte  vom  Schlachtfeld, 
Das  Grauen  der  Toten. 
Menschen  herbei,  eiserne  Brustwehr! 
Kommt  keiner?  Soll  ich  ersticken?! 

(Fast  Dunkelheit.  Er  steht  schattenhaft  auf  der  Rampe.) 
Ich  will  nicht  sterben.  Der  Tod  kriecht. 

82 


Finsternis.  Ich  will  sühnen. 

Ich  rieche  die  Toten. 

Rache  fällt  auf  mich. 

(Ferner  Trommelwirbel.  Ein  einzelner  Fanfarenstoß.  Er  wirft  die 

Arme  empor.) 
Jüngstes  Gericht!  Die  Posaune. 
Noch  ein  Tag!  Noch  eine  Stunde. 
Ich  werfe  mich  nieder.  Ich  bete. 
Hilf  mir  Gott!! 


Antigene! 


RUF 

(hinter  der  Szene) 

KREON 


Antigene  soll  leben! 

(DieStimmen  und  Instrumente  wachsenanzum  Klang.  —Dunkelheit.) 


83 


VIERTER  AKT 


Das  Grab  wird  hell. 

ERSTE  SZENE 

ANTIGONE 
(allein) 
Weil  ich  lebte  und  mein  Haupt  erhob 
Zur  Tat  des  ewigen  Geistes, 
Weil  ich  lebe  und  Mutter  bin: 
Sind  alle  Menschen  meine  Kinder. 
Ich  bin  geschaffen.  So  darf  ich  glauben. 
Ich  habe  gelitten.  Mein  Leben  ist  schön. 

(Sie  legt  ihren  Schmuck  vor  dem  Grabe  nieder.) 
Wie  aber,  wenn  mein  Angesicht 
Erstarrt  am  letzten  Tropfen  Blut? 
Gott! 

Laß  mich  am  Sarge  des  Bruders 
Zur  Gnade  schweben. 
Ich  habe  geholfen.  Mein  Werk  ist  erfüllt. 

(Sie  nimmt  eine  Fackel  und  zündet  sie  an) 
Du  gabst  mir  Liebe  zu  den  Menschen; 
Tausendfältig 

Trage  ich  sie  vor  deinen  Thron. 
Dort  oben 

Sehe  ich  Not  in  den  Hütten  aller 
Und  steige  nieder. 
Ich  kehre  wieder, 
Suche  die  Erde  nach  Leichen  ab. 


87 


Menschen  1  In  tausend  Jahren 
Wandle  ich  unter  euch. 

(Sie  schreitet  hinab  ins  Gewölbe.  —  Völlige  Dunkelheit.  Nur  die 
Fackel  brennt.) 

CHOR 
(fem) 
Er  hat  euch  geholfen 
Aus  dunkler  Nacht. 


ZWEITE  SZENE 

Orab  und  Arena  werden  hell.  Ismene  kommt  zum  Grabe. 

CHOR 

(näher) 
Er  wird  euch  helfen 
Aus  euerm  Grab. 

ISMENE 
(betritt  das  Gewölbe.  Schreit.  Stürzt  heraus) 
Totll 

(Volk  drängt  hinzu.) 

DAS  VOLK 
(murmelnd) 
Tot!? 

88 


ISMENE 
(richtet  sich  auf,  starr) 
Bürger  von  Theben!  Antigene  ist  tot. 
Kommt  zum  Grabe.  Sie  starb  für  euchl 

(Sie  bricht  zusammen.  Stille.  —  Mehr  Volk.) 

EINE  FRAU 
Da  sind  ihre  Spangen  und  Ringe. 

ZWEITE  FRAU 
Die  schenkt  sie  uns. 

DRITTE  FRAU 
Nehmt  sie  doch! 

(Sie  stürzen,  sich  balgend,  auf  den  Schmuck) 

EIN  BÜRGER 
Still,  ihr  Weiber.  Die  Tote! 

EIN  MADCHEN 
(sieht  neugierig  ins  Grab) 
Dort  hängt  siel 

VIELE  FRAUEN 
Wo?l 

(Gedränge  vor  dem  Grabe.) 

STIMMEN 
Sie  hat  sich  erhängt.  —  Am  Schleier.  —  Über  dem  Bruder. 

89 


EIN  BÜRGER 
Schneidet  sie  los! 

(Frauen  gehn  ins  Gewölbe.) 

STIMME 
Die  Ärmel 

DUMPFE  STIMME 
Kreon! 

(Eine  Frau  kommt  aus  dem  Grabe.) 

EIN  MÄDCHEN 
Sag,  wie  ist  sie? 

(Zweite  Frau  kommt.  ~  Gemurmel.) 

DIE  FRAU 
Ein  Engel  hat  sie  berührt. 

DAS  VOLK 
Friede ! 

(Einige  knieen.  —  Viele  weinen.) 

DRITTE  SZENE 

Bewegung.  Kreon  kommt  mit  Gefolge  durch  die  Mitte. 

KREON 
Wo  ist  Antigene?  Ich  rette  sie. 

STIMME 
Zu  spät. 

90 


KREON 
Wer  redet  hier? 


Der  Todll 


STIMME 

KREON 
(erschrickt;  steht  unbeweglich.) 

VIERTE  SZENE 

HÄMON 

(mit  einer  Schar  von  Jünglingen) 

Antigonel  Die  Freiheit  naht. 

(Er  kommt  zum  Grabe  und  sieht  hinein.) 

Wer  tat  das?I 

(Schweigen) 

EINE  FRAU 
Störe  ihren  Frieden  nicht I 

(Die  Jünglinge  senken  die  Schwerter.) 

HÄMON 
Vorbei. 

(Er  fällt  gegen  das  Grabgewölbe.  —  Stille.) 

KREON 
(tritt  einen  Schritt  vor) 

ANFÜHRER 
Platz  für  den  Königl 

9] 


HAMON 
(fährt  auf,  sieht  Kreon,  der  votwärts  schreitet) 
Halt,  Mörder  — dies  Grab  ist  mein. 
Fortl 

(Er  stößt  nach  ihm.  Der  Stoß  geht  fehl.) 

KREON 
(ohne  sich  zu  rühren) 

HAMON 
Stirb  an  dir  selbst. 

(Das  Schwert  fällt  zu  Boden) 

STIMME 
Antigonel 

HAMON 

(erschüttert) 
Nimm  die  Sünde  von  mir! 
Die  Hand  mit  dem  Schwert  des  Richters 
Verdorrt. 

(Er  nimmt  die  Fackel  vom  Grabe) 
Schwester! 

Du  hast  mich  vor  Schuld  bewahrt. 
Haß  ist  erloschen. 

(Er  schleudert  die  Fackel  Kreon  vor  die  Füße.  Sie  erlischt.) 
Ich  lege  ab  Ruhm  und  Ehre. 
Weine  — 
Kleine  Stimme  im  Abendmeer  — 

(Er  setzt  sich  nieder  auf  die  Stufen  und  ersticht  sich) 
92 


FÜNFTE  SZENE 

Drohendes  Schweigen. 

EINE  STIMME 
Dein  Sohn  ist  tot. 

ZWEITE  STIMME 
Geh  hin  zu  der  Leiche! 

DRITTE  STIMME 
König  der  Leichen! 

VIELE  STIMMEN 
Mörder!  —  Bluthund! 

EIN  JÜNGLING 
(aus  der  Schar  um  Hämon) 
Der  erste  Mensch  der  neuen  Erde 
Ist  an  ihrem  Grab  bekehrt. 

EINE  STIMME 
Oaut) 
Steine  für  Brotl 

ECHO 
Steine  — 

VIELE  STIMMEN 
Steinigt  ihn! 

ZWEITER  JÜNGLING 
Er  starb  für  sie.  Des  Todes  Leere 
Klagt  an  die  Macht  der  Lebenden. 

(Grelle  Pfiffe.) 


93 


RUF 
Tod  dem  Mörderl 

DRITTER  JÜNGLING 
Der  Böse  lebt.  Die  Guten  starben. 
Wer  darf  noch  sagen:  ich  bin  ein  Mensch? 

EIN  WEIB 
Kreon,  redel 

ZWEITES  WEIB 
Weshalb  redest  du  nicht? 


Redel 


DAS  VOLK 

KREON 
(unbeweglich.) 


EIN  BEWAFFNETER 
(hebt  das  Schwert  gegen  die  Schreier.) 

EINE  STIMME 

(Aufruhr) 

DIE  MASSE 

(Sie  stürmen  gegen  die  Krieger) 

ANFÜHRER 
Zum  König! 

(Die  Wache  umringt  ihn.  Er  steht  in  der  Mitte.  Hohngelächter) 
94 


Blut! 


Auf  ihn  1 


RUFE 

Schlagt  ihn  totl! 

(Die  Mauer  um  Kreon  wankt.  Signal  hinter  der  Szene.  Feuerschein.) 

EINE  STIMME 
Feuerl 

(Alle  wenden  sich  und  starren.  Ein  Teil  rennt.) 

VIELE  STIMMEN 
Feuer!! 

(Stärkerer  Feuerschein.) 

SCHREI 
Hilfe! 

VIELE  STIMMEN 
Es  brennt  —  die  Häuser  —  die  Kinder  — 

(Sie  stürzen  den  Ausgängen  zu.) 


DAS  VOLK 
Rettet! 

(Rauchwolken.  Prasseln.—  Nur  die  Schar  um  Kreon  bleibt) 


ANFÜHRER 

(tritt  in  den  Kreis  zu  Kreon) 
Die  Flammen  schlagen! 
Sie  rühren  keinen  König  an. 

95 


KREON 
(erstarrt,  wendet  sich  zum  Gehen.  Der  Kreis  um  ihn  bewegt  sich. 

Er  sieht  rückwärts.) 
Nehmt  den  Toten  mitl 

(Sie  schlagen  ein  schwarzes  Tuch  um  die  Leiche  und  tragen  sie. 
Alle  ab.  —  Feuerschein.  —  Dunkelheit.) 


96 


FÜNFTER  AKT 


Der  Palast  ist  bell.  Die  Arena  ist  dunkel.  Die  Stufen  sind  beleuchtet. 
Aus  dem  Tore  tritt  Eurydike  mit  Gefolge. 

ERSTE  SZENE 

Eurydike.  Kammerfrauen. 

ERSTE  KAMMERFRAU 
Die  Flammen  des  ungeheuren  Brandes 
Haben  die  Stadt  in  Schutt  gelegt. 

EURYDIKE 
Wo  ist  Kreon? 

ZWEITE  KAMMERFRAU 
Königin,  dein  Gemahl 
Ging  zum  Grabgewölbe. 

EURYDIKE 
Ich  lasse  ihn  zu  mir  bitten. 
Ich  will  die  Hallen  der  Burg  ö£Fnen 
Zum  Schutze  der  Obdachlosen. 

(Eine  Frau  ab.) 

ERSTE  KAMMERFRAU 
(sieht  hinaus) 
Die  Wälder  stehn  in  Flammen. 
Westlich  fliegen  Funken  Feuer  auf. 
Graue  Dämpfe  dunsten. 
Die  Türme  schmelzen  vor  Glut. 

(Dumpfer  Fall.  Schreie.) 

v  99 


ZWEITE  KAMMERFRAU 
Das  Dach  des  Tempels  stürzt  ein! 

DRITTE  KAMMERFRAU 
Da«  Feuer  kommt  näher. 

EURYDIKE 
Wo  ist  mein  Sohn? 

(Pause.) 

ZWEITE  KAMMERFRAU 
Sie  heben  Erstickte  aus  den  Trümmern. 

DRITTE  KAMMERFRAU 
Viele  sind  in  der  Asche  verkohlt. 

EURYDIKE 
Geht  hinab,  helft  dem  Elend. 
Ich  will  hier  warten  auf  Kreon, 
Die  Schätze  der  Burg  an  die  Unglücklichen 
Verteilen. 

(Alle  verlassen  sie  außer  zwei  Frauen.) 

ERSTE  KAMMERFRAU 
Ein  Schreckensruf  gellt  durch  die  Flammen  — 

HEROLD 

(erscheint  im  Eingang.) 


Was  ist? 
100 


EURYDIKE 


HEROLD 
Antigene  ist  tot  11 

(Eine  uralte  Frau,  krumm,  mumienhaft,  kriecht  auf  Händen  und 
Füßen  die  Stufen  hinauf.) 

MUMIE 
Königin!  Königin! 

EURYDIKE 
Wer  ruft? 

MUMIE 
Meine  Enkel  braten  am  Feuer. 

EURYDIKE 

Wer  bist  du? 

MUMIE 
Ich  bin  eine  Mumie.  Ich  bin  ganz  gelb  von  der  Hitze. 

EURYDIKE 
Ein  Tierl 

(Sie  wendet  sich  voller  Angst.) 

MUMIE 
Königin!  Hier  sind  Würmer.  Ich  speise  die  Gräber. 

(Setzt  sich  auf  die  Stufen,  nestelt  an  ihren  Flaaren.) 
Ihr  werft  Steine,  wenn  ich  bettle. 

EURYDIKE 

(nimmt  ein  Kissen,  geht  einen  Schritt  die  Stufen  hinab  und  reicht 

es  ihr.) 

101 


MUMIE 
Dank,  daß   ich  weich  liege.  Feuer  ist  schön.  Feuer  ist  warm. 

ERSTE  KAMMERFRAU 
Eine  Rauchwolkel 

(Geschrei.) 

ZWEITE  KAMMERFRAU 
Die  Flammenl  Sie  sind  ganz  nah  — 

ERSTE  KAMMERFRAU 
(klammert  sich  an  sie.) 
Hilf,  Königini 

(Es  raschelt  auf  den  Stufen.) 

EURYDIKE 

Die  Welt  geht  unter. 

(Die  Rampe  füllt  sich.  Die  Frauen  kehren  zurück.) 

DIE  KAMMERFRAUEN 
Wu  können  nicht  helfen. 

EURYDIKE 
Wo  ist  Kreon?  Wo  ist  mein  Sohn? 

EINE  STIMME 
Niemand  hat  sie  gesehn. 

(Stille.) 

EURYDIKE 
Die  armen  Menschen! 

(Windstoß  und  Feuerschein  über  der  Burg.) 

102 


HEROLD 

(hinter  der  Szene) 

Teiresias  ist  verbrannt. 

(Aufschrei.) 

ERSTE  KAMMERFRAU 
Der  Wind  zerstreut  die  Flammen. 

ZWEITE  KAMMERFRAU 
Das  Feuer  weicht  in  die  Ebene. 

(Der  Schein  erlischt.) 

HEROLD 

(hinter  der  Szene) 
Die  Burg  ist  gerettet. 

(Volk  steht  an  den  Stufen.) 

EIN  MADCHEN 
(irrt  umher) 
Wo  ist  mein  Vater  I? 

EIN  ALTER  MANN 
Mein  Haus  ist  Asche.  Mein  Brot  ist  verbrannt.  Wo  soll  ich 
wohnen!  Was  soll  ich  essen?  Ich  bin  siebzig  Jahre  alt. 

EIN  HALBBEKLEIDETER 
Gebt  mir  ein  Hemdl  Ich  bin  nackt.  Meine  Blöße!  Ich  friere. 

EIN  VERBRANNTER 
(wimmert) 
Ah-ah- 

103 


DAS  MADCHEN 
Wer  hat  meinen  Vater  geschn? 

DUMPFE  STIMME 
(unten) 
Wir  sind  verzehrt. 

EINE  ALTE  FRAU 
(geht  irr  mit  einem  Topf  umher) 
Ich  grabe  —  ich  grabe  —  Töpfe  und  Perlen.  Wer  hat  Geld? 
Wer  kauft  Perlen? 

(Sie  klappert  mit  dem  Topfe.) 

EINE  MUTTER 
(hält  ein  verbranntes  menschliches  Bein  empor) 
Königini  Hier  ist  das  Bein  meines  Kindes.  Es  lag  in  der 
Küche  im  Brand. 

STIMMEN 
(murmelnd) 
Wir  sind  ärmer  als  Ratten  —  ohne  Fraß  —  ohne  Loch. 

EINE  STIMME 
(grell) 
Hier  wohnen  die  Reichen  1 

EURYDIKE 
Ich  bin  nicht  reich.  Wehe  der  Königin, 
Die  in  die  Hütten  der  Armen  geht, 
Almosen  schenkt,  in  Betstühlen  kniet 
Für  das  Glück  ihres  Volkes. 

104 


Kommt  näher.  Ich  kann  die  Toten  nicht  wecken, 

Die  Häuser  nicht  aufbauen  in  der  Stadt; 

Ich  kann  in  der  Not  nur 

Mit  euch  fühlen,  wie  arm  ich  bin. 

EIN  MANN  AUS  DEM  VOLKE 
Wir  sind  schwach.  Eine  Herde  Menschen 
Brechen  wir  auf  in  die  großen  Wälder 
Vor  Gottes  Antlitz  und  klagen  an. 
Sieh  hier  — 
(Eine  verhüllte  Bahre  wird  hereingetragen.  Er  reißt  die  Hülle  ab. 

Ein  verkohlter  Mensch  liegt  da.) 
Sieh  her! 

Ihr  habt  uns  bestohlen,  ihr  habt  uns  mißhandelt, 
Uns  geschändet  — 
Auch  wir  sind  Menschen! 

RUF 
Fluch  dem  Mörder  1 

DER  MANN  AUS  DEM  VOLKE 
Wir  haben  nichts  mehr  auf  dieser  Scholle 
Vor  dem  Thron  der  Gewaltigen. 
In  die  Täler  wollen  wir  kriechen, 
Gras  fressen  wie  das  Vieh. 
Dort  aber,  Königin, 
Laßt  eure  Hand  von  unserm  Leb«n. 
Bleibt  zurück. 
Herrscht  auf  eurer  Burg. 

105 


EURYDIKE 

(legt  das  königliche  Gewand  ab  und  steht  im  einfachen,  schwarzen 

Kleid.) 

DER  MANN  AUS  DEM  VOLKE 
Nehmt  Abschied  am  Tore! 
Verlorene  Heimat;  verbrannte  Stadt. 

ZWEITE  SZENE 

Bewegung  auf  der  Rampe.  Die  Frauen  weichen  zurück.  Ismene 
kommt  langsam  durch  das  Tor. 

EURYDIKE 
Ismene  1  Wo  ist  Kreon? 

ISMENE 
(schüttelt  den  Kopf  zum  Zeichen,  daß  sie  es  nicht  weiß.) 

EURYDIKE 
Armel 

ISMENE 

(versucht  zu  sprechen,  schüttelt  wieder  den  Kopf.   Weist  stumm 

mit  dem  Finger  hinaus.) 

EURYDIKE 
Was  ist  mit  ihr? 

ISMENE 

(zeigt  mit  dem  Finger  auf  den  Mund.  Stößt  einen  unverständlichen 

Laut  aus.) 

106 


EURYDIKE 
Was  sagt  sie? 

EINE  STIMME 
Sie  ist  stumm! 

ISMENE 
(preßt  beide  Hände  an  die  Schläfen.) 

EURYDIKE 
Antigene  — ? 

ISMENE 
(gibt  einen  kleinen,  wimmernden  Ton  von  sich.) 

EURYDIKE 
Noch  nicht  genug!  Noch  immer  — ! 

ISMENE 

(tritt  zögernd  zur  Königin,  nimmt  aus  ihrer  Brust  ein  blutiges  Mes^ 

ser,  reicht  es  ihr  hin.) 

EURYDIKE 

(aufschreiend) 
Hämons  Messer!  Hämonü  Er  lebt  nicht  mehr  — 

(Sie  wankt.  Frauen  stützen  sie.  Alle  wenden  sich  ab.  Stille) 

DER  MANN  AUS  DEM  VOLKE 
Gottes  Gericht  an  den  Königen! 

EURYDIKE 
(schluchzend) 
Hämon,  mein  Sohn! 

107 


EINE  FRAU 
Auch  unsere  Söhne  sind  tot. 


Hämonll 
Atme  Königin! 


EURYDIKE 

EINE  ALTE  FRAU 
EURYDIKE 


Geht,  renntl 

Die  Stätte  ist  verdorrt. 

Der  Mord  regiert. 

VIELE  FRAUEN 
Schwester! 

EURYDIKE 
(spricht  zu  den  Kammerfrauen) 
Das  Irdische  ist  erloschen. 
Zündet  die  Kerzen  an) 

(Sie  geht;  die  Frauen  folgen  ihr.  —  Die  Rampe  ist  leer;  das  Tor 
schließt  sich.  Die  Arena  wird  hell.  —  Volk.)  . 

DER  MANN  AUS  DEM  VOLKE 
Paläste  wanken.  Die  Macht  ist  zu  Ende. 
Wer  groß  war,  stürzt  in  den  Abgrund, 
Die  Tore  donnern  zu. 
Wer  alles  besaß,  hat  alles  verloren; 
Der  Knecht  im  Schweiß  seiner  Hände 
Ist  reicher  als  er. 

108 


Folgt  mirl  Ich  will  euch  führen. 

Der  Wind  steigt  aus  den  Trümmern, 

Die  neue  Welt  bricht  an. 

EIN  EINARMIGER 
Mein  Arm  ist  zerschlagen  im  Krieg.  Ich  kann  arbeiten  mit 
dem  andern. 

EIN  BLINDER 
Meine  Augen  sind  blind.  Ich  will  die  Kinder  lehren. 

EIN  EINBEINIGER 
Mein  Bein  ist  zerschmettert.  Ich  will  Teppiche  nähen. 

DER  MANN  AUS  DEM  VOLKE 
Kommt  alle ! 

Ihr  werdet  schaffen.  Ihr  werdet  leben. 
Brot  und  Früchte  für  jedermann. 
Blut  ist  geflossen. 
Der  Krieg  versinkt. 
Völker  reichen  sich  die  Hände. 

CHOR 
Was  zögerst  du? 
Der  Weg  ist  bereitet. 
Füße,  schreitet  dem  Aufgang  zu ! 

DER  MANN  AUS  DEM  VOLKE 
Folgt  mir!  Lebt  wohl,  ihr  Totenl 
Die  Lebendigen  grüßen  euch  — 

(Ein  Teil  des  Volkes  hat  sich  um  ihn  geschart.  Sie  ziehen  mit  ihm 
durch  die  Mitte  der  Arena  hinaus.) 

109 


DRITTE  SZENE 

Das  Tor  des  Palastes  geht  auf.  Kreon  erscheint  mit  Gefolge.  Krie<j;er 

tragen  die  Leiche  Hämons  im  schwarzen  Tuch  und  legen  sie  auf  der 

Rampe,  dicht  vor  den  Stufen,  nieder.  —  Stille. 

KREON 
Männer  von  Theben! 

Ich  komme,  Gericht  zu  halten  über  die  Schuldigen. 
Gottes  Hand  liegt  schwer  auf  uns. 
Ein  verruchter  Brandstifter  hat  die  Stadt  angezündet. 
Er  ist  unter  uns.  Er  trete  vor! 

(Keiner  rührt  sich.) 

KREON 
(wendet  sich  halb  um) 
Hervor!  Wer  hat  das  Zeichen  gegeben? 

ANFÜHRER 
(tritt  hervor) 
Ich,  Herr. 

KREON 

(zum  Volke) 
Seht:  dieser  Mensch!  — 
Was  soll  mit  ihm  geschehn? 

STIMME 
Spießt  ihn  lebendig! 

KREON 
Legt  ihm  die  Fesseln  an. 

(Es  geschieht.) 

110 


ANFÜHRER 
(schreit) 
Ich  tat  es  auf  Befehl  des  Königs  !1 

KREON 
Halt,  Mordgesellcl 

ANFÜHRER 
An  dieser  Stelle 
Befahl  er,  die  Stadt  in  Brand  zu  stecken. 

KREON 
Hab  ich  den  Arm  erhoben  —  so? 

(Er  tut  es.) 

ANFÜHRER 
Dein  Leben  war  in  Gefahr  I 

KREON 
Gab  ich  das  Zeichen  ? 


Gnade  — 


ANFÜHRER 
(fällt  hin) 


KREON 
Nehmt  ihm  die  Fesseln  ab.  Der  Mensch 
Folgt  seiner  wilden  Mordgier  wie  das  Vieh. 
Die  Tat  ist  anders  als  der  Geist  sie  schuf. 
Klagt  mich  nicht  an.  Klagt  Gott  an! 
(Der  Anführer  stürzt  fort.  Die  Fesseln  schleifen  hinter  ihm  her.) 

111 


KREON 
In  meinem  Herzen 

Srieg  der  Gedanke  auf  —  so  bin  ich  schuld. 
Die  Macht  des  Königs  mußte  ich  erfüllen. 
Freiheit  ist  stärker  als  Gesetz  und  Ruhm! 
Wer  über  Menschen  herrscht,  soll  Gut  und  Böse 
Erkennen  und  das  Bessere  tun. 
Ich  hörte  den  verworrenen  Schritt  der  Geister; 
Es  sprach  ein  andrer  Geist  zu  mir. 
Ja,  ich  bin  schuld  1  Auch  des  Gebotes  Größe, 
Der  Irrtum  selbst  greift  in  das  Rad  der  Welt 
Und  dreht  es  vorwärts  zwischen  Licht  und  Schatten, 
Versuchung,  Schicksal,  Pflicht  und  Untergang. 

(Er  hält  inne.  —  Die  Masse  drängt  vor,  um  zu  lauschen.) 

Weil  ich  der  Höchste  war  in  meinem  Reiche, 
Will  ich  bekennen,  daß  ich  schuldig  bin. 

(Er  tritt  zu  der  Leiche  des  Sohnes.) 
Zusammenstürzt,  was  Thron  und  Herrschaft  baute, 
Vor  diesem  schwarzen,  unscheinbaren  Tuch. 
Hier  ist  das  Grab  der  Menschen  — 
Die  bittere  Erfüllung:  Tod. 

CHOR  DER  JUNGFRAUEN 

(am  Grab  der  Antigone) 
Hab  Dankl 
Es  wird  Tag. 
Steine  blühn  auf  den  Gräbern. 

112 


KREON 
Ihr  Scharen  in  der  Tiefe! 

Der  Tag  ist  gekommen,  wo  die  Schranke  fällt. 
Wo  der  König  eins  ist  mit  dem  Volke 
Am  Thron  der  Gerechtigkeit. 
Ich  breche  auf,  meine  Taten  zu  sühnen. 
In  die  Wüste,  in  den  Urwald, 
Fort  von  euch.  Wir  sehn  uns  nicht  mehr. 

(Trauermusik.  —  Die  Tore  des  Palastes  öffnen  sich.  Kerzen  brennen. 

Im  Hintergrunde  der  Katafalk,  auf  dem  Eurydike  aufgebahrt  liegt. 

Um  ihn  knien  die  Frauen.) 

DUMPFE  STIMME 
Die  Königin  ist  totl 

KREON 
(starrt  auf  die  Bahre) 
Drei  Tote  frieren  in  mein  Herz. 
Drei  Tote  reißen  mit  Eisesfingern 
Stück  um  Stück  meines  Fleisches  von  mir. 
Nun  liege  ich  selber  auf  dem  Felde, 
Hilflos,  wie  der  tote  Feind. 

(Er  gürtet  das  Schwert  ab.) 
Leg  ab  zu  Füßen  des  armen  Sohnes 
Das  Zeichen  deiner  Herrlichkeit. 
Tote  Gattin  auf  der  Bahre  — 
Der  Tag  wird  einsam  um  mich  her. 

(Er  tritt  bis  dicht  vor  die  Stufen.) 


8  Hatenclever,  Antigonc 


113 


Der  Weg  hinab  zu  euch,  meine  Brüder, 

Ist  nicht  mehr  weit  am  Grab  vorbei. 

Hoch  trennen  uns  Stufen.  Schon  rückt  der  Zeiger 

Näher  der  wesenlosen  Uhr. 

Einst  aber,  wenn  die  Toten  erwachen. 

Wenn  die  Unsterblichen 

Wandeln  in  ihr  Reich, 

Kehre  ich  wieder  zu  meinen  Sternen, 

Ich- 

Der  Vieles  wußte  und  viel  getan  hat. 

Im  Guten  und  Bösen:  ein  Mensch! 

(Er  schreitet  langsam  die  Stufen  hinab  vom  Palast  in  die  Arena. 

Die  Masse  teilt  sich.  Er  geht  hindurch  zum  Grabe,  nimmt  den  goU 

denen  Reif  von  seinem  Haupte  und  legt  ihn  aufs  Gewölbe.  Er  geht 

durch  die  Mitte  hinaus.  Die  Musik  bricht  ab.  —  Stille.) 

VIERTE  SZENE 

STIMME 
Der  König  ist  fortl 

ZWEITE  STIMME 
Wir  haben  keinen  König  mehr! 

DRITTE  STIMME 
\K"ir  sind  frei!! 

EINER  AUS  DER  AL\SSE 
Wir  wollen  die  Burg  stürmen! 

114 


DER  PÖBEL 
Geld  her!  -  Weinl 

(Sie  drängen  vor.  Die  vorne  Stehenden  werden  übenannf.  Schreie. 

Einige  kommen  die  Stufen  hinauf  mit  erhobenen  Fäusten.  Sie  sind 

auf  der  Rampe.  Sie  stocken  vor  dem  Sarg.) 


Vorwärts! 


RUF 

(unten) 

(Sie  stehn  vor  den  Toren.) 


EIN  MANN 
(hebt  die  Leiche  Hämons  auf  und  schleudert  sie  hinab.) 
Nieder  die  Fürsten! 

(BUtz  und  Donnerschlag.) 

STIMME  AUS  DEM  GR.\BE 
Volk, 

Falle  nieder  — 

Gott  hat  gerichtet. 

(Sie  wenden  sich  voller  Entsetzen.  Die  geballten  Fäuste  sinken  ge- 

lähmt.  Sie  fallen  nieder,  schlagen  mit  dem  Kopf  auf  die  Erde.) 

Betet, 

Schuldige  Menschen 

In  der  Vergänglichkeit! 

(Sie  heben  flehend  die  Hände  empor.  —  Dunkelheit.) 

ENDE 
»•  115 


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