Rote Liste der Ameisen
(Hymenoptera: Formicidae)
(Bearbeitungsstand: 1997)
Bearbeitet von BERNHARD SEIFERT
unter Mitarbeit von ALFRED BUSCHINGER, WOLFGANG DOROW, GERHARD HELLER,
WOLFGANG MÜNCH und WOLFGANG ROHE
Allgemeine Aspekte der Biologie, Bedeutung als Indikatororganismen
Ameisen sind wichtige Glieder in Nahrungsketten. Sie fungieren im Nahrungsnetz als
Primär-, Sekundär- und Tertiärkonsumenten und sind selbst eine wesentliche Nahrungs-
grundlage vor allem für viele Vogelarten. Das ist bei Naturschutzprojekten und Pflege- und
Entwicklungplänen durchaus zu beachten. Ganz entscheidend sind Ameisen als Nahrung für
viele Spechte (Extremfall Wendehals), eine Reihe von Hühnervögeln und für andere auf of-
fenen Freiflächen jagende Vogelarten. Habitatgestaltungsmaßnahmen, die die Vielfalt und
Dichte von Ameisen fördern, sind somit sehr oft mit anderen Schutzzielen kompatibel.
Schutzmaßnahmen für Heidelerche, Brachpieper, Rebhuhn, Zauneidechse, Auerhuhn oder
Kreuzotter erhöhen somit auch die Diversität von Ameisen.
Die Möglichkeiten einer Biotopbewertung mittels Formiciden hat Vor- und Nachteile. Ein
Vorteil ist die relativ hohe topographische Genauigkeit, denn der Fund oder Fang nur einer
Arbeiterin ist stets als Anzeige für eine erfolgreiche Nestgründung in der Nähe des Fangor-
tes zu bewerten. Die Strecken, die sich eine Arbeiterin durchschnittlich vom Nest entfernt,
sind von der Gattungszugehörigkeit, der Besiedlungsdichte, der Raumnutzungsstrategie und
der Oberflächenstruktur des Habitates abhängig. Waldameisen entfernen sich beispielsweise
bis 150 m vom Nest. Eine andere bei Biotopbewertungen zu beachtende Eigenschaft ist die
Funktion von Ameisen als K-Strategen mit einer sehr langen Lebensdauer der Nester und der
Möglichkeit, negative Habitatveränderungen im „Notstandsbetrieb" zu überleben. Das be-
deutet, daß sie auch in stark devastierten Lebensräumen unter Umständen noch einige Jahre
überdauern können, bevor sie endgültig aussterben. Ameisen können also eine Art Lang-
zeitgedächtnis für frühere Zustände repräsentieren.
Schwachpunkte der Indikatoreignung von Ameisen sind ihre geringe Artenzahl, ihr meist
sehr breites Nahrungsspektrum und die oft sehr schwere Bestimmbarkeit. Schwerpunkt-
mäßig sind Ameisen xerothermophil. Sie sind vor allem für trocken-warme Habitattypen als
Indikatororganismen wesentlich. Das sind in Mitteleuropa vor allem Trocken-, Halbtrocken-
und Magerrasen, offene Heiden, Felstrockenfluren, ausgesprochen thermophile Laub- und
Nadelwälder, xerotherme Saumbiotope und einzeln bzw. in Gruppen stehende Althölzer. In
mesophilen, feuchten, nassen oder sehr stark beschatteten Lebensräumen ist eine Biotopbe-
wertung mittels Ameisen mangels geeigneter Indikatorarten oft nicht möglich, obwohl es
auch hier einzelne angepaßte Arten gibt.
Hauptgefährdungsursachen
Die meisten Ameisenarten Mitteleuropas nisten im Boden oder an dessen Oberfläche. Alle
das Mikroklima der Neststandorte verändernden Faktoren sind daher als erstrangige Rück-
gangsfaktoren zu nennen. Eine starke Höhen- und Dichtezunahme der Krautschicht und der
Aufwuchs von Gehölzen bedeuten das Ende der Vorkommen vieler Arten xerothermer
Offen- bzw. Saumhabitate. Die häufigsten Ursachen dieser Veränderungen sind direkte Dün-
gung oder starker atmosphärischer Nährstoffeintrag, die Aufgabe extensiver Bewirtschaf-
tung (z.B. Schafweide, extensive Mahd, Streunutzung), Aufforstung und das Verbuschen von
Brachflächen. Viele vom Aussterben bedrohte Arten xerothermer Offenhabitate haben ihre
größten Populationen auf ehemaligen Truppenübungsplätzen in den neuen Bundesländern.
Insbesondere die jetzt ungebremste Waldsukzession entwickelt sich auf diesen Flächen zu ei-
nem bedeutsamen Gefährdungsfaktor für die Ameisen. Eine Gefährdung von Nisthabitaten
der Ameisen resultiert weiterhin aus dem Verschwinden von Alt- und Totholz, von Trocken-
mauern, steinigen Böschungen, Hohlwegen und Gebüschsäumen. Der Einsatz von Pflan-
zenschutzmitteln scheint bei Ameisen eher geringere Auswirkungen als bei anderen Insek-
tengruppen zu haben, doch kann im Einzelfall selbst bei Verwendung als unbedenklich ein-
gestufter Mittel (z.B. Dimilin im Forst) eine meßbare Reduktion der Ameisendichte
eintreten.
Zu den Arten der Roten Liste und Statusveränderungen
In der heutigen Bundesrepublik Deutschland wurden bisher 111 im Freiland vorkommen-
de Ameisenarten sicher nachgewiesen. Darunter befinden sich mindestens drei aus wärme-
ren Klimazonen eingeschleppte Adventivarten (Linepithema humile, Monomorium pharao-
nis und Hypoponera punctatissimä), deren dauerhaftes Überleben im Freiland unwahr-
scheinlich ist.
Gegenüber der 4. Auflage der Roten Liste (PREUSS et al. 1984) mit nur 85 für die alten
Bundesländer aufgelisteten Arten ist die jetzige Artenzahl von 1 1 1 wesentlich erhöht. Das ist
hauptsächlich eine Folge intensiver taxonomischer Forschung im Artbereich, wodurch in den
Sammlungen existierende, aber fehldeterminierte Arten identifiziert bzw. der Wissenschaft
unbekannte Arten erstmals beschrieben werden konnten (Zusammenfassung bei SEIFERT
1996). Aber auch die erhöhte Sammeltätigkeit erbrachte eine ganze Reihe faunistischer Erst-
nachweise. Nach der deutschen Wiedervereinigung erhöhte sich das Artenspektrum bei
Ameisen nur mäßig: es gibt in den hinzugekommenen Bundesländern nur fünf bislang nicht
für die alten Bundesländer nachgewiesene Arten. Der Schwerpunkt der Artenvielfalt der
thermophilen Ameisen liegt eindeutig in Süddeutschland. Allein 97 Arten finden sich in
Baden-Württemberg. Der Erfassungsgrad der Fauna innerhalb Deutschlands ist sehr unter-
schiedlich. Vergleichsweise gut untersucht ist die Ameisenfauna in Baden- Württemberg,
Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen- Anhalt. Ausgesprochen schlecht untersucht
sind Nordrhein- Westfalen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg- Vorpommern.
Der Informationszuwachs erlaubt aber insgesamt eine wesentlich fundiertere Beurteilung
des Gefährdungsstatus und führt im Vergleich zu PREUSS et al. (1984) zu veränderten
Bewertungen. Sofern Rückstufungen (z.B. Ponera coarctata) oder gar Entfernungen aus der
Liste (Stenamma debile, Formica cunicularia) erfolgten, sind diese keinesfalls in einer
verbesserten Umweltsituation begründet, sondern auf nunmehr bessere Sammelmethoden
oder die Korrektur früherer Fehleinschätzung zurückzuführen. Die grundsätzliche Gefähr-
dung der Ameisenfauna (siehe oben) hat während der letzen 15 Jahre zugenommen. Ohne
Berücksichtigung der drei bisher nicht sicher nachgewiesenen und der drei oben genannten
Adventivarten erscheinen 77 Arten in der Roten Liste (=71% von 108 berücksichtigten
Arten). 11 Arten sind vom Aussterben bedroht (= 10%), 17 stark gefährdet (= 16%), 31 ge-
fährdet (= 29%), 7 (= 6%) sind extrem selten bzw. geographisch begrenzt und 12 Arten
(= 11%) finden sich in der Vorwamliste.
Literatur
PREUSS, G. et al. (1984): Rote Liste der Ameisen (Formicoidea). - In: BLAß, J., NOWAK, E., TRAUT-
MANN, W. & SUKOPP, H. [Hrsg.]: Rote Liste der gefährdeten Tiere und Pflanzen in der Bundesrepublik
Deutschland. 4. erweiterte und neubearbeitete Autlage. - Greven (Kilda- Verlag) - Naturschutz aktuell
1:44-45.
SEIFERT, B. (1996): Ameisen beobachten, bestimmen. - Augsburg (Naturbuch Verlag) 351 S.
1 Vom Aussterben bedroht
Camponotus aethiops (LATREILLE)
Camponotiis vagus (SCOPOLI)
Doronomynnex kutteri (BUSCH INGER)
[= Leptothorax kutteri BUSCHINGER]
Formica hriini KUTTER
h'onnicaforeli EMERY
Formica forssliindi LOH M ANDER
Formica pressilabris NYLANDER
Fusius carniolicus (MAYR)
Myrmica salina RUZSKY
Myrmica vandeli BONDROIT
Plagiolepis xene STÄRCKE
2 Stark gefährdet
Camponotus faJlax (NYLANDER)
Campom)tus piceus (LEACH)
Camponotus truncatus (SPINOLA)
Dolichoderus quadripunctatus (L.)
[= Hypoclinea quadripunctata (L.)j
Epimyrma ravouxi (ANDRE)
[= Epimyrma goesswaldi MENOZZI]
Formica lefrancoisi BONDROIT
Formica transkaucasica NASSONOV
[= Formica picea NYLANDER]
Formica uralensis RUZSKY
Lasius citrinus EMERY
[= Uisiiis affinis SCHENCK]
Lasius myops FOREL
Lasius reginae FABER
Leptothorax ajfinis MAYR
Leptothorax corticalis (SCHENCK)
Leptothorax sordidulus MÜLLER
Myrmica hirsuta ELMES
Plagiolepis pygmaea (LATREILLE)
Polyergus rufescens (LATREILLE)
3 Gefährdet
Anergates atratulus (SCHENK)
Aphaenogaster subterranea (LATREILLE)
Formica aquilonia YARROW
Formica cinerea MAYR
Formica exsecta NYLANDER
Formica lugubris ZETTERSTEDT
Formica parcüugubris SEIFERT
Formica selysi BONDROIT
Formica truncorum FABRICIUS
Formicoxemis nitidulus (NYLANDER)
Harpagoxenus sublaevis (NYLANDER)
Lasius distinguendus (EMERY)
Lasius jensi SEIFERT
Lasius meridionalis (BONDROIT)
Lasius paralienus SEIFERT
Leptothorax interruptus (SCHENCK)
Leptothorax nigriceps MAYR
Leptothorax tuberointerruptus FOREL
Leptothorax tuberum (FABRICIUS)
Myrmica gallienii BONDROIT
Myrmica lobicornis NYLANDER
Myrmica lonae FINZI
Myrmica rugulosa NYLANDER
Myrmica schencki EMERY
Myrmica specioides BONDROIT
Myrmica suicinodis NYLANDER
Plagiolepis vindobonensis LOMNICKI
Ponera coarctata (LATREILLE)
Solenopsis fugax (LATREILLE)
Strongylognathus testaceus (SCHENCK)
Fapinoma ambiguum EMERY
R Arten mit geographischer Restriktion
Crematogaster scutellaris (OLIVIER)
Crematogaster sordidulus (NYLANDER)
Lasius bicornis (FÖRSTER)
Messor structor (LATREILLE)
Myrmica hellenica FOREL
Symbiomynna karcivajevi ARNOLDI
Tetramorium moravicuin KRATOCHVIL'
wahrscheinlich: = Tetramoriiiin rhenaniim SCHULZ
V Arten der Vorwarnliste
Fonnica lusatica SEIFERT2
Fonnica polyctena FÖRSTER
Fonnica pratensis RETZIUS
Fonnica rufa LINNAEUS
Fonnica rufibarbis FABRICIUS
Lcptothorax gredleri MAYR
Lcptothorax parvulus (SCHENCK)
Lcptothorax imifasciatus (LATREILLE)
Manica rubida (LATREILLE)
Myrmica sabuleti MEINERT
Myrmica scabrinodis NYLANDER
Tapinoma erraticum (LATREILLE)
D Daten defizitär
Camponotus lateralis (OLIVIER)
Formica gagates LATREILLE
Liometopum microcephalum (PANZER)
■ Früher als Formica rubescens FOREL oder Fonnica glauca RUZSKY bezeichnet.