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Full text of "Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen"

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ARCHIV 


FÜR  DAS 


STUDIUM  DER  iNEUGREN  SPRACHEN 
UNI)   LITTERATUREN. 


BEGRÜNDET  VON  LUDWIG  HERRIG. 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

ALOIS  BRANDL   UND  ADOLF  TOBLER. 


LVI.  JAHRGANG,  CVIII.  BAND, 

DER   NEUEN   SERIE  VIII.  BAND.  \^  Ov 


BRAUNSCHWEIG. 

ÜUUUK    UND    VERLAG    VON    CfEORUE    WESTERMANN. 

19U2. 


5 


Inhalts-Verzeiclinis  des  CYTIT.  Bandes, 

der  neuen  Serie  VIII.  Bandes. 


Abhandlungen. 

^  Seite 

Die  Märchen  des  Musäus,  vornehmlich  nach  Stoffen  und  Motiven.    Von  Erich 

Bleich.     1 1 

Die  Märchen  des  MusRub,  vornehmlich  nach  Stoffen  und  Motiven.    Von  Erich 

Bleich.     11.    (Fortsetzung) 27S 

Da.»*  lateiniach-altenglische  Fragment  der  Apokryphe  von  Jamnes  und  Mamhres. 

Von  Max  Förster 1^ 

Lydgates  'Vowes  of  Pecok'.     Von  E.  Koeppel 29 

The  pride  of  life.     Von  F.  Holthausen 32 

Sir    David    Lyndsays    Anspielungen    auf   mittelenglische    Dichtungen.      Von 

E.  Koeppel 60 

Die  angebliche  Quelle  zu  Goldsmiths 'Vicar  of  Wakefield'.    Von  W.  Heuser       64 
Neuere  Erscheinungen    auf  dem  Gebiete   der  englischen  Novelle  und  Skizze. 

Von  R.  Fischer 70 

Die  eingeschobenen  Sätze  im  heutigen  Englisch.     Von  Hermann  Conrad. 

n.    (Schlafs) 78 

Die  Quelle  des  mittelenglischen  Gedichtes  'Lob  der  Frauen*.    Von  F.  Holt- 
hausen   288 

Quellenuntersuchungen  zu  Dichtungen  Barry  Cornwalls  (Bryan  Waller  Procters). 

Von  Hermann  Jantzen 302 

Aus  dem  Leben  Claude  Tilliers.     Von  M.  Cornicelius 90 

Die  Auslassung  oder  Ellipse.     Von   Gustav  Krueger.    U.    (Schhifs)            .      107 
Matteo  Baudello  nach  seinen  Widmungen.     Von  H.  Meyer.     1 324 

Kleine  Mitteilungen. 

Zum  Ursprung  der  Salomo-Sage.     (Konrad  Bardach) 131 

Zu  Goethes  Sprüchen  in  Prosa.    (O.  Hitter) 132 

P.  Ueyse  und  K.  Burns.     (O.   Uitter) 133 


IV 

Seite 

Zum  Arcliiv  CVII,  1U8:  Mitteleugl.  Haudschriften  in  Dublin.    (K.  Biotanck)  133 
Nachträge  zu  'König  Eduard  III.  von  England  und  die  Gräfin  von  Salisbury' 

(Berlin,  2.  Ausg.,   1901)   von  G.  Liebau.     (Gustav  Liebau)      .     .     .  133 

Zu  englischen  Liedern.     (0.  Ritter) 139 

'The  land  of  cakes.'     (O.  Ritter) 140 

Dr.  Wolcot  als  Mitarbeiter  au  George  Thomsons  'Scottish  uirs'.    (O.  Ritter)  141 

Citate  bei  Burns.     (O.  Ritter) 141 

Ein  Brief  Macaulays.     (Ludwig  Geiger) 142 

Streoneshealh.     (F.  Li  eher  mann) 368 

Zum  Beowulf.     (Fr.  Klaeber) 368 

Nordhumbrische  Laute  um  710.     (F.  Liebermann) 370 

Die  Schicksale  der  Apostel  doch  ein  unabhängiges  Gedicht.    (A.  J.  Barnouw)  371 

Aethelwolds  Anhang  zur  BenediktineiTegel.     (F.  Lieb  ermann)      .     .     .     .  375 

Zu  Scotts  Korrespondenz.     (Max  Förster) 377 

Zu  den  Oxforder  Glossen.     (Adolf  Tobler) 145 

Eine  Quelle  für  Waees  Roman  de  Rou.      (F.  Li  eher  mann) 380 

Li  houneurs    et  li  vertus    des  dames   par  Jehau  Petit  d'Arras.     (Nach  einer 

altfranzösischen  Handschrift  herausgegeben.)    (Rudolf  Zimmermann)  380 

Sitzungen    der  Berliner  Gesellschaft    für    das  Studium    der    neueren   Sprachen      148 
Verzeichnis    der    Mitglieder    der    Berliner    Gesellschaft   für   das   Studium   der 

neueren  Sprachen.     Januar  1902 169 

Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Kuhnau,  Johann.    Der  musicalische  Quack-Salber.    Herausgegeben  von  Kurt 

Benudorf.     (Arthur  L.  Jellinek) 179 

Johann  Jakob  Bodmer:  Denkschrift  zum  200.  Geburtstag  (19.  Juli  1898). 
Veranlafst  vom  Lesezirkel  Hottingen  und  herausgegeben  von  der  Stiftung 
von  Schnyder  von   Wartensee.     (A.  Braudl) 182 

Johannes  Grundmann,  Die  geographischen  und  völkerkundlichen  Quellen 
und  Anschauungen  in  Herders  'Ideen  zur  Geschichte  der  Menschheit'. 
(S.  Singer) 184 

K.  Gusin  de,  Neidhart  mit  dem  Veilchen.     (H.  Jautzen) 176 

Adolf  Harnack,  Geschichte  der  Kgl.  Preufsischen  Akademie  der  Wissen- 
schaften zu  Berlin.     (Richard  M.  Meyer) 391 

Egon  v.   Komorzynski,   Emanuel   Schikaneder.    Ein  Beitrag  zur  Geschichte 

des  deutschen  Theaters.     (Oskar  F.  Walzel) 417 

Friedrich  Panzer,    Hilde -Gudrun.      Eine    sagen-    und    litterargeschichtliche 

Untersuchung.     (Rudolf  Much) 395 

Henry  Osborn  Taylor,  The  classical  heritage  of  the  Middle  Ages.    (Richard 

M.  Meyer) 416 

Erich  Urban,  Owenus  und  die  deutschen  Epigrammatiker  des  XVII.  Jahr- 
hunderts.   (Franz  Schultz) 178 

Neue  Litteratur  zur  deutschen  Volkskunde.     (Robert  Pctsch) 420 


199 


V 

Seite 
Friedrich  Hebbel.     Sämtliche  Werke.     Historisch -kritische  Ausgabe    besorgt 

von  R.  M.  Werner.     (Richard  Meyer) |8G 

W.  Basil  Worsfold,  On  the  exercise  uf  judginent  in  literature.    (W.  Borsdorf)     389 

K.arl  Becker,  s.  Clemens  Klöpper. 

Fritz  Bergau,  Untersuchungen  über  Quelle  und  Verfasser  des  mittelenglischen 
Rfcimgedichts:  The  vengeaunce  of  goddes  deth  (The  bataile  of  Jerusalem). 

(Walter  Suchier) 

K.  Böddcker,  s.  Clemens  Kloi)per. 

Morgan  Callaway:  The  appositive  participle  in  Anglo-Saxon.    (Hans  Hecht)     428 

Emily  Candy,    First   days   in  England    or  talk    about  English  lifc.     Für  den 

Schulgebrauch  herausgegeben    von   Emily  Candy.     (Herman  Lewin)     .     461 
Kudyiud    Kipling.     Vier    Erzählungen.      Für    den    Schulgebniuch    ausgewählt 

und  herausgegeben  von  J.  Ellinger.     (G.   Krueger) ^iJ'J 

Engliah  letters,  von  Johann  Ellinger.     (Herman  Lewin) 459 

Wilh.  Flachsmann,  Irrwege inLesebüchernfür  Volksschulen.  (Alb. Herrmann)     227 

Richard  Garnett,  Essays  of  an  ex-librarlan.    (A.  Brandl) 207 

Hesenius-Regel,  Englische  Sprachlehre,  Ausgabe  B.    Unterstufe.    2.  Auf- 
lage. —   Oberstufe.    (Alb.  Herrmann) 227 

Hugo    Gilbert,    Robert    Greene's   Selimus.     Eine    litterarhistorische    Unter- 
suchung.    (H.  Anders) ^^^ 

Robert  Hichens.  Flames.     (R.Fischer) " ^^^ 

Robert  Hichens,  The  Slave.     (R.  Fischer) ^^^^ 

Havelok  edited  by  F.  Holthausen.     (W.  Heuser) 19'^ 

W.  W.  Jacobs,  A  master  of  craft.     (R.  Fischer) l^S 

C.  Klöpper,    Shakespeare -Realien.     Alt-Englands    Kulturleben    im    Spiegel 

von  Shakespeares  Dichtungen.    (A.  Brandl) ^^^ 

Englisches  Reallexikon    (mit  Ausschlufs  Amerikas).     Unter   Mitwirkung   von 
K.  Böddeker,  F.  J.  Wershoven,  Karl  Becker,  Gustav  Krueger, 
Joh.   Leitritz.    Herausgeg.  von   Clemens  Klöpper.    (Wolfgang  Keller)     424 
Gustav  Krueger,  s.  Clemens  Klöpper. 
Joh.  Lei t ritz,  s.  Clemens  Klöpper. 
Frederic  William  Maitland,    English  law    and  the  Renaissance   (The  Rede 

lecture  for   1901)  with  some  notes.     (F.  Liebermann) 43.5 

Mark  Twain.    A  tramp  abroad.    Ausgewählte  Kapitel  für  den  Schulgebrauch 

herausgegeben  von   Max  Mann.     (G.  Krueger) 22.5 

Carlyle,  Sartor  resartus.  edited  by  Archibald  McMechan.    II.   (Fortsetzung). 

(H.Kraeger) 212 

Carlyle,  Sartor  resartus,  edited  by  Archibald  .McMeehan.    Hl.  (Fortsetzung). 

ril.   Kraeger) ^^^ 

Leonhard  Merrick,   The  wordlings.     (R.   Fischer) 456 

Kate  Oelzner-Petersen,  The  sources  of  the  Parson's  tale.    (Heinrich  Spies)     430 
O.  Schmeding,    Über  Wortbildung  bei   Carlyle.     (W.  Franz)    .....     208 
Otto  Schoepke,   s.   Oscar  Thiorgen. 
W.  W.  Skeat.    A  concise  etymological  dictionary   of  the  English  language. 

New  edition,  re-written  and  re-arranged.     (Max  Förster) 188 


VI 

Seite 

Oscar  Thiergeii,  Oberstufe  zum  Lehrbuch  der  englischen  Sprache.  Ge- 
kürzte Ausgabe  C.     Bearbeitet  von  Otto  Schoepke.    (Alb.  Hernnann)     226 

Goldwin  Smith,  A  trip  to  England,  mit  Aumerkungen  versehen  von  G.  Wen  dt. 

(Hcrman  Lewin) 460 

F.  J.  Wershoveu,  s.  Clemens  Klöpper. 

Theodor  Zeiger,  Beiträge  zur  Geschichte  des  Einflusses  der  neueren  deut- 
schen Litteratur  auf  die  englische.     (Georg  Herzfeld) 437 

M.  Beck,  s,  Henri  P&ris. 

Joseph  Bddier,  s.  Gustave  Michaut. 

Frankreich  in  Geschichte  und  Gegenwart.  Nach  französischen  Autoren  zur 
Einübung  der  französischen  Grammatik.  Ein  Übungsbuch  zu  jeder  fran- 
zösischen Grammatik,  insonderheit  zu  Böddekers  'Die  wichtigsten  Er- 
scheinungen der  frauzös.  Grammatik'.  Herausgeg.  von  Dr.  Böddeker 
und  J.  Leitritz.    (Theodor  Engwer) 467 

Max  Born,   George  Sands  Sprache   in  dem  Romane  'Les  maitres  sonncurs'. 

(Hermann  Berni) 228 

K.  Engelke,   La  classe  en  fran9ais.     Ein  Hilfsbuch  für  den  Gebranch  des 

Französischen  als  Unterrichts-  und  Schul  Verkehrssprache.    (Th.  Engwer)     468 

Alfred  de  Musset.  L  Teil:  Dichtungen.  Deutsch  von  Martin  H a h n.  (M.  Werner)     236 

Ludwig  Hasberg,  Praktische  Phonetik  im  Klassenunterricht  mit  besonderer 

Berücksichtigung  des  Französischen.     (O.  Schultz-Gora) 260 

Köcher,  Edmund,  Aucien  regime.     (R.  Stemfeld) 468 

R.  Krön,    Guide  6pistolaire.     Anleitung  xaia  Abfassen  französischer  Privat- 

und  Handelsbriefe.     Erweiterte  Neubearbeitung.     (E.  Pariselle)     .     .     .     263 

Karl  Kühn,  s.  Mackenroth. 

J.  Leitritz,  s.  Dr.  Böddeker. 

Mackenroth,  Mündliche  und  schriftliche  Übungen  zu  Kuhns  französischen 
Lesebüchern.  Mit  einem  grammatischen  Elementarkursus  von  Karl  Kühn 
als  Anhang.     (George  Carel) 470 

Voltairiaua  inedita   aus    den  Königlichen  Archiven  zu  Berlin,    herausgegeben 

von  Wilhelm  Mangold.     (Eugene  Ritter) 46.5 

Aucassin  et  Nicolette,  chante-fable  du  XH^™^  sifecle,  mise  en  fran^ais  moderne 
par  Gustave  Michaut,  avec  une  preface  de  Joseph  Bddier.  (Rudolf 
Tobler) 465 

Wilhelm  Oettinger,  Das  Komisehe  bei  Molifere.     (Alfred  Pillet)  ....     240 

Henri  Paris,  Les  Francjais  chez  eux  et  entre  eux.  Convei'sations  de  la  vie 
courante.  —  Deutsche  Übersetzung  dieser  Gespräche  zum  Rückübersetzen 
ins  Französische  eingerichtet  von  M.  Beck.     (E.  Parisello)     ....     262 

Jules  Pirson,  La  langue  des  inscriptions  latines  de  la  Gaule.    (Adolf  Tobler)     239 

0.  Rohnström,  Etüde  sur  Jehan  Bodel.     (R.  Zenker) 245 

Gustav  Schmidt,  Manuel  de  conversation  scolaire.    Recueil  de  termes  tech- 

niques  pour  l'enseignement  du  fran^ais.     (Theodor  Engwer)      .     .     .     .     468 

Heinrich  Schneegans,  Moliöre.    (Karl  Vofsler) 462 

Georg  Stier,  Causeries  fran^aises.  2.,  durchgesehene  und  vermehrte  Auf- 
lage.   (E.  PariseUe) 261 


vu 

Soite 
Cierliurd  St lotk ö 1 1 e r,   La  ^■ie  jounmliöre   oder  Konvcrsationsübungeii  über 

daa  tägliche  Leben  in  fiaiizösischor  und  deutscher  Sprache.  (E.  Parisolle)  262 
A.  Thumb,  Die  griechische  Sprache  im  Zeitalter  des  Hellenisniiia.  (W.  Meyer- 

Lübke) 473 

Karl   Voretzsch,    F^iiifUhruiig    in   das  Studium    der  altfranzösischen  Sprache 

zum  Selbstunterricht  fiir  den  Anfanger.     (Adolf  Tobler) 255 

Leonard  Wistön,    Etudes  sur  le  style   et  la  syntaxe  de  Cervantes.     I.  Les 

constractions  g6rondivers  absolues.     (E.  Walberg) 250 

Verzeichnis  der  vom   20.  November  1901   bis  zum    17.  Februar  1902   bei  der 

Redaktion  eingelaufenen  Druckschriften '264 

Verzeichnis  der  vom   18.  Februar  bis  zum   14.  Mai    1902    bei  der  Redaktion 

eingelaufenen  Druckschriften 470 


Die  Märchen  des  Musäus, 

vornelimlicli  nach  Stoffen  und  Motiven. 

I. 


Einleitung. 

Es  ist  achtungswert,  wenn  die  Brüder  Grimm  Märchen 
sammeln  und  nach  Inhalt  und  Form  wiedergeben,  wie  sie  im 
Volke  umlaufen.  Jetzt  wissen  Ammen  und  Mütter,  wie  sie 
Märchen  vorzutragen  haben,  und  die  Poesie  der  Kinderstube 
kann  sich  erfrischen,  wenn  ihr  im  Drange  des  modernen  Lebens 
die  alte  Art  und  Weise  verloren  gehen  sollte.  Fragt  sich  nur, 
ob  das  Alte  immer  am  Platze  bleiben  werde.  Die  Brüder  Grimm 
sammelten  doch  wohl  auch  in  dem  Gedanken,  mehr  und  mehr 
Zurückweichendes  festzuhalten  und  Hinschwindendes  vor  spur- 
losem Vergehen  zu  bewahren.  Sie  hielten  treu  in  Buchstaben 
fest,  was  nur  im  Munde  des  Volkes  war,  weil  andere  die  Märchen- 
überlieferung willkürlich  und  nach  eigenem  poetischen  Gutdünken 
verwertet  hatten.  Sie  sahen  in  den  Märchen  ein  heiliges  Gut, 
von  einem  Geschlecht  dem  anderen  Übermacht,  und  es  erfüllte 
sie  mit  Entsetzen,  wenn  ihr  Freund  Brentano  damit  nach  Be- 
lieben und  künstlerischen  Launen  schaltete  und  waltete.  Um  so 
mehr,  als  er  nicht  der  erste  und  nicht  der  einzige  war. 

Ein  Menschenalter  vorher  hatte  Musäus,  MärchenstoflPe  und 
-motive  verwertend,  seine  Volksmärchen  der  Deutschen  in  fünf 
Bänden  (1782 — 87)  ausgehen  lassen.  Hier  war  keine  Spur  von 
naivem  Sinn,  kindlicher  Auffassung,  wuudergläubigem  Gemüt  und 
schlichter  Einfalt.  Alles  verriet  den  scharfen  Geist,  den  witzigen, 
klaren  Kopf  und  den  geübten,  erfahrenen  Schriftsteller.  Musäus 
war  durchaus  ein  Sohn  des  18.  Jahrhunderts,  ein  Aufklärer  in 
jeder  Beziehung  und,  nach  Art  eines  selbstbewulsten  Geistes,  von 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CVIII.  1 


2  Die  Märchen  des  Musäus. 

der  Güte  seiner  Eigenart  und  der  Höhe  des  errungenen  Stand- 
punktes zu  sehr  überzeugt,  um  in  die  Niederungen  der  Volks- 
phantasie nachschaffend  herabzusteigen  und  zum  Sprachrohr  der 
volkstümlichen  Ausdrucksweise  zu  werden.  Was  ihm  alte  Weiber 
und  junge  Kinder  vorerzählten,  im  gleichen  Tone  und  gleicher 
Stilart  nachzuerzählen  —  daran  hat  er  niemals  auch  nur  gedacht; 
solche  zurückgebliebenen,  aus  Einfalt  einfachen  Formen  münd- 
licher Darstellung  schriftlich  wiederzugeben,  wäre  ihm  als  müh- 
sames und  gar  nicht  verlohnendes  Unterfangen  erschienen.  Die 
einfache  Form  pafste  nur  zu  dem  kindlichen  Inhalt  —  und  diesen 
Inhalt  wollte  er  keineswegs  übernehmen,  sondern  modeln  und 
umändern,  bis  er  Seiten  zeigte,  welche  auch  dem  gereiften,  ver- 
ständigen Leser  Unterhaltung  bieten  konnten. 

Musäus  war  ausgerüstet  mit  der  Bildung  und  den  Einsichten 
seiner  Zeit.  Er  wollte  diese  Bildung  nicht  verleugnen  und  diese 
Einsichten  nicht  vergessen.  Er  wufste,  was  an  seiner  Zeit  Gutes 
war;  er  betonte  das  bei  der  Schilderung  vergangener  Zeiten,  wie 
sie  die  Märchen  ihm  nahe  legten.  Er  hatte  die  Schwächen  seiner 
Zeitgenossen  mit  scharfem  Auge  erspäht,  und  er  pries  vergangene 
Jahrhunderte,  welche  ohne  derartige  Ausschreitungen  gewesen 
waren,  allerdings  auch  ohne  entsprechende  Vorzüge. 

Musäus  ist  ein  Spötter,  aber  nicht  gallig;  er  lacht  gern,  aber 
nicht  boshaft.  Die  menschliche  Schwäche  rührt  ihn  nicht  und 
läfst  ihn  nicht  wehklagen,  sondern  sie  belustigt  ihn  und  hält  ihn 
bei  Laune.  Aber  nicht  weil  er  besser  wäre  als  andere  Menschen, 
sondern  er  lacht  der  Schwäche,  die  sich  so  oft  und  so  gern  als 
Stärke  fühlt  und  brüstet.  Er  ist  nicht  selbstgenügsam.  Gewifs, 
er  lebte  zu  Weimar  in  kleinen  Verhältnissen,  die  Jugend  beleh- 
rend und  am  Gartenbau  sich  ergötzend;  aber  er  war  darum  kein 
Philister,  kein  behäbiger  Spiefsbürger,  wie  litterarhistorische  Jünger 
wollen.  Im  kleinen  Weimar  lebte  ja  auch  Goethe;  und  Herder 
hielt  dem  'Philister'  Musäus  die  Leichenrede,  während  Wieland 
die  Volksmärchen  des  'Spiefsbürgers^  neu  herausgab. 

Die  vor  kurzem  (1897)  als  Marburger  Dissertation  erschie- 
nene Arbeit  Andraes:  'Studien  zu  den  Volksmärchen  der  Deut- 
schen von  J.  K.  A.  Musäus'  hat  zum  erstenmal  die  Volksmärchen 
des  Musäus  zum  Gegenstande  einer  besonderen  Untersuchung 
gemacht.      Sie    ist    durchaus    methodisch    und    im    Stile    litterar- 


Die  Märchea  dos  Miisäus.  3 

historischer  Exaktheit  abgefalst;  allein  gerade  deshalb  glaube  ich, 
dal's  ueben  ihr  ganz  gut  Platz  für  eine  andere  Auffassuugs-  uud 
Behandlungsart  vorhanden  ist.  Was  die  wissenschaftliche  Litte- 
ratur  sonst  an  wichtigen  Bemerkungen  und  Auslassungen  lieferte, 
habe  ich  benutzt  und,  im  Falle  anders  gearteter  Überzeugungen, 
zu  widerlegen  gesucht.  Es  ist  wenig,  was  hier  in  Betracht  kommt: 
die  paar  Bemerkungen  im  dritten  Bande  von  Grimms  'Kinder- 
und  Hausmärchen',  wo  die  im  Sinne  der  Brüder  so  zu  nennenden 
Märchen  aufgezählt  und  durch  litterarische  Nach  Weisungen  ähn- 
licher oder  derselben  Stoffe  ausgezeichnet  werden;  die  darüber 
kaum  hinauskommende,  nicht  ganz  einheitlich  ausgefallene  und 
in  ungenauen  Angaben  flimmernde  Darstellung,  welche  Bechstein 
im  zweiten  Teile  seines  Buches  'Mythe,  Sage,  Märe  und  Fabel 
im  Leben  uud  Bewulstsein  des  deutschen  Volkes'  gegeben  hat; 
die  hübsche  Würdigung  der  einzelnen  Märchencharaktere  in  Moritz 
Müllers  Musäus-Biographie ;  und  endlich  die  sehr  schroiF  und 
tadelnd  gehaltene  Beurteilung,  wie  sie  Grisebach  gewagt  hat  in 
einem  bekannten  Büchelchen :  'Die  Wanderung  der  Novelle  von 
der  treulosen  Witwe  durch  die  Weltlitteratur'. 

Vorweg  möchte  ich  bemerken,  dafs  die  Rübezahllegenden 
beiseite  gelassen  sind.  Sie  gehören  durchaus  dem  Gebiete  der 
Lokalsage  an  uud  sind  bereits  vielfältig  behandelt  worden.  Auch 
sonst  habe  ich  mich  stets  beschränkt,  die  eigenen  wesentlichen 
Beobachtungen,  wie  sie  ein  Ergebnis  vergleichender  Betrachtung 
sind,  übersichtlich  zusammenzustellen  und,  Märchen  für  Märchen, 
in  möglichst  abgeschlossener  Form  darzubieten:  Stoffe  und  Mo- 
tive, ihre  Behandlung  und  Verarbeitung,  erschienen  mir  als  das 
Wichtigste. 


Abgesehen  von  der  'Libussa',  die  auf  einer  gedruckten,  auch 
uns  zugänglichen  Vorlage  beruht,  benutzte  Musäus  hauptsächlich 
mündliche  Volksüberlieferungen,  wie  sie  später  von  den  Brüdern 
Grimm  und  vielen  anderen  nach  ihnen  für  das  ganze  deutsche 
Sprachgebiet  oder  für  einzelne  Gegenden  aufgezeichnet  worden 
sind.  Derselbe  Märchenstoff  hat  verschiedenes  Ansehen  und  ab- 
weichenden Charakter,  je  nach  Zeit  und  Ort  seines  Umlaufes ; 
der  Varianten    sind  unzählige,    und    es    lälst   sich    also    gar  nicht 

1* 


4  Die  Märchen  des  Musäus. 

feststellen,  welche  Abänderungen  auf  Rechnung  des  Musäus  zu 
setzen  sind,  da  wir  ja  die  Form  des  von  ihm  benutzten  Stoffes 
nicht  kennen.  Wir  wollen  auch  keinen  Versuch  machen,  etwa 
durch  langwierige  Untersuchungen  herauszubringen,  Nne  die  Er- 
zählungen wohl  ausgesehen  haben  mögen,  welche  dem  Musäus 
vorgelegen  haben  oder  vorgetragen  worden  sind.  Denn  einmal 
glauben  wir  an  den  scharfen  Unterschied  nicht,  welcher  zwischen 
Volks-  und  Kunstdichtung  immer  wieder  hervorgehoben  wird; 
und  andererseits  sind  wir  nicht  hypothesenfroh  genug,  um  auf 
solche  nicht  völlig  stichhaltige  Unterscheidungen  hin  noch  weniger 
stichhaltige  Vermutungen  zu  Markte  zu  bringen.  Auch  nehmen 
wir  Abstand,  Volks-  und  Kunstdichtung  hier  ins  allgemeine  zu 
kontrastieren;  wir  werden  Gelegenheit  finden,  in  der  eingehenden 
Vergleichung  volks-  und  kunstmäfsiger  Fassungen  ein  und  des- 
selben StoiFes  recht  augenfällige  Unterschiede  bemerkbar  zu 
machen,  welche  durchaus  nicht  allemal  zu  Gunsten  des  Volks- 
märchens angethan  sind. 

Noch  wäre  möglich,  daf's  Musäus  aufser  in  der  Umformung 
und  Umdichtung  alten  Bestandes  und  alter  Stoffe  durch  Neu- 
schöpfung thätig  gewesen  ist,  dafs  er  in  selbständiger  Weise,  wie 
später  Brentano  und  manche  andere,  Märchen  erfunden  hat. 
Jedoch  ist  das  bei  dem  ganzen  Charakter  des  Musäus  eigentlich 
von  vornherein  ausgeschlossen;  ein  Geist  wie  der  seine  hatte 
wohl  Freude  an  der  witzigen,  satirischen  Behandlung  des  Mär- 
chenstoffes, aber  nimmermehr  an  diesem  Stoffe  selbst;  er  holte 
das  Lächerlich -Menschliche  heraus  und  behandelte  ausführlich, 
was  ihm  einer  scherzhaften  und  dann  und  wann  auch  wohl  ernst- 
haften Behandlung  wert  erschien.  Das  Märchen  und  das  Märchen- 
hafte war  ihm  Mittel  zur  Satire,  kein  Kunstzweck  zur  Erbauung 
einer  poetischen  Gemeinde.  So  vermögen  wir  denn  auch  überall 
Anlehnung  an  alte  Stoffe  wahrzunehmen;  wo  nicht,  steht  eine 
solche  mit  Sicherheit  zu  vermuten.  Nur  in  einem  einzigen  Falle 
ist  bisher  kein  vergleichbai'er  Stoff  aufzufinden  und  kein  Auhalte- 
punkt  zu  gewinnen  gewesen.  Es  ist  auch  möglich,  dafs  niemals 
einer  aufgefunden  wird  und  dafs  hier  demnach  vielleicht  eine 
Erfindung  des  Musäus  vorliegt:  'Dämon  Amor'  ist  ein  satirisch- 
historisches Zauberstückchen.  Der  ganze  Zauber  des  'Dämon 
Araor^   ist   in  der  That   und  Wahrheit  geschehen    und   geschieht 


Die  Märchen  <les  Älusäus.  5 

heute  noch.  Es  ist  auch  eine  sehr  gewöhnliehe  Gescliichte,  in 
der  Fügung  und  dem  Gehalte  der  Handhing  jedes  Reizes  ent- 
behrend. 

Waidewuth,  der  als  ein  anderer  wunderthätiger  Magus  aus 
Schiffsuntergang  und  -Zertrümmerung  auf  einer  Tonne  entkommt 
und  ans  bergende  Gesjtade  reitet  —  Waidewuth  wird  von  Udo, 
dem  liebebeglückten  Beherrscher  Rügens,  wohl  aufgenommen, 
ohne  dafs  dieser  erfährt,  woher  die  Zauberkraft  seines  Gastes 
stamme.  Udo  will  auch  gar  nicht  einmal  wissen,  was  ihm  der 
zukunftkundige  Fremdling  an  schlinunen  Yorausverkündigungen 
machen  könnte.  Er  ist  so  dumm,  dafs  ihn  etwas  zukünftig  ein- 
tretendes Schlinmies  nicht  aufregt,  wenn  er  nichts  Bestimmtes 
darüber  weifs;  das  quälende  Gefühl  der  Ungewifsheit  kennt  er 
nicht.  Das  Schlimme  tritt  plötzlich  ein:  Udo  wird  durch  den 
Obotritenfürsten  von  Land  und  Leuten  vertrieben.  Es  kommt 
an  ihn  die  Reihe,  Schiff'bruch  zu  leiden,  und  er  findet  sich  am 
Gestade  in  den  Händen  AVaidewuths  wieder,  der  sich  als  König 
von  Brussia  entpuppt,  dem  P'reunde  gut  vorrechnet,  aber  schlecht 
nachfühlt,  dafs  er  nicht  so  Grofses  verloren,  und  ihm  den  Tod 
des  geliebten  Weibes  meldet.  Udo  heult  seinen  Schmerz  her- 
unter und  erscheint  nach  sieben  thränenfeuchten  Tagen  mit 
freudio-  verklärtem  Antlitz  unter  den  Mitmenschen.  Vorher  schon 
hatte  er  Waidewuth  geraten,  doch  endlich  einmal  ein  Los  in  der 
Ehelotterie  zu  ziehen;  nun  macht  er  sich  selbst  nach  Mecklen- 
burg auf,  wo  der  Obotritenfürst  dem,  der  die  Liebe  seiner  Erb- 
tochter Obizza  gewinnen  würde,  die  Insel  Rügen  als  Preis  ver- 
sprochen hat.  Udo,  im  Besitze  des  Waidewuthschen  Zauber- 
ringes, erregt  die  Zuneigung  und  die  Liebe  der  Prinzessin,  indem 
er  den  Ring  zum  kleinen  Amor  umgestaltet  und  in  den  Busen 
der  Prinzessin  schlüpfen  läfst.  Darauf  Heirat  und  somit  Anwart- 
schaft auf  das  ganze  Reich. 

Der  zweite  Teil  dieser  Geschichte  ist  nicht  ganz  so,  aber 
ähnlich  im  Anfange  des  18.  Jahrhunderts  passiert.  Franz  von 
Lothringen  (Udo)  verliert,  nicht  ohne  Verschulden  Kaiser  Karls  VI. 
(Obotritenfürst),  sein  Erbland  Lothringen  (Rügen),  wofür  ihm 
Toskana  zu  teil  wird  und  mit  der  Hand  Maria  Theresias  die 
Aussicht  auf  die  Beherrschung  des  ganzen  habsburgischen  Rei- 
ches.    Auch  'Franzi'  vermied,  wie  Udo,  die  auswärtigen  Affairen 


6  Die  Märchen  des  Musäus. 

und  die  grofse  Politik;  dafür  war  er  grofs  in  weitaussehenden 
Geldgeschäften  und  ein  glücklicher  Ehemann  und  Familienvater, 
wenigstens  sofern  es  auf  die  Treue  der  Frau  und  Kindersegen 
ankommt. 

Wunderbar  an  unserem  Märchen  ist  nur,  dafs  die  stolze 
Obizza  gerade  den  unmännlichen  Udo  zum  Gatten  ausersieht. 
Das  Märchen  aber  duldet  solche  wunderbaren  Vorgänge  nicht, 
wie  sie  im  gewöhnlichen  Leben  alltäglich  statthaben;  es  erklärt 
das  Aufsergewöhnlich-Gewöhnliche  durch  ein  ganz  Aufsergewöhn- 
liches,  eben  durch  Verwendung  eines  märchenhaften  Werkzeuges, 
nämlich  durch  einen  Ring,  der  zum  Liebesgott  wird  und  als 
solcher  zusammenbringt,  was  er  will :  die  Sache  bleibt  genau  die- 
selbe. Natürlich  wird  die  Fähigkeit  des  Ringes  auch  anderweit 
erprobt;  daher  der  erste  Teil  der  Geschichte,  welcher  aber  auch 
dazu  dient,  den  Glückswechsel  in  Udos  Schicksal  recht  hart  er- 
scheinen, vorahnen  und  mit  Hilfe  des  Zauberers  in  sanftere 
Bahnen  lenken  zu  lassen. 

Der  Stoff  der  'Libussa^  hält  uns  in  slavischen  Gegenden 
fest,  denn  er  führt  zu  den  Anfängen  der  czechischen  Besiedelung 
Böhmens,  ja  bis  auf  die  erste  Urbarmachung  dieses  Landes. 

Es  ist  nämlich  die  Furcht  vor  der  rodenden  Axt  der  immer 
näher  heranrückenden  Einwanderer,  welche  einer  Fee  den  Ent- 
schlufs  abnötigt,  bei  dem  guten,  liebenswürdigen  Manne  Krokus 
Schutz  zu  suchen  für  die  prächtige  Eiche,  mit  deren  Gedeihen 
ihr  eignes  elfenhaftes  Leben  in  engster  ursächlicher  Verbindung 
steht.  Sie  ist,  klassisch  ausgedrückt,  eine  Dryade,  moderner  be- 
nannt, eine  Baumnymphe,  naturwissenschaftlich  angesehen,  eine 
volkstümliche  Verkörperung  der  Lebenskraft,  dem  Märchen  die- 
nend als  Wahrzeichen  dafür,  dafs  ein  reges  Verhältnis  zur  Natur 
und  der  Schutz,  welcher  ihren  Kindern  zugewendet  wird,  dem 
Wohlthätcr  alles  Heil  und  Segen  bringt.  Krokus  schützt  näm- 
Hch  die  Eiche,  wofür  die  Nymphe  seine  Gattin  wird,  nachdem 
vorher  die  wachsende  Liebe  zu  dem  Beschützer  ihren  überirdisch- 
zarten Leib  mehr  und  mehr  irdischen  Formen  und  Eigenschaften 
angenähert  hat,  während  hinwiederum  der  rauhe  Kriegsmann 
sanfteres  AVesen  und  geistige  Allüren  annimmt.  Die  Geburt  von 
Drillingen  genügt  den  natürlich-menschlichen  Anforderungen  an 
diese   Ehe;    damit   aber  auch   das   übernatürliche   Element   nicht 


Die  Märchen  des  Musäiis.  7 

fclile,  zeigcu  die  drei  Mädchen  von  Anfang  an  Uörperliclie  inul 
geistige  Frühreife,  sowie  sj)äter  eine  ausgesprochene  Gabe  zur 
Naturbelierrschung,  Magie  und  Wahrsagerei. 

Ein  SchicksalsbHtz  zerschmettert  die  Eiche  und  tötet  die 
Nymphe.  Krokus  stirbt  seiner  Gattin  bakl  nach.  Die  Welt  hatte 
ihm  nichts  mehr  bieten  können.  Gh'ickHche  Liebe  war  sein  Teil 
gewesen ;  Reichtum  und  Macht  war  ihm  in  Fülle  zugewachsen ; 
Klugheit  hatte  ihn  über  die  Mitmenschen  erhoben;  alle  diese 
Vorzüge  zusammen  hatten  ihn  auf  Böhmens  Herzogsthron  ge- 
führt, hatten  ihn  zum  friedlich-schiedlichen  Beherrscher  slavischer 
Reiche  gemacht,  ein  Vorbild  für  Samo,  Svatopluk,  Boleslav 
oder  ein  historisches  Spiegelbild  neuester  panslavistischer  Ten- 
denzen. 

Der  erledigte  Thron  ist  das  Ziel  dreier  ]?ewerberinnen,  der 
drei  Töchter.  Aber  die  sanfte,  bescheidene  Libussa  gewinnt  es 
vor  ihren  hochfahrenden  Schwestern;  ^Madomir  und  Mizisla 
drücken  trotz  unheilkündender  Raben  und  Alpdruck,  welche  die 
neidischen  Schwestern  entsenden,  Libussas  Wahl  durch,  beide  im 
Glauben,  damit  ihre  Hand  und  die  Herzogskrone  zu  verdienen. 
Mit  'lichten.  Libussa  hat  bereits  gewählt,  und  zwar  den  wackeren 
Edelbaueru  Primislav;  sie  ist  jedoch  entschlossen,  ihrem  Stande 
nichts  zu  vergeben.  Erst  die  Forderung  des  Volkes,  sich  selbst 
einen  Gatten  und  dem  Lande  einen  Herzog  zu  geben,  sowie  die 
zudringlichen  Bemühungen  Wladomirs  und  Mizislas  zwingen  sie, 
von  ihren  Künsten  Gebrauch  zu  machen  und,  scheinbar  wie  durch 
Götterspruch  und  Schicksalsfügung,  Primislav  zu  küren,  auf  wel- 
chen auch  sogleich  die  Gabe  der  Weissagung  fällt;  dennoch  mufs 
er  seine  Überlegenheit  über  Wladomir  und  Mizisla  durch  glück- 
liche Lösung  schwierigerer  Regeldetri-Auf gaben  nachweisen. 

Diese  kurze  Wiedergabe  des  Inhalts,  entsprechend  dem  Sinne 
und  der  Behandlungsart  des  Musäus,  wird  genügen,  um  die  sati- 
rische und  ironische  Manier  des  Erzählers  zu  verdeutlichen.  Der 
Stoff  wird  so  gemodelt,  dafs  er  der  Laune,  dem  Witz  und  der 
Bekämpfung  herrschender  Verhältnisse  Nahrung  zum  Spiel  und 
ein  Feld  der  Bethätigung  giebt.  Und  wenn  der  Dichter  diesen 
Stoff  so  entlegen  weit  herholt,  so  thut  er  es  nur,  weil  alte  Sagen 
und  verwitterte  Erzähhmgen  dem  modernen  Bearbeiter  besondere 
Gelegenheit   geben,   durch    gegensätzliche,   psychologisch-moderne 


8  Die  Märchen  des  Musäus. 

Behandluug,  sowie  durch  weitgehende  Ausdeutung  und  lachenden 
Glauben  Kontrastwirkungen  hervorzurufen. 

Andere  haben  Entgegengesetztes  behauptet:  sie  finden  die 
'Libussa'  ernst  und  würdig.  Ich  will  meine  Behauptung  des  fer- 
neren beweisen,  und  zwar  in  Beantwortung  der  Fragen:  Was  ist 
märchenhaft  an  dem  Stoffe  ?  Und  wie  hat  Musäus  dieses  märchen- 
hafte Element  behandelt? 

Märchenhaft  ist  die  Verbindung  des  Krokus  mit  der  Nymphe. 
Sie  ist  es  bei  Musäus  geblieben,  nur  dafs  die  ganze  Angelegen- 
heit mannigfach  auf  neuzeitliche  Verhältnisse  anspielt  und  mit 
moderner  Seelenhaftigkeit  versetzt  ist.  Die  Nymphe  ist  gewisser- 
mafsen  zur  Aristokratin  geworden,  welche  den  geistig  und  leib- 
lich zunächst  etwas  imgesch lachten  Krokus  durch  eigentliche  Be- 
lehrung und  durch  bildenden  Umgang  zu  dem  macht,  was  er 
später  ist:  der  vom  Zufall  ausersehene,  nicht  ganz  ungelehrige 
Emporkömmling.  Abgesehen  von  der  Nymphenhaftigkeit  der 
Frau,  ist  es  lediglich  der  Zauber  hingebender  Liebe,  der  den 
Verhältnissen  einen  wunderbaren  Anstrich  giebt.  Denn  das  ver- 
mag die  Kraft  der  Nymphe  nicht  zu  erreichen,  dafs  Krokus 
mehr  wird,  als  er  auf  natürlichem  Wege  werden  kann.  Er  bleibt 
der  Mann  seiner  Frau,  durch  sie  reich  an  Besitz  und  Ehren, 
durch  sie  eingeweiht  in  den  feinen  Schwindel  einer  gewissen 
orakelnden  Weisheit;  ohne  sie  nur  ein  Schatten  seines  früheren 
Selbst  und  das  beste  Teil  erwählend,  indem  er  mit  Tode  abgeht: 
denn  mit  der  Gattin-Nymphe  stirbt  nicht  sowohl  seine  Lebens- 
kraft als  seine  geistige  Macht. 

Märchenhaft  ist  die  magische  Begabung  der  drei  Töchter. 
Aber  während  sie  bei  den  beiden  älteren  nur  dient,  ihre  neidische 
Bosheit  gegen  die  jüngere  in  grelleres  Licht  zu  setzen,  versteht 
diese  davon  einen  besseren  Gebrauch  zu  machen;  sie  verschafft 
sich  durch  ihre  Künste  und  Naturbeherrschung  den  Mann  des 
Herzens,  wovon  Dubravius,  des  Musäus  Quelle,  nichts  weifs. 
Indem  aber  ihr  Erkorener  ein  einfacher  Mann  aus  dem  Volke 
ist,  wiederholt  sich  nur  die  Geschichte,  welcher  sie  selbst  ihr 
Dasein  verdankt,  Primislav,  durch  das  beglückende  Gefühl  seiner 
Wahl  zum  herzoglichen  Ehegemahl  in  Verzückung  geratend, 
fängt  an,  einen  Hauch  des  Geistes  seiner  Zukünftigen  zu  ver- 
spüren :  er  weissagt  über  Böhmens  Schicksal  und  das  Geschlecht, 


Die  ^rärchou  <los  Musäiis.  9 

welches  seinen  Tuenden  entspriefsen  wird.     Nachlier  genügt,   daf^ 
er  rechneu  kann. 

So  zeigt  die  Fabel  im  ganzen  nnd  die  l)esondere  Verwertung 
der  niärc'honhaftcn  Züge  im  einzelnen,  dal's  Musäns  eine  satirische 
Novelle  geschrieben  hat,  übernatürliche  Kräfte  und  Vorgänge  nur 
da  verwendend,  wo  sie  die  Eigenart  der  Handlung  besser  ins 
humoristische  Licht  zu  setzen  und  die  kennzeichnenden  Züge 
schärfer  herauszuheben  vermögend  sind.  Das  Thema  war:  Weiber- 
liebe ist  Weiberlaune,  dem  Zufall  nachgebend  (Nym[)he)  oder 
der  Augenlust  und  Absonderlichkeit  frönend  (Libussa),  jedenfalls 
den  Auserwählten  emporhebend  und  ihn  mit  allem  verfügbaren 
Erdenglück  begabend,  ohne  Verdienst  und   Würdigkeit. 

II. 

Nachdem  wir  für  die  Beiiandlung  einer  gedruckten  Vorlage 
und  für  die  vielleicht  frei  erfindende  Dichterthätigkeit  in  'Libussa' 
und  'Dämon  Amor'  je  ein  Beispiel  gebracht  und  betrachtet  haben, 
wenden  wir  uns  im  folgenden  zunächst  den  Erzählungen  zu, 
welche  in  dem  ganzen  Verlaufe  ihrer  Begebenheiten  volkstüm- 
lichen ITberlieferungeu  an  die  Seite  zu  setzen  sind. 

Sneewittchen  ist  das  Urbild  des  unschuldig  verfolgten  Stief- 
kindes, welches  allen  Nachstellungen  der  bösen  Stiefmutter  zum 
Trotz  mit  dem  Leben  davonkonmit  und  den  Königsthron  ein- 
nimmt. 'Richilde',  nach  welcher  das  verwandte  Märchen  des 
Musäus  heifst,  ist  die  Stiefmutter:  die  Titel  bereits  zeigen  den 
Unterschied  auf.  Musäus  rückte  das  bewulst  handelnde,  eitle 
Weib  in  den  Vordergrund,  während  das  Stiefkind  Blanka  (die 
Weil'se,  Schneeweifschen)  zum  blofsen  Gegenstand  der  unbarm- 
herzigen Eifersucht  Richildes  wurde;  mit  den  Vergehungen  gegen 
das  unschuldige  Mädchen  ist  das  zulässige  MaCs  ersclu')pft,  und 
die  Vergeltung  tritt  in  ihre  Rechte. 

Richilde  ist  das  heilsersehnte  Kind  eines  frommen,  fürst- 
lichen Elternpaares;  aber  sie  scheint,  wie  Robert  der  Teufel,  mu* 
deshalb  so  spät  geboren,  weil  die  Lebewelt  in  unbewul'sten 
Ahnungen  sich  weigert,  ein  durchaus  unheilbringendes  Geschöpf 
zum  Dasein  erwachen  zu  lassen.  Den  Eltern  spät  geboren,  wird 
sie  früh  zur  Waise;  der  ernsten  elterlichen  Führung  beraubt, 
verfällt  sie  einer  zügellosen  Eitelkeit.    Ihr  Wimderspiegcl,  welcher 


10  Die  Märchen  des  Musäus. 

aber  nicht  spricht,  erklärt  sie  für  die  Schönste.  Sie  läfst  sich 
bekuren  und  umschwärmen;  ihr  ganzes  Streben  geht  darauf, 
Schmeicheleien  zu  hören.  Sie  ist  mafslos  kokett,  stolz  und  von 
kurzem  Sinn.  Sie  glaubt,  nur  der  schönste  Mann  sei  ihrer,  des 
schönsten  Weibes,  würdig.  Und  wenn  nun  dieser  Mann,  Gom- 
bald,  auch  schon  in  glücklicher  Ehe  vermählt  ist  —  auch  er  ist 
schön  und  dumm  und  eitel.  Das  Gerücht,  Richilde  wolle  nur 
gerade  ihn  zum  Gatten,  macht  ihn  zum  Narren  und  Frevler. 
Unter  schlechtem  Verwände  trennt  er  sich  von  seiner  Gattin, 
welche  an  gebrochenem  Herzen  hinstirbt,  nachdem  sie  einer 
Tochter,  Blanka,  das  Leben  gegeben. 

Aber  die  Ehe  des  Schönsten  und  der  Schönsten  ist  bald 
nicht  mehr  die  schönste.  Madame  langweilt  sich,  und  der  ver- 
nachlässigte Gatte  bekommt  Gewissensbisse.  Natürlich,  die  Frucht 
seiner  Unthat,  der  Besitz  Richildes,  lockte  an  durch  würzigen 
Duft  und  war  von  herrlichem  Wohlgeschmack,  aber  jetzt  stöfst 
er  auf  wurmstichige  Stellen.  Reumütig  zieht  er  zum  heiligen 
Grabe  und  kehrt  nicht  wieder. 

Es  ist  herrlich,  Witwe  zu  werden,  wenn  man  noch  so  jung 
und  so  schön  ist  wie  Richilde.  Die  Freier  drängen  sich,  die 
Schmeicheleien  fliegen  nur  so,  und  Liebesseufzer  durchtönen  die 
Lüfte;  alles  ist  Leben  und  Bewegung,  und  die  schöne  Witwe 
steht  mitten  inne:  um  sie  dreht  sich  alles.  Doch  —  aus  kleinen 
Mädchen  werden  artige  Jungfrauen.  Blanka  hat  sich  zur  keu- 
schen Blume  entfaltet,  vmd  der  Wunderspiegel  erteilt  ihr  den 
Preis  der  Schönheit. 

Es  erfolgen  die  drei  Angriffe  auf  das  Leben  der  nichts- 
ahnenden Nebenbuhlerin,  durchaus  abweichend  von  denen  des 
zeit-  und  ortlosen  Volksmärchens.  Denn  wir  befinden  uns  im 
Brabant  des  13.  Jahrhunderts.  Der  jüdische  Hofarzt  mufs  seine 
chemischen,  giftmischerischen  Kenntnisse  anwenden  und  einen 
Apfel  präparieren,  dessen  eine  Hälfte,  von  der  Stiefmutter  in 
auszeichnender  Liebe  dargeboten,  das  Stiefkind  Blanka  in  eisige 
Todesstarre  begräbt  —  auf  einige  Tage,  denn  der  Jude  hat  das 
Geld  genommen,  ohne  den  verlangten  Dienst  zu  leisten.  Auch 
die  wohlriechenden  Seifenkugeln,  welche  von  einer  als  Krämerin 
verkleideten  Zofe  Richildens  feilgeboten  werden,  haben  nur  ein 
wenig  stärkere  Wirkung.   Bald  genug  mufs  Richilde  die  Schönheit 


Die  IMärchen  des  Musäiis.  11 

Blaukas  preisen  hören,  weil  der  Wunderspiegel,  nach  dem  ersten 
Mordversnch  Rostflecken  zeigend,  luni  nacli  dem  zweiten  völHg 
erblindet  ist  und  der  Verderbensinnenden  nicht  mehr  antwortet. 
Der  Jude  mufs  herhalten;  er  niufs  Nase  und  Ohren  hergeben, 
ins  Gefängnis  wandern  und  einen  liebevollen  Brief  so  herrichten, 
dafs  der  Losende  unter  der  Wirkung  des  Giftes  hinsinkt. 

Wieder  liegt  Blanka  im  Sarge,  von  den  weinenden  ITof- 
zwergen  bewacht;  und  die  aus  den  früheren  Vorgängen  er- 
wachsene Hoffnung  will  fast  zu  Schanden  werden.  Da  erscheint 
der  fromme  Herzogssohn,  der  seinen  Vater  aus  dem  Fegefeuer 
zu  befreien  unternommen  hat  und  im  Besitze  einer  heilkräftigen 
Reliquie  ist.  Gerührt  von  der  Schönheit  Blankas,  läl'st  er  die 
Macht  des  geweihten  Kleinods  in  der  Wiederbelebung  offenbar 
werden.     Doch  M'ird  das  Wunder  einstweilen  geheimgehalten. 

Von  dem  erlösten  Vater  bedankt  und  angespornt,  erscheint 
der  Herzogssohn  auf  Freiers  Füfsen  vor  Richilde.  Sie  ist  bereit, 
dem  schönen  Jüngling  die  Hand  zum  Ehebunde  zu  reichen,  und 
folgt  ihm  in  seine  Heimat,  wenn  auch  nicht  ganz  gern.  Hier, 
angethan  mit  dem  bräutlichen  Schmuck  und  eben  im  Begriff, 
vor  den  Altar  zu  treten,  sieht  sie  Blanka,  die  Totgeglaubte  und 
die  in  Wahrheit  Auserwählte.  Aus  einer  Ohnmacht  erwachend, 
spricht  sie  unbewuCst  sich  selbst  das  Urteil,  in  dessen  Aus- 
führung sie  mit  glühenden  Schuhen  durch  den  Saal  zu  tanzen 
gezwungen  wird. 

Die  Handlimg  der  Grimmschen  P'assung  beginnt  mit  der 
(xeburt  Sneewittcheus.  Die  Königin-Stiefmutter  ist  die  Schönste 
und  will  die  Schönste  bleiben;  darum  ist  ihr  das  siebenjährige 
Stiefkind  bereits  ein  Dorn  im  Auge;  Lunge  und  Leber  des  Mäd- 
chens will  sie  fressen.  In  eigener  Person,  eine  geschickte  Ver- 
wandlungskünstlerin, unternimmt  sie  die  ruchlosen  Anschläge, 
welcihc  mehr  mechanisch  angelegt,  roher  durchgeführt  und  mehr 
auf  mechanischem  Wege  zu  nichte  gemacht  werden. 

Sneewittchen  ist  das  Urbild  des  unschuldig  verfolgten  Stief- 
kindes. Und  doch  —  es  wird  viel  mehr  verfolgt,  weil  es  so 
schön,  als  weil  es  ein  Stiefkind  ist.  Freilich  könnte  man  denken, 
dals  der  Hafs  und  Scharfblick  neidischer  Stiefmütter  gerade  an 
Stiefkindern  stets  mehr  gute  oder  schlechte  Eigenschaften  wahr- 
nimmt, als  wirklich  vorhanden  sind.     Aber  diese  aus  der  Erfah- 


12  Die  Märclion  des  Musäiis. 

rung  gezogene  Bemerkuug  findet  bei  Sueewittcheu  keiue  An- 
wendung; denn  der  Spiegel  giebt  ja  ein  getreues  Abbild  der 
Wirklichkeit,  und  nach  ihm  ist  Sneewittchen  die  Schönste.  Die 
Königin  würde  gewifs  in  jedem  Falle  gegen  die  spiegelpreis- 
gekrönte Schönheit  vorgehen;  und  wenn  das  Volksmärchen  ihre 
Verfolgungswut  gerade  gegen  das  Stiefkind  gekehrt  sein  läist, 
zu  dessen  mütterlicher  Beschützung  sie  alles  thun  raüfste,  so  ar- 
beitet es  hier  mit  starken  Kontrastwirkungen,  um  recht  deutlich 
zu  machen,  dafs  gekränkte  Eitelkeit  und  unnatürlicher  Stolz  auch 
die  bindendsten  sittlichen  Verpflichtungen  schweigen  machen. 

Man  sieht:  das  Volksmärchen  der  Grimms,  ein  Kinder-  und 
Hausmärchen,  bringt  unglaublich  einfache,  fast  rohe  Beweggründe : 
die  Stiefmutter,  welche  die  Schönste  sein  will  und  das  Stiefkind 
nur  deshalb  verfolgt,  weil  es  schöner  ist.  Dafs  die  Schönheit 
gerade  deshalb  so  viele  Reize  für  die  Besitzerin  hat,  weil  sie 
Verehrer  schafft  und  eine  reiche  Auswahl  unter  den  schönsten) 
begehrenswertesten  Männern  ermöglicht,  dafs  man  nicht  zufrieden 
ist,  wie  eine  griechische  Bildsäule  an  sich  schön  zu  sein  und 
leidenschaftslos-ästhetisch  bewundert  zu  werden,  dafs  man  viel 
mehr  für  andere  als  für  sich  allein  schön  sei  —  davon  weifs  das 
Kindermärchen  nichts.  Die  Schönheit  ist  ihm  nicht  weithin  rei- 
chende Wirkung,  sondern  lediglich  Privatbesitz  des  selbstverliebten 
Narcissus,  der  im  Anschauen  der  eigenen  Vorzüge  schwelgt  und 
sein  stillinniges  Genügen  findet,  der  im  Spiegelbilde  der  eigenen 
Person  die  Meisterschaft  der  Natur  bewundert  und  anbetend  ver- 
ehrt. Dafs  die  Schönheit  geschlechtUche  Reize  auslöse,  dafs  sie 
Besitzgelüste  rege  mache,  dafs  sie  anlockend  alles  in  ihren  Bann- 
kreis ziehe  —  davon  ahnt  das  Hausmärchen  nichts.  Seine  Schön- 
heiten sind  ein  verheiratetes,  ehelich  gebundenes  Weib  und  ein 
kindliches,  weiblich  vollkommen  unentwickeltes  Geschöpfchen  von 
sieben  Jahren.  Musäus'  Richilde  dagegen  ist  eine  schöne,  junge 
Witwe,  und  ilire  Stieftochter  ist  ein  schönes,  junges  Mädchen  von 
fünfzehn  Jahren.  Selbst  der  prinzliche  Jüngling  im  Sneewittchen 
ist  durchaus  auf  rein -ästhetisches  Geniefsen  gestimmt.  Er  will 
Sneewittchen  im  Sarge  besitzen,  um  sich  an  ihrem  holden,  frischen 
Anblick  zu  ersättigen.  Freilich  möchte  man  glauben,  dafs  ihm 
ohne  den  ungeschickten,  glücklich  -  stolpernden  Sargträger  wohl 
recht  bald   pygmalionische  Wünsche   gekommen  wären,   der   tote 


Die  Märchen  des  Musäus.  13 

Körper  ra('»chte  aus  der  schönen  Todesstarre  zu  scliönerer  Lebens- 
regung sieh  heben. 

Was  thut  ein  schönes  Weib  im  Märchen,  wenn  sie  ihre 
Nebenbuhlerin  nicht  neben  sich  dulden  will?  Die  Königin-Stief- 
uuitter  liil'st  Snee\Nittehen  ganz  einfach  ermorden  oder  erteilt 
wenigstens  entsprechende  Befehle.  Nachher  greift  sie  selbst  zu 
giftigen  Künsten.  Der  König- Gatte  und  -Vater  kommt  dabei 
gar  nicht  zum  Vorschein.  Er  ist  in  der  That  nur  da,  insofern 
er  Sneewittchen  zeugt,  dem  Wunsche  ihrer  Mutter  gemäl's  so  rot 
wie  Blut,  so  weil's  wie  Schnee  und  so  schwarzhaarig  wie  Eben- 
holz, und  dann  insofern  er  seinem  verwaisten  Töchtercheu  eine 
böse  Stiefmutter  erheiratet.  Er  zeigt  sich  nie,  aber  er  wirkt 
schicksalbestimmend  und  unschuldig-unheilvoll.  Nach  der  zweiten 
Heirat  ist  gar  nicht  mehr  die  Rede  von  iimi.  Er  vergleicht  sich 
recht  gut  mit  einer  vielerwähnten  und  doch  nie  sichtbar  werdenden 
Person  eines  märchenhaften  Dramas,  mit  Gretchens  Mutter  in 
(ioethes  Faust.  Die  Mutter  ist  hier  im  eigentlichen  Sinne  der 
Tochter  wegen  da,  wie  der  König -Vater  um  seines  Sueewittchens 
willen. 

So  etwas  dürfen  sich  zauberhafte  Dramen  und  Volksmärchen 
wohl  erlauben.  Musäus'  Personen  laufen  nicht  so  in  der  Welt 
lierum,  als  ob  aufser  ihnen  gar  niemand  mehr  da  wäre,  als  ob 
sie  in  märchenhafter  Einsamkeit  dahinlebten.  Sie  haben  Rück- 
sichten zu  nehmen.  Ihre  Handhumen  sind  nicht  so  einmahs". 
liegen  nicht  so  aufser  aller  Welt  und  aul'ser  allen  Zeit-  und  ürts- 
verhältnissen ;  es  sind  nicht  so  rohe  Geschehnisse,  durch  welche 
einzelne  Seelenvorgänge  oder  -eigenschaften  in  einseitiger  Rich- 
tung ausgeprägt  w-erden.  Richilde  agiert  gegen  Blanka,  nachdem 
der  Gatte  und  Vater  Gombald  gestorben  ist;  sie  erlaubt  sich 
nicht  solche  Gewaltmittel  wie  die  Märchenkönio-in,  sondern  areht 
von  Anfang  an  recht  klug  und  listig  vor.  Stillwirkendes  Gift  soll 
alles  thun,  imd  zwar  unter  den  verschiedenartigsten  Formen  und 
von  täuschenden  Gestalten  dargeboten.  Sneewittchen  ist  von  einer 
mehr  als  kindlichen  Vertrauensseligkeit,  und  was  die  Königin  bei 
ihren  ersten  beiden  täppischen  und  unzureichenden  Versuchen 
denkt,  weil's  mau  nicht.  In  der  'Richilde'  sind  alle  noch  so  mör- 
derisch gedachten  Anschläge  vergeblich,  da  der  Jude  Erstarrungs- 
pulver anstatt  tödlicher  Gifte  verwendet.    Die  Königin  geht  unge- 


14  Die  Märchen  des  Musäus. 

schickt  vor,  Richilde  wird  geschickt  getäuscht.  Der  dritte  Ver- 
such gegen  SDeevvittchens  Leben  scheitert  durch  zwei  Zufälle, 
welche  sich  nach  Art  zweier  entgegengesetzter  Rechnungs fehler 
aufheben :  zunächst  bleibt  der  Apfel  zufällig  in  der  Kehle  stecken, 
dann  springt  er  ebenso  zufällig  heraus.  Das  Resultat  gefällt 
den  Kindern.  Aber  was  helfen  tröstlich  anmutende  Resultate 
ohne  vernünftige  Motivierungen?  Gerade  so  wenig  wie  stim- 
mende Rechnungen  ohne  richtiges  Rechnen! 

Doch  wollen  wir  mit  dem  Volksmärchen  wahrhaftig  nicht 
rechten  und  rechnen.  Es  war  nur  nötig,  darauf  hinzuweisen,  dafs 
Musäus  nicht  so  durchaus  als  läppischer  Vermodernisierer  ver- 
fahren ist.  Musäus  in  Ehren  und  das  Volksmärchen  in  Ehren ! 
Das  Volksmärchen  aber  gilt  uns  viel  weniger  durch  seine  Hand- 
lung als  durch  das  Bei-  und  Nebenwerk,  das  rege  Naturempfinden 
und  die  liebliche  Schilderung  des  Zwergenheims:  Sneewittchen 
über  den  Bergen  bei  den  sieben  Zwergen! 

Berlin.  Erich   Bleich. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Das  lateiiiisch-altenglische  Fragment 

der 

Apokryphe  von  Jamnes  und  Mambres. 


Das  Interesse,  welches  sich  an  die  Namen  Jamnes  und 
Mambres  knüpft,  ging  zunächst  wohl  von  einer  Bibelstelle  aus, 
2.  Tim.  3,  8,  wo  'luyvrjg  und  'lauß^rjg  bezw.  (in  der  occidentaleu 
Textgruppe)  IMaLißQiiC  als  Widersacher  Moses  erscheinen,  Qiiem- 
admodum  antem  Jannes  et  Mambres  restiterunt  Moysi\  Ha  et 
hi  resistunt  veritati  heifst  es  in  der  Vulgata.  Die  rastlos  vor- 
dringende Schrifterkläruug  hat  sich  denn  auch  viel  um  diese 
Stelle  bemüht  und  mancherlei  Nachrichten  über  die  beiden  ägyp- 
tischen Zauberer  aus  christhchen  wie  heidnischen,  orientalischen 
wie  occidentaleu  Quellen  zusammengetragen,  worüber  die  reichen 
Litteraturnachweise  in  Herzogs  Realencyklopädie  für  protestant. 
Theologie  Bd.  VIII '^  S.  587  f.  und  Wetzer -Weites  Kirchenlexi- 
kou  Bd.  VI-,  Sp.  1214  und  Bd.  I-,  Sp.  1065  zu  vergleichen  sind. 

Dals  die  jüdische  Tradition  über  sie  sich  früh  zu  einer  be- 
sonderen Schrift  verdichtete,  ist  uns  aus  drei  Stellen  bekannt. 
Ein  Zeugnis  für  die  griechische  Kirche  des  ausgehenden  2.  Jahr- 
hunderts bietet  uns  der  grofse  Kirchenlehrer  Origenes,  welcher 
in  seinem  Matthäus-Kommentar,  der  uns  vollständig  leider  nur 
noch  in  einer  alten  lateinischen  Übersetzung  erhalten  ist,  ein 
Buch  mit  dem  Titel  'Jamnes  und  Mambres'  nennt:  Qnod  ait 
'sicut  Jamnes  et  Mambres  restiterunt  Moysi',  non  inuenitur 
in  publicis  scriptnris,  sed  in  libro  secreto  qui  suprnscribitur 
Jamnes  et  Mambres  liber  (Tract.  35).  Vollständiger  giebt  uns 
den  Titel,  so  dals  er  uns  zugleich  etwas  über  die  Natur  des 
Inhaltes  erraten  lälst,  jenes  interessante  Decretum  de  libris  reci- 
jpiendis  et  non  recipiendis,    welches   auf   der  römischen  Synode 


16    Dan  lat.-ae.  Fragment  der  Apokryphe  von  Jamnes  und  Mambres. 

des  Jahres  496  unter  Papst  Gelasius  I.  proklamiert  worden  ist: 
Item  liher  qui  appellatur  Poenitentia  Janne  et  Mambre  ajjo- 
cryphus  (ed.  Preuschen,  Analecta  147  if.).  Eine  dritte  Stelle  end- 
lich in  jener  anonymen  Kommentarieu-Serie  zu  den  Paulinischen 
Briefen,  welche  bald  nach  382  in  Italien  verfafst  und  unter  dem 
Namen  des  'Ambrosiaster'  bekannt  ist,  betont  zwar  nicht  aus- 
drücklich, dafs  es  sich  um  ein  selbständiges  Werk  handelt,  ist 
uns  aber  deswegen  wertvoll,  weil  sie  uns  den  Inhalt  der  dem 
Ambrosiaster  bekannten  Apokryphe  skizziert,  zwar  nur  mit 
wenigen  Strichen,  doch  deutlich  genug,  um  uns  erkennen  zu 
lassen,  dafs  auch  jener  Anonymus  ein  Werk  über  die  Bekeh- 
rung der  beiden  Magier  vor  sich  hatte,  also  wahrscheinhch  das- 
selbe, welches  ein  Jahrhundert  später  das  Gelasianum  verdammte: 
Exemplum  hoc  de  apocryphis  est.  Jannes  enim  et  Mambres 
fratres  erant  m(tgi  uel  uenefici  Aepyptiorum^  qui  arte  viagiae 
suae  uirtutlbus  dei,  quae  per  Moysen  agebantur,  aemidatiohe 
commenticia  resistere  se  pidabant.  Sedj  cum  Moysis  nlrtus  in 
operibus  cresceret,  humiles  facti,  confessi  sunt  cum  dolore 
uulnerum  deum  in  Moyse  operatum  (Migne's  Patr.  lat.  XVII, 
col  494). ' 

Neuerdings  hat  nun  M.  R.  James,  der  eifrige  Förderer  un- 
serer Apokryphen-Kenntnis,  in  dem  eben  gegründeten  'Journal 
of  Theological  Studies',  London  1901,  Vol.  II,  S.  572—577: 
A  Fragment  of  tlie  Penitence  of  Jannes  and  Mambres-  einen 
neuen,  bisher  übersehenen  Beleg  beigebracht  und  den  Nachweis 
versucht,  dafs  wir  darin  vermutlich  ein  Fragment  jener  sonst 
verschollenen  Apokryphe  erhalten  haben.  Es  handelt  sich  hier 
um  ein  kleines  Textstück,  das  schon  lange  gedruckt  vorlag,  für 
die  Theologie  aber  in  Cockaynes  Narratiunculae  Anglice  conscriptae 
(London  1861)  vergraben  lag,  während  die  Philologie  es  zwar 
bucht'^i(s.  Wülkers  Grundrifs  S.  495),  aber  mit  dem  sonderbaren 
Inhalte  wenig  anzufangen  wufste.    Mr.  James  gebührt  daher  dop- 


'  Eine  weitere  Stelle  aus  Origeues  (in  Matth.  tract.  26),  die  R.  James 
statt  des  Ambrosiaster  anführt,  beweist  an  sich  nichts  für  die  Existenz 
eines  besonderen  Buches,  sondern  sagt  nur,  dals  sich  die  Geschichte  (historia) 
von  Jannes  und  Mambres  nicht  in  den  kanonischen  Schriften  finde. 

^  Prof.  E.  Nestle  hat  in  liebenswürdiger  Weise  mich  auf  diesen  Auf- 
satz aufmerksam  gemacht. 


Das  lat.-ae.  Fragment  der  Apokryphe  von  Jamucs  und  Mauibres.     17 

pelter  Dank,  da  er  zugleich  uns  Auglisten  einen  grofsen  Dienst 
geleistet,  indem  er  über  das  auch  in  philologischer  Hinsicht  inter- 
essante Denkmal  Licht  verbreitet  hat.  Ein  kurzer  Bericht  über 
James'  lehrreichen  Aufsatz  dürfte  unter  diesen  Umständen  den 
Fachgenosseu  nicht  unwillkommen  sein,  wenigstens  denjenigen, 
deren  Durst  nach  allseitigem  Erfassen  mittelalterlichen  Lebens 
sich  nicht  au  den  Königspalästen  genügen  läfst,  sondern  sie  fort- 
treibt, hinabzusteigen  auch  zu  den  Hütten  der  Armen. 

Das  Fragment  ist  nur  in  einer  einzigen  Handschrift  er- 
halten, einem  Sammelbaude  der  Cottoniana,  Tiberius  B.  V,  wo 
es  auf  die  sogen.  'Wunder  des  Orients'  folgt  und  den  gröl'sten 
Teil  von  fol.  87  a  einnimmt.  Der  Text  ist  in  zwei  Kolumnen  in 
einer  Hand  des  IL  Jahrhunderts  geschrieben,  die  ersten  15  Zeilen 
auf  col.  a,  die  übrigen  25  auf  col.  b.  Gegen  den  äufseren  Rand 
hin  ist  das  Pergament  von  Blatt  87  stark  durch  kleine  Löcher 
und  Risse  beschädigt,  so  dal's  der  Text  in  seinem  zweiten  Teile, 
von  der  4.  bis  zur  19.  Zeile,  mit  nur  zwei  Ausnahmen  kleine 
Lücken  nach  dem  Zeilenende  zu  aufweist,  die  in  der  Regel  zwei 
bis  drei,  höchstens  fünf  Buchstaben  umfassen.  Oben  links  auf  der- 
selben Seite  steht  ein  kleines  Bild,  welches  'tivo  nude  men  standing 
nmonr/  rocks  and  conversing'  (James),  möglicherweise  den  Jamnes 
und  Mambres  darstellt. '     Die  ganze  Rückseite  von  fol.  87   füllt 


'  James  verweist  auf  die  Möglichkeit,  dafs  dieses  Bild  noch  zur  vor- 
hergehenden Seite  zu  ziehen  sei  und  jenen  mons  illustriere,  ubi  sunt  ho- 
yitines  nigri,  ad  quos  nemo  accedere  polest,  quia  ipse  mons  ardet.  Aber 
dann  miilste  der  Illuminator  seinen  Text  nicht  sehr  genau  gelesen  haben; 
denn  seine  Menschen  sind  nicht  schwarz,  sondern  fleischfarben,  wenngleich 
auch  die  Farbe,  wohl  infolge  chemischer  Zersetzung,  bis  auf  den  noch 
fleischfarbenen  linken  Arm  des  einen  jetzt  eine  «zraue,  aschfahle  Schattie- 
rung angenommen  hat.  Auch  das  Feuer  auf  den  Bergen,  ein  beliebtes 
llüllenrequisit  und  darum  eine  Force  der  mittelalterlichen  Buchnialer, 
wurde  er  sich  schwerlich  haben  entgehen  lassen.  Freilich  fragt  sich,  ob 
er  nicht  durch  das  eigentümliche  Rosa,  mit  dem  er  die  Berge  gern  ^It  hat, 
das  Breiuien  derselben  hat  darstellen  wollen.  Vielleicht  wäre  die  Frasre 
zu  entscheiden  durch  ein  genaues  Studium  der  übrigen  Bilder  der  Hand- 
schrift und  der  vom  Illuminator  verwendeten  Farben,  wobei  allerdings  die 
chemische  Seite  wie  überhaupt  die  mittelalterliche  Farbenbereitung  nicht 
vernachlässigt  werden  dürfte;  Material  dazu  böten  ilie  vielfach  erhaltenen 
alten  Recepte  für  Farbenbereitung  (z.  B.  im  Douce-Ms.  45;  Hunterian-Ms. ; 
Sloane  1313  [ed.  HalliweU,  Rel.  ^\jit.  I,  108]). 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CVIII.  2 


18    Das  lat.-ae.  Fragment  der  Apokryphe  von  .Tamnes  und  Mambres. 

eine  zweite  Illustration  zu  unserer  Apokryphe,  die  James  fol- 
geudermafsen  beschreibt:  It  represents  Mnmhres  standing  on 
a  mountain  and  holding  an  open  hook,  face  ontwards,  to 
which  he  points.  The  mountain  has  opened,  and  in  its  clef't 
we  see  Hell.  Ä  gigantic  figure  covered  with  tufts  of  hair,  and 
wiih  claioed  hands,  is  clutching  soids  and  drawing  them  into 
his  mouth.  Other  devils  and  soids  bound  ivith  serpents  — 
and  one  li/ing  under  a  hiige  stone  —  fill  up  the  rest  of  the  field. 
Wie  die  vorhergehenden  'Wunder  des  Orients'  besteht  auch 
das  Apokryphen-Fragment  aus  Abschnitten  in  lateinischer  Sprache, 
denen  jedesmal  eine  sehr  wörtliche  altenglische  Übersetzung  bei- 
gegeben ist.  Der  erste  Herausgeber,  Cockayne,  hat  beides  von- 
einander getrennt  und  den  lateinischen  Text  auf  S.  67,  den  alt- 
englischen auf  S.  50  seiner  Narratiunculae  abgedruckt.  Die 
Lücken  hat  Cockayne  im  lateinischen  Texte  beibehalten,  im  alt- 
englischen dagegen  auszufüllen  versucht,  wobei  er  wohl  au  zwei 
Stellen  nicht  ganz  das  richtige  getroffen  hat.  Die  Abkürzungen 
sind  nach  damaligem  Brauche  stillschweigend  aufgelöst.  In  dem 
oben  erwähnten  Aufsatze  bietet  uns  James  einen  neuen  Abdruck 
des  Fragmentes,  welcher  genau  der  Handschrift  folgt,  sogar  die 
Zeilentrennung  ^  angiebt,  die  handschriftliche  Interpunktion  und 
Verteilung  der  Kapitale  beibehält  und  die  Abkürzungen  durch 
Kursivdruck  kenntlich  macht.  -  Die  Lücken  füllt  James  auch 
im  lateinischen  Teile  aus;  im  alteuglischen  folgt  er  darin  ganz 
Cockayne.  Beide  weichen  nun  in  ihren  Angaben  über  die  Les- 
barkeit einzelner  Buchstaben  mehrfach  voneinander  ab,  was  zum 
Teil  auf  Druck-  oder  Lesefehlern  beruhen  mag,  zum  Teil  aber  auch 
darin  seinen  Grund  haben  wird,  dafs  James  nicht  nach  der  Hand- 
schrift selbst,  sondern  nach  einer  Photographie  des  Blattes  druckte, 
die  wahrscheinlich,  wie  sich  schon  öfter  gezeigt  hat,  nicht  alles 
wiedergiebt,  was  man  mit  guten  Augen  im  Original  noch  er- 
kennen kann.  Ich  wandte  mich  daher  an  das  Britische  Museum, 
wo  ich  von  Herrn  J.  A.  Herbert  eine  ungemein  sorgfältige  Kol- 
lation und  eine  genaue  Nachzeichnung  der  beschädigten  Stelleu 
erhielt,   für  die   ihm  auch   hier  gedankt  sei.     Auf  Grund  dieser 


'  Nur  col-  b,  Z.  18/19  vergessen:  die  Zeile  .schlielst  mit  liffej. 
*  Nur  bei  et  ist  dies  stets  unterblieben. 


Das  lat.-ae.  Frag'mont  der  Apokryphe  von  Jamuee  und  Manibres.     19 

Angaben  biete  ich  hier  einen  nochmahgen  Abdruck  des  Frag- 
mentes, der  sich  für  den  deutschen  Philologen  schon  durch  die 
schwere  Zugiinglichkeit  der  beiden  früheren  rechtfertigen  mag. 
Ich  habe  dabei  die  Abkürzungen  in  Kursivdruck  aufgelöst,  die 
Setzung  der  Kapitale  geregelt  und  eine  moderne  Interpunktion 
eingeführt.  Die  Lücken  habe  ich  sämtlich  auszufüllen  versucht, 
wobei  alle  nicht  völlig  erhaltenen  Buchstaijen  in  eckige  Klam- 
mern eingeschlossen  sind,  und  zwar  innerhalb  der  Klammern 
Buchstaben,  von  denen  noch  Teile  sichtbar  sind,  in  Antiqua, 
solche,  von  denen  keine  Spur  mehr  vorhanden  ist,  in  Kursiv  ge- 
druckt. Nur  in  ein  paar  Fällen,  wo  die  Beschädigung  so  gering 
ist,  dals  über  die  Identität  des  Buchstabens  nicht  der  geringste 
Zweifel  bestehen  kann,  sind  leicht  beschädigte  Buchstaben  nicht 
in  die  Klammern  einbezogen  worden.  Unter  dem  Texte  sind 
aber  alle  Beschädigungen,  auch  die  leisesten,  vermerkt  worden. 
In  den  wenigen  Fällen,  in  denen  ich  mir  eine  kleine  Korrektur 
des  Textes  erlaubt  habe,  verweist  ein  Stern  auf  den  Varianten- 
Apparat,  in  welchen  ich  der  Kontrolle  halber  auch  alle  abweichen- 
den Lesungen  Cockaynes  und  James'  aufgenommen  so\vie  die 
Urheber  jeder  Konjektur  verzeichnet  habe. 

Aperuit  Manibres  libros   magicos   *fratrzs'   sui  laimiis  et  tecit 
nicroraantiam  et  eduxit  ab  inferis  idolum  *fratris-  sui. 

^  !  Her  segd,  hu  Mambres  ontynde  da  drylican  bec  bis  breder 
lamnes  and  him  geopenude  ^a.  heagorune  dies  deofelgildes  his 
brodur.  i 

Respondit  ei  anima  *Iamnzs3  dicens:  'Ego  frater  tuus  non 
iniuste  mortuus  suvi,  sed  uere  iuste,  et  ibit*  aduersum  me  iudicium, 
qiioniam''  sapientior  eram  omniu???  sapientiuna  magorum.  Et  astiti 
duobus  fm^ribus''  Moysi  et  Aaron,  qui  fecerunt  signa  et  prodlgiu 
magna.  P/opter  hoc  mortuus  sum,  et  deductus  sum  de"  medio  ad  n 
inferos,  ubi  est  conbustio*  magna  et  lacus  pe?-ditionis,  ^  unde  non 
est  ascensus.  Et  nunc,  irater  [col.  b]  mi  Mambre,  adt^nde  tibi  in 
uita  tua,  ut  benefacias  filiis  tuis  et  amicis;  apud  inferos  enim  nihil 
e!?t  boiii  nisi   tristitia    et   teuebre.     Et  postquam    mortuus   fueris    et 


'  *  fratres  Hs.  J,  fralres  [1.  fratris]  C.  ^  iamnes  Hs.  CJ.  ^  'It  is 
probable  that  ibit  is  a  mistake  for  iuit:  all  the  other  verbs  in  the  sent- 
ence  are  in  past  tense.  Yet  it  is  not  necessarily  a  mistake,  for  the  refer- 
ence  may  be  to  the  judgment  at  the  last  day'  James.  '  quiiyn  C,  7110- 
niam  J.     ''  fraXtibtis  J.      '  e  C     "  combustio  C.     "'  perditioni^  J. 

2* 


20    Das  lat.-ae.  Fragment  der  Apokryphe  von  Jamnes  und  IMambres. 

15  u[enen]s  a[d  injferos, '•*  inte?-  mortuos  fuerit  abitat[*o]  t[na  bi\ms^^ 
lata  cubitis  et  longa  cubitis  quattu[or]'J2 

Andswarode  liim  lamnes  saul  {)ysßu??i'^  w[wd]i«n:  ^*  '|)u  brodor, 
ic  naht  imrilitlice  eom  dead,  '-^  ac  sodlice  and  rihtlice  ic  eom  dead, 
and  Gode.s    [do]m '»^    wid   me   standed,    for-{)am-de "   ic   wajs    ana 

20  s[no^Jera'*'  J)onne  ealle  odre  dryas  and  ic  widstod'^  t[waw]-*'  gebro- 
drum,  Moyses  hatte  and  Ai'iron,  J)a  worhtan  da  micclan  tacna  and 
forebeac[?i].2i  ForJ)an  ic  eom  dead  and  for{)am  ic  eom  geledd^ä  on 
helwara  rice  mid,  {)8er  is  seo  miccle  [brerjnys-^  ])ses  ecan  wites  atid 
J)aer  is  se  sead  |)8es  smg[ales]^*  susles,  J)anon  ne  byd  senig  upp  adon. 

25  Nu,  [mm]2'i  broder  Mambre,  beheald  ]^e  on  {)inum  lif[e], -^  fxet  du-' 
do  wel  J)inum  bearnum  and  J)inum  freon[d]um,  -**  f orf)an-|)e  on  helle 


'°  S  u:::::sadin\feros  Hs.,  der  Fufs  des  kontinentalen  s  imd  des  a  leicht 

beschädigt ;  untere  Hälfte  von  d  und  in  fortgerissen ;  feros  C ;  et 

[eris  aptcjd  inferos  J,  doch  bemerkt  er  selbst :  "whether  the  lost  words  were 
eris  apiul  or  ueneris  ad,  1  do  not  feel  sure.  The  latter  is  rather  closer  to  the 
Anglo-Saxon."  •'  abitat:o  t:::::n'  Hs.,  linke  Seite  von  o  beschädigt;  das 
letzte  Zeichen  nicht  recht  klar,  doch  schwerlich  ein  x;  am  wahrschein- 
lichsten ein  n  mit  folgendem  Haken  als  Abkürzung  für  is;  Herbert 
schlägt  daher  binis  vor,  eine  glückliche  Konjektur,  „wie  mir  scheint,  die 
den   Sinn  befriedigt   und   genau    zur   altenglischen  Übersetzung  stimmt; 

abitat C,  abita[fio]  t[ua  et  sedes]  xx  J,  doch  mit  dem  Zusatz:  "The 

remains  of  the  last  letters  of  the  line  will  not  suit  at  all  with  the  proper 
Word,  which  is  duobus,  nor  with  the  numeral  sign  ii.  To  my  thinking 
they  look  üke  nothing  so  much  as  'xx':  and  this  gives  a  poor  sense.  If 
'xx'  was  really  the  reading  of  the  Latin,  it  was  a  wrong  reading."  Für  die 
Ergänzung  t[ua  et  sedes]  ist  nach  Herbert  nicht  Eaum  genug  in  der  Lücke 
vorhanden ;  zudem  wäre  ae.  sead  'Grube,  Loch'  für  lat.  sedes  eine  recht 
auffallende  Wiedergabe.  Nach  Herberts  Ergänzung  hätte  der  ae.  Über- 
setzer das  Wort  habitatio  in  zwei  Begriffe  gespalten,  was  aber  in  der  alten 
Übersetzertechnik  durchaus  nichts  Auffallendes  ist.  '-  qaattuor  C,  qiia- 
tulprl  J.  '^  pyssum  J.  '''  wr.dm  Hs.,  Schleife  von  d  fortgerissen ;  ic\or- 
dutn]  C,  w[or]dum  J.  '^  eom  dead  mit  Rifs  dahinter  in  Hs.,  eom  dead  C, 
eo[m  dead]  J.  "^  (jodes  d:m,  rechte  Hälfte  von  d"^  zerstört;  godes  [do]m  C, 
go[des  do]m  J.  "  for  pcmi  pe  C.  '^  anasno:era  Hs.,  rechter  Fortsatz  des 
insularen  s  sowie  Kopf  von  n^  ganz  leicht  beschädigt,  rechte  Hälfte  von  o 
fortgerissen;  ana  slicera]?]  C,  ano{slic?]era  J.  '^  tvicTstode  J.  ^  tw::  Hs., 
Schleife  der  «t-Rune  abgerissen;  t[wa?n]  C  J.  ^'  forebeac:  Hs.,  forebeac[n]  C, 
/orebea[en]  J.  ~  geledd  Hs.,  ein  schmaler  Eifs  geht  zwischen  l  und  e  hin- 
durch, welcher  infolge  Zusammenkrumpeln  des  Pergaments  ein  Herab- 
rutschen der  Silbe  edd  veranlafst  hat.  Ob  der  Rifs  vielleicht  einen  Buch- 
stabenteil vor  e  mit  fortgenommen  hat,  und  dies  e  das  Überbleibsel  von  m 
ist?  ge\l]eddC,  ge\le]dd  J.  '-^  miede  1  :::ys  Hs.,  ganze  untere  Hälfte  des  b 
fortgerissen ;  für  ein  zweites  n  ist  kein  Platz ;  zudem  ist  das  Wort  überall 
nur  mit  einfachem  n  überliefert,  zu  dessen  Erklärung  wohl  besser  Ver- 
einfachung der  Gemination  (wie  bei  drunceness,  forgifetiess,  frigeness,  vgl. 
Sievers3  §  231,  4;  Cosijn,  Aws.  Gramm.  I,  S.  188)  anzunehmen  ist  als  ein 
Nachhall  der  ursprünglichen  Suffixform  -assu-  (Kluge,  Stammb.  §  137 ;  Wil- 
manns,  Deutsche  Gramm.  II,  §  270) ;  miccle  [byrn}nys  C ;  miccl[e  byrn]nys  J. 
^  sing::::  Hs.,  si7ig[ales]  C  J.  ^®  Nim::  Hs.,  nach  ^^  noch  der  erste  Gnmdstrich 
von  m  sichtbar;  Nu  [min]  C J.  ^  lif:  Hs.,  lif[e]  C J.  *''  ])U  C.  ^  freon:ü 
Hs.,  rechte  untere  Hälfte  von  n  fortgerissen ;  freon[d  \um  0,  freo[nd]um  J. 


Das  lat.-ae.  Fra.irmcnt  der  Ai)okry|ihe  von  Jamnes  und  Mand)res.    21 

ne  byit  iiawilit  godes  nenifte  unrotnys  and  |)ystru.  Aiirl  neftor  |)am-J)c 
c1u-''dea(l  bist,  ponne  cynist  1)11^"  to  helle,  and  be-twix  deadum  luaii- 
num  bid  pin  earding-stow  nider  on  eordan  and  piii  seatl  biet  tAvegea 
cubita  wid  and  feowra  lang.'  ao 

"^  puG.     »  du  J. 

Für  die  englische  Lexikographie  ist  unser  Text  von  Bedeu- 
tung, weil  zwei  Wörter  bisher  nur  aus  ihm  belegt  wurden.  Das 
eine  derselben  müssen  wir  freilich  auf  Grund  der  neuen  Lesung 
aus  unseren  Wörterbüchern  (Bosworth-Toller,  Hall,  Sweet)  strei- 
chen :  es  ist  jenes  sl'ic  'cunning',  das  aus  Cockaynes  slicera  (Z.  20) 
gefolgert  wurde.  Cockayne  selbst  hatte  S.  87  zwischen  der 
Lesung  slicera  und  slicera  geschwankt.  Wenn  er  ebenda  das 
ne.  sly,  an.  slcetp-,  nhd.  schlau  darin  sehen  wollte,  so  verbietet 
das  schon  die  Lautlehre.  Und  Halls  Anknüpfung  an  ne.  sleek 
'glatt'  scheitert  an  der  Bedeutimg-.  Daher  hatte  ich  schon,  bevor 
ich  Herberts  Lesung  erhielt,  als  Entsprechung  für  das  sapientior 
der  Quelle  ein  snotera  an  Stelle  von  James^  [slic/]era  vermutet. 
Nach  Herberts  Lesung  jetzt  lassen  es  die  kleinen  Beschädigungen 
unzweifelhaft,  dafs  in  der  Handschrift  snotera  stand  (s.  den 
Variantenapparat).  Vereinfachung  des  schwachtonigen  rr  findet 
sich  auch  sonst,  sowohl  bei  diesem  Worte  (z.  B.  im  Pariser  Psalter 
CVI,  42  bei  Grein -Wülker  HI-,  173)  als  bei  anderen  Kompara- 
tiven (Sievers,  Ags.  Gr.'^  S.  118;  Cosiju,  Aws.  Gr.  I,  190). 

Das  zweite  interessante  Wort  ist  heagorun  (Z.  4),  das  hier 
zunächst  nicht  direkt  dem  lat.  necromantia  zu  entsprechen 
braucht;'  sondern  vielmehr,  vorsichtiger  gesagt,  der  ganze  Aus- 
druck fecit  nicromantiam  et  edaxit  ah  inf&ris  idolum  fratris 
sui  ist  frei  durch  htm  geopenude  pa  heagorune  Sees  deofelgildes 
his  hrodur  wiedergegeben.  Welche  Bedeutung  heagorun  an  sich 
hat,  ist  daher  schwer  bestimmt  zu  sagen.  Bosworth-Toller  über- 
setzt 'a  mustery  in  which  magic  is  invalved,  necromancy' ,  Hall 
^sj)eU\  Sweet  'necromancy,  mystery'.    J.  Franck  in  seiner  gründ- 


'  Auch  deofdgild  könnte  hier  trotz  des  lat.  idolum  der  Vorlage  nicht 
seine  konkrete  Bedeutung  'GötzenbiM'  haben,  sondern  seine  ursprüngliche 
abstrakte:  etwa  'Götzenopfer,  Götzendienst',  wie  ähnUch  ae.  blösimgild, 
nihtgild,  hydyyld  (Napier,  0.  E.  Glosses  I,  4717). 


22    Das  lat.-ae.  Fragment  der  Apokrj'phe  von  Jamnes  und  Mambres. 

liehen  'Geschichte  des  Wortes  Hexe^ '  S.  658  Anm.  erklärt  es 
als  'heimliches,  falsches  Wissen,  Afterwissen\  Aber  ich  weifs 
nicht  recht,  wie  sich  die  letztere  Bedeutung  in  unsere  Phrase 
him  geopenude  pa  heagorune  dces  deofelglldes  einfügen  soll. 
Ich  meine,  so  etwas  ^vie  'Zauberformel',  'Zauberspruch',  'Zauber- 
lied' müsse  das  Kompositum  hier  doch  wohl  heifsen.  Leider  ist 
auch  der  damit  verbundene  Verbalbegriff  him  geopenude  nicht 
ganz  klar.  Am  ehesten  sind  wohl  noch  Ausdrücke  ^vie  onhand 
beadu-rüne  rriödges  mere-faran  Beow.  501  (also  ebenfalls  mit  ab- 
hängigem Genetiv!)  und  hete-rune  hond,  Rats.  34,  7  (lies  onhondl) 
zu  vergleichen.  Andererseits  ist  nicht  zu  übersehen,  dafs  Jamnes 
ein  Zauberbuch  vor  sich  hatte,  und  dafs  somit  das  Aufschlagen 
des  Buches  den  Ausdruck  veranlafst  haben  kann.  Ein  Entscheid 
würde  schliefslich  von  der  Frage  abhängen,  ob  hier  überhaupt 
ein  altenglischer  Terminus  Technicus  für  eine  germanische  Be- 
schwörungsceremonie  vorliegt  oder  ob  der  mönchische  Übersetzer 
zur  Wiedergabe  einer  ihm  fremden  Sache,  so  gut  es  ging,  Hei- 
misches mit  Fremdem  (Buchaufschlagen)  verbunden  hat.  Sach- 
lich könnte  man  jedenfalls  an  solche  Totenbeschwörungen  denken, 
wie  sie  uns  für  die  ältere  Zeit  nur  aus  Skadiuavien  -  belegt 
sind,  aus  jüngerer  Zeit  aber  auch  für  England^  und  Deutsch- 
land* bezeugt  sind.  Zudem  glaube  ich  jetzt  auch  einen  Beleg  für 
Altengland  beibringen  zu  können.  Die  ^^Ifricsche  Homilie  De 
auguriis  enthält  nämlich  in  dem  Hatton  MS.  116  (früher 
Junius  24)  des  ausgehenden  11.  Jahrhunderts  einen  zweiten  Teil 
(oder  längere  Fortsetzung?),  welcher  folgende  Stelle  enthält,  die 
wohl  sicher  auf  ein  Totenwecken  zu  deuten  ist,  obschon  ich  nur 
das  mit  dem  Nachsatz  beginnende  Stückchen  eitleren  kann,  das 
Wanley   im    Catalogus  S.  42    bietet:   dcet   se   deada   arise  ßtirh 


'  Gedruckt  als  Anhang  zu  J.  Hansen,  Quellen  und  Untersuchungen 
zur  Geschichte  des  Hexenwahns  und  der  Hexenverfolgung  im  Mittelalter. 
Bonn  1901. 

^  Vgl.  E.  H.  Meyer,  Mythologie  §  104  ;  Golther,  Germanische  Mythologie 
S.  644  ff.;  Kögel,  Deutsche  Litt.  I,  1,52  Anm.  2;  Mogk  in  Pauls  Grund- 
rifs  III 2,  :M3,  404. 

^  J.  Brand,  Observations  on  Populär  Antiquities  (Neudruck,  London 
1900)  S.  618  ff. 

*  Wuttke,  Deutscher  Volksaberglaube «  §  773  ff.;   Mogk  a.  a.  O.  252. 


Das  lat.-ae.  Fragment  der  A]iokryi)he  von  .Tamnes  und  ]\Iambres.    23 

hyre  dri/cra/t  .  Deofol-güd  '  aud  i(ri/-crceft^  iricc-crceft  and 
loiqlnnga  synd  swi/äe  andacete  urum  hcelende  Criste;  and  da 
de  fxi  rra'ffds  bfr/ad,  fti/ndan  Godes  wiäersncnn.  Im  Lichte 
dieser  Stelle  darf  man  weiter  wohl  an  die  von  Kemble  (Saxons 
in  England  I-,  526)  citierte  Theodorsche  Bulsvorschrift  erinnern: 
Qui  nocturna  sacrlficla  daemonmn  celebraverint  vel  incanta- 
ttonihns  du emones  invocaverint ,  cajjüe  puniantur,  und 
an  die  in  Eadgars  Canones  verbotenen  l'ic-iüiglunga  (Kemble, 
a.  a.  ü.  S.  527  Anm.  2),  weiterhin  vielleicht  auch  an  die  Glossen 
I,  1927;  2021;  2909;  4055;  4132;  4701;  TI,  283;  IV,  29  in 
Napiers  Old  English  Glosses  (Oxford  1900),  wo  necromantia  mit 
an  sich  zwar  allgemeinen  Ausdrücken  wie  deoflic  galdor,  oder 
galdor  allein,  gediclmor,  lüicce-cra-ft,  drjj-cro'ft  wiedergegeben  ist. 

In  der  Vorstellung  des  englischen  Mönches  wird  also  ver- 
nuitlich  ^lambres  zur  Beschwörung  seines  verstorbenen  Bruders 
einen  ähnlichen  Zauber  angewendet  haben  wie  Odinn,  der  die 
V^lva  mit  einer  Zauberformel,  einem  valgaldr,  zu  erscheinen 
zwang,-  oder  an  einer  anderen  Stelle  der  Edda  sich  rühmt,  mit 
Runen  einen  Erhängten  wieder  zum  Gehen  und  Sprechen  bringen 
zu  können.-^ 

Wenn  es  richtig  ist,  wie  gemeinhin  angenommen  wird,'*  dafs 
ahd.  hellirüna  'necromancia'  und  die  entsprechend  anzusetzenden 
Ausdrücke  der  anderen  Dialekte  ein  technischer  Ausdruck  für 
solche  Beschwörungslieder  sind,  so  würden  wir  in  dem  davon 
abgeleiteten  schwachen  Femininum  ae.  Iiel-nine  'phytonissa' ■"* 
ein  weiteres  direktes  Zeugnis  für  solchen  Höllenzauber  bei 
den  Angelsachsen  sehen  dürfen,  welches  um  so  bedeutsamer 
ist,  als  es  uns  eine  neue  Möglichkeit  gewährt,  obiges  heagorun 
auch  auf  anderem  Wege  als  Terminus  Techuicus  für  Toten- 
beschwörungszauber wahrscheinlich  zu  machen.  Das  Wort  heago- 
run  ist  uns  nämlich    in  einer   etwas  abweichenden  Gestalt  noch 


'  Man  beachte,  dals  deofol-ijild  dem  dry-crcefl  parallel  steht  und  also 
auch  hier  abstrakt  gebraucht  ist. 

-  Bahlrs  draumar  Str.  4. 

•■'  Huvamol  Str.  155. 

"  Kögel,  I,  1,  52;  Golther  S.  Ü45;  Mogk  S.  254. 

=*  Napier,  O.  E.  Glosses  1,  1926;  2,  60;  7, 106;  8,  106;  Wright -Wiilker 
I,  601";  auch  Beow.  163  für  Grendels  Sippe;  liel-rynegu  Wr.-W.  1,  47211. 


24    Das  lat.-ae.  Fragment  der  Apokryphe  von  Jamnes  und  IMambres. 

ein  zweites  Mal  belegt/  in  der  Glosse  heahrun  'pythonissa' 
d.  i.  'Zauberin'  (Wright-Wülker  I,  493*^),  worin  heahmn  sich 
ebenso  zu  heagorün  stellt  wie  north,  heh-stald  zu  hago-steald 
oder  hcßhtesse  zu  hcegetesse.  Heahrun  erscheint  hier  also  völlig 
synonym  mit  dem  obigen  hel-rüne  gebraucht,  und  was  von  heah- 
run gilt,  mufs  auch  von  heagorün  gelten.  Wenn  also  heahrun 
'Zauberin'  als  Personenbegriff  belegt  ist,  und  für  das  synonyme 
germ.  *haljariinö  sowohl  das  konkrete  'Zauberin'  wie  das  ab- 
strakte 'HöUenzaubei-'  feststeht,  und  heagorün  an  unserer  Stelle 
einen  abstrakten  Begriff  verlangt,  so  ist  es  wohl  kaum  zu  kühn, 
anzunehmen,  dafs  eben  diese  abstrakte  Bedeutung  dieselbe  ist 
wie  bei  *halja-rTinT,,  nämlich  eben  'Totenbeschwörungszauber'. 

Wenn  mau  nun  die  völlig  parallele  und  synonyme  Verwen- 
dung von  helliruna-haljaruna  und  heagorün -heahrun  gelten 
läfst  und  die  Identität  des  zweiten  Bestandteiles  in  beiden  Kom- 
positis  erwägt,  sollte  es  da  nicht  erlaubt  sein,  in  dem  ersten  Be-  • 
standteile  ws.-kt.  *hagu-,  angl.  heagu-  einen  ähnlichen  Begriff 
wie  hell  zu  vermuten,  und  wäre  es  auch  nur  irgend  ein  Wort 
für  em  gespenstisches  oder  dämonisclies  Wesen?  Ja,  ich  glaube, 
wir  können  noch  einen  Schritt  weiter  gehen  und  dasselbe  *hagu- 
'gespenstisches  Wesen'  auch  in  den  schwer  zu  deutenden  Wör- 
tern ahd.  Haguno,  ahd.  haguj^art  'Popanz,  Larve',  ae.  heagotho 
'manes'  und  weiterhin  auch  ahd.  hagazussa  'Hexe',  ae.  hcegtesse 
suchen.-  Ich  knüpfe  dabei  an  eine  Aufstellung  Kögels  (Deutsche 
Litt.  I,  2,  S.  207  f.)  wieder  an,  die  J.  Franck  (Gesch.  des  Wortes 
Hexe  S.  657  f.)   ausdrücklich   abgelehnt  ^  hat,   ohne  mich  freilich 

*  Hall  trennt  die  beiden  und  schreibt  heahrun,  das  er  offenbar  also 
zu  heah  'hoch'  zieht. 

^  Ich  wäre  auch  geneigt,  ae.  heahgealdor  'incantation,  magic  word',  das 
Hall  aufführt,  hierher  zu  ziehen,  wenn  ich  nur  wüfste,  in  welchem  Zu- 
sammenhange das  Wort  vorkommt. 

^  Franck  sieht  in  heagorün  'heimliches,  falsches  Wissen'  jenes  hag-,  das 
als  erstes  Glied  von  Kompositis  den  Begriff  des  'Heimlichen,  Nichtlegitimen, 
Nicht  voll  wertigen'  entwickelt  hat.  Aber  diese  Etymologie  scheint  mir  an 
der  Bedeutung  zu  scheitern,  die  zu  dem  abhängigen  Genetiv  nicht  pafst. 
Auch  wüfste  ich  sonst  kein  Beispiel  auf  englischem  Boden  für  diese  Ver- 
wendung des  hag-.  Denn  die  ae.  Glossen  hagan  'quisquiliae'  und  hagan 
'gignaüa',  welche  man  vielleicht  dahin  ziehen  könnte,  erklären  sich  wohl 
besser  aus  einer  übertragenen  Verwendung  von  haga  'Mehlbeere';  vgl. 
beanscala  'quisquiliae'. 


Das  lat.-ae.  Fragment  der  Apokryphe  von  Jamnee  und  Mambres.    25 

von  der  Uumögliohkeit  dieser  Kombination  —  die  Unsicheriieit 
derselben  gebe  icli  selbstverständlich  zu  —  völlig  überzeugt  zu 
haben.  Namentlich  legt  Franck  AVert  darauf,  dafs  nirgendwo 
eine  Spur  von  //  als  Mittelvokal  in  der  Sippe  'Hexe'  bewahrt 
sei.  Dagegen  möchte  ich  auf  eine  ae.  Donatus-Glosse  hinweisen 
(ed.  Napier,  Archiv  LXXXV,  311  und  O.  E.  Glosses  53,  15), 
welche  ein  heagotho  'maues'  bietet.  Das  Glossar  rührt  von  einem 
dos  Englischen  unkundigen  langobardischen  Schreiber  des  11.  Jahr- 
hunderts her,  welcher  ein  mercisches  Original  des  8.  Jahrhunderts, 
vielleicht  durch  Mittelglieder,  wiedergab  und  t  und  fh  völlig  ])ro- 
miscue  gebrauchte.  Wie  er  in  etheacan  für  teteacan  fälschlich 
///  für  f  schrieb, '  wird  wohl  auch  in  obiger  Glosse  t  geraeint 
sein,-  so  dafs  wir  heaf/oto  erhielten.  Und  dieses  heayoto  —  sei 
es  nun  neutraler  Nom.  plur.  oder  femininaler  Nora.  sing.  —  könnte 
sehr  wohl  die  von  Franck  angesetzte  Grundform  für  'Hexe',  ur- 
germ.  *xaynt-  (neben  jüngerem  */ayat-),  enthalten,  also  das  AVort 
in  seiner  ursprünglichsten  Gestalt  ohne  zw'eites  Suffix  repräsen- 
tieren. Man  sieht,  Francks  übrige  Aufstellungen  würden  sehr 
wohl  dabei  bestehen  bleiben,  so  vor  allem  sein  Nachweis,  dafs 
ae.  hcegtesse  etc.  kein  Kompositum  ist,  sondern  eine  Ableitung 
von  einem  urgerm.  */,ay-  mittels  f-Suffixes,  und  dafs  weiter  die 
germ.  Grundform  mit  dem  idg.  (onomatopoetischen)  *qaqh-  lachen, 
höhnen'  zusammenhängt-'  (vgl.  ai.  kakhati  'er  lacht',  gr.  xa/dtco 
'lachen,  höhnen',  lt.  cachinno  'laut  auflachen':  ahd.  hiioh  'Spott, 
Hohn');  nur  dafs  wir  eine  alte  Ableitung  mit  //-Thema,  m-germ. 
*Xayu-  'höhnendes  Gespenst',  dazwischen  einschieben. 

Für  die  Formenlehre  ist  aus  unserem  Text  der  dem  Dativ 
angeglichene  Genetiv  hreder  (Z,  3)  zu  notieren.  Syntaktisch  ist 
die  Relativellipse  in  ttvam  gebrodrum,  Moysen  hatte  and  Aaron 
(Z.  21)  interessant,  wozu  Einenkel,  Paids  Grundrifs  I-,  S.  1120, 
zu  vergleichen  ist.* 

'  umgekehrt  braucht  er  t  statt  ///  in  traed  'fihim'. 

-  Napier  zwar  schlägt  zweifelnd  liellyodo  vor,  was  er  durch  die  Glossen 
ae.  Iielgodes  'ditis'  und  ahd.  helligota  'raanes'  stützt.  Aber  durch  Francks 
Aufstellungen  scheint  mir  die  Glosse  in  ein  neues  Licht  gerückt  zu  sein. 

•■'  Nach  Franck  vielmehr  idg.  *kak-,  ai.  kakkati,  gr.  xtjxcc^oj. 

*  Aus  den  'Wundern  des  Orients'  seien  zwei  weitere  Beispiele  ver- 
merkt: donne  is  sum  dun,  Adamans  hatte  und  on  pccre  ylcan  stowe  byd 
oder  fugeleynn,  Fenix  hatte  (beide  §  35  bei  Cockaynej. 


26     Das  lat.-ae.  Fragment  der  Apokryphe  von  Jamnes  und  Manibres. 

Doch  kehren  wir  wieder  zu  dem  Inhalt  unseres  Fragmentes 
zurück!  Ich  glaube,  wir  müssen  James  beistimmen,  wenn  er 
sagt,  das  Tiextstück  mache  den  Eindruck,  aus  einem  gröfseren 
Ganzen  genommen  zu  sein.  Sehr  wohl  könne  es  aus  dem  An- 
fange jener  apokryphen  'Bufse  des  Jamnes  und  Mambres'  stam- 
men. Der  erste  Satz  freilich  sei  offenbar  nur  ein  Auszug  aus 
einer  längeren  Einleitung,  in  der  wir  etwas  über  die  handelnden 
Personen,  über  das  Erscheinen  des  citierten  Toten  und  über  eine 
Frage  des  Mambres,  welche  die  folgende  Antwort  des  Bruders 
vorauszusetzen  scheint,  erwarten  sollten.  Die  Rede  des  Jamnes 
mag  dagegen  sehr  wohl  den  ursprünglichen  Wortlaut  der  Apo- 
kryphe wiedergeben.  Das  Latein,  in  dem  sie  auftritt,  ist,  wie 
wohl  bei  allen  jenen  Pseudepigraphen,  nicht  die  Originalsprache. 
Es  ist  daher  interessant  zu  sehen,  wie  James  die  griechische 
Vorlage  noch  aus  einigen  Ausdrücken  des  lateinischen  Übersetzers 
heraushört,  so  aus  de  medio  (=  fx  /Litoov),  conhustio  und  nihil 
est  honi  nisi  tristitia. 

Dafs  den  Angelsachsen  die  Apokryphe  von  Jamnes  und 
Mambres  gut  bekannt  war,  lehren  zwei  weitere  Anspielungen  auf 
sie  in  altenglischen  Werken.  Auf  die  erste  dieser  Stellen  hat 
bereits  Cockayne  S.  80  hingewiesen.  In  König  Alfreds  Zu- 
sätzen '  zu  seiner  Orosius  -Version  (I,  7)  heifst  es  nämlich :  Pa 
pcet  gesatvon  pa  Egypte,  hy  da  getrymedon  liyra  dryas,  Geames 
ond  Mambres^  ond  getruwedon  mid  hyra  dry-crcpftum.  pcet  lii 
011  done  ilcan  loeg  feran  mealitan.  £)a  lii  da  oninnan  Jxcm 
scefcerelde  lomron,  pa  gedufon  hi  ealle  ond  adrnncon  (ed.  Sweet 
S.  38).  Wir  haben  hier  also  einen  anderen  Teil  der  Sage  vor 
uns,  welcher  uns  von  der  Beihilfe  der  beiden  Zauberer  an  dem 
Zuge  der  Ägypter  durch  das  Rote  Meer  berichtet.  Dieselbe  Über- 
lieferung kennt  die  jüdische  Tradition;  doch  hat  König  Alfred 
selbstverständhch  hier  ebensowenig  direkt  aus  den  Talmudisten 
geschöpft-   wie   etwa  der  Verfasser   des  altengl.  Martyrologiums. 

Die  zweite  Stelle,  in  ^Ifrics  interessanter  Homilie  De  auguriis 
(ed.  Skeat,  Lives  of  Saints  I,  S.  372,  Z.  113 — 117),  ist  nicht  ganz 

'  Die  Quelle  sagt  nur:  obruta  est  et  interfecta  cum  rege  stw  universa 
Aegypti  mtdtitudo. 

^  Vgl.  L.  Giuzberg,  Die  Haggada  bei  den  Kirchenvätern  (Heidelberger 
Diss.j.    Amsterdam  1899. 


Das  lat.-ae.  Fragment  der  Apokryphe  von  Jamnes  und  Manibres.    27 

so  sicher  für  die  angelsächsische  Kirche  in  Anspruch  zu  uehmen, 
da  wir  leider  über  ^-Elfrics  eventuelle  Quellen  zu  dieser  Honiilie 
nichts  wissen  und  also  nicht  sagen  können,  ob  dem  englischen 
Abte  oder  seiner  lateinischen  Vorlage  die  Anspielung  angehört. 
Immerhin  scheint  mir  das  erstere  wahrscheinlich. '  Die  Stelle 
lautet:  Fela  scedon  pa  dry-men  purh  deoßes  crceft,  lavines-  and 
MamhreSf  siva  swa  Mo/jscs  aiorat,  and  hl  PharKO  forlcerdoii 
mld  heora  lotivrenciim,  oääcvt  Jw  adranc  on  dcere  deopan  soi. 
iElfric  weicht  also  etwas  von  ^Elfred  ab:  während  dieser  die 
Ägypter  die  Initiative  ergreifen  und  sich  der  Zauberkünste  der 
beiden  Magier  bedienen  läfst,  sagt  -3^1fric  (oder  seine  Quelle?), 
dafs  umgekehrt  die  Zauberer  den  Pharao  zur  Verfolgung  auf- 
reizten, so  da/s  er  im  Roten  Meere  umkam.  Sonderbar  ist  aber, 
dafs  dies  bei  Moyse  stehen  soll. 

Dafs  gerade  die  irisch-angelsächsische  Kirche,  die  bei  ihrer 
räumlichen  Entfernung  von  Rom  allzeit  einen  nationalen,  selb- 
ständigen Zug  gezeigt  hat,  eine  fast  verschollene  Apokryphe  be- 
wahrt hat,  ist  nicht  zu  verwundern.  Fehlt  es  doch  nicht  an  Be- 
weisen, dafs  die  irisch-angelsächsische  Kirche  eine  besondere  Vor- 
liebe für  diesen  Litteraturzweig  gehabt  hat.  James  weist  darauf 
hin,  dafs  eine  Form  der  Vita  Adae  et  Evae-^  in  dem  irischen 
Saltair  na  Rann   benutzt  ist,   und    dafs  der  alteuglische  Dialog 


•  ^'Elfric  berutt  sich  Z.  07  auf  Augustiims  und  führt  dessen  Worte  in 
direkter  Kode  au.  I^eider  sind  dieselben  aber  weder  l)ei  Augustin  noch 
sonst  irgendwo  nachgewiesen  worden,  so  dafs  wir  nicht  sagen  können,  wo 
(Ue  wörtliche  Anführung  der  Quelle  aufhört.  Dafs  die  ganze  folgende 
Honiilie  Augustin  zuzuschreiben  sei,  halte  ich  für  höchst  unwahrschein- 
lich, da  die  vielen  darin  erwähnten  Zaubergebräuche  einen  durchaus  ger- 
luauischen  Charakter  tragen.  Dafs  eine  Handschrift  dem  Ganzen  den 
Titel  Sermo  sancto  [sic!J  Auijiistini  de  augurüs  giebt,  beweist  natürlich 
gar  nichts.  Zudem  lief  auch  in  der  angelsächsischen  Kirche  vieles  unter 
•loni  Namen  des  grofsen  Kircheidehrers  um,  was  nachweislich  nicht  von  ihm 
ist.  !^o  wird  am  Schlüsse  der  Cambridger  Handschrift  des  ae.  Cato  eine 
Art  Menenius-Fabel  dem  h.  Augustinus  in  den  Mund  gelegt,  die  nach 
liebenswürdiger  Auskunft  des  grofsen  Augustin -Kenners,  P.  Odilo  Rott- 
manner,  sich  bestimmt  nicht  in  den  echten  augustinischen  Schriften  findet. 
Vgl.  übrigens  auch  meine  Bemerkung  in  der  Anglia  XVI,  S.  08  Anm.  1. 

-  Die  Julius-Hs.  liest  lammes  fvgl.  Alfreds  Form  oben). 

^  Eine  englische  Übersetzung  der  Vita  Adae  findet  sich  im  Trin.  Coli. 
Cambr.  R.  III.  21,  fol.  249—257  (15.  Jahrh.)  nach  .Tames'  Katalog. 


28    Das  lat.-ae.  Fragment  der  Apokryphe  von  Jamnes  und  Mambres. 

zwischen  Salomon  und  Saturn  möglicherweise  aus  der  Contra- 
dictlo  Solomonis,  die  das  Gelasianische  Dekret  verdammte,  ge- 
schöpft ist.  Ich  möchte  hinzufügen,  dafs  die  unter  Abdias'  Namen 
laufende  Sammlung  apokrypher  Apostellegenden  sowohl  in  irischer 
(ed.  Atkinson,  Dublin  1887)  als  in  altenglischer  Sprache  (in  ^1- 
frics  Homilies,  ed.  Thorpe)  in  England  verbreitet  war,  dafs  das 
Evangelium  Pseudo-Matthaei  (ed.  Afsmann  S.  117  ff.),  die  Vin- 
dicta  Salvatoris  (ed.  Afsmann  S.  181  ff.),  das  Evangelium  Mco- 
demi  (ed.  Hulme  1898),  lauter  neutestamentliche  Apokrj'phen,  in 
altenglische  Prosa  übertragen  sind,  dafs  die  Visio  Pauli  von  einem 
altenglischen  Homileten  stark  benutzt  ist  (s.  Archiv  XCI,  183  ff. 
und  cm,  169),  und  dafs  der  Descensus  Christi  ad  inferos  nach 
Ausweis  der  7.  Blickling  -  Homihe,  Christ  und  Satan  V.  437  ff., 
Christi  Höllenfahrt  V.  84  ff.  uad  des  ae.  Martyrologiums  (zum 
26.  März)  den  Angelsachsen  in  einer  Fassung  vorgelegen  hat, 
die  bisher  noch  nicht  aufgefunden  ist. 

Der  Schlufs  des  Jamesschen  Aufsatzes  eröffnet  uns  noch 
ein  paar  interessante  Ausblicke.  Die  allgemeine  Ähnlichkeit  der 
Lage  und  zwei  Anspielimgen  auf  Jannes  und  Mambres  in  der 
Confessio  seu  Poenitentia  S.  Cypriani  machen  es  nicht  unwahr- 
scheinlich, dafs  unsere  Poenitentia  Jannis  et  Mambris  das  Vor- 
bild für  die  Bekehrung  des  Zauberers  Cyprian  gewesen  ist. 

Schade  darum,  dafs  jene  'Bekehrung  des  Jamnes  und  Mam- 
bres' dem  kirchHchen  Eifer  hat  zum  Opfer  fallen  müssen.  Denn 
sonst  würde  sie  wohl  in  der  Geschichte  der  Weltlitteratur  einen 
Grundpfeiler  bilden,  von  dem  sich  Fäden,  die  wir  heute  leider 
nur  noch  ahnen  können,  hinüberspinnen  zu  zwei  der  unvergleich- 
lichsten Schöpfungen  menschlichen  Geistes:  Dantes  Höllenvisionen 
und  Goethes  Faustdichtung. 

Würzburg. Max  Förster. 

Nachtrag.  Bei  der  Verwandlung  der  ägyptischen  Gewässer  in  Blut 
erscheinen  beide  Magier  auch  in  der  frühmittelengl.  Vers-Paraphrase  von 
'Genesis  &  Exodus'  (um  1250) :  Tannes  and  Ma7nbres,  wiches  wod  (V.  2959), 
hier  jedoch  sicher  aus  der  lat.  Vorlage,  Petrus  Comestor's  Historia  scho- 
lastica,  geschöpft,  wo  es  im  Exodus-Kommentar  cap.  XIV  heifst:  Fece- 
runtque  similiter  magi  lannes  et  Mambres.  M.  F. 


Lydgates  'Vowes  of  Pecok'. 


In  einem  der  kleineren  strophischen  Gedichte  Lydgates, 
dessen  Hauptthenia  die  VergängUchkeit  aller  irdischen  Macht  und 
Pracht  ist,  und  das  deshalb  von  Halliwell  den  Titel  ^On  the  Muta- 
bility  of  Human  Affairs'^  erhalten  hat,  lautet  die  zwölfte  Strophe: 

Where  bea  of  Fraunce  all  the  dozepiere, 

Which  in  Gaule  had  the  governaiince ; 

Vowis  of  pecok,   with  all  ther  proude  chere; 

The  worthy  nyne,  with  all  ther  high  bobbaunce; 

[The]  Troyan  knightes,  grettest  of  allyauiice; 

The  flees  of  golde  conquerid  in  Colchos; 

Rome  and  Cartage,  most  soverayn  of  puissaunce? 

All  stant  on  chaunge  like  a  mydsomer  rose       (p.  25). 

Derselbe  Ausdruck  steht  auch  in  einem  noch  nicht  gedruckten 
Gedichte  des  Mönches:  'A  Ditty^  in  the  praise  of  Peace;  loritten 
after  the  Death  of  our  King  Henry  V,  über  welches  Gedicht 
Näheres  in  dem  A.  f.  D.  A.  XXIV  p.  52  zu  lesen  ist.  Die 
zwanzigste  Strophe  dieses  Gedichtes  enthält  eine  Aufzählung  der 
berühmtesten  Kriege,  Lydgate  gedenkt  des  trojanischen  und  the- 
banisciien  Krieges  und  der  Züge  Alexanders  und  schliefst: 

Vowe.s   of  the   pecok,  the  frenssh  makith  mencioun, 
Pryde  of  the  werrys,  moost  contrary  unto  pees. 

Da  mir  selbst  die  in  den  Worten  Vowes  of  {the)  pecok  He- 
gende Anspielung  längere  Zeit  nicht  verständlich  war,  darf  ich 
vielleicht  annehmen,  dal's  es  auch  dem  einen  oder  dem  anderen 
der  Fachgenossen  nicht  unangenehm  ist,  wenn  ich  zur  Erklärung 
bemerke,   dals   Lydgate   dabei   zweifellos   an   eine    1312/13    zum 

'  Cf.  Minor  Poems  (^Percy  Soc.  vol.  II)  p.  22  ff. 


30  Lydgates  'Vowes  of  Pecok'. 

Abschlufs  gebrachte  epische  DichtuDg  des  Franzosen  Jacques 
de  Longuyon  gedacht  hat,  eine  Fortsetzung  der  Alexander- 
fabeln des  Mittelalters,  betitelt  'Voeux  du  paon\ '  Über  den 
Inhalt  dieser  in  vielen  Handschriften  überlieferten,  aber  noch 
nicht  herausgegebenen  Dichtung  können  wir  uns  weder  in  Paul 
Meyers  Alexanderbuch  noch  auch  in  einer  der  neueren  Darstel- 
lungen der  altfranzösischen  Litteraturgeschichte  belehren,  wir  sind 
heute  noch  auf  die  Mitteilungen  der  beiden  englischen  Forscher 
beschränkt,  auf  welche  vor  mehreren  Jahren  Albert  Herrmann 
hingewiesen  hat:-  auf  Henry  Wards  knappe  Inhaltsaugabe  der 
Louguyonscheu  Dichtung  in  seinem  reichhaltigen  'Catalogue  of 
Romances'  und  auf  Henry  Webers  Analyse  des  schottischen 
Alexanderbuches  in  seinen  'Metrical  Romances^  Für  unsere 
Zwecke  genügt  ein  kurzer  Auszug  aus  Wards  Analyse. 

Die  Handlung  des  altfranzösischen  Epos  spielt  sich  zum 
grölsten  Teil  in  und  vor  der  Stadt  Phezon  ab,  welche  von  Clarvus' 
li  yndois  belagert  und  von  Alexander  unterstützt  wird.  Bei  einem 
festlichen  Mahle,  dessen  Hauptgericht  ein  von  dem  gefangenen 
Porrus,  einem  Sohne  des  Clarvus,  geschossener  Pfau  ist,  über- 
bieten sich  die  Helden  der  Stadt  und  ihre  ritterlichen  Gefangenen 
iu  Gelübden  betreffs  der  noch  von  ihnen  geplanten  Thaten.  Wards 
Mitteilungen  über  diese  Episode  der  Pfauengelübde,  welche  dem 
Gedicht  seinen  Titel  gegeben  hat,  lauten :  Porrus  shoots  the  pea- 
cock;  it  is  served  up  at  table,  and  Cassamus  calls  on  all  the 
knights  to  make  their  vows  upon  it.  'Elyot'  a  damsel  of  high 
degree  ...  carries  it  round;  the  vows  are  made,  and  the  peacock 
is  eaten  (1.  c.  I  p.  147).  Der  Bericht  über  die  Ausführung  dieser 
verschiedenen  Pfauengelübde  füllt  einen  grofsen  Teil  des  Gedichtes, 
welches  mit  dem  Entsatz  der  Stadt  und  vielen  Hochzeiten  schliefst. 

Über  die  Sitte,  beim  Verspeisen  des  Pfaus  derartige  Gelübde 
zu  thun,  bemerkt  Paul  Meyer:  Le  paon  etait  considere  comme 
etant  proprement  Ha  viande  des  preux'.    L'usage  de  prononcer 

'  Vgl.  über  dieses  noch  nicht  gedruckte  Gedicht  die  kurzen  Bemer- 
kungen bei  Gaston  Paris  'La  Litterature  frangaise  au  moyeu  age'  §  44 ; 
Gröber,  Grundrifs  §  181. 

^  Vgl.  'Untersuchungen  über  das  schottische  Alexanderbuch'  (Berlin 
1893)  p.  8,  16.  Der  seltene  Bannatyne-Druck  dieser  schottischen  Version 
ist  mir  nicht  zugänglich. 


Lvdffutes  'Vowes  uf  Pecok'.  31 


'f^ 


des  vceiix  sur  cet  oiseau,  dans  certains  festins,  paratt  avoir 
ete  surtoiit  repandu  au  XIV^  et  an  XV^  siede,  principalement 
dans  le  nord  de  la  France  (Alexandre  le  Grand  dans  la  littö- 
ratiu'e  frauy.  du  moyen  äge,  vol.  II  p.  267  Auni.). 

Bei  seinem  Verse:  Voiois  of  pecok,  loith  all  iher  proude 
chere  hat  Lydgate  gewifs  an  die  stolzen  Ritter  gedacht,  deren 
Prahlreden  und  Abenteuer  er  in  Longuyons  weitverbreitetem  Ge- 
dicht gelesen  hatte.  Auch  seine  nächste  Zeile:  The  loorfhy  nyne, 
ii'ith  all  ther  high  hobhaunce  könnte  noch  auf  diese  Lektüre 
zurückzuführen  sein,  da  die  neun  Helden,  the  nine  Worthies,  in 
Longuyons  Dichtung  zum  erstenmal  geschlossen  aufgetreten  sein 
sollen.  Gaston  Paris  bemerkt:  Notons  que  dans  les  'Voeux  du 
Paon'  apparaissent  pour  la  premtere  fois  les  'neuf  preux\ 
cette  triple  triade  de  heros  (trois  juifs,  trois  pa'iens,  trois 
chretiens)  qui  devait  etre  si  souvent  celebree  dans  la  littera- 
ture,  l'art  et  les  fetes  da  moyen  äge  et  fonrnir  kh  XV'^  siede 
le  sujet  d'un  roman  special  (1.  c.  p.  73). ' 

Bei  seiner  anderen  Erwähnung  der  Pfauengelübde,  in  seiner 
Aufzählung  berühmter  Kriege,  hat  Lydgate  mehr  die  durch  diese 
Gelübde  veranlal'sten  Kämpfe  im  Gedächtnis  gehabt. 

Jedenfalls  liefert  uns  seine  Verwertung  dieser  litterarischen 
Erinnerung  einen  beachtenswerten  weiteren  Beweis  dafür,  dafs 
der  Mönch  auch  in  der  weltlichen  Litteratur  Frankreichs  wohl 
belesen  war. 


*  Über  ein  mittelschottisches  Gedicht  'Ä7ie  Ballet  of  the  Nine  Nobles', 
welches  auch  den  Einflufs  Loutrayoiis  erkennen  läfst,  vgl.  Craigie,  Anglia 
XXI  p.  :55!'ff. ;  über  einige  andere  nio.  Reflexe  Noilson,  Athenaeum  3861. 
Anspielungen  auf  die  Nine  Worthies  sind  auch  im  elisabethanischeu  Drama 
noch  sehr  häutig.  Weniger  beliebt  wurde  die  Neunzahl  moderner  Helden, 
die  ein  Kupferstecher  zu  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  zusammenstellte, 
vermutlich  mit  erläuterndem  Text,  laut  folgendem  Eintrag  in  die  Stationers' 
Registers  vom  30.  März  1G22 :  The  portracture  at  length  of  the  9.  moderne 
ivorthies  of  the  world,  vix.  Mahomet,  Soliman,  Tamberlaine,  Charles  the  Ftft, 
Scanderbeg,  Edward  the  black  prince,  Ueiiry  tlie  5"'  King  of  E)igland,  Henry 
the  i  of  Ffrance,  and  Sir  l'kiUip  Sidneg  grauen  in  Gopper  (cf.  Arber's 
Transcript  vol.  IV  p.  (JtJ).  Ganz  iuntihalb  der  englischen  Welt  blieb  Ro- 
bert Fletcher  in  seiuem  1006  gedruckten  Werkchen  'The  Nine  Euglish 
Worthies'  [yi.  DNß.). 

Stralsburg.  E.  Koeppel. 


The  Pride   of  Life. 


I.  Vorbemerkung. 

Im  Jahre  1891  veröffentlichte  James  Mills  zum  erstenmal^ 
die  in  einem  Rechuungsbuche  der  Priory  of  the  Holy  Trinity  iu 
Dublin  (1333 — 46)  überlieferte  Moralität,  die  sowohl  durch  ihren 
Inhalt  wie  ihr  Alter  das  höchste  Interesse  der  englischen  Philo- 
logen erregen  mufste.  Auf  Grund  einer  neuen  Kollation  der 
Handschrift  durch  Professor  W.  Skeat  und  den  ersten  Heraus- 
geber druckte  dann  Brandl  das  Stück  als  Nr.  1  in  den  ^Quellen 
des  weltlichen  Dramas  in  England  vor  Shakespeare^  Strafsburg 
1898  (Q.  F.  LXXX)  mit  einer  wertvollen  Einleitung  (S.  VIII  ff.) 
und  einigen  Anmerkungen  (S.  650  f.).  Um  das  Verständnis  des 
nur  bruchstückweise  und  ziemlich  mangelhaft  überlieferten  Textes 
zu  erleichtern,  stellte  er  dem  Original  eine  deutsche  Übersetzung 
zur  Seite,  in  der  er  auch  die  meisten  Lücken  auszufüllen  ver- 
suchte. Mehrere  deutsche  und  englische  Gelehrte  trugen  zu 
dieser  Erklärungsarbeit  durch  Vermutungen  über  die  Auffassung 
schwieriger  Stellen  bei.  Weiter  wurde  das  Verständnis  der  Dich- 
tung durch  zwei  Anzeigen  des  Buches  gefördert:  die  eine  von 
Kaluza  in  der  Deutscheu  Litteraturzeitung  20,  1711  ff.,  die  an- 
dere von  Manly  im  Journal  of  Germanic  Philology  11,  389  ff. 
Mit  der  Besprechung  des  Buches  durch  die  Redaktion  des  Archivs 
beauftragt,  hatte  ich  natürlich  auch  diesen  Text  eingehend  zu 
studieren,   wobei  ich   eine  Anzahl  weiterer  Verbesserungen   fand 


'  Vgl.  Jahresl)er.  über  die  Ersch.  auf  dem  Gebiete  der  german.  Phil. 
XIV,  S.  339  unter  f. 


Tlie  Pride  of  Life.  33 

und  in  nicht  wenigen  Fällen  von  der  Übersetzung  und  Erklärung 
des  Herausgebers  abweichen  nudste.  Statt  nun  alle  diese  Fälle 
einzeln  zu  besprechen,  hielt  ich  es  für  zweckmäfsiger,  den  Ver- 
such einer  Wiederherstellung  des  Textes  zu  wagen  und 
dabei  alles  bisher  in  dieser  Beziehung  Geleistete  zusammen- 
zufassen; ferner  demselben  ausführliche  Anmerkungen  beizugeben, 
in  denen  ich  sowohl  meine  abweichende  Auffassung  der  betref- 
fenden Stellen  begründete,  als  auch  die  von  Manly  und  Kaluza 
beigebrachten  ^Erklärungen  verzeichnete.  Mit  gütiger  Erlaubnis 
der  Redaktion  ist  dieser  Teil  meiner  Besprechung  ausgeschieden 
und  für  sich  gedruckt  worden,  was  durch  die  Wichtigkeit  des 
Gegenstandes  und  den  Umfang  der  Arbeit  gerechtfertigt  werden 
mag.  Die  Recension  des  übrigen  Teiles  des  Buches  hoffe  ich 
bald  in  kürzerer  Form  bringen  zu  können. 

In  meinem  Texte  sind  alle  blofs  zur  Wiederherstellung;  der 
ursprünglichen  Form  dienenden  Buchstaben  kursiv  gedruckt,  die 
Abkürzungen  der  Handschrift  dagegen  stillschweigend  aufgelöst 
worden,  Ergänzungen  verloschener,  nicht  mehr  lesbarer  Buchstaben 
in  runde  Klammern,  solche  metrischer,  stilistischer  oder  gram- 
matischer Natur  dagegen  in  eckige  eingeschlossen  worden.  Die 
Überlieferung  ist  in  den  Fufsnoten  verzeichnet;'  die  Anmer- 
kungen geben  alle  nötige  Auskunft  über  die  Urheber  der  vor- 
genommenen Verbesserungen.  Ich  mufste  natürlich  von  der 
Brandischen  Textrecension  als  Grundlage  ausgehen  und  setze 
daher  das  von  diesem  und  seinen  Beratern  Geleistete  oder 
V^ermutete  (meist  in  der  Übersetzung  Enthaltene)  als  bekannt 
voraus. 

Indem  ich  mir  nicht  verhehle,  dal's  alle  Versuche  dieser  Art 
einen  mehr  oder  weniger  hypothetischen  Charakter  tragen,  glaubte 
ich  doch  ihn  wagen  zu  dürfen,  zumal  der  Littcrarhistoriker  ja 
für  seine  Zwecke  einen  lesbaren  Text  braucht,  als  welcher 
sich  der  hier  vorgelegte,  trotz  einiger  Unsicherheiten  im  ein- 
zelnen, hoffentlich  bewähren  wird.  —  Da  die  Allitteration 
in  unserem  Denkmal  eine  so  grolse  Rolle  spielt,  habe  ich  sie 
anhangsweise  nach  dem  Regeischen  Schema  zusammengestellt. 

'  Nur  für  //  ist  stillsrhweigend  p  'gesetzt,  wenn  es  diesen  Buchstaben 
vertritt;  ebenso  ist  ohne  besondore  Beuierkungen  zwischen  k  und  r  unter- 
schied eii. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CVIII.  3 


34  The  Pride  of  Life. 

II.    Text. 

[Prologus.] 

1.  Pees!   and  herknytA  al  ifer, 
[rieh]  and  pore,  yong  and  old, 
men  and  wemen,  J)at  heth  her, 

4    hoth  lerid  and  leud,  rftout  and  bold ! 

2.  Lordinges  and  ladiis,  |)at  beth  hende, 
herkenith  al  with  mylde  mode, 

(how  ou)re  gam  schal  gyn  and  ende: 
8    lorde  US  wel  spede,  {)at  sched  his  blöde! 

3.  Nou  stondith  stille  and  beth  hende, 
(and  ter)yith  al  for  the  weder; 
(and)  je  schul,  or  je  hennis  wende, 

12    be  glad,  |)at  je  corae  hidir. 

4.  Her  je  schuUin  here  spelle 
of  mirth  and  eke  of  kare; 
herkenith,  and  i  wol  jou  teile, 

16    (how  {)is  our  game)  schal  fare. 

5.  (Of  {)e  king  of)  life  i  wol  jou  teile; 
(he  stondith)  first  bi-fore 

(al  men  J)at  beth)  of  flessch  and  fei, 
•20    (and  of  woman  i-)bore. 

6.  (He  is,  forsoth,  ful)  stronge  to  stonde, 
(and  is)  by-comin  of  kinge, 

(jiveth)  lawis  in  eche  a  londe, 
24    (and  nis)  dradd  of  no  thinge. 

7.  (In)  pride  and  likinge  his  lif  he  ledith, 
lordlich  he  lokith  with  eye ; 

(prin)ces  and  dukes,  he  seith,  liim  dredith : 
28    (he)  dredith  no  deth  for  to  deye. 

8.  (He)  hath  a  lady,  lovelich  al  at  likinge, 
ne  may  he  of  no  mirth  mene  ne  misse; 

he  seith,  in  swetnisse  he  wol  set  his  likinge, 
32    and  bringe  his  bale  boun  in-to  blisse. 

9.  Knyjtis  he  hath,  comelic/^ 
in  brede  and  in  leint/i; 
not  i  nevir  none  sich 

30    of  stotey  ne  off  strejnth. 

1  herkynt.  hal.    2  hold.    4  lerit  &  leut.    7  ...ko.    11  schal.    3:'.  kyntis 
36.  cuinlic.     35  suc. 


The  Pride  of  Life.  85 

10.  W//at  helpit/i  to  yilp  inuc/«il  of  bis  mijt, 
or  bost  to  mucÄil  of  bis  blys? 

(For)  sorow  may  sit  on  his  s'ijt, 
■io    (and  m)yrt/i  may  he  not  miss. 

11.  (Her  stant  ek  {)e)  ladie  of  lond, 
(tbe  faire)3t  a  lord  for  to  led ; 
(glad)  may  be  be  for  to  stond 

14    (and  b)ehold  {)at  blisful  bled. 

12.  (f*)at  ladie  is  lettrid  in  lor, 

as  comelic/?  becomit/i  for  a  quen  ; 
and  munit//  bir  make  evirmor, 
4.S    as  //o  dar,  for  dred  bim  to  ten. 

IB.    Ho  bit  bim  bewar  or  be  smert, 
(f)or  in  bis  lond  deth  wol  alend; 
(as)  l\o  lovit/i  bim  gostlic/i  in  hert, 
52    (ho  b)it  bim  bewar  of  bis  end. 

14,  (Ho)  begynwit/i  to  carp  of  care 
(|))es  wordis  wyt/i-oute  lesing: 
'detJi  doth  not  spare 

üü    knyjtis,  cayser,  ne  kyng. 

15.  Nou,  b)rd,  leve  |)i  likyng, 

wJiycJi  bringit//  J)e  soule  gret  bale!' 
|)is  answer  lio  bad  of  J)e  kyng: 
üo    'je,  f)is  a  womanis  tale.' 

1<».    |)e  kyng  bit  ne  toke  not  to  bert, 
for  bit  was  a  womanis  spec/< : 
(3)et  bit  made  liim  to  smert, 
i;i    (w  b)an  bim  mijt  belp  no  \ech. 

'17.    (J)e)  quen  yit  can  bir  undirstond, 
w/iat  belp  J)ar  mijte  be, 
and  sent  aftir  |)e  bisc/iop  of  J)e  lond, 
GS    for  be  coutb  mor  |)an  he. 

18.    He  cam  and  prec/iid  al  J)at  be  cou|)e, 
and  warnid  bim  al  of  bis  end ; 
(h)it  savrid  not  in  |)e  kyngis  mout/i, 
bot  bom  be  bad  bim  wond. 


■> 


37  lelpit.  39  sorou.  40  ...ryt.  je.  42  for]  sort.  43  he]  je.  fort. 
45  lettrit.  40  cuiuli.  47  niac.  48"  ho]  a.  49  bid.  je.  50  aloiid.  52  hend. 
53  charp.  char.  56  kyutis.  57  likynd.  58  je.  bas.  Gl  jie]  je.  ü7  JjeJ  je. 
68  chont.  je.  69  je  cham.  precit'  je.  70  warnit.  hal.  bind.  71  saurit. 
je.     72  je.  wynd. 


36  The  Pride  of  I.ife. 

lU.    W//an  J)e  bisc/üop  hom  is  wend 
from  |)at  (sterne)  stryf, 
(to  de{)  a  me)ssager  |)an  send 
76    (iß  by)  {)e  kyng  of  lif. 

20.  (J)e  kyng)  him  wold  do  undirston(/, 
(pat  al)  he  may  del  and  dijt; 

(he)  wold  come  into  his  owin  lond, 
8()    on  him  to  kyth  his  mijt. 

21.  Deth  comith  —  he  dremith  a  dredful  dreme, 
welle  ajte  alle  carye!  — 

and  slow  fader  and  moder  and  {)en  eme  : 
84    he  ne  wold  none  sparye. 

22.  Sone  affter  hit  be-fel,  J)at  deth  and  life 
beth  to-geder  i-taken, 

and  ginneth  and  strivith  a  sterne  strife, 
88    [|)e]  king  of  life  to  wrake. 

23.  With  him  [he]  drivith  a-doun  to  grounde, 
he  dredith  no-thing  his  knijtis, 

and  delith  him  [aj  depe  de|)is  wounde, 
fl2    and  kith[ith]  on  him  his  mijtis. 

24.  When  J)e  body  is  doun  i-brojt, 
{)e  soule  sorow  a-wakith ; 

|)e  bodyis  pride  is  dere  a-bojt: 
;iü    pe  soule  J)e  fendis  takith. 

25.  And  throgh  priere  of  oure  lady  mylde 
|)e  soule  and  body  schul  dispyte; 

ho  wol  prey  her  son  so  mylde, 
um    al  godenisse  ho  wol  qwyte. 

26.  jpe  cors  pat  nere  knewe  of  care, 
no  more  {)en  stone  in  weye, 

schal  (for|))-with  of  sorow  and  sore  care 
104    (tremble)  be-twene  ham  tweye. 

27.  |)e  soule  |)er-on  schal  be  weye, 
J)at  |)e  fendes  haveth  i-kajte; 
and  oure  lady  schal  {ser-for  preye, 

KiH    so  J)at  with  her  ho  schal  be  lafte. 


7"  Wand.  je.  is  jam.  74  fram.  75  ...ssenger.  76  J)e]  je.  78  he]  je. 
79  cum.  ouin.  81  he]  aud.  83  heme.  93  Qwhen.  99  sehn.  100  scho. 
98  und  100  in  der  Hs.  vertauscht.     108  ho]  he. 


The  Pri.lc  of  Lifo.  37 


2S.    Nou  beith  in  pes  and  beith  heiule, 
and  ilistourbith  nojt  oure  place! 
For  J)is  oure  «ramc  sjclial  j;in  and  ende 

112    throgli  Jesus  Cristis  swete  grace. 


Rex  vivus  incii)it  sie  dicendum : 

'd'.).     Ti'S  now,  je  prlnces,  of  powere  so  prowdc, 
je  kinges,  je  kerapes,  je  knijtes  i-korne, 
je  barons  bolde,  {)at  beith  me  o-bowte: 

lUi     (seni)  schal  ju  my  sawe,  swaynis  i[s|\voriR'I 

HO.    Sqwieris  stoute,  stondit//  now  stille, 

and  lestenith  to  my  bestes,  i  hote  ju  now  her; 
or  [i]  schal  wirch  ju  wo  with  Werkes  of  wil, 

ijii    and  doun  schul  je  drive,  be  je  never  so  derel 

31.  King  ich  am,  kinde  of  kinges  i-korne, 
al  {)e  worlde  wide  to  weide  at  my  wil; 
na{)  |)er  never  no  man,  of  woman  i-borne, 

ijj    o-jeiii  mo  with-stonde,  |)at  i  no\de  him  spüle. 

32.  Lordis  of  lond,  beith  at  my  ledinge! 

AI  nien  schul  a-bow  in  hal  and  in  bowr; 

't>  •>  "T*  T* 

[Regina.] 

33.  boidlir//  {)ou  art  nii  bot, 
128    tristilie/?  and  ful  trewc; 

of  al  Uli  rast^  {jou  art  rot, 
i  nil  chaiige  for  no  newe. 

Rex. 

34.  AI  in  wel  \cli  am  bi-went, 

i:j2    may  no  grisful  {)ing  me  grevf ; 
likyng  is  wyiJt  me  bil(e)nt, 
alvng  is  hit  mi  beheve. 

3.5.    Stre/ynty^  and  Hele,  knyjtis  kete, 
136    [doghti  and]  derist  in  dede. 

lok[ith],  ]}at  for  no  {)ing  je  let, 

smertlir//  to  me  [to|  sped«? ! 

11:^1  t'bcrschr.  iucipet.  12U  schal.  121  korre.  V2"  uas.  buiro.  126 
schal.  127  baldli.  128  treu.  IHO  choug.  132  ue.  grou.  134.  behou.  135 
streut,  kyntis.     130  det  rift.     137  lok  y.     138  sniartli. 


38  Tho  Pride  of  Lifo. 

36.  Briugit/i  wytÄ  you  brijte  broudis, 
140    helmis  brijt  and  schene; 

for  \ch  am  lord  ovir  al  londis, 
and  {)at  is  wel  i-sene. 

Primus  miles,  Fortitudo. 

37.  Lord,  in  truj)e  {)ou  mijt  trist, 
144    ieyiuUich  to  stonde; 

{)ou  mijt  live  as  {)e  list, 

for  won  [of]  scbildis  J)ou  fonde. 

38.  Ich  am  Qtreynthe,  stif  and  strong, 
148    no-w/iar  is  sich  non 

in  al  {)is  world,  brod  and  long, 
imad  of  blöd  and  bon. 

39.  Have  no  dout  of  no  |)ing, 
162    {)at  evir  may  befal: 

ich  am  Streynt/i^  {)i  derling, 
flour  of  knijtis  al. 

Secundus  miles,  Sanitas. 

40.  King  of  life,  |)at  berist  |)e  croun, 
156    as  hit  is  skil  and  rijte: 

ich  am  Hele,  i  com  to  toun, 
{)i  kinde,  curteyse  knijte. 

41.  |)ou  art  lord  of  lim  and  life, 
160    and  king  with-outen  ende, 

stif  and  strong  and  Sterne  in  strife^, 
in  londe  wher  |)ou  wende. 

42.  I)ou  nast  no  nede  to  sike  sore 
164    for  no  thing  on  lyve; 

J)ou  schalt  lyve  ever  more: 
who  dar  with  {)e  strive? 

Rex. 

43.  Strive?  nay;  to  me  who  is  so  gode? 
16«    hit  were  bot  folye; 

per  is  no  man,  pat  me  dar  bode 
any  vileynye. 

44.  Wher-of  schuld  i  drede, 

172    when  ich  am  king  of  live? 


140  scheud.    141  ofir.    142  uel.    145  Jje]  i,e.    147  streut.    148  whar]  iiar. 
suc.    158  strenyt.    162  qwher.    160.  167  qwho.    171  qwher.    172  qhweii.  life. 


The  riule  of  Life.  39 

ful  evil  schuld  he  spede, 
to  me  |)at  worth  [a]  strive. 

45.  I  schal  lyve  ever  mo, 

iTü    and  croune  ber  as  kinge; 
i  ne  may  never  wit  of  wo. 
i  lyve  at  ray  likinge. 

Regina. 

46.  Sire,  {)ou  .sai.<t,  as  Jje  liste; 
I8t>    J)ou  livist  at  pi  wille. 

Bot  somthing  pou  [havest]  miste, 
and  per-for  hold  pe  stille! 

47.  Thinke,  |)ou  haddist  beginninge, 
18-1    when  |)ou  were  i-bore; 

and  bot  pou  make  god  endinge, 
I)i  sowie  is  forlore. 

48.  Love  God  and  holy  chirche, 
188    aiid  have  of  him  :rom  eye; 

fonde  bis  werkes  for  to  wirch, 
and  thinke,  {)at  J)ou  schale  deye! 

Rex. 

49.  Douce  dame,  whi  seistou  so? 
192    |)ou  spekis;!  nojt  as  J)e  sleye. 

I  schal  lyve  ever  mo, 
for  bo{)e  two  J)in  eye. 

50.  Woldistou  pat  i  were  dede, 
196    J)at  J)ou  mijt  have  a  newe? 

Höre,  {)e  devil  gird  of  I)i  hede, 
bot  |)at  worde  schal  |)e  rewe! 

Regina. 

51.  Dede,  sire?    Nay,  God  wote  my  wil: 
■jCKi    {)at  ne  kepte  i  nojte; 

hit  wolde  like  me  ful  ille, 
were  hit  J)are-to  bro-^te! 

52.  (Sir,  al-){)e/gh  J)uu  be  kinge, 
204    nede  schaltjuj  have  ende; 

deth  over-comith  ixlle  thinge, 
hou-so-ever  we  wende. 


184  qwheu.     IPl  qwhi.     203  Jjogh.     2U5  oure. 


40  The  Pride  of  Life. 


Rex. 


53.  Je,  dame,  |)ou  liast  wordis  fale, 
208    hit  comith  {)e  of  kinde: 

pis  nis  bot  [a]  woman[is]  tale, 
and  J)at  i  wol  |)e  finde. 

54.  I  ne  schal  never  deye, 
212    for  ich  am  king  of  life; 

deth  is  undir  myne  eye, 
and  J)er-for  leve  J)i  strife! 

55.  |)ou  dost  bot  make  myn  herte  sore, 
21«    for  hit  nel  nojt  helpe; 

i  prey  |)e,  spek  of  him  no  more! 
vvhat  woltu  of  him  jelpe? 

Regina. 

56.  Jilpe,  sire?  ney,  so  mot  i  the: 
220    i  sigge  hit  nojt  ther-fore; 

bot  kinde  techid  bo|)e  J)e  and  me, 
first  when  we  were  bore, 

57.  for  dowte  of  dethis  maistri 
224    to  wepe  and  make  sorowe; 

holy  writ  and  prophecye 
{)er-of  i  take  to  borowe. 

58.  per-for  while  je  have  uii;^te 
228    and  [al]  {)e  worlde  at  wille, 

i  rede,  je  serve  God  almijte 
boJ)e  loude  and  stille. 

59.  J)is  World  is  bot  fantasye, 
232    and  ful  of  trechurye; 

gode  sire,  for  joure  curteysye, 
take  |)is  for  no  folye! 

60.  For  God  [wotj  vvel  {)e  so{)e, 
23*.    i  ne  ?>igge  hit  for  no  fabil: 

deth  wol  smyte  [also]  to  {)e; 
in  feith,  loke  |)ou  be  stabil! 

Rex. 

61.  AVhat  prechistou  of  dethis  mijt 
240    and  of  his  niai.strye? 


200  women.     218  qwhat.  weite.     220  qwher.     221  techit.     222  qwheu. 
227  qvvhile.     236  sey.     289  qwhat. 


The  Pride  of  Lifo.  41 

he  ne  durst  onis  with  me  fijt, 
for  bis  bope  ye. 

«52.    Streinth  and  Hele,  what  Btgge  je, 
211    my  kiiide,  korin  knijtes? 

Schal  deth  be  lo^•e^d  over  me, 

and  reve  me  of  mijtes? 

L  miles. 

6B.    Mi  lord,  so  brouke  i  my  bronde, 
•Jis    God  {)at  may  for-bede, 

|5at  deth  scholdc  do  {)e  [anyj  wronge, 

while  ich  am  in  |)i  f)ede! 

Ü4.     l  wul  with-stonde  him  with  strife, 
252    and  make  his  sidis  blede, 

and  tel  him,  |)at  |)ou  art  king  of  life 

and  lorde  of  londe  and  lede. 

IL  miles. 

65.  May  ich  him  [bot]  onis  mete 
250    with  |)is  longe  launce, 

in  felde  o{)er  in  [[)e]  strete: 
i  wol  him  jive  mischaunce. 

Rex. 

66.  <le,  f)es  heth  knijtes  of  curteisye, 
260    and  doghti  men  of  dede ; 

of  dethc  ne  of  his  maistrie 
ne  have  i  no  drede. 

67.  Wher  is  Mirth,  my  messager, 
■2M    swifte  so  lefe  on  lynde? 

he  is  a  nobil  bachelere, 
J)at  rennij)  bi  |)e  wynde. 

68.  Mirth  and  sola-s  he  can  make 
268    and  ren?/c  so  {)e  ro, 

\ii;ilych  lepe  over  J)e  lake, 
hwer-60-ever  he  go. 

6i>.    Com  and  here  my  talente 
272    anone,  and  hy  {)e  blyve, 

wher  any  man,  as  {)ou  hast  wente, 

dorst  with  me  to  strive? 


242  eye.     2'l."   qwh;it.   sey.     2A4  kornin.     248  me.     250   qwhile.  jede, 
2ü3  qwher.     2öG  reuuis.    269  oure.     270.  273  qwher. 


42  The  Pride  of  Life. 

Nunciuö. 

70.    King  of  lif  and  lord  of  londe, 
276    as  J)ou  sittis^  on  {)i  se 

and  floresschist  with  |)i  brijt  bronde: 

to  |)e  i  sit  on  kne. 

71.  Ich  am  Mirth,  [as]  wel  J)ou  wost, 
28(1    J)i  mery  messagere; 

{)at  wostou  wel,  with-oute  bost, 
J)er  nas  never  my  pere, 

72.  dojtelycfe  to  done  a  dede, 
284    {)at  je  have^/i  for  to  done; 

hen  to  Berewik  o-pon  Twede, 
and  com  o-jein  ful  sone. 

7B.    Per  is  no  thing  |)e  i-liehe 

288    in  al  |)is  worlde  wide, 

of  gold  and  silver  and  robis  riebe 
and  hei  hors  on  to  ryde. 

74.  Ich  have  ben  boJ)e  fer  and  nere 
292    in  bataile  and  in  strife, 

ocke  per  was  never  [non]  {)y  pere, 
for  |)ou  art  king  of  life." 

Rex. 

75.  Aha,  Solas,  now  J)ou  seist  so, 
2%    {)ou  miriest  me  in  my  mode; 

|)ou  schalii;,  boy,  or  {)ou  hennis  go, 
be  avaunsyd,  bi  |)e  rode! 

76.  {)ou  schak  have  for  J)i  gode  wil 
3(K)    to  I)in  avauncemente 

J)e  castel  of  Gailispire  on  {)e  hil 
and  the  erldom  of  Kente. 

77.  Draw  J)e  cord  [anon],  sire  Streynth, 
301    rest  i  wol  now  take ; 

on  erth,  in  brede  ne  [in]  leynth, 
ne  was  nere  jet  my  make. 

Et  tunc,  clauso  tentorio,  dicat  regina  secrete  nuncio: 

Regina. 

78.  Messager,  i  pray  J)e  nowe, 
308    for  |)i  curteysye, 


277  florresöchist.    291  ar.     307   Überschr.  dicet. 


The  Pride  of  Life.  43 

go  to  J)e  bi^schop,  for  J)i  piowe, 
and  byd  liira  hydir  to  hye! 

79.  Bid  him  be-ware  [wel]  be-fore, 
:uj    sey  him,  {)at  lie  most  preche; 

my  lord,  {)e  king,  [he]  is  ney  lore, 
bot  he  wol  be  his  leche. 

80.  Sey  him,  |)at  he  wol  leve  nojt, 
3itj    |)at  ever  he  schal  deye; 

he  is  in  siehe  errour  brojte, 
of  God  stant  him  uon  eye. 

Nuncius. 

81.  Ma  dam,  i  make  no  tariyng 
:sn    with  softe  wordis  mo; 

for  ich  am  Solas,  i  most  singe 

over  al  wher[-so]  i  go.  Et  cantat. 

82.  Sire  bisschop,  {)ou  sittist  on  |)i  se 
824    with  J)i  mitir  on  |)i  hevede; 

my  lady,  J)e  qwen,  preyith  J)e: 
hit  schold  nojt  be  bi-levyd. 


[Bischop.] 

83.  {)e  World  is  nou,  so  wo-lo-wo, 
328    in  fi'iche  bale  i-bound^^ 

J)at  dred  of  God  is  al  ago 
and  treiit/i  is  go  to  grounde. 

84.  Med  is  mad  a  deraisman, 
332    streynt/i  heüth  pe  law; 

jogyl  is  mad  a  c/tepman, 
and  truyth  is  don  of  daw. 

85.  Wyt  is  nou  al  trecÄerie, 
33ii    o|)is  fals  and  gret; 

play  is  nou  [al]  yi\ein\e, 
and  corteysie  is  let. 

86.  Love  is  nou  al  lec/mrie;, 
340    CV^ildrin  heth  onlerid; 

halliday  is  glotunic, 
{)es  lawis  heth  irerid. 

318   stont.     31;1  tarying.      322  qwher.      328   siic.      3,32   streyint.    lau. 
333  gocyl.     334  dau.     337  uileni.     340  lerit.     342  }jis  lau  is  bot  irerit. 


ii  The  Pride  of  Life. 

87.  Beli  men  heth  blynde 
344    and  lokM  al  amis; 

hey  bicomitÄ  onkynde, 
and  |)at  is  reuth  i-wis. 

88.  Frend  may  no  man  finde 
348    of  fremid  ne  of  sibfee; 

|)e  ded  heth  out  of  rainde^ 
gret  sorw  it  is  to  lihbe. 

89.  {)es  ric/iemen  heth  reu|)eles, 
352    pe  pore  goth  to  grounde^ 

and  f  alse  men  heth  scharaeles : 
J)e  ßoth  ich  have  i-founde. 

90.  Hit  is  wrong  [to]  J)e  riche  knyjt 
356    al,  J)at  ^e  pore  doth: 

fer  pat  is  sene^,  day  and  nijt, 
who  so  wol  sig^;^  soth. 

91.  Paraventur  men  halt  me  a  fol 
360    to  sigge  |)at  sotfee  tale; 

he  iarith  as  fiscMs  in  a  pol: 
|)e  gret  eteit^  {)e  smale. 

92.  Ric/ie  men  sparet/i  for  no{)ing 
364    to  do  J)e  pore  wrong; 

he  pinkit^  not  on  her  ending, 
ne  on  deth,  |)at  is  so  strong. 

9.H.    No|)ir  he  lovitÄ  God,  ne  dreditA^ 
36R    noJ)ir  him  no  his  lawis; 

toward  helZe  fast  him  [spedit/i], 
ayeins  har  ending-dawes. 

94.    Bot  God  of  his  [grete]  godnis 
372    yif  ham  gracß  to  amend, 
into  {)e  delful  derknys 
hc  goth  wyth-outen  end. 

9.5.    |)er  is  dred  and  sorow, 
376    and  wo  wyt/^outin  wel ; 
no  man  may  o{)ir  borow, 
be  per  nevir  so  fei. 


343  slot.  biet,  bleynd.  346  i  uis.  348  fremit.  349  3e.  350  soru.  351 
reiif^y.  352  je.  353  schan.  355  je  ric  kynyit  it  is  wrong.  356  je.  :'.57 
far.  '358  sa.  360  fot.  361  he]  yai.  362  je.  364  je.  worng.  365  hej  yai. 
yingit.  heu.  367  he]  vai.  3li8  lauis.  360  touart.  spedith]  draut.  370 
daus.     372  gras.    373  je.  derkyns.    374  Jje.  hend.    377  bereu. 


The  Pride  of  Life. 

\){j.     \)vr  iK,'  fallit//  HO  ni;i}  iipris, 

380    iie  supersedeas; 

J)ayh  he  be  kyng  or  iustis, 
he  passit/i  not  {)e  pas. 

!>7.    Lord,  {)at  for  his  maiihed 
iiS'i    also  soth  is  God, 

pat  for  love  and  not  for  dred 

deid  oppon  |)e  rod : 

98.    yif  jou  gTüce,  jour  lif  to  led, 
■■m    j)at  be  jour  soulis  to  bot; 
God  of  hevin  for  his  godhed 
leve,  {)at  hit  so  mot!    Amen. 


Tune  dicat  regi : 

99.    Sir  kyng,  pink  oppon  Jiin  ende, 
:^9i'    and  hou  pat  f)ou  schalt  dey, 

whsLt  wey  J)at  |)ou  schalt  wende, 

bot  J)ou  be  bisey! 

100.     Eke  J3at  J)ou  art  lenust  man 
:i9(i    and  haddist  bigynwing, 

and  evirnjor  liave  I)ou  jt  opon 
|)i  dredful/e  ending! 

101.  {jou  schalt  |)inke  {)anne 
41  Kl    and  make  {je  evir  yare, 

pat  deih  is  not  \ie  man 
for  no  |)ing  {)e  wol  spare. 

102.  J)ou  schalt  do  dedis  of  [ri.-^te] 
■jdi    and  lerne  Cristis  lore, 

and  lib^e  in  lievin-lijte, 
to  savy  {)i  soul  fro  sore. 

Rex. 

lOiJ.     W/ial,  biss/^op,  bissAop  babler, 
•KW    schold  ych  of  deth  have  dred  ? 
J)ou  art  bot  a  gabier: 
go  hom  ])i  wey,  i  red ! 

104.     Whai,  com  {jou  J)erfor  hidir, 
41.'    w'iUi  de{)  me  to  afere? 


.^80  sideas.  381  {javt  ]pe.  382  he]  je.  |).e j  .le.  381  &  also  for  his. 
380  deit.  :^e.  :->87  ou  gras,  jour]  or.  391  ITberschr.  dicet.  Schir.  [jing-. 
393  uey.  i>li9  j)ing.  loVi  niac.  :sQ.  [)yar.  401  jC.  402  ,T;e  uil.  103  scholt. 
rijte]  charite.     404  leriul.     40!»  chagler.     412  wet.  de{)t. 


46  The  Pride  of  Life. 

J)at  |)ou  and  he  hoth  togidir 
into  J)e  se  iroM;d  were! 

105.  Go  hora,  God  yif  {)e  sorow! 
410    |)ou  wreist  rae  in  mi  mod. 

w/iar  woltou  prec/ie  tomorow? 
|)ou  nost  w/ier,  bi  J»e  rod! 

106.  Troust  |)ou,  i  wold  be  ded 
420    in  my  jynge  live? 

J)ou  liest,  sc/irew,  bolhed : 
evil  mot  {)ou  ihrivel 

107.  W/iat  schold  i  do  at  ehWche,  w/«at? 
424    Sir  bis/iop,  wostou  er? 

Nay,  chirc/?-e  nis  no  wylrf  cat, 
hit  wol  abide  {)er. 

108.  Ich  wol  let  care  [wend]  away 
428    and  go  on  mi  plesing: 

to  hontyng  and  to  o^ir  play, 
for  al  {)i  long  prechyng. 

109.  Ich  am  jyng,  as  f  ou  mijt  se, 
432    and  have  no  ned  to  care. 

J)e  wÄyle  {)e  quen  and  (my  me)ine 
aboute  me  heth  yare. 

EpiBcopus. 

110.  Thynk,  sir  kyng,  on  o|)ir  trist, 
43Ö    {)at  thjng  [[)ou]  missest  sone: 

|)e^7i  {)ou  leve  nou,  as  J)e  list, 
deth  wol  come  rijt  sone, 

111.  and  jive  J)e  dethis  wounde 
440    [al]  for  {)in  outrage; 

with-in  a  litil  stounde 
J)en  artou  but  a  page. 

112.  When  {)ou  art  graven  on  grene, 
444    J3i  mede  is  fylt/i  on  molde; 

|)en  helpith  litil,  i  wene, 
J)i  gaye  croun  of  golde. 

418  l)it.  wer  bot.  414  je.  irot.  uer.  415  je.  410  und  416  sitid  xtveimal 
geschrieben:  am  Ende  undxu  Anfmig  einer  Spalte.  417  morou.  418  uer.  je. 
419  woUl]  noid.  420  {)vng  lif.  421  lisst.  screu.  422  triwe.  423  cluirg. 
424  scliir.  425  churc.  wvl  cot.  427  wool.  428  petying.  431  I)yng.  432 
char.  433  wyld.  je.  43o  schir.  oue.  437  pot.  je.  438  cum.  413  qwhen. 
444  Jj'  mete  is  ffeyt  &  moide. 


The  Pride  of  Life.  47 

IIIJ,    Sire  kyng,  have  gode  day! 
448    Crist  i  30U  be-teche. 

Rex. 

Fare  wel,  bisschop,  \n  way, 

and  lerne  bet  to  preche!         hie  adde: 

114.  Nou,  ma  fay,  hit  schal  be  sene, 
4öJ    i  trowe,  jit  to-daye: 

wher  deth  nie  durste  tene 
and  mete  in  {)e  waye. 

115.  Wher  artou,  my  messagere, 
,  456    Solas  bi  J)i  name? 

Loke,  J)at  J)ou  go  fer  and  nere, 
as  J)ou  wolt  have  no  blame, 

116.  My  banwis  for  to  crye, 
460    by  dayis  and  bi  nijte; 

and  loke,  |)at  J)ou  aspye, 
je,  bi  al  {)i  mijte, 

117.  Of  deth  and  of  his  maistrye, 
4tj4    wlier  lie  durst  com  in  sijte, 

o-jeynis  nie  and  my  meyne 
with  force  and  armis  to  fijte. 

118.  Loke,  J)at  J)ou  go  both  est  and  west, 
468    and  com  o-jeyne  on-one! 

Nuncius. 

Lorde,  to  wende  ich  am  prest: 

lo,  now  ich  am  gone.  et  eat  pla 

119.  Pes!   and  listenith  to  my  sawe, 
47J    bo])e  jonge  and  olde; 

as  je  wol  nojt  ben  a-slawe, 
be  je  never  so  bolde! 

120.  Ich  am  a  messager,  i-sente 
47c    from  |je  king  of  life: 

pat  je  schul  fulfil  his  (tal)ente, 
on  peyne  of  lym  and  life, 

121.    His  bestes  to  hold  and  his  lawe, 
4w    eche  a  man  011  honde, 

lest  je  be  henget/  and  to-draw, 
nr  käst  in  harde  bonde. 


147  siodav.     ir.l  inai.    ^:ü^.  45."..  404  (iwIkt.    477  schul.    480  uche. 


s 


48  The  Pride  of  Life. 

122.    .le  vvitiii  wel,  I)at  he  is  king 
484    and  lord  of  alle  londis, 

kepere  and  maister  of  al  thing, 
within  se  and  sondis. 

12.'J.    Ich  am  sente  for  to  enquer 
488    o-boute  ferre  and  nere, 

,"^if  any  man  dar  werre  a-rere 
ajein  siehe  a  bachelere? 

124.    To  wroper  hele  he  was  i-bore, 
492    J)at  wolde  with  him  stryve; 
be  him  sikir:  he  is  lore, 
as  here  in  J)i.s  lyve. 

12.5.    pegh  hit  wer  J)e  king  of  deth, 
496    and  he  so  hardy  were, 

bot  he  ne  haveth  mijt  ne  meth, 
Jje  king  of  lif  to  a-ffere. 

126.    Be  he  so  hardy  or  so  wode 
öiKi    in  his  londe  to  a-ryve, 
he  wol  se  his  herte-blode, 
and  he  with  him  stryve. 


483  within.    49(1  suche. 

III.   Anmerkungen. 

Str.  2,  V.  5.  Die  Besserung  von  lordinge  in  lordinges  halte  ich 
für  absolut  notwendig.  —  V.  7  ergänzt  B(randl)  zu  (a  7nens)ke  gam, 
das  er  S.  3  durch  'ein  Spiel  vom  Menschen',  S.  XVI  Anm.  dagegen 
'ein  würdiges  Spiel'  übersetzt.  Beides  ist  unmöglich,  denn  me.  menske 
(—  aisl.  mennska)  ist  ein  Subst.  und  bedeutet  nach  Stratm.-Bradley 
'dignity,  honour',  nach  Mätzner  'Freundlichkeit,  Güte,  Gnade;  Ehr- 
erbietung, -bietigkeit;  Ehre,  ehrenhaftes  Benehmen,  Anstand,  Würde, 
Ansehen,  Hochschätzung,  Verehrung,  Ehre,  Ehrenbezeugung;  Ehre, 
Zierde;  Zierat,  Schmuck'.  Substantivcomposita  mit  menske  sind  mir 
nicht  bekannt.  Meine  obige  Ergänzung  stützt  sich  auf  die  An- 
nahme, dafs  k  für  r  verlesen  ist  (vgl.  V.  16  und  111). 

.%  11.  Ich  habe  hier  und  in  V.  120,  126,  477  den  in  V.  13 
und  98  erhaltenen  Pluralvokal  u  eingesetzt. 


The  Pride  of  Life.  49 

4,  IG.  Die  Ergänzung  von  mir  nach  V.  111.  B. :  'wie  unser 
Spiel'. 

5,  18  f.  habe  ich  etwas  anders  ergänzt  als  B.  Natürlich  ist  die 
Ausfüllung  der  Lücke  blofs  eine  Vermutung.    Zu  V.  20  vgl.  123. 

6,  2 1 .  B.  ergänzt  in  der  Übersetzung :  'er  ist';  der  Vers  verlangt 
aber  vier  Hebungen.  —  22.  B.  ergänzt  'von'  in  der  Übersetzung. 

10,  40.  Die  Ergänzung  B.s:  '[nur]  Rechtlichkeit  kann  er  nicht 
entbehren'  scheint  mir  gar  nicht  in  den  Zusammenhang  zu  passen. 
Wenn  ...ryt..  zu  mrijth  =  mijrth  ergänzt  werden  darf,  wofür  auch 
die  Allitteration  spricht,  ist  vielleicht  meine  Herstellung  des  Verses 
annehmbar. 

11,  41  f.  B.  ergänzt:  'da  ist  die'  und  'die  edelste'.  Ich  nehme 
sari  to  =  for  to,  nicht  mit  B.  als  fortli  to ;  desgleichen  V.  43  fort, 
wo  je  (wie  öfters)  für  he  steht  und  sich  auf  den  König  bezieht. 
Wäre  es,  wie  B.  will,  von  den  Zuschauern  zu  verstehen,  so  würde 
man  doch  motve  je  statt  may  je  erwarten,  glad  V.  43  habe  ich  nach 
B.s  'froh'  eingesetzt. 

12,  47.  Den  Anfang  liest  Mills :  tun  mit,  Skeat:  tuinnit,  woraus 
B.  twin  with  'zwillingsgleich  mit'  macht.  Dieser  Ausdruck  ist  doch 
zu  seltsam,  um  wahrscheinlich  zu  sein.  Ich  fasse  t  als  Abkürzungs- 
zeichen =  &  und  erkläre  unmit  oder  uinnit  als  münit(h),  von  ae. 
mynnan,  mynian  'erinnern,  ermahnen'.  Südengl.  ü  ==.  ae.  y  steht  ja 
auch  sonst  in  unserem  Denkmal,  vgl.  V.  37,  38  (miccil),  35,  148, 
328  (suc). 

13,  49.  Statt  bid  setze  ich  bit  wie  V.  52  =  ae.  bitt  aus  bidß. 
Im  übrigen  stimme  ich  in  der  Auffassung  der  Stelle  mit  M(anly) 
überein,  der  bewar  als  Inf.  und  je  =  he  nimmt. 

16,  63,    Jet  pafst  doch  offenbar  besser  als  sei  (sith). 

19,  73.  Ich  stelle  um:  hom  is,  um  vier  Hebungen  herzustellen.  — 
74.  Sterne  ist  von  mir  ergänzt  nach  V.  87.  —  75  ff.  sind  von  B. 
schwerlich  richtig  ergänzt,  wie  schon  M.  hervorgehoben  hat :  der  König 
des  Lebens  schickt  ja  nach  V.  457  ff.  einen  Boten  in  das  Land  des 
Königs  des  Todes,  um  diesen  zum  Kampf  herauszufordern.  Ent- 
sprechend ist  mein  Ausfüllungsversuch  gemacht. 

20,  77  erg.  B.  'er',  78:  'dafs'.  78  bedeutet:  'dafs  er  (der  König 
des  Lebens)  alles  richten  und  ordnen  (regeln)  kann',  vgl.  Mätzner, 
Wtb.  I,  579,  6.  B.s  Übersetzung  der  Stelle  hat  schon  M.  mit  Recht 
beanstandet.   —  V.  79   ist  ebenfalls   von   B.  mifsverstanden  worden 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CVIII.  4 


no  The  Pride  of  Life. 

wie  M.  bemerkt:  das  vor  wold  zu  ergänzende  lie  oder  ^e  king  bezieht 
sich  auf  den  König  des  Lebens,  his  ouin  auf  den  des  Todes; 
Mm  V.  80  wieder  auf  letzteren,  his  ib.  auf  ersteren. 

21,  81  ff.  Die  Überlieferung  kann  unmöglich  richtig  sein,  denn 
warum  sollte  der  König  des  Todes  schreckliche  Träume  haben? 
Das  müfste  man  doch  eher  vom  König  des  Lebens  annehmen,  dem 
dadurch  seine  Zukunft  offenbart  Avird.  '  Ich  möchte  daher  V.  81 
nach  comith  ein  Komma  setzen  und  statt  &  etwa  he  oder  lif  schrei- 
ben; das  c&  von  V.  83  dagegen  bezieht  sich  wieder  auf  dep  und 
knüpft  an  comith  an. 

22,  87.  ginnet]/  und  strivith  fasse  ich  als  Plur.,  während  B.  in 
der  Übersetzung  'Tod'  einschiebt,  also  Sgl.  annimmt.  — ■  88.  Die  Er- 
gänzung von  pe  scheint  mir  notwendig;  to  wrake  ist  nicht  Inf.  ('zu 
verderben'  B.),  sondern  adverbiell  zu  fassen :  'zum  Verderben';  pe  king 
ist  also  Dativ. 

23,  89  übersetzt  B. :  'er  treibt  ihn  mit  sich  in  die  Tiefe',  wofür 
in  Hinblick  auf  V.  93  und  120  vielmehr  'er  stürzt  mit  ihm  zu  Boden 
herab'  zu  setzen  ist,  wenn  nicht  etwa  knijtis  im  folgenden  Verse 
uno  y.oii'ov  Objekt  zu  drivith  und  dredith  zugleich  ist.  He  habe  ich 
ergänzt.  —  93.  Kann  wounde  eine  alte  Pluralform  sein  (B.  'Wunden')? 
Es  ist  doch  wohl  a  vor  depe  einzufügen. 

25,  97  ff.  können  unmöglich  in  Ordnung  sein,  da  sich  scho  V.  98 
doch  nicht  auf  oure  lady  beziehen  läfst.  Und  dafs  priere  of  oure  lady 
ein  'Gebet  zu  unsrer  lieben  Frau'  bedeuten  könne,  wie  B.  übersetzt, 
glaube  ich  nicht.  Das  einzige  Mittel,  einen  vernünftigen  Sinn  her- 
zustellen, scheint  mir,  die  Verse  98  und  100  zu  vertauschen,  wie  ich 
es  im  kritischen  Texte  gethan  habe.  Godenisse  ist  natürlich  all  das 
Gute,  was  die  Seele  auf  Erden  gethan  hat. 

26,  103.  Ich  ergänze  forp  vor  with  (Skeat  glaubte  w'  zu  er- 
kennen). —  104  ergänzt  B.  in  der  Übersetzung:  'gepeinigt  werden', 
was  aber  nicht  pafst,  da  ja  jetzt  die  Seele  erst  vor  Gottes  Gerichte 
steht.  Tremble  braucht  nicht  gerade  das  fehlende  Wort  zu  sein,  giebt 
aber  einen  genügenden  Sinn  und  allitteriert.  —  }iani  tweye:  zwischen 
Maria  und  der  Seele? 


'  Vgl.  über  die  Träume:  R.  Mentz,  Die  Träume  in  den  afi'z.  Karls- 
und Artus-Epen.  Marburg  1888  (Stengels  Ausg.  u.  Abhandl.  LXXIII); 
VV.  Heiizen,  Über  die  Träume  in  der  altnord.  Saga-Litterat ur,  Leipzig 
1890  (Dissert.). 


The  Pride  ot  Life.  51 

29.  IIG.  M.  bemerkt  richtig,  d.afs  ju  nicht  Nom.  sein  könne, 
wie  es  B.  auffafst.  Ich  ergänze  keine  Negation  zu  Anfang  des  Verses, 
wie  B.  thut,  sondern  den  Inf.  sem(e)  'passen,  gefallen',  wodurch  auch 
die  Allitteration,  wie  in  den  vorliergehenden  Versen,  hergestellt  wird. 
Das  letzte  Wort,  i-ioorne,  nimmt  B.  in  der  Bedeutung  'widerstreiten', 
leitet  es  also  offenbar  von  ae.  wiernan,  wyrnan  ab,  das  Sweet  im 
Stud.  Dict  jedoch  mit  'prevent  from;  withhold,  refuse'  übersetzt. 
Allitteration,  Reim  und  Sinn  verlangen  aber  isivorne  'Geschworene^ 
Verschworene',  das  sonst  mit  brotJier,  enemy  und  friend  verbunden 
erscheint  (vgl.  Ishwerne  in  der  Conquest  of  Ireland,  citiert  von  Brandl 
S.  XI  unten).  Wir  erhalten  damit,  wie  in  den  ersten  drei  Versen  der 
Strophe,  vierfache  Allitteration,  was  entscheidend  sein  dürfte. 

^'ü,  130.  Chong  bedeutet  nicht  'Abschied  aehmen'  (B.),  sondern 
'change'  (M.). 

34,  132.  Grou  'erwachsen',  wie  B.  es  auffafst,  giebt  keinen 
guten  Sinn;  ich  lese  dafür  greu  =  greve,  ne.  grieve  'Sorge  bereiten', 
weshalb  das  Reimwort  heliou  (nach  B.  'Gedanke',  woran  M.  mit  Recht 
Anstofs  nimmt)  in  beheve  =  ae.  beliefe  'suitable,  necessary'  zu  än- 
dern ist,  das  im  Me.  auch  als  Subst.  'profit'  erscheint. 

3.5.  136.  M.  hat  das  überlieferte  det  riß  (nach  B. :  'zerreifst  den 
Tod')  scharfsinnig  und  überzeugend  in  derrist  gebessert;  ich  ergänze 
davor,  um  den  Vers  herzustellen,  dojti  and  (vgl.  V.  260).  —  137. 
lok  y  der  Hs.  übersetzt  B.  'ich  erwarte',  wobei  aber  die  Wortstellung 
auffällt.  K.  will  lok  ye  'sehet  zu'  lesen.  Ursprünglich  stand  wohl 
lok'  p'  (letzteres  M.)  =  lokith  pat  da,  und  das  Komma,  das  B.  hinter 
y  setzt,  ist  zu  tilgen.  —  138  kann  sjjed  nicht  mit  B.  als  Imp.  PI. 
gefafst  werden,  denn  der  müfste  spedith  lauten ;  es  ist  vielmehr  der 
von  let  (Konj.  PI.)  abhängige  Infinitiv,  vor  dem  ich  noch  to  ergänze. 
Das  Semikolon  nach  let  ist  zu  streichen.  Die  beiden  Verse  bedeuten 
also:  'Seht  zu,  dafs  ihr  auf  keinen  Fall  (um  nichts)  es  unterlafst, 
hurtig  zu  mir  zu  eilen !' 

36,  140.  Ist  brijt  etwa  eine  Wiederholung  aus  V.  139?  Ich 
bin  geneigt,  der  Allitteration  wegen  schire  statt  brijt  einzusetzen. 
Letzteres  wäre  übrigens  besser  mit  'glänzend'  als  mit  'hell'  (B.)  zu 
übersetzen  gewesen. 

37,  146.  B.  faCst  iconschildis  als  Compositum  imPlur.:  'Schützer 
vor  Leid',  wozu  er  bemerkt:  'nicht  zu  ae.  wynn  (Wonne,  vgl.  Mills 
S.  186),  sondern   zu  altn.  watia  (Unglück)'.    Nun  ist  zunächst  ivana 

4* 


r,2  The  Pride  of  Life. 

nicht  altn.,  sondern  altengl.,  zweitens  bedeutet  es  nicht  'Unglück', 
sondern  'want,  deficiency'  (Sweet,  Stud.  Dict.),  daher  ne.  wane  'Ab- 
nahme, Neige,  Verfall'.  Wonschüdis  ist  ein  sprachliches  Monstrum 
und  in  won  of  schildis  'eine  Menge  von  Schilden'  (me.  wöne  =  aisl. 
vän)  zu  bessern. 

39,  1 53.  Derling  bedeutet  nicht  'Liebhaber'  (B.),  sondern  'Liebling'. 

44,  174  mufs  striue  Dativ  sein,  da  es  auf  (of)  life  reimt,  folg- 
lich kann  das  davor  stehende  wo^ih  auch  nicht  mit  B.  =  worktli 
verstanden  werden.  Worth  ist  'wird',  die  3.  Pers.  Sgl.  Ind.  Präs.  von 
ivorthen  'werden',  und  dahinter  ist  die  Präposition  a,  on  zu  ergänzen, 
vgl.  as.  ivurdun  an  geivinne  'kamen  in  Streit'  Hei.  3928,  pat  he  on 
fylle  weard  'dafs  er  zu  Falle  kam'  Beow.  1545  und  die  Beispiele,  die 
Wülfing,  Syntax  Alfreds  II,  S.  488  ff.  (§  801)  für  weoräan  on  -\-  Dat. 
'in  etwas  kommen,  geraten'  aus  der  Prosa  beibringt;  ferner  Bosworth- 
Toller,  Anglo-Sax.  Dict.  IV,  r201a  unter  III.  —  Aus  me.  Zeit  kann 
ich  nur  beibringen:  his  meister  iwearct  eft  a  slepe  Ancr.  R.  p.  236 
(bei  Mätzner,  Wtb.  II,  375,  6)  und  pis  maide  werp  a  sie])  Early  Engl. 
Poems  and  Lives  of  Saints  ed.  Furnivall,  XXI,  38  (bei  Stratm.-Bradley 
unter  wurden),  wo  ae.  tveard  on  slcepe  genau  entspricht. 

46,  181.  B.  fafst  miste  als  2.  Pers.  Sgl.  Ind.  Präs.:  'übersiehst 
du',  während  ich  es,  mit  Ergänzung  von  havest,  als  Part.  Prt.  nehme. 
Dadurch  wird  auch  der  Vers  gebessert. 

.51,  200.  Was  bedeutet  kepte  hier?  B.s  'erwartete'  scheint  mir 
geraten  und  pafst  schlecht.  Eine  sichere  Erklärung  vermag  ich 
jedoch  auch  nicht  zu  geben.   [Vgl.  jetzt  N.  E.  D.  sub  keep,  II,  9,  c.J 

52,  203.    Sir,  al  von  mir  ergänzt,  desgl.  schaU[u\  V.  204. 

53,  209.    Ich  ergänze:  [a]  woman\is\  vgl.  V.  62. 

54,  213.  Undir  myne  eye:  'unter  meiner  Furcht'  übersetzt  B. ; 
besser  'Gewalt',  vgl.  Mätzner  unter  eje  2  (Wtb.  I,  16)  und  Murray 
unter  awe  II,  5,  wo  Jul.  Cses.  II,  1,  52  citiert  wird:  sliall  Rome  stand 
under  one  man's  awe  ? 

58,  228.    al  ist  von  mir  metri  causa  eingesetzt. 

60,  235.  B.  übersetzt:  'Gott  will  das  Wahre'.  Vers  und  Sinn 
verlangen  jedoch  die  Ergänzung  von  wot  'weifs'.  —  237  halte  ich 
auch  meine  Ergänzung  also  für  nötig:  'auch  nach  dir  wird  der 
Tod  schlagen'.  Dadurch  wird  zugleich  der  Vers  gebessert.  —  238 
setze  ich  Komma  nach  in  feith,  das  ich  als  Interjektion  oder  Be- 
teuerung fasse:   'wahrlich,  meiner  Treu'.    B.s  Übersetzung:  'Sieh  zu. 


Thp  Pri.le  of  Life.  53 

dafp  du  fe~t  l»ist  im  Glauben'  scheint  mir  unpassend,  da  der  König 
keine  Glaubenszweifel  ausgesprochen  hat. 

62,  245.    Die  ältere  Form  loverd  bessert  den  Vers. 

63,  248.  Für  me  'mir'  setze  ich  may  'möge',  da  jenes  durchaus 
keinen  Sinn  giebt.  —  249.  any  von  mir  ergänzt. 

65,  255.  Bot  'nur'  von  mir  ergänzt,  desgl.  pe  V,  257.  —  258 
mufs  es  in  B.s  Übersetzung  natürlich  'will  ich'  statt  'ich  will'  heifsen, 
da  dies  der  Nachsatz  ist. 

66,  259.  Diese  Interpunktion  und  Erklärung  ('Ja,  dies  sind 
Ritter  ...')  haben  K.  und  M.  richtig  vorgeschlagen.  B.  übersetzt:  'ihr 
Diener  seid  Ritter'. 

68,  269.  Carpenter  bemerkt  richtig  (Mod.  Lang.  Notes  XIV, 
270),  dafs  diese  Stelle  nicht  mit  B.  (Einleitung  S.  XX)  auf  einen 
den  Spielplatz  schützenden  Graben  bezogen  werden  darf.  Der  Aus- 
druck ist  offenbar  durch  den  Reim  und  das  Allitterationsbedürfnis 
hervorgerufen  und  ganz  allgemein  zu  nehmen. 

70,  277.  Floresschist  übersetzt  B.  'gedeihst',  ich  nehme  es  in 
der  seit  Wyclif  auftretenden  Bedeutung  'schwingst'.  Die  einzige  an- 
dere Stelle,  wo  das  Verbum  intransitiv  init  with  verbunden  erscheint, 
ist  nach  Murray  in  Tit.  Andron.  I,  1,  312:  To  him  that  flourisht  for 
her  with  his  sivwd.  Der  König  des  Lebens  sitzt  also  renommistisch 
um  sich  fuchtelnd  auf  dem  Throne I  —  278.  Diesen  Vers  hat  B. 
falsch  übersetzt:  'Dir  setze  ich  mich  an  die  Knie'.  Die  bekannte  me. 
Phrase  bedeutet  aber:  'vor  dir  knie  ich  nieder',  wie  schon  K.  bemerkt. 

71,  279.    as  von  mir  metri  causa  eingefügt. 

74,  293.  Ich  ergänze  non.  Ok  kommt  nach  Björkman,  Scandin. 
Loanwords  S.  72,  nur  im  Ostmittelländischen  vor;  ist  vielleicht  nach 
V.  395  eke  dafür  zu  setzen? 

76,  301.  B.  denkt  bei  Gaüispire  an  GaUeyhill  in  Bedfordshire; 
ich  möchte  an  Aylesbury  in  Buckinghamshire  erinnern. 

77,  303  ergänze  ich  anon,  305  in,  beide  des  Verses  wegen. 

79,  311.  Be  wäre  kann  schwerlicli  'sich  vorzubereiten'  bedeuten; 
'sich  hüten,  sich  in  acht  nehmen'  pafst  ja  liier  ganz  gut.  Wel  ist  von 
mir  eingeschoben;  desgl.  he  V.  313. 

81,  322.    so  von  mir  eingeschoben. 

84.  333.  Ich  kann  weder  mit  B.  Miss  Toulmin  Smiths  Än- 
derung von  yocyl  in  gentyl  'treffend'  finden,  noch  mich  mit  M.s 
guxxle  'Schlemmerei'  befreunden.    Ich  sehe  darin  vielmehr  nie.  jogü, 


54  The  Pride  of  Life. 

ne.  juggle  'Betrug'.     Der  Vers  ist  dann  parallel   mit  331,   wie  M. 
verlangt. 

85,  337.  al  von  mir  ergänzt  nach  V.  335,  um  den  Vers  zu  bessern. 

86,  342.  Dieser  Vers  ist  von  B.  völlig  mifsverstanden  worden. 
Ich  lese  mit  Skeat  lauis  'Gesetze'  und  bessere  bot  in  heth  'sind'.  Er 
bedeutet  also:  'diese  Gesetze  (d.  h.  solche  Gesetze)  sind  gegeben'.  Vgl- 
and  ivele  laje  rerde  P.  L.  S.  VIII,  86  bei  Stratm.-Br.  unter  rcBren 
und  and  üvele  lajes  rerde  OEH.  p.  293  bei  Mätzner  Wtb.  unter  laje  s. 
K.  übersetzt:  'dieses  Gesetz  ist  nur  aufgestellt',  was  blofs  halb  richtig  ist. 

87,  343.  Slot  'träge'  (B.)  ist  schwerlich  richtig.  Ich  habe  an 
seil  'gut'  gedacht,  ohne  vollständig  davon  befriedigt  zu  .sein.  —  344 
übersetzt  B. :  'und  sehen  ganz  nach  dem  Unrechten'.  Vielmehr:  'und 
blicken  ganz  verkehrt'. 

90,  355.    to  ist  von  mir  ergänzt. 

94,  371.    grete  ist  auch  von  mir  ergänzt. 

95,  377.  borow  übersetzt  B.  mit  'helfen'.  Genauer  wäre:  'durch 
Bürgschaft  auslösen'  (cf.  Murray). 

96,  381  f.  nimmt  B.  ^e  und  je  als  'ihr',  wältrend  ich  in  beiden 
Formen  Schreibfehler  für  he  'er'  erblicken  möchte. 

97,  383  f.  B.  übersetzt  die  beiden  Verse  der  Überlieferung  ent- 
sprechend: 'der  Herr,  der  für  die  Menschheit  und  auch  für  seinen 
Gott',  was  aber  keinen  Sinn  giebt.  Besonders  der  Ausdruck  'für 
seinen  Gott'  ist  höchst  bedenklich.  Ich  nehme  das  erste  for  in  der 
Bedeutung  'bei,  trotz'  und  ändere  mit  Streichung  von  S  das  zweite 
for  in  sotJi,  was  dann  den  Sinn  ergiebt:  'der  bei  (trotz)  seiner  Mensch- 
heit auch  wahrer  Gott  ist'.  Dadurch  wird  auch  der  Anschlufs  von 
V.  385  natürlicher. 

98,  388.  ßat  kann  sich  auch  auf  gras  im  vorhergehenden  Verse 
beziehen,  ferner  kann  es  auf  den  ganzen  Satz  vorher  gehen:  'was 
euern  Seelen  ...  sein  möge!'    B.  nimmt pat  ...   als  Folgesatz. 

104,  412.  afer  ist  wohl  hier  nicht  'gefährden' (B.),  sondern  'er- 
schrecken'. 

105,  416.  B.  übersetzt  loreist  mit  'ärgerst',  während  es  nach 
Stratm.-Br.  nur  'accuse,  betray'  bedeutet. 

106,  421.  M.  und  K.  erklären  lisst  richtig  als  'lügst',  während 
B.  es  mit  'höre'  übersetzt.  Screu  ist  auch  offenbar  mit  M.  =  ne.  shrew 
zu  setzen,  nicht  mit  B.  =  screw  'Schraube';  bolhed  ist  nach  M.  = 
ne.  buU-head,  nicht  nach  B.  'Bolzenspitze'. 


Tlic  Pride  ..f  Life.  55 

107,  12.').  B.  übersetzt  wijl  cot  mit  'Durcligeher'  {=z  ne.  wilgate), 
woran  M.  mit  Recht  Anstofs  nimmt.  Sein  Vorschlag,  ivild  coot 
'Wasserhuhn'  zu  lesen,  würde  Änderung  des  Reimwortes  ivat  er- 
fordern. Ich  sehe  keinen  zwingenden  Grund  ein,  das  von  B.  ver- 
worfene, aber  doch  nächstliegende  ivijld  cat  zu  verwerfen. 

108,  427.  ^vend  ist  von  mir  eingeschoben.  —  428.  pet  piny,  wie 
B.  das  petiiimi  der  Hs.  auffafst,  ist  nacli  M.  zu  modern,  weshalb  ich 
/ilesiiig  'Vergnügen'  dafür  schreibe. 

109,  433.  B.  übersetzt  das  überlieferte  pe  ivyld,  wohinter  er 
Komma  setzt,  mit  'das  Wild'.  AVie  kann  aber  der  König  sagen,  das 
Wild  etc.  seien  um  ihn  lierum  bereit?  Offenbar  ist  das  d  in  ivjild 
'cxcrescent',  wie  die  Engländer  sagen,  und  j5e  ivyl  =^  pe  white  als 
Konjunktion:   'dieweil,  während,  solange  als'  (vgl.  V.  250)  zu  fassen. 

110,  435.  Ich  verstehe  nicht,  wie  B.  zu  der  Übersetzung  'Zu- 
sammentreffen' für  trist  gekommen  ist.  Es  ist  doch  offenbar  z^z  ne. 
trust  'Trost'.  —  436.  Diesen  Vers  übersetzt  B.:  'an  das  Ding,  das 
bald  verfehlt  ist';  ich,  mit  Ergänzung  von  poti:  'das  Ding  (nämlich 
dein  Vergnügen)  missest  du  bald',  lasse  den  Satz  also  unabhängig  sein. 

111,  440.    al  ist  von  mir  metri  causa  eingesetzt. 

112, 444.  B.s  Übersetzung  der  Überlieferung :  'ist  die  Seele 
Streit  und  Erde'  ist  ebensowenig  ansprechend  wie  die  S.  651  ge- 
gebene Herleitung  von  ffeyt  aus  altn.  feyja  'decay'.  Ich  glaube,  dafs 
eine  tieferliegende  Verderbnis  vorliegt,  und  hoffe  durch  meine  Ände- 
rung wenigstens  einen  guten  Sinn:  'dann  ist  dein  Lohn  Schmutz  in 
der  Erde'  erzielt  zu  haben. 

116,  459,  hannis  sind  keine  'Bannsprüche',  sondern  es  heifst 
'Bekanntmachung,  Gebot'. 

119,  474  übersetzt  B.:  'So  seid  mir  nimmer  so  keck',  während 
es  gewifs  bedeutet:  'mögt  ihr  auch  noch  so  keck  sein'  (M.  fälschlich: 
'nimmer  so  keck'). 

124,  491.  to  ivroper  hele  'zu  schlechtem  Heil'  übersetzt  B.  Besser: 
'zum  Unglück'. 

125,  407.  ineth  übersetzt  B.  mit 'Kraft',  während  Stratm.-Br.  nur 
die  Bedeutungen  'nieasure,  moderation,  modesty'  von  mcede  anführt, 
Mätzner  entsprechend:  'Mäfsigung,  Mäfsigkeit'  (unter  med).  Sweet 
in  seinem  Stud.  Dict.  giebt  dem  ae.  map  auch  die  Bedeutung  'efticacy, 
(human)  power,  capacity',  die  also  hier  zuerst  aucii  im  Me.  belegt 
ist.  —  49.S.   affere  bedeutet  'erschrecken",  nicht  'gefährden'  (B.). 


56  The  Pride  of  Life. 

IV.    Allitteration. 

A.    Doppelallitteration. 

I.  Wiederholung  eines  bedeutenderen  Wortes  in  derselben 
oder  einer  anderen  Form 

a)  innerhalb  desselben  Verses:  What,  bishop,  bishop  babler 
V.  407; 

b)  innerhalb  zweier  aufeinander  folgenden  Verse:  And  byd  hifn 
hydir  io  hye.  Bid  him  beware  etc.  310  f.;  Bringiih  ivyth  jou  brijte 
brondis,  Helmis  brijt  and  schene  139  f.;  Deth  tvol  cum.  rijt  sone, 
And  jive  ße  dethis  wounde  438  f.;  Dojtelych  to  done  a  dede,  pat 
je  haveth  for  to  done  283  f.;  Princes  and  dukes,  he  seith,  him  dre- 
dith:  {He)  dredith  no  deth  for  to  deye  27  f.;  What  tvoltu  of  him 
jeljje?  Jilpe,  sire?  etc.  218  f.;  jp'or  he  couth  mor  ßan  he.  He 
cam  and  prechid  al  pat  fie  coupe  68  f.;  What  helpith  to  yilp  niuchil 
of  his  mi^i,  0>'  host  to  muchil  of  his  blys?  37  f.;  Who  dar  with 
pe  strive?    Strive?  nay,  etc.  166  f.;  Bot  hom  he  bad  him  wend. 

Whan  pe  bishop  hom  is  wend  72  f.; 

c)  innerhalb  zweier  durch  eine  Zeile  getrennten  Verse:  When  pe 
hody  is  doun  ibrojt,  pe  soule  sorow  awakith;  pe  bodyis  pride  is 
dere  ahojt:  pe  soule  pe  fendis  takith.  And  throgh  priere  of  oure  lady 
milde,  pe  soule  and  body  schul  dispyte  93 — 98;  What  schold  i  do 
at  ehurch,  what?  Nay,  church  nis  no  wyld  cat  423  und  425; 
Deth  wol  smyte  to  pe;  What  prechistou  of  dethis  mijt?  237  u.  239; 
When  him,  mijte  help  no  lech.    What  help  par  mijte  he  64  u.  66; 

pe  cor s  pat  nere  knewe  of  care,  schal  {forp)  ivith  of  sorow  and  sore 
eare  101  u.  103;  pis  answer  he  had  ofpe  kyng:  'Je,pis  a  womanis 
iale.'  pe  kyng  hit  ne  toke  not  to  hert,  For  hit  was  a  womanis  spech 
59 — 62;  (he)  wold  come  into  his  owin  lond,  Deth  comith  etc.  79 
u.  81;  ...  lovelich  al  at  likinge,  ...  he  wol  set  his  likinge  29  u.  31; 
Ich  lyve  at  m,y  likinge,  pou  livist  at  pi  iville  178  u.  180;  For  ich 
am  lord  oßr  al  londis,  Lord,  in  trupe  etc.  141  u.  143;  J5a^  rennith 
bi  pe  wynde.  And  renne  so  pe  ro  266  u.  268;  Who  so  wol  siggo 
soth.  To  sigge  pat  sothe  tale  358  u.  360;  As  pou  sittist  on  pi 
se,  To  pe  i  sit  on  kne  276  u.  278;  wel  pou  wost,  pat  wostou 
wel,  etc.  279  u.  281. 

IL  A.  Wörter  desselben  Stammes  sind  durch  Allitte- 
ration gebunden 


The  Pride  of  Life.  57 

a)  in  demselben  Vei's-e :  Jiou  schalt  do  dedis  of  \rijte\  403;  and 
lerne  Cristis  Lore  404;  passith  ...  ße  pas  382;  ßou  sittist  on  pi 
se  276  u.  323;  tristilich  and  ful  tretve  128;  betwene  kam  tweye 
104;  Werkes  for  to  tvireh  189; 

b)  in  zwei  aufeinander  folgenden  Versen:  foi'  no  Jnng  in  lyve; 
Jni  schalt  lyve  ever  tnore  164  f.; 

c)  in  zwei  durch  einen  anderen  Vers  getrennten  Versen :  /  nc 
schal  never  deye,  ...  Deth  is  utidir  myne  eye  211  u.  213;  and  evir- 
mor  have  ßoujt  opon,  ...  pou  schalt  pink  panne  397  u.  399. 

B.  Stabreimende  Bindung  von  Wörtern,  die  in  be- 
grifflichem Verliältnis  zueinander  stehen. 

a)  Konkrete,  innerhalb  derselben  Lebensgebiete  vorkommende 
Begriffe:  of  hlod  d'-  hon  150;  ilesch  <&  iel  19;  king  ...  pat  herist  pe 
croun  155;  croune  her  as  kinge  176;  j6ß  ladt  of  lond  41;  \efe  on  lynde 
264;  lordin ges  S  ladiis  5;  \ord  ofir  al  \ondis  141;  \ord  of  alle  \ondis 
484;  se  &  sondis  486. 

b)  Abstrakte  Begriffe,  die  in  gemeinsamen  Lebenssphären  zu- 
einander in  Beziehung  zu  stehen  pflegen. 

1)  Substantiva:  of  deth  have  dred  408;  dowte  of  dethis  maistrie 
223;  \ove  is  nou  al  lechery  339;  pe  soule  norow  94;  of  stotey  nc  of 
streynth  36;  yfit  of  wo  177. 

2)  Verba:  del  &  dijt  7S;  he  cani  S  prechid  al  pat  he  coupe  69; 
pou  \eve  noiv  as  pe  list  437;  live  as  pe  Ust  145;  \okip  pat  ...  je  \et 
137;  mag  ich  him  hut  onis  mete  255. 

c)  Abstracta  und  Concreta:  God  of  his  godnis  371;  God ... 
for  his  godhed  389;  knijtis  of  curteysge  259;  \im  d-  life  47^;  pi 
mede  ...  on  molde  444;  Mirth,  my  messager  263;  of ...  vii  raste  pou 
ort  rot  129;  j5e  worlde  at  vfille  228. 

d)  Gleichlaufende  Worte  von  innerer  begrifflicher  Ähn- 
lichkeit. 

1)  Zwei  Substantiva:  mijt  ne  meth  497. 

2)  Substantiv  und  Adjektiv:  sorow  S  sore  care  103. 

e)  Gegensätze. 

1)  Substantiva:  wo  ivithoutin  wel  376. 

2)  Adjectiva:  \erid  &  \eud  4. 

C  Allitteration  von  grammatisch  zueinander  in  Be- 
ziehung stehenden  Worten. 

a)    Substantiv    und    Adjektiv    (oder   Particip)    in    attri- 


58  The  Pride  of  Life. 

l)utivor  oder  ])rä(likutiver  Verbindung: />a/  hlisful  hled  14;  pi 
hrijt  hronde  277;  delfid  derknys  373;  douce  dame  101;  heihors  290; 
knyjtis  'kete  135;  knyjtis  he  has  comelich  33;  pis  \onge  \aunce  256; 
n\ery  messagere  280;  wip  mylde  mode  6;  robis  riche  289;  pis  worldc 
Wide  288. 

b)  Verb  oder  Adjektiv  mit  adverbialer  Bestimmung: 
m  hal  ...  ihounde  328;/;ai?  he  jour  soulis  to  hot  388;  host  ...  of  his 
hlis  38;  ahow  ...  in  how  126  ;  nbowte  me  heth  434;  as  ^o  dar  ...  for 
dred  48;  derist  in  dede  136;  doj^»  men  of  dede  260;  s  don  of  daw 
334;  drivith  adoun  89;  fari7/i  as  Uschis  361;  firs^  öifore  18;  z^^e^ 
fwce  ...  to  iijte  466;  is  go  to  grounde  330;  go^/i  to  grounde  352; 
graven  on  grene  443;  her  je  schullin  here  13;  hyc?*V  to  h?/e  310;  to 
carp  of  care  53;  bycomin  of  kinge  22;  Äi7  comith  J)e  of  kinde  208; 
l//)6e  m  heven-lijie  405;  ^  U've  ai  m/y  likinge  178;  m  /^^s  lonc?  (/e^ 
tcol  alend  50;  \ordlich  he  \okith  26;  miriest  me  in  my  mode  296; 
renne  so  j5e  ro  268;  sezs^  so  295;  to  s*A;e  sore  163;  stondith  stille  9; 
atronge  to  stonde  21;  t«;^«^  wey  ^a<  ^ow  schalt  wende  393;  m  we^  ich 
am  biwent  131;  je  witin  \fel  483;  wostou  wel  281;  we/  ^ot*  wos<  279; 
ivithstonde  him  with  strife  251. 

c)  Substantiv  und  Verbum  als  Subjekt  und  Prädikat: 
pe  hodyis  pride^  is  dere  aboji  9b;  pe  hody  is  doun  ihrojt  93;  deth 
doth  55;  deth  me  durste  iene  453;  diikes  ...  him  dredith  27;  {ou)re 
gam  schal  gyn  7;  oure  game  schal  gin  111;  mai  no  grisful  fnng^  me 
grcve  132;  \iking  is  wip  nie  bi\ent  133;  my  \ord  ...  is  ney  lore  313; 
med  is  mad  a  demisman  331;  vichemen  bep  reupeles  351. 

d)  Verbum  und  Substantiv  als  Copula  und  Prädikat: 
bicomith  onkynde  345. 

e)  Verbum  und  Substantiv  als  Prädikat  und  Objekt: 
hringip  ...  hale  58;  so  hrouke  i  my  hronde  247;  irend  may  no  man 
finde  347;  hestos  to  hold  479;  \if  to  \ed  387;  a  \ord  for  to  \ed  42; 
mirth  ...  he  can  make  267;  mirth  may  he  not  miss  40;  sigge pat  sothc 
tale  360;  Bigge  soth  358;  God  wot  my  will  199. 

D.  Ein  Vokativ  oder  eine  Beteuerung  allitteriert  mit  einem 
anderen  Worte:  höre,  J)e  devil  gird  of  pi  hedef  197;  äire,  pou  saist 
as  pe  list  179  ;  in  irupe  pou  mijt  trist  143. 

Nicht  unterzubringen  sind  folgende  Bindungen :  holdlieh  J)ou  arl 


'  Ich  behandle  Genitiv   oder  Adjektiv  -\-  Subst.   als  Compositum. 


The  Pride  of  Life.  59 

mi  hat  127;  pi  gay  croun  uf  guld  -44G;  to  ^ilp  miicliil  of  his  mijl  o7; 
jiveüi  \aives  in  ecke  a  \onde  23;  icJi  am  aolas,  i  most  smge  321;  fare 
wel  ...  pi  way  449. 

B.  Dreifache  AllitteratioJi. 

Da  eine  p]iiiteilung  nach  obigem  Schema  hier  nicht  wohl  angehl, 
onhie  ich  die  Belege  einfach  alphabetisch:  hishop,  hishop  hahler 
407;  hringij) ...  hrijte  hrondis  139;  äelitli.  Mm  (a)  depe  dejns  tvoumle 
91;  do^tclick  to  done  a  dede  283;  doun  selml  je  drive,  be  je  never 
so  dere  120;  he  drediih  no  deth  for  to  de//e  28;  Ite  dremith  a  dredful 
dreme  81;  r«//  \\estes,  ich  \\ote  ju  now  \\er  118;  my  \inde,  korin 
Vnijtes  244;  pi  kinde,  curtensc  knijle  158;  knijtis,  cayser,  ne  kyny 
ö6:  Pe  cors  pat  ...  kneive  of  care  101;  as  cumlich  becomith  for  a 
(\uen  46;  J)at  \adi  is  \ettrid  in  \or  45;  a  ^ady,  \ovelich  al  at  likinge  29; 
king  of  Ufe  dt  loi'd  of  \onde  275;  Mjtliche  lejje  over  pe  \ake  269;  in 
...  likinge  Jtis  \if  he  \edith  25;  lord,  leve  pi  liking  57;  \ord  oflim  rf; 
life  159;  \orde  of  londe  &  lede  254;  lordis  of  lond,  beith  at  my 
\edinge  125;  miinith  hir  mak  evirmor  47;  not  i  nevir  none  35;  savy 
pi  sota  fro  sore  406;  lie  seith,  in  mvetnisse  he  wol  set  31;  soi'oiv  may 
sit  an  his  sijt  39;  staute^  stondiüi  noiv  stille  117;  streynth  atif  ((■ 
strong  147;  strivith  a  Sterne  strife  87;  pe  world  is  noiv  so  wo/owo  327. 

C.  Vierfache  All  itteration. 

je  harons  holde,  fmt  heith  nie  ohoivle  115;  hringe  his  hale  hoim 
into  hlisse  32;  king  ich  am,  kindc  ofkinges  ikorne  121;  je  kingcs, 
je  kempes,  je  knii,tes  ikorne  114;  ne  may  he  of  tip  mirth  mene  ne 
mis.se  30;  pes  now,  je  princes,  of  poivere  so  pi-owde  113;  (seme)  schal 
JU  my  sawe,  sivaynis  i{s)worne  116;  stif  S  strong,  and  Sterne  in 
strif  161;  wirch  ju  wo  ivith  werkes  of  wil  119;  pe  v/orlde  wide  to 
weide  at  my  wil  122. 

Kiel.  F.  Holthauscii. 


Sir  David  Lyndsays 

Anspielungen  auf  mittelenglische  Dichtungen. 


In  der  Dichtung  des  Sir  David  Lyndsay  linden  wir  nicht 
nur  an  allen  Orten  und  Enden  epische  Formeln,  Vergleiche, 
Schwüre  verwendet,  die  uns  aus  den  Ritterromanzen  des  Mittel- 
alters vertraut  sind,  sondern  auch  deren  Hauptgestalten  werden 
oft  in  ihr  erwähnt.  Diese  Vorliebe  Lyndsays  für  die  Sagen- 
und  Märchenwelt  der  Vergangenheit  hat  schon  manchem  mo- 
dernen Herausgeber  zu  einem  willkommenen  Beweis  für  die 
Verbreitung  und  Beliebtheit  der  von  ihm  behandelten  Dichtung 
verholfen.  Bei  ihm  fand  Weber  die  einzige  uns  bekannte  An- 
spielung auf  das  englische  Alexanderbuch, '  und  auch  die  Edi- 
toren der  Romanze  von  Sir  Gray  Steel '^  und  der  strophischen 
Dichtung  von  Golagrus  und  Gawain  ■*  haben  sich  gern  auf  Lynd- 
says Zeugnis  berufen. 

Auch  mit  dem  Gast  <>f  Gy  ist  Lyndsay  schon  von  Dyce 
in  seiner  Skelton- Ausgabe  vol.  H  p.  184  f.  in  Verbindung  ge- 
bracht worden,  worauf  Schleich  in  dem  Vorworte  seiner  Palaestra- 
Ausgabe  des  nach  diesem  Geist  betitelten  Gedichtes  gebührend 
aufmerksam  gemacht  hat,  Dyce  hat  auf  eine  Stelle  in  Tlu' 
Epistil  to  iJie  Kingis  Grnce  hingewiesen  vor  der  Dichtung  'The 
Dreme^,  in  welcher  Lyndsay  den  jungen  König  daran  erinnert, 
wie  er  ihn  in  seiner  Kindheit  gehegt  und  gepflegt  habe,  wie  er, 
um  ihn  zu  ergötzen,  für  ihn  zur  Laute  gesungen,  getanzt,  allerlei 


'  Vgl.  seine  'Metrical  Romances'  vol.  I  p.  XXXV. 

^  Vgl.  die  von  Reichel,  ESt.  XIX  p.  1  ff.  verzeichneten  Ausgaben. 

^  Vgl.  Trautmann,  Anglia  II  p.  405. 


Sir  David  Lyndsaya  Auspielungen  auf  niittelengl.  Dichtungen.       61 

Possen  gemacht    und    sich  vermummt  liabe,    wobei  er    mauchmal 
auch  als  der  schreckliche  Geist  des  Guy  vor  ihm  erschienen  sei: 

And  sumtyme,  lyke  ane  feind,  transfigurate, 

And  sumtyme,   lyke  the  greislie  gaist  of  Gye, 

Tu  divers  formis  oft  tymes  disfigurate  . . . ' 

Diese  Stelle  beweist  zur  Genüge,  dals  in  Schottland  der  in 
der  Tradition  und  in  dem  Gedichte  durchaus  ernst  gemeinte 
Geist  des  ehrsamen  Bürgersmannes  im  IG.  Jahrhundert  im  Volks- 
munde  zu  einer  Art  von  Kinder-Popanz  geworden  war.  Zur 
Stütze  der  Annahme,  dais  es  sich  hierbei  um  eine  ganz  volks- 
tümliche Entstellung  der  frommen  alten  Sage  handelt,  möchte 
ich  noch  auf  eine  andere  Erwäluumg  des  Geistes  aufmerksam 
machen,  die  in  einem  überaus  derben,  ganz  für  den  Geschmack 
der  Menge  bereclnietcn  Interludium  Lyndsays  zu  lesen  ist.  Dieses 
'Preliminary  Interlude':  'The  Aald  Man  and  his  WifV  hatte 
Ivyndsay  als  Vorspiel  für  eine  der  Aufführungen  seiner  grol'sen 
politisch-religiösen  Satire  'Ane  Pleasant  Satyre  of  thp  Thrii- 
Estaitis'  gedichtet;  seine  Echtheit  ist  kaum  zu  bezweifeln.  In 
dieser  Posse  tritt  ein  miles  gloriosus  auf,  ein  Prahlhans  Namens 
Fyndlaw,  der  trotz  seiner  blutdürstigen  Reden  bei  jedem  Schein 
einer  Gefahr  das  Hasenpanier  ergreift.  Die  lustige  Person,  the 
Fnle,  des  Stückes  durchschaut  den  Feigling  und  jagt  ihn  schliel's- 
lich  vermittelst  eines  Schafskopfes,  den  er  auf  einer  Stange  vor 
sich  her  trägt,  in  die  Flucht.  Dieses  Schreckensgespenst  ver- 
gleicht Fyndlaw  mit  dem  Geiste  des  Guy.     Zuerst  prahlt  er : 

This  is  the  swerd  that  slew  Gray  Steill, 

Nocht  half  ane  mile  beyond  Kyuneill. 

I  was  that  nobill  campioun, 

That  slew  Sehyr  Bewas  of  Sowth-Hamtoun. 

Hector  of  Troy,  Gawyne,  or  Golias, 

Had  nevir  half  sa  niekill  hardiness. 

Dann  erscheint  der  Narr  mit  dem  Schafskopf:  Heir  sali  the 
Fuill  cum  in  with  ane  scheip-heid  mi  ane  staff,  and  Fyndlaw 
sali  he  fielt : 


'   ('itiert   nach    Laings   zweibändiger   Ausgabe    der  poetischen    Werke 
Lyudsays,  Edinburgh  1«71;  vol.  1  p.    1. 


02       Sir  David  Lyudsays  Auspiolungen  auf  mitteleuj^l.  Dichtungen. 

Wow,  now,  braid  Benedicite! 

Quhat  sieht  is  yone,  Sirris,  that  I  see. 

In  nomine  Patris  et  Filii, 

I  trowe  yone  be  the  Spreit  of  Gy  ...' 

Die  naheliegeude  Vermutung,  dafs  der  Geist,  der  so  viel  vom 
Fegefeuer  und  anderen  Kardiualpunkten  der  alten  Religion  zu 
sagen  weifs,  den  Anhängern  der  neuen  Lehre  besonders  anstöfsig 
war  und  deshalb  von  ihnen  degradiert  wurde,  wird  dadurch  hiu- 
fälUg,  dafs  sich,  wie  Dyce  a.  a.  O.  nachgewiesen  hat,  schon  bei 
dem  von  den  Stürmen  der  Reformation  noch  nicht  berührten 
Dunbar  ähnliche  Anspielungen  auf  the  spreit  of  Gy  finden.  Wie 
viele  andere  Berühmtheiten  der  Sage  und  der  Dichtung,  wie 
z.  B.  Sir  Bevis  of  Southampton,  die  Lady  of  the  Lake,  die 
Königin  Guinevere  und  späterhin  Jerouimo  und  Tamburlaine,  hat 
auch  der  Geist  des  Guy  seine  Popularität  mit  einem  Verlust  an 
Würde  bezahlen  müssen. 

Aufserdem  ist  mir  bei  Lyndsay  noch  eine  Anspielung  auf 
eine  berühmte  Episode  der  Alexanderdichtung  des  Mittelalters 
aufgefallen,  von  welcher  auch  das  1438  vollendete  schottische 
' Buik  of  the  most  noble  and  vailjeand  Conquerour  Alexander 
the  Great'  in  seinem  ersten  Teile  ausführlich  handelt:  eine  An- 
spielung auf  'The  Forray  of  Gadderis',  wie  die  schottische  Version 
der  altfranzösischen  Dichtung  'Le  Fuerre  de  Gadres'  betitelt  ist. 
Zu  den  schon  von  Herrmann-  erwähnten  Stellen  bei  Barbour 
und  Henry  the  Minstrel,  in  welchen  von  den  Helden  dieser 
Kämpfe  die  Rede  ist,  kommen  noch  einige  Verse  aus  Lyndsays 
gefälligster  Dichtung,  aus  'The  Historie  of  Squyer  Meldrum'. 
Meldrum  kämpft  ebenso  tapfer  wie  Alexanders  heldenmütiger 
Gegner  Gaudifer: 

The  Squyer  with  his  birneist  brand, 
Amang  his  fa  men  inaid  sie  band: 
That  Gaudefer,  as  sayis   the  letter, 
At  Gadderis  Ferrie  faught  no  better 

(v.  127^1  ff.).  3 


'  Vgl.  ib.  vol.  II  p.  327;  über  die  Echtheit  ib.  p.  .S45. 
-  In    seinen    'Untersuchungen    über   das    schottische   Alexauderbuch' 
(Berlin  1893)  p.  15. 

3  Vgl.  Works  vol.  I  p.  204. 


Sir  David  Lyiulsays  Aiispielunsen  auf  niittolengl.  Dichtungen.       63 

Tti  (loinselben  Gedidit  wird  der  Titclliold  auch  mit  Tydeus 
verglichen,  der  die  fünfzig-  thebauischen  Ritter  erschlug,  eine 
Stelle,  die  sieh  der  künftige  Herausgeber  von  Lydgates  'Storie 
of  Thebes'  nicht  entgehen  lassen  wird: 

Tills  worthie  Stjuver  courageous, 

Micht  be  comparit  to  Tydeus: 

Quhilk  faucht  for  to  defend  his  richtis, 

And  slew  of  Thebes  fyftie  knichtis  (v.  n09  ff.),' 

wozu    in    Lydgates    Dichtung   zu    vergleichen    ist    der  Abschnitt: 
How  Tydeus  outrayed  fifty  knyyhtes  that  lay  in  awayt  for  hym.- 

'  Vgl.  Works  vol.  I  p.  205. 

-  Vgl.  Skeat's  Specimeos  (;3-'  ed.,  Oxford  1880)  III  p.  30  ff. 

Stralsburg.  E.  Koeppel. 


Die  augebliche  (|iielle  zii  Goldsmiths  'Vicar  of  Wakelield'. 


[Austin  Dobson,  der  Biograph  Goldsiiiitlis  und  Herausgeber 
des  V.  of  W.,  hat  auf  eine  Geschichte  im  British  Magazine 
(1760 — 1761)  hingewiesen,  die  mit  dem  Lebensbilde  des  Pfarrers 
Primrose  beachtenswerte  AhnKchkeiten  besitzt.  Sie  steht  auf 
S.  426 — 428  der  genannten  Zeitschrift  und  trägt  als  Seiteukopf 
die  Überschrift  ^The  history  of  Miss  Stanton'.  Da  Goldsmith 
ein  regelmäisiger  Mitarbeiter  des  Magazins  war,  ist  sie  aber  viel- 
leicht eher  eine  frühere  Fassung  von  ihm  selbst  als  seine  Quelle 
gewesen.  Ohne  weiterer  Forschung  hierüber  vorzugreifen,  wird 
hier  ein  genauer  Abdruck  geboten,  der  bei  der  Seltenheit  des 
Brit.  Mag.  auf  den  Bibliotheken  des  Kontinents  vielleicht  nicht 
ganz  unwillkommen  ist.  Zu  Grunde  gelegt  ist  das  Exemplar  des 
Britischen  Museums.     A.  B.] 

To  the  Authors  of  the  British  Magazine. 

Gentlemen. 

I  am  apt  to  fancy  you  are  frequently  imposed  upon  by 
your  correspondents  with  fictitious  stories  of  distress;  such  indeed 
may  have  real  merit  in  the  design,  as  they  promote  that  tender- 
ness  and  benevolent  love  to  each  other  by  example,  which 
didactic  writers  vainly  attempt  by  maxim,  or  reproof :  but  as  they 
happen  to  want  the  sanction  of  truth,  so  are  they  frequently 
unnatural,  and  often  betray  that  art  which  it  should  be  every 
writer's  endeavour  to  conceal. 

If  the  foUowing  story  is  found  to  have  any  real  merit,  it 
must  be  whoUy  ascribed  to  that  sincerity  which  guides  the  pen. 
I   am    unused   to   correspond   with   Magazines;   nor   should   now 


Die  angebliche  Quelle  zu  Goldsmiths  'Vicar  ot  Wakefield'.  65 

have  walked  from  obscurity,  if  not  convinced  that  a  true  though 
ai'tless  tale  would  be  useful,  and  sensible  that  I  could  not  give 
it  a  better  couveyance  to  tlie  public,  thau  by  difiusing  it  by 
raeans  of  your  Magazine. 

Within  teu  miles  of  H.  a  town  in  the  north  of  England, 
Mr.  Stautou,  a  clergymau  with  a  small  fortune,  had  long  resided; 
and,  by  a  contiuued  perseverance  in  beuevoleuce  and  his  duty, 
was  esteemed  by  the  rieh,  and  beloved  by  the  poor.  He  enter- 
tained  the  little  circle  of  his  friends  with  the  produce  of  his 
glebe;  the  repast  was  frugal,  but  amply  recompensed  by  the 
chearfulness  of  the  eutertainer.  He  every  morning  sat  by  the 
wayside  to  welcome  the  passing  stranger,  where  he  was  brought 
in  for  the  night,  and  welcomed  to  a  cup  of  chearful  ale,  and  a 
glimniering  fire.  The  parson  enquired  the  news  of  the  day,  was 
solicitous  to  know  iiow  the  world  weut,  and,  as  the  stranger  told 
some  new  story,  the  eutertainer  would  give  sonie  parallel  instance 
from  autiquity,  or  some  occurreuce  of  his  youth.  In  this  manner 
he  had  lived  for  twenty  years,  bound  be  every  endearment  to 
his  parishioners,  but  particularly  attached  to  one  only  daughter; 
the  staff  of  his  old  age,  the  pride  of  the  parisli,  praised  by  all 
for  her  understandiug  and  beauty;  and,  what  is  more  extraordi- 
naiy,  perfectly  deserviug  all  that  praise. 

As  men  increase  in  years,  those  attachments  which  are  divi- 
ded  oü  a  multiplicity  of  objects,  gradually  centre  in  one;  the 
young  have  many  objects  of  aifection,  the  aged  generally  but 
one.  This  was  the  case  of  Mr.  Stanton;  every  year  his  love  to 
his  dear  Fanny  increased;  in  her  he  saw  all  her  mother's  beauty; 
her  appcarauce  every  moment  reminded  him  of  his  former  hap- 
piness,  and  in  her  he  expected  to  protract  his  uow  declining  life. 
Thoroughly  to  feel  his  tenderness  for  his  child  we  must  be 
parents  ourselves;  he  undertook  to  educate  her  himself,  taught 
his  lovely  scholar  all  he  knew,  and  found  her  sometimes  even 
surpass  her  master.  He  expected  lier  every  morning  to  take 
his  lessons  in  morality,  poiuted  out  her  studies  for  the  day;  and 
as  to  music  and  danciug  those  he  had  her  instructed  in  by  the 
best  masters  the  couutry  could  atford.  Tho'  such  an  education 
generally  forms  a  female  pedant,  yet  Fanny  was  found  to  steer 
between   those   happy   extremes    of  a  thoughtless  giggier,   and  a 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CVIII.  5 


GÜ  Die  angebliche  Quelle  zu  Goldsmiths  'Vicar  of  Wakefield'. 

formal  reasoner;  could  heighten  the  hours  of  pleasure  with  gaiety 
and  spirit,  and  improve  every  serious  interval  with  good  sense 
of  her  own,  and  au  happy  condescension  for  those  qualities  in 
others. 

In  this  manner  she  and  her  father  continued  to  improve 
each  other's  happiness;  and  as  she  grew  up,  she  took  the  care 
of  the  family  under  her  direction.  A  Ufe  of  such  tranquility 
and  undisturbed  repose  seemed  a  foretaste  of  that  to  come;  when 
a  geutlemau,  whom  I  may  be  permitted  to  call  Dawsou,  happened 
to  travel  that  way.  A  travelling  rake  seldom  goes  to  church, 
except  with  a  design  of  seeing  the  ladies  of  the  country,  and 
this  induced  the  gentleman  I  refer  to,  to  euter  that  of  Mr.  Stan- 
ton.  Among  the  various  objects  that  offered,  none  appeared  half 
so  lovely  as  the  poor  clergyman's  daughter;  she  seemed  indeed 
to  surpass  auy  thing  he  had  ever  seen  before. 

Mr.  Dawson  was  thirty-six  years  of  age,  tolerably  well  made, 
and  with  such  a  face  as  is  not  much  impaired  by  arriving  at 
the  middle  period  of  life;  but  what  he  wanted  in  personal  beauty, 
he  made  up  in  a  perfect  knowledge  of  the  world;  he  had  tra- 
velled  through  Europe,  and  been  improved  in  sentiment  and 
address.  He  knew  perfectly  all  the  Mdndings  of  the  human 
heart;  had  kept  the  very  best  Company,  and  consequently  ap- 
peared no  way  superior  to  those  whose  good  opinions  he  endea- 
voured  to  conciliate. 

This  was  only  one  side  of  his  character;  the  reverse  was 
marked  with  dissimulation,  a  passionate  admiration,  and  yet  what 
only  seems  an  inconsistence,  at  the  same  time  a  perfect  contempt 
for  the  beautiful  sex.  He  had  fortune  to  second  this  insidious 
way  of  thinking,  and  perseverance  to  carry  all  his  schemes  into 
execution.  If  the  passion  he  feit  at  church  upon  seeing  the  in- 
nocent  subject  of  my  story  can  be  called  love,  he  loved  with 
the  utmost  ardour;  he  had  been  long  unacquainted  with  any 
obstacles  to  his  illicit  desires,   and  therefore  expected  none  now. 

Dressing  himself  therefore  in  the  habit  of  a  scholar,  with  a 
stick  in  his  hand,  he,  the  evening  foUowing,  walked  with  seeming 
fatigue  before  Mr.  Stanton's  door,  where  he  expected  to  find  him 
and  his  daughter  sitting.  As  he  expected,  it  happened:  the  old 
man   perceiving  a   strauger   dressed   in   black,   with   a  grey  wig. 


Die  augebliche  Quelle  zu  (iftld-iniiths  'Vicar  of  Wakefield'.  G7 

passing  wearily  by  bis  door,  was  toucbed  at  once  witb  pity  aud 
curiosity,  and  instantly  invited  bim  in.  To  this  tbe  stranger 
testified  some  rebietance;  but  tbe  daugbter,  joining  in  ber  fatber's 
intercessions,  he  was  soou  prevailed  upon  to  corae  in,  and  refresh 
bimself  wth  a  cup  of  bome-brew^l,  wbicb  bad  been  made  under 
miss's  own  inspectiou.  Tbe  wily  traveller  knew  bow  to  make 
tbe  best  of  tbis  invitation;  be  coniplaisantly  left  bis  wallet  and 
bis  staif  at  tbe  door;  tbe  eartben  mag  went  round.  Miss  toucbed 
tbe  cup,  tbe  stranger  pledged  tbe  parson,  tbe  reserve  of  strange- 
ness  soon  was  dissipated;  tbe  story  was  told,  and  anotber  was 
given  in  return.  Tbe  poor  old  man  found  bis  guest  infinitely 
amusing,  desired  to  bear  an  account  of  bis  travels,  of  tbe  dangers 
he  had  passed,  tbe  books  he  bad  written,  aud  tbe  countries  he 
bad  seen.  But  miss  was  particularly  cbarnied  witb  bis  conver- 
sation:  sbe  bad  bitberto  kuown  only  squires  and  neigbbouring 
parsous,  men  really  Ignorant  or  witbout  sufficient  art  to  conceal 
tbe  art  they  use.  But  tbe  insidious  Mr.  Dawson  bad  learned  in 
Courts  tbe  wbole  art  of  pleasing;  and  witb  tbe  most  apparent 
simplicity  joined  tbe  most  consunuuate  address. 

Wben  night  began  to  fall,  he  made  some  modest  tho' 
reluctant  efforts  to  witbdraw;  but  tbe  old  man,  wbose  bed  was 
ever  ready  for  a  stranger,  invited  bim  once  more  to  stay;  aud 
at  tbe  same  time  he  read  in  tbe  daugbter's  eyes  bow  very 
agreeable  Avould  be  a  compliance  witb  ber  fatber's  request. 

This  was  what  be  ardeutly  wished  for.  To  abridge  tbe 
tediousness  of  tbe  narrative:  he  tbus  passed  several  days  in  their 
Company,  until  he  at  last  found  be  bad  strongly  fixed  bimself 
in  tbe  young  lady^s  afFectious.  He  now  thought  it  tbe  most 
convenient  way  to  add  tbe  blaze  of  fortune  to  tbe  stroke  be  had 
already  given;  and,  after  a  fortnigbt's  stay,  invited  tbe  clergymau 
and  bis  daugbter  to  bis  bouse,  about  forty  miles  distaut  froni 
theirs.  He  soon  got  over  all  their  objections  to  tbe  journey; 
aud  oue  of  tbe  principal  obstructious  be  immediately  obviated, 
by  ordering  bis  equipage  to  their  door.  As  before  tbey  bad 
been  astonished  at  tbe  wisdom,  so  now  were  they  astouished  at 
tbe  grandeur  of  their  new  companion:  they  accepted  bis  proposal 
witb  pleasure;  uor  did  tbe  deluded  Fanny  even  suppress  some 
forebodings  of  ambitiou. 


68  Die  angebliche  Quelle  zu  Goldsniiths  'Vicar  of  Wakefield'. 

His  address  uow  at  once  indicated  liis  efFrontery  and  ex- 
perieDce  of  the  sex.  Assiduous  in  all  his  actions,  patient  after 
a  repulse,  agam  attempting,  and  agaiu  rejected,  he  at  length 
succeeded  in  his  villainous  design,  and  found  that  happiness  he 
by  DO  meaus  deserved  to  possess. 

Not  able  to  suppress  his  triumph  at  such  a  dearly  earued 
favour,  it  was  soon  discovered  as  a  secret  to  some  of  his  frieuds, 
who  soon  delivered  it  as  such  to  others;  and  the  unhappy  miss 
Stanton's  iufamy  was  common,  before  it  reached  the  ears  of  her 
father. 

Soon,  however,  the  old  man  became  acquainted  witli  her 
foUy,  and  the  disgrace  of  his  unhappy  family.  Agonizing,  des- 
pairing,  half  mad,  what  could  he  do!  the  child  of  his  heart,  the 
only  object  that  stept  between  him  and  the  horrors  of  the  ap- 
proaching  grave  was  now  contaminated  for  ever;  he  was  now 
declmed  in  the  vale  of  years;  he  had  no  relations  to  comfort  or 
assist  him;  he  was  in  a  sacred  employment  that  forbade  revenge; 
he  asked  his  daughter,  with  fury  in  his  eye,  if  the  report  was 
true?  she  at  first  denied,  but  soon  confessed  her  shame.  'Fanny, 
my  child,  my  child  (said  the  old  man,  melting  into  tears,)  why 
was  this,  thou  dear  lost  deluded  excellence?  why  have  you  un- 
done  yourself  and  me?  had  you  no  pity  for  this  head  that  has 
grown  grey  in  thy  Instruction?  —  But  he  shall  pay  for  it  — 
though  my  God,  my  country,  my  conscieuce  forbid  revenge,  yet 
he  shall  pay  for  it/ 

The  betrayer  now  thought  he  had  nothing  to  fear;  he  went 
on  boldly  triumphing  in  his  baseness,  and  a  fortnight  passed 
away,  when  he  was  told  one  evening  that  a  gentleman  desired 
to  speak  to  him.  Upon  Coming  to  the  place  appointed,  he  found 
the  poor  old  man,  with  his  eyes  bathed  in  tears,  who,  falling 
at  his  feet,  intreated  him  to  wipe  away  the  infamy  that  was 
fallen  upon  his  family;  but  Dawson,  insensible  to  his  intreatees, 
desired  him  to  have  done.  Well  then,  cried  old  Stanton,  if  you 
refuse  me  satisfaction  as  a  man  of  justice,  I  demand  it  as  a 
mau  of  honour.  Thus  sayiug  he  drew  out  two  pistols  from  his 
bosom,  and  preseuted  one.  They  retired  at  proper  distauces; 
and  the  old  mau,  upon  the  discharge  of  the  other's  pistol,  feil 
forward   to   the  grouud.     ßy   this   time   the   whole   family  were 


Die  an^^ebliihe  Quelle  zu  Goldsiniths  'Vicar  of  Wakefield'.  Tif» 

alarmcd;  and  canie  ruuning  to  the  place  of  actioii.  Fanny  was 
araoug  the  number;  and  was  the  first  to  see  her  guardian,  in- 
structor,  her  only  friend,  fallen  in  defenee  of  her  honour.  In  an 
agony  of  distress  she  feil  lifeless  upon  the  body  stretched  before 
her;  bot  soon  recovering  into  au  existence  worse  than  annihilation, 
she  expostulated  with  the  body,  and  demanded  a  reason  for  his 
thus  destroying  all  her  happiness  aud  his  own. 

Though  Mr.  Dawson  was  before  untouched  with  the  infamy 
he  had  brought  lipon  virtuous  innocence,  yet  he  had  not  an 
lieart  of  stone;  and  bursting  into  anguish,  flew  to  the  lovely 
niourner,  and  offered  that  raoment  to  repair  his  foul  offences  by 
matrimony.  The  old  man,  who  had  only  pretended  to  be  dead, 
now  rising  up,  claimed  the  Performance  of  his  promise;  and  the 
other  had  too  much  honour  to  refuse.  They  were  immediately 
conducted  to  church,  where  they  were  married,  and  now  live 
exemplary  iustances  of  conjugal  love  and  felicity. 

Oxford.  W.  Heuser. 


Neuere  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete 
der  englischen  Novelle  und  Skizze. 


Schon  für  die  grofsen  Litteratiirwerke  —  grofs  im  derben 
Sinne  der  Länge  —  ist  es  schwer,  Gattungstypen  aufzustellen. 
Fast  zur  Unmöglichkeit  wird  dies  aber  für  die  kleinen.  Bei  den 
grofsen  sollen  Massen  organisiert  werden  zu  einheitlicher  Wirkung. 
Daraus  ergeben  sich  mit  Notwendigkeit  allgemein  gültige  Gesetze 
für  den  künstlerischen  Organisator,  gegen  die  er  nicht  allzu  stark 
sündigen  darf.  Denn  wie  verschieden  die  Dichter  an  Wesen 
und  Wollen  auch  sein  mögen,  ein  Faktor  bleibt  für  alle  der- 
selbe, das  Publikum  oder  —  deutlicher  gesprochen  —  die  psy- 
chischen Gesetze  der  litterarischen  Wirkung  auf  das  Publikum. 
Hier  liegen  die  unabweislichen  Prämissen  für  das  SchaiFeu,  und 
sie  erzeugen  in  den  einzelnen  Gebilden  eine  beiläufige  Gleich- 
förmigkeit, aus  ihnen  erwächst  der  Typus. 

Anders  verhält  es  sich  mit  den  kleinen  Kunstwerken.  Hier 
hat  der  schaffende  Künstler  gröfsere  Freiheit,  weil  er  der  Ein- 
drucksfähigkeit beim  Publikum  sicherer  ist.  Er  kann  diese 
Freiheit  bis  zur  Launenhaftigkeit  ausnützen.  Nicht  nur  für  die 
Art  des  Gestaltens,  sogar  im  Grade  des  Ausgestaltens.  Er  kann 
sein  Werk  vollenden  oder  auch  nur  andeuten,  herab  bis  zur 
flüchtigen  Skizze.  Dadurch  wird  uns,  den  kritisch  Geuiefsenden, 
das  Kleinwerk  um  so  interessanter.  Es  ist  individuell,  zeigt 
deutlich  die  Eigenart  seines  Schöpfers. 

Auf  dem  modern-epischen  Gebiete  steht  dem  langen  Roman 
die  kurze  Novelle  und  die  noch  kürzere  Skizze  gegenüber.  Theo- 
retisch sind  diese  Kleingattungen  schwer  zu  fassen  und  gegen- 
einander  abzugrenzen.     Es  wäre  auch  gefährlich,   hier  Gattungs- 


Neuere  Erscluinuugen  auf  dcui  fiebietc  d.  engl.  Novelle  u.  Skizze.      71 

typeu  aufzustelleu,  weil  das  nur  zu  arger  Schablouierung  führen 
könnte.  Das  Verständnis  würde  nicht  erleichtert,  sondern  er- 
schwert, der  Genuls  verdorben,  kurzum  das  Gegenteil  wäre  dann 
erreicht  von  dem,  was  eine  gesunde  Kritik  will  und  kann.  Wenn 
je,  mufs  sie  hier,  wo  das  Leitwort  'freie  Entfaltung'  ist,  indivi- 
duell beschauen,  nicht  aber  generell  bewerten.  Die  Jüngsten 
Tauchnitzpui)likationen  bieten  für  solche  Beobachtungen  ein  paar 
nicht  uninteressante  Bäudchen. 


Streetdust   and   other   stories   by   Ouida  (vol.  3487). 

Es  sind  fünf  längere  Geschichten  und  eine  kürzere.  Sie 
spielen  bis  auf  die  letzte  alle  in  Italien,  in  der  Gegenwart,  in 
den  Schichten  des  niederen  Volkes  oder  Kleinbürgertums.  In 
'Street  dust'  kommen  zwei  Kinder  der  Campagna  vom  elenden 
Sterbelager  ihrer  Mutter  nach  Rom,  um  Blumen  zu  verkaufen. 
Unter  dem  falschen  Verdacht  der  Bettelei  werden  sie  eingesperrt, 
am  nächsten  Tage  freigegeben.  Sie  verhungern  auf  der  Stralse. 
In  'Letta'  wird  der  Hirte  Rizzardo  als  Mörder  verurteilt  und 
nach  einer  Festung  im  Norden  des  Landes  verschickt.  Letta, 
seine  Geliebte,  erhält  nach  Jahresfrist  zufällig  den  Beweis  seiner 
Schuldlosigkeit.  Sie  wandert  nach  dem  Norden  und  hört,  dafs 
Rizzardo  vor  kurzem  im  Kerker  gestorben.  In  'A  faithful  ser- 
vant'  wird  die  alte,  treue  Magd  von  einem  Spion  der  Rcgierimg 
überlistet  und  so  unbewulst  zur  Verräterin  des  Sohnes  ihrer 
Herrin,  der  sich  im  jüngsten  Mailänder  Aufstand  kompromittiert 
hat.  Sie  rächt  sich,  indem  sie  sich  mit  dem  Spion  ertränkt.  In 
'A  little  thief  fällt  ein  armer  Knabe  unter  den  Verdacht  der 
Fund  Verheimlichung.  Und  er  hat,  als  er  die  Goldbörse  auf  der 
Stralse  gefunden,  an  ein  Himmelswunder  geglaubt,  das  ihm  die 
Heilung  der  todkranken  Mutter  ermöglichen  sollte.  In  'The  fig- 
tree'  ermordet  Oneiro  in  blindwütigem  Aberglauben  seinen  Bruder 
Alessio,  weil  dieser  den  Feigenbaum,  von  dem  kurz  zuvor  der 
Vater  tödlich  abgestürzt  ist,  nicht  hat  fällen  wollen,  wie  es  alte 
Sitte  gebeut. 

Dies  die  italienischen  Novellen,  durchaus  traurige  Geschichten 
voll  Mord  und  Tod.  Stofflich  beti-achtet  fordern  sie  robuste 
Behandlung    und    realistischen    Stil.     Die   Autorin    vergreift   sich 


72     Neuere  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  d.  engl.  Novelle  u.  Skizze. 

in  beiden.  Ja,  sie  arbeitet  den  geistigen  und  formalen  Bedürf- 
nissen der  Stoffe  direkt  entgegen.  Geistig  verweichlicht  sie  die 
tragische  Stofftendenz  zur  Rührseligkeit,  formal  verblafst  sie  die 
satten  Farben,  verwischt  sie  die  harten  Linien,  um  ihren  Bildern 
die  alt  -  konventionelle  'Schönheit'  zu  retten.  All  den  Jammer 
und  das  Unglück  ihrer  rauhen  Stoffe  verträgt  sie  nicht  in  der 
ursprünglichen  Kraft  und  Reinheit,  weder  im  Wesen  noch  in  der 
Form. 

Mit  der  naturwidrigen  Umbildung  des  Tragischen  ins  Senti- 
mentale verdirbt  sie  sich  aber  jede  Wirkung.  Es  erschütteii  uns 
ein  Einzelschicksal  eben  nur  im  Zusammenhang  mit  seiner  Welt. 
Nicht  dafs  etwas  Schreckhaftes  geschehen  ist,  sondern  dafs  es 
hat  geschehen  können,  macht  uns  tragisch  schauern.  Wir  fühlen 
uns  als  Teil  dieser  Welt,  ihre  Vorgänge  berühren  uns  persönlich, 
wir  leben  sie  innerlich  mit.  Die  sentimentale  Behandlung  hin- 
gegen isoliert  den  Vorgang,  stellt  ihn  nicht  in  seinem  Werden, 
sondern  Sein  dar  und  reflektiert  gefühlsweich  über  die  Folgen 
des  Geschehnisses,  wobei  es  meistens  passiert,  dafs  die  unschuldig 
Mitbetroffenen  in  den  Vordergnmd  des  Interesses  rücken.  So 
^vird  ein  zufälliges  Einzelschicksal  zur  Hauptsache,  und  wir  werden 
zu  Zuschauern  einer  Geschichte,  die  uns  innerlich  nichts  angeht. 
Gewifs  versagen  wir  den  leidenden  Menschen  nicht  unser  Mit- 
leid, aber  es  bleibt  bei  diesem  lauwarmen  Gefühl.  So  sind  denn 
auch  diese  italienischen  Novellen  aus  rührenden  Schauergeschichten 
zu  schaurigen  Rührgeschichteu  geworden. 

Mit  der  geistigen  Umbildung  der  Stoffe  harmoniert  die  for- 
male. Die  Autorin  wirtschaftet  mit  undeutlichen  Allgemeinheiten. 
Figuren  und  Situationen  bleiben  in  typischer  Verschwommenheit 
stecken.  Nun  hat  aber  nur  das  Individuelle  den  Reiz  der  An- 
schaulichkeit und  die  Kraft  zu  illusionieren.  Denn  nur  der  fest- 
umrissenc  Einzelfall  —  sei  das  die  eine  Situation  oder  Person  — 
hat  durch  seine  Prägnanz  Macht  über  die  nachschaffende  Phan- 
tasie des  Lesers  und  durch  diese  über  sein  Gemüt.  Unklare 
Bilder  des  Autors  erzeugen  nur  matte  Abbilder  im  Leser  und 
lösen  ihm  nur  schwache  Empfindungen  aus. 

In  der  Stoffwahl  offenbart  die  Autorin  das  Streben  nach 
Kraft,  Schwäche  verrät  ihre  Stoffbehandlung  in  den  italienischen 
Novellen.    Ihrer  Anlage  entspricht  nur  die  letzte  Novelle  'Gerrys 


Neuere  Erpelieimingen  auf  dem  Gebiete  d.  engl.  Novelle  u.  Skizze.     7?. 

Garden'.  Es  ist  eine  englische,  herzig-rührende  Kindergeschichte 
mit  gutem  Ausgang.  'Gartenlaube -]dy]le'  wäre  der  deutsche 
terminus  hierfüi*.  Im  Kern  Svahr',  in  der  Ausführung  etwas  zu 
'lieb',  im  ganzen  also  so  'nett',  dafs  man  sich  durch  die  Harm- 
losigkeit gern  durchtändelt. 


Eliza  Olarke,  Governess,  etc.  by  F.  C.  Philips  (vol.  3494). 

Das  Buch  enthält  dreizehn  Arbeiten.  So  allgemein  mufs 
man  sich  ausdrücken,  um  die  Einzelheiten  der  bunten  Mischung 
zusammenfassen  zu  können.  Der  Verfasser  bringt  nämlich  hier 
alles  vor,  von  der  Novelle  bis  zum  Traktat  herab,  also  von  der 
abstrakten  Idee  bis  zu  deren  völliger  Umformung  in  körperhafte 
Poesie  hinauf.  Darum  fühlt  man  sich  versucht,  hier  den  einzelnen 
verschiedenen  Entwickelungsstufen  dieses  Prozesses,  der  poetischen 
Konkretisierung  nachzuspüren. 

Unpoetisch  ist  der  rein  gedankenhafte  Traktat.  So  spricht 
der  Verfasser  über  die  beste  Art  der  Bereitung  von  'Coffee'. 
Gleich  poesielos  ist  der  historische  Essay  'Gambling'.  Doch 
kommt  hier  wenigstens  in  der  Darstellung  etwas  von  poetischem 
Handwerk  herein,  wenn  die  einzelnen  Spielhöllen  lebendig  ge- 
schildert werden. 

Liegt  in  diesen  Beiträgen  bl(»fs  lehrhafte  Tendenz  des  Autors 
vor,  so  erwärmt  sich  dieselbe  in  'Vivisection'  zu  Satire.  Hier- 
mit ist  die  erste  Bedingung  poetischen  Schaffens  gewonnen:  der 
Autor  nimmt  dem  Problern  gegenüber  gefühlsmälsig  Partei.  Die 
Form,  in  welche  er  hier  seine  Satire  kleidet,  ist  freilich  raffiniert- 
unpersönlich: eine  Dialogscene,  getragen  von  etlichen  Figuren 
mit  unterschiedlicher  Stellung  zum  Problem.  Man  sieht  die  ver- 
körperte Gedankenlosigkeit,  Engherzigkeit  und  Heuchelei  im 
Streit  mit  der  guten  Überzeugung. 

Als  Skizzen  dürfen  wohl  ein  paar  Kleinigkeiten  heraus- 
gegriffen werden,  die  wesentlich  immer  nur  eine  Hauptsituation 
zur  Darstellung  bringen.  Aulsere  Kntwickelung  ist  denmach  aus- 
geschlossen von  solchen  Momentbildern,  was  nicht  hindert,  dais 
gerade  in  diese  Situation  eine  geistige  Wandlung  fällt.  In  'A 
woman  of  the  world's  advice'  wird  eine  vermeintlich  'unver- 
standene' Frau  in  die  Ehe  zurückgerettet,  indem  ihr  die  Freundin 


74     Neuere  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  d.  engl.  Novelle  u.  Skizze. 

die  Augen  öffuet  über  die  Nichtigkeit  ihres  Liebhabers.  Der 
mondäne  Ton  dieses  hinhuschenden  Salonbildes  ist  famos  ge- 
troffen. Formal  ist  das  Ganze  ein  Zwiegespräch,  welches  nur  zu 
Anfang  und  am  Schlufs  etwas  episch  verbrämt  wird.  In  *You 
don't  always  know  your  luck^  macht  der  'Held^  auf  der  Reise  zur 
Hochzeit  seines  Freundes  die  allzu  intime  Bekanntschaft  eines 
lustigen  Mädchens,  iu  dem  er  endlich  zu  seinem  Entsetzen  die 
ihm  unbekannte  Braut  erkennen  zu  müssen  glaubt,  bis  sie  sich 
schliefshch  als  deren  namensgleiche,  unverheiratete  Schwester  ent- 
})uppt.  Die  köstliche  Farce  prangt  in  den  kräftigsten  Farben. 
Als  Form  wählt  der  Verfasser  die  harmlose,  direkte  Erzählung, 
die  er  passenden  Ortes  dialogisch  belebt.  In  'The  superior  ser- 
vant'  wird  die  launige  Episode  eines  ärmlichen  Ehepaares  be- 
richtet, das  durch  einen  zu  noblen  Dienstboten  in  finanzielle 
Kalamitäten  gerät.  Weil  der  Hausherr  sein  Mifsgeschick  selber 
vorträgt,  so  gewinnt  die  summarische  Schilderung  dieser  Dauer- 
situation ihre  individuellste  Färbung.  So  sichert  der  formale 
truc  dem  humoristischen  Wesen  des  Ganzen  seinen  eigentlichen 
Nährboden,  das  persönliche  Element. 

Als  Novellen  geben  sich  einige  Geschichten  von  äufserer 
und  innerer  Entwickelung.  'Sympathetic  souls'  ist  eine  'Ich^-Er- 
zählung.  Ein  Spieler  'von  Beruf  trifft  in  Monte  Carlo  auf  eine 
eben  solche  Spielerin.  Langsam  finden  sie  sich  und  verlieren  sich. 
'Never  despair'  ist  ein  Roman  'in  nuce'  —  einfach  erzählt.  Wert- 
los-altmodisch im  Gehalt  wirkt  er  durch  die  äufserst  frische  Dar- 
stellung. 'A  gouty  courtship'  zeigt,  wie  sich  zwei  junge  Leute 
in  Liebe  zur  Ehe  finden.  Das  intime  Thema  findet  seine  in- 
timste Form  in  abwechselnden  Tagebuchblättern  von  ihm  und 
ihr.  Besonders  wirksam  wird  dieser  technische  Einfall,  weil  man 
die  eine  Geschichte  in  zwei  gleichzeitigen,  individuell  verschiedenen 
Varianten  bekonmit,  wobei  Sein  und  Schein  köstlich  einander 
ablösen.  'There  is  an  end  to  all  things'  giebt  von  der  ganzen 
Fabel  die  erste  und  letzte  Scene  in  meisterlicher  Kontrastwirkung. 
Die  Perle  unter  den  Novellen  aber  ist  die  erste  und  längste: 
'Eliza  Clarke,  Governess'.  Formal  wandelt  der  Verfasser  hier 
im  alten  Geleise:  objektive  Erzählung,  stellenweise  dialogisch 
aufgefrischt.  Der  Wert  liegt  im  Inhalt:  ein  armes  Mädchen, 
das  mit  Stundengeben  ihr  Leben  kümmerlich  fristet,  doppelt  ge- 


Neuere  Erscheinungen  auf  dem  Oebiete  d.  oiigl.  Novelle  n.  Skizze.     75 

drückt,  weil  reger  Geist  und  feines  Empfinden  sie  eine  höliere 
Lebensführung  schmerzlichst  entbehren  lassen  —  das  ist  die 
Heldin.  Und  sie  findet  sich  plötzlich  zwischen  zwei  Chancen. 
Ein  sympathischer,  junger  Aristokrat  will  sie  zu  seiner  Freundin, 
ein  altlicher,  langweiliger  Philister  zu  seiner  Frau  machen.  So 
oder  so,  sie  wäre  fürs  lieben  versorgt.  Wem  soll  sie  folgen? 
Glück  gegen  Moral  oder  Moral  gegen  Glück  eintauschen?  Sie 
heilst  die  Zähne  übereinander  und  giebt  —  zwei  Körbe,  um  zum 
öden  INIartyrium  ihrer  Stundengeberei  resigniert  zurückzukehren. 
Schon  diese  dürre  Andeutung  des  Inhalts  verrät,  wie  reich  an 
graziös-humoristischen  Genresceuen  und  feinpsychologischen  Wand- 
lungen der  Stoif  ist.  Der  Autor  hat  diese  möglichen  Wirkungen 
alle  herausgeholt. 

Überschaut  man  das  Gebotene,  so  wird  man  fast  geblendet 
von  der  Verschiedenartigkeit  in  Inhalt  und  Form.  Der  Autor 
kann  alles.  Er  hat  nämlich  überall  gelernt.  Bei  seinen  Lands- 
leuten und  bei  den  Nachbarn  jenseits  des  Kanals.  Freilich  hat 
er  darüber  sich  selbst  vergessen.  Die  individuelle  Ausbeute  für 
seine  Person  ist  gleich  Null.  Ohne  Eigenart  hat  er  als  behendes 
Formtalent  die  Eigentümlichkeit,  dafs  er  sich  jeder  fremden  Art 
intim  anschmiegen  kann.  Tiefe  ist  von  ihm  nicht  zu  erwarten, 
Feinheit  aber  bei  ihm  gesichert. 

The  Love  of  Parson  Lord,  etc.   by  Mary  E.  Wilkins 

(vol.  3435). 

Vier  längere  Novellen  bilden  den  Hauptbestand  des  Buches. 
Es  ist  Frauenarbeit,  was  sich  schon  darin  verrät,  dals  im  Mittel- 
punkt des  Interesses  imtner  ein  Mädchen  steht,  und  es  ist  ameri- 
kanische Arbeit,  was  man  aus  der  Lokalisierung  der  Fabeln,  die 
sich  im  Schatten  des  Sternenbanners  abspielen,  dringlich  vermutet. 
Doch  das  sind  nur  äufserliche  Kennzeichen.  Für  die  Frau  als 
Autorin  spricht  viel  bedeutsamer  die  tiefdringende  Charakter- 
zeichnuug  der  untereinander  grundverschiedenen,  weiblichen  Haupt- 
figuren, für  die  Amerikanerin  die  in  ihrer  jeweiligen  Art  immer 
extrem  entwickelte  Fabel. 

Die  Heldinnen  sind  —  um  typisch  anzudeuten  —  sentimental, 
naiv,    heroisch    oder   humoristisch,    die    Fabeln    idyllisch,    kurios, 


76     Neuore  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  d.  engl.  Novelle  u.  Skizze. 

abenteuerlich  oder  genremäfsig.  Die  beiden  Elemente  passen  so 
sehr  gut  zueinander.  Es  ist  nicht  ohne  Interesse,  das  im  ein- 
zelnen zu  verfolgen. 

Die  erste  Novelle  'The  Love  of  parson  Lord'  spielt  in  einem 
kleinen  Landnest,  im  bescheidenen  Pfarrhaus  und  hat  zur  Heldin 
das  kümmerlich -liebliche  Pfarrerstöchterlein.  Es  passiert  fast 
nichts,  denn  niemand  traut  sich  sein  Leben  zu  leben.  Die  Kleine 
möchte  ihre  aufquellende  Liebe  im  Keime  ersticken,  weil  der 
asketische  A-^ater  sie  zur  künftigen  Missionärin  vorbilden  will; 
der  Pfarrer  weifs  nicht  recht,  ob  er  das  himmlische  oder  irdische 
Glück  der  Tochter  fördern  soll;  der  Liebhaber  wird  vor  der 
Zartheit  der  Geliebten  allzu  schüchtern  und  bringt  es  bis  knapp 
vor  dem  Schlufs  zu  keiner  entscheidenden  Werbung.  Die  zag- 
hafte Geschichte  schmeckt  und  wirkt  wie  geistige  Fastenkost. 
Man  kommt  dabei  als  Leser  um  die  gewohnte  Energie  der 
Empfindung  und  reagiert  geschwächt  auf  die  schwächlichen  Sen- 
sationen. Sie  mufs  wahrhaftig  gut  sein,  diese  sentimentale  Idylle, 
weil  sie  einen  so  verzärtelt.  Die  zweite  Novelle  'The  tree  of 
knowledge'  rüttelt  einen  dafür  mit  ihren  psychologischen  und 
fabulistischen  Sonderlichkeiten  mächtig  auf.  Man  ringt  beim 
Lesen  um  den  Glauben  an  das  Gelesene.  Die  naive  Heldin  mit 
ihren  kuriosen  Erlebnissen,  das  ist  der  aufreizende  Gegensatz 
zwischen  Einfachheit  und  Verworrenheit.  Aber  statt  einander 
zu  schlagen,  unterstützen  sich  hier  die  widersprechenden  Elemente 
wechselseitig.  Die  Naivität  der  Heldin  würde  in  einer  'normalen' 
Fabel  unglaublich  scheinen.  Die  exotische  Fabel  erzieht  erst 
zum  Glauben.  Und  das  Merkwürdigste  ist,  dafs  die  einzelnen 
Vorfälle  an  sich  betrachtet  durchaus  nicht  kurios  sind,  erst 
durch  ihre  Verkettung  kurios  werden. 

Einfach  mutet  einen  danach  die  dritte  Novelle  an:  'Cathe- 
rine Carr\  Hier  rumort  die  Fabel  abenteuerlich  herum  und  in 
ihr  die  Heldin  als  kraftstrotzendes  und  listenreiches  Weib  in 
Kriegslärm  und  Todesgefahr.  Nach  dem  Flöten-  und  Geigenspiel 
der  ersten  und  zweiten  Novelle  setzt  hier  die  kräftige  Blech- 
musik ein. 

Eigentümlich  nimmt  sich  daneben  die  vierte  Novelle  'One 
good  time'  aus.  Sie  besteht  —  fabulistisch  betrachtet  —  aus 
einer    breiten    Einleitung    und    einem    kraftvollen    Schlul's.     Da- 


Neuere  Erschiimiu'ren  auf  deni  (Jebieto  d.  i;n«'l.  Novellen  u.  Skizze, 


o* 


zwischen  verschruiupft  der  Hauptteil  der  Fabel.  Er  spielt  sich 
nicht  einmal  in  concreto  vor  unseren  Augen  ab,  sondern  wird 
nur  im  knappen  Bericht  gegeben.  So  ist  er  bis  zum  äulsersteu 
verkümmert.  Das  ist  aber  hier  notwendig.  Der  Hauptaccent 
liegt  auf  der  Charakterdarstellung  der  passiv-humoristischen  Hel- 
din. Eine  solche  kann  nur  in  handlungslosen  Genrescenen  lebendig- 
gemacht  werden.  Nicht  in  der  That  selbst,  sondern  in  deren 
Vorbereitung  und  Überwindung  lebt  sicli  diese  Heldin  aus. 
Daher  die  genremälsige  Pseudofabel  als  Surrogat  für  die  ver- 
schrumpfte organische. 

Die  Verschiedenlieiteu  dieser  vier  Novellen  sind  grols.  Trotz- 
dem tragen  sie  einen  gemeinsamen  Zug,  in  dem  sich  die  künst- 
lerische Individualität  der  jung-rassigen  Autorin  deutlich  spiegelt: 
das  jeweilige  litterarische  Problem  wu-d  starkwillig  bis  zur  letzten 
Konsequenz  durchgeführt.  Es  sind  ästhetische  Kraftproben  eines 
selbstbewulsten  Talents. 

Wien.  R.  Fischer. 


Die  eiügeschobeueu  Sätze  im  heutigen  Euglisch. 


II. 

VII.    Der  eingeschobene  Satz  besteht  ans  Subjekt,  Verb 

und  Objekt: 
he  told  thetn 
she  said  to  Manisty 
Mandeville  assnred  hini 
said  Dick  to  his  loife 
(Dick  said  to  his  wife) 

Da  die  Beispiele  für  diesen  Fall   nicht  sehr  zahlreich   sind,   so 
möchte  ich  alle  von  niir  gefundenen  zusammenstellen. 

A.    Das  Subjekt  ist  ein   persönliches  Fürwort. 

a)  Das  Objekt  ist  ein  Accus ativ. 

Das  Subjekt  steht  vor:  Das  Subjekt  steht  nach: 

Miss  Johnston. 
he  told  them 

Mrs.  Ward, 
she  asked  herseif 

he  asked  her 

Hope,  Quisante. 
she  reminded  him 
she  told  him  in  an  admiring  tone 
she  assured  him 
Jie  told  her 

I  told  him 

Hope,  King's  Mirror. 
I  assured  her 

I  assured  him  (2) 

I  asked  her,  him,  them 

I  advised  him 


Die  eingeschobenen  Ratze  im  heutijreu  Englisch.  79 

Das  Subjekt  steht  vor:  Das  Subjekt  steht  nach: 

Watts-Duiitun. 
/  asked  Mr.  Finch 

I  asked  her 

I  asked  Wilderspin 

I  asked  inijself 


he  told  himself 

I  asked  kirn  suddenl;/. 


Hall  Caine. 
Marie  ('orelli. 


b)  Das  Objekt  ist  prä posi tional. 

Miss  .lohiiston. 

he  Said  to  the  Muggletonian 

he  said  to  himself 

h-e  remarJced  to  his  fellow  boatman 

she  said  to  her  hand-maiden 

lie  said  in  a  whisper  to  the  Colonel 

she  said  with  a  wave  of  Jier  hand 
to  the  men  about  him 

Jie  said  over  his  Shoulder  tu  Pa- 
tricia 

he  muttered  to  himself 

Mrs.  Ward. 
/  said  to  Jter 

she  said  to  Manisty 

she  said  to  her  seif  (5) 

she  said  to  him 

he  said  to  fier 

she  said  anxiously  to  Eleanor 

lie  thought  to  himself 

she  thought  to  her  seif  (2) 

he  said  to  her  abruptly 

he  said  to  himself 

she  said  to  Miss  Manist// 

sJie  said  to  Manisti/ 

Hope,  (^uisante. 
she  said  to  May 

he  said  to  MarchniuiU 


80  Die  eingeschubeueii  Sätze  im  heutigen  Englisch. 

Das  Subjekt  steht  vor:  Das  Subjekt  steht  nach: 

he  Said  to  his  wife 

he  Said  to  the  Dean  cordially 

he  said  to  Jdniself 

she  observed  patheticaUy  to  Weston 

he  continued  to  May 

slie  murmured  more  to  her  seif  than 

her  conipanion 
she  said  to  Marchniont 
slie  wrote  to  Benyon 
she  asked  of  Foster 
she  implored  of  the  Dean 
sJie  whispered  to  the  agent 
slie  said  to  Quisante 
he  said  to  one  gentlemaii  whoin 

Hope,  King's  Mirror. 
he  cried  to  tlie  driver  said  I  to  myself 

he  cried  to  me  said  I  to  Victoria 

Wattä-Duuton. 
I  said  to  myself  {b)  whispered  he  to  me 

she  murmivred  to  her  seif  said  he  to  Gyril 

I  said  to  Cyril  said  he  to  me 

I  said  to  him  said  he  to  tlie  womun 

I  said  to  m,y  mother 
I  muttered  to  my  motlier 
I  said  to  Wilderspin 
I  cried  to  Wilderspin 
I  said  to  my  son 

Das  persönliche  Fürwort  steht  also  voran,  wenn  das  Ob- 
jekt ein  Aecusativ  ist;  desgleichen  (mit  wenigen  Ausnahmen 
bei  einzelnen  Schriftstellern  und  besonders  bei  dem  Verbum  say  — 
6  :  55)  wenn  es  präpositional  ist. 

■'^,     Vergleichen  wir  damit  den  Gebrauch  um  die  Mitte  des  19.  Jahr- 
hunderts :  ^ 


'  In  dem  ebenfalls  durchgesehenen  Christmas  Card   findet  sich   kein 
Beispiel  dieser  Art. 


Die  eingeschobenen  Sätze  im  heutigen  Englisch.  81 

Das  Subjekt  steht  vor:  Das  Subjekt  steht  nach: 

G.  Eliot,  Janet's  Repentance. 
she  Said  to  fierself 

Thackeray,  Adventures  of  Philip.   Vol.  I. 
lie  apostrophixed  his  mother's  picture 
she  aslced  of  Madame 
she  Said  to  kirn 
he  Said  to  Charlotte 
I  said  io  mij  companion 
he  asked  of  fhc  little  sister 
she  said  to  the  doctor 
I  say  to  my  wife 
I  say  to  the  partner 
I  asked  of  his  emissary 

und  bei  Beginn  des  il).  Jahrhunderts: 

Scott,  Talisman. 
Iie  said  to  his  attendant 

he  said  to  himself 

}ie  said  to  the  Hakim 

he  said  to  de  Vaux 

she  said  to  the  Queen 

W.  Irving,  The  Student  of  Salamanca. 

said  he  to  tJie  familiars. 
Danach   scheint  die   Vorausteilung   des  persönlichen  Fürworts 
bei   folgendem  Objekt  das  ganze  Jahrhundert  nahezu  obligatorisch 
gewesen  zu  sein. 

Eine  andere  Erscheinung  bietet  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts: 
Goldsmith,  Vicar  of  Wakefield. 

cried  I  to  myself 
cried  I  to  her 
eried  I  to  my  wife 
cried  slte  to  me 
cried  she  to  tiie  Squire 
said  I  to  my  fellow-prisoner 
continued  he  to  Sir  William 
Hier  ist  also  die  Nachstellung  herrschend.' 

'  Leider  findet  sich  kein  Beispiel  mit  einem  Aceusativ-Objekt. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CVUI.  Q 


82  Die  eingeschobenen  Sätze  im  heutigen  Englisch. 

B.    Das  Subjekt  ist  ein  Substantiv. 

a)  Das  Objekt  ist  ein  Accusativ. 

Hope,  Quisante. ' 

Das  Subjekt  steht  vor:  Das  Subjekt  steht  nach: 

Dick  assured  him  placidly 
Maundeville  assured  him 

Trotz  der  geringen  Ausbeute  an  Beispielen  kann  man  als  sicher 
annehmen,  dafs  das  substantivische  Subjekt  schwerlich  jemals  mit 
dem  Accusativ  zusammen  hinter  das  Verb  gestellt  wurde;  Sätze  wie 
assured  Dick  him  oder  assured  Dick  his  friend  widersprechen  dem 
elementarsten  englischen  Sprachgefühl. 

b)  Das  Objekt  ist  präpositional. 

Miss  Johnston. 
Landless  o'ied  to  Darkeih  whispered  Mr.  Peyton  to  Mr.  Carey 

the  Mulatto  cried  fiercely  to  Trail       said  Landless  to  him  seif 

said  Betty,  half  to  herseif 
asked  the  Governor  of  that  gentle- 

man 
ejaculated  the  Oovernor  to  Colonel 

Verney 
muttered   young    Whittington    to 

Havisham 
said  Patricia  to  the  women 

Mrs.  Ward. 

Mr.  Neal  said  once  to  Mrs.  Bur-      laughed  Reggie  to   Mrs.  Biirgoyne 

goyne 

Besant, 

said  ChristopJier  to  his  son 

Hope,  Quisante.  '^ 
aunt  Mary  remarked  to  the  Dean      said  Dick  to  his  wife 
Morewood  called  to  Marchmont  said  Morewood  to  Benyon 


'   Bei  Johnson,   Mrs.  Ward,   Besant,    Hope   (King's   Mirror),    Watts- 
Dunton,  Hall  Caine,  Marie  Corelli  kein  Beispiel. 

■■'  In  Hope  (King's  Mirror)  und  Marie  Corelli  keine  Bei.spiele. 


Die  eingeschobenen  Sätze  im  heutigen  Englisch.  83 

Das  Subjekt  steht  vor:  Das  Subjekt  steht  nach: 

Morewood  said  to  Marchmont  said  Lady  Richard  to  Marewood 

Jimmy  whispered  to  Fanny  said  Japhet  to  a  group  who  . . . 

Wattö-Dunton. 
Sinfi  said  to  me  said  my  mother  to  nie 

laughed  Sleaford  to  himself 
Hall  Caine. 

said  Hugh  to  the  landlady 

Danach  scheint  auch  bei  präpositionalem  Objekt  die 
Nachstellung  des  Substantiv-Subjekts  zu  überwiegen  (16  :  8), 
während  in  diesem  Falle  die  Vorstellung  des  Subjekts  so  häufig  ist 
wie  in  keinem  anderen. 

Vergleichen  wir  die  Schriftsteller  aus  der  Mitte  des  19.  Jahr- 
^""^e^ts:  Dickens.! 

said  Scrooge  to  himself 
said  Scrooge  to  the  girl 
Tliackeray. 
Mrs.  Brandon  told  my  wife 

Caroline  said  to  m,y  wife  remurked  Seiina  of  her  friend 

Philip  lürote  to  his  hiograpJier  asked  Mrs.  Bolder o  of  her  friend 

Philip  said  to  his  biographer  ivhispers  M.  de  Clancy  to  tlie  ladies 

Philip's  aunt  said  of  him,  says  Brown  to  Jones 

says  Brown  with  a  wink  to  Jones 
says  Mugford  to  his  subordhiate 
said  Dr.  Firmin  to  me 
whispered  Rosebury  to  me 
whispers  J^hilip  to  the  captain 
und  aus  dem  Beginn  des  Jahrhunderts: 

Scott. 

said  the  King  to  Neville 
replied  de  Vaux  to  his  sovereign 
said  Florise  to  Calista 
said  tlie  King  to  the  Ähibian 
said  Riehard  to  Saladin 
Sie  zeigen  die  gleiche  Erscheinung. 


'  G.  Eliot,  W.  Irving  und  Goldsmirh  haben  Iceine  Beispiele. 

6* 


84  Die  eingeschobenen  Sätze  im  heutigen  Englisch. 

Danach  bleibt  also  auch  für  die  eingeschobenen  Sätze  mit  Ob- 
jekt die  Hauptregel  bestehen:  das  persönliche  Fürwort  steht  als 
Subjekt  voran;  das  Hauptwort  nach,  wird  freilich  bei  prä- 
positionalem  Objekt  nicht  selten  vorangestellt  und  mufs  vorstehen, 
wenn  das  Objekt  ein  Accusativ  ist. 

VIII.    Das  Prädikat  ist  eine  zusammengesetzte  Verballorm: 

/  have  Said 
Manisty  ivould  think 
she  had  fold  May 

Ich  stelle  auch  für  diesen  Fall  alle  gefundenen  Beispiele  zu- 
sammen : 

1)  Das  Subjekt   ist  ein  persönliches  Fürwort: 

(Besant:)  I  Jiave  said  —  (Hope:)  she  had  said  —  Jie  was 
answered  —  he  was  a^king  in  exuUation  —  sJie  kept  re- 
peating  —  (Ward:)  she  would  sag  —  she  )iad  said  —  he 
would  sag  with  a  shake  of  the  liead  —  she  was  saging  —  slie 
was  thinking. 

2)  Das  Subjekt  ist  ein  Substantiv: 

(Besant:)  the  old  woman  was  going  on  —  (Hope:)  Foster 
hurfied  to  sag  —  her  eges  seemed  to  sag  in  plaintive  sur- 
prise  —  (Ward:)  Miss  Manistg  would  think  —  L/ucg  could 
not  Help  sagmg  —  Manistg  Juul  said  in  her  ear  —  a  Boston 
ladg  Jmd  said  in  her  Jiearing. 

3)  Der  Satz  hat  ein  Objekt: 

(Hope:)  she  had  told  Mag  —  Mag  heard  1dm  sag   —   tJieg 

Jieard  her  whisper  —  he  heard  her  murmur  —  Jte  used  to  sag 

to  Ladg  M.  —  (Ward:)  her  little  friend  had  said  to  her  — 

Eleanor  would  sag  to  herseif  —  she  was  saging  to  herseif. 

(Verron  citiert  nur  zwei  Beispiele  aus  Irving,  in  denen  das  Subjekt 

in  diesem  Falle  nachgesetzt  wird  [would  fie  exclaim,   ivould  he  erg]. 

Nach  meinen   25   Beispielen    scheint   diese  Möglichkeit   nicht  mehr 

vorhanden  zu  sein.) 

Das  Subjekt  steht  also  vor  dem  Verb. 
Die  anderen  Schriftsteller  aus  dem  Ende  des  Jalirhunderts  be- 
stätigen diese  Regel: 

1)  (Hope,  King's  Mirror:)  she  would  sag  {-2)  —  (Watts-Dunton:) 
I  kept  murmuring  —  I  could  not  lielp  exclaimiug    —  (Hall 


Dir  oinirfsdiobenpt)  Sät/e  im  heutigeu  Englisch.  85 

Caine:)  they   ivould  ask  hc  icould  a/isiver    -  -    shc   was 

saymg. 
''    2)  (Watts-Dunton:)  ancestral  voices  of  the  blood  seemed  whisper- 
•  i         ing  in  my  ear  —   the  voices  would  say  —   (Hall  Caine:) 

the  little  tailor  ivas  saying. 
3)  (Watts-Dunton:)  T  heard  Cyril  say  —  I  heard  Wildersphi  say 

—  I  heard  my  mother  say. 

Desgleichen  die  aus  der  Mitte  des  Jahrhunderts: 

1)  (G.  Eliot:)  he  was  frequently  heard  to  ohserve  —   (Thacke- 

ray:)  he  would  say  —  he  would  roar  o^d  —  he  would  ob- 
serve  —  she  had  said  —  she  would  ask. 

2)  (Thackeray:)  the  sot  recommences  to  shriek  —  that  good  lady 

would  say  ■ —  Philip  would  say  (4)   —    Philip)  used  to  say  — 
Philip  would  affirm   —  Lord  Ringwood  would  say  —   our 
host  ivould  ask. 
'S)  (Thackeray:)  he  would  say  to  nie  —  Philip  used  to  say  to  me 

—  she  would  say  to  Madame  —  I  heard  the  generous  Twysden 
say  —  Philip  would  say  to  the  present  chronicles  —  Mr.  Jar- 
man  tvotild  say  of  him  —  Firmin  had  said  to  the  sister  — 
(Dickens:)  Scrooge  could  say  no  more. 

Anders  dagegen  scheint  der  Gebrauch  im  Beginn  des  Jahrhun- 
derts zu  sein: 

1)  (W.  Irving:)   would  he  say  —  would  he  exclaim  —   und  hc 

would  say. 

2)  (W.  Irving:)  ivould  the  poor  scholar  exclaim. 

Bei  Goldsmith  finden  sich  zwei  Beispiele  mit  vorangestelltem 
Subjekt:  /  would  say  —  she  would  answer. 

IX.     Das  Prädikat  ist  ein  zusammengesetztes  Verb: 

he  we^it  Oh 
May  pvt  in 

Das  Subjekt  steht  in  allen  Fällen  voran  bei  Hope  (30),  Besant 
(9),  Ward  (1);  26  mal  ist  es  ein  persönliches  Fürwort,  14  mal  ein 
Substantiv.  Die  Amerikanerin  Miss  Johns  ton  bietet  nur  Bei- 
spiele mit  Substantiv-Subjekt  und  setzt  dieses  beständig  nach: 

put  in  Godwin  —  put  in  Sir  Charles  lazily  —  jtut  in  Tradl 
smoothly   —   hroke  in   the  Governm-  as  fiercely   -     hroke  in 


86  Die  eingeschobenen  Sätze  im  heutigen  Englisch. 

the   Colonel  impatiently    —   cwme   in  a  sibüani  whisper  too 
low  to  ... 
(Im  letzteren  Falle  scheint  es  unmöglich,  das  Substantiv  voranzusetzen.) 
Das  Subjekt  steht  also  vor  dem  Verb;  ist  es  ein  Substan- 
tiv, so  kann  es  auch  nachstehen,  was  in  Fällen,  wo  es  längere 
Bestimmungen  bei  sich  hat,  geschehen  mufs. 

Bei  den  anderen  Schriftstellern  aus  dem  Ende  des  Jahrhunderts 
finden  wir  folgende  Beispiele: 

(King's  Mirror:)  she  went  on  (3)  —  aber  put  in  Var- 
villiers  —  (Watts-Dunton:)  she  went  on  (2)  —  (Hall 
Caine:)  he  wend  on  —  he  h-oke  out  —  the  old  man  sobbed 
out  —  (Corel li:)  /,  he,  she  went  on  (12). 
In  der  Mitte  des  Jahrhunderts  setzt  Thackeray  das  Substantiv 
gern  nach: 

(G.  Eliot:)  he  went  on  —  Janet  hurst  out  at  last  —  (Thacke- 
ray:) he  groaned  out  —  he  calls  out  —  she  breaks  out  —  the 
woman  goes  on  —  calls  out  the  clergyman  —  goes  on  the 
young  officer  —  breaks  out  the  clergyman  —  shrieks  out  the 
prostrate  wretch  —  aries  out  the  little  sister. 
So  finden  wir  auch  bei  Scott:  groaned  out  the  divarf. 
Bei  W.  Irving  und  Goldsmith  finden  sich  keine  Beispiele. 
Im   allgemeinen  darf  man   wohl   sagen,   dafs  die  Nachstellung 
des  Substantiv-Subjekts  in  früherer  Zeit  häufiger  war,  dafs  man  jetzt 
aber  seine  Voranstellung  als  Regel  betrachten  darf. 


Wenn  wir  das  Resultat  aus  den  vorausgehenden  Beobachtungen 
ziehen,  so  ergiebt  sich  als  Generalregel: 

In  eingeschobenen  Sätzen  steht  das  Subjekt  voran,  wenn 
es  ein  persönliches  Fürwort,  nach,  wenn  es  ein  Substantiv  ist. 
Auch  das  Substantiv  steht  jedoch  voran,  wenn  der  Satz  ein 
Accusativ-Objekt  oder  eine  zusammengesetzte  Zeit  oder  ein  zu- 
sammengesetztes Verb  enthält. 


Danach  hat  sich  im  Englischen  des  19.  Jahrhunderts  in  diesen 
Sätzen  das  französische  Betonungsprincip  durchgerungen,  nach  wel- 
chem das  meistbetonte  Wort  an  das  Ende  einer  Wendung  oder  eines 
Satzes  tritt.     Die  persönlichen   Fürwörter    sind   weniger  betont   als 


Die  eingeschobenen  Sätze  im  heutigen  EnjL'lisch.  87 

(las  Verbiini  des  Sagen?,  zu  dem  sie  gehören;  also  treten  sie  voran. 
Dagegen  sind  die  mit  ihrem  Namen  oder  anderen  Substantiven  be- 
zeichneten Personen  wichtiger  als  die  mit  ihnen  verbundenen  Verba 
des  Sagens  und  treten  deshalb  hinter  sie.  Will  der  Schreiber  aber 
auf  die  Art  der  Auiserung  besonderes  Gewicht  legen,  so  kann  er 
das  Verbum  des  Sagens  auch  der  substantivischen  Bezeichnung  des 
Redenden  nachstellen.  Diese  Fälle  sind  jedoch  relativ  so  selten, 
dafs  sie  für  den  Sprachgebrauch  des  Ausländers  jiicht  in  Betracht 
kommen;  ebensowenig  die,  in  welchen  das  persönliche  Fürwort  nach- 
gestellt wird.  Die  Mehrzahl  der  Schriftsteller  der  zweiten  Hälfte 
des  19.  Jahrhunderts  vermeidet  die  Nachstellung  des  persönlichen 
Fürwortes  fast  vollständig;  sie  wird  in  absehbarer  Zeit  wahrschein- 
lich ganz  abkommen.  Sie  besteht  heute  nur  noch  auf  Grund  der 
Langsamkeit  der  sprachlichen,  wie  jeder  geschichtlichen,  Evolution 
als  Reminiscenz  an  einen  früher  allgemein  geübten  Gebrauch  und 
knüpft  sich  vorzugsweise  an  das  zu  jeder  Zeit  meistgebrauchte  Verb 
des  Sagens:   to  say. 

Denn  wie  hätte  die  falsche  Regel,  die  durch  die  Grammatiken 
geht,  überhaupt  aufkommen  können,  wenn  es  nicht  einmal  eine  Zeit 
gegeben  hätte,  wo  die  Inversion  in  allen  eingeschobenen  Sätzen  not- 
wendig war. 

In  der  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  war  das  noch  nicht  der  Fall. 

Dickens  braucht  im  Christmas  Carol  relativ  selten  das  per- 
sönliche Fürwort;  er  setzt  gewöhnlich  den  Namen  des  Sprechenden 
zu  dem  Verbum  des  Sagens.  Wenn  er  es  aber  braucht,  stellt  er  es 
fast  immer  voran  (22  :  2).  Ebenso  stellt  er  in  einer  sehr  grofsen 
Anzahl  von  Fällen  das  Substantiv  nach,  relativ  oft  aber  auch,  näm- 
licli  19  mal,  voran,  meist  bei  gewichtigen  Verben  {remonstraied,  pur- 
sued,  eocclaimed,  inquired,  demanded  etc.).  Er  steht  also  auf  dem 
Standpunkte  Hopes. 

G.  Eliot  stellt  in  der  genannten  Erzählung  Jie  etc.  immer 
voran,  das  Substantiv  (mit  nur  5  Ausnahmen)  immer  iiach.  Sie  ver- 
fährt also  wie  Miss  Johns  ton  am  Ende  des  19.  Jahrhunderts. 

Thackeray  stellt  46  mal  das  persönliche  Fürwort  voran, 
12  mal  (fast  nur  bei  says  he,  sai/s  she)  nach.  Er  braucht  also  die 
Inversion  in  noch  stärkerem  Verhältnis  als  Watts-Dunton.  Das 
Substantiv  steht  fast  nur  nach;  23  mal  aber  steht  es  voran,  d.  h. 
etwa  ebenso  oft  wie  in  Hopes  Quisante. 


88  Die  eingeschobenen  Sätze  im  heutigen  Englisch. 

Ebenso  verhält  es  sich  mit  Scott  am  Anfang  des  19.  Jahr- 
hunderts: er  setzt  58  mal  das  persönliche  Fürwort  voran  und  nur 
6  mal  nach  {said  he,  said  she);  das  Substantiv  dagegen  —  und 
dessen  Gebrauch  ist  so  häufig  wie  bei  Dickens  —  immer  nach. 

Endlich  in  Irvings  Student  of  Salamanca  (Bracebridge  Hall, 
1822)  vsteht  he  etc.  37  mal  nach  und  nur  2  mal  voran;  ebenso  steht 
das  Substantiv  immer  nach.  Hier  haben  wir  also  den  Gebrauch, 
wie  ihn  die  veraltete  Regel  unserer  Grammatiken  giebt;  aber  Irving 
ist  Amerikaner;  und  ob  die  für  uns  mafsgebenden  Engländer  der 
nämlichen  Zeit  ihm  folgen,  ist  mir  höchst  zweifelhaft;  Scott  wird 
wohl  den  herrschenden  englischen  Standpunkt  vertreten.  Aber  ich 
habe  die  Sache  nicht  weiter  verfolgt  und  kann  also  nichts  Bestimmtes 
darüber  sagen. 

Gehen  wir  freilich  bis  in  die  Mitte  des  1 8.  Jahrhunderts  zurück, 
80  finden  wir  auch  in  England  den  Gebrauch,  den  die  Grammatiken 
als  heute  herrschend  darstellen.  Im  Vicar  of  Wakefield  stehen  die 
persönlichen  Fürwörter  236  mal  nach  und  nur  4  mal  voran  (darunter 
2  mal  bei  zusammengesetzten  Verbalformen).  Das  Substantiv  steht 
immer  nach. 

Fragen  wir  schliefslich,  wie  es  möglich  gewesen  ist,  dais  eine 
längst  veraltete  Regel  sich  so  lange  in  unseren  Grammatiken  hat 
halten  können,   so  lassen  sich  dafür  verschiedene  Gründe  anführen. 

Absolut  falsch  ist  ja  die  gegebene  Regel  nicht,  da  sich  that- 
sächlich  Fälle  finden,  in  denen  das  Subjekt  des  eingeschobenen 
Satzes  —  ob  persönliches  Fürwort  oder  Substantiv  —  voran-  und 
in  denen  es  nachgestellt  wird.  Relativ  aber  ist  sie  durchaus  im- 
richtig,  indem  sie  die  Ansicht  verbreitet,  dafs  es  ziemlich  gleichgültig 
sei,  ob  man  das  Subjekt  vor-  oder  nachstelle.  Um  zur  Sicherheit 
hinsichtlich  des  herrschenden  Gebrauches  zu  kommen,  mufste  man 
die  verschiedenen  Fälle  registrieren,  zählen;  das  war  bisher  nicht 
geschehen. 

Auch  durfte  man  nicht,  wie  Verron,  Beispiele  aus  zwei  Jahr- 
hunderten zusammentragen.  Es  giebt  selbstverständlich  keine  Sprache 
auf  Erden,  die  in  so  lebhaftem  Flusse  ist  wie  die  über  die  ganze 
Welt  verbreitete  englische.  Wenn  man  daher  den  gegenwärtigen 
Sprachgebrauch  feststellen  will,  so  mufs  man  seine  Unter- 
Buchung  beschränken  auf  die  Schriftwerke  der  letzten 
dreifsig  oder  höchstens  fünfzig  Jahre. 


Die  oingopchobenen  Pätzo  im  heutigen  Eiigliscli.  80 

Der  Hauptgruiul  für  diese  Verfassung  unserer  englischen  Gram- 
matiken liegt  aber  darin,  dafs  mit  wenigen  Ausnahmen  die  Ver- 
fasser englischer  Grammatiken  keine  originale  gram- 
matische Forschung  betrieben,  sondern  sich  darauf  beschränkt 
haben,  aus  sechs  der  ihnen  kongenialsten  Grammatiken  eine  siebente 
herzustellen.  Und  das  Unglück  hat  es  gewollt,  dafs  die  Engländer 
selbst  nur  ganz  minderwertige  oder  auf  zum  Teil  recht  gleichgültige 
Specialfragen  sich  erstreckende  Untersuchungen  über  ihre  heutige 
Sprache  besitzen.  Für  das  moderne  Französisch  ist  in  Frankreich 
und  bei  uns  viel  mehr  geschehen.  Vielleicht  könnten  die  Herren 
Docenten  des  Englischen  trotz  der  gewaltigen  auf  ihnen  lastenden 
sprach-  und  litterarhistorischen  Lehraufgabe  dennoch  zur  Befruch- 
tung dieses  brachliegenden  Feldes  des  englischen  Studiums  etwas 
beitragen,  indem  sie  häufiger  zur  Veröffentlichung  modern -gram- 
matischer Arbeiten  in  den  von  ihnen  herausgegebenen  Zeitschriften 
anregten  und  in  den  von  ihnen  geleiteten  Seminarien  ebenso  oft 
modern-grammatische  als  sprachhistorische  Untersuchungen  ausführen 
liefsen.  Die  letzteren  müfsten  freilich,  sofern  sie  dessen  würdig  sind, 
auf  irgend  eine  Weise  zur  öffentlichen  Kenntnis  gebracht  werden. 

Grofs-Lichterfelde.  Hermann  Conrad. 


Aus  dem  Leben  Claude  Tilliers. 


1.    Jugend  und  Wanderjahre. 

Claude  Tillier  wurde  in  Clamecy,  einer  der  vier  Arrondisse- 
ments- Städte  des  Nifevre- Departements,  am  10.  April  1801  ge- 
boren. Sein  Vater,  ein  Schlosser,  war  für  seinen  Stand  ein  ver- 
möglicher Mann.  Ein  lebhafter,  gesunder  Verstand  fiel  an  ihm 
auf;  allgemein  geachtet  war  seine  und  der  Seinigen  Rechtlichkeit. 
Von  seinen  Kindern,  drei  Söhnen,  war  Claude  der  älteste.  Ein 
ungewöhnlich  kräftiger,  frischer  Junge,  den  sein  leicht  reizbares 
Temperament  schon  früh  mehr  als  andere  in  knabenhaften  Streit 
und  Kampf  geraten  liefs.  Seine  Eltern  waren  es  bald  gewöhnt, 
an  Körper  und  Kleidung  deutliche  Spuren  davon  zu  finden;  ein- 
mal geschah  es,  dafs  man  ihn  mit  gebrochenem  Arm  nach  Hause 
brachte.  Bis  in  sein  dreizehntes  Jahr  besuchte  er  das  städtische 
College  in  Clamecy.  Bald  zeichnete  seine  Begabung  ihn  hier 
unter  den  Mitschülern  au^,  und  als  gegen  Ende  des  Jahres  1813 
eine  von  der  Stadt  Clamecy  am  kaiserlichen  Lvceum  in  Bourges 
gestiftete  Freistelle  neu  zu  vergeben  war,  erhielt  sie  Claude  Tillier. 
So  kam  er  am  1.  Dezember  nach  Bourges.  Sein  Charakter,  seine 
geistigen  Anlagen  entwickelten  sich  hier  weiter  in  der  Richtung, 
die  sie  früh  genommen  hatten  und  die  sie  sein  Lebenlang  ein- 
hielten: ungestümer  Widerstand  gegen  Willkür  und  Ungerechtig- 
keit, lebhaftes  Eintreten  für  die  Schwächeren  und  Unterdrückten, 
'Wenn  er  unter  seinen  Mitschülern^,  erzählt  uns  Parent,  sein 
Landsmann    und    Schulgenosse    in    Clamecy, '    'solche   fand,   die. 


'  Notice  sur  Claude  Tillior  —  au  profit  de  Ses  Enfants.  Clamecy 
1844.  Herrn  Paul  Baret  in  Paris  verdanke  ich  die  Kenntnis  dieser  heute 
nur  schwer  noch  zu  erlangenden  biographischen  Skizze. 


Aup  dem  T.ebfn  Claude  Tilliers.  91 

zänkisch  und  tyrannisch,  ihre  Kraft  gegen  kleinere  niifsbraucliten, 
so  trat  er  sofort  gegen  sie  auf.  Bemerkte  er  dagegen  unter 
seinen  Kameraden  einen,  der  schwächlich  oder  kränklich  war,  so 
wurde  er  dessen  erklärter  Beschützer.  Mit  beständiger,  eifer- 
süchtiger Sorge  wachte  er  dann  darüber,  dals  seinem  Schützling 
nichts  zuleide  geschah.'  Unter  den  dankbaren  Freunden  fürs 
Lei)en,  die  er  sich  so  gewann,  nennt  sein  Biograjih  auch  Herrn 
Bonnet,  der  später  zu  den  namhaften  Präfekten  der  Julimonarchie 
zählte. 

In  stürmischer  Zeit  war  der  früh  entwickelte  zwölfjährige 
Knabe  in  die  neue  Umgebung  eingetreten.  Der  1.  Dezember 
1813  ist  auch  das  Datum  des  Kriegsmanifestes  der  nach  Frank- 
reich hinein  Napoleon  nachziehenden  Verbündeten,  und  der  fol- 
gende Februar  und  März  hallten  wieder  von  den  letzten  kühnen 
Schlägen  des  gewaltigen  Mannes  und  von  seinem  tiefen  Fall. 
Auch  im  eigenen  Lande  atmete  von  den  älteren  gar  mancher, 
der  Kriegslast  und  des  inneren  Druckes  gründlich  müde,  erleich- 
tert auf;  die  jüngeren  bis  zu  den  Schulknaben  herab  fühlten 
nur  den  Schmerz  der  Überwundenen  und  nahmen  ein  unauslösch- 
liches Andenken  dieser  Niederlagen,  das,  was  man  la  nnilddic 
de  1815  genannt  hat,  in  ihr  ganzes  späteres  Leben  mit  hinüber. 
So  Armand  Carrel,  so  auch  Claude  Tillier.  In  dessen  Ijyceum 
führte  sogleich  der  Rückschlag  der  ersten  Restauration  zu  einer 
Schülerrevolte.  Die  Jungen  waren  bis  dahin  des  Morgens  durch 
Trommelschlag  geweckt  worden ;  jetzt  sollte  die  Glocke  die 
Trommel  ersetzen,  die  weif'se  Kokarde  an  Stelle  der  glorreichen 
Trikolore  treten.  Dagegen  empörten  sich  auch  solche  unter  den 
Buben,  die  wie  Claude  noch  halbe  Kinder  waren;  laut  riefen 
sie  ihr  olve  l'em/)ere>ir  und  traten  die  neue  Kokarde  mit  Füfsen. 
Über  die  Zeit,  die  Tillier  in  Bourges  zubrachte,  wissen  wir 
Näheres  nicht;  er  Wieb  dort  bis  August  1819.  Er  wird  die 
Schule  absolviert  haben,  denn  einige  Jahre  später  versuchte  er  in 
den  höheren  Schuldienst  {V Instruction  secondaire)  einzutreten. 
BackeUer  jedoch  scheint  er  nicht  geworden  zu  sein.  In  einem 
Pamphlet,  in  welchem  er  seine  ersten  Erlebnisse  als  Schüler- 
aufseher in  Paris  schildert,  ist  nur  davon  die  Rede,  dals  er  ein 
Accessit    in    der   obersten  Klasse  {<'n  philosophie)   erhalten  habe. 

Denn  maitre  d'etudes    wurde  er  nun  zunächst.     Das  Elend 


92  Aus  dem  Leben  Claude  Tilliers. 

dieser  Stellung,  dem  erst  die  neuesten  Zeiten  wirksam  abzuhelfen 
begonnen  haben,  ist  schon  oft  und  in  lebhaften  Farben  geschil- 
dert worden;  am  bekanntesten  ist,  was  Alphonse  Daudet  in  sei- 
nem Petit  Chose  davon  gesagt  hat.  Claude  Tillier  wurde  maitre 
d'('tndes,  bald  nachdem  er  das  Lyceum  verlassen  hatte,  zunächst 
ein  Jahr  lang  im  College  von  Soissons,  dann  noch  ein  zweites 
Jahr  in  verschiedenen  Privatinstituten  in  Paris.  Wie  wir  ihn 
kennen,  war  er  nirgends  weniger  an  seiner  Stelle;  dieses  Jahr 
1821  brachte  ihm  denn  auch  die  ersten  bitteren  Lebenserfahrungen. 
Er  scheint  in  der  kurzen  Zeit  oft  seinen  Platz  gewechselt  zu 
haben,  auch  ganz  ohne  Stellung  war  er  zuweilen.  Und  da  er 
seinen  Eltern  nicht  beschwerlich  fallen  wollte  und  zu  stolz  war, 
um  in  der  Not  von  Bekannten  zu  leihen,  blieb  er  dann  oft  in 
dem  kleinen  Zimmer,  das  er  mit  einem  Freunde  gemeinschaftlich 
bewohnte,  einen  Teil  des  Tages  im  Bett,  um,  wie  er  sagte, 
weniger  Brot  zu  essen.  Die  Schilderung,  die  er  in  seinem  Roman 
Belle  Plante  et  Cornelius  von  dem  Pariser  Dasein  des  jungen 
Corndius  giebt,  enthält  ohne  Zweifel  in  humoristischer  Übertrei- 
bung den  Niederschlag  seiner  eigenen  Erinnerung.  Auch  einem 
seiner  Pamphlete  hat  er,  im  Rückblick  auf  diese  Zeiten,  eine 
reizende  Schilderung  eingefügt,  die  in  ihrer  Anlage  an  Dickens 
und  daher  auch  an  Daudets  Petit  Chose  erinnert.  Das  Pamphlet 
ist  leider  in  die  Sammlung  der  Werke  Tilliers  nicht  aufgenom- 
men; den  uns  hier  angehenden  Abschnitt  hat  Felix  Pyat  im  Vor- 
wort mitgeteilt: 

J'avais  dix-neuf  ans :  vous  voyez  que  c'est  commencer  de  bonne  beure 
ä  souffrir.  Et  encore,  ce  morceau  de  pain  que  trouve  un  mendiant,  ce 
n'etait  pas  sans  peine  que  j'^tais  parvenu  ä  me  le  procurer.  Depuis  un 
mois  je  battais  le  pav^  de  Paris  avec  ma  grand'mfere;  nous  avions  explor^ 
les  faubourgs  jusqu'ä  leur  extr^mitö  la  plus  recul^e;  nous  avions  heurtö 
ä  toutes  les  portes  des  institutions  connues  de  l'Almanacb  royal;  mais 
ma  grand'mfere  avait  beau  dire  que  j'avais  fait  toutes  mes  classes  et  meme 
que  j'avais  eu  un  accessit  en  pbilosophie,  mes  malencontreux  dix-neut 
ans  ötaient  pour  tous  un  vice  rödhibitoire :  partout  on  nous  cong^diait 
avec  cette  terrible  phrase:  'Nous  n'avons  besoin  de  personne.'  II  y  eut 
meme  un  facdtieux  chef  d'institution  qui  eut  l'air  de  me  prendre  pour 
un  elfeve  qu'on  lui  amenait. 

Enfin  majgrand'mfere  me  trouva  un  coin  dans  une  Institution,  avenue 
de  la  Motte-Piquet  entre  les  Invalides  et  l'Ecole  militaire.  . . .  J'avais, 
dans  cette  maison,  le  blanchissage,  la  nourriture  et  un  lit  au  dortoir  cntre 


Aus  dem  Lebeu  Claude  Tillieiti.  93 

ceux  des  i'^r-ves;  inoii  extn'iiie  jeuiu'sse  iio  [terincttait  jnis  (|u'il  ine  ffit 
allouö  des  appointements.  Je  taisais  r«5tude,  les  repötitions,  je  surveillais 
les  r»5cr6atious,  j'accompaguais  les  ^Ifeves  u  la  proiueuade.  C'6tait  un  mor- 
ceau  de  pain  chörement  achete. 

Le  chef  de  rötablissement  u'avait  d'uu  iustituteur  que  son  nom  sur 
l'enseigne.  II  ue  savait  pas  le  latin;  il  ue  savait  meine  pas  la  cuisiue. 
II  avait  achete  uue  iustitutiou  comme  un  clerc  de  uotaire  achete  quelque- 
fois  un  fonds  de  bouneterie.  Pour  couvrir  son  iguorance,  il  lui  fallait 
une  r^putation  de  savaut;  aussi  il  avait  publik  les  Beautes  de  l'histoire  de 
France,  et  il  travaillait  aux  beautes  historiques  d'une  autre  nation.  Ce 
genre  d'ouvrages  etait  alors  fort  en  vogue:  chaque  nation  avait,  en  un 
volume  in  -  VI,  les  beautes  de  son  histoire ;  pas  un  f euillet  de  plus  ä  l'une 
qu'ä  l'autre  . . . 

II  y  a  des  hommes  qui,  avec  une  boune  page,  fönt  un  bon  livre; 
d'autres  qui,  avec  un  bon  Uvre,  ue  peuvent  faire  uue  boune  page.  M.  R. 
etait  de  ces  dcruiers.  (J'ötait  un  de  ces  gäteurs  d'esprit  qui  mutilent  au 
lieu  d'abreger;  qui  preuneut  un  in-folio,  le  dissfequent,  en  mettent  de  cöte 
la  chair  et  empörtem  les  os  avec  eux;  un  de  ces  marmitous  de  la  litt^- 
rature  qui,  voulanl  peler  uue  pomme,  ue  laissent  rieu  que  le  trognon. 
Ses  Beautes  de  l'histoire  de  France  lui  donnaieut  le  droit  de  prendre  le 
titre  d'homme  de  lettres,  titre  qui  rehaussait  merveilleusement  celui  d'insti- 
tuteur.  II  passait  ses  journees  ä  compulser  les  bibliothfeques  publiques, 
et  ses  soiröes  dans  les  salons  du  faubourg  Saint-Germaiu,  oü  il  etait  admis 
u  cause  de  la  purete  de  son  royalisme. 

Pendant  son  absence,  la  couronne  tombait  en  quenouille.  Cette  que- 
nouille,  c'etait  M""'  R.,  une  anglaise  rousse  et  pale.  Son  teiut  ressem- 
blait  ä  la  coquille  d'un  oeuf  de  dinde  ou  ä  du  satin  blanc  lougtemps  ex- 
pose  a  la  fum^e  ou  aux  injuros  des  niouches.  Les  eleves  l'aimaient  beau- 
coup,  parce  qu'elle  leur  donnait  toujours  raison;  lee  maitres  d'ötudes  la 
detestaient,  parce  qu'elle  leur  donnait  toujours  tort. 

II  y  avait,  dans  la  i)ension  de  M.  R.,  vingt  a  vingt-cinq  Anglais  ap- 
port<5s  en  dot  jjar  sa  femnie,  et  environ  autant  de  Franyais  anienes  par 
lui.  Ce  uielauge  des  deux  natious  etait  iiu  Systeme  d'üdueation.  lies 
Anglais  de  Madame  devaieut  apprendre  aux  Franjais  de  Monsieur  la 
langue  de  Byron  en  jouant  ä  la  marelle  ou  aux  billes ;  ceux-ci  appreudre, 
par  la  meme  occasion,  la  langue  de  Racine  a  ceux-lä.  Par  suite  de  ce 
malencontreux  echange,  les  noms  avaient  perdu  leurs  articles,  les  adjectifs 
leur  genre,  les  verbes  leurs  conjugaisons.  C'^tait  un  tel  galimathias  et 
une  teile  confusion  des  deux  idiomes  qu'on  ne  s'y  entendait  plus.  . . . 

Les  Premiers  jours  que  je  passai  dans  la  maison,  je  fus  horriblemeut 
malheui'eux.  La  perte  de  la  liberte  ^tait  pour  moi  une  privation  insup- 
portable.  J'enviais  en  secret  le  sort  du  decrotteur  qui  passait  en  chan- 
tant  sous  les  fenetres.  J'aurais  volontiers  donn^  tout  mou  petit  .tresor 
de  science  pour  sa  sellette  et  ses  malus  noires.  Quelquelois  les  larmes 
m'etouffuieut,  niais  je  n'osai?  pleurcr:  il  fallait  attendre  la  nuit  pour  nie 
douuer  ce  plaisir. 


94  Aus  dein  Leben  Claude  Tilliers. 

Je  me  disais  souvent:  Pourquoi  mon  pere  ne  m'a-t-ll  pas  fait  apprendre 
son  4tat?  c'^tait  tout  ce  qu'il  fallait  pour  mes  besoins:  du  pain  et  de  la 
libertö,  voilä  tout  ce  que  je  demandais  ä  Dieu,  et  je  n'ai  ici  ni  pain  ni 
libert^!  Le  bon  homme  a  cru  que  je  ferais  mon  chemin,  eomme  tant 
d'autres,  avec  l'^ducation  qu'il  me  donnait;  mais,  au  lieu  de  pifeces  d'or, 
ce  sont  des  jetons  qu'il  a  niis  dans  ma  bourse.  Je  suis  trop  bete,  trop 
lourd,  trop  maladroit,  pas  assez  intrigant,  pour  reussir  dans  l'Universitö. 
La  fortune  est  comme  les  grands  arbres:  il  n'y  a  que  l'insecte  qui  rampe 
ou  que  l'oiseau  qui  vole  qui  puissent  y  etablir  leur  nid. 

Toutefois,  je  n'etais  encore  qu'au  pied  de  mon  petit  calvaire.  Au 
bout  de  deux  ou  trois  jours,  mes  administres  avaient  perdu  toute  espfece 
de  respect  pour  ma  personne.  Les  deux  nations,  faisant  trhve  ä  leurs 
querelies  journaliferes  s'etaient  coalisees  contre  moi. 

Mon  habit  gris,  un  habit  gris  fait  par  le  meillenr  tailleur  de  mon 
pays,  et  avec  lequel  ma  grand'mere  me  trouvait  süperbe,  etait  devenu  le 
but  de  tous  leurs  sarcasmes  et  quelques  fois  aussi  de  leurs  projectiles. 
J'avais  beau  punir,  petits  et  grands  se  moquaient  de  mes  punitions;  ils 
aimaient  au  tant  la  retenue  que  la  recr^ation,  car  la  retenue  c'etait  moi 
qui  la  faisais. 

Je  fus  tente  vingt  fois  de  tirer  une  vengeance  immediate  et  sommaire 
de  cette  insolente  marmaille  si  cruelle  par  espi^glerie.  Mais  si  j'etais  ren- 
voye,  que  faire?  De  quel  front  me  präsenter  ä  mes  parents,  qui  me 
croyaient  sur  le  chemin  de  la  fortune?  et  quand  bien  meme  je  prendrais 
ce  parti,  comment  payer  ma  place  ä  la  diligence? 

J'etais  Sans  le  sou,  litteralement  sans  le  sou.  Ma  famille  me  faisait 
une  Subvention  de  cinq  francs  par  mois,  que  je  touchais  par  les  mains 
de  ma  grand'mere;  mais  ces  cinq  francs,  je  les  avais  gloutonnement  dissipös 
en  brioches  et  en  petits  pains  que  je  mangeais  dans  les  rues  quand  je 
sortais;  car  j'etais  toujours  tourmente  par  la  faim. 

So  arm  er  war,  iu  dieser  Umgebung  fand  Tillier  sein  Leben 
unerträglich.  Die  heftige  Züchtigung  eines  Schülers  verschaffte 
ihm  schon  im  Oktober  1820  die  gewünschte  Entlassung.  Wie  er 
fortging,  soU  er  selber  uns  wieder  erzählen. 

J'avais  rögle  mon  compte  avec  M.  R.  II  me  revenait  vingt-deux 
francs  cinquante  Centimes  qu'il  me  donna.  Je  les  sentais  tressaillir  dans 
ma  poche.  J'eus  bientot  rassembM  mes  hardes.  Je  n'avais  d'autre  malle 
qu'une  vieille  cravate  noire  nouee  par  les  quatre  coins,  et  11  y  avait  de- 
dans  plus  de  papiers  griffonnes  que  de  linge.  Je  mis  par  hasard  la  main 
sur  un  vieux  restc  de  cigare  qui  se  trouvait  dans  ma  poche.  II  me  sembla 
que  cela  ferait  bon  effet  de  sortir  le  cigare  ä  la  bouche.  Je  l'allumai  u 
la  cuisine,  puis  je  traversai  fierement  la  cour  comme  une  garnison  qui 
sort  de  la  place  avec  les  honneurs  de  la  guerre. 

Pres  de  la  grande  porte  4tait  un  enfant  qui  semblait  attendre  quel- 
qu'un.    C'etait  un  petit  ecolier  de  quatrifeme,  mon  voisin  de  table  dans 


Aus  dem  Leben  Claude  Tilliers.  95 

la  salle  d'etudes  et  auijuel  j'aidais  souvent  :l  faire  ses  versions.  AussiWt 
(lu'ii  me  vit,  il  courut  a  moi,  et  me  prösentant  un  rectangle  enveloppe 
de  pajiier  blane:  Je  vous  en  prie,  mousieur,  prenez  cela;  c'est  du  chocolat 
ä  la  vanille;  je  sais  que  vous  ne  gagniez  pas  beaucoup  d'argent  chez  ]M.  R., 
cela  vous  fera  (juelques  dcjeüners.  Ne  craignez  pas  de  nie  priver,  voici 
les  etrennes,  mamau  me  donnera  d'autre  chocolat,  et  vous,  personue,  peut- 
etre,  ne  vous  donnera  rien. 

Cette  marque  d'amitiö  si  inipr^vue  me  bouleversa.  J'ai,  moi,  l'6motion 
fort  niaise  et  le  sentiment  tout-ä-fait  depourvu  de  prdsence  d'esprit.  Au 
Heu  de  remercier  ce  charmant  enfant,  je  me  mis  ä  plcurer  conime  un 
grand  imbt^cile.  Lui,  cependant,  cherchait  ä  glisser  son  paquet  dans  la 
poche  de  mon  habit,  et  moi,  les  yeux  troubles  de  larmes,  suffoque  de 
sanglots,  incapable  de  prononcer  un  seul  raot,  j'essayais,  mais  inutilement, 
d'arreter  sei*  mains.  Aussitot  quc  le  chocolat  fut  dans  ma  poche,  le  eher 
petit  espic'gle  prit  lögerement  sa  volee  comme  un  oiseau  qu'on  force  ä 
changer  de  buisson.  II  alla  se  placer  a  quelques  pas  de  moi.  Monsieur, 
me  dit-il,  si  vous  voulez  me  promettre  de  garder  le  chocolat,  je  vais  reve- 
nir;  j'ai  quelque  chose  ä  vous  communiquer.  Oh!  eher  petit,  je  te  le  pro- 
mets,  je  le  garderai  toujours  en  souvenir  de  notre  amiti^.  II  revint  et 
me  prit  les  deiix  mains.  Eh  bien!  11  faut  que  vous  me  promettiez  de 
me  faire  savoir  dans  quelle  Institution  vous  serez  entre.  Je  n'aime  pas 
M'"^  R.,  parce  qu'elle  est  Anglaise,  et  M.  R.,  parce  qu'il  est  royaliste,  mais 
vous,  je  vous  ai  aime  tont  de  suite,  je  ne  sais  pourquoi;  et  je  prierai  tant 
maman  de  me  mettre  auprcs  de  vous,  qu'il  faudra  bien  qu'elle  y  consente. 
Eh  bien!  mon  enfant  je  te  le  promets  encore;  et  d^tachant  mes  mains 
des  siennes,  je  m'enfuis  vers  la  rue,  car  je  sentais  que  j'allais  pleurer  en- 
core. A  quelque  distance  de  lä,  j'apergus  mon  jeune  ami  plac6  sur  la 
terrasse.     II  me  suivait  d'un  ceil  qui,  j'en  suis  sür,   etait  plein  de  larmes. 

Depuis,  j'ai  oubli^  cet  enfant.  J'ai  mange  brutalemeut  son  chocolat, 
et  je  ne  l'ai  pas  informe  de  la  pension  oü  je  suis  entre.  Je  l'ai  oublie 
comme  le  voyageur  oublie  l'arbre  sous  lequel  il  s'est  repos<5  un  instant 
en  traversant  ledesert;  je  l'ai  oubli^  comme  la  jeune  fille  oublie  le  rosier 
qui  lui  a  fourni  sa  premifere  guirlande.  Cette  douce  affection  trepassee, 
eile  est  lä  gisante  dans  un  coin  de  mon  cceur  sous  un  crepe  rose;  car  le 
destin  de  l'homme  est  d'oublier. 

Das  also  war  die  erste  Pariser  Erfahrung  des  neunzehn- 
jährigen maitre  d'etudes.  Es  soll  damit  nicht  gesagt  sein,  dal's 
wir  diese  eigene  Schilderung  Tilliers  in  jedem  Worte  als  ein  Er- 
zeugnis ungetrübter  Erinnerung  des  Erlebten  zu  betrachten  hätten ; 
er  war  vor  allem  ein  Poet,  und  zwar  ein  gründlich  humoristischer. 
Allerdings  die  bis  ins  Sentimentale  ausschweifende  Gemütsweich- 
heit, die  der  Darstellung  zuletzt  ihre  besondere  Färbung  giebt, 
.steckte  tief  in  Tilliers  Wesen.     Auch   sonst    iip  den  Pamphleten 


96  Aus  dem  Leben  Claude  Tilliers. 

tritt  sie  noch  oft  genug  heraus;  sie  wird  sein  mütterliches  Erb- 
teil gewesen  sein.  Im  November  1820  ging  er  in  das  Unter- 
richtsiustitut  eines  Herrn  Petit,  rue  Geoffroy-Lasnier,  über.  Nur 
diese  Stellung  erwähnt  Parent  in  seinem  kurzen  Bericht;  nach 
ihm  würde  man  annehmen  müssen,  sie  sei  die  erste  gewesen,  die 
Tillier  in  Paris  antrat.  Wahrscheinlich  hat  er  in  ihr  am  längsten 
ausgehalten. 

Zu  Anfang  des  Jahres  1822  kehrte  Tillier  in  seine  Vater- 
stadt Clamecy  zurück.  Seine  Eltern  drängten  ihn,  sich  nach 
einer  sicheren  Lebensstellung  umzuthun.  Zudem  hatte  er  das 
militärpflichtige  Alter  erreicht.  Der  Übergang  in  den  öffentlichen 
Unterricht  bot  sich  als  das  Nächstliegende  dar;  die  der  Univer- 
sitätsverwaltung unterstehenden  Lehrer  waren  von  der  Konskrip- 
tion befreit.  Tillier  richtete  also  nach  Bourges  an  den  Rektor 
seines  Akademiebezirks  ein  Gesuch  um  Zulassung  zur  Lehrthätig- 
keit  im  höheren  Schuldienst;  er  hatte  wohl  das  kommunale  Col-- 
Ifege  seiner  Vaterstadt  im  Auge.  Nach  der  Forderung  des  Ge- 
setzes hätte  er  mindestens  bachelier  sein  müssen;  indessen  bei 
den  städtischen  Colleges  sah  die  Unterrichts  Verwaltung  nicht  so 
streng  auf  das  Einhalten  der  gesetzlichen  Vorschrift.  Etwas 
anderes  war  es,  was  Tillier  jetzt  vom  höheren  Unterricht  aus- 
schlofs,  und  was  ihm  zugleich  eine  unvergefsliche  Erfahrung 
von  menschlicher  Niedertracht  verschaffte.  Von  jener  Schüler- 
revolte in  Bourges  hatte  der  dreizehnjährige  Knabe  der  Mutter 
in  einem  Briefe  lebhaften,  wahrscheinlich  kindlich  übertreibenden 
Bericht  gegeben.  Die  geängstigte  Frau,  die  am  Ende  das 
Schlimmste,  die  Verweisung  von  der  Anstalt,  für  ihren  Sohn 
fürchtet,  geht  eilends  zu  einem  Mann,  von  dessen  ehrlicher  Teil- 
nahme an  dem  Ergehen  ihres  Claude  sie  versichert  zu  sein  glaubt, 
und  zeigt  ihm  den  Brief.  Er  liest  ihn  und  behält  ihn  mit  den 
Worten:  'Lafst  mir  den  Brief,  ich  werde  an  den  kleinen  Schlingel 
schreiben\  Und  dieser  Mann,  dessen  Namen  Parent  nicht  nennen 
will,  hat  den  Brief  des  Knaben  aufbewahrt  und  schickt  ihn  jetzt, 
sowie  er  von  dem  Gesuch  Tilliers  erfährt,  nach  Bourges  au  den 
liektor.  Gerade  damals,  nach  der  Ermordung  des  Herzogs  von 
Berry,  war  die  ultra-royalistische  Strömung  für  einige  Jahre 
wieder  stärker  geworden;  ein  poHtischer  Knabenstreich  konnte 
für    ein    ganzes    Leben    verhängnisvoll    werden.      Jedenfalls    hat 


Aus  dem  Lebeu  Claude  Tilliers.  97 

Tillier,  und  mit  ihm  sein  Freund  Parent,  die  Abweisung  des  Ge- 
suchs durch  den  Rektor  auf  jenen  Brief  zurückgefülirt.  Er  wurde 
jetzt  für  den  Mihtärdienst  ausgelost,  dem  Artillerie-Train  zuge- 
wiesen und  ging  am  20.  Oktober  1822  nach  P^rigueux  ab.  Das 
nächste  Jahr  führte  ihn,  mit  dem  Rang  eines  Fouriers,  in  den 
spanischen  Krieg. 

Claude  Tillier  als  Pamphletist  ist  öfter  mit  Paul  Louis  Courier 
verglichen  worden;  bei  näherem  Zusehen  jedoch  bieten  die  Pam- 
phletisten  wenig  Gemeinsames.  Als  Soldaten  aber  sind  beide 
gleich  undisziplinierbar  und  diesem  ihrem  zeitweiligen  Berufe 
innerlich  gänzlich  fremd  geblieben.  Das  fällt  bei  Courier  viel 
mehr  ins  Gewicht,  da  er  sich  diesen  Stand  selbst  gewählt  hatte 
und  als  Offizier  die  Zeiten  des  für  Frankreich  höchsten  kriege- 
rischen Ruhmes  erlebte.  Dagegen  für  die  Lorbeeren  des  franzö- 
sischen  Interventionskrieges  in  Spanien  1823  war  gewifs  noch 
mancher  andere  neben  Tillier  unbegeistert;  der  gleichaltrige  Ar- 
mand Carrel  focht  sogar  auf  feindlicher  Seite  gegen  sein  eigenes 
Land.  Courier  nutzte  die  Jahre  seines  italienischen  Aufenthalts, 
wenn  er  irgend  konnte,  zu  Forschungen  in  öffentlichen  und  ])ri- 
vaten  Bibhotheken,  lernte  daneben  das  Land,  die  Menschen  und 
ihre  Sprache  gründlich  kennen.  Von  Tillier  erfahren  wir  nur, 
dafs  er  während  eines  langen  Aufenthaltes  in  Granada  gern  die 
Ruinen  der  Alhambra  aufsuchte  und  sie  in  hübschen  Versen  be- 
sungen hat,  und  dal's  diese  Verse  zu  einer  aus  Prosa  und  Poesie 
gemischten  Schilderung  seiner  spanischen  Erlebnisse  gehörten, 
von  der  nicht  gesagt  wird,  was  später  aus  ihr  geworden  sei;  er 
habe,  wie  das  seine  im  Grunde  unlitterarische  Art  war,  sich  nicht 
weiter  darum  gekümmert.  Verse  von  Claude  Tillier,  der  so  deut- 
lich alle  Grundzüge  eines  Lyrikers  an  sich  trägt,  sind  auch  in 
die  nach  seinem  Tode  von  Freundeshand  zusammengestellten 
Werke'  nicht  aufgenommen  worden;  er  selber  hat  wenig  in 
Versen  veröffentlicht.  'Zum  Glück'  sagt  der  sonst  gegen  ihn 
durchaus  nachsichtige  Pyat,  der  ihn  Hrop  raisonnable  et  roturier 
dans  ses  vers'  findet.  Auf  dieses  Urteil  sind  wir  bisher  noch 
angewiesen ;    und    allerdings    liel'sen    sich    auch    andere    Prosa- 


'  OLuvi-es  de  C.  Tillier.     Nevers  C.  Sionest,  Iniprimeur-Editeur  1846; 
vier  heute  uiclit  leicht  mehr  erhältliche  kleine  Oktavbände. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CVIII.  7 


•98  Aus  (lern  Leben  (.'laude  Tilliers. 

Lyriker  anführeu,  die  uicht  mit  gleich  starker  Wirkung  sich 
auszusprechen  vermochteo,  wenn  Versmafs  und  Reim  sie  band. 
Nicht  am  wenigsten  empfindlich  für  das  unsoldatische  Tempe- 
rament Tilliers  war  die  tägliche  Unterordmmg  unter  Offiziere, 
von  denen  er  so  manchem  an  Geist  und  Bildung  weit  überlegen 
war.  Mit  einer  für  die  Hörer  unwiderstehlichen  Komik  pflegte 
er  besonders  gern  eine  Scene  zu  schildern,  in  deren  Verlauf  er 
geäufsert  hatte,  eine  auf  ihn  bezügliche  Bemerkung  eines  Leut- 
nants sei  illiision  d'optique^  und  wne  der  Vorgesetzte,  empört 
über  das  ausgesucht  unverständliche  Schimpfwort,  ihm  acht  Tage 
Arrest  geben  wollte.  Auch  gleich  starke  Urlauber  sind  Tillier 
und  Courier  gewesen,  ja  von  Tillier  behauptet  sein  Freund,  er 
habe  wohl  die  Hälfte  seiner  sechsjährigen  Dienstzeit  auf  Urlaub 
zugebracht.  Schon  damals  scheint  das  Leiden,  das  ihn  vor  der 
Zeit  zum  Tode  führen  sollte,  sich  angekündigt  zu  haben.  An 
seinem  übrigens  völlig  festen  Körper  waren  die  Atmungsorgaue 
leicht  reizbar;  scherzend  antwortete  er  seinen  Freunden,  die  den 
so  oft  sich  wiederholenden  Aufenthalt  in  der  Heimat  bei  dem 
scheinbar  völlig  Gesunden  verwunderlich  fanden,  er  habe  das 
seinem  Bronchialkatarrh  zu  verdanken. 


2.     Der   Schulmeister  von   Clamecy. 

Am  19.  November  1828  endlich  hatte  Tillier  diese  Jahre 
widerwilligen  Dienstes  hinter  sich  und  kehrte  dauernd  in  seine 
Heimat  zurück.  Er  verheiratete  sich  jetzt  und  eröffnete  eine 
private  Elementarschule.  Doch  auch  hier  sollte  er  vergeblich 
Ruhe  und  innere  Zufriedenheit  suchen.  Jeder  Unterricht  sicher- 
lich, auch  der  schlichte  elementare,  läfst  sich  in  hohem  Sinne 
auffassen.  Karl  Mathys  Schulmeistertum  als  Fortbildungslehrer 
in  dem  Schweizerdorfe  Grenchen  raufs  jedem,  der  iSIathys  eigene 
klassische  Schilderung  bei  Frey  tag  (im  letzten  Baude  der  Bilder 
aus  der  deutschen  Vergangenheit)  gelesen  hat,  ein  Gefühl  davon 
geben,  was  solch  äuiserlich  bescheidenes  Wirken  auch  noch  für 
den  badischen  Minister  in  der  Erinnerung  blieb:  eine  allein  schon 
durch  die  dauernden  rein  menschlichen  Nachwirkungen  auf  Schüler 
und  Lehrer  unvergel'sliche  Arbeit.  An  Geschicklichkeit  im  Unter- 
richt hat  es  auch  Tillier  nicht  gefehlt.     Aber   seine    überaus   be- 


Aus  (lein  Lebcu  Claude  Tilliers.  99 

wegliche,  man  kann  sagen  nngestüme  Phantasie,  die  Phantasie 
eines  Dichters,  liels  ihn  in  diesem  Berufe  nie  zur  Ruhe  oder 
auch  nur  zur  Resignation  kommen ;  es  ist  deuthch  zu  sehen,  wie  sie 
nachher  auch  dem  Pohtiker  TilHer  hinderUch  wurde.  Das  ist  recht 
eigeutUch  das  tragische  Lebeusschicksal  dieses  Mannes  gewesen, 
dal's  der  Trieb  seiner  wesentHchen  Begabung  nur  in  Nebenarbeiten 
und  erst  gegen  das  Ende  seines  kurzen  Leben  einige  Luft  sich 
gewinnen  konnte.  Überall,  wo  Tillier  in  seinen  Pamphleten  ge- 
legentlich auf  seine  Schulmeisterzeit  zu  sprechen  konunt,  kehrt 
ihm  auch  zugleich  Widerwille  und  Bitterkeit  in  die  Erinnerung 
zurück.  Einer  der  Zechkumpane  des  Onkels  Benjamin,  Guille- 
rand,  der  in  diesem  Roman  nur  beiläufig  auftritt,  ist  Lihaber 
einer  höheren  Privatschule.  Er  erscheint  in  dem  zweiten  Roman, 
Belle  Flaute  et  Cornelius,  wieder,  und  hier  werden  die  Praktiken 
seines  Schulgeschäfts  mit  bitterem  Humor  anschaulich  geschildert. 
Der  Anfangsunterricht  blieb  in  Frankreich  gegenüber  dem 
höheren  noch  bis  zum  Jahre  1833  in  schlimmer  Vernachlässigung; 
zwei  Drittel  der  Bevölkerung  konnten  nicht  lesen  und  schreiben. 
Die  Vorbildung  der  Lehrer  genügte  oft  den  eigentlich  unerläfs- 
lichen  Ansprüchen  nicht,  und  auch  nachdem  Guizots  Schulgesetz 
vom  28.  Juni  hier  gründlich  reformiert  hatte,  stand  ein  Privat- 
schulleiter von  Tilliers  Bildung  weit  über  dem  Durchschnitt 
seiner  Genossen.  Für  diesen  Anfangsunterricht  liefs  Guizot  die 
Lehrfreiheit  wenig  beschränkt  fortdauern.  Um  eine  niedere  Privat- 
schule aufzuthun,  genügte  für  einen  Franzosen  auch  nach  1833 
noch,  dafs  er  achtzehn  Jahre  alt  war  und  vor  einer  der  staat- 
lichen Prüfungskommissionen  sich  im  Besitz  der  einfachsten 
Kenntnisse  für  Religion  und  Sittenlehre,  im  Lesen,  Schreiben, 
Rechnen  und  in  den  Elementen  seiner  Muttersprache  gezeigt 
hatte.  Beim  Eintritt  in  den  neuen  Beruf  fand  also  Tillier  nicht 
die  geringsten  Schwierigkeiten.  In  der  Ausübung  aber  zeigten 
sie  sich  nur  zu  bald.  Ganz  sich  selbst  überlassen  konnte  der 
Staat  diese  Privatanstalteu  um  so  weniger,  je  mehr  er  ihre  Er- 
richtung erleichtert  hatte.  Bis  zum  Jahre  1833  hatten  die  Aufsicht 
die  comites  cantonnaux,  aus  den  Kantonsbehörden,  dem  Friedens- 
richter und  den  Kantonsräteu,  gebildete  Komitees.  Da  ihnen 
jedoch  die  für  diese  Aufgabe  notwendige  Einsicht  und  Autorität 
oft  fehlte,   so  traten  durch  das  Guizotsche  Gesetz  an  ihre  Stelle 

7* 


100  Aus  dem  Leben  Claude  Tilliers. 

ein  Ortsschulvorstaud  (comite  local)  als  unmittelbar  beaufsich- 
tigende, ein  Kreisvorstand  als  obere,  entscheidende  Behörde.  Die 
Universität  beteiligte  sich  an  der  Kontrolle  der  Primärschulen 
durch  besondere  Inspektoren  {inspectenrs  d'ecoles  primaires), 
deren  einer  für  jedes  Departement  ernannt  wurde.  Natürlich 
hatten  diese  Behörden  und  Beamten  vor  anderen  die  öffentlichen 
Schulen  im  Auge  zu  halten,  denen  eine  bestimmte  Unterrichts- 
methode und  die  Wahl  der  Lehrbücher  vorgeschrieben  war.  In 
den  Privatschulen  hatte  der  inspecteur  d'ecoles  primaires  nur 
darauf  zu  achten,  dafs  die  hier  gebrauchten  Bücher  nichts  für 
die  Moral  Gefährliches  enthielten. 

Unser  Privatschulhalter  also  hatte,  als  er  seinen  Unterricht 
begann,  das  Kautonskomitee  und  in  ihm  vor  allem  den  Friedens- 
richter zu  respektieren.  Die  Schriften  Claude  Tilliers  wie  das 
Zeugnis  seines  Freundes  Parent  lassen  wohl  erkennen,  dafs  sei- 
nem unruhigen  Geiste  die  Fähigkeit,  Verehrungsvvürdiges  zu  ver- 
ehren, durchaus  nicht  gefehlt  hat;  noch  deutlicher  zeigen  sie  frei- 
lich, dafs  es  ihm  nicht  im  mindesten  gegeben  war,  schweigend 
und  ohne  Widerstand  hinzunehmen,  was  er  für  falsch  oder  un- 
gerecht hielt.  Parent  sagt  hierüber  in  seiner  biographischen  Notiz 
kurz  und  klar:  'Tillier  war  als  Lehrer  unter  seinen  Freunden 
immer  und  überall  aufgeräumt  und  zu  jedem  Dieust  für  sie  bereit, 
gegen  seine  Vorgesetzten  aber  unhöflich  und  schroff.'  Ein  an- 
geborener Hang  zu  polemischer  Diskussion  kam  hinzu,  der  ihn 
auch  unter  Freunden  gewagte  Behauptungen  leicht  aufstellen  und 
dann  hartnäckig,  oft  mit  den  scharfsinnigsten  Scheinargumenten, 
verteidigen  liefs.  Da  überrascht  es  uns  nicht,  wenn  wir  hören, 
er  habe  nur  mit  Ungeduld  die  Visitationen  des  Friedensrichters 
und  der  Kantonsräte  ertragen,  in  Haltung  und  Worten  eine  be- 
leidigende Nichtachtung  gezeigt  und  zugleich  doch  keine  Kritik 
ohne  Widerspruch  hingenommen. 

So  schuf  er  sich  rasch  manche  Gegnerschaft,  die  später 
hemmend  ihm  in  den  Weg  trat;  anfangs  aber  hemmte  noch  nichts 
die  frische  Energie,  das  natürliche  Geschick,  womit  er  den  Unter- 
richt angriff.  Auch  der  Erfolg  zeigte  sich  bald,  und  nach  einiger 
Zeit  gelang  es  seinen  Freunden  in  der  Stadtverordnetenversamm- 
lung, trotz  heftigen  Widerspruchs  der  Gegner,  ihm  die  Anstellung 
als  Leiter   der  Gemeindeschule  (institiiteur  de  la  cwimune)   mit 


Aus  tleiii  Leben  Claude  Tilliers.  101 

einem  Gelialf  von  1200  F'r.  zu  vcrschaffcD.  Sie  liätten  ahuen 
können,  dals  er  liier  weit  weniger  an  seinem  Platze  war. 
Er  unterstand  jetzt  einer  strengeren  Aufsicht ;  und  vor  allem 
eine  bestimmte  Form  des  Unterrichts,  die  6cole  mutuclle,  die 
Lancasterschc  Methode,  war  ihm  vorgeschrieben.  In  seinem  'Grü- 
nen Heinrich'  hat  Gottfried  Keller  eine  besonders  anmutige  Schil- 
derung dieses  I"'^nterrichts  gegeben,  so  wie  er  ihn  um  dieselbe 
Zeit  in  seiner  schweizerischen  Heimat  erhielt.  In  Frankreich 
war  er  weit  mehr  in  unerträglichem  Formalismus  erstarrt,  und 
wie  Louis  Veuillot  in  Rome  et  Lorette  mit  Erbitterung  der  in- 
fame i'cole  mutuelle  seiner  Jugendzeit  gedenkt,  so  hat  auch 
Tillier  noch  in  späterer  Erinnerung  seinen  Widerwillen  dagegen 
nicht  überwunden.  Das  hat  einer  Schilderung  seines  Lehrertums, 
in  dem  Pamphlet  gegen  die  ecoles  chreiieiines,  eine  Bitterkeit 
beigemischt,  die  er  sicherlich  in  der  Ausübung  nur  selten  so 
stark  empfunden  hat;  auch  ist  er  ja  nur  kurze  Zeit  städtischer 
Lehrer  und  als  solcher  diesem  Zwang  unterworfen  gewesen. 
Dennoch  bleibt  die  Stelle,  wäre  es  auch  mehr  für  den  Poeten  in 
Tillier,  charakteristisch : 

Nous  (nous  autres  maitres  d'^cole)  nous  sommes  lä  du  matin  au  soir, 
entre  vingt  groupes  qui  glapissent  comme  uno  meute,  ä  faire  marcher 
cette  lourdc  et  paresseuse  machiiie  (ju'ils  appellent  une  ecole  mutuelle,  a 
enfoncer,  comme  uu  manoeuvre  cnfonce  un  coiu  dans  uii  tronc  d'arbre, 
des  lettres  et  des  syllabes  dans  ces  durs  cerveaux  d'enfants,  a  nous  feler 
la  poitrine  et  ä  nous  aigrir  le  sang  dans  des  explioations  fastidieuses  et 
cont  Fois  r^p^t^cs.  Le  pauvre  cantoiinier  poiit  quitter  un  moment  sa  piophe 
pour  serrer  la  main  a  une  vioille  couuaissauce  qui  passe  et  qu'il  n'avait 
pas  vue  depuis  longtemps;  Ic  niagon  sur  son  ^chafaud  tourne  la  töte  et 
suit  longtemps  dans  la  foule  une  jeuuc  fille  qui  l'a  salu^  d'un  geste  ami ; 
le  compagnon  serrurier,  en  iaisant  desccndre  et  monier  sa  brauloire,  reve 
do  sa  patrie  absento  et  du  jour  oü  ii  reverra  sa  m&re;  le  tailleur,  en  eou- 
sant  son  paletot,  rencontre  (juelquefois  un  bruyant  hemistiche  qu'il  fait 
sonner  longtemps  en  lui-meme,  comme  le  paysau  fait  sonner  une  pifece 
d'argent  pour  s'assurer  qu'elle  est  de  bon  aloi;  et  quolquefois  aussi  il  Uli 
arrive  de  saisir,  dans  un  pli  de  son  drap,  luie  rime  begueule  qui  lui  a 
longtemps  fait  la  nique;  niais  nous,  ii  laut  que  nous  veillions  sur  uotre 
pensöe  comme  la  seiitinelle  veille  sur  le  terrain  confie  a  sa  garde,  que 
nous  en  c^cartions  impitoyablement  tout  reve,  tout  souvenir,  toute  id^'e 
etrangbre  a  notre  ecole;  que  nous  regardions  (>t  que  nous  parlions  a  la 
fois;  que  nous  domptions  celui-ci,  que  nous  stimulious  celui-la;  que  de 
ce  cöt6  nous  maintenions  l'ordre,  et  que  de  cet  autre  nou.~  hätions  le  pro- 


102  Aus  dem  Leben  Claude  Tilliers. 

gr^s ;  qu'ä  nous  sculs,  oii  un  mot,  nous  fassions  la  besogne  de  trois.  Plu- 
sieurs  d'entre  nous  sont  doues  de  brillantes  facultas,  raais  quand  leur  in- 
telligence  voudrait  s'envoler  vers  de  pures  et  hautes  regions,  il  faut  qu'ils 
la  clouent  par  les  alles  aux  planches  de  leur  estrade;  ils  ont  un  outil 
d'or,  et  ils  ne  peuvent  remuer  avec  qua  des  fanges  et  des  graviers. 

Nicht  nur  der  Unterricht  aber  mit  seiner  strengeren  Kon- 
trolle setzte  Tillier  jetzt  viel  leichter  einem  Konflikt  mit  den  vor- 
gesetzten Behörden  aus;  nach  der  Julirevolution,  1831,  trat  er 
in  die  politische  Publizistik  ein.  Er  wurde  ein  eifriger  Mit- 
arbeiter an  einer  oppositionellen  Wochenschrift,  L Independant, 
die  in  Claraecy  jetzt  zu  erscheinen  begann.  Er  erhob,  wie  er 
selber  sagt,  'die  Fahne  der  Empörung'  gegen  Dupin,  den  all- 
mächtigen Deputierten  des  Nievre- Departements,  'den  König 
von  Clamecy'.  Wir  werden  die  politische  Stellung  und  den  Cha- 
rakter dieses  Mannes  genauer  betrachten,  wann  der  Schulmeister 
Tillier  sich  gänzlich  in  den  politischen  Pamphletisten  umgewan-" 
delt  haben  wird.  Hier  genügt  uns,  zu  wissen,  dafs  Dupin  der 
ältere,  Diqyin  aine,  wie  er  zur  Unterscheidung  von  seinem 
Bruder  Charles  genannt  wurde,  unter  den  im  Vordergrunde 
stehenden  Politikern  der  Julimonarchie  der  verschlagenste  war,  der 
selbstverständlich  in  seiner  Heimat  Clamecy,  wie  ihm  beliebte, 
Regen  und  Sonnenschein  machte.  In  Ermangelung  anderer  bio- 
graphischer Quellen  mag  uns  wieder  TilHer  selber  von  dieser 
Episode  seines  öffentlichen  Lebens  erzählen. 

En  dßclarant  la  guerre  ä  M,  Dupin,  je  prövoyais  quel  en  serait  le 
resultat;  je  coniprenais  tr^s  bien  que  j'arrachais  de  mes  propres  mains 
mes  ^pis  prfes  d'entrer  en  fleurs;  que  cette  longue  queue  de  serviteurs  qui 
s'agitent  derri^re  Tautocrate  prendrait  fait  et  cause  pour  la  tete  outragee, 
et  que  je  ne  tarderais  pas  ä  avoir  sur  les  bras  le  ban  et  l'arrifere-ban  de 
la  bourgeoisie.  Ces  gens-lä  ^taient  cinquante,  quatre-vingt,  cent;  que 
sais-je,  moi?  Ils  avaient,  pour  arme,  un  gros  cachet  de  comite  local 
qu'ils  se  mettaient  dix  ä  soulever,  et  qu'ils  laissaient  toujours  retomber 
maladroitement  sur  leurs  pieds.  Moi,  j'etais  seul,  je  n'avais  pas  un  allie; 
mais  je  ne  m'effrayai  point  pour  cela;  je  me  preparai  ä  les  bien  recevoir, 
et  ils  ne  tardferent  point  ä  se  präsenter. 

Zur  Belehrung  seiner  Kollegen,  die  etwa  Anwandlungen 
haben  sollten,  den  grofsen  lokalen  und  kantonalen  Herren  ent- 
gegenzutreten, müsse  er  diese  Seite  aus  seinen  Memoiren  mitteilen. 

A  peine  fus-je  en  fonctions,  que  le  comitd  local  et  cantonnal  lächa 
un  arret6  par  lequel  il  m'adjoignait  uu  collbgue  qui  devait  faire,  le  soir, 


Aus  dem  Leben  Clavule  Tilliers.  103 

la  classc  aux  flanibeaux,  et  aiiquel  il  allouait  la  moiti^  de  mes  appointe- 
ments.  C'<5tait  vouloir  partager  une  noisette  entre  deux.  Douze  cents  francs 
poiir  faire  vivre  deux  ecoles  et  deux  instituteurs  dans  un  chef-lieu  d'arron- 
dissement!  . . .  la  soimne  etait  notoireinent  insuttisante.  ^lais  nioi  je  de- 
jeiinerais,  et  mon  collfegue  souperait;  ainsi  l'avait  döcid<^  la  sagesse  locale 
et  cantonnale.  . . .  Cet  arrötö  avait  d'abord  le  tort  tr&s  grave  de  me  de- 
trousser;  ensuite  cette  ^cole  divisee  en  deux  hrmispheres,  ces  deux  insti- 
tuteurs se  succedant  alternativemeut  dans  leurs  fonctions  coninie  l'astre 
du  jour  et  celui  de  la  nuit  —  mon  t'oll^gue  faisant  la  lune  et  moi  faisant 
le  soleil  — ,  tout  cela  ^tait  si  dröle,  si  burlesque,  que  je  ne  pus  r^sister 
;X  la  tentation  de  donner  ä  mes  r^clamations  les  formes  aigues  du  pamphlet. 

Über  den  Inhalt  sagt  Tillier  nichts  weiter.  Auch  von  Parent 
erfahren  wir  nur,  dafs  er  darin  mit  beifsender  Ironie  gegen  den 
Beschhils  des  Kantonskoraitees  sich  aussprach  und,  weniger 
poetisch  als  an  der  eben  citierten  Stelle,  das  Zusammenarbeiten 
der  beiden  Lehrer  —  der  in  Aussicht  genommene  zweite  war 
am  Kanal  des  Nivernais  als  Beamter  beschäftigt  gewesen  — 
einem  Zwiegespann  von  Pferd  und  Esel  verglich.  Höhnisch 
fügte  er  hinzu,  er  selber  wolle  in  diesem  Vergleich  die  Rolle  des 
Esels  spielen. 

In  der  Stadtverordneten-Versammlung  waren  seine  Freunde 
noch  stark  genug,  den  gegen  Tillier  gerichteten  Beschlufs  des 
Kantonskomitees  umzustofsen.  Einer  aber  aus  dieser  Versamm- 
lung, Herr  Paillet,  war  als  Friedensrichter  zugleich  Mitglied  jenes 
Komitees,  und  der  begann  nun  eine  so  hartnäckige  Wühlarbeit 
gegen  den  störrischen  Lehrer,  dafs  Tillier  trotz  aller  seiner  an- 
geborenen Kampflust  zuletzt  das  Feld  räumte  und  aus  dem  Streit 
nichts  weiter  als  schliefslich  acht  Tage  Gefängnis  davontrug. 
Nach  Verdienst  hat  daher  dieser  Verfolger  Tilliers  in  den  Pam- 
phleten von  Anfang  an  hinter  den  Gegnern  in  erster  Linie,  Mon- 
sieur Dupin  und  Monseigneur  Dufetre,  dem  Bischof  von  Nevers, 
seine  sichtbare  Stelle  erhalten;  ja  noch  im  ^Onkel  Benjamin'  hat 
Herr  Paillet  für  den  ha  Uli  Modell  sitzen  müssen.  Es  ist  auf- 
fällig, \ne  ausgiebig  hier,  in  dem  Kapitel,  das  die  sonderbare 
Selbstrechtfertigung  des  Onkels  vor  diesem  Beamten  schildert, 
der  für  die  Handlung  des  Romans  weiterhin  gar  nicht  mehr  ver- 
wendete ha 'tili  nach  seinem  Aufsern,  seiner  Herkunft  —  er  ist, 
wie  HeiT  Paillet,  Sohn  eines  Gendarmen  — ,  in  seinen  geistigen 
und   moralischen   Eigenschaften    beschrieben   wird.      Und    es    ist 


104  Aus  dem  Leben  Claude  Tilliers. 

eine  echte  Humoristenmotivierung,  die  allein  schon  verrät,  dals 
persönliche  Beweggründe  dahinter  stecken,  wenn  der  Autor  wie 
zu  seiner  Rechtfertigung  vor  dem  Leser  sagt,  sein  Grofsvater 
habe  noch  auf  dem  Totenbette  ihm  ans  Herz  gelegt,  diesen  Mann 
ja  zu  porträtieren.  Alle  Züge  nun,  die  Tillier  hier  zu  seinem 
Porträt  vereint  hat,  finden  wir  durch  einzelne  Pamphlete  zerstreut 
wieder,  wo  die  Rede  auf  Herrn  Paillet  kommt.  In  Quelques 
pamjMets  de  mes  adversaires  schildert  Tillier  die  wenig  an- 
mutende ßeamtenlaufbahn  des  früheren  Anwalts  {avoue),  da- 
maligen Friedensrichters  und  nicht  wiedergewählten  —  Tillier  sagt 
defunt  —  conseiller  municijpal.  Für  uns  noch  wichtiger  aber  ist, 
was  er  in  einem  anderen  Pamphlet:  Comme  quoi  faurais  vouhi 
me  vendre  ä  M.  Dupin,  über  Herrn  Paillet  seinen  Lesern  mit- 
teilt. Hier  folgt  auf  das  eben  Angezogene  eine  humoristische 
Schilderung  der  weiteren  von  diesem  Gegner  TiUier  erwiesenen 
Aufmerksamkeiten.  'Defunt  M.  Paillet^,  als  früherer  Kanzlist  in 
solcher  Arbeit  geübt,  liefert  zunächst  eine  stattliche  Kopie  des 
Tillierschen  pamphlet-petition  für  das  Kantonskomitee.  Das 
Komitee,  unter  dem  Vorsitz  des  Unterpräfekten,  beschliefst  ein- 
stimmig, dals  es  ein  Recht  habe,  sich  gekränkt  zu  fühlen.  Es 
citiert  Tillier  vor  seine  Schranken.  Der  aber,  wie  es  dem 
Schöpfer  des  'Onkel  Benjamin'  wohl  ansteht,  geht  zur  angesetzten 
Stunde  in  die  Kneipe  und  spielt  eine  Partie  Billard,  So  wird 
er  per  contumaciam  verurteilt,  seiner  Stelle  entsetzt.  Er  appelliert 
an  den  Rektor  der  Akademie: 

Voici  donc  le  comit^  sur  le  pied  de  guerre;  tous  les  soirs,  aprfes  diuer, 
ces  honnetes  personnages  se  rassemblaient  et  produisaient  contre  moi  un 
gros  procfes-verbal.  M.  Paillet  etait  l'elucubrateur  ordinaire  de  ces  factum, 
et  c'est,  je  crois,  dans  cette  besogne  qu'il  a  puisö  ces  hautes  connaissances 
artistiques  qui  l'ont  fait  nommer  president  du  cercle  litt^raire  de  Clamecy. 
Or  ce  litterateur  etait  tellement  habituö  ä  rediger  ma  destitution,  qu'uu 
jour,  ecrivaut  ä  sa  femme,  il  termina  sa  lettre  par  ces  mots:  A  ces  causes, 
les  soussignes  demandent  la  destitution  immediate  du  sieur  Tillier  (Claude), 
instituteur  primaire  etc.  etc. 

Der  Krieg  wird  auf  die  Dauer  zu  einer  öffentlichen  Kala- 
mität : 

Le  beau  sexe  de  la  bourgeoisie,  priv^  de  l'amabilite  locale  et  canton- 
nale  de  ces  messieurs,  jetait  les  hauts  cris;  toutes  les  partie^  de  boston 
^taient  d^rang^es  et  dans  les    salons   les  mieux  achaland^s  du  lieu,  on 


Ans  dem  Leben  Claude  Tilliere.  105 

voyait  toujours  cinq  ä  six  grands  niais  de  fauteiiils  tendaiit,  d'uii  air 
ennuy4,  les  bras  a  un  occupant.  Moi-mt^me,  je  commen<;ais  h  me  d^plaire 
dans  la  place  a.«sii'g('e,  et  le  comit('>  ne  finissait  point  de  s'en  emparor. 
J'ens  pitii'  de  moi  d'abord,  ensuite  du  lahour  de  ces  messieurri  et  des 
enuuis  de  ces  dames:  je  r^solus  de  rendre  iX  mon  paj's  la  paix  et  le  bostoii, 
son  compagnon  heureux. 

Also  verläfst  Claude  Tillier  eines  schönen  Tages  'ohne  Sang 
niul  Klang'  (snns  tamhoin-  tu'  frompette)  seine  Gemeindeschule 
samt  ihrer  Methode  des  wechselseitigen  Unterrichts  und  greift 
wieder  /um  Bakel  des  Privatschullehrers. 

Aber  sogleich  fand  er  auch  hier  noch  nicht  Ruhe.  Er  stand 
ja,  wie  wir  wissen,  auch  als  Privatschullehrer  unter  der  Aufsicht 
des  Lokal-  und,  nach  1833,  in  höherer  Instanz  des  Arrondisse- 
ments-Komitees.  Das  Verhältnis  zu  diesen  Behörden  blieb,  da 
Tillier  blieb,  wie  er  war,  ebenfalls  so  schlecht,  wie  es  gewesen 
war,  oder  es  wurde  vielmehr  nur  noch  feindseliger.  In  einer 
aus  solcher  Lage  entsprungenen  Streitsache  vor  den  Friedens- 
richter citiert,  immer  noch  unseren  Herrn  Paillet,  liefs  sich  Tillier 
gegen  den  Beamten  in  Ausübung  seines  Amtes  zu  Ungebührlich- 
keiten fortreifsen ;  er  wurde  hierfür  vom  Zuchtpolizeigericht  zu 
acht  Tagen  Gefängnis  verurteilt.  Wieder  erinnern  wir  uns  der 
Gericiitsscene  aus  Mon  oncle  Benjamin  und  dürfen  für  sehr 
wahrscheinlich  halten,  dafs  sie  uns  eine  humoristische  Spiegelung 
dieses  eigenen  Erlebnisses  bietet.  Den  Kleinkrieg,  den  seine 
Gegner  übrigens  gegen  ihn  fortführten,  schildert  er  selber  in 
dem  Pamphlet  gegen  Dupin: 

...  ils  planterent  sans  que  je  m'en  aperyusse,  un  drapeau  noir  sur 
mon  ecole  privee;  ils  en  bloqubreut  toutes  les  issues,  et  s'y  mirent  eii 
pentinelle;  ils  arretaieut  au  passage  les  mi-res  de  famille  qui  venaient 
ni'amener  leurs  fils:  ils  leur  disaient  que  je  n'avais  pas  de  religion,  pas 
de  tenue,  pas  d'ordre,  que  je  n'apprendrais  pas  a  leurs  enfauts  ä  baisser 
le  nipnton  au  nom  de  .Tesus,  ä  se  laver  conveuahlement  les  mains,'  A  dire: 
'Bon  jour  monsieur,  bon  jour  madame'  en  entrant  dans  une  niaison,  toutes 
choses  d'ailleurs  indispensables  a  un  citoyen  fran^ais ;  et  les  bonnes  femmes 

'  Auch  an  einer  anderen  Stelle  (1  178)  sagt  Tillier,  die  Ärzte  des 
Lokalkoiniteps  hätten  die  nicht  ganz  reinen  Hände  seiner  Schulkinder 
tadelnd  bemerkt,  Herr  Paillet  gerügt,  dafs  die  Kinder  nicht  angewiesen 
würden,  den  Bauch  so  wie  er  selber  vorzustrecken.  Man  sieht,  Tillier 
kümmerte  sich,  wie  an  sich  selbst,  so  bei  seinen  Schülern  nicht  sonderlich 
um  Aussehen  und  Haltung. 


106  Aus  dem  Leben  Claude  Tllliers. 

se  retiraiont  dpouvantees,  leur  marmot  a  la  iiiain.  Je  ne  pouvais  resister 
h  ces  tirailleurs  invisibles  qui  me  sarbacanaient  de  tous  les  cot^s;  au  bout 
de  deux  ou  trois  ans,  mon  ^cole  se  trouva  r^duite  ä  rien,  tarie  comme 
un  tonneau  qui  s'en  va  on  ne  sait  par  oü. 

Wahrscheinlich  doch,  dafs  die  Tendenz  des  Pamphlets  Tillier 
hier  zur  Übertreibung  verleitet  hat.  Herr  Dupin,  der  alles^ 
vermögende  Abgeordnete,  soll  als  der  letzte  Urheber  der  Leiden 
des  armen  Schulmeisters  hingestellt  werden ;  mit  den  Worten : 
Voilä  ce  qui  m'advint  jjour  avoir  attaque  M.  Dupin  schliefst 
diese  Schilderung.  An  einer  anderen  Stelle  erwähnt  Tillier  doch, 
dafs  er  einmal  in  seiner  Privatschule  121  Kinder  zu  unterrichten 
gehabt  habe,  und  Parent  sagt,  was  ja  auch  als  das  Natürliche 
erscheint,  die  Schule  sei  bald  stärker,  bald  schwächer  besucht 
gewesen.  Tillier  behielt  sie  bis  ins  Jahr  1840.  Im  September 
dieses  Jahres  veröffentlichte  er  sein  erstes  Pamphlet:  Un  flotten r 
ä  la  majorite  du  conseil  mumcipal  de  Clamecy.  Im  Frühjahr 
1841  folgten  die  Cormenin  zugeeigneten  Lettres  au  Systeme  siir 
la  Re'forme  electorale,  die  Aufsehen  erregend  über  den  engen 
Kreis  seiner  Heimat  hinaus  bis  nach  Paris  drangen.  Bald  darauf 
wurde  Tillier  als  leitender  Redacteur  für  die  Zeitung  Ü Associa- 
tion nach  Nevers  berufen. 

Berlin.  M.  Cornicelius. 

(Ein  zweiter  Aufsatz  'Cl.  Tillier  als  Pamphletist'  wird  folgen.) 


Die  Auslassung-  oder  Ellipse. 


II. 

Eigenschaftswort. 
Auch  hier  giebt  es  Zweifel.  Mit  she  has  no  Constitution 
soll  ja  nicht  das  Vorhandensein  jeder  gesundheitlichen  Verfassung, 
nur  das  einer  festen  geleugnet  werden.  So  ist  es  mit  il  a  de  la  tete, 
he  has  hrains,  er  hat  Verstand.  Man  könnte  deshalb  leicht 
meinen,  es  habe  dafür  einst  gestanden  no  good  co7istitution,  much 
hrains,  une  bonne  tete.  Indessen  ist  doch  hier  für  die  Auffassung 
Raum,  dafs  die  Begriffe  in  einem  engeren,  inhaltsreicheren  Sinn  als 
sonst  gebraucht  sind,  Constitution  =  Gesundheit,  tete  =  Verstand 
(was  Phrasen  wie  il  a  jJßU  de  tete,  he  has  hrains,  no  hrains  stützen). 
Die  normale  Constitution  wird  dann  als  die  einzig  in  Betracht  kom- 
mende angesehen,  alle  anderen  sind  keine;  c'est  un  homme  de 
coniposition,  er  ist  ein  Mann,  mit  dem  man  sich  leicht  verstän- 
digt; wo  es  auch  heifsen  könnte;  de  honne  c.  He  is  vain  to  a 
degree!  er  ist  im  äufsersten  Mafse  eitel.  Ist  dies  wirklich  aus  to  a 
very  high  degree  hervorgegangen?  Oder  ist  die  Höhe  des  Grades 
eigentlich  ausgedrückt  in  einem  zu  ergänzenden  Relativsatz:  that 
you  will  not  imagine,  that  cannot  he  expressed'^  Klar  ist 
hingegen:  Les  affaires  ne  vont  phis  comme  dans  le  temps,  wie  ehe- 
mals (man  findet  auch  oft  dans  les  temps),  sc.  passe,  ancien  od.  dans 
le  temps  jadis.  J'ai  le  mal  du  pays  (sc.  natal),  ich  habe  das  Heimweh 
(mit  Auslassung  eines  Zwischengedankens  du  desir,  du  regret  du  pays 
n),  das  Weh  nach  dem  Heim,  c'est  un  garnement  wird  nur  ver- 
ständlich aus  dem  volleren  mauvais  g.,  böse  Range,  * garnimentum, 
das  was  ausstattet,  also  =r  schlechtes  Möbel;  andere  erklären  es  als 
schlechte  Verteidigung,  schlechter  Verteidiger;  les  devoirs,  die  schrift- 
lichen Pflichtleistungen  für  die  Schule;  c'est  un  fils  de  famille  =.  de 
honne  f.,   ebenso  eile  a  de  la  naissance;  tm  prince  du  sang,  sc.  royal] 


108  Die  Auslassung  oder  Ellipse. 

maron  =.  franc  m.;  avoir  de  Vhumeur,  sc.  mauvaise;  c'est  ma  bete  = 
h.  noire,  b.  d'aversion;  au  joueur  la  balle,  die  Sache  ist  an  den  Rich- 
tigen gekommen,  neben  au  bon  joueur;  le  sexe  =  Iß  beau  s.;  bei  des 
contes  ä  dormir  debout,  auch  wie  Geschichten  zum  Einschlafen,  ist 
doch  wohl  p'opres  ä  faire  d.  oder  de  maniere  ä  d.,  mit  unlogischem 
Wechsel  des  Subjekts.  Bien  des  ehoses  de  ma  pari  ä  monsieur  votre 
pere,  sc.  agreables.  Bekannt  sind  Wendungen  wie:  il  n'esi  rien  de  tel 
que  de  voyager;  there  is  nothing  like  travelling;  il  n'est  rien  tel  que  le 
plancher  des  vaches;  il  n'est  rien  tel  que  d'etre  d  son  ble  moudre. 
Dafür  auch  il  n'est  rien  que  .  .  und  noch  stärker  il  n'est  que  d'etre  ä 
son  ble  moudre;  il  n'est  chere  que  de  vilain,  bei  niemandem  geht  es 
höher  her  als  beim  Bauern,  wenn  er  einmal  Festtag  macht;  il  n'est 
rien  que  le  vin,  es  geht  nichts  über  den  Wein.  Ahnlich  siete  contento  ? 
Altro  che!  Na,  und  ob!  =^  sono  altro  che  c,  piü  che  c. 

why,  there's  a  fellow,  das  ist  ein  netter  Kerl,  verächtlich  (sc.  nice 
oder  Relativsatz),  liquors,  Spirituosen  (sc.  strong).  to  call  one  names, 
einen  schimpfen  (sc.  bad),  ebenso  to  use  language;  to  teil  tales 
1)  klatschen,  2)  aufschneiden  (sc.  false).  to  be  in  a  temper,  aufge- 
bracht sein  (sc.  bad),  dagegen  bei  to  be  out  of  temper  ist  gerade  good 
zu  ergänzen,  to  make  faces  at  one,  einem  Gesichter  schneiden  (sc. 
^tgly).  after  a  fashion,  unordentlich  (sc.  ironisch  nice),  to  a  degree, 
ganz  gehörig  (sc.  high ').  he  lives  in  style  (sc.  grand).  it  gave  me  a 
head  next  ynorning,  es  verursachte  mir  einen  Kater  für  den  folgenden 
Morgen.  Hat  sich  die  slang- Bedeutung  von  cheek,  Frechheit  so 
entwickelt,  dafs  man  anfänglich  sagte  lie  did  it  with  the  coolest  cheek 
imaginable  ■=^  without  blushing'^.  titne  and  again,  von  Zeit  zu  Zeit, 
doch  wohl  aus  at  one  time  a.  a.  she  has  lost  her  looks  (sc.  good),  sie 
ist  häfslich  geworden.  We  shall  be  in  time  (sc.  good)  pünktlich  an- 
kommen, a  coiner  (sc.  false);  to  have  a  ivord,  words  with  one,  mit 
jemandem  in  Wortwechsel  geraten,  findet  sich  auch  als  high  ivords; 
it  is  not  the  thing  to  throw  in  a  gentleman's  teeth,  neben  dem  vollen 
the  p'oper,  correct  th.,  nicht  anständig;  a  fax-cart  ist  ein  niedrig  be- 
steuerter Wagen;  this  time  he  has  left,  he  is  off,  for  good  (sc.  for  a 
g.  time?),  diesmal  ist  er  auf  Nimmerwiedersehen  fort. 

Sie  wird  nicht  wieder  (gesund) ;  du  bist  wohl  ?  (verrückt).    Dafs 


'  Vielleicht  beeinflufst  durch  Wendungen  wie  to  a  fault,  Persigny 
ivas  hospitable  to  a  fault,  wo  alles  in  Ordnung  ist. 


Die  Auslassimg  oder  Ellipse.  109 

'Ballen'  die  stai'ke  Auftreibung  des  Knochens  am  Fufsballen  be- 
zeichnet, ist  doch  nur  so  gekommen,  dafs  man  sagte,  'ich  habe  einen 
starken  B.'    Halbblut  für  Halb  -  Edelblut.    Machte  der  Augen!  (sc. 

grofse). 

Nähere  Bestimmungen. 

Wenn   wir   sagen,    'er   ist    voll   (fam.),    um   anzudeuten,    dafs 

jemand   betrunken   ist,   so  kommt  uns  meistens  gar   nicht  zum  Be- 

wufstsein,  dafs  eine  Ergänzung,  die  sagte,  wovon,  fehlt.    Und  doch 

nur  der  Zusammenhang  lehrt  uns   dies,   sintemal  ein  Mensch  auch 

noch   anderer  Dinge  voll  sein   kann.    Es  sei   erinnert   an   das  rohe 

eile  est  pleine  =  eile  est  enceinte;  das  Altfranzösische  zeigt  noch 

die  unverkümmerte  Wiedergabe  des  Sachverhaltes: 

Ainx  que  fussent  passe  eine  mois, 

Sore  d'amors  se  trora  plainne 

De  semance  d'liome  e  de  grainne.  Cligfes  2375. 

il  se  tient  toujours  du  cote  du  manclie,  er  versteht  es  immer,  mit 
dem  Stärkeren  zu  halten,  sc.  du  halai,  im  Gegensatz  zum  Besen,  der 
einen  bedroht,  moi  j'en  connais  qui  enqyruntent  ä  six,  quand  leurs 
terres  )ie  donnetit  pas  seidement  le  trois  (sc.  potir  cent).  taut  de  la 
honne  entente,  je  )ie  connais  que  (U  (sc.  de  beau),  etwas  Schöneres  als 
gutes  Einvernehmen  giebt  es  nicht,  c'etait  une  jeune  fllle  et  tnenacee 
sc.  pa7-  la  mort  (Toepfer,  Le  Grand  St.  Bernard),  ce  cuir,  cette  etoffe 
prete,  dieses  Leder,  dieser  Stoff  läfst  sich  dehnen,  prete  ä  etre  etire(e), 
efendu{e);  il  me  pria  de  lui  lenir  un  enf'ani,  sagt  J.  J.  Rousseau  in 
seinen  Confessions,  er  bat  mich,  ihm  eines  seiner  Kinder  aus  der 
Taufe  zu  heben,  sc.  sur  les  fonts  de  hapteme.  ce  medecin  l'a  ramene; 
man  findet  zuweilen  hinzugesetzt:  des  portes  de  la  mort;  je  le  raine- 
nerai  bien!  ich  werde  ihn  schon  zur  Vernunft  bringen;  dazu  oft: 
d  la  raison,  cela  depend,  c'esl  suivant,  e'est  selon,  das  kommt  darauf 
an;  sc.  des  circonstances,  selon  l.  c;  im  Deutschen  ebenfalls  Ellipse: 
welche  Umstände  vorliegen,  the  landlord  Jias  given  me  notice  (notice « 
to  quit),  hat  mir  gekündigt. 

/  could  see  tliat  1  ivas  sliort,  dafs  ich  zu  wenig  Geld  hatte  (sc. 
of  money).  For  a  small  consideration.  für  eine  kleine  Vergütung,  er- 
klärt sich  nur  aus  /  gave  Jdm  a  small  sum  in  consideration  of  Ins 
Service  (mit  Übertragung),  a  Chamber  at  one  pair,  eine  Treppe  hoch 
(sc.  of  stairs);  to  send  a  person  to  the  right  about,  einen  fortjagen, 
auf  den  Trab  bringen  (sc.  /oce;  r.  ab.  f.  ^=  Kelu't!).    the  bill  was  lost 


110  Die  Auslassung  oder  Ellipse. 

in  tJie   lords,   das  Gesetz  fiel  im   Oberhause  durch,    ihree  thousmid 
cavalry  =  men  ofc.    the  vote  is  void  (sc.  ofvalidity),  ist  ungültig.   /  am 
speaking  under  correction,  ich  lasse  mich  im  Fall  eines  Irrtums  gern 
belehren,  genau  under  the  eventicality  of  c.    the   Cape  ^=  the  C.  of 
Oood  Hope.    the  officer  in  charge,  der  dienstthuende  Offizier  oder  Be- 
amte ;  Zusätze  wie  of  the  ship,   of  the  convoy  zeigen  noch,  was  dazu 
einst  gehörte;  so  erklärt  sich  auch  I  shall  give  you  in  charge  =  in 
custody,    sc.  of  the  policeman.    1  suhmit  that  . .  .^    ich  gebe  zu  er- 
wägen . . .  (sc.  to  your  consideration) ;  you  seem  put  out  (sc.  of  temper, 
humour);  to  put  s.  one  out,   einen  aus  der  Fassung  bringen  (sc.  of 
countenance).    that  all  depends  (sc.  on  circumstanees,  vgl.  c'est  sehn) 
und  he  is  well  considering  (sc.  tJie  c),   er  ist  verhältnismäfsig  wohl. 
by  the  disablement  of  the  signalman  the  actual  safety  of  the  train 
may  beeome  involved,  kann  der  Zug  mit  gefährdet  werden  (sc.  in 
danger),    to  eommit  oneself  =r  sich  blofsstellen,  wie  auch  se  commettre. 
Stellen    wie   die   folgende   zeigen    den  Übergang:    tlie   Gambas  had 
nothing  to  complain  of  in  the  punishment,  for  which  tliey  must  Imve 
been  prepared  when  they  first  committed  themselves  to  the  conspiracy. 
to  reflect  on  a  person   1)  sich  ungünstig  über  jemand  äufsern,  2)  ein 
ungünstiges  Licht   auf  . . .  werfen ;  when  a  woman  has  a  liaison  it 
may  not  really  reflect  on  Jier  husband's  qualities;  dort  ist  unfavour- 
ably,  hier  a  bad  light  zu  ergänzen. '    she  began  helping  the  milk,  aus- 
zuteilen (sc.  to  the  men).    Better  far  have  left  the  strong  and  ivell  un- 
provided  for  tlian  th-ese  burdened  ones,  Bellamy,  Looking  Backward 
p,  101,  halte  ich  für  Abkürzung  von  ivell-to-do;   p.  103  sagt  er:  the 
well-to-do  were  scarcely   less  liamjjered  by  social  prejudice.    He  is  as 
likely  as  any,  so  geeignet  wie  jeder  andere  (sc.  to  do).    I  am  dying 
to  know,   ich   möchte  für  mein  Leben  gern  wissen  (sc.  from  a  desire 
to  know).    the  cow  is  in  calf,  ist  trächtig,  nicht  die  Kuh  ist  im  Kalbe, 
sondern  das  Kalb  in  der  Kuh,   aber  diese  ist  in  dem  Zustande,  dafs 
sie  ein  Kalb  trägt,    he  insfantly  feil  to,  fiel  über  das  Essen  her,  hieb 
ein  (sc.  eating).    he  was  committed,  in  Anklagezustand  versetzt  (sc. 
for  trial).    to  expose,  blofsstellen^  tadeln  (sc.  to  blame,  ridicule). 

Er  ist  geblieben  (auf  dem  Schlachtfelde);   einen  versehen  (mit 
den  Sterbesakramenten);  einen   Brief  aufgeben  (auf  die  Post);   Ihr 


'  Eine  Phrase  wie  the  Passage  on  which  Mr.  Lang  remarks  so  severely 
beleuchtet  derartige  Änderungen  der  Bedeutung. 


Die  Auslassung  oder  Ellipse.  111 

Rock  ist  ganz  voll  (von  Schmutz);  er  raufs  sitzen  (im  Gefängnis); 
Schneiderin  empfiehlt  sicli  in  und  aufser  dem  Hause  (für  Arbeit . ..); 
die  siebenten  Ulanen  st.  das  siebente  Regiment  U. ;'  Glück  auf; 
Bergmannsgrufs,  wohl  Glück  auf  den  Weg,  vgl.  Faust  II  5  Glück  an! 
zu  Landenden  gesagt,  an  das  Land;  ebenso  wohlan!  =  wohl  an  das 
Werk.  Schreiben  Sie  mir  umgehend,  ganz  unlogisch,  statt  mit  um- 
gehender Post,  hy  return  of  post. 

Adverb. 

cJiat  echaude  eraint  l'eau  froide  bekommt  erst  einen  Sinn,  wenn 
man  rneme  ergänzt:  sogar  das  kalte  Wasser  scheut  die  verbrühte 
Katze.  Cliarbotmier  est  mattre  chez  soi  =  tneme  le  eh.  est  mattre 
chez  soi.  Ebenso  in  give  the  devil  his  due,  gieb  sogar  dem  Teufel 
was  ihm  gebührt. 

Depuis  quelque  temps  la  terre  ne  rapporte  plus  comme  dans  les 
temps,  Theuriet,  Fossoyeur,  =  da7is  les  temps  jadis,  so  auch  dans  le 
temps.  Tant  que  ma  femnie  etait  portante  {=  hien  p.),  nous  allions 
noire  bonhomme  de  ehemin,  ging  es  uns  ganz  gut. 

je  m'en  apergois  seulement,  sc.  d  present.  Et  comment  feriez-vous 
qu'en  le  priant  ?  (sc.  autrement). 

per  poco  non  cadde,  nur  um  ein  weniges  fiel  er  nicht,  nur  ein 
geringes  war  die  Ursache,  dafs  er  nicht  fiel. 

Ellipse  der  Verneinungspartikel  liegt  vor  in  point  d'argenf.  kein 
Geld;  pas  de  ehancef  kein  Glück!  du  tout,  du  tout!  durchaus  nicht. 
Ein  Quartalssäufer  ist  nicht  einer,  der  das  ganze  Quartal  über,  son- 
dern der  nur  einmal  in  dieser  Zeit  sich  besäuft. 

/  should  like  it  of  all  things,  sehr  häufige  Redensart  (s.  z.  B. 
Tom  Brown  at  Oxford,  290),  sc.  best  of  all  things.  And  he  assured 
tne  he  should  like  it  of  all  things,  it  ivould  be  a  great  step  forward 
for  hit7i  in  busitiess  (Adam  Bede,  I  344).  What  a  time  you  have 
been  (sc.  away).  Well,  she's  never  left  a  card  here  . . .  Slie  Just  asks 
the  girl  to  sag  she's  been,  and  it's  notliing  of  importance,  v^hen  she 
doesn't  find  me  in,  sie  sei  hier  gewesen.  Iie  is  always  posted,  auf  dem 
Laufenden  =^  well  posted  up.    heliave  yourself!  (sc.  properly). 

'  Englisch  ebenfalls  the  seventh  Lancers  mit  dem  Verb  im  Plural.  Es 
hat  also  i.  E.  und  1).  auch  noch  Attraktion  an  den  Plural  stattgefunden. 
Das  Franz.  zeigt  den  Übergang:  Le  septieme  lanciera;  die  Erscheinung 
auch  erwähnt  S.  112. 


112  Die  Auslassung  oder  Ellipse. 

Konjunktion. 

Avant  la  mere,  je  doutais ;  mais  la  mere  simplement  entrevue^ 
ü  n'y  avait  plus  de  doute  possihle,  bevor  ich  die  Mutter  gesehen  hatte, 
konnte  ich  zweifeln;  en  tout  hien  lout  honneur,  in  allen  Ehren,  hat 
zwischen  sich  ein  et  gehabt,  das  noch  jetzt  stehen  kann. 

It  looked  just  the  sort  of  place  we  wanted  (sc.  like).  1  did  it  tJie 
ßrst  thing  in  the  morning  (sc.  os).' 

In  dem  populären  come  next  Christmas,  next  Whitsuntide  = 
'next  Chr.  ist  wohl  if  zu  ergänzen,  my  old  man  bought  them  at  tJie 
fair  tweniy  'ear  come  next  Whissuntide,  Adam  Bede,  I  287.  Dafs 
come  Konjunktiv  ist,  schliefse  ich  aus  der  analogen  Wendung  der 
franz.  Volkssprache  vienne  la  St.  Jean,  nächste  Johanni. 

IVhat  with  her  inexperience  in  the  arts  by  which  a  little  tnotiey 
is  made  to  go  a  long  ivay,  and  what  with  the  consequences  of  tJte 
Captain's  wicked  extravagance,  Mrs.  Byron  found  it  impossible  at  flrst 
to  live  within  her  narrow  income  of  £  150  a  year.  Statt  ivhat  with 
—  what  with  =  partly  —  partly  findet  sich  oft  mit  Unterdrückung 
des  zweiten  Gliedes  what  with  —  and:  It  is  amaxing  how  m,uch 
young  people  cost  their  friends,  what  with  bringing  them  up,  and 
putting  tliem  out  in  the  tvorld,  aus  Flügel,  Wörterbuch,  4.  Aufl., 
unter  ichat;  What  tvith  that,  and  his  aioful  tuHst,  and  his  itwurable 
habit  of  gossiping  etc.  (Tom  Brown  at  Oxford,  p.  50). 

See  justice  done  to  him  =  see  that  j.  is  d.,  an  sich  könnte  es 
auch  heifsen:  siehe  die  ihm  gethane  Gerechtigkeit. 

Präposition. 

On  evite  les  changements,  erainte  de  pis.  A  Bellegarde,  on 
fouilla  nos  malles,  on  voulut  aussi  palper  nos  personnes,  erainte 
d'horlogerie,  weil  man  Uhren  bei  uns  fürchtete,  fürchtete,  dafs 
wir  Uhren  schmuggeln  würden  (Toepfer,  'Le  Lac  de  Gers');  un 
premAer  Berlin,  ein  Leitartikel  aus  Berlin;  le  troisieme  dragons  statt 
le  troisieme  regiment  de  dragons ;  so  le  onzieme  uhlans ;  un  billet  aller 
et  retour,  eigentl.  pour  l'aller  et  le  retour,  dann  auch  freier  verwendet : 
si  nous  allons  ä  pied,  c'est  quatre  francs  aller  et  retour  qu£'  nous 


'Vielleicht  hat  die  andere  Vorstellung:   the  ßrst  thing  I  did  ...  was 
to  . . .,  zu  dieser  Auslassung  beigetragen. 


Die  Auslassung  oder  Ellipse.  113 

gagnerofis.  —  Aix-la-Chapelle,  afrz.  Ais  ä  la  capele,  eh.  de  Rol.  (Müller 
3744).  il  vil  paix  et  aise  st.  en  p.  et  a.  diantre  soit  la  coquine  statt 
de  la  c;  peste  soit  la  sincerite.  un  chapeau  Jiaute  foi-me  neben  haut 
de  forme.  La  viande  est  si  hon  mar  che  en  Australie  qu'on  dedaigne 
le  rechaiiffe.  Chacun  son  gout  statt  ä  son  goüt,  viell.  nach  Analogie 
von  chacun  son  metier;  ebenso  chacun  son  tour,  es  kommt  an  jeden 
die  Reihe.  faQon  de  parier  statt  par  f.  de  p.:  Ouragan  est  man  frere 
de  lait,  fa^on  de  parier,  nous  avons  suce  le  meme  hiheron  Darho. 
Moi,  je  suis  la  douceur  incarnee;  non  seulement  je  ne  ferais  pa.s  de 
mal  ä  une  mouclie,  mais  je  ne  laisse  jamais  ichapper  l'occasion  d'etre 
utile  ä  un  cloporte,  foQoyi  de  parier.  Je  l'ai  paye  vingt  francs.  c'est 
comme  moi,  mir  geht  es  auch  so ;  {avec)  une  cliaine  sautoir  statt  en  s.; 
une  hague  grenats  et  diamants;  une  representation  gala;  vivre  paix  et 
aise,  in  aller  Gemächlichkeit  leben  (sc.  en);  une  boUe  cuillers  (sc. 
pour) ;  ä  moitie  prix,  frais,  chemin ;  une  jetee  ou^t  du  port ;  une  tour- 
nure  p-ovince ;  un  convoi  grande  vitesse ;  c'est  une  girouette  qui  toume 
tout  vent  (statt  ä  ...);  un  substantif  pluriel;  quel  jour  sommes-nous 
dofic  aujourd'hui?  statt  ä  quel  jour . . .,  wenn  nicht  Vermischung  zweier 
Konstruktionen  {quel  jour  du  mois  est-ce  —  quel  jour  avons-nous) 
stattgefunden  hat.  Natürlich  darf  man  da  nicht  von  Ellipse  reden, 
wo  altfranz()sischer  Genitiv  vorliegt,  wie  in  Choisy-le-Roi,  Bar-le-Duc, 
Hotel- Dieu,  le  feu  St.  Ebne,  La  St.  Jean,  und  danach  auch  wohl 
Lib7-airie  Hachette,  le  mal  St.  Jean. 

Aber  soll  man  in  timbre-poste  Analogiebildung  hierzu  sehen  oder 
Auslassung  von  de  annehmen  ?  Die  Frage  läfst  sich  wohl  nicht  mehr 
entscheiden:  so  kann  auch  in  ä  la  diahle  ä  la  erst  feste  Formel  ge- 
worden sein  mit  dem  Sinne  'nach  der  Art  von';  und  zwar  nach  ä  la 
(mode)  fran^aise,  dann  ä  la  Henri  quatre,  danach  ä  la  diahle.  Über 
le  six  mars  s.  Archiv  CVII,  370. 

Keinem  fällt  ein,  wenn  er  aussetzen,  auflegen  hört,  an  eine 
Auslassung  zu  denken.  Und  doch,  ein  Blick  auf  das  Französische 
macht  stutzig.  So  gut  wie  wir  fragen:  kommst  du  mit?  fragt  dort 
die  Volkssprache:  viens-tu  avec?  Oder  sie  sagt  mes  hottes  me 
genent  horrihletnent;  je  ne  sais  si  je  pourrai  marcher  avec, 
A.  oü  ce  qu'est  ma  veste?  B.  viens  sa?is.'  Nun  ist  avec  und 
Sans  sonst  nicht  Adverb  und  dieses  ist  es  meines  Wissens  auch  nie 
gewesen.  Auch  wenn  wir  sagen:  na,  dann  komm  ohne;  Wünschen 
Sie  mit  (Zucker)?    Nein,   ohnel   fühlen  wir  deutlich,  dafs  wir  noch 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CVIU.  8 


114  Die  Auslassung  oder  Ellipse. 

etwas  im  Sinn  haben.  Also  werden  auch  wohl  die  obigen  Zusammen- 
setzungen so  entstanden  sein  wie  die  unter  'Objekt'  besprochenen. 

Fraglich  scheint,  ob  wir  il  a  l'air  canaille  als  entstanden  aus 
rai)-  d'une  c.  denken  sollen  oder  als  Übertragung  von  il  a  l'air  plai- 
sant,  mechant.  Was  mich  bestimmt,  für  ersteres  mich  zu  entscheiden, 
ist,  dafs  wir  in  Ausdrücken,  die  mit  den  obigen  gleichartig  sind,  wie 
couleur  rose,  daneben  couleur  de  rose  vorfinden,  und  dafs  zuweilen 
die  Präposition  üblicher  ist  wie  bei  couleur  de  paille;  man  ist  dann 
mit  kühner  Ellipse  Aveiter  gegangen  und  sagt:  des  gants  paille.  Jeden- 
falls lassen  Phrasen  wie:  des  etudiants  fruits  secs,  verbummelte 
Studenten,  vermuten,  dafs  diese  kühne  Verwendung  von  Hauptwör- 
tern und  zusammengesetzten  Ausdrücken  als  Eigenschaftswörter  ver- 
schieden zu  Stande  gekommen  ist,  indem  die  verschiedensten  Zwi- 
schenglieder ausgefallen  sind. 

Von  Phrasen  wie  he  is  my  age;  are  you  always  that  colour? 
habe  ich  schon  1.  c.  S.  357  gesprochen.  Zu  einer  Entscheidung  bin  ich 
nicht  gelangt.  Wie  mit  jenen,  steht  es  mit  what  concern  is  it  to  you? 
Entweder  .ist  of  davor  weggefallen,  oder  es  ist  falsch  analogisch  zu 
it  is  not  my  concern  (vgl.  umgekehrt  there  is  nothing  the  matter  with 
me,  ebenda).  So  wJiat  trade  are  you?  (Sh.  J.  C.  I  1).  Fm  a  great 
mind  to  do  it  (sc.  in,  wenn  nicht  Vermischung  mit  /  have  . . .).  to  he 
relieved  guard  (sc.  from) ;  to  he  disniissed  the  army,  one's  Service,  ship, 
school  (sc.  from).    it  ain't  no  aecount,  macht  nichts  (sc.  of).     What 

time  do  you  go  ?  neben  at I  came  here  post,  mit  der  Extrapost, 

hy  post-chaise.  I  tremhled  every  limh,  sc.  in.  you  are  right,  wrong, 
entweder  =  in  the  r.,  wr.,  oder  durch  Übertragung  entstanden  aus 
what  you  say,  is  right.  A  youth  rising  tiventy  (sc.  ahove  ?)  =:  upwards 
of  20.  I  shall  ivait  your  orders  (sc.  for),  don't  ivait  dinner  for  me  (sc. 
with).  to  play  hooty,  absichtlich  verspielen,  um  den  anderen  zu 
ködern  (sc.  for  hooty,  um  Beute  zu  machen).  Bekannt  ist  der  Weg- 
fall von  in,  on  vor  dem  Gerundium,  so  dafs  wir  scheinbar  das  Parti- 
cipium  Präsentis  vor  uns  haben,  to  go  hunting,  volkstümlich  noch 
jetzt  a-hunting,  he  was  caught  a-stealing.  Einen  Sturz  thun  heifst 
to  come  a  fall,  a  cropper,  woneben  ich  aber  auch  to  a  fall  gefunden 
habe;  dies  macht  mir  wahrscheinlich,  wie  Intransitive  scheinbar  tran- 
sitiv werden;  z.  B.  go  it,  Ned,  feste  drauf,  Ede,  sc.  to.  —  Posten 
stehen,  sc.  auf  dem;  meiner  Seel  =r  bei  meiner  Seele  oder  m.  S.  Heil; 
radebrechen  siehe  S.  363. 


Die  Auslassung  oder  Ellipse.  115 

Fürwort. 

parlir,  abreisen,  konnte  diese  Bedeutung  nur  erhalten  dadurch 
dafs  es  ein  se  bei  sich  hatte  und  man  den  Ort  angab,  von  dem  man 
sich  abtrennte,   und  so  sagt  die  alte  Spr.  se  partir  de,  se  departir  de. 

Regelmäfsig,  wenn  auch  nicht  notwendig,  fällt  das  se  eines  verbe 
reflechi  im  Infinitif  nach  faire  weg:  on  le  fit  asseoir,  je  l'en  ferai 
Souvenir;  cela  fait  cailler  le  lait. 

Auch  in  sauve  qui  peut  ist  ein  se  zu  ergänzen,  er  ist  aufopfernd, 
hingebend,  nämlich  sich,  pour  raisons  ou  autres,  sc.  ces;  on  causait 
de  choses  et  d'autres;  c'est  hon  pour  qui  le  fait,  sc.  celui;  tirez  sur 
quiconqtce  le  fait  =  sur  celui  qui  le  fait,  qui  que  ce  soit;  il  a  de  quoi 
vivre;  il  a  de  qu<yi  tenir.  Faust  up  to  date  =  up  to  this  date,  vgl. 
the  history  fias  been  catried  up  to  date  oder  to  the  present  date. 

Verbum,  allein  oder  mit  dazu  Gehörigem. 

Bekanntlich  drückt  das  Russische  das  blofse  Sein  in  der  Gegen- 
wart nicht  aus:  atjetz  sdaröwü,  der  Vater  (ist)  gesund.  Man  kann 
nicht  behaupten,  dafs  dieses  Sein  gar  nicht  mitgedacht  werde,  die 
Vorstellung,  dafs  die  Aussage  für  jetzt  gelten  soll,  mufs  da  sein  — 
aber  den  formalen  Ausdruck  davon  kann  man  sich  sparen. 

Nur  deshalb  weil  man  augenblicklich  und  unbewufst  das  Nötige 
ergänzt,  scheint  es  einem,  als  ob  nichts  fehle,  gerade  wie  man  im 
Tagebuchstil  die  Hilfsverba  wegläfst:  Gestern  drei  Hasen  geschossen 
(wer?  sagt  nur  der  Zusammenhang).  //  decouvre  un  volume  de- 
pareille  de  Montaigne.  Ouvert  le  livre  au  hasard,  relu 
l'admirable  lettre  sur  la  mort  de  la  Bo'etie.  Auch  das  der 
Vergangenheit  augehörende  Sein  wird  manchmal  nicht  besonders 
ausgesagt:  Tout  ä  creer,  tout  ä  construire.  Ä  chaque  moment 
des  revolutions  d'Arabes.  Pensez  quelle  confusion  le  len- 
deonain,  quand  ses  voisins  de  cellule  lui  faisaient  d'un 
air  malin:  Eh!  eh!  Pere  Gaucher,  vous  aviez  des  cigales  en 
tete,  hier  soir  en  vous  couchant! 

Jedenfalls  neigen  zu  dieser  Auslassung  der  blofsen  Kopula  alle 
Sprachen,  und  die  Zahl  der  Beispiele  ist  Legion.  So  mögen  einige 
für  viele  stehen.  Gesagt  —  getlian;  sitöt  dit  —  sitöt  fait;  Ricluird 
ne  doli  pas,  lui.  Finies  les  bonnes  siesfes  de  jadis  (die  schönen 
Mittagsruhen  von  ehedem  waren  nun  vorbei);  ä  mon  tour  de  dire 
non,  jetzt  ist  e>   an   mir,   nein  zu  sagen.  —  Hierher  gehört  das  be- 

8* 


116  Die  Auslassung  oder  Ellipse. 

kannte  histoire  de  mit  Infinitiv  =  es  ist  das  blofs  um  ...  Ne  vous 
fächex  pas,  patron!  je  m'exerce  ä  rire;  histoire  de  ne  pas  nie  rouiller. 
'Allans  donc,  qu'elle  rep^rend,  vous  etes  un  enjoleux,  car  je  sais  qu'il 
y  a  lä-has,  au  pays,  une  nomimee  Mathurine,  ä  qui  vous  domiätes  vos 
amours.'  'Histoire  de  rire,  que  lui  fait  Maclou,  c'est  hon  pour  passer 
le  temps  au  village.'  prenons  un  petit  cogne,  histoire  de  nous  rincer 
la  dent.  Vollere  Form:  j'ai  achete  une  malle,  c'est  une  histoire  de 
vingt  francs}  Der  Infinitiv  führt  aus,  worin  eigentlich  die  Geschichte, 
Sache  besteht.-  —  Chacun  son  metier,  Schuster  bleib  bei  deinem 
Leisten ;  autant  dire  was  dasselbe  heifst  =  autant  vaut  dire  ...,  z.  B. 
je  vous  assure  que  rarement,  autant  dire  jamais.  places,  s'il  vous 
platt,  fares  please,  Fahrgeld,  bitte,  s'il  veut  epouser,  rien  ä  dire  =  il 
n'y  a  rien  ä  d.    il  est  mort  ä  n'en  pas  douter  =  il  n'y  a  plus  . . . 

Natürlich  ist  dieser  Infinitiv  nicht  mit  äufserlich  gleichartigen 
Wendungen  wie  ä  tout  prendre,  ä  y  regarder  de  pres  gleichzusetzen, 
noch  mit  ils  se  ressemhlent  ä  s'y  tneprendre,  so  ähnlich,  daXs  man  sie 
verwechseln  kann.  A  votre  sante,  to  your  health!  A  hon  entendeur 
peu  de  paroles,  sc.  suffisent.  Je  frappai :  saint  Pierre  m'ouwit.  Tiens ! 
c'est  vous,  mon  brave  monsieur  Martin,  me  ßt-il;  quel  bon  vent  ...? 
et  qu'y  a-t-il  jjour  votre  serviee  ?  (Daudet,  L.  de  mon  moulin,  le  Cure 
de  Cucugnan),  sc.  amiine.  Puis  il  allait  vers  le  fond  en  appelant: 
Mamette!  Une  porte  qui  s'ouvre,  un  trot  de  souris  dans  le  couloir  ... 
c'etait  Mamette  (ibid.,  Les  Vieux),  sc.  on  voit,  entend  une  p.  Le  temps 
de  regarder,  ils  etaient  dessus  {il  ne  fallut  que  . . .  oder  le  temps  . . . 
passe),  ils  ...  Le  temps  de  passer  le  souterrain  et  nous  nous  re- 
trouvons  a  ...,  Wir  brauchen  blofs  die  Unterführung  zu  durch- 
schreiten, so  befinden  wir  uns  alsbald  . , .  Soyez  donc  gentils,  mes- 
sieurs,  emmenez-moi;  le  temps  de  mettre  un  chapeau,  ich  will  mir 
blofs  einen  Hut  aufsetzen.  Le  temps  d'entr'ouvrir  une  luxiarne, 
brrtf  voilä  le  hivouae  en  deroute  (Daudet,  L.  de  mon  moulin,  l'Install.), 
und  kaum  hatte  ich  eine  Luke  geöflfnet,  da  . . .  Je  crois  hien  qu'elles 
se  depecliaient.  A  peine  le  temps  de  casser  trois  assiettes  le  de- 
jeuner  se  trouva  servi  ('Les  Vieux'),  nachdem  blofs  drei  Teller  vorher 


'  Auch  wir:  dai^  ist  eine  Geschichte  von  20  Mark. 

'■'  Georg  Ebeling  erklärt  selbe  Sprachform  (nach  mündhcher  INIitteilung) 
für  Apposition,  was  sie  zweifellos  ist;  indessen  zeigt  eins  der  obigen  Bei- 
spiele sie  als  Glied  eines  vollständigen  Satzes;  sie  wird  also  wohl  Appo- 
sition erst  durch  Wegfall  geworden  sein. 


Pie  Aiislassuiifr  oder  Ellipsp.  117 

zerbrochen  worden  waren,  war  das  I<"'rühstück  auf  dem  Tisch.  Zur 
Erklärung  dieser  Konstruktion  nnifs  man  wohl  Asyndeton  zwischen 
assiettes  und  le  annehmen.  Le  temps  de  vendre  im  demi-quarteron 
a  une  jenncsse,  je  retourne  ä  mes  quatre  livres  de  beurre,  sobald  ich  ... 
verkauft  habe,  kehre  ich  zu  meinen  vier  Pfund  Butter  zurück.  Noch 
stärker :  Le  temps  de  deteler,  ich  will  nur  ausspannen. ' 

Deus,   yneie  culpa  vers  les  tues  vertux 
De  nies  pccchiex,  des  granx  et  des  menux, 
Qite  jo  ai  fait  des  l'hure  que  nex  fui 
Tresqii'ä  cest  jur  que  ei  sui  cunsoüx. 

(Ch.  de  Rol.  ed.  Müller  V.  2.S7(i  ff.) 

In  2383  steht:  claimet  sa  culpe.  Müller  erklärt:  Meine  Schuld  halte 
ich  deiner  Wunderkraft  hin ;  es  erscheint  mir  aber  näherliegend,  eben 
claimc  =  'bekennen'  zu  ergänzen.  Äh,  que  nous  ne  l'ayons  pas  de- 
peche,  ni  vu  ni  connu?  Warum  haben  wir  ihn  nicht,  hast  du  nicht 
gesehen,  um  die  Ecke  gebracht?  Voici  comment,  so  mufs  man's 
machen.  Plalt-il  ?  sc.  de  repeter  ce  que  vous  venez  de  dire.  II  est  on 
ne  peut  plus  poli  =  //  est  poli  —  on  ne  peut  l'etre  plus.  L'ensemble 
on  ne  peut  plus  sympathique.  Le  pays  est  on  ne  peut  plus  pitto- 
resque.    Le  costume  etait  on  ne  peut  plus  simple. 

Der  Sinn  des  eingeschalteten  Satzes  wurde  ganz  vergessen;  die 
Erscheinung  gehört  in  dieser  Hinsicht  unter  die  von  Tobler,  Verm. 
Beitr,  II  1,  besprochenen.    Auch  beim  Adverb  wurde  sie  heimisch. 

Le  vieux  general  qui  nous  avait  reQus  on  ne  peut  plus  cm-- 
dialement.  Diese  an  sich  schon  merkwürdige  Konstruktion  fand  ich 
mehreremal  in  folgender  Form  noch  weiter  verkürzt:  on  ne  plus 
cordialement  (Supplem.  du  Figaro,  21  aoüt  1886).  Une  derniere 
anecdote  de  ce  pittoresque  redt:  Les  etudes  etaient  on  ne  plus  me- 
diocres  dans  le  vieux  College  de  Vannes  (eb.  gleiche  Nummer). 

Dafs  das  Verb  zu  ergänzen  ist,  zeigen  deutlich  Beispiele  wie: 
II  est  certain  que  c'est  un  air,  peut-etre  ime  contenance;  niais  en 
peut-on  une  plus  sötte?  A  d'autres!  =r  faites  cela  accroire  ä  d'autres. 
Le  moyen  d'y  tenir!  unAvilliger  Ausruf:  das  ist  ja  nicht  zum  Aus- 
halten! wobei  freilicli  weiter  Spielraum  fiir  die  Ergänzung  bleibt 
{qu'on  nie  dise  le  m.  ...  quel  est  le  m.  ...).    Rien  qu'ä  l'enonce  de  ce 


'  Eine  andere  Auffassung,  näinlieli  die,  dafs  le  te^nps  hier  ursprünglich 
der  Aceusativ  der  Zeitdauer  auf  die  Fragf  'wie  lange?'  sei,  vertritt  (nach 
luiindlicher  Mitteilung)  Georg  Ebeling;  sie  läfst  sich  hören. 


118  Die  Auslassung  oder  Ellipse. 

Chiffre,  le  pere  jeta  les  hauts  cris,  schon  beim  blofsen  Hören  dieser 
Ziffer  . . .,  wo  doch  mindestens  d  rien  stehen  müfste  (wenn  der  Satz 
vollständig  sein  sollte).  Entre  chien  et  hup  in  der  Abenddämmerung, 
le  temps  on  Von  ne  peut  plus  distinguer  entre  le  chien  et  le  loup.  Ce 
que  c'est  que  de  gäter  les  gensl  das  hat  man  davon,  wenn  man  die 
Leute  verwöhnt  (George  Sand,  Mauprat  S.  226);  ergänze:  voilä.  La 
belle  avance!  {la  belle  affaire),  ironisch:  da  ist  mir  recht  mit  geholfen! 
II  n'y  pas  de  quoi,  es  macht  nichts  (sc.  s'excuser).  II  y  avait  bien 
de  quoi!  es  war  Grund  genug  da,  sich  zu  ereifern  (sc.  s'irriter).  II 
a  de  quoi  viwe,  auch  il  a  de  quoi,  er  hat  Vermögen.  Le  bon  petit 
dejeuner  de  Mamette  c'etait  deux  doigts  de  lait  et  une  barquette,  quelque 
chose  comfne  un  echaude;  de  quoi  la  nourrir  eile  et  ses  canaris  au 
moins  pendant  huit  jours  (Daudet,  Les  Vieux). 

So  werden  Konjunktionen  zu  Adverbien  durch  Auslassung  des 
ihnen  gebührenden  Verbums:  Ifune  voix  tendre  encore  qu'un  peu 
tremblante.  J'achetai  ce  cheval  beau  quoiqu'un  peu  eher.  Une  maladie 
quand  meme  victorieuse,  wo  quand  meme  eigentlich  einen  Satz  einleiten 
mufs,  der  besagt,  dafs  oder  welche  Hindernisse  eigentlich  dem  Siege 
der  Krankheit  entgegenstanden.  Je  ne  sais  comment  le  commissaire 
fit  son  compte,  mais  pas  plutöt  le  pr emier  roulement,  voilä  les 
municipaux  qui  partent  la  trique  en  l'air  (Daudet,  Les  trois  sommations). 

Eine  ganze  Reihe  von  Konjunktionen  ist  nur  so  entstanden, 
dafs  ganze  Vorstellungsreihen  ausgefallen  sind,  wovon  wir  in  der 
älteren  Sprache  zum  Teil  die  Spuren  feststellen  können;  so  erklärt 
sich  non  que,  non  pas  que  'nicht  als  ob'  sehr  leicht  aus  ce  n'est  pas  que, 
ce  n'est  pas  que  je  le  haisse  'eine  Thatsache,  dafs  ich  ihn  hasse,  be- 
steht nicht',  oder  man  könnte  je  ne  dis  pas  ergänzen,  vgl.  Nel  di 
por  ce  ne  soiez  (Cleomades  8093),   Nel  di  por  go  (Roland  591). 

As  to  oder  for  Tiberius,  he  was  a  consummate  hypocrite,  auch 
französisch:  quant  ä  Tibere,  il  etait,  und  wir:  was  den  T.  betrifl't,  so 
war  er  ein  Heuchler;  dazwischen  liegt  aber  der  Gedanke:  so  mufs 
man  sagen,  dafs  er  ...  war. 

Le  fait  est  qu'ä  vous  voir  ensemhle,  on  jurerait  deux  freres 
d'armes,  deux  Chevaliers  de  la  table  ronde  (on  jurerait  voir). 

Kann  man  hier  Fälle  wie  on  dirait  d'un  negre  'man  sollte  meinen, 
es  sei  ein  Neger',  on  jurerait  une  noyee  'man  möchte  schwören,  dafs 
sie  ertrunken  ist'  einordnen?  Ist  si  le  cceur  vous  en  dit  ■=  vous  dit 
d'en  täter,  gouter? 


Dir  Auslaßsung  odrr  Ellippp.  110 

Sollte  nicht  das  merkwürdige  ä  qui  mieux  mienx  sich  so  er- 
klären?   Altfranzösisch  ist  das  d  noch  nicht  vorhanden: 

St  s' antrevienent  qui  ainx  ainx.         (Cligfes  4695.) 

Et  tox  li  peiiples  i  acort, 

E  im  e  autre,  qui  aimc  ainx.  (Cligfes  6507.) 

Man  kann  nun  hier  Verdoppelungen  zu  Hilfe  nehmen,  wie  man 
sie  im  Italienischen  häufig  findet,  um  die  Eile  oder  auch  im  Gegen- 
teil den  allmählichen  Verlauf  einer  Thätigkeit  anschaulich  zu  schil- 
dern :  tratto  tratto  alle  Augenblicke,  or  ora  in  einem  Nu,  dalle  dalU 
eilends,  leva  gli  occhi  al  cielo,  con  un  sospiro  grosso  grosso ;  or  ora  oder 
appoco  appoco  allmählich,  andar  riva  riva  (oder  andar  marina  marina, 
a. proda proda)  =  costeggiare;  dir  le  cose  nette  nette  frei  heraussagen, 
via  via  sogleich,  wie  engl,  anon  anon;  lemme  lemme  ganz  sachte;  il 
mezzo  mexxo  gerade  die  Mitte.  Danach  könnte  ainz  ainz  die  Hast 
malend  bedeuten :  früher,  recht  früh ;  das  war  wer  früher  (als  die  an- 
deren) ankommen  etc.  würde. 

Wie  steht  es  aber  weiterhin  mit  dem  ä,  das  sich  nicht  blofs 
bei  obigen,  sondern  auch  bei  ähnlichen,  wie  c'etait  ä  qui  lui  pre- 
senterait  une  chaise,  stets  findet?  Könnte  es  nicht  vom  Spiel  her- 
stammen ?  Man  sagt  jouer  ä,  noch  heute  jouer  ä  qui  perd  gagne ; 
und  ist  nicht  ein  Wetteifer,  wie  ihn  diese  Redensarten  schildern,  dem 
Spiele  wohl  vergleichbar? 

Ein  Kutscher  mufs  mehrere  Personen  über  das  schmutzige 
Pflaster  in  den  Wagen  tragen:  le  cocher  s'empresse  d'enlever  Sapho 
dans  ses  hras,  et  V empörte  ainsi  jusqu'ä  la  voiture  ...  —  Et  d'un! 
dit  le  cocher  en  deposant  la  dame  dans  son  ßaere,  eine  hätten  wir! 
In  den  Trois  Messes  Basses,  Lettres  de  Mon  Moulin  (Alph.  Daudet) 
hat  der  die  Messe  lesende  Priester  grofse  Eile  und  sucht  die  drei 
Messen  schnell  zu  erledigen.  Als  er  die  erste  hinter  sich  hat,  ruft 
er:  Et  d'une!  se  dit  le  chapelain  avec  un  soupir  de  soulagement. 
Eine  hätten  wir!  —  Später:  Et  de  deux,  dit  le  ehopelain  taut  essouffle. 
Die  zweite  auch!  Dieses  et  d'wie,  manchmal  et  d'un,  findet  sich  oft. 
Zwei  Pariser  Gassenjungen  sehen  einer  Hinrichtung,  bei  der  gleich 
eine  Masse  guillotiniert  werden,  zu.  Als  der  erste  Kopf  fällt,  sagt 
Lolo:  Bien  ...  et  d'un.  Beim  zweiten:  v'laqu'on  lui  attache  lesmains! 
Et  de  deux.  Encore  un:  c'est  l'trois  (Baumgarten,  La  France  comique 
S.  222).    Mir  scheint,   dafs  das  de  zu  einem  Verbum  gehört,   wie  se 


120  Die  Auslassung  oder  Ellipse. 

dehmrasser,  oder  etwas  Ähnlichem.    Die  Verwendung  der  Kardinal- 
zahl für  die  Ordinalzahl  ist  volkstümlich. 

Excusez  plus  que  pa  de  chic!  (pop.)  Nein,  das  ist  ja  pikfein!  (= 
il  n'y  pas  plus  que  pa  de  chic);  ä  d'autres,  sc.  faites  cela  accroire; 
quelque  sot!  na,  so  dumm,  das  fiele  mir  ein,  dafs  ich  ein  Narr  wäre, 
sc.  le  fasse  oder  fera.  Ne  faites  jamais  cela,  si  ce  n'est  avec  voire 
femme,  et  encore !  (il  vaut  mieux  ne  pas  le  faire) ;  so  erklärt  sich  avant 
in  folgender  Verwendung:  avant  la  mere,  je  doutais;  mais  la  mere 
simplement  entrevue,  il  n'y  avait  plus  de  doute  possible  =  avant  que 
j'eusse  vu  l.  m. 

Ah!  ceux-lä!  ach,  das  sind  die  Richtigen!  plus  souvent!  na, 
das  fehlte  mir  gerade,  daran  denke  ich  gerade!  a  la  guerre  conime 
ä  la  guerre,  so  geht  es  nun  einmal  im  Kriege;  darf  man  das  ur- 
sprüngliche Satzbild  so  ergänzen:  ä  la  g.  ga  va  comme  on  le  doit 
attendre  oder  c'est  l'usage  ä  la  guerret 

Dans  mes  peregrinations  ä  travers  le  Bush  australien,  cette  canne 
ne  me  quittait  pas.  Cetait  un  appui  solide  et  au  hesoin  une  arme  de 
defense  formidable.  Et  si  jamais  un  serpent  s'etait  dresse  subitement 
devant  moi,  une  de  ces  marmelades,  je  ne  vous  dis  que  cela!  (La  Maison 
John  Bull  et  C"',  p.  Max  O'Rell,  S.  152).  Sinn:  dann  hätte  ich  sie 
zu  Mus  geschlagen. 

Redensart:  taut  s'en  faut  qu'au  contraire,  ganz  im  Gegenteil; 
jusqu'ä  plus  soif,  niedere  Redensart,  =  bis  zur  Erschlaffung,  ohne 
Ende:  Et  il  y  en  avait  qui  faisaient  la  farce  de  le  tdter  de  haut  en 
bas,  comme  s'il  avait  eu  des  ecus  dans  la  viande,  pour  en  sortir  ainsi 
jusqu'ä  plus  soif  (Zola,  La  Terre).  Ich  erkläre  es:  jusqu'ä  ce  qu'il 
n'y  ait  plus  soif,  bis  der  Durst  aufhört,  dann  übertragen.  Dem  Ur- 
sprung näher  steht  es  noch  in:  Je  ne  suis  qu'un  cochon,  je  vous  des- 
honore,  faut  que  j'en  ßnisse.  Ah,  cochon,  tout  ce  que  je  merite,  c'est 
de  boire  un  coup  dans  l'Aigre,  jusqu'ä  plus  soif  {Zola,,  La  Terre  S.  212). 

Ae.  Ilwcet  to  ße  ?  Was  geht  dich's  an  ? 

What's  a  colonel  of  the  army  to  me  ?  I  have  had  as  good  as  he 
in  my  custody  before  now  (Fielding,  Amelia  251).  How  about  your 
son?  Wie  steht  es  mit  Ihrem  Sohn?  Had  you  there!  Da  sind  Sie 
übertroffen  worden!  (=  there  they  have  you  had?)  Everything  to  do 
with  it  (sc.  that  has  to  d.  w.  i.)  See  ?  (am  Schlufs  einer  Auseinander- 
setzung) verstehen  Sie  mich?  (sc.  do  you).  Coming,  Sir!  =  dem 
alten  anon,  anon,  ich  komme  gleich. 


Die  Auslassung  (xlcr  KIlipsr.  121 

Infolge  von  Weglassuug  des  Verbs  können  die  übrigbleibenden 
Adverbien  ihre  Funktion  übernehmen.  /  up  and  saij,  ich  stehe  auf 
und  sage;  ja  es  giebt  sogar  to  up  for  one  =  to  stand  up  fw  him. 
They  doion  on  him  as  if  they  were  mad;  auch  wir:  sie  auf  ihn  los. 
In  tke  old  gentleman,  herein  kam  d.  a.  H.  /  {we,  you  etc.)  hetter, 
amerik.  slang.  'Oh,  don't  do  ü  again,  Tom,  ü  is  too  hoirid,'  said 
Becky.  'It  is  horrid,  hui  I  hetter,  Becky,  they  might  hcar  us,'  and  he 
shouted  again  (Mark  Twain,  Tom  Sawyer  S.  2G4).  Anything  to  oblige 
you,  Ihnen  aufzuwarten  (sc.  /  tvill  do).  Coidd  you  manage  a  pound 
for  me  this  week,  haben  Sie  20  M.  für  mich  übrig  (sc.  to  spare)"}  My 
affections  never  so  much  as  wander  from  the  dear  object  of  my  love 
(=  never  do  so  m^uch  as  wander),  der  Bedeutung  nur  ein  energisches 
never.  Your  health!  (sc.  I  drink).  My  love  to  maftna!  (sc.  give).  Cat 
to  her  kind,  Art  läfst  nicht  von  Art  (sc.  keeps).  Your  letter  to  hand, 
im  Besitz  Ihres  werten  Schreibens  . . .  They  ought  to  it,  slang  für 
to  do  it.  Ä  man  about  town,  ein  Lebemann,  erkläre  ich  mir  to  a  man 
roaming  about  the  t.  It's  all  day  with  him,  amerik.  =  er  arbeitet 
den  ganzen  Tag,  doch  wohl  =  with  him  it  is  (heifst  es)  working  all 
day.  I  shall  haue  the  greatest  pleasure  to  see  you  to  dinner  on  Sunday 
(sc.  cotne).  Every  man  as  his  husiness  lies,  der  redet,  wie  er's  ver- 
steht (sc.  talks).  We  must  all  of  us  go  to  these  parties,  whether  we 
ivant  to  or  not.  Let  us  see  if  we  understand  that  passage.  If  we  do 
not,  let  US  see  if  we  cannot  learn  to.  If  he  is  going,  hecause  Jie  has 
to,  it  is  best  for  him  to  go  in  that  ivay.  He  does  not  do  ivhat  we  like 
him  to.  The  cost  of  ivages  is,  if  anything,  reduced  (sc.  if  a.  has 
changed),  die  Löhne  sind  eher  geringer  geworden.  Now  for  them, 
nun  wollen  wir  uns  mal  mit  denen  befassen.  Ifs  nice  all  the  same, 
es  ist  hübsch  trotz  all  den  angeführten  Ausstellungen.  Friday  week 
'Freitag  vor  acht  Tagen'  wird  aufgehellt  durch  das  z.  B.  in  Adam 
Bede  von  George  Eliot  von  den  Leuten  des  Landes  oft  gebrauchte 
Friday  was  a  tveek,  wo  inmier  noch  das  Subjekt  fehlt:  Freitag  war  es, 
d.  h.  der  abgelaufene  Zeitraum,  eine  Woche.  And  no  mistake,  fami- 
liäres Adverb  =  no  douht;  beide  müssen  aus  einem  ganzen  Satze, 
and  there  is  no  mistake,  doubt  about  it,  übriggeblieben  sein.  /  ivas 
in  a  real  blue  funk,  and  no  mistake,  ich  habe  wirklich  Heidenangst 
gehabt.  Not  if  I  know  it,  (fam.)  ich  denke  nicht  daran  =^  I  sfiall 
not  do  it,  if  I  knoiv  it,  as  long  as  I  am  conscious.  What  if  he  had 
done  it?  nun  und  was  wäre  denn,   wenn  er  es  gethan  hätte?  {what 


122  Die  Auslassung  oder  Ellipse. 

would  kappen,  ivhat  should  you  say,  je  nach  dem  Zusammenhang). 
I  do  not  think  he  so  much  as  saw  ü,  ich  glaube,  er  sah  es  nicht  ein- 
mal; eigentl.  he  did  so  much  as  see  ii,  wo  durch  Übertragung  dieser 
Infinitiv  aufserdem  zum  Imperfekt  geworden  ist.  The  idea  [of  such 
a  thing)!  Hat  man  so  etwas  schon  gehört!  So  now!  Nun  weifst 
du's!  {now  you  see,  how  matters  sta?id,  noiv  you  hear  what  I  have 
to  say.)  Well,  I  never!  Na,  so  was  lebt  nicht!  (sc.  heard,  saw  sv/ah 
a  thing  in  my  life.)  Did  you  ever?  Hat  man  so  etwas  schon  ge- 
hört ? '  The  Committee  have  reason  to  Inow  fhat  . . .,  der  Ausschufs 
hat  in  Erfahrung  gebracht,  statt  h.  r.  to  say  that  they  knoto. 

Euch  soll  ja  gleich!  (der  Teufel  holen.)  Können  vor  Lachen! 
(erst  mufs  ich  das,  was  ich  thun  soll,  thun  können  vor  L.)  Still- 
gestanden! (es  wird.)  Maul  halten!  (du  sollst,  wirst  ...)  Mit  Gott, 
für  König  und  Vaterland  (fechten  wir.)    Mit  Gott!  (sei  unser  Anfang.) 

Auslassung  ganzer  Sätze. 

Einzelne  Formelemente  deuten  meist  noch  auf  die  Auslassung 
hin.  Brigham  ne  passe  pas  poiir  le  dieu  incarne,  mais  c'est  tout 
comme,  aber  beinahe  (sc.  comme  s'il  l'etait).  Et  mes  parents  qui  ne 
reviennent  pas!  und  wo  nur  meine  Eltern  bleiben! 

Sta  il  vostro  signor  padre  in  huona  salute  ?  —  Per  disgrazia  non 
tanto  bene  (sc.  quanto  desidererei).    Grazie  tante. 

Das  esse  ich  ja  so  gern!  Das  thut  so  sehr  weh!  Cetait  si 
appetissant.  Wie  reizend  das  ist,  wie  reizend!  She  is  such  a  nice 
girl,  she  is  ever  so  nice.  C'est  tout  comme,  das  ist  eins  wie  das  an- 
dere {l'un  c'est  tout  comme  l'autre).  Un  si  peu  que  rien,  ein  ganz 
klein  wenig  (qu'il  semble  un  rien  ?). 

Qui  fut  surpris?   Dame,  ce  fut  notre  komme 

II  ne  s'etait  aucunement  doute 

Qu'il  eheminait  dans  le  Bois  Enchante; 

S'il  n'avait  peur,  c'etait  tout  comm,e.      (Rob.  de  Bonniferes.) 

Und  wenn  er  keine  Furcht  hatte,  so  fehlte  nicht  viel  daran.  Je  ne 
m'ennuie  pas,  mais  mon  estomac  est  d'un  creuxf  aber  der  Magen 

'  Ganz  7Aifällig  finde  ich  nach  Jahren,  wo  ich  nie  anderes  als  well, 
I  never  gekannt  habe,  in  Dicken?,  Sketches  (Tauchn.  Ed.  S.  086) :  'Thts 
will  ensure  oitr  having  a  pleasant  party,'  sagt  Mr.  Percy  Noakes.  'What 
a  manager  you  are,'  interrupted  Mrs.  Taunton  again.'  'Charming!'  said  the 
lovely  Emily.  'I  never  did,'  ^aeulated  Sophia,  ohne  dafs  eine  nähere  Be- 
zeichnung ihres  Thuns  stattfindet. 


Die  Auslasstinp  oder  Ellipse.  123 

hängt  mir  so  schrecklich  schief  (sc.  cials  . . .).  Le  retour  de  la  maladic, 
quand  meme  v^ictorieuse',  eigentl.  victorieitse  quand  meme  on  avait  crn 
l'avoir  vaincue.  Älors  c'etaient  des  larmes,  des  desespoirs,  et  le  jcfme, 
et  le  cilice,  et  la  discipline.  (Darauf  folgten  ilaiin  :  alors  c'etaient  des 
larmes  qui  s'ensuivaient.)  II  n'y  pas  de  hon  dieu!  das  fällt  mir  gar 
nicht  ein,  zu  lassen  (sc.  qui  puisse  m'en  empecher):  wenn  man  den 
Sinn  nicht  wüfste,  müfste  man  den  Ausdruck  für  den  krasser  Gottes- 
leugnung  nehmen.  On  dit  que  vous  parlez  d'or  et  qii'une  fois  parti, 
c'est  le  diable  poiir  vous  arreter,  man  sagt,  dafs  Sie  ein  wundervoller 
Redner  sind,  und  dafs,  wenn  Sie  einmal  im  Gange  sind,  es  verteufelt 
schwer  ist,  Sie  anzuhalten.  C'est  le  diable,  qu'il  faut  ...  Verdunkelt 
ist  die  Redensart  schon  in :  c'etait  le  diable  de  le  faire  parier,  es 
kostete  verteufelte  Mühe,  ihn  zum  Sprechen  zu  bringen. 

Hierher  gehört  quitte  ä:  II  versait  des  torrents  de  larmes  devanl 
le  lit  d'un  enfant  malade,  quitte  ä  lui  refuser  le  lendemain  une  lasse 
de  bouillon  (urspr.  Sinn:  was  er  dann  wieder  dadurch  ausglich,  dafs 
er  ...,  wofür  er  sich  entschädigte,  indem  er,  dont  il  se  rendit  quitte  ä). 
Oder  der  Gang  der  Entwickelung  war  wenigstens  ein  ähnlicher:  Vous 
direz  quefaurai  la  fievre;  quitte  pour  l'avoir,  nun  gut,  so  werde  ich  es 
bekommen ;  ch  bien,  fen  serai  quitte  pour  l'avoir,  ich  werde  davon  be- 
fi'eit  sein  um  den  Preis,  es  zu  bekommen.  Je  le  ferai,  quitte  pour  etrc 
gronde,  ä  etre  yrcnde,  ich  w.  e.  th.  um  den  Preis,  gescholten  zu  werden. 

Ilais  ne  füt-on  qu'u?i  Stamply,  quand  on  s'est  fait  tuer  au  service 
de  la  France  c'est  Is  moins  qu'on  ne  vienne  pas  soi-meme  le  raconter  aux 
fiens  (logisch:  qu'on  ne  vienne  pas  ...  le  raconter,  c'est  Ic  moins  qu'on 
puisse  attendre).  MotUrez-lui,  s'il  perdaitf  Stellen  Sie  ihm  vor,  wie 
es  aussähe,  wenn  er  verlöre!  (fehlt  das  Zwischenglied:  ce  que  ce  serait, 
s'il  p.)  On  comprend  la  joie  de  la  famille  lorsqu'il  revint  avec  celte  nou- 
velle  (sc.  la  joie  de  la  f.  qu'elle  eut  lorsque).  Si  c'etait  un  effet  de  votre 
honte  de  ...,  (pop.)  würden  Sie  vielleicht  so  gut  sein,  zu  ...  (sc.  je  vous 
remerderais  beaucoup);  diese  Formel  findet  sich  auch  in  anderer  Ge- 
stalt: Monsieur  le  President,  un  effet  de  votre  honte,  s'il  vous 
plaitJ  dit  un  petit  komme  grisonnant  ...  Le  President.  —  Que  voulez- 
vous.  Vollständig:  Mls  de  Dieu,  dit-il,  en  otant  son  honnet,  puisque 
c'est  un  effet  de  votre  honte  de  me  donner  trois  choses,  je  de- 
mande  une  helle  femme  qui  soit  ä  moi,  un  jeu  de  cartes  qui  gagne 
toujours  et  un  sac  oü  je  puisse  enfermer  le  diable.  Si  Von  peut  dire 
cela,   das  darf  man  doch  nicht  sagen  (sc.  je  vous  demande  un  peu,  si 


124  Die  Auslassung  oder  Ellipse. 

also  =  ob).  Le  ferez-vous?  Si  je  le  ferail  Na  und  ob  ich  es  thun 
werde!  Si  notis  soupions ?  Wie  wäre  es,  wenn  wir  zu  Abend  speisten  ? 
Also  si  auch  hier  =  ob.  Quand  je  voiis  le  dis!  Na,  wenn  ich's 
Ihnen  sage!  (dann  mufs  es  wahr  sein.)  Des  annees,  je  gagne  3000 
francs  {=  il  y  d.  a.  oü).  Est-ce  l'espoir  d'un  brillant  avenir  qu'aura 
cet  etablissement,  mais  jamais  il  n'y  a  eu  teile  presse  de  coneurrents. 
Logisch:  qu'aura  cet  etäblissement?    Je  ne  sais  pas;  mais 

Bekannt  ist  je  ne  dis  pas  =  ich  habe  nichts  dagegen,  wenn  . . ., 
z.  B.:  Je  ne  dis  pas,  si  vous  ne  voulez  que  vous  fatiguer,  ja,  wenn  Sie 
sich  blofs  abhetzen  wollen!  Man  weifs  hier  einen  von  dire  abhängigen 
Satz  wie  'dafs  Sie  unrecht  haben,  thun,  sage  ich  nicht'  ...  //  faudra 
que  cela  change,  ou  bien,  tonnerre,  je  saurai  pourquoif  Hier  merkt 
man  recht  deutlich,  dafs  man  vor  einer  Auslassung  steht,  denn  man 
weifs  nicht  recht,  was  man  ergänzen  soll.  Dafs  dies  verschieden  ge- 
schehen kann,  zeigt  eine  andere  Art  Drohung:  vous  ferez  cela  ou,  vous- 
direz  pourquoi;  il  faut  qu'il  vienne  ou  qu'il  dise  pourquoi;  hier  könnte 
man  geneigt  sein,  fortzufahren:  il  ne  le  fera  pas.  Wie  leicht  übersieht 
man  aber  die  Ellipse  da,  wo  das  Ausgelassene  sich  ungezwungen 
von  selbst  ergänzt,  wie  in  tu  Vas  insulte,  et  tu  nie  diras  pourquoi. 

Encore  s'il  s'en  füt  tenu  lä!  (sc.  on  ne  dirait  rien.)  Encore  si  ä 
cette  doctrine,  il  se  montrait  logiquement  fidelel  Mais  non  (=  Passe 
encore  si  . . .).  S'il  vous  pa/jait,  je  ne  dis  pas,  wenn  er  Sie  bezahlte, 
möchte  es  noch  hingehen,  wollte  ich  nichts  sagen  (sc.  que  vous  ne 
dussiez  pas  le  faire).  Ävec  ces  moucherons-lä,  on  ne  sait  jamais,  mit 
diesen  Bengeln  weifs  man  nie,  woran  man  ist.  Qui  l'emportera?  Du 
diable,  si  je  m'en  doute  (sc.  je  veux  etre  d.  d.).  Du  tonnerre  de  Dieu, 
si  je  vous  rapporte  un  sou.  On  me  rapporta  chez  nous  la  figure  fen- 
due  et  si  vous  croyez  que  ga  m'ait  corrige  (sc.  vous  vous  tromperiez 
fort),  man  glaube  aber  deshalb  nicht,  dafs  mich  das  gebessert  hätte. 
II  etait  l'ami  le  plus  contre  son  coeur,  mit  Anspielung  an  St.  Johannes 
(sc.  qu'il  tenait).  Si  vous  croyez  que  je  ne  sais  pas  qu'elles  me  de- 
testent,  du  glaubst  doch  nicht  etwa,  dafs  ich  nicht  weifs  etc.  Der 
ganze  Hauptsatz  fehlt  (vous  vous  trompez?).  Misericorde!  si  mes 
paroissiens  m'entendaient !  [que  je  serais  honteux !),  vgl. :  Himmel ! 
wenn  mein  Vater  das  wüfste!  Et  dire  qu'ä  moi  seul  je  vins  ä  bout 
de  toutes  ces  provisions ! 

Cest  de  Vhistoire  contemporaine,  puisqu'elle  n'embrasse  que  vingt 
ans,  mais  ces  vingt  ans,  envisages  au  point  de  vue  des  tra?isformations 


Die  Auslassung  oder  Ellipse.  125 

dont  iU  unt  ete  lemoins,  reprisentent  des  siecles.  Et  penser  que  ces 
hommes  ont  jete  la  se7tience,  qu'ils  ont  vu  la  plante  potisser,  grandir, 
sc  developper  en  un  arbre  magnifique  (Hübner,  Promenade  autour  du 
raonde  I,  203).  Ebenso  to  think  that  sfie  'should  have  been  so  un- 
f&rtunate'.  Ähnlich  She  ask  my  pardon,  cried  Charles;  I  ask  hers 
with  all  my  Jieart.  Hier  ist  nicht  blofs  ein  regierendes  Wort  wie  shall 
ausgelassen,  sondern  die  weitere  Idee:  der  Gedanke  ist  unerhört. 
Puisque  la  fenetre  est  ouverte!  Das  Fenster  ist  ja  aber  doch  offen! 
(sc.  que  me  voulez-vous  donc?)  Puisque  je  vous  le  dis!  Na,  wenn 
ich  es  Ihnen  sagel  unwilliger  Ausruf  [pourquoi  doutex-vous  encore?). 

Eine  andere  Art  des  elliptischen  Infinitivs  ist  die  bekannte,  viel 
besprochene : '  Je  roule  au  fosse  et  les  braves  gens  de  rire  ä  se  tenir  les 
cötes.  Et  tous  de  protester  contre  cette  viole)we.  Et  les  ecoliers,  apres  un 
moment  d'hesitation,  de  reprendre  en  cJueur  etc.  Et  la  foule  de  crier :  II 
nous  tue.,  tuons-le  et  totes  ceux  qui  voudraient  nous  empecher  de  le  faire. 

II  contadino  gli  offre  5  lire,  se  vuole  uccidere  una  volpe  che  da 
due  notti  visita  il  suo  pollajo.  Ed  il  buon  re  ad  accettare,  e  notte 
tempo  a  porsi  in  agguato.'- 

Russisch  ähnlich:  uwidjeivschi  sland  nu  nanewo  metätse,  und 
als  er  den  Elefanten  sah,  (begann  er)  über  ihn  her(zu)fallen. 

Suppose  we  go,  wie  wär's,  wenn  wir  gingen.  /  am,  not  quite  the 
thing,  mir  ist  nicht  so  recht  (sc.  ivhich  I  ought  to  be,  wh.  I  usually 
am).  Mr.  Smith  ivill  oblige,  Herr  Schmidt  wird  die  Güte  haben, 
etwas  vorzutragen  (das  Objekt  fehlt  auch  noch;  eigentl.  will  obl.  the 
Company  by  singing,  reciting  s.  th.).  To  propose  to  a  lady  (sc.  to  marry 
her),  auch  wir:  einer  Dame  einen  Antrag  machen;  es  giebt  aber  doch 
auch  unsittliche.  Ä  certificate  to  the  effect  that  the  father  liad  been 
vacdnaied,  welches  besagt,  dafs  ...,  eigentl.  to  the  effect  that  it  sJiall 
certify  that  . . .  Give  it  me  —  there's  (that's)  a  good  boy,  gieb  es  mir 
—  sei  gut,  artig;  der  Zwischengedanke  he  who  gives  it  tne,  that  is 
a  good  boy  fehlt.  Noiv  they  are  at  it  for  dear  life,  jetzt  arbeiten  sie 
daran,  sind  sie  dabei,  als  gälte  es  ihr  Leben,  als  kriegten  sie  es  be- 
zahlt (sc.  as  if  it  were  f.  d.  L).  In  answer  to  your  favour  of  the  15  th 
inst.  I  sJiall  be  very  pleased  to  see  you  at  m.y  residente  Friday  at 

'  Vgl.  Mareen,  Histor.  Inf.  im  Frauzös.     Berliner  Diss.  1888. 

-  Nachträglich  fand  ich  noch :  Ed  i  padroni  a  dirle  di  no,  und  nun 
fing  die  Herr^^chaft  an,  ihr  zu  sagen:  Nein  doch!  E  quelli  ancora  a  coii- 
solarla  e  a  pigliarla  per  le  mani  e  a  pregarla. 


126  Die  Auslassung  oder  Ellipse. 

7  o'clock,  eigentlich  Unsinn,  es  fehlt  der  Zwischensatz:  teile  ich  Ihnen 
mit,  dafs  ...  He's  not  Jialf  a  bad  fellow,  er  ist  ein  ganz  netter  Mensch; 
wohl  aus  Jialf  so  bad  a  f.  as  one  thinks.  Try  to  come  or  I  sliall  be 
out  of  town  next  week  st.  or  you  will  not  meet  me  as  ...;  die  eigen- 
tümliche Verwendung  von  now  =  nun  sag  mal.  /  could  not  agree 
with  him,  could  I  now  ?  erklärt  sich  durch  das  zu  ergänzende  say,  das 
sich  ebenfalls  noch  findet.  How  much  longer  to  reach  Plymouth? 
Wie  lange  haben  wir  noch  bis  PL  zu  fahren  ?  (sc.  Jmve  we  to  go.) 
I  haven't  been  half  so  well  lately !  (sc.  as  I  used  to  be).  If  you  will 
have  it,  so!  (sc.  you  tnay  have  it  so),  wenn  du  es  denn  so  haben 
willst,  meinetwegen.  /  know  nothing  wliatever  of  it  {wh.  it  may  be). 
They  cheat,  He  and  what  not!  (sc.  what  do  tfiey  not  ?)  Not  if  I  know  it, 
na,  so  dumm!  I  see  you  are  beut  on  making  hay,  aha,  Sie  benutzen  die 
Gelegenheit,  wird  erst  verständlich,  wenn  man  die  andere  Hälfte  des 
Sprichworts:  white  tJie  sun  shines,  ergänzt.  /  dare  say  —  but,  es  ist  ja 
möglich  —  aber  . . .  (sc.  you  are  right  —  but).  There  was  tnore  foolery 
yet,  if  I  could  remember  it  (Sh.,  J.  C.  I,  2),  sc.  which  I  might  relate. 
Na,  wenn  Sie  meinen  (mag's  geschehen).  Wenn  schon,  denn 
schon  (wenn  es  schon  geschehen  soll,  dann  ordentlich).  Dafs  dabei 
die  Wittterung  so  viel  ausmachen  soll!  (erstaunt  mich).  Alles  was 
recht  ist,  Sie  sind  eine  kluge  Dame  (A.  w.  r.  i.,  mufs  man  gelten  lassen, 
und  danach  sind  Sie  eine  kl.  D.).  'Da  wären  wir',  'das  hätten  wir 
glücklich  geschafft',  'somit  wüfsten  wir,  wer  der  Übelthäter  war',  kann 
ich  nur  verstehen,  wenn  ich  annehme,  dafs  da  ein  Bedingungssatz 
zugehört  hat,  als  zureichender  Grund  für  den  Konjunktiv  (wenn  alles 
stimmt,  nichts  dazwischen  kommt  etc.).  Ähnlich :  eine  Lehrerin  würde 
Unterricht  gegen  freie  Station  erteilen  (r=  ist  bereit)  (wenn  jemand 
ihr  dazu  Gelegenheit  gäbe);  ich  möchte  das  haben  (wenn  ich  könnte); 
'du  hast  ihn  beleidigt,  Hans'.  'Und  wenn  schon';  auch  frz.  quand  menie! 
{je  l'aurais  fait.)  Den  eigentümlichen  Gebrauch  unseres  beziehungslosen 
Komparativs  und  Superlativs  erkläre  ich  mir  auch  so:  Sie  stammt 
aus  einer  besseren  Familie  (als  den  ganz  gewöhnlichen);  das  wird 
längere  Zeit  dauern  (als  die  übliche).  Es  ist  die  höchste  Zeit  (bis  zu 
welcher  man  warten  darf);  der  Ärmste  hatte  drei  Tage  nichts  gegessen. 

Auslassung  einer  ganzen  Reihe  von  Zwischengliedern. 

II  ne  parait  pas  son  äge,  ebenso  he  does  not  look  his  age  =   il 
a  l'air  plus  jeune  que  son  äge  ne  le  fait  attendre.     Paese  cJie  vai, 


Die  Auslasduug  (jder  Ellipae.  127 

usanxa  che  trovi,  eine  wuiulerbai-  ollii)ti.sche  Ausdrucksweise  für: 
Schicke  dich  in  die  Sitten  des  Landes,  wohin  du  jedesmal  kommst, 
in  die  usanxa  che  trovi  nel  paese  dove  vai.  Faire  greve,  ein  unge- 
heuer zusammengezogener  Ausdruck;  eigentl.:  nach  der  Place  de  la 
Oreve  (in  Paris)  gehen,  um  dort  Arbeit  zu  suchen ;  die  keine  fanden, 
blieben  dort,  um  herumzulungern,  und  auch  die,  welche  die  Arbeit 
niedergelegt  hatten,  thaten  das  wohl;  schliefslich  kommt  der  Platz 
gar  nicht  mehr  in  Betracht  und  nur  die  Niederlegung  der  Arbeit 
bleibt  übrig.  Dire  pis  que  pendre  de  q.,  einen  in  Grund  und  Boden 
schlecht  machen,  eigentl.  von  jmd.  Schlechteres  sagen  als  das,  was 
das  Hängen  verdiente.  Wie  erklärt  sich  plus  souvent,  ich  denke  gar 
nicht  daran,  es  zu  thun,  auch  plits  souvent  que  je  le  ferai  ?  Wer  ergänzt 
das  wahnsinnig  erscheinende  dont  auquel  (argot)  =  unvergleichlich!' 

She  was  not  witliout  her  suspicions  of  the  real  state  of  the  case 
with  him;  but  his  behaviour  had  beert  so  discreet  that  sfie  had  no 
immediate  fcars;  and  after  all,  if  anything  should  come  of  it  some 
i/ears  hence,  her  daughter  tnight  do  worse  (Tom  Brown  at  Oxf.  335). 
Es  fehlt  das  Zwischenglied:  sJie  would  console  her  seif  to  think  that..., 
und  wenn  je  aus  der  Sache  etwas  würde,  nun  so  tröstete  sie  sich  mit 
dem  Gedanken,  dafs  ihre  Tochter  eine  schlechtere  Partie  hätte  machen 
können.  He  does  not  do  a  stroke  of  work,  catch  him  at  it,  er  thut 
keinen  Schlag,  wohl  =  If  you  don't  believe  it,  try  to  catch  him  at  it ; 
ich  suche  meine  Aussage  nachträglich  zu  erhärten,  indem  ich  den,  der 
es  nicht  glaubt,  herausfordere,  den  in  Frage  Stehenden  beim  Gegen- 
teil zu  erwischen;  dann  absolut:  catch  me!  na,  so  blau,  das  sollte 
mir  einfallen!  A  tivelve  j^enny  nail  is  a  nail  of  which  twelve  cost 
a  penny.  A  subpoena,  Aufforderung  zu  erscheinen,  widrigenfalls  Be- 
strafung erfolgt.  It's  not  my  money,  es  ist  nichts  für  mich  =  it  is 
nothing  that  I  should  like  to  buy  far  m.  m.  Site  is  near  her  recJconing 
=z  confüiement,  eigentl.  near  the  time  when  according  her  reckoning 
she  will  be  confined. 

Du  mufst  nun  gehen;  warum  bist  du  verheiratet!  =  du  würdest 
nicht  zu  gehen  brauchen,  wenn  du  "nicht  v.  w'ärest.   Warum  bist  du's! 

Ein  grofser  Teil  der  Bedeutungsänderungen,  wenn  nicht 
alle,  erklären  sich  nur  so.  Beispiele  sind  schon  im  vorhergehenden 
genug  gegeben.  To  he  satisfied  heifst  auch:  überzeugt  sein.  Wie  kam 
dies?  Ein  Satz  wie  now  if  we  are  satisßed  to  believe  ...  muy  we  not 
safely  assume  ...,  wenn  wir  damit  zufrieden  sind  zu  glauben,  zeigt  es. 


128  Die  Auslassung  oder  Ellipse. 

To  obtain  heifst  auch:  gelten;  these  are  the  terms  tliat  obtain  in  the 
ariny,  da  mufs  doch  erst  ein  Objekt  wie  acceptance  gefallen,  und 
dann  mufs  durch  Übertragung  das  Perfekt  ins  Präsens  umgesetzt 
worden  sein,  wie  /  forget  now  nach  /  cannot  recollect  it  now.  to  recall 
s.  th.,  se  rappeler  q.  eh.,  sc.  to  memorif,  ä  la  memoire.  Damages  ist 
Schadenersatz,  daviage  Schade;  dazu  hat  es  nur  kommen  können 
durch  die  Verkürzung  eines  Satzes  wie  /  will  pay  for  the  damages 
done.  Attentat  ist  doch  eigentlich  nur  Versuch,  die  volleren  Formen 
to  attempt  a  man's  life  und  ganz  vollständig  to  attempt  to  take  a 
mun's  life  klären  uns  auf.  Wir  nennen  Speise  kurzweg,  was  auch 
süfse  oder  Mehl-Speise  heifst; '  der  Jäger  nennt  ein  Schmaltier  Tier, 
und  deer  wird  auch  nur  dadurch  sich  verengert  haben,  dafs  eine 
nähere  Bestimmung  wie  of  the  forest  wegblieb ;  im  Kapholländischen 
heifst  die  Kuliantilope  harteheest  =  Waldtier. 

Die  sogenannten  Verschlechterungen  kommen  oft  nur  daher, , 
dafs  man  das  näher  bestimmende  Adjektiv  wegliefs;  so  konnte  drogue 
zu  der  Nebenbedeutung  Schund  kommen,  sc.  mechante,  wie  wenn 
wir  von  'Zeug'  reden;  sie  ist  nur  eine  Unterart  der  Verengerung; 
to  animadvert  upon,  to  remark,  reflect  itpon,  die  alle  =  tadeln,  hatten 
natürlich  eine  nähere  Bestimmung,  'in  tadelnder,  ungünstiger 
Weise',  bei  sich.  Abstrakta  werden  so  Konkreta:  la  fo7ite  =z 
fer  de  fönte,  une  Suspension  =  lampe  de  s.',  une  bonne  rencontre  = 
bon  achat  de  r. ;  une  dependance  =  bätiment,  hötel  de  d.;  une  pror 
tique  =  un  de  ceux  de  la  pr.;  une  connaissance  Bekannter,  Bekannte. 

Es  mag  nur  obenhin  auf  die  Bedeutung  hingewiesen  werden, 
welche  die  Ellipse  auch  für  die  Gestaltung  der  Orts-  und  Per- 
sonennamen gehabt  hat.  Sonderbar  scheinende  Namen  hellen  sich 
auf,  sobald  man  bedenkt,  dafs  bei  ihnen  etwas  hinzugedacht  worden 
ist.  'Am  Ende'  ist  z.  B.  einer  benannt  worden,  weil  er  am  Ende  des 
Dorfes  sein  Heim  hatte,  'Rotschild',  'Schwarzschild',  dessen  Haus 
ein  so  gefärbtes  Schild  trug.  So  erklärt  sich  'aus  dem  Winkel', 
'Ten  Brink'  ^=  zu  dem,  an  dem  Wasserrand;  alle  Adelsnamen  mit 
von,  zu,  von  der  (von  der  Heydt  =  Heide)  erfordern  den  Namen 
der  Burg  oder  des  Dorfes,  um  begreiflich  zu  werden,  so  Götz  von 
Berlichingen;  von  der  Schulenburg;  über  Dolores,  Concepcion  s.  S.  352. 

*  So  ist  meat,  das  früher  nur  Speise  Mefs,  zu  dem  verengten  Sinn 
von  Fleisch  als  Rest  von  flesh-meat,  wie  noch  in  der  Bibel  zu  lesen  ist, 
gekommen. 


Die  Auslaösung;  oder  Ellipse.  129 

Wir  liesprechen  hier  auch  den  sonderbaren  Gebrauch  des  Be- 
griffs 'Madien'  in  verschiedenen  Sprachen.  Faire  une  ville,  sagt 
der  comnli^;  voyageur,  eine  Stadt  kaufmännisch  bereisen,  ab- 
klappern; ive  did  the  town,  wir  haben  uns  alle  Merkwürdig- 
keiten der  Stadt  angesehen;  faire  les  hras,  die  Arme  zu  stark 
bewegen;  faire  l'article,  seineWare  herausstreichen;  faire 
de  la  bicyclette  :=  pedaler;  faire  des  armes,  zur  Übung 
fechten;  faire  le  troitoir  =  aller  au  persil;  le  navire  faxt 
eau,  nimmt  Wasser  ein;  fait  de  Venu,  leckt;  la  faire  ä  q.  = 
en  faire  accroire  ä  q.;  ils  tn'ont  fait  cinquante  francs,  mir  50  fr. 
abgeschwindelt,  ebenso  they  did  me,  sie  haben  mich  gemacht; 
faire  face  ä  ■=  montrer  la  face  o;  faire  bonnes  Päques 
(=  f.  ses  P.),  Ostern  zur  Beichte  gehen;  faire  le  lundi, 
ebenso  wir:   blauen  Montag  machen. 

How  far  did  we  do  last  lesson?  wie  weit  sind  wir  letztes 
Mal  gekommen?  do  my  boots  nicely ,  reinigen  Sie  meine  St. 
gut;  to  do  the  door-steps ,  reinigen;  to  do  Banting,  die 
Bantingkur  gebrauchen;  we  made  all  sail  ^=  set  all  our 
sails;  to  viake  out  =  find  out;  we  made  her  out  to  be  a  brig 
of  war;  we  made  a  stränge  vessel  =  sighted  her;  we  made 
the  harbour  =  entered. 

Einen  Ball  machen,  im  Billardspiel,  =  treffen. 

Die  natürlichste  Erklärung  scheint  mir  die  zu  sein,  dafs  ein 
Zwischenglied  ausgefallen  ist;  z.  B.  faire  le  toiir  d'une  ville,  faire 
l'eloge  de  son  article,  faire  sa  confession  de  Päques,  faire  un  exerdce 
de  la  bicyclette,  er  macht  in  Butter,  nämlich  Geschäfte;  dies  in 
läfst  Auslassung  ebenso  vermuten  wie  das  de  in  f.  de  la  bicyclette, 
des  armes.  Es  kann  freilich  jemand  einwerfen,  man  gebrauche 
hier  nur  eine  unbestimmte  Bezeichnung  für  die  bestimmte,  die  hätte 
gewählt  werden  sollen,  vielleicht  weil  sich  diese  nicht  gleich  einstelle, 
wie  wenn  wir  einen  Gegenstand  Ding(s),  Dingsda,  Dingerich, 
die  Franzosen  chose,  machin,  machine,  die  Engländer  thing 
nennen.  Aber  so  liegen  die  Sachen  nicht.  Machen,  thun  besagen, 
dafs  sie  etwas  hervorbringen;  ich  machte  einen  Kahn  =:  stellte  ihn 
her;  mit  we  set  all  sail  ist  aber  nicht  gemeint,  dafs  man  Segel  erzeugte, 
sondern  dafs  mit  ihnen  etwas  vorgenommen  wurde.  Sehr  glaublich 
scheint  mir  jedoch,  dafs  nicht  eine  Ellipse  im  strengen  Sinne,  wie 
wir  ihn  oben  aufgestellt  haben,  vorliegt,  sondern  dafs  sich  die  Vor- 
Archiv f.  Q.  Sprachen.    CVIII.  9 


130  Die  Auslassung  oder  Ellipse. 

Stellung  machen  der  anderen  untergeschoben  hat,  weil  eine  Neben- 
vorstellung sich  dazwischen  drängte. 

Was  habt  ihr  denn  gemacht?  Blauen  Montag  haben  wir  ge- 
macht, statt  gefeiert;  do  my  boots  st.  the  cleaning  of  them. 
In  manchen  Fällen  j^pricht  gleich  viel  für  die  eine  oder  andere  An- 
nahme. Sieht  man  sich  make  haste  an,  so  würde  man  zu  'mache, 
mache'  gern  'Eile'  ergänzen,  vergleicht  man  es  mit  faites,  so  er- 
gänzt man  lieber  es;  so  wenn  in  Sachsen  allgemein  gesagt  wird:  Wo 
machsten  hin?,  ich  mache  nach  Halle  =  reise,  hat  viel- 
leicht früher  wirklich  Reise  dazu  gehört. 

Das  sogenannte  Anakoluth,  das  ja  eine  Konstruktion  unvollendet 
läfst,  um  eine  andere  anzuschlagen,  mag  eine  Gedankenellipse  sein, 
der  Form  nach  sehe  ich  es  nicht  so  an.  /  ivaited  foi'  some  weeks, 
when  —  who  should  cut  round  the  corfier  hut  my  Utile  fair-headed 
boy?  die  erste  Vorstellung  tvhen  my  l.  b.  turned  r.  ist  durch  who,  do 
you  think,  should  t.  r.  im  Werden  gestört  worden. 

Zweifelhaftes.  In/a  terre  est  apogee,  aphelie  sind  diese  ge- 
lehrten Ausdrücke  wohl  Adjektive;  in  c'est  un  pere  La  Joie,  ein 
lustiger  Bruder,  ist  La  Joie  wohl  scherzhaft  gemeinter  Eigenname, 
wie  in  Mr.  Right,  der  richtige  Mann.  /  have  given  him  what's  for, 
ich  habe  ihm  gehörig  eins  ausgewischt;  was  fehlt  da?  Ist  in  I kissed 
her  good  bye,  for  [g.  b.)  zu  ergänzen  oder  ist  es  Analogiebildung  zu 
/  bade  her  g.  b.?  To  set  people  by  tJie  ears,  Leute  aneinander  hetzen; 
ist  es  =  to  set  p.  so  that  they  fall  together  by  the  ears  ?  set  heifst  be- 
kanntlich auch  hetzen.  Wie  entstand  have  at  you,  nimm  dich  in 
acht  ?  Ist  bei  have  with  thee,  welches  =  I  follow  you,  nie  zu  er- 
gänzen ?  On  every  day,  rain  or  shine.  Ist  7-ain,  shine  Subst.  oder 
Zeitwort?  Müssen  wir  hier  eine  Nachwirkung  des  Ae.  erkennen? 
Let  the  horse  run  its  fastest;  müssen  wir  hier  ein  Hauptwort  wie  Trab 
ergänzen  oder  war  f.  von  Anfang  an  Neutrum? 

Sollten  die  vorstehenden  Ausführungen  nicht  vermögen,  das 
Dasein  der  Ellipse  zu  beweisen,  so  geben  sie  vielleicht  Anregung, 
die  merkwürdigen  sprachlichen  Erscheinungen,  die  ich  durch  sie  auf- 
zuhellen versucht  habe,  befriedigender  zu  erklären. 

Berlin.  Gustav  Krueger. 


Kleine   Mitteilungen. 


Zum  Ursprung  der  Saiomo-Sage. 

Die  Entstehungsgeschichte  der  mittelalterlichen  Sage  von  König 
Salomo  und  seinem  Kampfe  mit  den  Dämonen  erregt  das  allgemeinst« 
Interesse.  Aber  sie  enthält  noch  viele  ungelöste  Rätsel.  Darum  möchte 
ich  mir  erlauben,  die  auf  dem  Gebiete  der  älteren  englischen,  slavischen, 
französischen  und  deutschen  Litteratur  thätigen  Forscher  durch  einen 
vorläufigen  Hinweis  mit  einem  kleinen  Funde  bekannt  zu  machen, 
der  vielleicht  geeignet  ist,  einen  Hauptpunkt  aufzuklären.  In  weiterem 
Zusammenhang  wird  darüber  handeln  das  7.  Kapitel  meiner  dem- 
nächst erscheinenden,  aus  einem  Exkurs  meines  Buches  über  Walther 
von  der  Vogelweide  herausgewachsenen  Untersuchungen  'Longinus 
und  der  Gral',  die  auf  Grund  einer  neuen  Darstellung  der  Geschichte 
der  religiösen  Phantasie  des  Mittelalters  die  Gralsage  ableiten  aus 
altchristlichen  Pilgermärchen  und  aus  der  Popularisierung,  Paganisie- 
rung  und  Magisierung  der  Mefsliturgie,  insbesondere  des  Vorberei- 
tungsteiles {TTQonxo/iitdTj)  und  der  grofsen  Introitusprozession  (h^igodog 
ftiydli)  der  byzantinischen  Messe. 

Die  um  das  Jahr  385  schreibende  französische  Jerusalempilgerin, 
deren  noch  nicht  lange  bekanntes  Reisememoire  man  sich  gewöhnt 
hat  als  S.  Silviae  peregrinatio  zu  citieren,  erzählt,  in  der  Kirche  des 
heiligen  Grabes  habe  bei  der  liturgischen  Ausstellung  des  Kreuzes 
Christi  am  Karfreitag,  nachdem  diese  kostbarste  Reliquie  von  allen 
Anwesenden  geküfst  worden  war,  ein  Diakon  auch  noch  den  Ring 
des  Salomo  und  das  Hörn,  womit  die  alttestamentlichen  Könige 
gesalbt  wurden,  zur  Verehrung  und  zum  Kufs  dargereicht  (Cap.  37, 
Itinera  Hicrosolvnnitana  rec.  P.  Geyer,  im  Wiener  Corpus  Scriptorum 
ecclesiasticorum  latiiiorum  Vol.  29,  S.  88).  Zwei  Jahrhunderte  später 
bestimmte  der  Breviarius  de  Hierosolyma  (ebda  S.  154)  das  noch 
genauer:  der  Siegelring  Salomos  werde  gezeigt,  mit  dem  er  sich 
die  Dämonen  unterworfen  habe,  und  er  bestehe  aus  Electrum. 
Aber  schon  das  älteste  Palästina-Itinerar,  im  Jahre  333  von  einem 
Südfranzosen  verfafst,  kannte  in  Jerusalem  eine  Krypta  am  heil- 
kräftigen See  Bethesda  (Betsaida),  in  der  Salomo  die  Dämonen  pei- 


132  Kleine  Mitteilungen. 

nigte,  und  ein  auf  wunderbare  Weise  mit  einem  einzigen  Stein  ge- 
decktes Gemach  an  der  Stelle  des  einstigen  Salomonischen  Tempels, 
wo  der  alttestamentliche  König  'die  Weisheit  beschrieb',  d.  h.  die 
Proverbien  und  den  Koheleth  (und  das  Buch  der  Weisheit?)  verfafste. 

In  diesen  magischen  Werkzeugen  des  Salomo,  in  diesen  fabel- 
haften Lokalitäten  seiner  Zauberkraft,  die  von  der  wundersüchtigen 
Andacht  und  unermüdlich  schöpferischen  Phantasie  der  altchrist- 
lichen Jerusalempilger  angestaunt  und  mit  märchenhaften,  immer 
weiter  ausgedichteten  Geschichten  jüdischer  und  arabischer  Herkunft 
umsponnen  wurden,  liegt  unzweifelhaft  der  Ausgangspunkt  für  die 
gesamte  internationale  Salomo-Sage  des  Mittelalters,  deren  jüngere, 
litterarische  Überlieferung  in  neuerer  Zeit  die  Arbeiten  von  Schaum- 
berg, Friedrich  Vogt  und  Wesselofsky  beleuchtet  haben.  Noch  im 
12.  Jahrhundert  dauerte  die  alte  Pilgertradition  über  Salomo  fort: 
im  Jahre  1137  wiederholte  der  Bibliothekar  von  Monte  Cassino 
Petrus  Diakonus  die  Erzählung  von  dem  Hörn  und  dem  Ring  Salo- 
mos,  die  in  der  Grabeskirche  zu  Jerusalem  gezeigt  würden.  Ist  da- 
nach das  geblasene  Signalhorn  König  Salomos  in  der  russischen  ' 
Überlieferung  nur  eine  mifsverständliche  Umgestaltung  des  ursprüng- 
lichen Salbhorns,  entstanden  unter  dem  Einflufs  anderer  bekannter 
Märchenmotive  von  dem  rettenden  Ruf  des  Horns  oder  der  befreien- 
den Melodie  der  Harfe? 

Halle  a.  S.  Konrad  Burdach. 

Zu  Goethes  Sprüchen  in  Prosa. 

Zu  dem  Spruche  Nr.  384  'Es  giebt  eine  Höflichkeit  des 
Herzens;  sie  ist  der  Liebe  verwandt.  Aus  ihr  entspringt  die  be- 
quemste Höflichkeit  des  äufsern  Betragens'  giebt  G.  von  Loeper  in 
seiner  kommentierten  Ausgabe  (Berlin  1870)  keine  Quelle  an,  und 
auch  anderwärts  ist  eine  solche,  soweit  ich  sehe,  nicht  verzeichnet 
worden.  Goethes  Quelle  war  vermutlich '  die  folgende  Stelle  aus 
Sternes  Sentimental  Journey,  Chap.  LI :  ^  . .  if  we  did  not  lose  the 
politesse  du  cmur ,  which  inclines  men  more  to  humane  actions 
than  courteous  ones.'  Oder  war  ihm  etwa  dieser  Abklatsch  der  Sterne- 
stelle in  Mackenzies  Man  of  the  World  (Part  I,  Chap.  VI)  gegen- 
wärtig: 'There  is  a  politeness  of  the  heart,  which  is  confined  to  no 
rank,  and  dependent  upon  no  education,'  etc.?  —  Die  Sprüche  385 
und  655  erinnern  in  der  Pointe  (auch  das  läfst  Loeper  unerwähnt) 
an  Popes  Eloisa  to  Abelard,  v.  91 — 92  (vgl.  Essay  oti  Man,  III  208) 
'Oh!  happy  state!  wlien  souls  each  other  draw,  When  love  is  liberty, 
and  nature  law.' 

Berlin.  O.  Ritter. 


'  Man  erinnere  sich  der   bedeutenden  Anleihe,  die  Goethe  für  seine 
'Sprüche  in  Prosa'  an  den  (Pseudo-)Sterneschen  Koran  gemacht  hat. 


Kleine  Mitteilungen.  133 

P.  Heyse  und  R.  Bums. 

In  Heyses  'Gedichten'  i''  1893,  S.  1"2)  findet  sich  ein  Lied,  dessen 
erste  und  vierte  Strophe  folgendermafsen  lauten: 

Soll  ich  ihn  lieben, 

Soll  ich  ihn  lassen, 
Dem  sich  mein  Herz  schuu  heimlich  ergab? 

Soll  ich  mich  üben, 

Rcih(  ihn  zu  hassen? 
Rate  mir  gut,  doch  rate  nicht  ab!  ... 

Lafs  ich  von  schlimmer 

Wahl  mich  bothören, 
Bc.-^ser,  ich  legte  mich  gleich  ins  Grab. 

Klug  ist  es  immer, 

Auf  Rat  zu  hören  — 
Rate  mir  srut,  doch  rate  nicht  ab! 

Die  schalkhafte  Pointe  des  Refrains  —  um  von  anderem  abzusehen 
—  findet  ihr  genaues  Analogon  in  Burns'  reizendem  Liede  Tarn  Glen: 

My  heart  is  a-l)reaking,  dear  tittie, 

Some  counscl  unto  nie  come  leu'. 
To  anger  thcm  a'  is  a  pitv, 

But  what  will  I  do  \vi'  Tarn  Glen?  ... 

Come,  counsel,  dear  tittie,  don't  tarry! 

I'll  gie  ye  my  bonie  black  hen, 
Gif  ye  will  advise  me  to  marry 

The  lad  I  lo'e  dearly,  Tarn  Glen. 
Berlin.  O.  Ritter. 


Zum  Archiv  CVII,  S.   108:  Mittelenglische  Handschriften 

in  Dublin. 

Eine  Abschrift  der  mittelenglischen  Gedichte  der  Handschrift  432 
des  Trinity  College,  Dublin,  befindet  sich  in  meiner  Hand.  Ver- 
öffentlicht habe  ich  bisher  das  Misterium  Abraham  und  Isaak  (Anglia 
XXI  1  fF.);  die  anderen  Stücke  sollen  gelegentlich  folgen. 

Wien.  R.  Brotanek. 


Nachträge  zu  'König  Eduard  III.  von  England  und  die  Gräfin 
von  Salisbury'  (Berlin,  2.  Ausa.,  1901     von  G.  Liebau. 

S.  8—10.  Bei  künftigem  Anlal's  werden  aucli  ilie  Ergebnisse 
der  mir  inzwischen  bekannt  gewordenen  beachtenswerten  Schrift  von 
James  Mackinnon  'The  History  of  Edward  the  Third'  (London, 
New-York  and  Bombay  1900)  in  Erwägung  zu  ziehen  sein.  Nur 
will  es  mir  scheinen,  als  ob  der  sorgfältige  und  gewissenhafte  Ver- 
fasser  in    den   für   mich   in  Betracht  konunenden  Abschnitten  seines 


134  Kleine  Mitteilunfi;eu. 

Buche;«  (insbesondere  soweit  der  Krieg  gegen  Schottland  vom  Jahre 
1341  in  Frage  steht:  S.  205 — 211)  den  nicht  immer  zuverlässigen 
Spuren  Froissarts  in  zu  engem  Anschlufs  gefolgt  sei. 
[t-^  S.  23,  Z.  1  V.  0.  Der  Ausspruch  'Honny  soit  qui  mal  y  pense' 
•wird  allgemein  für  ein  von  Edward  III.  erfundene?  Bonmot  gehalten. 
Demgegenüber  verdient  hervorgehoben  zu  werden,  dafs  der  Satz 
schon  vor  ihm  in  Frankreich  als  Sprichwort  geläufig  gewesen  ist, 
wie  die  'Acta  sanctorum',  Band  3  (unter  dem  23.  April),  und  Haydn 
'Dictionary  of  Dates',  Artikel:  'Honi  soit  qui  mal  y  pense',  erweisen. 
(G.  Büchmann,  'Geflügelte  Worte',  Berlin,  6.  Aufl.,  1871,  S.  226, 
und  Hertslet,  'Der  Treppenwitz  in  der  Weltgeschichte',  Berlin  1886, 
S.  283.) 

S.  26.  Über  Bandellos  Stammbaum  dürften  einige  Notizen 
nicht  unwillkommen  sein:  'Bandello  scheint  seine  Abkunft  von 
Bandelchil,  einem  Sohne  von  Volamir  (letzterer  hatte  lange  unter 
Theoderich  gedient),  herzuleiten.'  (Adrians  Bandello-Übersetzung, 
2.  Aufl.,  1826,  I,  S.  98.) 

Bandello  sagt  in  der  Einleitung  zu  nov.  23  (Ausg.  von  1554): 
'In  dem  "geistlichen  Märtyrerbuch"  (Martirologio  ecclesiastico)  kann 
man  lesen,  dafs  im  April  zu  Neraausio  in  Frankreich  (dem  jetzigen 
Nimes)  wegen  seines  Glaubens  San  Bandello  Goto  gemartert  wurde. 
Das  läfst  mich  glauben,  der  Name  Bandello  sei  alt  gewesen  bei  dem 
Volke  der  Goten'. 

'Und  (am  Schlufs  der  nov.  23  selbst,  Bl.  170)  indem  die  bar- 
barischen AVörter  mit  italienischer  Aussprache  sich  mäfsigten,  nannten 
sich  die  Nachkommen  des  Bandelchil:  Bandelli,  wie  sie  heute  noch 
heifsen.' 

S.  27,  Z.  13,  14  V.  o.  Thomas  Roscoe,  der  dem  Titelblatt 
seiner  'Italian  Novelists'  (1825,  4  Bde.)  zufolge  'aus  dem  Italienischen' 
übersetzt  hat,  bietet  vier  Novellen  aus  Bandello,  unter  denen  sich 
die  über  Edward  III.  (II  37)  aber  nicht  befindet. 

S.  47  ff*.,  Ziflfer  IV.  Herr  Professor  Dr.  Breymann  in  München 
hat  mir  gütigst  mitgeteilt,  dafs  nach  seiner  Ansicht  die  erste  spa- 
nische Übersetzung  des  Bandello  gewifs  schon  1584  erschienen 
und  daf«  die  bezügliche  Angabe  Brunets  im  'Manuel  du  Libraire', 
Supplement,  1878,  I,  Sp.  89,  durchaus  verläfslich  sei.  Vicente  de 
Millis  Godinez  werde  der  ursprüngliche  Übersetzer  sein,  welcher 
der  ersten  Ausgabe  von  1584  4'^  eine  zweite  im  Jahre  1589  8^  habe 
folgen  lassen.  Claudio  Curlet  sei  nichts  weiter  als  ein  Nach- 
drucker, der  im  gleichen  Jahre  1589  einen  Abdruck  von  Millis  ver- 
anstaltet und  namentlich  folgendes  wörtlich  abgeschrieben  habe: 
'Pareciome  traducirlas  en  la  forma  y  estilo  que  estän  en  la  lengua 
francesa'  etc.  (vergl.  Liebau  S.  50,  Z,  7  v.  u.  und  S.  48,  Mitte). 

Ich  mufs  dieser  Auffassung  durchaus  beipflichten,  denn  da  das 
kgl.    Druckprivilegium    nach   dem   Münchener  Plagiatexemplar   des 


Kleine  Mitteilungen.  135 

Curlet  bereits  1584  für  den  Verleger  Juan  de  Millis  Godfnez,  den 
Bruder  des  vorerwähnten  Vicente  de  Millis  Godinez.  auf  die  Dauer 
von  zehn  Jahren  ausge>tellt  worden  ist,  so  wird  anzunehmen  sein, 
dafs  Vicente  Millis  thatsächlich  auch  die  erste  Übersetzung  bereits 
im  Jahre  1584  hat  erscheinen  lassen.  Die  Existenz  einer  zweiten 
Millisschen  Ausgabe  von  1 589  wird  von  Nie.  Antonio  und  bei  Salva 
(Bibl.  de-)  bestätigt.  Schade,  dafs  sich  die  Millisschen  Ausgaben  bis 
jetzt  niclit  haben  ermitteln  lassen ! 

Jedenfalls  bin  icli  Herrn  Professor  Breymann  für  die  Klar- 
stellung der  Angelegenheit  zu  lebhaftem  Danke  verpflichtet. 

Nicht  minder  verbindlicher  Dank  gebührt  dem  Herrn  Professor 
Dr.  J.  Bolte  in  Berlin,  der  in  einer  meiner  Schrift  gewidmeten  trefl- 
lichen  Besprechung  (Stud.  z.  vgl.  Littgesch.  1,  134 — 13G,  19U1)  die 
bedeutsame  Bemerkung  macht,  dafs  die  italienische  Novelle  II  37 
auch  in  den  Niederlanden  einen  Übersetzer  (M.  Everaerts  1598) 
gefunden  habe  ('Tragische  of  klaechlijcke  Historien'  1—2,  Antwerpen 
1598— IGOl;  1—9,  Utrecht  1050),  wozu  G.  Kalflf",  'Geschiedenis  der 
nederlandsche  Letterkunde  in  de  lüde  Eeuw'  2,  207  (Leiden  1889), 
und  K.  A.  Kollewijn:  Tlieodore  Rodenburgh  en  Lope  de  Vega  in  'De 
Gids'  1891,  3,  358  zu  vergleichen.  Ferner  wird  von  Bolte  auf  zwei 
mir  unbekannt  gebliebene,  auf  Bandello  zurückgehende  Erzählungen 
in  dankenswerter  AVeise  aufmerksam  gemacht:  1)  Louis  Garen, 
'Le  chasse  ennuy  ou  l'honneste  entretien  des  bonnes  compagnies', 
Paris  1041,  S.  147  (Centurie  2,  nr.  42):  'Aeclips  de  Salberic',  und 
2)  'Abendstunden',  Bd.  13  (Breslau  1774),  S.  327  —  360:  'Sieg 
der  Tugend  über  unerlaubte  Liebe.' 

Die  niederländischen  Übersetzungen  von  1598  — 1601  (sehr 
selten)  und  von  1650  befinden  sich  in  der  kgl.  Bibliothek  im  Haag; 
die  letztere  Übersetzung  haben  auch  die  Universitätsbibliotheken  zu 
Leiden  und  Utrecht  (hier  fehlt  Bd.  8)  aufzuweisen.  Das  Haagener 
Exemplar  von  1598  hat  F.  van  der  Haeghen  zu  Gent  in  der 
von  ihm  herausgegebenen  'Bibliotheca  belgica',  B.  149,  beschrieben; 
über  die  Ausgabe  von  l(j50  vgl.  die  Abhandlung  von  de  AVitte 
van  Gitters   in  'De  Nederlandsche  Spectator',  1873,  Bl.  140  ff. 

Die  'Abendstunden'  und  die  Schrift  von  Garon  sind  in  der 
kgl.  Bibliothek  zu  Berlin  vertreten. 

S.  49,  Z.  6  V.  u.  Die  Novellen  des  Bandello,  'die  noch  heute 
jedes  Freudenmädchen  entzücken  können'  (Gregorovius  8,  343),  stehen 
nur  auf  dem  Index  Sixtus'  V.  vom  Jahre  1590.  Näheres  findet  sicii 
bei  Fr.  H.  Reusch,  'Der  Index  der  verbotenen  Bücher,'  Bonn  1883, 
I,  S.  393  (und  Anni.  4):  'Sixtus  V.  vermehrte  die  2.  Kl.  um  eine 
ziemlich  grofse  Zahl  von  unsauberen  italienischen  Schriften  in  Versen 
und  in  Prosa;  aber  von  diesen  gingen  nur  einige  wenige  in  den 
Index  Clemens'  VIII.  über,  der  gedacht  zu  haben  scheint,  dafs  einer- 
seits das  allgemeine  Verbot  der  Regel  des  Index  genüge,  andererseits 


136  Kleine  Mitteilungen. 

eine  irgendwie  vollständige  Aufzählung  dieser  Sorte  von  Schriften 
nicht  möglich  sei.  So  stehen  freilich  manche  nicht  im  Index,  die 
schlimmer  sind  als  die,  welche  darin  stehen,  wie  z.  B.  die  Novellen 
von  Bandelli,  die  nur  Sixtus  hat' 

Wie  ich  mich  überzeugt  habe,  ist  Bandello  in  dem  Index 
Leos  XIII.  (Rom  1900)  nicht  enthalten. 

S.  55.  Über  Aeschacius  Major  finde  ich  in  'The  Biblio- 
grapher's  Manual  of  English  Literature',  1864,  I,  S.  14,  folgenden 
Vermerk : 

'Aeschacius,  Major.  Rationis  et  Adpetitus  Pugna:  hoc  est,  de 
Amore  Edvardi  III  Regis  Angliae.    1592.     l-S™^' 

Die  mir  in  dem  Exemplare  der  kgl.  Bibliothek  zu  Berlin  zu- 
gängig gewesene  lateinische  Ausgabe,  deren  Titel  zwar  umfangreicher 
ist,  sich  aber  zu  Anfang  mit  der  vorbezeichneten  Aufschi'ift  deckt, 
ist  erst  im  Jahre  16  12  12"  erschienen.  Im  Kataloge  des  British 
Museum  findet  sich  ein  Exemplar  vom  Jahre  1592  nicht  aufgeführt. 
Immerhin  ist  ein  so  früher  Druck  wohl  denkbar  und  die  Möglichkeit 
nicht  ausgeschlossen,  dafs  die  Ausgabe  von  1612  sich  als  eine  spätere 
Auflage  des  Druckes  von  1592  darstellt. 

S.  74,  lit.  a.  Von  Gressets  'Edouard  III'  ist  eine  fernere 
Übersetzung  ins  Deutsche  von  dem  Schauspieler  Joh.  Wilh.  May- 
berg  (Meiperg)  zu  verzeichnen.  'Geb.  1717,  kam  er  1743  als  Schau- 
spieler zu  Kurz  nach  Wien  und  starb  am  19.  Oktober  1761.  Er  war 
Übersetzer  zahlreicher  Dramen,  so:  Eduard  III.  (von  Gresset),  ge- 
spielt 1755.'    (Goedeke,  Grundrifs,  2.  Aufl.,  V,  S.  302.) 

S.  81,  Z.  18  V.  0.  Es  ist  die  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen, 
dafs  die  Schrift  Henri  de  Juvenels:  'Les  Amours  d'Edgard,  roi 
d'Angleterre'  (Haag  1697)  sich  nicht  auf  Edward  III.,  sondern  auf 
den  12.  anglosächsischen  König  Edgar  (geb.  942,  gest.  975)  bezieht, 
der  sich  in  seinem  Privatleben  lasterhaften  Ausschweifungen  hingab. 

S.  102,  Anm.  1.  Seitens  Philipp  Waimers  zu  Danzig  geschieht 
in  der  Vorrede  zu  seiner  Komödie  'Elisa'  (1591)  eines  Ämilius 
Ferretus  Erwähnung.  Wie  der  von  mir  befragte  Th.  Momrasen 
(dem  ich  für  die  erwiesene  Gefälligkeit  verbindlichst  danke)  mir 
schreibt,  kann  an  den  alten  Ferreti  aus  Vicenza  (geb.  um  1296, 
gest.  nach  1337)  nicht  gedacht  werden,  da  dessen  Chronik  erst  von 
Muratori  zum  Druck  gebracht  worden  sei.  Es  könne  nur  der  nicht 
unbekannte  Jurist  und  Philolog  Ämilius  Ferretus  (Emilio  Ferreti, 
1489  — 1552)  gemeint  sein;  wahrscheinlich  handele  es  sich  in  der 
Anführung  der  Liebesgeschichte  Edwards  zur  Gräfin  Salisbury  um 
eine  beiläufige  Erwähnung  des  Gegenstandes  in  Ferretis  verschiedenen 
Schriften,   k 

S.  104,  Anm.  1.  Der  Name  der  zänkischen  'Fetasa',  der  Frau 
des  Narren  Jahn  Clani  in  Ayrers  'Comedia  Vom  König  Edwarto  dem 
dritte',    erinnert  nicht  nur  an  die  Dienerin   Fenisa   in  Cändamos 


Kleine  Mitteilungen.  137 

Stück  'La  Jarretiera  de  Inglaterra',  sondern  auch  an  die  Buhlerin  in 
Lope  de  Vegas  'El  anzuelo  de  Fenisa'.  (Vgl.  auch  die  10.  nov.  des 
8.  Tages  aus  dem  Decaraerone  des  Boccaccio.) 

J.  Bolte  vermag  in  Ayrers  Fetasa  keine  spanische  Fenisa, 
sondern  die  Fuzada  oder  Fudasa  des  Volksbuches  'Salomon  und 
Markolf  zu  erkennen. 

S.  107.  Im  Gegensatz  zu  der  fast  allgemeinen  Annahme,  wo- 
nach Jacob  Ayrer  bei  Abfassung  seiner  'Comedia  Vom  König  Ed- 
warto'  sich  an  englische  Quellen  angelehnt  habe,  bin  ich  nach 
wie  vor  der  Ansicht,  dafs  dem  Nürnberger  nur  eine  der  ausländischen 
Übersetzungen  bezw.  Bearbeitungen  von  Bandcllos  Erzählung  II  37, 
höchst  wahrscheinlich  die  'Histoires  tragiques'  von  Boisteau,  als 
Grundlage  gedient  hat.'  Dieser  Standpunkt  ergiebt  sich  aus  der 
ziemlich  genauen  Übereinstimmung  des  Inhaltes  des  Ayrerschen 
Stückes  mit  demjenigen  der  französischen  Darstellung,  wogegen  in 
dem  Pseudo-Shakespeareschen  Drama  mannigfache,  mehr  oder  minder 
erhebliche  Abweichungen  sich  vorfinden.  So  fehlt  in  letzterem  unter 
anderen  die  von  Eduard  in  Aussicht  gestellte  Versorgung  der  Söhne 
des  Grafen  zu  Varucken  und  die  Inanspruchnahme  der  Vermitte- 
lung  von  Elipsas  Mutter.  Während  ferner  in  dem  englischen  Schau- 
spiel die  ganze  Liebesscene  sich  in  Roxburg  abspielt,  hat  Ayrer  — 
wie  Bandello- Boisteau  —  den  mit  dem  Abzüge  der  Gräfin  aus  Schlofs 
Salberich  anhebenden  zweiten  Teil  der  Begebenheit  nach  London  ver- 
legt. Überdies  kann  Ayrer  den  (nach  Bolte)  sonst  nirgends  nachweis- 
baren Paludanus  nur  aus  Boisteau  (nov.  V)  kennen  gelernt  haben. - 

Ich  befinde  mich  mit  dieser  Auffassung,  wie  ich  erst  nachträg- 
lich ermittelt  habe,  in  voller  Übereinstimmung  mit  Otto  von  Leixner, 
'Geschichte  der  deutschen  Litteratur,'  5.  Aufl.,  1899,  S.  280:  'Die 
"Schröckliche  Tragedi  vorat  Regiment  und  schändlichen  Sterben  des 
Türckischen  Kaisers  Machumetis  des  andern"  (d.  h.  des  zweiten)  und 
die  "Comedia  vom  König  Edwarde"  sind  dem  Stoffe  nach  einer 
Sammlung  tragischer  Geschichten  ("Histoires  tragiques")  des  BoUe- 
Forest  entnommen  und  nicht  jenen  englischen  Stücken,  welche  die- 
selben Stoffe  behandelten.'  —  Die  gegenteilige  Ansicht  des  Schweden 
H.  Schuck  ('AVilliam  Shakspere,   hans  lif  och  värksamhet,'  Stock- 


'  Nach  J.  Bolto  hat  vermutlich  die  vorlorenc  (vor  1501  entstandene) 
deutsche  Ül)ersetzung  von  Bandellos  Novelle  den  Dramen  \\'ainiers  und 
Ayrers  als  (Quelle  gedient. 

-  Nachdem  ich  das  Vorkommen  des  Namens  Paludanus  in  Boisteaus 
nov.  V  festgestellt,  hat  Bolte  seine  frühere  Ansicht,  wonach  P.  einer  der 
bei  V.  (1.  Aa,  Biogr.  Woordenboek,  aufgeführten  Niederländer  dieses  Namens 
{z=  ten  Broeke,  van  der  Broek)  gewesen  zu  sein  scheine,  fallen  gelassen 
und  nunmehr  den  ganzen  Paludanus  für  eine  Erfindung  von 
Boisteau  erklärt.  . —  Es  darf  noch  erwälint  werden,  dals  in  der  nieder- 
ländischen Übersetzung  der  Novellen  Baudellos  vuu  1(350  (Historie  V, 
S.  173)  die  Bezugnahme  auf  Paludanus  fortgefallen  ist. 


188  Kleine  Mitteilungen. 

liolm  1883,4,  S.  141)  soll  freilich  nicht  vorenthalten  werden.  Die- 
selbe lautet:  'Wiewohl  es  möglich  wäre,  dafs  Ayrer  das  Stück  selb- 
ständig, mit  Boisteau  als  Quelle,  verfafst  hat,  nehme  ich  doch  an, 
dafs  ein  längst  verlorenes  englisches  Drama  als  Vorbild  gedient  habe.' 

S.  121.  lY.  Niederlande.  Herr  Professor  Dr.  J.  A.  Worp  zu 
Groningen  hat,  wie  ich  dankbar  anerkenne,  die  Freundlichkeit  ge- 
habt, mich  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dafs  die  Geschichte  von 
Eduard  III.  und  Elips,  aufser  von  A.  Kareis  van  Zjermez,  auch 
durch  Jacob  Duym  (geb.  1574)  dramatisiert  worden  sei,  und  zwar 
in  der  Tragikomödie  'De  Spieghel  der  Eerbaerheyt'  (conf.  'Een  Spiegel- 
boek  inhoudende  ses  Spiegels,  waerin  veel  deuchden  ciaer  aen  te  mer- 
cken  zijn.  Speelwijs  in  dicht  ghestelt  door  Jacob  Duym  . . .  Leyden  . . . 
1609').  Der  Dichter  bezeichnet  die  'Histoires  tragiques'  als  seine 
Quelle,  also  die  'Tragische  of  klaechlijcke  Historien'.  Eine  Übersicht 
dieses  Dramas  giebt  K.  Poll  in  seiner  Inauguraldissertation  'Over 
de  Tooneelspelen  van  den  Leidscheu  Rederijker  Jacob  Du}'Tn',  Gro- 
ningen 1898,  S.  19 — 25,  der  sich  dahin  äufsert,  dafs,  da  die  Zeit  der 
Abfassung  von  Duyms  Stück  unbekannt  sei,  es  fraglich  erscheine, " 
ob  der  Dichter  noch  die  holländische  Übersetzung  von  1598 — 1601 
habe  zu  Rate  ziehen  können.  Poll  hat  deshalb  das  Schauspiel  mit 
der  späteren  Übersetzung  von  1650  verglichen. 

S.  124,  Z.  9  u.  8  V.  u.  Nach  J.  A.  Worp  sind  die  Zjermez- 
schen  Dramen:  'Vervolgde  Laura',  1645,  1679;  'Klaagende  Kleaz- 
jenor*,  1647,  1670  Übersetzungen  der  Schauspiele  von  Jean  de  Ro- 
trou  (1609 — 1650):  'Laure  persecutee',  tragi - comedie  en  5  actes, 
aufgeführt  1637,  gedruckt  1639,  1646,  1654,  imd  'Cleagenor  et 
Doristee',  ti-agi-comedie,  aufgeführt  1630,  gedruckt  1635. 

S.  131,  Ziffer  21.  Inzwischen  ist  es  gelungen,  das  kleine 
Volksbüchlein  (chap-book)  'The  Story  of  King  Edward  III.  and 
the  Countess  of  Salisbury'  (1 2  ™o-,  printed  by  J.  Briscoe,  in  the  Market 
Place  Whitehaven,  n.  d.)  im  British  Museum  zu  ermitteln;  der  Kata- 
log (unter  Edward  III.)  datiert  es  1780  (allerdings  mit  einem  Frage- 
zeichen versehen),  8^.  Es  trägt  die  Signatur  1076.  1.  18.  (1.)  Leider 
habe  ich  von  dem  Büchlein  bis  jetzt  nicht  Einsicht  nehmen  können. 

Über  den  Inhalt  der  Erzählung  liefert  John  Ashton  in  seinen 
'Chap-Books  of  the  eighteenth  Century'  (London  1882,  S.  390—391) 
folgende  Analyse:  'This  Chap-book  seems  the  only  edition  extant. 
It  is  no  great  loss  in  a  literary  point  of  view,  for  the  supposed  history 
is  pure  fiction.  The  countess  is  represented  as  the  daughter  of  Earl 
Varuccio,  and  the  whole  novelette  is  about  the  endeavours  of  the 
king  to  seduce  her.  He  tries  when  her  husband  is  alive,  and  when 
she  is  a  widow  he  still  presses  her  to  be  his  mistress,  and  is  firmly 
but  respectfully  repulsed.  He  makes  her  father  and  mother  sue  to 
her,  without  success;  and  finally,  being  overcome  by  the  sight  of  such 
iramaculate  virtue,  marries  her  amid  the  plaudits  of  the  people.    The 


Kleine  Mitteilungen.  139 

epißode  of  the  garter  occupies  a  paragraph  at  the  end  of  the 
book.' 

Mail  sieht,  abgesehen  von  der  Geschichte  des  Hosenbandordens, 
ist  der  übrige  Tnlialt  der  Darstelhmg  auf  Bandello   zAirückzuführen. 

Berlin.  Gustav  Lieb  au. 

Zu  englischen  Liedern. 

'She  rose  and  let  ine  in.'  Über  die  Textgeschichte  dieses 
Liedes,  dem  ja  bei  uns  in  G.  A.  Bürger  kein  geringer  Dolnaetsch 
erstanden  ist,  hat  Ebsworth  in  den  Roochurghe  Ballads.  VI  1 94  ff. 
einige  orientierende  Notizen  gegeben.  Die  ursprüngliche,  von  Tom 
D'Urfey  herrührende  Fassung  {A  Collection  of  Songs  and  Poems; 
By  Thomas  UUrfeij,  Gent.,  London  1683)'  ging  mit  einigen  unbe- 
deutenden Veränderungen  in  den  zweiten  Band  von  Ramsays  Tea- 
Tnhk  Miscellany  (1725)  über.  'It  reappeared  substantially  the  sanie 
...  in  the  second  volume  of  William  Thomson's  Orjjhens  Caledonius ; 
or,  Ä  Collection  of  Scots  Songs,  p.  30,  1733.  But  in  James  John- 
son's  first  volume  of  The  Scots  Musical  Museum  (before  Robert 
Burns  became  its  regulär  and  chief  contributor),  on  p.  84,  as  Song  84, 
prlnted  and  published  at  Edinburgh,  1787,  the  song  was  con- 
siderably  altered  and  "emendated".  It  became  so  colourless, 
tasteless,'  etc.  Schon  Stenhouse  hatte  behauptet,  die  überarbeitete 
Fassung  (in  der  er  übrigens  eine  Verbesserung  von  Meisterhand  er- 
blickte) erscheine  zuerst  in  Johnsons  Museum,  und  diese  Ansicht 
scheint  heutzutage  allgemein  angenommen  zu  sein.-  Ich  möchte  dem- 
gegenüber darauf  hinweisen,  dafs  die  moderne  Version  des  Liedes 
bereits  in  einigen  Sammlungen  vor  Johnsons  Publikation  von  1787 
zu  finden  ist,  wie  in  Thirtji  Scots  Songs  Adapted  for  a  Voiee  and 
Harpsichord.  Bij  Robert  Bremner.  The  Words  by  Allen  Ramsey  (sic!).'^ 
Book  First.  London  [ca.  1760],  p.  12  und  The  Musical  Miscellany 
(Perth  1786).  Ob  Scott  Douglas'  Hinweis  auf  die  Sannnlung  The 
Blackbird,  17(54,  edited  by  AVilliam  Hunter,  etc.  {The  Library  Edition 
of  R.  Bums,  V  4  28)  berechtigt  ist,  vermag  ich  nicht  zu  kontrollieren; 
die  mir  allein  zugänglich  gewesene  Ausgabe  von  1771  enthält  noch 
die  ältere  Fassung  des  Liedes. 

*If  Love's  a  sweet  Passion,  why  does  it  torment.'  In 
seinen  Ro.xburghc  Ballads,  VI  31,  verbreitet  sich  Ebsworth  über  dieses 
in  den   meisten   englischen  Liederbüchern   des  18.  Jahrhunderts  an- 


'  Über  die  verschicdenon  Fassungen  von  I  8  s.  Ebsworth  a.  n.  O.  1'.'4. 
Die  bekanutt'stc  Version  ('She  rose  and  let  nie  in')  erinnert  an  Balladen- 
wendungen  wie  '[the  Lady]  rose  uj»  and  let  him  in'  (Glasgerion,  X;  Percy 
Folio  Ms.). 

-  S.  z.  B.  Baring-Goulds  English  Minstrelsie. 

^  Liegt  hier  dio  Erklärung  für  Burns'  bekannte  Angalie  {Reinarh  n>i 
Scottish  Song):  'soniebody,  I  beliere  it  nas  Ramsay,  took  it  into  bis  head 
to  clear  [the  song]  of  some  seeming  indelieacies,'  etc.?  .  • 


140  Kleine  Mitteilungen. 

zutreffende  Lyrikum.  Merkwürdigerweise  scheint  ihm  entgangen  zu 
sein,  dafs  der  erste  Abscluiitt  des  Liedes  zum  Teil  wörtlich  an  Pe- 
trarcas Sonett  LXXXVIII  angelehnt  ist: 

S' amor  non  h,  che  dunque  h  quel  ch'i'  sento? 
Ma  s' egli  h  amor,  per  Dio,  che  cosa  e  quäle? 
Se  buona,  ond'  h  V  effetto  aspro  mortale? 
Se  ria,  ond' fe  si  dolce  ogni  tormento?. 

S' a  mia  voglia  ardo,  ond' fe  '1  pianto  e'l  lamento? 

S' a  mal  mio  grado,  il  lamentar  che  vale? 

O  Viva  morte,  o  dilettoso  male, 

Come  puoi  tanto  in  me  s'  io  nol  consento  ?  etc. 

'Behold  the  Hour,  the  Beat  arrive.'  H.  Mo\ena.SLr  {E. Burns' 
Beziehungen  zur  Litteraiur,  S.  103)  weifs  von  italienischen  Autoren, 
mit  denen  Burns  in  Berührung  gekommen  sei,  nur  Petrarca  und 
Tasso  anzuführen.  Von  gröfserer  Wichtigkeit  aber,  als  diese  Namen, 
ist  für  den  Schotten  der  einst  so  gefeierte  Metastasio  gewesen: 
das  Lied  Behold  the  Hour,  etc.,  das  lange  Zeit  unter  Burns'  Namen 
ging'iund  das  von  ihm  einem  eigenen  Lyrikum  (s.  TJie  Centenary 
Burns,  III  265,  IV  34)  zu  Grunde  gelegt  worden  war,  ist  nichts 
weiter  als  eine,  aus  der  Feder  David  Dalrymples  herrührende  Über- 
setzung der  Canzone  La  Partenza: 

Ecco  quel  fiero  istante: 
Nice,  mia  Nice,  addio, 
Come  vivrö,  ben  mio, 
Cosi  lontan  da  te? 
Io  vivrö  sempre  in  pene, 
Io  non  avrö  piü  bene; 
E  tu  chi  sa  se  mai 
Ti  sovverrai  di  me!  etc. 

Auch  Elizabeth  Carter  versuchte  sich  an  einer  Übertragung  des  Ge- 
<lichtes;  s.  Poems  on  several  Occasions,  London  (^  1789,  p.  50),  und 
Pleyels  XII  Elegant  Ballads,  London  (1792,  p.  4). 

'The  Tears  I  shed  must  ever  fall.'  Der  suggestive  Ein- 
gang dieses  von  R.  Burns  als  'song  of  genius'  bezeichneten  Liedes 
der  Mrs.  Dugald  Stewart  ist  deutlich  angeregt  durch  einige  Zeilen 
aus  Mallets    Ode  in   the  Mask   of  Alfred  ('A   youth,    adorn'd  with 

ev'ry  art'):  rru    *  ^  i      >  • 

•^         ^  The  fatal  ev  ning 

.     .     saw  the  tears  1  shed; 

Tears  that  must  ever,  ever  fall, 

For,  ah!  no  sighs  the  past  recall; 

No  cries  awake  the  dead! 

Berlin.  O.  Ritter. 

'The  Land  of  Cakes.' 

Nach  Craigie  {Ä  Primer  of  Burns,  p.  95)  wäre  diese  Bezeich- 
nung zuerst  von  Robert  Fergusson  gebraucht  worden.    Sie  ist  indes, 


Kleine  Mitteilungen.  141 

wie  (las  NED  ausweist,  mindestens  hundert  Jahre  älter;  'if  you  do 
not  corae  out  of  the  land  of  cakes  before  New  Year's  day,'  etc.  liest 
man  in  den  Landerdale  Fapers  (1»JG9).  Allan  Ramsay  ist  a.  a.  O. 
durch  kein  Citat  vertreten,  trotzdem  er  den  fraglichen  Ausdruck 
zweimal  gebraucht  und  dadurch  zu  seiner  Verbreitung  sicherlich  stark 
beigetragen  hat:  The  Eise  and  Fall  of  Stocks,  v.  195,  und  Answer 
to  Mr.  Somervile's  Epistle  (Ed.  1751,  II  187).  Erwähnung  verdient 
des  ferneren  der  Titel  einer  ums  Jahr  1700  erschienenen  Musik- 
sammlung: 'The  Land  of  Cakes.  Book  the  first,  containing  Six  Songs 
set  to  Musick  in  the  True  Scots  Taste,  etc.  London,  printed  for 
R.  Williams.'  Leider  figuriert  auch  das  wichtige  Fergussoncitat 
'Scotland  . . .  alias  Land  of  Cakes'  {The  King's  Birth-day  in  Edin- 
burgh, XI  2)  nicht  im  NED. 

Berlin.  O.  Ritter. 

Dr.  Woleot  als  Mitarbeiter  an  George  Thomsons  'Scottish  Airs.' 

In  seinem  Briefe  an  Mrs.  Dunlop  vom  20.  Dezember  1 7!t4  schreibt 
R.  Burns:  'I  have  often  mentioned  to  you  a  süperb  publication  of 
Scottish  songs  [seil.  Thomson's  Select  Collection  of  original  Scottish 
Airs]  . . .  where  I  have  the  honor  to  preside  over  the  Scottish  verse, 
as  no  less  a  personage  than  Peter  Pindar  does  over  the  English.' 
Diese  Angabe  ist  irreführend,  denn  thatsächlich  hat  sich  die  Mit- 
arbeiterschaft Peter  Pindars  auf  das  Beisteuern  einer  sehr  kleinen 
Anzahl  englischer  Liedertexte  beschränkt.  Es  ergiebt  sich  das  nicht 
nur  aus  einigen  Stellen  der  Burns -Thomson -Korrespondenz  (Cham- 
bers-Wallace  III  391,  IV  30,  35,  146),  sondern  auch  aus  dem  fol- 
genden Passus  in  Thomsons  Vorrede  zu  seiner  Sammlung:  '[The 
Editor]  has  . . .  along  with  each  Scottish  Song  . . .  given  one  purely 
English,  which  may  be  sung  to  the  Scottish  Air  . . .  This  addition 
to  the  Poetry  must  be  acceptable  to  every  person  of  taste;  as  it  will 
be  found  to  include  the  most  admired  Songs  in  the  English  language, 
besides  many  new  ones  written  on  purpose,  a  tiumber  of  tvhich  come 
from  the  elegant  and  humorous  pen  of  Dr.  Woleot,  better  known  by 
the  whimsical  appellation  of  Peter  Pindar.'  Wolcots  Lieder  scheinen 
Thomson  später  nicht  mehr  gefallen  zu  haben,  da  er  sie  bis  auf  drei 
(Ed.  lö3iS,  I  31,  38;  IV  182)  eliminiert  und  durch  andere  ei'setzt  hat. 

Berlin.  0.  Ritter. 

Citate  bei  Burns. 

Von  einigen  Citaten,  die  in  Robert  Burns'  Korrespondenz  er- 
scheinen und  deren  Identifizierung  bisher  nicht  gelungen  war,  bin 
ich  in  der  Lage,  die  Herkunft  anzugeben. 

'Studying  men,  their  manuers,  and  their  ways'  (Brief  an  Orr  vom 
7.  Sept.  1782  u.  ö.)  nach  Popes  Januarg  and  May,  157  'And  studied 
men/  etc. 


142  Kleine  Mitteilungen. 

'The  sons  of  little  men'  (Brief  an  Mrs.  Dunlop  vom  15.  Jan. 
1787)  nach  Ossian,  BerratJion,  Abschn.  5  und  20. 

'Sick  of  the  world  and  all  its  joy,'  etc.  (Brief  an  Clarinda  vona 
21.  Jan.  1788)  ist  der  Anfangsvers  eines  Gedichtes  im  Weekly  Maga- 
xine,  or  Edinburgh  Amüsement,  XXVI  50  (1774). 

'O,  what  is  life,  that  thoughtless  wish  of  all!  A  drop  of  honey 
in  a  draught  of  gall'  (Brief  an  Clarinda  vom  6.  März  1788)  steht  in 
A  Poem,,  sacred  to  the  Memory  of  a  dearly  beloved  and  only  Daughter, 
etc.  {The  Poetical  Calendar  ...  selected  by  Francis  Fawkes,  M.A.,  and 
William  Woty,  M 7 63,  IV  73). 

'[He]  who  forras  the  secret  bias  of  the  soul'  (Brief  an  Dr.  Moore 
vom  4.  Jan.  1789)  nach  Akenside,  The  Pleasures  of  Imagination, 
III  523  '[God  alone,  when  first  his  active  band]  Imprints  the  secret 
bias  of  the  soul.' 

'A  few  Summer  days  and  a  few  winter  nights,   and  the  life  of 
man  is  at  an   end'  (Brief  an  William  Dunbar  vom  14.  Jan.  1790) 
stammt  aus  Samuel  Johnsons  'Greenland  Tale'  Anningait  and  Ajut 
(vgl.  meine   Quellenstudien  %u  Robert  Burns,    1773 — 1791,    S.   219,' 
Anm.  1). 

'Join  night  to  day,  and  Sunday  to  the  week'  (Brief  an  Cunning- 
ham  vom  14.  Febr.  1790)  steht  in  Youngs  Satire  Love  of  Farne, 
V  102. 

'Join  grief  with  grief  and  echo  sighs  to  thine'  (Brief  an  Mrs. 
McLehose  vom  Juli  1791)  steht  in  Popes  Eloisa  to  Abelard,  v.  41  f.; 
das  in  demselben  Briefe  begegnende  Citat  '[I]  dare  to  sin,  but  not 
to  lie'  stammt  aus  Charles  Churchills  Qhost,  Book  II  (v.  156). 

Berlin.  O.  Ritter. 

Ein  Brief  Macaulays. 

Der  grofse  Essayist  und  Historiker  Th.  B.  Macaulay  (1800  bis 
1859)  stand  nicht  mit  vielen  deutschen  Schriftstellern  in  Verbindung. 
Auch  das  Deutsche  war  ihm,  wie  aus  einer  Aufserung  des  gleich 
folgenden  Briefes  hervorgeht,  nicht  eben  sehr  geläufig.  Freilich  sagt 
Trevelyan,  'Leben  und  Briefe  Macaulays,'  übersetzt  von  Böttger,  II 
480,  von  ihm,  'dafs  er  alle  Schriften  Lessings  über  die  Kunst  uitd 
Goethes  über  die  Poesie  eifrig  und  ängstlich  genau  studiert  hatte,' 
doch  mag  ein  solches  Studium  ebensowohl  einer  Übersetzung  als  dem 
Original  gegolten  haben. 

Es  ist  wahrscheinlich,  dafs  er  manche  deutsche  Schriftsteller  und 
Gelehrte  kennen  lernte,  die  gelegentlich  auf  wissenschaftlichen  Reisen 
nach  England  kamen  oder  als  Flüchtlinge  länger  die  Gastfreund- 
schaft des  Insellandes  in  Anspruch  nahmen.  (Freilich  belehrt  die 
angeführte  Biographie  uns  über  solche  Beziehungen  in  keiner  Weise.) 

Eine  solche  Beziehung  soll  im  folgenden  dargelegt  werden.  Der 
Brief,  durch  den  sie  bezeugt  wird,  lautet: 


Kleiue  Mitteilungen.  \4S 

Albany  London 
Sir  Dcceuibor  13,  1851 

I  beg  you  to  accept  mv  tlianks  for  your  very  übliging  letter 
and  for  the  volumes  which  accompanied  it. 

I  have  read  your  history  of  the  Prussian  Revolution  with  great, 
though  not  unniixed  pleasure.  I  think  that  the  story  is  told  witii 
great  vivacity  and  eloquence;  and  to  a  great  extent  my  opinions 
agree  with  yours.  I  heartily  dislike  despotisra.  I  dislike  the  domi- 
nation  of  a  niilitary  caste.  I  dislike  the  doniination  of  a  caste  of 
official  Mandarins.  I  dislike  the  domination  of  a  caste  of  patricians. 
But  I  do  not  agree  with  you  in  thinking  that  in  any  of  the  old 
countries  of  Europe,  supreme  power  can  safely  be  intrusted  to  the 
majority  of  the  population  told  by  the  head.  That  majority  is  poor 
and  it  is  Ignorant.  Being  poor,  it  naturally  wislies  for  relief.  Being 
igjiorant,  it  is  naturally  disposed  to  listen  to  deniagogues,  who  pro- 
elaim,  that  relief  is  to  be  obtained  by  attacking  the  Institution  of 
property.  And  to  you  it  must  be  unnecessary  to  say  that  any  tempo- 
rary  relief  which  a  people  can  obtain  at  the  expense  of  the  Institu- 
tion of  property  resembles  the  relief  which  they  would  obtain,  in  a 
season  of  scarcity,  by  eating  of  the  seedcorn  from  which  the  harvest 
of  the  next  year  is  to  spring.  You  condemn,  and  most  justly,  the 
extravagances  of  the  Socialists:  but  you  do  not,  I  think,  feel,  as 
I  do,  that  any  government  really  based  on  universal  suffrage  must, 
in  thickly  peopled  countries,  where  great  masses  of  capital  have  been 
accumulated  and  where  there  is  a  great  inequality  of  conditions,  end 
in  Socialism. 

I  hope  that  you  will  pardon  the  frankness  with  which  I  teil  you 
my  opinion  and  that  you  will  receive  it  as  a  mark  of  my  sincere  esteem. 

I  have  procured  your  Edition  of  Aristotle's  Politics ;  and  I  hope 

soon  to  be  able  to  find  leisure  for  reading  that  treatise,  the  best  I 

think,  of  Aristotle's  works,  with  your  translation.    I  also  promise  my- 

self  much   pleasure  from  studying  your  travels.    I  am  sorry  to  say, 

however,   that  I  get  on   but  slowly   with  German,   even   when   it   is 

written  as  you  write  it.  t  i  i      i  i 

1  have  the  honour  to  be 

Sir 

Your  faithful  servant 

T.  B.  Macaulay. 

Der  Adressat  unseres  Briefes  ist  Adolf  Stahr  (1805 — 1876),  der 
bekannte  Publizist,  Archäologe,  Litterarhistoriker.  Als  er  jenen  Brief 
empfing,  hatte  er  seine  bekanntesten  Werke:  'Torso',  'Lessing',  'Goethes 
Frauengestalten'  noch  nicht  geschrieben,  war  aber  durch  eine  viel- 
seitige dramaturgische,  litterarische,  politische  Thätigkeit  bekannt. 
Er  war  Lehrer  (Professor)  in  Oldenburg  gewesen,  hatte  aber  infolge 
eines  Halsleidens  seine  Stellung  aufgeben  müssen.    Da  seine  kleine 


144  Kleine  Mitteilungen. 

Pension  zur  Bestreitung  seines  Unterhaltes  und  desjenigen  seiner 
Familie  nicht  genügte,  sah  er  sich  zu  einer  ausgebreiteten  schrift- 
stellerischen Thätigkeit  genötigt.  Zu  einer  um  so  gröfseren,  als  er 
damals  fest  entschlossen  war,  eine  zweite  Ehe  mit  Fanny  Lev/ald 
einzugehen,  und  zur  Abfindung  der  ersten  Frau,  zu  ihrer  und  der 
Kinder  Versorgung  eines  gröfseren  Verdienstes  bedurfte.  Um  sich 
einen  solchen  zu  verschaffen,  knüpfte  er  Verbindungen  mit  dem  Aus- 
lande an,  in  der  Hoffnung,  dadurch  Übersetzungen  aus  fremden 
Sprachen  liefern  zu  können  oder  die  Übertragung  seiner  Werke  ins 
Französische  oder  Englische  zu  ermöglichen.  Schon  aus  dieser  Rück- 
sicht ist  die  Anknüpfung  mit  Macaulay  erklärlich. 

Durch  wen  Stahr  auf  den  grofsen  englischen  Historiker  hin- 
gewiesen, durch  wen  er  veranlafst  wurde,  ihm  eine  seiner  Schriften 
zu  schicken,  läfst  sich  nicht  genau  bestimmen.  Es  wäre  denkbar, 
dals  Fanny  Lewald  ihrem  Freunde  die  Wege  geebnet  habe,  die  im 
Jahre  1851  in  England  gewesen  war.  Nur  ist  mir  das  Reisebuch 
der  Genannten:  'England  und  Schottland,'  2  Bände,  1852,  nicht  zu- 
gänglich, so  dafs  ich  über  die  etwaige  Bekanntschaft  der  Reisenden- 
mit  dem  grofsen  englischen  Historiker  nichts  angeben  kann. 

Stahr  widmete  ihm  die  'Geschichte  der  preufsischen  Revolution', 
die  in  Lieferungen  erschien.  Die  undatierte  Widmung  bezeichnet 
diese  als  'eine  dankbare  Huldigung  . . .  für  die  aus  Ihrer  Geschichte 
Englands  geschöpfte  trostreiche  Ermutigung'  und  verweist  zur  'Ent- 
schuldigung und  Erklärung'  dieses  Wagnisses  auf  den  Schiufs  des 
vierten  Buches.  Gemeint  können  nur  die  Sätze  sein  (Bd.  II,  S.  370): 
'Mögen  freie  Völker  der  Gegenwart  ...  nicht  allzu  hart  den  Stab 
brechen  über  das  preufsische  Volk  des  Jahres  1848  und  über  diesen 
ersten  schmählichen  Ausgang  seiner  Erhebung.  Mögen  sie  bedenken, 
dafs  es  nicht  nur  unsere  Schwächen,  dafs  es  auch  die  menschlichen 
Tugenden  unseres  Charakters:  unsere  Ehrlichkeit  und  unser  Ver- 
trauen und  die  immer  auf  Versöhnung  hoffende,  von  der  Milch  der 
frommen  Denkart  grofsgesäugte  Gabe  des  deutschen,  schon  so  oft 
betrogenen  und  verratenen  Herzens  gewesen  sind,  welche  dieses  Aus- 
gangs Schmach  herbeigeführt.' 

Auf  die  Zusendung  der  ersten  Lieferungen  erwiderte  Macaulay 
in  einem  artigen  Billet  (13.  Okt.  1851);  auf  die  zweite,  die  den 
Schiufs  des  Werkes  brachte,  in  dem  oben  abgedruckten  längeren 
Schreiben. 

Eines  weiteren  Kommentars  bedarf  es  nicht,  noch  weniger  einer 
eingehenden  Ausfülirung  über  des  englischen  Historikers  politische 
Anschauungen,  die  bekannt  genug  sind.  Nur  um  kein  Mifsver- 
ständnis  über  die  politische  Stellung  des  Schriftstellers  aufkommen 
zu  lassen,  dessen  VVerk  die  vorstehenden  Ausführungen  veranlafste, 
sei  kurz  bemerkt,  dafs  auch  Stahr  nichts  weniger  als  ein  Revolutionär 
war.    Er  hatte  freilich,   wie  so  viele  der  Besten  in  Deutschland,   die 


Kleine  Mitteilungen.  145 

Revolution  von  1848  froh  begrüfst  und  die  Reaktion  verdammt,  billigte 
aber  die  Ausschreitungen  der  ersteren  nicht  und  war,  wenn  er  auch 
einzelne  demokratische  Anschauungen  und  Forderungen  verteidigte 
und  hochhielt,   ein  treuer  Anhänger  der  konstitutionellen  Monarchie. 

Die  in  dem  Briefe  erwähnte  Ausgabe  der  Politik  des  Aristoteles 
erschien  1836 — 1838,  als  Fortsetzung  zahlreicher  aristotelischer  Stu- 
dien, deren  erste  bereits  1830  veröffentlicht  war  und  dem  jungen 
Philologen  bei  Fachgenossen  ersten  Ranges  Beifall  und  Ansehen  er- 
rungen hatte.| 

Eine  weitere  Folge  hatte  der  Briefwechsel  nicht. 

Berlin.  Ludwig  Geiger. 

Zu  den  Oxforder  Glossen. 

Die,  wie  es  scheint,  noch  im  zwölften  Jahrhundert  geschriebenen 
französischen  Glossen,  die  Gröber,  nachdem  sie  zwar  seit  fünfzehn 
Jahren  (durch  Ellis  in  den  Anecdota  oxouiensia,  Class.  ser.  I  i) 
S.  27  ff.)  gedruckt,  aber  unter  den  Romanisten  unbeachtet  geblieben 
waren,  in  der  Festschrift  der  Strafsburger  philosophischen  Fakultät 
zur  XLVI.  Versammlung  deutscher  Philologen  und  Schulmänner 
(Strafsburg,  Trübner,  1901)  S.  39 — 48  in  die  alphabetische  (Ordnung 
der  französischen  Wörter  gebracht  und  mit  wertvollen  Bemerkungen 
begleitet  hat,  bereiten  an  einigen  Stellen  noch  Schwierigkeit,  und 
einiges,  was  Gröber  vorträgt,  läfst  Zweifel  oder  Vervollständigung 
zu.  So  sei  gestattet,  der  wichtigen  Veröffentlichung  hier  ein  paar 
Worte  hinzuzufügen. 

amacheurs,  dessen  Ausgang  man  sich  als  eins  mit  kontinen- 
talem -eors  wird  zu  denken  haben,  und  das  gleichbedeutend  mit 
lenones  sein  soll,  ist  auch  mir  verdächtig.  Lautete  das  Wort  maclieors, 
so  kann  es  von  dem  bei  Godefroy  fehlenden  machier,  pic.  makier 
'verabreden,  abmachen'  {Aprh  ce  fu  li  jüais  niakies  Dont  dieus  fu 
batus  et  sakies,  Vdl  Mort  128,  6)  abgeleitet  und  seinerseits  der  Aus- 
gangspunkt zu  maquerel  (pic.  für  *  macherei),  nfz.  maquereau  sein, 
für  welches  eine  befriedigende  Etymologie  bisher  nicht  gefunden  war. 

Dafs  appe?itix  (nfz.  apjyentis),  unter  der  Einwirkung  von  pente, 
für  appendiz  eingetreten  sei,  scheint  mir  nicht  leicht  annehmbar; 
Ableitungen  mit  -icius  vom  reinen  Verbalstamm  giebt  es  wohl 
nicht  {abattis  ist  =  afz.  abateiz),  sie  werden  von  Substantiven  oder 
von  participialen  Bildungen  auf  -at  oder  -it  aus  gewonnen,  vgl. 
nprentiz;  und  wenn  in  einigen  Ableitungen  von  pendre  neben  nt 
auch  nd  auftritt,  so  dürfte  ersteres  das  ursprüngliche,  nd  infolge  des 
Lautwandels  eingetreten  sein,  von  dem  in  Zts.  f.  r.  Ph.  III  575  aus 
Anlafs  von  it.  fandonia,  afz.  fendosmc  neben  faniosme  die  Rede  war. 

Das  mit  brandun  glossierte  lateinische  Wort  wird  facibus  statt 
fascibus  zu  schreiben  sein. 

chenapie,  womit  ulva  übersetzt  wird,   ist  auch   mir  verdächtig. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.     CVllI.  \Q 


146  Kleine  Mitteilungeu. 

Der  ganze  Glossentext  wird  überhaupt  bei  sorgsamer  Nachvergleichung 
wohl  noch  die  eine  und  andere  Berichtigung  erfahren,  wie  denn  z.  B. 
das  seltsame  rede,  das  wir  heute  mehrfach  vor  französischen  Wörtern 
lesen,  sich  vielleicht  als  mifsverstandene  Abbreviatur  für  romanice 
erweisen  dürfte.  Jenes  chenapie  erinnert  an  chenelie  (:  ortie),  das  bei 
RBlois  III  39,  1324  als  ein  schädliches  Kraut  erscheint  (Godefroy 
hat  chevelie  gelesen)  und  in  den  Glossaren  von  Tours,  von  Glasgow 
und  anderen  als  eines  m\t  jusqidamus  und  engl,  hennebone  sich  gleich- 
falls findet. 

egrisanx  ist  mit  dem  ihm  voranstehenden  en  zu  einem  Worte 
zu  verbinden;  enaigrir  ist  transitiv  und  intransitiv  reichlich  belegt, 
und  sein  Particip  ist  für  acescentibus  eine  bessere  Übersetzung,  als 
en  egrisanz  sein  würde. 

marchier  im  Sinne  von  'angrenzen'  kommt  neben  dem  häufigeren 
marchir  vor,  obschon  Godefroy  es  nicht  kennt:  Ärderme  est  d'autre 
pari  et  le  (1.  fe?)  boscage  grant,  Ou  marchent  Avalois,  Franchois  et 
Loherant,  Doon  97 ;  Tallas,  Li  rois  de  Danemarche,  Et  Salliadins,  qui 
ci  pi'es  marche,  Claris  1H618.  marcher  braucht  also  nicht  verlesen 
oder  verschrieben  zu  sein. 

loc  als  Erklärung  von  cirri  kann  auch  französisch  sein,  wie  der 
Text  besagt,  der  damit  nicht  im  Irrtum  zu  sein  braucht,  wie  Gröber 
unter  mosse  annimmt.  Un  loc  a  Buiamon  de  sex  chevox  cope,  Ro- 
mania  V  44,  Z.  128. 

plaiz  oder  plais  ist  afz.  durchaus  zweisilbig,  wie  Versmafs  und 
Reim  vielfach  bezeugen,  wenn  schon  nfz.  plais  und  plaise,  engl. 
plaice  monophthongisches  ai  haben  und  nfz.  plie  das  a  und  .<?  ge- 
tilgt hat.  Wie  lat.  platessa  afz.  pläis  hätte  werden  können,  ist  un- 
verständlich, obschon  Littre,  Scheler  und  Skeat  das  ohne  Bedenken 
annehmen. 

puz  'Brei'  ist  beträchtlich  früher  nachzuweisen,  als  durch  Gode- 
froy geschehen  ist.  Zu  der  Accusativform  pou,  mit  welcher  sich 
Foerster  zu  Ch.  lyon  2853  beschäftigt,  kommt  der  Plural  poz  (:  dolz), 
Barb.  u.  M.  IV  96,  500  und  das  Glossar  von  Lille  plus,  plutis  (1. 
puls,  pultis):  pouls  37  a;  dazu  prov.  poui}  'id  est pultes,  esca  de  farina' 
im  Donat  proensal  8,  22. 

rebuche,  die  Übersetzung  von  hebetatus,  in  rebruche  zu  verändern, 
scheint  nicht  nötig.  Hat  Godefroy  ein  rebronchier  und  dessen  Neben- 
form rebruchier  mehrfach  nachgewiesen,  so  ist  ein  gleichbedeutendes 
rebuchier  rebouquier  nicht  minder  gut  bezeugt  (LRois  44,  Ch.  lyon 
6122,  Leg.  Gir.  110,  Peler.  V  7656)  und  besteht  ja  als  reboucher 
noch  heute  fort.  Wie  freilich  die  Formen  mit  und  ohne  r  in  der 
zweiten  Silbe  sich  zueinander  und  wie  zu  dem  gleichbedeutenden 
reboissier  und  zu  dem  Adjektiv  rebous,  rebois  (hebes)  verhalten,  bleibt 
einstweilen  dunkel;  auch  engl,  fo  rebuJce  wird  zu  der  Verwandtschaft 
gehören. 


IKIeine  Mitteilungen.  147 

Ein  Femininum  russinole  ist  mir  in  Texten  nichi,  wohl  ;iber  in 
Glossen  begegnet,  als  gleichbedeutend  mit  nitteyale  (night higale)  bei 
Walter  von  Bibelesworth  163,  mit  filoinela  bei  Thurot,  Notices  et 
extraits  XXII  2,  531. 

rute,  womit  stertunt  übersetzt  wird,  möchte  ich  nicht  gern  mit 
afz.  mit  in  Verbindung  bringen,  das  seiner  Bedeutuna-  nach  zu  weit 
abliegt;  aus  gleichem  Grunde  auch  nicht  mit  rotei\  oligleich  dieses 
afz.  geschlossenes  o  hat  und  daher  in  anglonormannischen  Texten 
auch  mit  u  geschrieben  erscheint;  eher  mit  ronchier,  ninkier  {j'oncare). 
Die  Bedeutung  ist  dieselbe.  Allerdings  mufs  dann  gebessert  werden 
(rüker). 

Gewifs  mit  Recht  nimmt  Gröber  an,  wenn  douiicilia  mit  cilicia 
domus  (severunde)  erklärt  ist,  sei  darin  eine  etymologische  Zerlegung 
gegeben;  doch  wird  sie  cilia  domüs  lauten  müssen. 

viz  'Schraube'  ist  auch  sonst  afz.  zu  belegen;  Joinv.  39Gb, 
Peler.  V  12044,  Escoufle  1421. 

Ganz  zu  streichen  ist  das  unverständliche  buore,  die  vermeinte 
Glosse  zu  principe.  In  dem  Beglückwünschungsbrief  (VIII  7)  an 
Audax  sagt  Sidonius  gegen  Ende,  wer  sich  des  dem  Audax  beschie- 
denen  Wohlergehens  nicht  freuen  könne,  a  semet  ipso  iivoris  pro- 
pi'ii  semper  exigat  poenas,  cumque  nullas  in  te  habuerit  umquatn 
■misericordiae  causas,  habeat  invidiae;  siquideni  juste  sub  justo  prin- 
cipe jacet,  qui,  per  se  minimus  et  tantuni  per  sua  maxumus,  animo 
exiguus  invit  et  patrimonio  plurimus.  Zu  sub  justo  principe  hat  der 
Glossator  ganz  zutreffend  und  nicht  müfsig  bemerkt  justo  livore 
(nicht  buore),  de  quo  dictum  est:  Justius  invidia  nihil  est,  quae  p'o- 
tinus  ipsuni  Äuctoreni  rodit  excruciatque  suum  (über  welches  Distichon 
Voigt  zu  Egberts  Fecunda  ratis  795 — 798  nachgesehen  werden  mag); 
d.  h.  unter  dem  prÜK-eps  sei  der  zuvor  genannte  livor  zu  verstehen. 

Berlin.  Adolf  Tobler. 


10^ 


Sitzungen  der  Berliner  Gresellschaft 

für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  ] 


Sitzung  vom  11.  Dezember  1900. 

Herr  Rosenberg  setzte  seinen  Vortrag  über  Macaulay  fort.  Mit 
seinem  weitumfassenden  und  stets  bereiten  theoretischen  Wissen  verband 
der  englische  Geschichtschreiber  auch  praktische  Erfahrung.  Diese  er- 
warb er  als  Parlamentsmitglied  und  als  Minister.  So  lernte  er  den  ver- 
borgenen Mechanismus  der  Parteien  kennen,  so  erweiterte  sich  sein  Ge- 
sichtskreis; aber  andererseits  erklärt  sich  so  auch  ein  gewisser  Mangel  in 
dem  Geschichtswerke  Macaulays :  die  Vorliebe,  die  er  für  parlamentarische 
Debatten  hatte,  verleitete  ihn  zu  grofser  Weitschweifigkeit  und  Breite  in 
der  Darstellung  der  Verhandlungen  des  Unterhauses. 

Wenn  wir  aus  seinen  Werken  herauszuschälen  suchen,  was  sich  in 
ihnen  von  seinen  persönlichen  Ansichten  über  sein  Vaterland  und  die 
Kunst,  es  zu  regieren,  findet,  so  ist  zunächst  in  die  Augen  lallend  seine 
Begeisterung  für  alles,  was  als  englische  Besonderheit  gelten  kann.  Eng- 
lische Geschichte  und  englische  Einrichtungen  stehen  ihm  bei  weitem 
höher  als  die  des  Altertums,  und  die  Engländer  erhöben  sich  infolge  ihrer 
Erziehung  und  ihres  Charakters  überall  über  die  Masse  derer,  mit  denen 
sie  sich  vermischten.  —  Auch  deshalb  ist  ihm  England  das  Land  seines 
Ideals,  weil  es  die  Segnungen  der  Freiheit  mit  denen  der  Ordnung  verbindet. 
Besonders  richtet  er  seinen  Hafs  gegen  die  Feinde  der  Freiheit,  einen 
Karl  T.  oder  einen  Lord  .Jeffreys;  hingebende  Begeisterung  aber  zeigt  er 
für  den  Freiheitskämpfer  Milton.  —  Das  beste  Mittel  gegen  den  Mifs- 
brauch  der  Freiheit  ist  ihm  die  Freiheit;  denn  wenn  die  Völker  auf  die 
Freiheit  warten  sollten,  bis  sie  in  der  Sklaverei  gut  und  weise  würden, 
so  könnten  sie  ewig  warten.  —  Den  Standpunkt  des  Whigs  und  des  Eng- 
länders vertritt  Macaulay  auch,  wenn  er  den  Hauptzweck  des  Staates  als 
einen  ausschliefslich  weltlichen  bezeichnet:  den  Schutz  des  Lebens  und 
des  Eigentums  der  Menschen,  wenn  er  ferner  jede  Einmischung  des  Staates 
in  Dinge,  die  darüber  hinausgehen,  für  höchst  verderblich  erklärt,  und 
wenn  er  im  Gegensatze  zu  den  Franzosen  allem  Systematischen  in  der 
Politik  abhold  ist.  Der  auf  das  Nützliche  und  Praktische  gerichtete  Sinn 
hatte  bei  ^Macaulay  seine  Wurzel  in  der  Anschauung,  dafs  die  Staatskunst 
eine  experimentelle  Wissenschaft  ist.  Dieser  Gedanke  gab  seinem  Urteile 
über  die  Männer  und  Einrichtungen  vergangener  Zeiten  eine  wohlthuende 
Milde,  und  er  erklärt  auch  den  Optimismus,  mit  dem  er  in  die  Zukunft  sah. 

Zu  seiner  Gelehrsamkeit  und  zu  seiner  praktischen  Erfahrung  kommt 
noch  ein  drittes:  seine  litterarisch  -  künstlerische  Gestaltungskraft.  Mit 
einiger  Abhängigkeit  von  Walter  Scott  wendet  Macaulay  häufig  die  Technik 


Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft  etc.  149 

des  Romanik  in  seiner  Geschichte  an.  Namentlich  zeigt  sich  die  Lebendig- 
keit seinor  Phantasie  in  den  Dotailschild  crun  gen;  diese  sah  er  für 
eine  wesentliche  Aufgabe  des  Historikers  an  und  verteidigte  sie  wirkungs- 
voll denen  gegenüber,  die  sie  für  unvereinbar  mit  der  Würde  der  Ge- 
schichte hielten.  Ebenso  meisterhaft  ist  sein  Geschick  in  der  Anordnung 
des  Stoffes,  und  vollendet  ist  auch  seine  Fähigkeit,  das  Charakteristische 
einer  Person  oder  einer  Epoche  hervorzuheben.  Allerdings,  verleitete  ihn 
dieses  Bestreben  zuweilen  zu  argen  und  geschmacklosen  Übertreibungen, 
namentlich  leidet  daran  die  Schilderung  der  Jugendzeit  Friedrichs  des 
Grolsen  und  seiner  Tafelrunde.  Doch  im  allgemeinen  zeigt  die  scharfe 
Zeichnung  von  Persönlichkeiten,  z.  B.  die  Charakterisierung  Karls  II.  oder 
Wilhelms  von  Oranien,  dafs  Macaulay  ein  herzenskundieer  Mann  war. 
Die  litterarische  Kritik  ist  indes  seine  schwache  Seite:  er  läfst  sich  nicht 
selten  von  vorgefafsten  Meinungren  bestimmen,  und  seine  Urteile  machen  oft 
den  Eindruck  einer  gewissen  Willkür.  —  AVcnn  aber  auch  dieser  Teil  der 
Lebensarbeit  Macaulays  vergessen  werden  sollte,  so  wird  doch  sein  Werk 
als  Ganzes  sicherlich  noch  lange  bestehen  l)Ieiben:  es  ist  das  Werk  eines 
Mannes,  der,  wie  selten  einer,  Wissen  und  Können   miteinander  verband. 

Herr  Förster  sprach  über  den  pessimistischen  Philosophen  Balta- 
sar  Gracian,  geboren  etwa  um  Uiü4  in  Aragonien,  gestorben  1H.")8  in 
Tarragona.  Sein  Schriftstellername  ist  Lorenzo  Gracian,  weil  er  als  Geist- 
licher nicht  weltliche  Schriften  verfassen  durfte.  Seine  Werke  sind  philo- 
sophisch-ästhetischen und  ethischen  Charakters,  wie  z.  B.  El  Heroe,  die 
Kunst,  sich  zum  Helden  heranzubilden,  über  Weltklugheit  u.  s.  w.  Be- 
sonders bekannt  ist  das  Ordculo  mamial  y  arte  de  prudencia,  von  seinem 
Freunde  Lastanoza  aus  seinen  M'erken  ausgezogen,  übersetzt  unter  dem 
willkürlichen  Titel  L'Homme  de  cour.  Goethe  hat  ihn  gekannt,  Schopen- 
hauer hat  ihn  verehrt,  ja  sogar  das  Handorakel  18:51 /:^.'2  übersetzt.  Neuer- 
dings hat  Borinski  ein  Buch  und  Farinelli  eine  gründliche  Abhandlung 
über  ihn  geschrieben.  Leider  wissen  wir  wenig  von  seinem  Leben  und 
den  Einflüssen,  die  auf  ihn  gewirkt  haben.  Sein  gröfster  Genufs  war  das 
Lesen  guter  Bücher;  eifrig  war  er  aber  auch  dem  Studium  der  Menschen 
und  der  Welt  selbst  ergeben.  Er  ist  ein  Stilist  ersten  Ranges,  wenn  auch 
nicht  immer  leicht  zu  verstehen.  Er  liebt,  wie  Martial,  die  Kürze  und 
ist  ein  Haupt  Vertreter  jenes  Stiles,  den  man  Conceptismo  nennt,  d.  h.  der 
Sucht,  in  möglichst  wenig  AVorten  möglichst  gedankenschwer  zu  sein. 
Sein  Pessimismus  ist  der  des  gesunden  Menschenverstandes,  des  nüchternen 
Beobachters,  weder  der  oberflächliche  als  Folge  eines  ungeregelten  Lebens, 
noch  der  tiefe  philosophische  eines  Schopenhauer;  er  bewahrt  sich  bei 
allem  Spotte  über  die  Thorheiten  der  Welt  ein  gut  Teil  Humor. 

Herr  Stromer  und  Herr  Wychgram  werden  in  die  Gesellschaft 
aufgenommen;  Herr  Dr.  Heinrich  Spies  hat  sich  zur  Aufnahme  ge- 
meldet. Das  Mitglied  der  Gesellschaft,  Herr  Uhland,  Lehrer  in  Man- 
chester, ist  gestorben ;  die  anwesenden  Mitglieder  ehren  sein  Andenken 
durch  Erheben  von  den  Sitzen. 

Sitzung  vom  8.  Januar  1901. 

Herr  Förster  beendete  seinen  Vortrag  über  Baltasar  Gracian.  Er  er- 
örterte dessen  schriftstellerische  und  namentlich  seine  philosophische  Bedeu- 
tung in  Verbindung  mit  seiner  Eigenschaft  als  Theolog  und  seiner  Stellung 
als  Geistlicher.  Gracian  ist  nicht  sentimental,  sondern  ein  Streiter,  dem  das 
ganze  Leben  des  Jfenschen  ein  Krieo;,  eine  'milicia'  gegenüber  der  'malicia' 
der  Menschen  ist.  Er  ist  insofern  Idealist;  in  betreff  aber  seiner  geschicht- 
lichen Auffassung  ist  er  Individualist  wie  Goethe,  W.  v.  Humboldt  u.  a. 
Endlich  ist  er  ein  praktischer  Lehrer,  der  die  Kunst  beibringen  will,  durch 
Bildung  und  Wissen  Gunst  und  Macht  zu  gewinnen  und  das  Leben  plan- 


150  Sitzungen  der  Berliner  (resellschaft 

voll  zu  gestalteu.  —  Zum  Schlüsse  verlas  der  Vortragende  eine  Reihe  von 
Proben  aus  dem  Handorakel. 

Herr  Mangold  sprach  über  Voltairiana  inedita,  die  er  in  den  Ber- 
liner Archiven,  meist  in  Abschriften,  gefunden  hat,  die  einzebien  Gedichte 
und  Briefe  teils  analysierend,  teils  vorlesend  und  kommentierend:  La 
douce  vengeance,  conte  en  vers  (120  Zeilen),  spätestens  aus  dem  Jahre  1718, 
Le  j)roces  du  fard,  piece  allegm-ique  (00  Zeilen),  eine  Chanson  von  8  Stro- 
phen zu  8  Zeilen,  beginnend :  Paris,  ville  poMe,  eine  Reihe  von  Epigrammen 
aus  der  Zeit  von  Voltaires  Aufenthalt  zu  Berlin  1743:  über  Belle-Isle, 
Baron  Pöllnitz,  D'Argens,  Chasot,  an  den  König,  die  Markgräfin  von 
Baireu th,  die  Herzogin  (Marie  Auguste)  von  Württemberg,  die  Königin- 
Mutter,  über  die  Aufführung  des  'Titus'  von  Hasse  und  über  den  Ab- 
schied von  Berlin ;  ferner  zwei  Gedichte  an  die  Prinzessin  Ulrike  und  eine 
Voltaire  zugeschriebene  anonyme  Satire  auf  Friedrich  den  Grofsen  vom 
Jahre  1760;  endlich  einen  eigenhändigen  Brief  an  die  Markgräfin  von 
Baireuth  vom  15.  Juli  1757,  der  bis  jetzt  nur  in  deutscher  Übersetzimg 
veröffentlicht  war,  einen  Brief  von  Thi^riot  an  den  Kronprinzen  Friedrich 
vom  II.  Mai  1739  über  Voltaires  Streit  mit  Desfontaines,  einen  Brief  des 
Königs  an  Voltaire  vom  April  1753  und  mehrere  Aktenstücke  betreffend 
Verhör  von  Zeugen  gegen  Voltaire,  die  erzählen,  wie  er  den  Buchdrucker 
des  Akakia  betrogen  hat,  um  den  unerlaubten  Druck  zu  bewerkstelligen. 
—  Das  Vorgetragene  wird  im  Laufe  des  Jahres  im  Verlage  von  Sarrazin  • 
erscheinen. 

Herr  Werner  sprach  über  Elbert  Hubbard,  Little  Jouj-neys  to  the 
Homes  of  English  Poets ;  Lord  Byron.  Das  sehr  hübsch  ausgestattete  kleine 
Buch,  das  in  leichtem  Zeitungsstile  geschrieben  ist,  ist  keine  litterarische 
Leistung  von  bleibendem  AVerte.  Der  amerikanische  Verfasser  kennt  zwar 
den  grofsen  englischen  Dichter  gründlich  und  ist  sein  begeisterter  Bewun- 
derer, aber  er  bringt  weder  eine  neue  Thatsache,  noch  läfst  er  etwas  Be- 
kanntes in  neuer  Beleuchtung  erscheinen.  Ganz  unverständlich  ist  der 
Titel;  von  einer  Reise  wird  kein  Wort  erwähnt. 

Herr  Dr.  Spics  wurde  in  die  Gesellschaft  aufgenommen.  Herr 
Privatdocent  Dr.  Berneker  und  Herr  Dr.  Schayer  haben  sich  zur 
Aufnahme  gemeldet.! 

Sitzung  vom  22.  Januar  1901. 

Herr  Dr.  Ransohoff  sprach  über  den  bon  sens  in  der  französischen 
Litteratur.  Der  Vortragende  will  jene  Geistesrichtung  charakterisieren, 
aus  der  Moli^re,  seine  Komödien,  seine  Lebensauffassung  zu  verstehen 
sind.  Es  ist  das  die  landläufig  populäre,  gallische  Sinnesart,  der  sens 
commun  oder,  wie  er  sich  nicht  ohne  Selbstgefälligkeit  auch  nennt,  der 
hon  sens.  Descartes  hatte  ihn  im  Discours  de  la  möthode  als  'facultas 
judicandi'  oder  schlechthin  als  die  'Vernunft'  definiert.  In  Wahrheit  aber 
ist  der  populäre  bon  sens  durchaus  verstandesmäfsiger  Natur:  er 
hält  sich  au  die  sinnenfäUige  Wirklichkeit,  an  die  Erfahrung  und  leitet 
aus  ihr  seine  Wahrnehmungen  ab.  Er  beschränkt  sich  auf  das  Praktisch- 
Nützliche  und  sucht  immer  eine  unmittelbare  Anwendung  auf  das  alltäg- 
liche Leben.  Aus  dieser  rationellen  und  realistischen  Betrachtung  des 
Daseins,  die  nichts  verschönert  und  nichts  erhöht,  entwickelt  sich  dann 
eine  kritische  Skepsis,  welche  alles  durchzieht.  Die  Auffassung  vom 
Werte  der  menschlichen  Erkenntnis  und  Fähigkeit  und  ebenso  die  Mei- 
nung vom  Werte  unseres  moralischen  Seins  und  Sollens  lassen  beide 
diesen  abschätzigen  Zug  erkennen.  Der  Gallier  steht  allem  Menschen  werk 
zweiflerisch  gegenüber.  Aber  auf  der  anderen  Seite  führt  seine  sinnliche 
Beanlagung  ihn  wieder  zu  heiterem  Sinnen-  und  Lebensgenüsse.  Er  geht 
vertrauensvoll  in  den  Tag  hinein;  er  huldigt  einem  Eudämouismus, 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  \h\ 

der  sich  als«  'Glaube  au  die  Natur'  darstellt.  So  weit  die  Zone  des 
gallischen  bon  se}}s  reicht,  macht  sich  auch  dieser  'Naturalismus'  ])emerk- 
l»ar,  diese  heitere  Zuversicht,  mit  der  mau  sich  vom  Schicl<sal  treiben 
und  leiten  läfst.  Also  einnijd  skeptisch  und  eiumal  optimistisch  —  das 
siud  die  widersprechenden  Aulserungeu,  iu  denen  sich  der  bo7i  sens  be- 
wegt. Die  Einneit  des  Widerspruchs  liegt  in  einer  ironischen  Welt- 
aufnahme, die  das  Leben  nicht  tragisch,  sondern  leicht  und  hoffnungsvoll 
nimmt  und  doch  im  einzelnen  sich  seiner  Mängel  bewufst  bleibt.  Man 
betrachtet  die  Welt  mit  launigem  Gleichmut,  wie  eine  Komödie,  in  der  es 
gar  mancherlei  Verwickelungen  giebt  und  doch  am  Schlüsse  sich  alles 
zum  guten  wendet.  Zu  Trauer  und  Klagen,  zu  pathetischer  Entrüstung 
ist  kein  Anlai's;  es  genügt,  wenn  man  die  Thorheiten  oder  Schwächen  der 
Menschen  aufgedeckt  und  blol'sgestellt  hat.  In  dieser  satirischen  Kritik, 
die  zugleich  satirische  Belustigung  ist,  findet  der  bo9i  sens  seinen  eigent- 
lichen, seinen  höchsten  Abschlufs.    In  diesem  Sinne  hat  Rabelais  gesagt: 

Mieulx  est  de  ris  que  de  larmes  escripre, 
Pour  cc  que  rire  est  le  propre  de  riiomme. 

Herr  Schultz-Gora  wie»  daraufhin,  dafs  auch  die  nachfolgenden  Jahr- 
hunderte in  den  Kreis  der  Betrachtungen  gezogen  werden  könnten  und 
mülsten ;  auch  schiene  ihm  bei  Montaigne  die  antike  Denkweise  zu  wenig 
hervorgehoben  zu  sein.  Herr  Münch  findet  viel  Anregendes  in  dem 
Vortnige,  der  die  ame  franraise  als  solche  gar  nicht  habe  schildern  wollen. 
Herr  Ransohoff  wiederholt,  dafs  er  sich  mit  Absicht  nur  auf  die  Zeit 
Molieres  beschränkt  habe  und  nur  den  einheitlichen,  nationalen  Zug  bei 
den  damaligen  Dichtern  habe  konstatieren  wollen;  er  verkenne  das  Vor- 
handensein der  antiken  Elemente  natürlich  nicht.  Herr  Tob  1er  erinnerte 
an  das  Vorhandensein  des  bo>i  sens  sehon  bei  Jean  de  Meung. 

Herr  Tobler  berichtete  sodann  kurz  über  die  zum  Erlals  des  fran- 
zösischen Unterrichtsministeriums  vom  :'.l.  Juli  1900  erschienenen  Schriften, 
um  dadurch  eine  Besprechung  über  die  Stellungnahme  deutscher  Schulen 
zu  diesem  Erlafs  einzuleiten.  Die  amtliche  Verordnung  ist  mit  dem  Aus- 
schufsbericht  von  Ciairin  abgedruckt  von  Faul  Schumann;  jedoch  ent- 
hält das  Büchlein  viele  Druckfehler,  und  die  Anmerkungen  sind  wenig 
inhaltsvoll.  Die  Schrift  des  Schweden  Rodhe  ist  die  empfehlenswerteste. 
Brunetiere  spreche  in  der  Revue  des  Deux  Mondes  mit  grofser  Gereizt- 
heit von  dem  Arrete,  aber  meist  von  Dingen,  die  gar  nicht  darin  vor- 
kommen. Er  hat  aber  recht,  wenn  er  die  Begründung  des  Ministers,  der 
Erlals  solle  den  Fremden  die  Erlernung  der  französischen  Sprache  er- 
leichtern, angreift;  er  hat  ferner  recht,  wenn  er  sagt,  das  Erlernen  man- 
cher feinen  T^nterscheidungen  sei  lehrreich  und  den  Verstand  schärfend, 
Änderungen  in  der  Syntax  und  im  Wortschatz  könnten  nicht  durch  Ge- 
waltakte vorgenommen  werden,  und  die  historische  Schr(>ibung  sei  der 
phonetischen  vorzuziehen.  Auch  Clödat-IiVon  zieht  vielfach  andere 
Dinge  in  den  Kreis  seiner  Betrachtungen  und  empfiehlt  seine  eigene 
Orthographie,  die  in  der  That  viele  rein  willkürliche  Vorschriften  ausmerzt. 
Hartm  ann -Leipzig  endlich  wirft  in  den  'Neueren  Sprachen'  die  Frage 
auf,  wie  sich  die  deutschen  Schulen  zu  der  Frage  der  Reform  zu  stellen 
hätten.  Er  meint,  man  müsse  den  Erlafs  als  Ganzes  nehmen  und  mit  An- 
fang des  neuen  Semesters  ihm  folgen,  um  nicht  französischer  zu  sein  als 
die  Franzosen,  die  nun  viele  Dinge  duldeten,  die  wir  nneh  als  Fehler 
anrechneten. 

Her  Münch  riet,  die  Erörterung  zu  vertagen,  da  ein  Kompromifs 
zwischen  der  Acadömie  und  dem  IMinister  zu  erwarten  sei,  und  da  der 
Minister  in  einigen  Punkten  wahrscheinlich  seine  Fassung  zurücknehmen 
werde.  Auch  Herr  Kuttner  sprach  sich  in  ähnlichem  Sinne  aus.  Die 
weitere  Besprechung  wurde  demgemäfs  vertagt. 


152  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

Sitzung  vom  12.  Febmar  1901. 

Zunächst  findet  eine  Fortsetzung  der  Besprechung  über  die  Stellung- 
nahme gegenüber  dem  Erlafs  des  französischen  Unterrichtsministeriums 
statt.  Herr  Tob  1er  teilt  mit,  dafs  die  Academie  eine  Kommission  ein- 
gesetzt habe,  um  den  Erlafs  zu  prüfen.  Sie  bestand  aus  dem  Bureau  der 
Academie  (Henry  Houssaye,  Gaston  Boissier  und  Hervieu),  der  Kom- 
mission des  Dictionnaire  (Gaston  Paris,  Möziferes,  Greard,  Bruuetifere  und 
Fran^ois  Copp^e),  sowie  aus  vier  besonders  gewählten  Mitgliedern  (Vicomte 
de  Vogü^,  Jules  Lemaitre,  de  Heredia  und  Hanoteaux).  In  ihrem  Be- 
richt hebt  die  Kommission  hervor,  dafs  sie  durchaus  einverstanden  sei, 
wenn  gewisse  Spitzfindigkeiten  in  den  Prüfungen  aufhören,  dafs  aber  die 
Eeinheit  und  Festigkeit  der  Sprache  nicht  leiden  dürfe.  Mit  verschiedenen 
Punkten  des  Erlasses  ist  sie  deshalb  nicht  einverstanden.  Herr  Tobler 
erörtert  einige  von  ihnen,  wie  die  Veränderlichkeit  des  absolut  gebrauchten 
temoin  (=  testimonium)  in  prendre  ä  temoin,  die  Veränderlichkeit  des 
nachgestellten  Adjektivs,  das  sich  auf  zwei  Substantive  verschiedenen  Ge- 
schlechts bezieht,  die  Veränderlichkeit  von  tout  vor  Adjektiven,  das  Ge- 
schlecht von  ceuvre  u.  a.  m.  Mit  Entschiedenheit  hält  die  Kommission 
an  der  Veränderlichkeit  des  part.  passö  fest,  und  zwar  mit  Kücksicht 
darauf,  dafs  die  bisherige  Dichtung  sonst  veralten  würde.  Nur  wenn  ein 
Infinitiv,  ein  part.  präsent  oder  ein  part.  passö  auf  das  part.  passe  folgt,- 
soll  die  Kongruenz  dieses  ersten  part.  passe  unter  allen  Umständen  auf- 
hören (je  les  ai  entendu  chanter,  je  les  ai  trouve  erranis).  Die  Academie 
hat  die  Beschlüsse  ihrer  Kommission  einstimmig  angenommen,  ebenso  der 
Conseil  supörieur,  so  dafs  diese  Anderungsvorschläge  wohl  Geltung  er- 
langen werden.  Man  mufs  nun  jedenfalls  abwarten,  was  der  Minister 
thut,  und  wie  sich  die  Druckereien  zu  der  Frage  stellen  werden. 

Herr  Brandl  spricht  über  den  gegenwärtigen  Stand  der  Beowulf- 
Forschung.  Er  geht  lediglich  von  der  Überlieferung  aus  und  berichtet 
zunächst  über  die  grammatischen  und  metrischen  Verhältnisse,  die  Sievers 
dargestellt  hat  und  die  das  Denkmal  als  Ganzes  in  früh-anglische  Um- 
gebung verweisen,  eher  in  mercische  als  in  nordhumbrische.  Auch  unter- 
sucht er  die  Schreibweise  in  der  erhaltenen  Handschi'ift,  konstatiert  das 
Fehleu  nordhumbrischer  Spuren  und  das  Vorhandensein  mercischer  bei 
beiden  Schreibern,  berichtet  auch  nach  ten  Brink  über  die  kentischen 
Eigentümlichkeiten  des  zweiten  Schreibers  und  kritisiert  Möllers  Versuch, 
eine  Partie  mit  o  (aus  a)  vor  Nasalis  herauszuschälen :  darin  brauche  man 
nur  die  Spur  eines  früheren  separatistischen  Schreibers  zu  sehen.  Lichten- 
felds  Kriterium  vom  Fehlen  des  bestimmten  Artikels  vor  schwachem  Ad- 
jektiv -\-  Subst.  dehnt  er  auf  den  Guthlac  aus,  dessen  erster  Teil  (1 — 790) 
noch  aus  der  Mitte  des  8.  Jahrhunderts  stammen  mufs,  weil  der  Ver- 
fasser von  den  714  verstorbenen  Heiligen  noch  durch  Augenzeugen  wufste; 
dabei  ergiebt  sich,  dals  Beowulf  beträchtlich  älter  sein  mufs,  und  das  be- 
stätigen auch  einige  metrische  Eigentümlichkeiten.  Als  Entstehungszeit 
des  Beowulfs  ergiebt  sieht  danach  mit  mechanischer  Unbefangenheit  das 
7.  Jahrhundert.  —  Übergehend  zur  Namenforschung  führt  dann  der  Vor- 
tragende aus,  dafs  Orts-  und  Personennamen  sagenhafter  Herkunft  nicht 
ohne  weiteres  für  das  Nachleben  der  Sage  zeugen,  sondern  nur,  wenn  sie 
in  einer  zur  Sage  stimmenden  Relation  auftreten.  Er  empfiehlt  speciell 
bei  Flurnamen  die  Besiedelungszeit  der  Gegend,  wo  sie  vorkommen,  mit  in 
Betracht  zu  ziehen;  indem  er  die  Untersuchung  von  Binz  (P.  B.  Beitr.  XX) 
vollauf  würdigt,  bringt  er  aus  Allen,  Petrie  und  Searle  mancherlei  Nach- 
träge. Ferner  scheidet  er  zwischen  Beowulf-Naraen  der  Mythe  und  der 
Heldensage  einerseits,  der  Geschichte  andererseits;  jene  betreffen  Gestalten, 
die  über  das  Menschenmafs  irgendwie  hinausreichen,  diese  finden  in  der 
skandinavischen  Geschichte  ihre  Parallelen;  jene  sind  in  England  meist 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  158 

crut  bekannt  und  verbreitet,  diese  stehen  meist  nur  in  den  Versen  des 
Beowulf  und  des  Widsith.  Da(s  jene  mit  den  einwandernden  flermanen 
nach  England  kamen,  unterliegt  keinem  Zweifel;  bei  diesen  würde  man 
gern  an  späteres  Lernen  von  den  Dänen  denken,  wenn  ein  Verkehr  zwi- 
schen England  und  den  Dänen  vor  der  Wikingerzeit  nicht  durch  die 
historischen  Zeugnisse  so  scharf  ausgeschlossen  wäre  (vgl.  Sachsenchronik 
zu  787).  Es  ist  daher  wohl  anzunehmen,  dals  sich  die  historischen  Er- 
innerungen in  anderer  Weise  bewahrt  haben,  vielleicht  in  den  Kreisen 
eines  Königshofes,  wo  sie  dann  der  Beowidf- Dichter  erfahren  konnte.  (Fort- 
setzung folgt.) 

Herr  Dr.  Max  Born  hat  sich  zum  Eintritt  in  die  Gesellschaft  ge- 
meldet. 

Sitzung  vom  26.  Februai-  1901. 

Herr  Brandl  setzt  seinen  Vortrag  über  den  gegenwärtigen  Stand 
der  Beowulf-Kritik  fort.  Die  Namenforschung  ergiebt  folgende  Resul- 
tate: 1)  In  vielen  wesentlichen  Punkten  decken  sich  Epos  und  Namen- 
tradition: deshalb  ist  es  unniVtig,  das  Beowulf-Epos  als  ein  in  England 
fremdes,  in  Dänemark  entstandenes,  blol's  übersetztes  Gedicht  anzusehen, 
wie  Sarrazin  es  thut ;  es  zeigt  einen  autochthonon  Charakter,  und  der  Stoff 
dazu  ist  vom  Kontinent  bei  der  Einwanderung  mit  herübergebracht. 
2)  Am  besten  blieb  der  Stoff  erhalten  in  der  Erinnerung  der  Angeln,  und 
zwar  im  mercischen  Königshause.  Die  Namenforschung  bestätigt  hiemit, 
was  auch  die  Sprache  lehrte.  :'>)  Das  Epos  weifs  manchmal  mehr  als  die 
Namentradition.  Das  deutet  auf  eine  metrische  Quelle  hin,  denn  durch 
metrische  Überlieferung  kann  sich  eine  Geschichte  besser  halten,  als  wenn 
sie  nur  an  den  Namen  geknüpft  ist.  Nun  werden  aber  manchmal  im  Beo- 
wulf Namen  nur  aufgezählt,  ohne  dafs  der  Autor  noch  etwas  von  ihnen 
weifs;  das  macht  den  Eindruck,  als  wenn  dem  Dichter  zugleich  Königslisten 
vorgelegen  hätten.  4)  Im  Beowulf  zeigen  sich  nur  noch  menschliche 
Wesen,  neben  teuflischen  Gestalten,  keine  Götter  oder  deutliche  Natur- 
symbole. Das  ist  dem  Einflufs  des  Christentums  zuzuschreiben,  das  sich 
zwischen  (!00  und  7i)ü  iu  die  englische  Denkweise  schob;  Müllonhoff  hat 
Grendel  für  die  Nordsee,  Mogk  für  einen  Walfisch,  Laistner  für  einen 
Nebel  erklärt;  Breca  gilt  bei  Müllenhoff  für  den  Sturm,  bei  Möller  für 
den  Golfstrom,  bei  Sarrazin  für  die  untergehende  Sonne,  bei  Heinzel  nur 
für  einen  berühmten  Schwimmer.  Daraus  ersieht  man,  wie  wenig  es  mög- 
lich ist,  den  alten  mythischen  Kern  noch  herauszuschälen.  An  dieser 
Vermenschlichung  kann  nur  das  Christentum  schuld  sein.  —  Was  das 
Geschichtliche  betrifft,  so  hat  Müllenhoff  gewöhnlich  das  Richtige 
getroffen.  Dafs  nichts  Englisches  im  Beowulf  sich  findet,  ist  nicht  ver- 
wunderlich, wenn  man  den  Begriff  der  Heldensage  im  Gegensatz  zu  dem 
der  historischen  Dichtung  erfafst;  die  Heldensage  wandert  beliebig,  da 
ihr  romantischer  Charakter  überall  anzieht,  das  Geschichtslied  nur  ist 
bodenständig,  weil  es  patriotischen  Charakter  trägt.  Das  Beowulf-Lied 
pafst  ferner  in  die  Zeit,  wo  das  Heidentum  —  aber  nicht  das  dänische, 
das  erst  im  9.  Jahrhundert  herüberkommt,  sondern  das  englische  —  nach- 
klingt und  das  Christentum  anfängt.  Das  Heidnischste  im  Beowulf  ist 
die  Bestattung  des  Helden  durch  Feuer:  sie  wird  noch  in  Konzil - 
beschlüssen  des  8.  Jahrhunderts  mit  der  Todesstrafe  geahndet.  Die  (i8  Stellen 
im  Beowulf,  die  nach  Blackburne  als  christlich  anzusprechen  sind  und  die 
sich  ziemlich  gleichmälsig  ül)er  das  ganze  Buch  zerstreut  finden,  zeigen  ein 
vages  Christentum,  wie  es  in  der  ersten  Zeit  nach  der  Bekehrung  des  mer- 
cischen Landes  (655)  auch  nicht  anders  sein  konnte.  —  Was  die  Sagen- 
vergleichung  betrifft,  so  haben  wir  zunächst  die  isländische  Gretir- 
sage,  die  vier  Motive  mit  Beowulf  gemeinsam  hat:  1)  Gretir  wird  in  der 
Jugend  als  faul  gescholten;  2)  er  zeigt  seine  Kraft  beim  Durchwaten  eines 


154  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

reilsendeii  Flusses;  B)  er  ringt  mit  einem  Riesenweibe,  dem  er  mit  einem 
Messer  den  Arm  abtrennt;  4)  er  folgt  diesem  Weibe  in  eine  Höhle  unter 
einem  Wasserfall  und  findet  dort  einen  Riesen,  der  mit  einem  Messer  auf 
ihn  losgeht.  Hier  ist  vieles  besser  am  Platze  und  erklärt;  dafs  Grctir 
zuerst  eine  Riesin  und  dann  erst  einen  Riesen  findet  (nicht  umgekehrt,  wie 
im  Beownlf),  ist  eine  künstlerische  Steigerung;  dals  er  unter  dem  Wasser- 
fall kämpft,  ist  begreiflicher,  als  dafs  er  unter  einem  See  am  Leben  bleibt 
wie  im  Beowulf.  Es  ist  nicht  anzunehmen,  dafs  Gretir  aus  Beowulf 
stammt.  Andererseits  ist  es  auch  ausgeschlossen,  dafs  Beowulf  aus  Gretir 
stamme,  denn  letzterer  ist  viel  später  entstanden.  Sie  werden  also  wohl 
beide  auf  eine  gemeinsame  Quelle  zurückgehen.  —  Auch  in  den  Sagen 
von  Ormr  Storolfson,  Hrolf  Kraki,  Frotho  III  und  vom  Schrätel  kämpft 
der  Held  gegen  zwei  Dämonen;  der  Kampf  Beowulfs  gegen  die  Grendel- 
mutter kann  daher  schon  in  der  Sage  vorhanden  gewesen  sein  und  brauchte 
nicht  erst  von  einem  Nachahmer  beigefügt  zu  werden.  Dagegen  ist  die 
Geschichte  mit  dem  Drachen  später  zugesetzt;  denn  der  erste  Teil 
(1 — 7199)  ist  zu  Anfang  und  Ende  für  sich  abgerundet  und  setzt  den 
zweiten  nirgends  voraus,  wohl  aber  der  zweite  Teil  den  ersten.  —  Wenn 
man  die  englischen  Nachahmungen  des  Beowulf  in  England  prüft, 
so  darf  man  nicht  an  einzelne  Übereinstimmungen  sich  halten,  sondern  nur 
an  das  Zusammentreffen  mehrerer  Stellen.  Solche  begegnen  in  Exodus, 
Fata  apostolorum,  Andreas,  Judith,  Byrthnoth.  Das  Beowulf-Lied  mufs- 
also  zu  Anfang  der  altenglischen  Dichtung  eine  centrale  Stellung  einge- 
nommen haben.     (Schlufs  folgt.) 

Herr  Tob  1er  gab  mit  Bezug  auf  den  Gebrauch  von  devoir  im  Alt- 
französischen einige  Nachträge  zu  der  verdienstlichen  Dissertation  von 
E.  Weber  (Berlin  1879).  Er  verweilte  insbesondere  bei  den  Fällen,  wo 
jenes  Verbum  den  Infinitiv  eines  der  Verba  nach  sich  hat,  die  die  regel- 
niäfsig  eintretenden  Naturvorgänge  bezeichnen  (quant  il  dut  ajorner  u.  dgl.). 
Er  zeigte,  dafs  nicht,  wie  man  denken  könnte,  die  Vorstellung  der  Regel - 
mäfsigkeit  das  ist,  was  hier  den  Gebrauch  von  devoir  herbeiführt,  dafs 
auch  nicht  das  Bevorstehen  des  Vorganges  dadurch  ausgesagt  wird, 
dafs  vielmehr  von  einem  Sollen  deswegen  gesprochen  wird,  weil  die  An- 
schauung des  derartige  Ausdrucksweise  schaffenden  Volkes  hinter  jenen 
Vorgängen  eine  bald  mehr,  bald  minder  bestimmt  gedachte,  treibende 
Macht  voraussetzt,  durch  die  das  Naturereignis  zu  etwas  Geseiltem  wird, 
wie  denn  auch  viel  häufiger  als  heutzutage  in  solchen  Fällen  ausdrück- 
lich Gott  als  Urheber  genannt  wird.  (S.  jetzt  auch  Sitzungsberichte  der 
Berliner  Akad.  d.  Wissensch.  1901,  S.  236  ff.) 

Herr  Dr.  Max  Born  wird  in  die  Gesellschaft  aufgenommen.  Herr 
Dr.  Michael  hat  sich  zur  Aufnahme  gemeldet. 

Sitzung  vom  12.  März  1901. 

Herr  B ran  dl  setzt  seinen  Vortrag  über  den  gegenwärtigen  Stand 
der  Beowulf-Studien  fort.  Auf  die  stilistischen  Verhältnisse  übergehend, 
wendet  er  sich  gegen  ältere  Versuche,  aus  unmoderner  Kompositionsweise, 
Wiederholungen  u.  dgl.  gleich  auf  Verschiedenheit  des  Autors  zu  schlie- 
fsen.  Schon  Heinzel  hat  dagegen  Front  gemacht  und  gezeigt,  dafs  z.  B. 
das  Vorgreifen  und  Nachholen  von  Thatsachen  auch  bei  den  ags.  christ- 
lichen Dichtern  durchaus  üblich  war.  Vortragender  erläutert  dies  durch  ein 
längeres  Beispiel  im  Exodus.  Müllenhoff  selbst  hatte  schon  gezeigt,  dafs 
die  älteste  germ.  Dichtung  aus  Chorliedern  bestand ;  aus  diesem  hym- 
nischen Urs})rung  läfst  sich  die  Kompositionsweise  der  Beowulf-Einleitung 
zwanglos  erklären.  Aus  der  Wahl  der  Synonyma  verschiedene  Dichter- 
individualitätpi)  im  Beowulf  herauszuschälen,  wie  ten  Brink  versucht  hat, 
ist  nicht  angängig.    Auch  die  Komposita  sind  im  wesentlichen  gleichförmig 


für  »las  Stiidiiun  der  iipuoron  S]irarhpii.  155 

behandelt;  zwar  fehlen  sie  au  christlich-dogmatischen  Stellen;  man  könnte 
daher  ineinen,  dafs  diese  vielleicht  eingeschoben  seien;  aber  in  der  Elcno 
ist  dasselbe  der  Fall.  Ebenso  zeigen  betreffs  der  Wiederholungen  die 
christlichen  Epen,  in  denen  von  einer  Mehrheit  der  Autoren  keine  Rede 
ist,  denselben  Bestand  wie  der  Bcowulf.  Bei  den  Widersprüchen  sind 
verschiedene  Arten  zu  sondern.  Überspringen  und  Vergessen  von  Einzel- 
heiten kommt  auch  bei  Kunstdichtern,  wie  Shakespeare,  Defoe,  Schiller, 
vor.  Abschweifungen  vom  Zweck  sind  schon  bedenklicher,  aber  immer 
noch  zu  erklären.  Zweimal  aber  ist  die  ganze  Situation,  wie  sie  geschi  dert 
wird,  unmöglich,  nämlich  v.  !t20  ff.,  wo  zuerst  Hröjjgar  mit  meiner  Frau 
zweimal  eintritt,  und  v.  1202 — 1-1,  wo  Beowulf  einen  Ring  von  Hröbgär 
em])fängt,  der  dem  erschlagenen  Hygelac  abgenommen  wurde;  nachher 
gieot  aber  Beowulf  denselben  Ring  an  Hygelac.  Hier  liegen  entweder 
Einschiebungen  vor,  oder  vielleicht  eher  ein  Nachleben  von  alten  Parallel- 
fassungen. 

Der  V^ortrageude  kommt  zu  dem  Ergebnis,  dafs,  abgesehen  von  diesen 
wenigen  Stellen,  Sprache,  Vers  und  Stil  im  Beowulf  Gleichförmigkeit 
zeigen,  dafs  zwar  nicht  in  der  Sage,  aber  im  Epos  alles  ganz  gut  durch 
einen  Dichter  zü  zwei  Zeitpunkten  entstanden  sein  kann.  Alte  Lieder 
gingen  gewifs  vorher,  aber  es  ist  unmöglich,  sie  noch  herauszuschälen, 
um  so  mehr,  als  die  alten  Sagen  sicher  nicht  blofs  in  Vorsform,  sondern 
auch  in  der  Prosaform  des  Märchens  vorhanden  sein  konnten.  Dafs  der 
Dichter  des  Beowulf  über  die  Rhapsodie  hinauskam  zu  einem  grofsen 
Epos,  dazu  befähigte  ihn  vielleicht  seine  Bekanntschaft  mit  der  Bibel,  dem 
christlichen  Epos,  dessen  Einfluls  er  in  der  Stoffwahl  und  in  der  Cha- 
rakterführuug  des  Holden  verrät. 

Herr  Roediger  stimmt  der  Ansicht  des  Vortragenden  über  voreilige 
Annahme  von  Interpolationen  auch  in  Bezug  auf  rein  germanische  Epen 
zu.  Der  Vergleich  mit  Christus  ist  ihm  sympathisch,  doch  rät  er,  die 
Frage  recht  vorsichtig  zu  prüfen.  —  Herr  Toi)  1er  führt  einige  Beispiele 
von  Wiederholungen  aus  dem  Alexius-Liede  an,  wo  jede  Interpolation 
ausgeschlossen  ist.  Auch  bei  Ariosto,  im  Don  Quixote,  bei  Balzac  sind 
zahlreiche  Widersprüche  zu  finden. 

Herr  Tob  Irr  fuhr  fort  mit  Mitteilungen  aus  einer  neuen  Reihe 'Ver- 
mischter Beiträge'.  Er  sprach  zunächst  von  dem,  was  man  unzutreffend 
Ersatz  der  Konjunktionen  lorsqKc,  puisqiic,  quoiqiic  durch  blofses  que  in 
koordinierten  Sätzen  genannt  hat,  dann  von  der  schon  im  Altfranzösischeu 
begegnenden  Verwendung  des  que  im  Nebensatze,  der  zu  einem  nnt  qvand, 
comme  eingeleiteten  koordiniert  ist,  und  von  den  Bedingungen,  unter 
denen  einerseits  die  volle  Wiederholung  der  Konjunktion  des  ersten  Neben- 
satzes, andererseits  die  Anwendung  von  qiie  im  zweiten  das  Richtige  ist. 
Entsprechendes  war  über  das  Verhältnis  von  si  ...  et  si  zu  si  ...  et  qtic 
zu  sagen,  nur  dafs  man  hier  viel  häufiger  auch  bei  sorgfältigen  Schrift- 
stellern auf  Abweichungen  von  dem  streng  genommen  Richtigen  stöfst. 
Der  Vortragende  verweilte  schliefslich  bei  der  eigentlichen  Natur  des  mit 
que  eingeleiteten  Nebensatzes  von  kondicionalem  Sinne,  bei  dem  bedauerns- 
werten Gebrauche  des  Präsens  des  Konjunktivs  in  Fällen,  wo  das  (kin- 
discherweise) gescheute  Imperfectuni  dieses  Modus  erfordert  ist,  und  bei 
den  im  Altfranzösischen  im  Falle  der  Koordination  von  Bedingungssätzen 
üblichen  Ausdrucksweisen.  (Die  ganze  Auseinandersetzung  ist  jetzt  in  den 
Sitzungsberichten  der  Akad.  d.  Wissensch.  liHi]   S.  240  ff.  gedruckt.) 

Herr  Dr.  Michael  wird  in  die  Gesellschaft  aufgenommen. 


'CJ^ 


Sitzung  vom  26.  März  1901. 

Herr  Cornicelius   sprach   über  VI  rieh  Heg  n  er,   hinweisend    auf 
die  unlängst  von  Dr.  Hedwig  Waser  herausgegebene  Monographie:  Ulrich 


156  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

Hegner,  ein  Schweizer  Kultur-  und  Charakterbild  (Halle,  Niemeyer,  1901). 
Hegners  Gesammelte  Schriften  (5  Bände)  sind  1828 — 30  in  Berlin  bei 
G.  Reimer  erschienen;  zu  ihnen  hinzuzunehmen  sind  noch:  das  Buch 
über  Holbein  d.  J.,  18'J7  ebenfalls  bei  Reimer  herausgekommen,  und  die 
'Beiträge  zur  näheren  Kenntnis  und  wahren  Darstellung  .1.  K.  Lavaters', 
Leipzig  1836.  Auf  dieses  Lavaterbuch  und  handschriftliche  Aufzeich- 
nungen Hegners  gründet  sich  H.  Wasers  1804  in  Zürich  fbei  Albert  Müller j 
erschienene  wertvolle  kleine  Schrift  über  Lavater;  und  auch  ihr  neues 
Buch  hat  sie  vor  allem  einem  langjährigen  Studium  des  gesamten,  der 
Stadtbibliothek  zu  Winterthur  gehörigen  Hegnerschen  Nachlasses  (Tage- 
bücher, autobiographische  Aufzeichnungen,  Briefe,  Originalmanuskripte") 
abgewonnen.  Litterarhistorisch  fafst  H.  Waser  Hegner  insgesamt,  und 
neben  Hegner  Martin  Usteri  und  David  Hefs,  mit  Recht  als  Vorgänger 
Gottfried  Kellers;  die  vergleichenden  Hinweise  im  einzelnen  sind  nicht 
immer  treffend.  Das  Gemeinsame  bei  Hegner  und  Keller  zeigt  sich  be- 
sonders auf  dem  Gebiete  dessen,  was  Keller  einmal  mit  Bezug  auf  seinen 
Grünen  Heinrich  'das  specifische  Geplauder  und  Geschwätz  des  Buches' 
nennt  (Baechtold  2,  106).  Im  übrigen  wird  Hegners  geistige  Entwicklung 
und  litterarische  Arbeit  innerhalb  der  sehr  genauen  äufseren  Biographie 
und  der  Darstellung  der  Zeitgeschichte  von  H.  Waser  eingehend  gewürdigt. 
Nach  einem  Überblick  über  Hegners  Leben  bis  1815  analysierte  der  Vor- 
tragende von  den  bis  zu  diesem  Jahre  erschienenen  Schriften  (Salys  Revo-' 
lutionstage;  Auch  ich  war  in  Paris;  Die  Molkenkur,  1.  und  '?.  Teil)  den 
Saly  und  eingehender  noch  die  Beschreibung  der  Pariser  Reise.  Sie  ist 
das  Lebendigste  unter  allem,  was  Hegner  geschrieben,  wie  der  Saly  seine 
feinste  Arbeit  ist  und  die  Molkenkur  am  behaglichsten  den  Grundzug 
einer  zufrieden  resignierten  Lebensauffassung  zeigt.  Dann  wurde  nur  noch 
die  Sammlung  der  'Gedanken,  Meynungen,  Urtheile'  (im  5.  Bande  der  Ges. 
Werke)  näher  betrachtet,  deren  Bedeutung  von  H.  Waser  nicht  gebührend 
hervorgehoben  ist,  im  übrigen  auf  die  Darstellung  des  Buches  verwiesen. 
Besonders  willkommen  sind  die  neuen  Angaben  über  Hegners  Verhältnis 
zu  Goethe.  Direkter  fremder  Einflufs  (Sternes)  auf  Hegnersche  Schriften 
wird  von  der  Verfasserin  bisweilen  angenommen,  aber  nicht  nachgewiesen. 
Hegner  ist  kein  grofser  Schriftsteller,  gerade  eine  schlichte  Selbständigkeit 
aber  zeichnet  seine  Sprache  und  Darstellung  aus.  —  Herr  Herzfeld 
macht  darauf  aufmerksam,  dafs  Hegner,  ebenso  wie  Gefsner,  Keller, 
Usteri,  auch  als  Maler  thätig  gewesen  sei. 

Herr  Lamprecht  zeigte  den  Roman  der  Brüder  Margueritte,  Les 
tron^ons  dn  glaive,  die  Fortsetzung  von  Le  desastre  Tvgl.  Archiv  C,  372), 
an.  Er  behandelt  den  Krieg  gegen  die  französische  Republik  1870/71. 
Der  Bergwerksbaumeister  Rdal  in  Charmont  bei  Amboise  hat  drei  Söhne, 
von  denen  der  älteste,  Eugene,  der  Held  des  Romans,  als  Leutnant,  der 
zweite  als  Telegraphenbeamter  in  die  Loire-Armee,  der  dritte  als  Soldat 
in  das  Bataillon  ihres  Onkels  eintritt  und  später  zur  Ostarmee  unter 
Bourbaki  kommt.  Ein  Vetter  und  ein  Neffe  des  Vaters  sind  in  Paris; 
jener  fällt  beim  Ausfall  auf  le  Bourget  in  die  Hände  der  Preufsen  und 
berichtet  über  die  Ereignisse  im  deutschen  Hauptquartier  zu  Versailles; 
dieser  schildert  das  Leben  und  Treiben  in  der  Hauptstadt  und  die  übrigen 
Ausfälle.  Ein  Bruder  ist  Arzt  oben  im  Norden  bei  dem  Heere  von  Faid- 
herbe,  und  der  Schwager  verläfst,  als  die  Deutschen  nahen,  Tours  und 
begiebt  sich  nach  Bordeaux.  Im  Schlosse  Charmont  bleiben  nur  die 
Grofseltern,  die  Frau,  die  kleinen  Töchter  und  die  soeben  verheiratete 
Schwiegertochter  zurück.  So  erhalten  wir  ausgezeichnete,  anschauliche, 
auf  Quellenstudien  und  mündlichen  Berichten  beruhende  Schilderungen 
von  allen  drei  Kriegsschauplätzen,  von  der  Hauptstadt  und  der  National- 
versammlung. Die  Charaktere  der  staatlichen  und  militärischen  Leiter, 
des  Haupthelden  Eugöne  R6al  sind  treffend  gezeichnet,  ebenso  Situationen 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  157 

und  Stimmungen  gut  besclirieben.  Der  Komau  beginnt  mit  der  Hochzeit 
von  Eugfeue  Kt-al  im  Oktober  187u  und  schliefst  mit  seinem  Tode  im 
März  1S71;  in  den  letzten  Kämpfen  westlich  Le  Maus  hatte  auch  ihn  noch 
eine  deutsche  Kugel  getroffen.  Zu  rühmen  sind  die  gesunden  sittlichen 
Verhältnisse,  in  denen  sich  die  Ereignisse  abspielen;  wie  in  Le  desastre, 
so  halten  auch  in  Les  tron^ns  die  Verfasser  ihrem  Volke  einen  scharfen 
Spiegel  vor  die  Augen  und  werden  dem  deutschen  Heere  durchaus  ge- 
recht. Der  Roman  verdient  eine  warme  Empfehlung.  (Vgl.  die  eingehende 
Anzeige  des  Vortragenden  in  den  'Berliner  Neuesten  Nachrichten'  vom 
19.  März  19ul  und  die  inzwischen  erschienene  von  Marcel  Lamy  in  der 
Revue  bleue  19ul,  Tome  15,  Heft  lü,  S.  :5u5— 311.j 

Herr  Oberlehrer  Karl  Falck  hat  sich  zum  Eintritt  in  die  Gesellschaft 
gemeldet. 

Sitzung  vom  16.  April  1901. 

Herr  Mackel  spricht  über  Wesen  und  Entstehung  der  Dialekte.  Hin- 
sichtlich der  Entstehung  der  französischen  Dialekte  stehen  sich  zwei  An- 
sichten gegenüber.  P.  Meyer  hat  Rom.  4,  291 — G  die  These  aufgestellt  und 
sie  dann  öfter  verfochten,  clals  die  einzelnen  romanischen  Dialekte  keine  Exi- 
stenz in  der  Wirklichkeit  besitzen,  sondern  ein  blolses  Gedankending  seien, 
weil  zwei  sprachliche  Merkmale  in  ihrem  Ausbreitungsgebiet  sich  so  gut  wie 
nie  deckten.  Behandle  man  den  Dialekt  eines  abgegrenzten  geographischen 
Gebietes,  so  reil'se  man  willkürlich  Zusammengehöriges  auseinander  und 
vereinige  Nichtzusammengehöriges.  Man  könne  nur  immer  das  Ausbrei- 
tungsgebiet einzelner  sprachlicher  Merkmale  feststellen.  Seine  Ansicht 
hat  besonders  wirksam  verfochten  G.  Paris  in  seinem  Vortrage  'Les  Par- 
lers  de  France'  1888,  in  welchem  er  noch  besonders  die  ftision  insensible 
des  parlers  betont.  Dem  gegenüber  stellt  Gröber,  Gröbers  Gr.  1  41ü,  die 
Ansicht  auf,  die  Sprache  habe  sich  von  gewissen  Centren  aus  über  die 
Umgegend  verbreitet  und  so  für  eine  bestimmte  Gegend  ein  einlieitliches 
Gepräge  bekommen.  \Venn  zwei  so  entstandene  Sprachtypen  aufeinander 
gerieten,  so  entstünden  Dialektgreuzen.  Diese  Ansicht  ist  wirksam  von 
Horning,  Ztschr»  f.  rom.  Phil.  XVII  1(J0  ff.,  vertreten  worden.  Der  Vor- 
tragende führt  aus,  dal's  es  mit  den  deutschen  Dialekten  ebenso  liege  wie 
mit  den  französischen.  Er  führt  als  besonders  lehrreich  die  sprachlichen 
Verhältnisse  der  Priegnitz  an.  Sie  stolse  im  Norden  an  Mecklenburg. 
Hier  sei  eine  politische  Grenze  vorhanden,  aber  nicht  die  geringste  phy- 
sische Scheide.  Sie  stolse  im  Westen  an  die  Elbe.  Hier  sei  also  eine 
physische  Grenze,  aber  mit  der  jenseit  der  Elbe  liegenden  Altniark  sei  die 
Priegnitz  lange  Zeit  politisch  eng  verbunden  gewesen.  Nun  stelle  sich 
heraus,  dals  in  vielen  Punkten  in  Bezug  auf  Laute,  Formen  und  Aus- 
drücke der  nördliche  Teil  der  Priegnitz  durchaus  mit  Mecklenburg  zu- 
sammengehe, während  der  südliche  Teil  in  diesem  Punkte  eine  andere 
Entwickeluug  zeige.  Für  andere  lautliche,  morphologische  und  lexikalische 
Merkmale  aber  sei  die  politische  Grenze  ganz  strikt  auch  die  dialektische; 
es  könne  eine  mundartliche  Grenze  zwischen  Mecklenburg  und  der  Prieg- 
nitz nicht  geleugnet  werden,  während  sie  für  die  Priegnitz  und  die  Alt- 
mark nicht  vorhanden  sei.  Trotzdem  stellt  sich  der  Vortragende  auf 
P.  Meyers  Standpunkt.  Gröber  und  Horning  hätten  eine  der  wichtigsten 
sprachgeschichtlichen  Thatsachen  aul'ser  acht  gelassen,  die  Lautbeweguugeu, 
die  zu  einer  gewissen  Zeit  auf  einem  bestimmten  Gebiet  entständen  und 
sich  ausbreiteten,  ohne  sich  an  politische,  ja  physische  Grenzen  innerhalb 
desselben  Gebietes  zu  stofsen,  ja  ohne  sich  um  die  grol'sen  Völkergrenzeu 
zu  künmicrn.  Wenn  nun  doch  für  manche  sprachlichen  Erscheinungen 
die  politischen  Grenzen  auch  die  mundartlichen  seien,  so  sei  das  als  nach- 
trägliche und  sekundäre  Störung  der  Lautbewegungeu  aufzufassen.  Sobald 
nämlich  eine  politische  Grenze  entstanden  sei,   gravitierten    die  Interessen 


158  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

der  Grenzbewohner  auseinander,  die  der  Mecklenburger  z.  B.  nach  Norden, 
weil  die  nächsten  Städte  nördlich  lägen,  die  der  Priegnitzer  nach  Süden 
zu  den  dort  gelegenen  Städten  hin.  Die  Städte  schöben  dann  ihre  sprach- 
lichen Eigentümlichkeiten  nach  der  Grenze  vor,  und  so  könnten  an  der 
Grenze  dialektische  Scheiden  entstehen,  wenn  die  Städte  weit  genug  aus- 
einander lägen.  So  käme  auch  die  Hypothese  von  der  Ausbreitung  der 
Sprache  von  einzelnen  Centren  aus  zu  einem  gewissen  Recht.  Der  Vor- 
tragende erörtert  dann  noch  die  Frage,  wie  es  komme,  dafs  nur  für  ge- 
wisse sprachliche  Punkte  diese  Störung  stattfinde,  für  andere  aber  nicht, 
was  sich  ja  ganz  deutlich  bei  Mecklenburg  und  der  Priegnitz  gezeigt  habe. 
Er  weist  darauf  hin,  dafs  die  Bewohner  einer  Gegend  für  gewisse  Laute  und 
Formen  ihrer  Mundart  den  entsprechenden  Lauten  und  Wortformen  der 
Nachbarmundart  gegenüber  selbst  das  Gefühl  der  Inferiorität  hätten,  für 
andere  aber  nicht.  Die  ersteren  seien  naturgemäl's  in  schwacher  Position 
und  dem  Verdrängen  leichter  ausgesetzt  als  die  ersteren.  Damit  hänge 
zusammen,  dafs  bei  den  letzteren  Übergangszonen  vorhanden  seien,  bei 
den  ersteren  aber  feste  Lautgrenzen. 

Herr  Krueger  meint,  sowohl  die  Wandlung  von  s  zu  seh  als  auch 
die  Nasalierung  könnten  selbständig  ohne  Einflufs  eines  anderen  Dialektes 
entstehen.  Ein  Flufs,  wenn  er  auch  nur  klein  sei,  könne  eine  Sprach- 
grenze bilden.  Schäme  sich  jemand  seines  Dialektes,  so  geschehe  das  nur 
fern  von  der  Heimat;  zu  Hause  rühme  er  sich  seiner  Aussprache.  Herr 
Mackel  bestreitet  das  für  manche  Fälle,  wie  broien  statt  braten,  wo  die 
Leute  sich  auch  zu  Hause  genieren,  ihre  Aussprache  zu  offenbaren.  Herr 
Münch  meint  dem  gegenüber,  die  Franzosen  könnten  ihre  Nasale  im 
Laufe  der  Zeit  einfach  stärker  ausgearbeitet  haben;  noch  heutzutage  sei 
ihre  Aussprache  einem  Wandel,  sozusagen  der  Mode  unterworfen.  Er 
weist  dann  darauf  hin,  dafs  an  demselben  Orte  die  socialen  Schichten 
verschieden  sprächen.  Vielfach  sei  in  den  Grenzgebieten  die  Satzmelodie 
die  des  Nachbargebietes ;  so  sei  die  Kölner  Satzmelodie  im  Princip  die 
des  Französischen,  wenn  auch  in  anderer  Tonhöhe.  In  manchen  Gegenden 
laufe  die  Sprachgrenze  mitten  durch  einen  Ort.  Herr  Förster  warnt 
mit  Schuchardt  vor  der  Anwendung  veralteter  Begriffe  and  Stammbaum- 
theorien. Vieles  sei  noch  recht  dunkel;  man  müsse  sich  aber  hüten,  gleich 
zu  generalisieren.  Es  könnten  sehr  wohl  an  verschiedenen  Orten  durch 
ähnliche  Ursachen  ähnliche  Wirkungen  durch  eine  Art  generatio  aequivoca 
ohne  Beeinflussung  entstehen.  Herr  Roediger  weist  darauf  hin,  dafs 
die  sogenannten  Krimgoten  ganz  unabhängig  und  ohne  Zusammenhang 
mit  Stammesgenossen  eine  Art  Lautverschiebung  gehabt  hätten.  Auch 
das  Auslaut-s<  wei'de  zu  seht  (erseht,  icurscht),  wo  man  alemannischen 
Einflufs  nicht  mehr  annehmen  könne.  Es  scheine  also,  dafs  von  vorn- 
herein der  innere  Keim  zu  solchen  Lautänderungen  vorhanden  sei.  Herr 
Mackel  fragt,  ob  wohl  die  Longobardeu  in  ihrer  alten  Heimat  an  der 
Elbe  auch  die  Lautverschiebung  mitgemacht  hätten,  oder  ob  wohl  ihre 
Sprache  dieser  Lautbewegung  nicht  deshalb  unterworfen  worden  sei,  weil 
sie  nach  Oberitalien  ausgewandert  wären.  Herr  Schulze  vermifst  bei 
allen  bisherigen  Untersuchungen  über  dialektische  Verschiedenheiten  Be- 
rücksichtigung der  Syntax.  Herr  Roediger  macht  darauf  aufmerksam, 
dafs  eine  Syntax  des  Mainzer  Dialekts   schon  vorhanden  sei. 

Herr  Roediger  sprach  über  Braunes  die  Handschriften  Verhältnisse 
des  Nibelungenliedes  behandelnden  Aufsatz  in  den  Beiträgen  25,  1  ff.  Er 
erinnerte  daran,  dafs  er  in  einem  früheren  Vortrage  (1897;  vgl.  Archiv 
XCVIII,  420  f.j  bestritten  habe,  dafs  A  die  Sonderstellung  gebühre,  die 
Lachmann  ihm  zuschreibt,  dafs  vielmehr  die  Fehler  von  A  aus  B  zu  ver- 
bessern seien.  Braune  drückt  in  seiner  sehr  sorgfältigen,  vortrefflichen 
Untersuchung  den  Wert  von  A  noch  mehr  herab.  Er  legt  mit  Recht 
mehr  Gewicht  auf  die  Lesarten  als  auf  die  Strophenbestände  und   wägt 


für  das  Studiiiiu  der  neueren  Sprachen.  159 

konsequenter,  als  man  es  im  Hllgemeineii  zu  thuu  pflegt,  die  Leearten  der 
Handschrifteuirruppen,  nicht  der  einzelnen  Handschriften,  gegeneinander 
ab.  An  der  Irrende  über  die  gewonnenen  Stammbäume  kann  der  Vor- 
tragende nicht  teilnehiiien,  weil  völlig  reine  Scheidungen  hier  so  wenig 
wie  sonst  bei  reicher  Überlieferung  zu  erzielen  sind  und  Braune  ohne  die 
Annahme  von  Seitensprüngen  und  sonderbaren  Zufällen  nicht  auskommt. 
Dem  Inhalt  des  ersten  Kapitels  (Gruppe  I)h  )  stimmte  der  Vortragende 
zu,  auch  dem  Ansatz  der  Grupite  Ai)b*  (Kaj).  Jj.  Er  konnte  aber  nicht 
zugeben,  dals  überall  in  ADb  die  sekundäre  Lesart  stehe,  wenn  die  übrigen 
Handschriften  davon  abweichen,  und  suchte  seinen  Widerspruch  durch 
Erörterung  einiger  Stellen  zu  rechtfertigen.     (Schlufs  folgt.) 

Herr  Oberlehrer  Falck  wird  in  die  Gesellschaft  aufgenommen.    Herr 
Dr.  Gade  hat  sich  zum  Eintritt  gemeldet. 

Sitzung  vorn  30.  April  1901. 

Herr  Roediger  beendete  seinen  Vortrag  über  Braunes  Untersuchung 
der  Nibelungenhandschriften.  Die  Lehre  Braunes,  dafs  alle  Plusstrophen 
von  B,  die  in  A  fehlen,  hier  absichtlich  ausgelassen  seien,  suchte  er  für 
einige  zu  erschüttern,  wie  denn  auch  Braune  selbst  die  Strophen  lö'2ab 
ausnehmen  und  für  sie  zu  dem  unwahrscheinlichen  Ausweg  einer  Entleh- 
nung aus  der  Recension  C  greifen  muls.  Bei  den  metrischen  Auseinander- 
setzungen über  die  letzte  Halbzeile  und  die  zu  kurzen  ersten  Halbverse 
pflichtete  der  Vortragende  Braune  bei,  auch  bezüglich  der  Steigerungen 
in  A  nach  der  höfischen  und  individualisierenden  Richtung.  Er  nimmt 
ferner  mit  Lachmann  und  Braune  an,  dafs  die  Gruppe  Id*  deu  Übergang 
von  B*  zu  C*  bilde,  kann  aber  B^  nicht  als  Original  des  Nibelungen- 
liedes anerkeiuien,  weil  seiner  Meinung  nach  B  Plusstrophen  enthält,  die 
in  A  mit  Recht  fehlen,  da  sie  unecht  sind.  Bei  den  Übergängen  der  Rede 
aus  einer  Strophe  in  die  folgende  mufs  unterschieden  werden,  ob  zugleich 
die  Konstruktion  übergeht  oder  nicht.  Die  letzteren  Fälle  dünken  Herrn 
Roediger  auch  jetzt  noch  verdächtig.  In  der  Einleitung  des  Liedes 
Strophe  1— .21  werden  die  Handschriftengru])pierungen ,  die  durch  die 
Aventiuren-Überschriften  Bestätigung  finden,  hinfällig.  Hier  möchte  der 
Vortragende  sein  L^rteil  noch  in  suspenso  lassen.  Er  behandelte  dann 
noch  einige  der  von  Braune  gesammelten  Stellen,  die  sich  dem  angenom- 
menen Handschriftenverhältnisse  nicht  zu  fügen  scheinen,  dabei  Braune 
mehrfach  widersprechend,  aber  auch  die  Besonnenheit  und  Ehrlichkeit 
der  Arbeit  rühmend,  die  nichts  umgeht  und  verschweigt,  wenn  es  auch 
zu  Ungunsten  ihrer  Ergebnisse  ausgebeutet  werden  könnte.  Dem  Zufall 
wird  bei  der  Bildung  der  Handschriftengruppen  ein  nicht  ganz  geringer 
Einflufs  zugestanden,  doch  müssen  wir  freilich  auf  sein  Spiel  so  gut  wie 
auf  willkürliche  Änderungen  gcfal'st  sein,  wo  es  sich  um  mittelalterliche 
Abschriften  von  Werken  in  der  Muttersprache  des  Schreibers  handelt. 
So  hält  denn  der  Vortragende  die  Resultate  der  Braunischen  Unter- 
suchungen im  wesentlichen  für  richtig,  besonders  insofern,  als  B  verläfs- 
lichere  Lesarten  denn  A  zugesprochen  werden ;  doch  wird  sein  Wert  bis- 
weilen hierin  und  namentlich  in  Bezug  auf  den  Strophenbestand  unter- 
schätzt. 

Herr  B  ran  dl  lobt  die  Vorsicht,  mit  der  der  Vortragende  all  diesen 
Fragen  gegenübertritt;  die  L^nsicherheit  in  vielen  Punkten  kann  uns  bei 
der  schwankenden  Überlieferung  nicht  wundern.  Das  Nibelungenlied  muls 
sehr  beliebt  gewesen  sein ;  will  man  es  jetzt  wieder  populär  machen,  so 
mufs  der  Stoff  frei  behandelt  werden,  wie  ihn  der  alte  Spielman  frei  be- 
handelt hat;  echt  poetisches  Empfinden  müfste  man  bei  Herstellung  einer 
Volksausgabe  walten  lassen.  Auf  einige  Fragen  Herrn  Braudls  giebt 
Herr    Roediger    folgende   Auskunft.      Die    einzelnen    Fassungen    unter- 


160  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

scheiden  sich  nicht  durch  sprachliche  Differenzen,  wohl  aber  durch  metri- 
sche; so  hat  C  Cäsurreime,  ist  also  wohl  die  jüngste  Fassung.  —  Konta- 
minationsfasöungen  giebt  es  auch  beim  Nibelungenlied;  die  Willkür  der 
Abschreiber  war  aui'serordentlich  grofs.  Im  Armen  Heinrich  ist  der 
authentische  Text  gar  nicht  wieder  herzustellen.  —  Das  Nibelungenlied 
ist  nur  schriftlich  fortgepflanzt;  es  ist  stets  nur  vorgelesen  oder  deklamiert 
worden;  es  ist  ein  Lesegedicht,  ein  höfisches  Epos,  keine  Ballade,  trotz 
der  lyrischen  Strophe.  Vor  dem  Epos  liegen  Einzellieder,  die  aber  nie- 
mals aufgeschrieben  worden  sind.  Was  vorliegt,  ist  schriftlich  .tradiert. 
Lachmanns  Liederzerlegung  ist  also  unrichtig;  bei  mündlicher  Überhefe- 
rung  mül'sten  ja  die  Unterschiede  weit  gröl'ser  geworden  sein.  Es  wäre 
nicht  unwahrscheinlich,  dafs  C  drei  Fassungen  gemacht  hat,  wie  Braune 
annimmt ;  das  wäre  ein  Seitenstück  zu  den  von  Herrn  Brandl  angeführten 
drei  Fassungen  des  Piers  Ploughman.  —  Die  vor  einem  Jahre  gefundene 
Tiroler  Handschrift  u  ist  wertvoll  und  interessant. 

Herr  Münch  spricht  über  einige  neuere  Erscheinungen.  Prof.  Dr. 
Karl  Mühiefeld  in  Osterode  im  Harz  hat  in  der  Beilage  zum  diesjährigen 
Schulbericht  des  dortigen  Gymnasiums  von  einer  Reihe  französischer  und 
englischer  Gedichte  Übersetzungen  gegeben,  welche  als  aufserordentlich 
gelungen  zu  betrachten  sind ;  die  schwierigen,  in  ihrer  Tonmalerei  schwer 
nachzuahmenden  Gedichte  Les  Djinns  von  V.  Hugo,  The  Beils  von  Poe, 
The  Cataract  of  Lodore  von  Southey  sind  besonders  hervorzuheben.  Auch 
Lafontaines  La  Cigale  et  la  Fourmi  ist  sehr  geschickt  wiedergegeben. 
Der  Vortragende  empfiehlt  sodann  noch  Pochhammers  Dante-Übersetzung 
und  erwähnt  Chapeliers  Weltsprache,  ein  Gemisch  aus  Französisch  und 
Englisch,  sowie  Paul  Lacombes  Buch  Esquisse  de  l'education  basee  sur  la 
Psychologie  de  l'Enfant. 

Herr  Dr.  Gade  wird  in  die  Gesellschaft  aufgenommen. 

Sitzung  vom  14.  Mai  1901. 

Herr  Bieling  sprach  über  den  englischen  Reformator  John  Wiclif, 
sein  Leben,  seine  Werke  und  die  neuesten  Erscheinungen  der  Wiclif- 
Litteratur.  Wiclifs  Geburtsjahr  ist  auch  jetzt  noch  nicht  mit  Sicherheit 
festgestellt,  über  seine  Jugendzeit  immer  noch  wenig  bekannt;  dagegen 
ist  über  seine  Wirksamkeit  im  Mannesalter  und  in  seinen  letzten  Lebens- 
jahren durch  neuere  Untersuchungen  manches  Neue  festgestellt  worden ; 
so  dürfte  namentlich  das  erste  öffentliche  Auftreten  Wiclifs  nicht,  wie  an- 
genommen wurde,  schon  1366,  sondern  erst  Ende  1376  oder  Anfang  1377 
anzusetzen  sein.  Sein  persönlicher  Anteil  an  dem  grofsen  Werke  der 
Bibelübersetzung  und  an  den  aufserordentlich  zahlreichen  sonstigen  eng- 
lischen und  lateinischen  Schriften,  die  seinen  Namen  tragen  und  bis  vor 
kurzer  Zeit  zum  grolsen  Teil  noch  des  Druckes  harrten,  ist  bisher  nur 
zum  Teil  sicher  festgestellt.  Nach  dem  Drucke  der  wiclifitischen  Bibel, 
Oxford  1850,  kommen  hier  namentlich  die  Arbeiten  von  Shirley,  die 
Drucklegung  der  Select  English  Works  durch  Thomas  Arnold,  Oxford 
1869,  und  der  English  IVor/cs  hitherto  unprinted  durch  F.  D.  Matthew, 
London  1880  (E.  E.  T.  S.),  in  Betracht.  Bahnbrechend  für  die  Wiclif- 
forschung  im  allgemeinen  und  für  die  kritische  Bearbeitung  seiner  Schriften, 
besonders  der  lateinischen,  waren  die  Arbeiten  von  Lech  1er  und  Budden- 
sieg  in  Deutschland,  welche  auch  den  Anstofs  zur  Gründung  der  Wyclif 
Society  durch  Furnivall  im  Jahre  188-J  gaben.  Die  Thätigkeit  dieser 
Gesellschaft  ist  bisher  allerdings  ausschlielslich  den  lateinischen  Schriften, 
vor  allem  den  reichen  handschriftlichen  Schätzen  der  Wiener  Hofbiblio- 
thek zu  gute  gekommen;  ihre  Veröffentlichungen,  1883 — 1900,  umfassen 
bereits  die  stattliche  Reihe  von  sechzehn  gröfseren  und  kleineren  Werken, 
bei  deren  Herausgabe  Deutsche,  wie  Buddeusieg,  Loserth,  Beer  u.  a.,  mit 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  161 

Engländern,  wie  Matthew,  Pollard,  Poole,  Sayle,  in  gemeinsamer  Arbeit 
thätig  waren.  Hierdurch  haben  sich  bisher  uamentiicli  für  die  staats- 
und  Kircheurechtliche  Stellung  Wiclifs  neue  Gesichtspunkte  ergeben,  und 
über  das  Verhältnis  des  englischen  Reformators  zu  Hus  und  Luther  ist 
volle  Klarheit  geschaffen,  zuletzt  besonders  durch  die  Arbeiten  von  Lo- 
serth,  Studien  zur  kirchenpo.ltischen  Stellung  Englands  im  14.  Jahrb., 
Wien  1897,  u.  a.,  an  die  sich  Hermann  Fürstenau,  Joh.  von  Wiclif, 
Berlin  1900,  und  auch  H.  W.  Hoare,  The  Eroluttans  of  the  English  Bible, 
London  1901,  anscblielsen.  Die  Sprache  der  englischen  Werke  in  Laut- 
lehre und  Flexion  ist  durch  Gassner  (1891)  und  Fahrenberg  (1891) 
untersucht  worden.  Das  Verhältnis  Wiclifs  zu  den  zeitgenössischen  Dich- 
tern Langland  und  Chaucer  wurde  sodann  berührt,  und  es  wurden 
zum  Schlüsse  die  Gründe  besprochen,  welche  den  Mifserfolg  der  reforma- 
torischen Wirksamkeit  Wiclifs  bedingten,  im  Vergleich  mit  den  Erfolgen 
der  Reformatoren  des  10.  Jahrhunderts,  besonders  Luthers,  dessen  ge- 
waltige, volkstümliche  und  poetische  Persönlichkeit  unter  günstigeren 
Verhältnissen  den  Kampf  gegen  Rom  wieder  aufzunehmen  und  für  weite 
Gebiete  zum  Siege  zu  führen  vermochte. 

Herr  ßrandl  weist  darauf  hin,  dafs  in  der  Wiener  Bibliothek  ein 
ganzer  Saal  der  Wiclif-Litteratur  gewidmet  sei.  Die  Jesuiten  hätten  das 
gröfste  Verdienst  an  der  Sammlung  der  vielen  Handschriften  gehabt,  die 
sie  in  Böhmen  gefunden  hätten.  Bei  der  Auflösung  des  Jesuiten-Ordens 
wären  alle  diese  Handschriften  nach  Wien  gekommen.  Diese  Fülle  des 
Materials  erschwert  das  Studium  Wiclifs  sehr;  ebenso  der  Umstand,  dafs 
Wiclif  fast  nur  Theologe  war  und  keine  Persönlichkeit,  die  durch  eine 
warme  poetische  Ader  liinreilst.  Poetische  Darstelluugskraft  und  Tempera- 
ment sind  nur  bei  Lauglaud  zu  finden,  daher  hat  dieser  eine  gröfsere 
Wirkung  ausgeübt  als  der  klare,  logische,  zum  Argumentieren  geneigte 
Wiclif. 

Herr  Spies  spricht  mit  Rück.sicht  auf  die  vorgeschrittene  Zeit  in  ab- 
gekürzter Form  über  den  Mirour  de  l'Oimne,  das  lange  verloren  geglaubte, 
aber  1895  in  einer  unvollständigen  Handschrift  zu  Cambridge  wieder 
aufgefundene  anglonormannische  Werk  John  Gowers  und  die  Ausgabe 
durch  G.  C.  Macaulay.  Der  Mirour  de  l' Omme  ist  eine  in  zwölfzeihgen 
Strophen  mit  der  Reimstellung  aab  aab  bba  bba  angeordnete  Dichtung; 
die  Verse  sind  Achtsilbler  und  überaus  glatt,  doch  wird  die  Glattheit 
nur  mit  Hilfe  der  Durchbrechung  aller  grammatischen  Regeln  erzielt. 
Der  Mirour  enthält  in  einer  sich  selten  zu  höherem  Schwung  erhebenden 
Darstellung  eine  Schilderung  der  Tugenden  und  Laster,  eine  Kritik  der 
Schäden  der  Gesellschaft  sowie  ein  Leben  der  Jungfrau  Maria.  Er  ist 
somit  hauptsächlich  für  die  Litteratur-  und  Kulturgeschichte  von  Bedeu- 
tung, aber  auch  sprachlich  von  Interesse.  —  Die  Ausgabe  Macaulays  (Ox- 
ford 1899)  ist  im  wesentlichen  ein  diplomatischer  Abdruck,  der  auf  Zu- 
verlässigkeit Anspruch  erheben  darf.  Trotz  einer  umfangreichen  Einleitung 
und  zahlreichen  Anmerkungen  Macaulays  bleibt  aber  noch  vielerlei  zu 
thun  übrig,  wie  Referent  im  einzelnen  ausführt.  So  ist  die  Quellenunter- 
suchung noch  fast  in  ihrem  ganzen  Umfange  zu  leisten,  ebenso  hat  sich 
Macaulay  mit  textkritischen  Fragen  sehr  kurz  abgefunden.  Einige  aus 
der  Dichtung  auf  das  Leben  Gowers  gezogene  Schlüsse  bedürfen  der  Kor- 
rektur. Im  allgemeinen  ist  zu  sagen,  dafs  eine  tiefer^ehende  Forschung 
dem  Mirour  noch  manches  abgewinnen  wird,  was  Macaulay  entgangen 
ist.  Trotzdem  ist  seine  Ausgabe  dankbar  zu  begrüfsen.  Im  einzelnen 
mag  auf  die  Besprechung  Neue  philologische  Rundschau  1901  Nr.  12  ver- 
wiesen werden. 

Die  Herren  Dr.  Bohnstedt  (Grofs -  Lichterfelde),  Dr.  Spatz  und 
Dr.  Sommer  (Schöneberg)  haben  sich  zum  Eintritt  in  die  Gesellschaft 
gemeldet. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CVIII.  11 


162  Sitzungeji  der  Berliner  Gesellschaft 

Sitzung  vom  24.  September  1901. 

Herr  Alfred  Schulze  berichtet  im  Anschlufs  an  L.  Delisle  (Un 
troisieme  manuscrit  de  sermons  de  saint  Bernard  en  frangais,  Journal  des 
savants  1900)  über  die  dritte,  unter  den  Schätzen  des  Musee  Dobr^e  in 
Nantes  aufgefundene  Bernhard-Handschrift.  Zwar  handelt  es  sich  nicht 
um  ein  bisher  ganz  unbekanntes  Manuskript,  aber  doch  um  eines,  das 
s^it  nahezu  einem  Jahrhundert  verschollen  war.  Man  wufste,  dafs  ein  die 
Übersetzung  der  Predigten  Bernhards  über  das  Hohe  Lied  enthaltender 
Codex  sich  im  Besitze  Roqueforts  befunden  hatte  und  später  von  dem 
Genfer  Bibliophilen  Jean-Louis  Bourdillon  erworben  worden  war.  Wie 
Delisle  ausführt,  ging  der  Beruhard-Codex  von  dort  mit  den  meisten  wert- 
vollen Handschriften  Bourdillons  zwischen  18;30  und  1847  in  die  Biblio- 
thek des  Marquis  de  Coislin  über,  kam  1857  für  2450  Fr.  in  die  Hände 
des  Herrn  Guiraud  de  Savine,  von  dem  ihn  der  Stifter  des  erwähnten 
Musöe  in  Nantes,  Herr  Dobree,  erstand.  Der  der  Schrift  nach  aus  der 
Wende  des  12.  zum  13.  Jahrhundert  stammende  Codex  besteht  aus  233 
Pergamentblättern  von  210  mm  Höhe  und  142  mm  Breite  und  ist  zwei- 
spaltig im  Gegensatz  zu  den  beiden  bisher  bekannten,  dem  Pariser  und 
dem  Berliner,  die  auf  Langzeilen  geschrieben  sind.  Auf  den  ersten  162 
Blättern  steht  die  Übersetzung  von  44  Reden  (es  giebt  deren  8G)  Bern- 
hards über  das  Hohe  Lied.  Auf  diese  Reden  folgt  zunächst  Bernhards 
Traktat  über  die  Liebe  Gottes,  den  er  als  Brief  an  den  Kardinal  Aimeri 
richtete,  darauf  zwei  Bernhard  nicht  angehörige  Stücke,  eine  Predigt  über 
den  150.  Psalm  und  eine  über  die  hl.  JMagdalena;  fol.  201 — 223  werden 
von  den  vier  Reden  de  laudibiis  Virginis  Matris  eingenommen,  und  den 
Beschlufs  bilden  wieder  zwei  anscheinend  Bernhard  fremde  Stücke:  eine 
Rede  auf  die  hl.  Agnes  und  endlich,  auf  fol.  229  beginnend,  ein  Traktat 
de  la  meditation,  welch  letzterer  schon  in  der  kurzen,  von  Delisle  ge- 
gebenen Probe  ganz  den  schwerfälligen  Eindruck  der  Übersetzung  macht, 
wohingegen  die  Predigt  über  die  hl.  Agnes  nach  einem  kleinen  ihr  vorauf- 
gehenden Avis  au  lecteur  von  einem  Zuhörer  niedergeschrieben  ist. 

Delisle  teilt  zu  Beginn  seines  Aufsatzes  einen  auf  Bernhard  I  (=  Pariser 
Codex)  oder  Bernhard  II  (==  Berliner  Codex)  bezüglichen  Brief  des  Peiresc 
mit,  in  welchem  dieser  unter  dem  26.  Juli  1628  dem  R.  P.  Balthasar  de 
Bus  zu  Avignon  schreibt,  er  sende  ihm  mit  Erlaubnis  des  Besitzers  einige 
Hefte  einer  Handschrift,  welche  Predigten  des  hl.  Bernhard  in  franzö- 
sischer Sprache  enthalte.  Diese  Hefte  umfafsten  zwei  Reden  in  annuntia- 
tione  doniinica  vollständig,  und  zwar  fange  die  erste  im  Original  mit  den 
Worten  Quam  dives  in  miserieordia,  die  zweite  Ut  inhabitet  gloria  in  terra 
nostra  an.  Der  Vortragende  weist  nach,  dafs  die  hier  in  Rede  stehende 
Handschrift  unmöglich,  wie  Delisle  meint,  die  Berliner  gewesen  sein  könne, 
sondern  sehr  wahrscheinlich  die  altberühmte  Pariser  gewesen  ist.  Der 
Feuillantiner-General  Jean  Goulu  (1576 — 1629),  der  sie  von  Nicolas  Leffevre 
(gest.  1612)  zum  Geschenk  erhielt,  ist  vermutlich  der  Schuldige  gewesen, 
der  die  kostbare  Handschrift  auseinandernahm  und  einzelne  Hefte,  wie 
an  Peiresc,  auch  an  andere  Gelehrte  verlieh,  so  dafs  die  Unvollständig- 
keit  der  Handschrift  nicht  wunder  nehmen  darf. 

Die  Frage  nach  Entstehungsort  und  Zeit  der  Bernhard-Übersetzungen 
wird  durch  die  Thatsache,  dafs  Bernhard  III  (die  neue  Handschrift)  nicht 
wie  B  I  und  B  II  in  metzischem,  sondern  —  so  viel  lassen  schon  die  von 
Delisle  mitgeteilten  Proben  erkennen  —  in  wallonischem  Dialekt  abgefafst 
ist,  in  neue  Beleuchtung  gerückt.  Gleich  im  ersten  Satze  überrascht  die 
seltsame  Anrede  an  die  Zuhörer:  sanior  frere,  die  sich  auch  in  den 
Moralien  zu  Hiob  an  verschiedenen  Stellen  wiederfindet,  wie  denn  in  einer 
ganzen  Reihe  sprachlicher  Thatsachen  sich  Bernhard  III  und  Hiob  nebst 
den  Dialogen  Gregors  decken.     Der  Vortragende  weist  auf  die  Form   des 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  168 

Denionstrativums  ceax,  auf  die  auffällige  Verwendung  der  betonten  Per- 
sonalprononiina  in  proklitischer  Stellung  beim  Verbum  finitum  (tut  vioi 
misent,  si  tu  ne  toi  conois),  auf  die  Form  des  weiblichen  Possessivuuiß,  auf 
das  Suffix  -wble  (in  paisicble,  taisieble),  auf  die  Wiedergabe  von  ecce  durch 
ellevos  u.  a.  ni.  hin.  Es  ist  dringend  zu  wünschen,  dafs  die  wichtige  Hand- 
schrift recht  bald  sorgfältig  herausgegeben  werile. 

Herr  Tobler  meint,  der  Herr  Vortragende  habe  überzeugend  aus- 
geführt, dafs  Delisle  sich  geirrt  habe.  Auch  er  wünsche,  dals  die  aufser- 
ordentlich  wichtige  Handschrift  l)ald  einen  Herausgeber  finde,  der  den 
lateinischen  Text  mit  abdrucke  und  es  auch  an  grammatischen  und  lexi- 
kalischen Erörterungen  nicht  fehlen  lasse.  Zur  Erklärung  der  von  Herrn 
Schulze  erwähnten  Verwendung  der  betonten  Personalpronomina  in  pro- 
klitischer Stellung  beim  Verbum  weist  Herr  Tobler  darauf  hin,  dafs  es 
auch  einige  andere  litterarische  Dokumente  gebe,  welche  diese  Erschei- 
nung aufweisen ;  z.  B.  das  von  Cloetta  herausgegebene  Pofeme  Moral ;  in 
einer  von  Cloetta  abgedruckten  Anmerkung  habe  er  geltend  gemacht,  clafs 
man  darin  nicht  eine  sonst  unerhörte  Verwendung  der  betonten  Formen 
zu  sehen  habe,  sondern  dafs,  wie  in  voile  neben  veU,  estoiU  neben  estele, 
hier  nur  ausnahmsweise  ein  sonst  meist  wirkendes  Lautgesetz  nicht  zur 
Anwendung  gekommen  sei. 

Herr  Berneker  spricht  über  die  Volksepik  der  Grofsrussen.  Die 
epischen  Volkslieder  der  Grofsrussen  werden  Bylinen  genannt,  d.  h.  Lieder 
von  dem,  was  war,  was  einst  geschehen  ist;  sie  preisen  die  Thaten  der 
Bogatyren,  der  Helden  alter  Zeit.  Die  erste  Aufzeichnung  .solcher  Lieder 
wird  einem  Engländer,  Richard  James,  verdankt;  sie  erfolgte  am  Weifsen 
Meer  zu  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  und  hat  heute  nur  noch  historischen 
Wert.  Die  bedeutendsten  und  wichtigsten  Sammlungen  sind  die  von 
Rybnikow  und  Hilferding.  Die  erstere  umfafst  vier  Bände  und  erschien 
iu  den  Jahren  1861 — 67;  die  Lieder  sind  alle  im  Gouvernement  Ülonec, 
dem  Land  am  Onegasee,  aufgezeichnet,  wie  denn  sich  die  Byhnen  über- 
haupt nur  im  äufsersten  Norden  Rufslands  erhalten  haben ;  ebendaher 
stammt  auch  die  klassische  Sammlung  von  Hilferding,  der  in  den  Jahren 
1872  und  1873  auf  dem  von  Rybnikow  schon  durchforschten  Gebiet  noch 
eine  Nachlese  von  318  Liedern  hielt.  Auch  noch  in  letzter  Zeit  werden 
Lieder  gefunden,  zumeist  am  Weifsen  Meer,  doch  fliefst  der  Quell  nur 
noch  spärlich.  —  Ihrem  Inhalt  nach  werden  die  Bylinen  von  den  russischen 
Gelehrten  in  verschiedene  Cyklen  eingeteilt:  11  der  Cyklus  der  älteren 
Helden  aus  der  Vor-Wladimirschcn  Zeit  (gemeint  ist  Wladimir  der  Hei- 
lige, (irofsfürst  von  Kiew,  980 — lOU);  2)  der  Cyklus  der  jün<jereu  Kiewer 
Helden  aus  der  Zeit  Wladimirs ;  3)  der  Cyklus  von  Nowgorod.  Zu  diesen 
Cyklen  gehören  die  meisten  Bylinen,  weniger  zu  den  übrigen  Cyklen: 
4)  dem  Moskauer,  5)  dem  Peters  des  Grofsen,  6)  dem  des  18.  Jahrhun- 
derts. Um  ein  Bild  des  Inhalts  der  Bylinen  zu  geben,  analysiert  der 
Vortragende  aus  dem  ersten  Cyklus  di(-  Bylinen  von  Wolch  Wsesläwjewitsch, 
aus  dem  zweiten  die  Lieder,  die  Ilja  ^luromec,  dem  LiebUngshelden  des 
russischen  Volkes,  gewidmet  sind  und  sein  Leben  von  seiner  Jugend  an 
bis  zu  seinem  Tode  behandeln,  sodann  aus  dem  dritten  Cyklus  die  By- 
linen von  Sadko  dem  reichen  Ga.st,  der  durch  die  Huld  des  Meerkönigs 
vom  armen  Guslispieler  zum  reichsten  Kaufmann  wird,  dann  in  die  Ge- 
walt des  Meerkönigs  fällt  und  aus  dessen  Palast  auf  dem  Meeresgrund 
durch  Nikolai  den  Wunderthäter  gerettet  wird. 

Für  eine  in  Bern  veranstaltete  Sammlung  zu  einem  Denkmal  für 
Albrecht  von  Haller  wird  von  der  Gesellschaft  ein  Beitrag  von  W  Franken 
beigesteuert. 

Die  Herren  Dr.  Bohnstedt  (Gr.-Lichterfelde),  Dr.  Wilhelm  Spatz 
und  Dr.  Georg  Sommer  (Schöneberg)   werden   in  die  Gesellschaft   auf- 

U* 


164  Sitzungen  der  Boiliner  Gesellschaft 

Die  Herren  Desdouits,  licenci^  fes  lettres,  Oberlehrer  Dr.  Johan- 
nesson,  Oberlehrer  Dr.  Münster  und  Oberlehrer  Dr.  Liudner  haben 
sich  zur  Aufnahme  gemeldet. 

Sitzimg  vom  8.  Oktober  1901. 

Herr  Berneker  setzt  seinen  Vortrag  über  die  Volksepik  der  Russen 
fort.  Die  Form  der  Bylinen  ist  trotz  ihrer  Wanderung  vom  Süden  nach 
dem  Norden  und  ihrer  Übertragung  von  Generation  zu  Generation  wäh- 
rend mehrerer  Jahrhunderte  verhältnismälsig  altertümlich  geblieben  dank 
der  Abgeschlossenheit  und  dem  zähen  Hang  an  der  Überlieferung  der 
Bewohner  von  Olonec.  Die  Verse  folgen  ohne  Strophengliederuug,  ohne 
Bindung  durch  Reim  oder  Allitteration  aufeinander;  sie  sind  zumeist 
sechs-  bis  siebenfüfsig.  An  Hauptmetren  kann  man  ein  trochäisches  (mit 
Daktylus  am  Schlufs),  ein  trochäisch-daktylisches  und  ein  anapästisches 
unterscheiden;  zahlreiche  Flickwörter  dienen  zum  Festhalten  dieser  Metren; 
die  Darstellung  zeigt  alle  für  die  Volksepik  überhaupt  charakteristischen 
Züge,  als:  epische  Breite,  Wiederholung  von  Wörtern  und  ganzen  Stellen, 
Paarung  sinnverwandter  Wörter,  stehende  Beiwörter  und  mehr  oder  weniger 
ausgeführte  Vergleiche.  —  In  früherer  Zeit  fafste  man  die  Bylinen  teils 
als  rein  mythologische,  teils  als  rein  historische,  teils  als  direkt  aus  dem 
Osten  entlehnte  Lieder  auf.  Jetzt  erkennt  man  in  ihnen  sehr  komplizierte " 
Gebilde,  deren  einzelne  Bestandteile  man  eifrig  zu  sondern  bestrebt  ist. 
Historische  Lieder  priesen  die  Thaten  Wladimirs  und  seiner  Helden,  und 
spätere  Zeiten  fügten  diesem  glänzenden  Kreise  immer  neue  Helden  zu. 
Allmählich  wurden  die  Lieder  mit  märchen-  und  sagenhaften  Motiven 
durchsetzt,  bis  dieses  Element  das  historische  ganz  überwucherte.  Unter 
diesen  Motiven  sind  teils  solche  von  hohem  Alter,  die  ein  Gemeingut  der 
indogermanischen  Völker  bilden,  doch  auch  mehr  noch  neuere,  die  die 
Russen  von  ihren  östlichen  Nachbarvölkern  überkamen ;  auch  buchmäfsige 
Stoffe  aus  der  Bibel,  den  Apokryphen  und  der  reichen  byzantinischen 
Erzählungslitteratur  sind  eingedrungen.  In  neuerer  Zeit  sind  auch  Be- 
rührungen mit  dem  Westen  aufgedeckt  worden;  doch  bleibt  gerade  hier 
noch  viel  zu  thun  übrig. 

Herr  Tob  1er  findet  diese  Hinweise  auf  die  Übereinstimmung  zwi- 
schen russischer  und  westlicher  Volkslitteratur  sehr  interessant.  Er  fragt, 
ob  der  vielgenannte  moderne  russische  Dichter  Maxim  Gorki  seine  Sagen- 
stoffe selbst  erfunden  oder  dem  Volksepos  entnommen  habe;  ein  Stoff 
wie  der  vom  Herzen  Dankos  scheine  ihm  der  Phantasie  des  Dichters  ent- 
sprungen zu  sein.  Herr  Berneker  bestätigt  das;  seines  Wissens  habe 
eine  solche  Sage  im  Volke  nicht  existiert. 

Herr  Krueger  sprach  sodann  über  das  Thema:  Wie  werden  Abstrakta 
zu  Konkretis?  Es  giebt  keine  festen  Grenzen  zwischen  den  sprachlichen 
Kategorien.  Aus  Gattungs-  werden  Eigennamen  und  umgekehrt,  aus 
Hauptwort  Eigenschaftswort  und  Zeitwort,  aus  jenem  Hauptwort,  aus 
Adverb  Konjunktion  und  Adjektiv,  aus  Zeitwort  Hauptwort,  freilich  nicht 
in  jeder  Sprache  alles.  Warum  also  nicht  auch  aus  Abstraktum  Kon- 
kretum,  wenn  auch  der  umgekehrte  Gang  das  Übliche  ist.  Zudem,  was 
ist  denn  Abstraktum?  Der  Begriff  ist  noch  nicht  befriedigend  fest  be- 
stimmt und  wird  es  auch  nicht  werden  können,  da  der  Übergänge  zu  viele 
sind.  Jedem  Konkretum  haftet  vom  Abstrakten,  diesem  von  jenem  etwas 
an.  Man  sollte  übrigens  auf  Eigenschafts-  und  Zeitwörter  dieselbe  Unter- 
scheidung anwenden.  Es  läfst  sich  nach  dem  Gesagten  erwarten,  dafs 
auch  Übergänge  vom  Abstraktum  zum  SinnUchen  stattfinden;  solcher 
giebt  es  mehrere  Gruppen.  A.  Vom  KoUektivum  aus,  das  vom  Vortra- 
genden näher  bestimmt  wird.  Es  löst  sich  wieder  in  seine  Bestandteile, 
welche  einzelne  Sinnliche  sind,   auf;   dies   wird  gezeigt  an  Frauenzimmer, 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  165 

Schildwache,  Bat,  Bursche,  Kamerad,  Bekannisch».it  \  pratique,  recrtie,  re- 
monte;  acqtiamfance.  Es  wird  darauf  hingewiesen,  dals  im  Englischen  an 
jedem  Kollektivum  noch  heute  täglich  dieser  Vorgang  stattfindet;  es  wird 
als  Singular  behandelt,  wenn  der  allgemeine  Begriff,  als  Plural,  wenn  die 
Vorstellung  des  einzelnen  vorherrscht,  also  ixy  faniily  lires  m  the  country, 
aber  all  )ny  faniily  are  pussionakiy  ScotcJi.  Warum  das  in  anderen 
Sprachen  nur  gelegentlich  geschieht,  dafür  ist  es  schwer,  einen  Grund  an- 
zugeben. Für  sentinelle  wagt  der  Vortragende  eine  neue  Ableitung;  es 
sei  vielleicht  ein  Spitzname  gewesen,  den  man  der  Mannschaft  im  unteren 
Schiffsraum,  die  dort  die  Wache  gehabt  habe  —  das  lat.  sentmatcrr  sprechr 
für  das  Vorhandensein  einer  solchen  — ,  gegeben  habe;  die  Schiffsmann- 
schaften und  Soldaten  liebten  solche  Necknamen;  er  erinnert  an  unser 
'Schwamm'  für  die  während  eines  Manövers  zurückbleibende  Wachmann- 
schaft und  teil  fhat  to  the  marines.  (Der  Vortrag  wird  in  der  nächsten 
Sitzung  fortgesetzt  werden.) 

Die  Herren  Lic.  DesdouiLs  und  Oberlehrer  Dr.  Johann  essen, 
Dr.  Münster  und  Dr.  Linduer  werden  in  die  Gesellschaft  aufgenom- 
men; die  Herren  Oberlehrer  Paul  Boek,  Paul  Selge  und  Wilhelm 
Schreiber  und  die  wissenschaftlichen  Hilfslehrer  Dr.  Rudolf  Tobler 
und  Dr.  Paul  Merteus  haben  sich  zur  Aufnahme  gemeldet. 

Sitzung  vom  22.  Oktober  1901. 

Herr  Krueger  beendigt  seinen  Vortrag  über  das  Thema:  Wie  werden 
Abstrakta  zu  Konkretis?  Eine  andere  Gruppe  von  Konkreten  ist,  nach 
des  Vortragenden  Meinung,  durch  Übertragung  aus  Abstrakten  entstanden. 
Oft  sagt  die  Sprache  unlogisch,  jemand  sei  etwas,  womit  er  nur  in  Be- 
ziehung stehe.  He  is  good  Company,  weil  liis  Company  is  good,  agreeable. 
Fntweder  würde  dies  analog  gebildet  sein  zu  ihey  are  good  Company  oder 
vermischt  mit  der  Vorstellung,  he  is  a  good  companion.  Wie  man  gesagt 
hat,  he  is  a  good  hand  at  whist  statt  his  hand  at  whist  is  good,  so  auch 
'er  ist  eine  Specialität  im  Ringen'  statt  'seine  Specialität  besteht  im 
Ringen'.  So  erklären  sich  he  is  a  good  riddance,  she  is  a  fright,  a  caution, 
you  humbug;  a  relation,  connexion  Verwandte;  e'est  wie  heaiite;  she  is  a 
beaidy,  une  jeunesse,  a  youth ;  du  Unart,  Unzucht,  Eigensinn ;  'er  ist  eine 
alte  Liebe  von  ihr,  sie  ist  sein  Verhältnis';  'der  deutsche  Lehrer  ist  meist 
die  Schwärmerei  (der  Schwärm)  der  jungen  Mädchen';  ob  connaissance, 
acqiiaintance  Bekanntschaft  =  Bekannte(r),  hierher  gehören  oder  erst 
durch  das  Kollektivum  hindurchgegangen  sind,  läfst  sich  nicht  entschei- 
den. Genannt  seien  noch  die  Unschuld  und  das  Wort  Gottes  vom  Lande', 
'mein  Besuch';  'der  Verdrufs'  =^  Buckel;  so  ist  wohl  auch  gandia  zu  der 
Bedeutung  Juwel  gekonunen,  weil  es  Freude  erweckt.  Auf  demselben 
Wege  der  Übertragung  ist  die  Bezeichnung  des  abstrakten  Thuns  auf 
sein  sinnliches  Erzeugnis  übergegangen:  Niederlassung,  Gründung,  Rech- 
nung, l'addition,  clothing.  dwelling,  dripping.  Das  ist  so  häufig,  dafs  es 
selbstverständlich  erscheint;  dafs  dem  indessen  nicht  so  ist,  merkt  man 
plötzlich  da,  wo  die  Sprache  beim  Abstraktuin  stehen  geblieben  ist:  cooking 
ist  nicht  auch  das  Gekochte;  drinking  nicht  auch  das  Getränk.  Es  werden 
noch  itre,  being  Wesen,  choicc  =  Auscrwählte(r) ;  Schatz,  copie,  copy  im 
Verhältnis  zu  copia  besprochen.  —  Dafs  Abstrakta  für  einzelne  Personen, 
welche  die  betreffende  Thätigkeit  ausüben,  gebraucht  wurden,  kann  psy- 
chologisch noch  besondere  (rründe  gehabt  haben :  die  Absicht,  zu  ver- 
hüllen, sich  zu  decken  oder  Nimbus  zu  verbreiten.  So  wird  Leitung  für 
Leiter,  Krone  für  König  gesagt;  der  Pluralis  niajestaticus,  das  'Ihr'  und 
'Sie'  der  Anrede  entsprossen  ja  derselben  W^urzel.  So  werden  die  Anreden 
Majestät,  Hoheit,  Gnade  entstanden  sein;  ursprünglich  wird  es  wohl  ge- 
lautet haben :  die  Majestät  des  Kaisers  u.  s.  w.,  wofür  U^i]  Vs  T-qXeuäxoio 


166  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

spricht.  —  Eine  dritte  Gruppe  verdankt  ihr  Dasein  wohl  einfach  der 
Auslassung,  wie  Suspension  Hängelampe,  diligence  Eilpost,  quality  := 
people  of  quality,  demi  rep  ^=  a  woman  of  demi-reputation ;  eine  vierte  dem 
Vergleich,  wie  'eine  Stütze'  (der  Hausfrau),  'mein  Schatz'.  Feste  Scheide- 
wände lassen  sich  aber  zwischen  den  versuchsweise  aufgestellten  Klassen 
nicht  errichten ;  die  meisten  der  behandelten  Ausdrücke  lassen  mehrere 
Erklärungsweisen  zu. 

Herr  Penner  führt  einige  Beispiele  aus  Shakespeare  an;  Herr  Ebe- 
ling  erwähnt  Konstruktionen  ad  sensum  aus  den  anderen  romanischen 
Sprachen. 

Herr  Münch  spricht  über  das  Thema:  Ein  Wiederaufleben  Rousseau- 
scher Gedanken  in  der  neuesten  französischen  Litteratur.  Der  Vortra- 
gende berichtete  über  das  1899  bei  Armand  Colin  in  Paris  erschienene 
Buch  von  Paul  Lacombe  Esquisse  d'un  Enseignement  base  sur  la  Psycho- 
logie de  l'enfant,  dessen  Inhalt  —  einen  Protest  gegen  die  gesamte  Art 
der  gegenwärtigen,  insbesondere  der  französischen  Schulerziehung  —  er 
zusammenhängend  darlegte,  um  nachzuweisen,  in  wie  vielen  Punkten  der 
Verfasser,  der  den  Namen  Rousseaus  übrigens  nicht  ein  einzigesmal  nennt, 
mit  diesem  zusammentrifft,  während  er  sich  an  anderen  Stellen  von  mo- 
dernen Strömungen  besonders  der  englischen  Pädagogik  und  Psychologie 
beeinflufst  zeigt,  wiederum  an  anderen  sich  mit  bestimmten  Bestrebungen 
der  deutschen  pädagogischen  Theorie  und  Praxis  berührt  und  zwischen-  ■ 
durch  auch  eine  Anzahl  von  recht  schätzenswerten  und  ausführbaren 
Einzelvorschlägen  macht.  Hierher  gehört  vor  allem  die  Rolle,  welche  für 
die  Pflege  des  Gefühlslebens  im  Geschichts-  und  Litteraturunterricht  ge- 
fordert wird,  und  die  Polemik  gegen  die  in  Frankreich  übliche,  einseitig 
formal-ästhetische  Behandlung  der  Lektüre.  Im  übrigen  verraten  die 
Ideen  des  Verfassers  bei  durchaus  pessimistischer  Beurteilung  des  be- 
stehenden öffentlichen  Erziehungswesens  einen  ebenso  unbedingten  Opti- 
mismus in  Beziehung  auf  die  jugendliche  Natur  an  sich,  und  der  Cha- 
rakter des  Utopischen,  den  Lacombe  ebenso  wie  seiner  Zeit  Rousseau  als 
unzutreffend  zurückweist,  haftet  seinen  Ausführungen  doch  an.  Sie  bilden 
aber  eine  interessante  Erscheinung  in  der  Geschichte  —  nicht  etwa  der 
französischen  Pädagogik  als  solcher,  sondern  des  französischen  Geistes 
überhaupt. 

Herr  Direktor  Schnitze  macht  darauf  aufmerksam,  dafs  —  wie  bei 
Lacombe  —  der  Zeichenunterricht  aus  dem  Gedächtnis  auch  nach  den 
neuesten  Lehrplänen  gefordert  wird.  Er  fürchtet,  dafs  nichts  Gescheites 
daraus  werden  wird.  Herr  Münch  glaubt,  dafs  das  aber  doch  nicht  so 
gemeint  sei  wie  bei  Lacombe;  die  Zeichenlehrer  selbst  dächten  sehr  ver- 
schieden darüber.  Herr  Rosenberg  ist  der  Ansicht,  dafs  diese  Forde- 
rung auf  Fröbelschen  Ideen  beruhe,  wie  sich  auf  der  Berliner  Ausstellung 
'Die  Kunst  im  Leben  des  Kindes'  gezeigt  habe.  Herr  Tob  1er  meint,  das 
interessante  Buch  verfolge  ein  anderes  Ziel,  als  es  nach  dem  Titel  scheine. 
Ein  richtiger  Beobachter  der  Kindesseele  in  Frankreich  müfste  einmal 
seine  Erfahrungen  niederschreiben ;  das  ist  in  der  schönen  Litteratur  selten 
geschehen.  Es  findet  sich  in  dieser  oft  eine  fast  unglaubliche  Unkenntnis 
derselben.  Ansätze  dazu  sind  bei  Daudet  und  Zola  zwar  vorhanden, 
aber  nie  sehen  wir  etwas  Ähnliches  wie  bei  Tolstoi  oder  Multatuli.  Es 
würde  nicht  schaden,  wenn  die  französischen  Schriftsteller  besser  lernten, 
wie  Kinder  beschaffen  sind.  Das  Buch  von  Lacombe  habe  ihn  an  das 
von  Paul  Adam,  Le  Triomphe  des  Mediocres,  erinnert,  eine  Sammlung 
von  Feuilletons  aus  dem  Journal,  die  u.  a.  auch  Fragen  der  Erziehung 
und  des  öffentlichen  Unterrichts  behandeln.  Auch  Paul  Adam  erinnert 
an  Rousseau;  wie  dieser  ungerecht  gegen  Lafontaine  ist,  ist  es  Adam 
gegen  Molifere.  Das  Lachen  findet  Adam  an  sich  schon  abscheulich,  und 
Molifere  fasse  nach  seiner  Meinung  die  Menschen  stets  bei  ihren  schlimmsten 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  167 

Instinkten,  um  sie  lachen  zu  macheu.  Da  die  französische  Jugend  stets 
nur  in  die  Armee,  die  Vor\valtun<r  oder  in  die  richterliche  Laufbahn  strebe, 
empfiehlt  Adam  eigene  Initiative;  iu  den  Kolonien  z.  B.  gäbe  es  für 
willensstarke  Menschen  gute  Aussichten.  Herr  Münch  nennt  noch  das 
Buch  von  Thomas,  L'Eduration  des  Senti)iients,  das  ebenfalls  lesens- 
wert sei,  aber  allerdings  viel  Theoretisches  verlange.  Bei  uns  in  Deutsch- 
land habe  mau  auch  das  Kind  erst  spät  zu  studieren  angefangen,  und 
manche  Anregung  hätten  wir  von  England  erhalten.  Robert  Reinick, 
Friedrich  CJüU  seien  zu  nennen.  Wie  man  in  Frankreich  das  Volkstüm- 
liche mehr  zu  studieren  anfange,  so  werde  man  es  auch  mit  den  Kindern 
tluiu.  Ein  schöner  Anfang  dazu  sei  von  Charles  ^Farelle  gemacht  worden. 
Die  Herren  Boek,  Selge,  Schreiber,  Rudolf  Tol)ler  und  Mer- 
tens  werden  in  die  Gesellschaft  aufgenommen;  die  Herren  Prof.  Frede- 
rick Tupper  und  Lektor  Sefton  Dclmer  haben  sich  zur  Aufnahme  ge- 
meldet. 

Sitzung  vom  12.  November  1901. 

Herr  Tanger  sprach   über  Stoffel,   Intensives  and  Dmvntoners.     Der 
Vortrag  w'ird  im  Archiv  erscheinen. 

Herr  Kuttner  sprach  über  seine  Reise  nach  Korsika,  zu  der  die  Be- 
schäftigung mit  M^rimoes  Colomha  ihm  die  erste  Anregunc?  gegeben  hatte. 
Er  wollte  unter  anderem  untersuchen,  wie  weit  die  Wirklichkeit  in  der 
Dichtung  M^rimees  Platz  gefunden,  was  davon  heute  noch  Gültigkeit  hat 
und  inwiefern  die  Andeutung  über  die  Wahrheit  der  Erzählung,  die  der 
Romancier  u)ie  veridiqiie  histoirc  nennt,  zutrifft.  Der  Vortragende  trat 
zunächst  einigen  allgemein  verbreiteten  Vorurteilen  und  sensationell  ge- 
färbten Reiseberichten  jüngster  Zeit  entgegen  und  schilderte  das  Reisen 
auf  der  Insel  als  zwar  ziemlich  beschwerlich,  aber  trotz  des  nicht  auszu- 
rottenden Banditentums  ebenso  sicher  für  den  Fremden  wie  sonstwo  auf 
dem  Kontinent.  Nachdem  der  Vortragende  dann  ein  paar  Streiflichter 
auf  Land  und  Leute  hatte  fallen  lassen,  berührte  er  kurz  das  wissen- 
schaftliche Leben  in  Korsika  und  die  zu  Gebote  stehenden  litterarischen 
Hilfs(iuellen.  Ihm  war  bereitwilligst  die  Benutzung  der  Stadtbibliothek 
von  Ajaccio  gestattet  worden,  und  er  glaubt  dort  in  einer  Novellensamm- 
lung von  F.  0.  Renucci,  die  auch  Gregorovius  verwertet  hat,  die  ursprüng- 
liche Form  für  'Mateo  Falcone'  gefunden  zu  haben.  Auch  Chamisso 
scheint  diese  Novellen  ])enutzt  zu  haben ;  sein  Mateo  Falcone  jedoch  ist 
wohl  nur  eine  Versifizierung  der  Morinu'-eschen  Novelle;  denn  die  Über- 
einstiuuuung  ist  fast  wörtlich,  und  auch  die  Daten  des  Erscheinens:  Mateo 
Falcone  von  IM^rimee  1829,  der  von  Chamisso  1830,  stimmen  zu  dieser  Ver- 
mutung. —  Als  für  CoJontha  keine  litterarische  Quelle  zu  finden  war,  wandte 
sich  der  Vortragende  an  die  Menschen,  um,  wenn  möglich,  einen  noch 
sprudelnden  Born  persönlicher  Erinnerung  zu  entdecken.  Nach  mancher 
Irrfahrt  gelang  es  ihm  wirklich,  in  dem  kleinen  Gebirgsdorfc  Olmeto  die 
Familie  der  Oolomlta,  ein  paar  Knkel,  aufzutinden,  die  verschiedene  Er- 
innerungen au  die  ]M(5rim(Sesclie  Heldin,  aber,  was  beweisender  ist,  auch 
Briefe  M<5rimees  au  sie  aufbewahrt.  Der  Vortragende  hat  einen  derselben 
aus  dem  Jahre  1855  abgeschrieben.  Nach  den  Berichten  der  Familie  giebt 
der  Vortragende  eine  kleine  Biographie  der  wirklichen  Colomba,  die  eine 
Stelle  eines  Briefes  M^rimees  an  M.  Lenoruiant:  ■/'anrais  p/t  In  faire  plus 
ressemblante,  mais  j'ai  craint  roffensionem  gentium'  (Filon,  Merimee  S.  65), 
verständlich  nuicht.  Der  Vortragende  schliefst  mit  einigen  Ergänzungen 
zu  dem  Kommentar  der  Merimeeschen  Novelle,  wie  sie  ihm  durch  seine 
Bekanntschaft  mit  der  Insel,  ihren  Bewohnern  und  ihren  Sitten  und  Ge- 
bräuchen au  die  Hand  gegel)en  wurden. 

Die  Herren  Tupper  und  Delmer  werden  iu  die  Gesellschaft  aufge- 
nommen. —  Der  bisherige  Vorstand  wird  mit  grolser  Mehrheit  wiedergewählt. 


168  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft  etc. 

Sitvwng  vom  26.  November  1901. 

Herr  Tanger  beendigt  seinen  Vortrag  über  Stoffel,  Intensives  and 
Dovmtoners.    Auch  dieser  Teil  wird  im  Archiv  erscheinen. 

Herr  Selge  erinnert  bezüglich  des  'you  are  so  kind'  an  Goethes 
Wahlverwandtschaften,  wo  gesagt  wird,  die  Frauen  liebten  sich  so  aus- 
zudrücken. —  Herr  Krueger  glaubt  nicht  an  den  Unterschied  zwischen 
je  ne  suis  pas  aussi  grand  und  je  ne  suis  pas  si  grand.  Leetle  statt  little 
hält  er  für  schottisch.  —  Herr  Tobler  verweist  auf  einige  analoge  Fälle 
in  romanischen  Sprachen  und  im  Deutschen,  wo  gleichfalls  der  zweite 
Teil  des  Vergleichs  hinter  'so'  ausfalle;  vielleicht  habe  einst  eine  Gebärde 
das  Fehlende  ergänzt.  Leetle  sei  möglicherweise,  um  einen  Gröberschen 
Ausdruck  zu  gebrauchen,  affektische  Redeweise;  in  solcher  werde  auch 
anderwärts  etwa  kurzer  Vokal  gedehnt. 

Herr  Pariselle  macht  Bemerkungen  zu  Erckmann-Chatrian,  Histoire 
d'un  Conscrit  de  1818,  herausgegeben  von  Bandow.  Eine  Anzahl  Wen- 
dungen und  Ausdrücke  bedarf  der  näheren  Erklärung  oder  auch  Berich- 
tigung. So  z.  B.  müsse  dem  Schüler  gesagt  werden,  was  juge  de  paix  ist, 
was  glacis,  conscription,  ruhan  noir,  gagner  (eine  hohe  Nummer  ziehen), 
caisse  {Trommel  der  Lotterie),  corde  (Strick  eines  Gehenkten),  six  livres, 
cöte  du  pont,  ecole  du  peloton,  capitaine  adjudant-major  (Bataillonsadjutant), 
pain  du  inenage,  demi-tour  (ganze  Kehrtschwenkung  um  180°),  bonnet  de 
police.  Der  Ort  Lauterbach  liegt  in  Hessen,  an  der  Eisenbahn  Giefsen- 
Fulda,  Neukirchen  ist  das  Dorf  im  Reg.-Bez.  Kassel,  an  der  Eisenbahn 
Bebra  -  Fulda ;  Egleystadt  ist  nicht  Öglitzsch  an  der  Saale,  wie  Bandow 
meint,  sondern  Eckelstedt  in  Sachsen-Meiningen,  bei  Camburg.  Endlich 
ist  auch  ein  Druckfehler  der  Originalausgaben  zu  verbessern.  Bei  der 
Beschreibung  eines  Geschützkampfes  in  der  Schlacht  bei  Leipzig  ist  als 
Standort  der  preufsischen  Artillerie  das  Dorf  Mockern  erwähnt.  Das  ist 
nicht  das  bekannte  Möckem,  das  ebenso  geschrieben  wird,  sondern  dac 
Dorf  Mockau. 

Herr  Dr.  August  Lummert  hat  sich  zur  Aufnahme  gemeldet. 


Verzeichnis  der  Mitglieder 

der 
Berliner  Gesellschaft  für  das  Studium  der  neueren  Sprachen. 

Janixar    190S. 


Vorstand. 


Vorsitzender:  Herr  A.  Tob  1er. 
Stellvertretender  Vorsitzender:       „      H.  Bieling. 
Schriftführer:  „      E,  Penn  er. 

Stellvertretender  Schriftführer:       „      G.  Krueger. 
Erster  Kassenf ührer :  „      E.  Pariselle. 

Zweiter  Kassenführer:  ,,      G.  Tanger, 


A.    Ehrenmitglieder. 

Herr  Dr.  Furnivall,  Frederick  J.,  3  St.  George's  Square,  Prim- 
rose Hill,  London  NW. 

„  Dr.  Gröber,  Gustav,  o.  ö.  Professor  an  der  Universität. 
Strafsburg,  Universitätsplatz  8. 

„  Dr.  Mussafia,  Adolf,  Hofrat,  o.  ö.  Professor  an  der  Uni- 
versität.   Wien  Vni,  Florianigasse  1. 

„     Paris,  Gaston,  Mitglied  der  französischen  Akademie.    Paris, 
College  de  France. 
Frau  Vasconcellos,    Carolina    Michaelis    de,    Dr.    phil.     Porto, 
Cedofeita. 

ß.    Ordentliche  Mitglieder. 

Herr  Dr.  Arn  heim,  Joseph,  Realschuldirektor  a.  D.  Berlin  W., 
Motzstral'se  85  part. 

„  Dr.  Bahlsen,  Leo,  Oberlehrer  an  der  VL  städtischen  Real- 
schule.   Friedenau,  Hauffstrafse  7  L 

„  Dr.  Berneker,  Erich  Karl,  Privatdocent  an  der  Universität. 
Berlin  NW.,  Brückenallee  32. 

„  Dr.  Bieling,  H.,  Professor,  Oberlehrer  am  Sophien-Realgym- 
nasium.   Berlin  N.,  Schönhauser  Allee  31  TTT. 


170  Mitglieder- Verzeichnis  der  Berliner  Gesellschaft 

Herr  Blücher,  Georg,  Oberlehrer  am  Kaiserin -Augusta- Gymna- 
sium.   Charlottenburg,  Berliner  Strafse  49. 

„  Boek,  Paul,  Professor,  Oberlehrer  am  Königstädtischen  Real- 
gymnasium.   Grofs-Lichterfelde,  Marthastrafse  2. 

„  Dr.  Bohnstedt,  Kurt  K.  R.,  Oberlehrer  an  der  Haupt- 
Kadetten  an  stalt.     Grofs-Lichterfelde,  Schillerstrafse  9. 

„     Dr.  Born,  Max.     Berlin  NW.  52,  Rathenowerstrafse  4. 

„  Bourgeois,  Henri,  Konsul  der  französischen  Republik.  Ber- 
lin W.,  Pariser  Platz  5. 

„  Dr.  Brandl,  Alois,  ord.Professor  an  der  Universität.  Berlin  W., 
Kaiserin-Augusta-Strafse  73  HI. 

„  Dr.  C  a  r  e  1 ,  George,  Professor,  Oberlehrer  an  der  Sophienschule. 
Charlottenburg,  Schlofsstrafse  25. 

„  Dr.  Churchill,  George  B.,  Professor  am  Amherst  College. 
Amherst,  Massachusetts,  U.  S.  A. 

„     Cohn,  Alb.,  Buchhändler.    Berlin  W.,  Kurfürstendamm  259. 

„     Dr.  Cohn,  Georg.    Berlin  W.,  Linkstrafse  29  HI. 

„  Dr.  Conrad,  Herm.,  Professor  an  der  Haupt-Kadettenanstalt. 
Gr. -Lichterfelde,  Berliner  Strafse  19. 

„     Dr.  Cornicelius,  Max.    Berlin  W.,  Luitpoldstrafse  4. 

„  Delmer,  F.  Sefton,  M.  A.,  Lektor  des  Englischen  an  der 
Universität.   Schöneberg-Berlin,  Barbarossastrafse  81  IH. 

„  Desdouits,  L§on,  Licencie  ^s  lettres,  Lehrer  der  französischen 
Sprache.    Berlin  W.,  Augsburgerstrafse  98  III. 

„  Dr.  Dieter,  Ferd.,  Oberlehrer  an  der  IV.  städtischen  Real- 
schule.   Westend,  Königin-Elisabethstrafse  1. 

„     Dr.  Ebeling,  Georg.    Charlottenburg,  Goethestrafse  56. 

„     Engel,  H.,  Oberlehrer.    Charlottenburg,  Leibnizstrafse  1  a.    " 

„  Dr.  Eng  wer,  Theodor,  Oberlehrer  an  der  III.  städtischen  Real- 
schule.   Berlin  SW.  47,  Hagelsberger  Strafse  44. 

„  Falck,  Karl,  Oberlehrer  an  der  XI.  städtischen  Realschule. 
Berlin  SW.,  Solmsstrafse  7  III. 

„  Dr,  Flindt,  Emil,  Oberlehrer.  Charlottenburg,  Schlüter- 
strafse  19. 

„  Dr.  Förster,  Paul,  Professor,  Oberlehrer  am  Kaiser- Wilhelm- 
Realgymnasium.    Berlin  SW.  12,  Kochstrafse  66. 

„  Dr.  Fuchs,  Max,  Oberlehrer  an  der  VI.  städtischen  Real- 
schule.   Frieden  au,  Stubenrauchstrafse  6. 

„  Dr.  Gade,  Heinrich,  Oberlehrer  am  Andreas-Realgymnasium. 
Berlin  NW.  21,  Turmstrafse  34  IV. 

„     Dr.  G  0 1  d  s  t  a  u  b ,  Max.    Berlin  W.  30,  Pallasstrafse  1 . 

„  Dr.  Gropp,  Ernst,  Direktor  der  städtischen  Oberrealschule. 
Charlottenburg,  Schlofsstrafse  16. 

„  Grosset,  Ernest,  Lehrer  an  der  Kriegsakademie  und  am 
Victoria-Lyceum.  Berlin  SW.  48,  Wilhelmstrafse  146  IV. 

„     Haas,  J.,  Oberleutnant  a.  D.    Berlin  C,  An  der  Schleuse  5a. 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  171 

Herr  Dr.  Hahn,  0.,  Professor,  Oberlehrer  an  der  Victoriaschule. 
Berlin  S.  59,  Urbanstrafse  31  H. 

„  Harsley,  Fred,  M. A.,  Lektor  der  englischen  Sprache  an  der 
Universität.    Berlin  N.  24,  Friedrichstrafse  133A. 

„  Dr.  Hausknecht,  Emil,  Professor,  Direktor  der  Oberreal- 
schule.   Kiel,  Holten auerstrafse  6. 

„  Dr.  Heck  er,  Oscar,  Lektor  der  italienischen  Sprache  an  der 
Universität.    Berlin  W.,  Ansbacher  Strafse  48. 

„  Dr.  Hellgrewe,  Wilh.,  Oberlehrer  an  der  städtischen  Ober- 
realschule.   Charlott«nburg,  Wallsti'afse  60  I. 

„  Dr.  He  ndreich,  Otto,  Oberlehrer  an  der  Luisenstädtischen 
Oberrealschule.    Berlin  SO.  16,  Köpenicker  Strafse  30. 

„  Dr.  Herrmann,  Albert,  Oberlehrer  an  der  XIL  städtischen 
Realschule.    Berlin  O.,  Memeler  Strafse  44. 

„     Dr.  Herzfeld,  Georg.    Berlin  W.,  Keithstrafse  21. 

„  Holder -Egger,  M.,  Geheimer  Rechnungsrat  a.  D.  Char- 
lottenburg, Fasanenstrafse  25. 

„  Dr.  Hosch,  Siegfried,  Professor,  Oberlehrer  an  der  Luisen- 
städtischen Oberrealschule.   Berlin  S.,  Oranienstr.  144n. 

„  Dr.  Huot,  P.,  Direktor  der  Victoriaschule.  Berlin  S.  14,  Prinzen- 
strafse  5 1  H. 

„  Dr.  Johan  nesson,  Fritz,  Oberlehrer  am  Andreas-Realgym- 
nasium in  Berlin.    Karlshorst,  Villa  Elfriede. 

„  Kabisch,  Otto,  Professor,  Oberlehrer  am  Luisenstädtischen 
Gymnasium.    Johannisthai,  Waldstrafse  6. 

„     Dr.  Käst  au.  Albert.    Berlin  W.  64,  Behrensti'afse  9. 

„  Dr.  Keesebiter,  Oscar,  Oberlehrer  an  der  IV.  städtischen 
Realschule.    Haiensee,  Westfälische  Strafse  38. 

„  Keil,  Georg,  Oberlehrer  an  der  Elisabethschule.  Berlin  SW.  48, 
Friedrichstrafse  32  HI. 

„  Dr.  Keller,  Wolfgang,  aufserord.  Professor  an  der  Universi- 
tät.   Jena,  Inselplatz  7. 

„  Dr.  Knörk,  Otto,  Oberlehrer  an  der  Realschule  in  Grofs- 
Lichterfelde,  Elisabethstrafse  31. 

„  Dr.  Kolsen,  Adolf,  Lehrer  am  V.  Kaiserl.  Gymnasium. 
St.  Petersburg,  Katharinen-Kanal  93,  Quartier  2. 

„  Dr.  Krueger,  Gustav,  Oberlehrer  am  Kaiser-Wilhelm -Real- 
gymnasium.   Berlin  W.  10,  Bendlerstrafse  17. 

„  Dr.  Kuttner,  Max,  Oberlehrer  an  der  Dorotheen schule.  Ber- 
lin W.,  Motzstrafse  76. 

„     Lach,  Handelsschuldirektor.  Berlin  SO.l  6,  Dresdner  Strafse  901. 

,,  Dr.  Lamprecht,  F.,  Professor,  Oberlehrer  am  Gymnasium 
zum  Grauen  Kloster.  Berlin  C.  2,  Neue  Friedrich- 
strafse 84. 

„  Langenscheidt,  C,  Verlagsbuchhändler.  Berlin  SW.  46, 
Hallesche  Strafse  17  part. 


172  Mitglieder- Verzeichnis  der  Berliner  Gesellschaft 

Herr  Le  Tourneau,  Marcel,  Lehrer  an  der  Humboldt- Akademie. 
Berlin  W.,  Lützowstrafse  42. 

„  Dr.  L  i  e  b  a  u ,  Geheimer  Rechnungsrat  im  Reichsamt  des 
Inneren.    Berlin  SW.,  Planufer  19  1. 

„  Dr.  Lindner,  Karl,  Oberlehrer  am  Luisenstädtischen  Real- 
gymnasium.   Berlin  SO.,  Köpenicker  Strafse  88. 

„  Dr.  Löschhorn,  Hans,  Professor,  Oberlehrer  am  Kgl.  Lehre- 
rinnen-Seminar und  der  Augustaschule.  Berlin  W.  35, 
Genthiner  Sti-afse  41  HI. 

„  Dr.  Lücking,  Gustav,  Professor,  Direktor  der  HL  städtischen 
Realschule.    Berlin  W.,  Steglitzer  Strafse  8  a. 

„  Dr.  Lummert,  August,  ordentlicher  Lehrer  an  der  Victoria- 
schule.   Berlin  S.  59,  Camphausenstrafse  3. 

„  Dr.  Mackel,  Emil,  Oberlehrer  am  Prinz-Heinrich-Gymnasium. 
Friedenau,  Dürerplatz  3. 

„  Dr.  Mangold,  Wilhelm,  Professor,  Oberlehrer  am  Askanischen 
Gymnasium.    Berlin  SW.  47,  Grofsbeerenstrafse  71. 

„  Dr.  Mann,  Paul,  Oberlehrer  am  Luisenstädt.  Realgymnasium. 
Berlin  SW.,  Neuenburgerstrafse  28. 

„     Marelle,  Charles.    Berlin  W. 9,  Schellingstrafse  6 HL 

„  V.  Mauntz,  A.,  Oberstleutnant  a.D.  Berlin  W.  30,  Nollendorf- 
strafse  10  HL 

„  Dr.  M  er ten  s ,  Paul,  wissenschaftl.  Hilfslehrer  an  der  Oben-eal- 
schule  in  Charlotten  bürg.     Berlin  W.,  Lutherstrafse  44. 

„  Dr.  Michael,  Wilhelm,  Oberlehrer  an  der  Oberrealschule. 
Charlottenburg,  Kaiser-Friedrich-Strafse  92. 

„  Dr.  Michaelis,  C.  Th.,  Prov.-Schulrat.  Berlin  W.,  Kurfürsten- 
strafse  149. 

„  Mugica,  Pedro  de,  Licentiat,  Lehrer  der  spanischen  Sprache 
am  Orientalischen  Seminar.  Berlin  NW.  21,  Wilsnacker 
Strafse  3. 

„  Dr.  Müller,  Adolf,  Professor,  Oberlehrer  an  der  Elisabeth- 
schule.   Berlin  SW.,  Hornstrafse  12. 

„  Dr.  Müller,  August,  ordentlicher  Lehrer  an  der  Kgl.  Elisa- 
bethschule.   Berlin  SW.,  Grofsbeerenstrafse  55  part. 

„  Dr.  Müiich,  Wilhelm,  Geheimer  Regierungsrat,  ord.  Honorar- 
Professor  an  der  Universität.  Berlin  W.,  Bülow- 
strafse  104. 

„  Dr.  Münster,  Karl,  Oberlehrer  an  der  VII.  städtischen  Real- 
schule in  Berlin.    Köpenick,  Kurfürsten allee  1. 

„  Dr.  Naetebus,  Gotthold,  Bibliothekar.  Grofs  -  Lichterfelde, 
Moltkestrafse  22A. 

„  Dr.  N  u  c  k ,  Richard,  Oberlehrer  an  der  Luisenstädt.  Oberreal- 
schule.    Berlin  SW.,  Gneisenaustrafse  88. 

„  Opitz,  G.,  Professor,  Oberlehrer  an  der  VIII.  städt.  Real- 
schule.   Charlottenburg,  Goethestrafse  81  ITT. 


für  das  Studium  der  ueueren  Spracheu.  173 

Herr  Dr.  Palm,  Rudolf,  Professor,  Oberlehrer  aii  der  I.  städti- 
schen Realschule,  Lehrer  an  der  Kgl.  Kriegsakademie. 
Berlin  SW.,  Yorkstrafse  76n. 
„  Dr.  Pari  seile,  Eugene,  Professor,  Lektor  der  französischen 
Sprache  an  der  Universität,  Lehrer  an  der  Kgl.  Kriegs- 
akademie.   Berlin  W.  50,  Raiikesti-afse  24IIL 

„     Dr.  Penn  er,  Emil,  Professor,  Direktor  der  XIIL  städtischen 
Realschule.    Berlin  O.,  Richthof enstrafse  32 II. 

„     Reich,  G.,  Oberlehrer  am  Gymnasium.     Grofs- Lichterfelde, 
Schillerstrafse  22. 

„     Dr.  Risop,  Alfred,    Oberlehrer  an   der  II.  städtischen    Real- 
schule.   Berlin  SW.,  Grofsbeerenstrafse  69  III. 

„     Dr,  Ritter,  O.,  Professor,   Direktor  der  Luisenschule.    Berlin 
N.  24,  Ziegelstrafse  12. 

.,     Dr.  Roediger,  Max,  aufserord.  Professor  an  der  Universität. 
Berlin  SW.48,  Wilhelmstrafse  140  IIL 

,,     Roettgers,  Benno,  Oberlehrer  an  der  Dorotheenschule.    Ber- 
lin W.,  Fasanen strafse  83. 

„     Dr.  Rosenberg,    Oberlehrer    am    Köllnischen    Gymnasium. 
Charlottenburg,  Knesebeckstrafse  75. 

„     Rossi,  Giuseppe,  Kgl.  italienischer  Vice-Konsul.  Berlin  NW.  40, 
In  den  Zelten  5  a. 

„     Dr.  Rust,  Ernst,  Oberlehrer  an   der  VIII.  städtischen  Real- 
schule.   Berlin  N.,  Dunckerstrafse  5 1. 

„     Dr.  Sabersky,  Heinrich.   Berlin  W.  35,  Genthiner  Strafse  22. 

„     Dr.  Sachse,  Richard,   Oberlehrer  am  städtischen  Realgymna- 
sium.   Charlottenburg,  Spandauer  Strafse  4. 

„     Dr.  Schayer,  Siegbert.     Berlin  0.,  Wallnertheaterstrufse  201. 

„     Dr.  Schleich,    Gustav,    Professor,    Direktor   des    Friedrich- 
Realgymnasiums.    Berlin  NW.,  Albrechtstrafse  26  I. 

„     Dr.  S  c  h  1  e  n  n  e  r ,  R.,  Oberlehrer  an  der  Luisenstädtischen  Ober- 
realschule.   Berlin  S.,  Urbanstrafse  29. 

„     Dr.  Schmidt,  August,  Oberlehrer  an  der  Realschule.    Steglitz, 
Düppelrftrafse  22. 

„     Dr.  Schmidt,   Karl,    Oberlehrer   am    Kaiser  -Wilhelm  -  Real- 
gymnasium.   Berlin  SW.,  Katzbachstrafse  26. 

„     Dr.  Schmidt,  Max,  Professor,  Oberlehrer  am  Prinz-Heinrich- 
Gymnasiura.    Berlin  W.,  Rankestrafse  29  III. 

„     Schreiber,  Wilhelm,  Oberlehrer  an  der  VI.  .-städtischen  Real- 
schule.   Berlin  SW.,  Bautzener  Strafse  8. 

„     Dr.  Schultz-Gora,  Oscar,  aufserord.  Professor  an  der  Uni- 
versität.   Charlottenburg,  Knesebeckstrafse  85. 

„     Dr.  Schulze,    Alfred,    Bibliothekar   an   der  Kgl.  Bibliothek. 
Grofs-Lichterfelde,  Margaretenstrafse  7  I. 

,,     Dr.  Schulze,  Georg,  Direktor  des  Königlichen  Französischen 
Gymnasiums.    Charlotten  bürg,  Marchstrafse  1 1 . 


i74  Mitglieder- Verzeichnis  der  Berliner  Gresellschaft 

Herr  Dr.  Schulze- Veltrup,  Wilhelm,  Oberlehrer  am  Falk-Real- 
gyninasium.    Berlin  N.,  Hochstrafse  21 — "24. 

Dr.  Seifert,  Adolf,  Oberlehrer  an  der  städtischen  Realschule. 
Charlottenburg,  Kaiser-Friedrich-Strafse  52. 

S  e  1  g  e ,  Paul,  Oberlehrer  an  der  Realschule.   Grofs-Lichterf elde, 
Holbeinstrafse  39  B  I. 

Dr.    Simon,    Philipp,    Oberlehrer    am    Bismarckgymnasium. 
Deutsch- Wilmersdorf,  Wegenerstrafse  19  1. 

Sohier,   Albert,   Lehrer   an   der  Vereinigten   Artillerie-  und 
Ingenieur-Schule.     Berlin  SW.,  Köthener  Strafse  34  II. 

Dr.  Sommer,  Oberlehrer  an  der  Hohenzollern schule  in  Schöne- 
berg.   Friedenau,  Sponholzstrafse  32. 

Dr.    Spatz,   Willy,    Oberlehrer    an    der    Ilohenzollernschule. 
Schöneberg,  Hauptstrafse  146. 
„     Dr.  Speranza,  Giovanni.    Berlin  N.,  Pappelallee  112. 

Speyer,  Friedrich,  Oberlehrer  am  Kgl.  Lehrerinnen-Seminar 
und  der  Augustaschule.    Zehlendorf,  Heidestrafse  1. 

Dr.  Spies,  Heinrich.    Berlin  SW.,  Yorkstrafse  47  hochpart. 

Dr.  Strohmeyer,  Fritz.    Steglitz,  Am  Stubenrauchplatz  1. 

Stromer,    Theodor,     Schriftsteller.      Berlin  W.,    Potsdamer- 
strafse  106. 

Stumpff,    Emil,    Oberlehrer   an    der  Hohenzollernschule   zu 
Schöneberg.    Friedenau,  Illstrafse  9. 
„     Dr.  Tanger,  Gustav,  Professor,  Oberlehrer  an  der  VII.  städti- 
schen Realschule.    Berlin  S.,  Elisabethufer  32  III. 

Dr.  T  h  u  m ,  Otto,  Lehrer  an  der  Berliner  Handelsschule.  Char- 
lottenburg, Kaiser-Friedi'ich-Strafse  73. 
„     Dr.  Tob  1er,  Adolf,  ord.  Professor  an  der  Universität,  Mitglied 
der  Akademie  der  Wissenschaften.    Berlin  W.  15,  Kur- 
fürstendamm 25. 

Dr.  Tob  1er,  Rudolf,  wissenschaftl.  Hilfslehrer  am  Joachims- 
thalschen  Gymnasium.  Berlin  W.  1 5,  Kurfürstendamm  25. 

Truelsen,  Heinrich,  Professor,  Oberlehrer  am  Real-Progym- 
nasium  in  Luckenwalde. 

Dr.  Tu p p e r ,  Frederick,  Professor.    Berlin  NW.,  Kronprinzen- 
ufer 27. 

Dr.  U 1  b  r  i  c  h ,  O.,  Professor,  Direktor  des  Dorotheenstädtischen 
Realgymnasiums.     Berlin  NW.  7,   Georgenstrafse  30  31. 
„     Dr.  W  a  e  t  z  0 1  d  t ,  Stephan,  Professor,  Geh.  Regierungsrat  und 
vortragender  Rat  im  Ministerium  der  geistlichen  etc.  An- 
gelegenheiten.    Berlin  W.,  Zietenstrafse  27  II. 
^     Weisstein,  Gotthilf,  Schriftsteller.  Berlin  W.,  Lenn^strafse  4. 
„     Dr.  Werner,  R.,  Oberlehrer  am  Luisenstädtischen  Realgym- 
nasium.   Berlin  SW.  11,  Grofsbeerenstrafse  55. 
„     Wetzel,  Emil,  Professor,  Oberlehrer  am  Dorotheenstädtischen 
Realgymnasium.    Bex'lin  S.,  Wilmsstrafse  3. 


für  (las  Studium  der  neueren  Sprachen.  175 

HeiT  Wetzel,  Ernst,  Professor,  Oberlehrer  an  der  Luisenschule, 
Friedenau,  Moselstral'se  10. 

„  Wetzel,  Karl,  Oberlehrer  an  der  Charlottenschule.  Zehlen- 
dorf, Seehofstrafse  4. 

„  Dr.  Willert,  H.,  Oberlehrer  an  der  Luisenschule.  Berlin  0.27, 
Blumenstrafse  76  II. 

„  Dr.  Wychgram,  Jakob,  Professor,  Direktor  des  Kgl.  Lehre- 
rinnen-Seminars und  der  Augustaschule.  Berlin  SW.  4ü, 
Kleinbeerenstrafse  16  1. 


C.    Korrespondierende  Mitglieder* 

Herr  Dr.  Bauer t,  P.,  Lissabon. 

„  Dr.  Begemann,  W.,  Direktor  einer  höheren  Privat- Töchter- 
schule.   Charlottenburg,  Wilmersdorferstrafse  14. 

„  Dr.  CI aufs,  Professor.    Stettin. 

„  Gerhard,  Legationsrat.    Leipzig. 

„  Dr.  Gutbier,  Professor.    München. 

„  Dr.  Härtung,  Oberlehrer.    Wittstock. 

„  Dr.  Hölscher,  Professor  a.  D.    Herford. 

„  H  u  m  b  e  r  t ,  G,  Oberlehrer.    Bielefeld. 

.^,  Dr.  Ihne,  Wilh.,  Professor  an  der  Universität.    Heidelberg. 

,,  Dr.  Jarnik,  Job.  Urban,  Professor  an  der  tschechischen  Uni- 
versität.   Prag. 

„  Dr.  Kelle,  Professor  an  der  deutschen  Universität.    Prag. 

„  Dr.  Krefsner,  Adolf.    Kassel. 

„  Dr.  Kufal,  W.,  Professor.    Antwerpen. 

„  M  ad  den,  Edw.  Cumming.    London. 

„  Dr.  Meifsner,   Professor.    Belfast  (Irland). 

„  Dr.  Muquard,  J.,  Professor  am  College.    Boulogne-sur-Mer. 

„  Nagele,  Anton,  Professor.    Marburg  (Steiermark). 

„  Dr.  Neubauer,  Professor.    Halle  a.  S. 

„  Dr.  Ritz,  Oberlehrer.    Bremen. 

„  Dr.  Sachs,  C,  Professor.    Brandenburg. 

„  Savini,  Emilio,  Professor.    Turin. 

„  Dr.  Scheffler,  W.,  Professor  am  Polytechnikum.    Dresden. 

„  Dr.  Sommermeyer,  Aug.    Berlin,  Körnerstrafse  18. 

,,  Dr.  Sonnen  bürg,  R.,  Direktor  des  Realgymn.    Ludwigslust. 

„  Dr.  Steudener,  Professor.-  Rofsleben. 

„  Dr.  Wilmanns,  Professor  an  der  Universität.    Bonn. 

*  Berichtigungen  und  Ergänzungen  dieser  Liste  erbittet  der  Vorsitzende. 


Beurteilung^en  und  kurze  Anzeigen. 


K.  Gusinde,  Neidhart  mit  dem  Veilchen.  (Germanistische  Ab- 
handlungen, begründet  von  K.  Weinhold,  herausgegeben  von 
F.  Vogt,  Heft  XVU.)  Breslau,  M.  u.  H.  Markus,  1899> 
VI,  242  S.  8.     M.  9. 

Ein  paar  erzählenden  Gedichten  und  fünf  Dramen  unserer  Litteratur 
liegt  der  derbe  Schwank  von  Neidhart  mit  dem  Veilchen  zu  Grunde,  dessen 
wissenschaftliche  Behandlung  bei  Gusinde  einen  fürs  erste  etwas  über- 
raschend stattlichen  Band  füllt;  indessen  diese  eingehende  Bearbeitung  des 
Stoffes  hat  doch  den  grofsen  Vorteil,  dafs  einmal  die  volkstümlichen 
Grundlagen  der  Fabel  sowie  die  litterargeschichtlichen  Fragen,  die  sich 
an  die  einzelneu  Denkmäler  knüpfen,  gründlichst  im  Zusammenhange 
untersucht  werden. 

Gusinde  geht  von  dem  Neidhartgedichte  in  Hagens  Minnesingern 
(III,  202,  XVI)  und  dem  verworrenen  Berichte  in  'Neidhart  Fuchs'  (V.  192 
bis  344;  herausgegeben  in  Bobertags  Narrenbuch)  aus,  um  sodann  den 
höfischen  Brauch  des  Veilchentanzes  aus  einer  volkstümlichen  Frühlings- 
feier zu  erklären.  Den  Hauptraum  des  Buches  nimmt  die  Behandlung 
der  Dramen  in  Anspruch:  des  St.  Pauler  Spiels  (StPSp.),  des  grofsen 
Neidhartspiels  (GrNSp.),  des  Sterzinger  Szenars  (StSz.)  und  des  kleinen 
Neidhartspiels  (KlNSp.).  Das  StPSp.,  das  älteste  weltliche  Drama,  das 
wir  überhaupt  kennen,  wird  in  seiner  Bedeutung  für  die  ganze  Ent- 
wickelung  seiner  Gattung  gewürdigt  und  als  ein  Spielmannsstück  aufge- 
fafst,  in  dem  der  Tanz  noch  die  eigentliche  Hauptsache  ist.  Im  Anschluls 
hieran  folgt  dann  wieder  ein  längerer  volkskundlicher  Abschnitt,  der  das 
Verhältnis  verschiedenartiger  Frühlingsfeiern  zu  den  Fastnachtsspielen  zum 
Gegenstande  hat  und  den  Einflufs  der  ersteren  auf  diese  darzuthun  sucht. 
Bei  den  übrigen  Dramen,  die  noch  nicht  so  eingehend  behandelt  waren 
wie  das  erstgenannte  Denkmal  von  Schönbach,  werden  aufs  genaueste 
jedesmal  die  Handschrift,  die  Mundart  des  Schreibers  und  des  Verfassers, 
der  Versbau,  der  Inhalt  —  z.  T.  mit  vergleichenden  Ausblicken  in  andere 
Lätteraturen  — ,  der  Stil,  die  Übereinstimmungen   mit  den  stofflich    ver- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  177 

wandten  Dichtungen,  Komposition,  Verfasserfrage  und  Aufführung  unter- 
sucht, alles  Dinge,  die  hier  im  einzelnen  nicht  näher  zu  verfolgen  sind, 
zumal  man  ihnen  in  allem  wesentlichen  wohl  allgemein  beistimmen  wird. 
Nur  das  Ergebnis  über  das  Verhältnis  der  fünf  Dramen  zueinander  sei 
mitgeteilt.  Alle  behandelten  Denkmäler  stehen  in  einem  gewissen  Zusam- 
menhange. Zunächst  bilden  das  GrNSp.  einerseits  und  das  StSz.  und 
KlNSp.  andererseits  eine  Gruppe  für  sich.  Alle  drei  haben  eine  gemein- 
same, uns  nicht  erhaltene  Quelle  X,  ein  Maispiel.  Aus  ihm  schöpfte 
erstens  mit  einigen  Kürzungen  das  StSz.,  zweitens  mit  vielen  gewaltsamen 
Streichungen,  unter  Einführung  mancher  Roheiten  und  mit  absichtlichem 
Hervordrängen  des  Schwankhaften,  das  KlNSp.  Auf  der  anderen  Seite 
zeigt  sich  das  GrNSp.,  ebenfalls  von  X  abhängig,  aber  nicht  allein  von 
ihm ;  es  hat  noch  andere  Quellen  benutzt,  nämlich  das  StPSp.,  das  Minne- 
sangsgedicht und  verschiedene  andere  Neidhartschwänke.  —  Eine  beson- 
dere Betrachtung  erfahren  dann  die  Bearbeitungen,  die  Hans  Sachs  dem 
Stoffe  zu  teil  werden  liefs,  besonders  sein  Drama  darüber.  In  einem 
Schlufsab.schnitte  werden  die  Zeugnisse  für  das  Vorkommen  des  Motivs 
von  Neidhart  mit  dem  Veilchen  in  Litteratur  und  bildender  Kunst  auf- 
gezählt. Es  folgt  dann  eine  kurze  Besprechung  der  erneuenden  Bearbeitung 
Anastasius  Grüns  im  'Pfaffen  vom  Kahlenberg'  und  als  Anhang  der  Ab- 
druck des  ältesten  Gedichts  über  Neidhart  mit  dem  Veilchen  (HMS.  III, 
202,  XVI)  nach  der  Berliner  Handschrift  c  mit  Angabe  der  Varianten  in 
den  übrigen  Überlieferungen  und  der  des  bisher  noch  nicht  veröffent- 
lichten Meistgesanges  von  Hans  Sachs  (MG.  15,  Bl.  233'). 

Im  einzelnen  kann  ich  bei  der  sorgfältigen,  wohlüberlegten  und  mit 
weitgehendster  Benutzung  der  einschlägigen  Litteratur  gegebenen  Dar- 
stellung nur  wenige  anspruchslose  Bemerkungen  hinzufügen:  S.  23.  Im 
St.  Pauler  Spiel  lese  ich  V.  3  lieber  vierhebig:  ütxo  an  diser  värt  st.  drei- 
hebig  ietxö  an  diser  rart  (?).  —  S.  2-1.  Ebd.  V.  10;  um  die  übergrofse 
Länge  des  Verses  zu  beseitigen,  ist  gewifs  nicht  das  wichtige  jarlang,  wohl 
aber  vielleicht  das  entbehrliche  Demonstrativum  der  am  Anfang  zu  tilgen. 
—  S.  35.  Über  die  Figur  des  wilden  Mannes  (igl  um  selvadi)  in  bünd- 
nerischen  Volksbräuchen  berichtet  auch  das  Schweiz.  Arch.  f.  Volkskd. 
II,  145.  —  S.  3t!.  Ebenda  wird  auch  der  Brauch  'die  Alte  zu  zersägen' 
(resgiar  la  reglia)  für  dieselbe  Gegend  nachgewiesen.  —  S.  37.  Die  Aus- 
gestaltung von  Frühlingsfeiern  zu  Waffen  Übungen  und  ihre  Verwendung 
zu  Musterungen  war  besonders  in  Skandinavien  üblich;  Grimm,  Myth.'i 
646.  —  S.  111,  112.  Bei  der  Sage  von  den  durch  Salomo  in  ein  Gla.s  ge- 
bannten Dämonen  war  auch  auf  die  bekannte  I'>zählung  in  Tausend  und 
eine  Nacht  zu  verweisen,  die  auch  Wieland  für  sein  'Wintermärchen'  als 
Quelle  diente.  —  S.  113.  Statt  des  Citates  aus  Enenkel  in  Mafsmanns 
Kaiserchronik  III,  440  war  lieber  Mafsmanns  ausführliche  Abhandlung 
über  Vergeil  als  Zauberer,  ebd.  S.  433—460,  zu  erwähnen;  das  Hauptwerk 
über  den  Gegenstand  ist  übrigens  Comparetti,  Vergil  im  Mittelalter,  deutsch 
von  H.  Dütschke,  Leipzig,  1875.  —  S.  231,  232.  Unter  den  Zeugnissen 
hätte  wohl  auch  die  bedauernde  Bemerkung  des  Nicolaus  Rus  aus  Rostock 

Archiv  f.  n.  Sprachen.     CVIU  12 


178  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

einen  Platz  verdient:  in  de  siede  des  lidendes  christi  malen  se  den  strid  von 
troye  unde  in  de  stede  der  aposteln  malen  se  nyterdes  dantx.  (Sand- 
vofs  im  Niederd.  Korrespoudenzbl.  1892  [XVI],  S.  73;  vgl.  Nagl-Zeidler, 
Deutsch-Österreich.  Litt.-Gesch.  S.  375,  A.  2.)  Denn  wenn  auch  nicht  mit 
völliger  Sicherheit,  so  ist  doch  wenigstens  mit  gröfster  Wahrscheinlichkeit 
bei  diesen  Worten  an  die  Veilchengeschichte  zu  denken. 

Im  Anschlufs  an  diese  Anzeige  mögen  auch  noch  folgende  Nach- 
träge und  Citate  mitgeteilt  werden,  die  der  Herr  Verfasser  des  Buches 
selbst  gesammelt  und  mir  freundlichst  zur  Verfügung  gestellt  hat:  S.  13, 
A.  2.  Zur  Geschichte  der  Blumenspiele  vgl.  Ambros,  Musikgeschichte  II 
(1864)  S.  266.  —  S.  48.  Zum  griechischen  Drama  vgl.  Wilamowitz,  He- 
rakles I,  86.  —  S.  111  f.  Zum  Homunculusmotiv  vgl.  Kiesewetter,  Die 
Homunculi  des  Grafen  von  Knefstein  in  'Sphinx'  IX.  —  S.  132.  Zum 
Lobetanz  s.  DWB  6,  1084  und  Ztschr.  d.  Allg.  deutschen  Sprachvereins, 
1900,  Sp.  180  u.  267  f.  —  S.  182.  Eine  Bitte  um  Nachsicht  haben  auch 
die  Schlufsworte  im  ältesten  Oberammergauer  Passionsspiel;  Hartmann 
S.  220.  —  S.  21.5.  Zur  Bedeutung  von  Hand  und  Fufs  vgl.  Weinhold, 
Die  heidnische  Totenbestattung  in  Deutschland,  Sitzungsberichte  der 
Wiener  Akademie  der  Wissenschaften  Bd.  29  (1858)  S.  164  Anm.  1  und 
ebd.  Bd.  80  S.  206. 

Breslau.  H.  Jantzen. 

Owen  US  und  die  deutschen  Epigrammatiker  des  XV^II.  Jahrhun- 
derts von  Erich  Urbau  (Litterarliistorische  Forschungen  her- 
ausgegeben von  Josef  Schick  und  M.  v.  Waldberg,  XI.  Heft). 
Berlin,  EmU  Felber,  1900.     III,  58  S.     M.  1,60. 

Häufig  pflegen  Verfasser  von  Erstlingsschriften  in  begreiflicher  wissen- 
schaftlicher Begeisterung  den  Gegenstand  ihrer  Arbeit  und  die  dabei  in 
Frage  kommenden  Persönlichkeiten  zu  fiberschätzen.  Seltener  ist  der  an- 
dere Fall,  den  man  an  Urban  wahrzunehmen  geneigt  sein  möchte:  das 
pflichtmäfsige  Abarbeiten  des  Stoffes  ohne  innere  Wärme  und  ohne  per- 
sönlichen Kontakt  mit  dem  Material.  Mir  ist  jedenfalls  das  erste  Jugend- 
gebrechen lieber,  weil  es  eine  Entwicklung  verspricht.  Allerdings  ist  das 
Gebiet  von  Urbans  Arbeit  eines  der  unerfreulichsten  deutscher  Litteratur- 
goschichte.  Aber  es  mufste  einmal  erledigt  werden,  und  man  wird  sich 
fragen,  ob  das  nicht  doch  auf  weniger  komptoiristische  Weise  hätte  ge- 
schehen können  als  in  dieser  Schrift. 

An  sorgsamem  Sammelfleifs  fehlt  es  nicht.  Aber  dabei  ist  es  gröfs- 
tenteils  geblieben.  Urbans  allgemein  litterarhistorische  Aufserungen  über 
die  Litteratur  des  17.  Jahrhunderts  bedürfen  gar  sehr  der  Modifikation 
und  Vervollständigung.  Wenn  IVban  auf  S.  4  von  den  kleinen  Formen 
des  Madrigals,  Sonetts  und  Epigramms,  den  Gelegenheitsgedichten  und 
der  galanten  Lyrik  spricht,  'die  beredter  als  alles  übrige  Zeugnis  ablegt 
für  die  wahre  Natur  der  Menschen  des  17.  Jahrhunderts',  und  dann  fort- 
fährt:  'Nun  erst  begreifen  wir  die  Begeisterung,  mit  der  die  Epigramme 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  179 

des  englischen  —  lateinisch  schreibenden  —  Poeten  John  Owen  begrülst 
wurden';  so  wäre  statt  dieser  sehr  allgemein  gehaltenen  Wendungen  ein 
Blick  auf  die  litterarischen  und  kulturellen  Beziehungen  zwischen  Eng- 
land und  Deutschland  im  Iti.  und  17.  Jahrhundert,  wofür  ef<  dankenswerte 
Vorarlieiten  giebt,  angebrachter  gewesen.  Urteile  und  ihre  Fassung  em- 
pfängt Urban  aus  zweiter  Hand,  überhaupt  macht  der  Text,  der  die  das 
eigentliche  Thema  betreffenden  Stücke  der  Schrift  untereinander  verbindet, 
den  Eindruck  eines  lose  gezimmerten  Notbehelfs.  Das  Wesentliche  sind 
natürlich  die  von  Urbnn  aufgereihten  zahlreichen  Nachbildungen  desOwenus, 
die  die  Zusamiuenstcllungon  von  Jördens  (Üweni  Epigrammata  selccta, 
Leipzig  1813)  weit  hinter  sich  lassen  mufsteu.  Nur  ist  es  bedenklich,  dafs 
I'rban  dabei  stehen  geblieben  ist,  rein  notizenmäfsig  die  Zahlen  der  \'or- 
lagen  aus  Owenus  mit  den  gleichfalls  nur  ziffernmäl'sig  citierten  deutschen 
Nachahmungen  in  seitenlangen  Kolumnen  raumverschwendend  zusammen- 
zustellen. Welcher  Art  die  Nachahmungen  waren,  ob  sklavische  Über- 
setzungen, Umbildungen  der  Gedanken  oder  nur  leichte  Remiuiscenzen, 
davon  vermögen  wir  uns  keine  Anschauung  zu  bilden.  Und  doch  hätten 
gerade  solche  Beobachtungen  auch  die  Konfrontation  des  trockenen  Owenus 
mit  seinen  —  von  ganz  wenigen  abgesehen  —  gleich  geistlosen  Nachah- 
mern interessant  machen  können.  Selbstverständlich  hätte  es  sich  nicht 
um  eine  Ausbreitung  des  gesamten  Materials,  sondei-n  nur  um  charak- 
teristische Proben  handeln  können.  Bei  der  Form,  die  I'rbans  Schrift 
jetzt  trägt,  möchte  man  im  Zweifel  sein,  ob  nicht  zu  viel  auf  Owenus'  Rech- 
nung gesetzt  ist,  und  ich  glaube  schon  nach  einigen  Stichproben,  dafs  sie 
eine  strenge  Nachprüfung  nicht  durchgängig  aushalten  wird.  Ich  will 
aber  nicht  die  Förderung  vergessen,  die  die  Kenntnis  Daniel  Ozepkos  als 
Epigrammatiker  durch  die  Heranziehung  des  Breslauer  Codex  der  'Kurtzen 
Satyrischen  Gedichte'  (vgl.  Urban  S.  28—32)  erfahren  hat. 

Bonn.  Franz   Schultz. 

Kulinau,  Johann.  Der  musicalisclie  Quack-Salber.  Herausgegeben 
von  Kurt  Beundorf.  (Deutsclie  Litteraturdenkmale  83 — 88.) 
Berlin,  B.  Behr,  1900.     XXV,  271  S.  8. 

Der  'Musicalisclie  Quack-Salber',  den  uns  der  vorliegende  Neudruck 
wieder  zugänglich  macht,  ist  ein  Abkönunling  jener  weitverbreiteten  Satire 
auf  alle  Stände,  die  seit  dem  10.  Jahrhundert  in  Narrenschiffen  und  Schel- 
menzünften, in  Kobinsonaden  und  Diskursen,  Sinn-  und  Scherzgetlichteu, 
im  Roman  wie  im  Drama  alle  Thorheiten  und  Schwächen,  Übertreibung 
und  Beschränkung,  den  Zelotismus  jeglicher  Art  und  Richtung  ver- 
spottete. Der  Verfasser  Johann  Kuh  na  u,  der  für  die  Litteraturgeschichte 
bislang  verschollen  war  und  nur  in  musikwissenschaftlichen  Encyklopädieu 
ab  und  zu  auftauchte,  hat,  ein  Kin<l  des  Erzgebirges,  in  Dresden  und 
Zittau  das  Gyninasium,  in  Leipzig  gleichzeitig  mit  Christian  Reuter  die 
l'niversität  besucht  und  mit  einer  Dissertation  über  die  Pflichten  und 
Rechte  des  Kirchenmusikers  den  Doktor  gemacht.    Ein  paar  Jahre  darauf 

12* 


jgO  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

ist  er  Organist  an  der  Thomaskirche  in  Leipzig,  endlich  Kantor,  der  un- 
mittelbare Vorgänger  Johann   Sebastian   Bachs.     1722   ist   er   gestorben, 
nicht  nur  als  Komponist,  sondern  auch  als  Musiktheoretiker  von   Zeit- 
genossen und  Späteren  geschätzt.  o  ,  .  „,. 
Ein  Schüler  Christian  Weises,  im  engeren  wie  im  weiteren  Sinne  folgt  ei 
in  seinem  Buche  in  Titel  und  Inhalt  wie  in  Technik  und  Stil  dem   Poli- 
tischen Quacksalber'  seines  Lehrers  (1684j  und  verrät  aiich  Beeinflussung 
durch  Reuter  und  Happel.     Seine  Satire,  die  gerade  an  der  Grenze  zweier 
Jahrhunderte  steht,  wendet  sich  gegen  den  schlechten  und  eingebilde  en 
den   bramarbasierenden  und  marinisierenden   Musikus     'der  gemeinig^^h 
der  ärgste  Ignorante  unter  den  Sonnen  ist  und  gleichwohl  --f-  ^h"*' 
als  wenn   er  mit   seinen   zerriebenen  ^-g«\«tein-  und  aus  Ins  hM  ^^^^^ 
machten  Salben  die  Todten  wieder  aufferwecken  konte  .   .  (3,  13  i->  J^'^^^ 
musikalischen  Quacksalber  will  er  recht 'anatomiren'  und  ^^«ssen  lebhafften 
Abrifs  auf  öffentlichen  Markte  zu  feilen  Kauffe  aushengen'     'Nun  konte 
^h  zwar',  sagt  er  einmal,  'wenn  ich  einen  fleifsigen  Maler  abgeben  wollte, 
unterschiedene  aus  diesem  Collegio  Musico  sitzen  lassen  und  aus  der  engen 
Compagnie  ein  und  ander  Contrefait  eines  perfecten  musicahschen  Quack- 
salbers auff  bringen:  AUein  ich  mag  mich  eben  nicht  mit  der  Menge    o- 
cher  possirlicher^Gesichter  schleppen,  sondern  ich  -\- ^^^-^-l^^^^- 
hauer  nachthun,  der  die  erste  Statua  von   der  griechischen  Venus   ver- 
fertiget hat.     Und    gleich  wie  dieser  alle  Schönheiten    welche  bey  dem 
Frauenzimmer  meist^ntheils  einzeln  gefunden  werden,  m  diesem  Bilde  zu 
fassen  bemüht  gewesen,  also  will  ich  auch,  wo  es  möglich  seyn  wird,  der 
ung  schickten   Musicanten  Thorheit,    Prahlereyen  und   Betrug    in   einem 
Ttzigen   Bilde  auff  einmahl   weisen'  (27.  18  ff.)      So  zeigt  I-^"-   - 
diesem  Schulbeispiel  von  einem  Musiker  ä  la  Mode,  der  seinen  gu    deut- 
shen  Namen   Theueraffe'  in  Caraffe  verändert  (30  ff.  über  die  Mode,  den 
deutschen  Namen  zu  übersetzen  oder  zum  mindesten    ----^;--- 
sprechen)  und  wie  sein  simplicianischer  Ahne  von  Stadt  zu  Stadt  zieh  , 
lEUelkeit,  Unverfrorenheit,  schlecht  bemäntelte  Unfähigkeit  seiner  Kol- 
llL     Er  führt  uns  in  die  philharmonischen  Vereine  zu  Konzerten  in 
Städte  und  auf  Schlösser,  zu   Bürgern   und  Edelleuten,  Studenten,  Ge- 
lehrten, Ratsherren  und  Dienstmädeln,   auf  den  Jahrmarkt  und  in   d  n 
Gerich  ssaal.     Er  satiri.iert  und  parodiert  Sprache  und  Sitte  al  er  Stande 
r^Ende  des  17.  Jahrhunderts  (vgl.  Einl.  XVIII    f.).     Naturahstisch  in 
der  Schilderung,  sicher  und  keck  im  Konterfei  ist  er  arm  "    der  Elf m- 
dung,  die  Liebesgeschichten,   die    er   für  seine  Helden  braucht    holt  e 
schlLweg  aus   der   gangbaren   Schwanklitteratur :    ^me  Fran   Potiphar 
(119  f.)   bemüht  sich  vergeblich  um   die  Liebe  eines  Kollegen   Caraffen^, 
des  braven  Lautenisten  Krafthaar.   Während  der  Liebhaber  eben,  'ich  weif, 
nicht  zu  was  für  einem  Einzüge,  Anstalt  machet',  bläst  Caraffa,  hinter  einer 
Tapete  versteckt,  Sturm  und  vertreibt  dadurch   das  Liebespaar  (125   fl 
vgl  Sercambi  Novelle  ed  d'Ancona  Nr.  5;  ^orüni  Nr   6b,  Kruger,  Hans 
Ciawert  Kap.  5  'Wie  Ciawert  zu  Sturm  bleset,  als  Pest  und  0  en  gestu  - 
met  wird';  Langbein  Schwanke  'Der  Sturm  zu  Konstantinopel ;  ein  Mei- 


Beurteilunpen  und  kurze  Anzeigen.  181 

sterlied  von  Michael  Lorentz,  'Der  Dronieter  im  BacLofeu'  (1530)  und 
viele  andere,  s.  Köhler,  Kl.  Sehr.  2,  594 — 600,  dazu  noch  'Der  lustige 
.lurist',  Bremen  1730,  S.  130  ff.). 

Ein  andermal  prügelt  er  den  Liebhaber,  der  als  Geist  allnächtlich  durch 
die  durchbrochene  Wand  zur  Frau  des  geängstigten  Tuchmachers  kommt 
(143  ff.).  Zwei  Motive  sind  hier  vereinigt.  Das  eine:  der  'Liebhaber  als 
Gespenst'  entstammt  dem  IMärchenkreise  'Von  einem ,  der  auszog  das 
Fürchten  zu  lernen'.  Grimm  KIIM.  Nr.  I :  Gonzeubach,  Sicilian.  Märchen 
Nr.  57;  Köhler-Bolte,  Zs.  d.  Vor.  f.  Volkskunde  (j,  163;  Köhler  Kl.  Sehr. 
1,  68,  110,  268;  endlich  'Der  lustige  Jurist'  217  f.,  wo  ein  Hausknecht, 
als  Gespenst  verkleidet,  alle  Gäste  schreckt,  um  den  Wirt  einzuschüchtern 
und  die  Hand  seiner  Tochter  zu  erhalten.  Das  andere,  die  'Durchbrochene 
Wand'  ist  eine  Umformung  des  weitverbreiteten  Schwankes  vom  unter- 
irdischen Gang  des  Liebhabers',  der  von  Plautus  bis  Kotzebue  unil  Platen 
immer  wieder  gewendet  und  verwendet  worden  ist.  Litteratur  bei  Zamcke, 
'Parallelen  zur  Entführungsgeschichte  im  Miles  gloriosus'.  Rhein.  Museum 
für  Phil.  30,  1—26;  Bolte,  Wetzel  Reisen  der  Söhne  Giaffers  (Bibl.  d. 
litt.  Ver.  208)  219;  Zs.  f.  vgl,  Lg.  13,  234,  Jellinek  ebenda,  14,  321. 

Wie  Weise  im  Kap.  21  seines  vorbildlichen  Buches  eine  Liste  von 
Tractätgen,  Happel  im  Akademischen  Roman  S.  476  ff.  ein  Verzeichnis 
fingierter  Büchertitel,  so  giebt  auch  Kuhnau  (Kap.  22)  einen  satirischen 
Katalog  rarer  Bücher  und  Manuskripte,  damit  ein  Mode  aus  dem  ersten 
Buche  des  Don  Quixote  (Kap.  6)  wiederholend,  die  die  ungemein  weite 
Verbreitung  gefunden  hat,  z.  B.  'Catalogus  etlicher  sehr  alten  Bücher, 
welche  neulich  in  Irrland  auf  einem  alten  eroberten  Schlosse  in  einer 
Bibliothek  gefunden  worden.  1619';  'Verzeichnis  unterschiedlicher  dem 
Publico  sehr  nützlicher  mit  Fleifs  ausgearbeiteter  Bücher,  welche  der 
Author  derselben  in  dieser  Leipziger  Ostermesse  Anno  1716  denen  Herren 
Buchhandlungen  zum  Verlag  offeriret  . . .  1716';  (Wohlrab)  'Catalogus 
von  den  raresten  Büchern  wie  Manuscripten,  welche  bisher  in  d.  Historia 
Litteraria  noch  nicht  zum  Vorschein  kommen  ;  nun  aber  nebst  einem  ziem- 
lichen Vorrath  von  allerhand  fürtrefflichen  Antiquitäten  . .  .  verkaufft  wer- 
den sollen.  Frankfurth  und  Leipzig  1720';  'Verzeichnis  einiger  theatra- 
lischer Seltenheiten,  die  in  der  Ostermesse  ohnentgeltlich  werden  gezeigt 
werden',  enthalten  in :  'Poesie  wie  Prosa  zur  Rettung  der  Ehre  des  Leip- 
ziger Schauplatzes  1753'  (Minor,  Weifse  389):  'Catalogus  von  allerhand 
nutz-  und  brauchbaren  Meubles  . . .  auch  Büchern,  welche  . .  am  12.  Juli 
1753  gegen  gleich  baare  Bezahlung  verauctionnirt  werden  sollen  . . .  Leip- 
zig 1753'  (Minor  a.  a.  O.  :->i»2);  'Karl  Friedrich  Wegener,  Raritäten,  ein 
hinterlassenes  Werk  des  Küsters  von  Ruramelsburg.  Berlin,  1779.  IV, 
S.  89 — lOii';  derselbe,  'Vorschlag  zu  einer  LesebibHothek  für  junge  Frauen- 
zimmer. 1780.'  (Neu  herausgeg.  von  Hugo  Hayn,  Leipzig  1889);  Rari- 
täten oder  satyrische  Aufsätze  und  lustige  Betrachtungen.  Grätz,  1792,  II, 
S.  23  ff.;  'Lichtenberg,  Verzeichnis  einer  Sammlung  von  Geräthschaften, 
welche  in  dem  Hause  des  Lic.  H.  S.  künftige  Woche  öffentlich  ver- 
auctionnir  et  werden  sollen.     (Nach  dem  Englischen),  Göttinger  Taschen- 


182  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

kalender  1798,  S.  154—169.'  (Schriften  1845.  6,162—173);  Justinus  Kerner, 
Reiseschatten,  Tübingen  1811,  S.  213  f.  (Gaismaier,  Zs.  f.  vgl.  Lg.  14,  96 
A2);  Grillparzer,  'Auszüge  aus  dem  nächstjährigen  Mefskatalog'  1837. 
(Werke  XIII*  103 — 104.)  Weiteres  bei  ßrunet,  'Essai  sur  les  biblioth^ques 
imaginaires'  in:  Lacroix,  Cat.  de  la  bibhoth^que  de  Saint  Victor -Paris 
1862  und  besonders  H.  Hayn,  'Bibliographie  der  Bücher  mit  fingierten 
Titeln':  Zeitschr.  f.  Bücherfreunde  3,  S.  84—90. 

EndUch  fehlt  auch  des  'Hundes  Grabschrift'  nicht  (173,  35  ff.),  vgl. 
Waldberg,  Renaissancelyrik  211  f.  und  E.  Schmidt,  Archiv  99,  1 — 5. 

Sprichwörter,  studentische  und  volkstümliche  Wendungen  durchsetzen 
die  Darstellung;  seltener  scheinen  darunter  zu  sein  etwa  103,  15,  'seinen 
Dreyheller  mit  dazu  geben',  unserem  'Senf  dazu  geben'  (Körte,  Sprich- 
wörter 5539;  Braun  1,4088;  Eichwald,  Niederd.  Sprw.  1714)  entsprechend. 

179,  29  'es  ist  gedruckt,  ergo  mufs  es  wahr  sein.'  Wander  VI,  1744 
Nr.  40  ohne  weitere  Quelle. 

28,  5  'mit  dem  gebogenen  blossen  Hinter  Gesichte  die  Ruthe  küssen'; 
über  Ruthe  küssen:  DWB  8,  1501;  Rochholz,  Aleman.  Kinderlied  513  f., 
Germania  1, 134 — 55,  516;  Ilow,  ebenda  9, 158  f.   Böhme,  Kinderlied  Nr.  469. 

55,  13  Es  ist  ein  angelegter  Karren'  ein  abgeredeter  Handel.  DWB 
V,  '227  ^  Wander  II,  1 148  Nr.  64,  74. 

215,  2  'blase  mir  eine  warme  Pfeiffe'  fehlt  DWB;  bei  Wander  I,  393 
Nr.  23,  24  'blusst  a  ee  woarm  Luch',  'blust  mer  a  mee  woarm  Loach'. 

167,  18  'Er  lief  so  geschwind,  als  die  Schuster,  wenn  sie  den  Markt 
versäumt  haben'. 

173,  lö  f.  'Ettliche  waren  grobe  Kerle,  die  nur  auf  der  Wurst  herum- 
ritten, und  so  lange  in  sich  füllten  als  ein  Darm  halten  wollte'  und  17,  4 
'Wurst  Reuter'. 

154,  30  'Gleichwohl  ist  der  Sechzehn -Hut  kaum  zum  Balgentreten 
gut'.  Ob  wohl  'Sechzehnhut'  auch  die  verschämte  Umschreibung  eines 
obscönen  Schimpfwortes  ist,  wie  der  häufigere  'Fünfzehnhut',  den  noch 
Goethe  im  Personenverzeichnis  zu  Hanswursts  Hochzeit  'Fozzenhut' 
nennt;  vgl.  Erich  Schmidt,  Zs.  d.  Ver.  f.  Volkskde.  5,  339  und  Zs.  f.  d. 
Wortforsch.  2,  292. 

Wien.  Arthur  L.  Jellinek. 

Johann  Jakob  Bodmer:  Denkschrift  zum  200.  Geburtstag  (19.  Juli 
1898).  Veranlafst  vom  Lesezirkel  Hottingen  und  heraus- 
gegeben von  der  Stiftung  von  Schnyder  von  Wartensee. 
Zürich,  A.  Müller,  1900.  XII,  418  S.  4«.  Mit  vielen  Ab- 
bildungen und  Vignetten. 

Zürich  hat  einem  seiner  bedeutendsten  Männer  mit  diesem  Buche  ein 
schönes  Denkmal  gesetzt.  Die  Stadtbibliothek  that  ihre  Schatzkästen  auf; 
Private  und  litterarische  Gesellschaften  vereinten  eine  grofse  Zahl  von 
Bodmers  Büchern,  Manuskripten  und  Bildnissen  zu  einer  Ausstellung  in 
seinem   Hause;    die  verschiedenen   Richtungen,  nach  denen   der  schwei- 


Reiirteilungen  und  kurze  Anzeigen.  183 

zerische  Littcraturpatriarch  ein  Interesse  weckt,  wurden  in  Einzeldarstel- 
lungen behandelt  und  diese  durch  die  Freigebigkeit  der  Stiftung  von 
Sfhnydcr  von  Wartensce  in  einem  prächtig  ausgestatteten  Bande  gedrmkt. 
Ein  Eil)li(igr:i[ihic  (von  Tb.  Vetter)  verzeichnet  Bodmers  ziddreiche  Ver- 
öffentlichungen nut  einer  bisher  nie  erreichten  Genauigkeit,  und  das  Ver- 
zeichnis von  Eigennamen  am  Schlufs  zeigt  die  schriftstellernden  Züricher 
des  18.  Jahrhunderts  in  charakteristischer  Mischung  mit  den  zeitgenös- 
sischen Fülirern  französischen  und  englischen  ( Jeistes.  Das  Werk  ist  mehr 
als  eine  Monographie:  es  ist  eine  Vergegenwärtiguug  von  Bodmers  Sphäre. 
Hans  und  Hermann  Bodnier,  deren  Name  schon  an  den  J.  J.  Bodmer 
der  Litteraturgeschichte  anklingt,  eröffnen  die  Aufsätze  nn't  einer  Skizze 
seines  Lebens.  Sie  berühren  alle  Hauptsachen,  ohne  sich  irgendwo  be- 
sonders aufzuhalten,  wie  in  einer  Ouvertüre.  Hedwig  VVaser,  deren  Name 
an  einen  von  Bodmers  nächsten  Freunden  erinnert,  schildert  mit  ange- 
nehmer Frische  Bodmers  Haus  und  seine  Gastlichkeit.  Otto  Hunziker 
feiert  Bodmer  als  Vater  der  Jünglinge,  als  begeisterten  Erzieher,  als  Schüler 
Rousseaus  und  Lehrer  Pestalozzis.  Gustav  Tobler  unterwirft  seine  poli- 
tischen Schauspiele  einer  sorgfältigen  Untersuchung  und  weist  darin 
heimische  Stoffelemente,  französisch-klassicistische  Technik,  biblische,  alt- 
griechische und  Shakespearische  Motive  nach.  Wenn  Louis  P.  Betz  Bod- 
mers lieträchtliche  Kenntnis  der  französischen  Sprache  und  Litterat ur  aus- 
einanderbreitet, so  hat  dies  für  einen  Mann  des  18.  Jahrhunderts  nichts 
Auffallendes;  dennoch  sieht  man  mit  Interesse,  wie  das  Französische 
sogar  alle  AVege  zu  den  Erzeugnissen  anderer  Völker  beherrschte  und 
durchaus  das  Medium  für  Bodmers  erste  Beziehungen  zu  England  war. 
Neuartiger  berührt  es  schon,  in  Leone  Donatis  Aufsatz  'Bodmer  und  die 
italienische  Litteratur'  zu  lesen,  wie  Bodmer  durch  einen  frühen  Aufent- 
lialt  in  Lugano  (1718),  durch  die  Lektüre  italienischer  Kritiker  und  durch 
den  Verkehr  mit  dem  Grafen  Calepio  zuerst  in  seinem  Vertrauen  auf  den 
Geschmack  Frankreichs  erschüttert  wurde,  und  wie  er  frühzeitig  auf  Dante 
hinwies;  Bodmers  bisher  verschollener  Artikel  'Über  das  dreifache  Gedicht 
des  Dante'  (1763)  wird  hierbei  vollständig  zum  Abdruck  gebracht.  Der 
wichtigste  Beitrag  aber  scheint  mir  der  von  Theodor  Vetter  'Bodmer  und 
die  englische  Litteratur';  schon  weil  Bodmer  durch  seine  kritischen  Hin- 
weise auf  die  Londoner  Schriftsteller,  durch  seine  Übersetzungen  von 
Milton,  Butler,  Swift  und  Addison,  sowie  durch  seine  Nachahmungen 
dieser  Autoren  mächtig  dazu  beitrug,  dals  sich  der  Deutsche  mit  englischer 
Hilfe  wieder  auf  .seine  Natur  besann.  Der  eigene  mannhafte  Charakter 
des  Republikaners  fühlte  sich  durch  die  Essays  von  Addison,  selbst  unter 
dem  Schleier  französischer  Übersetzungen,  so  angezogen,  dafs  er  trotz 
vieler  Schwierigkeiten  Englisch  lernte  und  mit  Hilfe  eines  lateinisch- 
englisch(>n  Wörterbuches  selbst  ans  Verdeutschen  ging.  Die  Vorkämpfer 
der  liberalen  Ideen  jenseits  des  Kanals  hat  er  bei  uns  eingeführt:  den 
Tyranuenfeind  Milton,  den  Zelotenverspötter  Butler,  den  Scheinverächter 
Swift,  den  Volkserzieher  Addison,  die  Kämpen  des  bürgerlichen  Romans; 
auch   an  Percys  'Reliques'  fand  sein  volkstümlicher  Sinn   noch  Anhalts- 


184  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

punkte,  während  ihm  allerdings  die  Royalisten  Shakespeare  und  Ossian 
innerlich  fremd  blieben.  Hätten  sich  die  Hamburger  allein  um  solchen 
englischen  Import  verdient  gemacht,  so  könnte  man  ihn  durch  die  lokale 
Nähe  erklären;  aber  nach  der  Schweiz  ging  von  London  ein  sehr  weiter 
und  indirekter  Kaufmannsweg ;  da  mufste  um  so  mehr  eine  Gemeinsamkeit 
der  Überzeugung  wirken,  deren  Wurzeln  schon  in  der  Reformationsperiode 
liegen,  wo  Zwingiis  Gedanken  von  der  Schweiz  nach  England  wanderten. 
Bemerkenswert  ist  noch,  dafs  Bodmer  selbst  mit  englischen  Dichtern  vierten 
und  fünften  Ranges  sich  bekannt  zeigt;  dafs  er  an  seiner  Übersetzimg  des 
'Verlorenen  Paradieses'  von  Auflage  zu  Auflage  unermüdlich  nachfeilte; 
dafs  auch  die  Philosophen  Bacon  und  Locke  von  ihm  gekannt  und  ge- 
schätzt waren.  Seine  Bezeichnung  Saspar,  Sasper,  Saksper  für  Shakespeare 
hält  Vetter  nicht  wie  Elze  für  eine  Umdeutschung,  sondern  für  einen 
wenig  glücklichen  Versuch  phonetischer  Schreibung;  dies  ist  um  so  wahr- 
scheinlicher, wenn  man  sich  vorstellt,  wie  das  Wort  im  Munde  eines  fran- 
zösischen Vermittlers  geklungen  haben  mag! 

Im  AnschluTs  an  dies  monumentale  Bodmer -Werk  sei  noch  eines  an- 
sprechenden 'Neujahrblattes  von  der  Stadtbibliothek  in  Zürich  auf  das 
Jahr  1898'  (Zürich,  Fäsi  und  Beer,  1898,  31  S.  Fol.)  gedacht,  worin  Bod- 
mers  Freund  J.  H.  Waser,  Diakon  in  Winterthur  (1718 — 77),  als  ein  Ver- 
mittler englischer  Litteratur  von  Th.  Vetter  geschildert  wird.  Waser  hatte 
die  von  Bodmer  begonnene  Übersetzung  von  Butlers  komischem  Helden- 
gedicht 'Hudibras'  vollendet,  auch  selbständig  nach  Addisons  Muster 
Prosa,  nach  Gays  Muster  Verse  geschrieben.  So  treten  die  Beziehungen 
zwischen  der  Schweiz  und  London  besonders  durch  die  Arbeiten  Th.  Vet- 
ters immer  deutlicher  ins  Licht,  und  man  kann  nur  wünschen,  dafs  die 
vielen  Beziehungen  Stralsburgs  und  Frankfurts  a.  M.  zu  England  in  der 
Reformationszeit,  Hamburgs  und  Hannovers  im  18.  Jahrhundert  ähnlich 
fleifsige  und  kundige  Lokalforscher  finden  mögen. 

Berlin.  A.  Brandl. 

Johannes  Grundmann.  Die  geographischen  und  völkerkundlichen 
Quellen  und  Anschauungen  in  Herders  'Ideen  zur  Geschichte 
der  Menschheit\  Berlin,  Weidmannsche  Buchhandlung,  1900. 
139  S.  8«. 

Der  Verfasser  untersucht  mit  gründlicher  und  vernünftiger  Methode 
das  Verhältnis  der  geographischen  und  völkerkundlichen  Anschauungen 
Herders  in  seinen  'Ideen  zur  Philosophie  der  Geschichte  der  Mensch- 
heit' zu  ihren  Quellen  :  der  Titel,  der  Quellen  und  Anschauungen  koor- 
diniert, hätte  wohl  besser  anders  gelautet.  Keiner,  der  die  'Ideen'  je  ge- 
lesen hat,  wird  sich  dem  Eindruck  der  erstaunlichen  Persönlichkeit  ver- 
schliefsen,  die,  auf  der  Höhe  des  Wissens  ihrer  Zeit  stehend,  das  umfas- 
sendste Material  in  sich  verarbeitet  und  in  planvoller  Komposition  dar- 
legt, der  bewundernden  Menschheit  neue,  noch  lange  nicht  ans  Ende  ver- 
folgte Wege  weisend.     Dals  Herder   kein  klarer  Denker  und  kritischer 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  185 

Kopf  wie  Kant'  war,  thut  seiner  Gröfse  keinen  Eintrag:  er  hätte  weniger 
leisten  können  in  vorschauendem  Ahnen,  wäre  er  klar  und  kritisch  ge- 
wesen. Darum  scheint  es  mir  aber  ein  vergeblicher  Versuch,  ihm  auch 
diese  Eigenschaften  vindizieren  zu  wollen,  wie  Grundmann  in  begreiflicher 
Voreingenommenheit  für  seinen  Helden  thut:  kritisch  kann  ich  Herder 
in  der  Auswahl  des  von  seinen  verschiedenen  Quellen  gebotenen  Materials 
durchaus  nicht  finden.  Wo  seine  Quellen  einander  widersprechen,  da 
wählt  Herder  nur  selten  nach  der  gr()fseren  oder  geringeren  Glaubwürdig- 
keit des  Gewährsmannes,  sondern  nach  vorgefalsten  Anschauuugen :  die 
Nachricht  oder  Schilderung,  die  in  sein  System  pafst,  wird  bevorzugt. 
'Darzustellen,  wie  weit  Herders  geographische  Anschauungen  und  Ideen, 
insofern  sie  über  seine  Quellen  hinausgingen,  in  späterer  Zeit  Bestätigung 
fanden  oder  nicht,  das  mufs  ich  mir,  so  verlockend  es  sein  mag,  meiner 
Aufgabe  gemäfs,  versagen,  doch  soll  bei  einigen  wichtigeren  Problemen 
in  aller  Kürze  auf  den  heutigen  Stand  der  Forschung  hingewiesen  werden'. 
Grundinann  hätte  sich  besser  auch  in  letzteren  Fällen  seine  Ausführungen 
versagt;  denn  sie  gehc'iren  zu  den  schwächsten  Partien  seiner  trefflichen 
Abhandlung.  'Neuere  Forschungen  haben  das  Vorhandensein  eines  dem 
Khma  nicht  entsprechenden  Naturells  der  Eskimos  bestätigt'  (S.  36). 
Dann  wird  ein  ziemlich  phrasenhafter  Satz  aus  Ratzeis  Völkerkunde 
citiert.  Ist  das  wirklich  der  Stand  der  heutigen  Forschung?  Was  ver- 
steht man  denn  unter  'entsprechen'?  Der  Himmel  ist  'trübe',  folglich 
müssen  die  Bewohner  'trübsinnig'  sein?  Man  sollte  meinen:  je  mehr 
sich  der  Bewohner  dem  Klima  angepafst,  je  mehr  er  sich  acclimatisiert 
hat,  desto  mehr  'entspricht'  sein  Naturell  dem  Klima,  desto  weniger  Ur- 
sache hat  er  aber  auch  zur  ^Melancholie.  Was  bedeutet  S.  58  ein  heraus- 
gerissenes Wort  eines  einzelnen  Forschers  als  abschliefsendes  Urteil  über 
ein  Volk,  das  noch  ungeahnte  Kräfte  in  sich  birgt  und  vielleicht  in  den 
Gang  der  Weltereignisse  entscheidend  einzugreifen  bestimmt  ist?  Wenn 
Grundmanu  Herders  Tadel  der  Tibetanischen  Schöpfungsgeschichten  (S.  61) 
nicht  recht  begreiflich  findet  'gegenüber  einem  Enthusiasmus  für  die  indi- 
schen Fabeln,  die  doch  viel  Ähnlichkeit  mit  jenen  zeigen',  so  scheint  ihm 
der  historische  Zusammenhang  zwischen  beiden  doch  nicht  recht  klar  ge- 
worden zu  sein.  Wenig  fördern  oberflächliche  Bemerkungen  über  die 
Begründung  der  vergleichenden  Sprachwissenschaft  und  das  Alter  der  in- 
dischen Kultur  (S.  65),  über  die  Entstehung  der  indischen  Priesterkaste 
(S.  70),  über  Autor  und  Alter  der  Zend-Avesta  (S.  76),  über  die  ägyp- 
tische Kunst  (S.  8'J  f.),  über  die  Entzifferung  der  Hieroglyphen  durch 
Champollion  (S.  84),  über  die  Herkunft  der  Ägypter  (S.  85)  u.  a.  m.  Einige 
Druckfehler  vor  allem  in  den  lateinischen  Citaten,  wie  in  der  Jahreszahl 
177i»  statt  1879  in  der  ersten  Anmerkung  S.  133,  sind  mir  als  störend 
aufgefallen. 

Bern.  S.  Singer, 


'  Über  das  Verhältnis  der  beiden  Männer  vgl.  noch  A.  Tumarkin,  Herder  und 
Kaut.     Bern   1896. 


186  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Frioclricli  Hebbel.  Sänitlielic  Werke.  Historisch -kritische  Aus- 
gabe besorgt  von  R.  M.  Werner.  Berlin,  B.  Behr,  1901. 
B.  I:  LVn,  493  S.  (Dramen  I,  1841—47:  Judith.  Geno- 
veva.  Der  Diamant.);  B.  H:  XLIV,  477  S.  (Dramen  II, 
1849—51:  Maria  Magdalena.  Ein  Trauerspiel  in  Sicilien. 
Julia.  Herodes  und  Mariamne.);  B.  III:  LXI,  492  S.  (Dra- 
men in,  1851—58:  Der  Rubin.  Michelangelo.  Agnes 
Bernauer.  Gyges  und  sein  Ring.  Ein  Steinwurf.  Verklei- 
dungen.)    Je  M.  8  ungeb. 

Es  unterliegt  wohl  keinem  Zweifel,  dafs  Werners  Ausgabe  von  Heb- 
bels Werken  die  malsgebende  ist  und  bleiben  wird.  Für  diese  Aufgabe 
ist  niemand  so  wie  er  vorbereitet.  Ein  schon  als  Erbgut  von  dem  um  die 
Hebbel-Propaganda  verdienten  Vater  von  Karl  Werner  erworbenes  lebhaftes 
Herzensinteresse  für  Hebbel  vereinigt  sich  bei  dem  Herausgeber  mit  jener 
gründlichen  litterarhistorischen  Schulung,  die  manche  neueren  Apostel 
Hebbels  sehr  zu  ihrem  Schaden  so  gründlich  verachten.  Eine  vielseitige. 
Beschäftigung  mit  den  Problemen  der  Ästhetik  und  Poetik  läfst  Werner 
den  oft  verschlungenen  Pfaden  der  Hebbelschen  Kuustlehie  sicherer  folgen 
als  manche  Mitbewerber.  So  erhalten  wir  denn  eine  Ausgabe,  die  die 
Werke  in  zweckniäfsiger  Anordnung  bringt:  chronologisch  innerhalb  der 
Gattungen;  mit  sorgfältigem  Apparat,  der  uns  in  des  Dichters  Arbeit 
einen  neuen  Einblick  thun  läfst:  wie  lehrreich  sind  nicht  die  Theater- 
bearbeitungen der  Judith !  mit  knappen,  aber  anregenden  Einleitungen ; 
endlich  in  vortrefflicher  Ausstattung,  die  z.  B.  durch  die  Einrichtung  der 
Seitenüberschriften  das  Möglichste  an  Übersichtlichkeit  leistet. 

Wir  haben  zu  dem  Apparat  bei  Werners  bekannter  Gründlichkeit 
volles  Zutrauen,  und  es  scheint  uns  auch,  als  habe  der  Verf.  in  den  An- 
merkungen das  rechte  Mals  in  Hinweisen  auf  Tagebücher,  Briefe  und  ver- 
wandtes Material  gehalten.  Nur  mit  den  Einleitungen  möchten  wir  uns 
doch  noch  ein  wenig  näher  auseinandersetzen ;  sind  sie  doch  naturgemäfs 
die  eigenste  Zuthat  Werners  und  deshalb  mehr  als  die  objektiveren  Par- 
tien geeignet,  auch  Widerspruch  hervorzulocken. 

Vortrefflich  ist  es,  wie  Werner  überall  auf  die  Intentionen  des  Dich- 
ters eingeht.  Aus  den  Tagebüchern,  aus  dem  Fortspinnen  der  Gedanken 
und  Motive  von  einem  Drama  ins  andere,  aus  der  gesamten  Kunstan- 
schauung Hebbels  sucht  er  die  Idee  des  einzelnen  Werkes  zu  entwickeln ; 
und  ich  bekenne  gern,  noch  nie  eine  Analyse  der  'Judith'  gelesen  zu 
haben,  die  Avie  diese  das  wirklich  Grofse  darlegt  in  dieser  gigantischen 
Mifsgeburt  (denn  das  bleibt  sie  für  mich  doch ;  aber  so  hat  man  auch  die 
französische  Revolution  genannt!).  Nicht  ganz  so  eifrig  geht  er  zeitge- 
nössischen Tendenzen  nach;  gerade  Werner,  der  Si^ecialist  für  litterarische 
Anwendungen  des  Vaterunsers,  hätte  für  die  Stücke  aus  dem  Gebet  des 
Herrn  (I,  XLIV,  Genoveva  u.  ö.)  wohl  auf  Heines  'Ratcliff  hinweisen 
mögen  und  zur  'Maria  Magdalena'  (II,  XIV)  auf  die  gröfste  aller  Kindes- 


Reiirtoiluiicfoii  uiul  kurze  Anzei<ren.  187 


e"- 


mörtlerinneu :  auf  Grotthon  im  'Faust',  die  ja  selbst  am  Schlufs  der  Tra- 
gödie uebeu  der  grofsen  Büfscrin  erscheint.  Poch  gebe  ich  zu,  dafs  ge- 
rade bei  Ilebliel  (ganz  anders  als  z.  B.  lici  Imnicrmann)  die  litterarischen 
Quellen  verhältnismäfsig  unergiebig  sind. 

Hat  nun  aber  Werner  in  dankenswertester  Weise  die  Absichten  des 
Dichters  erhellt,  so  geht  es  ihm  meist,  wie  es  diesem  so  oft  ging:  er  setzt 
die  Vortrefflichkeit  des  Plans  ohne  weiteres  als  die  des  Drama.s.  Wohl 
wird  regelmälsig  ein  schüchterner  Vergleich  von  Plan  und  Ausführung 
unternommen,  am  entschiedensten  bei  'Julia'  und  dem  'Diamanten';  aber 
allzu  geni  bleibt  doch  der  Herausgeber  in  der  Methode  befangen,  jede 
Sonderbarkeit  des  Dramas  durch  einen  Hinweis  auf  die  betreffende  Ab- 
sicht in  eine  Schönheit  verwandeln  zu  wollen.  Er  bemerkt  etwa  (I,  XL) 
zu  'Genoveva':  'Freilich  beginnt  dieser  Monolog  auch  die  starke  Reflexion, 
die  sich  von  nun  an  in  dem  Drama  vordrängt,  sie  ist  jedoch  nötig,  da 
Golos  Leidenschaft  immer  mehr  in  die  Erscheinung  tritt',  nämlich,  wie  der 
etwas  unklare  Satz  (S.  XLI  f.)  erläutert  wird,  weil  das  Werk  bei  drama- 
tischer Vorführung  dieser  Leidenschaft  allzu  weit  angeschwellt  worden 
wäre.  Werner  nimmt  hier  zweimal  den  Dichter  mit  einem  'es  war  jedoch 
nötig'  gegen  seine  eigene  Kritik  in  Schutz;  während  man  doch  eben 
mit  diesem  anerkennen  sollte,  dafs  der  Plan  hier  der  Ausführung  unüber- 
windliche Schwierigkeiten  bot,  oder  dafs  die  Ausführung  den  Plan  verdarb. 
Werner  verteidigt  (II,  S.  XLII)  sogar  die  Wiederholung  im  'Herodes', 
Wenn  er  übrigens  (S.  XLI)  bemerkt,  diese  stamme  bekanntlich  aus  der 
Quelle,  so  trifft  das  zwar  für  Josephus  wirklich  zu ;  dieser  selbst  aber  hat 
die  Dittologie  erst  hervorgebracht,  so  dafs  Fr.  Skutsch  (Zeitschrift  für 
vergl.  L.  G.,  N.  F.  10,  94)  mit  Recht  sagen  durfte,  Hebbels  Wiederholung 
habe  so  wenig  historische  als  ästhetische  Berechtigung.  Was  zweimal 
nacheinander  geschehen  kann,  ist  eben  nicht  tragisch.  Mir  fällt  immer 
Heines  Ausruf  ein:  'Mlle  Roxane,  lassen  Sie  Persepolis  noch  einmal  an- 
stecken !'  . . . 

Ausgezeichnet  und  vielfach  ganz  neu  sind  dagegen  die  Nachweise  der 
persönlichen  Vorbilder  (Emma  und  Elise  in  der  'Genoveva'  I,  XLVII; 
Christine  in  der 'Mariamne'  II,  XLVII  u.  ö.).  Freilich  hat  auch  das  seine 
Nachteile:  weil  Mariamne  in  Marmor  gemeifselt  ein  Bild  der  geliebten 
Frau  des  Dichters  giebt,  soll  sie  auch  wie  diese  den  Gatten  lieben  (vgl. 
S.  XXXIX).  Mir  scheint  doch,  bei  der  Übersetzung  in  den  Marmor  sei 
die  Liel)e  erstarrt. 

Am  wenigsten  scheinen  mir  die  Rettungen  der  'Julia'  (Bertrams  sitt- 
liche Gröfse!  II,  S.  XXXV)  und  des  'Trauerspiels  in  Sicilien'  gelungen, 
obwohl  Werner,  um  Otto  Ludwigs  Angriffe  abzuwehren,  diesen  höchst 
ungerecht  Hebbels  unbewufsten  Nachahmer  nennt  |II,  S.  XXXII).  Am 
höchsten  steht  uns  seine  Interpretation  für  die  'Judith',  den  'Michelangelo' 
und  die  'Agnes  Bernauerin'.  Sonst  schadet  öfters  der  Apologet  dem  Inter- 
preten. Mufs  denn  sowohl  'Genoveva'  (I,  S.  XLV)  als  auch  'Maria  Mag- 
dalena' (II,  S.  XV)  neben  den  'Ödipus'  gestellt  werden?  mufs  Ibsen 
zweimal  (I,  S.  XLIX  zur 'Genoveva'  und  III,  S.  LII,  noch  unglücklicher. 


188  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

zur  Rhodope)  herabgedrückt  werden?  mufs  ein  witziges  Pamphlet  noch 
heut  auf  'niedrigen  Neid  und  kleinliche  Beschränktheit'  (III,  S.  XXIII) 
zurückgeführt  werden  ?  Übrigens  sind  diese  Mitteilungen  aus  alten  Wie- 
ner Kritiken  sehr  interessant  und  sollten  künftig  noch  reichhaltiger  ge- 
geben werden. 

Von  Kleinigkeiten  habe  ich  anzumerken,  dafs  Holtei  immer  (z.  B.  III, 
LXXIX)  durch  ein  unverdientes  v.  geadelt  wird,  dafs  'Hekatoncheir'  (gegen 
III,  S.  XXXV)  mir  mit  'Gyges'  V.  825  f.  nichts  zu  thun  zu  haben  scheint 
und  dafs  'Caf^  di  Europa'  (II,  S.  XXX)  schwerlich  richtig  ist.  Es  liegt 
nicht  viel  daran;  die  Bemerkungen  sollen  auch  nur  zeigen,  wie  wenig  wir 
in  den  objektiven  Partien  der  ebenso  dankenswerten  als  vortrefflich  durch- 
geführten Arbeit  zu  beanstanden  finden. 

Berlin.  Richard  Meyer. 

W.  W.  Skeat,  A  concise  etymological  dictionary  of  the  English 
language.  New  edition,  re-written  and  re-arranged.  Oxford, 
Clarendon  Press,  1901.     XV,  664  S.     Geb.  5  s.  6  d. 

Der  1882  erschienene  Auszug  aus  Skeats  grofsem  etymologischen 
Wörterbuche  war  rasch  zu  einem  Lieblingsbuche  unserer  Studenten  ge- 
worden und  hatte  seiner  Vollständigkeit  halber  diese  Stellung  auch  be- 
hauptet, als  in  Kluge-Lutz's  Auswahl  von  Etymologien  ihm  ein  wissen- 
.schaftlich  weit  überlegener  Konkurrent  erwachsen  war.  Die  vier  Auflagen, 
welche  der  kleine  Skeat  in  knapp  drei  Lustren  erlebte,  wiesen  nur  gering- 
fügige Änderungen  der  ersten  Auflage  gegenüber  auf,  so  dafs  auch  die 
neueste  Ausgabe  keineswegs  mehr  dem  Stande  der  rasch  fortschreitenden 
Wissenschaft  entsprach.  Der  Verfasser  entschlofs  sich  daher  erfreulicher- 
weise zu  einer  völligen  Umarbeitung  des  Ganzen,  wobei  er  die  bei  Kluge, 
Franck,  Brugmann  sowie  im  New  English  Dictionary  (A  —  H)  jetzt  so 
bequem  zugänglichen  Resultate  moderner  Forschung  sich  zu  eigen  machen 
und  die  fördernde  Beihilfe  Mayhews  und  Chadwicks  geniefsen  konnte.  In 
der  That  ist  so  ein  fast  völlig  neues  Buch  zu  stände  gekommen,  das  sich 
in  jeder  Beziehung  vorteilhaft  vor  der  älteren  Form  auszeichnet,  und  das 
ein  neues  Ruhmesblatt  in  des  unermüdlichen  Forschers  Verdiensten  um 
die  Anglistik  bildet. 

Schon  äufserlich  empfiehlt  sich  eine  Neuerung :  die  unpraktische  und 
oft  recht  problematische  Gruppierung  aller  verwandten  Wörter  unter 
einem  Stichworte  ist  aufgegeben  und  statt  dessen  eine  streng  alpha- 
betische Anordnung  eingeführt,  die  die  Benutzung  des  Werkes  wesentlich 
erleichtert.  Aber  auch  inhaltlich  merkt  man  die  bessernde  Hand  fast  in 
jedem  Artikel.  Vor  allem  macht  sich  durchgängig  eine  schärfere  Hand- 
habung der  Lautgesetze  geltend,  besonders  in  dem  Teile,  wo  das  treffliche 
Material  des  Oxforder  Wörterbuches  verwertet  werden  konnte.  Nach  der- 
selben Richtung  hin  zielt  die  Neuerung,  dafs  in  grofsem  Umfange  die 
dem  Neuenglischen  zu  Grunde  liegenden  altenglischen  und  anglofranzö- 
sischen  Dialektformen  neben  den  westsächsischen  und  centralfrauzösischen 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  189 

angeführt  ■werden.  Eine  durchgängige  Anwendung  dieses  Verfahrens,  z.  B. 
auch  bei  bunj,  merry,  secd,  silly,  seasoii,  plcad  u.  a.  m.,  wäre  für  die  nächste 
Auflage  recht  zu  wünschen.  Aus  didaktisclion  (gründen  empfähle  sich 
auch  wohl,  noch  den  weiteren  Schritt  zu  thun  und  überall,  wo  bei  einer 
Etymologie  lautliche  Schwierigkeiten  vorliegen,  auf  diese  in  aller  Kürze 
aufmerksam  zu  machen.  Ich  nenne  z.  B.  folgende  Artikel,  wo  dies  wohl 
am  Platze  gewesen  wäre:  seold,  scotcli,  scour,  scrabble,  scratnble,  scralcli, 
screech,  screiv,  scrip,  scupper,  seel,  serried,  set-,  sheal,  shingle,  shovel,  sick. 
Ja,  ich  würde  offenes  Eingestehen  unserer  Unkenntnis  und  Beschränkung 
auf  die  me.  Form  einem  kühnen  Vielleicht  wie  bei  scold  cPerhaps  Frisian') 
vorziehen.  iMne  nochmalige  Kcvision  würde  auch  noch  einige  Ausdrücke 
auszumerzen  haben,  die  aus  den  früheren  Auflagen  stehengeblieben  sind: 
ich  meine  Wendungen  wie  'an  arbitrary  variant'  (unter  set-,  settee,  sept) 
oder  'a  inodification  of  {since),  'a  corruption  of  {shingle),  'adopted  froni 
{ce7-if),  die  mir  für  die  mechanischen  oder  psychologischen  Veränderungen 
im  Sprachleben  wenig  glücklich  gewählt  scheinen. 

Zwei  wichtige  Neuerungen  betreffen  die  äufsere  Form  der  Wörter: 
das  Lateinische  ist  überall  mit  Quantitätsbezeichnungen  versehen  und  im 
Altenglischen  nach  Sweets  Vorgang  eine  Scheidung  der  beiden  («-Werte 
vorgenommen.  Nach  beiden  Richtungen  hin  hätte  der  Verfasser  noch 
weiter  gehen  können.  Namentlich  eine  weitere  Anwendung  diakritischer 
Zeichen  wäre  für  den  Lernenden  von  grundlegender  Bedeutung  gewesen. 
Mindestens  sollte  velares  und  palatales  c  im  Ae.  irgendwie  kenntlich  ge- 
macht werden ;  denn  wie  soll  der  Anfänger  sonst  die  Bemerkung  verstehen, 
dafs  ne.  sink  von  dem  intransitiven  sinean,  nicht  von  sencan,  welches  cli 
ergeben  müsse,  komme,  wenn  beide  dasselbe  c  aufweisen  ?  Und  wenn  ein- 
mal dieser  Weg  betreten  wird,  so  entschUefst  sich  der  Verfasser  vielleicht 
auch  dazu,  das  Mittelenglische  mit  Quantitäts-  und  Qualitätszeichen  zu 
versehen,  welches  bis  jetzt  solcher  Hilfen  gänzlich  entbehrt.  Längezeicheu 
.sähe  ich  gern  eingeführt  auch  bei  ai.  p  und  ö,  bei  an.  «  und  ce  sowie 
durchweg  im  Irischen,  wo  ja  auch  die  moderne  Orthographie  den  Akut 
als  Läugezeichen  verwendet.  In  letzterem  Falle  empfähle  sich  die  Bei- 
behaltung des  heutigen  Brauches  um  so  mehr,  als  der  Akut  im  Nir.  zu- 
gleich als  Lesehilfe  fungiert  und  z.  B.  ein  üi  =  \_u\  von  id  =  [?]  oder 
6i  =  [ö]  von  Ol  =  [e]  unterscheidet.  Vollends  die  modernen  irischen 
Lehnwörter  des  Neuenglischen  werden  erst  verständlich,  weuu  man  die 
irischen  Quantitäten  kennt,  also  z.  B.  weifs,  dafs  das  irische  Deminutiv- 
suffix -in  =  ne.  -een  (in  colleen,  marourneen,  spalpeen,  shebeen)  laugen 
Vokal  (7)  hat. 

In  der  Transkription  ist  mir  aufgefallen,  dafs  Skeat  im  Gotischen  an 
dem  Doppelzeichen  th  festhält,  während  er  im  Altenglischen  und  Alt- 
nordischen p  verwendet. 

In  welchem  Umfange  in  einem  etymologischen  Wörterbuche  die  ver- 
wandten Sprachen  heranzuziehen  sind,  kann  strittig  scheinen.  Ein  weises 
Mafshalten  wird  im  allgemeinen  auch  hier  von  Vorteil  sein.  Mindestens 
wird  man  aber  diejenigen  Wörter  verlangen  dürfen,   welche  die  L^rgestalt 


190  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

des  Wortes  erschliefsen  helfen  oder  Marksteine  in  seiner  Entwicklung  dar- 
stellen. Innerhalb  der  engeren  Sprachfamilie  pflegt  man  den  Kreis  noch 
weiter  zu  ziehen  und  womöglich  Belege  aus  sämtlichen  Hauptdialekten 
anzuführen,  um  einen  Uberl)lick  über  die  Verbreitung  des  Wortes  oder 
der  Wortsippe  zu  gewähren.  Wenn  Skeat  diesen  Standpunkt  billigt,  wird 
er  in  der  nächsten  Auflage  manches  nachzutragen  und  vielleicht  auch  zu 
streichen  finden.  Nachzutragen  wären  vor  allem  altsächsische  und  alt- 
friesische Formen.  Das  As.  ist  häufig  herangezogen,  fehlt  aber  manchmal 
gerade  da,  wo  es  lehrreiche  ältere  Mittelstufen  repräsentiert,  wie  bei  jan- 
Verben  wie  as.  sendian,  sellian,  sittian,  oder  wo  es  gar  einzig  der  Grund- 
form am  nächsten  steht  wie  z.  B.  bei  as.  sundia  (zu  ne.  sin).  Die  starke 
Vernachlässigung  des  Altfriesischen  teilt  Skeat  freilich  mit  den  meisten 
etymologischen  Wörterbüchern.  Aber  gerade  ein  etymologisches  Wörter- 
buch des  Englischen  hätte  doch  den  grölsten  Anlafs,  diese  nächste  Ver- 
wandte des  Englischen  eingehend  zu  berücksichtigen,  schon  um  sich  solch 
interessante  Analogien  wie  afrs.  ekker,  fet,  möna,  slcpan,  bröckle,  ledza  'legen', 
sküivia  u.  s.  w.  nicht  entgehen  zu  lassen.  Nach  Siebs'  ausführlicher  und 
sogar  lexikalisch  erschlossener  Darstellung  des  Friesischen  in  der  zweiten- 
Auflage  von  Pauls  Grundrifs  verlangt  diese  Sprache  immer  dringender 
ihr  Recht. 

Wer  mir  zugiebt,  dafs  das  Anführen  verwandter  Sprachen  hauptsäch- 
lich den  Zweck  hat,  die  Geschichte  des  Wortes  aufzuhellen,  wird  weiter 
mit  mir  darin  übereinstimmen,  dal^  diese  Parallelen  uns  möglichst  in 
einer  Form  zu  bieten  sind,  die  diesen  Zweck  fördern;  d.  h.  wir  werden 
überall  möglichst  die  älteste,  der  Urform  am  nächsten  stehende  Gestalt 
erwarten  dürfen,  nicht  aber  das  vielleicht  mannigfachen  Umgestaltungen 
ausgesetzt  gewesene  jüngste  Entwickluugsglied.  Nach  diesem  (Grund- 
sätze wäre  auch  die  Umarbeitung  noch  mehrfach  verbesserungsfähig,  da 
Skeat  es  gerade  liebt,  die  modernen  deutschen,  dänischen,  schwedischen, 
russischen,  irischen,  kynirischen  Formen  zu  eitleren,  die  uns  oft  nur  un- 
vollkommen sagen,  was  wir  von  ihnen  zu  wissen  wünschen.  Am  meisten 
wird  sich  dies  bei  den  nhd.  Belegen  fühlbar  machen,  weil  diese  in  vielen 
Fällen,  wie  z.  B.  bei  nhd.  sau,  säum,  soll,  sehne,  schieben,  der  Aufhellung 
durch  ältere  Formen  dringend  bedürfen.  Beim  Dänischen  und  Schwe- 
dischen wird  dies  zwar  zumeist  wieder  gut  gemacht  dadurch,  dafs  daneben 
auch  die  altnordischen  (aisl.)  Formen*  geboten  werden.  Leider  ist  die 
Bedeutung  der  letzteren  dadurch  in  den  Schatten  gestellt,  dafs  Skeat  sie 
einfach  als  'Icelandic  citiert,  also  den  Anfänger  berechtigt,  auch  dies  nach 
Analogie  von  'Dan.',  'Swed.'  u.  a.  m.  =  N  e  u  isländisch  zu  nehmen.  Wie 
gefährlich  das  Operieren  mit  den  modernen  Formen  ohne  die  Kontrolle 
durch  ältere  Stadien  ist,  lehrt  zudem  unser  Werk  selbst;  denn  das  Da- 
nebenstellen der  an.  Formen  hat  nicht  verhindern  können,  dafs  mehrmals 
dänische  und  schwedische  Wörter  angeführt  sind,  die  erst  späte  Entleh- 


'  Sollte  es  sieb  nicht  empfehlen,    statt    des  jüngeren  ö   überall  ^    für    den   w- 
Umlaut  von  a  im  Aisl.  zu  gebrauchen? 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  191 

nungen'  aus  dem  Niederdeutschen  darstellen,  was  z.  B.  bei  ndän.  meie 
(unter  ne.  7non),  viene  (mcan),  hyre  {hire),  skede  (sheafh),  skuffe  {scoff), 
skinneben  (shin),  sky  (shy),  smag  {smaek),  nschwed.  skenben,  smak  u.  a.  ni. 
zutrifft.  Ich  meine  übrigens,  dafs  man  die  ndän.  und  nschwed.  Formen 
da,  wo  ein  an.  (aisl.)  Wort  zur  Verfügung  steht  und  nicht  gerade  Ent- 
lehnung aus  dem  Ostnordischen-  vorliegt,  in  einem  etymologischen  Wörter- 
buche der  englischen  Sprache  wohl  entbehren  könne.  Ahnliches,  fürchte 
ich,  gilt  von  den  neurussischen,  neukymrischen  und  neuirischen  Wörtern ; 
namentlich  von  letzteren,  weil  die  moderne  irische  Orthographie  in  ihrer 
Vorliebe  für  rein  giaphische  Verwendung  von  Diphthongen  und  Tri- 
phthongen  den  eigentlichen  Lautwert  dem  Uneingeweihten  völlig  verhüllt. 
L"ud  vielleicht  versteckt  sich  auch  das  eine  oder  das  andere  englische 
Lehnwort  unter  den  angeführten  keltischen  Wörtern. 

Angeordnet  sind  die  germanischeu  Belege  nach  der  heutigen  geogra- 
phischen Lage  der  Völker  zueinander,  zuerst  das  Holländische,  dann  die 
nordischen  Dialekte,  darauf  das  Deutsche  und  endlich  das  Gotische. 
Dies  hat  den  Nachteil,  dafs  das  Nhd.  von  seinen  nächsten  Verwandten 
losgerissen  und  in  ein  zu  entferntes  Verhältnis  zum  Englischen  ge- 
rückt wird. 

Mehrfach  könnte  dem  Anfänger  insofern  entgegengekommen  werden, 
dafs  verwandte,  aber  nicht  die  gleiche  Lautstufe  oder  die  gleiche  Ableitung 
aufweisende  Wörter  als  solche  irgendwie  gekennzeichnet  werden.  Die  Ge- 
fahr, ae.  scüfan  und  gt.  skiuban  oder  ae.  seolc  und  au.  silki  für  völlig 
identisch  zu  halten,  ist  bei  den  Lernenden  nicht  eben  gering. 

Ein  weiterer  Wunsch  von  mir  wäre,  dafs  sich  Skeat  entschlösse,  die 
alte  Weise,  das  Altindische  nach  Wurzeln  und  Stämmen  zu  citieren,  auf- 
zugeben, und  uns  wirklich  greifbare  Wörter  böte.  Niemandem  wird  ein- 
fallen, im  Lateinischen  ein  Verbum  c/a?«Z 'schlielsen'  anzuführen,  und  was 
ist  es  anderes,  wenn  wir  ai.  srp  'kriechen'  statt  sdrpati  'er  kriecht'  u.  s.  w. 
zu  lesen  bekommen.  Die  vergleichende  Sprachwissenschaft  hat  ja  auch 
bereits  erfolgreich  mit  diesen  imaginären  Werten  gebrochen ;  und  welchen 
Anlafs  hätten  wir  Germanisten,  dabei  zu  verharren.  Auch  die  rein  prak- 
tische Rücksicht  auf  Fhlcnbecks  'Kurzgefalstes  etymologisches  Wörter- 
buch der  altindischen  Sprache'  (Amsterdam  1808 — 99j  könnte  ins  Feld 
geführt  werden. 

Bei  den  Lehnwörtern  aus  dem  Keltischen  macht  sich  das  Fehlen  einer 
Specialuntersuchung  immer  fühlbarer.  Bei  Skeat  vermilst  der  Anglist 
vor  allem  Ausspracheangabcu,  da  er  sonst  nicht  versteht,  wie  z.  B.  ne. 
kern  aus  ir.  ceithcrn  (sjjrich  keltern),  tory  aus  ir.  töiridite,  toruigiie  (so  statt  o) 


'  Vgl.  E.  Jessen,  Dans!:  etijtaologhk  ordhog  (Kjöbenhavn  1893),  das  trotz 
seiner  offenkundigen  Milngel  mehr  Beachtung  verdiente,  als  iiini  bisher  gezollt  zu 
sein  scheint.  Für  das  Schwedische  vgl.  Tiimms  Al)handlungen  in  den  UpsaUT 
Universität.s.^chril'ten  von  1876,  1880  luid  1887,  namentlich  die  letztere:  Künne- 
techen  pä  l?inord  l  nysvenska  Hkssprükct. 

^  Die  ostnordische  Form  hätte  bei  ne.  Thursday  beachtet  werden  sollen,  da 
ae.  pnresdceg  auf  adän.  pur,  nicht  auf  aisl.  /x/rr  zurückgeht. 


192  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

[ßört],  usquebagh  aus  ir.  uisge  beatha  entstehen  konnte.  Vielfach  drängt 
sich  dabei  die  schwierige  Frage  auf,  ob  eine  dialektische  oder  eine  ältere 
Aussprache'  zu  Grunde  liegt,  so  z.  B.  bei  uisge  beatha,  da  nir.  iiisge  aus 
air.  u'sce  (Gdf.  *utksios)  jetzt  [ish]  lautet.  Die  unter  galloivglas  gegebene 
Abtrennung  gallo-glaeh  ist  unrichtig;  es  ist  vielmehr  nir.  gall-ögldeh  zu 
trennen  (nir.  6g  'jung').  Unter  Ouldee  ist  nir.  ceile  De  statt  ceiledei  zu 
schreiben  und  dies  besser  mit  'Genosse,  Gefolgsmann  Gottes'  als  mit  'ser- 
vant'  zu  übersetzen.  Übrigens  läfst  Skeat  das  u  im  Englischen  unerklärt: 
nach  H.  Zimmer,  der  jetzt  zur  Sache  und  Etymologie  zu  vergleichen 
ist,''  hat  der  schottische  Historiker  Hector  Boece  im  16.  Jahrhundert  ein 
cuMei  aus  dem  latinisierten  colidei  für  air.  cele  De  fabriziert. 

Zum  Schlufs  mag  hier  folgen,  was  ich  mir  auf  den  ersten  30  Seiten 
des  crux-reichen  Buchstaben  S  angemerkt  habe;  meist  Kleinigkeiten,  doch 
vielleicht  bei  der  nächsten  Auflage  verwertbar. 

Sabaoth  ist  natürlich  nicht  direkt  aus  dem  Hebräischen,  sondern  durch 
lateinisch-griechische  Vermittelung  entlehnt.  —  Sackbut:  kann  frz.  saqttebide 
aus  lat.  sambilca  abgeleitet  werden?  Vgl.  Körting  Nr.  8247.  Jedenfalls 
verstand  das  Mittelalter  unter  lat.  sambüca  (neben  der  klassischen  Harfel 
auch  ein  Blasinstrument,  und  zwar  wohl  eine  Flöte  aus  Holunderholz 
(lat.  sambücus).  Vgl.  Fleischer  in  Pauls  Grdr.  III 2,  575,  sowie  die  ae. 
Glossierungen  mit  siveglhorn.^  —  Das  Verhältnis  von  sacristan  und  sextoti 
ist  schwerlich  klar  genug  dargelegt.  —  Salary  gegenüber  frz.  salaire  mit 
anderer  Suffixform.  —  Säle:  ae.  sato 'Verkauf  scheint  nur  einmal  (Glosse) 
und  zwar  in  dieser  Form  belegt,  doch  spricht  das  ahd.  sala  dafür,  dafs 
-a  eine  jüngere  Form  für  -u  ist,  dafs  als  Normalform  also  ae.  salu  an- 
zusetzen ist.  Die  an.  Formen  sala  (f.)  und  sal  (n.)  sind  andere  Ablei- 
tungen. —  Sallow^:  die  Nebenform  sally  bleibt  aus  den  angeführten  For- 
men unerklärt.  An.  selja  sollte  nicht  stillschweigend  mit  ae.  sealh,  ahd. 
salaha  gleichgesetzt  erscheinen.  —  Salt:  an.  salt  ist  gleichfalls  auch  sub- 
stantivisch. —  Salt-petre  zeigt  volksetymologische  Anlehnung  an  ne.  salt. 
—  Salve  aus  ae.  salf,  sealfl  Wie  steht  es  aber  mit  dem  tönenden  v'l 
Besser  ist  daher,  von  der  schwachen  Nebenform  ae.  sealfe  oder  vom  Ver- 
bum  sealfmn  auszugehen.  —  Satisage :  g  ist  wohl  eher  aus  ch  (s.  Guernsey : 
sauc'iehe)  erweicht  denn  aus  e  entstanden.  Vgl.  ne.  knoivledgc,  partridge,  car- 
tridge,  Woolwich.  Oder  soll  man,  was  die  freilich  junge  Schreibung  mit  a 
empfähle,  Suffixvertauschung  annehmen?  —  Saw'^:  ae.  sagu  entspricht 
genau  ahd.  saga,  aber  nicht  nhd.  säge  aus  ahd.  sega.  —  Unter  saw'^  sollte 
ahd.  saga,  nhd.  sage  nicht  fehlen.  —  Saxhorn  war  kein  Frenchman,  sondern 
ein  Belgier,  der  freilich  1842  nach  Paris  übersiedelte.  —   Say'^:   ae.  seged 


'  Vielleicht  ist  dafür  Nutzeu  zu  ziehen  aus  dem  Ms.  Ir.  e.  1  (ca.  1700)  des 
Britischen  Museums,  das  laut  Katalog  über  irische  Aussprache  handelt. 

^  Vgl.  seinen  trefflichen,  auch  für  Anglisten  so  wichtigen  Artikel  'Keltische 
Kirche  in  Britannien  und  Irland'  in  Herzogs  Realencyklopädie  für  protestantische 
Theologie  und  Kirche,  Bd.  X2,  S.   204—243.     Über   Culdee  S.   234  f. 

^  Zu  Padelfords  Belegen  kommt  jetzt  noch  eine  neue  Aldhelm  -  Glosse  bei 
Napier,  Nr.  XIV,   1. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  198 

würde  ich  eher  spät-ws.  als  northumbrisch  nennen;  anorth.  scheint  nur 
scegeil  belegt.  Übrigens  genügt  zur  Erklärung  von  me.  seith  auch  die  ge- 
wöhnliche WS.  Form  scegd.  —  Bei  scab  würde  ich  hinter  'Skand.'  ein  Frage- 
zeichen setzen.  S.  Björkman  I,  120  f.  —  Bei  Scaffold  ist  der  Zusatz  'L. 
and  Or.'  unverständlich,  weil  auf  keine  dieser  Sprachen  im  Artikel  selbst 
zurückgegangen  wird.  —  Gegen  die  Etymologien  ne.  scall  'Kopfgrind'  aus 
an.  skalli  'Kahlkopf  und  ne.  scalp  'Kopfhaut'  aus  an.  skalpr  'Schwert- 
scheide' sprechen  doch  wohl  die  Bedeutungen.  —  Scarf'^ :  füge  ae.  scearflan 
zu  ahdi.  skarbön;  vgl.  auch  schwed.  skarfva,  dän.  skarve  'falzen,  fügen'. — 
Scathe:  ae.  sceadan  ist  klärlich  eine  Neubildung.  Neben  gt.  skapjan  sollte 
ae.  sceddan  erscheinen.  Das  zwischen  beiden  stehende  nhd.  ndl.  schaden 
repräsentiert  eine  andere  Ableitung  (ahd.  scadön).  —  Scatter  soll  nördliche 
Form  von  skatter  sein.  Aber  ae.  sc  ist  doch  in  allen  Dialekten  zu  s  ge- 
worden. Eine  andere  Erklärung  bietet  Björkman  I,  S.  10  und  123.  — 
Scavenger  fafst  Skeat  als  französisches  Lehnwort  aus  agln.  scavage,  wel- 
ches von  afrz.  escauicer  -\-  Suff,  -age  gebildet  sei.  Sollte  nicht  aber  das 
ne.  scavage  'Marktgebühr'  eine  Normannisieruug  des  ae.  Rechtsausdruckes 
sceäwung  (Bosworth-Toller)  sein?  Die  doppelte  Suffixvertauschung  findet 
sich  auch  bei  einem  anderen  Rechtsausdrucke,  nämlich  ae.  hltesting,  wel- 
ches me.  und  agln.  als  lestage  erscheint,  woneben  einmal  auch  eine  Form 
mit  -n-,  lestange  (vgl.  scavenge),  bei  H.  Hall,  Red  Book  of  the  Exchequer 
III,  1033  belegt  ist.  Vgl.  übrigens  auch  stowage  neben  stowing.  —  Unter 
scene  fehlt  die  frz.  Mittelstufe.  —  Scimetar  scheint  mir  frz.  oder  span., 
aber  nicht  italienisch  sein  zu  können.  —  Scoff:  das  dän.  skuffe  ist  aus 
ndd.  schüren  entlehnt.  —  Scisso7-s:  '0.  F.  cisoires,  used  instead  o/"ciseaux.' 
Klarer  würde  gesagt,  dafs  es  sich  hier  um  zwei  verschiedene  Ableitungen 
handelt,  näudich  afrz.  cisoire  =^  lat.  *elsörium  und  afrz.  cisel  ■=  lat. 
cisellum.  —  Scold:  '■Perhaps  Frisian'  entbehrt  jeden  Anhalts.  —  Score: 
füge  hinzu  ae.  scor.  —  Scotch  aus  scortchenlt  —  Scot  direkt  als  franzö- 
sisches Lehnwort  hinzustellen,  scheint  mir  bedenklich.  Die  Sippe  ist  in 
allen  germ.  Dialekten  belegt  und  auch  ae.  sceot,  seeot-freo  genügend  ge- 
sichert, zudem  durch  me.  sclwt,  ne.  shot  'Anteil  an  der  Wirtsrechnung', 
auch  Johnsons  shot-free,  bestätigt.  Es  kann  sich  also  nur  um  die  Erklä- 
rung des  ne.  A:-Lautes  handeln,  welcher  ebensogut  auf  nordischen  Einflufs 
(an.  skot)  wie  auf  normannischen  zurückgehen  kann.  —  Scour^  =  afrz. 
escurerti  vgl.  Björkman  I,  133  u.  Anm.  2.  —  Scratch  durch  Vermengung 
von  me.  skratten  mit  me.  craccJien  und  letzteres  wieder  aus  ^kratsenll  — 
Scrawl:  'contraction  of  scrabble'tl  —  Screech:  me.  skriken  und  a.n.  skrcek/a 
sind  nicht  identisch.  —  Screw^  =:  afrz.  escroell  Baists  Ableitung  des 
nfrz.  ecrou  aus  lat.  scröpha  scheint  der  aus  ndd.  sckruwe  vorzuziehen.  — 
Screw^  'abgemagertes  Pferd'  soll  nördliche  Form  für  shrew  sein,  wogegen 
Form  (s.  oben)  und  Bedeutung  spricht.  Es  liegt  wohl  nur  eine  besondere 
Verwendung  von  screw^  'schrauben;  auspressen,  erschöpfen'  (Schröer)  vor. 
—  Scrip  ist  wohl  kein  skandinavisches  Lehnwort,  sondern  mit  Björkman 
(Archiv  CT  391  f.)  aus  ralat.  scrippum  herzuleiten.  Was  soll  in  dem  Ar- 
tikel agln.  escrepe  'a  scarf?  —   Scn/b'-:   me.  scrobben  ist  besser  mit  u  zu 

Archiv  I.  n.  Sprachen.    CVIll.  13 


194  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

schreiben.  —  Scruple:  schon  das  lat.  scrüjmlus  hat  neben  'Steinchen'  die 
übertragene  Bedeutung  'Besorgnis,  Bedenklichkeit'.  —  Zu  skud  'schnell 
rennen'  vergleicht  Skeat  dän.  skyde.  Dann  rnüfste  ne.  skud  eine  ganz 
junge  Entlehnung  aus  dem  Dänischen  sein  (wozu  ich  keinen  Anlafs  wüfste), 
da  dän.  skyde  aus  adän.  skiute  'schiefsen'  lautgesetzlich  entstanden  ist.  Der 
Übergang  von  adän.  iu  in  y  erfolgte  erst  im  16.  Jahrhundert  (Noreen  in 
Pauls  Grdr.  I-,  549).  —  Scuttle'^:  'a  northern  form't  Füge  hinzu  ahd. 
seuxxila,  nhd.  schüssel,  ndl.  schotel.  Es  könnte  deutlicher  bemerkt  werden, 
dafs  auch  Skeat  die  germ.  Sippe  für  eine  frühe  Entlehnung  aus  lat.  scu- 
tella  hält.  —  iSea/2  stammt  nicht  aus  dem  Nora.  ae.  seolh.  —  Zu  sear  füge 
ahd.  sören.  —  Warum  soll  sedge  aus  dem  obliquen  Kasus  und  nicht  aus 
dem  Nominativ  ae.  secg  stammen?  —  Seek:  lies  air.  sdigim  statt  sagim. 
—  Seme  'Schleppnetz'  braucht  nicht  frz.  Lehnwort  zu  sein,  sondern  kann 
auf  das  ae.  segne,  aus  lat.  sagena  (vgl.  ahd.  segina,  frs.  seine)  entlehnt,  zu- 
rückgehen. —  Seldom:  m  verdiente  ein  Wort  der  Erklärung.  —  Zu  seil 
füge  afrs.  sella  'übergeben'.  Wo  ist  ein  ahd.  'saljan'  belegt??  —  Die  Ar- 
tikel sempster  und  seamstress  würden  besser  vereinigt.  —  Zu  send  füge 
as.  sendian,  a.irs.  senda.  —  Seraglio:  'misused  inEJ.  Aber  schon  das  ital. 
serraglio  'Einschlufs'  hat  die  Aufnahme  der  Bedeutung  von  türk.-pers.  seraj 
vollzogen.  —  Der  Notes  and  Queries  Mai  8,  1869  gemachte  Vorschlag,  ne. 
Serif  aus  ndl.  schreef  abzuleiten,  entbehrt  doch  jeder  historischen  Grund- 
lage, vgl.  Oxf.  Dict.  unter  ceriph.  —  Sew  'nähen'  geht  auf  die  nicht  an- 
geführte Nebenform  ae.  seowlan  zurück,  nicht  auf  ae.  siwtan.  —  Unter 
shabby  vermisse  ich  die  altenglische  Grundlage  sceab,  scceb.  —  Das  Wort 
ne.  shale  'Hülse',  ae.  scealu,  fehlt  gänzlich  im  Wörterbuch  und  verdiente 
wohl  eher  Aufnahme  als  das  moderne  deutsche  Wort  shale  'Brand- 
schiefer'. —  Zu  shal  füge  ahd.  scal.  —  Shalloon:  1.  Chälons  (st.  a).  —  Zu 
Shambles  füge  ahd.  as.  scamal.  —  Zu  shame  as.  skania,  afrs.  skome  und 
gt.  skaman;  ebenso  ae.  scea7id,  ahs.  skande.  —  Sha?nefaced  ist  volksetymo- 
logische Umgestaltung  von  ae.  sceamfcBst.  —  Shamrock:  lies  nir.  seamrog 
[seB77irög]  mit  6  st.  o.  Des  ne.  k  wegen  wäre  wohl  besser  eine  ältere  Form, 
air.  semrök,  citiert.  —  Shanty  ^=  nir.  sean-toigh  [scenßt]  in  Munster  und 
Ulster,  während  in  Connaught  die  Form  sean-teach  [sce}it(e%]  gilt;  eine  Ver- 
bindung von  air.  sen  'alt'  -(-  air.  teg,  tech  'Haus',  Gen.  Hge.  Vgl.  meine 
Bemerkungen  dazu  im  Archiv  CVII,  112  ff.,  wo  ich  ärgerlicherweise  überall 
fälschlich  a  statt  cb  in  meinen  Ausspracheangaben  gesetzt  habe.  Es  ist 
also  nir.  sean-ffiear  als  [stBneer]  und  so  fort  zu  lesen.  Ich  füge  noch 
hinzu,  dafs  auch  Groses  Slang-Wörterbuch  von  1796  (3.  Aufl.  'correcied 
and  enlarged')  das  Wort  noch  nicht  kennt,  also  die  Entlehnung  aus  der 
englischen  Volkssprache  nicht  eben  wahrscheinlich  ist.  Der  Grund,  warum 
diese  Etymologie  bisher  zweifelnd  vorgetragen  wurde,  ist  mir  mittlerweile 
auch  klar  geworden:  weder  O'Reillys  Irish-English  Dictionary  (1864)  noch 
O'Donovans  Supplement  dazu  führen  dies  Kompositum  besonders  an,  die 
indes  beide  sich  längst  als  unzulänglich  erwiesen  haben.  —  Shape:  'a  new 
formation  from  the  sb.  schap,  Ä.  S.  gesceap,  or  frotn  the  pp.'  Letzteres 
scheint  mir  durchaus  das  Wahrscheinlichere,  zumal  auch  sonst  das  Particip 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  195 

auB8chlaggel)end  gewesen  ist,'  wie  z.  B.  bei  ne.  lay  gegenüber  ae.  lecgan. 
—  Share  ist  nicht  direkt  =  ae.  scear.  Kluge-Lutz  füliren  ein  ae.  sceatii 
an,  das  ich  nicht  zu  belegen  wcifs.  Doch  vgl.  ahd.  scara  neben  scar, 
scaro.  —  Zu  .sharp  füge  ae.  sceorpa« 'schrappen'.  —  Sfiaw:  ae.  sccaya  und 
an.  skögr  sind  ablautend.  —  Zu  s/teaf  füge  afrs.  *  sä;«/  (Sylt  sköf,  saterländ. 
s/öu),  andd.  sköf.  —  Sheath:  vgl.  as.  skcthia.  Das  dän.  skede  ist  ndd.  Lehn- 
wort, und  schwed.  skida  scheint  auf  an.  sktda  zurückzugehen.  —  Shed^: 
lies  as.  skrdan  mit  r  st.  e.  —  Zu  shed-  füge  me.  schudde  'Hütte'.  —  Shelf 
nicht  =  ae.  scilfe  {i  und  v\),  sondern  ^  ae.  * scielf,  scylf  (Blickl.  Hom. 
27,  11);  vgl.  auch  ahd.  scelb,  mndl.  schelf.  —  Shillelagh:  lies  nir.  siol  \sll\ 
statt  siol,  air.  sil  (Fick-Stokes  S.  295).  —  Zu  shimmer  füge  ae.  sctma,  as. 
aklmo,  gt.  skeima.  Mir.  sciam,  sceim  wäre  klarer  als  nir.  sgiamh,  sgeimh 
(so  statt  ei  zu  lesen).  Überdies  könnten  die  ir.  Formen  fehlen,  du  sie  der 
Entlehnung  aus  lat.  schcma  verdächtig  sind  (Brugmann  I'-',  §  ö09).  — 
Shin:  dän.  skinneben  (so  statt  -been  zu  lesen)  wie  schwed.  skenben  sind  aus 
dem  Deutschen  entlehnt.  —  Zu  shine  füge  as.  sklnan,  afrs.  sklna.  — 
Shire:  lies  ahd.  skira  mit  l  st.  i.  —  Short:  warum  soll  Entlehnung  der 
germ.  Sippe  aus  lat.  (exjcurtus  'improbable'  sein?  —  Shoulder  nicht  =: 
ae.  sculdor,  sondern  =  ae.  sceolder.  —  Shove:  lies  ai.  kshubh  st.  ksubh  (nach 
Skeats  Transkription)  oder  noch  besser  khibhyati  'er  scliMankt'.  Füge 
hinzu  afrs.  sk/lva.  —  Show:  dän.  sk~ue  geht  auf  adän.  skudc  zurück  und 
repräsentiert  also  eine  andere  Ableitung  als  shotv,  schauen  u.  s.  w.  Füge 
hinzu  afrs.  skäwia,  as.  skauwön.  —  Zu  shred  füge  ahd.  seröt,  nhd.  schrot, 
sowie  ae.  scrradtan,  ahd.  scrrdan,  afrs.  skreda.  —  Zu  shrike  'Würger'  fehlt 
das  ae.  Etymon  scrlc.  —  Zu  shrine  füge  ahd.  scrJni,  nhd.  sehrein,  ndl. 
schrijn,  an.  skrln.  —  Shun:  vgl.  auch  ae.  SGijndan  'eilen,  antreiben',  ahd. 
scunian.  —  Shy:  dän.  sky  ist  entlehnt  aus  ndd.  schuw.  —  Zu  sick  füge 
afrs.  siak,  iis.  siok.  —  Zu  sicher  fehlt  die  ae.  Grundlage  sicor.  Sollte 
nkymr.  sicr  (mit  s  statt  h)  nicht  Lehnwort  aus  dem  Englischen  sein?  — 
Zu  sickle  füge  ahil.  sihhila,  nhd.  sichel,  ndl.  sikkel.  —  Zu  sift  nhd.  (ndd.) 
sichten.  —  Sigk  =  ae.  stcan??  Kluge-Lutz:  ae.  *sthhlan.  —  Sight:  Ist 
wirklich  schon  in  ae.  Zeit  ein  gesiht  (mit  t)  sicher  belegt?  Die  von  Bos- 
worth-Toller  angeführte  Stelle,  Boet.  41,4,  ist  jetzt  nach  Sedgefields  Aus- 
gabe zu  streichen,  da  die  einzige  das  Wort  überliefernde  lls.  B  hier  gesihd 
liest.  L'nd  Luk.  I,  22  der  ws.  Evangglien  könnte  gesihtpc  blofser  Schreib- 
fehler sein.  Der  früheste,  mir  bekannte,  sichere  Beleg  ist  das  gesihte  der 
mittelkentischen  Evangelien  (Luk.  I,  22).  Auch  in  Komi)osition  soll  nach 
Skeat  die  Form  -siht  vorkommen.  Er  meint  damit  jedenfalls  die  bei  Bos- 
worth -Toller  unter  sifit  angeführten  Composita  blödsiht  'Blutflufs'  [wo  be- 
legt?], ilfsiht,  fdsihte  'Diarrhöe'  und  insiht  'argumentum'.  Diese  scheinen 
mir  aber  nichts  mit  gesihd  'Gesicht'  zu  thun  zu  haben.    Die  beiden  ersten 


'  Über  die  associativeii  Grundlagen  dieser  Analogiebildung  wären  weitere  ex- 
perimentelle Untersuchungen  sehr  erwünscht.  Einiges  bei  Thumb  und  Marbe, 
Experimentelle  Untersuchungen  über  die  psychologischen  Grundlagen  der  sprach- 
liehen Analogiebildung  (Leipzig   1901)  S.   71. 

13* 


196  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

(falls  blödsiht  belegbar  ist)  gehören  doch  wohl'  zu  einem  sonst  freilich  im 
Ae.  noch  nicht  nachgewiesenen  *syht  (gt.  sauhts  'Krankheit');  und  letz- 
teres stellt  sich  zu  gt.  insahts  (zu  insacan  'darlegen').  Das  in  der  ae. 
Genesis  V.  472  erscheinende  suht  mit  fehlendem  Umlaut  wird  jedenfalls  auf 
as.  Einflufs  beruhen,  wie  andererseits  die  me.  Formen  soght  (Cursor  Mundi), 
gulsoght  'Gelbsucht'  (Rob.  de  Brunne),  ne.  dial.  gulsach  (Wrights  Dial. 
Dict.)  auf  an.  *soht,  sott  zurückgehen;  vgl.  auch  an.  gulusött  'Gelbsucht', 
dän.  schwed.  gulsot.  —  Silk:  ae.  seolc  ist  eine  andere  Bildung  als  an.  silki. 
Aslav.  selkli  ist  lat.  Lehnwort.  —  Sül:  an.  syll  ist  doch  wohl  engl.  Lehn- 
wort, ae.  syll  selbst  aus  dem  lat.  solea  entlehnt.  Nhd.  schwelle  ist  dagegen 
urverwandt.  S.  Kluge,  Engl.  Stud.  XX,  334.  —  Silt:  'Scatid."!  —  Zu 
sin  füge  afrs.  sende,  as.  sundia.  —  Zu  since  füge  as.  slppan  sowie  ahd. 
sid,  nhd.  seit.  —  Unter  sinew  fehlt  das  klare  ahd.  senawa,  aucli  afrs.  sinu-, 
sine.  —  Sing:  lies  an.  syngva  statt  syngja.  —  Singe:  besser  ae.  sencgean 
statt  sengan,  ebenso  sencean  unter  sink.  —  Sip:  me.  sippen  mit  -pp-  ent- 
spricht nicht  ae.  syplan,  sondern  einem  ae.  *syppati,  das  durch  ahd.  supphen, 
mhd.  supjen,  mndl.  suppen  erwiesen  wird.  Füge  hinzu  ae.  sype.  —  Sister 
ist  nicht  nur  'affected  by',  sondern  entlehnt  aus  an.  systir.  Lies  ir.  siur 
statt  suir.  —  Sex:  aus  ir.  se  statt  se.  —  Statt  skain  'irisches  Kurzschwert' 
hätte  ich  die  Schreibung  skean  als  Kopfwort  eingesetzt,  ebenso  bei  skein 
'Garn-Strähne'  lieber  skain,  da  nach  Ausweis  der  Etymologie  (ir.  sgiaii 
[ski9n]  bezw.  mfrz.  escaigne)  diese  beiden  Schreibungen  die  historisch  rich- 
tige Aussprache  darstellen.  —  Unter  skate  würde  ich  den  lehrreichen  alten 
Plural  scatses  1695  (bei  Flügel)  erwähnen.  —  Skellum:  ndl.  seh  =  ne.  sk 
auch  in  skate,  sketch,  skipper.  —  Skerry  erklärt  sich  aus  den  an.  Plural- 
formen mit  J  (G.  skerja,  D.  skerjum),  nicht  aus  dem  Nom.  sg.  sker.  Björk- 
man  S.  124.  —  Skin:  lies  kymr.  kenn  statt  ken;  vgl.  air.  ceinn  'Schale'.  — 
Skink:  lies  ae.  sceanca  statt  scanc.  Vgl.  auch  afrs.  skenxa.  —  Skip:  vgl. 
nhd.  schupfen,  west-vläm.  schippen  (Franck  unter  schop  und  Björkman 
S.  127  Anm.).  —  Skirmish:  streiche  ahd.  skermati;  erst  mhd.  erscheint  zu 
scherm  die  Neubildung  schermen. 

Mögen  diese  Bemerkungen  dem  Verfasser  zeigen,  wie  sehr  mich  sein 
Werk  interessiert  hat,  dem  ich  auch  in  seiner  neuen  Gestalt  die  weiteste 
Verbreitung  wünsche. 

Würzburg.  ~  Max  Förster. 


*  Nachträglich  scheint  es  mir  besser,  dies  -siht  zu  ae.  seon  'seihen,  tröpfeln' 
(oft  gebraucht  von  Geschwüren,  Galle,  Eiter  u.  dgl.,  s.  Bosworth-Toller),  slgan 
'tröpfeln'  zu  stellen.  Vgl.  für  die  gleichen  Krankheiten  einerseits  ae.  blödryne, 
blödiorn,  blödes  flöwnes,  iorning  blödes,  blödes  ütryne  und  andererseits  innodes 
unryne  (für  «<•?),  innopes  ästyrung  (Leechd.  I,  280.  286),  innodes  flnosan, 
ütwcerc  (ob  zu  weorc  [Sweet]  oder  zu  wrecan?),  namentlich  auch  ntyrnende 
'diarrhoeic',  weiterhin  dann  ütgang,  ütför  'evacuation  of  the  body'.  Als  nächste 
englische  Verwandte  wären  dann  zu  nennen  ae.  seohter,  sihlir  (m.),  seohtre  (f.), 
seohtra  (m.)  'Abzugsgraben'  (H.  MiddendorflF,  Altenglische  Flurnamen  nach  den 
ae.  Urkunden  vom  7.  — 11.  Jahrh.  [Realgymnasialprogramm,  Würzburg  1900  u.  1901] 
S.   116)  =  mndd.  sichter  (Lübben)  und  ae.  seohhe  'Seihe'. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  197 

Havelok  edited  by  F.  Holthausen  in:  Old  and  Middle  EngHsh 
texts  edited  by  Morsbach  and  Holthausen.  XII,  101  S. 
London  1901. 

Trotz  der  bequemen  und  leicht  zugängigen  Ausgabe  Skeats  (E.  E. 
T.  S.  Extra  S.  1868)  war  eine  Neuausgabe,  welche  die  zahlreichen  Bei- 
träge zur  Textkritik,  Sprache  und  sonstigen  Verhältnisse  dieses  Denkmals 
verwertete,  geradezu  ein  Bedürfnis.  Dafs  Holthausen,  welcher  einen  her- 
vorragenden Anteil  an  dieser  Forschung  hatte,  den  neueren  Ergebnissen 
voll  gerecht  wurde,  dafs  somit  seine  Ausgabe  einen  wesentlichen  Fort- 
schritt gegenüber  den  früheren  darstellt,  unterliegt  keinem  Zweifel.  Ab- 
gesehen aber  von  der  Besserung  des  Textes,  von  treffenden  Anmerkungen, 
von  der  zuverlässigen  Bedeutungsaugabe  schwieriger  oder  seltener  Wörter 
in  dem  kurzen  Glossar  hat  uns  Holthausen  eine  Zugabe  gegeben,  welche 
als  erster  Versuch  dieser  Art  für  eine  me.  Textausgabe  besondere  Beach- 
tung verdient. 

Dem  Plane  der  Sammlung  entsprechend  ist  —  zum  erstenmal  in 
einer  me.  Textausgabe  —  die  Quantitätsbezeichnung  konsequent  durch- 
geführt: die  langen  Vokale  erhalten  Längestrich  (auch  öü  =  ü),  die 
Diphthonge  und  Kürzen  bleiben  unbezeichnet ;  qualitative  Unterschiede, 
wie  zwischen  offenem  und  geschlossenem  e,  ö,  sind  nicht  berück- 
sichtigt. 

Letzteres  ist  wohl  nur  scheinbar  ein  Rückschritt  gegen  Sweet,  der 
in  seinen  me.  Elementarbüchem  auch  die  offene  oder  geschlossene  Qua- 
lität bezeichnete;  bei  der  Unsicherheit  der  Scheidung  iind  der  Verschieden- 
heit der  Ansichten  ist  der  Gewinn  an  Korrektheit  hier  gröfser  als  der 
Verlust  in  der  Deutlichkeit.  Aber  derselbe  Grund  würde  mich  bewogen 
haben,  die  Anwendung  des  Längestrichs  bei  Dehnung  in  offener  Silbe, 
also  die  Gleichstellung  von  Wörtern  wie  gete,  fete  mit  fet,  lede,  von  for- 
Inren  mit  more  etc.,  zu  unterlassen.  Wenigstens  hätte  man  ein  besonderes 
Zeichen  verlangen  können  (etwa  den  Circumflex),  wie  es  Morsbach  in 
seiner  Me.  Gram,  anwendet.  Wie  weit  und  wann  im  Me.  die  Dehnung 
in  offener  Silbe  durchgeführt  wurde,  ist  eine  wenig  geklärte  Frage;  dafs 
für  Havelok  die  volle  Dehnung  bis  zum  Zusammenfall  mit  den  entspre- 
chenden ursprünglichen  Längen  nicht  anzunehmen  ist,  ist  aber  fraglos. 
Ist  doch  die  Scheidung  der  Reime  von  e  und  o  in  offener  Silbe  von  f  und 
Q  in  sauberster  Schärfe  erhalten  und  auch  nicht  durch  einen  einzigen  ver- 
bindenden Reim  getrübt.  In  Wörtern  wie  gete  ist  wirkliche  Dehnung  ver- 
mutlich überhaupt  nie  eingetreten,  oder  was  wollte  Holthausen  für  Rück- 
verkürzung anführen?    [Doch  die  Tenuis.     A.  B.] 

Ein  zweiter  Punkt  bedenklichster  Art  ist  die  Dehnung  vor  gewissen 
Konsonantengruppen  {nd,  Id  etc.\  welche  durch  einen  Akut  (gegenüber 
sonstigem  Längestrich)  angedeutet  ist. 

Die  Dehnung  von  i  (find),  u  (bound),  nicht  umgelautetem  e  (field)  ist 
zweifellos  und  gemeinenglisch,  aber  in  vielen  anderen  Fällen  (wende,  sende) 
gehen  die  me.  Dialekte  auseinander  und   ist  volle  Aufklärung  noch  nicht 


198  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

erzielt.     Das  wenige,  was  hier  festgestellt  ist,   scheint  übrigens  nicht  ein- 
mal beachtet  worden  zu  sein. 

Das  Prt.  sende  (zu  korrigieren  in  did  sendet)  hat  auf  jeden  Fall  kur- 
zen Vokal,  das  Dehnungszeichen  ist  hier  direkt  falsch.  Ob  der  Inf.  sende 
gedehnten  Vokal  besitzt,  steht  dahin;  die  Schreibung  Orrms  und  die 
Reime  verwandter  Dokumente  sprechen  dagegen  (vgl.  Anglia,  N.  F.  398  ff.). 
Anders  liegt  ja  die  Sache  im  sdw.  Dialekt,  aber  diese  Frage  läfst  sieb 
nur  von  Fall  zu  Fall,  von  Dialekt  zu  Dialekt  entscheiden.  Die  beiden 
Reime  des  Prt.  (?)  sende  358,  2275 :  fer  and  hende  (  =--  nahe)  sind  völlig 
korrekt  mit  e;  denn  auch  hende  Adv.,  von  Holthausen  mit  Dehnungs- 
zeichen versehen,  hat  e,  wie  aus  den  Reimen  Rob.  of  Brunne  hervorgeht 
(Anglia,  N.  F.  VII  401).  Der  PL  hend  Hände  bei  Holthausen  mit  Deh- 
nungszeichen hat  ebenfalls  e  (a.  a.  O.)  trotz  der  ungenauen  Reime:  fsnd, 
frend  im  Havelok.  Unklar  ist  andrerseits,  warum  das  Dehnungs-  resp. 
Längezeichen  fehlt  in  dem  Reime  yemede:  fremede  227ti.  Warum  steht 
Dehnungszeichen  in  heJd,  with-held,  wo  entweder  ursprüngliche  Länge  oder 
spätere  Kürzung  anzunehmen  ist? 

Falsch  ist  erhaltene  Länge  in  wende  (wähnte),  wo  überall  im  Me.  die- 
Reime  Kürzung  erweisen.     Sollte  ten  (=  10,  :  men)  wirklich  mit  e  anzu- 
setzen sein?    Kürzung  wird  dagegen  angenommen  in  demd  Pp.  2488  etc., 
wo  sie  fraglich  ist,  ebenso  wie  in  wepne  89. 

Es  ist  äuTserst  heikel  und  schwierig,  die  Dehnungen  vor  Konsonanten- 
gruppen aufserhalb  der  gemein  me.  und  durch  das  Ne.  festgelegten  {old, 
field,  find,  bound)  einwandsfrei  zu  bezeichnen,  da  sie  nach  den  verschiede- 
nen Dokumenten  differieren,  an  Inkonsequenzen  reich  sind  und  auch  dem 
Grade  nach  wohl  nicht  völlig  geklärt  sind,  und  nicht  viel  anders  dürfte 
es  sich  mit  der  Kürzung  verhalten.  Sollte  es  ein  grofser  Verlust  sein, 
wenn  man  einen  möglichst  konservativen  Standpunkt  einnähme,  event. 
Dehnung  in  ende,  sende,  wrong,  strong  gar  nicht  bezeichnete  und  Kürzung 
nur  da  ansetzte,  wo  sie  nachweisbar  ist? 

An  Einzelheiten  erwähne  ich:  Johän  mit  ä  ist  schwer  verständlich; 
neben  dem  Reime  auf  q  (lies  r7?)  177  steht  auch  tcimman  :  Johan  1721, 
wo  Holthausen  selber  das  Längezeichen  fortläfst.  Reime  von  Kürze  :  Länge 
sind  im  Havelok  möglich. 

d(yre  findet  sich  mit  n  angesetzt,  ist  also  mit  gedehntem  o  aufgefalst; 
notwendig  ist  dies  nicht,  da  auch  ae.  duru  mit  der  Schreibung  o  (für  u 
in  offener  Silbe)  auftreten  würde.  — 

t  in  bodt,  am  ist  etymologisch  erklärlich,  aber  in  me.  tonloser  Silbe 
kaum  wahrscheinlich.  — 

Schwierigkeit  machen  auch  ^vrl,  Mve  und  tonloses  wel,  have. 

Wenn  hnve,  warum  nicht  auch  nren  (ne.  are)  177? 

Warum  ist  bern :  ern  572  in  bam:am  geändert? 

Steht  im  Manuskript  wirklich  so  häufig  de  i=  äey),  wo  Skeat  he  hat, 
oder  liegt  hier  eine  Konjektur  Holthausens  vor?  Aus  Holthausens  Aus- 
gabe ist  die  Sachlage  nicht  zu  erkennen. 

Zum  Schlafs  glaube  ich  die  zuversichtliche  Erwartung  aussprechen 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  199 

zu  dürfen,  diifs  es  den  Herausgebern  der  Sanindung  gelingen  wird,  iiir 
ebenso  anerkennenswertes  wie  schwieriges  Ziel  unter  Vermeidung  der 
zahlreichen  Klipi)en  zu  erreichen  und  eine  möglichst  oinwandsfreie  Quan- 
titätsbezeii'hnung,  wenn  auch  vielleicht  unter  mancherlei  Verzicht  im  ein- 
zelnen (namentlich  hinsichtlich  der  Dehnungen  und  Kürzungen),  durch- 
zuführen. 

AVilhelmshaven.  W.  Heuser. 

Fritz  Bergan,  Uatcrsuchungen  über  Quelle  uud  Verfasser  des 
mittelenglischeu  Reiiiigedichts :  The  vengeauuce  of  goddes 
deth  (The  bataile  of  Jerusalem).  1901.  Köuigsberger  Dis- 
sertation.    123  S. 

Bergaus  Dissertation  bietet  nur  einen  Teil  der  eingereichten  Arbeit,  das 
Ganze  soll  die  Einleitung  zu  einer  kritischen  Ausgabe  des  me.  Reimgedichts 
von  der  Zerstörung  Jerusalems  für  die  Early  Euglish  Text  Society  bilden. 
Verfasser  giebt  zuerst  eine  Zusammenstellung  der  englischen  'Gestaltungen 
der  Sage'.  Dabei  führt  er  S.  6—7  auch  die  beiden  Dramen  Crowns  und 
Milmans  mit  auf;  diese  haben  jedoch  nichts  Legendenhaftes  an  sich,  son- 
dern .sind  freie  Bearbeitungen  der  historischen  Angaben  des  Josephus.  Zu 
den  englischen  Darstellungen  des  Stoffes  überhaupt  würde  auch  G.  J. 
Whyte  Melvilles  Roman  The  gladiators:  a  tale  of  Rome  and  Judaea, 
Ix)ndon  1863  (2.  Ausgabe  1864),  gehören,  dessen  dritter  Band  Moira  die 
Zerstörung  Jerusalems  ebenfalls  frei  nach  Josephus  behandelt.  Da  die 
Pilatussage  mit  dem  Stoff  im  engsten  Zusammenhang  steht,  hätte  mit 
gewisser  Berechtigung  auch  das  me.  Gedicht  Pilate  (Furnivall,  Early 
English  Poems  and  Lives  of  Saints,  published  for  the  Philological  So- 
ciety, Berlin  1862,  S.  111 — 118)  erwähnt  werden  können.  Über  eine  eng- 
lische Übersetzung  der  Cura  Sanitatis  Tiberii  s.  E.  v.  Dobschütz,  Christus- 
bildcr,  Leipzig  1899,  Beilagen  S.  160**.  Aufserdem  existiert  noch  eine 
englische  Übersetzung  eines  frz.  Prosaromans '  (The  Dystruccyon  of  Jhe- 
rusalem),  die  zweimal  von  Wynkyn  de  Worde  und  einmal  von  Richard 
Pynson  gedruckt  worden  ist.'^  —  Bei  der  dann  folgenden  Aufzählung  der 
Handschriften  des  Gedichts  würden  zwei  weitere  hinzuzufügen  sein,  näm- 
lich British  Museum  Harl.  1733  uud  Bodleiana  Douce  126,  letztere  nur 
ein  Bruchstück.  Von  den  vier  benutzten  Handschriften  wird  darauf  eine 
Klassifikation  gegeben,  doch  ohne  Begründungen.  Die  Seiten  8 — i\  füllt 
eine  sehr  ausführliche  Inhaltsangabe.  Das  TIauptstück  (mit  ihm  schliefst 
die  Dissertation)  bildet  dann  die  Quellenuntersuchung.  Sie  ergiebt  als 
Endresultat  (S.  120),  dafs  an  Texten  benutzt  worden  sind  das  afrz.  Ge- 
dicht von  der  Zerstörung  Jerusalems  (La  Venjance  Nostre  Seigneur),  das 
Evangelium  Nicodemi  und   die  Legenda  Aurea  des  Jacobus  de  Voragine. 


'  Vgl.  über  diesen  Zs.  f.  rom.   Pliil.   XXV,    1901,   S.    100—10.3. 
^  Diese  Drucke  scheinen  äulseret  selten  zu  sein;  das  einzige  bekannte  Exem- 
plar von  Pynsons  Text  ist  Univeraity  Library  Cambridge  AB  4,  58  ". 


200  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Dies  Ergebnis  wird  auf  einem  etwas  umständlichen  Wege  gewonnen,  indem 
der  Verfasser  vor  der  Aufzeigung  der  genannten  Werke,  durch  die  Be- 
rufungen seines  Dichters  veranlalst,  das  Werk  Josephus'  'Über  den  jüdi- 
schen Krieg',  eine  Stelle  des  frz.  Roman  des  Sept  sages,  Teile  der  Kaiser- 
chronik, sowie  des  sprachlichen  Zusammenhanges  halber  die  ags.  Fassung 
der  Vindicta  Salvatoris  und  das  allitterierende  me.  Gedicht  The  sege  of 
Jerusalem  in  seine  Untersuchung  einbezieht,  um  auf  Grund  eingehender 
Inhaltsangaben  zu  dem  Schlufs  zu  kommen,  dafs  alle  diese  Texte  nichts 
mit  dem  Reimgedicht  zu  thun  haben. 

Von  den  gefundenen  drei  Quellen  hat  Bergau  nur  bei  der  Legenda 
Aurea  eine  nähere  Abgrenzung  der  benutzten  Stücke  unternommen  (S.  106 
l)is  119);  für  die  Feststellung  der  aus  den  beiden  anderen  Texten  ver- 
arbeiteten Teile  ist  man  auf  eine  Vergleichung  der  Inhaltsgabe  der  Ven- 
geaunce  mit  dem  Evangelium  Nicodemi  selbst  und  dem  S.  83 — 96  aus- 
führlich mitgeteilten  Inhalt  des  afrz.  Gedichts  angewiesen  (drei  Episoden 
des  letzteren  allerdings  hat  der  Verfasser  ausgehoben  und  deren  Text 
[S,  97 — 104]  mit  dem  entsprechenden  des  englischen  zusammengestellt). 
Ich  gebe  im  folgenden  die  Ergebnisse  eines  solchen  Vergleichs  und  schliefse 
mich  dabei  dem  Gang  des  me.  Gedichts  an;  soweit  die  Legenda  Aurea 
in  Betracht  kommt,  bin  ich  daher  genötigt,  Bergaus  Resultate  zu  wieder- 
holen. (Von  Graesses  Ausgabe  dieses  Textes  citiert  der  Verfasser  immer 
die  erste  Auflage,  was  allerdings  nicht  weiter  stört,  da  die  zweite,  Leipzig 
1850,  kaum  von  der  ersten  abweicht.)  Es  wird  sich  zeigen,  dafs  jene  drei 
Quellen  zur  Herleitung  sämtlicher  Stücke  nicht  ausreichen. 

Für  die  Einleitung  nennt  Bergau  das  Evangelium  Nicodemi  als  Vor- 
lage. Gleich  von  den  zu  Anfang  des  Gedichts  gegebenen  Episoden  aus 
Christi  Leben  und  Passion  (S.  9 — 10)  enthält  es  aber  nichts.  Sie  gehen 
wohl  auf  die  kanonischen  Evangelien  zurück  (der  Dichter  will  die  gos- 
peltes  benutzt  haben!)  und  sind,  aus  verschiedenen  derselben  herrührend, 
ganz  willkürlich  angeordnet.  Erst  die  zwölf  Zeugen,  die  das  Gerücht  der 
unehelichen  Geburt  Christi  widerlegen  (S.  11),  stammen  aus  dem  Evan- 
gelium Nicodemi,  und  zwar  II,  3 — 5  in  Tischendorfs  Evangelia  Apocrypha, 
2.  Auflage  1876,  S.  333  ff,  (Verf.  kennt  nur  die  erste  Auflage).'  Die  fol- 
genden Wunder  bei  Christi  Tod  stimmen  wieder  besser  zu  Matth.  XXVII , 
51—54  und  Luk.  XXIII,  44—45  als  zu  Ev.  Nie.  XI,  1.  Die  Erwähnung 
der  fünf  Zeugen  von  Christi  Auferstehung  ist  entnommen  aus  Ev.  Nie. 
XVII,  1  der  Fassung  B,  ein  längeres  Stück  über  Joseph  von  Arimathia 
aus  Ev.  Nie.  XII,  der  Bericht  der  Wächter  von  Christi  Auferstehung  aus 
Ev.  Nie.  XIII  und  Josephs  Erzählung  seiner  Befreiung  (8.  12)  aus  Ev. 
Nie.  XV,  2 — 5.  Sein  Bericht  von  Christi  Himmelfahrt  ist  gleichweit  von 
Ev.  Nie.  XVII,  1  (Fassung  A)  wie  von  den  Angaben  der  Evangelien  und 
der  Apostelgeschichte  entfernt.  Auch  die  weiteren  Bemerkungen  über 
Josephs  späteres  Leben   finden  sich  nicht  im  Ev.  Nie;   ich  glaube,  darin 


*  Ebenso  ist  das  Citat  von  Lipsius'    Pilatus-Akten    auf  S.   1U5  nicht  richtig 
(Kiel   18  7  1);  aucli  hiervon  ist  eine  zweite  Auflage   1886  erschienen. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  201 

eine  zum  besseren  Anschlufs  an  das  vorher  Erzählte  vom  Dichter  voll- 
zogene Umgestaltung  des  von  Rcrgau  S.  11 Ü — 117  mitgeteilten  Stückes 
der  Lcgenda  Aurea  sehen  zu  dürfen,  das  übrigens  an  anderer  Stelle  dos 
Gedichts  (S.  ;?5)  nochmals  eingeschaltet,  da  aber  genauer  wiedergegeben 
ist.  Es  folgen  neue  Mitteilungen  über  Christus  und  sein  Leben  (S.  13), 
ebenso  wirr  wie  das  erste  Stück  und  wohl  gleichen  Ursprungs.  Für  die 
Betrachtungen  über  die  drei  Strafen  Pilrynage,  Seruage  und  Dispersioun, 
die  die  Juden  zu  erdulden  haben,  dürfte  noch  nach  einer  Vorlage  zu  suchen 
sein.  Die  anschliefsende  Erzählung  vom  Tode  des  Apostels  Jakob  (S.  1-1) 
hat  der  Verf.  (S.  110)  richtig  auf  Kap.  LXVII  der  Legenda  Aurea  (Graesse 
S.  296 — 298)  zurückgeführt.  Auch  die  Zeichen  vor  dem  Untergang  Jeru- 
salems (S.  15)  mit  Bergau  (S.  111)  aus  der  Legenda  Aurea  abzuleiten,  ist 
nicht  ohne  weiteres  möglich,  da  das  eine  der  Zeichen,  das  Aufspringen  der 
Thore,  sowohl  im  me.  Gedicht  wie  in  Josephus'  Bellum  Judaicum,  Buch  VI, 
Kap.  5,  3,  der  Quelle  der  Legenda  Aurea,  dagegen  nicht  in  dieser  selbst 
(Graesse  S.  298^299)  vorhanden  ist.  Da  sonst  Josephus  von  der  Ven- 
geaunce  nicht  benutzt  zu  sein  scheint,  aufserdem  die  übereinstimmende 
Verknüpfung  von  Jakobs  Tod  und  dieser  Zeichen  in  Gedicht  und  Leg.  Aurea 
sehr  auffällig  ist,  bliebe  noch  die  Annahme  zu  prüfen,  ob  nicht  eine  andere 
Version  der  Legenda,  als  die  von  Graesse  gedruckte,  auch  das  hier  feh- 
lende Zeichen  enthält.  Sonst  mülste  man  beide,  Legenda  und  Josephus, 
als  Vorlagen  ansetzen.  Die  im  Gedicht  der  Aufzählung  der  Zeichen  vor- 
angehende Angabe,  oOUOO  Juden  hätten  sich  gegenseitig  getötet,  hat  eben- 
falls keine  Entsprechung  in  der  Legenda  Aurea.  Im  Josephus  kann  ich 
allerdings  unter  den  verschiedentlich  von  ihm  gebrachten  Berichten  innerer 
Kämpfe  auch  keine  Stelle  finden,  die  als  Quelle  in  Betracht  käme. 

Mit  der  Schilderung  von  Vespasians  Krankheit  (S.  16)  haben  wir  das 
erste,  nur  kurze  Stück  erreicht,  das  auf  der  Venjance,  dem  afrz.  Gedicht, 
beruht.  Gleich  darauf  ist  die  Beschwerde  der  Juden  bei  Tiberius  über 
Pilatus  wieder  aus  Legenda  Aurea  LUX  (Graesse  S.  234)  entlehnt  (vgl. 
Bergau  S.  llU).  Woher  die  kurze  Notiz  über  die  römischen  Kaiser  von 
Tiberius  bis  Nero  stammt,  ist  nicht  ganz  sicher.  Der  Dichter  erwähnt 
am  Anfang  und  Schlufs  'Oestes  of  Etnperors'  als  eine  seiner  Quellen, 
womit  Bergau  nichts  Befriedigendes  anzufangen  weifs.  Man  könnte  uun 
an  die  Historia  Imperatorum  denken,  die  Mafsmann  im  42.  Baude  der 
Bibliothek  des  IJtterarischen  Vereins  in  Stuttgart  1857  herausgegeben  hat, 
und  zwar,  mit  Rücksicht  auf  obige  englische  Bezeichnung,  eher  an  diese 
lateinische  Ü^bersetzuug  als  an  das  Original,  die  Sächsische  Weltchronik 
(letztere  hg.  von  L.  Weiland,  Mon.  Germ.  Hist.  Deutsche  Chroniken  II, 
1877).  Jedenfalls  enthält  genannter  Text  alle  Angaben  aus  der  Kaiser- 
geschichte, die  wir  brauchen:  S.  112  in  Mafsmanns  Ausgabe  die  Notiz, 
Christus  sei  zu  Tiberius'  Lebzeiten  gestorben,  sowie  eine  Andeutung  an 
den  Brief  des  Pilatus  an  Tiberius;  ebenda  S.  113—118  einige  Daten  über 
die  Regierungen  der  Kaiser  Gayus  (Caligula),  Claudius,  Nero,  wovon  das 
Gedicht  kaum  mehr  als  die  Namen  übernommen  hat,  nur  aus  Neros  Re- 
gierung auch  die  Bemerkung,  er  habe  Petrus  und  Paulus  getötet;   und 


202  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

dazu  hat  noch  der  darauf  folgende  Satz:  Ipse  etiam  Nero  Vaspasianuni 
misit  hl  Jiuleani,  qui  cum  filio  suo  Tyto  Jerusalem  obsedit,  dem  Dichter 
Veranlassung  gegeben,  die  im  weiteren  Verlauf  des  Gedichts  erzählten  Er- 
eignisse vorläufig  unter  Neros  Oberherrschaft  vor  sich  gehen  zu  lassen, 
worauf  keine  der  anderen  von  ihm  benutzten  Quellen  ihn  gebracht  haben 
konnte.  So  sehe  ich  kein  Hindernis,  die  genannte  Stelle  der  Vengeauuce 
von  dieser  Chronik  abzuleiten ;  dem  wenigen,  was  bei  Mafsmann  S.  120 — 122 
von  Vespasian  und  seiner  Heilung,  von  Titus  und  von  der  Zerstörung 
Jerusalems  erzählt  wird,  kommt  dagegen  keine  Bedeutung  für  unsere 
Quellenfrage  zu,' 

Das  nun  folgende  Stück  (S.  16 — 19  des  Inhalts  bei  Bergan)  ist  seiner 
Herkunft  nach  ziemlich  kompliziert.  Wenn  wir  zuerst  die  Geschichte  von 
Pilatus'  Leben  (S.  18)  und  die  darauf  folgenden  erbaulichen  Betrachtungen 
ausscheiden  —  erstere  aus  Legenda  Aurea  LIII  (Bergau  S.  106—107), 
letztere  wohl  geistiges  Eigentum  des  Dichters  — ,  so  bleibt  die  Nathan- 
episode übrig.  Als  Quelle  hierfür  nennt  Bergau  (S.  112)  einzig  Kap.  LXVII 
der  Legenda  Aurea  (Graesse  S.  299 — 300),  versucht  aber  nicht,  die  be- 
stehenden grofsen  Verschiedenheiten  mit  den  Angaben  des  Gedichts  zu 
erklären,  aufser  etwa,  dafs  er  S.  105  ganz  allgemein  eine  Benutzung  der 
Vindicta  Salvatoris  und  der  Epistola  Pilati  für  möglich  erklärt.  Die  Ver- 
arbeitung des  angegebenen  Stückes  der  Legenda  Aurea  ist  nun  jedenfalls 
unzweifelhaft,  und  zwar  auf  Grund  folgender  Übereinstimmungen: 

Vespasian  ist  der  Kranka 

Er  leidet  an  Wespen  in  der  Nase. 

Er  residiert  in  Gallizien. 
Für  folgende  Punkte  mufs  dann  aber  eine  andere  Quelle  gefunden  werden: 

Der  Bote  des  Pilatus  heifst  Nathan  (nicht  Albanus). 

Er  kommt  bei  Titus  an  (nicht  bei  Vespasian). 
Ich  glaube  nun,  dafs  hierbei  thatsächlich  die  Vindicta  Salvatoris  benutzt 
worden  ist  (vgl.  §  2  und  3  in  Tischendorfs  Ausgabe,  Evangelia  Apocrypha 
S.  471  ff.).  Die  eben  angeführten  Züge  finden  sich  zwar  auch  noch  in 
anderen  Texten,  doch  können  nur  aus  der  Vindicta  geschöpft  sein  diese 
weiteren  Einzelheiten : 

Titus  residiert  in  Bordeaux  (Vind.  §  1). 

Der  Bote  des  Kaisers  heifst  Velosian  (Vind.  §  19  ff.), 
nicht   wie   Legenda   Aurea   LIII   (Graesse  S.  232—233)    und   anderwärts 
Volusian.     Dazu    scheint   auch   das   Gespräch   zwischen    dem   Boten    des 
Pilatus  und  dem  König  sich  besser  der  Fassung  der  Vindicta  (§  4 — 7)  als 
der  der  Legenda  Aurea  anzuschliefsen. 

Die  vorhegende  Gestalt  der  Nathanepisode  hat  sich  also  ergeben  durch 
Kombination  der  Vindicta  (die  übrigens  auch  noch  später  hier  und  da 


'  Da  die  oben  angeführten  Züge  des  Gedichts  in  vielen  mittelalterlichen  Chro- 
niken fast  stereotyp  wiederkehren,  so  hebt  vorläufig  nur  die  Entsprechung  im  Titel 
die  Historia  fmperatorum  vor  den  anderen,  die  sonst  noch  als  Quelle  in  Betracht 
kommen  könnten,  hervor;  zu  einer  sicheren  Entscheidung  würde  der  Text  der  betr. 
englischen  Stelle  erforderlich  sein. 


Beurteil  untren  und  kurze  Anzoipen.  203 


* 


herangezogen  ist,  s.  unten)  mit  Kap.  LXVII  der  Legenda  Aurea.'  Damit 
sind  allerdings  immer  noch  nicht  alle  Besonderheiten  des  me.  Gedichts  er- 
klärt. Zu  eiui^^en  Änderungen  war  der  i'Hchter  schon  deshalb  genötigt, 
um  weiterhin  den  Anschlufs  an  die  Erzählung  seiner  Ilauptquelle,  der 
afrz.  Venjance,  zu  gewinnen.  So  läfst  er  Velosian  (der  übrigens  im  ganzen 
Gedicht  an  die  Stelle  des  Seneschals  Gai  getreten  ist)  die  Unterredung 
zwischen  Titus  und  Nathan  mit  anhören,  damit  er  seinen  kranken  Herrn 
Vespasian  auf  Christus  als  letzte  Rettung  verweisen  kann.  Dafs  Titus 
als  der  Sohn  Yespasians  erscheint,  was  in  der  Vindieta  nicht  der  Fall 
ist,  kann  in  gleicher  Weise  auf  dem  Einflufs  der  Venjance  und  der  Leg. 
Aurea  beruhen;  vielleicht  hat  der  Dichter  wegen  dieser  verwandtschaft- 
lichen Unterordnung  ihm  die  Herrschaft  über  Aquitanien  (Vind.  §  1)  ab- 
genommen und  das  Land  als  Oascoyne  noch  seinem  Vater  zugeteilt.  Wie 
schon  erwähnt,  sind  die  Ereignisse  unter  die  Kaiserherrschaft;  Neros  ver- 
setzt (Titus  und  Vespasian  sind  nur  Könige);  daher  mufs  Nathan  zu  Nero 
geschickt  werden,  um  ihm  Pilatus'  Brief  zu  überreichen,  dessen  AVortlaut 
eingeschaltet  wird  und  sich  ziemlich  eng  an  den  im  Kap.  XXIX  des  Ev. 
Nie,  diesmal  der  Fassung  A  (Tischendorf  S.  413—416),  anlehnt.  Eben 
deswegen  mufs  Nero  sich  hier  für  seine  glückliche  Rückkehr  verwenden, 
während  in  der  Legenda  Aurea  Vespasian  zu  dem  Boten  sagt:  rebus  et 
vita  saniis  et  incolumü  doniuvi  tuam  mei  Ucentia  revertaris. 

Die  Reise  des  Steward  Velosian  nach  Jerusalem,  sein  Aufenthalt  bei 
Jakob,  seine  Begegnung  mit  Pilatus,  die  Rückkehr  mit  Veronika  (doch 
nicht  nach  Rom,  sondern  nach  Oascoyne),  deren  Zusammentreffen  mit 
Klemens,  die  Heilung  Vespasians  (Bergau  S.  19 — 20)  sind  der  Venjance 
entnommen  (Bergau  S.  84—88),'^  doch  mit  folgenden  wichtigeren  Änderun- 
gen: Velosian  trifft  Veronika  in  Jakobs  Hause  erst,  nachdem  er  bei  Pila- 
tus gewesen  ist.  Die  anschliefsend  im  frz.  Gedicht  gegebene  Fassung  der 
Geschichte  des  Schweifstuches  ist  durch  die  stark  abweichende  der  I^egenda 
Aurea  (Kap.  LIII,  Graesse  S.  2;).>)  ersetzt;  hinzugefügt  sind  noch  zwei 
Züge:  die  Heilung  der  Veronika  vom  Blutflufs  (nach  Vind.  §  22)  und 
die  Angabe,  die  Frau  hätte  das  Tuch  von  Christus  auf  seinem  Gang  nach 
Golgatha  erhalten  (vgl.  hierüber  v.  Dobschütz,  Christusbilder  S.  2."»]). 
Woher  der  Dichter  dies  genommen  hat,  weifs  ich  nicht;  es  findet  sich 
z.  B.  im  Joseph  d'Arimathie  von  Robert  de  Boron  und  in  der  Bible  en 
franyois  des  Roger  d'Argenteuil.  Wenn  Maria  aber  Jesus  den  Schweifs 
abtrocknet,  so  weist  dies  wiederum  auf  die  Version  der  afrz.  Venjance. 
Die  Vernehmung  der  Zeugen  von  Christi  Passion  (Bergau  S.  21 — 22)  er- 

'  Die  zweifache  Quelle  zeigt  sich  auch  in  der  doppelten  Motivierung  der  Reise 
Nathans :  er  soll  Pilatus  entschuldigen  (Legenda  Aurea  S.  299)  und  soll  den  fal- 
ligen Tribut   üherbringen   (frei  nach   Vind.  §  4). 

"•'  Bei  einem  Vergleich  der  Inhalt.sangalien  der  beiden  Gedichte  berücksichtige 
man  immer,  dafs  die  des  englischen  viel  eingehender  ist  als  die  des  französischen; 
überdies  hat  der  Verf.  vorwiegend  gerade  die  späteste  und  nur  den  halben  Um- 
fang des  ursprünglichen  Textes  aufweisende  Handschrift  der  Venjance  analysiert; 
dem  englischen  Dichter  hat  aber  eine  Ilandsclirift  des  Grundtextes  vorgelegen 
(s.  unten). 


204  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

• 

innert  stark  an  eine  entsprechende  Situation  in  §  20  und  21  der  Vindicta 

Salvatoris,  doch  ist  die  Tendenz  der  beiden  Stellen  so  verschieden,  dafs, 
wenn  man  die  eine  aus  der  anderen  ableiten  wollte,  man  an  eine  gründliche 
Umgestaltung  durch  den  englischen  Dichter  glauben  müfste.  Die  Predigt 
des  Klemens  bei  der  Heilung  Vespasians  (Bergau  S.  23 — 24)  hat  dem 
Dichter  wieder  Gelegenheit  zur  Anbringung  seiner  geistlichen  Weisheit 
gegeben ;  er  hat  die  viel  kürzere  Kede  seiner  Vorlage  gänzlich  umgearbeitet. 
Dafs  Vespasian  Nero  wegen  des  Zuges  gegen  die  Juden  um  Erlaubnis 
bittet,  ist  aus  Legenda  Aurea  LXVII  (S.  299)  herübergenommen. 

Die  Schilderung  der  Einnahme  von  Acre  und  Jafa  schliefst  sich  wie- 
der eng  an  die  frz.  Vorlage  an,  ebenso  das  Gespräch  zwischen  Pilatus 
und  Archelaus  über  den  zu  erwartenden  Wassermangel  im  römischen 
Lager  (Bergau  S.  26—27).  Wie  ich  Zs.  f.  rom.  Phil.  XXV,  1901,  S.  102 
gezeigt  habe,  findet  sich  letztere  Episode  nur  in  der  Handschrift  A  der 
Venjance,  sowie  in  der  schon  eingangs  einmal  genannten  Prosaauflösung. 
Wir  müssen  daher  annehmen,  dafs  die  Quelle  des  me.  Gedichts  eine  Hand- 
schrift des  ursprünglichen  Textes  der  Venjance  gewesen  ist,  und  zwar  mufs 
sie  jener  Handschrift  A  resp.  der  dem  Prosaroman  zu  Grunde  liegenden 
nahe  gestanden  haben.  Auch  bei  der  Erzählung  der  nun  folgenden  Be- 
lagerung und  Zerstörung  der  Stadt  (Bergau  S.  27—36)  hat  das  me.  Ge- 
dicht den  Bericht  seines  Vorbildes  bewahrt  (Bergau  S.  88—95),  mit  fol- 
genden Ausnahmen. 

Eingeschoben  ist:  die  Flucht  der  Christen  aus  Jerusalem  nach  Pella 
vor  der  Ankunft  der  Römer  (nach  Legenda  Aurea  S.  300);  Vespasians 
Regierungsantritt  in  Rom,  Titus'  Krankheit  aus  Freude  über  dies  Ereignis, 
sowie  weiter  unten  die  Flucht  Josephs  aus  der  Stadt,  Verbergung  in  einer 
Höhle,  Begnadigung  durch  Vespasian,  Heilung  des  Titus  durch  Joseph 
(Bergau  S.  29  u.  33—34)  nach  Legenda  Aurea  S.  300—301  mit  etwas 
veränderter  Anordnung;  die  Auffindung  Jafels  (des  historischen  Josephus) 
in  einem  Keller  wird  in  der  Venjance  (historisch  richtiger)  schon  gelegent- 
lich der  Belagerung  von  Jafes  gebracht,  der  me.  Dichter  hat  diese  Stelle 
etwas  geändert;  auch  läfst  er  zum  Anschlufs  an  den  Bericht  der  Ven- 
jance Vespasian  bald  wieder  vor  Jerusalem  zurückkehren ;  grofses  Sterben 
in  Jerusalem,  von  Titus  bedauert,  Gestank  der  unbestatteten  Leichen  und 
die  Auffindung  Josephs  von  Arimathia  durch  Titus  bei  seinem  Einzug  in 
die  eroberte  Stadt  (nach  Legenda  Aurea  S.  302—303) ;  dazu  kommen  noch 
einige  hier  und  da  eingestreuten  Angaben  aus  der  Vindicta  Salvatoris: 
Pilatus  wird  durch  andere  Fürsten  unterstützt  (frei  nach  Vind.  §  13),  die 
Belagerung  Jerusalems  währt  7  Jahre  (Vind.  §  14),  Selbstmord  von  11000 
Juden  (nach  Vind.  §  15). 

Zwei  Episoden,  das  Gespräch  zwischen  Jakob  und  Joseph  und  das 
Essen  des  Goldes  durch  die  Juden,  sind  etwas  weiter  nach  vorn  gerückt. 
Vom  Dichter  erfunden  ist  wohl  die  Verschonung  der  Christen,  die  dann 
die  gefangenen  Juden  kaufen  müssen  (Bergau  S.  34 — 35). 

Es  folgen  die  Bestrafung  des  Pilatus  und  die  Schicksale  seiner  Leiche 
(Bergau  S.  36—37),  frei  nach  Kap.  LIII  der  Legenda  Aurea,  S.  233—234 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  205 

(vgl.  Bergau  S.  110),  und  durch  einige  Übertragungen  aus  dem  frz.  Ge- 
dicht, z.  B.  die  zweijährige  Gefangenschaft  in  Vienne,  ergänzt.  Ein  Zu- 
rückgehen auf  die  Mors  Pilati,  woran  Bergau  S.  105  denkt,  ist  deshalb 
unnötig,  weil  diese  (nach  v.  Dobschütz,  Christusbilder  S.  237 — 238)  aus 
der  Legenda  Aurea  stammt  und  nicht  mehr  erklärt  als  sie.  Wenn  die 
meisten  Abweichungen  von  dem  Bericht  der  Legenda  Aurea  wirklich  durch 
freie  Erfindung  des  Dichters  genügend  erklärt  sind,  würde  doch  eine  merk- 
würdige Übereinstimmung  der  Vengeaunce  mit  einem  anderen  Text  zu 
beachten  sein:  Am  Ende  des  eingangs  von  mir  erwähnten  Pilatusgedichts 
(V.  253 — 257,  Furnivall  S.  118)  findet  sich  nämlich  das  auch  in  unserm 
me.  Gedicht  erzählte  schliefsliche  Verschwinden  der  Leiche  in  einem  Fel- 
sen im  Wasser;  auch  wird  in  beiden  Gedichten  übereinstimmend  angegeben, 
Pilatus  habe  sich  das  ^lesser,  mit  dem  er  sich  ersticht,  zum  Schälen  einer 
Frucht  geben  lassen.  Ich  weifs  nicht  recht,  was  man  von  diesen  Parallelen 
halten  soll,  denn  im  übrigen  ist  das  Pilatusgedicht  wohl  nicht  weiter  be- 
nutzt, vielmehr  erklärt  sich  die  durchgehende  Ähnlichkeit  aus  der  Ver- 
arbeitung der  gleichen  Quelle,  der  Legenda  Aurea;  jene  beiden  Punkte 
finden  sich  aber  darin  nicht.  Weiter  bringt  dann  die  Vengeaunce  die 
Judaslegende  (Bergau  S.  37 — 39),  auf  Legenda  Aurea  XLV  beruhend  (vgl. 
Bergau  S.  110).  Die  Rückkehr  der  Römer  und  ihre  Taufe  durch  Klemens 
(Bergau  S.  40)  lehnt  sich  wieder  an  das  afrz.  Gedicht  an  (S.  95);  die  dort 
gleich  nach  der  Heilung  des  Kaisers  berichtete  Verwahrung  des  Schweifs- 
tuches wird  in  der  Vengeaunce  erst  jetzt  gebracht,  ebenso  erhält  'Papst' 
Klemens  (so  heifst  er  im  ganzen  Gedicht)  erst  jetzt  seine  eigentliche  Stel- 
lung. Für  den  kurzen  Schlufs  mit  der  Notiz  über  Titus'  Regierung  und 
das  Ende  der  Juden  bei  dem  Versuch,  Jerusalem  wieder  aufzubauen 
(S.  40—41),  hat  der  Verfasser  S.  117—118  als  Quelle  den  Schlufs  von 
Kap.  LXVII  der  Legenda  Aurea  aufgezeigt. 

Die  Zahl  der  benützten  Texte  vergröl'sert  sich  somit  auf  mindestens 
sechs,  indem  zu  den  drei  vom  Verfasser  nachgewiesenen  noch  die  Evan- 
gelien, die  Historia  Imperatorum  und  vor  allem  die  Vindicta  Salvatoris 
kommen.  Auf  Rechnung  dieser  Mannigfaltigkeit  von  Vorlagen,  die  viel- 
fach den  gleichen  Stoff  behandeln  und  dadurch  den  Dichter  zur  Kombi- 
nation gereizt  haben,  sind  einige  bei  aller  von  ihm  aufgewendeten  Ge- 
schicklichkeit doch  nicht  vermiedenen  Widersprüche  zu  setzen. 

Die  Thatsache,  dafs  sich  in  den  Quellenangaben  des  Dichters  zwei 
Texte  finden,  deren  Benutzung  nicht  klar  erweislich  ist,  hat  schon  Ber- 
gau beschäftigt.  Er  hat  wahrscheinlich  gemacht  (S.  52),  dafs  die  öfter 
eingestreuten  Berufungen  auf  Josephus  einfach  aus  der  frz.  Vorlage  her- 
übergenommen sind;  ich  füge  hinzu,  dafs  auch  in  dem  stark  benutzten 
Kap.  LXVII  der  Legenda  Aurea  mehrere  Verweise  auf  Josephus  zu  finden 
sind.  Noch  mehr  erscheint  ein  zweimaliges  eitleren  der  'Sept  Sages'  als 
leere  Phrase  (vgl.  Bergau  S.  52—53),  vor  allem,  wie  mir  scheint,  deswegen, 
weil  gerade  die  Thatsachen,  für  die  die  Weisen  als  Gewährsmänner  ge- 
nannt werden,  in  dem  Roman  des  Sept  Sages  nicht  berichtet  werden 
(wenn  anders   in   dem  Citat  überhaupt  eine  Anspielung  an  einen  Text  zu 


206  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

sehen  ist).  Auffallend  ist  auch,  dafs  in  den  zu  Anfang  und  Schlufs  ge- 
gebenen Aufzählungen  der  Vorlagen  der  Dichter  mit  keinem  Wort  seiner 
drei  Hauptquellen,  der  Venjance,  Vindicta  und  Legenda  Aurea,  Erwäh- 
nung thut. 

Die  im  vorstehenden  gegebenen  Bemerkungen  sollen  nicht  alle  Ein- 
zelheiten erschöpfen,  auch  war  es  nicht  möglich,  in  allen  Fällen  ein  ganz 
klares  Resultat  zu  erlangen.  Zu  einer  abschliefsenden  Untersuchung 
würde  der  kritische  Text  des  Gedichts  unumgänglich  nötig  sein;  wir  dür- 
fen eine  solche  wohl  vom  Verfasser  selbst  erwarten,  wenn  er,  in  hoffent- 
lich nicht  zu  langer  Zeit,  seine  Ausgabe  erscheinen  läfst. 

Halle  a.  S.  Walther  Suchier. 

Robert  Greene's  Selimus.     Eine  litterarhistorische  Untersuchung. 
Kieler  Dissertation  von  Hugo  Gilbert.     Kiel,   1899.     74  S. 

Der  Verfasser  sagt  uns  gleich  auf  der  ersten  Seite,  was  für  ein  Ziel 
die  Schrift  verfolgt :  'Es  soll  der  Versuch  gemacht  werden,  die  Frage 
nach  der  Autorschaft  des  Selimus  endgültig  zu  erledigen  und,  wenn  sich 
das  Drama  wirklich  als  ein  Werk  Robert  Greenes  erweist,  dasselbe  in  den- 
Zusammenhang  des  Lebens  und  der  Werke  dieses  Dichters  einzuordnen.' 
In  anziehender,  überzeugender  Weise  und  mit  wirklich  musterhafter  Klar- 
heit hat  der  Verfasser  das  Problem  gelöst  und  die  Greene- Forschung 
einen  guten  Schritt  vorwärts  gebracht.  Das  erste  Kapitel  handelt  von 
der  Autorschaft  des  Selimus.  Zu  den  zwei  von  Grossart  identifizierten 
Citaten  in  'England's  Parnassus'  hat  Dr.  Gilbert  noch  vier  hinzugefunden, 
so  dafs  wir  jetzt  sechs  Citate  als  ebenso  viele  Zeugen  für  die  Autorschaft 
Greenes  besitzen.  Im  zweiten  Kapitel  teilt  uns  der  Herr  Verfasser  die 
von  ihm  aufgefundene  Quelle  des  Stückes  mit:  eine  Türkengeschichte  von 
Paulus  Jovius.  Im  dritten  Kapitel  kommt  Dr.  Gilbert  auf  die  dichte- 
rische Leistung,  Komposition,  Stil  und  Charakterzeichnung  zu  sprechen 
und  sucht  die  Geistesverwandtschaft  des  Selimus  mit  Greenes  anerkannten 
Dramen  nachzuweisen.  Zuerst  behandelt  Dr.  Gilbert  die  eigenen  Zuthaten 
Greenes  zu  seiner  Hauptquelle  und  weist  dabei  auf  Marlowe,  Seneca  und 
auf  Greenes  eigene  andere  Dramen  hin.  Dann  folgt  eine  Abhandlung 
über  den  Stil.  Dieser  Teil  der  Arbeit,  der  naturgemäfs  weniger  ergebnis- 
voll ist,  handelt  von  Alliteration,  Amplifikation  etc.,  lyrischen  Partien, 
antiken  Namen,  Vergleichen  aus  dem  Tierreiche  nebst  Parallelen  in  Greenes 
übrigen  Werken.  Sodann  folgt  ein  Abschnitt  über  Charakterzeichnung. 
Die  Hauptfiguren  fand  Greene  schon  in  seiner  Quelle  vorgezeichnet.  Seine 
Zuthaten  zwecks  besserer  Charakterisierung  sind  interessant.  Die  machia- 
vellistischen  Züge  stammen  aus  Gentillets  Contre-Machiavel.  Auch  Auto- 
biographisches findet  sich  im  Selimus.  Im  vierten  Kapitel  weist  Dr.  Gil- 
bert auf  die  Abhängigkeit  des  Selimus  vom  Tamburlaine  hin  und  sucht 
sodann  die  chronologische  Reihenfolge  sämtlicher  Dramen  Greenes  fest- 
zustellen. Absolute  Sicherheit  ist  hier  meines  Erachtens  nicht  zu  erreichen. 
Doch  sind  Dr.  Gilberts  Ausführungen  interessant  und  beachtenswert.  — 
Auf  Fleays  Theorien   über  den  Selimus   und   Greenes  Werke   überhaupt 


BeurteilungeH  und  kurze  Anzeigen.  207 

geht  der  Verfasser  leider  nicht  ein,  was  um  so  wünschenswerter  gewesen 
wäre,  als  Fleay  zum  Teil  abweichende  Ansichten  entwickelt. 

Dr.  Gilberts  Schrift,  die  ich  mit  grolsem  Vergnügen  gelesen,  ist  schon 
früher  von  Prof.  Keller  im  Shakesp.-Jahrbuch  XXXVI,  p.  309  günstig 
beurteilt  worden.     Ich  kann  mich  dessen  Urteil  nur  auschliefsen. 

Berlin.  H,  Anders. 

Ricliard  Garuett,  Essays  of  an  ex-librarian.     London,  W.  Heiue- 
maun,  1901.     IX,  359  S. 

Der  frühere  Direktor  der  Bücherabteilunff  im  Britischen  Museum, 
allen  'readers'  in  angenehmer  Erinnerung  wegen  seines  immer  heiteren 
und  immer  hilfsbcreiteu  Wesens,  bietet  ein  Bündel  Essays,  die  durchaus 
lesenswert  und  zum  Teil  für  den  Litterarhistoriker  wichtig  sind.  Sie  be- 
treffen nicht  Gegenstände,  die  bereits  im  Lichte  der  öffentlichen  Auf- 
merksamkeit stehen ;  es  brauchte  manchmal  das  abstruse  Wissen  eines 
Bibliothekars,  um  den  Autor  in  diese  abgelegeneren  Plätzchen  und  Gründe 
der  Litteratur  zu  führen;  aber  der  Stil  Garnetts  macht  sie  uns  durchaus 
anziehend  und  belehrend.  Gleich  im  ersten  Satz  eines  Essays  pflegt 
Garnett  den  Accord  anzuschlagen,  auf  den  die  Abhandlung  gestimmt  ist; 
wir  sind  sofort  bei  der  Sache  und  sehen  sie  sofort  vom  Standpunkt  einer 
Frage,  die  nicht  plump,  sondern  wie  im  Gespräch  gestellt  ist,  wenn  der 
Bibliotheksdiroktor  einen  bekannten  Leser  in  seine  Privatzimmer  hinauf- 
bat zu  einer  Tasse  Thee  und  einem  Kreise  litterarischer  Feinschmecker. 
Im  Verlauf  des  Essays  giebt  er  so  viele  glückliche  Pointen,  Vergleiche 
und  Gegensätze,  Charakteristiken  von  Menschen  und  Betrachtungen  von 
Kunstdingen,  dal's  man  nie  müde  wird.  Zu  früh  ist  das  Ende  da  und 
rundet  das  Vorgetragene  mit  eleganter  Zusammenfassung  ab.  Die  Bücher 
sind  für  Garnett  offenbar  nicht  da,  um  ihm  als  Material  zum  Lehren  zu 
dienen,  sondern  er  liebt  sie,  schlägt  sie  uns  auf,  liest  sie  mit  uns  an. 

Voran  steht  mit  Kecht  der  Essay  'On  translating  Homer',  geschrieben 
als  Vorwort  zu  eigenen  Übcrsetzung-sproben  aus  der  Iliade.  Garnett  kon- 
statiert die  Thatsache,  dafs  die  Homer  -  Übersetzung  von  Pope,  so  un- 
griechisch sie  klingt,  und  so  viele  Rivalen  ihr  schon  erstand(>n  sind,  noch 
immer  als  die  nationale  gilt.  Auf  drn  ersten  Blick  sind  Popcs  fünffülsige 
Jamben  mit  paarweisen  Endreimen  wenig  geeignet,  HexametiT  wieder- 
zugeben. Aber  Garnett  zeigt,  dafs  der  englische  Hexameter  hiezu  noch 
ungeeigneter  ist,  weil  'there  are  hardly  any  spondoes  in  the  language';  imd 
dafs  auch  der  Blankvers  nicht  passe,  weil  er,  'if  artfully  solemuised  with 
variety  of  cadence',  zu  langsam  und  feierlich  sei  und  sonst  in  Prosa  zer- 
falle.    Darum  griff  Garuett  selbst  wieder  auf  Popes  Metrum  zurück : 

Thrice  did  Achilles  lift  bis  voice's  initjht, 

Tlirice  Trojans  aiul  allies  recoiled  in  flight, 

And  twelve  gieat  cluimpions,  fainous  in  the  wars, 

Died,  pierced-  by  their  owii  spoavs  and  crushed  by  their  own   cars. 

Dafs  der  letzte  Vers  sechs  Füfse  hat,  ist  wohl  rhetorische  Absicht.  Ein 
Urteil  über  solche  sprachliche  Feinheiten  zu  fällen,  ist  für  den  Ausländer 


208  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

schwer.  Lieber  beobachte  ich  als  unparteiischer  Zuschauer,  wie  das  Streben 
nach  einer  ganz  befriedigenden  Übertragung  eines  fremden  Dichters  auch 
in  England  immer  neue  Schwierigkeiten,  Treffversuche,  Eückgriffe  und 
kritische  Erörterungen  hervorruft,  als  Parallele  zu  unserer  deutschen 
Suche  nach  einer  absolut  tadellosen  Verdeutschung  Shakespeares. 

Neues  bietet  der  Essay  über  Beckfords  Roman  Vathek,  dessen  Dä- 
monenscene  in  der  Halle  von  Eblis  in  Byrons  Manfred  nachklingt.  Garnett 
stand  ungedrucktes  Material  von  Beckford  zur  Verfügung,  aus  dem  sich 
Andeutungen  über  seine  Quellen  ergeben  und  ganz  andere  Vorstellungen 
als  bisher  über  seine  Art  zu  schreiben.  Namentlich  ist  aus  den  litte- 
rarischen Nachschlagewerken  jetzt  die  Legende  zu  streichen,  er  habe  den 
Eoman  binnen  drei  Tagen  und  Nächten  in  einem  Zuge  verfafst:  über 
ein  Jahr  war  er  damit  beschäftigt. 

Die  englische  Litteratur  des  folgenden  halben  Jahrhunderts,  bis  herab 
zu  Byrons  Tod,  ist  als  das  eigentlichste  Arbeitsgebiet  von  Garnett  zu  be- 
zeichnen, obwohl  es  nicht  die  Hälfte  seiner  Arbeiten  umfafst.  Hier  wur- 
zelt der  Essay  über  Coleridge,  worin  besonders  der  Bruch  mit  dem  Stil 
des  18.  Jahrhunderts,  der  sich  in  den  'Lyrical  ballads'  1798  vollzog,  tref- 
fend geschildert  wird;  vgl.  Archiv  C,  207  ff.  'Shelleys  Ansichten  über 
antike  Kunst'  zeigen  den  idealen  Freund  Byrons  von  einer  bisher  fast 
übersehenen  Seite,  während  dessen  liberaler  Freund  Thomas  Moore  in 
einem  anderen  Essay  eine  Verteidigung  erfährt,  die  ein  vorsichtiges  Lob 
in  Sammet  und  Seide  hüllt;  z.  B.  wenn  von  'Lalla  ßookh'  gesagt  wird, 
es  sei  weniger  ein  Gedicht  als  ein  litterarisches  Fest.  Gewandtheit,  Melodie, 
Farbe  —  all  das  mag  Moore  haben,  und  er  mag,  was  Garnett  besonders 
betont,  als  Mensch  besser  sein  als  in  poetischer  Hinsicht;  er  kommt  mir 
doch  immer  vor  wie  ein  edles  Schiff  ohne  genügenden  Ballast,  ohne  ge- 
dankenhafte Tiefe.  Shelleys  Freund  Peacock,  ein  schwacher  Romau- 
schreiber,  wird  liebevoll  gezeichnet,  und  Beaconsfield ,  der  im  Roman 
'Venetia'  Shelleys  Porträt  etwas  geschminkt,  doch  im  wesentlichen  richtig 
gegeben  hatte,  als  ein  guter  Kenner  dieses  politisch  ihm  so  fern  stehenden 
Dichters  erwiesen.  Für  die  Periode  der  Romantiker  ist  dem  künftigen 
Forscher  die  Benutzung  dieser  Studien  unerläfslich. 

Ferner  ab  liegen  die  Essays  über  Matthew  Arnold  und  Emerson,  über 
Shakespeares  'Tempest'  (vgl.  Shakespeare-Jahrbuch  XXXV,  166  ff.),  über 
die  Liebessonette  des  Luigi  Tansillo,  über  die  byzantinisch-griechische  Ge- 
schichte von  Gyzia.  Sie  machen  den  Straufs  bunt  und  für  weite  Schichten 
von  Litterarhistorikeru  reizvoll,  wie  es  bei  uns  selbst  den  Bibliothekaren 
und  Exbibliothekaren  selten  gelingt. 

Berlin.  A.  Brandl. 

O.  Schmeding,  Über  Wortbildung  bei  Carlyle  (Morsbachs  Studien 
zur  engl.  Philologie,  5).     Halle,  M.  Niemeyer.    X,  352  S. 

Nur  einen  der  vielen  Punkte,  die  der  Sprache  Carlyles  ein  höchst 
eigenartiges  Gepräge  aufdrücken,  hat  der  Verf.  herausgegriffen   und  ihn 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  209 

zum  Gegenstand  einer  eingehenden  Untersuchung  gemacht.  Die  vielen 
und  ausführlichen  Citate,  die  gewissenhafte  Würdigung  jeder  einzelnen 
Erscheinung,  so  geringfügig  sie  auch  scheinen  mag,  hat  die  Arbeit  zu 
einem  stattlichen  Band  anschwellen  lassen.  Im  Interes.se  des  Buches 
möchte  man  indessen  wünschen,  dafs  der  Autor  seine  Ausführungen  auf 
einen  geringeren  Raum  zusammengedrängt  hätte.  Dem  Fachmann  werden 
weniger  die  sonderbaren  Wortbildungen  an  sich  interessieren  als  die  histo- 
rischen Betrachtungen,  die  sich  an  die  Einzelerscheinung  anschliefsen. 
Manches  mufste  zwar  hier  summarisch  gefafst  werden,  denn  abgesehen 
von  den  wertvollen  Beiträgen  im  N.  E.  D.,  fehlt  es  noch  gar  sehr  an 
Vorarbeiten,  aber  was  über  das  einzelne  Wortbildungselement  nach  der 
Lage  der  Dinge  zu  sagen  war,  findet  mau  in  klarer  Darstellung  zusain- 
mengefafst.  Es  ist  ja  zwar  ganz  interessant,  eine  Übersicht  zu  haben,  in 
welchem  Umfange  Carlyle  z.  B.  like  als  suffixartiges  Element  (S.  151  f.) 
gebraucht,  und  wie  er  es  verwendet,  was  für  freie  Neubildungen  mit  hood 
er  schafft  (S.  232) :  heasthood,  gianthood,  fJunhjhood,  aber  im  Grunde  hat 
eine  allzu  ausführliche  Darstellung  solcher  Dinge  verhältnismäfsig  doch 
nur  geringen  Wert.  Denn  eine  namhafte  Einwirkung  Carlyles  auf  die 
Sprache  ist  doch  nicht  zu  erwarten.  Einige  seiner  Schriften  werden  ja 
wohl  heute  noch  viel  und  mit  Interesse  gelesen,  aber  in  die  breiten  Massen 
hat  er  doch  bei  weitem  nicht  in  dem  Mafse  gewirkt  wie  z.  B.  Bunyan 
oder  C'h.  Dickens,  von  Shakespeare  gar  nicht  zu  reden.  Sie  haben  in 
Hunderten  von  geflügelten  Worten  und  originellen  Redewendungen  tiefe 
Spuren  in  der  Sprache  hinterlassen.  Bei  Carlyle  kann  dies  natürlich  nicht 
der  Fall  sein,  und  seine  Sprachform  wird  auch  in  der  Zukunft  —  wenn 
es  überhaupt  statthaft  ist,  in  sprachlichen  Dingen  etwas  voraussagen  zu 
wollen  —  nur  geringe  Nachwirkung  haben.  Und  zwar  aus  dem  einfachen 
Grunde,  weil  sie  zu  unenglisch  ist  und  was  noch  mehr  besagen  will,  weil 
sie  zu  wenig  national  ist.  Sie  weicht  zu  stark  von  dem  englischen  Sprach- 
ideal ab,  nicht  nur  von  dem  der  Zeitgenossen,  sondern  auch  von  dem  heu- 
tigen. Die  Addisonsche  Prosa  übt  heute  ja  nicht  mehr  die  Herrschaft 
wie  ehedem,  aber  als  ein  Muster  heimischer,  echt  englischer  Prosa  gilt 
sie  deshalb  doch  noch,  wenn  manches  auch  bereits  archaisch  klingen  mag. 
Die  reiche  und  üppige  Entwickelung  des  Prosastils  in  der  modernen  Zeit, 
die  Anerkennung  der  Individualität  auch  im  sprachlichen  Ausdruck  und 
Stil,  die  besonders  die  amerikanischen  Schriftsteller  vielfach  für  sich  in 
Anspruch  nehmen,  hat  unsere  Zeit  auch  gegen  Carlyle  gerechter  und  duld- 
samer werden  lassen,  aber  welchen  Widerspruch  or  bei  den  Zeitgenossen 
fand,  hat  der  Verf.  ja  eingehend  an  der  Hand  von  Kritiken  hervorragen- 
der Litteraten,  wie  Jeffrey  und  De  Quincey,  in  der  Einleitung  dargethan. 
Nicht  nur  von  Feinden  und  Rivalen  wurde  seine  Schreibweise  abfällig 
beurteilt,  auch  nahestehende  Freunde,  unter  ihnen  Emerson,  verhehlten 
ihr  Mifsfallen  nicht.  Von  den  excentrischen  Stileigentümlichkeiten,  die 
fast  allgemein  Anstofs  erregten,  findet  sich  noch  nichts  in  dem  Leben 
Schillers,  Spuren  derselben  treten  aber  schon  in  der  Übersetzung  von 
Wilhelm  Meister  hervor  und  zeigen  sich  in  ihrer  ganzen  Blüte  im  Sartor 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CVIll.  \^ 


210  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Kesartus.  Dieser  rief  geradezu  einen  Sturm  des  Unwillens  und  Protestes 
hervor.  Dem  abfälligen  Urteil  der  Öffentlichkeit  gegenüber  erwies  sich 
der  Autor  nicht  ganz  unzugänglich.  Er  sah  selbst  die  Mängel  und  Ab- 
sonderlichkeiten seines  Stils  ein,  aber  es  lag  nicht  in  .seiner  Macht,  sich 
den  Wünschen  der  Kritik  anzupassen.  Was  man  für  Manier,  Geschraubt- 
heit und  Künstelei  halten  mochte,  war  Natur  bei  ihm.  Er  arbeitete  meist 
unter  einem  Druck  nervöser  Gereiztheit,  die  ihn  nicht  die  Ruhe  und  das 
Gleichgewicht  der  Seele  finden  liefs,  um  den  quellenden  Strom  seiner  Ge- 
danken mit  der  Fülle  kühner  und  grofsartiger  Bilder  in  einer  stilistisch 
vollendeten  Form  zu  Papier  zu  bringen.  Dafür  stand  er  lange  Zeit  zu 
sehr  in  dem  Banne  der  Verkehrsform  des  Elternhauses.  Von  seiner  Mut- 
ter besonders  soll  er  manche  Eigentümlichkeiten  einer  derben  und  origi- 
nellen Ausdrucksweise  angenommen  haben.  Schotticismen  sind  deshalb 
keine  Seltenheit  bei  Carlyle,  und  sie  wurden  ihm  auch  von  der  Kritik, 
namentlich  von  De  Quincey,  vorgeworfen.  Zu  viele  und  verschiedenartige 
Litteraturen  und  Sprachen  hatten  in  bunter  Fülle  auf  ihn  Einflufs  ge- 
wonnen und  störend  auf  die  Ausbildung  eines  eigenen  Stils  eingewirkt. 
Bei  seiner  Bewunderung  für  deutsches  Geistesleben  und  bei  dem  eindrin- 
genden Studium  deutscher  Litteratur  ist  es  erklärlich,  wenn  er  anfangs 
Vieles  von  der  fremden  Form  und  der  nicht  heimischen  Art  des  Gedan- 
kenausdrucks annimmt.  Ganz  unverkennbar  ist  der  Eiuflufs  des  bizarren 
Stils  von  Jean  Paul.  Ungünstig  hat  ferner  Laurence  Sterne  auf  ihn  ia 
der  Jugend  eingewirkt.  Aufserdem  ist  die  ältere  Litteratur  mit  ihren  ab- 
sterbenden und  toten  Sprachformen  nicht  spurlos  an  ihm  vorbeigegangen, 
Wortbildungen,  die  bereits  der  Vergangenheit  angehörten,  tauchen  plötz- 
lich wieder  bei  ihm  auf.  Ein  Stilmuster  schwebte  Carlyle  von  vornherein 
bei  seinen  litterarischen  Arbeiten  offenbar  nicht  vor.  In  seiner  Gedanken- 
welt ist  er  originell,  und  er  glaubte  ebenso  auch  eine  eigene  sprachliche 
Form  für  sich  beanspruchen  zu  dürfen,  wenn  sie  auch  gegen  alles  Her- 
kommen war  und  noch  so  viel  Anstol's  erregte.  Ein  Stilist  ist  er  nicht 
und  will  es  auch  nicht  sein.  Er  vertritt  sogar  die  Ansicht,  dafs  es  für 
den  Wert  oder  Unwert  eines  Buches  wenig  darauf  ankomme,  ob  der  Stil 
sich  dem  in  der  Gegenwart  mustergültigen  anpasse.  Überdies  glaubt  er, 
dafs  bei  dem  Zusammenströmen  fremder  Litteraturen  in  seiner  Zeit,  bei 
dem  Nebeneinander  so  vieler  Stilarten  der  Augenblick  für  puristische  Be- 
strebungen schlecht  gewählt  sei.  Seine  eigenartige  Ausdrucksforni  erklärt 
sich  denn  auch  vornehmlich  aus  dem  Streben  nach  einer  adäquaten  Form 
des  Gedankenausdrucks.  Es  handelt  sich  für  ihn  vor  allen  Dingen  darum, 
die  Idee,  die  nach  Gestaltung  drängt,  in  solch  sprachliche  Gewandung  zu 
zu  kleiden,  dafs  sie  dem  Leser  an  Gehalt  und  Associationss2)häre  unver- 
ringert  vermittelt  wird.  Ob  sein  Gedankenprodukt  den  Beifall  des  Lesers 
finde,  ob  die  sprachliche  Einkleidung  ihn  anmute,  ist  ihm  zunächst  neben- 
sächlich. Er  schafft  aus  sich  heraus,  unbekümmert  um  das  traditionelle 
Stilideal  und  ohne  Rücksicht  auf  die  ästhetischen  Bedürfnisse  des  Lesen- 
den. Kann  er  einen  Gedanken  kurz  und  scharf  zum  Ausdruck  bringen 
durch  eine  Neuprägung,  durch  einen  Germanismus  oder  eine  altertümliche 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  211 

Redewenduijg,  so  sind  iLui  solche  recht.  Die  sprachlichen  Merkwürdig- 
keiten dieser  Art  treten  denn  noch  besonders  hervor  durch  die  Wucht 
und  die  Kraft  des  Ausdrucks,  durch  die  fernliegenden  Vergleiche  und  ge- 
häuften Metaphern.  So  hat  seine  Sprache  mitunter  etwas  grandios  Im- 
ponierendes, aber  in  ihrer  buntscheckigen  Fülle  fremder,  alter  und  ganz 
neuer  Elemente  mutet  sie  den  englischen  Leser  nicht  an.  Die  innere  Er- 
regung, unter  der  er  komponiert,  die  seelische  Teilnahme  an  den  Ereig- 
nissen, die  er  z.  B.  in  der  (Joschichte  der  französischen  Revolution  darzu- 
stellen hat,  das  ewig  lebendige  Bedürfnis,  in  der  sprachUchen  Form  der 
Bedeutung  der  Sache  gerecht  zu  werden  und  durch  sie  eine  Ergänzung 
an  Inhalt  und  Stimmung  zu  schaffen,  läfst  ihn  weder  die  einfache,  an- 
mutsvolle Art  der  Macaulayschen  Geschichtsdarstellung  finden,  noch  die 
nötige  Diskretion  in  der  Wahl  seiner  stilischen  Mittel  üben. 

In  dem  ersten  Hauptteil  seiner  inhaltsreichen  und  wohl  disponierten 
Arbeit  zeigt  der  Verfasser  an  der  Art  der  Carlyleschen  Wortbildung,  wie 
diese  psychologisch,  aus  der  Litteratur,  mit  der  er  sich  gerade  beschäftigte, 
aus  dem  Gegenstand,  dem  sein  Schaffen  galt,  zu  erklären  ist,  wie  Laune 
und  Humor  bei  derselben  mit  im  Spiele  sind.  Will  Carlyle  dem  Leser 
eine  Vorstellung  geben  von  der  grotesken  Ausdrucksweise  Jean  Pauls,  so 
kommt  es  ihm  für  den  Moment  nicht  darauf  an,  in  seiner  Manier  zu 
schreiben,  mag  das  Englisch,  das  bei  einem  derartigen  Versuch  zu  Tage 
kommt,  auch  noch  so  wunderlich  sein.  Die  Goethesche  Prosa  sucht  er 
dem  britischen  Publikum  näher  zu  bringen,  indem  er  sich  der  Sprache 
des  Originals  })artiell  anpafst.  Bewufste  und  unbewufste  Sprachfärbung 
mischen  sich  gelegentlich  derart  bei  ihm,  dafs  man  eine  scharfe  Grenzlinie 
nicht  ziehen  kann.  Aber  in  der  Hauptsache  war  es,  wie  der  Verf.  über- 
zeugend darthut,  doch  der  Stoff  und  das  Bedürfnis  eines  scharfen  Ge- 
dankenausdrucks, die  zu  den  jeweiligen  Excentricitäten  führten.  Deshalb 
sind  diese  in  den  Übersetzungen  aus  dem  Deutschen  auch  ganz  andere 
als  in  der  Geschichte  der  französischen  Revolution.  Mit  dem  Jahre  18-tO 
etwa  (nach  des  Verfassers  Angabe)  gewöhnt  er  sich  die  krassen  Germa- 
nismen zwar  ab,  aber  es  treten  dafür  andere  Absonderlichkeiten  hervor. 
Sie  waren  ihm  eben  zur  Natur  geworden,  und  da,  wo  er  sich  ganz  seiner 
Manier  überläfst,  wie  in  den  Briefen  an  seine  Verwandten,  in  seinen  Essays 
oder  in  der  Geschichte  der  französischen  Revolution,  wimmelt  es  von 
Merkwürdigkeiten  der  bizarrsten  Art. 

Während  chronologisch  -  psychologische  Gesichtspunkte  den  ersten 
Hauptteil  der  Arbeit  beherrschen,  gilt  der  zweite  Teil  im  wesentlichen  der 
historischen  Formanalyse  und  im  Anschlufs  daran  der  Behandlung  des 
Carlyleschen  Sprachgebrauchs.  Die  einzelnen  Präfixe  und  Suffixe  werden 
in  übersichtlicher  Gruppierung  durchmustert  und  in  ihrer  Entstehungs- 
geschichte verfolgt.  Man  staunt  zunächst  über  die  tief  eindringenden 
Studien  auf  den  verschiedensten  Sprachgebieten,  über  die  sachgemälse 
Darstellung,  über  die  Menge  des  durchgearbeiteten  Materials,  über  den  un- 
geheueren Fleifs.  Manche  Artikel  bedeuten  einen  wesentlichen  Fortschritt 
gegen  Mätzner  und   Sweet  insofern,  als  die  Bedingungen  genauer  unter- 


212  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

sucht  werden,  unter  denen  ein  neues  Formativ  sich  abspalten  und  pro- 
duktive Kraft  gewinnen  kann.  Aber  man  ist  nicht  wenig  enttäuscht  ob 
der  Entdeckung,  dafs  Vieles  von  dem  Besten,  was  der  Verf.  bietet,  eine 
wörtliche  Übersetzung  der  betreffenden  Artikel  im  New  English  Dictionary 
ist,  ohne  dafs  dieselbe  als  solche  gekennzeichnet  wäre;  man  vergleiche 
z.  B.  die  Suffixe  -er  (S.  248  f.)  und  -ess  (S.  252).  Auch  aus  Mätzner  ist 
manches  wörtlich  ohne  Quellenangabe  übernommen;  so  S.  247,  267.  In 
dem  Vorwort  (S.  IX)  konstatiert  der  Verf.  zwar,  dafs  der  zweite  Teil 
'unter  engem  Anschlufs  an  die  einschlägigen  Werke'  ausgearbeitet  sei;  er 
nennt  aber  weder  Mätzner  noch  das  New  English  Dictionary.  Bis  jetzt 
ist  es  Brauch  gewesen,  dafs  man  bei  wörtlicher  Übersetzung  oder  Entleh- 
nung die  Quelle  nicht  nur  nennt,  sondern  auch  das  Übernommene  irgend- 
wie im  Druck  besonders  kennzeichnet.  Auf  eine  Besprechung  von  Einzel- 
heiten kann  ich  unter  diesen  Umständen  füglich  verzichten. 

Tübingen.  W.  Franz. 

Carlyle,  Sartor  resartus,   edited   by  Archibald  McMechan  (Athe- 
nseum  Press  series).    Boston  and  London,  Ginn  &  Co.,  1897. 

LXXI,   428    S.  (Fortsetzung.) 

'Teufelsdröckh'  war  ursprünglich  der  Name  für  den  ganzen  Inhalt 
der  Schrift,  die  wie  'Asa  fötida' '  wirken  und  den  verdorbenen  englischen 
Magen  scharf  und  gewürzhaft  reizen  und  wieder  herstellen  soUte.  Die 
Beziehung  auf  eigene  kranke  Zustände  des  Körpers  und  Geistes  lag  nahe : 
das  Buch  war  die  Kur,  die  Carlyle  an  sich  selber  für  Leib  und  Seele 
durchprobiert  und  zum  Wohl  der  Menschheit  hier  beschrieben  hatte.  — 
Dann  wurde  der  Name  des  Heilmittels  auf  den  Geheilten  übertragen,  der 
sie  fortan  verabreichte,  und  so  bildete  sich  die  Apothekerware  'Asa  fötida' 
zu  Herrn  'Teufelsdreck'  weiter,  der  freilich  seine  Herkunft  alsobald  durch 
ein  absonderliches  'Dröckh'  etwas  verschleierte :  'I  think  the  world  will  no 
wise  be  enraptured  with  this  medicinal  Devil's-dung'  F2161.  Vor 
allem  soUte  hier  das  Wort  nomen  et  omen  gelten,  wie  bei  Jean  Pauls  Attila 
Schmelzle:  'ordentlich  als  wäre  der  Patengeist  des  Taufnamens  mehr, 
als  sich's  gehört,  in  mich  gefahren'  (Tr.  2,  46).  Im  Note-Book,  September  33, 
heifst  aber  das  Buch:  *Now  called  Sartor  Resartus'.  Der  Titel  hatte 
Änderungen  erfahren;  27.  V.  33  an  Fräser  (N1104)  The  book  is  at  present 
uamed:  'Thoughts  on  Clothes;  or  Life  and  Opinions  of  Herr  D.  Teufels- 
dröckh, D.  U.  J.'  Die  'Thoughts  on  Clothes'  waren  später  aber  nur  ein 
Teil  des  Buches  und  durften  deshalb  im  Titel  wegfallen;  Sartor  Resartus 
dagegen  war  die  allgemeine,  den  ganzen  Inhalt  umfassende  Bezeichnung. 

Carlyle  zerlegt  häufig  in  seinen  Briefen  den  Namen :  I  now  see  through 
'Teufel'  F2158, 172, 191  —  'as  to  the  Teufel  itself  —  'I  am  strugghug 


'  Zu  a.  foetida  vgl.  J.  Paul,  Pixlein,  'dafs  sein  pulsierendes  Herz  nur  mit 
dem  Lukaszettel  einer  Recension  zu  stillen  war'  Tales  2,  187:  'except  by  the 
assa  foetida -emulsion  of  a  review'. 


Beurteilungen  und  kurze  Auzeigen.  213 

forward  with  Dreck',  'I  iiiust  to  my  Dreck'  —  'hardly  worth  while  to 
offer  thesc  people  Dreck'  —  'Dreck  raust  be  printed  at  the  first  con- 
dition.' 

Er  nannto  nun  sein  Buch  pchlicfslich  'Sartor  Resartus','  d.  h.  den 
auferstandenen  oder  den  wieder  geflickten  Schneider,  und  l)rachte  damit 
den  lange  verachteten  Beruf  des  Schneiders  hier  zu  neuem,  merkwür- 
digem Ansehen. 

Der  wunderliche  Heilige  Teufelsdrörkh  taucht  in  den  späteren  Schriften 
Carlyles  noch  ein  paarmal  wieder  auf.  Sein  Zeugnis  gegen  den  vom 
Hofrat  Heuschrecke  vertretenen  Malthusianismus  wird  am  Ende  von  'Char- 
tism'  wörtlich  citiert:  'True,  thou  Gold-Hofrath,  exclaims  an  eloquent 
satirical  German  of  cur  acquaintancc  in  that  stränge  book  of  his,  true 
thou,  Gold-Hofrath,  too  crowded  indeed'  (SR  1.59,  E6  18ü),  und  in  'Fast 
und  Present'  wird  etwas  von  seinen  originellen  Ansichten  über  die  Demo- 
kratie zum  Besten  gegeben :  'A  distinguished  man,  whom  some  of  my 
readers  will  hear  again  with  pleasure,  thus  writes  to  me  what  in  these 
days  he  notes  froni  the  Wahiigasse  of  Weifsnichtwo,  where  our  London 
fashions  seeras  to  be  in  füll  vogue.  Let  us  hear  Herr  Teufelsdröckh  again, 
were  it  but  the  smallest  word'  (185). 

Neben  Teufelsdröckh  erscheint  aber  noch  ein  anderer  Deutscher  auf 
dem  Plan,  sein  jüngerer  Bruder  Dr.  Gottfried  Sauerteig,-  aus  dessen 
'Ästhetischen  Springwurzeln'  Auszüge  in  dem  Essay  'Biography'  18:^2  vor- 
getragen sind.  Auch  Prof.  Sauerteig  verkündet  schon  im  Namen  seinen 
Beruf.  Denn  die  merkwürdigen  Ansichten  dieses  Herrn  sollen  in  der 
Welt  der  ]\Ieinungen  wie  jener  biblische  Sauerteig  eine  Gärung  und  damit 
eine  Wendung  zum  Bessern  hervorrufen  (vgl.  'the  leaven  of  criticisni' 
Tales  1  81  als  Übersetzung  für  'Der  Sauerteig  der  Verunglimpfung' 
und  Werther,  'Der  Sauerteig,  der  mein  Leben  in  Bewegung  setzte, 
fehlt  ...').  Jene  Theologen  des  16.  und  17.  Jahrhunderts,  Sauerbrey  und 
Sauermann,  die  Oarlyle  aus  Jöcher,  Gelehrtenlexikon  IV  1»>.5,  kannte, 
brauchen  deshalb  kaum  noch  für  seinen  Namen  einzustehen.  Der  Name 
der  'Springwurzeln'  aber  kommt  aus  den  Märchen  des  Musaeus;  Carlyle 
hatte  das  Wort  schon  1830  erklärt  r^  'the  "little  blue  flame",  the  "Spring- 
wurzel" (start-root)  etc.  are  well-known  phenomena  in  miners'  magic;' 
jetzt  läfst  er  es  von  Sauerteig  in  übertragenem  Sinne  gebrauchen :  'a  sort 
of  magical  picklocks,  as  he  affectedly  names  them  . . .  to  "start"  every 
holt  that  locks  up  an  aesthetic  raystery.'  Die  'Ästhetik'  seiner  Abhand- 
lung läuft  aber  darauf  hinaus,  dafs  sie  sich  eigentlich  selber  aufhebt,  dafa 
sie  die  Geschichte  für  die  wahre  Dichtung  erklärt  und  die  richtig  gedeutete 
Wirklichkeit   über  die  Poesie  stellt.     So  ist  auch  Sauerteig  wie  Teufels- 


'  Wer  ist  ülirigeiis  'Smelfungus  Rodivivus'  in  der  Einleitung  des  Essay  'Coni- 
law  Rhymes'  E4  184?  —  Fg4  27,  6249—2,52.  Goethe  1,  228  sclireibt  dem  Herzog, 
er  sei  durch  die  zweite  Reise  (1790)  gegen  Italien  ein  wenig  'smelfungischer* 
geworden. 

»  E6  55,  59,  65,  82. 

3  E2  274. 


214  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

dröckh  eins  mit  Carlyle,  der  mehr  als  alle  Kunst  dieser  Erde  den  grofsen 
göttlichen  Künstler  verehrte,  wie  er  sich  in  der  Welt  und  in  der  Geschichte 
verkündigt.  Von  einer  äufseren  Charakteristik  Sauerteigs  sah  Carlyle  ab, 
vielleicht  aus  Besorgnis,  sich  am  Ende  wieder  gar  zu  offenkundig  aus  dem 
Sartor  abzumalen  und  auszuschreiben. 

Im  nächsten  Jahre,  1833,  leitet  Sauerteig  von  neuem  mit  einem  Ab- 
schnitt seiner  Springwurzeln  das  Libell  wider  Cagliostro  ein.  Der  Auf- 
satz selber  steht  auch  stark  unter  deutschem  Einflufs,  wenn  Carlyle  statt 
zweier  Kapitel  lieber  'two  flights'  nach  dem  Vorschlag  Sauerteigs  bringt.' 

Auch  in  Fast  und  Present  tritt  Sauerteig  auf,  er  spricht  über  das, 
was  man  in  England  neuerdings  unter  Hölle  verstehe:  'the  terror  of  "Not 
succeeding",  of  not  making  money,  fame  or  some  other  figure  in  the 
World;'  zum  Schlufs  zieht  er  dann  wieder  seine  'Ästhetischen  Spring- 
wurzeln hervor.'-^ 

Im  Chartism  1839  legte  Carlyle  eine  angeblich  neue  Schrift  seines 
Helden  'History  of  the  Teuton  Kindred  (Geschichte  der  Teutschen  Sipp- 
schaft)' aus  und  trug  gleichzeitig  aus  den  Kapiteln  des  noch  unübersetzten 
Werkes  einige  treffende  Abschnitte  vor,  die  über  England  handelten.  Von  - 
seinem  Gewährsmann  spricht  er  freilich  mit  Zurückhaltung:  'We  know 
him  under  that  name  . . .  whom  we  think  we  recognise  to  be  an  old 
acquaintance.' 

Es  lag  nicht  Zaghaftigkeit  in  diesem  Versteckspiel,  denn  Carlyle  trat 
doch  sonst  für  seine  Überzeugungen  männlich  ein;  aber  es  mochte  ihm 
Freude  bereiten,  die  eigene  Persönlichkeit  mal  zu  verbergen  und  eine  an- 
dere zum  Schallrohr  seiner  Meinung  zu  machen;  zwar  zeugte  es  von 
keiner  grofsen  Erfindung,  dafür  gleich  zwei  deutsche  Professoren  auf  die 
Beine  zu  stellen,  Teufelsdröckh  und  Sauerteig,  die  sich  so  ähnlich  sehen 
wie  ein  Ei  dem  anderen;  aber  es  ist  doch  Erfindung,  und  in  Carlyle 
steckte  ja  ein  Stück  vom  Dichter;  und  solchem  Teile  seines  Wesens  ver- 
danken die  beiden  Homunculi  ihr  meistens  hinter  der  Coulisse  geführtes 
Dasein. 

Das  nächste  Werk  war  der  'Ästhetische  Briefwechsel  of  Herr  Pro- 
fessor Sauerteig',  der  die  Angelegenheiten  des  verstorbenen  Diktators  der 
Uruguayrepublik,  des  Dr.  Francia,  den  Carlyle  1843  in  einem  Essay  be- 
handelte, beleuchtet.  Sauerteig  selber  wird  uns  nun  endlich  vorgestellt 
als  Mensch  mit  offener  Seele,  der  klaren  Auges  und  weiten  Herzens  durch 
alle  unzugänglichen  Quartiere  der  Welt  hinzieht.  So  zeichnet  sich  auch 
dieser  unser  fingierte  Landsmann  Goethes  durch  den  weltumspannenden 
Blick  aus,  der  den  gebildeten  Deutschen  um  die  Wende  des  18.  und 
19.  Jahrhunderts  eigen  war. 

Ein  gröfseres  Werk   Sauerteigs  ist  der  Versuch  einer  'Schweinschen 


'  Stern  Accaracy  in  inquiring,  hold  Imagination  in  expounding  and  Alling  up; 
thct*,  says  Friend  Sauerteig,  'are  the  two  pinions  ou  which  History  soars  .  .  .  to 
which  two  pinions  let  us  and  the  readera  now  daringly  commit  ourselvcs." 

»  PP  25,  125,  130,  200,  218. 


Heurteilungcn  und  kurze  Anzeigen.  215 

Weltansicht',  Pig-Philosophy,  die  Carlyle  den  'Latterday-Paniphlets'  ein- 
verleibte: ein  bissiger  Vergleich  zwischen  Menschen  und  Tier,  der  eich 
auf  dem  Satz  autbaut:  'Wenn  Schweine  und  Ochsen  uns  auf  dem  Papier 
mitteilen  könnten,  was  sie  über  die  Welt  dächten,  so  würden  merkwürdige 
und  für  uns  nicht  wertlose  Ergebnisse  dabei  herauskommen.  —  Voraus- 
gesetzt Schweine  (ich  meine  vierfüfsige  Schweine)  von  Empfindung  und 
entwickeltem  ^'cr!^tand  hätten  sich  ausgebildet  und  wollten  nach  einigem 
Nachdenken  uns  ihre  Meinung  über  das  Universum  mitteilen,  über  ihre 
Ziele  und  Pflichten  —  würde  das  nicht  einem  aufmerksamen  Publikum 
gefallen  und  dem  verendenden  Buchhandel  wieder  aufhelfen?' 

Nun  folgt  der  Katechismus  dieser  Schweine:  'Das  Universum  ist, 
soweit  sich  vernünftig  vermuten  läfst,  ein  unendlicher  Schweinetrog  u.s.  w., 
in  dem  sich  Festes  und  Flüssiges,  auch  andere  Gegensätze  und  Arten 
befinden,  besonders  Erreichbares  und  Unerreichbares,  letzteres  aber  für 
die  meisten  Schweine  in  unendlich  gröfseren  Quantitäten.'  So  wird  in 
diesen  Paragraphen  mit  spitzigen  Waffen  geschlagen,  der  Humor  ist  dem 
Schreiber  darüber  fast  ausgegangen.  Die  Schule  Jean  Pauls  steht  leer, 
Carlyle  scheint  sich  den  Satirikern  seines  eigenen  Landes  zugewandt  und 
von  den  scharfen  Giften  des  Jonathan  Swift  genossen  zu  haben.  In  der 
Einleitung  zu  Friedrich  dem  Grofseu  trägt  'my  friend  Sauerteig'  noch 
einiges  über  das  alte  beliebte  Thema  Carlyles  vor,  dafs  Geschichte  und 
wahre  Poesie  ein  und  dasselbe  sein  sollen. 

Sartor  4  'a  Philosophy  of  Clothes'.  Die  Anspielungen  auf  Kleider 
und  Kleiderwcsen,  die  sich  vor  und  nach  dem  Sartor  in  den  Schriften 
Carlyles  finden,  sind  ein  Beweis  für  die  Teilnahme,  die  er  zuerst  unwill- 
kürlich und  ohne  ein  bestimmtes  Ziel  und  später  des  geschriebenen  Sartor 
wegen  solchen  Dingen  schenkte.  Alle  Fälle  einzeln  aufzuführen,  lohnte 
nicht  die  Mühe;  denn  man  hat  bei  vielen  gleich  und  ähnlich  lautenden 
Belegen  an  wenigen  genug,  schon  um  die  Übersicht  durch  eine  zwecklose 
Stoffanhäufung  nicht  zu  verbauen. 

Die  Sitzung  des  Edinburger  Parlaments,  der  Carlyle  als 
Knabe  zufällig  1809  bewohnte,  und  die  er  als  Greis  57  Jahre  später  noch 
lebhaft  beschrieb,  ist  uns  ihrer  bunten  Kostüme  wegen  für  den  'Clothes- 
philosopher'  nicht  gleichgültig:  'some  were  in  wig  and  black  gown,  some 
not,  but  in  common  clothes,  all  well-dressed,  . . .  red  velvet  figures  sitting 
in  Said  thrones,  and  the  black-gowned  eagerly  speaking  to  them'  (Fi  24). 

Bei  einem  Besuch  in  Glasgow  1820  hören  wir  den  jungen  Mann  einige 
Bemerkungen  über  die  geschmacklose  Toilette  der  Damen  machen:  Fi  88: 
'with  all  their  charms  they  had  less  taste  in  their  adornments  than  were 
to  be  seen  in  Edinburgh  drawing-rooms.' 

So  ist  es  interessant,  wie  Carlyle  aus  'Iloffmanns  Leben'  1827  dessen 
erste  ^^'arschauer  Eindrücke  bosohrieb.  Die  polnische  Hauptstadt,  erzählt 
er,  wäre  dem  Dichter  wie  eine  ungeheure,  beständige  Maskerade  er- 
schienen, die  Strafsen  waren  mit  bunten  Mengen  seltsamer  Frauen  ange- 
füllt: 'fröhliche  sei  den  gekleidete  Polinnen,  die  im  Gespräche  über  die 
breiten,  stattlichen  Plätze  schlenderten,  der  alte  polnische  Edelmann,  mit 


216  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Bart,  Kaftan,  Gurt  und  roten  oder  gelben  Schuhen;  der  neue  Adel 
ausgerüstet  wie  die  Incroyables  in  Paris,  dazwischen  Fremde  jeder 
Nationalität,  es  fehlten  die  langbärtigen  Juden,  die  Jahrmarktsbudenleute, 
die  Mönche  und  tanzenden  Bären  nicht.  . . .  Eines  Tages  fragte  nun  Hoff- 
mann einen  Freund  nach  dem  Charakter  eines  anderen  Menschen,  den 
dieser  mit  den  Worten  Falstaffs,  "a  fellow  in  buckram",  beschrieb,  eine 
Bemerkung,  die  Hoffmanns  sarkastische  Züge,  der  immer  scheu  vor 
Fremden  war,  aufheiterte  und  ihn  in  die  glänzendste  und  mitteilsamste 
Laune  versetzte.'  Unserem  Carlyle  hätte  das  gleiche  passieren  können, 
und  deshalb  nahm  er  auch  diese  kleinen  Vorfälle,  die  ein  anderer  Er- 
zähler kaum  beachtet  hätte,  in  die  kurze  Lebensbeschreibung  ausdrücklich 
mit  auf. 

Im  nächsten  Jahre,  1828,  flocht  er  in  den  Werner-Aufsatz  eine  Stelle 
ein :  'In  Deutschland  wird  gemeiniglich  jedes  Bekenntnis,  jeder  Glaube 
nur  als  eine  Form  aufgefafst,  als  der  sterbliche  und  immer  wieder  ver- 
änderliche Körper,  in  dem  der  unsterbliche  und  unveränderliche  Geist  der 
Religion  wohnt,  der  sich  mehr  oder  weniger  vollkommen  so  dem  sterb- 
lichen Auge  verkündet  und  in  den  Thaten  des  Menschen  offenbart  . . .  - 
dafs  aber  Werner,  noch  mehr  dafs  Schlegel  oder  Stolberg  auf  Grund  sol- 
cher Ansichten  ihren  Glauben  an-  und  ausziehen  konnten  wie  ein 
neues  Kleid  (like  a  new  suit  of  apparel),  das  wollen  wir  damit 
nicht  behaupten.' 

Hier  hingen  die  Gewänder  schon  entschieden  in  einer  philosophischen 
Beleuchtung,  aus  der  sie  im  Aufsatz  über  Goethe  wieder  ein  wenig  fort 
ins  Praktische  gerückt  wurden:  'Ich  könnte  mir  denken,  ein  Schneider 
hätte  an  der  Kleidung  der  alten  Griechen  etwas  auszusetzen,  er  tadelt 
den  ganz  unpassenden  Schnitt  am  Kragen  und  Aufschlag  und  schilt  das 
Kostüm  barbarisch;  um  nun  aber  zu  wissen,  ob  es  wirklich  barbarisch 
ist  und  wie  weit,  dazu  gehörte  das  Urteil  eines  Winkelmann,  und  der 
würde  es  überhaupt  schwer  finden,  ein  Urteil  zu  fällen.  Der  eine  fragt: 
wie  würde  dies  griechische  Gewand  in  den  Modebüchern  und  bei  dem 
Herrn  So  und  So  aussehen?  Winkelmann  aber  fragt:  Wie  sieht  es  vor 
Gott  aus?' 

Im  Sommer  18:50  stiegen  in  ihm  wunderliche  Ahnungen  über  die  Be- 
deutung der  Kleider  auf:  'one  sits  dressed  in  red  cloth,  the  other  Stands 
dressed  in  tbreadbare  blue',  und  der  rote  als  Richter  und  Henker  beför- 
dert den  blauen  als  armen  Sünder  kraft  seines  Amtes  vom  Leben  zum 
Tode:  'Be  hanged  and  anatomised'.  Bei  den  Berichten,  welche  die  Zei- 
tungen über  Hofempfänge  und  Königsfeierlichkeiten  brachten,  gehorchte 
seine  Einbildungskraft  einem  eigentümlichen  Zwange,  'ou  a  suddeu  the 
clothes  fly  off  the  whole  party  in  my  fancy  and  they  stand  there  straddling 
in  a  half  ludicrous,  half  horrid  condition' (F2  85/6,),  eine  Vorstellung,  die 
an  ein  bekanntes  'Gedicht  in  Prosa'  der  Senilien  Turgenjeffs  erinnert.  — 
Seinem  Bruder  schilderte  er  am  6.  August  18S0  die  Menschen:  'poor 
spindle-shanked  whiffling  wonners  when  you  clutch  them  through  the 
masB  of  drapery  they  wear'  (F2  US). 


Beurteilungen  uiul  kurze  Anzeigen.  217 

Und  nachdem  der  Sartor  längst  gcsibrieben  und  gedruckt  war,  18:{7, 
heifst  es  im  Aufsatz  über  Mirabeau :  'Es  geht  eine  wunderliche  Geschichte 
herum,  dufs  er  einst  in  Marseille  einen  K  leider  laden  aufthat,  um 
sich  dem  dritten  Stand  angenehm  zu  macben.  Ich  habe  oft  darüber 
gelacht.  In  der  Vorstellung,  dafs  IVIirabeau  den  Menschen  Zeug  mit 
Schneiders  !^[afs  zurecht  geschnitten  hat,  liegt  etwas  Ergötzliches.'  So 
weisen  die  Fäden  von  vorn  und  von  rückwärts;  auf  den  Sartor  hin.  Auch 
die  Geschichte  von  dem  Franzosen,  der,  im  Hrühlschen  Palast  herum- 
geführt, dort  zahllose  leere  Kleidungsstücke  aufgespeichert  sah  und  rief: 
'Montrez  moi  des  vertus,  pas  de  culottes',  sei  erwähnt.  Carlyle  las  die 
Anekdote  im  ersten  Band  des  Siebenjährigen  Krieges  von  Archenholz  und 
brachte  sie  im  Frederick  the  Great  7,  8.  82  zweimal  unter,  indem  er  den 
Ort  verlegte:  'in  the  Valley  of  the  Shadow  of  Clothes  —  mere  Clothes, 
metaphorical  and  literal'. ' 

Über  das  Verhältnis  der  Philosophy  of  Clothes  des  Sartor  zur  French 
Revolution  sei  noch  einiges  nachgetragen. 

Goethe,  der  dem  Sartor  die  besten  Gedanken  gegeben  hatte,  erhielt  am 
10.  Juni  1831  Andeutungen  über  das  Buch,  das  er  leider  fertig  nicht 
mehr  sehen  sollte.  Carlyle  hatte  versprochen,  später  ein  Druckexemplar 
nach  Weimar  zu  schicken.^ 

So  wurde  Goethe  von  dem  Werke,  das  seinen  Namen  und  seine  Lehre 
in  England  verkündigte,  doch  wenigstens  noch  gestreift,  aber  die  Berüh- 
rung war  so  leise  uud  bescheiden,  dafs  er  es  nicht  der  Mühe  wert  hielt, 
sich  weiter  darum  zu  bekümmern.  Zeitweilig  wollte  Carlyle,  der  vor- 
derhand zu  keinem  festen  Plan  kommen  konnte,  wieder  statt  des  Buches 
'two  articlcs  and  the  germ  of  more'  liefern.  Was  er  anfänglich  über 
Teufelsdröckh  schrieb,  waren  die  Partien,  die,  jetzt  im  Book  II  des 
Sartor,  das  Leben  des  TIelden  umfassen.  Das  erste  und  dritte  Buch, 
die  'Kleiderphilosophie',  hat  sich  später  angesetzt,  besonders  aus  den 
'Thoughts  on  Clothes',  die  Carlyle  von  Fräser  1881  wieder  zurückbefahl, 
und  die  nun  noch  als  ein  selbständiges  Buch  erscheinen  sollten,  'which 
would  encourage  me  immensely'.  —  Die  Biographie  Teufelsdröckhs  wurde 
inzwischen  erweitert.^ 

Kleinere  Aufsätze,  wie  über  das  'Nibelungenlied',  schafften  Mittel 
zum  Leben  und  zu  der  Mufse,  die  Carlyle  für  sein  Buch  brauchte.  Im 
Februar  —  März  18ol    sah  er  zwar  dem  Ende  entgegen   'if  it   indeed   be 


*  E3  21.  E5  9.  43.  263.  —  Carlyle  wohnte  1819  bei  einer  Sclnieiderfrau, 
Nl  243;  vgl.  N3  80  Anspielung  auf  Handwerkelei.  —  Fl  219  Bei  der  Arbeit,  am 
Meister:  'One  feels  over  it  as  a  shoeniaker  does  wben  he  sees  the  leather 
gathering  into  a  shoe  —  as  any  mortal  does  when  he  sees  the  activity  of  liis 
niind  expressing  itself  in  some  external  material'.  —  N3  373  'I  shall  nieddle  with 
nothing  moie  tili  I  have  a  better  Workshop'.  Nl  226  'I  sec  always  that  I  am 
in  the  right  Workshop,  had  T  but  got  acquainted  with  the  tools  properly'. 

*  Alas!  It  is.  after  all,  not  a  Picture  that  I  am  painting:  it  is  but  a  half- 
reckless  casting  of  the  brush,   with   its  many  frustrated  eolours,  again.st  tho  canvas. 

■'  I  ean  give  a  second  deeper  part  in  the  same  vein,  leading  thmugh  Kcligion 
and  the  Nature  of  Societv.     N2  230.   237.   238.  F2  96. 


218  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

finishable'  (F-  143)  und  träumte  schon  von  den  50  Pfund  für  'my  pro- 
digal  son  Teufelsdröckh';  er  war  aber  trotzdem  im  Juni  —  Juli  noch  nicht 
fertig. ' 

Gleichzeitig  beschäftigte  ihn  ein  'Chapter  on  Symbols',  das  schliefs- 
lich  auch  dem  Sartor  zugefallen  ist.  Ende  Juli  war  das  Werk  abge- 
schlossen, das  Carlyle  nun  persönlich  zu  den  Londoner  Buchhändlern 
trug.  Man  lehnte  es  so  ab,  dafs  Carlyle  das  umgekehrte  Verhältnis  zwi- 
schen dem  Aufwand  seiner  Arbeit  und  ihres  Marktwertes  selber  einsah : 
'thank  God  that  we  have  becn  able  to  write  it,  and  to  write  it  gratis.' 
Murray  klagte  über  schlechte  Zeiten,  und  die  Buchausgabe  zerschlug  sich 
an  der  Eeformbill,  die  erst  durchgehen  raufste;  Carlyle  nahm  die  Hand- 
schrift wieder  zu  sich.- 

Aber  aus  anderen  Kreisen  kamen  Ermutigungen,  die  dem  Verfasser 
wohlthaten :  ein  junger  Mann,  Namens  Glen,  bat  sich  dreimal  das  Manu- 
skript aus.  Da  sich  1832  die  äufsere  Lage  des  Buchhandels  gehoben 
hatte,  zog  Carlyle  alsbald  auch  sein  Werk  hervor  und  ging  zu  Dilke  und 
von  Dilke  wiederum  zu  BuUer.''  Man  lehnte  es  abermals  ab.  Immerhin 
bleibt  diese  Kurzsichtigkeit  der  Verleger  merkwürdig,  um  so  mehr,  weil 
sich  Carlyle  ja  schon  einen  Namen  mit  sonderbaren,  aber  jedenfalls  doch 
verbreiteten  Essays  gemacht  hatte  und  die  Gefahr  lange  nicht  so  grofs 
wie  bei  einem  ganz  unbekannten  Schriftsteller  war.  Aber  die  Form  des 
Werkes  deutete  man  vielleicht  als  Zeichen  einer  angehenden  Verrücktheit, 
und  während  Jean  Paul  in  Deutschland  für  seine  bizarren  Schriften  rasch 
Verleger  und  Leser  fand,  muiste  sein  Geistesverwandter  in  England,  Car- 
.  lyle,  länger  warten.  Seine  nüchternen  Volksgenossen  kamen  ihm  nicht 
80  rasch  entgegen,  wie  es  vielleicht  die  phantasievoller  veranlagten  Deut- 
schen gethan  hätten. 

Im  Mai  1833  fragte  Carlyle  abermals  bei  Fräser  an.  Er  war  ent- 
schlossen, das  Werk  aufgetrennt  dem  Magazine  zu  übergeben,  und  die 
Anlage  in  drei  Büchern,  ein  jedes  in  kurzen  Kapiteln,  begünstigte  die 
Absicht.'*  Der  Verleger  Fräser  ging  auf  den  Vorschlag  ein,  und  Teufels- 
dröckh erschien  im  Jahre  1834  zu  allgemeinem  Erstaunen;  im  August 
folgte  dann  auch  das  Buch,  d.  h.  ein  Sammelabdruck  der  Magazinartikel. 


'  'I  write  dreadfally  slow'  —  'I  am  struggling  forward  with  Dreck  ... 
1  think  the  world  will  now  be  enraptured  with  this  (medicinal)  Devil's  Dung', 
schreibt  er,  nicht  ohne  Beziehung,  an  seinen  Bruder,  den  Arzt,  'it  was  the  best 
I  had  in  me;  that  God  had  given  me,  what  the  Devil  shall  not  take  away.' 
N3  268;  271,  289. 

*  'What  I  have  written,  I  have  written :  the  reading  of  it  is  another  party's 
concern.'     N3  307,  25.  37.  41.  46.   53. 

■^    It  is  not  wholly  a  lie    that  lucubratiou    of  Dreck's;  N3  391. 

*  'It  is  put  together  in  the  fashion  of  a  kind  of  Didactic  Novel  .  .  .  a  kind 
of  Satirical  Extravaganza  on  Things  in  General';  'it  contains  more  of  my  opinions 
on  Art,  Politics,  Keligion,  Heaven,  Barth  and  Air.  than  all  the  Things  I  have  yet 
written.  The  Creed  promulgated  on  all  these  things  es  you  may  judge,  is  mine 
and  firmly  believed  . .  .  Tlie  ultimate  result  is  a  deep  religious  speculative  radi- 
calism    (so  I  call  it  for  want  of  a  better  name).'     N3  103.   128.   145. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  219 

Carlyle  sandte  seine  Freiabzüge  aus  und  wurde  nun,  wo  der  Sartor  voll- 
ständig und  übersichtlich  vorlag,  doch  mit  Beifall  belohnt.  Er  selber  war 
froh,  dafs  es  jetzt  we<ler  verbrannt  noch  verloren  werden  könnte.  Sterling 
.«schrieb  ausführlich  darüber;  die  Amerikaner  drohten  sogar  mit  Nach- 
druck, luden  aber  zugleich  Carlyle  für  Vorlesungen  ein,  'on  any  subject, 
with  assurance  of  success'.  Es  kam  ein  Brief  nach  Chelsea,  wo  man  ihn 
bat,  'go  on  in  God's  name',  als  hätte  der  Schreiber  gefürchtet,  Carlyle 
könnte  menschlich  unbeständig  werden  und  seine  trotzige  Stellung  schliefs- 
lich  doch  aufgeben.  Die  North  American  Review  brachte  eine  ausführ- 
liche, gut  gemeinte  Kritik. ' 

Frühere  Pläne  simi  im  Sartor  erledigt  worden,  und  frische  keimten 
dabei  auf,  so  dafs  das  Werk  den  Abschluls  alter,  aber  auch  den  Anfang 
vieler  neuer  Arbeiten  bildet.  Das  zeugt  für  die  Einheit  des  Carlyleschen 
Gedankensystems  und  für  eine  ununterbrochene  Entwicklung,  wenn  die 
älteren  Entwürfe  sich  mühelos  dem  Werk  eingliederten  und  von  Anfang 
an  für  dasselbe  geradezu  berechnet  schienen. 

Der  Zusammenhang  des  Sartor  mit  den  späteren  Werken  wäre  in 
einem  eigenen  Kapitel  zu  beschreiben.  Bei  der  'französischen  Revolution' 
liegt  er  besonders  nahe,  und  Schlagworte  aus  dem  Sartor,  wie  Sans- 
culottisni,  hat  McMechan  durch  Belege  aus  der  'französischen  Revolution' 
auch  treffend  erläutert. 

Im  Frühling  1833,  als  der  Sartor  fertig  war,  stand  Carlyle  wieder 
mitten  in  einer  geistigen  Krise,  wie  damals  1819."  Erst  wollte  er  ein 
merkwürdiges  Ding  schaffen,  etwa  eine  Fortsetzung  zum  Sartor: 
'I  want  to  write  what  Teufelsdröckh  calls  the  story  of  thc  Time-Hat,  to 
show  forth  to  the  men  of  these  days  that  they  also  live  in  the  Age  of 
Miraclc',  wo  er  unter  den  wechselnden  Formen  der  Gesellschaft  aller 
Zeiten  und  Völker,  d.  h.  unter  den  Hüllen,  womit  sie  sich  bedeckt  — 
der  Übergang  von  den  allgemeinen  Kleidern  zum  besonderen  Kleidungs- 
stück Hut  ist  nicht  abzuweisen  — ,  wieder  den  überall  gleichen  Körper 
und  Kopf  nachweisen  wollte.' 

Statt  aber  dieser  'Idea'  in  der  \Veltgeschichte  von  Anfang  bis  zum 
Ende  nachzuspüren,  griff  Carlyle  ein  einziges  anschauliches  Kapitel  aus 
der  neueren  Zeit,  die  französische  Revolution,  zur  Erläuterung 
heraus. 

Zuerst  sollte  eine  Reihe  einschlägiger  Artikel  in  Fräsers  Magazin  er- 
scheinen.   Im  'Diamond  Necklace'  wollte  Carlvle  sich  am  historischen  Stil 


*  'It  is  a  qiieer  tliiiiK  Writiiif;,  in  these  days:  You  send  a  written  sheet  itway 
from  Craif^enputtock,  and  the  answer  to  it  eoinos  hack  by  and  by  ovev  thc  At- 
lantic Ocean.  They  seem  very  good  sort  of  people  these  Yankees,  —  at  leaat 
to  me.'     N4  128,  99;  210,  27.  38.  82;  Xi2,  48.  55.  Ci.  90. 

^  'Outwardly  and  inwardly  a  kind  of  tlnsing  of  the  first  Act  goes  on  with 
me;  thc  second  as  yet  quitc  unopencd.'     N-t  100. 

^  'My  mind  would  so  fain  deliver  itself  adenuately  tif  that  "Divine  Idea  of 
the  World",  and  only  in  quite  inadequatc  approximations  is  such  deliverance 
possible.'     N4  119. 


220  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

erproben.  Auch  die  anderen  Aufsätze  zur  französischen  Litteratur  und 
freschichte :  Voltaire  18'28,  Diderot  und  zum  Teil  Cagliostro,  sind  Vor- 
läufer des  Werkes.  Er  hatte  den  Boden  geprüft  und  die  Bauhütten  aus- 
gestellt. Die  flüchtigen  Zweifel,  ob  er  nicht  lieber  die  schottische  Revo- 
lution beschreiben  sollte,  wurden  zu  Gunsten  der  französischen,  die  ihm 
ja  zeitlich  näher  lag,  entschieden  (F2  338).  Die  Energie,  die  er  beim  Ent- 
stehen des  Werkes,  vor  allem  des  ersten  Teils,  bethätigte,  ist  bewunderns- 
wert. Im  Juli  und  August  1834  verkündete  er,  dafs  das  Buch  bereits  im 
nächsten  Frühling  unter  seinem  Namen  herauskommen  würde.  Die 
Mutter  sollte  für  ihn  beten,  auf  dafs  er  sein  Bestes  in  dem  W^erke  leiste, 
von  dem  er  grofse  Stücke  erwartete;'  er  wanderte  ein-  oder  zweimal 
wöchentlich  ins  Britische  Museum,  um  die  Quellen  zu  studieren,^  die  ihm 
freilich  wenig  boten  und  so  seine  merkwürdige  geschichtliche  Methode 
rechtfertigten,  wenn  er  zum  gröfsten  Teil  mit  eigenen  inneren  Erlebnissen 
zu  arbeiten  suchte. 

Langsam  rückte  das  Werk  vor,  die  ersten  Wochen  ergaben  blofs  zwei 
sauber  geschriebene  Seiten.  Denn  er  glaubte  den  Gegenstand  nicht  tief, 
nicht  ernst  und  gründlich  genug  fassen  zu  können :  'The  mind  must  seize 
it,  crush  the  secret  out  of  it  and  make  or  mar'  (F2  484). 

Gegen  Ende  Oktober  lagen  drei  Kapitel  da.  Das  frisch  Begonnene 
gab  ihm  die  Gewähr  des  Halbgewonnenen.  Auch  Jane  war  zuversicht- 
lich. Nach  einer  kleinen  Pause  fing  er  das  vierte  Kapitel,  'Taking  the 
Bastille',  an;  und  die  neue  geschichtliche  Arbeit  hielt  er  am  Ende  selber 
für  'not  so  bad'.  Am  Weihnachtsabend  konnte  er  der  Mutter  einiges 
daraus  bescheren :  '1  . . .  have  got  the  Bastille  all  comfortably  laid  flat'; 
die  erste  Abteilung  war  fertig;  für  das  ganze  dreibändige  Werk  aber  schob 
er  den  Abschlufs  bis  Ende  Mai  hinaus.  Denn  er  blieb  dabei,  langsam 
zu  schreiben.^ 

Ein  Freund  Carlyles,  J.  S.  Mill,  durfte  die  Handschrift  des  ersten 
Bandes  mit  nach  Hause  nehmen,  um  sie  gründlich  zu  lesen  und  Be- 
obachtungen niederzuschreiben,  die  Carlyle  für  die  Noten  zu  verwenden 
dachte.  Fräser  wollte  das  Erscheinen  des  Werkes  —  'getting  ready'  — 
in  der  nächsten  Nummer  des  Magazins  ankündigen ;  Carlyle,  schon  beim 
zweiten  Bande  beschäftigt,  trieb  ahnungslos  dem  Verhängnis  entgegen. 
Eines  Abends,  am  6.  März  1835,  stürmte  Mill  zu  ihm  herauf,  totenblafs, 
atemlos  und  mit  leeren  Händen :  das  Manuskript  war  in  seinem  Hause 
aus  Unachtsamkeit  bis  auf  vier  zerfetzte  Blätter  durch  Feuer  vernichtet. 
Bei  diesem  furchtbarsten  aller  Schläge,  die  einen  Schriftsteller  treffen 
können,  hat  sich  Carlyle  wacker  benommen;  er  tröstete  den  verzweifelten 

'  'I  meau  to  make  an  artistic  picture  of  it.  Alas,  gleaius,  too,  of  a  work  of 
art  hovcr  past  me;  as  if  this  should  be  a  work  of  art.' 

■■*  'More  books  on  it.  I  find,  are  but  a  repetition  of  those  before  read ;  I  learn 
nothing  and  almost  nothing  ftirther  by  books.' 

^  '1  could  write  it  fast  enough,  if  I  would  write  it  ill;  but  that  I  have  de- 
termined  not  to  do  wilfully.  It  will  be  bad  enough  against  one's  wiU.  O  that 
I  were  done  with  it.' 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  221 

Freund,  der  bis  Mitternacht  bei  ihm  blieb,  dann  aber  überwältigte  ihn 
und  Jane,  als  sie  allein  waren,  der  Schmerz,  bis  er  das  Leid,  das  ihm 
begegnet  war,  in  eine  Schickung  Gottes  verwandelt  hatte,  über  deren 
Zweck  er  sich  schnell  im  klaren  war:  nämlich  das  Werk  noch  einmal, 
und  zwar  besser  als  das  erste  Mal,  schreiben  zu  sollen.  Fräsers  Ankün- 
digung wurde  zurückgezogen ;  Carlyle  liefs  sich  neue  Bücher  und  besseres 
Papier  kommen :  'I  began  again  at  the  beginning.'  Der  Schaden  wurde 
von  Mill,  so  gut  sich  das  mit  Geld  sühnen  liefs,  beglichen  und  in  Wochen 
und  Monaten  von  Carlyle  mit  Fleifs  wieder  aufgebaut,  was  die  Unvor- 
sichtigkeit eines  anderen  in  einer  Stunde  zerstört  hatte:  'I  have  the  Bastille 
to  take  a  second  time  . . .'. 

Im  Herbst  1835  war  der  erste  Band  zum  zweitenmal  fertig;  'on  the 
whole  I  feel  like  a  man,  that  had  'nearly  killed  himself  accomplishing 
zero'.  Aber  Carlyle  prophezeite  sich  selber  hinter  diesem  Werke  'a  radical 
change  in  my  figure  of  life'.  Der  Körper  mahnte  überdies  den  Vierzig- 
jährigen, besser  für  sein  leibliches  Wohl  zu  sorgen :  'the  course  that  has 
led  a  man  into  continual  ill-heath  is  a  wrong  course,  and  Nature  herseif 
surely  wams  bim  aloud  to  quit  it'. ' 

Der  Sartor  war  am  Rand  der  schottischen  Moore  geschrieben,  wo 
Carlyle,  vom  menschlichen  Verkehr  abgeschnitten,  nur  im  Anschauen  der 
Natur  gelebt  hatte. '^ 

Die  französische  Revolution  dagegen  wurde  in  London  im  Dampf 
und  im  Geräusch  der  Stadt  geboren,  die  Carlyle  freilich  nur  von  ferne 
beobachtete,  aber  deren  Erregtheit  ihm  doch  etwas  die  Augen  für  die  Zu- 
stände in  dem  nervösen  Paris  des  Jahres  1789  öffnete.^ 

Der  Sartor  war  die  Biographie  eines  einzelnen,  der  Welt  und  Leben 
in  hoher  und  schlichter  Weise  deutete;  die  französische  Revolution  da- 
gegen war  die  Geschichte  eines  Volkes,  sein  Zusammenbruch  und  seine 
Auferstehung.  Beide  Werke  sind  Dichtung  und  Wahrheit  zugleich,  äufser- 
lich  jedes  in  drei  Teile  gegliedert;  wie  ein  Drama  spielt  sich  die  franzö- 
sische Revolution  ab,  sie  bot  eigentlich  nicht  viel  Neues,  das  über  den 
Sartor  hinauswies,  sondern  arbeitete  die  dort  gegebenen  Andeutungen  und 
Philosophien  an  einem  Erfahrungsbeispiel  aus;  die  Forschung  sollte  nun 
beide  Werke  einmal  gründlich  auf  ihren  Gedankengehalt  prüfen  und  be- 
stimmen, wie  weit  Carlyle  von  vornherein  bei  der  französischen  Revolution 
ein  parteilicher  Zuschauer  war  und  was  Neues  sich  in  der  That  in  dem 
letzten  Werke  findet.  ^lit  welchem  Rechte  aber  behauptete  er  selber,  als 
er  an  das  Werk  ging:  'I  am  altering  my  style  too.'  (F'^  473)? 


»  Vgl.  Ni  100,  119,  173,  184,  200,  210,  221,  226,  237,  244,  251  t.,  257, 
268,  273,  283  ff.,  290,  314  ff.,  323,  333,  355,  384;  F2  53,  449,  457,  462,  473,  484. 

*  'That  Craigenputtoc'k  caniiot  forcver  be  my  place  of  abode.  One  day  I  will 
quit  it;  eitlier  (luietly,  ore  like  a  muitbrcak.'     N-l  77. 

^  'To  go  thither  (to  London!)  seems  inevitable,  polpably  neccssary;  yet  con- 
trasted  with  these  six  years  ot  rockbnund  seclusion  seoms  almost  like  a  risiiig 
from  the  grave',  schrieb  er  ein  paar  Wochen  vor  der  Übersiedelung  in  die  Haupt- 
stadt seinem  Bruder.     N4  138, 


222  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Er  hatte  den  Sartor  geschrieben,  während  er  noch  im  Werden  war, 
und  er  liefs  die  Revolution  folgen,  als  die  durch  das  Deutsche  in  ihm 
bedingte  Entwicklung  sich  geschlossen  hatte:  das  Werk  seines  vierzigsten 
Jahres,  wo  ein  Mann  gemeiniglich  auf  dem  Lebensgipfel  zu  stehen  pflegt. 

Carlyle  konnte  sich  den  Unterschied  zwischen  seinem  und  zwischen 
anderen  Geschichtsbüchern  nicht  verhehlen :  'I  feel  at  every  sentence,  that 
the  work  will  be  stränge'. '  Es  sollte  auch  wonig  gemein  haben  mit  den 
übrigen  '1001  Histories',  die  er  'dead  thistles  for  Pedant-Chaffinches  to 
peck  and  fill  their  crops  with'  nannte.  Er  verarbeitete  nicht  —  wie 
freilich  später  bei  Friedrich  dem  Grofsen  —  ganze  Ballen  von  Aus- 
zügen, sondern  schuf  mit  freier  Hand  'a  queer  Book,  yes,  a  very  queer 
Book'. 

Carlyles  französische  Revolution  ist  in  ihrer  Art  ein  religiöses  Ten- 
denzwerk, denn  es  handelt  sich  bei  ihm  weniger  um  die  genaue  Darstel- 
lung der  Thatsachen  als  um  die  Erkenntnis  eines  göttlichen  Zweckes,  den 
er  diesem  Strafgericht  am  Ende  des  18.  Jahrhunderts  unterlegte.  Er  ar- 
beitete zwar  auch  nach  Dokumenten  und  Quellen,  aber  er  gruppierte  das 
Material  durchaus  so,  wie  es  ihm  am  verteilhaftesten  für  die  Darstellung 
seiner  Lehre  schien.  Der  Geist  einer  Zeit  oder  eines  Vorganges,  wie  er 
ihn  erfafst  zu  haben  glaubte,  war  ihm  wichtiger  als  die  peinliche  Aus- 
breitung und  -beutung  der  Materialien. 

Sartor  6.     A  Letter  from  Herr  Hofrath  Heuschrecke. 

Beim  'Hofrath  Heuschrecke'  —  den  TiteP  kannte  Carlyle  aus 
Schiller  und  Goethes  Leben  —  soll  der  Name  natürlich  das  sprunghafte, 
unbedeutende  Wesen  seines  Trägers  bezeichnen.  Jean  Paul  schon  ver- 
gleicht verächtlich  einen  Menschenschwarra  'mit  einem  Heuschreckenzug 
und  -wölke';  Goethe  sagt  ähnlich  im  Faust: 

Der  kleine  Gott  der  Welt  bleibt  stets  von  gleichem  Schlag  .  .  . 
Er  scheint  mir  mit  Verlaub  von  Euer  Gnaden 
Wie  eine  der  langbeinigen  Cikaden. 

Heuschrecke,  unzweifelhaft  ein  Nachkomme  des  Williams  aus  dem 
Wotton  Reinfred,  ist  der  Freund  des  geistig  überlegenen  Teufelsdröckh, 
reicher  und  älter,  aber  ein  gutmütiger,  unselbständiger  Mensch,  der  erste 
und  nächste  Jünger  dieses  neuen  Herrn  und  ihm  gehorsam  wie  Boswell 
dem  Johnson  und  Eckermann  seinem  Goethe.  Solche  historischen  Bünd- 
nisse haben  das  Verhältnis  des  Paares  bestimmt.  Heuschrecke  tritt  vor- 
sichtig auf,  teilt  gern  von  seinem  Gelde  mit  und  wandelt  'wie  ein  Geist 
der  Liebe'  unter  den  Menschen. 

Einzelne  Züge  sind  Jeffreys  Leben  (F2  139)  entlehnt.  Beide  vertreten 
die  Malthusianische  Lehre,  die  Carlyle  selber  mit  aller  Energie  bestritt; 
Jeffrey  war  es  auch  gewesen,  der  den  Sartor  einst  mit  einer  Empfehlung 
dem  Verleger  Murray  zugesandt  hatte. 


»  N4  238. 

2  E4  157:  Hofrat  Huisgen. 


Beurteilungen  und  kurze  Auzeigen.  228 

Sartor  7.    The  famed  redoubtable  Oliver  Yorke. 

Im  Sartor  sind  die  Aufgaben  des  Oliver  Yorke,  eines  Pseudonyms 
für  den  Editor  des  Fräser  Magazine  (McMeclian  S.  284),  nicht  klar  be- 
grenzt. Er  wird  vom  'Editor'  im  zweiten  Kapitel  als  litterarischer  Beirat 
begrüfst,  so  wie  ihn  andere  englische  Zeitschriften  besafsen.  Am  Schlufs 
des  Buches  nimmt  diese  fragwürdige  Gestalt,  die  im  Verlauf  der  Erzählung 
niemals  vortritt,  noch  ausdrücklich  herzlichen  Abschied.  In  Carlyles 
Essays  taucht  Yorke  später  noch  einmal  auf.  Carlyle  hatte  1839  wegen 
einer  Stelle  in  seiner  französischen  Revolution  über  den  Untergang  des 
französischen  Kriegsschiffes  'Vengeur'  Augriffe  erfahren,  die  er  in  einem 
öffentlichen  Schreiben  'To  Oliver  Yorke  Esq.'  verwies:  ein  Zwiegespräch, 
das  der  Verfasser  mit  sich  selber  vor  den  Ohren  des  dritten,  des  Yorke 
und  des  Publikums,  abhält;  mit  Ausnahme  der  freundlichen  Anrede  'dear 
worthy  Yorke'  zu  Anfang  und  zum  Schlufs  ist  von  'Yorke'  selber  in  dem 
Aufsatz  nicht  weiter  die  Rede. 

Berlin.  zt-    .    .         ^i  *\  H.  Kraeger. 

(Fortsetzung  folgt.)  ° 

Rudyard  Kipling.  Vier  Erzählungen.  Für  den  Schulgebrauch 
ausgewählt  und  herausgegeben  von  Dr.  J.  ElHnger,  Professor 
an  der  K.  K.  Franz  Joseph  -  Realschule  in  Wien.  I.  Teil: 
Einleitung  und  Text.  11.  Teil:  Anmerkungen.  102  S.  8*^. 
Preis  beider  Teile  geb.  M.  1,20;  hierzu  ein  Wörterbuch,  55  S. 
M.  0,60.     Leipzig,  G.  Freytag,  1901. 

Nachdem  EUinger  vor  kurzem  in  derselben  Sammlung  durch  eine 
sorgfältige  Ausgabe  der  Schuljugend  R.  L.  Stevenson  zugängig  gemacht 
hat,  thut  er  dasselbe  in  dem  vorliegenden  Bändchen  mit  einem  anderen 
grolsen  englischen  Erzähler  der  jüngsten  Zeit.  Dafs  Kipling  dies  verdient, 
bedarf  keines  Wortes  des  Beweises;  und  dafs  es  nicht  schon  längst  ge- 
schehen ist,  liegt  wohl  zunächst  darin,  dafs  es  nicht  leicht  war,  die  Erlaubnis 
des  Verlegers  zu  bekommen,  sodann  aber,  dafs  nicht  jedermann  den  Schwierig- 
keiten des  Textes  gewachsen  ist.  Kiplings  Geschichten  spielen  ja  meist  im 
Wunderland  Indien,  und  die  Träger  der  Handlungen  sind  allerhand  merk- 
würdige Gesellen,  Soldaten,  Eingeborene,  Beamte.  Die  Soldaten  reden  in 
ihrem  englischen,  schottischen  und  irischen  slang;  die  Sprache  aller  vermischt 
sich  mit  indischen  Wörtern,  wie  das  die  Natur  der  Dinge  mit  sich  bringt. 
Den  Engländern,  von  denen  im  Staats-  und  Heeresdienst  immer  ein  gut 
Teil  sich  in  Indien  bewegt  hat,  hat  das  nichts  Fremdes,  und  wer  etwas 
nicht  versteht,  kann  sich  leicht  befragen,  uns  aber  bieten  Kiplings  indische 
Skizzen,  ebenso  wie  seine  Barrack-Room  Ballads,  viele  Rätsel.  Von  den 
hier  gewählten  Erzählungen  sind  die  zwei  ersten  aus  dem  für  Kinder  be- 
stimmten Wee  Willie  Winkle  and  Other  ("hild  Storics,  die  anderen  aus 
der  Sammlung  Many  Inventions  entnommen.  Die  letzte  von  der  See- 
schlange scheint  mir  zu  phantastisch  und  ist  nicht  recht  im  Tone  der 
drei    anderen,    welche  dem    Soldatenleben    angehören;    in    hohem    Mafse 


224  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

packend  ist  The  Drums  of  the  Fore  and  Aft,  aber  auch  die  zwei  anderen 
werden  unsere  Jungen  anziehen.  Die  Anmerkungen  sind  mit  der  Sorg- 
falt und  Sachkunde,  wie  man  sie  von  Ellinger  gewohnt  ist,  gearbeitet; 
ich  will  nur  einige  Bemerkungen  hinzufügen. 

Wee  Willie  Winkie  ist  unser  Sandmann,  der  den  Kindern  Sand  in 
die  Augen  streut,  d.  h.  sie  so  schläfrig  macht;  Winkie  ist  natürlich  von 
to  wink,  mit  den  Angen  blinzeln,  abgeleitet.    Der  Nursery  Rime,  auf  den 

angespielt  wird,  lautet: 

Wee  Willie  Winkie, 

Wee  Willie  Winkie, 

Runs  thiough  the  town, 

Upstairs  and  downstairs 

In  his  nightgown, 

Rapping  at  the  window, 

Crying  through  the  lock, 

'AU  the  children  in  their  beda? 

Past  eight  o'clock!' 

Little  six-year-olds,  der  Ausdruck  stammt  aus  der  Sprache  der  Pferde- 
züchter. Bei  the  immanly  weakness  of  kissing  hatte  erwähnt  werden  kön- 
nen, dafs  englische  Knaben  das  Küssen  und  Geküfstwerden  viel  mehr  als 
die  unseren  für  weibisch  anzusehen  gelehrt  werden,  wie  sich  auch  Männer 
drüben  niemals  küssen.  Miss  A.  struggled  clear  wird  nicht  jeder  verstehen ; 
'sie  arbeitete  sich  unter  dem  Pferde  hervor'. 

Die  Aussprache  von  been  mit  kurzem  i  ist  doch  nicht  ungebildet. 

S.  17  the  Pocket-Book  says  so.  Möglicherweise  ist  es  The  Soldier's  P.  B. 
for  Field  -  Service.  By  Lieut.-General  Garnet  Wolseley  (jetzt  Feldmar- 
schall  W.),  London,  McMillan  and  Co.,  1882.  please  God  =z  if  it  pl.  Ood 
mufs  wohl  erklärt  werden  (S.  14) ;  ebenso  das  level  in  a  nice  level  lot 
(S.  30);  the  water  stinks  fit  to  knock  you  down;  fit  to  im  slang  =  so  dafs; 
und  in  the  common  folk  are  a  dashed  sight  uglier  die  slang- Bedeutung 
von  sight  --  a  great  deal  (S.  31).  In  der  Anmerkung  zum  Blarney  Stone 
(S.  18)  wäre  besser  gesagt  worden :  'der  denjenigen,  welcher  ihn  köfst,  zum 
geschickten  Schmeichler  machen  soll',  statt  macht;  auch  würde  ich 
vorziehen :  die  Gabe  der  siegreichen  Überredung  verleiht.  Leicht  ist  es 
übrigens  nicht;  man  mufs  nämlich,  um  hinunter  zu  gelangen  und  den 
Kufs  anzubringen,  sich  an  den  Stiefeln  festhalten  lassen  und  sich  dann 
kopfüber  hinabsenken;  zwei  angeheiterte  Iren  aus  Cork  boten  mir  den 
Liebesdienst  an,  ihr  Zustand  war  aber  nicht  genügend  vertrauenerweckend; 
die  Stiefel  hätten  sie  vielleicht  gehalten,  ob  aber  auch  den  Eigentümer? 
Tlw  Lost  Tribes  (S.  23)  ist  eine  Anspielung  auf  die  verlorenen  Stämme 
Israels. 

Das  deutsche  Kommando  für  Right  about  face  ist:  Ganzes  Bataillon 
—  kehrt!  bally  entspricht  in  irischem  Munde  dem  englischen  bloody,  bloo- 
ming,  also  :=  verflucht.  Heliograph  (S.  50)  ist  meines  Wissens  auch  bei 
uns  die  amtliche  Bezeichnung  für  den  Sonnenblitztelegraphen.  You  face  tlie 
mtisie  (S.  78)  ist  amerikanisches  slang,  in  der  volleren  Form  ivake  up,  iioss, 
and  f.  tfie  m.;   =  dem  englischen  look  sharp,  go  ahead,  'nun  mal  ran  an 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  225 

die  Ramme',  wahrscheinlich  eine  Anspiehiug  an  die  Kavalleriepferde, 
welche  die  rauschende  Musik  ruhig  ertragen;  der  Engländer  braucht  hier 
mit  Absicht  amerikanische  Ausdrücke,  um  den  Kollegen  von  drüben  auf- 
zuziehen, wie  auch  das  bombastische  i-m/aliseii,  das  der  grandiloquent 
Yankee  für  das  einfache  to  see  so  gern  braucht,  zeigt.  Hei  Southampton 
würde  ich  noch  die  Aussprache  saiiphoemtdn  neben  soßoemtan  angegeben 
haben;  ich  habe  dort  einige  Zeit  gewohnt  und  weifs,  dafs  die  Gebildeten 
erstere  gebrauchten ;  Druckfehler  sind  apparüon  statt  apparition  (S.  8, 
Z.  10);  the  statt  theij  (S.  Gl,  Z.  11  v.  u.);  buümi-hay  statt  ba<j  (Anm.  S.  29, 
Z.  21);  ponnding  statt  bonnding  (S.  18,  letzte  Zeile);  thought  statt  though 
(Anm.  S.  94,  Z.  7  v.  u.);  hundredgweights  statt  hwidrediveights  (Anm.  S.  39, 
Z.  24);  Walker  statt  Walter  (Anm.  S.  79,  Z.  11).  laskar  habe  ich  in 
London  immer  mit  dem  Ton  auf  der  ersten  Silbe  gehört.  Dem  Ver- 
fasser der  Schulausgabe  gebührt  aufrichtiger  Dank.  Möge  er  uns  noch 
weiteres  von  Kipling  bescheren. 

Berlin.  G.  Krueger. 

Mark  Twain.  A  tramp  abroad.  Ausgewählte  Kapitel  für  den 
Schulgebrauch  herausgegeben  von  Dr.  Max  Mann.  I.  Teil: 
Einleitung  und  Text.  20  S.  II.  Teil:  Anmerkungen.  112  S. 
Preis  beider  Teile  geb.  M.  1,20.  Hierzu  ein  Wörterbuch. 
46  S.     M.  0,50.     Leipzig,  G.  Frey  tag,  1901. 

Kein  Einsichtiger  wird  tadeln,  dafs  man  anfängt,  auch  amerikanische 
Schriftsteller  in  den  Bereich  der  Schullektüre  zu  ziehen;  wir  können  uns 
nicht  selber  Scheuklappen  anlegen,  indem  wir  uns  auf  England  beschrän- 
ken. Trotz  aller  Verschiedenheit  des  Volkscharakters  und  der  politischen 
Interessen  sind  Engländer  und  Amerikaner  geistig  eine  Einheit;  dieselbe 
Sprache  schlingt  sich  als  Band  um  sie,  und  dieselbe  Litteratur  dient 
ihnen  als  geistige  Nahrung.  Schaut  man  sich  nun  um,  wer  von  ihren 
Leuten  verdient,  unserer  Jugend  bekannt  gemacht  zu  werden,  so  ist  Mark 
Twain  einer  der  ersten,  an  den  man  denkt.  Engherzig  wäre  es,  den 
Humor  überhaupt  aus  der  Schule  bannen  zu  wollen.  Dafs  Mark  Twain 
im  besonderen  ein  wirklicher  Humorist  ist,  werden  wenige  leugnen.  Frei- 
lich hat  man  ihm  Gehässigkeit  gegen  Deutschland  vorgeworfen.  Aus 
seinem  gutmütigen  Spott  dergleichen  herauszulesen,  dazu  gehört  krank- 
hafte Empfindlichkeit.  Wenn  er  z.  B.  die  Schwierigkeit  der  deutscheu 
Sprache  possenhaft  übertreibt,  so  spricht  aus  ihm  doch  nur  der  Schelm, 
der  seine  Leser  zum  Lachen  bringen  will,  und  das  wird  ein  Humorist 
wohl  dürfen. 

Die  vorliegende  Schulausgabe  von  *A  tramp  abroad'  konnte  natür- 
lich nur  ausgewählte  Kapitel  daraus  bringen :  es  sind  die,  welche  des 
'Helden'  Fahrten  durch  Süddeutschland,  den  Rhein,  Main  und  Neckar 
entlang,  behandeln;  vielleicht  hätte  der  Herausgeber  besser  gethan,  um 
mehr  Raum  zu  gewinnen,  einige  der  emgestreuten  Schnurren,  wie  die  von 
Baker's  Blue-Jay  Yarn,  The  Great  French  Duel   und  die  an   sich  schon 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CVIIl.  15 


226  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen, 

schwachen  'Legend  of  the  Spectacular  Ruin'  und  'The  Legend  of  Dils- 
berg  Castle',  wegzulassen;  aber  die  beiden  ersteren  sind  so  überwältigend 
komisch,  wenn  auch  im  echt  amerikanischen  Stil,  dafs  es  schade  darum 
gewesen  wäre.  Die  Erläuterungen  sind  recht  sorgfältig  und  lassen  kaum 
etwas  Schwieriges  unerklärt.  Nur  einige  Kleinigkeiten  mögen  erwähnt  sein. 
Ein  Cent  ist  nicht  =  0,4'2  M.,  was  wohl  nur  Druckfehler  ist,  sondern 
ungefähr  =  4,25.  Eine  interessante  Notiz  ist  die,  dafs  der  Frankfurter 
Römer  nach  dem  Besitzer  zweier  Grundstücke,  auf  denen  das  Frankfurter 
Rathaus  am  Anfang  des  15.  Jahrhunderts  errichtet  wurde,  benannt  ist. 

Frz.  allee,  engl,  alley  ist  nicht  mit  lat.  aula  verwandt,  cuss  für  curse 
ist  auch  englisches  slang. 

he  laid  into  his  work  übersetzen  wir  am  besten  mit  'er  legte  sich  ins 
Zeug'.  Noiv  I  gtcess  I've  got  tlie  bulge  on  you  hy  this  Hme  =  got  the  heiter 
of  you;  wie  mag  sich  diese  Redensart  des  amerikanischen  slang  erklären? 
Dafs  die  alte  humorlose  Eule  gerade  aus  Nova  Scotia  stammt,  dies  ist 
eine  besondere  Bosheit,  die  sich  vielleicht  weniger  gegen  die  Engländer, 
wie  Dr.  Mann  glaubt,  sondern  gegen  die  Schotten  richtet,  die  ja  auch  bei 
jenen  in  dem  Rufe  stehen,  that  they  cannot  see  a  joke.  S.  19  sjiricht  Mark- 
Twain  von  der  goldenen  Freiheit  des  deutschen  Studenten,  die  dieser  ge- 
niefst,  so  lange  er  kann,  'and  as  ü  cannot  last  for  ever,  he  makes  the  most 
of  it  while  it  does  last,  and  so  lays  iip  a  good  rest  against  the  day  that  niiist 
see  him  put  on  the  chains  once  more  etc.'  Man  vermutet,  dies  sei  gebildet 
aus  to  lay  up  treasure  und  to  störe  up  food  against  a  famine.  Näher  liegt 
doch  zu  denken  an  to  lay  up  a  penny  against  a  rainy  day.  We  tvent 
around,  auch  wir  sagen:  wir  gingen  rum  (wenn  man  Besuch  machen  willi. 
high-quarter  shoes  sind  Stiefel,  die  bis  zum  Knöchel  reichen,  im  Gegen- 
satz zu  den  low-quartered  shoes,  Stiefeln,  oder  besser  Schuhen,  die  den 
Strumpf  sehen  lassen;  boots  sind  in  Amerika  nur  Schaftstiefel. 

Bei  port  forefoot  ist  anzugeben,  dafs  po7-t  =  Backbord  ist.  My  long 
coreted  desire  ist  ein  recht  liederlicher  Ausdruck  Mark  Twains,  er  hätte 
cherished  schreiben  sollen.  Mit  der  Vermutung,  dafs  S.  80,  Z.  9  ruser 
verdruckt  ist  für  rouser,  hat  der  Herausgeber  zweifellos  recht.  In  Summa 
eine  recht  fleifsige  Arbeit. 

Berlin.  G.  Krueger. 

Oberstufe  zum  Lehrbuch  der  englischen  Sprache.  Von  Dr.  Oscar 
Thiergen,  Professor  am  Königl.  Kadettenkorps  zu  Dresden, 
Gekürzte  Ausgabe  C.  Bearbeitet  \'on  Professor  Dr.  Otto 
Schoepke,  Direktor  der  I.  Realschule  zu  Dresden,  Leipzig 
und  Berlin,  B.  G.  Teubner,  190L 

Die  vorliegende  Bearbeitung  C  von  Thiergens  Oberstufe  zum  Lehr- 
buch stellt  eine  Kürzung  und  Vereinfachung  der  ursprünglichen  Ausgabe 
dar.  Weggelassen  sind  einige  schwierigere  Übersctzungsstücke  und  Ge- 
dichte, die  durch  andere,  leichtere  ersetzt  wurden,  ferner  Abschnitt  V, 
Subjects  for  Composition.    Auch  der  grammatische  Stoff  ist  auf  das  Wich- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  227 

tigste  und  Notwendigste  beschränkt  worden.  Der  gebotene  Lese-  und 
Ubersetzuugsstoff  ist,  besonders  durch  die  Hinzufügung  zahlreicher  EinzeL- 
sätze,  so  überaus  reichhaltig,  dafs  der  Lehrer  sich  mit  einer  Au.swahl  be- 
gnügen müssen  wird,  was  den  Vorteil  hat,  dal's  in  den  verschiedenen 
Jahrgängen  eine  Abwechselung  eintreten  kann.  —  Ebenso  vielseitig  wie 
praktisch  verwendbar  sind  die  Conversation-Exercises,  z.  B.  The  Town, 
The  Country,  The  House,  Dressing,  The  Human  Body,  Weather.  Tra- 
velling,  School,  War,  Army,  Navy,  Industry,  Commerce,  Agriculture  u.a.m. 
Auch  die  zusammenhängenden  Übungsstücke  sind  wohl  geeignet,  den 
Schüler  mit  England  und  seinen  Bewohnern  in  charakteristischen  Zügen 
vertraut  zu  machen.  —  Der  Anhang  enthält  längere  Abschnitte  aus  Bulwers 
'Money'  und  Dickens'  'Oliver  Twist',  einige  zusammenhängende  deutsche 
Stücke  vermischten  Inhalts,  englische  Gedichte,  die  Vokabeln  zu  den  ein- 
zelnen Stücken,  elf  trefflich  ausgeführte  Ansichten  von  London,  sowie 
Pläne  und  Karten.  Auch  mit  Bezug  auf  gute  Ausstattung  und  korrekten 
Druck  schlielst  sich  das  Buch  den  anderen  Unterrichtswerken  von  Boerner- 
Thiergen  würdig  an. 

Berlin.  Albert  Herrmann. 

Gesenius- Regel,  Englische  Sprachlehre,  Ausgabe  B.  Unterstufe. 
2.  Auflage.  —  Oberstufe.    Halle  a.  S.,  Herrn.  Gesenius,  1901. 

Die  innerhalb  Jahresfrist  nötig  gewordene  zweite  Auflage  der  Unter- 
stufe unterscheidet  sich  von  der  im  Archiv  Bd.  CIV  S.  424  f.  besproche- 
nen ersten  Auflage  hauptsächlich  durch  einige  Verbesserungen  und  Kür- 
zungen in  der  Fassung  der  grammatischen  Regeln,  durch  Beseitigung  der 
meisten  Druckfehler  und  durch  Hinzufügung  einer  Karte  der  Britischen 
Inseln.  Sonst  sind  irgend  welche  gröfseren  Veränderungen  nicht  vor- 
genommen worden. 

Die  neuerschienene  Oberstufe  der  Ausgabe  B  enthält  trotz  der  gro- 
Isen  Knappheit  und  Kürze  kaum  wesentliche  Lücken,  sondern  bietet  alles 
Wichtige,  für  den  Schüler  Wissenswerte  in  klarer  und  verständlicher  Dar- 
stellung. Die  gegebenen  Lese-  und  Übersetzungsstücke  scheinen  im  ali- 
gemeinen recht  zweckentsprechend  und  sind  zum  Teil  von  einer  Englän- 
derin eigens  für  das  Lehrbuch  verfafst  worden,  wie  z.  B.  die  Schilderung 
einer  englischen  Landschaft,  des  englischen  Weihnachtsfestes  und  des 
Tennis-Spiels.  Zu  wünschen  wäre  vielleicht  gewesen,  dals  in  den  Lese- 
stücken die  englische  Geschichte  und  Geographie  etwas  mehr  zur  Geltung 
gekommen  wäre. 

Berhn.  Albert  Herrmann. 

Irrwege  in  Lesebüchern  für  Volksschulen.  In  Urteilen  Sachver- 
ständiger erläutert  und  gesammelt  von  Wilhelm  Flachsmann, 
Lehrer.     Zürich,  E.  Speidel,  1900.     M.  1,60. 

Als  Grundsätze,  die  für  ihn  bei  Abfassung  seines  Buches  mafsgebend 
waren,  stellt  der  Verfasser  die  folgenden  Forderungen  auf: 

15* 


228  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

1)  Allgemein  anerkannte  Regeln  von  Meistern  der  Erziehung  und  der 
Lekrkunst  sollen  in  der  Auswahl,  Anordnung  und  Bearbeitung  des  Lehr- 
stoffes gleichsam  verkörpert  sein. 

2)  Der  Lehrstoff  soll  nach  Inhalt  und  Form  den  Bedürfnissen  das 
Zöglings  entgegenkommen  und  im  Bereiche  der  Fassungskraft  der  Schüler 
liegen;  es  sind  nur  solche  Bildungsmittel  zu  wählen,  für  welche  im  Zög- 
ling auf  der  betreffenden  Entwickelungsstufe  auch  wirklich  genügende 
Anknüpfungspunkte  aus  seiner  bisherigen  Erfahrung  vorhanden  sind.  Er 
mufs  sie  mit  seinem  Erfahren,  Empfinden,  Denken  zu  durchdringen  ver- 
stehen. 

3)  Ein  gutes  Lesebuch  soll  wertvollen  Inhalt  in  musterhafter  Form 
bieten;  es  soll  dazu  beitragen,  dals  die  Reinheit,  Richtigkeit  und  Schön- 
heit unserer  Sprache  gefördert  wird.  In  Bezug  auf  die  Sprachform  müssen 
die  Bildungsstoffe  gewisse  Eigenarten  der  Volkssprache  berücksichtigen, 
da  ihre  'sinnliche  Kraft  und  lebendige  Anschaulichkeit'  dem  Erkenntnis- 
vermögen und  der  Sprechweise  des  Volksschülers  entspricht  und  die  nach- 
haltige Teilnahme  erweckt,  die  den  Erfolg  der  erziehlichen  Einwirkung 
wesentlich  sichert. 

An  der  Hand  der  in  den  Primarschulen  der  Schweizer  Kantone, 
namentlich  des  Kantons  Zürich,  gebrauchten  Lesebücher  weist  Flachs- 
mann durch  zahlreiche  Beispiele  nach,  wie  häufig  gegen  obige  Regeln  ge- 
sündigt worden  ist.  Seine  theoretischen  Ausführungen  bieten  zwar  kaum 
wesentlich  Neues,  zeugen  aber  von  einer  aufserordentlichen  Beleseuheit 
und  einem  eindringenden  Verständnis  für  die  Bedürfnisse  des  deutschen 
Unterrichtes  an  den  Elementarschulen.  Die  einzelnen  Kapitel  des  Buches 
(Gedanken  über  Auswahl  und  Anordnung  des  Lehrstoffes;  Soll  der  Schrift- 
steller verbessert  werden?  Gedanken  über  die  Bearbeitung  des  Lehrstoffes 
[sprachliche  Form];  Nicht  mit  Massen,  sondern  mit  Mafsen;  Ursachen 
solcher  Mifsgriffe  und  Folgen)  sind  interessant  und  anregend  auch  da, 
wo  man  mit  dem  Verf.  nicht  unbedingt  derselben  Ansicht  sein  kann. 

Berlin.  Albert  Herrmann. 

George  Sauds  Sprache  in  dem  Romaue  'Les  maitres  souneurs' 
von  Max  Born,  Dr.  phil.  (Berliner  Beiträge  zur  germ.  und 
rom.  Phil.  XXI.  Rom.  Abt.  Nr.  12.)  Berlin,  E.  Ehering, 
1901.     98  S. 

George  Sand  sagt  zwar  in  ihrem  Vorwort  zu  'La  Mare  au  Diable': 
'Je  n'ai  voulu  ni  faire  une  nouvelle  langue,  ni  mc  chercher  une  nouvclle 
maniere',  und  doch  mufste  sie  sich,  wie  ja  die  Welt,  aus  der  sie  die  Sujets 
zu  ihren  'romans  clmmpetres'  schöpfte,  eine  ganz  eigenartige  war,  als  echte 
Künstlerin  eine  ebenso  eigenartige  Sprache  bilden,  mit  der  sie  zwei  ent- 
gegengesetzten Forderungen  Genüge  zu  leisten  vermochte,  nämlich  einer- 
seits den  gebildeten  Ijcsern  verständlich  zu  bleiben,  andererseits  He  goüt 
de  terroir^  nicht  zu  verlieren  (vgl.  auch  G.  Sands  Vorreden  zu  anderen 
'ländlichen    Geschichten'    und    Borns   Vorwort   zu   seiner  Arbeit).     Auch 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  229 

deutsche  Dichter,  die  auf  mundartlichem  Boden  entstanden  sind,  ein  Hebel. 
ein  Jercmias  Gotthelf  (Bitzius),  ein  Gottfriod  Keller  u.  a.  ni.  haben  diesen 
Ausweg  finden  müssen  und  haben  ihn  gefunden  und  wahrlich  nicht  zum 
Schaden  der  Schriftsprache.  Und  so  ist  ilie  Annahme  gewil's  richtig,  dafs, 
wie  bei  civilisierteu  Völkern  in  socialer  Hinsicht  eine  Art  Kreislauf  statt- 
findet von  unten  nach  oben  und  in  geringerem  Mafse  von  oben  nach 
unten,  ein  ähnlicher  Vorgang,  nur  quantitativ  im  umgekehrten  Verhältnis, 
auch  bei  der  Sprache  sowohl  hinsichtlich  des  Wortschatzes  als  des  Sprach- 
gebrauchs konstatiert  werden  kann.  Es  raufs  hier  aber  noch  betont  werden, 
dafs  gerade  das,  was  das  Volk  zu  bieten  hat,  alter  guter  Besitz  ist,  der 
den  oberen  Regionen  abhanden  gekommen  ist.  Xatürlich  fällt  dabei  der 
sich  in  neueren  französischen  Romauen  so  sehr  geltend  machende  Einflufs 
des  Argot,  bei  dem  doch  meist  nur  der  Witz  und  das  Bestreben,  von  Un- 
berufenen nicht  verstanden  zu  werden,  eine  Rolle  spielen,  aufser  Betracht. 
Jene  sprachliche  Aufwärtsbewegung  wird  durch  vorurteilslose  und  wegen 
ihres  tiefen  Naturgefiihls  künstlerisch  hochstehende  Schriftsteller  ver- 
mittelt. Es  hat  nun  gcwifs  für  den  Sprachforscher  einen  grofsen  Reiz, 
eine  solche,  zum  Teil  noch  vor  unseren  Augen  sich  vollziehende  und  litte- 
rarisch fixierte  Sprachbeweguug  zu  verfolgen  und  sie  lexikalisch  und 
grammatikalisch  festzulegen.  Es  würde  eine  grofse  und  mühevolle  Arbeit 
sein,  dies  für  eine  gewisse  Zeitperiode  —  denn  einen  Abschlufs  findet  eine 
solche  Bewegung  ja  nie  —  auf  erschöpfende  Weise  zu  thun.  Deswegen 
ist  es  schon  sehr  zu  begrüfsen,  wenn  alle  oder  auch  nur  einzelne  hier  in 
Betracht  kommende  Werke  mafsgebender  Schriftsteller  unter  die  wissen- 
schaftliche Lupe  genommen  werden. 

George  Sands  Dorfgeschichten,  die  nicht  nur  inhaltlich  vortrefflich, 
sondern  gerade  sprachlich  in  oben  angedeuteter  Hinsicht  so  interessant 
sind,  haben  auch  bei  uns  mit  Recht  gi'ofse  Anerkennung  gefunden.  Lexiko- 
graphisch hat  sie  insbesondere  Sachs  in  seinem  'Encyklopädischeu  Wörter- 
buch' und  im  Supplement  dazu  berücksichtigt  und  auch  grammatikalisch 
in  seinen  Bearbeitungen  einiger  Romane  für  die  Weidmannsche  Sammlung 
(z.  B.  'La  petite  Fadette',  1877,  und  'La  Marc  au  Diablo',  1882,  die  mir 
vorliegen)  Tüchtiges  geleistet.  Den  syntaktischen  Eigentümlichkeiten,  aber 
ohne  Berücksichtigung  der  'Maitres  sonneurs',  hat  Caro  in  seiner  Berliner 
Dissertation  (1891)  nachgespürt,  und  nun  schenkt  uns  Born  eine  Special- 
studie, mit  der  er,  auf  allen  Vorarbeiten  aufbauend  und  sie  ergänzend 
und  korrigierend,  unter  der  Ägide  seines  Lehrers  Tobler  mit  peinlicher 
wissenschaftlicher  Genauigkeit  ein  abschlietsendes  Werk  geschaffen  hat. 
Wenn  auch  der  Verfasser  in  seiner  Abhandlung  in  erster  Linie  die  bis 
jetzt  ganz  vernachlässigten  wichtigen  'Maitres  sonneurs'  im  Auge  behält, 
so  zieht  er  doch  die  übrigen  Dorfromane  G.  Sands  imd  Werke  anderer 
Schriftsteller  (ich  habe  deren  2'J  gezählt,  darunter  A.  Daudet,  E.  de  Gou- 
court,  V.  Hugo,  rouvillon,  Theuriet)  zur  Vergleichung  heran.  Es  hat 
sicherlich  hinsichtlich  der  letzteren  Citate  einen  grofsen  Wert  für  die 
Kenntnis  der  Sprachentwickelung,  zu  .sehen,  wie  immer  mehr  dialek- 
tische   und    nicht    allgemein,    wenigstens    nicht    von    der    Academie    an- 


230  Beurteilungen  und  kurze- Anzeigen. 

erkannte  Wörter  sich  nach   und   nach  Bürgerrecht  in  der  Schriftsprache 
erringen. 

Man  mufs  es  dem  Verfasser  als  einen  guten  Gedanken  anrechnen, 
wenn  er  in  seinem  Wörterverzeichnis  nur  ergänzend  zu  Sachs  auftreten 
will,  indem  er  nur  solche  Wörter  berücksichtigt,  'die  von  Sachs  überhaupt 
nicht  angeführt  worden  sind  oder  die  dort  Bedeutungen  aufweisen,  die 
für  unsere  in  Betracht  kommende  Stelle  nicht  ausreichen'.  Er  hat  durch 
dieses  Vorgehen  die  Arbeit  nicht  sich,  sondern  nur  anderen  erleichtert; 
überhaupt  ist  der  Fleifs,  mit  dem  er  nach  dem  Vorkommen  einzelner 
Wörter  sowohl  in  Texten  als  in  den  mafsgebendsten  Lexiken  forschte, 
wortmter  ihm  neben  Sachs  insbesondere  Jaubert,  Glossaire  du  Centre 
de  la  France,  die  besten  Dienste  leistete,  der  höchsten  Anerkennung 
würdig.  Es  ist  mir  während  der  genauen  Prüfung  des  Buches  der  (viel- 
leicht unberechtigte)  Zweifel  aufgestiegen,  ob  der  Verfasser  recht  daran 
gethan  hat,  einerseits  auf  die  vergleichende  Etymologie,  andererseits  auf 
die  sprachpsychologische  Erklärung  der  Entstehung  gewisser  Wörter  voll- 
ständig zu  verzichten.  Es  scheint  mir,  er  hätte  durch  Berücksichtigung 
dieser  Forderungen  seiner  etwas  nüchtern  gehaltenen  Arbeit  nicht  nur  . 
mehr  Interesse,  sondern  auch  gröfsere  Tiefe  verliehen.  Wohl  ist  es  richtig, 
dafs.  jn  der  Beschränkung  sich  oft  der  Meister  zeigt,  aber  gerade  bei 
dialektischen  Wörtern,  die  der  eigentlichen  Schriftsprache  abhanden  ge- 
kommen, ist  ein  Ausblick  auf  verwandte  Sprachen  und  Mundarten  sehr 
lohnend.  Ich  bin  nur  den  Anklängen  an  die  italienische  Schriftsprache 
und  an  den  lombardischen  Dialekt  nachgegangen. 

Adonc,  also  =  adunqiie;  baller,  vgl.  als  v.  a.  ballare;  bataille,  singolar 
baftaglia,  Zweikampf  (Rigutini  e  Fanfani);  bouffer,  blasen,  im  Sinne  von 
spielen,  lomb.  buffä;  courtil,  vgl.  cortile.  Verfasser  übersetzt:  die  (ein 
Gärtchen  einschliefsendeu)  Gehöfte  (?);  es  sind  wahrscheinlich  die  den 
Hofraum  umgebenden  Gebäude  gemeint,  vielleicht  kurzweg  'Hof  (vgl. 
span.  eortijo,  Bauerngut):  übrigens  sind  in  N. -Italien  oft  auch  die  Um- 
fassungsmauern eines  Meierhofs  mit  Ziegeln  bedeckt  (vgl.  das  Beispiel). 
Deliberement,  mit  Überlegung,  u,  s.  w.,  deliberatamente ;  faire  fete  ä  q.  ^ 
far  festa  a  q.,  vgl.  De  Amicis,  Cuore;  galeton,  Art  Kuchen,  Fladen;  das 
gebräuchlichere  galette  auch  ins  Italienische  übergegangen:  galetta,  galletta, 
biscotto  di  mare  tondo  e  schiacciato;  mäles,  maschi;  s'en  retourner,  tornar- 
senei  sonner,  v.  a.  sonare.  Eine  ähnliche  Bedeutungsentwickelung  wie 
von  maison:  chatnbre  ä  feu  principale  servant  de  cuisine  et  oii  se  tienf 
la  faniille,  Jaub.,  kenne  ich  aus  dem  Südtessin,  wo  in  einem  gröfseren 
Gebäudekomplex  die  'm  granda'  der  Teil  mit  der  gröfseren  'Wohnküche' 
war;  vgl.  auch  G.  Banfi,  Voc.  mil.-ital.  cd,  la  casa,  la  cucina;  der  Feuer- 
herd bildet  eben  das  Merkmal  des  Wohnraums.  Eine  ähnliche  Individua- 
lisierung des  Begriffs  wie  marmaüle  und  Canaille  (vgl.  auch,  jmnesse)  weist 
letzteres  im  Livinerthale  auf,  aber  ohne  schlimme  Bedeutung:  canaja  für 
bambina  (la  bella  canaja !)  (E.  Osenbrüggen,  Der  Gotthard  und  das  Tessin, 
Jßasel  1877,  S.  77,  meint  für  fanciulla). 

Hinsichtlich  des  Wörterverzeichnisses  möchte  ich  mir  noch  einige  Be- 


|{eurteiluiigen  und  kurze  Anzeigen.  231 

.merkungen  erlauben.  Es  wäre  vielleicht  am  Platze  gewesen,  wenn  der 
Verfasser  mit  einem  einleitenden  oder  aUschliefsenden  Worte  auf  einige 
volkstümliche  Eigentümlichkeiten  der  Wortbildung,  sowohl  den  Endungen 
als  dem  Sinne  nach,  aufmerksam  gemacht  hätte.  Ich  verweise  nur  auf 
die  vielen  Adjektive  und  Substantive  auf  euuc  (oft  für  eur)  und  oux  :  affi- 
netise,  s.,  amiteux  und  amitieux,  barmex  (St?,  bare^ix),  bilcheux,  s.,  divetsieux, 
epoiiseux,  s.,  feiideiix,  s.,  gdteux,  gremjnoux,  musiqueux.  noceiix,  s.,  querelleux, 
rechigneux,  sonncux  (Ss.  sotineur),  {rioloneur,  Ss.  violoneux,  Jaub.  riolotineux, 
violeux),  wozu  wir  noch  in  'La  petite  Fadette'  und  'La  Mare  au  Diable': 
.affrouteux,  huteiix,  traversietix,  cendroux  (für  cendreux)  finden ;  ferner  auf 
die  Substantive  auf  ance  {encr),  age,  r?^ :  corporenre,  demeurance,  dontance, 
emerreülatice,  entrauie,  fiance,  sc)?tblance,  anderwärts  noch  accointance, 
accoutumance,  oubliance,  retirance,  soiirenance  (auch  bei  Chateaubr.);  cor- 
nenmsagc,  fbUage;  fUUeric,  ?7itisiqHerie,  rcmflerie,  sonnerie.  Es  mag  dem 
einen  oder  anderen  der  letztgenannten  Wörter  (etwa  cornemusage,  mtisi- 
querie,  ronfUrie)  eine  scherzhafte,  witzige  oder  auch  verächtliche  Neben- 
bedeutung anhängen.  In  dieser  Hinsicht  wird  ein  Wörterbuch  nie  auf 
absolute  Vollständigkeit  Anspruch  machen  können.  Übersetzt  man  dem- 
nach z.  P>.  eavalerie  mit  'Herde,  Schar  (von  Maultieren)',  so  wird  man  dem 
sicherlich  im  Worte  liegenden  Scherze  kaum  gerecht. 

Was  vielen  Wörterbüchern  mit  Recht  vorgeworfen  werden  kann,  ist, 
<lafs  sich  die  Verfasser  oft  mit  L^mschreibungen  begnügen,  statt  auf  einen 
prägnanten  deckenden  Ausdruck  zu  sinnen.  Sachs  bedeutet  auch  in  dieser 
Hinsicht  einen  wichtigen  Fortschritt,  insbesondere  für  die  technische 
Sprache;  doch  ist  mir  der  deutsch-französische  Teil  oft  weniger  gründlich 
vorgekommen.  Ich  habe  für  die  Übersetzungen  nur  w^enige  Änderungen 
vorzuschlagen;  ob  gerade  alle  Verbesserungen  sind,  lasse  ich  dahingestellt: 
Carrcment.  Ist  dieses  Wort  nicht  sinnverwandt  mit  reprise,  Wiederholung, 
Wiederholung.-^zeichen?  (Vgl.  das  Beispiel.)  Mit 'Zurückbeugen  des  Ober- 
körpers' ist  hier  doch  nichts  anzufangen  (freilich  se  carrer  in  diesem  Sinne 
24U).  Jaub.  hat  zu  carrer  auch:  r.  n.  ckanger  de  place  avee  sa  danseuse, 
ä  la  bonrree;  carrcment  kann  also  Platzwechsel  mit  neuer  Tanzfigur  be- 
deuten, sei  es,  dafs  durch  den  Platzwechsel  der  Paare  ein  quadratisches 
Bild  entsteht,  oder  dafs  die  Paare  sich  kreuzen  oder  auch,  dafs  der  Wechsel 
mit  fester,  zurückgeworfener  Körperhaltung  stattfindet.  Carroir,  einfach 
'Kreuzweg'.  Chene  blanc,  Weifseiche (?).  Es  giebt  eine  quercus  alba,  L.; 
da  diese  aber  als  amerikanischer  Baum  hier  nicht  in  Betracht  kommt,  so 
wird  wohl  q.  pubescens,  W.,  die  weichhaarige  E.,  eine  Abart  der  Stein- 
eiche, die  unterseits  weifsgraufilzige,  in  der  Jugend  weifsfilzige  Blätter  hat, 
gemeint  sein  (vgl.  Leunis,  Synopsis  II,  §  606).  Für  deraciner,  in  die  Höhe 
heben,  habe  ich  schon  den  dem  Franziisischen  entsprechenden  Kunstaus- 
druck 'ausheben'  gelesen.  Doutance,  neben  Vermutung  auch:  Ahnung, 
Vorstellung.  Galoche,  Schneeballen,  der  sich  an  den  Schuhen  festsetzt; 
dafür  wird  oft  'Schneestollen'  gesagt.  Orand'bete,  statt  'phantastisches 
Tier' vielleicht  besser:  gespenstiges  Tier.  Lune  blanche  w'wd  genauer  einen 
'mondförmigen'  weifsen  Fleck  bedeuten.    Meuriot:  das  richtige  Wort  dafür 


232  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

ist  Mutech,  Muttich,  Muttig,  s.  Schweiz.  Idiotikon  und  sogar  Duden, 
Vollst,  orth.  Wörterbuch,  1895  (vgl.  magot).  Paten,  2.  Bezeichnung  einer 
bei  der  'ceremonie  du  chou^  mitwirkenden  Persönlichkeit:  einfach  'Heide' 
als  Gegensatz  zum  'tugendhaften'  Christen,  wie  chretien  den  zum  Tiere 
bildet  (vgl.  'Les  Maitres  s.',  S.  143;  auch  im  Ital. :  7nangerebbe  bestie  e 
cristiani,  R.  e  F.).  Pilon,  Vorrichtung  an  einer  Rattenfalle,  bestehend  aus 
einem  schweren,  auf  die  Ratte  herabfallenden  Gegenstand;  etwa  Fall-keil, 
-bolzen  {prendre  au  pilon,  einfach  'in  der  Falle  fangen').  Pm-ter  la  parole 
(von  Hunden)  wäre  eig.  anbellen  (in  feindl.  Absicht) ;  dann  erst:  anbinden 
(mit  jm.).  Retintement,  besser  Nachklang  als  Anklang,  dann  Anwandlung. 
Rondine  und  routine,  beide  'Art  von  Gesang,  Lied',  könnten  doch  wohl 
durch  Ableitung  von  ronde  und  route  specialisiert  werden.  Sciton,  grofse 
Säge  mit  zwei  Griffen;  kürzer:  Baum-  oder  Waldsäge.  Sillon,  eher 
Furchenrücken.  Se  tourner,  umeinander  herumgehen;  unmöglich,  da  die 
Ringer  sich  gepackt  hatten,  daher  eher:  sich  im  Kreise  drehen.  Trancher 
(vgl.  couper),  gehen,  ziehen,  hat  doch  immer  die  Grundbedeutung  'den 
kürzeren  Weg  nehmen,  einen  Richtweg  einschlagen'.  D'en  sus,  einfach  'ober'. 
Von  Einzelheiten,  die  ich  mir  noch  notiert  habe,  möchte  ich  folgende , 
anführen :  Arche,  Backtrog,  hat  auch  L.  Etym.  Berry,  arche,  huche.  Aviser, 
V.  n.  3,  vgl.  G.  S.,  Le  Diable  aux  Champs,  p.  68:  avisons  ä  travers  cette 
boheme  honorable  en  braves  enfants  etc.,  suchen  wir  durchzukommen,  treffen 
wir  unsere  Mafsregeln  um  durchzukommen.  Balai  für  Ginster,  Pfriem- 
kraut, ist  schlechthin  eine  Metonymie.  Metaphorisch  ist  auch  der  Ge- 
brauch von  grondeur  in  Ha  riviere  est  grondeuse'.  Zu  chose  vgl.  chouse, 
Jaub.  (man  darf  die  bösen  Geister  nicht  nennen!).  Cercler,  kreisförmig 
begrenzen  (rings  umgeben,  einfassen):  vgl.  L^on  A.  Daudet,  La  Flamme 
et  l'Ombre,  Paris  1897,  p.  11:  ces  poteaux  singuliers,  les  pali,  cercles  de 
Couleurs  criardes;  p.  204:  les  yeux,  cercles  de  bandes  sombres,  etc.  Carcotte, 
,caerotte,  s.  H.  Schuchardt,  Rom.  Etym.  II,  Wien  1899,  S.  32  (Sitzungs- 
berichte der  k.  Akad.  der  Wissenschaften,  phil.-hist.  Kl.,  III).  Zu  embrunir 
vgl.  auch  L.  in  den  Beispielen  (unter  Hist.).  Endormi  im  Sinne  von 
'matt,  müde',  kommt  z.  B.  auch  bei  P.  et  V.  Margueritte,  Le  Desastre, 
p.  13,  vor:  L'Empereur  le  regardait  venir  avec  un  bon  sourire  endormi. 
Garfon,  Sohn,  begegnet  sich  mit  dem  alemannischen  'Bueb'.  ^e  gausser 
de  qc:  s.  auch  Semaine  litt^raire,  1901,  p.  322,  Sp.  1:  se  gausser  du  parier 
suisse  ou  beige;  a.  a.  O.  1901,  p.  227,  Sp.  1,  auch  ohne  Objekt.  Gibier 
(de  bourreau,  de  potence),  L.  3,  wird  fig.  schon  individualisiert.  Zu  gri- 
sonner:  man  sagt  sonst  nicht  nur:  le  jour  blanchit,  sondern  auch:  le  jour 
blemit,  vgl.  Le  Desastre,  p.  215.  Jeaume  =  jannee,  vgl.  Jaub.  Dormir  ä 
pkins  yeux,  fest  schlafen  ;  der  Ausdruck  ist  anderen  ähnlichen  nachgebildet 
{ä  pleine  bauche,  ä  pleine  main,  ä  pleine  gorge,  etc.)  und  wird  sicherlich 
als  Steigerung  empfunden,  vgl.  blutjung  nach  blutrot. 

In  das  Wörterverzeichnis  hätten  noch  einige  andere  Ausdrücke  Auf- 
nahme verdient:  Oagner  de  hon  jeu,  'L.  M.  s.',  S.  311,  ehrlich  gewinnen, 
Embraiser  (les  sabots),  30,  nicht  (nur)  'Kohlenglut  in  etw.  hineinthun',  Ss. 
Suppl.,  sondern  'heifse  Asche'  (um  die  Holzschuhe  zu  erwärmen,  bezw.  zu 


Bourtcilungen  und  kurze  Anzeigen.  238 

trocknen).  Jaub.  Enventer,  oO,  für  inventer  (vgl.  enjurer),  auf  den  Ge- 
danken verfallen.  De  fine  forcc,  77.  Ss.  hat  nur  a  ßne  force\  Font, 
58,  für  fontainc,  Jaub.  Franchise,  177,  \g[.  fainiess,  Ehrlichkeit,  Unpartei- 
lichkeit. Malice,  279,  Schlauheit,  List,  (schlaue)  Gewandtheit,  Pfiffigkeit. 
Ne  pas  prendre  nn  jour,  11,  keinen  Tag  alt  werden,  jung  bleiben. 

Es  hätte  sich  vielleicht  behufs  Kürzung  des  Textes  empfohlen,  für 
einige  immer  wiederkehrende  Ausdrücke:  'So  nirgends  angegeben,'  an- 
geführt von'  u.  a.  m.  konventionelle  Zeichen  zu  schaffen. 

Als  Ergebnis  seiner  syntaktischen  Untersuchungen  stellt  der  Verfasser 
fest,  'dafs  die  Syntax  des  Dialektes  im  Berry  zu  Anfang  dieses  Jahrhun- 
derts auf  dem  Standpunkte  derjenigen  des  17.  Jahrhunderts  verharrt  ist,' 
wobei  er  sich  namentlich  auf  Haase,  Franz.  Syntax  des  17.  Jahrhunderts, 
1888,  stützt.  Zuerst  giebt  er  eine  Übersicht  über  die  Substantive,  die  hin- 
sichtlich des  Gebrauchs,  meist  in  gewisser  eigenartiger  Bedeutung,  in 
Genus  und  Numerus  von  der  gewöhnlichen  modernen  Schriftsprache  ab- 
weichen. Wichtig  ist  die  Fähigkeit  der  Volkssprache,  analog  dem  Italie- 
nischen, in  ausgedehnterem   Mafse   Infinitive  substantivieren  zxi  können. 

Adjektiv:  Rmle  und  dur  werden  mit  travailler  sehr  häufig  als  Adverbien 
gebraucht,  vgl.  tr.  rüde,  Combe,  Pauvre  IMarcel;  tr.  dur,  Gazier,  Nouveau 
Dict.  class.  ill.,  Paris  1888.  —  Das  alte  fol  für  fou  steht  als  Prädikat 
S.  243. 

Persönliches  Pronomen:  Die  moderne  Sprache  bietet  viele  Beispiele, 
in  denen  der  Objektssatz,  auch  wenn  er  mit  dem  regierenden  Satze  syn- 
taktisch verbunden  ist,  in  letzterem  durch  'Ze'  eingeleitet  wird,  vgl.  u.  a. 
Schmidt,  Syntakt.  u.  stillst.  Beiträge  zum  modernen  franz.  Sprachgebrauch, 
Dresden  u.  Leipzig,  1901,  S.  20.  Dieser  Verfasser  macht  aber  mit  Recht 
auf  das  fast  allgemein  zwischen  diesen  Sätzen  stehende  Komma  aufmerk- 
sam, das  gleichsam  die  innige  Verbindung  aufhebt.  —  Die  häufige  Setzung 
des  pers.  Pronomens  vor  den  2.  Imperativ,  z.  B.  donnex-moi  fa  et  m' ecoutex, 
88,  hätte  eine  Erwähnung  verdient. 

Relativpronomen:  Es  finden  sich  auch  sonst  viele  Belege  für  den 
Gebrauch  von  quoi  mit  einer  Präposition  statt  lequel.  ({eruzez,  Nouveaux 
Essais  d'hist.  litt.,  Paris  181Ü,  p.  2(iG,  schreibt:  La  distraction  etant  poiir 
Lafontaine  un  moyen  d' independance,  ä  l'aide  de  qiioi  il  pouvait  se  livrer 
ä  ses  heures,  etc.  Schmidt  (a.  a.  O.  S.  27)  citiert  viele  Beispiele  aus  der 
Revue  de  Paris,  1894.  —  In  dem  Satze:  //  lui  manquait  toujours  qtielque 
chose  apres  quoi  eile  soupirait  en  secret  (S.  t>l)  ist  die  Anwendung  von 
quoi  begreiflich,  da  quelque  c/iose  hier  unbestimmtes  Pronomen  und  gleich- 
sam neutral  gebraucht  ist  (vgl.  Dz.  III-  352).  Hinsichtlich  der  S.  63  f. 
berührten  Verwechselung  von  Subjekt  und  Objekt  (bei  il  reste,  il  fut  dit, 
auch  falloir)  kann  ich  nicht  umhin,  auf  den  analogen  (iobrauch  \on  plaire 
hinzuweisen:  Xous  louoyis  cc  qni  nous plait,  aber  (mit  etwas  verschiedenem 
Sinne  von  plaire):  Faites  ce  qd'il  vous  plaira.  Musset  sagt  zwar  (Les 
Caprices  de  Mar.  II,  3):  Menagex-moi  ce  qui  vous  platt,  und  an  einer 
anderen  Stelle:  ce  qui  vous  plaira. 

Artikel  (S.  liü) :   Man  sagt  doch  noch :  de  menie  espece,  Ss.,  de  mime 


234  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

fa<;x>n,  de  meme  tnaniere.  Der  Ausdruck  se  donner  meme  licence  (s.  das 
Beispiel  daselbst)  mag  auch  durch  die  Unterdrückung  des  Artikels  vor 
mit  Verben  verbundenen  Substantiven  beeinflul'st  sein.  Auf  die  Darstel- 
lung dieser  Verbindungen  hat  der  Verfasser  grofse  Sorgfalt  verwandt 
(S.  66—71)  und  die  von  Tobler  (V.  B.  II  15)  gestellte  Forderung  erfüllt, 
die  bezüglichen  Beispiele  ihrem  Sinne  gemäfs  in  drei  Klassen  (Weglassung 
1)  des  bestimmten,  2)  des  unbestimmten  und  3)  des  sog.  Teilungsartikels) 
zu  sondern.  Es  ist  hier  aber  von  vornherein  darauf  aufmerksam  zu 
machen,  dafs  sich  verschiedene  grammatische  Einflüsse  kreuzen  können, 
wie  dies  der  Verfasser  auch  ausdrücklich  anerkennt  (Vorkommen  eines 
Adj.  oder  eines  Adj.  mit  davorstehendem  si  vor  dem  Substantiv,  Ausfall 
des  partitiven  de  nach  einem  Füllwort  der  Verneinung,  vgl.  S.  70,  71  u. 
73).  Ich  weifs  nicht,  ob  Born  für  seine  Listen  Anspruch  auf  Vollständig- 
keit erhebt;  ich  habe  wenigstens  noch  einige  Verbindungen  in  dem  von 
ihm  behandelten  Romane  gefunden,  die  er  unerwähnt  gelassen  und  die 
weder  in  Sachs  noch  in  Heller,  De  la  suppression  de  l'article  devant  les 
substantifs  joints  aux  verbes,  1856,  zu  finden  sind.  Zu  1)  gehören:  Bruler 
compagnie,  p.  48;  donner  sotivenir  ou  attente,  211;  quitter  pays  et  famille,- 
333;  reprendre  (courage  et)  sante,  110;  zu  2):  Ävoir  pays  (de  plaine  seche), 
122;  il  y  a  danse,  198;  ü  y  a  maniere,  296;  comprendre  langage  de  chretien, 
126;  faire  promenade  et  conversation,  142;  gotiverner  double  nichee,  391; 
ne  jurer  ni  comploter  mort  d'Jwmme,  197;  porter  bonne  estime,  134;  ne  pas 
rencontrer  signe  de  monde,  191;  reporter  bonne  part,  217;  trouver  bonne 
table,  70 ;  sans  voir  ante  chretienne,  66 ;  zu  3) :  Ne  pas  avoir  grand  bien,  224 ; 
il  n'y  a  pas  grand'police,  206;  avoir  bonne  volonte,  343;  donner  fm'ce  (et 
confiance),  364;  donner  grands  ressorts,  229;  faire  estime,  253,  Ss.,  aber 
nicht  H.,  faire  (honneur  et)  reverence,  135;  recevoir  grands  compli?nents, 
151 ;  signifier  bormes  nouvelles,  103. 

Alis  meinen  Notizen  kann  ich  zur  Vervollständigung  der  Aufzählung 
noch  hinzufügen,  zu  1):  Demander  aide  et  protection,  G.  Bruno;  perdre 
espoir  (H.  esperance);  zu  2):  Attirer  grand  nombre;  ne  pas  avoir  grande 
reeonnaissance ;  il  y  a  fort  avantage  (vgl.  Born,  avoir  avantage);  il  y  a  con- 
traste;  il  y  a  grand  nombre;  laisser  trace;  voir  bon  nombre,  Nisard;  zu  3): 
W avoir  eure,  Ac,  Ss.,  nicht  H.;  avoir  grand  temps  {bon  temps,  Ss.  u.  H.); 
il  y  a  generosite  rraie;  lancer  invectives  et  menaces;  ne  point  opposer  menaces 
ä  menaces,  Nis.;  ne  pas  rester  trace. 

Das  Auslassen  des  sog.  Teilungsartikels  (S.  72)  wird  in  einem  an- 
geführten Beispiele  doch  sicherlich  diurch  jamais  {sijamais  gros  seigneurs  etc. ), 
in  einem  anderen  {il  nie  fit  grandes  amities)  durch  die  innige  Verbindung 
des  Objekts  mit  dem  Verb  beeinflufst  (vgl.  faiie  amitie  mit  verschiedener 
•Bedeutung). 

;.!  -  Nach  den  Füllwörtern  der  Verneinung  wird  auch  in  der  modernen 
Sprache  das  partitive  de  vor  autre  in  der  Regel  ausgelassen  (s.  2.  Beispiel 
S.  73):  Le  duc  ne  vous  a  rien  dit  autre  chose,  A.  Dumas;  dont  il  ne  nous 
reste  rien  autre,  Vapereau,  Dict.  univ,  des  Litt;,  Priscien;  personne  autre, 
Zola  (vgl.  Heller  S.  25);  dagegen  Beispiele  mit  de  a.  Schmidt,  a.  a.  O.  S.  32. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  235 

Die  Fassung  der  Regeln  zu  den  Interrogativa  (S.  75)  läfst  etwas 
mehr  Genauigkeit  zu  wünschen  übrig.  Erstens  schlieft  'dieses'  {n'importe 
quel,  qui)  schon  'das  dazu  gehörige  Interrogativpronomen'  ein,  und  dann 
ist  Je  ne  sais  quel  nicht  Subjekt,  sondern  Attribut  zum  Subjekt.  Die  ge- 
nannten Wortkomplexe  ersetzen  nur  unbestimmte  Fürwörter. 

Hilfsverba:  In  dem  Beispiele  (S.  77):  Un  petit  enfant  va  toujours 
vhercitant  la  nialproprete  (vgl.  ital.  andar  cercando  =  engl.  lasting  tense) 
scheint  mir  aller  doch  nicht  nur  'bedeutungslose?  HQlfsverbura'  zu  sein. 

Es  herrscht  in  Bezug  auf  die  Verbindung  eines  Infinitivs  mit  dem 
vorhergehenden  Verbum  eine  nicht  unbedeutende,  den  grammatikalischen 
Vorschriften  widersprechende  Freiheit  (vgl.  auch  Schmidt,  S.  17  ff.)  Zur 
Regel,  nach  repondre  sei  der  Infinitiv  nie  gestattet  statt  eines  Satzes  mit 
qtie,  sagt  Borel,  Gr.  frany.i*,  p.  321,  im  Gegensatz  zu  Haase  (§  87,  Anm.  2) 
und  andern:  Eerire  et  repondre  se  construiseni  de  la  meme  moniere, 
d.  h.  wie  dire.  Die  Bemerkung  zu  jurer  ist  nicht  ganz  richtig  gefafst;  es 
sollte  heifsen :  Obschon  es  in  folgenden  Sätzen  eine  feierliche  Aussage, 
kein  Versprechen  enthält,  also  mehr  'beteuern,  versichern'  bedeutet,  folgt 
doch  der  Infinitiv  mit  de.  —  IMit  aller  d-  se  perdre  (S.  82)  vgl.  ital.  andare 
a  perdersi  für  andar  perdendosi.  —  Ss.  hat  doch  schon  'se  gener  peu  pour.. .', 
wo  die  Folge  eines  Infinitivs  nicht  ausgeschlossen  ist  (s.  S.  83). 

Der  Verfasser  hätte  auch  noch  auf  die  häufige  Anwendung  deS  Part, 
prös.  als  prädikativen  Adjektivs,  oft  statt  eines  Verbum  fiuitum  (etre  con- 
sentant,  drt.  Ss.,  etre  foisonnant,  etre  chagrinant,  etre  endurant,  rendre 
7neritani),  und  auf  das  Part,  passe  als  Subjekt  {Cela  dit  devant  Joset  Va 
heaucoiip  secoue,  110)  aufmerksam  machen  dürfen. 

Von  den  (S.  83 — 80)  als  veraltet  erklärten,  im  Dialekt  des  Berry  noch 
gebräuchlichen  Konjunktionen  hat  Schmidt  (a.  a.  O.  S.  48  f.)  devant  que 
aus  den  R.  d.  P.  und  der  R.  d.  d.  M.  belegt;  auch  d'abord  que  begegnet 
noch  hie  und  da  in  der  Schriftsprache.  Statt  der  Inversion  findet  man 
in  unserem  Romane  in  Schalt-  und  nachgestellten  Sätzen  auch  die  Kon- 
junktion que:  que  je  Im  repondis,  10,  ferner  20  und  59. 

Adverbia  der  Negation:  Die  häufige  Anwendung  der  Füllwörter  der 
Verneinung  goutfe  und  mie  (S.  8tJ  f.)  deutet  wieder  auf  südliche  Idiome 
hin  (vgl.  lomb.  nagott,  minga,  letzteres  ohne  die  eig.  Negation  gebraucht, 
tosk.  non  —  inica\.  —  Ss.  verzeichnet  in  seinem  Wörterbuch  nicht  alle 
volkstümlichen  durch  mal  negierten  Adjektive,  z.  B.  malchretien,  malpatient, 
malutilc  (vgl.  aber  seine  Ausgabe  von  'Fadette'  S.  28,  Anm.  17 1. 

Adverbia  anderer  Art:  Die  Acad.  und  nach  ihr  Nodier  erklären  i>ite- 
ment  (S.  89j  für  'familier\  —  Über  ä  tout  le  lyioins  (S.  00)  s.  auch  Ss. 
und  L.  —  Da  taut  im  absoluten  Sinne  vor  einem  Adjektiv,  an  die  Spitze 
des  Satzes  gestellt  {tant  ü  est  difficile,  s.  Ac,  L.,  Ss.),  noch  geläufig  ist,  so 
sollte  das  2.  Alinea  bei  diesem  Worte  iS.  90)  etwas  genauer  gefafst  sein. 
Vgl.   auch  das  ital.  tanto.  —  Mit  courir  desstts  ^S.  02)  vgl.  tomber  dcssus. 

S.  93  ist  vergessen  worden,  das  neue  Kapitel  über  die  Präpositionen 
durch  Überschrift  vom  Vorhergehenden  zu  trennen.  Zu  par  (S.  94)  ist 
zu  bemerken,  dals  sich  dessen  erweiterter  Gebrauch  zam  Teil  an  den  ge- 


236  ßeurteiluugeu  und  kurze  Anzeigen. 

wohnlichen  (L.  13)  in  parfois,  par  moments  (auch  in  der  Schriftsprache 
noch  pur  deux  fois)  anlehnt.  —  Bei  ä  hat  der  Verfasser  es  nicht  für 
nötig  erachtet,  den  so  häufig  vorkommenden  possessiven  Dativ  statt  des 
Genitivs,  z.  B.  le  grand-pere  ä  Brulette,  6,  zu  betonen  (vgl.  L.  ä,  29).  — 
Für  das  den  Ausgangspunkt  angebende  de  statt  des  jetzt  üblichen  depuis 
oder  des  giebt  Mätzner,  Gr.i  §  136,  2,  Beispiele  aus  V.  Hugo  und  Dumas; 
auch  findet  man  in  modernen  Schriftstellern  nicht  wenig  Sätze,  in  denen 
beim  Passiv  de  und  par  miteinander  vertauscht  werden  ivgl.  Schmidt, 
S.  41  f.;  schon  Mätzner,  §  13ti,  3,  •;).  In  Bezug  auf  die  Anwendung  von 
de  statt  avec  halte  ich  dafür,  dafs  sich  der  sog.  Genitiv  der  Art  und  Weise 
noch  mehr  erhalten  hat  als  der  des  Mittels  und  Werkzeugs,  vgl.  Mätzner, 
§  136,  3,  y  und  4;  L.  unter  de  8,  Haase,  a.  a.  O.  §§  114  und  115. 

Als  allgemeine  Bemerkung  möchte  ich  beifügen,  dafs  es  für  das  sichere 
Lesen  von  Vorteil  gewesen  wäre,  die  im  deutschen  Texte  befindlichen 
französischen  Wörter  durch  Kursivschrift  auszuzeichnen. 

Druckfehler  habe  ich  14  gefunden,  die  sich  aber  meist  leicht  verbessern 
lassen;  ich  führe  nur  folgende  an:  S.  10,  Z.  10  v.  o.  lies  Calmann  statt 
Calman;  S.  54,  Z.  4  v.  o.  1.  intermittente  st.  intermettente;  S.  75,  Z.  16  v.  o. 
setze  hinter  un  ein  Komma  und  S.  94,  Z.  4  v.  u.  1.  statt  des  sinnstörenden 
'blich'  üblich. 

Von  der  tüchtigen,  zum  Nachdenken  anregenden  Arbeit  nehme  ich 
mit  dem  berechtigten  Wunsche  Abschied,  sie  möge  bei  den  Fachgenossen 
die  verdiente  Beachtung  finden. 

Konstanz.  Hermann  Bern!. 

Alfred  de  Musset.  I.  Teil:  Dichtungen.  Deutsch  von  Martin  Hahn. 
Berlin-Goslar-Leipzig,  F.  A.  Lattmann.     XXVII,  360  S. 

Der  Musset  -  Litteratur  erwächst  aus  diesem  Buche  schwerlich  ein 
Gewinn.  Die  Auswahl,  die  aus  den  beiden  Bänden  der  'Poesies'  —  un- 
passend scheidet  sie  das  Titelblatt  gewissermafsen  als  eigentliche  'Dich- 
tungen' von  allen  übrigen  —  hier  dargeboten  wird,  ist  quantitativ  reicher 
als  die  vor  zwei  Jahrzehnten  von  Otto  Baisch  veröffentlichte,  steht  ihr 
aber  an  Qualität  schon  dadurch  nicht  unwesentlich  nach,  dafs  'A  la  Mali- 
bran'  und  'Souvenir'  fehlen.  Von  dem,  was  man  der  Baischischen  Samm- 
lung gegenüber  als  neu  bezeichnen  mufs,  ist  vielleicht  am  besten  die  tJl>er- 
tragung  von  —  'Sur  trois  marches  de  marbre  rose'  geraten,  die  sich  glatt 
liest  und  Ton  und  Stil  des  Originals  leidlich  trifft.  Auch  'Mimi  Pinson' 
spricht  an,  obwohl  einige  Pointen  verloren  gegangen  ^'md  und  das  'Hüt- 
lein (bonnet)  der  M.  P.'  einen  gar  sonderlichen  Refrain  abgiebt.  Im 
ganzen  geschickt  kann  ferner  die  'Antwort  an  Ch.  Nodier'  genannt  werden, 
zumal  da  die  schwierige  Strophenform  des  Originals  beibehalten  wurde. 
Allerdings  ist  hier  die  Übersetzung  nicht  von  jener  Treue,  wie  sie  das 
Vorwort  verhelfst.  Dieser  Fessel,  deren  Schwere  Hahn  übrigens  sehr  zu 
unterschätzen  scheint,  hat  er  sich  auch  anderwärts  —  nicht  zum  Nachteil 
seiner  Leistungen  —  entledigt:  in  der  'Lettre  ä  Lamartine',  von  der  dies- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  237 

mal  nicht  blofs  die  berühmte  Schlulsstelle  'Cr^ature  d'un  jour'  vorliegt, 
ist  solche  Freiheit  schon  äufserlich  an  den  starken  Kürzungen  zu  erkennen. 
Trotzdem  stöfst  man  hier  und  da  auf  ausgefallene  oder  steifleinene  Wen- 
dungen, auf  undeutsche  Satzkoniitruklioncn  und  gar  manches  Mal  auf  ein 
'Reim  dich  oder  ich  frefs  dich'.  Etwas  üppig  aber  schielst  das  alles  ins 
Kraut  bei  einigen  gröfsereu  strophischen  Gedichten,  in  denen  ein  möglichst 
enges  Verhältnis  zum  Original  angestrebt  ist.  Hahn  geht  da  so  weit,  dafs 
er  den  Alexandriner  l)eibehält.  Braucht  dieser  Vers  —  entsprechend  modi- 
fiziert —  der  deutschen  Poetik  auch  nicht  als  schlechthin  unverwendbar 
zu  gelten,  so  erfordert  er  doch,  um  in  längerer  Folge  erträglich  zu  bleiben, 
eine  sehr  vorsichtige  und  geschickte  Handhabung  —  sonst  weckt  schon 
der  blofse  Tonfall  die  schönheitsfeindliche  Erinnerung  an  eine  der  uner- 
freulichsten Phasen  unseres  Schrifttums.  Bei  den  Alexandrinern  Hahns 
ist  das  der  Fall,  und  da  mitunter  noch  eine  höchst  schwülstige  Diktion 
hinzukommt,  so  weht  es  einen  vollends  an,  wie  ein  Hauch  von  Lohenstein 
und  Hofmanuswaldau  —  man  höre  folgende  Stelle  aus  einer  sonst  ziem- 
lich flotten  Übersetzung  von  'A  la  Mi-Careme' :  'Wer  aber  könnte  dich 
mit  deiner  würd'gen  Leyern,  Wer  deine  Harmonie  und  auserles'ne  Gunst, 
. . .  feiern  ?  . . .  Wo  sind  die  Sel'gen  heut,  wert,  sich  mit  heifser  Brunst 
An  deiuini  Busen  noch,  du  Hehre,  zu  befeuern?  Auf  des  Kithäron  Höh'n, 
bei  bacchischen  (Jesängen,  Da  bot  des  Kadmos  Blut  mit  aufgelöstem  Haar 
Den  tanzbeachwingten  Leib  [welch  fürchterliches  Bild!]  nackt  vor  den 
Göttern  dar  — '  ('Mais  qui  saura  chanter  tes  pas  pleins  d'harmonie,  Et  tes 
secrets  divins,  du  vulgaire  ignorc's,  . . .  Oü  sont,  de  notre  temps,  les 
buveurs  d'ambroisie  Dignes  de  s'^tourdir  dans  tes  bras  adords?  Quand, 
sur  le  Cith^ron,  la  Bacchanale  antique  Des  filles  de  Cadmus  dcnouait 
les  cheveux,  On  laissait  la  beaute  danser  devant  les  dieux;  . . .').  In  'Apres 
une  Lecture'  stöfst  der  Übersetzer  formell  schon  viel  häufiger  an,  und 
ebenso  macht  ihm  der  Inhalt  Schwierigkeiten,  weniger  an  den  polemisch- 
satirischen Stellen  als  in  der  rein  lyrischen  Mittelpartie,  während  Hahn 
andererseits  doch  auch  gerade  beim  Gegenständlichsten,  wie  z.  B.  in  der 
Schlufsapostrophe  an  Leopardi,  der  beziehungsreichen  und  dennoch  so 
knappen,  oft  nur  durch  Epitheta  wirkenden  Ausdrucksweise  Mussets  sehr 
viel  schuldig  l)leibt.  Gerade  das  sind  Mängel,  unter  denen  naturgcmäfs 
auch  die  Übertragung  von  'Une  bonne  fortune'  sehr  leidet,  die  nach  einem 
nicht  übel  geratenen  Anfang  in  der  zweiten  Hälfte  immer  mehr  abfällt, 
so  dafs  der  garstige  Titel  'Ein  Glück  durch  Frauengunst'  bei  weitem  nicht 
das  Schlimmste  ist.  Im  einzelnen  nämlich  zeigt  sich  hier,  wie  allenthalben 
bei  Hahn  —  mit  besonders  verhängnisvollen  Folgen  für  Sonette  und 
sonstige  Werke  poetischer  Kleinkunst  — ,  eine  Mifsachtung  der  einfachsten 
und  offenkundigsten  Intentionen  Mussets,  dafs  man  füglich  daran  zweifeln 
mufs,  ob  der  Übersetzer  ihrer  im  Original  überhaupt  inne  geworden  ist. 
Gegenüberstellungen,  Anaphern  und  andere  Effekte  ähnlicher  Art  werden 
fast  nie  beibehalten,  Haupt-  und  Nebensätze  ohne  Rücksicht  auf  den  Sinn 
miteinander  vertauscht,  die  Tempora  oft  nur  nach  den  Erfordernissen  des 
Reimes  und  des  Metrums   gewählt.     Die  anschauliche  Klarheit   der  Vor- 


^8  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Stellungen  ist  meistens  getrübt,  zumal  da  sich,  namentlich  in  eroticis,  eine 
bei  Musset  doppelt  leidige  Zimperlichkeit  bemerkbar  macht,  und  die  viel- 
gepriesenen Vergleiche  des  Dichters  sind  häufig  geradezu  ausgemerzt,  selbst 
solche  von  homerischer  Breite  nur  entstellt  wiedergegeben.  Besonders 
schwer  werden  dadurch  drei  der  gröfseren  Jugendwerke  geschädigt,  die 
Hahn  uns  darbietet:  'Don  Paez,'  'Portia'  und  'A  quoi  revent  les  jeunes 
filles'.  Hier  liegt  auch  eine  Erklärung  —  nicht  Entschuldigung  —  für 
das  stete  Verwischen  und  Verstümmeln  nahe:  der  Übersetzer  hat  es  als 
Pflicht  betrachtet,  obwohl  er  bei  diesen  Dichtungen  beinahe  durchweg 
fünffüfsige  Jamben  anwendet  —  also,  um  es  kurz  zu  sagen,  die  Mussetsche 
Substanz  in  engere  Form  giefst  — ,  die  Verszahl  des  Französischen  genau 
festzuhalten.  Hat  diese  Laune  bei  dem  dramatischen  Werk,  dessen  Über- 
tragung auch  sonst  die  brauchbarste  von  den  dreien  ist,  immerhin  den 
Sinn,  die  Verteilung  von  Rede  und  Gegenrede  unter  die  einzelnen  Per- 
soiren  zu  wahren,  so  dünkt  sie  uns  bei  den  zwei  anderen  jeder  Berech- 
tigung bar.  Aber  auf  den  wundesten  Punkt  fast  aller  Hahnschen  Arbeiten 
kann  man  den  Finger  legen,  ohne  überhaupt  das  Original  zu  Rate  zu 
ziehen :  denn  nicht  unter  dessen  Einflufs,  sondern  lediglich  aus  Maugel- 
an  Sprachgefühl  und  Geschmack  dem  eigenen  Idiom  gegenüber  kommt 
stellenweise  —  und  zwar  recht  häufig  —  ein  Deutsch  zu  stände,  das  nicht 
den  Eindruck  des  Künstlerischen,  Inspirierten,  sondern  des  Gezwungenen 
und  Erquälten  macht  und  deshalb  trotz  mancher  guten  Stücke  wenigstens 
in  dem  feiner  empfindenden  Leser  nie  einen  wirklichen  Genufs  an  dem 
Buche  aufkommen  lälst.  Die  seltsame  Vorliebe  für  Relativsätze,  nament- 
lich wenn  sie  dem  Beziehungswort  vorangestellt  sind,  sei  allein  unter 
mehreren  immer  wiederkehrenden  Verirrungen  hier  herausgegriffen,  und 
folgende  starke  Probe  davon  diene  als  einziges  Beispiel  für  zahlreiche  Un- 
geheuerlichkeiten der  verschiedensten  Art:  'Der  dort  auf  mich  hernieder- 
glänzt und  Dich,  Oft  sah  der  Mond,  die  sich  dem  Meer  vereinte,  Die  Flut 
der  Zähren,  die  ich  einsam  weinte.'  ('L'astre  mysterieux  qui  sur  nos  tetos 
brille  Voyait  seul  quelquefois  tomber  mes  pleurs  amers  Au  sein  des  flots 
Sans  borne  et  des  profondes  mers;  ...').  (Aus  'Portia'.)  So  bleibt  denn 
für  die  hier  nicht  einzeln  erwähnten  Übertragungen  die  bündigste  und  — 
mildeste  Kritik  die,  dafs  sie  uns  überflüssig  scheinen,  da  sie  —  von  den 
Freiligrathschen  Perlen  ganz  zu  schweigen  —  Baisch  bereits  unendlich 
viel  besser  gelungen  sind.  Ganz  besonders  gilt  das  vom  'Rolla',  der  nach 
Hahns  Vorwort  'bisher  allen,  auch  den  grausamsten  Verdeutschungs- 
versuchen, siegreich  widerstanden  hat'.  Sollte  damit  auch  Baisch  gemeint 
sein  —  dessen  Werk  übrigens  Hahn  offenbar  gekannt  hat,  obwohl  er 
seinen  Namen  nirgends  nennt  — ,  so  mufs  doch  gesagt  werden,  dafs  er 
nicht  'grausam'  genug  gewesen  ist,  um,  wie  Hahn,  etwa  ein  Fünftel  des 
Ganzen  einfach  wegzuschneiden,  in  der  Meinung,  diese  und  jene  Eigen- 
tümlichkeiten des  Gedichtes  könnten  'es.  wörtlich  übersetzt,  im  Deut- 
schen unverständlich  erscheinen  lassen'.  Eine  teils  biographische,  teils 
litterarhistorische  und  kritische  Einleitung,  mittelmäfsig  geschrieben,  nicht 
frei  von  Ungenauigkeiten,  und   im  Urteil  schief  oder  wenig  selbständig. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  ^9 

ist  nicht  geeignet,  den  Wert  der  Puhlikation,  bei  der  man  auch  Gediegen- 
heit der  äufsenui  Ausstattung  und  peinliche  Sorgfalt  des  Druckes  ver- 
mifst,  zu  erhöhen. 

Frankfurt  a.  M.  M.  Werner. 

Jules    Pirson,    I..U    hmgue    des    inscriptions    latines   de    la    Gaule. 
Bruxelles,  Soci^t^'  beige  de  librairie,  1901.    XVI,  328  S.  8. 

Wenn  das  unter  vorstehendem  Titel  erschienene  Buch  unsere  Kenntnis 
der  darin  behandelten  Dinge  nicht  gerade  wesentlich  erweitert  oder  ver- 
tieft, so  ist  das  keinesfalls  durch  Unzulänglichkeit  des  auf  die  Arbeit  ver- 
wendeten Fleifses,  auch  nicht  durch  Manjrcl  an  Urteil  oder  Vorbereitung 
verschuldet.  Nach  all  diesen  Seiten  hin  wird  jeder  gern  dem  Verfasser 
Anerkennung  zollen:  die  Inschriften  selbst  und  die  ihnen  gewidmeten 
Schriften  sind  sorgfältig  durchgearbeitet;  mit  den  Arbeiten  von  Lexiko- 
graphen und  von  Grammatikern,  die  dem  Lateinischen  gelten,  ist  der  Ver- 
fasser wohl  vertraut,  etwas  weniger  vielleicht  mit  denen  der  Romanisten, 
obgleich  er  auch  hier  sich  eifrig  umgethan  hat.  Lautverhältnisse,  Formen- 
stand, Wortbildung,  Syntax,  Wortschatz  und  Wortgebrauch,  sogar  der 
Stil,  alles  wird  gebührend  und  in  guter  Ordnung  behandelt,  und  die  Er- 
gebnisse sind  zum  Schlüsse  auch  noch  einmal  in  Kürze  zusammengefafst. 
Es  scheint  eben  in  der  That,  es  sei  über  die  schon  lange  festgestellten 
Thatsachen  weit  hinauszugelangen  nicht  möglich,  die  Inschriften  erlauben 
kaum  Schlüsse  auf  provinziale  Verschiedenheiten  innerhalb  der  vulgaren 
Latinität;  und  danach  vorlangte  uns  doch  zumeist.  Was  als  syntaktische 
Neuerung  erscheinen  könnte,  läfst  um  der  verworrenen  Laut-  und  Formen- 
verhältnisse willen  manchmal  verschiedene  Auffassung  zu,  ganz  abgesehen 
davon,  dafs  oft  auch  der  Sinn,  der  in  der  Inschrift  liegen  soll,  nicht  sicher 
genug  feststeht,  um  eine  zweifellose  Auffassung  der  Ausdrucksformeu  zu 
ermöglichen.  Immerhin  leistet  das  Buch  mit  seinen  reichlichen  Bestäti- 
gungen von  früher  Beobachtetem,  seinen  gewissenhaften  Lirteraturnach- 
weisen  dankenswerte  Dienste.  Es  seien  z.  B.  die  weiblichen  Eigennamen 
auf  -aiie  erwähnt,  auf  welche  man  gern  die  afz.  Feminina  auf  -ain  zurück- 
führt, wenn  man  diese  von  den  männlichen  Tcrsonennamen  auf  -on  zu 
trennen  sich  entschliefst;  ferner  die  freilich  nicht  zjdilrcichen  DimLuutiva 
auf  -itta.  Beachtenswert  sind  auch  Herrn  Pirsons  Zusammenstellungen 
lexikalischer  Besonderheiten.  Ein  paar  irrige  Aufstellungen,  übrigens  von 
geringem  Belang,  seien  hier  noch  berichtigt:  das  Sul)stantiv  vianoie  'Vliefs'. 
das  Godefroy  unl)esehen  aus  Carpentier  (Du  Gange)  herübergenommen 
hat,  ist  nie  gewesen ;  hätte  er,  wie  er  gethan  zu  hal)en  sich  den  Schein 
giebt,  die  citierte  Urkunde  selbst  gesehen,  so  hätte  er  ganz  gewifs  viatirre 
darin  gefunden.  —  Inwiefern  afz.  a7ie  eher  für  anitem  als  für  anaient 
zeugen  soll,  ist  nicht  erkennbar;  auch  (Jröber,  auf  dessen  'Substrate' 
Herr  Pirson  S.  28  verweist,  ist  mir  an  der  l)eigezogenen  Stelle  nicht  recht 
verständlich.  Behrens  (Metath.  65)  hält  für  nötig,  eine  Form  *atina  für 
anita  anzunehmen,  und  man  sieht  leicht  warum.  —   S.  52  wird  afz.  pree- 


240  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

chier  als  eines  der  Verba  hingestellt,  bei  denen  das  t  ausgefallen  wäre, 
bevor  ein  Wandel  des  c  in  ^r  sich  einstellte  {amuissement  ist  hierfür  ein 
ungeeigneter  Name).     Was  wäre  unter  solchen  Umständen  das  zweite  e? 

—  bouquetin  ist  doch  nicht  mit  Suff,  -imis  gebildet,  wie  S.  225  gesagt  ist. 

—  Dafs  nieto,  nieta  italienisch  seien,  durfte  Körting  nicht  nachgesprochen 
werden.  —  vas  'Grab'  ist  eher  als  provenzalisch  denn  als  altfranzösisch 
(S.  264)  zu  bezeichnen,  wenn  es  sich  gleich  afz.  findet.  Die  richtige  fran- 
zösische Form  res  trifft  man  im  Roman  de  Thfebes.  —  deservit  .  . .  corporis 
usum  (S.  268)  würde  allerdings  für  deservire  eine  seltsame  Bedeutung  er- 
schliefsen  lassen.    Es  ist  aber  sicher  zu  lesen  deseruit,  von  deserere. 

Berlin.  Adolf  Tobler. 

Wilhelm    Oettinger,   Das  Komische   bei  Moli^re.     Inaugural-Dis- 
sertation.     Strafsburg,  J.  H.  Ed.  Heitz,  1901.     72  S.  8, 

Cest  une  etrange  entreprise  que  Celle  de  faire  rire  les  fionnetes  gens,^ 
ruft  Molifere  an  einer  berühmten  Stelle  der  'Critique  de  l'Ecole  des  femmes' 
aus,  wo  er  den  Wert  des  Lustspiels  gegen  die  einseitige  Schätzung  der 
Tragödie  verteidigt  (Sc.  6).  Ein  'eigenartiges  Unternehmen'  ist  es  auch, 
in  die  Werkstatt  seines  Schaffens  einzudringen  und  aus  der  Nähe  zu  be- 
obachten, mit  welchen  Mitteln  er  die  Hörer  zum  Lachen  bringt.  Die 
heitere  Wirkung  eines  Wortes,  eines  Auftrittes,  eines  Stückes  kann  zwar 
jeder  an  sich  und  anderen  feststellen,  der  die  Fähigkeit  und  den  guten 
Willen  mitbringt,  de  se  laisser  prendre  aux  choses,  et  de  n'avoir  ni  pre- 
vention  avengle,  ni  complaisance  affectee,  ni  delicatesse  ridicule,  wie  es  der 
Dichter  verlangt  und  voraussetzt  (Sc.  5);  aber  diese  Wirkung  zu  analy- 
sieren, ihr  Eintreten  zu  erklären,  ist  oft  schwer  genug.  Will  man  voll- 
ends seine  Komik  nicht  als  einzelne  Erscheinung,  sondern  im  Zusammen- 
hang der  Litteratur  sehen  und  mit  der  anderer  Schriftsteller  vergleichen, 
80  wird  die  Aufgabe  noch  verwickelter.  Und  doch  ist  ihre  Lösung  zu 
einem  vollständigen  und  tieferen  Verständnis  des  grofsen  Franzosen  un- 
bedingt nötig.  Sie  ist  nur  eine  von  den  vielen,  die  sein  Leben  und  seine 
Kunst  uns  stellen,  und  sie  durfte  eine  Zeitlang  hinter  manchen,  die  zu- 
nächst dringender  erschienen,  zurückgesetzt  werden,  aber  auf  die  Dauer 
wird  sich  vielleicht  keine  wichtiger  und  fruchtbarer  erweisen.  Oettinger 
hat  sich  daher  ein  Verdienst  erworben,  indem  er  sie  systematisch  in  An- 
griff nahm. 

In  der  Einleitung  seiner  Strafsburger  Promotionsschrift  klagt  er  zu- 
nächst über  das  Fehlen  ausreichender  Vorarbeiten.  Hierbei  übersieht  er 
die  Aufsätze  von  L.  Vivier,^  die  freilich  ebenso  zum  Widerspruch  wie  zum 

'  Die  Erwiderung  des  Spafsmachers  Clitidas  auf  eine  geringschätzige  Be- 
merkung des  Astrologen  in  den  'Amants  niagnifiqncs'  (I  2)  lautet  ganz  ähnlieli : 
II  est  bieii  plus  Jacile  de  tromper  les  gens  [wie  sein  Gegner  thut]  que  de  les 
faire  rire. 

*  Le  Molicriste,  Jahrg.  VIII,  Okt.  1886  bis  März  1887.  Schneegans  verweist 
wiederholt  auf  diese  Arbeit,  die  wohl  einige  Berücksichtigung  verdient  hätte,  wenn 
sie  auch   von  anderen  Gesichtspunkten  ausgeht. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  241 

Nachdenken  anregen;  auch  die  Zahl  der  brauchbaren  Bemerkungen,  z.  B. 
über  Molieres  Charakterkomik,  welche  man  in  Litteraturge^chichten,  Bio- 
graphien und  Monographien  zerstreut  findet,'  ist  viel  gröfser,  als  er  es  zu- 
giebt.-  Eingehender  bespricht  er  nur  einen  interessanten  Artikel  von 
H.  Schneegans,'  der  bei  unserem  Dichter  ein  Naiv  -  Komisches  in  den 
Possen  und  Intriguenstücken  und  ein  Satirisch-Komisches  in  den  Sitten- 
und  Charakterlustspielen  unterscheidet  und  sodann  für  die  Satire  die 
Frage  nach  dem  Vorhandensein  grotesker  Elemente  aufwirft  und  bis  auf 
geringe  Ausnahmen  verneint.  Gegenüber  dem  ästhetischen  Standpunkt, 
den  der  bekannte  Gelehrte  bei  diesen  Erörterungen  einnimmt,  betont  er 
das  Recht  der  'historischen  Beurteilung'.  Ihre  Grundzüge  formuliert  er 
aber  eigentümlich :  'es  handelt  sich  um  den  P>weis  eines  Fortschritts  des 
komischen  Dramas  mit  Moliere  über  seine  Vorgänger  und  des  Zurück- 
bleibens der  Nachfolger  hinter  Moli&re'  (S.  6).  Die  erste  Forderung  wird 
man  zugestehen,  die  zweite  ganz  gewifs  nicht;  denn  mit  ihr  wird  die  Be- 
deutung des  Mannes  von  der  Bedeutungslosigkeit  der  Späteren  abhängig 
gemacht,  jeder  Erfolg,  den  sie,  zum  Teil  noch  mit  den  von  ihm  geerbten 
Waffen,  erfochten  haben,  als  Niederlage  für  ihn  selbst  betrachtet  und  in 
letzter  I^inie  das  Kunstideal  der  Gegenwart,  welches  keineswegs  auch 
das  der  Zukunft  zu  werden  braucht,  als  Mafsstab  an  ihn  angelegt.  An- 
dererseits werden  die  Umstände,  unter  denen  er  gewirkt  hat,  die  An- 
sprüche, die  seine  Zeitgenossen  an  ihn  gestellt  haben,  gar  nicht  berück- 
sichtigt. 

Um  für  seine  eigenen  Auseinandersetzungen  einen  festen  Ausgangs- 
punkt zu  gewinnen,  versucht  der  Verfasser  hierauf,  den  Begriff  des 
Komischen  zu  bestimmen.  Er  läfst  eine  lange  Reihe  von  Theorien  vor- 
überziehen und  entwickelt  geschickt  die  ihnen  gemeinsamen  Gedanken. 
Zum  Schlüsse  entscheidet  er  sich  für  die  Definition  von  E.  Elster,''  'das 
Komische  sei  eine  aus  zwei  Elementen  zusammengesetzte  Erscheinung, 
von  denen  das  eine  unrechtmäfsigerweise  einen  Wert  zu  besitzen  bean- 
spruche, der  durch  den  Widerspruch  des  anderen  zerstört  und  aufgelöst 
werde'  (I  323),  und  erklärt  mit  ihm  die  Wirkung  des  Komischen  dahin, 
dafs  'es  durch  Aufdeckung  des  Kontrastes  zwischen  nichtigen  Ansprüchen 
des  Widersinnigen  einerseits  und  des  Vernünftigen  andererseits  unser 
Gemüt  von   Spannung    befreit   und   zu  einer  plötzlich  hervorbrechenden 


*  Mau  denke  unter  anderem  an  die  endlosen  Erörterungen  über  den  Haupt- 
cliarakter  des  'Misantbrope':  wer  sich  mit  ihm  beschäftigen  mufste,  hat  meistens 
auch  die  Frage  beantwortet,  inwiefern  Alceste  eine  komische  Figur  genannt  werden 
dürfe,  und  damit  doch  auch  einen  Beitrag  zu  unserem  Thema  geliefert. 

^  Auch  die  posthum  erschienenen  Vorträge  von  J.-J.  Weiss  (Molifere,  Paris 
1900)  enthalten  über  die  komischen  Charaktere  manches  Tretfende.  Das  Buch 
ist  wohl  zu  abfällig  von  Mahrenholtz  beurteilt  worden  (Zeitschr.  f.  frz.  Spr.  u. 
Litt.   XXllI   2,  S.  126). 

'  Es  hätte  gesagt  werden  sollen,  dafs  der  Artikel  in  den  'Beiträgen  zur  roman. 
Philol.  Festgabe  für  G.  Gröber',  S.  267  ff.,  erschienen  ist.  Da  weder  Titel  noch 
Sammelband  augegeben  sind,  wird  mancher  Leser  lange  suchen. 

^  Principien  der  Litteraturwissenschaft.  Bd.   T,   Ilalle   1897. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CVIIL  1(J 


242  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Aufserung  der  Lust  und  zu  scherzhaft-harmloser  Weltbetrachtung  anregt' 
(I  326).  Auch  die  Einteilung  in  eine  objektive  Komik,  die  entweder  aus 
den  Situationen  oder  aus  den  Charakteren  fliefst,  und  eine  subjektive,  die 
sich  als  Witz  oder  als  Humor  äufsert,  entlehnt  er  dem  genannten  Litterar- 
historiker.  In  dem  System  vermifst  er  eine  verschiedene  Bewertung  des 
Komischen.  Die  Annahme  einer  höheren  und  einer  niederen  Stufe,  für 
die  er  eintritt,  empfiehlt  sich  allerdings;  doch  mufs  man  sich  nicht  ein- 
bilden, dafs  die  Situationskomik  im  Vergleich  mit  der  Charakterkomik 
notwendig  das  untergeordnete  Genre  sei.  Oettinger  geht  aber  noch  weiter 
und  lehnt  fast  sämtliche  Stücke,  bei  denen  sie  nach  seiner  Meinung  über- 
wiegt, mehr  oder  minder  schroff  ab.  War  schon  sein  historischer  Stand- 
punkt ungünstig  für  die  Beurteilung  der  litterarischeu  Stellung  des 
Dichters,  so  hindert  ihn  die  Einseitigkeit  seines  ästhetischen  Glaubens- 
bekenntnisses am  unbefangenen  Genufs  so  mancher  von  dessen  lustigsteu 
Schöpfungen. 

Unter  diesen  Verhältnissen  kommen  die  Intriguenkomödien  der  ersten 
Zeit  schlecht  weg.  Blofs  die  'Ecole  des  maris"  und  die  'Ecole  des 
femmes',^  von  denen  man  die  zweite  nur  halb  und  auch  jene  nicht  mehr- 
ganz  hierhin  rechnen  kann,  finden  Gnade  vor  seinen  Augen,  weil  sie  den 
Vorzug  überzeugender  Charakteristik  und,  hätte  er  hinzufügen  können, 
eines  tieferen  Gedankengehaltes  haben.  Die  Handlung  selbst  sei  bei  ihnen 
beiden  wie  überhaupt  bei  allen  schwach,  und  der  schlecht  geschürzte  Knoten 
werde  zuletzt  gewaltsam  zerhauen.  Diese  Mängel  würden  nicht  völlig 
durch  den  Versuch  psychologischer  Gestaltung  der  Figuren  ausgeglichen, 
den  man  früh  bei  Molifere  beobachte,  aber  auch  bereits  bei  mehreren  seiner 
Vorgänger  nachzuweisen  vermöge.  Das  Urteil  ist  scharf,  wird  aber  im 
einzelnen  begründet.  Dabei  fallen  manche  hübsche  Bemerkungen  ab;^  ich 
glaube  jedoch,  dafs  er  dem  'Etourdi'''  nicht  gerecht  wird,  und  dafs  der 


'  Es  ist  nicht  richtig,  dafs  Sganarelle  iu  dem  Stücke  'noch  fast  lediglich  der 
gehänselte  Alte'  sei  (S.  18).    Er  ist  vielmehr  schon  eine  ausgeprägte  Persönlichkeit. 

*  'Die  Komik  des  Lustspiels,'  sagt  er  S.  20,  'beruht  auf  den  lächerlichen 
Situationen,  in  die  Arnolphe  infolge  seiner  selbstsüchtigen  Absichten  gerät.'  In 
der  Hauptsache  gewifs ;  aber  die  Lage  des  ahnungslosen  Horace  ist  doch  auch  ein 
wichtiges  Element  der  Komik  des  Stückes.  Es  ist  eben  schwer,  das  Ganze  auf 
eine  Formel  zu  bringen.  —  Bei  der  Analyse  wird  der  jugendliche  Liebhaber  ein 
paarmal  Valfere  genannt  und  die  Heimkehr  des  Hausherrn  von  der  Keise  an  das 
Ende  statt  an  den  Anläng  des  Lustspiels  verlegt. 

^  Wenn  durchaus  von  der  Quelle  der  'Jalousie  du  Barbouille'  gesprochen 
werden  mufste  (S.  23),  so  wäre  auch  ein  Hinweis  auf  den  dritten  Akt  des  'Georges 
Dandin'  angebracht  gewesen,  wo  das  Motiv  der  Schlufsscene  wieder  aufgenommen 
wird. 

*  Über  ihn  teilt  er  eine  scharfe  Kritik  Voltaires  mit  und  fügt  neue  Vorwürfe 
hinzu,  aber  für  die  Anmut  des  Stils,  die  lebhaft  bewegte  Handlung,  die  strahlende 
Heiterkeit  des  Ganzen  hat  er  kein  Wort.  —  Er  bemerkt  unter  anderem,  'um  die 
Thatsache  zu  erklären,  dafs  Celle  Sklavin  sei,  müsse  das  Lustspiel  nach  einem 
fremden  Lande  verlegt  werden'  (S.  18),  vergifst  aber  dabei,  dafs  es  in  Messinu 
spielt,  wo  Molifere,  wie  auch  der  'Sicilien'  zeigt,  halborientalische  Zustände  voraus- 
setzt (s.  über  die  realen  Grundlagen  dieser  Annahme  Despois  und  Mesnard  in 
ihrer  grofsen  Ausgabe  VI  219  ff.). 


Beurteiluugen  uud  kurze  Anzeigen.  243 

•Döpit  amoureux'  nicht  ganz  hätte  übergangen  werden  dürfen.  Die  Rolle, 
welche  die  Intrigue  in  der  Sitten-  und  Charakterkomödie  spielt,  wird  nur 
flüchtig  gestreift.  Dann  werden  die  'Täuschungen  durch  Verkleidung.'  Be- 
lauschung'- und  allerlei  Prellerei'  erörtert,  die  als  Hilfsmittel  zu  ihrer 
Durchführung  dienen.  Mit  gewissen  Einschränkungen  läfst  er  sie  als 
wirksam  gelten;  dagegen  verwirft  er  die  häufigen  Prügelscenen.  Auf  die 
Anschauungen  und  die  Verhältnisse  einer  früheren  Zeit  nimmt  er  dabei 
keine  Rücksicht:  die  verfeinerten  Empfindungen  der  Gegenwart  kanu  uud 
will  er  keinen  Augenblick  zurückdrängen.  Und  so  stellt  er  die  Behauptung 
auf,  dafs  die  Stücke,  in  denen  der  Dichter  das  vulgäre  Lustspielmittel 
anwendet,  hierdurch  'ihre  Bühnenfähigkeit  verloren  hätten'  (S,  31).  Somit 
ist  nicht  blofs  der  'Medecin  malgr^  lui'  gerichtet,  bei  dem  Schläge  das 
'treibende  Moment  der  Intrigue'  bilden,^  sondern  auch  die  'Jalousie  du 
Barbouill^,'  der  'Mariage  forcö,'  die  'Fourberies  de  Scapin'  und  selbst  — 
die  'Pr^cieuses  ridicules'.  Der  Zug  ist  lang  genug;  aber  wenn  Oettinger 
konsequent  sein  wollte,  so  hätte  er  auch  den  'Amphitryon'  wegen  der 
wichtigen  zweiten  Scene  opfern  müssen  und  wegen  kleinerer  Episoden  die 
•Ecole  des  femmes'  (I  2),  'Tartuffe'  (II  2),  'Don  Juan'  (II  3),  'Georges 
Dandin'  (II  8),  den  'Avare'  (III  2),  den  'Bourgeois  gentilhomme'  (II  3), 
den  'Malade  imaginaire'  (I  5)  u.  a.  Was  wäre  dann  übrig  geblieben  ? 
Zum  Glück  entscheidet  über  die  Frage,  welche  Stücke  noch  aufführbar 
sind,  in  letzter  Instanz  die  Erfahrung,  nicht  die  Theorie,  und  deren  Ent- 
scheidung, die  der  Verfasser  gar  nicht  berücksichtigt,  ist  für  Molifere  nicht 
gerade  ungünstig  ausgefallen.  .\u  diese  Erörterungen  hätte  sich  besser 
der  Abschnitt  über  die  Rolle  des  Zufalls,  der  Verwechselungen  und  der 
Mifsverständnisse^  angeschlossen,  der  erst  hinter  einem  längeren  Kapitel 
über  die  Sprachkomik  des  Dichters  steht.  Auch  dieses  enthält  manches 
Bemerkenswerte  neben  manchem  Anfechtbaren.  Die  Mängel  seiner  Aus- 
drucksweise werden  zu  stark  auf  Grund   der   bekannten  Urteile   von  La 


'  Als  Beispiel  hierfür  hätte  der  so  wichtige  und  reizvolle  'Amphitryon'  erwähnt 
werden  sollen,  bei  dem  das  Motiv  der  Verkleidung;  zum  Motiv  der  Verwandlung 
wird.  Über  die  Parodie  der  antiken  Götterwelt  in  diesem  Stücke  (wie  in  einer 
Scene  der  'Psyche'  III  1)  hätte  man  auch  gern  etwas  gehört. 

^  Wenn  S.  30  gesagt  wird,  das  einzige  Beispiel  dafür,  dafs  die-ses  Theater- 
mittel zur  Einladelung  oder  Lösung  einer  Intrigue  diene,  sei  Tart.  IV  5  ff.,  so 
wird  zum  mindesten  Mal.  im.  III    12   ff.  übersehen. 

^  Diese  Auffast^ung  ist  doch  recht  äufserlieh.  Sganarelle  wird  zwar  zur  Über- 
nahme seiner  Kollc  von  Valfere  und  Lucas  gezwungen,  söhnt  sich  aber  so  schnell 
mit  ihr  aus  und  lebt  sich  so  völlig  in  sie  ein,  weil  er  das  Bewufstsein  hat,  der 
Situation  gewachsen  zu  sein,  und  den  Willen,  sie  gründlichst  auszunutzen.  Das 
treibende  Moment  ist  seine  Genialität.  Wie  wirksam  der  'Mddeeiu  malgre  lui' 
ist,  zeigt  die  Statistik  der  Vorstellungen  der  Comedie-Frauqaise  von  1680  bis  1900 
(s.  Bruneti6re,  Rev.  des  Deux  Mondes,  V"  p6r.,  t.  IV  [1901],  p.  954  ff.):  nächst 
dem   'Tartuffe'  ist  kein  anderes  Stück  Moliferes  so  oft  aufgeführt  worden. 

*  Bei  dieser  (Jelegenheit  bespricht  er  auch  'Don  Garcie'.  den  man  in  einer 
Arbeit  über  das  Komische  bei  Molifere  nicht  anzutreffen  erwartet,  und  bezeichnet 
ihn  als  ein  'ähnliches  Lustspiel'  wie  den  —  Cocu  imaginaire,'  weil  in  beiden  un- 
begründete Eifersucht,  die  sich   von  Mifsverständnissen  nährt,  das  Leitmotiv  bildet. 

Itj* 


244  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Bruyfere,  F^nelon  und  Voltaire'  betont,  die  ja  nicht  die  einzigen  Tadler 
geblieben  sind,  deren  philologisclie  Grundsätze  aber  auch  nicht  die  unsrigen 
sein  können.  Dagegen  wird  die  Anpassungsfähigkeit  seiner  Sprache,  die 
Mannigfaltigkeit  der  Nuancen,  die  Feinheit  der  Ironie,  namentlich  der 
unbewufsten  Selbstironie  einzelner  Personen'^  verständnisvoll  gewürdigt. 
Da  aber  hierbei  mehr  die  einzelne  Rede  als  die  Wechselbeziehungen  des 
Gespräches  ins  Auge  gefafst  sind,  so  vermifst  man  einen  eigenen  Abschnitt 
über  das  Komische  des  Dialogs.' 

Die  Ausführungen  über  die  Charakterkomik  sind  am  besten  gelungen. 
Es  ist  nur  zu  billigen,  dafs  der  Verfasser  nicht  die  satirische  Darstellung 
alier  Stände  und  Berufe,  die  Molifere  zur  Zielscheibe  seines  Spottes  ge- 
macht hat,  eingehend  bespricht,  sondern  sein  Verfahren  an  zwei  Beispielen 
erläutert,  den  Gelehrten  und  den  Ärzten.  Namentlich  den  Fortschritt  der 
Beobachtung  und  der  Wiedergabe  von  der  etwas  plumpen  Karikatur  des 
Pedanten  in  den  ersten  Stücken  bis  zu  den  vollendeten  Porträts  eines 
Trissotin  und  Vadius  zeigt  er  recht  hübsch;^  statt  der  Mediziner  wäre 
aber  besser  ein  anderer  Stand  gewählt  worden,  da  es  uns  Heutigen  trotz 
der  Versicherungen  von  Fachleuten  schwer  fällt,  an  die  Echtheit  dieser- 
Bilder  zu  glauben.  Nach  der  Sittenkomödie  wird  die  Charakterkomödie 
im  engeren  Sinne  behandelt.  Die  Meisterschaft  des  Dichters  wird  hier 
rückhaltlos  anerkannt  und  durch  feinsinnige  Analysen  einer  Anzahl  sei- 
ner berühmtesten  Gestalten  erwiesen.  Wenn  auch  viel  Längstbekanntes 
wiederholt  wird ,  so  liest  man  doch  gerade  diese  Partien  mit  beson- 
derem Vergnügen.^    Ich  hätte  nur  gewünscht,  dafs  Oettinger  den  Neben- 

'  Voltaires  Aussprüche  haben  auch  sonst  für  den  Verfasser  die  Bedeutung 
von  Orakehi.  Er  entnimmt  ihm  sogar  Angaben  über  die  Geschielite  und  die 
Quellen  von  Stücken,  über  die  man  längst  besser  unterrichtet  ist,  z.  B.  den  'Don 
Garcie',  dessen  Bezeichnung  als  piece  imitee  de  l'espagnol  ihm  kein  Wort  der  Auf- 
klärung oder  des  Wider.-priiches  entlockt  (S.   36). 

^  Die  Seene  des  'Amour  medecin'  III  1,  wo  Filerin  seine  Kollegen  zur  Ein- 
tracht mahnt,  damit  sie  das  Publikum  um  so  sicherer  betrügen  und  ausbeuten 
könnten,  würde  ich  allerdings  nicht  als  Beispiel  anführen.  Ich  höre  hier  nur 
Moliere  selbst  sprechen.  Den  Worten  Larroumets:  Ce  n'est  plus  lä  le  langage 
de  la  comedie,  oü  les  caracteres  doivent  se  peindre  d'une  fagon  inconsciente, 
mais  de  la  pure  satire,  stimme  ich  völlig  zu  (Rev.  des  Deux  Mondes,  IIP  per., 
t.  77  [1886],  p.  819).' 

^  Einen  Ersatz  hierfür  bietet  die  nützliche  Arbeit  von  Bethge,  'Zur  Technik 
Molieres,'  Zeitschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.,  XXI  1,  S.  252  ff.,  die  Herrn  Oettinger  un- 
bekannt geblieben  ist. 

■•  Wenn  die  Pedanten  des  'Depit  amoureux'  (II  6)  und  des  'Mariage  force'  ohne 
Schaden  übei-gangen  werden  konnten,  so  wären  doch  aus  späterer  Zeit  der  maitre 
de  Philosophie  des  'Bourgeois  gentilhomme'  und  der  Hauslehrer  Bobinet  der  'Com- 
tesse  d'Escarbagnas'  als  selbständig  gezeichnete  Figuren  zu  nennen  gewesen.  Auch 
auf  die  Verschmelzung  der  Begriffe  Gelehrter  und  Dichter,  wie  sie  sich  z.  B.  in 
der  Person  des  Lysidas  der  'Critique  de  l'Ecole  des  femmes'  oder  in  den  An- 
weisungen für  die  Darstellung  einer  solchen  Rolle  im  'Impromptu  de  Versailles' 
(Sc.   1)  zeigt,  hätte  besser  aufmerksam  gemacht  werden  sollen. 

*  In  Cathos  und  Madeion  sieht  er  merkwürdigerweise  nur  die  pecques  pro- 
vindales,  die  darum  komische  Erscheinungen  sind,  'weil  sie  die  Sitten  und  Sprache 
des  Preeiösentums   nur  äufserlich  nachahmen'  (S.  55).     Dafs  die  Satire  aber  über 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  245 

figuren '  mehr  Beachtung  geschenkt  und  die  einzelnen  mehr  miteinander 
verglichen  hätte.  Er  würde  dann  auch  Seiten  der  Charakterkoiiiik  be- 
rücksichtigt haben,  die  ihm  jetzt  entgangen  sind,  z.  B.  die  komische  Dar- 
stellung der  Furcht,  des  Argers,  der  Liebe  u.  s.  w.  Wie  manches  hätte 
sich  da  noch  sagen  lassen,  was  wirklich  neu  und  interessant  gewesen 
wäre!  Solche  Untersuchungen  wären  gewifs  ebensogut  und  besser  am 
Platze  gewesen  wie  die  Parallelen,  die  der  Verfasser  zwischen  der  Kunst 
des  Dichters  und  der  seiner  bedeutendsten  Nachfolger  bis  auf  Marivaux 
herab  gezogen  hat. 

Die  Abschnitte  über  Witz  und  Humor  sind  dürftig  geraten.  An- 
sprechende Betrachtungen  über  Moliere.»^  ^loral  im  Komischen,  die  Ent- 
wickelung  seiner  Weltanschauung  und  die  Bedeutung  seiner  Ideale  für 
die  Gegenwart  schliefsen  passend  die  Arbeit  ab. 

Sie  erschöpft  den  reichen  Stoff  nicht  und  behandelt  ihn  nach  Gesichts- 
punkten, die  ich  zum  Teil  nicht  billige,  aber  sie  giebt  trotzdem  einen  be- 
achtenswerten Beitrag  zur  Lösung  der  Aufgabe,  an  der  wohl  noch  mancher 
seine  Kräfte  erproben  wird,  und  erhebt  sich  durch  die  Selbständigkeit  des 
Urteils  über  das  Durchschnittsmafs  der  Dissertationen  .- 

Breslau.  Alfred  Pillet. 

O.  Rohnströra,  Etüde  sur  Jehan  Bodel.    Thfese  pour  le  doctorat. 
Upsala  1900.    207  S. 

Arbeiten,  welche  das  auf  einem  gewissen,  weiter  oder  enger  begrenzten 
Gebiete  bisher  Geleistete  zusammenfassend  darstellen,  ein  Bild  von  dem 


sie  hinwog  die  Preciösen  selbst  trefTen  sollte  und  im  wesentlichen  auch  getrüffen 
hat,  ist  doch  kaum  mehr  zu  leugnen.  (S.  u.  a.  Biuneti^re,  Et.  crit.  sur  l'hist.  de 
la  lit.  fr.,  113  [1889],  p.   12.) 

'  Es  ist  stark  übertrieben,  zu  sagen,  dafs  z.  B.  bei  den  Nebenfiguren  des 
'Avare'  von  irgend  welcher  Charakteristik  kaum  die  Rede  sein  könne  (S.  49 1; 
richtig  ist  nur,  dafs  Molifere  die  Hauptfigur  auf  den  'schönsten  Platz'  stellt  und 
sie  durch  keine  andeie  verdecken  läfst,  wie  er  das  auch  von  dem  Maler  eines 
(rruppenbildes  verlangte  (Gloire  du  Val-de-GrÄce,  v.   91   ff.). 

^  Bei  der  Wiedergabe  der  französischen  Citate  kommen  so  viele  Ungenauig- 
keiten,  Auslassungen,  orthographische  Schnitzer  und  Interpunktionsfehler  vor,  dafs 
ich  die  Geduld  des  Lesers  ermüden  würde,  wenn  ich  alle  aufzählen  wollte.  In 
dem  Kapitel  über  den  Humor  (S.  67 — 69)  werden  26  Verse  aus  den  'Femmes 
savantcs'  und  dem  'Misanthrope'  angeführt;  davon  sind  5  derart  verstümmelt,  dafs 
es  keine  Alexandriner  mehr  sind.  In  einem  längereu  Citat  auf  S.  63  (unten)  ist 
ein  Satz  unvollständig  und  4  Wörter  falsch,  u.  s.  w.  —  S.  4  und  5  1.  Lotheissen, 
S.  42  Gorju.  Tabarin,  S.  43  Dufresny,  S.  51  Cl^onte  (nicht  Cleante).  —  Auch 
die  Daten  sind  zum  Teil  unrichtig:  die  'Ecole  des  femmes'  wurde  nicht  1663, 
sondern  1G62  zum  erstenmal  aufgeführt  (S.  21),  der  'Avare'  weder  1667  (S.  47) 
noch  1669  (S.  24),  sondern  1668  (wie  S.  49  steht);  die  'Fourberies  de  Scapin' 
sind  von  1671  (S.  30),  'Don  Garcie'  von  1661  (S.  36),  der  "Amour  medecin'  von 
1665  (S.  41).  Dancourt  starb  1725  (S.  44),  Regnard  1710  (S.  59).  Die  'Suite 
du  Menteur'  von  P.  Corneille  ist  von  1644  (S.  58),  der  'Joueur'  von  Rognard  ist 
von  1696  (S.  59)  etc.  —  Derartige  Nachlässigkeiten  sind  nur  zu  sehr  geeignet, 
den  Leser  mit  ungerechtfertigtem  Mifstrauen  gegen  die  Zuverlässigkeit  des  Übrigen 
zu  erfüllen. 


246  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

gegenwärtigen  Stand  der  Forschung  entwerfen,  sind  jederzeit  willkommen, 
auch  wenn  sie  eigentlich  Neues  nicht  bringen.  In  erster  Linie  ein  solches 
'travaü  d'ensemble',  nicht  'reeherches  nouvelles'  bieten  zu  wollen,  erklärt 
der  Verfasser  der  obigen  Studie  im  Vorwort  ausdrücklich;  und  in  der 
That  beschränkt  er  sich  im  wesentlichen  darauf,  die  Kesultate  früherer 
Forschungen  im  Zusammenhange  zu  geben,  indem  er  sich  da,  wo  bei  ge- 
wissen Problemen  die  Ansichten  auseinandergehen,  für  die  eine  oder  andere 
der  vorgetragenen  Meinungen  entscheidet.  Immerhin  geht  er,  auf  Grund 
eindringender  Nachprüfung  der  älteren  Forschungen,  mehrfach  auch  über 
seine  Vorgänger  hinaus,  und  so  besitzt  seine  Abhandlung  durchaus  selb- 
ständigen wissenschaftlichen  Wert.  Die  ganze  Arbeit  verdient  uneinge- 
schränktes Lob;  die  Untersuchung  ist  überall  mit  musterhafter  Gründlich- 
keit geführt,  das  Urteil  stets  wohlüberlegt  und  besonnen,  die  Darstellung 
lichtvoll  und  ebenmäfsig.  In  sechs  Hauptabschnitte  ist  der  Stoff  geglie- 
dert :  Eine  Introduction  handelt  von  des  Dichters  Lebensschicksalen,  dann 
werden  der  Reihe  nach  besprochen  die  Pastourellen,  die  Cong^s,  das  Spiel 
vom  heil.  Nikolaus  und  die  Chanson  des  Saxons,  das  letzte  Kapitel  bringt 
^Remarques  sur  la  langue'  —  von  einer  vollständigen  Behandlung  der- 
Sprache  mufste  der  Verfasser  bei  dem  Mangel  einer  kritischen  Ausgabe 
natürlich  absehen.  Unerörtert  geblieben  ist  die  Frage,  ob  der  in  sechs 
Fableaux  als  Verfasser  genannte  Jehan  Bedel  mit  unserem  Dichter 
identisch  sei:  die  vorhandenen  Indicien,  meint  Rohnström,  reichten  nicht 
aus,  um  eine  Entscheidung  zu  ermöglichen. 

Ich  gebe  nun  eine  kurze  Übersicht  des  Inhalts   der  einzelnen  Ab- 
schnitte, bei  der  ich  mich  auf  die  wesentlichsten  Punkte  beschränke. 

Die  für  Bodels  Leben  zu  gewinnenden  Daten  sind  die  folgenden :  Der 
Dichter  blühte  im  letzten  Drittel  des  12.  und  zu  Anfang  des  13.  Jahr- 
hunderts. Er  war  vermutlich  zu  Arras  geboren  und  hat  daselbst  auch 
.sein  Leben  verbracht,  wie  denn  seine  Cong^s  den  Schöffen  der  Stadt  ge- 
widmet und  eine  grofse  Anzahl  der  darin  genannten  Persönlichkeiten  als 
Bürger  von  Arras  nachweisbar  sind;  ebendahin  weist  die  Sprache.  Bodel 
hatte  irgend  eine  Stellung  im  Dienste  der  Schöffen  inne  und  war  von 
Beruf  Hrouvere',  Mitglied  der  'cmifrerie  des  Jongleurs  et  des  boiirgeois  d' Arras' . 
Dafs  er  bei  den  Zeitgenossen  als  Dichter  sich  emes  nicht  gewöhnlichen 
Ansehens  erfreute,  scheint  hervorzugehen  aus  der  greisen  Zahl  hoch- 
gestellter Personen,  zu  denen  er  in  Beziehung  stand.  Er  war  im  Begriffe, 
sich  zur  Teilnahme  am  vierten  Kreuzzuge  anzuschicken,  als  er  von  einer 
furchtbaren  Krankheit,  dem  Aussatze,  befallen  wurde.  Alle  Wahrschein- 
lichkeit s])richt  dafür,  dafs  er,  der  viele  wohlwollende  Gönner  besafs,  in 
eines  der  bestehenden  Hospitäler  für  Aussätzige  —  vermutlich  das  von 
Miaulens  —  aufgenommen  wurde  und  dort  sein  Leben  beschlossen  hat. 
Wenn  Baude  Fastoul,  ein  artesischer  Dichter  des  13.  Jahrhunderts,  der 
von  der  gleichen  Krankheit  befallen  wurde,  in  seinem  Gonge  bemerkt,  die 
Schöffen  hätten  ihm  zugesprochen :  'le  fief  Ki  rient  de  par  Jehan  Bodel,' 
so  handelt  es  sich  offenbar  eben  um  die  von  Bodel  innegehabte  Stelle.  — 
Das  ist  alles,  was  sich  über  des  Dichters  Lebensschicksale  ermittehi  läfst, 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  247 

einzige  Quelle  dafür  sind   seine  Werke   —   wann  er  gf«torben  ist,   wissen 
wir  nicht. 

Bodel  hat  sich  als  lyrischer  Dichter,  als  Dramatiker  und  als  Epiker 
bethätigt.  Die  Zahl  der  von  ihm  erhaltenen  Pastourellen  beläuft  sich  auf 
fünf.  Die  zuletzt  von  G.  Paris,  Journal  des  Satants  1891,  S.  735  n.  :?, 
gegen  die  Echtheit  der  Pa-^tourelle :  'Contre  Ic  doiis  (eins  novel'  gcäuf8erten 
Bedenken  sind  nach  Rohuström  nicht  stichhaltig.  Hinsichtlich  ihrer  viel- 
fach erörterten  Datierung  schliefst  Rohnström  sich  Cloetta  an,  der  sie  ins 
Jahr  1199  setzt.  Beachtenswerte  Gründe  bringt  er  bei  gegen  Cloettas  An- 
nahme, dafs  die  Pastourellen  'Entre  le  bos  et  Je  plaine'  und  'L'autre  jour 
les  im  bosckel',  von  denen  die  erstere  zwei,  die  andere  drei  Strophen  um- 
fafst,  als  vollständig  zu  betrachten  seien;  doch  giebt  er  zu,  dafs  ihnen 
auch  in  der  überlieferten  Fassung  ein  gewisser  Abschluls  nicht  fehlt.  Für 
die  Conges  —  nach  Rohnström  in  vielen  Beziehungen  das  interessanteste 
von  Bodels  Werken  —  accepticrt  er  mit  Recht  Cloettas  Datierung  auf  das 
Jahr  1202,  im  Gegensatz  zu  Raynaud,  der  sich  für  r2<»5  ausgesprochen  hatte. 
Behufs  Identifizierung  der  darin  genannten  Persönlichkeiten  hat  er  die 
Mühe  archivalischer  Forschungen  nicht  gescheut,  und  es  ist  ihm  denn 
gelungen,  eine  Anzahl  derselben  in  den  Jahren  1170 — 1240  nachzuweisen. 
Die  Strophen  42 — 45  der  Conges  hatte  Raynaud  für  unecht  erklärt,  indem 
er  als  ausschlaggebend  betrachtete  die  Thatsache,  dafs  der  Str.  43  erwähnte 
Turm,  'wo  das  heilige  Licht  aufbewahrt  werde,'  erst  1214  errichtet  wurde. 
Demgegenüber  zeigt  Rohnström,  dafs  der  betreffende  Turm  vielmehr  im 
Jahre  1200  bereits  vollendet  oder  doch  nahezu  vollendet  war,  und  auch 
die  übrigen  Gründe  Raynauds  gegen  die  Echtheit  der  fraglichen  Strophen 
nicht  stichhaltig  sind,  vielmehr  ihrj^nhalt  sehr  gut  auf  Bodel  pafst.  — 
Ich  stimme  Rohnström  hier  durchaus  bei:  auch  der  Stil  ist  ganz  der 
Bodels;  man  bekommt  beim  Lesen  keineswegs  den  Eindruck,  dafs  mit 
Str.  42  ein  andererer  Dichter  das  Wort  nehme. 

Sehr  ausführlich  wird  dann  besprochen  Bodels  originelles  Drama,  das 
Jeu  de  Saint  Nicolas.  Rohnström  klärt  zunächst  auf  über  die  Persön- 
lichkeit des  Heiligen  und  bespricht  zwei  Dramen  —  das  eine  rein  lateinisch, 
das  andere  in  lateinischen  vierzeiligen  Strophen  mit  französischen  Re- 
frains — ,  die  das  gleiche  Thema  wie  Bodels  Stück  behandeln :  die  Legende 
von  der  Wiederfind ung  eines  der  Obhut  des  Heiligen  anvertrauten  Schatzes 
mit  Hilfe  seines  Bildnisses.  Die  Erzählung  findet  sich  zuerst  bei  Johannes 
Diaconus,  der,  vermutlich  vor  872,  die  griechische  Biographie  des  Heiligen 
ins  Lateinische  übersetzte.  Der  Fassung,  in  der  die  Legende  bei  Bodel 
erscheint,  stehen  nahe  die  Vie  de  St.  Nicholas  des  Wace  und  eine  anonyme 
Prosavita  des  13.  Jahrhunderts,  aus  welch  letzterer  Bodel  vermutlich  ge- 
schöpft hat.  Rohnström  giebt  eine  genaue,  nach  Scenen  eingeteilte  Ana- 
lyse und  eine  eingehende  litterarische  Würdigung  des  Bodelschen  Stückes. 
Die  ästhetische  Bedeutung  der  Kreuzzugsscene  überschätzt  er  doch  wohl, 
wenn  er  sie  'das  interessanteste  Stück  des  Dramas'  nennt  und  ihr  zu- 
schreibt 'un  caractere  siiigulierement  grandiose' ;  ich  finde  sie  im  Gegenteil 
herzlich  trivial,  aus  Gemeinplätzen  zusammengesetzt:   nicht  in  der  pathe- 


248  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

tischen  Darstellung,  sondern  in  der  realistisclien  Detaiimalerei  liegt  die 
Stärke  Bodels.  Der  kulturhistorische  Wert  des  eigenartigen  Stückes  wird 
gebührend  hervorgehoben. 

Der  Hauptteil  der  Arbeit  —  120  Seiten  —  ist  gewidmet  Bodels  um- 
fangreichem Epos,  der  Chanson  des  Saxons.  Nur  eine  Vorarbeit  für 
einen  künftigen  Herausgeber  bildet  die  Untersuchung  über  die  vier  Hand- 
schriften, welche  das  Gedicht  überliefern;  eine  abschliefsende  konnte  sie 
deshalb  nicht  sein,  weil  zwei  der  Handschriften  Kohnström  gar  nicht 
vollständig  vorlagen :  für  die  Cheltenhamer  stand  ihm  nur  der  Michelsche 
Druck  zur  Verfügung,  und  für  die  Turiner  war  er  angewiesen  auf  die  An- 
gaben Michels  in  seiner  Ausgabe  und  die  bezüglichen  Bemerkungen  Seip- 
pels.  Das  vorläufige  Eesultat,  zu  dem  Kohnström  gelangt,  ist  dieses: 
Bodel  ist  zuzuschreiben  der  erste,  allen  Handschriften  gemeinsame  Teil 
des  Gedichtes;  was  den  zweiten  Teil  betrifft,  von  da  ab,  wo  die  Hand- 
schriften auseinandergehen,  so  steht  vermutlich  die  Arsenalhandschrift  dem 
Original  am  nächsten,  wofür  schon  der  Umstand  spricht,  dafs  ihre  Version 
die  kürzeste  ist,  wogegen  die  Turiner  und  die  Cheltenhamer  Handschrift 
spätere  Überarbeitungen  bieten.  —  Auch  hier  orientiert  über  den  Inhalt 
der  Dichtung  eine  ausführliche  Analyse,  zuerst  des  gemeinsamen  Teiles, 
dann  der  differierenden  Fortsetzungen  in  A  und  L. 

Drei  Teile  sind  in  dem  Liede  zu  unterscheiden:  die  Erzählung  von 
den  Hurepois,  der  Krieg  Karls  gegen  Widukind,  der  Liebeshandel  Bau- 
douins  mit  Sebile.  Die  Hurepois  standen  ursprünglich  in  keinem  Zu- 
sammenhang mit  dem  zweiten  Teil,  vielleicht  ist  die  Vereinigung  erst  von 
Bodel  selbst  vollzogen  worden.  Hurupe  ist  für  den  Dichter  das  Land 
zwischen  Seine,  Marne  und  Loire  mittlem  Centrum  Maus,  also  das  Neustrien 
des  9.  Jahrhundorts.  Sein  Zeugnis  beweist,  dafs  das  Volk  noch  im 
12.  Jahrhundert  das  Land  zwischen  Loire  und  Rhein  einteilte  in  Hurupe, 
Frankreich  und  Lothringen;  in  lateinischen  Chroniken  oder  in  Urkunden 
des  12.  oder  IB.  Jahrhunderts  begegnet  der  Ausdruck  aber  nirgends,  seine 
Herkunft  und  Bedeutuug  festzustellen,  hat  noch  nicht  gelingen  wollen. 
Der  eine  ältere  Fassung  des  Epos  widerspiegelnden  norwegischen  Version 
ist  die  Episode  noch  fremd.  Inhaltlich  stimmen  mit  ihr  überein  zwei 
alte  spanische  Romanzen,  in  denen  an  Stelle  Karls  des  Grofsen  König 
Alfons  VIII.  von  Castilien  getreten  ist  und  die  nach  Rohnström  wohl  auf 
eine  französische  Quelle  zurückgehen,  wie  sich  denn  in  anderen  Romanzen 
Züge  der  Geschichte  Baudouins  finden.  Die  Entstehung  der  Geschichte 
hinge  nach  Rohnström  vielleicht  zusammen  mit  dem  politischen  Über- 
gewicht Anjous  unter  den  letzten  Karolingern  und  den  ersten  Capetiugern. 

Ein  besonderes  Kapitel,  betitelt  Chants  epiques  merovingiens,  ist  ge- 
widmet dem  in  letzter  Zeit  soviel  ventilierten  Problem  des  Faro- Liedes 
und  dem  damit  in  engem  Zusammenhange  stehenden  Problem  der  Mero- 
vingerepik :  Alles  spricht  dafür,  dafs  sich  in  der  Chanson  des  Saxons  neben 
den  Erinnerungen  an  die  Sachsenkriege  Karls  des  Grofsen  auch  Elemente 
aus  epischen  Dichtungen  der  Merovingerzeit  erhalten  haben.  Die  Hypo- 
these, dafs  merovingische  Lieder  über  Kriege  gegen  die  Sachsen  existiert 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  249 

haben,  besitzt  grofse  Wahrscheinlichkeit  -  ohne  sie  würden  wichtige  Züge 
in  der  Chatisons  des  Sarofis  unerkhirt  bleiben  müssen.  S]>uron  solcher 
Lieder  begegnen  auch  in  den  Chroniken  und  den  Heiligenleben  der  Zeit. 
Der  Bericht  des  Liber  Historiae  (Oesta  Regum  Francoricm)  ist  im  Hinblick 
auf  die  epische  Färbung  der  Darstellung  sehr  wahrscheinlich  epischen 
Ursprunges.  Mit  Körting  gegen  Suchicr  nimmt  Rohnströni  an,  ilafs  der 
ganze  auf  Faro  bezügliche  Passus  in  des.sen  Vita  der  Vita  Chilleni  ent- 
nommen ist,  deren  Datierung  freilich  völlig  ungewifs  bleibt.  Alles,  was 
Hildegar  von  Chlotar  erzählt,  hat  er  aus  zweiter  Hand ;  die  beiden  latei- 
nischen Strophen,  die  er  citiert,  hat  er  aus  der  gleichen  Quelle  wie  die 
Erzählung  selbst. 

Der  Krieg  Chlotars  II.  gegen  die  Sachsen  ist  nicht  geschichtlich,  viel- 
mehr liegt  der  Erzählung  der  Krieg  Chlotars  I.  zu  Grunde,  der  die  all- 
gemeine Grundidee  abgegeben  hat,  während  die  eigentliche  Handlung  und 
das  Detail  auf  dem  Kriege  Chlotars  II.  gegen  Theodorich  II.  von  Burgund 
beruhen.  Für  die  Sage  ist  eine  poetische  Form  anzusetzen,  von  der  das 
Liber  eine  ältere,  die  Vita  Faronis  eine  jüngere  Stufe  widerspiegelt.  Dann 
mufs  also  das  betreffende  Gedicht  einige  Zeit  vor  727  bereits  existiert 
haben ;  seine  Sprache  war  vermutlich  die  romanische,  wofür  besonders  die 
Verwendung  von  spata  im  Sinne  von  'Schwert'  spricht.  Spuren  epischer 
Lieder  aus  der  Merovingerzeit  findeji  sich  im  Ogier  le  Danois,  im  Floovant, 
in  Aspremont,  deutlicher  noch  im  Quitalin  und  in  der  Chanson  des  Saxons, 
hier  sowohl  in  einzelnen  Zügen  als  in  den  wesentlichen  Elementen  der 
Sage :  'Xoiis  croyons,'  so  fafst  Rohnström  S.  145  die  Ergebnisse  dieses  Ab- 
schnittes zusammen,  'qtie  les  (juerres  saxonnes,  ckeres  ä  l' Imagination  popu- 
laire  des  les  periodes  les  plus  reculees  de  l'histoire  de  France,  ont  fait  naitre 
de  bonne  heure  des  chants  strr  les  expeditions  des  rois  francs  contre  leurs 
roisins  d'otifre-Rhin.  Ces  chants,  ou  du  moins  les  traditions  epiques  qu'ils 
ont  creees,  auront  encore  ete  Vivantes  e)i  France  ä  l'epoque  oi(  s'y  forma  la 
legende  de  öiiithechin.  Les  chansons  sur  les  guerres  de  Charlemagne  ayant 
eelipse  Celles  sur  les  guerres  de  ses  predecesseurs,  il  n'est  pas  etonnant  que 
ces  dernieres  n'aient  presque  pas  laisse  de  traces.  II  en  reste  assex  ponr- 
tant  pour  rendre  lettr  exisience  tres  plausible.'  Ich  unterschreibe  diese 
Sätze  Wort  für  Wort.  Die  Annahme,  wonach  sich  in  verschiedenen 
Chansons  Spuren  alter  Lieder  über  die  Sachsenkriege  erhalten  haben,  bildet 
ein  vollkommenes  Aualogon  zu  der  von  mir  vertretenen  Anschauung,  wo- 
nach in  sehr  verschiedenen  französischen  Kpen  sieh  mehr  oder  weniger 
deutliche  Erinnerungen  an  die  Sarazenenkriege  Kaiser  Ludwigs  IL  finden, 
vgl.  Festgabe  f.  W.  Foerster  S.  171  f.;  und  die  Ansicht,  dafs  die  jüngeren 
Lieder  auf  Karls  des  Grofsen  Sachsenkriege  jene  älteren  Lieder  verdrängt 
und  in  sich  aufgenommen  haben,  entspricht  der  meinigen,  dafs  Lieder  auf 
die  Sarazenenkämpfe  der  Normannen  im  11.  Jahrhundert  das  gleiche  ge- 
than  haben  bezüglich  jener  älteren  Lieder  auf  die  Sarazenenkriege,  deren 
Schauplatz  Italien  im  9.  Jalirhundert  war,  vgl.  Beitr.  x.  rom.  Phil.,  Halle 
1899,  S.  195  ff. 

Das  Kapitel  Guitalin  bringt  eine  Vergleichung  jener  altfranzösischen 


250  Beurteiluugen  und  kurze  Anzeigen. 

Chansons  de  yeste,  die  uns  in  der  Karlama gnussaga  I,  c.  46  und  17  und 
ebenda  V  (Af  Quitalin  SaxaJ  in  Übersetzung  vorliegen,  miteinander  und 
mit  der  Dichtung  Bodels.  Für  I  lehnt  Rohnströra  die  Theorien  von 
Ungcr,  G.  Paris  und  Storm  ab,  vielmehr  erblickt  er  in  dem  Kapitel  eine 
Kompilation,  eine  Art  Chronik,  vielleicht  in  lateinischer  Sprache,  die  ver- 
mutlich in  einem  Kloster  entstand  und  die  der  Verfasser  der  Saga  teils 
in  ihrer  ursprünglichen  Fassung,  teils  in  abgekürzter  Form  in  sein  Werk 
aufgenommen  hat. 

Von  den  beiden  Gedichten  war  Guitalin  das  ältere:  es  steht  der  Ge- 
schichte etwas  näher,  erscheint  noch  unberührt  von  den  höfischen  Ideen  und 
enthält  eine  Reihe  barbarischer  Züge,  die  in  dem  Gedichte  Bodels  fehlen. 

Von  geschichtlichen  Elementen  sind  in  der  Ch.  d.  S.  im  ganzen  nur 
die  bekannten  allgemeinen  Züge  vorhanden,  dazu  kommen  die  zum  Teil 
historischen  Namen  der  mit  den  Sachsen  verbündeten  heidnischen  Völker- 
schaften: der  Esclavons,  Rox,  Meconets  u.  s.  w.  Eine  speciellere  Reminis- 
cenz  wollte  bekanntlich  Schultz-Gora  in  dem  Flusse  Ru7ie  finden,  an 
dem  Tremoigne  =  Dortmund  hegt,  indem  er  diesen  mit  der  Ruhr  identi- 
fizierte, und  A.Thomas  hat  diese  Vermutung  dahin  abgeändert,  dafs  die- 
Runa,  ursprünglich,  wie  er  zeigt,  der  Name  des  Flusses  Arga  bei  Pampe- 
lona  und  als  solcher  erwähnt  in  einer  Handschrift  des  Rolandsliedes  und 
im  Pseudo-Turpin,  mit  der  Ruhr  verwechselt  worden  sei.  Rohnström  be- 
streitet diese  Schultz -Thomassche  These,  jedoch,  wie  mir  scheint,  ohne 
ausreichende  Gründe;  derartige  seltsame  Verwechselungen  finden  sich  in 
der  epischen  Sage  ja  doch  häufig,  ich  verweise  z.  B.  auf  die  Verwechse- 
lung von  Palermo  und  Salerno  in  der  Synagonepisode. 

Den  Schlufs  bilden  eine  Zusammenstellung  der  Ansjnelungea  auf  die 
Chanson  des  Saxons,  die  sich  in  der  französischen  und  in  ausländischen 
Litteraturen  finden,  sowie  Bemerkungen  über  die  Sprache  des  Dichters, 
für  die,  was  die  Ch.  d.  S.  angeht,  die  Hs.  A  zu  Grunde  gelegt  ist. 

Abgesehen  von  den  wenigen  Punkten,  die  zur  Sprache  gebracht  wurden, 
kann  ich  dem  Urteil  des  Verfassers,  dessen  klaren,  durchdachten  Aus- 
führungen man  mit  wahrem  Vergnügen  folgt,  überall  nur  zustimmen. 
Die  Schrift  sei  allen  Fachgenossen  bestens  empfohlen.  Möge  sich  nun 
auch  für  Bodels  Hauptwerk,  das  Sachsenepos,  bald  ein  Herausgeber  fin- 
den; denn  dafs  die  von  G.  Raynaud,  Romania  9,  218  n.  1,  angekündigte 
Ausgabe  noch  erscheinen  werde,  darf,  nachdem  inzwischen  mehr  denn 
20  Jahre  verflossen  sind,  wohl  fügUch  bezweifelt  werden. 

Rostock.  E-  Zenker. 

Etudes  sur  le  style  et  la  syntaxe  de  Cervantes.  1.  Les  cous- 
tructions  g^roudives  absolues.  Par  Leonard  Wist^n.  Lund, 
Malmström,  1901.  XXIII,  96  p.  (These  de  doctorat  pr^- 
sent^e  ä  la  Facult^  des  Lettres  de  Lund.) 

Le  but  que  M.  Wistön  s'est  propos4  dans  cette  thbse  a  ^t4  de  classer 
exactement,  au  point  de  vue  de  leurs  rapports  syntactiques  et  d'aprfes  les 


BeurtcilniifTon  und  kurze  Anzeigen.  251 

categories  syntactiques  usuelles,  toutes  les  constructioü.<  g^rondives  abso- 
lues  qu'on  trouve  dans  les  diverses  a-uvres  de  Cervantes.  II  rc^unit  donc 
dans  le  premier  chapitre  les  constructions  absolues  oA  entre  le  g^-roudif 
t^imple  Sans  la  pr^'position  m,  dans  le  second,  les  gc'rondifs  siuiples  avec 
en,  dans  le  troisi&me  et  dernier,  les  gdrondifs  p^riphrastiques.  Dans  chaque 
chapitre  l'auteur  distingue  ensuite  les  cas  oü  la  construction  gi'rondive 
6]uivaut  :1  une  propositiou  secondaire  1)  de  temps,  2)  de  uianirre,  3)  de 
cause,  i)  de  conditiou  ou  5)  de  i-oncession,  le  sujet  du  g^rondif  etant 
a)  exprim^  ou  b)  sous-entendu. 

II  ne  peut  guf-re  y  avoir  d'objections  gf^nerales  i\  faire  contre  cette  dis- 
positiou  du  uiat(5riel.  Nous  regrcttons  seulement  que  M.  W.  n'ait  pas 
reuni  dans  une  cat('^gorie  sp<5ciale  les  cas  oü  Ton  trouve  deux  gerondifs  Ti 
c6t^  Tun  de  l'autre  et  dont  Tun  depeud  de  l'autre,  comme  p.  ex.  estando 
mtrandole  todos  (cit4  p.  11,  I.  3),  yendo  miestra  primera  faluca  descttbriendo 
(ibid.,  1.  4  d'en  bas).  L'auteur  cite  des  exemples  de  cette  construction 
anx  pages  10,  11,  12  et  59,  mais  sans  les  distinguer  des  autres  g^rondif» 
absolus  (sauf  p.  59).  Cette  construction  est  pourtant  plus  frappante  et 
plus  caracteristique  pour  l'espagnol  que  les  autres;  c'est  ainsi  que  les 
gerondifs  simples  et  p^riphrastiques,  avec  ou  sans  la  pr^position  en,  se 
retrouvent  tous  en  fran^ais,  mais  non  ce  g^rondif,  pour  ainsi  dire,  double. 
M.  Wist^n  aurait  donc  bien  fait  de  placer  tous  ces  exemples,  —  qui, 
d'ailleurs,  sont  peu  nombreux,  —  sous  une  rubrique  speciale. 

Ce  qui  est  encore  plus  regrettable,  c'est  que  l'auteur  a  reserv^  pour 
la  seconde  partie  de  son  travail,  —  qui  n'a  pas  encore  paru,  —  la  definition 
de  ce  que  c'est  qu'une  construction  g^rondive  absolue!  Cela  n'est  cepen- 
dant  pas  si  clair  a  priori;  car  cette  construction  n'est  pas  tout  ä  fait  ana- 
logue  ä  I'ablatif  absolu  du  latin.  Pour  qu'on  puisse  employer  en  latin 
l'abl.  abs.,  il  faut  que  le  sujet  de  celui-ci  ne  figure  pas  du  tout  dans  la 
propositiou  principale:  on  ne  pourrait  donc  pas  rendre  en  latin  par  un 
abl.  abs.  un  gerondif  absolu  tel  quo  le  suivant:  ^quien  no  se  fiara  en  las 
palabras  de  Antonio,  avenhtrando  el  tan  poco  en  hacerlas  verdaderas?  (cf. 
p.  33).  II  y  a  du  reste  bien  des  cas  pour  lesquels  il  est  difficile  de  ddcider 
s'il  faut  les  regarder  comme  dos  constructions  absolues  ou  non :  ainsi 
M.  W.  aurait  du  nous  expliquer  pourquoi  il  ne  considcre  pas  comme  ab- 
solu un  gdrondif  comme  celui-ci :  estando  en  esta  pesadumbre,  me  pareciö 
rer  nna  blanca  cierva  Gal.  I  32,  oi»  le  pronom  'retrospectif  (voy.  p.  19  ss.) 
me  renvoie  au  sujet  sous-entend  u  du  görondif,  tout  en  regardant  comme 
tels  et  les  gerondifs  dont  le  sujet  n'est  [>as  exprini(?  mais  se  supplee  il 
l'aide  du  contexte  (comme  dans  l'exemple  allegue),  et  ceux  oil  le  sujet  — 
exprimö  —  est  repris  i)ar  un  pronom  personnel  dans  la  propositiou  prin- 
cipale (p.  ex.  aynddndole  los  sacerdotes  d  bien  morir,  les  dijo,  voy.  p.  50  et 
sqq.).  De  mome  M.  W.  n'a  pas  admis  l'exemple  suivant:  En  Ikgdndose 
d  juntar  se  saludaron  cortesmente ,  y  preguntdndose  los  unos  d  los 
otros  donde  iban,  supieron  que  todos  se  encaminaban  al  lugar  del  eniierro 
D.  Q.  I  ]3  (92),  mais  bien  celui-ci:  Toda  la  gente  de  casa  andaba  absorta, 
preguntando   u7ios  d  otros  que  se)-ia  Nov.  1  (74),  cit^  p.  21  s.;  pour- 


252  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

quoi  ?  Est-ce  une  simple  inadvertance  ?  —  Nous  espörons  ausf?i  que  l'auteur 
ne  manquera  pas,  dans  la  seconde  partie  de  son  travail,  de  nous  apprendre 
si  Ton  peut  constater  une  diff^rence  quelconque  entre  la  prose  et  la  po^sie, 
ou  entre  les  ouvrages  plus  anciens  et  le«  ouvrages  plus  recents  de  Cer- 
vantes, au  point  de  vue  de  la  frequence  ou  de  l'emploi  des  con.structions 
g^rondives  absolues. 

Avant  de  faire  quelques  critiques  de  detail  sur  le  traite  meme,  nous 
dirons  d'abord  quelques  mots  de  l'Introduction,  qui  est  certainement  la 
partie  la  plus  interessante  du  travail  de  M.  W.  Dans  cette  introduction 
l'auteur  parle  d'abord  de  la  date  de  composition  de  deux  interui^des  de 
Cervantes,  puis  il  discute  l'authenticite  de  certains  ouvrages  attribues  ä 
tort  ou  avec  raison  ä  Cervantes.  Cette  discussion  offre  des  questions  trfes 
difficiles,  et  l'auteur  ne  pretend  naturellement  pas  les  avoir  r^solues  defini- 
tiveraent;  mais  il  donne  un  r^sume  clair  et  commode  des  opinious  emises 
avant  lui  et  ajoute  souvent  lui-m6me  des  remarques  personnelles  et  en 
g^n^ral  judicieuses.  Cependant  nous  ne  pouvons  pas  toujours  nous  ranger 
ä  son  avis,  et  quelquefois  il  nous  semble  que  l'auteur  n'a  pas  agi  avec 
toute  la  circonspection  desirable,  P.  III,  M.  W.  rappelle  le  fait  souvent 
mentionne  par  les  commentateurs  que  les  dates  qu'on  rencontre  de  temps 
en  temps  dans  le  Don  Quijote  indiquent  l'epoque  oü  Cervantes  a  ecrit  le 
passage  en  question,  et  il  signale  ä  ce  propos  la  date  du  6  mal  1611,  qui 
se  trouve  dans  une  lettre  ins^r^e  dans  La  Ouarda  Cuidadosa.  Ce  fait, 
que  M.  W.  croit  avoir  d^couvert  le  premier,  a  pourtant  ete  releve  d^jä  il 
y  a  plus  de  cinquante  ans  par  Ticknor,  dans  son  ouvrage  bien  connu 
History  of  Spanish  TJtterature,  tome  II,  p.  94  de  l'^dition  originale.  —  Ce 
que  dit  l'auteur  p.  IV — V,  aprfes  M.  Fitzmaurice-Kelly,'  sur  le  bonheur 
ou  malheur  conjugal  de  Cervantes,  n'est  nullement  convaincant.  Les 
phrases  qu'il  all^gue,  tirees  de  differents  ouvrages  de  C,  ne  contiennent 
que  des  jugements  g^n^raux  et  des  lieux  communs  dont  on  ne  peut  rien 
conclure.^  La  ressemblance  que  M.  W.  trouve  entre  le  nom  de  la  femme 
de  Cervantes,  Catalina,  et  celui  d'un  des  personnages  de  l'interm^de  El 
Jtiex  de  los  Divorcios,  Mariana,  n'a  gu^re  plus  d'importance;  quant  au 
'nombre  egal  de  lettres',  cette  identite  n'est  du  moins  que  relative :  Mariana 
a  7,  Catalina,  8  lettres  {sie).  La  conclusion  que  veut  tirer  l'auteur  sur  la 
date  de  composition  du  Juex,  de  los  Divorcios  a  donc  une  base  bien  peu 
solide,  et  M.  W.  a  raison  de  ne  la  proposer  qu'avec  toute  r^serve.  — 
P.  VIII,  note  1,  l'auteur  oublie,  en  enumerant  les  ouvrages,  en  grande 
partie  perdus,  qui  constituent  'le  premier  th^ätre'  de  Cervantes,  La  Confiisa, 
pifece  que  C.  mentionne  plusieurs  fois  et  qu'il  regarde  lui-mome  comme  sa 
meilleure  com^die  et  une  des  meilleures  comödies  de  cape  et  d'^p^e  qui 
aient  6t4  öcrites.^  —  M.  W.  est  d'avis  (p.  VIII  ss.)  que  rien  ne  nous  auto- 

'  Life  of  Miguel  Cervantes,  London,  Chapman  et  Hall,  1892. 

'^  'Le  inariage  est  un  lacs  qui,  une  fois  jete  autour  du  cou,  se  change  en 
noeud  gordien'  (puisque  le  mariage  est,  —  ou  etait,  —  indissoluble),  'Le  mortel 
ennemi  de  l'amour  c'est  la  pauvret^,'  etc. 

^  Adjunta  al  Parnaso  (401). 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  253 

rise  ä  croire  que  CervAntes  aurait  <?crit  d'autres  iate^m^de8  que  ceux  qu'il 
a  publi^s  en  1615,  et  il  cite  ä  l'appui  de  cette  opinion  deux  passages,  tir^s 
du  prologue  des  Xorelas  et  de  celui  dos  foni^dies  de  C.  Quant  au  premier, 
oü  C.  dit  etre  l'auteur  de  la  Oalatea,  du  Don  Quijote,  du  Viaje  al  Paniaso 
et  de  'otras  obras  que  andan  por  ahi  descarriadas,  y  quiza 
sin  el  nombre  de  su  dueuo',  ces  mots  n'auraient  trait,  selon  M.  W., 
qu'a  ses  com(>dies,  noii  pas  aux  interm&des;  cela  n'sulterait  nettcment  du 
contexte,  oü  C.  ne  mcntioune  (jue  des  ceuvres  de  longue  haieine.  Mais  il 
n'est  que  trfes  naturel  que  ('.  cite  par  le  menu  ses  ouvrages  principaux, 
en  se  bornant  a  indiquer  en  bloc  ceux  de  moindre  importance.  Pour 
ce  qui  est  de  l'autre  passage  all^'^guo:  Tome  d  pasar  los  qjos  por  niis 
comedias  y  por  algunos  entremeses  mtos  que  con  ellas  estaban  arrinconados, 
s'il  ne  parle  pas  pour  l'existence  d'autres  intermfedes,  il  ne  parle  du 
moins  pas  coutre  une  teile  hypoth^se.  Les  mots  algunos  entremeses  mios 
ne  signifient  pas  'les  quelques  intermfedes  que  j'ai  dcrits',  connne  le  veut 
M.  W.,  niais  simplement  'quelques  interinedes  de  moi'  ('quelques  mieus 
intermedes').  Cette  traductiou  a  etü  donn^e,  —  en  allemand,  —  deja  par 
A.  F.  von  Schack  dans  sa  Geschichte  der  dramatischen  Litteratur  und  Kunst 
in  Spanien,  parue  en  1845  ( —  'so  wie  auf  einige  Zwischenschriften  von 
mir,'  t.  I,  p.  ;i58,  note  107).  L'opposition  entre  mis  comedias  et  algunos 
entremeses  mios  pourrait  menie  faire  croire  que  la  traduction  de  A.  Royer 
('quelques -uns  de  mes  intermedes'),  rejetile  par  M.  W.,  serait  en  effet 
ey.acte.  Quoi  (ju'il  en  soit,  rieu  ne  nous  d^fend  a  priori  de  supposer  que 
C.  a  (5crit  d'autres  intermedes  que  les  huit  qui  ont  öt^  imprimös  en  1615. 
Puisqu'il  a  composd  une  vingtaine  de  comödies  qui  ne  nous  sont  pas  par- 
venues,  et  qu'il  semble  avoir  ^crit  au  moins  une  nouvelle  qu'il  n'a  pas 
publice  lui-m&me,  La  Tia  Fingida,*  il  pourrait  bien  en  etre  de  meme  de 
ses  intermfedes.  —  P.  XV,  ä  propos  de  la  Relacion  de  las  Fiestas  de  Valla- 
dolid,  M.  W.  propose  une  nouvelle  Interpretation  de  ses  lignes  bien  con- 
uues,  attribuees  ä  Gongora: 

Mandivronso  cacribir  cstiis  hazanas 

ä  Don  Quijote,   ä  Saiicho  y  su  juinento, 

qui,  selon  M.  W.,  signifieraient:  'On  commanda  de  (ou  l'on  fit)  relater 
(ou  döcrire)  ces  prouesses  pour  toutes  sortes  de  gens,  toute  la  plfebe.'  Si 
cette  traduction  ^tait  vraiment  possible,  —  escribir  {t,  dans  le  sens  de 
'faire  une  description  (officielle)  pour',  me  parait  impossible  a  ndmettre: 
d  no  saurait  signifier  ioi  que  'par',  —  on  s'dtonnerait  qu'aucuii  critique 
espagnol  ne  l'ait  propos^e;  car  il  y  a  bien  des  Espagnols  qui  n'ont  pas 
voidu  u  tout  prix  voir  une  allusion  ;\  Cervantes  dans  les  lignes  citäes  (cf. 
p.  XIV,  XVI  et  XVTTI).  Mais,  du  restc,  coniment  M.  W.  s'explique-t-il 
le  dernier  vers?  Cette  Relacion  n'etait  pourtant  pas  faite  seulement  pour 
des  personnes  pareilles  a  Don  Quijote  et  a  Sancho  Panza  (pour  ne  pas 
parier  de  su  jumento),  mais  bien  pour  toute  la  nation,   ou  du  moins  tous 


C'est  du  moins  la  Tcjünion  de  M.  W.,  voy.  p.   XIX  s. 


254  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

ceux  qui  n'avaient  pas  assiste  eux-meuies  aux  ffetes  en  queslion.  Pour 
notre  part,  nous  croyons  qu'il  est  impossible  d'interpreter  ces  lignes  autre- 
ment  que  comme  uue  allusion  directe  ä  Cervantes.  Pour  comprendre 
cette  allusion,  qui  en  effet  n'est  pas  tres  claire,  il  faut,  croyons  -  nous,  se 
rappeler  les  sonnets  et  autres  petits  poemes  dont  C.  a  fait  pröc^der  son 
Do7i  Quijote,  et  dans  lesquels  figurent  et  parlent  justement  les  ötres  nom- 
raös  dans  les  lignes  eitles.  Voici  le  d($but  d'un  de  ces  poemes,  intitul^: 
Del  donoso  Poeta  entreverado  d  Sancho  Panxa  y  Rocinante: 

Soy  Sancho  Panza  escude  — 
del  Manchego  Doii  Quijo   — 

(la  seconde  strophe  commence  ainsi: 

Soy  Rocinante  el  famo  — 
bisnieto  del  gran  Babie  — ). 

Le  dernier  sonnet  contient  un  Diälogo  entre  Babieca  y  Rocmmite.  Nous 
somnies  persuade  que  l'auteur  des  vers  cites  plus  haut  a  en  effet  voulu 
insinuer  par  sa  phrase  m^chante  que  Cervantes  ^tait  l'auteur  de  la  Rela- 
eion  anonyme.  xVlais,  bien  entendu,  il  ne  s'ensuit  pas  de  la  que  nous 
estimions  qu'il  ait  necessairement  eu  raison. 

Entre  beaucoup  d'observations  de  detail  que  suggfere  la  lecture  de  la 
partie  principale  de  la  dissertation  de  M.  W.,  voici  quelques-unes :  En 
g^nöral  l'auteur  ne  parait  regarder  comme  'intercal^s'  que  les  gerondifs 
placös  entre  le  sujet  et  le  verbe  de  la  proposition  principale,  mais  p.  16, 
6.  V.  Ser,  il  cite  sous  cette  rubrique  l'ex.  suivant:  Gon  roluntad  mia, 
siendo  vosotros  testigos  della,  le  doy  la  mano  de  ser  su  esposa  Gal.  4  (208); 
par  contre,  p.  30,  1.  21,  il  ne  considfere  pas  comme  intercaM  ce  g^rondif : 
el  cual,  siendole  el  ciel  favorable,  le  hallo  D.  Q.  I  8  (62),  ce  qui  doit  etre 
une  simple  iuadvertance.  —  P.  8,  note  1,  l'auteur  renvoie,  pour  la  pro- 
nonciation  du  nom  propre  Persiles  a,  la  Span.  Sprachlehre  de  P.  Foerster.. 
Mais  il  n'est  peut-etre  pas  inutile  de  faire  remarquer  que  la  bonne  accen- 
tuation  rösulte  dejä  de  la  rime  avec  sotiles  et  fregoniles,  Viaje  del  Parnaso, 
cap.  IV,  V.  47  (p.  335).*  —  P.  9,  sous  la  rubrique:  'Le  sujet  du  gerondif 
est  une  proposition,'  M.  W.  cite  les  phrases  suivantes:  Llegando  el  que 
cantaba  ä  este  punto,  le  parecio  ä  Dorotea  que  . . .,  et  Y  queriendo  el  que 
Iiabia  quitado  . . .,  oü  le  sujet  est  un  pronom  suivi  d'une  proposition  rela- 
tive. II  en  est  de  meme  p.  ex.  p.  23,  s.  v.  Preguntar,  p.  41,  s.  v. 
Parecer,  p.  44,  s.  v.  Estar  et  Ser,  etc.  —  P.  33,  Asegurar,  et  la 
note.  L'auteur  a  ici  commis  un  lapsus  singulier:  le  sujet  du  gerondif 
n'est  pas  identique  a  celui  du  verbe  priucipal,  comme  il  est  dit  dans  la 
note.  —  P.  44,  s.  v.  Faltar.  Dans  l'exemple  all^gu«?  ici:  [estando  temo- 
roso  que]  al  salir  del  sol  hemos  de  quedar  d,  escuras,  faltdndonos  la  habla 
Nov.  12  (210),  la  construction  gerondive  n'equivaut  pas  ä  une  proposition 
conditionnelle,  comme  le  veut  M.  W.,   mais   bien   ä  une  jjroposition   de 


J  s 


S.  Archiv  LXXXVIII  471   (1892).     A.  Tobler. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  255 

cause,  ou  m^me  de  niani&re;  l'ex.  cit^  en  note  ne  prouve  pas  que  la 
moniere  de  voir  de  l'auteur  soit  juste.  —  Les  g^rondifs  absolus  eites  p.  IC 
et  48,  s.  V.  Ser,  ne  reniplacent  pa.s  non  plus  des  propositions  condition- 
nelles,  mais  des  propositions  causales  (cf.  un  exeniple  analogue  p.  36,  s.  v. 
Querer,  et  la  note  peu  claire  qui  s'y  rapporte).  —  P.  47,  dernier  ex.,  il 
n'6tait  pas  nöcessaire  de  modifier  la  ponctuation  de  l'ödition  Rivadeueyra, 
qui,  loin  de  presenter  une  taute  d'ii«prcs.sion,  donne  un  trt's  hon  sens. 
Seulement  il  aurait  fallu  citer  aussi  les  vers  qui  precedeut  immediatenient 
et  Interpreter  le  grrondif  absolu  conime  causal,  non  pas  conditionnel.  — 
P.  48,  dernier  ex.,  il  ne  doit  pas  etre  n^cessaire  d'admettre  une  anacoluthe. 

—  P.  On,  s.  V.  Callar: 

Dama.     jComo  hare  yo  que  el  entienda 

Esta  importancia  f 
Liigo.  Callando 

(suppläez  lo  häras);  dans   cet  exeniple  il  n'y  a  pas  de  görondif  absolu. 

—  P.  74  SS.  M.  W.  explique  le  jeu  de  mots  contenu  dans  la  locution 
cartada  la  cölera  y  ann  la  melancoUa  et  la  traduit  tres  bien  en  suedois; 
niais  la  traduction  franjaise  qu'il  propose,  'apres  qu'il  eurent  devor^  ä  la 
fois  leur  repas  et  leur  colfere,'  n'est  pas  exacte.  De  vor  er  sa  colfere  veut 
dire  'retenir,  dissimuler  sa  colfere';  il  vaudrait  mioux  employer  ici  le  verbe 
avaler. 

Malgrö  CCS  r^serves,  dont  quelques-unes  sont  peu  iniportantes.  nous 
regardons  la  th(ise  de  M.  Wistön  coiunie  un  travail  consciencieux  et 
m^ritoire  et  qui,  surtout  lorsqu'il  sera  complet,  ne  mauquera  certainement 
ni  d'int^ret  ni  d'utilitö. 

Lund.  E.  Wal b erg. 

Dr  Karl  Voretzsch,  ao.  Professor  der  romanischen  Philologie  an 
der  Universität  Tübingen,  Einführung  in  das  Studium  der 
altfranzösisehen  Sprache  zum  Selbstunterricht  für  den  An- 
fänger.   Halle  a.  S.,  Niemeyer,  1901.    XIV,  258  S.  8.    M.  5. 

Als  erster  Band  einer  'Sammlung  kurzer  Lelirbüclier  der  romanischen 
Sprachen  und  Litteraturen'  ist  unter  vorstehendem  Titel  ein  Buch  er- 
schienen, das,  wie  einige  andere  vorangegangene,  zur  Einführung  in  das 
Studium  des  Altfranzösisehen  zu  dienen  bestimmt  ist,  und  zwar  seinerseits 
für  solche,  die  eine  erste  Bekanntschaft  mit  dem  Gegenstände  unter  An- 
leitung eines  Lehrers  zu  gewinnen  nicht  in  der  Lage  sind.  Es  sei  gleich 
ausgesprochen,  dafs  das  Buch  in  hohem  Grade  geeignet  erscheint,  diesem 
Zwecke  zu  dienen,  durch  eine  im  ganzen  angemessene  Anlage,  durch  sorg- 
fältige Ausführung  in  allen  Teilen,  Zuverlässigkeit  der  Angaben,  Klarheit 
und  Genauigkeit  des  Ausdrucks.  Es  geht  auch  über  das  im  Titel  Ver- 
heifsene  insofern  noch  hinaus,  als  es  über  die  Weiterentwickelung  des 
Altfranzösischen  zum  Neufranzösischen  gleichfalls  unterrichtet,  wie  es 
denn  andererseits  das  erstere  (womit  hier  das   Altfrancische  gemeint 


256  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

ist)  nicht  einfach  als  ein  fertig  Gegebenes  darstellt,  sondern  als  ein  aus 
dem  Latein  auf  erkennbaren  Wegen  Gewordenes  begreifen  lehrt.  Dafs  ein 
verständiger,  mit  der  Durchschnittsvorbildung  eines  jungen  Studenten 
(Latein  freilich  einbegriffen !)  ausgerüsteter  Jünger  der  Wissenschaft  durch 
fleifsiges  Studium  des  Buches  zu  einer  schätzenswerten  Kenntnis  des  Alt- 
französischen gelangen  werde,  ist  mir  nicht  zweifelhaft ;  aber,  auch  Vor- 
gerücktere, ja  ältere  Fachleute  werden  von  ihm  mit  Nutzen  Kenntnis 
nehmen  und  dabei  nicht  selten  auf  eigentümliche  Auffassungen,  neue 
Deutungen  und  dergleichen  stofsen,  die  ihnen  vielleicht  zwar  nicht  in 
jedem  Falle  der  Annahme  unbedingt  wert  scheinen  mögen,  sicher  aber 
reifliche  Erwägung  verdienen. 

Die  Anlage  des  Buches  ist  die,  dafs  zunächst  auf  125  Seiten  die 
ersten  31  Verse  von  'Karls  Reise'  Wort  für  Wort  übersetzt  und  so  er- 
läutert werden,  dafs  zu  jedem  Worte  vorgetragen  wird,  was  über  die  Natur 
und  die  Genesis  der  es  bildenden  Laute,  seine  heutige  Gestalt,  sofern  es 
fortbesteht,  seinen  Ersatz,  sofern  es  untergegangen  ist,  seine  Bedeutung, 
seine  Flexion,  sofern  davon  die  Rede  sein  kann,  endlich  seine  Funktion 
im  Satze  an  Aufschlüssen  irgend  nötig  oder  nützlich  werden  mag.  Dabei- 
weist  der  Verfasser  fortwährend,  so  oft  in  einem  Worte  eine  bereits  be- 
sprochene Erscheinung  wiederkehrt,  auf  die  Stelle  zurück,  wo  er  zuvor 
darüber  gehandelt  hat,  so  dafs  die  wichtigeren  grammatischen  Thatsachen 
sich  unauslöschlich  einprägen  müssen.  (Auch  das  Unentbehrlichste  über 
den  alten  Alexandriner  wird  nicht  vorenthalten.)  Ob  es  sich  wirklich 
empfahl,  die  wertvolle  beschreibende  und  sprachgeschichtlich  erklärende 
Unterweisung,  die  sich  auf  diesen  ersten  125  Seiten  findet,  in  der  Ord- 
nung oder  vielmehr  Unordnung  vorzubringen,  die  durch  den  Zufall  des 
Bestandes  jener  31  Zeilen  an  Wörtern,  Lauten  und  Formen  bedingt  war, 
bleibe  dahingestellt.  Auch  zu  mir  sind  die  Redensarten  gedrungen,  mit 
welchen  die  Mode  des  Augenblicks  zu  rechtfertigen  versucht,  dafs  der 
Elementarunterricht  im  Neu  französischen  mit  zusammenhängenden  Lese- 
stücken beginne.  Hier  aber  scheinen  sie  des  Bestechenden  noch  weniger 
als  dort  zu  haben ;  und  es  ist  zu  befürchten,  dafs,  je  mehr  an  Altfranzösisch 
und  an  Sprachgeschichte  der  Anfänger  aus  den  125  Seiten  gelernt  hat, 
er  um  so  weniger  sich  erinnere,  was  in  den  81  Versen  steht,  die  ihm 
so  genau  interpretiert  oder  doch  zum  Vorwand  für  so  reichliche  Beleh- 
rung geworden  sind.  Jedenfalls  wird  er  es  hochwillkommen  heifseu, 
dafs  nun  auf  den  30  Seiten  des  zweiten  Teiles  die  bis  dahin  behandelten 
Lautgesetze,  d.  h.  Gesetze  des  Wandels  der  lateinischen  Laute  zu  den  alt- 
französischen in  systematischer  Übersicht  abermals  und  mit  stetem  Hin- 
weis auf  die  daraus  sich  erklärenden  Wörter  der  ersten  Laisse  wiederholt 
werden. 

Im  dritten  Teile  (etwa  fünfzig  Seiten)  geht  die  Erklärung  des  Ge- 
dichtes von  Karls  Reise  nun  einen  etwas  rascheren  Gang.  Von  den  Wör- 
tern der  Verse  32 — 258  und  802 — 870  (im  ganzen  lernt  der  Leser  also 
rund  300  Zeilen  des  Werkes  kennen)  werden  nur  noch  diejenigen  erörtert, 
die  Anlafs  zur  Mitteilung  zuvor  nicht  behandelter  Dinge  geben;  das  Ver- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  257 

ständnis  der  zwei  Stelleu,  die  eine  gedrängte  Übersicht  des  Inhaltes  der 
dazwischen  fehlenden  500  Verse  verbindet,  wird  der  Leser  mit  Hilfe  des 
sorgfältigen,  den  Schlufs  des  Buches  bildenden  Glossars  selbst  zu  ge- 
winnen verniögeu.  Als  vierter  Teil  schliefst  sich  dem  dritten  auf  etwa 
vierzig  Seiten  abermals  eine  systematische  Übersicht  an,  hier  des  Laut- 
standes, des  Formenstandes  und  (freilich  sehr  kurz)  der  syntaktischen  Ver- 
hältnisse des  französischen  Gedichtes,  in  der  Art  gegeben,  dafs  die  fran- 
zösischen Thatsaohen  (die  heutigen  einbegriffen)  den  Ausgangspunkt  bilden 
und  auf  ilire  lateinischen  Grundlagen  zurückgeführt  werden. 

Es  sei  gestattet,  auf  ein  paar  Stellen  des  höchst  lobenswerten  Buches 
hinzuweisen,  wo,  was  es  lehrt,  nicht  ganz  sicher  oder  einer  Berichtigung 
bedürftig  scheint.  S.  8  wird,  wie  in  müli,  lundi  u.  s.  w.,  auch  im  zweiten 
Teile  von  jadis,  tandis  das  Substantiv  di  (dies)  gesehen;  dies  wird  zu 
ändern  sein,  da  prov.  quandius  eine  andere  Deutung  wahrscheinlicher 
macht.  S.  11  und  Ol  dürfte  die  Erklärung  des  i  von  il  'er'  durch  Über- 
tragung aus  dem  Plural  il  den  (übrigens  erwähnten)  abweichenden  Deu- 
tungen gegenüber  den  Vorzug  nicht  verdienen.  Als  Grundlage  von  fz. 
poing  wird  S.  10  ein  Neutrum  pugnuin  angesetzt.  S.  17  *  ämicitatem  ist 
wohl  nur  Druckfehler  für  ämicitatem;  ebenso  * ätictoriearäio.  Die  S.  20 
gegebene  dritte  Kegel  über  die  Schicksale  von  Hiatus-z*  nach  Verschlufs- 
lauten  bedarf,  um  einleuchtend  zu  werden,  einiger  Erläuterung,  findet 
auch  in  sequere,  equa  oder  in  gewissen  Formen,  die  ridua  angenommen 
hat,  keine  Bestätigung.  Auch  die  Regel  (S.  60),  dafs  auslautendes  s  nach 
jedem  n  oder  ^  zu  *  werde,  ist  sehr  anfechtbar.  Die  Schreibung  ein  (=  lat. 
veni)  für  ving  ist  S.  62  und  poin  für  poiwj  64  als  die  normale  hingestellt; 
das  g,  das  in  solchen  Fällen  gewöhnlich  geschrieben  ist,  wird  kaum  be- 
deutungslos sein.  Bei  la  prist  a  araisnier  S.  69  handelt  es  sich  nicht  um 
eine  auffällige  Stellung  des  Pronomens,  das  eigentlich  zum  Infinitiv  ge- 
höre; es  ist  durchaus  nur  Objekt  zu  prist,  das  man  etwa  mit  'vornehmen' 
(zum  Zweck  einer  daran  auszuführenden  Thätigkeit)  übersetzen  kann ; 
so  hätte  Z.  215  statt  Le  patriarche  prist,  si  l'en  at  apelet  gesagt  werden 
können  Le  patriarche  prist  a  apeler  'nahm  ihn  zum  Ziel  der  Anrede'. 
Nicht  glücklich  wird  den  Hauptsätzen,  an  deren  Stelle  man  heute  Relativ- 
sätze bilden  würde,  S.  11  konsekutiver  Sinn  zugeschrieben;  wenn  es 
heifst  rei  nul  . . .,  Tant  bien  seist  espee,  so  ist  da  sicher  von  konsekutivem 
Wesen  nicht  zu  reden,  es  wird  einfach  in  Form  eines  Hauptsatzes  ein 
Merkmal  angegeben,  mit  dem  man  sich  einen  König  zu  denken  habe;  und 
da  König  und  Merkmal  als  nur  angenommen  hingestellt  werden  sollen,  so 
steht  das  Verbum  im  Konjunktiv.  Mit  der  Behauptung  S.  73,  dafs  dorne 
neben  dame  überhaupt  nicht  existiere,  ist  zuviel  gesagt.'  Als  Beispiel  der 
'Rekomposition'  (wie  requerre  statt  *requirre  aus  reqtiaerere  statt  aus  re- 
quirere)  kann  afj'aire  S.  81  nicht  gelten;  dieses  ist  kein  Verbum,  sondern 
die  zum  Substantiv  gewordene  Verbindung  der  Präposition,  nicht  des  Prä- 
fixes a  mit  dem  Infinitiv  faire.    S.  9ü  durfte  dictum  zu  dit  nicht  ohne 


'  S.  darüber  Zts.  f.  rom.  Phil.  XIH  54.S  (Foerster). 
Archiv  f.  n.  Sprachen.    CVm.  17 


258  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

weiteres  als  Beispiel  dafür  angeführt  werden,  dafs  7  in  geschlossener  Silbe 
erhalten  bleibe,  da  dictum  kurzes  i  hat  (it.  detto,  afz.  Beneoit).  Da,  wie 
der  Verfasser  selbst  lehrt,  tonlose  Pronomina  vor  dem  Infinitiv  (mit  einer 
bekannten  Ausnahme)  nicht  stehen,  sollte  man  auch  in  grammatischen 
Erörterungen,  wo  von  Altfranzösischem  die  Rede  ist,  Verbindungen  wie 
s'appeler  S.  96,  s'en  repentir  S.  124,  s'iraisire  S.  173,  s'esloignier  S.  175 
vermeiden.  S.  101  würde  die  Ableitung  des  Verbums  mrrocier  von  cor 
ruptum  vor  der  von  corruptum  um  des  Sinnes  willen  den  Vorzug  ver- 
dienen. Der  Gebrauch  von  car  S.  106  zur  Einleitung  von  Sätzen  der 
Aufforderung  oder  des  Wunsches  ist  von  Diez,  Gr.  III  215,  in  einer  Weise 
erklärt,  von  der  man  nicht  abgehen  sollte.  Eine  Imperativform  avex,  wie 
sie  S.  107  erwähnt  wird,  besteht  schwerlich.  Der  S.  115  wiedergegebenen 
etymologischen  Deutung  von  donc  aus  donique  steht  die  starke  Verschie- 
denheit des  Sinnes  im  Wege,  die  die  beiden  Wörter  trennt.  Mir  scheint 
die  Annahme  näher  zu  liegen,  a  (nicht  ad)  tunc  'von  da  ab'  sei  zu  adone 
geworden,  von  diesem  dann  sei  a  als  bedeutungslos  abgelöst  und  donc  zu 
donques  erweitert  worden,  weil  neben  onques  auch  onc  bestand.  Wie  mais 
zur  Bedeutung  von  'aber'  gekommen  ist  (S.  120),  glaube  ich  in  meinen" 
Verm.  Beitr.  III  82,  83  richtiger  dargelegt  zu  haben,  creant  in  Z.  37 
wird  nicht,  wie  S.  162  ausgeführt  ist,  das  Gerundium  von  creire  sein,  das 
keinen  annehmbaren  Sinn  geben  würde,  sondern  das  deverbale  Substantiv 
zu  creanter,  so  dafs  par  creant  heifst  'unter  Zustimmung',  'willig'.  Der 
S.  170  vorgetragenen  Deutung  von  ynoi^nge  steht  die  prov.  Form  mes- 
sorga  im  Wege,  die  man  von  der  französischen  nicht  gern  trennen  wird, 
und  die  auf  -onica  hinweist.  Die  Formen  *pettittum  und  vollends  *pet- 
tittuum,  auf  welche  nach  S.  177  petit  zurückgehen  soll,  sind  selbst  nicht 
verständlich  und  erklären  weder  fz.  petit  noch  ein  it.  (?)  petitto.  des  'gleich 
von  . . .  an'  erklärt  sich  dem  Sinne  nach  besser  aus  de  ips. .  als  aus  de 
ex  (S.  182),  und  ersteres  verträgt  sich  lautlich  mindestens  gleich  gut  mit 
den  fz.  und  den  prov.  Formen  der  Präposition,  vex,  wovon  S.  182  die 
Rede,  ist  meines  Erachtens  die  tonlose  Nebenform  zu  veix  (lat.  vides),  der 
fragende  Indikativ  im  Sinne  des  Imperativs  genommen,  wie  in  dem  ox 
(audisne)  des  Alexius.  voi  (S.  184)  als  gleichbedeutend  mit  und  Ausgangs- 
punkt für  vois  'ich  gehe'  ist  mir  meines  Erinnerns  nur  bei  neueren  Gram- 
matikern, nie  in  alten  Texten  begegnet.  So  traue  ich  auch  der  3.  PI. 
feirent  neben  firent  nicht  recht  (S.  188).  Die  S.  192  vorgebrachte  Er- 
klärung von  esnentre  als  einer  den  Infinitiven  auf  -re  angeglichenen  Form 
spricht  wenig  an;  liegt  es  nicht  näher,  an  lat.  scienter  zu  denken,  das  zu 
einer  anderen  Wortart  übergetreten  ist?  In  ront  sei  entrebaisier  (S.  192) 
ist  sei  zu  ront,  nicht  zum  Infinitive  zu  ziehen,  le  mielx  in  Z.  168  (S.  194) 
bedurfte  einer  Erklärung;  was  das  Glossar  davon  sagt,  ist  unzutreffend. 
Die  Worte  bedeuten  'um  so  besser',  s.  meine  Verm.  Beitr.  II,  S.  48  ff. 
Zu  l'en  auf  derselben  Seite  war  zu  bemerken,  dafs  der  Dativ  li  nur  vor 
en  sein  i  verliert.  Bei  der  Aufmerksamkeit,  die  der  Verfasser  sonst  allem 
Lautlichen  zuwendet,  überrascht  es,  dafs  seine  Erklärung  von  iluee  (S.  106) 
über  die  Schwierigkeit  hinweggeht,  die  in  dem  Verbleiben  des  i  von  illo 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  259 

loco  liegen  würde.  Eine  Bemerkung  verdiente  die  Art,  wie  si  Z.  228  und 
866  gebraucht  ist;  was  S.  108  über  dieses  Adverbium  gesagt  wird,  reicht 
für  jene  beiden  Stellen  nicht  aus.  Auch  von  od  sei  im  Sinne  von  od  lui 
7i.  232  war  ein  Wort  zu  sagen  nicht  überflüssig.  Heilst  oltree  Z.  213 
wirklich  'vorwärts'?'  In  iiule  rien  ne  lor  est  demoret  Z.  247  und  833  (409) 
möchte  ich  nicht,  wie  der  Verfasser  zu  letzterer  Stelle  thut,  einen  Fehler 
sehen,  den  die  Sorge  um  die  Assonanz  verschuldet  hätte,  sondern  nur 
die  Wirkung  davon,  dafs  rien  und  selbst  nule  rien  schon  früh  unter  Ver- 
kennung der  ursprünglich  substantivischen  Natur  und  des  Geschlechtes 
von  rieji  gebraucht  wurden,  gerade  wie  man  heute  sagt  personne  n'est 
venu,  obgleich  personne  nebenher  als  weibliches  Nomen  immer  noch  im 
Gebrauche  ist.  Dafs  los  nicht  ^=  laudes  ist  (S.  202),  was  lox.  gegeben  hätte, 
sondern  =  laus,  habe  icli  in  den  Sitzungsberichten  der  Berl.  Akademie 
189G  S.  859  ausgeführt  und  vor  mir  (1891)  G.  Paris  in  seinen  Auszügen 
aus  dem  Eolandsliede,  Glossar  unter  los,  schon  aufgestellt.  —  Die  Dar- 
stellung des  nach  Bartsch  benannten  Gesetzes,  wie  sie  S.  33  gegeben  wird, 
ist  nicht  ganz  vollständig  und  müfste,  wenn  man  sie  auch  als  vollständig 
wollte  gelten  lassen,  noch  durch  ein  paar  weitere  Beisi^iele  ergänzt  werden, 
die  das  Eintreten  des  ie  auch  nach  mouilliertem  /  und  nach  oi,  ai  u.  s.  w. 
zeigten.  Neben  chef  und  che)-,  die  die  'Reduktion  von  ie  zu  e'  im  Neu- 
französischen  veranschaulichen,  konnte  auch  des  nfz.  chien,  vielleicht  sogar 
anmerkungsweise  des  Verbums  chi-cr  gedacht  werden,  wo  das  Gesetz  fort- 
wirkt. Gern  hätte  ich  auch  zu  molt  est  corrociex  Z.  17,  pltis  est  riehes  27 
einen  Hinweis  auf  die  Verbindung  der  Adverbia  mit  dem  Verbum  finitum 
statt  mit  dem  prädikativen  Adjektiv  gesehen;  die  Erscheinung  ist  von 
grofser  Tragweite  und  auch  der  heutigen  Sprache  nicht  fremd. 

Ein  Buch  von  so  reichem  Inhalt  und  das  soviel  noch  nicht  völlig 
aufgeklärte  Thatsachen  zu  berühren  hatte,  gicbt  einem  Leser,  der  es  mit 
der  gebührenden  Sorgfalt  prüft,  leicht  Anlafs  zu  kleinen  Ausstellungen, 
und  so  hätte  ich  noch  dies  und  jenes  zu  dem  Gesagten  hinzuzufügen, 
z.  B.  zu  bemerken,  dafs  S.  12  Z.  17  v.  u.  'voriges  Jahrhundert'  im  Jahre 
1901  nicht  der  richtige  Ausdruck  ist,  dafs  S.  16  bei  der  Darlegung  des 
Darmesteterschen  (Gesetzes  nicht  blofs  von  nachfolgenden  schweren 
Konsonantengruppen  gesprochen  sein  sollte,  die  den  Ausfall  des  Vorton- 
vokals  hindern  (bedenke  sospe^n),  dais  die  Schreibungen  l'honor,  l'hueni, 
V herbe  (S.  20)  doch  nicht  als  die  altfranzösisch  üblichen  gelten  dürfen, 
dafs  mau  von  'Bildung  des  Genetivs  mittels  de'  (S.  43)  besser  nicht  spricht, 
dafs  die  Entstehung  von  parei  aus  parietem  S.  55  nicht  verständlich  wird; 
ich  hätte  auch  Anlafs  zur  Berichtigung  ziemlich  zahlreicher  Druckfehler. 
Doch  möchte  ich  ja  nicht  den  Eindruck  abschwächen,  dafs  man  es  mit 
einem  Buche  zu  thun  hat,  zu  dessen  Vollendung  gröfster  Ernst,  reiches 
Wissen,  bedeutendes  didaktisches  Geschick  sich  verbunden  haben,  und 
das  unseren  Studien  die  wertvollsten  Dienste  zu  leisten  verspricht. 

Berlin.  Adolf  Tobler. 


'  S.  dazu  Georg  Cohn  in  Zts.  f.  rom.  Phil.   XVITT  205  Anm. 

17* 


260  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Ludwig  Hasberg,  Praktische  Phonetik  im  Klassenunterricht  mit 
besonderer  Berücksichtigung  des  Französischen.  Kurze  An- 
leitung zur  Erzielung  einer  reinen  französischen  Aussprache. 
Leipzig,  Rengersche  Buchhandlung,  1901.     70  S.  8. 

Dafs  in  der  Schule  beim  Unterrichte  in  einer  fremden  Sprache  der 
Phonetik  eine  Kolle  zuzuweisen  sei,  ist  heute  wohl  so  ziemlich  allgemein 
anerkannt;  es  fragt  sich  nur,  in  welcher  Art  und  in  welchem  Umfange 
dies  zu  geschehen  habe.  Verfasser  vertritt  mit  seinen  im  ganzen  mafs- 
vollen  Forderungen  einen  Standpunkt,  dem  man  ohne  Bedenken  beitreten 
kann:  er  will  in  der  Schule  keine  theoretische  Phonetik  getrieben  wissen 
und  hält  auch  eine  Lautschrift  nicht  für  notwendig,  dagegen  bezeichnet 
er  es  mit  Recht  als  unerläfslich,  dafs  der  Lehrer  dem  Schüler  das  richtige 
Auffassen  und  Nachahmen  der  fremden  Laute  durch  fafsliche  Darlegung 
der  jeweiligen  Stellungen  der  Si^rachorgane  erleichtere.  Es  ist  vollkommen 
richtig,  dafs  es  vor  allem  darauf  ankommt,  dem  Schüler  klarzumachen, 
worin  die  jedesmalige  Schwierigkeit  begründet  liegt,  damit  er  weifs,  worauf 
er  seine  besondere  Aufmerksamkeit  zu  richten  hat,  und  es  kann  nicht" 
zweifelhaft  sein,  dafs  eine  tadellose  Hervorbringung  z.  B.  der  französischen 
Nasalvokale  auf  diesem  Wege  durchaus  erreichbar  ist.  In  manchen 
anderen  Punkten  freilich  dürfte  die  Sache  nicht  so  einfach  sein,  wie  Has- 
berg zu  glauben  scheint;  unter  anderem  möchte  ich  bezweifeln,  dafs  man 
bei  Sachsen  und  Thüringern  bezüglich  der  stimmhaften  und  der  stimmlosen 
Konsonanten  so  schnell  zu  wirklich  befriedigenden  Ergebnissen  gelangen 
kann,  wie  S.  37  behauptet  wird.  Auch  bleibt  doch  immer  mit  dem  Übel- 
stande zu  rechnen,  dafs  der  Schüler  bei  dem  'Vormachen'  von  selten  des 
Lehrers  meistens  die  Zungenstellungen  des  letzteren  nicht  sehen  kann, 
also  praktische  Winke  nicht  wohl  eintreten  können,  vielmehr  doch  zur 
Theorie  gegriffen  werden  müfste,  um  den  Schüler  die  französische  Arti- 
kulationsbasis gewinnen  zu  lassen,  deren  Hauptcharakteristikum  ja  die  er- 
höhte Zungen-  und  Kehlkopflage  ist. 

Nach  den  Vorbemerkungen  lag  die  Erwartung  nahe,  dafs  Hasberg 
sich  auf  eine  Anleitung  zur  Beibringung  und  Einübung  derjenigen  fran- 
zösischen Laute  beschränken  würde,  deren  vollkommene  Aneignung  am 
wichtigsten  und  auch  am  ehesten  erreichbar  ist.  Statt  dessen  erhalten 
wir  einen  Abschnitt  'Das  Wichtigste  über  die  Sprachorgane  im  allgemeinen' 
und  in  einem  weiteren  eine  auf  Victor  und  Quiehl  basierende  kurzgefafste 
Darstellung  der  französischen  Aussprache  überhaupt.  Vermutlich  ist  beides 
zur  Anregung  für  diejenigen  Lehrer  bestimmt,  welche  noch  nicht  voll- 
ständig davon  überzeugt  sind,  dafs  der  Unterrichtende  auch  phonetisch 
durchgebildet  sein  müsse.  Was  die  Beschreibung  der  Sprachorgane  an- 
geht, so  vermifst  man  mehrfach  eine  zutreffende  Anschauung,  die  aller- 
dings nur  durch  Betrachtung  anatomischer  Präparate  —  alle  Modelle  sind 
ungenügend  —  gewonnen  werden  kann.  Wenn  Verfasser  z.  B.  einen 
Kehldeckel  gesehen  hätte,  würde  er  nicht  mehr  sagen :  'Der  Kehldeckel 
öffnet   sich   beim   Atmen   und    Sprechen'   (S.  13).     Von    Stimmbändern 


Rfurtcilunfron  und  kurze  Anzeigen.  261 

sollte  man  nicht  mehr  reden,  weil  dadurch  eine  ganz  falsche  Vorstellung 
von  freigespannten  Bändern  erweckt  wird;  gerechtfertigt  ist  nur  der  Aus- 
druck 'Stimmlippen',  wie  ja  denn  auch  französische  Physiologen  nicht 
selten  Ihres  vovales  sagen,  oder  Stimmründcr',  denn  es  sind  bekanntlich 
die  membranösen,  etwas  vorspringenden  Ränder  der  zwei  elastischen,  ein- 
ander zugeneigten  Kissen,  zu  denen  die  inneren  Wandungen  des  Fort- 
satzes der  Luftröhre  rechts  und  links  anschwellen.  Nach  der  Beschreibung, 
die  Hasberg  vom  Stimmorgan  giebt,  kann  sich  niemand,  der  es  nicht  aus 
eigener  Anschauung  kennt,  ein  klares  Bild  machen;  unter  den  deutschen 
Phonetikern  giebt  übrigens  die  richtigste  Definition  Kllnghardt  in  seinen 
'Artikulations-  und  Hörübungen'. 

Zu  dem  Abschnitte  'Phonetische  Winke  und  Hilfen'  mögen  auch  noch 
ein  paar  Bemerkungen  im  einzelnen  Platz  finden.  Bei  den  Nasalen  über- 
rascht es  mich,  dafs  Hasberg  dem  Lehrer  nicht  empfiehlt,  das  Gaumen- 
segel dem  Schüler  im  Handspiegel  zu  zeigen.  Dann  befremdet  die  For- 
derung, dafs  die  Lernenden  den  Mund  ganz  weit  aufmachen  sollen  (S.  ^'2, 
vgl.  S.  49);  dies  ist  meines  Erachtens  hier  von  keinem  Nutzen,  eher  wirkt 
es  hindernd,  denn  durch  weites  Öffnen  des  Mundes  wird  die  Zunge  leicht 
unruhig,  und  die  Schwierigkeit  besteht  ja  gerade  darin,  die  Zunge  mög- 
lichst ruhig  zu  halten,  d.  h.  ihr  ja  nicht  mehr  Bewegung  zu  gestatten,  als 
zur  Erzeugung  des  Mundvokals  unumgänglich  notwendig  ist,  weil  sonst 
leicht  das  Gaumensegel  gereizt  wird  und  in  die  Höhe  fährt  oder  der 
hintere  Zungenrücken  den  Mundzugang  versperrt.  Bei  dieser  Gelegenheit 
sei  etwas  bemerkt,  was  ich  in  den  mir  bekannten  phonetischen  Lehr- 
büchern nicht  angegeben  gefunden  habe,  nämlich  dafs  in  der  heutigen 
Pariser  Aussprache  ö  sich  ziemlich  stark  phon.  tl  nähert  (ausgenommen 
in  non)  und  weiterhin  ä  dem  ö.  In  immanquable  (S.  33)  ist  die  Aus- 
sprache mit  Nasal  doch  gewifs  nicht  die  gewöhnliche.  Das  /  in  genta 
enfant  {S.  41)  ist  mouilliert,  wie  es  ja  richtig  kurz  vorher  im  gentilhotmne 
angegeben  wird.  Der  Tonvokal  in  Montaigne  (S.  27}  lautet  heute  wohl 
häufiger  e  als  a;  es  liegt  offenbar  eine  Rückwirkung  der  Schreibung  auf 
die  Aussprache  vor. 

Berlin.  O.  Schultz-Gora. 

Georg  Stier,  Causeries  fran^aises.  Ein  Hilfsmittel  zur  Erlernung 
der  französischen  Umgangssprache.  Für  sämtliche  höhere 
Lehranstalten,  Fortbildungsschulen,  Pensionate,  sowie  zum 
Selbststudium.  Zweite,  durchgesehene  und  vermehrte  Auf- 
lage. Köthen,  Otto  Schulze,  190L  XXX,  256  S.  8.  Geb. 
M.  2,80. 

Ein  gutes,  empfehlenswertes  Buch.  Mit  vielem  Geschick  hat  der  Ver- 
fasser für  eine  Anzahl  von  Vorkommnissen  des  täglichen  Lebens,  wie 
Reisen,  Einkäufe,  Benutzung  des  Telephons  u.  s.  w.,  die  wichtigsten  hier- 
bei in  Betracht  kommenden  Ausdrücke  und  Wendungen  zu  zusammen- 
hängenden  Texten    verwoben,   auch   allerlei    nützliche    Belehrungeu    über 


262  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Realien  eingeflochten.  Die  Texte  lesen  sich  recht  gefällig  und  zeugen 
von  gründlicher  Beherrschung  der  franz.  Umgangssprache.  Eine  Einleitung 
giebt  schätzbare  Winke  für  die  Benutzung  des  Werkes. 

Berlin.  E.  Pariselle. 

Henri  Paris,  Les  Fran9ais  chez  eux  et  eutre  eux.  Conversations 
de  la  vie  courante  (Titel  auf  dem  Einband:  Wie  fremde 
Sprachen  gesprochen  werden.  Französische  Gespräche).  Leip- 
zig, Paul  Spindler  (o.  J.).     VI,  120  S.  8.     Geb.  M.  1,50. 

Deutsche  Übersetzung  dieser  Gespräche  zum  Rückübersetzen  ins 
Französische  eingerichtet  von  M.  Beck.     Geb.  M.  1,30. 

Von  dem  vorstehend  angezeigten  Buche  von  Stier  unterscheidet  sich 
das  von  Paris  dadurch,  dafs  es  in  Dialogform  abgefafst  ist.  Dies  erscheint 
mir,  zum  mindesten  für  den  Schulunterricht,  als  ein  Nachteil,  weil  mit 
solchen  Dialogen  sich  nichts  weiter  anfangen  läfst  als  die  fertigen  Fragen 
und  Antworten  einzuüben,  während  an  zusammenhängende  Stücke  sich 
freiere,  die  Produktivität  der  Schüler  anregende  Übungen  anschliefsen  - 
lassen.  Mit  dieser  Einschränkung  kann  das  Büchlein  wohl  empfohlen 
werden.  Die  34  Gespräche,  die  es  enthält,  sind  in  gutem  familiärem  Fran- 
zösisch, wie  es  von  Gebildeten  gesjjrochen  wird,  abgefafst  und  zeigen  überall 
das  Bestreben,  jene  Fadheit  des  Inhaltes  zu  vermeiden,  die  vielen  ähn- 
lichen Konversationsbüchern  anhaftet.  —  Der  zur  Rückübersetzung  ein- 
gerichteten deutschen  Übersetzung  der  Gespräche  ist  die  Bemerkung  voran- 
geschickt, es  sei  in  ihr  weniger  auf  Eleganz  der  Sprache  als  auf  Genauig- 
keit, ja  Wörtlichkeit  der  Übersetzung  Gewicht  gelegt  worden.  Aus  diesen 
Worten  spricht  aber  eine  zu  grofse  Bescheidenheit,  Zwar  finde  auch  ich 
es  nicht  gerade  sehr  elegant,  wenn  Bonjour,  monsieur,  ä  quoi  dois-je  l'hon- 
neur  . . .?  wiedergegeben  wird  mit:  Outen  Tag,  mein  Herr,  was  (sie!)  »er- 
danke  ich  die  Ehre?  Dafür  aber  drücken  sich  an  zahlreichen  Stellen  die 
Personen,  denen  die  Gespräche  in  den  Mund  gelegt  sind,  mit  einer  so 
raffinierten  Eleganz  aus,  wie  sie  mir  im  Leben  selten  begegnet  ist.  So 
führt  sich  z.  B.  S.  67  eine  Wäscherin  mit  den  Worten  ein :  Outen  Tag, 
mein  Herr,  ich  Jcomme  von  der  Portiersfrau,  um  mich  Ihrer  Wäsche  anxu- 
nehmen,  worauf  der  erfreute  Herr  nicht  minder  gewählt  antwortet:  Ich 
tüürde  sehr  befriedigt  sein,  ivenn  Sie  es  auf  sich  nehmen  ivollten,  sie  in  Ord- 
nung xu  halten,  mc  flicken  u,  s.  w. 

Berlin.  E.  Pari  seile. 

Gerhard  Strotkötter,  La  Vie  journalifere  oder  Konversations- 
übungen über  das  tägliche  Leben  in  französischer  und  deut- 
scher Sprache.    Leipzig,  B.  G.  Teubner,  1901.    56  S.  gr.  8. 

Dieses  Heft,  dessen  Inhalt  aus  seinem  Titel  zur  Genüge  erhellt,  ist 
für  den  Schulunterricht  zusammengestellt.  Ich  vermag  an  ihm  weder 
besondere  Vorzüge   noch   besondere  Mängel    zu   entdecken.     An  kleinen 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  263 

Mängeln  ist  mir  aufgefallen:  die  unzulässige  Silbentrennung  ra-yomwnt 
(S.  4),  der  Druckfehler  une  poele,  ein  Ofen  (iS.  71,  die  unfranzösischen 
Wendungen  Veidllex  rous  bien  asseoir  und  Donnex-vous  bien  la  peine  de 
rous  asseoir  (S.  11)  und  //  a  reste  six  mois  =l  Er  ist  sechs  Monate  da- 
gewesen (nicht  mehr  da)  (S.  52),  was  man  meines  Wissens  nur  von  wenig 
gebildeten  Franzosen  zu  hören  bekommt. 

Berlin.  E.  Pariselle. 

Dr.  R.  Krön,  Guide  ^pistolaire.  Anleitung  zum  Abfassen  fran- 
zösischer Privat-  und  Handelsbriefe.  Erweiterte  Neubearbei- 
tung. Karlsruhe  i.  B.,  J.  Bielefelds  Verlag  (o.  J.).  47  S.  8. 
M.  2. 

Der  Verfasser  giebt  keine  Sammlung  von  Musterbriefen,  sondern  hat 
die  wichtigsten  Wendungen,  die  in  den  verschiedenen  Briefarten,  wie 
Gratulationsbriefen,  Dienstanerbieten,  Ersuchen  um  Auskunft  u.  s.  w.,  An- 
wendung finden,  übersichtlich  zusammengestellt,  so  dafs  ein  jeder  den 
Brief,  den  er  zu  schreiben  wünscht,  gewissermafsen  in  seinen  Grundlinien 
vorgezeichnet  findet.  Die  nötigen  Belehrungen  über  die  im  Französischen 
üblichen  Formalien  fehlen  nicht,  und  das  Werkchen,  das  auf  engem  Räume 
eine  Fülle  von  Wissenswertem  bietet,  wird  allen,  die  französische  Briefe 
zu  schreiben  haben,  gute  Dienste  leisten. 

Berlin.  E.  Pariselle. 


Verzeichnis 

der  vom  20.  November  1901  bis  zum  17.  Februar  1902  bei  der 
Redaktion  eingelaufenen  Druckschriften. 


The  American  Journal  of  philology.  XXII,  2  [J.  M.  Garaett,  über 
T.  Toller's  Outlines  of  the  history  of  the  English  language  und  über 
W.  Sedgefield's  Übersetzung  von  König  Alfreds  Version  of  tbe  consolations 
of  Boethius].  —  XXII,  3. 

Zeitschrift  für  österreichische  Volkskunde.  VII,  5,  6.  S.  201 — 264, 
mit  22  Notenbeispielen  [M.  Haberlandt,  C.  Weinhold.  —  B.  Krobott,  Die  ' 
kroatischen  Bewohner  von  Themenau  in  Niederösterreich.  —  H.  Eein- 
hofer,  Gesammeltes  aus  dem  Voralpengebiete.  —  E.  Domluvil,  Eine  Art 
ehemaliger  Hausindustrie  in  der  mährischen  Walachei.  —  J.  Zahradnlk, 
Ostereier  aus  Neudorf  bei  Ung.-Hradisch.  —  Kleine  Mitteilungen.  Eth- 
nographische Chronik.     Litteratur  etc.]. 

Schweizerisches  Archiv  für  Volkskunde  . . .  herausgeg.  von  Ed.  Hoff- 
mann-Krayer.  V,  4  [G.  Sütterlin,  Sagen  aus  dem  ßirseck.  H.  Kasser, 
Die  Reinhardt'sche  Sammlung  von  Schweizer  Trachten  aus  den  .Jahren 
1789—1797.  R.  Morax,  Le  Carnaval  dans  la  Vall^e  de  Conches.  J.  Jeger- 
lehner.  Sagen  aus  dem  Val  d'Anniviers.  E.  Hoffmann-Krayer,  Die  Be- 
rufe in  der  Volkskunde.     Bücheranzeigen.     Berichtigungen.     Register]. 

Dietrich,  Carl,  Grundlagen  der  Völkerverkehrssprache.  Entwürfe 
für  den  Auf-  und  Ausbau  einer  denkrichtigen,  neutralen  Kunstsprache 
als  zukünftige  (sie)  Schriftsprache,  eventuell  auch  Sprechsprache  für  den 
internationalen  Verkehr.     Dresden,  Kühtmann,  1902.     70  S.     M.  3. 

Wheeler,  B.  .1.,  The  causes  of  uniformity  in  phonetic  change.  Sepa- 
rat-Abdruck  aus  den  Transactions  of  the  xVmerican  Philological  Association, 
1901.     S.  5—15. 

Flaschel,  H.,  Unsere  griechischen  Fremdwörter.  Für  den  Schul- 
unterricht und  zum  Selbststudium.     Leipzig,  Teubner,  1901.     79  S. 

Varnhagen,  H.,  Zur  Geschichte  der  Legende  der  Katharina  von 
Alexandrien,  Sonderabdruck  aus  der  Festschrift  der  Universität  Erlangen 
zur  Feier  des  80.  Geburtstages  des  Prinzregenten.  Erlangen,  Deichert, 
1901.  14  S.  4.  M.  0,60.  (Varnhagen  weist  bisher  unbeachtete  lateinische 
Fassungen  der  Katharinenlegende  nach  und  unterzieht  Knusts  Angaben 
über  die  Quellen  der  englischen  Fassungen  einer  Nachprüfung.) 

Müller,  Dr.  Heinrich,  Oberlehrer  am  Bismarckgymnasium  zu  Dt.- 
Wilmersdorf,  Fort  mit  den  Schulprogrammen!  Berlin,  Gerhardt,  1902. 
32  S.  8.     M.  0,50.  

Litteraturblatt  für  germanische  und  romanische  Philologie.  XXII, 
11,  12. 

Modern  language  notes,  XVI,  7  [E.  C.  Baldwin,  Ben  Jonson's  in- 
debtedness  to  the  Greek  character-sketch.  —  H.  S.  Thieme,  Joseph  Texte.  — 


Verzeichnis  der  eingelaufenoii  Druckschriften.  265 

A.  S.  Cook,  Paradise  lost  VII,  364 — 6.  —  J.  A.  Walz,  The  American 
revolution  and  German  literatnre.  I.  —  E.  W.  Scripture,  Current  notes 
in  phonetics.  —  E.  Holbrook,  Mistranslatiou  of  Dante.  —  W.  E.  Mead, 
Commendry.  —  E.  S.  Hooper,  Skelton's  'Magnyfycence'  and  Cardinal 
Wolsey.  —  Keviews  etc.].  —  8  [J.  A.  Walz,  The  American  revolution  and 
German  literature.  II.  —  C.  Harrison,  llemarks  on  the  criteria  of  usage, 
with  especial  roference  to  Kind  of,  Sort  of.  —  C.  C.  Rice,  EtyraologicAl 
notes  on  Old  Spanish  Oonsograr.  —  C.  W.  Eastman,  Isidor  17,  7.  — 
W.  H.  Browne,  Fewter.  —  A.  J.  Roberts,  Did  Ilroswitha  Imitate  Te- 
rence?].  —  XVII,  1  [C.  B.  Bradley,  Is  'we'  the  plural  of  'I'?  —  F.  A. 
Wood,  Etymological  notes.  —  L.  Pound,  Another  version  of  the  ballad 
of  Lord  Rundal.  —  A.  S.  Cook,  An  unsuspected  bit  of  Ags.  verse.  — 
W.  P.  Reeves,  Shakespeare'«  Queen  Mab]. 

Publications  of  the  modern  language  association  of  America.  XVI,  4 
[R.  H.  Fletcher,  Two  notes  on  the  Historia  reguni  Britanniae  of  Geoffrey 
of  Monmouth.  —  M.  A.  Scott,  The  book  of  the  courtyer,  a  possible  source 
of  Benedick  and  Beatrice.  —  C.  S.  Northup,  Dialogus  inter  corpus  et 
animam :  a  fragment  and  a  translation.  —  Proceedings]. 

Die  neueren  Sprachen  ...  herausgeg.  von  W.  Victor.  IX,  7  [F.  N. 
Finck,  Die  französischen  Laute  des  XIII.  Jahrhunderts  nach  dem  Zeugnis 
mittelarmonisfher  Transskriptionen.  E.  Rodhe,  Les  differences  de  ton 
dans  le  vocabulaire  franyais.  Berichte.  Besprechungen].  8  [A.  Brunne- 
mann,  George  Sand.  E.  Sieper,  Studien  zu  Longfellows  p]vangeline.  Be- 
richte.  Vermischtes]. 

The  modern  langua^e  quarterly.     IV,  2   [H.  C.  Wyld,  Henry  Sweet. 

—  G.  Hodgsou,  Henry  Vaughan.  —  W.  W.  Greg,  Fairfax  eighth  eclogue. 

—  G.  C.  ^loore  Smith,  Donniana.  —  A.  Tilley,  A  spurious  book  of 
Pantagruel.  —  Correspondence  etc.  |.  —  o  [E.  Oswald,  The  Endish  Goethe 
Society.  —  R.  B.  McKerrow,  The  use  of  so  called  classical  metres  in 
Elizabethan  verse.  I.  —  F.  C.  Nicholson,  Minnesong  and  the  Elizabethan 
sonnets.  —  P.  Bauer,  Karl  Weinhold.  —  Reviews  etc.]. 

Clark,  W.  J.,  Byron  und  die  romantische  Poesie  in  Frankreich. 
Diss.  Leipzig,  1901.     101  S. 

Steuerwald,  Dr.  W^ilhelm,  Kgl.  Gymnasialprofessor  in  München, 
Übersetzung  der  Absolutarialauf  gaben  aus  der  französischen  und  eng- 
lischen Sprache  au  den  humanistischen  Gymnasien,  Realgymnasien  und 
Realschulen  Bayerns.  Dritte  vermehrte  Auflage.  Stuttgart,  Muth,  ..IQO'2. 
200  S.  8.  Geb. 'M.  2.  (Die  deutschen  Texte,  die  den  Schülern  zum  Über- 
setzen vorgelegt  worden  sind,  hat  mau  ebenfalls  gesammelt  herausgegeben  : 
Würzburg,  Stachel,  M.  2;  auch  getrennt  in  zwei  Bändchen  zu  M.  I.) 


Americana  Germanica.  IV,  1  [M.  D.  Learned  and  C.  Grosse,  Tage- 
buch des  Capt.  Wiederholdt  vom  7.  Oktober  1770  bis  7.  Dezember  1780]. 

The  Journal  of  Germanic  philology.  III,  3  [0.  P.  Seward,  The 
strengthered  negative  in  MHG.  —  G.  L.  Kittredge,  The  'Misogonus'  and 
Laureuce  Johnson.  —  W.  D.  Briggs,  King  Arthur  and  King  Cornwall.  — 
G.  Hempl,  Influence  of  vowel  of  different  quantity.  —  G.  E.  Karsten, 
The  ballad  of  the  cruel  moor.  —  Reviews.  —  A.  S.  Cook,  P.  J.  Cosijn, 
in  memoriam].  —  4  [E.  Jack,  The  autobiographical  Clements  in  Piers  the 
Plowman.  —  N.  C.  Brooks,  The  lanientation  of  Mary  in  the  Frankfort 
group  of  passion  plays.  —  P.  S.  Alkri,  W.  Müller  und  das  deutsche 
Volkslied.  III.  —  F.  G.  Schmidt,  Bursenknechtlied.  —  K.  Francke,  A  ro- 
mantic  dement  in  the  prelude  to  Goethe's  Faust.  —  F.  Klaeber,  An 
emendation  in  the  0.  E.  version  of  Bede  IV,  24.  —  Reviews]. 

Euphorion.  5.  Ergänzungsheft  [B.  Richter,  Die  Entwicklung  der 
Naturschilderung  in   den   deutschen  geographischen  Reisebeschreibungen, 


266  Vcrzcichuis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Naturschilderung  in  der  ersten  Hälfte 
des  19.  Jahrhunderts.  —  J.  Wihan,  Matthäus  von  CoUin  und  die  patrio- 
tisch-nationalen Kunstbestrebungen  in  Osterreich  zu  Beginn  des  19.  Jahr- 
hunderts. —  Findlinge:  Ein  Brief  aus  Herders  Nachlafs;  ein  Brief  G.  A. 
Bürgers;  drei  Briefe  aus  G.  W.  Schlegels  Nachlafs;  H.  von  der  Hagen 
an  F.  von  Raumer;  zwei  Briefe  Gottfried  Kellers.  —  H.  Spina,  Register]. 

Friedmann,  Dott.  S.,  profe.ssore  ordinario  di  lingua  e  letteratura 
tedesca  alla  R.  Accad.  scientifico-letteraria  di  Milano,  Grammatica  tedesca 
con  esercizi,  letture  e  vocabolario  etimologico.  Seconda  edizione.  Torino, 
Loescher,  1902.     VIII,  336  S.  8.     L.  3,50. 

Behaghel,  O.,  Die  deutsche  Sprache  (Das  Wissen  der  Gegenwart, 
54.  Band).    2.  Aufl.    Leipzig,  Freytag,  1902.    VIII,  370  S.    Geb.  M.  3,60. 

Schweizerisches  Idiotikon  ...  bearb.  von  A.  Bachmami,  R.  Schoch, 
H.  Bruppacher,  E.  Schwyzer.  XLIV.  Heft  (Band  V,  Bogen  2— 11). 
Frauenfeld,  Huber. 

Züricher,  Gertrud,  Kinderlied  und  Kinderspiel  im  Kanton  Bern. 
Nach  mündlicher  Überlieferung  gesammelt.  Zürich,  Verlag  der  Schweize- 
rischen Gesellschaft  für  Volkskunde,  1902  (Schriften  der  Schweizerischen 
Gesellschaft  f.  Volksk.  2).     168  S.  8. 

Langer,  E.,  Deutsche  Volkskunde  im  östlichen  Böhmen.  Band  I, 
Heft  3,  4.    Braunau  i.  B.  1901.     S.  93—167.    M.  1,10. 

Ir misch,  L.,  Wörterbuch  der  Buchdrucker  und  Schriftgiefser.    Etwa, 
1700  fachgewerbliche  und  fachgesellschaftliche  Wörter  und  Redensarten, 
sprachlich  und  sachlich  kurz  erläutert.    Braunschweig,  Westermann,  1901. 
IV,  84  S. 

Deutsche  Rätsel  gesammelt  von  O.  Fromme  1.  1.  Heft.  Leipzig, 
Avenarius,  1902.     51  S. 

Kudrun  herausgegeben  und  erklärt  von  E.  Martin  (Germanistische 
Handbibliothek.  II).  2.  verbesserte  Auflage.  Halle,  Waisenhaus,  1902. 
LX,  372  S. 

Geiger,  L.,  Goethes  Leben  und  Werke  (Einzeldruck  aus  'Goethes 
sämtUche  Werke.  Vollständige  Ausgabe  in  44  Bänden').  Leipzig,  Hesse. 
200  S. 

Brand,  A.,  Müller  von  Itzehoe,  sein  Leben  und  seine  Werke.  Ein 
Beitrag  zur  Geschichte  des  deutschen  Romans  im  18.  Jahrhundert  (Litte- 
rarische Forschungen,  herausgegeben  von  Schick  und  v.  Waldberg.  XVII). 
Berlin,  Felber,  1901.    99  S.    M.  2,40. 

Woerner,  R.,  Fausts  Ende.  Antrittsrede,  gehalten  d.  18.  Nov.  1901 
in  Frei  bürg  i.  B.    28  S.    M.  0,80. 


Englische  Studien.  XXX,  1  [C.  A.  Smith,  The  chief  difference  be- 
tween  the  first  and  second  folios  of  Shakespeare.  —  R.  Boyle,  Troilus 
and  Cressida.  —  K.  Meissner,  Lieutenant  Cassio  und  Fähnrich  Jago.  — 
H.  Femow,  Zu  Shakespeares  Tempest  I,  2,  387—394.  —  F.  Luckwaldt, 
Zum  Ursprung  des  Burenkrieges.  —  Besprechungen  etc.]. 

Anglia.  XXIV,  4  [H.  Meurer,  Noch  einiges  zum  Bacon-Shakespeare- 
Mythus.  —  M.  Manitius,  Ags.  Glossen  in  Dresdener  Hss.  —  E.  Flügel, 
Shelley's  Sophocles.  —  E.  Flügel,  Gower's  Mirour  de  l'omme  und  Chau- 
cer's  Prolog.  —  M.  H.  Peacock,  The  Wakefield  misteries.  The  place  of 
representation.  —  0.  B.  Schlutter,  Zur  Steuer  der  Wahrheit].  —  XXV,  1 
[0.  Ballmann,  Chaucers  Einflufs  auf  das  englische  Drama  im  Zeitalter 
der  Königin  Elisabeth  und  der  beiden  ersten  Stuartkönige.  —  P.  Siegel, 
Aphra  Behns  Gedichte  und  Prosawerke]. 

Beiblatt  zur  Anglia.    XII,  8—12;  XIII,  1. 

The  English  worid.  December  1901  [St.  Smith  -  Barlow,  The  high 
school  in  the  LTnited  States.  —  Glasgow  university,   1451 — 1901.  —  Sir 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  PriKkstliriften.  2(37 

Walter  Besant,  London  life  in  1850.  —  Hanipstead  Heath.  —  Tbc  hou.siujj 
problem.  —  A.  L.  Baldry,  The  Athenseuni.  —  F.  Sornmerville,  Edmund 
Gosse.  —  Exnioor  ponies.  —  The  Buffalo  cxhitntiou.  —  I).  Croal  Thom- 
son, The  Carnegie  art  gallery.  —  The  life  of  a  debtor  in  prison,  by  one 
of  them.  —  Mrs.  Alfred  Sidgwick,  The  wife's  holiday.  —  Cads.  —  The 
pan-Celtic  congress.  —  The  history  of  Sir  Richard  Calmady.  —  Odds  and 
ends  of  interest  etc.].  —  January  lOU'i  [Mr.  Morley's  Cromwell.  —  Her- 
bert Greenaway,  The  Coming  coronation.  —  The  king's  peculiar  nrivilegee. 
—  H.  A.  Bryden,  A  Boer  wife.  —  A.  L.  Baldry,  The  reform  club.  —  The 
libelö  upon  our  soldiers.  —  Marylebone  Old  Court  House.  —  The  widening 
of  bridges  in  London.  —  A  great  housiug  sheme.  —  A  box-office  dia- 
loffue.  —  Tram])ing  with  tramps.  —  The  cry  of  the  young  woraan.  — 
Odds  and  ends  of  interest  etc.]. 

English  books.  Liste  periodique  de  nouveaux  livres  anglais,  publit^e 
par  la  Librairie  des  Trois  Rois,  Directeur  A.  Uystpruyst,  Louvain. 
Nr.  o,  15.  Jauvier  1902.  32  S.  (Bücherliste,  oft  mit  kurzer  Inhalts- 
beschreibung. Den  Direktoren  und  Lehrern  des  Englischen  an  den  höheren 
Schulen  Belgiens  zugesandt.  Verleger  wenden  sich  au  Professor  W.  Bang, 
Loewen,  22  rue  des  Recollets.) 

Kaluza,  M.,  Historische  Grammatik  der  englischen  Sprache.  2.  Teil: 
Laut-   und  Formenlehre  des   Mittel-   und  Neuenglisehen.     Berlin,  Felber, 

1901.  XVI,  :;80  S.  .. 

Alt-  und  mittelenglisches  Übungsbuch  zum  Gebrauche  bei  Universi- 
tätsvorlesungen und  Seminarübungen  mit  einem  Wörterbuch  von  J.  Zu- 
pitza.  ü.  wesentlich  vermehrte  Auflage  bearbeitet  von  J.  Schipper. 
Wien,  Braumüller,  1902.     :537  S.     M.  11,80. 

Brotanek,  R.,  Die  englischen  Maskenspiele  (Wiener  Beiträge  zur 
engl.  Philologie.  XV).     Wien,  Braumüller,  1902.    XV,  371  S.     M.  12. 

Lounsbury,  Th.  R.,  Shakesj)eare  as  a  dramatic  artist,  with  an 
account  of  bis  reputation  at  various  periuds  (Shakespearean  wars).  New 
York,  Scribner's  sons;  London,  E.  Arnold;    1901.     XIX,  449  S.     Doli.  3. 

Klöpper,  C,  Shakespeare -Realien.  Alt- Englands  Kulturleben  im 
Spiegel  von  Shakespeares  Dichtungen.  Dresden,  Kühtmann,  1901.  182  S. 
Brosch.  M.  4. 

..     Wohlrab,   M.,    Ästhetische    Erklärung    von    Shakespeares    Coriolau 
(Ästh.   Erklärungen    Shakespearescher  Dramen.    II).     Berlin,    Ehlermann, 

1902.  96  S. 

Dekker,  Th.,  The  pleasant  comedie  of  Old  Fortunatus,  herausgeg. 
nach  dem  Druck  von  lOOU  von  Hans  Scherer  (Münchener  Beiträge  zur 
romanischen  und  englischen  Philologie,  21).  Erlangen,  Deichert,  1901. 
X,  152  S.     M.  4. 

Meindl,  V.,  Sir  George  Etheredge,  sein  Leben,  seine  Zeit  und  seine 
Dramen  (Wiener  Beiträge  zur  engl.  Philologie.  XIV).  Wien,  Braumüller, 
1901.     278  S.     M.  7. 

Byrons  sämtliche  Werke  in  neun  Bänden,  übersetzt  von  Ad.  Böttger. 
Herausgeg.  und  aus  anderen  Übersetzungen  ergänzt  von  W.  Wetz.  Leip- 
zig, Hasse.     Einleitung  182  S.     Jeder  Band  zu  104—252  S. 

CoUection  of  British  authors.    Tauchnitz  edition.     ä  M.  1,60. 
Vol.  3535—0:   G.  Moore,  Sister  Teresa. 
„     3537:   M.  Hewlett,  New  Canterbury  tales. 
.     3538—40:   L.  Malet,  The  history  of  Sir  Richard  Calmady. 
„     3541:  M.  ^laartens,  Some  women  I  have  knowu. 
„     3542 — 3:  F.  Norris,  The  octopus. 
„     3544:   W.  W.  Jacobs,  Light  freights. 
^     3545 — ü:   F.  M.  Crawford,  Marietta,  a  maid  of  Venice. 
„     3547—8:   St.  J.  Weynian,  Count  Hannibal. 
„     3549:   S.  Levett-Yeats,  The  traitor's  way. 


268  Verzeiclmis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Klapperichs  Englische  und  französische  Schriftsteller  der  neueren 
Zeit.    Für  Schule  und  Haus.    Glogau,  Flemming,  1901. 

Bd.  IV:  R.  M.  Ballantyne,  The  coral  island,  a  tale  of  the  Pacific  ocean, 
für  den  Schulgebrauch  bearbeitet  von  J.  Klapp  er  ich.    VI,  124  S. 
Bd.  V:  Chanil)ers'8  History  of  the  Victorian  era,   ausgewählt  u.  erklärt 
von  J.  Klapperich.    VIII,  128  S.  (in  deutscher  und  in  englischer 
Ausgabe,  je  nach  Wunsch). 
Bd.  VI:  F.  B.  Kirkman,  The  growth   of  Greater  Britain,   a  sketch  of 
the  history  of  the  British  Colonies   and  depeudencies,  mit  1  Karte 
von  Süd-Afrika;    ausgewählt  und   erläutert  von  J.  Klapperich. 
VIII,  138  S. 
Wershoven,  F.  J.,  English  school  life   [Dickmanns  Franz.  u.  engl. 
Schul bibliothek,  Prosa,  Englisch,  Bd.  CXXXIII).    Leipzig,  Renger,  1902. 
97  8.;  dazu  20  S.  Anm. 

Meier,  K.,  und  Assmann,  B.,  Hilfsbücher  für  den  Unterricht  in 
der  englischen  Sprache.  Ausgabe  fiu-  Anstalten  mit  dreijährigem  Kursus. 
Teil  I.  Englischer  Lehrgang.  Leipzig,  Seele,  1902.  299  S.  Anhang: 
7  S.  engl.  Lieder,  

Romania  ...  p.  p.  P.  Meyer  et  G.  Paris.  1901  Octobre.  120  [F.  Lot, 
Date  de  la  chute  des  dentales  intervocales  en  frangais.  P.  Meyer,  Frag- 
ment d'un  ms.  d'Äw  d' Avignon.  A  vida  de  Sancto  Amaro,  texte  portugais , 
du  XIV  sifecle  p.  p.  O.  Klob.  H.  Suchier,  La  fille  sans  mains.  I.  L.  Sai- 
nean,  Les  Clements  orientaux  en  roumain.  —  Comptes  rendus:  Miscellanea 
linguistica  in  onore  di  G.  Ascoli  (G.  P.).  Mohl,  La  premifere  personne  du 
pluriel  en  gallo-roman  (G.  P.).  Das  altfranz.  Rolandslied  herausgeg.  von 
Stengel  (Brandin).  Raccolta  di  studi  dedic.  ad  A.  D'Ancona  (G.  P.), 
Bonvesin,  Carmina  de  mensibus  a  cura  di  L.  Biadene  (G.  P.).  —  Perio- 
diques.     Chronique]. 

Revue  des  langues  romanes.  XLIV,  11,  12  [A.  Vidal,  Costumas  del 
pont  de  Tarn  d'Albi.  E.  Stengel,  Le  chansonnier  de  Bernart  Amoros, 
suite.  J.  Ulrich,  La  traduction  du  N.  Testament  en  ancien  haut  engadi- 
nois  par  Bifrun,  suite.  F.  Castets,  I  dodici  cauti,  suite.  Therond,  Contes 
populaires  languedociens,  suite].  XLV,  1  [Chabaneau,  Une  nouvelle  edition 
du  'Roman  de  Flamenca'.  Stengel,  Chansonnier  . . .,  suite.  F.  Castets, 
I  dodici  canti,  suite.  J.  Auglade,  La  'Soci^t^  des  langues  romanes'  ä  Bonn 
(Bericht  über  die  Beglückwün?chung  Foersters  bei  seinem  Jubiläum  durch 
einen  Delegierten  der  Societe  von  Montpellier).     Bibliographie]. 

Zeitschrift  für  französische  Sprache  und  Litteratur  . . .  herausgegeben 
von  Dr.  D.  Behrens,  Prof.  an  der  Universität  zu  Giel'sen.  XXIII,  8. 
Der  Referate  und  Recensionen  viertes  Heft.  XXIV,  1  und  3.  Der  Ab- 
handlungen erstes  und  zweites  Heft  [J.  Ulrich,  Die  altfranzösische  Samm- 
lung 'Prorerbes  ruraux  et  vulgaux' .  J.  Haas,  Restif  de  la  Bretonne.  Ders., 
Über  Diderots  Religieuse.  G.  Nebb,  Die  Formen  des  Artikels  in  den  fran- 
zösischen Mundarten.    E.  Wechssler,  Frauendienst  und  Vassallität]. 

Revue  de  philologie  franyaise  et  de  litterature  ...  p.  p.  L.  Cledat. 
XV,  1  [L.  Cledat,  La  place  de  l'adjectif  en  fran§ais.  Ch.  Guerlin  de  Guer, 
Des  perturbateurs  linguistiques.  F.  Pelen,  De  la  prononciation  des  x  en 
franjais.  H.  Yvon,  Sur  l'emploi  du  raot  indeßni  en  grammaire  fran- 
jaise.  —  M^langes:  L.  Cledat,  'C'est  son  pfere  tout  crache';  Sur  la  re- 
duction  de  l  initial  -\-  y  &  y.  —  Comptes  rendus]. 

Freytags  Sammlung  französischer  und  englischer  Schriftsteller.  Wien 
und  Prag,  Tempsky.    8. 

Henry  Gr^ville,  Perdue.  Für  den  Schulgebrauch  herausgegeben  von 
Margarete  Altgelt.  Einleitung  (1  S.),  Text  (95  S.),  Anm.  (6  S.). 
M.  1,20.     Wörterbuch  (52  S.)  M.  0,60. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Drucksrhriften.  269 

Recueil  de  poemes  il  l'usage  de  l'Ecole  alleniande  h  Bruxelles  nar 
F.  Necholput  et  Ed.  Heuten.  Premiere  partie.  Leipzig  und  Berlin, 
Teubner,  l;iUl.     VI,  75  S. 

Wasserzieher,  Dr.  Ernst,  !?aiiimlung  französischer  Gedirhte  für 
deutsche  Schulen.     Leipzig,  Gerhard,  lOOJ.     VL  t^ö  S.  kl.  8.     Geb.  .M.  1. 

II.  Teil:   Biographien.    Anmerkungen.    Wörterbuch.     05  S.     Geh.  M.  0,40. 

Karls  des  Grofsen  Reise  nach  Jerusalem  und  Coustantinopel,  ein  alt- 
französisches Heldengedicht,  herausgeg.  von  Dr.  Ed.  Koschwitz.  Vierte, 
verbesserte  Auflage.     Leii)zig,  Reisland,  1900.     XL,   128  S.     M.   1,10. 

Die  altfranzösische  Prusaübersetzung  von  Brendans  Meerfahrt  nach 
der  Pariser  Hdschr.  Nat.  Bibl.  fr.  155;)  von  neuem  mit  Einleitung,  lat. 
und  altfrz.  Parallcl-Texten,  Anmerkungen  und  Glossar  herausgegeben  von 
Prof.  Dr.  Carl  Wahl  und.  Ui)sala  UHU.  (Skrifter  utgifna  at  K.  Huma- 
nistiska  Vetenskaps-Samfundet  i  Upsala,  IV,  8.)    XC,  '6'Sb  S.  8. 

Uli  vi  er  de  la  Marche,  Le  triumphe  des  dames,  Ausgabe  nach  den 
Handschriften.  Inaugural-Dissertation  aus  Bern  von  Julia  Kalbfleisch 
geb.  Benas.     Rostock  lOOl.     119  S.  8.    .. 

Moliferes  Meisterwerke.  In  deutscher  Übertragung  von  Ludwig  Fulda. 
Dritte  vermehrte  Auflage.  Stuttgart  und  Berlin,  J.  G.  Cottasche  Buch- 
handlung Nachfolger,  1901.     534  S.  8.     M.  6,50,  geb.  M.  7,50. 

Petit  Larive  et  Fleury.  Dictionnaire  franjais  encyclopedique  a  l'usage 
des  adultes  et  des  gens  du  monde  contenant  en  une  seule  nomenclature 
trcs  complete  les  mots  de  la  langue  et  des  sciences  vulgarisees,  les  n^olo- 
gismes  avec  etymologies  et  prononciation,  les  mots  d'histoire,  de  geogra- 
phie  et  de  biographie,  les  locutions  latines  et  etraugeres  par  ]\IM.  Larive 
et  Fleury,  auteurs  des  Cours  de  grammaire  et  p]xercice  franyais  et  du 
Dictionnaire  des  mots  et  des  choses.  Illustrations:  1345  figures  dans  le 
texte,  8;i  tableaux  d'art  et  de  vulgarisation,  112  cartes.  Paris,  Chamerot 
[1901].    XIV,  1450  S.  8.     Geb. 

Klöpper,  Dr.  Clemens,  Französisches  Real-Lexikon.  24. — 27.  Liefe- 
rung (Revel  —  Uniforme).     Leipzig,  Renger. 

Dottin,  G.,  professeur-adjoint  ä  l'Universit^  de  Rennes,  et  J.  Lan- 
gouet,  licencid  es  lettres,  Glossaire  du  parier  de  Pl^chätel  (canton  de 
Bain,  lUe-et-Vilaine),  precede  d'une  etude  sur  les  parlers  de  la  Haute- 
Bretagne  et  suivi  d'un  relevö  des  usages  et  des  traditions  de  Plöchatel. 
Rennes,  Plihon  et  Hommay;  Paris,  Welter,  1901.  CLX,  210  S.  8.  Zwei 
Karten.     Fr.  9. 

Brand  in,  Louis,  Les  gloses  franjaises  (Loazim)  de  Gerschom  de  Metz. 
Paris,  Durlacher,  1902.  70  S.  8.  (Extrait  de  la  Revue  des  ^tudes  juives, 
annde  1901.) 

Thomas,  Antoine,  M^langes  d'c^tymologie  frangaise  (Universit^  de 
Paris.     Bibliothfeque  de  la  Facult^  des  lettres.  XIV).     Paris,  Alcan,  1902. 

III.  217  S.  8.     Fr.  7. 

Thomas,  Antoine,  Le  mois  de  'deloir'.  Extrait  de  la  'Bibliothfeque 
de  l'Ecole  des  chartes',  tome  LXII,  1901.  7  S.  8.  [Der  Name  des  De- 
zember wird  noch  au  anderen  als  den  von  Godefroy  unter  delair  bei- 
febrachten  Stellen  nachgewiesen  und  gleich  delrrus,  der  von  Schuchardt 
I  75  erwiesenen  Nebenform  von  delirus,  gesetzt;  er  wäre  dem  Monat  um 
der  Saturnalien  willen  beigelegt,  die  in  ihn  fielen.] 

Malmstedt,  A.,  Sur  les  'Propositions  relatives  doubles'  et  leurs 
Äquivalents  (Särtryck  ur  Nyfilologiska  Sällskapets  i  Stockholm  Publikation. 
1901.    S.  13— 51). 

Fetter,  Johann,  Regierungsrat,  k.  k.  Direktor  der  Staatsrealschule  im 

IV.  Bezirke  Wiens,  und  Alscher,  Rudolf,  k.  k.  Professor  an  der  Staats- 
realschule im  I\'.  Bezirke  Wiens,  Französisches  Übungs-  und  Lesebuch 
für  Mädchenlvceen  und  verwandte  Lehranstalten.  I.  und  IL  Teil.  Wien, 
Pichlers  Witwe  &  Sohn,  1902.   VII,  237  S.  8.    Geb.  K.  2,50.    IIL  Teil  (von 


270  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Fetter  allein),  II,  126  S.  Geb.  K.  1,64.  IV.  Teil  (von  Fetter  allein),  VII, 
202  S.  Geb.  K.  2,50.  V.  Teil  (von  beiden  Verfassern),  V,  16S  S.  Geb. 
K.  2.  (Die  Teile  III — V  sind  gleichlautend  mit  den  entsprechenden  Teilen 
des  'Lehrgangs  der  franz.  Sprache'  der  nämlichen  Verfasser.) 

Boerner,  Dr.  Otto,  Lehrbuch  der  französischen  Sprache.  Vereinfachte 
Bearbeitung  der  Ausgabe  B,  für  Mädchenschulen.  III.  Teil.  Stoff  für 
das  dritte  Unterrichtsjahr.  Mit  einem  Vollbilde:  Der  Herbst.  Hierzu  ein 
grammatischer  Anhang.    Leipzig,  Teubner,  1901.    VI,  182,  76  S.  8.    Geb. 

it.  2. 

Kurth,  Dr.,  Oberlehrer  in  Lissa  i.  P.,  Ubungsstoffe  zu  französischen 
Sprechübungen  für  Gymnasien.  Nach  Klassenstufen  den  Forderungen  der 
neuesten  preulsischen  Lehrpläne  gemäfs  bearbeitet.  Leipzig,  Renger,  1902. 
54  S.  kl.  8.  M.  0,60.  (Nachträglich  aus  dem  Hanclel  wieder  zurück- 
gezogen.) 

Krön,  Dr.  R.,  Stoffe  zu  französischen  Sprechübungen  über  die  Vor- 
gänge und  Verhältnisse  des  wirklichen  Lebens.  Nebst  einem  Wörterver- 
zeichnis. Im  Sinne  der  amthchen  Lehrpläne  von  19ul  zum  Gebrauche 
an  Gymnasien  (0.  III  bis  O.  I)  und  Realanstalten  (O.  III  und  U.  II). 
Karlsruhe,  Bielefeld,  1902.  95  S.  kl.  8.  Geb.  M.  1,20.  Begleitwort  und 
Frageschule  dazu,  16  S.,  unentgeltlich. 

Krön,  R.,  Petit  vocabulaire  explicatif  des  mots  et  locutions  coutenus 
dans  Le  petit  Parisien   et  dans  En    France.    Karlsruhe,   Bielefeld,  1902.. 
78  S.  kl.  8.    Geb.  M.  1. 

Au  Seuil  de  la  litterature  et  de  la  Vie  litteraire,  faisant  suite  aux 
Premiers  Essais  et  aux  Premiferes  Lectures  du  meme  auteur  ä  l'usage  des 
Ecoles  supörieures,  des  Gymnases,  des  Ecoles  normales  et  des  Cours  de 
perfectionnement  de  jeunes  filles  par  H.  Quayzin,  professeur  ä  l'Insti- 
tution  royale  Catherine  ä  Stuttgart.  Stuttgart,  Bonz  &  Co.,  1902.  XVI, 
256  S.  8.     Geb. 

Köhler,  Dr.  Friedrich,  Die  Ailitteration  bei  Ronsard  (Münchener 
Beiträge  . . .  herausgeg.  von  Brevmann  und  Schick.  XX.  Heft).  Erlangen 
und  Leipzig,  A.  Deichert  Nachf.,  1901.     XVI,  153  S.  8.     M.  4. 

Morel- Fatio,  Alfred,  Ambrosio  de  Salazar  et  l'^tude  de  l'espagnol 
en  France  sous  Louis  XIII  (Bibliothfeque  espagnole.  I).  Paris,  Picard  et 
fils;  Toulouse,  Privat,  1901.     231  S.  8.     Fr.  4. 

Buchetmann,  Fr.  Edmund,  Kapuziner,  geprüfter  Lehramtskandidat, 
Jean  de  Rotrou's  Antigene  und  ihre  Quellen.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte 
des  antiken  Einflusses  auf  die  französische  Tragödie  des  XVII.  Jahrhun- 
derts (Münchener  Beiträge  . . .  herausgegeben  von  Brevmann  und  Schick, 
XXII.  Heft).  Erlangen  und  Leipzig,  A.  Deichert  Nachf.,  1901.  XVI, 
208  S.  8.    M.  6,o0. 

Platow,  Hans,  Die  Personen  von  Rostands  'Cyrano  de  Bergerac'  in 
der  Geschichte  und  in  der  Dichtung.  Berliner  Dissertation.  Erlangen 
1902.     112  S.  8.     (Erscheint  auch  in  Vollmöllers  Roman.  Forschungen.) 


Eine  altprovenzalische  Prosaübersetzung  von  Brendans  Meerfahrt. 
Von  Carl  Wahlund  in  Upsala.  24  S.  8.  (Aus  der  Festgabe  für  Wendelin 
Foerster,   Halle,  Niemeyer,  1901.) 


Archivio  glottologico  italiano  diretto  da  G.  I.  Ascoli.  Vol.  XV, 
puntata  4  [Ascoli,  Prefazione  al  volume.  Giacomino,  La  lingua  deU'Ahone. 
balvioni,  Le  basi  alnus,  alneus  ne'  dialetti  italiani  e  ladini.  Pieri,  La  vocal 
tonica  alterata  dal  contatto  d'una  consonante  labiale.  Ascoli,  Osservazioni 
al  precedente  lavoro.  Nigra,  Postille  lessicali  sarde.  Nigra,  Note  etimo- 
logiche  e  lessicali.     Salvioni,  Indici  del  volume].    Mit  diesem  Hefte  legt 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  271 

der  ausgezeichnete  delehrte  die  Leitung  der  Zeitschrift  nieder,  die  er  vor 
achtzehn  Jahren  ins  Leben  gerufen  und  seitdem  mit  nie  ermüdender  Sorg- 
falt, hochbedeutende  Arbeiten  seihst  beisteuernd  (drei  Bände  sind  ganz 
sein  Werk),  fremde  veranlassend  und  ül)or\vachend,  zu  seinem  unvergäng- 
lichen Kuhnie,  zur  Ehre  seines  Landes  und  zu  mächtiger  Förderung  der 
Studien  aufrecht  erhalten  hat.  Die  Leitung  des  Archivio  geht  Ascolis 
eigenem  Wunsche  entsprechend  an  Carlo  Salvioni  über.  Möge  die  von 
jenem  ausgesprochene  lloffnung,  in  der  Zeitschrift  auch  fürderhiu  bisweilen 
das  Wort  ergreifen  zu  können,  sich  noch  recht  lange  und  reichlich  erfüllen. 

Samndung  moderner  italienischer  Autoren.  Bamberg,  Buchner,  l'JUl. 
11:  Enrico  Castelnuovo,  Scelta  di  racconti  e  bozzetti.  Mit  Anmerkungen 
zum  Schulgebrauch  herausgegeben  von  Dr.  Heinrich  Ungemach. 
VIII,  12-1  S.  kl.  8. 

Le  ßime  di  Fra  Guittone  d'Arezzo  a  cura  di  Flamiuio  Pelle- 
grini.  Volume  primo  (Versi  d'amore).  Bologna,  Romaguoli-DaU'Acqua, 
1901  (Collezioue  di  opere  inedite  o  rare  dei  primi  tre  secoli  della  lingua). 
VIII,  :'.71  S.  8.    L.  10. 

La  canzone  Che  debb'io  far'f  selon  les  manuscrits  autographes  de  Pe- 
trarque  (Vat.Jat.  819ö  et  3195)  par  Frederik  Wulff.  Lund  1901  (Lunds 
Universitets  Ärsskrift.    Band  38.    Afdeln.  1.    N:r  1).    24  S.  1. 

I  Trionfi  di  Francesco  Petrarca,  testo  critico  per  cura  di  Carl 
Appel.     Halle  a.  S.,  Niemeyer,  1902.     VI,  102  S.  8. 

Pontani  loanuis  loviani  Oarmina.  Testo  fondato  sulle  stampe  ori- 
ginali  e  riveduto  sugli  auto^rafi,  introduzione  bibliografica  ed  appendice 
di  poesie  inedite  a  cura  di  Benedetto  Soldati.  Firenze,  Barbera,  1902. 
Volume  I:  Introduzione.  Poemetti.  XCIX,  209  S.  Vol.  II:  Ecloghe. 
Elegie.     Liriche.    Ah\  S.  8.    L.  8. 

Giornale  storico  della  letteratnra  italiana  diretto  da  F.  Novati  e 
I\.  Ren i er.  Fase.  114  [G.  Bertoni,  Nuove  rinie  di  Sordello  di  Goito. 
Abd-el-Kader  Salza,  Imprese  e  divise  d'arme  e  d'amore  nell' 'Orlando 
Furioso',  con  notizie  di  alcuui  trattati  del  '500  sui  colori.  —  Varieta: 
E.  Piazza,  L'Alfieri  e  T'Accademia'  di  casa  Gavard.  —  Rassegna  biblio- 
grafica: (r.  Pascoli,  Sotto  il  velame  (G.  Fraccaroli).  F.  D'Ovidio.  Studii 
sulla  Div.  Commedia  (R.  Renier).  —  Bollettino  bibliografico.  Comuni- 
cazioni.  CronacaJ.  115  [E.  Debencdetti,  Notizie  sulla  vita  e  sugli  scritti 
di  Eurialo  Morani  da  Ascoli.  M.  Vattasso,  Una  miscellanea  ignota  di 
rime  volgari  dei  sec.  XIV  e  XV;  introduzione  e  tavola.  R.  Tobler,  Lettres 
inedites  de  Ugo  Foscolo  a  Hudson  (Turuey.  —  Varieta:  F.  Piutor,  'Ego 
Baiiachia  rccensui'.  —  Rassegna  bibliografica:  L.  de  Rosa,  Shakespeare, 
Voltaire  e  Alfieri  e  la  tragedia  di  Cesare.  M.  Porena,  L'unita  estetica 
della  tragedia  alfieriana  (E.  Bertana).  Nel  primo  centenario  della  niorte 
di  Lesbia  Cidonia;  L.  ^lascheroni,  La  geomelria  del  compasso,  uuova  ediz.; 
E.  Ranza,  Notizie  sulla  vita  c  le  opere  di  L.  Mascheroni  (A.  Fiammazzo). 
Bollettino.     C'omunicazioni.     Cronaca]. 

Vofsler,  Dante  und  die  Renaissance.  (In  'Neue  Heidelberger  Jahr- 
bücher', Heidelberg,  Koe.ster.    XI,  S.  85—107.) 

Basser  mann,  Alfred,  Veltro,  Grol's  -  Chan  und  Kaisersage.  (Neue 
Heidelberger  Jahrl)ücher  XI,  S.  28 — 75.)     Heidelberg,  Koester,  1902. 

Palleschi,  Filippo,  L'episodio  di  Sordello  e  l'apostrofe  all'Italia. 
Lettura  dantesca  sul  VI  del  Purgatorio  con  note  ed  appendice.  Lanciauo, 
Carabba,  l'.xil.    ijo  S.  8. 

Wulff,  Fredrik,  L"Amorosa  reggia'  del  Petrarca  (Estratto  dalla  Ri- 
iista  d'Italia,  fasc.  10"-1901).  Roma,  Societ;\  editr.  Dante  Alighieri,  li'Ol. 
14  S.  8. 

Wulff,  F'redrik,  Petrarcas  Italia  mia  i  svensk  och  italiensk  dräkt, 
inträdes  foreläsniug  den  29.  uov.  1901  jämte  nägra  ord  tili  Lunds  stu- 
denter.    Lund,  Gleerup,  1901.    28  S.  8.     Kr.  1. 


272  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Zumbini,  B.,  Vita  paesana  e  civile  nel  poema  del  Folengo  (Estratto 
dalla  Raccolta  di  studii  critici  dedicata  ad  Alessandro  D'Ancona  .  ,  .). 
Firenze,  ßarbera  MCMI.     S.  603—616  gr.  8. 


Lope  de  Vega,  Arte  nuevo  de  hacer  comedias  en  este  tiempo,  publik 
et  annotö  par  Alfred  Morel-Fatio,  directeur  adjoint  ä  l'Ecole  des  hautes 
^tudes  (Extrait  du  i?M//e/m  hispanique  d'Oetobre  —  D^cembre  1901).  Paris, 
Fontemoing,  1901.    43  S.  8.        

Andre  je  w,  R.,  Deutsch-russisches  und  russisch -deutsches  Wörter- 
buch (Die  Kunst  der  Polyglottie,  72.  und  73.  Teil).  Wien,  Hartleben. 
188  und  199  S.     M.  2.  

Seidel,  A.,  Grammatik  der  japanischen  Umgangssprache  mit  Übungs- 
stücken und  W^örterverzeichnissen  (Die  Kunst  der  Polvelottie,  22.  Teil). 
Wien,  Hartleben.     2.  Aufl.     XI,  177  S.    M.  2. 


Die  Märchen  des  Musäus, 

vornehmlich  nach  Stoffen  und  Motiven. 


II. 

(Fortsetzung.) 


'Die  Nymphe  des  Brunnens'  ist  ein  reines  Ragout  von 
Märehenbestandteilen  und  für  die  Erkenntnis  des  Zusammen- 
arbeitens  verschiedenartiger  Züge  und  UberUeferungen  von  grolser 
Bedeutung.     Man  kann  methodologiscli  daran  lernen. 

Der  Raubritter  und  Scluiapphahn  Wackermann  Uhlfinger 
hat  mit  seiner  heb-  und  tugendreicheu,  sanften  GemahHn  zwei 
Töchter.  Die  Geburt  eines  dritten  Mädchens  wird  der  beküm- 
merten Gattin  des  Wegelagerers  von  der  Nymphe  des  Schlofs- 
brunnens  verkündigt,  womit  sich  ein  Hinweis  auf  den  baldigen 
Tod  der  Schlolsherrin  und  die  Versicherung  des  Schutzes  für 
das  dann  verwaiste  Kind  verbindet. 

Die  Fee  erscheint  bei  der  Taufe  als  Gevatterin,  weidlich  an- 
gestaunt und  nach  ihrem  Verschwinden  wegen  des  geringfügigen 
Patengescheukes,  eines  Bisamapfels,  verlacht.  Doch  wagt  nie- 
mand ihr  nachzufragen,  und  Wackermann  selbst  ist  durch  eine 
List  seiner  Frau  daran  verhindert.  Diese  stirbt;  und  der  sehr 
betrübte  Gatte  findet  sehr  bald  Ersatz  in  dem  Besitze  einer 
jüngeren  Genossin,  welche  ihn  durch  Kinder  reich  und  durch 
mafslose  Verschwendung  arm  macht.  Die  beiden  älteren  Töchter 
der  ersten  Ehe  werden  ins  Jungfrauenstift  gebracht,  und  man 
hört  nichts  mehr  von  ihnen;  die  jüngste,  Mathilde,  wächst  abseits 
vom  Lärm  und  den  tosenden  Lustbarkeiten  des  Schlosses  im 
stillen  heran.  Die  Stiefmutter  macht  nach  und  nach  alle  Kost- 
barkeiten ihrer  Vorgängerin  zu  Gelde  und  entledigt  sich  dabei 
des  unscheinbaren,  aber  in  der  Ahnung  seiner  Zauberkraft  wohl 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CVUL  18 


274  Die  -Märchen  des  Musäus. 

aufbewahrten  Bisamapfels,  welcher,  zum  Fenster  hinausgeworfen, 
der  spielenden  Mathilde  in  die  Hände,  dann,  zur  Belustigung 
dienend,  bei  einem  Fehlwurfe  in  den  Schlofsbrunnen  fällt  und 
dem  weinenden  Kinde  die  Erscheinung  der  Nixe  und  deren  Be- 
lehrungen über  die  Fähigkeiten  des  Apfels  verschafft. 

Indessen  nimmt  das  Leben  auf  dem  Schlosse  seinen  jubeln- 
den Fortgang.  Je  mehr  die  Schlofsfrau  verbraucht,  um  so  mehr 
mufs  der  gefällige  Gatte  rauben,  bis  die  Nymphe  durch  ihr 
Erscheinen  Übles  verkündet,  was  dann  in  Gestalt  der  Mann- 
schaften des  schwäbischen  Bundes  wirklich  eintrifft.  Das  Schlofs 
wird  erstürmt  und  eingeäschert;  nur  Mathilde  entkommt  aus  Not 
und  Tod  unter  dem  Schutze  des  Apfels. 

Entstellten  Angesichts,  in  schlechter  Kleidung  und  mit  ver- 
stelltem Körpergebrechen  läfst  sie  sich  von  der  keifenden  Wirt- 
schafterin eines  Komturs  als  Dienstmagd  anwerben.  Den  jungenj 
blühenden,  schönen,  ritterlichen  Herrn  sehen  und  lieben  ist  eins: 
und  als  die  Reichsstadt  (Augsburg)  glänzende  Feste  giebt,  da 
widersteht  Mathilde  dem  heilsen  Wunsche  nicht.  Sie  verlangt 
es,  und  dem  Apfel  entquillt  das  prächtigste  Seidenkleid,  womit 
angethan  sie  aller  Augen  auf  sich  zieht  und  des  Komturs  Herz 
gewinnt.  In  weiblicher,  gern  übertrumpfender  Eitelkeit  fordert 
sie  für  den  zweiten  Ballabend  ein  zweites,  schöneres  Gewand, 
auf  diese  Weise  leichtsinnig  den  zweiten  Wunsch  aussprechend, 
aber  auch  den  bezauberten  Komtur  zum  Geständnis  seiner  Liebe 
zwingend:  sein  Ring  giebt  ihr  die  Gewifsheit  seiner  aufrichtigen 
Gesinnung.  Allein  am  nächsten  Tage  wartet  der  Komtur  ver- 
geblich auf  das  fest  zugesagte  Erscheinen  der  schönen  Unbe- 
kannten, welche  sich  allen  Nachforschungen  durch  die  unsichtbar 
machende  Wirkung  des  Bisamapfels  entzogen  hatte.  Das  Aus- 
bleiben der  Braut  wirft  ihn  in  ein  hitziges  Fieber;  die  Arzte 
erklären  ihre  Kunst  und  Mühen  für  verloren.  Jetzt  erbietet  sich 
Mathilde  gegenüber  der  Wirtschafterin,  den  kranken  Herrn  durch 
eine  heilkräftige  Suppe  zu  retten.  Die  Heilkraft  liegt  jedoch  in 
nichts  anderem  als  in  dem  Ringe,  der  sich  auf  dem  Grunde  des 
Tellers  befindet  und,  von  dem  Kranken  herausgefischt,  neue 
Hoffnungen  erweckt.  Mathilde  wird  zur  Sonderaudienz  beschie- 
den, um  den  Ring  befragt  und  wegen  ihrer  Gestalt  geschmäht, 
worauf    sie    darüber    klagt,    dafs    die    Männerwelt    lediglich    am 


Die  Märchen  des  Musäus.  275 

Äulseren  hange  und  nicht  auf  das  Herz  sehe,  dann  aber  ihre 
Ballgestalt  annimmt  und  vom  Komtur  als  Ehegemahl  angenom- 
men wird. 

Die  beiden  ersten  Söhne  verschwinden,  kaum  geboren,  auf 
rätselvolle  Weise;  und  der  trauernde  Gatte  läfst  sich  durch  den 
Wiederholungsfall  bestimmen,  an  eine  kindesmörderische  Schaud- 
that  der  eigenen  Frau  zu  glauben.  Er  hält  sie  für  eine  Zau- 
berin, welche  durch  das  Blut  und  Leben  der  eigenen  Kinder 
Treue  und  Neigung  des  Gemahls  unverändert  erhalten  will.  Er 
giebt  Befehl,  die  geliebte  Kuchlosc  durch  ein  überhitztes  Bad 
zu  töten.  Allein  in  der  höchsten  Not  erfüllt  der  Bisamapfel  den 
dritten,  noch  rückstäudigen  Wunsch:  angenehme  Kühle  verbreitet 
sich;  die  Nixe  erscheint  und  übergiebt  der  entzückten  Mutter 
die  totgeglaubten  Knaben.  Die  Erklärungen,  welche  die  Nixe 
damit  verbindet,  teilt  Mathilde  dem  reumütigen  Grafen  mit.  Es 
hatte  die  Mutter  des  Grafen,  erzürnt  über  die  Eheschliefsung 
ihres  Sohnes,  die  Kinder  durch  eine  angestiftete  Amme  stehlen 
und  in  den  Brunnen  werfen  lassen,  um  die  Schwiegertochter  so 
in  den  Verdacht  der  Zauberei  zu  bringen.  Gott  sei  Dank  war 
aber  der  Brunnen  kein  anderer  gewesen  als  der  Schloi'sbrunneu, 
der  Wohnsitz  der  gutthätigen  Nymphe.  Diese  hatte  die  nach 
Art  junger  Hunde  ertränkten  Grafenkinder  in  Pflege  genommen, 
so  dafs  die  Geschichte  mit  Belohnung  der  Guten  und  Bestrafung 
der  Bösen  endigen  kann. 

Wer  irgendwie  in  die  Märchenforschung  fördernd  eingreifen 
will,  mag  sie  nun  die  volks-  oder  kunstmäfsigen  Erzeugnisse  be- 
treffen, der  darf  sich  mit  der  Kenntnis  des  gewöhnlichen  Mär- 
chenrepertoires der  heutigen  Kinderstube  nicht  begnügen.  Sonst 
wird  er  in  den  Fall  kommen,  mit  wenigen  augenfälligen  Typen 
wirtschaftend,  alles  Aufstofsende  auf  solche  Kinderstubenerinne- 
rungen zurückzuführen  und  allerhöchstens  die  Abweichungen  im 
dritten  Bande  von  Grimms  Kinder-  und  Hausmärchen  nach- 
zulesen, anstatt  sich  an  die  reiche  Sammlung  selbst  zu  halten 
und  hier  von  den  geläufigsten  Typen  zu  andersgearteten  und 
andersgestalteten  Stoffen  und  Formen,  zu  seltenereu  Spielarten 
und  Abänderungen  der  Typen  fortzugehen,  welche  als  selbstän- 
dige Märchen  aufzufassen  sind.  Wenn  er  insbesondere  Musäus 
behandelt,  so  wird  ihn  das  häufige  Auftreten  der  Feen  fast  von 

18* 


276  Die  Märchen  des  Musäus. 

selbst  auf  das  im  vorigen  Jahrhundert  in  Frankreich  gepflegte 
und  von  Wieland  wie  von  Musäus  gekannte  Genre  der  Feen- 
märchen führen;  und  schon  die  Lektüre  der  zehn  oder  elf  Mär- 
chen des  Perrault  wird  ihm  manches  abwerfen.  Grimm  in  der 
Hand  wird  er  'Die  Nymphe  des  Brunnens'  viel  mehr  in  den 
Märchen  Allerleirauh  und  Marienkind,  ja  selbst  im  Dornröschen 
vorgebildet  finden  als  in  dem  allerdings  vielleicht  näher  liegenden 
Aschenputtel.  Perrault  zu  Rate  ziehend,  wird  er  weniger  Aus- 
beute in  dessen  Cendrillon  (Aschenputtel)  als  in  seiner  Peau-d'Ane 
(Eselshaut  =  Allerleirauh)  und  in  seiner  La  belle  au  bois  dormant 
(Dornröschen)  finden. 

Die  Haupterzählung  setzt  mit  der  Flucht  Mathildeus  ein. 
Bis  dahin  sind  keine  Berührungen  mit  den  volksmäfsigen  Über- 
lieferungen des  Allerleirauh  -  StoflPes  zu  beobachten.  Während 
Allerleirauh  vor  den  Gelüsten  ihres  Vaters  weiter  und  w^eiter  in" 
die  äufserste  Wildnis  entflieht,  flüchtet  Mathilde  nach  dem  Tode 
ihres  Vaters  aus  Not  und  Verderben. 

Dann  beginnt  die  Übereinstimmung  zunächst  mit  Allerlei- 
rauh (und  Peau-d'Ane).  Doch  hat  Musäus  nur  zwei  Ballabende 
angesetzt;  ebenso  wie  er  nur  einmal  Suppe  kochen  läfst.  Diese 
Veränderungen  würden  sich  zureichend  durch  die  weitgehende 
jModernisierung  des  Stoffes  und  durch  die  reflektierende  Haltung 
des  Musäus  erklären,  der  dem  Volksmärchen  eine  dreimalige 
Wiederholung  nicht  einfach  nachmacht  und  auch  die  Suppe  nicht 
deshalb  gut  schmecken  läfst,  weil  das  geliebte  Wesen  sie,  wenn 
auch  ohne  Wissen  des  Essenden,  angerichtet  hat.  Musäus  findet 
für  den  zweiten  Abend  eine  Steigerung  in  der  Liebeserklärung 
des  Komturs,  worauf  nichts  übrigbleibt,  als  am  nächsten  Tage 
die  öffentliche  Verlobung  vorzunehmen.  Freilich  ist  auch  ein 
gewisser  Zwang  dabei;  denn  Musäus  wüfste  nicht,  wo  er  ein 
drittes,  noch  prächtigeres  Gewand  hernehmen  sollte,  ohne  den 
dritten  der  Wünsche  in  nutzloser  Verschwendung  verpuffen  zu 
lassen.  Andererseits  hat  das  Volksmärchen  ein  gewisses  Recht, 
drei  Ballabeude,  wenn  auch  schliefslich  zu  eigener  Langeweile, 
anzusetzen,  da  Allerleirauh  ja  im  Besitze  drei  sehr  schöner 
Kleider  ist,  welche  notwendig  hervorgeholt  und  angezogen  werden 
müssen,  damit  die  prunkvolle  Garderobe  doch  nicht  ganz  ver- 
gebhch    da  sei    und  unbenutzt   im  Spinde    hängen  bleibe    wie    in 


Dir  Märohon  des  Musäus.  277 

Peau-d^Ane.  Leider  scheint  das  deutsche  Märchen  dabei  zu  ver- 
gessen, dafs  die  kostbaren  Kleider  nur  gefertigt  worden  sind, 
weil  in  ihrer  Herstellung  ein  unüberwindliches  Hindernis  er- 
blickt und  die  Herstellung  gerade  darum  von  dem  liebes- 
tollen Könige  gefordert  wurde.  Drei  Ballabende  müssen  dasein 
wegen  der  drei  Kleider;  an  jedem  Ballabende  ifst  der  König 
eine  Suppe,  macht  drei  Suppen ;  und  da  Allerleirauh  in  jede 
Suppe  ein  goldenes  GegcDständchen  fallen  läfst,  so  giebt  das 
drei  Goldnippes,  welche  Allerleirauh  wohlweislich  vor  ihrer  Flucht 
aus  dem  väterlichen  Hause  an  sich  genommen  hat.  Wozu  das 
alles  ist,  weifs  man  nicht.  Man  tröstet  sich  über  diese  Unwissen- 
heit, indem  man  sich  erinnert,  dafs  aller  guten  Dinge  drei  sein 
sollen,  und  indem  man  hofft,  dafs  selbst  das  blödeste  Gemüt  und 
das  kindlichste  Kind  durch  die  dreimalige  Wiederholung  des- 
selben Vorganges  den  Vorgang  selbst  endlich  begreifen  werde. 
Erheblich  besser  und  zu  Musäus  hinführend  steht  es  um  die 
ähnlichen  Verhältnisse  in  Peau-d^Ane.  Hier  ist  zwar  von  Bällen 
überhaupt  nicht  die  Rede,  sondern  der  Prinz  sieht,  durch  das 
Schlüsselloch  guckend,  Peau-d'Aue  in  all  ihrem  Glänze.  Dann 
aber,  bei  der  untergeordneten  Stellimg  der  Geliebten  an  einer 
Verbindung  verzweifelnd,  fällt  er  in  ein  hitziges  Fieber  und  ver- 
langt einen  von  Peau-d'Ane  gebackenen  Kuchen,  worin  er  einen 
äufserst  schönen  und  niedlichen  Ring  findet,  dessen  Besitzerin, 
und  keine  andere,  er  zur  Gattin  haben  will.  Die  Ähnlichkeit  mit 
der  Fassung  des  Musäus  springt  in  die  Augen,  nur  dafs  bei  ihm 
alles  noch  viel  mehr  in  den  Händen  und  der  Entscheidung  Ma- 
thildens  liegt.  Sie  macht  den  Komtur  krank  dadurch,  dafs  sie 
nicht  zur  Verlobung  kommt,  sie  läfst  ihm  den  Ring,  in  der  Suppe 
gefunden,  als  Hoffnungsstern  leuchtend  aufgehen;  alles,  um  ihn 
und  seine  Treue  zu  prüfen. 

Noch  eine  Abweichung  des  Musäus  möchte  ich  bemerklich 
machen.  Allerleirauh  und  Peau-d^Ane  tragen  die  drei  kostbaren 
Schleppkleider  in  einer  Nufsschale  zusammengefaltet  bei  sich;  es 
ist  eben  ein  sehr,  sehr  feines  Gewebe,  spinnenhaft  zart.  Bei 
Musäus  hingegen  quellen  die  Gewänder  auf  Mathildens  Wunsch 
aus  dem  Bisaniapfel  hervor,  gewifs  eine  schönere  und  natürlichere 
Vorstellung,  besonders  wenn  man  an  neuere  Zauberkünstler  denkt, 
welche  aus  Cylinderhüten  ganze  grofse  Fahnentücher  und  anderes 


278  Die  Märchen  des  Musäus. 

derart  hcrvorzieheo.  Das  ist  ja  nuu  nichts  als  der  Zauber  der 
Schnelligkeit;  aber  gerade  diese  blitzgeschwinde  Thätigkeit,  werde 
sie  nun  durch  einen  sichtbaren  Zauberer  oder  einen  unsichtbaren 
Geist,  wie  bei  Musäus,  vollführt,  hat  in  ihren  Wirkungen  etwas 
viel  Glaublicheres  und  viel  leichter  Täuschendes.  Das  Dynamische, 
wie  es  in  den  stets  wirksamen  Kräften  der  Natur  wahrnehmbar 
und  doch  so  schwer  zu  durchschauen  ist,  dieses  ewig  rege  Spiel 
alles  Lebens  hat  etwas  viel  Anmutenderes  als  starre  Massen. 
Drei  Damenkleider  in  einer  Nufsschale,  unglaublich!  Das  ist  ein 
Stein,  an  den  man  stöfst!  Aber  kostbare  Gewänder  daraus  her- 
vorquellend :  das  ist  eine  Vorstellung,  die  man  mitmacht,  die  man 
vollziehen  kann,  weil  man  Blumen  sich  hat  erschUefsen,  Fontänen 
hervorsprudeln  und  Seifenblasen  mächtig  anwachsen  —  allerdings 
auch  zerplatzen  —  sehen.  Das  Werden  kann  man  in  seinem 
Verlaufe  verfolgen;  hat  es  seinen  Ursprung  in  Luft,  in  Unwirk- 
lichem, so  geht  es  gewifs  in  Luft  auf. 

Der  letzte  Teil  unseres  Märchens  endlich,  weder  im  deut- 
schen Allerleirauh  noch  in  der  französischen  Peau-d'Ane  vor- 
handen, kehrt  in  La  belle  und  im  deutschen  'Marienkind'  wieder. 
Im  französischen  Märchen  ist  die  Mutter  des  Königssohnes  eine 
Menschenfresserin,  welche  die  jungen,  zarten  Enkel  als  Lecker- 
bissen verschlingen  möchte,  aber  durch  einen  treuen  Diener  ge- 
täuscht wird  ^vie  die  Königin  im  Sneewittchen  vom  Jäger.  Im 
'Marienkind',  welches  übrigens  gerade  wie  Allerleirauh  im  wilden 
Walde  aufgefunden  wird,  werden  der  verlogenen  Mutter  die  eben- 
geborenen Kinder  von  der  Jungfrau  Maria  genommen,  weil  sie 
eingestehen  soll,  gelogen  zu  haben,  was  sie  zunächst  nicht  will. 
Das  Verschwinden  der  Kinder  bringt  sie  in  den  Ruf  einer  Zau- 
berin, so  dafs  der  Gatte  in  ihren  Tod  willigen  mufs,  angesichts 
dessen  sie  sich  der  Lüge  gegen  die  Gottesmutter  schuldig  be- 
kennt und  ihre  Söhne  wiedererhält.  Bei  Musäus  findet  man 
beide  Züge  verknüpft  und  ineinander  gearbeitet.  Die  rohe  enkel- 
fressende Schwiegernmtter  des  Perrault  wird  zur  intrigierenden 
SchAviegermutter,  welche  die  Ehe  ihres  Sohnes  als  Mesalliance 
nicht  günstig  betrachtet  'und  dementsprechend  durch  den  heim- 
lichen Raub  und  Mord  der  Kinder  die  Schwiegertochter  in  den 
todfordernden  Verdacht  der  Zauberei  zu  bringen  sucht,  wie  auch 
die  Jungfrau  Maria  thut,  um  den  Starrsinn  des  Marienkindes  zu 


Die  Märchen  «los  Miisäus.  279 

brechen.  Als  üheriiatürliche  Maclit,  wclflie  die  jungen  Knaben 
vom  Wassertode  rettet,  Figuriert  die  Brunnennyniphe;  sie  löst 
alles  glücklich,  indem  sie  die  fein  eingefädelte  Intrigue  durch- 
schneidet und,  wie  der  deus  ex  machina  der  griechischen  Tra- 
gödie, ausschlaggebende  Hinterhand  behält.  Bei  Pcrrault  zittert 
man  für  Kinder  und  Mutter,  weil  die  Schwiegermutter  zuerst 
alle  fressen  und  dann,  hinter  die  Täuschung  durch  den  Diener 
kommend,  alle  verbrennen  lassen  will.  Bei  Grimm  (Marienkiud) 
wartet  man,  wann  es  der  Mutter  belieben  wird,  ihre  Lügenhaftig- 
keit einzugestehen;  die  Kinder  weiis  man  in  der  guten  Hut  der 
Jungfrau  Maria.  Bei  Musäus  fällt  aller  Verdacht  auf  die  Mutter, 
belastend  und  viel  toddrohender  als  bei  Grimm,  und  die  Kinder 
glaubt  man  verloren,  während  doch,  wie  bei  Perrault,  die  Schwieger- 
mutter alle  Schuld  trägt  und  die  Nixe,  wie  die  Jungfrau  Maria 
bei  Grimm,  alles  zum  guten  wendet.  Bei  Grimm  liegt  das  er- 
lösende Wort  in  dem  Eingeständnis  der  ^lutter;  bei  Musäus 
führt  der  dritte,  noch  rückständige  Wunsch    die  Nymphe  herbei. 

Diese  Nymphe  ist  mit  IVIathildens  Geschick  aufs  engste  ver- 
knüpft. Sie  faist  Zuneigung  zu  der  Schlofsherrin  wegen  deren 
Milde  und  Güte,  wie  die  Fee  zu  Krokus;  sie  verkündigt  ihr  die 
Geburt  eines  Mädchens,  wie  der  Frosch  der  badenden  Königin 
in  La  belle;  sie  erscheint  bei  der  Taufe  Mathildens  nach  Art 
der  Feen  im  Dornröschen  und  La  belle,  aber  sie  begabt  den 
Täufling  nicht  durch  zauberkräftige  Worte  wie  die  ungenierte 
Feengesellschaft  dort,  sondern  mit  dem  zauberkräftigen  Bisam- 
apfel; sie  belehrt  Mathilde,  wieder  wie  die  Fee  den  Krokus;  sie 
zeigt  sich  endlich,  unheildrohend,  als  weifse  Frau  den  wasser- 
schöpfenden Dirnen. 

Sonach  haben  wir  weder  Aschenputtel  noch  Cendrillon 
irgendwo  als  Motive  hergebend  angezogen ;  und  es  ist  nur  noch 
darauf  hinzuweisen,  dafs  die  Vernachlässigung  der  jungen  Mathilde 
durch  die  Stiefmutter  ebensowenig  mit  Aschenputtels  Zurück- 
setzung in  Vergleich  zu  setzen  ist  wie  die  spätere  selbstgewählte 
und  durch  eine  keifende  Alte  überwachte  Küchenarbeit  mit  der 
aufgezwungenen  und  boshaft  vermehrten  Schmutzarbeit  Aschen- 
puttels. 

'Ulrich  mit  dem  Bühel'  giebt  die  Geschichte  einer  Ko- 
kette.   Lukrezia  ist  das  wohlerzogene  Kind  einer  reichen  Mutter, 


280  Die  Märchen  des  Musäus. 

welche  Vorzüge  sie  würdig  erscheinen  lassen,  unter  den  Hof- 
damen der  Königin  Kunigunde  zu  glänzen.  Ihre  Schönheit  und 
anlockende  Anmut  reizen  alle  Männer;  ihre  Kälte  und  abweisende 
Sprödigkeit  stofsen  alle  Liebhaber  zurück. 

Nur  einer,  der  gewandteste  und  ritterlichste  von  allen,  trotz 
eines  kleinen  Höckers  von  allen  Damen  geliebt  und  begehrt  — 
er  liebt  und  verehrt  die  stolze  Lukrezia  nicht.  Darum  setzt  sie 
alles  daran,  ihn  girrend  zu  ihren  Füfsen  zu  sehen,  aber  nur,  um 
ihn  dann  den  brennenden  Qualen  der  Eifersucht  und  der  Pein 
vergeblicher  Wünsche  und  hoffnungslosen  Sehnens  hinzugeben. 
Und  er  wiederum  ärgert  sich  über  diese  männernarrende  Schöne 
und  bringt  alle  Kräfte  ins  Spiel,  um  sie  in  leidenschaftlicher 
Liebe  entbrennen  und  dann  der  Verzweiflung  zum  Raube  zu 
lassen.  Leider  geht  er  zu  weit  im  Scherz,  denn  er  verliebt  sich 
allen  Ernstes,  kann  zur  Zeit  mit  Ehren  nicht  abbrechen  und  zur 
Unzeit  ohne  Schmerz  nicht  aufhören.  Er  verschleudert  sein  Hab 
und  Gut,  um  ihr  zu  gefallen;  sie  aber,  kälter  und  klüger,  wendet 
ihr  kaum  engagiertes  Herz  einem  neuen  Bewerber  zu,  nicht  um 
ihn  zu  lieben,  sondern  um  ihn  gleichfalls  zu  verderben. 

Dieser  fürs  erste  Glückliche  ist  der  Herr  von  Kefernburg, 
galant  und  ehrenfest,  doch  bucklig.  Er  war  den  unbeschäftigten 
Augen  des  Fräuleins  gerade  recht  erschienen.  Aber  so  schnell 
er  in  ihrer  Gunst  gestiegen  war,  so  schnell  fällt  er  nun  auch. 

Die  nasführenden  Streiche  Lukrezias  kommen  zu  Ohren  der 
Königin.  Sie  verspricht  den  klagenden  Liebhabern  Rache.  Sie 
fordert  die  Kokette  vor  und  befiehlt  ihr,  einen  von  beiden  zu 
wählen.  Lukrezia  knüpft  ihre  Wahl  an  eine  Bedingung,  welche 
die  Königin  zugesteht;  und  nun  erklärt  die  Freche,  sie  wolle  den 
nehmen,  welcher  ohne  Höcker  vor  sie  trete. 

Ohne  Geld,  voll  Liebesgram  zieht  Graf  Ulrich  in  die  Welt. 
An  Welschlands  Grenzen,  im  wilden  Walde,  bei  dunkler  Nacht 
schreckt  ihn  die  Kräuterfrau  und  weist  ihn  nach  dem  Landhause 
der  heilkundigen  Signora  Dottorena.  Ulrichs  edles  und  gehaltenes 
Benehmen,  seine  gewandte  und  verständige  Art  erwerben  ihm 
die  Zuneigung  seiner  Wirtin;  seine  still  getragenen  Liebes- 
schmerzen erwecken  ihre  Teilnahme,  so  dafs  sie  dem  Scheidenden 
die  Schulter  einebnet.  Allein  auf  der  übereilten  Heimreise  stürzt 
der  Ritter.     Vom   Krankenlager   schreibt   er   der  Königin   unter 


nie  Märclic'ii  (Ifs  ^rusaiis.  281 

dem  Siegel  der  Verschwiegenheit  all  die  glüekjiclicn  Uinstäudc 
seiner  Reise,  welche  jedoch  bald  das  Gespräch  des  Hofes  bilden 
und  auch  dem  Herrn  von  Kefernbnrg  zu  Gehör  kommen.  Besser 
getröstet  als  sein  Nebenbuhler,  will  er  doch  seinen  Höcker  los- 
werden und  die  schöne  Braut  iieimführen.  Er  ist  Ritter,  soweit 
sein  Vorteil  reicht,  hält  Schnelligkeit  für  Verdienst  und  Frech- 
heit für  Tugend.  P]r  findet  Eintritt  bei  der  Signora  Dottorena, 
erregt  aber  durch  seine  Dummdreistigkeit  und  zutäppische  Hal- 
tung allgemeine  Heiterkeit  und  einigen  Verdrufs.  Seinen  Wink 
mit  dem  Zaunpfahl  beantwortet  die  Signora  damit,  dafs  sie  dem 
Rückenhöcker  einen  Brusthöcker  entsprechen  läfst.  Graf  Ulrich 
ge^vinnt  an  der  eitlen  Kokette  ein  liebenswürdiges,  tüchtiges  Weib, 
deren  Stolz  und  Eitelkeit  ziemlich  märchenhaft  und  dem  gräf- 
lichen Bühel  ähnlich  hinschwinden. 

Es  giebt  ein  Märchen  von  Perrault,  welches  an  dieses  von 
Musäus  erinnert:  Riquet  ä  la  houpe.  Grimm  hat  für  diesen 
Schopfmenschen  kein  Seitenstück  in  irgend  einer  Litteratur  auf- 
finden können;  er  sah  darin  eine  Erfindung  Perraults. 

Man  kann  im  Riquet  unschwer  einen  Grundgedanken  ver- 
arbeitet, eine  Idee  in  ihre  Momente  auseinandergelegt  finden ;  man 
kann  in  ihm  die  poetisch  -  allegorische  Darstellung  einer  Lebens- 
weisheit sehen.  Der  hälsliche,  geistreiche,  kluge  Riquet  wird 
schön,  sobald  die  schöne,  alberne,  dumme  Braut  ihn  liebt,  und 
umgekehrt  wird  die  Braut  klüger,  je  mehr  Riquet  sie  liebt.  Die 
wahre  Liebe  schafft  eben  eine  Gleichheit  des  Denkens  und 
Empfindens,  so  zwar,  dafs  Riquets  Schopf  die  Prinzessin  nicht 
geniert,  welche  damit  aus  dem  leeren,  inhaltlosen  Schönheitsbegrift' 
heraustritt  und  die  ihr  neue  Welt  der  geistigen  Harmonie  ent- 
deckt. Ihre  eigene  stumme,  dumme  Schönheit  ist  ihr  fernerhin 
nichts  mehr,  worauf  sie  stolz  sein  könnte. 

Man  kann  nicht  sagen,  dals  des  Musäus  Märchen  das  Ver- 
hältnis Ulrichs  und  Lukrezias  mit  gleicher  Schlagkraft  und  ein- 
leuchtender Klarheit  darstellte.  Das  märchenhafte  Element  ist 
hier  recht  handgreiflich  und  von  roherer  Gestaltung:  die  erhöhte 
Schulter  wird  eingerenkt.  Der  Stoif  bewegt  sich  nicht  in  den  fast 
rein  geistigen  und  somit  dem  Nachdenken  leicht  verständlichen 
Umwandlungen  des  Perrault.  Während  dieser  ein  psychologisches 
Meisterstück  geliefert  hat,  hat  Musäus  den  Bruch  im  Charakter  der 


282  Die  IMärchen  des  Musäus. 

Liikrezia  niclit  zu  erklären  vermocht,  was  ihn  nun  brüchig  macht. 
Jedenfalls  ist  die  Idee  die  gleiche:  Lukrezia  ist  kokett  und  kennt 
nichts  Höheres  als  weibliche  Schönheit,  als  ihre  weibliche  Schön- 
heit. Sie  ist  stolz  und  lieblos.  Das  Bereich  der  Empfindungen 
und  Gefühle  ist  ihr  verschlossen.  Sie  hält  sich  an  das  starre  Ge- 
bundensein aller  natürlichen  Gebilde,  betet  ihre  Schönheit  an  und 
verachtet  alles  andere.  So  wenig  Ulrich  den  Bühel  los  wird,  so 
wenig  wird  sie  ihn  lieben.  Allein  er  wird  ihn  los,  und  die  stolze 
Lukrezia  bekommt  nun  ihre  Bedenken,  das  rein  Aufserliche 
weiterhin  so  stark  zu  betonen.  Ihr  Stolz  schmilzt  hin  vor  dem 
verschwundenen  Bühel.  Musäus  hat  das  nicht  ganz  klar  heraus- 
gearbeitet, aber  es  liegt  seinem  Märchen  zu  Grunde.  Ebenso 
wie  der  Entschlufs  des  Ulrich  und  der  Lukrezia,  eins  das  andere 
verliebt  zu  machen  und  dann  laufen  zu  lassen,  mit  der  gleichen 
Entschliefsung  der  Donna  Diana  des  Moreto  zusammenstimmte. 
Allein  Don  Cesar  bei  Moreto,  welcher  Diana  von  Anfang  an 
wirklieh  liebt,  vergröl'sert  durch  seine  erheuchelte  Gleichgültigkeit 
ihre  Anstrengungen  so,  dafs  sie  in  dem  gewaltsamen  Bemühen, 
Liebe  zu  erwecken,  den  Gegenstand  dieser  Bemühungen  schhefs- 
lich  selbst  liebt,  während  in  unserem  Märchen  von  vornherein 
beide  kalt  sind  und  nur  darauf  aus,  eins  das  andere  verliebt  zu 
machen.  Es  ist  natürlich,  dafs  hierbei  der  weniger  gebundene 
Manu  durch  Wort  und  That  die  gesellschaftlichen  Schranken 
eines  unverbindlichen  Hofmachens  eher  überschreitet  und  schneller 
zu  wahren  und  tieferen  Gefühlen  die  Zuflucht  nimmt,  wenn  ihm 
die  erlogenen  und  oberflächlichen  nichts  nutzen.  Aber  es  hilft 
alles  nichts;  und  es  bedarf  durchaus  der  wirkungsvollen  Massage 
der  Signora  Dottorena,  damit  dem  Grafen  Ulrich  der  Weg 
zum  Glück  eröffnet  werde.  Diese  Signora  ist  unsere  gute  Frau 
Holle  im  italienisch  -  gelehrten  Gewände;  und  Graf  Ulrich  und 
der  Kefernburger  vergleichen  sich  mit  der  Gold-  und  Pech- 
marie dieses  Märchens  von  Frau  Holle  oder  der  goldstücke- 
sprechenden und  krötenaushalsenden  Jungfrau  in  den  'Drei  Männ- 
lein im  Walde'.  Der  Sturz  des  Grafen  und  die  Gefährdung  des 
glücklichen  Erfolges  seiner  Reise  durch  den  Kefernburger  hat 
eine  Parallele  gleichfalls  in  den  'Drei  Männlein  im  Walde',  wo 
die  Stiefmutter  versucht,  ihre  schöne  Stieftochter,  die  Königs- 
gemahliu,   auf   die   Seite   zu   schaffen,    um   ihre   eigene   häfsliche 


Die  Märchen  (Ich  Musäiis.  28f^ 

Tochter  an  deren  Stelle  zu  bringen.  Es  sind  die  gleichen  Motive, 
zum  Teil  ganz  abgeblafst,  zum  Teil  durch  Übertragung  auf  wesent- 
lich andere  Lebensverhältnisse  ganz  abgeändert. 

Noch  bleibt  der  Bestandteil  des  Märchens  zurück,  welcher 
den  Reichtum  der  Mutter  Lukrezias  erklärt;  ein  Reichtum  —  so 
grofs,  dafs  er  die  glückliche  Braut,  Lukrezia,  über  die  vollkom- 
mene Armut  des  Bräutigams,  Ulrich,  hinwegsehen  lassen  kann ; 
ein  märchenhafter  Reichtum,  begründet  und  mehr  und  mehr  ver- 
gröfsert  durch  die  andauernde  Legethätigkeit  einer  Henne,  deren 
Eier  massiv  golden  sind.  Diese  Henne  wiederum  ist  das  Geschenk 
eines  alten  runzligen  Weibes,  welches  die  eben  mit  Lukrezia  nieder- 
kommende Mutter  echt  altjüngferlich -zimpferlich  aufnimmt  und 
karg  und  knauserig  bewirtet,  bis  es  durch  spurloses  Verschwinden 
und  das  zurückgelassene  magische  Huhn  sich  als  im  Grunde  wohl- 
thätige  Fee  herausstellt.  Dafs  aber  Lukrezia  gewissermafsen  auf 
der  Landstralse  geboren  wird,  veranlafst  der  Untergang  ihres 
ritterhchen  Vaters;  dieser  hatte  die  Gattin  einem  treuen  Diener 
empfohlen,  der  sie  vor  dem  Spott  der  Feinde  durch  den  Tod 
retten  sollte,  aber  selber  der  Tugend  der  Herrin  nachstellte  und 
zur  Erhaltung  ihrer  Keuschheit  sterben  mufste.  Denn  die  Herrin 
war  zwar  entsetzt  über  die  Strenge  ihres  Gemahls;  aber  sie  dachte 
im  Innersten  gar  nicht  daran,  dem  Diener  für  seinen  Verrat  am 
Herrn  mit  ihrem  Leibe  zu  lohnen.  Sie  ging  scheinbar  auf  seine 
Ideen  ein,   um  ihn,  eine  zweite  Judith,  in  der  Nacht  zu  morden. 

Das  magische  Huhn  hat  mannigfache  Verwandte  in  der  Ijitte- 
ratur.  Wir  erinnern  nur  an  den  'Esel  streck  dich'  sowie  an  die 
gleichbegabte  Gans  im  Pentameron.  Freilich  ist  das  Dukaten- 
spenden dieser  Gans  und  dieses  Esels  nicht  so  in  Konsequenz 
eines  natürlichen  Denkens  erfunden  wie  das  Goldeierlegen  jener 
Henne;  sondern  es  sieht  mehr  aus,  als  ob  die  nicht  sehr  feine, 
aber  volkstümliche  Redewendung  'er  hat  Geld  wie  Mist'  das  Er- 
zeugende dieser  Naturwunder  gewesen  sei.  Doch  kann  sich  der 
Vorgang  auch  so  vollzogen  haben,  daüs  mau  zur  drastischen,  sati- 
rischen Beleuchtung  des  Satzes  'Geld  stinke  nicht',  woher  es 
auch  komme  und  wofür  es  auch  genonunen  werde,  jene  Dukateu- 
macher  ins  Leben  rief.  In  jedem  Falle  haben  wir  hier  eine 
derbe  und  höchst  gesunde  Ansicht  von  Gold  und  Geld,  eine  ver- 
ständnisvolle  Auffassung  ihrer   Allmacht    und   andererseits    eine 


284  Die  Märchen  des  MusäuR. 

durch  und  durch  schauende  Verachtung  ihrer  Wertlosigkeit.  Das 
'Nach  Golde  drängt,  am  Golde  hängt  doch  alles !  Ach  wir  Armen !' 
ist  lediglich  der  Ausdruck  einer  halsketten-lüsternen  Stimmung; 
und  Sätze,  die  so  durchaus  in  dem  sehnlichen  Verlangen,  einen 
goldenen  Ring  oder  ein  goldenes  Halsband  zu  besitzen,  mit  viel 
Gefühl  und  wenig  Nachdenken  ausgesprochen  werden,  sind  besten- 
falls halb  wahr,  aber  wohl  geeignet,  eben  kraft  ihrer  Halbwahr- 
heit und  aus  dem  Zusammenhange  genommen  alles,  und  vor  allem 
alles  Schlechte,  zu  entschuldigen. 

'Die  Bücher  der  Chronika  der  drei  Schwestern'. 
'Der  Graf  von  Luxemburg  hat  all  sein  Geld  verjuxt\  Nur  ein 
Schlofs  ist  ihm  geblieben,  wo  er  mit  seiner  Gemahlin  und  drei 
erwachsenen  Töchtern  in  dürftigen  Verhältnissen  und  in  peini- 
gender Langeweile  lebt.  Der  wilde  Wald  in  der  Nähe  verlockt 
ihn,  ein  Wildbret  für  seinen  Tisch  zu  erjagen.  Allein  er  findet, 
nichts  als  einen  furchtbaren  Bären,  welcher  ihn  nur  deshalb  frei- 
läfst,  weil  er  ihm  seine  älteste  Tochter  Wulfhild  (nomen  est 
omen)  zur  Ehe  verspricht.  Aus  dem  Jammer  der  Schlofsbewohner 
heraus  holt  der  Bär -Schwiegersohn  die  zugesagte  Braut  und 
läfst  eine  goldgefüllte  Kiste  zurück.  Wenn  aber  der  Graf  Geld 
hat,  so  verthut  er^s  in  Verschwendung  und  prunkendem  Leben. 
Bald  wieder  so  arm  wie  zuvor,  streift  er  am  Rande  des  unheil- 
vollen Waldes  mit  einem  Falken  zur  Vogeljagd.  Ein  mächtiger 
Adler  tötet  den  Falken  und  verlangt  des  Grafen  zweite  Tochter 
Adelheid.  Er  holt  sie,  indem  er  ebenso  wie  der  Bär  in  mensch- 
licher Gestalt  erscheint;  zwei  centnerschwere  goldene  Eier  be- 
lohnen den  Vater,  welcher  bald  in  neue  Verarmung  gerät  und, 
nach  Forellen  lüstern  Netze  werfend,  einem  gräulichen  Delphin 
seine  dritte  Tochter  Bertha  für  drei  Säcke  Perlmuscheln  zu  geben 
bereit  ist.  Da  hiermit  das  Geschäft  in  Töchtern  zu  Ende  geht, 
wrd  der  Graf  ein  einsichtiger  Haushalter,  kauft  seine  früheren 
Besitzungen  zurück  und  lebt  in  Pracht  und  Herrlichkeit.  Das 
ist  der  Inhalt  des  ersten  Buches:  der  Vater  wird  gezwungen, 
seine  Töchter  tiergestalteten  Prinzen  für  Geld  und  böse  Worte 
zu  überlassen.  Des  zweite  Buch  erzählt,  wie  Reinald,  der  spät- 
geborene Sohn  des  Grafen,  auszieht,  um  seine  Schwestern  zu 
suchen  und  die  Verzauberung  ihrer  Gatten  zu  lösen.  Er  trifft 
jedesmal  zur  Zeit  der  Verzauberung  ein,  mul's  von  den  Schwestern 


Die  Märchen  des  Miisäus.  285 

vor  den  tierischen  Gatten  sorgsam  versteckt  werden,  genieist 
dann  mit  dem  Schwager  Bär  den  auf  jeden  siebenten  Tag,  mit 
dem  Schwager  Aar  den  auf  jede  siebente  Woche,  mit  dem 
Schwager  Delphin  den  auf  jeden  siebenten  Monat  fallenden  Zeit- 
raum menschlicher  Gestaltung  und  erhält  zum  Abschiede  für  den 
Fall  der  höchsten  Not  vom  Bär  drei  Haare,  vom  Aar  drei  Federn, 
vom  Delphin  drei  Schuppen,  von  allen  dreien  zur  Heimkehr  er- 
mahnt, da  ihre  Erlösung  nur  mittels  des  Schlüssels  der  Bezaube- 
rungen vor  sich  gehen  könne. 

Diesen  zu  erlangen,  zieht  er  weiter.  Der  Kampf  mit  einem 
hieb-  und  stichfesten  Stier  bringt  ihn  in  Bedrängnis.  Er  reibt 
die  Haare,  der  Bär  erscheint  und  tötet  den  Stier;  er  reibt  die 
Federn,  der  Aar  erscheint  und  tötet  den  Enterich,  welcher,  dem 
hinsterbenden  Stier  entsprungen,  seinerseits  am  Rande  des  Sees 
sterbend  ein  goldenes  Ei  fallen  läl'st.  Durch  Reiben  der  Schuppen 
herbeigerufen,  fängt  der  Delphin  das  Ei,  welches,  von  ihm  aus- 
gespien, beim  Niederfallen  platzt  und  einen  goldenen  Schlüssel 
sehen  läfst.  Mit  ihm,  dem  Schlüssel  der  Bezauberungen,  berührt 
Reiuald  das  Schlofs  des  Thores,  welches  der  Stier  bewachte.  Es 
springt  auf,  und  Reinald  findet  im  Innern  des  Gewölbes  eine 
verzauberte  Jungfrau,  die  er  ohne  grofse  ISIühe  erlöst.  Sie  erzählt 
(ihr  Mund  ist  der  Schlüssel  der  Geschichte),  dafs  der  Sorbenfürst 
Zornebock,  der  Mörder  ihres  Vaters,  sie  selbst  verzaubert  habe, 
weil  sie  ihn  nicht  gewollt,  und  ihre  Brüder,  weil  sie  die  Schwester 
aus  seinen  Klauen  hätten  erretten  wollen.  Dafs  Zornebock  selbst 
sich  nicht  sehen  lasse,  erklärt  sie  in  richtiger  Vermutung  aus 
einem  Unfall,  der  ihn  betroffen  haben  müsse:  dieser  Unfall  ist 
der  Tod.  Vereinigt  ziehen  dann  alle,  Hildegard  und  Reinald, 
ihre  Brüder  und  seine  Schwestern  nebst  Gefolge  in  die  Residenz- 
stadt des  Grafen,  wo  Reinald  und  Hildegard  sich  vermählen. 

Das  ist  nun  wirklich  ein  Märchen  vom  reinsten  Wasser: 
Prinzen,  in  Tiere  verwandelt,  weil  sie  ihre  Schwester  retten  wollen, 
die  ein  Zauberer  durch  ein  fliegendes  Pferd  in  seine  Gewalt  ge- 
bracht hat  und  darin  hält,  weil  sie  ihn  nicht  zum  Ehegemahl 
mag;  ein  verschwenderischer  Graf,  der  seine  Töchter  wohl  oder 
übel  an  die  prinzlichen  Ungeheuer  verkaufen  mufs  und  desseu 
Gattin  in  spätem  Alter  einen  Sohn  gebiert,  bestimmt,  seine 
Schwestern  glücklich  zu  machen  und  dem  Menschenleben  zurück- 


286  Die  Märchen  des  Musäus. 

zugeben,  indem  er  ihre  Gatten  aus  der  schrecklichen  Verzaube- 
rung löst  dadurch,  dafs  er  die  unselige  Schwägerin  befreit;  ein 
Stier,  dessen  Quintessenz  in  einer  Ente  steckt,  deren  Seele 
wiederum  in  einem  goldenen  Ei  liegt,  welches  in  sich  den  kleinen 
Schlüssel  der  Verzauberungen  birgt,  der  grofse  Schlösser  auf- 
springen macht;  drei  Haare,  Federn,  Schuppen,  die,  zwischen  den 
Fingern  gerieben,  den  Bären,  Adler  und  Delphin  wie  auf  den 
Plutz  herbeirufen.  Es  ist  ein  grofser  Apparat,  der  aufgewendet 
wird;  und  gerade  darin  liegt  das  schlechthin  Märchen-,  d.  h. 
Zauberhafte  des  Stoifes,  dafs  dieser  Apparat  ersichtlich  um  seiner 
selbst  willen  aufgewendet  wird,  aus  reinem  Geschmack  und  blofser 
Freude  am  Unerhörten  und  Wunderbaren,  aus  blofsem  Gefallen 
am  Sonderbaren  und  an  dem,  was  schlechthin  über  das  Menschen- 
bereich hinausgeht  und  durchaus  keine  Anwendung  auf  geistige 
Prozesse  und  seelische  Kräfte  zuläfst.  Es  ist  Zauberspuk  und. 
weiter  nichts.  Kein  Vergröfsern  und  Verlängern  des  Mensch- 
lichen in  eine  jenseitige  Welt  hinaus,  damit  in  der  Vergröfserung 
menschliches  Wesen  um  so  klarer  hervortrete  und  zur  Anschauung 
komme,  sondern  die  reinphantastische  Konstruktion  einer  an- 
deren, dritten  Welt,  damit  der  phantastische  Trieb  seine  Befrie- 
digung finde.  Kein  menschliches  Interesse  wird  ins  Spiel  ge- 
setzt, sondern  ein  eitler,  leerer  Geschmack  am  Fratzenhaften. 
Der  einzig  menschliche  Zug  in  dem  Ganzen  ist  die  Verschwen- 
dungssucht und  ewige  Geldklemme  des  Grafen,  sowie  seine  in 
karger  Mufse  hervortretende  Langeweile.  Und  hierin  gerade  liegt 
die  hauptsächlichste  inhaltliche  Abweichung  vom  Pentameron. 
Denn  während  der  Graf  bei  Musäus  zur  Rettung  seines  eigenen 
Lebens  und  für  Geld  seine  Töchter,  eine  nach  der  anderen,  hin- 
giebt,  will  der  König  dort  seine  Töchter  den  Tierfreiern  nicht 
anvertrauen,  wofür  sie  sein  Land  verwüsten  und  ihre  erkorenen 
Bräute  erzwingen  —  ein  Zug,  der  in  der  antiken  Sage  ganz  ähn- 
lich auftritt.  Feiner  ist  auch,  dafs  man  bei  Musäus  über  den 
Verbleib  und  Aufenthaltsort  der  Töchter  nicht  eher  hört,  als  bis 
der  junge  Bruder  die  Schwestern  aufsucht;  mit  ihm  gehen  auch 
wir  auf  die  Suche.  Endlich  verdient  die  enge  Beziehung,  in 
welche  Musäus  seine  Personen  gesetzt  hat,  den  Vorzug  vor  der 
losen  Art,  wie  im  Pentameron  z.  B.  das  Geschick  der  Tierbrüder 
an  eine  ihnen  völlig  fremde  Prinzessin  geknüpft  ist. 


Die  Märchen  des  Musäus.  287 

Auch  sonst  hat  Musäus  den  kahlen,  öden  Stoff  mit  lauuigeu 
Arabesken  umrankt  und  ihm  durcii  gUickhchen,  von  Cynismus 
nicht  freien  Witz  besseres  Leben  eingehaucht,  als  ihm  Basile, 
der  Verfasser  des  Pentameron,  sonst  einigermal'sen  ein  Vorläufer 
des  Musäus  in  Stil  und  Behandlungsart,  hat  geben  können  oder 
wollen.  Übrigens  scheint  dies  eine  Geschmackssache;  denn  ich 
kann  mich  nicht  rühmen,  mit  den  Brüdern  Grinnn  übereinzustim- 
men, welche  die  Wiedergabe  des  Neapolitaners  'reiner  und  ein- 
facher^, also  folgeweise  wohl  auch  anmutender  finden  und  der 
geschmückten,  mit  Witz  in  die  Breite  und  Tiefe  ausmalenden 
Bearbeitung  ihres  thüringischen  Landsmannes  vorziehen.  Bech- 
stein,  der  so  vielfach  in  den  Spuren  der  Brüder  wandelnd  ange- 
troffen wird,  hat  dieses  Urteil  zu  dem  seiuigen  gemacht,  freilich 
ohne  durch  scharfe  Worte  Musäus  irgendwie  erheblicher  zu  be- 
lasten. 

Es  giebt  geschickte  Leute  und  getreue  Arbeiter,  welche  vor- 
handenes Kapital  in  regem  Mühen  zinsbringend  ausnutzen;  an- 
dere wieder  sind,  welche  neue  Werte  schaffen  und  sich  nicht  be- 
gnügen mcigen.  Altes  in  alter  Form,  wenn  auch  schön  geglättet, 
weiterzugeben.  Es  ist  recht  erklärlich,  dafs  die  Grimms  Märchen 
nur  nacherzählten:  sie  waren  nicht  geeignet,  umdichtend  und 
ueudichtend  etwas  Rechtes  damit  anzufangen;  sie  wollten  das 
Paradies  ihrer  eigenen  Kindheit  der  Kindheit  späterer  Geschlechter 
rein  erhalten.  Dai's  es  auch  Leute  geben  sollte,  welche  gern 
lachen,  auch  über  das,  was  sie  als  Kinder  entzückte,  wollte  ihnen 
nicht  zu  Sinne,  ist  aber  dennoch  eine  Thatsache,  welche  uns  in 
dem  Märchendichter  Musäus  leibliaft  entgegentritt. 

Berlin.  Erich   Bleich. 

(Schlul8  folgt.) 


Die  (juelle  des  inittelenglischeii  Gedichtes  'Lob  der  Frauen'. 

Im  siebenten  Bande  der  Engl.  Stud.  S.  101  ff.  veröffentlichte 
Kölbing  ein  strophisches  Gedicht  aus  der  Auchinleck-Handschrift 
in  Edinburgh,  dem  er  den  Titel  'Lob  der  Frauen'  gab.  Es  war- 
schon  zweimal  vorher:  von  Leyden,  The  Complaint  of  Scotland, 
Edinb.  1801,  S.  161  ff.,  und  von  Laing  in  A  Penniicorth  of 
Witte,  gedruckt  worden.  Erklärungen  und  Besserungen  zum 
Texte  liefs  zuerst  Stoffel  in  den  Engl.  Stud.  7,  386  und  dann 
Zupitza  ebd.  8,  394  ff.  erscheinen,  wo  letzterer  auch  darauf  hin- 
wies, dafs  die  einzelnen  Strophen  mit  den  verschiedenen  Buch- 
staben des  Alphabetes  beginnen.'  Daran  schlössen  sich  einige 
kleine  Bemerkungen  von  mir,  Anglia  13,  358  und  14,  308,  sowie 
von  Kölbing,  E.  St.  11,  216,  13,  135  und  19,  149  Anm.  Brandl 
bespricht  das  Gedicht  in  Pauls  Grundrifs  II,  1,  639,  §  41.  Merk- 
würdigerweise scheint  aber  noch  niemand  gesehen  zu  haben,  dafs 
es  die  getreue  Nachbildung  —  auch  in  der  Form  —  einer  von 
Thom.  Wright  in  den  Specimens  of  Lyric  Poetry  etc.,  London 
1842  (Percy  Soc),  S.  1  ff.,  gedruckten  altfranzösischen  Dichtung 
ist,  die  sich  auf  fol.  49'"  des  bekannten  Ms.  Harl.  2253  findet. 
Die  Quelle  giebt  uns  nun  auch  ein  Mittel  au  die  Hand,  ver- 
schiedene Schwierigkeiten  des  englischen  Textes  aufzuhellen. 

Zunächst  gehen  dem  eigentlichen  'Frauen  -  A  B  C,  wie  man 
das  Gedicht  besser  nennen  könnte,   zwei   Einleitungsstrophen 


'  Also  wie  Chaucers  ABC.  Ein  zweites  derartiges  Gedicht  erwähnt 
Zupitza  a.  a.  O.  396,  17.  Auch  J,  Koch  wies  im  .Jahresbericht  V,  225  auf 
das  alphabetische  Akrostichon  hin. 


üie  Quelle  des  mittelenglisohen  (xed ichtos  'Ix>b  der  Frauen'.      289 

vorher,   die  iu  der  englisehen  Übersetzung  höchst  wahrscheinlich 

durch   eine  Lückfe   in   der  Handschrift    verloren  gegangen   sind. ' 

Sie  lauten : 

I. 

Quy  ä  Ja  danie  de  parays 

deyvent  foy  e  leaut^, 
Ore  eutendent  u  ines  dis, 

e  je  lur  dirroy  veritö. 
Si  nul  y  soit  que  eit  mespris  5 

vers  femme  par  maveste, 
De  corteysie  soit  forbanys, 

ou  hastiveuient  soit  redresse 
ä  dreyt; 
Quar  il  pert  sa  noreture,  lO 

certes,  que  femme  deceit. 

II. 

Dien  m'avaunce  par  charite, 

auxi  come  j'ay  mestier! 
Je  frei  ä  femmes  un  a,  b,  c, 

ä  l'escole  si  eles  vueillent  aler;  16 

Celes  que  sunt  lettröe 

as  autres  purront  recorder, 
Coment  eles  sunt  honoröe 

en  dreyture  sauntz  fauser 

de  nulle;  20 

Oü  va  femme,  i:i  vet  joie, 

ele  ne  va  pas  soule. 

Die   ersten   anderthalb  Strophen,   die  ebenfalls    in    der  eng- 
lischen Nachbildung  fehlen,  lauten : 

III. 

Amour  de  femme  moun  euer  etitame, 

de  fere  un  poy  enveysure; 
Pur  sauver  femme  de  tote  blame,  25 

cheseun  devereit  mettre  eure, 
Pur  l'amour  de  uue  dame, 

que  tot  le  mound  en  terre  honure. 
Que  femme  esclaundre  e  met  en  fame 

ne  vint  unqe  de  bone  nature;  3u 

ä  veyr  dyre, 
Qui  de  femme  dit  vileynie, 

certes  sa  bouche  empyre. 

'  So  vermutete  schon  Zupitza  a.  a.  O.  o94,  1. 

Archiv  f.  ii.  Sprachen.    CVIII.  19 


290      Die  Quelle  des  mittelenglischen  Gedichtes  'Lob  der  Fraueu' 


IV. 

Beaut6  de  femme  passe  rose, 
qi  le  vodera  bien  juger,  35 

En  mounde  n'i  a  si  douce  chose, 
en  leaiit6  pur  bien  amer. 

M^s  je  certes  bien  dire  le  ose, 
6  si  mestier  soit  prover, 

Von  V.  40  ab  entspricht  dann  die  englische  Übersetzung; 
Kölbing,  der  bloCs  den  Verlust  der  ersten  Strophenhälfte  an- 
nahm, giebt  dem  ersten  erhaltenen  englischen  Verse  die  Vers- 
zahl 7.  Da  nicht  allen  Fachgenossen  der  französische  Text  leicht 
erreichbar  sein  dürfte  und  der  englische  durch  die  Bemühungen 
der  genannten  Kritiker  vielfache  Verbesserungen  und  Ergän- 
zungen erfahren  hat,  lasse  ich  beide  von  neuem  parallel  gedruckt 
hier  folgen,  indem  ich  zugleich  die  englische  Übersetzung  nach 
Möglichkeit  herzustellen  suche.  Die  Lesarten  der  Handschrift 
und  die  Urheber  der  nicht  von  mir  stammenden  Besserungen 
sind  in  den  Fufsnoten  verzeichnet. 


Qe  mavest^  que  en  faus  repose,    40 
fet  sovent  femme  des  oils  lermer, 

ä  tort; 
qy  femme  dampne  par  tresoun, 
certes  sa  noreture  dort. 


V. 


45 


Chescun  honme  endreit  de  sey 

deit  de  femmes  tot  bien  dyre; 

e  si  vus  dirroi  bien  pur  quei, 

pur  une  qu'est  de  tous  mals  myre, 

de  qui  nasquy  le  haut  rey 

qe  de  tot  le  mound  est  syre.         so 

Beneit  soit  cel  arbre  ä  fey, 

qe  tiel  fruit  porte  que  ja  n'enpyre 

pur  den! 
Quar  ele  porta  le  noble  enfaunt, 
repleni  de  tot  bien.  55 

VI. 

Dyamaund  ne  autre  piere 
ne  sount  si  fyn  en  lur  vertu, 


Bot  fals  men  make  her  fingres  fold 
&  dow  hem  wepe  wel  sore,  to  rewe 

her  res: 
{)urch  wreches,  {)at  er  untrewe,   [lO] 
Wimen  ben  holden  les. 

[II.] 

Chosen  {)ai  be  to  mannes  fere, 
o  nijt  in  armes  for  to  wende: 
jif  ani  man  may  it  here  [14] 

of  a  schrewe,  |)at  wil  wimen  sehende, 
Y  speke  for  hem,  &  make  hem  skere, 
&  say,  {)at  J)ai  er  gode  &  hende. 
When  J)ou  art  ded   &  leid  on  bere, 
in-to  blis  {)i  soule  schal  wende 

&  bide:  [20] 

He  was  born  of  woman-kende, 
for  ous  bare  blody  side. 

[III.] 
DerworJ)er  drouri  wot  y  non, 
{)an  woman  is,  &  wise  of  rede. 


7    feld.      8    (io|).       10    wreches    K.] 
wroches.     21   kinde. 


Die  Quelle  des  niittelenglischen  Gedichtes  'Lob  der  Frauen'.      291 


conie  sunt  femmes  en  lur  manere, 
d'amour  joindre  portent  le  glu, 
e  sount  pleysaiiutz  e  debonere,      6(i 
de  un  dart  d'amour  nie  ount  fern. 
Qefenimeniespreyse  en  nulle  manere, 
il  corouce  la  mere  Jhesu, 

6  pecche; 
qy  il  ce  s'acostume,  65 

porte  vyleyne  tecche. 

VII. 

Eux  ont  le  corps  de  bei  entayle, 
en  tous  poyutz  tresbien  assis; 
um  ne  vaudreit  une  mayle, 
si  femme  ne  fust,  ce  ni'est  avys.  70 
Donque  dussum  nus  sanntz  fayle 
de  tiele  chose  tenir  grant  pris ; 
quar  il  n'y  a  rien  que  a  femme  vayle, 
desouz  la  joie  de  paray.s, 

en  terre;  75 

yl  n'y  a  nulle  terrene, 
que  purra  ä  tous  plere. 

VIII. 

Femmes  portent  les  oyls  veyrs, 
e  regardent  come  faucoun ; 
mout  doit  estre  en  bon  espeyr      80 
cely  qe  gist  en  lor  prisoun; 
(|uar  al  matyn  ne  ii  seyr 
rien  n'y  avera  si  joye  nouu; 
de  totes  bountes  sunt  yl  heyr, 
frauuches  e  beles  par  resoun         85 

come  rose; 
quy  de  eux  dit  si  bien  nouii, 
sa  vyleynie  desclose. 

IX. 

Genterise  en  euer  de  femme  floryst, 
e  espanit  come  fet  la  flur;  9u 

benö  soit  qui  la  le  myst 
en  lu  de  si  grant  honur; 
qy  vileynie  de  femme  dist, 
mout  pust  il  estre  ensur, 


Gold  no  silver  uo  riebe  ston        [26] 
is  non  so  douhti  in  detle. 
Jjai  make  Willam,  Roberd  &  Jon 
in  ioie  iS:  blis  he[r]  liif  to  lede, 
Jiat  elles  schold  spille,  flesche  &  bon, 
&  ly  &  dwine  hem  selve  to  dede   [30] 

J)urch  pine. 
Birddes,  blisced  mot  je  be 
for  love  of  o  virgine! 

[IV.] 

Eijen  gray  &  browes  beut, 

I)at  bere  J>is  birddes  brijt  on  ble;  [aö] 

everi  lond,  fier  {)ai  be  lent, 

is  ful  of  mirjie  &  iolifte. 

It  is  a  soud,  f>at  God  lia[)  sent, 

in  erjje  to'gladi  man  wi{)  gle. 

Were  wimen  out  of  lond  ywent,  [40] 

al  our  blis  were  broujt  on  kne 

wel  lowe: 
hou  schuld  men  ani  corn  repe, 
f)er  no  sede  is  souwe? 

[V.] 

Feir  &  swete  is  wimannes  viis,    [4ö! 
j)e  man,  I)at  wil  hem  wele  bihold, 
white  &  rede  so  rose  on  riis, 
lovely  lijj  her  here  yfold; 
wij)  eije,  forheved  &  nose  tretiis 
al  beutes  [jai  hau  in  wold.  [.%] 

For  love  of  on,  \>at  berjj  {)e  priis, 
Y  prais  hem,  bojje  jong  &  old 

bidene : 
who  so  lackelj  hem  in  lore, 
he  wret|)es  heven-quene.  [öö] 

[VI.] 

Gentelri  is  plannt,  as  y  ,iou  teile, 
in  wiman  it  springe{)  in  ich  a  li|); 
{)ai  er  meke  &  no\nng  feile, 
hende  in  halle  as  hauke  in  frij).  [59] 
He  schal  be  curssed  wi[i  boke  &  belle, 
{)at  ani  vilaini  mengeji  hem  wif), 


2S    her    &;      36    cvori  K.]    in    everi. 
42   lawe.      48  lij)e.      57   lijl).     59   fiijj). 

19* 


292      Die  Quelle  des  mittelenglisehen  Gedichtes  'Lob  der  Frauen'. 


d'aver  hounte  sauntz  respist,  95 

en  un  lu  molt  obscur, 

e  peyne. 
Pu8  que  Dieu  de  femme  nasquist, 
n'out  unque  nulle  vyleyne. 

X. 

Harpe,  n'autre  menestrausie,         kx) 
ne  oysel  que  chaunt  u  boys, 
ne  sount  si  noble  melodie, 
come  de  femme  oyr  la  vois. 
Mout  purrad  mener  sure  vie, 
que  de  femme  puet  aver  choys;  105 
quar  ä  tous  biens  femme  plye, 
come  fet  la  coudre  que  porte  noys 

e  foyl. 
Qui  bealte  plaunta  en  femme, 
molt  chosy  noble  soyl.  iio 

XI. 

II  n'y  out  unqe  homme  nde 
pus  le  temps  Adam  e  Eve, 
qe  sout  de  femmes  la  bountö 
oü  comence  ne  oü  acheve; 
a  demostrer  tiel  segr^e,  115 

ä  moy  serreit  donqe  cbose  greve; 
m^s  pus  qe  je  l'ay  comenc^e, 
avant  dirroi  ou  parole  sweve 

e  fyne, 
femmes  dussoms  tous  honorer,     120 
pur  l'amour  d'une  meschyne. 

XII. 

Korteysie  en  femme  git, 

en  lu  oü  ad  bei  desport; 

e  cely  en  fenme  char  prist, 

qe  d'enfern  nus  dona  resort;        125 

e  de  femme  eil  nasquist, 

qe  pur  nus  pus  suffry  la  mort. 

Qui  ä  femme  fet  despit, 

il  me  semble  que  il  ad  tort. 

en  taunt;  130 

quar  en  femme  descendist 
Jhesu  le  tot  pussaunt. 


to  rest  him  in  J)e  pine  of  helle, 
J)er  never  more  schal  be  no  grij) 

no  böte. 
Y  wold  rede  no  cursed  wreche,  [66] 
Ojain  our  levedi  to  mote. 

[VII.] 
Harpe  no  fi{)el  no  sautri, 
noiJ)er  wift  old  no  wi{)  jong, 
is  non  so  swete  to  sitten  by, 
as  wiman,  Jjer  {)ai  speke  wij)  tong.  [70] 
Her  speche  restef)  a  man  wel  ny 
bituene  his  liver  &  bis  long, 
{)at  do{)  his  hert[e]  rise  on  h^, 
so  clot,  J)at  li|)  in  clay  yclong 

so  sore.  [75] 

Who  J)at  lackej)  wiman  in  lore, 
y  rede,  he  do  no  more. 

[VIII.] 
In  al  J)is  World  was  never  no  clerk, 
sej){)en  Adam  was  fourmed  &  Eve, 
no  man,  Jjat  wered  breche  no  serk,  [so] 
{)at  wimannes  vertu  couJ)e  screwe. 
f)an  were  it  to  me  ful  derk, 
a  |)ing,  J)at  schuld  min  hert[e]  greve, 
for  to  ginne  swiche  a  werk, 
J)at  never  no  man  mijt  in  cheve  [85] 

to  |)ende: 
y  take  witnes  at  our  levedi, 
J)at  Wimen  er  gode  &  hende. 

[IX.] 
King  &  emperour  &  knijt, 
alle  J)ai  were  of  wiman  bore,       [90] 
&  God  was  in  a  woman  lijt, 
&  elles  were  alle  yis  world  forlore 
for  a  |)ing,  J)at  bere{)  rijt 
atuix  l>e  crop[pe]  &  |)e  more. 
Amid  J)e  tre  {)e  frout  was  pijt,  [96] 
f)at  Jesu  was  don  on  rode  fore, 

to  winne 
our  soules  out  of  helle, 
J)at  were  bounden  in  sinne. 


62  him  K.]  hem.  65  wreche  K.] 
wroche.  68  cid.  71  iiey.  73  hey. 
81  screue.     93  for  a  Z.]  for  it  is  a. 


Die  rjuclle  dos  niitteleuglißchen  (Jcflichtos  'Lob  dor  Frauen'.       2!^3 


XIII. 
L'amour  du  mound  en  femme  habite, 
en  un  lu  mnlt  ainiable; 
Yl  n'ad  pas  choysy  lu  petite,       130 
mfes  large,  grant,  e  delitable. 
yl  ne  trovera  que  ly  desheryte, 
lä  puet  il  meyndre  tot  dis  estable; 
son  ostel  est  de  tous  maus  quite, 
pur  veyr  le  dy,  sauntz  mot  de  fable,  140 

dedenz ; 
que  mavest^  quert  en  femrae, 
certes  il  pert  son  tenz. 

XIV. 

Marie,  que  portastes  le  salveour, 
vostre  grace  vus  requer,  145 

me  seiez  ayde  e  socour, 
pur  l'onour  de  femme  sauver, 
qe  portent  fruyt  de  bei  colour, 
noble,  douce,  ne  mie  amer; 
gentz  que  sount  de  grant  valour,  i.öo 
qe  Ic  mound  governent  enter, 

par  sen; 
bene  soit  tioi  arbre 
que  tiel  fruit  porte!     Amen. 

XV. 

Note  de  la  russinole  156 

je  tienk  pur  nient  en  temps  de  May, 
e  de  chescun  oysel  que  vole, 
encountre  une  que  nom^  ay. 
Quar  ele  chaunte  de  bone  escole, 
e  tient  le  euer  de  honme  en  gay,  160 
il  porte  le  bek  douce  et  mole; 
si  mestier  soit,  nomer  le  say 

par  noun ;  [honme, 

quaut  dci'nsist   femme  compaigne  h 
molt  lur  dona  bei  doun.  160 

XVI. 

Ou  femmes  est  honour  enjoynt, 
de  bount^s  sunt  racyne; 
pur  chescun  mal  qu'en  homme  poynt, 
femme  porte  medicine. 


[X.l 

Luf  is  alle  in  woman  laft,  [100] 

&  chosen  ])ai  be  for  trister  in  tour. 
f)ennes  {larf  hem  never  be  raft. 
fiai  may  [)er  live  wif)  gret  honour. 
In  a  chaumber  of  levely  craft    [104] 
no  {)arf  heni  dout[en]  of  no  schour: 
ojain  al  J)ing  wiman  [is]  schaft, 
of  alle  loudes  {)ai  bere  [)e  flour 

and  priis, 
as  over  alle  o{)er  floures 
rose  yrailed  on  riis.  fiiol 

[XL] 

Mari,  |)at  bar  God  almijt, 
help[e]  now,  ich  have  nede, 
for  wimannes  honour  to  fijt, 
hou  f)ai  er  hende  in  ich  a  dede. 
Of  hem  it  springe})  day  &  nijt,  [116] 
swete  morseles,  J)is  lond  to  fede, 
frout  I)at  is  so  michel  o  niijt, 
men  yarmed,  stef  on  stede 

&  strong; 
God  jive  hem  ioie  &  blis  [120] 

&  liif  to  last[e]  long! 

[XIL] 

Note  of  l^e  nijtingale 
y  sett  at  noujt  in  tiuie  of  May, 
no  o{)er  foules  gret  &  smale, 
f>at  sit  &  singen  her[e]  lay,        [125] 
ojaines  a  foule,  J)at  sit  in  sale, 
\viJ)-outeu  cage  ever  clad  in  say: 
hir  note  abate|)  maunes  bale, 
f)er  nis  no  wijt,  I)at  can  say  nay 

wi|)  mou|)e:  [130] 

\ve  aujt  for  our[e]  levedi  love 
honour  wiman,  jif  we  couI)e. 

[XIIL] 

Of  al  vertus  wiman  is  rote; 
say  noman  nay,  for  it  is  so! 
Of  al[le]  bales  {)ai  be  böte,        [135] 
to  help  a  man  of  uncou{)e  wo; 


164  dieiisiät. 


100  Liif  K. 


294       Die  Quelle  des  mitteleugli sehen  Gedichtes  'Lob  der  Frauen'. 


Quant  eles  ount  le  mal  enoynt,  170 
languisse  va  e  tost  fyne; 
l'amour  de  cele  DIeu  nous  doint, 
ä  cui  le  mound  enclyne! 

e  prie, 
al  jour  de  le  graunt  jugement,     175 
que  ele  nous  seit  aye! 

XVII. 
Parvenke  de  pris  e  sauntz  pier. 
sount  femmes  sur  tote  autre  rien ; 
quar  nul  ne  savera  devyser  179 

la  bount6  des  femmes,  ce  savoms  bien. 
Femmes  portent  le  vis  der, 
—    —    —    —    —    —    [ien]. 

Dieu  me  doint  ä  joie  aver 
la  bele  douce  qu'est  le  myen 

demeyne;  185 

unque  ne  trovay  en  ly 
fors  bount^  e  euer  certeygne. 

XVIII. 

Quoyntement  s'en  vont  arm^e 
de  grant  bealte,  que  pert  dehors, 
e  dedenz  de  tot  bounte  190 

en  ount  repleny  tot  le  cors; 
mout  serroit  donque  grant  piete, 
si  tous  tieles  fuissent  mors, 
que  pur  nus  ount  grevement  ploree, 
a  ce  ä  molt  grauntz  tortz,  195 

sovent; 
nul  ne  savera  devyser 
la  joye  que  de  eux  descent. 

XIX. 

Rose,  qu'est  de  bei  colour, 

e  d'est^  porte  l'enseygne,  200 

ne  gitte  poynt  si  fyn  odour 

come  est  de  femnie  la  douce  aleyne. 

Qui  porreit  donque  nuit  e  iour 

aver  une  en  son  demeyne, 

mout  purreit  vivre  ä  grant  honour,205 

e  en  joie  sauntz  nulle  peyne 

u  mounde; 
nul  ne  savera  deviser 
la  joie  que  de  femme  habounde. 


{)ai  beren  salves,  J)at  bcn  swote, 
to  hele  me  &  o{)er  mo, 
to  make  a  man  to  lepe  wi{)  fot, 
|)at  ere  was  sike  &  mijt  noujt  go  [140] 

no  stonde. 
Wiman  is  comfort  to  man, 
to  bring  him  out  of  bond. 

[XIV.] 
Perlis  [of]  priis  &  [ek]  parvenk 
is  woman[es]  viis  in  everi  plas.  [145] 
No  may  no  clerk  write  wij)  enk 
J)e  swetnesse,  Jiat  {)ai  han  in  face, 
no  in  bis  hert[e]  him  bi{)enk, 
alle  his  wlttes  {)ei  he  chace; 
Wimen,  J)er  {)ai  sit  on  benk,       [i50] 
hou  mijti  [)ai  ere  &  ful  of  grace 

fulfilt; 
for  God  for  ous  in  a  wiman 
his  bigging  ha{)  ybilt. 

[XV.] 
Quen  of  heven,  ich  am  [>i  man,  [155] 
in  erj)e  to  speke  for  f)ine  ost; 
helpe  me,  levedi,  for  y  no  can, 
for  to  abate  |)e  wreche  bost 
hem,  ])at  sehende  gode  wiman, 
I^at  ioie  of  hem  in  erjje  is  niost.  [160] 
AI  our  blis  of  wimen  gan ; 
swete  levedy,  J)ou  it  wost, 

ywis, 
for  Jwu  bar  J^at  ich[e]  bem, 
J)at  broujt  ous  alle  to  blis.        [i65j 

[XVI.] 
Kose  no  no  lili-flour 
no  woderof,  J)at  springel?  on  hef», 
is  non  so  swete  in  his  odour, 
for  sol^e,  so  is  winiannes  brej), 
piment,  clarc  no  no  licour,         [170] 
milke,  perre  no  no  meji; 
&  who  so  lovej)  hem  wi{)  honour, 
no  dye  he  never  schamely  dej) 

[jurch  gilt! 
God  lat  never  [mo]  her  soules   [175] 
for  non  sinnes  be  spilt! 

144  parvink.      146  iuk.     148  bi|)ii]k. 


Die  Quelle  »les  niittelenglischen  Gedichte.^  'Lob  der  Frauen'.       295 


XX. 

Si  tous  l'espieces  en  tcnz  de  pees,  210 

qe  de  tous  terres  vcuent  p;ir  mer, 

fuissent  lyös  en  un  fees, 

e  um  les  devoreit  bien  juger, 

il  n'y  a  nul  de  tel  relees, 

come  de  feniiiie  un  douz  bayser,  215 

ce  SU  je  prest  prover  adfes, 

qui  me  vodra  countrepleyder 

en  dyt; 
car  femme  est  la  plus  graciouse 
chose  que  unqe  Dieu  fyt.  220 

XXI. 

Tryacle,  trcsbien  try^e, 

n'est  poynt  si  fyn  en  sa  termyne, 

come  est  le  lycour  alosee 

quy  femiiic  porte  en  sa  peytrino. 

Bien  doit  tiele  chose  estre  am^e,  225 

que  porte  si  noble  medicine! 

Meint  foyz  est  anguissee 

par  nous  fennie  en  gysyiie, 

sanz  bobance; 
nul  ne  savera  deviser  230 

come  sunt  pur  nus  en  grevaunce. 

XXII. 

Vülables  ne  sunt  point  de  corage, 
quar  eles  se  tienent  en  une  assise; 
a  eux  ne  serra  dit  hountage, 
quar  il  sount  de  bone  aprise ;       235 
come  plus  est  venu  de  haut  parage, 
meinz  s'en  orguile  en  tote  guyse. 
Chescun  qu'est  de  bon  estage 
femmes  honourt  par  soun  devyse 

tot  dis;  240 

honour  en  bone  femme 
ne  puet  estre  raesassis. 

XXIII. 

Xpe,  le  fitz  Marie, 
le  tresnoble  enfaunt, 


[XVII.] 
Spico,  \vi{)  schip  in  timt»  of  pes 
|)at  com  .saileud  out  of  |)e  soujje, 
rapeli  raikend  on  a  res 
over  J5e  se,  {)at  ebbef»  &  flouj),  [I80] 
is  non  so  swete  in  his  reles, 
so  is  a  cosse  of  womannes  mouf>e; 
for  priis  of  spices  ichir  ches, 
most  of  vertu  &  namcouf)e. 

For  why?  [186] 

It  is  ever  aliche  newe 
bo|)e  lat  &  arly. 

[XVIII.] 

Trewe  as  treacle  er  {)ai  to  fond, 
clere  of  colour,  so  is  {)e  wine; 
{)ai  ben  birddes  of  Godes  sond,  [190] 
lovelichc  to  loggen  under  line. 
Mani  &  feie  Jaer  ben  in  lond; 
for  sojje  y  say,  J)at  on  is  min ; 
where  so  {)at  y  wake  or  stonde, 
ywis,  ichave  a  iuele  fin  [195] 

in  hord, 
lufsuui,  fair  &  hende, 
trewe  &  trusti  in  word. 

[XIX.] 

Writable  is  womannes  {loujt, 
it  stikej)  ])er  |)ai  han  it  sett.       [200] 
[)ei[h]  anof)er  hir  haf)  bisoujt, 
sehe  wil  hold  J)at  she  ha{)  hett 
&  say,  for  soJ)e,  hem  helpej)  noujt, 
no  schal  hem  never  be  J)e  bett;  [204] 
botfals[e]  werkes,  pat  men  han  wroujt, 
maken  oft  her  leres  [s]wet 

wel  wete. 
{)er  a  woman[ne8]  love  is  sett, 
lo{)  hir  is  to  lete. 

[XX.] 
Xrist,  [t)at]  is  king  &God  in  tron,  [210] 
f>ay   J)at  wonian    sehende,   jif   hem 

schäme  I 


1783!iilimd.  179raikaiid.  I89wiiie^.] 
winne.  195  inele  Ä".  199  Veritablc  ^ocA] 
Voutable.    202  held. 


296       Die  Quelle  des  mittelenglischen  Gedichtes  'Lob  der  Frauen'. 


defent  qe  vyleynye  245 

ne  soit  desorenavant 

dit  par  nulle  folye 

a  nulle  femme  vivant! 

Mfes  chescun  ayme  s'amye, 

conie  Dieu  nus  est  amaunt  250 

en  terre, 
que  sa  douce  face 
en  ciel  pussoms  vere. 

XXIV. 

Ysope,  fenoil,  columbyn, 
flur  de  lyls  alos^e,  255 

rose  que  porte  colour  fyn, 
gyngivre  racyn^e, 
deveroit  crestre  u  chemyn, 
Oll  femme  marche  soun  p^e; 
certes  cely  ad  bon  matyn  260 

que  de  femme  est  amee, 
saunz  feyntyse; 
quar  unqe  femme  ne  fust, 
si  noun  de  bon  aprise. 

XXV. 

Zabulon,  come  je  vus  counte,       266 
c'est  un  propre  noun, 
cely  que  bone  femme  afrounte, 
ja  n'eit  s'alme  pardoun! 
Fuisse-je  roy  ou  grant  counte, 
ou  de  terre  noble  baroun,  270 

quy  ä  femme  ferreit  hounte, 
tost  le  mettroi  en  prisoun 

sanz  jtort; 
si  il  ne  se  vodra  amender, 
ja  n'avereit  resort.  275 

XXVI. 

Douce  amie,  seiez  certeigne, 

que  de  Dieu  serra  maldit, 

qe  de  male  parole  e  veyne 

dient  ä  femme  hounte  ou  despyt ;  279 

quar  Dieu  meismes  sauntz  nulle  peyne 

de  une  femme  en  terre  nasquyt, 


Lord,  Ijou  graunt[e]  nie  mi  bon, 
Y  schal  grete  l>e  wij)  game, 
{)ine  heved,  {)i  fete,  f)i  bodi  bidon ; 
wel  oft  J)ai  swere  idel  |)i  name;  [215] 
{)0u,  {)at  made  sonne  &  mone, 
Hwiche  wreches,  in  erj^e  hem  to  tarne, 

do  schond! 
For  we  aujt  for  our  levedi  love 
wiman  honour  to  fond.  [220] 

[XXL] 
I*ei  a  schrewe  on  woman  lyje, 
hir  godenis  is  never  .J)e  las ; 
jete  he  may  happen,  or  he  dye, 
{)urch  tuelve  mon{)es  for  to  pas, 
heije  on  galwes  his  mete  to  fi,  [225] 
and  under  him  grese  bojie  ox  &  asse, 
&  as  a  dogge  in  feld  to  ly, 
wolves  &  houndes  to  dou  his  masse . 

bi  nijt; 
for  we  aujt  for  our  levedi  love  [230] 
hold  wiman  to  rijt. 

[XXIL] 
Zabulon  is  a  lond  of  lede, 
J)at  mani  man  haj)  ben  inne; 
noujt  al  |)e  minstrels,.  Jiat  ben  kidde, 
out  of  {)at  lond  in-to  Linne,       [235] 
wiJ)  harpe  no  fi{)el,  sau  tri  {)er-midde, 
orgens  |)at  er  io[i]ned  wiJ)  ginne, 
nomijt  nou3t  teile  half  Jjegodeh[ede], 
J)at  a  gode  woman  is  wi{)inne, 

to  J)ende;  [240] 

who  |)at  seit[h]  wiman  schäme, 
ywis,  he  is  unkende. 

[XXIIL] 

&  y  were  as  douhti  a  swai(n) 
as  was  Samson,  er  he  w(as  schorn), 
or  al  so  wijt  so  was  Waw(ain),  [246] 
or  Salamon,  Jjat  was  (wisest  born), 
jete  wold[e]  me  noujt  (Jiinke  gain), 
Jiat  wiman  schuld  (be  sent  at  morn), 


218  do  K.]  to.  2.S2  land.  237  ioined 
K.  238  godehede  K.  243  &  Z.]  \>  K. 
swain  K-  244  erg.  Z.  24.5  Wawain  K. 
246—248  erg.  Z.     247  wald. 


Die  Qucllo  des  mittelcnglisolicn  (Tcdichtos  'Lob  der  Fraueu'.       '2!i7 

la  qiiele  en  ciel  sa  joye  demeyne;  to  go[n]  oii  feld  in  snow  {&  raiu), 

de  ly  servyr  ay  grant  delyt  to  help  oii  er{)e  to  8(o\ve  corn)  [250] 

ä  gr6e;  to  growe: 

quar  ele  est  de  joie  fonteyne,       285  of  wimen  spnnge(f)  day  k  nijt) 

source  de  ainisti^.  joie  &  vertus,  y  t(rowe). 

XXVII.  [XXVL] 

Place  lä  ou  femme  siet,  Place  is  fair,  {ler  wimen  be  sett, 

en  sale  ou  banc  countre  mur,  f)ai  er  lovosum  et  fair  of  sijt, 

totes  vileynyes  het,  in  everich  lond,  {)er  {lai  be  mett, 

tant  come  porte  fruit  si  pur,        290  in  ich  a  toun,  {jer  ]iai  be  di3t. 

de  totes  arbres  dount  fueille  chet,  Y  wil  hold  J^at  y  have  hett,       [280] 

si  est  femme  sovereyn  flur;  folver  al  {)i3  world  bicom  her  knijt. 

chescun  houme  ä  mieux  qu'il  puet,  (W)el  oft  for  ous  her  leres  be  wett; 

sauve  lur  cors  e  lur  honur  (so)re  gronis  {)ai  gron  o  ni,Tt 

de  hounte,  295  (in  be)dde: 

quar  totes  choses  avenauntes,  (so)  f)ai  siken  &  sorwe  for  ous,  [285] 

bone  femme  sourmounte.  (f>at  w)e  be  fosterd  &  fedde. 

XXVIII.  [XXVIII.] 
Cruelement  s'en  vont  lye,  —    —    —    —    J)ai  gon  i-bounde, 
par  la  grace  de  ly  puissaunt;  —     —    —    —    es  ber  ous  about, 
si  ne  fust  sa  grant  humilit^,        30o  —     —    —    —    in  a  stounde,   [300] 
qe  mostre  ä  femme  vertu  grant,  —    —    —     —     ben  in  dout. 
james  femme  de  mere  näe  —     —     wal)ken  &  gon  on  grounde, 
ue  fust  delyvr^s  de  un  enfant ;  —     —     —    —    hem  to  lout. 
mou/t  seofrent  pur  nostre  aniistd,  —     —     —     —     —   grimli  wounde, 
e  meintefoiz  vont  suspirant          305  —     —      ler)es  wete  wipout        [3a5] 

pur  amour;  —     iUe); 

molt  sovent  lur  nateresse  —    —    —     —    —    s  oft 

lur  torne  ä  grant  dolour.  —     —     —     —     —     rille. 

XXIX.  [XXVII.  I 

Ave  Maria  devoms  dire  —     —     —     —    rekned  in  lond 

pur  totes  femmes  qe  grosses  sount, 310  —     —     —     —     s)oul  of  al  is  on, 

lur  colour  pur  nus  empire,  —    —     —    b)ounde  in  Godos  bond, 

de  sale  en  chaunbre  quant  eles  vont;  —     —  ful)filt  of  mannes  mon,  [290] 

prioms  Jhesum,  nostre  sire,  —    —    J))urch  Godes  sond 

que  in  sa  joie  siet  lä  ä  mount,  —    —    —    ned  flesche  &  bon, 

que  si  ly  plest  lur  veile  myre      315  —     —     —     h)em  we  aujt  to  fond, 

les  anguisses  que  pur  aus  ount  (sweter  t)i)ng  no  wot  y  non, 

molt  sovent;  ({)an  wiman);  [295] 

Dieu  sauve  l'onour  de  femmes,  (|jerfor  he  au3)t  to  worjjschip  hem 

e  quant  qe  a  eux  apent!  (wi{)  alle)  J)at  he  can. 

304  mount.  249  erg.  K-     250  u.  252  erg.  Z-     253 

trowo  K.    280  held.    281  ft'.  erfj.  K.    28.^ 
gronnis.    286  forsterd.    298  inbounde. 


298       Die  Qiiflle  des  mitteleiiglischen  Gedichtes  'Lob  der  Frauen'. 


XXX. 

Amen  devoms  trestous  dire,         320 
benet  seit  le  tresdouz  mort 
que  pur  nus  soüry  nostre  sire, 
r]ue  d'enfern  nus  dona  resort, 
e  en  terre  soffry  grant  martyre, 
sauntz  desert  ä  graunt  tort!         325 
Saunz  rancour  e  sanz  ire 
pur  nus  soffry  peyne  fort, 

en  croys; 
la  joie  de  ciel  nus  ad  graunt^ 
meismes  de  sa  voys.  m) 

322  sofirir. 


[XXV.] 

Amen  say  \ve  (now  al  &  on),     [265] 
blisced  be  {)at  (seli  stounde), 
{)at  God  wi|)-o(uten  mannes  mon) 
in  a  woman  \v(old  be  founde), 
<fe  se|){)en  lent  h(is  lif  anon),      [269] 
to  bigge  GUS  o(ut  of  helle-grounde) ! 
Mis  owhen  bodi  wi[)  flesche  &  bon 
|)ofed  ded  wi|)  grimiy  wounde 

on  rode: 
lord,  blisced  be  {)i  name! 
It  was  for  our  gode.  [275] 


272  |)oled  K.]  l)o|)eld. 


Folgende  drei  Strophen  des  englischen  Gedichtes   haben   im 
Französischen  keine  Entsprechung: 

[XXIV.] 

Est  &  west  when    —    —  —  —    — 

swete  birdes     —    —    —  —  —       [255] 

is  no  J)ing,  may       —     —  —  —     — 

swiche  a  sond  [>a    —    —  —  — 

in  alle  |)e  tales        —    —  —  —    — 

ever  be  seli  wifmen        —  —  —    — 

he  {)at  alle  J)in(g     —    —  —  ^       [260] 

he  was  in  a  wo(man      —  —  —    — 

for  love: 

J)urch  {)e  bern  J)(at  Mary  bar), 
brou^t  we  ben  (above). 

[XXIX.] 

—  —  —  —  —    en  we  be  brou^t, 

—  —  —  —  wimjannes  barm,        [310] 

—  —  —  —  —    i  in  J)0U3t, 

—  —  —  —  —    f)ram  härm. 

—  —  —  —  —    —  e  ous  noujt, 

—  —  —  —  —    —  ous  warm. 

J)ai_  sing  !ous  mani  a  song  for  uou3t,   [S15] 
&  swetely  lol  ous  in  her  arm 

wel  oft. 
Wele  aujt  we  {)an  to  love  wiman, 
J)at  kepen  ous  so  soft. 


316  härm. 


Die  Quelle  des  niittelenglischeu  Gedichtes  'Loli  tler  IVaiien'.       290 

[XXX.] 

Levedi,  |)at  ert  flour  of  al  {»iug,  [320] 

f>at  al  godeues  haj)  in  wold, 

for  {)e  love  of  Jiat  tiding, 

Jiat,  Gabriel  wiji  MiouJ)e  |)e  told: 

|)at  Jesu,  |>at  is  heven-kiug, 

in  pi  bodi  lijten  he  wold,  [320] 

jif  hein  al[le]  gode  ending, 

|)at  honour  wiman  jing  &  old 

in  dede: 
J)e  child,  {)at  our  levedi  bare, 
graunt  hem  heveu  to  mede!    Amen.     [330] 
Explicit. 


328  Word  &  dede. 

Anmerkungen   zum   englischen   Texte. 

Ich  behalte  der  Bequemlichkeit  wegen  Kölbings  Strophen- 
und  Verszählung  bei. 

I,  7.  Zu  fold  vgl.  die  Aum.  zu  VII,  68.  —  8.  Da  sonst 
der  Plur.  Ind.  Präs.  stets  auf  -eii  resp.  -n  oder  -e  ausgeht  (auch 
Formen  ohne  Endung  kommen  vor),  habe  ich  die  südliche  Form 
dop  in  die  mittelländische  don  geändert. 

Vn,  68.  Ich  habe  das  überlieferte  eld  in  old  geändert,  wie 
oben  I,  7  feld  in  fold  und  unten  XXVI,  280  held  in  hold,  vgl. 
den  Reim  bihold  :  yfold  :  wold  :  old  Str.  V,  46  ff.,  der  aller- 
dings nicht  streng  beweisend  ist. 

X,  100.  Dafs  Luf\  nicht  mit  K.  Liif,  zu  lesen  ist,  ergiebt 
sich  aus  dem  frz.  L'amour.  —  106.  Der  Vers  wird  erst  durch 
Einsetzung  von  is  verständlich :  'gegen  alle  Dinge  ist  das  Weib 
ein  Schaft  (eine  Lanze/,  d.  h.  ein  Schutz  gegen  alles  Böse. 
Schaft  'Geschöpf  palst  hier  natürlich  nicht. 

XIV,  145.    Vgl.  wiviannes  oiis  V,  45. 

XIX,  199.  Ob  die  Hs.  nicht  wirklich  Veritable  (Kölbing 
las  Vontable,  so  auch  Zup.)  hat?  —  202.  Zu  hold  vgl.  Anm.  zu 
VII,  68. 

XX.  Diese  Strophe  hat  dasselbe  Versmafs  wie  die  übrigen, 
obwohl  die  entsprechende  französische  (XXIII)  kürzere  Verse 
aufweist.  —  214.  bidon  ist  eine  merkwürdigerweise  bisher  über- 
sehene Nebenform    des    bekannten    bidene,   wodurch    dessen    Er- 


300       Die  (iuelle  des  mittelenglischen  Gedichtes  'Lob  der  Frauen'. 

klärung  durch  Skeat  (Notes  on  Engl.  Etymol.  p.  7)  aufser  allen 
Zweifel  gesetzt  wird. 

XXI.  Auch  hier  bleibt  dasselbe  Versmafs;  in  der  ent- 
sprechenden französischen  Strophe,  deren  Inhalt  übrigens  ein  voll- 
kommen anderer  ist,  erscheinen  in  der  zweiten,  vierten,  sechsten 
und  achten  Zeile  wieder  kürzere  Verse.  Ist  vielleicht  hier  auf 
einer  Seite  eine  Interpolation  anzunehmen? 

XXn,  232.  Zahldon,  der  Wohnsitz  des  jüdischen  Stammes 
(Sehulon  bei  Luther),  ist  natürlich  ein  Land  von  'Leuten^,  nicht 
von  'Liedern',  wie  K.  meint;  letzteres  müfste  doch  lepes  lauten! 
—  233  ist  ein  Flick-  und  Verlegenheitsvers.  —  235.  Gemeint 
ist  wohl  Kings  Lynn  in  Norfolk,  an  der  Mündung  des  Nar  in 
den  Wash.  Vgl.  front  this  towne  unto  Lyn,  Towneley  Plays 
XJQV,  155  und  dazu  Peacock,  Anglia  24,  520. 

XXIII  — XXV  und  XXVn  — XXIX  sind  durch  Aus- 
schneiden eines  Blattes  zum  Teil  sehr  verstümmelt  worden;  die 
von  K.,  Z.  und  mir  herrührenden  Ergänzungen  der  fortgefallenen 
Buchstaben  und  Worte  stehen  in  runden  Klammern.  Der  In- 
halt von  XXIII  scheint  durch  V.  269  ff.  des  französischen  Ge- 
dichtes veranlafst  zu  sein.  Im  übrigen  entspricht  diese  Strophe 
ebensowenig  wie  XXIV  einer  französischen,  wenn  auch  die  Ge- 
danken von  XXIV  sich  zum  Teil  in  der  französischen  Strophe 
XXVI  finden.  Da  XXIV  im  Französischen  keine  Entsprechung 
hat,  habe  ich  diese  Strophe  ans  Ende  (vor  XXIX)  gestellt,  ohne 
damit  etwas  über  die  ursprüngliche  Reihenfolge  aussagen  zu 
wollen. 

XXVn  f.  Nach  langem  Schwanken  habe  ich  mich  schliefs- 
lich  entschlossen,  die  Folge  dieser  beiden  Strophen  zu  ändern 
und  XXVni  mit  frz.  XXVIII,  dagegen  XXVII  mit  frz.  XXIX 
zusammenzustellen.  Da  beide  englischen  Strophen  sehr  beschädigt 
sind,  ist  eine  durchgehende  Vergleichung  schwierig.  Ich  möchte 
jedoch  aufmerksam  machen  auf  die  Entsprechungen  V.  298:  s'en 
vont  lye  =  pal  gon  ibounde,  sowie  V.  304  ff.  =  engl.  304  ff. 
Zu  meiner  Ergänzung  von  V.  305  vgl.  oben  206  f.:  maken  oft 
her  leres  [sjwet  Wel  loete,  und  282:  loel  oft  for  ous  her  leres 
he  weit.  V.  308  kann  .  .  .  rille  zu  grille  oder  schrille  ergänzt 
werden. 

XXV  gehört   offenbar  zu  frz.  XXX  und  ist  deshalb   ohne 


Die  (Quelle  des  mittelenglii'chen  (iedichtes  'Lob  der  Frauen'.       301 

Zögern  daneben  gestellt  worden.  Die  Ergänzung  von  V.  265 
ist  gewagt  auf  Grund  von  nie.  aJ  and  sinn,  ne.  all  and  each, 
one  and  all.  —  267.  Vgl.  wiäuten  monnes  man(e)  Marh.  13 
(bei  Stratm.-Bradley  S.  413  unter  mcene'^).  —  269.  A'^gl.  hu  mihte 
he  leanen  lif  to  pe  deade?  Leg.  St.  Kath.  1086;  ßat  haß  pe  lend 
lif,  US  alle  to  delivere  Will.  4577;  ns  loas  lif  togidre  lent 
Body  &  S.  388;  lent  nevere  ivas  lif  P.  PI.  8983,  alle  citiert 
von  Mätzner  Wtb.  sub  Icenen.  —  270.  Vgl.  oben  97  f.:  to  winne 
Our  Sonics  out  of  helle;  ferner:  he  .  .  .  alesde  us  of  hellegrunde 
OEH.  p.  19  (bei  Mätzner  Wtb.  2,  465);  for  to  hye  and  to  de- 
lyvere  us  from  peynes  of  helle  Maund  p.  2;  to  hnye  pe  from 
pe  fendes  blake  E.  E.  P.  p.  120  (ib.  1,  364). 

XXIV,  263.   Vgl.  zur  Ergänzung  XXX,  329. 

XXX,  327.  Zu  jing  vgl.  den  Reim  VII,  68  fF.  jong  : 
tong  :  long  :  yclong.  Aber  jing  und  jong  kommen  ja  auch 
sonst  in  me.  Denkmälern  nebeneinander  vor.  Über  diese  Formen 
hoffe  ich  demnächst  erschöpfenden  Aufschlufs   geben  zu  können. 

Kiel.  F.  Holthausen. 


Quellenuntersuchungen  zu  Dichtungen 
Barry  Cornwalls  (Bryan  Waller  Procters). 


1.  lliclitungen  uacli  Boccaccios  DecameronJ 

A.    The    Tioo    Dreams. 

Die  Quelle  dieser  dramatischeu  Seene  ist  Boccaccios  sechste 
Erzählung  des  vierten  Tages  im  Decameron,  deren  Inhalt  Corn- 
wall  selbst  kurz  angiebt.  Er  verwendet  indessen  nur  die  erste 
Hälfte  der  Novelle.  Handlung  ist  in  dieser  Geschichte  nicht 
vorhanden.  Die  beiden  Liebenden,  Gabriotto  und  Andreuola, 
bei  Cornwall  Gabriello  und  Andreana  genannt,  erzählen  sich 
gegenseitig  ihren  bösen  Traum,  dann  stirbt  Gabriello.  In  allen 
Hauptsachen  hält  sich  der  Nachdichter  genau  an  seine  Vorlage. 
Um  aber  wenigstens  äufserlich  die  dramatische  Form  herauszu- 
bekommen, war  es  nötig,  zu  der  viel  besser  für  epische  Dar- 
stellung geeigneten  Geschichte  einige  Zusätze,  allerdings  un- 
wesentlicher Art,  zu  machen. 

Die  ersten  Verse  geben  in  ziemlich  ungeschickter  Form  die 
Exposition,  wobei  die  Dauer  der  Liebschaft,  die  bei  Boccaccio 
nur  unbestimmt  angedeutet  ist,  auf  mehr  als  drei  Jahre  ange- 
geben wird.  Von  dem  niedrigen  Stande  des  Geliebten  findet 
sich    bei  Cornwall   nichts;   dagegen    sind    einige   lyrische  Liebes- 


'  Von  Cornwalls  Werken  steht  mir  nur  eine  Ausgabe  in  dem  Sammel- 
bande: 'The  Poetical  Works  of  Milman,  Bowles,  Wilson  and  Barry  Corn- 
wall. Paris,  Galignani  and  Co.'  (o.  J.)  zu  Gebote.  —  Vom  'Decameron' 
benutze  ich  die  fünfbändige  Florentiner  Ausgabe  von  1827 — 1828.  Corn- 
wall bediente  sich,  wie  die  Vorbemerkung  zu  'The  Falcon'  zeigt,  einer 
ältereu  englischen  Übersetzung;  mir  war  eine  solche  nicht  zugänglich. 


Quellcnuiitersucliungen  zu  Dicht imiien  Barry  Cornwallfi.  308 

beteueriingen  sein  Eigentum.  Während  bei  Boccaccio  dann 
Andreuola  wegen  ihres  bösen  Traumes  dem  Gabriotto  die  übliche 
Zusammenkunft  nur  anfänglich  verweigert,  schliefslich  aber  seinen 
Wünschen  doch  nachgiebt,  ändert  der  Engländer  die  Sachlage, 
und  zwar  wieder  nicht  sehr  geschickt.  Bei  ihm  ist  das  Stell- 
dichein thatsächlich  unterblieben,  und  das  Gespräch  findet  erst 
bei  ihrem  nächsten  Wiedersehen  statt.  Gabriello  ist  da  sehr 
aufgebracht  und  eifersüchtig,  wenn  er  sagt: 

Last  night  't  is  said  . . . 

The  younf/  Count  Stroxxi  visited  —  —  your  father. 

Bei  Boccaccio  ist  weder  das  Eifersuchtsmotiv  deutlich  ausge- 
sprochen (es  heifst  nur:  (tcciocche  egli  d'altro  non  sospecciasse), 
noch  kennt  er  in  dieser  Erzählung  den  Namen  Strozzi.  Über- 
trieben, der  Quelle  fremd  und,  wenn  man  das  eigentliche  Ver- 
hältnis bedenkt,  auch  höchst  unwahrscheinlich  ist  die  in  Klammer 
beigefügte  Bemerkung: 

Last  night  . . .  (the  only  night  when  I 

Since  our  stveet  marriage,  have  been  barred  from  youj. 

Darauf  folgt  Andreanas  rein  epische  Erzählung  ihres  Traumes, 
die  nur  ein  paarmal  durch  fast  einsilbige  Ausrufe  und  Fragen 
Gabriellos  und  durch  eine  nahezu  komisch  erscheinende  kleine 
Kuisscene  unterbrochen  wird.  Ein  neuer  selbständiger  und  wirk- 
lich poetischer  Zug  ist  indessen  die  Beobachtung  des  Himmels, 
wie  ein  Sternbild  nach  dem  anderen  entschwindet.  Der  Haupt- 
satz der  Traumerzählung:  le  pareva  veder  dd  corpo  dl  lui 
nscire  ima  cosa  oscura  e  terribile,  la  forma  della  quäle  essa 
non  poteva  conoscere  ...  ist  nahezu  wörtlich  wiedergegeben: 

At  last 
There  rose  a  shadotvy  thing  from  out  yonr  body, 
And  stood  in  silence  by  you. 

Aber  während  das  Ungetüm  bei  Boccaccio  den  jungen  Mann 
ergreift  und  mit  ihm  unter  die  Erde  verschwindet,  begnügt  es 
sich  bei  Cornwall  damit,  ihn  durch  seinen  Hauch  zu  töten.  Ehe 
Gabriello  seinen  eigenen  Traum  erzählt,  rechtfertigt  er  sich  noch 
mit  ein  paar  Worten  wegen  seiner  früheren  Flatterhaftigkeit,  die 
jetzt  nicht  mehr  vorhanden  sei.  Der  Traum  selbst  wird  im 
engen  Anschluls  an  die  Quelle  berichtet;  es  finden  sich  nur 
wenige,   unwesentliche  Zusätze   und  einige  Zwischenbemerkungen 


304  Quellenuntersuchungen  zu  Dichtungen  Barry  Cornwalls. 

Andreanas.-  Beide  lachen  schlielsHch  über  ihre  Geschichten; 
aber  Gabriello  wird  plötzlich  von  einer  ernsten  Stimmung  er- 
griffen, in  der  er  über  die  Vergänglichkeit  des  Lebens  und  die 
Unsterblichkeit  der  Seele  nachzugrübeln  anfängt.  In  diesem 
Augenblick  stirbt  er. 

Ergebnis:  Der  Nachdichter  hat  sich  einen  für  dramatische 
Behandlung  ungeeigneten  Stoff  ausgesucht  und  in  engem  An- 
schlufs  an  sein  Vorbild  aus  dessen  epischem  Bericht  einen  Dialog 
gemacht,  der  trotz  einiger  meist  wenig  gelungener  Zusätze  und 
äufserlicher  Kunstgriffe  keine  befriedigende  Wirkung  ausübt. 
Das  Beste  sind  die  epischen  Teile,  die  lebhaften  und  um  ein 
paar  geschickte  Züge  vermehrten  Erzählungen  der  Träume. 

B.    Love  ciired   by   Kindness. 

'This  sketch  is  founded  partly  upon  a  tale  of  Boccaccio*  • 
schreibt  der  Dichter  an  der  Spitze  seines  Werkes;  das  einschrän- 
kende Adverbium  hätte  auch  wegbleiben  können,  denn  das  Motiv, 
sowie  seine  Behandlung  sind  vollständig  bei  Boccaccio  X,  7  ge- 
geben. Nur  die  Ausgestaltung  ist  bei  Cornwall  infolge  der  Dra- 
matisierung etwas  anders  ausgefallen,  und  zwar  hier  geschickter 
und  besser  als  bei  dem  vorigen  Versuche.  Die  erste  Scene  stellt 
ein  Bankett  dar,  bei  dem  König  Pedro  pBoccaccio:  Piero]  und 
seine  Ritter  auf  die  Gesundheit  ihrer  Schönen  trinken.  Bei 
dieser  Gelegenheit  wird  auch  fair  Lisana,  an  artist's  daughter, 
a  poor  maiden  [bei  Boccaccio:  Lisa,  figliuola  d'u.n  fiorentino 
speziale,  Bernardo  Puccini,  ricchissimo  uomo],  von  einem  Höf- 
ling genannt.  Bald  darauf  erscheint  noch  ein  anderer,  der  bis- 
her abwesend  war,  Ippolito,  preist  sie  mit  begeisterten  Worten, 
erzählt  von  ihrer  Liebeskrankheit  und  entdeckt  allmählich  nach 
Vortrag  eines  Liedes  dem  König,  dafs  er  selbst,  Pedro,  der 
Gegenstand  ihrer  Leidenschaft  sei.  Gleichzeitig  kommt  zum 
Vorschein,  dais  Ippolito  Lisana,  mit  der  er  zusammen  aufge- 
wachsen ist,  glühend  liebt,  aber  ohne  Erwiderung  seiner  Neigung 
bei  ihr  zu  finden.  Der  König  verhelfst  alsbald,  das  Mädchen 
zu  heilen.  —  Die  zweite  Scene  spielt  im  Schlafzimmer  Lisanas, 
die  wir  im  Gespräch  mit  ihrer  Mutter  finden.  Das  Mädchen  er- 
zählt von  dem  Besuch  eines  Ritters,  den  der  König  hat  ansagen 
lassen;    das    Rätsel,    wie    dieser    überhaupt    von    ihr    und    ihrer 


Quelleiiuntersiichiuigen  zu  Dichtungeu  Barry  L'orn walle.  805 

Liebessehnsucht  erfahren,  löst  die  Mutter  sehr  bald,  indem  sie 
in  IppoUto  den  Vermittler  der  Kunde  sucht.  Nun  tritt  der 
König  selbst  auf,  spricht  allein  mit  der  Jungfrau  über  ihre  Liebe 
zu  ihm,  tröstet  sie  und  veranlafst  sie  schliefslich,  IppoHto,  dessen 
innige  Liebe  zu  ihr  er  preist,  willig  zu  heiraten. 

Die  Hauptänderung,  die  Connvall  vorgenonunen  hat,  besteht 
darin,  dals  er  die  Person  des  Ippolito  selbständig  erfunden  oder, 
genauer  gesagt,  aus  zwei  anderen  bei  Boccaccio  vorhandenen  Ge- 
stalten zusanmiengeschniolzen  hat.  Ippolito  ist  einmal  Boccaccios 
Berufssänger  und  -dichter  Minuccio  d^Arezzo  und  zweitens  auch 
der  spätere  Gatte  Lisas.  Durch  diese  neue  Gestalt  wird  die 
ganze  Geschichte  anmutiger,  inniger  und  moderner  gewendet. 
Während  bei  dem  Italiener  das  liebeskranke  Mädchen  einfach 
den  Sänger  mietet,  damit  er  dem  König  von  ihrer  Leidenschaft 
Kunde  gebe,  wird  ihr  Geheimnis  bei  Cornwall  gegen  ihren  Willen 
und  ihr  Wissen  von  ihrem  Freunde,  der  zugleich  ein  Edelmann 
am  Hofe  des  Fürsten  ist,  diesem  verraten.  Ebenso  erscheint  es 
uns  wenig  ansprechend,  wenn  bei  Boccaccio  Lisa,  die  eben  noch 
ohne  den  König  nicht  leben  zu  können  erklärte,  auf  dessen 
Wunsch  und  Empfehlung  ohne  Zaudern  den  ersten  besten  frem- 
den Mann  heiratet  und  obendrein  noch  genauestens  und  ver- 
gnügt alle  Vorteile  abwägt,  die  ihr  durch  diese  Ehe  mit  einem 
Mann  viel  höheren  Standes  zu  teil  werden.  —  Das  Lied,  durch 
welches  Ipj^olito  den  Sang  Minuccios  ersetzt,  liat  mit  diesem  fast 
gar  nichts  zu  thuu  und  ist  weniger  aufdringlich. 

Von  sonstigen  Nebenumständen  bei  Boccaccio  hat  Cornwall 
nichts  weiter  übernommen;  so  fehlt  insbesondere  die  Verabredung 
über  den  Kuls,  den  der  König  Lisa  giebt.  Der  Fürst  selbst  ist 
übrigens  bei  Cornwall  auch  noch  nicht  verheiratet  wie  bei  Boc- 
caccio. Eine  eigene  Wendung  des  englischen  Nachdichters  ist 
der  Schlufsgedanke : 

1  loill  he  croivued  npon  i/oiir  loedding  day. 

C.    The   Broken    Heart. 

Wieder    giebt   Cornwall    seine   Quelle    an:    Thls    sketch    in 

founded   npon   a  teile  of  Boccaccio;   und  zwar  ist  es  die  achte 

Novelle  des  vierten  Tages.    Wir  haben  bei  Cornwall  zwei  Scenen. 

Die   erste   spielt  zwischen  Jeronymo  [Boccaccio:  Girolamo]  und 

Archiv  f.  ii.  Spracaien.     UVlIl.  20 


306  Quellenuntersuchuiigeu  zu  Dichtungen  Barry  Cornvvalls. 

seiner  Mutter.  Er  überhäuft  sie  voll  bitteren  Hohnes  mit  den 
schwersten  Vorwürfen  darüber,  dafs  während  seiner  Abwesenheit 
in  Paris,  zum  guten  Teil  auf  ihre  Veranlassung,  sich  seine  Ge- 
liebte, Sylvestra  [Boccaccio:  Salvestra],  anderweitig  verheiratet 
habe.  Die  zweite  Scene  geht  in  Sylvestras  Schlafzimmer  vor 
sich,  während  ihr  Gatte  schläft.  Jeronymo  erklärt  ihr,  er  w^erde 
sogleich  sterben,  und  wirft  ihr  vor,  sie  habe  ihre  und  seine  Liebe 
vergessen  und  verraten.  Sie  veileidigt  sich,  sie  habe  nie  eine 
Nachricht  von  ihm  erhalten,  dadurch  den  Glauben  an  seine  Treue 
verloren  und  das  gleiche  von  ihm  angenommen;  daher  habe  sie 
einen  anderen  geheiratet.  Nun  stellt  sich  heraus,  dafs  seine 
Briefe  unterschlagen  worden  sind,  und  dafs  Sylvestras  Ehe  eigent- 
lich nur  das  Werk  seiner  Mutter  und  seiner  Vormünder  ist. 
Gleich  nach  dieser  Enthüllung  stirbt  er. 

An  Änderungen  gegenüber  der  Quelle  fehlt  es  auch  hier 
nicht,  aber  diesmal  sind  sie  wieder  nur  wenig  glücklich.  Am 
wichtigsten  ist  die  Begründung  von  Sylvestras  Heirat.  Boccaccio 
hat  gar  keine,  er  erzählt  nur,  dafs  das  Mädchen  bei  Girolamos 
Rückkehr  mit  einem  Zeltmacher  vermählt  ist.  Das  ist  aber  nur 
ein  Punkt  in  einer  ganzen  Reihe  anderer,  die  alle  in  der  Haupt- 
sache dazu  dienen  sollen,  den  Charakter  der  beiden  Helden  nach 
der  günstigen,  idealen  und  zugleich  modernen  Seite  hin  umzu- 
wandeln. Bei  Boccaccio  sind  beide  verhältnismäfsig  wenig  senti- 
mentale, dagegen  ziemlich  praktische  Menschen.  Die  Liebe  in 
Girolamo  ist  zwar  aufserordentlich  stark;  aber  als  er  bei  seiner 
Heimkehr  die  vollendete  Thatsache  vorfindet,  heifst  es  ausdrück- 
lich: veggencio  che  nitro  esser  non  poteva,  s'ingegnb  di  darsene 
l)ace.  Er  hat  also  doch  wenigstens  den  guten  Vorsatz,  sich  ins 
Unvermeidliche  zu  schicken,  wenngleich  sich  auch  später  die 
Leidenschaft  stärker  erweist  als  sein  Wille.  Bei  Com  wall  ist 
davon  keine  Spur  mehr.  Sobald  bei  ihm  Jeronymo  erfährt,  dafs 
die  Geliebte  für  ihn  verloren  ist,  will  er  sterben  und  fühlt  that- 
sächlich  auch  seinen  Tod  herannahen.  Die  etwas  heikle  Scene 
im  Schlafzimmer  der  jungen  Frau  ist  bei  Boccaccio  sinnlicher, 
aber  auch  mit  ungleich  gröfserer  Lebhaftigkeit  ausgeführt  als  bei 
Cornwall.  Salvestras  Charakter  ist  nicht  minder  in  dem  ange- 
deuteten Sinne  umgemodelt.  Bei  Boccaccio  hat  sie  sich  augen- 
scheinlich ohne  grofse  Seeleukämpfe  in  die  ihr  nahegelegte  Heirat 


Quellenuntersuchungen  zu  Dichtungen  Barry  Cornwalls.  807 

gefuudeu,  und  sie  ist  eiue  treue  und  tüchtige  Ehefrau  geworden. 
Bei  Cornwall  dagegen  scheint  sie  erst  durch  die  tückischen 
Machenschaften  der  Gegenpartei  bis  zur  Verzweifhuig  und  zum 
Glauben  an  die  Untreue  des  Geliebten  getrieben  worden  zu  sein, 
ehe  sie  die  Ehe  schlofs,  und  die  Liebe  zu  Jeronymo  erwacht  so- 
fort wieder,  als  dieser  eindringlich  mit  ihr  redet  und  seine  Un- 
schuld und  beständige  Treue  beweist.  Cornwall  hat  so  allerdings 
die  Geschichte  bedeutend  idealisiert  und  ins  Romantische  ge- 
zogen; aber  psychologisch  wahrer  und  richtiger  ist  sicher  die 
Darstellung  des  Italieners.  Dazu  kommt  noch  im  Stil  des  eng- 
lischen Dichters  etwas,  das  seinem  Werke  den  Stempel  des  Über- 
triebenen und  Verstiegenen  aufprägt.  Seine  Personen  schwelgen 
in  weitschweifigen,  ungemein  gefühlsschwärmerischen  Redensarten, 
und  in  der  ersten  Scene  wird  aulserdem  ganz  stilwidrig  ein 
höchst  seltsam  wirkender  Aufwand  mit  der  römischen  Mythologie 
getrieben,  von  der  bei  Boccaccio  auch  nicht  die  Spur  zu  finden 
ist;  ebenda  spricht  auch  der  Sohn  in  shakespearisch- satirischen 
Wendungen  mit  seiner  Mutter,  nicht  unähnlich,  wenn  man  Kleines 
mit  Grofsem  vergleichen  darf,  wie  Hamlet  mit  der  seinigen. 

Im  übrigen  ist  diese  Skizze  auch  vor  allem  deswegen  als 
ein  Mifsgriff  zu  bezeichnen,  weil  die  Pointe  des  Ganzen,  dafs 
nämlich  beide  Liebenden  am  gebrochenen  Herzen  sterben,  hier 
ganz  und  gar  unterschlagen  ist. 

D.    The   Falcon. 

Die  Quelle,  Decameron  V,  9,  ist  diesmal  von  Corwall  selbst 
genau  angegeben.  Die  Handlung  ist  dieselbe  wie  dort,  nur  sind 
die  Charaktere  wieder  ein  wenig  im  romantisch-idealen  Sinne  ge- 
hoben. In  der  ersten  Scene  finden  wir  Frederigo  [Boccaccio: 
Federlgo]  bei  Sonnenuntergang  vor  der  Thür  seines  Landhäus- 
cheus  [cottage;  Boccaccio:  poderetto,  piccola  casetta],  wie  er 
einen  phrasenreichen,  wehmütig-sentimentalen  Monolog  über  seine 
Armut  hält,  von  dem  in  der  Vorlage  nichts  steht.  Als  er  be- 
endet ist,  erscheint  Lady  Ginna  [Boccaccio:  Giovanna]  in  Be- 
gleitung ihres  Dienstmädchens  [maid;  bei  Boccaccio:  uu  altrn 
donna].  Ein  recht  merkwürdiger  Fehlgriff  ist  in  dieser  Scene 
die  Angabe  der  Tageszeit:  Frederigo  erhält  seinen  Damenbesuch, 
der   bei   ihm  Mittag  essen  will,   des  Abends,   nach  Sonnenunter- 

20* 


308  Quellenuntersuchungen  zu  Dichtungen  Barry  Cornwalls. 

gang  —  was  ebenso  unpassend  wie  unwahrscheinlich  ist;  dafs 
Comwall  diese  sonderbare  Zeit  ansetzte,  ist  um  so  erstaunlicher, 
als  es  bei  Boccaccio  ausdrücklich  heilst,  dafs  die  Dame  la  mat- 
tina  seguente  kam.  Veranlafst  wurde  er  wahrscheinlich  dazu 
durch  die  schöne  Harmonie  zwischen  Natur-  und  Seelenstimmung. 

Das  Gespräch  z\vischen  Frederigo  und  Giana  ist  bei  Com- 
wall ziemlich  breit  ausgesponnen.  Bemerkenswert  ist  dabei,  dafs 
bei  Boccaccio  die  Selbsteinladung  Giovannas  gleich  zu  Anfang 
und  durch  sie  selbst  erfolgt,  während  dies  bei  Cornwall  erst 
nach  mehreren  Wechselreden  und  zwar  durcfi  die  Dienerin  ge- 
schieht. Das  Schlachten  des  Falken,  dem  der  Engländer  den 
Namen  Mars  beilegt,  bietet  wieder  willkommenen  Anlafs  zu  einer 
schönen,  langen  Rede.  Zwar  läfst  Frederigo,  wie  bei  Boccaccio, 
ziemlich  kurz  entschlossen  dem  Vogel  den  Hals  umdrehen;  aber 
sobald  er  tot  ist,  beklagt  er  ihn  mit  vielen  tönenden  Worten  ■ 
und  macht  sich  sogar  den  Vorwurf,  in  ihm  ein  Wesen,  das 
ebensoviel  wert  gewesen  wie  ein  Mensch,  gemordet  und  ein  Ver- 
brechen gegen  sein  eigenes  Geschlecht  verübt  zu  haben.  —  Die 
zweite  Scene  spielt  im  Zimmer  beim  Essen.  Im  Verlauf  des 
Mahles  bringt  Giana  ihre  Bitte  um  den  Falken  vor;  aber  wäh- 
rend bei  Boccaccio  die  Unterhaltung  rein  sachlich  ist  und  Gio- 
vanna  nach  der  Erklärung  des  Ritters  zwar  gerührt  ist,  aber 
doch  tief  bekümmert  um  ihr  Kind  weggeht,  tritt  bei  Cornwall 
das  Motiv  der  Mutterliebe  ganz  in  den  Hintergrund.  Ihre  Be- 
wegung über  den  Edelmut  des  Ritters,  seine  Verehrung  für  sie 
und  seine  Selbstlosigkeit  machen  hier  solchen  Eindruck  auf  sie, 
dafs  sie  ihm  auf  der  Stelle  erklärt,  sie  habe  ihn  von  jeher  ge- 
liebt und  seine  Neigung  bis  jetzt,  auch  nachdem  sie  Witwe  ge- 
worden, nur  äufserer  Umstände  halber  nicht  erwidern  können. 
Sie  scheiden  schliefslich,  um  am  nächsten  Tage  die  Hochzeit  zu 
feiern.  Von  dem  Schicksal  des  Kindes  steht  bei  Cornwall  kein 
Wort. 

Wie  man  sieht,  sind  die  Änderungen  auch  bei  dieser  Dich- 
tung keine  Besserungen.  Die  vier  eben  besprochenen  Dichtungen 
Cornwalls  gehören  zu  den  Dramatic  Scenes,  über  die  er  sich 
selbst  in  dem  kurzen  Advertisement  äufsert.  Wenn  er  da  sagt, 
ein  Punkt,  den  er  bei  der  Ausführung  besonders  im  Auge  ge- 
habt, sei  gewesen  to  try  the  effect  of  a  more  natural  style  than 


Quellenuntersuchungen  zu  Dicht ungfii   Barry  Cornwalls.  309 

tJuit  tvhich  hau  for  a  lonq  Urne  prevaihd  in  our  dramatic 
liferature,  so  mufs  man,  um  dieses  einigermafsen  verstehen  und 
den  Erfolg  würdigen  zu  können,  sich  erinnern,  dals  sie  im  Jahre 
1815  zum  erstenmal  erschienen.  Uns  erscheinen  Stil  und  Dialog 
übertrieben  sentimental  und  schwülstig,  und  der  Dichter  mag 
sich  wohl  selbst  dieser  Erkenntnis  nicht  ganz  verschlossen  haben. 
Denn  an  derselben  Stelle  sagt  er,  manches  in  diesen  Sceneu  sei 
doch  derart,  wie  es  im  wirklichen,  alltäglichen  Leben  niemals  zu 
finden  sei;  aber  man  müsse  bedenken,  dals  seine  Personen,  die 
so  reden  oder  handeln,  in  ages  more  chivalrous  than  the  pre- 
sent,  and  when  men  were  apt  to  indulge  in  all  the  extra- 
vagances  of  romance  gelebt  haben. 

Wir  können  noch  hinzufügen,  dafs  von  wirklich  drama- 
tischem Leben,  von  dramatischer  Entwickelung  in  diesen  Scenen 
so  gut  wie  nichts  zu  spüren  ist;  und  das  liegt  nicht  zum  wenig- 
sten am  Stoffe.  Jene  Anekdoten  und  Geschichtchen,  die  der 
Italiener  zu  meisterhaften  Novellen  zu  gestalten  weifs,  sind  ja 
überhaupt  nur  zum  geringsten  Teile  zu  dramatischer  Behandlung 
geeignet.  Cornwalls  Versuche  sind  weiter  nichts  als  eine  in  Ge- 
sprächsform gebrachte,  um  einige  unwesentliche,  ausschmückende, 
romantische  Züge  vermehrte,  meist  schwächer  als  die  Vorlage 
geratene,  sonst  aber  inhaltlich  ziemlich  getreue  Wiedergabe  der 
genannten  Decameronnovellen. 

E.    A  Sicilian  Story. 

Ganz  anders  als  bei  den  dramatischen  Scenen  liegt  das  Ver- 
hältnis bei  dieser  epischen  Erzählung.  Zwar  das  Verfahren  der 
Behandlung  ist  in  den  Hauptsachen  ungefähr  dasselbe.  Das 
Motiv  ist  in  den  Grundzügen  beibehalten,  in  den  Einzelheiten 
ist  manches  geändert;  manches  ist  auch  neu  hinzugefügt.  Aber 
gerade  dieses  Beispiel  zeigt,  wie  gut  sich  eine  solche  alte  Ge- 
schichte, auch  vom  modernen  Standpunkte  betrachtet,  in  epischem 
Gewände  ausnehmen  kann. 

Bei  Boccaccio  (IV,  5)  haben  wir  folgenden  Gang  der  Hand- 
lung: Lisabetta  (auch  Isabetta)  in  INIessina  liebt  heimlich  Lorenzo. 
Ihre  drei  Brüder  wollen  das  nicht,  und  als  ihre  Warnungen  und 
Verbote  nichts  fruchten,  ermorden  sie  hinterrücks  den  Jüngling 
und    verscharren   ihn    an  verborgener  Stätte.     Als  Lisabetta   ihn 


310  Qiiellenuntersuchungen  zu  Dichtungeu  Barry  Coruwalls. 

vermifst  und  heftig  um  ihn  trauert,  erscheint  ihr  eines  Nachts 
sein  Geist  und  kündet  das  Verbrechen  ihrer  Brüder.  Sie  macht 
sich  auf,  findet  an  der  bezeichneten  Stelle  den  Leichnam  und 
nimmt  sein  Haupt  nach  Hause,  wo  sie  es  in  einem  Blumentopfe 
mit  Salerner  Basilikum  vergräbt  und  täglich  mit  ihren  Thränen 
netzt.  Als  die  Brüder  darauf  aufmerkam  werden  und  zugleich 
ihre  zunehmende  Schwäche  bemerken,  nehmen  sie  ihr  den  Topf 
weg,  finden  das  Totenhaupt,  verscharren  es  und  verlassen  eiligst 
aus  Furcht,  dafs  die  Mordthat  entdeckt  werden  könnte,  Messina. 
Lisabetta  aber  stirbt  bald  darauf  vor  Kummer. 

Cornwall  hat   zunächst   die   Namen   geändert.     Die   Heldin 
heifst  bei  ihm  Isabel,  ihr  Geliebter  Guido,  und  an  die  Stelle  der 
drei   Brüder   ist    einer  Namens  Leoni   getreten.     Weitere  Ver- 
schiedenheiten werden  bei  der  folgenden  kritischen  Inhaltsangabe 
der  englischen  Nachdichtmig  angemerkt.     Strophe  1  und  2  ent-, 
hält  eine  von  der  Quelle  gänzlich  unabhängige  reflektierende  Ein- 
leitung  über  die  Allmacht   der  Liebe.     Str.  3   leitet   zur  eigent- 
lichen Geschichte  über,  indem  sie  mit  überschwenglichen  Worten 
die  Heldin   des  Gesanges   preist,   die   zwar   noch    nicht  genannt, 
aber   mit  Sappho  verglichen  wird.     Mit  Str.  4  endlich  führt  uns 
der   Dichter  in   die  Handlung  hinein    und   zwar   in   medias   res. 
Er  versetzt  uns  in  einen  sicilianischen  Palast  auf  einen  Masken- 
ball,  bei   dem   alles   von   Freude   erfüllt   ist;   nur   ein   Mädchen 
(Str.  5)  sitzt  still,  teilnahmlos  und  traurig,  bleich  wie  der  Marmor 
der   Säulen,   da,   Isabel.     Vergeblich   erwartet   sie   (Str.  6)   ihren 
Guido.     Ihr   Bruder   Leoni    tadelt   sie   wegen    ihres   apathischen 
Wesens    und    flüstert    ihr   —   wohl   zum   Zeichen,    dafs   er   alles 
wisse   —   den  Namen  Guido   ins  Ohr,   worauf   sie   vollends  von 
Verzweiflung   ergrifiPen  wird.     Str.  7   schildert  uns  —  den  Fort- 
gang   der   Erzählung   unterbrechend    —    genauer  den   Liebhaber 
Guido,  einen  Jüngling  vornehmen  Geschlechts  aus  Mailand.    Damit 
ist   nun  wieder   eine   bewufste  Abweichung  von  der  Quelle  fest- 
zustellen; denn  bei  Boccaccio  lesen  wir:  Ävevano  questi  tre  fra- 
telli    in    uno    lor    fondaco    un    giovinetto    pisano    cliiamato 
Lorenzo..   che   tutti    i   lor   fatti  guidava  e  faceva.     Aus  dieser 
Standeserhöhung    können    wir    schliefsen,    dafs    auch   Isabel   von 
Cornwall    als  Edeldame   gedacht   ist;   für  Angehörige  des  Kauf- 
mannsstandes, dem  bei  Boccaccio  alle  Personen  angehören,  mochte 


Quelloniintersuehungen  zu  Dichtungen  Barry  f'ornwalls.  'M\ 

seiner  Auffassung  nach  eine  so  rührende,  romantische  Geschichte 
nicht  angemessen  sein.  —  Str.  8  erzählt  das  letzte  zärtliche  Zu- 
sammentreflen  der  Liebenden  am  Morgen  des  Ballabends,  und 
Str.  9  beschäftigt  sich  mit  den  Gesprächen,  die  sie  bei  dieser 
Gelegenheit  und  vorher  führten. 

Bisher  war  der  englische  Dichter  in  der  Schilderung  der  Ver- 
hältnisse und  in  der  Ausgestaltimg  des  in  einfachster  Form  ge- 
gebenen Motives  ganz  selbständig  vorgegangen.  In  der  10.  Strophe 
finden  wir  nun  die  erste  nähere  Übereinstimmung  mit  dem  Vor- 
bilde. Sie  erzählt  in  engem  AnschluCs  daran,  blol's  etwas  aus- 
führlicher, wie  der  gemordete  Guido,  von  dessen  Tode  vorher 
nichts  gesagt  war,  Isabel  im  Traume  erscheint.  Nur  die  eine 
Abweichung  ist  dabei  hervorzuheben,  dafs  Guido  selbst  der  Ge- 
liebten gebietet,  ihn  aufzusuchen,  sein  Herz  zu  nehmen  und  unter 
einer  Basilikumstaude  zu  vergraben.  Bei  Boccaccio  dagegen 
thut  sie  das  alles  unaufgefordert  und  nimmt  den  Kopf.  Über 
diesen  Ersatz  des  Kopfes  durch  das  Herz  bemerkt  der  Dichter 
selbst:  The  latter  [i.  e.  the  head]  appexired  to  me  to  he  a 
<jhnsthj  object  to  preserve.  —  Str.  11 — 16  (mit  Ausnahme  der 
dunklen  zwölften,  von  der  der  Dichter  selbst  sagt,  man  könne 
sie  beim  Lesen  überspringen)  führen  die  Handlung  weiter:  Isabel 
geht  nach  der  ihr  bezeichneten,  wildromantisch  geschilderten 
Schlucht,  entdeckt  den  Leichnam,  nimmt  sein  Herz,  trägt  es 
nach  Hause  und  birgt  es  in  einem  Blumentopf;  täglich  wird  sie 
dabei  trauriger  und  schwermütiger.  Str.  17  bringt  wieder  eine 
Abweichung.  Während  bei  Boccaccio  die  Brüder  auf  das  Ge- 
rede der  Nachbarn  hin  Verdacht  schöpfen  und  in  dem  Blumen- 
topf nachsuchen,  wird  Leoni  bei  Cornwall  von  Angst  gepeinigt, 
dafs  der  Tote  wiederkommen  und  sich  rächen  oder  die  Schwester 
seine  Lüge,  Guido  sei  auf  einer  grofsen  Seereise,  durchschauen 
könnte.  Jedenfalls  sucht  er  auch  nach,  findet  das  Herz  und 
schleudert  es  mit  einem  Fluche  in  die  Wogen.  Alsbald  beginnt 
der  Blumenstrauch  zu  verwelken  (Str.  18),  und  Isabel  selbst 
flieht  in  die  Einsamkeit,  wo  sie  nur  selten  einmal  (Str.  19)  von 
einem  —  hier  etwas  störend  eingeführten  —  Gemsjäger  gesehen 
und  belauscht  wird,  wie  sie  ihr  Trauerlicd  singt.  Auch  dieses 
sieben  Strophen  lange  Lied  ist  frei  erfunden  und  hat  nichts  mit 
dem    sicilianischen    zu   thuu,    dessen    Aufangsverse   am    Schlüsse 


312  Quelleuuntersuchungen  zu  Dichtuugen  Barry  Cornwalls. 

von  Boccaccios  Novelle  mitgeteilt  sind.  Endlich  kehrt  sie  wieder 
nach  Hause  zurück  und  stirbt  da  l)ald  am  gebrochenen  Herzen 
(Str.  21—22). 

Alles  in  allem  genommen  zeigt  sich,  dafs  die  Änderungen 
sämtlich  wieder  einem  und  demselben  Bestreben  ihren  Ursprung 
verdanken,  dem,  die  Geschichte  noch  rührender  zu  gestalten,  als 
dies  in  der  Quelle  der  Fall  ist.  Stark  realistische  Züge,  die  bei 
Boccaccio  sich  finden,  grobe,  den  Schönheitssinn  und  den  mo- 
dernen Geschmack  verletzende  Einzelheiten  sind  ganz  weggelassen 
oder  sehr  gemildert,  so  die  Erwähnung  der  Ermordung,  die  Be- 
schreibung des  Leichnams,  das  Einmengen  der  Nachbarn.  Der 
Kopf  des  Toten  ist  durch  das  Herz  ersetzt,  der  Stand  der  Per- 
sonen ist  erhöht.  Man  kann  sagen,  dafs  der  Engländer  mit  dieser 
Bearbeitung  einen  ganz  glücklichen  Griff  gethan  und  guten  Er- 
folg damit  gehabt  hat.  Und  das  ist  nicht  zu  verwundern ;  sind  . 
doch  die  kleinen  epischen  Erzählungen,  für  die  ihm  Lord  Byron 
Muster  und  Vorbild  war,  überhaupt  des  Dichters  eigentliche 
starke  Seite.  Von  Byron  hat  er  so  manches,  besonders  für  Stil 
und  Komposition  gelernt,*  und  wenn  er  ihm  auch  längst  nicht 
gleichkommt,  so  lesen  sich  doch  diese  Dichtungen  leicht,  glatt 
und  spannend,  und  sie  sind  nicht  gezwungen  und  gekünstelt  wie 
die  meisten  der  dramatischen  Scenen. 


II.  Bearbeitungen  von  Stoffen  aus  Scliriltstellern  des  Altertums. 

A.    Oyges. 

Cornwall  kannte  die  Erzählung  laut  eigener  Angabe  aus  der 
englischen  Übersetzung  des  Herodot  in  Tainter^s  Palace  of  Plea- 
sure\  Da  mir  diese  nicht  zugänglich  ist,  benutze  ich  zum  Ver- 
gleich den  Urtext.  Der  Dichter  scheint  sich  die  von  ihm  auch 
besonders  hervorgehobene  moral  des  Übersetzers:  if  he  [Gyges] 
cannot   retain    in    secrecie    and  silence  of  his  breast^   that  ex- 


'  Bei  der  'Sicilian  Story'  kauu  man  bezüglich  der  Komposition  eine 
Ähnlichkeit  mit  der  von  Lord  Byrons  'Giaour'  wahrnehmen.  Beide  Dich- 
tungen versetzen  mitten  in  die  Handlung  hinein;  die  Vorgeschichte  wird 
gelegentlich  später  ein  geflochten,  dann  erst  wird  die  Weiterentwickelung 
und  der  Abschlufs  mitgeteilt,  so  dafs  das  Ganze  einen  sprunghaften 
Charakter  erhält. 


Quellfnuntersuchungeii  zu   1  )iclituuguii   l!;irr\   (oriiwalls.  :U^ 

rellinye  f/ifte  atid  hcnefite  [d.  i.  die  Schönheit  seiner  GeniahHnj, 
is  icorthy  to  he  iHaiigured  with  a  laurel  crown  nf  folie 
als  leitenden  Gesichtspunkt  gewählt  zu  haben.  Denn  das  ganze 
Gedicht  ist  im  Tone  leichtester,  spöttischer,  oft  lockerer  Ironie 
gehalten;  mitunter  ist  die  Darstellung  etwas  lüstern,  inmier  aber 
ist  sie  scherzhaft,  selbst  in  den  Reimformen  (wie  z.  15.  Str.  - 
venture:  indentnrc:  mejint  her),  was  alles  unverkennbar  an 
Byrons  'Don  Juan'  erinnert.  Während  Herodot  die  Geschichte, 
die  im  letzten  Grunde  auf  eine  höchst  merkwürdige  und  nicht 
leicht  erklärbare  Eigentümlichkeit  des  menschlichen  Seelenlebens 
zurückgeht,  einfach,  mit  leichter  Andeutung  des  psychologischen 
Grundes,  naiv  und  doch  keusch  erzählt,  giebt  sich  Cornwall  nicht 
die  geringste  Mühe,  der  Lösung  jenes  psychologischen  Rätsels 
—  die  unserem  Hebbel  wohl  am  besten  gelungen  ist  —  näher 
zu  treten.  Er  behandelt  den  Stoif  durchaus  als  Farce,  und  den 
springenden  Punkt  hat  er  überhaupt  übersehen  oder  absichtlich 
herausgebracht:  denn  nicht  der  König  hat  von  selber  den  sehn- 
lichen, unwiderstehlichen  Wunsch,  einen  Genossen  seines  Glückes 
zu  haben,  der  die  ganze  Schönheit  seines  Weibes  sehen  darf, 
sondern  ein  nichtsnutziger  Höfling,  ein  Günstling  des  Königs 
äufsert,  allerdings  angeregt  durch  eine  Erzählung  seines  Herrn, 
jenen  Wunsch,  dessen  Erfüllung  der  Fürst  ihm  lächelnd,  wie  im 
Scherze,  gewährt.  Zudem  ist  Candaules  äul'serst  nachteilig  und 
gar  nicht  im  Anschluls  an  die  Quelle  charakterisiert  als  A  loose 
uxorious  monarch,  pasaioning  For  what  he  had  alreadij 
(Str.  14),  als  an  amorous  sot,  A  7nere,  loose,  vulgär  simpleton 
(Str.  16).  0(/ges  ist  ((  Lydinn  hoij,  ein  hübscher,  kecker  Junge, 
der  bei  den  Frauen  Glück  hat,  n  Utile  bolder,  der  nur  allzu 
schnell  bei  des  Königs  Erzählungen  von  Liebesglut  für  die 
Schönheit  der  Lais  —  so  nennt  Cornwall  eigenmächtig  die 
Königin  —  entbrennt,  also  ganz  anders  wie  bei  Herodot,  wo  er 
voll  Bangigkeit  und  Besorgnis  den  Fürsten  auf  das  Unpassende 
und  Gewagte  seines  Vorsatzes  aufmerksam  macht.  Die  Königin 
wird  mit  den  beredtesten  Worten  als  hervorraffeude  Schönheit 
geschildert,  und  der  Dichter  nutzt  das  Bedenkliche  in  der  Situation 
reichlich  aus,  ohne  indes  plump  unanständig  zu  werden.  Die 
Katastrophe  wird  ganz  kurz  und  oberflächlich,  in  durchaus  bur- 
leskem Tone  erzählt. 


314  Qiiellenuntersuchungen  zu  Dichtungen  Barry  Cornwall?. 

Das  Gedicht  besteht  aus  39  italienischen  Stanzen ;  auf  die 
Behandlung  des  Themas  kommen  aber  davon  nur  Str.  14  bis  34. 
Die  ersten  dreizehn  enthalten  eine  zwanglose  Plauderei  über  alles 
Mögliche,  über  die  Liebe,  über  andere  Dichter,  über  den  Ruhm 
seines  grofsen  Schulkameraden  Lord  Byron,  über  seine  eigene 
Unberühmtheit,  über  die  verschiedenen  amüsanten  Methoden, 
wie  die  Dichter  bei  ihrer  Arbeit  verfahren.  Die  Str.  35 — 37 
schlagen  einen  etwas  ernsteren  Ton  an,  indem  sie  auf  die  schnelle 
Vergänglichkeit  alles  Irdischen  hinweisen;  in  Str.  38 — 39  kommt 
der  Dichter  noch  einmal  auf  sein  Thema  zurück  und  weist  auf 
die  Moral  hin,  die  darin  steckt. 

Interessant   ist  diese  Erzählung   darum,   weil  sie  zeigt,   dafs 
Cornwall   —   allerdings    im    Anschlufs    an   Byron    —    auch    den 
leichten,  humoristischen  Ton  gut  beherrscht,  während  wir  ihn  in 
den  bisher  besprochenen  Dichtungen  nur  den  tragisch  -  sentimen-, 
talen  pflegen  sahen. 

B.    The   Flood   of   Thes saly. 

Die  beiden  Teile  dieses  Gedichtes  sind  eine  sehr  breite  Be- 
arbeitung der  griechischen  Sintflutsage.  Die  Quelle  des  Nach- 
dichters sind  Ovnds  Metamorphosen  I,  163  ff.,  wie  aus  dem  vor- 
angestellten Motto,  einer  von  ihm  ausdrücklich  angeführten  Stelle 
(I,  381   das  Orakel)   und  einigen  anderen  Anklängen  hervorgeht. 

Man  vergleiche  etwa 

'Behold!' 

He  Said;  and  ivhite  Olympus  to  his  heart 

Sicke7ied  and  shook  . . . 

mit  Metam.  I,  179—180: 

Terrificam  capitis  concussit  terque  quaterque 
Caesariem,  cum  qua  terram  viare  sidera  movit. 

oder  die  Schilderung  von  der  Entfesselung  der  Winde: 

Ihen  in  a  moment  from  their  qztartered  homes 
The  winds  eame  mutiering;  —   West  and  hlighting  Fast, 
And  South;  uhile  Boreas  prison-doomed  and  mad 
Flew  to  the  North  . . . 

mit  Metam.  I,  262  ff.: 

Protinus  Aeoh'is  Aquilonen  claudit  in  antris 
Et  qu^iecumque  fugant  inductcts  flamina  nubes, 
Emittitqv£  Notum  .  .  . 


<iuolleiiuntersuchuBgeii  zu   I  »iclituiigeii   Barry  (V)rii\vall.-.  '^\h 

Diese  beiden  Proben  mögen  zeigen,  wie  sich  Cornwall  in 
erkennbarer,  aber  doch  immerhin  ziemlich  freier  Weise  an  sein 
Muster  anlehnt.  Damit  begnügt  er  sich  aber  nicht,  sondern  er 
schaltet  hier  reichlicii  mit  Zusätzen  eigener  B]i-tindung;  so  ergeht 
er  sich  gern  in  langen  Reflexionen,  manche  Scenen  führt  er  nach 
seiner  Phantasie  bis  ins  einzelne  aus  und  fügt  selbst  einige  neue 
Gespräche  zwischen  Deukalion  und  Pyrrha  ein.  Auch  einzeln«^ 
Stilwidrigkeiten  laufen  ihm  da  mit  unter,  so  wenn  er  Gomorrah, 
den  Hecla  und  Peru  erwähnt. 

Im  ganzen  überwiegen  die  Zusätze  und  Ausführungen  eigener 
Erfindung  die  in  näherem  Anschlufs  an  die  Überlieferung  be- 
handelten Stellen  so  sehr,  dafs  dieses  Werk  als  das  selbständigste 
von  allen  hier  besprochenen  Dichtungen  zu  bezeichnen  ist. 

C.    The  Death   of  Acts. 

Dieses  Gedicht  ist  eine  Bearbeitung  des  aus  Ovids  Meta- 
morph. XIII,  750  ff.  bekannten  Stoffes.  Diese  Quelle  hat  zwar 
der  Dichter  nicht  selbst  angegeben,  doch  bew-eist  die  Komposition 
seiner  Dichtung,  dafs  er  sie  gekannt  und  benutzt  hat.  Er  hat 
ihr  nur  ein  Motto  aus  Vergils  neunter  Ekloge  (V.  40 — 42)  vor- 
gesetzt, wobei  zu  bemerken  ist,  dafs  Servius  zu  ihrem  34.  Verse 
eine  ganz  kurze,  farblose  Erzählung  der  Sage  giebt,  in  der  aber 
ein  Bericht  über  die  Liebeslieder  Polyphems  fehlt. 

Cornwalls  Behandlung  der  Geschichte  ist  durchaus  ernsthaft 
und  sentimental,  also  erheblich  von  Ovids  Darstellung  abweichend. 
Ihm  kommt  es  darauf  an,  hübsche  Naturschilderungen  und  rüh- 
rende Liebessceuen  zu  bieten.  Selbst  des  Cyklopen  Liebeslieder 
klingen  ganz  menschlich  und  annehmbar,  während  es  Ovids  treff- 
lich gelungene  Absicht  war,  den  ungeschlachten  Gesellen  in  jeder 
Beziehung  lächerlich  zu  machen.  Darum  legt  er  ihm  so  unglaub- 
lich geschmacklose  Vergleiche  in  den  Mund  und  läfst  ihn  lauter 
Dinge  rühmen,  die  der  schönen  Galatea  sicherlich  höchst  gleich- 
gültig sind.  Ob  der  Engländer  den  spöttischen  Humor  des 
Römers  nicht  bemerkt  hat,  oder  ob  er  absichtlich  den  Stoff  ganz 
ernst  nahm,  ist  nicht  zu  entscheiden;  wahrscheinlicher  ist  viel- 
leicht das  erstere. 

Als  Probe  für  das  Verfahren  des  Nachdichters  sei  die  Be- 
schreibung  der    Katastrophe   hervorgehoben,   wie   Polyphem   den 


316  Quellenuntersuchungen  zu  Dichtungen  Barry  Cornwalls. 

Felsen  auf  Acis  schleudert  und  diesen  dadurch  tötet.  In  drei 
Zeilen  weifs  Ovid,  der  doch  gelegentlich  auch  sehr  wortreich  sein 
kann  und  meisterhaft  zu  schildern  versteht,  die  Scene  wiederzu- 
geben und  dabei  gleich  treffend  die  gewaltige  Kraft  des  Riesen, 
seine  Ungeschicklichkeit,  infolge  deren  er  seinen  Nebenbuhler 
nur  noch  mit  der  Ecke  seines  Geschosses  trifft,  und  die  trotz- 
dem so  furchtbare  Wirkung  des  Wurfes  klar  zu  machen. 
Metam.  XIII,  882  ff.: 

Insequitur  Cyclops,  partemqtie  e  monte  revulsam 
mittit  et  extremus  quamvis  pervenit  ad  illum 
angulus  e  saoco,  totum  tarnen  obruit  Aeem. 

Dagegen  vergleiche  man  die  breite  und  kleinliche  Ausmalung 
bei  Cornwall;  bei  ihm  sieht  es  aus,  als  ob  der  Cyklop  ins  Blaue 
hinein  wirft  und  nur  zufällig  noch  Acis  trifft,  und  die  Beschrei- 
bung der  Wirkung  ist  auch  nicht  gerade  geschmackvoll. 

. . .  from  the  groaning  promontot-y 
Wreneh'd  a  huge  rock,  to  H/t  whose  massy  weight 
Would  strain  the  sinews  of  a  hundred  arms, 
And  toss'd  it  tow'rd  the  sun:  awhile  it  flew 
Tlirough  the  bitte  air  with  whtxxing  noise,  with  all 
Its  moss  and  stones  and  roots  and  branching  shrubs, 
And  stopp'd  at  last  in  the  mid-air,  and  then 
Dropp'd  like  a  plummet.     Oh!  the  shepherd  bog: 
He  feit  the  Oyelop's  wrath,  for  on  his  head 
The  mighty  weight  descended:  not  a  limb, 
Or  bone  or  fragment  or  a  glossy  hair 
Remain'd  of  all  his  beauty.     He  was  Struck 
Dead  in  a  moment. 

Dieses  Beispiel  ist  typisch.  Es  zeigt  aufs  neue  das  uns 
schon  bekannte  Verfahren:  Im  wesentlichen,  was  das  Sachliche 
angeht,  Anschlufs  an  die  Vorlage,  in  der  Einzelausführung  manche 
Freiheiten,  Zusätze  und  Änderungen. 

D.  The  Marriaqe  of  Peleus  and  Thetis. 
Eine  Quelle  hat  hier  Cornwall  nirgends  angegeben;  aber 
Inhalt  und  Aufbau  des  Ganzen  machen  es  höchst  wahrschein- 
lich, ja  wohl  sicher,  dafs  ihm  Ca  tu  11s  64.  Gedicht  dabei  vor- 
geschwebt hat.  Der  Grundgedanke  bei  beiden  Dichtern  ist  der, 
dafs  die  ganze  Götterschar  sich  bei  der  Hochzeit  des  Peleus  und 


Quellenuntersuchungen  zu  Diohtunpron  Barry  Cornwalls.  317 

der  Thetis  einstellt.  Wahrscheinlich  hat  der  lockere  und  nicht 
ganz  sachgemäfse  Aufbau  des  Catullschen  Gedichtes  (worüber 
man  etwa  Bernhardys  Ausführungen  im  Grundr.  d.  römischen 
Litt/*  S.  484,  A.  361  vergleichen  mag)  den  englischen  Bearbeiter 
veranlafst,  die  dort  sich  findenden  Schwächen  zu  vermeiden. 
Catull  erzählt,  wie  Peleus  und  Thetis  sich  kennen  lernen,  und 
geht  dann  zur  Beschreibung  der  Vermählungsfcicr  über;  aber 
eine  Episode  von  über  zweihundert  Versen  über  die  Geschichte 
Ariadnes,  deren  Schicksale  auf  einem  Polster  eingewirkt  sind, 
unterbricht  sehr  bald  die  Darstellung.  Dann  erst  werden  die  er- 
scheinenden Gäste  aufgeführt.  Darauf  folgt  ein  Weihelied  der 
Parcen  und  endlich  als  Schlufs  eine  Klage  über  die  Schlechtig- 
keit der  gegenwärtigen  Welt.  —  Cornwall  hat  von  dem  allen  nur 
die  Hochzeitsfeier  selbst  zu  seinem  Stoffe  gewählt.  Der  erste 
Hauptteil  enthält  die  Aufzählung  der  Götter,  deren  nach  seiner 
Angabe  in  der  ersten  Strophe  nicht  weniger  als  zwanzigtausend 
anwesend  waren.     In  der  vierten  Strophe  erinnern  die  Verse 

all  the  assembled  gods  and  heroes  then 
Game  doivn  in  mortal  sfiapes  'mongst  men 

an  Catull  64,  V.  384—386: 

Praesentes  namque  ante  Jonios  invlsere  castus 
Heroum  et  sese  7nortali  ostendere  coetu 
Caelicolae  nondum  spreta  pietate  solebant. 

Es  erscheint  darauf  (Str.  5)  Juppiter  mit  der  Sciiar  seiner 
Kinder  und  Geschwister,  die  alle  namentlich  aufgezählt  und  mit 
einigen  Worten  charakterisiert  werden.  Diese  Strophe  ist  eine 
breitere  Ausführung  von  Catull  V.  298 — 300: 

Inde  pater  dirom  sancta  cum  coniuge  yiatisque 
Advenit  caelo,  le  solum,  P/ioebe,  relinqiiens 
Unigenamque  simtd  cultricem  montihus  Idri  — 

wobei  allerdings  die  Verschiedenheit  zu  bemerken  ist,  dafs  Catull 
Apollo  und  Diana  ausdrücklich  ausnimmt,  während  Cornwall 
jenen  sofort,  diese  einige  Zeit  später  kommen  lälst.  Umgekehrt 
ist  das  Verhältnis  bei  der  Nennung  der  niederen  Gottheiten. 
War  eben  Catull  summarisch  verfahren,  Cornwall  ins  einzelne 
gegangen,  so  begnügt  sich  jetzt  der  Engländer  allgemein  von 
Wald-  und  Wassernymphen  und  -geistern  zu  sprechen,  während 
der  römische  Dichter  eine  Reihe  von  Namen  nennt  (V.  279  ff,: 


318  Quellenuntersuchungen  zu  Dichtungen  Barry  Cornwalls. 

Chiion,  Penios,  Tempe).  Unter  deu  später  Erscheinenden  steht 
bei  Cornwall  Favonius,  der  bei  CatuU  V.  282  verzeichnet  ist. 

Der  zweite  Hauptteil  schildert  das  Hochzeitsfest.  Die  Cere- 
monien  werden  kurz  beschrieben,  das  Anstimmen  des  Festhym- 
nus wird  nur  erwähnt,  während  dieser  bei  CatuU  einen  der 
schönsten  Teile  des  Gedichtes  ausmacht.  Cornwall  schliefst, 
anders  als  sein  Vorbild,  mit  der  Angabe,  dafs  alle  Gäste  um 
Mitternacht  das  Brautpaar  verlassen. 

Auch  aus  der  Betrachtung  dieses  Gedichtes  ergiebt  sich 
demnach  das  bekannte  Bild  von  der  Arbeitsweise  Cornwalls. 

m.  The  Hall  uf  Eblis. 

In  der  Anmerkung  zur  Überschrift  Vide  Beckford's  Hlstory 
of  the  Caliph  Vathek  nennt  der  Dichter  seine  Quelle.  In  diesem 
Falle  ist  die  Übereinstimmung  mit  ihr  ungemein  grofs;  ja  man 
kann  sagen,  dafs  die  Katastrophe  der  orientalischen  Erzählung 
einfach  in  Blankverse,  und  zwar  nahezu  mit  denselben  Worten, 
umgeschrieben  ist.  Zwar  kleine  Änderungen  sind  auch  hier  vor- 
handen, aber  sie  bestehen  fast  nur  in  Auslassungen  gegenüber 
dem  Original;  und  diese  waren  durchaus  notwendig,  weil  Corn- 
wall nur  die  Geschicke  der  Haupthelden,  Vatheks  und  Nouro- 
nihars,  nicht  aber  die  der  Nebenpersonen  schildern  wollte.  Um 
dieses  für  die  Beurteilung  und  Kenntnis  Cornwalls  immerhin 
lehrreiche  Verhältnis  genauer  zu  beleuchten,  stelle  ich  die  ein- 
ander entsprechenden  Stellen  zusammen.  Das  Gedicht  eitlere 
ich  mit  den  Verszahlen  nach  der  oben  genannten  Ausgabe,  den 
'Vathek^  mit  den  Seitenzahlen  nach  dem  Neudruck  in  Cassels 
'National  Library',  edit.  by  Prof.  Henry  Morley,  London  1893,  12",' 
da  eine  englische  Originalausgabe  weder  hier  noch  in  der  Ber- 
liner Kgl.  Bibliothek  vorhanden  ist. 

Hall  of  Eblis  V.  1: 

They  took  Üieir  way  (Vathek  and  his  young  bride. 

TJie  sweet  Nouronihar)  through  summ  er  fields 

Of  flowers  —  by  sparkling  rivers  —  fountains  that 

Splash'd  o'er  the  turf  —  by  palms  atid  tamarisk  trees  — 

And  where  the  dark  pines  talk'd  to  solitudes; 


'  Leider  sind  aber  hier  die  wichtigen  Anmerkungen  weggelassen. 


•  ^uellenuiitt'rduchuugeu  /u  Dichtuugen  Barry  ( "ornwalls.  319 

Vathek  S.  162:  Tltc  season  of  s^jring  was  in  all  its 
vigour,  and  the  grotesque  hranches  of  the  almond  trets  in 
füll  hlossom  ...  chequered  the  Mite  fiktj ;  ...  on  the  banks 
of  the  stream  hives  ...  were  ranged  ...  S.  163  werden  uoch 
cijpressett.  ferner  tulijps  and  other  fioicers  genannt. 

H.  o.  E.  V.  9  fhe  Valley  of  Rocnahad  findet  sich  Vathek 
S.  162  u.  u.  —  In  der  mir  vorliegenden  Ausgabe  Coruwalls 
steht  wohl  durch  Druckfeiiler  lioenahad. 

Hall  of  Eblis  V.  11: 

But  these  days  pass'd  by : 
And  then  they  joui-ney'd  among  perilous  sands  . . . 
V.    14:  these  siibsiding,  left 

Open  to  riew  the  ivide  horixon,  where 
Lifting  their  heads,  like  mou7itäins,  to  the  skies, 
'Rose  the  dark  towers  of  Istakar. 

Vathek  S.  166:    Tico  days  more,  .  .  .  having  been  devoted 

to    the  ^jleasures    of  Rocnabad,   the   expedition   proceeded,  .  .  . 

verging    toioards  a  large  plain,   from  ivhence  tvere  discernible 

on  the  edge  of  the  horizon  fhe  dark  summits  of  the  mountains 

of  Istakar. 

Hall  of  Eblis  V.  17: 

The  moon 
Hid  her  pale  face  eclipsed. 

Vathek  S.  167:  ...  the  stm  hid  himself  beneath  a  gloomy 
cloud.  —  Absichtlich  ist  hier  der  Kürze  wegen  zweierlei  zu- 
sammengezogen; die  in  diesen  Scenen  erzählten  Vorgänge  spielen 
bei  Beckford  am  Tage  (S.  167  f.),  und  eine  ähnliche  Sceue  bei 
Nacht  ist  S.  172  beschrieben. 

H.  o.  E.  V.   30 :        Countless  and  sky-touching  towers 
('Whose  architecturc  was  itnknown  amidst 
The  records  of  the  eartli'l  stood  there. 

Vathek  S.  172:  ...  lofty  coUimns,  lohich  reached  ...  al- 
most  to  the  clouds;  the  gloomy  watch-towers  .  .  .  were  veiled 
by  110  roof,  and  their  capitals,  of  an  architecture  unknoivn 
in  the  records  of  the  earth,  served  as  an  asylum  for  the 
birds  .  . . 

H.  O.   E.  V.   36:        —  Silence  reign'd. 

Vathek  S.  172:  .1  death-like  stillness  reigned  over  the 
rnountain  and  through  the  air. 


320  Quellenuntersuchungen  zu  Dichtungen  Barry  Cornwalls. 

H.  o.  E.  V.  40: 

And  chill,  sepulchral  airs,  that  had  no  sound, 
Touch'd  the  pale  cheek  of  young  Nouronihar : 
And  Vathek  feit  his  heart  grow  cold,  and  stay'd 
His  breath  to  listen  . . . 

Vathek  S.  167:  One  of  these  beneficent  Genii  .  .  .  hegan  to 
pour  forth  from  his  flute  such  airs  of  pathetic  melody  as 
suhdued  the  very  soul,  and,  awakening  remorse,  drove  far 
from  it  every  frivolous  fancy.  S.  168:  Vathek  and,  Nouro- 
nihar turned  pale  in  their  litter. 

H.  o.  E.  V.  45:  The  stars  now  shone  anew. 

Vathek  S.  170:   The  sun  shone  forth  in  all  his  glory. 

H.  O.   E.  V.  47:   Leopards  and  winged  hippogriffs, 

Vathek  S.  173:  ...  creatures,  composed  of  the  leopjard 
and  the  griffin. 

H.  o.  E.  V.  51: 

. . .  mysterious  characters,  that  did  yield 
A  welcome  to  the  pair. 

Vathek  S.  173:  Near  these  were  distinguished  ...  characters 
like  there  on  the  sahres  of  the  Giaour  . . .;  these  . . .  prcscrihed 
to  the  C(diph  the  following  words:  —  Es  folgt  nun  der  Will- 
kommengrufs zum  Eintritt  in  die  Halle  des  Eblis. 

H.  O.  E.  V.  52 :  ...  Scarce  had  they  read  . . . 

Vathek  S.  174:  He  scarcely  had  read  these  words  .  . . 

H.  o.  K  V.  54: 

. . .  the  yawning  ground  gave  out 

Bliie  suhterranean  fires,  that  show'd  a  door 

Whose  barred  labyrinths  led  to  Hell.  —  Tliere  stood 

The  dwarfed  Indian,  grinning  like  a  fiend: 

'Welcome!'  he  cried,  'Both  welcome!     Ye  are  come 

To  see  the  Prince  of  mo^-ning !     Ye  deserre 

To  see,  and  ye  shall  see  him.'     Then  fie  touched 

Tfie  charmed  lock  . . . 

Vathek  S.  174:  ...  the  rock  yawned,  and  disclosed  within 
it  a  staircase  of  polished  marhle  that  seemed  to  approach 
the  abyss.  S.  175:  ...  here  the  Giaour  awaited  them  ...  (ent- 
spricht V.  56 — 57).  ...  ^Ye  are  welcome/  said  he  to  them, 
with  a  ghastly  smill,  .  . .  'I  will  now  admit  you  into  that 
palace  where  you  have  so  highly  merited  a  place.'     Whilst  he 


Quellenuntersuchungen  zu  Dichtungen  Barry  Cornwalls.  821 

was    utteriny    these    ivords    he  touched  the  enamelled  lock  with 
his  key  .  .  . 

H.  0.  E.  V.  63: 

Wide 

It  open'd  with  a  horrid  sound,  and  skut 
(When  Vathek  and  his  bride  had  enter' d  there) 
'Midst  laiighs,  and  shrieks  exulting,  like  the  noise 
Of  niountainous  thunder  . . . 

Vathek  S.  175:    ...  the    doors   at   once  expanded,    with  a 
noise  still  louder  than  the  thunder  of  mountains^  and  as  sud- 
denly  recoiled  the  moment  they  had  entered. 
H.  o.  E.  V.  71: 

. . .  vaulted  't  was  and  high,  [i.  o.  the  hall] 
So  none  might  mark  the  roofs!     The  pillars  that 
Stood  like  supportant  giants,  verged  aivay 
In  long  inniimerable  avenues,  but 
V.   75:   Met  nt  a  poinf  bright  as  the  sun,  when  he 
Looks  flaming  an  the  sands  of  Palestine. 

Vathek  S.  175 : . . .  a  place  . , .  roofed  with  n  vaidted  ceiling  . . . 
S.  176:  they  ...  discovered  rows  of  columns  and  arcades,  which 
yradually  diminished  tili  they  terminated  in  a  point,  radiant 
as   the   sun    when    he  darts  his  last  beams  athwart  the  ocean. 

H.  o.  E.  V.  88: 

They  trod  on  gold  and  flotcers,  white  from  the  ground 
Voluptiioiis  odours  steained,  uhose  breath  was  sweet 


. . .  there  saffron,  and  ciiron  boughs, 
Cedar,  and  sweet  perfuming  sandal-woods 
Were  hurning;  and  disfilled  and  fragant  waters 
Sparkled  in  crystal. 

Vathek  S.  176:  The  pavement,  strewed  over  with  gold  dust 
and  saffron^  exhaled  so  suhtle  an  odour  as  nlmost  overpoioered 
them;  they  . . .  observed  an  infinity  of  censers,  in  which  amher- 
gris  and  the  ivood  of  aloes  tvere  continually  hnrning ;  hetween 
the  several  columns  tvere  placed  tables,  each  spread  with  .  . . 
wines  of  every  species  sparkling  in  vases  of  crystal. 

H.  0.  E.  V.  94: 

.  . .  around  theni  stalked 

Fignres  like  men  —  all  silent  —  with  despair 
On  eiery  face,  and  each  did  press  his  liand 
Agaiiist  his  heart,  and  shunn'd  his  fellow-w reich. 
Archiv  f.  n.  Sprachen.    CVUl.  21 


822  Quellenuntersucliungen  zu  Dichtungen  Barry  Cornwalls. 

Vathek  S.  176:  ...  a  vast  multitude  was  incessantly  pass- 
ing, who  severally  kept  their  riglit  hands  on  their  hearts,  .  . . 
ihey  had  all  the  livid  paleness  of  death  ...  S.  177:  Some 
stalked  slowly  on,  ahsorhed  in  profound  reverie  . . .  They  all 
avoided,  each  oiher. 
H.  o.  E.  V.  98: 

Upo7i  a  globe  of  fire  sat  Eblis.  . . . 
V.  100:  . . .  He  tcas  young 

Still;  and,  but  ihat  some  pride  burn'd  in  his  eye, 
You  might  have  pitied  hitn.     His  flowing  hair, 
Streaming  like  siinbeams,  told  he  must  have  beert 
An  angel  once,  and  fair,  and  beautiful; 
V.  105:  Nay,  in  his  fallen  Station,  he  retain'd 
A  relic  of  his  old  nobility. 

Vathek  S.  178:  .  .  .  upon  a  globe  of  fire,  sat  the  formidahle 

Eblis.     His  person   was    tJiat    of  a   young  man,   wliose  noble. 

and  regulär  features  seemed  to  have  been  tarnished  by  malignant 

vapours,'  in  his  large  eyes  appeared  both  pride  and  despair; 

his  flowing  hair  retained  some  resemblance  to  that  of  an  angel 

of  light. 

H.  o.  E.  V.  108: 

'Oreatures,'  he  said, 

'Oreatures  of  clay!'     I  number  ye  amongst 

My  subjects  and  adorers  . . . 

Vathek  S.  179:  'Creatures  of  clay,  I  receive  you  into  mine 

empire;  ye  are  numbered  amongst  my  adorers.  .  . .' 

H.  o.  E.  V.  114: 

T)ie  hearts  of  his  believers  loither'd  and  burn'd 
Internally  . . . 

Vathek  S.  191:  Their  hearts  imediately  took  fire  ... 

H.  o.  E.  V.  127: 

And  not  one  creature  ever  after  knew 
What  't  was  to  —  hope. 

Vathek  S.  191:  ...  and  they  at  once  lost  the  most  precious 
of  the  gifts  of  Heaven  —  Hope. 

Man  sieht,  die  Übereinstimmungen  könnten  kaum  weiter 
gehen.  Um  ein  vollständiges  Bild  zu  geben,  seien  nun  auch 
noch  kurz  die  Verschiedenheiten  zwischen  den  beiden  Werken 
erwähnt,  und  zwar  zunächst  die  Scenen  im  Vathek,  die  Cornwall 


Quellenuntersuchungen  zu  Dichtungen  Barry  Coruwalls.  323 

ausgelassen  hat.  Es  fehlt  S.  164 — 166  die  genaue  Beschreibung 
der  Ereignisse  in  Rocnabad,  des  Übermutes  und  der  Grausam- 
keit des  Kalifen;  S.  167 — 170  die  Versuche  der  guten  Genien, 
Vathek  noch  zur  Umkehr  und  Bufse  zu  bewegen  (nur  einzelne 
Züge  sind  benutzt);  S.  170 — 171  die  Flucht  der  Begleiter  (von 
denen  ja  bei  Cornwall  überhaupt  nicht  gesprochen  wird);  S.  172 
bis  173  ist  die  Beschreibung  der  Vorgänge  bei  der  Ankunft  in 
Istakar  sehr  gekürzt;  S.  174 — 175:  es  fehlt  die  rasende  Hinab- 
fahrt auf  der  Höllentreppe;  S.  179:  die  Rede  des  Eblis  ist  er- 
heblich gekürzt;  S.  179 — 192  (Schluls)  fehlt  die  Besichtigung  der 
Schätze  und  Talismane  in  Eblis'  Halle,  die  Unterhaltung  Vatheks 
und  Nouronihars  mit  den  praeadamitischen  Königen,  das  Herbei- 
holen der  Fürstin  Carathis,  die  Schlufsmoral.  —  Alle  die^e  Kür- 
zungen und  Auslassungen  sind  aus  der  Absicht  zu  erklären,  die 
Katastrophe  in  gedrängter  Form  wiederzuerzählen. 

Zusätze  Cornwalls  sind  naturgemäfs  nur  wenige  zu  ver- 
zeichnen; sie  beschränken  sich  wesentlich  auf  einige  Gleichnisse, 
bei  denen  der  Verfasser  es  sich  nicht  versagen  konnte,  seiner 
Vorliebe  für  das  klassische  (und  biblische)  Altertum  nachzugeben 
und  einige  stilwidrige  Bemerkungen  anzubringen.  Dahin  gehören 
V.  32  —  36  mit  ihrem  Hinweis  auf  altchaldäische  Baukunst, 
V.  68 — 69,  die  den  Donner  im  Palaste  mit  dem  Lärm  bei  einem 
Ausbruch  des  Vesuvs  vergleichen,  V.  80  —  84,  die  eine  genaue, 
mit  Vergleichen  aus  der  griechischen  Mythologie  geschmückte 
Beschreibung  der  Säulenkapitäle  enthalten. 

Sonstige  bedeutende  Freiheiten  in  der  Beai'beitung  sind  nicht 
vorhanden;  denn  Kleinigkeiten,  wie  etwa  wenn  V.  2  der  Sommer 
statt  des  Frühlings,  oder  V.  4  andere  Baumnamen,  oder  V.  18 
die  Nacht  statt  des  Tages,  oder  V.  91 — 92  noch  anderes  Räucher- 
werk genannt  ist,  sind  dazu  nicht  zu  rechnen.  Der  Schlul's  von 
V.  110  ab  ist  meist  mit  eigenen  Worten  aus  der  ausführlichen 
Beschreibung  der  Vorlage  gekürzt,  so  dafs  da  nur  noch  eine 
ziemlich  entfernte  und  nur  inhaltliche,  nicht  wörtliche  Ähnlich- 
keit mit  ihr  zu  erkennen  ist. 

Breslau.  Hermann  Jautzen. 


21 


Matteo  ßandello 

nach    seinen   W  i  d  ui  u  n  s  e  n. 


Die  vorliegende  Untersuchung  sollte  ursprünglich  alles  um- 
fassen, was  die  Widmungsbriefe  Matteo  Bandellos,  zweihundert- 
vierzehn an  der  Zahl,  an  litteratur-  und  kulturgeschichtlichem 
Material  bieten.  Während  der  Arbeit  erschien  aber  das  Werk 
Domenico  Morellinis:  Matteo  Bandello,  Studj  (Sondrio,  1900),  in 
dem  die  äufseren  Schicksale  Bandellos  nach  allen  vorliegenden 
Quellen,  besonders  nach  den  Widmungen,  sorgfältig  dargestellt 
sind.  Einer  der  gröfsten  und  wichtigsten  Abschnitte  meiner 
Untersuchung  fällt  damit  von  selbst  fort. 

Ebenso  habe  ich  am  Schlüsse  ein  Kapitel  unterdrückt,  das 
die  Zustände  und  Sitten  des  Cinquecento  nach  Bandello  behau- 
dein  sollte.  Aus  der  Kritik  Reniers  '  über  die  Arbeit  Morellinis 
ergiebt  sich  nämlich,  dafs  dieser  mafsgebeude  Gelehrte  eine  zu- 
sammenfassende Studie  über  das  kulturgeschichtliche  Material  aus 
den  Widmungen  und  Novellen  Bandellos  zusammen- 
genommen als  eine  wünschenswerte  Arbeit  ansieht.  Da  ich 
mich  nun  überall  absichtlich  auf  die  Widmungen  beschränkt  habe, 
auch  für  die  anderen  Gegenstände  meiner  Arbeit  aus  den  Novellen 
wenig  zu  gewinnen  wäre,  so  will  ich  demjenigen  meiner  Nach- 
folger nicht  vorgreifen,  der  die  Bedeutung  Bandellos  für  die 
Kulturgeschichte  feststellen  will,  und  der  auch  in  den  Widmungen 
ein  reiches  Material  finden  wird,  wenn  auch  manche  der  besten 
Brocken  daraus  schon  feuilletonistisch  verwertet  sind. 


'  Giom.  Stör.  37,  148—151. 


Matteo  Bandello.  825 

Immerhin  enthalten  die  Dcdiche  Bandellos  noch  so  viel  ander- 
weitigen Stoff,  dals  auch  dieser,  notgedrungen  verkürzten,  Arbeit 
vielleiclit    noch  ein  bescheidenes  Plätzchen  gegönnt  werden  wird. 

Florenz,  Juni  1901. 


Erstes  Kapitel. 

Bandellos  Persönlichkeit. 
1.  Bildung, 

Über  Bandellos  Bildungsgang  sind  wir  in  keiner  Weise  unter- 
richtet. Nur  aus  gelegentlichen  Bemerkungen  können  wir  uns  von 
dem  Umfange  seiner  Studien  und  seines  Wissens  einen  annähernden 
Begriff  machen.  In  seinem  Geburtsorte  Castelnuovo  an  der  Scrivia, 
unweit  Tortona  und  damals  zur  Lombardei  gehörig,  erhielt  er  Unter- 
richt bei  dem  'gelehrten',  uns  aber  unbekannten  Gerardo  Canabo 
(3,  28).'  Seit  dem  Jahre  etwa  1495  weilte  der  Knabe  in  dem  Do- 
minikanerkloster S.  Maria  delle  Grazie  zu  Mailand,  wo  sein  Oheim 
Vincenz,  damals  Prior  und  seit  löOl  Ordensgeneral,  seine  Erziehung 
geleitet  haben  wird,  und  in  den  ersten  Jahren  des  neuen  Jahrhun- 
derts erhielt  er  alsdann  auf  der  Universität  Pavia  den  Abschlufs 
seiner  theologischen  Ausbildung. 

Gerade  zu  seiner  Zeit  malte  Leonardo  das  weltberühmte  Abend- 
mahl; der  junge  Matteo  hatte  täglich  Gelegenheit  zu  sehen,  wie  er 
malte,  besserte,  überlegte  oder  träumte;  oft  wird  er  auch  zugehört 
haben,  wie  der  Künstler,  ebenso  grofs  in  der  Theorie  wie  in  der 
Praxis,  über  seine  Kunst  sprach  oder  banausischen  Köpfen,  wie  dem 
Erzbischof  von  Gurk,  über  den  Wert  künstlerischer  Arbeit  ein  Licht 
aufsteckte  (1,  58).  Ferner  entfaltete  gerade  in  jenen  Jahren  des 
ausgehenden  Jahrhunderts  die  allezeit  prächtige  Hofhaltung  des 
Mohren  ihren  höchsten  Glanz.-  Alle  Künste  blühten,  hervorragende 
Meister  strömten  aus  ganz  Italien  nach  Mailand  zusammen.  Im 
Kloster  ist  über  die  vielseitigen  Bestrebungen  des  Fürsten,  der  den 
Mönchen  des  hl.  Dominikus  stets  ein  milder  und  freigebiger  Herr 
war,  gewifs  manches  kluge  Wort  gefallen,  so  dafs  auch  den  Zöglingen 
und  jüngeren  Brüdern  ein  Verständnis  für  die  Bedeutung  von  Kunst 
und  Wissenschaft  aufging.  Bandello  hat  gewifs  freudig  dieses  präch- 
tige Leben  verfolgt,  und  die  Liebe  zur  Wissenschaft  sowie  zu  der 
reichen  Hofhaltung  italienischer  Fürsten  und  hoher  Adelsgeschlechter 
wird  schon  damals  tief  in  seinem  Herzen  Wurzel  gefafst  haben. 


•  3,  28  bedeutet  die  Widmung   vor  Novelle  3,  28;  3,  28  N.   dagegen 
die  Novelle  selbst. 

^  Vgl.  J.  Cartwright,  Bianca  d'Este,  London,  1899. 


826  Matteo  Bandello. 

Der  junge  Mönch  mufs  überhaupt  früh  offenen  Auges  in  die 
Welt  geschaut  haben,  denn,  trotzdem  er  streng  katholisch  ist  und 
bleibt,  geht  er  keineswegs  blind  in  den  engen  religiösen  Anschauungen 
des  Klosterlebens  auf,  sondern  betrachtet  die  zahlreichen  Fehler  der 
Geistlichkeit  sehr  kritisch  und  spöttisch.  Er  raufs  ohne  Frage  für 
einen  aufgeklärten  Geist  seiner  Zeit  gelten.  Während  einmal  von 
dem  Aberglauben  des  Volkes  bei  Classi,  in  der  Umgegend  von  Ra- 
venna,  die  Rede  ist,  das  noch  an  den  wilden  Jäger  Boccaccios  glaubt 
(Dek.  5,  8),  kann  er  mit  seinen  Genossen  über  solche  Einfalt  nur 
herzlich  lachen  (2,  59).  Auch  Weihwasser  und  Kreuzeszeichen  sind 
ihm  nicht  unnahbar  und  unantastbar;  wenigstens  schreibt  er  einem 
Freunde  die  scherzhafte  Mahnung,  im  Vertrauen  auf  sie  den  afrika- 
nischen Seeräubern  lieber  nicht  wieder  in  die  Hände  zu  fallen,  da 
sie  zur  Befreiung  keineswegs  ausreichen  würden!  (2,  50.) 

Über  den  Aberglauben  lacht  Bandello,  solange  er  harmlos  ist, 
über  Alchimie  und  Zauber  ist  er  aber  ehrlich  erbittert,  da  unter 
allen  Thorheiten  gerade  sie  den  Menschen  an  Leib  und  Seele  mit 
am  meisten  verderben.  Von  anderen  Fehlern  befreit  das  Alter,  diesa 
aber  werden  immer  stärker  und  wurzeln  mit  den  Jahren  immer  fester. 
So  ein  unglücklicher  Zauberkünstler  hofft  immer  und  ewig  das  fünfte 
Element  zu  finden.  Gelingt  etwas  nicht,  so  beschuldigt  er  das  Ma- 
terial, niemals  seine  Kunst.  Salomons  Schlüssel,  wenn  anders  dieser 
ihn  verfafste,  ist  sein  Hauptbuch  für  die  Erreichung  aller  seiner 
Wünsche.  Mit  diesem  Hilfsmittel  will  er  Geld  finden,  seine  Geliebte 
'  gewinnen,  die  Geheimnisse  der  Fürsten  ergründen,  ja,  einen  weiten 
Raum  im  Nu  durchfliegen.'  Je  gröfser  die  Enttäuschungen  solcher 
armen  Alchimisten  sind,  desto  mehr  verbohren  sie  sich  in  ihre  wahn- 
sinnigen Pläne;  hat  doch  einer  einmal  so  viel  Totenschädel  gesam- 
melt, dafs  seine  Kammer  wie  der  reine  Kirchhof  aussah,  gröfser  als 
der  der  Innocenti  zu  Paris,  und  warum?  Um  in  den  Besitz  der 
Geliebten  zu  gelangen  (3,  29). 

Dafs  ein  Mann  von  einer  für  jene  Zeit  so  aufgeklärten  An- 
schauung die  gesamte  Natur  offenen  Auges  betrachtet,  wird  nicht 
wunder  nehmen.  Die  Natur  erhält  alles,  was  sie  hervorgebracht  hat. 
Dazu  verlieh  sie  allen  Geschöpfen  nicht  nur  den  Instinkt,  sich  des 
Nützlichen  zu  bedienen  und  das  Schädliche  zu  meiden,  sondern  auch 
eine  Neigung,   sich  mit  aller  Gewalt  jeder  Kraft  zu  widersetzen,  die 

'  Wie  ernstlich  dieser  zuletzt  erwähnte  Aberglaube  auch  in  gebildeten 
Köpfen  des  ausgehenden  Mittelalters  spukte,  beweist  die  vorletzte  Novelle 
des  Dekameron,  in  der  ein  italienischer  Edehnann  in  einer  Nacht  aus  dem 
Morgenlaude  in  seine  Heimat  Pavia  zurückkehrt,  um  eine  zweite  Heirat 
seiner  Frau  zu  verhindern.  So  erzählt  Boccaccio,  dieser  für  seine  Zeit 
80  hochgebildete  Schriftsteller,  allen  Ernstes.  Die  mittelhochdeutsche  Sage 
von  einer  ähnlichen  Blitzfahrt  Heinrichs  des  Löwen,  bei  der  Herr  Urian 
selbst  Vorspann  leistet,  ist  bekannt. 


Matteo  Baudello.  327 

sich  der  Befolgung  jenes  Instinkts  hemmend  in  den  Weg  stellt. 
Ebenso  steht  es  mit  dorn  Menschen.  Die  Natur  hat  uns  ein  Ver- 
langen gegeben,  nach  allem  zu  greifen,  was  uns  gut  scheint,  und  an- 
dererseits alles  Schädliche  zu  meiden ;  und  dieses  Wunschverlangen 
(appetito  concupiscibile)  hat  auch  uns  mit  der  freundlichen  Gabe 
eines  anderen  Verlangens  bedacht  —  wie  die  Peripathetiker  lehren  — , 
vermittels  dessen  wir  uns  bemühen,  dem  zu  widerstehen,  was  uns  an 
der  Erreichung  des  Guten  hindern  oder  unsere  Abwehr  des  Bösen 
vereiteln  wollte.  Dies  ist  das  Zornverlangen  (a.  irascibile).  Nun 
mufs  man  aber  wissen,  dafs  die  Affekte,  die  in  diesen  Arten  des 
Verlangens  liegen,  obgleich  ihrer  Beschaflienheit  nach  nicht  unge- 
eignet, sich  der  Vernunft  zu  unterwerfen,  sich  doch  gern  mit  dieser 
in  Widerspruch  setzen  und  ihr  feindlich  widerstreben.  Dies  tritt  ganz 
deutlich  an  denjenigen  zu  Tage,  die  von  ihrem  Verlangen  hingerissen 
das  Gute  lassen  und  sich  dem  Bösen  ergeben,  obgleich  ihnen  die 
Vernunft  das  Gute  zeigt  (1,  10).  ^ 

Die  Natur  ist  also  für  Bandello  die  Lehrerin  des  Menschen. 
Er  erklärt  es  für  etwas  Herrliches,  nach  der  'Naturphilosophie',  wie 
er  es  nennt,  das  heifst  einfach  nach  der  Naturwissenschaft,  den  Ur- 
sprung aller  Dinge  zu  erforschen  und  den  Grund  dafür  zu  finden, 
warum  diese  und  jene  Wirkung  gerade  in  dieser  und  jener  Form 
erscheint.  Solche  Forscher,  die  sich  in  AVahrheit  'die  Schriftführer 
der  Natur'  nennen  können,  hält  er  der  höchsten  Ehre  für  würdig 
(1,  47).  Sollte  man  einen  solchen  Standpunkt  und  ein  so  offenes 
Wort  einem  katholischen  Ordensbruder  des  Cinquecento,  einem  jener 
Dominikaner  zutrauen,   die  sich   so  gern   für  besondere  Hüter  des 


'  Es  ist  nicht  ohne  Reiz,  zu  verfolgen,  wie  später  Spinoza  und  nach 
ihm  Goethe  in  seiDem  Faust  diese  Philosophie  weiter  entwickelt  haben. 
Spinoza  nennt  die  Älenschen  schon  unfrei,  die,  vom  Wirbel  der  irdischen 
Dinge  hingerissen,  gut  und  schlecht  unterscheiden  wie  die  ersten  Men- 
schen und  das  Gute  eifriger  zu  erstreben,  das,  was  sie  für  schlecht  halten, 
aber  ebenso  zu  meiden  suchen.  Gerade  infolgedessen  geraten  sie  unter 
die  Herrschaft  der  Leidenschaft,  der  Affekte  von  Furcht  und  Hoffnung. 
Denn  durch  zu  leidenschaftliche  Hingabe  an  das  eine  erliegen  sie  der 
ewig  quälenden,  weil  unsicheren  Hoffnung,  oder  sie  vergehen  in  Angst  um 
das,  was  sie  stets  zu  verlieren  fürchten.  Dasselbe  drückt  Faust  aus,  indem 
er  zugleich  solche  Unfreiheit  entschieden  verurteilt: 

Die  Sorge  nistet  gleich  im  tiefen  Herzen, 

Dort  wirket  sie  geheime  Schmerzen. 

Unruhig  wiegt  sie  sich  und  siöret  Lust   und   Ruh; 

Sie  deckt  sich  stets  mit  neuen  Masken  zu, 

Sie  mng  als  Haus  und   Hof,  als  Weib  und  Kind  erscheinen, 

Als  Feuer,  Wasser,  Dolch  und  Gift; 

Du  bebst  vor  allem,  was  nicht  tritTt, 

Und   was  du  nie   verlierst,  das  mufst  du  stets  beweinen. 

Erst  die  Vernunft,  lehrt  Spinoza  und  trifft  sich  darin  mit  Bandello, 
macht  uns  von  Furcht  und  Hoffnung,  vom  übertriebenen  Affekt  unabhängig. 


328  Matteo  Bandello. 

Glaubens  hielten  ?  Was  würde  Bandello  zu  Galileis  grofser  Lehre, 
was  zu  seiner  und  Giordano  Brunos  Verurteilung  gesagt  haben! 
Wahrlich,  er  steht  für  seine  Zeit  auf  einer  hohen  Warte  und  führt 
für  seinen  Stand  eine  offene,  ja  kühne  Sprache! 

Gern  belehrt  sich  unser  wifsbegieriger  Frate  in  Unterhaltungen 
mit  weitgereisten  Kaufleuten,  öfter  spricht  er  Handelsherren  aus 
Genua,  die  regen  Verkehr  mit  Afrika  unterhalten,  und  gewinnt  aus 
ihren  Erzählungen  die  Gewi fsheit,  dafs  bei  den  barbarischen  Völkern 
jenes  Erdteils  oft  eine  lobenswerte  Höflichkeit  geübt  wird  (1,  57). 
Noch  weiter  nach  Süden  gelangten  ja  die  Portugiesen,  und  wenn 
unserem  Bandello  die  Berichte  solcher  kundigen,  erfahrenen  Männer 
aus  erster  oder  zweiter  Hand  zu  Gebote  stehen,  so  lauscht  er  ge- 
spannt, besichtigt  die  vorgezeigten  Metalle,  Edelsteine  und  Götzen- 
bilder mit  höchstem  Interesse  und  versagt  es  sich  nie,  abwesenden 
Freunden  und  Freundinnen  das  Bemerkenswerteste  mitzuteilen.  Auch 
heute  dürfte  es  noch  einigen  Reiz  haben,  zu  wissen,  was  den  Gebil- 
deten der  Renaissancezeit  neu  und  beachtenswert  erschien. 

Bandello  hält  die  Erwähnung  noch  nicht  für  überflüssig,  dafs. 
bei  einigen  Völkern  Afrikas  und  Asiens  beide  Geschlechter  im  Som- 
mer und  Winter  nackt  gehen,  und  dafs  es  sehr  schöne  Männer  und 
Frauen  unter  ihnen  giebt,  obgleich  ihre  Farbe  etwas  nach  olivengelb 
hinneigt.  Augenscheinlich  spricht  er  hier  von  den  Bewohnern  Indiens. 
Eine  Sitte  dieser  Völker  wird  aber  von  der  ganzen  Gesellschaft  jener 
Zeit  ehrlich  und  unbefangen  belacht,  eine  Sitte,  die  in  unseren  Tagen 
dem  weit  kulturstolzeren,  tadellos  eleganten  Zuhörerkreise  des  Grafen 
Trast,  der  sich  aus  den  ersten  Familien  einer  grofsen  deutschen 
Handelsstadt  zusammensetzt,  noch  ebenso  unbekannt  ist  wie  der  Um- 
gebung Bandellos  vor  vierhundert  Jahren  und  von  ihm  nur  mit  einem 
blasierten,  bornierten  Achselzucken  kritisiert  wird  (Sudermann,  Ehre). 
Es  handelt  sich  um  die  Art  und  Weise,  wie  ein  Fremder  in  jenen 
fernen  Landen  geehrt  wird.  In  der  Grund anschauung  ähnlich  wie 
bei  uns  und  in  der  Ausführung  doch  himmelweit  verschieden.  Wir 
geben  dem  Gastfreund  etwas  Gutes,  das  Beste  vielleicht,  dort  giebt 
man  ihm  das  Allerteuerste,  das  man  aber  nicht  weniger  schätzt  als 
bei  uns.  Sechs  bis  sieben  Einwohner  nämlich,  die  die  schönsten 
Frauen  haben,  bieten  diese  dem  Fremden  an.  Er  sucht  sich  die- 
jenige aus,  die  ihm  am  besten  gefällt,  und  ebenso  hoch  geehrt  wie 
der  Fremde  fühlt  sich  der  Ehegatte  der  gewählten  Frau  (1,  34). 

Auch  durch  Bücher  und  Anschauung  sucht  Bandello  der  Natur 
näher  zu  kommen.  Das  Buch  des  Aristoteles  della  generazione  degli 
animali  führt  er  an  und  scheint  diesem  sowie  dem  Plinius  eine  Be- 
schreibung des  Löwen  und  seiner  Art  zu  leben  entnommen  zu  haben, 
wobei  allerdings  viel  wirres  Zeug  unterläuft  und  man  unwillkürlich 
an  die  zahlreichen  mittelalterlichen  Tierbücher  denkt  (2,  49;.  Über 
Beine  Reisen  später. 


Mattoo  Bandello.  329 

Über  die  Astrologie,  die  damals  in  8o  hohem  Ansehen  stand 
und  selbst  von  einer  Isabella  von  Este  nicht  verschmäht  wurde,  geht 
Bandello  mit  Schweigen  liinweg.    Vielleicht  auch  das  ein  Urteil. 

Die  eigentliche  Studienwelt,  in  der  unser  Mönch  lebt,  umfalst 
Philosophie  und  Geschichte.  Erstere  ergründet  nach  seiner  Ansicht 
alles,  was  irgend  zu  ergründen  ist  (3,  22).  Er  sieht  sie  auch  als 
eine  gute  Stütze  für  seine  Novellistik  an,  denn  sie  lehrt,  dafs  die 
Möglichkeit  eines  Falles  so  viel  gilt  wie  die  Wirklichkeit  (3,  1).  Ganz 
besondere  Mühe  giebt  er  eich  aber  mit  der  Lehre  Piatos,  und  schon 
in  Mailand,  also  bis  zum  Jahre  1525  spätestens,  hat  er  fast  alle 
Dialoge  dieses  Philosophen  durchgenommen  (2,  6).  Ob  in  lateinischer 
Übersetzung?  Er  erwähnt  nämlich  nirgends  von  sich,  dafs  er  des 
Griechischen  mächtig  wäre,  von  anderen  jedoch  öfter;  andererseits 
hat  er  aber  der  Schwester  Franz'  I.,  der  Königin  Margarete  von  Na- 
varra,  eine  Übersetzung  der  Hecuba  des  Euripides  gewidmet  (4,  20), 
mufs  demnach  also  griechisch  gekonnt  haben.  Jenes  Verschweigen 
könnte  seinen  Grund  lediglich  in  der  grofsen  Bescheidenheit  unseres 
Autors  haben.  Jedenfalls  mufs  dieser  neben  den  zahlreichen  Reisen, 
die  er  in  Begleitung  des  Oheims  Vincenz,  des  Generals  vom  Domini- 
kanerorden (1501 — 1506),  und  später  im  Auftrage  seiner  hohen 
Gönner  machte,  sowie  neben  der  Abfassung  seiner  Novellen  und 
Briefe  noch  aufserord entlich  fleifsig  studiert  haben.  Seine  umfang- 
reichen Kenntnisse  in  der  alten  und  neueren  Geschichte  veranlafste 
auch  eine  Anzahl  historischer  Novellen ;  er  geht  bis  auf  die  Zeiten 
des  Kyros  und  der  alten  Ägypter  zurück  (Panthea  3,  9;  Gaza  1,  25). 

Dem  Altertum  bringt  Bandello  eine  entschiedene  Vorliebe  ent- 
gegen, und  ganz  besonders  lobt  er  die  Schriftsteller  jener  Zeit.  Wenn 
damals  jemand,  Mann  oder  Weib,  etwas  that  oder  sagte,  was  Lob 
verdiente,  so  wurde  es  aufgezeichnet.  Und  zwar  genügte  nicht  die  ein- 
fache Aufzeichnung  der  Thatsache,  sondern  mit  Titeln,  Aufschriften, 
Bildsäulen,  Ehrenbogen  feierte,  lobte  und  ehrte  man  den  Helden  (3,  24). 
Diese  Wertschätzung  der  Alten  wurde  sogar  teilweise  der  Ausgangs- 
punkt für  unseres  Autors  hervorragendste  litterarische  Thätigkeit,  wie 
wir  später  sehen  werden.  Dabei  stellt  er  aber  die  italienischen  Maler 
und  Bildhauer  des  Cinquecento  denen  des  Altertums  mindestens 
gleich:  'Auch  die  Redner,  Dichter,  Philosophen  sind  bei  uns  gleich 
gut.  Und  wann  gab  es  bessere  Soldaten  als  jetzt?  Alexander, 
Pyrrhus,  Hannibal,  ...  Pompejus,  Cäsar  und  so  viele  andere  würden, 
wenn  sie  noch  lebten  und  unsere  Kriegführung  sähen  und  was  wir 
mit  Schwefel,  Salpeter  und  Kohle  machen,  fassungslos  sein  und  vielen 
unserer  Feldherren  die  Palme  reichen;  ebenso  würden  sie  in  unseren 
"privati  soldati"  —  wie  er  die  Soldateska  der  Cundottieri  nennt  — 
so  viel  Mut,  Eifer  und  Tapferkeit  sehen  wie  bei  den  ihrigen  niemals. 
Also  unsere  Zeit  wäre  sicherlich  nicht  weniger  lobenswert  als  die 
der  alten  Griechen  und  Römer,  die  so  sehr  gelobt  werden,  wenn  nur 


830  Matteo  Bandello. 

alles  Denkwürdige  bei  uns  aufgezeichnet  würde  (1,  8).  Aber  leider 
geschieht  das  gerade  Gegenteil.  In  AV äffen technik,  Kriegskunst  und 
jeder  Art  Wissenschaft  sind  wir  den  Alten  mindestens  gleich,  aber 
an  guten  Historikern  stehen  wir  ihnen  nach'  (3,  24).  Wir  sehen,  bei 
aller  seiner  Vertrautheit  und  Vorliebe  für  die  Alten  und  ihre  grofseii 
Männer  fehlt  es  unserem  modernen  Autor,  darin  ganz  Italiener, 
durchaus  nicht  an  Vaterlandsliebe;  ja  es  wäre  sogar  denkbar,  dafs 
er  bei  der  Einschätzung  der  damaligen  Kriegstüchtigkeit  nach  dem 
unbefangenen  Urteil  der  Geschichte  reichlich  weit  ginge.  Gewifs 
waren  seine  Freunde  Giovanni  delle  Bande  Nere  und  Prospero  Co- 
lonna  wackere  Feldherren,  aber  auch  sie  dienten  um  fremden  Sold 
und  konnten  das  Schicksal  Italiens  nicht  wenden. 

Wer  die  alte  Geschichte  eingehend  studiert  hat  und  mit  der- 
jenigen seiner  Zeit  durch  zahlreiche  diplomatische  Sendungen  per- 
sönlich verknüpft  ist,  wird  auch  das  Recht  für  sich  in  Anspruch 
nehmen,  über  Erscheinungen  der  Geschichte  zu  urteilen.  Das  that 
auch  Bandello.  Er  hat,  und  das  sieht  fast  etwas  pessimistisch  aus, 
mehr  Freude  an  den  neuentdeckten  Völkern  als  an  denen  des  alten. 
Erdteils.  Jene  Völker,  mit  denen  zu  Leos  X.  Zeiten  die  Portugiesen 
in  Berührung  kamen,  meint  er,  würden  gröfstenteils  Christen  werden 
(1,  34).  Hier  ist  freilich  der  Wunsch  der  Vater  des  Gedankens,  denn 
die  Inder  sind  trotz  der  geschätzten  Dienste  der  englischen  Mission 
in  der  grofsen  Mehrzahl  noch  immer  bei  ihrem  alten  Glauben  ge- 
blieben, ebenso  wie  die  Chinesen,  und  ob  selbst  die  zum  rechten 
Glauben  bekehrten  von  Bandello  als  echte  Christen  angesehen  würden, 
wäre  sehr  zweifelhaft. 

Bandellos  Hoffnung  auf  die  noch  jungfräulichen  Völker  ist 
wohl  desto  gröfser,  je  schlimmer  sein  Urteil  über  die  damalige  Lage 
des  alten  Europa  lautet.  Da  bedauert  er  den  Zerfall  des  einen 
katholischen  Glaubens  und  der  Christenheit,  die  in  eine  Ecke  des 
Erdteils  gedrängt  ist,  während  die  Türken  Syrien  eroberten,  Belgrad 
einnahmen  und  Rhodus  und  selbst  Wien  belagerten.  So  viel  Christen- 
blut ist  von  Christen  vergossen  worden,  dafs  damit  Konstantinopel 
und  Jerusalem  hätten  wiedergenommen  werden  können  (3,  62).  Zu 
einer  solchen  bitteren  Bemerkung  konnte  freilich  ein  Italiener  wohl 
kommen,  der  die  Kriege  der  beiden  deutschen  Kaiser  und  der  letzten 
drei  französischen  Könige  und  das  langjährige  Blutvergiefsen  in 
Italien  aus  nächster  Nähe  gesehen  hatte.  Aber  wann  war  es  jemals 
anders  gewesen? 

Dafs  unser  Dominikaner  für  die  protestantische  Lehre  kein  Ver- 
ständnis hat,  braucht  uns  wohl  nicht  weiter  zu  wundern.  Die  Ur- 
sachen des  Protestantismus  findet  er  im  Aberglauben  vieler  Gläu- 
bigen, in  der  Habgier  mancher  Priester  und  in  der  anfänglichen 
'Vernachlässigung  der  Bewegung  durch  den  Papst  (3,  14).  Hieraus 
macht  er  Leo  X.  geradezu  einen  Vorwurf.  'Nun  schlagen  die  Flammen 


Matten  Handello.  331 

des  Unglaubens  so  hoch,  dafs  sie  viel  eher  zu-  als  abnehmen,  wenn 
Gott  selbst  nicht  Hand  anlegt.'  Nach  Bandollos  Ansicht  fand  Luther 
auch  nicht  einmal  einen  Scheingrund  für  alle  >eine  Lehren,  die  der 
Dominikaner  mit  den  Ehrentiteln  Dummheiten,  Gift  und  Pestilenz 
belegt,  sondern  erneuerte  nur  die  falschen  Meinungen,  die  schon  von 
so  vielen  heiligen  Konzilien,  zuletzt  noch  in  Kostnitz  getadelt  und 
verdammt  waren.  Der  Zulauf  stammte  daher,  daß-  I^uther  sich  und 
seinen  Anhängern  den  Weg  zu  einem  lockeren  und  ausgelassenen 
Leben  eröflfnete.  Er  ist  ganz  zu  verdammen,  und  seine  Fabeln  sind 
als  unbegründet  zu  verwerfen  (3,  10).  'Nein,  und  wenn  auch  viele 
Staaten  und  Provinzen  zum  neuen  Glauben  übertraten  und  die  Lehren 
der  Väter  verschmähten,  die  von  so  vielen  alten  Doktoren  und  heiligen 
Männern  geprüft  waren  und  sich  der  Zustinmiung  aller  Zeiten  seit 
Christi  Geburt  erfreuten,  ihr  Glaube  ist  nicht  der  rechte!  Sie  leben 
nicht  in  der  Freiheit  des  guten  Geistes,  sondern  in  der  ihrer  Nei- 
gungen, daher  sind  ihrer  so  viele  Sekten  als  Urteiler,  und  jeder  sucht 
neuen  L'rtum,  und  alle  sind  verschieden.  Daher  hat  Christus  keinen 
Teil  aji  ihnen,  sonst  hätten  sie  auch  den  heiligen  Geist,  dessen  Art 
es  ist,  Getrenntes  zu  binden  und  zu  einigen,  nicht  aber  zu  trennen, 
was  zusammengehört'  (3,  62).  Das  scharfe  Auge  des  Gegners  hat 
die  schwache  Seite  der  neuen  Lehre  sofort  erkannt,  für  die  starke 
ist  freilich  sein  Auge  blind. 

Auch  über  die  blutige  Geschichte  Englands  und  seine  Könige 
lautet  Bandellos  Urteil  sehr  streng,  obgleich  man  sich  doch  auch  in 
Italien  in  jener  Zeit  das  Blut  nicht  dauern  liefs.  Sie  sind  Tyrannen, 
die  in  Grausamkeit  und  Lüsten  schwelgen  und  die  Köpfe  der  Ver- 
wandten und  des  Adels  fliegen  lassen.  Daneben  erheben  sie  Un- 
würdige aus  der  Hefe  des  Volkes.  Das  Ende  Eduards  H.  giebt 
unser  Historiker  ungenau  an:  statt  des  Sohnes  verfolgte  ihn  der 
jüngere  Bruder,  und  Eduard  IH.  rächte  ihn.  Auch  der  Anfang  der 
Regierungszeit  dieses  Königs  ist  unrichtig  dargestellt:  er  tötet  nicht 
Mutter  und  Oheim,  sondern  den  Liebhaber  der  Mutter  und  verbannt 
diese  vom  Hofe.  Heinrich  H.  folgt  Riötiard  Löwenherz,  dann  erst 
regiert  Johann  ohne  Land  (2,  37).  Ganz  besonderer  Zorn  trifl\  aber 
Heinrich  VHI.  Der  Dominikaner  verwirft  zwar  in  ihm  mehr  den 
Tyrannen  und  Gemahl  von  sechs  Frauen,  aber  er  verabscheut  im 
Grunde  den  Verräter  am  katholischen  Glauben  (3,  lU;  3,  25;  3,  G2; 
4,  10;  auch  3,  62  N.). ' 

Gehen  wir  vom  Historiker  zum  Philologen  über.    Als  Lateiner 

'  Vortret't'liche,  lebhafte  und  kulturgeschichtlich  höchst  wertvolle  Schil- 
derungen entwirft  Bandello  auch  von  manchen  Städten  Italiens  und  des 
Auslandes,  da  sie  aber  nicht  im  Rahmen  dieser  Arbeit  liegen,  können  sie 
hier  nur  angedeutet  werden.  Er  spricht  z.  B.  2,  5).  und  o,  52  von  Rom  und 
den  dortigen  Kurtisanen;  1,9  und  2,8  von  der  Üppigkeit  Mailands,  2,31 
von  der  dortigen  Mundart  und  8,  48  von  dortigen  Weihnachtsgebräuchen 


332  Matteo  Bandello. 

tadelt  er,  wohl  im  Anschlufs  an  den  Kardinal  Domenico  Griraani, 
den  Stil  des  Apulejus,  den  er  im  Vergleich  mit  der  reinen,  weifsen 
Milch  der  Ciceronianischen  Beredsamkeit  bittere  Galle  nennt  (3,  2); 
ein  andermal  lautet  jedoch  sein  Urteil  milder.  In  hohem  Mafse  ver- 
ehrt Bandello  natürlich  den  allgemeinen  Liebling  des  Mittelalters 
und  der  Renaissance,  den  Sänger  der  Äneis,  namentlich  gefällt  ihm 
das  Wort  'auri  dira  fames'.  Virgil  ist  in  seinen  Augen  ein  göttlicher 
Dichter,  ein  Weiser,  der  in  jeder  Art  Gelehrsamkeit  hervorragt,  und 
den  loben  Eulen  nach  Athen  tragen  hiefse  (3,  53).  Mit  der  Text- 
kritik mufs  es  kurz  vor  der  Erfindung  der  Buchdruckerkunst  jenseit 
der  Alpen  schlimm  ausgesehen  haben.  'Die  italienische  Sprache  war 
sozusagen  begraben  und  die  Bücher  textlich  derartig  verdorben,  dafs, 
wenn  Dante,  Petrarca  und  Boccaccio  damals  ihre  Werke  gesehen 
hätten,  sie  sie  nicht  wiedererkannt  haben  würden.  Mit  den  Schriften 
der  Alten  stand  es  nicht  besser.'  Erst  der  berühmte  Aldo  Manuzio, 
Bandellos  Freund,  sorgte  für  reinere  Texte.  Von  einer  durch  Manuzio 
zu  gründenden  Akademie  erhoffte  sein  junger  Freund,  dafs  alle  drei 
Sprachen  zu  ihrer  alten  Majestät  zurückkehren  würden  (1,  15).  Leider, 
ist  der  grofse  Herausgeber  über  den  Plan  zu  dieser  Akademie  hinweg- 
gestorben. 

Auf  dem  Gebiete  der  Erziehung  scheint  unser  Mönch  sehr  merk- 
würdige Ergebnisse  gesehen  zu  haben.  'Alle  Tage  kommt  es  vor,' 
so  bemerkt  er  einmal,  'dafs  diejenigen  Schüler,  die  von  ihren  Eltern 
zur  Erlernung  der  Grammatik  auf  die  Schule  gesandt  werden,  keine 
guten  Grammatiker  werden,  vielmehr  meistens  unwissend  bleiben, 
kaum  den  Brief  irgend  eines  Freundes  lesen  können  und  noch 
weniger  eine  Antwort  zu  schreiben  und  mit  ihrem  Namen  zu  unter- 
zeichnen wissen.  Das  müssen  sie  vielmehr  anderen  überlassen. 
Ebenso  geht  es  mit  den  Studenten,  die  sich  nach  Pavia,  Padua  oder 
Bologna  begeben,  um  Philophie  zu  studieren  oder  im  Kirchen-  und 
Staatsrecht  oder  in  der  Mathematik  den  Doktorgrad  zu  erwerben. 
Aber  —  fügt  er  wie  zum  Tröste  hinzu  —  wenn  alle,  die  sich  einge- 
schrieben haben  und  täglich  einige  Vorlesungen  hören,  daraus  den 
richtigen  Nutzen  zögen  und  Doktoren  würden,  so  gäbe  es  bald  mehr 


(Prachtochsen);  3,  38  von  der  Feier  des  Generalkapitels  der  Dominikaner 
zu  Modena;  1,  34  von  Bergamo  und  schlimmen  Charakterseiten  seiner  Be- 
wohner; '2,  9  von  der  schönen  Lage  und  den  Altertümern  Veronas;  3,  31 
von  dem  freien  Leben  zu  Venedig;  2,  54  und  3,  2  einmal  von  dem  wüsten, 
zügellosen  Leben  zu  Bologna,  dann  aber  von  der  Trefflichkeit  der  dor- 
tigen Universität  und  ihrer  Lehrer;  3,  49  von  den  Zuständen  in  der  Ro- 
magna,  den  Marken  und  dem  Kirchenstaat;  2,  7  von  der  herrlichen  Lage 
Neapels;  3,  7  vom  Reichtum  und  Handel  Brügges;  4,  1  rühmend  von 
Antwerpen  und  Paris;  3,2  von  der  Freiheit  der  englischen  Damen;  2,42 
von  den  schönen  Frauen  der  Insel  Seeland  und  dem  freien  Verkehr  der 
Geschlechter  daselbst;  endlich  3,  52  von  den  Sitten  und  dem  Charakter 
der  Moslem,  denen  er  alle  Anerkennung  zollt. 


Matteo  Bandello.  833 

Sperber  als  Wachteln,  d.  h.  mehr  Doktoren  als-  Ratbedürftige.  Aber 
nur  wenige  erreichen  das  Ziel  der  Gelehrsamkeit,  wie  es  auch  in  an- 
deren Berufen  der  Fall  ist;  denn  wenn  in  einer  Stadt  oder  auf  einem 
Schlosse  zwei  oder  drei  einen  Beruf  gut  verstehen,  so  ist  da?  schon 
viel'  (2,  57). 

Ein  grofser  Sprachforscher  ist  Bandello  vielleicht  nicht  gewesen. 
Die  eine  Probe,  die  ich  für  diese  Vermutung  beibringen  kann,  ist 
trotz  allem  Ungeheuerlichen,  das  auf  diesem  Gebiete  geleistet  wird, 
doch  so  unglaublich,  dafs  sie  Philologen  und  Naturforschern  nicht 
vorenthalten  werden  darf.  Es  handelt  sich  um  die  Erklärung  der 
fast  sprichwörtlichen  Redensart:  aus  Afrika  kommt  immer  etwas 
Neues.  'Nur  diejenigen  Löwen  haben  an  Hals  und  Schultern  eine 
helle  Mähne,  die  aus  der  Verbindung  von  Löwen  und  Löwinnen  ' 
hervorgehen.  Wenn  aber  ein  Panther  eine  Löwin  deckt,  so  wird  das 
Löwenjunge-  an  Schultern  und  Hals  keine  Mähne  haben.  Und  diese 
Vermischungen  uiiter  verschiedenen  Tieren  kommen  meistens  in  Afrika 
vor.  Weil  nämlich  dieser  Erdstrich  wasserarm  ist,  sind  verschiedene 
Tiergattungen  gezwungen,  sich  an  den  Wasserstellen  zu  begegnen, 
und  dort,  von  ihrer  zügellosen  Brunst  hingerissen,  vermischen  sich 
die  verschiedenen  Arten,  und  es  kommen  dann  neuartige,  ungeheuer- 
liche Geburten  vor.  Daher  entstand  bei  den  Griechen  das  allgemeine 
Sprichwort:  Afrika  bringt  immer  etwas  Neues!'  (2,  49).  Wörtlich! 
Folgt  noch  eine  Berufung  auf  Aristoteles  und  Athenäus  als  Gewährs- 
männer unseres  Autors. 

2.    Verkehr. 

Durch  einflufsreiche  verwandtschaftliche  und  Ordensempfeh- 
lungen trat  Bandello  früh  zu  hochstehenden  Personen  in  Beziehungen, 
die  durch  seine  Bildung  und  sein  diplomatisches  Geschick  bald  ge- 
festigt und  dauerhaft  wurden.  Aber  er  gehörte  nicht  zu  denjenigen 
Geistlichen,  die  durch  Mittel  der  Furcht,  wie  Drohung  mit  dem  Fege- 
feuer oder  den  Qualen  des  Jenseits,  ihren  finsteren  Einflufs  zu  be- 
gründen verstehen,  eine  Klasse,  die  übrigens  in  jener  Zeit  der  auf- 
geklärten Renaissance  am  wenigsten  Aussicht  auf  Erfolg  hatte,  son- 
dern zu  jenen  gewandten,  heiteren  Mönchen  von  hoher  Bildung,  die 
ihre  Hände  überall  im  Spiele  haben  und  vermöge  ihrer  Liebens- 
würdigkeit sich  alle  Thüren  weit  leichter  öflnen.  Er  hatte  in  der  That 
weit  mehr  von  einem  Diplomaten  und  Hofmanne  denn  von  einem 
Dominikaner  strenger  Richtung,  obgleicli  er  sich  in  seinen  Mufse- 
stunden  am  liebsten  seinen  Studien  und  eigenen  Arbeiten  widmete. 
Wenn  wir  aus  der  Art,  wie  er  das  Sprichwort  'Kleider  machen  Leute' 


'  Lionxa  =  leonxa  bedeutet  nach  Manuzzi  Löwin  (wie  hier)  und  Pan- 
therin. 

*  //  lione  che  nascerä  (siel). 


334  Matteo  Baudello. 

verteidigt,  Schlüsse  ziehen  dürfen,  so  wird  unser  Frate  viel  auf  ein 
tadelloses  Mönchsgewand  gehalten  haben,  und  zwar  schon  wegen 
der  hohen  Gesellschaft,  in  der  er  sich  fast  ausschliefslich  bewegte 
(3,  38).  Überhaupt  scheinen  die  Dominikaner  damals  auf  Schönheit 
der  Erscheinung  erhebliches  Gewicht  gelegt  zu  haben,  wie  aus  einer 
Widmung  Bandellos  an  seinen  Ordensgeneral  erhellt.  'Man  sagt 
wohl,  wen  Gott  schön  machte,  den  machte  er  nicht  arm,  und  die 
Lombarden  sagen :  bekleide  einen  Pfahl,  und  er  scheint  ein  Kardi- 
nal. '  Und  sicherlich  verleiht  die  Schönheit  des  Körpers  und  der 
Kleidung  Würde  und  erhöhtes  Ansehen,  wie  andererseits  Häfslich- 
keit  und  schäbiges  Gewand  oft  Personen  von  Rang  und  Stande  in 
Mifsachtung  bringen'  (3,  38). 

Körperliche  Übung  wie  das  Reiten  war  damals  bei  den  Geist- 
lichen, die  häufig  längere  vertrauliche  Sendungen  ausführten,  noch 
allgemeiner  (2,  59;  3,  11.  12).  Auch  mit  seinen  geselligen  Talenten  ^ 
erscheint  Bandello  unter  vornehmen  Genossen  niemals  als  Spielver- 
derber; er  weifs  sich  mühelos  in  alle  Lagen  und  Stimmungen  zu  fin- 
den, er  tafelt  und  trinkt  mit  seinen  Gesellen,  läfst  sich  aber  auch- 
gern  in  ein  ernstes  Gespräch  über  Philosophie,  die  alten  und  neueren 
Schriftsteller  sowie  Probleme  des  täglichen  Lebens  ein,  trägt  auf  Ver- 
langen aus  seinen  Gedichten  und  Erzählungen  vor,  spielt  den  philo- 
sophischen Kritiker,  hört  aber  ebenso  gern  eine  Novelle  erzählen,  wel- 
cher Art  sie  auch  sei,  sieht  mit  Vergnügen  zu,  wie  die  Jünglinge  sich 
unterhalten,  tanzen,  singen,  spielen;  reitet  mit  seinen  Freunden  aus, 
treibt  den  damals  sehr  beliebten  Angelsport  sogar  mit  grofsem  Glück 
(3,  44),  kurz,  ist  überall  dabei  und  weifs  sich  stets  so  zu  stellen,  dafs 
er  gern  gesehen  ist,  ohne  sich  etwas  zu  vergeben.  Nur  so  ist  es  zu 
erklären,  dafs  ihn  diese  vornehmen  Herren  vollständig  als  gleich- 
berechtigt behandeln,  ihn  nicht  nur  stets  gern  in  ihrer  Gesellschaft 
sehen  (z.  B.  1,  52;  2,  12)  und  seine  Aufwartung  als  selbstverständ- 
lich voraussetzen  (2,  54),  sondern  auch  in  eigener  Person  bei  ihm 
zu  Besuch  erscheinen  (z.  B.  3,  24). 

Als  junger  Schriftsteller  hat  Bandello  seiner  Gönnerin  Ippolita 
Sforza  und  Bentivoglia  am  meisten  zu  danken,  worüber  später 
näheres.  Alles  Gerede  über  Unlauterkeit  dieses  Verhältnisses  ist 
durchaus  unhaltbar,  wie  auch  Morellini  bemerkt.  Bandello  spricht 
nur  mit  einer  Stimme  von  und  zu  seiner  hohen  Fi'eundin,  und  das 
ist  die  der  reinsten  Verehrung  und  Dankbarkeit  (z.  B.  I,  an  die  Leser 
und  1,1).    Überdies  erzählt  er  von  ihr  eine  AuTserung  über  das  Ver- 


'  Auch:  vesti  un  ciocco  e  pare  un  fiocco. 

-  Vielleicht  hat  er  ein  gut  Teil  seiner  geselligen  Talente  von  seinem 
Grofsvater  Azzio  B.  geerbt,  der  mit  achtzig  Jahren  noch  ein  begehrter 
Rechtsanwalt  zu  Castelnuovo  war.  E  perc/ie  era  dt  natura  festevole  e  piace- 
Dole  molto,  e  a  tutto  cid  che  si  diceva  soleva  di  continuo  aver  qualche  bei 
motto  arguto  e  a  proposito,  era  da  tutti  detto  mes.  Ax/xÄo  dai  proverhj  (3,  28). 


Matteo  BaDdello.  S85 

halteil  der  Frau,  die  recht  bemerkenswert  für  ihre  Denkweise  ist. 
'Hat  eine  Frau  alle  Vorzüge  der  Welt  und  ist  nicht  tugendhaft,  so 
trägt  die  Unkeuschhcit  solches  Gift  mit  sich,  dafs  sie  alle  anderen 
Gaben  ansteckt,  während  im  Gegenteil  eine  ehrbare  Frau,  habe  sie 
weiter  keine  Gaben,  immer  gelobt  werden  wird'  (1,  36).  Kührend  be- 
klagt Bandello  auch  ihren  vorzeitigen  Tod,  weil  sie  zu  gut  für  die 
Welt  war.  —  Der  junge  Mönch  wurde  dem  Hause  Bentivogli  bald 
so  unentbehrlich,  dafs  man  sich  seiner  zur  Vertretung  der  wiclitig- 
sten  Familienangelegenheiten,  wie  z.  B.  der  Vermählung  einer  Tochter, 
bediente  (1,  1).  Gelegentlich  wird  er  monatelang  auf  den  Sommersitz 
Palagio  in  die  nächste  Umgebung  der  Fürstin  geladen.  Er  rühmt 
dort  das  freundliche  Verhalten  der  Hofgesellschaft,  mit  der  er  fort- 
während in  Berührung  kommt,  und  erwähnt  allerlei  anständige  Unter- 
haltungsspiele (3,  52).  Mit  Ippolitas  Gemahl  Alessandro  sowie  mit 
ihrer  Tochter  Ginevra  war  er  ebenfalls  eng  befreundet. 

Fast  ebenso  nahe  wie  den  Bentivogli  im  Exil  stand  Bandello 
später  der  Markgräfin  Isabella  von  Mantua,  obgleich  Ippolita  und 
Alessandro  im  Jahre  150(5  durch  den  Markgrafen  Francesco  Gon- 
zaga  als  Feldherrn  des  Papstes  ihrer  Herrschaft  zu  Bologna  beraubt 
waren  (z.  B.  4,  3).  In  Mantua  sammelte  sich  um  diese  kunstsinnige 
Frau  —  kunstsinnig  bis  zu  dem  Grade,  dafs  sie  deshalb  oft  in  Geld- 
verlegenheiten geriet  und  manchmal  die  gegebenen  Aufträge  gern 
wieder  abbestellt  hätte  — ,  diese  schönste  Perle  der  Renaissance,  eine 
Schar  Schriftsteller  und  Künstler,  die,  wenn  auch  nicht  statuten- 
mäfsig,  doch  durch  diesen  Geschmack,  ihre  Liebe  zu  den  Wissen- 
schaften, ihre  gelehrten  und  geistreichen  Unterhaltungen  wirklich 
eine  Akademie  bildeten.  Giovio  nannte  sie  Akademie  zu  Sankt  Peter, 
nach  dem  Orte,  wo  der  Palast  der  Markgräfin  stand.  Die  Seele  dieses 
Bundes  war  Equicola,  der  Lehrer  Isabellas,  den  Bandello  oft  nennt. 
Nicht  zu  den  ständigen,  aber  zu  den  hervorragendsten  Mitgliedern 
dieser  ungezwungenen  Gesellschaft  zählten  B.  Castiglione  und,  von 
1515  bis  1525,  Bandello,'  Unser  Frate  gehört  also  zu  Isabellas 
Gelehrtenstab  und  verdankt  vielleicht  diesem  seine  unbefangene, 
schon  oben  erwähnte  Würdigung  der  Naturforschung,  Die  kunst- 
sinnige Fürstin  zieht  ihn  im  Sommer,   auf  ihrem  Landsitz  Cavriana, 


'  Vgl.  Giornale  Storico  84,  71.  Wer  sich  näher  über  Isabellas  Be- 
ziehung zu  den  bedeutendsten  Geistern  ihrer  Zeit  unterrichteu  will,  findet 
reiches  Material  bei  Clan,  P.  Bembo  e  Isabella  d'Este,  Gioru.  Stör,  9,  und 
Luzio-Renier,  Coltura  e  reiazioui  letterarie  d'Isabella  d'Este,  a.  a.  O.  8t 
und  8ö.  Die  hohe  Achtung  der  Zeitgenossen  vor  dieser  edlen  Frau  ver- 
rät sich  auch  iu  der  Cirab.schrift,  die  Niccolö  d'Arco,  einer  der  gewandte- 
sten lateinischen  Dichter  der  Ileuaissauce,  auf  ihren  Tod  verfalste: 

Quid  vobis  raptam,  mortales,  ßelis  Elysamf 

Parcite,  nam  rem.m  id  puichen-imiis  exigit  ordo, 

Vt  cum  seinideis  tribus  exoniaverit  orbem, 

Conspectu  bect  ipsa  suo  coeli  aurea  templa.      A.  a.  O.  34,  55. 


336  Matteo  Bandello. 

sogai"  in  ihre  nächste  Nähe  (2,  5)  und  nimmt  seine  Hilfe  bei  ihrer 
Liviuslektüre  in  Anspruch  (2,  21).  Über  seinen  Verkehr  am  Hof 
zu  Mantua  berichtet  er,  dafs  er  gewöhnlich  zwei-  bis  dreimal  die 
Woche  sich  in  Isabellas  Palast  Porto  begab,  um  ihr  seine  Aufwartung 
zu  machen,  und  dafs  er  alsdann  den  ganzen  Tag  dort  verweilte  (1,  30). 

Über  Bandellos  Stellung  zu  Cesare  und  Costanza  Fregoso,  deren 
Ehebund  er  selbst  gestiftet  hatte,  später  (vgl.  2,  10.  12.  19).  Costanza 
war  die  Tochter  Biancas,  der  Schwester  Alessandro  Bentivoglios  und 
Wohlthäterin  Leos  X. 

Besonders  eng  waren  die  Beziehungen  unseres  Dominikaner- 
mönches zu  den  verschiedenen  Zweigen  des  Hauses  Gonzaga.  Wenn 
er  auf  seinen  diplomatischen  Reisen  nach  Gazzuolo  oder  nach  Bozzolo 
kommt,  dann  ist  die  Freude  grofs.  Federigo  '  behält  ihn  einmal  acht 
Tage,  will  ihn  durchaus  nicht  loslassen  und  giebt  sich  die  gröfste 
Mühe  um  recht  angenehme  Unterhaltung  (3,  16).  Als  Federigos 
Bruder  Pirro,  Bandellos  ganz  besonderer  Freund  (2,  3),  von  seiner 
Anwesenheit  hört,  erscheint  er  ebenfalls  und  nimmt  ihn  nachher 
einige  Tage  mit  nach  Gazzuolo.  Wenn  man  erfahren  hat,  was  noch 
heutzutage  auch  ein  nur  leidlich  wohlhabender  Italiener  thut,  um  es 
seinen  Gästen  einigermafsen  behaglich  zu  machen,  ihm  täglich  etwas 
Neues  zu  bieten,  stets  für  seine  Unterhaltung  zu  sorgen,  so  zweifelt 
man  nicht  einen  Augenblick  an  Bandellos  Worten.  Er  übertreibt 
nicht,  um  seine  Person  in  ein  helleres  Licht  zu  setzen,  denn  noch 
jetzt  ist  es  nicht  viel  anders,  zur  Ehre  der  gastfreien  italienischen 
Nation  sei  es  gesagt.  —  Ein  andermal  wird  dieser  Liebling  der 
Familie  Gonzaga  von  Camilla,  der  Schwester  Pirros,  dringend,  sogar 
unter  freundschaftlichen  Drohungen,  schriftlich  zu  ihrer  Hochzeit 
geladen;  einige  Zeilen  Nachschrift  von  der  Hand  der  Mutter  fol- 
gen noch.  Das  hätte  natürlich  genügt,  ihn  vom  Krankenlager  zu 
holen.  Aber  auch  die  beiden  Brüder  Pirro  und  Federigo  schreiben 
noch  und  befehlen  ihm,  zu  erscheinen,  bei  Androhung  ihrer  höchsten 
Ungnade  für  den  Fall  des  Ungehorsams.  Dafs  er  nun  auf  der  Hoch- 
zeit zum  engsten  Kreise  der  hohen  Familie  gehört,  ist  selbstverständ- 
lich (4,  6).  Mit  Camilla  bleibt  er  auch  später  im  Briefwechsel.  Als 
sie  ihm  aus  Neapel  längere  Zeit  nicht  schreibt,  beklagt  er  sich  bei 
der  ganzen  Familie,  und  das  hilft  (1,  7).  Sehr  vertraut  ist  er  auch 
mit  Pirros  Töchtern  Isabella  (1,  57)  und  Lucrezia  (2,  21).  Letztere 
war  sogar  seine  fleifsige,  begabte  Schülerin,  und  der  alternde  Lehrer 
fand  in  ihr  seine  'santissimamente  amaia',  den  letzten  Gegenstand 


•  Die  Freunde  Bandellos  dienten  in  den  Wirren  des  beginnenden 
Cinquecento  oft  ganz  entgegengesetzten  Interessen.  So  befehligte  in  der 
Schlacht  bei  Ravenna  Marcantonio  Colonna  in  der  Stadt,  Fabrizio  den 
linken  Flügel  der  Spanier,  Federigo  da  Bozzolo  dagegen  den  linken  Flügel 
der  Franzosen.  Fabrizio  mufste  sich  an  Alfons  von  Ferrara,  Isabellas 
Bruder,  als  Gefangener  ergeben. 


Matteo  Bandello.  887 

einer  reinen,  verklärten  Verehrung,  die  ihren  Ausdruck  in  den  'Elf 
Gesängen  zum  Lobe  der  Lucrezia'  fand. 

Bei  diesen  engen  Beziehungen  zu  den  Oonzaga  von  Gazzuolo  ist  es 
wohl  kein  Wunder,  dafs  Bandello  einmal  die  Hochherzigkeit,  Höflich- 
keit, Freigebigkeit,  Liebenswürdigkeit  und  das  unsagbar  herzliche  Ent- 
gegenkommen des  Hauses  Gonzaga  mit  begeisterten  Worten  rühmt(4,  6). 

Auch  zu  dem  berühmten  Hause  Colonna  steht  unser  Mönch  in 
engem  Verhältnis;  er  dankt  in  -einer  Widmung  an  den  Hauptmann 
Muzio  (1,  24)  dem  ganzen,  sehr  erlauchten  Hause  für  die  vielen 
Gunstbezeugungen  und  Wohlthaten,  die  er  von  ihm  erhalten,  und 
wofür  er  seine  Ergebenheit  und  seinen  guten  Willen  dienstbereit  an- 
bietet. Die  Colonna  spielen  in  den  zahlreichen  Kriegen  des  Cinque- 
cento und  früher  als  Heerführer  und  Parteigänger  <ler  verschieden- 
sten Mächte  eine  grofse  Rolle,  und  in  Leos  Geschichteltaliens  findet 
sich  ihrer  eine  stattliche  Anzahl  aufgeführt.  Mit  Prospero  Colonna, 
dem  bedeutendsten  Feldherrn  der  Familie,  dem  Sieger  an  der  Bicocca 
und  Befreier  der  Lombardei,  ist  Bandello  besonders  befreundet;  er 
spricht  an  vielen  Stellen  mit  grofser  Liebe  und  Anhänglichkeit  von 
ihm  und  nennt  ihn  mehrfach  seinen  'Herrn';  schon  die  zweite  Novelle 
hat  er  ihm  y;ewidmet.  Sein  Einflufs  auf  diesen  hervorragenden  Mann 
geht  sogar  so  weit,  dafs  er  ihn  einmal  mit  Scipio  Attellano  und  an- 
deren Mailänder  Freunden,  denen  jener  heftig  zürnt,  wieder  versöhnt 
(2,  8).  Auch  der  Kardinal  Pompeo  Colonna  begegnet  Bandello  mit 
grofser  Freundlichkeit  (1,  52),  wie  auch  andere  kirchliche  Würden- 
träger von  Rang,  z.  B.  der  päpstliche  Gouverneur  von  Ravenna  (2,  59), 
der  Kardinal  von  Mantua  u.  a. 

Fast  nicht  weniger  wird  unser  Frate  von  anderen  Trägern  grofser 
Namen  geehrt,  obgleich  er  nicht  zu  ihrem  ständigen  Vei'kehrskreise 
gehört.  Der  ^Nlarchese  Lodovico  Pallavicini  trifft  ihn  einmal  auf  der 
Jagd,  behält  ihn  fünf  Tage  bei  sich  und  ehrt  ihn  wie  einen  grolsen 
Herrn.  An  frohem  Zeitvertreib,  Spiel  und  Lust  ist  unterdessen 
durchaus  kein  Mangel  (3,  11). 

Erwähnen  wir  noch  von  hochstehenden  Gönnern  und  Freunden 
die  sehr  häufig  erwähnten  Attellanen  in  Mailand,  besonders  Scipio, 
Girolamo  Adorno  aus  Genua,  Cesare  Fieramosca,  den  Grafen  Lodo- 
vico Tizzone  (1,  25),  sowie  Cecilia  Gallerana,  die  Gräfin  Bergamina 
und  frühere  Geliebte  Lodovico  Moros  (1,  21). 

Von  Bandellos  näheren  Freunden  aus  der  Schar  der  Geistes- 
helden, Dichter  und  Staatsbeamten  will  ich  nur  Equicola,  Isabellas 
Lehrer,  den  er  schon  1525  verlor,  Castiglione,  die  Dichter  Fracastoro 
und  Molza,  sowie  die  beiden  Dichterinnen  Camilla  Scarampa  (1,  13 
u.  oft)  und  Veronica  Gambara  (3,  59),  aucli  die  Freundin  Isabellas, 
anführen.  Besonders  ausgedehnt  war  demnach  unseres  Autors  Ver- 
kehr mit  Frauen  aus  der  besten  Gesellschaft;  er  stand  mit  ihnen 
auch  durchweg  in  fleifsigera  Briefwechsel. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CVIll.  22 


838  Matteo  Bandello. 

3.    Charakter. 

In  welchen  Kreisen  sich  Bandello  durchweg  bewegte,  haben  wir 
gesehen;  untersuchen  wir  jetzt,  welche  Charaktereigenschaften  dieser 
Verkehr  entwickelte  und  notwendig  entwickeln  mufste. 

Zunächst  aber  ein  Wort  über  den  Mönch.  Bei  seiner  Bildung 
und  seinem  klaren  Verstände  blieb  ihm  die  Reformbedürftigkeit  der 
Kirche  kein  Geheimnis,  besonders  den  Ablafshandel  wird  er  scharf 
verurteilt  haben,  wie  sich  aus  seiner  strengen  Auffassung  der  Beichte 
ergiebt.  'Die  Beichte  abzuhören  sollte  nicht  so  leicht  jedem  Geist- 
lichen erlaubt  sein,  ob  Priester,  ob  Mönch,  wenn  er  nicht  wissen- 
schaftlich gebildet  ist,  wenigstens  in  der  so  überaus  wichtigen  Seel- 
sorge. Wie  viele,  die  tödlich  an  der  Seele  erkrankt  sind,  möchten 
nicht  in  der  Beichte  einen  Geistlichen  finden,  blind,  taub  und  dumm, 
der  keinen  Unterschied  zwischen  Sünde  und  Sünde  machte,  sondern 
alle  freispräche,  als  ob  solche  Absolvierung  Gültigkeit  hätte  und  nicht 
vielmehr  ewige  Verdammnis  bedeutete'  (4,  3).  Solche  Priester  gab  es 
also.  Diese  Entrüstung  über  unwürdige  Diener  Gottes  macht  dem- 
Freimut  unseres  Dominikaners  alle  Ehre,  er  macht  aus  seinem  Her- 
zen wirklich  keine  Mördergrube.  Von  der  Beichte  und  dem  Ablafs, 
der  aus  der  Seelsorge  ein  Geschäft  machte,  ging  auch  Luiiier  aus; 
den  Weg  zu  ihm  zu  finden,  blieb  unserem  Mönche  freilich  versagt.  — 
Doch  Bandellos  Platz  war  nicht  im  Beichtstuhl,  sondern  im  Rate 
der  Fürsten  und  Grofsen. 

Hier  zeigt  er  sich,  als  echter  Diplomat,  aufserordentlich  ver- 
schwiegen, wenigstens  in  den  für  ein  gröfseres  Publikum  berechneten 
Widmungen,  und  beweist  dadurch,  dafs  seine  Auftraggeber  keine 
schlechte  Wahl  getroffen  hatten.  Wir  erfahren  wohl,  dal's  er  vielfach 
Sendungen  innerhalb  Italiens,  auch  nach  Frankreich  ausführte,  aber 
über  deren  Zweck  läfst  er  uns  völlig  im  dunkeln. 

Im  Verkehr  mit  seinen  hohen  Gönnern  und  Personen  von  Rang 
und  Namen  mag  es  für  Bandello  nicht  immer  leicht  gewesen  sein, 
alle  Wünsche  zu  befriedigen,  denn  der  Beruf  des  Höflings  war  ohne 
Frage  sehr  schwer.  Er  macht  uns  selber  darüber  einige  allgemeine 
Andeutungen,  vielleicht  mit  einem  stillen,  selbstzufriedenen  Lächeln 
darüber,  dafs  er  nicht  zu  den  Unwürdigen  zählt.  'Viele  trachten  da- 
nach, Höflinge  zu  werden,  aber  wenige  versehen  solchen  Dienst  so, 
wie  sie  sollten.  Denn  in-  und  aufserhalb  Italiens  sind  viele,  die 
dafür  gelten  möchten;  wer  sie  aber  mit  Sorgfalt  prüft,  würde  finden, 
dafs  sie  auch  noch  nicht  einmal  wissen,  was  der  Name  eines  Höf- 
lings bedeutet'  (2,  57).  Ein  Höfling  darf  sich  nicht  nur  von  der 
Sonne  fürstlicher  Gunst  bescheinen  lassen;  er  hat  auch  Pflichten. 
Das  weifs  Bandello.  Oft  möchte  er  Wohlthaten  vergelten  und  auch 
seinerseits  Aufmerksamkeiten  erweisen,  aber  nur  weniges  steht  ihm 
zu  Gebote,  und  selbst  für  dies  sein  geringes  Können   will  sich  oft 


Matteo  Bandello.  839 

keine  Gelegenheit  finden.  Da  sucht  er  einmal  Trost  für  sein  be- 
drängtes Herz  und  meint:  'Bedenkt  man  aber,  dals  oft  der  Wille  der 
That  gleichkommt,  dann  verdiene  ich  nicht  wenig  gelobt  und  zu  den 
treuesten  Freunden  gerechnet  zu  werden  I'  (2,  41). 

Eine  Novelle  zu  verschenken,  stand  nun  in  Bandellos  Macht, 
und  diese  scheint  er,  dienstbereit  gegen  jedermann,  nie  versagt  zu 
haben.  Natürlich  gehen  die  Aufträge  einer  Ippolita,  eines  Gonzaga 
oder  Fregoso  allem  anderen  vor,  und  so  niuis  denn  unser  Autor  zu- 
weilen eine  erbetene  Novelle  aufschieben.  Nach  der  Rückkehr  aber 
läfst  er  alles  stehen  und  liegen,  um  den  Bitten  und  Andeutungen 
der  Freunde  seiner  litterarischen  Erzeugnisse  nachzukonnuen  (z.  B. 
3,  18).  Bei  der  Ausstellung  seiner  Widmungen  erhält  ausnahmslos 
und  selbstverständlich  jeder  Patron^  gleichviel  ob  von  Rang  oder 
nicht,  seinen  ihm  gebührenden  Titel,  den  L/uogotenente  del  Re  cristia- 
nissimo,  den  Conte,  Monsignoi-e  u.  a.,  das  einfachere  signore  oder 
das  ganz  einfache  messer,  dazu  unfehlbar  ein  tnagnifico  e  virtuoso 
oder  eccellente.  Das  lag  damals  in  der  Zeit  und  sollte  im  Jahrhun- 
dert des  Simplicissimus  und  des  Sonnenkönigs  noch  viel  schlimmer 
werden.  Auch  im  Texte  der  Widmungen  folgt  jeder  neuen  Person 
ihr  voller  Titel  (2,  19  u.  o.).  Selten  kommt  es  vor,  dafs  jemand  als 
Feind  aller  'cerimonie'  bezeichnet  wird.  Dann  sagt  der  Verfasser 
weiter  nichts,  als  dafs  der  Patron  zu  den  höflichen  und  grofsherzigen 
Edelleuten  jener  Zeit  gehöre  (2,  52),  das  ist  aber  das  mindeste.  Die 
allermeisten  Patrone  haben  jedoch  augenscheinlich  eine  vollständige 
Aufzählung  aller  Verdienste  —  neben  den  Titeln,  wohlverstanden  — 
nicht  für  überflüssig  oder  gar  geschmacklos  gehalten,  das  beweist  das 
starke  Quantum  Anerkennung,  das  Bandello  ihnen  der  Regel  nach 
zumifst.  Einem  Nachkommen  des  grofsen  Dante,  dem  Dr.  utr.  jur. 
Lodovico  Dante  Alighieri,  gegenüber  wird  man  es  als  feinere  Schmei- 
chelei gern  hiiigehen  lassen,  wenn  unser  Verfasser  in  langer  AVidmung 
seines  berühmten  Vorfahren  gedenkt  und  ihn  selbst  als  würdigen 
Nachkommen  feiert,  der  auch  unverkennbar  des  Ahnherrn  Züge 
trage.  Für  die  Ähnlichkeit  ist  ihm  das  Denkmal  zu  Ravenna  mafs- 
gebend  (4,  10). 

Unangenehmer  berührt  schoji  der  Ton  gegen  den  Erzherzog 
Maximilian,  den  späteren  unbedeutenden  Kaiser  Max  IL  Die  Ver- 
kündung der  wunderbaren  Thaten,  die  dieser  Fürstensprofs  schon  in 
der  Jugend  ausführte,  kann  des  Autors  armseliges  Talent  zu  Reich- 
tum und  Tiefe  entwickeln!  Maximilians  Namen  ohne  Ehrerbietung 
nennen  ist  Schändung  des  Heiligen!  Den  erlesensten  Fürsten  ist  er 
beizuzählen;  Deutschland,  ja  die  ganze  Welt  erwartet  das  Höchste 
von  ihm,  und  wer  ihn  kennt,  mufs  sich  ihm  als  Diener  zu  Füfsen 
legen!  Hier  vergifst  un>er  guter  Bandello  ganz,  dafs  sein  Held  dem 
Hause  Habsburg  angehört,  das  er  in  Briefen  an  die  Mitglieder  der 
französischen  Partei   und   nach  der  Einnahme  Mailands   weniger  zu 

'22* 


340  Matteo  Bandello. 

loben  pflegt.  Immerhin  hatte  der  junge  Fürst  des  Autors  langjährigem 
Herzensfreund  Filippo  Baldi  seine  hilfreiche  Hand  geboten,  und 
Bandello  folgt  nur  dem  Überschwang  seines  dankbaren  Freundes 
(2,  46).  Die  Sprache  jedoch,  die  unser  Frate  gegen  den  Bischof  von 
Cahors  (2,  27)  und  gegen  den  Kardinal  von  Armagnac  (2,  37)  führt, 
ist  nicht  mehr  Ergebenheit  oder  feine  Schmeichelei,  sondern  nur  noch 
Lobhudelei  zu  nennen,  und  deswegen  trifft  unseren  Verfasser  ein 
weit  empfindlicherer,  da  gerechter,  Tadel  als  wegen  mancher  anstöfsi- 
gen  Novelle.  Zwar  sucht  er  sich  zu  entschuldigen  und  sagt,  er  wolle 
den  Bischof  nicht  ins  Gesicht  loben,  aber  umsonst.  Auch  die  Dienst- 
willigkeit gegen  Cesare  Fregoso  wird  fast  zur  willenlosen  Unterwürfig- 
keit, wenn  er  sich  dessen  'faitura  e  creatura'  nennt  (2,  14).  Doch 
hatte  Fregoso  dem  heimatlosen,  beraubten,  umherirrenden  Mönche, 
der  nahezu  ein  Fünfziger  war,  ein  dauerndes,  glänzendes  Obdach 
und  neue  Mufse  für  seine  geliebten  Studien  geboten;  man  bedenke, 
was  das  heifsen  will;  Bandello  fühlte  sich  aufs  neue  dem  Leben 
wiedergegeben  und  wufste  sich  in  grenzenloser  Dankbarkeit  nicht 
zu  lassen.  Doch  gehen  obige  Ausdrücke  der  Erniedrigung  ent-  • 
schieden  zu  weit. 

Nicht  in  das  Gebiet  der  Lobhudelei  scheinen  mir  aber  einige 
Äufserungen  unseres  Autors  zu  fallen,  die  lediglich  seine  Loyalität, 
seine  starke  Achtung  vor  dem  Königtum,  als  dem  von  Gott  einge- 
setzten Hüter  der  Ordnung,  bekunden.  'Die  guten  Könige  ziemt  es 
sich  zu  verehren  und  wie  die  Götter  zu  ehren'  (2,  46).  'Vor  hohen 
Herren  soll  man  ganz  besonders  auf  seine  Worte  achten.  Die  Könige 
sind  geheiligt  und  voller  Majestät,  und  es  ist  nicht  mehr  als  gezie- 
mend, dafs  wir  sie  fast  wie  eine  Gottheit  ehren'  (2,  19).  Wenn  er 
einmal  versichert,  die  Königin  von  Navarra  sagt's,  also  mufs  es  ge- 
wifs  wahr  sein,  so  klingt  das  freilich  ebenso  naiv  wie  es  ehrlich  ge- 
meint ist  (2,  24). 

Mancher  Kritiker  wird  Bandello  wegen  übertriebener  Schmeiche- 
lei gewifs  bedeutend  schärfer  verurteilen  und  unschwer  noch  eine 
ganze  Reihe  Belastungsstellen  anführen  können.  Aber  einmal  ist 
der  Italiener  auch  heutzutage  noch  'complimentoso' ,  wie  er  offen  ein- 
gesteht, und  damals  war  der  schwülstige  Stil  schon  in  bester  Entwicke- 
lung;  ferner  stand  unserem  Verfasser  aufserhalb  des  Schutzes  hoher 
Gönner  keine  Wahl  frei  als  die  öde  Klosterzelle,  der  er  sich  innerlich 
längst  entfremdet  fühlte,  und  drittens  blieb  er  bei  aller  Ergebenheit 
ein  hochanständiger  Charakter,  wie  wir  sehen  werden.  Vergleichen 
wir  daraufhin  einmal  Bandello  mit  Pietro  Aretino.  Beide  sind  Zeit- 
genossen, beide  lassen  es  an  Schmeicheleien  und  Aufmerksamkeit 
gegen  hohe  Herren  nicht  fehlen.  Damit  hört  aber  auch  jede  Ähn- 
lichkeit auf.  Aretino  benutzt  seine  Feder,  um  schnöde  Erpressung 
zu  treiben;  geht  es  mit  der  Kriecherei  nicht,  so  greif t  er  zur  Drohung, 
und  wird  selbst  diese  verachtet,  so  wirft  er  mit  Unflat.    Er  hat  einigen 


Matten  Bandello.  841 

selbst  bedeutenden  Männern  imponiert:  Tizian  hat  ihn  gemalt;  Gio- 
vanni delie  Bande  Nere  beehrte  ihn  mit  seiner  Freundschaft;  die 
Dichterin  Voronica  Gambara,  eine  edle  Natur,  liefs  sich  durch  ge- 
meine Verleumdungen  dieses  Revolverjournalisten  so  einschüchtern, 
dafs  sie  ihn  mit  demütigen  Zeilen  zu  versöhnen  suchte.  Bandello 
steht  für  solche  Gemeinheit  viel  zu  hoch,  wie  denn  auch,  eine  be- 
merkenswerte Thatsache,  der  Name  des  Pietro  Aretino,  des  Viel- 
gefürchteten  und  Vielgenannten,  in  allen  seinen  Novellen  und  Wid- 
mungen niemals  erwähnt  wird! 

Ein  Mann  wie  Bandello  droht  nicht,  erprefst  nicht;  im  Gegen- 
teil, seine  Ergebenheit  cjuillt  vielfach  aus  reiner  Dankbarkeit.  Denn 
er  ist  eine  tief  dankbare  Natur,  eine  Seltenheit  in  jener  Zeit  harter 
Eigenliebe.  Oft  genug  versichert  er  in  seinen  Widmungen,  dafs  er 
sich  so  gern  für  alles  Gute  erkenntlich  zeigen  möchte,  aber  leider 
nichts  geben  könne  als  die  unbedeutenden  Kinder  seines  Talents 
(z.  B.  1,  52.  59;  2,  12.  13.  15.  28).  Einmal  bittet  er  Gott,  er  möchte 
ihm  eine  Gelegenheit  zu  besserem  Dank  geben,  denn  für  undankbar 
will  er  nicht  gelten  (4,  24).  Und  wenn  Prospero  und  Pompeo  Colonna 
seinem  Vater  in  der  Verbannung  zu  Rom  ebenso  liebreich  und  hilf- 
bereit begegnen,  wie  ihm  selbst  so  oft,  und  den  alten  Mann  durch 
das  Lob  des  Sohnes  zu  trösten  suchen,  ein  Trost,  der  jedem  Vater 
der  liebste  ist,  ist  es  da  ein  Wunder,  wenn  der  dankbare  Sohn  dieses 
Lob  nicht  um  eine  Stadt  missen  möchte  und  sich  an  das  Haus  Colonna 
mit  solchen  Banden  der  Ergebenheit  und  Erkenntlichkeit  gefesselt 
fühlt,  dafs  er  erklärt,   auf  ewig  sein  Diener  sein  zu  wollen!  (1,  52.) 

Wo  Bandello  Liebe  sieht,  da  fühlt  er  Dankbarkeit,  und  diese 
Eigenschaft  wird  ihn  stets  dem  Herzen  eines  Deutschen  näher  bringen. 
Einmal  eilt  Urbano  Landriano  mitten  im  strengsten  Winter,  als  ganz 
Italien  in  Schnee  und  Eis  starrt,  auf  die  falsche  Nachricht  von  der 
Erkrankung  seines  Freundes  im  Fluge  von  Fermo  nach  Mantua. 
Mehr  bedarf  es  nicht  für  ihn,  um  diesen  Freund  auf  ewig  unauslösch- 
lich im  Herzen  zu  tragen  (3,  44). 

Wer  freigebig  mit  Lobsprüchen  ist,  erwartet  auch  zuweilen  von 
anderen  eine  freundliche  Anerkennung,  die  seiner  Eigenliebe  schmei- 
chelt. Das  ist  menschlich  und  wird  noch  verzeihlicher,  wenn  man 
aus  seiner  Schwäche  keinerlei  Hehl  macht.  Wieviel  Anerkennung 
konnte  Cicero  vertragen  und  sogar  einfordern,  wo  es  ihm  nicht  flott 
genug  ging!  Wieviel  schöne  Dinge  sagen  sich  in  seinen  Dialogen  die 
Mitglieder  des  Scipionischen  Kreises  ins  Gesicht!  Die  Italiener  des 
Cinquecento  waren  darin  nicht  minder  aufnahmefähig.  Eine  ihm  zu 
Ehren  verfafste  Elegie  empfängt  Bandello  mit  Freude  und  liest  sie 
wieder  und  immer  wieder.  'Wer  ist  so  stoisch  und  leidenschaftslos,  dafs 
ihm  sein  Lob  nicht  immer  teuer  wäre  und  er  es  nicht  mit  Vergnüfren 
hörte?  Keiner,  glaube  ich.  ...  Wenn  ich  das  nachgerühmte  Verdienst 
auch  nicht  besitze,  so  hat  mir  die  Anerkennung  aus  Ihrem  Munde  doch 


342  Matteo  Bändel lo. 

sehr  wohl  gethan'  (3,  56).  Besonders  wertvoll  ist  unserem  Verfasser 
die  Wertschätzung  Da  Portos,  eines  der  ersten  zeitgenössischen  Dichter 
in  seinen  Augen,  der  vor  zahlreichen  Edelleuten  in  Venedig  eine 
Kanzone  Bandellos  sehr  gerühmt  hat  (3,  23).  Solche  Freude  ist  ge- 
wifs  berechtigt. 

Einmal  bittet  ihn  Beccaria  um  genaue  Prüfung  der  Erzählung 
von  Amor  und  Psyche,  die  dieser  aus  dem  Lateinischen  übersetzt 
hat.  Bandello  übernimmt  den  Auftrag  bereitwillig  und  sendet  das 
Werk  mit  einigen  anerkennenden  Worten,  zugleich  aber  auch  mit 
eigenen  Bemerkungen  versehen  zurück,  zum  Beweise  dafür,  dafs  er 
Original  und  Übersetzung  gewissenhaft  verglichen  hatte  (1,  59).  Solche 
Recensentendienste,  die  zwar  sehr  ehrenvoll  waren,  aber  zugleich  viel 
Einsicht,  Wohlwollen  und  Takt  voraussetzten,  und  die  man  gewifs 
nicht  von  jedem  erbat  —  erwartete  doch  T.  Tasso  mancherlei  Ver- 
stimmung und  Kränkung,  weil  er  sein  Hauptwerk  vor  der  Veröffent- 
lichung aus  den  Händen  gegeben  hatte  — ,  pflegte  man  sich  damals 
unter  Freunden  zu  leisten,  und  Bandello  scheint  auch  in  dieser  Hin- 
sicht besonderes  Vertrauen  genossen  zu  haben. ' 

Auch  auf  seinen  Umgang  mit  der  vornehmen  Gesellschaft  und 
auf  die  Achtung,  die  er  bei  ihr  geniefst,  thut  sich  unser  Frate  etwas 
zu  gute.  Darum  sind  auch  viele  seiner  Widmungen  an  Vornehme  ge- 
richtet, worin  der  Verfasser  genau  von  den  gegenseitigen  Beziehungen 
spricht  und  auch  wohl  offen  seine  Freude  zeigt,  dafs  er  hohe  Namen 
an  die  Spitze  und  neben  den  seinen  setzen  kann.  Die  Welt  soll  sehen, 
dafs  seine  Gönner  ihm  Wohlwollen  erzeigen,  aber  auch,  dafs  er  gegen 
sie  nicht  minder  entgegenkommend  ist  (3,  18). 

Vielleicht  könnte  es  auf  den  ersten  Blick  auffallen,  dafs  Ban- 
dello, mehr  Hofmann  als  Mönch,  mehr  Diplomat  als  Novellist,  so 
viel  Wert  auf  eine  Elegie  legt,  wie  oben  erzählt  ist.  Aber  trotz- 
dem ihm  das  Hofleben  ein  äufseres  Bedürfnis  geworden,  bleibt  er 
seinen  Neigungen  nach  ein  echter  Gelehrter,  dem  seine  Bücher  über 
alles  gehen.  Als  er  einmal  Sonette  und  ein  reizendes  Madrigal  er- 
halten hat,  liest  er  es  unterwegs  wieder  und  wieder,  und  je  mehr 
er  es  liest,  desto  mehr  wächst  sein  Verlangen,  es  zu  lesen.  Ebenso 
ergeht  es  seinem  Freunde  Emilj  (1,  12).  Ein  neues  Gedicht  über 
den  Gardasee  verschlingt  er  erst  im  ganzen,  fängt  dann  mit  mehr 
Mufse  wieder  von  vorn  an  und  kostet  es  nun  Zeile  für  Zeile  aus. 
Lieblich,  rund,  angenehm  und  —  zahlreich  nennt  er  die  Verse;  also 
auch  die  Menge  ist  von  Belang  (2,  58).  Wer  könnte  diese  harmlose 
Freude  eines  Gelehrten  nicht  mitempfinden!    Bei  einer  solchen  Nei- 


"  '  Martin  Agrippa,  von  dem  wir  sonst  wenig  wissen  —  er  scheint  zum 
Mailänder  Kreise  Bandellos  gehört  zu  haben  und  erzählt  Novelle  3,'35  — , 
bekennt,  dals  es  ihm  an  Geduld  für  seine  eigenen  Arbeiten  fehle,  dafs  er 
daher  alles  nur  kurze  Zeit  unter  den  Händen  habe  und,  ohne  es  wieder- 
zusehen, dem  Urteile  Bandellos  und  Celios  überlasse.  Vgl.  Giom.  Stör.  34, 53. 


Matten  Baadello.  848 

gung  für  die  schönen  Wissenschaften  verstehen  wir  Bandellos  grofsen 
Schmerz  über  die  Einbufse  an  Handschriften,  Wörtersaniinlungen, 
Gedichten  und  Erzählungen,  die  er  bei  der  Plünderung  Mailands  im 
Jahre  1525  erlitt.  Mehr  als  den  Verlust  des  väterlichen  Erbes  be- 
dauert er  auch  die  Notwendigkeit,  seine  Studien  aufgeben  zu  müssen. 

Den  Charakter  Bandellos  verdirbt  die  Politik  nicht:  er  ist  und 
bleibt  ein  trefflicher  Freund  seiner  Freunde.  Er  pflegt  alle  Ver- 
bindungen mit  Liebe  und  feiner  Empfindung.  'Ein  wahrer  Freund 
ist  sehr  selten  zu  finden!'  So  bemerkt  er  selbst,  vielleicht  mit  stil- 
lem Selbstgefühl  (2,  40).  Zum  Zeichen  gegenseitiger  Freundschaft 
widmet  er  zahlreiche  Novellen  (z.  B.  2,  6;  2,  17;  2,  56),  in  denen 
er  gemeinsam  verlebter  Zeiten  gedenkt.  Keine  räumliche  Trennung, 
keine  Länge  der  Zeit  erschüttert  seine  Anhänglichkeit;  er  ist  und 
wird  immer  sein,  der  er  war,  solange  er  lebt;  er  trägt  die  Freunde 
im  Herzen,  er  rühmt  ihre  Tüchtigkeit,  wenn  von  ihnen  gesprochen 
wird  (2,  8;  2,  28).  Seinen  Freund  Landriano  wird  er  erst  vergessen, 
wenn  er  sich  selbst  vergessen  kann,  denn  er  hat  gesehen,  wie  ihn 
dieser  geliebt  hat  (3,  44).  Einen  verwundeten  Obersten  besucht  er 
aus  Freundschaft  jeden  Tag  zweimal  (4,  26).  Als  ihn  sein  alter 
Freund  Filippo  Baldo  in  Bassens  besucht  und  längere  Zeit  von  seiner 
Gönnerin  Costanza  Rangona  dort  behalten  wird,  da  ist  der  siebzig- 
jährige Mann  vor  Freude  aufser  sich.  Schon  vor  zweiundzwanzig 
Jahren  waren  beide  auf  einer  denkwürdigen  Hochzeit  zu  Ferrara, 
seitdem  haben  sie  alle  beide  viel  Not  erfahren,  darum  ist  die  Freude 
des  Wiedersehens  doppelt  (2,  44). 

Die  Freunde  seiner  Freunde  sind  auch  die  seinigen,  und  wo 
unser  warmherziger  Frate  lieben  will,  da  liebt  er  schnell.  Bianchetto 
hat  er  eher  geliebt  als  gekannt,  da  Costanza  Rangona  ihn  so  un- 
ermüdlich gerühmt  hat.  Nach  kurzer  Bekanntschaft  findet  er  ihn 
noch  weit  gediegener,  als  er  vermutet  hatte  (3,  68).  Jugendlichen 
Freunden  läfst  er  gern  seine  väterlichen  und  wohlgemeinten  Rat- 
schläge zu  teil  werden.  So  dem  jungen  Ettore  Fregoso,  dem  Sohn 
seiner  Beschützerin  zu  Bassens,  dem  König  Franz  I.  wegen  der  hohen 
Verdienste  des  Vaters  schon  früh  das  Bistum  Agen  zugesichert  hatte, 
das  er  nach  Bandellos  Tode  antreten  sollte.  'Einem  jungen  Manne, 
besonders  wenn  er  zum  Geistlichen  bestimmt  ist,  steht  es  wohl  an, 
milde  und  gütig  zu  sein  wie  unser  Heiland,  von  dem  wir  lernen 
sollen.'  Namentlich  solle  er,  zumal  wenn  er  in  höhere  Stellen  kommt, 
gegen  Sünder  nachsichtig  sein  (2,  49).  Gewifs  eine  richtige  und  wohl- 
meinende Lebensregel   im  Munde  eines  ehrwürdigen  Ordensbruders. 

Der  einzige  Punkt,  in  dem  Bandello  Empfindlichkeit  zu  kennen 
scheint,  ist  Nachlässigkeit  im  Briefwechsel.  Er  selbst  ist  ein  eifriger 
und  treuer  Briefschreiber  und  deshalb  ungehalten  gegen  alle,  die 
seine  Aufmerksamkeit  nicht  genügend  erwidern.  Empfindet  er  doch 
den  Briefwechsel  als  eine  der  gröfsten  Annehmlichkeiten  des  Lebens. 


344  Matteo  Bandello. 

Ganz  die  Anschauung  der  brieffrohen  Zeit  von  Petrarca  bis  zu  un- 
seren Klassikern!  'Unendliche Vorteile  und  aufserordentlichen  Nutzen 
und  Vergnügen  geben  die  Briefe  den  Sterblichen,  und  wieviel  Gutes 
stiften  sie!  Lob  und  Preis  dem,  der  die  Briefe  erfand!'  Dies  Ban- 
dellos eigene  Worte  (3,  61).  Er  selbst  steht,  wie  gesagt,  im  Brief - 
schreiben  seinen  Mann.  'Glauben  Sie  vielleicht,  weil  Sie  sich  in 
Italien  aufhalten  und  ich  hier  in  Aquitanien  sitze,  dafs  ich  Sie  ver- 
gessen hätte  und  meine  Briefe  nicht  über  die  Alpen  zu  kommen  und 
Sie  zu  finden  wüfsten !'  ruft  er  vorwurfsvoll  einem  Mitgliede  der 
Familie  Gonzaga  zu  (3,  61).  Als  er  ein  andermal  von  Camilla  Gon- 
zaga  auf  drei  Briefe  keine  Antwort  erhalten  hat,  da  tadelt  er  sie 
ernstlich  zu  Anfang  einer  Widmung  an  sie  (1,  7),  also  ein  Vorwurf 
mit  einer  Ehrung  zugleich ;  zu  gröfserer  Strenge  ist  sein  weiches  Herz 
nicht  fähig.  Freilich  übersieht  der  gute  Bandello  in  diesem  Falle 
vollständig,  dafs  seine  junge  Freundin  sich  vor  kurzem  verheiratet 
hat  und  ein  würdiger  Frate  neben  einem  geliebten  Ehemann  doch 
leicht  vergessen  wird.  Als  aber  dann  endlich  ein  Brief  mit  einer 
triftigen  Entschuldigung  anlangt  und  so  voller  Höflichkeit,  da  ist. 
er  gleich  ausgesöhnt  und  erklärt,  jede  Woche  zehn  Briefe  schreiben 
zu  wollen,  wenn  er  für  je  drei  immer  eine  so  schöne  lange  Antwort 
erhalte  (1,  7).  Eine  gute  Seele,  leicht  zufrieden  und  durch  ein  freund- 
liches Wort  gleich  versöhnt.  Aber  zugleich  aufrichtig  und  nicht  im 
Stande,  Meinungsverschiedenheiten  und  Regungen  berechtigten  Un- 
willens zu  unterdrücken  (1,  37;  1,  39).  Die  Bitte,  eine  erzählte  No- 
velle niederzuschreiben,  pflegt  er  zwar  nicht  abzuschlagen,  aber  er 
läfst  auch  durchblicken,  dafs  er  es  nur  ungern  thut,  wenn  ihm  der 
Stoff"  nicht  pafst  (3,  52).  Wagt  er  nicht,  einer  vornehmen  Gonzaga 
ins  Gesicht  seine  abweichende  Meinung  auszudrücken,  so  macht  er 
ihrem  Herrn  Gemahl  die  Vorstellung  und  widmet  ilim  eine  Novelle, 
worin  seine  Auffassung  aufs  hellste  beleuchtet  wird.  Weifs  er  doch 
ganz  genau,  dafs  die  Signora  sie  lesen  wird;  sie  mag  sich  dann  ihr 
Teil  denken.  Aber  heimlich  in  einer  Ecke  stehen  und  sie  beobachten, 
das  möchte  er  dann! 

Hier  sehen  wir  Bandellos  Zurückhaltung  gegen  eine  Frau;  aber 
auch  seine  Bescheidenheit  im  allgemeinen  ist  rührend.  Seine  Stel- 
lung grofsen  Herreu  gegenüber  kennen  wir.  Seine  Niedrigkeit  kann 
sich  mit  der  Höhe  z.  B.  eines  Colonna  nicht  vergleichen.  Er  ist  ohne 
Besitz  und  kann  ihnen  für  Wohlthaten  nur  danken  wie  der  arme 
Bauer,  der  seinem  Herrn  in  der  Stadt  ein  paar  Köpfe  Lauch  und 
Zwiebel  bringt,  oder  der,  wenn  er  vor  Gottes  Altar  nicht  Myrrhen 
und  Weihrauch  hat,  ein  paar  Gräser  und  Blumen  opfert  (1,  30; 
1,  52).  Erhält  er  leckere  Geschenke  von  einem  Kaufherrn,  so  meint 
er  wohl,  sie  schickten  sich  besser  für  einen  grofsen  Mann  als  für 
seinesgleichen  (4,  24). 

Unser  Novellenerzähler  denkt  auch  nicht  daran,  sich  mit  Grofsen 


Matteo  Bändel  lo.  845 

der  italienischen  T^itteratur  wie  Boccaccio  oder  dem  Verfasser  des  Cor- 
tegiano  auf  gleichen  Fufs  zu  stellen  (1,  44 ;  4,  24),  ja  sein  Erzählungs- 
talent dünkt  ihm  zuweilen  klein  gegen  das  eines  Freundes  (z.  B.  1,  22). 

Mehr  als  irgendwo  anders  erkennen  wir  nündich  Bandellos  Be- 
scheidenheit in  seinem  Urteil  über  sich  selbst  und  die  Kinder  seines 
Talents.  Sein  Gesamturteil  über  sich  lautet  nicht  eben  schmeichel- 
haft: 'Das  Feld  meines  schwachen  Geistes  ist  so  unfruchtbar,  dafs 
es  sehr  wenig  hervorbringt,  und  dies  wenige  ist  so  schlecht  geraten, 
so  niedrig  und  formlos,  dafs  ich  lediglich  aus  reinem  Mangel  an 
Besserkönnen  meinen  werten  Gönnern  von  diesen  Früchten  meines 
jetzt  so  dürren  Ackerlandes  vorsetzen  mufs'  (2,  37).  Öfter  nennt  er 
seine  Novellen  ein  Gefasel  (2,  An  die  Leser;  2,  40),  seine  Phantasie 
heifst  schwach  und  grofser  Dinge  kaum  fähig  (3,  17),  sein  Talent 
aus  sich  selbst  unbedeutend,  lahm,  wenig  erfinderisch  (2,  46),  sein 
Wissen  gering  (1,  1);  sich  selbst  nennt  er  einen  Menschen  von  nie- 
driger Abkunft,  dem  nur  wenig  Achtung  zukommt  (2,  40);  ja  einmal 
(juälen  ihn  solche  Zweifel  über  sich,  dafs  er  ausruft,  die  Finsternis 
hätte  das  schwache  Licht  seines  Litellekts  überschattet,  er  sehe  keinen 
festen  Grund  unter  den  Füfsen  und  glaube  fast,  das  bifschen  Wissen 
sei  eitel  und  könne  ihm  wenig  helfen  (2,  4G).  Im  Feldlager  bei  Mai- 
land aufgefordert,  auch  einige  Verse  zum  besten  zu  geben,  thut  er 
es  mehr,  um  nicht  abzulehnen,  als  weil  er  geglaubt  hätte,  irgend  eins 
seiner  Gedichte,  die  er  niedrig  und  fade  nennt,  dürfte  sich  mit  den- 
jenigen des  anwesenden  Bernardo  Tasso  vergleichen  (1,  43).  Nur 
einmal  schreibt  er  seiner  Schülerin  Lucrezia  Gonzaga,  sie  werde 
sehen,  wie  er  sich  anstrengen  werde,  sie  unsterblich  zu  machen;  aber 
viel  bescheidener  lautet  wieder  der  Schlufs :  wenn  ihm  doch  die  Kräfte 
fehlen  sollten,  hätte  er  wenigstens  seinen  guten  Willen  gezeigt  (2,  21). 

So  wenig  unser  Autor  als  Kritiker  aus  sich  selber  macht,  so 
viel  mehr  aus  anderen.  Hier  scheint  ihm  das  Herz  gelegentlich 
durchzugehen.  Die  Verse  der  'Dichterin'  Margarete  Pelletta,  Gräfin 
von  Deciane,  hat  er  immer  wieder  gelesen;  sie  sind  schön,  sauber, 
angenehm,  elegant  und  sehr  gefeilt,  voll  reiner,  natürlicher,  lieblicher 
Beredsamkeit,  ohne  Geziertheit,  ein  Teil  ihres  Geistes  (3,  1 7).  Den 
Stefano  Dolcino  beneidet  er  um  sein  unversiegbares,  anmutiges  Talent 
in  der  Beherrschung  des  Lateins;  die  besten  Sachen  gelingen  ihm 
und  werden  seinen  Ruhm  bis  ans  Ende  der  Welt  sichern,  gleicht  er 
doch  Cicero  als  Prosaschriftsteller  und  Phoebus  als  Dichter I  (2,  58.) 
Auch  über  andere  Dichter  und  Dichterinnen  seiner  Zeit  urteilt  er 
mit  ähnlichem  unbeschränktem  Wohlwollen.  Neid  auf  gröfsere  Be- 
gabung und  rauschendere  Erfolge  anderer  scheint  ihm  völlig  fern 
gelegen  zu  haben. 

Durch  scharfe  Kritik  oderMeinungsäufserung  andere  zu  kränken, 
sucht  Bandello  möglichst  zu  vermeiden.  Bei  zweifelhaften  Dingen 
ergreift   er  keine   feste  Partei   und   hilft   sich   mit  Wendungen:   'sieb 


346  Matteo  Bandello. 

judke  lis  est'  oder  'das  müssen  die  Herren  Doktoren  mit  den  Gesetz- 
büchern entscheiden'  (3,  60).  Ein  verträglicher,  ehrbarer,  aber  kein 
starker  Charakter.  Diese  Milde  ist  aber  nicht  äufserlich,  sondern 
liegt  tief  im  Wesen  Bandellos,  sonst  müfsten  wir  Spuren  von  Schaden- 
freude und  Rachsucht  finden,  Eigenschaften,  die  ja  nach  Ort  und 
Zeit  erklärlich  wären.  Aber  aufser  gegen  einen  unwürdigen  Ver- 
leumder, einen  Erzdekan,  läfst  unser  Mönch  sich  nie  ein  Wort  des 
Rachegefühls  entschlüpfen.  Diesem  'arcifanfano'  jedoch  wünscht  er 
etwas  ganz  Schlimmes,  nämlich  ein  langes  Leben  zu  seiner  gröfseren 
Qual.  Denn  keine  gröfsere  Strafe  giebt  es  für  einen  bösen  Neiding, 
als  zu  sehen,  wie  es  anderen  gut  und  täglich  besser  geht.  Das  quält 
ihn  mehr  als  der  Tod  (3,  42). 

Gegen  die  Gebrechen  der  Geistlichkeit,  seines  Standes,  ist  der 
Zögling  von  S.  Maria  delle  Grazie  überhaupt  nicht  blind  und  geifselt 
sie  in  mehreren  seiner  köstlichsten  Erzählungen  mit  der  schärfsten 
Satire.  Namentlich  die  ewigen  Nebenbuhler  der  Dominikaner,  die 
Franziskaner,  kommen  schlimm  weg  und  sehen  die  Einfalt,  den  Geiz 
und  den  Aberglauben  einzelner  räudiger  Schafe  deutlich  an  den. 
Pranger  gestellt  (3,  10.  12.  U.  28  NN.).  Doch  trifft  er  auch  hier 
nie  persönliche  Feinde,  sondern  unwürdige  Ordensleute,  Mitglieder 
eines  Standes,  den  er  zu  heben  sucht.  Geiz  und  Unkeuschheit  hafst 
er,  besonders  an  Geistlichen,  doch  auch  allgemein  trifft  er  Wollust 
und  Umgang  mit  Kurtisanen  mit  scharfem  Tadel. 

Dafs  Bandello  selbst  einem  regellosen  Liebesleben  ergeben  ge- 
wesen sei,  ist  völlig  aus  der  Luft  gegriffen,  und  Ginguenes  Behaup- 
tung, unser  Frate  hätte  in  hohem  Ansehen  gestanden  trotz  seiner  Lieb- 
schaften und  Novellen,  ist  zwar  im  ersten  Teil  wahr,  wie  wir  gesehen 
haben,  im  zweiten  aber  völlig  willkürlich  und  unbewiesen.  Wenn 
Bandello  auch  einmal  erwähnt,  seine  Vorfahren  hätten  den  Frauen 
sehr  gehuldigt,  und  dafür  sogar  eine  Geschichte  erzählt,  so  deutet  er 
doch  an  keiner  Stelle  seiner  Novellen  an,  dafs  er  selbst  Versuchungen 
des  Fleisches  ungewöhnlich  oft  ausgesetzt  oder  erlegen  sei. '  Wir 
wissen  von  seiner  kurzen  Neigung  zu  Violante  Borromeo  zu  Florenz 
im  Jahre  1505;  doch  stirbt  Violante  schon  ein  Jahr  darauf.  Eine 
Widmung  an  sie  (1,  18)  enthält  warme  Wünsche  für  ihre  Zukunft  und 
ernst  gemeinte  Ermahnungen ;  der  junge  Autor  steht  noch  unter  dem 
Eindruck  seiner  tiefreligiösen  Zeit  zu  Genua.  Seine  Liebe  zu  der 
'Mencia'  in  Mantua  umfafst  nach  Morellini  etwa  zwölf  Jahre,  von 
1515 — 1527;  sie  bleibt  völlig  einseitig  und  unerwidert.   Aus  den  zahl- 


'  Zu  Masis  Behauptung:  'Ckrto  ü  Bandello  a  piü  riprese  s'accusa 
egli  stesso  ed  in  recchiaia  dimostra  pentito  dei  suoi  trascorsi  galanti'  (E.  M., 
Vita  italiana  in  uu  novelliere  del  cinqueceuto  in  der  Xuova  Antologia  vom 
l./lti.  Oktober  und  1.  November  1892)  sind  die  Belege  leider  nicht  an- 
geführt. —  Für  die  Reinheit  des  Verhältnisses  zu  Lucrezia  tritt  übrigens 
auch  Masi  entschieden  ein. 


Matteo  Randello.  347 

reichen  Gedichten  an  sie  wird  dein  anrien  Frate  ja  wohl  kein  Vor- 
wurf zu  machen  sein,  haben  doch  auch  andere  Dichter  eine  oder  meh- 
rere Geliebte  besungen  und  zählen  deshalb  gleichwvhl  zu  den  Klas- 
sikern. Von  der  Reiidieit  seines  Verhältnisses  zu  Lucrezia  Gonzaga 
habe  ich  schon  gesprochen.  Er  dichtete  die  'Elf  Gesänge'  für  ihre 
Unsterblichkeit,  aber  die  Verse,  ganz  im  Geiste  des  Petrarchismus 
geschrieben,  enthalten  mehr  Notizen  über  den  Verfasser  und  alle 
möglichen  Personen  als  Verherrlichung  oder  gar  Anbetung  der  guten 
Lucrezia,  für  die  auf  diese  Weise  'wenig  genug  übrigbleibt',  wie 
Morellini  ausdrücklich  erwähnt.  Der  ganze  Ton  seiner  Widmungen 
und  die  Ehrfurcht,  in  der  unser  Mönch  mit  dem  Hause  Gonzaga 
verkehrte,  sollten  ihn  hier  vor  jedem  Verdachte  schützen.  Im  an- 
deren Falle  wäre  er  ja  mit  fast  sechzig  Jahren  der  gemeinste  Ver- 
führer in  der  Familie  seiner  Wohlthäter  geworden  und  Lucrezia  selbst 
mit  Blindheit  geschlagen  gewesen:  sehr  gewagte,  unmögliche  An- 
nahmen, zumal  wenn  man  bedenkt,  dafs  italienische  Eltern  oder 
deren  Stellvertreter  für  die  Hut  ilirer  Töchter  ungemein  scharfe 
Augen  zu  haben  pflegen. 

Zum  Sclilusse  noch  ein  Wort  über  Bandellos  Liebe  zur  Natur. 
Auf  seinen  Reisen  und  Ritten  denkt  er  nicht  blofs  an  seine  vielfachen 
diplomatischen  Aufträge,  sondern  gewahrt  auch  die  AVirklichkeit  der 
Umgebung.  Hübsch  ist  die  Schilderung  seines  Rittes  durch  den 
Pinienwald  am  Wege  nach  Cervia  an  der  Adria  (2,  59).  Grofses 
Vergnügen  macht  es  allen  Beteiligten,  die  zahllosen  fast  wilden 
Herden  im  Walde  grasen  zu  sehen  und  den  Kunstgrifi'  zu  beobachten, 
wie  auch  die  härtesten  Pinienkerne  vermittels  Feuer  aus  den  Zapfen 
hervorgeholt  werden.  Leider  verrät  uns  Bandello  diesen  KunstgrifT 
nicht,  der  vielleicht  nur  das  gewöhnliche  Verfahren  darstellte;  ebenso- 
wenig, warum  er  den  Rat  giebt,  bei  grol'sem  Sturme  nicht  in  jenem 
Walde  zu  gehen.  Vielleicht  brachte  die  Unzahl  der  fallenden  Zapfen 
Gefahr.  Seine  Verwunderung  erregt  auch  die  grofse  Anzahl  Land- 
und  SeeschildkriUen  von  bestem  Geschmack  und  w'underbarem  Um- 
fang, eine  darunter  gröfser  als  der  gröfste  Rundschild  eines  Fufs- 
soldaten.  Auch  die  schöne,  grüne,  schattige  Wiese,  wo  zu  Abend 
gegessen  werden  soll,  erregt  sein  Entzücken.  Die  ausgedehnte  Salz- 
gewinnung in  Cervia  erwähnt  er  noch  besonders.  Ein  andermal  ruft 
ein  sehr  schciner  und  fruchtbarer  Olivenhain  mit  einer  sprudelnden, 
frischen,  klaren  Quelle,  die  aus  einem  nahen  Felsen  hervorspringt, 
seine  helle  Freude  hervor  (1,  41).  Wasser  und  Schatten  sind,  wie 
zu  Boccaccios  Zeiten,  auch  später  und  jetzt  noch  die  Freude  des 
Italieners;  ihre  erquickende  Frische  wird  Bandello  nie  müde  zu 
preisen,  besonders  wenn  er  die  prächtigen  Landsitze  der  italienischen 
Grofsen   bei  Mantua,   am  Gardasee  und  in  der  Lombardei   schildert. 

Gewifs,  alles  dies  sind  kleine,  unbedeutende  Notizen  an  sich, 
wenn  man  will,  aber  wertvoller,  wenn  man  bedenkt,  dafs  der  Mann, 


348  Matteo  Bandello. 

der  sie  erwähnt,  doch  in  einer  ganz  anderen  Welt  lebt,  aber  hier 
durch  seine  liebevolle  Aufzeichnung  bekundet,  wie  ihm  auch  das 
Kleinste  in  der  Natur  der  Beachtung  wert  ist. 

Fassen  wir  noch  einmal  alle  Einzelheiten  zu  einem  Gesamtbilde 
zusammen.  Gewifs  war  Bandello  ein  Mensch  von  seltenem  Takt, 
dafs  er  auf  dem  glatten,  für  viele  so  verhängnisvollen  Parkett  der 
Höfe  während  so  langer  Jahre  niemals  ausglitt.  Haltung,  Laune, 
Plauderton,  Erzählungstalent,  diplomatisches  Geschick,  körperliche 
Küstigkeit,  alles  mufs  diesem  Manne  von  einfacher  Herkunft,  diesem 
Gelehrten  im  unscheinbaren  Mönchsgewande,  in  hervorragendem 
Mafse  zu  Gebote  gestanden  haben,  dafs  er  sich  unter  seinesgleichen  wie 
unter  den  Grofsen  dieser  Welt  gleich  gut  zu  behaupten  wufste.  Und 
das  in  dem  Zeitalter,  da  der  Cortegiano  verfafst  wurde  und  die 
Kunst  des  Hofmanns  zu  den  angesehensten,  aber  auch  zu  den  schwie- 
rigsten gehörte.  Aber  nie  hören  wir  von  Verstöfsen  gegen  den  guten 
Ton,  nie  von  Vorwürfen  über  sein  Verhalten;  nie  war  er  auch  die 
Zielscheibe  des  Spottes,  damals  so  leicht  das  Schicksal  minderwertiger 
Hofleute.  Bandello  scheint  sogar  wenig  Feinde  gehabt  zu  haben,- 
da  er  von  Charakter  mafsvoll  und  ruhig  war,  unnötige  Angriffe  ver- 
mied und  selbst  seinen  Tadel  in  die  mildeste  Form  kleidete.  Im 
Stiche  gelassen  wurde  er  nur  von  dem  Herzog  Maximilian  Sforza, 
zu  dessen  treuesten  Anhängern  er  gezählt  hatte;  sonst  blieben  ihm 
die  hohen  Gönner,  die  sich  gelegentlich  fast  um  ihn  rissen,  auch  im 
AVandel  der  Verhältnisse  getreu.  Ein  seltener  Fall,  damals  und  zu 
allen  Zeiten,   da  auf  Herrengunst  von  jeher  wenig  Verlafs  war. 


Zweites  Kapitel. 

Bandellos   Novellistik. 

Nach  Bandellos  Ansicht  ist  es  eine  Pflicht  des  Schriftstellers, 
bemerkenswerte  Thaten  und  Vorfälle  seiner  Zeit  zum  Nutzen  der 
Mit-  und  Nachwelt  zu  verzeichnen  (2,  7).  Diese  Aufgabe  verstand 
das  Altertum  wohl,  und  die  Autoren  der  Griechen  und  Römer  werden 
deshalb  höchlich  von  ihm  gerühmt.  Aber  anders  zur  Zeit  des  Cinque- 
cento. Es  fehlt  zwar  keineswegs  an  hervorragenden  Thaten,  die  wert 
sind,  dem  Andenken  der  Nachwelt  überliefert  zu  werden,  aber  nie- 
mandem fällt  es  ein,  sich  mit  der  Aufzeichnung  von  Tagesereignissen 
zu  befassen.  Infolgedessen  gehen  viele  und  schöne  witzige  Aussprüche 
verloren,  und  viele  und  denkwürdige  Thaten  bleiben  im  Dunkel  der 
Vergessenheit  begraben.  Eine  gewisse  Entschuldigung  für  diese  Ver- 
säumnis liegt  allerdings  darin,  dafs  an  guten  Schriftstellern  über- 
haupt Mangel  herrscht,  ein  Mangel,  den  Geiz  und  allgemeine  Ver- 
dorbenheit, eine  Folge  der  zahlreichen  schrecklichen  Kriege,  die  Italien 
so  lange  verheert  haben,    nur  zu  gut  erklären.    Scheinen   doch  in 


Matteo  Bandello.  349 

Wahrlieit  die  Musen  bei  den  wilden  Tönen  der  Trommeln,  Trom- 
peten und  der  Artillerie  bis  auf  die  äufserste  Spitze  des  Parnasses 
entflohen  zu  sein!  (3,  24.) 

Nichtsdestoweniger  findet  Bandello  es  tief  beklagenswert,  dals 
seine  Zeitgenossen  so  wenig  Gefallen  daran  finden,  hervorragende 
Tagesereignisse  aufzuzeichnen.  Einmal  weil  er  es  für  eine  durchaus 
würdige  Beschäftigung  hält,  und  ferner  weil  die  Leser  eine  gute  Be- 
lehrung durch  solche  Schriften  erhalten.  Jeder  Tag  ist  so  reich  an 
Vorfällen,  besonders  an  solchen  auf  dem  Gebiete  der  Liebe,  wie  er 
mit  einem  Fingerzeig  hinzufügt;  die  guten  Beispiele  müssen  doch  zur 
Nachahmung  anfeuern,  den  Leser  bessern,  seine  Fehler  verringern, 
seine  guten  Seiten  stärken,  die  bösen  dagegen  zur  Warnung  dienen 
und  abschrecken.  In  Nov.  2,  24  betont  er  entschieden,  dafs  der 
normannische  Edelmann  und  seine  Gattin  sich  klüger  in  ihrer  Lage 
benommen  haben  würden,  wenn  sie  die  Erzählung  des  Dekameron 
von  Agilulf  (3,  2)  gekannt  hätten. 

Lassen  wir  unerörtert,  ob  Bandellos  Auffassung  von  der  Schrift- 
steilerei  noch  der  unsrigen  entspricht,  und  ob  die  Mehrzahl  unserer 
Erzählungen  in  jenem  erzieherischen  Sinne  geschrieben  werden,  der 
dem  fleil'sigen  Novellisten  des  Cinquecento  vorschwebt.  Er  selbst, 
das  ist  unbestreitbar,  spricht  seines  Herzens  ehrliche  Meinung  aus. 
Auch  tadelt  er  seine  sonst  sehr  verehrte  Freundin,  die  Dichterin 
Cainilla  Scarampa,  dafs  sie  einen  denkwürdigen  Vorfall  aus  der  Ge- 
schichte ihrer  eigenen  Familie  nicht  irgendwie  in  ihren  Gedichten 
verwendet  und  der  Erinnerung  überliefert  habe  (1,  13).  Er  erzählt 
dann  diesen  Vorfall  selbst.  Unter  seinen  214  Novellen  sind  mehr 
als  die  Hälfte  der  Tagesgeschichte  oder  der  der  letzten  fünfzig  Jahre 
entnommen.  Wieviel  sie  damals  auf  die  Erziehung  der  Zeitgenossen 
gewirkt  haben,  läfst  sich  nicht  feststellen,  da  es  an  Zeugnissen 
darüber  fehlt;  für  uns,  für  die  Nachwelt  bilden  sie  aber  einen  Schatz 
von  unendlichem  Werte.  Wir  finden  in  ihnen  ein  Abbild  des  ita- 
lienischen Lebens  jener  Zeit,  so  treu,  so  reich  und  so  anziehend,  wie 
es  keinem  Historiker,  keinem  Maler,  keinem  Dichter,  ja  auch  keinem 
anderen  Novellenschreiber  auch  nur  entfernt  geraten  ist. 

Längere  oder  kürzere  Erzählungen,  schon  früh  'Novelle'  genannt, 
wurden  von  jeher  in  Gesellschaft  hoher  und  niedriger  Italiener  gern 
erzählt  und  gehört.  Nicht  umsonst  kommt  Boccaccio  auf  den  Ein- 
fall, sich  hinter  zehn  Erzählern  zu  verstecken.  Noch  naturgetreuer 
sehen  wir  im  Paradiso  degli  Albcrti,  wie  die  Vornehmen  im  Trecento 
auf  ihren  reichen  Landsitzen  nicht  nur  das  Besprechen,  Beraten,  Er- 
wägen, sondern  auch  die  reine  Erzählung,  ja  die  Fabel  lieben  und 
pflegen.  Nicht  anders  hundert  und  hundertundfünfzig  Jahre  später. 
Ein  flotter  Erzähler  von  Anekdoten  und  Geschichten,  besonders  wenn 
er  einen  grofsen  Vorrat  auf  Lager  hatte,  war  an  Fürstenhöfen  und 
Edelsitzen  so  gern  gesehen  wie  früher  (vgl.  2,  3;  2,  49/50;  2,  31;  1,  37). 


350  Matteo  Bandello. 

Bandello  selbst  hat  unzweifelhaft  die  grofse  Beliebtheit,  deren 
er  sich  überall  erfreute,  zu  einem  guten  Teil  seinem  hübsehen  Talent 
zu  verdanken,  lehrreiche  und  nette  Geschichten  nicht  nur  schriftlich 
in  eine  gefällige  Form  zu  bringen,  sondern  auch  mündlich  wirkungs- 
voll zu  erzählen.  Und  nicht  nur  in  Herrenkreisen  fanden  solche 
gewandten  Plauderer  Anklang,  auch  die  Frauen  liefsen  sich  gern 
von  ihrem  Talent  ergötzen,  ja  baten  wohl  auch  als  liebende  Ehe- 
gattinnen einen  der  Anwesenden,  der  die  Feder  zu  führen  wufste, 
für  den  abwesenden  Gemahl  einen  lustigen  Schwank  aufzuzeichnen 
(2,  3).  Entschieden  galt  eine  hübsch  erzählte  Geschichte  in  jenen  hei- 
teren Tagen  der  Renaissance  mehr  als  in  unserer  raschlebigen  Zeit, 
die  für  den  feineren  Genufs  keine  Mufse  mehr  findet,  ja  selbst  von 
den  wichtigsten  Dingen  am  liebsten  im  Depeschenstil  Kenntnis  nimmt. 

Schon  die  älteste  Sammlung  italienischer  Erzählungen  führt  den 
Titel  Cento  Novelle  antiche.  Bei  Boccaccio,  Sacchetti,  Sercambi,  den 
berühmtesten  Vorgängern  Bandellos,  finden  wir  die  Bezeichnung  No- 
vellen, teils  als  Titel  ihrer  Schriften.  Der  Verleger  Busdrago  zu 
Lucca,  bei  dem  Bandello  seine  Geschichten  erscheinen  liefs,  be- 
zeichnet diese  in  seinem  Widmungsbrief  vom  1.  April  1554  als  casi 
oceorsi,  raccolti  dal  Bandello. 

Unser  Verfasser,  der  sich  in  seinen  Widmungen  gern  und  er- 
giebig über  seine  schriftstellerische  Thätigkeit  ausläfst,  erläutert  den 
Begriff  der  Novelle  f olgendermafsen :  'Novellen  werden  erzählt  (oder 
sollten  wenigstens  erzählt  werden),  wie  sie  sich  ereignen,  ohne  Ver- 
änderung des  Gegenstandes;  höchstens  darf  man  sie  zur  Verschöne- 
rung mit  einem  leichten  Farbenton  übergehen'  (2,  10).  Ein  andermal 
seheint  ihm  sogar  noch  diese  leicht  bessernde  Hand  zu  viel,  denn  er 
sagt  ganz  bündig:  diese  meine  Novellen  sind,  wenn  anders  ich  von 
meinen  Gewährsmännern  nicht  getäuscht  bin,  keine  Fabeln,  sondern 
wirkliche  Geschichten,  und  alle,  die  ich  geschrieben  habe  und  noch 
schreiben  werde,  sind  und  werden  in  der  Art  geschrieben  werden, 
wie  sie  die  Erzähler  berichtet  haben  (2,  11). 

Dafs  an  dem  Ernste  dieser  seiner  Erklärung  nicht  zu  zweifeln 
ist,  sieht  man  schon  an  der  Art  und  Weise,  wie  Bandello  .seine  No- 
vellen einführt.  Er  läfst  sie  stets  von  anderen  erzählen,  und  zwar 
von  Personen,  die  wirklich  gelebt  haben  und  nicht  etwa  erfunden 
sind.  Dies  geht  aus  den  Widmungsschreiben  hervor,  die  alle  No- 
vellen begleiten,  und  in  denen  die  Erzähler  sozusagen  dem  Leser 
vorgestellt  werden.  In  diesen  sind  so  viele  zum  Teil  noch  jetzt  nach- 
zuprüfende Thatsachen  des  täglichen  Lebens  und  des  alltäglichen 
Verkehrs  angeführt,  dafs  sie  unmöglich  erfunden  sein  können.  Was 
hätte  auch  ein  solches  Erfinden  für  einen  Zweck  gehabt,  da  die  No- 
vellen ja  dadurch  nicht  an  Kunst  und  innerem  Werte  gewinnen? 
Es  liegt  dem  Verfasser  ebensoviel  daran,  auch  durch  Beachtung  der 
kleinen   Nebenurastände,    nnter  denen   er  die  Novellen    gehört  hat, 


Matteo  Bandello.  351 

durch  liebevolle  Schilderung  selbst  ihrer  Geburtsstunden  dem  Leser 
den  unumstöl'slichen  Beweis  zu  liefern,  dafs  er  nur  Dinge  erzählt, 
wiedererzählt,  die  vorgefallen  sind. '     Dazu  stimmt  genau  die  Selbst- 

'  Derselben  Ansicht  ist  Professor  Ciau.  Er  erklärt  in  seiner  Unter- 
suchung: P.  Beuibo  e  Isabella  Gonzaga  (Giorn.  Storico  Bd.  9),  Bandello 
scheine  ihm  mehr  scrittore  di  storie  che  di  tiovelle  zu  sein.  Wenn  dies  der 
Fall  ist,  .so  niufs  man  auch  scharf  zwischen  seinen  Widmungen  und  seinen 
Novellen  selbst  untorscheideu ;  in  jenen  spricht  er  eigene  Ansichten  aus, 
solange  er  nicht  ausdrücklich  eine  andere  Quelle  nennt,  in  den  Novellen 
erzählt  er  lediglich  wieder.  Man  kann  ihn  also  auch  nicht  für  die  Urteile 
der  Erzähler  verantwortlich  machen.  Es  ist  auffällig,  dafs  Masi  dies 
gerade  in  einem  Falle  übersehen  hat,  wo  dieser  Unterschied  deutlich  her- 
vortritt, und  wo  Bandello  von  Masi  sehr  scharf  getadelt  wini.  Ganz  mit 
Unrecht.  In  der  Widmung  8,  55  heilst  es  wörtlich:  'Era  quin'  m.  Desi- 
derio  Scaglia,  giovine  di  buone  lettere  e  di  modestissimi  ed  ottimi  costumi 
ornato;  il  quäle  aveva  in  niano  gli  acuti  ed  ingegnosi  discorsi  deW  arguto 
m.  Niccolö  Machiavelli.  E  pregato  da  tutti  die  alcune  cose  leggesse,  ci  Icsse 
a  caso  quel  capo  il  cui  titolo  l  che  sanno  rarissimamente  gli  uomini  esse)' 
al  tutto  tristi  od  al  tutlo  buoni.  Sovra  questo  capo  si  dissero  di  molte  cose.' 
Darauf  wird  Francesco  Torre  um  eine  hübsche  Novelle  gebeten.  Er  er- 
zählt sie  auch,  kommt  in  der  Einleitung  aber  zunächst  auf  Machiavell 
zurück  und  fällt  u.  a.  folgendes  Urteil:  '/o  per  nie  mi  fo  a  credere,  e 
credo  senxa  dubbio  avei'  compagni  assai,  che  al  mio  parere  acconsemi- 
ranno,  cioe  non  esser  mala  cosa  a  saper  il  male,  ma  bene  esser  degno 
d'etenio  biusiwo  cid  il  male  mette  in  opera,  e  medcsiiuatncnte  chi  allrui 
l'iiisegna.  ...  Ma  l'insegnar  il  modo  e  la  via,  che  una  pcnersa  e  da  Dio 
e  dal  mondo  vietata  cosa  si  faccia,  e  nel  rero  ufßcio  diabolico,  e  conse- 
guentemente  ?/ieritevole  d'eterno  biasimo  e  di  vituperio  imrnartale.'  Masi 
stellt  nun  die  Sache  so  dar,  als  ob  Bandello  durch  den  Mund  des  Scaglia, 
und  zusammen  mit  Berni  und  anderen,  einige  Grundsätze  der  Discorsi 
erklärt,  und  fährt  dann  fort:  ...  e  ne  (des  Machiavell)  assale  lui,  lo 
scrittore  di  tnnte  imntonde  novelle,  la  profonda  imnioralitä,  aggiungendo  che 
divulgar  tali  massinie  'e  ufficio  diabolico,  meritevole  d'eterno  biasimo  e  di 
vituperio  imniortale!'  Als  Beleg  führt  er  dann  die  Widmung  '6,  55  an, 
während  die  Stelle  in  der  Novelle  steht!  Das  heilst  doch  wirklich  unserem 
Schriftsteller  etwas  zur  Last  legen,  das  er  nie  verschuldet  hat.  Nenut  er 
doch  ausdrücklich  Machiavell  scharfsinnig  und  seine  Discorsi  fein  zu- 
gespitzt und  geistreich! 

Also  Torre  verdammt  den  florentinischen  Staatsmann  gleich  den  mei- 
sten seiner  Zeitgenossen ;  Bandello  enthält  sich  jedes  Tadels,  üb  er  tiefer 
sah?  Vielleicht.  Auch  in  1,  40  verrät  er  keine  Mifsachtung  Machiavells, 
sondern  tadelt  nur  den  unpraktischen  Theoretiker,  der  sich  auf  ein  Feld 
begiebt,  das  er  nicht  beherrscht.  —  Dafs  Bandello  und  Fr.  Torre  zweierlei 
Ansichten  haben,  geht  auch  unzweifelhaft  aus  folgendem  hervor.  Torre 
sagt :  tadelnswert  ist,  wer  Böses  thut,  und  ebenso,  wer  es  andere  lehrt. 
Wer  lehrt  es  nun  andere?  Doch  auch  sicherlich,  wer  Geschichten  schlim- 
mer, sündhafter  Vorgäuge  ausführlich  beschreibt.  Also  auch  Bandello? 
Sollte  dieser  so  kurzsichtig  sein  und  sich  hier  nut  seinen  eigenen  Worten 
verurteilen,  während  er  sich  ein  andermal  entschieden  gegen  solche  Vor- 
würfe verteidigt  und  sagt:  'Nicht  wer  das  Böse  kennt  und  erzählt,  ver- 
dient Tadel,  sondern  wer  es  thut;  ich  erzähle,  um  zu  warnen  und  zu 
bessern.'  Noch  ein  andermal  sagt  er:  'Der  schlechte  Lebenswandel  einer 
Frau,  das  Laster  überhaui)t,  ist  nicht  totzuschweigen.  Wie  sollte  man  er- 
kennen, dafs  die  Ehrbarkeit  zu  loben  ist,  wenn  das  Laster  nicht  verdienter- 


352  Matteo  Bandello. 

kritik  über  seine  geringe  Erfindungsgabe  und  sein  Verhalten  gegen- 
über Stoffen,  die  ihm  nicht  zusagen  (vgl.  S.  344);  desgleichen  das 
öftere  Eingeständnis,  dafs  er  im  Stil  hinter  seiner  Quelle  zurück- 
bleibt (S.  363  f.). 

Beglaubigte  Begebenheiten  sind  wert,  erzählt  zu  werden,  mögen 
sie  auch  unwahrscheinlich  und  seltsam  klingen.  Beglaubigt  aber 
müssen  sie  sein,  in  diesem  Punkte  nimmt  unser  Autor  es  sehr  ernst. 
Ist  er  selbst  anwesend  und  der  Erzähler  glaubwürdig,  dann  ist  kein 
Zweifel  möglich.  Hat  er  aber  eine  Geschichte  erst  aus  zweiter  Hand, 
so  läfst  er  sie  sich,  besonders  wenn  sie  seltsam  klingt,  wohl  zweimal, 
auch  dreimal  wiedererzählen,  damit  ja  von  der  Wahrheit  nichts  ver- 
loren gehe.  Darf  er  einige  Punkte,  aus  Rücksicht  auf  Lebende,  nicht 
berühren,  die  für  die  Glaubwürdigkeit  in  Betracht  kommen,  so  er- 
wähnt er  dies  gewissenhaft.  Für  solche  aber,  die  ihm  dann  immer 
noch  nicht  glauben,  bemerkt  er  gleichmütig,  sie  möchten  es  nach  Be- 
lieben halten;  ein  Glaubenssatz  wäre  seine  Novelle  ja  nicht  (3,  1). 

Also  Wahrhaftigkeit  ist  für  Bandello  alles.  Wir  würden  seine 
Novellen  heute  'wahre  Geschichten'  nennen. 

Manche  Künstler  und  Schriftsteller  lieben  es,  kein  Wort  über 
ihre  Kunst  zu  sagen,  andere  das  Gegenteil.  Während  Boccaccio  sich 
in  Schweigen  hüllt  und  nur  sein  Dekameron  eine,  allerdings  ein- 
dringliche, Sprache  reden  läfst,  spricht  Bandello,  wie  sein  Zeitgenosse 
Leonardo,  sich  gern  über  seine  Thätigkeit  aus,  besonders  was  Zu- 
verlässigkeit, Inhalt,  Zweck  und  Entstehung  der  Novellen  angeht. 
Bandello  ist  ohne  Frage  einer  der  ersten  Erzähler  seiner  Zeit.  Sollte 
es  nicht  anziehend  sein,  mit  seinen  Ansichten  diejenigen  eines  Schrift- 
stellers zu  vergleichen,  der  mehr  als  dreihundert  Jakre  nach  ihm 
lebte  und  ebenfalls  zu  den  Meistern  seiner  Zeit  zählt?  Ich  meine 
Riehl.  Auch  er  spricht  über  das,  was  an  seinen  Erzählungen  etwa 
'wahr'  ist;  nach  solchen  Wahrheiten  wird  ja  heutzutage  von  emsigen 
Forschern  zuweilen  gesucht. 

'Für  neugierige  Kinder  ist  diese  Novelle  [aus  der  Gegenwart] 
nicht  geschrieben.  Ich  meine  für  Kinder,  die  gar  zu  gern  wissen 
möchten,  wer  denn  die  handelnden  Personen  eigentlich  gewesen 
sind,  wer  hinter  der  Maske  steckt,  wer  dem  Erzähler  Modell  ge- 
sessen.' '   Bandello'  schliefst  nur  die  Böswilligen  und  ihm  Abgeneigten 

mafsen  getadelt  würde'  (1,  37).  Ein  Tadel  mufs  aber  wieder  begründet  wer- 
den, also  ist  auch  seine  Ursache  nicht  zu  verschweigen.  Ferner  sagt  unser 
Novellist:  'An  guten  Dingen,  die  beschrieben  werden,  nimmt  man  sich 
ein  gutes  Beispiel,  und  aus  den  bösen  und  gemeinen  Handlungen  ergiebt 
sich,  dafs  der  Mensch  sie  verabscheut  und  sich  hütet,  in  ähnliche  Irr- 
tümer zu  verfallen'  (3,  20).  Dafs  diese  Auffassung  für  Bandello  kein 
Deckmantel  ist,  um  schlüpfrige  Geschichten  zu  erzählen,  werden  wir  bald 
sehen.  Hier  wollte  ich  ihn  nur  gegen  den  Vorwurf  der  Splitterrichterei 
verteidigen. 

*  Riehl,  Geschichten  und  Novellen  (Stuttgart  1899)  4,  71. 


Matteo  Baudello.  S53 

von  seinen  Novellen  aus;  den  Neugierigen  hätte  er  als  Italiener  wohl 
verziehen. 

Riehl  schilt  die  allzu  wifsbegierigen  Kinder  deshalb,  weil  ihm 
die  nackten  Thatsachen,  die  er  irgendwo  gehört,  gelesen,  gesehen, 
mitsamt  ihi-eu  Personen  blofs  Rohmaterial  sind,  das  er  erst  veredelt 
und  durch  verbindende  Gedanken  beseelt  (z.  B.  Reiner  AVein),  zu 
einem  Kunstwerk  maclit,  wie  er  weiterhin  ausführt:  'In  dieser  No- 
velle ist  alles  erlebt,  aber  die  Novelle  ist  nicht  erlebt.  Novellen  zu 
schreiben  mag  eine  leichte  Kunst  sein,  und  Novellen  zu  lesen  ist 
jedenfalls  eine  noch  weit  leichtere.  Wer  aber  bei  einer  Novelle  nichts 
Besseres  zu  fragen  weifs,  als  was  daran  wahr  sei  und  was  erfunden, 
der  zeigt,  dafs  er  eine  Novelle  nicht  einmal  zu  lesen  versteht.' 

Doch  so  dachte  Riehl  auch  nicht  immer;  bis  zum  Jahre  1854 
steckte  auch  er  zu  tief  in  Schilderungen  und  Charakteren,  und  erst 
Paul  Heyse  brachte  ihn  auf  den  rechten  Weg,  wie  er  dankend  an- 
erkennt. '  Immer  klarer  erkannte  er  nun,  dafs  die  Novelle  nichts 
anderes  darstellen  kann  als  die  Konflikte  eines  psychologischen 
Problems,  durch  eine  Geschichte  gelöst,  in  der  sparsamen,  knappen 
Kunstform  des  erzählenden  Vortrags.  Je  mehr  und  je  wahrhaftiger 
einer  zu  erzählen  hat  (in  psychologischer  Vertiefung),  um  so  weniger 
wird  er  schildern  und  reflektieren,  um  so  weniger  Worte  wird  er 
machen.-  Das  war  Riehls  novellistische  Weiterentwicklung.  Von 
einer  solchen  kann  man  bei  Bandello  nicht  reden.  Er  erzählt  aus- 
schliefslich,  und  zwar  so  gut  er  kann,  und  das  ist  immerhin  die 
Haupttugend  des  Novellisten.  Aber  er  denkt  nicht  daran,  das  Ge- 
hörte und  Nacherzählte  zu  vertiefen,  einen  Gedankengang  hinein- 
zuziehen; den  Riehischen  Satz:  die  Novelle  ist  nicht  erlebt  kann 
man  umkehren,  sie  ist  einzig  Und  allein  erlebt,  aber  in  ihr  ist  dann 
weiter  nichts  erlebt.  Bandello  erzählt  naiv  wie  die  Kinder,  wie  auch 
Boccaccio  erzählt  hatte  und  besonders  die  Cento  Novelle  Äntiche,  uud 
bemüht  sich  nur,  in  Stil  und  Anordnung  sein  Bestes  zu  thun.  Riehls 
Empörung  über  die  Frage,  was  wahr  und  was  erfunden,  würde  Ban- 
dello nicht  verstanden  haben,  denn  weit  über  dem  Stil  steht  ihm  die 
AVahrlieit,  wie  wir  gesehen  haben.  Ein  weiter  Schritt  von  1500  bis 
1900!  Aber  darum  treflfe  Bandello  kein  Tadel:  seine  Novellen  sind 
reich  an  Farbentönen  jeder  Art,  und  jede  Zeit  hat  ihren  eigenen  Ge- 
schmack.-^  Kann  man  doch  kaum  sagen,  dafs  Riehls  Zeit  jetzt  schon 
gekommen  sei,  denn  trotz  seines  feinen,  echt  deutschen  Humors,  dem 


'  Riehl,  a.  a.  O.  5,  XII.      =>  Riehl,  5,  XVIII. 

'  Nicht  blofs  jede  Zeit,  sondern  auch  jedes  Alter;  und  dafs  die  Men- 
schen des  19.  Jahrhunderts  in  ihrer  Kindheit  noch  demselben  Geschmack 
huldigen  wie  Baiuiello  und  alle  Erzähler  aus  der  Frühzeit  einer  Litte- 
ratur,  das  mufste  übrigens  Riehl  selbst  einmal  zu  seinem  Schaden  er- 
fahren, wie  er  uns  mit  grofser  Laune  erzählt.  Er  pflegte  näudich  schon 
als  kleiner  Schulmatz  seine  Kameraden  auf  dem  Wege  von  und  zur  Weis- 

Archiv  1.  n.  Sprachen.    CVIII.  23 


354  Matteo  Bandello. 

nichts  Menschliches  fremd,  trotz  Gedankentiefe  und  Foi-mvollendung 
wird  er  selbst  in  seinem  Vaterlande  noch  nicht  entfernt  gewürdigt. 

Es  ist  merkwürdig,  wie  Bandello  sozusagen  am  Tliore  der  psy- 
chologischen Entwicklung  stehen  bleibt.  Seine  Novellen  schliefsen 
sich  so  oft  an  eine  Erörterung,  ragionamento,  an,  z,  B.  über  ein 
Gebot  der  Sittenlehre,  der  allgemeinen  Lebenserfahrung,  eine  Ver- 
tiefung der  Erzählung  selbst  wäre  dadurch  unmittelbar  an  die  Hand 
gegeben,  aber  nein  —  seine  einschlägigen  Bemerkungen  kommen  in 
die  Widmung,  und  dann  erzählt  er  schlicht,  was  er  gehört  hat.  Viel- 
leicht ist  es  nicht  zu  beklagen,  dafs  er  so  verfahren  ist.  Denn  wo 
er  sich  einmal,  z.  B.  in  Liebesfragen,  psychologisch  zu  vertiefen 
sucht,  geht  es  ihm  wie  anderen  Novellisten  seiner  Zeit:  er  wird  un- 
erträglich breit  und  wässerig,  und  man  ist  froh,  wenn  er  wieder  zu 
Thatsachen  kommt  (z.  B.  2,  21  N.,  wo  Lucrezia  ihre  Gründe  und 
Gegengründe  darlegt).  Der  Fehler  endlosen  Reflektierens  und  Er- 
wägens  wird  auch  jetzt  nicht  immer  vermieden,  kommt  doch  Wilden- 
bruch oft  auf  langen  Seiten  nicht  aus  dem  Für  und  Wider  heraus.  * 

Von  der  Meinung  ausgehend,  dafs  Glaubwürdigkeit  das  höchste, 
Verdienst  einer  Erzählung  sei,  wollte  Bandello  die  Stoffe  zu  seinen 
Novellen  zuerst  nur  aus  der  Gegenwart  und  der  unmittelbaren  Ver- 
gangenheit nehmen.  Dann  fehlte  es  nicht  an  Personen,  die  entweder 
selbst  als  Zeugen  Ae^  Vorfalls  dienen  konnten  oder  ihn  wenigstens 
noch  persönlich  aus  zuverlässiger  Quelle  vernommen  hatten,  und 
seine  Novellen  mufsten  dann  als  wahre  Geschichten  angesehen  wer- 
den. Dann  hat  er  aber  auch  Erzählungen  aus  Urgrofsväter  und 
alter  Zeit  vernommen,  ist  gebeten  worden,  sie  aufzuschreiben,  und 
hat  so  seinen  ursprünglichen  Plan  erweitert  (2,  21).  Seinen  Lesern 
erklärt  er  noch  deutlicher,  dafs  er  keine  fortlaufende  Geschichte 
schreibe,  sondern  eine  Sammlung  verschiedener  Vorfälle  mit  bestän- 
digem Wechsel  von  Zeit,  Ort  und  Personen,  ohne  irgendwelche  Ord- 
nung (Teil  3).  Bei  Stoffen  aus  der  Gegenwart  mufs  er  sich  zuweilen 
Zurückhaltung  auferlegen,  wenn  die  Helden  der  Erzählung  noch 
leben.  Er  bedauert  dies  besonders  dann,  wenn  seine  Gescliichte  des- 
halb etwas  wunderlich  klingt. 

Stoffmangel  fürchtet  er  nicht;  im  Gegenteil,  tausend  Jahre  könne 
er  schreiben,  um  alle  Thorheiten  der  Menschen,  besonders  in  der 
Liebe,  zu  erzählen.  Darin  stimmt  Riehl  ganz  mit  ihm  überein.  Be- 
denkt man  alle  die  Neigungen,  Leidenschaften  und  Thorheiten,  die 
wir  Menschen  uns  fortwährend  zu  novellistischen  Problemen  wechsel- 


heit  mit  allerlei  Geschichten  zu  ergötzen.  Alle  hörten  ihm  gern  zu.  Als 
er  aber  eines  Tages  unversehens  und  etwas  selbstbewufst  damit  heraus- 
kam, dafs  seine  Geschichten  überhaupt  alle  erfunden  wären,  da  stieg  die 
Empörung  auf  einen  hohen  Grad,  und  es  hätte  Prügel  gesetzt,  wenn  er 
nicht  seine  Rettung  in  schleuniger  Flucht  gesucht  hätte. 
'  Wildenbrucb,  Schwester-Seele,  Eifernde  Liebe  u.  a. 


Matteo  Bandello.  355 

weise  entgegenbringen,  dann  ist  die  Zahl  fünfzig  winzig  klein  nach 
seiner  Ansicht.  Von  tausend  Jahren,  als  stets  wechselnde  Bühne, 
hat  er  die  Kulturgeschichte  des  deutsclien  Volkes  für  das  Spiel  der 
Probleme  ausersehen. '  Aber  in  Zahl  und  Zeit  ist  ihm  Bandello  auf 
jeden  Fall  überlegen;  denn  statt  fünfzig  verfafste  dieser  über  zwei- 
hundert Novellen,  und  statt  um  tausend  Jahre  geht  er  sogar  bis  auf 
die  Zeit  des  Ranises  von  Ägypten  zurück;  nicht  blofs  eins,  sondern 
alle  Völker  zieht  er  heran,  ja  erzählt  sogar  Geschichten,  die  schon 
einmal  erzählt  und  niedergeschrieben  sind. 

Wie  sich  dem  Autor  nicht  selten  der  Stoff  unter  den  Händen 
umformt  und  eine  andere  Gestalt  gewinnt,  als  die  ihm  ursprünglich 
vorscliwebte,  so  auch  der  Zweck  seiner  Arbeit.  Wir  sahen,  wie  Ban- 
dello die  Schriftsteller  seiner  Zeit  tadelt,  dafs  sie  an  den  Ereignissen 
des  täglichen  Lebens  so  gleichgültig  vorbeigehen.  Er  selbst  erklärt 
an  hervorragender  Stelle,  in  der  Widmung  zu  seiner  ersten  Novelle, 
er  schreibe  weder,  um  zu  belehren,  noch  zur  Zierde  der  italienischen 
Sprache,  sondern  nur,  um  das  Andenken  an  Vorfälle  lebendig  zu 
erhalten,  die  ihm  der  Aufzeichnung  wert  scheinen,-  dann  aber  auch, 
um  seiner  Gönnerin  Ippolita  Sforza  zu  gehorchen.  Etwas  später 
stellt  sich  Bandello  bewufst  auf  einen  höheren  Standpunkt,  um  ihn 
von  da  ab  nicht  mehr  zu  verlassen.  Er  möchte  gerade  belehren  und 
durch  seine  Erzählungen  besonders  die  Jünglinge  vor  gefährlichen 
Liebesabenteuern  warnen  und  ihre  regellosen  Lüste  dämpfen;  sie 
sollen  lernen,  sich  zu  mäfsigen  und  nicht  wild  und  regellos  in  das 
Leben  hineinstürmen  (2,  7  und  9). 

Doch  will  unser  Verfasser  im  Ordensgewand  nicht  blofs  nützen; 
er  will  auch  ergötzen,  wie  er,  in  offenbarer  Anlehnung  an  Horaz,  an 
die  Leser  schreibt  (Teil  1).  Würdige  Männer,  die  täglich  ernsten 
Dingen  ihre  Zeit  widmen,  brauchen  Erholung  in  ihren  Mufsestunden, 
dann  sollen  sie  zu  seinen  kleinen  Geschichten  greifen,  wie  auch  So- 
krates,  Scipio  und  Laelius  es  nicht  verschmäht  haben,  im  Spiel  mit 
kleinen  Dingen  die  Sorgen  über  grofse  zu  vergessen  (2,  40).  Diesen 
Standpunkt  betont  er  öfter.  ^     Der  grofsen  Masse  der  Leser   aber 


'  Riehl,  a.  a.  0.  r,,  XX. 

^  Den  Begriff  solcher  Vorfälle  erweitert  er  freilich  einmal  sehr,  aber 
nur  im  augenblicklichen  Gefühl  des  Hasses,  das  seiner  Natur  sonst  so 
fremd  ist.  Er  erbittet  sich  nämhch  von  Pirro  Gonzaga  noch  viele  Anek- 
doten über  den  ' Arcifanfano'  von  Mantua  aus,  seinen  persünlicheu  Feind 
(v^l.  S.  34tj;  Morellini  81 — 83 1,  damit  dessen  schmutziges  Leben  besser 
bekannt  würde,  wäre  er  doch  auch  schon  die  Fabel  des  römischen  Hofes 
geworden  (1,  30).  Die  vier  in  Novelle  1,  80  erzählten  Anekdoten  dürften 
freilich  diesen  unzüchtigen  Priester  —  eigentlich  Gabbioneta  genannt  — 
genügend  beleuchten. 

^  Aus  diesem  Grunde  hat  auch  Lodovico  Carboue  seinem  Gönner 
Borso  Este  seine  Facexie  gewidmet.  Vgl.  Facezie  di  Lodovico  Carboue 
Ferrarese,  edite  con  prefazioue  da  A.  Salza,  Livoruo  1900. 

23* 


356  Matteo  Bandello. 

wünscht  er,  als  Siebzigjäliriger,  der  duldsam  geworden  ist:  sie  möchten 
sich  bei  seinen  Geschichten  gut  unterhalten,  dafür  hätte  er  sie  ge- 
schrieben (2,  An  die  Leser). 

Seinem  Publikum  steht  Bandello  als  Briefsteller  frei  gegenüber. 
Er  lädt  oder  zwingt  niemanden,  seine  Novellen  zu  lesen,  bittet  aber 
alle,  die  sie  kennen  lernen  wollen,  sie  in  dem  Sinne  zu  lesen,  in  dem 
sie  geschrieben  sind,  d.  h.  ihm  gerecht  zu  werden.  Dem  wohlwollenden 
und  gerechten  Urteile  der  Leser  überläfst  er  gern  die  Kritik  (1,  An 
die  Leser).  Kein  Publikum  für  seine  Novellen  sind  aber  die  Ver- 
ständigen, die  nie  fehlgehen;  diese  sollen  sie  vielmehr  wie  die  Pest 
meiden.  Er  schreibt  für  die  Menschen,  die  aus  Leidenschaften  fehlen 
können,  diese  will  er  bekehren  und  warnen  (2,  40). 

Nicht  ganz  aus  eigenem  Antriebe  hat  sich  unser  Frate  der  No- 
vellistik  als  einem  Lebenswerke  zugewandt.  Die  früheste  seiner  No- 
vellen, deren  Entstehung  genau  festzustellen  ist,  ist  zwar  schon  im 
Jahre  1505  zu  Florenz  aufgezeichnet  (1,  18);  dafs  er  aber  damals 
schon  planmäfsig  gesammelt  habe,  steht  nicht  fest.  Sonst  hätte  er 
nicht,  schon  in  späteren  Lebensjahren,  erwähnen  können,  dafs  er  auf. 
Bitte  jemandes,  die  hätte  befehlen  können,  sich  daran  gemacht  hätte, 
merkwürdige  Ereignisse  aufzuzeichnen  (2,  35).  Damit  ist  Ippolita 
Sforza  gemeint,  die  sich  mit  ihrem  Gemahl  Alessandro  Bentivoglio 
im  Jahre  1506,  nach  dem  Verlust  Bolognas  an  Julius  IL,  in  Mai- 
land niederliefs,  und  mit  der  Bandello  bald  in  Berührung  kam.  Aus- 
drücklich nennt  er  sie  in  seiner  ersten  Widmung  'Gi'und  und  Ur- 
sprung seiner  Novellen'  und  läfst  es  hier  wie  sonst  an  warmem  und 
gewifs  auch  aufrichtigem  Dank  gegen  seine  Gönnerin  nicht  fehlen. 
Da  die  vornehme  Gesellschaft  späterhin  seine  Novellen  so  gern  las 
und  hörte,  so  ist  mit  Sicherheit  anzunehmen,  dafs  er  auch  schon  als 
junger  Mönch  die  Gabe  des  Erzählens  besessen  hat  und  dadurch  die 
Aufmerksamkeit  Ippolitas,  die  in  Fragen  der  Litteratur  und  Kunst 
einen  feinen  Geschmack  besafs,  auf  sich  gezogen  hat.  Sie  hielt  ihn 
dann  zur  künstlerischen  Ausbildung  seines  Talents  an,  und  so  ver- 
danken wir  eine  ganze  Sammlung  lebensvoller  Novellen  zum  Teil 
dieser  klugen  Frau,  deren  Blick  selbst  im  Unglück  noch  auf  das 
Schöne  gerichtet  war.  —  So  hatte  Boccaccio  den  Auftrag  zum  Deka- 
meron  von  der  jungen  Königin  Johanna  erhalten,  nachdem  sie  früher 
am  Hofe  des  Grofsvaters  den  munteren  Erzählungen  des  Florentiners 
wahrscheinlich  mit  grofser  Begierde  gelauscht  hatte. 

Bandello  hat  augenscheinlich  bald  viel  Gefallen  an  seiner  neuen 
schriftstellerischen  Thätigkeit  gefunden.  Er  schrieb  alle  merkwür- 
digen Vorfälle  auf,  die  ihm  von  Freunden  oder  Vertrauens  werten 
Personen,  meistens  in  vornehmer  Gesellschaft,  erzählt  wurden.  Später- 
hin wurden  ihm  einzelne  Stoffe  selbst  schriftlich  von  Freunden  über- 
sandt  (3,  56).  Stammt  eine  Novelle  erst  aus  dritter  Hand,  bemerkt 
er  es  ausdrücklich  (1,  29).    Stil  und  Behandlung  des  Stoffes  bleiben 


Matteo  Bandello.  357 

natürlich  sein  Eigentum.  Schon  nach  einigen  Jahren  kann  unser 
junger  Autor  steinern  Freunde  Aldo  Manuzio,  dem  berülimten  Ver- 
leger, melden,  dafs  er  seinen  Rat,  so  viel  Erzählungen  als  möglich 
zu  sammeln,  befolgt  und  bereits  viele  niedergeschrieben  habe.  Also 
auch  Manuzio  hatte  das  frühe  Talent  erkannt.  Leider  starb  dieser 
unschätzbare  Freund  schon  im  Jahre  1512. 

Meistens  brachte  Bandello  die  Erzählungen  gleich  zu  Papier, 
nachdem  er  sie  gehört  hatte,  sonst  bald  darauf  oder  wenigstens  sofort 
nach  Erledigung  einer  anderen,  dringenderen  Aufgabe.  Zuweilen 
schrieb  er  den  ersten  Entwurf  nur  so  im  groben  hin  als  Anhalt  fürs 
Gedächtnis,  bei  gelegener  Zeit  sah  er  ihn  dann  durch  und  legte  die 
letzte  Hand  an.  Manchen  arbeitete  er  erst  zur  Herausgabe  aus. 
Immer  stand  ihm  aber  vor  Augen,  der  Wahrheit  ein  treuer  Diener  zu 
sein.  Auf  die  Form  scheint  er  zuerst  noch  wenig  Wert  gelegt  zu 
haben. 

Schon  zur  Zeit  Leos  X.  hatte  die  Zahl  seiner  Geschichten  einen 
solchen  Umfang  erreicht,  dafs  Ippolita  ihn  des  öfteren  auffordern 
konnte,  eine  Auswahl  zu  treffen  und  daraus  ein  Buch  zu  machen. 
Demnach  entschlofs  sich  unser  Autor  dazu,  seine  Aufzeichnungen 
'nach  Novellcnart'  zusammenzustellen,  aber  ohne  irgendwelche  zeit- 
liche Anordnung,  ganz  wie  sie  ihm  in  die  Hände  kamen,  und  nun 
auch  jeder  Novelle  einen  Herrn  oder  eine  Herrin  zu  geben.  Dies 
geschieht  in  einer  Widmung,  die  jeder  Erzählung  vorangestellt  wird, 
und  die  den  Namen  des  Herrn  trägt,  unter  dessen  Schutze  sie  für 
immer  in  die  Welt  hinausgehen  soll  (2,  26).  Die  allererste  Novelle, 
die  allen  anderen  den  Weg  zeigen  soll,  ist,  wie  nicht  mehr  als  billig, 
der  Ippolita  Sforza  gewidmet,  und  solange  er  in  Mailand  lebt,  erhält 
sie  alle  folgenden  ihres  Schützlings  aus  erster  Hand. 

Die  Widmung  wird  nicht  immer  zugleich  mit  der  Novelle  nieder- 
geschrieben. Hat  unser  vielbeschäftigter  Autor  Eile,  und  das  ist  oft 
der  Fall,  so  wandert  die  flüchtig  skizzierte  Erzählung  vorerst  ord- 
nungslos zu  anderen  Papieren  in  den  Koff^er  und  ruht  dort  vielfach 
so  lange,  bis  sie  druckfertig  gemacht  werden  soll.  Dann  überlegt 
der  Verfasser  sorgfältig,  wem  unter  seinen  zahlreichen  Bekannten  er 
sie  wohl  am  besten  widme  (2,  7;  2,  40;  4,  2()),  und  höchst  fesselnd 
und  eigenartig  sind  durchweg  die  Gesichtspunkte,  nach  denen  er 
dabei  verfährt.  Viele  Erzählungen  sind  natürlich  hohen  Gönnern 
und  Gönnerinnen  gewidmet.  Dem  Gemahl  der  Ippolita,  dem  ver- 
triebenen Alessandro  Bentivoglio,  überreicht  er  2,  40,  obgleich  er  ihm 
nicht  eine  Novelle,  sondern  das  Leben  schuldet.  Das  sagt  viel  und 
doch  nicht  zu  viel.  Denn  im  Hause  der  Bentivogli  hat  Bandello  in 
der  Thut  seit  1506  den  Grund  zu  allen  vornelimen  Bekanntschaften 
und  damit  zu  seinem  Weiterkommen  gelegt.  Der  Name  hoher  Gönner 
soll  oft  der  Novelle  ein  Schirm  und  Schild  sein  (2,  34),  auch  gegen 
kritische  Tadler,   die  die  Arbeit  anderer  heftig  und  bissig  befehden 


358  Matteo  Bandello. 

(2,  40).  Hübsche  Vergleiche  flicht  er  dabei  ein.  Einmal  ist  er  der 
arme  Landmann,  der  dem  Gutsherrn  nur  geringe  Frucht  zum  Will- 
komm bieten  kann,  ein  andermal  jener  arme  Unterthan,  der  dem 
Artaxerxes  als  Geschenk  nur  Wasser  in  die  Hand  giefsen  konnte 
(2,  46).  Herzlich  ist  durchweg  der  Ton,  den  unser  Autor  guten 
Freunden  und  Bekannten  gegenüber  anschlägt.  Da  sendet  er  seine 
Novelle  als  Zeichen  der  Liebe  (2,  29;  3,  47),  der  Freundschaft,  der 
Dankbarkeit  für  Woldthaten  und  Gefälligkeiten  (2,  28;  3,  37),  oft 
als  Erinnerung,  als  Zeichen  gegenseitigen  Wohlwollens  und  weil  sie 
immer  mit  dem  Namen  des  Freundes  verbunden  sein  soll  —  ist  dann 
die  Novelle  unsterblich,  ist  es  auch  der  Freund  — ;  zuweilen  weil 
Empfänger  seine  Sachen  gern  liest  (1,  33),  auch  weil  die  Novelle  nur 
eine  Frucht  aus  seinem  (des  Empfängers)  Garten  ist  (1,  34).  An  ein 
junges  Mädchen,  das  er  verehrt,  fügt  er  die  liebevolle  Ermahnung 
liinzu,  sie  möchte  in  Ehrbarkeit,  Tugend  und  Wissenschaft  fortfahren 
wie  bisher,  um  sich  die  Unsterblichkeit  zu  sichern  (1,  ]  8).  Einem 
übermütigen  Ding,  das  sich  gern  den  Scherz  macht,  sich  in  unseren 
Frate  verliebt  zu  stellen,  sendet  er  eine  verdiente  kleine  Zurecht- 
weisung. Auch  an  Warnungen  vor  Dummheiten,  Eifersucht  und 
wildem  Liebestaumel  läfst  er  es  nicht  fehlen  (2,  28 ;  2,  29;  2,  31;  3,  47). 

Geradezu  unerschöpflich  aber  sind  die  besonderen  Anlässe,  aus 
denen  Bandello  seine  Novelle  bald  diesem,  bald  jenem  Freunde  oder 
Fernerstehenden  widmet  und  keinem  anderen.  Einmal  nimmt  der 
Schutzherr  besonderen  Anteil  an  der  Frage,  die  durch  ihre  Erörte- 
rung Anlafs  zu  der  Erzählung  gegeben  hat,  und  hat  wohl  gar  mit 
dem  Verfasser  schon  früher  darüber  geredet;  ein  andermal  wurde  die 
Novelle  in  einem  Kreise  erzählt,  dem  der  Beschützer  sonst  ständig 
angehört,  diesmal  aber  durch  Krankheit  oder  Geschäfte  behindert 
war,  anzuwohnen  (3,  39).  Bald  ist  der  Held  der  Erzählung  aus  dem- 
selben Geburtsort  wie  der  Schutzherr,  oder  er  ist  desselben  Standes 
(3,  36)  oder  sein  Namensvetter  (2,  38)  oder  stammt  gar  wirklich  aus 
derselben  Familie  und  trägt  noch  denselben  Namen  (1,  13).  Zuweilen 
ist  die  Novelle  auch  von  einem  Freunde  oder  Unterthan  des  Patrons 
erzählt  worden.  Für  etwas  saftige  Geschichten  ist  damals  unschwer 
ein  Liebhaber  zu  finden,  aber  auch  ein  witziger,  schlagfertiger  Mensch 
wird  aufmerksam  mit  hübschen  Motti  bedacht  (3,  48).  Nichts  kann 
so  sehr  Bandellos  Liebe  zu  seinen  Geisteskindern  bekunden  als  die 
Sorgfalt,  mit  der  er  ihnen  einen  Beschützer  auswählt  und  alle  diese 
kleinen  Züge  anwendet.  Ganz  selten  nur  scheint  ein  Band  zwischen 
der  Novelle  und  ihrem  Herrn  zu  fehlen. 

Sobald  eine  Novelle  mit  einer  Widmung  versehen  war,  pflegte 
unser  Autor  auch  beide  ihrem  Schutzherrn  zuzusenden.  Des  öfteren 
mit  der  Bitte,  sie  auch  diesem  und  jenem  aus  dem  Freundeskreise 
zu  zeigen  (3,  28),  ja  einmal  sogar  den  gesamten  Damen  des  Hofes 
zu  Mantua  vorzulesen  (1,  14).   Gewifs  ein  Beweis,  wie  sehr  Bandello 


Matteo  Bandello.  359 

dort  lieb  Kind  war.  Auf  diese  Weise  wurden  ohne  Frage  viele  seiner 
Novellen  schon  vor  ihrer  Drucklegung  einem  grofsen  Teile  des  vor- 
nehmen italienischen  und  einem  kleineren  des  französischen  Publi- 
kums bekannt  und  wanderten  von  Hand  zu  Hand. 

So  arbeitete  unser  Novellist  augenscheinlich  in  behaglicher  Weise 
an  dem  ersten  Buche  seiner  Erzählungen,  besserte  hier  gründlich, 
legte  dort  die  letzte  Hand  an  und  liefs  viele  wieder  in  Flammen  auf- 
gehen, die  näherer  Prüfung  nicht  standhielten.  Seine  vielen  diplo- 
matischen Geschäfte  und  Reisen  bereiteten  aber  leider  den  teuren 
litterarischen  Mufsestunden  oft  ein  grausames  Ende,  und  so  mufste 
er  das  harte  Schicksal  erleben,  dafs  seine  liebsten  Schätze  der  Wetter- 
strahl traf,  bevor  er  sie  durch  den  Druck  hatte  in  Sicherheit  bringen 
können.  Nach  der  Einnahme  Mailands  durch  die  Spanier  im  Jahre 
1525  erfolgte  eine  Plünderung  der  Stadt,  von  der  auch  Bandellos 
Heim  nicht  verschont  blieb.  Er  selbst  zwar  konnte  verkleidet  sein 
Leben  in  der  Flucht  retten,  aber  wehmütig  erzählt  er  uns,  dafs  seine 
wertyollen  Bücher  und  Handschriften  damals  zerwühlt,  zerstreut  und 
zum  Teil  fortgeschleppt  wurden.  Besonders  beklagt  er  den  Verlust 
seiner  grofs  angelegten,  seit  Jahren  aus  den  besten  Schriftstellern 
ergänzten  Sammlung  zu  einem  lateinischen  Wörterbuche,  ein  Schatz, 
der  nun  auf  immer  unwiederbringlich  dahin  war.  Niclit  ganz  so 
schlimm  erging  es  seinen  lateinischen  und  italienischen  Schriften. 
Einem  Mailänder  Freunde  gelang  es,  einen  ansehnlichen  Teil,  dar- 
unter auch  eine  Anzahl  Novellen,  vor  völliger  Zerstreuung  zu  be- 
wahren und  ihm  diesen  nachher  wieder  zuzustellen  (2,  36). 

Aber  nun  war  sein  gesamtes  Material  in  Unordnung  geraten, 
und  an  eine  Herausgabe  der  Novellen  scheint  der  hartbetroffene  Autor 
vorläufig  gar  nicht  mehr  gedacht  zu  haben.  Damals  begann  die 
traurigste  Zeit  seines  Lebens,  und  er  irrte  einige  Jahre  lang  heimat- 
los durch  die  Landschaften  Italiens,  zog  von  Feldlager  zu  Feldlager 
und  suchte  sich  selbst  seines  Ordensgewandes  zeitweilig  zu  entledigen, 
bis  es  ihm  endlich  gelang,  an  Cesare  und  Costanza  Fregoso  treue 
Beschützer  bis  an  sein  Lebensende  zu  finden. 

Allmählich  wird  Bandello  in  der  Ruhe  zu  Verona  wieder  ange- 
fangen haben,  Erzählungen  zu  sammeln.  Edelleute,  Diplomaten, 
Kaufleute,  Ordensbrüder,  also  Leute,  die  in  der  Welt  herumkommen, 
berichten  ihm  Vorfälle  aus  der  ganzen  damals  bekannten  Welt,  und 
er  erzählt  sie  alle  getreulich  wieder.  Ein  Frate  weifs  ihn  einmal 
vierzehn  Tage  lang  mit  Novellen  zu  unterhalten ;  das  ist  ein  leckerer 
Bissen  für  ihn,  die  sollen  sein  Buch  schmücken.  Auch  wessen  er 
von  früheren  Gedichten  und  Novellen  habhaft  werden  konnte,  sam- 
melte er  eifrig.  Viele  waren  ja  bereits  in  weiteren  Kreisen  bekannt, 
und  der  Verfasser  sah  sich  genötigt,  schon  damals  allerlei  Tadler 
abzuwehren,  die  ihn  befehdeten,  wie  es  scheint,  mehr  aus  persönlichen 
wie  aus  sachlichen  Gründen.    Mit  dem  Druck   wurde  es   zu  Verona 


360  Matteo  Bandello. 

noch  nichts,  aber  in  seinen  Mufsestunden  scheint  Bandello  doch  fort- 
währejid  an  seinen  Sachen  gefeilt  zu  haben.  Denn  selbst  für  das 
Kriegsleben  in  Pieraont,  während  dessen  er  Sekretärdienste  versah  • 
und  oft  seinen  Standort  wechselte  (Herbst  1536  bis  Frühling  1537), 
nahm  er  seine  Novellen  im  Koffer  mit.  Vermutlich  las  er  auch  hier 
des  öfteren  im  Kreise  der  Heerführer  aus  seinen  Erzählungen  und 
Gedichten  vor,  wie  er  z.  B.  aus  dem  Jahre  1526  erwähnt  (1,  43).  Aber 
auch  das  Klriegsleben  selbst  war  reich  an  bunten  Ereignissen,  und 
es  fehlte  nicht  an  frohen,  munteren  Gesellen,  die  flotte  Geschichten 
zu  erzählen  wufsten  (2,  36).  Als  Schützling  Fregosoe  war  unser 
Autor  überall  ein  gern  gesehener  Gast,  und  so  wurden  auch  diese 
geräuschvollen  Monate  durchaus  ergiebig  für  seine  Sammlung.  Gerade 
die  Novellen  aus  dieser  Zeit  tragen  einen  frischen  Zug. 

Mit  dem  Jahre  1541,  als  er  Costanza  Fregoso  als  treuer  Diener 
auf  ihren  Witwensitz  in  Südfrankreich  folgte,  begann  für  unseren 
vielgewanderten  Verfasser  ein  ruhiger  Lebensabend.  Doch  fand  die 
Langeweile  an  dem  kleinen  Hofe  zu  Bassens  keine  Stätte.  Es  wim- 
melte  dort  von  Kavalieren  beider  Länder;  der  Adel  Aquitaniens  war. 
für  die  Witwe  des  tapferen  Feldherrn,  der  für  die  Sache  des  aller- 
cliristlichsten  Königs  sein  Leben  hingegeben  hatte,  voll  nachbarlicher 
Aufmerksamkeit  und  voll  Ehrerbietung;  die  Kenntnis  der  italienischen 
Sprache  selbst  war  in  diesen  vornehmen  Kreisen  weit  verbreitet.  Be- 
sonders zur  Karnevalszeit  des  Jahres  1550,  als  der  flotte  Mailänder 
Edelmann  Philipp  Baldo,  ein  alter  Freund  Bandellos,  zu  Besuch 
kam,  mufs  zu  Bassens  ein  Leben  voller  Jubel  und  Frohsinn  ge- 
herrscht haben.  Da  tauschte  der  siebzigjährige  Autor,  immer  noch 
rüstig  und  frisch,  immer  voll  heiterer  Lebensfreude  und  Genufsfähig- 
keit,  alte  Erinnerungen  aus,  da  gedachte  man  gemeinsam  verlebter 
ruhiger  und  bewegter  Tage,  da  wurde  geplaudert  und  gelacht  nach 
Herzenslust.  Auch  Costanza  fand  Gefallen  an  dem  heiteren  Tempera- 
mente des  Landsmanns  und  wollte  ihn  gar  nicht  wieder  ziehen  lassen. 
Auch  andere  italienische  Edelleute  waren  anwesend  und  erzählten 
schöne  Novellen,  die  Bandello  gleich  niederschrieb.  Am  besten  aber 
erzählte  Philipp  Baldo  selbst,  der  'wahre  Vater  der  Novelle,  der 
immer  einen  ganzen  Sack  davon  auf  Lager  hatte'  (2,  50).  Bandello 
wufste  sie  selbstverständlich  zu  schätzen  und  hat  uns  eine  ganze 
Anzahl  überliefert  (2,  44 — 50).  Alle  diese  Novellen  sind  strafl'  und 
kernig  geschrieben  und  mit  hübschen  Einleitungen  versehen;  Ban- 
dello scheint  genau  nachzuerzählen  und  konnte  auch  gar  nichts 
Besseres  thun. 

Doch  wir  nähern  uns  der  Zeit,  wo  unser  Autor  ernstlich  daran 
dachte,  seine  Novellensammlung  abzuschliefsen  und  einem  grölseren 
Publikum  bekannt  zu  geben.    Er  hatte  die  sechzig  hinter  sich   und 


'  Vgl.  Patrucco,  Soggiorno  di  M.  Bandello  in  Pinerolo.    Pinerolo  1900. 


Mattpo  Banrlello.  361 

war  hoch  aufgestiegen;  aber  was  der  Mönch  geschrieben,  wollte  der 
Bischof  vertreten.  Auch  die  Freunde  wünschten  nunnielir  entschieden 
seine  Erzählungen  in  der  Hand  zu  haben  und  drängten  ihn  un- 
ausgesetzt, sie  herauszugeben,  obgleich  ihnen  schon  viele  davon  be- 
kannt waren. 

Zweimal  hatte  er  noch  eigens  nach  Italien  gesandt,  aber  trotz 
aller  Mühe  hatte  er  nicht  alle  Erzählungen  wieder  sammeln  können. 
Aber  mit  vielen  war  es  ihm  gelungen, '  so  dafs  jetzt  alle  zusammen 
doch  eine  stattliche  Zahl  bildeten,  gesammelt  in  nahezu  fünfzig  langen 
Jahren  —  ein  reicher  Schatz.  Aus  diesen  druckfertigen  Novellen 
machte  er,  im  Gegensatz  zu  Boccaccio  und  Masuccio,  ohne  irgend- 
welche Ordnung  drei  Teile,  damit  sie  möglichst  kleine  Bände  gäben. 
Diese  Teile  enthielten,  die  ersten  beiden  je  59,  der  dritte  68  Novellen 
und  erschienen  im  März,  April  und  Juni  1554  bei  Busdrago  in 
Lucca,  nicht  ohne  vorher  auf  das  genaueste  durchgesehen  und  durch- 
gefeilt zu  sein. - 

Während  der  Herausgabe  dieser  ersten  Teile  schrieb  Bandello, 
obgleich  er  sich  eigentlich  erholen  wollte,  noch  einige  weitere  No- 
vellen, die  gleich  mit  in  den  Druck  gegeben  werden  sollten.  Zu 
diesen  gehörte  auch  die  Erzählung  von  Simon  Turchi.  Nun  war 
aber  Simon  Turchi  ein  Bürger  aus  Lucca,  dem  "Wohnsitz  des  Ver- 
legers Busdrago,  und  das  wurde  dieser  Novelle  verhängnisvoll.  Simon 
hatte  nämlich  in  Antwerpen  einen  nichtswürdigen  Mord  an  einem 
Landsmanne  begangen,  und  sein  Geschlecht  war  wenig  erbaut  davon, 
dafs  diese  Schandthat  nun  von  seiner  eigenen  Vaterstadt  aus  aller 
AYelt  bekannt  gegeben  werden  sollte.  Zuerst  waren  die  Turchi  zwar 
damit  zufrieden,  dafs  Bandello  ausdrücklich  erwähnen  wollte,  dieser 
Simon  wäre  nicht  aus  ihrem  Geschlecht,  dann  aber  erwirkten  sie 
doch  ein  Druckverbot  für  diese  Novelle.  Dieser  Eingriff  kränkte 
natürlich  den  jetzt  einflufsveichen  Autor  in  seiner  Ehre,  und  er  be- 
schlofs  nun,  alle  Novellen,  die  er  noch  in  Italien  oder  bei  sich  hatte 
—  sein  Vorrat  war  also  durchaus  noch  nicht  erschöpft  — ,  in  einem 
weiteren  Bande  herauszugeben  und  gerade  die  Erzählung  von  Simon 
Turchi  an  die  Spitze  zu  stellen.  So  geschah  es  aucli;  zwar  noch 
nicht  in  der  ersten  Auflage,  aber  in  dem  Neudruck,  der  1814  von 
Silvestri  in  Mailand  veranlafst  wurde.  Bestärkt  wurde  Bandello  in 
diesem  offenen  Verfahren  auch  dadurch,  dafs  Cardano  in  seinem 
Werke  De  subtilitate  renon  diesen  ungeheuerlichen  Vorfall  bereits 
erwähnt  und  ferner,  dafs  er  sich  zu  Antwerpen  zugetragen  hatte,  einer 
Stätte  des  Welthandels,  wo  Kaufleute  aller  Länder  zusammenkamen, 
und  von  wo  sich  die  Kunde  dieser  Unthat  längst  durch  ganz  Europa 

*  Noch  um  1547   waren    ihm   mehrere  Koffer  mit  Handschriften   aus 
Italien  zugegangen  (2,  oü). 

*  Dies  ergiel)t  sich  aus  einem  Vergleich  der  letzten  Fassung  mit  der 
im  Codex  Cicogua.    Vgl.  Morellini  15G  ff. 


Sß2  ]\Iattco  Bandello. 

•verbreitet  hatte.  Zu  verbergen  war  also  nichts  mehr,  und  unser  Autor 
konnte  seiner  Wahrheitsliebe  ganz  freien  Lauf  lassen.  Dieser  viert« 
Teil  mit  28  Novellen  erschien  indessen  nicht  mehr  zu  Lebzeiten  des 
Verfassers  und  auch  nicht  in  Lucca,  sondern  erst  1573  zu  Lyon  im 
Verlage  von  Alessandro  Marsili. 

In  Bandellos  jungen  Jahren,  als  sein  berühmter  Freund  Aldo 
Manuzio  noch  lebte,  der  ihn  so  freigebig  mit  Büchern  aus  allen 
Wissensgebieten,  besonders  aber  mit  klassischem  Lesestoff  versah, 
war  es  sein  sehnlichster  Wunsch  gewesen,  seine  Novellen  diesem  zu 
senden,  damit  er  sie  dem  Publikum  in  würdiger  Gestalt  vorlege. 
Hatte  doch  Manuzio  selbst  darum  gebeten,  und  wufste  doch  der  junge 
Verfasser  nur  zu  gut,  dafs  sie  dann  nicht  nach  seinem  Verdienste, 
sondern  nach  dem  Ansehen  des  weltberühmten  Verlagshauses  er- 
scheinen würden.  Das  blieb  leider  ein  Traum.  Selbst  der  Heimat 
seit  langen  Jahren  fern,  mufste  er  seine  Geisteskinder  einem  ihm 
fremden  Drucker  überlassen,  der  schlecht  und  recht  für  sie  sorgte 
wie  für  andere  auch.  Dennoch  war  er  voll  guten  Zutrauens  und 
hoffte,  wie  heimlich  jeder  Autor,  dafs  seine  Novellen  von  der  Nach-, 
weit  würden  gelesen  werden.  Schreibt  er  doch  schon  früher  einmal, 
bei  aller  sonstigen  Bescheidenheit:  Oleine  Schi'iften  verfafste  ich 
auch,  damit  sie  ewig  dauern  sollten.  Doch  gehe  es  damit,  wie  es 
wolle,'  setzt  er  gelassen  hinzu  (1,  23;  3,  26). 

Die  genauere  Entstehungszeit  der  Novellen  Bandellos  ist  sehr 
schwer  festzustellen,  weil  er  sie  ohne  jede  Ordnung  in  Druck  gegeben 
hat.  Man  ist  fast  ausschliefslich  auf  die  Mitteilungen  in  den  Wid- 
mungen angewiesen  und  mufs  in  vielen  Fällen  einen  Spielraum  bis 
zu  zwanzig  Jahren  offen  lassen.  Die  zu  Mailand  erzählten  beginnen 
gegen  1506,  die  zu  Mantua  1515,  beide  gehen  im  allgemeinen  nicht 
über  die  Schlacht  bei  Pavia  hinaus.  Mit  dem  Jahre  1528  beginnen 
die  Novellen  aus  Verona,  wo  sich  Fregoso  als  venetianischer  Gou- 
verneur mit  seiner  Gattin  niederliefs,  und  nehmen  erst  mit  dem  Feld- 
zug in  Piemont  ein  Ende,  1536.  Seit  dem  Jahre  1542,  als  Costanza 
Fregoso  sich  auf  ihren  Witwensitz  an  die  Garonne  zurückzog,  datiert 
der  letzte  Cyklus.  Über  1550  hinaus  lassen  sich  nur  wenige  ver- 
folgen. Alle  Anhaltspunkte,  die  sich  aus  den  Widmungen  und  No- 
vellen selbst  ergeben,  hat  Morellini  mit  Sorgfalt  untersucht  und  jeder 
Novelle  nach  Möglichkeit  ihr  Datum  anzuweisen  gesucht. 

Die  Einkleidung  der  Novelle  ist  schon  besprochen.  Bandello 
läfst  stets  die  Erzähler  selbst  reden.  Einmal  unterbricht  er  sogar  die 
Erzählerin,  um  selbst  einen  Satz  einzufügen,  und  läfst  sie  dann  fort- 
fahren (3,  52).  Manche  Novellen  wären  im  Anfang  ohne  die  Wid- 
mung kaum  verständlich  oder  doch  befremdlich,  •  weil  stets  eine  an- 


'  Man  sehe  die  Anfänge  in   Kellers  Übersetzung  nach,  wo   der  Text 
selbst  fehlt. 


Matten  Baiuiello.  363 

dere  Person  da?  Wort  hat.  Wa?:  sie  vielleicht  an  Abgescilloi-senheit 
einbüfsen,  |Lj;e\vinnen  die  Geschichten  durch  dieses  Verfahren  gewifs 
an  Unmittelbarkeit  und  Lebendigkeit. 

Km  solcher  VorzAig  ist  unserem  Verfasser  gewifs  zu  giinncn, 
weil  er  als  Lombarde  auf  die  Schönlieit  der  toskanischen  Mundart 
verziehten  mufs  (4,  24)  und  ehrlich  darauf  hinweist,  dafs  es  nicht 
sehr  zu  verwundern  wäre,  wenn  ihm  hin  und  wieder  ein  abgeschmacktes 
und  ungebräuchliches  AVort  entschlüpfte,  das  etwas  nach  dem  Go- 
tischen klänge.  (Von  den  Goten  leitet  nämlich  Bandello  seine  Ab- 
kunft, und  nicht  ohne  Stolz,  her.)  Besonders  wenn  er  dem  Machia- 
vell,  dem  gewandten,  gefälligen,  ausdrucksreichen  Florentiner,  nach- 
erzählt (1,  40)  oder  einem  sprachgewandten  Römer  (1,  2),  dann  ent- 
schlüpft ihm  ein  schmerzliches  Bedauern,  dafs  er  solche  Beredsamkeit 
mit  seiner  niedrigen  Ausdrucksweise  nicht  erreichen  kann.  Rein  tos- 
kanisch- mundartliche  Wörter  hat  übrigens  auch  Petrarca  gemieden 
und  gemeinitalienische  gebraucht.  Also  ist  die  toskanische  Mundart 
von  ihm  erst  recht  nicht  zu  verlangen  (3,  An  die  Leser).  Ebenso 
weist  Bandello  die  Zumutung  zurück,  dafs  er  die  Erzählung  eines 
beredten  Römers  auch  mit  römischen  Worten  wiedergeben  solle  (1,  1). 
Einmal  ist  Römisch  nicht  seine  Mundart,  und  dann  liegt  der  Kern- 
punkt der  Frage  nach  seiner  Meinung  ganz  wo  anders.  Geschichte 
und  diese  Art  Novellen  können  in  jeder  Sprache  ergötzen,  und  so 
hat  er  darum  doch  geschrieben,  wenn  ihm  der  'Stil'  auch  fehlt  (1,  Au 
die  Leser).  Er  hat  recht  daran  gethan.  Im  übrigen  will  er  gar  kein 
Prosaschriftsteller  von  Beruf  sein.  Trotzdem  lesen  sich  seine  No- 
vellen, wenigstens  für  den  Nicht-Italiener,  bei  mancher  mundartlichen 
Wendung  durchaus  glatt  und  flüssig,  solange  sie  nicht  durch  unnütze 
Reden  verlieren.  Eingehendere  Urteile  hierüber  überläfst  man  billiger- 
weise den  Landsleuten  unseres  Verfassers. 

Humor  scheint  er  freilich  nur  in  bescheidenem  Mafse  besessen 
zu  haben,  und  mit  diesem  Mangel  steht  er  weit  von  Boccaccio  und 
den  Toskanern  überhaupt  ab,  die  von  Humor  übersprudeln.  Man 
denke  nur  an  die  Künstleranekdoten  im  Dekameron  oder  an  Sacchettis 
p]rzählung  vom  Schweineschlachten.  So  etwas  gelingt  Bandello  höch- 
stens in  seinen  Franziskanergeschichten;  meistens  liegt  bei  ihm  die 
stärkste  Wirkung  in  den  reinen  Thatsachen. 

Nur  für  das  Scherzhafte  des  Wortspiels  scheint  er  ein  Ohr  ge- 
habt zu  liaben.  So  sagt  er  einmal,  man  solle  sich  hüten,  die  Mai- 
länder alle  für  Salomone  zu  halten;  im  Gegenteil,  es  gebe  unter  ihnen 
auch  sehr  viele  Lehnsleute  der  Abtei  S.  Simpliciano  (2,  47);  auch 
viele,  die  nie  unter  dem  Steinsarg  des  hl.  J>onginus  durchgegangen 
wären  (2,  47). '    Einen  einfältigen  Stutzer  nennt  unser  Autor  Sempli- 

'  T).  h.  nie  gescheit  gewordcu  wären.     Lougiuus    war  joner  röniischo 
Soldat,  der  den  Speer  in  Christi  Seite  stach   und  mit  dem  Blute  des  Ge- 


364  Matteo  Bandello. 

ciano,  die  tugendhafte  Ehefrau  Penelope.  Doch  auch  derartige  Wort- 
spiele und  Anspielungen  sind  selten.  Nur  wenn  unser  Junggeselle 
im  Mönchsgewande  zu  berichten  hat,  dafs  ein  unglücklicher  Ehemann 
sein  Haupt  mit  einer  neuen,  nie  begehrten,  aber  viel  gewährten  Zierde 
schmückt,  dann  ist  er  in  scherzhaften,  leicht  wechselnden  Ausdrücken 
unerschöpflich;  freilich  beruhen  alle  auf  dem  Wortspiel  mit  'le  corna'. 
Übrigens  sind  Boccaccio  und  anderen  Novellisten  derartige  Ausdrücke 
so  wenig  fremd  wie  der  nie  fehlende  Tanz  von  Treviso,  Stellen  wir  einige 
Wendungen  zusammen,  da  sie  augenscheinlich  dem  Autor  des  Cinque- 
cento einstmals  viel  Vergnügen  gemacht  haben:  tnandarlo  a  Corneto 
(2,  53),  in  Cornovaglia  (3,  18  N,);  e  fatto  signore,  cittadino  di  Corneto 
(2,  59  N. ;  3,  1  N.);  appiccargli  ü  vituperoso  cimiero  di  Cornovaglia 
(2,  53  N.;  4,  28  N.);  passare  senza  barca  il  marc  e  acquistare  il  vitu- 
p&i-oso  stato  di  Cornovaglia  (2,  56  N.);  senza  passar  le  alpi  in  una 
notte  era  stato  cacciato  sino  a  Corneto  (von  Lyon)  (4,  28  N.);  puhhli- 
care  i  suoi  cornaxzani  privilegj,  enirare  nel  numero  de'  Corneliani 
(4,  28  N.).  Doch  genug;  nur  sei  noch  erwähnt,  dafs  Bandellos  Feder 
auch  für  die  Einkleidung  der  oft  genannten  danza  trevigiana  ein- 
unerschöpflicher Reichtum  an  Ausdrücken  zur  Verfügung  steht.  — 
Seine  Vorliebe  für  Sprichwörter  kann  ich  hier  nur  streifen,  er  nennt 
sie  bewährte  Worte,  die  meistens  Wahrheit  enthalten  (1,  6);  an  Bil- 
dern, oft  zum  Greifen  plastisch,  ist  seine  Sprache  nicht  arm. 

Mit  Nachdruck  verteidigt  Bandello  seine  Erzählungen  gegen 
den  Vorwurf  der  Unanständigkeit,  der  schon  lange  vor  dem  Er- 
scheinen des  ersten  Bandes  erhoben  wurde.  In  einzelnen  Fällen  hatte 
er  schon  eine  ausgelassene  Geschichte  von  vornherein  mit  einer  Ent- 
schuldigung begleitet;  so  giebt  er  beispielsweise  zu,  dafs  die  Novelle 
von  dem  alten  Rechtsanwalt  und  der  Kurtisane  (3,  2)  nicht  die  ehr- 
barste, aber  doch  witzig  und  zum  Lachen  wäre.  Auch  enthalte  sie 
die  ernste  Warnung  für  die  Alten,  ihre  Kräfte  recht  abzuschätzen 
und  nicht  blindlings  ihrer  wilden  Begierde  zu  folgen.  Zur  Vertei- 
digung der  köstlichen  Geschichte  vom  Bischof  im  Thale  Josafat 
(2,  45)  führt  er  an,  sie  sei  zur  Karnevalszeit  geschrieben,  wo  doch 
aucli  den  weltabgeschiedenen  Klosterbrüdern  erlaubt  sei,  Scherz  zu 
treiben  und  in  der  strengen  Beobachtung  ihrer  Gesetze  etwas  nach- 
zulassen. 

Als  aber  die  Angriffe  nicht  aufhörten,  wie  nach  seinen  Wid- 
mungen anzunehmen  ist,  da  nahm  Bandello  während  seines  Aufent- 
halts in  Verona  Gelegenheit,  sich  seinem  Freunde  Emilio  degli  Emilj 


kreuzigten  seine  kranken  Augen  heilte.  Longinus  wurde  der  iSchutzheilige 
von  IViantiia,  sein  Grab  vielleicht  ein  Wallfahrtsort  für  Blinde.  BandeUo 
scheint  die  obige  Redensart  scherzhaft  von  Geistig- Blinden  zu  gebrauchen 
(auch  noch  8,  29  N.  mit  dem  Zusatz  'di  Mantova'),  denn  ich  habe  keine 
weiteren  Belege  dafür  entdeckt  und  auch  trotz  vielen  Umfragens  keinen 
Italiener  gefunden,  der  sie  gekannt  hätte. 


Matten  Bandello.  365 

gegenüber  einmal  gründlich  über  diesen  Punkt  auszusprechen  (2,  11). 
Dafs  manche  seiner  Novellen  von  Blutscliande,  Mord,  Grausamkeit, 
Diebereien  und  anderen  ungeheuerlichen  und  tadelnswerten  Sünden 
berichten,  wie  sie  von  Männern  und  Frauen  begangen  werden,  das 
giebt  er  unumwunden  zu,  aber  entschieden  bestreitet  er,  deshalb 
Tadel  zu  verdienen.  Wer  solche  Verbrechen  begeht,  der  verdient, 
dafs  man  ihn  tadelt  und  mit  dem  Finger  auf  ihn  zeigt;  aber  nicht, 
wer  solche  Verbrechen  erzählt.  Sonst  wäre  ja  auch  die  Bibel  zu 
verdammen,  die  Ehebruch,  Blutschande  und  Totschlag  durchaus 
nicht  mit  Schweigen  übergeht.  So  denkt  aber  nicht  unser  Novellist 
allein,  auch  das  Urteil  anderer  Männer  von  Geist  und  Urteil  führt 
er  an.  Im  übrigen  haben  jene  überzarten  Tadler  vielleicht  noch  eine 
andere  Absicht,  als  sie  mit  Worten  zeigen  (2,  11).  Das  sind  nämlicli 
jene  zahlreichen,  die  für  Heilige  gelten  möchten  und  doch  im  Grunde 
nur  eine  Gosse  aller  Laster  sind.  Von  ihnen  sagt  er  schon  früher 
einmal,  sie  würden  das  Kreuz  gegen  ihn  predigen,  wenn  sie  diese 
Novelle  sähen,  aber  er  würde  sich  wenig  um  ihr  falsches  Urteil  küm- 
mern (1,  17).  Energisch  ruft  er  ihnen  ein  andermal  zu,  wenn  irgend 
ein  Kritikus,  ein  Frönmiler  mit  verdrehtem  Halse  behaupten  sollte, 
dafs  solches  Geschwätz  weder  euch  zu  lesen  noch  mir  zu  schreiben 
sich  gezieme,  so  wird  die  Antwort  darauf  der  Vers  des  Dichters  sein : 

E  ü  dir  lascico  ed  e  la  vita  onesta    (3,  2). 

Dafs  Bandello  in  gewissen  geistlichen  Kreisen  heftige,  rein  per- 
sönliche und  wenig  skrupellose  Gegner  hatte,  steht  fest,  vermutlich 
unter  den  Franziskanern,  die  er  ja  öfters  tüchtig  geifselt;  auf  jenen 
^areifanfano'  aus  Mantua,  der  ihm  im  Jahre  1518  das  Leben  sauer 
machte,  habe  ich  schon  hingewiesen.  Ein  sehr  ehrendes  Sittenzeugnis 
der  Markgräfin  Isabella  selbst  machte  aber  alle  Angriffe  wirkungs- 
los. Bei  seiner  Verteidigung  in  Verona  sucht  er  übrigens  alle  Vor- 
würfe mit  der  Versicherung  zu  entkräften,  dafs  er  seine  folgenden 
Novellen  nur  mit  anständigen  und  reinen  Worten  erzählen  will,  so 
dafs  keiner  rot  zu  werden  braucht,  der  sie  hört  oder  liest.  Auch  ver- 
sichert er,  dafs  er  das  Laster  nie  loben,  von  Tugend  und  guter  Sitte 
nie  abfällig  reden,  vielmelir  alle  Schandthaten  an  den  Pranger  stellen 
und  die  guten  Werke  loben  und  preisen  will  (2,  11).  Es  klingt  ein 
wenig  nach  pater  peccavi.  Aber  ganz  streng  hat  er  sich  daran  nicht 
gehalten,  es  wurden  eben  gar  zu  lustige  Geschichten  erzählt.  Alle 
Angriffe,  die  sich  gegen  zu  grofse  Unzüchtigkeit  der  Novellen  Ban- 
dellüs  richten,  sintl  ilurchaus  zurückzuweisen,  denn  wenn  er  wohl  in 
natürlicher  Derbheit  manches  erzählt,  was  man  nach  der  wohlanstän- 
digen Heuchelmiene  der  Jetztzeit  von  einem  Frate  und  Bischof  nicht 
erwarten  würde,  so  muls  nmii  bedenken,  dafs  das  C'iiKjueceiitü  darin 
ganz  anders  fühlte,  dafs  weit  höher  Gestellte  im  Prälatengewande 
ganz  andere  Sünden  auf  dem  Gewissen  hatten,  und  dafs  unser  Autor 


366  Matteo  Bandello. 

selbst  unter  den  Novellisten,  also  den  engeren  Berufsgenossen,  durch- 
aus keiner  von  den  ärgsten  ist. 

Wenn  also  Bandello  gegen  solche  Vorwürfe  eine  begreifliche 
Empfindlichkeit  zeigt,  so  lassen  ihn  im  übrigen  die  Kritiker  recht 
kühl,  wenn  er  sie  auch  einmal  'Tadler  und  wütende  Beifser'  nennt 
(2,  40).  Wollen  ihn  einige  tadeln,  etwa  seiner  Sprache  wegen,  so 
soll  es  ihm  leid  thun,  wie  er  mit  leisem  Spott  bemerkt,  nicht  alle  be- 
friedigt zu  haben.  Danken  wird  er  sogar  für  gerechten  Tadel  — 
den  doch  so  viel  Bessere  haben  über  sich  ergehen  lassen  müssen  — , 
denn  wenn  auch  nicht  ihm,  so  kann  es  doch  vielen  anderen  nützen, 
nicht  in  ähnlichen  Irrtum  zu  fallen  (3,  An  die  Leser).  Eine  feinere 
Abfertigung  soll  man  erst  suchen.  Ergötzlich  ist  auch  die  Thatsache, 
dafs  unser  Autor  gleich  nach  Abwehr  der  feindlichen  Angriffe  eine 
Novelle  erzählt,  die  zu  denen  gehört,  die  'diesen  Kritikern  den  Magen 
umkehren'. 

Grofs  kann  in  der  That  der  Einflufs  seiner  Feinde  nicht  ge- 
wesen sein,  sonst  wären  die  angesehenen  Stimmen,  die  sich  un- 
umwunden zum  Lobe  des  überall  beliebten  Dominikaners  vernehmen' 
lassen,  nicht  so  zahlreich.  Der  junge  Verfasser  schon  ist  der  Über- 
zeugung, dafs  Ippolita  seine  Novellen  lesen  wird,  weil  er  oft  ge- 
sehen hat,  dafs  sie  seine  Allotria  in  die  Hand  nahm  und  einen 
guten  Teil  ihrer  Zeit  damit  verbrachte,  sie  durchzusehen.  Sie  liest 
sie  sogar  mehrfach  und,  was  mehr  bedeutet,  sie  lobt  sie.  Ihr  Wohl- 
wollen gegen  ihn  täuscht  sie  nicht,  dazu  ist  ihr  Urteil  zu  aufrichtig 
und  fest;  kennt  er  doch  ihren  Geist,  ihre  Gelehrsamkeit  und  ihre 
Gaben  (1,  1). 

Lassen  wir  das  Lob  seiner  näheren  Freunde  ganz  aufser  Rech- 
nung; aber  mehrere  Novellen  widmet  er  auch  ferner  stehenden,  weil 
der  Empfänger  seine  Sachen  gern  liest.  Darunter  Gelehrte  und 
Dichter  von  Namen,  wie  B.  Castiglione  (2,  2),  Fracastoro  (2,  9),  Molza 
(1,  50)  u.  a.  Marcantonio  Sabino  spendet  ihm  Lob  in  einer  Elegie 
über  den  Stil  des  Apulejus.  Bandello  lehnt  dies  zwar  als  unverdient 
ab,  doch  will  er  lieber  von  ihm  zu  unrecht  gelobt  als  von  jemand 
mit  Recht  getadelt  werden  (3,  2). 

Grofs  war  die  Zahl  nicht  nur  derjenigen,  die  gern  Näheres  über 
seine  Erzählungen  hörten  (z.  B.  2,  54),  sondern  auch  derjenigen,  die 
ihn  direkt  um  eine  Novelle  baten,  wie  Paolo  B.  Fregoso,  ein  hoff- 
nungsvoller Jüngling,  ihn  mehrfach  um  eine  Geschichte  für  seine 
Mutter  bat  (2,  26).  Auch  der  Kardinal  von  Armagnac  und  andere 
aus  hohen  Kreisen  lasen  seine  Novellen  immer  gern  (2,  21;  2,  37; 
3,  40).  Durch  ganz  Italien  ging  sein  Ruf  als  Erzähler.  Ein  Kriegs- 
mann aus  Neapel  bemerkt  im  Lager  zu  Pinerolo  zu  einem  Oberst- 
leutnant aus  Barletta,  er  hätte  gehört,  dafs  Bandello  gern  Vorfälle 
aus  dem  Gebiete  der  Liebe  und  andere  aufschreibe  (4,  26).  Selbst 
im  Auslande  kannte  und   schätzte  mau   ihn.    Bracchietto,   ein   Mit- 


Matteo  Bandello.  367 

glied  des  grofsen  Rats  zu  Paris,   erinnert  sicli  unseres  Autors   noch 
nach  Jahren  und  spriclit  ehrenvoll  und  liebreich  von  ihm  (2,  41). 

Neben  so  viel  freundlicher  Anerkennung  wollen  die  unfreund- 
lichen Worte  seines  Verlegers  Busdrago  wenig  bedeuten,  wenn  er 
den  ersten  Teil  der  Erzäldungen  mit  einer  niedrigen  Magd  vergleicht, 
der  man  nach  Belieben  den  Ful's  auf  den  Nacken  setzt,  wenn  sie 
nicht  gefällt.  —  Dafs  Bandello  aucli  von  Ginguene,  weniger  von 
Landau,  eine  gute  Beurteilung  erfährt  und  von  ersterem  entschieden 
über  Giraldi,  Erizzo  und  Molza  gestellt  wird,  sei   nebenbei  erwähnt. 

Damit  wäre  die  Geschichte  der  Novellen  nach  den  Widmungen 
so  ziemlich  erschöpft.  Von  seinen  übrigen  Werken  spricht  Bandello 
nicht  oft  und  gewifs  nicht  aufdringlich.  Von  noch  erhaltenen  Werken 
erwähnt  er  mehrfacli  seine  Gedichte,  aus  denen  er  schon  1526  im 
Feldlager  bei  Mailand  vortrug  (1,  43).  In  vornehmen  und  Hofkreisen 
scheinen  sie  gleich  den  Novellen  gern  gelesen  zu  sein,  denn  trotz 
seiner  fleifsigen  Feder  kann  er  nicht  alle  Wünsche  nach  Neuem  be- 
friedigen (3,  35).  Zweimal  erwähnt  er  ferner  die  Canti  XI,  De  le 
lodi  de  la  S.  Luci-etia  Gonzaga  di  Gazuolo  e  del  Vero  Aniore  col 
Tempio  di  Pudicitia  e  con  altre  cose  per  dentro  j^oeticamente  descritte, 
Agen,  Reboglio,  1545,  die,  in  Frankreich  abgeschlossen  und  gedruckt, 
aber  zwei  Jahre  später  noch  nicht  in  den  Händen  aller  seiner  Freunde 
waren  (2,  3G;   1,  57). 

Von  uns  nicht  erhaltenen  Schriften  erwähnt  Bandello  eine  über 
wunderbare,  kaum  glaubliche  Ereignisse,  die  er  mit  wahrem  Chro- 
nisteneifer ebenfalls  nach  mündlichem  Bericht  zusammenstellte.  Diese 
Geschichten  wurden  während  einiger  Tage  im  Bade  Aquario  bei  Mai- 
land in  der  Gesellschaft  Ippolitas  erzählt  (3,  0).  Über  dieses  Buch 
ist  nichts  Näheres  bekannt;  vielleicht  ging  es  1525  verloren,  oder 
der  Verfasser  nahm  die  bemerkenswertesten  Erzählungen  unter  die 
Novellen  auf.  —  Desgleichen  erwähnt  Bandello  eine  ziemlich  um- 
fangreiche Abhandlung,  die  er  nach  neuntägigen  Erörterungen  über 
Glück,  Zufall  u.  ä.  verfafst  Imt;  möglicherweise  nur  für  seine  Gön- 
nerin Ippolita,  in  deren  Gegenwart  diese  philosophische  Unterhaltung 
stattgefunden  hatte  (2,  48).  Vielleicht  dürfen  wir  uns  diese  Schrift 
in  der  Art  der  pliilosophischen  Iktrachtungen  Montaignes  vorstellen, 
die  mit  Belegen  aus  den  alten  und  neueren  Geschichtschreibern  und 
Philosophen  reichlich  gewürzt  sind. 

Florenz.  II.   Mcyir. 

(Schlufs  folgt.) 


Kleine   Mitteilungen. 


Streoneshealh. 

StrenasJmlc  interpretatur  sinus  fari  ist  ein  Satz  Baedas  Eist, 
eccl.  II  25,  der  auch  dem  letzten  Erklärer  als  *an  old  crux'  erscheint. 
Das  Wort  Jtealh  —  nicht  'rock'  —  erlaubt  in  den  Endungen  zahl- 
reicher Ortsnamen  ganz  wohl  die  auch  von  Sweet  {Stud.  dict.)  an- 
genommene Bedeutung  'Winkel'.  [Bradley  (Academy  12  I,  1889, 
p.  29)  meint  'Niederwiese,  haugh'.]  —  An  einen  'Leuchtturm'  eines 
nordhumbrischen  Küstendorfes  um  ü50  wird  niemand  denken;  dafs 
pharus  für  einen  'Turm',  etwa  aus  Römerzeit,  stehe,  nahmen  frühere 
Lokalantiquare  grundlos  an.  Nun  heifst  streon  'Erwerb,  Gewinn, 
Gewinnung,  auch  von  Geldwert  im  Handel'.  Alle  philologische 
Schwierigkeit  schwindet,  wenn  man  emendiert  fori^  :  'Marktwinkel'; 
zur  'Handelsbucht'  war  die  Eskmündung  gewifs  früh  geeignet. 

Berlin.  F.  Li  eher  mann. 

Zum  Beowulf. 

I. 

1 745  ff.:    pantie  biä  on  hrepre  under  heim  drepen 
biter  an  strale,  him  bebeorgan  ne  con 
wom  wimdorbebodum  tvergan  gdstes. 

Diese  Verse  aus  der  vielgeschmähten  'Predigt'  des  greisen  Dänen- 
königs gehören  zu  den  noch  immer  nicht  ganz  seltenen  Stellen  des 
Gedichtes,  bei  deren  üblicher  Deutung  (bezw.  Deutungen)  man  sich 
eines  gewissen  unbehaglichen  Gefühls  nicht  erwehren  kann.  Fafst 
man  wom  als  acc.  sing.  =  'Makel,  Sünde,'  stain  (Heyne,  Socin, 
Grein  [Bibliothek,  Dichtungen],  J.  L.  Hall,  J.  R.  Clark  Hall)  und 
übersetzt  demgemäfs  etwa  mit  Grein:  'er  kann  nicht  bergen  sich  vor 
Freveln  durch  Wundergebote  des  verworfenen  Geistes'  oder  mit 
J.  R.  Clark  Hall:  'he  cannot  keep  himself  from  stain,  because  of 
Strange  behests  of  the  Accursed  Spirit,'  so  hat  man  zum  mindesten 
eine  recht   bedenkliche    stilistische  Härte  zu  verantworten.     Dieser 


'  Unter  den  besten  Hss.  Baedas  schreibt  eine  toto  für  toia,  die  andere 
foronem  für  Faronem,  ed.  Plummer  I  187  3.  203''.  Als  Römerspuren  er- 
wähnt Baeda  I  IZ  civitates,  farus,  pontes  (Var.  fores;  farans);  er  meint 
nur  Dovers  Leuchtturm  oder  dekliniert  pliarus  falsch  (wie  Old  Engl.  eers. 
ed.  Miller  41  Plural  torras  versteht):  beides  gegen  obige  Lesart  fari. 


Kleine  Mitteilungen.  SGP 

Schwierigkeit  sind  diejenigen  aus  dem  Wege  gegangen,  welche  wönt 
(dat.  plur.  von  ivöh)  ivundorhehodutn  als  'verkehrte  wunderbare  Be- 
fehle (rätselliafte  Gebote)',  'crooked  wondrous  coramands'  erklären 
(Grein  [Sprachschatz,  SeparatausgahcJ,  Toller,  Holder,  Wyatt,  Earle, 
Garnett;  Wülkers  Auffassung  ist  nicht  erkennbar).  Doch  wenn  man 
dann  (z.  B.  mit  Garnett)  interpretiert:  'he  cannot  dcfend  him  from 
the  evil  stränge -orders  of  the  cursed  spirit,'  so  befindet  man  sich 
wieder  auf  unsicherer  Balm,  denn  ob  bebeorgan  überhaupt  mit  einem 
solchen  Dativ  verbunden  werden  kann,  ist  billigerweise  stark  zu  be- 
zweifeln; lieifst  es  doch  bekanntlich  kurz  darauf:  hebeorh  pe  (tone 
healonld,  1758.'  Könnte  aber  nicht  vielleicht  durch  andere  Inter- 
punktion eine  Besserung  erreicht  werden?  Wir  schlagen  vor  zu  lesen: 

ponne  bid  on  hrepre  under  heim  drepen 
biteran  strrele  —  him  bebeorgan  ne  eon  — , 
loöm  wundorbebodum  wrrgan  gastes. 

him  bebeorgan  ne  con  =  'er  kann  sich  nicht  davor  schützen'  — 
das  Pronomen  darf  fehlen  —  (weniger  wahrscheinlich:  'er  kann  sich 
nicht  schützen').  Eine  instrumentale  Bedeutung  ('by  the  evil  strange- 
orders')  wird  man  den  Worten  wöm  wundorbebodum  dabei  nicht  zu- 
legen dürfen,  da  ja  der  werga  gast  eben  der  Schütze  selber  ist,  —  bona . ., 
se  Jje  of  ßänbogan  fgrenum  sc^oted  (17 iSi.);  vielmehr  werden  dieselben 
parallel  mit  biteran  strcele  stehen:  der  scharfe  Pfeil  ist  nichts  anderes 
als  die  verkehrten  (böseJi)  wunderbaren  (unheilvollen  ?)  Gebote  (des 
Verführers).  Übrigens  dürfte  bebodu  nur  als  ein  etwas  stärkerer  Aus- 
druck für  lär  anzusehen  sein  (wie  ja  z.  B.  auch  im  Hdiand  ambusni 
parallel  mit  lera  gebraucht  wird).  Natürlich  hat  diese  kühne  Zu- 
sammenstellung von  strcel  und  bebodu  etwas  Verletzendes  für  unser 
modernes  Stilgefühl,  doch  möchten  wir  hier  auf  die  sehr  beherzigens- 
werte Äufserung  Gummeres  hinweisen:  'There  is  a  gap  between  con- 
crete  and  abstract,  but  it  is  narrow,  and  the  poet  leaps  from  one  to 
the  other  without  any  sense  of  inconsistency'  ('The  Anglo-Saxon  Meta- 
pher,' p.  16,  woselbst  auch  Beispiele  angeführt  und  angedeutet  sind). 
Es  ist  nicht  viel  anders,  als  wenn  z.  B.  Cynewulf  in  'Crist'  756  f. 
synwunde  unvermittelt  auf  Idle  lustas  folgen  läfst.  Ninnut  man  über- 
dies mit  Müllenhoff  an,  dafs  der  Verfasser  (Interpolator)  dieser  Zeilen 
an  Ephes.  VI  IG  dachte  (in  omnibus  sumeiites  scutum  üdei,  in  quo 
possitis  omnia  tela  nequissimi  ignea  extinguere),  so  legte  ja  der  ganze 
Zusammenhang  jener  bekannten  biblischen  Stelle  eine  Nebenein- 
anderstellung bildlichen  und  unbildlicheu  Ausdrucks  nahe,  vgl.  V.  1 7 : 
et  galeam  salutis  assumite,  et  gladium  spiritus  (quod  est  verbum  Dei). 

Es  wird   also   nach   der  Darstellung  Hrödgiirs    der  im  Glück 


'  Vgl.  z.  B.  auch  Beda  128,  9  pcet  ic  me  his  fiete  bearh  7  ivarenode,  wo 
hete  Accus,  sein  niufs,  da  ivarenian  diesen  Kasus  erfordert.  Ferner  s.  Grein 
u.  B.-T.  unter  beorgan  und  gebeorgan. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CVlll.  24 


370  Kleine  Mitteilungen. 

schwelgende  Mann  in  unbewachter  Stunde  (1741  f.),  schutzlos  (him 
bebeorgan  ne  con),  vom  Pfeil  des  Widersachers  getroffen,  d.  h.  die  Ge- 
bote (Lehren,  Eingebungen)  des  Teufels  dringen  in  sein  Herz,  und 
so  wird  seine  Sinnes-  und  Handlungsweise  zum  Bösen  verkehrt,  ihm 
selbst  zum  Verderben  (1748  ff.). 

n. 

497  f.:  ß(P^r  wc&s  hceleda  dream, 

diigud  unlytel  Dena  ond  Wedera. 

Gegen  Holthausens  bestechenden  Besserungsvorschlag,  dugude  zu 
schreiben  (Archiv  CV,  366),  ist  —  mit  Hinweis  auf  obige  Anmer- 
kung —  einzuwenden,  dafs  die  altenglischen  Dichter  auch  eine  der- 
artige anscheinend  inkongruente  Parallelisierung  {dream,  duguä) 
offenbar  nicht  als  kunstwidrig  empfanden.    Man  halte  daneben  z.  B.: 

pa,  wces  eft  swä  är  inne  on  Jiealle 

prydword  spreeen,  äeod  on  scJlum, 

sigefolea  sweg.    B.  642. 

pcer  wcBS  singal  sang  ond  stvegles  gong, 

wlitig  weoroda  heap  ond  wuldres  preat.    Andr.  8G9. 

pracu  W(BS  on  öre, 
heard  kandplega,  hcegsteald  madige 
wäpna  wcelsliktes,  wigend  unforhte, 
bilswadu  blödige,  beadumcegnes  ras, 
grlmJiehna  gegrind,  pär  lüdas  för.  Exod.  326. 

Oder  auch:  dces  de  üs  secgad  bec, 

ealde  üdwitan.    Aedelst.  68. 

Im  übrigen  mag  auch  an  die  Verbindung  dugud  unlytel  im 
Andreas  (1270)  erinnert  werden.  —  Die  überlieferte  Lesart  ist  füg- 
lich unseres  Erachtens  nicht  zu  beanstanden. 

Minneapolis  (Minn,).  Fr.  Klaeber. 


Nordhumbrisehe  Laute  um  710. 

In  Streoneshealh,  dem  späteren  Whitby,  wai'd  c.  700 — 731, 
wahrscheinlich  vor  713,  die  Vita  s.  Gregorii  I.  von  einem  Nordhumbrer 
verfafst.  In  fränkischer  Minuskel  um  825  steht  sie  in  Hs.  Sankt 
Gallen  567.  F.  Ewald  entdeckte  ihren  Wert  und  druckte  Stücke. 
{Histor.  AufsätXe  dem  And.  an  G.  Waitz  S,  17  ff.;  daraus  entnahm 
Teile  Plummer  Ven.  Baedae  Eist.  eccl.  II  389.)  Englisch  lauten 
darin  nur  Nameji:  ed.  Ewald  S.  27  Ängl'orum,  S.  48  ff.  Anguli,  sonst 
28.  50  ff.  Angli.  28.  49  gente  Humbrensium.  49  f.  52  Eduinus, 
28.  50.  52.  [gen.]  Eduini,  52  [abl,]  Eduino.  43  virgo  Aelbfled  cum 
matre  Eanflede,  52  coenobium  Aelflede  fili^  Eonflede.  48  Rex  Aelli, 
49  f.  [gen.]  Aelli;  50  Aelli  duabus  compositum  est  sillabis,  quarum  in 
priori  cum  e  littera  absumitur  et  in  sequenti  pro  i  ponitur  e,  'alle' 
vocatur,  in  nostra  lingua  :  omnes.  Ewald  vergleicht  die  Spielerei  mit 
dem  Worte  all  in  Kemble  Cod.  dipl.  [159  --  Birch  Cart.  Sax.  265]. 


Kleine  Mitteiluugen.  371 

48  Tribun  tiomen  Deir(,  49  Kdilbptius  rex  Canlnarioruni.  51  mib 
rege  Uuvstranglurum  [r  radiert;  Estr.  bessert  Plummer],  52  Sundar- 
angloruvi  [korr.  in  Sudrang.],  Tledualdo  .  J^dilfridus.  52  fraler 
Trimvia  .  Edüredi  regis .  Hedßed,  d.  i.  Ha;thfekl,  Hatfield.  ad  Streunes- 
Älae.     53  in  Lindissi  .  maritum  Teoful. 

Berlin.  F.  Liebermann. 


Die  Schicksale  der  Apostel  doch  ein  unabhängiges  Gedicht. 

Einen  zwingenden  Beweis  für  die  Richtigkeit  der  Ansiclit,  dafs 
die  ScliA.  den  Schlufs  des  Andr.  bilden,  hat  man  erblickt  in  der 
Angabe  des  Dichters,  dafs  er  seinen  Sang  samnode  wtde.  Simons, 
in  der  Einleitung  zu  'Cynewulfs  Wortschatz',  Bonn.  Beitr.  III,  sagt 
dazu:  'Dafs  der  Dichter  des  Andreas  zu  seinem  Werke  sammelte, 
das  war  nötig  und  ist  verständlich;  ganz  unglaublich  aber  ist,  dafs 
sich  jemand,  um  einen  Reisesegen  zu  dichten  und  einen  Wunsch 
seiner  Seele  auszusprechen,  auf  Reisen  begab,  um  Stoff  zu  sammeln' ; 
und  unten  wiederum:  'Würde  der  Dichter  nicht  gefürchtet  haben, 
lächerlich  zu  werden  mit  der  Bemei'kung,  er  habe,  um  den  StofT  zu 
seinen  flüchtig  hingeworfenen  und  kurzen  SchA.  zu  sammeln,  eine 
weite,  mühevolle  Reise  unternommen  ?'  Und  Bourauel,  Zur  Quellen- 
und  Verfasserfrage  von  Andreas  Christ  und  Fata,  Bonn.  Beitr.  XI 
118,  bemerkt,  nachdem  er  die  Quellen  für  die  SchA.  aufgezeigt 
hat:  'Dafs  er  (der  Dichter)  für  diesen  Abschnitt  nicht  weither  zu 
sammeln  hatte  und  mithin  das  samnode  wtde  der  zweiten  Zeile 
nicht  auf  die  Fata  als  solche  allein  zu  beziehen  ist,  wird  jedem  ein- 
leucliten,  der  die  von  mir  als  Quellen  aufgestellten  Schriften  auf- 
merksam durchschaut,'  und  S.  132  wird  dieselbe  Beweisführung 
wiederholt.  Dafs  beide  Forscher  dies  Argument  zweimal  anführen, 
zeigt,  wie  grofses  Gewicht  sie  ihm  beimessen;  und  kein  Wunder,  dafs 
Bourauel  dies  thut.  Denn  das  Resultat  seiner  eingehenden  Unter- 
suchung, dafs  nämlich  für  das  Gedicht  Andreas  vielerlei  Material 
vorgelegen  hat,  während  zur  Verfassung  der  SchA.  nur  eine  Zu- 
sammenstellung aus  Hieronymus,  Isidor  und  Beda  nötig  war,  ergab 
ein  treffliches  Mittel  zur  Entscheidung  der  Frage,  auf  welches  Ge- 
dicht sich  dies  samnode  uide  bezog.  Allein,  ist  es  wohl  so  ganz 
sicher,  dafs  samnode  wtde  'sammelte  weither'  bedeutet?  Wo  dies 
Zeitwort  in  diesem  Sinne  gebraucht  wird,  ist  sein  Objekt  entweder 
ein  Kollektiv:  folc  Ex.  217,  Dan.  22s,  Jiere  Andr.  1124,  oder  ein 
Plural  Phö.  193,  2()0.  Dasselbe  gilt  selbstverständlich  von  gesam- 
nian:  mit  Kollektiv  Dan.  52,  Andr.  1098,  El.  282,  Sal.  400;  mit 
Plur.  Andr.  1067,  El.  2G,  Seel.  51,  Met.  22 ",  Ps.  103-''.  105'''',  106-, 
125**.  Wo  das  Objekt  ein  Singular  ohne  kollektive  Bedeutung  ist, 
hat  samnian  den  Sinn  von  'zusammenfügen',  'zu  einem  Ganzen 
machen'.    Man  vergleiche  z.  B.  Phö.  546 — 548a: 

24* 


372  Kleine  Mitteilungen. 

ne  wem  pc&s  cenig      celda  cynnes, 
ßcBt  ic  lygewordum      leod  somnige, 
wrtte  wodcrcüfte. 

Dafs  hier  dasjenige,  woraus  das  leod  zusammengefügt  wird,  im  In- 
strumental ausgedrückt  steht,  während  es  dagegen  in  SchA.  ver- 
schwiegen ist,  findet  seine  Ursache  in  derNotwendigkeit,  das  'Lügne- 
rische' der  Worte  zu  betonen.  Wo  es  aber  einfach  'Worte'  sind,  wie 
SchA.  2,  werden  sie  verschwiegen.  So  sagt  Cynewulf  in  Napiers 
Runenstelle  3  hwd  päs  fitte  fegde,  ohne  zu  erwähnen,  woraus  er  'diesen 
Sang'  zusammengefügt  hat.  Nein,  sagt  Bourauel,  nicht  ßeos  fitt  ist 
das  Zusammengefügte,  sondern  J)äs  fitte  sind  die  Teile,  aus  welchen 
das  Ganze  (vom  Dichter  selbst  galdres  begang  genannt!)  zusammen- 
gefügt ist.  Bourauels  Beweisführung  für  seine  Ansicht:  'päs  fitte 
mufs  als  Acc.  Plur.  ausgelegt  werden'  ist  sonderbar:  'Diese  Ab- 
schnitte sind  wirklich  vorhanden.  In  Andreas  und  den  Fata  zu- 
sammen kann  man  deren  dreie,  aber  auch  nur  dreie,  zählen:  Sinn 
wie  äufsere  Auszeichnung  durch  illuminierte  Anfangsbuchstaben 
zwingen  uns  dazu.  Alle  drei  fangen  mit  Hwcetl  an;  ich  meine  die. 
Abschnitte,  welche  mit  Andreas  1,  Andreas  1478  und  mit  Fata  1 
anheben'  (S.  129—130).  Gewifs,  die  Abschnitte  sind  vorhanden, 
wenn  Andreas  -j-  SchA.  -|-  Runenstelle  ein  einheitliches  Ganze  aus- 
machen; allein  eben  das  mufs  er  beweisen.  Aber  statt  dessen  setzt 
er  die  Zusammengehörigkeit  voraus  und  ruft  triumphierend  aus: 
'päs  fitte  mufs  als  Acc.  Plur.  ausgelegt  werden.'  So  lange  aber 
Dr.  Bourauel  nicht  stärker  'zwingende'  Beweisgründe  als  'Sinn  und 
äufsere  Auszeichnung  durch  illuminierte  Anfangsbuchstaben'  bei- 
bringen kann  —  denn  wenn  SchA.  unabhängig  von  Andreas  wäre, 
hätte  dieser  Anfangsbuchstabe  eben  sehr  seine  Berechtigung — ,  nehme 
ich  päs  fitte  als  Acc.  Sing,  und  fegean  als  'zusammenfügen  (aus 
Worten)'  =  'dichten'  auslegen.  Ähnliche  Bezeichnungen  des  Dich- 
tens sind  Met.  II,  4  b — 9: 

nie  ptos  siccetung  hafad 
ägoiled,  des  geocsa,      pcet  ic  pä  ged  ne  mceg 
gefegean  swä  fcegre,      peak  ic  fela  gio  pä 
sette  sodxnvida,      ponne  ie  on  sMum  wms. 
Oft  ic  nü  miseyrre      cüpe  spr^ce 
and  peak  uneüdre      a,r  hwtlum  fond! 

Hier  bedeutet  pä  ged  gefegean  doch  wohl  nicht  'die  einzelnen  Lieder 
zu  einem  Ganzen  zusammenreihen',  denn  das  wäre  die  Einfalt  auf 
die  Spitze  getrieben,  zu  sagen,  dafs  er  solche  Arbeit  nicht  so  schön 
mehr  machen  könnte  wie  früher.  Der  Dichter  denkt  nur  an  seine 
mindere  Fähigkeit,  schöne  Verse  zu  schreiben,  wie  V.  8:  oft  ic  nii 
miseyrre  cüpe  sprace,  beweist.    Eine  Parallele  ist  auch  Beow.  871: 

Word  öder  fand  sode  gebunden, 
wo  söäe  gebunden  nichts  mehr  als  'wahrhaft  gedichtet'  und  nicht,  wie 
Heyne-Socin   es   auffassen,   'in   schönen   allitterierenden  Versen'   be- 


Kleine  Mitteilungen.  873 

deutet;   vgl.  söäncide,   södgiedd,  sodicord.    Was   bleibt  auch  bei  der 
Auslegung  von  H.-S.  von  der  Bedeutung  von  söä  übrig? 

El.  1237  {Ic)  ivordcrceft  [ge]wcEf  {=^  wob  zusammen,  nach  Traut- 
niaiins  Änderung)  and  ivundnim  hes,  welches  lesan  docli  wohl  nicht 
auf  da.s  'Zusammenlesen  der  Stoffe'  {ivundru  will  Trautmann  lesen), 
sondern  auf  das  Dichten  selbst  Bezug  hat  (mit  ivordcrccft  als  Objekt). 
Den  adverbialen  Instrimiental  tvundrum  behalte  ich  bei  und  ver- 
gleiche es  mit  sode  in  dem  sode  gebunden  des  Beowulf.  Ich  über- 
setze also:  'Ich  wob  Wortkunst  zusammen  und  dichtete  auf  künst- 
liche Weise.'  Ist  hier  vielleicht  auch  der  Schlafs  des  ersten  soge- 
nannten Rätsels  herbeizuziehen: 

18    pcBt  mon  eaße  toslUed,      ptette  iicefre  gesomnad  wces: 
uncer  giedd  geador, 

und  stecken  etwa  die  beiden  Bedeutungen  'zusammenfügen'  (als 
Gegensatz  zu  töslilan)  und  'dichten'  (zu  giedd  gehörend)  in  gesomnian? 
Aber  auch  ohne  dafs  ich  dieser  Vermutung  einige  Beweiskraft 
für  meine  Auffassung  des  samnode  ivide  entlehnen  kann,  glaube  ich, 
durch  die  anderen  Beispiele  doch  höchst  wahrscheinlich  gemacht  zu 
haben,  dafs  sang  somnian  ^^  leod:  samnian  =  fltte  fegan  =^  giedd 
gefegan  =  ivord  hitidan  ^-  wordcrceft  [ge]wefan  =  lesan  =  dichten. 
Bei  dieser  Auffassung  giebt  V.  2  der  SchA.  eine  bis  in  Einzelheiten 
genaue  Wiederholung  der  ersten  Zeile:  on  seocum  sefan  entspricht 
dem  geömm-j  samnode  dem  fand,  ivide  dem  std-,  während  die  Aus- 
legung 'sammelte'  eine  andere  Aussage  als  'fand'  bringt.  Meine 
Übersetzung  ist  also:  'Diesen  Sang  erfand  ich,  traurig  von  der  Reise, 
dichtete  ich  betrübten  Sinnes  in  der  Ferne.'  Zweitens  meine  ich  so 
gut  als  sicher  bewiesen  zu  haben,  dafs  Bourauel  mit  seiner  Auslegung 
von  fitte  fegan  als  'die  (drei)  Teile  zu  einem  Ganzen  zusammenfügen' 
nicht  das  Richtige  trifft.  Er  selbst  scheint  das  gefühlt  zu  haben, 
denn  mit  seiner  Übersetzung,  'diese  Abschnitte  habe  ich  zusammen- 
gefügt gedichtet,'  sucht  er  beiden  Auffassungen  gerecht  zu  werden! 
(S.  129.)  Fitt  ist  Singular  und  drückt  dasselbe  aus  wie  sang  V.  1, 
gid  V.  fid  und  galdor.  Padelford,  'Old  English  musical  terms,'  giebt 
als  Bedeutungen  von  galdor:  a  magic  song,  incantation,  enchantmenf. 
divination,  sorcery.  Bourauel  aber  meint  eine  neue  Bedeutung  an- 
setzen zu  dürfen:  'Was  nun  galdor  bedeutet  ist  klar.  Wir  kennen 
drei  Abschnitte:  sie  machen  zusammen  ein  grofses  harmonisches 
Ganze  aus;  und  das  wird  durch  galdres  begang  ausgedrückt' (S.  130). 
Weit  davon  entfernt,  dies  klar  zu  finden,  mufs  ich  sagen,  dafs  bei 
dieser  Auffassung  von  begang,  als  den  Begriff  der  Ausdehnung  ent- 
haltend, der  ganze  Ausdruck  ein  'contradictio  in  terminis'  ist.  Ein 
'galdor'  von  1844  Versen  ist  eine  zu  sonderbare  Arbeit,  um  sie  Cyne- 
wulf  zutrauen  zu  dürfen.  Professor  Brandl  aber  hat  mit  seiner  Auf- 
fassung von  galdres  und  giddes  begang  als  'des  Gedichtes  Abfassung' 
meiner    Ansicht    nach     ebensowenig    das    Richtige    getroffen.      Ich 


374  Kleine  Mitteilungen. 

bleibe  bei  der  Auffassung  'Verlauf  des  Gedichtes',  ohne  aber  Traut- 
luannß  Begriff  der  Ausdehnung  für  hegong  beizubehalten.  Durch 
die  Heranziehung  einer  Stelle  des  Gu|)l.  B.  glaube  ich  meine  Auf- 
fassung berechtigen  zu  können.  Dort  bittet  der  treue  Diener  den 
im  Sterben  liegenden  Guplac  1132 — 1135: 

gif  he  his  wordcwida      wealdan  meahte, 
spi'Ace  dhebban,      pcut  hitn  on  spellum  gecydJe, 
onivrige  worda  gongum,      hü  he  his  wtsna  trüwade 
drohtes  on  fitere  dimman  adle,       cnrdon  hine  dmd  onskgde. 

Hier  steht  worda  gongum  als  Wiederholung  von  on  spelium,  welches 
letztere  Wort  immer  eine  kurze  Erzählung  bedeutet.  Begong  und  gong 
(Plur.  nur  im  Instrumental)  dürfen  weiter  einander  gleich  gesetzt 
werden.  Man  sehe  bei  Grein  Sprsch.  die  Wendungen,  in  denen  gmig 
und  begang  mit  denselben  Genitiven  verbunden  sind.  Wo  dieser 
Genitiv  ein  Plural  ist,  kann  auch  gong  im  Plural  stehen,  aber  nur 
im  Instrum.;  vgl.  z.  B.  wyrda  gangum  El.  1255  mit  ivyrda  bigang 
1123;  geära  gongum  Cr.  1035,  El.  648,  Jul.  603  mit  geara  gancg 
Ps.  77-^"-.  Diese  Beschränkung  des  Plurals  zum  Instrumental  zeigt- 
genügend,  wie  wenig  ein  PluralbegrifF  in  gangum  gefühlt  wurde; 
offenbar  vertrat  die  Pliu-alform  den  Singular,  denn  weder  von  gang 
noch  von  begang  kommt  ein  Instr.  Sing.  vor.  Wir  dürfen  also  die 
Folgerung  ziehen,  dafs  worda  gongum  Instrum.  ist  zu  einer  zwar 
nicht  belegten,  aber  nach  Analogie  ähnlicher  Ausdrücke  herzustellen- 
den Wendung  worda  gang,  begang.  Nun  kann  es  dem  treuen  Diener 
doch  nicht  zugetraut  werden^,  dafs  er  von  seinem  todeskranken 
Meister  eine  ausgedehnte  Predigt  erwartet.  Guplacs  Antwort  um- 
fafst  denn  auch  nicht  mehr  als  31  Verse  (1139 — 1169),  nach  deren 
Schlufs  der  ombehtpeyn  wieder  das  Wort  ergreift  und  sagt  1176  ff.: 

Ic  pec  hälsige,      hcelepa  leofost 
gumena  cynnes,      purh  goRsta  weard, 
pcet  pjü  hygesorge      heortan  mtnre 
geepe,  eorla  tvyn!      nis  ])e  ende  feor 
pces  pe  ic  on  galdrurn      ongieten  hcebbe. 

Hier  sind  mit  galdrurn  die  von  Guplac  gesprochenen  Worte  gemeint. 
Die  Wendung  on  galdrum  ist  daher  dem  on  spellum  und  dem  worda 
gongum  gleich  zu  setzen.  Auch  in  on  galdrum  kann  nicht  der  Plural- 
begriff gefühlt  sein  (vgl.  El.  161);  galdor  ist  in  dieser  Guplacstelle 
also  synonym  mit  *  worda  gong.  Und  weil  wir  nach  Analogie  von 
ivyrda  bigang  und  geära  gancg,  welche  neben  ivyrda  gongum  und 
geara  gongum  vorkommen,  ein  worda  begong,  gang  ansetzen  dürfen 
und  dies  in  der  GuJ)lacstelle  ein  Synonym  von  galdor  ist,  glaube  ich 
berechtigt  zu  sein,  in  galdres  begang  nichts  anderes  als  eine  dichte- 
rische Umschreibung  von  galdor  zu  sehen.  Und  weil  dies  Wort  nur 
ein  kleines  Gedicht  bedeutet,  kann  mit  galdres  begang,  giddes  begang 
=1  galdor,  gidd  nicht  das  grofse  Gedicht  Andreas  gemeint  sein. 


Kleine  Mitteilungen.  ^75 

"Wenn  dem  so  ist,  sind  pä  (cj>elingas  V.  3  nicht  Matheus  und 
Andreas,  sondern  die  sämtlichen  zwölf  Apostel.  Simons  (Einl.)  meint, 
daf«  dieselben  damit  unmöglich  gemeint  sein  können,  denn  'wären 
es  die  zwölf  Apostel,  so  würde  Cynewulf  sich  bestimmter  ausgedrückt 
und  zwar  den  HauptbegriflT  (tirelfe)  und  dann  die  Varianten  (r//>r- 
linga.^  u.  a.)  gesetzt  haben.'  Dies  wäre  vielleicht  richtig,  wenn  vor  (fßp- 
lingas  nicht  der  bestimmte  Artikel  stände;  den  hat  Simons  über- 
sehen. Er  bedeutet  hier:  'jene  berühmten  Edelinge,'  welcher  lobenden 
F]r\vähnung  die  erläuternde  Angabe  (und  nicht  Variante)  'ihrer  waren 
zwölfe'  folgt.  Aber  [kI  cBpelingas  ist  nicht  nur  .sehr  wohl  möglich  als 
Bezeichnung  der  zwölf  Apostel,  sondern  kann  unmöglich  Matheus 
und  Andreas  allein  bedeuten.  Denn  wo  diese  beiden  im  Andreas 
zusammen  genannt  werden,  wird  ihr  Zweisein  auch  nachdrücklich 
betont,  obwohl  dies  aus  dem  Zusammenhang  genügend  hervorgeht: 
1014  häm  päm  gebröprum,  10:.'6  — 1027  umldres  pegnas,  hegen  pa 
gebropor,  1051  cßgäer  J)ära  eorla  ödriirn  trymede;  nur  1053  einfach 
pd  ungend,  aber  so  unmittelbar  auf  die  letzt  citierte  Stelle  folgend, 
dafs  jeder  Zweifel,  wer  gemeint  sei,  ausgeschlossen  ist.  Das  ist  aber 
nicht  der  Fall  SchA.  o.  Wenn  hier  die  beiden  Apostel  gemeint 
wären,  so  wäre  die  Betonung  ihres  Zweiseins  unbedingt  nötig  gewesen, 
einesteils  weil  im  Andr,  von  Math,  schon  längst  nicht  mehr  die  Rede 
gewesen  war,  aber  ganz  besonders  wegen  des  Gegensatzes,  der  bei 
dieser  Auffassung  entsteht:  'Ich  habe  dies  Lied  gedichtet,  wie  jene 
[zwei]  Edelinge  sich  tapfer  bewährten;  [aber]  es  waren  zwölf 
[solche]  thatberühmte,  von  Gott  erkorene  da.'  Dafs  dieser  Gegensatz 
in  keiner  Weise  ausgedrückt  steht,  beweist  überzeugender  als  all 
das  bisher  Angeführte,  dafs  die  SchA.  nicht  den  Schlufs  zum  Andr., 
sondern  ein  unabhängiges  Gedicht  bilden. 

Amsterdam.  A.  J.  Barnouw. 

Aethelwolds  Anhang  zur  Benediktinerregel. 

Als  Cockayne  den  kirchengeschichtlichen  Traktat,  besonders 
über  die  Klosterreform  des  10.  Jahrhunderts,  der  auf  die  angel- 
sächsische Übersetzung  der  Regula  s.  Be?iedicti^  in  Hs.  Faustina  AX 
folgt,  herausgab,  erkannte  er  Aethelwold  als  Verfasser  und  setzte  die 
Abfassungszeit  nach  963;  Leeehdoms  III  41  "2.  Schröers  Meinung 
einer  früheren  Abfassung  beruft  sich  nur  darauf,  dafs  Aethelwold 
von  seinem  Thun  nur  das  'vom  Abt  von  Abingdon'  gescheliene  er- 
wähnt. [Die  angeh.  Prosa  . .  der  Bened.  II  xviij.)  Allein  ebenso 
spricht  dieser  in  seiner  2  Regularis  concordia  von  sich  als  ahbate  quo- 


*  Archiv  CIV,  125  über  die  Durhamer  Hs.  ist  erle^ligt  durch  G.  Caro, 
Engl.  Stud.  lA  (18981,  101. 

^  Diese  Ansicht  Eberts  und  Brecks  billigten  Zupitza  Archiv  LXXXI V  1  ; 
Wülker,  Ätiglia  XI  04-.    Aelfric  galt  irrig  als  Verfasser  in  Caulerbury  vor 


376  Kleine  Mitteilungen. 

dam  (Birch,  Cart.  Sax.  ii.  1168,  besser  W.  S.  Logemau,  Änglia  XIII 
365);  und  doch  sitzen  nach  diesem  Werk  bereits  in  sede  episcopali 
Dionachi  reguläres;  es  kennt  also  Bischof  Aethelwolds  Reform  als 
schon  vollendet.  Die  Abfassungszeit  des  Traktats  fällt  sogar  erst 
nach  Eadgars  Tod,  also  975 — 984.  Denn  durchweg  wird  von  Ead- 
gars  Regierung  in  der  Vergangenheit  gesprochen,  dessen  Thaten 
werden  als  abgeschlossenes  Ganzes  gerühmt:  'Wer  in  England  weifs 
nicht,  hu  he  Godes  rice  friäode-'  p.  438.  Übrigens  erwähnt  der  Traktat 
noch,  dafs  Eadgar  erst  als  König  auch  von  Wessex  drei  Jahre  an 
Glastonbury  gebaut,  Kanoniker  vertrieben,  an  den  Kathedralen 
Mönche  eingesetzt  habe:  was  teilweise  nach  963  geschah. 

Wie  bei  der  Identität  des  Verfassers  erklärlich,  erinnert  der 
Traktat  mehrfach  inhaltlich  an  die  Regularis  concordia,  betreffend 
jene  mönchische  Reform,  die  Königin  als  Patronin  der  Nonnenklöster, 
Eadgars  Bekehrung  von  Jugendsünden.  Wörtliche  Anklänge  sind 
zu  gering,  um  etwas  zu  beweisen:  coenobia  restauravit,  eiectis  cleri- 
corum  spurcitüs;  hegan  mynstera  to  rihÜcecynne,  haiige  stowa  he 
geclcensode  from  fulnessum,  he  adref  canonicas.  Die  Verwandtschaft 
der  Regularis  concordia  mit  dem  gefälschten  Briefe  Johanns  XIII. 
an  Eadgar  (J äffe  -  Löwenfeld,  Beg.  pont.  3753,  auch  Birch  n.  1275) 
bemerkte  Stubbs  Me^n.  of  Dunstan  364.  Dieser  Brief  steht  inhalt- 
lich und  zum  Teil  wörtlich  nahe  den  später  verfälschten  Freibriefen 
für  Aethelwolds  Stiftungen;  s.  u.  —  Aufser  dem  Aelfric  war  die 
Regularis  concordia  auch  dem  anderen  Biographen  Aethelwolds,  Wulf- 
stan,  bekannt,  der  c.  21  ihrem  Prologe  die  Worte  sanctimonialiuni 
mandras  (für  'Herde,  Konvent'  auch  bei  Alcvin)  entnahm. 

Der  Geschichte  Eadgars  geht  im  Traktat  eine  Seite  über  die 
Bekehrung  Englands  voran.  Diese  scheint  der  Vita  Gregorii  I  des 
Nordhumbrers  zu  folgen :  die  Worte  su7ne  inlendisce  und  ontend 
klingen  übersetzt  aus  quidam  de  nostra  natione  und  inflammatus  der 
Vita  (ed.  Ewald,  Histor.  Aufs,  dem  And.  an  G.  Waitz,  S.  48);  sie 
entsprechen  nicht  dem  ebenfalls  diese  Geschichte  aus  der  Vita 
schöpfenden  Baeda,  Eist.  eccl.  II  1. 

Neben  der  mönchischen  Zucht  der  Geistlichkeit  wünscht  der 
Traktat  das  Kirchengut  sichergestellt  gegen  die  Gefährdung  durch 
den  Heimfall  an  den  Gerichtsherrn,  den  König  oder  einen  Dynasten, 
falls  der  Kirchenobere  ein  mit  Vermögenseinziehung  strafbares  Ver- 
brechen beginge.  Wenn  ein  Staatsbeamter,  meint  der  Traktat,  in 
Verschuldung  stürzt,  so  haftet  für  diese  nicht  sein  Amtsland,  das 
vielmehr,  als  Staatseigentum,  in  den  Besitz  des  Amtsnachfolgers  über- 
geht.   Wer  Kirchengut  wegen  Schuld  der  Prälaten  einziehe,  beraube 


1815  (Logeman,  Änglia  XV  25  ohne  Widerspruch).  Greens  nicht  begrün- 
dete Vermutung,  Aethelwold  sei  Verfasser  der  Angelsächs.  Annalen  925 
bis  975,  bat  nichts  für  sich. 


Kleine  Mitteilungen.  377 

ebenso  dessen  Eigentümer,  näuilicb  Gott,  der  niemals  .sündige.  G'?/' 
heora  hivijlc  gyltig  hip,  nc  cijnvnj  nc  vorul[d]rica  God  hereafige,  Jie  pa 
(chta  ah  7  nccnne  giflt  ncefre  ne  geivorhte.  Gif  cinges  gerefena  hwylc 
gyltig  hip,  hiva  is  niamia  to  pam  ungescead,  pcd  he  pcem  qjinnge  liis 
arc  cetrccce,  for  pi  pr  his  gcrcfa  fonryrht  hip/  Derselbe  Gedanke 
steht  in  Freibriefen  Eadgars  für  die  von  Aethelwold  erneuerten 
Klöster  Newminster,  Peterboruugh  und  Thorney,  die  Aethelwold  als 
Veranlasser  oder  Empfänger  erwähnen  und,  wenn  auch  später  ver- 
fälscht, doch  zurückgehen  auf  sein  echtes  Diktat  (ohne  dafs  dies  sein 
ursprüngliches  geistiges  Eigentum  zu  sein  braucht):  Bcatus^  quippiam 
si  abhas  contraxerit,  maneat  lihcrtas,  quia  Deus  qui  rura  possidel 
nunquam  reatum  commisit  nee  committet;  Birch  n.  1190.  Pro  nullius 
reatu  rus  a  Doviini  qui  nunquam  reatum  commisit  possessioyie  pri- 
ueiur ;  si  crimen  loci  procurator  commiserit,  agatur  de  eo  quod  de 
regis  agitur  preposito:  reo  depulso,  Uli  qui  dignus  sit  Christi  designe- 
tur,  uti  regis  solet  prepositura;  Birch  1270.  Nullius  reatu  a  Christo 
priu^tnr;  si  critnen  loci  procurator  comiserit,  agatur  de  eo  quod  de  regis 
agitur  preposito:  reo  depulso,  Uli  qui  dignus  sit  Cliristi  designetur, 
uti  regis  solet  prepositura;  Birch  1297. 

Der  Traktat  tadelt  Eadwi  als  Zerstörer  der  Reichseinheit  mul 
lobt  Eadgar  als  ihren  Hersteller:  wie  im  Frankenreiche  seit  der 
Kaiseridee  ficht  die  Kirche  für  Albions  Unteilbarkeit. 

Aethelwolds  Übersetzung  lateinischer  Bücher  ins  Englische  wird 
u.  a.  aus  seinem  zeitgenössischen-  Biographen  Wulfstan  belegt; 
kürzer  schrieb  dasselbe  aber  schon  Aclfrlc*  1005  — 1006;  ed.  Steven- 
son, Chron.  Ähingdon.  II  263.  F.  Liebermann. 

Zu  Scotts  Korrespondenz. 

Zu  Walter  Scotts  Korrespondenz  möchte  ich  auf  einen  inter- 
essanten Brief  hinweisen,  den  O.  Hartwig  in  seinem  Aufsatze  'Zur 
ersten  englischen  Übersetzung  der  Kinder-  und  Hausmärcheu  der 
Brüder  Grimm'  [^  Centralblatt  für  Bibliothekswesen  Bd.  XV  [1898], 
1  —  ll>)  zum  erstenmal  veröffentlicht  hat.  Da  derselbe  also  bei  Lock- 
hart und  in  den  'Familiär  Letters'  (Edinburgh  1894)  fehlt  und  an 
der  genannten  Stelle  im  Centralblatt  den  Fachgenossen  leicht  ent- 
gehen könnte,  sei  er  hier  nochmals  zum  Abdruck  gebracht. 

Der  Brief  ist  an  den  Londoner  Rechtsanwalt  Mr.  Edgar  Taylor '' 
(1793 — 1839)  gerichtet,  den  ersten  englischen  Übersetzer  der  Grimm- 

'  Nur  ausgezogen.      ^  Ethelred  superest  hodie:  Hardy,  Descr.  cat.  I  580. 

•''  Dessen  'Codex  Fiscannensis'  gehörte  Föcamp,  das  'in  Sussex'  nicht 
liegt,  sondern  begütert  war. 

*  Vgl.  über  ihn  Hartwig  a.  a.  O.  S.  2 — C  und  Alexander  Gordon  im 
'Dictiomiry  of  National  Bio^raphy'  Bd.  LV,  S.  107  (wo  einiges  nach  Hart- 
wig zu  berichtigen  ist).  ¥a  gehörte  nicht  zur  Familie  des  Norwicher 
William  Taylor. 


378  Kleine  Mitteilungen. 

sehen  Märchen  Sammlung.  Dieser  hatte  offenbar  ein  Exemplar  des 
ersten  Bandes  seiner  anonym  veröffentlichten  'German  Populär  Stories, 
translated  from  the  Kinder  und  Haus  Märchen,  collected  by  M.  M. 
Grimm'  (Vol.  I,  1823;  Vol.  II,  1826)  an  Scott  gesandt,  der  ihm 
dafür  in  dem  untenstehenden  Schreiben  dankt.  Das  Original  *  des 
Briefes  befindet  sich  im  Besitz  der  einzigen  Tochter  Taylors,  der 
Frau  Karl  Hillebrand  in  Florenz.  Besonders  interessant  ist  daraus 
Scotts  genaue  Bekanntschaft  mit  den  Grimmschen  Märchen  zu  er- 
fahren, mit  denen  sich  eine  neue  Quelle  deutschen  Einflusses  auf 
den  grofsen  Schotten  eröffnet. 

Edinbg.  16  January  1823. 
Sir. 
I  have  to  return  my  best  thanks  for  the  very  acceptable  present 
your  goodness  has  made  me  in  your  interesting  volume  of  German 
tales  and  traditions.  I  have  often  wished  to  see  such  a  work  under- 
taken  by  a  gentleman  of  taste  sufficient  to  adapt  the  simplicity  of 
the  German  narrative  to  our  own,  which  you  have  done  so  success- 
fully.  When  my  family  were  at  the  happy  age  of  being  auditors  of " 
fairy  tales  I  have  very  often  endeavoured  to  translate  to  them  in 
such  an  ex  tempore  manner  as  I  could  and  I  was  always  gratified 
by  the  pleasure  which  the  German  fictions  seemed  to  convey.  In 
memory  of  which  our  old  family  cat  still  bears  the  foreign  name  of 
Hinze  which  so  often  occurs  in  these  little  narratives.  In  a  great 
number  of  them  tales  I  can  perfectly  remember  the  nursery  stories 
of  my  childhood,  some  of  them  distinctly  and  others  like  the  memory 
of  a  dream.  Should  you  ever  think  of  enlargening  your  very  inter- 
esting notes  I  would  with  pleasure  forward  to  you  such  of  the  tales 
as  I  remember.  The  Frince  Paddock  was  for  instance  a  legend  well 
known  to  me  where  a  princess  is  sent  to  fetch  water  in  a  sieve 
from  the  Well  of  the  Worlds  End  succeeds  by  the  advice  of  the 
frog  who  aids  her  on  promise  to  become  his  bride. 

Stop  with  moss  and  dugg  with  clay 
And  that  will  weize  the  water  away 

The  frog  comes  to  claim  his  bride  and  to  teil  the  tale  with  effect^ 
the  sort  of  plash  which  he  makes  in  leaping  on  the  floor  ought  to 
he  imitated  singing  this  nuptial  ditty. 

Open  the  door  my  hinny  my  heart 

Open  the  door  my  ain  wee  thing 

And  mind  the  words  that  you  and  me  spoke 

Down  in  the  meadow  the  well-spring. 


'  'Das  Original  des  Briefes  von  W.  Scott  war  schon  zum  Teil  un- 
leserlich «reworden,  so  dafs  selbst  die  Besitzerin  nicht  alle  Worte  mehr 
entziffern  konnte  (Hartwig  S.  6). 

■^  Interpunktion  dahinter  ausgelassen. 


KIfiinc  Mitteilungpti.  370 

In  the  same  strain  as '  tlie  soiig  of  the  liltle  bird: 

My  mother  ine  kllled 

My  father  me  ate  etc.  etc. 

Independcntly  of  the  curious  circumstance  that  such  tales  should  be 
fouiid  existing  in  very  ditterent  countries  and  languages  which  augurs 
a  greater  poverty  of  hunnui  invention  thaii  \ve  would  have  expected 
there  i.s  also  a  sort  of  wild  fairy  interest  in  them  which  makes  nie 
think  them  fully  better  adapted  to  awaken  the  imagiiiation  and 
soften  the  heart  of  childhood  than  the  good-boy  stories  which  have 
been  in  later  years  composed  for  them.  In  the  latter  case  tlieir  minds 
are  as  it  were  put  into  the  Stocks  like  their  feet  at  the  dancing  .school 
and  the  moral  always  conöists  in  good  moral  conduct  ,  . .  being 
crowned  with  temporal  success.  Truth  is  I  would  not  give  one  tear 
shed  over  Little  Red  Ridinghood  for  all  the  benefit  to  be  derived 
from  a  hundred  histories  of  Tommy  Goodchild,  Mifs  Edgeworth  who 
has  with  great  genius  trod  the  raore  modern  path  is  to  be  sure  an 
exception  from  my  utter  dislike  of  these  moral  narration:^  but  it- 
because  they  are  really  fitter  for  grown  people  than  for  children  ■'. 
I  must  say  however  that  I  think  the  story  of  Simple  Susan  in  parti- 
cular  quite  inimitable.  But  Waste  not,  Want  not,  though  a  most 
ingenious  tale  is  I  fear  —  more  apt  to  make  a  curmudgeon  of  a 
boy  who  has  from  nature  a  close  cautious  temper  than  to  correct  a 
careless  idle  destroyer  of  whip-cord.  In  a  word  I  think  the  selfish 
tendencies  will  be  soon  enough  acquired  in  this  arithmetical  age  and 
that  to  make  the  higher  class  of  character  our  old  wild  fictions  like 
our  own  simple  niusic  will  have  more  effeet  in  awakening  the  fancy 
and  elevating  the  disposition  than  the  colder  and  more  elevated  com- 
positions  of  more  clever  authors  and  composers. 

I  am  not  aequainted  with  Basile's  collection  but  I  have  both 
editions  of  Straparola  which  I  observe  differ  considerably  —  I  could 
add  a  good  deal  but  there  is  enough  here  to  show  that  it  is  with 
sincere  interest  that  I  subscribe  myself 

Your  Obliged  Servant 

Walter  Scott. 

Ein  weiterer,  noch  ungedruckter  Brief  Walter  Scotts  befindet 
sich  im  Besitze  des  Herrn  Verlagsbuchhändlers  Friedrich  Cohen  in 
Bonn,  der  ihn  mit  anderen  ungedruckten  Briefen  von  Wordsworth, 
Coleridge,  Byron,  Rogers,  A.  Trollope,  W.  Collins,  Bulwer,  W,  Irving, 
Alfr.  Austin  etc.  aus  der  berühmten  Autographensammlung  des 
Alexander  Posonyi  in  Wien  erworben  hat.  Der  Brief  ist  an  Scotts 
Verleger   und  Helfer  John  Ballantyne  gerichtet  und   hat  ebenfalls 

'  Wohl  verschrieben  oder  verdruckt  für  is. 

-  Dahinter  ist  is  einzufügen. 

^  So  wohl  jedenfalls  für  Hartwigs  childeni  zu  lesen. 


880  Kleine  Mitteilungen. 

ein  Scott  übersandtee  Buch,  einen  Farailien-Shakspere,  zum  Anlafs. 
Doch  die  gesunde  Kraftnatur  Scotts  fand  an  derlei  Ausgaben  in 
uöum  Delphini  sicherlich  keinen  Geschmack,  wie  sich  deutlich  in  den 
wen  igen  Sätzen  ausspricht,  die  ich  schon  in  der  'Literature'  vom 
31.  März  1900  (Vol.  VI,  S.  266)  mitteilen  durfte:  'Dear  John,  I  have 
not  as  yet  received  the  faraily  Shakespeare,  or  I  should  certainly 
have  thanked  the  editor  for  his  attention.  ...  I  say  I  care  not  if  I 
never  receive  a  gelded  Shakespeare.' 

Würzburg.  Max  Förster. 

Eine  Quelle  für  Waces  Roman  de  Rou.' 

Wace  erzählt,  wie  Wilhelm  I.  nach  der  Eroberung  englische 
Ländereien  vergab.  'Pois  fist  toz  les  barons  mander  e  toz  les  Engleis 
assembler:  |  a  chois  lor  mist,  quels  leis  voldreient  |  e  quels  costumes 
il  tendreient,  |  ou  des  Normanz  ou  des  Engleis,  |  de  quels  seignors  e 
de  quels  reis.  |  E  eil  distrent:  "del  rei  Ewart;"  |  les  soes  leis  lor  tienge 
et  gart!  |  Les  costumes  qu'il  conoisseient,  |  qu'al  tens  Ewart  tenir 
soleient,  |  celes  voldrent,  celes  requistrent,  |  celes  lor  plorent,  celes 
pristrent.  |  Issi  lor  fu  a  volente;  |  e  li  reis  lor  a  graante'  (II  9023 
bis  9036,  ed.  Andresen  II,  S.  388  f.).  Die  Versammlung  von  Baronen 
und  Angelsachsen,  die  Befragung  über  das  künftige  Recht,  das 
Schwanken  zwischen  Angelsächsischem  und  Normannischem,  die  Er- 
bittung der  Verfassung  Eadwards  und  deren  Gewährung  durch  den 
König  sind  fünf  Punkte,  die  Wace  allein  gemeinsam  erzählt  mit  dem 
Rechtsbuch  Leges  Edwardi  Confessoris.  Es  ist  1115 — 1150,  wahr- 
scheinlich 1130 — 1135  verfafst,  und  war  1160  — 1200  weitverbreitet. 
Wörtlich  zu  übertragen  scheint  mir  Wace  das  Gesperrte  in  den  hier 
nur  ausgezogenen  Stellen:  [ECf  Prol.]  Willelmus  rex  consilio  baro- 
num  fecit  summoneri  Anglos,  ut  eorum  leges  et  iura  et  con- 
suetudines  ab  ipsis  audiret.  [33  f.]  Lex  Danorum  precepit  ut  ob- 
servaretur,  quod  antecessores  eins  et  baronum  Normannie  de  Nor- 
vegia  venissent,  Compatriote  precati  sunt,  quatinus  permitteret  leges 
sibi  proprias  et  consuetudines  antiquas  habere;  durum  foret  susci- 
pere  leges  ignotas;  regis  Eadwardi  leges  concederet!  Precatu 
baronum  adquievit.' 

Berlin.  F.  Liebermann. 

Li  houneurs  et  11  vertus  des  dames  par  Jehan  Petit  d'Arras. 
(Nach  einer  altfranzösischen  Handschrift  herausgegeben.) 

Einleitung. 
Die  Hs.   der  Pariser  Bibl.  Nat.  Nr.  25  566  ist  beschrieben  in 
'Catalogue  des  livres  de  la  biblioth.  de  feu  M.  le  Duc  de  La  Valli^re' 

'  Dafs  Malmesbury  benutzt  ist,  beweist  Round,  Feudal England{lS9b)  409. 


Kleine  Mitteilungen.  SRI 

Premiere  partie.  Par  Guillaume  de  Bure  fils  aine.  Paris  1783.  T.  II. 
S.  226 — 242;  Nachträge  hierzu  gab  Professor  A.  Tobler  in  der  Ein- 
leitung zum  'Dis  dou  vrai  aniel'  (Leipzig  1871).  In  dieser  Hs.  nimmt 
das  in  folgendem  zum  erstenmal  veröffentlichte  Stück  ö  Bll.  ein, 
und  zwar  fol.  273''  bis  fol.  278".  Es  ist  sauber  mit  .schwarzer  Tusche 
geschrieben,  nur  die  Überschrift  und  einzelne  Initialen  im  Text  sind 
rot.  In  folgendem  Abdruck  ist  die  Orthographie  der  Hs.  fast  in 
allen  Stücken  gewahrt  worden,  nur  wo  offenbare  Schreibfehler  vor- 
lagen, wurde  geändert,  und  die  in  der  Hs.  häufig  vorkommenden  Ab- 
kürzungen wurden  aufgelöst.  Es  waren  hauptsächlich  folgende:  z  =r:z 
et;  q  =::  que;  ferne  =  femme;  öme  ^=  onime;  döt  =^  dont;  cment, 
gment,  cöniet  =  coument,  comment;  bie  =  bien;  mit,  ml't  ■=:  moult; 
pmier  -=  preniier;  p  ^=  par;  do9,  vo9,  oisia^,  tonours  =  dous,  vous, 
oisiaus,  tousiours;  gnoistre,  gfort  -=  connoistre,  confort;  gnt,  gsse  ^= 
grant,  grasse  u.  s.  w.  Auch  sollte  durch  Abtrennung  der  Worte  von- 
einander, durch  Setzen  der  nötigsten  Apostrophe  und  durch  Ein- 
führung der  modernen  Interpunktion  das  Lesen  des  Textes  erleich- 
tert werden;  jedoch  sind  selbst  nach  einem  Punkt  nur  da  grofse 
Anfangsbuchstaben  gesetzt  worden,  wo  solche  schon  in  der  Hs. 
standen. 

Eine  Uniforraierung  der  Orthographie  nach  den  genugsam  be- 
kannten Regeln  des  picardisch- artesischen  Dialektes  und  aus  den 
ursprünglichen,  vom  Schreiber  unverändert  gelassenen  Formen  des 
Stückes  selbst  heraus  war  verführerisch  genug,  jedoch  bietet  der 
Text,  so  wie  er  ist,  mit  dem  Gegenüberstehen  der  Schreibarten  dou 
und  du;  ce,  che  und  chou;  que  und  ke;  femme  und  fenme;  komme, 
houme,  hotn,  ovime,  oume,  om;  con,  conme  und  coimie;  grasse  und 
grasce;  douc  und  douch;  douce  und  doiiche;  atempra?ice  und  atetn- 
pranche;  mauuais  und  maluais;  lie  und  liet;  esmute,  connute  und 
entendue,  seue  ein  interessantes  Bild  der  damals  in  der  Orthographie 
herrschenden  Verwirrung. 

Über  die  Abfassungszeit  des  Stückes  läfst  sich  nichts  Sicheres 
sagen.  Der  Verfasser,  Jehan  Petit  aus  Arras,  ist  völlig  unbekannt, 
nicht  einmal  die  grofse  'Histoire  litteraire'  weifs  etwas  von  ihm;  auch 
die  Erwähnung  des  Aristoteles  und  des  Virgil  giebt  keinen  Anhalt, 
da  es  wahrscheinlich  ist,  dafs  der  Verfasser  beide  in  lateinischer 
Sprache  gelesen  hat.  Einen  Zeitpunkt  ad  quem  bietet  natürlich  die 
Entstehung  der  Hs.  selbst,  die  von  verschiedenen  Händen  in  der 
zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  bis  in  den  Anfang  des  14.  Jahr- 
hunderts geschrieben  wurde;  jedoch  lassen  einige  Eigentümlichkeiten 
unseres  Stückes  die  Entstehung  desselben  in  eine  frühere  Zeit  setzen. 
Darauf  deutet  z.  B.  das  Festhalten  des  H'  in  den  part.  praet.  esmute, 
connute;  die  Beibehaltung  der  Formen  quel  und  tel  sowohl  fürs  masc. 
wie  fürs  fem.  und  vor  allem  der  Gebrauch  des  einfachen  cas.  obl. 
ohne  Präposition  wie  für  den  Genitiv,  so  auch  für  den  Dativ;   z.  B. 


^82  Kleine  Mitteilungen. 

Z.  147:  le  maniere  et  le  samhlant  sen  ami  für  de  sen  ami;  Z.  204:  le 
maniere  celui  für  de  celui;  oder  Z.löO :  silo  dames  für  si  lo  ä  dames. 
Alles  dieses  läfst  uns  die  Entstehung  des  Stückes  noch  ins  12.  Jahr- 
hundert setzen,  und  zwar  etwa  in  die  Mitte  desselben,  also  um  1 1 50. 

Ch'est  li  honeurs  et  li  uertus  des  dames  que  jehans  petis  d'aras  fist, 

'Maistres,  de  chele  noble  personne  que  houme  desirrent  tant, 
saroie  volentiers  le  natural  vertu  de  se  poissance,  ne  de  coi  ne  par 
quel  raison  femme  puet  houme  iusticier.  car  maint  en  oit  on  iurer 
ö  moult  grandement  k'a  femme.«  sont  du  tout  aclin  et  obeissant;  par 
coi  de  leur  douces  vertus  orroie  volentiers  parier,  se  il  vous  plaisoit, 
par  raison  et  par  nature.' 

'Biaus  fieus,  aristotes  nos  maistres  nous  moustre  par  raison  que 
cuers  d'oume  qui  femme  conuisteroit,  n'en  puet  dire  mal  ne  deshou- 
10  neste;  si  vous  mousterrai  coument.  Tout  premierement  tout  gentil 
euer  doiuent  sauoir,  k'en  femmes  prendons  nous  char  et  sanc  et  vie 
et  noureture;  et  nous  aiment  tenrement,  coume  chiaus  ki  de  leur  pi^ 
sont  nouri  et  aleue.  dont  est  il  bien  raisons  que  nous  femmes  amons 
et  hounerons  pour  ces  vertus  de  nature  que  diex  leur  a  dounees.  Et 
15   si  di  que  feme  est  douceurs  sans  comparison.' 

'He  maistres,  par  fine  amistie,  coument  et  de  coi  a  femme  tant 
de  douceur  que  vous  dites?' 

'biaus  dous  amis,  ie  le  vous  dirai.  Je  proeuue  le  vertu  de  femme 
ensi,  que  ie  di,  que,  se  toutes  les  douceurs  de  toutes  les  riens  du 
20  monde  estoient  d'une  partie,  et  femme  seule  fust  de  l'autre  part,  ne 
porroit  cuers  ne  cors  d'oume  tant  de  douceur  sentir  ne  trouuer  en 
riens  qui  soit,  com  il  porroit  en  femme;  car  nule  douceurs  n'est  apar- 
tenans  a  le  douceur  de  femme.  dont  apert  il  bien,  ke  en  femme  a 
douceur  sans  comparison,  et  che  doit  chascuns  croire  et  sauoir,  car 
25  mout  de  fois  a  este  seu  et  prouue,  dont  cascuns  en  doit  estre  sans 
doute.  Et  s'en  di  tant,  biaus  fieus,  et  si  auant,  que  bien  voel  que 
tout  et  toutes  sacent  que  en  femme  a  poissance  et  vertu  de  faire  de 
sen  baron  ou  de  sen  ami  le  plus  de  se  volente.' 

'pour  diu,  dous  maistres,   et  coument  puet  femme  faire  d'oume 
•■y)   se  volente  ne  chou  k'ele  veut?  car  sacies,   se  ie  le  puis  sauoir  et 
retenir,  maintes  dames  le  saueront,  ki  miex  m'en  ameront.' 

'Biaus  fieus,  ie  di  par  nature,  que  dame  doit  tous  dis  moustrer 
chou  c'on  cace  et  c'on  cuide  de  li,  c'est  douceurs.  et  doit  dame  de  li 
auiser,  quel  cose  qu'ele  face,  quele  vertus  de  li  piaist  plus  a  celui 
35  que  ele  vaura  iusticier,  et  ce  moustrer  et  faire  a  tout  douch  samblant 
et  douce  parole  de  saison  ordenee;  et  face  dame  tout  le  seruice  et 
l'amour  que  ele  doit  et  veut  faire,   doucement  et  de  lie  euer.    Par 

9  conuisteroit]  Hs.  coniusterai.     14  nature]  Hs.  natui-es. 


Kleine  Mitteilungen.  383 

ensi  üuurer  et  amer  tieiit  femnie  liounie  düiite  et  voleiitiu  et  anii,  et 
11  oste  toutes  ses  raauuaises  ineurs,  et  le  met  et  trait  a  son  voloir  et 
a  son  dangier.  Car  femme  souurainement  est  desirree,  quant  ele  set  H' 
faire  a  famelleus  desir  sausse  de  plaisance;  et  c'est  double  destructions 
de  euer.  Car  ie  di  que  feninie  doit  auoir  langue  a  double  taillant  et 
en  tous  poins  aftilee  sand  redouissier.' 

'maistres,  de  ces  mos  orroie  iou  volentiers  chou  que  vous  i  en- 
tendes,  se  il  vous  plaisoit.'  4'. 

'Dous  aniis,  en  langue  de  dame  a  double  taillant  doit  on  en- 
tendre  vois  tranlable,  atenipree,  simple,  douce  et  alaitans,  ki  face  a 
houme  le  vertu  de  le  parole  entendre  et  sentir  sans  nul  empeecement; 
car  li  euer  d'oume  par  nature  ont  tous  dis  et  doiuent  auoir  les  orelles 
ouuertes  pour  les  douceurs  et  les  biaus  mos  des  dames  oir  et  en-  5« 
tendre.  Et  quant  li  mot  des  dames  et  les  courtoises  raisons  sont  en 
euer  d'oume  entrees,  il  esploitent  de  leur  vertus,  et  fönt  des  euten- 
dans  si  douce  semence  rendre,  que  plus  grant  douceur  ne  porroit  on 
sentir.  Car  il  est  par  nature  ensi  ordene  et  establi  que,  puis  c'on 
seruira  houme  de  chou  qu'il  veut  et  de  chou  qu'il  desirre,  il  ne  puet  ö5 
reraaindre,  que  il  ne  prenge  che  fait  grandement  et  en  talent  et  en 
gre.  Or  doit  dont  dame  sauoir  faire  de  son  ami  a  se  volente,  car 
i'ai  prouue  et  moustre  par  nature,  ke  femme  a  en  li  et  de  li,  de  coi  ele 
puet  houme  iusticier.  si  ne  tient  a  el  que  ele  sace  et  face  sen  pooir, 
ensi  qu'il  li  samblera  c'on  voelle  le  mieus,   atemprer  atempreement.'   üt) 

'Maistres,  et  se  dame  a  baron  ou  ami  si  haudre  et  si  fei  et  si 
piain  de  diuerses  menancolies,  qu'il  ne  sace  douceur  ne  houneste  en 
nul  endroit  sentir  ne  connoistre  ne  sauoir,  pour  diu,  k'affiert  il,  pour 
Uli  iusticier,  ke  ele  face?' 

*mes  dous  amis,  li  auisers  a  mainteuir  houneste,  simplece  et  tir. 
deboinairete  sans  ia  remuer,  fait  nature  de  mauuais  corage  fraindre 
et  apetisier.  si  grans  cose  est  de  boin  vsage  maintenir  que  tout  felon 
talent  set  et  puet  metre  a  point;  et  pour  chou  di  ie  que  langue  sans 
redouissier  doit  dame  auoir,  c'est  a  entendre  que  bele  raisons  et  douce 
soit  tousiours  de  dame  maintenue  et  moustree;  ne  ia  femme  de  cour-  vo 
tois  mot  ne  doit  se  langue  descompaignier.  Et  par  nature,  biaus 
fieus,  vous  mousten'ai  coument  et  par  coi  ce  pourfite  ke  i'ai  dit. 
Dous  amis,  naturelment  ie  vous  moustre  que  femme  face  vraienient; 
que,  quant  drois  hom  natureus  voit  dame  rire  deboinairement  et  entre 
delies,  tenures,  vermelles  leures  langue  mouuoir  et  sonner  raisons  7ö 
enflamees  de  douceur,  droites,  fines,  vraies  et  ainoureuses,  qui  die: 
"mes  tres  dous  amis,  v  mes  tres  dous  freres,  faites  chou  que  ie  vous 
prie,"  et  commence  bei  et  gent  chou  que  ele  veut  dire  et  moustrer, 
en  polissant  ses  raisons  si  doucement,  que  li  douceurs  dou  moustrer 
fait  cuidier  et  entendre  ke   trestout  chou  c'on   a  oi,   soit  voirs.     Et  so 

Ö7  est]  Hs.  et.     80  fait  cuidier]  Hs.  faire  cuidier. 


384  Kleine  Mitteilungen. 

prenge  dame  celui,  a  cui  ele  ara  a  faire,  a  son  pooir  le  plus  sans 
empeecement  d'ire  que  ele  porra,  par  coi  chou  que  ele  ara  dit  et 
moustre,  pulst  paroir  et  fruetefiier.  Et  encore  di  ie  ke  darae  de  chou 
c'on  a   aquis   de  li   d'amiste,   ne  doit  mie  estre  estrange  ne  vilaine, 

85  ains  doit  dame  l'amour  ke  ele  fera  et  mousterra,  faire  et  moustrer  si 
de  liet  euer  et  si  sauereusenaent,  k'il  sambleee  a  l'amant,  k'el  monde 
u'ait  autre  douceur  ke  cele  qu'il  sentira;  et  doiuent  baisier  et  accoler 
douceraent  et  faire  i^amblant  souspirant  et  destraingnant.  Et  s'on  a 
aquis  v  desserui  de  dame  le  tout,  c'est  le  euer  et  le  cors,  ele  ne  doit 

i»o  mie  estre  estrange  ne  honteuse:  ains  doit  on  faire  de  tout  chou  c'on 
entreprent,  bei  et  doucement  son  couuenant  et  se  partie  amoureuse. 
Car  quant  la  cose  est  faite  a  droit,  ele  a  double  vertu.  Quant  tout 
chou  dame  sara  bien  faire  et  dire  a  son  droit  et  a  se  nature,  dont  sera 
dame  a  droit  a  celui  que  ele  vaura  ensi  amer  et  seruir,  et  fera  femme 

95   adont  d'oume  che  k'ele  vaura  sans  riens  contredire  de  se  volente.' 

'Mes   tresdous  maistres,  or  puet  dame  dire:   "biaus  sire,   chi  a 
longue  ruiote   a  maintenir;   ie  ne  sarroie  iamais  dire  tout  chou  ke 
vous  aues  dit;  et  sacies  ke  ie  n'ai  riens  retenu  de  ce  que  i'ai  oi".' 
'Biaus  dous  fieus,  a  ces  raisons  deues  respondre:   "dame,  mout 

100  est  grans  cose  de  femme  sauoir  faire  d'oume  se  volente;  et  selonc  le 
grandeur  dou  sens  et  dou  pourfit  c'on  veut  auoir,  couuient  diligau- 
ment  metre  paine  et  engien  a  retenir  et  a  aprendre  che  par  coi  on 
puet  chou  sauoir.  Et  se  vous  estes  si  negligens  que  vous  ne  m'aues 
de  riens  entendu,  faites  selonc  vo  sens  et  vo  maniere  chou  que  diex 

105  vous  ensegnera;  et  se  vous  ames  tant  chou  a  sauoir,  que  vous  aues 
oi,  si  metes  paine  et  engien  d'entendre  et  dou  retenir,  ce  que  vous 
vees  ki  porte  honneur  et  ioie  et  pourfit.  Et  tant  voel  ke  vous  sacies, 
que  nature  fait  tout  chou  sauoir  c'on  aime  et  c'on  veut  de  euer 
aprendre;   car  euer  de  femme  sont  plus  hardi  et  plus  soutiu  de  leur 

110   volentes  parfaire,  ke  nul  autre  euer".' 

'Par  diu,  mes  tresdous  maistres,  c'est  dit  bien  et  soutiument,  ce 
que  dame  doit  voloir  et  oir;  et  par  amiste,  dous  maistres,  vous  pri, 
que  vous  m'aprendes  et  moustres,  coument  dame  puet  faire  l'amour 
c'on  ara  a  li,  durer  et  montepliier.' 

115  'dous  fieus,   sacies  que  vous   aues  demande  d'amours  demande 

qui  porte  flour  et  fruit  d'une  saison,  c'est  a  entendre,  que  se  sentense 
fait  araour  croistre  et  montepliier  douce,  verde,  gaie  et  amoureuse;  si 
vous  en  dirai  raisons  vraies,  prouuees  et  confremees  par  nature. 
Dous   amis,   darae  ki   aime,  pour  l'amour  c'on  ara  a  li,   faire  durer, 

120  doit  par  raison  tous  dis  a  son  pooir  s'onneur  et  se  grasse  warder  et 
montepliier,  et  doit  dame  faire  en  s'amiste  tous  dis  courtoisie,  et  tele, 
dont  ele  ne  puist  ia  esti'e  desconfite,  ne  de  reproce  de  haussage,  ne 
de  segnerie  k'amans  puist  damer  sour  li.    Et  sacies,   dame,  que  li 


87  cele  qu'il]  Es.  ce  lequil.    90  chou]  Es.  choir. 


Kleine  Mitteilungen.  385 

souuraiue  courtoisie,  ki  de  sen  douc  cors  puist  issir,  c'est  de  bele, 
douce,  amoureuse  parole;  et  est  cele  courtoisie  de  tele  vertu  con  ie  126 
vout<  deuiserai.  0,  vouö  dames,  ki  houneur  amee  et  bees  a  maintenir, 
quant  vou?  aues  les  cuers  d'aniourp  espris  et  embrases,  vous  ne  deues 
inie  auüir  le  langue  escai>e  iii  auere  dou  regehir;  cai"  luoult  fait 
graut  honte  a  son  entendement,  tjui  u'ose  chou  qu'il  veut  et  desirre 
connoistre,  ne  plus  seur  ne  puet  dame  faire  de  s'amour,  conme  de  se  vso 
parole.  Car  on  voit  aucune  fois  auenir  ke  ferames  aiment  si  tres 
durement,  ke  eles  ne  seuent  d'eles  roi,  et  fönt  si  l'estrange  et  le  sau- 
uage,  ke  il  samble  e'on  leur  ait  asses  meffait;  ke  eles  heent  ciaus 
(jui  d'amours  les  aparolent;  dont  ie  di,  que  ce  n'est  pas  asses,  ains 
doit  sfage  personne  de  dame  dii'e  a  son  ami:  "se  vous  m'ameo  —  i:« 
grans  mercis;  et  saeies  vraiement  (jue  ie  beerai  a  warder  m'onneur 
et  me  pais;  et  selonc  chou  ke  ie  vous  trouuerai  loial  anii,  douc  et 
seur,  me  trouueres  amie  dessi  a  me  volente."  et  prendes,  dame,  se 
foi  et  se  loiaute,  qu'il  vous  sera  amis  vrai?  et  certains,  sans  deceuance 
et  Sans  faussete;  et  ne  doit  mie  estre  dame  abaubie,  puis  k'ele  aime,  140 
de  che  dire.  Et  si  a  eucore  dame,  biaus  iieus,  un  autre  auantage  en 
blau  parier,  que  ie  par  nature  vous  mousterrai.  Nature  veut  et 
s'acorde,  que  quant  uns  cuers  est  en  biau  parl^ant  sagement  maintenus 
et  demenes,  ce  li  fait  rendre  et  raoustrer  ce  k'en  li  est,  sans  poinf 
de  couureture  et  sans  maniere  ne  corage  couurir  ne  celer.  Encore  i-tJ 
vous  di  que  dame,  apres  ce  biau  parier,  doit  douceraent  le  response, 
le  maniere  et  le  samblant  sen  ami  iugier  et  regarder,  pour  son  auan- 
tage et  pour  s'onneur,  qu'il  doit  ne  a  coi  il  tent  en  l'amour  ke  il 
moustre  a  li,  et  selonc  ce  auoir  auis  et  pourveance  de  l'araiste  d'amener, 
car  chou  apartient  a  dame  d'ouneur.  si  lo  dames  le  biau  parier  sour  150 
toutes  coses;  car  mainte  dame  a  este  hounie  et  deshouneree  par  sen 
grandement  parier,  si  vous  mousterrai  coument.  Tout  en  autel 
maniere  c'uns  gentix  oisiaus  prent  mauuaises  coustumes  par  dur  et 
mauuaisement  afaitier,  si  fait  li  cuers  d'uu  amant,  quant  il  voit  dame 
moustrer  orguel  et  despit;  dont  s'afelenist  et  cuelle  mauuais  talent,  155 
et  se  pense  coument  il  porra  cel  orguel  abaissier,  soit  par  faussete, 
soit  par  quelconques  maniere  ke  ce  «oit;  ne  ne  caille  a  l'amant,  mais 
qu'il  ait  faitc  s'emprise.  Et  saciet«,  biaus  tieus,  ke  de  ce  peril  et  de 
ce  damage  celes  n'ont  warde,  ki  bei  et  courtoisement  parleront,  soit 
en  escondissant,  soit  en  otroiant  v  en  autre  quelconque  maniere  que  i60 
che  soit.  pour  dieu  et  pour  s'onneur  si  prie  a  dame  que  ele  ait 
langue  douche,  nete  et  atempree.  Et  bien  voel  ke  dames  sacent  qu'il 
n'est  nus  hom  tant  soit  de  diuerse  vie  ne  de  nuiuuaise,  qui  n'aime, 
qui  ne  crieme  et  qui  ne  honneure  douce  personne  de  femme  droite, 
feminine,  de  bele  conuersation.    Et  saeies  que  bele  parole  de  femme   165 


130  dame]  Hs.  dame  ne  puet.     130  f oi  |  Hs.  koi,  hierauf  et  se  loiaute 
iu  der  Hs.  übergeschrieben. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CVIII.  25 


886  Kleine  Mitteilungen. 

n'adouce  ne  n'atouce  autrement  a  euer  d'onme,  ke  droit  en  droit  en 
mi  lieu  de  volente.  Or  vous  ai  apris  et  moustre,  biaus  fieus,  se  bien 
m'aues  entendu,  coument  dame  puet  faire  s'amour  durer  et  monte- 
pliier.     Si   entendes  vraiement   que   biaus  parlers  et  sagement  fait 

170  amour  durer,  et  li  maintenirs  sen  cors  et  ses  fais  par  raison  ordenee 
fait  amour  croistre  et  montepliier.' 

'Malstres,  sacies,  selonc  raison  ce  que  talent  de  euer  doiuent  et 
demandent  par  naturaule  entendement  m'aues  moustre  et  apris  droitu- 
riereraent  et  canques   i'ai  oi;  mais  encore,  se  il  vous  plaisoit,  vous 

175  demanderoie  volentiers,  se  vous  tant  m'ames  que  vous  dites,  coument 
ce  puet  estre,  que  bele  parole  de  dame  a  plus  grant  vertu  en  amour  et 
doune  plus  grant  sentement  a  euer  d'ami,  que  ne  fait  acolers  douce- 
ment  ne  sentirs  ne  baisiers  sades  et  sauereus,  n'estre  aviues  ne  abekies 
de  regars  de  douce  veue,  entremelles  et  acompaignies  de  deboinaire  ris 

180  et  de  pite  qui  donne  goust  et  appetit  de  sentir  et  de  gouster  chou  — 
que  li  sourplus  dou  cors  comprent,  v  nule  douceurs,  a  men  auis,  n'est 
apartenans.  Car  dessous  blanque  couureture,  ki  desseruir  le  puet, 
trueue  amis  d'amie  tant  de  tres  esmeree  parfaite  douceui-,  que  langue 
ne  le  porroit  dire,  ne  cuers  auenir  par  penser;  dont  i'ai  grant  meruelle 

185   coument  vois  de  dame  puet  tous  ces  biens  sourmonter,  ne  coument 

biau  mot  conuertissent  ni  esploitent  plus  d'amour  en  euer  d'ami,  ke 

tout  chou  que  i'ai  deuise.   Si  m'en  dites,  maistres,  se  il  vous  piaist,  vo 

auis  et  les  raisons  que  vous  saues,  prouuees  et  confremees  par  nature.' 

'Mes  dous  fieus,  mout  volentiers,   sacies,  ferai  vo  volente,  et  le 

190  vertu  et  le  poissance  de  bele  parole  de  dame  vous  mousterrai  et 
aprenderai.  biaus  fieus,  li  philosophes  nous  dist  que  langue  a  matere 
de  fu  et  d'iaue,  et  ce  vous  prouuera  il  la  ou  il  parole  de  se  bonte; 
si  vous  dirai  coument  langue  a  caleur  et  atemprance,  et  c'est  li 
entendemens  des  mos   deuant.    Langue  de  dame  donne  a  euer  et  a 

195  entendement  caleur  en  tel  maniere,  k'ele  fait  moustrer  et  sentir  con- 
nissance  et  vertu,  et  adrece  et  auise  les  sens,  et  fait  cuers  miustes  et 
atempres;  si  vous  mousterrai  coument.  Quant  li  volentes  dou  euer 
est  esmute  a  amer,  et  langue  d'amie  sonne  douce  vois  et  dist  a  ce 
euer  d'ami  ces  mos  dous  et  piteus,  enflames  et  embrases  d'amour  et 

200  de  courtoisie,  et  face  proeuue  de  raison  et  de  verite  de  toutes  ses 
ententes,  lors  met  caleur  en  euer  et  l'auiue  et  esuertue,  et  le  fait 
rade  et  ioli.  Et  assiece  ces  mos,  et  ordenne  et  auise  dame  menu  et 
souuent  et  sagement,  selonc  l'emprise  k'ele  veut  acieuer,  et  selonc  le 
maniere   celui    a  cui  ele  plaira  et  parlera.     Et  coument  langue  a 

205  maniere  d'iaue  et  d'atemprance  vous  deuiserai.  Cuers  d'ami  n'iert 
ia  si  esmus  ne  si  escaufes,  que  vois  d'amie  ne  puist  par  doucement 
et  courtoisement  parier  metre  a  pais  et  faire  laissier  ses  maluaises 
emprises.  Car  sacies,  li  amistes  et  li  douceurs  de  vois  de  femme  fait 
le  euer  et  l'entendement  de  l'amant  sentir  et  connoistre  se  fole  es- 

210   mute,  chou  que  nule  autre  riens  ne  puet  faire,  fors  douce  parole  de 


Kleine  Mitteilungen.  887 

dame  kl  en  tous  poins  est  boine  a  oir.  Or  vous  ai  dit  coument 
langue  a  matere  de  ealoiir  et  d'atempranchc.  le  calour  iuge  on  par 
l'esniouuoir  et  par  renoiseler  que  vois  fait  a  euer  il'amant,  et  le  froi- 
dure  et  Tateinprance  par  le  mefre  a  poiiit  les  eniprises  des  euere 
foles  et  maluaises.  Et  si  vous  ferai  douce  parule  de  dame  de  plus  215 
graut  valeur.  Parole  sert  et  confite  le  plus  principal  de  Touine,  c'est 
le  raison  et  le  sapience;  car  parlers  par  nature  est  li  principes  des- 
seure  tout^s  coses  faire  auoir  par  droit  goust  d'entendenient;  car 
nature  ne  raisons  n'eust  ia  este  connute  ni  entendue,  se  parole  n'eust 
este  seue;  dont  est  vois  de  dame,  ki  est  li  plus  douce  vois  ki  soit,  220 
li  principaus  poissance  dou  siecle.  Et  plus  vous  en  dirai  encore. 
Langue  de  dame  rent  amoureus  seruice  en  tous  poins,  et  c'est  li 
souuraine  vertus  do  li.  Car  c'est  en  apert  et  en  priue  que  langue 
rent  et  fait  plaisant  et  amoureus  seruice,  c'est  en  castiant,  c'est  en 
confortant,  c'est  en  proumetant,  c'est  en  toutes  oeuures  que  langue  225 
courtoise  fait  bien  et  confort;  et  de  langue  de  dame  nous  dist  vir- 
giles  vn  mot  courtois.  II  dis(  que  c'est  verge  de  droiture  et  de  verite, 
et  expose  che  mot  en  tel  maniere  k'il  dist  k'arais  a  tous  dis  les 
orelles  dou  euer  ouuerte^  a  tout  le  bien  k'amie  dira;  et  s'amie  set 
ami  reprendre  et  castiier,  amis  fera  ce  k'amie  vaura.  dont  ie  proeuue  23o 
desseure  toutes  coses,  que  langue  et  raisons  d'amie  a  plus  grant 
sustance  et  plus  grant  vertu  en  amour  que  riens  ki  soit.  Car  par 
langue  est  amours  soustenue  et  conmencie.  Or  vous  ai,  biaus  fieus, 
apris  et  moustre  canques  vous  m'aues  demaude.  Et  encore,  biaus 
fieus,  vous  en  dirai  vn  mot,  dont  ie  vous  pri  pour  vo  honneur  et  235 
pour  vo  tresgrant  preu,  que  vous  le  retenes  et  ames,  ie  le  vous  lo 
souurainement,  pour  auoir  aiuis  et  houneur,  grasce  et  pais,  ioie  et 
boine  vie  et  a  dieu  et  au  monde,  (|ue  vous  desseure  toutes  coses 
femmes  serues  et  portcs  foi  et  loiaiite,  et  ames  et  houueres  et  de- 
portes,  et  soiies  pour  femmes  tout  par  tout,  et  soustenes  leur  drois  et  210 
leur  raisons  en  tous  cas  et  en  tous  lieus.  Car  tout  gentil  euer,  raison 
et  houneur  connissant,  le  doiuent  faire.  Car  femmes  furent  no 
premier  ostel,  d'eles  sonmes,  d'eles  veuons  et  d'eles  valons.  si  sacies 
que  tout  eil  qui  mal  en  dient  ne  lait  mot  ne  deshouneste,  ne  fönt 
mie  leur  houneur.  Car  on  dist  et  si  est  verites  ke  qui  caupe  son  •nr, 
nes,  il  vergoigne  se  face.  Si  sace  cascuns  que  nus  ne  puet  dire  mal 
de  femme,  qu'il  ne  le  die  de  lui  meisraes;  et  si  est  maus  et  men- 
choingne,  quant  des  femmes  on  dist  quo  c'est  maus  et  vilounie,  car 
femme  est  a  un  mot  tous  parfais  biens.  Fenme  est  douceurs  et 
valours,  houiiours,  toute  courtoisie,  pites  et  deboinairetes;  femme  est  250 
segnourie  et  noblece;  femme  est  loiautes  et  verites;  femme  est  sens 
et  atemprance;  femme  est  humilites  et  reuuoiseui'e;  femme  est  soulas 
et  ioie;  femme  est  confors  et  recouuriers  de  tout  bien;  femme  est 


214  cuers]  Hs.  euer«.    249  Hs.  a  j  mot. 

25' 


388  Kleine  Mitteilungen. 

eeurtes  et  hardemens;  femme  est  tous  li  biens  que  cuers  puet  de- 

255  mander,  soushaidier,  ne  penser;  femme  est  li  gouurenemens  et  li 
eoustenance  dou  siecle;  femme  est  a  vn  mot  tous  li  biens  et  toute  li 
houueurs  du  monde;  ne  iou  ni  autres  ne  porroit  de  femme  tant  de 
bien  dire  ne  recorder  k'asses  plus  n'en  i  ait.  Et  sacies,  biaus  fieus, 
que  ce  seuent  vraiement  tout  loial  amant,  qui  par  femmes  aiment  et 

260  pour  femmes  heent  tous  mals  et  tous  visces,  tous  mesdis  et  toutes 
vieutes;  mais  chil  vilain  euer  qui  n'ont  gouste  ni  sauoure  des  biens 
d'amours,  ne  seuent  que  chou  est,  ains  sont  si  effree  contre  toute 
gentillece  que  beste  esbahie.  Par  coi  ie  di  vraiement,  qu'il  n'est  mie 
drois  hom,  qui  n'aime  par  amours  et  qui  n'a  ame.    Car  c'est  segnerius 

265  vie  et  nourechons,  de  tous  biens  amendans  et  de  toute  noblece.  Or 
ai  dit  et  moustre  dou  droit  et  de  l'ouneur  des  dames.  Et  li  houneurs 
et  li  vertus  des  dames  chis  liures  a  a  non.' 

'Maistres,  cent  mile  mercis  de  canque  vous  m'aues  apris  et  en- 
segnie,  car  beles  raisons  vous  m'aues  d'amour  et  de  dames  moustrees. 

27Ü  Car  souurainement  a  femme  valour  et  poissance  desseure  tout.    Et 
bien   aues  prouue  coument  dame  puet  faire  de  sen  baron  et  de  sen . 
ami  se  volente.    Car  on  dist,  qui  tient  le  cors,  il  tient  l'auoir.    Aussi 
est  il  en  la  partie  d'amours  par  decha:  quant  dame  a  euer  d'amant 
en  son  dangier,  se  ele  le  set  maintenir  et  demener  a  se  droiture,  que 

275  bien  faire  puet,  et  dont  ele  a  bien  de  coi,  ele  le  fera  de  li  et  du 
eourplus  de  toutes  ses  volentes  a  son  plaisii-;  car  fenme  le  vaut  bien.' 

Anmerkungen. 

Z.  38.  donte  könnte  auch  d'onte  =  de  hotite  sein,  doch  spricht  die 
Zusammenstellung  mit  vol&ntiu  und  ami  eher  für  donte  ■=  dompte.  Dafs 
die  Aussprache  nicht  ewa  donte  ist,  beweist  Rutebeufs  Reim  avoir  ho?ife  : 
donte  in  'Nouvelle  complainte  d'outre  mer'  1,  115. 

Z.  41.  destructions  hier  vielleicht  im  Sinne  von  Eroberung? 

Z.  öl.  haudrel    Vielleicht  heudri  =  corrompu'! 

Z.  86.  Die  Hs.  giebt  deutlich  samblece,  eine  jener  Konjunktivformen, 
von  denen  zuletzt  Meyer-Lübke,  Formenlehre  S.  189,  gehandelt  hat. 

Z.  105.  aimer  ä,  so  auch  Z.  126,  wo  das  aitner  allerdings  auch  tran- 
sitiv auf  houneur  bezüglich  aufgefafst  werden  kann.  Sonst  heif!*t  'lieben 
zu  . . .'  —  aimer  ohne  Präp.  Z.  108. 

Z.  116.  se  sentense  =  die  Lösung,  die  richtige  Behandlung  der  Frage. 

Z.  123.  damer?  Vermutlich  c/a;«er 'beanspruchen',  rfawe  wohl  eine  Ver- 
wechselung des  Schreibers  für  amis. 

Z.  132.  Über  savoir  son  roi  s.  Foerster  zu  Ch.  lyon  546. 

Z.  138.  et  prendes  dame  u.  s.  w.  =  und  nehmt,  Dame,  sein  Wort  und 
sein  Treuegelöbnis  zum  Pfände,  dafs  er  u.  s.  w. 

Z.  166.  ke  droit  en  droit  en  mi  Heu.    Die  Stelle  scheint  verderbt. 

Z.  196.  miustes  ist  unverständlich. 

Z.  217,  218.   Der  Satz  ist  unverständlich. 

Z.  248.  c'est  maus  u.  s.  w.  ce  bezieht  sich  auf  les  femmes. 

Z.  264.    ame.  Ob  es  nicht  amie  heifsen  sollte? 

Z.  275.  Vielleicht  ele  fera  de  li  i  ==  lui)  et  dou  sourplus  toutes  ses  volentes 
a  son  plaisir. 

London.  Rudolf  Zimmermann. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 


On   the   exercise   of  judgment   in   Hterature  by  W.  Basil  Wors- 
fold.     London,   J.   M.   Dent,    1900.     (The  Temple  Primers.) 

Herr  Worsfold  ist  der  gelehrten  Welt  nicht  unbekannt;  er  ist  der 
Verfasser  eines  Werkes  über  die  Principien  der  Kritik  (The  principles  of 
criticisni,  ed.  G.  Allen,  London  1897),  welchem  freilich  in  Deutschland 
nicht  besondere  Beachtung  zu  teil  geworden  zu  sein  scheint.  In  diesem 
früheren  Buche  hatte  sich  Herr  Worsfold  mit  der  litterarischen  Kritik 
von  Plato  und  Aristoteles  beschäftigt,  war  dann  auf  Addison,  Lessing, 
Cousin  und  Matthew  Arnold  übergegangen  und  hatte  schliefslich  einige 
Exkurse  über  verschiedene  interessante  Fragen  wie  'Poesie  als  Interpre- 
tation des  Lebens,'  'das  Drama  als  zusammengesetzte  Kunst,'  'der  Roman 
als  Litteraturform,'  'Autorität  in  Litteratur  und  Kunst'  gebracht. 

Wie  man  sieht,  verfährt  der  Autor  eklektisch;  er  hat  aus  dem  ganzen 
Gebiet  der  höheren,  d.  h.  bei  ihm  der  philosophischen  oder  wenigstens 
der  philosophisch  gefärbten  litterarischen  Kritik  diejenigen  ihrer  Vertreter 
ausgesucht,  welche  in  nachhaltigster  Weise  neue  oder  ältere  Principien 
in  erneuerter  Form  vertreten  haben.  Gegen  die  von  dem  Verfasser  vor- 
genommene Auswahl  liefse  sich  manches  anführen.  Man  erwartet  von 
jemand,  der  über  die  Principien  der  Kritik  schreibt,  doch  etwas  zu  hören 
über  Leute  wie  Hegel  oder  wie  Boileau ;  mau  sollte  meinen,  dafs,  wenn 
schon  von  den  kritischen  Theorien  der  Renaissance  nicht  die  Rede  sein 
soll,  doch  etwas  über  die  Schiller- Goethesche  Ästhetik  gesagt  werden 
müsse;  von  alle  dem  und  manchem  anderen  dieser  Art  ist  jedoch  nicht 
die  Rede.  Namentlich  wird  die  so  glänzend  ausgebildete  philologische 
Kritik  mit  keinem  Worte  berührt.  Das  Werk  ist  also  mindestens  unvoll- 
ständig; es  zeugt  ferner  auch  von  einer  schiefen  Auffassung  der  hierher 
gehörigen  historischen  Probleme,  wenn  V.  Cousin,  der  selbst  erst  Eklektiker 
ist,  als  Vertreter  philosophischer  Kritik  hingestellt  wird;  gleichwohl  wollen 
wir  nicht  an  dem  Buche  vorübergehen,  denn  es  ist  das  V/erk  eines  geist- 
vollen und  belesenen  Mannes,  der  sich  übrigens  mit  diesen  Dingen  mehr 
als  Liebhaber  abzugeben   scheint;   und   hätte  er  sein  Buch  etwa  "Haupt- 


390  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

formen  der  litterarischen  Kritik'  genannt,  so  wäre  Einwänden  obiger  Art 
die  Spitze  abgebrochen  worden. 

Das  neue  Büchelchen,  welches  Herr  Worsfold  hat  erscheinen  lassen, 
ist  keine  blofse  Wiederholung  der  'Principles,'  wenngleich  zwischen  beiden 
Werken,  mehr  als  die  Titel  es  vermuten  lassen,  Verwandtschaft  besteht. 
Das  Urteil  des  Verfassers  erscheint  gereifter  und  bestimmter;  er  rollt  nicht 
mehr  die  weitgehende  Frage  der  'Principien'  aller  Kritik  auf,  sondern  be- 
schränkt sich  weise  auf  die  'Ausübung  des  Urteils'  in  der  litterarischen 
Kritik.  Nur  ist  die  Methode  dieselbe  wie  in  dem  früheren  Buche.  Plato 
und  Aristoteles  werden  als  typische  Vertreter  der  Kritik  aufgeführt,  wobei 
die  Methode  Piatos  ja  auch  ganz  richtig  als  wesentlich  materiell,  diejenige 
des  Aristoteles  als  formal  charakterisiert  wird.  Es  ist  nicht  meines  Amtes, 
näher  auf  diesen  Teil  der  vorliegenden  Arbeit  einzugehen.  Zu  schildern, 
wie  sich  die  Ideen  des  Altertums  in  der  Renaissance  neu  gestalten,  und 
wie  auch  hier  das  Mittelalter  die  Neuzeit  vorbereitet,  wäre  eine  anziehende 
Aufgabe  gewesen  —  aber  diese  hat  der  Verfasser  in  einem  kurzen  Abrifs 
natürlich  weder  lösen  wollen  noch  können.  Über  die  französische  Kritik 
des  17.  und  des  18.  Jahrhunderts  hat  er  nur  einige  allgemeine  Bemerkungen 
und  springt  sofort  zu  Addison  über,  indem  er  zeigt,  wie  dieser  Kritiker 
das  Princip  der  Phantasie  in  die  litterarische  Kritik  einführt  und  sie  auf 
diese  Weise  vervollständigt.  Richtig  ist,  dafs  Addison  einen  hervorragen- 
den Anteil  an  jener  denkwürdigen  Bewegung  nahm,  welche  diesem  Princip 
Geltung  verschaffte.  Er  war  aber  weder  der  einzige  noch  der  erste  in 
dieser  Beziehung.  Die  Erörterung  des  Phantasiebegriffs  in  der  Kunst 
reicht  überhaupt  viel  weiter  zurück,  und  Poetiken  Schreiber  wie  Gascoigne 
und  Vida,  Philosophen  wie  Charron  und  der  von  Addison  citierte  Bacon 
hatten  längst  auf  die  Bedeutung  der  Erfindung  gegenüber  der  Nach- 
ahmung hingewiesen  und  damit  das  Princip  der  schöpferischen  Macht  der 
Phantasie  in  der  Kritik  vorbereitet.  Wir  wollen  mit  dem  Verfasser  nicht 
darüber  rechten,  dafs  er  —  wozu  auch  in  dem  kleinen  Buche  wenig  Raum 
war  —  diese  Verhältnisse  kaum  angedeutet  hat.  Treffend  hat  er  dagegen 
gezeigt,  wie  Lessing  das  künstlerische  Vermögen  objektiv  und  wie  Cousin 
es  subjektiv  geschildert  hat.  Von  hier  aus  lag  nahe,  zu  zeigen,  mit  wie 
unzulänglichen  Mitteln  die  Psycliologie  jener  Jahrhunderte  arbeitete,  und 
was  sich  etwa  in  dieser  Beziehung  von  einer  fortgeschritteneren  psycho- 
logischen Wissenschaft  erwarten  lasse.  Unter  den  neueren  englischen 
Kritikern  ist  besonders  Matthew  Arnold  gewürdigt;  nicht  mit  Unrecht, 
insofern  Arnold  ein  bedeutender  Mensch  und  tiefsinniger  Kritiker  war. 
Er  hatte  sich  Maximen  zurechtgelegt,  mit  denen  ein  Mann  seines  Schlages 
grofsen  Werken  etwas  abgewinnen  konnte.  Eine  solche  Maxime,  an  der 
er  den  Wert  der  Poesie  zu  messen  unternahm,  war  z.  B.  der  hohe  Ernst 
absoluter  Aufrichtigkeit.  Als  praktische  Handhaben  können  solche  Maximen 
treffliche  Dienste  leisten;  theoretischen  Wert  wird  man  ihnen  darüber 
hinaus  schwerlich  zubilligen  können.  Und  ähnlich  ist  es  auch  mit  dem 
Gesamtresultat  des  vorliegenden  Buches.  Als  praktische  Handhabe  kann 
es  dem  Liebhaber  der  Litteratur  wohl  Dienste  leisten,  indem  es  auf  wich- 


Reurteiluugen  und  kurze  Anzeigen.  391 

tige  Seiten  der  Poesie  hinweist;  allein  als  ein  Werk,  welches  tiefer  in  den 
Gegenstand  eindringe,  läfst  es  sich  nicht  bezeichnen.  Interessant  an  dem 
Buche  ist  aufser  hübschen  Bemerkungen  im  einzelnen  die  Fragestellung, 
wie  ein  litterarisches  Urteil  zu  stände  kommt.  Dafs  ein  solches  Urteil 
möglich  ist,  leugnen  wir  nicht,  doch  miifste  es  auf  eine  tiefere  historische 
Einsicht  in  den  geistigen  Zusauimcuhang,  in  welchem  ein  litterarisches 
Werk  erscheint,  gegründet  sein.  Darauf  ist,  unserer  Ansicht  nach,  in 
dem  vorliegenden  Buche  nicht  genügender  Nachdruck  gelegt.  Ein  Kapitel 
über  die  Formen  der  Litteratur  ist  hinzugefügt;  auch  hier  könnte  man 
Ausstellungen  erheben;  so  ist  z.  B.  auf  S.  8;?  zwischen  volkstümlicher 
und  gelehrter  Epik  kein  Unterschied  gemacht.  Trotz  allem  wird  man 
sagen  dürfen,  dafs  Büchern  dieser  Art  manchmal  beschieden  ist,  was 
wissenschaftlichen  Leistungen  versagt  sein  kann,  Liebe  zur  Litteratur  und 
Geschmack  an  derselben  in  weitere  Kreise  zu  tragen. 

Aberystwith  (England).  W.  Borsdorf. 

Adolf  Harnack,  Geschichte  der  Kgl.  Preufsischen  Akademie  der 
\Vis.seuschafteu  zu  Berlin.  Im  Auftrage  der  Akademie  be- 
arbeitet. Ausgabe  in  einem  Bande.  G.  Stilke,  1901.  VIII, 
790  S.     M.  10. 

Vor  einigen  Jahren  suchte  ich  in  einem  Vortrag  über  'Betrieb  und 
Organisation  der  wissenschaftlichen  Arbeit'  darzulegen,  wie  auch  die  Gesamt- 
arbeit der  Forscher  und  Gelehrten  sich  nach  gewissen  Gesetzen  entwickelt 
und  unter  neuen  Bedingungen  neue  Formen  sucht  und  findet.  Welche 
besondere  Bedeutung  bei  diesem  Prozefs  den  Akademien  zukommt,  suchte 
ich  ebcndort  (S.  B8)  gegenüber  vielfachem  Skepticismus  darzuthun.  Diese 
Anschauung  findet  die  schönste  und  willkommenste  Bestätigung  durch 
das  glänzende  Werk,  in  dem  der  berühmte  Berliner  Kirchenhistoriker 
nunmehr  die  Entwickelungsgeschichte  auch  der  jüngsten  Weltkirche,  der 
wissenschaftlichen,  so  lebhaft  gefördert  hat  wie  längst  die  der  christlichen. 

Zwar  ist  es  kein  spielender  Vergleich,  wenn  wir  bei  dem  Geschicht- 
schreiber der  Berliner  Akademie  an  den  Patristiker  erinnern.  Ganz  un- 
gestraft wandelt  man  nicht  von  den  Palmen  des  christlichen  Orients  zu 
den  akademischen  Palmen  herüber.  Wenn  das  meisterhafte  Werk  einen 
so  ganz  ungetrübten  Eindruck  nicht  hiuterläfst,  wie  Harnacks  unnach- 
ahmliche Festrede  am  Gedenktag  der  Akademie,  so  liegt  das  daran,  dafs 
eben  jener  Charakter  der  Kirchengeschichte  zuweilen  hervortritt.  Sie  ist 
notwendigerweise,  mag  sie  noch  so  objektiv  sein  wollen,  einigermafsen 
apologetisch;  und  sie  kann  es  kaum  vermeiden,  schon  in  der  Art  und 
dem  Umfang  ihrer  Namensnennung  dem  Satz  einigermalsen  zu  huldigen: 
extra  ecclesiani  nulla  salus.  Das  hat  selbst  Harnack  nicht  ganz  über- 
wunden. Die  Proselyten  des  Chors,  die  auswärtigen  Mitglieder,  deren 
Wahl  und  Nichtwah!  doch  so  bezeichnend  ist,  fast  bleiben  (trotz  S.  419 
u.  ä.  St. i  ganz  draufsen.  und  der  einzige  Darwin  wird  (S.  703)  in  einer 
Weise  erwähnt,   die  bei  dem  künftigen   Geschichtschreiber  des  nächsten 


392  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Säkulums  unserer  Akademie  wohl  auch  dem  heutigen  das  Prädikat  eines 
'Enthusiasten  des  Masses'  (S.  339)  zuziehen  dürfte.  Wer  ganz  draufsen 
bleibt,  existiert  für  dies  Buch  nur  eben  insoweit,  als  er  nicht  Mitglied 
wurde,  und  wäre  er  ein  Lessing  oder  Winckelmann ;  nur  Hegel  glänzt 
trotz  seiner  Abwesenheit.  Und  doch,  meine  ich,  gehört  zu  der  Geschichte 
jeder  Akademie  auch  die  Geschichte  des  'einundvierzigsten  Stuhls'.  Die 
Akademie  hat  gegen  die  grofsen  Philosophen  ihrer  Zeit  stets  gekämpft; 
es  hing  das  mit  ihren  besten  Seiten  zusammen :  mit  ihrer  Neigung  zu 
positiver  wissenschaftlicher  Arbeit.  Sie  hat  gegen  Leibniz  intrigiert 
(damals  gehörte  ja  die  persönliche  Intrigue  noch  zu  der  offiziellen  Me- 
thode wissenschaftlicher  Polemik!);  sie  hat,  wie  gerade  Harnack  vortreff- 
lich zeigt,  Kant  stets  angefochten;  sie  hat  Hegels  Aufnahme  verhindert. 
Fichte  und  Schelling  safsen  in  ihr;  beide,  als  ihr  Höhepunkt  überschritten 
war.  Zu  Schopenhauers  Zeit  hatte  sie  —  Trendelenburg.  Und  wie  un- 
denkbar wäre  etwa  eine  Aufnahme  Nietzsches  gewesen,  obwohl  auf  ihn 
fast  wörtlich  gemünzt  scheint,  was  Harnack  (S.  466)  schön  über  Schleier- 
macher sagt.  Gerade  aber  weil  die  Berliner  Akademie  seit  Friedrich  d.  Gr. 
sich  rühmen  darf,  wirklich  'la  coupole'  zu  sein,  das  hochragende  Gewölbe,  ~ 
das  dem  ganzen  stolzen  Gebäude  unserer  wissenschaftlichen  Arbeit  Licht 
und  Zier  giebt  und  zugleich  den  Bau  zusammenhält  —  gerade  deshalb 
sollte  nicht  ganz  verschwiegen  werden,  welche  Provinzen  sich  ihrer  Herr- 
schaft jeweils  noch  entzogen. 

Selbst  Persönlichkeiten  müssen  es  fühlen,  wenn  den  Geschichtschreiber 
keine  Kollegialität  ihnen  gegenüber  zu  dem  Wohlwollen  ermahnt,  das  er 
manchem  Genossen  fast  überreichlich  zu  teil  werden  läfst.  Wer  Savignys 
'Beruf  unserer  Zeit'  (S.  667)  'epochemachend'  nennt,  ein  Büchlein,  das 
doch  eigentlich  nur  die  Schwächen  der  historischen  Schule  entblöfste,  wer 
den  braven  Enthusiasten  Rühs  (S.  661)  lediglich  im  'schönen  Profil'  zeigt, 
während  er  doch  mit  seinem  chauvinistischen  Teutonismus  und  seinen 
geschichtsverderberischen  Konstruktionen  auch  noch  ein  ganz  anderes  be- 
safs,  der  sollte  den  armen  Varnhagen,  auf  den  seit  Treitschke  alles  los- 
schlägt, auch  nicht  nur  nach  seinen  Schwächen  beurteilen.  Hand  aufs 
Herz  —  würde  der  Apostel  Goethes  auch  dann  ein  'ausgehöhlter  Litterat' 
(S.  657)  heifsen,  wenn  ihm  etwa  sein  Freund  Humboldt  einen  Sitz  in  der 
Akademie  verschafft  hätte? 

Und  auf  der  anderen  Seite  —  braucht  dies  ruhmvolle  Institut  so  viel 
Apologetik?  Nach  der  Vielseitigkeit  seiner  Interessen  und  Kenntnisse 
darf  sich  Harnack  wohl  zu  jenen  periodisch  auftretenden  Erben  Leib- 
nizens  rechnen,  die  zum  Heil  der  Akademie  seiner  Schöpfung  nie  auf  die 
Dauer  fehlten ;  ich  nenne  nur  W.  v.  Humboldt,  Schleiermacher,  Mommsen. 
Bewundernd  folgt  seiner  Kunst,  die  Leistungen  aller  Akademiker  zu  wür- 
digen, selbst  der,  der  etwa  bei  der  Aufzählung  von  Dirichlets  Verdiensten 
sich  leider  gar  nichts  zu  denken  vermag.  Leibnizisch  ist  auch  sein  Orga- 
nisationstalent;  hat  er  doch  die  'Adjunkten'  der  Akademie,  die  in  einem 
frühen  Vorschlag  (S.  519)  auftauchen,  als  'wissenschaftliche  Beamte'  end- 
lich durchgesetzt  —  obgleich  seinem  eigenen  Werk  bedauerlicherweise  der 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  393 

wichtigste  'wissenschaftliche  Beamte'  fehlt:  das  Register.  Aber  nicht  ganz 
so  glücklich  wirken  andere  Ähnlichkeiten  mit  dem  grofsen  Stifter.  Zu 
oft  weicht  der  Historiker  dem  Historiographen;  eine  Theodicee,  eine  un- 
bedingte Rechtfertigung  auch  des  vorhandenen  Übels  wird  angestrebt.  Mit 
wie  merkwürdiger  Weichheit  wird  die  Härte  Friedrich  Wilhelms  I.  (S.  I6i*  f., 
185)  verteidigt!  Wir  sind  wohl  überhaupt  alle  noch  zu  stark  unter  »lern 
Bann  von  Carlyles  'stummem  Dichter'  und  Schmollers  'gröfstem  inneren 
König';  die  Geschichtschreibung  wird,  um  jenem  wundersamen  Charakter 
gerecht  zu  werden,  doch  wohl  wieder  ein  paar  Tropfen  von  Macaulays 
'Königlichem  Feldwebel'  in  die  Mischung  giefsen  müssen.  Weshalb  soll 
man  hier  jenes  Element  von  rohem  Unbildungsdünkel,  von  ungelelirtem 
Bettelstolz  verdecken,  das  der  preufsische  Offizier  und  Junker  doch  leider 
gar  nicht  selten  zur  Klarlegung  jener  königlichen  Dekrete  und  Rand- 
bescheide dargebracht  hat?  —  Und  verträgt  sich  das  unumschränkte  Ver- 
trauensvotum für  die  höhere  Leitung  (S.  1(37)  mit  den  Bemerkungen,  die 
Harnack  selbst  über  die  Mafsregeln  unter  Schuckmann  (S.  484)  und  gar 
unter  Eichhorn  und  Raumer  (S.  681)  vorbringen  mufs?  Müfste  angesichts 
solcher  Möglichkeit  'kurzsichtiger  Bureaukraten'  und  ihres  'Mifstrauens 
gegen  die  Wissenschaft'  der  naturrechtliche  Satz  nicht  etwas  vorsichtiger 
formuliert  werden,  den  der  Geschichtschreiber  der  Akademie  (S.  435)  ein- 
mal aus  Rechtfertigung  eines  höchstens  als  That  der  Notwehr  zu  ent- 
schuldigenden Gewaltaktes  ausspricht?  'Verliehene  Rechte  darf  im  Staat 
nur  der  behaupten,  der  sie  richtig  gebraucht.'  Bei  der  Dehnbarkeit  des 
Adverbs  —  niemand  kennt  sie  besser  als  ein  Meister  der  Kirchengeschichte 
—  würden  all  die  Bemühungen  der  Akademie  um  ihre  Grundrechte  als 
ein  überflüssiges  Spiel  erscheinen,  die  Statutenentwürfe  der  Niebuhr  und 
der  Fichte  als  eine  zwecklose  Zeitvergeudung,  wenn  die  verliehenen  Rechte 
auf  dies  eine  Adverb  hin  verwirkt  sein  könnten.  —  Dagegen  ist  die  Recht- 
fertigung der  Akademie  in  dem  berühmten  'Fall  Raumer'  (S.  704)  durch- 
aus gelungen  und  im  wesentlichen  kaum  anzufechten. 

Noch  ein  Punkt  bleibt,  in  dem  man  wohl  gegen  die  Apologie  Ein- 
spruch erheben  möchte.  Harnack  gebraucht  (S.  789)  das  Wort  'Wissen- 
schaftspolitik'; wie  denn  auch  sonst  glückliche  Ausdrücke  nicht  fehlen 
('die  reaktionären  Fortschrittsleute'  S.  389),  noch  auch  geistreich-ironische 
Wendungen  (gegen  die  Fanatiker  der  Wirtschaftsrechnungen  S.  (373;  gegen 
die  'sublimen  Grundsätze'  moderner  Klassikerausgabeu  S.  (!82).  Erkennt 
man  jenem  Wort,  wie  wir  es  thun,  seine  volle  Berechtigung  zu  —  darf 
man  dann  nicht  (trotz  S.  781)  zweifeln,  ob  diese  Politik  der  Akademie 
nicht  doch  lange  Zeit  zu  sehr  von  jenem  Geist  des  Kosmopolitismus  be- 
herrscht blieb,  dem  sie  freilich  auch  ihre  grofse  Gesinnung  mit  verdankt? 
Waren  wirklich  Anregungen  zur  Förderung  deutscher  Sprach-  und  Alter- 
lumskuude  nicht  früher  und  nicht  in  weiterem  Umfang  möglich? 

Wir  haben  mit  der  Offenheit,  die  ein  Werk  von  solcher  Bedeutuug 
des  Gegenstandes  und  der  Behandlung  fordert,  unsere  Bedenken  nicht  ver- 
schwiegen. Freudig  können  wir  nun  zu  herzlichstem  Lob  oder,  da  dieser 
Ausdruck    unbe.scheiden   scheinen  möchte,   zu    entschiedener    Aufzählung 


394  BeurteiluDgeu  imd  kurze  Anzeigen. 

der  grofsen  Vorzöge  übergehen  —  kürzer,  weil  das  Lob  des  Buches  weniger 
Einschränkungen  und  Begründungen  fordert  als  die  Bedenken.  Das  Wich- 
tig.ste  ist  die  meisterhafte  Disposition  mit  ihrer  überzeugenden  Klarheit 
und,  sie  begründend,  die  glänzende  Charakteristik  bestimmter  Zeitströ- 
mungen wie  der  um  1700  (S.  88),  der,  in  der  'das  neue  subjektive  Element' 
(S.  4(33)  die  'Schöpfer  der  Geisteswissenschaften  im  19.  Jahrhundert'  (S.  167) 
beseelte,  oder  der  heutigen  trüberen  Stimmung  (S.  593).  Dann  jene  er- 
staunliche Umsicht,  die  alles  bringt  und  erörtert,  wo  es  am  besten  ge- 
eignet scheint:  die  Frage  der  'Universalität'  (S.  468),  wie  die  über  die 
Stellung  des  Monarchen  zur  Wissenschaft  (S.  589),  die  des  Verhältnisses 
zum  öffentlichen  Leben  (S.  581,  734),  wie  die  Beurteilung  der  Festreden 
(S.  704).  Dabei  fallen  auf  weite  Gebiete  oft  helle  Streiflichter:  wie  be- 
leuchtet die  geistreiche  Erklärung  des  alten  Preisaufgabenwesens  (S.  302) 
den  ganzen  Wechsel  des  wissenschaftlichen  Betriebes  von  der  Zeit  der 
Aufklärung  bis  zur  Gegenwart! 

Hinter  der  Charakteristik  der  Kollektivpersönlichkeiten  steht  die  der 
Individuen  vielleicht  etwas  zurück.  Selbst  Persönlichkeiten  von  so  auf- 
reizend interessanter  Eigenart  wie  Buch  (S.  558),  Ehrenberg  (S.  625), 
Lachmann  (S.  646)  kommen  nicht  recht  heraus,  und  eine  etwas  zu  'aka- 
demische' Zeichnung  scheint  mir  in  Eanke  (S.  672)  die  eigenartigsten 
Momente  zu  verwischen.  Weshalb  übrigens  hier  die  Aufrichtigkeit  unge- 
nannter Gegner  (S.  674;  ist  Treitschke  gemeint? i  anzweifeln?  Verträgt 
sich  ein  gewisser  moralischer  Latitudinarismus  gegenüber  der  Person,  wie 
man  ihn  Eanke  schuld  giebt,  nicht  trefflich  mit  entschiedener  Parteinahme 
gegenüber  den  'grofsen  Mächten'?  Hat  doch  Harnack  selbst  in  der  Art, 
wie  er  einerseits  die  Persönlichkeiten,  andererseits  die  Richtungen  behan- 
delt, eine  ähnliche  Verschiedenheit  der  Objektivitäten  gezeigt.  Und  steht 
nicht  Mommsen,  der  auch  bei  ihm  als  die  grölste  Kraft  in  der  neueren 
Akademie  glänzend  hervortritt  ('die  Arbeit  an  dem  Werk  ist  seitdem  nie- 
mals unterbrochen  worden,  weil  Mommsen  sie  leitete'  S.  694),  den 
'Recensenten  der  Weltgeschichte'  (S.  678)  so  nahe,  dafs  auch  unserem 
Autor  die  Einwürfe  gegen  Rankes  'Indifferentismus'  begreiflich  sein  sollten? 

Übrigens  ist  es  ja  nur  natürlich,  dafs  in  den  Plenarsitzungen  der 
einzelne  ein  wenig  hinter  der  Tafel  verschwindet.  Von  dem  Mittel,  die 
Mitglieder  aneinander  zu  charakterisieren,  hat  Harnack  nur  selten  Ge- 
brauch gemacht  (Bekker  und  Meineke  S.  649;  Gerhard  und  Panofka 
S.  652;  auch  die  Br.  Grimm  S.  696  und  Müllenhoff  und  Scherer,  für 
dessen  schönen  Nekrolog  wir  unseren  herzlichsten  Dank  noch  eigens 
aussprechen,  S.  742).  Vielleicht  widerstrebte  es  ihm  überhaupt,  wie  es 
manchmal  wenigstens  scheint,  die  Persönlichkeiten  zu  betrachten:  er  läfst 
sie  gern  hinter  dem  Werk  zurücktreten,  wo  nicht  (wie  bei  Leibniz  S.  134, 
164  u.  ö.)  das  Eingehen  auf  den  Charakter  ganz  unvermeidlich  ist  (ähn- 
lich bei  Alexander  v.  Humboldt  an  verschiedenen  Stellen,  besonders  S.  541). 
Doch  treten  immerhin  einzelne  Figuren  wie  der  ehrwürdige  Süfsmilch 
oder  I>ambert  (S.  228)  plastisch  hervor. 

Die  Hauptsache  bleibt  doch  die  Charakteristik  und  Biographie  dieser 


Beurtpiluiigen  utkI  kurze  Anzeigen.  395 

glorreichen  Gcsamtporsönliohkrit :  der  Hcrliner  Akademie.  Noch  hat  keine 
ihrer  Genossinnen  einen  solchen  Geschichtschreiber  gefunden.  Dies  Werk 
genügt  schon  als  wissenschaftliches  Kunstwerk,  um  von  den  Leistungen 
der  Akademie,  deren  neueste  Blüte  es  ist,  die  denkl)ar  höchste  Vorstellung 
zu  geben. 

Berlin.  Richard  M.  Meyer. 

Friedrich  Panzer,  Hiltie-Gudruu.  Eine  sagen-  und  litterargeschic-ht- 
liche  Untersucliung.  Halle  a.  S.,  Max  Niemeyer,  1901.  XV, 
452  S.     M.  12. 

Die  wissenschaftliche  Litteratur  über  unsere  Heldensage  hat  in  dem 
vorliegenden  Buche  eine  Bereicherung  erfahren,  die  zu  dem  Besten  gehört, 
was  sie  aufzuweisen  hat.  Die  Absicht  seines  Verfassers  ist  es,  das  Kudrun- 
epos  durch  eingehende  Analyse  seiner  Form  und  seines  Stoffes  als  das 
einheitliche  Werk  eines  Dichters  zu  erweisen.  Im  Verlaufe  seiner  Unter- 
suchung wird  aber  bei  so  vielen  Fragen  verweilt  und  überall  so  reiches 
Material  herbeigeschafft,  dafs  auch  derjenige  den  Wert  der  Arbeit  nicht 
wird  bestreiten  können,  der  das  letzte  Ziel,  das  sie  sich  steckt,  nicht  für 
erreicht  hält.  Allein  die  Zahl  dieser  Zweifler  dürfte  nicht  allzu  grofs  sein ; 
und  jedenfalls  haben  die  Theorien  Müllenhoffs  und  anderer  Forscher,  die 
das  Gedicht  in  einen  alten  und  echten  Kern  und  unechte  Zusätze  jüngeren 
Ursprunges  zerlegen  wollten,  hier  einen  Stol's  erhtten,  den  sie  kaum  ver- 
winden werden. 

Das  geschieht  vor  allem  durch  den  ersten  Teil  seines  Werkes,  in  dem 
Panzer  es  so  gut  wie  ganz  den  Thatsachen  überläfst,  für  sich  zu  sprechen. 
p]s  stellt  sich  dabei  heraus,  dafs  die  Eigentümlichkeiten  des  Gedichtes  in 
Sprache,  metrischer  Form  und  Stil  ganz  gleichmäfsig  den  —  im  Sinne 
Müllenhoffs  —  echten  wie  den  unechten  Strophen  zukommen.  Die  P>age 
der  Widersprüche  findet  eingehende  und  sachgemäfse  Erörterung,  die  es 
klarlegt,  dafs  ihnen  eine  Beweiskraft  für  die  Annahme  von  Interpolationen 
in  unserem  Falle  nicht  zukommt.  I2ine  nicht  minder  tiefgreifende  Unter- 
suchung der  Charakterschilderung  des  Gedichtes  zeigt  nicht  nur  die  voll- 
endete Meisterschaft  der  Dichtung  auf  diesem  Gebiete  im  Gegensatze  zu 
ihren  Schwächen  in  Stil  und  Komposition,  sondern  auch  die  folgerichtige 
und  gleichniäfsige  Zeichnung  der  ( 'haraktere  in  allen  ihren  Partien.  End- 
lich wird  da.s  Verhältnis  des  Kudrunepos  zu  älteren  Gedichten,  zum  Nibe- 
lungenlied, zur  Klage,  zu  Wolfram  und  zum  Rother  besprochen,  deren 
unverkennbare  Einflüsse  sich  über  'echte'  und  'unechte'  Strophen  erstrecken 
und  zwar  derart  dafs  —  was  besonders  wichtig  ist  —  'unechte'  aus  der- 
selben älteren  Quelle  geflossen  sind  wie  ihre  'echte'  Umgebung. 

Dem  Nachweis,  dafs  auch  in  Bezug  auf  inhaltliche  Abhängigkeit  der 
Dichtung  von  ihren  Quellen  zwischen  'echten'  und  'unechten'  Textstellcn 
Grenzen  nicht  bestehen,  ist  der  zweite,  weitaus  umfänglichere  Teil  des 
Buches  gewidmet.  Diese  letzte  Absicht  tritt  aber  naturgemäfs  oft  in  den 
Hintergrund,  und  da  die  gesamte  Überlieferung  des  Stoffes  und  alle  seine 


396  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Elemente  nach  und  nach  gründlichste  Behandlung  erfahren,  erweitert  sich 
die  Arbeit  hier  zu  einer  abgerundeten  sagengeschichtlichen  Untersuchung 
von  ganz  selbständigem  Werte.  Und  wenn  sich  bereits  im  ersten  Teile 
Schulung  und  Methode  des  Verfassers  im  besten  Lichte  zeigten,  so  ist 
ihm  hier  vor  allem  das  Feld  eingeräumt,  auf  dem  er  seine  umfassende 
Belesenheit  und  seine  lebendige  Kombinationskraft  bewähren  kann.  Hier 
bringt  er  am  meisten  Neues,  hier  stöfst  man  auf  die  anziehendsten  Ab- 
schnitte seines  Werkes.  Daneben  freilich  liegen  hier  auch  seine  Schwächen ; 
und  diese  erklären  sich  nicht  allein  daraus,  dafs  es  sich  dabei  vielfach 
um  Gegenstände  handelt,  bei  denen  über  Vermutungen  nun  einmal  nicht 
hinauszukommen  ist  und  ein  Einklang  der  Meinungen  niemals  eintreten 
wird. 

Zunächst  giebt  uns  Panzer,  um  näher  auf  den  Inhalt  seiner  Unter- 
suchungen einzugehen,  eine  Übersicht  und  Kritik  der  Quellen,  wobei  er 
auch  mit  Recht  einiges  aus  den  Zeugnissen  für  unsere  Sage  streicht,  was 
bisher  von  vielen  ihnen  eingereiht  wurde ;  so  vor  allem  die  oft  besprochene 
Shetlandsballade  von  Hiluge  und  Hildina,  deren  nächste  Verwandte  er  in 
den  Hjelmerballaden  nachweist.  Auch  den  unbestreitbaren  Belegen  für 
unsere  Sage  gesteht  Panzer,  soweit  sie  aus  dem  Norden  stammen,  nicht 
jene  Ursprünglichkeit  zu,  die  man  ihnen  bisher  zugeschrieben  hat.  Der 
täglich  sich  erneuernde  Kampf  der  Hiadningar  ist  ihm  nicht  ein  alter 
Zug  der  Sage,  der  im  Süden  vergessen  wurde,  sondern  ein  junger  nor- 
discher Sagenschöfsling.  Dafs  auf  deutscher  Seite  die  romantische  Ein- 
leitung des  Kudrunliedes,  die  Jugendgeschichte  Hagens,  nicht  als  echte 
Sage  gelten  kann,  sondern  dazu  gedichtet  ist,  war  auch  bisher  schon  die 
gangbarste  Ansicht;  sie  wird  jetzt  nur  noch  fester  begründet,  indem  die 
Vorlagen  für  alle  einzelnen  Motive,  aus  denen  sich  das  bunte  Mosaik 
dieser  Erzählung  zusammensetzt,  überzeugend  nachgewiesen  werden. 

Auf  dem  Boden  alter  Sagenüberlieferung  stehen  wir  dagegen  bei  der 
Geschichte  von  Hetel  und  Hilde.  Von  dieser  nun  glaubt  Panzer  nach- 
weisen zu  können,  dafs  sie  in  ihren  wesentlichsten  Zügen  aus  einem 
Märchen  entsprungen  sei,  das  er  nach  dem  Namen,  den  sein  Held  in  einer 
tirolischen  Fassung  führt,  das  Goldenermärchen  nennt.  Bei  Grimm  ent- 
spricht ihm  Nr.  136,  Eisenhans  betitelt. 

Die  überall  wiederkehrenden  Grundzüge  dieser  weitverbreiteten  Er- 
zählung sind  nach  Panzer  die  folgenden :  Ein  Knabe  —  es  ist  zumeist  ein 
Königssohn  —  kommt  in  die  Dienste  eines  dämonischen  Wesens  und  er- 
wirbt bei  ihm  goldene  Haare.  Er  scheidet  von  ihm  entweder  in  Güte 
und  erhält  dann  die  Zusicherung  fortdauernden  Beistandes  oder  im  Bösen, 
ihm  heimlich  auf  einem  wunderbaren  Rosse  entfliehend,  das  dann  im  fol- 
genden die  Rolle  des  dämonischen  Helfers  übernimmt.  Als  Tier  oder 
Mensch  niedrigen  Standes  verkleidet  tritt  der  Held,  gewöhnlich  als  Gärtner, 
in  die  Dienste  eines  Königs,  giebt  sich  vielleicht  noch  für  einen  Grind- 
kopf, Narren,  Stummen  aus.  Die  Königstochter  aber  entdeckt  die  gol- 
denen Haare  unter  der  Verkleidung  des  Dienenden,  verliebt  sich  in  ihn 
und  begehrt  ihn,  nachdem  er  zumeist  noch  in   einem  ritterlichen  Spiel, 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  397 

bei  dem  nur  die  Prinzessin  ihn  erkannt  hat,  einen  Beweis  seiner  adeligen 
Herkunft  geliefert  bat,  zum  Mann.  Der  Vater  mufs  einwilligen,  verbannt 
das  Paar  aber  vom  Hofe.  Gleich  darauf  entsteht  ein  Krieg:  der  verachtete 
■Schwiegersohn  will  mitziehen  und  erhält  zum  allgemeinen  Spott  eine  elende 
Mähre.  Er  aber  vertauscht  heimlich  den  Klepper  gegen  sein  irgendwo 
verborgenes  Wunderrols,  bezw.  erhält  vom  Eisenhans  Rofs  und  Rüstung 
und  besiegt  so  dreimal  den  Feind.  Zweimal  vermochte  er  sich  einer 
Erkennung  zu  entziehen,  in  der  dritten  Schlacht  wird  er  verwundet,  er- 
kannt und  nun  auch  vom  alten  König  freudig  als  Schwiegersohn  ange- 
nommen. 

Erst  durch  Vergleich  mit  dem  Märchen  ergiebt  sich  klar,  welch  wich- 
tige Rolle  Wate  —  der  Entsprechung  des  Eisenhans  —  in  der  Sage  eigent- 
lich zukommt.  Auch  Hetel-Hedins  Name,  der  zu  aisl.  heiUnn  'Pelzrock' 
gehört,  erklärt  sich  aus  der  ärmlichen  Verkleidung,  in  der  Goldener  auf- 
tritt, und  stellt  sich  Namen  wie  Allerleirauh  (eines  weiblichen  Gegenstückes 
zum  Goldener),  Bärenhäuter,  Koflmadr,  der  gräwe  Roc  u.  a.  m.  an  die 
Seite,  die  in  volkstündichen  oder  litterarischen  Fassungen  der  Goldener- 
geschichte vorkommen.  Aber  auch  Hurant  oder  vielmehr  das  ältere  Her- 
rant  und  Hiarrandi- Heorrenda  —  mit  Detter-Heinzel  nach  mhd.  herren 
als  'vagabundus'  zu  deuten  —  ist  nach  Panzer  nur  ein  Hehlname  des- 
selben Helden  und  erst  später  als  eine  von  ihm  verschiedene  Person  ge- 
fafst,  wie  er  denn  ursprünglich  selbst  und  nicht  durch  Boten  um  seine 
Braut  wirbt.  Dafs  seine  Gesandten  sich  an  Hagens  Hof  bald  als  Ge- 
ächtete, bald  —  im  AViderspruch  hierzu  —  als  Kaufleute  ausgeben,  er- 
klärt Panzer  aus  einer  Kreuzung  alter  Überlieferung,  wonach  der  Werber 
thatsächlich  geächtet  war,  mit  der  Kaufmannsformel,  einem  beliebten 
Spielmannsmotiv,  das  im  Salomon  und  Rother  dem  Dichter  vorlag.  Auch 
das  Wettspiel  des  Boten,  ursprünglich  des  Freiers  selbst,  mit  dem  alten 
König  hat  in  Variauten  des  Goldenertypus  seine  Entsprechung. 

Damit  sind  auch  nach  meinem  Urteil  einige  Sageuzüge  erst  ins 
rechte  Licht  gerückt,  was  um  so  verdienstlicher  ist,  als  es  sich  dabei 
um  sehr  Verstecktes  und  Verdunkeltes  handelt.  Und  auch  das  weniger 
Überzeugende  an  diesen  Aufstellungen  ist  immerhin  beachtenswert.  Dafs 
aber  das  Verhältnis  unserer  Sage  zum  Goldeuermärchen,  trotz  der  nach- 
gewiesenen Übereinstimmung  in  wichtigen  Zügen,  das  der  direkten  Ab- 
stammung aus  ihm  sei,  ist  mir  doch  fraglich,  und  es  müTste  wenigstens 
erwogen  werden,  ob  nicht  ein  anderes  möglich  ist.  Vieles  dem  Märchen 
Eigentümliche  vermissen  wir  in  der  Sage  ganz  und  gar,  so  nicht  nur  das 
Goldhuar  und  die  Gärtuerstellung  seines  Helden  —  die  freilich  als  den 
germanischen  Kulturverhältnissen  nicht  entsprechend  weggefallen  sein 
kann  — ,  sondern  vor  allem  auch  den  ganzen  Abschluls.  Denn  die  Ver- 
suche Panzers,  auch  für  diesen  Entsprechungen  in  der  Sage  nachzuweisen, 
sind  gezwungen.  Das  gilt  z.  B.  von  der  Zusammenstellung  des  Versuches 
der  Hilde,  vor  dem  Kampfe  Vater  und  Geliebten  zu  versöhnen,  mit  dem 
Bericht  des  Märchens,  dafs  die  Königstochter  ihren  Vater  bittet,  ihren 
Geliebten  an  der  Schlacht  für  ihn  teilnehmen  zu  lassen;   denn  jener  erst- 


898  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

erwähnte  Vermittelungsversuch  ergiebt  sich  von  selbst  aus  der  Situation. 
Aber  selbst  die  Motive,  die  der  Goldenertypus  mit  der  Hetelsage  deutlich 
gemein  hat,  müssen  in  dieser  nicht  notwendigerweise  aus  ihm  entnommen 
sein.  Warum  sollte  es  nicht  aufser  dem  Märchen  ebenso  alte  und  ältere 
Erzählungen  gegeben  haben,  in  denen  sie  oder  doch  ein  Teil  von  ihnen 
—  vielleicht  im  Zusammenhang  mit  ganz  anderen,  im  Märchen  niemals 
vorhandenen  Zügen  —  auftraten  ?  Auch  dafs  die  in  Betracht  kommenden 
Motive  alle  gleich  alt  in  der  Sage  sind,  ist  streng  genommen  noch  in 
Frage.  Wenn  einmal  von  einem  Helden  erzählt  wurde,  der  geächtet  und 
in  niederer  Kleidung  sich  eine  hohe  Braut  gewann,  könnte  dies  später  das 
iMotiv  des  dämonischen  Helfers  an  sich  gezogen  haben,  der  in  anderen 
Geschichten  neben  solchen  ihre  Abkunft  unter  unscheinbarer  Hülle  ver- 
bergenden Brautwerbern  auftrat.  Darüber,  ob  die  südgermanische  Fassung, 
die  Wate  kennt,  oder  die  nordgermanische,  die  nichts  von  ihm  weifs,  das 
Ursprüngliche  festhält,  läfst  sich  also  nicht  so  kurzerhand  entscheiden, 
wie  Panzer  es  thut. 

Jedenfalls  ist  das  seinerseits  aus  der  Vorstellung  des  Vertriebenen, 
des  Geächteten  nahezu  von  selbst  entspringende  Motiv  der  unscheinbaren 
Felltracht  und  das  des  dämonischen  Helfers  —  und  zwar  thatsächlich 
meist  eins  mit  dem  anderen  verbunden  —  in  der  germanischen  Volks- 
überlieferung aufserordentlich  oft  vertreten  sowohl  in  den  Werbungs-  als 
auch  in  den  von  diesen  nicht  immer  leicht  zu  sondernden  Heimkehrsagen. 
Im  besonderen  verweise  ich  auf  die  Berichte  Saxos  über  Gram,  Hadingus, 
Haldanus  Biargramraus.  Wenn  Gram,  als  er  um  Gro  wirbt,  Bockfelle 
und  verschiedene  andere  Tierhäute  anzieht,  gemahnt  dies  an  Allerlei- 
rauh.  Auch  der  durch  silberglänzendes  Haar  ausgezeichnete  Alf,  Sohn 
des  Sigarus,  tritt  als  Werber  um  Alvilda  mit  einem  Fell  bekleidet  auf. 
Besonders  aber  erinnert  Hadingus  an  Goldener.  Er  wird  als  landflüch- 
tiger Königssohn  von  den  Riesen  Vagnhofthus  und  Haphlius  aufgezogen 
und  von  ersterem  in  wunderbarer  Weise  im  Kampfe  unterstützt;  aufser- 
dem  leistet  ihm  Odin  gelegentlich  persönliche  Hilfe.  Bei  der  Werbung 
um  Regnilda,  beziehungsweise  der  von  ihr  vorgenommenen  Gattenwahl  — 
auch  im  Märchen  begegnet  uns  eine  solche  —  tritt  er  vermummt  auf,  da 
sie  ihn  erst  an  einem  früher  von  ihr  in  eine  Wunde  an  seinem  Bein  ge- 
legten Ring  erkennt,  wobei  man  sich  erinnern  wird,  dafs  auch  Goldener 
schliefslich  durch  eine  Verwundung  am  Bein  erkannt  wird,  eine  Überein- 
stimmung, die  schon  F.  v.  der  Leyen,  Das  Märchen  in  den  Göttersagen 
der  Edda  36,  aufgefallen  ist.  Endlich  bedeutet  der  Name  Hadingus,  d.  i. 
aisl.  Hadding,  soviel  als  'crinitus'  und  kann  auf  das  lange  Haar  gehen, 
das  Goldener  auszeichnet.  Andererseits  kann  man  als  auf  eine  Beziehung 
zur  Hildesage  darauf  hinweisen,  dafs  es  eine  Regnilda  ist,  um  die  er  wirbt, 
wie  übrigens  auch  der  oben  erwähnte  Alf  um  eine  gleich  Hilde  streng 
gehütete  Alrilda.  Ohne  Zweifel  stehen  wir  hier  dem  Goldenertypus  viel 
näher.  Indes  möchte  ich,  auch  was  die  Hetelsage  betrifft,  die  verwandt- 
schaftlichen Beziehungen  zu  ihm  keineswegs  bestreiten ;  unerwiesen  scheint 
mir  nur,   wie  schon  bemerkt  wurde,   die   unmittelbare  Herkunft  aus  dem 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  899 

Märchen,  zu  dem  sie  nach  meinem  Ermessen  eher  in  einem  Vetterschafts- 
verhältnit*  steht. 

Was  übrigens  das  lange  Goldhaar  des  Märchenhelden  betrifft,  ist  man 
versucht,  es  aus  dem  langen  und  blonden  Haar  des  höchsten  germanischen 
Adels,  der  reges  criniti,  zu  erklären.  Der  geächtete,  ins  Elend  geratene 
Königssohn  trägt  in  seinem  Haar  den  Beweis  seiner  hohen  Abkunft  mit 
sich  und  sucht  es  daher  zu  verbergen,  da  er  Ursache  hat,  diese  zu  ver- 
heimlichen. Die  Königstochter,  die  es  zufällig  bemerkt,  entdeckt  damit 
seinen  königlichen  Adel  und  wendet  sich  ihm  daher  rückhaltlos  zu. 
Damit  ergäbe  sich  aber  für  das  Märchen,  mindestens  was  diesen  Zug  be- 
trifft, germanischer,  beziehungsweise  frühmittelalterlich  romanischer  Ur- 
sprung. Und  es  wäre  schliefslich  nicht  zu  verwundern,  wenn  ein  Märchen- 
stoff, wie  der  in  Rede  stehende,  besondere  Pflege  und  Ausgestaltung  ge- 
funden hätte  in  Zeiten  und  Landen,  in  denen  auch  geschichtliche  Schicksale 
ähnlich  denen  Goldeners  nichts  Unerhörtes  waren,  und  z.  B.  Odoaker,  der 
Sohn  des  Skirenfürsten  Edika,  vor  den  Goten  landflüchtig  in  schlechte 
Felle  gekleidet  zum  heiligen  Severinus  gekommen  sein  soll,  um  seine 
ärmliche  Tracht  nachmals  mit  dem  königlichen  Purpur  zu  vertauschen. 
Doch  wollen  wir  lieber  vorläufig  mit  unserem  Urteil  zurückhalten,  abge- 
sehen davon,  dafs  wir  ja  als  sicher  annehmen  können,  dafs  das  Goldhaar- 
motiv, falls  es  doch  fremder  Herkunft  ist,  von  den  Germanen  in  der  an- 
gegebenen Weise  gedeutet  wurde. 

Dafs  andererseits  das  Märchen,  wenn  es  wirklich  germanisch  beeinflufst 
ist,  im  übrigen  nicht  von  den  Germanen  erfunden  zu  sein  braucht,  gebe 
ich  gern  zu.  Im  besonderen  entspricht  das  Auftreten  seines  Helden  als 
Gärtner  nicht  —  was  l'anzer  mit  Recht  betont  —  den  specifisch  germa- 
nischen Kulturverhältnissen. 

Auch  auf  römischem  Boden  ist  übrigens  das  Gärtnermotiv  nicht  er- 
funden, vielmehr  stammt  es  aus  Mesopotamien  und  spielt  schon  in  einem 
merkwürdigen  Text  eine  Rolle,  der  dem  alten  (ersten)  babylonischen  Sar- 
gon,  dem  Vater  des  Naram-Sin  (c.  38U0  v.  Chr.),  in  den  Mund  gelegt, 
indes  nur  in  einer  wahrscheinlich  von  Assurbanipals  Schreibern  ausge- 
führten assyrischen  Kopie  erhalten  ist.  Nach  Fritz  Hommel,  Geschichte 
Babyloniens  und  Assyriens  3U2  f.,  lauten  die  uns  angehenden  Stellen  in 
wörtlicher  Übersetzung  wie  folgt:  'Sharruk-inu,  der  mächtige  König, 
König  von  Agadi,  bin  ich.  Meine  Mutter  war  eine  Fürstin,  meinen  Vater 
kannte  ich  nicht,  während  der  Bruder  meines  Vaters  im  Gebirge  wohnte. 
In  meiner  Stadt  Azu-piräni,  welche  am  Ufer  des  Euphrat  gelegen,  wurde 
mit  mir  schwanger  die  Mutter,  die  Fürstin,  heimlich  gebar  sie  mich;  sie 
setzte  mich  in  ein  Behältnis  (Korb?)  von  Schilfrohr,  mit  Asphalt  ver- 
schlofs  sie  meine  Pforte,  sie  liel's  mich  nieder  in  deu  Strom,  welcher  nicht 
über  mir  sich  veränderte  (d.  h.  sich  nicht  über  mich  ergofs?);  der  Strom 
führte  mich  zu  Akki,  dem  Wasserschöpfer,  zu  seinem  Gärtner  machte  er 
mich.  In  diesem  meinem  Gärtneramt  war  die  Göttin  Istar  mir  gewogen 
[(ich  wurde  König  und)  15]  Jahre  übte  ich  die  Königsherrschaft  aus.' 
Dafs  hier  der  Held,  der  in  einem  Gefäfse  in  den  Euphrat  ausgesetzt  wurde 


400  Beurteilungeu  und  kurze  Anzeigen. 

und  an  dessen  durch  künstliche  Bewässerung  in  eine  Gartenlandschaft 
um  geschaffen  es  Ufer  antreibt,  von  dem  Wasserschöpfer,  der  ihn  auffischt, 
zum  Gärtner  gemacht  wird,  ist  sehr  natürlich;  es  ist  also  kaum  zu  be- 
zweifeln, dafs  das  Motiv  in  diesem  seinem  ältesten  Beleg  auch  im  ur- 
sprünglichsten Zusammenhang  der  Erzählung  steht.  Schade  nur,  dafs 
uns  über  die  Art,  wie  sich  Sargon  aus  seiner  Gärtnerstellung  auf  den 
Herrscherthron  emporschwingt,  nichts  Bestimmtes  gesagt  ist,  es  sich  also 
nicht  erkennen  läfst,  wie  weit  die  Sargonsage  noch  andere  von  den  Ele- 
menten enthält,  die  im  Goldenertypus  und  verwandten  germanischen 
Sagen  kombiniert  erscheinen.  Doch  werden  wir  später  auf  sie  zurück- 
greifen. Die  Art  der  Aussetzung  Sargons  ist  —  nebenbei  bemerkt  —  sehr 
ähnlich  der  des  Moses,  des  Karna  im  Mahabharata,  des  Sigurd  nach  dem 
Bericht  der  Pidrekssaga,  des  Helden  im  Märchen  'Der  König  vom  gol- 
denen Berge'  bei  Grimm  Nr.  92,  ebenso  der  des  Perseus.  Auch  Sceaf, 
der  als  Knabe  in  einem  Schiffe  auf  einer  Garbe  schlafend  ans  Land  ge- 
trieben und  später  König  wird,  stellt  sich  hierher  und  ist  als  ausgesetzt 
zu  denken ;  dafs  zumal  Meeranwohnern  aus  einem  anderen  auf  dem  Wasser 
treibenden  Behältnis  leicht  ein  Schiff  wird,  ist  begreiflich  genug. 

In  der  Geschichte  vom  ewigen  Hiaduingavig  sieht  Panzer  nur  die 
Umgestaltung  eines  aus  Varianten  des  Märchens  in  die  Sage  übernomme- 
nen Zuges,  dafs  die  Königstochter  ihren  Gatten  aus  einem  tiefen  Schlafe 
zum  Kampfe  aufweckt;  und  zwar  sollen  dabei  keltische  Geschichten  vom 
Wiederaufleben  gefallener  Streiter  durch  den  Zauber  einer  Frau  eingewirkt 
haben. 

Mir  scheint  beides  nicht  das  Nächstliegende.  Dafs  uns  auf  keltischer 
Seite  totenerweckende  Weiber  begegnen,  beweist  doch  gar  nicht,  dafs  ähn- 
liche nordische  Geschichten  auf  keltischem  Einflufs  beruhen ;  denn  dafs 
sie  auf  deutschem  Boden  sich  nicht  finden,  kann  auch  der  Wirkung  des 
Christentums  zugeschrieben  werden  und  spricht  jedenfalls  nicht  gegen  ihre 
Bodenständigkeit  auf  nordischem.  Gegen  Zimmer,  der  GGA  1890,  508  f. 
umgekehrt  die  totenerweckenden  Alten  der  keltischen  Erzählungen  als 
einen  Reflex  der  totenerweckenden  Hilde  auffafste,  wendet  Panzer  ein, 
dafs  dann  gleiches  auch  für  eine  Erzählung  in  Gerberts  Percevalfortsetzung 
(Potvin  6.  182  f.)  gelten  müfste,  bei  dem  das  Motiv  in  ganz  gleicher  Aus- 
bildung erscheint  wie  in  schottischer  und  irischer  Überlieferung,  wo  über- 
all ein  altes  Weib  die  erschlagenen  Gegner  des  Helden  wieder  aufweckt 
und  von  diesen  getötet  wird.  Dafs  der  französische  Dichter  aber  aus 
nordgermanischer  Überlieferung  geschöpft  habe,  werde  schon  an  sich  nie- 
mand sehr  wahrscheinlich  finden.  Weiter  aber  müfsten  nach  dieser  Auf- 
fassung Gerbert  und  die  keltische  Sage  die  nordische  Geschichte  unab- 
hängig voneinander  in  genau  gleicher  Weise  umgestaltet  haben,  und  das 
sei  rein  unmöglich.  Gerberts  Bericht  müsse  also  auf  keltische  Quellen 
zurückgehen.  —  Sollten  das  aber  urkeltische  sein?  Wenn,  was  doch  zu- 
gegeben werden  mufs,  innerhalb  des  keltischen  Gebietes  ein  Motiv  später 
wandern  konnte,  so  konnte  es  doch  auch,  obwohl  nordischen  Ursprungs, 
in  keltischer  Umformung  den  Franzosen   zukommen.    Doch  lege  ich  auf 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  401 

Zimmers  Ansicht  hier  gerade  kein  Gewicht,  möchte  aber  darauf  hinweisen, 
dafs  die  nordischen  Totenerweckerinnen  Hildr  und  Skuld  —  was  ja  Panzer 
selbst  S.  3'29  ausspricht  —  Walkürennamen  führen.  Dafs  die  Vorstellung 
vom  Hiadningavig  mit  der  vom  wütenden  Heer  und  anderen  Geschichten 
von  Wiederbelebung  und  erneutem  Kampf  gefallener  Krieger,  die  Panzer 
S.  827  ff.  anführt,  auf.s  engste  verwandt  ist  —  wenigstens  in  der  Ausbil- 
dung, in  der  sie  uns  vorliegt  — ,  ist  unbestreitbar.  Auch  die  kämpfenden 
Heere,  denen  Hadingus  bei  Saxo  auf  seinem  Wege  in  die  Unterwelt  be- 
gegnet, gehören  hierher.  Dabei  ist  überall  das  nächtlicherweile  zu  ge- 
spenstigem Treiben  immer  wieder  erwachende  Totenheer  gemeint,  und 
dieses  —  wenigstens  soweit  es  sich  um  gefallene  Krieger  handelt  —  durch 
Walküren  aufwecken  zu  lassen,  war  fast  von  selbst  gegeben,  da  es  doch 
schon  ihr  Amt  war,  Krieger  für  den  Kampftod  und  das  Wiederaufleben 
in  Walhall,  im  Seelenheim,  zu  wählen.  Gerade  auf  germanischer  Seite 
zeigt  also  das  Motiv  der  Totenerweckerin  alle  Züge  der  Ursprünglichkeit. 
Man  wird  aber  nicht  nur  voraussetzen  dürfen,  dals  die  Einherier,  die 
einander  in  Walhall  täglich  im  Kampfe  fällten,  durch  den  Zauber  der 
Walküren  wieder  ins  Leben  gerufen  wurden;  vielmehr  scheinen  diese  auch 
den  AnlaTs  zum  Kampfe  gegeben  zu  haben,  sei  es  als  Personifikation  der 
Streitlust,  sei  es,  dafs  um  ihren  Besitz  gekämpft  wurde,  wie  man  sich  ja 
das  Leben  im  nordischen  Kriegerparadies  nicht  ganz  ohne  winkenden 
Liebesgenufs  vorstellen  darf.  Nur  aus  einer  solchen  Rolle  von  Walküren 
wenigstens  wertlen  die  Schmähworte  verständlich,  die  Sinfiotli  dem  Gojj- 
mund  in  der  Helga  kvida  Hundingsbana  38  zuruft: 

^  vast,  et  sköeßa 
skass,  ealkyrja 
Qtol,  dmdtleg 
at  Alfgpor, 
memdo  einherjar 
aller  berjask, 
sveipi-is  kona, 
of  sakar  pinar. 

Es  kann  also  in  ^Valhall  wegen  einer  Hild  oder  um  eine  solche  ge- 
kämpft worden  sein,  und  sie  machte  dort  die  Gefallenen  immer  wieder 
aufleben.  War  nun  in  einer  Geschichte  eine  Hild  Gegenstand  des  Streites 
zweier  Heere,  so  konnte  man  sie  auch  hier  zur  Totem-rweckerin  machen. 
Ja  selbst  der  Zug,  dafs  überhaupt  der  Kampf  sich  immer  wieder  erneute, 
könnte  so  erst  durch  den  Namen  Hild  in  die  Sage  gebracht  worden  sein. 
Aber  für  ganz  sicher  halte  ich  das  nicht,  und  dafs  hier  vielleicht  doch 
ein  Naturniythus  mindestens  die  erste  Grundlage  abgegeben  hat,  auf  der 
sich  Motive  des  Seelenglaubens  ansetzten,  möchte  ich  keinesfalls  so  be- 
stimmt wie  Panzer  S.  329  in  Abrede  stellen. 

Den  ursprünglichen  Abschlufs  der  Sage  wird  man  sich  allerdings 
schon  wegen  der  anfänglichen  Erniedrigung  des  Helden  und  wegen  seines 
dämonischen  Helfers  am  liebsten  als  seinen  vollen  Erfolg  vorstellen ;  der 
Tod  Hagens  durch  Wate,  wie  ihn  das  Alexanderlied  berichtet,  pafste  also 

Archiv  f.  u.  Sprachen.    CVlll.  2ü 


402  Beurteiluugeu  und  kurze  Anzeigen. 

sehr  gut  in  ihren  Rahmen.  Ja,  wahrscheinlich  hat  Hetcl  einmal  nicht 
nur  dessen  Tochter,  sondern  mit  dieser  auch  dessen  Reich  gewonnen  und 
ist  darum  König  der  Hegelinge,  d.  i.  der  Hagenleute.  Das  Epos  hätte  ihm 
nur  diesen  nicht  mehr  verstandenen  Namen  irrtümlich  dauernd  —  auch 
schon  zu  Beginn  seines  Auftretens  —  beigelegt,  während  er  ursprüng- 
lich zunächst  ganz  ohne  Land  als  Verbannter  oder  Flüchtling,  höchstens 
als  Seekönig  zu  denken  sein  wird  trotz  der  Glommas,  über  die  Widsid 
ihn  herrschen  läfst.  Ich  will  es  nicht  verschweigen,  dafs  diese  Erklärung 
des  Namens  Hegelinge  sehr  zur  Theorie  Panzers  stimmen  würde;  denn  im 
Märchen  erwirbt  sich  ja  der  glückliche  Freier  mit  der  Königstochter  zu- 
gleich ihr  Erbe  oder  die  Anwartschaft  darauf. 

All  das  Besprochene  bezog  sich  auf  Teile  des  Kudrunepos,  die  in  ihm 
an  Bedeutung  gegenüber  dem  weit  zurücktreten,  was  sich  um  den  Namen 
Kudrun  selbst  gruppiert.  Und  auch  in  dieser  Haupthandlung  der  Dich- 
tung sind  zwei  selbständige  Stoffe  miteinander  verknüpft,  die  Herwigsage 
und  die  Kudrunsage  im  engsten  Sinne. 

Auch  für  die  Herwigsage  sucht  Panzer  die  Abstammung  aus  dem 
Goldenertypus  nachzuweisen,  aus  dem  sie  übrigens  neben  der  Hetelsage- 
und  unabhängig  von  dieser  erwachsen  sein  soll.  Besonders  kommt  ihm 
dabei  eine  Analyse  der  im  Biterolf  und  in  der  Pidrekssaga  überlieferten 
Geschichte  von  Herbort  (Herburt)  zu  statten,  die,  wie  er  darthut,  mit 
der  Herwigsage  ursprünglich  identisch  ist,  was  übrigens  schon  Möller, 
Aengl.  Volksepos  73,  gesehen  hat. 

Auch  unter  Voraussetzung  dieser  Identität  scheint  mir  indes  der 
Schlufs  (S.  400  f.)  gewagt,  dafs,  weil  der  Biterolf  Herbort  nach  Dänemark 
weise,  Herwigs  Heimat  Selant  oder  Sewen  als  das  dänische  Seeland  zu 
gelten  habe.  Ich  weüs  nicht,  wie  alt  die  volksetymologische  Umdeutung 
des  älteren  Namens  der  dänischen  Insel  auf  deutscher  Seite  ist;  aber  ein 
Volksname  Sewen,  wie  er  dem  dativischen  Landesnamen  Sewen  zu  Grunde 
liegt,  ist  als  der  eines  dänischen  Stammes  jedenfalls  unerhört,  während 
im  Niederländischen  die  Bewohner  der  Provinz  Zeeland  noch  jetzt  Zeeuiven 
heifsen  wie  im  Mittelalter  Sewen  und  so  schon  im  siebenten  und  neunten 
Jahrhundert  geheifsen  haben,  aus  welcher  Zeit  uns  ihr  Name  antikisiert 
als  Suevi  überliefert  ist:  s.  Vanderkindere,  Bulletin  de  l'acad.  de  Belgique 
1886,  III  11,  219  ff.;  Kossinna,  Westdeutsche  Zeitschr.  IX  203.  Der 
Name,  der  natürlich  'die  Meer-'  oder  auch  'die  Seeanwohner'  bedeutet  — 
got.  würde  er  *Saiwans  oder  *  Saiwjans  lauten  — ,  pafst  vorzüglich  auf  die 
Bewohner  der  den  Maas-  und  Scheidemündungen  vorlagernden  Eilande, 
und  es  ist  kein  Zufall,  dafs  ebendort  die  zu  Caesars  Zeit  schon  etwas 
weiter  nach  Westen  gedrängten  gallischen  Morini,  d.  i.  'marini',  ihren 
Namen  erworben  haben.  Wenn  neben  Selant  in  der  Hs.  auch  Sehe-, 
Sewenlandt  vorkommt,  ist  dies  also  nicht  ohne  weiteres  zu  ändern  und 
mit  Selant  zu  uniformieren,  da  Zusammensetzung  mit  dem  Stamme  oder 
—  wie  in  Friesenlant  —  mit  dem  Gen.  PI.  des  Volksnamens  vorliegen 
kann.  Sicher  nicht  ein  Appellativum,  sondern  der  Volksname  ist  auch 
in  Sturmlant  das  Bestimmungswort  und  sein  Verhältnis  zu  Stürmen  daher 


Benrteilijngeu  iiuti  kurze  Auzeigen.  408 

nicht,  wie  Panzer  S.  HO  auniuiint,  ein  ferneres  als  das  von  lenelant  zu 
Tenen. 

Im  übrigen  trägt  gerade  die  Herbortsagc  in  der  uns  überlieferten 
Gestalt  leider  allzusehr  den  Stempel  des  UnursprOnglichen  an  sich,  und 
die  Versuche  Panzers,  ihre  Grundform  zu  erschliefsen,  sind  nicht  eben 
ergebnisreich.  Wenn  der  Name  der  Heldin  in  ihr  Hilde{burg)  ist,  wird 
man  diesen  allerdings  mit  Panzer  neben  Kndnin  Ondrün,  das  weder  mit 
Heriric  noch  mit  Fletek  allittoriert,  für  alt  halten  müssen,  und  mit  Recht 
bemerkt  er  auch,  dals  er  in  Übertragung  auf  die  Gespielin  der  Haupt- 
heldin im  Ejios  noch  fortbowahrt  wird.  Über  das  Verhältnis  der  Namen 
Herbort  und  Herwlc  enthält  sich  Panzer  eines  Urteils.  Ein  Merowinger- 
name,  wie  er  S.  129  Anm.  bemerkt,  und  mit  Charibert  identisch  ist  Her- 
bort, d.  i.  'Heerschild',  freilich  nicht. 

In  dern  im  Biterolf  gemeldeten  Kampfe  Herborts  mit  einem  Riesen 
Hiigebold  verknüpft  sich  mit  einem  verbreiteten  Märchenzug,  auf  den  ihn 
Panzer  S.  427  ansprechend  zurückführt,  vielleicht  auch  die  Erinnerung 
an  den  Geatenkönig  Hygeldc,  dem  man  nach  Ausweis  des  I>iber  mon- 
strorum  cap.  :^  schon  im  siebenten  oder  achten  Jahrhundert  ungeheure 
Gröfse  zuschrieb.  Dieser  Hugebold,  heifst  es  im  Biterolf,  tntoc  des  landes 
kröne  und  icas  ein  rise  tinmäxen  gröx  :  er  tete  den  Kristen  leide,  ex  lebt  niht 
sm  geiiox;  er  wurde  demnach  als  König  und  Heide  gedacht.  Und  den  Sieg 
über  Hygelac,  der  im  Chattuariergau  erfochten  wurde,  lag  es  nahe  einem 
Sagenhelden  zuzuschreiben,  den  man  in  nächster  Nachbarschaft  sefshatt 
wufste;  wie  Herwig  von  Sewen,  Selant  —  d.  i.,  wie  wir  sahen,  das  nieder- 
ländische Zeeland  — ,  so  heifst  ja  auch  Herbort  im  Rosengarten  F  I  5.  10, 
IV  27  ron  dem  Rhie,  wogegen  er  im  Biterolf  allerdings  nach  Dänemark 
versetzt  ist. 

Dafs  der  Heidenköuig  Sivrit  von  Morlant  des  Kudrunliedes  mit  dem 
Normannenkönig  Sigifrid  identisch  ist,  der  im  Jahre  881/2  zusammen  mit 
einem  Godofrid  in  der  Maasgegend  beerte  und  bekämpft  wurde,  hat  Panzer 
S.  :^45  ff.  noch  überzeugender,  als  es  bisher  geschehen  war,  vertreten,  und 
wenn  dem  Herbort  ein  Kampf  mit  GoUwart  und  Sewart  zugeschrieben 
wird,  glaubt  er  hier  sogar  die  Erinnerung  an  beide  Normannenfürsten 
und  ihre  Namen  bewahrt.  Ich  denke,  dafs  die  Vorstellung  von  diesen 
als  von  Heiden  immer  festgehalten  war,  und  dafs  man  daher  den  schein- 
bar christlich  benannten  Godofrid  einerseits  ganz  fallen  liefs,  andererseits 
ihn  umtaufte. 

Die  wichtigste  Übereinstimmung  der  Herbort-  und  Herwigsage  ist 
aber  wohl  die,  dafs  beider  Helden  Ludwig  und  Hartmut  zu  (jegnern 
haben.  Freilich  weichen  beide  in  der  Art  dieser  Gegnerschaft  voneinander 
wesentlich  ab,  denn  in  orsterer  raubt  nicht  Ludwig  die  Braut  des  Helden, 
sondern  ist  ihr  Vater,  und  ihm  wird  sie  mit  Gewalt  entrissen.  Nach 
meinem  Dafürhalten  liegt  hier  das  I'^^rsprüngliche  ganz  auf  Seite  des 
Kudrunliedes,  und  vermutlich  handelt  es  sich  auf  der  anderen  Seit«  um 
absichtliche  Differenzierung:  man  konnte  und  wollte  Ludwig  einem  Her- 
bort gegenüber  nicht  ganz  die  gleiche  Rolle  spielen  lassen  wie  gegenüber 

26* 


404  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

einem  Herwig,  dessen  Identität  mit  Herbort  doch  schon  vergessen  war. 
Auch  unbewufst  aber  könnte  ein  Mittelglied  der  Sage  ausgefallen  und  da- 
durch der  Vater,  dem  die  Tochter  im  Kampf  abgetrotzt  werden  mufste,  mit 
dem  Entführer,  dem  sie  wieder  abgerungen  wurde,  zusammengeflossen  sein. 

Die  Art,  wie  sich  Panzer  gerade  mit  diesem  Auseinandergehen  der 
beiden  Sagen  abfindet,  zeigt  geringe  Entschiedenheit.  Sie  steht  auch  ganz 
unter  dem  Einflufs  seiner  Ansicht,  dafs  die  eigentliche  Kudrungeschichte, 
die  Erzählung  vom  Exil  und  der  unbeugsamen  Treue  der  Heldin,  nicht 
auf  sagenmäfsiger  Überlieferung  beruht,  sondern  Erfindung  des  Kudrun- 
dichters  ist. 

Dieser  soll  dabei  —  abgesehen  von  Einflüssen  der  Salomosage  und 
des  Liedes  von  der  wiedergefundenen  Schwester,  die  wir  gern  anerkennen 
—  wesentlich  den  Apolloniusroman  als  Vorlage  benutzt  haben,  in  dem 
wir  also  die  Hauptquelle  gerade  für  die  wichtigste  Person  der  Dichtung 
und  ihr  Schicksal  zu  erkennen  hätten. 

Der  Inhalt  der  Historia  Apollonii  regis  Tyri  ist,  soweit  er  hier  in 
Betracht  kommt  (nach  Panzer  S.  351  ff.),  folgender:  Auf  die  Kunde  vom 
Tode  des  Königs  Antiochus  hat  sich  Apollonius  von  Cyrene  nach  seinem 
Vaterlande  eingeschifft.  Unterwegs  gebiert  seine  Gattin  eine  Tochter. 
Sie  liegt  anscheinend  tot  und  mufs  rasch,  in  einen  kostbaren  Sarg  ein- 
geschlossen, über  Bord  geworfen  werden,  da  die  Leiche  nach  altem  Aber- 
glauben das  Schiff  gefährdet.  Die  Wogen  spülen  den  Sarg  in  Ephesus 
ans  Land;  dort  findet  ihn  ein  berühmter  Arzt.  Seinem  geschickten 
Schüler  gelingt  es,  das  schlummernde  Leben  in  der  Scheintoten  zu  wecken. 
Die  Auferstandene  wird  auf  ihre  Bitten  unter  die  keuschen  Priesterinnen 
der  Diana  eingereiht.  Apollonius  selbst  landet  in  Tharsus.  Er  übergiebt 
dort  seine  Tochter,  die  nach  der  Stadt  Tharsia  genannt  wird,  seinen  Gast- 
freunden Stranguillio  und  Dionysias  zur  Erziehung  und  läfst  ihr  die  alte 
Lycoris,  die  schon  Tharsias  Mutter  aufgezogen  hat,  als  Amme  zurück. 
Er  selbst  fährt  in  ignotas  et  longinquas  Aegypti  regiones.  Die  böse  Dio- 
nysias bereitet  ihrer  Schutzbefohlenen  bald  Nachstellungen,  weil  deren 
Schönheit  und  Bildung  ihre  eigene  Tochter  Philomusia  allzusehr  in 
Schatten  stellen.  Sie  dingt  einen  Mörder,  und  schon  ist  an  einsamem 
Strande  der  Stahl  auf  Tharsia  gezückt,  als  Seeräuber  erscheinen  und  die 
Jungfrau  auf  ihr  Schiff  schleppen.  Dionysias  sprengt  das  Gerücht  aus, 
ihre  Pflegetochter  sei  plötzlich  gestorben.  Tharsia  wird  in  Mytilene  als 
Sklavin  versteigert.  Ein  Kuppler  erwirbt  sie  für  sein  Lupanar;  hier  hat 
die  Königstochter  die  schlimmsten  Bedrängnisse  auszustehen.  Athenagoras, 
der  princeps  eiusdem  civitatis,  will  sie  ihrer  Jungfräulichkeit  berauben,  sie 
bewegt  aber  ihn  und  alle  Nachfolgenden  durch  ihre  Thränen  und  die  Er- 
zählung ihrer  Schicksale,  von  ihrem  Vorhaben  abzustehen.  Ihre  Kunst 
in  Vortrag  und  Gesang  verschaffen  ihr  reichliche  Mittel,  durch  die  sie 
auch  dem  habsüchtigen  Kuppler  gegenüber  ihre  Keuschheit  zu  bewahren 
vermag.  Unterdessen  kommt  Apollonius,  der  eben  in  Tharsus  den  an- 
geblichen Tod  seiner  Tochter  erfahren  hat,  von  Stürmen  verschlagen  nach 
Mytilene.    Dem  Athenagoras  ist  das  stattliche  Schiff  aufgefallen;  er  geht 


Fieurteilungeu  uud  kurze  Anzeigen.  406 

an  Bord,  findet  Apollonius  in  tiefer  Trauer  unter  Deck  liegen  und  sucht 
ihn  zu  bestimmen,  dafs  er  herauskomme  und  an  der  allgemeinen  Freude 
—  die  Stadt  feiert  gerade  das  Fest  der  Neptunalien  —  teilnehme.  Da 
seine  Bemühungen  vergeblich  sind,  schickt  er  dem  Trauernden  die  kunst- 
reiche Tharsia  zur  Erheiterung  zu.  Auch  sie  wird  schroff  zurückgewiesen. 
In  langem  Monologe  beklagt  sie  ihr  Geschick  und  erzählt  ihre  Erlebnisse. 
Da  erkennt  Apollonius  in  ihr  die  Tochter.  Ein  Freudenfest  wird  gefeiert, 
der  Kuppler  verbrannt,  Tharsia  dem  Athenagoras  vermählt.  Als  Apol- 
lonius mit  den  beiiien  nach  Tyrus  segeln  will,  erscheint  ihm  ein  Engel 
im  Traum.  Der  befiehlt  ihm,  nach  Ephesus  zu  gehen,  dort  im  Diana- 
tompel  seine  Erlebnisse  zu  erzählen  und  dann  in  Tharsus  Rache  zu  nehmen 
an  den  Peinigern  seiner  Tochter.  Apollonius  handelt  demgemäfs,  findet 
in  Ephesus  die  Gattin,  sitzt  in  Tharsus  über  Stranguillio  und  Dionysias 
zu  Gericht  und  kehrt  endlich  mit  Gattin,  Tochter  und  Schwiegersohn  zu 
Archistrates  nach  Cyrene  zurück.  — 

Und  diese  Geschichte  soll  mit  unserer  Erzählung,  mit  der  Kudrun- 
dichtung,  eine  'aufserordentliche  Verwandtschaft'  zeigen!  Ich  mufs  ge- 
stehen, dafs  ich  blind  für  sie  bin,  und  dafs  mich  die  Einzelheiten,  auf  die 
l'anzer  zur  Begründung  seiner  Behauptung  näher  eingeht,  nur  noch  mehr 
in  der  Überzeugung  bestärken,  es  hier  mit  Grundverschiedenem  zu  thun 
zu  haben.  So  soll  es  z.  B.  eine  schlagende  Übereinstimmung  sein,  dafs 
Kudruns  Leiden  11  Jahre  dauern  und  Tharsia  gerade  ebenso  lange  bei 
Dionysias  gewesen  ist.  Hier  zählen  aber  diese  11  Jahre  von  der  frühesten 
Kindheit  an,  und  ihre  Leidenszeit  ist  damit  noch  lange  nicht  abgeschlossen. 
Beachtenswert  soll  sein,  dafs  Tharsia  ihrer  Peinigerin  zur  Erziehung  an- 
vertraut ist  und  auch  Kudrun  der  Gerlind  zur  'Erziehung'  übergeben 
wird,  wo  es  doch  an  allen  Stellen,  die  davon  berichten,  ganz  klar  ist, 
ilafs  es  sich  dabei  nur  um  ein  in  Zucht  nehmen,  einen  Versuch,  sie  ge- 
fügig zu  machen,  handelt.  Dafs  es  gerade  ein  böses  Weib  ist,  durch  das 
Kudrun  leidet,  hätte,  wenn  es  dafür  eines  Vorbildes  bedurfte,  ein  zwar 
auch  nicht  ganz  —  aber  ebenso  —  nahe  liegendes  in  jeder  bösen  Stief- 
mutter in  Märchen  und  Wirklichkeit,  denn  auch  Dionysias  ist  nur  ein 
solcher  Stiefmuttertypus  und  handelt  aus  anderen  Motiven  als  Gerlind. 
Dafs  die  Männer  in  beiden  Fällen  die  bessere  Hälfte  sind,  ist  dabei  so 
wenig  auffallend,  als  dafs  Stief-  und  Schwiegerväter  es  nicht  zur  selben 
Berühmtheit  gebracht  haben  wie  Stief-  und  Schwiegermütter.  Ein  Mord- 
anschlag gegen  die  Heldin  in  beiden  Geschichten  steht  in  beiden  in  ganz 
anderem  Zusammenhang  und  fügt  sich  überall  in  diesen.  Und  ebenso 
bedeutungslos  sind  alle  anderen  Ähnlichkeiten.  Ein  Dichter,  dem  man 
es  zutraut,  seine  Vorlagen  so  frei  umzubilden,  hatte  sie  überhaupt  nicht 
nötig  und  konnte  seinen  Stoff  auch  frei  nach  dem  lieben  selbst  gestalten. 

In  ähnliche  Lagen  wie  Kudrun  werden  Frauen  besonders  zur  Zeit 
der  Normannenzüge  nicht  selten  gekommen  .sein,  und  wer  wird  es  be- 
zweifeln, dafs  die  eine  oder  andeie  sich  in  ihren  Leiden  durch  Seelengröfsc 
ausgezeichnet  hat.  Da  diese  Zeit  hinter  der  unseres  Dichters  weit  zurück- 
liegt, möchte   man  aber  doch  eher  glauben,  dafs  der  Typus  der  Kudrun, 


406  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

wenn  er  aus  dem  Leben  der  Wikingerzeit  gegriffen  ist,  ihm  schon  über- 
liefert, nicht  erst  von  ihm  geschaffen  ist.  Es  bliebe  uns  dann  immer 
noch  zu  untersuchen  übrig,  was  zur  Verknüpfung  der  Kudrungeschichte 
mit  der  Hildesage  geführt  hat. 

Doch  halte  ich  diese  Geschichte  für  noch  weit  älter  und  will  diese 
Ansicht  in  aller  Kürze  zu  begründen  suchen.  Denn  müTste  man  Panzers 
Hypothese  auch  unter  allen  Umständen  ablehnen,  auch  wenn  die  Frage 
offen  bliebe,  so  wird  es  doch  erwünscht  sein,  etwas  anderes  an  ihre  Stelle 

zu  setzen. 

Ich  gehe  davon  aus,  dafs  uns  Hildeburg  als  ein  alter  Name  der  Heldin 
nachgewiesen  wurde.  Den  ältesten  Sagenbeleg  für  diesen  besitzen  wir 
durch  die  Finnepisode  des  Beowulf,  deren  Inhalt  sich  durch  das  Fragment 
Finnesburh  ergänzt.  Dafs  Finn,  der  Friesenkönig,  der  Hildeburh,  die 
Tochter  des  Hoc,  zur  Frau  hat,  diese  geraubt  hat,  wird  allerdings  nicht 
ausdrücklich  gesagt.  Jedenfalls  kommt  es  zu  wechselvollen  Kämpfen 
zwischen  ihm  und  ihren  Verwandten,  die  während  des  Winters  durch 
einen  Vertrag  und  Waffenruhe  unterbrochen  werden,  später  aber  neuer- 
dings entbrennen.  Schliefslich  fällt  Finn,  und  Hildeburh  wird  in  ihre 
Heimat  zurückgebracht. 

Dafs  in  dieser  Geschichte  ein  Mythus  hereinspielt,  liegt  auf  der  Hand, 
da  die  eine  Partei  auch  Eotenas  'Riesen'  genannt  wird.  Dafs  es  die  Leute 
des  Finn  sind,  stimmt  sehr  gut,  denn  Finn  kennen  wir  aus  der  Sage  vom 
Bau  der  Lunder  Domkirche  als  Name  eines  Riesen  und  zwar  desjenigen, 
der  dem  riesischen  smidr  der  Edda  entspricht  und  der  in  verwandten  nor- 
dischen Sagen  Vind  och  Veder,  Bläster,  Skalle  {'Kahlkopf,  auch  sonst  als 
Riesenname  bezeugt)  heilst  oder  auch  durch  den  Teufel  vertreten  wird. 
Auch  der  unter  die  Götter  versetzte  Winterriese  Uli  und  sein  weibliches 
Gegenstück  Skadi  wurden  bekanntlich  als  Finnen  gedacht ;  vgl.  noch  den 
Finnenkönig  Güsi,  Detter,  ZfdA.  32,  449.  All  das  erklärt  sich  daraus, 
dafs  die  Finnen  die  nördlichste,  winterlichste  Landschaft  Europas  be- 
wohnen, als  Jäger  auf  Schneeschuhen  einer  winterlichen  Beschäftigung 
obüegen  und  wegen  ihres  Schamanentums  als  Zauberer,  vor  allem  als 
Wettermacher  galten. 

Dafs  Finn  und  die  Eotenas  mit  den  Friesen  gleichgestellt  wurden,  ist 
ein  Seitenstück  zu  der  Vermengung  von  Burgunden  und  Nibelungen, 
ohne  dafs  wir  wissen,  was  die  Gleichsetzung  eigentlich  veranlafst  hat. 

Ganz  dasselbe  wie  König  Finn  ist  aber  auch  König  Snio,  von  dem 
dänische  Geschichtsquellen  als  von  einem  dänischen  Könige  melden,  der 
aber  in  anderen  nordischen  Quellen  als  Finnenkönig  Snär  oder  Sncer 
hinn  gamli  auftritt,  und  über  dessen  physikalische  Bedeutung  kein  Zweifel 
bestehen  kann,  da  sein  Name  'Schnee'  bedeutet  und  er  einen  Vater  jQkull 
'Gletscher'  und  Kinder  porri  'Januar',  Fgrin  'dichter  Schnee',  Drifa  'Schnee- 
gestöber' und  Mii^ll  'feiner  Schnee'  hat.  Bei  Saxo  wird  er  allerdings  ganz 
als  menschlicher  Herrscher  aufgefafst;  aber  bezeichnend  genug  tritt  wäh- 
rend seiner  Regierung  infolge  höchst  ungünstiger  Witterungsverhältnisse 
Mifswachs    und    Teuerung   ein,    was    der   Geschichtschreiber   zum    Anlafs 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  407 

nimmt,  mit  ihr  den  Bericht  des  Paulus  Diaconus  vom  Auszug  der  Lango- 
barden zu  verknüpfen.  Seinen  Vater  nennt  er  Si/icaldns,  und  wenn  Finns 
Vater  Foleicalda  heifst,  ist  es  klar,  dafs  der  Unterschied  nur  durch  das 
Bedürfnis  der  Allittcration  bedingt  ist.  Ferner  erfahren  wir  aus  Saxo 
noch  von  ihm,  dafs  er  um  die  Tochter  eines  Königs  der  Götländer  warb. 
Dieser  liefs  seine  heimlichen  Boten  hängen,  weshalb  Snio  ihn  mit  Krieg 
überzog.  Ein  Zweikampf  zwischen  zwei  Kriegern  aus  jedem  Heer  ent- 
scheidet zu  Gunsten  der  Dänen  und  kostet  dem  König  der  Götländer  sein 
Reich.  Seine  Tochter  aber  hatte  er  schon  früher  dem  Schwedenkönige 
verheiratet.  Snio  entführt  nun  diese  zu  Wintersanfang,  was  zu  wieder- 
holten, in  ihrem  Ausgang  schwankenden  Kämpfen  zwischen  ihm  und  dem 
Beraubten  Anlafs  giebt.  Dafs  die  Sagen  von  König  Finn  und  König  Snio 
sich  in  den  grolsen  Zügen  decken,  ist  damit  schon  klar. 

Wer  dabei  Hildeburh,  beziehungsweise  die  entführte  Schwedenkönigin 
ist,  wird  sich  auch  ermitteln  lassen.  Ich  denke  niemand  anderer  als  Freyia 
oder,  allgemeiner  gesagt,  die  Göttin  der  sommerlichen  Triebkraft  der  Natur, 
die  fruchtbare  Erde.  Nach  dem  Besitz  der  Freyia  sind  die  Riesen  be- 
ständig lüstern.  In  Snorris  Edda  bedingt  sich  auch  der  vorerwähnte 
smidr  nebst  anderem  Freyia  als  Lohn  für  sein  Werk.  Ebenso  will  frym 
den  gestohlenen  Hammer  wiefler  herausgeben,  wenn  ihm  Freyia  als  Braut 
zugeführt  wird.  Wenn  sich  Voluspp  25  die  Gött«r  fragen:  hverr  hefdi 
hpt  allt  lehn  blandit  eila  d-tt  igtuns  Oäs  mey  gefna,  so  ist  sie  dabei  sogar 
als  dem  riesischen  Baumeister  wirklich  ausgeliefert  gedacht.  Und  wenn 
der  Sturmriese  iMazi  die  Idunn  entführt,  ist  das  ja  wohl  ganz  dasselbe; 
denn  Lhoin  (got.  *  Id-junpi  'Verjüngung')  mit  ihren  Äpfeln,  die  ewige 
.Tugend  verleihen,  ist  auch  nur  die  sommerliche  Naturgöttin  unter  beson- 
derem Namen.  Hieher  stellt  es  sich  ferner,  wenn  die  Hervarars.  1  von 
einer  Entführung  der  Alfild,  Tochter  des  Königs  Alf  von  Alfheim,  durch 
einen  Riesen  Starkad  erzählt,  der  dann  von  Por  erschlagen  wird.  Die 
geraubte  Erdgöttin  verbirgt  sich  wohl  auch  —  wenngleich  vom  Dichter 
der  Hymiskvida  nicht  mehr  erkannt  —  hinter  dem  allgoldenen,  weifs- 
brauigen  Weibe  des  Winterriesen  Hymir,  der  Mutter  des  Gottes  Tyr.  — 
Die  Befreiung  der  Geraubten  durch  ihre  Verwandten  und  den  recht- 
mäfsigen  Bräutigam  oder  Gatten  bedeutet  dann  natürlich  in  allen  Fällen 
die  Wiederkehr  des  Sommers. 

Wenn  es  die  Finn  -  Sniosage,  die  Erzählung  vom  König  Winter  ist, 
die  der  Kudrunsage  zu  Grunde  liegt,  so  wird  nicht  nur  der  Name  Hilde- 
burg aus  dieser  stammen,  sondern  vielleicht  auch  der  Name  Ortwins; 
denn  jene  von  Finns  Gegnern,  denen  er  schliefslich  erliegt,  sind  im  Beo- 
wulf  ösldf  lind  Oüdldf,  die  aber  im  Finnesburhfragment  Ordldf  und  Ondläf 
heifsen,  und  von  dem  ersten  in  diesem  Paare  ist,  wie  schon  Müllenhoff, 
Zs.  11,  "281  f.  gesehen,  Öswine,  der  nach  Widsid  26  über  die  Eowen 
herrscht,  nicht  verschieden;  in  Orticin  würden  also  nur  die  hier  schon 
belegten  Kompositionsglieder  in  neuer  Kombination  auftreten.  Dies  hat 
auch  Möller,  Aeng.  Volksepos  73,  bemerkt,  der  dort  bereits  auf  die  Hilde- 
burg der  Kudrunsage  verweist  und  Verwandtschaft  zwischen  dieser  und 


408  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

der  Finnsage  annimmt,  aber  irrtümlicherweise  Finn  mit  dem  Gotte  Frey 
zusammenbringt.  Bruder  der  Heldin  ist  dieser  *  Ordwine  allerdings  nicht; 
aber  auch  Orttvin  ist  das  ja,  wie  die  mangelnde  AUitteration  zeigt,  sehr 
spät,  vielleicht  erst  unter  dem  Einflüsse  des  von  Panzer  besprochenen 
Motivs  von  der  verlorenen  und  wiedergefundenen  Schwester  geworden; 
seine  Person  jedoch  kann  trotzdem  der  Sage  schon  angehört  haben. 

Auch  Sivrit  kann  unbeschadet  dessen,  dafs  ein  späterer  Normannen- 
könig mit  ihm  zusammengeflossen  ist,  in  dem  tieferen  Grunde  der  Finn- 
sage wurzeln,  aus  der  sich  gerade  seine  Helferrolle  erklären  liefse.  Denn 
in  ihr  tritt  unter  Finns  Gegnern  auch  ein  Sigeferd  Secgena  leod  auf.  Wenn 
es  —  offenbar  mit  Beziehung  auf  die  gleiche  Person  im  Widsid  31  heifst: 
S<^ferd  {weold)  Sycgum,  so  wird  man  dabei  an  die  oben  berührte  Variante 
Smart  neben  Sivrit  erinnert. 

Andere  Namen  können  infolge  der  Verknüpfung  mit  der  Hilde- 
geschichte durch  solche  aus  dieser  verdrängt  worden  sein,  so  der  Name 
von  Hildeburhs  Vater  Hoc,  was  um  so  leichter  schon  in  alter  Zeit  mög- 
lich war,  als  dabei  der  Ä-Zirkel  nicht  durchbrochen  wurde. 

Die  Namen  Hoc  und  Hetele  berühren  sich  aber  nicht  nur  im  Anlaut. 
Bei  oberflächlicher  Betrachtung  könnte  man  sogar  denken,  dafs  auch  in 
Hoc  der  Begriff  'Pelz'  oder 'Mantel'  enthalten  ist;  vgl.  got.  hakuls  u.  s.  w. 
'Mantel'  und  slav.  koxa  {*kog-ja)  'Haut,  Pelz';  was  die  Ablautstufe  von 
Hoc  anbelangt,  wäre  dabei  an  das  Verhältnis  von  ags.  hecen,  mndd.  hceken, 
mndl.  hoekijn,  got.  *h6kein  'junge  Ziege'  zu  slav.  koxM  'Ziege'  (=  germ. 
*haka-)  zu  erinnern  oder  an  das  von  ags.  hoc,  engl,  hook,  mndl.  hoek  zu 
ags.  haca,  aisl.  hake  'Haken',  womit  jene  Worte  für  Ziege  vielleicht  zu- 
sammenhängen, da  diese  nach  ihren  Hörnern  benannt  sein  kann.  Dafs 
hakuls  eigentlich  ein  'härenes  Gewand',  ein  'Gewand  aus  Ziegenfellen'  be- 
deute, wie  Kluge,  E.  W.6,  166,  vermutet,  wird  von  Uhlenbeck,  E.  W.  d. 
got.  Spr.l  67,  2  7ij  ohne  sichtbaren  Grund  bestritten.  Sachlich  wäre  dabei 
auf  das  Verhältnis  von  earacalla  *  caracat-la  zu  ir.  caera,  gen.  caerach 
'Schaf  zu  verweisen.'  Ja  auch  dem  hedinn  'Pelzrock'  stehen  Worte  wie 
aisl.  hadna,  norw.  hadna,  mhd.  hatele,  Schweiz.- seh wäb.  hattel,  schwed. 
henna  (aus  hedna),  bair.  Jietfe,  hettel,  nhd.  (aus  dem  Ndd.)  hüte  'Ziege'  nahe 
genug.  Es  scheint  fast,  als  ob  auch  der  hedinn  von  Haus  aus  ein  Klei- 
dungsstück aus  Ziegenhaar  oder  Ziegenfell,  ein  geit-liedimi  gewesen  sei. 
Oder  ist  die  Ziege  als  die  Pelzträgerin  so  benannt?  Oder  sie  sowohl  als 
auch  das  Kleidungsstück  als  das  haarichte,  zottige?  Ganz  gewifs  ist  ja 
cymr.  ced£n  'zottiges  Haar,  Noppe'  und  hedinn  das  gleiche  Wort.  Und 
Beachtung  verdient  auch,  dafs  nach  Lexer,  Kämt,  Wb.  140,  kämt,  hettla, 
hettele  'weibliche  Ziege,  die  noch  kein  Junges  hatte,  dann  eine  zottige 
Ziege  überhaupt'  bedeutet.  Der  Übergang  von  n-  zu  ^Suffix,  den  wir 
hier  mehrmals  beobachten  konnten  —  er  liegt  auch  vor  in  bregenzer-wal- 


'  Näheres  über  dieses  und  über  den  hier  vorliegenden  Wechsel  von  ae  und 
a  8.  ZfdA.  39.  21  ;  vgl.  aber  auch  säno,  cräpula  aus  saipd.  y.oninölr,^  G6A. 
1901,  S.  460. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  400 

(lisch  hettel  'weiblicher  Anzug'  aus  *hetan  — ,  stimmt  nicht  nur  dazu,  dafs 
letzteres  überhaupt  —  bekanntlich  besonders  in  Lehnworten  wie  kumil< 
kumin,  kuchel  <kuhhina,  orgela  <  Organa  u.  a.  m.  —  an  Boden  gewinnt; 
hier  war  es  auch  durch  Einflufs  des  Deminutivs  begünstigt.  Ebenso  steht 
der  mhd.  «-Stamui  Hetele  statt  zu  erwartendem  Heien  unter  dem  Einflufs 
von  Kosenamen  auf  -ele  -ilo  wie  Etxele. 

Aber  in  der  Bedeutung  'Pelzkleid'  sind  Hoc  und  Hedinn  doch  nicht 
zu  vereinigen;  wir  werden  uns  bei  erstereni  schon  an  die  von  'Ziegenbock' 
halten  müssen;  so  ist  der  Name  jedenfalls  verstanden  worden,  da  man 
dem  Hoc  einen  Hengest  zugesellte;  vgl.  Namenpaare  wie  Hengest  un<l 
Horsa,  Wulf  und  Eofar,  Arpus  und  Gandestrius.  Eher  hat  man  in  alter 
Zeit  schon  auch  den  Namen  Hedinn-Hetele  in  gleichem  Sinn  umgedeutet 
und  sich  dadurch  veranlalst  gesehen,  H^c  und  Hetel  für  eine  Person  zu 
nehmen.  Die  Sache  könnte  sich  auch  so  verhalten,  dafs  in  Hoc,  um  mit 
Panzer  zu  sprechen,  auch  ein  'Goldener'  vor  uns  steht,  der  deshalb  'Bock' 
heilst,  weil  er  in  Bockfelle,  das  sind  ja  schlechte  Felle,  gehüllt  war.  Er- 
innern wir  uns  doch,  dafs  sich  auch  Gram  bei  seiner  Werbung  um  Gro 
nach  Saxo  I  2G  caprinis  tergoribus  bekleidet  hatte.  Dann  müfsten  wir 
freilich  annehmen,  dafs  der  Name  Hoc  den  Namen  Hengest  später  erst  an 
sich  gezogen  habe. 

Wie  immer  übrigens  sich  das  mit  den  Namen  verhält  —  es  wird  ja 
gut  sein,  überall  beim  Anschein  von  Beziehungen  auch  mit  der  Möglich- 
keit des  Zufalles  zu  rechnen  — ;  die  innere  Verwandtschaft  von  Hoc  und 
Hetele  läfst  sich  doch  noch  von  anderer  Seite  beleuchten. 

Hatten  wir  mit  unserer  Deutung  der  Finn-Sniosage  als  eines  Jahres- 
zeitenmythus recht,  so  ist  Hiklcburh,  wie  wir  schon  bemerkt  haben,  die 
Göttin  der  triebkräftigen  Natur. 

Die  germanische  Mythologie  führt  das  zeugende  und  gebärende  Leben 
des  einen  Sommers  auf  das  des  vorausgehenden  zurück;  d.  i.  mythologisch 
ausgedrückt:  Frey  und  Freyia  sind  die  Kinder  des  Niord  und  seiner 
Gattin -Schwester  (Nerthus).  Es  giebt  aber  auch  —  neben  verschiedenen 
anderen  uns  hier  nicht  berührenden  —  eine  verbreitete  Gestalt  des  Jahres- 
zeitmythus, in  dem  die  Naturgöttin  als  in  strengem  Gewahrsam  gehaltene, 
wohl  gar  in  einen  Turm  eingeschlossene  Tochter  eines  harten  Vaters  — 
im  Grunde  des  Winters  —  gedacht  ist.  Von  Haus  aus  schon  den  Eiben 
verwandt,  nimmt  sie  wegen  ihrer  Behütung  vor  Tag  und  Sonne  noch 
mehr  Eibenartiges  an.  Der  jugendliche  Held,  der  trotzdem  zu  ihr  gelangt 
und  sie  gewinnt,  ist  der  Sonnen-  und  Sommergott. 

In  unserem  Fall,  wo  Finii-Snio,  d.  i.  der  Winter,  der  Entführer  ist, 
kann  es  sich  nur  um  ersteren  Typus  handeln,  und  Hoc  ist  dann  not- 
wendig mit  Freyias  Vater  Niord  auf  eine  Stufe  zu  stellen. 

Aber  auch  Hedin  ist  eine  Vanengottheit.  Das  wird  um  so  klarer,  je 
mehr  es  gelingt,  ihn  als  'Goldener'  zu  erweisen.  Denn  der  Goldener'  Ha- 
dingus  ist  ea  —  und  zwar  anerkanntermafsen  —  schon  wegen  der  Ähnlich- 
keit dessen,  was  von  ihm  und  was  von  Niord  berichtet  wird.  Nur  hält 
seine  Sage  einen  alten  Zug  getreuer  fest,  wenn  er  an  einer  Narbe  am  Fufs» 


410  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

erkannt  und  bei  der  Gattenwahl  um  ihretwillen  erkoren  wird,  und  wenn 
es  seine  rechte  Braut  ist,  die  dies  thut.  Bei  Niord  dagegen  ist  daraus  die 
Wahl  nach  den  einzig  sichtbaren  Füfsen,  also  eine  Art  von  Cotillonscherz, 
geworden,  und  irrtümlicherweise  erscheint  dabei  seine  winterliche  Gattin 
Skadi  (statt  Nerthus)  als  die  wählende.  In  der  parallelen  Erzählung  von 
Grams  Werbung  ist  der  Name  der  Braut  Gro  'die  Wachsende,  Grünende'. 
Groa  ist  ferner  der  Name  von  Aurvandils  Gattin,  was  uns  in  beiden 
Fällen  auf  die  Naturgöttin  hinweist,  zumal  diese  auch  als  Mutter  des  die 
Menglod  freienden  Svipdag,  des  'raschen  Tages'  und  Gattin  des  Solbiart, 
des  'Sonnenglänzenden',  ebenso  heifst.  Deutlich  Vertreter  von  Vanen  sind 
ferner  der  oben  B.  398  erwähnte  Alf,  Sohn  des  Sigarus,  und  Fridlevus, 
dessen  Werbung  um  Frögertha  der  Hetels  um  Hilde  parallel  läuft.  Hier 
sei  auch  auf  die  von  Panzer  S.  215  berührten  Märchen  verwiesen,  in  denen 
die  streng  gehütete  Prinzessin  von  der  Sonne  schwanger  wird.  Ja,  viel- 
leicht gewinnt  es  in  diesem  Zusammenhang  Bedeutung,  wenn  schon  der 
älteste  Vorläufer  des  Goldener,  der  alte  Sargon  in  seiner  Sage  —  für  etwas 
anderes  kann  ich  seine  Inschrift  nicht  halten  —  sich  rühmt:  'in  diesem 
meinem  Gärtneramt  war  die  Göttin  Istar  mir  gewogen,'  und  vielleicht- 
spielte auch  hier  die  Naturgöttin  die  Rolle,  die  im  Goldenermärchen  der 
Königstochter  zufällt.  Selbst  auf  das  Goldhaar  könnte  ein  neues  Licht 
fallen,  wenn  es  der  Sonnenheros  ist,  dem  es  zukommt.  Hedin  steht  also 
mit  lauter  Vertretern  des  Sommer-  und  Sonnengottes  in  einer  Reihe. 

Und  nicht  nur  das.  Denn  wenn  mir.  Der  germ.  Himmelsgott  83  f., 
der  Nachweis  gelungen  ist,  dafs  wir  es  bei  dem  göttlich  verehrten  God- 
mund  (Gudmund)  von  Glsesisvellir  mit  Frey  zu  thun  haben,  stofsen  wir 
unmittelbar  auf  den  Namen  Ulfheäinn  als  den  Beinamen  einer  Vanen- 
gottheit.  So  heilst  nämlich  der  Vater  jenes  Gudmund,  der  daneben  übri- 
gens wie  alle  Könige  von  Glaesisvellir  auch  selbst  den  Namen  Gudmund 
trägt.  Dafs  er  nicht  Hedinn,  sondern  TJlfliedinn  heifst,  verschlägt  nichts. 
Denn  auch  unser  Hedinn  ist  als  Name  nicht  mit  'Pelzrock'  zu  übersetzen, 
sondern  nur  als  Kurzform  zu  Ulf-,  Qeit-  oder  allenfalls  Biam-hefHnn  zu 
betrachten,  d.  h.  der  Name  hat  in  seiner  vollen  Form  den  Helden  als  in 
schlechte  Felle  gekleidet  gekennzeichnet.  Freilich  helfsen  ulfliednar  auch 
eine  Art  von  Berserkern,  von  denen  man  ursprünglich  wohl  glaubte,  dafs 
sie  Wolfsgestalt  annehmen  könnten.  Doch  scheint  es  mir  viel  unwahr- 
scheinlicher, dafs  Gudmund  Ulfhedin  als  Werwolf  gedacht  wurde,  als 
dafs  er  seinen  Namen  einer  Geschichte  ähnlich  der  Hedinsage  verdankt. 

Durch  all  das  ist  aber  deutlich  geworden,  dais  die  Verbindung  von 
Hilde-  und  Kudrunsage  schon  durch  die  mythologische  Grundlage  ge- 
geben ist.  Es  handelt  sich  um  zwei  Jahreszeitmythen,  deren  Verknüpfung 
deshalb  erfolgt  ist,  weil  der  Held  des  einen  derselbe  ist  wie  der  Vater 
der  Heldin  des  zweiten. 

Durch  den  vorgenannten  Oud-,  öodmundr  Ulfhedinn  könnte  sich 
auch  Qüdrün  (Küdrün)  als  Variante  des  Namens  der  Heldin  neben  Hilde- 
burg erklären.  Denn  in  der  Geschichte  von  Godmund  spielt  thatsächlich 
eine  Godrün  eine  Rolle,  wohl  nicht  als  seine  Tochter;  aber  schon  Heinzel 


Fkurteiliiiigen  uud  kurze  Aiizfigen.  411 

hat  WSB.  109,  711  vermutet,  daüs  sie  ursprünglich  als  seine  Tochter  oder 
Schwester  vorgestellt  wurde,  und  darauf  weist  ganr  entschieden  ihr  Name. 
Wenn  ferner  dort  Oodmundr  einen  rifsischeii  Widersacher  Oeirrodr  hat 
—  der  freilich  kein  Wiuterriese  ist  — ,  8o  ist  hier  auch  rla^  Vorliältnis  des 
Namens  Gudrun  zu  Gvrlint  schon  vorgebildet;  uud  ich  zweifle  nicht,  dal'rs 
auch  die  Person  Cierlinds  aus  dem  Mythus  stammt  als  die  der  Mutter 
des  riesischen  Freiers  der  Heldin,  und  wenn  sie  immer  noch  als  die  übelc, 
die  tcülpinne,  die  aide  tdleftlintie  erscheint,  so  ist  darin  noch  eine  Spur 
davon  zu  erkennen,  dafs  sie  aus  einer  Gestalt  nach  Art  der  Mutter  des 
WinteiTiesen  Hymir  vermenschlicht  ist. 

Andererseits  ist  auch  Kudruns  Charakter  der  Hauptsache  nach  durch 
den  Mythus  gegeben,  vor  allem  ihr  Widerstand  gegen  die  Werbung  Hart- 
muts. Man  beachte  nur  z.  B.  Freyias  Zorn  in  der  Prymskvida  13  über 
die  Zumutung,  als  Braut  nach  Jotunheim  zu  reisen.  Freilich  konnte  sich 
diese  ablehnende  Haltung  in  der  Sage  leicht  in  ihr  Gegenteil  verkehren. 
Auch  die  Göttinnen  sind  nicht  immer  so  spröde;  und  bei  Saxo,  wo  Snio 
als  dänischer  König  gefafst  ist  und  der  Berichterstatter  deshalb  auf  seiner 
Seite  steht,  zeigt  die  Entführte  ihm  das  gröfste  Entgegenkommen.  Aber 
das  ist  wohl  jüngere  Entwickelung.  Und  mindestens  in  Sagen  Varianten 
konnte  sich  die  ältere  Auffassung  forterhalten,  und  an  sie  wird  der  Dichter 
des  Kudrunliedes  angeknüpft  haben.  So  sehr  wir  an  ihm  die  Kunst  der 
Charakterzeichnung  bewundern  dürfen,  hat  er  au  seiner  Heldin  doch  nur 
das  feiner  ausgearbeitet,  was  ihm  überliefert  war. 

Aber  auch  dem  Hiadningavig  liefse  sich  nun  unbeschadet  dessen, 
was  oben  über  ihn  gesagt  wurde,  noch  eine  andere  Seite  abgewinnen.  So 
lange  der  Kampf  zwischen  Hogni  und  Hedin  als  der  zwischen  Winter 
und  Sommer  deutlich  verstanden  wurde,  konnte  man  auch  von  seiner 
jährlichen  Wieilerkehr  erzählen.  Die  auch  von  Panzer  erwähnte  cymrische 
Geschichte  von  dem  an  jedem  1.  Mai  bis  zum  jüngsten  Tage  sich  erneuern- 
den Kampfe  zwischen  Gwyn  und  (iwythur  um  die  von  Gwyn  entführte 
Creidylad  stünde  dann  —  wenn  sie  zu  vergleichen  ist  —  auf  einem  älteren 
Standpunkte,  der  in  der  nordischen  unter  dem  Einflufs  von  Vorstellungen 
des  Seelenglaubeus  vom  alltäglichen,  besser  gesagt  allnächtlichen  Aufleben 
der  Gespenster  verlassen  worden  wäre. 

Wenn  die  Entführer  Kudruns  Ludwig  uud  Ihutmut  lieilsen,  uud  wenn 
sich  hinter  dem  ersteren  der  Franke  Chlodwig  verbirgt,  wie  Panzer,  wie 
wir  sehen  werden,  mit  vollem  Recht  annimmt,  so  bleibt  uns  noch  da.« 
Rätsel  zu  lösen  übrig,  wie  dieser  in  die  Sage  oder  die  Dichtung  gekom- 
men ist. 

Panzer  macht  auf  die  Sage  von  Chlodwigs  Brautwerbung  aufmerk- 
sam ;  aber  wie  sich  aus  dieser  Ludwigs  Rolle  in  unserer  Dichtung  erklärt, 
darüber  gelangt  er  selbst  zu  keinem  bestimmten  Urteil,  geschweige  denn 
dals   er  von   seinem  Standpunkte  aus  die  Sache  ganz  klar  stellen  könnte. 

Wenn  wir  von  unserem  aus  behaupten  wollten,  bei  irgend  einem  den 
Franken  feindlichen  Stamme  hätte  man  den  Winterriesen,  der  anderswo 
zum  Friesen  gemacht  wurde,  als  Franken  aufgefafst  und  mit  dem  Franken 


412  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Chlodwig  zusammengeworfen,  so  ginge  dae  der  Sache  kaum  auf  den  Grund. 
Es  müfste  doch  wohl  aufser  der  feindseligen  Stellung  gegen  beide  ein  be- 
sonderer, anfänglich  schon  übereinstimmender  Zug  in  den  Vorstellungen 
von  beiden  gesucht  werden,  von  dem  aus  die  weitere  Verschmelzung  der 
Sagen  ihren  Ausgang  nehmen  konnte. 

Nach  Fredegar  III  17  ff.  —  ich  gebe  seinen  Bericht  in  Panzers  Aus- 
zug wieder  —  hat  Chlodoveus  durch  seine  öfteren  Gesandtschaften  nach 
Burgund  von  Chrotechildis  gehört;  er  schickt  daher  den  Aurilianus,  dafs 
er  für  ihn  um  die  Prinzessin  werbe.  Zur  Beglaubigung  bekommt  er  einen 
Ring  mit  und  begiebt  sich  so  nach  Genf,  Chrotechildens  Wohnsitz.  Als 
Bettler  verkleidet,  wird  er  von  der  Jungfrau  aufgenommen  und  gepflegt. 
Als  sie  ihm  die  Füfse  wäscht,  bittet  er  sie  heimlich,  ihr  eine  wichtige 
Botschaft  an  sicherem  Orte  ausrichten  zu  dürfen.  Sie  gestattet  es,  der 
Bettler  bringt  Chlodoveus'  Werbung  vor  und  überreicht  seinen  Ring. 
Chrotechildis  nimmt  das  freundlich  auf,  schenkt  ihm  100  Gulden  und 
ihren  Ring  und  läfst  Chlodoveus  bestellen,  er  möge  bei  ihrem  Oheim  um 
sie  werben.  Er  solle  aber  schnell  machen,  denn  sie  fürchtet  einen  ge- 
wissen Aridius,  der  leicht  ihre  Pläne  hintertreiben  könne,  wenn  er  aus" 
Konstantinopel  zurückkehre.  Aurilian  kehrt  schleunigst  heim;  schon  ist 
er  Orleans  nahe,  als  ihm  von  einem  Bettler  sein  Sack  gestohlen  ^vi^d,  in 
dem  die  100  Gulden  und  der  Ring  sich  befanden.  Es  gelingt  aber  den 
Dieb  zu  fangen ;  er  wird  zur  Strafe  drei  Tage  lang  ausgepeitscht.  Aurilian 
begiebt  sich  jetzt  nach  Soissons,  dem  König  seinen  Erfolg  zu  melden. 
Der  ordnet  sofort  eine  Gesandtschaft  an  Gundobad  ab,  der  sich  nicht  ge- 
traut, seine  Nichte  zu  verweigern.  Die  Franken  nehmen  sie  samt  grofsen 
Schätzen  in  Chalons  in  Empfang.  Chrotechildis  hat  erfahren,  dafs  Aridius 
zurückgekehrt  sei,  und  treibt  zur  Eile;  man  mufs  sie  aus  der  Sänfte 
nehmen  und  aufs  Pferd  setzen,  um  schneller  vorwärts  zu  kommen.  Wirk- 
lich schickt  ihnen  Gundobad  auf  des  heimgekehrten  Aridius  Rat  ein  Heer 
nach,  das  aber  nur  die  zurückgelassene  Sänfte  und  die  Schätze  zurück- 
bringen kann.    Chrotechildis  kommt  glücklich  zu  ihrem  Verlobten. 

Aus  dem  im  einzelnen  abweichenden  Bericht  im  Liber  Hist.  Franc. 
C.  1 1  ff.  hebe  ich  nur  hervor,  dafs  hier  der  Abgesandte  unter  den  Bettlern 
vor  der  Kirchenthüre  sitzend  seine  Bekanntschaft  mit  der  Königstochter 
einleitet. 

Die  eilige  Heimführung  der  Braut,  die  durch  ein  nachgesandtes  Heer 
zu  verhindern  gesucht  wird,  wobei  die  Schätze  thatsächlich  zurückgewon- 
nen werden,  hat  schon  mehr  oder  weniger  den  Charakter  einer  Entfüh- 
rung. Dazu  kommt,  dafs  der  Name  der  Braut  Chrotechildis  mit  Hildeburg 
ein  Glied  gemein  hatte  und  in  Kurz-  und  Koseformen  damit  zusammen- 
fallen konnte.  Entscheidend  aber  fällt  das  Bettlermotiv  hier  ins  Gewicht. 
Denn  gerade  von  seinem  König  Snio  erzählt  uns  Saxo  VIII  116,  dafs  er 
einen  Mann  in  abgetragener  Kleidung,  der  an  den  öffentlichen  Wegen 
Almosen  zu  erbetteln  pflegte,  zu  ihr  gesandt  habe,  um  ihre  Gesinnung  zu 
erforschen.  Dieser  nahm  nach  Bettlerart  nahe  der  Schwelle  seinen  Sitz, 
und  als  er  die  Königin  gerade  sah,  flüsterte  er  ihr  mit  leiser  Stimme  zu: 


Beurteilungen  untl  kurze  Anzeigen.  413 

Snio  liebt  dich.  —  Diese  erklärt  ihm  leise  ihre  Gegenliel)e  zu  seinem 
Herrn,  und  indem  i^ie  wiederholt  bei  dem  immer  an  der  Thür  sich  auf- 
haltenden Bettler  vorbeigeht,  gelingt  beiden  die  heimliche  Verabredung 
über  Zeit  und  Ort  der  Entführung.  Alt*  Snio  davon  Kunde  erhalten,  läl'st 
er  die  Königin,  die  ihres  Gemahls  Schätze  entwendet  und  »ich  unter  dem 
Verwände,  zu  baden,  entfernt  hat,  in  einem  Schiffe  fortschaffen. 

Die  Chlodwigsage  und  die  vom  König  Winter  hatten  also,  als  sie 
noch  ganz  selbständig  voneinander  waren,  bereits  so  auffallende  Ähnlich- 
keit, dals  es  nicht  fern  lag,  die  eine  in  die  andere  hinüberzuspinneu. 

Aulser  dem  Namen  Ludwig  mögen  übrigens  noch  andere  Züge  der 
Kudrunsage  auf  die  Chlowigsage  zurückgehen,  so  die  Fortführung  der 
Braut  in  Abwesenheit  von  Personen,  die  es  sonst  hindern  würden,  und  die 
ergebnislose  Verfolgung  durch  ein  nachgesandtes  Heer;  beziehungsweise 
gehören  wohl  auch  diese  Motive  zu  dem  der  Ludwig-  und  der  Finn-Snio- 
sage  von  Haus  aus  schon  gemeinsamen  Besitz,  durch  den  ihre  ersten  Be- 
rührungsflächen entstanden. 

Der  Kampf  auf  dem  Wülpensand  ist  natürlich,  wie  allgemein  aner- 
kannt ist,  ein  Abklatsch  aus  der  Hildesage,  und  ebenso  sind  die  Helfer 
und  Gefährten  Hettels  aus  dieser  in  die  Kudrunsage  herübergenommen. 
Ehe  das  geschah,  mufste  die  Rolle  Herwigs  eine  viel  stärker  hervor- 
tretende sein. 

Wir  haben  oben  einen  Aridius  kennen  gelernt,  der  der  Werbung 
Chlodwigs  entgegensteht  und  dessen  Abwesenheit  L^rsache  ist,  warum  die 
Fortführung  der  Braut  gelingt.  Aridius  kann  germ.  sein  —  got.  *  Hari- 
pius  'Heerdegen'  —  oder  konnte  germ.  umgedeutet  werden  und  stimmte 
dann  zu  Herbort,  Hencic  wenigstens  in  seinem  ersten  —  hier  dem  festeren  — 
Kompositionsgliede.  Noch  näher  stünde  Herdegn,  wie  in  der  Pidreks- 
saga  231  ein  Bruder  und  der  Vater  Herburts  heifst.  Aber  was  wir  sonst 
von  Aridius  wissen,  läfst  diesen  als  Vertreter  eines  ganz  anderen  Typus  er- 
scheinen wie  Herwig.  Deshalb  ist  es  nicht  wahrscheinlich,  dafs  Herwig- 
Herbort  —  oder  sein  Vater  —  in  jenem  Aridius  seine  Wurzel  hat  oder 
dafs  dieses  wegen  unter  einer  grofsen  Zahl  für  die  Sagengestalt  Herwigs 
in  Betracht  kommender  Namen  bestimmte  bevorzugt  wurden.  Ohnedies 
käme  ja  höchstens  letztere  Möglichkeit  in  Betracht,  wenn  sich  zeigen  läfst, 
dafs  Herwig  und  Herbort  Namen  von  mythologischem  Ursprung  sind. 

Die  Pidrekssaga  berichtet  a.  a.  0.  von  drei  Söhnen  eines  Grafen  Herdegn, 
von  denen  der  Zweitälteste,  gleichbenannt  wie  der  Vater,  beim  Fechten 
durch  den  jüngsten  Sintram  (Tistram)  zu  Tod  verwundet  wurde,  worauf 
der  Mörder  aufser  Landes  ging.  Dasselbe  that  später  auch  der  dritte 
Bruder  Herburt  wegen  der  Vorwürfe  des  Vaters,  dafs  er  als  der  älteste 
das  Unglück  nicht  verhindert  habe.  MüUenhoff  hat  Beovulf  17  erkannt, 
dafs  hier  Beziehung  besteht  zu  dem,  was  Beowulf  2425  ff.  von  Hrcdel  und 
seinen  Söhnen  erzählt  wird.  Von  diesen  wird  der  älteste  Herebeald  von 
dem  zweiten  Hiedcyn  bei  einer  Übung  im  Bogenschicfsen  aus  Versehen 
getötet;  der  alte  König  verzehrt  sich  darüber  vor  Gram.  Der  dritte  Sohn 
ist  hier  der  historische  Geatenkönig  Hygeläc   und  ganz  gewifs  erst  später 


414  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

an  die  beiden  anderen  angeknüpft,  die  ein  geschlossenes  Paar  bilden,  und 
in  denen  man  bereits  Baldr  und  Hod  erkannt  bat.  Ein  dritter  Bruder 
ist  aber  neben  den  Vertretern  dieses  Götterpaares  auch  in  einer  an- 
deren Sage  nicht  am  Platze  und  daher  wohl  das  von  Herdegn  Erzählte 
auf  Herburt  zu  beziehen,  sei  es  nun,  dafs  man  die  Namenreihe  Herdegn, 
Herburt,  Sintram,  in  der  der  erste  Name  dem  Vater  gehörte,  irrtümlich 
auf  drei  Brüder  bezog,  sei  es,  dafs  man  aus  zwei  Namenvarianten  Herburt 
und  Herdegn  zwei  Personen  machte  vielleicht  nicht  ohne  die  Absicht, 
dann  um  so  leichter  von  Herburt  andere  Abenteuer  berichten  zu  können, 
die  mit  seinem  frühen  Tode  dem  Sagenerzähler  schwer  vereinbar  scheinen 
mochten.  Kein  Zufall  ist  es  auch,  dafs  dort  Herebeald,  hier  Herburt  als 
der  älteste  Bruder  erscheint,  und  mindestens  auf  hochdeutschem  Boden 
in  der  Form  Herholt  und  Herbort  stehen  die  beiden  Namen  einander  so 
nahe,  dafs  leicht  von  dem  einen  zum  anderen  übergesprungen  werden 
konnte.  Die  ganze  Namenentwickelung  dürfte  von  Baldr  ausgehend  zu- 
nächst wohl  zu  Bealdhere,  Balthari  (und  Baltram'!),  weiter  wegen  des  Be- 
dürfnisses, mit  HQcJr  einen  Stabreim  zu  bilden,  zur  Umkehrung  Herebeald 
geführt  haben  und  von  da  aus  —  aufser  zu  Herbort  —  mit  deutlicher  Be»- 
vorzugung  des  ersten  und  Vernachlässigung  des  zweiten  Teiles  zu  Herwic 
(und  Herdegn'!).  Herivtc  mufste  sich  als  Name  für  den  Gegner  des  Ludewte 
besonders  empfehlen,  aber  dankt  doch  nicht  erst  dem  Einflufs  des  letzteren 
sein  zweites  Glied.  Denn  wesentlich  nur  mit  einer  Umkehrung  eines 
unserem  Herwic  entsprechenden  Namens  haben  wir  es  bei  dem  nordischen 
Vilcarr  zu  thun.  Und  König  Vikarr,  der  von  seinem  Ziehbruder  Starkad, 
d.  i.  dem  starken  Hod  —  s.  Bugge,  Studien  383,  —  mit  dem  von  Odin 
erhaltenen  Rohrstengel  getötet  wird,  ist  bekanntlich  wiederum  Baldr.  Dafs 
an  Stelle  von  Vikarr  ursprünglich  ein  mit  h  anlautender  Name  gestanden 
hat,  darauf  weist  es  wohl  noch,  dafs  er  nach  der  Gautrekss.  der  Sohn 
eines  Haraldr  ist  und  in  der  Gewalt  eines  Herpiofr  als  dessen  Geisel  auf- 
wächst. Aus  welcher  Rücksicht  die  zum  *-Anlaut  führende  Umstellung 
der  Namenelemente  hier  vorgenommen  wurde,  sieht  man  freilich  nicht 
klar;  vielleicht  geschah  es  nur  wegen  des  Gottes  (V)6dinn,  dem  Vikarr 
als  Opfer  dargebracht  wird. 

Es  erübrigt  uns  noch,  zu  den  Schlufsbemerkungen  Panzers  Stellung 
zu  nehmen,  in  denen  dieser  die  Entwickelungsgeschichte  und  Wanderung 
der  Sage  bespricht. 

Nach  seiner  Ansicht  hat  sich  das  spätestens  im  vierten  Jahrhundert 
n.  Chr.  von  den  Römern  entlehnte  Goldenermärchen  auf  ostgermanischem 
Boden  zur  Hildesage  umgebildet.  Diese  lernten  noch  vor  ihrem  Übertritt 
nach  Britannien  die  Angeln  und  durch  Vermittelung  der  in  ihre  Stellung 
einrückenden  Dänen  die  Norweger  kennen.  Die  Franken  sind  schon  im 
sechsten  Jahrhundert,  ebenfalls  aus  anglischer  Quelle  schöpfend,  mit  ihr 
vertraut;  durch  sie  kam  die  Verbindung  mit  der  Herwigsage  zu  stände, 
und  durch  sie  wurde  das  Ganze  den  oberdeutschen  Stämmen  zugeführt. 
So  war  einem  österreichischen  Dichter  des  13.  Jahrhunderts  der  Stoff  ge- 
geben, den  er  zum  Kudrunliede  ausspann. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  415 

Auf  die  Form  des  Namens  Kudrün  als  aul  ein  Zeugnis  für  den  nieder- 
deutschen Ursprung  des  Sagenkreises  und  auf  die  im  1".  Jahrhundert  ur- 
kundlich bezeugten  Namen  Oiitenin  in  Alemannien,  Chutnin  in  Baiern 
als  auf  Belege  für  Bekanntschaft  mit  diesem  durfte  sich  Panzer  natürlich 
nicht  berufen.  Denn  die  eigentliche  Kudrungcschichte  ist  ja  nach  ihm 
erst  von  diesem  Dichter  geschaffen  und  der  Name  der  Heldin  dabei  ans 
der  Südeliballade,  dorn  Lied  von  der  verlorenen  und  wiedergefundenen 
Schwester  —  in  dem  er  freilich  unbezeugt  ist  und  seine  unhochdeutsche 
Form  einer  Erklärung  bedürfte  — ,  herübergenommen.  Wir  brauchen  un- 
seren Widerspruch  dagegen  nicht  neuerdings  besonders  zu  betonen. 

Wenn  Panzer  andererseits  das  urkundliche  Vorkommen  des  Namens 
Wato  als  vollgültigen  Beweis  für  Bekanntschaft  mit  der  Hetel.sage  be- 
trachtet, also  die  Möglichkeit  nicht  erwägt,  dafs  Wate  frühzeitig  in  einer 
Geschichte  aufserhalb  von  dieser  eine  Rolle  gespielt  habe  und  durch  sie  be- 
kannt wurde,  so  dürfte  er  auch  den  bei  Ammianus  Marcellinus  erwähnten 
Alemannenfürsten  Vadomarius,  den  Vater  eines  ViÜiigabins  (d.  i.  *  Vidii- 
gaiius)  —  auf  den  ich,  Der  germ.  Himmelsgott  51,  hingewiesen  habe  — , 
nicht  übersehen. 

Der  Name  Chedinus,  den  im  Jahre  590  ein  Feldherr  König  Childc- 
berts  II.  führt,  zeugt  nach  Panzer  aufs  bestimmteste  für  Bekanntschaft 
mit  dem  Epos,  da  'dessen  appellativer  Sinn  in  dieser  frühen  Zeit  noch 
verstanden  sein  mufs.'  Aber  könnte  er  nicht  gerade  deshalb  ein  selb- 
ständig gebildeter  Beiname  sein,  gerade  so  wie  Ghrocus  {Hroc),  Wolf  In  oc 
oder  —  wenn  die  Sache  schon  bei  Wolfhetan  zweifelhaft  ist  —  Mard/ietin 
'Marderpelz'? 

Dafs  die  Ooldenergeschichte  als  Sage  und  Mythus  jüngeren  Ursprunges 
ist  wie  als  Märchen,  ist  uns  im  Laufe  unserer  Besprechung  immer  zweifel- 
hafter geworden;  daher  auch  das,  was  Panzer  über  die  erste  Entwicke- 
lung  der  Hildesage  aus  einem  Märchen  und  deren  Datierung  sagt.  Ich 
halte  ihre  W^urzeln  für  viel  tiefergehende  und  denke  an  wiederholte  L^m- 
gestaltungen  eines  uralten  Stoffes.  Die  für  unser  ganzes  germanisches 
Heidentum,  so  weit  wir  es  kennen,  charakteristische  Vorliebe  für  Wal- 
küren und  Walkürennamen  macht  sich  auch  in  unserer  Sage  bemerkbar, 
wenn  ihre  Heldin  —  ursprünglich  im  Mythus  keineswegs  eine  Kriegs- 
göttin —  einen  solchen  Namen  erhält.  Aber  wie  weit  dieser  kriegerische 
Geist  in  unserer  Mythologie  zurückreicht,  lälst  sich  vorläufig  nicht  sagen, 
also  auch  ein  terminus  a  quo  nicht  gewinnen.  Und  über  die  Verbreitung 
der  Sage  von  Stamm  zu  Stamm  bei  der  Spärliohkeit  und  Lückenhaftig- 
keit unserer  Quellen  Genaues  feststellen  zu  wollen,  ist  ein  L^nternehmen, 
das  der  Hauptsache  nach  über  unsere  Kraft  geht.  Im  besten  Falle  können 
sich  Wahrscheinlichkeiten  ergeben  —  abgesehen  davon,  dals  es  aus  vielen 
Gründen  einleuchtet,  dafs  die  Sagenform,  wie  sie  dem  Kudrundichter  vor- 
lag, ihm  von  der  Nordsee  her  zugekommen  sein  mufs,  und  dafs  .sie  über- 
haupt nur  an  der  See  bodenständig  .sein  kann.  Der  Name  Kudruns  be- 
stätigt nur  durch  seine  Form,   was  uns  der  Inhalt  ihrer  Geschichte  lehrt. 

Kriterien  jüngerer  Entlehnung,  so  wie  hier,  liegen,  so\'iel  ich  sehe,  nur 


416  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

noch  vor,  wenn  Hörant  *Herrant  in  Deors  Klage  Heorrenda  genannt  wird. 
Denn  da  es  nordisch  im  Nom.  Sing,  frdnde,  fiande  heifst,  dagegen  ags. 
freond,  feond,  also  nur  im  Nordischen  die  Flexion  der  substantivierten 
Partieipia  Praesentis  die  der  schwachen  o«-Stämme  ist,  so  ist  Avohl  dem 
Nordischen  ein  Hiarrandi  angemessen,  dem  Angelsächsischen  aber  nur 
ein  *Heorrend.  Heorrenda  ist  also  durch  seinen  Auslaut  als  Lehnwort  aus 
dem  Nordischen  —  natürlich  dem  Umordischen  —  gekennzeichnet. 

Wenn  Panzer  es  noch  zuletzt  als  ein  Hauptergebnis  seiner  Unter- 
suchungen hinstellt,  dafs  durch  sie  die  eigentliche  Kudrungeschichte  aus 
unserer  alten  Heldensage  gestrichen  wird,  so  wollen  auch  wir  am  Schlüsse 
nochmals  hervorheben,  dafs  wir  diese  Ansicht  aufs  bestimmteste  ablehnen. 
Auch  sonst  hat  sich  uns  manches  anders  dargestellt  als  Panzer.  Aber 
lauter  gediegenes  Erz  zu  fördern,  ist  keinem  vergönnt,  und  der  Gehalt  des 
Buches  an  Brauchbarem  und  Wertvollem  jedenfalls  ein  sehr  grofser.  Wir 
konnten  davon  hier  nur  die  Hauptsachen  zur  Besprechung  bringen.  Sein 
Inhalt  ist  jedoch  so  reich,  dafs  jeder,  den  irgend  welche  sagengeschicht- 
liche Probleme  beschäftigen,  aus  ihm  Förderung  und  Anregung  gewin- 
nen wird. 

Und  noch  etwas  verdient  anerkannt  zu  werden.  Es  ist  das  die  streng 
sachliche  und  ruhige,  jede  persönliche  Polemik  vermeidende  Art,  mit  der 
Panzer  seinen  Gegenstand  behandelt.  Sie  berührt  um  so  angenehmer  im 
Gegensatz  zu  dem  Ton,  der  in  dem  Streit  um  das  Hauptproblem,  das 
auch  Panzer  behandelt,  seiner  Zeit  in  die  germanistische  Litteratur  Ein- 
gang gefunden  hat. 

Wien.  Rudolf  Much. 

Henry  Osborn  Taylor,  The  classical  heritage  of  the  Middle  Ages. 
New-York,  Macmillan  Company,  1901.    XV,  400  S.    *  1,75. 

Die  Umwandlung  des  grofsen  klassischen  Erbgutes  in  mittelalterlichen 
Besitz  ist  vielleicht  das  schönste,  jedenfalls  das  gröfste  Thema,  das  eine 
philosophische  Geschichtsbetrachtung  sich  stellen  kann.  Mit  wie  grofs- 
artigen  Worten  hat  Goethe  in  der  Geschichte  der  Farbenlehre  auf  diese 
Erbschaft  hingewiesen !  Wie  geistreich  hat  Wilbrandt  im  'Meister  von  Pal- 
myra'  das  Problem  angerührt!  Aber  freilich,  um  es  wissenschaftlich 
seiner  Lösung  auch  nur  näher  zu  bringen,  mufs  man  mehr  besitzen  als 
Taylor  dafür  bereit  hat:  eine  stattliche  (wenn  auch  oft  nicht  aus  erster 
Hand  geschöpfte)  Belesenheit,  einen  klaren  Blick  für  die  Hauptlinien  und 
eine  gefällige  Darstellung.  Mit  diesen  Mitteln  hätte  sich  ein  anregender 
Aufsatz  schreiben  lassen ;  ein  400  S.  umfassendes  Buch,  nur  mit  diesen 
Mitteln  gefüllt,  wirkt  ermüdend,  ja  überflüssig.  Immer  erfahren  wir  nur 
dasselbe:  eine  Charakteristik  des  antiken  Mafsbegriffes  in  Ethik,  Kultur, 
Wissenschaft  und  Kunst;  eine  summarische  Darstellung  des  Verfalls;  und 
eine  Skizze  der  christlichen  Adoption  und  Adaptation  in  zwei  Stufen: 
einer  von  antikem  Geist  noch  beherrschten  und  einer  ganz  von  christ- 
licher Art  erfüllten.  Einige  Persönlichkeiten,  die  den  Verfasser  interessieren, 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  417 

werden  etwas  lebendiger:  Virgil  (S.  20  vgl.  100),  Augu.stin  (S.  3,  187  u.  ö.), 
Anihrosius  (S.  174,  185),  Dante  (S.  301).  Sonst  aber  fehlt  es  ganz  an 
individualisierender  Vertiefung.  Wie  belebend  wirkt  es,  wenn  einmal  greif- 
bare Einzelheiten  auftreten  wie  die  römischen  Rechtsbegriffe  in  der  christ- 
lichen Dogmatik  (S.  110)  oder  die  scholastischen  Neologismen  der  Kirchen- 
väter (S.  204)!  Wie  viel  mehr  wufste  auf  diesem  Wege  etwa  unser  guter 
alter  Cholevius  zu  gewinnen!  Die  Umänderung  der  altgermanischen 
Gleichnisse  (vgl.  meine  Altgerm.  Poesie  S.  115)  lehrt  mehr  als  die  all- 
gemeinen Erörterungen  Taylors  über  die  'Christianizatiou  of  style'  (S.  108). 
Das  Verzeichnis  der  altchristlichen  Bildermotive  (S.  310)  hätte  bei  guter 
Ausnutzung  mehr  einbringen  können  als  die  anfechtbaren  Betrachtungen 
über  'Classic  Metre  and  Christien  emotion'  (S.  233).  Ist  denn  Catullus 
in  seiner  Leidenschaft  ein  Christ?  ist  der  gute  Otfrid  in  seiner  schul- 
mäfsigen  'Stille'  ein  Klassiker?  und  ist  nicht  beider  Metrik  ein  Spiegel 
ihres  Wesens? 

Das  Wertvollste  an  dem  Buche  scheint  mir  die  gutgewählte  Biblio- 
graphie (S.  350  f.);  wer  so  viel  Büchertitel  darin  noch  nicht  kannte  wie 
ich,  mufs  wohl  die  verschweigen,  die  er  vermifst  hat.  Im  übrigen  aber 
kann  ich  nicht  leugnen,  dafs  ich  aus  einer  religionsgeschichtlicheu  Unter- 
suchung Useners  oder  aus  einer  stilgeschichtlichen  Arbeit  über  mittel- 
alterliche Umformungen  antiker  Stoffe  mehr  gelernt  zu  haben  glaube  als 
aus  diesen  zehn  Kapiteln. 

Berlin.  Richard  M.  Meyer. 

Emaüuel  Schikaneder.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  deutscheu 
Theaters  von  Dr.  Egou  v.  Komorzynski.  Berlin,  B.  Behrs 
Verlag  (E.  Bock),  1901.     X,  196  S.  8. 

Der  Verfasser  hat  sich  zu  seiner  Erstlingsarbeit  ein  Thema  gewählt, 
das  dem  Betrachter  dankbare  und  undankbare  Seiten  in  gleichem  Malse 
weist.  Dankbare  —  denn  wie  sollte  es  sich  nicht  lohnen,  einen  Mann 
näher  zu  beschauen,  den  jeder  nennt  und  keiner  genauer  kennt,  einen 
fruchtbaren  litterarischen  Handwerker,  der  in  der  Geschichte  des  Wiener 
Theaters  einen  breiten  Platz  für  sich  beansprucht?  Undankbare  —  denn 
Schikaneder  gilt,  wie  Komorzynski  selbst  (S.  VII)  zugesteht,  für  einen 
ehr-  und  charakterlosen  Menschen,  für  einen  Prahlhans  imd  Lumpen,  der 
auch  als  Dichter  mehr  Verachtung  als  Beachtung  verdiente;  femer  hat 
sein  bekanntestes  Opus,  das  Libretto  der  'Zauberflöte',  und  das  Interesse, 
das  Goethe  diesem  Produkte  widmete,  vor  kurzem  in  Victor  Junk  einen 
Mouographen  gefunden.'  Allein  schon  Komorzynski  selbst  hat  uns  durch 
eine  Anzeige  von  Junks  Arbeit  (Euphorion  VII,  172),  in  der  er  die  wich- 
tigsten Resultate  seines  Buches  vorwegnimmt,  belehrt,  dafs  er  nach  seinem 
Vorgänger  noch  manches  Beherzigenswerte  zu   sagen   hat.     Insbesondere 

'  Gopthes  Fortsetzung  der  Mozartschcn  Zauberflöte.  Forschungen  zur  iieueron 
Litteratnrgeschichte,  herausgeg.  von  F.  Muucker.     Berlin,  A.   Dmioker,   1900. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.     CVllI.  27 


418  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

aber  gebührt  ihm  das  Verdienst,  Schikaneder  in  der  sich  allmählich  erhel- 
lenden Vorgeschichte  von  Raimunds,  Grillparzers  und  Nestroys  Schöpfun- 
gen den   richtigen   Platz  angewiesen   und   ausgeführt    zu    haben,   was   in 
Sauers  knapper  Skizze  (Allgem.  deutsche  Biographie  XXXI,  190  ff.)   nur 
angedeutet  und  eindringlicherer  Erörterung  anheimgegeben   worden  war. 
Am  besten  geglückt  ist  die  Darstellung  von  Schikaneders  Leben.    Mit 
bemerkenswertem  FleiTse  hat  Verfasser  eine  Fülle  von  Quellen  erschlossen 
und  aus  ihnen  die  Möglichkeit  geschöpft,  den  krausen  Lebenspfad  Schika- 
neders vom  Anfang  zum  Ende  zu  schildern.     Schauspieler,  Dichter,  Ge- 
schäftsmann zugleich  arbeitet  sich  Schikaneder  aus  kleinen  Anfängen  rasch 
empor,  erringt  in  jungen  Jahren  als   Hamlet  Bühnenerfolge  (S.  5),   ver- 
blüfft sein  Publikum  durch  den  Überreichtum  seiner  Inscenierungseffekte 
und  erwirbt  bald  beträchtliches  Geld,  das  freilich  in  der  Hand  des  Lebe- 
mannes kein  Bleiben  findet.     Schon   1787  wendet  er  an  Möllers  'Grafen 
von   Waltron'    einen   Apparat  (S.  7  f.,   15  f.),   der   ihn   zum  berufensten 
Regisseur  Grabbes  stempeln  könnte,  um  dann  —  besonders  in  seinen  ins 
Freie    verlegten   Vorstellungen   —   von  Jahr   zu  Jahr   immer   wachsende 
Menschenmassen,  immer  effektvollere  und  farbenprächtigere  Tableaux  dem" 
staunenden   Zuschauer  vorzuführen.    Allerdings  fragt  sich,  wie  die  ver- 
wöhnten Augen  des  heutigen  Publikums  die  Bühnenkunststücke  Schika- 
neders beurteilt  hätten.     Sicherlich  ist,   was   Schikaneder   zum   Vorwurf 
gereicht,   auch  nicht   der  aufgewandte  Apparat,    sondern  seine  Vorliebe, 
ernste   Tragik    zu    Maschinerieeffekten    zu    mifsbrauchen,    etwa   Schillers 
'Räuber'  zu  einem  grolsen  Prunkspiel  umzuformen,  'dessen  Hauptscenen 
eine  Schlacht  zwischen   den  Räubern   und  dem  Militär,   sowie  der  Brand 
und   Einsturz    des  Moorschen  Schlosses'   waren   (S.  18).     Diese  Tendenz, 
ebenso  wie  der  Unsinn    seiner   eigenen   Machwerke,   läfst   die  Zeitungen 
allmählich   von  ihm  abfallen   und  einen  ironischen  Ton  anschlagen.    Der 
Ruhm  des  Opernregisseurs  hingegen  blieb  auf  Jahre  hinaus  unbestritten; 
was  er  in  Wien  im  Freihaustheater  und  im  Theater   an  der  Wien   bis  in 
den  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  für  die  Inscenierung  von  Opern  gethan 
hat,  erweist  sich   auch  in  Komorzynskis  Darstellung  als  ein  Ruhmestitel 
des  Mannes.    Mindestens  war  bei  ihm   die  Oper  besser  versorgt  als  bei 
dem  Pächter  der  Hoftheater,  Baron  Braun.    Das  bezeugt,  noch   im  März 
1808,  Marianne  von  Eybenberg  in  einem  Schreiben  an  Goethe,  das  Komor- 
zynski  (S.  64  Anm.  6)  nur  beihin  und  obendrein  falsch  citiert.    Ich  setze 
um  so  mehr  die  ganze  Stelle  hierher,  da  sie  aus  einer  Zeit  stammt,  die  nach 
Komorzynski  (S.  62)  schon  Schikaneders  vorgeschrittenem  geistigem  Ver- 
fall angehört:   'Über  unser  Theater  weifs  ich  nur  dies  zu  sagen,  dafs  die 
Hoftheater  täglich  schlechter   und   erbärmlicher  werden,  dafs  wir  nichts 
als  Ifflandiaden  oder,   was  noch  ärger,  Kotzebujaden  sehen  müssen,  dafs 
die  italienische   Oper,   Brizzi   und    Brochi   ausgenommen,   nicht  ein   gutes 
Subject   mehr   aufzuweisen    hat,    dafs    hingegen   Schikaneder   uns    Opern 
gibt,  die  Palmyra  zum  Beispiel,   wozu  Costüme  und  Decorationen    17000 
Gulden  kosteten,  dafs  er  drey  Capellmeister  engagirt  hat,  nämlich  Cheru- 
bini,  Abt  Vogler   und    Beethoven,    und   dafs   es   aii    Luxus   ihm   niemand 


Beurteilungon  uml  kiirzp  Anzeigen.  419 

gleich  thiit  —  dafür  glauben  viele  Menschen ,  dals  der  Spafs  nicht 
lange  dauern  wird,  welches  wirklich  schade  wäre,  tla,  wenn  diese  Bühne 
auch  nicht  das  ist,  was  zum  wahren  echten  Genufs  führt,  doch  man- 
ches artig  genug  gegeben  wird  und  manche  Schauspieler  rasch  und  ge- 
wandt ihre  Rolle  spielen.  Dabei  thnt  das  ganze  immer  den  Augen  wohl, 
das  Haus  ist  hübsch  und  freundlich,  und  was  sonst  zur  Illusion  beitragen 
kann,  wird  nicht  versäumt'  (Goethe -  Jahrbuch  XIV,  38  f.).  Ich  denke, 
neben  all  den  lobpreisenden  Wiener  Stimmen,  die  Komorzynski  anführt, 
ist  dieses  unbestocheue  Zeugnis  einer  Norddeutschen  aus  später  Zeit 
immer  noch  wichtig  genug.  Was  der  Verfasser  aus  der  Zeit  nach  1803 
zu  melden  hat,  ist  ja  nur  die  traurige  (teschichtc  eines  der  Geisteskrank- 
heit rettungslos  Verfallenen.  'Ein  grofses  Talent,  durch  notgedrungene 
Hingabe  an  das  unmittelbare  Leben  gleichsam  verbraucht  und  aufgerieben' 
—  das  milde  Verdikt  Varnhagens  macht  Komorzynski  (S.  7l>)  zu  seinem 
eigenen  Urteil. 

Die  Erörterung  der  Bühnendichtungen  baut  der  Verfasser  in  vier 
Stufen  auf:  die  Dramen  der  Wanderzeit  (1778 — 1789),  die  Wiener  Opern, 
dann  die  Volksmärchen  und  die  Lokalstücke.  Nur  ein  flüchtiger  Blick 
fällt,  mit  Recht,  auf  die  letzte  Produktion  (1807—1816).  Das  Hauptver- 
dienst des  litterarhistorischen  Teiles  der  Arbeit  habe  ich  eingangs  erwähnt: 
Komorzynski  weist  nach,  welch  wichtiger  Faktor  Schikaneder  für  die  Ent- 
wickelung  des  Wiener  Dramas  geworden  ist.  Sehr  hübsch  zeigt  er  ins- 
besondere, wie  seine  Opern  den  Werdegang  von  exotisther  Prunkoper  und 
Zauberoper  zur  Märchenoper  fortsetzen  (S.  105  ff.).  Allein  innerhalb  der 
vier  Rubriken  scheinen  mir  doch  die  Inhaltsangaben  der  einzelnen  Stücke 
etwas  äufserlich  aneinander  gereiht.  Da  wäre  energischeres  Zusammen- 
fassen gemeinsamer  Züge  wohl  am  Platze  gewesen.  Dann  kommt  jene 
Darlegung  der  vorschikanederschen  Dramatik  zwar  der  'Zauberflöte'  zu 
statten;  allein,  so  ausführlich  Komorzynski  sich  mit  ihr  beschäftigt,  weit 
über  Junk  im  einzelnen  hinauszuschreiten,  ist  ihm  nicht  möglich,  auch 
nicht  in  dem  Nachweis  der  relativen  Originalität  des  Librettos.  Ihm  und 
dem  Leser  wäre  sehr  dienlich  gewesen,  wenn  er  Junks  Resultate  knapp 
umschrieben  und  seine  eigenen  Zusätze  und  Einwände  deutlich  gekenn- 
zeichnet hätte.  Zwei  Analysen  von  Schikaueders  Libretto,  eine  von  1900, 
eine  von  lOn],  beide  :'>0  Grolsoktavseiten  lang,  das  ist  ein  bifschen  viel! 
Auch  Komorzynskis  Recension  von  .lunks  Büchlein  läfst  nicht  klar  er- 
kennen, was  ihm,  was  dem  Vorgänger  gehört.  Und  —  um  eins  hervor- 
zuheben 1  —  die  Angaben  der  Monographie  über  die  Nachwirkung  der 
'Zauberflöte'  hätten  Junk  und  (bei  dem  interessanten  Hinweis  auf  die 
Schikanederschen  Züge  von  f  Joethes  'Märchen')  Morris  wohl  nennen  dürfen. 
Merkwürdig,  dafs  Komorzynski  wie  Junk  Goethes  armen  belächelten  Herr- 
mann nicht  heranziehen,  der  von  Pamina  und  Tamino  nichts  weifs  und 
sich  fragen  lassen  mufs:  'Nicht  wahr,  mein  Freund,  !*>  kennt  nur  Adam 
und  Eva?'  Auch  'Pandora'  wäre  zu  nennen,  in  der  jüngst  Wilamowitz 
Züge  Schikanoders  fand  (Goethe- Jahrbuch  XIX,  9*);  endlich  wurden  vor 
einiger  Zeit  Übereinstimmungen  der  'Lila'  und  der  'Zauberflöte'  auf  eine 

27* 


420  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

gemeinsame  Quelle  gedeutet  (vgl.  Eugen  Reichel,  Frank.  Courier.  Nürn- 
berg, Nr.  48  vom  27.  Januar  1887).  Etwas  genauere  bibliographische  An- 
gaben wären  hier  (insb.  S.  138)  wie  sonst  wünschenswert.  Was  soll  bei 
Gelegenheit  Henslers'  (S.  107  Anm.)  das  Citat:  'Vgl.  Hauffen  in  der 
'Deutschen  Nat.-Litt.'?  Gemeint  ist:  Bd.  CXXXVIII  1,  S.  173  ff.  —  S.  135 
Anm.  1  heifst  es  vollends:  'Auch  Karoline  soll  gesagt  haben,  Goethe  setze 
den  Voltaire  in  Musik  wie  Mozart  den  Schikaneder;'  und  dazu  werden 
unsere  Jahresberichte  citiert.  War  es  so  schwer,  die  Stelle  (Caroline  ed. 
Waitz  II  73)  zu  finden? 

Den  Anhang  bilden :  ein  Verzeichnis  der  dem  Verfasser  bekannten 
Stücke  Schikaneders,  die  wichtigsten  von  den  populär  gewordenen  Liedern 
aus  seinen  Stücken,  Notizen  über  poetische  Verwertung  seiner  barocken 
Persönlichkeit.     Ein  auffallend  unvollständiges  Register  ist  beigegeben. 

Bern.  Oskar  F.  Walzel. 

Neue  Litteratur  zur  deutschen  Volkskunde, - 

Seit  unserem  letzten  Berichte  (Bd.  CVII,  S.  146  ff.)  sind  der  volks-- 
kundlichen  Einzelarbeiten  (die  Zeitschriften  sollen  später  gemustert  wer- 
den) nicht  allzuviel  erschienen,  was  aber  weniger  auf  einen  Stillstand  als 
auf  ruhige,  stetige  Fortarbeit  in  Verein  und  Studierstube  deutet;  solche 
stille  Zeit  fordert  wohl  zur  Einkehr,  zur  Rückschau  auf;   und  was  wäre 


'  Den  übrigens  S.  24,  Zeile  3  ein  Druckfehler  'Heusler'  taufte;  ein  anderer 
Druckfehler:  S.   95,  Zeile  6  v.  u.  lies  'Hofherr'  für  'Herzog'. 

^  a)  R.  Andre e,  Braunschweiger  Volkskunde.  2.  verm.  Auflage.  Brauu- 
schweig,  F.  Vieweg  u.  Sohn,  1901.  XVHI,  531  S.  gr.  8.  —  h)  Sebastian 
Grüner,  Über  die  ältesten  Sitten  und  Gebräuche  der  Egerländer.  1825  für 
J.  W.  von  Goethe  niedergeschrieben.  Herausgeg.  von  AI.  John.  (A.  u.  d.  T.: 
Beiträge  zur  deutsch-böhmischen  Volkskunde.  Im  Auftrage  der  Gesell- 
schaft zui"  Förderung  deutscher  Wissenschaft,  Kunst  und  Litteratur  in  Böhmen,  geleitet 
von  Prof.  Dr.  Ad.  Hauffen.  IV.  Band,  1.  Heft.)  Mit  8  farbigen  Bildertafeln.  Prag, 
J.  G.  Calve,  1901.  137  S.  8.  —  c)  Egerländer  Volkslieder,  herausgeg.  vom 
Verein  f.  Egerländer  Volkskunde.  2  Hefte.  Eger,  Ve.reinsverlag,  1898  u.  1901. 
58  u.  52  S.  —  d)  Ober  schefflenzer  Volkslieder  und  volkstümliche  Gesänge, 
gesammelt  von  Augusta  Bender.  Niederschrift  der  Weisen  von  Dr.  J.  Pommer. 
Karlsruhe,  G.  Pillmcyer,  1902.  XXXII,  312  S.  8.  —  e)  H.  Lohre,  Zur  Ge- 
schichte des  Volksliedes  im  18.  Jahrhundert.  Berliner  Dissertation.  Berlin,  Mayer 
u.  Müller,  1901.  40  S.  8.  —  f)  Julius  Sahr,  Das  deutsche  Volkslied.  (Samm- 
lung Göschen,  Nr.  25.)  Leipzig,  Göschen.  —  g)  J.  H.  Mackay,  Volkslieder. 
(A.  u.  d.  T.:  Freunde  und  Gefährten.  Meisterdichtungen  auf  einzelnen  Blättern. 
Herausgeber:  John  Henry  Mackay,  1.  Serie.)  Berlin,  Schuster  u.  Loeffler,  1901. 
100  Blatt.  —  h)  G.  Züricher,  Kinderlied  und  Kinderspiel  im  Kanton  Bern.  (A.  u. 
d.  T.:  Schriften  der  Schweizerischen  Gesellschaft  für  Volkskunde.  Publications  de 
la  Soci6t6  Suisse  des  Traditions  Populaires.  2.)  Zürich,  Verlag  der  Schweize- 
rischen Gesellschaft  für  Volkskunde  (Druck  von  Emil  Cotti's  Wwe.),  1902.  168  S. 
gr.  8.  —  i)  O.  Fromme],  Deutsche  Rätsel.  1.  Heft.  Leipzig,  Ed.  Avenarius. 
1902.  51  S.  kl.  8.  —  k)  J.  Jühling,  Die  Tiere  in  der  deutschen  Volksmedizin 
alter  und  neuer  Zeit.  Mit  einem  Anhange  von  Sagen  u.  s.  w.  Mit  einem  Geleit- 
worte von  Dr.  Höfler.  Mittweida,  Polytechn.  Buchhandlung.  355  S.  8.  M.  6. 
—  1)  II.  Mc-rkens.  Was  sich  das  Volk  erzählt.  Deutschei- Volkshumor.  3  Bände. 
(Bd.   1   und  2  in  2.  Aufl.)     Jena,  Costenoble.     280,  201  u.  272  S.  8. 


Bpurteilungnn  und  kurze  Anzeigen.  421 

natürlicher,  als  heut  des  heimgegangeuen  Altmeisterö  unserer  Wissenschaft 
zu  gedenken,  dessen  teurer  Name  unsere  letzte  Betrachtung  einleitete  und 
noch  lange  bei  allem,  was  wir  auf  diesem  Gebiete  arbeiten,  weihend  durch- 
klingen wird:  Karl  Weinhold  ist  am  15.  August  1001  verschieden;  so 
lange  seine  Kraft  noch  hinreichte,  hat  er  treu  gewirkt  in  seinem  Amt  und 
für  unsere  Wissenschaft.  Ihm  war  es  nicht  gegeben,  etwa  mit  der  hin- 
reifseuden  Rede  eines  Heinrich  v.  Treitschke  die  Gemüter  seiner  Zuhörer 
zu  entflammen,  und  da  es  seiner  vornehmen  Art  widerstrebte,  etwas  künst- 
lich hervorzubringen,  was  nicht  in  seiner  Natur  lag,  so  hat  er  der  Volks- 
kunde, die  ihm  doch  in  den  letzten  Jahren  vor  allem  am  Herzen  lag,  in 
Seminar  und  Kolleg  nicht  viel  Junger  gewonnen.  Wer  sich  ihm  aber 
mit  wirklicher  Begeisterung,  deren  Wesen  nicht  in  hohen  Worten,  sondern 
in  selbstloser  Hingabe  liegt,  so  recht  von  Herzen  anschlofs,  der  konnte 
bei  dem  vielseitig  gebildeten,  reich  erfahrenen,  trefflich  geschulten,  greisen 
Lehrer  mit  dem  feingeschnittenen,  silberlockigen  Gelehrten  köpf,  dem  leben- 
digen Auge  und  den  ausdrucksvollen,  oft  fein  ironischen  Zügen  unendlich 
viel  lernen,  vor  allem  strenge  Methode  und  wahre  Treue  im  kleinen,  die 
er  nicht,  wie  mancher  andere,  im  Munde,  sondern  im  Herzen  führte.  Er 
war  überhaupt  mit  dem  Herzen  bei  allem,  was  er  that,  vor  allem  bei 
seinem  Verein  und  bei  seiner  Zeitschrift;  Johannes  Bolte  hat  nun  ihre 
Leitung  übernommen,  und  wir  wünschen  ihm  und  der  Volkskunde  Glück 
dazu  —  aber  sie  wird  bei  uns  wohl  nie  anders  als  'Weiuholds  Zeitschrift' 
heifsen.  Der  allzeit  Getreue  hat  es  auch  mit  der  Redaktion  heilig  ernst 
genommen,  hat  gern  seine  eigenen  Beiträge,  die  oft  die  wertvollsten  waren, 
zurückgestellt,  um  ungeduldig  mahnende  Mitarbeiter  zu  befriedigen,  hat 
seinen  Helfern  oft  mit  seinen  reichen  Materialsammlungen,  ja  mit  seineu 
Büchern  beigestanden,  hat  mit  einem  wahren  Bienenfleifs  neu  erschienene 
Werke  durchgearbeitet  und  charakterisiert;  er  hat  auch  die  Vereinssitzungen 
umsichtig  und  in  vornehmem  Ton  geleitet  und  alle  Angelegenheiten  der 
Gesellschaft  im  Herzen  getragen,  wovon  nicht  alle  wissen.  So  war  er 
noch  in  den  letzten  Jahren  rührend  besorgt  um  die  kleine,  aber  sehr  wert- 
volle Vereinsbibliothek,  deren  Verwaltung  ich  seiner  Zeit  übernehmen 
durfte;  nie  werde  ich  es  vergessen,  wie  er  mir  gleich  zu  Anfang  eine  sehr 
beträchtliche  Geldsumme  aus  seiner  Kasse  zur  Verfügung  stellte,  die  ich 
alljährlich  auf  Neuanschaffungen  für  die  Büchersammlung  verwenden 
sollte:  Platzmangel  brachte  den  Plan  zum  Scheitern.  Er  hatte  die  schöne 
Gabe,  grofsherzige  Entschlüsse  in  ganz  einfacher,  scheinbar  natürlichen 
Weise  auszusprechen.  Scheinbar  nach  aufsen  kühl,  brachte  er  der  Jugend 
warme  Teilnahme  entgegen,  und  darum  wird  ihm  auch  die  Zukunft  unserer 
Wissenschaft  noch  unendlich  viel  verdanken  und,  wenn  auch  das  Andenken 
an  seine  reine,  edle  Persönlichkeit  erloschen  ist,  sein  Name  unter  denen 
unserer  Führer  verehrt  werden. 

Von  ihm  wurde  auch  bei  seinem  ersten  Erscheinen  ein  treffliches  Buch 
mit  unverhohlener  Freude  begrüfst,  das  uns  nun  zu  den  Lebenden  zurück- 
führen soll:  R.  Andrees  'Braunschweiger  Volkskunde',  die  jetzt  zum 
zweitenmal   ihren  Weg  antritt.     Sie  war  seiner  Zeit  die  erste  zusanmien- 


4Ü2  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

fassende  Behandlung  des  gesamten  Volkslebens  einer  deutschen  Landschaft 
nach  moderner  Methode  und  hat  sich  in  der  neuen  Bearbeitung  aut  der 
Höhe  erhalten;  die  prähistorischen  und  anthropologischen  Abschnitte  vor 
allem  sind  beträchtlich  erweitert,  das  mit  gröfster  Sorgfalt  hergestellte 
Illustrationsmaterial  um  die  Hälfte  vermehrt  worden.  Leider  findet  die 
Volksdichtung  wieder  nicht  ausreichende  Behandlung.  Wir  hätten  doch 
eine  Sammlung  und  Charakteristik  (etwa  in  W.  Hertz'  Art)  der  Braun- 
schweigischeu  Sagen  und  Märchen  erwartet;  manches  Derbe  mufste  auch 
einem  gröfseren  Leserkreise  zuhebe  fortfallen. 

Viel  früher  als  andere,  aber  nicht  mit  den  Hilfsmitteln  moderner 
Kritik  ausgerüstet,  hat  sich  der  Egerer  'Polizeirat'  Sebastian  Grüner 
daran  gemacht,  alles  zu  sammeln,  was  er  im  Anfange  des  19.  Jahrhunderts 
'über  die  ältesten  Sitten  und  Gebräuche  der  Egerländer'  in  Erfahrung 
bringen  konnte.  Es  sind  recht  umfängliche  und  wertvolle  Aufzeichnungen, 
die  der  alte  Grüner,  der  durch  seinen  Briefwechsel  mit  Goethe  schon  seit 
langer  Zeit  bekannt  ist,  in  mehreren  Handschriften  hinterlassen  hat.  Wir 
erfahren  mancherlei  über  alte  Egerländer  Rechtspflege  und  Bräuche,  über 
Baum-  und  Viehzucht,  wir  vernehmen  eine  stattliche  Anzahl  schöner 
Egerländischer  Volkslieder,  ja  wir  erhalten  von  der  Hand  eines  unbekannten 
Malers  ganz  ausgezeichnete,  farbenprächtige  Bilder  des  altegerischen  Hoch- 
zeitszuges, volkstümlicher  Tänze  und  Lustbarkeiten,  sowie  der  schmucken 
Landestracht.  Es  ist  ein  gar  nicht  genug  zu  rühmendes  Verdienst  des 
rührigen  Leiters  des  'Vereins  für  Egerländer  Volkskunde',  Dr.  Alois  John, 
dafs  er  diese  reichen  Schätze  gehoben  und  die  eigentlich  nur  für  ganz 
wenige  Leser,  vor  allem  für  Goethe  bestimmte  Schrift  durch  einen  nach 
den  Handschriften  hergestellten  Druck  zugänglich  gemacht,  die  wissen- 
schaftliche Bearbeitung  des  Materials  durch  Zufügung  von  Verweisungen 
und  Erklärungen  angebahnt  und  auch  für  eine  würdige  Wiedergabe  der 
alten  Farbentafeln  Sorge  getragen  hat.  Unter  Johns  Leitung  macht  auch 
die  Vereinszeitschrift  'T^nser  Egerland'  recht  gute  Fortschritte  und  rettet 
viel  wertvolles  Gut  vor  dem  Untergänge.  EndUch  sei  auch  die  reiche 
Sammlung  'Egerländer  Volkslieder'  erwähnt,  die  den  alten  Volks- 
gesang nicht  blofs  buchen,  sondern  auch,  im  Sinne  der  Pommerschen  Be- 
strebungen, neu  beleben  will.  Text  und  Melodie  sind  genau  nach  den 
Aufzeichnungen  wiedergegeben,  einige  vergleichende  Bemerkimgen,  mit 
Recht  spärlich  gehalten,  erleichtern  die  wissenschaftliche  Benutzung.  Auf- 
fallend ist  es,  wie  stark  im  Egerlande  die  mundartliche  neben  der  hoch- 
deutschen Volkspoesie  vertreten  ist. 

Mit  der  gleichen,  philologischen  Genauigkeit  ist  die  ebenfalls  praktischen 
Zwecken  dienende  Sammlung  A.  Benders:  'Oberschefflenzer  Volkslieder', 
gearbeitet;  bei  der  gegenwärtig  herrschenden  Verwirrung  über  die  Grenzen 
und  Grenzgebiete  von  Volks-  und  Kunstpoesie  ist  es  nicht  zu  verwun- 
dern, dafs  die  Verfasserin  'volkstümliche  Gesänge'  in  ihr  Büchlein  mit 
hineingearbeitet  hat.  Reiche  Beigaben,  wie  die  mit  Hilfe  Dr.  Pommers 
zusammengestellten  Nachweise  und  das  ganz  ausgezeichnete,  bei  allen  ähn- 
lichen Sammlungen  nachzuahmende  Inhaltsverzeichnis,^  das  die  Anfänge 


Bourtcilungon  und  kurze  Anzeigen.  128 

nicht  blofp  der  Lieder,  sondern  aller  einzelneu  Strophen  bringt,  erhöhen 
die  Brauchbarkeit  der  schönen,  dank  der  Beihilfe  des  Grofsherzogs  von 
Baden  auch  äufserlich  schmucken  Sammlung. 

An  wissenschaftlichen  Volksliederausgabeu  fehlt  es  also  nicht;  da- 
gegen stockt  die  eigentliche  Forschung.  Der  sehnlich  erwartete  zweite 
Band  der  moselländischcn  Sammlung  von  John  Meier  ist  immer  noch 
nicht  erschienen,  und  an  ihn  wird  doch  in  Zukunft  jede  Diskussion  an- 
knüpfen müssen.  Lohres  Dissertation  läfst  uns  von  seinem  Buche,  das 
in  der  'Palästra'  vollständig  erscheinen  soll,  viel  Gutes  hoffen. 

Rüstig  schreitet  zu  unserer  Freude  neben  der  wissenschaftlichen  Arbeit 
die  popularisierende  her.  Gilt  es  doch,  jene  grofsen  Kreise  der  'Gebildeten' 
zu  gewinnen,  die  auf  Volkskunst  und  Volksdichtung  oft  noch  mit  vor- 
nehmem Nasenrümpfen  herabsehen.  Ihnen  sind  Sahrs  hüb.-iche,  durch 
gutgewähltc  Proben  belebte  Darstellung  und  Mackays  mit  Sorgfalt  und 
feinem  Geschmack  hergestellte,  das  alte  Volksgut  liebevoll  schonende 
Blättersamnilung  gewidmet. 

Auch  der  volkstümlichen  Kleinpoesie  sind  zwei  wichtige  Ausgaben 
gewidmet:  Frl.  Züricher,  durch  Singer  angeregt,  hat  aus  dem  Munde 
der  Berner  Jugend  eine  stattliche  Menge  'Kinderlieder'  und  manches,  zu 
den  Kleinen  herabgesunkene  Volkslied  aufgezeichnet,  Frömmel  seinen 
früheren  Sammlungen  von  Kinderreimen  ein  reichhaltiges  Rätselheft  folgen 
lassen. 

Weniger  mit  der  eigentlichen  Volksdichtung  als  mit  Aberglaube  und 
lirauch  beschäftigt  sich  die  fleifsige  Arbeit  von  Jühling,  der  die  reich- 
haltigen, handschriftlichen  Sammlungen  der  Königl.  Bibliothek  in  Dresden 
durchforscht  hat.  Doch  hätte  er  sich  nicht  darauf  beschränken  sollen, 
von  gedruckten  Quellen  auch  nur  das  dort  Vorhandene  auszunutzen. 
Verkenstedts  'Zeitschrift  für  Volkskunde'  ist  z.  B.  gar  nicht,  vom  'Urquell' 
nur  die  'neue  Folge'  citiert.  Dennoch  wird  sich  kaum  noch  viel  Bedeu- 
tendes diesen  überreichen,  durch  den  jähen  Wechsel  zwischen  scheinbarem 
oder  wirklichem  Unsinn  und  guten,  erprobten  Hausmitteln  verwirrenden 
Zusammenstellungen  einfügen  lassen.  Leider  führt  Jühling  die  einzelnen 
Tiere,  deren  Körper  die  Heilmittel  entnommen  werden,  in  der  schlechtesten 
aller  möglichen  Reihenfolgen,  nach  dem  Alphabet  auf.  Auch  vermissen 
wir  Register,  die  uns  den  Weg  durch  dies  Labyrinth  bahnten,  vor  allem 
ein  Verzeichnis  der  Krankheiten,  für  die  an  den  verschiedensten  Stellen 
Heilmittel  genannt  sind.  Solche  Beigaben  werden  bei  einer  etwaigen 
Neuauflage  nicht  fehlen  dürfen,  die  wir  übrigens  dem  Buche  von  Herzen 
wünschen. 

Die  meisten  Veröffentlichungen,  von  denen  wir  heut  zu  reden  hatten, 
bezogen  sich  auf  das  Volkslied  und  verwandte  Gebiete;  möge  nun  bis  zu 
unserem  nächsten  Berichte  auch  das  Märchen  wieder  zu  seinem  Rechte 
kommen! 

Einstweilen  sei  hier  noch  die  ausgezeichnete,  ungemein  reichhaltige 
Sammlung  von  Merkens  erwähnt:  'Was  sich  das  Volk  erzählt',  d.  h. 
Schnurren   und  Anekdoten  von    urwüchsigem,  oft  derbem  Humor,  durch 


424  Beurteiluugen  und  kurze  Anzeigeu. 

und  durch  volkstümlich,  wie  sie  schon  im  Mittelalter  gäug  und  gäbe 
waren  und,  wovon  mancher  Litterarhistoriker  vielleicht  nichts  weifs,  noch 
heut  an  den  Biertischen  unserer  Kleinstädte  kräftig  fortleben,  wovon  auch 
das  Archiv  des  Vereins  für  bayerische  Volkskunde  zu  erzählen  weifs. 
Dieser  Litteraturzweig  ist  gewifs  nicht  der  wertvollste,  mit  dem  sich  die 
Volkskunde  zu  befassen  hat,  aber  gerade  weil  er  bisher  über  Gebühr  ver- 
nachlässigt wurde,  sei  hier  nachdrücklich  auf  Merkens  köstliches  Werkchen 
hingewiesen,  von  dem  soeben  der  dritte  Band  erschien. 

Würzburg.  Robert  Petsch. 

Englisches  Reallexikon  (mit  Ausschlufs  Amerikas).  Unter  Mit- 
wirkung von  Prof.  Dr.  K.  Böddeker,  Stettin  —  Prof.  Dr. 
F.  J.  Wershoven,  Tarnowitz  —  Oberlehrer  Dr.  Karl  Becker, 
Elberfeld  —  Oberlehrer  Dr.  Gustav  Krueger,  •  Berlin  — 
Oberlehrer  Johannes  Leitritz,  Stettin.  Herausgegeben  von 
Dr.  Clemens  Klöpper  in  Rostock.  Leipzig,  Rengersche  Buch- 
handlung (Gebhardt  &  Wilisch),  1897.     2  Bände.    M.  60. 

Das  vorliegende  Werk  hat  zwar  schon  von  anderen  Seiten  die  schärfste 
Verurteilung  erfahren,  und  da  dies  von  Anfang  an  auch  meine  Ansicht 
über  das  Reallexikon  war,  wäre  eine  ausführliche  Besprechung  eigentlich 
überflüssig.  Aber  ich  möchte  hier  auf  ein  paar  Eigenschaften  der  Publi- 
kation besonders  hinweisen,  die,  weil  sie  mir  leider  typisch  scheinen,  eine 
öffentliche  Besprechung  verdienen. 

Es  ist  von  einem  anderen  Recensenten  getadelt  worden,  dafs  der 
Raum  und  mit  ihm  der  Preis,  der  für  das  Lexikon  angesetzt  war,  um 
die  Hälfte  überschritten  wurde.  Dies  ist  zum  gröfsten  Teil  die  Schuld 
des  Herausgebers.  Die  Raum  Verschwendung  ist  eine  geradezu  un- 
geheuerliche. Verschiedene  Artikel  treten  in  zweierlei  Gestalt  —  offenbar 
von  verschiedenen  Mitarbeitern  herrührend  —  nebeneinander  auf,  ohne 
daJs  der  Redacteur  dies  bemerkt  zu  haben  scheint.  Solche  Doppelartikel, 
von  denen  der  eine  stets  einfach  zu  streichen  wäre,  sind  z.  B.  Waxworks 
und  Waxwork  Show;  Soutk-Sea  Company  und  South- Sea  Scheme;  Launfal 
und  Launfal,  Sir;  Honiüies  of  the  Church  of  England  und  Homilies,  The 
Book  of  u.  s.  w.  Andere  Einträge  weisen  eine  geradezu  lächerliche  Weit- 
schweifigkeit auf.  So  nimmt  unter  Oentlemen's  Shops  die  Aufzählung  der 
heutigen  Londoner  Schneiderfirmen  über  zwei  Spalten  in  Anspruch. 
Welche  Verschwendung  ist  es,  wenn  unter  Foreign  Words  'Proben  von 
Fremdwörtern'  —  übrigens  nicht  Fremdwörter  in  unserem  Sinne,  sondern 
ganze  Phrasen  in  fremder,  meist  lateinischer,  Sprache  —  wenn  diese 
'Proben'  über  28  Spalten  einnehmen.  Oder  was  soll  es  heifsen,  wenn 
unter  Traveller's  Handbooks  über  ein  Dutzend  Spalten  mit  der  gedanken- 
losen Aufzählung  von  Reisehandbüchern  ausgefüllt  wird,  die  noch  dazu 


'  Herr  Dr.    Krueger  hat,  weil  mit  den   Priucipien  des  Herausgebers  nicht  ein- 
verstanden, gpäter  seine  Mitwirkung  zurückgezogen. 


Renrtcilungeii  und  kurze  Anzeigen.  425 

alphal)etiscli  nacli  den  Nauien  der  Verfasser  oder  Verleger  angeordnet 
sind?  Eine  solche  sinnlose  Verteuerung  des  Buches  niufs  jetlen  empören, 
der  Sinn  für  ordentliche  litterarische  Arbeit  besitzt.  Und  dies  sind  nur 
ein  paar  herausgegriffene  Proben.  Die  Anzahl  iler  gänzlich  wertlosen, 
überflüssigen  und  ans  einem  englischen  Reallexilcon  glatt  herauszurstreichcn- 
den  Artikel  ist  Legion.  Typisch  ist  ein  Eintrag  wie  'Iloraces  of  England. 
Als  solche  werden  bezeichnet  ..."  'Poetanim  Saxoiiicum  Peritissimus.  So 
nennt  ein  alter  Chronist  König  Alfred.'  'Qrixel  oder  On'ssel.  Octavia,  die 
Gemahlin  des  Augu-stus,  wird  die  "patient  Grizel"  der  römischen  Geschichte 
genannt.'  Ein  sehr  schöner  Artikel  ist  der  folgende:  'Time-Honourcd  Lan- 
caster  (unter  T!).  Shakespeare  nennt  ihn  "time-honoured"  und  "old";  ge- 
ehrt war  er  jedenfalls,  doch  war  er  bei  seinem  Tode  erst  59  Jahre  alt.  — 
"Old"  steht  auch  in  der  Bedeutung:  vor  langer  Zeit,  in  alten,  längst  ver- 
gangenen Zeiten :  z.  B.  Old  Ilesiod.'  Diese  verblüffende  Erklärung  hat 
bisher  allerdings  noch  niemand  für  das  bekannte  Wort  Richards  IL  (Old 
Gaunt)  vorgebracht.  Was  hat  z.  B.  ein  Absatz  über  Liipercal  oder  Welling- 
tonia  in  unserem  Buche  zu  suchen?  Wozu  wird  hier  The  Unynentionables 
in  sieben  Zeilen  erklärt?  Was  soll  der  Artikel  ül^er  das  Verbum  lo  gel 
im  Reallexikon?  Dabei  erfährt  mau  häufig  die  Hauptsache  nicht.  Der 
folgende  Eintrag  ist  dafür  charakteristisch: 
'Tilg.  Ein  Name  unter  den  Studenten  zu  Eton.  Der  Ausdruck  kommt 
entweder  von  "tog",  dem  Kleide,  welches  Studenten  zum  Unterschiede 
V.  den  "Oppidans"  tragen,  od.  v.  "tough  mutton": 
"A  name  in  College  handed  down 
From  mutton  tough  or  ancient  gown." 

The  World,  February  17,  18ft3  (p.  31).' 
Was  hat  der  ganze  Absatz  für  einen  Sinn  ?  —  Zu  streichen  ist  z.  B.  auch 
der  Artikel  Herodias,  der  übrigens  auf  einer  Verwechselung  mit  Salome 
seitens  des  offenbar  nicht  bibelfesten  Verfassers  oder  Redacteurs  beruht. 
Was  für  ein  Reallexikon  am  nächsten  läge,  fehlt  in  den  weitläufigen 
Artikeln  sehr  häufig.  So  sucht  man  unter  Sir  vergeblich  die  Bedeutung 
des  Wortes  als  Titel.  Unter  Porridge  findet  man  nichts  über  dieses 
schottisch-englische  Nationalgericht,  sondern  da  wird  nur  die  'Redensart' 
every  thing  tasts  of  porridge  umschrieben  —  und  wie!  Ebenso  ist  z.  B. 
Rupee  Paper  erklärt,  was  eine  Rupee  ist,  sagt  uns  aber  niemand.  LTnter 
Tyrone  erfährt  man  nicht,  dafs  je  ein  Mann  diesen  Namen  getragen  hat. 
'Wallace,  The  Acts  And  Deeds  Of  Sir  William.  Eine  poetische  Chronik, 
geschrieben  um  das  J.  14G0  v.  dem  Minstrel  Blind  Harry,'  etc.  Aber  wer 
Wallace  ist,  kann  der  Leser  in  einem  anderen  Buche  suchen.  Bei  Venerahle 
steht  zwar,  dafs  the  venerable  Imitator  'ein  Titel  des  William  ol  Occam' 
sei,  aber  damit  ist  die  Weisheit  erschöpft.  Dafs  heute  wirklich  ein  solcher 
Titel  gebraucht  wird,  sagt  uns  das  'Reallexikon'  nicht. 

Am  meisten  beinahe  zu  tadeln  scheint  mir  der  Stil  der  Artikel.  I>ie 
Verfasser  sind  doch  Erzieher  der  Jugend,  Lehrer  au  Gymnasien  und  Real- 
schulen, die  ihren  Schülern  ein  ordentliches  Deutsch  beibringen  sollen. 
Aber  der  Stil  des  Buches  ist  grofsenteils  unter  dem  Niveau  eines  Tertianer- 


426  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

auf  Satzes.  Man  sage  mir  nicht,  dafs  der  Raum  zu  beschränkt  gewesen 
sei:  ich  habe  oben  schon  auf  die  unglaubliche  Eaum Verschwendung  im 
grofsen  hingewiesen,  dasselbe  ist  aber  fast  in  jedem  Einzelartikel  der  Fall, 
CS  wimmelt  von  absolut  nichtssagenden,  raumfressenden  Worten  und 
Phrasen.  Ein  grofser  Teil  der  Stilsünden  gehört  natürlich  in  das  Gebiet 
des  schlechten,  weil  zu  bequem-wörtlichen,  Übersetzers.  Oft  war  es  dem 
Verfasser  zu  umständlich,  alles  zu  übersetzen,  und  er  liefs  einfach  ein 
paar  Wörter,  einen  halben  oder  einen  ganzen  Satz  unübersetzt:  denn  einen 
anderen  Grund  kann  ich  für  das  Kauderwelsch,  das  einem  hier  geboten 
wird,  nicht  einsehen.  Vgl.  unter  Whitehall  ...  'In  der  grofsen  Gallerie 
empfieng  Ellisabeth  den  Speaker  and  (sie!)  das  Common  House,  when  they 
came  "to  move  her  grace  to  marriage".  . . .  Guy  Fawkes  v/urde  hier  in 
des  Königs  bedchamber  examiniert'  u.  s.  ö.  Was  soll  das  Folgende  heifseu 
(s.  V.  Music  Halls):  'In  der  Castle  Tavern  in  Paternoster  Row  waren  be- 
ständig second-rate  singers  der  Oper  beschäftigt  aus  den  besten  Instru- 
mentalisten  der  Stadt'?  Oder:  'St.  James' s  Square  (s.  v.)  befindet  sich 
wie  die  meisten  im  Westend  von  London  . . .'  Unter  Waxworks :  'Es  ist 
ein  Irrtum  zu  glauben,  dafs  erst  Madame  Tussaud'  die  Wachsfiguren  u.- 
-Bilder  erfunden  habe;  vielmehr  rühren  sie  v.  den  Römern.'  Unter 
Popinjay:  'Der  Papagei  war  mit  teilweise  gefärbten  Federn  ausst? "^fiert, 
so  dafs  er  einem  Papagei  glich.'  Die  vielen  englischen  Citate  scheinen 
dem  Verfasser  aber  manchmal  zu  schwierig  für  den  Leser,  und  so  fügt 
er  in  wenig  geschmackvoller  Weise  die  Übersetzung  der  seltensten  Vokabehi 
hinzu.  So  wird  unter  Painting  hinter  discipline  (Schule),  hinter  dissever 
(trennen),  unter  Policeman  hinter  fixed  points  (feste  Punkte),  unter  Rat, 
the  öat  . . .  etc.  hinter  boar  (Eber)  eingeschaltet.  Wäre  es  da  nicht  besser 
gewesen,  nur  das  Deutsche  zu  bieten?  Abscheulich  ist  die  Art,  wie  viele 
Wörter  abgekürzt  werden,  eine  Sparsamkeit,  die  an  anderer  Stelle  sehr 
angebracht  gewesen  wäre.  Beispiele  finden  sich  in  den  angeführten  Citaten 
genug.  Eine  solche  Vernachlässigung  der  äufsereu  Form  bedeutet  eine 
grofse  Rücksichtslosigkeit  gegen  den  Leser. 

Was  einem  an  Thatsächlichem  geboten  wird,  ist  im  allgemeinen  sehr 
unzuverlässig.  Zwar  wird  man  jedes  Winkelblättchen  angeführt  finden, 
denn  es  ist  ein  englisches  Zeitungsverzeichnis  ganz  aufgenommen  worden, 
desgleichen  alle  Arten  von  Kinderspielen  —  auch  hier  scheint  dem  Ver- 
fasser eine  gedruckte  Materialsammlung  vorgelegen  zu  haben  — ;  aber  die 
Kulturzustände,  das,  was  von  Geschichte  und  Litteratur  in  ein  Reallexikon 
gehört,  und  vieles,  was  nicht  hineingehört,  ist  durchaus  nicht  mit  der 
kritischen  Sorgfalt  dargestellt,  die  man  erwarten  sollte.  Sehr  oft  findet 
man  in  einem  unserer  deutschen  Konversationslexika  besseren  und  zuver- 
lässigeren Bescheid  als  in  diesem  Buche.  Es  ist  traurig,  dafs  den  Herren, 
ilie  doch  alle  auf  deutschen  Universitäten  studiert  haben,  die  alten  Dia- 
lekte ganz  fremd  geworden  zu  sein  scheinen.    Es  wird  fast  nur  noch  von 

' '  Mit  diesen  Worten,    die    l'ür   deutsche   Leser    nicht    berechnet    sein    können, 
beginnt  der  Artikel. 


Beurteilungen  uml  kurze  Auzeigen.  -l'JT 

'sächBischer'  Sprache  und  Kultur  gesprochen,  wo  man  angelsächeisohe 
meint;  in  den  paar  altenglischcn  Wörtern,  die  angeführt  werden,  finden 
sich  böse  Fehler,  ja  einmal  geht  ein  solcher  Lexikograph  sogar  so  weit, 
von  'dem  normannischen  Glückwunsrh  "Was  hsel",  d.  h.  "Bleibe  gesund", 
od.  "To  your  health'"  zu  sprichen.  Das  ist  die  stärkste  Leistung  bei 
einem  'Neuphilologen'!  Diesem  Standpunkt  entspricht  os,  wenn  Housel 
(s.  V.)  als  'Häuschen',  Tabernakel,  erklärt  wird,  wenn  man  puss  für  Hase 
von  lepus  ableitet,  wenn  sich  Einträge  finden  wie  der  unter  Siirnames: 
'Griffith  ist  -  GreatFaith;  Alfred  bedeutet  all  peace  ...  Das  Präfix  O', 
wie  in  O'Brien,  halten  einige  für  eine  Kontraktion  v.  of  . . .  Solche  Lokal- 
namen sind  auch  zuweilen  verstümmelt;  so  bedeutet  field  ley;  daher  die 
Namen  Lee,  Lea,  Leigh,  Leeson,  Leighton  etc.,  sowie  diejenigen  mit  der 
Kndung  ley,  wie  Bromley,  Bromleigh,  Cranley,  Tapley  u.  a.,  auf  field  zu- 
rückzuführen sind.'  Unter  Lent  heilst  es:  'Der  angelsächsische  Name  für 
den  März-ÄIonat  war  Lenet-monad  =:  length  month,  weil  die  Tage  im 
März  schnell  zunehmen.'  Lollards  wird  sinnig  erklaxt:  'Das  Wort  ist 
wahrscheinlich  v.  deutschen  "lollen",  "sanft,  lei.se  singen",  abgeleitet,  so 
dafs  der  Beiname  Walters  nur  sagen  würde,  dafs  er  umherzog  u.  seine 
Ideen  durch  Gesänge  sanft  reformatorischen,  Mifsbräuche  milde  tadelnden 
Charakters  zu  verbreiten  suchte.'  Normannen  und  Angelsachsen  scheinen 
auch  im  Artikel  Oonfanon  vermengt:  'So  hiefs  das  geheiligte  Banner  der 
Normannen  .  . .  Als  Harold  im  Auge  verwundet  war,  wurde  er  zum  Fufse 
dieser  heiligen  Fahne  getragen;  die  Engländer  sammelten  sich  wieder  um 
ihn,  aber  sein  Tod  verlieh  den  Angreifern  den  Sieg.'  Einen  nicht  sehr 
modernen  Standpunkt  bezeichnet  es  auch,  wenn  unter  Minstrel  die  Barden 
als  Sänger  der  alten  Germanen  aufgefafst  werden.  Unter  Moralities  and 
Mysteriös  werden  zwei  Mysteriencykleu  als  'kürzlich  veröffentlicht'  ange- 
führt: die  Yorkspiele  sind  für  den  Verfasser  noch  nicht  entdeckt.  Die 
Litteraturkenntnis  mufs  man  öfters  anzweifeln:  so  erscheint  unter  Pmdar 
der  —  "Pin dar  of  Wakefield"  (George-a-Green).  Die  'Miracle  Plays  dji- 
tieren  aus  dem  12.  Jahrh.  und  waren  mehrere  100  Jahre  die  einzige  Form 
des  Dramas'.  Der  Autor  traut  sich  aber  auch  selbst  nicht  viel  zu,  wenn 
er  für  das  folgende  Urteil  eine  fremde  Autorität  eitleren  mufs :  'Das  Para- 
dise  Regained  (s.  v.)  ...  enthält,  wie  Massen  sagt,  expressly  and  exclu- 
sively  the  Temptation  of  Christ  by  thc  Devil  in  the  Wilderness,  after  his 
Baptism  by  John.'  Ich  könnte  noch  eine  Menge  von  zum  Teil  amüsanten, 
zum  Teil  aber  auch  traurigen  Details  anführen,  um  mein  absprechendes 
Urteil  über  das  Lexikon  zu  begründen,  aber  das  Angeführte  genfigt  wohl. 
Nur  noch  auf  den  Artikel  Poctry  möchte  ich  den  hinweisen,  der  sich  ein 
paar  heitere  Minuten  bereiten  will.  Am  schlimmsten  kommt  Gower  weg, 
'dessen  "Confessio  Amantis"  eine  Aneinanderreihung  manigfacher 
Dummheiten  ist  und  dessen  allgemeiner  lehrhafter  Ton  ihm  von  Chaucer 
den  Beinamen  "des  Moralischen"  eingetragen  haben  soll'.  Ich  will  nicht 
boshaft  sein.  — 

Sollte  das   Reallexikon   eine  zweite  Auflage  erleben,    was    bei   einem 
derartigen  Liefern ugs werk  trotz  der  schlechten  Qualität  nicht  ausgeschlosseu 


428  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

ist,  80  wünsche  ich  ihm  zunächst  einen  anderen  Redacteur.  Dieser  hätte 
vor  allem  kräftig  zu  streichen:  denn  ich  glaube  nicht  zu  viel  zu  sagen, 
wenn  ich  behaupte,  zwei  Drittel  sind  unnützer  Ballast.  Sodann  wünsche 
ich  ihm,  dafs  die  Mitarbeiter  langsam,  solid  und  gewissenhaft  prüfend  ihr 
Material  sammeln:  es  ist  noch  vieles  dazu  zu  sammeln,  aber  man  darf 
nicht  einfach  ein  englisches  Konversationslexikon  hernehmen  und  das 
schlecht  übersetzen.  Endlich  hoffe  ich,  dafs  dann  auch  die  äufsere  Form, 
der  Stil,  etwas  geniefsbarer  werde  und  die  vielen  unverständlichen  Artikel 
verschwinden.  Wenn  diese  Bedingungen  erfüllt  werden,  kann  das  Buch 
.sehr  nützlich  werden;  so  aber,  wie  es  jetzt  ist,  kann  ich  mich  nur  den 
Stimmen  anschliefsen,  die  darin  eine  kolossale  Blamage  für  die  Reformer 
unter  den  Neuphilologen  sehen.  Ich  schäme  mich  vor  den  Engländern, 
dafs  auf  dem  Titel  die  Namen  von  deutschen  Professoren  und  Oberlehrern 
stehen. 

Jena.  Wolfgang  Keller. 

Morgan  Callaway:  The  appositive  participle  in  Anglo-Saxon. 
Reprinted  from  the  publications  of  the  Modern  language 
association   of  America,   vol.  XVI,   no.  2.     Baltimore  1901. 

Callaway  beginnt  naturgemäls  mit  einer  Definition  des  Begriffes:  ap- 
positives  Participium.  Er  gewinnt  diese  Definition  zunächst  aus  einer 
Gesamteinteilung  der  Participien,  in  der  sich  das  app.  Ptc.  den  abhängigen, 
nicht-prädikativischen  Participien  unterordnet.  Ein  Ptc.  ist  nicht-prä- 
dikativisch, wenn  es  nicht  durch  das  Hilfsmittel  eines  Verbums  mit 
seinem  Subjekt  verbunden  ist;  es  ist  ap positiv,  'wenn  der  Zusammen- 
hang zwischen  dem  Participium  und  seinem  Hauptworte  ein  so  loser  ist, 
dafs  beide  zwei  voneinander  unabhängige  Begriffe  darzustellen  scheinen', 
z.  B.  Luk.  1 ,  74 :  tlcBt  ice  butan  ege  of  ura  feonda  handa  alysede  kirn  deo- 
ician  =  ut  sine  timore,  de  manu  . . .  liberati,  serviamus  Uli.  Das  app.  Ptc. 
entspricht  sowohl  Relativ-,  als  auch  Adverbialsätzen.  Es  er- 
scheint bei  weitem  am  häufigsten  im  Nominativ,  und  zwar  unflek- 
tiert. Die  vorkommenden  flektierten  Formen  gehören  fast  ausnahmslos 
der  starken  Flexion  an.  Seiner  Stellung  nach  folgt  es  in  der  Regel 
dem  regierenden  Hauptworte. 

Das  erste  Kapitel,  das  umfangreichste  des  Buches,  enthält  die  Beleg- 
sammlung für  das  Vorkommen  des  app.  Ptc.  im  Ags.,  im  ganzen  3010 
Fälle  des  app.  Ptc.  Praes.  und  Perf.  Das  Material  ist  mit  ausreichender 
Vollständigkeit  der  gesamten  ae.  Litteratur,  Prosa  und  Dichtung  ent- 
nommen. Nicht  berücksichtigt  sind  die  Glossen,  einige  selten  gewordene 
Drucke  von  geringerem  Umfange,  eine  Anzahl  von  Texten,  die  in  ver- 
schiedenen Zeitschriften  veröffentlicht  wurden,  schliefslich  einige  Werke 
von  gröl'serem  Umfange,  die  erschienen,  als  Callaways  Studie  bereits  im 
Drucke  war,  so  Skeats  Ausgabe  von  .^Ifric's  Lives  of  saints,  vol.  IV, 
und  die  Dialoge  Gregors.  Ich  halte  es  jedoch  für  unwahrscheinlich, 
dafs  durch  die  Ausbeutung  dieser  Werke  Callaways   Ergebnisse  wesent- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  420 

liehe  Einschränkungen  erfahren  haben  würden.  I>a.s  Material  selbst 
ist,  von  der  Gruppe  der  'Minor  poems'  abgesehen,  annähernd  chrono- 
logisch geordnet.  Ein  noch  schärferes  Eingehen  auf  die  zeitlichen  Unter- 
schiede wäre  wünschenswert  und  sicher  nicht  resultatlos  gewesen.  Um 
so  sorgfältiger  klassifiziert  und  rubriziert  Callawav  bei  der  Untersuchung 
der  einzelneu  Werke  selbst.  Die  Partiripien  ohne  und  mit  Objekt  werden 
gesondert,  die  lat.  Entsprechungen  berücksichtigt  und  zur  Beleuchtung 
von  Flexion,  Casus,  Numerus  und  Genus  auseinander  gehalten,  jedesmal 
unter  Angabe  der  Anzahl  sämtlicher  Fälle.  Am  Schlüsse  des  Kapitels 
wird  sein  Gesamtinhalt  zahlengemäls  iu  einer  synoptischen  Tabelle  zur 
Anschauung  gebracht. 

Auf  Grund  dieser  wohlgeordneten  und  -gegliederten  Sammlung  wird  im 
zweiten  Kapitel  ein  dreifacher  Gelirauch  des  app.  Ptc.  im  Ags.  unterschieden: 
1)  das  app.  Ptc.  entspricht  einem  abhängigen  adjektivischen  (relativen) 
Satze  und  bezeichnet  eine  Handlung  oder  einen  Zustand;  2)  es  entspricht 
einem  abhängigen  adverbialen  Satze  (modal,  temporal,  causal,  final, 
konzessiv  und  konditional);  ^)  es  entspricht  einem  im  wesentlichen  un- 
abhängigen Satze.  Diesen  Gebrauch  nennt  Callaway  Mm  Interesse  der 
Einfachheit'  den  koordinierten  und  weist  ihm  eine  doppelte  Funktion 
an:  a)  einen  begleitenden  Nebenumstand  zu  bezeichnen  (circumstantial) 
oder  b)  den  Gedanken  des  Hauptverbs  zu  wiederholen  (iterating).  Negativ 
ausgedrückt  fafst  Callaway  in  der  Klasse  der  koordinierten  oder  unab- 
hängigen Participien  alle  diejenigen  app.  Ptc.  zusammen,  die  weder  einem 
adjektivischen  noch  einem  adverbialen  Nebensatze  entsprechen.  Genügende 
und  klare  Belege  für  jede  Art  des  Gebrauchs  sind  unter  den  betreffenden 
Überschriften  gegeben.  Für  jeden  einzelnen  Fall  wird  festgestellt,  wie  oft 
das  betreffende  Ptc.  überhaupt,  wie  oft  in  der  Prosa  und  in  der  Poesie,  als 
Praesens  oder  als  Perfectuni,  mit  oder  ohne  Objekt,  vorkommt.  Synojjtische 
Tabellen  fassen  auch  hier  die  Ergebnisse  durchaus  übersichtlich  zusammen. 

Nachdem  auf  diese  Weise  die  app.  Ptc.  statistisch  nach  den  Arten 
ihres  Gebrauchs  eingeteilt  und  ausführlich  definiert  sind,  wird  im  dritten 
Kapitel  die  Frage  nach  dem  Ursprung  des  app.  Ptc.  im  Ags.  auf- 
geworfen. Ist  der  appositive  Gebrauch  des  Ptc.  in  England  heimisch, 
oder  ist  er  dem  Lateinischen  entlehnt?  Die  Untersuchung  wird  für  jede 
einzelne  Gebrauchsart  des  app.  Ptc.  ausgeführt,  und  es  stellt  sich  heraus, 
dafs  an  der  allgemein,  auch  von  Callaway  früher  geteilten  Ansicht,  das 
app.  Ptc,  sei  schlechthin  eine  Entlehnung  aus  dem  Lateinischen,  nicht 
durchweg  festgehalten  werden  kann.  Vielmehr  ist  dem  Ags.  das  app.  Ptc. 
als  heimisches  oder  doch  sehr  frülizeitig  naturalisiertes  Idiom  zuzuweisen, 
wenn  es  a)  bereits  im  Früh-Ws.,  b)  in  der  mehr  originalen  spät-ws.  Prosa 
(Chronik,  Gesetze,  Wulfstan)  und  in  der  Poesie  erscheint,  und  wenn  es 
c)  in  einer  gröfseren  Anzahl  von  Belegstellen  nicht  einem  app.  Ptc.  des 
lat.  Originals  entspricht.  Dies  trifft  zu  a)  für  den  adjektivischen  Gebrauch 
des  Ptc.  Prjiet.  und  einiger  Ptc.  Pries,  mit  leicht  verbaler  Funktion,  wie 
living,  lying  etc.,  b)  für  das  modale  Ptc.  Präs.  und  Pra't.  zur  Bezeichnung 
der  Art  und  Weise,  c)  für  einige  wenige  temporale  Ptc.  Prses.  mit  leicht 


430  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

verbaler  Kraft,  wie  being,  living,  sleepmg.  In  allen  übrigen  Fällen  liegt 
eine  fremde,  dem  Lateinischen  entlehnte  Konstruktion  vor.  Callaway 
kommt  zu  dem  Schlüsse,  dafs  das  Ags.  dem  app.  Ptc.  mit  ausgesprochen 
adjektivischer  (beschreibender)  Fiinktion  günstig  war,  dagegen  ungünstig 
dem  app.  Ptc.  mit  streng  verbaler  (assertiver)  Funktion.  Die  Verbindung 
des  app.  Ptc.  Prses.  mit  einem  direkten  Objekt  ist  immer  lateinischer  Her- 
kunft, dagegen  kann  das  Ptc.  Prjet.  ursprünglich  sehr  wohl  ein  Objekt 
bei  sich  gehabt  haben,  wenn  auch  niemals  ein  direktes  Objekt  im  Accu- 
sativ.  Die  dem  Kapitel  angefügten  Tabellen  veranschaulichen  die  latei- 
nischen Entsprechungen  der  ags.  app.  Ptc.  in  den  verschiedenen  Arten 
ihres  Gebrauchs. 

Welche  Möglichkeiten  das  Ags.  hatte,  durch  andere  als  durch  Parti- 
cipialkonstruktionen  das  lat.  app.  Ptc.  wiederzugeben,  gelangt  im  vierten 
Kapitel  zur  Darstellung,  ein  feiner  Detailbeitrag  zur  ags.  Übersetzungs- 
technik,  dem  recht  bald  gröfsere  Studien  dieser  Art  folgen  mögen.  Die 
Bemerkungen  Callaways  auf  S.  322  sollten  anregend  wirken.  Für  den 
Angelsachsen  war  Übersetzung  mit  Auslegung  gleichbedeutend.  Aus- 
legungen aber  enthalten  unfehlbar  Fingerzeige,  die  zur  Klärung  der  Per-' 
sönlichkeit  des  Interpreten  ausgenutzt  werden  sollten.  Ich  entsinne  mich 
nicht,  dafs  dies  auch  nur  für  König  Alfred  mit  einiger  Vollständigkeit 
geschehen  wäre.  Callaway  konnte  dergleichen  Fragen  nur  vorübergehend 
berühren.  Dals  er  es  nicht  versäumt  hat,  wenn  sich  ihm  die  Gelegenheit 
dazu  bot,  spricht  für  seinen  vielfach  interessierten  Blick. 

Ein  summarischer  Vergleich  mit  den  anderen  germ.  Sprachen  (Kap.  V) 
zeigt,  dafs  sie  in  der  Behandlung  des  app.  Ptc.  in  allen  wesentlichen 
Punkten  mit  dem  Ags.  übereinstimmen,  allerdings  mit  individuellen  Unter- 
schieden, die  sich  aus  der  mehr  oder  minder  engen  Anlehnung  der  Über- 
setzungen an  die  lateinischen  oder  griechischen  Originale  erklären. 

Callaway  schliefst  mit  einer  kurzen  Behandlung  des  app.  Ptc.  als 
stilistischen  Ausdrucksmittels  (Kap.  VI)  und  fafst  im  siebenten  Kapitel  die 
Resultate  seiner  Arbeit  kurz  und  übersichtlich  zusammen ;  es  folgen  einige 
Zusätze  und  Verbesserungen  (S.  353 — 54)  und  ein  Verzeichnis  der  ver- 
werteten und  citierten  Bücher  und  Schriften  (S.  355 — 60). 

Die  scharf  durchdachte,  weitblickende  und  geschmackvoll  geschrie- 
bene Studie  bringt  Klarheit  in  vielfach  erörterte  Fragen.  Die  Ergebnisse 
im  ganzen  stehen  fest.  Demgegenüber  fällt  wenig  ins  Gewicht,  was  an 
Einzelheiten  fraglich  geblieben  ist.  Where  classificatioti  is  so  largely  a  matter 
of  suhjectivity,   there  rrmst  be  much  room  for  difference  of  opinion  (S.  274). 

Berlin.  Hans  Hecht. 

Kate  Oelzner- Petersen,  The  sourees  o£  the  Parsou's  tale  [auch 
u.  d.  T.:  Radcliffe  College  monographs  no.  12].  Bostou  (U.S.  A.), 
Ginu  &  Co.,  The  Athenaeum  press,  1901.     81  S.     75  ceut. 

Eine  bahnbrechende  Leistung!  Wer  zur  Aufhellung  der  Quellen  von 
(Jhaucers  Parson's  tale  beiträgt,   wird  sich   um  die  gesamte  Chaucer-For- 


Beiirtei laugen  iin»l  kurze  Anzeigen.  131 

schung  verdient  machen.  Haireu  doch  noch  ininier  eiuc  Anzahl  schwie- 
riger Probleme  der  Lösung,  die  mit  der  Erzählung  des  Pfarrers  in  den 
Canterbury  Tales  in  engster  Beziehung  stehen,  und  die  nur  dann  in  er- 
folgreicher und  endgültiger  Weise  gelöst  werden  können,  wenn  die  Klar- 
legung der  Quollen  der  P.  T.  wenigstens  eine  annähernd  genaue  Scheidung 
von  Originalem  und  Entlehntem  ermöglicht.  So  hat  also  die  Auffindung 
von  Chaucers  Vorlagen  in  diesem  Falle  nicht  nur  einen  Wert  an  sich, 
sie  giebt  uns  nicht  nur  wertvollen  Aufschlufs  über  die  quelientechnische 
Seite,  über  die  Art,  wie  der  Dichter  sich  einem  dogmatischen  Thema 
gegenüberstellte,  sie  läfst  uns  nicht  nur  das  Verhältnis  des  Pfarrers  zu 
seiner  Erzählung  und  Chaucers  Individualisierungstalent  in  neuem  Lichte 
sehen  und  verhilft  uns  zu  einer  gesicherten  Beurteilung  der  sogenannten 
retractatio,  sie  greift  weit  über  den  Rahmen  der  Canterbury  Tales,  ja  der 
dichterischen  Thätigkeit  Chaucers  überhaupt  hinaus  und  führt  uns  an  die 
Schwelle  von  des  Dichters  religiöser  Überzeugung.  Denn  es  ist  klar,  dals 
nur  mit  Hilfe  der  Kenntnis  von  Chaucers  Vorlagen  zur  Parson's  Tale 
ein  endgültiges  Urteil  über  Echtheit  oder  Unechtheit  der  ganzen  Erzäh- 
lung oder  einzelner  Teile  von  ihr  gefällt  werden  kann.  Und  davon  hängt 
bekanntlich  die  Ent.scheidung  der  Frage  ab,  ob  wir  Chaucer  mit  seinen 
Grundanschauungen  auf  die  Seite  der  Katholiken  oder,  wie  mit  religiösem 
Fanatismus  und  kritischem  Eifer  behauptet  worden  ist,  auf  die  der 
Wicliffiten  stellen  sollen. 

Trotzdem  wurde  die  Erzählung  des  Pfarrers  erst  verhältnismäfsig 
spät  als  Argument  in  dieser  Frage  verwandt  (E.  G.  Sandras  weist  in 
seiner  Ettide  sur  O.  Chaucer,  Paris  1859,  S.  1()8  wohl  zuerst  auf  den 
Widerspruch  zwischen  dem  orthodoxen  Inhalt  der  P.  T.  und  dem  von 
englischen  Gelehrten  zum  Wicliffiten  gestempelten  Pfarrer  hin),  ja  das 
Schwergewicht  ward  eigentlich  erst  durch  H.  Simons  Untersuchung 
{Chaucer  a  Wiclifßie,  erschienen  als  Programm  der  höheren  Bürgerschule 
zu  Schmalkalden  und  in  den  Essais  on  Chaucer  Nr.  9,  Publikationen  der 
Chaucer-Society  187G)  auf  die  Erzählung  des  Pfarrers  gelegt.  Simon  suchte 
den  Pfarrer  der  Canterbury  Tales  und  Chaucer  selbst  als  Wicliffiten  zu 
erweisen  und  erklärte  die  nach  seiner  Meinung  ursprünglich  wicliffitische 
Parson's  Tale  für  durchsetzt  mit  katholisch-orthodoxen  Elementen,  eine 
Interpolation,  die  nach  Chaucers  Tode  wahrscheinlich  von  eiueni  Mönch 
des  Klosters  St.  Mary's  in  Westminster,  wo  der  Dichter  in  der  letzten 
Zeit  lebte,  vorgenommen  sein  sollte. 

Um  dieser  Hypothese  gerecht  zu  werden,  beilurfte  es  der  Erfüllung 
mancher  Voraussetzungen,  darunter  vor  allem  der  Auffindung  von  Chaucers 
Vorlagen  zur  P.  T.  Einen  bis  vor  kurzem  merkwürdigerweise  in  seinen 
Resultaten  der  Quellenuntersuchung  fa.st  allgemein  als  vollkommen  ge- 
lungen anerkannten  Anfang  machte  W.  Eilers  im  Jahre  1882:  'Die  Er- 
xählung  des  Pfarrers  in  Chaucers  Catitcrbury- Geschichten  und  die  Somme 
de  rtces  et  de  reiiiis  des  Frere  Lorens'  (Erlanger  Diss.,  auch  in  den  Ver- 
öffentlichuugrn  der  Chaucer-Society  1881  erschienen),  lulers  suchte,  eint-r 
Anregung   von    .Morris   (Chaucer-Ausgabe  I  "Jöl)   folgend,    in   einem   ge- 


482  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

nauen  Vergleich  dies  französische  Werk  als  direkte  Quelle  der  in  der 
P.  T.  erhaltenen  Darstellung  der  sieben  Todsünden  zu  erweisen  und  die 
Ansicht  Simons,  wenn  auch  in  etwas  modifizierter  Form,  zu  stützen.  (Vgl. 
John  Kochs  kritische  Besprechung  Anglia  V  130  ff.)  Koch  äufserte 
schon  erhebliche  Zweifel,  aber  sonst  erntete  Eilers  Beifall  und  Zustim- 
mung, was  man  nicht  recht  versteht,  denn  die  beiden  Fassungen  wichen 
in  vielen  und  wichtigen  Punkten  doch  sehr  voneinander  ab.  —  Eilers  hat 
erst  in  neuerer  Zeit  Nachfolger  gehabt.  Mark  H.  Liddell,  der  schon 
1896  in  einigen  an  die  Academy  gerichteten  Briefen  (30.  Mai  S.  447  und 
20.  Juni  S.  509)  auf  gewisse  Ähnlichkeiten  zwischen  dem  Sündentraktat 
der  P.  T.  und  Ms.  Bodl.  90  (einer  französischen  Hs.)  hingewiesen  hatte, 
veröffentlichte  in  der  Furnivall-Festschrift  {An  Etiglish  Miscellany,  Oxford 
1901)  S.  255 — 277  einen  wertvollen  Aufsatz:  'A  new  source  of  the  Parson's 
Tale',  der  insofern  zu  der  Arbeit  von  Eilers  eine  vorzügliche  Ergänzung 
bot,  als  er  in  Ms.  Bodl.  928  (Ende  des  14.  Jahrhunderts,  betitelt  The 
Clensyng  of  mannes  sowie)  eine  Quelle  zur  Bufspredigt  der  P.  T.  bot.  Es 
ist  zwar  aus  mehrerlei  Gründen  unwahrscheinlich,  darin  die  direkte 
Quelle  zu  sehen,  doch  steht  sie  dieser  nicht  fem,  wie  oft  geradezu  frap- 
pierende wörtliche  Übereinstimmungen  lehren ;  man  vergleiche  z.  B.  a.  a.  0- 
S.  208  die  letzten  neun  Zeilen  mit  J  311—313,  S,  272  ff.  etc. 

Die  vorliegende  Arbeit  von  Miss  Kate  Oelzner-Petersen  knüpft 
nun  an  den  Faden  von  Eilers  und  Liddell  an.  Allerdings  hat  auch  sie 
noch  nicht,  wie  nach  dem  Titel  vielleicht  zu  erwarten  wäre,  die  direkten 
Quellen  der  P.  T.  entdeckt,  sondern  vorerst  nur  diejenigen,  auf  welche 
Chaucers  Fassung  im  letzten  Grunde  zurückgeht,  aber  wir  können  schon 
damit  sehr  zufrieden  sein.  Diese  Quellen  sind :  für  die  Bufspredigt  Sancti 
Rayinundi  de  Pennafort  Summa,  und  zwar  Titulus  XXXIV  des  dritten 
Buches,  betitelt  De  poenitentiis  et  remissionibus  (geschrieben  vor  1243), 
für  den  Sündentraktat  Quilielmus  Peraldus,  Sujnma  seu  tractatus  de  viciis 
(geschrieben  vor  1261).  Das  genannte  Werk  von  Raymund  von  Penna- 
forte,  der  1238  General  des  Dominikanerordens  wurde  und  als  Beichtvater 
des  Papstes  eine  hervorragende  Rolle  spielte,  war  im  13.  und  14.  Jahr- 
hunderts neben  seinen  Decretalia  Gregors  IX.  ein  vielgelesenes  und  viel- 
gebrauchtes Buch  in  England.  Die  Beziehungen  zwischen  Raymund  und 
England  werden  durch  Thatsachen  erläutert.  F.  S.  Stevenson  berichtet 
in  seinem  Buche  über  den  Bischof  Grosseteste  (S.  174),  dafs  diese  beiden 
Geistlichen  in  eifrigem  Briefwechsel  miteinander  standen,  und  Anspielungen 
bei  Richard  Rolle  of  Hampole  (V.  3940—47)  und  Nicolas  Trivet  (bekannt- 
lich der  Quelle  von  Chaucers  Man  of  Lawes  Tale)  Annales  S.  227  weisen 
auf  die  Bekanntschaft  mit  Raymunds  Werk  hin.  —  Guilielmus  Peraldus 
war  ein  Zeitgenosse  Raymunds  und  des  Frfere  Lorens  und,  wie  diese, 
Mitglied  des  Dominikanerordens. 

In  der  richtigen  Erkenntnis,  dafs  nur  eine  fortlaufende  Gegenüber- 
stellung ein  klares  Bild  des  Verhältnisses  der  verschiedenen  Fassungen 
bieten  kann,  hat  die  Verfasserin  die  entsprechenden  Teile  der  P.  T.  und 
der  Quellen  nebeneinander  in  extenso  abgedruckt   und   eine  grofse  Zahl 


Beurteilungen  uml  kurze  Anzeigen.  433 

nützlicher  Verweise  auf  Eilers'  und  Liddells  Quellenuntensnchungen  in 
Anmerkungen  beigefügt.  Wenn  wir  von  den  Abweichungen  im  einzelnen 
absehen,  entsprechen  .T  75 — 320  sowie  J  958 — 1075,  also  die  den  Rahmen 
der  P.  T.  bildenden  Teile,  d.  h.  die  Bufspredigt  einschliefslich  des  in  den 
Traktaten  dieser  Art  und  bei  Chaucer  vorhandenen  Abschnittes  über  die 
circumstaunces  of  synne  J  OöO — 981,  auffallend  genau  dem  genannten  Ab- 
schnitt in  Raymunds  Werk  (in  der  Ausgabe  Verona  1744  S.  415 — 458); 
.T  387 — 987  der  eigentliche  Sündentraktat,  allerdings  in  kondensierter 
Form,  der  Summa  des  Peraldus  (älteste  Ausgaben  Typis  M.  Wenssler 
[1470—75?]  und  Basilee  1197).  Ohne  Entsprechung  in  den  Vorlagen 
bleiben  also 

1)  die  beiden  Schlufsabschnitte  J  107G— 1092  'what  ü  the  fruit  of 
penatmce,  ein  Abschnitt,  der  ganz  chaucerisch  klingt,  und  die  retractatio, 
deren  Echtheit  ich  an  anderer  Stelle  mit  neuen  Kriterien  vertreten  werde; 

2)  die  von  der  Bufspredigt  zum  Sündentraktat  überleitenden  Abschnitte 
über  Sünde  im  allgemeinen  (Ursprung  und  Einteilung)  J  321 — 386.  Für 
diese  Abschnitte  lassen  sich  zwar  im  einzelnen  einige  wichtige  Überein- 
stimmungen mit  Raymund  (und  anderen  ähnlichen  Werken)  feststellen, 
«loch  stehen  sie  hier   in  keinem  rechten  Zusammenhang   wie  in  der  P.  T. 

Miss  Petersen  nimmt  nun,  obgleich  sie  sich  S.  84  nicht  ganz  einigen 
Argumenten  der  gegenteiligen  Ansicht  verschliefsen  kann,  S.  80  an,  dafs 
Chaucer  eine  Vorlage  benutzte,  in  der  Bufspredigt  und  Sündentraktat  schon 
zu  einem  Ganzen  verarbeitet  waren,  und  in  der  sich  auch  diese  Abschnitte 
in  ähnlicher  Form  wiederfanden.  Ich  glaube  dagegen  mit  Koeppel,  wenn 
auch  aus  etwas  modifizierten  Gründen  (worüber  an  anderer  Stelle),  dal's 
der  Sündentraktat  früher  geschrieben  ist  als  die  Bufspredigt  und  von 
Chaucer  später  in  die  P.  T.  eingefügt  ist,  und  zwar,  wie  sich  jetzt  sagen 
läfst,  an  einer  Stelle,  wo  der  Dichter  einen  Hinweis  auf  den  Unterschied 
zwischen  tödlichen  und  verzeihlichen  Sünden  fand,  nach  J  320  (vgl.  z.  B. 
in  Raymunds  Fassung  Petersen  S.  18  'Si  autem  quaeras,  quae  peccata 
sint  mortalia  et  qtiae  renialia  . . .'). 

Die  Übereinstimmungen  der  von  Miss  Petersen  gefundenen  Quellen 
mit  der  P.  T.  sind  für  die  Bufspredigt  sehr  genaue,  vielfach  wörtliche, 
für  den  Sündentraktat  weniger  genau,  obgleich  sich  auch  hier  fast  das 
gesamte  Material  sowie  zahlroiihe  wörtliche  Anklänge  finden.  Jedenfalls 
kommt  die  Verfasserin  schon  mit  Uiren  jetzigen  Funden  der  Fassung 
Chaucers  viel  näher  als  die  vorher  bekannten.  Dies  tritt  der  Eilersschen 
Quellenuntersuchung  (zum  Sündentraktat)  gegenüber  noch  viel  mehr  her- 
vor als  der  Ijiddells  für  die  Bufspredigt,  und  zwar  vor  allen  Dingen  in 
einem  äufserlichen,  für  die  Entlehnungsfrage  aber  höchst  bedeutenden 
Momente,  in  der  Anordnung  des  Materials.  Bei  Chaucer  folgt  auf  jede 
Sünde  unmittelbar  das  entsprechende  remedium,  so  auf  die  superbia  die 
humilita^,  auf  die  imndia  die  misericordia  u.  s.  w.  Diese  Anordnung 
stimmt  mit  der  des  Peraldus,  nicht  aber  mit  der  des  Fröre  Lorens  iiberein, 
was  die  Annahme  von  Miss  Petersen,  in  Peraldus  die  letzte  Quelle  für 
den  Sundeutraktat  zu  sehen,  zur  Gewifsheit  erhebt.   Betreffs  der  Uberein- 

Aruhiv  f.  n.  Sprachen.    CVIU.  28 


434  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Stimmungen  im  einzelnen  mufs  ich  auf  das  Buch  selbst  verweisen,  da 
kleine  Auszüge  nicht  genügen,  grofse  zu  viel  Raum  beanspruchen  dürften. 

Die  Verfasserin  beschränkt  sich  im  wesentlichen  auf  den  Parallel- 
abdruck der  verschiedenen  Versionen,  ohne  eigentlich  irgend  welche  Folge- 
rungen aus  dem  Vergleich  zu  ziehen.  Und  doch  läfst  sich  jetzt  auf  Grund 
ihrer  Untersuchung  mit  Hilfe  neuer  quellentechnischer  Kriterien,  die  ich 
demnächst  an  anderer  Stelle  im  einzelnen  vorführen  werde,  die  Einheit 
und  Echtheit  der  ganzen  P,  T.  erweisen,  auch  die  Echtheit  der  retractatio 
mit  einer  an  Gewifsheit  streifenden  Wahrscheinlichkeit  behaupten.  Das 
bedeutet  den  Fall  der  seiner  Zeit  mit  grofsem  Scharfsinn  aufgestellten 
Interpolationenhypothese,  sowohl  in  ihrer  ursprünglichen  Form  von  Simon 
wie  in  der  modifizierten  von  Eilers,  das  bedeutet  ferner  eine  endgültige 
Abkehr  von  der  selbst  durch  eine  Autorität  wie  ten  Brink  gestutzten 
Anschauung,  dafs  'sich  in  der  Erzählung  des  Pfarrers  deutlich  zwei  Hände 
unterscheiden  lassen,  deren  Arbeit  schlecht  zueinander  pafst'. 

Weiter,  wenn  wir  uns  vergegenwärtigen,  dafs  durch  das  lateranische 
Konzil  von  1215 — 16,  das  als  ökumenisch  gilt,  die  Ohrenbeichte  obliga- 
torisch gemacht  war  (worauf  IVIiss  Petersen  schon  mit  Recht  hinweist); 
dais  Raymunds  Traktat  eine  der  ersten  Anweisungen  zur  Beichte  nach 
Erlafs  dieser  Verordnung  war  und  sich  so  das  Ansehen  eines  bedeutenden 
Mannes  mit  der  Wirkung  eines  Kirchendekrets  verband,  werden  wir  die 
Thatsache  richtig  würdigen  können,  dafs  Chaucer  ein  solches  Werk  seinem 
Pfarrer  in  den  Mund  legte  und  damit  als  gläubiger,  wenn  auch  sonst  in 
manchen  Punkten  frei  denkender,  Katholik  seinem  grofsen  Werke  einen 
bedeutungsvollen  Abschlufs  gab. 

Es  erweist  sich  also  Miss  Petersens  Fund  von  folgenreicher  Bedeu- 
tung. Die  Verfasserin  ist  jetzt  damit  beschäftigt,  auf  dem  Wege  einer 
systematischen  Erforschung  der  Handschriftenschätze  des  British  Museum 
die  Zwischenstufen  bis  auf  Chaucer  und  dessen  unmittelbare  Vorlagen 
zu  finden.  Letzteres  ist  deshalb  mit  grofsen  Schwierigkeiten  verknüpft, 
weil  die  Werke  dieser  Art  (eine  vorläufige  Liste  giebt  die  Verfasserin  auf 
S.  80  Anm.  1)  wohl  ausnahmlos  mehr  oder  weniger  miteinander  verwandt 
sind  und  deshalb  oft  auch  in  der  wörtlichen  Fassung  mancher  Stellen 
übereinstimmen.  Äliss  Petersen  geht  hier  anerkennenswerterweise  sehr 
vorsichtig  vor.  Ich  neige  im  Gegensatz  zu  Koeppel  (der  aber  etwas 
schwankt)  mit  Hertzberg  und  Koch,  welch  letzterer  besonders  schwer- 
wiegende Gründe  dafür  beigebracht  hat,  der  Ansicht  zu,  dafs  wir  wenig- 
stens für  den  Sündentraktat  ein  lateinisches  Original  als  direkte  Vorlage 
anzunehmen  haben.  Für  die  Bufspredigt  dürfte  eine  Fassung  in  Betracht 
kommen,  die  sich  —  ganz  allgemein  ausgedrückt  —  als  eine  Kreuzung 
von  Raymund  und  Jacopo  Passavantis  'Lo  specchio  della  vera  Penitenzia' 
mit  einem  Einschlag  der  durch  Ms.  Bodl.  923  vertretenen  Gruppe  dar- 
stellt. Denn  es  ist  bemerkenswert,  dafs  sich  in  Ms.  Bodl.  928,  was  Liddell 
ganz  übersehen  hat,  eine  Parallele  findet  zum  Prolog  des  Pfarrers  J  55, 
eine  Stelle,  aus  der  Simon  für  seine  Ansicht  von  Chaucers  religiöser  Über- 
zeugung Kapital  geschlagen  hat.     Sie  lautet: 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  435 

But  nathehss,  this  mcditacioun 
I  putte  it  ay  under  correecioun 
Of  Clerkes,  for  I  am  nat  textnel ;   etc. 

Auf  fol.  10a  von  Ms.  Bodl.  023  heifst  es:  Euermore  I  submytte  nie  to  cor- 
reccion  of  Clerkes  aproued  and  ofier  holij  lüiers. 

Es  ist  nicht  unwalirsclieinlich,  dafs  (."haucer  in  seiner  Vorlage  zur 
Bufspredigt  eine  derartige  Bemerkung  fand  und  sie  in  gleicher  oder  ähn- 
licher Fassung  an  geeigneter  Stelle  verwandte.  Jedenfalls  verlieren  — 
nebenbei  bemerkt  —  diese  Verse  ihre  Beweiskraft  betreffs  einer  Ausdeu- 
tung im  wicliffitischen  Sinne.  Denn  das  Citat  aus  Ms.  Bodl.  923  lehrt, 
dafs  auch  ül)erzeugte  Katholiken  —  und  der  Verfasser  dieses  Traktats 
war  ein  solcher  —  sich  der  Belehrung  in  dogmatischen  Dingen  zugänglich 
erklären  konnten. 

Weitere  Anhaltsi)uukte  über  die  Art  von  Chaucers  direkten  Vorlagen 
hat  Miss  Petersen  zum  Teil  im  Anschlufs  an  frühere  Forschungen  auf 
S.  80  f.  zusammengestellt.  Mag  es  der  Verfasserin,  was  sehr  zu  hoffen 
ist,  gelingen,  diese  Quellen  zu  finden  oder  nicht,  jedenfalls  hat  sie  sich 
schon  jetzt  ein  bleibendes  Verdienst  um  die  Chaucer-Forschung  erworben, 
indem  sie  uns  zu  einer  sicheren  Auffassung  der  wichtigsten  an  Chaucers 
Erzählung  des  Pfarrers  sich  knüpfenden  Fragen  verholfen  hat. 

Berlin.  Heinrich   Spies. 

Frederic  William  Maitland,  English  law  and  the  Renaissance 
(The  Rede  lecture  for  1901)  with  some  notes.  Cambridge, 
Univ.  press,  1901.     98  S.  kl.  8. 

Englands  erster  Rechtshistoriker  schaut  die  Probleme  seines  Fachs 
von  weltgeschichtlicher  Warte:  ein  in  Britannien  seltenes  Beherrschen 
dreier  festländischer  Litteraturen  und  eine  dort  beispiellose  Kenntnis  von 
deutscher  und  französischer  Rechtsgeschichte  ermöglichen  diesem  philo- 
sophischen Kopfe  den  Vergleich  verwandter  Erscheinungen  in  der  Kultur 
mehrerer  Nationen ;  imd  dessen  Ergebnis  erklärt  dann  die  geistige  Ent- 
wickelung  nicht  blofs  in  seiner  Heimat.  Auch  diese  kurze  Vorlesung, 
voll  anregender  Gedanken  in  lebhafter,  oft  humoristischer  Form,  der  hier 
dreimal  so  lange  Belege  aus  weiter  Gelehrsamkeit  folgen,  geht  keineswegs 
blois  die  Jurisprudenz,  sondern  allgemein  Englands  Geistesgeschichte  im 
lö.  Jahrhundert  an.  —  Das  Fortleben  des  franco-normanuischen  Rechts, 
das  heute  England  von  allen  Nationen  unterscheidet,  ward  damals  ernst- 
haft vom  Römischen  Rechte  bedroht,  das  in  Deutschland  fast  völlig,  in 
Frankreich  und  Schottland  teilweise  durchdrang.  Wie  England  damals 
geheiligte  und  uralte  Lehren  in  Religion  und  Wissenschaft  abthat,  so 
lauschte  es  auch  dem  Hohn  der  Humanisten  gegen  die  Scholastik,  ver- 
bannte Duns  Scotus  aus  Oxford  und  strebte  zum  klassischen  Altertum 
zurück.  Kardinal  Pole  empfahl  der  Rcgieriuii;-,  statt  dos  nationalen  Rechts 
das  Römische  einzuführen,  in  lateinischer  oder  englischer  Sprache  statt 
des  verderbten  Juristenfranzösisch.     Heinrich  A^III.   liofs   an   beiden  Uni- 

28* 


436  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

versitäten  Römisches  Recht  lehren.  Sein  neues  Gnadenweg-Gericht  ver- 
fuhr summarisch  nach  Civilrecht.  Diplomatie,  höhere  Verwaltung,  die 
Gerichte  der  Kanzlei,  Kirche  und  Admiralität  beschäftigten  Romanisten. 
Die  Tudor-Absolutie,  dem  Kaisertum  von  Byzanz  innerlich  nahe,  fand  an 
diesen  Juristen  moderner  Schulung  fähigere  Helfer  gegen  den  Papst  als 
an  den  konservativen  Gelehrten  des  Common  law,  die  länger  papistisch 
blieben.  Dennoch  halst  Janssen  der  Reformation  mit  Unrecht  die  Auf- 
nahme des  heidnischen  Rechts  auf:  Romanist  und  Reformer  ist  nicht  ein- 
fach identisch.  Freilich,  Thomas  Smith,  der  Cambridger  Professor  Rö- 
mischen Rechts  (über  dessen  Werke  hier  mancher  litterargeschichtliche 
Wink  steht),  war  Protestant;  aber  sein  Oxforder  Kollege  Story  endete 
1571  als  katholischer  Märtyrer.  Ebenso  focht  für  Englisches  Recht  erst 
John  Wiclif,  dann  1536  die  erzkatholische  Gnaden  wallfahrt.  —  Dem 
Common  law  schadete  die  veraltete  französische  Sprache,  die  Schwerfällig- 
keit gegenüber  Reformen,  der  Mangel  systematischer  Kodifikation,  zu  der 
der  Deutsche  Bucer  Edward  VI.  riet,  und  das  Aufhören  der  seit  Edward  I. 
bestehenden  Prozefsprotokolle  in  den  Gerichts-Jahrbüchern  (1535).  Alte 
Einrichtungen  höchsten  Wertes  waren  durch  Tyrannei  so  mifsbraucht, 
dafs  Polydor  Vergil  die  Jury  als  Ungerechtigkeit  der  Normannen  herab- 
zog. Die  Common  law -Gerichte  waren  1547  fast  unbeschäftigt,  überholt 
von  der  Civiljustiz.  —  Was  hinderte  dennoch  in  England  den  Sieg  des 
Römerrechts?  Schwerlich  der 'Volksgeist'  (jener  Lückenbüfser  beim  Mangel 
an  Erklärung):  halsten  doch  auch  Deutschlands  Bauern  1525  den  Doctor 
iuris.  Vielleicht  teilweise  der  Stärkungstrank,  den  bereits  zu  Bractons  Zeit 
das  Common  law  aus  Azos  Romanismus  genossen  hatte.  Hauptsächlich 
aber  die  England  eigentümliche  Rechtsschule  an  den  Gerichtsinnungen; 
sie  lehrte,  vertiefte  und  festigte  das  nationale  Recht,  während  die  Uni- 
versitäten, trotz  Wiclifs  Warnung,  bis  zu  Blackstone  (1758)  nur  Römisches 
und  kanonisches  Recht  lehrten.  Dank  dieser  Schule  druckte  das  16.  Jahr- 
hundert die  Rechtsbücher  des  Mittelalters,  fufste  Coke  auf  Littleton,  und 
focht  das  17.  Jahrhundert  für  die  Freiheit  mit  geistigen  Waffen  der  Lan- 
castrischen  Verfassung.  Zuletzt  mahnt  Verfasser,  da  der  Rechtszwiespalt 
zwischen  England  und  den  Kolonien  die  Reichseinheit  bedrohe,  die  eng- 
lische Rechtswissenschaft  solle  nach  Deutschlands  Muster  endlich  die 
Kodifikation  vorbereiten. 

Berlin.  F.  Liebermann. 

C.  Klöpper,  Shakespeare -Realien.  Alt-Englands  Kulturleben  im 
Spiegel  von  Shakespeares  'Dichtungen.  Dresden,  G.  Küht- 
mann,  1901.     182  S.     M.  4. 

Früher  sagte  man  'Altertümer',  jetzt  heilst  es  'Realien'.  Entbindet 
uns  das  neue  Wort  von  der  Pflicht,  alte  gute  Bücher  zu  nützen?  In 
N.  Drakes  'Shakespeare  and  his  times'  1817  steht  unvergleichlich  mehr 
als  in  diesem  'ersten  Versuch,  eine  systematische  Darstellung  der  gesamten 
Shakespeare  -  Realien  zu   bringen'   (Vorwort,  2.  Satz).     Ein   billiger  Neu- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  437 

druck  von  Drake  wäre  für  Privatstudiuni  und  Schule  nützlicher  gewesen. 
Was  bei  Klöpper  fehlt,  sind  in  erster  Linie  ganze  und  sehr  wichtige  Ge- 
biete von  Shakespeares  Umgebung:  politische  und  religiöse  Parteien,  Sol- 
datenleben, Freigeisterei  u.  dgl.  Über  Theater-  und  Schulleben  handeln 
je  neun  dürftige  Seiten,  dagegen  zwanzig  über  die  Wirtshäuser.  Ferner 
ist  die  Anordnung  bei  Klöpper  oft  sehr  seltsam.  Wo  Shakespeares  Aulse- 
rungen  über  die  verschiedenen  Gesellschaftsklassen  angeführt  werden, 
bilden  die  Philosophen  einen  eigenen  Stand,  und  zwar  zwischen  den  Apo- 
thekern und  den  Pagen.  Die  Juden,  nach  Klöpper  'die  verächtlichsten 
Geschöpfe'  für  die  öffentliche  Meinung  der  Shakespeare-Zeit,  haben  ihren 
Platz  zwischen  den  Pagen  und  den  Gärtnern  erhalten ;  den  damaligen 
Verhältnissen  entsprechender  wäre  es  gewesen,  sie  unter  eine  Rubrik 
'Volksaberglauben'  oder  'exotische  Fabelwesen'  zu  stellen.  In  dem  Ka- 
pitel über  Sitten,  Gebräuche  und  Trachten  erscheint  auch  der  Patriotis- 
mus; die  'Trachten'  gehen  unmittelbar  vorher,  das  'Geldwesen'  folgt;  ge- 
sagt wird  uns,  dafs  Shakespeare  ein  eingefleischter  Engländer  und  ein 
Verächter  anderer  Völker  war  —  sonst  nichts.  Hat  er,  was  Engländer 
betrifft,  nicht  gerade  die  höchsten,  die  Hofkreise  scharf  angefafst?  War 
ihm  der  Kelte  nicht  lieb,  der  Italiener  nicht  romantisch,  der  Römer  nicht 
grofs,  der  Grieche  nicht  interessant?  Mulste  zur  Erklärung  seines  Tadels 
über  deutsche  Völlerei  nicht  auf  den  Londoner  Stahlhof  verwiesen  wer- 
den ?  Iliemit  komme  ich  zum  dritten  Punkte,  den  ich  misse :  Kritik. 
Welches  Gewicht  hat  ein  in  einem  Drama  ausgesprochenes  Urteil,  wenn 
nicht  Charakter  und  Stimmung  des  Sprechers  in  Anschlag  gebracht  wer- 
den? 'Die  Philosophen,'  belehrt  uns  Koppel  S.  IG,  'werden  bei  Shake- 
speare spöttisch  behandelt  und  als  unpraktische  Theoretiker  bezeichnet', 
was  durch  drei  Citate  aus  Lustspielen  belegt  wird.  Wie  anders  betrachtet 
aber  Shakespeare  die  Philosophie  seines  tragischen  Helden  Brutus,  und 
wie  respektvoll  lälst  er  Hektor  von  Aristoteles  (!)  reden,  dessen  moral 
philosophy  zu  hören  so  grüne  Bursche  wie  Paris  und  Troilus  gar  nicht 
wert  wären.  Besser  kein  Erklärungsbuch  als  ein  so  irreführendes,  nament- 
lich für  die  Schule,  für  die  das  Beste  gerade  gut  genug  ist. 

Berlin.  A.  Brand  1. 

Theodor  Zeiger,  Beiträge  zur  Geschichte  des  Einflusses  der 
neueren  deutschen  Litteratur  auf  die  englische.  Leipziger 
Dissertation  1901.     71  S. 

Für  das  Jahr  1900  hatte  die  Leipziger  philosophische  Fakultät  als 
Preisaufgabe  gestellt,  den  EinfluTs  der  deutschen  Litteratur  auf  die  eng- 
lische am  Ende  des  18.  und  im  ersten  Drittel  des  10.  Jahrhunderts  zu 
untersuchen.  Zeiger  hat  sich  damit  begnügt,  nur  einen  Teil  dieses  Themas 
zu  behandeln  und  eine  lobende  Erwähnung  dafür  erhalten,  die  seine  sorg- 
fältige Arbeit  auch  durchaus  verdient. 

Im  einleitenden  Abschnitt  giebt  der  Verfasser  einen  Überblick  über 
das  alhnähhche  Eindringen  der  deutschen  Litteratur  in  England  und  weifs 


/|38  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

selbst  auf  diesem  häufiger  behandelten  Gebiete  mancherlei  Neues  bei- 
zubringen. So  hebt  er  mit  Recht  die  starke  Wirkung  hervor,  die  von 
Wielands  Oberon  ausging;  dieser  wurde  übrigens  längere  Zeit  sogar  Goethe 
vorgezogen,  auch  wurden  Wielands  Werke  mit  Eifer  übersetzt  und  ge- 
lesen. Dann  wird  hier  zum  erstenmal  ausführlicher  auf  die  Wirksamkeit 
des  Schotten  R.  P.  Gillies  (1788 — 1858)  hingewiesen,  der  sich  unter  dem 
Einflüsse  von  De  Quincey  zu  einem  Hauptvermittler  der  deutschen  Litte- 
ratur  entwickelte.  Ihm  verdankt  man  die  Übersetzung  von  Müllners 
'Schuld'  und  Grillparzers  'Ahnfrau'  (beide  1819),  wie  er  auch  in  Black- 
wood's  Magazine  für  das  Bekanntwerden  deutscher  Dichtungen  thätig  war 
(seine  'Horae  Germanicae'  erschienen  dort  1819  bis  1827).  1821  reiste  er 
nach  Deutschland,  wo  er  mit  Tieck,  Müllner  und  Goethe  in  persönliche 
Beziehungen  trat.  Nach  seiner  Rückkehr  gab  er  drei  Bände  'German 
stories',  Übersetzungen  aus  den  Werken  Hoffmanns,  Fouqu^s,  der  Karo- 
line Pichler  u.  a.,  heraus  und  begründete  die  'Foreign  quarterly  review', 
in  welcher  der  Besprechung  deutscher  Werke  ein  breiter  Raum  ge- 
widmet war.  Neben  GiUies  wird  noch  Sarah  Austin  genannt,  die  zuerst 
von  William  Taylor  angeregt  und  von  Carlyle  sehr  hoch  geschätzt 
wurde.  Aus  ihren  'Characteristics  of  Goethe'  (from  the  German  of  Falk, 
Müller  and  others,  1833)  konnten  ihre  Landsleute  zum  erstenmal  eine 
richtige  Vorstellung  von  dem  Wesen  des  gröfsten  Dichters  ihrer  Zeit  ge- 
winnen. 

Im  Hauptteil  seiner  Schrift  untersucht  Zeiger  die  Werke  von  vier 
Dichtern  —  es  sind  Campbell,  Wordsworth,  Southey  und  Shelley  —  auf 
ihre  Abhängigkeit  von  deutschen  Vorbildern.  Ihnen  allen  ist  gemeinsam, 
dafs  das  deutsche  Element  nur  zeitweise  und  gelegentlich  für-  ihr  Dichten 
und  Denken  Bedeutung  erlangt,  nicht  etwa,  wie  bei  Taylor  und  Coleridge, 
für  ihre  ganze  Geistesrichtung  bestimmend  wird.  Was  Campbell  an- 
geht, so  ist  von  einem  Einflufs  der  deutschen  Litteratur  auf  ihn  nur  sehr 
wenig  zu  bemerken.  Ein  paar  Spuren  davon  verzeichnet  Zeiger,  andere 
werde  ich  später  anzuführen  haben.  —  Bei  Wordsworth  ist  schon  eine 
stärkere  Einwirkung  zu  verspüren.  Sein  Jugenddrama  'The  Borderers'  ist 
in  hohem  Mafse  von  Schillers  'Räubern'  abhängig;  durch  den  'WaUen- 
stein'  wurde  er  zu  einigen  seiner  schönsten  Gedichte  angeregt;  in  anderem 
erinnert  manches  an  Bürger,  dessen  Werke  auch  ihm  wohlbekannt  waren.  — 
Southey  führt  nach  deutschem  Muster  eine  neue  poetische  Gattung,  die 
Ekloge,  ein,  will  nach  deutschem  Vorbild  den  Hexameter  in  England  ein- 
bürgern und  giebt  einen  Musenalmanach  heraus,  wie  Schiller  und  Vofs 
in  Deutschland.  Für  sein  Jugenddrama  'Wat  Tyler'  ist  Goethes  Götz 
von  bestimmendem  Einflufs,  während  er  für  sein  Epos  'Thalaba  the  De- 
stroyer'  einige  Motive  dem  Oberon  entnommen  hat.  —  Shelley  hat  im 
Gegensatz  zu  den  Genannten  schon  in  seiner  Jugend  an  deutscher  Dich- 
tung, zunächst  an  den  Schauerromanen,  Interesse  genommen.  Die  Ge- 
stalt des  ewigen  Juden,  die  ihm  in  Schubarts  Fragment  entgegentrat,  hat 
ihn  immer  wieder  angezogen.  Schillers  und  Bürgers  Dichtungen  machten 
einen    tiefen  Eindruck   auf  ihn.     Vor  allem   aber   ist   seine  Übersetzung 


Beiirteilmigeii  iiiul  kurze  Auzeigcu.  489 

eiuzelner  Scenen  aus  dem  Faust  zu  neuueu,  bei  der  freilich  auch  seine 
etwas  mangelhafte  Kenntnis  des  Deutscheu  hervortritt. 

Einige  wenige  Einwendungen  und  Ergänzungen  hätte  ich  hier  noch 
zu  machon.  Man  darf  den  Eiuflufs  der  Frau  von  Staül  (S.  14 1,  so  be- 
deutsam er  ist,  nicht  überschätzen.  Wichtiger  ist  meines  Erachtens,  was 
noch  gar  nicht  genügend  hervorgehoben  zu  sein  scheint,  das  gleichzeitige 
Aufhören  der  Kontinentalsperre,  wodurch  erst  wieder  ein  Import  deutscher 
Waren  und  deutscher  Bücher  in  England  möglich  wurde.  Die  politische 
Interessengemeinschaft  und  der  gemeinsame  Kampf  gegen  Frankreich 
haljeu  weiter  dazu  beigetragen,  der  deutschen  Litteratur  eine  Stellung  in 
England  zu  erobern,  wie  sie  sie  vorher  auch  nicht  annähernd  besessen 
hatte,  und  die  sie  weit  in  das  19.  Jahrhundert  hinein  behauptet.  —  S.  20. 
Sarah  Austin  war  zwar  eine  geborene  Taylor,  aber  mit  William  Taylor 
nicht  verwandt.  —  S.  24.  Unter  Campbells  Gedichten  sind  doch  noch 
einige,  die  deutschen  Einflufs  verraten,  z.  B.  'The  brave  Roland'  (ent- 
standen auf  oder  nach  einem  gemeinsam  mit  August  Schlegel  im  Juli 
1820  unternommenen  Ausflug  auf  den  Drachenfels);  ferner  'Lines  suggcsted 
by  the  statue  of  Arnold  Winkelried'  und  'The  name  unknown  (writtcn  in 
Imitation  of  Klopstock)'.  —  Es  scheint  Zeiger  nicht  bekannt  zu  sein,  dafs 
das  Gedicht  vom  ewigen  Juden  (S.  59)  in  allem  Wesentlichen  eine  Jugend- 
arbeit von  Shelley  ist,  wie  Dobell  in  seiner  Separatausgabe  gegenüber  den 
widerspruchsvollen  Ausführungen  von  Medwin  (Life  of  Shelley  I,  54)  ge- 
zeigt hat.  Älit  'Wisps  on  every  side'  (S.  70)  hat  Shelley  ganz  richtig  'die 
irren  Lichter'  der  Vorlage  wiedergegeben.  Wisp  (gewöhnlich  uül  o'  Vie 
loisp)  heifst  eben  ignis  fatuus,  Irrwisch;  vgl.  z.  B.  Byron,  Don  Juan  VII,  46, 
auch  den  Anfang  der  Incantation  im  Manfred  (I,  1). 

Zum  Schlufs  sei  nochmals  hervorgehoben,  dafs  wir  es  hier  mit  einer 
tüchtigen,  auch  gut  geschriebenen  Erstlingsarbeit  zu  thun  haben.  Mau 
kann  nur  wünschen,  dem  Verfasser  auf  demselben  Gebiete  bald  wieder 
zu  begegnen. 

Berlin.  Georg  Herzfeld. 

Carlyle,   Sartor  resartus,   edited  by  Archibald  Mc Median  (Athe- 
lucum  Press  Series).    Boston  and  London,  Ginn  &  Co.,  1897. 

LXXI,   428   S.  (Fortsetzung.) 

^—  Sartor  9  'he  stood  up  in  fuU  coffeehouse  (it  was  Zur  grünen  Gans, 
the  largest  in  Weifsnichtwo)'  —  13  the  Wahngasse. 

Carlyle  hat  das  Wirtshaus  'Zur  grünen  Gans',  den  Sammelplatz 
der  Intelligenz  in  Weifsnichtwo,  vorzüglich  nach  den  Andeutungen,  die 
er  in  unserer  Litteratur  über  die  Gemütlichkeit  bei  Bier  und  Tabak  fand, 
eingerichtet;  aber,  um  seine  liebevolle  Schilderung  zu  würdigen,  vergesse 
man  nicht,  wie  fremd  sonst  gerade  solche  Abschnitte  unseres  deutschen 
klein-  und  spiefsbürgerlichen  Lebens  einem  Fremden  erscheinen.  Einen 
bestimmten  Ort  hat  er  wohl  kaum  im  Sinne  gehabt.  Denn  so  etwas  wie 
eine  'grüne  Gans'  gab  es  damals   in  jeder  deutschen  Stadt,  und  auf  die 


440  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

oft  angeführten  Briefstellcn  (Mac  Median  p.  283)  zur  Lokalisierung  des 
Restaurants  in  Bayern  darf  man  nicht  zu  viel  Gewicht  legen. 

Jedenfalls  kam  das  Bier,  das  man  dort  verzapfte,  'Gukguk',  nicht 
aus  München,  sondern  aus  einer  mageren  Gegend  Norddeutschlands: 
'Gukguk  is  unhappily  only  an  academical  beer'  erläutert  Carlyle,  denn 
er  hatte  seinen  Quintus  Fixlein  in  Wittenberg  davon  trinken  sehen.' 

Auch  die  'Wahngasse',  wo  Teufelsdrökh  wohnt,  kann  überall  und 
nirgends  liegen.  Carlyle  wuTste  von  Müllners  traurigem  Stück  'the  Wahn 
(Delusion)'  und  von  der  Schiller -Goetheschen  Xeniengasse;  aber  hier 
war  der  Name  der  Strafse  natürlich  nur  symbolisch,  um  auf  die  in  ihren 
Einbildungen  und  Vorstellungen  befangenen  Menschen  hinzudeuten,  über 
die  sich  Teufelsdrökh  in  seiner  höher  gelegenen  Wohnung  erhebt:  'the 
attic  floor  of  the  highest  house  in  the  Wahngasse.' 
—  Sartor  10  'their  stillness  was  but  the  rest  of  infinite  motion,  the 
sleep  of  a  spinning-top'.  Dazu:  the  warp  of  thy  remarkable  volume 
lay  on  the  loom  ...  mysterious  Shuttles  were  putting-in  the  woof.  — 
14  'the  Tissue  of  History  which  inweaves  all  Being.'  —  36  the  Can- 
vas  (the  warp  and  woof  thereof)  whereon  all  our  Dreams  and  Life-' 
visions  are  painted.  —  44  the  Tapestry  of  Human  Life,  the  Loom 
of  Heaven. 

Die  der  Weberei  entlehnten  Metaphern  sind  zusammenzustellen  und 
mit  Goetheschen  Anspielungen  (Faust,  Wilh.  Meister)  in  Verbindung  zu 
setzen. 

— -  Sartor  11:"  They  called  him  the  Ewige  Jude  'Everlasting,  or  as  we 
say  "Wandering  Jew" '.  Teufelsdrökh  wird  im  Roman  'der  ewige  Jude' 
genannt.  Carlyle  begründet  diese  Bezeichnung  aus  der  ungemeinen  An- 
schaulichkeit, wie  Teufelsdrökh  über  alle  Ereignisse  der  Vergangenheit  so 
sprechen  kann,  als  ob  er  wahrhaftig  selber  in  Person  mit  dabei  gewesen 
wäre.  Das  Motiv  vom  'Ewigen  Juden'  macht  hier  eine  eigenartige  Wand- 
lung durch:  der  phantasiebegabte  Historiker  Teufelsdrökh,  der  alles  nach- 
erlebt, wird  eins  mit  jener  Person  des  Mythus,  die  gleichzeitig  von  Ge- 
schlecht zu  Geschlecht  alles  miterlebt  haben  sollte.  Ein  Hinweis  auf 
Wotton  Reinfred  (p.  129)  ist  hier  am  Platze:  'A  new  day  has  risen,  and  like 
the  Wandering  Jew  I  must  again  set  forth  with  the  morning,'  auf  die 
Brief  stelle  N2  6  'after  wandering  little  less  than  the  shoemaker  of 
Jerusalem  did'  und  On  history  again  E*  213:  'Had  the  Wandering  Jew, 
indeed,  begun  to  wander  at  Eden  and  with  a  Fortunatus's  Hat  on  his 
head!',  und  schon  im  'Peter  Nimmo'  (15)  heilst  es:  'O  art  thou,  Peter, 
that  old  wandering  Jew  (Good  Lord!)  in  new  shapc  come  again?' 

Carlyle  kannte  wohl  die  Rolle,  die  jener  merkwürdige  Sagenheld  in 


'  'Der  in  Wittenberg  gleich  sehr  nach  der  Hippokrene  und  nach  Gukguk  ge- 
dürstet hatte'  —  Quintus  Fixlein  72.  Mac  Mechan  citiert  auch  hier  nicht  die 
dentBche  Originalstelle,  sondern  nur  Translations  2,   106. 

^  Mac  Mechan,  p.  288,  verweist  auf  Percys  Reliques,  Eugene  Sue  und  Baring- 
Gould.  die  alle  aufserhalb  des  Gesichtskreises  von  Carlyle  lagen. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  111 

der  deutschen  Litteratur  bereits  gespielt  hatte.  —  Er  wulste,  dafs  Goethe 
sich  des  Stoffes  angenommen  und  Schubart  einen  'Johannes  a  temporibus' 
novellistisch  geplant  hatte.  'The  idea  of  making  the  "Wandering"  or  as 
Schubart's  countrymen  deinoninate  him,  the  "Eternal  Jew"  into  a  novel 
hero,  was  a  mighty  favourite  witli  liini.'  'In  this  antique  cordwainer,  as 
on  a  raft  at  anchor  in  the  stream  of  time,  he  would  survey  the  changes 
and  wonders  of  two  thousand  years.'  LoS  263.  Zacharias  Werner  er- 
schien ihm  'restless  as  the  Wandering  Jew',  und  gelegentlich  eines  Be- 
richtes über  Kliugemanns  Drama  'Ahasver',  dessen  wirkungsvolle  Dar- 
stellung in  Deutschland  durch  Ludwig  Devrient:  'Ich  aber  wandle  weiter 
—  weiter  —  weiter !  . . .  But  I  go  on  —  on  —  on,'  er  nicht  zu  erwähnen 
vergafs,  fragt  Carlyle  mit  gelinder  Überschätzung  der  Wichtigkeit  gerade 
(lieser  Sache  'Why  do  Klingemann  and  all  the  Germans  call  the  man 
Ahasver,  when  his  authentic  name  is  John  ?  ...  this  should  be  looked 
into.'  —  Im  'Cagliostro'  (E''  1 12)  beschreibt  er  die  List,  womit  der  Schlaue 
seine  Leute  fing,  wenn  er  vor  dem  Bilde  Jesu  plötzlich  ein  klagendes 
'Hah'  ausstiefs  'as  of  recognition,  as  of  thousand  years'  remembrance; 
and  when  questioned  sink  into  mystcrious  silence.  Is  he  the  Wandering 
Jew  then?  —  Carlyle  hätte,  wenn  er  durchaus  ein  Dichter  gewesen,  den 
Stoff  gewifs  gern  behandelt;  das  Thema  war  ihm  sympathisch,  weil  sich 
darin  die  Weltgeschichte  pauoramenartig  in  grofsen  Bildern  doch  immer 
unter  einem  inneren  Zusammenhang  vorführen  läfst,  für  den  eben  Ahasver 
als  sagenhafter  Zuschauer  und  Mitspieler  zu  sorgen  hat  —  etwa  wie  bei 
dem  L^ngarn  Madach  in  der  'Tragödie  des  Menschen'  Adam  und  Eva 
mystisch  an  allen  Vorgängen  seit  Erschaffung  der  Welt  teilnehmen,  oder 
wie  Wilbrandt  im  'Meister  von  PalmjTa'  ähnlich  ein  Menschenpaar  durch 
verschiedene  Zeiten  geleitet  hat. 

^—  Sartor  18.  'So  that  it  was  in  fact  the  speculum  or  watch-tower 
of  Teufelströckh  . . .' 

Der  Sartor  kommt  aus  dem  Lande,  wo  Bunyan's  mit  Abstrakten  und 
Allegorien  spielendes,  zwei  Jahrhunderte  altes  Buch  'Pilgrim's  Progress' 
noch  heute  gelesen  wird.  Teufelsdrökhs  Wohnung  wird  bestimmter  als 
'watch-tower'  und  er  selber  als  'watch-man'  bezeichnet,  der  aller  Welt  den 
Stundenschlag  zu  verkünden  hat:  'From  hour  to  hour  with  preparator)- 
blast  of  cowhorn  (he  can)  eniit  his  "Höret  ihr  Herren  und  lasset's 
euch  sagen".' 

Gerade  die  Gleichung  zwischen  dem  Nachtwächter  und  dem 
Denker,  die  dem  Zeiger  hier  auf  der  Turmuhr  im  Dorfe  und  dort  auf  der 
Weltenuhr  am  Himmel  folgen,  zwischen  einem  alltäglichen  unbedeutenden 
Greschäft  und  zwischen  der  gewaltigen  Aufgabe,  die  -Menschen  über  die 
Fragen  ihres  Daseins  zu  unterrichten,  liefert  ein  Beispiel  für  den  eigen- 
artigen Humor  Carlyles,  der  im  Sartor  allemal  bei  dem  kleinsten  und 
grölsten  Dinge  ein  tertium  comparationis  herausfindet.  In  diesem  Falle  ist 
es  die  Unterweisung,  die  Aufklärung,  die  beide,  der  Nachtwächter  und  der 
Philosoph,  zu  geben  haben.  So  wird  oft  in  der  Welt  seines  Humors  von 
Carlyle  das  Kleine  durch  das  Grofse  verklärt  und  wieder  das  Grofse  durch 


442  Beurteilungen  uud  kurze  Anzeigen. 

den  kleinen  Nachbar  anmutig  verkleinert,  weil  es  ja  doch  etwas,  wenn 
auch  noch  so  wenig,  mit  dem  bescheidenen  Gesellen  neben  sich  gemein  hat 
und  sich  dadurch  selbst  ein  bifschen  erniedrigt  . . .  Was  auf  der  einen 
Seite  verloren  geht  an  Ansehen,  wird  auf  der  anderen  gewonnen,  und  über 
die  schroffen  Gegensätze  legt  sich  ein  freundlicher  Schein;  die  Gegen- 
stände stützen  sich,  sie  neigen  gleichsam  zueinander  hin. 

Eine  solche  Weltauffassung  blüht  selten  und  langsam  auf,  sie  blättert 
aber  schnell  wieder  ab  und  pflegt  nicht  nachzutreiben.  Auch  Carlyle  hat 
später  nie  wieder  wie  im  Sartor  eine  solche  Freiheit  des  ungetrübten 
Blickes  gezeigt;  denn  sein  hastiges  Temperament  konnte  so  ruhige  Stim- 
mungen, wie  sie  den  wahren  Humor  bedingen,  nur  eine  kurze  Weile  aus- 
halten. 

Die  Warte  ist  aber  ein  wenig  anders  gebaut  als  der  rätselhafte 
Turm  der  Lehr-  und  Wanderjahre,  und  doch  sind  hier  wie  dort  die  alles 
überschauenden  Mächte  angesiedelt.  In  Goethes  Romane  gründen  der 
Abbö,  Lothario  und  Jarno  einen  Bund,  dessen  Glieder,  über  die  Welt  ver- 
streut, die  Menschheit  der  verschiedenen  Erdteile,  vornehmlich  Europas 
und  Amerikas,  vereinigen  sollen.  Carlyle  stellt  dagegen  blofs  einen  ein-  ■ 
zigen  Mann  auf,  der  von  seinem  hohen  Posten  aus  den  Verkehr  zwischen 
den  Menschen  und  zwischen  Gott  und  dem  Universum  zu  vermitteln  hat: 
bei  beiden  Dichtern  war  ein  und  dasselbe  Bedürfnis  da,  den  Einzelnen, 
Kleinen,  Geringeren  mit  einem  gröfseren  Ganzen,  dort  mit  der  Menschen - 
weit,  hier  mit  dem  Weltall  selbei-,  Avohlthätig  und  geheimnisvoll  zu  ver- 
knüpfen. Nur  ist  ein  Unterschied  zu  beachten,  während  Carlyle,  der 
Idealist,  ins  Überirdische  flüchtet,  bewegte  sich  Goethe,  der  Realist  im 
Schillerschen  Sinne,  selbst  mit  seinen  erhabensten  Absichten  doch  immer 
wieder  nur  innerhalb  der  Grenzen  seiner  Erde,  wo  er  alle  brauchbaren 
Menschen  untereinander  in  Beziehung  setzen  möchte,  so  wie  sich  der 
Bauherr  nach  dem  Architekten  und  dieser  wieder  nach  den  Maurern  und 
Zimmerleuten  umsieht. 

Ich  weiTs  nicht,  weshalb  MacMechan  gerade  zu  watch-tower,  p.  280, 
ganz  willkürlich  Freiligraths  schönen  Vers  'Aus  Spanien'  von  der  'höheren 
Warte'  des  Dichters  und  den  'Zinnen  der  Partei'  anführt.  Denn  Paral- 
lelen verwirren  doch  mehr,  als  dafs  sie  klären,  wenn  sie  ohne  allen  ge- 
schichtUchen  Zusammenhang  zur  Stelle  und  Strecke  gebracht  werden. 
Dafs  Dichter  und  Wächter  oft  miteinander  verschmelzen,  weiTs  jeder 
Litterarhistoriker ;  aber  nur  solche  Fälle  dienen  ihm  für  die  Erklärung 
des  'watch-tower',  die  auf  Carlyle  unmittelbar  gewirkt  haben  oder  von  ihm 
unmittelbar  beeinflufst  sind.  Das  ist  vor  Carlyle  ebensowenig  von  den 
französichen  'aubades'  oder  von  Wolfram  von  Eschenbachs  Wächter-  und 
Tageliedern  als  nach  Carlyle  von  jenen  Versen  Freiligraths  zu  behaupten. 
Statt  dessen  könnte  man  hier  mit  anderen  Sachen  einiges  zur  Erklärung 
des  auffälligen  Bildes  beitragen: 

1)  icatch-tower.  Goethe,  Meisters  Apprenticeship  2,  98:  'It  was  pleasant 
for  me  to  behold  the  tumult,  off  my  watch-tower,  from  afar.'  =  'Ich 
war   froh,    von    meiner   Warte   dem    Getümmel   von   weitem   zuzusehen.' 


Heurteilungen  iirnl  kurze  Anzeigen.  443 

E5  75:  'Beppo  with  such  specuktive  faculty,  from  such  low  watch- 
tower  as  he  couunands  . . .'  JP^-  'the  lleaveu's  —  Watchtower  of  our 
Fathers'. 

2)  watchman.  Tales  2,  65  Jean  Pauls  Schraelzle:  'a  beast  of  a 
watchman  and  bellows  and  brays  in  his  night  tube  ...  uobody  should 
be  invested  with  the  watchniau-horn  but  sonie  reasonable  man'  =  Schmelzle 
(Recl.  29.3)  p.  32:  'ein  Vieh  von  Nachtwächter  . . .  eigentlich  sollte  niemand 
mit  dem  Nachtwächterhorn  investieret  werden  als  ein  vernünftiger  Mann.' 
—  Vgl.  MacMechan,  der  2Sl,3i'J  Anni.  zu  'Höret  ihr  Herren'  Musaeus, 
Dumb  Love,  Tales  1,  38  citiert,  aber  wieder  das  deutsche  Original  nicht 
beifügt:  'Dagegen  stiefs  der  Nachtwächter  ins  Hörn  und  liefs  sein 
"Hört,  ihr  Herren"  über  den  ganzen  Flecken  erschallen.'  —  Als  Carlyle 
später,  1852,  auf  einer  Reise  nach  Deutschland  in  Kassel  war,  kam  er  mit 
den  deutschen  Nachtwächtern  noch  in  unliebsame  Berührung:  F*  120 
'there,  in  the  best  inn,  was  such  an  arraugement  for  sleeping  as  —  Ach, 
Himmel!  I  shall  not  forget  those  cowhorns  and  "Höret  ihr  Herren",  in 
a  hurry.'  13  V  1853.  'The  lonesomeness  of  this  Midnight  Hour  . . .  renders 
an  articulate  Speaker  prccious  indeed.  Watchman,  what  sayest  thou 
then?     Watchman,  what  of  the  night?' 

3)  Uhrwerk.  FR  1,  22  'But  thus  ...  has  the  Horologe  of  Time 
Struck,  and  an  old  Era  passed  away.'  E*  46  'But  as  was  once  written, 
"though  our  clock  strikes  when  there  is  a  change  from  hour  to  hour,  no 
hammer  in  the  Horologe  ofTime  peals  through  the  Universe  to  pro- 
claim  that  there  is  a  change  from  era  to  era".'  Eö  156  'Many  eras  ... 
"striking  on  the  Horologe  of  Time",  to  teil  all  mortals  what  o'clock 
it  has  become.'  E"  165  'The  Horologe  of  Time  goes  inexorably  on; 
and  the  sick  Ages  ripen  towards  —  Who  will  teil  us  what?'  P  230 
'looking  at  the  Time-Horologe  and  hearing  it  tick.'  P  25  'Nature  in 
late  centurieö  ...  an  old  eight-day  clock,  made  many  thousand  years 
ago,  and  still  ticking,  but  dead  as  brass.'  P  127  'the  Almighty  Maker 
is  not  like  a  Clock  maker  that  once,  in  old  immemorial  ages,  having 
made  his  Horologe  of  a  Universe,  sits  ever  since  and  sees  it  go.' 

Dafs  die  Worte  'the  horologe  of  Time',  als  eingeklammert,  auch  irgend- 
woher (Novalis,  Jean  Paul!)  entlehnt  sind,  ist  nicht  zweifelhaft ;  sie  haben 
wesentlich  die  über  viele  Werke  Carlyles  verstreute  Bild-  und  Gedanken- 
verknüpfung angeregt  und  mit  ausgebaut,  schon  im  Sartor,  wo  ja  der  nacht- 
wächterliche Beruf  des  Deutschen  dahin  erklärt  wird:  '(he  can)  teil  the 
Universe,  which  so  often  forgets  that  fact,  what  o'clock  it  really  is.'  Vgl. 
Sartor  3,  13,  204.  —  Zur  Erklärung  sind  noch  Übersetzungen  einzelner 
Stellen  von  Novalis  und  Jean  Paul  heranzuziehen,  wie  sie  Carlyle  in  den 
Essays  giebt:  E2  212  übersetzt  er  aus  'den  Lehrlingen  zu  S:iis'  von  Novalis 
•nothing  comes  to  us  unexpected,  for  the  course  of  the  great  Horologe  is 
known  to  us  beforehand.'  E^  56  Übersetzung  von  einer  Nacht vision  Jean 
Pauls:  'Above,  on  the  Church-dome,  stood  the  ilial-plate  of  Eternity, 
where-on  no  number  appeared.  and  which  was  its  owu  iudex:  but  a  black 
finger  pointed  there  on,    and   the  Dead  sought  to  see   the  time   by   it.' 


444  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

E'  58  ...  'and  an  immensurably  —  extended  Hammer  was  to  strike  the 
last  hour  of  Time  and  sMver  the  Universe  asunder  . . .' 
■^  Sartor  14  'what  thinks  Bootes  of  them,  as  he  leads  his  Hunting- 
Dogs  . . .'  cf.  N*  356:  'So  I  sit  here  and  write  . . .  responsible  . . .  only  to 
God  and  my  own  conscience . . .  with  the  stars  and  the  azure  Eternities 
above  me  in  the  Heaven.'  SR  15  'I  am  alone  with  the  stars.'  18  'out- 
watching  the  Bear'  —  'the  very  Sun  has  black  spots.'  —  108  'my  load- 
stars  were  blotted  out.'  —  126  'Arcturus  and  Orion  and  Sirius'  (Mac 
Mechan  354).  —  142  some  twinkling  of  a  steady  Polar  Star.  —  155  'Uke 
a  receding  star.'  191  'human  Error  walks  in  a  cycle  and  reappears  at 
intervals'  —  Bild  von  der  Kometenbahn  entlehnt!  —  Vgl.  'Milchstrafse' 
Kgr  167.  —  Die  astronomischen  Bestandteile  in  der  Sprache  Carlyles, 
im  Zusammenhang  mit  den  mathematischen,  sind  darzustellen.  GCB  202 
'Natural  Philosophy,  Optics  among  the  other  branches,  was  for  many 
years  my  favourite.'  Ni  103,  1817  'but  when  the  hand  that  wrote  the 
Principia  is  reduced  to  a  little  black  earth  and  the  spirit  that  dictated 
it  is  gone  no  one  knows  whither  —  the  work  itself  remains  in  undecaying 
majesty  to  all  generations.'  Nl  151,  1818  'to  see  these  truths,  my  good" 
Robert  —  to  feel  them  as  one  does  the  proportions  of  the  sphere  and 
cylinder.  'Tis  a  consummation  devoutly  to  be  wished  —  but  not  very  ükely 
ever  to  arrive.'  Auch  der  Einflufs  Jean  Pauls,  von  dem  sich  Belege  zu 
Dutzenden  geben  liefsen,  ist  nicht  abzuweisen. 

-^  Sartor  16  'had  we  not  known  with  what  "little  wisdoin"  the  world 
is  governed.'  E^  216  'personages,  that  strut  and  fret  and  preach  in  all 
times  "Quam  parva  sapientiä  regatur".' 

■—  Sartor  17  'if  T.  was  Dalai-Lama,  then  might  Heuschrecke  pass 
for  his  Chief  Talapoin.'  HW  4:  'I  find  Grand  Lamaism  itself  to  have 
a  kind  of  truth  in  it.'  Carlyle  weist  dabei  auf  den  'Account  of  his  Em- 
bassy'  von  Turner  hin,  der  sich  in  Tibet  aufgehalten  und  von  den  dor- 
tigen Anschauungen  berichtet  hatte.  —  Dalai  Lama  auch  in  Jean  Pauls 
Levana,  s.  Reinhold,  Lexikon  p.  26. 

—«■  Sartor  19.  'the  broad  button  of  Birmingham  spelter  in  a  Clown's 
smock.' 

Carlyles  Besuch  in  Birmingham  N^  279.  —  Der  Name  der  Stadt  wird 
später  bei  ihm  oft  adjektivisch  verwandt,  um  etwas  Geräuschvolles,  Düsteres 
und  Rauchiges  zu  bezeichnen,  E5  81  'hideous  yells  arise,  a  jingle  like  the 
emptying  of  Birmingham',  ebenso  wie  er  Vauxhall  gebraucht  zur  Cha- 
rakteristik des  Seichten  und  Vergänglichen.  N*  198:  'I  saw  the  many- 
coloured  rockets  rising  from  Vauxhall  Gardens,  and  thought  with  my- 
self:  "very  well,  gentlemen,  if  you  have  »guinea  admission«  to  spare  for 
it;  only,  thank  Heaven,  I  am  not  within  a  measured  mile  of  you!"' 
E*  39  'terrestrial  Vauxhall  stars  (of  clipped  tin).'  E5  56  'the  true  Beauti- 
ful  (differing  from  the  false,  as  Heaven  does  from  Vauxhall).' 
■— ■  Sartor  22:  'It  (Teufelsdröckh's  Laughter)  was  of  Jean  Paul's  doing, 
Bome  Single  billow  in  that  wast  World- Mahl  ström  of  Humour,  with 
its  heaven -kissing  coruscations.'     WR  80:   'If  you  watch  him  (Dalbrook) 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  -145 

there  is  a  curious  method  in  bis  niadness,  and  that  huge  whirlpool  of 
a  mind,  with  its  thousand  eddies  and  unfatiioinable  caverns,  is  a  kiud 
of  maelström  you  were  better  not  to  look  on  lest  it  swallowed  you, 
unless,  inileed,  you  first  cast  anchor  at  a  safe  di.stance.'  E5  49:  'Meta- 
physical  Speculation  . . .  whirls  round  in  endless  Mahlstronis,  both  "ereating 
and  swallowing  —  itself".' 

Die  Wörter  Mablstroni,  wbirlpoul  und  vortex  bilden  eine  grofse,  über 
Carlyles  sämtliche  Werke  verteilte  Sippe.  'Mahlstrom'  fehlt  DW^ß;  ich 
vermute  die  Quelle  bei  Jean  Paul,  dessen  Bildersprache  Carlyle  E^  179 
rühmt:  'But  even  in  the  use  of  genuine  metaphors,  which  are  not  haber- 
dashery  ornament,  but  the  genuine  new  vesture  of  uew  thoughts,  he 
(Goethe)  yields  to  lower  men  (for  example  to  Jean  Paul).' 

Sartor  105  'in  this  vortex  of  existence.' 

Sartor  IV'8:  'I  could  liken  Dandyism  and  Drudgism  to  two  bottoni- 
less  boiling  Whirlpools  ..."  '_'0:^>:  'even  as  the  sraaller  whirlpool  is 
sucked  into  the  larger  . . .'  'a  very  tumultuous  frothy  whirlpoolish 
character'  N3  276.  Fg  5,  143  'the  mad  War-whirlpool'.  FR  3,  94  'at 
the  black  Mahlstrom  and  descent  of  Death'.  Fg  6,  291  To  plunge  again 
into  the  Mahlstrom  =  war. 

—  Sartor  2t!:  Das  Wort  als  Saatkorn  —  'unnoticed  to  day  (says  one), ' 
it  will  be  found  flourishing  as  a  Banyan-grove  (perhaps,  alas,  as  a 
hemlock-forest !)   after   a  thousand  years,'  vgl.  Sartor  CO,   G4,  72,  73,  10:5. 

—  Mac  Mechan  (297 )  weist  auf  zwei  Stellen  im  C.-Jour  und  C.  E.  L.  und 
erklärt  die  Bedeutung  von  Banyan-grove.  —  Em.  39.  'seeds  are  scattered, 
"to  be  found  flourishing  as  a  banyan  grove  after  a  thousand  years".' 
^—  Sartor  30 :  'Thus  does  the  good  Homer  not  only  nod,  but  snore.' 
Mac  Mechan  302.  —  Tales  2,  1(3  selbständige  Anmerkung  Carlyles  zu 
J.  Pauls  Schmelzle:  'The  good  Professor  of  Catechetics  is  out  here.  In- 
dignor  quandoque  bonus  dormitat  Schmelzlaeus!  —  Ed.' 

—  Sartor  30 :  'Satans  invisible  World  displayed.'  Mac  Mechan  302.  — 
Frederick  1,  313:  'This  one  short  glaiice  into  the  Satan's  Invisible- 
World  of  the  Berlin  Palace  ...  Such  an  Invisible- World  of  Satan  exists 
in  most  human  houses.'  Dazu  FR  1,  50  'the  highest  Church  Dignitaries 
waltzing,  in  Walpurgis  Dance  ...  a  whole  Satans  Invisible  World 
displayed.' 

So  verbindet  sich  das  puritanische  Buch  mit  Reminiscenzen  aus  der 
deutschen  Litteratur.  Zur  Geschichte  des  Wortes  Walpurgis:  Jean  Paul, 
Fixlein :  'warme  Walpurgisnächte.'  Tales  2,  135  'warm  IMayday-nights.'  — 
Im  Hinweis  auf  'Faust  . . .  the  Walpurgisnacht  (May-day  Night)'  E-  273. 

—  F2  13.  'Such  continents  of  sordid  delirium  will  vauish  like  a  foul 
Walpurgis  night  at  the  first  strt-aks  of  dawn.'  —  VE  208,  von  den  vielen 
Namen  aus  der  Zeit  Friedrichs  d.  Gr.:  'it  becomes  like  a  Walpurgis- 
Nacht.' 


'  Dieser  'one'  ist  Jeau  Paiil.    Ich  bin  auch  dem  Gleichnis  vor  Jahren  einmal 
bei  ihm  begegTuet.  leider  ohne  die  Stelle  zu  vermerken.    (^Titan.  Levana,  Siebenkjsyj 


446  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

■Mi  Sartor  36:   'Creation,  says  one,  lies  before  us,  like  a  glorious  Rain- 
bow;  but  the  Sun  that  made  it,  is  behind  us,  hidden  from  us.' 

Dieser  'one'  ist  Jean  Paul,  Siebenkäs;  die  Stelle  ist  von  Carlyle  in 
dem  Artikel  'Richter  and  de  Stael'  E2  273  wiedergegeben:  'I  . . .  looked 
into  the  Abyss,  and  cried:  Father,  where  art  thou?  ...  and  the  gleaming 
Rainbow  from  the  west,  without  a  Sun,  that  made  it,  stood  over  the 
Abyss  and  trickled  down;'  übersetzt  auch,  mit  einigen  Veränderungen: 
E3  56:  '. . .  and  the  gleaming  Rainbow  of  Creation  hung  without  a  Sun, 
that  made  it,  over  the  Abyss  . . .'  Bei  Jean  Paul  häufig:  'Regenbogen 
des  Genusses  =  des  Menschenglücks  =  der  Phantasie.'  Hesp.  Tit. 
DWB  8,  518. 

-^  Sartor  36  'a  net  quotient  ...  where  divisor  and  dividend  are  both 
unknown. 

Die  mathematischen  Elemente  in  der  Sprache  Carlyles  bedürfen 
einer  Darstellung.  Sie  sind  die  Zeugen  seiner  ehemaligen  eindringlichen 
Beschäftigung  mit  der  Wissenschaft.  Prof.  Leslie  hatte  ihn  dafür  lebhaft 
interessiert;  die  festen  Formeln  entsprachen  seinem  Bedürfnis  nach  Halt 
und  Ruhe,  'For  several  years  geometry  shone  before  me  as  the  noblest  of 
all  sciences'  Fi  26,  und  die  Übersetzung  der  Geometrie  des  Legendre 
brachte  ihm  Geld  und  die  vertrauteste  Bekanntschaft  mit  den  Fachaus- 
drücken ein.  Im  Sartor  46:  'an  Arithmetical  Mill.'  68:  'the  smallest  of 
fractions.'  88:  'Life  ...  simple  as  a  question  in  the  Rule-of-Three.' 
132:  'Unity  itself  divided  by  Zero,  will  give  Infinity.'  (F2  76  'were  we  not 
blind  as  moles  we  should  value  our  huinanity  at  oo,  and  our  rank,  in- 
fluence  &c.  [the  trappings  of  our  humanity]  at  O.  Say  I  am  a  man,  and 
you  say  all.  Whether  king  or  tinker  is  a  mere  appendix.')  136:  'the  piti- 
fullest  infinitesimal  fraction  of  a  Product.'  190:  'the  higher  Enthusiasm 
of  man's  nature  is  for  the  while  without  Exponent.'  201:  'the  Fraction 
will  become  not  an  Integer  only,  but  a  Square  and  a  Cube.'  —  Dafs  die 
Forschung  in  allen  anderen  Schriften  C.'s  eine  reiche  Ausbeute  findet, 
dafür  ein  paar  Beispiele  HW:  'the  irreducible  Cromwell.'  E*  209: 
'In  shape  we  might  mathematically  name  it  Hyperbolic- Asymptotic' 
Fl  443  'Truth,  Diligence.  These  are  our  watchwords,  whether  we  have 
10  talents  or  only  a  decimal  fraction  of  one.' 

—  Sartor  42 :  'a  naked  Duke  of  Windle-straw  addressing  a  naked  House 
of  Lords.' 

Die  Spottnamen  bei  Carlyle  sind  zahlreich:  'Hofrath  Nose-of-Wax,' 
E4  138:  'Count  von  Bügeleisen,'  E-t  216:  Dr.  Wagtail,  häufig  in  P:  47: 
'Schnüpsel,  the  distinguished  Novelist.'     185:  'bis  Excellenz  the  Titular 

—  Herr  Ritter  Kauderwälsch  von  Pf  erdefufs  -  Quacksalber.'  186: 
'Stulz.'  191 :  'my  right  honourable  friend  Sir  Jabesh  Windbag,  Mr.  Facing- 
both-ways;  Viscount  Mealymouth,  Earl  of  Windlestraw  or  what  other 
Oagliostro,  CagUostrino,  Cagliostraccio.'  250:  Dolittle  —  O  Maecenas 
Twiddledee.  —  Vgl.  F2  290:  'I  have  often  remarked  that  the  present 
generation  has  lost  the  faculty  of  giving  names.' 

Carlyle  besafs   in   einem   hohen  Grade  die  Fähigkeit,  die  Dinge  mit 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  447 

einem  Necknamen  zu  belegen.  Solche  Taufen  waren  schon  zu  Hause 
unter  den  Geschwistern  vorgcnonunen  und  die  Jüngste,  Jane,  wegen  ihres 
rabenschwarzen  Haares  'Crow'  genannt  worden.  Hruder  John,  breitglän- 
zenden Gesichtes,  rollte  als  'Lord  i^Ioou'  seine  Bahn. 

Carlyle  beklagt  sich  auch  über  die  charakterlosen  Namen,   die  er  an 
den  modernen  Stral'sen  in  London  und  Liverpool  fand:  F'-2lU:  'We  can- 
not  now  give  so  much  as  a  nicknanie.    Giving  a  name,  indeed,  is  a  poetic 
art;  all  poetry,  if  we  go  to  that  with  it,  is  but  a  giving  of  names.' 
—  Sartor  49.     It  was  of  Jean  Paul's  doing. 

In  der  Einleitung  p.  XLIII  thut  Mac  Mechan  flüchtig  das  Ver- 
hältnis Carlyles  zu  Jean  Paul  ab,  das  einmal  gründlich  zu  behandeln 
eine  der  notwendigsten  und  dankbarsten  Aufgaben  der  Carlyle-Forschung 
ist.  Da  harren  eine  Unmenge  Fragen  ihrer  Lösung,  vor  allem  auf  meta- 
phorischem Gebiet. 

.  •  Was  Carlyle  so  wesentlich  von  Jean  Paul  unterscheidet,  das  macht 
weniger  der  Bereich  aus,  woher  sie  die  Bilder  nehmen,  als  die  Art, 
wie  sie  dieselben  verwenden.  Jean  Paul  ist  hastig,  er  stürzt  aus  einem 
Gleichnis  in  das  andere,  er  läfst  viele  aufgebrochen  liegen  und  breitet  alle 
miteinander  so  reich  und  wirr  aus,  dafs  einem  die  Wahl  schwer  wird. 
Carlyles  Phantasie  arbeitet  ordentlicher;  er  bleibt  im  Bilde  und  malt  es 
sorgfältig;  wo  er  vergleicht,  da  deckt  sich  der  Gegenstand  nicht  blofs  in 
einigen  Punkten,  sondern  in  der  ganzen  Breite  mit  seinem  Gegenstück. 
Das  'tertium  comparationis'  ist  so  grofs  wie  möglich.  Die  verschiedensten 
Teile  einer  Sache  werden  manchmal  geradezu  künstlerisch  auf  den  General- 
nenner bezogen.  Solche  Rundbilder  sind  aber  ungleich  schwieriger  zu 
schaffen  als  die  Augenblicksaufnahmen  eines  Jean  Paul.  Denn  in  der 
Darstellung  kommt  es  ganz  und  gar  nicht  auf  eine  Häufung  der  vielen, 
sondern  auf  die  Durcharbeitung  der  einzelnen  Dinge  an.  Die  Phantasie 
des  Lesers  will  ein  glückliches  Bild,  das  der  Schriftsteller  giebt,  auch 
wirklich  sehen,  und  sie  sieht  es  um  so  besser,  je  feiner  er  ausführt ;  wenn 
aber  gleich  darauf  ein  neues  vorspringt,  so  wirkt  das  unorganisch  und 
störend;  es  schiebt  sich  unwillkürlich  vor  das  andere,  und  beide  Bilder 
scheinen  nun  verwischt.  Auch  unsere  Phantasie  hat  Grenzen  in  ihrer 
Aufnahmefähigkeit,  ebenso  wie  das  menschliche  Auge  die  allzu  schnell 
folgenden  Eindrücke  bei  den  Speichen  des  drehenden  Rades  nicht  mehr 
zu  unterscheiden  vermag. 

Es  fragt  sich,  ob  ihm  Jean  Paul  nicht  vielfach  auch  jene  ganz  ent- 
legenen Kenntnisse,  die  uns  im  Sartor  und  in  den  Briefen  auffallen,  zu- 
gespielt hat.  Ungeheure  Mengen  von  den  wissenschaftlichen  Erwerbungen 
des  18.  und  19.  Jahrhunderts  sind  ja  in  dem  Text  und  den  Noten  der 
Werke  Jean  Pauls,  dieses  Dichters  unter  den  Vielwissern,  aufgeschichtet 
und  noch  mit  den  Namenszettelu  derer  versehen,  die  den  Stoff  geliefert 
hatten.  Denn  aus  einer  Bemerkung  Carlyles,  'Man  can  live  on  all  thiugs, 
from  whale-blubber  (as  in  Greenland)  to  clay-earth,  (as  at  the  mouth  of 
the  Orinoco,  see  Humboldt)',  N^  247,  braucht  man  noch  nicht  auf  eine 
Bekanntschaft    mit    Humboldts    Reisewerkeu    selber    zu    schliel'sen,    weil 


448  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

gerade  solche  gelehrten  Kuriosa  unter  Angabe  des  Erfinders  oder  Entdeckers 
zu  Tausenden  bei  Jean  Paul  vorhanden  sind. 

Carlyles  Phantasie  wurde  durch  Jean  Paul  jedenfalls  angeregt.  Es 
liegt  etwas  Verwandtes  darin,  wie  sie  die  Dinge  hinter  Metaphern  zu  ver- 
kleiden pflegen,  eine  poetische  Technik,  der  sich  Carlyle  erst,  nach  der 
Kenntnis  Jean  Pauls,  durch  Berührung  des  Gleichen  mit  dem  Gleichen, 
des  Lebendigen  mit  dem  in  ihm  noch  Schlummernden  bewufst  zu  werden 
begann.  Für  lange  Zeit  waren  seine  Bilder  ganz  in  der  Art  des  deut- 
schen Dichters  erfunden,  ja  vieles,  was  dieser  gesagt  hatte,  ging  in  den 
dauernden  Besitz  des  Engländers  über,  und  bei  so  und  so  vielen  poe- 
tischen Gleichnissen  hat  man  ihm  eigene  Erfindung  einfach  abzusprechen 
und  eine  Entlehnung  strikte  nachzuweisen.  Er  hat  nicht  einmal  die  Ent- 
schuldigung für  sich,  dafs  er  gleichzeitig  oder  bald  nachher  selber  das 
Bild  schuf,  das  Jean  Paul  kurz  vor  ihm  geschaffen  hatte,  weil  sich  au 
dem  Beiwerk  ganz  deutlich  die  fremde  Herkunft  noch  erkennen  läfst. 
Beispiele  habe  ich  Kgr.  167  ff.  unter  'Gottesacker,  Milchstrafse'  gegeben 
und  an  einzelnen  Stellen  des  Sartors  auch  in  diesem  Aufsatz  die  Autor- 
schaft Jean  Pauls  nachgewiesen. 

Der  Vorrat  an  Bildern,  über  den  Carlyle  verfügte,  erscheint  eben  auf 
den  ersten  Blick  reicher  und  originaler,  als  er  sich  bei  einer  näheren 
Prüfung  erweist.  Denn  hier  drängt  sich  ebenso  bald  eine  gewisse  Enge 
auf  wie  bei  seinen  um  wenige  Centren  unaufhörlich  kreisenden  Gedanken; 
in  seiner  Phantasie  herrschen  einige  Grundstimmungen  vor,  wo  nicht  un- 
erschöpfUch  neue  Bilder  geboren,  sondern  die  einmal  produzierten,  oft 
auch  noch  entlehnten  Metaphern  mit  leichten  Veränderungen  immer  wieder 
hervorgebracht  oder  feiner  ausgearbeitet  worden  sind.  Auch  hier  müssen 
wir  uns  mit  wenigen  Urformen  begnügen  und  wie  für  seine  Gedanken, 
so  auch  für  seine  Bilder  die  auswärtigen  Anleihen  zu  bestimmen  suchen. 

Auf  die  folgenden  Stellen,  die  unzweifelhaft  auf  Jean  Panische  An- 
regungen (Cypressenhain,  Calypso-Insel,  Traumgrotte,  St.  Martinssommer, 
Montgolfiere,  Paradieshain,  Totentanz!)  zurückgehen  —  seien  die  Leser 
Jean  Pauls  besonders  aufmerksam  gemacht.  Das  deutsche  Wörterbuch, 
das  auf  die  seltenen  Worte  des  Dichters  (leider!)  verzichtet  hat,  hilft 
nicht  weiter,  nur  eine  eigene  ausgedehnte  Lektüre  kann  zum  Ziel  führen. 
73  'these  stern  experiences  ...  rose  there  to  a  whole  cypress-forest, 
ead  but  beautiful.'  92  'a  certain  Calypso-Island  detains  him.'  36  'we 
sit  as  in  a  boundless  Phantasmagoria  and  Dream-grotto.'  142  'all 
the  fantastic  Dream  -  grottoes  through  which  he  must  wander,'  cf. 
Sterl.  236:  'to  create  logical  Fata-morganas'  und  El  229  'our  eye  rests  con- 
tentedly  on  Vacancy,  or  distorted  Fata-morganas.'  95  whom  the 
grand-climacteric  itself  and  St.  Martin's  Summer  of  incipient 
Dotage  would  crown  with  no  new  myrtle-garland.  101  We  view  —  the  gay 
silk  Montgofier  start  from  the  ground.  103  'It  was  a  Calenture  ... 
the  Youth  saw  green  Paradise  groves  in  the  waste  Ocean-waters.' 
140  'The  imprisoned  Chrysalis  is  now  a  winged  Psyche.'  183  'our 
mad  Dance  of  the   Dead.'     Vgl.  201   die  Gespenstervision:   'It  is  the 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  449 

Night  of  the  world  ...  two  immensurable  Phantom.'',  Hypocrisy  and 
Atheism,  with  the  Gowl,  Sensuality  stalk  abroad  over  the  Earth.' 

Von  den  anderen  Schriften  Carlyles  seien  noch  folgende  Jean  I'aul- 
Stellen  erwähnt:  E-  10  'I  would  not  for  niuch,  says  Jean  Paul,  that  1  had 
been  born  richer.'  ...  'The  prisoners  allowance  is  bread  and  water;  and 
I  had  often  only  the  latter.'  . . .  'the  canary-bird  sings  sweeter,  the  longer 
it  has  been  trained  in  an  darkened  cage.'  E''  135  '"I  have  painted  so 
nmch,"  Said  the  good  Jean  Paul,  in  his  old  days,  "and  I  have  never  .seen 
the  Oceau:  —  the  Oceau  uf  Etcrnity  I  shall  not  fail  to  see".'  E"-  203 
'Another  reuiark  is  by  Jean  Paul :  that  "as  in  art  so  in  conduct,  or  what 
we  call  morals,  before  there  can  be  an  Aristotle  with  his  critical  canons, 
there  niust  be  a  Homer,  many  Homers  with  their  heroic  Performances.' 
^—  E"  127  'Behind  its  glitter  stalks  the  shadow  of  Eternal  Death;  through 
it  too,  I  look  not  "up  into  the  divine  eye",  as  Richter  has  it,  "but  down 
into  the  bottomless  eyesoeket".'  Die  Stelle  stammt  aus  Jean  Paul,  Sieben- 
käs; übersetzt  bei  Carlyle  E2  273.  'And  when  I  looked  up  towards  the 
immensurable  world  for  the  divine  eye;  it  glared  down  on  me  with  an 
empty  black  bottomless  eye -socket  . . .'  E"»  48,  ohne  Jean  Paul  zu  er- 
wähnen, aber  in  Anführungszeichen:  '"and  looked  upwards  for  the  Di- 
vine Eye,  and  beheld  only  the  black,  bottomless  glaring  Death's  Eye- 
soeket," such  was  the  philosophic  fortune  he  (Diderot)  had  realised.' 
■—■  P.  235  '  "How  is  each  of  us,"  exciaims  Jean  Paul,  "so  lonely  in  the 
Wide  bosom  of  the  AU",  Encased  each  as  in  his  transparent  "ice  palace".' 
F2  67  'evil,  as  Jean  Paul  truly  says,  is  like  a  nightmare  —  the  instant 
you  begin  to  stir  yourself  it  is  already  gone.'  F-"'  208  'How  is  Each  so 
lonely  in  the  wide  grave  of  the  All,  says  Richter.'  —  'Das  goldene  Kalb 
der  Selbstsucht  wäch.st  bald  zum  glühenden  Phalarisochsen ,  der  seinen 
Vater  und  Anbeter  einäschert.'  Anm.  11  zu  Schmelzle,  Tales  2,  71  'The 
Golden  Calf  of  Self-love  soon  waxes  to  be  a  burning  Phalaris'  Bull, 
which  reduces  its  father  and  adorer  to  ashes.'  E-  18  'the  "golden-calf 
of  self-love"  ...  was  not  their  deity.'  EG  49  '"The  Golden  Calf  of  seif 
love,"  says  Jean  Paul;  "has  grown  into  a  burning  Phalaris'  Bull,  to 
consume  its  owncr  and  worshipper".'  E6  134  'If  men  had  lost  belief  in 
a  God  their  only  resource  against  a  blind  no-god,  of  necessity  and  Älecha- 
uisni,  that  held  theni  like  a  hideous  World-Steam  engine,  like  a  hideous 
Phalaris'  Bull,  iraprisoned  in  its  own  iron  belly,  would  be  . . .  revolt.' 
F-^  91  'Kinghood  in  his  person  is  to  expire  here  in  cruel  tortures  —  Uke 
a  Phalaris  shut  in  the  belly  of  his  own  red-heated  Brazen  Bull.' 
—  FR  3,  70  'the  moonlight  of  Memory,'  von  Jeau  Paul  entlehnt. 
Q.  Fixlein:  'was  noch  jetzt  im  Moudlicht  der  Erinnerung  . . .  unsere  Herzen 
aüfs  auflöset.'  Tales  2,  126  'which  yet  in  the  moonlight  of  Memory  . . . 
raelts  our  souls  in  sweetness.' 

Aus  der  'Vorschule  der  Ästhetik'  des  Jean  Paul   übersetzt  Carlyle 

E-^  48:  'Luther's  prose  is  a  half-battle;  fow  deeds  are  cqual  to  his  words.' 

HW  112   'Luther's   battle - voice.'     128  'Richter  says  of  Luther's  words: 

"his  words  arc  half-battles."   They  may  be  called  so.'    E^  167  'the  Luther, 

AroMv  f.  n.  Sprachen.    CVllI.  29 


450  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen, 

"whose  vvords  were  half  battles,"  and  such  half  battles  as  could  shake 
and   overset  half  Europe  with  their  canonading,   had  long  since  gone  to 

sleep.'  (Schiufa  folgt.) 

Berlin.  H.  Kraeger. 


Neuere  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete 
des  englischen  Romans. 

Die  Tauchnitz  -  Edition  hat  nach  löblichem  Brauch  wieder  einigen 
jüngeren  Autoren  zur  Verbreitung  ihrer  Werke  in  der  deutschen  Leserwelt 
verholfen.  Darunter  sind  mir  —  nicht  durch  ihre  Güte,  aber  wegen  ihrer 
Eigenart  —  zwei  Romane  aufgefallen: 

Flames   (vol.  3370,  3371)    und   The   Slave   (vol.  3419,  3420)   by 
Robert  Hichens. 

Ob  die  Aufnahme  dieser  zwei  umfangreichen  Werke  vom  litterarischen 
Standpunkte  aus  berechtigt  ist?  Ich  glaube,  ja.  Jedenfalls  werden  beide 
Romane  als  'Lesefutter'  ihre  Schuldigkeit  thun.  Auch  derlei  braucht  eine- 
buchhändlerische  Romanbibliothek,  wie  ja  vergleichsweise  die  litterarisch 
vornehmste  Bühne  von  'klassischen  Stücken'  allein  nicht  leben  kann. 
Als  Lesefutter  betrachtet  sind  die  beiden  Romane  freilich  nicht  ganz  un- 
gefährlich. Sie  gehen  einem  bedenklich  auf  die  Nerven,  weil  die  spannend 
entwickelten  Fabeln  mit  krankhaften  Problemen  spielen.  Erliest  man  sich 
den  Glauben,  so  verliest  man  sich  seinen  gesunden  Menschenverstand. 
Glücklicherweise  kann  das  Experiment  nicht  auf  die  Dauer  schaden.  Man 
bleibt  nicht  im  Banne  des  Buches,  nachdem  man  es  weggelegt.  Diese 
Lektüre  wirkt  wie  Spielerei:  der  Mangel  an  nachhaltigem  Ernst  zeitigt 
hinter  dem  Schlufs  das  Gefühl  innerer  Leere  beim  naiven  Leser. 

Hingegen  kommt  der  kritische  Leser  auf  seine  Rechnung.  Ihn  fesselt 
die  Mache,  und  darüber  hinaus  erfreut  er  sich  ab  und  zu  an  Proben 
echten  Talentes.  Er  hofft  für  die  Zukunft  des  Autors,  er  spintisiert  über 
die  verschiedenen  Möglichkeiten  einer  Entwickelung  des  noch  unsicher 
herumtastenden  Verfassers. 

Scheidet  man  nämlich  in  diesen  Romanen  zwischen  der  Hauptsache 
und  dem  Beiwerk,  so  ist  jene  verdriefsüch  schlecht,  dieses  erquicklich  gut, 
weil  erstere  krankhaft,  letzteres  gesund  ist.  Allerdings,  dafs  man  über- 
haupt eine  solche  Scheidung  vollziehen  kann,  bezeugt  bereits  einen  Grund- 
fehler des  Ganzen.  Dies  ist  nicht  einheitlich  wie  ein  Organismus,  dessen 
einzelne  Teile  notwendig  zusammengehören.  Die  sind  hier  eben  nicht 
künstlerisch  auseinander  entwickelt,  sondern  blofs  künstlich  miteinander 
verwickelt. 

Hauptsache  ist  alles,  aber  auch  nur  das,  was  zur  Darstellung  des 
Problems  gehört.  In  Flames  handelt  es  sich  um  einen  occultistischen 
Seelentausch,  im  Slave  um  Juwelenmanie.  Dort  bleibt  das  Problem  un- 
verständlich  wegen  seiner  Kompliziertheit,  hier  wegen  seiner  Einfachheit. 

In  Flames  führt  der  Held,  ein  junger,  reicher  und   vornehmer  Eng- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  451 

länder,  zu  Anfang  sein  Leben  in  leidenschaftploser  Reinheit.  Da  erwacht 
in  ihm  das  Verlangen  nach  einem  andersgearteten  Leben.  Doch  nur  mit 
der  Seele  eines  Andersgearteten  könnte  er  ein  solches  führen.  Sein  Wille 
wird  so  stark  in  ihm,  dafa  er  —  unbewufst  —  seine  Seele  gegen  die  eines 
anderen  tauseht,  der  —  ein  leidenschaftlicher  Sünder  —  eben  stirbt.  So 
wird  Valentine,  der  Hehl,  zu  Marr,  dem  Sünder.  Die  Seele  von  Marr 
lebt  in  Valentine  weiter,  während  dessen  Seele  als  Flamme  körperlos  über 
die  Erde  hinirrt.  Körperlich  l)leibt  also  Valentine  der  Alte,  die  Wand- 
lung ist  blol's  seelisch  und  vollzieht  sich  ihm  vorerst  unbewufst.  Sie  wird 
ihm  selbst  und  seiner  L^mgebung  nur  lungsam  und  schrittweise  klar.  Am 
deutlichsten  erweist  sie  sich  in  dem  ansteigenden  bösen  Einflufs,  den 
Valentine  auf  seinen  Freund  Julian  nimmt.  Früher,  da  er  noch  mit  Recht 
'the  Saint  of  Victoria  Street'  hiefs  wegen  seines  fleckenlosen  Wandels,  hat 
er  Julian,  ein  gutmütiges,  aber  schwaches  Weltkiud,  vor  den  Lockungen 
der  Sünde  zu  l)ewahren  versucht  und  durch  sein  Beispiel  das  auch  ver- 
mocht. Jetzt  zieht  er  ihn,  der  Sünder,  in  die  sündigen  Kreise  seines 
neuen  Lebens.  Immer  tiefer  sinkt  Julian  —  im  Glauben  an  Valentine. 
Erst  zum  Schlufs  erkennt  er  dessen  dämonische  Wandlung.  Nun  macht 
er  sich  innerlich  von  ihm  frei.  Und  so  kann  sich  auch  Valentine  von 
der  verderblichen,  fremden  Seele  befreien,  seine  reine  Seele  wiedergewinnen. 
Es  geschieht  im  selben  Augenblick.  Aber  diese  moralische,  resp.  seelische 
Wiedergeburt  kostet  beiden  ihr  physisches  Leben.     Sie  sterben. 

Ob  diese  krause  (ieschichte  einem  Occultisren  —  derb  herausgesagt  — 
ebenso  dumm  vorkommt  wie  mir,  weifs  ich  nicht.  Meine  liescheidcne  Bil- 
dung reicht  eben  nicht  bis  ins  occultistische  Gebiet  hinein.  Aber  ich 
möchte  es  glauben.  Denn  warum  sollte  ich  nicht  occultistisch  denken 
un<l  fühlen  lernen  au  der  Hand  des  Autors  während  der  Lektüre  seines 
Romans?  Die  Wirkung  jedes  Kunstwerks  besteht  doch  darin,  dafs  der 
Laie  für  die  Dauer  des  Geniefsens  sich  selbst  verliert  und  aufgeht  im 
Künstler,  dafs  er  dessen  vorgetäuschte  Welt  als  seine  Welt  empfindet,  also 
—  um  im  Bilde  zu  sprechen  —  des  Künstlers  Seele  gegen  seine  tauscht. 
Freilich  gelingt  das  nur,  wenn  der  Künstler  eine  lebensfähige  Welt  ge- 
schaffen von  innerer  Wahrheit,  wenn  er  durch  die  Mittel  seiner  Darstel- 
lung den  Laien  zur  unbewufsten  Nachschöpfung  gezwungen  hat.  Ich  habe 
nun  dem  Autor  gegenüber  versagt.  Warum?  Gewifs  nicht  wegen  Mängel 
der  Darstellung.  Sie  ist  so  lebendig,  dafs  sie  mit  ihrer  Fiindringlichkeit 
die  Nerven  zittern  macht,  solange  der  Stoff  nur  halbwegs  möglich  wirkt. 
Dieser  wird  aber  des  öfteren  und  besonders  am  verstimmenden  Schlufs 
zur  baren  Unmöglichkeit.     Der  Autor  scheitert  an  seinem  Stoff. 

Der  Grund  ist  leicht  einzusehen.  Der  Autor  bildet  seineu  Stoff  weder 
blofs  als  Realist  nach  dem  wirklichen  Leben,  noch  schöpft  er  ihn  nur 
aus  seiner  frei,  aber  naiv  schaffenden  Phantasie,  sondern  er  konstruiert. 
Dabei  vermengt  er  unverträgliche  Elemente.  So  gestaltet  er  einmal  nach 
dem  Leben.  Alles,  was  von  der  HaudluiiL'  realistisch  möglich  ist,  gehört 
hieher.  Mithin  dafs  ein  reiner  ^Mensch  das  Opfer  seiner  unreinen  Instinkte 
wird;  dafs  ferner  dieser  Mensch  die  Reinheit  an  anderen,  wie  er  sie  früher 

29* 


452  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

gefördert  hat,  nun  nicht  mehr  verträgt  und  den  andern  zur  Unreinheit  ver- 
leitet, ja  ihn  noch  tiefer  stöfst,  als  er  selber  steht;  dafs  endlich  der  Ver- 
führte sich  gegen  den  Verführer  aufbäumt,  sich  aus  der  Unreinheit  löst 
und  damit  wieder  auf  den  Verführer  zurückwirkt,  diesen  zu  seiner  früheren 
Reinheit  bekehrt.  Daraus  ersieht  man,  dafs  das  Problem  in  seinen  Gruud- 
zügen  völlig  realistisch  ist,  d.  h.  menschenmöglich  nach  unserer  gesunden 
psychologischen  Erfahrung.  Doch  es  ist  zu  gleicher  Zeit  gewöhnlich,  also 
im  oberflächlichen  Sinne  nicht  interessant.  Davon  will  aber  der  Autor 
seinem  Stoffe  eine  möglichst  starke  Dosis  beimischen.  So  sucht  er  das  im 
Kern  Gewöhnliche  wenigstens  durch  die  Schale  seltsam  zu  gestalten  und 
greift  zum  Zweck  der  Einkleidung  seiner  Fabel  nach  der  occultistischen 
Lehre  vom  Seelentausch.  Diese  Praktik  wäre  noch  erträglich,  wenn  er 
das  Kostüm  der  Figur  anpassen  würde,  wenn  er  den  occultistischen  Kram 
nur  als  Symbol  verwerten  würde,  als  blofse  sinnfällige  Ausdrucksform  für 
den  geistigeu  Gehalt.  Aber  er  macht  es  umgekehrt:  er  vergewaltigt  den 
Geist  durch  die  Form.  So  verfällt  er  den  lockenden  Reizen  hohler  Thea- 
tralik.  Er  verbildet  seinen  im  Wesen  gesunden  Stoff  zu  krankhaften  Un- 
möglichkeiten. Mit  seinen  äufserlichen  Effekten  bringt  er  sich  um  die" 
innerliche  Wirkung. 

Hat  sich  der  Autor  seine  Hauptfabel  in  stofflicher  Hinsicht  verdorben 
durch  seine  Sucht  nach  exotischen  Reizen,  so  wirkt  er  formal,  in  der  Dar- 
stellung als  Stilist,  meist  stark.  Freilich  nicht  als  Neuerer:  er  bleibt  in 
den  alten  Geleisen. 

Hier  war  seine  oberste  Sorge  auf  eine  gute  Komposition  gerichtet, 
also  auf  eine  wirkungsvolle  Gruppierung  der  einzelnen  Phasen  der  Fabel. 
Er  bleibt  bei  der  einfachsten  Manier:  streng  chronologisch  stellt  er  die 
Ereignisse  im  natürlichen  Ablauf  dar.  Das  war  bei  einem  so  verwickelten 
Thema  wohl  auch  nötig  zum  Zweck  der  Verständlichkeit. 

Im  weiteren  mufste  es  sich  ihm  um  die  künstlerische  Bewältigung 
der  Details  handeln.  WesentHch  hat  er  mit  zwei  Elementen  zu  operieren: 
mit  der  Lokalschilderung  und  der  Figurencharakteristik. 

Das  Lokal  kann  direkt  dargestellt  werden.  Da  wird  der  betreffende 
Schauplatz  objektiv  beschrieben,  so  wie  er  sich  einer  normalen  Betrach- 
tung zeigt.  Oder  aber  die  Darstellung  erhebt  sich  zu  subjektiver  Schil- 
derung: sei  es  dafs  der  Autor  den  Vorgang  auf  sich  wirken  läfst  und 
aus  dessen  Stimmungsgehalt  heraus  den  zugehörigen  Schauplatz  stim- 
mungsmälsig  färbt,  sei  es  dafs  er  die  Rolle  des  Schilderers  an  eine  der  in 
den  Vorgang  verflochtenen  Figuren  abtritt,  wodurch  die  Schildervmg  ein 
aktuelles  und  persönliches  Gepräge  erhält. 

Dies  sind  die  drei  wichtigsten  Arten  der  Darstellung  des  Milieu. 
Welche  Art  der  Autor  ausschliefslich  oder  vornehmlich  verwendet,  steht 
ihm  frei.  Die  Gesaintwirkung  mufs  sich  aber  hiedurch  verändern.  Je 
inniger  Vorgang  und  Schauplatz  miteinander  verwachsen,  um  so  intimer 
wird  der  Eindruck  beim  Leser  sein,  um  so  stärker  dessen  Illusion.  Die 
objektive  Darstellung  unterbricht  —  als  fremdes  Element  —  den  Gang 
der  Handlung  völlig.     Bei  situatiousgemäfser  Schilderung  wird  die  Stim- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  153 

muug  festgehalten.  Organisch  veröohmilzt  (la.s  Fabelstück  mit  dem  Lokal 
nur,  wenn  dessen  Schilderung  von  der  beteiligten  Figur  be.stritten  wird. 
Unser  Autor  mischt  alle  drei  Arten,  bevorzugt  aber  bei  weitem  die  ob- 
jektive. AJs  scharfer  Beobachter  frönt  er  uuküustlerisch  seiner  Lust  an 
direkter  T^okalbeschreibuug. 

Das  andere  Element,  mit  dem  er  im  einzelnen  zu  arbeiten  hat,  ist 
die  Figurencharakteristik.  Auch  sie  erfolgt  in  zweierlei  Weise:  direkt  in 
Form  eines  psychologischen  Kommentars  seitens  des  Autors,  der  den 
Leser  aufmerksam  maclit  oder  aufklärt,  indirekt  durch  die  Figur  selber, 
deren  geistiges  Wesen  sich  aus  ihrem  Thun  und  Lassen  erschliefst.  Dafs 
nur  die  indirekte  Charakterisierung  illusionierend  wirkt,  liegt  auf  der 
Hand.  Der  Kommentar  ist  tote  Wissenschaft  statt  lebendiger  Poesie. 
Unser  Autor  betreibt  nun  sehr  ausgiebig  diese  wissenschaftliche  Psycho- 
logie. Er  kommentiert  teils  gezwungen :  aus  Unvermögen,  den  Charakter 
in  durchsichtiger  Handlung  überzeugend  aufzulösen,  teils  überflüssig:  aus 
Hochmut,  weil  er  seinen  Leser  für  nicht  gescheit  genug  hält,  die  Figur 
im  Handeln  zu  durchschauen.  Er  betreibt  diese  Kommentiererei  offen  in 
Exkursen  oder  —  gleich  übel  im  Eindruck  —  verkappt,  wenn  er  eine 
Figur  psychologisch  meditieren  oder  mehrere  Figuren  psychologisch  dis- 
kutieren läfst. 

Die  Darstellung  im  Detail  ist  mithin  vorwiegend  altstilig,  episch  im 
äufserlichen  Sinne:  der  Autor  lüftet  alle  Augenblicke  sein  Inkognito, 
unterbricht  den  Gang  der  Handlung,  um  seinen  Leser  über  Lokal  oder 
Figur  autoritativ  zu  instruieren. 

Ganz  dieselbe  Prägung  trägt  auch  der  zweite  Roman.  Die  Ilaupt- 
handlung  von  Ihe  Slave  ist  folgende:  die  Heldin  —  ein  junges,  schönes 
Mädchen,  arme  Aristokratin,  somit  ohne  Aussichten  auf  eine  reiche  Hei- 
rat —  liebt  die  Juwelen  mit  ausschliefslicher  I^eidenschaft.  Gegen  Männer- 
liebe ist  sie  gefeit,  sei  das  die  ehrliche  Hingebung  ihres  treuen  Jugend- 
freundes oder  die  rührende  Verehrung  eines  knabenhaften  Akrol)aten  oder 
die  glühende  Sinnlichkeit  eines  sieggewohnten  Sängers.  Kühlen  Sinnes 
wird  sie  die  Frau  eines  alten,  häfslichen,  in  London  nur  halb  civilisierten 
Orientalen,  weil  einzig  er,  der  fabelhaft  Reiche,  sie  mit  Edelsteinen  über- 
schütten kann.  Sie  wird  seine  'Sklavin'.  Kühl  bleibt  sie  ihm  in  der 
kurzen  Ehe  auch  treu  bis  zu  seinem  plötzlichen  Tode.  Jetzt  bricht  der 
Reichtum  zusammen.  Der  Orientale  war  waghalsiger  Börsenspekulant  ge- 
wesen. Der  Witwe  bleibt  nichts  als  eine  sehr  bescheidene  Existenz  und 
—  ein  wunderbarer  Smaragd.  Er  war  ihr  einziges  persönliches  Eigentum 
in  der  Ehe,  das  Hochzeitsgeschenk  ihres  Mannes.  Dieser  Stein  allein 
repräsentiert  ein  Vermögen.  Aber  sie  kann  sich  von  ihm  nicht  trennen. 
Nicht  lange,  und  er  wird  ihr  geraubt.  Nur  stehlen  wollte  ihn  der  Dieb 
der  Schlafenden.  Aber  sie  erwacht,  und  es  entspinnt  sich  ein  Kampf  auf 
Tod  und  Leben.  Zuletzt  siegt  der  hünenhafte  Räuber  und  entkommt 
unerkannt,  bleibt  unentdeckt.  Die  Heldin  wandelt  dann  in  kalter  Gleich- 
gültigkeit durchs  Leben.  Bald  zwar  wird  sie  durch  Erbschaft  wieder 
reich.    Doch  sie  trauert  freudlos  um  den  verlorenen  Stein.    Da  entdeckt 


45-1  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

sie  zufällig  den  Räuber.  Er  ist  ein  brutal- widerwärtiges  Individuum,  das 
sich  in  Pseudoeleganz  an  die  Londoner  Gesellschaft  herandrängt,  natür- 
lich nur  als  Outsider,  soweit  man  mit  Geld  ohne  Namen  unter  allseitigem 
Argwohn  mitthun  kann.  Die  Heldin  lebt  wieder  auf.  Nun  verliert  sich 
die  Fabel  ins  Dunkle.  Nur  eine  Scene  noch:  die  Heldin  als  Frau  des 
Diebes  oder,  besser  gesagt,  des  Besitzers  vom  Smaragd,  in  der  Opernloge, 
glückstrahlend,  da  ihr  der  herrliche  Stein  wieder  um  den  Nacken  hängt. 

Wie  verwickelt  die  Fabel  ist,  so  verblüffend  einfach  ist  das  Problem : 
die  Heldin  hat  die  Juwelenmanie.  Sie  opfert  ihrem  Stein  alles:  Liebe, 
Ehre,  Anstand,  Lebensstellung  und  Wohlleben,  sie  kämpft  um  ihn  mit 
der  Todesverachtung  einer  verwundeten  Bestie,  sie  trauert  um  ihn  in  der 
Erschlaffung  einer  Geistesgestörten.  Alle  Register  werden  vom  Autor 
aufo'ezogen,  er  zeigt  uns  seine  Heldin  von  allen  Seiten.  Aber  immer  nur 
giebt  er  Thatsächliches,  blofs  äufsere  Erscheinungen,  niemals  erklärt  er 
aus  dem  Innenleben.  Von  Anfang  bis  zu  Ende  bleibt  die  Heldin  eine 
rätselhafte  Sphinx,  unbewegt  in  sich  trotz  ihres  bewegten  Lebens. 

Auch  das  ist  seltsam.  Wieder  verdirbt  sich  der  Autor  sein  Problem, 
indem  er  um  jeden  Preis  'interessant'  werden  will.  In  Flam.es  geht  er' 
positiv  zu  Werke:  er  überdeutlicht  durch  occultistische  Erklärung.  Im 
Slai-e  gefällt  er  sich  in  der  Negation  jeglicher  Begründung.  Hier  wie 
dort  narrt  er  seinen  Leser:  man  hofft  während  der  Lektüre  von  Seite  zu 
Seite  auf  eine  natürliche  Lösung.  So  verbirgt  der  Autor  jedesmal  den 
eigentlichen  Charakter  seiner  Probleme  —  wie  es  scheint  mit  berech- 
nender Absicht:  man  soll  ihn  nicht  durchschauen,  um  nicht  etwa  das 
Buch  mit  dem  bitteren  Wort  'Kolportageroman'  halbgelesen  aus  der  Hand 
zu  legen. 

Ich  freilich  hätte  beidemal  zu  Ende  gelesen  —  wegen  des  Beiwerks. 

Die  Romane  spielen  im  heutigen  London,  ihre  Hauptfabeln  auf  dem 
Boden  der  'Gesellschaft'.  Sie  spinnen  sich  aber  episodisch  auch  nach  den 
unteren  und  untersten  Schichten  der  Bevölkerung.  Der  Autor  kennt  sich 
oben  und  unten  gut  aus.  Er  hat  für  Klassen-  und  Kastenleben  da  und 
dort  ein  scharfes  Auge  und  weifs  ausgezeichnet  darzustellen.  Seine  Genre- 
scenen  sind  gut  abgerundet  und  treten  plastisch  heraus,  bestechen  durch 
überzeugende  Echtheit  und  atmen  warmes  Leben,  sie  heimeln  intim  an. 
Seine  Genrefiguren  verbinden  mit  den  herben  Konturen  von  Moment- 
bildern eine  typische  Tiefe,  die  sie  zu  wahren  Kunstgebilden  verallgemei- 
nert. So  in  den  genrehaften  Intermezzos.  Aber  der  Autor  ist  noch  mehr 
als  ein  treffsicherer  Sittenschilderer.  In  jeden  dieser  Gesellschaftsromaue 
verflicht  er  eine  'proletarische'  Nebenhandlung.  Wahrscheinlich  aus  der 
glücklichen  Erwägung  heraixs,  dafs  er  gegen  die  von  des  Gedankens  Blässe 
angekränkelten  Konstruktionen  seiner  Haupthandlungen  lebensfrische 
Gegengewichte  braucht. 

In  Flames  mutet  einen  das  Problem  der  Nebenhandlung  für  einen 
englischen  Roman  unserer  Zeit  sogar  sehr  kühn  an.  Die  Heldin  ist  eine 
Strafscndirne.  Sie  hat  alle  Unarten  und  Widerlichkeiten  des  verwahr- 
losten Mädchens  ai;s  dem  Volke,  das  so  tief  gesunken  ist.    Das  Typische 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  455 

der  Figur  wird  nicht  etwa  gemildert,  sondern  tritt  mit  stärkster  Deutlich- 
keit heraus.  Als  wichtige  Gestalt  mul's  sie  ja  eingehend  behandelt  werden, 
und  die  realistische  Manier  des  Autors  rückt  sie  in  helles  Licht.  Cuckoo 
wird  uns  in  allen  nur  halbwegs  möglichen  Situationen  vorgeführt.  Trotz- 
dem wirkt  sie  anziehend  und  liebenswürdig.  Freilich  zeigt  sie  uns  der 
Autor  in  der  aufsteigenden  Linie  ihres  Lebens,  wie  sie  sich  durch  ihre 
langsam  erwachende  und  mählich  anschwellende  Liebe  zu  Julian  aus  ihrem 
Pfuhl  nach  und  nach  herausarbeitet.  l>abei  wird  jede  falsche  Sentimen- 
talität und  geschminkte  Romantik  u  la  Dame  aux  Camdlias  völlig  ver- 
mieden. Sie  ist  die  Verlorene,  die  sich  wiederfindet.  So  wird  ein  mensch- 
lich wahres  Problem  natürlich  gelöst.  Es  ist  interessant  weil  originell, 
und  gesund  weil,  obschon  selten,  doch  nicht  seltsam.  Der  Sittenschil- 
derer  erhebt  sich  liier  zum  Lebensschilderer,  der  nachbildende  Beobachter 
zum  schöpferischen  Vorbildner. 

Ahnliches  gilt  für  die  Nebenhandlung  im  Slave.  Die  Heldin  gehört 
als  Tänzerin  im  Ballettchor  zur  Klein-Bohfeme.  Social  ist  sie  vollkommen 
das  Geschöpf  ihres  Milieu.  Sie  hat  alle  Unarten,  aber  nicht  die  Un- 
tugenden ihres  Standes.  Individuell  ist  sie  rein  und  fein,  nicht  in  den 
Formen,  aber  im  Wesen,  in  ihrem  Denken  und  Empfinden.  Mit  ihr,  der 
kürzlich  grundlos  verlassenen  Braut,  trifft  der  vornehme  Jugendfreund 
und  abgewiesene  Werber  der  Haupthcldin  zusammen.  Sie  sind  also  Lei- 
densgenossen. Er  fühlt  sich  bezwungen  von  der  stillen  Reinheit  ihrer 
Natur,  sie  erwärmt  sich  an  der  Freundschaft  des  Wunschlosen.  Bald 
dämmert  in  beiden  unbewufst  eine  schüchtern  keimende  Liebe.  Bevor  sie 
noch  bei  ihm  zum  Durchbruch  kommt,  erstickt  er  sie  in  seinem  Herzen ; 
er  will  eben  treu  in  Diensten  seiner  Dame  stehen.  Das  Mädchen  errät 
die  Wendung  mit  dem  Feinsinn  des  Weibes  und  findet  dann  ihren  Lebens- 
halt  einwandsfrei  in  einer  leidenschaftslos,  aber  sympathisch  geschlossenen 
Ehe.  So  sind  es  nur  gebrochene  Töne,  die  der  Autor  hier  anschlagen 
kann.  Das  Thema,  so  derb  es  seinem  der  niederen  Bohfenie  entwachsenden 
Milieu  nach  äuTserlich  auch  ist,  es  lebt  innerlich  von  zartester  Diskretion. 
Auch  dies  ist  dem  Autor  völlig  gelungen. 

Die  beiden  Mädchen  aus  der  unteren  Deniimonde  und  Bohfeme  sind 
dichterische  Schöpfungen  ersten  Ranges:  nienschlich  liebwert,  litterarisch 
fesselnd,  künstlerisch  bedeutend 

Überschaut  man  des  Autors  Verhalten  in  beiden  Romanen,  so  zeigt 
es  den  auffallenden  Gegensatz  zwischen  dem  raffinierten  Gestalten  der 
Haupthandlungen  und  dem  naiven  der  Nebenhandlungen.  Die  Ursache 
liegt  darin,  dafs  er  den  Stoff  für  jene  freischöpferisch  bildet,  für  diese  im 
Leben  findet.  Mit  jenem  scheitert  er,  mit  diesem  glückt  es  ilim.  Auf 
Grund  der  Beobachtung  zu  schaffen,  gelingt  ihm.  So  steht  er  auf  der 
ersten  Stufe  dichterischer  Entwicklung.  Wo  er  hingegen  souverän  aus 
freier  Phantasie  heraus  ein  gedankentiefes  Problem  in  Handlung  ver- 
körpern mufs,  da  wird  er  am  Problem  zum  unsicheren  Grübler,  und  die 
daraus  erwachsende  Handlung  kann  keine  festen  Umrisse  gewinnen.  Er 
ist  vor  dem  höchsten  Ziel  seiner  Kunst  elend  zusammengebrochen,  nach- 


45G  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

dem  er  das  nähere  prächtig  erreicht  hat.  Dies  Fehlschlagen  gilt  wohl 
blofs  für  die  Gegenwart.  Er  braucht  ja  sein  vielversprechendes  Talent 
nur  ruhig  ausreifen  zu  lassen.  Als  echter  Moderner  wollte  er  zu  rasch 
schaffen.  Weil  Wollen  und  Können  ihm  noch  nicht  im  Einklang  stand, 
suchte  er  die  ruhig  schaffende  Kraft  durch  das  nervös -übertreibende 
Raffinement  zu  ersetzen.  Wird  er  also  Geduld  mit  sich  haben,  so  wird 
sein  Leser  in  Zukunft  nicht  so  viel  Geduld  für  seine  Werke  brauchen. 

The  wordliugs  by  Leonhard  Merrick  (vol.  3457). 

Der  Roman  enttäuscht.  Sein  Autor  hat  sich  früher  mit  Besserem 
eingestellt.  Die  Enttäuschung  wird  um  so  gröfser,  als  man  sieht,  dafs 
der  Autor  mit  einem  guten  Stoff  infolge  einer  schlechten  Absicht  ge- 
scheitert ist.  Solche  persönliche  Auslegung  ist  zwar  gefährhch.  Aber 
wenn  sie  sich  dem  Beurteiler  so  deutlich  aufdrängt  wie  mir  hier,  dann 
darf  sie  wohl  ausgesprochen  werden.  Vielleicht  auch  darum,  weil  die  Be- 
gründung Principienfragen  aufrollt. 

So  wie  das  Buch  vorliegt,  gehört  es  zu  den  aUzu  vielen  Leihbibliothek- 
romanen. Das  bedeutet  erstlich  eine  verwickelte  Geschichte  in  spannender " 
Darstellung.  Dadurch  wird  die  Neugier  des  Lesers  dauernd  erhalten.  Es 
bedeutet  femer  eine  kuriose  Vorgeschichte.  Sie  ist  nicht  nur  technisch 
notwendig  als  Bedingung  für  die  verwickelte  Hauptgeschichte,  sondern 
auch  dem  Leser  förderlich,  weil  er  schon  durch  die  Materie  gleich  zu 
Anfang  gepackt  wird,  und  weil  das  seltsame  Element  seine  Sehnsucht 
nach  dem  Aulsergewöhnlichen  stillt.  Endlich  bedeutet  es  für  das  Problem 
einen  versöhnenden  Abschlufs.  Der  gute  Ausgang  der  Geschichte  ver- 
hindert, dafs  der  aufgerüttelte  Leser  dauernd  aus  seinem  philiströsen 
Gleichgewichte  herausgebracht  werde.  All  diese  primären  Anforderungen, 
die  der  Dutzendleser  an  den  Dutzendroman  stellt,  werden  vom  Autor  in 
seinem  Buche  pünktlichst  erfüllt. 

Denn  man  höre:  In  Südafrika  unter  den  Goldgräbern  stirbt  der  arm 
gebhebene  Philip  Jardine.  Vor  mehr  als  zwanzig  Jahren  hat  er  sich  — 
fast  noch  ein  Knabe  —  mit  seinem  Vater  verfeindet  und  war  von  Eng- 
land in  die  weite  Welt  gegangen.  Und  eben  jetzt  hat  der  Alte  —  durch 
unverhoffte  Erbschaft  adelig  und  steinreich  geworden  —  den  entfremdeten 
Sohn  heimberufen.  Zu  spät.  An  Philips  Bahre  trauern  seine  'Freundin', 
eine  verwitwete  Mrs.  Fleming,  abenteuerlichen  Ursprungs,  und  sein  Freund 
Maurice  Blake,  auch  ein  armer  Teufel.  Die  Frau  ist  untröstlich.  Philip 
hat  sie  nämlich  heiraten  wollen.  Hätte  er  es  gethan,  so  wäre  sie  jetzt 
als  Schwiegertochter  des  alten  Sir  Noel  glänzend  versorgt.  So  aber  blei- 
ben ihr  nur  traurige  Erinnerungen.  Da  fafst  sie  den  kühnen  Gedanken, 
Maurice  als  Philip  zu  Sir  Noel  zu  schicken.  Er  sieht  dem  Verstorbenen 
sehr  ähnlich,  er  soll  dessen  Rolle  spielen.  Dafür  mufs  er  ihr  zeitlebens 
ein  Viertel  seines  künftigen  Einkommens  abtreten  und  sie  in  England  ge- 
sellschaftlich placieren.  Nach  anfänglichem  Sträuben  geht  Maurice  auf 
den  Betrug  ein,  weil  ja  keinerlei  Verwandte  Sir  Noels  leben,  also  eigent- 
lich materiell  nur  der  Staat  um  das  Erbe  kommt.    Dies  die  Vorgeschichte. 


Heurleiluugeu  uiul  kurze  Anzcigeu.  457 

Die  Hauptgeschichte  gliedert  sich  in  drei  Teile. 

Im  ersten  gelingt  Maurice  der  Betrug  vor  Sir  Noel.  Baltl  gewinnen 
sich  der  Alte  und  der  Junge  lieb.  Überdies  verliebt  sich  Maurice  in 
Lady  Helen,  die  reizende  Tochter  einer  Gutsnachbarin.  Er  kämpft  zwar 
gegen  den  Gedanken,  den  Betrug  weiterznspinnen,  doch  der  Alte  drängt 
cnkelsüchtig  zur  Ehe,  und  im  Jungen  kapituliert  das  Gewissen  vor  der 
Leidenschaft.     Maurice  heiratet. 

Im  zweiten  Teil  tritt  Mrs.  Fleming,  die  Couiplice,  stärker  hervor. 
Bisher  ziemlich  ruhig  im  Hintergrund,  abgespeist  mit  ihrem  Viertel  am 
Geld,  wird  die  ehrgeizige  Frau  ungeduldig.  Sie  will  die  Erfüllung  des 
zweiten  Vertragspunktes,  will  durch  "Maurice  in  die  'Gesellschaft'  auf- 
genommen werden.  Er  kann  und  will  das  nicht.  Im  geheimen  dachte 
sie  sich  das  leicht  erledigt  durch  die  Heirat  mit  ihm.  Dieser  Plan  i.st 
gescheitert.  So  fordert  sie  nun  die  Aufnahme  in  sein  Haus.  Das  schlägt 
er  ihr  rundweg  ab.  Die  Freundin  wird  zur  Feindin.  Sie  bedroht  ihn 
immer  dreister.  EndUch  verliert  die  Abenteurerin  alle  Besonnenheit:  sie 
dringt  ins  Haus  und  enthüllt  der  jungen  Frau  das  Geheimnis  ihres 
Mannes. 

Der  dritte  Teil  zeigt  erst  den  Zusammenbruch  der  Ehe.  Doch  die 
junge  Frau,  die  mit  Maurice  nur  eine  kidile  Vernunftehe  geschlossen  hat, 
wird  nun  von  seiner  tiefen  Leidenschaft  für  sie  überwältigt.  So  flammt 
auch  in  ihr  die  echte  Liebe  auf:  sie  verzeiht  und  folgt  dem  reuigen 
Sünder  hinaus  in  die  ferne  Welt,  um  dem  Büfsenden  treu  zur  Seite  zu 
stehen. 

Prüft  man  die  Wirkung  des  Romans  auf  ihre  Ursache,  so  liegt 
diese  einzig  in  der  Fabel.  Ein  Mischmasch  von  unglaubwürdigen  Zu- 
fällen der  wunderlich  gebrauten  Vorgeschichte  schafft  die  Hauptgeschichte. 
Man  steht  hier  fortwährend  vor  der  spannenden  Frage:  wird  der  Be- 
trug auch  im  weiteren  gelingen?  Denn  imiuer  neue  Gefahren  erstehen 
dem  Betrüger  von  aufsen  her.  Erst  der  Schlufs  bringt  eine  innere  Lösung 
nach  dem  äufserlichen  Zusammenbruch  durch  die  seelische  Wandlung 
der  jungen  Frau.  Wesentlich  sind  also  die  Wordlinys  ein  Abenteurer- 
roman. Das  erweist  die  Stoffverteilung:  Vorgeschichte  =  40,  Haupt- 
geschichte I  =  120,  II  =  80,  III  =  10  Seiten.  Die  fabulistische  Partie 
umfaTst  210,  die  psychologische  40  Seiten.  Mithin  fällt  dieser  nur  ein 
Siebentel  vom  Ganzen  zu. 

Ob  das  die  ursprüngliche  Absicht  des  Autor.<  war?  Ich  glaube  nicht. 
Mir  scheint,  dafs  er  zur  krausen  Fabulistik  nur  gegriffen,  um  die  Ba.><is 
für  einen  interessant  -  verwickelten ,  psychischen  Prozefs  zu  gewinnen. 
Er  sucht  nämlich  das  sonderliche  Seeleideben  seines  Helden,  des  gut- 
gearteten und  halbschuldigen  Betrügers  in  seiner  Gewissensnot,  nach 
Kräften  herauszustellen.  Aber  das  gelingt  dem  Autor  nur  teilweise.  Denn 
Fabel  und  Psychologie  gehen  blofs  Hand  in  Hand,  sind  aber  nicht  orga- 
nisch verwachsen.  Sie  bedingen  sich  nicht  wechselseitig.  Souverän  ent- 
wickelt sich  die  Fabel  aus  ihren  fabulistischen  Prämissen.  Die  psychischen 
Erscheinungen  im  Helden  sind  blofs  die  Reflexe  der  einzelnen  Phasen  der 


458  Beurteilungeu  und  kurze  Anzeigen. 

Fabel.  Die  notwendige  Folge  ist,  dafs  das  fabulistische  Element  das 
psyclaologisdae  überwuchert,  weil  ihm  die  Führung  der  Handlung  zu- 
gefallen ist,  dafs  es  mit  seiner  brutaleren  Wirkung  die  Aufmerksamkeit 
des  Lesers  fast  völlig  in  Anspruch  nimmt.  So  in  der  fabulistischen 
Hauptpartie  (S.  1 — 240).  Im  knappen  Schlufsteil,  wo  das  psychologische 
Element  regiert,  wo  es  sich  um  den  seelischen  Kampf  der  Ehegatten  han- 
delt, da  verläfst  den  Autor  die  Kraft:  er  führt  nicht  mehr  aus,  er  deutet 
nur  an.  Aber  gerade  im  psychologischen  Prozefs  vernichtet  ein  sum- 
marisches Verfahren  jede  Wirkung.  Überschaut  man  das  Ganze,  so  er- 
hält man  den  Eindruck,  dafs  dem  Autor  die  Nebensache  zur  Hauptsache 
geworden.  Er  hat  die  Fabulistik  herangerufen  als  Dienerin  der  Psycho- 
logie, und  die  derbe  Magd  hat  die  zarte  Herrin  vergewaltigt. 

Ob  der  Autor  im  Verlauf  der  Arbeit  dabei  mit  geholfen  ?  Ich  möchte 
es  glauben  und  mit  Liebedienerei  für  den  banalen  Dutzendleser  begründen. 
Denn  sollte  die  Verschiebung  des  Schwerpunktes  vom  psychologischen 
zum  fabulistischen  Elemente  nur  ein  Kompositionsfehler  gewesen  sein? 
Es  mülste  doch  für  den  Autor  klar  gewesen  sein,  dafs  die  einzelnen  Phasen 
der  äufseren  Handlung  für  die  Darstellung  seines  psychologischen  Problems" 
sehr  ungleichen  Wert  besitzen,  dafs  sie  also  auch  sehr  ungleich  ausgeführt 
werden  müssen :  im  umgekehrten  Verhältnisse  zu  ihrem  fabulistischen,  im 
geraden  zu  ihrem  psychologischen  Gehalt.  Thatsächlich  arbeitet  der 
Autor  jene  Partien  detailliert,  diese  summarisch  aus.  Wo  die  Einsicht  so 
leicht  ist,  wirkt  der  Verstofs  wie  üble  Absicht. 

A  master  of  craft  by  W.  W.  Jacobs  (vol.  3474). 

Dieser  Roman  charakterisiert  sich  mit  den  Schlagworten :  im  Stoff 
modern,  in  der  Form  realistisch,  im  Geist  humoristisch.  Dazu  echt  eng- 
lisches Milieu  mit  der  Bodenständigkeit  an  der  unteren  Themse.  Wäre  das 
"Werk  dramatisch,  so  müTste  man  es  Komödie  nennen.  Es  erinnert  an 
eine  solche  durch  den  symmetrischen  Aufbau  der  Handlung.  Träger  der- 
selben ist  der  Held,  ein  Amoroso,  verliebt  und  verlobt  schon  zu  Anfang 
nach  mehreren  Seiten  hin.  Folglich  in  bedrängter  Lage  —  seine  Frauen- 
zimmer lassen  nicht  locker.  Weil  er  natürlich  nur  eine  heiraten  kann, 
verschlingt  sich  die  Handlung  immer  mehr,  verschlimmert  sich  seine  Lage 
immer  ärger.  Seine  Schlauheit  im  Entschlüpfen  hat  immer  kühnere 
Proben  zu  bestehen.  Diese  ansteigenden  Erfolge  bringen  ihm  aber  schliefs- 
lich  den  verdienten  Generalmifserf olg :  er  verliert  seine  Bräute  alle  an 
seine  Rivalen.     Der  vielfach  Liebelnde  geht  liebeleer  aus. 

In  der  knappen  Komödienform  könnte  das  Problem  zwar  lustig  gelöst 
werden,  erhielte  aber  durch  die  summarische  Beschränkung  auf  die  Haupt- 
züge den  bitteren  Beigeschmack  der  Konstruktion.  Im  breiten  Roman 
jedoch  ist  Platz  für  die  detaillierte  Darstellung  der  Hauptsache  und  für 
eine  Fülle  eingeschalteter  Episoden,  was  alles  dem  Ganzen  die  Lebenswahr- 
heit antäuschen  kann.  Diesen  Vorteil  nimmt  unser  Autor  in  geschickter 
Weise  wahr.  Er  umkleidet  das  nackte  Gerüst  der  Handlungscenen  mit 
köstlichem  Genre.    Er  läfst  die  Kleinaktionen   seiner  Hauptfiguren   stets 


Beurteilungen  iiiid  kurze  Anzeigen.  459 

inmitten  breitgeführter  .Situationen  abspielen.  80  gewinnt  er  einen 
lebendigen  Hintergruml  für  den  kbbaften  Vordergrund,  so  individualisiert 
er  seine  AUerweltsgeschicbte.  Weil  wir  an  das  gut  gezeichnete  Genre 
dank  der  intimen  Darstellung  glauben  müssen,  finden  wir  auch  <len 
(rlauben  an  die  melir  typische  und  stark  konstruierte  Centralfabel.  Der 
Hauptsache  wird  durch  die  Nebensachen  erst  das  rechte  Leben  einge- 
blasen. 

Mit  dem  Genre  hat  es  für  uns  kontinentale  Leser  freilich  auch  seinen 
Haken.  Das  Genre  soll  hier  nicht  nur  sittenschildernd  illustrieren,  son- 
dern ebensosehr  unterhalten,  weil  der  Autor  Realist  und  Humorist  sein 
will.  Eine  humoristische  Scene  oder  Figur  darf  nun  in  der  Darstellung  nur 
charakteristisch  angedeutet  werden.  Volle  Ausführung  würde  schwerfällig 
wirken  und  weniger  intim,  weil  der  Loser  aus  Eigenem  nichts  mehr  hinzu- 
bringen könnte.  Auch  unser  Autor  giebt  oft  blofs  Andeutungen,  die  uns, 
weil  wir  an  der  unteren  Themse  nicht  zu  Hause  sind,  oft  unverstanden 
oder  halberkannt  bleiben.  So  verpufft  für  uns  gar  manches.  Mit  der 
Hodenständigkeit  nimmt  eben  die  Wirkung  in  die  Ferne  ab.  Wenn  also 
ein  derartiges  Werk  bei  uns  auch  noch  wirkt,  so  bedeutet  diese  Fest- 
stellung bereits  eine  starke  Anerkennung. 

Innsbruck.  R,  Fischer. 

English  letters,  von  Dr.  Johaun  ElHnger  (Schulbibl.  frz.  u.  engl. 
Prosaschriften  aus  der  neueren  Zeit,  herausgegeben  von 
L.  Bahlsen  und  J.  Hengesbach,  Abt.  11,  33.  Bändchen). 

Als  Gegenstück  zu  Engwers  Sammlung  'Lettres  fraufaises'  gearbeitet, 
bietet  der  Band  auf  den  Seiten  7— 65  'Familiär  Letters'.  Etwa  20  Seiten 
dieses  Abschnittes  werden  von  einer  Auswahl  von  Briefen  Harry  Fludyers 
eingenommen;  die  üljrigen  sind  teils  von  'berühmten',  teils  von  'luibe- 
rühmten'  Personen  in  neuerer  und  neuester  Zeit  wirklich  geschrieben 
worden.  Ein  Teil  derselben,  Briefe  1 — 9,  dürften  inhaltlich  nicht  bedeu- 
tend genug  sein,  um  Verwendung  im  Unterricht  in  einer  U  II  oder  U  I 
zu  finden.  Ahnlich  steht  es  mit  den  meisten  Briefen  des  zweiten  Teils 
des  Bändchens,  S.  65 — 110,  der  nichts  mehr  und  nichts  weniger  ist  als 
eine  Anleitung  zur  Abfassung  von  Geburtstags-  und  Dankesbriefen,  Stellen- 
gesuchen, Geschäftsbriefen. 

Die  Introductory  Observations,  S.  1  —  6,  enthalten  einige  praktische,  all- 
gemeine Winke  für  die  Abfassung  eines  englischen  Briefes.  Unrichtig  ist 
S.  5:  'Uie  younger  sons  of  EarJs  are  styled  Honoiirable  and  Esquire,  the  Jatter 
title  being  mritten  in  füll,  not  as  the  common  Esq.  of  courtcsy.'  An  die 
jüngeren  Söhne  von  Earls  adressiert  man  vielmehr:  The  Honoiirable  . .  ., 
nämlich  mit  folgendem  Vor-  und  Familiennamen  (also  nicht  etwa  dem 
Titel  des  Earls)  und  nichts  weiter.  Richtig  ist  über  den  Unterschied 
von  Esquire  und  Esq.,  was  Klöpper  in  seinem  Rcullexikon  unter  Esquire 
■  sagt:   'als  Zeichen  höheren  Respektes  schreibt  man  das  Wort  ganz  aus'. 

Der  Hauptteil  des  Bändchens  ist  sorgfältig  gearbeitet.    Sollte  Carlyle 


460  Beurteilnugen  und  kurze  Anzeigen. 

wirklich  geschrieben  haben  (S.  43) :  Nothing  in  your  letter  was  thoicsandth- 
part  so  interesting  as  . . .,  so  würde  dazu  eine  Anmerkung  zu  machen 
sein,  die  auf  das  vor  tkousandthpart  nötige  a  hinweist.  Das  gleiche  gilt 
für  Dickens,  der  1860  geschrieben  haben  soll:  I  am  something  tvom  to-day 
und  nicht  somewhat  (S.  79).  A  long  time  hos  elapsed  since  I  did  not  drop 
a  Single  lim,  S.  65,  halte  ich  nicht  für  korrekt  und  würde  empfehlen 
si7ice  I  last  dropped  a  litte. 

Zu  dem  Kapitel  'Anmerkungen'  gestatte  ich  mir  zu  sagen,  dafs  solche 
wie:  'Folkestone,  Hafenstadt  südwestlich  von  Dover',  'Shakespeare,  William, 
1504—1616,  gröfster  englischer  Dramatiker,  schrieb  36  Dramen',  'Julius 
Caesar,  eine  der  Hauptpersonen  in  dem  gleichnamigen  Trauerspiel  Shake- 
speares', 'Plymouth,  einer  der  wichtigsten  Häfen  und  zugleich  eine  der 
schönsten  Städte  Englands',  'Manchester,  Stadt  in  Laucashire,  im  Nord- 
westen Englands'  und  viele  andere  ähnliche  keinen  anderen  Zweck  erfüllen 
als  die  Seiten  zu  füllen. 

Die  Bemerkung  S.  113:  'my  wife  wird  von  gebildeten  Leuten  nicht 
gebraucht'  halte  ich  für  unrichtig.  Übrigens  schreibt  eine  offenbar  recht 
gebildete  Dame  (Amerikanerin?)  an  Dr.  Hengesbach  (s.  S.  65):  'compli- 
ments  to  your  wife'.  Dafs  man  zu  den  Army  and  Navy  Cooperative  Stores 
in  London  nur  mit  'besonderen,  auf  höhere  Empfehlung  ausgestellten  Be- 
nutzungskarten Eintritt  hat',  ist  unrichtig,  wie  ich  aus  wiederholten  Be- 
suchen in  dem  Kiesenbazare  weifs.  Keinem  Augehörigen  der  besseren 
Gesellschaft  wird  der  Eintritt  versagt.  Niemand  fragt  nach  einer  Ein- 
trittskarte. Der  Verkauf  geschieht  allerdings  nur  an  Mitglieder,  die  nach 
den  Vorschriften  auch  allein  den  Vorteil  der  billigen  Preise  haben  sollen. 
Weniger  streng  ist  man  in  den  Civil  Service  Stores,  wo  man  auch  Nicht- 
mitgliedern  Waren  verkauft,  wofern  sie  bar  zahlen.  —  Nach  S.  118  ist 
Th.  Carlyle  em  viel  belesener  Schriftsteller. 

So  wichtig  meines  Erachtens  eine  Anleitung  zur  Abfassung  von  Briefen 
für  den  neusprachlichen  Unterricht  ist,  so  dürfte  doch  die  Benutzung  von 
Briefen  als  Lektüre  Schwierigkeiten  finden,  schon  wegen  der  notwendigen 
Wahrung  der  Einheit  des  Interesses.] 

Biebrich  a.  Rh.  Her  man  Lewin. 

A'  ti'ip~  to  England  by  Goldwin  Smith,  mit  Anmerkungen  ver- 
sehen von  Dr.  G.  Wendt  (Schulbibliothek  frz.  u.  engl.  Prosa- 
schriften aus  der  neueren  Zeit,  herausgeg.  von  L.  Bahlseu 
und  J.  Hengesbach,  Abt.  II,  34.  Bäudchen). 

Goldwin  Smith,  ursprünglich  englischer  Jurist  und  Professor  der  Ge- 
schichte in  Oxford,  folgte  1868  einem  Eufe  nach  Amerika,  um  zunächst 
an  der  Universität  Ithaka,  später  in  Toronto  Vorlesungen  über  englische 
Geschichte  und  Verfassungsgeschichte  zu  halten.  Er  ist  ein  fruchtbarer 
Schriftsteller.  Das  vorliegeude  Werk  ist  hervorgegangen  aus  Vorlesungen, 
gehalten  vor  amerikanischen  Freunden  nach  einer  Reise  in  die  alte  Hei- 
mat, der  er  in  Liebe  zugethan  geblieben  ist. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  461 

Es  war  ein  glücklicher  Gedanke,  uns  diesen  Text  als  Rildungsuiitt^l 
für  die  oberen  Klassen  der  Realanstalten  zugänglich  zu  machen.  Es 
zeichnet  sich  aus  ilurch  einen  abgerundeten  Stil,  die  Sachlichkeit  des  Ur- 
teils, die  Reichhaltigkeit  von  eigenartigen  Ciepichtspuukten  des  Verfassers 
bei  der  Anordnung  des  Stoffes,  den  er  in  seltenem  Grade  beherrscht. 
Das  Werkchen  ist  wie  kaum  ein  zweites  geeignet,  die  Kenntnis  von  Land 
und  Leuten  zu  vermitteln.  Es  zerfällt  in  eine  geschichtliche  Einleitung, 
27  Seiten,  und  eine  Reihe  von  Abschnitten,  die  ["niversitäton,  Great  Eng- 
lish  Public  Schools,  Heer  und  Flotte,  Land-  und  Stadtleben,  Klima,  Eisen- 
bahnen, Klubs,  Gesellschaftsleben,  Kunst  und  Wissenschaft  und  vieles 
mehr  auf  70  Seiten  behandeln. 

Die  Anmerkungen,  S.  97 — 116,  sind  zweckmäfsig  und  äufserst  lehr- 
reich, wie  das  bei  einem  so  grofsen  Kenner  englischer  Realien,  wie  G.  Wendt, 
nicht  anders  zu  erwarten  ist.  Möchten  sich  doch  auch  andere  Heraus- 
geber zur  Richtschnur  nehmen,  was  Wendt  über  Anmerkungen  S.  VI 
sagt:  'Ich  habe  mich  auf  das  Notwendigste  beschränkt  und  nichts  ge- 
geben, was  in  den  gewöhnlichsten  Handbüchern  steht  oder  sonst  als  be- 
kannt vorausgesetzt  werden  kann.' 

Zu  S.  1Ü6 — 34,  10:  Geturnt  (in  unserem  Sinne)  wird  in  England  nicht, 
wäre  zu  bemerken,  dafs  es  auf  dem  Truppenübungsplatz  Aldershot  eine 
besteingerichtete  Turnhalle  giebt,  in  der  die  Rekruten  regelrecht  im  Turnen 
ausgebildet  werden. 

Die  Anfügung  eines  Registers  zu  den  Anmerkungen  ist  dankbar  zu 
begrüfsen. 

Biebrich  a.  Rh.  Herman  Lewin. 

First  days  iu  Euglaud  or  talk  about  English  life.  By  Emily 
J.  Candy.  Für  deu  Scliulgebrauch  lierausgegebeu  vou  Emily 
J.  Candy  (Französische  u.  euglische  Schulbibliothek.  Heraus- 
gegeben von  Otto  E.  A.  Dicknianu.     Reihe  C,   Bd.  XXV). 

Das  Bändchen  schildert  die  ersten  Eindrücke,  die  eine  junge  Deutsche 
von  Land  und  Leuten  in  England  erhält,  da  sie  mit  ihrem  Gemahl,  einem 
jungen  Engländer  aus  guter  Familie,  in  ihrer  neuen  Heimat  anlangt.  Es 
bildet  ein  treffliches  Hilfsmittel  zur  Einführung  in  das  englische  Gesell- 
schaftsleben. Das  Leben  in  einem  der  ersten  Londoner  Hotels,  Familien- 
leben der  oberen  Klassen,  die  Vergnügungen  derselben,  Gottesdienst,  die 
Sehenswürdigkeiten  Londons,  Wahlen  —  alles  das  hat  einen  Platz  darin 
gefunden. 

Leider  finden  sich  in  dem  Bändchen  einige  Druckfehler  und  Unge- 
nauigkeiten.  Lies  S.  2:  of  this  kind  und  Admiralty  Pier.  S.  12:  con- 
tinual.  S.  22:  visitor.  S.  23:  principal.  S.  27:  vicious.  S.  62  und  74: 
bachehr.  S.  77:  es  scheint  mir  zweifelhaft,  ob  man  sagt:  to  carve  the  fish 
(Did  different  joints ;  besser  wohl  to  help  the  fish  and  carte  the  Joint.  S.  83  f.: 
ein  huntiiig-sportsman  spricht  nie  von  'dogs',  sondern  von  'fiounds'.  S.  103 : 
nioment. 


462  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

In  den  Annotations  (zwölf  Seiten)  —  die  Anmerkungen  sind  in  eng- 
lischer Sprache  abgefafst  —  überwiegt  bibliographisches  Material.  Shake- 
speares Leben  wird  in  sechzehn  Zeilen  von  der  Wiege  bis  zum  Grabe 
abgehandelt.  Nicht  viel  besser  ergeht  es  den  anderen  litterarischen  und 
•sonstigen  Gröfsen. 

Biebrich  a.  Rh.  Herman  Lewin, 

Heinrich  Schneegans,  Molifere  (42.  Bd.  der  'Geisteshelden/  eine 
Sammlung  von  Biographieen).  Berlin,  Ernst  Hofmann  u.  Co., 
1902.    IX,  261  S.  8.    M.  2,40. 

Zu  den  deutschen  Moliöremonographien  von  Lotheifsen  und  Mahren- 
holtz  gesellt  sich  nun  nach  etwa  zwanzigjährigem  Zwischenraum  eine  dritte, 
die,  obgleich  für  weitere  Kreise  bestimmt,  auch  dem  Fachmann  manches 
Neue  bringen  dürfte.  Nicht  blofs  auf  eine  zusammenfassende  Verwertung 
der  neuesten  Forschungsergebnisse  kam  es  dem  Verfasser  an,  er  wollte 
auch  die  Eigenart  Moliferes,  seine  dichterische  und  technische  Schaffens- 
weise, die  kulturelle  Bedeutung  seiner  Satire  und  den  innigen  Zusammen- 
hang von  Erlebnis  und  Dichtung  in  der  Moli^reschen  Komödie  unter  ein 
besseres  Licht  rücken. 

Diese  letztgenannte  Absicht  ist  für  die  ganze  Form  der  Darstellung 
bestimmend  geworden:  Schneegans  verflicht  die  biographische  Erzählung 
aufs  innigste  und  in  'streng  chronologischer  Anordnung'  mit  der  litterar- 
historischen  und  ästhetischen  Würdigung  der  einzelnen  Komödien,  so  dal's 
sich  jedesmal  aus  dem  Erlebnis  die  seelische  Stimmung  und  aus  dieser 
wieder  die  dichterische  Schöpfung  erklärt.  Dafs  durch  dieses  Verfahren 
das  Verständnis  in  mannigfachster  Weise  vertieft  wird,  kann  gewifs  nie- 
mand in  Abrede  stellen,  der  das  schöne  Buch  gelesen  hat.  Man  wird 
auch  dem  Verfasser  nicht  vorwerfen  dürfen,  er  habe  etwa  die  allgemeine 
und  sociale  Bedeutung  von  Moli^res  Werk  darüber  vernachlässigt,  oder  er 
sei  im  Aufspüren  des  historischen  und  psychischen  Substrats  der  Dich- 
tung zu  weit  gegangen.  Seine  Betrachtung  bemüht  sich  vielmehr  in  jedem 
einzelnen  Falle  wieder  der  löblichsten  Vielseitigkeit. 

Wenn  sich  aber  der  Litterarhistoriker  einer  so  komplizierten  Erschei- 
nung wie  Moli^res  Leben  und  Werk  gegenüber  in  eine  Darstellungsform 
verschliefst,  die  nach  einem  einzigen  Grundgedanken  aufgebaut  ist,  so 
verzichtet  er  damit  notwendigerweise  auf  eine  Reihe  von  Vorteilen,  die 
ihm  eine  biegsamere  Disposition  gewährt  hätte.  Die  Subjektivität  ist  eben 
iuiiner  nur  eine  Seite,  und,  ich  glaube,  nicht  einmal  die  wichtigste  in 
Moliferes  geistiger  Physiognomie.  Auch  Schneegans,  so  scharf  er  sein 
Augenmerk  darauf  richtet,  hat  sie  nur  als  ein  zeitweilig  hervorbrechendes, 
nicht  als  ein  dauernd  herrschendes  Princip  des  künstlerischen  Schaffens 
zu  erweisen  vermocht. 

Sollte  nicht  vielmehr  die  Objektivität  bei  Mohäre  das  überwiegende 
Element  sein?  Sollte  man  nicht  auf  seine  persönliche  Subjektivität  erst 
dadurch   aufmerksam  geworden  sein,   dafs  sie  wie  etwas  Ausnahmsweises, 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  463 

Plötzliches,  Blitzartiges  herausbricht?  Gerade  durch  ihr  explosives  Auf- 
treten wirken  diese  Gefühlsergüsse.  Wir  Modernen  mit  unserer  psycho- 
logischen Neugier  freuen  uns,  so  oft  wir  den  Dichter  auf  einem  Selbst- 
bekenntnis ertappen.  Aber  kaum  dürfte  es  einen  zweiten  Dramatiker 
geben,  der  mit  ähnlicher  Objektivität  und  Strenge  über  sein  Herz  gewacht 
hätte  wie  Moliere.  Wer  aufser  ihm  hätte  es  vermocht,  das  eigene  Lebens- 
unglück komisch  zu  verwerten,  wie  es  im  Misanthrop  geschehen  ist?  Und 
wenn  das  Stück  uns  'kalt  anmutet,'  so  glaube  ich  nicht,  dafs  der  Grund 
in  der  Un Wahrscheinlichkeit  des  .Vufbaues  oder  in  der  mangelhaften  Indivi- 
dualisierung der  Nebenfiguren  zu  suchen  sei,  wie  Schneegans  möchte 
(S.  150),  sondern  wohl  darin,  dafs  der  normale  Mensch  dem  Dichter  nicht 
mehr  zu  folgen  vermag  in  die  feine  Höhenluft  jener  Komik  und  Selbst- 
ironie. Besonders  bei  uns  Deutschen  fängt  das  Mitgefühl  und  die  tra- 
gische Empfindung  bälder  an,  an  einem  Punkte,  wo  der  objektiver  ver- 
anlagte Franzose  noch  das  Komische  des  Konfliktes  zu  geniefsen  vermag. 
Dazu  gehört  aber  jene  venuinftmäfsige  Strenge  und  jene  ästhetische  Ent- 
haltsamkeit dem  eigenen  Gefühlsleben  gegenüber,  welche  die  innere  Gröfse 
aller  klassischen  Kunst  ausmacht.  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  mufs 
uns  gerade  der  Misanthrop  als  die  höchste  Leistung  des  Molifereschen 
Geistes  erscheinen.  Zum  wirklichen  Geuufs  des  Werkes  aber  mufs  das 
Publikum  —  und  besonders  das  deutsche  —  erst  erzogen  werden;  und 
das,  glaube  ich,  konnte  eben  dadurch  erreicht  werden,  dafs  man  weniger 
auf  die  sporadischen  subjektiven  Gefühlsäufserungcn  in  Molieres  Werken 
aufmerksam  machte,  als  vielmehr  auf  die  edle  Strenge  und  Objektivi- 
tät, die  ungetrübte  —  ich  will  durchaus  nicht  sagen:  kalte  — ,  son- 
dern höchst  gesunde  Vernünftigkeit  seines  Geistes.  So  lange  sich  der 
Deutsche  mit  dieser  Grundeigenschaft  ]\Iolicrcs  nicht  befreundet,  werden 
wir  es  immer  zu  beklagen  haben,  dafs  der  grofse  Komiker  bei  uns  uicht 
populär  ist. 

Die  Vernunft,  gepaart  mit  einem  künstlerischen  Harmoniegefühl, 
viel  mehr  als  der  ethische  Hafs  gegen  die  Lüge  oder  als  persönliche  Ge- 
fühle, sind  der  Boden,  aus  dem  mir  seine  Komik  und  Satire  gewachsen 
zu  sein  scheint.  Wir  werden  gewiis  dem  Verfasser  beistimmen,  wenn  er 
sagt:  'Wer  sich  anders  giebt,  als  er  ist,  wer  besser  scheinen  will,  als  die 
Natur  ihn  gemacht  hat,  der  ist  seinem  Spotte  unbarmherzig  verfallen. 
Dieser  Grundzug,  der  Kampf  gegen  den  Schein  und  die  Unnatur,  unter 
welcher  Form  sie  sich  verbergen  mögen,  durchzieht  wie  ein  roter  Faden 
sein  ganzes  Wirken.  Die  Preciösen  und  die  Älarquis  hatte  er  aus  die- 
sen Gründen  bisher  angegriffen.  Die  heuchlerischen  Frömmler,  welcher 
Partei  sie  auch  angehören  mochten,  verfolgte  er  demselben  Ideal  der 
Wahrheit  zuliebe.'  Trotzdem  möchte  ich  glauben,  dafs  Moliere  zunächst 
weniger  der  heroische  Vorkämpfer  für  \\"ahrheit  und  Aufrichtigkeit  war, 
als  der  taktvolle  Franzose,  dem  aller  Widerspruch  von  Schein  ui\d 
Sein  als  komisches  Motiv  erscheint,  als  Lachgelegenheit.  Er  ist  kein 
Juvenal.  Wenn  sich  seine  Thätigkeit  bald  zu  einem  heroischen  Kampfi' 
uml  zur  Satire  gestaltet  hat,  so  ist  das   wohl  eher   das  Verdienst  seiner 


464  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Feinde,  die  ilin  dazu  zwangen,  als  der  AusfluTs  einer  subjektiven  Streiter- 
natur. 

Die  Neigung,  im  Menschen  eher  den  Typus  und  den  Charakter  als 
das  Individuum  zu  erfassen,  beruht  bei  Molibre  manchmal  wohl  auf  einem 
Versagen  der  schöpferischen  Phantasie,  öfters  wohl  auf  einer  Konzession 
an  die  klassische  Poetik,  in  der  Hauptsache  aber  doch  auf  seinem  starken 
Bedürfnis  nach  Verallgemeinerung  und  Objektivierung  des  Geschauten, 
lOrlebten  und  Erlittenen.  Sogar  das  Wenigste  in  seiner  Objektivität  ist 
zeitlich  bedingt  oder  konventionell.  Man  kann  nicht  wissen,  was  aus  dem- 
selben Mann  geworden  wäre,  wenn  er  unter  dem  Zeichen  der  Romantik 
gelebt  hätte;  aber  soviel  ist  sieher,  dafs  ein  Dichter,  der  mit  dem  Tod 
im  Herzen  noch  den  'Malade  imaginaire'  schafft,  in  allerhöchstem  Mafse 
die  Fähigkeit  besitzt,  sich  über  sich  selbst  zu  erheben.  Was  ist  die 
komische  und  schauspielerische  Begabung  überhaupt  anderes  als  ein  Anti- 
doton  gegen  Subjektivität? 

Damit  soll  nicht  in  Abrede  gestellt  werden,  dafs  gerade  die  besten 
Stücke  Moliferes  Gelegenheitsdichtungen  sind.  Eines  äufseren  und  inne- 
ren Erlebnisses  bedarf  es  natürlich  zu  jedem  guten  Kunstwerk;  aber 
dieses  persönliche  Element  scheint  hier  nicht  so  wesentlich,  dafs  es  der 
ganzen  Darstellung  mit  innerer  Notwendigkeit  zu  Grunde  gelegt  werden 
mufste. 

Wenn  sich  Schneegans  trotzdem  für  die  streng  biographische  Dar- 
stellung entschlossen  hat,  so  erreicht  er  damit  allerdings   das  eine,  was 
keiner  vor  ihm  in  so  eindringlicher  Weise  vermochte:   er  bringt  uns   sei- 
nen  Helden   menschlich   näher,  erwärmt   uns   für  ihn,   erschliefst  uns 
den  Einblick  in  sein  Herz  und  flöfst  uns  mit  dem  historischen  Verständ- 
nis zugleich  die  Liebe  ein.    Besonders  wenn  man   den  Zweck  der  Popu- 
larisierung ins  Auge  fafst,  so  hat  Scheegans  sicherlich  den  besten  Weg 
gefunden.     Schlicht   und   anspruchslos,   lebendig   und    schmiegsam    läuft 
die  Erzählung  dahin  und  wechselt  unvermerkt  mit  der  Belehrung  über 
Milieu,  Sitten  und  Unsitten,  über  Quellen,  Inhalt,  Technik,  scenische  Auf- 
führung, Erfolg  oder  Mifserfolg,  künstlerischen  und  kulturellen  Wert  der 
einzelnen    Stücke.     Durch   vergleichsweises   Zurück-   oder  Vorgreifen   auf 
frühere  oder  spätere  Werke  des  Dichters  wird  der  künstlerische  Entwicke- 
lungsgang  und  technische  Fortschritt,  auch  über  die  eingeflochtene  Bio- 
graphie hinweg,  immer  wieder  in  Zusammenhang  gebracht.    Wie  von  selber 
fügt  sich  nach  und  nach  ein  Charakterzug  an  den  anderen;  und  es  formt 
sich  unter  unseren  Augen  ein   immer  klareres,  umfassenderes  Bild;   nie 
tritt  ein  neues  Element  unvorbereitet  ein,  so  dafs  der  Fortschritt  der  Dar- 
stellung in  merkwürdigster  Weise  dem   organischen   Sichauswachsen  der 
dargestellten  Persönlichkeit  gleicht.     Der  Verfasser  hat  es  darum   auch 
nicht  nötig,  seine  Erzählung  durch  theoretisierende  Betrachtungen,  Resum^s 
und   dergleichen   zu   beschweren.     Sobald  der  Held   die  Augen   schliefst, 
hat  sein   Illustrator  auch  den  letzten   Pinselzug  schon  aufgetragen:  das 
Bild  ist   fertig:  klar  und  sprechend  —  und  spricht  auch  für  sich  selbst. 
Heidelberg.  Karl  Vofsler. 


Beurteiluntren  und  kurze  Anzeigen.  465 

Voltairiana  Inedita  aus  eleu  Kouiglioheu  Archiven  zu  ßeiliu,  her- 
ausgegeben von  Wilhelm  Mangold.  Berlin,  lib.  Wiegaudt  et 
Grieben,  1901.     91  p. 

L'interessant  opuscule  que  public  M.  Mangold  contient  cinq  lettres 
in^dites  de  Voltaire,  et  une  lettre  de  son  anii  Thieriot  dcrite  en  17:^9  au 
prince  royal  de  Prusse. 

Cette  dernifere  lettre  ^tait  mal  ^crite,  et  n'a  pas  6ti  bien  d^chiffr^e: 
'. . .  une  personne  de  la  cour  dit  qu'on  pouvait  appliquer  aux  acc&s  de 
Voltaire  ce  qu'on  disait  des  enfants  d'TI^rode;  au  reste,  monseigneur,  je  ne 
vous  aurais  jamais  [äcrit]  aprfes  des  traits  aussi  affligeants  . . .'  Lisez: 
aux  amis  de  Voltaire.  —  Le  mot  ecrit  a  ^t^  intercal^  par  l'^diteur;  lisez: 
je  ne  vous  aurais  jamais  appris  des  traits  ...  —  Une  amicale  comrauni- 
cation  de  M.  Maugold,  ä  qui  j'avais  proposd  ces  corrections,  m'appreud 
qu'il  a  revu  l'original,  et  reconnu  qu'elles  ^taient  justes. 

Quant  aux  enfants  d'H^rode,  l'^diteur  cite  en  note  un  passage  de 
l'Evangile  qui  se  rapporte  au  massacre  des  Innocents.  Mais  non :  Thieriot 
faisait  allusion  au  mot  de  l'empereur  Auguste,  qui  disait,  aprfes  qu'H^rodu 
eut  fait  mettre  ä  mort  deux  de  ses  enfants,  lui  qui,  en  bon  juif,  ne  mau- 
geait  jamais  de  viande  de  porc :  'II  vaut  mieux  etre  le  pourceau  d'H^rode, 
qu'ötre  son  fils!'  —  Thieriot  trouvait  de  m§me  que  Voltaire  traitait  ses 
amis  comme  il  n'aurait  pas  traits  son  chien. 

A  la  fin  de  cette  lettre  de  Thieriot,  un  quatrain  de  Sainte  -  Aulaire  a 
6te  imprim^  comme  si  c'^tait  de  la  prose. 

Une  lettre  adressöe  ä  Voltaire  est  attribu(§e  par  l'dditeur  ä  Fr<5ddric 
le  Grand.  Elle  est  certainement  d'un  Allemand;  mais  ä  lire  ce  paragraphe: 
'C'est  avec  raison  que  vous  nous  portez  envie,  ä  nous  qui  vivons  tl  Pots- 
dam, qui  nous  repr^sentons  le  sifecle  d'Auguste  comme  präsent,  il  nous  il 
qui  il  est  permis  de  penser,  parier,  po^tiser  avec  autant  de  justice  que  de 
libert^,'  j'attribuerais  plutöt  cette  lettre  ä  quelque  personne  de  l'entourage 
du  roi. 

L'^diteur  a  quelquefois  (pages  4'J,  G9,  et  81,  note  11)  propos^  des  cor- 
rections dont  son  texte  n'avait  pas  besoin.  Page  41,  je  lirais:  Quand 
Belle-Isle  partit  de  nuit  ,..;  page  45:  on  la  connut;  page  52:  ainsi  Dieu 
le  voulut. 

Genfeve.  Eugfene  Ritter. 

Aucassin  et  Nicolette,  chante-fable  du  XII  ^'"^  sifecle,  mise  en 
fran9ais  moderne  par  Gustave  Michaut,  avec  une  pr^face  de 
Joseph  B^dier.  Ohne  Ort  und  Jahreszahl  (Vorrede  1901 
datiert).     XLVU,  135  S.  kl.  8. 

B^dier  behandelt  in  seiner  Vorrede  des  Werkes  die  Stellung  der  Dich- 
tung von  Aucassin  und  Nicolette  in  der  Gattung  der  Idyllen  und  begrufst 
die  vorliegende  Übersetzung  als  ein  neues  Glied  in  der  augenblicklieh 
wirksamen  renaissance  romane. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CVIU.  30 


466  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Micliaut  giebt  in  seiner  Einleitung  zuerst  eine  Übersicht  über  den 
Stand  der  die  Dichtung  betreffenden  Forschung  unter  Anführung  der 
Ausgabe  von  Suchier,  der  Einleitung  von  G.  Paris  zu  Bidas  Über- 
setzung und  der  Bemerkungen  desselben  Gelehrten  im  29.  Bande  der 
Roraania.  Es  folgt  eine  poetische  Würdigung  der  Dichtung  und  die  Be- 
gründung dafür,  dafs  die  Abenteuer  in  Torelore  in  den  Anhang  verlegt 
sind.  Die  neue  Übersetzung  will  den  Stoff  einem  grölsereu  Publikum 
zugänglich  machen,  womit  wohl  angedeutet  sein  soll,  dafs  Bidas  schöne 
Arbeit  mit  ihren  reizenden  Radierungen  nicht  für  jeden  zu  erschwingen 
ist.  Die  Übersetzung  schliefst  sich  an  den  Text  der  vierten  Auflage 
Suchiers  an,  benutzt  aber  an  einigen  Stellen  die  Anderungsvorschläge  von 
G.  Paris. 

Der  Verfasser  der  Übersetzung  hat  sich  in  seinen  früheren  Arbeiten 
auf  dem  Gebiete  der  klassischen  Philologie  und  dem  der  neueren  franzö- 
sischen Litteratur  bethätigt,  seine  Studien  hatten  sich  bisher  nicht  auf 
das  Mittelalter  erstreckt.  So  hat  denn  auch  die  Interpretation  der  bisher 
dunkel  gebliebenen  Textstellen  durch  ihn  keine  Förderung  erfahren.  Die 
Übersetzung  folgt,  wenn  irgend  möglich,  wörtlich  dem  Urtext,  leider  so 
sehr,  dafs  selbst  ein  ausländischer  Leser  die  Anlehnung  als  zu  stark 
empfindet,  auch  wenn  er  nicht  durch  Bediers  Bemerkung  auf  S.  XII  darauf 
aufmerksam  gemacht  wäre.  Wenn,  wie  der  Übersetzer  beabsichtigt,  die 
schöne  Dichtung  weiteren  Kreisen  zugänglich  gemacht  werden  soll,  so  darf 
der  poetische  Reiz  nicht  durch  einen  doch  etwas  gezwungen  scheinenden 
altertümlichen  Stil  verschleiert  werden,  der  nur  dem  philologisch  Gebildeten 
den  ihm  zugedachten  Genufs  ungestört  läist.  Für  den  Laien  führt  die 
Beibehaltung  altertümlicher  Ausdrücke  leicht  zu  Mifsverständnissen,  da 
oft  ein  solcher  Ausdruck  im  modernen  Französisch  eine  andere  Bedeutung- 
angenommen  hat.  So  durften  wohl  afz.  dolent  und  cortois  nicht  durch 
nfz.  dolent  und  courtois  wiedergegeben  werden.  Der  Genauigkeit  der 
Übersetzung  sind  auch  die  Assonanzen  der  gesungenen  Abschnitte  zum 
Opfer  gefallen;  die  Silbenzahl  (7)  ist  meist  aufrecht  erhalten,  leider  nicht 
immer,  so  dafs  man  nicht  die  Empfindung  bekommt,  gebundene  Rede 
zu  lesen. 

In  V.  2  des  ersten  Abschnittes  ist  Älichaut  bei  der  Lesart  duel  caitif 
stehen  geblieben,  die,  wie  inzwischen  durch  A.  Schulze  (Arch.  CII  224) 
nachgewiesen  ist,  sicher  nicht  in  der  Handschrift  steht.  Im  vierten  Ab- 
schnitt heilst  es  vom  Schlosse  des  Vizgrafen  (Z.  20):  un  rice  palais  par 
devers  un  gardin,  was  Michaut  übersetzt  mit:  un  riche  p.  au  fofid  d'un 
jardm.  In  Z.  26  desselben  Abschnittes  ist  une  fenestre  par  devers  le  gardin 
richtig  durch  (il  y  avait  seulement)  sur  lejardin  une  fenetre  wiedergegeben. 
An  einer  Stelle  lehnt  sich  der  Übersetzer,  soweit  ich  sehe,  an  keine  der 
vorgeschlagenen  Lesarten  an.  Es  ist  dies  in  Abschnitt  14,  Z.  20  bei  dem 
Ausspruch  Aucassius  über  die  Liebe  der  Frauen  im  Gegensatz  zu  der  der 
Männer.  Es  heilst  dort  in  der  Handschrift:  Car  li  amors  de  le  femme 
est  en  son  oeul,  Suchier  liest,  anlehnend  an  das  Folgende,  en  son  l'oeul, 
Bartsch  en  son  l'oeil;  Michaut  übersetzt  u  la  pointe  de  ses  cils,  womit  er 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  467 

sich,  wenn  er  nicht  eine  andere  T-esart  iil)or9etzt,  unverhältui>*niäfsi>i;  weit 
vom  Wortlaute  des  Urtextes  entfernt.  Mifsverstanden  scheint  der  Anfang 
von  Abschnitt  23:  Aucassins  cfi  les  mos  \  de  s'amie  o  le  gent  cors,  \  inout 
li  entrerent  el  cors,  wo  Michaut  übersetzt:  Aucassin  entend  le  inessaye 
de  sa  mie  au  corps  charmant  —  les  mots  eiitrent  dans  son  coeur.  Endlich 
ist  24,  1.3  valkt  mit  vilain  übersetzt;  dafa  es  ein  Bauer  ist,  lehrt  seine  Er- 
zählung, fallet  ist  eigenthch  nur  'Bursche'. 

Charlottenburg.  Rudolf  Tobler. 

Fraukreich  in  Geschiclite  und  Gegenwart.  Nach  französischen 
Autoren  zur  Einübung  der  französischen  Grammatik.  Ein 
Übungsbuch  zu  jeder  französischen  Grammatik,  insonderheit 
zu  Böddekers  'Die  wichtigsten  Erscheinungen  der  franzö- 
sischen Grammatik'.  Herausgeg.  von  Prof.  Dr.  Böddeker 
und  Oberlehrer  J.  Leitritz.  Mit  einer  Karte  von  Frankreich 
und  einem  Plane  von  Paris.  Leipzig,  ßenger,  190L  XIX, 
227  S. 

Das  vorliegende  Buch  will  einem  doppelten  Zwecke  dienen,  dem  Sprach- 
und  dem  Sachunterrichte.  Es  will  Materialien  zum  freien  Übersetzen  in 
die  fremde  Sprache  bieten  und  damit  der  Einübung  und  der  Vertiefung 
der  grammatischen  Kenntnisse  dienen,  den  Stoff  dazu  aber  so  wählen, 
dal's  die  Forderung  nach  Unterweisung  in  den  Realien,  die  bisher  beson- 
ders bei  der  Auswahl  der  Lektüre  erhoben  wurde,  erfüllt  werde.  Zu  dem 
Zwecke  sind  die  Übersetzungsstücke  so  gewählt,  dafs  sie  einen  Überblick 
über  die  politische  und  kulturelle  Entwickelung  Frankreichs,  über  die 
Hauptepochen  seiner  Geschichte,  sowie  über  das  Leben  und  die  Thaten 
seiner  grofsen  Männer,  eine  ausreichende  Anschauung  von  dem  fremden 
Lande  und  Volke  und  seiner  Eigenart  geben. 

Das  Buch  ist  nicht  das  erste,  das  diese  beiden  Zwecke  zu  vereinigen 
sucht;  aber  eines  der  besten  und  konsequentesten  in  seiner  Art.  Die 
Stücke  beruhen  zum  grofsen  Teil  auf  frei  verarbeiteten  französischen 
Originaltexten.  So  wird  die  Gewähr  geboten,  dafs  die  Unterlage  dem 
Schüler  und  Lehrer  auch  wirklich  die  Möglichkeit  giebt,  etwas  echt  Fran- 
zösisches hervorzubringen.  Bei  aller  Rücksichtnahme  auf  die  einziiübenden 
grammatischen  Erscheinungen  ist  doch  dem  Texte  niemals  in  der  Weise 
Gewalt  angethan  worden,  dafs  man  ihn  durchaus  für  die  Anwendung 
einer  Regel  zurechtprefste.  Die  Inhaltsverzeichnisse  geben  einerseits  die 
grammatischen  Erscheinungen  an,  die  die  einzelnen  Stücke  berücksichtigen, 
andererseits  die  Autoreu,  denen  die  Texte  entnommen  sind. 

Der  Text  ist,  was  mir  ein  Vorzug  scheint,  weder  durch  Anmerkungen 
noch  durch  Hinweise  unterbrochen.  Ein  Anhang  aber  giebt  Übersetzungs- 
hilfen, die  mir  auch  für  die  schwierigeren  Stücke  völlig  auszureichen 
scheinen. 

Berlin.  Theodor  Engwer. 


30 


* 


468  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Köcher,  Dr.  Edmund,  Ancien  regime.  (Neusprachliche  Abhand- 
lungen, herausgegeben  von  Dr.  Cl.  Klöpper-Rostock,  7.  Heft. 
Dresden  u.  Leipzig,  C.  A.  Koch.)    XII,  104  S.  8.    M.  2,80. 

Dieser  Arbeit  kann  kein  grofses  Lob  gespendet  werden.  Auiserlich 
fällt  eine  seltene  Unübersichtlichkeit  störend  auf:  man  denke  sich  ein 
Buch  von  104  Seiten  ohne  Register,  ohne  jede  Kapiteleinteilung,  ohne 
Unterbrechung  der  Darstellung.  Gerade  bei  einer  Arbeit,  die  pädagogische 
Zwecke  verfolgt,  vermifst  man  ungern  alle  Mittel  der  Orientierung.  Auch 
der  Inhalt  ist  ungeordnet.  Die  vorn  genannten  Quellen  (unter  denen 
Luchaires  wichtige  Forschungen  fehlen)  sind  kompiliert,  nicht  verarbeitet, 
S.  10  ist  Ranke  fast  wörtlich  ohne  Citat  ausgeschrieben.  Während  Un- 
wichtiges breit  vorgetragen  wird,  bleibt  Wichtiges  fort:  der  Kampf  Phi- 
lipps IV.  mit  dem  Papsttum,  der  Anfang  der  Valois,  Jeanne  d'Arc, 
Jacques  Coeur,  Montesquieu,  Quesnay  sind  gar  nicht  genannt.  Die  ge- 
fälschte Pragmatische  Sanction  ist  zu  1268  als  echt  angeführt.  Auf  langen 
Strecken  (S.  loj  fehlen  wichtige  Datenangaben,  auch  die  der  Bartholomäus- 
nacht (S.  37).  Es  verrät  Flüchtigkeit,  wenn  Personen  und  Ereignisse- 
so angeführt  werden,  als  ob  sie  vorher  schon  genannt  seien,  was  doch 
nicht  der  Fall  ist,  so  S.  30  'der  Admiral'  (Coliguy  ist  gemeint),  so  S.  22 
'das  französische  Übergewicht  in  Italien',  von  dem  wir  noch  kein  Wort 
gehört  haben.  S.  7  mufs  es,  statt  Karl,  Ludwig  VIII  heifsen.  —  In  den 
späteren  Partien  werden  die  Auszüge  aus  Ranke  u.  a.  immer  häufiger. 
Während  die  auswärtigen  Dinge  ganz  wegbleiben,  werden  die  inneren,  die 
oft  erst  durch  jene  zu  verstehen  sind,  mit  vielen  unnötigen  Einzelheiten 
aufgezählt.  Dennoch  sind  dies  die  brauchbarsten  Seiten  des  Buches,  weil 
eine  Menge  nützlicher  Notizen,  wenn  auch  ohne  Kritik,  zusammengestellt  ist. 
Friedenau.  R.  Sternfeld. 

La  classe  en  franpais.  Ein  Hilfsbuch  für  den  Gebrauch  des 
Französischen  als  Unterrichts-  und  Schulverkehrssprache  von 
Dr.  K.  Engelke.     Gotha,  Perthes,  1901.     VI,  59  S. 

Manuel  de  conversation  scolaire.  Recueil  de  termes  tecluiiques 
pour  Fenseignement  du  fran9ais  par  Gustav  Sclunidt.  Berlin, 
Gaertner,  1901.    IV,  67  S. 

Beide  Bücher  wollen  Lehrern  und  Schülern  Hilfsmittel  bei  dem  Ver- 
suche sein,  in  der  französischen  Stunde  die  fremde  Sprache  als  Unter- 
richts- und  Verkehrsmittel  zu  verwenden.  Die  'Lehrpläne  und  Lehr- 
aufgaben' von  1901  kommen  diesem  Bestreben  ja  entgegen,  verlangen 
jedoch  nicht  den  ausschliefslichen  Gebrauch  der  fremden  Sprache,  den 
das  Vorwort  des  erstgenannten  Werkes  von  U  III  an  verlangt. 

Für  die  Lektüre  lassen  die  'Lehrpläne'  (S.  13)  nur  die  'Versuche'  zu, 
'an  die  Stelle  der  Übertragung  in  gutes  Deutsch  zeitweise  eine  Besprechung 
des  Toxtes  in  der  fremden  Sprache  treten  zu  lassen,  . . .  soweit  als  die 
Sicherheit  des  Lehrers  und  die  Entwickelung  der  Schüler  auch  bei  diesem 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  469 

Verfahren  die  völlige  Erschliefsung  des  Gedankeninnaltes  gewährleisten'. 
Schmidt  kommt  diesem  Versuche  (S.  22-24  'Modfeie  d'eiplication  de 
textes')  entgegen,  während  Engelke  (S.  33 — 35  'La  lecture')  einige  Aus- 
drücke giebt,  die  sich  nur  auf  die  alte  Übersetzungsmethode  beziehen 
können. 

Die  'Lehrpläne'  (S.  44)  schlielsen  französisch  und  englisch  geschrie- 
bene Grammatiken  vom  Schulgebrauche  aus  und  betonen,  dais  'für  schwie- 
rigere und  tief  ergehende  Erklärungen,  namentlich  auch  bei  der  gram- 
matischen L^nterweisung,  überall  mit  Recht  auf  die  Muttersprache  zurück- 
gegriffen werden'  wird.  Ich  bin  ganz  der  Meinung,  dafs  gründliche 
grammatische  Unterweisung  ein  derartiges  Mafs  von  Aufmerksamkeit  für 
den  Inhalt  verlangt,  dals  hier  nicht  auch  noch  das  fremde  Idiom  sein 
Recht  beanspruchen  darf.  Die  auf  die  Grammatik  bezüglichen  Teile  obiger 
Bücher  (Engelke  S.  36 — 14,  Schmidt  S.  45 — 06)  sind  also  höchstens  ge- 
legentlich bei  Repetitioneu  zu  verwenden. 

Immerhin  bietet  der  fremdsprachliche  Unterricht  noch  Gelegenheit 
genug,  das  zu  Erlernende  auch  gleich  praktisch  im  Unterricht  zu  ver- 
wenden. Engelke  sucht  hierbei  zu  helfen,  indem  er  in  der  Form  einer 
Phraseologie,  Französisch  mit  danebenstehender  deutscher  Übersetzung, 
Itehandelt:  die  Arten  von  Schulen;  vorgesetzte  Behörden,  Lehrer,  Auf- 
nahme der  Schüler,  Schulbesuch  u.  s.  w. ;  Schulgebäude,  Klassen ;  Schul- 
sachen; Versetzung,  Prüfung,  Zeugnisse,  Lebeusberuf,  Haltung,  Lob, 
Tadel,  Bemerkungen  in  der  Stunde,  die  einzelnen  Unterrichtsfächer,  schrift- 
liche Arbeiten  und  ihre  Korrektur.  Schmidt  bedient  sich  nur  der  fran- 
zösischen Sprache  und  giebt  1)  die  loeutions  scolaires  du  maitre,  2)  die 
l.  sc.  de  l'eleve,  in  betreff  der  discipline,  tenue,  lefons,  explication  de  textes 
und  devoirs. 

Beide  Bücher,  die  in  Kochs  'La  classe  en  allemaud'  (Paris,  Hachette) 
ein  Vorbild  hatten  und  sehr  verständigerweise  von  Franzosen  durchgesehen 
wurden,  erweisen  sich  als  brauchbare  Hilfsmittel.  Ausstellungen  im  ein- 
zelnen wird  man  allerdings  reichlich  und  besonders  da  zu  machen  haben, 
wo  die  französischen  und  die  deutschen  Schuleinrichtungen  sich  nicht 
decken,  statt  der  Übersetzung  also  das  möglichst  Entsprechende  gesetzt 
werden  raufs,  wie  z.  B.  bei  den  Klassenarbeiten  (Extemporalien  u.  s.  w.), 
die  nicht  ganz  den  eompositions  jeder  Art  entsprechen,  u.  v.  a. 

ZuEugelke:  S.  1:  ecoles  mixtes  sind  ecoles  pour  filles  et  garfons, 
aber  nicht  solche  avec  inteimat  et  exteniat;  S.  2:  neben  proviseur  kommt 
der  censeur  in  Betracht;  examen  d'Etat  scheint  mir  Germanismus;  S.  3: 
für  retribulioyi  scolaire  (Schulgeld)  ist  des  verbreiteten  Internats  wegen 
der  allgemeinste  Ausdruck  wohl  pension ;  correspomlant  ist  nicht  der 
Pensionswirt,  sondern  der  Vertrauensmann  der  auswärtigen  Eltern,  der 
für  die  Alumnen  an  den  Ausgehtagen  die  Verantwortung  übernimmt; 
alle  die  Wendungen  mit  bourse  sind  zu  schwerfällig  für  dontier,  avoir 
une  b.,  faire  une  devmiide  de  bourse;  S.  10:  promotion,  proniu  ungebräuch- 
lich für  passage  dans  (en),  passe  datis  (en)  Versetzung,  versetzt;  S.  11:  re- 
doubler  (nicht  doiMer)  sa  classe:  S.  12:  statt  etudier  sagt  mau  meist  faire 


470  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

son  droit  u.  s.  w.;  S.  13:  statt  embrasser  la  carrüre  militaire  häufiger 
enlrer  dans  ...;  S.  20:  die  Feder  spritzt  =  craclie,  nicht  gratte;  eeriveX' 
plus  droit  (statt  raide);  S.  22:  ich  habe  stets  nur  gehört :  ^e  ^ose  8  et  re- 
tiens  3  (statt  le  8,  le  3).  Von  den  Interjektionen  sind  S.  43  ouais,  Iiom, 
oui-dä!  selten.  Und  so  liefsen  sich  noch  manche  Hinzufügungen  machen, 
z.  B.  saute?-  zu  passer  une  ligne  u.  ä. 

Immerhin  ist  Engelke  von  schweren  Germanismen  frei,  was  man  leider 
von  Schmidt  trotz  der  Hilfe  des  Herrn  Godart,  Nancy,  nicht  sagen 
kann.  Denn  S.  37:  J'ai  perdu  mon  porte-plume  en  route,  N.  en  a  deux, 
ose-t-il  m'en  preter  un  =  darf  er  {peut-il}?  ist  doch  wohl  ein  zu  grober 
Fehler.  Ebendaselbst:  ma  gomme  est  tombee  ä  terre,  est-ce  quej'ose  la  ra- 
masser  sisAX  puis^e?  Zu  beanstanden  ist  ferner:  puis-je  utiliser  ce  cahier 
st.  me  serrir  de  (S.  37);  on  n'y  voit  plus  rien  statt  plus  du  tout  (S.  30); 
M^  le  professeur  N.  statt  Monsieur  N.,  da  professeur  kein  Titel  ist,  auch 
der  Titel  nicht  so  gebraucht  wird  wie  im  Deutschen  (S.  36) ;  S.  23 :  le  duc 
de  Wurtemherg  etait  contraire  ä  son  electiofi  für  faisait  oppositiontl 
Falsch  ist  heute  S.  27:  relevex  les  verbes  ä  l'infimtif,  en  indiquex  l'espece 
statt  i7idiquex-en;  propositions  qui  dependent  des  verbes  qui  expriment,  ' 
schleppend  statt  exprimant;  S.  28:  mettez  ce  morceau  en  passe  deßni, 
statt  orw?  S.  29:  si  vous  essayex  encore  une  fois  de  tricher,  il  faudra 
fermer  votre  livre  statt  ye  vous  ferai  fermer;  S.  32:  die  für  die  traduction 
gegebenen  Ausdrücke  beziehen  sich  fast  alle  auf  die  version  (Herüber- 
setzung), die  bei  uns  leider  weit  weniger  üblich  ist  als  das  theme  (Hin- 
übersetzung). S.  34:  was  ist  le  style  est  depiece  par  une  orthograpke  in- 
correcte2  Soll  es  etwa  deprecie  sein?  S.  36:  statt  se  refroidir  sagt  der 
Schüler,  glaube  ich,  prendre  froid,  s'enrhumer.  S.  31  enthält  für  die  Rück- 
gabe der  Arbeiten  nur  tadelnde  Ausdrücke;  man  will  doch  auch  zuweilen 
loben. 

Ich  könnte  noch  viele  solcher  Ausstellungen  machen.  Selbst  wenn 
der  Verfasser  mir,  dem  Deutschen,  nicht  alles  zugieBt,  wird  er  doch  die 
Notwendigkeit  einsehen,  eine  zweite  Ausgabe  recht  gründlich  mit  einem 
Franzosen  durchzuberaten. 

Berlin.  Theodor  Engwer. 

Mackenroth,  Mündliche  und  schriftliche  Übungen  zu  Kuhns  fran- 
zösischen Lesebüchern.  Mit  einem  grammatischen  Elementar- 
kursus von  Karl  Kühn  als  Anhang.  Bielefeld  und  Leipzig, 
Velhagen  &  Klasing,  190L  Teil  I  und  11.  166,  193  S.  — 
Dazu  ein  Heft  von  36  S.  für  den  Lehrer. 

Es  ist  schon  öfter  daran  erinnert  worden,  dafs  für  die  Verarbeitung 
lies  grammatischen  Übungsstoffes  dem  Lehrer  nach  der  Beschaffenheit 
seiner  Klasse  freie  Hand  gelassen  werden  muls :  er  hat  die  Aneignung  der 
im  Lesestück  behandelten  Erscheinungen  zweckmäfsig  zu  vermitteln.  Dafs 
gerade  hierbei  die  individuelle  Begabung  und  Tüchtigkeit  des  Lehrenden 
das  meiste  thut,  steht  aufser  Frage;   ebensowenig  ist  zu  bezweifeln,  dafs 


Beurteiinngen  und  kurze  Aiizoif^en.  471 

je  nach  deren  Bescliaffenheit  recht  verschiedene  Resultate  bei  deröclben 
Klasse  erzielt  werden.  Auch  ist  —  einen  tüchtigen  Lehrer  und  aus- 
reichende Vorbereitung  vorausgesetzt  —  dennoch  der  schlielsliche  Erfolg 
des  Lehrjahres  und  der  Zusammenhang  mit  der  nächsten  Klasse  häufig 
darum  ein  wenig  genügender,  weil  die  Heranziehung  der  Schüler  zu 
fruchtbarer  Arbeitsleistung  auf  zu  grofse  individuelle  Schwierigkeiten 
stölst  und  unaufgearbeitete  Reste  das  Fortkoramen  erschweren.  Diesem 
Übelstande  kann  durch  einheitliche  Methode  der  Arbeit  nicht  unerhebUch 
gesteuert  werden :  lecture  —  grammaire  —  dictee  (Extemporale)  —  com- 
position  (zusammenhängende  schriftliche  oder  mündliche  Wiedergabe)  kön- 
nen von  der  Anfängerstufe  an  zu  gleichmäfsiger  Verwendung  gelangen, 
so  dafs  sich  die  Klassen  enger  aneinander  schllefsen,  auch  die  grammatische 
Arbeit  nach  den  Zielen  der  ganzen  Anstalt  eine  einheitliche  wird.  Wenn 
sich  der  einzelne  bei  dem  bescheidet,  was  er  im  Dienste  des  Ganzen  zu 
leisten  hat,  wird  er  so  offenbar  mehr  nützen  als  mit  individuellen  Glanz- 
leistungen, die  doch  höchstens  bei  begabteren  Schülern  hervortreten. 
Ohne  also  in  den  Verdacht  schablonenhafter  Fabrikation  von  Eselsbrücken 
zu  geraten,  darf  man  es  unternehmen,  für  das  Gesamtmaterial  von  Lese- 
stoffen einer  Anstalt  eine  einheitliche  grammatische  Durcharbeitung  zu 
entwerfen,  deren  Wert  um  so  höher  steigt,  je  mehr  sie  sich  über  das 
Niveau  einer  Gelegenheitsarbeit  erhebt. 

Einer  solchen  Arbeit  unterzog  sich,  und  zwar  für  Kuhns  Lehrbücher, 
die  im  Archiv  wiederholentlich  besprochen  wurden,  Mackenroth,  indem 
er  in  zwei  Bändchen  von  mäfsigem  Umfang  kurz  zusammenstellte,  was 
im  Anschlufs  an  Kuhns  Lehrbücher  zu  verarbeiten  ist.  Auch  die  Reihen- 
folge der  von  dem  fleifsigeu  Bearbeiter  behandelten  Pensen  schliefst  sich 
an  Kühn  an.  Die  so  verarbeiteten  Stoffe  ergaben  sechs  Abteilungen,  von 
denen  I  und  II  ausschUefslich  französisches  Material  aus  dem  'Lesebuch 
für  Anfänger',  III  und  IV  solches  aus  der  'Unterstufe',  V  und  VI  solches 
aus  der  'Mittel-  und  Oberstufe'  von  Kuhns  Lesebuch  enthalten.  Dazu 
kommen  am  passenden  Orte  noch  Stoffe  aus  den  Grammatiken.  Der  beim 
Fortschreiten  erweiterte  Gesichtskreis  macht,  sobald  das  Deutsche  als 
Unterweisungssprache  aufhört,  nämlich  von  Abschnitt  III  an  bis  zu  Ende, 
auch  Übersetzungen  aus  dem  Deutscheu  ins  Französische  in  zusammen- 
hängender Komposition  zulässig.  Auch  knüpft  ein  nicht  unbeträchtücher 
Teil  der  Übungen  an  die  Hölzelschen  und  andere  Bilder  an.  Für  die  An- 
fänger in  Abschnitt  I  und  II  kann  man  den  als  Anhang  zum  ersten 
Bändchen  von  Kühn  selbst  gegebenen  grammatischen  Elementarkursus 
wohl  billigen,  der  auf  elf  Seiten  von  sechzehn  des  Ganzen  elementare 
Kenntnis  des  Verbums,  auf  fünf  die  nominalen  Redeteile  darbietet. 

Was  die  Disposition  der  'Übungen'  selbst  betrifft,  so  ist  zu  billigen, 
dafs  das  Zeitwort  die  ausgiebigste  Verwendung  in  mannigfacher  Art  der 
Behandlung  gefunden  hat;  dafs  der  Verfasser  bestrebt  ist,  mit  der  Form 
zugleich  ihren  syntaktischen  Wert  zum  Bewulstsein  zu  bringen;  dals 
immer  wieder  der  Zusammenhang  mit  dem  schon  bekannten  Lesestück, 
das  mit  Änderungen,  Zusätzen,  T'mbildungeu  erscheint,  durch  schon  be- 


472  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

kannte  Dinge  dae  lebendige  Verständnis  von  neuen,  noch  unbesprochenen 
weiter  vermittelt,  wobei  der  Gebrauch  der  Fürwörter,  einfach  aussagende 
oder  dialogische  Besprechung,  That-  und  Leideform,  endlich  die  sogenann- 
ten Unregelmäfsigkeiten  der  Flexion  in  geschickter  und  glücklicher  Aus- 
wahl herangezogen  werden.  Dasselbe  gilt  von  den  nominalen  Redeteilen, 
wo  namentlich  in  den  Elementarabschnitten  aus  den  Mustersätzen  der 
Lesestücke  leichte  und  reichliche  Verarbeitung  durch  Verwendung  der 
Analogie  erzielt  wird,  femer  formal  oder  sachlich  zugehörige  oder  ver- 
wandte oder  ähnliche  Nomina,  dann  deren  Ableitungen  mit  bestimmten 
Endungen,  Wortbildung,  Wortfamihe,  endlich  systematische  Gruppierung 
des  formal  oder  sachlich  Zusammengehörigen. 

Schon  dieser  Versuch  der  Aufzählung  zeigt,  dafs  sich  der  Verfasser 
die  Sache  keineswegs  leicht  gemacht  hat;  wie  er  das  Material  durch- 
gearbeitet und  gesichtet  hat,  ehe  etwas  in  die  'Übungen'  als  passend  zur 
Aufnahme  gelangte.  Ich  bin  überzeugt,  dafs,  wer  mit  Kuhns  Büchern 
arbeitet,  sicherlich  wenigstens  etwas  findet,  was  er  von  Mackenroths 
Darbietung  für  die  Stunde  brauchen  kann.  Von  einseitiger  Manier  habe 
ich  nichts  bei  ihm  entdeckt,  dagegen  vielseitige,  sorgfältige  Verarbeitung 
in  reichlicher  Auswahl,  mit  Hinzuziehung,  wie  selbstverständlich,  auch 
anerkannter  Muster.     Dies  gilt  z.  B.  von 

Le  Paresseux  L.A  18  zu  M  I,  30;'  L'Enfant  gäte  L.A  20  zu  M  31; 
Les  Repas  L.A  18  zu  M  31;  Le  petit  Ma^n  L.A  32  zu  M  31 ;  Notre  Ecolc 
L.A  ü — 7  zu  M  55;  La  Semaine  du  Paressetix  U  4  zu  M  103;  Henri  IV, 
a— i,  U  18—20  zu  M  146—50. 

Le  Pere  ü  118—19  zu  M  II,  4—6;  L'Enfant  prodigue  U  119—20  zu 
M  7—11;  Les  Corvees  du  Paysan  0  47—48  zu  M  73—74;  L'Eclairaye  de 
Paris  0  41 — 42  zu  M  99 — 101;  Promenade  de  deux  Oar^ons  ä  travers  Paris 
0  110—24  zu  M  134—144. 

Was  die  Art  der  Verarbeitung  betrifft,  so  ist  durch  die  Aufstellung 
des  Materials  in  möglichster  Kürze  und  ohne  subjektive  Zuthaten  dem 
Lehrenden  die  denkbar  gröfste  Freiheit  der  Bewegung  gelassen;  dem 
Schüler  werden  nur  Materialien  geboten,  die  er,  namentlich  anfangs,  nur 
unter  Anleitung  des  Lehrers  im  Gange  des  belehrenden  Gespräches  ver- 
wenden lernt,  dessen  selbständige  Leitung  sonach  immer  der  Erkenntnis 
und  Beurteilung  des  Lehrers  unterliegt. 

Mackenroths  Übungen  werden  daher  denen,  die  mit  Kuhns  Büchern 
arbeiten,  willkommen  sein;  sie  verdienen  aber  auch  allen  anderen  Freunden 
sorgfältiger  grammatischer  Praxis  angelegentlich  empfohlen  zu  werden. 

Den  zwei  Bändchen  für  die  Schüler  liegt  ein  'Lehrerheft'  bei,  das  die 
vom  III.  bis  VI.  Abschnitt  auftretenden  deutschen  Übersetzungsstücke 
in  französischem  Originaltext  oder  mustergültiger  französischer  Übersetzung 
für  den  Lehrer  bereit  hält. 

Charlottenburg.  George  Carel. 


'  Kühn,  Lesebuch  für  Anfänger  =  L.A;  Unterstufe  =  V\  Mittel-  und  Ober- 
stufe =    0;  Mackenroth  =  M;  die  arabischen  Zahlen  bedeuten  die  Seiten. 


Beurteiluiigeu  uud  kurze  Anzeigen.  473 

A.  Thumb,  Die  griechische  Sprache  im  Zeitalter  des  Hellenismus. 
Strafsburg,  Trübuer,  1901.     VUI,  275  S.  8. 

Immer  wieder  wirft  der  Romanist  seine  Blicke  hinüber  nach  Griechen- 
land.    Wer  die  Eutwickelung  der  ersten   fremden  Sprache,  mit  der  man 
in  früher  Jugend  bekannt  wird,  verfolgt,  den  lockt  es  wohl  auch,  zu  er- 
fahren, was  aus  der  zweiten,  die  mit  jener  die  ganze  lange  Zeit  des  Gym- 
nasiums zusammengekoppelt   war,  geworden   ist.     Und   er  thut   es   nicht 
ohne  Nutzen.    Zwar,   was   die  einzelnen   Züge  der   Sprachveränderungen 
betrifft,    so    sind    die    Übereinstimmungen    wohl    geringer    als    die    Ab- 
weichungen, jedenfalls  zeigen  andere  der  europäischen  Sprachen,   wie  bei- 
spielsweise das  Kymrische  und  gewisse  germanische  Mundarten,  weit  grö- 
fsere  GleichmäTsigkeit  mit  den  Vorgängen   auf  spätlateinischem   oder  auf 
einzelnen  romanischen  Gebieten.     Aber  in  einer  anderen  Hinsicht  treffen 
wir  eine  Gleichartigkeit  wie  sonst  nirgends  auf  europäischem  Boden.     Im 
Bereich  der  griechischen  wie  in  dem  der  lateinischen  Sprache  können  wir 
nämlich  beobachten,  wie  aus  einer  gröfseren  oder  geringeren  Zahl  litte- 
rarisch verwendeter  Mundarten   eine  einzelne  allmählich  das  Übergewicht 
bekommt,  zur  allgemeinen  Schriftsprache,  zur  y.otiri,  zum  'volgare  illustre* 
wird,  dann   auch  die  Umgangssprache  bildet   und  die  alten   Mundarten 
nach  und  nach  verdrängt;  wie  dann  aber  diese  Gemeinsprache  sich  wieder 
in  neue  Mundarten   spaltet,   deren  wesentliche  Merkmale  aber   mit  denen 
der  alten  Mundarten  nichts  zu  thun  haben.     Es  ist  also  hier  ein  Prozefs 
abgeschlossen,  dessen  erste  Anfänge,  die  Bildung  der  Gemeinsprache,  wir 
ja  auch  im   Deutschen,   Französischen,   Italienischen    besonders  gut  ver- 
folgen   können,    dessen    weitere   Entwickelung   in  Frankreich    schon   sehr 
grofse  Fortschritte  gemacht  hat,    auch   in   Deutschland    sich   beobachten 
läfst,   dessen   letzte  Folgen   wir  aber   noch   nicht  erlebt  haben   und  auch 
nicht  mehr  erleben  werden,  wogegen  wir  sie  auf  den  beiden  Gebieten  des 
Romanischen  und  des  Griechischen  vor  uns  haben.    Dabei  zeigt  sich  aber 
wieder  ein  bemerkenswerter  Unterschied  zwischen  den  zwei  Sprachzweigen. 
An  Mannigfaltigkeit  der  Erscheinungen,  an  der  Stärke  der  Umgestaltung 
gebührt  dem  Romanischen  zweifellos  der  Vorrang,  namentlich  hiusichthch 
der   lautlichen  Veränderungen    und    hinsichtlich    der    Vereinfachung   des 
Formensystems,  wie  ja  letzteres  bei  der  gröfseren  geistigen  Rührigkeit  der 
Romanen   nur  natürlich   ist;   was   aber  den  Reichtum   der  Überlieferung 
betrifft,  die  Zahl  und  die  Verläfslichkeit  der  Dokumente,  die  den  Vorgang 
der  Umwandelung  zu  beobachten   uns   in   die  Lage   setzen,   so  steht  hier 
das  Griechische  voran. 

Es  ist  das  Verdienst  von  Thumb,  diese  Dinge  mit  grolser  Klarheit 
und  Vollständigkeit,  mit  überall  ruhig  erwägendem  Blicke,  weder  nach 
der  einen  noch  nach  der  anderen  Seite  hin  von  Vorurteilen  befangen,  dar- 
gestellt zu  haben.  In  sechs  Kapiteln  wird  gehandelt  vom  Begriff  und 
Umfang  der  xoirr,,  vom  Untergang  der  alten  Dialekte,  von  Resten  der 
alten  Dialekte  und  der  xont),  vom  Einflufs  nicht  griechischer  Völker  auf 
die  Entwickelung  der  helleuistischeu  Sprache,  von  dialektischer  Differeu- 


174  Beurteiluugeu  und  kurze  Anzeigen. 

zierung  der  xoivri  und  der  Stellung  der  biblischen  Gräcität,  endlich  vom 
Ursprung  und  Wesen  der  y.oin'. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  zunächst  das  dritte  Kapitel,  weil  es 
uns  zeigt,  wie  geringe  Keste  die  alten  Mundarten  gelassen  haben.  So 
irrig  es  wäre,  aUe  und  jede  Spuren  der  abweichenden  Laut-  oder  Wort- 
formen zu  leugnen,  so  ergiebt  sich  doch,  dafs  die  Gemeinsprache  nicht 
nur  einen  siegreichen,  sondern  geradezu  einen  aufreibenden  Kampf  ge- 
führt hat,  und  dafs  fast  immer  nur  vereinzelte  Wörter  übriggeblieben 
sind,  die  ihrerseits  gelegentlich  die  alten  Grenzen  überschritten  haben 
und  heute  nun  weit  verbreitet  sind,  ähnlich  wie  die  Wörter  mit  inter- 
vokalischem  f  im  Romanischen.  Ich  will  hier  nur  väy.a  'Wiege'  hervor- 
lieben,  das  mit  seinem  -a  deutlich  dorisch  ist,  und  das  Thumb  aus  der 
Maina  nachweist.  Es  mufs  auch  den  unteritalischen  Griechen  angehören 
oder  angehört  haben  (die  Arbeit  Morosis  über  Otranto  und  die  älteren 
Pellegrinis  sind  mir  nicht  zur  Hand,  daher  ich  mich  nicht  bestimmt 
äufsern  kann),  da  es  zweifellos  die  Grundlage  von  lecc,  kal.,  siz.  ruica 
'\Viege'  ist,  das  mit  Morosi  Arch.  glott.  IV  40,  D'Ovidio  ebenda  407  auf 
navica  zurückzuführen  lautlich  unmöglich  ist,  das  noch  weniger  arab.  qinaq ' 
sein  kann,  wie  Scerbo  meint,  dessen  Zusammenhang  mit  griech.  raxi; 
'Vliefs'  übrigens  schon  Dorsa  (Tradizione  greco-latina  nella  Calabria  cite- 
riore)  vermutet  hatte,  ohne  freilich  die  Bedeutungsverschiebung  zu  erklä- 
ren, über  die  jetzt  Thumb  S.  83  Anm.  befriedigende  Auskunft  giebt. 

Nicht  weniger  interessant  ist  das  vierte  Kapitel,  und  zwar  auch  darum, 
weil  seine  Ergebnisse  doch  im  ganzen  negative  sind.  Ja,  ich  habe  sogar 
noch  an  dem  wenigen  einzelne  Zweifel.  Wenn  i  vor  s  -f-  Kons,  phrygisch 
sein  soll,  so  ist  doch  lar^aTn  in  Cypem  und  Liwision  kein  sicherer  .Be- 
weis, da  ja  im  Lateinischen  seit  dem  2.  Jahrhundert  istrata,  nicht  strata 
gesprochen  worden  ist.  Und  wenn  der  Wandel  von  Tennis  zu  Media 
nach  Nasal  ganz  sicher  kleinasiatischen  Ursprungs  ist,  so  möchte  ich  doch 
fragen,  ob  die  Kontinuität  dieser  Erscheinung  von  Asien  über  Griechen- 
land und  Albanien  bis  an  die  Westküste  des  imteren  Italiens,  wo  man 
ihr  umbrische  Grundlage  zuschreibt,  ein  Zufall  sei,  und  ob,  wenn  vom 
Westen  und  Osten  unabhängig  die  Strömung  ausging,  nicht  in  dem  euro- 
päischen Griechenland  beide  zusammengetroffen  seien?  Dafs  die  nord- 
griechische Vokalreduktion  auf  einem  fremden  ethnologischen  Substrate 
beruhe,  gewinnt  vielleicht  durch  den  schon  gelegentlich  in  dieser  Zeit- 
schrift (96,  474)  damit  in  Verbindung  gebrachten  entsprechenden  Vor- 
gang im  mazedonischen  Rumänischen  etwas  an  Wahrscheinlichkeit,  dafs 
aber  mit  der  daraus  resultierenden  Accentintensität  der  Wandel  von  o,  e 
zu  u,  i  zusammenhänge,  möchte  ich  füglich  bezweifeln,  da  ich  auf  an- 
deren Gebieten  gerade  bei  schwachem  Accente  u,  i,  bei  starkem  ganz 
andere  Erscheinungen  wahrnehme. 

Alle  sprachwissenschaftlichen  Fragen  sind,  sobald  man  sie  etwas  tiefer 
und  weiter  auffafst,  sociologische,  und  das  ist  vielleicht  einer  der  wesent- 
lichsten Unterschiede  zwischen  Sprachwissenschaft  und  Philologie.  Am 
klarsten  erhellt  das   aus  dem  letzten  Kapitel,  in  dem  nachzuweisen  ver- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  475 

sucht  wird,  dufs  die  Grnudlii','e  der  Gemeinsprache  ein  geläutertes  Attisch 
mit  namentlich  lexikalisch  starkem  ioniechem  Einschlag  gewesen  ist. 
Gerade  hier  bieten  sich  viele  Parallelen  im  Romanischen;  die  Entstehung 
der  italienischen  Schriftsprache  in  ihrem  Verhältnis  zum  Vulgärflorenti- 
nischen;  die  Ausbreitung  des  Pariserischeu,  bis  es  zur  vollen  Herrschaft 
gelangte,  kann  Thuiubs  Thesen  stützen  und  von  den  von  ihm  beobachteten 
Thatsachen  Erläuterungen  erfahren,  so  dafs  es  verlockend  wäre,  etwas 
länger  dabei  zu  verharren.  Doch  ist  dazu  hier  nicht  der  Ort,  wohl  aber 
mögen  noch  ein  paar  Kleinigkeiten  erwähnt  werden,  die  für  den  Roma- 
nisten von  Wert  sind.  S.  191  wird  der  AVandel  von  k  vor  e  zu  i',  c,  ts 
besprochen  und  dabei  fvx/.«  neben  y.iy.'/.a  aus  einer  Vcrfluchungstafel  etwa 
vom  Jahre  -100  aus  Rom  und  yv^vfov  neben  t,v'C,vifof  als  umgekehrte 
Schreibung  erwähnt.  'Diese  Formen  haben  allerdings  das  Mifsliche,  dafs 
sie  ebensogut  Belege  des  lateinischen  Lautwandels  wie  des  griechischen 
sein  können.'  Was  die  zweite  betrifft,  so  scheint  mir  darin  allerdings 
nichts  weiter  vorzuliegen  als  die  sattsam  bekannte  Gleichwertigkeit  von 
griech.  ?  und  lat.  ge,  j,  dj,  die  in  nfrz.  jalous  ja  noch  nachklingt.  Dann 
kann  auch  t,vy.).n  mit  allerdings  auffälliger  Verwechselung  stimmlosen  und 
stimmhaften  Lautes  t'ikla  darstellen.  —  Und  zu  der  S.  193  f.  besprochenen 
Aussprache  des  v  als  iu  mag  als  vollgültiger  Zeuge  für  die  Sprache  acpva 
ergänzt  werden,  dessen  romanische  Entsprechungen  ein  apiua  voraus- 
setzen, s.  Rom.  Gr.  I,  S.  31. 

Ob  in  seinen  allgemeinen  Sätzen  und  in  den  Einzelheiten  Thumb 
durchweg  recht  behalten  wird  oder  recht  hat,  ist  eine  Frage,  die  hier  füg- 
lich unentschieden  bleiben  kann;  auch  wenn  im  Laufe  der  Zeit  sich  ein- 
zelnes anders  darstellen  sollte,  bleiben  die  Grundlagen  fest,  und  der  Wert 
des  Buches  für  die  allgemeine  Sprachwissenschaft,  also  für  die  Nicht- 
gräcisten,  kann  dadurch  nicht  vermindert  werden. 

Wien.  W.  Meyer-Lübke. 


Verzeichnis 

der  vom  18.  Februar  bis  zum  14.  Mai  1902   bei  der  Redaktion 
eingelaufenen  Druckschriften. 


Paulsen,  F.,  Die  deutschen  Universitäten  und  das  Universitäts- 
studium.   Berlin,  Asher,  1902.    XII,  574  S. 

Internationale  Bibliographie  und  Kunstwissenschaft.    Herausgeg.  von" 
Arthur  L.  Jellinek.     I,  1.     April  1902.     Berlin,  Behr.     34   S.     Jährlich 
t>  Hefte,  Preis  10  M.  pro  Jahr  [I.  Bibliographie,  Lexika,  neue  Zeitschriften. 
II.  Ästhetik,  Kunstphilosophie,  Kunstlehre.    III.  Kunstgeschichte:  a)  All- 

femeines,  b)  Epochen  und  Länder,  c)  einzelne  Städte,  d)  einzelne  Künstler. 
V.  Baukunst.  V.  Skulptur.  VI.  Malerei.  VII.  Graphische  Künste. 
VIII.  Kunstgewerbe.     IX.  Verzeichnis  der  Reproduktionen]. 

Lange,  K.,  Das  Wesen  der  künstlerischen  Erziehung.  Ravensburg, 
O.  Maier,  1902.    35  S. 

Avonianus,  Dramatische  Handwerkslehre.  2.  umgearbeitete  und 
vermehrte  Auflage.     Berlin,  Walther,  1902.     VII,  292  S.    M.  5. 

Hoffmann-Krayer,  E.,  a.  o.  Professor  an  der  Universität  Basel, 
Die  Volkskunde  als  Wissenschaft.    Zürich,  Amberger,  1902.   34  S.  8.   M.  1. 

Zeitschrift  für  österreichische  Volkskunde.  VIII,  1,  2  [M.  Höfler, 
Das  Lingerflossel.  —  R.  Haberlandt,  Wohnort  und  Tracht  im  Monteden- 
thal  in  Vorarlberg.  —  E.  Rupersdorfer,  Sagen  aus  Klaffer  und  Umgebung 
in  Oberösterreich.  —  St.  Weigel,  Haus-  und  Dorfanlagen  im  Kuhländ- 
chen.  —  J.  Polek,  Aus  dem  Volksleben  der  Zipser  in  der  Bukowina.  — 
J.  Merhar,  Aus  den  Werkstätten  der  sagenschaffenden  Volksphantasie.  — 
L.  Mlynek,  Der  Martinsberg.  —  Mitteilungen,  ethnographische  Chronik, 
Litteratur]. 

The  American  Journal  of  philology.    XXII,  4,  whole  no.  88. 

Periodische  Blätter  für  Realienunterricht  und  Lehrmittelwesen,  her- 
ausgegeben von  der  Gesellschaft  'Lehrmittel-Centrale'  in  Wien,  geleitet  von 
R.  Neu  mann  in  Brunn.  2.  Auflage.  Tetschen  a.  Elbe,  Henckel.  VI,  1: 
1900.    44  S.  ^ 

Cart,  Th.,  A  la  recherche  d'une  langue  internationale,  Paris,  Soci6t4 
nouv.  de  libr.  et  d'ed.,  1902.     16  S.  8. 

Touring-Club  de  Frauce,  Esperanto,  langue  internationale  auxi- 
liaire.     Paris  1902.     20  S.  8. 


Litteraturblatt  für  germanische  und  romanische  Philologie.  XXIII, 
1 — 4,  .lauuar  — April  19u2. 

Mcmoires  de  la  Socidtö  u^o-philologique  ä  Helsingfors.  III.  Helsing- 
fors,  Hagelstam;    Leipzig,  Harassowitz;    Paris,  Welter,   1902.     576   S.  8 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druck^cliriften.  477 

[U.  Liudelöf,  Die  Handschrift  Jiinius  27  der  Bibliotheca  Bodleiana.  H.  Pa- 
hinder,  Der  französische  Kinflufs  auf  die  deutsche  Sprache.  U.  Lindelöf 
et  A.  Wallensköld,  Les  Chansons  de  Gautier  d'f'.pinal,  cdition  criticiiie. 
J.  l'üirot,  A  propos  de  Victor  Hugo.  J.  Ruueberg,  Le  conto  de  l'Ile- 
Poisson.  T.  E.  Karsten,  Beiträge  zur  germanischen  Wortkunde.  W.  Söder- 
hjelm,  Une  vie  de  S.  Quentin  en  vers  francais  du  moyen-age.  J.  Poirot, 
Deux  questions  de  phon^^tique  franfaise.  M.  Wasenius,  Liste  des  travaux 
sur  les  langues  et  littt^ratures  modernes  publi^s  par  des  auteurs  finlandais 
ou  parus  en  Finlande  de  1897  ä  li'Ul]. 

Publications  of  the  modern  language  association  of  America.  XVII,  1 
[E.  C  Morri.«,  On  the  date  and  composition  of  The  Old  law.  —  C.  H. 
Grandgent,  Cato  and  Elijah,  a  study  in  Dante.  —  E.  S.  Sheldon,  Practical 
philology.  —  W.  H.  Carruth,  Fate  and  guilt  in  Schiller's  Die  Braut  von 
3lessinaj. 

Modern  language  notes.  XVII,  2,  Febr.  [E.  P.  Hammond,  The  use 
of  episode  in  the  teachiug  of  fiction.  —  H.  P.  Thiome,  The  develojpment 
of  Taine  criticism  since  189:-?.  I.  —  A.  J.  Roberts,  The  sources  of  Romeo 
and  Juliet.  —  W.  L.  Gross,  An  earlier  Waverley.  —  Reviews  etc.].  — 
3,  March  [P.  C.  Hoyt,  The  19.  anuual  meeting  of  the  Mod.  lang.  ass.  of 
America.  —  H.  P.  Thieme,  The  developmcnt  of  Taine  criticism  since 
1893.  II.  —  D.  B.  Shumway,  Notes  on  the  lifo  of  M.  Pfeffer.  —  M.  Batt, 
Contributions  to  the  history  of  English  opiniou  of  German,  I.  Gillies  and 
The  foreign  quarterly  review.  —  A.  S.  Napier,  Notes  on  Sir  Gawayne 
and  the  green  knight.  —  Reviews  etc.].  —  -1,  Auril  [C.  W.  Eastman,  The 
7.  annual  meeting  on  the  central  division  of  tlie  Mod.  laug,  association 
of  America.  —  G.  P.  Krapp,  Chaucer's  Cavander.  —  J.  S.  N ollen,  Heine 
and  Wilhelm  Müller.  I.  —  A.  S.  Cook,  Alfred's  Sohloquies  and  Cyne- 
wulf's  Christ.  —  J.  W.  Bright,  Chaucer's  Bees.  —  Reviews  etc.]. 

Die  neuereu  Sprachen  ...  herausgegeben  von  AV.  Vietor.  IX,  9 
[E.  Haguenin,  Discours  d'ouverture  du  cours  de  langue  et  de  littdrature 
franjaises  modernes  ;\  l'universitcj  de  Berlin,  prononce  le  31.  octobre  1901. 
Berichte.  Besprechungen.  Vermischtes |.  —  10  [Filip  Ferdinand  Kester, 
Deutsch-Amerikanisch.  J.  Lotsch,  Die  Reduplikation  in  der  französischen 
Wortbildung.  —  Berichte.  Besprechungen].  —  X,  1  [G.  Wendt,  Auslands- 
studium. K.  ^leyer,  Racine  und  Saint -Cyr  (Ij.  J.  Ackcrkuecht,  W^ie 
lehren  wir  die  neuen  Vereinfachungen  des  Französischen?  —  Besprechungen. 
Vermischtes]. 

Schweizerisches  Archiv  für  Volkskunde  .. .  herausgeg.  vou  Ed.  Hoff- 
maun-Krayer  und  Jules  Jeanjaquet.  VI,  1  [J.  Volmar,  Us  et  cou- 
tumes  d'Estavayer.  M.  Höfler,  St.  ^Iartini- Gebäck.  A.  Zindel  -  Kressig, 
Volkstümliches  aus  Sargans.  V.  Pellaudini,  Alcuni  esempi  di  medicina 
popolare.  Ders.,  Cretlenze  popolari  nel  cantone  Ticino.  A.  Küchler,  Pauner- 
musterungsaufzug.  M.  Pometta,  Toten-Brauch  und  -Glaube.  G.  Jenny, 
Aderlafs-Regeln.  S.  Gfeller,  Blütenlese  aus  einem  alten,  handschriftlichen 
Arzneibuche.  —  Bücheranzeigen.    Bibliographie]. 

Pater,  W.,  Die  Renaissance.  Studien  in  Kunst  und  Poesie.  Aus 
dem  Englischen  übertragen  und  mit  einer  Einleitung  von  W.  Schöler- 
mann.  Buchausstattung  von  Fritz  Schumacher.  Leipzig,  Diederichs, 
1902.     VIII,  328  S.     M.  5. 

Einstein,  L.,  The  Italian  renaissauce  in  England.  Studies.  New 
York,  The  Columbia  University  Press,  Macmillan,  1902.    XVII,  420  S. 

Schücking,  L.  L.,  Studien  über  die  stofflichen  Beziehungen  der 
englischen  Komödie  zur  italienischen  bis  Lilly  (Studien  zur  engl.  Philol. 
herausgeg.  von  Morsbach,  IX).     Halle,  Niemeyer,  1901.     109  S. 

Suciiier,  Hermann,  Einiges  über  die  akademische  Vorbildung  un- 
serer neusprachlichon  Lelirer,  Vortrag  gehalten  am  1.  Oktober  lOOl  in 
der  romanischen  Sektion  der  10.  Versammlung  deutscher  Philologen  und 


478  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Schulmänner.  Sonderabdruck  aus  den  Neuen  Jahrbüchern  f.  d.  klassische 
Altertum,  Geschichte  und  deutsche  Litteratur  und  für  Pädagogik.  Jahr- 
gang 1902.     II.  Abteilung.     X.  Band.     S.  161—4. 


Hohlfeld,  A.  R,,  Prof.  an  der  University  of  Wisconsin,  Der  Litte- 
raturbetrieb  in  der  Schule,  mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  gegenseitigen 
Beziehungeu  der  englischen  und  deutschen  Litteratur.  Separatabdruck 
aus  den  'Pädagogischen  Monatsheften'  Januar-Febr.  1902.  [Hohlfeld  ver- 
langt mit  Recht  vor  allem  eine  verständnisvolle  Interpretation.  Eigent- 
liche Litteraturgeschichte  gehöre  höchstens  in  die  obersten  Klassen  der 
Schule;  dagegen  miifs  sie  der  Lehrer  genau  kennen,  und  Geistesgeschichte 
überhaupt,  wenn  er  die  Lektüre  anregend  und  erspriefslich  machen  will. 
Des  weiteren  wünscht  er,  dafs  die  Wechselbeziehungen  der  deutschen  und 
englischen  Litteratur  bei  jeder  Gelegenheit  betont  werden.    A.  B.] 

Behaghel,  0.,  Der  Heliand  und  die  altsächsische  Genesis.  Giefsen, 
Ricker,  1902.    48  S. 

Kauf f mann,  F.,  Deutsche  Grammatik.  Kurzgefafste  Laut-  imd 
Formenlehre  des  Gotischen,  Alt-,  Mittel-  und  Neuhochdeutschen.  Mar- 
burg, Elwert,  1902.    VIII,  111  S. 

Gerzon,  J.,  Die  jüdisch-deutsche  Sprache.  Eine  grammatisch-lexi^ 
kaiische  Untersuchung  ihres  deutschen  Grundbestandes.  Frankfurt  a.  M., 
Kauffmann,  1902.     183  S.     M.  7,50. 

Nagl,  J.  W.,  und  Z  ei  dl  er,  J.,  Deutsch  -  österreichische  Litteratur- 
geschichte, 19.  Lieferung.    II,  49 — 96. 

Meyer,  Richard  M.,  Grundrifs  der  neueren  deutschen  Litteratur- 
geschichte.    Berlin,  Bondi,  1902.     XV,  258  S.     M.  6. 

Batt,  M.,  The  treatment  of  nature  in  German  literature  from  Gün- 
ther to  the  appearance  of  Goethe's  Werther.  University  of  Chicago  diss. 
Chicago,  The  University  Press,  1902.     112  S. 

Heuschkel,  W.,  Untersuchungen  über  Ramlers  und  Lessings  Be- 
arbeitung von  Sinngedichten  Logaus.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der 
deutschen  Sprache.    Leipzig,  Fock,  1902.    69  S.    M.  1,20. 

Lohre,  H.,  Von  Percy  zum  Wunderhorn.  Beiträge  zur  Geschichte 
der  Volksliedforschung  in  Deutschland  (Palaestra  XXII).  Berlin,  Maver 
&  Müller,  1902.     136  S.    M.  4. 

Uhde-Bernays,  H.,  Der  Mannheimer  Shakespeare,  ein  Beitrag  zur 
Geschichte  der  ersten  deutschen  Shakespeare-Übersetzimgen  (Litterarhist. 
Forschungen  herausgegeben  von  Schick  und  Waldberg,  XXV).  Berlin, 
Felber,  1902.  X,  90  S.  (Behandelt  den  Mannheimer  Nachdruck  der  Eschen- 
burgischen Shakespeare-Übersetzung,  wie  ihn  Gabriel  Eckert  veranstaltete. 
Eschenburg  selbst  hat  in  seiner  zweiten  Auflage  manche  Verbesserungen 
daraus  übernommen.  A.  W.  Schlegel,  Graf  Baudissin  und  Dorothea  Tieck 
scheinen  daraus  nicht  geschöpft  zu  haben;  dagegen  wurde  Eckerts  Mac- 
beth-Text die  Grundlage  der  Schillerschen  Macbeth-Bearbeitung.  Diese 
Arbeit  von  Uhde-Bernays,  dem  Stiefsohn  von  Prof.  Jakob  Bernays,  be- 
ruht auf  genauer  Vergleichung  von  drei  Ausgaben  des  Eckert-Textes  mit 
den  anderen  genannten  Shakespeare-Übersetzungen,  sowie  mit  dem  eng- 
lischen Original  und  fördert  unsere  Einsicht  in  folgenschwere  internatio- 
nale Litteraturbeziehungen.    A.  B.] 

Koch,  A.,  Über  den  Versbau  in  Goethes  Tasso  und  NatürUcher 
Tochter.  Programm  des  Friedrich- Wilhelm-Realgymnasiums  zu  Stettin, 
1902.    22  S.  4. 

Lucking,  G.,  Schiller  als  Herausgeber  der  Memoirensammlung.  II 
(Capilupi).  Programm  der  III.  Realschule  zu  Berlin,  1902.  Gaertners 
Verlag.    ;50  S.  4. 


Verzeichnis  der  einffolaufeneu  Druckschriften.  479 


■o 


Bad  st  über,  FT.,  Heinrich  von  Kleist,  sein  I^ben  und  seine  Werke. 
Ein  Beitrag  zur  Kleist-Litteratur. .  Wien,  Pichler,  1002.     X,  58  S. 

Kraus,  A.,  Star.l  historie  Ceska  v  nferaeckö  literatuie.  Prag,  Ko- 
hout,  iiiu2.     4GU  S. 

Schultz,  F.,  Joseph  Görres  als  Herausgeber,  Litterarhistoriker,  Kri- 
tiker im  Zusaninioiihange  mit  der  jüngeren  Romantik  (Palaestra  XII). 
Berlin,  Mayer  .^  Mnller,  1902.     X,  2'! 8  S.     M.  7,50. 

Castle,  E.,  Nikolaus  Leuau.  zur  .Tahrhundertfoier  seiner  Geburt.  Mit 
ueuu  Bildnissen  und  einer  Schriftprobe.    Leipzig,  Hesse,  Ht02.  VIII,  17u  6. 

von  Arx,  Walter,  Alfred  Hartmann,  sein  Leben  und  seine  Schrifteu. 
Beilage  zum  .Tahresboricht  der  Kantonsschule  Solothurn  1901  1902.  Solo- 
thurn  1002.  118  S.  '^  (mit  einem  Bildnis  Hartmanns).  [Liebevolle  und 
sorgsame  Darstellung  der  Lebeusthätigkeit  des  tüchtigen  schweizer  Schrift- 
stellers, geb.  1.  I.  1814,  gest.  10.  XII.  1897.] 

Heimatklänge  aus  deutschen  Gauen,  ausgewählt  von  O.  Dähuhardt. 
II.  Aus  Rebenflnr  und  Waldesgnind.  Mit  Buchschmuck  von  R.  Engels. 
Leipzig,  Teubnor,  1902.     XVIII,  185  S.  A. 

Die  Volkshymnen  aller  Staaten  des  Deutschen  Reiches.  Beiträge  zu 
einer  Geschichte  über(I)  ihre  Entstehung  und  Verbreitung.  Dem  grofsen 
deutschen  Vaterlande  gewidmet  von  Prof.  Dr.  V.  Boehm.  Wismar, 
Hinstorff,  1901.  82  S.  [Enthält  auch  eine  Geschichte  der  engl.  Volks- 
hymne, 1744,  aus  deren  Anregung  erst  die  deutschen  Volkshymnen  ent- 
standen.] 

Hölzeis  Wandbilder  für  den  Anschauungs-  und  Sprachunterricht. 
Bl.  XIV:  Der  Hafen.  Bl.  XV:  Der  Hausbau.  Bl.  XVI  a:  Das  Ber^-  und 
Hüttenwerk.  Bl.  XVI  b:  Das  Innere  eines  Bergwerkes.  Wien,  Hülzel, 
1902.  ["Grofse  farbige  Blätter  mit  Leinwandkanten  zum  Anschauungs- 
unterricnt  in  der  Schule.] 

Meneau,  F.,  und  Wolfromm,  A.,  professours  au  Lycee  Carnot, 
Deutsche  Sprechübungen.  Der  Fridiling  nacli  Didiers  Bildertafel.  Paris, 
Didier,  19f»2.     9ii  S.  kl.  8  und  ein  Bild. 

Vogel,  A.,  Ausführliches  grammatisch-orthographisches  Nachschlage- 
buch der  deutschen  Sprache  mit  Einschlufs  der  gebräuchlicheren  Fremd- 
wörter und  Angabe  der  schwierigeren  Silbeulreuuungeu  zum  täglichen  Ge- 
brauch für  jedermann.  Nach  der  neuesten,  für  Deutschland,  Österreicli 
und  die  Schweiz  geltenden  Orthographie  von  1892.  Berlin,  Langenscheidt, 
1902.^  508  S.    Geb. 

Erbe,  K.,  Gymn. -Rektor,  Die  neue  deutsche  Rechtschreibung  und 
ihr  Verhältnis  zu  den  bisher  gültigen  Vorschriften  dargestellt.  Nebst  einem 
Wörterverzeichnis.  Stuttgart,  Union  Deutsche  Verlagsgesellschaft,  1902. 
56  S.    M.  0,50. 

Kermann,  E.  C,  Praktischer  Wegweiser  durch  die  amtliche  'All- 
gemeine Rechtschreibung'  in  Deutschland,  Österreich  und  in  der  Schweiz. 
Kaiserslautern,  Thieme,  1902.     23  S.     M.  0,25. 

Uhland,  L.,  Ernst,  Herzog  von  Schwaben,  für  den  Schulgebrauch 
herausgegeben  von  Oberlehrer  R.  Eickhoff  (Frey tags  Schulausgabeu  und 
Hilfsbücher  f.  d.  deutschen  Unterricht).  2.  Auflage.  Leipzig,  Frevtag, 
1902.     112  S.     Geb.  M.  o,ÜO. 

Ibsen,  H.,  Sämtliche  Werke  in  deutscher  Sprache.  VIll.  Bd.  Uerlin, 
Fischer,  1902.     LIV,  4:".9  S.     M.   I. 

Englische  Studien.  XXX,  2  [E.  Koeppel,  I^ord  Byrons  Astarte.  — 
E.  Kölbing,  Zur  Entstehungsgeschichte  von  B>Ton8  Childe  Harold,  I.  Tl.  — 
S.  Bernth.sen,  Über  den  Einflufs  des  Plinius  in  Shelleys  Jugendwerkeu.  — 
H.  Richter,  Zu  Shelleys  philosophischer  Weltanschauung].  —  8  [F.  Holt- 


480  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

hausen,  Beiträge  zur  Geschichte  der  ne.  Lautentwiclcelung.  I.  —  W.  Hörn, 
Zur  ne.  Lautlehre.   —   E.  Koeppel,   Ellipse  des  Koxnj)arativs  vor  than.  — 

E.  Björknian,  Etymological  notes.  —  H.  C.  Wyld,  Zur  Erläuterung  des 
ae  Re\.  —  H.  Richter,  Zu  Shelleys  philosophischer  Weltanschauung.  II]. 

Anglia.    XXV,  2    [W.  Fischer,   Goldsmiths   Vicar  of  Wakefield.    — 

F.  Holüiausen,  Das  Spiel  der  Weber  von  Coventry.  I.  Text.  —  L.  C. 
Wilbur,  Chaucer  as  a  character  in  fiction.  —  G.  Krueger,  Eachhave; 
a  scissors]. 

Beiblatt  zur  Anglia.    XIII,  2,  3  (Februar,  März). 

Bonner  Beiträge  zur  Anglistik,  herausgegeben  von  Trautmann.    V 

tH.  Jovy,  Untersuchungen  zur  ae.  Genesisdichtung.  —  F.  Mennicken,  Vers- 
tau und  Sprache  in  Noctowns  Morte  Arthure.  —  J.  P.  Brown,  The  author 
of  Ratis  Raving.  —  M.  Trautmann,  Zur  Berichtigung  und  Erklärung  der 
AValdhere-Bruchstücke.  92  S.].  —  VI  [J.  T.  Brown,  The  Wallace  and  The 
Bruce  restudicd.  175  S.].  —  IX  [H.  Steffens,  Versbau  und  Sprache  des 
me.  stabreimenden  Gedichtes  'The  wars  of  Alexander'.  —  U.  Lindelöf, 
Wörterbuch  zur  Interlinearversion  des  Rituale  ecclesias  Durelmensis.  220  S.]. 
—  X  [U.  Lindelöf,  Die  südnorthumbrische  Mundart  des  10.  Jahrhunderts, 
die  Sprache  der  sog.  Glosse  RushworthS.  VIII,  152  S.].  —  XI  [J.  Fischer, 
Die  stabreimende  Langzeile  in  den  Werken  des  Gawaiudichters.  —  J.  Bou- 
ranel,  Zur  Quellen-  und  Verfasserfrage  von  Andreas,  Crist  and  Fata.  — 
M.  Trautmann,  Zum  zweiten  Waldhere-Bruckstück.     154  S.]. 

Angelsächsisches  Lesebuch  zusammengestellt  und  mit  Glossar  versehen 
von  Friedrich  Kluge.     3.  Auflage.     Halle,  Niemeyer,  1902.    221  S. 

Otto,  E.,  Typische  Motive  in  dem  weltUchen  Epos  der  Angelsachsen. 
Berlin,  Mayer  &  Müller,  .1902.    VIII,  99  S. 

Wroblewski,  L.,  Über  die  altenglischen  Gesetze  des  Königs  Knut. 
Berlin  (Diss.),  Mayer  &  Müller,  190L     60  S. 

Weyrauch,  M.,  Die  me.  Fassungen  der  Sage  von  Guy  of  Warwick 
und  ihre  afrz.  Vorlage  (Forschungen  zur  engl.  Sprache  und  Litteratur 
begr.  von  Kölbing,  if).     Breslau,  Marcus,  1901.    96  S.     M.  3,20. 

Gough,  A.  B.,  The  Constance  saga  (Palaestra  XXIII).  Berlin, 
Mayer  &  Müller,  1902.    84  S.    M.  2,50. 

Glanzscenen  aus  Shakespeares  Dramen  zu  einer  Vorstellung  vereinigt 
von  W.  Öchelhäuser.  Zum  Besten  des  in  Weimar  zu  errichtenden 
Shakespeare-Denkmals.     1902.     120  S. 

Gent,  R.  A.,  The  valiant  Welshman,  nach  dem  Drucke  von  1615 
herausgeg.  von  H.  V.  Kreb  (Mimchener  Beiträge  zur  roman.  uud  engl. 
Philol.,  XXIII j.     Erlangen,  Deichert,  1902.    LXXVIII,  88  S.    M.  4._ 

Wölbe,  E.,  Quellenstudien  zu  Hornes  'Douglas'.  Berlin  (Diss.), 
Mayer  &  Müller,  1901.     48  S. 

Herr  mann.  Albert,  A  grammatical  inquiry  into  the  language  of  Lord 
Byron.  Programm  der  XII.  Realschiile  zu  Berlin.  Berlin,  Gaertner,  1902. 
38  S.  4. 

Ruskin,  John,  Diesem  Letzten.  Vier  Abhandlungen  über  die  ersten 
Grundzüge  der  Volkswirtschaft.  Aus  dem  Englischen  von  Anna  von 
Przychowski.    Leipzig,  E.  Diederichs,  1902.     197  S. 

Collection  of  British  authors.    Tauchnitz  edition.    ä  M.  1,60. 
Vol.  3558:   H.  G.  Wells,  Anticipations. 
„     3559 — 61:   Hall  Caine,  The  eternal  city. 
„     3562:   Mrs.  Alexander,  The  yellow  friend. 
„     3563 — 64:  Edna  Lyall.  In  spite  of  all. 
„     3565:  A.  C.  Doyle,  The  war  in  South  Africa, 
„     3566 — 7:   Max  Pemberton,  The  giant's  gate. 
„     3568:   Sir  Edward  Malet,  Shifting  scenes. 
„     3569—70:  Percy  White,  The  West  end. 
,     3571:   A.  C.  Doyle,  The  hound  of  the  Barkervilles. 


Verzeichnis  der  ei u gelaufenen  Druckschriften.  4SI 


'D 


The  Euglish  world.  Leipzig,  Teubner,  1002.  February  [The  American 
iiegro.  —  American  society  m  London.  —  Chinatown  in  London.  —  A.  L. 
Baidry,  The  National  Liberal  Club.  —  G.  C.  Nuttall,  The  wrougs  Miss 
Anne.  —  E.  0.  Clifford,  Kew  Bridge.  —  Singapore.  —  The  benefactress.  — 
K.  F.  Knight,  In  Westaustralla.  —  Our  jofce  coruer.  —  New  booksl.  — 
March  [Austin  Dobson.  —  Hooliganism.  —  The  housing  problem  ancl  the 
savings  bank.  —  The  church  militant.  —  The  driftwoodsman.  —  Australian 
hides  and  skins.  —  The  naval  and  niilitary  club.  —  Notes  of  tlie  nionth.  — 
The  Story  uf  the  'Britannias'.  —  Esseutials  in  education.  —  The  London 
ma^istracy.  —  The  new  journalism.  —  Lord  Methuen.  —  Coos  Delarey.  — 
Odds  and  ends  of  interest.  —  Üur  joke  corner.  —  New  books].  —  April 
[Judith  Dauntry.  —  Prince  Henry  of  Prussia's  visit  to  America.  —  An 
American  judgement  on  Germany.  —  English  dramatists  of  to-day.  —  Death 
and  burial  of  Mr.  Cecil  Rhodes.  —  Cecil  Rhodes.  —  Odds  and  ends  etc.]. 

Klate-Kares,  Englisches  Unterrichtswerk:  Lehrgang  der  englischen 
Sprache.  IL  Teil:  Oberstufe.  Neu  bearbeitet  von  Prof.  Dr.  G.  Tanger. 
.Mit  einem  Plane  von  London  und  Umgebung.  Im  Anhang:  Kurze  syste- 
matische Formenlehre  der  englischen  Sprache.  Dresden,  Ehlermann,  19u2. 
VIII,  344  S.    M.  2,40,  geb.  M.  3. 

Regel,  E.,  Prof.  Dr.,  Oberlehrer  a.  D.,  Eiserner  Bestand.  Das  Not- 
wendigste aus  der  englischen  Syntax  in  Beispielen  zur  Repetition  an 
höheren  Schulen  und  militärischen  Vorbereitungsanstalten.  2.  verbesserte 
Auflage.     Leipzig,  Langkammer,  1902.    37  S.  12.    Geb.  M.  0,70. 

As  her,  D.,  Die  Fehler  der  Deutschen  beim  mündlichen  Gebrauch 
der  englischen  Sprache.  Übungsbuch  für  höhere  Lehranstalten  und  zum 
Selbstsebrauch.  8.  Auflage,  herausgegeben  von  Prof.  Dr.  Ph.  Ilagen. 
Dresden,  Ehlermann,  1902.    VIII,  75  S.    Geb.  M.  1. 

Holzer,  G.,  Prof.  an  der  Heidelberger  Oberrealschule,  Manual  of 
school-conversation,  a  coUection  of  terms  and  phrases  used  in  teaching 
Enghsh.     Berlin,  R.  Gaertner,  1902.     VIII,  122  S. 

Höft,  G.,  Englischer  Sprachstoff  nach  den  Gnindsätzen  F.  Gouius 
(Englische  Serien  II.  Teil).     Hamburg,  Meifsner,  1902.     VII,  206  S. 

Schweigel,  M.,  English  spoken  oder  Der  englisch  sprechende  Ge- 
schäftsmann. Ein  Konversationsbuch  zum  Gebrauch  in  kaufmännischen 
Schulen,  beim  Privat-  und  Selbstunterricht,  sowie  im  praktischen  Ge- 
schäftsleben. Mit  Angabe  der  Aussprache  und  ausführlichen  Warenver- 
zeichnissen.   Karlsruhe  i.  B.,  Bielefeld,  1902.    VIII,  200  S. 

Krön,  H.,  Stoffe  zu  englischen  Sprechübungen  über  die  Vorgänge 
und  Verhältnisse  des  wirklichen  Lebens.  Nebst  emem  Wörterverzeichnis. 
Im  Sinne  der  amtlichen  Lehrpläne  von  1901  zum  Gebrauche  in  O.  III 
und  U.  II  von  Real-  und  Reform- Anstalten,  sowie  Gymnasien  mit  eng- 
lischen Ersatzunterricht.    Karlsruhe,  Bielefeld,  1902.    94  S.    Geb.  M.  1,20. 

Krön,  R.,  A  vocabulary  with  explanations  in  simple  English  of  words 
in  the  text  of  The  little  Londoner  and  English  dayly  life.  Karlsruhe, 
Bielefeld,  1902.     77  S. 

Massey,  C,  In  the  shuggle  of  life.  Ein  Lesestoff  zur  Einführung 
in  die  Lebensverhältnisse  und  die  Umgangssprache  des  englischen  Volkes. 
Für  den  Schulgebrauch  bearbeitet  von  Realschuldirektor  Dr.  A.  Harnisch. 
Mit  einem  Anhang:  Englisches  Leben,  Bemerkungen  über  Land  und  Leute 
und  einem  Plan  von  London.  5.  Auflage.  Leipzig,  Spindler,  1902.  VII, 
132  S.,  dazu  32  S.  Wörterbuch.  [In  knapper  Form  wird  hier  das  Wesent- 
liche der  modernen  engl.  Realien  geboten.  Das  Büchlein  ist  entschieden 
empfehlenswert.    A.  B.] 

Dickmanns  Franz.  u.  engl.  Schulbibliothek.    Leipzig.  Renger,  1901/2: 
Reihe  C,  Prosa  und  Poesie.    Bd.  'M,  Englisch:   Miss   Edgeworth.   Lady 
Lawrence.    The  false  key.    Für  den  Schulunterricht  herausgegeben 
von  Dr.  F.  Lotsch.     l;^  S.    Geb.  M.  1,10. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CVIII.  31 


182  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Reihe  A,  Prosa.  Bd.  129,  Englisch:  Geography  of  the  British  empire. 
Für  den  Schulunterricht  bearbeitet  von  E.  Goerlich.  VIII,  102  S. 
M.  1,10.  —  Bd.  18J:  Chambers's  EnsfUsh  history  from  the  earliest 
to  the  present  time.  Für  den  Schulgebrauch  erklärt  von  A.  von 
Roden.  Mit  fünf  Kartenskizzen  im  Text  und  einer  Grafschafts- 
karte von  England.  VIII,  102  S.  Geb.  M.  1,30.  —  Bd.  133:  Eng- 
lish  school  life.  Für  den  Schulgebrauch  herausgegeben  von  F.  J. 
Wershoven.  Mit  7  Abbildungen.  VIII,  97  S.,  dazu  20  S.  An- 
merkungen. G^b.  M.  1,30. 
Velhagen  und  Klasings  Sammlung  französischer  und  englischer  Schul- 
ausgaben.    Bielefeld,  Veliagen,  1902. 

Engl,  authors  80 :  J.  R.  Green,  England  under  the  reign  of  George  III., 
herausgeg.   von  Prof.  Dr.  O.  Hall  bau  er.    X,   122  S.,  dazu  7.5  S. 
Anmerkungen.     Geb.  M.  1,40.    Hiezu  ein  Wörterbuch,  44  S.,   geh. 
M.  0,20. 
81:  R.  Kipling,  Stories  from   the  jungle  book,  herausgeg.  von  Direktor 
Dr.  E-  Döhler.    X,  88  S.,  dazu  20  S.  Anmerkungen.    Geb.  M.  1. 
Bahlsen  und  Hengesbachs  Schulbibliothek  französischer  u.  englischer 
Prosaschriften   aus  der  neueren  Zeit.     Abteilung  II :   Englische  Schriften. 
BerUn,  Gaertner,  1902. 
Bd.  39:  Modern  English  novels,  ausgewählt  und  mit  Anmerkungen  für 
den   Schulgebrauch   herausgegeben  von   Oberlehrer  Dr.  A.  Mohr- 
butter.    140  S.     Geb. 
Bd.  40 :  In  the  far  East.   Tales  and  adventures  by  R.  Kipling,  G.  Boothly 
and  F.  A.  Steel,  herausgegeben   von   Prof.   Dr.   H.  Feyerabend. 
153  S.     Geb. 
Shakespeares  Coriolan,  mit  ausführlichen  Erläuterungen  für  den  Schul- 
gebrauch   und    das  Privatstudium   von  L.  Schmuck   (Schöninghs  Aus- 
gaben ausländischer  Klassiker,  III).    Paderborn,  Schöningh,  1901.    108  S. 
Shakespeare,  W.,  Macbeth,  ein  Trauerspiel  in  fünf  Aufzügen,  für  den 
Schulgebrauch  herausgegeben  von  Prof.  Dr.  E.  Teichmann,  Oberlehrer 
(Aschendorffs  Ausgaben  für  den  deutschen  Unterricht).     Mit  einer  Karte. 
Münster  i.  W.,  Aschendorff,  1902.     122  S.     [Text  nach  Schlegel-Tieck,  ge- 
nauer Dorothea  Tieck,  mit  Berücksichtigung  der  bessernden  Arbeiten  von 
Bodenstedt,  Öchelhäuser  und  J.  Schmidt.    Am   SchluTs  ästhetische  und 
historische  Zusammenstellungen  und  Fragen.] 

Scott,  W.,  Stories  from  Waverley,  from  the  original  by  H.  Gassiot 
(Mrs.  A.  Barton).  Für  den  Schulgebrauch  erläutert  von  Professor  Dr. 
J.  Klapperich  (Klapperichs  Engl.  u.  franz.  Schriftsteller,  VII).  Glogau, 
Flemming,  1902.    203  S. 

Dash  and  daring.  Tales  of  peril  and  heroism  by  various  authors. 
Für  den  Schulgebrauch  herausgegeben  von  Oberlehrer  Dr.  A.  Herr  mann 
(Frevtags  Sammlung  franz.  u.  engl.  Schriftsteller).  Leipzig,  Freytag,  1902. 
VI,  100  S.  Geb.  M.  1,20.  Hiezu  ein  Wörterbuch,  54  S.,  M.  0,60. 
„  Englische  Übungsbibhothek  N.  4:  Gutzkow,  Zopf  und  Schwert,  zum 
Übersetzen  ins  EngUsche  bearbeitet  von  H.  Plate.  5.  verbesserte  Auflage 
von  Ph.  Hangen.    Dresden,  Ehlermann,  1902.     124  S.     Geb.  M.  1,20. 


Romania  ...  p.  p.  P.  Meyer  et  G.  Paris.  1902  Janvier.  121  [A.  Tho- 
mas, Problfemes  philologiques.  C.  H.  Grandgent,  Dante  and  St.  Paul. 
P.  Rajna,  L'episodio  delle  Questioni  d'amore  nel  Füocolo  del  Boccaccio. 
L.  Sainean,  Les  616ments  orientaux  en  roumain  (suite).  —  Mälauges:  G.  P., 
Une  fable  ä  retrouver.  A.  xMussafia,  Per  un  passo  del  romanzo  Flammca. 
P.  M.,  Fragment  d'un  mystfere  fraugais.  A.  DelbouUe,  Surquier.  Loincel. 
O.  Joret,  Iluterel.  Ov.  Densusianu,  Roum.  datina,  mdatina.  A.  de  Gre- 
gorio.  It.  a  hixxeffe.    E.  Rolland,  Deriväs  parisiens  ^emonie.  —  Corrections: 


Verzeichuis  iler  eingelaiifeiien  Druckschrifteu.  48S 

G.  r.,  Sur  Sorte  de  Nansai.  —  Comptes  reudus:  E.  Zaccaria,  Gli  elementi 
i;ermanici  neiritaliano  (C.  Cipriani).  A.  Pillet,  Das  Fableau  von  den 
Troi.<i  hossus  meneslrels  (G.  P.).  Registrcs  considaires  de  Saint-Flmir  p.  p. 
M.  Boiidet  (P.  M.).     Pt^riodiques.     Chrouique]. 

Gauchet,  L.,  Sono  aiuto.  (Auä  'Öcritti  vari  di  filolu^^a  iu  tjuure  di 
!•].  Mouaci'.)    ö  S.  8.    (Versuch  einer  Erklärung  der  seltsamen  Thatsache.) 

Bovet,  E.,  Ancora  il  problenia  andare.  (Aus  'Scritti  vari  di  filologia 
in  onore  di  E.  Monaci'.)  22  S.  8.  (Sorgfältige  Samiulung  und  besonnene 
Kritik  des  über  die  Herkunft  von  andare,  aller  u.  s.  \v.  (Jeänlserten.  Der 
Verfasser  entscheidet  sich  für  a»ibulare,  indem  er  sich  am  engsten  au 
Wulff  anschliefst,  doch  nicht  ohne  eigene  Argumente  hinzuzubringeu.) 

Pfeiffer,  Dr.  Gustav,  Ein  Problem  der  romanischen  Wortforschung. 
Letzte,  vermehrte  Ausgabe.  Stuttgart,  Druck  von  Greiner  &  Pfeiffer, 
1HU2.  151  S.  8.  [Der  Verfasser  der  im  Archiv  CIV,  2i>^  und  CV,  239 
eingetragenen  Schrift,  über  welche  Roniania  XXIX,  oI9,  6oü  nachgesehen 
werden  mag,  ist  im  Dezember  1901  gestorben.] 

Zeitschrift  für  französische  Sprache  und  Litteratur  . . .  herausgegeben 
von  Dr.  D.  Behrens,  Prof.  an  der  Universität  Giefseu.  XXIV,  2  u.  I. 
Der  Referate  und  Recensioueu  erstes  und  zweites  Heft. 

Tvcvue  de  philologie  franyaise  et  de  Iitt(''rature  ...  p.  p.  L.  Cl^dat. 
XVI,  1,  2  [!>.  Vignon,  Les  patois  de  la  region  lyonnaise  (suite).  L.  Cl^dat, 
La  negation  dite  expletive.  J.  Bastiu,  Omission  de  ne  expletif.  F.  Balden- 
sperger,  Une  d^tiuition  de  la  poesie  romantique  par  Charles  de  Villers. 
Anna  Ahlström,  La  reforme  de  l'orthographe,  reponse  ;\  M.  Emile  Rodhe. 
H.  Yvon  et  L.  Ck'dat,  Sur  l'emploi  du  mot  'indefini'  en  graniniaire  fran- 
caise.  Les  pronoms  dits  indt^finis.  H.  Yvon,  Sur  la  place  de  l'adjectif 
en  fran^ais.  —  Comptes  rendus :  A.  Malmstedt,  Sur  les  propositions  rela- 
tives dites  doubles  (L.  Cledat).  Lan^lois  et  Coville,  Chapitres  litteraires 
de  la  grande  Histoire  de  France  (L.  C.)]. 

Französische  und  englische  Schulbibliothek  herausgeg.  von  Otto  E.  A. 
Dickmann.     Leipzig,  Renger,  1902.     8. 
A  130.     Histoire  de   la  troisifeme  croisade  (aus:   Histoire  des  croisades) 
von  Joseph-Fraujois  Michaud.    Für  den  Schulgebrauch  erklärt  von 
Otto  Klein.    Mit  2  Karten  und  1  Plan.    X,  110  S.    (Sonderwörter- 
buch dazu  erschienen.) 
A  131.     Ascensions,  voyages  aeriens,  cvasions.    Für  den  Schulgebrauch 
ausgewählt    und    erklärt    von    F.    J.    Wershoven.     Mit    ü    Abbil- 
dungen.    114   S. 
A  134.     Französisches  Lesebuch  für  die  mittleren  Klassen  höherer  Lehr- 
anstalten   von    Otto   E.  A.   Dickmann    und    Joseph    Heuschen. 
IV,  222  S.    (Dazu  ein  Sonderwörterbuch.)    Geb. 
A   13.5.     Lettres  de  mon  moulin  von  Alphonsp  Daudet.    Für  den  Schul- 
gebrauch  ausgewählt   und  erklärt  von  Joh.  Hertel.     XlII,  109  S. 
A  130.     Le  berger  et  le  proscrit   par  Jean-Jacques  Porchat.     Für  den 
Schulgebrauch  erklärt  von  Joseph  Heuschen.   VIII,  90  S.  (Sonder- 
wörterbuch erschienen.) 
Freytags  Sammlung  französischer  und  englischer  Schriftsteller.    Leip- 
zig, Freytag,  19U2.     8. 

Les  Bardeur-Carbansane,  histoire  d'une  famille  pendant  cent  ans  par 
Jacques  Naurouze.  Cinquifeme  partie.  S<?verine  1814  — 1815.  Für 
den  Schnlgel)rauch  herausgegeben  von  Dr.  August  Müller.  112  S. 
Geb.  M.  1,25;  hiezu  Wörterbuch  (55  S.)  M.  (i,bO. 
Erckmann-Chatrian,  Histoire  d'un  conscrit  de  1813.  Für  den  Schul- 
gebrauch herausgeg.  von  Prof.  Dr.  Eugene  Pariselle.  Mit  zwei 
Karten.    V,  114  S.    Geb.  :\r.  1,20;  hiezu  Wörterb.  (42  S.)  M.  0,10. 

31* 


484  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften, 

G^nßral  G.  Niox,   Histoire  de  la  guerre  frauco  -  allemande  1870 — 1871. 

Nebst  einem  Anhange.     Für  den  Schulgebrauch  herausgegeben  von 

II.  Bretschneider,  Oberlehrer.     Mit  zwei  Kartenskizzen.     107  S. 

M.  1,20;  hiezu  Wörterb.  (69  S.)  M.  0,75. 

Bibliothfeque  franjaise  ä  l'usage  des  classes.     Vienne,  Graeser,  1902. 

8.    Geb. 

I\I6raoire8   d'un  coU^gien  par  Andrö  Laurie.     Edition  autoris^e,  suivie 
d'uu  commentaire  et  d'un   r^p^titeur  par  R.-C.  Kukula,  docteur 
en  Philosophie,  professeur  au  Sophiengymnasium  de  Vienne,  revue 
par  J.  Deläge.    V,  212,  78  S. 
Velhagen  &  Klasings  Sammlung  französischer  und  englischer  Schul- 
ausgaben.   Bielefeld  und  Leipzig,  1901  u.  1902.     Kl.  8.     Geb. 
Prosateurs  franjais. 

121  B.  Pecheur  d'Islande  par  Pierre  Loti  . . .  von  Dr.  Hermann  Engel- 
mann.    IX,  129,  33  S.    M.  1,00  (Wörterb.,  62  S.,  M.  0,30). 

122  B.  Tartarin  de  Tarascon  par  Alphonse  Daudet  ...  von  Dr.  Gafs- 
meyer.    VIII,  95,  24  S.    M.  0,90. 

123  B.  Cholx  de  nouvelles  modernes.  IV.  Bändchen.  Un  voyage  forc^ 
von  M""^  Henriette  Fran§ois  ...  von  Bertha  Breest.  133,  30  S. 
M.  1  (Wörterb.,  33  S.,  M.  0,20). 

121  B.  Dass.  V.  Bändchen.  Fantaisies  et  contes  par  M'"^  Henriette 
Fran9ois  ...  von  Bertha  Breest.  59,  19  S.  M.  0,60  (Wörterb.^ 
14  S.,  M.  0,20). 

125  B.  Dass.  VI.  Bändchen.  Mateo  Falcone  par  P.  M^rimöe.  Un  Epi- 
sode de  la  campagne  de  Naples  par  la  vicomtesse  Jos^phine  du 
Peloux  ...  von  Prof.  Dr.  Grube.    VI,  76,  20  S.    M.  0,75. 

126  B.  Choix  de  röcits  bibliques  ...  von  Dr.  Gottfried  Keutel.  IX, 
95,  16  S.    M.  0,80  (Wörterb.,  25  S.,  M.  0,20). 

128  B.  Pierre,  le  jeune  commergant  par  Joseph  Chailley-Bert  . . .  von 
J.  Kamm  er  er.    V,  100,  36  S.    M.  0,90  (Wörterb.,  28  S.,  M.  0,20). 

129  B.  Dosia  par  Henry  Gröville  ...  von  Dr.  L^on  Wespy.  VII,  146, 
24  S.    M.  1,60  (Wörterb.,  64  S.,  M.  0,30). 

130  B.  Aline  par  Henry  Gröville  ...  von  F.  Erler.  VIII,  112,  14  S. 
M.  1,40  (Wörterb.,  38  S.,  M.  0,20). 

131  B.  Raymonde  par  Andr^  Theuriet  ...  von  Dr.  Karl  Schmidt. 
VI,  144,  24  S.    M.  1,10  (Wörterb.,  28  S.,  M.  0,20). 

132  B.  Ausgewählte  Erzählungen  von  Andrö Theuriet ...  von  K.  Falck. 
V,  91,  39  S.    M.  0,90  (Wörterb.,  43  S.,  M.  0,20). 

133  B.  Le  traitö  de  Töducation  des  filles  par  F^nelon  . . .  von  R.  We- 
niger.   XI,  88,  35  S.    M.  1  (Wörterb.,  31  S.,  M.  0,20). 

134  B.  Recueil  de  contes  et  r^cits  pour  la  jeunesse.  V.  Bäudchen  . . . 
von  Bertha  Schmidt.    88,  30  S.    M.  0,75. 

137  B.  La  Bretagne  et  les  Bretons.  Für  den  Schulgebrauch  zusammen- 
gestellt und  erklärt  von  Dr.  A.  Mühlan.  IX,  108,  32  S.  M.  1,10 
(Wörterb.,  31  S.,  M.  0,20). 

138  B.  Voltaire,  Diderot,  Rousseau.  Morceaux  choisis  . . .  von  Prof. 
Paul  Voelkel.    IV,  148,  40  S.    M.  1,20. 

Schulbibliothek  ...  herausgeg.  von  L.   Bahlsen   und   J.  Henges- 
bach.     Berlin,  Gaertner,  1902.    8.    Geb. 
44.    Histoire  de  France.     IL  Depuis  l'avfenement  de  Henri  IV  jusqu'ä 
nos  jours  (1589—1871).    Für  den  Schulgebrauch  bearbeitet  und  mit 
Anmerkungen  herausgegeben  von  Dr.  Heinrich  Gade.    (Ein  Wörter- 
buch ist  gesondert  erschienen.)    VIII,  127  S. 
Englische  imd  französische  Schriftsteller  der  neueren  Zeit.   Für  Schule 
und  Haus  herausgegeben  von  J.  Klapperich.    Glogau,  Flemming,  1902. 
8.    Geb. 

_8.    Biographies  historiques  von  Dhombres,  Monod,  Duruy,  Cons,  Roche, 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  485 

Wirth,  Ferry,  Bourdon   ...   henmsgeg.   vou  Prof.  Dr.  F.  J.  Wers- 
hoven.    96  S. 
0.    Paris,   histoire  —   nionuments  —  administration.     Herausprjr.   und 
erklärt    von    Prof.    Dr.    F.   J.  Wershoven.     Mit    l:>   Altbiklun^^en, 

1  Karte  und  1  Plan.     VIII,  134  S.     (Ausgabe  B   dieses  Bändchens 
giebt  die  Anmerkungen  in  französischer  Sprache.) 

10.  Scfenes  et  esquisses  de  la  vie  de  Paris.    Mit  Einleitung  und  Anmer- 
kungen bearbeitet  von  Dr.  K.  Sachs.     VII,  7.')  S. 

11.  Femmes  etJl&bres  de  France  ...  herausgegeben  von  Prof.  Dr.  F.  J. 
Wershoven.     84  S. 

Siepmanu's  French  Series.  Elementary.  London,  Macniillan  &  Co., 
1002.    Kl.  8.     Geb. 

Napoleon  par  Alexandre  Dumas   adapted   and    edited    by  \V.  W.  Vau- 
ghan,  M.  A.,  assistant  niaster  of  Clifton  College.    LX,  löti  S.  und 

2  Karten.     Dazu  ein   Heftchen  Word-   and   Phrasebook  (13  S.)  by 
the  general  editors  of  the  series. 

Willert,  Haus,  Erläuterungen  zu  französischen  Schriftstclloni  im 
Anschlufs  an  Schulausgaben.  Wissenschaftliche  Beilage  zum  Jahres- 
bericht der  Luisenschule  zu  Berlin.  Ostern  19u2.  Berlin.  Gaertner,  PJ02. 
111  S.  4. 

Le  roman  de  Tristan  et  Iseut  traduit  et  restaur^  par  Joseph  B edier, 
preface  de  Gaston  Paris.  Ouvrage  couronn^  par  1  Acad^'^mie  fraiifaise. 
(Mnqui^me  t'^dition.     Paris,  Piazza  et  C'",  1902.     289  S. 

Crestien  von  Troies,  Li  romans  dou  Chevalier  au  lyon  horausgeg. 
von  W.  L.  Holland.  Dritte  Auflage.  Neue  durch  ein  Glossar  von 
Dr.  Alfred  Schulze  vermehrte  Ausgabe.  Berlin,  Mayer  ä  Müller,  1002, 
XII,  280  und  63  S.  8.    M.  3,6U  (Glossar  allein  M.  2). 

Une  vie  de  saint  Quentin  en  vers  franjais  du  moyen  Age  publiee  et 
annotde  par  Werner  Söderhjelm  (Memoires  de  la  Sociöt^  n^o-philo- 
logique  ä  Helsingfors.  III).     Helsingfors  1902.    83  S.  8. 

Steinmüller,  Dr.  Georg,  Kgl.  Gymnasialprofessor,  Auswahl  von 
60  französischen  Gedichten  für  den  Schulgebrauch,  zusammengestellt  und 
erläutert,  nebst  einem  Wörterbuch.  2.  Auflage.  München  und  Berlin, 
Oldenbourg,  o.  J.     96  S.  8.     Geb.' 

Schenk,  Albert,  dr.  et  lecteur  ä  l'Universit^  de  Kiel,  Vive  le  rirel 
Recueil  de  jeux  de  mots,  d'^pigrammes,  d'amusettes,  de  rebus  et  d'attrapes 
jI  l'usage  des  öcoles  et  des  familles,  avec  des  notes  et  un  index.  Kiel, 
Cordes,  o.  J. 

Glossaire  des  })atoi8  de  la  Suisse  romande.  Troisifeme  rapj^ort  annuel 
de  la  redaction.     1901.    Neuchätel,  Attinger,  1902.     13  S.  8. 

Mangold,  Dr.  W.,  Grammatik  der  französischen  Sprache  für  die 
obere  Stufe  höherer  Lehranstalten.  Ausgabe  A :  Für  Gymnasien  und 
Realgj'mnasien.     Dritte  Auflage.     Berlin,   Springer,  1902.     XII,    144  S.  8. 

Plcetz,  Dr.  Gustav,  und  Dr.  Otto  Kares,  Sprachlehre  auf  Grund 
der  Schulgrammatik  von  Dr.  Karl  Plcetz.  Achte  verbesserte  Auflage. 
Berlin,  Herbig,  1902.    XX,  140  S.  8.    Ungeb.  M.  l,2u. 

Plcetz,  Dr.  Gustav,  Elementarbuch.  Ausgabe  E.  Berlin,  Herbig, 
1902.    XVI,  235  S.  8.    Ungeb.  M.  l,>^'i. 

Wimmer,  Dr.  Karl,  Lehrgang  der  französischen  Sprache.  I.  Teil: 
Die  vollständige  Formenlehre.  Nach  den  neuesten  Lehrplänen  und  der 
neuesten  französischen  Sprachreform.  Zweibrücken,  Lehmann,  19u2.  VI, 
302  S.  8. 

Richter,  Dr.,  Grammatische  LTntersuchungen  über  das  französische 
Volkslied.  Beilage  zum  Jahresbericht  über  da.s  Schuljahr  19ul/U2  des 
Kgl.  Gymnasiums  in  Guesen.  Programm -Nr.  173.  (Erster  Teil:  Pho- 
netisches und  Morphologisches,  25  S.  l;  ein  zweiter  Teil,  'Syntaktisches', 
soll  folgen.) 


-ISU  Verzeichnis  der  eingelaufeueu  Druckschriften. 

Vis  lug,  Johan,  Frauska  spräket  i  England.  III  (in:  Inbjuduing  tili 
den  offentliga  föreläsning  med  hvilken  professorn  fil.  dr.  Johan  Rudolf 
Kjfll^ii  koinmer  att  tillträda  sitt  ämbete  ...)•.   Göteborg  1902.     85  S.  8. 

Hilka,  Alfons,  Die  direkte  Rede  als  stilistisches  Kunstmittel  in  den 
Romanen  des  Chrestien  de  Troyes.  Dissertation  aus  Breslau,  1902.  Ho  S.  8. 
(Die  Veröffentlichung  der  ganzen  Arbeit,  von  der  zunächst  nur  die  Ein- 
leitung vorliegt,  ist  späterer  Zeit  vorbehalten.) 

Behrens,  Dietrich,  Zur  Wortgeschichte  des  Französischen  (aus  der 
Festgabe  für  W.  Foerster,  Halle,  Niemeyer,  1902.     S.  283—246). 

Tobler,  Adolf,  Vermischte  Beiträge  zur  französischen  Grammatik, 
gesammelt,  durchgesehen  und  vermehrt.  Erste  Reihe.  Zweite,  vermehrte 
Auflage.     Leipzig,  Hirzel,  1902.    XII,  306  S.  8.     M.  8. 

Geijer,  F.  Ä.,  Modus  conjunctivus  särskildt  i  franskan,  spräkbiologisk 
Studie.  (Särtrvck  ur  Nyfilologiska  Sällskapets  i  Stockholm  Publikation. 
1901.)     S.  199—226.     8. 

Röttgers,  Benno,  Oberlehrer,  Beziehungen  zwischen  Betonung  und 
Syntax  im  Französischen  (Verbindungen  zweier  Substantive  mit  de). 
Wissen schaftl.  Beilage  zum  Jahresbericht  der  Dorotheenschule  zu  Berlin. 
Ostern  1902.    Berlin,  Gaertner,  1902.    -42  S.  4. 

Polentz,  Emil,  Die  Funktionen  des  fi-anzösischen  Relativpronomens 
leqtiel.  II.  Teil.  Wissenschaftliche  Beilage  zum  Jahresbericht  des  Andreas- 
Realgymnasiums  zu  Berlin.  Ostern  1902.  Berlin,  Gaertner,  1902  (Pro- 
gramm Nr.  105).  31  S.  4.  Ein  dritter  Teil,  lequel  nach  Präpositionen 
behandelnd,  bleibt  späterer  Veröffentlichung  vorbehalten. 

Duschin sky,  W.,  k.  k.  Professor  an  der  Staats-Oberrealschule  im 
VII.  Bezirke  Wiens,  Übungsbuch  zur  französischen  Syntax.  Oberstufe. 
(Fortsetzung  zu  dem  Lehrbuch  der  französ.  Sprache  von  Weitzenböck.) 
Leipzig,  Freytag,  1902.     IV,  191  S.  8.     Geb.  M.  2,50. 

Kanzler,  A.,  Professor  am  Grol'sh.  Gymnasium  Tauberbischofsheim, 
Hilfsbüchlein  für  den  Gebrauch  des  Französischen  als  Unterrichtssprache, 
Französische  Wörter  und  Redensarten  für  die  Hand  des  Schülers  zu- 
sammengestellt.    Karlsruhe,  Lang,  1902.     VI,  40  S.  8.     M.  0,60. 

Schmidt,  M^^'^  Bertha,  Pr^cis  de  la  litterature  franjaise.  Karlsruhe, 
Bielefeld,  1902.     165  S.  8.    Geb. 

Zenker,  Rudolf,  Die  Synagon -Episode  des  Moniage  Guillaume  II, 
ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  altfranzösischen  Nationalepos.  Sonder- 
abdruck aus:  Beiträge  zur  romanischen  und  englischen  Philologie,  Fest- 
schrift für  Wendelin  Foerster.     Halle,  Niemeyer,  1902.     S.  129—174. 

Cloetta,  Wilhelm,  Die  Entstehung  des  Moniage  Guillaume  (aus  der 
Festschrift  für  W.  Foerster).     S.  99—120. 

Sachrow,  Karl,  aus  Arnswalde,  Über  die  Vengeance  d'Alexandre 
von  Jean  le  Venelais  (Jehan  li  Venelais).  Inaugural  -  Dissertation  aus 
Halle.     19(12.     74  S.  8.    (Auch  im  Handel  bei  H.  John,  Halle.) 

Toldo,  Prof.  Pietro,  docente  nella  R.  Universitä  di  Torino,  Etudes 
öur  le  theätre  comique  franjais  du  moyen  äge  et  sur  le  röle  de  la  nou- 
velle  dans  les  farces  et  dans  les  comedies.  Turin,  Loescher,  1902.  189  S.  8 
(Extrait  des  Studj  di  filologia  romanza,  vol.  IX,  fasc.  2). 

Farinelli,  Arturo,  Dante  e  Margherita  di  Navarra  (Estratto  dal 
fascicolo  di  febbraio  1902  della  Rivista  d'Italia).     24  S.  8. 

Böhm,  Dr.  Karl,  Beiträge  zur  Kenntnis  des  Einflusses  Senecas  auf 
die  in  der  Zeit  von  1552  bis  1562  erschienenen  französischen  Tragödien. 
Erlangen  und  Leipzig,  Deichert,  1902  (Münchener  Beiträge  zur  rom.  und 
engl.  Philol.  herausgeg.  von  Breymann  und  Schick.  XXIV.  Heft).  XVI, 
168  S.     M.  4. 

Morel-Fatio,  Alfred,  Les  defenseurs  de  la  comedia  (Extrait  du 
Bulletin  hispanique  de  Janvier-Mars  1902).  Bordeaux,  F^ret  et  fils;  Paris, 
Fontemoing.     35  S.  8. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  187 

Afichaud,  G.,  professeur  :"l  l'Universitt?  de  Fribourg  (Suisssei,  Les 
Epoques  de  la  pensi^e  de  Pascal.  Deuxi^me  (Edition  revue  et  augment^e. 
Paris,  Foutemoing,  1902.     VIII,  iSU  S.  8. 

Kleinecke,  Dr.  Paul,  Gobineau's  Ras.senphilosonhie  (Essai  sur  l'in- 
ogalit^  des  race-s  humaines)  dargestellt.    Berlin,  H.  Walther,  190*2.    ''1  S.  8. 

Friedwagner,  Prof.  Dr.  Mathias,  Ferdinand  Lotheifson  (Gedächtnis- 
rede, gehalten  am  12.  .lanuar  1.  J.  im  Festsaale  der  Wiener  Universität 
aus  Anlafs  der  Aufstellung  eines  Reliefbildes  des  verewigten  Literar- 
historikers und  Professors  der  französischen  Sprache  und  Literatur).  Bei- 
lage zur  Allgemeinen  Zeitung,  Jahrg.  1902,  Nr.  t)7.  München,  21.  März  1902. 

Appel,  Carl,  Provenzalische  Chrestomathie  mit  Abrifs  der  Formen- 
lehre und  Glossar.  Zweite,  verbesserte  Auflage.  Leipzig,  Reisland,  1902. 
XLI,  :^4  S.  gr.  8. 

Aigar  et  Maurin,  Bruchstücke  einer  Chanson  de  geste  nach  der  ein- 
zigen Handschrift  in  Gent  neu  herausgegeben  ...  von  Alfred  Brofsmer 
aus  Ettenheini.    Dissertation  aus  Freiburg  i.  B.    Erlangen  löol.    l((2  S.  8. 

Las  curas  de  las  enfermetats  dels  uelhs  faitas  per  Benvengut  de  Sa- 
lem. La  Version  proveugale  du  trait^  d'occulistique  de  Benvengut  de 
Salern  p.  p.  Henri  Teuliö.  Avec  deux  planches  en  phototypie.  Paris, 
Picard,  1900.  2;^  S.  8.  (Aus  der  Ifs.  der  Baseler  l^niversitätsbibliothek 
D  II  II,  Fol.  172 — 177  war  diese  Übersetzung  nach  Teuli^  schon  188ö 
durch  Berger  und  Aurachcr  herausgegeben;  mau  erhält  sie  hier  auf  Grund 
neuer  Vergleichung  der  Hs.  au  mehreren  Stellen  berichtigt  und  vervoll- 
ständigt.    Der  erste  Druck  scheint  kaum  bekannt  geworden  zu  sein.) 

Rfegle  des  chanoinesses  augiistines  de  Saint-Pantal^on  ou  des  onze 
inille  Vierges  p.  A.  Jeanroy.  Toulouse  19(M  (Extrait  du  tome  XVI  des 
Memoires  de  la  Societe  arch^ologique  du  Midi  de  la  France).     ;^1  S.   1. 

Welt  er,  Nikolaus,  Theodor  Aubanel,  ein  provenzalischer  Sänger  der 
Schönheit.     Mit  Aubanels  Bildnis.     Marburg,  Elwert,  1902.     223  S.  8. 

Bonvesin  da  la  Riva,  II  libro  delle  tre  scritture  e  i  volgari  delle 
false  scuse  e  delle  vanit;\  a  cura  di  Leandro  Biadene.  Pisa,  Spoerri, 
1902.     XXXVIII,  113  S.  8.    L.  5. 

Salvioni,  Carlo,  DeU'antico  dialetto  pavese.  Etratto  dal  BoUettino 
della  Societä  pavese  di  storia  patria.  Anno  IL  1902.  Fascicolo  I  e  IL 
Pavia  1902.    03  S.  8. 

Biadene,  L.,  II  collegamento  delle  due  parti  principali  della  stanza 
per  mezzo  della  rima  nella  canzone  italiana  dei  secoli  XIII  e  XIV.  Roma 
lOOi   (aus  'Scritti  vari  di  filologia  in  onore  di  E.  ^lonaci')- 

Wulff,  Fredrik,  Trois  sonets  de  Pdtrarque  et  une  rectification.  Lund, 
1902  (Extrait  de  Fnin  Filologiska  Forenino;en  i  Lund,  II,  1902).    32  S.  8. 

Giornale  storico  della  letteratura  italiana  diretto  da  F.  Novati  e 
K.  Renier.  Fase.  110 — 117  [Luzio-Renier,  La  coltura  e  le  relazioui  lette- 
rarie  d'Isabella  d'Este  Gonzaga.  Laura  Torretta,  II  'über  de  claris  mulieri- 
bus'  di  G.  Boccaccio.  Salvatore  Minocchi,  La  questione  francescaua.  — 
Varietä:  P.  Piccolomiui,  Ultimi  versi  di  Jacopo  di  Diacceto.  G.  Rossi, 
Una  scrittura  e  alcune  lettere  e  documenti  tixssoniani  inediti.  P.  Bellezza, 
Quäle  stiina  facesse  il  Manzoni  di  Dante.  —  Rassegna  bibliografica:  R.  L. 
Taylor,  Alliteration  in  Italien  (C.  Salvioni).  J.  J.  Pontani  carmina  a 
cura  di  B.  Soldati  (R.  Sabbadini).  A.  Luzio,  Un  pronostico  satirico  di 
P.  Aretino  (V.  Rossi).  F.  Raccamadoro-Ramelli,  Ottavio  Rinucciui  (A.  So- 
Icrti).  BoUettino  bibliografico.  Annunzi  analitici.  Comunicazioni  ed  ap- 
punti.     Cronaca]. 

Salvioni,  Carlo,  La  Divina  Commedia,  l'Orlando  furioso  e  la  Gern- 


488  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

salpiiime  libcrata  nellc  versioni  e  nei  travestimenti  dialettali  a  stampa, 
sa^j^iuolo  biblio^aafico  (Nozze  Maggini-Salvioni,  1  aprile  1902).  Bellinzona, 
edizioiie  di  125  esemplari  nunierati  e  non  venali.     41  S.  8. 

Crescini,  Vincenzo,  Di  (lue  recenti  saggi  suUe  liriche  del  Boccaccio, 
l'adova  1002.  (.Memoria  letta  alla  R.  Accademia  di  scienze,  lettere  ed  arti 
in  l'adova  nella  tornata  del  giorno  10  febbraio  1902,  ed  inserita  nel 
vol.  XVIII,  dispensa  II  degli  Atti  e  Memorie.)  S.  59 — 85.  [Über  L.  Mani- 
cardi  e  A.  F.  Massera,  Introduzione  al  teste  critico  del  Canzoniere  del 
Boccaccio,  Castelfiorcntino,  1901  und  von  denselben  Verfassern  Le  dleci 
ballate  del  Decameron,  Castelfiorcntino,  1901.]   -. 


Coleccion  de  autos,  farsas  y  coloquios  del  siglo  XVI  publice  par  L^o 
Rouanet.  T.  IV  (Bibliotheca  hispanica,  T.  VIIT).  Barcelona  'L'avenj'; 
Madrid,  Murillo,  1901.    512  S.  8.    Pes.  15. 


Michaelis  de  Vasconcellos,  Carolina,  A  infanta  D.  Maria  de 
Portugal  (1521—1577)  e  as  suas  damas.     Porto  1902.     122  S.  4. 

Densusianu,  Ovid,  Filologia  romanicä  in  Universitatea  noa'strä, 
loctiuiie  de  deschidere.     Bucuresci,  Sorecu,  1902.     25  S.  8. 

Densusianu,  Ovide,  Histoire  de  la  langue  roumaine.  Tome  preniier, 
fascicule  II.     Paris,  Leroux,  1901  (S.  129—304). 


0 


488 


Verreichnis  der  eingelaufen  •=' 


kschriften. 


salemme  lilH>rata   nelle  versioni   e  n- 

'    Mbliosrrafico  ^Nozze  Maggin.  .-... 
rjö  esemj^hiri  numerati  e  uon  v« 
t  resoiui,  Vinconzo.  Di  iluo  rtw 
Pjidova  liXV2.   (^Memoria  letta  alla  R. 
in    Tadova   nella   toraata   del   giorno   l 
vol.  XVllI.  dispeosA  II  a--'     "-        ^'^■ 
cardi  e  A.  K.  Miisstra,   I 
Boocjuvio.  Gii^toltiorontino.  h'-.»!    uuvi    w 
ballate  del  Pecauierou.  Cjistelfiorentiuv 


'ua 


■  ti   dialettali  a  stanip 
;ii.>rile  liX)-J).    Bellinzon« 

41  S.  8. 
l'io  liricbe  del  Boooacoic 
V\  soienze,  lettore  evl  art 
A^   190-,   ed   inserita   m 
■^9—Sb.    [Über  L.  ManiJ 
itico  del  Caozouiere  del 
i'oen  Verfassern  Le  diecil 


Colecciou  de  autos,  farsas  y  oolcviinos  dei  iglo  XVI  publiee  par  lAi 
Rouanet.    T.  IV  (Bibliotheca*  i  .  T.  tll).     Barcelona  'L'aveni^'; 

Madrid,  Murillo.  U\)l.    512  S,  S.     . 


Michaelis   de  Vasooncellos,  Carolit,  A  infanta  D.   Maria  de 
Portugal  t^löü— löTT)  e  as  suas  damäs.     Por    1002.     1'2'2  S.  4. 


Densusiauu.   Ovid.   Fi 
lectiuue  de  desciidere.     Bucui, .,      , 

Deu^usianu,  Ovide.  Histoire 
fascicule  IT.     Paris.  Leroux,  1901  »^S. 


•;    Universitatea   noasträ. 

•J5  S.  S. 
.  ouuiaiue.   Tome  premier. 


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^G  T.  JAN  2  5 


PB  Archiv  für  das   studiiom 

3  der  neueren  sprachen 

A5 
Bd. 108 


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